The Project Gutenberg eBook of Ein Geschlecht: Tragödie

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Title: Ein Geschlecht: Tragödie

Author: Fritz von Unruh

Release date: October 24, 2014 [eBook #47189]

Language: German

Credits: Produced by Gerard Arthus, Reiner Ruf and the Online
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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EIN GESCHLECHT: TRAGÖDIE ***

Bucheinband

Original-Bucheinband

Kurt Wolff Verlag

Ein Geschlecht

Tragödie

von

Fritz von Unruh

1918


Kurt Wolff Verlag

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Das Recht der Aufführung ist zu erwerben durch die
Vereinigten Bühnenvertriebe
Drei Masken — Georg Müller — Kurt Wolff Verlag
Berlin W 50

Siebentes bis achtzehntes Tausend

Druck von E. Haberland in Leipzig-R.
Copyright 1917 by Kurt Wolff Verlag, Leipzig


Dem Andenken meines Bruders

Erich

* 1888, gefallen 1915


Personen

Mutter
Ältester Sohn ihre Kinder
Feiger Sohn
Jüngster Sohn
Tochter
Ein Soldatenführer
Der andere Soldatenführer
Mannschaft

Die Tragödie ist an kein Zeitkostüm gebunden; ihre Handlung spielt vor und in einem Kirchhof auf Bergesgipfel.


[S. 9]

Helle, warme Nacht über der Rasendecke eines Berggipfels, der einen alten Kirchhof trägt. Durch ein Gittertor sieht man auf Gräber.

Ein Soldatenführer

beobachtet durch das Tor zwei Kerzen haltende Frauen und einen Jüngling, der ein Grab schaufelt

UNSELIGES Weib, gesegnet und verflucht,
indessen Du mit Deinem jüngsten Sohn
den schlachtgefallnen Liebling fromm beerdigst
und Flammenglanz von Tapferkeit beschwörst,
steigt aus dem Tal, gefesselt und bespuckt
ein Zwillingspaar auch Dir entboren auf,
das besser Du im ersten Bad ersäuft!

Der andre Soldatenführer

hat zu beiden Seiten des Tores Ringe befestigt

Die Eisen halten!

Ein Soldatenführer

zu wartender Mannschaft

So bringt sie her, für die der Platz bestimmt.
Wer faßt Natur, die solchen Zwiespalt schuf!

Jüngster Sohn

aus dem Kirchhof

Von meiner Schwester Tränen ausgelöscht
halt ich die Kerzen noch?

wirft sie fort

[S. 10]

Entsetzlich Bild
für meines ganzen Bluts Verfinsterung.

will fliehn

Ein Soldatenführer

hält ihn auf

Eh Du mit uns zum Kampftal niedereilst,
erfülle, was Du ernst geschworen.

Jüngster Sohn

Von Sinnen war ich, als ich’s tat.

Ein Soldatenführer

zeigt auf das Grab

Was Du dem Toten schuldig bist und Dir
und uns, wie allen, die heut kniegebeugt
zum Machtgeist unsres mächtgen Volkes beten,
versäum es nicht. Entsühne schwere Schuld,
eh Gott auf uns die Wucht der Strafen schleudert!

Zwei halbentblößte Männer werden angeschleppt

Die beiden, wildzersträubt, sind Deine Brüder,
vom Vaterland, dem sie getrotzt, verstoßen.

Der andre Soldatenführer

packt sie

Der Du geschändet, Kerl, sei festgebunden,
daß Deine Gier nicht weiter Unheil stifte
und unsern Sieg entehre. Sterbe hier
bei Deinem Bruder, der Gehorsam weigert
und sich der Feigheit Ekel aufgeladen.

[S. 11]

Jüngster Sohn

am Tor

Seht meine Mutter, ein verhülltes Bild!

Der andre Soldatenführer

Du zauderst?

zur Mannschaft

Stricke her!

Er bindet die Verurteilten fest

Jüngster Sohn

zu den Führern

Ihr habt es leicht
Vergeltung rasch von meinem Arm zu fordern.
Gemeinsinn wills, und er beherrscht die Zeit.

vor seinen Brüdern

Ich fühl es schaudernd, wie die Leidenschaft
den Edlen selbst zum Schwindelabgrund reißt;

zu den Führern

denn adlig waren sie, nur allzuheiß
vom eignen Kraftrausch ihres Lebenswunders.

Der andre Soldatenführer

zum jüngsten Sohn

Entschuldigung starb. Vor jeder Einzelgier
hat uns das Feuerbad des Kriegs geheilt,
und wo wie hier noch Aussatz an den Gliedern,
sei er von unserm Körper abgehackt!

[S. 12]

Jüngster Sohn

erstarrt

Was heißt das; abgehackt?

Der andre Soldatenführer

Notwendigkeit!
Wie dem Gewölk erlauchter Ahnen heut
der Flammstrahl auf den Völkerknäul entblitzte,
der sich aus Lügen gegen uns geballt,
so würgen wir an uns die eignen Greuel.

Jüngster Sohn

eingeschüchtert

Wehrlose Kraft zu meistern! Gebt das Beil.

Er läßt es fallen

Die gleiche Form, von mir so rein verehrt,
schuf Euch, wie mich — und das zerfleischt mein Herz.

Der andre Soldatenführer

Dein Seufzer prallt an unsren Rippen ab,
die ehern wie der Bau des Vaterlands
nur opfermutge Seelen in sich dulden.

Jüngster Sohn

Ach, hättet Ihr sie auf der Tat erschlagen!
Wer ist die Macht, die alle Wesen beugt,
bis sie den eignen Willen ganz verlieren?

Der andre Soldatenführer

Glaub: sie zerstampft Dich, wenn Du also lästerst!

[S. 13]

Jüngster Sohn

Brecht mein Genick! Ein Alp quetscht mir die Lungen!

fällt ohnmächtig um

Ein Soldatenführer

So stürzt ein Baum, der sich vom Erdreich löst.

Im Tor werden Mutter und Tochter sichtbar

Seht Eure Söhne an!

Der andre Soldatenführer

Wirft sie der Anblick der Empörer um?

Tochter

Da sind sie! Festgeknebelt wie Verbrecher!

zum Feigen

Der Du die Wolken sonst mit Träumen fülltest,
wenn Erika in Mittagsweiten glühte, —
wie jämmerlich hängt jetzt Dein Kopf zur Brust.

zur Mutter

Du duldest es, daß sie die Brüder morden?

Ein Soldatenführer

sieht die Mutter an

Ihr teilnahmloses Schweigen wächst ins Dunkel?

Der andre Soldatenführer

Wir stehn nicht hier, um Rätsel aufzulösen.

Ein Soldatenführer

zum andern Soldatenführer

Laß dieses Weib allein. Ich bürge Dir,
daß die nicht leben, wenn der Morgen dämmert.

[S. 14]

Der andre Soldatenführer

stößt an den jüngsten Sohn

Doch den schleppt mit!

Mannschaft nimmt ihn auf

Ein Soldatenführer

Er werde in der Schlacht
zum würdigen Glied des großen Volks gehämmert.
Das Vaterland bleib ewig eine Kraft,
die unsrer Willkür wehrt, wie jene Mauer
die Heldenleiber schützt vor Pflug und Egge.

Außer den beiden Verurteilten, der Mutter und der Tochter gehen alle in das Kampftal zurück

Mutter

den Boden streichelnd

WIR, die wir vieles wissen, müssen schweigen.
Hier fielst Du um. Der jüngste meiner Schmerzen,
gebändigt durch die Faust des Muß.
Dein liebes Auge war auf mich gerichtet.
Jetzt spricht das Schicksal. Wirklichkeit steht auf
und gibt den Himmelsträumen Zweck und Namen.
Als Qual und Glück Euch still in uns gebildet,
der erste Laut aus Eurem Mäulchen schrie
und Ihr die Beinchen an die Brüste stemmtet,
die Euch gesäugt, da glaubten wir an Dauer;
verlachten das Gesetz, das heimlich wuchs
und Müttern heute ernste Sorgen bringt.

Sie wendet sich zu den Verurteilten

[S. 15]

Ja, als Ihr jung wart, meine Söhne, wahrlich,
da baute Phantasie aus Euren Leibern
mir einen Tempel auf.
Nun steh ich unter Trümmern, gleich der Nacht,
besorgt den Schutt zu bergen, eh es tagt.

Tochter

Ach, meine Mutter!

Mutter

Brüll den Namen nicht.
Ich höre einer Unke Quaken lieber
als die zwei Silben, die mich niederschlagen.
Zur Wiege geh ich, die der Tod gebaut,
und rüste sie.

Sie wankt auf den Kirchhof

Tochter

vor den Brüdern in Entfernung

Sah ich Verbrechen sonst vorübergehn,
drängt’ Neugier mich an Wach und Gitter an,
um auf dem kurzen Weg vom Tor zum Wagen
den Flackerblick des Bösen nah zu sehn.
Nun quillt er auf im eignen Blut. O Brüder,
wir sind geheimnisvoll durch Lust verstrickt.
Die Fesseln, die Euch in das Fleisch getrieben,
erdrosseln mich, denk ich an mein Geschick.
Die Mutter kniet. Hier hocken Würgegeister!

will fort

Ältester Sohn

Bleib, Mädchen, bleib! Ich hörte jedes Wort.

[S. 16]

Tochter

Schlägt Deine Stimme Eisen um die Knöchel?

Ältester Sohn

Bei der Gewalt, die Weiber schön gemacht,
bleib so im Licht und laß Dein Bein mich sehen,
Laß mich die Linie jeder Wölbung fühlen,
mit der Natur mich so betrunken hat,
daß ich verloren bin an ihren Reiz.
Was keuchst Du mir den Atem in den Mund
und starrst mich an? Schneid mir die Taue durch.

Tochter

O wär ich Luft und könnte mir entfliehen!

Ältester Sohn

Wo kriechst Du hin? Das rote Schlachtenland
ist voller Männer; deren Hand Dich greift;
wenn nicht lebendig mehr nach Deinen Brüsten —,
so starren tote Glieder Dir entgegen
und drücken Deine Knie.

Tochter

Bleischwer hängt mir das Haar im Rücken!

Ältester Sohn

Mach mir die Hände frei! Ich will Dirs danken.

[S. 17]

Tochter

zum Feigen

Um Dich schlug die Verachtung einen Kreis,
in den kein Mensch sich wagt. Mich berge er.

Ältester Sohn

So bind mich los! Sieh her; ich streichle sanft
den Schatten Deines Schenkels mit der Zeh.

Tochter

Der Du uns schufst mit unsern blauen Adern,
dem Bau der Sehnsucht, dem nur Flügel fehlen,
verlaß mich nicht. Die Erde wird zu Schlamm,
und meine weiße Sohle sucht nach Halt.
Ich sinke hin, und alles Rot der Nacht
hebt sich zu Purpurwürmern vor mir auf —!

Ältester Sohn

Was schmiegst Du Dich dem Rasen wie ein Panther
so beutelüstern an?

Tochter

stürzt auf ihn

Zerreißt mich, Hände!

und bindet ihn los

Ältester Sohn

Ich kann mich wieder strecken, beugen! Sättigen!

[S. 18]

greift die Tochter

Mutter

Vor ihrem Anblick weichen beide

O Gräßlichstes! Mein Auge fault daran!

Tochter

beim Ältesten Sohn

Schütz mich vor diesem Weib und allen Frauen!

Mutter

Hier mit dem Spaten, der auf Aug und Wangen
des liebsten Sohns den feuchten Sand geworfen,
erschlag ich Euch!

Ältester Sohn

Hast Du uns nicht geboren?

Mutter

Was gibt Dir Mut zu solcher Sprache?

Ältester Sohn

Blut,
das mit der Nabelschnur nicht abgestaut.

Mutter

zum Ältesten Sohn

Wenn meine Milch, die süße Himmelsnahrung,
so freche Kraft in einem Mann erzeugt,
dann schüttelt Hexenvolk das Los der Mütter
und mir bleibt nichts, was Dich zu Boden zwingt.

[S. 19]

zur Tochter

Doch Dich, verwandte Form, schleif ich am Schopf
aus diesem wüsten Strudel der Verirrung.

Tochter

macht sich frei

Dich hat der Liebesstrom der Kraft durchrauscht.
Wie leicht ist’s nun, gesättigt dazustehen
und, wo ein Quell aus dunkeln Qualen bricht,
ihn mit dem Stein der Sitte zu verstopfen.

Mutter

Hier hilft auch Händefalten nichts. Ich fühl’s.

Tochter

beim Ältesten Sohn

Einst zwangen Ammen uns vorm schwarzen Mann
aus Winkeln erster Regung an die Lampe —,
Solang mein heller Scheitel Wärme ahnt,
schreckt mich kein Fluch.

Mutter

Kehrt mir mein jüngster Sohn so wild zurück,
daß meine Hände, die schon hingestreckt
ihm von der Stirn den Kriegstraum fortzustreicheln,
gelähmt bei seinem Anblick niederfallen,
was bleibt mir dann!

zum Ältesten Sohn

Dein Gang, Gebärde, Stimme,
ach, alles, was der Mitwelt abgelauscht,
erschreckt und wagt sich dreist vor mich! vor mich!

[S. 20]

Ältester Sohn

Es kam der Krieg! die Zeit verlor den Puder
in Strömen Bluts, die so ins Erdreich flossen,
daß sich die Schollen wieder feucht wie Ton
in meiner Hand zu neuen Werken ballten.
Der Jahre Wucht quoll mir aus Stunden über,
und Ohnmacht krachte weit im Land zusammen.
Die Welt ward so zertreten und zerstampft,
daß sie zu Leichen brach und meine Knie
im Schreck von schnell verstummten Mäulern — froren!

Mutter

Was nun vermag Gebet, wenn das geschah!

Ältester Sohn

Um mich verendete zerquetschter Schlaf,
im Tod noch aufgekrümmt. Seht, Haut schwitzt nach
von lauem Brand verkohlter Menschensiedlung;
ach, Rausch, der mich aus stumpfer Kraft geworfen,
verlief und züngelte in Lagerflämmchen
als Traumgewölk der Müdigkeit zurück.
Doch ich, im Schrei verscheuchten Weibervolks,
packt’ mir, ein Blitz, die Widerspenstigste
und war schon im Gelock der Hoffnung — Gott,
der über Wassern seines Durstes schwebte,
da schlug man mich wie ein Stück Rindvieh nieder!
Die gleiche Macht, die mich wie Wunder ehrte,
als ich für sie im Blut des Feinds gewatet!

[S. 21]

Mutter

O Land, vom Wachstum ewiger Kraft bewegt,
du gibst den Schwangern ihre Monde,
bis sie sich beugen, Neues zu gebären.
Du gönnst dem Winteracker Deine Stunden,
daß er im Samendrang des März nicht bricht:
Verhilf auch mir zu neuem Blut und Fühlen!

Ältester Sohn

Nun steh ich da, entfesselt, unbefriedigt!
An meinen Rippen hängen noch die Haare
erblaßter Dirnen! Hände sind voll Striemen,
und alle Schleuderglut der Sinne irrt
wie Wirbelsturm durch Trümmer, die ich schuf.

Tochter

an seinem Hals

Du bist es! Unbegrenzter, Himmlischer!
nach dem ich mich in heißer Heimlichkeit
urtoller sehnte, als die Nacht nach Licht!

Mutter

vor beiden

Ist’s Traum zermürbter Sinne? Wirklichkeit?
Das Fürchterliche vor mir: Meine Kinder?

Ältester Sohn

Erst reißt man uns auf sonnennahe Gipfel,
und hat sich unsre Brust dem Tal entwöhnt,
daß sie sein Bauernjoch nicht mehr erträgt,
sticht man uns mit Gesetzen durch das Herz.

[S. 22]

Tochter

Ach, Herrlicher! Ich fühl’s, ich lebe auf!

Mutter

Geliebte Erde, heilger Keime Schoß,
die Du dem Korn sein goldnes Fruchtkleid gibst
und Blumen streust in herbstverweste Moose,
Du nährst gerechtermaßen jedes Ding,
das Du gebildet. Kröten gibst Du Raum,
und Sonnenfalter spieln in Deinem Atem.
Tu Höhlen auf, in die ich meine Brut
vorm Glanz des Tages retten kann.
Tu meine welken Brüste auf!
Laß sie in Strömen fließen für die Kinder!

Ältester Sohn

Ich ducke mich nicht länger unter Tempel,
die Vaterland um unsre Ohnmacht baut.

Mutter

Dir nachzufühlen, wechselt Schreck mit Hitze.
Mein Arm, der Dich verstoßen wollte, sinkt.

Ältester Sohn

Mögt Ihr mit den Milliarden in den Tälern
vorm Truggott Eurer Schwäche niederknien!
Ich greif dem Massenwahn in seine Zähne
und schleudre seine Tatzen vom Genick!

[S. 23]

Tochter

Zerschlage mich in Stücke! Nichts mehr bleibe,
was Dich nicht fassen kann!

Mutter

ES ängstigt, zwingt!
O alle Erdenmütter, flucht mir nicht:
Gewaltges Schicksal weiß nichts mehr von Haß.
In mir bricht jeder Widerstand zusammen.

zum Ältesten Sohn

Komm, schmieg den Kopf an diesen Busen an.
Daß meine Stirn dem Anprall widerstand!

zur Tochter

Komm her auch Du mit Deinem heißen Haar.
Des Lebens Mitternacht hatt’ ich verschlafen.
So brich hervor, du schwarze Flut. Ich atme.
Was ich jetzt tu, heißt an die Erde klopfen.
Hier sitz ich und beschwöre ohne Formeln
das Herz, das hinter aller Schöpfung schlägt.
Mein Auge sucht nicht Geister Abgestorbner,
und kein Orakelspruch befriedigt mich.

Tochter

beim Ältesten Sohn

Was taucht aus Deinem Blick? Geheimnisvoll
treibt es die Mutter vor Dir hin und her.

[S. 24]

Mutter

zum Feigen

Komm her auch Du! Das Feigheitsmal des Abscheus
küss ich Dir fort. O Kinder, neue Wonne
glüht aus der Nähe Eurer Körper auf.
Einst, als ich gläubig war an Eure Tugend,
sah ich mein Bild gemeißelt und gemalt
im Dorn der Trauer und im Kranz des Glücks —,
jetzt bricht aus allen Tiefen Eurer Schuld
ein Rausch von Leben auf mich ein,
daß meine Glieder neuen Blutlauf fühlen.
In mir fließt jeder Brunnen Eurer Sinne,
auch mich trieb Lust in Arme eines Mannes,
auch mir versagten Kniee oft vor Angst.
Nun schäumt es auf in Euren lieben Leibern
und reißt die Schönheit Eurer Unschuld,
die Sorge meiner Nächte so entzwei,
daß ich mich selbst vor Schauder nicht erkannte.
Mich trefft! Legt Ketten um den Leib der Mutter!
Doch kein Lebendger holt mir meine Jungen.
Hat nur die Löwin Recht auf ihre Krallen,
der kleine Hamster, der uns Zähne fletscht?
Ich heb mich auf! Wo bist Du, Henker, Richter?
Und klängen Deine Schwerter wie Posaunen
um das Gericht, das Euch verdammt zu sterben,
erst treffen sie die Brust, die Euch gesäugt.

[S. 25]

Tochter

jauchzend

Doch unter Menschen ist kein Platz für uns!
In die Gebirge wolln wir gehn, umfassen,
was der Jahrtausende Gesicht erschrak!
Ein Riesenvolk, das vom Geschlecht des Tags
sich losriß und die Einsamkeit der Sterne
zu seiner Wonnen Lustgefährten wählte.

Mutter

wild

Den Witwenschleier reiß ich mir vom Kopf!
Verquälte Glut verweinter Nächte flamme
aus meinen weißen Haaren auf
und brenn Ergebung ganz und gar zu Asche!
Zum Blutbund alle Mütter aufgerufen!
Ihr bleicher Segen, der dem Todessturm
des Weltbrands Flügel gab, ball sich zum Fluch!
Auf ihr Gebärerinnen!
An unsren Kleinen frißt die Finsternis
wie eine Ratte. Helft und schlagt sie tot!

Ältester Sohn

zur Mutter

Reiß Dir das Zäpfchen aus
und werde stumm,
eh Du Dein Brusttuch lüftend jäh erkennst
wie ekeltoll dahinter Krebs am Werk!

[S. 26]

Mutter

Ich will nun reden aus des Herzens Angst
und frage Euch,
die Ihr geboren habt:
Was gab den Wesen unsres Blutes Nahrung,
bis sie uns hart durch rätseleigne Kraft
aus einer Ohnmacht in die andre warfen?
War es nicht heiße Hoffnung auf ein Leben,
was stündlich aller Wehen Qual bezwang?
Warum behüteten wir selber uns
und heiligten die Tage im Gebet,
daß nicht ein Atemzug der Dunkelheit
das holde Wunder unsres Leibes störte —,
ja es war Sehnsucht, allzuflüchtges Sein
vollkommen, ganz im Kinde festzuhalten.
Wie können wir den Wahnsinn weiter dulden,
der diesen Bau der Menschheit, den wir schufen,
sinnlos zerschlägt und in die Gräber schleift!

Tochter

zur Mutter

Wem bohrst Du Deinen Arm in die vier Himmel?

Mutter

Hervor aus Euren Kummerwinkeln, Mütter!
Wir schütteln diesen Weltvernichtungsgeist
dem schönen Leben aus gesträubten Locken!

[S. 27]

Ältester Sohn

zur Mutter

Schwatzt Du Dich toll und blind? Wovor Du zitterst
und Deine Küchlein fröstelnd flügelbirgst,
droht nicht vom Himmelsblau wie Geierschatten!

Mutter

Wo denn? Ich will es treffen, wo es sei!

Ältester Sohn

Und stehst nun da, neugierig wie ein Kind,
das hoch vom höchsten Stockwerk niederschaut
und nichts vom Schwindelfrost der Tiefe fühlt,
bis es im Sturz dem Schauder gell begegnet.

Mutter

umschlingt die Tochter

Dies Ebenmaß der Glieder halte ich
dem Furchtbarsten, was kommen mag, entgegen.

der Tochter den Mantel abreißend

Wie ihre Schulter sich im Muskelspiel
so herrlich rundet und so leicht bewegt
im zarten Bau des Lebens Atem trägt!

Ältester Sohn

Du hältst nicht ein: Enthüllst es ganz und gar?

schlägt die Tochter

Ja rund und glatt! und aller Monde Spiegel!

zur Mutter

Scharr Erde auf! Wirf alles nackte Fleisch,
mit dem du prahlst, hinein!

[S. 28]

Mutter

Was faselst Du?

Ältester Sohn

Hier hinter diesen Warzen gärt das Gift,
an dem wir alle eitern! stinken! faulen!

Mutter

zum Ältesten Sohn

Entsetzlicher, Du weißt nicht, was Du bellst!
Es war einmal, da schliefst Du, noch ein Kind,
in meinem Arm. Die Sonne blühte rings,
und Vögel sangen aus verträumtem Laub.
Dein ruhiger Atem brachte mich in Tränen
vor Glück, daß ich Lebendiges geboren,
da plötzlich krallt sich Deine Nägelkraft
in mein Gesicht. Du tobtest, stampftest, schriest
und glichst mehr einem Zwerg, als meinem Kind.
Erst lachte ich, doch als Du dann mit Nahrung
gesättigt warst und wieder schliefst,
fühlt ich, mein Herz stand still, wie jetzt.

Ältester Sohn

Bricht aus der ersten Ahnung unsrer Seele,
von Jahr zu Jahr genährt, einmal solch Licht,
daß wir die Sphäre Gottes wiederfinden,
die unsres Wesens letzter Ursprung ist,
dann war das nur sehr scheues Flügelschlagen,
was Dich erschreckte, als ich Dich gekrallt.

[S. 29]

Mutter

Ist es denn möglich? Bist Du nicht mein Kind?
Was kann in diesem Schädel sein,
das ich nicht weiß? Ich habe ihn gebildet.
O Kinder, bleibt bei mir!

Ältester Sohn

Ihr Mütter wollt uns Kinder, wie Natur
die hohen Stämme ihrer Wälder meistert,
bis sie, von ihrem Saft geschwellt, vertrocknet,
das Spiel der Jahreszeiten spielen müssen,
von Eurem Blut bewegt und wachsen sehen,
um einen ewgen Wiegentraum zu feiern!

Mutter

Das ist nicht wahr!

Ältester Sohn

Dein Schrei ertrinkt vor mir!

Mutter

Stößt Du mich fort?

Ältester Sohn

Ich tu’s!

Mutter

sucht Schatten auf

Wohltätiges Dunkel!

zum Ältesten Sohn

Ich nahm Dich wieder an die Brust zurück;
doch wendest Du Dich gegen mich, die Mutter,
erhebst den Hammer gegen diesen Leib,
den unsre Kraft in stummer Zärtlichkeit
so groß gewiegt, dann, Knäblein, wappne Dich!

[S. 30]

Tochter

beim Feigen

Du bleiche Stirne, kühle mein Gesicht,
mein Blut. O Linderung! Dein zarter Fuß,
der sonst der Raupe achtsam Platz gemacht,
trägt aller blutgen Straßen rohe Spur,
auf denen man Dich hin- und hergeschleppt.
Was blies Dich aus? Der gleiche Schrecken, Bruder,
der mich wie’s Vieh hilflos in Flammen jagt?

sich anschmiegend

Ach, jede Hand, die ich ergreife —, kalt!

Sie stürzt zum Ältesten Sohn

Nur Deine nicht! In Deiner siedet es!
Die Finger spreize ich! Daß Dein Geruch
um alle Glieder wehe! Packe mich.

Ältester Sohn

faßt sie bei den Händen

Dies feingeschlitzte, lustgedrängte Fleisch!
Ballt sich zuletzt noch Blutschuld wie Gewitter?

Tochter

Ich reiße ihre Brände auf den Leib!

Ältester Sohn

die Tochter gen Himmel stemmend

[S. 31]

Eh Männerwucht auch Dich zu Boden wirft
und jede Höhlung ganz mit Haß durchschüttet,
erhärte sich an diesem Kußgebilde
der weiten Schöpfung Kraft! Fall in sie ein,
triebrunde Nacht, zersprenge dies Gewebe,
bis sein Gestöhne im Entsetzen endet!

Wirft sie fort

Tochter

am Boden

Das schnitt ins Mark! O, tief!

Ältester Sohn

Nicht tief genug!

Mutter

vor beiden

Ich äuge wie ein Fechter um und sinne,
wo dieser gräuelgeschwollne Geist in Euch
zu treffen ist, daß er die Krallen streckt,
mit denen er die Menschheit so wie Dich
blutsaugend quält und aneinanderhetzt!

Ältester Sohn

Willst Du die Gier aus unsren Adern blasen,
die Last der Wollust aus dem Wirbel nehmen?
Den Drang, der hinter Nägeln reizt und kocht,
bis er in Tastgefühlen Linderung sucht
und keine findet! Mutter, hier pack an:
Da frißt die Ratte, die Du treffen willst!
Solang Ihr Mütter Muskelkraft gebärt,
macht Ihr sie fett mit Eurer Kinder Blut!
Ihr habt die Erde zu verschwenderisch
mit Köpfen übervölkert! Wo ist Platz?
Den Raum zum Himmel hat die Lust durchfüllt,
sie schlägt den Geist mit heißem Fieberfrost
und rast durch die Gedanken wie die Pest!

[S. 32]

Mutter

Ich stehe schamentbrannt vor meinen Kindern.
Der Du mich so allein zurückgelassen hast,
mein Gatte, sag, wo kann ich mit Dir sprechen?
Sieh, dieser Sohn greift so gewaltig an
und will den Baum, der uns beschatten sollte,
im Innern treffen, eh er Früchte trug.
Und nichts genügt mehr. Jedes Spielzeug bricht.
Die alten Puppen schweigen in den Winkeln
und Dinge, die wir selbst nie ahnten, schreien
wie Hungermäuler wild nach unserm Blut!
Entflohst Du vor der Zeit in Grabesfrieden?
Erahntest Du den Tag?

Ältester Sohn

Sprichst Du mit Geistern? Stieg der Vater auf?
Wo ist er? Wo? Ich will ihm Rede stehen!

Mutter

Hier hast Du keine Macht! denn eh Du sahst,
stand schon Dein Vater da und ehrte Gott!

[S. 33]

Ältester Sohn

Das sagst Du mir, der jeden leichtsten Hauch
belastet fühlt von Ur- und Ururvätern?
Erst gabt Ihr eine Sprache auf die Lippen,
die jedes Rätsel unsres Hirns erschlug,
eh es sich regen konnte selbst zu denken —,
dann hobt Ihr uns die Väter auf den Sockel,
und jedes Wort der Kinderstube wies,
den Urtrotz in mir weckend, streng auf ihn,
bis ich, genährt am Zweifel, kraftentschlossen
dies Vaterbild, das Gott geglichen, stürzte.
Da liegt es wie ein Steinklotz überm Weg!
Ich steige drüber weg und blas den Schutt
von allen Wurzeln meiner Seele ab.

Mutter

Wo bleibst Du, Gatte, der Du einst gewacht,
daß mich nichts Häßliches berühren konnte.
O Herzgeliebter, der Du meine Träume
wie zarte Blumen pflegtest; Dich, o Dich
seh ich in unsrer Kinder Mund geschändet!
Muß dieses Herz denn alle Gifte schlucken?

zum Ältesten Sohn

Wißt Ihr, wie Eures Vaters Blick erglänzte,
sooft er Euch in seine Arme schloß?

[S. 34]

Ältester Sohn

Wohin ich sehe, streicheln Vaterhände
die Schöpfung ihrer Lust in Stolzgefühl.
Sie schleichen stumpf in ausgetretner Bahn
an alle Fragen, die um Antwort schreien,
mit blinden Blicken ängstlich, scheu vorüber
und hoffen von der Kinder frischem Mut,
daß er die Lösung findet, die sie meiden.
Doch schiebt hier Trägheit durch Jahrtausende
von Kind zu Kindeskindern Urkraft weiter,
am Heu der Hoffnung wie ein Ochse kauend,
so mach ich solch Versteckenspiel nicht mit!

Mutter

zur Tochter

Was hockst Du lauernd? Hilf ihm lästern, hilf!

Ältester Sohn

Wer nahm mir Felsen, die den Rücken krümmen?
Hätt ich nicht früh durch mich Alarm geschlagen —

Mutter

unterbrechend

Wärst Du des Vaters wert geworden!

Ältester Sohn

Ja,
im Viereck, breiter nicht als meine Schultern
säß ich noch eingeklemmt! Ich dehnte mich
und will mir nicht, wie’s satte Eltern tun,
das letzte Glück von Kinderkraft erbetteln!

[S. 35]

Mutter

Seit Ihr geboren, dacht ich nie an mich!

Ältester Sohn

Armselig Herz, das Liebe heucheln muß,
weil Du ganz hilflos warst, uns Lusterzeugte
in diese Welt auch gleichbegabt zu setzen!

Mutter

Wühlst Du in meiner Qual?

Ältester Sohn

Ich kenn’ Dich ganz
an nackten Händen und dem Furchenspiel,
das schamlos rund um Augen schwatzt und schwatzt!

Mutter

Die Runzeln, die Du schmähst, grubt Ihr mir ein!

Ältester Sohn

Ja, lieber gingst Du heut mit Heldensöhnen
durch kniegebeugte Bürger lächelnd hin
und legtest stolz, wie’s Heldenmüttern ziemt,
den Jüngsten, den sie halbtot mitgezerrt,
„ich wünscht, ich könnte noch mehr Söhne bringen“ —,
dem Götzen Vaterland ans Herz!

Mutter

Hör auf!

[S. 36]

Ältester Sohn

Dann ständest Du nicht schlotternd hier bei Nacht
vor dem, was Zufall aus uns Kindern schuf!

Mutter

Ja, dieser Zufall frißt in meinem Kopf!
Ich stecke voller Pfeile! Kinder! Kinder!

Ältester Sohn

Verliebte Laune, mehr Verlegenheit,
gab diesem Leibe Form! Geronnen wie ein Käse!

Tochter

anklammernd am Ältesten Sohn

Zum Liebestaumel schaffen wir uns selbst!

Ältester Sohn

schüttelt sie ab

Die Dünstung Deiner Haut schon sammelt Wolken
um meinen Geist! Was hoffst Du Närrin noch?
Wird nicht die Perle an dem Grashalm Wasser,
der grüne Traumsaal ein verdorrter Busch,
kein Edelstein, ein abgerupftes Moos,
das in der Hand, die es bewundert, welkt?
Da soll ich Dir, Du mir Erfüllung bringen?
Nein, wo ich Zweige öffne, fliehen Märchen —,
und jagte ich durch rankenwilde Pfade
den Sternen nach, die aus der Bläue lockten,
so war der Wald zu Ende, öde Felder
von Raben überkrächzt, verhöhnten mich!

[S. 37]

Mutter

Ach, Kind! o lieber Junge! Herzenskind!

Ältester Sohn

Was? liebes Kind und Herzenskind und — was?
Wie Taschenkrebse an den Strand geschleudert
Komm ich zwei Schritt von Ozeanen um!

Mutter

O schau die Menschen neben Dir doch an,
wie sie in Demut ihre Tage leben
und nicht erfahren wollen, was Du willst; —
doch leben sie beglückt. Ein frommer Spruch
erbaut sie wirklich in den Feierstunden,
und falten sie am Abend ihre Hände —,
wie friedlich schweift dann Aug und Herz ins Land.
Die Sonne, die in Wiesenbächen spiegelt
und Feld und Wald noch einmal golderwärmt,
tut ihnen wohl und gut wie Gottesgabe.
Spannt dann der Schlaf die schwarzen Flügel aus,
so senken sie vor ihm den Blick und bleiben
unangefochten von der Finsternis
in Zuversicht und träumen von dem Licht!

Ältester Sohn

Und schlöß ich mich mit Eisentoren ab,
so hört ich doch das Käuzchen vor dem Fenster
und ahnte aus dem schrillen Geisterruf
die Welt der Nacht. Kein Dach ist hoch genug,
das mir der Sterne stillen Lauf verbirgt.

[S. 38]

Mutter

Das tiefe Glück, das ich bis jetzt genoß,
in dessen Glanz das Dunkel Träumen war,
weicht mehr und mehr von meinen Augenlidern,
und was ich niemals ahnte, tritt hervor.

Ältester Sohn

Ihr habt uns irrgeführt, daß wir den Himmel
nur noch mit Engelchören denken können,
die Gott im frommen Wechselsang umschweben.
Das mag gemeine Todesfurcht umgolden —,
mir ist es Zunder, der im Blut verbrennt
samt allen Kronen und gestickten Wappen,
dem Kirchenschlüssel und der Messen Prunk —,
wie warm und weichlich es uns auch umfängt
und jeder Schwäche breite Betten baut.
Ich will aus dieser Kneblung ganz heraus
und reiß den Vorhang auf! Das Licht erscheine,
vor dessen Donnerglanz uns Herrschsucht schlau,
Gemäuern gleich, wie Eulen schlafbetäubte!

Mutter

Ist es im ewgen Ratschluß so beschlossen,
daß sich die Welt, der Nebellandschaft gleich,
vorm Sonnengeiste mehr und mehr enthüllt —,
mußt Du es sein, der diese Schleier nimmt?

[S. 39]

Ältester Sohn

Ich muß dorthin, wo wirklich Wahrheit herrscht
und Lug nicht mehr wie eine Regenschnecke
das Reinste meiner Triebe überschleimt.
Und sind die Götter, noch so riesenhaft
und weihrauchüberschüttet, nicht imstande
den Narrn und sein Geklingel abzuschütteln,
so stehn sie steinerner als Pharaonen
wie Götzen da, nur wert, daß sie ein Sturm
aus ihren Fundamenten wirft.
Schützt sich die Welt mit Zaun und Grenzen auch
vor dieser Kraft, die blutge Lungen schafft,
ich muß zu ihr und reiße alles ein,
was wider mich. Und kam dabei ans Licht,
was Unrecht hinter kalten Mauern schon
beim Sternenblaß und Hahnenschrei verübt —,
mich schreckt es nicht, würd es so hilflos, nackt
wie feuchtes Grabgewürm, das Deckung sucht,
wenn man den glatten Marmor abgerückt. —

Mutter

Erahnend, nicht begreifend, was Du willst —,
fühl ich in dem, der Knospen Schalen gab
und Weltenkeime im Gesetz vollendet,
daß es verderblich ist, das zu versuchen,
was höchste Weisheit unserm Blick verhüllt.
Was wir von ihrem Licht erfassen können,
ist nicht viel mehr als Blitzgeleucht bei Nacht!

[S. 40]

Ältester Sohn

Seh ich im Samen aber schon die Blüte,
soll ich von Knoten bis zu Knoten warten?
Des Wachstums Zeiten will ich so beherrschen,
daß ich dem Winterzweig, wie’s Inder tun,
aus grünem Mark die Blätterflut erzwinge.
Und ist die Kraftfaust wirklich gottverschlossen —,
ich bieg sie auf, bis sich in flacher Hand
die Linien aller Rätsel vor mir lösen!

Tochter

Und auch vor mir, daß ich den dunklen Sinn,
der mir bei jedem neuen Mond das Blut
aus diesem Körper jagt, begreife!

Mutter

WIR Mütter kennen diese harten Stunden;
wenn wir schon leise Wechselrede halten
mit dem, was stetig, schweigsam in uns wächst,
ersehnen wir die Wartezeit zu kürzen.
Wir schauen nach der Sonne, nach den Bäumen,
doch unerbittlich bleibt vor jedem Wunsch
die Wirklichkeit und zwingt zum Weiterschreiten;
bis uns ein holdes Schwellen unsrer Glieder
zum Himmel hebend, ganz mit dem erfüllt,
was ewig durch die Brust der Schöpfung strömt:
Wir lernen Wonnen der Geduld verstehen.
Sie wirken seltsam rein, und wie wir reifen,
wächst unser Kind zu der Geburt heran,
Erzwungne Taten, noch so laut getan,
verdorren wie der Zweig, von dem Du sprachst.

[S. 41]

Tochter

Du hast geboren und zur Welt gebracht
und atmest doch wie wir, kein Merkmal sagts?
Getragnes Leid und süßerlebte Wonnen,
um die ich Dich aus tiefster Brust beneide,
durchadeln Dich und zwingen mich zu Dir.

Mutter

Laß Dich dem Strome, Kind, er wird Dich tragen,
wie er schon vor Dir alle Weiber trug;
o komm zu uns, dem Kreis der Schicksalsschwestern,
dem dieses Daseins Odem fortzubilden
beglücktes Dulden war, der seine Stirne
nie hadernd gegen Schicksals Willen hob.

Ältester Sohn

Da steht Ihr beide vor mir, armverschlungen!
Braucht ich wie Ihr nur Kräfte wirken lassen,
ich macht’s Euch nach und stierte in die Sterne!
Die Frucht im Garten, die ich oft befühlte,
wenn sie im Mondlicht kühl in meiner Hand
ganz unbeweglich lag, und dann am Morgen
taufrisch geschwellt, so sonnenwarm erglühte, —
lehrt mich den Abstand zwischen mir und allem,
was still in seine Reife wachsen darf.

[S. 42]

Tochter

zur Mutter

Mich widert dieses Lächeln der Erfahrung,
mit dem Du mich noch fester an Dich drückst,
um alle Sturmglut heißentjauchzter Sinne
in Unentrinnbar-Schreckliches zu mauern!

Mutter

Ich laß Euch plappern, wie vorm Nachtgebet,
da Euch mein „Amen“ schließlich doch umschlang!

Tochter

löst sich aus der Umarmung

Könnt ich aus Deinen Augenschächten graben,
was mich so seltsam überlegen beugt.

Mutter

Da Ihr noch blind für dieses keusche Wunder,
das alle Schöpfung herrlich weiterführt, —
geb ich mich ihm nur grenzenloser hin —,
und fühle schon, wie es die alten Glieder
im Innern löst und ahnungselig nährt!

Ältester Sohn

vor der Mutter

So standst Du einst am Buchenstamm gelehnt
und warst in jeder Linie so verschwollen,
daß ich entsetzt in tiefstes Dickicht lief
und Bilder der Natur mit Dir verglich, —
bis ich im wollgen Neste eine Katze
verborgen fand, die Dir vollkommen glich.
Ich schlug sie tot!

[S. 43]

Mutter

Die Hand, ein Händchen erst, die mir beim Gruß
schon stolzen Schmerz verschaffte, konnt das tun?

Ältester Sohn

Sie tats! Und mit dem blutgen Messer,
das mir das Rätsel der Geschwulst geöffnet,
kam ich zu Dir und fand im kleinen Bett
ein schreiend Wesen! Da, die Schwester wars!

Tochter

beim Ältesten Sohn

Eh ich das Licht gesehn, von Dir befühlt —,
eh ich Gedanken trug, von Dir begriffen —,
so ward ich Dein und wuchs von Dir gehetzt
Dir, Dir entgegen an die dunkle Brust.

Mutter

zum Feigen

Wie Aussatz fällts auf mich! Mir selbst ein Ekel!
Die Tat ist nichts! Doch das Gespenst dahinter,
wer das erblickt, wird schwarz wie Blühn im Frost!

[S. 44]

Tochter

zur Mutter

Wie ein Stück Fleisch am Markttag liegst Du feil,
das ich beäugen muß in allen Fasern!

Mutter

Unmenschen! Was hat Eure Brust erfaßt!
Ach, ratlos irrt die Seele in den Raum!

beim Feigen Sohn

In Dir ist sie zur Marmorlast erstarrt;

hilflos neben dem Feigen

Die Welt liegt da wie eine Fehlgeburt,
kein Kuß erweckt mehr einen Menschenlaut.

zu den beiden andern

Was laßt Ihr rote Blicke um mich kreisen?

Sie rafft sich auf

Der reine Hauch, der mit dem Körper wuchs
und mich der Dinge Sinn erfassen lehrte,
bis ich, was vor mir war, was kommen wird,
sich schließen sah in einem Schicksalsring —,
beschütze mich vor Euch!

Ältester Sohn

packt die Mutter

Welch reiner Hauch?
Gib mir dies Wunder! Weib, die Faust vollbrächts
und untersuchte wieder Eingeweide —,
ob ich im Mutterleibe endlich finde,
was hinter aller weichen Ahnung lockt!

[S. 45]

Beide ringen, er wirft die Mutter hin

Mutter

aufgelöst

Wenns einen Sinn gibt in der weiten Erde,
wenn all das teure, heißgeliebte Blut,
das, seit wir Menschen sind, um Liebe floß,
nicht ganz vergeblich war, fleh ich zu Dir,
unnennbar, welterhaltende Gewalt:
die Du des Vogels leichtes Körperchen
im Federkleid erregst und pochen läßt,
wenn sich ein Bube seinem Neste naht,
die selbst dem Raubtier Lieblichkeit verleiht,
wenn es für seine spielerischen Jungen
das rote Fleisch der Antilope reißt —,

Ältester Sohn

zur Mutter

Die Finger vom Gebet!

Tochter

zum Ältesten Sohn

Wir binden sie!

beide gegen die Mutter

Mutter

flehend

Ihr schnürt Euch Eure eigne Kehle zu!

Tochter

zur Mutter

Ich will nicht länger meine Waden bergen
und Schenkel, die im Lauf in ihren Bogen
den runden Himmel fühlen, ganz umfalten
mit Rock und Fetzen! daß der junge Leib
wie im Gefängnis hungert!

[S. 46]

Mutter

Wär ich taub!

Tochter

Dir will ich keine Kinder schaukeln!
Ich dulde keinen andern Bart auf mir,
als dieses Haar, das auch verurteilt ist.

Mutter

Ihr Ewigen im All, verlaßt Ihr uns,
dann wird der Mensch ein Wolf, und — greulicher.

Ältester Sohn

faßt die Mutter am Kinn

Wär nicht dies Auge, das mir eingeprägt,
so oft ich von ihm schied und in der Fremde
nichts Eignes hatte als dies Angedenken,
vor dem ich still in Heimweh ganz zerfloß!

Tochter

Auf, Bruder, wenn wir dieses Weib erwürgten!

Ältester Sohn

Ist meine Scheu vor Deinem Mutterblick
auch Trug? Ist jedes Wort der Sprache Lüge? —
Dann sei in Dir die Quelle zugestopft!

[S. 47]

Mutter

reißt sich von ihrer Kinder Würgehand

EIN Totenfeld, weiß wie der Tag, steht auf!

Ältester Sohn

zum Kirchhof

Ich seh nur dünne Trauerweidenfinger
sich schattenhaft im Nachtwind regen.
Doch kein Gespenst aus mondengrünem Mai
hockt irgendwo!

Mutter

zur Nebelbewegung des Morgens

Voraus, mein tapfrer Sohn! die Wunden bluten!

Ältester Sohn

zur Mutter

Du streichelst nasse Luft wie Lockenhaar?

Mutter

zum Kirchhofnebel

Ach Dank! o Dank! Wer immer Dich geschickt!
Ich habe noch ein Kind, das zu mir kommt,
ein bleiches Kind, doch ists ein Kind! O Gott!

Sie bricht schluchzend zusammen

Ältester Sohn

Ich reiße Deine Hoffnung auseinander
wie Spinngewebe!

[S. 48]

Tochter

Wehe, siehst Du das!

versteckt sich beim Feigen

Ältester Sohn

in Nebelschlangen

Gerippe, die Jahrtausende getragen,
rolln schon von meiner Kraft zernebelt, wild
an mir vorüber, daß ich ihren Moder
wie flüchtge Kühlung atme —?
Ich brech den Heilgenschein des Todes durch!

Er läuft auf den Kirchhof

Das Kreuz vom frischen Grab!

reißt es aus

Nun rieche hin,
wie’s aus dem Kirchhof stinkt! Verwest ist alles,
der kalten Erde Raub und Deine Glut
erwärmt nichts mehr!

Mutter

Mein Herz ist nicht aus Stein!

Ältester Sohn

zur Mutter

Ohnmacht in Euch, wenn fette Würmer schleichen,
und sich in Augen Eurer Leibesfrucht
Nachtpilz und Molch mit aller Fäulnis Wurzeln
einnisten wie in Kot! O Mütter, Weiber:
Ihr tragt das Grab in Eurem feuchten Schoß,
was Ihr gebärt, ist Tod und nichts als Tod!

[S. 49]

Mutter

kriecht auf den Kirchhof

Fruchtreiche Schollen, seht, ich komm zu Euch,
die Ihr für kleinste Tropfen Schalen habt,
wo sie ganz still und leuchtend liegen dürfen,
bis ihre Zeit erfüllt —.
Ich strecke Euch die Hände an das Herz!
An Eure klebrig-holde Samenflut,
die wärmend um das zartste Keimblatt steigt,
vor Frost und Brand es schützend.

Ältester Sohn

auf den Gräbern

Zertreten! bleich, wie Blüten hingestreut
verschwenderisch! Was willst Du noch von denen?
Auf daß der Boden Macht ernähren kann,
frißt er sich satt an unsrer Brüder Fleisch!
Ja, rufe, bettle nur! Die sind verstummt!

Mutter

gräbt ihre Arme in die Erde

Was sich Dir anvertraute, warmes Land,
kann nicht verloren sein! Es webt und rinnt
durch diesen Erdball wie Geäder
in einer Jungfrau Brust, Gefühle weckend,
die sich der Menschheit hinzugeben wünschen!

Ältester Sohn

zu den Gräbern

Ihr da, engangeschmiegt und festgetreten,
hört Ihr die Mutter nicht? He, aufgewacht:
In Angst gefalln, unvorbereitet Du —,
vom Land, das Eure Mutter küßt, gepeitscht,
bis Ihr aus Eurer Zelte Aberglauben
in diese Gruben fielt, was zaudert Ihr?

[S. 50]

Tochter

beobachtend vor dem Gitter

Mir tanzt der Kopf! Er taumelt durch die Gräber,
zersplittert Kreuze, daß der Hof gegeißelt,
erschlagen ächzt.
O hohe Bergesgipfel,
wo Baum und Blatt in stummer Seligkeit
sich in den freien Äther drängen dürfen,
hebt mich zu Euch!

Ältester Sohn

zur Mutter

Stamm ich vom Maulwurf ab?

Er rüttelt sie vom Boden

Mutter

gräbt sich tiefer in die Erde

Du dämmst mein Blut nicht mehr! Vom Rausch der Tiefen
unbändig angezogen und erfüllt,
fließt es mit meinen Tränen in den Grund!

Ältester Sohn

zur Tochter

Wie alles an uns zerrt, daß wir die Erde
mit unserm Leichnam füttern. Hirnentleert
stürzt schon das Blut zum Fuß und läßt die Sohlen
auf Mutterschlünden tappen wie auf Eis,
das brechend letzte Eigenkräfte bricht!

[S. 51]

Tochter

zur Mutter

Warum gabst Du uns Leben!

Ältester Sohn

zur Mutter

Hörst Du das?

Mutter

am Boden

Hätt ich Euch nun, als Ihr nach Brüsten schriet,
am Stein zerschmettert, undankbare Brut,
und Euch betrogen um das liebe Licht!
Habt Ihr der Sonne holde Farbenglut
nie auf der Tage Antlitz rein gefühlt
und Euch am zarten Spiel der Luft erfreut?
Und hob sich Eure Brust noch nie beglückt,
wenn erntenheiß das gelbe Kornfeld stand?
War all das nichts?

Tochter

Viel lieber tot sein!

Ältester Sohn

Ja!

Mutter

kommt in das Tor

[S. 52]

Noch stehts bei mir, ich pack Euch am Gelenk,
vollende das, was ich aus Liebe mied,
und schlage Eure Köpfe aneinander
in einem Schlag!

Ältester Sohn

Jetzt seh ich in Dein Herz!

Mutter

mächtig

Ich bin es müde, angeklagt zu stehen!
Was wißt Ihr von der Mutter! daß sie schwach
und Eure Torheit schützen wollte!  Seht,
nun ragt der Mütter Schatten, den ich rief,
und spricht ein ernstes, hartes Wort mit mir:
Sagt, hält der Fels die Quelle vor dem Sturz?
Der Zweig die Blüte, eh sie fällt?
Er läßt’s geschehn. So fallt auch Ihr!

Ältester Sohn

Daß ich der Erde Ecken fassen könnte!
Was mir erreichbar, mit hinunterreißen!

Mutter

Nur zu: es fielen in der Zeiten Sturm
schon mehr als Ihr und ich. Es soll geschehen!

Ältester Sohn

zur Mutter

Und keine Wimper zuckt: schaust Du hinauf,
den Blitz erwartend? Schlüge er uns alle!

[S. 53]

Er bemerkt im Grau den Feigen

Tag friert herauf. Da hängt der Bruder, kalt
wie ein bereifter welker Ast, und zittert.
Im Sterbezimmer, wenn der Arzt am Puls
im Flüstertone letztes Flackern zählt,
geht’s lauter her als in dem Herz. Genosse,
wie ein beschlagner Spiegel ist Dein Blick.

Feiger Sohn

stößt einen Schrei aus

Ältester Sohn

taumelnd

So schreit das Schwein, vom Metzger abgestochen!

umklammert den Feigen Sohn

Wir haben diese Schollen nicht besudelt!
Euch klag ich an, die Ihr uns morden hießt!

zu Tal

He, fette Bäuche hinterm grünen Tisch,
Ihr habt es leicht, die Leuchter anzuzünden
und aus vergilbtem Recht den Tod zu rufen!
Stünd er so käsig einst bei Euch wie hier
in diesem Bruderantlitz, das gesponnen
aus allen schreckdurchrissnen Menschennerven!

Tochter

Die Berge lichten sich.

Ältester Sohn

Dies Blut am Arm
stammt nicht von mir! Die Gräber nicht von mir!

[S. 54]

Feiger Sohn

schreit wiederum

Ältester Sohn

hält ihm die Lippen zu

Ich würge jeden Laut an Deinem Mund!
Und hoffnungslos im Rund wächst grauer Stein!
He! bin ich festgeschnallt und ausgeliefert?
Die ganze Welt zeugt gegen mich und gafft,
wie ich vom Beil der Macht geköpft verende!

Er flieht auf den Kirchhof

Tochter

beim Feigen Sohn

Des Henkers weißer Handschuh unterm Frack
ist gegen Deine Öde vollmondwarm.

Ältester Sohn

wirft von innen die Gitter zu

Tore zu! zu!

Tochter

will zu ihm

Schließt Du uns aus?

Ältester Sohn

springt auf die Mauer

Vielköpfge Macht aus einer Mutter Leib,
mich beugst Du nicht! Mich rührst Du nicht mehr an!
Schon dampft mir Schweiß von Sklavenschultern her,
die, unter Deinem Thron geduckt mich suchen?
Schau her, wie frei ich stehe! Frei von Dir,
indessen fernster Sonnen milchger Schimmer
sich schon wie neuer Busen zu mir wölbt,
an dem ich bessre Nahrung finden werde,
als mir die Mutter gab, um Knecht zu sein!

[S. 55]

Tochter

Was wird aus mir? Aus mir! Mich schüttelt es!

Ältester Sohn

zur Mutter

Fluch Dir, der ich gedient und Werkzeug war!
Eh ich von Dir getroffen niederfalle,
härt ich zuletzt im Fuß das Muskelspiel
und stoß mich so von diesem Erdball ab!

Er stürzt sich rücklings in den Kirchhof

Tochter

am Tor

Ich brech die Eisengitter!

im Kirchhof

Grauser Anblick!
Mein Bruder, Bruder! Geierfraß, Gestank!

zur Mutter

Du flutest auf, und Deine Augen sehen
mich wie das Meer, das Schiffe trug und schluckte,
unendlich an?

Mutter

an der Leiche

Es hat sich ausgerast?
Die Felsen, die Du sprengtest, schlugen Dich
und tun wie fallendes Geröll im Sturz
schon ihre Wirkung. Seltsam wird es Tag —,
als bliese neuer Odem in die Brust!

[S. 56]

Tochter

über dem Ältesten Bruder

Mit Dir schrumpf ich zu Asche, wie am Abend
der bunte Himmel, wenn die Sonne sank,
und wie ein Traum zergeht, vergehen wir.

Mutter

O eitrig Auge dieser kranken Nacht,
läufst Du nun aus? — In jungem Morgen dampfend
steht hell, wohin ich seh, in weiter Welt
des Wachstums mächtger Bau um uns und wächst.

Sonnenaufgang

Tochter

Verhaßtes Licht!

Mutter

Talfernes Sonnenläuten
wie Kinderlachen, wenn die Mutter kommt
und dem Gezwitscher Fensterläden öffnet!
Schon wirfst Du Schatten, wandelst und belebst
die graue Welt.

Tochter

stürzt zum Feigen

Ich brech den Kiefer!
und hol mir Wörter aus dem Schlund herauf!
Was zuckt um Deine Lippen plötzlich auf
wie Geisterspuk in unbewohntem Haus?
Riechst Du die Waffen? Ja es schwillt herauf!

[S. 57]

Mutter

am Boden

Erregtes Wehen füllt den Horizont;
er weitet sich ins All und strömt zurück
in jede Krume der zerschlagnen Erde.

Tochter

über der Leiche

Du warst der Nerv von dem Gewimmel dort!

zum Tal

Ich fühle Euren Griff schon derb im Fleisch,
die nackten Leiber nackt auf meinem Leib,
der seine Poren schließt vor Eurem Dunst!
Kriecht Ihr herauf? Gehorsam? Helmgedrückt?
In Eurer Brunst geknechtet selbst, wie Stiere,
für die ein Zuchtherr Stund und Tag bestimmt!
Doch spannt man Liebe auch hinfort ins Joch —,
ich schenke meinen Leib nicht her! Ein Sumpf
soll eher Lasten tragen, als mein Schoß!

Mutter

Erwartend, feierlich kniet meine Seele,
dem Herzschlag ungezählter Herzen lauschend,
der sich in meinem Busen sammeln will.

[S. 58]

Wachsender Truppenlärm

Tochter

beim Feigen Sohn

Dein schrecklich Haupt mög ihren Sieg erfrieren
und jedes Wort, das ihn vererben will,
wie eine Barke zwischen Eis erdrücken!
Tauch auf! Du blasser Kopf! Tauch auf! Empor:
An Hochzeitsbetten seist Du angenagelt
als schlechtes Ampellicht für neue Zeugung,
für Mütter, die gebären wollen: Tod!
Die Zeit ist da!
Jetzt kreise auf,
bis Mut an Dir erstarrt!

Stimmen

talherauf

Schafft Raum!

Tochter

zwischen den Brüdern

Leb ich,
um den Koloß, der Euch erschlug, zu füttern?
Ich stoße der Gebärung Werkzeug ein!

Sie versteckt sich vor der anrückenden Mannschaft hinter Gräbern

Ein Soldatenführer

DIE Nacht trug uns wie eine Königsstute
zu unsres Willens Ziel, dem Sieg. Doch Männer,
eh wir die Täler mit Triumph erfüllen,
wolln wir die Schätze unsrer Dankbarkeit
vor den Gefallnen opfern!

[S. 59]

Der andre Soldatenführer

Fahnen hoch!
Sie solln das Fest der Andacht hell umflattern!
Wem weicht Ihr aus?

Ein Soldatenführer

bei der Mutter

O Frau, ich beuge mich.

Der andre Soldatenführer

an der Leiche

Verbrecherblut!
Schon leuchten Häupter von Heroen auf,
an deren Ruhm Jahrtausende sich sättigen,
wie durstig Wild an Ozeanen säuft!

zur Mannschaft

Umstellt das Tor und wascht die Treppen rein!

Jüngster Sohn

den Kameraden wehrend

Mit Euren raschen Händen fort! Die Mutter!
Und furchtbar von des Bruders Leiche ragend
wie eine wilde Gottheit! Mutter! Darf ich
den Arm, der solches Werk getan, verehren?

Der andre Soldatenführer

auf den Toten Sohn weisend

So schleift den Schurken fort! Streut Schwefel hin!

[S. 60]

Mutter

blickt auf

Rührt nicht an Blut; es ist geheimnisvoll
wie alles andre für die Welt vergossen!

Der andre Soldatenführer

Willst Du uns höhnen?

zur Mannschaft

Vorwärts! Zugepackt!

Mutter

mit dem Leibe schützend

Die Erde holt, was sie erschaffen hat,
zurück in ihrer Fruchtbarkeit Gesetz!

Der andre Soldatenführer

Zu schlecht als Geierfraß!

Mutter

wehrend

Hier und dort,
allüberall gedeiht der Mütter Schmerz!
Des Jammers Sämann, freu Dich solcher Saat!

Der andre Soldatenführer

zur zaudernden Mannschaft

Gehorcht Ihr diesem Weibe oder mir?

Er treibt sie vor

Mutter

Eh Du das Volk mit Deinem Stabe zwingst
Unmenschliches zu tun, reiß ich ihn fort!

[S. 61]

Sie ringt um den Führerstab

Er, der allmächtig durch das Weltall wirkt,
versage jeden Prügeldienst! Zu mir!

Der andre Soldatenführer

Zu mir!

Mutter

in seinem Besitz

Bei mir! Bei mir die Macht der Welt!
O heilger Träger ungezählter Samen!
O Himmelsäule! Du verwirrst mein Hirn!
Aufbrechend lecken rote Flammen Dir
wie Zungenlust entgegen!
Es wirft mich um! Es reißt mich auf und bringt
mir aller Mütter heißes Hoffen wieder!
Von Dir berührt, erbrennt die erdge Haut!
In allen Zellen meines Fleischs fällt Feuer!

Der andre Soldatenführer

Daß Deine Hand verdorre, die den Stab
urheilger Macht so wahnsinnstoll umfängt!

Mutter

mit dem Stabe

Ich halte Dich und taumle unter Dir!
Lebendig Leben durch das All ergossen,
Du wirbelst Sonnen wie aus Übermut —
und stößt auf uns auch wieder brandend ein!

Der andre Soldatenführer

zur Mannschaft

Was murmelt Ihr und drängt Euch rückenan?

[S. 62]

zur Mutter

In jedem Kopf hier waltet unser Atem,
er gibt ihm erst Bedeutung, sich zu fühlen!
Versuche nicht, Dich gegen uns zu stellen!

Mutter

Es stürzt hervor! Ach, meine Hände, weh,
wie sie sich höhlen; ganz von ihm erfüllt
rauscht Schöpfung bodenauf in diese Schale,
die viel zu schwach, dem Feuer standzuhalten,
die Finger öffnet, daß der Segen fließt!

Ein Soldatenführer

zur Mutter

Willst Du den Geist aus abertausend Geistern
unwandelbar gefügt, wie Sphärenklang
schon Gottes Herz umdrängend, willst Du das,
was unser Stab durch aller Kräfte schuf,
in Feuer setzen?

Der andre Soldatenführer

um den Stab ringend

Allzuviel Geschwätz!

Mutter

frei

Ich schwing Dich über dieser Erde Leib!
Schon pfeift’s um mich wie junger Gertenschlag
und bricht aus leichensatten Feldern, Sturm!
Da jauchzt er! Hei, wie seine Schauer
vor Überglück erwachte Schollen schütteln!

[S. 63]

Der andre Soldatenführer

zur Mannschaft

Hier wuchert Ansteckung! Rückt ab, und fort!
Wie sollen Menschen ihrer Tage Sinn
ergriffen leben, wenn Verzücktheit herrscht!

Ein Soldatenführer

zur Mutter

Dies Volk wirst Du uns nicht vom Zügel reißen!

Mutter

Was Ihr getürmt, gelenkt im Hin und Her,
schuf salzge Augen!

Ein Soldatenführer

Doch der Ordnung Thron!

Mutter

Im Leichenhaus! Es rundet sich die Welt
aus tiefster Freude nur ins Gleichgewicht!

Ein Soldatenführer

Frau, unsre Macht, die auf der Sitte Grund
sich durch Geschlechter hart entwickelt hat,
schreist Du nicht um! Sie lebt aus altem Recht!

Mutter

Es wandelt sich auch Recht!

Jüngster Sohn

vor der Mutter

Ihr hört es, Brüder!

[S. 64]

Mutter

Es gibt nur eine Glut, aus der wir leben!

Jüngster Sohn

Sie leuchtet fackelhell von Deinem Mund!

Der andre Soldatenführer

zur Mannschaft

Ihr rottet Euch zusammen? Werft die Helme?
Laßt Eure Schöpfe eigenwillig flattern?

Mutter

über aller Häupter wachsend

O weites Land. O selge Flächenlust!
Dich möcht ich streicheln wie ein Wiegenbett,
darunter heilges Leben schläft!
Es naht der Tag, voll Lachen steigt er auf,
da wir von der Erinnrung harter Last,
die uns in unsres Ursprungs Dämmer zwingt,
befreit sind, und wie Adler hoch im Flug
der Qualgebirge Gipfel selig streifen!

Jüngster Sohn

vor der Mutter

Aus Deiner Seele ward der Tag geboren!
Er lebt!

Der andre Soldatenführer

zur Mutter

Wird diese Raserei nicht enden?

[S. 65]

Mutter

über alles Volk

O Mutterleib, o Leib, so wild verflucht
und aller Greuel tiefster Anlaß erst,
Du sollst das Herz im Bau des Weltalls werden
und ein Geschlecht aus Deiner Wonne bilden,
das herrlicher als Ihr den Stab gebraucht! —
Ihm werf ich ihn erschaudernd so entgegen!

Sie tut es

Der andre Soldatenführer

Ihr habt’s gehört, gesehn! Geduld fahr hin!

Er wendet sich gegen die Mutter

Jüngster Sohn

stößt ihn zurück

Ins Knie vor ihr!

Ein Soldatenführer

packt den Jüngsten Sohn

Vergreift er sich an uns?

Mannschaft

mühsam aufbrechend

Der weite Grund hat unser Blut getrunken!
Wir sind hinfort Verwalter dieses Bodens
und wehe, wer uns unsern Gang verzäunt!

Ein Soldatenführer

zur Mutter

Wo soll das enden? Weib, Du rührst an Gott!

[S. 66]

Der andre Soldatenführer

vor der Mutter

Eh Du des Staates Wuchtgefüge störst,
erfordert es sein Leben, daß Du fällst!

Er drängt die Mutter in den Kirchhof

Mutter

zum andern Führer

Hier, hier und da, stoßt alle Eisenschäfte
mir tief ins Blut! Ich will sie so zerschmelzen,
daß meinen Kindern keine Schmerzen bleiben!

Sie wird auf den Gräberhügel gestoßen

Tochter

aus dem Kirchhof, unbeherrscht

Sie töten meine Mutter!

Der andre Soldatenführer

hinter ihr

Still, Gekeif!

fängt sie

Tochter

Von Kellerasseln überkrabbelt werden
muß gegen Deine Arme Wollust sein!
Hätt ich in meinem Speichel Natterngift!

beißt sich los, bleibt angesichts der Mannschaft

Ich suche mir ein Dickicht, wo ich ende!

Sie schleicht fort

[S. 67]

Jüngster Sohn

der sich losgerissen hat, am Tor

Zwei Lachen Blut! Zwei Lachen rotes Blut!

Ein Soldatenführer

zum andern Soldatenführer

Das wogt und ebbet nach!

Jüngster Sohn

O Mutterhauch,
von Dir geschmolzen rolle die Lawine
auf die Kasernen der Gewalt hinab,
und was sich je zu frech ins Blau gebaut,
fall hin!

zu Kameraden

Steht Ihr entsetzt? Kommt, stürmend Licht
reißt uns mit fort, zu Dir, zu Dir, o Mutter!

Mannschaft

trunken

Auf, schultert ihn!

Es geschieht, sie stürmen alle zu Tal

Der andre Soldatenführer

zum Soldatenführer

NUN heißt’s, am Ruder bleiben
und dieses anvertraute Menschengut
auf ihres Blutes wilder Flut zu Tal
mit ernstem Griff zur Tätigkeit zu steuern!

[S. 68]

Ein Soldatenführer

Der Feige Sohn wird der Sicht wieder frei

Noch einer steht in Fesseln.

Der andre Soldatenführer

bei ihm

Würgst an Worten?
Dich sterben lassen, hieße Gnade üben!
Dein feiger Anblick nagle alle fest,
die uns zu trotzen wagen!

Er bindet ihn los

Laufe Du!

hetzt ihn ins Tal

Ein Soldatenführer

sieht ihm nach

Aus seinem Schweigen wetterleuchtet Arges!

Der andre Soldatenführer

Wir dürfen nicht wie Wachs im Feuer weichen,
wenn dieser Menschheit Guß gedeihen soll,
wie Gott ihn sich in höchster Weisheit dachte,
dann müssen wir die Siegelhalter sein!
Wie der Kristall nach festem Willen wächst,
um im Gebilde leuchtender zu strahlen.

Er folgt der Mannschaft

[S. 69]

Ein Soldatenführer

allein

ICH schlösse froh das Tor, wär Tod auch Ende!
Du fürchterliches Weib, ergreift Dein Blut
auch mich? Daß es im Innern quält und zuckt
und heulend brennt, als hüllten diese Falten
des Mantels meine Seele ganz in Flammen?
Herunter mit dem roten Tuch der Schrecken!
Ich geb es hin! Die Sonne mög es bleichen!

Er wirft den Mantel fort und geht zu Tal


Druckerei

Im Felde

begonnen Sommer 1915 — beendet Herbst 1916


Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der Ausgabe von 1918 erstellt. Die Textstelle auf S. 59: „Und furchtbar von des Bruders Leiche ragend“ sollte möglicherweise heißen: „Und furchtbar vor des Bruders Leiche ragend“.

Die Bezeichnung der handelnden Figuren wurden im Original in gesperrter Schrift gedruckt. Diese werden hier in Fettdruck mit normaler Laufweite wiedergegeben.