The Project Gutenberg EBook of Drei Gaugöttinnen, by E. L. Rochholz

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Title: Drei Gaugöttinnen

Author: E. L. Rochholz

Release Date: April 13, 2004 [EBook #12012]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Drei Gaugöttinnen

Walburg, Verena und Gertrud als deutsche Kirchenheilige.

Sittenbilder aus dem germanischen Frauenleben

von

E.L. Rochholz.

1870



Vorwort.


Den ersten frühzeitigen Anlass, in den drei heiligen Frauen, deren Namen die nachfolgende Schrift am Titel trägt, drei nächstverwandte Wesen aus der deutschen Götterlehre zu erblicken, hat der Verfasser in den Perioden seines akademischen Jünglingsalters und während der ersten Jahre seines Berufslebens empfangen, als er noch auf Jagdgängen, Ferienreisen und Abteibesuchen der Erkundung örtlicher Alterthümer nachzog und in andauerndem Verkehre mit der Natur und der Bevölkerung den damals herrschend gewesnen Glauben theilte, das Volksgedächtniss sei ein Archiv, welches dem Forscher den Mangel an Urkunden ergänzen helfe. Während sich ihm letzteres bald als eine gemüthliche Täuschung erweisen musste, war ihm darüber doch das Glück beschert, reichliche, nachhaltige Anschauungen in sich anzusammeln, deren freundlich fesselnde Gewalt einen einmal in uns erwachten Plan auch unter unerwartet eintretenden Lebensänderungen nicht mehr veralten lässt. Und so erklärt sich der Ursprung unseres Buches als eine früh erworbene, in langer Zeitdauer gereifte und hier erst spät zur Mittheilung gebrachte Lebensanschauung der Art, von welcher bei Göthe (Bd. 44, 193) das runde Wort steht: "Was man nicht gesehen hat, gehört uns nicht und geht uns eigentlich nichts an." Als uns vor nun bald vierzig Jahren in den heimatlichen Thälern der Altmühl und des Mains der hier sesshafte Cultus der hl. Walburgis und Gertrud begegnete und nicht lange hernach in den schweizerischen der Aare und des Oberrheins uns ebenso derjenige der hl. Verena näher bekannt wurde, zeigten schon die bestimmt abgegrenzten Landschaftsmarken, innerhalb deren der Cult jeder dieser drei Heiligen seit ältester Zeit bis auf die Gegenwart herrschend geblieben ist, dass diese Drei hier nicht etwa die Patrone oder Lieblingsheiligen ihres Bisthums, sondern die Schutzheiligen ihres politischen Gaues in einer Periode gewesen waren, als dessen politische Grenzen noch keineswegs mit denen des Kirchensprengels zusammenfielen. Waren die Heiligen aber dieses und also zeitgenössisch gewesen mit der ältesten Gaueintheilung dieser Landstriche selbst, so war hier ihr Bestand überhaupt ein älterer, als der durch die Kirche veranlasste je hatte sein können. Und also führte uns die Gauheilige in rückschreitender Metamorphose auf die Gaugöttin. Gegen diese Folgerung, die selbst von der kirchlich approbirten Gestalt der Legende mit historischen Angaben unterstützt wird, lässt sich mit ferner versuchten Einwänden nicht weiter mehr aufkommen. Auch führt ja die Gaugöttin ihre bei uns verblasste Herrschaft über Christenmenschen anderwärts immer noch ungeschwächt und persönlich fort, so z.B. in der Normandie, wo nach dem Zeugnisse von Amélie Bosquet die Aufsicht über das Land den Feen gehört, jede einen einzelnen Kanton, hier jeden einzelnen Einwohner beaufsichtigt und dessen Loos bei der allabendlichen Versammlung in dem gemeinsamen Schicksalsbuche je mit einem weissen oder schwarzen Punkte bezeichnet.

Jede Gottheit war, ein vom Heidenglauben verwirklicht gedachtes Idealbild menschlicher Thätigkeitgewesen. Wie der Mensch, so sein Gott. Die dem Germanen eigenthümliche Auffassung des Eherechtes, welche ihn vor allen Kulturvölkern des Alterthums auszeichnet, der von ihm dem Weibe beigelegte ahnungsreiche; auf das Heilige gerichtete Sinn (Tac. Germ. c. 8) hatte bei ihm solcherlei weibliche Gottheiten bedingt, welche Wächterinnen der züchtigen Geschlechterliebe, der häuslichen Ordnung, des Fleisses und Friedens waren. Eine nächste Folge hievon war es, dass die Frau in ihrem Hause das Amt der Herrin (dies besagt das Wort frôwa, fráuja), in ihrem Stamme dasjenige der Itis oder weisen Frau bekleiden und als solche die Geschäfte der Tempeljungfrau, Priesterin, Heilräthin oder Aerztin verwalten konnte. Auf diesem Bildungswege einer langen Selbsterziehung wurde die Nation erst politisch gehemmt durch furchtbare Eroberungskriege, die sie erlitt und vergalt, dann geistig überrascht durch das in barbarischer Form überlieferte römische Kirchenthum. Durch den ersten Vorgang wurden die Germanengöttinnen kriegerisch umgewandelt, militarisirt, durch den zweiten aber vollends satanisirt, zwei Umgestaltungen des Glaubens und Mythus, von denen unser Buch in allen Abschnitten sittengeschichtliche Zeugnisse bietet. Und nicht bloss die Richtschnur des öffentlichen Glaubens, sondern ebenso die des Privatlebens wurde dabei mit in die tiefste Erniedrigung herabgezogen. Zwar blieben echtmenschliche Tugenden der Heidin ein allerdings nöthigender Grund, sie später einmal zu Christentugenden zu subtilisiren und eine Walburg, eine Verena oder Gertrud zu Kirchenheiligen zu erheben; allein diese Vereinbarung war und blieb eine erzwungene, innerlich unwahre, und verfälschte den sittlichen Kern des Mythus bis zu dem Grade, dass es den irrigen Anschein gewann, als ob hier die Legende aus dem Christencultus entsprungen wäre, anstatt dass umgekehrt dieser bloss entlehnend dem Mythus nachfolgte und ihn legendarisch einkleidete. Ihm selbst aber durfte ein ehefeindlicher Klerus, der dem Cölibat den übertriebnen Werth einer vollkommnen Tugend zuschrieb und nur ein einziges Weib als solches anerkannte, die Himmelsherrin, auf das ganze übrige Geschlecht aber die Ursache des Sündenfalles zu wälzen fortfuhr, einem solchen, die Frauenwürde verkündenden Mythus durfte der Mönch kein Recht belassen, sondern musste ihn so weit und so unablässig herabwürdigen, dass die Folgen davon bis heute den Aberglauben aufzureizen vermögen. Wenn daher zwar auf einer Seite die Jungfrau, welche schmerzenstillendes Oel unter Segenssprüchen bereitete, als ölschwitzende Heilige kanonisirt worden ist, so ist sie auf der andern Seite zugleich zur Hexenmutter satanisirt: Zaubertränke brauend, Seuchen und Misswachs herabbeschwörend, Besen salbend, das aller Zeugung feindselige Kebsweib des Teufels in der Walburgisnacht. Dorten war sie die ehestiftende Liebesgöttin gewesen, hier eine Frau Mutter des Frauenhauses (S. 82. 154). Dorten trank der Mensch auf ihren Namen die Minne, sie selbst reichte dem in den Himmel eingehenden Helden den Unsterblichkeitstrank; hier wird sie zwar auch eine Himmlische, aber nur weil sie vorher als "Wirthskellnerin" tugendhaft geblieben war (S. 149). So ursprünglich schon steckt in dem Legenden erzählenden Mönch ein Blumauer, der die Aeneide travestirt. Ihm haust da ein spukender Waldteufel, wo in der fränkischen Waldeinsamkeit des Hahnenkamms und Spessarts die Haingöttin an ihren Maibronnen gewaltet hatte; die Frühlingsgöttin Walburg wird ihm zum Blocksbergsgespenste, die Seelenherrin Gertrud zur Leichenfrau, und zur landverwüstenden Riesin wird die im Firnengolde des unerreichten Gletschers thronende Verena

—auf des gefürchteten Gipfels

Schneebehangener Scheitel,

Den mit Geisterreigen

Kränzten ahnende Völker.

Wie sonderbar doch dieser Lohn ist, der dem deutschen Weibe dafür ertheilt wurde, dass es in unserem Volke zuerst, unter dem Widerstreite der Männerwelt, rein aus Frömmigkeitsbedürfniss und Kinderliebe sich an die neue Kirche ergab! Für treues Ausharren in den Prüfungen des Lebens, für opferbereites, demüthiges Dulden zum Wohle der Mitmenschen war ihm einst der Himmel zugesagt gewesen, es hatte ihn durch eigne Seelengrösse erobert und sogar den Preis der Vergötterung sich erworben. Dieser Himmelsgenuss hiess der Kirchenlegende ein unverdienter, das heroische Streben des Weibes, sich zur Würde der Gottheit empor zu heben, ein frevelhaftes. Es wurde daher noch einmal in die Leidensschule der gemeinen Leiblichkeit zurückversetzt, um nun erst durch ein Mirakel erlöst zu werden. Denn von nun an sollte es nicht mehr auf das persönliche Verdienst, sondern auf das Geheimniss der Gnade angewiesen bleiben. Diesen zweimaligen Bildungsweg, den das deutsche Weib in der Vorzeit einzuschlagen hatte, haben wir als "Sittenbilder aus dem germanischen Frauenleben" bezeichnet und nach dem doppelten Material der Mythe und der Legende von drei heiligen Frauen zur Darstellung gebracht. Dies ist der wissenschaftliche und patriotische Zweck unsrer Schrift, die sich hiemit dem Antheil vorurtheilsfreier Landsleute empfiehlt.

Aarau 1. Mai, Walburgistag 1870.

E.L.R.


Inhalt.


Vorwort.

Inhalt.

I. Walburg mit drei Aehren, die Ackergöttin.

Erster Abschnitt.

Quellen und Inhaltsangabe der Walburgislegende.

Walburgs und ihrer drei Brüder Taufbrunnen, Klosterstiftungen, Grabstätten und Reliquien.—Oel, aus Stein und Bein der Walburgisgruft fliessend; ähnliches kirchlich verehrtes Wunderöl. Abbildungen und Embleme Walburgis.

Zweiter Abschnitt.

Walburgis Hunde, Walburgis Aehren in kirchlichen Abbildungen und Hymnen.

Der Hund, ein Geleitsthier etlicher Fruchtbarkeitsgöttinnen und Heiligen; verehrt als saatenfressender Sturmwind und als breigefüttertes Windspiel der Wilden Jagd, genannt Nahrungshund. Nackte und süsse Hündlein als Zweckspeisen beim Dreschermahl.—Walburgis Emblem der Aehre und der Garbe, ihre Erscheinungsweise in den Sagen, ihre Verdüsterung in dem Elbenglauben. Das Rechtssymbol der drei Aehren. Walburgs Eulogienbrode.

Dritter Abschnitt.

Walburgistag, des Meien hochgezît.

Scenischer Zweikampf des Sommers und Winters, genannt den Tod austragen, den Sommer ins Land reiten. Maienfahrt, Laubeinkleidung und Ruthenzug.—Maigraf und Maigräfin. Das Mailehen ausrufen. Nachtsprüche und Liebesorakel beim Maiensetzen. Feier des Valentinstages: sämmtliches als Abbilder eines göttlichen Werbungs- und Vermählungsmythus, welcher im Frühlings- und Erntevorgang spielt.

Vierter Abschnitt.

Maiengeding und Walbernzins.

Walburgis und Martini, die beiden Jahresgedinge der ungebotenen Gerichte, gezeigt aus den Weisthümern.—Urkundliche Berechnung der Gerichtskosten eines oberdeutschen Maiengedings.—Der Rutscherzins, die Walpersmännchen und Walperherren.—Aus der mit der Zinspflichtigkeit verbundnen Nutzniessung bildet sich die Sage von einer auf den Zinstag fallenden Befreiungsgeschichte der Landschaft.

Fünfter Abschnitt.

Der Mythus vom Maienthau.

Landwirthschaftliche Erbsätze über den Maienthau. Thau als Quelle von Leben, Lebensdauer und Körperschönheit, angewendet als Heilbad, Stärke- und Minnetrunk.—Bannbeschreitung, Oeschprozession um die Flurzelgen und Mairitt durch die Saat. Der Mythus vom Thau-abstreifen in seiner naturgeschichtlichen Begründung. Thauschlepper und Thaustreicher als zaubernde Butter- und Milchgewinner. Walburg in den Riesen- und Hexensagen.

Sechster Abschnitt.

Der Mythus vom Maienthau.

Die westfälische Walburg. Die phallischen Götzenbilder zu Antwerpen und Emmetsheim, um Kindersegen angerufen. Naive Arglosigkeit der bildlichen Darstellung der Lebens- und Zeugungssymbole, deren Wiederanwendung in den Gebildbroden zur Mittwinter- und Frühlingszeit. Etymologische Erklärung des Namens Walburg nach dessen freundlicher und feindlicher Anwendung.—Schluss: die Götterjungfrau kredenzt den aus Thau, Honig, Meth, Ael und Oel gewürzten Unsterblichkeitstrank.

II. Verena mit dem Kamme, die Kindsmutter.

Erster Abschnitt.

Verena, eine alemannische Gauheilige.

Kirchliche Gestaltung und geographische Ausbreitung der Verenalegende; ersteres bedingt durch die Legende von der thebaischen Legion, letzteres durch die Ausdehnung des Konstanzer Bisthums. Verenas Weihkirchen und Altäre in der Schweiz, ihr Doppelgrab und ihre Reliquien in Zurzach. Mittelhochdeutsches Gedicht: Von sand Verene.

Zweiter Abschnitt.

Verena, die Müllerpatronin.

Ihre Attribute: der schwimmende Mühlstein; ihre örtlichen Kleinkindersteine. Die Müllerpatronin als Ehegöttin. Der in Stein verwandelte Brodkipf und die unerschöpflichen Mehlsäcke. Wirthschaftsregeln am Verenentage.

Dritter Abschnitt.

Verena, die Geburtshelferin.

Ihre örtlichen Kleinkinderbrunnen, Taufbrunnen und Wasserkirchen; die ihr geopferten Mädchen- und Brautkränze; ihr Geburtsgürtel, Haarkamm und Waschkrug; ihre landschaftlichen und kirchlichen Heilquellen. Gesundheitsregeln am Verenentage. Mythische Nachklänge von der Gewitterriesin: das Vrenelisgärtli am Glärnischgletscher.

Vierter Abschnitt.

Verena als Frau Venus.

Das Tannhäuserlied in aargauischer Version; die Frau Venus-Vrene des Volksliedes. Die Venus-, Feens- und Vrenenberge, sowie die Venus- und Vrenenhäuser, zurückgeführt aus ihrer gegenseitigen Namensvertauschung auf den ursprünglichen Mythus.

III. Gertrud mit der Maus, die Allerseelenherrin.

Die hl. Gertrud, heidnisch nach Namen, Legende und Attributen.

Ihre altkirchlichen Abbildungen mit der Beigabe des Wagens, Schiffes, Stabes, der Spindel und der Mäuse.

Der Gertrudentag mit seinen Kalenderregeln und Zeitthieren.

Specht, Kukuk und Schnecke; letztere tragen zu dritt den Namen der Heiligen und werden in deren Namen berufen als Lebens- und Todesboten.

Gertrud als Seelenherrin.

Die Abgeschiedenen werden wieder zu Elben und erscheinen in Thiergestalt. Die Maus als ausfahrende, umwandernde Menschenseele, sowie als Rachegeist Abgeschiedner; der ihr geopferte Wechselzahn. Einschlägige volksmedicinische Bräuche.

Die Rolle der Maus bei den Erntebräuchen, die in Mausform gebackenen Zweckbrode.

Gertrudens Mäusegespann, wiederkehrend in den Ortssagen. Das Trinken der Gertruden-Minne, Gertrud als Fylgja und Walküre.

Symbole.

Die Terracotta-Maus aus dem Grabfelde zu Rheinzabern. Das Oxforder Weihnachtsbrod. Die Schnitternudel der Süssen Mäuschen. Das Kalenderzeichen des Gertrudentages.

III. Gertrud mit der Maus, die Allerseelenherrin.

Nachträge.

Wortregister.


I. Walburg mit drei Aehren,

die Ackergöttin.


Erster Abschnitt.

Quellen und Inhaltsangabe der Walburgislegende.


Dem allgefeierten ersten Mai geht die Walburgisnacht unmittelbar voraus, der heitersten Naturfreude die verderbenbringende Hexennacht. Hier eine jungfräuliche Maikönigin, aus dem frischen Grün der Haine über den thauigen Anger her in unser Dorf einziehend, empfangen und umjubelt von der maientragenden Kinderschaar; dorten aber auf finsterer Berghöhe die entsetzliche Nachtkönigin, Hagel und Schlossensturm, Misswachs und Seuche brauend, unkeusche Satanstänze abhaltend, eine Feindin des Wachsthums und der Zeugung: welch ein Contrast binnen vierundzwanzig Stunden, welche Paarung der Brokenhexe und der Kirchenheiligen unter einem und demselben Namen! Die nachfolgende Untersuchung strebt den Zusammenhang dieser zwei getrennten, so hart sich widersprechenden Hälften eines ursprünglich einheitlichen Wesens aufzuweisen und dieselben zur würdigen Gesammtheit eines germanischen Götterbildes zu vereinbaren. Zu diesem Zwecke wird hier eine Skizze der Walburgislegende nach deren ältester Aufzeichnung, unter Weglassung der ausschmückenden kirchlichen Zuthaten, vorangestellt. Quelle und Schauplatz der Legende ist baierisch Franken, zugleich die Heimat des Verfassers vorliegender Ausarbeitung.

Die Quellen, auf weiche sich die Untersuchung wiederholt zu berufen hat, sind nachfolgende.

Das Hodoeporicon oder Itinerarium (so benannt, weil es Wilibalds Reise nach Jerusalem enthält) schrieb eine Landsmännin und Zeitgenossin Wilibalds aus ihrer eignen und der Diakone Erinnerung. Sie heisst die Heidenheimer ungenannte Nonne, und war 762 ins Heidenheimer Kloster eingetreten, also noch zu Walburgis Lebzeiten. Das Original ist erst seit Canisius und Mabillon bekannt geworden und steht gedruckt bei Falkenstein Cod. dipl. 447. Bei der franz. Invasion des Bisthums commandirte der zu Marschal Ney's Armee gehörende General Dominik Joba etliche Wochen in Eichstädt, berüchtigt als Inkunabeln- und Gemäldedieb; er liess durch seinen Sohn am 16. Juli 1800 die Handschrift im Chorherrenstifte Rebdorf stehlen, seitdem ist sie verloren. Sax, Gesch. des Hochstifts Eichstädt, S. 365. Dies ist die Hauptquelle für alle übrigen Aufzeichnungen der Walburgislegende. Die nächstfolgende Biographie Walburgis verfasste zu Ende des 9. Jahrhunderts der Mönch Wolfhard zu Hasenried, das spätere Herrieden a.d. Altmühl, einer im J. 888 durch Kaiser Arnulf an das Eichstädter Bisthum vergabten Abtei. Im J. 1309 schrieb der Bischof von Eichstädt Philipp von Rathsamhausen Wilibalds und 1313 auch Walburgs Legende, um deren Abfassung ihn Königin Agnes, des ermordeten Albrecht Tochter, von ihrem Stifte Königsfelden aus brieflich angegangen hatte. Der Bischof überschickt ihr und ihrem Convente das verlangte Werk, betitelt: Leben, Thaten, Tod und Wunderwerke der seligen Jungfrau Walburg; die Zuschrift steht gedruckt in der Ztschr. Argovia 5, 25. Dies Werk ist zwar schon die fünfte, aber die erste umfassendere Erzählung der Legende, sagt Gretser X, 906b. Der bischöfliche Verfasser war von Kolmar im Elsass gebürtig und starb 1322. Bolland. 25. Febr., tom. III, 512b. Sein Werk übersetzte der Eichstädter Stadtschreiber David Wörlein und dedicirte es dem damaligen Bischof Konrad von Gemmingen; gedruckt zu Ingolstadt 1608 bei Andrä Angermayer. Auf diese beiden Schriften stützen sich nachfolgende, von uns gleichfalls benutzte Sammelwerke: Acta Sanctorum, saec. 3, pars secunda 287.—Bollandisten tom. 3., 25 Febr.—Gretser, Vitae Sanctor. tom. X.—Matth. Rader, Bavaria sancta, 1704.—Alle nennenswerthe weitere Literatur über die Walburgislegende ist verzeichnet in Rettbergs Kirchengesch. 2, 347 und 356.

Winfrid-Bonifacius, der Apostel der Deutschen, geb. 680 zu Cirton oder Krediton in der englischen Grafschaft Devonshire, hatte bereits bei Friesen, Sachsen und Franken das Evangelium gepredigt, als er im Auftrage des Pabstes Gregor II. nach Thüringen und Baiern kam und in diesem letzteren Lande zu dem damals schon vorhandenen Bisthum Passau diejenigen zu Regensburg, Freising, Würzburg und Eichstädt gründete. Eine Schaar gebildeter Männer und Frauen aus dem Angelsachsenvolke begleitete ihn dahin und übernahm die Leitung der neuen Stiftungen. Kunigild und ihre Tochter Bertgit verwendete er als Abtissinnen in Thüringen, Kunitrud und Tekla setzte er ins Kloster nach Kissingen, Lioba nach Bischofsheim an der Tauber, Walburg nach Heidenheim am Hahnenkamm. Walburg, die Tochter des angelsächsischen Fürstenpaares Richard und Wunna, die Schwester von Oswald, Wunnibald und Wilibald, war auf ihres Oheims Winfrid Rath durch Thüringen nach Baiern gereist und hier im Sualafelder Gau mit den drei Brüdern zusammengetroffen. Dieser Gau, in dem sie sich nun zusammen niederliessen, reichte vom Bergzuge des Hahnenkamms in das Altmühlthal nach dem jetzigen Eichstädt, schloss auf einer Seite das Weissenburger Gebiet mit Gunzenhausen und Eschenbach in sich, auf der andern Seite die Pappenheimer Mark im Ries. Hier hatte Bruder Wilibald schon vorher im J. 740 bei Eichstädt ein Klösterlein in der Regel des hl. Benedict gegründet und war fünf Jahre nachher auf der Mainzer Synode (nach Rettberg 1, 353 schon im J. 741) zum ersten Bischof von Eichstädt eingesetzt worden. Zusammen mit Bruder Wunnibald erbaute er dann am Hahnenkamm zu Heidenheim ein gleiches Kloster, fügte demselben 760 einen Frauenkonvent in der Benedictinerregel bei und übergab dessen Leitung an Walburg. Die Stellen zu den neuen Kirchenbauten pflegten die Geschwister sich da auszuwählen, wo ihr Reiseross jeweilen stetig wurde oder eine Quelle fand. Solcher jetzt noch für heilkräftig gehaltener Quellen zählt man in der Eichstädter Landschaft sechse. Ein Wilibaldsbrunnen liegt ob dem Eichstädter Forellenweiher an der Landstrasse im Weissenburger Walde und heisst Römleins- oder Rimleinsbrunnen, weil der glaubenseifrige Bischof hier Römer getauft haben soll. Der Waldberg, aus dem die Quelle fliesst, ist in der Fronte bis zur Höhe aufgemauert und mit Quadern, einem Thore gleich, eingefasst; eine Abbildung giebt Falkenstein, Nordgau. Alterth. 1, cap. 1, S. 14. Der zweite Wilibaldsbrunnen liegt zunächst dem Kloster Bergen; als der Heilige hier heranritt, sprudelte der Quell unter dem Tritt des Rosses aus einem Felsen von 16 F. Umfang auf und versiegt seitdem bei keiner Sommerdürre. Der dritte liegt ob der Wilibaldsburg auf einem der zwei grünen Höhenzüge, die den Eichstädter Thalkessel umgeben. Dazu kommt noch am Wege nach dem Dorfe Titing die Wilibaldsruhe, wo eine neuerlich abgegangene Feldkapelle mit des Heiligen Bildnisse stand. Ferner erbaute er das Stift Heilsbronn, nach jener mächtigen "Hails- oder auch Hagelsquelle" zubenannt, die hier in einen dreikästigen Brunnen gefasst wurde und aus 32 Röhren sprang; sie stand im vorderen Kreuzgange und wurde im Schwedenkriege zerstört. Eben so liess sich die Schwester Walburg im mittelfränkischen Städtchen Heidenheim beim Ortsbrunnen nieder, welcher der Schön- und Heidenbrunnen heisst. Als aber Wunnibald hieher auf Besuch kam, entsprang im Klostergarten (jetziges Rentamt) auch der Käsbrunnen, ein Hungerquell, an welchem die Heidentaufen vorgenommen wurden. Bruder Oswald erbaute sich beim Schlosse Hohentrüdingen das Stift Auhausen; seine Wunderbrunnen liegen jedoch nicht hier, dagegen ist ihm in Tirol beim Dorfe Oswald am Ifinger einer der drei "Jungbrunnen" dieses Landes geweiht und er selbst gilt dorten als ein gewaltiger Wetterherr. Zingerle, tirol. Sitt. no. 794. 936.

Ueber Jahr und Tag des Todes der Geschwister widersprechen sich die Kirchenhistoriker Gretser, Rader, Falkenstein und Pater Luidl. Nach den neuesten und scharfsinnigen Untersuchungen von D. Popp, Errichtung der Diöcese Eichstädt, wird von nun an Folgendes zu gelten haben.

Wunnibald stirbt 18. Dec. 761; Walburg 25. Febr. 779; Wilibald 7. Juli 781. Letzterer wurde in der Eichstädter Kathedrale, die beiden ersteren im Kloster Heidenheim beigesetzt. Hier liess nachmals Abt Otkar Walburgis Erdgrab eröffnen und erblickte drinnen die Leiche unverwest und thaufrisch: "totum corpus rore perfusum cernebatur". Am 21. Sept. 870 tragen zwei zusammen gebundene Rosse den Sarg nach Eichstädt und bleiben hier freiwillig vor der Kirche zum hl. Kreuz stehen. Also liess Otkar die Leiche hier bestatten und den Tempel Walburgiskirche benennen. Schon auf dem Wege hieher hatten zwei Epileptische den Sarg berührt und wurden dadurch geheilt. Ein Lahmer geht auf Krücken voran in die Kirche zu Wilibalds Grab und ruft da: Wilibald, gib mir das Botenbrod, deine Schwester kommt! Darüber lässt er die Krücken fallen und ist geheilt. Gretser 739. Gegen das eben genannte Jahr dieser Versetzungsgeschichte streitet indess die weiter gehende Erzählung von der Theilung der Walburg-Reliquien. Als nämlich Walburg gestorben war, hatte ihre Gefährtin Lioba kein Gefallen mehr an Heidenheim, sondern gründete aus ihren reichen Mitteln im J. 870 zu Monheim ein Frauenstift in der Benedictinerregel, und die von ihr nach Eichstädt abgegebenen Walburgisreliquien mussten nun mit dem neuen Stifte Monheim getheilt werden. Als man sie desshalb im J. 893 zu Eichstädt wiederum aufgrub, zeigten sie sich mit einer wundersamen Flüssigkeit überzogen, die bei Berührung nicht an den Fingern kleben blieb: cineres lympha tenui madefactos, ut quasi guttatim ab eis roris stillae extorqueri valerent (A. SS. 11, 293). Beide eben citirte Stellen sind in so ferne von Belang, weil sie die ersten Andeutungen des nachmals so berühmt gewordnen Oelflusses enthalten. So blieb also ein Theil der Reliquien zu Eichstädt, der andere kam nach Monheim und wurde hier an jedem Jahrestage durch vier Stadträthe in einem silberüberzogenen Särglein in gewohnter Prozession umhergetragen. Als aber durch die Reformation die Klöster des Sprengels der Reihe nach aufgehoben wurden: Solenhofen, Wülzburg, Baring, Heidenheim, Monheim, zerstörte der Bildersturm (haereticorum furor, sagt Rader 3, 48) auch die hl. Grüfte, so dass Wunnibalds Sarg in Heidenheim und die silberbeschlagne Arche in Monheim spurlos verloren giengen. Letzteres geschah erst 1542. Man sagt, Walburgis dort verwahrt gewesener bischöflicher Stab, auf dessen Berührung Blinde das Augenlicht wieder erhielten, sei später auf dem Walpersberge bei Köln von den Jesuiten verwahrt worden und alljährlich am 1. Mai im Flurumgang durch die Felder getragen worden. A. SS. pg. 302. Wir werden später darauf noch zurückkommen.

Von den Körpertheilen Walburgis ist in ihrer Gruft zu Eichstädt nichts anderes mehr als nur das Brustbein vorhanden. Dasselbe liegt dorten im Altar der Gruftkapelle der schon 1040 renovirten und 1631 neugebauten Walburgiskirche. Dieser Altar, ein länglichter Steinwürfel, ist in seinem Fundament nach aussen viereckig ausgehauen, so dass er als ein auf seine Breitseite umgelegter älterer Steinsarg erscheint. Sein Material ist Sandstein, wie ihn die Brüche vom benachbarten Pleinfelden ergeben. Durch seine Höhlung geht der Länge nach eine ebne ungeschliffene Kalksteinplatte von der Art des nächsten Eichstädterbruches, aufgesetzt auf zwei kurze Träger aus Sandstein. Diese Bank heisst der Gnadenstein, denn auf ihrer nackten Fläche liegt Walburgis Brustbein. Anfangs Oktober färbt sie sich blaulicht und überläuft mit dunstigem Stoff, der zu erbsengrossen Perlen gerinnt und tropfenweise ehedem in einem viereckig ausgehauenen Mittelraume sich sammelte. So beschreibt es Gretser X, 907 († 1625); der spätere Falkenstein, Nordgau. Alterth. 1, 31 sagt, dass diejenigen Tropfen, die nicht von oben her, sondern von der Seite der Steinbank hervordringen, durch silberne Abzugsrinnen in eine darunter stehende Goldschale geleitet werden, und so schildert es auch die Bavaria (3, Abth. 2, 979) als heute noch bestehend. Der Innenraum des Gruftsteins ist durchweg mit Silberblech überzogen, die Vorderseite wird mit einer von innen silberbeschlagenen Eisenthüre verschlossen. Dies ist das Mirakel des Oelthauens, von der Kirche das stillicidium genannt. Das Oel ist weiss und hell, geruch- und geschmacklos und schnell verflüchtigend; unaufgesammelt soll es am Gruftstein wie griesiges Schmalz in sich selber verstocken: Es wird von den Klosterfrauen in kleine, langhalsige; mit Wachs verschlossne Glasfläschlein zum Verkauf umgeleert: An Ort und Stelle hat der Verfasser dieses in seiner Jugend eine messingene Eichel, vergoldet und am Napfdeckel aufzuschrauben, den Klosterfrauen abgekauft; sie enthielt wohlriechende, in dies Oel getauchte Baumwolle nebst einem gedruckten Gebrauchszettelchen, wornach man unter bestimmten Gebeten diese Wolle in schmerzende Zähne und Ohren steckt. Frauen tragen derlei geweihte Metalleicheln an dem silbernen Schnürwerk des Mieders.

Der erste Mai galt durchgehends als der Tag, da das Stillicidium begann. Joh. Georg Keysler, ein kirchlich unbetheiligter, in seinen Forschungen sehr genauer Autor, weiss in seinen Antiquitates Septentr. (Hannoverae 1720) S. 88 noch nicht anders, als dass dieser Oelfluss erfolge cum die prima Maji. Allein dieser Termin behagte den kirchlichen Skribenten nicht, vielmehr scheint seit dem 17. Jahrhundert, da Gretser die Geschichte der Eichstädter Bischöfe und dieses Mirakels schrieb, folgende Zeit dafür zur Geltung gebracht worden zu sein: Mit dem 12. Oktober, als dem Tage, da Walburgis Gebeine von Heidenheim in die Gruft nach Eichstädt übertragen wurden, beginnt das Oel zu fliessen und fliesst fort bis 25. Februar, als der Heiligen Todestag; alle übrigen Monate, heisst es, bleibe der Gnadenstein unter jedem Witterungswechsel trocken. Allein im Widerspruche mit dieser Berechnung sagt die älteste Aufzeichnung der Legende ausdrücklich: die apostolorum Philippi et Jacobi celebratur usque hodie festum canonizationis Walpurgae; eodem die omni anno stillicidium ejusdem sanctae virginis ad potandum administratur (Gretser X, 898b). Philipp und Jacobi fallen bekanntlich auf 1. Mai, dessen altheidnische Feier gildenweise mit dem Aeltrinken begangen wurde. Um nun diesen paganen Brauch vollends hier aus der Kirche zu entfernen, suchte man zu erweisen, dass der 1. Mai weder Geburts- noch Todestag, sondern nur der Canonisationstag Walburgis sei, und kümmerte sich nicht weiter darum, dass das Walburgisfest in verschiednen Gegenden Deutschlands schon seit alter Zeit zu fünf verschiednen Monaten und Tagen kirchlich begangen wurde[1].

Ein fernerer Grund, der hier verschiedene Male nöthigte, den solennen Beginn des Oelflusses auf andere Termine anzusetzen, liegt in der Eichstädter Oelquelle selbst, die eine intermittirende ist und ausserdem in früheren Jahrhunderten viel reichlicher floss als heute. Oftmals bleibt sie sogar ganz aus. So schon unter Bischof Friedrich II., welcher 1237 sammt seinem Domkapitel von der Bürgerschaft verjagt wurde. Die versperrte Domsakristei wurde aufgesprengt und verwüstet, das Walburgisöl hörte auf zu fliessen. Sicherer jedoch ist derselbe Fall, da 1713 zum grössten Schrecken des Klosters vom 15. Februar bis 9. März fast kein Tropfen Flüssigkeit an dem Gnadensteine bemerkbar war; nach einer alten Tradition schob man die Schuld auf die im Convent der Schwestern ausgebrochne Uneinigkeit. Sax, Gesch. des Hochstifts Eichstädt, S. 283. In der Leichenrede, die der Jesuite Jos. Giggenbach beim Tode der dortigen Abtissin Maria Anna Barbara hielt (gedruckt zu Eichstädt 1730, 4°), heisst es S. 27: Walburg lasse das Oel in solchem Masse aus ihrem Brustbeine entquellen, dass man damals ein hohes grosses Glas voll davon im Kloster zurück gestellt hatte; zur Hälfte trank es die erkrankte Abtissin weg und sprach: Deine Kinder, o Heilige, haben sich so stark vermehrt, dass sie entweder dursten und hungern müssen, oder du ihnen die Muttermilch vermehren musst! worauf jenes halbgeleerte Gefäss sich sogleich wieder ganz mit Oel anfüllte.—Der Eichstädter Bischof Philipp von Rathsamhausen, Verfasser der drittältesten Walburgislegende, erzählt, wie er es selbst becherweise gegen seine Krankheit getrunken: praecepimus nobis copiosius (de oleo) adferri, et desiderabili haustu phialam plenam ebibimus. A. SS. saec. III. P. II, 306. Als es einst ein ganzes Jahr nicht mehr geflossen war und die darob verzagten Eichstädter ihren Sittenwandel besserten, brach es so reichlich los, dass man ein Weinlägel von einer halben Pinte, also ein wirkliches Fass, damit anfüllen konnte. Ibid. pag. 307.

So verwundert sich auch "das Buch vom Aberglauben" (von H.L. Fischer) Hannover 1794, Bd. 3, 118 über "die ungeheure Menge" Walburgisöl zu Eichstädt, die in alle Gegenden verschickt und in schweren Krankheiten statt Arzenei verbraucht wird; es soll, sagt der Verf., wirkliches Bergöl von grosser Durchsichtigkeit und sehr flüchtig sein; wer es bei sich trage, behaupten die Mönche, müsse sich im Stande der Gnaden befinden, damit es nicht sogleich verfliege.

Dass das Oel hier nicht aus der Reliquie, sondern aus dem Tragsteine derselben quillt, hatte die Kirche ursprünglich nicht verheimlicht. Schon Gregor von Nazianz sagt, nicht nur der Märtyrer Asche und Gebein, sondern auch andere den Reliquien nahegebrachte Dinge sind heilkräftig, und so auch das Oel, das aus den Heiligengebeinen "oder aus ihren Grabsteinen herausfliesst." Vom Grabe der hl. Katharina erzählt Reinfrit von Braunschweig (Grimm, Altd. Wälder 2, 185), wie ole von irme lîbe vlôz; und das Gedicht von Katharinens Marter (Pfeiffer, Germania 8, 179) fügt erklärend bei:

ûz dem sarksteine,

dâ inne lît diu reine,

vil heilic ol vlûzet,

des diu werlt vil genûzet.

der iht siecheite hat,

des wirt al ze hant rat,

als man ez dar an strîchet.

In Tirol kennt man kirchlich zwei solcher ölspendenden Steine; der eine lag ehmals in der alten Kirche zu Niedervintl und trug die Inschrift: Brunnen des Oels, 1500; der andere ist noch im Kirchlein St. Kosmas und Damian, bei Bozen. Aus einer Eintiefe an seiner Oberfläche quoll Heilöl und wurde von zahlreichen Pilgern begehrt, doch es vertrocknete für immer, als der Eigenthümer der Kapelle damit Wucher zu treiben begann. Zingerle, Tirol. Sag. no. 624. 625. Als zu Eichstädt 1309 die Gebeine des hl. Gundacar erhoben wurden, ergaben sowohl sie wie der Deckel des Steinsarges eine so reichliche Menge fliessenden Oeles, dass der damalige Bischof Philipp von Rathsamhausen hievon zwei Gefässe für die Kranken anfüllen liess. Sax, Eichstädt. Hochstift S. 101. Die von Rom nach Tegernsee gebrachten Gebeine des hl. Quirinus ergaben in dortiger Quirinuskapelle ein Heilöl, das in kleinen Fläschlein an die Gläubigen verkauft wurde. Heute steht diese "Oelkapelle" noch; einige Quellen olivengrünes Naphta entspringen unter ihrem Dache; man sammelt jährlich davon gegen 40 Mass. Steub, Bair. Hochland, 196.

Die im Reliquiencultus so unenthaltsam gewesne Kirche hat sich indessen auf solcherlei Steinöl allein nicht beschränken mögen. Schon zu Justinians Zeit fliesst Oel aus Heiligenknochen (Grimm, GDS. 140); von Orosius an meldet eine Reihe mittelalterlicher Schriftsteller, welche in Massmanns Kaiserchronik 3, 556 aufgeführt sind, zu Rom sei bei Christi Geburt ein Oelbrunnen entsprungen und habe sich in die Tiber ergossen. Zugleich fällt damals auch ein Honigregen. Sechzehn Heilige und achterlei heilige Jungfrauen zählt Matth. Rader, Bavaria sancta 3, 49 auf, aus deren Gebeinen nunmehr wunderthätiges Oel fliesst. Kaspar Lang, Histor. theolog. Grundriss 1692. 1, 84 und Abraham a Sta Clara (im Judas der Erzschelm 4, 42) setzen diese Zählung noch weiter fort. Mit dem Oel der hl. Helena einen Kristall zu beträufen, um damit den Dieb zu entdecken, räth Felix Hemmerlin (1454) in seiner Schrift de exorcismo. Gretser X, 907 nennt ferner die hl. Elisabeth in Thüringen, die Martyrknaben zu Novara und noch andere, deren Gebein, in Kirchenaltären ausgesetzt, Oel giebt, und Rader 3, 41 fügt bei, Gleiches stehe der Walburgis um so mehr zu, als sie eine im Dienste Gottes streitende Jungfrau gewesen sei und also in diesem täglichen Faustkampfe Oel habe schwitzen müssen:

Cur oleae stillat Walpurgis ab artubus humor?

In cavea Martis num pugil illa fuit?

Im Stil der Kirchenväter wird der mit dem Satan ringende Christ mit dem Athleten in der Arena verglichen, dessen Leib mit dem Oele des Gebetes gesalbt ist, damit der Feind ihn nicht fassen könne. So sagt Pseudo-Ambrosius (de sacram. I, 2): Venimus ad fontem—Unctus es quasi athleta Christi. Denselben Gedanken äussert auch Chrysostomus in seiner 6. Homilie über den Brief an die Coloss.—Nork, Realwörtb. 3, 301.

Von der Wunderwirkung des zu Eichstädt fliessenden Oeles sagen die Acta SS. 1. c. pg. 306, dass es Blinde, Taube und besonders häufig Lahme geheilt habe; Gretser fügt bei, X, 917, es fördere die Geburten, auch lutherische Frauen hätten in Kindesnöthen damit den Versuch gemacht und seien darüber wieder der alten Kirche beigetreten. Medibards Hymnen (bei Gretser 801, dritte Reihe) wissen, dass es besonders den Wolfshunger heilt:

Hinc quendam fastidiosum

Fame paene mortuum

Alloquens per visionem

Monet, ut de calice

Ejus biberet; quo facto

Esuriit solito.

Der Monheimer Knabe Beretgis, seit 3 Jahren an beiden Füssen lahm, wurde von seiner Mutter Ratila zum Walburgisgrabe in Monheim getragen und da auf ihr Gebet sogleich hergestellt; worauf sie ihn der Kirche, durch die er seine Körperkraft wieder erlangt hatte, zu lebenslänglicher Leibeigenschaft übergab. A. SS. ibid. pag. 304. Die mystische Kraft, welche dem Walburgisöl beigelegt wurde, erklärt sich Jac. 5, 14: Ist einer unter euch krank, so rufe er die Aeltesten der Gemeinde herbei, dieselben sollen über ihn beten, nachdem sie ihn mit Oel gesalbt im Namen des Herrn—und der Herr wird ihn aufrichten.

Da Walburgs Reliquien in vielerlei Kirchen zerstreut worden sind (per totum mundum, ad diversas Francorum provincias S. Walpurgis reliquiae dispersae sunt. A. SS. l.c. 306), so ist auch in vielen Provinzen das Wunderöl zu haben gewesen. Oel, Knochen, fünf Zähne und ein Gewandrest Walburgis wurden zu Wittenberg jährlich am Montag nach Misericordias ausgestellt, wobei ein Glas voll von demjenigen Oele mit hergezeigt wurde, das aus den Gebeinen der hl. Elisabeth, Landgräfin von Hessen, geflossen war. Das Glas ging an Luther über, der wie J. Mathesius erzählt, es einst seinen Joachimsthaler Gästen zu einem andächtigen Tischtrunk aufstellte. Karl der Kahle hatte in der Kaiserpfalz zu Attigny (Champagne) eine Walburgiskirche erbaut; noch im J. 1720 kamen daselbst die Geistlichen von mehr als vierzig Pfarreien am 1. Mai zusammen, um das Walburgisöl auszuspenden. Odo, Abt zu Clugny, (Burgund) kannte in seiner Nachbarschaft eine Walburgiskirche, in welcher die dortigen Partikeln etliche Tage des Jahres Oel schwitzten; die Heilige hiess dorten Sainte Vaubourg und Gualbourg. Gretser pg. 906. Bolland. 518b. 519a. A. SS. II, pg. 307. 308.

Von altkirchlichen Abbildungen Walburgis sind folgende zu nennen. Im Schiff der Heidenheimer Klosterkirche, die während der Reformation verwüstet wurde (more Lutheranae sectae, quae omnia sacra polluit, sagt Rader 3, 45) liegt gegen das Chor zu ein 2-1/2 F. hoher Grabstein, auf welchem Walburg in ganzer Figur ausgehauen ist, in der rechten Hand einen Stab haltend, auf dessen Wirbel ein kleines Kreuz sitzt, in der linken ein Buch, zu Füssen ein Wappenschild. Dieser säulengeschmückte Aufbau mit Perlenfries gehört den Werken der romanischen Periode an (Bavaria 3, 863). Auf einem gegenüber liegenden ähnlichen Grabstein ist Wunnibald ausgehauen; drunter steht die Inschrift: sepulcrum stae Walburgis 1484. Eine Abbildung davon erschien bei Brügel in Ansbach und im Jahresberichte des histor. Vereins für Mittelfranken 1843. Der hl. Wilibald mit seiner ganzen Verwandtschaft ist dargestellt auf einem Teppich, welcher ursprünglich in der Eichstädter Kirche aufbewahrt wurde und nun im Münchner Nationalmuseum ist.—Auf folgenden Stichen erscheint die Heilige als Abtissin mit dem Stab, das Oelfläschlein in der Hand haltend:

Fons olei Walpurg. a Jacobo Gretser, S.J. Ingolst. 1629.—P. Emil de Novara, capuccino. Breve ristretto della Sta. principessa Walpurga. Eichst. 1722.—Matth. Rader, Bavaria sancta. München 1704 (wiederholt das Grabmal).—P. Goudin, Unerschöpflicher Gnadenbrunnen der hl. Walburgis. Regensb. 1708.

Besondere Weihkirchen und Kapellen besitzt die hl. Walburg auf dem Gebiete der Baiern, Alemannen, Franken, Burgundionen, Niedersachsen und Friesen; soweit durch dieselben der hier zu behandelnde Stoff vervollständigt wird, wird von ihnen im Einzelnen ferner hier die Rede sein. Eben dieselbe Bemerkung hat auch von den an vielfachen Orten aufbewahrten und verehrten Walburgsreliquien zu gelten.

Auf dem bairischen Lechfelde liegt in der Gemeindeflur von Kaufering eine sehr alte Walburgskapelle, auf ihrem eignen Hügel stehend, von Linden beschattet, von einer Mauer eingefriedet. Der Eintritt führt drei Stufen abwärts, die Wand ist schwarz, das Innere finster. Im Anbau steht der Pestkarren, die Räder sind mit Filz beschlagen, um die zur Pestzeit gehäuften Leichen geräuschlos abzuführen. Walburg hat jener Pest gewehrt. Diese Kirche, sagt das Volk, sei heidnischen Ursprungs, man habe hier noch den Götzen geopfert. Schöppner, Bair. Sagb. no. 889.

Bairische Ortschaften, vom Namen Walburg ableitend, zählt das topographisch-statistische Handbuch des Königreichs (München 1868) folgende auf: Walbenhof, Einöde bei Neustadt a.d. Waldnab; Walbenreuth, Dorf bei Tirschenreuth; Dorf Walberngrün bei Stadtsteinach; Walbertsberg bei Kunreut; hier wird neben der Walburgskapelle unter den Linden ein Maimarkt abgehalten, zu welchem die Landleute bis auf zehn Stunden weit zusammen kommen. (Reynitzsch, Truhtensteine 187.) Walburgskirchen, Dorf bei Pfarrkirchen; Walburgsreut, Weiler bei der Stadt Hof; Walburgswinden, Einöde bei Neustadt a.d. Aisch; Walpenreuth, Dorf bei Berneck; Walpersberg, Dorf bei Bogen; Walpersdorf, ein Weiler bei Rosenheim, und zwei gleichnamige Dörfer bei Rottenburg und bei Schwabach; Walpershof, Dorf bei Eschenbach; Walpersreuth, Weiler bei Neustadt a.d.W.; Walperstetten, Dorf bei Dingolfing; Walperstorf, bei Landshut; Walpertshofen, Weiler bei Dachau; Walpertskirchen, Pfarrdorf bei Erding; Wölbersbach, Dorf bei der Stadt Hof; Wolpersreut, Dorf bei Kulmbach; Wolperstetten, Dorf bei Dillingen; Wolpertsau, Einöde bei Neuburg an der Donau. Diese Liste lässt sich jedoch noch um vieles vermehren, wenn man dabei die mundartlichen Formen des Namens Walburg mitverwerthet. Er lautet im Altmühlthale Bürgli, in altbairisch-oberpfälzischer Mundart Walberl (nicht zu verwechseln mit Waberl, Wawl, Wabm, was in Altbaiern und Mittelfranken Barbara ist), im tiroler Zillerthal Purgel u.s.w. Einer der Hauptberge am oberbaierischen Tegernsee wird 1420 in einem Lateingedichte des Peter v. Rosenheim als Walber foecundissimus begrüsst. Schneller Wörtb. 4, 61.

Das schwäbische Rittergeschlecht von Waldburg, einst Truchsessen, nunmehr würtembergische Standesherren, theilt sich in die Linien Hohenlohe-Wb., Waldburg-Zeil, Wb.-Wurzach, Wb.-Wolfegg. Ihr Stammschloss ist die beim gleichnamigen Pfarrdorf gelegne Veste Waldburg, südöstlich von Ravensburg. Vier Treppen hoch in dieser Burg liegt die Walburgiskapelle. Von den zu Köln bei den Jesuiten aufbewahrten Wb.-Reliquien hatten sich die Grafen Einiges erbeten, jedoch erfolglos. Bolland. 3, 518.

Im Elsass hat Walburg drei Kirchen: 1) diejenige bei Leimen mit der Wallfahrt zum Helgenbronn, von welcher weiter unten die Rede sein wird; 2) zu Knörsheim bei Maurmünster; 3) bei Biblisheim, unfern der Stadt Hagenau; sie wird im J. 1085 als Kloster genannt (Trithem. Chron. Hirsaug. 1, 280) und 1102 vom Schwabenherzog Friedrich I. zur Abtei erhoben. Neugart, Episc. Const. 2, 8.

Auf einer Halbinsel der Seine stand in der Normandie eine Walburgskapelle, diejenige Stelle bezeichnend, wo die Heilige auf ihrem Wege aus England nach Deutschland ausgeruht hat. Gretser, 906.

Der grössere Theil der ältesten Kirchen Niederdeutschlands ist derselben Heiligen geweiht, so zu Gröningen, Veurne, Utrecht, Antwerpen, Arnheim, Aldenaerde, Brügge, Zütphen, Harlem; von ihnen wird im Einzelnen später noch zu handeln sein.

Reliquienpartikeln von der hl. Walburgis lagen laut Falkenstein, Nordgau. Alterth. 1, 29 im vorigen Jahrhundert in folgenden Kirchen.

In Baiern zu Augsburg, zu Monheim und im Kloster Andechs. Ferner zu Mainz in der Gereonskirche zu Köln ein Finger, in der Jesuitenkirche daselbst die Hirnschale, welche dahin kam vom benachbarten Walpersberg, einem vormaligen Kloster. In Frankreich zu Attigny und Clugny. Die Acta fundationis monasterii Murensis (Kloster Muri im Aargau ist 1027 gegründet) nennen bei Herzählung der daselbst verwahrten Reliquien zu dreien malen Knochen und Asche vom Leib der hl. Walburg. Reliquienpartikeln des hl. Wilibald und Wunnibald und Richardis übersendete 1482 der Eichstädter Bischof Wilhelm von Reichenau an König Heinrich VII. von England, der sie in Canterbury verwahren liess. Ueber diese Reliquien und die der Walburg gewidmeten Kirchen hat der Jesuite Godefredus Henschenius in Actis SS. ausführlich berichtet.


FUSSNOTEN:

[1]

Die folgenden nennt Gretser, Vitae SS. tom. X.

25. Febr., Walburgis Todestag, wird begangen zu Eichstädt in der Kathedrale, und zu Antwerpen in der Basilica.—20. März: Gretser l.c. pag. 907.

1. Mai, Walburgis Translation von Heidenheim nach Eichstädt; gefeiert in der Eichstädt. Kathedrale und zu Antwerpen in der Basilica. Bollandisten, 25. Febr., tom. III, 513a. Das Martyrologium des schweiz. Klosters Rheinau stammt aus dem X. Jahrh. und setzt auf 1. Mai die Feier: Philippi et Jacobi et S. Waldp. uir(go). Marzohl-Schneller, Liturgia 4, 768.

4. Aug.: exitus Walburgis ex Anglia, gefeiert zu Eichstädt (Bollandisten ibid. 514b); zu Tornacum, Gandanum, Antwerpen und Aldenaerde: Bolland. 522; zu Veurne, in der flandr. Diöcese Ypern: Gretser X, 912.

12. Okt.: Antwerpner Basilica und Eichstädter Walb.kloster.


Zweiter Abschnitt.

Walburgis Hunde, Walburgis Aehren.


Unter den kirchlich sehr korrekt gehaltenen Abbildungen, mit denen die bairischen Hofmaler und Kupferstecher Sadler, Vater und Sohn, des Matthäus Rader Bavaria Sancta (1615) ausgeschmückt haben, ist Bd. 3 auch das Eichstädter Grabmal Walburgis dargestellt; wunderlich aber liegt da zwischen den Andächtigen neben den Stufen des Steinsarges ein grosser Hofhund, ruhig schlafend. Dass der Hund das Geleitsthier unsrer Jungfrau gewesen, ist kirchlich in Vergessenheit gerathen; die Acta SS. (saec. 3, tom. II, 291) und die Bollandisten, (tom. 3, 560a) wissen jedoch noch davon. Walburga nuncupor, spricht die Heilige, die Nachts an die Thüre des reichen Hofbauern kommend, von den scharfen Rüden angefallen wird; auf dieses Wort werden sie zahm; und darum, erzählt Bischof Philipp († 1320), habe man seiner Zeit Walburg gegen den Biss toller Hunde angerufen. Es lässt sich indess dieses Attributthier der Heiligen als anderen Ursprunges und aus einer viel früheren Zeit nachweisen. Die Vorgeschichte des Bisthums Eichstädt spielt nicht in dieser Stadt, sondern in einem Orte, welcher römisch Aureatum heisst und schon seit Aventins Zeiten, der 1519 diese Gegenden im historischen Interesse mit einem Empfehlungsbriefe seines bair. Herzogs bereiste, zwischen den beiden Dörfern Rothenfels und Nassenfels an der Neuburger Heerstrasse gesucht wird. Nach diesem Aureatum benannten sich die Eichstädter Bischöfe Aureatensis ecclesiae episcopi, und Walburg wird ebenso von Celtes im 2. Buche seiner Oden die Zierde der Aureatensischen Landschaft geheissen. An den beiden Umfangsmauern des Kirchhofs zu Nassenfels sind Votivsteine des Mars und der Victoria eingemauert und ein dritter der Fortuna geweihter ebendaselbst wurde 1866 in das Antiquarium nach München gebracht. Die dortigen Feldbreiten liegen voll röm. Geschirrtrümmer und Reste von Brennöfen, deutlich unterscheidet man noch den Lauf der Römerstrasse. Als nun der gelehrte Jesuite Gretser 1620 von der Universität Ingolstadt aus Nassenfels besuchte, fand er an dortiger Dorfkirche ein im Boden steckendes Standbild, das eine Frau vorstellte, zu deren Füssen, von Erde überschüttet, angeblich ein Hund liegen sollte. Gretser schloss auf ein Dianenbild. Solcherlei Steinbilder, eine Frau darstellend mit dem Hunde zu deren Füssen, sind seit dem J. 1647 bis auf die Neuzeit in niederrhein. Gegenden viele entdeckt worden und tragen dorten in ihren Inschriften den Namen der Nehalennia, eines zwar von Römerhänden gemeisselten, aber deutschen Götterbildes der Fruchtbarkeit. In Keyslers Antiquitat. Septentr. 236, und in Wolfs Beiträgen 1, 149 sind diese Bildwerke beschrieben. Aber derselbe typische Hund fehlt nun auch in der Krypta der Heidenheimer Kirche nicht, wo Walburgis frühestes Grab gewesen war. Panzer, bair. Sag. 1, S. 132 beschreibt diese Krypta als einen Bau, dessen Formen auf den frühesten romanischen Stil hinweisen. Eine in der Wand der Gruft angebrachte steinerne Console, die ehedem ein Steinbild getragen haben musste, zeigt einen Wappenhelm mit der Helmzier des Brackenhauptes, dessen herabhängende Ohren von zwei Jungfrauen mit den Händen berührt werden. Man sagt, hier seien die Abkömmlinge des Rittergeschlechtes Hund begraben.

Die benachbart sesshaften Grafen von Oettingen-Spielberg führen dasselbe Brackenhaupt im Wappen, schwarz und weiss quadrirt, also genau in Form und Farbe des Hohenzollerschen Helmkleinods: caput et collum molossi genannt in Speners Wappenwerk. Lepsius, Kl. Schrift. 3, 164. War hier nun wirklich die Erbgruft der adeligen Hund gewesen, so leitete bei der Wahl derselben jedenfalls die Verwandtschaft zwischen dem Wappenthiere jenes Geschlechtes und dem Gefolgsthiere Walburgis. Denn Heidengöttinnen und hl. Jungfrauen sehen wir stabil vom Hunde gefolgt. Aller Hunde erster ist Garmr, besagt die Edda von Odhinns Hund. Grauhunde begleiten die drei Nornen. Die Fruchtbarkeitsgöttinnen Frau Harke, Frau Gode und Frau Frick haben stets den Hund bei sich; die zu Weihnachten bescherend umziehende Frau Berchte heisst davon in Steiermark die Pudelmutter (Weinhold, Weihnachts-Sp. S. 11). Die 24 Töchter der Frû Gauden umbellen den Jagdwagen ihrer Mutter als eben so viele Hündinnen. Colshorn, Märch. u. Sag. no. 75. Das Hündchen der hl. drei Schwestern zu Schlehdorf war daselbst auf einem alten Altarbilde mitgemalt zu sehen, und die drei steinernen Jungfrauen zu Velburg erschienen gefolgt von einem Hunde, welcher gleich ihnen zu Stein geworden war. Panzer, Bair. Sag. 1, S. 25. 289. 290. Es ist daher kein Absprung, wenn die Sage das überirdische Hündchen auch der Jungfrau Maria zum Gesellschafter giebt; Belege hiefür: Schmitz Eiflersagen vom J. 1847, 43. Hocker, Moselsag. 168. Das hölzerne Altarbild Marias in der Kapelle Marienbrunn zu Baden-Baden steht gerade über der daselbst sprudelnden Quelle, neben demselben ist der Hund in Stein gehauen, der das Bild aus dem Brunnen gescharrt hat. Baader, Bad. Sag. 131. Aus diesem Grunde ist der Hund nicht bloss das Wahrzeichen der Burgen gewesen (so am Schlosse Hornberg: Schnezler, Bad. Sagb. 2, 591), sondern steht auch an Kirchen ausgehauen, wie an der Laurentiuskirche zu badisch Bretten und an der eben erwähnten Kapelle zu Marienbrunn; derselbe galt da von so alter Abkunft, dass man, z.B. von der Hundskapelle bei Innsbruck sagt, sie sei ein Heidentempel gewesen. Zingerle, Tirol. Sitt. no. 950.

Ueber die Farbe dieses Hündchens belehrt uns die Farbensymbolik; als das freundlich-wohlthätige Geleitsthier der schönen Weissen Frau ist es gleichfalls ein weisses, aber die Hunde der Sturmnacht sind schwarz, die des Gewitters feuerroth. So erklärt es sich in Mythe und Opfer. Der Rost, der während der Hitze der Hundstage das Getreide befällt, war dem Römer versinnlicht durch das Götterpaar des Robigus und der Robigo, die beide den Namen des Kornbrandes tragen und in der umbrisch-etruskischen Götterlehre Rupinie und Hunta hiessen. Ihnen war das Fest der Rubigalien geweiht, indem man in den Tagen vom Entstehen des Getreidekorns in seiner Hülse bis zu seinem Heraustreten aus der Fruchtscheide durch den Priester zu Rom am Hundsthore (Catularia porta) rothe Hündchen schlachten und verbrennen liess. Damit suchte man den Brand in Rebe und Kornähre abzuwehren, weil man den glühenden Hundsstern für die Ursache des Getreidebrandes hielt. Erklärend sagt daher Ovid. Fast. 4, 941:

Für den Hund des Gestirns wird Dieser geopfert am Altar,

Und erleidet den Tod wegen des Namens allein.

Aus ähnlichem Grunde musste in Deutschland der Frohnknecht alljährlich zur Zeit der Hundstage die überalten Hunde todtschlagen, zu Leipzig im April und August, in Norddeutschland zur Fasnacht. J.P. Schmidt, Fastelabendgebräuche. Rostock 1793, 150. 153. Waren diese für die Landwirthschaft gefährlichen Fristen vorüber, so vergötterte man das Thier als den Vermittler der Fruchtbarkeit (Cicero I de nat. Deor.), oder man streute ihm Brod und Mehl. Zu Niederösterreich wird am 28. Dec. (Kindleinstag) Mehl und Salz gemengt zur Dachfirst hinausgestellt; das wird das Wind- und Feuerfüttern genannt. Zerführt der Wind dies Opfer, so sind im nächsten Jahre keine schädlichen Stürme zu befürchten. Ein Weib in Munderkingen setzte schwarzes Mus zum Dache hinaus: "man müsse die Windhunde füttern." Birlinger, Schwäb. Sag. 1, 191 und no. 301. Das eben angeführte Beispiel zeigt, dass man dies den Winden gebrachte Spendopfer sprachlich missverstehend auf die Windhunde anwendete, da das Wort Wind in unsrer Sprache beides bezeichnet ventus und velter. War der erste Schnee gefallen, ehe Frost und Sturm die keimende Saat beschädigen konnten, so sagte unsre Vorzeit: gib den winden brôt, eȥ hat gesnîget. Grimm RA. 256. Hatte man den Hund (Sturmwind) des W. Jägers Hackelberg in ein Haus herein gelassen, so lag er da den Winter über an der Herdstelle und frass nichts als Asche; zum Ersatz aber war ein so mildherziges Haus im Frühjahr drauf mit Milch und Butter reichlich gesegnet. Haupt, Ztschr. 6, 117. Kuhn Nordd. Sag. no. 2. Dazu galten noch bestimmte Pflichtigkeiten der Lehensleute. Moscherosch im Phil. von Sittewald (Strassburg 1665) 2, 167 schreibt: Die Eylff Hunde (erhalten) jeder 4 Mietschen (französ. miche). Eine Offnung von 1469 verpflichtet die Lehensleute gegen den aufreitenden Vogt: vnd hät er zwen wind mit jm traben, denen söllent sy geben ain hûslaib. So bildet sich aus der Vorstellung vom Windhund der W. Jagd der Begriff des sogenannten Nahrungshundes, ein Name, der am Ober- und Mittelrhein für jeden geheimnissvollen Haussegen gilt. Hat man ausgedroschen, so erhalten die oberdeutschen Drescher zum Schlussmahl gekochte Mehlspätzlein, die man in Baiern Nackete Hündlein heisst; wer aber bei der Arbeit einen Tölpelstreich gemacht hat, bekommt eine Strohpuppe, die Hundsfud; beiderlei Namen sind Sinnbilder der Fruchtbarkeit. Gebackene Hündlein wirft man zur Abwehr der Feuersbrunst in die Flammen. Panzer, Bair. Sag. 2, 516. Von den die Saaten zerwühlenden Hunden des Windes sprang die Vorstellung über auf den Biss der wüthenden Hunde, hielt aber in beiden Fällen die Kornähre und das Brod noch immer als Bindemittel fest. Sieht man im Felde zum ersten Male Roggen blühen (dies fällt auf Walburgistag), so nimmt man drei blühende Aehren und streicht sie stillschweigend durch den Mund, dann wird man nie von tollen Hunden gebissen. Curtze, Waldeck. Volksüberlief. S. 402. Ein latein. Gebetbüchlein: Cultus divae Walburgae, Augsb. 1751, bringt S. 23 einen also beginnenden Hymnus:

Walburga venit: cedite

vesane grex, molossi!

Cedunt, pavent, obmutuit

os impotens latrandum.

Um Amberg sagt man zu den Kindern, die ausgehen: Nehmt Brod mit, dass euch kein Hund anbellt (Bavaria 2, 305); in Schwaben lautet dieselbe Formel: Ich will Brod mitnehmen, damit mich kein Hund beisst. Birlinger, Schwäb. Sag. 1, no. 706. So pflegten schon die phigalischen Arkadier nach dem Festessen die Hand an den Brodresten abzuwischen und diese beim Heimgehen einzustecken, damit ihnen auf dem nächsten Kreuzwege die Hekate mit ihren Hunden nichts anhaben konnte (Athenäus 4, 149 C.). Denn auch dieser Hekate fielen Hundeopfer, von denen sie Dea canicida, canivora genannt war.

Coleri Oeconomia, Mainz 1645, lib. XI, pg. 403. 410 schreibt vor: Um thörichter Hunde Biss an Menschen und Vieh zu kuriren, gieb meyische Butter auf ein Stück Brod gestrichen. Item, schneide einen Meywurm entzwei, mach ein Löchlein ins Brod, steck ihn hinein, kleib es oben mit Brod zu, schmiere Meyenbutter drüber, lass es aufessen. Dies ist ao. 1591 zweimal probiert worden an Hunden. Bisweilen werden die Kühe toll; reissen an den Strängen, zittern und beben, als ob einer mit der Axt vor ihnen stände und sie erschlagen wollte. Da gebe man ihnen eine Butterschnitte zu essen und lasse sie im Namen Gottes immerhin laufen. Die Mecklenburger Bauern, bemerkt Coler ebenda, lib. XII, 479, geben den Hunden geschabet Silber (Abschabsel einer Silbermünze) auf Butterbrod, so sollen sie nicht toll werden.—Die Fortdauer dieses Brauches in Süddeutschland besteht darin, dass man am 1. Mai das Festmahl der Ankenschnitten, sg. Ankebrüt bereitet, Schnitten mit Butter und Honig reichlich bestrichen, und auch dem Vieh beim ersten Austrieb davon verabreicht, damit es in keinen bösen Wind komme. Wir werden hievon im fünften Kapitel unter der Form der berittenen Ankenschnittenprozession von Beromünster noch einmal zu handeln haben. Unter den von Walburg gewirkten Mirakeln wird eines in Lateinversen von einem unbekannten Bruder Medinbard besungen; diese Rhythmen "ex pervetusto codice" stehen abgedruckt bei Gretser (tom. X, pg. 803) und erzählen von einem am Wolfshunger leidenden Mädchen, das an Walburgs Grab zu Monheim mittelst eines Bissens Brodes so geheilt wird, dass sie fortan keine andere Nahrung mehr geniesst als Käse und Milch.

Sualaveldico in pago

Fuit quaedam faemina,

Quae languore fortissimo

Aegrotare coeperat.

Namque tam intemperata

Edendi ingluvies

Incessit semisanatam,

Ut nulla edulii

Abundantia valeret

A suis saturari,

Exhaustis jam parentibus,

Sed fame accrescente

Anxiata hinc dolore

Hinc pudore maximo.

Tandem divinitus tale

Occurrit consilium.

Rogat suos se deferri

Ad Walpurgae gratiam.

Quo delata, biduanis

Incumbebat precibus,

Quibus exorata virgo

Gradiendi miserae,

Qua privata diu fuit,

Sospitatem reddidit.

Bona quaedam monialis,

Vocato preabytero,

Benedici panem fecit

Redditque famelicae.

Quo gustato nequam illa

Fames voracissima,

Virgine sacra favente,

Coepit se subtrahere,

Sic paulatim decrescendo,

Ut prius accreverat.

Sic crescente fastidio,

Pro mira esurie,

Tandem nil aliud cibi

Praeter solum caseum,

Nihil de potu gustare

Nisi tantum lac poterat.

Dieses Wunder des geheilten Wolfshungers und die Bändigung der Hundswuth gab Anlass, Walburgis Haupt-Emblem, das der Aehre, dahin misszuverstehen, als ob dasselbe sich nur auf diesen Einzelfall beziehe. So behauptet es die Schrift Christliche Kunstsymbolik, Frankf. 1839. Allein die den winterlichen Sturmwinden wehrende Maigöttin muss nothwendig auch die Korngöttin selbst sein und als solche ist sie kirchlich wirklich dargestellt worden. "Der Heiligen Leben, das Summerteil" (Augsb. 1482) bildet Bl. 51 Walburgis ab mit einem Büschel in der Hand, welcher Kornähren bezeichnet. Ebenso verzeichnet M. Hubers Hdb. d. Kupferstecher VII, 79, no. 5 die Abbildung Mariae als "Nostre Dame de trois épis", mit drei Aehren in der Hand einem Landmanne erscheinend. Die Bedeutung dieses Attributes liegt in folgenden Sätzen der Landwirthschaft ausgesprochen: "Korn wird gesäet auf Mariae Geburt und schosset vmb Waldpurgi" König, Schweiz. Haussbuch, Basel 1706, 142. "Wenn der Roggen vor Walburgis schosset und vor Pfingsten blüht, so wird er vor Jacobi nicht reif." Prätorius, Blockesberg S. 558. Betrachte man diese Erbsätze nun auch in den nachfolgenden Legenden. Maria bittet ihren über das sündige Menschengeschlecht erzürnten Sohn, nicht alle Feldfrucht zumal zerstören zu wollen, sondern doch noch so viel an den Aehren stehen zu lassen, als genug ist für Hund und Katze, d.h. für ein ganzes Hausgesinde. Der Heiland thuts, und seitdem wallfahrtet man zur Muttergotteskirche von Dreienähren, die beim elsäss. Stifte Katzenthal gelegen ist. Ebenso lässt Maria da, w sie sich die Stelle zu ihrer Wallfahrt im Pinzgauer Kirchthale erwählt, mitten aus dem Winterschnee drei Aehrenhalme hervorwachsen, welche nun ihr dortiges Altarbild in der Hand trägt. Kaltenbäck, Mariensag. no. 122. Den Halm einer Kornähre brachen und vereinigten die römischen Brautpaare und benannten nach demselben den Eheabschluss stipulatio. Träumt man von geschnittnem Korn, so bedeutet es, dass man die Liebste verlieren werde. Denselben Doppelsinn des ehelichen und des Ackersegens hat nun auch der Aehrenbüschel in Walburgis Hand. Wenn sie in der Walburgisnacht vom reitenden W. Jäger verfolgt wird, sie, der Frühlings-Genius der aufkeimenden Pflanzenwelt, von dem noch einmal losbrechenden Frostriesen verfolgt, so verbirgt sie sich in den innersten Fruchtkeim des jungen Saatfeldes. Denn, sagt der Volksglaube, man kann der W. Jagd nur entgehen, wenn man in ein Kornfeld flüchtet. So birgt nach dem färöischen Volksliede auch Wodan den Bauernsohn vor des Riesen Verfolgung ins Fruchtkorn:

Ein Kornfeld liess da Wodans Macht

Geschwind erwachsen in einer Nacht.

In des Ackers Mitte verbarg alsbald

Wodan den Knaben in Aehrengestalt.

Als Aehre ward er mitten ins Feld,

In die Aehren mitten als Korn gestellt:

"Nun steh hier ohne Furcht und Graus,

Wenn du mich rufst, führ ich dich nach Haus!"

Neun Nächte vor dem 1. Mai (erzählt Grohmann, Böhm. Sagb. 1, 44) ist die hl. Walburgis auf der Flucht, unaufhörlich verfolgt von wilden Geistern und von Dorf zu Dorf ein Versteck suchend. Man lässt ihr daher im Hause einen Fensterschalter offen, hinter dessen Fensterkreuz, sie vor den daher brausenden Feinden gesichert ist. Dafür legt sie ein kleines Goldstück auf das Gesimse und flieht weiter. Ein Bauer, der sie einst auf ihrer Flucht im Walde traf, beschreibt sie als eine Weisse Frau mit langwallendem Haare, eine Krone auf dem Haupte, ihre Schuhe sind feurig (golden), in den Händen trägt sie einen dreieckigen Spiegel (der alles Zukünftige zeigt) und eine Spindel (wie Berchta). Ein Trupp weisser Reiter (Schimmelreiter) strengte sich an, sie einzuholen. So sah sie auch ein anderer Bauer, welcher Regen fürchtend Nachts noch sein Getreide einführte (das mandelweise aufgeschobert noch draussen lag). Die Heilige bat ihn, sie in eine Garbe zu verstecken. Kaum hatte ihr der Bauer willfahrt, als die Reiter vorüber brausten. Des andern Morgens fand er in den heimgeführten Aehren statt Roggen Goldkörner. Daher wird die Heilige auch abgebildet mit einer Garbe. So sieht man ferner, erzählt Vernaleken, Alpensag. S. 75, zwischen den Orten Strass und Lind in Untersteiermark neben einem Tannenwalde zur Zeit des Vollmondes eine Gestalt gehen, die statt des Kopfes eine feurige (goldne) Garbe trägt. Diese Erscheinungsweise war in den kleinen Städten des bair. Frankenwaldes am Walburgistag Anlass zu einer gemeinsamen Volksbelustigung gewesen.

Plätze, Strassen und Häuser waren da mit Birkenreisern besteckt: Den Festumzug eröffnete der Walber, ein vom Scheitel bis zur Zehe in Stroh gewickelter Mann, dem die Aehren in Form einer Krone über dem Kopfe zusammengebunden waren. Alle Gewerksleute mit den Emblemen ihres Handwerkes begleiteten ihn, zu Spott und Trutz (gegen den hinter den Ofen treibenden Winter) ihre Hantierung ausübend. Heute gilt dorten nur noch der vor dem Wirthshause aufgepflanzte Walberbaum, den der zum Spassmacher herabgesunkene Stroh-Walber umtanzt: Bavaria III, 1, 357. In Niederösterreich sind besonders die Erntetage der hl. Walburg geweiht, sie durchgeht da alle Aecker, Matten und Gärten und trägt die schon vorhin erwähnte Spindel mit sich, die mit einem sehr feinen Faden vollgeweift ist. Nachdem sie auch hier auf ihrer Flucht vor dem Schimmelreiter vom erntenden Bauern in eine Garbe gebunden und auf den Wagen geladen ist, bekommt dieser des andern Tages statt Korn Gold auszudreschen. Vernaleken, Alpensag. S. 110. 371. Der den Lohjungfern und Moosfräulein nachsetzende Schimmelreiter, der sie quer über sein Ross legt und die sich Sträubenden in Stücke reisst, hat sich in der französischen Legende zweimal verkörpert und kirchlich lokalisirt. Um die Liebe Solangia's, einer Winzerstochter aus dem südfranzös. Dorfe Villemont, hatte der Oberherr der Provence vergebens geworben, er jagte ihr daher zu Pferde nach, holte sie ein, warf sie auf sein Ross und sprengte mit seiner Beute der Stadt zu. Als sie sich beim Uebersetzen eines Flüsschens herabschwang und entfloh, wurde sie, abermals ereilt und mit einem Schwerthiebe enthauptet. Nunmehr werden zweimal jährlich im Frühling ihre Reliquien prozessionsweise um die Fluren getragen in der Voraussetzung, dass sie Unwetter und Wind stillt und dem Flachs- und Reblande Gedeihen gibt. Godefrid. Henschenius, Acta SS. tom. II, ad diem 10. Maii. Ein gleiches Prozessionsfest begeht am 1. Mai das Pfarrdorf Mazorit in der Auvergne zu Ehren der hl. Jungfrau Florina. (Rom feierte vom 28. April bis 1. Mai das Floralienfest zur Erinnerung an die vergötterte sabinische Nymphe Flora, die einst im Frühling umherirrend sich dem Zephyr ergab und daher die Macht über die Blüthen der Bäume und Blumen bekam). Florina, ein Bauernmädchen aus dem Weiler Estourgoux, verbarg sich, um den ihr nachstellenden Buhlern zu entrinnen, in der Felseinöde des dortigen Cousathälchens, und als ein Versucher sie hier aufspürte, schwang sie sich von einem der Felsen auf den gegenüberstehenden des rechten Cousa-Ufers durch die Luft und liess in beiden ihre Fusstapfen zurück, die nun mit Kreuzen gekrönt sind. Unter grossem Zudrange des Volkes werden jährlich am 1. Mai die Gebeine der Heiligen aus der Kirche zu Mazorit bis zur Einsiedelei dieses Thälchens getragen, und mag der Himmel an diesem Tage noch so regendrohend aussehen, so hat noch stets ein günstiger Wind das Gewölk vertrieben, sobald jener Umgang von Mazorit heran zu rücken pflegt. A. SS. Henschenii tom. I, ad diem 1. Maii, de S. Florina, Virg. et Mart.

Die in der Walburgisnacht auf den Wiesen tanzenden und auf den Blocksberg fahrenden Hexen sind arge Trübungen einer ursprünglich edleren Vorstellung von gütig gesinnten und für den Erntewachsthum bemüht gewesenen Geistern. Sie alle theilen, bei näherer Untersuchung, emsig das Geschäft ihrer Herrin Walburgis. In einer siebenbürgner Sage bei Müller, S. 382, stösst ein Bauer, der seinen Sack Mehl aus der Mühle heimträgt, auf einen Trupp Truden, die auf dem Erlenanger tanzen. Er grüsst sie:

Gott vermîr ich iren danz,

Gott vermîr ich iren kranz!

Freundlich antworten sie: Gott segne euch den Sack, dass er nie des Mehles ledig wird!

Der Volksglaube sagt zwar, die Trud nehme die unholden Gestalten an von Kehrwisch, Flederwisch und Besenreis (Schönwerth, Oberpfalz 1, 209); allein damit verbürgt er nur, dass man der Frühlingsgöttin nach überstandenem Winter Besen, Kehrwisch und Ofengabel als abgebraucht beim Freudenfeuer verbrannte und noch verbrennt. Auf der Stelle, wo die Nachtmahr ausruht, heisst es ferner, da wächst im Korn schwarzer Raden, am Baume der Maerentakken (Mistel) und der Hopfen wird brandig (Wolf, Ndl. Sag. S. 689). Aber gerade damit wird nur in abergläubischer Verdüsterung wiederholt, was sonst von dem segensreichen Charakter des Alb und der Elbin gilt, dass sie unter verschiedenen Namen als Mittagsgespenst (Meridiana), Roggenmuhme, Tremsemutter, Alte, Kornbaby, Kornkind und Kornengel, Preinscheuche im wogenden Kornfelde umgehen, geisterhaft auf der Spitze der Aehren ausruhen, oder in Liebe des Schutzgeistes reinen Jünglingen und Jungfrauen sich zugesellen. Nur etwas braucht man von ihnen zu haben, um sie festzuhalten; der im Bette Erwachende findet dann statt des von ihm ergriffnen Strohhalms oder Federflaums eine schöne, bis auf den Schleier splitternackte Jungfrau bei sich im Schlafgemache. Spricht der Aberglaube vom Trudenfuss, Flederwisch und Federkiel der Mahr, von der Schmetterlingsgestalt des Toggeli, nennt man in Augsburger Mundart den Schmetterling Kohlweissling Milchtrut, anderwärts Molkendieb (Weinhold, Schles. Wörtb. 62): so wird damit einbekannt, dass statt des Gespenstes einst eine Valküre galt, die in Schwanenhemd und Vogelgewand allüberall ihren Schützling umflog, wesshalb noch der Fünfort, Alpfuss oder Trudenfuss, ndl. marevoet, an die Stubenthüren gekreidet wird, zwei in umgekehrter Richtung der Winkel stehende Dreiecke. So tummelt das Nachtschrättelein die Stallrosse und zöpft ihnen Schweif und Mähne, dass sie schwitzen; denn es ist gleichfalls nur die lächerliche Verschrumpfung jener himmlischen Valküre, die auf den Thaurossen des Morgens heranritt, Helden Hilfe bringend und dem Felde die Frucht. Solcher Abkunft dunkel noch eingedenk, schreibt der Volksglaube vor, gegen den Besuch der Nachtmahr zwei Sicheln gekreuzt vors Bette zu legen.

Die Rechtsformel Drei Halme bedeutete drei Jahre und drei Jahresernten; das Sinnbild dreier Aehren ebenso das Obereigenthum und Erbgut. Die zu Lucca Erblehen vom dortigen Waisenhause hatten, mussten dahin am 1. Mai einen reichlich geschmückten Maibaum überbringen und verloren ihr Lehen, wenn daran die drei vorgeschriebnen Kornähren mangelten: Grimm, RA. 128. 205. 361. Der oberpfälzer Bilmesschnitter pflückt drei Aehren vom fremden Acker, damit fliegt ihm dessen Ernte in seine eigne Scheune. Schönwerth 1, 432.

Hier zum Schlusse dieses Abschnittes ein Kirchenwunder von Walburgis Eulogienbroden.

Eulogia nannte man beim Gottesdienste der ersten Christengemeinden jede zur Kirche mitgebrachte Brod- und Weinration, die man hier priesterlich einsegnete und zum Schlusse mit allen Anwesenden gemeinsam verzehrte. Es war ein Liebesmahl zu dem Zwecke, die Ungleichheit vor dem weltlichen Gesetze und den Unterschied von Arm und Reich mindestens bei den religiösen Zusammenkünften aufzuheben und zu bekennen, dass Alle vor ihrem gemeinsamen Gotte gleich seien. Ein ähnlicher Brauch war nun auch dem deutschen Heidenthum geläufig gewesen und dauerte noch lange fort in dem Bruderschaftswesen der Geldonien, deren angelsächsischer Name Friedensbürgschaft hiess. In ihnen stand Einer für Alle; Gott, auf dessen Namen jede Geldonie beschworen war, sollte Alle bei ihrem Rechte bewahren. Eine natürliche Folge hievon war die Pflege und Versorgung derjenigen Vereinsmitglieder, die unverschuldet in Dürftigkeit geriethen. Die reichlichen Brod- und Fleischvertheilungen, die mit den Germanenopfern nachweisbar verbunden waren, verbürgen dies, und ausserdem war es eine Sache der Nothwendigkeit, für die Mahlzeit derjenigen reichlich zu sorgen, welche in unwirthlichen, gering bevölkerten Landstrichen und unter der Ungunst der Witterung weite Märsche auf sich nehmen mussten, um sich bei den allgemeinen Versammlungen rechtzeitig einfinden zu können. Das Christenthum vermochte daher diese religiösen Mahlzeiten der Germanen nicht abzuschaffen, sondern suchte sie dem kirchlichen Cultus nur anzupassen: "Es ist durchaus nothwendig," schreibt Pabst Gregor d. Gr. an die angelsächsischen Bischöfe (Beda Ven., hist. Angl. lib. 1, c. 30), "dass man diese Feier der Heiden bestehen lässt, nur muss man ihr einen andern Grund unterschieben, sie auf die Kirchweihen verlegen, den Festplatz mit grünen Maien umstecken, Thiere schlachten und ein kirchliches Gastmahl veranstalten. Doch soll man nicht ferner zu Ehren des Satans Thieropfer bringen, sondern das Geschlachtete zum Lobe Gottes und um der Sättigung willen geniessen." An die Stelle solcher Gesammtmahlzeiten trat später vorzugsweise das blosse Brod, so wie es heute noch in den Kirchen der romanischen Länder an den Gedächtniss- und Festtagen unter dem Namen Eulogienbrod (deutsch Oblei, franz. pain béni) überreichlich an Jedermann ausgetheilt wird. Bevor diese Reduction allgemein durchgesetzt war, gab die Kirche ihren Bedürftigen jeglicherlei Gattung von Speise. So wurde in der Monheimer Kirche unmittelbar nach dem daselbst erfolgten Begräbnisse Walburgis Fleisch, Brod, Käse, Fische, und Bier unter die Wallfahrer als Eulogie ausgetheilt (A. SS. saec. 3. II, pg. 302), und ebenso wurden von den Letzteren Esswaare und Getränk jeder Art in die dortige Kirche getragen, um daselbst theils aufgeopfert, theils zum eignen Genusse in Gesellschaft der Andächtigen gebraucht zu werden. Rinder, Schweine, Brodsäcke und Trinkgeschirre werden genannt, die den Wallfahrern hier entwendet, dann aber unter der Patronin Beistand wunderbar wieder aufgefunden wurden. Der Nachdruck der hievon handelnden Erzählungen verbleibt jedoch immer auf dem geweihten Brode. Hierüber hat der unbekannte Bruder Medinbard verschiedene Lieder gesungen, von denen ein kürzeres hier nachfolgt. Die Begebenheit ist diese. Ein blindgebornes Mädchen zu Kempten hört Nachts im Traume sagen: Willst du den Wucher der Himmelswolke einmal erblicken und die grüne Breite der Gefilde, so back weisse Spendbrode und trage sie zum Walburgisgrab in Monheim. Das Mädchen thats, überbrachte dahin die Brode und liess sie auf den Altar legen. Da erschienen zwei Klosterhühner am Altare, "duae gallinae, id est Sanctimoniales geminae", welche sie bereits in ihrem Traume erblickt hatte, frassen die Brode weg, untersuchten den Grund des Erscheinens der Blinden somit angelegentlich und das Mädchen war darüber sehend geworden (ibid. pag. 300). Verwunderlich bleiben hier diese auf dem Altar weidenden Hühner. Sie lassen nicht auf die gewöhnlichen Zinshühner schliessen, von denen in der lex Alam. 22 gesagt ist, dass die Leibeignen regelmässig fünfe der Kirche zu entrichten haben (Grimm RA. 374), denn deren Weideplatz ist nicht der Altar; es müssen vielmehr heilige gewesen sein, und als solche galten einst die weissen (Troll, Gesch. von Winterthur 7, 183) und gelten noch die schwarzen. Letztere werden noch für heilsame Thiere gehalten (Schönwerth, Oberpf. Saga 1, 346), der Gefahr entgangen sein und ein schwarzes Huhn kirchlich geopfert haben ist altbairisch synonym. Schmeller Wtb. 2, 199. Im Uebrigen ist das Huhn, sowie das Ei, allgemeines Symbol der Fruchtbarkeit, besonders der ehelichen. Des Morgens nach der Brautnacht wurde dem Ehepaar das gebratene Bräutel- und Minnehuhn vors Bette gebracht. RA. 441.

Puella quaedam ab ipsis

Heu caeca cunabulis,

Audita opinione

Virginis eximiae,

Desiderio flagravit

Veniendi maximo.

Quam quidam in visione

Nocturna submonuit,

Oratorium adiret

Tanti desiderii,

Oblatas mundas offerret,

Altari imponeret.

Quas illatas statim binae

Gallinae comederent;

Quibus pastae deservirent

Matris excubiis.

Venit, attulit, imponit,

Preces fudit intimas.

Astant duae moniales

Gallinae videlicet,

Praevisae in visione,

Quae oblatas colligunt,

Et requirunt diligenter

Quae, unde, cur venerit.

Quibus illa dum exponit

Singula veraciter,

Domino propitiante

Et beata Virgine,

Incognitum lumen coeli

Novis hausit oculis.


Dritter Abschnitt.

Walburgistag, des Meien hochgezît.

Der meie der ist rîche,

er füeret sicherlîche

den walt an sîner hende,

der ist nu niuwes loubes vol:

der winter hat ein ende.

Neidhart von Reuenthal (1234).


Sommer und Winter waren einstmals unter die Zahl der göttlichen Wesen unsrer Vorzeit gerechnet gewesen; die Volkssitte im Verein mit unsrer älteren Sprachweise lässt hierüber keinen Zweifel übrig. Die Edda nennt den Sumar den Sohn des selig freundlichen Mannes Svâsudhr; der Winter dagegen (Vetr) hat den Vindlôni und Vindsvalr zum Vater, den Windkühl und Windschweller, der selbst wieder vom feuchten und nassen Vâsadhr abstammt. Koberstein, Weimar. Jahrb. 5. Sommer und Winter messen sich in einem Zweikampfe, und dessen scenische Aufführungen waren ein Brauch, welcher sich von Schweden und Gothland an bis nach Südbaiern und der Schweiz erstreckt hat. Der Mai wird aus dem Walde in den Heimatsort herein abgeholt; dies geschieht jedoch nicht ohne heftigen Widerspruch des Winters, der es erst auf einen förmlichen Kampf ankommen lässt. Deshalb muss der knabenhafte Mai bewaffnet und unter kriegerischem Lärm die Landschaft betreten. Er entbietet ein grosses Turnier und kommt gewappnet auf den Plan:

sein panzer was ein grüenes graȥ,

sein koller darauf ein weisser klee,

sein halsperg was veyolvar,

sein bugler wag von rosenbluet.

er füert in seiner hende

ein sper, was michel lanc

vnd was eitel vögelingesang.

A. Keller, Altd. Erzählungen, pg. 85. Dieser Aufzug des in Laub gekleideten, zu Rosse einziehenden Maikönigs geschah auf Walburgis oder 1. Mai und hiess: den Sommer in das Land reiten.[Nachtrag 1] In Dänemark war er der Maigraf genannt, der sich aus den Jungfrauen des Ortes seine Maigräfin, die Majinde, erwählte, indem er seinen Blumenkranz von der Schulter ihr zuwarf; in Thüringen war es der in Pappellaub eingebundne Graskönig, der im Dorfe vom Rosse stieg, sein Laubgewand aufschnitt und dessen befruchtende Zweige auf die Saatfelder steckte. Oder es kam da, wo Pfingsten den Anfang des Lenzes bezeichnet, der Pfingstkönig auf die Brautwerbung geritten und führte die im Busche versteckt, gehaltene Prinzessin im Triumphe heim; sie heisst in Flandern Pfingstblume, Pinxterbloem, in England the queen of the May, in der Provence Rosenmädchen, Mayo, zu Thann im Elsass Maienröslein. An diesem letzteren Orte trägt am Walburgistage ein Kind einen bändergeschmückten Maien um, ein anderes mit einem Korbe nimmt die Gaben in Empfang, und das Gefolge singt vor den Häusern:

Maienröslein, kehr dich dreimal 'rum,

Lass dich beschauen 'rum und 'num.

Maienröslein, komm in grünen Wald hinein,

Wir wollen alle lustig sein;

So fahren wir vom Maien in die Rosen.

Im Verlaufe des Liedchens wird den Leuten, die nicht Eier, Brod, Wein, Oel spenden wollen, angewünscht, dass der Marder die Hühner nehme, der Stock keine Trauben, der Baum keine Nüsse, der Acker keine Frucht mehr trage; denn das Erträgniss des Jahres hängt von dem kleinen Frühlingsopfer ab. Stöber, Elsäss. Volksb. 1842, 56. Fällt der Nachdruck der scenischen Festaufführung auf das Vertreiben des Winters, so nennt man dasselbe den Tod austragen, oder wie im böhmischen Saazer Kreise, mit dem Bändertod herumgehen, weil der Zug der Knaben Hut und Brust mit Bändern geschmückt hat. Dabei trägt der König einen mit Goldpapier beklebten Rockenstiel als Scepter, zwischen zwei Brauthütern folgt ihm sein Töchterlein. Letztere melden, dass der Tod um die Königstochter werben lasse. Hierauf erscheint dieser selbst, statt der Waffe ein Bündel Lichtspäne (Schleissen) in der Hand tragend, und wird vom erzürnten Vater niedergestochen. In Südschweden rückten am 1. Mai zwei Reiterschaaren von verschiednen Seiten in die Städte, die eine angeführt vom Winter, der in Pelze gehüllt, mit Handspiessen bewaffnet, Schneeballen und Eisschollen auswarf, die andere vom Blumengrafen, der mit Laub und Erstlingsblumen bekleidet war; sie hielten ein Speerstechen, worin der Sommer den Winter überwand und durch Ausspruch des umstehenden Volkes für den Sieger erklärt wurde. War die Witterung des Tages recht rauh, so legte der Winter den Spiess ab, streute glühende Asche aus einem Eimer und liess von seiner Rotte Feuerkugeln unter die Zuschauer werfen. War Sonnenschein, so nahm dies der Blumengraf auf seine Ehre und rückte mit frischen Birken- und Lindenzweigen hervor, die man lange zuvor in den warmen Stuben mit Mühe zum Grünen gebracht hatte. Ein Gastmahl und Trinkgelage, glänzender als es durch Speerkämpfe errungen wird, schloss das Turnier. So die Beschreibung bei Olaus Magnus, Bischof von Upsala, Schwed. Chronik (verdeutscht 1560) 15 Buch, Kap. 4. Geschichtlich denkwürdig (schreibt Uhland, Pfeiffer's Germania 5, 276. 279) ist ein westfälischer Mairitt, welchen die Bürger von Soest im J. 1446 während ihrer Fehde gegen den Bischof von Köln ausführten. Auf Walburgistag, "da man nach alter Sitte in den Maien zu reiten pflegte", wollten die Soester dies nicht unterlassen; wiewohl sie sich vor ihren Feinden zu wahren hatten. Sie zogen mit grosser Kriegsmacht aus der Stadt in den Arnsberger Wald, wo sie ihre Schaaren ordneten, fielen dann mit Raub und Brand in die Grafschaft Arnsberg, zerstörten Dörfer und Vesten, führten Heerden, Güterwagen, selbst aufgefangene Frauen, die jedoch vor der Stadt wieder frei gelassen wurden, mit hinweg und kamen, nachdem sie der verfolgenden Feinde sich erwehrt, mit Frieden und Freude "unter dem grünen Maien" nach Hause. Wie hier der grüne Mai, unter welchem das Kriegsheer einreitet, im Arnsberger Walde gehauen wird, so rücken am Frühlingsfeste die Knabenschaften an zahlreichen Orten Oberdeutschlands in ihre Gemeindewälder bewaffnet aus und hauen sich zum Feste die Ruthen und Stäbe, wornach dorten das Maifest der Stabtag oder Ruthenzug heisst. Diese Kadettenzüge sind beschrieben im Alemann. Kinderlied und Kinderspiel, pg. 490. Häufig knüpft sich eine Ortssage daran von einem zu derselben Zeit einst gegen den Feind erfochtenen Siege, wornach der mit Uebermacht eingedrungene Gewalts- und Zwingherr erschlagen und ihm die schon erbeutete Rinderheerde wieder abgejagt worden, oder wornach seine Zwingburg listig erstiegen, er sammt seiner Mannschaft niedergemacht und so Landschaft und Ort in einem Wurfe befreit worden sein sollen. Hievon wird im Abschnitte Maiengeding noch besonders die Rede sein. Der Brauch des Mailehen-Ausrufens ist bis auf die Gegenwart in der Eifel, Rheinpfalz und Hessen ein Innungsrecht der örtlichen Knabenschaften gewesen. Um Kirchheimbolanden, Stetten u.s.w. in der Pfalz werden in der ersten Mainacht, die heiratsfähigen Mädchen in öffentlicher Versammlung zur "Versteigerung" einzeln ausgerufen und dem Höchstbietenden zugeschlagen. Der Erlös ist kein unbedeutender (Bavaria IV. 2, 364). Ebenso werden sie in der Gegend der Ahr zum "Mailehen" ausgeboten und den Käufern einzeln zugetheilt. Die für beide Theile daraus entspringende Verpflichtung ist gegenseitige Zucht; eigene Hüter "Schützen" sind beauftragt, Uebertretungen beim Sittengerichte der Knabenschaft zur Anzeige und Bestrafung zu bringen, ein Sittengesetz, das ehmals im ganzen Eifellande üblich gewesen war (Schmitz, Eifl. Sag. 1, 32). In der Hessischen Lahn- und Schwalmgegend werden die Mädchen unter Peitschenknall, Freudenfeuern und Pistolenschüssen gleichfalls ins Mailehen gegeben und in der Walburgisnacht einzeln ausgerufen. Lynker, Hess. Sag. no. 317[2].

Den Brauch, die Jungfrauen ins Mailehen zu geben und die Wittwen mit zum Brautkauf auszurufen, kann man nunmehr aus dem Leben der hl. Bilihildis nachweisen, über deren Zeitalter freilich sich nur das mit Bestimmtheit sagen lässt, dass ihr Name in den Martyrologien des 10. Jahrhunderts genannt wird. Rettberg, Kirchengesch. 2, 303. Sie war als Heidenmädchen einer Adelsfamilie aus Veitshochheim in die Klosterschule nach Würzburg gethan worden und sah hier das berühmte Maispiel mit an, das die gleichfalls noch heidnischen Mainfranken alljährlich zu begehen pflegten. Dasselbe findet sich beschrieben in der von Herbelo metrisch verfassten Vita S. Bilihildis (Ignaz Gropp, Collectio Scriptor. Wirceburg. 1741, 791). Statt dieses breiten unbeholfenen Berichtes, der ohnedies wie ein Polizeibericht des vorigen Jahrhunderts über unsre Volkssitten lautet, folgt hier bloss ein sachgetreuer Auszug. Nach altem Herkommen, das wie eine religiöse Satzung galt, hielt das Frauengeschlecht der Mainfranken alljährlich im Frühling zu Ehren der Venus und der Vesta ein Spiel ab, wobei ohne Mann und nackt getanzt wurde. Sämmtliche Wittwen unter fünfzig Jahren und alle mannbaren Mädchen traten mit auf, nackt, in bunten Farben schimmernd, Blumen- und Laubgewinde in den Händen tragend. Während eine Schaar den Reihen führte, ergötzte sich die andere am Anblick der Gespielinnen und fühlte sich zu frischem Beginne angespornt. Das Männervolk machte dabei den Zuschauer. Den Vornehmen ergötzte die vornehme Haltung, den Bauern die ländliche oder volksthümliche. Ein Jeder erlas sich unter ihnen die künftige Gattin, und wenn auch noch nicht vertraut mit ihrem Gemüthe, traf er hier nach ihrer Wohlgestalt bereits im voraus seine Wahl. Alle bei diesem Feste geschlossnen Eheverträge hatten das Jahr über ihre Geltung bis zum Herbstfeste, das man unter abermaligem Tanze in einer Scheune begieng. Indem so der Mann sich eine Frau erwählte, die er noch nicht näher als vom blossen Anblick kennen gelernt hatte, beobachtete er ein heidnisches Herkommen, für dessen Gesetzgeber und "König" er sich selber hielt. Jedoch keineswegs mit dem gleichen Erfolg konnten diese Mädchen sich den Titel der "Königin" beilegen, wenn eben diejenigen Männer, welche hier beim Tanze mit der Brautfackel der Venus gefangen worden waren, über dieses Spiel als über einen blossen Scherz nachher tausendmal gelacht haben. Ganz anders that daher die selige Bilihildis, die nicht spielend, sondern allein kirchlich die Verlobte eines Mannes werden wollte: unter Thränen bewog sie ihren Vater, beim König Chlodwig Anzeige zu machen von diesem sittenwidrigen Frauentanze, worauf alsdann der Regent durch ein Edikt dem deutschen Venusspiel ein Ende machte. So weit Herbelo's Nachricht.

Der Ehemann, welcher, hier König genannt wird, ist im heutigen Frühlingsspiele der Maigraf oder Lauchkönig, die von ihm erwählte Braut die Maikönigin oder Prinzessin. Die Jungfrauen und Wittwen versammeln sich zum vorbestimmten Festtanze, um unter die zuschauenden Männer ins Mailehen vertheilt zu werden. Sie sind bemalt und bekränzt, tragen Laubguirlanden, Abends Fackeln: lauter Einzelzüge unsrer heutigen Frühlingsbräuche. Damit erledigt sich auch die von Herbelo wiederholt genannte nuda cohors muliebris in ludo nudo ludens; denn diese besteht keineswegs aus nackten, sondern aus entblössten Tänzerinnen, d.i. aus solchen, die als Botinnen des Frühlings Frauenmantel und Haube abgelegt haben, hochgeschürzt, blossarmig und baarhäuptig in den Reihen treten, ums fliegende Haar den Kranz aus Walburgiskraut geflochten (Osmunda lunaria und Botrychium lun.). Ist hier von der Mönchsphantasie ein züchtiger Frühlingstanz schon zum nackten Ball gemacht, gegen den der angebliche Frankenkönig Chlodwig einschreiten muss, so haben auch die Orgien der nackten Weiber am Blocksberge keine andere Entstehungsquelle, als eben dieses grausame Missverständniss von Seite des Klerus.

Doch wir kehren zurück zu den ferneren Volksbräuchen der Walburgisfeier. In derselben Mainacht werden glattgeschälte, schmuckbehangene Bäumchen auf die Dorfbrunnen und der Liebsten vors Fenster gesteckt, damit jene das Jahr über klar fliessen, und diese eben so lange wieder frisch und schön bleibt. Man wählt dazu besonders die Zweige der Eberesche mit ihren rothen Beeren, davon heisst sie selber der Wolbermay (Prätorius, Blockesberg, 460). Die Reime, die man an den Baum hängt oder vor dem Kammerfenster des Mädchens hersagt, ergehen sich in den gleichen Sinnbildern:

Grüss dich Gott durch eine Hand voll Seiden,

Alle frischen Herzen will ich deiner wegen meiden.

Grüss dich Gott durch einen Seidenfaden,

Gott bewahre dich im finstern Gaden.


I lôss sie grüessen durh e höchi Tanne,

die Zît isch cho zum Wîben—und zum Manne,

I lôss sie grüessen durh es Hämpfeli Thau:

i wött, mî Holdi wär mî Frau.

Rosmeri und Zypresse,

ass i de nit vergesse;

Rosmeri und Nägeli drî,

g'hörsch, i möcht gern bî der sî!

bî der sî, wie's Rösli hockt

am-ene einige Stengel:

Der Herr ist schön, sî Frau ist schön

und s' Chind ist wie ne Engel.

Aber dieser Maibaum wird nur der Getreuen gesetzt, "ein dürrer Walberbaum" kommt zur schmerzlichen und entehrenden Ueberraschung vor das Fenster der Verführten (Bavaria II, 269), oder ein Strohpopanz, Namens Walburg, wird der Faulen aufgesteckt, die zu dieser Zeit ihr Land noch nicht umgegraben hat. Kuhn, Nordd. Sag. S. 376. Inzwischen erforscht zur selbigen Nacht das Mädchen ihre Zukunft aus mehrfachen von Walburg selbst herrührenden Liebesorakeln. Die Heilige trägt eine aufgeweifte Spindel. Auf diese bezieht sich der österreichische Brauch des Fadenziehens, welchen Vernaleken, Alpensag. no. 92. 93 meldet. Die Mädchen, welche Lust haben, ihres Zukünftigen Beschaffenheit vorauszuwissen, setzen sich Mitternachts in einen Kreis und nehmen einen feinen Gespinnstfaden ihrer eignen Arbeit, der jedoch drei Tage vorher hinter einem Mariabilde gehangen hat. Während er im Kreise herum durch die Finger läuft, spricht man stille und mit geschlossnen Augen:

Voaten, i ziech di,

Walpurga, i bid di,

zag von main Man

alle Seiten an.

Wie dabei der Faden sich anfühlt, weich und glatt, hart und fest, so werden des einstigen Mannes Eigenschaften sein. Das oberpfälzer Bauernmädchen schleudert ungesehen ihren Schuh über den Peuntbaum und horcht, aus welcher Gegend her wiederholtes Hundegebell herüberschallt; eben daher wird einst der Werber zu ihr kommen. Ihr Spruch lautet:

Hunderl, ball, ball,

ball über neunmal,

ball über's Land,

wau mein feins Liab wahnd.

Schönwerth, Oberpf. Sag. 1, 139. So verhilft hier der Hund, Walburgs Geleitsthier, und dorten Walburgs Flachsfaden zum Gelingen des Liebeszaubers.

Das vorhin geschilderte Mailehen, die Vertheilung der mannbaren Mädchen an die jungen Ortsburschen, fand bei den Moselfranken nicht am 1. Mai, sondern am ersten Sonntag in Fastnachten statt und hiess daselbst der Valentinstag; es wurde 1799 polizeilich verboten (Hocker, Moselthal 24). Eine Waldhöhle bei Ebersberg in Oberbaiern mit einer dabei stehenden Linde hatte dem umwohnenden Volke zum Versammlungsorte gedient, um hier den Teufel (Valant) heidnisch zu verehren. Ein heiliger Mann, Konrad von Heuwa, zerstörte beide von Grund aus und liess an der Stelle ein Valentinskirchlein erbauen. Schöppner, B. Sagb. no. 70. Dies führt uns auf den am 14. Febr. in England gefeierten Valentinstag, das eigentl. Fest, der Jugend und der Liebe hier, wie im nördlichen Frankreich, in Belgien und den Niederlanden. Es ist ein vorausbegangner, vordatierter Maitag oder Walburgistag. Eine alte Stadtsage Londons erklärt, dass sich am 14. Febr. die Vögel zu paaren beginnen, und ein gleichfalls alter Sprachgebrauch nennt darum das Männchen Valentin, das Weibchen Valentinne, sprich Wallen-tein. Dies trifft genau zusammen mit dem von Russwurm veröffentlichten Holzkalender der Inselschweden, in welchem der 1. Mai mit folgender Kalenderrune verzeichnet steht: ein nach oben gekehrter Halbring, in dessen Mitte ein kleinerer liegt, ist das Sinnbild des Eies im Neste der zu dieser Zeit wieder brütenden Vögel. Alles überschickt sich in England an diesem Tage kleine Geschenke und anonyme Liebeserklärungen. Es liegt uns ein Bericht des Londoner Postamtes vom Valentinstag 1857 vor. Um 9 Uhr Morgens wurden 150,000 Briefe aufgegeben; um 10 Uhr 25,000; um 11 Uhr 175,000; Mittag 12,000—bis zum Abend noch einmal weitere 60,000, so dass an diesem Tage (ausser den vielen bezüglichen Inseraten der 145,000 Zeitungsnummern) 422,000 Briefe ausgetragen wurden, d.h. zwei- bis dreimalhunderttausend mehr, als an allen übrigen Tagen des Jahres. Dafür zum Entgelt erhalten dieses Tages die Briefträger eine besondere Mahlzeit, bestehend aus Rostbraten und Ale (Schweizerbote, Zugabe no. 6, 11. Febr. 1860). Auch dabei galt ehemals die Sitte, Liebsten und Liebste durchs Loos zu ziehen und daran die Verpflichtung gegenseitigen Wohlwollens oder sogar bleibender Treue zu knüpfen. Allbekannt ist das dahin zielende Liebeslied der Hamletischen Ophelia:

Guten Morgen, es ist St. Valentinstag

so früh vor Sonnenschein,

ich junge Maid am Fensterschlag

will euer Valentin sein.

Noch heute, berichtet Reinsberg (Festl. Jahr, 34) sind Landmädchen des festen Glaubens, der erste Mann, den sie am Morgen dieses Tages erblicken, werde ihr Valentin und einst ihr Ehemann, vorausgesetzt, dass er nicht mit ihnen im gleichen Hause wohne, nicht ihr Anverwandter und kein Verheirateter sei. Daher stellen sich junge Männer oft schon vor Sonnenaufgang in der Nähe des Hauses oder an der Strasse auf, wo ihre Geliebten vorüber kommen müssen, und diese wiederum gehen bei ihren Gängen lieber eine halbe Stunde um, wenn sie dadurch einem Nichtersehnten aus dem Wege gehen können, oder sitzen mit zugemachten Augen den halben Morgen hinter dem Fenster, bis sie die Stimme desjenigen hören, den sie gern möchten. Suchen wir die Erklärung und den Zusammenhang des also gefeierten Valentintages sammt den vorausgeschilderten Maibräuchen, so finden wir dafür den nordischen Natur-Mythus von der Brautwerbung der Götter. Das in zwei Hälften getrennte Sonnenjahr wird gelenkt von zwei Mit-Odhinen. Erst hat sich der winterliche Uller-Odhin zum Alleinherrscher der Erde aufgeworfen. Vergebens will ihn Wali-Odhin verdrängen, er ist noch kinderlos. Da wirbt er um Rinda (die hart gefrorne Wintererde), spröde sträubt sie sich gegen seine Liebe, bis er sie mit dem Zauberstab des Lichtpfeils gerührt hat. Als sie ihm darauf den gleichnamigen Sohn Wali gebiert, entflieht Uller-Odhin, gehüllt in Pelze und dahinschreitend auf Schlittschuhen, in den Hochnorden zurück. Dies der äusserlichste Umriss der Mythe; volle Gestalt gewinnt sie erst durch unsere altdeutschen Gottheiten und Stammhelden, und alle Einzelzüge der späteren Sagen und Bräuche finden dabei ihr überraschendes Verständniss. Mit der aufsteigenden Frühlingssonne wird Wuotans, und Frouwas Hochzeitsfest gefeiert, wird Gerda von Freyr, Brunhilde von Gunther und Sigfried durch Wettspiele erworben, in dieser wonnigsten Zeit des Jahres grünen und schimmern dann alle Höhen von den bei der Götterhochzeit abgehaltenen Festtänzen. Dann sagen sich die Menschen, das sei der Zug aller Zauberweiber zum Broken, an diesem ersten Maitage müssten die Hexen den letzten Schnee vom Blocksberge wegtanzen (Kuhn, Nordd. Sag. 376), oder ebenso an Mariae Lichtmess müssten unsre Frauen im Sonnenschein tanzen, damit die Schneeflocken am Pilatusberge vergehen und der Flachs so hoch wachse wie die Sprünge der Tänzer sind. Ob dabei das Fest auf 14. Februar, oder auf Walburgis und 1. Mai, oder auf 12. Mai, oder gar erst auf Pfingsten angesetzt wird, verschlägt nichts und ist eine blosse Folge späterer Zeiteintheilung. In den Volksbräuchen ist noch vielfach die Rechnung nach dem alten Kalender beibehalten und folglich wird da der 12. Mai als der frühere erste begangen und der Tag Pancratius hat übernommen, was sonst vom Tage Walburgis galt. Da muss man Lein säen und dabei recht lange Schritte machen (Thüringen, Hessen); oder die älteste Jungfrau des Hauses muss am Fasnachtstage (Harz), oder an Lichtmess (Meklenburg) rückwärts vom Tische springen; oder die Hausfrau muss einige Stücke tanzen und dabei recht hoch springen (Schlesien, Mark); oder man steckt beim Säen die Harke oder grosse Hollunderzweige senkrecht in die Erde (Meklenburg, Thüringen)—alles, damit der Flachs gut gerathe und eben so hoch wachse. Wuttke, Volksabergl. Aufl. 1, S. 184. Hauptgehalt aller dieser Bräuche aber bleibt in gleicher Wiederkehr der erneute Wucher des Erdreiches und die Fruchtbarkeit der neuen Liebesbündnisse. Von der deutschen Heldensage an bis hinab in das Kindermärchen vom Dornröschen wird hievon gesungen und gesagt. Denn wenn die in der Waberlohe schlummernde Brunhilde von Sigfried aus dem Zauberschlafe geweckt und zum Weibe erworben wird, so ist diese Waberlohe das im Mittagsstrahle flimmernde, träumerisch nickende Aehrenfeld, Brunhilde ist die darin ruhende Nährkraft. Sigfried, von dem gesagt ist, dass wenn er durchs Kornfeld schritt, die Aehren nur an den Thauschuh seiner Schwertspitze reichten, ist die grosse Gestalt des Schnitters. Voranschreitend zertheilt er die Halme, hinter ihm schlagen sie wieder zusammen, bis seine Sichel alle gefällt hat. Dies heisst in der Edda: Sigfried sprengt zu Ross in die von Feuer umgebne Burg, nimmt der Schlafenden den Helm vom Haupte, schneidet ihr mit seinem Schwerte den Panzer, der weder Haken noch Nesteln hat, von Brust und Armen, worauf sie erwacht, ein Trinkhorn mit Meth füllt, dem Befreier überreicht und ihn die Runen gebrauchen lehrt, die Sieg-, Meth-, Sturm-, Rechts- und Machtrunen. Solche Weisheit bewundernd ruft Sigfried: Keine andere als dich will ich zum Weibe haben!

Wohin aber in diesem sagenhaften Göttergewimmel mit Walburgis? Auch sie, obschon sie unter dem Einflusse der Kirche eine ehelos lebende Heilige geworden ist, war einst eine Schönheitsgöttin gewiesen, von welcher das Glück der ehelichen Liebe und das Gedeihen der ländlichen Arbeiten ausgieng. Von ihrer Frauenschönheit berichtet noch eine oberpfälzische Sage (Schönwerth 1, 389), die alle Spuren hohen Alterthums an sich trägt. Bekanntlich pflegten sich Heiden- und Christenpriester gegenseitig in Religionsdisputationen über die Vorzüge ihrer Himmel und Himmlischen zu messen, und der Streit endete manchmal damit, dass beide Theile es auf einen Augenschein, auf ein visum repertum ankommen liessen. So kommt es zwischen einem Priester und einem Heidenweibe (Hexe) denn auch einmal zur Frage, wer schöner sei, die Heidengöttin Walburg oder die Himmelsjungfrau Maria. Der Vorgang ist folgender. Eine Hexe beichtet ihren Stand einem Geistlichen, erklärt aber auf dessen Abmahnen, ihren Versammlungen wohne die Mutter Gottes leibhaftig bei, er möge sie nur bei der nächsten Ausfahrt begleiten und sich selber überzeugen. Am bestimmten Tage setzt sich der Mann mit der Hexe in einen Wagen und fährt durch die Lüfte, bis man Glocken läuten hört. Da senkt sich der Wagen und man steht in der Mitte einer prachtvollen, mit einer zahllosen Menge angefüllten Kirche: In der That wandelte auch die Mutter Gottes leibhaftig auf dein Altar herum, voll Glanz und Schönheit. Doch dem Priester schien sie zu üppig und verführerisch, er sprang auf den Altar und hob ihr ein verborgen gehaltenes Crucifix mit den Worten unter die Augen: Bist du die Mutter des Herrn, so sieh hier deinen Sohn! Da erloschen mit einem mal sämmtliche Lichter, dichte Finsterniss und Stille herrschte, der Pater stiess sich an rauhen Steinen und als es gegen Tag gieng, befand er sich im Gemäuer eines Galgens.—Wir werden dieselbe hl. Walburg ebenso noch als heidnisch verehrte Venus von der Kirche selbst angeben hören; denn allerdings sind schon die bisher von ihr gemeldeten Züge unkirchlich genug: der Hund an der Kette und der Flachsfaden auf der Spindel sind ihre Orakel; ihre nächtlichen Höhenfeuer leuchtendem Reihentanze der Liebenden und diese werden ohne Priester zusammen gegeben; ihr Heilbad ist der Maienthau, ihr Keiltrunk der Maibrunnen und das frische Oel des Feldes; statt eines Marterwerkzeuges trägt sie Garbe und Aehre, gleich ihrem Bruder Oswald. Sie wandelt das Saatkorn in Gold, sie geht in goldnem Schuh und trägt eine goldne Krone, sie ist selber das reifende Aehrenfeld. Ihr antikes Abbild ist Pindars "röthlichfüssige Demeter" (Olymp. 6, 94) und die römische Ceres rubicunda, die in rothgelben Grannen reifende Gerstensaat.


FUSSNOTEN:

[2]

Der immer gleichlautende Auskündungsspruch:

Heut zum Lehen,

Morgen zur Ehe,

Ueber ein Jahr zu einem Paar—

steht schon in Lersners Frankf. Chronik 3 B. 6 K. und wird dorten dem von den Kaisern ausgeübten Ehezwangsrechte unterschoben, welches von Heinrich VII. 1232 aufgehoben worden sein soll.


Vierter Abschnitt.

Maiengeding und Walbernzins.


Je nach der Eintheilung des Jahres in zwei, drei oder vier Jahreszeiten waren eben so viele Volksversammlungen (Allding), allgemeine Opferfeste und Gerichtszeiten des Jahres anberaumt. Zu zweit auf Sommer und Winter verlegt, hiessen die Gerichte Maigeding und Herbstgeding, nach späterer christlicher Benennungsweise Walburgis und Martini. Seit den karolingischen Kapitularien werden drei ungebotene Gerichte durchgehends üblich (tria generalia placita) und fallen auf Sommer (Walburgis), Herbst (Martini), und Winter (Weihnachten). Ungebotene Gerichte hiessen sie im Gegensatze der vom Gerichtsherrn den Unterthanen gebotenen, weil erstere in ihrem Zusammentreffen mit gleichmässig vorausbestimmten Fristtagen allgemein gewusst waren und keiner vorgängigen Ansagung bedurften. Sie entschieden nicht bloss über Mein und Dein, sondern auch über die Idealgüter von Freiheit und Ehre, somit über Krieg und Frieden, und ihre Aussprüche waren die allgiltigen der Volkssouveränetät, wie sie unsre Zeit in ihren Landsgemeinden, Ständeversammlungen und Parlamenten anerkennt. Sie benannten sich nach Nächten, weil der Tag sich aus der Nacht gebiert und daher der landwirthschaftliche Kalender nach Neumond und Mondabnahme rechnet. Die Zeit der Zwölften (Weihnachten bis Dreikönig) nennt man in Schwaben und dem angrenzenden Theile der Schweiz Klöpfleinsnächte und Nidelnächte; in Baiern Rauch-, Löselnächte und Gennachten; in Deutschböhmen Undernächte; bei den heidnischen Angelsachsen hiessen sie Mutternächte. In gleicher Analogie spricht man von Fasnacht, Rumpelnacht und der durch die Ortspolizei gewährten Freinacht. So hiess denn auch das Maigericht Walburgisnacht, dänisch noch Valdborg aften (Abend). "An sant Walipurg abent ze ingaende maien" pflegt die Zeitbestimmung zu lauten in den Klingnauer Urkunden aus dem 14. Jahrhundert. Anfänglich steht das Walburgsgericht noch zu Zweit mit dem Wintergerichte zusammen, erst später auch mit dem Herbstgerichte zu Dritt. Die Offnung des Dorfgerichtes zu Sondernau von 1615 setzt zweimaliges Jahresgericht fest, das Mertensgericht (11. Nov.) und das Welbermael, Walburgismahlzeit am 1. Mai. Zöpfl, Alterth. des Deutsch. Reichs und Rechts 1, 306. Dagegen sagt die Offnung des Dorfes Wettingen (gedruckt im Wetting. Archiv 125): "Wir söllend ouch dry rechte geding da haben, der soll eines sin vff Sannt Waldpurgen tag in Meyen acht tag vor oder meh, das andere vff Sannt Martinstag, das dritt vff sannt Hilarien." Dieselbe Bestimmung in dem Dinggerichte zu Dietikon und Schlieren v.J. 1259 steht verzeichnet: Argovia 1, 78. Dabei blieb Walburgis auch später in den Städten ein Termin der Aemter-Erneuerung; "jerlichen zu Meyen, wann Statt und Ampt Räth zusammen schwerend", heisst es im Zuger Recht 1566. Hds. Sammlung der Aargau. Histor. Gesellsch. Die Taglöhner-Ordnung von Oppenheim von 1523 bestimmt nach derselben Frist den Beginn der Zwischenrast bei der täglichen Handarbeiten: "dass sich die tagloner ein stund schlafens underziehen an iren tagarbeiten und das anheben, so der stock ein blatt überkompt, dass einer ein aug domit bedecken müge, nemlich von Philipp Jacobi (1. Mai) bis uf Margaretha (13. Juli)." Mone, Oberrhein. Ztschr. 1, 196. Im Alterthum hatten die Gerichtsversammlungen mit Fest- und Trinkgelagen geendet, die für die Verköstigung der weither gekommenen Mannschaft nicht zu umgehen waren. Daraus entsprang der Brauch bei den späteren Land- und Markgerichten, den Gerichtsherrn und seine Leute zu beköstigen, den Schöffen Trank und Speise zu verabreichen und ihnen einen Zinskuchen mit dem hineingebackenen Trinkpfenning auf den Heimweg zu verehren. Die Kosten wurden aus den eingezogenen Bussen bestritten. Hier folgt eine Kostenberechnung des Maiengerichtes im Fronhof zu Wolen in den Freienämtern, v.J. 1620, handschriftl. im Archiv Muri, Scrin. L, I. Das Stift Muri war zu Wolen Lebens- und Untergerichtsherr; der obergerichtliche Entscheid stand beim Landvogt zu Baden, der daher nebst Landschreiber, Weibel und Substituten mit anwesend sein musste. Das Stift hatte ausser in Wolen auch noch in den Dörfern Muri, Boswil und Bünzen dieselbe Judicatur. Wie hoch sich nun die Kosten dieser hier jährlich achtmal wiederholten Gerichtstage für den Lehensherrn beliefen, zeigt folgendes Aktenstück.

Rechnung was Ao. 1620 im Meyengricht zu Wollen verzert und verbrucht worden. Dass mal vnd Abentrunk 23 Gld. 38 Sch.—Ueberzehrung ob Ihr Herren verritten 2 Gld. 10 Sch.—Durch die HHn. Landvogt, Landschryber, ire Diener, Pfarer vnd Weibel am Nachtmal verzert 3 Gld. 10 Sch.—für Höuw vnd Haber über Nacht 1 Gld. 8 Sch.—Hrn. Landvogt Brämen v. Zürich verehrt an einem Goldstuck 14 Gld. 2 Pf.—Sinem Diener 1 Kronen.—Hn. Landschryber Zur Louben an einer Spanischen Dublon 7 Gld. 1 Pf.—Sinem Substituten 1 Gld.—In die Kuchj 1 Gld. Summa 55 Gld. 36 Sch.

Alterthümlich und von naiver Umständlichkeit waren die Bräuche, unter denen die Ortschaften jeweilen ihren Zins zu überbringen hatten.

Der Walpertszins musste vom hessischen Dorfe Salzberg am Knütl alljährlich am Walburgistag zu Buchenau in Betrag von sechs Hellern alter hessischer Münze bezahlt werden. Der Gemeindemann, der ihn überbrachte, hiess das Walpertsmännlein. Er musste des Morgens früh Schlag sechs Uhr in Buchenau eintreffen und auf einem besondern Stein an der Schlossbrücke sich niedersetzen. Verspätete er sich, so verdoppelte sich progressiv mit jeder Stunde der Zins, am Abend hätte ihn die ganze Gemeinde nicht mehr zu zahlen vermocht. Vorsichtshalber schickte daher die Gemeinde stets zwei Abgeordnete zusammen ab. Hatte das Walpertsmännchen seine sechs Heller im Schloss bezahlt, so wurde es nach Vorschrift hier drei Tage lang bewirthet. Schlief es während dieser Zeit nicht ein, so waren die Zinsherren verpflichtet, es lebenslänglich zu verpflegen; geschah jedoch das Gegentheil, so wurde es augenblicklich aus dem Schlosse hinausgeschafft. Schon an dreihundert Jahre war diese Zinszahlung im Gebrauche und bestand noch im Anfange dieses Jahrhunderts. Lynker, Hess. Sag. no. 338. Grimm RA. 388. Dies war der sg. Rutscherzins, welcher, wenn an vorbestimmter Tages- und Stundenfrist abzutragen verabsäumt, nach Tagen und Stunden wuchs. Blieb der Braunschweigische Maigassenzins, der nur 3 Mgr. 2 Pf. betrug, am Zinstage aus, so verdoppelte er sich von Tag zu Tag. Im Dorfe Schernberg hatte man ihn auf Philipp-Jacobi Mann für Mann auf einen breiten Stein unter freiem Himmel zu erlegen, wer sich hier um eine weitere Stunde zu spät einstellte, bezahlte ihn je doppelt und dreifach. (Grimm ibid.). Aber auch dabei kamen dem Verspäteten noch mancherlei kleine Hilfsmittel zu gut, welche gesetzlich erlaubt waren und ihn der drohenden Busse wieder enthoben. Dass der Zinsende nach Herkommen ein Gegengeschenk erhielt, welches mit der Zeit für ganze Gemeinden zu nicht unbeträchtlichen Nutzniessungen sich gestaltete, lehren folgende Bräuche und Sagen.

Walperherren hiessen vormals die vier Rathsmeister Erfurts, die jährlich an Walburgis nach altem Rechte hinaus in den Wald Wagweide zogen, welcher dem Churfürsten von Mainz zugehörte, und sich 4 Eichen schlugen. Gleichzeitig kam dann sämmtliche Bürgerschaft ihnen dahin nach und hielt in dem fürstlichen Schlosse ein dreitägiges Einlager bei Musik, Tanz und Schmauss. Heut zu Tage begeben sich schon an Walburgis Vormittag alle hammerführenden Gewerke der Stadt in jenen Wald und halten da bei Tanz und Gesang bis tief in die Nacht aus, Bier wird fässerweise mitgefahren. Mit Eichlaub bekränzt singt der heimkehrende Zug:

Willst du mit nach Walpern gehn,

Willst du mit, so komm!

Dies nannte man den Grünenmaitag. Aehnlich begeht daselbst die Schusterzunft den grünen Montag, welcher der erste ist nach Jacobi. Sie bekränzt nebst ihren Wohnhäusern die Strassen zum Paul, zu den Predigern und die Schuhgasse. Dies Ehrenrecht soll ihnen von Kaiser Rudolf für die Tapferkeit ertheilt worden sein, mit der sie und die übrigen hammerführenden Gewerke ein Raubschloss im Steigerwalde zerstörten, von dem aus die Orte des Thüringerwaldes lange belästigt worden waren. Zwei Knaben, mit Goldketten und anderem Geschmeide geschmückt, pflegte man sonst zu Pferde in der Stadt herum zu führen, es sollen die zwei Söhnlein der Edelfrau jenes Schlosses gewesen sein (man benennt es wechselnd bald Dienstberg, bald Greifenberg), die mit all ihren Kostbarkeiten behängt die Sieger fussfällig um Schonung ihres Lebens anflehten und Gnade fanden. So die Sage. Allein was in dieser die angeblichen Raubritter geworden sind, waren ursprünglich die Winterunholde, denen der Sommer abgewonnen wird. Denn die städtischen Urkunden, so sagt der Erfurt. Stadt- und Landbote v. 1846, enthalten nichts, was dieser Geschichte einer zerstörten Raubburg aufhelfen könnte, wohl aber dass der Grünenmaitag ein Ueberrest des sg. Schwörtages ist, an welchem die Handwerker jährlich der vom Mainzer Bischof neugesetzten Obrigkeit huldigen mussten. Der Bischof bestätigte ihnen dagegen neuerdings ihre Rechte, wofür die Schuster dem Schultheissen zwei Paar bunte Schuhe überreichten, gemacht aus dem Filz, den die Hutmacher gleicherweise abzuliefern hatten. Berlepsch, Chron. d. Gewerke 4, 157. Der Sinn solcher pseudohistorischer Sagen von einem gelungenen Kriegszuge der Bürger und Bauern gegen das Herrenschloss, oder einer militärischen Execution gegen den Herrschaftswald ist einfach der, dass mit dem Entrichten des Walburgiszinses örtliche Holzrechte verbunden waren. In einem niederl. Volksliede (Uhland in Pfeiffers Germania V.) bringt der Zinsbauer (wahrscheinlich für die Nutzung überlassener Ländereien) seinem Lehensherrn ein Fuder Holz und zugleich der Frau "den kühlen Mai".

Wie sich der Sieg Gideons über die Midianiter (Richter 6, 37) an den Thau knüpft, der auf Gideons ausgebreitetes Fell so reichlich fällt, dass man des Morgens eine Schale Wassers daraus zu füllen vermag, so ist auch in den deutschen Lokalgeschichten aus dem Glauben an die Wunderkräftigkeit des Maienthaues, und aus dem Brauche, beim Maigerichte bewaffnet zu erscheinen, den Walburgiszins Mann für Mann gemeindeweise zu entrichten, die häufig sich wiederholende Tradition entstanden, dass an eben diesem Zinstage die politische Unabhängigkeit der Landschaft durch einen glücklichen Waffenstreich errungen worden sei. Die Maifahrt wird zur Kriegsfahrt umgestempelt. Die Friesen- und die Schweizersage trifft hier zusammen. Den Unterwaldnern werden die "Walperkühe" (Grimm, RA. 822), die sie dem Zwingherrn zinsen, der Anlass, die Vögte auf Sarnen und Rozberg zu vertreiben und deren Burgen zu brechen; die Ditmarschen datiren ihren Freiheitstag von dem Zinskorn, das sie nicht länger auf das Schloss der Walburgsaue liefern wollen. Die Unterwaldnersage ist allbekannt, noch unbeachtet aber folgende ditmarsische, die in Neocorus Chronik steht, Ausgabe von Dahlmann. Das älteste und festete Gebäu im Ditmarschenlande war die Grafenburg Bocklenburg in der Wolberaue gelegen. Ihr älterer Name war Walburg, sagt Dahlmann im Neocorus 1, 565; ein Eigenthum der Grafen von Stade, in unmittelbarer Nähe des jetzigen Kirchdorfes Burg; ihre Zerstörung durch die aufständischen Bauern fällt 15. März 1145. Müllenhoff, Glossar zum Quickborn 1856, S. 315. Der Graf hatte den reichen Bauern Heine zu Gast geladen, ihn reichlich bewirthen und mit Saitenspiel ergötzen lassen, wofür der Bauer nun wiederum den Grafen zu sich bat. Aber statt auf die Polsterbank setzte er ihn auf strotzende Kornsäcke, statt der Tafelmusik musste Schwein, Schaf, Kuh und Ross den Hof durchlärmen. Solcher Wohlstand reizte die habsüchtige Gräfin Walburg und sie beredete ihren Gemahl, dass er die Schatzung, die er den Bauern schon seit Jahren nachgesehen hatte, gerade jetzt zur Zeit einer Theuerung in allen Rückständen einforderte. Am Martinsabend führten denn die Bauern eine lange Reihe von Kornwagen zum Schlosse hinauf. Auf dem ersten sass eine schöne Dirne, dem Grafen zu Willen bestimmt; allein in den Säcken des zweiten Wagens lagen Bewaffnete eingenäht. Als der Zug das Schlossthor erreicht und gesperrt hatte, ertönte das Losungswort:

Rühret die Hände,

Zerschneidet die Gebände!

Damit schnitten die Verborgnen sich aus den Kornsäcken, zuckten die Waffen und nahmen das Schloss ein. Der Graf war in das innerste Gemach entsprungen, allein seine zahme Elster kam schreiend ihm nachgeflogen und verrieth ihn, er wurde aus dem Verstecke gerissen und erstochen. Die Gräfin sprang aus dem Fenster in die vorbeifliessende Aue hinab und hat mit ihrem Tode dieser Trift den Namen Wolbersaue gegeben. Und dieses Landstück, fügt Neocorus bei 1, 264, ist von solcher Fruchtbarkeit gewesen, dass man einmal 14 Tonnen Buchweizen darauf erntete. Auch eine Wallfahrt zum Haupte St. Peters war daselbst. Ein kupfernes Kreuz, das dorten ein Bauer aus dem Boden gepflügt und daheim aufbewahrt hatte, entsprang ihm wieder und stellte sich in die Wallfahrtskirche, wo es heilkräftige Wirkungen that: it wolde in de Kerken unnd S. Peter sterken.

So wird Walburgs Göttermythe zur Kirchenlegende, ihre Burg zur Wallfahrtskirche, sie selbst zur hartherzigen Gaugräfin und Burgfrau, mit deren Untergang die Steuer der Leibeignen aufhört und die politische Selbständigkeit des Gaues beginnt. Noch ein kleiner Schritt weiter, und die hartherzig Zins eintreibende Gräfin Walburg verwandelt sich an einem oder jedem der drei altgebotenen Zinstage zur saatenvertilgenden Walburgishexe, aus der Tagfahrt zu Gericht wird eine Nachtfahrt auf den Broken. Dreimal des Jahres müssen die Hexen ihre drei hohen Tagsatzungen abhalten, sagt Prätorius Blockesberg (1668) 499, und zergrübelt sich über die Frage, warum doch dieser Heiligen Kirchtag so sehr vom Teufel entweiht werde; darum wohl, meint er, weil diese Heilige dem Satan so viel Abbruch gethan; nun halte er alle Jahre Abrechnung mit ihr und lasse von seiner Burse ihren Feiertag verschimpfiren.

Eine ähnliche Frühlingssage, bei welcher jedoch noch deutlicher der Nachdruck auf das Walburgisfeuer und die Maibraut fällt, theilt W. Menzel (Vorchristl. Unsterblichkeitslehre 1, 128) mit aus Curickens Beschreibung von Danzig 1688 S. 39, und aus Temme-Tettau's Ostpreuss. Sag. no. 208. 209. Auf dem Hagelsberge, an dessen Fusse nun Danzig liegt, hatte der böse König Hagel eine Burg erbaut, von wo aus er die Fischer an der Weichselmündung brandschatzte und ihre Weiber und Töchter entehrte. Dazu hatte er seine eigne Tochter Berchta dem Sohne des Schultheissen Hulda verlobt, weigerte sich aber nachher, sie ihm zu geben. Da kam der Abend, an welchem der Sitte gemäss ein grosses Feuer auf dem Berge angezündet und der übliche Reigentanz um das Feuer gehalten wurde. Diesen unschuldigen Vorwand benutzte Hulda mit andern Jünglingen, sich der Burg zu nähern und dieselbe plötzlich zu überfallen. König Hagel, der dem Tanze des Volkes mit Vergnügen zugesehen hatte, wurde ermordet und rief sterbend: O Tanz, o Tanz, wie hast du mich verrathen! Und davon soll das nachmals erbaute Danzig seinen Namen erhalten haben.

Der Name der Frühlingsgöttin Holda-Berchta ist hier in der Sage zwischen Bräutigam und Braut getheilt. Damit diese Beiden, nachdem sie bereits ins Mailehen gegeben sind, ein Paar werden können, wird der winterliche Tyrann, König Hagel, vertrieben und seine Burg beim Walburgisfeuer zerstört. An ihre Stelle tritt eine gewerbfleissige grosse Stadt.


Fünfter Abschnitt.

Der Mythus vom Maienthau.


Von der Adventzeit bis zu Ostern lässt die katholische Kirche täglich die Rorate-Messe singen, die ihren Namen trägt von der Stelle Jesaia's 45, 8: Rorate, coeli, desuper et nubes pluant justum; thauet, Himmel, den Gerechten! Wolken, regnet ihn herab! Diesen vom Himmel fallenden Segen erhoffte das Heidenthum von der Thaugöttin selbst und sah ihn erfüllt mit deren Ankunft in der Walburgis- und Johannisnacht. Nur von der ersteren ist hier die Rede.

Mit banger Erwartung geht unser Landmann in der Walburgisnacht zu Bette und beim ersten Tageslicht tritt er vor sein Haus; ist da kein reichlicher Thau zu sehen oder hat es gereift, so ist seine Hoffnung auf eine erkleckliche Jahresernte schon halb dahin. Selbst wenn ihm im Heumonat darauf noch soviel Futter wächst, er traut demselben keine Nahrungskraft zu, es hat ja keinen Maithau bekommen; es ist ohne Salz und Schmalz. Lieber ist er daher nur mit halb so viel Heu zufrieden, als mit einem doppelten Heuerträgniss ohne Maienthau oder ohne Regen an Walburgis. "Regen auf Walburgisnacht hat stets ein gutes, Jahr gebracht. Walburgisfrost ist schlimme Post". In Meklenburg heisst es vom Walburgisregen, er bringe ein unfruchtbares Jahr, weil mit ihm (vgl. Wolf, Beitr. 2,367) von den göttlichen Mächten die Festfeuer zurückgewiesen werden. Wenn es dagegen an den drei ersten Maitagen reichlich thauet, so braucht es den ganzen Monat über keinen mehr. Maienthau macht grüne Au. Oder, der Bauer rechnet auch in arithmetischer Progression also: Thaut es im Mai fünfmal, so erwartet man eine Viertelsernte; zehnmal, so giebts eine halbe; fünfzehnmal, so giebts eine volle Ernte. Thau auf der Wiese ist Geld in der Truhe. Als König Gustav III. von Schweden einem ostgothländer Bauern, der ihm vorgestellt wurde, einen kostbaren Ring zeigte und ihn über dessen muthmasslichen Werth befragte, meinte der Landmann lächelnd: doch wohl nicht so viel, wie ein Schauer Regen im Mai. Kann man, sagt der Aargauer, am ersten Mai genugsam Thau gewinnen, so kann man daraus Gold läutern. Daher trägt die hl. Walburg feurige (goldne) Schuhe (Vernaleken, Alpensag. S. 92); daher trägt bei den Hexenversammlungen eine der Frauen am rechten Fusse den Goldschuh (Grimm, Myth. 1025); daher redet das Kindermärchen (Grimm 3, no. 99) von der Lebenstinctur des Goldwassers; daher taucht in der Walburgisnacht im Gewässer der Bode die goldne Krone der Prinzessin Brunhilde hervor und schwimmt bis zum Morgen obenauf. Kuhn, Nordd. Sag. no. 193; "daher sammeln die Alchimisten im Majo Regenwasser in grosse Krüge, dass sie sich das ganze Jahr durch nach Bedürfniss damit behelfen können." Coler, Almanach (Mainz 1645, 59). Den Slaven ist in einem einzigen Tropfen Thau eine Wunderwelt enthalten, er soll des Menschen ganze Lebensgeschichte enthüllen, wenn man ernstlich hineinschaut. Haupt-Schmaler, Wend. Volksl: 1, S. 381. Die Perlenmuschel hat ihre Perlen nicht vom Meer, sondern vom Himmel selbst, schreibt Konrad von Megenberg im Buch der Natur (Augsb. bei H. Schönsperger 1499, Bl. pj und piij): sy begeret des hymeltawes, recht als ein fraw jres liebes begert. das ist, da das taw allermeyst fellt, so trinken sie das begeret taw in sich und werdent schwanger. ist das taw klar vnd lauter, so werdent die margariten gar fein. Aehnlich in Fr. Rückerts Vierzeilen:

Die Rose stand in Thau,

Es waren Perlen grau;

Als Sonne sie beschienen,

Da wurden sie Rubinen.

Aus Erde und Thau formte der Schöpfer Adams Fleisch und Blut; so sagen die Evangelien der Vorauer Handschrift (ed. Diemer, Deutsche Ged. S. 319-330):

uon dem leime gab er ime daȥ fleiſch,

der tow becechenit den ſweihc.

übereinstimmend mit der Bibelstelle: Ich will Israel wie ein Thau sein, dass es soll blühen wie eine Rose. In das Fruchtholz des Waldes flüchten beim Weltuntergange die beiden letzten Menschen Lif und Lifthrasir, Leben und Lebenskraft, und fristen sich da vom Morgenthau, bis neue Menschengeschlechter aus ihnen hervorgehen. Das Fruchtholz, die Oesch, kann ohne Thau nicht tragen; kein Maienthau, kein Holzwuchs, heisst es; wenn man einen Baum im Maienthau schüttelt, so stirbt er ab. Der Ritter, der die drei letzten Bäume bei seinem Hause fällen will, sieht des Morgens unter ihnen drei Jungfrauen sitzen, die über den Untergang des Waldes klagen und mit den zerrinnenden Thautropfen verschwinden. Er liess hierauf die Bäume stehen und sein Geschlecht blieb in Wohlstand. Wenn die Engel im Himmel weinen, um Gottes Erbarmen für die Menschen rege zu halten, so entsteht daraus unser Thau; dies lautet in Grieshabers Deutsch. Pred. 1, S. 42: wer sint diu wazzer ob dem firmamente? daȥ sint die erwelten und die behaltenen. sieh und merke ain grôȥ wunder. diu wazzer ob dem himmel, der kumet ain ȥeher niemer noch niemer her ab, wan daȥ, sûmeliche maister wèn, daȥ daȥ tov daruȥ werde. Ein unbethaut bleibender Ort ist ein verwünschter, wie hier hernach noch des Weiteren zu berichten sein wird. Da Jonathan und Saul in der Schlacht gefallen sind, wehklagt David: Ihr Berge zu Gilboa, es müsse weder thauen noch regnen auf euch, Jonathan ist auf deinen Höhen erschlagen! 2 Sam. 1, 21. Wo Gespenster und Hexen umgehen, wächst kein Gras; daher in G. Bürgers Romanze:

Im Garten des Pfarrers von Taubenheim,

Da ist ein Plätzchen, da wächst kein Gras,

Das wird von Thau und von Regen nicht nass.

Wo neun Tage hinter einander kein Thau liegt, da liegt ein Schatz (verzaubert) vergraben. Coler, Oeconomia. Auf dem Wiesenweg, welcher der Sibilla Weiss Kirchgang gewesen, bleibt kein Thau und Reif behangen. Panzer, BS. 2, pg. 54.

Maienthau ist eine Quelle der Körperschönheit, des Liebreizes und der Langlebigkeit. Daher der Kinderspruch:

Wenns thaut, wirds grön,

werden alle Jungfern schön.

Mairegen, mach mich gross! pflegen die im Regen laufenden Knaben auf der Gasse zu rufen. Eos hat täglich ihren altersgrauen Gatten Titon mit Thau neu zu beleben. Hellfunkelnder Thau trieft perlend hernieder und frischgrünende Hyacinthen sprossen empor, wo auf dem Ida Zeus die Hera umarmt. Mit dem Wasser aus dem Paradiese, erzählt Konrad v. Würzburg in seinem Trojan. Krieg—verjüngt Medea Jasons alten Vater. Die drei Marien gehen zu des Herren Grab durch den Thau (Uhland, Volksl. 832, 3):

Es giengen drei heilige Frawen

zu Morgens in dem Tawe.

So schön ist die Geliebte, dass der Minnesänger Christian von Hameln dem bethauten Anger keine hellere Zier zu schenken weiss als ihren nackten Fuss darauf:

Her Anger, bitet, daȥ mir swaere sul bůȥen

ein wîp, nâch der mîn herȥe stê;

sô wünsche ich, daȥ si mit blôȥen füeȥen

noch hiure müeȥe ûf iu gê.

Man bereitete daher im Mittelalter aus dem Thau der Blumen verschiedene kosmetische Mittel, z.B. aus der Pflanze Sonnnenthau einen nach ihr genannten Liqueur Ros solis, nun Rossoglio genannt. Der Zierbaum, den man im bair. Lechrain in der Mainacht der Liebsten vors Kammerfenster setzt, muss nebst Aepfeln und Bändern stets mit einer vollen Rosogliflasche behangen sein. Leoprechting, Lechrain 177. Ans den Blumen der zum Johannisfeste geflochtnen Johanniskronen kocht man in Sachsen einen heilkräftigen Thee. Sommer, Thüring. Sag. 148. 156.

Die Alchemilla vulgaris, Thaumantel, Thauschüssel, Parasol und Frauenmäntelchen genannt, bietet dem Sennen nicht nur das milchergiebigste Gras, man destillirt das in ihrem Kelche sich sammelnde Wasser als Heilmittel; zehn solcher Blumenkelche voll Thau stillen Jedem den Durst. Schönwerth, Oberpfalz 2, 132. Die Salbe Oli-rongé wird zu Saintes Maries in der Provence bereitet, indem man an Johannis zwischen Morgenröthe und Sonnenaufgang aromatische Kräuter sammelt und sie in Olivenölflaschen verschliesst. Wolf, Beitr. 2, 394. Um das ganze Jahr frische Rosen im Zimmer zu haben, legt man Rosenknospen in einen mit Wein gefüllten und verschlossnen "Walburgischen Krauss." Kunst- und Wunderbüchlein, S. 233. Um seltne Küchenkräuter jahrelang frisch und schmackhaft zu haben, verordnet die Kuchemaistrey (Incunabel o.O.D.u.J.) Blatt 22: vach tawwasser mit einem reinen neugewaschnen leinentuch, das keg auf einer wisen hin vnd her, druck es auȥ in ein sauber kandel vnd bayȥ (beize) die kreüter darinnen. Eben diese Gewinnungsweise schreibt Konr. v. Megenberg, Bl. e3 gegen Ausschlag vor: so (der mensch) sich denn wescht mit dem taw vnd darinn waltz des morgens, ee die Sunn den taw benimpt, so wirt er rein an seiner haut. o Maria, hilf vnd taw mit genaden auf vns reüdige menschen!

Eine Bernersage aus dem Habkerenthal wird mir also mitgetheilt. In einer Höhle des Berges Harder, die vom Pfarrhause des Dorfes Habchen aus erblickt wird, lebten ehemals Zwerge. Die Bauernschaft im Thale stand mit diesen Erdmännlein in gutem Einvernehmen und nach altem Brauch stellte man ihnen jedes Frühjahr einen Krug Maienthau an einen bestimmten Ort, wo ihn die Zwerge abholten und in die Höhle trugen. Sie badeten damit ihre neugebornen Kinder und wuschen sich Windeln und Weisszeug; zum Entgelt dafür überschickten sie den Bauern Honigthau, worauf die Bienenzucht im Thale besonders gedieh. Nun, nachdem die Zwerge ausgewandert oder gestorben sind, hängt ihre Höhle voll milchweisser Steinzapfen, lauter im Bad verspritzter Maienthau, der sich zu Milch versteinert hat, und heisst davon das Mondmilchloch.

In der Normandie, der Bretagne und den Pyrenäen badet das Volk die Fieber ab, indem es sich am Johannistage nackt im Thau des Haberfeldes wälzt: se rouler ce jour-là le matin dans la rosée, ou se baigner dans une fontaine guerit de la gale et de toutes maladies cutanées. De Nore, Coutumes, mythes et traditions. 127. 231. 262. Dasselbe thun die Saalfeldischen Mädchen Nachts in den Flachsfeldern. Grimm, Myth. Abgl. no. 519. "Ich werde," schreibt Coler, Almanach 62, "von erfahrnen Leuten berichtet, dass der Maienthau grindichten, scherbichten Leuten gesund sein soll, wenn sie sich früh nacket drein wälzen. Die Medici nennen solchen Thau rorem matutinum in vere, S. Walpurgisthau."—Isländer und Schweden pflegten in Thau zu baden, um damit Krankheiten wundersam zu heilen: Finn Magnusen, Lexikon mythol. 72. Die Engländer setzten eine Metze Haber oder eine Korngarbe unter den Nachthimmel und wuschen sich mit dem darauf gefallnen. Thau gegen Pestansteckung. Liebrecht, Gervas. Tilbur. pg. 2. Der Altbaier wäscht sich im Maienthau, dazu sprechend:

Das hilft für's Gah,

für's Bläh,

für'n U'flat.

Das Gah ist gäher Tod und fallendes Uebel; Bläh die Rinderaufgelaufenheit, Stillfülli; Unflat der Aussatz. Panzer, BS. 2, 30. "Morgenthau ist gut für abgehauene Füsse, gut für abgehauene Arme, für ausgestochene Augen", so sprechen die drei himmlischen Jungfrauen, bestreichen den Verstümmelten und alsbald ist er wieder ganz und heil. "Benetze deine Augenhöhlen mit Morgenthau, der auf den Baumblättern liegt", sprechen die drei Schwäne zu dem von der Stiefmutter geblendeten Mädchen. Haltrich, Siebenbürg. Märch. S. 36. 216. "Heute Nacht fällt ein Thau, sagt die Krähe, so wunderheilsam: wer blind ist und bestreicht seine Augen damit, der erhält sein Gesicht wieder." Grimm, KM. no. 107. Dies ist der im böhmischen Märchen "Nachttraum der hl. Walburgis" allen Geblendeten verkündete Heilthau (bei Gerle 1, no. 7, citiert in Grimms KM. 3, 342). So geschah es nach Ostern in der Weissen Woche in Beisein des Frankengrafen Adalbert zu Monheim, dass ein Blinder am dortigen Grabe Walburgis plötzlich wieder sehend geworden war. Act. SS. saec. 3, pars 2, pag. 305.

Alle schwer Genesenden pflegt man gemeinlich auf den näher rückenden Mai zu vertrösten als auf die Zeit ihrer gänzlichen Herstellung. Stillschweigend ist also vorausgesetzt, dass dieser Termin die besonderen Mittel gewähre, welche bislang dem Kranken gemangelt haben. Da bereitet man folgende Nervensalbe. Man schneidet am 1. Maimorgen Halme und Blätter aus dem Kornacker, zerwiegt sie und presst sie mit heisser Maibutter zu einem Pflaster. Gegen Augenentzündung blickt man eine halbe Stunde unbeschrieen in den Maithau. Gegen den Wolf (fratte Schenkel) sitzt man nackt ins Feld hinein. Das Rind, das an der Blutschwine, Abzehrung, leidet, wird in den Thau gestellt, das Zugvieh und das Ross hineingetrieben, wenn es einen "Hauptfehler" hat. Die Sommersprossen, Leberflecken und Merzensprickeln, die einem der Merz ins Gesicht gespieen hat, reibt man am Maimorgen mit einem thaugetränkten Tüchlein wieder weg. Vom Dorfe Leimen, im elsäss. Sundgau, eine halbe Stunde entfernt, fliesst im Orte Helgenbronn neben der dortigen Walburgiskapelle ein kräftiger Wasserquell, Helgenbronn und Kinderbrunnen genannt. Am 1. Mai kommen die Mütter mit ihren siechen Kindern hieher, um sie zu baden; häufiger noch geschieht es auch an Johannis, 24. Juni, dass man hier die durch Sommersprossen verunstaltete Haut wäscht. A. Stöbers briefl. Mittheil. Kaspar Scheidt, Mayenlob (abgedruckt in Hubs Volksbb. des XVI. Jahrh. S. 316) beschreibt die allgemeine Sitte ausführlich und anmuthig, ins Maienbad zu reisen; die Bresthaften, die ihre Häuser nicht verlassen können, lassen sich im Mai daheim warme Bäder zurichten, es fahren die jungen Weiber darein, wenn sie noch keine Frucht zu erlangen vermochten, und wenn man daher ein Bild des Maien malt, so pflegt man zwei Eheleute beisammen im Wasserbade abzubilden, oder ein mit fröhlichen Leuten unter Trommel- und Pfeifenklang dahin ziehendes Schiff, oder junge wettschwimmende Gesellen.—König Albrecht hatte 1308 gerade seine Badefahrt beendet, im Städtchen Baden das Maifest abgehalten und war auf dem Wege, seine Gemahlin Elisabeth im benachbarten Rheinfelden abzuholen, als er am linken Reussufer von seinem Neffen und dessen Mitverschwornen meuchlings erschlagen wurde. Nicht lange, so ergieng gegen die Mörder die Blutrache. Ihre Burgen wurden gebrochen, ihre Burgmannschaften enthauptet, auch nicht die Kinder verschont. Agnes, des Ermordeten Tochter, so erzählt die Sage, soll dazumal durch das Blut der drei und sechzig Mann der Besatzung von Farwangen geschritten sein unter den grausigen Worten: "Jetzt im Blute derer gehend, die mir meinen frommen Herrn ermordet haben, bade ich in Maienthau". Die typisch gewesene allgemeine Redensart, aus welcher diese Sage entstanden, wiederholt sich z.B. in dem Liede vom baier. Krieg:

die Teutschen wurden wohlgemut,

sie giengen in der ketzer plut,

als wer's ain mayentawe.

Uhland, Schriften: "Sommer und Winter".

Auch symbolische Maibäder gab es, sowohl kirchlicher als bürgerlicher Art. Noch vor etlichen Jahren giengen Schulmeister und Chorknaben in der Kolmarer Gegend mit Weihwasser, genannt Heilwag, von Haus zu Haus, und besprengten damit dreimal die Bewohner unter den Worten:

Heiliwog, Gottesgob,

Glück ins Hus, Unglück drus!

Stöber, Elsäss. Sag. no. 231. In der Oberpfalz lautet dieser Spruch, nach Panzers BS. 2, 301:

O du guter Walbernthau,

Bringe mir, so weit ich schau,

In jedem Hälmlein Gras ein Tröpflein Schmalz!

Im Vinschgau werden am 1. Mai die "Madlen gebadet". Jedes Mädchen, das sich am Wege zeigt, wird von den Burschen gegen ein Bächlein gejagt und da begossen oder getaucht. Beim Schemenlaufen in der Perchtenmaskerade darf die Kübelmarie, "Kübele-Maja", nicht fehlen, eine Maske, die in den Brunnen springt und die Zuschauer begiesst. Zingerle, Tirol. Sitt. no. 747. 986. Wer zuerst vom Pflügen oder Aussäen heimkehrt, wird in der Oberpfalz aus einem Verstecke heimlich mit einer Schüssel Wasser begossen. Schönwerth 1, 400. Zu Wall in Böhmen bläst am 1. Mai der Dorfhirte alle übrigen Hirtenjungen zusammen, die dann eiligst dem Sammelplatze zulaufen. Wer zuletzt kommt, wird begossen. Reinsberg, Festl. Jahr 138. In Marseille begiesst man sich zu Johannis gegenseitig mit wohlriechenden Wassern. Simrock, Myth. 587. Am Himmelfahrts- und Pfingsttage wurde durch jenes Loch des Kirchengewölbes, durch das die hölzernen Figuren des Salvators und der Taube emporschwebten, angezündetes Werg auf die Zuschauer herabgeworfen und Wasser gegossen. Wiedemanns Chronik d. St. Hof.

Diese Züge führen über zum Thau- und Minnetrinken. Gervasius von Tilbury (ed. Liebrecht, Otia imperialia, pg. 2) meldet aus dem 13. Jahrh., wie zu seiner Zeit in England der Morgenthau selbst bei Vornehmen als Pfingsttrank galt, und zugleich hat A. Kuhn (Nordd. Sag. S. 512) nachgewiesen, dass dieser Brauch noch heutigen Tages in Edinburg auf dem öffentl. Platze des Arthurssitzes begangen wird. In dasselbe 13. Jahrh. fällt die Meldung von der Waldprozession, welche das Domkapitel zu Evreux am 1. Mai abhielt und sich da Zweige hieb zur Ausschmückung des Doms. Je zwei Tage vorher hatte es seit 1270 die Seelmesse für den Cleriker Bouteille zu begehen. Hiebei war im Kirchenchor ein Leichentuch aufs Pflaster ausgebreitet, an dessen vier Enden vier gefüllte Weinflaschen mit der fünften in der Mitte standen, die den Chorsängern preisgegeben wurden. Flögel, Gesch. des Groteskkomischen 170. 233. Vielleicht, dass man diesen welschen Mönchsbrauch aus dem altrömischen Feste der Anna Perenna (Ovid. Fast. 3, 523) ableiten möchte, wo an den Merz-Iden das Volk aus der Stadt an die ländlichen Ufer des Tiber zog und hier Laub- und Schilfhütten errichtete. So manchen Schluck da der Trinker nach einander aus dem Weinbecher thun konnte, auf so viele Lebensjahre hoffte er es zu bringen. Allein das vom Römerthum unberührt gebliebne Skandinavien kennt gleichwohl eine ähnliche Sitte. Die Bewohner Stockholms feiern den 1. Mai mit einer Art Auswanderung in den Thiergarten, wo man sich in den vielfachen Wirthschaften "Mark in die Knochen trinkt". Den Ursprung des Brauches kennt man dorten nicht mehr und schiebt ihn auf den Befreier Gustav Wasa, der am 1. Mai seinen Einzug in die Stadt hielt und sie von den Bedrängnissen einer langen Belagerung rettete. Allg. Augsb. Ztg. 1858, no. 132. Die deutschen Landschaften kennen ähnliche Wasser- und Weingelage, die altherkömmlich auf dieselben Tage fallen. In der Gemarkung von hessisch Gambach fliesst der Ehlborn (Oel lautet in dortiger Mundart Ehl), der ein so besonders gutes Wasser hat, dass die zu Gambach Sterbenden darnach zu verlangen pflegen. Wenn darum Kranke Wasser aus dem Ehlborn fordern, so gilt dies als ein Zeichen ihres nahen Todes, denn ein solcher Trunk, sagen die Leute, ist gleichsam die letzte Oelung. Wolf, Hess. Sag. no. 206. Dem Pfingstborn bei der Hanauischen Stadt Steinau schrieb man besondere Heilkraft zu, sammelte auf der dortigen Pfingstwiese den Maienthau, trank denselben und wusch sich damit, und wenn alljährlich die Steinauer Kinder mit ihren Eltern hier heraus zum Frühlingsfeste zogen, so trugen sie eine Menge irdener kleiner Krüge mit, die ihnen als Trinkgefässe dienten, Pfingstinseln genannt. Lynker, Hess. Sag. no. 329. Zum Rimleinsbrunnen im Weissenburger Walde, wo Wilibald die Heiden taufte, macht alljährlich die Eichstädter Schuljugend ihren Waldmarsch und geniesst daselbst die für dies Jugendfest altgestifteten Ergötzlichkeiten. Die Quelle, die an der alten Walburgskirche zu holländisch Gröningen entspringt, ist unversiegbar und der Schatz der Stadt. Bolland. 522. Des Jungbrunnens, welchen Walburgs anderer Bruder Oswald am Ifinger in Tirol entspringen liess, ist schon im Vorhergehenden gedacht worden. Damit der Ordelbach zu Eichstädt, der über eine achtzig Fuss hohe Bergwand gegen das Walburgiskloster, niedergeht, beim Anschwellen im Frühlinge sein Felsenbette nicht sprenge, wird von den Nonnen heiliges Oel durch eine Felsenspalte in sein Wasser hinab gegossen. Schöppner, Bair. Sagb. no. 1136. Beim Brunnenkranzfeste zu Bacherach tragen Knaben und Mädchen die Symbole der künftigen Ernte im Orte umher, Semmel und Speck an Säbel gespiesst, und Eier und Butter in Körbchen. Die darauf gesammelten Gaben werden folgenden Tages beim Brunnenmeister verzehrt "in dickem Brei mit gelben Schnitten". Allverbreitet ist heute der dem Birkenbaume abgezapfte Maitrank und der mit Waldmeister angesetzte Maiwein; jedoch wohin sie beide und die vorhin genannten Maigetränke zielen, sagen uns einige im Erblassen begriffene Traditionen. Auf dem Walpersberge bei Dresden sitzt in der Walburgisnacht und zu beiden Sonnenwenden der Teufel auf hohem Stuhle und vertheilt an die Anwesenden Schwerter, um zu kämpfen. Dieser Teufel ist Odhin, die Versammelten sind die Einheriar, welche nach beendigtem Schwertkampfe von den methschenkenden Schlachtjungfrauen bedient werden. Menzel, Odin 240. Daher tritt an die Stelle Walburgis zu dieser Festzeit oft auch die huldreiche Frau Holle und bietet den Verjüngungstrank. Bei thüringisch Arnstadt liegt der kräuterreiche Bergwald Walperholz, der einst auf seiner Höhe ein Walburgiskloster getragen haben soll. An einer Waldecke, genannt zur Hohenbuche und Jagdbuche, ist ein Rundplatz, wo niemals Gras und Kraut wächst, denn dahin ist der Geist einer betrügerischen Bierzapferin gebannt. Sie heisst Frau Holle, in altväterischer Tracht umgeht sie jene Buche und ruft: Vollmass, Vollmass! Bechstein, DSagb. no. 587. Damit ist die öl- und älschenkende Walburg als eine thauspendende Walküre angedeutet; noch dazu waltet sie in jenem durch das schon erwähnte, hier abgehaltene Maifest der Arnstädter bedeutsam gemachten Walde. Reynitzsch, Truhtensteine 187, hat hievon geschrieben. Ausdrücklich erzählt die Walburgislegende (Act. SS. tom. 2, pg. 301, cap. V), wie Fürstentöchter an Walburgis Grabe zu Monheim den ankommenden Pilgern Trank und Speise darreichen. Dabei kommt ein kostbares, im Kreise herum gebotenes Trinkgefäss (hanapp) plötzlich abhanden und kann weder wieder zum Vorschein gebracht, noch die Art seines Verschwindens ermittelt werden. Doch als die Wallfahrer, wieder auf der Heimreise begriffen, sich über jenen Verlust besprachen, stand es plötzlich unversehrt vor ihnen in Mitte ihres Weges. Es wurde ins Kloster zurückgeschickt und hier als ein neues Wunderzeichen aufbewahrt. Walburg heisst ferner ein runder Steinthurm hohen Alters bei der unterfränkischen Stadt Eltmann, er war von drei reichen Nonnen erbaut und konnte nicht anders eingenommen werden als durch ein blindes Ross, das man drei Tage hatte dursten lassen; alsdann verrieth es durch Stampfen den Belagerern die geheime Wasserleitung. Im benachbarten Hahnenwalde ist die Sigfrieds- und Drachensage lokalisirt. Panzer, BS. 1, no. 186. Walbele, Walberles- und Walburgisberg sind die volksthümlichen Namen der Erenbürg, eines hohen sattelförmigen Berges beim oberfränkischen Dorfe Wiesentau; das urkundlich 1062 genannt wird und ein Bestandtheil des karolinger Königshofes Forchheim gewesen war. Des Berges Gipfel ist mit Steinwällen abgegrenzt, an seinem Fusse liegen Grabhügel, aus denen man antiquarisch berühmtgewordene kupferne Streitäxte erhoben hat. Hier war das Schloss von drei schönen Fräulein, die beim Trocknen die Wäsche nur in die Luft warfen, so blieb sie hängen. Panzer, BS. 1, no. 157. Auf dem Giebel steht eine Walburgiskapelle, bei der am 1. Mai Wallfahrt und Jahrmarkt abgehalten wird; Tausende kommen von allen Seiten herauf, schon vor Sonnenaufgang zieht man den Berg hinan. Die Aussicht über die blüthenreiche Landschaft ist reizend; zahlreiche Wirthe sorgen für unerschöpfliche Libationen bei den gleichzeitigen Brandopfern der duftenden Bratwürste. So erfüllt sich der alttestamentliche Segensspruch 1. Mos. 27, 28, in allen Theilen:

Gott geb dir des Himmels Thau

Und die Fettigkeit der Au

Und die Fülle der Halmen

Und den Most der Palmen.

Die Festbräuche beim Sommerempfang, da man zu den wieder fliessenden Brunnquellen in hellen Haufen hinausrückte, die darauf gegründeten örtlichen Wasserrechte in Scheingefechten vertheidigte, mit Waldzweigen geschmückt wie ein wandelnder Wald heimkehrte und die frischen Maien um den Ortsbrunnen steckte—haben sich als das Fest der Bannbeschreitung, der Oeschprozession und des Mairittes hier und da noch gefristet, und vervollständigen diesen vorliegenden Abschnitt vom Maienthau nicht nur, sondern schliessen ihn erst wirklich nachdrucksam ab.

Vom 1. Mai an werden in oberdeutschen Landgemeinden die Grenzbesichtigungen des Bannkreises unter den verschiednen Benennungen der Bereisung, Landleite, Bannbeschreitung, des Flur- und Fohrumganges vorgenommen. Die ganze männliche Bevölkerung des Ortes, Jung und Alt, ist verpflichtet daran Theil zu nehmen und wird den Tag über auf Gemeindekosten verpflegt. Die dabei vorkommende symbolische Gedächtnisschärfung, die an der mitziehenden Jugend bei jedem neuen Marksteine mit Ohrenzupfen, Ohrfeigen und Einstutzen (auf den Stein stossen) vorgenommen wird, ist hinlänglich bekannt; eben so wenig bedarf es einer Beschreibung, wie viel Pulver dabei aus den Knabenpistolen verknallt und welches Weinquantum vom Männerdurst weggetrunken wird, um dann nach lustigem Tagwerke dem Küchleinbackwerk entgegen zu ziehen, dessen würziger Duft vom Vaterorte her entgegen dampft. Die städtischen Bürgerschaften pflügten ebenso unter grossem militärischen Aufwande ihr Gebiet zu umgehen, haben jedoch seit dem Schlusse des vorigen Jahrhunderts der Kosten wegen es in Vergessenheit gerathen lassen. Dagegen haben sich katholischer Seits zu Stadt und Land die Oeschprozessionen reichlich noch behauptet. So nennt man den auf 1. Mai fallenden kirchlichen Flurumgang, bei welchem an vier in den verschiednen Zelgen der Dorfflur errichteten Altären die vier Evangelien abgelesen werden; der Priester besprengt die Flur mit geweihtem Wasser und besegnet sie mit dem Wetter- oder Schauerkreuz. Unter den bei diesem Bittgange durch Bischof Wessenberg seit 1805 vorgeschriebnen Versikeln und Liedern schliesst ein von der ganzen Gemeinde gesungenes:

Deine milde Hand giebt Segen,

Giebt uns Sonnenschein und Regen.

So wird der Umgang im aargauer Frickthal und im jenseitigen Schwarzwalde abgehalten. Anderwärts geschieht dies schon am Markustage, 25. Apr. In Tirol glaubt man, diese Prozession sei älter als das Christenthum selbst, denn schon der Heiland habe derselben beigewohnt. Zingerle, Tirol. Sitt. no. 720; und allerdings findet sie sich unter dem Namen Rogationes schon unter den Karolingern kirchlich eingeführt (Rettberg, Kirchgesch. 2, 791) und war eine Fortsetzung der alten Robigalien; zur Abwehr des Rostes im Getreide veranstaltet. Diese Bittgänge waren unter dem Namen der Hagelfeier-Predigten selbst bei der protestantischen Bevölkerung an der Elbe üblich und durch ein besonderes Volksgelübde daselbst gestiftet gewesen. Die dortigen Lutheraner ruhten jährlich drei halbe Werktage von aller Arbeit und begaben sich zur Anhörung einer Predigt, durch die man zugleich dem Hagelschlag wehrte. Eine solche Rede findet sich in Zerrenners Ackerpredigten, Magdeburg 1783, 282.

Ein sehr alter und imponirender Zweig dieser Feste war der Mairitt; schon die Reimchronik von der Soester Fehde (bei Emminghaus, Memorabil. Susat. 1749, 660) nennt ihn einen Brauch aus alter Zeit: Up Walpurgis, als men in den meien plach tho riden na alter zede und gewonte. Die Ankenschnittenprozession zu luzernisch Beromünster wird bereits in der Urkunde von 1223 erwähnt bei Neugart, cod. diplom. no. 190. Sie wird am Himmelfahrtstage von den Stiftsherrn, den Rathsgliedern des Ortes, der Dragonermannschaft und den sich anschliessenden Wallfahrern zu Pferde abgehalten, Kreuz, Fahnen und Monstranz folgen zu Rosse mit, vom Rosse herab wird gepredigt. Der Ritt geht vom Städtlein weg auf aargauisches Gebiet nach Maihausen, wo der Hofbauer nach alter, auf dem Gute haftender Verpflichtung jedem beritten Mitkommenden eine frische Ankenschnitte bereit halten muss, die dieser seinem Reitpferde ins Maul stösst. Diese und ähnliche berittene Prozessionen sind bereits ausführlich beschrieben in den Naturmythen (Leipzig 1862) S. 17; nur das mittlerweile neu gefundene Material wird hier nachgetragen. Der Blutritt in Schwäbisch-Weingarten wird am sg. Wetterfreitag, am Tage nach Himmelfahrt abgehalten. Mit Ausschluss der Wallfahrer zu Fusse hat man dabei schon über siebentausend Reiter gezählt. Franz Sauter, Kloster Weingarten 1857, 35. In den oberschwäbischen Dörfern findet der Maithauritt am 1. Mai Morgens um 1 Uhr statt und kehrt mit Sonnenaufgang wieder heim. Man lagert in einem Walde, ist guter Dinge und lässt am Rückwege die bequem gelegnen Wirthshäuser nicht unbesucht. Birlinger, Schwäb. Sag. 2, no. 123. Bei den Vlamingen heissen die am 1. Mai veranstalteten kirchlichen Umritte Marienprozessionen, doch fällt derjenige zu Anderlecht bei Brüssel auf Pfingsten, der in Haeckendover bei Tirlemont auf Ostern. Bei letzterem wird unter zahlreichen Pistolenschüssen dreimal die Kirche umritten, dann gehts mit verhängtem Zügel quer über die Felder, indem man annimmt, dadurch werde die Ernte eine gesegnetere. Ein Bauer, der sich diesem Herumtraben auf seinem Felde widersetzte, fand nachher alle Aehren leer. Wolf, Ndl. Saga no. 345. In Anderlecht ward ehemals derjenige, welcher nach dreimaligem Wettjagen der erste am Kirchenportal anlangte, zu Ross und mit dem Bänderhut auf dem Haupte von dem ganzen Kapitel in die Kirche geführt, da mit einem Rosenkranz geschmückt und feierlich wieder hinaus geleitet. Reinsberg, Festl. Jahr. 140. Beim sg. Königsreiten in österreich. Schlesien, wobei Dorfrichter, Geschworene und alle Pferdebesitzer der Gemeinde, geistliche Lieder singend, die Ackerzelgen umreiten, wird der beste Wettrenner König. In Sachsen gilt um Pfingsten das Kranzreiten nach einem geschmückten Baum, ist aber in Nietleben bereits zum "Betteln reiten" herabgesunken. Sommer, Thüring. Saga S. 154. Unsre rechtgläubigen Bauern, bemerkt über die fränkische Bevölkerung in der Ansbacher Gegend Reynitzsch (Truhtensteine 143), reiten ihre Pferde am Ostertage ins Osterbad, gleichwie wir an demselben Tage uns neue Kleider anschaffen und die Zimmer ausweissen lassen. Johannes Boem, genannt Aubanus, von seiner Geburtsstadt Aub in Unterfranken, schrieb 1530 De moribus, legibus et ritibus gentium, woraus Ign. Gropp (Collectio Scriptor. Wirceburg.) den Abschnitt mittheilt, welcher das Frankenland betrifft; hier ist der würzburgische Pfingstritt also beschrieben: Pentecostes tempore ubique fere hoc agitur. Conveniunt quicunque equos habent aut mutuare possunt, et cum Dominico corpore, quod sacerdotum unus, etiam equo insidens, collo in bursa suspensum defert, totius agri sui limites obequitant, cantantes supplicantesque, ut segetes Deus ab omni injuria et calamitate conservare velit. Alljährlich zweimal, am 10. Mai und am zweiten Pfingsttage, begeht das südfranzösische Dorf Villemont das Kirchenfest seiner Ortsheiligen Solangia und trägt deren Reliquien in Prozession hinaus auf die Almende, welche Solangiafeld heisst und den von der Heiligen gegangenen Pfad noch aufweist, auf welchem das Gras stets schöner und dichter steht als auf dem angrenzenden Weideland. Da dieser Pfad die Zahl der Andächtigen, die oft bis auf Fünftausend anwächst, nicht zu fassen vermag und folglich da und dorten in die Saat hinausgeschritten wird, die um Pfingsten schon ziemlich hoch steht, so nimmt diese dabei gleichwohl keinen Schaden, sondern richtet sich schon zwei Tage nachher wieder selbst auf; ein Wunder, von welchem sich Prinz Heinrich von Bourbon im J. 1637 mit eignen Augen überzeugt haben soll. Das Gegentheil aber erfolgte an dem Flachsacker eines Geizigen, als der Eigenthümer hier der Prozession den Durchgang verweigerte; es fiel Mehlthau, der Sonnenstrahl schlug zu und die Anpflanzung wurde brandig. Godefr. Henschenius in Actis SS. tom. II, ad diem 10. Maii.

Solcherlei Frühlingsbräuche, die jungen Saaten prozessionsweise zu umreiten und zu durchreiten, stützen sich auf heidnischen und auf alttestamentlichen Glauben und wollen Abbilder sein eines den Göttern selbst beigelegten gleichen Thuns. Die Psalmenstelle 65, 12—Du krönest das Jahr mit deinem Gut und deine Fusstapfen triefen von Fett—liess eine Gottheit erblicken, welche das reifende Kornfeld persönlich beschreitet und mit ihrer Fussspur ertragsfähig macht, weshalb das Kirchenlied von Nikolaus Hermann "Um gut Gewitter und Regen" Strophe 9 jene Worte nachdrücklich wiederholt:

Umkrön das Jahr mit deiner Hand,

Mit deinen Fussstapfen düng das Land.

Hier ist der hl. Benno durchgegangen, sagen die preussischen Wenden von besonders gesegneten Feldern (Preusker, Vaterl. Vorzeit); von dem auf den Bergwiesen striemenweise fetter und üppiger wachsenden Grase sagt der Tiroler, hier ist der fromme Graf Leonhard geritten, hier ist der Alpgeist mit schmalzigen Füssen drüber gegangen (Zingerle, Tirol. Sag. no. 963. Tirol. Sitt. no. 314); hier ist der Kornweg des ausreitenden Rodensteiners, sagt der Hesse von den durch die noch grüne Frucht hinziehenden gelben Streifen vorreifender Kornähren. Wolf, Hess. Sag. no. 31. 56. Von den über die Spitzen des Aehrenfeldes hinschwebenden Hufen des Götterrosses versprach sich die Landwirthschaft vormals denselben Vortheil, den sie heute von den Merzwinden erwartet, diese haben nemlich dem jungen Halme Widerstandskraft gegen die sommerlichen Strichregen und Windstösse zu geben, dann wird er sich weniger lagern und die Aehre weniger ins giftige Mutterkorn schiessen. Auf eine ganz nahverwandte landwirthschaftliche Erfahrung stützt sich auch der Ritt in den Maienthau. Bekanntlich hängt die Befruchtung der Kornähren vom Samenstaub ab, den der Wind durch die Bewegung der Blüthen ausschüttelt und verbreitet. Diese Verbreitung geschieht aber bei der Unregelmässigkeit der Bewegung nur unregelmässig, daher bleiben viele Hülsen der Aehren taub. Der aargauer Bauer im Freienamte übt nun seit alter Zeit folgende Methode zur künstlichen Unterstützung der Befruchtung aus. Von beiden Breitseiten des Kornackers ziehen zwei Männer ein Seil über der Höhe des blühenden Getreides hin und streifen damit gelinde den Morgenthau ab. Dadurch werden nun einige der Aehren zwar "ringrostig", nemlich etwas brandig gemacht, die übrigen aber gegen das Sichlagern gestärkt und der ausfallende Samenstaub wird in ihnen gleichförmig vertheilt. So wird also Brand und Mutterkorn verhütet, die aus einer und derselben Ursache, aus nicht stattgefundner Befruchtung entstehen. Dieser Naturvorgang ist von den Griechen vergöttert, in Kunstgebilden dargestellt und bis auf die Athene übertragen worden. Unterhalb der Akropolis zu Athen stand der Thurm der Winde, unter dessen acht Relieffiguren auf einer seiner acht Seiten der Ostwind (Apeliotes), der den gedeihlichen Saatregen mit sich führt, dargestellt war als ein Genius mit heitrer Miene, geflügelt, mit flatterndem Gewande einherschwebend, in den Falten seines Mantels einen Bienenkorb tragend und neben reifenden Früchten eine Kornähre. Droben auf der Akropolis stand die Athenestatue, die den Beinamen Pandrosos (Allesbethauende) führte, als eine andere Demeter verehrt wurde und Aehren in der Hand trug (Welcker, Griech. Götterl. 1, 313). Diesen ihren Beinamen hatte sie nach demjenigen der drei Töchter des Cekrops, welche Aglauros (Schimmernde), Herse (Thau) und Pandrosos (Allthauig) hiessen und den Erysichthon (Ackermann) zum Bruder hatten, der auch Aithon (Brand und Mehlthau) hiess. Die Thaufeste, Ersephorien, sollten dem Mehlthau steuern und waren der Athene gewidmet.

Betrachten wir dieselben Anschauungen, wie sie in Sprache und Mythe unsrer deutschen Vorzeit sich ausgedrückt haben.

Thau, goth. daggvus, ahd. touwi, gehört nach Kuhns Vermuthung (Weber, Ind. Stud. 1; 327) zu sanskrit. dôha Milch, ableitend, von duh, ziehen, ducere, so dass also im Vorgange des Thauens das Geschäft des Melkens und Milchausdrückens erblickt wurde. Friesisch thavan, anglisch ton heisst waschen. Hundertfältig stimmen nun Mythen und Bräuche in der Annahme überein, aus dem rechtzeitigen Abstreifen des am Halme hängenden Morgenthaues lasse sich Milch und Butter gewinnen, als gediegenes Produkt fertig herauspressen, und das in diesen Thau getriebene Milchthier ergebe doppeltes Milchquantum. Die Synode zu Ferrara 1612 verbietet, Tücher in der Nacht vor Johannis Baptistae unter den Himmel zu breiten in der Absicht, den Thau aufzufangen. Liebrecht, Gervas. Tilb. S. 230; gleichwohl ertheilt Schnurr im Oekonom. Kalender besonderen Unterricht, wie man den Himmelsthau vom schossenden Getreide mit subtilen Tüchern aufzufangen und diese in Gefässe auszuwinden habe, denn solcher Thau sei unsres Landes Manna. Prätorius, Blockesberg S. 559. Grohmann, Böhm. Abergl. S. 132 berichtet Folgendes von einem nun verstorbenen Simanek aus Kaurim. Er schmückte in der Walburgisnacht seine Kuh mit grünen Zweigen und einer Decke, zog sich selbst nackt aus und führte das Thier durch den Thau. Heimgekehrt drückte er die thaubenetzte Decke in ein Gefäss aus, indem er dabei mit den vier Zipfeln umgieng wie beim Melken, und gab das gewonnene Wasser den Thieren unter die Tränke. Sie waren dann das ganze Jahr milchreich. Es ist eine von Sachsen bis nach Ostfriesland nachgewiesne Sitte, abwechselnd um Mai, Ostern oder Pfingsten, den Frühthau zu gewinnen, indem man die Heerde hineintreibt oder ihn mit Wettritt und Wettlauf feierlich abstreift. Die am frühesten ausgetriebene Weidekuh bekommt einen langen Maibusch an den Schwanz gebunden, erhält den Preisnamen Daufäjer, Dauschlöpper, das wettrennende Ross den Namen Thaustrauch, weil sie den ersten Thau erfolgreich weggefegt haben, und werden mit dem am Rennziel auf der Stange steckenden Blumenmaien oder Brodweck beschenkt. Kuhn, Nordd. Sag. S. 380-88. Westfäl. Sag. 2, S. 165. Ebenso gilt in Holland das Daauwtrappen und Daauwslaan. Allein die egoistische Natur des Menschen, die bei jedem Begegnisse den Neid des Andern voraussetzt, verkehrt den heiligen Thau zum Zaubermittel; darum gehen denn auch die Hexen um Weihnachten in die Wintersaat und erhorchen die Zukunft, auf Walburgis in das grüne Korn, auf Pfingsten ins Roggenfeld, um in Thau zu baden, mit den hinter sich her gezogenen Tüchern ihn aufzusammeln, daheim auszupressen und so die Milch jeder fremden Weidekuh für sich zu gewinnen. Schönwerth, Oberpf. 3, 172. Daher heissen die Hexen in Holstein Daustrîker. Die ao. 794 zu Frankfurt versammelten Bischöfe erklärten eine letztjährige Hungersnoth daraus, dass der Teufel den Leuten, welche den Zehnten nicht entrichten, damals die Aehren ausgefressen habe: experimento enim didicimus in anno, quo illa valida fames irrepsit, ebullire vacuas annonas a daemonibus devoratas et voces exprobriationis auditas. Schmidt, Gesch. d. Deutsch. 1, 575. Niedlich lauten die Histörchen von den Zwergen, die sich des gleichen Vortheils zu bedienen suchen und darüber kläglich entdeckt werden. Wenn die Zwerge im Harz in die Erbsenfelder giengen, hatten sie ihre unsichtbar machenden Nebelkappen auf. Allein die Leute nahmen einen Pflugstrick oder eine lange Stange und fuhren damit oben über das Feld hin. Damit fielen den Zwergen die Nebelkappen vom Kopfe, sie wurden sichtbar und konnten tüchtig durchgeprügelt werden. Pröhle, Harzsag. 1, 199. 210. Um sich nun gegen die Nachstellungen der Hexen sicher zu stellen, kommt man ihnen auf folgende Weise zuvor. Man breitet in der Walburgisnacht ein weisses Tischtuch im Hofe aus, auf dem neunerlei Arten Kornes durch einander geschüttelt liegen, lässt sie vom Nachtthau benetzt werden und füttert damit sämmtliche Hausthiere vom Stier bis zum Huhn hinab. Darstellungen aus dem Gebiet des Abgl., Grätz bei Kienreich 1801, S. 9. Da auf ähnlich magische Weise auch der Butterraub ausgeübt wird, so ist das Gegenmittel hier wiederum ein gleiches: am 1. Mai alle Speisen recht stark zu schmalzen, Ankenschnitten, in der Schweiz eine dickgestrichene Ankenbrüt, am Familientische zu essen, allen Hausthieren davon zukommen zu lassen und dem Weidevieh beim ersten Austrieb ein solches Stück zu geben. Vom hexenhaften Buttergewinn erzählt Jac. Sprenger im Hexenhammer, pars 2, quaest. 1, cap. 14 folgende Begebenheit. An einem Maitag empfanden mehrere zusammen über Feld Spazierende grosse Lust, frische Maibutter zu geniessen. Sie standen zufällig an einem Flusse. Ich will euch solche besorgen, sprach einer von ihnen, wartet nur ein wenig. Er gieng in den Fluss, setzte sich mit dem Rücken gegen den Lauf, rührte mit den Händen rückwärts und es dauerte nicht lange, so brachte er eine förmliche Butterballe zum Vorschein, wie sie die Bauern im Mai machen. Die Gesellen fanden sie beim Verkosten ganz trefflich schmeckend.—Ein aargauer Bauernsprichwort sagt rationalisirend: Wer am Maitag Gras häufelt, der kann an der Auffahrt schon eine Ankenballe in seiner Matte bergen. Der gelehrte Abt Trithemius dagegen versichert in seinem für Kaiser Max I. verfassten Liber octo questionum (gedruckt bei Joh. Hasselberger 1515) alles Ernstes in der sechsten Frage: Exploratum habemus, maleficas in fluminibus concitatis hausisse butyrum temporibus. Daher heisst es, in der Walburgisnacht fliege der Drache um und trage seinen Gläubigen Butter und Schmalz aus fremden Häusern zu. Was er nicht weiter schleppen kann, speit er auf die Schwindgruben; die gelbweissen Algen in Tellergrösse, die man auf dem Düngerhaufen zuweilen erblickt, heissen daher Drachenschmalz. Schönwerth, Oberpfalz 1, 394. 396. Mit demselben Morgenthau erwartet man auch den Honigregen; denn, sagt Carrichter, des Kaisers Maximilian II. Leibarzt, in der Teutschen Speisskammer (Strassburg 1614) S. 69: "Da die Bienen im Herbste, obschon dann noch immer Blumen vorhanden sind, keinen Honig mehr eintragen können, so ist daraus zu ersehen, dass der Honig nicht aus den Blumen, sondern aus dem Thau bereitet wird, der zur Zeit des Siebengestirns auf die Blumen fällt;" und daher erzähle Galenus, 3. B. de alimentis, die Bauern hätten am Morgen, wenn sie Honig auf den Bäumen kleben gesehen, ein Freudenlied gesungen: "der grosse Jupiter im Himmel droben regnet uns Honig auf das Feld!" Unsre Bauernregel besagt: Viel Honigthau im Mai giebt starke Bienenschwärme. Thau und Honigfall wird von einem Engel uns zugebracht, er liefert, nach Hebels Alemann. Gedichten:

Mengmol e Hämpfeli Bluememehl,

Mengmol e Tröpfli Morgethau.

Da beides die ausschliessliche Nahrung der Unsterblichen ist, so ist sie darum auch so süssschmeckend; denn, sagt Hebel:

Dört oben wachst kei Gras, dört wachse numme Rosinli.

Die böhmische Haingöttin Medulina hat ihren Namen vom Honigtranke Meth. Sie ist eine Weisse Frau, die in der einen Hand ein Körbchen mit Pflanzen, in der andern einen Strauss trägt. Im Frühlinge trägt das Volk Honig in die Wälder, stellt ihn auf die Baumstöcke und spricht: Medulina, da hast du, du giebst es übers Jahr wieder! Grohmann, Böhm. Sagb. 1, 134. Im finnischen Epos Kalewala, 15. Gesang, wird erzählt, wie der ertrunkene Lemminkäinen von der Mutter wieder ins Leben gebracht wird. Alle Besegnungen und Heilmittel wollen ihm aber nicht wieder zum Sprachvermögen verhelfen. Da fleht die Mutter ein Honigbienchen an, es möchte hinauf in den neunten Himmel fliegen, wo Gott aus seinem Honigkeller die zu Schaden gekommenen Kinder salbt. Das Bienchen bringt von dieser Salbe herbei, die Mutter stillt des Sohnes Schmerzen und die Sprache kehrt auf seine Zunge zurück.

Das grosse Kapitel des Hexenglaubens liegt nun zwar mit der Walburgisnacht hier nahe genug zusammen; gleichwohl soll es nur so weit berührt werden, als dadurch der innerliche Grund seiner missgestalteten Meinungen an der Hand der bisher vorgetragnen Angaben zur Verdeutlichung gebracht werden kann.

Füllt der Königssohn im Zauberschlosse drei Flaschen mit dem Wasser des Lebens und heilt damit den alten kranken König (Grimm KM. 3, S. 178), so taucht dagegen die Hexe am Walpernabend ihren Finger in sieben Bouteillen, beschmiert sich damit und fährt so auf den Blocksberg. Kuhn, Nordd. Sag. S. 192. Dies aber sind ursprünglich jene Zinnkannen und silbernen Kannen, die beim Bergquell Salibrunnen an der Waldwohnung der Erdmännchen stehen (Aargau. Sag. 1, S. 198), oder die nächtlicher Weile vom Ritterschloss Breuerberg in der Wetterau zum zerstörten Nonnenkloster Erlesberg hinüber wandern. Wolf DMS. no. 454.—Das Horn, aus welchem zum Maienfest Minne getrunken wird, ist golden, wird in verschiedenen Kirchen aufbewahrt und als Altarkelch gebraucht; selbst das Bestehen ganzer Geschlechter ist an seine Erhaltung geknüpft (Menzel, Odin 250-53); das Trinkhorn aber am Blocksberg ist ein Kuhfuss und sein Inhalt ein seuchenträchtiger Satanstrank. Mit Fackeln wird Saat und Gras aus dem Boden gezündet, unter Glockenklang mit Musik und Gesang der Lenz geweckt, doch auch dieser dichterisch erfundene Brauch verkehrt sich ins Dämonische und wird sein eignes Gegentheil. Dann heisst das Entzünden der nächtlichen Freudenfeuer überall das Hexenbrennen, und aus dem lustigen Frühlingsbrauch, die nun endlich in Ruhe kommenden Besen und Schürgabeln in Flammen aufgehen zu lassen, macht der Unverstand einen Luftritt der Zauberer auf dem Besenstiel und ein sich selbst Verbrennen des Satans in Bocksgestalt. Während noch im J. 1839 das Märzfest im Bergell unter Trommelschlag und Hörnerklang begangen wurde, wobei ein jeder im Zuge Kuhschellen umgebunden trug und läutete, "damit das Gras wächst" (Leonhardi, Rhätische Sitt. 1844), gilt im kathol. Frickthal und in dem benachbarten badischen Schwarzwald kirchlich das Reifläuten im Mai, wie das Gewitterläuten im Sommer. Im tiroler Innthale umgeht am Jörgentage, 24. April, die russige Prozession die Felder. Mit Kuh- und Hausglocken, mit Hafen und Pfannen lärmend, im unflätigsten Sennenhemde und mit berusstem Gesichte, Kröten und Eidechsen zur Schau tragend, durchstreifen die Bursche das Gemeindefeld und werden bei ihrer Rückkehr ins Dorf dafür beschenkt. Und damit alle sittlichen Vorstellungen so recht vom Gaul auf den Esel kommen, tritt an die Stelle der rossetummelnden Saatenreiter die hässliche Bocksreiterei und der teufelsverschworene Bilmesschnitter. Auf einem schwarzen Bocke, am Fusse die Sichel angeschnallt, durchreitet und durchschneidet er den Aufwuchs ganzer Ackerbreiten. J. Feifalik hat in der österreich. Gymnas. Ztschr. 1858, 410 aus einer Hds. des Olmüzer Archivs einen Segensspruch veröffentlicht gegen "die Pylweisse om sent Wolbrygh-obent"; der Besegner giebt dabei dem Stallthiere eine geweihte Kerze zu verschlucken. "Es wor am Walburgisobende geschahn, wenn de Pülewesen osfaren", schreibt hievon der Schlesier A. Gryphius, Dornrose 51 (nach Weinholds Schles. Wörtb. 1855, 10). Mit Heilöl salbt die Schlachtenjungfrau den wundgewordnen Krieger; mit dem aus ihrem Brustbein fliessenden Oel heilt Walburg die Kranken; aber die zum Tanze ausfahrende Walburgishexe bestreicht sich mit einem in den Oberpfälzer Sagen Schönwerths 1, 372 ausführlich besprochnen Hexenöl, und wenn sie darüber im fremden Stalle betroffen wird, "streicht ihr der Bauer dafür den Buckel, dass sie Oel giebt". Alpenburg, Tirol. Sag. 1, 290. Thôrs Tochter heisst Thrudhr, d.h. die Tretende; denn nachdem der Ackergott, ihr Vater, das Korn hat reifen lassen, lässt sie die vollen Garben in der Tenne austreten. Hierauf aber wird die Trud zum Alp, welcher den Schlafenden auf die Brust tritt, dass er erstickt, oder, wenn ihr dieser mangelt, die neubelaubten Bäume reitet, dass man alle Verkrüppelungen an Eschen und Fichten Trudenpfötschen nennt. Das Stallthier wurde des Milch- und Buttergewinnes wegen in den Maienthau hinaus getrieben, dass es zuletzt dem thaumähnigen Rosse der jungfräulichen Walküren glich; statt ihrer aber liess hierauf der grobe Aberglaube die Trude Nachts in den Stall schleichen und die Thiere reiten, dass sie des Morgens abgehetzt und voll Schweiss dastehen, nur Mähne und Schweif ist von unbekannter Hand in zierliche Frauenzöpfchen geflochten. Statt die Häuser mit Maien zu schmücken und den Walbernbaum aufzupflanzen, werden so viele Ruthen auf den Düngerhaufen gesteckt, als man Rinder hat, die Kinder machen sich aus Weiden kleine Galgen und überspringen sie in die Wette; wer dabei nicht anstösst, in dessen Hause werden die Milchkühe ergiebig. Haupt-Schmaler, Wend. Volksl. 2, 224. Ein förmliches Treibjagen wird gegen die Hexen angestellt; mit knallenden Peitschen werden sie aus der Dorfflur hinausgehauen, dies ist das Hexen-Tuschen, Hexen-Auspletschen in der Oberpfalz (Schönwerth 1, 312), das Maibutter-Ausschnellen in Tirol (Zingerle, Sitt. no. 783), das Hinausblitzen in Deutschböhmen (Reinsberg, Festl. Jahr 137). Mit einem tüchtigen Schuss Pulver schiesst man in die auf die Hausschwelle gesetzte Milchschüssel, dass kein Tropfen davon drinnen bleibt; dann hört die Kuh auf, blaue Milch zu geben. Darstell. aus d. Gebiet des Abgl. (Grätz 1801) S. 126. So weit erstreckt sich die Umwandlung alles Natürlichen ins Zauberhafte, so weit gieng die Gesunkenheit des ursprünglich so gesunden Volksbegriffs. Aller lebensfrohe rüstige Volksbrauch ist in Boshaftigkeit verkehrt. Wird im 13. Jahrhundert vielfach gegen den Volksglauben an sg. Nymphen gepredigt, so heissen diese doch immer noch schöne Jungfrauen, die mit brennenden Wachslichtern in den Ställen die Thiere besorgen, dass des Morgens Wachstropfen in den Mähnen der Rosse kleben; sie erscheinen unter schattigen Waldbäumen, verbinden sich dem Getreuen in Liebe, stillen dem Armen Hunger und Durst, ihre Herrin ist nach dem gelehrten Ausdrucke jener Zeit latein. Abundantia, die romanische dame Abonde, die Königin Habundia, unsre deutsche Göttin Fulla. Wo sie erscheinen, da bringt es dem Hause Glück und Vorsput. So anfangs als Allgütige verehrt, sind sie nun feindselig und gefürchtet; erst eine überirdisch schöne Holda, dann eine triefäugige Unholdin; erst eine thaufrische Walburgis, unter deren Schritt der Acker von Oel trieft, zuletzt eine Anna Walper von Wertheim, die im peinlichen Protokoll v.J. 1644 bekennt, den Teufel beim Hexentanze in einer eisernen Schellenkappe mitgesehen zu haben. Wolf, Ztschr. f. Myth. 4, 23. Sogar zu der finnisch-ehstnischen Bevölkerung ist dieser Name gedrungen, vermittelt durch die Schweden; der Heiligen Festtag heisst Wolpripääw (Russwurm, Eibofolke 2, 263. 1, 74. 98). Die Serben nennen den Hexenritt na Walporu. Haupt-Schmaler, Wend. Volksl. 2, 265. Noch bevor diese Satanisierung der deutschen Götter durch die Kirche genugsam durchgeführt werden konnte, verwandelten sie sich mit ihrer im Volksglauben nicht bezweifelten Macht erst ins Riesenhafte. In rückwärtsschreitender Betrachtung unseres Gegenstandes zeigen wir nun die Jöten- und dann die Walkürennatur Walburgis und sind damit am Schlusse.


Sechster Abschnitt.

Walburg, die Göttin der Zeugung und Ernährung.


Der Ordensneid der Jesuiten gegen die von ihnen unabhängigen Diöcesen und Stifte gab den ersten Anlass, die Walburgislegende in ihrem Gesammtzusammenhang zu betrachten, während man sie bis dahin fast nur in ihrer lokalen vereinzelten Tradition aufgefasst und dargestellt hatte. Die Ingolstädter Jesuiten, unter ihnen Gretser voran, wollten der niederdeutschen Walburg nicht die kirchliche Geltung der oberdeutschen zuerkennen. Jene, behaupteten sie, sei die sg. Walburga Westfalica, eine gewesene Nienheerser oder Herswender Nonne im Kloster bei Paderborn, die Schwester des dortigen Bischofs Liuthard, die um 840 gelebt habe und nebst ihrem Bruder 877 von den Vandalen erschlagen worden sei. Sie sei nur selig gesprochen worden, dagegen die Eichstädter Walburg sei bereits im J. 779 gestorben und canonisirt; erst ihr Ruhm habe jener westfälischen Namensschwester zu einigem kirchlichen Ansehen verholfen. Diesem Vorgeben steht indess in der Kirchengeschichte Niederdeutschlands alles Mögliche entgegen. Der grössere Theil der dortigen alten Stiftskirchen ist der hl. Walburg schon seit so alter Zeit geweiht, dass man daselbst von der Walburgiskirche zu Gröningen behauptet, sie sei ein Heidentempel der Göttin Walburg gewesen, und dass man in der Walburgiskirche zu Veurne (Diöcese Ypern) sogar noch die Stelle zeigt, wo dieser Göttin Menschenopfer gebracht worden sein sollen. Wolf, Ndl. Sag. no. 309, S. 696. Bollandisten l.c. 522. Die Annahme eines sehr hohen Alters dieser Kirchen wird zugleich durch ihren Baustil unterstützt; die zu Gröningen ist eine Rotunde mit thurmähnlichen Mauern und steht auf einem Gange, welcher unterirdisch bis zum Nachbardorfe Helgen führen soll. Diejenige zu Antwerpen, in der dortigen Altstadt gelegen, heisst Burg (castrum), in ihrer Krypta soll Walburgis auf ihrer Herreise aus England gewohnt und die Gastfreundschaft der Stadt genossen haben. Je weiter man nun den Walburgiscult nordwärts verfolgt, um so mehr tritt seine heidnische Abkunft hervor, und Walburg nimmt da nebst ihrem bischöflichen Bruder die vergröberte Gestalt der Riesen an. Schon im Harz wird Wilibald ein Hüne genannt (Pröhle, Harzsag. 1, 275); um Harlem aber gilt Walburg als die Heerden weidende und Strandräuber vertilgende Riesin Walberech. Seeräuber ersäuft sie, Viehdiebe frisst sie lebendig auf; dann nimmt sie ihre Ochsen unter den rechten Arm, ihre Rosse unter den linken, steckt die Schafe zusammen in die Haare ihres Hauptes und geht so in einem Schritte von Holland nach England hinüber. Wolf, Ndl. Sag. no. 28. Als eine gleich ungestüme Heidenfrau, menschliches Mass überschreitend, gilt Walburg in Schweden, wovon in Wedderkop's Bildd. a.d. Norden, 2. Th. die Rede ist. Nicht anders erzählt die, irische Legende von der Hexe Moll Wallbee in Beeckmakshire, sie habe das Schloss Hao in einer Nacht erbaut und die Steine dazu von Dollgellen in der Schürze hergetragen. Als ihr dabei im Laufen ein Kiesel in den Schuh kam, schleuderte sie ihn heraus; er fiel auf den Kirchhof von Clowes, drei Meilen von Dollgellen, da liegt er noch, neun Fuss lang und einen dick. (Vulpius) Curiositäten Bd. 8, 240. Endlich hat sich jene Walburga Westfalica sogar als eine Antwerpner Venus herausgestellt, deren Abbildung in Wolfs Beiträgen 1, Tafel II, Figur 1, lehrt, dass sie keineswegs die antike Venus gewesen ist, sondern ein deren antiken Namen tragendes deutsches Götterbild. Es ist ein über dem Antwerpner Steenport in die Mauer eingelassenes, halb erhaben gehauenes Steinbild, das noch in seinen ursprünglichen Umrissen zu erkennen, in seinen Besonderheiten aber abgemeisselt ist; dasselbe hat langes Haar, hebt beide Arme bis zur Kopfhöhe anbetend empor und zieht die aus einander gespreizten Beine herauf. Dass es ein Götterbild war, urtheilt Wolf, l.c. 107, darin stimmen alle älteren Geschichtschreiber Antwerpens überein, unter denen auch der berühmte Bollandist Papebrochius; dafür spricht ferner die allgemeine Verehrung, deren es genoss, dafür zeugt auch, dass unfruchtbare Frauen ihm Kränze und Blumen opferten, die Manneszeichen, die es phallisch trug, abschabten und als Heilpulver tranken, um bald des Mutterglückes theilhaftig zu werden. Davon berichten Mart. Zeiller, Itin. Gall. Bl. 527; Goropius Becanus, Origin. Antverp. pg. 26; J.B. Gramaye, Antiquitt. Antverp. lib. II, pg. 13, und selbst die Bollandisten III, 521. Bei dem geringsten Zufalle, sagt Becanus, welcher Antwerpner Frauen begegnet, ob sie ein Küchengeschirr zerbrechen, oder sich die Zehe verstauchen, rufen sie ohne weiteres dieses priapische Bild laut an, und selbst bei den Anständigsten ist solche alte Unsitte noch im Schwange. Die Ortslegende, deren Gramaye erwähnt, erzählt, dass der hl. Willibrord, als er hier die Bekehrung begann, die heidnische Anbetung dieser steinernen Walburgis schon vorgefunden und an ihrer Stelle den Dienst der hl. Walburgis eingeführt habe. Die Heiden hätten jedoch von diesem Idol ihrer Venus nur sehr zähe abgelassen, und daher rühre denn der bei den dortigen Weibern andauernde schmutzige Brauch, deren Hartnäckigkeit in Sachen des Aberglaubens allbekannt sei. Somit steht der Cult einer vorchristlichen, norddeutschen Walburgis fest, welche in der Mönchsprache Venus und, da sie phallische Abzeichen trug, Priapus genannt worden ist. Ihre Hermaphroditengestaltung entspringt aus den ursprünglichen Grundbegriffen der eddischen Götterlehre, zu Folge welcher die Gottheit doppelgeschlechtig ist, um sich selbst ins Unendliche fort zu erzeugen. Dem Urriesen Ymir erwuchs unter dem linken Arme Mann und Weib. Tuisco, der vaterlose Stammgott, erzeugt aus sich selbst den Sohn Mannus. Die Ackergöttin Walburg musste doppelgeschlechtig sein, wie die Pflanze und das Samenkorn ein Zwitter ist. Als weiblicher Liebesgott erscheint sie priapisch, gleich dem männlichen Liebesgotte Freyr, (ahd. Frô), welchen Adam von Bremen Fricco unter der ausdrücklichen Beifügung benennt, er werde phallisch abgebildet, walte über Regen und Sonnenschein und stehe den Werken des Friedens und der Ehe vor: cujus simulachrum fingunt ingenti priapo; si nuptiae celebrandae sunt, sacrificia offerunt Fricconi. Sein Name gründet in der Wurzel prî = freien, woraus auch Πρίαπος, selbst stammt. Freyrs Schwester Freyja (gleich der altslavischen Prija = Venus) ist daher die Ehefrau ausschliesslich. Es ist nun gewiss ausserordentlich bedeutsam, dass sich ganz dieselbe Verehrung heidnisch-phallischer Bildwerke im Eichstädter Gebiete, als dem süddeutschen Schauplatze der Wirksamkeit der hl. Walburg, wieder findet. In dem zwischen den Städten Eichstädt und Weissenburg am Ausgänge des grossen Weissenburger Waldes gelegnen Dorfe Emmetsheim findet sich unter mehrfachem römischem Grundgemäuer im Garten des dortigen Wirthshauses ein antiker Steinwürfel, dessen eine Seite die Grabinschrift einer römischen Ehefrau, die andere die eines Merkuraltares trägt. Letztere zeigt die Herme einer stark gebrüsteten Frau; auf der andern ist eine nackte Figur sitzend dargestellt mit aus einander gespreizten Beinen, beide Hände am Phallus haltend. Beide Figuren sind an den Einzeltheilen vorsätzlich verstümmelt. Noch im vorigen Jahrhundert setzten sich unfruchtbare Weiber auf dieses Steinbild, um dadurch zum Kindersegen befähigt zu werden, und als der Markgraf von Ansbach am 7. April 1721 hier durchreisend den Stein besah und um ihn für seine Kunstsammlung anzukaufen, sich an den Eichstädter Bischof wendete, wurde ihm die Antwort, dass diese Gruppe als Nahrung des Wirthes in statu quo zu belassen sei. Sax, Gesch. v. Eichst. 1857, S. 287. Von der Mönchsweisheit wurde dieses Bild abwechselnd bald der Götze Miplezeth (1 Könige 15, 13), bald Priapus genannt. Falkenstein, Nordgau. Alterth. 86. "Der Phallusdienst, sagt Grimm, Myth. 1209, entspringt in der Kindheit der Völker aus einer schuldlosen Verehrung des zeugenden Prinzips, die eine spätere, ihrer Sünde bewusste Zeit ängstlich mied." Voltaire war der Urheber der tiefen Bemerkung, dass schlüpfrige religiöse Ceremonien nichts gemeinsam haben mit schlüpfrigen nationalen Sitten. In dem Essar sur les moeurs ch. 143, Oeuv. 17, 341 sagt er: "Unsre Vorstellungen über Wohlanständigkeit veranlassen uns zu glauben, ein uns schamlos erscheinender Brauch könne nichts anderes als eine Erfindung der Zügellosigkeit sein. Allein es ist unglaublich, dass Sittenverderbniss jemals bei irgend einem Volke die Stifterin religiöser Ceremonien gewesen wäre. Im Gegentheile ist es verbürgt, dass dergleichen Bräuche bereits in den Zeiten der Sitteneinfalt entstanden und dass man dabei keinen andern Gedanken hatte, als die Gottheit in dem uns von ihr gegebnen Lebenssymbole zu verehren. Ein derartiger Feierbrauch hatte den Zweck, die Jugend für ihre Reife zu begeistern und kann nur einem ergreisten Gehirne in abgeklärten, abgefeimten oder moralisch ruinirten Epochen lächerlich erscheinen."

Folgerichtig wurde nun die Göttin der Fruchtbarkeit nicht nur in ihrer Körpergestalt priapisch gedacht, sondern auch die von ihr kommende Frucht, in gleicher Weise künstlich geformt, zum Genusse dargeboten. Daher weihte man den Gottheiten des Ackerbaues phallisch geformte Kuchen. Priape, aus Weizenmehl gebacken, erwähnen Martial (XIV, 61: Priapus siligneus; IX, 3: siligneus cunnus) und der Scholiast zu Juvenal II, 53: membra virilia, de melle et fermento composita. Unseren eignen Vorfahren war diese Sitte keineswegs fremd. Joh. Campegius De re cibaria 1560 schreibt: aliae placentae repraesentant virilia (si diis placet); adeo degeneravere boni mores, ut etiam christianis obscoena et pudenda in cibis placeant. Sunt etiam quos cunnos saccharatos appellent. Dass solcherlei Kuchen (miches), die weiblichen Theile darstellend, vorzugsweise in der Auvergne gebacken wurden, bemerkt Dulaur De divinites generatrices 226 und fügt noch hinzu: dans plusieurs parties de la France on fabrique des pains, qui ont la figure du Phallus. Aehnliche Landesbräuche umgeben uns noch ringsum, man braucht nur die Augen zu öffnen. Das Milchbrod der fränkischen Eierweckchen, in bekannter zweideutiger Form gebacken, heisst in Ansbach Klärungsweck; dieser Name wird daselbst nicht etwa von Eierklar abgeleitet, sondern von der Clairon († 1803 zu Paris), des letzten Ansbacher Markgrafen Hofmaitresse, deren Lieblingsspeise diese feine Brodgattung gewesen sein soll. Archiv f. Oberfranken V. 2, 93. Das altbairische breite Eierweckel wird als Geschenk nur an Mädchen gegeben, dagegen das stangenartige Weissbrod des Kipferl nur an Bursche. Dass man in den oberbair. Gegenden beiden Brodformen sexuelle Bedeutung unterlegt, beweisen die um Rosenheim und im Chiemgau hierüber gesungenen Schnaderhüpfeln, in denen das stuprum variirt wird. Aehnlich ist das obscöne Gebildbrod der Meissner Fummeln, über welche Schäfer im ersten Theil der deutschen Städtewahrzeichen 1858 gehandelt hat, und dasjenige der verschiedenartig, stets schimpflich zubenannten Nonnenkräpflein. Deutsche Festbrode, gebacken in Gestalt der in den Cannstatter Grabhügeln aufgefundenen Frôbildchen, welche das gleiche Symbol des Belebens und Wiedererweckens an sich tragen (Memminger, Beschreib. des OA. Cannstatt, 18), heissen in Oberdeutschland Mannoggel, Nikolause, Klausmänner, Hanselmänner, Grittebenze; in Niederdeutschland Sengterklas, Klaskerlchen u.s.w. Die weibliche ähnlich gestaltete Brodfigur wird gewöhnlich nur die Frau genannt. Beiden ist gemeinsam, dass ihnen Augen, Brüste, Rockknöpfe aus Korinthen eingesetzt sind, dass sie beide Arme in die Seite einstemmen und ihre Beine weit aus einander spreizen; daher auch ihr Name Gritte, Grittebenz, altbair. Beingrattel, varus oder valgus. Es ist in ihnen, also die Stellung der beiden vorhin beschriebenen Steinbilder zu Antwerpen und Emmetsheim typisch wiederholt. Alle diese Formen sind symbolische, dem mythischen Zeitalter und den Urvorstellungen der Menschheit angehörende, und müssen eben darum gegen unser Sittengesetz verstossen, weil dieses im Bewusstsein des Naturmenschen noch gänzlich schlummert.

Bis hieher ist verspart geblieben, den Namen Walburg zu erklären und mit den Hauptzügen seines Mythus in Verbindung zu bringen. Wie der bisher vorgetragene Sagenkreis in zwei Hälften sich scheidet, in ein lichtes Frühlingsgebiet und in ein dämonisches Nachtreich, so führt auch die Etymologie des Namens in diese Doppelwelt. Die schönere Seite mache hier den Beginn, weil sie sprachlich die ergiebigere ist.

Wenn der liebende Wuotan im Frühlingsbeginne seine Vermählung mit der Himmelsherrin (Freyja, Frouwa) feiert, so trägt er den ahd. Beinamen des Liebesgottes Wunscio, nordisch Oski, und ist begleitet von einem Liebesheere von Brautjungfern, welche die schwanenweissen Wünschelfrauen, Schwanenjungfrauen sind, nord. ôskmeyjar, Wunschmädchen. Das Wort Wunsch stammt aus wunia, bedeutet Lust und Liebe, und führt uns sogleich 1) auf Walburgis Mutter Wunna, aus deren Namen die Lateinlegende eine Bona mater, und die niederdeutsche Legende eine Frau Guta bildete (Gretser 749), eine in der deutschen Heldensage vielgenannte Ahnfrau der Heldengeschlechter. Sodann führt Wunsch 2) auf den Namen eines der Brüder Walburgis, Wunnibald: der den Wonnewunsch Gewährende.

Als Wunnas Oheim sodann wird in dem von Othlon verfassten Leben des Bonifacius dieser Bekehrer Winfrid genannt (der Frieden Gewinnende); diese beiden Namen alliteriren zum Namen Wunnibald und stellen also durch gleichen Wortstamm und gleichen Anlaut, auch sprachlich eine Sippe dar. Des andern Bruders Wilibald Name knüpft sich an den eddischen Beinamen Odhins, Vili, opes und felicitas bedeutend. Dem Namen Winfried entspricht der ahd. Frauenname Winburc, demjenigen Wilibalds eine ahd. Wiliburc und Willahild; und vorgreifend sei bemerkt, dass die englische Königstochter Werburga auch Walburg hiess: Wêrburga, Wulferi, Merciorum regis et Ermenildae filia, quae saepius etiam Walpurga dicitur. Basnage bei Canisius tom. II. 3, 266. Walburgis Vater heisst Richard, d.i. dives, potens, wieder allmächtige Gott gleicherweise der Reiche genannt wurde. Sämmtliche Namen in Walburgis' Sippschaft sind also nächstverwandt mit den höchsten Götternamen. Der Himmel nun, in den jenes Liebesheer geflügelter Jungfrauen das Götterpaar geleitet, ist Walhall, nordisch Valhöll, und der silbergedeckte Saal darin heisst Valaskiâlf, der Wunschhof, also eine Wahlburg, eine Burg der Auserwählten. In gleicher Namensbildung wie Walburg besteht der angelsächsische Name der Friedensgilde: Fridborg, d.i. Friedensbürgschaft.

Allein jenem Wonnemonat der Vermählung Odhins geht des Gottes stürmische Brautwerbung im Mittwinter (den Zwölften) voraus, wo die leidenschaftlich Wünschenden zu Verwünschten, die Liebenden zu Wüthenden, ihre Hochzeitsreigen zu geschlechtlichen Hexentänzen werden (Grimm, Ueber den Liebesgott). Dann ändert sich die Bedeutung des Wortes wal (von valjan, eligere). Die Gemahlin Freyja wird eine Valfreyja, die sich mit Odhin in die Leichen der auf der Walstatt Erschlagnen theilt, die Jungfrauen ihres Gefolges sind die Walküren, welche die auf dem Wal Gefallnen auswählen und für den Himmel erküren. Die Wolen, sonst nach der Seherin Wala genannt, werden schicksalspinnende Parzen. Nun sind es Schildjungfrauen, die unter Wetterleuchten durch den Nachthimmel niederreiten. Sie stehen unter dem Helme, ihre Brünne ist blutbespritzt, Feuer zuckt auf ihrem Speer. Noch fliesst Thau aus den Mähnen ihrer Rosse herab und reiche Ernten trägt dann der wildbefeuchtete Boden; aber zugleich flattert das Schlachtfeld von windgebauschten weissen Kriegsmänteln, als fiele ein dichtes Schneegestöber, und von ihren Zaubergesängen verwandelt sich der Nachtthau in Reif und Hagelschlag. Noch ist ihre Gestalt schwanenweiss, geflügelt umschwebt Kara ihren im Kampfe stehenden Helgi so nahe, dass dieser zum Hiebe ausholend, sie selbst in den Fuss trifft. Allein dieser Schwanenfuss wird zugleich verkehrt in den gegen die Hexen auf die Thüren gekreideten Trudenfuss, oder es erscheint das leichenankündende Gespenst des Holzweibleins gar in Gestalt einer weissen Gans (Schönwerth, Oberpf. Sag. 1, 268). Der Schwanenfuss wird zum Gänsefuss verkrüppelt, aus der Königin Berta wird eine Königin Gansfuss, Reine pédauque. Wollen sich die Bollandisten III, 516b erklären, warum die hl. Werburg so häufig mit der hl. Walburg verwechselt werde, so sehen sie den Grund hievon darin, dass beiden die Wildgänse gehorsam gewesen seien. Dahin gehören nun die vielfachen Wunder, die am Walburgisgrabe zu Monheim an Klumpfüssigen geschehen, wie z.B. eine Frau Manswind aus dem bairischen Markt Trutinga (Wassertrüdingen) dorten Heilung ihres Klumpfusses gesucht und gefunden hat. A. SS. l.c. 304. Die den Thau bescheerende, schwanenfüssige Walküre und der für seinen gelähmten Fuss im Thau Heilung suchende Kranke erscheinen sachverwandt; in der L. Bajuv. 4, 10 und 5, 16 wird der Fussgelähmte nach alemannischem Ausdrucke tautragil genannt, der Thauschlepper, wie in Friesland die Hexe daustrîker heisst, weil sie in schädigender Absicht den Maienthau mit plumpem Fusse vom Grase streicht. Grimm RA. 94. 630. An frühzeitigen Uebergängen des Namens Walburg in das Gebiet des Dämonischen kann es daher nicht mangeln. Walahild heisst eine der Walküren; Walgund ist die im Hugdietrich und im Wolfdietrich besungene Königstochter; Walber eine nordd. Riesin; Walberan der riesig starke, kriegsgewaltige König (im mhd. Gedichte König Laurin), welchen Dietrich im Zweikampfe nicht zu besiegen vermag. Der Versammlungsplatz der Hexen auf Island heisst Valakirkja und liegt am Ingolfsfjall, einem hervorragenden Berge des dortigen Südlandes. Vala wird dorten die böse Stiefmutter genannt im Märchen von Schneewittchen. Maurer, Isländ. Sag. 107. 280. Die niederd. Hexe Valrîderske ist eine Pferdemahr, die sich zu ihrem Nachtritte fremder Rosse heimlich bedient, schweissbedeckt stehen diese Morgens darauf im Stalle. Simrock, Myth. 421. So viel über den Namen Walburg, insoweit er der Reihe der Bedeutungen nach zuerst die in der Wünschelburg wohnende Götterjungfrau, dann eine steinschleudernde Riesin, eine leichensammelnde Walküre, ein die Früchte und Thiere zehntendes Zauberweib bezeichnet hat. Herabgesunken zur landschaftlichen Sagengestalt, hat Walburg es im Hochnorden, gleich dem übrigen Riesengeschlechte, ausschliesslich mit der Viehzucht zu thun und wird darüber zur Göttin der W. Jagd. Bei dem 1588 zu Nürnberg abgehaltenen grossen Fasnachtszuge erschien das Wilde Heer unter Anführung "der Frau Holda auf einem schwarzen wilden Rosse; als die wilde Jägerin stiess sie ins Horn, schwang die knallende Peitsche, schüttelte ihr Haupthaar wild umher wie ein wahrer Wunderfrevel, und der mitzuschauende bamberger Bischof sprach zum Markgrafen Albrecht von Ansbach: Das ist eure Jagdgöttin; dieser aber erwiederte: Bannet das Ungethüm, aber nur heute nicht!" Vulpius, Curiositäten, Bd. 10, S. 397. In Mitteldeutschland geht sie mit dem Geschäfte des Flachsbaues und Spinnens um; in Süddeutschland erst erscheint sie als Ackerbauerin und siedet Bier. Bei diesem letzterwähnten Geschäfte nimmt sie den Namen der Frau Holle (die Huldreiche) an. "Der gemeine Mann nennt sie Frau Holle und die Mägde auf den Dörfern verstecken ihre Spindeln vor ihr", sagt im J. 1812 von ihr ein thüringischer Bericht, Curiositäten, Bd. 2, 472; und eine schon ältere Notiz in Prätorius, Blockesberg S. 457 lautet: "Am Walburgisabend darf man weder spinnen noch auch das Garn nur auf der Spindel lassen, sonst machen die Hexen Bratwürste daraus, d.h. ungleichfädiges Garn. Die Thüringer geben vor, dann ziehe Frau Holla herum und verwirre oder hole das Garn."—

Das schicksalwebende Wunschmädchen webt das Eheband, darum wird am Garnfaden in der Walburgisnacht das S. 40 bereits erwähnte Liebesorakel erforscht, und neun gesponnene Flachsknoten sind heilsam (Myth. 1182); als flachsspinnende Schwanenjungfrau erscheint es ferner sowohl im Liede von Wieland dem Schmied (Simrock, Myth. 345), als auch in der schlesischen Spillaholle (die Spindelhulda), und diese wohnt im Hollabrunn (Vernaleken, Alpensag. 121), um hier kinderlosen Eltern deren Wunschkinder herauszuschöpfen.

In der Niederlausitz heisst Walburgis Holpurga (Pott, Familiennamen, 117), in der Oberpfalz nennt man die Hexenausfahrt zu Walburgis die Hullfahrt, das Hullfahren, und der bezügliche Schimpfname ist Hullsluder. Schönwerth 3, 177. Hier thut zugleich der Spirantenwechsel das Seinige zur Namens-Umgestaltung; wie aus Wuotan ein niederd. Wôd und Hoden wurde (englisch Robin Hood), so aus Walburg eine Frau Wulle und Frau Hulle. Was in den Zwölften gesponnen wird, das besudeln Frau Holle und Frau Wolle, Frau Hulle und Frau Wulle. Kuhn, NS. 417. Ebenda 418 heisst Frau Hilde Verhellen, bei Müllenhoff 178 Ver-Wellen. Der bierschenkenden Frau Holle, welche im Walperholz bei Arnstadt Volles Mass ausruft, ist schon im vorletzten Abschnitte gedacht worden, und mit diesem Geschäfte Walburgis als einer den Maienthau spendenden, älschenkenden Frühlingsgöttin werde hier abgeschlossen.

Im Herzen des bairischen Fruchtlandes werden jene drei letzten Aehren oder Aehrenbüschel des Ackers, welche die Schnitter zum Opfer stehen lassen, bekränzt, umbetet, umtanzt und eben so genannt, wie Walburgis dritter Bruder heisst, Oswald, d.i. der allwaltende Ase. Dieses Aehrenopfer ist in einer Passauer Urkunde des 13. Jahrh. Wûtfutter genannt (Panzer BS. 2, 505), hat ebenso in Meklenburg unter denn Namen Wode gegolten und war also in diesen beiden, geschichtlich sich fremdgebliebnen Landstrichen ein dem Wuotan geweihtes Ernteopfer, bei welchem man das Wodelbier als Trankopfer darbrachte. Eben diese heidnische Erinnerung ist christlich personificirt worden im hl. Oswald, und so hat denselben Zingerle in seiner Ausgabe der Oswaldslegende pg. 74 nachgewiesen. Diese beiden leiblichen Geschwister, Oswald und Walburg, tragen in ihrer Hand das Attribut der drei Aehren. Bruder Oswald besitzt bei dem nach ihm benannten tiroler Dorfe eine geheiligte Quelle, die als des Landes Jungbrunnen gilt (Zingerle, Sitten no. 936); die Schwester Walburg spendet nebst solchen Heilquellen das besondere Heilöl: es ist dies die Nährkraft des unter dem Einflusse des Maienthaues sich bildenden Getreidekornes. Der Thau, der aus der Mähne des Walkürenrosses trieft, verleiht dem Erdboden seine Lebens- und Befruchtungsquellen; aus dem Trinkhorne bietet hierauf die Walküre Oelrun den von ihr gebrauten Seligkeitstrank dem in den Himmel Eingehenden. Wie war oder ist nun der Name dieses Trankes? Zum Meth führt am Weissen Sonntag, 8 Tage nach Ostern, der altbair. Bursche sein Mädchen, es soll sich dabei schön und stark trinken. Schmeller, Wörtb. 3, 360. Der Litthauer nennt sein Hausbier, das bei keinem häuslichen Feste fehlen darf, Alus, das Bärtige, denn es wird aus der grannenreichen Gerste gebraut; der Alus hat Hörner, sagt er von der Stärke dieses Getränkes, ja Gerste bedeutet ihm überhaupt so viel wie Getränk. Schleicher, Litthau. Märch. 1857, S. 3. 149. 160. Von der Wirkung des Münchner Bockbieres pflegt der Baier eben dasselbe zu sagen: der Bock hat ihn gestossen. Ob wir nun obige Walküre Oelrun in ihrem Namen ableiten von Alarun, allwissend durch die um ihr Trinkhorn geschrieben stehenden Runen, oder von Aelrun, die den Göttern den Stärketrank kredenzende, so verschlägt diese doppelte Etymologie hier in der Sache selbst nichts; Ael und Oel, beiderseits der Begriff der Lebensnahrung, ableitend von goth. aljan lat. alere, ist hier längst in den Eigennamen und in die bezüglichen Symbole eingedrungen. Der Skandinavier nennt das Bier, das er im Heidenthum den Alfen opferte (âlfablôt), heute das Engelbier: Engelöl (Mannhardt, Mythen 326). So braut man seit Altem in England das Ale, in Rostock Oelbier (Coler, Oeconomia lib. 2, pg. 23), in Breslau Schöps, in Wollin Bockhänger (Klemm, Nahrung, 335), in München Bock, dessen Ausschank daselbst mit dem 1. Mai beginnt und anzudauern hat bis Pfingsten. Er hält dorten somit dieselben Termine ein, die kalendarisch für das Gedeihen der Kornsaat und kirchlich für das Fliessen des Walburgisöles gegolten haben.

Vorahnend hat Uhlands realistische Dichterphantasie den Inhalt des hier abgeschlossnen Mythenkreises, wie folgt, umschrieben:

Auf den Wald und auf die Wiese,

Mit dem ersten Morgengrau,

Träuft ein Quell vom Paradiese,

Leiser frischer Maienthau.

Wenn den Thau die Muschel trinket,

Wird in ihr ein Perlenstrauss;

Wenn er in den Eichstamm sinket,

Werden Honigbienen draus.

Mit dem Thau der Maienglocken

Wäscht die Jungfrau ihr Gesicht,

Badet sie die goldnen Locken

Und sie glänzt vor Himmelslicht.

Selbst ein Auge rothgeweinet

Labt sich mit den Tropfen gern,

Bis ihm freundlich nieder scheinet

Thaugetränkt der Abendstern.


II. Verena mit dem Kamme,

die Kindsmutter.


Erster Abschnitt.

Verena, eine Gauheilige.


Kirchliche Gestaltung und geographische Ausbreitung der Verenalegende; ersteres bedingt durch die Legende von der Thebaischen Legion, letzteres durch die Ausdehnung des Konstanzer Bisthums. Verena's Weihkirchen und Altäre in der Schweiz. Ihr Doppelgrab und ihre Reliquien in Zurzach. Mittelhochdeutsches Gedicht von sand Verene.

Die heidnische Verenasage wurde in ihrer Vereinsamung frühzeitig der Kirchenlegende der Thebaischen Legion einverleibt und gewann dadurch eine Verbriefung ihres eignen hohen Alters und ihren ersten Zusammenhang mit der frühesten schweizerischen Kirchengeschichte. Bekanntlich ist die Legende von der Thebaischen Legion aus Oberitalien und Savoyen her in die Schweiz gedrungen, und hat sich von da Rhein abwärts weiter ausgebreitet. Sie handelt von einer zu Thebae in Aegypten gestandenen römischen Legion, welche dorten zum Christenthume übergetreten, dann nach Italien und unter Constantius Chlorus nach Helvetien versetzt, schliesslich zu Martinach, die Theilnahme an einem heidnischen Opfer verweigernd, decimirt worden sein soll. Einzelne, diesem Blutbade entronnen, gelangten an die Aare und den Rhein und erlitten hier, unermüdlich den Christenglauben ausbreitend, gleichfalls den Martyrertod. Wo dieses in Helvetien geschah, da sind denselben die ältesten Stifte und Kirchen geweiht worden; so dem hl. Mauritius zu Martinach in Wallis und zu Bern; dem Ursus und Victor zu Solothurn; Felix, Exuperantius und Regula zu dritt in Zürich u.s.w. Die mit dieser Soldatengeschichte ganz äusserlich vereinbarte Verenenlegende berichtet, entkleidet ihrer märchenhaften Zuthaten, ungefähr Folgendes.

Verena, eine junge Christin zu Anfang des vierten Jahrhunderts, begleitete jene Thebaische Legion, in welcher sie einige Verwandte hatte, aus Afrika nach Italien und verblieb, beim Abmarsche der Truppen nach Helvetien, zu Mailand, um sich hier der Krankenpflege gefangener Christen zu widmen. Als sie jedoch die Kunde von dem gewaltsamen Tode der Ihrigen vernahm, wanderte sie, um deren Gräber zu besuchen, über die Alpen nach Martinach in Wallis und nach Solothurn. An diesem letzteren Orte abermals die Armen und Kranken pflegend und die christliche Lehre verbreitend, wurde sie vom römischen Statthalter in den Kerker geworfen, jedoch wieder freigegeben, als ihr Gebet ihm Genesung von lebensgefährlicher Krankheit erwirkt hatte. Zu neuer Uebung werkthätiger Menschenliebe schifft sie hierauf auf der Aare nach dem Dorfe Koblenz; begiebt sich von da in das benachbarte Zurzach, weil sie vernommen hat, dass dorten bereits eine Christengemeinde besteht, und nimmt hier ihre bleibende Wohnstatt. Sie besorgt als Dienstmagd, eines Priesters Hauswesen und widmet ihre Zwischenzeit der Pflege der ausserhalb des Ortes in einem Siechenhause sich selbst überlassnen Aussätzigen; ihnen überbringt sie, was sie sich von ihrer eignen Nahrung abbricht, Brod und Wein. Aber der Knecht jenes Priesters verdächtigt sie der Veruntreuung im Haushalte. Während sie eines Tages sich wieder zu den Siechen begeben will, tritt ihr argwöhnischer Herr unversehens hervor und stellt sie zur Rede, der herzugeschlichene Knecht hebt den Deckel vom Krüglein, das sie trägt. Siehe, da findet sich statt des Weines nichts als Lauge und statt des Brodes ein Kamm, beides zur Reinigung der Kranken bestimmt. Für den Rest ihrer Tage bezog sie eine Klause neben jenem Siechenhause und setzte die Werke der Barmherzigkeit fort. Ueber ihrer Grabstätte ward erst eine kleine Kapelle gebaut, nachmals wurden ihre Gebeine erhoben und in die Zurzacher Stiftskirche versetzt. An der Hand der Thebaer-Legende, die Anfangs des vierten Jahrhunderts spielt, wird das Jahr von Verenas Ankunft zu Zurzach auf 323 und ihr Tod auf 344 mit naiver Zweifellosigkeit angesetzt.

Die Thebaische Legende ist eine romanisch-katholische Sage über die geschichtliche Thatsache, dass und wie die arianischen Burgundionen, denen im J. 443 die Landschaft Sapaudia, d.h. die Gegend von Lyon, Genf und Hochsavoyen, von Reichs wegen eingeräumt worden war, sich der dortigen Römerchristen durch militärische Massen-Niedermetzelungen zu entledigen versucht hatten. Die nachmalige Verquickung dieser Legende mit dem hebräischen und dem antiken Sagenkreise begann der romanisch-katholische Klerus und setzte der deutsche in römisch-kirchlichem Interesse fort. Man lokalisirte sie daher in allen denjenigen Städten und Stiften Deutschlands besonders, in denen zuerst das politische und dann das kirchliche Römerthum das herrschende gewesen war. Daher finden sich die Altäre, Reliquien und Historien der Thebäer schon von Alters her vor in Bonn, Köln, Trier, Xanten, Mainz, Augsburg, Regensburg, Sitten, Genf, Solothurn. Auch das kleine Zurzach war eine solche Legionenstadt der Römer gewesen. Seit dem Jahre 1000 verfasst der Klerus dieser Städte die sg. Weltchroniken, als deren Hauptwerk die deutsche "Kaiserchronik" gilt, alle von den Thebäern entweder anhebend oder zu deren Preise endigend. Dass auch die Schweiz in ihren Stiften Tendenzchroniken dieser Art im Mittelalter besass, darüber sind Nachweise gegeben in den Mittheill. des St. Gall. geschichtsforsch. Vereines 1862, Heft 1. Von der hl. Verena ist jedoch in diesen Werken noch nirgend die Rede; nicht desshalb, weil jene ursprünglich nicht zu den Thebäern gehörte oder zu schwierig mit diesen zu vereinbaren gewesen wäre, denn was hätte die phantastische Kühnheit dieser gelehrten Mönche nicht mit einander verschwistert! sondern desshalb, weil Verena nur auf alemannischem Boden ihre Giltigkeit gehabt hatte, hier als Gauheilige nur allmählich kirchliche Anerkennung fand und in den übrigen Kirchensprengeln unbekannt, ja förmlich ausgeschlossen blieb. Die ritterlichen Thebäer wurden, volle 6666 Mann stark, der stummen Demuth des barmherzigen Weibes vorgezogen. Recht auffallende örtliche Missverhältnisse stellen dies ins Licht. Der Kirchenkalender des Bisthums Sitten ist durchaus auf die zu Agaunum (angeblich St. Moritz in Wallis) geschehene Enthauptung der Thebäer gegründet; allein er lässt am 1. Sept., als dem kirchlichen Gedächtnisstage, Verenas, nicht diese feiern, sondern den hl. Egidius, der als Einsiedler die Rhonemoräste bewohnt und urbar gemacht hatte. Das gleiche Missverhältniss findet auch in der Diöcese Solothurn statt. Die beiden Thebäer Ursus und Victor sind Patrone der Stadt Solothurn und werden dorten mit eignen Weihkirchen, Prozessionen und Bruderschaften verehrt; nicht aber zugleich auch Verena, die doch jenen beiden hieher nachgezogen war und hier unter Verfolgungen gelebt und gewirkt hat. Zwar trägt die dortige am linken Ufer der Aare liegende Einsiedelei noch den Namen Verenae und ist mit einer gewölbten, von einem Eremiten gehüteten Kapelle versehen, einst der Wohnort der Jungfrau; dennoch feiert die Solothurnische Kirche den Verenentag nicht. Ja nicht einmal dasjenige Martyrologium; welches für die Zurzacher Stiftsherren ursprünglich das massgebende war, enthält Verenas Namen und Gedächtnissfest, wie dies unzweifelhaft aus des Minoriten Paulus Schwenger Römischem Martyrologium erhellt, verbessert von Pabst Benedictus XIV. Cöln 1753, S. 212 und Anhang S. 16. Diese Thatsachen beweisen, dass Verenas kirchlicher Cultus überhaupt erst spät in Aufnahme gekommen ist, dass die Heilige auf dem Gebiete von Kleinburgund, obschon sie hier gewohnt, unbekannt geblieben und also mit der dorten einheimischen Thebäerlegende ursprünglich gleichfalls nicht verschwistert gewesen ist. Sie ist eine Alemannin, gehört dem Konstanzer Sprengel an und hat erst diesem ihre kirchliche Reception zu verdanken. Das Konstanzer bischöflich approbirte Breviar vom J. 1509 (gedruckt bei Erhardtus Ratdolt, civis Augustensis, Calcographus) lässt die Heilige nicht erst auf den vorhin geschilderten Umwegen, sondern gleich anfänglich zu den Alemannen kommen und da heftig durch den Teufel versucht werden: nam Alemanorum gens dyabolo subdita; es setzt den Verenatag, 1. Sept., als einen doppelten Feiertag an und stellt ihm jenen des hl. Egidius entweder nach oder verlegt diesen auf den Samstag voran, wenn Verenatag auf einen Sonntag fiele.

Um daher zu erfahren, wie weit sich vordem der Verenacultus erstrecken konnte, muss man die Grenzen des Konstanzer Sprengels betrachten. Das Konstanzer Bisthum, das herkömmlicher Annahme zu Folge nach gänzlicher Zerstörung Vindonissas, des ursprünglichen Bischofsitzes, um das Jahr 600 nach Konstanz verlegt und hier mit einer neuen Gebietsausdehnung über einen grossen Theil Alemanniens begabt wurde, hatte den wahrscheinlichen Zweck, die noch heidnischen Alemannen für den Christenglauben zu gewinnen. Es war das ausgedehnteste aller Bisthümer. Vom Gotthard reichte es über den Neckar bei Marbach und zum Kloster Hirschau bei Calw, dreissig deutsche Meilen von Nord nach Süd, zwanzig von Ost nach West, von Kempten bis gegen Strassburg. Vor der Reformation zählte es 1760 Pfarrkirchen, 350 Klöster, 17,000 Priester und Mönche; nach der Reformation war es noch immer in 66 Archidiakonate eingetheilt. Diejenigen von letzteren, die für unsre lokale Frage belangreich, weil im schweizerischen Theile des Bisthums gelegen sind, finden sich in Jak. Rasslers zu Ende des 16. Jahrh. gelieferter Beschreibung genannt, es sind folgende. Thurgau, Schaffhausen, Zürichgau, Aargau diesseits der Aare, Luzern, Zug, Unterwalden, das Bernergebiet diesseits der Aare und aufwärts über die Seen ins Oberhasle bis zu den Aarequellen; Uri mit Ausnahme des Thales Urseren, das von jeher unter dem Bischof von Chur gestanden; Schwyz, Glarus, Appenzell, der nördliche Theil des Kant. St. Gallen mit Toggenburg, der Grafschaft Rapperswil, der March und Uznach; ausgenommen waren hier Gaster, Sargans und das Rheinthal, als zu Chur gehörend. Dazu zählte ferner: das Frickthal; Stadt Basel mit einem kleinen Theile der rechtsrheinischen Landschaft; die Markgrafschaft Baden mit dem Schwarzwalde; zwei Drittel des Herzogth. Würtemberg, die beiden hohenzollerischen Lande, das baierische Algäu, der untere Theil des österreich. Rheinthals nebst mehreren vorarlberg. Dekanaten und Gotteshäusern. Dasselbe zählte in seinem schweizerischen Territorium noch zu Anfang dieses Jahrhunderts bei einer Viertelmillion Kommunikanten, also mit Ausschluss der Zahl der Kinder. Nüscheler, Gotteshäuser der Schweiz, führt diejenigen schweiz. Ortskirchen an, in denen die Heilige entweder Patronin war oder Altäre besass. Im Bisthum Chur folgende: zu Niederurnen und Wesen (I, 139). Im Konstanzer Bisthum: zu Kleinbasel. (II, 9), zu Gächlingen, Kt. Schaffhausen (19), zu thurgauisch Ermatingen (52), zu Mülheim (55), Märstätten (57), Langrickenbach (77), Wärtbühl (169), Rickenbach (172), Nesslau (182), Wil (185), Matzingen (212), diese sämmtlich im Thurgau gelegen. Magdenau im St. Gallerlande (97), zum Hl. Geist in der Stadt St. Gallen (127), Ellikon und Stäfa im Kt. Zürich; Risch im Kt. Zug (Staub, der Kt. Zug 1869, S. 69). Von den übrigen im Aargau, in den Kantonen und den deutschen Nachbarländern der Verena geweihten Kirchen, Kapellen, Wallfahrten und Taufbrunnen wird im Verlaufe dieser Kapitel besonders gehandelt werden; einige von ihnen werden des hohen Alters wegen Heidenkirchen genannt und die Volkssage (Naturmythen S. 115) berichtet von der Zurzacher, sie sei lange die einzige weitum auf beiden Ufern des Rheines gewesen, und daher hätten zu ihren entfernt wohnenden Kirchgängern selbst die Erdmännchen von Dangstetten im Schwarzwalde gehört.

Uebergehend auf die Gründung und frühesten Schicksale der Zurzacher Stiftskirche, muss voraus bemerkt werden, dass die ältesten Stiftsurkunden in mehrfachen Feuersbrünsten und Verwüstungen verloren gegangen und die noch vorhandenen immer noch nicht kritisch untersucht sind. Das Stift wird im neunten Jahrhundert eine "kleine Abtei" genannt (Neugart, C.D. 1, 427) und kommt auf folgende Weise frühzeitig an das benachbarte Kloster Reichenau. Karl der Dicke hat auf Bitte seiner Gemahlin Richardis, die nachmals in den Stiften Andlau und Seckingen selber den Schleier nahm, in einer auf dem Schlosse Bodman am 14. Oct. 881 ausgestellten Urkunde Zurzach demjenigen Orte zur Einverleibung bestimmt, in welchem einst seine Leiche begraben würde; und dieses geschah nachmals zu Reichenau. Das Original dieser Urkunde ist längst nicht mehr vorhanden und hat niemals auf seine Echtheit untersucht werden können. Zwischen ihr und der nachfolgenden Urkunde, die abermals nach Namen und Jahrzahl durchaus zweifelhaft bleibt, liegt eine ungemein grosse Zeitlücke. Eberhard, Truchsess von Waldburg, der 48ste Konstanzerbischof, soll im J. 1265 Stift und Marktflecken Zurzach von Reichenau um 310 Mark Silbers angekauft haben. Inzwischen verarmte das Kloster durch abermalige Feuersbrunst, so wie durch Krieg und Plünderung dergestalt, dass es von den Mönchen verlassen wurde; des vorgenannten Bischofs Nachfolger, der Habsburgergraf Rudolf II., soll es wieder erbaut und 1279 in ein Collegiat- oder Chorherrenstift umgeändert haben, und der auf den genannten folgende Konstanzerbischof Heinrich II. hat 1294 dem Stifte die Zurzacher Pfarrkirche incorporirt. Diese Angaben sind zusammen entnommen: Casp. Lang, Histor.-theolog. Grundriss der christl. Welt, 1692. Aber in diesem eben genannten Jahre 1294 werden Chorherrnstift, Münsterkirche und Klostergebäude abermals in Asche gelegt. Diese bis zum Ende des 13. Jahrhunderts so dürftig fliessenden und so wenig bedeutsamen Quellen gewinnen indessen aus der ältesten Ortslegende, deren Abfassung bis 1005 zurückgeht, einige werthvolle Ergänzungen, die den damaligen Ort, seine Lage und Umgebung unzweifelhaft richtig veranschaulichen. Eine dieser kleinen Erzählungen führt sogleich auf die zwei bedeutendsten Punkte des dortigen Verenakultus, auf die Moritzenkapelle und die Münsterkirche, damit aber auf die Verena-Reliquien, auf deren Zahl, Bestand und Schicksal unsre Untersuchung hernach überzugehen hat.

An jenem Rheinufer bei Zurzach, wo ehemals eine altrömische Stadt gestanden hatte, wurde zu Ehren Verenas und der thebaischen Legion ein Kirchlein erbaut und geweiht. Allein man liess hier aus Nachlässigkeit das Ewige Licht ausgehen oder versäumte an den vorgeschriebnen Tagen sogar die Messe zu singen. Da traten Warnungszeichen ein. Lichtschimmer erfüllte Nachts die Umgegend, dass selbst der im jenseitigen Dorfe wohnhafte Priester (in Rheinheim) ihn wahrnahm; Engelsstimmen erfüllten die Luft mit Gesange, und wenn die Zurzacher Wächter darüber verwundert dem Orte zueilten, fühlten sie sich wie gebannt und vermochten keinen Schritt von der Stelle zu thun. Da kam einst der Alemannenherzog Burchard (der zweite dieses Namens stirbt 826), in Verfolgung eines kriegerischen Gegners begriffen, mit seinen Reisigen von jener Uferstelle gegen die Stadt geritten, als hinter ihm vom Flusse her des gleichen Weges strahlende Männer, im feierlichen Schritte Lieder singend, nachrückten, die mit Kreuzen und Lichtern einen aufgebahrten Sarg begleiteten. Plötzlich erhob sich der Zug von der Strasse in die Luft, schwebte über das herzogliche Gefolge hinweg gegen den Flecken und verschwand hier in dem Fenster an der Ostseite der (Marien-)Kirche, ohne dass dasselbe offen gestanden oder nachmals eine Beschädigung gezeigt hätte. Dieses Wunder ergriff den Herzog, unter Beistimmung seiner Begleiter entzog er die Strasse, auf der er sich eben befand, dem weltlichen Besitze und übergab sie der Ortskirche unter dem Namen Wîhegaȥȥa, Heiliger Weg. Denn dies ist die Gasse gewesen, welche einst täglich Verena gewandelt war, um den Kranken ihren Beistand zu leisten.

Diese kurze Erzählung berichtet, dass schon im 9. Jahrhundert Verenas Reliquien von ihrer ursprünglichen Ruhestätte in der Mauritiuskapelle am Rheinufer in die Marienkirche versetzt worden sind, die dann zur Stiftskirche erhoben wurde, und gewährt eben damit volle Sicherheit über den ältesten Ruheort der Heiligen, nemlich über die zehn Minuten vom Flecken entfernte, am Zurzacher Rheinufer gelegene Aufburg. Dieser unser Schluss wird unterstützt von dem Passionale der Würzburger Cartusia, das bis ins 10. Jahrhundert zurückreicht und 1583 gedruckt worden ist; in diesem heisst es: "In der Nähe von Zurzach lag noch ein anderer Ort am Ufer des Rheines mit vielen Aussätzigen und Armen." Die vorhin genannte Weihegasse eben ist es, die von Zurzach nach diesem Orte führt, da hinaus trägt Verena den Aussätzigen Speise und Trank, dorten erbaut sie ihre Zelle und beschliesst ihr Leben. Aufburg und Kirchlibuck heisst hier eine nördlich vom Flecken am hohen Rheinufer liegende Häusergruppe, lauter Ruinentrümmer der Vorburg und des Brückenkopfes der römischen Rheinfeste Tenedo. Die Constructionen dieses Kastells hat Ferd. Keller in den Zürch. Antiquar. Mittheill. 12, 305 beschrieben. Nebenan am Rheinufer stehen noch fünfzehn Eichenpfähle von der römischen Jochbrücke, etliche davon sind beim günstigen Wasserstand des Jahres 1857 gehoben worden, nicht ohne grosse Mühe, denn sie staken mit ihren eisernen Stiefeln in einem Gusslager von Kalkmörtel. Innerhalb des römischen Kastellgrabens liegt der Hügel Kirchlibuck mit seiner kleinen Mauritiuskapelle, bis heute ein Eigenthum der Verena-Bruderschaft, zugleich ein Belustigungsort der Jugend, wo stabil das österliche Eierpicken abgehalten wird. Hieher zieht am Osterdienstage die Prozession der Stiftsherren und der religiösen Sodalitäten; derjenige Priester, der dabei die Predigt zum Ruhme Verenas abzuhalten hat, trägt zugleich der Heiligen rechte Hand in einer Silberkapsel und stimmt die Auferstehungshymne an, und wie einst es Herzog Burchards Vision voraus erblickte, so zieht dann die Prozession psalmensingend mit dem Heilthum wieder in die Stiftskirche zurück.

Die urkundlichen Nachrichten über specielle, in Zurzach kirchlich verwahrte Reliquien Verenas beginnen erst mit dem J. 1347 und knüpfen sich hier an den Namen der Königin Agnes, Alberts Tochter und Wittwe des Ungarnkönigs Andreas. Am 2. Sept. jenes Jahres erst wird die bis dahin seit 1294 in ihren Brandtrümmern gelegne Stiftskirche in Gegenwart der Königin neu geweiht. Als damals bereits vorhanden gewesne Reliquien werden genannt Verenae Leib und Haupt nebst solchen der 11,000 Jungfrauen; die Fürstin fügt Peters- und Georgsreliquien hinzu, selbst aber verehrt und schenkt sie nachmals dem Stifte Königsfelden 1357: ein geschlagen silberin hovpt mit sant Verenen heiltum. Argovia 5, S. 98 und 133. Bei dem höchst ungeregelten Haushalte des Stiftes wurde es zu Zurzach Sitte, Verenas "Reliquiensärglein" in Nothfällen aus der Kirche zu nehmen und in Privathäuser zu tragen, und der Konstanzer Bischof Heinrich III. muss diesen Missbrauch durch ein besondres Reskript verbieten. Nach einem abermaligen Stiftsbrande 1471 und abermaliger Einweihung wird ein Verzeichniss der Reliquien aufgenommen, welches nunmehr in Hubers Gesch. des Stift. Zurzach, 1869, S. 45 wörtlich mitgetheilt steht; es ergiebt für unsere Zwecke: In der runden vergoldeten Monstranz sind damals Partikeln Verenae enthalten; in der grossen kupfervergoldeten Monstranz ein Zahn Verenae; in der kleinen silbernen Monstranz gleichfalls Partikeln, im kleinen Sarkophag (Reliquienkiste) ein Zahn Verenae; in einem Eichenkistlein Asche und Gebein derselben; im Sarge des 1465 verstorb. Probstes Lidringer eine Partikel vom Kruge Verenae. Alle diese Ueberbleibsel wurden zerstreut und vernichtet, als 1529 die Kirchenreform auch in Zurzach durchgesetzt wurde. Den Hergang schildert Heinr. Küssenberg, seit 1521 Kaplan im benachbarten Klingnau, wir folgen hier den aus seiner Handschrift entnommenen Notizen Hubers l.c. 74-132. Stiftskirche, Pfarrkirche, Moritzkapelle und Verenagruft wurden ausgeräumt, in letzterer jedoch die Reliquien, wie es das Mehr der Gemeinde-Abstimmung beschlossen hatte, unversehrt gelassen. Nach Eröffnung der Verenagruft fand sich nichts anderes vor als "eine kleine Truhe, ein Stücklein von Verenas Krug und Holztrümmer von Verenas Todtenbaum". Ihre übrigen Reliquien lagen in der Sakristei im sg. Grossen Sarg. Dieser enthielt ein in einem hölzernen Särglein (Schrein) eingeschlossenes zweites aus Eisen, in welchem nebst Rückgratstrümmern vier apfelgrosse Lehmkugeln waren, zusammengebacken mit Asche und Kohle.[Nachtrag 2] Während man Sarg und Inhalt ins Feuer warf, wurden zwei dieser Kugeln durch einen Knaben aus der Flamme gezogen und nachher von der Frau Rechburgerin dem Landvogt nach Baden überbracht. Von den vier Reliquienbehältern blieben unversehrt ein kleines vergoldetes Särglein, ein grosses und der Röhrknochen eines Armes; diese drei Stücke wurden nachmals den Chorherren wieder zugestellt und sind noch heutigen Tages zu Zurzach, der Röhrknochen wird seitdem für Verenas Arm gehalten. Vom Haupte der Heiligen fand sich nichts vor. Zwar wird von katholischer Seite behauptet, der damals flüchtig gegangene, Apostat Stiftscustos Prugker habe Haupt und Arm Verenas mit sich nach Luzern genommen, und beides sei dem Stifte nachmals wieder zugestellt worden; besonders der damalige Libellist Joh. Salat zu Luzern giebt vor: "1532 kam sant Vrenen Helltum und anderes, so geflökt worden, wider gen Zurzach." Allein in eben diesem Jahre beklagen sich die dortigen Stiftsherren bei der Tagsatzung über die erlittene Beraubung, deren Schaden an blossem Kirchengeräthe mindestens 5,152 Gld. betrage, und das mit eingereichte Verzeichniss der verlornen Gegenstände schliesst mit der Betheuerung: "das hochwürdig Helthum St. Vrenen mag mit keim gut bezalt werden, dess wir beroubt sin worden." Huber l.c. 93. Unverwüstet waren allein geblieben: "Eine kupferne Hand, ist vergült, mit St. Verena strel; an St. Verena Bild ein beschlagen Gürteli; Silber von St. Verena köpfli (d.i. Stauf)". Von dem Haupte der Patronin hatte das Stift Jahrhunderte lang nur eine kleine Partikel besessen, welche in der vorhin erwähnten Lateinurkunde von 1347 doppelsinnig genannt wird: caput, auro et lapidibus pretiose decoratum, also eben dasselbe Bruchstück, welches der Stiftspropst Joh. Huber 1869 eine kleine "köstlich eingefasste Partikel" nennt, l.c. 131. Da erscholl im J. 1657 die Kunde, das ganze Haupt liege verwahrt im tiroler Damenstifte zu Hall. Auf die gestellte Anfrage, wie dasselbe dorthin gekommen, antwortete das Haller Pfarramt, dies könne man bei so vielerlei Heilthümern in specie nicht eigentlich wissen. Durch Vermittlung eines Jesuiten wurde es gegen andere Reliquien ausgetauscht und 1658 feierlich in die Zurzacher Stiftskirche übertragen, wobei jener Jesuitenpater die Festpredigt hielt. Huber l.c. 131.

Dies ist die Geschichte von den Verena-Reliquien, von welchen die Urkunde vom 1. April 1294 (Kopp, Eidgenöss. Bünde 3, 279) zuerst Erwähnung thut und also sich ausdrückt: ecclesia Sancte Verene in Zvrcach, in qua preciosus thesaurus corporis et reliquiarum gloriose virginis Sancte Verene desiderabiliter requiescit. Hier wird sie vorfrüh eine Heilige genannt, während sie 1290, als ihr der Zürcher Scholasticus Berthold in der Konstanzer Johanniskirche einen Altar stiftet, erst nur eine selige Jungfrau heisst. Neugart, Episc. Const. 2, 666. Von noch andern wunderthätigen Reliquien Verenas, die ausserhalb der Schweiz kirchlich aufbewahrt sind, wird in den folgenden Abschnitten an geeigneter Stelle die Rede sein. Ein zu Zurzach verloren gegangenes ferneres Alterthum ist Verenas Fingerring. Jener Priester, in dessen Hause sie als Magd dient, hat ihr einen goldnen gesteinten Fingerring anvertraut. Diesen stiehlt ein Bösewicht, wirft, da der Priester darnach forscht, aus Angst das Kleinod in den Rhein und zeiht die Magd der Untreue. Da überbringen zwei Fischer einen Salmen, in dessen Magen sich der Ring wieder findet. Diese vielen Völkern ohnedies gemeinsame Sage erinnert hier jeden Leser an Polykrates von Samos, dessen vorsätzlich ins Meer geschleuderter Ring gleichfalls im Bauche des Tafelfisches wieder zum Vorschein kommt. Allein in der samischen Sage wird er wettweise weggeworfen, um dadurch zu erweisen, wie das damit leichtsinnig verschleuderte Glück nur um so gehäufter zum Glückskinde zurückkehren müsse. Ein tieferer Sinn dagegen wohnt in der Verenasage. Die arme Dienstmagd ist durch einen misstrauischen Priester und durch die Tücke eines Schalks in ihrem guten Rufe beeinträchtigt; waffenlos steht das Aschenbrödel dem sie vernichtenden Gerüchte ausgesetzt. Damit trifft man eben auf den Lieblingszug der deutschen Sage: die Unschuld wird eine Zeit lang dem äussern Elende preisgegeben, um dadurch schliesslich in ein um so höheres Licht empor gerückt zu werden; schweigende Frauendemuth erweist sich am Ende stärker als die arglistigste Bosheit.

Durch das bisher Vorgetragene ist nachfolgendes Ergebniss gewonnen. Die Alemannin Verena ist durch die romanische Kirchenlegende dem Heiligenkreis der fremdländischen Thebäer zugesellt worden. Ueber ihrem ersten Grabe erbaute man dem hl. Moritz und seinen Legionären die Kapelle zur Aufburg, über ihrer späteren Gruft die der Maria geweihte Stiftskirche mit den Altären der Thebäer. Ihre Reliquien sogar werden mit denjenigen der 11,000 Jungfrauen verschwistert, nur vereinbart mit deren Reihe aufbewahrt und aufgezählt. Deutlich verräth sich dadurch die Bemühung, Verenas Namen und Kult zu einem kirchlich gerechtfertigten zu stempeln, indem man sie mit dem männlichen und dem weiblichen Aufgebote hier der 6666 Thebäer und dorten mit dem des Frauenheeres der hl. Ursula verschmolz. Jedoch die nationale Mythe ist zäher als dieser legendenbildende Mechanismus der Kirche. Stückweise streift Verena den ihr geliehenen Fremdschmuck wieder ab, in dem sie umgebenden Heiligengewimmel bleibt sie isolirt, wie sie es ursprünglich gewesen, eine in der Wildheit ihrer Waldquellen und Gebirgsströme einsam fortwaltende Naturgöttin. Als solche macht sie sich in den nachfolgenden Abschnitten geltend.

Das hier beginnende mittelhochdeutsche Gedicht Von sand Verene ist enthalten in no. 2677 der Wiener Handschriften. Dorten hatte Hoffmann v. F. es eingesehen und mit den beiden Anfangsversen citirt in seinem Berichte über die Wien. Hdss. no. 35. 42. Das Gedicht ist seither weder im Auszug noch sonst wie bekannt gemacht. Auf meinen Wunsch liess es Prof. Franz Pfeiffer in Wien († 29. Mai 1868) für vorliegende Arbeit diplomatisch getreu copieren.

[106b]

Von sand verene (roth)

Verena diu edel meit,

als, uns daȥ puch von ir ſeit.

Die was —— ——

und eȥ quam alſo,

[106c]

Do der cheiser maximian

furt mauricium mit im dan

Her gen deutschen landen,

ſi begunde nach im belangen

So ſer, daȥ ſi im fůr nach,

wanne vil gerne ſi in ſach.

Verena was ein christenin,

und do ſi quam ze meilan in,

Die geuangen christen

die heimpt ſi an den vristen

Vnd bechlagt mit in ir not,

dar zue ſi in helfe pot

Mit trinchen und mit eȥȥen.

uerena, die vermeȥȥen,

Si lie durch nieman daȥ

durch vorhte noch durch haȥ,

Swa die christen warn erſlagen

und auch da ſi warn begraben,

Die ſtaete sůcht ſi alle tage

mit weinen vnd mit chlage.

Mit reinem leben was ſi ſus

pei einem, der hieȥ, maximus.

Nu wart ir ſchir alda geseit,

daȥ mauricij ſchar preit

Durch got wer erſlagen,

daȥ begunde die vrowe chlagen

Vnd wolde nicht lengr da bestan,

ſi fůr ubr die alben dan

Vnd ze einem waȥȥer ſi quam,

daȥ ist genant aram.

Alda vant ſi einen man,

der gevlohen was chomen dan

Der ſagt ir die rechten maere,

wie eȥ mauricio ergangen waer.

Davon wolt ſi nicht furbaȥ,

in einer chlauſe ſi da ſaȥ

Mit chlage und mit leide.

da warn inne reine meide,

Der leben was alſo gestalt,

ſi waer iunc oder alt,

Daȥ ſi anders lebte nicht

wan chraut, arbaiȥ und anders nicht,

[106d]

Des lebte ſi daȥ gantz iar;

daȥ quam auch von ier werch dar

Vnd des tages ein lutzel brot,

daȥ man igleicher pot.

Nu was dapei ein getwerch,

daȥ verchauft den meiden ir werch

Vnd chauft in da mit ettewaȥ,

daȥ die ſamenunge gaȥ

Anders lebten die vrowen nicht,

gab man in aber immer icht,

Des enpiȥȥen ſi nimmer

und gabens durch got immer.

Sus was geſtalt ir reines leben.

got hat verene den geist gegeben,

Daȥ man vber al daȥ lant

ir leben vil rein erchant,

Daȥ man ſei het fur heilic gar,

daȥ auch ſi was furwar.

Wan got durch ſei tet wunder

mit zeihen besunder.

Auȥſetzig behaft macht ſi slecht,

plint, chrump macht ſi gerecht.

Solcher dinge tet ſi vil

mit got auff daȥ zil,

Daȥ man sei dr meide muetr nant

weiten uber al daȥ lant.

Nu was in der gegent da

ein richter ſam anderswa,

Der het got gar verchorn.

dem was der meide leben zorn,

Vnd daȥ man ier ſo wol ſprach;

mit zorn er daȥ an ier rach,

Wan er die vrowen vie,

dehein gut er ier nie geschehen lie.

Doch quam zaller zeit zu ir

ein liechter iungelinch fir[3],

Der pot ier guten trost,

ſi wurde ſchir da von erlost.

Doch vragt ſi in, wer er wer?

do ſprach er offenwaer,

Er waer ir mag mauricius,

und mit der rede alſus

[107a]

Quamen zu mauricio hin in

alle die gesellen ſin

Und grueȥten die vrowen ſchone,

damit ſchieden ſi davon.

Nu wart derſelbe richter

vberladen mit ſichtum ſwer,

Der gedacht rechte wider,

er lief hin und viel nider

Chlagunde für die reinen meit

und ſeinen ſichtvm er ir chleit.

Doch pat ſi got umb in,

der richter gie geſunt hin

Vnd mit groȥȥer gedult

bat im vergeben ſein ſchulde.

Daȥ was yſa getan,

die magt wart do leidich lan

Vnd gie zu iern ſwestern wider,

da ſi got diente ſider.

Nu quamen die swestr auch in not,

daȥ ſi ninder heten prot

Vnd groȥȥen hunger liten

doch mit dultichleichen ſiten.

Ier werches acht man nicht ein har,

wan eȥ was ein hunger iar.

Do verena die not erſach,

zu got von himel ſi do ſprach:

Wan du deiner geſchefte gist

ier leibnar zu rechter frist,

Jesu christ, du waiſt wol,

weȥ dein gesinde leben ſchol.

Do ſi daȥ vollen geſprach,

vor der chlause man ligen ſach

Viertzig ſekche mit mele vol.

er gedacht ir not da wol,

Wan daȥ prot wuchs in ier munde,

daȥ ſi lange vñ manic ſtunde

Heten da von ier leipnar,

des lobt got die rein ſchar.

Nu was verena, die genende,

chumen an ier lebens ende,

Vnd do ſi nu ſiech wart,

ier andacht ſich nie verchart.

[107b]

Da ſi vercheren ſcholt daȥ leben

und den geist widergeben,

Do quam unser vrowe dar

mit der hymelischen ſchar;

Vnd do verena ſei erſach,

zu gotes mueter ſi do ſprach:

Waȥ gernde han ich,

daȥ gotes mueter siechet mich?

Do sprach unser vrowe zu ier:

verena, volge mir,

Da hin, da du immer mer

vreude hast ane ſer.

Mit der rede ſi verſchied,

got ir ſele da beriet

Der ewigen gnaden.

die vrowe wart begraben

In der chlause alda,

die noch haiȥȥet zrzyaca,[4][Nachtrag 3]

Da got wol ſcheinen lie,

daȥ er ſei minte hie.

Wand nieman wirt entwert,

der rechter dinge an ſei gert.

Nu derhoret got dehein pet ſo gern,

ſo daȥ wir ſeiner hulden gern,

Dem gibt er, der die ſůhet,

vil gern, ſwer ir geruhet

Mit hertzen und mit andacht.

daȥ wir ze hulden in werden pracht,

Des helf uns maria

und ir dirne uerena. amen.


FUSSNOTEN:

[3]

fiér, stark und stolz.

[4]

zerzyaca: Zurzach.


Zweiter Abschnitt.

Verena, die Müllerpatronin.


Ihre Attribute: der schwimmende Mühlstein; ihre örtlichen Kleinkindersteine; die Müllerpatronin als Ehegöttin, der in Stein verwandelte Brodkipf und die unerschöpflichen Mehlsäcke. Wirthschaftsregeln am Verenentage.


Alljährlich am Verenatage lassen die Müller im aargauer Surbthale die Mühlsteine schärfen und die Mühlbäche putzen. Denn Verena, deren Wahrzeichen: Kamm und Krüglein, an allen Mühlen und Banngemarkungen des Surbthales eingehauen sind, hat einst ihre dreimalige Wohnstätte an den Strömen zu Koblenz und Zurzach aufgeschlagen gehabt und gilt hier als die den Gang aller Wassergewerke beeinflussende Patronin der Müller, Schiffer und Fischer. Hiefür sei ein Einzelzug vorangestellt aus der ältesten Aufzeichnung der Verenalegende vom J. 1005 in Pertz Mon. 6, 457. Unter den Gütern, die ein Mann zu seinem Seelenheile dem Zurzacher Stifte abzutreten gelobt hatte, befand sich eine besonders werthvolle Mühle. Als nun den Mann hinterher die gemachte Vergabung wieder reuete, suchte er wenigstens noch etwas an ihr zu schmälern und änderte den Lauf des Mühlebaches, indem er ihn auf seine Landstücke zog. Allein ohne fremdes Zuthun und ohne dass es vorher einen Tropfen geregnet hatte, schwoll der Bach plötzlich mit Macht an, riss dem Manne das Wohnhaus weg und trat dann wieder in sein ursprüngliches Bette zurück. Nun kam Jener eilends zum Altar der Heiligen und gab ihr alles treulich auf, was er ihr so unklug hatte entfremden wollen.—Ebenso bändigt sie den Gläubigen zu lieb die verheerenden Ströme. Beim Anschwellen der Gebirgswasser stieg einst zur Zeit der Ernte der Rhein um Zurzach zu solcher Höhe, dass er alle Kornfluren überschwemmte. Man suchte Abhilfe durch Gebet und Feldprozession, allein da durfte Niemand wagen, mit Kreuz und Fahne den Fluthen zu nahen, die über die ganze Feldbreite hinstürzten. Doch in dem Augenblicke, als man zur Prozession auszog, trat der Rhein in sein altes Bette zurück, und schon in der Mittagssonne standen die Aehren wieder schön aufgerichtet und wohlbehalten da, die am Morgen bereits entwurzelt schienen. Als eine Schnittermagd, vom Garbenbinden jenseits des Rheines heimkehrend, auf der Ueberfahrt mit dem Weidling umschlug, hielt Verena mit der einen Hand ihr den Mund zu und führte sie mit der andern wie durch ein Gewölbe unter den Wellen weg ans Zurzacher Ufer. Während die Heilige noch bei Solothurn in jenem Felsenthale wohnte, das nun in den reizenden Park der Verena-Einsiedelei umgewandelt ist, war sie zweifacher Verfolgung ausgesetzt: in der Stadt durch den hier gebietenden heidnischen Präfekten Hirtacus[6] und in ihrer Klause durch den Teufel. Dieser schleuderte einen Felsen gegen ihre Wohnung, jenen ungeheuern erratischen Block, der dorten oberhalb dem Dache der Zelle zu sehen ist und die Krallen des Bösen eingedrückt trägt. Eine friedlichere Wohnstatt aufsuchend, nahm sie einen Mühlstein, der an der Solothurner Aare zur Verladung lag, fuhr auf diesem den Fluss hinab durchs Aargau, und landete auf einer Insel beim Fischerdorfe Koblenz, in dessen Nähe die Aare in den Rhein mündet. In der Gegend wütheten eben Seuchen, von den Ausdünstungen eines Leichenackers herrührend, den der Strom unterwühlt hatte; aber die Krankheit hörte auf, indem Verena Heilquellen aus dem Boden bohrte. Das benachbarte Stift Zurzach vernahm ihre Ankunft und beeilte sich, eine so wohlthätige Frau zu sich heim zu führen.[5] Auch ihren Mühlstein wollte man nicht zurücklassen. Man lud ihn auf einen Wagen und hatte ihn bis zum Koblenzer Wegkreuz gebracht. Hier aber blieb aller Vorspann erfolglos, man war nicht im Stande Wagen oder Stein weiter zu schaffen; doch zurück nach Koblenz zogen ihn die Rosse mühelos, wo er nun neben der Thüre der Kapelle in der Einsenkung der Mauer hinter einer Vergitterung aufgestellt ist, geschmückt mit dem Schnitzbilde der Heiligen. Man misst ihm übernatürliche Kraft bei. Auch ist das Gewölbe, das ihn verwahrt, ganz allein unversehrt geblieben, als 1795 eine Feuersbrunst Dorf und Kapelle einäscherte; es hängt voll wächserner Füsse und Aermchen, welche die Leute opfern, wenn einem ihrer Kinder ein Schaden heilen soll. Seither ist die Kapelle erneut und erweitert worden und dabei die Inschrift verschwunden, die sonst über dem Steine zu lesen stand:

Auf diesem Stein hier aus der Aaren

Die heilig Verena ist gefahren

Ohne Ruder, Schiff und Schalten,

Wie solches geglaubt die frommen Alten.

Die Koblenzer sind seitdem bewährte Fischer und Fergen, die auf den Rath der Heiligen die Stüdlerzunft gründeten; erst vor einigen Jahren ist sie bei Aufhebung sämmtlicher Zünfte mit eingegangen. Dieser Genossenschaft der Laufenknechte stand ein von allen Landvögten verbrieftes Fährrecht mit der Obliegenheit zu, sämmtliche den Rhein zwischen Zurzach und Basel befahrende Schiffe und Güter durch die dortigen Strudel (genannt Laufen) zu führen. Am Gewölbe der Zurzacher Stiftskirche hängt daher ein kunstreich geschmiedetes Votivschifflein. Eine aus Tatian von Grimm Gramm. 3, 437 angeführte ahd. Glosse lautet: verenna cymba; was sonst ahd. verſcif heisst, nhd. Fähre. Graff, Sprachschatz 3, 587 citiert aus Tatian: mit ferennu quamun, navigio venerunt.

Allein Verena, die Müllerpatronin, übt zugleich auch das Geschäft der Liebesgöttin; somit ist vorerst das Einheitliche im Wesen dieses Doppelgeschäftes hier nachzuweisen, um damit einen besondern Theil des heidnischen Cultus zu entblössen, der im Verenacultus nachklingt. Die Ackerbau-Terminologie wird von jeher auf die geschlechtlichen Beziehungen übertragen, die ehliche Verbindung auf die Erdbefruchtung, auf die Demeter. Des Mannes That heisst griechisch ackern, besäen, besamen; das weibliche Saatfeld heisst sabinisch sporium, der ihm Entsprossene spurius, der Ausgesäete (Bachofen, Gräbersymbolik 204). So hat auch Mahlen und Mühle in den Sprachen erotische Bedeutung. Bei Theokrit (4, 58) ist μυλλος cunus; Festkuchen dieses Namens, aus Sesam und Honig gebacken, wurden bei den grossen Thesmophorien den Göttinnen zu Ehren in Syrakus umhergetragen. Athenäus XIV, 647 A. Den Sinn des griech. μυλλω (coire) und des Wortspiels bei Petronius: molere mulierem, drückt unsre eigne Sprache in gleicher Weise aus. In Simrocks Volksliedern no. 285 erwiedert die Müllerin ihrem um Einlass anpochenden Gemahl:

Ich steh fürwahr nicht aufe,

Ich lass dich nicht herein;

Ich hab die Nacht gemalen

Mit sechs jungen Knaben.

Davon bin ich so müd.

Der durch die Buhlin der Kraft beraubte Samson muss den Mahlstein drehen: Richter 16, 21. Daher ist die Mühle in unsern ältesten Sagen der Ort der Liebesabenteuer. Der Landpfleger Pilatus ist nach dem gleichnamigen ahd. Gedichte vom rheinischen König ausserehelich mit der Pyla erzeugt, des Müllers Atus Tochter. Ausserehlich ist Karl der Grosse erzeugt und geboren auf der Reismühle am bair. Würmsee. Aretin, Bair. Sag. 1803. Schöppner, Sagenb. no. 22. König Heinrich III. erbaute Kloster Hirschau in der Nähe jener Mühle, darin er war geboren worden; sie steht noch und gilt für eines der ältesten Gebäude in Hirschau. Vgl. Schönhuth, Burgen Würtembergs 1, 88. Meier, Schwäb. Sag. S. 336. Ebenso steht heute noch im würtemberger Schussenthale die Grieslemühle, in der die eilf ausgesetzten Welfenkinder, die Ahnherren der Hohenzollern, erzogen worden. Birlinger, Schwäb. Sag. no. 340. Aventins Chronik berichtet, wie Herzog Ott von Baiern die Brandenburger Mark dem Kaiser verkauft und die Kaufsumme daheim mit der hübschen Müllerin auf der Gretelmühle lustig verzehrt. Grimm DS. no. 496. Vom Ehebruch der stolzen Frau Müllerin erzählt alles Volkslied bis auf Göthes "Der Müllerin Verrath". Vom Jahre 1322 bis 1802 galt zu Augsburg der Name Hahnreimühle für eine der städtischen Mühlen. Im Mühlgraben liegt jener grosse Stein, hinter dem die Amme die Kinder herausholt. Wolf, Ztschr. f. Myth. 3, 31. Als alles Riesengeschlecht im Blute des erschlagnen Ymir ertrinken musste, rettete sich der einzige Bergelmir sammt seiner Frau in einem Mühlkasten. Myth. 426. Aber Mahlstein und Saatkorn gestalten sich dem fortschreitenden Begriffe zum heiligen Religions- und Rechtssymbol. Darum führen selbst die alles verleihenden Lichtgötter Apollo und Zeus den Beinamen μυλευς, bei den eleusinischen Göttinnen wird ehliche Treue beschworen, der Ceres legifera opfert die bräutliche Dido, der römische Cerestempel diente als Gesetzesarchiv. Auf einem Mehlfasse hat die wendische Braut zu sitzen, während sie von ihren Freundinnen zur Hochzeit geschmückt wird. Haupt, Lausitzer Sagenb. 1, 183. In diesem Sinne ist das Volkslied (bei Uhland 1, S. 76) von der Mühle zu verstehen, welche reines Gold und treue Liebe mahlt:

Dort niden in jenem Holze

Leit sich ein Mülen stolz,

Sie malet uns alle Morgen

Das Silber, das rothe Gold.

Dort hoch auf jenem Berge

Da geht ein Mülenrad,

Das malet nichts denn Liebe

Die Nacht bis an den Tag.

Damit hört denn auch jene schreiende Unsinnlichkeit der Legende auf, dass die Heiligen ihre Wasserreisen auf einem Mühlsteine machen, wie Verena auf der Aare und der Wüstenheilige Antonius auf der Wolga. Auch die Stadtpatronin Zürichs, zugleich die angebliche Gefährtin der Thebäer, die hl. Regula, muss die gleiche Wunderfahrt gemacht haben, denn ihr Mühlstein lag einst am Seeufer bei Herrliberg, da wo es urkundlich Im steinin Rad heisst. Reithard, Sag. a.d. Schweiz.—St. Jakob von Compostella macht seine Meerfahrt in einem steinernen Troge und landet damit zu Ira in Galizien; der hl. Quirinus, genannt Boicus, wird mit einem Mühlstein am Halse in die Günz gestürzt und schwimmt damit in diesem reissenden Gewässer. Rader, Bavaria Sancta 1, 23. Die hl. Laurentia, mit einem Stein am Halse ins Meer versenkt, gieng auf dem Wasser einher, als wäre es festes Feld. Sie wird alljährlich am 1. Okt. in der Hauptkirche zu Ancona gefeiert, wo ihre Gebeine ruhen. Jac. Schmid, Kleine Ehehaltenlegend 1, 86. Der Mühlstein der hl. Brigida ist neben ihrer Kirche zu Kyldare in Schottland an der innern Klosterpforte aufgestellt und wird bei Krankheitsfällen als wunderthätiger Heilstein berührt. Canisius, Thesaur. Eccles. I, 414. seq. Die Flüsse und Seen sind die Adern, durch welche die älteste Kultur in die Länder floss, und die Mühle mit ihren Werkzeugen giebt die Bilder und Symbole her, unter denen die Sprache diesen Vorgang bezeichnet. Bei dichtfallendem Schnee sagt der Schwabe: das kommt durch den groben Beutel; der Franke: Müller und Becken schlagen sich mit Säcken; der Aargauer: sie putzed (die Himmlischen fegen das Korn), sie ritered (sieben es), der Staub flügt (wie beim Worfeln des Ausdrusches), sie schüttid: schütten die Frucht auf, die in dichtem Strome aus der Worfelmühle schiesst. Nach Kärntner Volksrede entsteht der Donner dadurch, dass unser Herrgott Getreide in den Kasten schüttet. Wolf, Ztschr. f. Myth. 3, 30. Im Liede von der Himmelsmühle (Uhland, no. 344) knüpft Matthäus die Kornsäcke auf, Lukas lässt reiben, Marcus schroten u.s.w. Damit steht denn auch zusammen, dass die Mühle im alten Rechte als Freistätte gilt und ein in diesem befriedeten Ort begangner Frevel mit dem Tode bestraft wird. Der Schwabenspiegel bestimmt: diu müle hat ouch beȥȥer reht danne ander hiuser. swer in der müle stilet korn oder mel vier phenninge wert, dem sol man hût unde har abslahen. ist eȥ vier schillinge wert, man sol in henken. Und eben daher stand auch dem Mühlstein eine besondere Rechtsanwendung zu, auf welche Grimm RA. 935 verwiesen hat. Es findet sich nemlich in einem alten Liede folgende Prüfung erwähnt über Beschaffenheit und Abkunft eines noch ungebornen Kindes: Die Schwangere steht am Ufer des Rheins, ein Mühlstein wird gerollt; fällt er rechts, so trägt sie einen Knaben, links, ein Mädchen; geht er aber zu Grund, so ists ein Metzenkind.—Der jungfräulichen Verena Mühlstein aber ist ein schwimmender; unter ihrer Obhut steht alle rechtlich erworbene Frucht: die auf dem Felde, in der Mühle und im Mutterschosse. Bereits sind in der histor. Zeitschrift Argovia 3, 15 die mehrfachen örtlichen Felsen und erratischen Blöcke des Aargaus aufgezählt, welche den Namen Kleinkindersteine und eine dem gemässe Ortstradition an sich tragen. Hier kommen nur die auf Verena bezüglichen in Betracht. Jener vorhin erwähnte Felsblock in der Solothurner Verena-Einsiedelei trägt ein über Faustgrösse ausgerundetes Loch, das man für die Spuren der Hacke der Ammenfrau ausgiebt, die hier den Bedarf an Kindern für die Stadt heraushackt. Wolf, Ztschr. f. Myth. 4, 1. Dasselbe gilt gleichfalls in dem eben genannten Dorfe Koblenz vom Kalchofen, einem ofenförmig gewölbten, isolirten Kalkfelsen am dortigen linken Rheinufer. Derselbe Glaube herscht im Schwabenlande, weil bis dahin der Verenacultus kirchlich gereicht hatte. Eine Felshöhle beim Bergschlosse Teck auf der würtemberger Alb heisst Frena-Bubelinsloch und besitzt eine Sage über zwei hier im Fels erzeugte und gross gewordne Knaben. Antiquarius des Neckarstroms 1740, 46.

Ein fernerer auf die Korn- und Mühlengöttin hindeutender Zug ist enthalten in dem Schicksale des Schwesternhauses, das die Heilige zu Solothurn gegründet hatte. Es brach ein Hungerjahr ein, die Schwestern konnten ihre Handarbeiten nicht mehr verkaufen und litten bittern Mangel. Da geschah es, dass eines Morgens eine Reihe Säckchen Mehl von unbekannter Hand vor die Thüre gestellt wurden und die aus diesem Mehl gebacknen Brode wuchsen den Essenden unter dem Kauen. Im alten Constanzer Breviar, das Erhard Ratdolt 1509 druckte, heisst es darüber:

Dum panis victus solitus

exhaustus fuit plenius,

farris pastus positus

est ad fores celitus.

Aber schon Notkers Legende (bei Canisius II, 3 Th. 170) giebt wundersüchtig die bestimmte Zahl dieser Säcke an quadraginta sacci, und Christoph Greuter zu Augsburg hat sie sogar in Kupfer gestochen; ein Nachstich steht in Richters Schrift, Sigprangender Triumphwagen Verenae. Augsb. 1736, 42. Der Notkerischen Fassung scheint unser mhd. Gedicht (107a) nacherzählt zu sein:

vor der clause man ligen sach

viertzig ſekche mit mele vol.

er gedacht ir not da wol,

wan daȥ prot wuchs in ier munde.

Dasselbe Wunder und, unter dem gleichen Namen unsrer Verena wird durch Kuhns Nordd. Sag. no. 70 aus dem Bezirke von Halberstadt gemeldet. Wenn da der Bauer zwischen Weihnachten und Dreikönig, zur Zeit der Zwölften, sein Mehl von der Boitzenburger Mühle heimfährt, so begegnet ihm Frû Freen und verlangt, dass er die Säcke öffne und ihren Hunden ausschütte. Thut er dies folgsam, so findet er die Säcke wohlgefüllt des andern Tages an derselben Wegstelle wieder. Hier ist Freens Name zusammengefallen in den der Heidengöttin Frêa (wie Paulus Diaconus Wodans Gemahlin nennt), welche zur Zeit der Zwölften sich an die Spitze der Wilden Jagd stellt und unter dem Namen der alten Frick (ein Diminutiv des Namens Freyja) mit ihren zwölf Jagdhunden das Land durchstürmt. Der Name Frêne wird von Kuhn l.c. S. 414 und 415 ausdrücklich als um Halberstadt bestehend bestätigt, und der vierte Abschnitt unsres vorliegenden Berichtes wird diese auffallende Namensverwandtschaft zwischen Wodans Gemahlin und der aargauischen Gauheiligen erläutern.

Verena ist zugleich eine der vielen Heiligen, welche abgebildet werden, Brod und Wein überbringend. Bereits hat der spottlustige Nachbarscherz sich dieses Zuges der Verenalegende zu seinen örtlichen Schwänken bedient. Er erzählt, wie einst das kleine Städtchen Klingnau an der Aare von einer Feuersbrunst so ganz zerstört worden, dass auch sämmtliche Kirchenglocken mitverbrannten und man sich mit einer irdenen behelfen musste, deren Schall denn nicht weit reichte. Mit dieser musste man läuten, als die hl. Verena auf ihrer Reise nach Zurzach hier den Strom herab gefahren kam. Kling au! rief man ärgerlich zur stummen Glocke empor, in der Hoffnung, die Heilige werde dem Tone folgen und hier ihr Absteigequartier nehmen. Allein diese wusste voraus, wie hier das tägliche Brod schmeckt, und fuhr ihres Weges weiter. Seitdem gilt der Spottreim:

Wenig Brod und sûre Wî:

ach Gott, wer möcht' au z'Klinglau sî!

Die Aargau. Sagen no. 491 berichten ferner, als Dienstmagd eines Priesters in Zurzach habe sich Verena die tägliche Nahrung abgebrochen, um die benachbart wohnenden Siechen damit zu speisen. Darüber der Entwendung verdächtigt, tritt ihr der argwöhnische Priester plötzlich in den Weg und untersucht. Doch der Wein in ihrem Krüglein ist nun in Lauge, und der mitgenommene Brodkipf in einen Kamm verwandelt, beides als zur Reinigung der Aussätzigen dienend. Daher kommt es, dass die Bildsäulen Verenas bald Waschkanne und Kamm, bald Weinkrug und Brodkipf in der Hand haben. Das Krüglein der Heiligen ist, wie die älteste Aufzeichnung berichtet, ursprünglich steinern gewesen und hatte die Form einer antiken Urne; seine Bestimmung musste damit nicht nothwendig die des Wein- oder Waschnapfes sein, da auch das Trockengemässe vor Alters steinern war. Das Zürcher Frauenmünsterstift berief sich 10. Christm. 1282 auf einen in seinem Kloster aufbewahrten Stein, in welchem der Klostergründer König Ludwig das Mass eines Kornviertels hatte aushauen lassen. Geschichtsfreund 8, 19.

Hier ist Gelegenheit, eine Legenden-Parallele an der gleichfalls unbeachteten Gestalt einer andern deutschen Gauheiligen aufzuzeigen. Es ist dies die Kraichgauer und Tiroler Heilige Notburga, von deren Cultus Schnezler, Bad. Sagb. 2, 587, und Zingerle, Tirol. Sitt. no, 964 berichten. Auch sie zähmte wilde Ströme, lehrte Acker- und Weinbau, pflegte und speiste die Armen, verstand sich auf die Heilkunde, hat ihre mehrfachen Grabkirchen und Taufbrunnen und lebt, wie die hl. Verena, mehr in der stillen Volksverehrung als im theologischen Gedächtnisse fort. Als Viehmagd diente sie im Tiroler Schlosse Rothenburg im untern Innthal und hatte die Schweine zu füttern. Für jeden Armen sparte sie sich eine Schürze voll Brod und einen Becher Weins auf; wenn aber ein geiziger Späher sie darüber anhielt, verwandelte sich die Gabe in Hobelscheiten und in Sautränke. Als sie auf dem Bauernhofe Eben im Unterinnthal diente, kam dort mit ihr der alte Segen in den gesunknen Hausstand zurück; wollte man sie jedoch über die Feierabendzeit im Felde fortarbeiten lassen, so machte sie das Gesinderecht geltend, hob die Sichel in die Höhe, liess sie aus und diese blieb in der Luft hängen. Sie ist die Patronin der Dienstmägde geworden, wie sie selbst in ihrem Geburtsdorfe Ameres als Magd gestorben ist. Vor ihren Leichenwagen spannte man zwei weisse Stiere und liess sie gehen, wohin sie wollten. Als sie an den brückenlosen Inn kamen, wich der Fluss zurück und liess Wagen und Leichengefolge trocknen Fusses hinüberschreiten. Jenseits auf dem Ebenberge, wo die Stiere anhielten, begrub man die Jungfrau und errichtete eine Kapelle über dem Grabe, die seit 1434 zur Wallfahrtskirche vergrössert wurde. Auch ihre ehemalige Magdkammer im Schlosse Rothenburg ist in eine Kapelle umgebaut worden. Panzer, BS. 2, no. 62. Als Notburga ins Kraichgau kam, überschwamm sie auf einem schneeweissen Hirschen den Neckar und verbarg sich in einer Höhle, die beim würtemberger Dorfe Hochhausen gezeigt wird. Vom Schlosse Hornberg her überbrachte ihr der Hirsch täglich das Brod, ans Geweih gespiesst, und mit seinem Geweih schaufelte er der Sterbenden ihr Grab. Jetzt noch zeigen die Kraichgauer übers Feld hin den Weg, welchen das treue Thier einschlug. Ueber die hl. Rategundis von bair. Wolfratshausen berichtet Jac. Schmid, Leben hl. Hirten und Bauern (Augsb. 1750) 3, 16, als Dienstmagd auf dem Schlosse Wellenburg bei Augsburg habe sie Milch und Butter von ihrer täglichen Kost sich abgespart und den Aussätzigen des nächsten Siechenhauses zugetragen; als der argwöhnische Schlossherr sie auf dem Wege dahin betraf und untersuchte, verwandelte sich Butter und Milch in ihrer Schürze in einen Strehl und in warme Lauge.

Zum Schlosse folgen einige obrigkeitliche Vorschriften und landwirthschaftliche Regeln, die sich an den 1. September als den Verenatag knüpften.

Der Verenatag begann den Herbst und war damit ein allgemeiner Zins-, Frist- und Verfalltag. Das Schwyzer Landbuch (ed. Kothing, S. 76) verbietet im J. 1519, "dass man vor sant Frenentag kein Murmotten (Murmelthier), weder alt noch jung, fachen soll." Mit diesem Tage geht noch im Kanton die gebannt gewesene Jagd wieder auf. In den V Gerichtsbezirken des Altaargaus (Zofingen, Aarau, Kulm, Lenzburg und Brugg) galt die Berner Gerichtssatzung und mit ihr also auch derselbe Gerichts-Stillstand, Gerichts-Ferien. Eine dieser fünf "geschlossnen Zeiten" dauerte acht Tage vor dem ersten Sonntag vor Verenentag bis acht Tage nach dem auf Verena nächstfolgenden Sonntag. Die Berner Obrigkeit hat im J. 1595 in Folge der Kirchenreformation vier jährliche Communionszeiten und darunter die letzte auf den Verenentag angesetzt. Polizeibuch der Stadt Bern, ad ann. 1655.—Das "Verzeichnuss der Statt Aarow-Ordnungen und Breuch" von 1688 (Aarau. Stadtarchiv) setzt fol. 86 die obrigkeitlichen Visitationen der Weinkeller alljährlich auf Verena und Martini an.

Von den Bauernregeln über die Witterung am 1. September sind unter unserer Landbevölkerung folgende üblich.

Wenn's Vreneli z'morndes s'Chrüegli ûsleert, draejet, löset, umg'heiet, brünnelet—und z'Abig s'Chitteli wider tröchnet, denn isch guet; denn solch ein richtiger Witterungswechsel ist der Aussaat des Kornes und der Keimung des Samens besonders günstig. Wenn es an Verena schön Wetter war, so erzählen die Bauern im Frickthaler Dorfe Gansingen, so sassen unsre Leute am Tische und assen ruhig ihr Vesperbrod; wenn es aber regnete, so hiengen sie den Kornsack an und standen zum Säen hinaus. Wenns a d'Verena regnet, muess de Bu'rsma s'Brod unter de Arm neh; wenn aber nit, so chan er's frölich hinter'm Tisch esse. Der Solothurner Bauer muss, wenn Verena Regen bringt, Tag und Nacht zu Acker fahren und sein Brodsäcklein, das Zimmis-chörbli, worin der Abendimbiss ist, mit ans Kummetscheit henken, ans Jochholz am Kummetkopf. Illustrirte Schweiz 1862, 259.—

Verenatag günnt d'Stiel ab jedem Hag; denn an diesem Tage, heisst es, ist alles Obst reif und der Fruchtstiel abgetrocknet; ist es aber ein strenger Regentag, so fault das Obst hernach auf den Hurden.

A d'Vrenetag got der Chabis uf e Rôt; der Krautskopf berathet sich, ob er von diesem Tage an noch wachsen wolle; nimmt er nicht zu, so ist er daheim geblieben und nicht mit in Rath gegangen. Vrein am Rain trägt s' Abendbrod heim: das Vesperbrod wird von dieser Zeit an nicht mehr aufs Feld gebracht, s' Vreneli zündt a, und s' Mareili löscht ab: die Hausarbeiten bei Licht, die Kiltabende und Liebesnächte begannen mit 1. Sept.; mit Mariae Verkündigung, 25. März, giengen sie wieder zu Ende. Heute aber beginnen die Lichtarbeiten gewöhnlich erst mit 2. Nov. und schliessen mit dem Josephstag, 19. März.


FUSSNOTEN:

[5]

A Solodoro igitur

discedens proficiscitur,

ubi Rhenus labitur,

Zurziacham graditur.

Verena-Hymnus im Constanzer Breviarium von 1509, gedr. bei Eberhardus Ratdolt.

[6]

Diabolus quendam tyrannum sub potestate Romani nominis inflammavit, sagt die Originallegende; erst später wird der Name Hirtacus dazu gefügt. Auch das mhd. Gedicht nennt ihn einfach Richter.


Dritter Abschnitt.

Verena, die Geburtshelferin.


Ihre örtlichen Kleinkinderbrunnen, Taufbrunnen und Wasserkirchen; die ihr geopferten Mädchen- und Brautkränze; ihr Geburtsgürtel, Haarkamm und Waschkrug; ihre örtlichen und kirchlichen Heilquellen. Gesundheitsregeln am Verenentage. Mythische Nachklänge von der Gewitterriesin: das Vrenelisgärtli am Glärnisch u.s.w.

Wir beginnen mit dem Kindersegen, welchen die Heilige verleiht, und stellen hiefür diejenigen Erzählungen voran, welche der ältesten zwischen die Jahre 1005 bis 1032 fallenden Aufzeichnung der Verenalegende (bei Pertz 6, 457) angehören. Diese von G. Waitz nachgewiesene Zeitbestimmung gilt namentlich auch für diejenigen Thatsachen, über welche der Verfasser jener Bruchstücke entweder als Augenzeuge berichtet, oder die er an bekanntere Herschernamen jener Periode anknüpft.

Der Burgundenherzog Konrad war mit seinem Eheweibe Machthilde lange kinderlos geblieben. Sie wallfahrteten endlich nach Zurzach ins Verenenstift, beteten hier und vertheilten reichliches Almosen, und in der ersten Nacht nach der Heimkehr empfieng die Herzogin einen Thronfolger.

Heriman, der zweite Alemannenherzog dieses Namens (997), hatte Gerbirga geehlichet, des vorhin erwähnten Burgundenherzogs Konrad Tochter, und obwohl schon mehrere Töchter, doch noch keinen Sohn bekommen. Sobald aber die Eltern zum Grabe Verenas wallten, wurden sie auch mit einem solchen beglückt. Dieser war, wie Casp. Lang beifügt (Histor. theol. Grundriss der christl. Welt 1692. 1, 477), Herman III., der indess nicht zu seinen Jahren kam und schon 1012 wieder starb.

Reginlinda, des Alemannenherzogs Burkhard II. Wittwe, lebte in zweiter Ehe mit dem Herzog Heriman, der jenem Burkhard 826 in der Regierung nachgefolgt war. Zu gleichem Zwecke, wie die Vorigen, machten die beiden Neugetrauten einen Kirchgang nach Zurzach und übernachteten daselbst im Stifte. Hier träumte Reginlinda von der Empfängniss, die sie sich wünschte, und gebar darauf die Tochter Ida, die nachmals Liudolf, Kaiser Ottos I. Sohn, zum Weibe nahm.

Eine adelige Frau im Elsass hatte früherhin in kinderloser Ehe gelebt, hierauf sich zur hl. Odilia verlobt und dann drei Töchter bekommen. Durch die hl. Verena hingegen erhielt sie erst noch Zwillingssöhne, denn diese Heilige besonders ist es, welche die Eltern mit Mädchen und Knaben begnadet. So war ein kinderloser Frankengraf öfters von den Zurzacher Stiftsherren eingeladen worden, er möchte sich zu ihnen begeben, die Heilige anflehen und ihr einen wenn noch so geringen Theil seines Reichthums opfern, dafür werde er seinen Wunsch nach Söhnen erfüllt sehen. Jedoch er spottete mit seiner Frau dieses Rathes. Was sollen uns diese Pfaffen helfen? pflegte er zu sagen, sind sie nicht selbst die Unvermögenden und an Mannesart die Allerletzten? Darauf wurde sein Weib vom Blitz erschlagen und er starb hin ohne Leibeserben.

Ein Höriger des Stiftes hatte ein an Abkunft ihm gleiches Weib geheiratet, allein von dem Erbe, das ihnen beiden mehrfach zufiel, entrichteten sie dem Stifte nicht nur keinerlei Zins, sondern sie liessen sich auch in allerlei Schmähungen über derlei Pflichtigkeiten aus und machten sich sammt ihren Kindern zuletzt ganz aus der Gegend fort. Dafür starben er und sein Weib eines jähen Todes, und seine Nachkommenschaft, die jetzt noch unter uns lebt, leidet durchgängig an Gliederlähmung.

So viel erzählen die ältesten Aufzeichnungen der Legende über den durch Verena gespendeten Ehesegen; nicht besonders mit erwähnt aber ist, dass derselbe herstammt aus der in dortiger Stiftskirche fliessenden Heilquelle. Man steigt zu ihr durch die Sakristei auf mehreren Stufen hinab und schöpft das Wasser mit einem bereit stehenden Zieheimer; es wird flaschenweise heimgetragen und als Waschmittel gegen Haut- und Augenübel gebraucht, Kindbetterinnen soll es besonders dienlich sein; auch das Abgestandene wird noch auf das Krautfeld gesprengt und vertilgt das Ungeziefer. Von diesem Umstande scheint nachfolgende Ortssage zu handeln, die man der Mittheilung des Kandidaten E. Schmid von Zurzach, † zu Heidelberg, verdankt.

Eine Zurzacher Frau war Wöchnerin und schickte ihren Mann bei Nacht in das Städtchen Klingnau hinüber, um eine Ammenfrau herbeizuholen, deren es im damaligen Dorfe Zurzach noch keine gab. Der Weg dahin geht stundenweit über den sehr wilden, 700 F. hohen Achenberg. Auf engen Felsentreppen ersteigt man die letzte Höhe zum Rothen Kreuz, einer einzelnen Station der hier errichteten Wallfahrt zur Schmerzhaften Mutter Gottes. Diese Stelle ist jedoch ein gefürchteter Spukort. Wer seine hierher angelobte Wallfahrt zu thun versäumt hat, muss nach dem Tode hier umgehen; davon kommen die feurigen Männer her, die man ein knarrendes Wägelchen über die Waldwipfel hinfahren sieht, oder die ledig laufenden Rosse, die sich vom Begegnenden an das Halstuch binden lassen, dann aber zu einer Grösse anschwellen, dass weder Tuch noch Hand mehr zu ihnen emporreicht. Als der ausgeschickte Mann diese ihm sonst wohlbekannte Höhe erreichte, soll, wie man berichtet, dichtes Gebüsch ihm den Durchweg versperrt haben, so dass er verirrte und statt nach Klingnau an die Aare hinab, weitab bis zu deren Mündung in den Rhein gerieth. Denn am andern Morgen fanden ihn Schiffer des Dorfes Koblenz oberhalb des dortigen Laufen, eines Rheinstrudels, todt am Ufer. Diese Erzählung scheint ein Fingerzeig zu sein, dass man die Geburtshülfe zunächst bei der Heiligen in Zurzach selbst, und nicht in dem fremden Aarthale zu Klingnau hätte suchen sollen. Denn dafür eben fliesst in der Zurzacher Stiftskirche jener heilkräftige Brunnen. Die hier hinabsteigenden Wallfahrer dürfen sich einen Krug voll unentgeltlich schöpfen, dagegen erkaufen sie sich das Oel aus der hier brennenden Gruftlampe und wenden es daheim gegen Augenübel an; letzteres ein Brauch aus der frühesten Zeit des Christenthums, dem schon Gregorius von Nazianz das Wort redet. So heilte Oel, aus der Kirchenlampe zu. St. Gallen geholt, gleichfalls kranke Augen. Casp. Lang, Theol. histor. Grundriss (1692) 1, 513. 1036. Ein gleiches Mirakel ist in der Gertrudislegende erzählt, A. SS. sec. II, pg. 470: Ein blindes Eheweib wird von ihrem Gemahl ans Gertrudengrab in der Nivellerkirche geführt und kommt hier zufällig unter eine der Kirchenlampen zu stehen, welche trieft und des Weibes Mantel beschüttet. Die Umstehenden nehmen daraus Anlass, der Blinden Augen damit zu bestreichen, und diese wird dadurch auf der Stelle sehend.

Noch einen solchen Brunnen von gleichfalls befruchtender Wirkung besitzt die Heilige in den Bädern der Stadt Baden. Dies ist das Verenabad, das von je her ein Freibad gewesen war, dessen sich Arme und Presthafte unentgeltlich bedienen konnten. Vormals lag es unter offnem Himmel; nunmehr hat es Einwandung und Bedachung; in seinem unmittelbar über der Quelle gebauten Bassin finden gegen hundert geduldige Menschen zusammen Platz, die aus allen Kantonen auf Staatskosten hieher geschickt werden.

Der heisse Sprudel tritt unmittelbar aus dem Boden ins Bassin durch eine Oeffnung, welche das Verenenloch heisst. Daran steht eine Steinsäule errichtet mit der holzgeschnitzten bemalten Figur der Heiligen. Junge Ehefrauen, die sich nach einem Erben sehnen, verschaffen sich hier des Nachts, wenn das verbrauchte Wasser abgeflossen ist, durch den Bademeister heimlich Zutritt; sie senken ein Bein in die Röhre hinab, durch die der Sprudel emporwallt, lassen es recht durchwärmen und sind der sicheren Hoffnung, dieses Verfahren helfe zur baldigen Erfüllung ihrer mütterlichen Wünsche. Das Alter dieses Frauenbrauches erhellt aus der 1578 zu Basel erschienenen, von Dr. Heinrich Pantaleon verfassten "Wahrhaftigen und fleissigen Beschreibung der uralten Statt und Graveschafft Baden, sampt ihren heilsamen warmen Wildbedern, so in dem Ergöw gelegen"; hier heisst es auf S. 73: "Es ist aber hie ein abergleubischer Won vorhanden. Dann es vermeinen hie jren vil, wann ein unfruchtbare Fraw darinnen bade, vñ ein fůss in dz loch stosse, da dz wasser herfür quillet, es werde St. Verena bey Gott erwerben, dz sie fruchtbar werde."—Dass dieser Wahn vormals ein weit verbreiteter gewesen, lernt man aus Lynker, Hess. Sag. S. 17 kennen, wo es heisst vom Teich der Frau Holle: "Frauen, die zu ihr in den Brunnen steigen, macht sie gesund und fruchtbar, denn eben aus ihm kommen auch die neugebornen Kinder." Diese mütterliche Göttin Holda gleicht also vollkommen der von den Albanesen verehrten Geburtsgöttin Ora, einem Wünschelweibe, vermöge deren Macht das Kind genau in derjenigen Gestalt geboren wird, in der es gewünscht worden ist. Hahn, Griechisch-albanes. Märch. 1, S. 37. Holda hütet die Seelen der Ungebornen unter dem Spiegel der Brunnen, übergiebt sie als Fröschlein und Fischlein dem Seelenbringer Storch für die gebärenden Mütter, damit sie ins leibliche Dasein eingehen können, und nimmt die unmündig wieder Hinsterbenden abermals zu sich in die kristallne Tiefe. Daher stammt die allverbreitete, überall lokalisirte Sage von den Kinderbrunnen, wo die Kleinen um die Mutter Gottes spielend herumsitzen und mit Honig und Erdbeeren aufgenährt werden. Schon altdeutsche Dichter bedienten sich dieser Vorstellung zum Preise der geheimnissvollen Geburt Jesu durch die hl. Jungfrau; so um 1260 der Dominikanermönch Eberhart von Sax, der von der Mutter Gottes sagt:

du bist der gezeichent brunne,

darin schein diu lebendiu sunne.

Und Nachklänge solcher Gleichnisse leben im Kinderreim vom Storch fort:

Storch—Storch—Steine,

Mit dem langen Beine,

Mit dem kurzen Knie:

Jungfrau Marie

Hat ein Kind gefunden

In dem goldnen Brunnen.

Wer solls (aus der Taufe) heben?

Der Gothe und die Göthen.

Am Queckbrunnen zu Dresden stand schon 1312 ein Marienbild; jetzt ziert ihn ein fliegender Storch, der sowohl im Schnabel, als auch in den Fängen und zudem auf jedem Flügel je ein Wickelkind trägt. Dieses Wasser macht unfruchtbare Frauen zu gesegneten Kindsmüttern. Schäfer, Städtewahrzeichen 1, 120. Zu den in den Aargau. Sagen 1, S. 17 bereits verzeichneten schweiz. Kleinkinderbrunnen lassen sich nachträglich noch folgende aargauische anführen. In der Stadt Aarau war es bis zum Jahre 1812 obrigkeitlich festgesetzt gewesen, den Stadtbach alljährlich am Verenatag abschlagen zu lassen. Da man der Annahme zufolge aus seinen Brunnenstuben den Säuglingsvorrath holte, so steht dieser Kleinkinderbach noch immer in besonderer Geltung. Sobald man nun den abgestellten Bach eines Abends wieder anlaufen lässt, zieht ihm die gesammte Stadtjugend unter Fackelschein mit laubumflochtnen Stäben entgegen und ruft zum Takte der wirbelnden Knabentrommeln:

Der Bach chunnt, der Bach chunnt:

Sind mini Buebe-n-alli gsund?

Jo jo jo!

Der Bach ist cho, der Bach ist cho:

Sind mini Buebe-n-alli do?

Jo jo jo!

In der Stadt Rheinfelden holt man das neue Schwesterlein aus der dortigen Brunnenstube; im benachbarten Laufenburg aus dem Stinkenden Brünnli (über Gipslager ablaufend), am Fusse des Ebenberges; in Oberfrick aus dem altverschütteten Spagenbrunn, im Dorfe Küttigen aus dem Stampfelgraben des dortigen Mühlbaches, im Dorfe Koblenz aus der die Gemeindegrenze bildenden Quelle. Zu den gleichbedeutenden in der übrigen Schweiz gehören folgende: der Waldweiher Dreibrunnen in der toggenburgischen Stadt Wyl (Sailer, Chronik von Wyl 1, 123); der Dorfbach mit seinem Findlingsblock zu Aegeri im Kt. Zug; der Stempbach in Stans, und der Seltenbach in luzernisch Escholzmatt, der noch dadurch bemerkenswerth ist, dass er den Namen der deutschen Glücksgöttin Frau Saelde trägt. Lütolf, Fünfort. Sag, S, 550.

Solcherlei Quellen mit altheidnischem Cultus mussten von den Bekehrern entweder diabolisirt oder, wenn es die Umstände erlaubten, in Taufbrunnen mit Taufkirchen umgewandelt werden. Der hl. Remaclus vertrieb den Teufel aus einem Brunnen, in welchem er sich hatte huldigen lassen (Schmitz, Eiflersag. 2, pag. 114), und macht nun auch jene Weiber fruchtbar, die sich in die Fusstapfe hinein stellen, welche bei der Quelle Groossbek zu Spaa seinen Namen trägt. Wulf, Ndl. Sag. S. 227. Dass dieser vertriebne Brunnenteufel ein heidnisches Wasserweib gewesen sein musste, erklärt uns die Kirche ausdrücklich. Abt Tritheim beantwortet dem Kaiser Maximilian I. im J. 1508 achterlei Fragen über die Geisterwelt (Liber octo questionum. Oppenheim, Joh. Hasselberg 1515, 20. Sept.) und entwickelt dabei über die Wassernixen folgende Theorie. "Die in Seen und Flüssen hausenden Geister sind wie des Wassers Ungestüm trügerisch, reizbar und grausam. Wollen sie sich sichtbar machen, so erscheinen sie, wie es die Weichlichkeit des ihnen zur Wohnstatt gegebnen feuchten Elementes bedingt, in Frauengestalt. Wie daher schon das Alterthum den Najaden, Nereiden und Nymphen durchgehends weibliches Geschlecht gab, so nennt sie auch unser Volksmund Wasserfrawen. Diese lassen sich an Flüssen und Quellen blicken, kämmen ihr langes Frauenhaar, reden die Menschen an und ziehen sie in ihre Spiele. Die Heiligen und die Engel jedoch, deren Gemüthszustand unwandelbar ist, nehmen insgesammt keine andere Erscheinungsweise an als die männliche, und niemals ist davon zu lesen, dass ein reiner Geist sich in Weibesgestalt gezeigt habe."—Die gegentheilige Anschauung greift aber Platz, wenn die Kirche Ursache hat, gegen die heidnisch verehrte Quelle tolerant zu sein; alsdann heisst es: Wer in eine Quelle spuckt, speit dem lieben Gott ins Gesicht; und daher rührt es, dass in unsren an Quellen, Strömen und Seen so reichen oberdeutschen Landschaften die geschichtlich ältesten Christentempel Wasserkirchen heissen und sind. Die zürcherische dieses Namens ist rings von den Seewellen umspült und in ihrer Unterkirche fliesst das Heiligbrünnlein. Wasserkirchen sind ferner diejenigen zu Konstanz, Lindau, Wettingen, Reichenau und Rheinau. Auf der Rheininsel zu Säckingen siedelt sich der hl. Fridolin an, auf derjenigen bei Stein wird der hl. Otmar begraben. Alle diese Orte sind altchristliche Niederlassungen, theils schon aus der römischen, theils aus der merowingischen Periode. Ufnau, des Zürchersees grösste Insel, deren Kirche 1140 geweiht wurde und Mutterkirche war für einen grossen Theil der Weiler und Höfe am untern See, war schon zur Zeit der irischen Apostel ein Sitz des Christenthums. Diese Kirche sowohl wie auch die am gegenüberliegenden Ufer zu Stäfa war der hl. Verena geweiht. Schweiz. Anz. f. Gesch. 1859, 39. In der Stadt Zürich bestand bis zur Reformation das kleine Nonnenkloster der Schwestern von Konstanz, welches hiess zu St. Verena in Brunngassen; es wurde 1551 von dem berühmten Buchdrucker Christoph Froschauer angekauft und heisst bis heute zur Froschau.

Beschert Verena die Kinder, so muss sie nothwendig auch die Schirmvögtin der Ehebündnisse sein, und wir sehen dies deutlich aus den ihr kirchlich geopferten Gegenständen, vornemlich den Brautkrönlein. Die katholischen Landmädchen zwischen der untern Aare und dem Rheine tragen bei besondern kirchlichen oder weltlichen Festanlässen den krönleinartigen Kopfschmuck der Tschäppelein, chapelet. Er besteht aus einem mit Seidenblumen und Goldflintern reich umsponnenen Drahtgeflechte, das sich sanft über den Scheitel hin wölbt, oder statt dessen ist es auch ein kleines Sammtkäppchen, oben napfförmig abgerundet und mit Korallen gestickt; es ist so winzig, dass es oben mittels eines Seidenfadens über das Haar gebunden werden muss. Ist nun in der Landschaft von Leuggern, das Kirchspiel genannt, ein Mädchen getraut, so hat sie ans Verenagrab nach Zurzach zu wallfahrten und hier am Grabgitter ihr Tschäppelein zum Opfer aufzuhängen; es ist ein Dank dafür, unter die Haube gekommen zu sein. Erscheinen dann im Herbste die Züge der übrigen Wallfahrerinnen, so nehmen sie ein solches Brautkränzchen vom Gitter und setzen es während ihres Gebetes selbst auf. Ein so grosser Vorrath von Käppchen häuft sich hier an, dass man die veralteten darunter alljährlich am Charsamstag abnimmt und in dem Osterfeuer, das vor der Kirche angezündet wird, mitverbrennt. Etwas Aehnliches besteht auch im Fischerdorfe Koblenz, in dessen Kapelle jener Mühlstein verwahrt liegt, auf dem Verena von Solothurn auf der Aare hieher gefahren sein soll. Wird nun hier nach alter Gepflogenheit alljährlich im Frühling der Gemeindebann von Jung und Alt umschritten, so dürfen bei diesem Männergeschäfte die Mädchen allein sich nicht mit anschliessen, sie sollen vielmehr die Krapfen für die Heimkehrenden indess fertig backen. Alsdann aber brechen sie sich Feldblumen und flechten in die Wette Kränze daraus ins Haar, die gleichfalls Schäppeli heissen, tragen diese zur Dorfkapelle und überhängen damit die Horizontalstäbe des Eisengitters, hinter welchem Verenas Mühlstein geborgen liegt. Der Heiligen Schnitzbild, drei Fuss hoch und bemalt, steht auf diesem Stein. Zum Schlusse erscheint der Sigrist, setzt den schönsten der geopferten Kränze der Heiligen aufs Haupt und schmückt mit den übrigen den Grundstein.

Unter den wenigen Reliquien Verenas, von denen man überhaupt Kunde hat, ist es gerade ihr Gürtel, der sie als eine die Ehen und Geburten beschirmende Heilige aufs deutlichste bezeichnet. Dieser war in dem ehemaligen schwäbischen Reichsstifte Roth verwahrt, einem mit regulirten Chorherrn besetzt gewesnen Gotteshause. Die Frage, wie er aus dem entlegnen Zurzach bis dahin kommen konnte, beantwortet sich aus der Grösse und Ausdehnung des ehemaligen Bisthums Konstanz, das wirklich bis über den Neckar bei Marbach reichte. Dieser Gürtel, schreibt Richter (Sigprangender Triumphwagen Verenae, Augsburg 1736, pg. 42 und 81), wird nach allgemeinem Brauche den Frauen bei schweren Geburten gebracht. Des römischen Kaisers Rudolf Sohn, Herzog Johannes, Landgraf in Elsass, ist so durch Verenas vielvermögenden Beistand zur Welt geboren worden.

Hier folgt eine Reihe von Heilquellen, die im Aargau und dessen Nachbarlandschaften unter Verenas Namen altverehrt sind.

Der Fussweg vom Rheinflecken Zurzach in das Städtchen Klingnau an der Aare führt über den Achenberg. Auf der Hochebene dieses beträchtlichen Bergzuges steht umgeben von tiefen Waldungen ein Bauernhof mit alter Wirthschaftsgerechtsame, benachbart eine durch den Bischof Sigismund von Konstanz 1062 eingeweihte Kapelle sammt Wallfahrt zur Schmerzhaften Mutter Gottes. Jeden Samstag wird hier Messe gelesen, im Monat Mai eine Feldprozession und ein Jahrmarkt abgehalten. Die günstige Jahreszeit, des Berges wilde Schönheit mit seiner erstaunlichen Fernsicht ins Hegau und Klettgau hinüber, die Wunderthätigkeit des Ortes und der den andächtigen Besuchern gewährte päpstliche Ablass führt alsdann zahlreiche Schaaren des Landvolkes aus dem Elsass und Schwarzwald hier zusammen. Man kocht im Freien ab und lagert des Nachts um hohe Feuer. Doch kein Wallfahrer verlässt den Berg, ohne nicht` über eine in Felsen gehauene Treppe zu der Schlucht beim Rothen Kreuz hinab zu steigen, wo die Wegscheide in das Aarthal hingeht. Hier trinkt er am wunderthätigen Verenabrünnlein und lässt auch für seine Kranken daheim ein Krüglein voll anlaufen. Ueber diese Waldquelle geht folgende Sage.

Zur Zeit der ehemaligen Zurzacher Herbstmesse, die auf den 1. September als den Festtag Verenae fiel und der Schliessmarkt hiess, kam ein wenig bemittelter Mann aus dem Städtchen Klingnau hier bergan gestiegen in der Absicht, seinen Kindern so wohlfeile Winterschuhe einzukaufen, als sie auf jener berühmten Ledermesse Zurzachs zu haben waren. Das Geld aber, das ihm dazu nicht ausreichte, hoffte er bei ein paar gutherzigen Leuten daselbst vielleicht geliehen zu bekommen. In solchen unsichern Betrachtungen erreichte er das Verenabrünnlein, traf hier einen ihn freundlich anredenden Mann und theilte ihm seine heutige Absicht mit. Der Unbekannte verwies ihn an die Bergquelle. "Schon mancher Andere, sagte er, hat in deiner Lage hier die leere Hand in den Wassersprung gesteckt und sie gefüllt herausgezogen; aber die Bedingung bleibt dabei, dass man nicht vorwitzig nach oben schaue." Mit diesen Worten gieng der Fremde seines Weges und der arme Mann hinab zur Quelle. Hier stand wirklich ein Kistchen voll Geld, und so viel er mit zwei Händen fassen konnte, nahm er sogleich heraus. Aber jenes Unbekannten Wort, Schau nicht nach oben! kam ihm jetzt gar zu wunderlich vor; noch vor dem Kistchen knieend, wendete er mit blinzelnder Neugier das Gesicht auf, und ach! da hieng gerade über seinem Kopfe gewaltig sausend ein umrollender Mühlstein. Eilends entsprang der Mann den Weg zurück nach Klingnau, hatte seine Hand voll Geld auf den Bergmatten verstreut, musste sich daheim zu Bette legen und soll bald hernach an einem Zehrfieber gestorben sein.

Was soll hier dieser Mühlstein wohl besagen? Hinter ihm schwebt die Müllerpatronin Verena und will in ihrer Mildthätigkeit nicht gesehen sein. Es ist dies zwar ein öfters sich wiederholender Sagenzug, siehe Aargau. Sag. no. 173; allein gerade auf die hl. Verena bezogen, findet er sich auch im Luzernerlande wieder. Eine Dienstmagd aus dem Dorfe Büttisholz im Entlebuch berichtet uns, dass in ihrer Pfarrkirche Verena die erwählte Patronin sei. Man zeigt dorten mitten im Felde der Gemeindemark eine Bodenvertiefung, in welcher sonst eine Quelle entsprang Namens Goldloch und Verenaloch. Man schrieb derselben die gleiche befruchtende Wirkung zu wie dem Verenabad der Stadt Baden, und die Ortssage fügt bei, wer ehemals in der Abenddämmerung mit abgewendetem Gesichte die Hand in dieses Wasser tauchte, empfieng aus einer weiblichen ein Goldstück. Als nun Knaben von Büttisholz einst in der Verabredung hieher gekommen waren, nach empfangenem Goldstücke schnell sich umzuschauen, erblickten sie eine schöne Jungfrau, die nach einem Augenblicke wieder verschwand; doch Tags darauf ergab es sich, dass auch die Quelle versiegt war.

Fäsi, der seine Helvet. Erdbeschreibung im J. 1766 herausgegeben, berichtet Bd. 2, 491, am Fusse des Aargauer Jurapasses Schafmatt sei schon in ältester Zeit ein Bad gewesen zur Erquickung der Reisenden, die über diesen steilen Berg wanderten. Aber man habe die Hauptquelle, die auf des Berges Sommerseite am sg. Klopfen lag, abgegraben und in die Badstube des Dorfes Oltigen hinabgeleitet. Dieser Quelle gegenüber entspringe das Verenawasser. Ebenso hat Gabriel Walser im Kartenblatte Kanton Basel des Homannischen Atlas an der Schafmatt bei Oltigen angemerkt: Verenaloch; und es ist dies dasselbe, dessen die Aargauer Sag. no. 1 mit dem Beifügen gedenken, dass die aus dem Elsass über den Jura nach Einsiedeln ziehenden Wallfahrer betend auf die Kniee fallen, sobald sie dieser Quelle nahen. Denselben Namen trägt, wie schon bemerkt worden, auch der Sprudel im Freibad zu Baden.

Hier ist auch jene Verenakapelle zu erwähnen in der Nähe der Stadt Zug, gelegen am Fusse des Kaminstals, einer Berghöhe an der alten Strasse, die nach Aegeri und weiter nach Einsiedeln führt; auch hier ist ein herkömmlicher Rastort der Wallfahrer. Am Altar dieses in Kreuzform gebauten Kirchleins war früherhin eine Inschrift angebracht und meldete, der Bau sei 1661 erneuert und 1684 durch den Konstanzer Bischof Müller in Verenas Ehren eingeweiht worden; seither ist noch zweimal eine Renovirung nöthig gewesen. Anfangs des vorigen Jahrhunderts wurde der Zuger Rathsherr Merz nach Zurzach abgesendet, um im dortigen Stift einen Reliquientheil vom Arme der Heiligen nebst einem Atteste über der Reliquie Echtheit in Empfang zu nehmen. Nachdem die Zuger Klosterfrauen diese neu erworbne Partikel kostbar gefasst hatten, wurde sie am 15. Sept. 1709 aus der Oswaldskirche der Stadt in Prozession zur Kapelle hinausgetragen "unter dem Knallen der Mörser und Doppelhaken". Zahlreiche Votivtafeln an den Kapellenwänden verkündigen des Ortes Wunderthätigkeit. Unweit des Kirchenportals stand bis zum Jahre 1810 das St. Verenabrünneli, der Brunnenstock geschmückt mit der Figur der Heiligen, allein die Brunnenleitung scheint von einem benachbarten Hofbesitzer abgegraben worden zu sein. Gleichwohl haben damit die Wallfahrten zur Kapelle nicht aufgehört, wie der Zugerkalender vom J. 1858, welchem diese Angaben entnommen sind, ausdrücklich berichtet: "Bist du krank und die Gütterli (Arzneigläschen) des Doktors wollen nicht anschlagen, so muss ich dir sagen, dass in dieser Kapelle wirksam zu beten ist, besonders am Verenentage selbst. Da hast du alljährlich Gelegenheit in einer Festpredigt das Lob der Heiligen zu hören. Auch wird dir den Sommer hindurch so ein kühler Spaziergang in der Frühe überaus gut thun. Du bekommst dadurch Appetit und findest Stärkung für deine schwache Leber im nahen Röthelberg, sofern dir Verena nicht eins aus ihrem Krüglein einzuschenken geruht."

Die dreierlei Statuen, die der hl. Verena in Zurzach, Baden und Herznach errichtet stehen, stammen aus alter Zeit, sind zu kirchlichen Ehren gesetzt und haben übereinstimmend die gleichen Attribute: die Heilige trägt in der einen Hand die Krause, d.i. ein langhalsiges Weinkrüglein, in der andern hält sie einen zweireihigen Haarkamm. Das Schnitzbild auf dem Kapellenaltare zu Herznach im Frickthal[7] hat in der Rechten statt des Krügleins zwar den langen Brodkipf, doch gleich daneben, auf der Flügelthüre dieses Altars angemalt, ist dasselbe Bildniss wiederholt, hier aber mit Kamm und Krug. Dasselbe Abzeichen ist auch in Blunschi's Zugerkalender noch vom J. 1823 zu sehen, der für das nichtlesende Landvolk bestimmt gewesen war und statt der Heiligennamen deren Figuren oder Symbole in kleinen Holzschnitten giebt. Hier ist unterm 1. September eine aufrecht stehende Katze zu sehen, die in den Vorderpfoten den langgezahnten zweireihigen Haarkamm hält und zu Füssen ein geschnäbeltes Giesskännlein stehen hat. Aus diesen beiden Attributen Verenas hat die ältere Legende auf eine opferwillige menschenfreundliche Jungfrau geschlossen die ihr Leben der Pflege Anderer so weit widmete, dass sie sogar den Schmuz der verlassenen Armuth nicht scheute. Daher hebt das von uns S. 108 ff. mitgetheilte mhd. Gedicht 106a den von ihr geheilten Aussatz hervor:

auzſetzig behaft macht ſi ſlecht,

plint, chrump macht ſi gerecht.

In diesem Sinne erzählt dann auch Richter, Sigprangender Triumphwagen Verenae, S, 51: "Sie that den Kranken die Speisen in den Mund, bereitete ihnen die Betten, kehrte den Boden, säuberte die Kleider, wusch alte Erbschäden aus und zwagete die mit Siechthum beladenen Häupter." Auf solche Anschauung hin wurden nachmals die "Armenbäder", wie dasjenige in der Stadt Baden, gegründet, jeder Gast hatte sein Krüglein mit Lauge und seinen Kamm selber mitzubringen. Die dortige Verena-Bruderschaft, die durch Papst Urban seit 1625 neu bestätiget worden, ist nach dem dritten Paragraphen ihrer Satzungen verpflichtet, Erkrankte heimzusuchen, Armen Almosen und bestimmte jährliche Spendmähler zu verabreichen.

Das Steinkrüglein Verenas wird in der ältesten Legendenaufzeichnung gleichfalls mit einer besondern Wundergeschichte bedacht. Hirten fanden dasselbe einst an jenem Rheinufer bei Zurzach, heisst es da, wo vormals eine Römerstadt gestanden hatte, es war eine steinerne Urne, die man hernach kirchlich aufbewahrte. Als einst eine treue Wittwe ihrem verstorbnen Gemahl so lange nachweinte, dass sie darüber erblindete, erschien ihr nachts die Heilige und sprach: "Noch ist der Steinkrug vorhanden, der mir diente den Siechen das Haupt zu baden und den Angesteckten die Kleider zu waschen, daraus wasche dich gleichfalls." Die Frau suchte und fand an jenem Uferplatze die Urne, wusch sich daraus und bekam das Augenlicht wieder. Die gleiche Hilfe gewährte dasselbe einem Rosshirten, der von seinem unbarmherzigen Herrn geblendet worden war. Auch auf die weibl. Fruchtbarkeit hat es Beziehung gehabt; der Abgl. (Grimm no. 440, Ehstnisch no. 22) warnt schwangere Weiber, sich auf eine Wasserkanne oder sonst auf ein Wassergefäss zu setzen, sie würden sonst zu viel Töchter gebären. Ein Stück von diesem Verenakrüglein hat nachmals der Fürstabt von St. Blasien erworben und dafür den Zehnten im ganzen Amte Waldshut an das Zurzacher Stift abgetreten. Darum erhob dieses letztere den Zehnten, bis zu dessen allgemeiner Ablösung, in folgenden acht badischen Nachbargemeinden: Kadelburg, Aettwil, Gortwil, Thiengen, Rheinheim, Küssennacht, Dangstetten und Bechtisbohl. In der Krypta der Stiftskirche steht Verenas steinernes Grabmal, ein von hohem Alter zeugendes, kunstloses Werk; obenauf liegt in Lebensgrösse gehauen ihr Bild in Matronenkleidung, doch zum Zeichen bewahrter Jungfräulichkeit in fliegenden Haaren, es hält in der Linken den zweireihigen Kamm, in der rechten einen Wasserkessel am eisernen Tragringe. Die den Niedrigkeitsdiensten der Bade- und Wäschermagd aus Menschenliebe sich unterziehende Heilige ist in Zurzach mehr als bloss kirchlich verehrt, sie ist dorten zum Ortsgeiste geworden und heisst die Weisse Frau. Das mitten im Marktflecken stehende Haus zum Weissen Rössli ist ihr Aufenthalt. Aus dem Vorhöflein desselben schreitet um Mitternacht vor hohen Festtagen eine stattliche schneeweisse Frau hervor und begiebt sich zum mittleren Brunnen auf dem Marktplatze. Hier spült sie ihr Weisszeug aufs sorgfältigste, und stolzen Ganges kehrt sie auf jenen Vorhof zurück. Dass dieser Hausname zum Weissen Ross auf die dem Verenadienste kirchlich geweiht gewesnen Rosse zu beziehen sein wird, erklärt sich auch aus nachfolgender Ortssage. Die sogenannten vier Gotteshöfe in der aargau. Gemeinde Reckingen sind ein Mannslehen, welches auf vier dortigen Bauerngeschlechtern ruht, wofür diese verpflichtet sind, dem Stifte Zurzach Zehnten und Bodenzins von den 80 Juchart haltenden Gütern zu entrichten, die Unterhaltung der dazu gehörenden Antoniuskapelle zu bestreiten und für den Messpriester den Messwein zu liefern. Seitdem nun Zehnten- und Bodenzinspflicht hier wie sonst im ganzen Lande gesetzlich abgelöst worden ist, haben diese Höfe ein dem Stifte Zurzach schuldendes Grundzinskapital von Fr. 6259 zu verzinsen, die Verwaltung des Kapellenfonds aber ist aus geistlicher Hand an den Gemeinderath von Reckingen übergegangen und hat seit dem Jahre 1854 die gründliche Erneuerung der Kapelle zur Folge gehabt. Diene letztere liegt in demjenigen Hofe, der nach seinem vierstöckigen Meierhaus das Grosse Haus genannt wird. Aus ihm, erzählt man, kommt zu gewissen Zeiten des Nachts ein Füllen gelaufen, umtrabt das Gebäude, wird darüber zusehends grösser und ist mit einem male wieder unsichtbar. Bemerkenswerth ist nun hiebei der angebliche Umstand, dass Frauen niemals das Füllen erblicken, wohl aber statt dessen eine weissgekleidete Frau, welche gleichfalls das Haus umgeht, an dessen vier Ecken bedächtig stehen bleibt und hierauf ihren Weg in die Antoniuskapelle nimmt, wo sie verschwindet.

Da Frau Hulle, welche gleich Verenen den Geburten hilfreich beisteht, in Franken auf einem Rosse einher kommt, und Schwangere, welche nähig sind ("übergehen"), einem Schimmel Haber aus ihrer Schürze zu geben pflegen (Wolf, Beitr. 2, 407), so werden jene Sagen darauf deuten, dass dem im Dienste Verenas stehenden Priester ein Dienstross zu seinen Amtsverrichtungen gestellt werden musste, und dass die Neuzeit diese Stiftung aufgehoben hat. Dem Kloster Königsfelden wurde Ross und Harnisch geopfert (Argovia 5, 32), auf ein gleiches Rüstpferd lässt die Ortssage von Mittel-Schneisingen schliessen, wornach der dortige Dorfgeist in der Kapelle des Ortes wohnt und Kapellenthierlein heisst. Aargau. Histor. Tascheub. 1862, S. 54. Ortsgeister in Schweden heissen Kirchenzaum und Kirchenhalfter weil dieses Reitzeug, zum Dienste des Priesters bestimmt, in den dortigen Kapellen hieng. Das Ross, das Ludwig der Baier im Treffen bei Ampfing geritten, vermachte er unmittelbar darauf der Kapelle in Grünthal bei Vilsbiburg, die davon bis jetzt Sattelkapelle heisst. Holland, Ludwig der Baier und sein Stift Ettal, 1860, 6.

Mit ihrem andern Attribute, dem Kamme, zeigt die sagenhafte Verena sich in einem bei Ober-Siggenthal (Bez. Baden) liegenden Wäldchen, das nach einem tief eingeschnittenen Wasserbette das Tobelhölzli heisst. Am südlichen Waldrande, hart am Fusswege, der nach Kirchdorf geht, sprudelt dorten eine schöne Quelle, an der ein uraltes Weibchen sitzt und sich das Haar kämmt. Neben ihr grast das gespenstische, aber unschädliche Nachmittagslamm. Auch das Mütterlein ist freundlich, nur will sie in ihrem Geschäfte nicht gestört und von den Vorübergehenden nicht etwa ausgelacht sein, sonst setzt es für den Spötter gewiss einen geschwollenen Kopf ab. Das ist das Tobel-Vreneli. Anderwärts heisst sie nach ihrem in der Sonne blitzenden Kamm das Strähl-Anneli, oder nach ihrem buschigen Grauhaar das Heuel-Mütterli, denn Heuel bezeichnet den verzausten Hollenkopf. Zu Tegerfelden erscheint sie sogar noch in vollem Liebreize nackter Jungfrauenschönheit, zieht einen Goldkamm durch die Locken und lässt ihr gelbes Ringelhaar bis auf die Spitze der Grashalme niederfliessen. Von allen diesen Erscheinungsweisen berichten bereits die Aarg. Sag. 1, S. 131. 240 und die Naturmythen S. 139. Einen Silberkamm und eine Badstande hinterliess auch die hl. Wiborada aus Klingnau im Aargau; jener wurde in der St. Galler Stiftskirche verwahrt und gegen Kopfweh gebraucht, in dieser genasen Kranke wunderbar. Murer, Helvetia sacra. Diese Wiborada war nicht bloss Verenas Landsmännin gewesen, sie hatte sich auch dem gleichen Geschäfte gewidmet, die Haarpflege zu leiten und den Aussatz zu heilen; somit besass also einst der Aargau zwei weibliche Schutzpatrone gleicher Art. Es widerstrebt nun zwar unsern ästhetischen Begriffen geradezu, eine so widerwärtige Krankheit, wie der Aussatz ist, der Pflege der Schönheits- und Liebesgöttin selbst zu unterstellen; das Alterthum aber, auch das klassische, hatte Grund, hierin anders zu denken, und sprach sich darüber eben so offenherzig aus, wie die Verenasage thut. Suidas, der zum Namen Aphrodite bemerkt, dass die Römer ihre Bildsäule mit einem Kamme in der Hand vorstellten, erzählt hiebei: Als einst die römischen Frauen die Krätze befiel, mussten sie sich das Haar abschneiden und die Kämme wurden ihnen entbehrlich. Darauf flehten sie zur Aphrodite, ihnen die Haare wieder wachsen zu lassen, und ehrten sie mit einer Bildsäule, die den Kamm trug.

Die landschaftlichen Gesundheitsregeln, mit welchen dieser Abschnitt schliesst, zeigen nun die Verena zweifellos und wirklich in der ihr beigeschriebenen Rolle: sie verleiht hier dem ihr folgsamen Mädchen das schöne Haupthaar und zugleich den schönen Schatz. Am 1. September, als dem kirchlich gefeierten Verenentage, ist es in der Altgrafschaft Baden, deren Gebiet von der Limmat zum Zurzacher Rhein reicht, durchgehends katholische Sitte, die Kinder frisch zu kleiden, wie es sonst nur um Neujahr oder Ostern geschieht. Damit glaubt man die Kleinen auf ein neues vor Krankheit geschützt zu haben. Am gleichen Tage ist es in jener Landschaft Hausbrauch, dass die Mutter an allen Köpfen ihrer Kinder eine gründliche Wäsche abhält, dem jüngsten Mädchen wird der erste Zopf geflochten; das behütet vor Kopfweh und giebt einen feinen Haarwuchs. Hält sich das Kind widerwillig unter dem Kamme, so gilt folgender Reim:

Chind, bis ietz still und fîn,

oder es chunnt Frau Vrin,

die het ne grosse Striegel

und zert di kech am Riegel.

Der Riegel bezeichnet in der Mundart den Haarbüschel. Die Frau Vrin ist also hier eine Drohgestalt, wie in Schöppners Bair. Sagenb. no. 1282 die lange Agnes, welche die Leute am Bache mit Bürste und Stahlkamm behandelt, bis Haut und Haar abgeht. Man macht dem kleinen Mädchen dabei weis, der neue scharfe Kamm und ein dreimaliges Abwaschen des Kopfes sei nothwendig, wenn dereinst ein eben so saubrer Liebhaber sich anmelden solle, und hiefür hat man folgendes Sprüchlein:

Ach mî liebi Jumpfere Vre',

gsehst, i ha kes Schätzeli meh,

strähl und wäsch mi doch au nett,

dass mî Hansli Freud ab mer het!

Auch in Segensformeln wird ihr Name noch genannt. Ein unter dem Namen "Albertus Magnus Egyptische Geheimnisse" noch bei unserm katholischen Landvolke verbreitetes Zauberbüchlein giebt in seinem 3. Hefte pg. 19 folgendes Mittel an, die Warzen (nicht aber die Wanzen, wie Simrocks Mythologie III, 377 druckt) zu vertreiben: Man haucht im Namen der Dreieinigkeit über die Warzen und spricht dreimal:

Frene, Frene, dorra weg!

In Verena veranschaulicht sich jene krankenpflegende, weise vorsorgende, geduldig ausdauernde Barmherzigkeit, die eine Eigenthümlichkeit des weiblichen Geschlechtes ist. Schon durch seine besondere, vorempfindende Zartheit ist das Frauengemüth von hingebender Menschenliebe erfüllt. Weil es mehr aufs Einzelne und Besondere achtet, so vermag es sieh mit schneller Erkenntniss in die Schicksalslage Anderer zu versetzen; weil es eine vorherschende Anlage zu besonnener praktischer Hilfe hat, so übernimmt es freiwillig das Geschäft der Krankenpflege und vollzieht es im Einzelnen mit grösserem Glücke als der Mann, da es weniger schnell als er in Dienstleistungen ermüdet, mehr und länger als er zu dulden, zu entbehren, auszudauern vermag in Mühen und Nachtwachen. So erscheint das Weib allen Völkern während grosser allgemeiner Leiden als eine heroische, opferwillige Seele, und ist daher mit Recht im Glauben und in der Kunstdarstellung der Rettungsengel für die schmerzbehaftete Welt geworden.

Mit Befriedigung erkennt der Forscher in diesen Charakterzügen Verenas, wie es dem humanen Geiste der christlichen Lehre gelang, die zum Märchen gewordne Gestalt einer heidnischen Hilfs- und Heilgöttin allmählich "zur demüthigstillen Erscheinungsweise einer Grauen Schwester", wie Gelpke (Schweiz. Kirchengesch. 1, 180) charakteristisch sagt, zu entgöttern und zugleich wieder empor zu heben. Aber etliche Spuren der Heidengöttin bleiben hinter dem kirchlichen Heiligenschein immer noch erkennbar, wie denn Verena noch heute zuweilen den ihr geweihten Altar verlässt, um unter mancherlei Namen und Gestalt draussen an den gewohnten Büschen und Quellen des Waldes einer wilden Naturfreude nachzuschweifen. Kaum würde man dann die Göttin oder die Heilige noch in ihr vermuthen, trüge sie nicht ihren alten Namen oder ihre geweihten Abzeichen. Denn dann wird sie wieder ein "alt heidnisch Wassergötzli", wie der Berner H.R. Grimm (Schweizer Chronica 1786, 249) sie bezeichnend genannt hat, und schon die rohe Härte, mit der sie ungläubigen Missethätern die Strafe zumisst, lässt ihr und ihrer Legende hohes Alter erkennen. Als jener Knecht des Zurzacher Priesters sie fälschlich der Veruntreuung im Haushalte anklagt, muss nicht bloss er sogleich erblinden und zeitlebens vom fallenden Weh geplagt sein, sondern auch keins seiner Blutsverwandten stirbt hin ohne Siechthum, Lähmung, Blindheit und Tobsucht. Dafür, dass ein Weib eigensinnig am Verenentag daheim bleibt und spinnt, während Alles sich in die Kirche begiebt, wird sie von den Rückkehrenden im fallenden Weh gefunden, die Kunkel noch in den Händen festgeklammert; ebenso wuchs einem Manne, der am Festtage im Walde holzte, die Axt in der erstarrten Hand fest. Gleichfürchterlich bestraft sie den Bauern, der an ihrem Kirchenfest sein Heu auf der Wiese schobert, und so noch Aehnliches. Dieses Uebermass barbarischer und leidenschaftlich dreingreifender Körperstärke herscht besonders in den mehrfach von Verena handelnden Gebirgssagen vor, wie solche sich in den deutschen und rhätischen Alpen finden. Sie trägt in Bünden, Engadin und an der bairisch-tirolischen Grenze den Namen Verein, gebildet wie die rhätischen Ortsnamen Madulein (Bez. Zutz, im Oberengadin, urkdl. 1139 Madulene), oder wie Luzein und Valzein im Prätigau (urkdl. Valzena). Eine solche Verein-Alpe liegt bei altbair. Mittenwald (Steub, Herbsttage in Tirol, S. 251), eine andere an der weitläufigen Eiswüste des Selvretta. Hier hat die "Fremd-Vereina" ihre zwei besondern Höhlenwohnungen in der Col die Balma und Baretto-Balma. Die letztere ist stets reingekehrt, wie ausgeblasen, und duldet auch kein bischen Laub, Holz oder Stein in sich; es lässt nichts drinnen, sagen die Hirten und staunen das Geheimniss an (Tscharner, Statist. v. Bünden 1, 140. 258. Bündner VolksBl. 1832, 214). Am namhaftesten aber ist das bekannte Vrenelisgärtli, jenes weithin durch die Schweiz schimmernde Firnfeld des Glärnisch, 9,353 Fuss über Meer, das sich wegen der angeblichen Ausschweifungen des Sennenvolkes aus blühenden Matten in ewige Gletscher verwandelt hat.

Nachfolgende eigenthümliche Sage hierüber beruht auf der schriftl. Mittheilung, die wir dem Hn. Heinr. Gessner, Lehrer in zürch. Lunnern, zu verdanken haben. Bei letztgenanntem Orte im Bezirk Affoltern liegt am südlichen Fusse des Albis der unheimliche Türlersee, der tiefste im ganzen Zürcher Lande. Seinen Namen hat er von seiner Lage, da er an des Berges Engpasse und Thore: turilin, gelegen ist. Er sammt der Umgegend gehörte in der Vorzeit einer starken, herrischen und arbeitsrüstigen Frau an, die beim Volk Frau Vrene hiess. Da begab es sich, dass die Leute von Heferschwil, einem Weiler der Gemeinde Metmenstetten, wegen einer fruchtbaren Gemarkung am Jungalbis mit dieser Frau in einen heftigen Eigenthumsstreit geriethen, der kein Ende nahm, weil sie in ihrem Stolze sich weigerte vor einem Richter des Landes zu erscheinen. Mit Hülfe fahrender Schüler zog sie in einer einzigen Nacht einen tiefen breiten Graben durch das ganze Jungalbis und schied so ihr Eigenthum für immer vom Gelände der Gegner. Der Graben war gezogen bis zum Türlersee, es fehlte nur noch der letzte Spatenstich, so würden die Wasser sich über ganz Heferschwil ergossen haben. In diesem Augenblick aber erfasste einer der fahrenden Schüler die Frau und entführte sie durch die Lüfte auf die Westseite des Glärnisch, setzte sie hier auf einer weiten grünenden Berghalde ab, wies ihr diese zum Aufenthalt an und sprach: "Hier kannst du gartnen, Vrene!" Dorten hat sie darnach so lange Zeiten gehaust, bis dieser schöne Alpengarten endlich sich in eine weite Firnstrecke verwandelte. Noch steht Frau Vrene daselbst, den Spaten in der Hand, zur Eissäule erstarrt, mitten in dem von Felsmauern eingefassten Schneefelde, das bis ins Knonauer Amt herüberblinkt.

Dieser eben erwähnte Graben am Jungalbis ist rechtsgeschichtlich seit alter Zeit bekannt und trägt in der Offnung von Borsikon (Grimm, Weisthümer 1, S. 51) den auffallenden Namen Kriemhiltengraben. Nach einer zweiten hievon handelnden Volkssage, mitgetheilt in Meyer's Zürch. Ortsnamen no. 182, waren die Bewohner von Heferschwil mit jener Kriemhilt gleichfalls in Zwist gerathen, und die Erzürnte schwur, sie werde den Türlersee abgraben, seis nun Gott lieb oder leid. Durch einen kleinen Berg, der zwischen dem See und dem Weiler liegt, begann sie den Durchstich mit einer Schaufel, so gross wie ein Scheunenthor. Da erregte Gott einen gewaltigen Sturm, der ihre Schaufel zerbrach und sie selbst von der Erde fortriss bis auf den Glärnisch in Vrenelis Gärtli.

So reicht also die Verenasage in die unorganische primitive Steinzeit zurück. Der erratische Block, aus dem Verena die Neugebornen hervorholen lässt; der Mühlstein, auf dem sie wilde Ströme befährt; die Felsklüfte, Hochalpen und Gletscher, die ihren Namen tragen; die heissen Sprudel, die sie aus dem Boden stampft und mit dem Finger aus der Rheininsel hervor bohrt—verkünden eine ursprüngliche Riesenjungfrau, deren roh angelegte Gestalt später ins Satanische umgeschlagen haben würde, hätte die Kirche sie nicht frühzeitig noch christianisirt. Statt der Heiligen besässe man alsdann eine alles versteinernde Hexe; oder statt der demüthig dienenden Priestermagd nur eine diebische Pfaffenkellnerin, die der Unterschlagung beschuldigt entspringt, über die ganze Breite des Thales setzt und ihre Fussspur drüben in die Felsenplatte der jenseitigen Thalwand eindrückt.


FUSSNOTEN:

[7]

In dieser Herznacher Verenakapelle, und nachmals in dortiger Pfarrkirche, waren pfarrgenössisch die Frickthaler Dorfschaften: Ueken, Zeihen, Denspüren, Ober- und Niederasp, schliesslich auch Häner am Schwarzwald, ob Laufenburg.


Vierter Abschnitt.

Verena als Frau Venus.


Das Tannhäuserlied in aargauischer Version; die Frau Venus-Vrene des Volksliedes; die Venus-, Feens- und Vrenberge, die Venus- und Vrenenhäuser, aus ihrer gegenseitigen Namensvertauschung zurückgeführt auf den ursprünglichen Mythus.

Nachfolgender Liedtext wurde von einer im vorigen Jahrzehnt verstorbnen Matrone, der Frau Meyer auf dem Tromsberge, im aargau. Bezirk Baden, auf dem Siechbette ihrem Arzt Dr. Al. Minnig zu Baden in die Feder diktirt. Der Text kommt demjenigen am nächsten, welcher einst von Stalder in Entlebuch gleichfalls nach mündlicher Ueberlieferung aufgeschrieben und an Lassberg übergeben wurde, der ihn im Anzeiger 1832, 240 veröffentlichte. Daraus entnahm ihn Uhland für seine Sammlung no. 297 C., und nach dieser Fassung sind hier unten alle Einzelverse unseres Textes besonders bezeichnet, die mit jenem Stalderischen übereinstimmen. Was die Literaturgeschichte des Tannhäuser-Liedes betrifft, die schon von Uhland begonnen worden, so steht sie seither in Gödekes Deutsche Dichtung im Mittelalter (1854, S. 580) bis zur Vollständigkeit aufgeführt.

Tannhäuser war ein junges Bluet,

Der wot gross Wunder gschaue,[8]

Gieng auf Frau Vrenelis Berg

Zu selbige schöne Jungfraue.

Wo er auf Frau Vrenelisberg ist cho,

Chlopft er an a d'Pforte:

Frau Vrene, wend er mi inne loh,

Will halte eu'e Orde!

"Tannhäuser, i will der mi Gspile ge

Zu-m-ene ehliche Wib."[9]

Diner Gspilinne begehr ich nit,

Min Leben ist mer z'lieb.

Diner Gspilinne darf i nüt,

Es ist mir gar hoch verbotte,

Sie ist ob em Gürtel Milch und Bluet

Und drunter wie Schlangen und Chrotte.

Tannhauser sass am Figebaum,

Drunter er war entschlafe.

Es chunt em für i sinem Traum,

Er müess uf Rom wallfahrte.[11]

Wo er in d'Stadt Rom inne chunt

Wohl unters höchsti Thor,

Frogt er dem oberste Priester noh,

Wo in der Stadt Rom wär.

Wo er i d'Chille ie chunt,

Vor'm Pobst thet er sich gneige:

Gott grüeze eure Heilige, Pobst,

Mine Sünd will i eu azeige.

Der Pobst het do en düere-düere Stab,

Vo Dürri war er gspalte:

"So wenig de Stab meh z'grüene chunt,

So wenig magst du Ablass erhalte."[12]

Und wenn i nümme z'Gnade chum

Und nümme mag werde bihalte,

So gohn i uf Frau Vrenis Berg

Und leben bîn ihr im Walde.

Es goht nit meh als dritthalb Tag,

So fieng der Stab a z'gruene,

Er treit es Laub so grüen wie Gras,

Darzue drei schöni Blueme.[10]

De Pobst schickt sine Botten us,

Sie wüsset ehn niene meh z'gwahre;

Er schickt sie us in alli Land,

Der Tannhuser blibt verfahre.

Sie chömmet uf Frau Vrenelis Berg,

Chlopfet a d'Pforte und die ist gschlosse

Tannhuser soll do usse cho,

Sine Sünde eigen ehm nochg'losse!

"Zun-ech usse cho, das chan i nit,

Do muess i bliben inne.

Muess bliben bis am Jüngste Tag,

Dä gohts mer erst, wies cha und mag!"

Tannhuser sitzet am steinige Tisch,

Der Bart wachst ihm drum umme,

Und wenn er drümal ummen isch,

So wird der Jüngst Tag bald chumme.

Er frogt Frau Vreneli all Fritig spot,

Öb der Bart es drittmol umme goht

Und der Jüngsti Tag well chumme.

Ein im Sarganserthale gegen Ragaz hin gelegner Hügel, an dessen südlichem Fusse vormals die Gerichtsstätte des Bezirks gewesen war und wo Urkunden ausgefertigt wurden, von denen jetzt noch einige im dortigen Oberlande vorhanden sind, heisst im Munde älterer Leute der Frau Vrenes Berg und Frau Venesberg. Er gilt als ein Schloss voll feenhafter Jungfrauen. Hier mitten unter romanischem Spracheinfluss behauptete sich bis auf die Neuzeit das oberalemannische Verena-Tannhäuserlied, und wurde nach einem zu jenem Feenschlosse angeblich gehörenden Thiergarten "das Thiergetlied vom Vrenesberg" genannt. Mittheill. des St. Galler histor. Vereines, Heft 4, 198. Wie aber kommt die hl. Verena an der Stelle der Venus in das Tannhäuserlied und was ist der Sinn dieses Liedes, wenn ihm die Heilige einverleibt werden konnte? Bereits Grimm (Myth. 283. 913. 1212) hatte unter dieser doppelnamigen Frau Venus-Vrene die Göttin Freyja gemuthmasst; seine Ahnung, wird durch die seither weiter vorgerückte Sagen- und Sprachforschung bestätigt.

Die echte Göttersage hiezu ist erhalten in dem eddischen Liede von Fiölsvinnr und erzählt also. Die Göttin Freyja war dem Halbgotte Odhr vermählt und von diesem verlassen worden. Vordem hatte sie wegen ihres berühmten Halsgeschmeides die Schmuckfrohe geheissen, Menglöd; nun aber empfieng sie den neuen Namen die Thränenschöne, denn um den verlornen Gemahl durchsuchte sie alle Länder und weinte ihm goldne Thränen nach. Sie mied der Männer Gemeinschaft; erbaute sich auf einer Waldhöhe eine Halle, über deren Schutzwehren Niemand einzudringen vermochte, und lebte hier mit heilkundigen Mädchen einträchtig zusammen. "Hilfeberg heisst die Höhe, wo sie wohnen, allen Lahmen und Siechen Hilfe schaffend; keine Krankheit ist, die sie nicht zu wenden wüssten." Da kehrte der die Welt durchreisende Odhr nachmals wieder zurück und sprach zum Wächter des Berges: "Reiss auf die Thüre, Wächter! auf kalten Wegen komm ich her, die Schicksalsschwestern sind an meiner langen Säumniss schuld, doch geh und frag erst Menglöd, ob sie mich noch liebt?" Da emfieng sie den Langersehnten mit Küssen und sagte: "Lang sass ich auf dem Berge, Tag und Nacht nach dir blickend, endlich hat sich mein Sehnen erfüllt; mein lieber Freund ist gekommen, nun sind wir beide fröhlich!" Die Verwandtschaftszüge zwischen diesem Mythus und dem Tannhäuserliede sind einstweilen folgende. Odhr-Tannhäuser wandert aus dein Waldberge der Freyja-Vrene weit in die Welt fort bis nach Rom, kehrt aber, weil bei allen Menschen verkannt und verstossen, wieder heim, wo inzwischen die verlassne Geliebte mit ihrer Jungfrauenschaar den Orden heilkundiger, hilfreicher Schwestern gestiftet hat, und pocht am Thore. Der Wächter (der getreue Eckart) erkennt seinen Herrn und führt ihn in den Berg. Draussen lässt er den dürren Wanderstab liegen, der sogleich an zu grünen fängt; drinnen ruht er am Steintische und bemisst das nun nicht mehr unterbrochne Glück nach der Länge des Bartes, der ihm dreimal um den Tisch herumwachsen wird. Entzückt über diese doppelte Unendlichkeit ewiger Zeit- und Liebesdauer, befragt er jeden Freitag seine Freyja-Vrene, ob nun noch ein jüngster Tag gedenkbar sein könne. Zur Bekräftigung dieser gegebnen Erklärung sowohl als der sogleich mitzutheilenden Etymologie der bezüglichen Eigennamen, fügen wir ein paar Sagenbruchstücke bei, die zu dem Kostbarsten gehören, was in der letzten Zeit zu Tage kam. Pröhle's Harzsagen 2, S. 209-211 berichten: Es war eine Frau, die wohnte im Walde auf einem königlichen Schloss und hiess Frû Frêen und Frû Frîen. Sie war einmal im Himmel gewesen und da von den Sterblichen um Rath befragt worden. Um ihren Freier aufzufinden, durchzog sie die ganze Welt, doch da er ihr immer wieder verschwand, brach sie in ein furchtbares Weinen aus. Davon hat man in Ilseburg noch folgenden Reim:

Frû Frîen

wolle geren frîen

un konne keinen krien,

da feng se an de schrîen.

Noch Anfangs Juli 1855 wurde diese weissgekleidete Frau Freen von einen Burschen aus Ilsenburg im dortigen Walde gesehen. Dieselbe um ihren verschwundnen Gemahl trauernde Göttin heisst in Wolf's Hess. Sagen no. 12 die Huldgöttin, Frau Holl: "Bei Fulda im Walde liegt ein Stein, in dem man Furchen sieht; da hat Frau Holl über ihren Mann so bittre Thränen geweint, dass der harte Stein davon erweichte." Dass diese Holl die Göttin Freyja wirklich ist, wurde neuerlich durch den aufgefundenen Namen Friggaholda beurkundet (Mannhardt, Mythen 295). Freyja selbst ist die von Paulus Diaconus als Gemahlin Wodans genannte Frêa (ahd. Frouwa, domina) und lebt in den niedersächs. Sagen bald unter den diminutiven Namensformen der Frau Freke und Frick, bald besonders um Halberstadt und Drübeck als Frû Frîen, Frû Frêen fort. Kuhn, Nordd. Sag. no. 70 und S. 414. 519. Mit diesen niederdeutschen Namensformen und Sagen der Schönheits- und Liebesgöttin stehen nun die oberdeutschen desselben Wortstammes in frî, mulier formosa, entspricht das alemann. Adverb frein, frîn: pulcher, venustus. "Bis mer hübsch frîn", sei mir hübsch artig, hübsch sittsam, sagt das Berner Mädchen zu einem allzu stürmischen Liebhaber; "de sim-mer jo die freinste Lüt", gar allerliebste Leute, heisst es luzernerisch. Firmenich 2, 578. 594. Mit diesem Schönheitsprädikate übereinstimmend bezeichnet in Hebels alemann. Gedichten der Frauenname Vrene ausschliesslich die Geliebte und Schöne. Der Stamm des Wortes geht durch die indogermanischen Sprachen; gothisch frijon ist amare, sanskrit priya bedeutet angenehm und geliebt; die Pflanze Frauenhaar (capillus Veneris) heisst irländisch Freyjuhâr, dänisch Fruêhâr und Venusgräs, norwegisch Mariagras, weil die Schönheit das höchste Epithet bleibt, das an Göttinnen hervorgehoben wird. Myth. 279. Es entgeht uns keineswegs, dass hiebei die beiden von der Edda auseinander gehaltenen Namen und Figuren der Göttinnen Freyja (Freyrs Schwester) und Frigg (Odhins Gemahlin) wieder in eins zusammen fallen; allein dieselbe Verwechslung war sogar schon den nordischen Quellen geläufig und hat darin ihre Berechtigung, dass beide ursprünglich nur die in zwei Seiten auseinander gegangene eine Himmels- und Herzensherrin eines älteren Göttersystems gewesen sind, welches vor der Trennung der nordischen Götter in Asen und Vanen bestanden hat. Aus der launenhaften Gemahlin Odhins Fricke, die mit dem Gemahl als Windsbraut einherstürmt und Leichenfelder zehntet, hat der auf die Naturreligion der Asenlehre folgende feinere Vanenglaube eine familiäre, wirthschaftlich-besorgte Freyja gestaltet; in ihr ist die frühere Grausamkeit veredelt als Tapferkeit, Sonnenschein und Regen ist ihr unterthan, wo sie naht, trieft Segen auf Land und Menschen, zeugend und zeitigend ist sie die Gottheit der Liebe und Ehe. So urtheilt über die Vanengötter überhaupt Weinhold D. Frauen, 30.

Aus dem Vorausstehenden ergiebt sich also, dass die angeführten Namen der Göttin, eddisch Freyja, langobardisch Frea, niederdeutsch Freen und Frien, oberdeutsch Vren nur landschaftlich verschiedene Namensformen einer und derselben Göttin sind. Seit wann aber ist die Frau Vrene des schweiz. Tannhäuserliedes im hochd. Liedtexte eine Frau Venus im Venusberge geworden? Seit den Ritterdichtungen des Mittelalters, in denen die Minnegöttin modisch und gelehrt die frow Venus und ihr Palast der Venusberg hiess, und seitdem dann auch die theologische Literatur dieselbe Benennungsweise nachahmend in ihre zahllosen Teufels- und Hexengeschichten übertrug. Geiler von Keisersberg, in den Predigten von der Omeiss 36, lässt die Hexen in Frau Fenusberg fahren; schon fünfzig Jahre vor ihm nennt Joh. Nider († 1440) im Formicarius zum gleichen Zwecke den Venusberg, und nach hessischen Hexenakten von 1628 regiert im Venusberg Frau Holda. Wolf, Ztschr. f. Myth. 1, 273. "Der Teufel pflegt gemeiniglich seine Hochzeitleute auf dem Venusberg mit Kröten zu traktieren", schreibt der Arzt Lebenwaldt in seiner Hausarznei, 1695, S. 262. Eben daher ist Frau Vrene im Tannhäuserliede selber eine Verdammte, von welcher die Strophe 4 sagt:

Sie ist ob em Gürtel Milch und Bluet

Und drunter wie Schlangen und Chrotte.

Folgerichtig wurden dann seit dem 14. Jahrhundert die öffentlichen Frauenhäuser Venushäuser genannt und nach der einmal vorhandenen Namensverwechslung zugleich auch Vrenenhäuser. Ein Stadtquartier Hamburgs mit einem besondern Hügel, das den Dirnen zum Wohnorte angewiesen war, heisst Venusberg. Antiquarius des Elbstromes 1741, 761. Zu Basel war die jetzige Malzgasse ehedem das Quartier der Malazen oder Aussätzigen, und seit man letztere aus der Stadt wegwies, das Dirnenquartier gewesen, und das dortige Frauenhaus hiess beiderlei, Vrenen- und Venushaus. Davon sagt Pamphilus Gengenbach in der Gauchmatt (ed. K. Gödeke, S. 151):

zuo Basel in der Malentz gassen

do hat sich fraw Venus nider glassen.

Auch dieser Umstand dient uns zur Erklärung einer sonderbar lautenden Ueblichkeit. Der vorgeschriebne Weg, welchen die am Verenatag zu Zurzach begangene Kirchenprozession einzuhalten hat, geht vom Stift zu der ausserhalb des Ortes beim Rhein liegenden Moritzkapelle und führt an einer alten Linde vorbei, deren zerklüfteter Stamm mit Ziegelsteinen ausgemauert ist. Man sagt, dahinter sei einst die Pest vermauert worden. An der Stelle dieses Baumes stand zu Verenas Lebzeiten das schon von der ältesten Legendenaufzeichnung erwähnte Siechenhaus, das erst in diesen fünfziger Jahren abgebrochen worden ist; neben demselben soll das offne Frauenhaus gestanden haben, dessen Mitglieder in jenem die untersten Dienstleistungen zu besorgen gezwungen waren. So oft nun nachmals der Landvogt von Baden zur Eröffnung der Zurzacher Dult im Flecken einritt, erwartete ihn unter dieser Linde "eine fahrende Dirne", mit der er einen Tanz um den Baum thun musste. Dafür erhielt sie einen Gulden Zehrgeld, gestiftet von jener Königin Agnes, die zum Seelenheile Albrechts, ihres erschlagnen Vaters, das Kloster Königsfelden bei Brugg erbaut hatte. Gerbert in seiner Taphographie thut dieses also entstandenen "Metzentanzes" ebenfalls Erwähnung, verlegt ihn aber fälschlich unter die Linde des Städtchens Brugg, also dem Stifte Königsfelden zunächst. So war Verena die Patronin der Frauenhäuser und Metzen geworden.

Die Zeit der Entstehung der Zurzacher Jahrmärkte ist noch nicht aufgehellt; Kaiser Sigismunds Bestätigungsbrief und Kaiser Friedrichs hernach wiederholte Approbirung nennt schon die zwei dortigen Jahresmessen, die erste mit dem Sonntag nach Pfingsten beginnend, die andre mit dem zweiten Montag nach Bartholomäitag. Sie werden abwechselnd Dult und Messe genannt. Der erstere Name stammt keineswegs aus dem latein. indultum, der obrigkeitlichen oder kirchl. Erlaubniss, sondern aus goth. dulds, ahd. tuld, das in den Glossen als ein zur Zeit des Neumonds begangenes Fest übersetzt wird und mithin ein im Heidenthum entsprungenes Wort ist. Grimm, GDS. 72. Somit könnte die Zurzacher Dult schon mit einem heidnischen Verenafeste zusammengefallen sein, wie sie hernach mit dem christlichen Feste daselbst wirklich und ausschliesslich zusammenhieng. Kirchen und Klöstern wurde frühzeitig das Marktrecht verliehen; die Kirche zu Magdeburg besass dasselbe schon 929, die Elsasser Abtei Selz seit 982, und daher rührt der andere Marktname Messe. Er bezeichnet den kirchlich begangenen Festtag eines örtlichen Heiligen und den gleichzeitig abgehaltnen, von zahlreichen Pilgerzügen besuchten Jahrmarkt. Alle orientalischen Karavanenzüge gehen von einer Tempelstadt aus oder enden bei einer solchen; alle Jahrmärkte des Abendlandes tragen Kalendernamen der Heiligen; daher denn im Worte Messe der Doppelbegriff des Handelsverkehrs und des Gottesdienstes vereint liegt.

Jedoch nicht hinter allen den Orts- und Geschlechtsnamen, welche häute Venus heissen, ist ursprünglich diese wirklich zu suchen, und es ist bei unserem gegenwärtigen Zwecke keineswegs überflüssig zu zeigen, wie hierin das so vielfach wiederkehrende Wortmissverständniss sich erzeugt hat. Veni heisst der neckende Berggeist am Trüdinger beim Dorfe Eib an der Rezat, nächst der Stadt Ansbach; er wohnt hier auf dem Schlossberge auf dem Venibuck im Veniloch, Die Eingebornen nennen diesen Ort Venesberg, allein auf dem lithograph. neuen Steuerblatte steht er bereits als Venusberg verzeichnet. Bavaria III, 2. S. 941. Das Adelsgeschlecht der Feniberger war sesshaft zu Bogen, unterhalb Regensburg am linken Donauufer; sein Wappenbrief aber vom J. 1662 zeigt die Venus vor einem grünen Hügel stehend. Anz. des German. Museums 1860, 88. Das sächs. Dorf Venusberg, zwei Stunden von Wolkenstein, heisst urkundl. Fenigs- und Feinigsberg. Grässe, Sag. v. Tannhäuser, 18. Ein Finisloch, ausserhalb Marburg gelegen, heisst gleichfalls Venusloch. Lynker, Hess. Sag. no. 152. Das Staatshandbuch des Grossherzgth. Weimar führt nicht weniger als sechs Beamte des Namens Venus auf: Bechstein, Mythe 1854, Heft 1, 53. Dass nun diese Namen unmöglich alle dem Latein abgesehen sein können, empfand schon Fischart, der in seiner Uebersetzung von Bodinus Dämonomanie, 1591, S. 67 vom Venusberg bei Breisach berichtet und was man von den darin, schlafenden Rittern singt und herumträgt; allein, fügt er bei, man pflegt im deutschen Volksliede den Namen Venus aus dem Worte Fin und dieses wiederum aus jenem abzuleiten. Hier nun ist die richtige Ableitung folgende. Aus dem romanischen Worte Fee (fatua), ein weiblicher Schutz- und Gefolgsgeist, bildet sich der mhd. Name Feine und aus diesem die Pluralform Feenesleute, wie die Erdmännchen in Vernalekens Oesterreich. Mythen, 23 heissen. Die altfranz. Form Faye lebt noch im waatländer Patois fort, Fayres bezeichnet da die gespenstischen Weissen Frauen und geht ins Rhätische über, denn im Kt. Glarus heissen die Waldgespenster pluralisch Fayer, gälisch Fairys. Wird also der Quarzfelsen auf der Spitze des Feldberges im Taunus abwechselnd Brunnhildenbett, Teufelskanzel und Venusstein genannt, so steht nun fest, dass der letztere Name die als Feen dorthin verwünschten bösen Geister bezeichnet und dass sie Veensleute sind. Nicht unter diese Namensreihe gehört jedoch der Name des Grafen Rudolf von Fenis, ein Minnesänger, † um 1196; dessen Burg beim Bernerdorfe Vingelz zwischen dem Bielersee und dem Seelande gelegen ist; sein und seiner Burg urkundlicher Name ist Fenils, ableitend von latein. fenus, Ertrag, fenile, Heuboden, hier in der örtlichen Bedeutung von Schlossscheune und Vorburg.

Das nun gewonnene Ergebniss ist einfach und befriedigend. Vrene, die Liebesgöttin, wird vom höfischen Geschmacke zur Venus antikisirt, durch die Kirche zur Patronin der Siechenhäuser, durch die Zeitsitte zur Mutter der Frauenhäuser erhoben und erniedrigt, und durch romanischen Spracheinfluss zur Königin der Feen gemacht, mit denen sie im Zauberberge wohnt. Der mit der Liebesgöttin in ihrem schattigen Lusthain (im Tann) hausende Gemahl heisst eben so erklärlich Tannhauser. Auf den bairisch-salzburgischen Ritter und Minnesänger Tannhuser († um 1266) darf, obschon er ein Zeitgenosse des im Liede mitgenannten Pabstes Urban ist (der IV. dieses Namens † 1268), schon deshalb nicht geschlossen werden, weil sich die Tannhäusersage, wenn auch unter anderem Namen, in Schottland und Schweden wiederholt. Belege hiefür giebt Grimm Myth. 888.


FUSSNOTEN:

[8]

Uhland C.

[9]

Uhland A.

[10]

Uhland B.

[11]

Nach Uhland C.

[12]

Uhland A.


III. Gertrud mit der Maus,

die Allerseelenherrin.


Die heilige Gertrud, ahd. Kêredrûd, trägt den heidnischen Namen einer germanischen Walküre und Speerjungfrau. Der mythologische Name Thrûdhr bezeichnet sowohl Thôrs und Sifs Tochter, als auch eine der von der Edda genannten 13 mit Odhin in die Schlacht reitenden Schlachtjungfrauen. Das altnord. Appellativ thrudhr, ags. thrydh, bezeichnet das Mannweib, virago; Gertrud also ist eine Jungfrau, die den Gegner im Waffenkampfe niedertritt, wie unser jetziges Wort Trude ebenfalls die den Schläfer auf die Brust tretende Nachtmahre, den ihn im Traume reitenden Alp, bezeichnet. Der Trude ist daher der fünfeckige Trudenfuss eigen, dessen Missgestalt aus dem Schwanenfusse der schwanengeflügelten Walküre entstanden ist. Eine Alptrudis und Albedrudis wird im Polyptychon Irminonis (sec. 8) unter den fränkischen Frauen genannt; ebendaselbst eine Ermendrudis (Dienerin des Gottes Irmin), eine Anstrudis (der Asen Dienerin), eine Electrudis (ahd. Alahtrûd), die das Heiligthum, alah, verwaltende Tempeljungfrau. Die ahd. Frauennamen Wolchandrud, Himildrud bezeichnen die geisterhaften Wetterfrauen, welche auf den Wolken tanzen, dass Regen fällt; eine ahd. Glosse bei Graff 5, 522 übersetzt trutari mit saltator, und jetzt noch giebt der Volksglaube den Truden das Geschäft, in der Walburgisnacht den Schnee vom Blocksberg wegtanzen zu müssen. Da die Walküre zugleich die den Lebensfaden spinnende Schicksalsschwester oder Norne ist, so vertauscht sie den Speer gegen Rockenstab und Spindel, und so wird die hl. Gertrud, gleich den Göttinnen Freyja, Holda und Berchta, spinnend dargestellt, auf einem Wagen fahrend, ausnahmsweise sogar zu Rosse sitzend. Wie die eben genannten Göttinnen mit ihrem Erscheinen die Menschen zum Anbau des Kornes und Flachses auffordern, so stehen in Gertruds Dienst die Frühlingsvorboten Specht, Kukuk und Schnecke, tragen von ihr den Beinamen und werden zugleich zu Todesboten; denn wie Freyja sich mit Odhin in die Seelen der im Waffenkampfe Gefallnen theilt, so wird Gertrud als Seelenherrin geschildert, und ihr Geleitsthier, die nächtlich wühlende Maus, kündet mit ihrem Erscheinen nicht bloss die Reife der Saat, sondern auch Misswachs, Seuche und Tod an. In Folge dessen versöhnt man die Heilige mit Trank- und Speiseopfern, indem man die Gertrudenminne trinkt und das Erntebrod der Süssen Mäuschen bäckt.

Dies ist der äusserliche Umriss dieser heidnisch-christlichen Gestalt.

Ueber die Abkunft der geschichtlichen Gertrud schwebt schon ihre älteste Legende in vielfältigen Widersprüchen, die aus der Bemühung entstanden sind, die Heilige in der Familie der Pipiniden und Karolinger unterzubringen. Ihr ältester Biograph ist ein Mönch in Nivelles, zugleich ein Zeuge ihres im dortigen Kloster 658 erfolgten Todes: A. SS. sec. II, pag. 467. Ihm zu Folge ist das brabanter Stift Nivelles, zwischen Brüssel und dem hennegauischen Gebirg gelegen, durch Pipins I. Gemahlin Ita um 640 gegründet und wird von deren Tochter Gertrud als erster Abtissin regiert. Der Interpolator dieser Lebensbeschreibung, gleichfalls ein Niveller Mönch im 10. Jahrhundert, erzählt, dass Gertrud, um den Werbungen eines austrasischen Herzogs auszuweichen, nach Franken entflohen sei und hier längere Zeit in dem von ihr gestifteten Frauenkonvent Karleburg am Main im Spessart ein gottgeweihtes Leben geführt habe. Allein die Benediktiner fügen dieser Angabe hinzu, dieselbe verwechsle die Pipinentochter mit einer andern Heiligen desselben Namens, die unter Karl d. Gr. gelebt habe. Und so gilt die hl. Gertrud bei den Mainfranken bis heute als Karls Tochter, welcher man dorten die Klostergründungen und Vergabungen zu Karleburg und zu Neustadt am Main beilegt, ja man führt daselbst noch eine dritte hl. Gertrud an, welche eine Tochter des Grafen Berger von Sulzbach und nachmalige Gattin des Königs Konrad III. gewesen ist. Das Ergebniss von dem allen ist, dass Gertrud bei den Mainfranken wie bei den Friesen frühzeitig eine volksthümliche Verehrung genoss, und dass man aus eben dieser Ursache ihre Genealogie nachmals an das grösste deutsche Kaiserhaus anknüpfte. Auch ihre frühzeitig erfolgte kirchliche Anerkennung steht ausser Zweifel; ihr sind in Belgien allein mindestens bei vierzig Kirchen geweiht, A. SS. l.c.. pag. 475; ihr Name steht im Rheinauer Martyrologium mitverzeichnet, welches dem 8. Jahrhundert angehört, und das nach ihr benannte Gertruidenburg am südlichen Ufer der Maas, das auf ihren Wunsch eingeweiht sein soll, wird schon 992 als eine Marienkapelle genannt. Reitberg, Kirchgesch. 2, 543. Ueberall treffen so die ihr beigelegten Stiftungen oder die von ihr gegründeten Kirchen mit den frühesten Anfängen des Christenthums in Deutschland zusammen.

Ihre kirchlichen Embleme und Abbildungen sind nachfolgende. In der Abtei zu Nivelles, wo sonst ihr wunderthätiges Sterbebette kirchlich verwendet wurde, wird nun ihr Wagen aufbewahrt. Bock, Eglise abbat. de Nivell. 4, 25. In holländischen Kirchen ist sie abgemalt, in einer Hand den Hirtenstab, in der andern ein Trinkgeschirr haltend, welches stabil die Form eines Schiffleins hat. Mit diesem giebt sie sich als die Patronin der Reisenden zu erkennen, die beim Abschied "Sinte Geerteminne" trinken, um dadurch gute Herberge zu finden. Wolf, Ndl. Sag. S. 434. Einen gleichen Stab, aber mit einem Blumenkranz behangen, trägt Gertrudens hölzernes Standbild in der Kapelle zu bairisch Hermatshofen. Panzer, BS. 2, no. 246. Dieser Stab wird sich später als ein Rockenstab, der Blumenkranz als das Gertrudenkraut herausstellen. Am Titelblatte des Gertrudenbuches, Köln 1506, ist sie abgebildet am Rocken spinnend, an welchem drei Mäuse hinauflaufen; in ihr Kleid sind Zauberzeichen eingewoben, zwei, Weihrauchfässer schwingende Engel umschweben sie. Blunschi's Kalender aus der Stadt Zug vom J. 1823, und ebenso der Krainische Bauernkalender bezeichnen den 17. März, als den Gertrudentag, durch zwei Mäuslein, die an einer aufgeweiften Spindel nagen. Eine damit correspondirende Stelle in Konrads von Dankratsheim Namensbüchlein (edd. Strobel) lautet:

so kumet die liebe sant Geretrud,

die so entschlief in gottes willen,

und stulen die ratten und miuse ir spillen

und trugen sie in ir miuseloch.

Auf einem Gemälde, das vordem im Strassburger Münster gewesen, auf das sich Schilter in seinen Anmerkungen zu Könighovens Chronik 571 beruft, war der Strassburger Bischof Wilderolf zu sehen, zu Schiffe fahrend, umschwommen von Mäusen und überragt von St. Gertrud. Von diesen beiden in der Gertrudslegende sich wiederholenden Emblemen, dem Schiffe und der Maus, wird nachher ausführlicher die Rede sein; für jetzt seien die landwirtschaftlichen und bürgerlichen Ueblichkeiten hier vorangestellt, die sich an den Gertrudentag und an dessen Zeitthiere anreihen.

Betrachten wir die an den Gertrudentag (17. März) sich knüpfenden Kalenderregeln. Weil mit dem 25. Nov. (als am Katharinentage) der Winter, und mit dem 17. März der Frühling beginnen soll, so ziehen mit dem letzteren Termin die Hausmäuse aufs Feld. Davon heisst es bei Lasicz: Gertrudis mures a colis mulierum abigit. Altbairisch: Gertraud lauft d'Maus go Feld aus. Quitzmann, Bajwaren 124. Am Gertrudentag lauft die Maus den Rocken hinauf und beisst den Faden ab. Schmeller, Wörtb. 2, 71. Mit diesem Tage werden also die Spinnabende eingestellt und es beginnt die Gartenarbeit, weshalb die Heilige auch als die erste Gärtnerin verehrt ist. Die Frühlingswärme kommt, die Bienen nehmen ihren Ausflug, das Stallthier geht wieder zur Weide. Davon reden folgende Sprüche;

Sünte Katherin

smitt den ersten Stên in 'nen Rhîn.

Sünte Gerderut

tüht ne wi'er herut. (Aus Köln.)

Sankt Gertraud

führt die Kuh ins Kraut,

das Ross zum Zug,

die Bienen zum Flug.

Gerdrut

geht das Schoof mit dem Lamme ruut. (Aus dem Waldeckischen.)

Sant Gertrud

Säit Zibelä und Chrût. (Schweizerisch.)

Wichtiger und von weiter reichendem Ziele werden diese Kalenderregeln, wenn man sie auf Specht, Kukuk und Schnecke ausdehnt und diese als im Dienste Gertrudens stehend aufweist. Alle drei werden von der Kalenderregel in dieselbe Zeitfrist gesetzt. Der Specht heisst Schweiz. Merzafülli, d.i. Fohlen; Gertrudentag fällt auf 17. März und die Bauernpraktika sagt: Schreit der Kukuk früh im März, so giebts einen guten Frühling.

Der Schwede nennt den Schwarzspecht Gjertrudsfuglen und erzählt von ihm folgendes Märchen, enthalten in Asbjörnsen's Norske Folke-Eventyr 1866, no. 2. Christus und Petrus erscheinen reisemüde und hungrig bei einer brodbackenden Frau, welche Gertrud hiess und eine rothe Haube trug. Auf Beider Bitte nahm sie ein bischen Teig in die Backpfanne und thats übers Feuer, doch das Bischen gieng sogleich hoch auf und füllte das ganze Geschirr. Dieser Kuchen war ihr für ein Almosen zu gross; zum zweiten male nahm sie noch weniger Teig, doch auch dieser bekam dieselbe Grösse, und als nun zum dritten male dasselbe geschah, sprach das Weib: Ihr müsset ohne Almosen gehen, all mein Gebäcke wird zu gross für euch! Zur Strafe verwünschte der Herr die Geizige in den Gertrudenvogel, der noch ihre rothe Haube trägt und kohlschwarz ist wie sie, als sie zum Schornstein hinausfuhr. Beständig hungernd hackt sie nach Futter in die Baumrinde.—Dieselbe Sage in deutscher Version lautet bei Simrock, Myth. 3, 23 also: Christus gieng an einem Beckerladen vorüber, wo frisches Brod duftete, und sandte einen der Jünger hin, um ein Stück zu erbitten. Der Becker schlug es ab, doch die Beckersfrau, die mit ihren sechs Töchtern von ferne stand, gab es heimlich her. Dafür sind diese zusammen als das Siebengestirn an den Himmel versetzt, der Becker aber ist zum Kukuk geworden. In Prätorius Weltbeschreibung und darnach in Grimms Myth. 641 wird eben dasselbe also berichtet. Ein Becker hat zur theuern Zeit den armen Leuten von ihrem Teig gestohlen und, wenn Gott den Teig im Ofen segnete, ihn herausgezogen, bezupft und dabei gerufen: Guck! guck! (ei sieh!) Dafür ist er in einen Raubvogel verwandelt, der unaufhörlich dieses Geschrei wiederholt. Im aargauer Freienamt gilt hierüber folgende Spielart. Ein hungernder Knabe wollte einem Marktweibe ein Brodwecklein abkaufen, sie, forderte aber so viele Kreuzer dafür, als man auf des Kindes flache Hand hinzählen könne. Das Büblein gieng darauf ein und machte sein hingestrecktes Händchen immer hohler und schmaler. Da die Alte nun in ihrem Zählen gar nicht fertig werden wollte, noch ein Plätzchen und wieder eins auf der Kinderhand zu suchen, so rief zuletzt der Knabe voll Hunger und Verdruss: So flieg und ruf Kukuk! Alemann. Kinderlied, S. 78.

So wird hier der Specht, ursprünglich ein nahrungsspendender Bote Gottes, ein die Nahrung hartherzig verweigernder Theuerungsgeist und geht in die Gestalt des gleichfalls eigennützig gefassten Kukuk über. Daher heisst es von diesem letzteren, er sei ein diebischer verwünschter Beckerknecht und trage davon sein fahles, mehlbestaubtes Gefieder. Dies besagen die nachfolgenden Kindersprüche:

Kukuk stahl Weggen.[13]—Kukuk, Beckenknecht![14]—Kukuk, Speckbub![15]—Kukuk, schniet Speck up![16].—Der Gugger uf em dürre Nast, er bettelt Brod und wird nicht nass.[17] Der Sauerklee, Oxalis acetosella, der zur nemlichen Zeit blüht, da des Kukuks Ruf ertönt, heisst in Deutschland Kukukskohl, in der deutschen Schweiz Guggerbrod, franz. pain de coucou, tessinisch pan cuculo, romansch paun e caschöl cucu (Butterbrod), und weil seine säuerlichen Blättchen von den Kindern genascht werden, auch Herrgottensüpple, Herrgottenbrod. Fr. Staub, das Brod, 1868, 6. Auch die süssen Keime des Habermarks (Tragopogon) heissen Guggichbrödle.

Der Vogel schenkt oder raubt also Brod und Butter, Speck und Speckwecken, nemlich solcherlei Kuchen, die man nach beendigter Fastenzeit um Ostern bäckt, mit Speckwürfeln belegt und Speckwähen benennt. Die Rolle des Diebes wird ihm beigelegt, weil er nur so lange seinen Ruf ertönen lässt, als die Brütezeit dauert und er die Eier andrer Vögel aussäuft. Ist diese Zeit vorüber und es beginnt die Reife der Frühkirschen, so sieht er auch diese, heisst es, in seiner Gier für buntgesprenkelte Eier an und frisst deren so viele, dass ihm die Stimme verfällt und er nur noch heiser ruft. Die Sage von der durch ihn erregten Theuerung knüpft sich an sein zeitweilen verspätetes Erscheinen und an sein über die geregelte Frist andauerndes Rufen. Die oberfränkischen Bussbacher sollen ihn daher einmal bei langem Regenwetter mit dem Backwisch verjagt haben. Panzer, BS. 2, no. 285. Er soll nur so lange rufen, als das Siebengestirn am Himmel steht, in welches jene Beckerin mit ihren Töchtern verwandelt ist; das ist bis Ende Juni. Die appenzeller Bauernregel sagt hierüber: Wenn d'Henne abwärts gönd, schlôt s'Brod ab, wenn s'ûfwärts gönd, schlôt 's ûf. Hält der Vogel diese Frist nicht mit ein, so entsteht Nahrungsmangel, dessen Opfer er selber zuerst wird; hievon erzählt folgender venetianer Spruch:

Am achten des Aprils,

da soll der Kukuk kommen;

Kommt er am achten nicht,

so ist er todt oder gefangen.

Kommt er am zehnten nicht,

so hängt er gefangen im Zaun.

Und kommt er am zwanzigsten nicht,

so ist er gefangen im Korn;

Und kommt er am dreissigsten nicht,

so ass ihn der Hirt mit Polenta.

Weil mit des Kukuks zeitgemässem Erscheinen zugleich der Anbau in der ganzen Gemeindeflur beginnt, so heisst er in schwäbisch Mundingen Oeschhei, d.i. der Flurhege (vgl. Holzhei; Wieshei: der Bannwart), und daraus erklärt sich vollständig der Schwabenstreich des Städtchens Haiterbach, welches gegen die verspätete Ankunft des Vogels Kirchengebete abhielt. Wolf, Ztschr. 1, 440. Der appenzeller Spruch bestimmt: Am dritten Abrelle muss der Gugger grüene Haber schnelle (anraunzen). Schreit er nach Johannis von Norden her, so bringt er in Zürich einen sauern Wein; fliegt er den Wohnhäusern zu nahe, eine Jahrestheuerung (Gessner's Thierbuch, Von den Vögeln LXXI). Hält er den richtigen Termin ein, so ist er nachdrucksam der Zeitvogel und kann um Wohlstand und Lebensdauer zugleich befragt werden, so dass er beides bis in den Brodkorb hinein prophezeien wird; daher ruft ihm der Schwabe zu, in Meiers Kinderreim. no. 87:

Schrei sie mir in Deckelkräbe

Wie viel Jahr darf ich noch lebe?

Dieselbe Anfrage ergeht auch an die Schnecke, welche wie Specht und Kukuk, ein den Lenz, die Jahresfruchtbarkeit und die Lebensdauer verkündendes Thier ist und im Dienste Gertrudens gestanden hat;[Nachtrag 4] man ruft ihr in einem Jeverschen Kinderspruche (Mannhardt, Ztschr. f. Myth. 3, 222):

Kukuk, Kukuk, Gerderut:

stäck dîne vêr Hörns herut!

Um so besser stehts um das berufende Kind, je pünktlicher ihm die Schnecke ihre vier Fühler zeigt; es erkrankt, wird kreuzlahm, wenn es in die Fühler zwickt. Alemann. Kinderl. S. 97. Aus Göthes Lied Frühlingsorakel ist die Sitte allbekannt, nach der Zahl der im April gehörten ersten Kukuksrufe die Hochzeitsfrist, die Zahl der Kinder und der Lebensjahre voraus zu bestimmen; aber Vorbedingung dazu ist, dass man dem Vogel erst einen Thron baue, von dem herab er seine Weissagung ertheile, dies ist ein aus Binsen geflochtner Sessel, westfälisch der Kukukesstaul genannt (Woeste in Wolfs Ztschr. 2, 95). Alsdann spricht man:

Gugguger im Sessel,

Gieb mir dein Geld zu lesen,

Will dein Geld dir wieder geben,

Sag, wie viel Jahr thu ich leben?

Andr. Strobel, Geistl. Kartenspiel, Sulzbach 1693, 1 Th. 118. In Sommers Thüring. Sag. no. 9 kommt in den Zwölften unter wunderbarem, weit vernehmbarem Sausen, eine Frau durch die Luft geflogen, welche die Gestalt einer gewöhnlichen Taube hat, aber an ihren Füsschen ein kleines Schilfstühlchen mitträgt, das sie, wenn sie müde wird, auf den Boden stellt, um darauf auszuruhen. Sie selbst berührt die Erde nie, wo sie aber das Stühlchen hinsetzt, da grünt und blüht es im folgenden Sommer am schönsten und fruchtbarsten. Am Morgen des Dreikönigtages wird die Taube wieder zur Frau. Hier ist der Frühlingsbote, Kukuk oder Taube, die ihn aussendende Himmelsherrin selbst, nemlich Frigg die Göttermutter, die nach Paulus Diaconus Frea heisst und neben dem Gemahl Gwodan auf dem goldnen Thron in Walhalla sitzt. Als Frühlingsgöttin steht Freyja-Frigg der grossen Maifeier vor, denn in den Niederlanden heisst der Mai Vrymänd. Compte rendu, Bruxelles 1843.

VII. 1, 29. Menzel, Vorchristl. Unsterblichkeitslehre, 2, 243.

Im aargauer Frickthale pflegen die Kinder dem Kukuk zu rufen:

Gugger uf em grüene Ast,

Du, mi liebe, schüeche Gast:

Gugg mer doch, bis au so guet,

Wie mängis Jahr no han i z'guet?

Wer während dem ungerades Geld bei sich trägt und auf den Sack schlägt, dem geht es das Jahr über nicht aus, eine Volksmeinung, von welcher der Berner Volksdichter G.J. Kuhn (Volkslieder 1819, 93) ein Liebespaar also reden lässt:

Hans ghört di z'erst, er gryft i Sack

u sucht sys Geld: "O tusi Drack (Drache!),

dass i kei Batze by mer ha,

jetz wird's mer wol s'ganz Jahr so ga!"

Un Aenni lost und fraglet di:

Wie mängs Jahr ächt no leben i?

Von der gleichen Frage eines alten Weibes berichtet der Zürcher Chirurg Rud. Gwerb, Leuth- und Vychbesägnen, Zürich 1646, 13: "Vnd da der guckguck Fünffe herfür geschrauwen, da vermeinte das thorachte alte weyb anders nichts, dann das sy noch fünff jahre zu leben hette. Sie fiel aber bald in eine schwäre krankheit und da sie zum sterben sich zuzerüsten vermanet worden, wolte sie nicht dran, dann der guckguck hette jhren anders verheissen. Vnd ob es gleichwol mit jhren auff dem letzten gepfiffen, bliebe sie doch jmmer auff jhrer meinung und als sie jetz kein wort mehr reden kondte, streckte sie noch fünft finger auff, andeutende, dass sie, nach des guckgucks gesang noch fünff jahr zu leben habe. Das heisset auff das vogelgeschrey achten!"

Von demjenigen, dessen Leben augenscheinlich zu Ende geht, sagt man, der hört auch den Kukuk nicht mehr; was man verwünschen will, das soll des Kukuks werden, sich zum Kukuk scheren. Der die Lebensdauer weissagende Vogel wird also damit zum Propheten des Todes. "Der Kukuk auf dem Dache bringt den Tod ins Haus." Hahn, Albanes. Studien l, 158. Als Vogel der Trauer gilt er in kleinrussischen Liedern. Myth. 646. Nach serbischem Glauben verwandeln sich die Seelen Verstorbener in Kukuke, man findet daher auf den hölzernen Grabkreuzen in Serbien so viele Kukuke abgebildet, als Angehörige um einen Todten trauern, und von einem Serbenmädchen, dem der Bruder gestorben war, wird erzählt, dass es nie mehr habe den Kukuksruf hören können, ohne nicht in heftiges Weinen auszubrechen. Friedreich, Symbolik 534, nach Hanusch, Slaw. Mythus. 317. Dieselbe Rolle des Leichenvogels ist ihm im finnischen Epos Kalewala zugetheilt; da klagt die alte Mutter, deren Tochter Aino beim Frühlingsbade ertrunken, im nächsten Frühjahre:

Aelter wird mein Ellenbogen,

Schwächer wird mein Handgelenke,

Ja, der ganze Körper zittert,

Wenn des Kukuks Ruf ich höre!

Schiefner's Uebers. 24. Kukuk und Specht treffen auch in ihrem ältesten Mythus überein. Altpolnisch hiess der Kukuk Zywie und war ein verwandelter Gott: opinabantur enim, supremum hunc universi moderatorem transfigurari in cuculum. Myth. 643. Dasselbe behauptet auch das griech. und römische Alterthum vom Specht. In Kreta zeigte man sein Grab und eine Säule dabei mit der Aufschrift: Hier liegt nach seinem Tode Picus der Zeus (Πῖκος ὁ Ζεύς), und ebenso hatte er nach altrömischer Mythe die ausgesetzten Zwillingssöhne des Mars, Romulus und Remus, aufgeässt und hiess davon Picus Martius. In der tiroler Gemeinde Wangen ist sein Name "der Wangener Gott". Zingerle, Tir. Sag. no. 1064. Die berühmte Springwurzel, vor welcher die Thüren der Schatzkammern und Gefängnisse aufspringen, liegt in seinem Neste; statt seine Jungen mit ihr zu füttern, lässt er sie von dem Baume fallen, unter den man ein rothes Tuch breitet. Wer sie dann in den Mund nimmt, versteht aller Vögel Sprache. Wie Zeus sich in den Kukuk verwandelt und sich auf den Scepterstab der Here setzt, so wird der Specht auf Gertrudens Stab weissagend gesessen haben; dieser Stab selbst wird theils zur erlösendem Springwurzel, theils zur Spindel, theils verwandelt er deren Flachs in Gold. Ueberdies verleiht der Specht (ableitend von ahd. spahi, prudens, der spähende) seinen Namen eben jenem Spessart (urkundl. spechtes-hart), welcher der Schauplatz war von Gertrudens Thätigkeit in Ostfranken, und so heisst das Thier mit wiederholtem Nachdruck Gertrudenvogel.

Wie diese eben beschriebnen Frühlingsthiere, weil sie dämonische sind, aus Glücksboten sich in vorahnende Todesboten verkehren, so geschieht dies vornemlich mit Gertrudens besonderem Gefolgsthiere, der Maus. Die Seelen der Abgeschiedenen werden zuerst von Gertrud empfangen, um sich da entweder in gute oder in böse Elbe zu verwandeln; als solche erscheinen sie hierauf wieder als schädigende oder als bescherende Mäuse. Diesen Satz aus der Lehre von der Seelenwanderung nehmen wir nunmehr in Ausführung.

Wie Holda-Berchta die unmündig Verstorbenen, und Valfreyja die in der Schlacht Gefallenen zu sich nimmt, so haben nach älterem Kirchenglauben die Seelen der Abgeschiedenen ihre erste Herberge bei St. Gertrud zu nehmen. Hievon handelt eine Handschrift des XV. Jahrh., welche Grimm Myth. 54 citirt: Aliqui dicunt, quod, quando anima egressa est, tunc prima nocte pernoctabit cum beata Gerdrude, secunda nocte cum archangelis, sed tertia nocte vadit sicut diffinitum est de ea. Erweitert findet sich dieser merkwürdige Glaubenszug in Nik. Gryse's niederd. Spegel, auf welchen Schiller, Meklenburger Thier- und Kräuterbuch 3, 41 verweist: Se geven ock vor, wenn de Seele vth dem Minschen varet, so moth se de erste Nacht Herberge hebben by S. Gerderuten, darumme ock S. Gerderuten Kercke gemeinlyken vor de Döre der groten Stede gebuwet syn; und darnâ moth se ůuer dat Leuuer-Meer. Dieser hier das Lebermeer genannte Todtenstrom war auf jenem vorhin schon erwähnten Münstergemälde dargestellt, das den Bischof Wilderolf und St. Gertrud zu Schiffe zeigte, und wird in der Sage von Hattos Mäusethurm zum Rheinstrom. Hievon später. Gertrudens Kirche und die von den Geistern darin abgehaltene Todtenmesse spiegelt sich ab in der Nürnberger Sage von der Jungfrau Gertraud Stromer. Der Patrizier Imhof, an dem dieser Jungfrau ganzes Herz hieng, war, weil sie ihm ihre Liebe verhehlt hatte, ihrer Freundin zu Theil geworden, starb nach kurzer Ehe und auch Gertraud überlebte ihn nicht lange. Drei Wochen nach diesem letzteren Todesfall gieng am Allerseelentag 1430 die Wittwe Imhof vor Tag in die Frühmesse nach St. Lorenz, hier aber befiel sie der unheimliche Eindruck, als wären statt der Gemeinde und Geistlichkeit lauter Verstorbene versammelt. Als sie nun, um anzufragen, aus ihrem Stuhle trat und eine vor ihr knieende Jungfrau leise auf die Schulter klopfte, erkannte sie in dieser ihre vor drei Wochen begrabne Freundin Gertraud. Auf deren Rath verliess sie so eilig die Kirche, dass sie ihren Mantel vergass, floh heim, erkrankte heftig und trat darauf ins Klarissenkloster. Hier starb sie nach etlichen Jahren und zwar gleichfalls am Morgen des Allerseelentages. Schöppner, Sagb. no. 1147. Die Heilige ist hier zu einer gleichnamigen Nürnberger Patrizierin geworden, welche über das stumme Todtenheer, in dessen Mitte sie ist, allein Auskunft zu geben vermag, deren Herzenszug aber noch immer die Liebe ist zu dem ehemaligen Geliebten. Von diesem Naturell der Walküre liefert die Gertrudensage noch mehrere nachher zu behandelnde Einzelheiten; hier ist vorerst der Glaube zu zeigen, dass die Abgeschiedenen die Gestalt von Mäusen annehmen.

Die Seelenherrin selbst ist die Weisse Frau und auch sie erscheint als Weisse Maus. Müller-Schambach, Niedersächs. Sag. S. 269; dazu ebendas. no. 7. 264. Lübecks Stadtwahrzeichen ist eine in dortiger Marienkirche abgebildete Maus, die an der Wurzel eines Baumstrunkes nagt; sie sei ein Weib gewesen, die über dem Wunsche, niemals zu sterben, zu mehrhundertjährigem Alter kam, zur Grösse einer Maus zusammenschrumpfte und unter einem Glaskästchen in dortiger Kirche aufbewahrt wurde. Bechstein DSagb. no. 212. Letzteres stimmt mit der Sage vom thebanischen Seher Tiresias, der fünf, ja sogar neun Menschenalter gelebt haben und nach seinem Tode in eine Maus verwandelt worden sein soll. Nork, Realwtb. 4, 382. Die Blocksbergsscene im Göthe'schen Faust schildert das plötzliche Ende der gespenstischen Tänzerin: "Mitten im Gesange sprang ein weisses Mäuschen ihr aus dem Munde." Im aargauer Volksglauben finden sich folgende Sätze. Wenn der von Gemeinde wegen aufgestellte Feldmauser drei weisse Mäuse fängt und tödtet, so kommt er in die Hölle. Wer eine weisse Maus quält, dem fressen die übrigen das Korn von der Schütte. Vor der französ. Invasion 1798 waren im Hauptgange des Rathhauses zu Aarau, wo die Schildwache stand, in jeder Nacht auf Himmelfahrt zwölf weisse Mäuse zu erblicken, die man für zwölf verwünschte Rathsherren hielt; so erzählt uns die Bauernfrau Schenker aus solothurnisch Däniken.—Weisse Mäuse, berichtet V. Grohman über Böhmen, geniessen in diesem Lande eine Art religiöser Verehrung, man macht ihnen ein Lager zwischen den Stubenfenstern und pflegt sie, damit nicht mit ihnen das Glück des Hauses sterbe. Ein Nest weisser Mäuse zu finden ist nur Sache eines Sonntagskindes. Auf Schloss Drazic werden sie eigens gezüchtet, und lässt man ihrer eine in die Kornscheune laufen, so schüttet da das Getreide um die Hälfte mehr als sonst. Wer eine Maus zertritt, der führt den Teufel ins Haus. Zingerle, Tirol. Sitt. S. 55. Je weisser der Zahn, von dessen Ausfall man träumt, um so näher verwandt der Freund, dessen Tod drauf erfolgt (Aargau).[18] Dem Aberglauben gelten auch die rothen Mäuse in einem ähnlichen Sinne. Der Zauberer in Obermumpf vermochte einem mit offnem Munde Schlafenden als rothes Mäuschen bis ins Herz hinunter zu schlupfen. Aargau. Sag. 2, S. 152. Dagegen ereifert sich der niederd. Pfarrer Männling in seinen Curiositäten, Frkf. 1713: "Ists nicht schreckliche Dummheit, dass man sich bereden lässt, die Seele des Menschen sei eine rothe Maus, welche, wenn man schlafe, aus dem Munde heraus spaziere!" Eben solcherlei Sagen von in Gestalt der Mäuse auswandernden Seelen wollen wir nun folgen lassen.

Einer thüringer Magd, die in der Gesindestube über der Arbeit entschlafen ist, kommt ein rothes Mäuschen zum Munde heraus und geht durchs offenstehende Fenster davon. Ein mit zuschauendes Dienstmädchen rüttelt die Schlafende von ihrer Stelle, ohne sie erwecken zu können. Das Mäuschen kehrte hierauf zurück, suchte hin und her nach der vorigen Stelle, fand sie nicht mehr und verschwand zuletzt. Nun aber erwachte die Schlafende nicht wieder, sondern blieb todt. Grimm, DS. 1, S. 335. In Gestalt eines weissen Mäuschens kommt der Alb durchs Schlüsselloch ins Schlafzimmer und drückt den Sohn. Die Mutter, welche vorsorglich schon ein Tuch über die Brust des Schlafenden gebreitet hat, legt es nun, da sie ihn stöhnen hört, an den vier Enden zusammen, thuts in die Schublade der Kommode und lässt den Schlüssel dran stecken. In derselben Stunde war im Nachbarorte ein Mädchen plötzlich gestorben und sollte nach drei Tagen begraben werden. Da traf sichs, dass der Sohn, der seit dieser Zeit vom Alb frei geblieben war, am dritten zufällig den Schlüssel von der Schublade abzog, worin jenes Tuch lag. Sogleich schlupfte ein weisses Mäuschen durchs Schlüsselloch und lief zur Thür hinaus. Gleichzeitig hatte man im Nachbarorte schon den Sarg schliessen wollen, als ein Mäuschen zur Thüre herein und in den Mund der Leiche gelaufen kam, diese öffnete die Augen und gehörte wieder dem Leben an. Wolf, Hess. Sag. no. 95. Dieselbe Begebenheit in Sommers Thüring. Sag. no 40. In gleicher Gestalt kommt die Nachtmahr zum schlafenden Gesellen geschlichen und wird in gleicher Weise von ihm gefangen; kaum hat er das Schlüsselloch der Kammerthüre verstopft, so sieht er statt der Maus ein wunderschönes Mädchen splitternackt hinter dem Ofen sitzen. Ibid. no. 96. Kuhn, Westfäl. Sag. no. 247. Wenn der Bergmeister Hinten auf dem Harze seinen Nachmittagsschlaf zu machen pflegte, kam eine Maus aus seinem Munde gekrochen und schlupfte in die Erde, doch zur vorbestimmten Minute erschien sie wieder und kroch in den Mund zurück. Alsdann wachte der Bergmeister unter heftigem Schnarchen auf, zog rasch seinen Fahrhabit an und fuhr in den Schacht. Dies that er nie vergeblich, denn sicher hatte er jedesmal durch die Maus Nachricht erhalten, dass die Knappen falsch gearbeitet oder gar die Grube verlassen hatten. Pröhle, Harzsagen 1, S. 68. Die Wache der Landsknechte sieht ihrer einen in der Mittagsrast einschlafen, da kommt ein kleines weisses Thierlein, gleich einer Wiesel, aus seinem Munde dem nächsten Bächlein zugelaufen und will hinüber. Der zuschauende Knecht legt sein entblösstes Schwert wie eine Brücke über den Graben, das Thierlein geht darüber hin und verschwindet. Nach einer kleinen Weile wieder kommend, findet es jenseits die vorige Brücke nicht mehr, da mittlerweile der Kriegsknecht sein Schwert weggethan. Also brückte dieser ihr abermals, das Thierlein kam herüber, näherte sich dem Schlafenden und kehrte in seine vorige Herberge ein. Als die Spiessgesellen den Erwachenden befragten, was ihm im Schlafe begegnet, antwortete er: Mir träumte, ich wäre gar müd und hellig von wegen eines fernen weiten Weges, den ich zog, und auf dem Wege musste ich zweimal über eine eiserne Brücke. Grimm, DS. no. 455. Ebenfalls als Wiesel fährt die Seele eines schlafenden Hirtenknaben aus. Wolf, Hess. Sag. no. 98. Der Prototyp dieser Sage ist nach der Aufzeichnung von Paulus Diaconus 3,34 und Aimoinus 3,3: der Frankenkönig Guntram, dessen Seele in eines Schlängleins Gestalt aus des Schlafenden Munde kommt, auf einem Schwerte den Bach überschleicht, in einen Berg schlieft und rückkehrend über die nämliche Schwertbrücke in den Mund des Königs zurück geht. Der Erwachende erzählt, vom grossen Flusse mit Eisenbrücken geträumt und im hohlen Berge den Hort der Ahnen erblickt zu haben. Grimm, DS. no. 428 (zweite Aufl. no. 433).[19] Einige ähnliche Sagen aus Böhmen theilt Grohmann mit in Apollo Smintheus pg. 22. Die ausfahrende Seele nimmt auch noch anderer Thiere Gestalt an, zumal geflügelter. Aus dem Munde schlafender Hexen bricht eine Fliege (Grimm, DS. 2. Aufl. no. 408), eine Hummel, Wespe, ein Schmetterling hervor. Grimm, Myth. 1031, und Vonbun, Beiträge 2, 83. So viel von den Mäusen als ausfahrenden und umwandernden Menschenseelen. Sind die Mäuse damit Geister, so können sie sowohl Segens- als auch Rachegeister werden, den Freund beschützen und den Feindseligen vertilgen, und daraus wird ihr Erscheinen überhaupt den Völkern allgemein zum Omen. Das Gleichgültigere sei hier wiederum vorangestellt, um zum historisch Wichtigen emporzuführen. Unser übelverstandner Ausdruck maustodt, anstatt mhd. murztot, holländ. morsdood, spielt auf Maus und Scheermaus an, deren Stossen im Wohnhause auf den Tod des Hausherrn gedeutet wird. Träumt man von Mäusen, so wird es nächstens etwas Ungerades geben; klettert die Maus an der Zimmerwand, so entsteht Hauszank; raschelt sie im Bettstroh, so betrifft den Schläfer schon am Morgen Unheil; nagt sie an seinem Kleide, so stirbt dieser bald. Verlassen sämmtliche Mäuse mit einem Male das Haus, so ist dies mit Aussterben bedroht; man sagt: viel Müs, wenig Lüt. Salom. Landolt, Reime und Lieder, Aarau 1845, sagt S. 326 von der Maus:

Der Aberglaube redt re noh,

(Me cha zwar uf das G'schwätz nid goh,

Glaubt' i's, i müesst mi schäme):

Verlöi die Fründi d'Wohnig ganz,

Geb's i dem Hus en andre Tanz,

Das heisst, es g'hei bald z'säme.

Mäuse verkündeten den Ausbruch des marsischen Krieges, als sie die Silberschilde zu Lanuvium benagten, und den Tod des Feldherrn Carbo, als sie dessen Schuhriemen zerbissen. Cicero de Divin. 2, 27. Plinius HN. 8, 82. Als die Philistäer die Bundeslade geraubt und in Dagons Götzentempel aufgestellt hatten, schlug Jehovah sie mit der Beulenpest und ihre Felder mit dem Mäusefrasse (percussit inimicos in posteriora. Psalm 77, 66). Nach sieben Monaten lieferten sie die Arche wieder zurück und übersandten dazu in einem Kästlein als Sühnkleinode fünf goldne Mäuse und fünf goldne Aerse, beides nach er Zahl der mit der Doppelplage heimgesucht gewesnen philistäischen Landschaften. 1. Sam. 6, 4. Aehnliche Sühnbilder sind dem ganzen antiken Alterthum gemeinsam. Der Priesterkönig Sethon, der die Pest abgewendet hatte, erhielt dafür eine Bildsäule, welche in der einen Hand eine Maus hielt. Herodot 2, 141. Vergoldete Aehren und goldne Mäuse wurden der phönizischen Ceres zum Sühnopfer gebracht. Welcker, Griech. Götterl. 1, 484. Im kretensischen und im äolischen Dialekt bedeutet Apollos Beiname Smintheus eine Feldmaus, Münzen von Tenedos stellen ihn mit dem Pestpfeil und der Maus dar, sowie auch eine Münze von Metapont die sechszeilige Gerstenähre zugleich mit der Wanderheuschrecke und der Maus aufweist. O Heer, Pflanzen der Pfahlbauten. Selbst Athene, wie man sie auf Gemmen dargestellt sieht (Tassie no. 1585), trägt die Maus auf dem Brustharnisch oder auf der Schulter. Menzel, Vorchristl. Unsterblichkeitslehre 1, 22. In allen diesen Sinnbildern ist mithin die Pestseuche an den Misswachs, dieser an den Mäusefrass geknüpft, und die agrarischen Gottheiten nehmen das ihnen in Form einer Maus dargebrachte Opfer an und heben die herschenden Uebel auf, indem sie die Mäuse vertilgen. Dieselbe Abhülfe wird nun aber auch durch die hl. Gertrud gewährt, welche, indem sie die Mäuseplage aufhebt, zugleich die Seuchen abwendet. So lange schon Gertrud ein Standbild in der Kapelle zu baierisch Hermatshofen besitzt, hat sie von diesem Orte stets die Viehseuchen abgehalten. Panzer, BS. 2, 157. Dahin gehört die allbekannte Sage vom Rattenfänger zu Hameln. Da sich an sie die Geschichte von der magischen Pfeife knüpft, mit deren Tone die Mäuse vertrieben werden, und hiervon noch später bei Gelegenheit der in Mausform gebackenen Erntenudel wiederum die Rede sein muss, so folgt hier diese Hamelner Geschichte in der Fassung nach, wie sie Balth. Becker in der Bezauberten Welt lib. 4, S. 157 des Mart. Tschockius Fabula Hamelensis nacherzählt. Als die Stadt Hameln a.d. Weser im J. 1284 mit einem Haufen Mäuse und Ratten geplagt war, die alle Frucht wegfrassen, kam man mit einem fremden Mann überein, der sich gegen Geld erbot, sie aus der ganzen Gegend wegzuschaffen. Er holte aus seiner Henktasche eine Pfeife hervor und sowie er darauf spielte, kamen die Mäuse aus den Hauswinkeln, Dächern und Dachrinnen zu Haufen hervor und folgten ihm zur Weser. Er trat sein Kleid aufschürzend in den Strom, die Thiere ihm nach und ertranken. Nach verrichteter Sache begehrte er den bedungenen Lohn. Allein die Bürger waren nicht geneigt zu bezahlen. Da erschien er am folgenden Mittag wieder, diesmal in Jägertracht, sein Hut war purpurfarbig, seine Gestalt von erschreckender Länge, und nun spielte er eine andere, von der gestrigen weit verschiedene Pfeife. Da liefen ihm binnen einer Stunde alle Kinder der Stadt zu, vom vierten bis zum zwölften Altersjahre, die führte er, 130 an der Zahl, in eine Höhle des vor dem Thor gelegenen Koppenberges, und keins von ihnen ist nach diesem wieder gesehen worden. Man sagt, er habe sie zweihundert Meilen weit unter der Erde fort his nach Siebenbürgen und dorten erst wieder ans Licht geführt; denn seitdem spricht man in diesem Lande niedersächsisch.—So lassen sich auch in Wolfs Hess. Sag. no. 14 die Bauern um Lorsch alles Feldungeziefer und alles Gewitter, durch einen Einsiedler aus dem Lande pfeifen, als sie ihm aber den Lohn dafür vorenthalten, ist der Ameisen- und Grillenregen nebst dem Mäuseheere wieder da. Von neuem wird der Mann berufen, nun kommen jedoch auf seinen Pfiff alle Schafe und Schweine des Dorfes ihm in den Lorschersee, und zuletzt alle Kinder in den Tannenberg nachgelaufen und bleiben verloren.

Dieselbe Sage ist auch in dem bei Paris gelegnen Dorfe Drancyles-Nouis lokalisirt gewesen, wo im J. 1240 der Mönch Angionini mit dem Erbieten erschien, den Ort von seinen Ratten und Mäusen zu befreien. Er lockte alle diese Thiere in einen Fluss, wo sie ertranken. Doch da man ihm den versprochnen Lohn vorenthielt, stiess er in ein Horn, worauf sich alle Zuchtthiere des Dorfes, Pferde, Rinder, Schweine und Gänse, um ihn sammelten, mit denen er davon gieng. Nork, Myth. der Volkssag. 392. Die Uebereinstimmung dieser Erzählungen lehrt, dass die Mäuse, weil sie Geister sind, nur dem magischen Ton der Pfeife gehorchen und damit hinweggelockt werden. Wie man mit der Bastpfeife im Frühling den Fruchtkeim in die Pflanze zu blasen meint (Alemann. Kinderl. S. 182); wie der Seefahrer dem Fahrwinde pfeift, so glaubt man, die pfeifende Maus werde durch sanfte Musik angezogen, durch schreiende verjagt. Du singst mir alle Mäuse aus dem Hause, sagt man abmahnend dem zur Unzeit singenden Kinde. Zur Vertreibung der Mäuse bedient man sich folgenden Mittels. Aus dem Hinterfusse einer gefangnen Ratte schneidet man ein Pfeifchen und umgeht damit blasend am Charfreitag das Haus, oder man hängt dem gefangnen Thiere ein Glöckchen an und lässt es laufen; es springt aus dem Hause und alle übrigen folgen ihm. Grohmann, Bedeut. d. Mäuse, S. 26. Abergl. aus Böhmen S. 62. 66. Denselben Zweck hatten die Pfeifchen im Schweife der hölzernen Spielrösschen und die thönernen, die man an der Stelle des Schwänzleins in die Erntenudel der gebacknen Mäuschen steckt. Dass damit magisch fortgelockt werden sollte, ergiebt die Umschrift an der grossen Abteiglocke in würtembergisch Weingärten; die Glocke wurde 1490 gegossen und ihre Umschrift lautet nach Sauten (Kloster Weingarten, 1857, 48):

Osanna heiss ich, den Todten pfeif ich.

Es ist daher gewiss ein lautredender Zug der Sage, wenn Bischof Hatto in seinem Thurm zu Bingen von den Mäusen bei lebendigem Leibe gefressen wird, weil er bei einer Hungersnoth die Armen unter dem Vorgeben einer Brodvertheilung in eine Scheune lockte, sie sammt dieser verbrannte und der Sterbenden Geschrei mit den Worten verhöhnte: Höret, wie meine Mäuse pfeifen! Hattos Tod im J. 973 und seine Verhasstheit bei den Unterthanen wird nebst der eben berührten Sage von Trithemius in der Hirsauer Chronik 1, 116 erzählt und zur Unterstützung dieser Begebenheit, wie es scheint, dorten S. 140 ein ähnlicher Fall vom J. 995 hinzugefügt über einen Grafen von Rotenburg in Franken. Auch der Schlossherr einer am thurgauer Seeufer versunken liegenden Wasserburg Güttingen soll sich desselben Frevels schuldig gemacht haben und ebenso von den Mäusen aufgefressen worden sein. Puppikofer, Gesch. des Kt. Thurgau, 121. Es haben W. Menzel (Odin 229); Felix Liebrecht (Ztschr. f. Myth. 2, 405. 3, 307), und jüngsthin besonders ausführlich Grohmann (Apollo Smintheus, S. 78 ff.) über diesen Mythus und dessen zahlreiche Sagen gehandelt, in der Erklärung desselben aber sich keineswegs geeinigt. Der Sinn kann kein zweifelhafter sein. Der Erntegott schickt Undankbaren die Mäuseplage und damit die Hungersnoth ins Land. Der um seine Vorräthe besorgte Gewaltsherr entledigt sich der bei ihm Brod suchenden Unterthanen mit Gewalt, aber die Geister der von ihm Gemordeten verfolgen ihn in Gestalt der Mäuse bis in seine Wasserburg, wo er der gemeinsamen Seuche erliegt. Mäuse werden daher Gottes Heerzug genannt, weil sie sich mit jeder Seuchenzeit einstellen. Das Brüderpaar, das sich vor der Pest auf den Irchelberg flüchtet, erwürgt sich da in der Hungersnoth um einer gefangenen Maus willen. Bluntschli, Memorabilia Tigurina 1, 117. Zur Zeit des Beulentodes war es in den Hexenprozessen eine stehende Inquisitionsfrage, ob die angeklagte Person auch Mäuse gehext habe. Aargau. Sag. 2, 172. Und daher stammt die gegen jeden Flausenmacher gebräuchliche Phrase: Mach mir keine Mäuse. "Die Festung macht Mäuse und will sich nicht ergeben", heisst es ebenso in Göthes Bürgergeneral, 9. Auftritt.

Die den Körper in Mausgestalt verlassende und wieder besuchende Seele hat zu dem Spielreim Anlass gegeben, bei dem man mit den Fingern über die Brust des Kindes hinauf tippt, sprechend:

Kommt ein Mäuschen,

will ins Häuschen,

da 'nein, da 'nein!

Aus demselben Glaubensgrunde dachte aber die Vorzeit verpflichtet zu sein, den Mäusen Recht und Gericht halten zu sollen. Bei dem Prozesse, welchen die tiroler Gemeinde Stilfs 1590 gegen die Schädigung der Lutmäuse beim Amte Glurns anhängig machte, erhielten beide Parteien ihren Procurator, das Gericht war mit eilf namhaften Männern besetzt, für Anklage und Entlastung wurden Zeugen abgehört und der Beschluss lautete: Die Lutmäuse seien gehalten binnen 14 Tagen den Landstrich gänzlich zu verlassen, jedoch unter freiem Geleite gegen Hund, Katze und jeden andern Feind; "wo aber ains oder mehr der Tierlein schwanger wäre, oder Jugend halber nicht fortkommen möchte, dieselben sollen ein weiteres sicheres Geleit fernere 14 Tage lang haben." Zingerle, Sag. no. 708. Aehnliches geschah auch vor dem Rathscollegium zu Autun 1540, welches die Mäuse als Saatenverwüster anklagen und verurtheilen liess; der Mäuse Anwalt jedoch, Barthol. Cassanäus, nachmaliger Präsident des Pariser Parlaments, machte den Einwurf, die Verurtheilten seien noch nicht dreimal vorgeladen und könnten, so lange die Strassen durch Hunde und Katzen unsicher seien; füglich auch nicht erscheinen. Diebolt, Histor. Welt, 1715, S. 1117.

Von hier aus übergehend zu den der Kornmaus dargebrachten Ernteopfern, findet sich Raum zur Einschaltung der an dies Thier geknüpften volksmedizinischen Bräuche, deren allverbreiteter gleichfalls auf ein Opfer hinausläuft. Bekanntlich wirft das Kind beim Zahnschichten den Wechselzahn ins Mausloch und verlangt dafür von der Maus einen neuen, dessen Dauerhaftigkeit nach Stein, Bein, Eisen, Silber und Gold bestimmt wird.[20] In Pforzheim spricht man (Grimm, Abgl. no. 631): Mäuschen, da hast du einen hölzernen Zahn, gieb mir einen beinernen dran.—In Schlesien: Mäusel, ich geb dir ein Beindel, gieb mir ein Steindel.—Mäuschen, ich geb dir einen knöchernen Zahn, gieb du mir einen eisernen. Kuhn, Westfäl. Sag. 2, S. 34. Im Aargau heisst es (Alemann. Kinderl. S. 338):

Müsli, Müsli, nimm de Zah,

gim-mer en schöne goldige dra,

frei en schöne wîsse,

ass ech's Brod cha bîsse.

Das Kind wirft seinen ausgefallenen Zahn, wenn ihn die Mutter nicht selber verschluckt, hoch gegen Himmel:

Seh, liebe Herrgett, en Zah!

Gieb mer wider en andre dra.—

In Würtemberg wirft es ihn über sich und spricht beim Schneidezahn:

Se, Mäusle, has du dean Za,

sez mer derfür en andra na!

Beim Mahlzahn heisst es:

Wolf, Wolf, da has en Za,

gi mer derfür no koen Biberza!

Birlinger, Schwäb. Sag, 1, no. 570. Biber ist schwäbisch Name des wälschen Hahns (Birlinger, Schwäb. Wörtb. 61) und bedeutet hier: lass mir den Zahn nicht krumm wie einen Vogelschnabel wachsen. Ein altarabischer Spruch in Rückerts Morgenländ. Sagen 2, 264 opfert den Schichtzahn gleichfalls der Sonne:

Liebes Kind, nimm deinen Zahn,

Der dir ausgefallen,

Wirf ihn zu der Sonn' hinan,

Sprich mit frohem Lallen:

Gieb mir einen bessern dran!

Und du wirst von allen

Neuen Zähnen keinen Zahn

Schwarz und schief und stumpf empfahn,

Sondern jeden wohlgethan.

Kind, so lehrt' es mich dein Ahn.

Dem Sonnengotte Freyr ward von den Göttern die Sonne, Lichtalfenheim, zum Zahngebinde geschenkt. Grimm, GDS. 154. Der Zahn ist also eine Himmels- und Sonnengabe; der ausfallende erste Milchzahn heisst in Süddeutschland Wölfle (Alemann. Kinderlied, S. 337), Wolfszähne werden dem zahnenden Kinde umgehangen, vielleicht in altheidnischer Rücksicht auf den Sonne und Mond verschlingenden Weltenwolf, dem auch Gott Freyr zum Opfer fällt.

In Hahns Griechisch-albanes. Märchen no. 10 und 101 lässt sich die Prinzessin, die einen Zahn verloren, bald einen goldnen, bald einen silbernen einsetzen, besiegt darauf ihres Vaters Feinde, befreit das Land und wird des fremden Prinzen Gemahlin. Dass der erste Wechselzahn wirklich in Gold gefasst und so am Armring getragen wurde, ist nebst anderen dahin einschlägigen Bräuchen des Alterthums im eben genannten Alemann. Kinderliede pag. 338 bereits geschichtlich nachgewiesen. Der hellfunkelnde, unverwüstliche Zahn des im Boden oder in Höhlen wohnenden Thieres soll auch dem jungen Menschen zu Theil werden, wenn er seine Zähne in den Boden säet; darum streut auf Athenes Geheiss Kadmos die Zähne des erschlagnen Drachen in die fruchtende Ackererde, und aus ihnen erwachsen die Stammväter des kadmeischen Thebens. Den Schneidezahn wirft man der Maus hin, den Mahlzahn dem Wolfe, heisst es; der erste Zahn heisst in Süddeutschland Wölfle, und wölfen ist zahnen: Aus Wolfs- und Rosszähnen bestand die Halsschnur, die man zahnenden Kindern sonst umhieng, und selbst unter den Fundstücken, die man seit 1857 aus den Pfahlbauten des Bodensees erhebt, zeigen sich die Zähne des Bären und Wolfes, durchbohrt, um an Schnüren als Amulette getragen zu werden. Zürch. Antiq. Mitthll. 12, Heft 3, 139. Damit stimmt die doppelte Notiz bei Plinius überein HN. 28, cap. 78, und 30, cap. 7: Wolfzähne werden zahnenden Kindern gegen Erschreckung, und Pferden gegen Ermüdung angehängt, ausgerissene Maulwurfszähne gegen Zahnschmerz. Weil die Maus Alles benascht, streut man dem naschenden Kinde heimlich eine gepulverte Maus auf die Speise, damit soll der eine Dieb den andern abschrecken. Höchst auffallend aber bleibt der sg. Maustrank, ein Volksmittel, von welchem die älteste und die neueste Zeit zu erzählen hat. Das Pönitentiale des hl. Bonifacius und dasjenige von Angers (Poenitentiale Andegavense) schreiben dem Priester vor, die Frage an sein Beichtkind zu stellen, ob es von dem zauberhaften Maus- oder Wieseltrank genossen habe: edisti de liquore, in quo mus aut mustella mortua invenitur? Das Verbot gegen diesen Trank wird von mehreren Kirchenschriftstellern, darunter Regino und Burchard von Worms wiederholt, zugleich den Bischöfen aufgetragen, bei der jährlichen Kirchenvisitation strenge Nachforschung hierüber anzustellen. Auffallender Weise aber lebt die Unsitte bis heute fort. In baierisch Rosenheim gilt als probates Mittel gegen Epilepsie eine Maus, die gewiegt, gekocht und verspeist werden muss, und ein sehr verbreitetes kostspieliges Geheimmittel, welches von Frankreich aus in Ruf gekommen ist, besteht nach neuerlich angestellter Analyse aus pulverisirten Mäusen. Bavaria 1, 464. Nun behauptet zwar die uns persönlich umgebende schweizerische Volksmedicin, Bettnässer seien dadurch zu heilen, dass man ihnen eine in Wein destillirte Maus zu trinken gebe; allein man lasse sich hiebei nicht dadurch irreleiten, dass auch schon Plinius NG. 30, c. 47 den Kindern, welche den Harn nicht verhalten können, gepulverte Mäuse unter der Speise zu essen verordnet; denn diese Heilmethode gründet sich auf ein blosses Wortspiel und steht nicht in entfernter Beziehung zu jenem dem Thiere beigemessenen, dämonischen Charakter. Nach dem Medicinischen Lehrsatze, Gleiches mit Gleichem zu vertreiben, schlägt nemlich Plinius vor, die Muskelschwäche am Halse der Harnblase durch eine eingenommene Maus zu heilen, da latein. musculus beides ist, Muskel und Mäuslein. Die deutsche Medicin nahm nicht bloss diese gleiche Benennungsweise, sondern auch die daran geknüpfte Heilmethode an, um so mehr, als beides ursprünglich unter dem Einflusse der wälschen Universitäten zu Padua und Montpellier stand. Peter Vffenbachs Newes Artzneybuch ist eine Uebersetzung der Chirurgie des Hieron. Fabricius ab Aquapendente, Professors zu Padua, und schreibt daher (Frankfurter Ausgabe von 1605, S. 127) wörtlich nach: "Das Bettharnen der Kinder entsteht, wenn das Mäusslin, so umb den Hals der Harnblasen herumbliegt, verletzt wird und dem Willen des Menschen nicht mehr gehorchen kann." Die späteren Aerzte gebrauchen denselben Ausdruck und pflanzen den daran geknüpften Aberglauben fort. "Der Geist kumpt durch die müssly vnd neruen vssgespreitet zum hirn", schreibt der Zürcher Arzt Jak. Rueff, von Empfengknussen, Zürich 1554, Blatt 126b; Johann von Muralt lehrt in seinem Hippocrat. Helvet., Basel 1692, 45: "Wann die junge Kinder so hart verstopft, also dass jhnen der Leib auflauft, so gib jhnen ein wenig Mausskoht mit der Muttermilch ein."

Ein ähnliches Wortspiel scheint nach Nork, Realwörterb. 3, 125, der schon vorhin erwähnten Stelle l. Sam. 6, 5 zu Grunde zu liegen, weil die dorten enthaltenen Stichwörter Pestbeule und Maus im Hebräischen stammverwandt sind und Maus im Syrischen auch ein Geschwür bedeutet.

Der Name Maus, sanskrit mûscha, abgeleitet von der Wurzel mûsch, stehlen, bezeichnet einen Dieb, weshalb denn das indische Gesetzbuch Yajnavalkya III, 214 (übers. von Stenzler) zustimmend besagt: "Eine Maus wird der Getraidedieb sein, denn wie die verschiednen Gegenstände sind, so sind auch die Gattungen der lebenden Wesen." Das Wort behält diesen Begriff in allen indogermanischen Sprachen bei: mausen bedeutet stehlen. Quasi mures semper edimus alienum cibum, lässt Plautus in den Gefangenen den Schmaruzer sagen. In des Hieron. Bock Teutscher Speisekammer, 1555, sagt das Vorwort:

Mein frischgebachen brot

muoss leiden vil der not

von hunden vnd von katzen,

von meusen vnd von ratzen,

zerhülchen's, schliefen drein,

wolt, sie schwimmen im Rhein!

Die Regeln der Haus- und Landwirthschaft setzen daher seit ältester Zeit für bestimmte Zeitfristen allgemein beobachtete Ueblichkeiten fest, durch die man dem schädlichen Einfluss des Thieres zuvorzukommen glaubte, indem man theils ihm selbst, theils den Geistern opferte, in deren Gefolge es erschien. Deutliche Spuren hievon liegen noch in unseren Fasnachts- und Erntebräuchen. Man darf um Weihnachten und Fasnacht, wo die Elben in Mausgestalt ihre Julzeit, halten (Volksglauben in der Mark), oder wo nach oberdeutschem Glauben Berchta-Holla ihren Umzug hält, nicht spinnen, sonst zerzausen die Mäuse den Flachs. Das Mäuslein beisst! ist ein besonderes Drohwort, gleichwie im Gedichte von den Sieben Schwaben der gewichtigste Fluch lautet: Dass dich das Mäuslein beisst! denn alles was man in der Fasnacht spinnt, das fressen die Mäuse (Aargau). Man darf alsdann die Mäuse auch nicht bereden, sonst stehlen sie das Korn von der Schütte. Anstatt Maus sagt man dann (nach Kuhns Nordd. Sag. pg. 411) Bönlöper, Scheunenbodenläufer, in Dänemark Tede, die Kleinen. Noch im vorigen Jahrhundert hielt man diesen Brauch so fest, dass der dänische Ortspfarrer Laurids Muns († 1774) während der berufenen Weihnachtszeit bei seinen Pfarrkindern stets nur Herr Tede genannt wurde. Handelmann, Nordalbing. Weihnacht. pg. 13. Die Rindfleischsuppe, die vom Fasnachtsdienstag im Kochkessel übrig bleibt, schüttet man gegen die Kornmäuse in die Mauslöcher. H.L. Fischer, Buch v. Abgl. 1790. 1, 237. In Grochwitz bei Torgau bäckt man die Fasnachtsküchlein. in einer Eisenform, von der es heisst, man stosse mit ihr dem wühlenden Maulwurf die Schnauze ab. Man erkauft also hier das Gedeihen der künftigen Ernte mit einem Opferbrode voraus. Dasselbe gilt in Altbaiern; hier wird dem Gesinde des Hofbauern die Mehlspeise der gebacknen Mäuschen als Fasnachtsgericht aufgesetzt; dafür hat es theils bei Nacht, theils schon vor Sonnenaufgang die Strohbänder für die Garben der Ernte vorauszuflechten; da die Mäuse dieser Nachtarbeit nicht mit zusehen können, so werden auch die Garben vor ihnen sicher bleiben, jedoch vermehren sich die Mäuse, wenn man ihnen über dieser Arbeit flucht. Bavaria 2, 300.

Beim Einbringen des Korns stellt man drei Garben mit den Aehren nach unten gekehrt in die Tenne; dies gehört den Mäusen, die hiemit sich begnügen und den Geizigen heimsuchen mögen. Die Beinchen vom Osterfleischkuchen, welcher aus Teig mit gehacktem Kalbfleisch besteht, streut man gegen das Wühlen des Maulwurfs in dessen frische Gänge. Grohmann, Böhm. Abgl. S. 58. In böhmisch Raudnitz hebt man vom Schmalz, worin man die Fasnachtskrapfen bäckt, bis zur Ernte auf und salbt damit die Räder des Erntewagens. Sobald dieser vor der Scheune ankommt, fragt der abladende Knecht den Fuhrmann: Was fährst du? Dieser antwortet: Die Katze für die Mäuse. Alsdann werden keine Mäuse in die Scheune kommen. Schon die Brosamen vom Weihnachtsmahl schüttet man in die Scheunentenne und spricht: Mäuschen, esst diese Bröckchen und lasset das Getreide in Ruhe! Grohmann, Apollo Smintheus 38. 27. Im Wittgensteinischen wird in die erste Scheunengarbe ein Käse gebunden und der sie Abladende fragt den Fuhrmann Wann haben wir Christtag? Antwort: Ich weiss es nicht. Ei, erwiedert Jener, so wissen die Mäuse auch nicht, wo ich meine Gerste hinlege. Kuhn, Westf. Sag. 2, S. 187. In des Albertus Magnus Egypt. Geheimnissen Heft 3, 73 heisst es: "Wann du das Korn zum ersten einführst, so nimm die erste Garbe, die du in den Baren legst, in deine rechte Hand und sprich:

Da leg ich dem Menschen das Brot

und allen Mäusen den bittern Tod."

Meklenburger Erntebrauch ist, den ersten Kornwagen nicht abzuhalmen, auf dass die Mäuse das Korn nicht fressen. Schiller, Thier- und Kräuterb. 3, S. 9a.

Hier folgt nun eine Beschreibung der zu verschiednen Jahreszeiten in Mausform gebackenen Zweckbrode.

Mit erstem Frühlingsbeginn nimmt die oberdeutsche Bäuerin junge Salbeiblätter, wickelt sie in Eierteig und bäckt sie in Butter ab; hinten muss dann der Blattstiel gleich einem Mausschwänzchen aus der Nudel vorstehen. Die um dieselbe Zeit für den Marktverkauf gebackenen grösseren Brodnudeln haben eben dieses Schwänzchen, doch ist es ein thönernes, damit die Kinder darauf pfeifen können. Marx Rumpolts Kochbuch von 1581, Bl. 167b wählt zur Einlage in dieses Mehlmäuslein die Pflanzen Bertram, Borrag und U. Frauen Blätter. Noch älter ist folgende Notiz in der Inkunabel Kuchenmaistrey, o.O.u.J. Blatt 19. 20: ein gutz gebachen von Salvey. nim dür leutzbiren vnd mach sie schôn. seüd sie weich vnd stoss sie in einem morsser. bestreich ein saluenblat damit vnd deck ein anders daruber, druck sie auch sitlichen zusammen, dz sie auch bey einander bleiben. mach ein straubenteiglein mit honig vnd wein, zeuch es dardurch vnd bach es. Auch Fischart im Gargantua cap. 8 singt von dieser Nudel:

Bachen wir ein Küchelein,

Meuselein und Streubelein

Und trinken auch den kühlen Wein,

Kaku-kaka-nai,

Dass man fröhlich sei.

In A. Corrodi's Zürcher Idyll De Dokter (Winterthur 1860, S. 45) heisst es von der städtisch bereiteten gezuckerten Mausnudel:

Müsli, weischt, du kännsch es ja wol, sind gar nid z' verachte,

Wämmä de Zucker nid spart und wämmä cha gnueg devu esse.

Beim aargauer Landvolke im Frickthal und im Hallwiler Seethal wird nach beendigtem Kornschnitte dem Gesinde die Müslinudel aufgestellt, aus Kernenmehl, schmalzgebacken. Unter demselben Namen wird sie in Altbaiern demjenigen unter den Dreschern heimlich zugeschoben, auf den der letzte Drischelschlag gefallen war, und er heisst davon beim Dreschermahl scherzweise der Maushüter. Panzer, BS. 1, no. 405. In Frankreich schätzt man einen in Arras, Béthune und St. Quentin einheimischen Käse-Pfannkuchen Namens Ratons, beides bezeichnend, Ratte und Eierkuchen. Ein Steinbild in der Nürnberger Lorenzokirche mit einer eignen Sage wird für eine Ratte mit der Bratwurst angesehen. Schöppner, Sagb. no. 641.

Gertruds Name verräth sich zwar bei diesen Erntespeisen nicht, wohl aber werden die ihr geweihten Pflanzen und Wappenthiere in den weiteren Erntebräuchen, besonders beim Heuschnitt erwähnt. In Schwaben sammelt man am Himmelfahrtstage Mausöhrleinkraut, gnaphalium dioicum, und hängt es gegen Blitzschlag in Haus und Stall. Meier, Sag. 2, 399; in Baiern wirft man Frauenschühlein, melilotus, und Gertrudenkraut gegen Abwendung des Hagelschlags ins Sonnewendfeuer. Panzer, BS. 1, 212. Gertruds Wagen und Gespann ist in nachfolgenden Sagen hervorgehoben. In der Stadt Grimmen fährt in der Walburgisnacht ein mit vier Mäusen bespannter Wagen umher, dessen Kutscher hahnenfüssig ist. Temme, Volksag. von Pommern und Rügen 329. Hier ist in des Kutschers Gestalt Donars Erntehahn nicht zu verkennen. Beim Prinzessinnen- oder Teufelsstein, einem Felsblock bei Köpenick, erscheint abwechselnd der Geist eines alten Mütterleins, das gebückt am Stabe geht, oder einer Prinzessin, die ihr Haar kämmend sich im Spiegel des dortigen Sees beschaut und dreimal um die Köpenicker Flur getragen zu sein verlangt; dabei kommt ein schwer geladner Heuwagen heran, von vier kleinen Mäusen gezogen. Kuhn, Märk. Sag. no. 111. Bei Marne in Südditmarschen fliesst der Geldsot, in welchem ein Braukessel mit einem grossen Schatz versenkt liegt; nächtlich kommt dorten ein Fuder Heu gefahren, von sechs weissen Mäusen gezogen und vom Schimmelreiter begleitet. Letzterer aber ist bekanntlich Wuotan selbst. Bechstein, DSagb. no. 171. Wie hier der Geldsot eine Wunderquelle ist, so kennt solche nach Gertrud benannte Heilquellen besonders die Legende der Rhön- und Spessartgegenden, wo die Heilige als Karls des Grossen Tochter gilt. In den gekräuselten Wellen der Mainströmung glaubt man dorten nächtlicher Weile Gertrudens Fussspuren schimmern zu sehen;[21] wo sie zum Gebete niedergekniet hat im Felde bei Rohrlaha, bleibt die Stelle ewig unbebaut (Herrlein, Spessartsag. 68. 126. 127. 131.) Ihr daselbst kirchlich verwahrter Mantel wird Frauen umgehängt, welche Mütter zu werden wünschen. Das Gebet zu ihr lindert die Geburtsschmerzen und fördert die Geburten. Jac. Schmid, Leben hl. Hirten und Bauern, 3. Th. 52. Der Kinderbringer Storch ist daher unter ihren Attributen und sitzt an den ihr geweihten heilkräftigen Quellen. Zingerle, Gertrudenminne S. 50. Schöppner, Bair. Sagb. n. 976. In der Gertrudenkapelle zu Bamberg hörte jener Edelknabe, der auf den "Gang zum Eisenhammer" (Schillers Ballade) geschickt war, erst noch die Messe und entgieng darüber dem Tode. Schöppner, no. 207. Während sie auf Schloss Karleburg am Main einen Frauenconvent gründete, wurde ihrem Priester Atalong von Schulknaben die Stelle verrathen, wo die Leiche des hl. Kilian unrühmlich verscharrt in einem Rossstalle lag. Da Atalong dieser Nachricht misstraute, so liess ihn dafür der Heilige erblinden, stellte ihn jedoch alsbald wieder her, nachdem er einer ihm zu Theil gewordenen Vision Folge gegeben hatte. So meldet die alte Aufzeichnung (bei Ign. Gropp, Collectio Scriptor. Wirceburg. 799), ohne jedoch den Vorgang der Heilung Atalongs zu berichten; letzteres thut die lebende Sage. Gertrud gieng eines Tages von der Karleburg nach dem benachbarten Waldzell, an dessen Klösterlein sie Stiftungen gemacht hatte, und blieb erschöpft und dürstend in der Einsamkeit stehen, als plötzlich ein Storch vor ihr aufflog. Zur Stelle entsprang die Gertrudisquelle, deren Wasser kranke Augen heilt. Bavaria IV. 1, 493. Archiv des histor. Vereins von Unterfranken 13, 154.

Nun ist noch des Brauches zu gedenken, der altherkömmlich, weitverbreitet, und langandauernd gewesen ist: Gertrudis Minne zu trinken.

Der Germane weihte dem Angedenken (ahd. minni ist memoria) seiner Götter und Stammhelden bei Opfern, Hochzeiten, Abschiedsschmäussen feierlich den ersten oder letzten Becher. Wie die Alemannen eine Kufe Bier sotten, um sie auf Wuotans Minne zu trinken, meldet aus der ersten Hälfte des siebenten Jahrhunderts die Lebensbeschreibung des hl. Columban. Nach der Bekehrung trank das unter christlicher Hülle fortlebende Heidenthum "Krists, Michaels, Marien, Gertruden und Johannis-minni." Grimms Myth. 53 ff. hat darüber aus unsern einheimischen Quellen vom 11. Jahrhundert. an eine Reihe Belegstellen gesammelt, deren Ergebniss ist, dass es im Mittelalter vorzugsweise zwei Heilige waren, zu deren Ehre Minne getrunken wurde, Gertrud und Johannes der Evangelist. Dasselbe zeigt auch J.V. Zingerle's Schriftchen: Johannissegen und Gertrudenminne (Wiener Jahrbücher 1862). Heut zu Tage scheint diese kirchliche Sitte nur, noch für Johannis zu gelten (so z.B. im Kanton Wallis); Gertrudenminne zu trinken war in Holland und Belgien allgemein üblich gewesen und soll dorten aus Abscheu vor dem Andenken an den Verräther Gysbrecht abgekommen sein, dem sein Schlachtopfer, Graf Floris von Holland, vergeblich Gertrudenminne zugetrunken hatte. Wolf, Ndl. Sag. S. 699. Den Johannissegen pflegt man heute des Reiseschutzes wegen zu trinken; mit dem Gertrudensegen aber glaubte man für den Fall, dass der Scheidende von seiner Reise nicht mehr zurück kehre, sich eine gute Herberge jenseits zu sichern, da der abgeschiednen Seele ihre erste Nachtruhe eben bei St. Gertrud angewiesen ist; und darum wurde diese Heilige aus einer Seelenherrin später eine Patronin der Reisenden. Das Glas, aus dem man in den Niederlanden ihre Minne trank, hatte die Form eines Schiffchens (Wolf, Beitr. 2, 108), als Andeutung nicht bloss der weiteren Reisen, die man in den Niederlanden zu Schiffe machte, sondern jener weitesten, welche über den Todesstrom führt und unsern Ausdruck Absegeln für Sterben zur Folge hat. Von dieser Seelenüberfahrt handelt Deutscher Glaube und Brauch 1, 173, und dorten ist die redende Stelle aus einer Einsiedler Handschrift angeführt: "wenn die menschen sterbend, so far die sel durch das wasser." Darum auch zeigte das schon erwähnte Strassburger Kirchengemälde St. Gertrud mit zu Schiffe, und die Gertrudenlegende (A. SS. sec. II. pag. 465) berichtet, wie die Schiffer des Klosters Nivelles bei heiterem Wetter einem wundersam grossen Fahrzeuge begegnen, das sich rasch in ein stürmendes Meerungeheuer verwandelt und ihnen den Untergang droht, aber sogleich versinkt, als sie dreimal Gertrudens Hilfe anrufen. Aus solchem schiffähnlichem Trinkgeschirre schenkte Gertrud den Schatten den Erinnerungstrank, wie Freyja und ihre Walküren den Asen den Meth. Ein Nachklang an dieses in Walhall ausgeübte Mundschenkenamt liegt noch in der Gertrudenlegende der Bollandisten, A. SS. tom. I. ad diem VI. Januarii, wornach eine andere Gertraud, welche hier nur Venerabilis genannt ist, in ihren jüngeren Jahren Kellnerin in verschiednen Wirthshäusern Hollands gewesen war; sie trägt den Beinamen Von Osten, weil sie unter den Zechliedern der Wirthsgäste das geistliche Lied "Es taget auf von Osten" gedichtet und öfters hergesungen hat. Sie war ein Bauernkind aus dem Dorfe Voorburch, zwischen Delfft und Grafenhaag, trat mit ihren beiden Freundinnen Lielta und Diewardis, die gleichfalls Dienstmädchen gewesen, in das Beginenhaus zu Delfft und starb hier 1358. Bei andern Autoren wird sie abwechselnd eine Beata und Sancta genannt.

Die in der Figur Gertruds enthaltenen Züge der Walküre sind ausser ihrem schon anfangs erklärten mythischen Namen nachfolgende.

Sie ist des von ihr erwählten Mannes schützender Gefolgsgeist, seine Fylgja, lässt sich mit ihm in ein Ehebündniss ein, schützt ihn mit Gefahr ihres eignen Lebens vor den feindlichen und den höllischen Waffen, reitet für ihn ins Gefecht und hinterlässt ihm, wenn sie nach dem Schluss des Schicksals verschwinden muss, einen gesegneten Besitz und tüchtige Nachkommenschaft. Die elbische Waldfrau, welche des Hofbauern Untermoser Eheweib geworden war, hatte diesem untersagt, sie je um ihren Namen zu befragen. Einst aber war er Ohrenzeuge, wie ein an der Wiese vorbeigehendes Waldfräulein im Gespräche mit seinem Weibe dieses Gertrud nannte; unvorsichtig wiederholte er ihr diesen Namen und weinend musste sie hierauf Mann und Kinder für immer verlassen. Scheidend ergriff sie einen Eisenstab, stiess ihn ins Feld und sprach: So lange von dem Stecken noch eine Ader bleibt, wird jeder Untermoser gut hausen. Und dies Wort ist bis heute in Erfüllung gegangen. Panzer, BS. 2, S. 46. In Wolfs Ndl. Sag. no. 42 und 358 ist ein ähnliches Bündniss im Tone der Ritterzeit erzählt. Riddert von Berkhof hatte sich dem Teufel verschrieben, veranstaltete nach abgelaufener Frist seinen Freunden ein grosses Abschiedsmahl; trank ihnen zum Schlusse einen Becher Geerdenminne zu und ritt darauf der Linde beim Kirchhofe von Heppener entgegen, wo der Böse bereits seiner wartete; doch der Satan konnte ihm nichts anhaben, denn nun sass hinter Riddert die hl. Gertrud, deren Minne er vorhin getrunken, selbst mit zu Rosse. Dieser Vorfall war später in der Heppener Kirche künstlich gemalt zu sehen. Mittelhochd. Dichtungen tragen ähnliches auf die hl. Maria über, die als Schutzgeist eines Gefährdeten hinter ihm mit zu Rosse sitzt; mehrfache deutsche Sagen lassen sie sogar mit oder für den Schutzbefohlnen aufs Turnier ziehen und in Gefechten mitkämpfen. Wolf, Beitr. 1, 192, folgert daraus, dass Maria hier an die ursprüngliche Stelle der kriegerischen Frouwa getreten sei, welche als Valfreyja zwar auf ihrem Götterwagen mit zum Kampfe fuhr, allein als Vorsteherin der reitenden Walküren gleichfalls das Schlachtross besteigt und sich ins Schlachtgetümmel mischt; eben dahin sei denn auch jene Kirche in Vorderditmarschen zu deuten, deren Name ist Unse leve Fru up dem perde.


Im Jahre 1867 hat J.V. Scheffel, der Verfasser des Ekkehart, auf einem gallorömischen Grabfelde zu Rheinzabern das Stellfigürchen einer aus Terracotta geformten Maus nebst demjenigen eines Hähnchens ausgegraben und beides uns zu einem höchst schätzbaren Andenken übersendet. Der Fundort, das alte Tabernae Rhenanae, der ergiebigste an römischen Alterthümern in der ganzen Rheinpfalz, hat jüngst auch zur Entdeckung eines wohlerhaltnen Brennofens geführt; man erhob daselbst eherne Legionsadler, Broncefigürchen, Meilensteine, Münzen aus dem 4. Jahrhundert. Im benachbarten Orte Hert wurde 1829 ein dem unsrigen ganz gleiches Hähnchen aus Glas gefunden. Die Figur der Maus ist phallisch dargestellt und entspricht dadurch dem Hahn, dem Symbol der Regenerationskraft. Die Maus trägt eine Schelle um den Hals gebunden; denn nach Apollodor (Fragmente) wurde für Sterbende Erz an einander geschlagen und die Spartaner geleiteten ihre Könige unter Glockenton zu Grabe; "der Erzklang sollte die Seele reinigen und entzaubern von der Macht der Dämonen." Creuzer 4, 401. Ebenso verkündet das Krähen des Hahnes das Licht des neuen Tages.

Ein zweites Abbild, die Maus mit den vier Jungen, ist uns durch Hn. Hermann Brunnhofer aus Oxford überbracht worden. Die Figur ist aus ungesäuertem Teig gebacken und mit Eierklar glasirt. Die Landleute aus der Umgegend von Oxford pflegen derlei Brodfigürchen auf den dortigen Weihnachtsmarkt zum Verkauf zu tragen. Sie sind zwar nicht zum Essen bestimmt, sonder dienen als Zierat auf Thür- und Kamingesimse, finden aber ihr Ende zuletzt doch im Kindermagen.


FUSSNOTEN:

[13]

Selbst der altmexikanische Glaube schon schrieb vor: Ein Wechselzahn muss in ein Mausloch gelegt werden, sonst wachsen die Zähne nicht mehr. Waitz, Anthropol. der Naturvölker 4, 165.

[14]

Firmenich, Völkerstimm. 3, 112.

[15]

Simrock, Kinderbuch 1, no. 338. 340.

[16]

Simrock, Kinderbuch 1, no. 338. 340.

[17]

Curtze, Waldecker Volksüberlief. S. 285.

[18]

Alemann. Kinderlied.

[19]

Harun al Raschid träumte, alle seine Zähne seien ihm ausgefallen; der Traumdeuter erklärte dies dahin, der Monarch werde alle seine Verwandten überleben. Rosenöl, oder Sagen des Morgenlandes 2, 85. Das Wahrzeichen der indischen Todesgöttin Kali ist der schwarze Zahn, der alles benagende Zahn der Zeit.

[20]

In dem Gebetbuch Himmlisches oder Geheiligtes Jahr, Einsiedeln bei Reymann 1686, Erster Theil, ist unterm 28. März der hl. König Guntram abgebildet, schlafend unter einem Baume neben einem Bächlein. Ueber dieses legt der Kriegsknecht das Schwert, und die aus Guntrams Munde gekommene Maus läuft darüber dem Berge zu, der im Hintergrunde mit offnem Thore sich zeigt. Das dazu gesetzte Gebet ruft den hl. Guntram an, weil er seine Schätze den Armen geschenkt und dafür einen ihm von Gott im Schlafe gezeigten verborgnen Schatz erworben habe.

[21]

Die hl. Jutta von Sangershausen, erst eine Kammermagd der hl. Elisabeth von Thüringen, nachher Dienstmagd auf einem Hofe bei Kulm in Preussen, überschritt hier die grossen Teiche, die zwischen ihrer Wohnstatt und der Stadt lagen, jeden Sonntag, um rechtzeitig in die Messe nach Kulm kommen zu können. Noch lange nach ihrem Tode war ihre Fussspur in jenem Gewässer wahrzunehmen. Jac. Schmid, Kleine Ehehaltenlegend 2, 39. So sieht man in mondhellen Nächten auf den Wellen der Aare bei Gauenstein die Fusstapfen schimmern, welche hier Königin Berta zurückgelassen. Aargau. Sag. no. 2. Sämmtliches erinnert an Homers silberfüssige Thetis und goldenfüssige Hera.



Nachträge.

[Nachtrag 1]

Die Beschreibung, wie man bei der Feier der Maispiele den Sommer ins Land ritt und in Scheingefechten den Winter besiegte, hat ihre neueste Vervollständigung gefunden durch die drei Bildergruppen eines altdeutschen Teppichs auf der Wartburg, dessen Contouren im Anzeiger des German. Museums 1870, no. 3 mitgetheilt sind. Sie stellen die Berennung und Vertheidigung einer Burg durch Wilde Männer dar. Aus einem Laubwalde sprengen sechs Reiter hervor, Laubzweige schwingend, um Haupt und Lenden Epheukränze tragend, jeder auf einem phantastischen adlerklauigen Rosse, dem sg. Wasser- oder Pfingstvogel. Voraus reitet der Maikönig, kenntlich durch seine offne Goldkrone mit dem Ornamente der drei stumpfen Blätter, über welche sein Hirschgeweih emporragt. Daher heisst er in Oberdeutschland Hirzmontagreiter. Um die Hüfte trägt er einen Gürtel von Rosen. Er und sein Gefolge schiesst mit Pfeil und Speer Rosen in die gegenüberliegende Burg. Ihre Absicht steht auf den sie umgebenden Spruchbändern zu lesen.

Wol vf alle mine wilden man,

wir wellent festen und buirge han.


Schiessen alle, nieman lôss abe

an büte gewinnen, will einer habe.

Die angegriffne Burg ist mit einem Wassergraben umgeben, den ein vor den Sommerreitern her eilender Jüngling mit herbei getragnen Brettern zu überbrücken strebt. Von den Zinnen herab kämpfen fünf dicht in Wollenfliesse gekleidete Männer, die Winterkönige; denn auch sie tragen Kronen wie der Maikönig und schiessen und schleudern lauter Lilien. Ihr Burgwart am Söller stösst ins Rom; das Spruchband über ihnen besagt

Vnser vesten, die ist wol behůt

mit gilgen, klewen, rosenbůt.

Links im Bilde, woher die Reiter kommen, wird auf blumigem, von allen Frühlingsthieren belebtem Rasen ein grosses Lustzelt aufgeschlagen, in welchem die Maikönigin bereits Platz genommen hat. Auch sie trägt die offne Goldkrone im wallenden Haare. Ueber ihre Kniee ist ein Tafeltuch gebreitet, darauf Kopf und Schinken des zerlegten Ebers; zwei Gesellschafter bedienen sie.—Schon Friedrich Panzer hat im zweiten Bande seines Sagenwerkes auf Taf. IV die Gestalt des Wasservogels abbilden lassen, wie er sie auf einem Wandbilde zu Forchheim im dortigen alten Schlosse, jetzigem Rentamt, vorgefunden. Die 3 Fuss lange, 2 Fuss hohe Figur zeigt einen Reiter, in der Festmaske des Wasservogels agirend. Vor dem Gesichte hat er eine ungemein lang geschnäbelte Vogellarve, mit welcher ein wallender Kinnbart, ein massiver Ring im Ohre und auf dem Haupte die offene Krone verbunden ist, die gleichfalls das dreifache Blätterornament zeigt. Im Luft hängt ein kurzes krummes Schwert (das sg. Pfingstschwert), in der Linken schwingt er die Lanze, mit der Rechten lenkt er die aus Kettenblumen enggeflochtnen Zügel seines schwanenhalsigen Rosses. Ross und Reiter sind von Seerosen arabeskenhaft umrankt.

[Nachtrag 2]

Als man beim Bildersturm zu Zurzach 1529 die Verenareliquien untersuchte und vernichtete, fanden sich in einem Eisensärglein neben Rückgratstrümmern vier apfelgrosse Lehmkugeln. In den von mir eröffneten und beschriebnen heidnischen Waldgräbern zu Lunkhofen haben sich ganz gleiche Lehmkugeln in der Asche des Leichenbrandes vorgefunden und werden nun in der aargauer Alterthümersammlung aufbewahrt; vgl. Argovia V, 265.

[Nachtrag 3]

Das mhd. Gedicht von der hl. Verena nennt den Ort Zurzach Zerzyaca. Durch diese Namensform wird die sprachlich schon sich verrathende späte Entstehung dieses Gedichtes weiter bestätigt. Es leitet nemlich der Ortsname Certiacum ab von einem bei Egid Tschudi in der Gallia comata S. 137, und in Stumpfs Schweiz. Chronik erwähnten römischen Votivsteine zu Zurzach, welcher dem Junius Certus aus dem Voltinianischen Geschlechte von seinem gleichnamigen Erben gesetzt worden. Dieser Stein ist nachmals durch Unvorsichtigkeit zerschlagen, die oft citirte Inschrift aber längst als unecht erkannt worden.

[Nachtrag 4]

Die beiden Gefolgsthiere Gertrudens, Kukuk und Specht, gelten mancher Orten gleichmässig als weissagende Liebesboten. In Deutschböhmen entnimmt man aus dem Spechtschrei ein Wahrzeichen, ob man bald heiraten werde; der Specht hat es bestätigt, sagt man dann. Grohmann, Abgl. S. 70.


Wortregister.

[A] [B] [E] [F] [G] [H] [K] [L] [M] [O] [P] [R] [S] [T] [V] [W]

Ankenbrüt. [1]
Ankenschnittenprozession. [1]
Ara, Aarefluss bei Solothurn. [1]
arbaiz, Erbsen. [1]
Aufburg bei Zurzach, röm. Castrum. [1]

Becker und Beckerin, in Kukuk und Specht verwünscht. [1] [2]
Bilihildis, hl., aus fränkisch Veitshochheim. [1]
Brod,
den Elementen geopfert. [1]
Erntebrod. [1]
Eulogienbrod. [1]
gegen Tollwuth. [1]
gegen Wolfshunger. [1]
phallische Zweckbrode. [1] [2]
Brodkipf Verenas und Rategundis, in einen Kamm verwandelt. [1] [2] [3]
Brunnen Walburgis,
im Elsass. [1]
in Franken. [1]
in Holland. [1]
in Tirol. [1]
Brustbein Walburgis. [1]
Butterschnitte,
als Präservativ und Heilmittel. [1] [2]
bei kirchl. Prozessionen. [1]
Buttergewinn, zauberischer. [1]

Elben in Mausgestalt. [1]
Emmetsheimer Steinbild phallisch. [1]
Erntebrode. [1]
Ernteopfer. [1]
Eulogienbrod. [1]

Fadenziehen, ein Liebesorakel. [1]
Florina von Mazorit, die den Wintersturm stillende Flurheilige. [1]

Gertraud von Osten. [1]
Gertrud,
Verstorbene beherbergend. [1] [2]
zu Rosse. [1]
als Waldfrau. [1]
Gertrudenkirchen,
niederdeutsche. [1]
ostfränkische. [1]
Gertrudenkraut. [1]
Gertrudenminne trinken. [1] [2]
Gertrudentag, Kalenderregeln. [1] [2]
Gertrudenvogel. [1] [2] [3]
Gertrudens Fusstapfen in den Mainwellen. [1]
G's Mantel. [1]
G's Spindel mit den zwei Mäusen. [1]
G's Schiff als Trinkgefäss. [1]
G's Wagen. [1]
Gnadenstein Walburgis. [1]

Hagel, ein König. [1]
Hagelfeierpredigten. [1]
Hagelsquelle. [1]
Heiden- und Schönbrunnen. [1]
Heidenkirchen,
als spätere Walburgskirchen. [1] [2]
als spätere Verenakirchen. [1]
Heilquellen Verena's. [1]
Heilwag. [1]
Helgenbronn. [1]
Holpurga. [1]
Honigfall. [1]
Hund,
als Walburgis Gefolgsthier. [1]
als das anderer Göttinnen. [1]
als Speisenname. [1]
gegen Sturmwind und Kornbrand geopfert. [1]
Hühner, kirchlich geheiligte. [1]

Käsbrunnen. [1]
Kleinkinderbrunnen. [1] [2] [3] [4]
Kleinkindersteine. [1]
Klumpfüsse,
durch Walburg geheilt. [1] [2] [3]
Konstanzer Bisthumsgrenzen. [1]
Kornähre,
Mittel gegen Hundebiss. [1]
Mariae und Walburgis Emblem, [1]
das des hl. Oswald. [1]
Sinnbild von Obereigenthum. [1]
der Truden Zaubergestalt. [1]
Korngarbe, Walburgis Versteck. [1]
Kriemhiltengraben am Jung-Albis. [1]
Kukuk,
ein verwünschter Becker. [1]
auf dem Binsenstühlchen weissagend. [1]
als Lebensorakel. [1]
als Theuerungsprophete. [1]


Lehmkugeln,
in Heiligengräbern. [1]
in Heidengräbern, s. Nachträge.
Lebermeer. [1]

Maibad. [1]
Maiengericht, dessen Kostenbetrag. [1]
Maienthau,
abstreifen. [1] [2]
baden im Maienthau. [1]
Maienthau der Erdmännlein. [1]
kosmetisch. [1]
medicinisch. [1]
sprichwörtlich. [1]
zauberisch. [1]
Maigraf, Maigräfin. [1] [2] s. Nachträge.
Mailehen ausrufen, Fest der heidnischen Mainfranken. [1]
Mairitt. [1] [1]
Mauritius, Verenas Verwandter. [1]
Maus,
als Alb. [1]
vor Gericht geladen. [1]
als Ortsgeist. [1] [2]
als Pestthier. [1] [2]
als Seele wandernd. [1] [2] [3] [4]
als Sühnbild. [1]
als antikes Stellfigürchen in Gräbern. [1]
in Gestalt des Zweckbrodes. [1] [2]
als Stadtwahrzeichen. [1]
Maus weisse, geheiligt. [1]
Maustrank. [1]
Mausöhrleinkraut. [1]
Mäusegespann. [1]
Mäuse machen. [1]
Metzentanz in Zurzach. [1]
Minnetrinken. [1] [2]
Mühle als Ort der Liebesabenteuer. [1]
Mühlstein,
als Rechtsmittel bei der Abkunftsprobe. [1]
schwimmender. [1]
Müllerbräuche am Verenentage. [1]

Oel,
hl., ein Augenmittel. [1]
aus Heiligenknochen. [1] [2] [3] [4] [5] [6]
der Walburgishexen. [1]

Ortschaften des Namens Walburg. [1]
Oswald, Walburgs Bruder, ein gleichnamiges Ernteopfer. [1]
Osterbad, reiten ins. [1]

Pfeife, magisch wirkende. [1] [2]
Phallische Götterbilder, ihr Zweck. [1]

Reimsprüche beim Meienpflanzen. [1]
Richard, Walburgis Vater. [1] [2]
Rimleins- und Römleinsbrunnen. [1] [2]
Roggenähre, Mittel gegen tolle Hunde. [1]
Ross,
Gertrudens. [1]
Verenae. [1]
Rutscherzins. [1]

Schnecke, als Kukuk angerufen. [1]
Schuh,
goldner Walburgis. [1] [2]
Schuhwerfen als Liebesorakel. [1]
Schuhzins am Walberfeste. [1]
Silber geschabtes, gegen die Tollwuth. [1]
Solangia, die hl. von Villemont, den Flachsbau schützend. [1] [2]
Sommer,
den, ins Land reiten. [1] s. Nachträge.
Specht,
als Gertrudenvogel ein verwünschter Becker. [1]
ein verwandelter Gott. [1]
als Liebesorakel s. Nachträge.
Spindel,
der hl. Walburg. [1] [2]
der hl. Gertrud. [1]
Spinnverbot an Walburgis. [1]
Stärketrunk. [1]
Stillicidium Walburgs. [1]
Storch, Gertrudens Vogel. [1]
Strähl-Anneli. [1]

Teufelsstein in Verenae Einsiedelei. [1]
Thau abstreifen,
zu Milch- und Buttergewinn. [1]
als Mittel gegen Kornbrand. [1]
Thautrinken. [1] [2] [3]
Tobel-Vreneli. [1]

Valentinstag. [1]
Venes- und Vrenesberge. [1]
Venus in deutschen Orts- und Geschlechtsnamen. [1]
Venus-Vrene,
in dem mundartl. Tannhäuserliede. [1]
in den Ritterdichtungen. [1]
Die Venus- und Vrenenhäuser. [1]
Verena,
ihre Namensformen.
Niederdeutsch: Frû Frêen und Frû Frîen. [1] [2]
Rhätisch: Vereina. [1]
Schweiz: Frau Vrein. Frau Vrin. [1]
Verenabad. [1]
Ve. als Gebirgsriesin. [1]
Verenagrab, mit den aufgeopferten Brautkrönlein. [1]
Verenaloch:
zu Baden. [1]
im Entlebuch. [1]
auf der Schafmatt im Jura. [1]
Müllerpatronin. [1]
Schifferpatronin. [1]
Verenareliquien. [1]
Verenastift. [1]
Verenatag als Gerichtstermin; [1]
Gesundheits- und Wirthschaftsregeln. [1] [2]
Ve. als Weisse Frau. [1]
Verenae,
Bildsäulen. [1] [2] [3]

Dienstross. [1]
Fingerring. [1]
Geburtsgürtel. [1]

Heilquellen. [1] [2] [3] [4] [5]
Kamm und Krüglein. [1] [2] [3] [4]
Katze. [1]
Kapellen und Kirchen i.d. Schweiz. [1] [2]
Kapelle, ein Römercastrum. [1]
Kleinkindersteine. [1]
Kindersegen bescherend. [1]
vierzig Mehlsäcke. [1] [2]
Mühlstein. [1] [2]
Vrenelisgärtli, Gletscher am Glärnisch. [1]

Walber,
der Führer des Maienzugs:
in eine Korngarbe gebunden. [1]
ein Bergname. [1]
Riesenname. [1]
Walberbaum. [1] [2] [3]
Walbernthau. [1]
Walburg,
als Flur- und Ortsname. [1]
mundartl. Namensformen. [1] [2]
Die Heilige:
als Nichte Winfrids. [1]
als Heidengöttin. [1] [2]
als Riesin. [1] [2]
vor dem W. Jäger in die Korngarbe flüchtend. [1]
Walburga Westfalica. [1]
Walburgis-kirchen,
als Heidenkirchen. [1] [2] [3]
als Römercastrum. [1]
Ortskirchen. [1] [2]
hl. Quellen. [1] [2]
Reliquien:
Brustbein, ölschwitzend. [1] [2] [3]
Stab. [1]
in Wittenberg und Köln. [1] [2]
im Auslande. [1]
Schönheitswettstreit. [1]
Spindel und Goldschuh. [1] [2]
Steinernes Venusbild. [1] [2]
phallisch dargestellt. [1] [2]
Wildgans. [1]
Walburgistag,
als ungebotne Gerichtszeit. [1] [2]
Sage von der auf diesen Zinstag fallenden Befreiungsgeschichte der Landschaft:
in Thüringen. [1]
in Unterwalden und Friesland. [1]
in Ostpreussen. [1]
Walper,
Anna, als Hexe inquirirt. [1]
Walperherren, Walpermännchen und -zins. [1]
Zug nach Walpern. [1]
Wasserkirchen. [1]
Wasserfrauen. [1]
Wasservogel, s. Nachträge.
Wechselzahn, der Maus geopfert und der Sonne. [1] [2]
Wiborada, die hl. v. Klingnau. [1]
Wîhegazza. [1]
Wilibald,
der hl.:
Walburgis Bruder. [1]
ein Hüne. [1]
Wilibalds-Brunnen und -Ruhe. [1]
Wolbersaue, Schloss in Ditmarschen. [1]
Wolbermai. [1]
Wolbrygabend. [1]
Wolfszahn, Amulett. [1]
Wunna und Wunnibald, Mutter und Bruder Walburgis. [1]





End of the Project Gutenberg EBook of Drei Gaugöttinnen, by E. L. Rochholz

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works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook's
eBook number, often in several formats including plain vanilla ASCII,
compressed (zipped), HTML and others.

Corrected EDITIONS of our eBooks replace the old file and take over
the old filename and etext number.  The replaced older file is renamed.
VERSIONS based on separate sources are treated as new eBooks receiving
new filenames and etext numbers.

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     https://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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EBooks posted prior to November 2003, with eBook numbers BELOW #10000,
are filed in directories based on their release date.  If you want to
download any of these eBooks directly, rather than using the regular
search system you may utilize the following addresses and just
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     98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90)

EBooks posted since November 2003, with etext numbers OVER #10000, are
filed in a different way.  The year of a release date is no longer part
of the directory path.  The path is based on the etext number (which is
identical to the filename).  The path to the file is made up of single
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example an eBook of filename 10234 would be found at:

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