*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 48558 ***

Meine
Lebens-Erinnerungen.

Ein Nachlaß
von
Adam Oehlenschläger.

Deutsche Originalausgabe.

Zweiter Band.

Leipzig
Verlag von Carl B. Lorck.
1850.


[5]

Fahrt nach Kiel.

Hamburg, den 12. August 1805.

Endlich, liebe Christiane! sitze ich nun im römischen Kaiser in der Stadt Hamburg, und ergreife die Feder, um rasch zu erzählen, was ich langsam ausgestanden habe. Montag vor acht Tagen bestieg ich das Packetboot, das mich ans feste Land bringen sollte. Wir mußten den ganzen Tag still liegen, da nur ungünstige Winde wehten. Meine Reisegesellschaft bestand aus einem jungen Kaufmanne aus Amsterdam, einem Officier aus Schlesien, einem alten Branntweinbrenner, einem jungen zukünftigen dito von 20 Jahren mit einem Gemüth von 70, und dem lustigen Sohne des lustigen Kanalinspektors Schjott, der nicht den Mund aufmachen konnte, ohne etwas Lustiges zu sagen. Die französischen Schauspieler Theodor und Caleis und Theodor's kleiner, wilder, verzogener, zwölfjähriger Sohn, der schwedisch reden konnte, und kleine Figuren aus Papier mit Geschmack und Fertigkeit ausschnitt, deren er mir eine zum Souvenir gab, waren auch dabei. Außerdem war noch ein fader Hamburger Commis da, ein Engländer, ein Pole und eine kranke verdrießliche Madame. Da hast Du die Bewohner der Cajüte. Außerdem war das Deck voll von jüdischen und christlichen Landstreichern; im Ganzen mochten wir Summa Summarum etwa 70 Seelen sein. Den nächsten Tag hatten wir auch keinen Wind, sondern mußten langsam kreuzen. Nun zeigte sich bereits Mangel an Proviant und der Schiffer mußte die Nothflagge aufziehen, worauf zwei Boote von Kastrup auf Amager kamen, die einen Theil unserer Passagiere ans Land brachten. Die[6] Kähne hatten volle Ladung und ein großer Theil der Passagiere nicht minder. — Erst Sonnabend Vormittag erreichten wir Kiel, nachdem wir 5½ Tage unterwegs gewesen waren. Das Wetter war schön; der Mond schien in der stillen Sommernacht über die große Wasserfläche dahin, während ich auf dem Verdecke mit den Franzosen Lieder sang. Am Tage unterhielten wir uns, spielten Karten und dann las ich in Peder Paars. In Kiel verabredete ich mit meiner Reisegesellschaft, eine Tour nach dem neugegrabenen Kanal zu machen. Aber ich verspätete mich; die Andern waren fort, als ich kam. Ich ließ mich nach Dorfgarten übersetzen, wo ich Thee trank und Herrn German traf, der mit den beiden jungen Grafen Ahlefeld, welche mir sehr freundlich alle Spaziergänge der Stadt zeigten, die Universität bezogen hatte. Von meinem kleinen Theodor nahm ich in Kiel Abschied und schenkte ihm eine kleine Brieftasche zum Souvenir. Nun reiste ich durch den schönen Theil von Holstein und kam an ein hübsches Städtchen. Als ich den Wirth nach dem Namen fragte, sagte er: „Unser Fleckchen wird Preetz genannt,“ also der Geburtsort der lieben Tante Drewsen, eben so freundlich und lieb, wie sie selbst ist. Sonntag Vormittag kamen wir nach Lübeck, frühstückten etwas und reisten gleich weiter, um noch vor Abend in Hamburg zu sein.

Brief aus Halle.

Halle, den 17. September 1805.

Beste Christiane!

Der Augenblick ist gekommen, wo ich Dir mittheilen muß, was ich bisher verschweigen zu müssen glaubte. Wozu ein langes Präludium zwischen uns, die wir uns kennen und verstehen? Gutes Mädchen! bei aller Liebe und allem Eifer für meine Kunst hat mein Herz doch niemals vergessen, was es Dir schuldet. Den Dichter aufzugeben, um Ehemann zu werden — keiner von uns wollte, daß ich das thäte; Beides zu vereinen betrachteten sowohl Freunde wie Feinde als einen schönen Traum, aber zuweilen steckt doch Etwas in den Träumen. Ich weiß[7] nun mit Bestimmtheit, daß die Regierung Etwas für mich, als Dichter, thun will. Ich hatte meine poetischen Schriften dem Kronprinzen dedicirt, hatte einen vortheilhaften Eindruck auf Schimmelmann gemacht; nun mußte das Eisen geschmiedet werden, so lange es warm war. Aber was war zu thun? um eine Stelle anzuhalten? welche? Ich wollte ja unterstützt, als Dichter belohnt sein, und dieses konnte nur auf eine Art geschehen, indem ich um ein Reisestipendium nachsuchte. Das that ich denn auch; aber beim Abschiede konnte ich es Dir nicht sagen, weil ich fürchtete, es würde einen zu heftigen Eindruck auf Dich machen. Dazu kam, daß ich ja nicht wußte, ob meine Bitte erfüllt werden würde. Geschah es nicht, wozu Dir dann einen doppelten Kummer bereiten; erst durch den Abschied, dann wegen eines verunglückten Plans? Alle unsere Freunde und Freundinnen wußten es, nur Du nicht, nun weißt Du es. Vor einigen Tagen erhielt ich folgenden Brief von der Direction des Fonds ad usus publicos:

„Se. Königl. Hoheit der Kronprinz, dessen Aufmerksamkeit Nichts von einiger Bedeutung entgeht, das in einer oder der andern Beziehung zur Ehre und zum Ruhme des Vaterlandes und seiner Literatur beiträgt, hat sich durch das Schreiben, mit welchem Sie Höchstdemselben ein Exemplar der Gedichte zustellten, mit denen Sie vor Kurzem unsere poetische Literatur bereichert haben, veranlaßt gefunden, der Direction aufzutragen, sie möge Sie auffordern, daß Sie ihr eine bestimmtere Angabe der Reise einsenden, die Sie nach fremden Ländern zu unternehmen wünschen. Eine solche Reise ist für das wahre poetische Genie, welches das wichtige Studium des Menschen, der Natur und der schönen Kunst nicht aus den Augen verliert, von nicht geringerer Bedeutung als für den Gelehrten im Allgemeinen, und man darf hoffen, daß Herr Oehlenschläger daraus wahren Vortheil für die Literatur des Vaterlandes zu schöpfen wissen wird.

Schimmelmann.Reventlow.

[8]

Ich kenne Deine uneigennützige und reine Liebe, meine gute Christiane, so genau, daß ich überzeugt bin, dieser Brief wird Dich freuen, obgleich der Gedanke an eine längere Abwesenheit Deinen Augen Thränen entlocken wird.

Springforbi[1], den 13. September 1805.

Vor Allem, was ich Dir zu sagen habe, liegt mir Nichts so sehr auf dem Herzen, als Dir zu versichern, wie unendlich lieb mir die Nachricht war: „Oehlenschläger hat ein Reisestipendium bekommen.“ Ehe ich weiter gehe, muß ich Dir recht innig für die Vorsicht danken, mit der Du die längere Reise vor mir geheim gehalten hast, bis ich den ersten Kummer überwunden hatte. Alle Deine Freunde haben Dir hierin auch treu beigestanden, außer ***, welcher fürchtet, daß Du Dir unterwegs den Hals brechen werdest, was, wie er meint, auf solchen Reisen leicht möglich ist. Du weißt, er liebt es oft, an verkehrte traurige Möglichkeiten zu denken. Die Ueberzeugung, daß Deine Reise Dir ebenso angenehm wie nützlich sein wird, und die Hoffnung, daß sie Deine Gesinnung gegen Deine Christiane nicht ändern werde, soll mich während Deiner Abwesenheit aufrecht erhalten und trösten. Gesegnet sei der Augenblick, wo Du Deinen Entschluß faßtest, gesegnet sei Jeder, der zu dessen Ausführung beitrug. — —

Braunschweig.

Deine Christiane.

Auf dem Wege von Hamburg nach Halle wohnte ich in Braunschweig einigen Akten von Cherubini's herrlichem „Wasserträger“ bei, welcher daselbst französisch aufgeführt wurde. In Halberstadt sah ich zum ersten Mal in meinem Leben ein katholisches Kloster. Ein freundlicher Mönch führte mich umher und meine lebendige Theilnahme erfreute ihn. Das Interesse, welches die katholischen Kirchen durch die Werke der neuern[9] Schule für mich bekommen hatten, fand hier reichlich Nahrung. Ich hatte mich bisher damit begnügen müssen, mich in dem Roeskilder Dome in eine längst verschwundene Zeit zu versetzen; hier lebte diese Zeit noch. Ich vergaß den Postwagen vollständig. Glücklicherweise hörte ich das Posthorn vor der Kirche schallen und mußte die kühlen Hallen verlassen, die hübschen Bilder und den freundlichen Mönch, um wieder in der heißen Sonnengluth auf der staubigen Landstraße dahinzufahren.

Ein Universalgenie.

Ein Reisegefährte in der Diligence amüsirte mich. Seiner eigenen Versicherung nach hatte der tausend Vollkommenheiten. Er war Officier gewesen, hatte Reisen nach Smyrna und Sibirien gemacht; er war Poet, und hatte Göthe, Schiller und Wieland zu Lehrmeistern gehabt. Göthe hatte seine Romanze in Wilhelm Meister „der Sänger“ gedichtet, als er ihn einmal auf der Mandoline spielen gehört hatte. Er war auch Philosoph und lieferte Recensionen in mehrere Journale. Aber sein eigentliches Fach war die Philologie, doch componirte er auch. Jetzt war er im Begriff seine Familie zu besuchen, die er seit vielen Jahren nicht gesehen hatte. Dies Letztere schien wahr zu sein; und je näher er seinem Geburtsorte kam, destomehr verdrängten Wahrheit und natürliches Gefühl alle eingebildeten Vollkommenheiten. Als er endlich zur Stadt hineinfuhr, war er ein ganz bescheidener, gemüthlicher Mensch. Ich reiste nach Quedlinburg mit einer ganzen Familie, Vater, Mutter und einigen reizenden Kindern. Ich glaube der Mann war Postmeister dort in der Stadt. Keins der Kinder war noch bisher da gewesen, wo sie nun ihre Wohnung aufschlagen sollten. Sie hatten vor Kurzem den Heerd verlassen, wo sie geboren waren und die ersten Tage der Kindheit verlebt hatten. Wo aber eine glückliche Familie auf Zufriedenheit und ein hinlängliches Auskommen innerhalb ihrer vier Wände hoffen darf, da fühlt sie sich bald zu Hause. Es schien, als ob der Vater bei dieser Beförderung sehr gewonnen habe, und Alle waren munter und zufrieden. Es war ein schöner Abend. „Sieh[10] Vater,“ rief der kleine Junge, als wir uns der Stadt näherten, „das sind die Thürme von Quedlinburg!“ Für mich, der ich die häuslichen Freuden liebe, der ich wie ein armer Vogel mein Nest verlassen hatte und auf fremdem Zweige saß, war es natürlich sehr angenehm, ein liebliches Stilllebenidyll auf dem Postwagen mitten auf der staubigen Landstraße zu finden. Es wird es mir also Keiner verdenken, daß ich in Quedlinburg, mit der Freude Anderer beschäftigt, nicht nur meinen eigenen Kummer, sondern auch meinen eigenen Koffer vergaß; welchen Verlust ich erst am nächsten Sonntag Morgen in Halle entdeckte.

Giebichenstein.
Stillleben bei Reichardt's.

Ein alter Diener sagte mir, daß Steffens und seine Frau in Giebichenstein bei Reichardts seien, und daß man mich daselbst erwarte. Ich schrieb gleich einen Brief nach Quedlinburg, um meinen Koffer wiederzuerhalten. Der Diener lieh mir ein reines Halstuch, und so mußte ich in den Reisekleidern, in denen ich Tag und Nacht im Postwagen gesessen hatte, meinen Einzug bei Reichardts halten.

Sie empfingen mich Alle sehr freundlich. Nach Giebichenstein, das von Halle ungefähr so weit liegt, wie Friedrichsberg von Kopenhagen, kamen Steffens und seine Frau an jedem Sonntage. Mit Schleiermacher machte ich hier auch Bekanntschaft. Reichardt selbst war etwas kalt und zurückhaltend, aber sehr höflich; seine Töchter kamen mir ebenso wie Hanne mit schwesterlicher Freundschaft entgegen. Frau Reichardt war still und sanft; sie schien sehr hübsch in ihrer Jugend gewesen zu sein. Ich fühlte mich in dem schönen Giebichenstein bald heimisch, wo Reichardt mit Geschmack einen hübschen Garten angelegt und ein nettes Gartenhaus gebaut hatte. Hier gab ich bald den Mädchen Gelegenheit mich auszulachen. Denn mitten in der besten Unterhaltung schlug ich mit der Hand nach Etwas: „Was ist das,“ fragte die Eine. „Ach —“ antwortete ich, — das ist eine Gemse, die mich stechen will.“ — Ich wollte sagen: „Bremse!“ — Später neckten sie mich oft damit, indem sie sagten: „Oehlenschläger! wehren Sie sich, da ist wieder eine[11] Gemse!“ Ich sprach noch sehr schlecht deutsch; sagte oft zu den Damen: „will Sie“ statt: „wollen Sie“, und machte Peer's Worte in Jakob von Tyboe wahr, daß der Teufel in dem Der, Die, Das stecke; das konnte man fast in vierzehn Tagen nicht lernen. Reichardt führte mich selbst in seinem großen Garten umher; er hatte seinen Kutscher und seinen Diener aus dem Waldhorn blasen lehren lassen und Abends bliesen sie oft im Gebüsch einige seiner Compositionen. Besonders gefiel mir die schöne einfache Melodie zu Göthe's: „Im Felde schleich ich still und wild.“ Oft musicirte der Vater am Pianoforte mit seinen Töchtern. Dann wurden mehrere Gesänge von Göthe mit Reichardt's Compositionen, und alte italienische Kirchengesänge von Lenardo Leo gesungen. Louise, die älteste Tochter, war wehmüthig und schwärmerisch; ihr Bräutigam, ein talentvoller, junger Maler, war in Rom gestorben; Alles was sie noch von ihm besaß, war eine kleine Copie von Raphael's Transfiguration; diese hing über dem Pianoforte, und sie ließ oft ihre großen braunen Augen (das einzige Schöne, das ihr neben einer schönen Gestalt die Pocken gelassen hatten) darauf ruhen, wenn sie mit schöner Stimme die alten katholischen Messen sang. Ihre Schwester Friederike, ein Mädchen mit Rosenwangen, blonden Haaren und blauen Augen, wurde während ich da war, mit Karl von Raumer, dem Bruder des Historikers, verlobt, und dieser kenntnißreiche, feurige Jüngling wurde bald mein Freund. Sophie war noch immer ein kleines, schelmisches Kind und der kleine vierjährige Fritz, der auf seinem Steckenpferd nach Lauchstädt ritt, war eigentlich der freundliche Hausgeist des Ortes.

Nach Lauchstädt fuhr ich ein paar Tage nach meiner Ankunft in Halle mit Steffens und hatte die Freude, zum ersten Male hier die Schauspieler von Weimar zu sehen. Ich merkte bald, daß Göthe's und Schillers Geister über ihnen schwebten. Sie spielten Picard's Parasit, von Schiller übersetzt, und der vortreffliche Becker gab diesen Character bis zur Vollkommenheit gut.

[12]

Erstes Zusammentreffen mit Göthe.

Wir besuchten an einem frühen Vormittage Göthe, der sich einige Tage in Lauchstädt aufhielt. Sein schönes, kräftiges Gesicht erfreute mich und flößte mir Ehrerbietung ein. Die braunen Augen erquickten mich, in denen ich zu gleicher Zeit Werther's Gefühl, Götz's gutherzige Kraft, Faust's Tiefsinn, Iphigenia's Seelenadel und Reinecke's Schalkhaftigkeit zu lesen glaubte. Er kannte Etwas von meinem Aladdin. Wilhelmine Wolf, eine Tochter des großen Philologen, hatte von dem nun verstorbenen Etatsrath Gjerlew, als er in Halle war, dänisch gelernt; sie hatte Göthe Noureddin's ersten Monolog übersetzt. „Wenn ich einen Dichter rasch kennen lernen will,“ sagte er zu mir, „so lese ich einen seiner Monologe, darin spricht sich sein Geist sogleich aus.“ Er lobte das Motiv des Noureddin, welchen Aladdin als einen Lotteriejungen gebrauchen will, der ihm mit verbundenen Augen das große Loos ziehen soll. Wie gern hätte ich länger mit diesem großen Manne gesprochen, aber die Höflichkeit gebot uns abzubrechen; er bat mich, ihn in Weimar zu besuchen.

Als wir zur Thür hinaustraten und wieder in der freien Luft standen, waren Steffens' und meine Gefühle sehr verschieden. Ich war entzückt, Göthe zum ersten Male gesehen zu haben, darüber, daß er mich als Dichter gelobt hatte; Steffens aber war entrüstet, daß er uns nicht zu Mittag eingeladen hatte, da wir doch nur seinetwegen nach Lauchstädt gekommen waren. Ich leugnete nicht, daß mir dies eine unendliche Freude bereitet haben würde; aber gerade weil sie so groß gewesen wäre, fand ich mich mit der Geduld in mein Schicksal, mit der wir Sterbliche uns allmälig daran gewöhnen, der irdischen Glückseligkeit zu entbehren. Aber Steffens schalt auf Göthe's Vornehmthuerei und Egoisterei. Ich leugnete nicht, daß trotz all' des Einnehmenden, das ich bei ihm gefunden hatte, etwas Stolzes, Abgemessenes und Kaltes da war — das nicht der Dichternatur anzugehören schien. Es versteht sich von selbst, daß das Gefühl der Gastfreundschaft etwas abgestumpft werden muß, wenn ein[13] großer Mann an einem Orte lebt, an dem er häufig von Fremden heimgesucht wird. Die Bequemlichkeit verlangt — und die Oekonomie gebietet oft Einschränkung, aber Steffens war ein ausgezeichneter Mann, Göthe hatte selbst den jungen Dichter gelobt, den er zum ersten Male sah, und der aus einem fremden und unbekannten Lande kam; — er brachte seinen Tag in Lauchstädt ganz allein zu, stand sich gut, und konnte wohl den einen Tag zwei geistig Verwandte speisen, die sich nur nach dem Mannabrote seines Mundes sehnten. Nun mußten wir uns mit einer kurzen Ministeraudienz begnügen und wieder gehen. Glücklicherweise hatte er mich gebeten, ihn in Weimar zu besuchen. Dieß tröstete mich, aber die Höflichkeit kam nicht Steffens zu gut. — Merkwürdig ist es übrigens als ein Zug in der Göthe'schen Characteristik, daß er mir einige Monate darauf, als ich das Glück hatte, ihn auf eine kurze Zeit zu gewinnen und ihm zu gefallen, gestand, er hätte uns damals gern eingeladen — und er wisse selbst nicht, warum er es nicht gethan habe; aber ich weiß es jetzt: es war eine Art Geiz, nicht auf Geld, sondern auf Freundlichkeit; es war eine geistige Knauserei in der geheimen Furcht: daß zu Viel drauf gehen und daß ich zu Viel von — dem großen Göthe auf einmal bekommen würde.


„Jesus in der Natur.“

Während meines Aufenthaltes in Halle ging ich täglich an den Ufern der Saale entlang. Es ist eine wunderliche Natur in der Gegend; keine eigentlich steilen Berge, außer einigen jenseits des Flusses; aber der Boden selbst ist lauter Stein, so daß man auf einer Granitebene geht, während man sich auf hügelichem Felde zu befinden glaubt. Die alte Ruine jenseits des Flusses auf dem Berge versetzte mich in das Mittelalter zurück; man zeigte mir das Loch hoch oben auf der Mauer, von dem aus Ludwig der Springer mit außerordentlicher Kühnheit sein Leben gerettet haben soll. Auf diesen einsamen Wanderungen dachte ich oft mit Wehmuth[14] an mein Vaterland und meine Freunde und schrieb mein Heimweh.

Meine „poetischen Schriften“ wurden ziemlich stark gelesen, obgleich ich von meinem Freunde H. C. Oersted, der es übernommen hatte mein Commissionär zu sein, hörte, daß sie nicht so stark gekauft wurden. Aladdin machte viel Glück; das allegorische Gedicht: „Jesus in der Natur“, brachte verschiedenartige Wirkungen auf die Gemüther hervor. Christiane schrieb mir:

Den 4. October 1805.

Karen Margrete (Rahbek) hat eine Einweihungsrede von Balle (damals Bischof in Seeland) in die Hände bekommen, in der sich ein achselzuckender Ausfall gegen Dich befindet. Ich will Dir die Stelle abschreiben:

„Aber man will wissen, daß die Geschichte Jesu zur Malerei über die verschiedenen Aenderungen der Natur bestimmt sei. Sie soll nur abbilden aber nicht erzählen: eine Goldgrube für Dichter, aber keine Quelle, um die Begriffe über wahre Religion aufzulösen. O Gott! welche Verwirrungen! Mit gleichem Rechte verwende ich jede andere Erzählung, sowohl aus den Begebenheiten des Alterthums, wie den Ereignissen der Gegenwart und all' unser Wissen verschwindet gleich dem Rauch und Dampf am sternlosen Lufthimmel.“

In einem: „Zuschauer“ mit einem Lobgedicht an Dich von Jens Müller, der, wie Du Dich entsinnen wirst, zugleich mit Dir eine Abhandlung über die nordische und griechische Mythologie schrieb, hat Rahbek in einer Note „einem der eifrigsten Freunde des Christenthums“ versichert, daß er den Dichter auf das Vollständigste mißdeute, wenn er glaube, daß dieser in der Geschichte Jesu nur eine Goldgrube für die Poesie finde, und daß es Dich tief schmerzen würde, Dich von einem Manne verkannt zu wissen, vor dessen Eifer für das Christenthum Du eine bis an Enthusiasmus grenzende Hochachtung habest.

In dem erwähnten Zuschauer hat Rahbek Beschuldigungen[15] zurückgewiesen, die man ihm über das Schweigen machte, mit dem er vorher an Deinen Gedichten vorübergegangen ist; daß dies nämlich nicht für Gleichgültigkeit und Furcht, seine Meinung zu sagen oder dergleichen Aehnliches angesehen werden müsse. Er hat sich lange bei Aladdin, den er sehr hoch zu stellen scheint, aufgehalten, und viele Stellen abgedruckt; doch größtentheils um Deine Fertigkeit zu zeigen, mit der Du die Sprache nach Deinem Willen zwingst, und hat für ein anderes Mal mehr versprochen.


Hatte „Jesus in der Natur“ dem damaligen Bischof Seelands mißfallen, so fand er einen kräftigen Fürsprecher in dem zukünftigen Bischof J. P. Mynster. Dieser hatte mir versprochen, meine „poetischen Schriften“ zu recensiren; in einem Briefe von ihm, den 19. Juli 1805 schreibt er:

Habe Dank für Deine Gedichte, die mich sehr erfreuten. Daß Etwas darin nicht ganz nach meinem Sinne ist, wird Dich nicht wundern; wie mir aber sehr viel darin zusagt, wirst Du, so Gott will, erfahren, wenn ich darüber Etwas schreiben sollte. Das ist nicht so leicht und rasch gethan; denn die erste Begeisterung die ein Gedicht erweckt, ist nicht kritischer Natur, und es ist nicht so leicht zu sagen, warum das Gute gut ist. Besonders wird es mir schwer werden, gute und verständige Worte über das Gedicht „Jesus“ zu sagen, da ich hierzu nicht die Philosophie des Christenthums, ja kaum Fragmente derselben liefern kann. — Was Du über unsere Pflicht, nicht zu schweigen sagst, ist gerade dieselbe Stimme, die in meinem Innern spricht. Ich habe daher auch die Absicht, so Gott will, meinen Mund aufzuthun, und zwar auf verschiedene Arten, aber erst zu versuchen, welch' ein Echo meiner Stimme antworten wird; aber ganz vergebens soll es doch nicht sein; denn ich weiß, daß ich zu den Berufenen gehöre, und ich strebe Tag und Nacht unter Wachen und Gebet, auf daß ich auch einer der Auserwählten werde. Gott zum Gruß! — Aus dieser Recension wurde nun[16] freilich nichts. Mein edler Freund fühlte sich später mehr gestimmt, das, was er von meinen Werken, namentlich von „Jesus in der Natur“ hielt, in einem Gedicht auszusprechen, worin sein Geist sich von dem Dichter zu dem Himmlischen emporschwingt.


Guter Humor meiner Umgebungen.

An der Munterkeit und Ausgelassenheit, mit der ich im Gespräch und in den Briefen mit meinen Lieben gern den ernsten Ton unterbrach, nahmen sie auch oft Theil. Frau Rahbek hatte einen natürlichen Hang zu Dergleichen und selbst unser lieber Prediger würzte das tägliche Gespräch mit satyrischer Schelmerei. In einem Briefe von Frau Rahbek, den ich in Halle bekam, schildert sie mir eine Reise, die sie und ihr Bruder zu Mynster nach Spiellrup vorhaben. Ihren Bruder Carl Heger nennt sie „Hufe“ nach Hufeland, dessen Buch über die Verlängerung des menschlichen Lebens, Carl Heger, der immer eingebildet krank war, sehr gründlich studirt hatte. Er fürchtete stets von all' den Krankheiten angesteckt zu werden, die ihm nahe kamen. Wir neckten ihn damit, daß er einmal geglaubt habe, er habe das Kindbettfieber, als es grassirte. Dr. Professor Mynster, der Bruder des Predigers, war der innige Freund dieses herrlichen Menschen und hatte sehr viel Nachsicht und Geduld mit Carl's Wunderlichkeiten, denen er doch selbst gewöhnlich einen so komischen Anstrich gab, daß sie durchaus nicht ermüdend waren. Einmal sagte er zum Professor Mynster: „Ich befinde mich wirklich nicht wohl; willst Du mir nicht Etwas aufschreiben.“ „„Ja““ — sagte Mynster und schrieb ihm ein Recept. Carl sah es an und sagte mit saurer Miene und etwas bedenklich: „Ja, ist das nun aber auch gut?“ — „„Ja““ — entgegnete Mynster, mit dem ihm eigenen süffisanten Humor — „„das ist das Beste; willst Du lieber das Nächstbeste haben, so kann ich Dir das auch aufschreiben.““

Briefe aus der Heimath.

Frau Rahbek schrieb mir im October nach Halle:

„Ich kann mir denken, wie angenehm Sie leben, und muß[17] es daher um so liebenswürdiger von Ihnen finden, daß Sie trotzdem Heimweh fühlen, und besonders gefällt es mir, daß Sie uns das in so schönen Versen gesagt haben. Aber da wir gerade vom Reisen sprechen, kann ich Ihnen erzählen, daß Hufe und ich einen großen Reiseplan im Kopfe haben. Hier steht nämlich ein kleines Pferd und ein kleiner Wagen, die einem guten Freunde gehören, und da wir Erlaubniß haben, diese Equipage zu benutzen, so beabsichtigen wir, in 14 Tagen zu Job[2] hinauszureisen. Aber nun ist der kleine Umstand dabei, daß nur zwei Menschen auf dem Wagen sitzen können, und daß also einer von uns kutschiren muß. Das wird nun natürlich Hufe thun; aber er hat früher nie kutschirt, und obgleich er sich in diesen Tagen sehr darin übt, indem er an einem Bindfaden zieht, den er an ein Fenster gebunden hat, und der den Zügel vorstellen soll, so glaube ich doch, daß er ein kleines Schreckfieber bekommen wird, wenn es im Ernst ans Fahren geht. Wir wollen nicht weiter, als bis nach Kiöge fahren; dort werden wir Postpferde nehmen, und unser Rößlein stehen lassen, bis wir zurückkommen. Hier glaubt Keiner daran, daß wir zwei Cujone so Etwas unternehmen werden, und ich kann nicht leugnen, daß selbst ich es etwas gewagt finde; doch ist mir vor mir selbst nicht so bange, wie vor ihm. Wenn wir nach Spielderup kommen, so haben wir die Absicht, uns als zwei Schlächter zu melden, die von Kopenhagen gereist sind, um sich Rindvieh anzusehen. Könnte man so leicht nach Halle kommen, so sollte es gewiß nicht lange dauern, ehe ich da wäre.“


Von meinem Vater erhielt ich kurz bevor ich von Halle abreiste, als Antwort auf einen Brief, den ich ihm lange schuldig gewesen war, folgende Zeilen:

[18]

Liebster, bester Sohn!

Als ich Deinen lieben Brief bekam, erwachte der böse Gedanke in mir, Dich eben so lange warten zu lassen, wie ich hatte warten müssen; aber leider trat das Vaterherz gleich dazwischen, und so schwand auch dieser Vorsatz. Wie unendlich es mich freut, daß es Dir gut geht, brauche ich Dir wohl nicht zu versichern. Wenn Du nur ebenso zufrieden mit Deinem Stipendium sein könntest; aber guter Adam! Du weißt ja wohl, daß viele der hohen Herren Vorsteher in dieser Gemeinde wollen, daß die Natur sich mit Wenigem begnügen soll, und sie mögen ihre triftigen Gründe haben; denn, wo Nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. Von mir sollst Du bekommen, was ich Dir versprochen habe, nämlich 100 Thaler jährlich. Ich wollte, ich könnte mehr thun, aber in diesen theuren Zeiten, wo ich doch auch eine Haushaltung führen muß, ist es mir ohne einen Glückszufall, der mich doch noch nie betroffen hat, unmöglich[3]. Uebrigens mußt Du, bester Junge! zuweilen an Deiner Lampe reiben, und, wie ich höre, hast Du es bereits gethan. Wenn nur nicht die Theaterdirection hinten ausschlägt, und Du einen Schlag vor die Stirn bekommst, wie weit Du auch entfernt sein magst. Daß Du Dich nach Deiner Heimath sehnst, ist natürlich, und, guter Adam! das natürliche Liebesband zerreißt erst im Tode. Wenn ich zuweilen allein dasitze, zum Fenster hinausschaue und des Morgens die Sonne aus dem Meere aufsteigen sehe, da bete ich mit gerührtem Herzen zu dem Allgütigen, und danke ihm, daß ich noch Dich und Sophie habe; und dann rollt oft eine Thräne der Liebe für Euch über meine Wangen, und besonders für Dich, Du Armer! der so allein, fern von mir dahin ziehen muß. — Gleich nachdem ich Deinen Brief erhielt war ich bei dem guten alten Etatsrath Heger und der kleinen Christiane und las ihnen denselben vor, was große Freude verursachte.[19] Als ich fortging, liebkoste sie mich; ich drückte sie an mich, und sie sagte: „Du bist jetzt der einzige Oehlenschläger, den ich noch habe.“ — Das liebe Mädchen! aber Du, mein guter Sohn, darfst nicht eifersüchtig werden; das würde Dir Nichts helfen. Karen Margrete ist noch immer der Schelm, der sie stets war; wir kommen zusammen und machen uns gegenseitig zum Narren. — Ich lebe hier, wie ein altes Uhrwerk, einen Tag wie den andern, außer wenn die verwünschten Bêtes im l'Hombre bei alten Freunden des Abends etwas lange dauern. Daß ich viel zärtliche Grüße für Dich von Deinem leiblichen Vater, Deiner Schwester und allen Verwandten und Freunden habe, kannst Du Dir wohl denken. Aber vor allen Dingen sage Professor Steffens und seiner Frau meinen Dank für ihre Güte gegen Dich und sage Ihnen, daß ich wünschte, ihrem Sohne, wenn er herkommt, dieselbe Freundschaft bezeugen zu können; was nicht unmöglich ist, da ich noch zwanzig Jahre zu leben hoffe[4]. Na, guter Adam! habe ich nun nicht genug mit Dir geplaudert? Aber ich höre Dich sagen: man spricht gern mit alten Freunden; und darin hast Du Recht; denn wir Zwei kennen uns doch am längsten. Lebe wohl, guter Junge! Der Allmächtige bewahre und erhalte Dich, das wünscht Dein Vater

J. C. Oehlenschläger.


Achim von Arnim.

Achim von Arnim besuchte Reichardts auch in diesem Herbst. Er hatte kurz vorher mit Brentano sein Wunderhorn herausgegeben, aus welcher Sammlung Reichardt uns Abends oft Etwas vorlas. Er las gut, besonders trug er die Fischpredigt des heiligen Antonius vortrefflich vor. Achim's edle Gestalt und sein schönes Gesicht, seine Liebe zum Mittelalter und sein Vertrautsein mit demselben machten ihn mir lieb, obgleich seine eigenen Arbeiten mir nicht schmecken wollten; sie waren[20] mir noch zu inhaltlos. In seinem reifern Alter hat er in mehreren Erzählungen ein schönes Talent an den Tag gelegt. Ich entsinne mich noch eines herrlichen Herbstabends, wo wir in Giebichenstein zusammen auf den Kirchhof gingen und die alten Grabsteine betrachteten, und als wir zum Thee nach Hause kamen, Reichhardt mich erfreute, indem er mir Klopstocks: „Willkommen, o silberner Mond!“ zu dem er eine seiner besten Melodien geschrieben hatte, vorsang.

Nun sing ich aber auch wieder an, mehr in der gegenwärtigen und in der jüngstvergangenen Zeit zu leben. Ich sah nicht ein, warum die Phantasie nur bei dem Mittelalter weilen sollte. Jetzt liebte ich auch wieder die Lessing'sche Verstandes- und die darauf folgende Gefühlsperiode. Denn hatte man damals auch viele verknöcherte Vorurtheile Verstand, und später viel Fades Gefühl genannt, so lebten wir nun wieder in einer Zeit, in der jede elende Phantasterei, wenn sie nur einen Rittermantel über die schwachen Schultern warf, für Poesie gelten wollte, und in der man, ziemlich barbarisch, jedes weiche Gefühl als eine moderne Affectation auszuschelten und zu verachten begann.


Lafontaine.

Eines Tages war ich mit Steffens bei einem andern Professor, ich weiß nicht mehr, welchem, in Gesellschaft. Dort war ein dicker, lustiger Mann, der eigentlich den Mittelpunkt für die gesellschaftliche Unterhaltung bildete; er erzählte viele Anecdoten sehr gut (doch nicht so gut, wie Rahbek), war überhaupt sehr gesprächig und fidel mit den Meisten der Gesellschaft. Aber Steffens verhielt sich ziemlich schweigend, obgleich er zuweilen lachte, wenn dieser Mann etwas Schnurriges sagte. Ich konnte es demselben auch ansehen, daß er sich vor Steffens verlegen fühlte, daß dieser ihm nicht behagte und er sich deshalb auch nicht an mich als Steffens' Freund wandte. Ich nahm Steffens bei Seite und fragte: „Wer ist der Mann?“ „Das ist Lafontaine“, war die Antwort. Lafontaine! der Romandichter, der mir in meiner[21] frühesten Jugend so viele Thränen gekostet hatte! in dessen Erzählungen ich in jenem Alter ebenso verliebt war, wie viele Jahre darauf in Walter Scott's! der meine sentimentalen, erotischen Gefühle entwickelt, gepflegt, genährt und übertrieben hatte! — Dieser Mann, den ich vergöttert — und später nach echter Jünglingsart verachtet hatte, als ich einen andern poetischen Glauben annahm und zur Fahne der romantischen Schule schwor! dieser Mann saß hier als ein lustiger, lauter Gesellschaftsbruder, aß gut, trank gut, ohne daß man die leiseste Spur jener Geistesrichtung fand, die in seinen Erzählungen so monoton hervortritt! — Aber wie sollte sie auch hervortreten? für wen sollte der altmodische, dicke, rothwangige Prediger seufzen, in wen verliebt sein, mitten in einer Herrengesellschaft? Doch machte er keinen vortheilhaften Eindruck auf mich, obgleich ich, wie bereits bemerkt, kein so eifriger Romantiker und Anhänger der neuen Schule war, wie einige Jahre vorher. Dieses Doppelwesen gefiel mir nicht, und die Unmöglichkeit, im wirklichen Leben den Ton fortzusetzen, der in seinen Schriften so vorherrschend war, zeigte handgreiflich, wie unnatürlich und überspannt er sei. Denn wenn gleich das Ideale und das wirkliche Leben sehr verschieden von einander sind, so braucht sich ein schöner und großer Geist doch niemals in der Gesellschaft der Menschen so zu verleugnen und zu verwandeln, wenn das Ideale, was er sucht, nicht aus der Luft geholt ist.

In spätern Jahren habe ich es wieder versucht, einige von Lafontaine's Romanen zu lesen, aber sie waren mir zu sehr Milch und Wasser. Nicht das Gefühlvolle darin mißfiel mir, sondern gerade das Laue, Schlaffe, das Alltägliche im Gefühl. Es ist ein prosaisch knabenhaftes, kein poetisch männliches Gefühl. Später habe ich seine Lebensbeschreibung gelesen und diese schien mir eben so matt und schlecht erzählt wie die Iffland's. Ich besuchte ihn also nicht, obwohl sein hübsches Haus recht anmuthig auf einer Höhe vor Halle lag. Aber oft ging ich hinaus und setzte mich in Hölty's Stuhl, einen Steinsitz im Felsen an[22] der Saale und dachte an die schönen Lieder: „Wer wollte sich mit Grillen plagen“ und „Ihr Freunde hängt, wenn ich gestorben bin, die kleine Harfe hinter dem Altare auf,“ in denen sich tiefe Wehmuth mit einem liebenswürdigen Streben nach Munterkeit und einer schönen Seelentiefe vereinigt.

Halle selbst war mir nur ein schwacher Ersatz für Kopenhagen. Die schmalen, schlecht gepflasterten Straßen, die vielen Braunkohlen gaben dem Ganzen ein trauriges, finsteres Colorit, und ich konnte das blaue Meer und die seeländischen Buchenhaine nicht vergessen.

Oft betrachtete ich im Vorübergehen dass große Rolandsbild aus Carl's des Großen Zeit, das auf dem Markte wie ein steinernes Gespenst aus dem dunklen Alterthume dastand und menschlicher Größe spottete. Hätte ich damals daran gedacht, daß der unglückliche Struensee in Halle geboren und erzogen war, so würde auch dies seine Wirkung gethan haben.


Schleiermacher.

Zuweilen machte ich lange Wanderungen. Mit Steffens, Schleiermacher und den beiden Raumers ging ich an einem heißen Sommertage auf den hohen Petersberg. Als wir uns der Ruine oben näherten, wunderte ich mich über einen seltsamen Laut; es war mir, als hörte ich viele Menschen einen Kirchenpsalm in der Burgruine singen. Und es war wirklich so. Mitten in der Ruine stand eine Kirche, die voll von Menschen war, da es gerade Sonntag war und Gottesdienst abgehalten wurde. Ich hörte einen mir aus meiner Kindheit wohlbekannten Psalm, den sie über die alten Marmorsärge der entschlummerten Landgrafen dahin sangen; und diese Verbindung der Vergangenheit und Gegenwart rührte mich außerordentlich. Mit dem verständigen Schleiermacher verlebte ich angenehme Tage. Er bekam Lust Etwas von meinen dänischen Gedichten kennen und Dänisch zu lernen. Ich fing an, ihm Vaulundurs Sage und Freia's Altar zu übersetzen und er war der Erste,[23] der mich aufmunterte, ein deutscher Dichter zu werden. Er wiederum las etwas Griechisch mit mir; er las mir den ganzen Oedipus in Kolonos vor, um mich mit dem characteristischen Wohlklang der Sprache vertraut zu machen; er übersetzte mir das Stück Wort für Wort und lehrte mich das griechische Silbenmaß recht kennen und verstehen; wovon ich später, als ich Solger's Sophokles fleißig studirt hatte, in meinem: Balder der Gute, Gebrauch machte.

Diese Strenge der Uebersetzung in der Form, die oft an Pedanterie streift, welche dem gewöhnlichen Leser mißfällt, nützt gerade dem Dichter, der der griechischen Sprache nicht mächtig ist, und doch gern so viel als möglich ihren Klang, Tact und ihre Formen kennen lernen will. Für den wahren Dichter ist es leicht, sich alles dieses in einer lebhafteren und schöneren Natürlichkeit zu denken. Solger war gewiß ein besserer Philolog als Philosoph. Seinen Erwin, in dem er der Ironie als dem Höchsten der Poesie huldigt, habe ich nie verstehen können, und ich sehe nun aus Hegel's Aesthetik, daß dieser ihn angreift und tadelt.

Ich hörte in Halle Steffens' Vorlesungen über Naturphilosophie, Schleiermacher über Ethik und den berühmten Wolff über Archäologie. Mit Schleiermacher ging ich oft spazieren.

Es amüsirte ihn zuweilen, meinen allzukühnen Behauptungen mit schelmischer Ironie zu begegnen; er übersetzte gerade damals an seinem Plato. Er war mein Sokrates und ich beschuldigte ihn im Scherz, er wolle mich zu seinem Alcibiades machen; obgleich ich diesem weder in dem Heroischen noch in dem Schlechten glich. Schleiermacher war ein kleiner, hagerer Mann. Ein jugendliches Wesen fand man bei ihm nicht; aber er war edel. Als er mir auf seinem alten Klaviere einmal den Herrenhuter Psalm vorspielte: „Mach' uns unschuldig, wie die kleinen Blumen in des Frühlings Heiligthum“, gewann er mein Herz und behielt es seitdem immer. Die Tochter des gelehrten Professors Wolff, Wilhelmine, eine schöne, große, blühende Blondine,[24] hatte ein freundliches Wesen; sie konnte, wie gesagt, etwas Dänisch, und da sie eine Freundin der Frau Steffens war, sah ich sie oft im Hause bei uns. Mit ihrem Vater entsinne ich mich nur einziges Mal gesprochen zu haben. Merkwürdig ist's, daß er, der große Philolog, der es so weit in fremden Sprachen gebracht hatte, der einzige war, der mir davon abrieth, Deutsch zu schreiben; er meinte, man könne nur in einer Sprache Dichter sein. Abstract genommen, werden die Meisten ihm gewiß Recht geben, und Wolff, bei dem doch eigentlich das Griechische und Lateinische stets im Gegensatze zu seiner deutschen Muttersprache war, und der vom Dänischen gar nichts verstand, mochte sich wohl zu einer solchen Meinung befugt fühlen. Er wußte, daß er mit all' seiner Gelehrsamkeit und seinem philosophischen Genie doch niemals Grieche oder Römer werden könne. Er wußte, daß ein großer Unterschied zwischen einem Deutschen aus dem 19. Jahrhundert und einem Griechen aus Perikles', einem Römer aus Augustus' Zeit stattfand. Aber er vergaß, daß der Däne und Deutsche Germanen, sie beide Brüder eines Hauptstammes sind, mit fast gleichen Characteren, Neigungen, Gefühlen und Ansichten, daß sie in demselben Zeitalter, einander nahe und in steter, geistiger Verbindung leben.

Erwachende Lust Deutsch zu dichten.

Noch hatte ich außer einigen Kleinigkeiten nichts Deutsches geschrieben; aber ich fühlte doch bald, daß es nicht lange dauern würde, bis ich in den Besitz einer Sprache käme, die meinen Leserkreis auf 40 Millionen Menschen mehr ausdehnte und mir die Freude bereitete, ausgezeichneten Männern wieder Etwas von den Producten meines Geistes mitzutheilen, um einigermaßen all' das Herrliche zu vergelten, das ich von ihnen empfangen hatte. Ja, ich fühlte mich bald so begeistert, auch Deutsch, das zwar nicht meine Muttersprache, aber doch meiner Mutter Sprache und die meiner Väter war, zu schreiben, — daß ich zwei Jahre darauf meinen Aladdin übersetzte.


[25]

Hakon Jarl.

Darüber vergaß ich aber doch nicht das Vaterländische. Der stille Herbst und der Anfang des Winters in dem einsamen Halle trieb mich im Gegentheil mit dem Gefühle, welches ich in meinem Heimweh ausgesprochen hatte, wieder nach dem Norden hoch hinauf. Glücklicherweise fand ich in der Universitätsbibliothek von Halle ein Exemplar von Schiönning's Folio-Ausgabe von Snorro Sturleson's Heimskringla! Ich fing gleich an, sie mit so großem Eifer zu lesen, wie man aufbewahrte Briefe von einem lieben Jugendfreunde, den man verlassen hat, liest; und kaum war ich etwas über Harald Schönhaar's Geschichte gekommen (an der ich ein paar Jahre früher hängen geblieben war), so fand ich in Hakon Jarl's Sage einen Stoff, der sich mir vortrefflich zur Bearbeitung zu eignen schien. Ich hatte diesen Stoff bereits einmal als Romanze behandelt, aber es schien mir als verdiene er mehr. Steffens und ich saßen in einem Zimmer bei einem Ofen. Er arbeitete in dem einen Winkel bei seinem Schreibtische an einem philosophischen Werke, — ich hatte mir einen kleinen Tisch ans Fenster hingeschoben, wo ich schrieb. Jedes Mal wenn wir, er einen Paragraphen seiner Abhandlung, und ich eine Scene fertig hatten, lasen wir uns das Ausgearbeitete gegenseitig vor. Auf diese Weise wurde Hakon Jarl in sechs Wochen gedichtet. Er gefiel Steffens sehr.

Schiller's Jungfrau von Orleans.
Schiller's Braut von Messina.

Ich hatte zum Theil gefürchtet, daß Steffens nicht mit meiner Tragödie zufrieden sein würde, da er damals Schiller verwarf. Als tragischer Verfasser war es mir Pflicht, Nothwendigkeit, Bedürfniß geworden, diesen großen Tragiker von Neuem zu studiren. Die eine Zeitlang stark glänzende Autorität der neuern Schule hatte mich — gegen die Stimme meines Herzens — dahin gebracht, Schiller zu verlassen. Es ist bekannt, daß weder Tieck, Novalis, noch beide Schlegel ihn für einen wahren großen Dichter gelten ließen, — obgleich er — als Göthe's und Wilhelm von Humboldt's Freund und als Schriftsteller von so großer Popularität — stets mit einer gewissen Achtung behandelt wurde, die doch hauptsächlich darin bestand,[26] daß man ihn nicht tadelte, sondern größtentheils ganz still von ihm schwieg, während man jeden Augenblick Göthe vergötterte und Tieck lobte. Zum Theil war wohl Schiller selbst Schuld daran, indem er sich zu sehr von den Neueren entfernte. Und doch, obgleich er die romantische Richtung in der Poesie verwarf, hatte diese, ohne daß er es merkte, Einfluß auf ihn; er schrieb eine Tragödie, die er selbst romantisch nannte: „Die Jungfrau von Orleans“, und noch mehr — er brachte in seiner „Maria Stuart“ im Mortimer eine mißglückte Copie von Tieck's Golo in der Genovefa. Das Romantische konnte Schiller nicht glücken. Die Mischung von Naivetät, Schwärmerei, Ausgelassenheit, Sinnlichkeit, in der das Erotische und die Phantasie das Triebrad ist — lag außerhalb seines Wesens. Große Charactere konnte er schildern, tiefen Ernst, hohes Gefühl vermochte er darzustellen, originale Situationen und dramatische Handlungen zu erfinden, herrliche Gedanken entstanden in seinem Kopfe und sein edles Menschenherz konnte sie mit hinreißender Begeisterung ausdrücken; ruhiger, männlicher Tiefsinn erfüllte seine Werke; aber — es ging ihm eben so wie Michel Angelo im Verhältniß zu Correggio — in den romantischen Farbentopf konnte er seinen Pinsel nicht tauchen. Wollte er sich auf diese Weise bewegen, so war es als ob der Ritter im Harnisch Jäger werden, vom Pferde springen und mit schweren Stiefeln auf Abenteuer durch den Wald streifen wollte. Das Lustige, das eigentlich Erotische, Geschmeidige fehlte Schiller. Die Tragödie, die Jungfrau von Orleans ist nicht romantisch; daß sie auch keinen Anstrich von französischem Colorit hat, mußte die Folge davon sein, daß ein Deutscher mit Schiller's tief-ernstem Character den Gegenstand behandelte. Und doch wurde sie von allen geistvollen, poetischen Lesern und Zuschauern — die nicht durch die Vorurtheile einer Schule verblendet waren — für ein Meisterstück erklärt und ist auch ein solches. Die Jungfrau von Orleans selbst, Jeanne d'Arc, ist mit ihrer idyllischen Umgebung in ihrer prächtigen Heldennatur unvergleichlich gezeichnet. Schiller hat die Ehre der[27] edlen Jungfrau gerettet, hat dem Bilde in der Geschichte den Geistesadel wieder gegeben, den Voltaire — einem frechen Satyr gleich — sich nicht entblödete, in seinem hohen Alter mit leichtfertigem Spotte zu besudeln. Und doch schämte A. W. Schlegel sich auch nicht, Shakespeare's Schilderungen der pucelle in Heinrich VI., wo er den schmählichen Lügen englischer Chronikenschreiber blind folgt, über Schiller's Raphael'sche Heldenmadonna zu stellen. — Die neuere Schule nannte also die Jungfrau von Orleans einen mißglückten romantischen Versuch, ohne die großen Schönheiten zu achten, die weder Tieck, Novalis, noch selbst Göthe im Stande gewesen wären hervorzubringen. Wahrscheinlich durch dieses Verkennen zu einer entgegengesetzten Richtung geführt, schrieb Schiller später eine Tragödie in theils griechischen Formen: „Die Braut von Messina“, wobei er sich in eine schiefe Theorie verirrte, wie der Dichter stets thut, wenn er die Reflexionen und den kalten Begriff über dem Genie und dem natürlichen Gefühle herrschen läßt. Hätte er einen Heldenstoff aus dem germanischen Alterthume auf diese Weise behandelt, so würden der griechische Chor und die einfache Anordnung in der Handlung ihre Wirkung gethan haben; es wäre natürlich erschienen; denn die alten griechischen, germanischen und skandinavischen Heldenzeiten gleichen einander. Aber hier verband jene Form sich mit einer modernen Intrigue; es wurde eine unnatürliche Vermischung von Alterthum und Gegenwart (sowie in der Jungfrau von Orleans der Aberglaube des Mittelalters sich mit dem Verstandselement der Gegenwart auch nicht recht amalgamirte) — und dies genügte der herrschenden Schule, dieses Werk als verunglückt zu verwerfen, — obgleich es in der Nation seine Wirkung durch unvergleichliche Characterschilderung und einen Dialog hervorbrachte, der dem Dichter den Rang eines großen Dichters gegeben haben würde, wenn er nie etwas Anderes als die Braut von Messina geschrieben hätte. Glücklicherweise schrieb Schiller vor seinem Tode sein Meisterstück: „Wilhelm Tell“, in dem weder das Romantische noch das Antike[28] ihn verlockte — sondern wo er einen vaterländischen Stoff auf die historisch gründliche und doch poetische Weise behandelte, mit der er in seinem Wallenstein begonnen hatte. Daß auch Wilhelm Tell von Vielen getadelt wurde, weil man meinte, der fünfte Akt sei ein hors d'oeuvre, da er nicht die Handlung fortsetzte, sondern (was hier gerade von höchster Wichtigkeit war) den Gegensatz zwischen einem verbrecherischen Meuchelmörder (Parricida) und Einem, der einen Todtschlag aus edlem Beweggrunde begeht, (Tell) — in einem herrlichen dramatischen Verhältniß zu einander zeigte — das war ganz in der Ordnung, und gehörte mit zur Tadelsucht der damaligen Zeit gegen so vieles Schöne, die einer Periode folgte, in der man so vieles Unschöne bewundert hatte.

Steffens als Gegner Schiller's.

Auch mein lieber, höchst poetischer Steffens theilte damals noch die Vorurtheile der poetischen Schule gegen Schiller, was mir sehr leid that; besonders als er einmal anfing Wilhelm Tell in der Gegenwart eines jungen Schweizers, eines seiner Zuhörer, vorzulesen, das Buch aber mitten während der Vorlesung, so daß es auf den Boden hinfiel, mit den Worten fortwarf: „Das kann ich nicht länger aushalten.“ Ich konnte es auch nicht länger aushalten und ging auf mein Zimmer. Steffens folgte mir auf dem Fuße. Sein Zorn gegen Schiller galt eigentlich mir, weil er wußte, daß ich großen Werth auf Wilhelm Tell legte, und da er sich noch nicht von der alten Gewohnheit losreißen konnte, meinen Geschmack beherrschen zu wollen, so betrachtete er meine stumme Mißbilligung als einen vermessenen Aufruhr und verfolgte mich. Ich hatte vorausgesehen, daß dieß geschehen würde, und um eine heftige Scene zu verhüten, schloß ich die Thüre ab; aber unglücklicherweise war es eine Glasthür. Als er nicht gleich herein kommen konnte, schlug er die Scheiben ein, öffnete die Thür von innen und fragte mich nun erbittert, ob ich ihn aus seinem eigenen Hause ausschließen wollte? Dies war der Culminationspunkt des Zornes; denn kaum hatte ich ihm einige freundliche Worte gesagt und ihn daran erinnert,[29] er möge sich hüten, seine Frau zu erschrecken, die hochschwanger war, so umarmte er mich brüderlich, schwamm in Thränen und küßte mich. Eine so wunderbare, leichtbewegliche Natur war Steffens, aber höchst liebenswürdig, poetisch, gedankenreich, originell. Ich habe keine ähnliche Natur gekannt. In Manchem glichen wir uns; ich war auch hitzig, hatte aber doch mehr von dem, was die Franzosen gros bon-sens nennen. Die augenblickliche Inspiration strömte stets über seine Lippen, ich verschloß meine Begeisterung mehr für meine Werke; in muntern Einfällen und poetischen Phantasieen begegneten wir uns unablässig, und dies gab unserm Zusammenleben einen großen Genuß und eine sehr angenehme Erquickung. Aber in seine Einseitigkeit konnte ich mich nicht länger finden. Auch Lessing's Nathan und Voß' Louise vertheidigte ich aufs Neue mit vielem Eifer, Lessing hatte ich niemals aufgegeben und gegen den Tadel der romantischen Schule, daß man ihn zu kalt verständig fand, hatte ich bereits in meiner Langelands Reise Etwas an Lessing mit den Worten geschrieben:

„Sag' wer lehrte Dich selbst den Verstand romantisch zu machen?“

Bei diesem Verhältniß war es um so merkwürdiger, daß Steffens nicht verstimmt gegen mich wurde und mich etwa durch Lauheit gegen meinen Hakon Jarl bestrafte. Im Gegentheil, er legte großen Werth darauf und dies war ein Zug seines guten Herzens; denn ein Anderer von seiner Klugheit, ohne sein Herz, würde genug zu tadeln gefunden haben, wenn er einmal Den tadeln wollte, der ihm oft genug schroff widersprach.


Aufnahme Hakon Jarl's.

Ehe ich weiter reise wird es meine Leser vielleicht interessiren, Etwas über die Wirkung, welche Hakon Jarl in der Heimath hervorbrachte, und über die Annahme des Stückes zu hören. Ich war im hohen Grade gespannt, ehe ich Etwas von dem Schicksal des Stückes wußte und fürchtete, daß es ebenso, wie Freia's[30] Altar verworfen werden würde. Schleiermacher tröstete mich an dem Abend, wo Steffens uns das Stück vorlas und sagte, daß er, obgleich er sich nicht große Begriffe von der Theaterdirection mache, doch 4 Groschen gegen 10 Louisd'or wetten wolle, daß das Stück angenommen werde. Dies war mir um so wichtiger, als mein Reisestipendium, 500 Thaler, forderte, daß ich mir durchaus Etwas dazu verdienen müsse, wenn es genügen sollte. Ich hatte durch H. C. Oersted zwei Exemplare an die Gräfin Schimmelmann geschickt und hoffte, daß sie es für mich einreichen würde; die Gräfin aber, welche wahrscheinlich fühlte, wie komisch es sei, wenn Hakon Jarl einer Dame seine Einführung auf der Bühne verdanke, sandte Oersted das eine Exemplar zurück; er ließ es mich wissen und ich schrieb nun gleich einen Brief an die Direction. Hierauf erhielt ich die Antwort, daß sie das Stück zur Aufführung angenommen habe, selbst wenn der Verfasser dieselbe unbedingt ohne Veränderung fordere; da das Stück aber viel zu lang sei, so wolle sie mir sagen, was sie weggelassen wünsche, ohne, wie sie glaube, dadurch dem Ganzen zu schaden. Hierunter war nun: „Die Scene, in der Grib König spielt“, die Nichts mit der Haupthandlung zu thun habe, und eines so langen Zwischenraumes bedürfe es nicht, damit Bergthor seine Tochter einschließen könne. Eine Scene mit Karker brauche auch nicht so lang zu sein, „um Karker's Dummheit zu schildern, die ja so schon deutlich genug sei.“ „Einar's und Hakon's Scene würde Schwierigkeit bei der Aufführung finden, wenn der sichere Schuß gesehen werden solle, wo nicht, so würde die Scene ohne Effekt auf der Bühne sein.“ Auden's Offenbarung wünschte man auch weggelassen, die große Masse der Zuschauer würde sie uninteressant finden. Es würde dem Theater auch höchlich conveniren, und das Interesse des Publikums für den Helden nicht verringern, wenn Thora's letzte sentimentale Scene fortbliebe. Endlich ließ man mich wissen, daß vor Hakon Jarl ein anderes Originalstück (Die Danen-Frauen, von Möller) eingeliefert sei, welches gleich diesem einen Theil Unkosten[31] erfordere; daher müsse die Aufführung des Hakon Jarl ausgesetzt bleiben, bis die Theatercasse im Stande sei, so viele Ausgaben zu machen.

So kam ich doch noch ziemlich gnädig davon. Der Geist, — wenn ich mich dieses Ausdrucks bedienen soll — in diesem Schreiben der Theaterdirection war Prof. Kierulf, ein sehr braver, gelehrter, in vielen bürgerlichen Dingen vernünftiger Mann, aber kein Schöngeist. Er konnte es wohl nicht vergessen, daß ich vor 10 Jahren als Knabe auf der Schulbank saß, wo er mich in der Geschichte examinirte. Daß er damals sehr zufrieden mit mir war, hatte er dagegen wahrscheinlich über den tollen Verfasser des tollen Freia's Altar vergessen. Ich fand es sehr natürlich, und habe in viel spätern Jahren ähnliche Schulmeistereien und Zurechtsetzungen von einem jüngern ähnlichen Kritiker geduldet, der später selbst zugestand, daß meine Schriften viel zu seiner Bildung beigetragen hätten.

Daß Hakon Jarl in meinem Familien- und Freundeskreise Freude und Begeisterung hervorrief, kann man sich denken. Christiane schrieb mir:

„Donnerstag kamen alle Deine Herrlichkeiten an; am Abend war ich bei Oersted, um Sophie Deinen Brief zu zeigen. Wir beschlossen gleich, daß Hakon Jarl am Sonntag Abend vorgelesen werden solle. Ich übernahm es sofort, nach dem Hügelhause hinauszuschreiben, um zu hören, ob es Rahbek Recht sei, und bekam die Antwort, die ich längst geahnt hatte: daß Rahbek auf eine so lange Reihe von Abenden keine Zeit habe, daß wir uns den Gedanken aus dem Kopf schlagen müßten, das Stück von ihm lesen zu hören. Karl schwor Stein und Bein, daß er es nicht lesen könne; aber nachdem er sich lange besonnen hatte, sagte er, daß er es verteufelt gern möchte. Ich bereitete ihn darauf vor, daß Vater mit zu Oersteds kommen wolle; da erschrak er sehr und meinte, daß Vater sagen würde, er lese jämmerlich vor; da aber Karen Margrete und ich ihn trösteten, so faßte er Muth. Er ging gleich zu Doctor Oersted hin, um[32] das Stück durchzusehen um so bekannt damit zu werden, daß er wenigstens die Handschrift ohne Stockung lesen könne; Du kannst Dir aber leicht denken, daß, je mehr er las, ihm umsomehr angst und bange wurde, und er an demselben Abende ganz den Muth verlor. Von dem Augenblicke an, wo er versprochen, es uns vorzulesen, hatte er nichts Anderes im Kopfe, als die schwere Arbeit, die er übernommen hatte. Jeden Augenblick schlug er einen andern Menschen vor, von dem er schwur, daß er das Stück tausend Mal besser lesen könne als er selbst. Rosing lag ihm immer im Kopfe.“

Hier will ich Carl Heger's eigenen Brief mittheilen:

„In einem beständig steigenden Freudenrausch über Alles, was ich nun seit drei Tagen über Dich und von Dir gehört habe, Du herrlicher Junge! habe ich gelebt, und lebe ich, so zu sagen, noch jetzt. In solcher Verfassung kannst Du Dir leicht meine Unfähigkeit vorstellen, Dir Etwas mitzutheilen und zu schreiben, in dem Verstand wäre. Einen kleinen Anfang aber, um mich Dir ein Wenig zu zeigen, will ich diesmal doch mit Karen Margrete's Brief folgen lassen. Sie bittet mich auch so dringend darum. Und wenn es Dir lieb ist, daß ich zuweilen fortfahre, so soll es geschehen. Gott weiß, wie gern ich es thue.

Hakon Jarl.

Dein „Hakon Jarl“ wurde uns also, wie Du nun schon weißt, von Rosing vorgelesen. Ich glaube es wird Dich unterhalten, wenn ich Dir erzähle wie es zuging, und wie liebenswürdig und zuweilen komisch er sich bei der ganzen Geschichte benahm. Zugleich erfährst Du, was mir zur Entschuldigung dienen muß, wenn Du, was mich sehr schmerzen würde, unzufrieden damit sein solltest. Da wir es nicht aufschieben konnten bis Rahbek Zeit hatte, so hattest Du mich ja in Ermangelung seiner zum Vorlesen ausersehen. Du kannst Dir selbst denken, wie lieb mir das war. Aber, liebster Oehlenschläger! Du dachtest natürlich nicht daran, daß ein Fremder in dem Kreise sein könne, in dem es vorgelesen werden sollte, und Deine[33] Freundlichkeit und gute Meinung über mich, die besser ist, als ich sie verdiene, täuschen Dich, so daß Du glauben konntest, ich sei im Stande, einer solchen Aufgabe auch nur einigermaßen zu genügen. Es wurde indessen bestimmt, daß ich es lesen sollte. Aber je länger ich darüber nachdachte, desto schwerer wurde mir die Aufgabe. Die erste Nacht schlief ich nicht. Ich habe mich nie profaner gefühlt. Den Abend vorher fand ich mich bei Hans Christian ein, um erst das Stück für mich selbst durchzulesen. Ich las ihm den ersten Act vor, überzeugte mich aber nun, daß ich meine Aufgabe ganz bestialisch lösen würde, wenn aus keinem andern Grunde, so doch, weil meine Furcht unüberwindlich sein würde. Auf dem Heimwege beschloß ich, den nächsten Morgen früh zu Rosing hinauf zu gehen und ihn zu bitten, daß er mich erlösen möchte. Er und seine Frau hatten mir vor langer Zeit eine Artigkeit erwiesen, für die ich versprochen hatte, mich mündlich zu bedanken, was aber doch vielleicht nie geschehen wäre, wenn mich dieses nicht veranlaßt hätte, obgleich ich ihm seit langer Zeit nicht das Geringste mehr nachtrug. Ich wußte, welch' einen enthusiastischen Freund und Bewunderer Du in ihm hast, und daß Du ihm „Freia's Altar“ vorgelesen hattest, ehe es eingereicht wurde; ich war überzeugt, daß Du ihm auch „Hakon Jarl“ vorgelesen haben würdest, wenn Du hier gewesen wärest; ich kannte ihn als einen Mann, der Geheimnisse zu bewahren weiß; kurz und gut, ich fand nicht die geringste Bedenklichkeit. Ich kam hinauf, und im Augenblick war die alte Bekanntschaft erneuert. Er war ganz so, wie ich es wünschte, und mir war gleich so zu Muthe, als ob ich den Tag vorher dort gewesen wäre. Ich benahm ihm gleich den einzigen Vorwand, den er hätte benutzen können, wenn er aus gleicher Furcht, wie ich, mir eine abschlägige Antwort geben wollte, indem ich nämlich innig seine stete Unpäßlichkeit beklagte, worauf er mir natürlich versicherte, daß er sich an diesem Tage sehr wohl befände. Ich rückte nun gleich mit meiner eigentlichen Bitte vor, und ersuchte ihn um ein Gespräch unter vier Augen.[34] „Geht hinaus Kinder! und Du auch, Mutter!“ Nun fing ich an, und war eine Zeitlang sehr beredt. Als ich fertig war, strömte er von Deinem Lobe über und sagte zuletzt: „Ich bin so froh, so froh, Dich bei mir zu sehen, mein guter, guter Carl, daß ich wahrhaftig nicht weiß, was ich Dir abschlagen könnte, wenn Du mich darum bätest.“ Doch wünschte er einen Aufschub; da ich ihm aber versicherte, daß es unmöglich sei, ließ er seinen Schülern absagen und wir setzten uns gleich hin, um es zu lesen, wobei sie zuhören durfte. Als der erste Act gelesen war, rief er aus: „Das ist ein vortreffliches Stück! o, das ist ein göttliches Stück!!“ — „„Wird's angenommen?““ fragte ich. — „Ja, freilich wird's angenommen.“ Wir lasen weiter, aber als er mit Olaf näher bekannt wurde, brach bisweilen, wenn wir unterbrochen wurden, in den Pausen, eine etwas stürmische Aufregung los, er bekam nämlich Lust, den Olaf zu spielen. Wo Grib sagt: „Er segelt auf Elivaga's Wogen nach Niffelheim“, rief er aus: „Gott, welche Verse! Nein, die sind zu schön! Ich sehe ihn, weiß Gott, segeln!!“ Von Auden sagte er: „O, was ist das für eine schwierige Rolle.“ Einmal sagte ich ihm vom Hakon: „Das ist ein nordischer Heide, Rosing!“ — „Ja, ein schrecklicher — entsetzlicher Götzendiener!“ — Glaube nicht, guter Oehlenschläger, daß ich, der oft zur Unzeit scherzt, dies Alles schreibe, über das Du auch lachen wirst, etwa weil das Komische, das während der Lectüre vorfiel, mein Inneres jetzt mehr erfüllt, als Dein Stück. Nein: ich habe nichts Anderes im Kopfe und werde wahrscheinlich lange an nichts Anderes denken, als an Dein Stück. Welchen Eindruck die Scene in der Höhle, der sublime Epilog, kurz jeder einzelne Theil und das Ganze auf uns machte, als wir fertig waren — das kann ich Dir unmöglich ausdrücken. Was er gesagt hat, als wir den ersten Act gelesen hatten, wiederholte er mit noch erhöhterer Extase, als er das ganze Stück beendigt hatte. Sie war nicht weniger davon entzückt als er. Wie froh wir uns Alle am Nachmittage bei Oersteds versammelten, wie wir überhaupt Dein[35] Fest begingen, dass muß Karen Margrete und Christiane Dir sagen und haben es Dir bereits gesagt. Ich will jetzt nur noch hinzufügen, daß er meinem Urtheile nach das Stück im Ganzen gut, und Hakon und vieles Andere, was Du Dir selbst sagen kannst, ganz vortrefflich gelesen hat. Ich wollte wünschen, Du hättest ihn sagen hören: „Goldharald, Graufell! — Was wollt Ihr, Mädchen! u. s. w.“ Ich sagte endlich zu ihm: „Nun Rosing! wird ein anderer Sterblicher als Sie, den Hakon spielen?“ — „„Nein,““ sagte er, „„ich glaub's bei Gott nicht!““

Und nun guter, theurer Oehlenschläger! ich war der Unbedeutendste von allen Denen, die Deinen Hakon hörten, aber doch weiß ich, daß Du meinen Dank nicht verschmähst. Habe also tausend Dank! Ich war der Unbedeutendste, und doch schien es mir bei der Lektüre, als ob ich viel besser geworden wäre. Ich weiß nicht, welche Talente, oder, wie viel ich besitzen könnte, und nicht bereitwillig eilen würde, Dir den Kranz um die Schläfe zu winden. Ich muß doch wohl auch etwas Kunstsinn haben, ob ich gleich, wenn ich mich auszudrücken versuche, gewöhnlich etwas Ungeschicktes sage.

Karen Margrete treibt mich an, ich muß also schließen. Habe Dank für die schönen Verse, in dem Briefe an meine Schwester, für das Lebewohl an Giebichenstein! Lebewohl! Habe Dank, daß Du meiner so liebevoll gedenkst, und behalte mich immer lieb, wie vorher!

Dein

C. Heger.“

Es war sehr hübsch von ihm, daß er Rosing veranlaßt hatte, den Hakon Jarl zu lesen. So konnte dieser große Künstler, an den ich, als ich das Stück dichtete, gedacht, und ihm die Rolle bestimmt hatte, den Hakon Jarl doch wenigstens im Kreise meiner Freunde vorlesen, wenn gleich Krankheit und darauf folgende Schwäche ihn verhinderten, jemals in dieser Rolle vor dem Publikum aufzutreten. Ein alter Zwiespalt, der zehn Jahre[36] lang Carl Heger von Rosing getrennt hatte, mit dem er in seiner Jugend in innigster Freundschaft lebte, hörte bei dieser Gelegenheit auch auf.

Christiane setzt ihren Brief fort:

„Solch' einen Abend habe ich nie gehabt, mein guter Oehlenschläger; so ist mir noch nie zu Muthe gewesen! Rosing bat uns, Nachsicht mit ihm zu haben, da ihm Deine Handschrift ganz fremd sei. Er wurde zwischen Carl und mich placirt, damit wir ihm im Nothfalle helfen konnten, was doch selten nöthig war. Er las uns den Hakon Jarl meisterhaft, mit unglaublichem Enthusiasmus vor; jedes Wort that seine Wirkung; und ich mußte ihn küssen und umarmen, da ich Dich nicht hatte. Als ich allein war, äußerten sich meine Freude und mein Erstaunen in Thränen!“

Brief von Frau Rahbek.

Ich bekam auch einen Brief von Frau Rahbek, in dem sie schrieb:

Ehe ich weiter gehe, muß ich Ihnen doch sagen, wie sehr die schönen Verse, in denen Sie der Heimath gedenken, mich gerührt haben. Wie freut es mich, daß ich Sie gekannt habe, als — um Polekums (meines Vaters) Worte zu gebrauchen — „Ihre Geisteskraft sich noch nicht losgerissen hatte, sondern noch durch Ihr Alter und mehr dergleichen gefesselt war.“ Es hat mich dies unendlich bei jedem Riesenschritte erfreut, den ich Sie auf Ihrer Bahn machen sah, und wenn es mir noch eine Zeitlang vergönnt ist, zu leben, um mich über Sie zu freuen, über Alles was Sie sind und noch ferner werden, so wird mir dies gewiß Grund zu vieler Freude geben. Es ist unbestreitbar viel interessanter, etwas Großes und Bedeutendes entstehen zu sehen, als es zu sehen, wenn es bereits ist. Sie werden mich nicht mißverstehen, guter Oehlenschläger, und mich etwa für eine Schmeichlerin halten; ich sage, was mir einfällt, ohne meine Worte abzuwägen, und ich weiß, Sie rechnen es mir nicht so genau an, wenn ich zuweilen etwas Dummes sage. Ich habe Hufe beredet, Ihnen zu schreiben, da ich überzeugt bin, daß sein[37] Besuch bei Rosings Sie amüsiren wird. Ich hatte wirklich nicht geglaubt, daß Rosing das Stück so gut vorlesen würde, wie er es that; ich halte es viel leichter, eine Rolle, die man auswendig gelernt hat, auf der Bühne zu spielen, als im Zimmer Etwas vorzulesen, das man gar nicht kennt. Aber Alles, was dies betrifft überlasse ich Hufe und Christiane, und will nur hinzufügen, daß Polekum froher und stolzer war, als er hätte sein können, wenn er selbst der Verfasser gewesen wäre, was Rahbek sehr geistreich so erklärt hat, daß er sich als der Verfasser des Verfassers fühlte. Für den Fall, daß Hufe es vergessen sollte, will ich Ihnen doch sagen, daß Polekum's Rührung über Ihren Hakon Jarl gestern damit endigte, daß er wollte, Sie sollten, sobald Sie nach Hause kämen, gleich wieder als Legationssecretair fortgehen. A propos, wenn Sie mich ein andermal bitten, Ihnen Etwas sorgfältig aufzubewahren, so vergessen Sie doch nicht den kleinen Umstand, mir Das zu schicken, was ich Ihnen aufbewahren soll. — Ich hätte wirklich nicht geglaubt, daß Sie so gut zeichnen könnten, wie es der Fall ist. Ich habe E*** niemals gesehen, aber Alle sagen, daß das Portrait vortrefflich ähnlich sei und jedenfalls ist es gut gezeichnet, wenn es auch nicht im Geringsten ähnlich wäre. Ihr Vater hätte zu Ihnen hinreisen, und sich malen lassen sollen, Sie würden es gewiß besser gemacht haben, als der Kerl, der ihn vor Kurzem so schmählich zugerichtet hat. Können Sie auch begreifen, wie es Polekum einfallen konnte, sich von H*** einen Miniaturmaler empfehlen zu lassen. Jetzt ist er das schlechte Machwerk losgeworden und hat sein Geld wiederbekommen. Polekum war im Anfange unschuldig genug, das Bild für gute Waare zu nehmen, und wenn Hufe und ich ihm versicherten, daß es nicht im Geringsten gleiche, sagte er vom Maler: „Er sagt doch, daß es ähnlich sei!“

Kritik über Hakon Jarl.

Obgleich nun Hakon Jarl viel Glück machte, so fehlte ihm doch ebensowenig, wie jedem meiner andern Werke, eine tadelnde Kritik. Einer meiner Freunde, ein tüchtiger Kopf, der viel[38] Geistesbildung besaß, und mir sehr ergeben war, schrieb mir unter Anderem Folgendes:

„Eine Scene, von der ich bemerken konnte, daß sie großes Interesse für die Andern habe: Olaf's Zusammentreffen mit Hakon in der Bauernhütte, hatte es nicht für mich; sie macht Hakon so klein und er ist doch wirklich so groß. Er ist ebenso tapfer wie Olaf und gottesfürchtiger.“ — In einem spätern Briefe als Antwort auf einen, welchen ich gesandt hatte, fährt derselbe Correspondent fort: „Du hast Recht, Hakon ist auch groß; aber so groß, daß ich Lust haben könnte, Olaf, der über den unglücklichen Hakon triumphiren will, mit all' seiner Moral zur Thüre hinauszuwerfen u. s. w.“ In einer folgenden Antwort hatte ich meinen Freund wahrscheinlich darauf aufmerksam gemacht, wie natürlich es sei, wenn Olaf darüber zürne, daß Hakon ihm vor Kurzem meuchelmörderisch tödten lassen wollte, und daß es doch edel von ihm sei, sich in diesem Augenblicke nicht seiner Jugendkraft dem alten Hakon gegenüber zu bedienen, sondern seinen Vortheil aufzugeben und ihm wieder auf offenem Felde zu begegnen. — Ein anderer meiner Jugendfreunde, auch ein vortrefflicher Kopf und ein gebildeter Mann, der später etwas philiströs und böse auf mich geworden war, weil die neue romantische Schule mich begeistert hatte, hatte auch, wie verschiedene Andere später, Freia's Altar schlecht gefunden (ich rechne es noch zu meinen besten Stücken); von Aladdin und Vaulundur hatte er Nichts gesprochen, aber über den Hakon Jarl sagte er: „Ich nahm es mit der festen Ueberzeugung in die Hand, daß ich nicht eine Seite lesen würde, ohne auf eine von Oehlenschlägers gewöhnlichen Lapsereien zu stoßen; aber ich gestehe, daß ich's bis zu Ende las, ohne eine einzige zu treffen!“ — Ein großes Lob für Hakon Jarl. Später wurde dieser Mann wieder mein wahrer Freund, ich liebte ihn, denn er war ein vortrefflicher Mensch. Aber — so sind die Menschen, selbst die besten! auf diese Weise werden die Werke der Kunst immer beurtheilt; die wahre kräftige Stimme dringt aber selbst durch.[39] Wehe dem wahren Künstler, der nicht Festigkeit genug hat, sich nicht erschüttern, sich von Dem nicht ablenken zu lassen, was seine Muse ihm in den besten Augenblicken lehrt; ohne dieses Selbstvertrauen, daß auch von Vielen für einen großen Fehler angesehen wird, wäre er verloren. Auch Göthe hat dies gefühlt, wo er sagt:

„Solcher Fehler, die Du, o Muse, so emsig gepflogen,
Zeihet der Pöbel mich, Pöbel nur steht er in mir.
Ja sogar der Bessere selbst, gutmüthig und bieder,
Will mich anders, doch Du, Muse befiehlst mir allein.“
Brief von Sophie Oehlenschläger.

Einen Tag bevor Hakon Jarl bei A. S. Oersted vorgelesen wurde, schrieb meine Schwester mir, der ich freundliche Vorwürfe gemacht hatte, weil sie mir noch die Antwort auf einen Brief schuldig war, Folgendes:

Kopenhagen, den 8. März 1806.

„Gott segne Dich, lieber Adam, daß Du so gut gegen mich bist. Ja Du hast Recht, Du sammelst glühende Kohlen auf mein Haupt; aber Du hast Unrecht, wenn Du sagst, daß ich Dir aus Gleichgültigkeit nicht geschrieben hätte; nun sollte ich Dir eigentlich beweisen, daß es nicht Gleichgültigkeit gewesen ist; aber das thue ich nicht. Du hast das doch wohl nie von mir geglaubt, nicht wahr? O nein, Du glaubtest nur, es zu glauben. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie oft ich Dir schreiben wollte, wie oft ich angefangen habe, aber dann immer meinte, es sei doch zu elend, was ich geschrieben hatte, so daß ich stets hoffte, daß mir etwas Neues, um nicht zu sagen Amüsantes begegnen würde; aber es blieb doch immer beim Alten. Wir haben, seitdem Du fort gereist bist, so so gelebt, Anders ist nie recht gesund, er arbeitet und leidet mit der ihm eignen milden Geduld. Gott im Himmel gebe ihm bessere Tage, er verdient sie gewiß. Ich war in der letzten Zeit ziemlich wohl und soll wie in meinen gesunden Tagen aussehen. Ich habe angefangen Clavier zu spielen. Es geht langsam, aber ich verliere[40] den Muth nicht; denn meine Lust dazu ist zu groß; ich bedarf der Musik so sehr, sie thut mir so wohl. Mein guter Oersted wußte auch meine Lust zu erhöhen, er hat mir ein herrliches Pianoforte geschenkt. Etatsrath Heger war so gut es zu kaufen, und wenn ich Dir sage, daß er es ausgezeichnet gut findet, so kannst Du es gewiß glauben. Du hast keinen Begriff davon wie gut Heger gegen mich ist; er interessirt sich so sehr für mein Spiel, bringt mir seine Musik, schreibt Choräle für mich aus, stimmt mein Instrument und erzählt mit viel Nützliches, kurz wir sind die besten Freunde und ich habe den alten Mann recht lieb. Wenn er spielt, singe ich zuweilen mit; seitdem Du fortreistest, habe ich nicht viel gesungen; es war so wunderlich mit mir, ich fing so oft an, hörte aber stets mitten im Stücke auf, ohne es selbst zu bemerken; aber nun geht's besser, doch recht gut wird es nicht gehen, ehe Du wieder nach Hause kommst, und ich wieder singen kann: „Kennst Du das Land“, und Du sagen kannst: „Ja Sophie, ich kenne es“, und dann von dem schönen Lande erzählst. Wenn Gott mich so lange leben läßt, werde ich recht viele Freude haben. Ich habe im Winter meine Zeit auf eine herrliche Weise ausgefüllt; wir lesen Winkelmann's Geschichte der Kunst. Christian und Gierlew haben Beide gesucht, mir all' den Kunstgenuß zu verschaffen, den man hier haben kann. Ich habe die Sammlungen gesehen, die hier zu sehen sind. Das ist nun nichts gegen Das, was Du siehst; aber ich danke Gott dafür ebenso wie die Finnen für ihre Tannenbäume, wenn die Sonne sie bescheint; ist es doch ein freundliches Grün, das das suchende Auge stärkt und das sehnende Herz mit Hoffnung tröstet. Gierlew brachte mir einen Gruß von Dir. Du kannst nicht glauben, wie es mich freute, mit einem Menschen zu sprechen, der Dich gesehen und mit Dir gesprochen hatte; ich hatte ihn so viel zu fragen, ich hätte beinahe gefragt was für einen Rock Du anhattest, als er Dich sahe.“

„Mein kleiner lieber Schwager lehrt mich im Winter Astronomie. Es geht ihm gut; es ist ein Trost, den Menschen zu[41] sehen, er ist mit der Gegenwart zufrieden, freut sich auf die Zukunft, ist stets in Activität und die schönste Harmonie, die man sich wünschen kann, herrscht in seiner Seele. Oft, wenn ich traurig war, hat es mich gestärkt, ihn anzuschauen; noch häufiger, wenn ich betrübt war, wußte er mir Kraft und Hoffnung einzuflößen.“

„Engelke, des seligen Möller's Wittwe wäre vor Kurzem beinahe selig geworden, nun erholt sich die Frau aber von Tag zu Tag. Sie hat immer sehr eifrig nach Dir gefragt; als ich ihr vor Kurzem erzählte, daß wir seit langer Zeit Nichts von Dir gehört hätten, sagte sie: Oellensläger ist meiner Seele ein rechtschaffener Mensch; daß er nicht schreibt, kann man ihm nicht anrechnen; er hat jetzt nur so viel damit zu thun, all' Das aufzuschreiben, was er sieht, um es später zu gebrauchen. Ja er ist wahrhaftig ein fleißiger Mensch, das weiß ich; als er in meinem Hause war, schrieb er oft halbe Nächte. Ja, ich kenne ihn, er hat fünf Jahre hindurch in meinem Hause gegessen und getrunken (die gehörigen Knixe und Complimente kannst Du Dir selbst hinzudenken).“

„Mir ist doch, als ob ich Dir etwas Neues von den Leuten erzählen sollte. Nun habe ich Etwas. Siehst Du, man sprach im Winter davon, daß Don Juan hier gegeben werden solle; aber es wurde aus einem prächtigen Grunde Nichts daraus. Kierulf fand, daß es dem Publikum schaden, und den Glauben an Gespenster befördern könne, wenn sich ein Geist sehen ließe, ihn aber ganz zu beseitigen, ginge auch nicht, meinte er; er schlug deßhalb vor es so einzurichten, daß einer von Don Juan's Freunden, um ihn zu erschrecken, den Geist spielen solle, doch so, daß es dem Publikum ein Geheimniß wäre. Kuntzen sagte zu der Veränderung geradezu nein; das Stück wurde aber auch nicht gegeben; denn Kierulf blieb bei seiner Behauptung, daß Alles, worin Geist sei, dem Publikum schade.“


[42]

Abschied von Halle.

Noch hatte ich mein Reisestipendium nicht bekommen; der Winter war vor der Thür und Frau Steffens erwartete ihre Niederkunft. Endlich kam das Geld. Die letzten vierzehn Tage in Halle wohnte ich im Gasthof zum Kronprinzen. Dort blieb ich so lange, bis die kleine Clara geboren war. Den letzten Abend waren Steffens und Schleiermacher bei mir. Steffens las meinen dänischen Hakon Jarl vor und Schleiermacher verstand fast jedes Wort davon. Es verursachte mir Schmerz, mich von diesen lieben Freunden zu trennen; doch hatte ich Hoffnung, Steffens bald in Berlin wiederzusehen. Schleiermacher schrieb zum Abschied die hübschen Zeilen von Novalis in mein Stammbuch:

Was paßt, das muß sich ründen,
Was sich versteht, sich finden,
Was gut ist, sich verbinden,
Was liebt, zusammen sein;
Was krumm ist, muß sich gleichen,
Was hindert, muß entweichen,
Was fern ist, sich erreichen,
Was keimt, das muß gedeihn.

Berlin. Der dänische Minister.

Als ich nach Berlin gekommen war, ging ich am ersten Abend in die Redoute, wo ich zum ersten und letzten Male die holde Königin Louise — merkwürdig genug — als Psyche, mit Schmetterlingsflügeln an den Schultern, sah. War es eine Vorahnung, daß die edle Seele bald dem Irdischen enteilen würde?

Reichardt war vorher mit Arnim nach Berlin gekommen. Er schlug mir vor, ein Zimmer neben dem seinigen in der Leipziger Straße zu miethen, und erwies mir viel Artigkeit; denn drei Wochen lang war ich fast immer mit ihm zu Mittag und Abend in großen Gesellschaften. Wie er es gemacht hat, weiß ich nicht. Ich hatte nichts Anderes zu thun, als mich anzukleiden und ihm zu folgen; ich kannte die Leute nicht zu denen ich kam und wußte selten ihre rechten Namen; als ein junger, verlegener Mann sprach ich auch nur wenig mit ihnen. Reichardt[43] präsentirte mich als einen dänischen Dichter; und so kam ich an den Tisch wie die Kartoffeln, als sie zum ersten oder zweiten Male nach Europa kamen, auf den Tisch: als eine Naturseltenheit! Denn mit Ausnahme von Baggesen hatten die brillanten deutschen Gesellschaften damals noch keinen dänischen Dichter gesehen; später hat die Race sich bedeutend vermehrt.

Ich war bereits vierzehn Tage in Berlin gewesen, als Reichardt mich eines Morgens fragte: „Sind Sie bei Ihrem Minister gewesen?“ — „„Mein Minister?““ — „Nun ja, den dänischen Minister meine ich.“ — „„Nein, ich kenne ihn nicht, habe auch keinen Brief an ihn. Soll ich zu ihm gehen?““ — „Ja das versteht sich. Sie sehen ihn heut Abend beim Minister Schröter und müssen ihm nothwendig vorher Ihre Aufwartung gemacht haben.“ — „„Nun, dann werde ich sie machen.““ — Ich ging hin, Graf Baudissin kam mir in seinem Zimmer mit den Worten entgegen: „Womit kann ich Ihnen dienen?“ — Ich antwortete: „„Damit, daß Ew. Excellenz mir erlauben, Ihnen als reisender Däne meine Aufwartung zu machen!““ — Unser Gespräch war bald beendigt, und ich sprach mit ihm erst vier Jahre später, als ich nach meiner Rückkehr eines Abends beim Grafen Schimmelmann Correggio vorlas.

So sehr ich nun auch Reichardt verpflichtet war, daß er mich mit der großen berlinischen Welt bekannt machte, so amüsirte es mich meiner Natur nach doch nicht lange, eine Art geistigen Pumpernickels oder nordischen Schwarzbrotes in ihren Theezirkeln zu sein. Ich pflegte hauptsächlich die Bekanntschaften, wo ich eine Heimath wiederfand, die mir stets unentbehrlich war. In den Häusern von Reichardt's Schwiegersöhnen, den Geheimräthen Alberti und Pistor, bei Herrn von Schock, mit Pistor's Schwester verheirathet, bei Buchhändler Reimer und Professor Spalding war ich bald wie zu Hause. Diese braven Leute gingen mit mir, wie mit einem Bruder um und erwiesen mir eine Güte, die ich nie vergessen werde. Ich brachte fast jeden Abend bei einem von ihnen zu, und las ihnen oft Holberg's Komödien[44] in der alten deutschen Uebersetzung zu ihrer Zufriedenheit vor, was eine große Ehre für mich war, da sie gewohnt waren, Tieck den Holberg bei ihnen vorlesen zu hören, der, wie bekannt, ein sehr großes Talent dazu hatte. Nun fand man, daß auch ich es recht gut machen könne, wenn gleich auf eine andere Art. Ich besuchte die geistreiche Hofräthin Herz; bei ihr nun in mehreren Gesellschaften las ich meinen Aladdin aus dem dänischen Buche Deutsch vor, freilich mit vielen Sprachfehlern, aber doch rasch und fließend. Ich ging mit dem verständigen, treuen Alberti spazieren, bewunderte die mechanischen Fertigkeiten des lebhaften Pistor; mit ihren Frauen sprach ich von Giebichenstein und Kopenhagen; und ein hübsches, kleines Kind war auch da, mit dem ich spielen konnte.


Die Hofräthin Herz. Fichte.

Ich besuchte Fichte. Er war erst etwas abstoßend gegen mich, aber wir wurden bald gute Freunde. Ich mußte mich an seinen docirenden Ton gewöhnen; er pflegte vorauszusetzen, daß man ihn nicht verstand und nicht begriff. Aber als er merkte, daß ich auf meine Weise menschlich denken könne, wurde er mir gewogen und sagte: „Oehlenschläger ist ein wackerer Mann! Er muß meine Wissenschaftslehre studiren.“ Dies schmeichelte mir; denn ich wußte, daß es das größte Lob war, welches er einem Menschen gab, wenn er ihn befähigt glaubte, seine Wissenschaftslehre zu verstehen. Bei unsern ersten Gesprächen kamen wir etwas in Reibung; Pastor Metger berief mich zu ihm. Wir sprachen von Iffland; Rabbek hatte mir einen Brief an Iffland mitgegeben, und, obwohl dieser eigentlich nichts weiter mit mir, als einem Anhänger der neuen Schule zu thun haben wollte, so gab er mir doch ein Freibillet fürs Theater. Dies war mir sehr lieb und verschaffte mit die Gelegenheit, oft sein großes Talent, besonders für das Komische zu bewundern; denn für das Tragische hatte die Natur ihm eigentlich keine Anlage gegeben; Alles war nur Studium und Routine, und deßhalb war er auch, meiner Ansicht nach,[45] in ernsten, hohen Rollen affectirt und kalt. Dagegen besaß er in hohem Grade einfache Natürlichkeit und eine schalkhafte Ironie bei der Darstellung des Lächerlichen und Bizarren; in solchen Rollen war er unbezahlbar.

Fichte über Iffland.

Also — ich spreche von Iffland und lobe seine Kunst. „Ja,“ antwortete Fichte mit starker, verächtlicher Betonung, „er versteht die Erbärmlichkeit gar wohl darzustellen.“ Ich fühlte mich durch diese Worte und ganz besonders durch den Ton in dem sie gesagt wurden, gekränkt. Wer die Erbärmlichkeit bewundert ist selbst erbärmlich. Ich wagte ihm zu widersprechen und sagte: „Ich glaube, Iffland stellt nicht allein das Erbärmliche gut dar, sondern Alles, was komisch ist.“ — „„Was stellen Sie mir da auf?““ rief Fichte hitzig; und nun fing er an, weitläufig Etwas zu demonstriren, dessen Inhalt sein sollte, daß alles Komische erbärmlich oder jämmerlich sei. Ich fühlte, daß in seiner Beweisführung etwas Schiefes sei, konnte es aber nicht gleich herausfinden; ich wollte mich nicht in einen philosophischen Streit mit ihm einlassen, in dem ich gewiß zu kurz gekommen wäre, besonders wenn ich seine Worte und Ausdrücke gebrauchen sollte; und ich sagte: „Verzeihen Sie Herr Professor! im täglichen Gespräche wägt man seine Worte nicht so genau ab.“ — „„O mein Herr,““ rief er heftig, „„vor unnöthigem Geschwätz habe ich allen möglichen Respect! Ich überlasse Sie dem Herrn Pastor Metger!““ — Ich antwortete stolz: „Wenn zwei vernünftige Männer, wie Sie und ich, Herr Professor, mit einander reden, so schwatzen sie nicht, weil der Eine sich nicht der Redeweise des Andern bedient. Wie in aller Welt,“ fuhr ich milder und betrübt fort, weil ich nicht gern in Feindschaft von diesem ausgezeichneten Manne scheiden wollte — „können Sie verlangen, daß ich, ein junger Dichter, reden soll, wie Sie, ein alter Philosoph?“ — „„Darin hat er Recht!““ rief er gutmüthig und versöhnt zum Prediger, indem er mir die Hand reichte. — Von der Zeit an waren wir Freunde.

Umgang mit Fichte.

Fichte kam mir bei dieser Gelegenheit, wie ein gewisser[46] alter General vor, der seine jungen Officiere bei erster Bekanntschaft stets beleidigte, nur um zu prüfen, ob sie Muth genug hätten, ihn herauszufordern. Er verehrte mir ein Entreebillet zu seinen „Anweisungen zum ewigen Leben“. Ich hörte ihn, kann aber nicht gerade sagen, daß es einen angenehmen Eindruck auf mich gemacht hätte. Er suchte mit vieler Umständlichkeit den Begriff von Sein und Dasein populär zu machen. Sein Gesicht war stolz und verdrießlich, gleichsam aus Mißvergnügen darüber, daß seine Rede nicht genug bewundert wurde. Eines Abends beim Geheimrath Hufeland sprach ich die ganze Zeit über mit Fichte. Ich bat ihn stets, zu bedenken, daß ich Dichter und nicht Philosoph sei, daß ich aber, da ich glaubte, der Dichter müsse von Allem Etwas kennen, auf der Landkarte der Philosophie doch nicht ganz unwissend in Betreff der Gegenden und Städte sei, die zunächst an das Reich der Poesie grenzten. Von Steffens sprach ich gar nicht, da ich wußte, daß sie sich nicht leiden konnten. Wir sprachen von Voß und Jean Paul. Um ihm klar zu machen, was ich von ihnen hielte, bediente ich mich einiger mir eigenen Ausdrücke. „Es ist vortrefflich, was Sie da sagen,“ rief er aus, „es ist besser, als was Voß und Jean Paul je in ihrem Leben gesagt haben!“ — „„Ach Herr Professor,““ antwortete ich, „„ich bitte!““ — „Oh“ fuhr er mit der ihm eigenen Süffisance fort, „ich werde es Ihnen auch eben so gerade heraus sagen, wenn Etwas kommt, was nicht gut ist.“

Ich las ihm einige Abende darauf meinen dänischen Hakon Jarl Deutsch vor, und er war ein sehr aufmerksamer Zuhörer. Im fünften Act, wo Olaf zu Hakon sagt:

„Mit seinem Blut muß er die Sünde büßen!
— So lang der Heide lebt,
Kann nicht des Christenthumes Rose blühen;“

wurde Fichte aufgebracht und rief in seiner gewöhnlichen verdrießlichen Art: „Was Teufel, geht ihn das an?“ — Ich schwieg und las weiter. Als ich fertig war und er das Stück sehr lobte, sagte ich: „Herr Professor, Sie wurden bei einer[47] Stelle böse, wo Olaf über den Hakon spricht; finden Sie da vielleicht einen Fehler?“ „„Nein,““ entgegnete er ruhig, „„das galt nicht Ihnen. Als Dichter hatten Sie es ganz recht gemacht; aber der Kerl der Olaf hatte doch Unrecht!““

Fichte als Philosoph und Mensch.

Und doch wollte sein Freund Pastor Metger nicht zugestehen, daß er naiv sei, als wir später über Naivetät sprachen und Fichte behauptete, er sei im Besitze dieser Eigenschaft. „Nein, mit Ihrer gütigen Erlaubniß, Herr Professor,“ sagte der milde, bescheidene, aber auch wahrheitsliebende characterfeste Mann, „naiv sind Sie nicht!“ — „„Was,““ rief Fichte, „„ich wäre nicht naiv? Was sagen Sie dazu, Oehlenschläger?““ — Ich antwortete: „Wenn Naivetät darin besteht, eine gewisse kindliche Natur ohne Reflexion, ohne Rücksicht auf Convenienz zu zeigen, so kann man Ihnen gewiß nicht die Naivetät absprechen. Ich meine, jedes Genie, selbst ein philosophisches muß etwas Kindliches, Unbewußtes haben, sonst würde ihm ja die Grazie fehlen.“ — Hiergegen hatte der große Philosoph Nichts einzuwenden.

Zu gleicher Zeit, wo ich seine Vorlesungen über die Anweisung zum ewigen Leben hörte, las ich auch einige seiner populären Schriften. In Allem bewunderte ich den tiefen Denker, den Helden für Wahrheit und Tugend, den begeisterten Redner, den kräftigen Menschen. Fichte hatte meiner Ansicht nach nur einen Fehler: er glaubte, daß seine Denkungsweise die einzigwahre, die absolute sei. Aber es wäre gewiß schlimm um das menschliche Denken bestellt, wenn die Wahrheit sich nur auf eine Weise erkennen ließe. Was hätten denn zukünftige Geschlechter und deren große Männer anders zu thun, als das bereits Gesagte und Gedachte zu wiederholen? Es giebt nur Eine ewige Wahrheit, wie Eine ewige Schönheit; aber die Gesichtspunkte für das Wahre können ebenso verschieden sein, wie für das Schöne und eine ebenso große Mannigfaltigkeit gestatten. Wir stehen als Lehrlinge um das ewige Ideal der Wahrheit und Schönheit; Jeder macht von seinem Standpunkte aus seine Basreliefs;[48] jedes wird anders — oft fehlerhaft — und doch können sie alle wahr und schön sein.

Fichte war ein tugendhafter, ehrlicher, kräftiger, guter Mann, aber auch stolz auf seine Vorzüge. Selbst in der Poesie hatte er Versuche gemacht und gezeigt, daß er Talent und Stärke in dem lyrischen Ausdrucke besaß. Wir sprachen von einigen lateinischen Hymnen, die A. W. Schlegel übersetzt hat. „Ich habe sie auch übersetzt,“ sagte Fichte, „aber ich will sie nicht drucken lassen; A. W. Schlegel ist mein guter Freund.“ — Zu einem andern guten Freunde hörte ich ihn sagen, als dieser meinte, daß es kein Verdienst für ihn sei, so geisteskräftig zu sein, da er auch körperlich stark wäre: „Meint Ihr, ich würde diese Waden und diese Schultern haben, wenn ich mir nicht jene Maximen angeschnallt hätte?“

Fichte's Aufenthalt in Kopenhagen.

Wie sehr freute es mich, als ich einige Zeit darauf hörte, daß Fichte in Kopenhagen gewesen sei, und daß der edle A. S. Oersted, der ihn als Jüngling so fleißig studirt hatte, ihn als Mann persönlich kennen lernte. Meine Schwester schrieb mir mit vieler Freude, daß sie mit Fichte im Südfelde spazieren gegangen sei, daß er einen Tannenzweig bei dem norwegischen Hause abgebrochen und ihr gegeben habe „damit sie davon ihrem Bruder einen Kranz flechten solle.“

Fichte schlief eine Nacht auf dem Friedrichsberger Schloß bei meinem Vater, und hier zeigte sich wieder ein Zug seiner Naivetät, indem er sich einen ganzen Abend mit dem Alten, der einen gesunden Menschenverstand hatte, aber nichts weniger als Philosoph war, über die verschiedenen philosophischen Ansichten und seine Streitigkeiten mit Schelling einließ. Er lieh auch meinem Vater eins seiner Bücher zum Durchlesen. Mit diesem Buche saß er gerade in der Hand, als Frau Rahbek ihn Tags darauf besuchte. „Was für ein Buch liest Du da?“ fragte sie ihn in ihrem gewöhnlichen scherzenden Ton; und er antwortete in demselben Ton, aber mit einem gewissen Stolz: „„Laß liegen Kind! es ist Fichte. Er war gestern Abend bei mir; wir sprachen[49] bis in die späte Nacht zusammen; Du kannst glauben, da ging's auf die Systeme los!““


Erste Ereignisse in Berlin.

Aber ich kehre wieder nach Berlin zurück. Reichardt reiste im März nach Giebichenstein, und ich wohnte allein. Mein Wirth war ein alter Friseur, der mir gleich bei meiner Ankunft einen schlechten Streich gespielt hatte. Meine Haare mußten nämlich geschnitten werden, da sie seit einem halben Jahre keine Scheere berührt hatte; ich fragte ihn, ob er das Haar nach Berliner Mode schneiden könne? — „Das versteht sich,“ sagte er, „lassen Sie mich nur machen.“ Nun fing er an zu schneiden; aber da er ein alter Perückenmacher war, der nur mit todten Haaren zu thun gehabt hatte, so verstand er sich gar nicht darauf, mit den lebendigen umzugehen. Er machte einen Fehler nach dem andern, die er alle damit gut machen wollte, daß er noch mehr wegnahm; und so schor er mich ganz entsetzlich, so daß ich zuletzt nur einen kleinen Schopf auf der Stirn hatte. Mit dieser Coiffüre mußte ich alle meine Besuche mit Reichardt in der großen Welt, als dänischer Dichter machen. Die Leute glaubten vielleicht, daß das Mode in Kopenhagen sei und das verdroß mein patriotisches Gefühl. Indessen versöhnte ich mich doch bald mit dem armen Perückenmacher. Sein Sohn, der ein wirklich guter Friseur und Reichardts Diener war, wurde kurze Zeit nach Reichardt's Abreise krank und starb. Eines Abends, als ich spät nach Zwölf nach hause kam, sagte der Vater, indem er mir die Treppe hinaufleuchtete: „Sie haben wohl Nichts dagegen, daß ich nur für heute Nacht die Leiche meines Sohnes in das Zimmer des Herrn Kapellmeisters gestellt habe?“ — „„O nein,““ antwortete ich langsam. Er setzte das Licht auf den Tisch und ging. Reichardt's Zimmer grenzte dicht an das meinige. Ich fing an, mich auszukleiden und wollte so thun, als wenn Nichts geschehen wäre. Seit langer Zeit hatte ich, in dem bunten Treiben bei den vielen[50] Gesellschaften, keine melancholischen Gedanken gehabt. Nun sollte ich Thür an Thür mit einer Leiche schlafen; das hatte ich nie gethan; nach dieser Nachbarschaft sehnte ich mich durchaus nicht.

Eine unruhige Nacht.

Die alten halbvergessenen Gespenstergeschichten erwachten wieder in meiner Erinnerung; und obgleich Hoffmann noch Nichts der Art gedichtet hatte, so begannen die berliner Theezirkel doch in meinem Gehirne sich mit dem Uebernatürlichen und Grausigen zu vermischen. Endlich konnte ich es nicht länger aushalten, kleidete mich wieder an, nahm meinen Hut, ging zu dem Vater des Verstorbenen hinunter und sagte: „Obgleich ich nicht abergläubisch sei, müsse ich mich doch davor hüten, meine Phantasie zu sehr aufzuregen, es sei mir zuwider bei einer Leiche zu schlafen, daher wolle ich in den goldenen Adler gehen und da bis morgen bleiben.“ Als ich aber dahin kam, war es zu spät und ich konnte kein Zimmer mehr bekommen. Ich versuchte es noch an ein paar andern Orten, immer später und vergebens. — Die Märznacht war sehr kalt. Ich lief die Straßen auf und ab, bis ich vor Müdigkeit und Schläfrigkeit nicht länger konnte. Es blieb mir nun nichts Anderes übrig, als wieder nach dem Leichenhause zurückzukehren. Ich that es, klingelte und der Alte, der nicht zu Bett gegangen war, leuchtete mir unverdrossen wieder die Treppe hinauf. Nun war das Gaukelspiel der Phantasie vorüber, wie auf einer Bühne, wenn die Lichter gelöscht worden sind. Ich sah nur den alten niedergeschlagenen Vater und ärgerte mich über meine vorherige egoistische Schwärmerei, die ein leerer Traum im Vergleich zu der wirklichen Trauer des alten Mannes war. Ich legte mich rasch zu Bett und schlief gleich ein.


Bekanntschaft mit Himmel.

Einige Tage darauf traf ich an der table d'hôte den Kapellmeister Himmel. Wir saßen zufälliger Weise neben einander. Er ließ sich in ein Gespräch mit mir ein und an einigen Aeußerungen merkte ich, daß er mich kenne. „Habe ich[51] die Ehre, von Ihnen gekannt zu sein?“ fragte ich. „„Ja,““ entgegnete er, „„ich weiß, daß Sie ein guter, junger dänischer Dichter sind; und ich würde bereits früher ihre Bekanntschaft gemacht haben, wenn Sie nicht stets in der Gesellschaft eines Mannes gewesen wären, den ich für den Tod nicht leiden kann.““ — „Nun,“ antwortete ich, „da ich mit ihm umgehe, so zeigt das, daß ich ihn gut leiden kann.“ „„Nun, so wollen wir nicht mehr von ihm sprechen,““ sagte Himmel, indem er mein Glas füllte! — Er war sehr aufgeräumt und gesprächig, erzählte mir von seinen Reisen, und als wir gegessen hatten, fragte er, ob ich ihn nicht nach Hause begleiten wolle, er wohne gerade in der Nähe. — Da ich nun wußte, daß er kurz vorher eine Oper „Die Sylphiden“ componirt hatte, von der ich gern etwas hören wollte, so ließ ich mich nicht zwei Mal bitten. Er wohnte sehr hübsch und in seinem Zimmer waren elegante Möbel; aber Alles lag in größter Unordnung drüber und drunter. Die mediceische Venus stand mitten in der Stube. Rund umher lagen Guitarren, Bücher, Pomadenbüchsen, Eaudecologneflaschen, Stiefel u. s. w. Kaum traten wir ins Zimmer, so rief er: „Peter, Champagner!“ — Mit unglaublicher Schnelligkeit kam der Diener mit Wein und Gläsern auf einem Präsentirteller und öffnete die Flaschen, so daß der Champagnerschaum der Venus gerade ins Gesicht sprützte. „Herr Gott, Herr Kapellmeister, wie können wir jetzt trinken,“ fragte ich, „wir kommen ja eben vom Tisch?“ — „„Champagner kann man immer trinken, das ist ein unschuldiger Saft; thun Sie mir den einzigen Gefallen und trinken Sie noch ein Glas mit mir!““ — „Wohlan!“ entgegnete ich, „aber dann müssen Sie mir auch einen Gefallen thun und mir etwas aus Ihren Sylphiden vorspielen.“ „„Sehr gern!““ „„aber erst muß ich etwas still sitzen und wieder in Ordnung kommen; jetzt kann ich unmöglich spielen. Wollen Sie einmal sehen!““ — Er ging ans Pianoforte und seine außerordentliche Dicke verhinderte ihn wirklich daran die Tasten zu berühren; denn sein Leib ragte fast weiter hervor, als seine Arme reichen[52] konnten. „„Das giebt sich Alles,““ sagte er, „„wenn wir nur einen Augenblick Geduld haben.““ Und kaum war eine Viertelstunde verlaufen, so hatte er wirklich so viel Raum gewonnen, daß er das Klavier mit den Fingerspitzen erreichen konnte. Welche Fertigkeit! welcher Vortrag! welche Grazie! So wie der Elephant seine ganze Geschmeidigkeit im Rüssel hat, so hatte Himmel sie in seinen Fingerspitzen. Alles, was er spielte, war schön, melodienreich und originell. Ich hatte bereits früher seine Fanchon gehört, in der sein Character sich treu abgespiegelt: keine Tiefe, kein wahrer Ernst; aber schöne Sinnlichkeit, anmuthige Liebe, und behagliches, munteres Wohlleben. Er konnte es doch nicht lassen, auf Reichardt zu sticheln, den er den Herrn „Salzdirector“ nannte, weil Reichardt die Aufsicht über die halle'schen Salinen hatte. Himmel meinte (mit Unrecht) daß er hiezu mehr Genie, als zur Musik habe; denn war Reichardt auch kein eigentlich dramatischer Componist mit kühner Einbildungskraft und Feuer, so hat er doch in andern Compositionen, besonders in den herrlichen Melodieen zu Göthe's Gedichten ein schönes Gefühl, einen feinen Geschmack und Sinn für Poesie gezeigt. Himmel's Bildung schien nur musikalisch zu sein; doch hatten die Welt und sein munteres sanguinisches Temperament ihm eine Politur als angenehmer Gesellschafter gegeben.


Alexander von Humboldt.

Mein höchster Genuß in Berlin waren Mozart's Meisterwerke, Figaro und Don Juan, die ich jetzt erst kennen lernte. Indem ich diese unvergleichliche Musik hörte, öffnete sich mir eine neue und doch so bekannte Welt. Ich hörte Sophokles, Shakespeare und Göthe in Tönen, wie ich sie später bei Raphael in Farben sah.

Steffens kam auch nach Berlin, und ich sah ihn oft bei Alberti's. Ich sprach zuweilen mit Alexander von Humboldt und hörte ihn oft in Gesellschaften von seinen Reisen erzählen. In der Akademie der Wissenschaften las er ein Mal, als ich zugegen[53] war, eine Abhandlung über die üppigen Vegetationen der Natur vor. Er schloß mit der Bemerkung, daß dasselbe mannigfache Leben, das physisch in den wärmeren Himmelsgegenden blüht, sich moralisch und psychisch im Norden in der Phantasie und in den Werken der Dichter wiederhole.

Johannes Müller.

Den berühmten Historiker Johannes Müller sah ich auch mehrere Male. Reichardt sagte: „er gleiche einer Nachteule.“ Die Eule ist der Vogel der Minerva; in den Gesprächen mit dem großen Manne vergaß ich den Vogel ganz über die Minerva. Er schlug mir vor, eine Tragödie über einen gewissen historischen Gegenstand zu schreiben, den ich leider vergessen habe.


Abreise nach Weimar.

Beim Anbruch des Frühjahrs sehnte ich mich sehr darnach, nach Weimar zu reisen, um Göthe zu besuchen. Ich fuhr mit Steffens und Schleiermacher von Berlin nach Halle, wo ich drei Tage bei diesen Freunden blieb.

Ich befand mich nun wieder ganz allein in der weiten Welt auf einem Post- oder eigentlich Frachtwagen, auf dem ich in der Nacht in dem feuchten, kalten Aprilwetter auf einem Brett ohne Rückenlehne fahren mußte. Der Schlaf auf einer Bank in einer Bauernschenke stärkte mich für ein paar Stunden, und so kam ich nach Naumburg, wo ich bis zum nächsten Tage bleiben mußte.

Es war ein trauriger Frühlingstag und ich selbst war betrübt. Alle guten Freunde in Halle, Giebichenstein und Berlin hatte ich — vielleicht auf ewig — verlassen. Nun sollte ich neue Bekanntschaften schließen, um das Band bald wieder zu zerreißen, wenn es geknüpft war. Der Frankenau'sche Vers fiel mir ein:

„Die Freude gleichet dem flüchtigen Freund,
Den leicht wohl auf Reisen man findet;
Und der, indeß er vorüberzieht,
Uns zärtlich küßt — und verschwindet.“

[54]

Ich sah die merkwürdige Domkirche; aber das vermehrte nur meine melancholische Stimmung. Sie besteht eigentlich aus vier Kirchen, und eine davon ist unterirdisch. Eine alte Frau, die wie eine Hexe aussah, führte mich umher. Mit einem kleinen angezündeten Lichtchen in der Hand, stieg sie hinunter und führte mich vor den eisernen Kasten, in dem Tezel sein Ablaßgeld gesammelt und dabei gesungen hatte:

„Sobald das Geld im Kasten klingt,
Sobald die Seel' gen Himmel springt.“

Sie zeigte mir auch die Wand, wo eine Nonne früher eingemauert worden war, und wo sie Messe hören konnte, bis sie verhungerte. Dies Alles machte mich nicht munterer. Unglücklicherweise erzählte sie mir auch von den Hussiten vor Naumburg, da fiel mit das affectirte Kotzebue'sche Stück ein; ich sah nun Alles Grau in Grau, ging nach Hause und tröstete mich dadurch, daß ich einen Brief nach Kopenhagen schrieb.

Am nächsten Tage reiste ich nach Weimar; die Luft klärte sich auf, und der Himmel war blau. Göthe empfing mich sehr freundlich, und ich brachte drittehalb Monate in der fast täglichen Gesellschaft dieses großen Meisters zu.

Wieland, Herder, Frau Schiller.

Wie freute es mich, den klassischen Boden zu betreten, auf dem so viel große Geister gewirkt hatten. Der einzige, Göthe, stand dort noch, wenn auch nicht mehr jung, in seiner vollen Kraft. Wieland war alt, doch erquickte es mich, den Geist dieses freundlichen Greises, wie die Schneeblumen in dem Wintergarten zu finden, wo er so viele Sommer hindurch als Rose geblüht hatte. Ich hatte mit großem Vergnügen seinen Oberon gelesen. In seinem Geron der Adlige hat er gezeigt, daß er auch ernst und herzlich dichten konnte. In vielen muntern Erzählungen hat dieser deutsche Ariost Humor und schalkhafte Grazie an den Tag gelegt. Als Kritiker und Gelehrter haben seine Schriften großen Einfluß auf den Geschmack in Deutschland ausgeübt. Ich besuchte ihn mit Ehrfurcht, obgleich es damals nicht Mode war, Wieland zu achten; er war sehr mittheilend und[55] lobte die dänische Regierung, daß sie den Dichter ins Ausland reisen ließe. In mein Stammbuch schrieb er:

Fuimus Troes.

Herder war nicht mehr; dieses große denkende Herz! das mit tugendkräftiger Menschenliebe und poetischer Begeisterung die ganze Erde umfaßte. Seine spätern polemischen Schriften, in denen Gereiztheit ihn unbillig machte, kannte ich nicht und habe sie später nicht kennen lernen wollen. Aber wie herrlich sind nicht seine Abhandlungen über die hebräische Dichtkunst, seine Ideen zur Geschichte des Menschengeschlechts, seine Sammlungen und Uebersetzungen von Volksliedern und Legenden, sein Cid und seine Predigten.

Auch Schiller fand ich nicht mehr. Aber ich fand seine Frau und Kinder und die hübsche kleine Wohnung in der Allée dicht beim Schauspielhause, wo er die unsterblichen Tragödien gedichtet hatte. Ich war dort bald zu Hause, und es freute mich, daß Frau Schiller fand, ich gleiche ihrem Mann etwas; nicht im Aeußern, sondern im Wesen und gewissen Bewegungen.

Nicht ohne inniges Mitleid konnte ich auf die lieben Kinder sehen, die so früh den großen, seltenen Vater verloren hatten. Wie gern hätte er noch mit ihnen gelebt! Wie wehmüthig betrachtete er die Züge der armen Kleinen zum letzten Male, als er fühlte, daß sein Herz brechen würde; dieses himmlische Herz, das hohe Begeisterung mit durchdringendem Verstande vereinigte.

Göthe über meine Danismen.

Auch Göthe war, obgleich er allzu oft Gefallen an einem gewissen hochmüthigen, zurückhaltenden Wesen fand, im Grunde gut, und wirkt in seinen vortrefflichen Werken durch die Phantasie hauptsächlich auf das Herz; in seinen Liedern, in Werthers Schwärmerei, in Götz' Edelmuth, Faust's Tiefsinn, Gretchen's und Klärchen's Liebe, in Tasso's Feinheit, in Iphigenie's Seelenadel, in den muntern Naivetäten, in Mignon, im Harfenspieler; und ganz besonders in Hermann und Dorothea, worin er der Humanität des achtzehnten Jahrhunderts das[56] schönste Denkmal errichtete. Deßhalb freute es mich auch, wenn Schleiermacher von ihm sagte: „Der Göthe ist doch im Grunde eine gute Haut!“

Er empfing mich väterlich, ich war oft zu Mittag bei ihm und mußte ihm meinen ganzen Aladdin und Hakon Jarl aus dem Dänischen deutsch vorlesen. Da machte ich mich nun vieler Danismen schuldig; aber er verwarf sie nicht alle; er meinte, daß beide verwandten Sprachen, einer Wurzel entsprungen, einander geschwisterliche Geschenke machen dürften. „Hm! das ist hübsch!“ sagte er zuweilen, wenn ich einen gewagten fremden Ausdruck gebrauchte. „„Sagt man das auf Deutsch?““ fragte ich. — „Nein,“ entgegnete er, „man sagt es nicht, aber man könnte es sagen.“ — „„Soll ich es wieder ausstreichen?““ — „Nein, keineswegs.“ — Reichardt, der nach Weimar kam, wurde von Göthe gefragt: „Kennen Sie Etwas von Oehlenschläger's Gedichten?“ — „„Nein,““ entgegnete dieser, „„aufrichtig gesprochen, es amüsirt mich nicht, die deutsche Sprache radebrechen zu hören.““ — „Und mich,“ antwortete Göthe mit imposantem Feuer, „amüsirt es sehr, die deutsche Sprache in einem poetischen Geiste entstehen zu sehen.“

Verkehrte Urtheile über Göthe.

Doch was rede ich von Göthe's Meinungen über die Sprache? Es giebt ja Leute, welche glauben, daß er auch nicht Deutsch schreiben könne! Es gab ja Landsleute von mir, und giebt derer wohl noch, welche behaupten, daß ich nicht richtig Dänisch zu schreiben verstünde. Aber ich entsinne mich auch der Anecdote von einem Franzosen, der seinen Landsmann fragte: „Les allemands, est ce qu'ils ont une langue?“ — „„Non,““ entgegnete dieser, „ils parles seulement un patois; mais ils se comprennent entre eux.“

Die letzte Zuflucht, die eine feindliche Spitzfindigkeit annimmt, besteht darin, die Sprache eines Verfassers zu tadeln. Man braucht nur eine Periode aus ihrer Verbindung herauszureißen, um sie zu einem Gallimathias zu machen. So behandelte Baggesen mich stets mehrere Jahre darauf in seinen Kritiken.[57] Und Menschen, die nicht halb so gut Deutsch verstehen, wie Göthe, geschweige denn gleich ihm in der Sprache denken und fühlen können, haben es gewagt, ihn eingebildet zu tadeln, weil er — der echte Dichter — der die reichen Schätze der Volkssprache in die Rede der gebildeten Welt hinüber führte, zuweilen aus Laune oder Eigensinn Ausdrücke gebrauchte, die nicht gang und gäbe im Munde der feinen Welt waren; oft wohl sogar polemisch, um einer kleinlichen Aengstlichkeit zu trotzen, und sie zu strafen, die nur Pedanterie zeigte, indem sie sich den Schein der Correctheit gab. So giebt es Leute, die in ihrer Thorheit z. B. die Sprache in Sophie's Reise von Memel nach Sachsen über die Sprache in Werther und Wilhelm Meister stellen! Aber Göthe ging stets seinen eigenen Weg; und das muß jedes originelle Genie thun.

Zuweilen können selbst tiefe und schöne Geister einander mißverstehen und verkennen; und deshalb bleibt für die kräftig Wirkenden nichts Anderes übrig, als sich mit allem Vermögen nach den Besten zu bilden und dann selbstständig zu handeln. Jede ungewöhnliche That ist eine Usurpation, eine Eigenmächtigkeit, die ihre Vertheidigung in ihrer Wirkung finden muß; und wollte sowohl ein Dichter, wie ein Feldherr stets zweifelnd erst Andere um Rath fragen, was er im entscheidenden Augenblicke thun soll; so würde kein Dichterwerk vollendet und keine Schlacht gewonnen werden. Darum darf man es auch nicht Einbildung oder übertriebene Eigenliebe nennen, wenn ein tüchtiger Künstler mit Rücksicht auf sein Werk, das meiste Zutrauen auf seine eigene Meinung hat. Wie sollte er sonst jemals Meister werden? Und wie sollte er sich sonst in dem Wirrwarr der literarischen Welt zurecht finden, wo die Ansichten sich jeden Augenblick auf das Lächerlichste widersprechen?

Als ich meinen Aladdin zu schreiben anfing, und meiner Schwester und einigen andern guten Freunden die ersten Scenen vorlas, fand er keinen Beifall. Ich ging mit meinem Manuscript in der Tasche betrübt nach Hause; und hätte meine eigene[58] Ueberzeugung, daß er gut sei, nicht gesiegt, so wäre Aladdin nie erschienen und ich hätte nicht den Triumph gehabt, mit der Zeit selbst bei Denen Beifall zu ernten, die im Anfang die Arbeit verschmähten. — So ging es mir auch hier bei Göthe mit dem Hakon Jarl. Aladdin hatten wir in kleinen Portionen zusammengelesen, und er hatte ihn aufmerksam gehört und aufgefaßt; Hakon Jarl las ich ihm auf ein Mal nach Tisch vor. Er verlor den Faden, der Gang des Stückes verwirrte ihn; und er äußerte nach beendigter Lectüre, daß Einiges in der Composition des Stückes geändert werden müsse. Ich wurde ganz niedergeschlagen und wanderte in meinen finstern Gedanken in dem schönen herzoglichen Lustgarten umher. „Wenn der,“ dachte ich, „verfehlt ist, so weiß ich nicht, wie ich richtig dichten soll.“ In diesem Gedanken stand ich vor einem Sculpturwerke im Garten, wo eine Schlange in einen Knäuel beißt. Ich habe die allegorische Bedeutung desselben vergessen; aber es schien mir in jenem Momente, als ob es das Unglück sei, das in mein Herz biß. Da hörte ich in demselben Augenblick Etwas in meiner Nähe rieseln. Ich ging dahin, von wo der Laut herkam; es war eine Quelle, die sehr anmuthig aus der Felswand in den Fluß hinabstürzte, und in einem Steine eingegraben stand der schöne Vers von Göthe:

„Die ihr Felsen und Bäume bewohnt, o heilsame Nymphen!
Gebet Jeglichem gern, was er im Stillen begehrt!
Schaffet dem Traurigen Trost, dem Zweifelhaften Belehrung,
Und dem Liebenden gönnt, daß ihm begegne sein Glück!
Denn euch gaben die Götter, was sie den Menschen versagten:
Jeglichem, der euch vertraut, tröstlich und hülflich zu sein.“
Göthe über Hakon Jarl.

Die schöne Natur, der herrliche Tag und das humane milde Gedicht gaben mit wieder Muth und ich dachte: „Der Verfasser dieser Strophen kann Hakon Jarl nicht verwerfen.“ — Göthe hatte mich gebeten, ihm den kurzen Inhalt des ganzen Stückes aufzuschreiben. Ich brachte ihm das Verlangte, und nachdem er es gelesen hatte, billigte er durchaus den Gang des Stückes und fand nichts daran auszusetzen.

[59]

Die Bühne Weimars.

Ich erzähle dies damit man sehen soll, wie selbst Aladdin und Hakon Jarl augenblicklich von ausgezeichneten poetischen Männern verkannt wurden. Die Erinnerung an dieses Verkennen hat mich seitdem oft getröstet, wenn spätere Werke wieder auf Kosten jener verkannt wurden; und ich habe oft die Freude gehabt, solche Nebel verschwinden zu sehen. Göthe munterte mich selbst dazu auf, das Stück schriftlich zu übersetzen (denn ich hatte es bei ihm nur mündlich übersetzt), damit es in Weimar gespielt werden könne, was doch nicht geschah, da der Krieg dies verhinderte.

Es erfreute mich oft, das Schauspielhaus zu besuchen, und die Schauspieler zu sehen, wo und durch welche Göthe und Schiller so viel gewirkt hatten. Ich lernte das Künstlerpaar Wolf kennen und schätzen. Ich sah eine würdige Vorstellung von Göthe's Egmont; Becker, der den Parasiten in Lauchstädt gespielt hatte, war hier ein vorzüglicher Vansen. Die Transparentscene im letzten Acte wurde jetzt wieder gegeben. Während Schiller lebte, hatte Göthe gutmüthig sich darein gefunden, daß sie wegblieb, weil Schiller sie nicht leiden konnte. Nun ließ er das Stück wieder wie in alten Tagen aufführen und es war von guter Wirkung. Die Musik und das Bild wirken, nach dem langen Gespräch zwischen Egmont und Ferdinand, belebend und angenehm auf die Phantasie ein; und es erfreut den Zuschauer, sich die holde Clara glücklich, selig als einen Engel, als den Genius der Freiheit in Egmont's Traum vorzustellen. Doctor Riemer, Göthe's Freund und Secretair, und Joh. Heinr. Voß, der Jüngere, waren mein täglicher Umgang in Weimar und wurden mit mir innig vertraut. Göthe konnte den jungen Voß gut leiden und dieser war sein großer Bewunderer. Voß erzählte mir einen characteristischen Zug von Göthe. Dieser hatte ihm einmal, als Hermann und Dorothea in neuer Auflage erscheinen sollte, das Gedicht zur Durchsicht gegeben; denn alle Voß's hatten es vom Vater gelernt, Hexameter correct zu schreiben, und selbst „die alte verständige Hausfrau“ hatte ein Mal Göthe in[60] sehr classischen Spondeen und Dactylen eingeladen, Stahlpunsch bei ihr zu trinken. Göthe schrieb schönere, leichtere, naivere, kernigere Hexameter, als Voß; aber er war nicht immer correct und deshalb ließ er sich gern bescheidene Bemerkungen gefallen. Aber ein Mal kam der gute Heinrich Voß mit einem gar zu vergnügten Gesicht und sagte mit triumphirender Demuth: „Herr Geheimerath! da habe ich einen Hexameter mit sieben Füßen gefunden.“ — Göthe betrachtete die Zeile aufmerksamer und rief: „Ja, weiß Gott!“ und Voß wollte ihm bereits den Bleistift reichen, als der Dichter ruhig das Buch zurückgab und sagte: „Die Bestie soll stehen bleiben!“

Eigenthümlichkeiten Göthe's.

Das Niebelungenlied war kurz vorher erschienen, und Göthe las uns einige Gesänge daraus vor. Da nun das Altdeutsche sehr verwandt mit unserm Altdänischen ist, so kannte ich viele Worte, die die Andern nicht gleich verstanden. — „Sieh' mal,“ rief dann Göthe lustig, „da haben wir den verfluchten Dänen wieder!“ — „Nein, Däne,“ sagte er einmal in demselben Ton, „hier kommt Etwas, was Du doch nicht verstehen kannst:

„Es war der große Siegfried, er aus dem Grase sprang,
Ihm ragete von dem Herzen eine Speerstange lang,“

Ihm ragete von dem Herzen eine Speerstange lang!“ wiederholte er erstaunt, indem er die Worte stark in seinem Frankfurter Dialekte betonte: „das ist capital!“

Ein Mal bei Tisch sprach er so eifrig und mit so viel Achtung und Kraft für Bürgerrecht und Bürgerehre, einem kalten Herrn gegenüber, der die Handlungsweise eines wackern Mannes verdrehen und verspotten wollte, daß ich's nicht lassen konnte, als der Fremde fortgegangen war, ihm um den Hals zu fallen und ihn zu küssen, was er herzlich erwiderte, indem er mit Wärme sagte: „Ja, ja, lieber Däne! Ihr meint's auch treu und gut in der Welt.“ — Er sagte gern „Ihr“ in vertrauter Rede zu Leuten, die er lieb hatte. Joh. Heinr. Voß (der Jüngere) erzählte mir, daß Göthe, als einmal die Rede auf mich kam, mit ungewöhnlicher Wärme und Freundlichkeit[61] gesagt habe: „O, das ist mir ein herzlieber Junge!“ — Ich hätte kaum geglaubt, daß er nach der Trennung so bald sein Herz von mir wenden würde.

Die weimarische Fürstenfamilie.

Die alte Herzogin Amalie erwies mir die Ehre, mich zur Tafel zu laden; Reichardt war nach Weimar gekommen und wir fuhren zusammen nach Tieffurt. Sie war sehr gnädig, geistreich und trotz ihres Alters lebhaft und munter. Ich traf daselbst außerdem Wieland, Herrn v. Knebel, Göthe's Jugendfreund, und ihren Marschall, Herrn v. Einsiedel, der eine Uebersetzung des Terenz herausgegeben hat. Göthe hatte eins dieser römischen Lustspiele, ganz in alter Manier mit Masken, auf die Bühne gebracht; aber es blieb bei dieser einen Vorstellung, denn die Leute in Weimar wollten sich nicht um 2000 Jahre in der Zeit zurückversetzen lassen. — Nach der Mahlzeit bei der Herzogin ging Wieland in den Garten hinab und hielt unter einem großen, schattigen Baum sein Mittagsschläfchen. „Das thut er hier gewöhnlich im Sommer, wenn er bei mir speist!“ sagte die gute Fürstin. Wir gingen im Garten spazieren. Zur Theezeit kamen der Herzog, der Erbprinz, die Großfürstin und die Prinzessin von Weimar. Reichardt spielte ihnen vor, und ich mußte der Aufforderung zufolge einige alte dänische Kämpeweisen singen, die ihnen gefielen. — Sie waren Alle sehr freundlich, und Frau Schiller erzählte mir einige Tage darauf, daß die schöne, edle Großfürstin mit großer Gewogenheit von mir gesprochen habe. So hatte ich da die Freude, die Fürstenfamilie zu sehen und mit ihr zu sprechen, die so viele schöne Talente geehrt und belohnt, und zur Entwickelung der deutschen Literatur beigetragen hatte.

Frau v. Wollzogen, Frau Schiller's Schwester, die Verfasserin des geistreichen Romanes Agnes v. Lilien, und Frau v. Schardt, geb. Bernstorf, erwiesen mir auch viel Freundlichkeit.

Als ich fortreiste schrieb ich dem jungen Göthe meine dänische Uebersetzung von Göthe's Erlkönig in das Stammbuch und fügte zum Schluß die deutschen Verse hinzu:

[62]

Erinnern Sie sich, wenn längst ich schied,
Bei der Uebersetzung des Vaters Lied,
Des Dichters vom Lande, wo Nacht und Wind,
Und Elf und Schauder zu Hause sind.
In Weimar weht es schon mehr gelind;
Gott segne den Vater mit seinem Kind.
Denkblätter für mein Stammbuch.

„Ja, ja,“ sagte Göthe, als er es gelesen hatte, indem er mir freundlich ins Auge sah, und die Hand auf meine Schulter legte: „Ihr seid ein Poete!“ In mein Stammbuch schrieb er:

„Zum Andenken guter Stunden, dem Verfasser des Aladdin.“

Frau Schiller schrieb:

Der Sänger.

Er breitet es lustig und glänzend aus,
Das zusammengefaltete Leben;
Zum Tempel schmückt er das irdische Haus,
Ihm hat es die Muse gegeben.
Kein Dach ist so niedrig, keine Hütte so klein,
Er führt einen Himmel voll Götter hinein.“

Frau Wollzogen schrieb: (auch nach Schiller)

„Mit dem Genius steht die Natur im ewigen Bunde,
Was der eine verspricht, leistet die andere gewiß.“

Riemer schrieb die Göthe'schen Zeilen:

„Danke, daß die Gunst der Musen
Unvergängliches verheißt;
Den Gehalt in Deinem Busen,
Und die Form in Deinem Geist.“

Ich komme später in dieser Lebensbeschreibung darauf, von Herrn Riemer zu sprechen.

Nun verließ ich das deutsche Athen, wo ich so viele Freuden genossen, und ahnte nicht, daß ich diese Stadt nach wenigen Monaten als den unglücklichsten Schauplatz des traurigsten Krieges wiedersehen würde.

Jena. — Frommann. — Göthe.

Um Göthe's Gesellschaft noch acht Tage zu genießen, ging ich nach Jena, wo er sich etwas aufhielt, ehe er seine gewöhnliche Sommerreise nach Carlsbad machte. Es war ein schwüler[63] Tag, als ich von Weimar nach Jena wanderte; ich war warm und löschte meinen Durst rasch an einer vorüberfließenden eiskalten Quelle. Als ich nach Jena kam, fühlte ich eine Engbrüstigkeit, die mich im Anfang ängstigte und ich dachte: „Solltest du dir durch das Trinken des kalten Wassers, als du erhitzt warst, geschadet haben?“ — Ich war mit Göthe bei dem Buchhändler Frommann; ich konnte mich aber nicht recht darüber freuen, weil mir so beengt war. Doch sagte ich es Niemandem. — Da sah ich zum Fenster hinaus und entdeckte einen großen strahlenden Regenbogen, in dem hauptsächlich der grüne Streifen, die Farbe der Hoffnung, vorleuchtete. Bei diesem Anblick schwand meine Furcht; und ein paar Tage darauf athmete ich wieder leicht, nachdem mir ein alter Arzt dort in der Stadt Kampfertropfen gegeben. Aber das Gefühl jenes Tages und das Bild des Regenbogens schwebte mir vor der Seele, als ich drei Jahre darauf den fünften Act von Correggio dichtete.

Bei Frommann's war ich wieder wie zu Hause. Sie waren Göthe's Gastfreunde, besuchten ihn in Weimar, und wenn er nach Jena kam, war er täglich bei ihnen, das heißt am Abend nach der Arbeit. Er bewohnte mit Riemer einige alte, kühle Zimmer ganz allein auf dem alten Schlosse. Hier saß der Poet in Ruhe und ließ indessen den Minister in Weimar zurück.

Dieses öde Schloß war wirklich ein vortrefflicher Aufenthaltsort zum Dichten und Schreiben; auch mußte es ja wohl schön sein, einen gebildeten gelehrten Freund bei sich zu haben. Aber das Dictiren, das Göthe anwandte, ist mir stets ein unbegreiflich Ding gewesen. Es giebt Augenblicke, meine ich, wo der Mensch mit sich und Gott allein sein muß, ebenso wie im Gebete, und der Augenblick des Dichtens ist ein solcher. In der Gegenwart eines Andern scheuet man sich doch immer etwas seine Gefühle zu äußern und sein Herz zu öffnen. Und kann man es nicht an Göthe's Schriften aus der spätern Periode sehen, daß er solch' einen Aufpasser im Augenblick der Empfängniß gehabt hat? Die ruhige, klare Darstellungsweise, Besonnenheit[64] und Billigkeit haben vielleicht dadurch gewonnen; aber auch Begeisterung, kräftiges Gefühl, aufrichtige, herzliche Mittheilung? — Und soll wirklich der Dichter darnach streben, bei seiner Kunst kalt zu bleiben? Ist es eine Vollkommenheit mehr, daß seine Individualität sich in der Allgemeinheit verliert? In der Dichtkunst ist und bleibt meiner Ansicht nach das Subjective doch die Hauptsache. Je genialer ein Dichter ist, desto vielseitiger ist er gewiß auch; desto mehr verschiedene Objecte kann er durchdringen und darstellen. Aber die Poesie besteht gerade in diesem schönen Empfangen und Darstellen. In den Werken eines Dichters bewundern wir ganz besonders seinen Geist. Wenn wir den Straßburger Münster sehen, oder das Leben des alten Ritters Berlichingen oder das Mährchen vom Faust lesen, so wirkt das Alles ganz anders auf unsere Seele ein, als wenn wir Göthe's Beschreibungen und Bearbeitungen lesen. Deßhalb muß der Dichter, meine ich, sich ebensowenig allzusehr in dem Gewimmel der Objecte zerstreuen, als sich zu einseitig bei dem einzelnen Objecte aufhalten; er darf auch nicht suchen durch Kunst die Eigenheit seines Wesens (Originalität) in Allgemeinheit zu verwandeln. Er ist und bleibt doch eine schöne Ausnahme; das soll er sein und sich davor hüten, ein Sonderling zu werden. — Daß der große Göthe, obgleich er in späteren Jahren seine Gedichte dictirte, uns doch noch viel Schönes schenkte, das danken wir seinem mächtigen, durch keinen Zwang ganz zu fesselnden Genius. Aber ich bin überzeugt, er würde bis ans Grab noch mehr von seinem humoristischen Jugendfeuer, von jener schönen Leidenschaft eines gefühlvollen Herzens ohne Nachtheil für seine Kunst bewahrt haben, wenn er nicht dictirt hätte. Man brauchte ihn ja nur reden zu hören, um sich hiervon zu überzeugen.

Bekanntschaft mit Hegel.

In Jena machte ich die Bekanntschaft des Philosophen Hegel auf eine schnurrige Weise. Er war damals noch nicht so berühmt und vergöttert, wie er es viele Jahre später wurde, obgleich er bereits ein Mann in seinen besten Jahren war. Wir[65] waren zusammen in Gesellschaft, wo ein Fremder eine sentimentale Arie beim Clavier singen wollte. Hegel und ich standen hinter dem Stuhle des Sängers; es wollte ihm nicht recht gelingen und die Verlegenheit, die in jedem Augenblicke das zarte Gefühl unterbrach, das dann wieder von Neuem angeknüpft werden mußte, war so komisch, daß weder Hegel noch ich uns des Lachens erwehren konnten. Nun mußten wir noch höflich sein, und daraus entsprang der komische Zustand, den man oft bei Kindern sieht, die nicht lachen dürfen und dadurch nur noch stärker dazu gereizt werden. Es amüsirte mich, mit dem tiefen Denker in dieser komischen Situation mich zu befinden. Das brachte uns gleich in eine Art Vertraulichkeit zu einander, und so lange ich in Jena war, erwies Hegel mir stets Freundschaft. Wir gingen täglich mit einander um, er war lustig und gutmüthig, ich bewunderte seinen Scharfsinn, und er achtete meine Ansichten und Gedanken, obgleich ich kein theoretischer Philosoph war oder sein wollte. Ich disputirte auch mit ihm, weil er Göthe's Götz von Berlichingen durchaus nicht leiden konnte.

Eine Landpartie.

Mit ihm, mit Major Knebel, Professor Schelfer und Doctor Seebeck bestieg ich eines Tags den Berg Gensich bei Jena. Knebel erzählte mir auf dem Wege Viel aus Göthe's Jugend. Es war ein warmer Tag und wir waren durstig. Am Abhange des Berges lag ein Garten, von wo Schelfer uns einige Hände voll Kirschen und Johannisbeeren holte. „Was wagen Sie da?“ fragte ich lachend. „„Es ist freilich Diebstahl!““ antwortete er, den Mund voll von Kirschen. „Ach,“ — sagte Hegel, „Schelfer ist Botaniker! daraus folgt, daß alle Kräuter und Früchte der Gegend ihm unterthänig sind. Wenn ihn Jemand mit seinem gestohlenen Gute treffen sollte, so braucht er nur zu sagen, daß er botanisirt und Alles ist in Ordnung.“ Auf dem Rückwege plagte uns wieder der Durst. Nun fanden wir zwar keine Johannisbeeren, dagegen aber einen klaren Bach, um den wir uns Alle niederlegten und Wasser durch Strohhalme einsaugten. Dies muß eine sehr malerische Gruppe abgegeben[66] haben; aber sie war zugleich allegorisch: so saugen Helden, Philosophen, Gelehrte und Dichter Erquickung durch das kleine Saugrohr des Lebens aus der stets vorüberfließenden Lebensquelle ein, und vergessen nicht die schönen Augenblicke, wo sie es in brüderlicher Eintracht mit einander thaten.

Gedicht an Charlotte Schiller.

Göthe reiste bald nach Carlsbad, Frommann nach Gotha, ich wartete nur auf meinen Wechsel; er blieb vierzehn Tage zu lange aus. Indessen verlor ich den Muth nicht; ich brachte drei Acte meines Aladdin's in deutsche Jamben. Frommann wollte den Verlag übernehmen, wenn das Manuscript fertig sei, welches ihm dann gleich zugesandt werden sollte. Göthe hatte mir versprochen, den Hakon Jarl auf den besten deutschen Theatern zur Aufführung zu bringen. Endlich kam der Wechsel und zugleich mit ihm mein Landsmann, der Probst Engelbreth. Ich besuchte erst den Superintendenten Marezoll, dessen Predigten ich in Kopenhagen gern gehört hatte; ich grüßte ihn von seinen Freundinnen, Frau Rahbek und Christiane Heger; darauf reiste ich mit Engelbreth nach Dresden. Frau Schiller hatte mir die lyrischen Gedichte des seligen Schiller zum Geschenk gesandt; ich schickte ihr dafür folgendes Gedicht, welches an der Spitze meiner gesammelten deutschen Gedichte steht.

An Charlotte Schiller.

Der Sänger geht am schmalen Stege,
Im Schatten blühender Natur;
Verschmäht die gar zu breiten Wege.
Gepflastert durch des Haufens Spur;
Da muß er Vieles überwinden,
Durch manchen Dorn er dringen muß;
Wo er gehofft, den Bach zu finden,
Trifft er den brausend wilden Fluß.
  Doch kämpft er gern sich, unverdrossen,
Selbst durch den tiefsten Tannenwald;
Wird er mitunter rund umflossen —
Es muß sich ja doch enden bald![67]
Wo Dornen stechen, blühen Rosen;
Das Dickicht führt zu einer Au',
Es endigt sich der Wolke Tosen,
Sie flieht und läßt den Himmel blau.
  Und steht er endlich dann im Haine,
Im dunkelgrünen Buchenhain,
Röthlich beglänzt im Abendscheine,
Dann ist er länger nicht allein.
Wie durch der Aeolsharfe Töne
Die Lüfte gaukeln, voller Lust,
So zittert auch durch ihn das Schöne,
Und klingt hinaus durch seine Brust.
  Und durch die Bäume drängt sich leise
Zum breiten Heerweg der Gesang:
Da kommt das Rad aus seinem Gleise,
Dem Fuhrmann wird's im Herzen bang';
Zum grünen Tempel der Gesänge
Fühlt er zu lenken sich geneigt;
Besinnt sich aber, folgt der Menge,
Glaubt, daß sich dort die Elfin zeigt.
  Der Sänger wandert über Hügel.
Er steigt getrost, und kommt der Fluß,
Dann schwimmt er kühn; mit losem Zügel
Auf Abenteu'r er reiten muß.
Und Alles, was ihm so begegnet,
Dringt in sein Herz gewaltig ein;
Und ob es stürmet oder regnet,
Muß er doch wohl zufrieden sein.
  Nichts Endliches kann ihn beglücken,
Nichts Endliches vernichtet ihn.
Und jede Kraft muß ihn entzücken
Und durch sein ganzes Wesen glühn;
Im Schauen muß er sich vertiefen,
Was ihn verhindert, merkt er kaum;
Es ist ihm, als wenn Viele schliefen;
Selbst freut er sich im schönsten Traum.
  Doch hat er lange so mit Wonne[68]
Den schönen Weg zurückgelegt,
Dann kommt der Abend, sinkt die Sonne,
Und kalt sich jedes Blatt bewegt,
Dann ist er Mensch; und er begehret
Nach dem, was wieder ihn belebt;
Was ihm der Augenblick verwehret,
Weil er nicht klug danach gestrebt.
  Doch kommen Bauern her im Walde,
Und speisen ihn mit Obst und Brot.
Er ißt, trinkt aus der Quell', und balde
Vergißt er die verschwundne Noth.
Und mit der frühen Morgenröthe
Erwacht er bei dem ersten Schall,
Blickt um sich, greift und bläs't die Flöte,
Wetteifernd mit der Nachtigall.
  Es kommen aber viele Tage,
Wo nicht die Sonn' im Walde scheint;
Es tobt kein Sturm; in stummer Klage
Nur Gras und Blatt und Hügel weint;
Es ist nicht Kampf, kein kühnes Ringen,
Ist lebenlose Trauer nur;
Die Harfe selbst kann hell nicht klingen;
Sie ist so schlaff, wie die Natur.
  Dann sehnt er sich wohl nach den Mauern
Und in den lichten Saal hinein,
Wo Gäste sitzen ohne Schauern,
Bei schönen Frauen, gutem Wein.
Dann denkt er auch, wenn fern er schauet
Ein schönes, reichbegabtes Haus:
Warum ist es nicht Dir erbauet?
Und warum schließt Dich Alles aus?
  Und weil er fühlt im tiefsten Herzen,
Was auf die weiche Seele fällt,
Müßt' ihn auch tief und bitter schmerzen
Die Stumpfheit, Blödigkeit der Welt,
Und die Verschmähung seiner Lieder,[69]
Der Hohn, der Trotz, der Frevelmuth,
Wenn die Natur nicht freundlich wieder
Das Unheil machte immer gut.
  Am Wege, dort wo er gesungen,
Neugierig horchten sie, im Flug;
Kaum aber war das Lied verklungen,
So hatten sie daran genug!
Er sang von Ceres Aehrenhaufen,
Die in den goldnen Garben stehn.
Sie gehn das Korn nur zu verkaufen;
Im Gelde nur das Gold sie sehn.
  Jetzt singt er laut in ernsten Liedern
Von der verschwundnen Menschen Thun,
Erzählt von den verstorbnen Brüdern,
Die tief im moos'gen Grabe ruhn.
Er singt: Wie durch des Grabes Hügel
Sich hebet frisch der Rosmarin,
So hebt sich auf der Zeiten Flügel
Das Leben auch zum neuen Blühn.
  Sie hören's nicht. Doch Ein'ge kommen,
Und sie verlassen ihren Weg;
Sie haben gern das Lied vernommen
Und folgen ihm auf seinem Steg.
Und hurtig wird der Bund geschlossen;
Die Seele kennt die Seele bald.
Und öfter folgen unverdrossen
Sie ihrem Freund durch seinen Wald.
  Doch Männer sind zur That berufen,
Und That verhindert der Verein;
Sie müssen steigen ihre Stufen
Und mit sich selbst beschäftigt sein.
Das Lied giebt ihnen Muth und Leben,
Ermuntert gehn sie wieder fort.
Sie danken ihm, weil er gegeben —
Und — einsam steht er wieder dort.
  Wer sitzet auf der Wolken Rande,[70]
Den Lorbeerzweig in weißer Hand,
In himmelstrahlendem Gewande,
So fremd und doch so wohlbekannt?
Entfernet von dem Erdgetümmel,
Vernimmt sie doch das Lärmen gern;
Vergißt darüber selbst den Himmel;
Es klingt ihr wie ein Lied von fern.
  Es ist die Muse. Freundlich schauet
Sie ihren vielgeliebten Sohn.
Ihr sanftes Auge sich bethauet;
Sie sinnt auf einen würd'gen Lohn;
Sieht, wie nach ihrem Götterbilde
Er strebt so treu, bei Tag und Nacht;
Und — eine Jungfrau — schön und milde,
Begegnet sie ihm auf der Jagd.
  Erröthend nähert sich die Schöne
Verschämt dem vielgeliebten Mann;
Und — wie Telemachos Athene —
So staunet sie der Jüngling an.
Er kannte längst das holde Wesen,
Sieht sie doch jetzt zum ersten Mal.
Er kann in ihren Blicken lesen
Und fühlt der Göttin Liebestrahl.
  Da singt sie: Jede schöne Blume
Hebt sich mit ihrer Blätterschaar
Vom Staub hinauf zum Heiligthume,
Und reichet Gott die Krone dar.
Doch stehn die Wurzeln tief im Grunde,
Worin der Lebenssaft sich regt;
Daß sie gedeih', daß sie gesunde,
Ist nöthig, daß sie Liebe pflegt.
  Ich will die Gärtnerin im Garten
Dir werden, denn Du liebest mich!
Entwickle Blumen aller Arten!
Ich hege, Freund, ich pflege Dich.
Nie sollst Du Dich allein befinden;[71]
Scheint nicht die Sonne länger warm,
Wenn Strahlen, Tag und Farben schwinden,
Dann ruhe süß in meinem Arm. —
  Er sieht der Mittlerin des Lebens
Entzückt in's lichte Augenpaar.
Er überredet sich vergebens,
Daß dieß ein irdisch Mädchen war!
Er fühlt sich neubegeistert wieder,
Der Weg ist länger nicht so hart.
Er singt sein Heil, — und schöne Lieder
Verkünden ihre Gegenwart.
  Sie hat mit Lorbeern ihn bekrönet,
Und durch ein wundersam Geschick
Sieht er sich plötzlich ausgesöhnet
Jetzt mit der Zeit, dem Augenblick.
Nun will er nichts von Trennung wissen!
Das Glück steht ihm nicht länger fern.
Was Lieb' erst hatte wild zerrissen,
Vereinigt Liebe wieder gern.
  Ein jeder Sänger, dessen Leier
In Waldes Einsamkeit ertönt,
Trifft seine Muse, die ihn, freier,
Bald mit der ganzen Welt versöhnt.
So schmücktest Du dem großen Sänger
Den Weg mit lichtem Lebensmai;
Du machtest ihm den Busen enger,
Und dadurch ward der Busen frei.
  Du lindertest so hold sein Leiden,
Da war das Leben nicht vergällt;
Beglücktest ihn mit Vaterfreuden
Und zeigtest heiter ihm die Welt.
Da ward er ruhig und geduldig,
Er fühlte sich von Gott bestrahlt.
Wir sind ihm, ach, so Vieles schuldig!
Doch Du hast ihm für uns gezahlt.
  Drum nimm auch dieses Lied zum Danke,[72]
Das treu aus meinem Herzen bricht;
Wohin ich in der Welt auch wanke,
Vergeß' ich Deiner Milde nicht.
Ich seh' im heil'gen Abendschauer,
Wenn düster die Cypressen wehn,
Dich, eine Blum', in Liebestrauer
Am Grabe des Geliebten stehn!
Antwort darauf.

Als Antwort auf dieses Gedicht erhielt ich folgenden Brief von ihr:

Weimar, den 14. Juli 1806.

„Ich fühle wohl, daß es mir nicht gelingen kann, Ihnen auszusprechen, was mein Herz bewegt, und doch möchte ich Ihnen sagen, wie tief mich Ihr Gedicht ergriffen!

Ich danke Ihnen, daß Sie mich verstanden haben, daß es Ihnen klar wurde, den Wunsch aufzulösen, der mich durch mein Leben begleitete. Ich danke Ihnen, daß Sie es ausgesprochen, was ich Schiller sein wollte.

Doppelt heilig ist mir dieses Gedicht, es wird mir ein süßes Andenken meiner Liebe bleiben, und ich werde immer mit Wehmuth bei dem Geiste verweilen, dessen schöne Phantasie in so reichen Formen die Gefühle meines Herzens ansprach.

So lange ein Herz fähig ist, sich vor den ungefälligen harten Eindrücken einer ungleichartigen Welt zu verwahren, so lange wird auch auf jedes Gemüth alles Große und Schöne, was Sie so tief zu fühlen vermögen, und mit solcher Wärme aussprechen, tief wirken. Ich hoffe, daß der Genius der Dichtkunst mir hold bleiben wird bis ans Grab, und mir solche freundliche Erscheinungen noch schenken, wie mir die Ihrige war.

Ich hoffe auch, wir sehen uns wieder, mein Antheil und meine Dankbarkeit werden stets Gefühle für Sie bleiben, die ich mir gern im Herzen aufbewahre. Möge die Welt immer Ihrem Geiste in einem hellen Glanz erscheinen und die Freude Sie begleiten! Leben Sie wohl und glücklich!“

Charlotte v. Schiller.


[73]

Reise nach Dresden.

Am 12. Juni zogen wir im schönsten Wetter von Jena durch Lützen und stiegen auf der Landstraße einen Augenblick ab, um den mit Pappeln umringten Stein in der Nähe zu betrachten, wo der große Gustav Adolph gefallen war. In Leipzig aßen wir Lerchen, besuchten die schönen Spaziergänge und das Grab des guten Gellert.

Mit uns waren zwei Juden, die auf dem Wege sehr andächtig beteten. Wir kamen an einem Galgen vorüber; in Folge dessen äußerte der eine Jude mit größter Bitterkeit seine Indignation über die übertriebene Gerechtigkeit. „Sie sind froh“ — sagte er — „wenn sie Einen zu hängen kriegen; damit die Gerechtigkeit nicht vergessen werden soll.“

Wir übernachteten in der Stadt Oschatz, welchen Namen August II. der Stadt gegeben, weil er daselbst ein hübsches Mädchen gesehen hatte.

Durch Meißen kamen wir an den herrlichsten Elbgegenden entlang nach Dresden, und hier traf ich wieder eine anmuthige Natur, wie ich sie, seitdem ich Dänemark verließ, nicht gesehen hatte; denn der Garten in Weimar war wohl schön aber klein; die Gegend bei Halle kann nicht mit der seeländischen verglichen werden, und Berlin liegt in einer Sandwüste.

Paßverdrießlichkeit.

In Dresden verlangte der Wirth meinen Paß. Ich hatte von Kopenhagen meinen Rathhauspaß mitgenommen, weil ich damals noch nicht wußte, ob ich das Reisestipendium bekommen würde. Als ich den Brief von der Direction des Fonds ad usus publicos erhielt, hätte ich gleich einen ordentlichen Paß von Hause verlangen sollen; aber das hatte ich vergessen. Ich war von Halle nach Berlin, von Berlin nach Weimar und Jena gereist, ohne daß Jemand verlangt hätte, meine Legitimation zu sehen. Ich sagte also dem Wirth in Dresden, daß ich nur einen dänischen Rathhauspaß hätte, daß ich aber gleich zu unserm Minister gehen, und ihn um ein paar Zeilen zur Aushülfe so lange bitten wolle, bis ich einen französischen oder lateinischen Paß von Kopenhagen erhielte.

[74]

Ich traf den Minister nicht zu Hause; aber um mich zu legitimiren, sandte ich ihm einige Briefe, und unter diesen den Brief von der Direction des Fonds ad usus publicos.

Der Minister von Bülow ließ mich rufen. Ich kam. Er trat mir langsam mit den Papieren in der Hand entgegen und sagte sehr ernst: „Ich sehe, Sie reisen auf Menschenkenntniß, und Sie haben keinen Paß? Wie soll ich das verstehen?“ Ich antwortete: „„Ew. Excellenz! gerade weil ich noch keine Menschenkenntniß habe, reise ich, um sie zu erlangen.““ „Ja, mein Herr,“ entgegnete er, „das ist ganz schön! Sie schicken mir Ihre Papiere, um mir Ihre Persönlichkeit zu beweisen; aber ich will Ihnen Etwas sagen! lassen Sie uns den Fall setzen: Sie verlieren diese Briefe, ein Anderer findet sie, und giebt sich für Sie aus (wir haben vor Kurzem einen solchen Fall gehabt); soll ich ihn deshalb gleich für Sie halten?“ — Ich entgegnete: „„Ich verdenke es Ew. Excellenz nicht, daß Sie an meiner Ehrlichkeit zweifeln; aber Sie können es mir auch nicht verdenken, wenn mir dies sehr unangenehm ist. Doch ich will Ihnen einen Vorschlag machen““ — fuhr ich lustiger fort — „„Sie hören doch, daß ich ein Däne bin; geben Sie mir ein Thema, welches Sie wollen; geben Sie mir Feder, Dinte und Papier; dann will ich Ihnen gleich einen Vers darüber machen. Es wäre doch wunderlich, wenn es sich so träfe, daß der unrechtmäßige Finder der Briefe auch ein dänischer Dichter wäre. Doch ich weiß ein besseres Mittel,““ sagte ich ernster, „„unten auf der Straße begegnete ich dem Herzog von Weimar; er hat mich bei seiner Frau Mutter der Herzogin Witwe gesehen; ich will Se. Durchlaucht um ein paar Zeilen bitten, durch die ich mich legitimiren kann, bis mein Paß von Kopenhagen kommt. Ich habe bereits darum nach Hause geschrieben.““ Nun fragte der Minister, ob ich mich nicht setzen wolle, es ließe sich wohl noch Alles in Ordnung bringen; aber ich verbeugte mich und empfahl mich gehorsamst.

Zusammentreffen mit Landsleuten.

Mehr Unannehmlichkeiten bereitete mir diese, freilich unverzeihliche[75] Vergeßlichkeit nicht. Ich brachte dem Appellationsrath Körner einen Brief von Göthe; meine Landsleute Bröndsted und Koës kamen kurz darauf nach Dresden; Engelbreth war bereits mit mir angekommen. Bald traf auch Bischof Münter ein; und so wurde es mir leicht, meine Persönlichkeit, und daß ihr nichts Ungesetzliches anhafte, zu beweisen. Der Minister, der durchaus Nichts gegen mein Ich einzuwenden, sondern nur an dessen wirklicher Existenz gezweifelt hatte, lud mich später zu sich zu Tisch. Aber ich entschuldigte mich ehrerbietigst. Es war mir unangenehm, einen Mann wiederzusehen, der einen Augenblick an meiner Ehrlichkeit gezweifelt hatte. Es nützte Nichts, daß die Andern mir sagten: „Aber er kannte Dich ja nicht!“ — Mit jugendlichem Uebermuth antwortete ich: „„Er hätte mir auf mein ehrliches Gesicht hin glauben müssen.““ — Seine Töchter traf ich später zuweilen bei Körner's; sie waren sehr liebenswürdig und geistreich; wir sprachen oft freundlich mit einander und eines Abends begleitete ich sie bis an ihre Hausthür.

Komische Scene mit Bischof Münter.

Mit dem Bischof Münter traf in Dresden eine komische Szene ein, die ich, so unschuldig sie auch war, während seines Lebens doch nicht veröffentlichen wollte. Nun kann sie mit als ein Beitrag zu den nicht wenigen Anekdoten dienen, welche von den Zerstreutheiten dieses gelehrten gutherzigen Mannes erzählt wurden, deren doch viele erdichtet sind, oder ihn nicht betrafen.

Er hatte gehört, daß ich meinen „Baldur den Guten“ vollendet, und darin Trimeter, Anapäste und mehrere griechische Versformen angebracht hatte; als ein großer Freund und Vertrauter der Griechen, als ein Jugendfreund von Ewald, der auch einen Balder geschrieben hatte, wünschte er nun, das Stück zu hören. „Besuchen Sie mich morgen Nachmittag!“ sagte er, „und lesen Sie mir Ihren Baldur vor, dann wollen wir eine Tasse guten Thee zusammen trinken. Hier in Dresden giebt es keinen guten Thee, aber ich habe solchen von Kopenhagen mitgenommen.“ — Ich kam zur bestimmten Zeit, doch als ich ins Zimmer trat, fand ich den Bischof von einem Dampf umgeben,[76] der ihn fast unkenntlich machte, und der mir, der ich aus der frischen Luft kam, so drückend auf die Brust fiel, daß mein erstes Wort war: „Um Gottes Willen, Ew. Hochehrwürden! wie können Sie das aushalten?“ worauf ich, ohne um Erlaubniß zu bitten, hineilte und beide Fenster weit aufriß. — „„Ja, ich kann es gar nicht begreifen, es raucht hier drin auch mitten im Sommer, wenn man gar nicht einheizt.““ — Nun entdeckte ich mitten im Rauch einen Theekessel auf einem Feuerbecken mit Kohlen, die noch nicht ausgebrannt waren und einen tödtlichen Qualm verbreiteten. „Das kommt vom Feuerbecken!“ rief ich. — „„Ja wahrhaftig,““ sagte der Bischof, „„das glaube ich auch, da hat Johann wieder (oder wie der Diener hieß) einen dummen Streich begangen. Johann! Johann! nimm gleich das Feuerbecken hinaus. Wie ungeschickt benimmst Du Dich?““ — Johann kam herein, setzte den Theekessel auf die Ofenplatte und nahm das Becken mit sich hinaus. Nun fing der Bischof an, mich sehr eifrig über den Baldur zu fragen. Als eine geraume Zeit darüber vergangen war, nahm ich mir die Freiheit, ihn daran zu erinnern, daß wir ja guten Thee trinken wollten. „Das ist wahr!“ rief er, „das hätte ich beinahe vergessen.“ Darauf warf er eine große Hand voll von dem guten Thee (es war grüner Thee) in die Kanne, goß sie voll lauwarmen Wassers (denn das Wasser im Kessel hatte zu kochen aufgehört), und ohne einen Augenblick zu zögern (da er sich darnach sehnte, das Stück zu hören), schenkte er die Tassen voll. Die grünen zusammengerollten Blätter hatten nicht Zeit gehabt, sich zu entfalten, und da die Theekanne eine große Oeffnung hatte, kamen mehrere Blätter in demselben Zustande in die Tassen, in dem die Hand sie in die Kanne gebracht hatte. So bekam ich also „guten Thee“ zum ersten Mal in Dresden, so wie man ihn in China selbst trinkt: mit den Blättern darin; aber wenn meine Dichterblätter dem Bischof nicht besser geschmeckt haben, als seine Theeblätter mir, so wäre es schlimm gewesen.

Das ließ ich mir damals nicht träumen, daß ich später[77] zwölf Jahre im Hause dieses edeln Mannes wohnen, und daß er fast in meinen Armen sterben würde.


Theodor Körner.

Körner war Schiller's Jugendfreund gewesen. Auf seinem Weinberge hatte der unsterbliche Dichter seinen Don Carlos geschrieben. Die ganze Familie hatte sehr viel Sinn für Poesie. Theodor, der spätere Held und Tyrtäus war damals, als ich sie besuchte, ein hübscher vierzehnjähriger Knabe, der sehr fromm und aufmerksam zuhörte, wenn ich meine Gedichte vorlas. Seine Schwester Emma malte schön; ein Fräulein Kunze, welche dort im Hause war, sang vortrefflich. Der muntere, geniale Italiener Paër, den Napoleon später als Kapellmeister nach Paris berief, kam häufig in Körners Haus und ich hörte ihn oft selbst mit den Damen aus seinem Sargino singen. Fräulein Stock, eine vortreffliche Pastellmalerin, Frau Körner's Schwester, war munter und witzig und amüsirte sich zuweilen damit, mich meiner allzugroßen Jugendlichkeit und Vorliebe für das Blühende wegen zu necken.


Ansichten über Kirchenmusik.

Es freute mich, Musik in der katholischen Kirche zu hören, doch war die Musik hier nicht immer nach meinem Sinn: sie war mir zu sinnlich, zu lärmend. Ich vermißte die ernste würdige Erhebung, das treue innige Gefühl; und obgleich ich über die starken Diskantstimmen der Sänger staunte, konnte ich doch nicht umhin, an das Schicksal dieser armen Menschen zu denken, und dies störte mein religiöses Gefühl vollständig. Ich sprach einmal mit einem Landsmanne, der sich in Dresden niedergelassen hatte, über diese Sänger und äußerte ihm mein Mißvergnügen. Er war ein sehr tüchtiger Kopf und selbst ein guter Künstler; aber paradox und scharf in seinen Ansichten. „Sind Sie auch so ein nordischer Barbar, der der großen Kunst nicht einmal ein kleines Opfer gönnt?“ — „„Man sollte solche Virtuosen, wie die Baßgeigen, in Futterale hinstellen, wenn man[78] sie gebraucht hat,““ entgegnete ich; „„es schneidet mir ins Herz, einen so aufgeschwollenen, schwammigen Halbmann zu sehen. Es widert mich an, daß ein armes Geschöpf, an dem die Menschen sich versündigt haben, als Wortführer für die Menschen auftreten und Bravourarien zu Gottes Ehre krähen soll. Das kann weder rühren, noch stärken, noch erheben; und was ist Kirchenmusik, wenn sie das nicht kann?““ — Der bewundernde Kenner zuckte die Achseln und hatte wahrscheinlich Mitleiden mit meinen Ansichten. Ein anderes Mal stand ich mit einem klugen Mann vor einem Portrait von Göthe, welches Buri gemalt hatte, und vor einer Copie von Leonardo da Vinci's Christus, wo er sagt: Gieb dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist. „Welch ein Unterschied,“ sagte ich, „auf diesen beiden Gesichtern!“ — „„Ja gewiß,““ entgegnete der Andere: „„Hier ist ein Antlitz voller Hoheit und Unschuld, und dort ein Mensch, der, wenn er in sein eigenes Herz blickt, lauter schwarze Flecken findet.““ — „Flecken finden alle Menschen in ihren Herzen,“ antwortete ich. „Das Andere ist ein Ideal; aber es erscheint mir trotz seiner Schönheit doch zu weibisch für einen Christus.“ So mußte ich mich größtentheils durchschlagen; denn ich hörte oft übertriebene, einseitige Ansichten, nicht der Modeansichten zu gedenken. Ich habe mich immer über jede Mode geärgert, die die Menschen in eine einseitige Richtung hineinziehen will. Nun sollte Alles katholisch, altdeutsch oder italienisch sein, und was nicht so war, das war vom Uebel. Ich fühlte einen Trieb in mir, mich der verschmähten Gegenwart und ihrer guten Leistungen anzunehmen. In diesem Vorsatz war ich durch Göthe, der dies Franz-Sternbaldisiren, wie er es nannte, auch nicht leiden konnte, bestärkt worden.


Ansichten über die Malerkunst.

Ich besuchte gern die Bildergalerie. Ich habe den Lesern erzählt, daß ich nicht unbewandert in der Zeichnenkunst war; und Alles, was die Malerei an Poesie in sich aufnehmen kann,[79] konnte natürlich einem mit Worten malenden Dichter nicht fremd oder gleichgültig sein. — Aber das war bei Weitem nicht genug; das nannte man jetzt etwas Untergeordnetes. Mit dem religiösen Gefühle sollte man nun die Werke auffassen; nur so könne man ein Eingeweihter der Kunst werden. Ich dachte: Auch gut! Alles Poetische gründet sich ja zuletzt auf ein religiöses Gefühl; ich kann auch fühlen. Aber wieder vorbeigeschossen! Dies wurde trivial und sentimental genannt! Eine erhitzte Phantasie mußte mit mystischen Bildern ausgeschmückt werden; wenn diese Bilder auch zuweilen apocalyptisch sein mochten, so war das um so besser.

Wie leicht es war, einen solchen Kunstsinn, bei geistlosen ungebildeten jungen Männern zu wecken, ist leicht zu begreifen; und deßhalb traf ich auch jeden Augenblick Kunstkenner, welche nicht wußten, wie eigentlich ein Arm oder ein Bein aussehen müsse; die nie in ihrem Leben ein menschliches Antlitz mit Aufmerksamkeit betrachtet hatten, die kaum blau von grün unterscheiden konnten, aber doch sehr tief und vornehm über alte Meisterstücke redeten, und mit Verachtung auf Alles herabblickten, was während ihrer Lebenszeit geschaffen war, wenn es nicht einen gewissen Zuschnitt hatte. — Wenn ich von pecus imitatorum rede, so meine ich natürlich nicht die geistreichen Männer, die durch ihre Schriften Veranlassung zu dergleichen Uebertreibungen gegeben haben. Ich habe vor jedem genialen Blicke Achtung, vor jeder originellen Idee, selbst wenn sie übertrieben ist. Die neuere Schule hatte das Verdienst, die Welt mehr als früher auf die zu wenig bekannten Kunstwerke des Mittelalters aufmerksam zu machen; und ich glaube, daß die Gemälde jener Zeit mehr verdienen, Meisterwerke genannt zu werden, als die Gedichte. Welcher Mensch mit Geist und Herz sieht nicht ein, daß eine poetische Composition schöner characteristischer Gesichter, ein lebhaftes frisches Colorit meisterhaft genannt zu werden verdienen, wenn selbst das matteste Auge in unserer Zeit einzelne technische Fehler entdecken kann? Welcher verständige Kenner verachtet[80] nicht eine oberflächliche, flüchtige, coquette Manier bei vielen neueren französischen und italienischen Malern, unter der sich eben soviel technische Fehler, wie in jenen Bildern verbergen; wo aber weder Geist noch Gefühl oder Phantasie die Fehler ersetzen.

Ich schreibe hier keine Kunstkritik, und werde mich wohl hüten, dieses Buch, wie die Mode ist oder war; mit weitläufigen Gemäldebeurtheilungen anzufüllen. Ich habe immer gesucht, Sinn und Auge für malerische und plastische Gegenstände zu bilden, wie es sich für einen Dichter und einen Lehrer in den schönen Wissenschaften ziemt; aber um ganz in die Einzelnheiten solcher Dinge einzudringen, muß man selbst ausübender Künstler sein. Winkelmann, Lessing und Göthe haben vortrefflich über Kunstwerke im Allgemeinen gedacht; Wackenroder und Tieck haben Bilder empfunden und schön darüber phantasirt; und ich habe gern und oft diese Abhandlungen und Herzensergießungen gelesen. Auch Fiorillo und Fernow habe ich gelesen.

Die Dresdner Bildergalerie.

O wie gern sah ich 1817 die Galerie in Dresden wieder! Wie bewundernd denke ich nicht noch der herrlichen Bilder Correggio's, von denen die in seiner ersten Manier mir doch kräftiger und raphaelischer vorkamen, als die berühmte Nacht. Wie erfreute mich der strenge und unterrichtende Christus von Giovanni Bellini, ein herrlicher Gegensatz zu dem süßen Christusantliz von Carlo Dolce, das sich in Harmonikatönen aufzulösen scheint. Ich sehe noch das schöne, klare Bild von Holbein, wo die fromme Bürgermeisterfamilie die Mutter Gottes anbetet. Ich entsinne mich sehr wohl der Gemälde von Raphael's herrlichen Schülern Francesco Penni, Giulio Romano und Andräa del Sarto. Und nun all' die niederländischen und flämischen Herrlichkeiten einer muntern und treu aufgefaßten Natur, deren wir viel ähnliche in Kopenhagen haben.

Raphael's Madonna.

Das erste Mal besuchte ich die Galerie in Dresden mit einer Freundin, einer herzensbraven Dame in mittleren Jahren, einem Fräulein Alberti, die aber im hohen Grade von der[81] neuen Schwärmerei angesteckt war. Mit ihr trat ich vor Raphael's Madonna hin. Ich erstaunte über die übernatürliche Schönheit und Wahrheit in diesem Bilde; aber als ich meine Freundin weinend und fast knieend vor dem Heiligenbilde sah, und sie mich in einem Bekehrungstone fragte: „Nun, Oehlenschläger, was sagen Sie jetzt?“ antwortete ich kalt: „„Es ist sehr hübsch!““ — „Gott im Himmel!“ rief sie seufzend, „Sie nennen Raphael's Madonna hübsch?“ — „„Liebe Freundin,““ entgegnete ich, „„sagen Sie mir nur Eins: Glauben Sie, daß Raphael im Stande gewesen wäre, solch ein Bild zu malen, wenn er so dagestanden und geweint hätte?““

Ich trat später allein vor das herrliche Bild hin und begriff nicht, wie so viel jungfräuliche Geistesruhe, Schönheit und naive Kindlichkeit zu Zerknirschung und wehmüthigen Betrachtungen Veranlassung geben konnte. Daß Maria mit dem Jesuskinde von der Erde zum Himmel emporzuschweben schien, war ja auch lustig; das thut jede reine und unschuldige Seele. Als ich nach Hause kam schrieb ich ein dänisches Gedicht über diesen Gegenstand, das ich später in meiner Novelle „die Mönchbrüder“ angebracht habe.

Polemische Gedichte.

Noch ein paar andere kleine deutsche Gedichte verfaßte ich in Dresden, um meinem Herzen Luft zu machen; denn mir war wirklich unter den Kunstkennern wie einem Manne zu Muthe, der zwischen einem glühenden Ofen und einem offenem Fenster sitzt, wo es stark zieht, so daß ihm die eine Seite ganz heiß, die andere ganz kalt wird. Das herzlose Demonstriren nach spitzfindigen, einseitigen, abstracten Regeln, war mir eben so zuwider, wie eine kränkliche Schwärmerei.

Künstlers Morgen- und Abendlied.

O heiliger Gott, was Dir gehört
Tief in der menschlichen Brust,
Nicht die gesunde Freude stört,
Ist nicht Schmerz, ist Lust;
Aeußert in That sich und frischer Kraft,[82]
In blühender Schönheit Schein,
Nicht die Blüthen weg es rafft,
Liebt nicht Grab und Gebein.
Christus verließ das düstre Grab,
Fuhr zur Hölle nur kurz hinab;
Jetzt des Vaters Rechte ziert,
Dort nun thätig mit ihm regiert.
Weg, Du trüber, papistischer Dunst!
Seufzen und weinen ist keine Kunst,
Wirken und weben,
Nehmen und geben,
Und tüchtig streben,
Das ist Leben!
So wollen wir leben
Und etwas leisten!
Mehr, als die Meisten!
Es ist Gottesdienst, ein Werk zu vollenden,
Wieder bilden muß Gottes Bild.
Das wollen wir führen in unserm Schild'.
Teufel noch 'mal! so wollen wir enden.

Krittlers Litanei.
(Am großen Bußtage zu singen)

Ach, lieber Herr Gott, laß mich nie
Urtheilen, wie ein hölzernes Vieh!
Laß' mich nicht in gemalten Personen
Nur sehn mathematische Dimensionen!
Lege mir etwas in den Ofen, lieber Herr Gott.
Es friert mich, lieber Herr Gott und Vater!
Blase mir ein wenig mehr Geist in die Nase hinein,
Es soll Dein Schade nicht sein.
Ich will Dich dafür in den Werken erkennen,
Auch wohl bisweilen mit Ehrfurcht nennen.
Amen! —
  Aber wenn's nicht anders werden kann,
Ach, so hilf mir armen Mann,
Daß ich einsehe bald und ganz haarklein:[83]
In's Parterr' kommt Keiner ohne Zettel hinein.
Laß' mich die thörichte Lust verlieren,
Treibe fort den eiteln Dunst;
Lehre mich, statt Werke der Kunst,
Tuch oder Leder zu penetriren.
Die Welt wird dadurch nichts verlieren,
Die Kunst wird dadurch nicht krepiren.
Ich bitte darum auf allen Vieren.
Kyrieleison. Amen!

Die Bedeutsamkeit der Kunst.

Daß aber diese herrlichen Werke meine Seele nicht allein zu polemischen Ausbrüchen hinführten, zeigt das Fragment eines Briefes, welchen ich, gleich nachdem ich in der Bildergalerie gewesen war, meiner Christiane schrieb:

„Gestern war ich zum ersten Mal in der Bildergalerie. Was soll ich Dir von den zwei Stunden Aufenthalt unter all diesen Herrlichkeiten sagen? Es ist wie der erste süße Kuß der Geliebten. Wahrhaftig ich kam

in ein' Galerie
Voll Menschengluth und Geistes;
Mir ward es da, ich weiß nicht wie,
Mein ganzes Herz zerreißt es,
O Maler! Maler! rief ich laut,
Belohn' Dir Gott Dein Malen;
Und nur die allerschönste Braut
Kann Dir für uns bezahlen.„

Und damit sind sie auch bezahlt. Denn das schönste aller Mädchen, die Unsterblichkeit, hat sie in ihren Armen emporgehoben und sie mit ewigem Lorbeer bekränzt. Wenn man so in wenigen Momenten mit einem flüchtigen Blicke die concentrirte Kraft der Genialität und des Fleißes von Jahrhunderten betrachtet, so wird Einem zu Muthe, als ob Gott in einer Offenbarung die Geschichte zurückgehen und sich vor uns zeigen ließe. Und das thut er. Die großen Mirakel des Lebens[84] äußern sich durch die Kraft und das Gebet der Zauberer und diese Zauberer sind die Künstler. O, wie dankte ich Gott, daß ich auch ein Künstler bin, als ich mit bebendem Schritte den Tempel der Kunst durchwanderte, daß auch ich Bilder geschaffen hatte und schaffen sollte, die die Brust kommender Geschlechter mit Freude und Andacht erfüllen würden, wenn die meinige längst ihren letzten Saft einer kleinen bald dahinwelkenden Grabesblume gegeben, und mein Staub sich mit dem Staube meiner Mutter Erde gemischt hätte. Lebe wohl, meine beste Christiane!“


Der Maler von Kügelgen.

Ich machte die Bekanntschaft des Malers von Kügelgen, eines tüchtigen Künstlers und vernünftigen Mannes, der nicht von der neuen Krankheit angesteckt war. Er malte mein Bild, das wahrscheinlich noch in Dresden vorhanden ist.

Kügelgen's Ermordung.

Er malte auch den Philosophen Adam Müller, dessen Vorlesungen ich hörte, an denen ich mich aber nicht sonderlich erbaute. — Merkwürdigerweise hatte Kügelgen, als ich seine Bekanntschaft machte, ein großes Gemälde vollendet, welches den von einem Discus verwundeten Hyacinth in Apollo's Armen sterbend vorstellte. War es eine Ahnung von Deinem Schicksale, armer Kügelgen? Sein Leben war merkwürdig; als Jüngling verliebte er sich in ein adeliges Fräulein; der Vater erklärte, daß, wenn er sich ein so großes Vermögen erworben, daß er unabhängig leben könne, und sich dann adeln lassen wollte, er sie bekommen sollte. Kügelgen war mit diesem Vorschlage zufrieden, ging nach Rußland, wo gerade Kaiser Alexander auf den Thron gekommen war und eine Menge goldener Dosen mit seinem Bilde darauf verschenkte. All' diese Bilder bekam Kügelgen zu malen, und er hatte sich eine so große Fertigkeit darin erworben, den Kaiser zu treffen, daß er ihn aus dem Gedächtniß malen konnte. Hierdurch erwarb er sich ein bedeutendes Vermögen, ließ sich adeln, reiste nach Deutschland zurück, heirathete seine Braut und war viele Jahre glücklich. Aber er hatte doch[85] stets einen auffallend melancholischen Zug in seinem Gesicht. Vor wenigen Jahren, als er sich einen Weinberg in der Nähe von Dresden gekauft hatte, und den Herbst und Winter seines Lebens so recht im Schoße seiner Familie genießen wollte, wurde er eines Abends auf einem Wege, wo sonst nie Jemand überfallen wurde, von einem Menschen gemordet, der sich nur seiner Kleider bemächtigen wollte, um sie zu verkaufen. Am nächsten Tage fand der unglückliche Sohn die Leiche seines Vaters nackt und auf ein abseits gelegenes Feld hingeschleppt. Welch sonderbarer Uebergang vom Glück zum Unglücke im Leben eines Menschen!


Während ich in Dresden war, wollten meine Landsleute Bröndsted, Koës und Engelbreth eine Fußreise in die sächsische Schweiz machen; sie schnürten ihre Bündel und wollten mich bestimmen mitzureisen. Aber es war mir zu heiß mitten im Sommer. Ich wußte im Voraus, daß die Sonnenhitze und das Erkälten mir einen starken Schnupfen verschaffen würde, der gleich das Vergnügen störte, und ich sagte: „Nein, Kinder, zieht in Frieden dahin! Ich bin keiner jener Liebenswürdigen, die, wie Nvmphe in Göthe's kleinem Vorspiel „Was wir bringen“ sagt, es sich so sauer werden lassen, überall die holden Naturscenen aufzusuchen. Nun bin ich in Dresden und hier will ich in Ruhe und Frieden meine Dresdner Freude genießen. Ich mag lieber ein gutes einfaches Gericht, als viele kleine Gerichte, nach denen man seinen Apetit berechnend eintheilen muß.“

Zacharias Werner. — Herr von Rumohr.

Die Freunde stellten mir vor, daß diese Sophismen nur ein schlechter Ersatz für die Schönheiten der riesigen Gebirge seien; ich aber sagte ihnen Lebewohl und wünschte, daß Rübezahl ihnen nicht allzuviel Hokuspokus auf dem Wege in die Berge machen möge, und sie gingen. Um frische Luft zu schöpfen wanderte ich an einem Nachmittag zur Stadt hinaus nach einem Theater, welches man scherzweise „die Saloppe“ nannte, und das nicht viel zu bedeuten hatte. Aber es war ein schöner[86] Spaziergang, wie von Kopenhagen nach Frederiksborg, und der Ort selbst war angenehm. Im kühlen, grünen Schatten konnte man draußen sitzen und Eis essen, wenn man die Komödie nicht sehen wollte. Hier traf ich einmal Zacharias Werner, der sehr freundlich und holdselig gegen mich war, aber gleich wieder wie eine Sternschnuppe verschwand; erst drei Jahre darauf machte ich in Coppet seine eigentliche Bekanntschaft.


Ich ging auch an jedem Tage in die Gemäldegalerie, besah die Antiken und die Mengs'schen Abgüsse. An den Antiken waren viele Theile so schlecht restaurirt, daß sie wirklich Buddings oder Würsten aus irgend einer Restauration der Stadt glichen.

Neues Begegnen Ludwig Tieck's.

Eines Vormittags, als ich nach Hause kam, erzählte das Mädchen, daß ein gewisser Herr Ludwig Tieck dagewesen sei, der mich besuchen wollte. Ich lief gleich wieder in die Galerie hinauf, denn ich hoffte ihn dort zu finden. Ich traf daselbst Herrn von Rumohr, seinen Reisegefährten, der mich in die Bibliothek hinaufführte, wo Tieck über einem alten Manuscript des Heldenbuches saß. Er eilte mir freundlich entgegen. Wir sprachen vertraulich mit einander, wie Brüder, die lange von einander getrennt gewesen waren. — Sein hübsches characteristisches Gesicht, sein schönes Organ, seine bewundernswerthe Beredtsamkeit, seine geistvollen braunen Augen nahmen mich gleich persönlich für ihn ein, und ich gefiel ihm auch. Ich dachte an das schöne Verhältniß zwischen Franz und Sebastian, zwischen Albrecht Dürer und Lucas von Leyden, in seinem Sternbald; und in den wenigen Tagen, die wir hier zusammen waren, lebten wir auch ganz so wie jene Künstler miteinander. Ich las meinen Hakon Jarl, einen Theil des Aladdin und das Evangelium des Jahres vor. Er zollte mir seinen herzlichen Beifall, und beklagte, daß Novalis nicht lebte, um das Evangelium hören zu können. Ich aß eines Mittags mit ihm und Rumohr;[87] Tieck und ich tranken Brüderschaft. Er las mir Holberg's „Hexerei oder blinder Allarm“ in der alten deutschen Uebersetzung vor; ich bewunderte sein Talent zum Vorlesen; es gefiel mir, daß er den Holberg etwas anders auffaßte, als wir Dänen gewöhnt sind; es klang mir, wie meine Muttersprache im Munde eines schönen, fremden Mädchens, anmuthig, obgleich mit einem etwas ausländischen Accent. Wir disputirten zuweilen auch ein wenig aber freundlich, ohne Bitterkeit. Ich gestand ihm, daß mir seine Liebe und Bewunderung für die altdeutsche Poesie etwas übertrieben erscheine; daß die alte Zeit wohl sehr poetisch geworden sei, aber keine großen Poeten hervorgebracht habe. Stoff zum Dichten gäbe sie vollauf; die alten Dichtungen seien merkwürdig, hätten schöne Stellen und seien voll herrlicher Motive. Auch meinte ich, daß man nicht allzusehr die Sache der Aristokratie und Hierarchie reden und nicht zu sehr auf Aufklärung schelten sollte. — Tieck billigte übrigens gar nicht die modernen Uebertreibungen, und das dumm andächtige Wesen ärgerte ihn auch. Wir waren beide beim Abschiede gerührt.


Bekanntschaft mit der Familie von Zeschwitz.

Kurz nach Tieck's Abreise fragte mich ein Herr von Zeschwitz, dessen Bekanntschaft ich gemacht hatte, ob ich mit ihm hinauswolle und seinen Bruder, den Amtshauptmann besuchen, der eine Meile von Dresden wohne. Ich nahm das Anerbieten gern an, und der joviale Amtshauptmann kam mir sehr freundlich entgegen. Er war unverheirathet und bewohnte ein großes Haus mit seinen Leuten. Munter und geradezu fragte er mich gleich, ob ich mit ihm eine Reise nach Teplitz machen wollte? „Ich habe meinen eigenen Wagen,“ sagte er, „wenn Sie mir das Vergnügen bereiten wollen, mein Gast zu sein, und mit mir zu reisen, so wird mir die Reise einen doppelten Genuß bieten.“ — Ohne mich lange zu bedenken, entgegnete ich: „„Sehr gern, aber ich muß erst nach Dresden, um meine Sachen zu holen.““ — „So lasse ich gleich anspannen,“ rief[88] er, „Sie fahren nach Dresden, holen Ihre Sachen, kommen zurück, bleiben die Nacht bei mir und Morgen begeben wir uns auf den Weg.“ — „„Mit Vergnügen!““ entgegnete ich. — Und als ich kurz darauf nach Dresden hinrollte, dachte ich: „Das ist etwas Anderes! So will ich die sächsische Schweiz gern sehen! War es nun nicht gut, daß ich mich von den fußreisenden Landsleuten nicht verführen ließ?“

Vorher hatte ich von der Gegend rund um Dresden nur das schöne Tharand gesehen, welches von doppeltem Interesse für mich war, weil Steffens daselbst ein merkwürdiges Jahr seines Lebens zugebracht hatte. — Nun fuhr ich mit meinem muntern zuvorkommenden Amtshauptmann nach Teplitz, und bekam dabei zugleich Etwas von Böhmen zu sehen. Wir kamen an unzähligen großen Crucifixen und Heiligenbildern vorüber. In Teplitz war ein hübscher Park voller Herren und Damen, ein nettes Theater, gute Musik und ein gutes Wirthshaus. In Außig gingen wir in die Kirche. Eine Mutter trat gerade mit ihrer kleinen Tochter zu gleicher Zeit mit uns ein; sie sprengte dem Kinde etwas Weihwasser aus dem an der Thür stehenden Becken ins Antlitz. Die Kleine wußte noch nicht, was es sei, blinzelte mit den Augen und rieb sie mit den kleinen, niedlichen Händchen: Ein schönes Bild zwischen den Kirchenpfeilern während die Sonne ihre Strahlen vom Fenster schräg durch die kühle Halle sandte. — Wir segelten auf der Elbe nach Schandau, kamen aber post festum; es waren nur etwa noch ein Dutzend Badegäste dort. Auf Königstein, einer unüberwindlichen Bergveste von der großen Baumeisterin Natur aufgeführt, erstaunten wir über den tiefen Brunnen, der 900 Ellen senkrecht durch den Porphyr hinunter geht. Um uns die Tiefe begreiflich zu machen, senkten die Leute erst einen Kranz mit angezündeten Lichtern hinab. Der Schein verlor sich mehr und mehr und schien zuletzt ganz zu schwinden; aber plötzlich fing es wieder von neuem zu leuchten an und dies war der Widerschein auf der tiefen Wasserfläche des Brunnens; darauf[89] wurde ein Eimer Wasser heraufgeholt und in einem alten Glase, auf dem Verse eingegraben waren, überreichte man uns das demantklare Wasser, eine Gabe von der Unterwelt, das eiskalte Blut des Riesen Ymer. Dann wurde ein Eimer Wasser hinuntergegossen; ich lauschte vergebens, wandte mich zu meinem Reisegefährten und sagte: „Ich habe Nichts gehört, hörten Sie Etwas?“ — „„Still!““ flüsterte er, und in demselben Augenblick fiel das Wasser erst mit rasselndem Tone hinab. — In solchen Augenblicken redet die ewige Naturkraft aus der Ferne mit großen Telegraphenbuchstaben zu unserer Seele.

Reise nach der sächsischen und böhmischen Schweiz.

Auf der Elbe segelten wir nach Dresden zurück und wenn ich die drückende Mittagshitze ausnehme, so hatten wir eine sehr angenehme Reise und sahen die herrlichsten Aussichten und Gebirgsgegenden.

Ich saß bereits mehrere Tage wieder ruhig an meinem Schreibtische, als meine Landsleute von ihrer Fußreise zurückkehrten und sonnenverbrannt, wie die Zigeuner, eintraten. — „Ei,“ rief ich, „seid Ihr endlich wieder da? Allmächtiger Gott, wie seht Ihr aus! Rübezahl hat Euch zu Mohren verwandelt.“ — „„Aber dafür haben wir auch etwas gesehen!““ antwortete Bröndsted mit stolzem Selbstbewußtsein. — „Und wenn ich nun eben so viel gesehen hätte, wie Ihr, obgleich ich bereits seit mehreren Tagen wieder an meiner Arbeit sitze?“ Ich erzählte ihnen meine Abenteuer. „„Je größer der Schelm, je größer das Glück!““ riefen sie Alle. — Kurz darauf reiste Engelbreth nach Dänemark, und ich, der ich zuerst die Absicht gehabt hatte, nach Wien und Italien zu gehen, beschloß, über Weimar mit Koës und Bröndsted nach Paris zu eilen, um in ihrer Gesellschaft zu bleiben.


Briefe aus der Heimath.

Ehe ich von Dresden fortreiste, erhielt ich einen Brief von meiner Schwester:

— — „Seit meinem letzten Schreiben habe ich zwei Briefe für Dich angefangen, aber ich war so unzufrieden damit, daß[90] ich sie in Stücke riß, was ich auch gern mit diesem thäte, denn ich bin nie mit Dem zufrieden, was ich schreibe; es steht nie da, was stehen sollte — und kurz — ich kann nur schlecht schreiben. — In diesem Sommer haben wir keine Zimmer auf Frederiksborg, aber der Vater hat mir dagegen eins von den seinigen überlassen. Oersted kommt jeden Abend heraus und geht am Morgen wieder zur Stadt zurück. Mir geht es so sehr gut; ich lebe gerade so, als da ich zu Hause war; ich sitze in dem kleinen Garten und nähe, gehe im Südfelde umher und komme nur zwei Mal in der Woche zur Stadt, wenn ich Klavierunterricht habe. Jeden Sonntag Vormittag ist Anders bei mir und liest mir aus dem Fichte vor. Wir sitzen dann gern im Garten, um es recht ruhig um uns her zu haben; er erklärt mir, was ich nicht verstehe, und ich kann Dir nicht sagen, wie glücklich ich bin, wenn ich es fasse und begreife; dann ist mir so, als ob ich eine Offenbarung hätte. Ich schrieb Dir das letzte Mal, daß ich Winkelmann las, und daß das natürlich meine Sehnsucht, Kunstwerke zu sehen, verstärken müsse. Ich habe eine schwache Copie von Raphael's atheniensischer Schule und eine Menge Zeichnungen seiner herrlichen Köpfe bei dem Maler Kabot, eine Copie von Christi Grablegung und eine kleine Madonna gesehen, von der er behauptet, daß sie wirklich von Raphael sei. Bei einem Maler Hansen, der vor Kurzem von Rom gekommen ist, habe ich eine Copie von Correggio's schöner Magdalena gesehen, die er selbst gemalt hat[5]. Sie liegt in einem Walde und liest. Ich wurde ganz entzückt über das bezaubernde Spiel von Licht und Schatten. All' das, lieber Adam, sind Dinge von großem Werth für mich, aber nichts im Vergleich mit Dem, was Du sehen kannst.

Ich habe Dir noch nicht für Deinen Hakon Jarl gedankt.[91] Wie kann ich es? Ich habe im Stillen Gott gedankt, daß Du ihn geschrieben hast. Ich spreche nur mit Einzelnen davon; denn ich meine, die Meisten sollten sich nicht unterstehen, darüber zu schwatzen; ihr Lob scheint mir seiner unwürdig; kurz — ich meine, sie sollten schweigen. Ich habe ihn nun vier Mal gehört und kann ihn so ziemlich auswendig. In diesem Sommer habe ich zum ersten Male mehrere von Seelands schönen Gegenden kennen gelernt. Wir sind in Helsingör, Fredensborg, Frederiksborg, Hirschholm und Frederiksdal gewesen. Früher kannte ich ja nichts Anderes, als Frederiksborg; und ob mir dies gleich ebenso schön scheint, wie irgend ein anderer Ort, so hat die Verschiedenheit der Situationen mich doch innig erfreut. Es ist wohl herrlich, von unserm Frederiksborg auf alles Das hinabzuschauen, was uns umgiebt; aber es ist auch unendlich schön, sich in dem ruhigen Fredensborg gleichsam von der ganzen Natur umschlungen zu fühlen; und als Frederiksborg plötzlich aus dem Walde hervortrat, fiel die Stelle mir ein:

„Ein herrlich alter Held ist Hakon Jarl,
Er sieht so hoch u. s. w.“

Ich habe nie so viel Lust und Lebenskraft gefühlt, wie auf dieser Reise; ich war recht glücklich und dachte oft an Dich. Lebe ich, bis Du nach Hause kommst, so wollen wir diese Tour zusammen machen. „Lebe wohl! Gott segne Dich!“

In diesem Brief lag ein kleines Blättchen von meinem Vater in deutscher Sprache, in der er seit vielen Jahren nicht geschrieben hatte. Es heißt darin:

„Es freuet mich, daß es Dir so wohl geht, und daß Deutschlands Apoll Dich so liebreich aufgenommen hat. Nun bist Du in Deinen männlichen, kraftvollen Jahren; fliege mit Adlersflügeln, Deiner Kraft gemäß, damit Du der Sonne so nahe kommst, wie die Natur der Dinge es erlaubt. Ich sehe aus Christiane's Brief, daß Du jetzt ein ganzer Deutscher geworden bist. Darum habe ich dieses Mal diese Sprache gewählt.“

[92]

Paris in Weimar.

Wie wir aber bereits in Weimar Paris trafen, das wird der Leser in dem Folgenden erfahren.

Ich las damals noch keine Zeitungen. Es ist unbegreiflich, wie junge Leute, welche die Geschichte lieben, sich so wenig um die politischen Begebenheiten bekümmern können, da diese doch die Geschichte des Tages bilden. Weitläufige diplomatische Tiraden und Reden in Friedenszeiten, mit denen die Zeitungen oft angefüllt sind, schrecken davon ab, bis es zur Gewohnheit wird, sich um solche Dinge nicht zu bekümmern; und geschieht dann eine wichtige That, so weiß der junge Mann im Anfange sich nicht recht zu orientiren. Dies ist das Extrem von Dem, in das viele Aeltere verfallen, die vor lauter Zeitungsstudiren oft nicht Zeit haben, ein vernünftiges Wort zu lesen. Nun wußte ich zwar, daß Preußen und Frankreich Krieg mit einander führten; daß aber Napoleon seine Heere zwischen der Elster und Saale zusammenziehen, und so die vereinigten Armeen von der Elbe abschneiden würde, wußten nicht einmal die deutschen Generale, wie konnte es da ein junger dänischer Poet wissen. Besser wäre es freilich gewesen, nach Wien zu reisen, aber Bröndsted und Koës, die eifrige Zeitungsleser waren, versicherten mir, daß es keine Noth habe. Ich fügte mich also, um mich nicht von den lieben Landsleuten zu trennen, und um Göthe noch ein Mal zu sehen. Als wir nach Weimar kamen, trafen wir ihn im Schauspielhause in seiner Loge. „Nun seid Ihr,“ sagte er, „wo Ihr billig nicht sein solltet; weil Ihr aber hier seid, so seid willkommen!“ Diesen Abend und den nächsten Mittag brachte ich noch in der Annehmlichkeit des Friedens bei ihm zu. Wir fanden es nicht rathsam, weiter zu reisen; wir beschlossen in Weimar zu bleiben, um den Ausfall des Kampfes abzuwarten und sahen ihn denn auch bald in der Nähe.


Die Schlacht bei Jena.

Das preußische Hauptquartier kam nach Weimar; auch der König und die Königin. An jedem Tage sahen wir die Straßen[93] voll hübsch gewachsener preußischer Officiere, die sehr Wichtiges mit einander verhandelten und in Schriften hinein blickten. Es wurde an jedem Abend Theater gespielt. Das Lager war außerhalb Weimar aufgeschlagen; ich durchwanderte es mit Göthe und dachte an Wallensteins Lager in Schiller's Drama. Welch' wunderbare, große bewegliche Stadt voll kleiner Hütten, woselbst die wildesten Krieger doch täglich einige Stunden Frieden halten müssen, während sie essen, trinken und schlafen. Die Marketenderinnen sind ein eigenthümlicher Menschenschlag. Der Krieger bedarf noch der Pflege des Weibes und ein Marketender ist Nichts gegen eine Marketenderin. Ich dachte an die vortrefflich geschilderte in Wallensteins Lager, auch an den leichtfertigen Courage in dem alten Roman von Simplicissimus; und endlich an die cimbrischen Frauen, die sich verzweifelt an die Roßschweife hingen, wenn ihre Männer aus der verlorenen Schlacht flohen.

Nun näherte sich der 14. October 1806. Bereits einige Tage im Voraus hörten wir die Kanonen in weiter Ferne donnern. Jetzt kamen sie näher. Man hatte im Anfange gar keine Idee, wo die Schlacht sein würde. Ich lief vom Gasthofe zum Elephanten, wo ich wohnte, nach Göthe's Haus. Da gab man mir den Trost, daß der Kampf sich von unserer Gegend weggezogen habe; als ich aber nach Hause ging, stand der Satyriker Falk bleich und unbeweglich, wie eine Bildsäule auf der Straße. Er versicherte mir, daß Alles verloren sei! — Kurz vorher hatten wir preußische Reiter auf dem Markt eroberte französische Pferde verhandeln sehen, nun flohen Preußen haufenweise aus der Schlacht mit verhängten Zügeln in gestrecktem Galopp durch die Stadt. „Wo führt der Weg in die Berge?“ riefen sie, indem sie an uns vorübereilten. — „Hier giebt es keine Berge!“ — „Wo giebt es dann einen Weg, wo keine Franzosen sind?“ fragten sie und verschwanden wieder, ohne die Antwort abzuwarten, wie ein Zugwind aus der Stadt.


[94]

Es wurde ein junger schlesischer verwundetet Officier in unsern Gasthof gebracht. Eine Kanonenkugel hatte ihm ein Stück Fleisch aus dem Schenkel gerissen und er war ausgeplündert. Bröndsted lieh ihm eine nicht unbedeutende Summe Geldes. Ein Feldscherer, ein närrischer Gesell, der uns in Friedenszeiten amüsirt haben würde, mißfiel uns nun im höchsten Grade. Er lief in bloßen Hemdsärmeln, mit einem großen, dreieckigen Hute umher, und kaum hatte er den armen Menschen verbunden, als er den Verband wieder auflöste, um es besser, oder — schlechter zu machen. Der Verwundete starb ein paar Tage darauf; und es hätte wohl keine Hülfe für ihn gegeben, selbst wenn er in bessere Hände gefallen wäre. Ein Jahr darauf bekam Bröndsted sein Geld von Schlesien geschickt, mit großem Dank von den Eltern, daß er ihren Sohn in der Todesstunde erquickt habe.


Die neutralen Dänen in Weimar.

Während der Schlacht las ich Smollet's Peregrine Pickle, der mich unendlich langweilte; und ich begriff nicht, wie man poetisch so trivial sein könnte, wenn es in der wirklichen Welt so feierlich zugeht. Nun fingen die Franzosen an, mit Kanonen in die Stadt zu schießen. Bei dem ersten Schuß, durch den das Haus zitterte, ging ich unwillkürlich hin, und schloß das offenstehende Fenster. Ich mußte über meine Vorsicht lachen, als ich ihrer bewußt wurde. Ich setzte mich auf die Treppe in den Kellerhals um nicht verwundet zu werden, und als Bröndsted und Koës sahen, daß ich Muth genug hatte, meine Furcht vor den Kanonenkugeln einzugestehen, folgten sie meinem Beispiel.

Wir sahen voraus, daß, wenn die Preußen in die Stadt flüchteten, es hier so gehen würde, wie in Lübeck. Dies war ein entsetzlicher Gedanke. Ich fing auf der Kellertreppe auch an, einen kleinen Krieg gegen meine Landsleute zu führen, und ihnen Vorwürfe zu machen, daß sie die Zeitungen nicht besser gelesen hatten, da sie sich doch damit abgaben, und da sie mich davon abgehalten hatten, auszuführen, wozu der gesunde Verstand[95] mir gerathen. Sie vertheidigten sich, so gut sie konnten; wir fanden es bald rathsam, unter einander Frieden zu schließen und trösteten uns damit, daß unsere dänische Neutralität uns beschützen würde. Die Kanonenschüsse hörten nach und nach auf. Das Geld, von dem wir alle drei den ganzen Winter in Paris leben sollten, hatten wir gerade aus Leipzig in guten Napoleond'ors geholt. Wir theilten die Summe in drei gleiche Theile und banden sie in unsere Halstücher, hinten im Nacken, wo die Franzosen sie leicht gefunden haben würden, wenn wir nicht mehr Glück als Verstand gehabt hätten.


Artige Franzosen.

Plötzlich wurde es in Weimar still, wie in einem Grabe. Alle Läden waren geschlossen, keinen Menschen sah man auf der Straße, und die Octobersonne schien durch den Pulverdampf, der die Lust erfüllte, wie ein bleicher Nachtmond. Nun ritten die Franzosen im Anfange ganz ordentlich haufenweise in die Stadt und quartirten sich in den Häusern ein. Unser Wirth war ganz verdreht im Kopf, umarmte einen kleinen Jungen, der schiefe Beine hatte, und, rief: „Ach mein liebes Kind, wenn sie Dir nur Nichts zu leide thun!“ Ich dachte an den Apotheker in Aladdin. Wir riethen dem Wirth, alle Schränke aufzumachen, und den Husaren, die sich näherten, mit Herzensstärkungen entgegen zu kommen. Acht hübsche, sonnenverbrannte Männer, ganz außer Athem und heiß vom Kampfe, hielten an der Thür „Bourgeois!“ riefen sie von ihren Pferden, „du vin! de l'eau de vie! du Kirswaser!“ Der Wirth kam mit Flaschen heraus: sie setzten sie an den Mund und leerten sie mit langen Zügen. Drauf stiegen sie ab und gingen ins Zimmer; größtentheils Unterofficiere. Wir zeigten ihnen unsere Pässe und beriefen uns auf unsere dänische Neutralität. Sie versicherten uns höflich, daß wir Nichts zu fürchten hätten. Von den Preußen sagten sie: „Ils se battent bien, mais ils ne comprennent pas la guerre.“ Der eine Unterofficier wollte sich eine warme,[96] wollene Nachtjacke kaufen. Wir ließen gleich einen Krämer holen, der Kriegsmann bekam die Jacke und fragte nach dem Preise. Wir zupften den Krämer am Rock; er verstand uns und versicherte, daß er nicht einen Pfennig dafür nehmen würde. „Ah, monsieur! vous êtes très honnete!“ sagte der Franzose, und der Krämer eilte fort, um nicht mehrere Jacken auf diese Art zu verkaufen.

Nun setzten die Franzosen sich zu Tisch, und trotz der außerordentlichen Menge, die in die Stadt eingedrungen war, und alle Häuser füllte, herrschte in den ersten Stunden doch die vollständigste Stille und Ruhe; worüber man sich nicht wundern darf: sie kamen Alle aus der Schlacht und waren müde, hungrig und durstig.

„Aber nachdem die Begierde der Speis' und des Trankes gestillt war“

und als sie sich „im Wechselgespräch mit einander über die gewonnene Schlacht erfreut hatten,“ — da gingen sie auf Abenteuer aus, um Beute zu suchen, und da fing das Unglück an.


Plünderung in Weimar.

Glücklicherweise hatten wir sehr ordentliche Soldaten in unser Haus bekommen, die uns halfen, das Thor gegen die Menge zu vertheidigen, welche eindringen wollte. Ein abscheulicher Marodeur wollte sich gerade zu uns hinschleichen, als unser braver Unterofficier ihn in den Nacken faßte und mit den Worten in den Rinnstein hinauswarf: „Brigand! je t'écraserai la tête!“ Nun versperrten wir das Thor mit Steinen und Balken. Draußen auf dem Platze bivouaquirten Soldaten, die in den Häusern nicht Platz gefunden hatten, zu Hunderten. Ihre Gewehre standen in Piramiden aufgestellt; sie selbst lagen in ihren Mänteln und es brannte Feuer, an dem sie sich erwärmen konnten. Müde von der Spannung und Angst des Tages, warfen Koës und Bröndsted sich auf das Bett und ich mich auf das Sopha. Wir hatten im obersten Stockwerk ein paar kleine[97] Zimmer bekommen; die Franzosen schwelgten unten in der Stube und ließen sich in ihrer Freude nicht durch den jungen schlesischen Officier stören, der neben ihnen auf einer Bank mit dem Tode kämpfte. — Ich war endlich eingeschlummert, als mich ein Laut wieder weckte; es kam mir vor, als ob ich Katzen miauen hörte. Ich schlage die Augen auf, es ist ganz hell in der Stube; ich trete ans Fenster: die Stadt brennt! Ich höre wieder das eigenthümliche Geschrei — es sind heulende Frauen und Kinder!

Einen gräßlicheren Augenblick habe ich nicht erlebt. „Gott!“ rief ich und rang meine Hände, „zu welchem Entsetzen sind wir hier leichtsinnig hergeeilt.“ Magdeburgs Zerstörung stand klar vor meiner Phantasie. — Glücklicherweise wurde das Feuer gleich gedämpft, das einige Schurken angezündet hatten, um dabei besser plündern zu können. Unser Haus blieb verschont. Streng genommen wurde doch die Stadt geplündert; außerdem geschahen keine Verbrechen. Der Vater unsres Wirthes hatte aus seinem Keller eine eiserne Kiste verloren, in der er 600 Thlr. hatte. Mochte es nun sein, weil wir in den Bodenkammern wohnten, oder unsere dänische Neutralität, oder, wie gesagt, das reine Glück, das uns beschützte, genug: wir verloren Nichts von dem in unsere Halstücher eingebundenen Golde. Den Tag nach der Schlacht kamen die Generale Augereau und Berthier in den „Elephanten“; sie nahmen freilich das ganze Haus in Besitz mit Küche und Keller, ließen uns aber doch unsere Bodenkammer. Nun mußten wir uns den ganzen Tag mit einer Brotrinde und einem Glase Wein begnügen, während die französischen Officiere unten prassten und schwelgten. Aber wir hatten den Trost, eine Schildwache als sauve-garde vor dem Hause zu sehen. Sobald Napoleon kam, hörte das Plündern auf; leider aber zu spät. Es war nicht mehr viel zu nehmen. Die Räuberei wurde streng verboten, und wir hörten täglich sieben, acht Mal in Garten die Büchsen knallen, wo die Diebe gleich erschossen wurden. Als der Kaiser kam, soll er der Herzogin, die ihn im Schloßportale empfing, zugerufen haben: „Eh bien![98] Vous avez voulu la guerre! La voilà!“ Aber bald gewann sie ihn durch ihre Milde und ihren Verstand. General Schmettau wurde ein paar Tage darauf von den Franzosen mit allen militärischen Ehren begraben; es war den tief gebeugten Deutschen, welche zugegen waren, als ob Deutschlands Freiheit und Selbstständigkeit mit dem Gefallenen zugleich begraben würde.

Napoleon in Weimar. — Schmettau's Beerdigung.

Ein junger, halberwachsener Mensch, Boie, von Voß's Bekanntschaft, war lustig und guten Muths und da er etwas Französisch konnte, gebrauchte man ihn als Dolmetscher. Wir gingen eines Tages mit ihm zum Hause hinaus, wo die Schildwache stand. „Qui êtes vous?“ fragte der Soldat stolz. „Je suis un espion!“ antwortete der Jüngling lustig. — „Comment!“ rief der erzürnte Franzose und fällte das Gewehr. Wir baten ihn um Gotteswillen, die „mauvaise plaisanterie“ des jungen Mannes nicht übelzunehmen. Mit Mühe beruhigten wir den Kriegsmann, der den Spion arretiren wollte; endlich glückte es uns doch, ihn zu befreien. Wir verbaten uns solch' dreiste Späße für die Zukunft.


Göthe's Verheirathung.

Göthe machte während der Schlacht mit Fräulein Vulpius Hochzeit. Er hatte wohl lange schon an diesen Schritt gedacht, um seinem Sohne verheirathete Eltern zu geben; aber um dem Komischen zu entgehen, das darin liegt, daß ein älteres Paar mit dem Anfange endigt (le commencement de la fin, wie Talleyrand es nannte, als Napoleon zu fallen begann), hatte er es wohl aufgeschoben, und um, wie Tell bei Schiller, den Apfel vom Haupt des Sohnes abzuschießen, während Geßler stritt, ging er mit einer alten Haushälterin in die Kirche, während die Kanonen mit ihren entsetzlichen Glocken auf Jenas Fluren läuteten, und kehrte mit ihr zurück, ohne daß es die geringste Veränderung in Etwas machte, außer daß sie nun Frau Geheimräthin von Göthe hieß. Wenn man sie sah, konnte man nicht begreifen, wie sie Göthe's Geliebte geworden war.[99] Sie glich weder Lotten, noch Klärchen, noch Gretchen, weder den Leonoren, noch der Iphigenie; wenn sie überhaupt einer der Göthe'schen Gestalten glich, so glich sie der Braut von Korinth, aber in entgegengesetzter Bedeutung, denn nicht der Geist sondern der Körper spukte. Für Poesie hatte sie durchaus keinen Sinn, und Göthe sagte einmal selbst im Scherz: „Es ist doch wunderlich, die Kleine kann gar kein Gedicht verstehen.“ In ihrer Jugend war sie frisch gewesen, voll und rothwangig war sie noch, aber ganz aus der niederländischen Schule; obgleich, wie gesagt, durchaus kein Klärchen. Sie war eine Schwester des berühmten Verfassers des Rinaldo Rinaldini und Rinaldo Rinaldini hatte eine Zeitlang wohl mehr Bewunderer in Deutschland gehabt, als Wilhelm Meister. Die Neuvermählte erwies ihrem Manne stets Ehrerbietung und nannte ihn immer „Herr Geheimrath.“ Das thaten wir andern auch. Als ich ihn im Anfange Excellenz nannte, sagte er gutmüthig: „Lassen Sie es beim Geheimrath bewenden!“ und dieser Titel klingt in Deutschland sehr bürgerlich; Frau Göthe war von einer raschen beweglichen Natur und hielt nicht viel von dem stillen Leben, das ihr Mann führte. „Der Herr Geheimerath und ich“ — soll sie einmal gesagt haben — „wir sitzen immer und sehen einander an. Das wird am Ende langweilig.“ Das Schauspielerpersonal huldigte ihr übrigens mit vieler Aufmerksamkeit und setzte so Eins oder das Andere durch. Göthe war nämlich Chef des Theaters und das merkte man. Obgleich der Herzog nicht die Mittel hatte, große Talente zu belohnen, so wußte Göthe doch meisterhaft zu benutzen, was er hatte. Man sah nichts Schlechtes, nichts Geschmackloses; die Affectation, die in Deutschland so oft verletzt, war hier verbannt; die Provinzialdialecte verschmolzen zu einer gebildeten Sprache. Schiller's Wallenstein's Lager und Wallenstein's Tod wurden edel aufgeführt, und selbst das Lied von der Glocke, das Göthe wunderlicherweise auf die Bühne brachte, wurde so natürlich, als es möglich ist, gegeben, wenn man die subjectiven lyrischen Ergüsse[100] eines Dichters als dramatische Scene verschiedenen Menschen in den Mund legt. Als ein Beweis dafür, daß die Achtung, in der Göthe stand, selbst stark genug war, um den Uebermuth der jenensischen Studenten zu zügeln, mag Folgendes dienen: Kurz vorher waren sie en masse im Schauspielhause in Weimar gewesen und hatten tüchtig gelärmt. Göthe erhob sich in seiner Loge und rief ihnen laut zu: „Still! still! bedenkt, wo Ihr seid!“ und es wurde still; nicht weil der Minister sie daran erinnerte, daß sie in einem fürstlichen Theater seien, sondern weil der große Dichter sie daran erinnerte, daß sie sich im Tempel der Musen befänden. Man spielte Schiller's Räuber. Wenn auf andern Theatern das Lied: „Ein freies Leben führen wir,“ gesungen wurde, pflegten die Studenten im Parterre oft mitzusingen. Nun aber sandten sie zuerst sehr ehrerbietig eine Deputation an Göthe in seine Loge, und baten um die Erlaubniß dazu, die sie auch erhielten. Aber Göthe mußte immer lachen, wenn er sich später dieses Liedes erinnerte; denn imponirt durch seine erste Ermahnung, hatten sie die Courage ganz verloren und sangen „Ein freies Leben führen wir“ so langsam und zahm, wie man beim Begräbniß singt: „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende.“

Göthe und die Jenenser Studenten.

Ich sah zuweilen Falk bei Göthe. Eines Mittags hielt er uns eine lange Vorlesung und ich wunderte mich über die Geduld, mit der ihn Göthe angehört hatte. „Nun,“ entgegnete Göthe, „wenn ein Mensch so mit einer Tafel auf der Brust zu mir kommt, auf die er Alles geschrieben hat, was in ihm wohnt, so kann ich mich wohl einmal darein finden, zu lesen, was darauf steht.“ — Er war nicht immer so geduldig; es mußte auch Etwas auf der Tafel stehen. Ein junger Baron kam ihm einmal mit erschrecklich großen Lobreden entgegen, aber auch mit sehr eingebildeten Erklärungen über Göthe's Genie, die kein Ende nahmen. Als er fertig war, sagte Göthe: „Sie hören sich gerne selbst reden, Herr Baron!“ und kehrte ihm den Rücken zu. Göthe haßte die Affectation. Er saß einmal bei einer[101] Mittagstafel zwischen zwei Fräulein vom Lande. Das eine war sehr ästhetisch, das andere geradezu und prosaisch. Das ästhetische hatte ihn lange mit ihren närrischen Entzückungen und sublimen Affectationen ermüdet. Als eine Ananas gegessen wurde, rief es: „Ach, ach, Herr Geheimerath! so eine Ananas riecht doch ganz göttlich!“ — „Hm!“ sagte Göthe, „woher wissen Sie denn eigentlich, wie die Götter riechen?“ Drauf wandte er sich an das andere und fragte: „Wie viel Kühe hat Ihr Vater, Fräulein?“


Reise nach Gotha.

Wir speisten noch einmal bei Göthe zu Tische und verließen darauf Weimar, das aus einem Musensitze in ein Lazareth verwandelt war, und wo das hübsche Theater, das so viele Jahre hindurch ein Tempel für Göthe's und Schiller's Meisterstücke gewesen, nun ein Hospital für sterbende Krieger und verwundete Krüppel bildete.

Wir reisten nach Gotha, sobald wir Pferde bekommen konnten. Oft fuhr der Postillon uns über gepflügte Aecker, und wenn wir ihm das vorwarfen, antwortete er: „Ha! 's ist Krieg!“ Wir holten mehrere Colonnen preußischer Kriegsgefangner ein, die nach Frankreich geschafft wurden. Wir zeigten unsere Pässe und man erlaubte uns höflich, weiterzufahren. Nur einmal wollte ein betrunkener Husarenunteroffizier von Darmstadt es nicht erlauben; er ritt uns auf den Leib, schwang seinen Säbel und drohte, uns die Köpfe zu spalten, wenn wir einen Schritt an der Colonne vorüberführen. Andere Unterofficiere kamen hinzu und riefen: „Fahren Sie nur! er ist betrunken, er thut Ihnen Nichts!“ — Aber gerade weil er betrunken war, glaubten wir, daß er vielleicht erst recht Lust bekommen könne, uns Etwas zu thun. Wir fuhren Schritt für Schritt hinterher und so kamen wir endlich nach Gotha. Hier standen wir nun in einem friedlichen Lande, denn der Herzog hatte keinen Theil am Kriege genommen. Wir waren also in vollständiger Sicherheit und nicht mehr der Willkür der Gewalt[102] ausgesetzt. — O, wie wohl that es mir, alte Bücher aus einer Leihbibliothek zu holen, und mich bei dem vertraulichen sichern Theetische mit meinen Freunden nach so vielen überstandenen Mühseligkeiten und Gefahren in den idyllisch ruhigen Zustand meiner Kindheit hinzuzaubern.


Ankunft in Frankfurt.

Nun rollte ich also mit meinen Landsleuten davon; wenn ich zuweilen Heimweh fühlte, so tröstete ich mich damit, ihre lieben nordischen Gesichter anzusehen. Sie waren sehr verschieden und doch wahre Freunde. Koës, (der später in Griechenland starb) war ein geistvoller, lebhafter Jüngling, obwohl bleich und mager; Bröndsted, der später durch sein gelehrtes Werk über Griechenland berühmt wurde, war damals, was er bis zu seinem Tode blieb, baumstark, geschmeidig, untersetzt, voller Jovialität und Vertrauen, freundlich und theilnehmend. Koës war mehr still, verschwiegen und zurückhaltend; man mußte ihn gut kennen, wenn er sich aussprechen sollte. Sein mildes, sinniges Wesen war nicht weniger angenehm.

In Göthe's Geburtsstadt, dem muntern Frankfurt, blieben wir einige Tage. Den guten Rheinwein genossen wir sowohl in ungepreßtem Zustand als Trauben sowie in gepreßtem, als vortrefflichen „Dreiundachtziger“; denn „der Elfter“ konnte von uns noch nicht genossen werden, da er erst fünf Jahre später wuchs.


P. A. Heiberg.

In einer kleinen deutschen Grenzstadt mußten wir einige Stunden auf frische Pferde warten; es war schwierig welche zu bekommen, denn Talleyrand fuhr gerade durch die Stadt. Er sollte nach Berlin, um das nördliche Deutschland in Ordnung zu bringen, da es jetzt wie eine eroberte Provinz behandelt wurde. Ich sehe zum Fenster hinaus und sage verwundert zu Bröndsted: „Entweder betrügen mich meine Augen, oder P. A. Heiberg steht unten auf der Straße.“ So war es. P. A.[103] Heiberg war im Gefolge Talleyrand's. Ich hatte große Lust, einmal mit diesem talentvollen Manne zu sprechen; seine komisch dramatische Laune hatte mich oft amüsirt; als politischen Schriftsteller kannte ich ihn wenig. Ich ging ihm freundlich entgegen; aber er war kalt, und ich merkte gleich, daß wir nicht sympathisirten. Er stand sowohl politisch, wie auch ästhetisch ganz auf der französischen, ich auf der deutschen Seite des Rheins. Zehn Jahre darauf sprach ich doch zuweilen mit ihm in Paris. In der revue encyclopédique hat er mich später oft getadelt. In einer Vorrede zu seinen dänischen Schauspielern sagt er, daß ich seine dramatischen Verdienste geringgeachtet haben solle, was nie der Fall war. Ich habe im Gegentheil oft mit ihm selbst darüber disputirt, daß er ein guter komischer Dichter sei, was er leugnete. Aber das muß er vergessen haben. Besonders hat er es mir übelgenommen, daß ich in einem Gedicht: „Das Gypsbild“ in meiner Langelandsreise (gewiß zu voltairisch übertrieben) Voltaire angetastet hatte. In einer spätern Ausgabe wollte Herr Heiberg durchaus keine Veränderung sehen, obgleich ich die Ausdrücke sehr gemildert hatte.


Erster Eindruck von Paris.

Wir kamen über den schönen Rhein, nach der unschönen Champagne, wo die Natur, wie ich glaube, so viel mit dem lieblichen Wein zu thun hatte, daß ihr nicht Zeit blieb, an andere Vollkommenheiten zu denken. Nach Chalons kam ich noch an meinem Geburtstage, dem vierzehnten November; und als die guten Genossen meine Gesundheit bei einer Flasche Champagner von der besten Sorte getrunken hatten, hielten wir Dänen am nächsten Tage unsern Einzug in Paris, wo die große steinerne porte St. Martin, wie ein freistehender Triumphbogen, uns zu den schönen Boulevards hinwinkte.

Als wir durch die Vorstadt kamen, wunderte ich mich fast darüber, daß diese häßliche armselige Stadt Paris sein sollte; ich glaubte, der Kutscher hätte sich im Wege geirrt und uns in[104] eine verfallene Provinzialstadt geführt. Wie verschieden ist der Eindruck von dem, den viele andere Städte machen, wo schöne Alleen mit herrlichen Lusthäusern und Gärten die Erwartung spannen und sie zuweilen überspannen, wenn man die Schale besser findet, als den Kern. Hier geht es entgegengesetzt: Paris liegt, wie eine Wallnuß in der großen äußern schmutzigen Schale, die die Finger befleckt, wenn man sie angreift; aber kaum kamen wir durch die harte Schale — ich meine die Ehrenpforte, die Ludwig XIV. sich selbst gebaut hat, so fanden wir den Kern angenehm. Es kam mir vor, als wenn ich von allen Seiten den Chor aus meinem Sct.-Hans-Abendspiel hörte:

„Allons, Allons, Courage!
Schöne Raritäten, Scherz und Spiel u. s. w.“
Deutsches Studium in Paris.

Paris ist so oft und so gut beschrieben, daß es eine Thorheit wäre, es von Neuem zu thun. Es giebt Reisende, die aus keinem andern Grunde reisen, als nur um zu beschreiben. Viele, die bequem sind und sich nicht rühren mögen, setzen sich gleich, wenn sie nach einem so merkwürdigen Orte kommen, mit allen Büchern, die sie erwischen können hin und schreiben nun einen Auszug Dessen, was sie gelesen haben; was ungefähr so ist, wie die Ragouts, die man in sparsamen Haushaltungen am Sonnabend von den Ueberresten der ganzen Woche bekommt. Andere — und besonders die Engländer — laufen wie toll mit der Zunge zum Halse heraus, um Alles zu sehen; nicht, um es zu genießen, zu fühlen, sondern um mit beruhigtem Gewissen sagen zu können: „Wir haben es selbst gesehen!“ was doch eine Lüge ist; denn was wie ein Blitz vorübereilt, sieht man nicht mit dem Auge der Seele! — Ich fing es hier auf eine ganz andere Art an. Ich hatte beschlossen, eine geraume Zeit in Paris zu bleiben. Zwei Dinge wollte ich ordentlich lernen: erstens Französisch zu verstehen; denn ich verstand nicht ein Wort, wenn man rasch sprach, und hatte nicht viel mehr gelernt, als was Herr Horslund mir in der Schule für die[105] Nachwelt einprügelte, nämlich: Fenelon's Telemaque, Marmontel's contes moreaux und das schwierigste aller Zeitwörter: s'en aller, fortgehen. Nun war ich fortgegangen und hoffte, daß das Andere Alles von selbst kommen würde. Darauf wollte ich es dahin bringen, gut Deutsch zu schreiben, d. h. — in dieser Sprache auf eine Weise dichten, die sich der der Besten nähern konnte. Dies schien mir viel leichter. Ich hielt es für leichter, Deutsch, wie ein eingeborner deutscher Dichter zu schreiben, als soviel Französisch zu lernen, daß ich mich, sowie viele tausend Fremde, in der gewöhnlichen Conversation mit Leichtigkeit ausdrücken könne. Meine erste und wichtigste Beschäftigung in Paris war also, Deutsch zu dichten. Es gab Deutsche genug dort, mit denen ich täglich umgehen und mich üben konnte. Ich hatte den Aladdin bereits in Weimar und Jena übersetzt; hatte das Manuscript an Frommann in Jena verkauft und hatte es bei Dr. Riemer, Göthe's allersecretestem Secretair (d. h. der nach dem Dictat alle Werke Göthe's schrieb) zurückgelassen. Aber ich erhielt den Aladdin mit einem sehr freundlichen und hübschen Briefe wieder, in dem ungefähr stand: „Als Du uns den Aladdin vom Blatte übersetztest, wußtest Du mit einer gewissen naiven, schelmischen Laune selbst den Sprachfehlern etwas Poetisches, Angenehmes zu geben, das sowohl Göthe, wie mich bestach; nun aber, da die todten Buchstaben vor uns liegen und wir die Worte corrigiren sollen, sehen wir, daß es eine Unmöglichkeit ist. Es wäre Sünde, wenn dieses Werk nicht all' die Vollendung in der Sprache haben sollte, die möglich ist; und die kann ihm Keiner geben, als Du selbst. Du hast nun größere Fertigkeiten erlangt, und mußt Deinen Aladdin von vorn bis hinten ganz umarbeiten.“ Das ließ ich mir nicht zwei Mal sagen. Kaum war ich etwas heimisch in Paris, als ich mit größter Lust und mit Fleiß von vorn wieder anfing; und ein paar Monate darauf hatte ich Aladdin wieder fertig, so wie er bei Brockhaus in Amsterdam erschien. Dr. Koreff half mir freundschaftlich dabei, die Sprachfehler zu corrigiren, und erst[106] nachdem er und andere geschmackvolle Deutsche mich versichert hatten, daß Aladdin im „Genius der Sprache“ gedichtet sei, sandte ich das Manuscript zum Druck fort.

Ich ließ Bröndsted und Koës für alle weltlichen Dinge sorgen, was unsere Haushaltung betraf. Wir waren in das Hôtel de Strassbourg, rue de la loi, wie die rue Richelieu damals hieß, gekommen, aber wir merkten bald daß es zu theuer sei, und zogen deshalb in das Hôtel de Hollande, rue des bons enfans, wo es auch zu viel billigerem Preise sehr gut war und wo wir neben einander wohnten.

Eine Pariserin.

Während wir uns in den ersten Tagen noch im Hôtel de Strassbourg aufhielten, ereignete sich eine komische Begebenheit, die ich als Beweis für meine Unwissenheit im Französischen, so wie für Koës' und Bröndsted's Unerfahrenheit, wenn auch nicht gerade in der Sprache, so doch in der Lebensweise, erzählen will. Wir bekamen ein Billet von einer Dame, welche uns gegenüber in einem Hôtel wohnte, ob wir ihr die Ehre erweisen wollten, sie zu besuchen, sie hätte mit uns über einige Bekannte, die uns nahe ständen, Etwas zu sprechen. Wir glaubten Nachrichten von der Heimath oder aus Deutschland zu erhalten, gingen also gleich hinüber und kamen in hübsche Zimmer, wo eine ältere Dame, die aber noch recht hübsch und außerordentlich elegant gekleidet war, uns mit einer Grazie empfing, die der Pariserin eigen ist, und uns bat, am Kamine Platz zu nehmen, und mit Bröndsted und Koës ein Gespräch begann, da sie gleich bemerkte, daß ich nur als stumme Person mitgekommen sei. Was sie sagte, konnte ich gar nicht verstehen, da sie sehr rasch sprach; nur machte es mir Vergnügen, ihre liebenswürdige Virtuosität im Vortrage zu bewundern. Nachdem sie fertig war, erhoben sich Bröndsted und Koës, — der Letztere mit einem Lächeln, das characteristisch für ihn war, wenn Etwas vorfiel, was ihm nicht gefiel, wo er sich aber aus Höflichkeit doch nicht weiter einlassen wollte. — Sie begleitete uns sehr anmuthig bis zur Thür; ich verbeugte mich mehrere Male ehrerbietig vor[107] ihr auf der Treppe — und erst als wir auf die Straße gekommen waren, sagte mir das Lachen der Andern, was ich gleich hätte begreifen und verstehen sollen, wenn ich nicht so unwissend und unerfahren im Französischen gewesen wäre.

Kaum hatten wir uns häuslich wie gute Kinder im Hôtel des bons enfans eingerichtet, als Jeder sich in seinem Winkel fleißig an die Arbeit setzte; Bröndsted und Koës bereiteten sich auf ihre griechische Reise vor, jener besonders, indem er Villoison's Papiere studirte. Ich schrieb bald Deutsch, bald dichtete ich Dänisch und bald las ich Französisch. Mittags aßen wir größtentheils bei Grignon, und am Abend war ich im Theater; Koës kam auch oft dahin, aber Bröndsted seltener; er liebte es mehr, in den Abendstunden bei einer Pfeife Tabak zu musiciren.

Französische Lehrstunden.

Ich hatte einen sehr guten Lehrer im Französischen, Depping, bekommen, später durch sein Werk über die Normannen, seine interessante Lebensbeschreibung und viele andere Schriften bekannt. In dieser Lebensbeschreibung, in der er meiner übrigens sehr freundschaftlich und schmeichelhaft erwähnt, scherzt er darüber, daß ich nur langsam Fortschritte im Französischen machte; daß wir die Stunden oft mit Gesprächen zubrachten, in denen er mehr von mir, als ich von ihm lernte; daß ich das Französische nicht als eine richtige Sprache gelten lassen wollte &c., und darauf ruft er scherzend aus: „diem et oleum perdidi!“ — Aber auf demselben Blatte erzählte er auch, daß ich Frau Staël's Improvisation der Corinna in deutsche Verse übertrug, daß ich ganze Scenen des Corneille parodirte &c., welches doch nicht hätte geschehen können, wenn ich nicht in seiner Stunde einige Fortschritte im Französischen gemacht hätte.


Umgang mit dem dänischen Minister Dreyer.

Wir besuchten oft unsern Minister Dreyer, einen freundlichen alten Mann, groß, gut gewachsen, gesund und frisch, einen klugen, muntern Kopf mit vieler Menschenkenntniß. Napoleon[108] achtete ihn höher und konnte ihn besser leiden, als viele andere Minister. Er lud uns oft zu Tisch, war nicht kleinlich eitel, und schämte sich durchaus nicht seiner bürgerlichen Herkunft; im Gegentheil amüsirte es ihn, mit uns von seiner Jugend, den damaligen Sitten und davon zu sprechen, auf welche Weise er unter Struensee sein Glück gemacht hatte. In meiner Jugend hatte ich zuweilen mit meinen Eltern einen Kupferschmied, einen Vetter von ihm, besucht, und deshalb, glaube ich, konnte mich der Minister noch besser leiden; er nannte mich: „Unsern dänischen Voltaire.“ Wir waren oft bei ihm. Ein Mal nahm er uns mit zur Stadt hinaus und tractirte uns da. — Es traf sich gerade, daß ich ihn Excellenz nannte, während der Aufwärter zugegen war; „Ei,“ flüsterte er mir munter ins Ohr, „lassen Sie die Excellenz hier aus dem Spiele, sonst müssen wir mehr bezahlen.“

Das erste Mal, wo wir ihn besuchten, fragte er uns sehr gutmüthig: „Weshalb sind sie denn eigentlich nach Paris gekommen? um sich zu amüsiren, nicht wahr?“ Bröndsted und Koës fingen an, die gelehrten Gesichter etwas zu verziehen und schienen Einwendungen machen zu wollen, aber ich ergriff das Wort, ehe sie anfingen, und rief sehr eifrig: „„Ja, Ew. Excellenz! ganz richtig! nur um uns zu amüsiren. Ich wenigstens komme hauptsächlich deshalb.““ Ich hielt es nämlich immer für meine Dichterpflicht, das Vergnügen zu vertheidigen und es zu Ehre und Würde zu bringen, so wie es meine Pflicht war, es durch Kunst zu veredeln. Eine Periode, die in meine Jugendzeit fiel, laborirte an dem Aberglauben des Nutzens. Genie, Kunst, Schönheit, Phantasie, Gefühl wurden verachtet und einem guten, gewöhnlichen, hausbackenen Verstande untergeordnet; tägliches Arbeiten wurde mehr gelohnt, als eine ausgezeichnete That. Sclaventhum war etwas Reelles, Heldenthat etwas Phantastisches. Sonderbar genug, daß ein Krieg oder die Folgen eines Krieges die Veranlassung zu diesem Aberglauben im Norden gaben; denn im Süden konnte Liebe und Achtung vor der[109] Kunst und vor dem Schönen nie so vollständig verdrängt werden, wenn daselbst auch lange keine Genies entstanden. Ich nenne es sonderbar; denn sonst stehen Held und Dichter ja in naher Sympathie. Mars kann nicht den Apoll, Thor nicht den Bragi entbehren; Olaf der Heilige mußte alle seine Skjalden im innern Kreise der Schlacht haben, um zu verewigen, was sonst gleich dem Donner im Fluge der Wolken in ewiges Vergessen sinken würde. — Auch Napoleon achtete die Dichtkunst und sagte: „Wenn Corneille lebte, würde ich ihn zum Herzoge machen.“

Der Aberglaube des Nutzens.

Also: jener prosaische — nicht Krieg, denn der war poetisch und schön — aber die prosaische Folge jenes Krieges war, wenn ich es so nennen darf, die nordamerikanische Denkungsweise, die großen Eingang in Europa fand. Als die guten Bürger sich eine freie Existenz geschafft hatten, mußten sie daran denken, die Wälder zu lichten, die Sümpfe auszutrocknen, ihre Häuser und Schiffe zu bauen, Mühlen und Schleusen anzulegen, kurz sich ökonomisch einzurichten. Ein großes Genie und ein großer Mann in dieser Richtung, der Sokrates der neueren Zeit, Franklin, gab den Ton an, und sein Wort und Beispiel hatten einen segensreichen Einfluß auf den Wohlstand der Nordamerikaner. Es war auch ganz gut, daß andere Nationen sich in vieler Beziehung in dieser Richtung bildeten — aber dadurch erhielt das Zeitalter auch ein ganz ökonomisches Gepräge, das Genie und Kunst verachtete. Andere vorhergehende Kriege hatten bereits den Grund gelegt. Nachdem der dreißigjährige Krieg wie ein Scirocco fast jedes poetische Hälmchen ausgedürrt und verbrannt hatte — so daß das ganze geistige Norddeutschland der lüneburger Haide gleich — vollendete der siebenjährige Krieg das Werk, in welchem Werberei, militärischer Despotismus, die Fuchtel, Spießruthen, das Unterofficierwesen dem Asathor den Helm vollständig abriß, den dreieckigen Filzhut tief in die Augen drückte, und ihm den Haselstock in die Hand gab. Statt daß Held und Dichter früher Bruder und Freund gewesen waren, kämpfte nun[110] Jakob von Thybo lächerlicherweise mit Stygotius; und wir konnten Holberg's satyrischer Geißel danken, daß jene Tollheit früher bei uns als an vielen anderen Orten, namentlich in Deutschland, aufhörte, das immer entsetzlich lange Zeit braucht, um aus seinen alten Falten zu kommen. So wild, toll und grausam die französische Revolution auch wurde, war sie in ihrem Anfange doch edel und poetisch. Nun hatte ein mächtiger Genius die verwirrten Massen zusammengezwungen, Ordnung in die Ausschweifungen gebracht, die Kräfte zu mächtiger Wirkung gesammelt; es konnte doch trotz der ungeheuren jährlichen Menschenopfer, (die zuletzt auch den Opferpriester trafen) Etwas gedeihen und blühen. Diese letzten Kriege, in denen Landesvertheidigung und Eroberungslust gegen einander ankämpften, waren poetische Kriege, und der Sturm vertrieb den Nebel des Sumpfes. Ich war in eine Stadt gekommen, die der Sammelplatz für Alles war, was es Wichtiges und Großes in Europa gab, wo der Alexander oder Caesar der Gegenwart Hof hielt. Karl der Große lebte wieder in Paris. Paris fühlte seine Macht, sein Uebergewicht. Die Vergnügungen, die hier stets geblüht hatten, erhielten einen mehr poetischen Character; — und war es also ein Wunder, wenn der junge Dichter hauptsächlich hingekommen war, um sich zu vergnügen?

Apologie des Vergnügens.

Aber auch zum Arbeiten war ich hingekommen; die eine Kunst bedarf der andern. Wenn der Baumeister mit seinem Palast fertig ist, muß der Bildhauer Statuen in die Halle setzen und der Maler Decken und Wände schmücken. Diese Kunstwerke geben dem Palaste höhern Werth; das edle Gebäude, in dem diese Werke sich befinden, verleiht ihnen wiederum Werth. — Die dramatische Poesie bedarf der Malerei, der Musik, des Tanzes, der Mechanik und besonders der Schauspielkunst! War es nun ein Wunder, daß diese schöne, in Paris stets zur höchsten Vollkommenheit gestiegene Kunst, sich die Bewunderung des jungen dramatischen Dichters zuzog? Wenn ich also dem alten Minister sagte, daß ich hauptsächlich nach Paris gekommen war,[111] um mich zu amüsiren, so meinte ich, daß ich jeden Abend ins Schauspiel gehen wolle, damit meinte ich wieder, daß ich meine Kunst studiren, und mein Vergnügen mit einer ernsten Arbeit vereinigen wollte, ohne welche es kein Vergnügen giebt, da jedes Vergnügen ohne Arbeit bald eine matte, ermüdende Langeweile wird.

Künstlerische Befähigung der Franzosen.

Die Franzosen sind stets viel vortrefflichere Schauspieler als Dichter gewesen. Zu einem großen Dichter gehört eine ruhige, einsam wirkende Kraft. Die geschmeidige Empfänglichkeit, Aufmerksamkeit, Leichtbeweglichkeit, das rasch aufflackernde Feuer, die witzige Munterkeit und Grazie des Franzosen machen ihn sehr geeignet zur Schauspielkunst, die zwar auch selbstständig ist, aber doch nicht so wie die andern Künste; die wohl auch Erfindungsgabe fordert, aber doch mehr um die gegebenen Zeichnungen zu Gemälden auszuführen, als von Anfang an zu zeichnen und selbst zu erfinden. Die schnell aufflammende Begeisterung des Franzosen, die dem Feuerwerke gleicht, das leicht kommt und verschwindet, macht ihn auch wohl zum tragischen Schauspieler geeignet, um in einzelnen Scenen darzustellen, was der Dichter in längerer Zeit ruhig gedacht, gefühlt und ausgeführt hat. — Bereits der Roscius der Römer war ein Gallier, der Garrick der Britten (Garrique) war von französischer Familie, und nun stand Talma — als der große Schauspieler und — als Napoleon's Freund da.

Napoleon und Talma.

„Als Napoleons Freund?“ fragt mancher vornehme Herr und rümpft die Nase. „Sie glauben wohl auch das lächerliche Märchen, daß Napoleon von einem Komödianten lernte, wie er stehen und gehen solle? &c.“ Ich zweifle durchaus nicht daran, und es war in Paris ein allgemeines Gerücht. Napoleon hatte Talma gekannt, als der Unterschied zwischen ihnen nicht groß, als er selbst Artillerielieutenant war. Napoleon hatte als Held Sinn und Liebe für das Tragische. Es war nicht Affectation von ihm, daß er den Ossian liebte. Er liebte auch Talma auf die Weise, wie Napoleon Menschen lieben[112] konnte. Er bewunderte sein Genie, erblickte die Helden der Vergangenheit, denen er glich und zum Theil nachahmte, durch Talma's Kunst; und als die Umstände es mit sich geführt hatten, daß Napoleon repräsentiren sollte, als Aller Augen nicht allein auf seine Handlungen und Befehle, sondern auch auf seine Persönlichkeit gerichtet waren, hat dieser reelle klare Mann gewiß nichts gegen eine bescheidene Anweisung seines alten, bescheidenen Freundes in Betreff einer edlen Körperstellung gehabt. Er brauchte ja nur Talma oft im Theater zu sehen, um Etwas von ihm zu lernen. Aber Talma besuchte ihn außerdem häufig beim Frühstück. Merkwürdig ist es, daß Napoleon, dem es sonst nicht an Muth fehlte, nicht Courage genug hatte, um das schmachvolle dumme Vorurtheil zu vernichten, das auf den Schauspielern lastete. Das beweist neben vielem Andern, daß er, was die Kunst betrifft, nur in ihre Vorhallen eingetreten war; — und wie konnte auch eine so egoistische, herrschsüchtige Natur wahres Gefühl für das Schöne, für das tugendhaft Große haben? Aber einen bedeutenden Theil das ästhetisch Großen faßte Napoleon, soweit es sich mit seinem Wesen verband; so erfaßte er auch Talma. — Es wäre diesem gewiß eine leichte Sache gewesen, auf eine glänzendere Weise sein Glück zu machen, wenn er das Theater verlassen hätte. Aber Talma liebte seine Kunst mehr, als eitle Ehre; deßhalb blieb er Komödiant, während viele Andere Herzöge und Grafen wurden. Ja selbst in seiner Todesstunde verleugnete er seinen Stand nicht, sondern ließ den Erzbischof drei Mal vergebens zu ihm schicken, als dieser ihn auf dem Krankenbette bekehren wollte, um ihm ein ehrenvolles Begräbniß gestatten zu können, welches das Volk ihm bestimmt hatte, und das, wie der Bischof wohl fühlte, Talma verdiente. Aber selbst in der Todesstunde erkannte der Künstler das Lächerliche und Schmähliche, die schöne Wirksamkeit seines ganzen Lebens reuemüthig für eine Sünde und Verirrung zu erklären, nur damit man — ohne gegen die religiöse Etiquette zu verstoßen — ihn dafür ehren könne. Talma lebte und starb als[113] Komödiant; aber sein Name wird stets in der Geschichte Napoleon's mit unsterblicher Ehre dastehen, wenn viele Herzöge und Grafen vergessen sein werden.


Ueber das Wesen der Tragödie.

Meine meiste Zeit in Paris war also dazwischen getheilt, Schauspiele zu sehen, und selbst welche zu schreiben. Ich vermuthe, daß meine Leser, denen die Entwickelung meines innern Lebens eben so großer Aufmerksamkeit werth sein muß, wie die Erzählung meiner Erlebnisse, hier gern die Grundsätze und Ansichten hören werden, nach denen ich dichtete.

Ich hatte mit großer Aufmerksamkeit mehre Male des Aristoteles Fragmente über die Poetik und den Sophokles gelesen. Ich fand, daß der Erstere mit klarem Verstande das Wesen und den Character der Tragödie seiner Nation erfaßt; daß er ihre Begriffe in deutlichen Bedingungen hingestellt habe. Nicht das Geringste von Einbildung, von Machtsprüchen fand ich beim Aristoteles. Er meint nicht: „So habe ich ausspeculirt, daß man es machen muß, um ein tragischer Dichter zu werden;“ er meint: „So haben große Tragiker gedichtet, dadurch haben sie gewirkt; das muß wohl also die Natur der Kunst sein,“ die er dann geistreich beobachtet und deutlich mittheilt.

Seine wichtigsten Ansichten sind: daß die Tragödie hauptsächlich durch Handlungen und Charactere wirken müsse. Doch hält er die Handlung für das Wesentlichste, weil eine Tragödie selbst ohne Characterzeichnung durch die einfache Fabel wirken kann, aber nicht entgegengesetzt. Gerade das, wodurch eine solche Dichtung die Herzen gewinnt, liegt in der Fabel. Die Fabel, sagt er, gleicht der Zeichnung, der Character dem Colorit in einem Gemälde; selbst die einfache Kreidezeichnung kann schön sein, nicht aber die Farbe ohne Umriß. Aber nach der Fabel sind die Charactere das Wichtigste und Aristoteles tadelt einige neuere Dichter, weil sie characterlose Tragödien geschrieben[114] haben. Die Handlung, meint er weiter, muß ganz und vollständig sein, muß eine gewisse Größe besitzen; denn es giebt auch ein Ganzes ohne Größe. Ein Ganzes muß Anfang, Mitte und Ende haben. Der Anfang ist Das, was nicht nothwendig auf etwas Vorhergehendes folgt, sondern auf das nothwendig Etwas folgen muß; die Mitte folgt auf Etwas und hat Etwas zur Folge; der Schluß folgt auf Etwas ohne Folge.

Hier ist das Feld für die Composition liberal und frei geöffnet, indem der Denker doch zugleich zeigt, daß man sich nicht der Willkür überlassen darf, sondern daß eine natürliche Selbstständigkeit des Stoffes, ein Zusammenhang und die Steigerung des Interesses nöthig sei.

Nachdem er bemerkt hat, daß die Größe auch nicht zu groß, unüberschaulich sein dürfe, macht er darauf aufmerksam, daß es nicht so sehr des Dichters Aufgabe sei, solche Begebenheiten darzustellen, die geschehen sind, als solche, die, der Wahrscheinlichkeit und Nothwendigkeit nach, geschehen sein könnten oder möglich wären; daß nicht bloße Metrik den Dichter ausmache und ihn vom Geschichtsschreiber trenne; sondern, daß dieser eine wirklich geschehene Begebenheit erzählt, jener eine mögliche darstellt; und daß deshalb die Poesie mehr ein Werk des Genies und des Studiums, als die Geschichte sei.

Von allen Fabeln erklärt Aristoteles die episodische für die schlechteste. Aber hier ist er oft mißverstanden und seine Autorität gemißbraucht worden; denn er fügt ausdrücklich hinzu: „Wenn die Episoden weder der Wahrscheinlichkeit, noch der Nothwendigkeit nach mit einander verbunden sind.“ Seine Ansicht ist also nicht, daß in einer guten Tragödie gar keine Episoden sein dürften; einige der besten griechischen Stücke (z. B. Antigone und Ajax) endigen sogar großartig und feierlich mit Episoden. Und der Glaube, daß eine Tragödie nothwendig mit dem Culminationspunkte der Handlung endigen müsse, ist ganz schief und falsch. Eine Tragödie ist kein Epigramm, das mit einer Pointe abknallen muß; oft ist die Folge einer Handlung[115] höchst rührend, interessant, erhebend, belehrend, ja sogar das Poetischeste. Das Wesen der Tragödie ist nicht allein, zu spannen, zu überraschen; sondern den Geist durch eine vollständig schöne Darstellung des menschlich Großen zu befriedigen.

Die Tragödie — sagt Aristoteles sehr richtig — wirke besonders, wenn die Handlung uns durch Schrecken oder Mitleid rührt. — Er hat gewiß Recht darin, daß diese Gefühle die Springfedern und Triebräder des Ganzen sind; sie sind nichts Anderes, als starke Wirkungen des Interesses für die Menschen, die auf uns selbst als ihres Gleichen zurückwirken: Schreck oder Furcht für ihr Schicksal, bevor es sie getroffen; und Mitleiden, wenn sie unterliegen. Denn der Stoff der Tragödie ist Kampf mit dem Unglücke, ein kräftiger Kampf; und der eigentliche Trost besteht darin, daß das Ewige siegt, wenn auch das Irdische zu Grunde geht. Deshalb ist auch die Grundlage für die wahre Tragödie eine höhere, gesunde Heiterkeit. Melancholie und Hypochondrie haben, wie alles Krankhafte, durchaus Nichts mit der Kunst zu thun, und der, welcher sich durch eine gute Tragödie niedergeschlagen fühlt, ist gar nicht im Stande, sie oder ihre Schönheiten zu fassen; denn gerade im Gegentheile, sie stärkt den Geist und erhebt die Seele. Deshalb wird sie auch besonders von der Jugend geliebt. Je mehr sich dagegen der Aeltere selbst dem Grabe nähert, destoweniger Lust und Muth hat er, sich mit der Bildung des Todes zu beschäftigen, ihm in die Augen zu schauen; er bedarf der Zerstreuung und will von dem Komischen aufgeheitert werden. Doch kommt auch hier die erweiterte Menschenkenntniß, der ruhigere Sinn für die feinen Mischungen des Characteristischen in allen Verhältnissen des Lebens, die dem reifern Alter folgen, mit ins Spiel; während sich die Jugend im Allgemeinen nur an dem Leidenschaftlichen erfreut. — Aristoteles sagt vom tragischen Helden, daß er nicht ganz unschuldig sein dürfe — denn dann zürnen wir über sein grausames, ungerechtes Schicksal — er dürfe auch kein vollständiger Bösewicht sein — denn dann haben wir[116] kein Mitleiden mit ihm; — sondern ein Mensch von vermischten Eigenschaften, der sich durch Fehler sein Schicksal zugezogen hat, ohne es ganz zu verdienen. Dies ist recht geistreich; nur müssen wir die Bemerkung machen, daß wir es jetzt, als Christen, ertragen können, auch das Unglück eines ganz Unschuldigen zu sehen, da wir nicht mehr an einem ewigen seligen Leben, an einer strafenden und belohnenden Gerechtigkeit jenseits des Grabes zweifeln. Und selbst bei dem Griechen Sophokles ist z. B. Antigone ganz unschuldig und weicht keiner Christin an Seelenadel.

Aristoteles sagt von der Katastrophe, daß sie sich nach Nothwendigkeit oder Wahrscheinlichkeit aus der Composition entwickeln, daß die Tragödie eine Verwickelung und eine Auflösung haben müsse. Nur solche Handlungen geben einen Stoff für Tragödien, wo Feindlichkeiten und Verbrechen aus vorhergegangenen freundlichen Verhältnissen entspringen, denn daß der erklärte Feind seinen Feind verfolgt, hat nichts Merkwürdiges oder Rührendes. Die Charactere, sagt er weiter, müssen edel geschildert sein, deshalb muß man es machen, wie die guten Maler, die trotzdem sie nach der Aehnlichkeit des Originales streben, doch unbeschadet dieser Aehnlichkeit das Bild veredeln. So soll auch der Dichter, wenn er wilde, aufgebrachte Menschen schildert, sich mehr dem moralischen Muster, als der Rohheit nähern. Er muß sich so viel, als möglich die Handlung vergegenwärtigen, um das Eigenthümliche zu wählen, das Unnütze zu verwerfen; er muß sich selbst in die Handlung versetzen; denn der natürlichen Sympathie zufolge rührt der am meisten, der die Leidenschaft selbst zuerst empfindet.

Dies drückt Horaz hübsch in seiner ars poëtica so aus:

„Non satis est, pulchra esse poemata; dulcia sunto
et quocumque volent, animum auditoris agunto.“
— — „Si vis me flere, dolendum est
primum ipsi tibi.“

Und Claudius in seinem Epigramm über Voltaire und[117] Shakespeare, drückt es eben so hübsch auf seine launige Weise aus, wenn er sagt:

„Der Meister Arouet schreibt: er weine, —
Und Shakespeare weint!“

Ich lernte bald, die Worte des Aristoteles, daß das tragische Unglück sich aus Fehlern entwickeln müsse, denen Personen von hohem Range und blühendem Glücke unterworfen seien, nicht buchstäblich zu nehmen, sondern sie nur mit Beschränkung zu verstehen, wie Lessing, wenn er in seiner Hamburger Dramaturgie bemerkt:

„Die Namen der Fürsten und Helden können einem Stücke Pomp und Majestät geben; aber zur Rührung tragen sie nichts bei. Das Unglück Derjenigen, deren Umstände den unsrigen am nächsten kommen, muß natürlicherweise am tiefsten in unsere Seele dringen; und wenn wir mit Königen Mitleid haben, so haben wir es mit ihnen als mit Menschen, und nicht als mit Königen. Macht ihr Stand schon öfters ihre Unfälle wichtiger, so macht er sie darum nicht interessanter. Immerhin mögen ganze Völker darein verwickelt werden; unsere Sympathie erfordert einen einzelnen Gegenstand, und ein Staat ist ein viel zu abstracter Begriff für unsere Empfindungen.“

In gleichem Tone spricht A. W. Schlegel in seinem später (1809) erschienenen Buche über dramatische Kunst und Literatur so:

„Die griechischen Tragiker schildern uns die Zerrüttung der Königshäuser wahrlich nicht in ihrem Bezuge auf den Zustand der Völker; sie zeigen uns im Könige den Menschen, und weit entfernt, zwischen uns und ihren Helden den Purpurmantel als eine Scheidewand vorzubreiten, lassen sie uns durch dessen eiteln Glanz hindurch in einen von Leidenschaften zerrissenen Busen schauen.“

Das Obenangeführte ist ungefähr der Hauptinhalt der Aristotelischen Abhandlung über die Tragödie. Ich bemühte mich stets, mir diesen Katechismus des gesunden Menschenverstandes[118] gut ins Gedächtniß einzuprägen; denn so geradezu er auch ist, enthält er doch die wichtigsten Ideen über die Natur des tragischen Gedichtes.

Vergleiche mit andern Dichtern.

Wenn ich nun diese Grundsätze mit andern verband, welche ich bei Lessing, Herder, Schiller, Göthe, den beiden Schlegel's, Jean Paul, Hugh Blair, Home &c. fand, so bildete sich nach und nach eine sichere, klare Theorie in meinem Kopfe, die ich später durch eigene Gedanken und Erfahrungen zu bereichern strebte.

Mit den großen Dichtern wurde ich immer vertrauter, bewunderte ihre Schönheiten, bildete mich aber nicht sclavisch nach ihren Eigenheiten. Ich wußte: Jeder Mensch, selbst der größere, hat seine Fehler und Mängel, die der geringere Nachfolger leicht entdecken kann aber nicht nachahmen darf. Für das Mangelhafte in seinen Werken wird die sparsame Natur schon selbst sorgen. Sophokles entzückte mich durch seine einfache Größe, durch seine Plastik; aber ich fand, daß die Weitläufigkeit der Redner und die zu künstliche Einmischung der Chöre seinem Zeitalter angehörten und nicht nachgeahmt werden dürften. Bei Shakespeare fand ich die tiefe Kenntniß des menschlichen Herzens, die vielfältigen, kräftigen Characterschilderungen, den poetischen Ausdruck der Leidenschaft und des Gefühls, die Weltkenntniß, das blühende Colorit des Schmerzes und der Freude, die naive Natürlichkeit — göttlich und unvergleichlich. Aber ich fand, daß er in der Composition seiner meisten Stücke nicht als Muster dienen könne, wenn auch die Franzosen in unzähligen Vorwürfen Unrecht hatten, weil sie stets das Conventionelle für das Natürliche ansahen. Selbst bei Shakespeare, wie bei jedem andern Dichter, findet man etwas Conventionelles, das der Zeit angehört und damals Mode war: in den Wortspielen, den Plumpheiten, der allzukunstlosen, häufigen Einmischung weitläuftiger Episoden. Seine Eigenthümlichkeiten als Mensch und Engländer waren mir lieb; aber es konnte mir nicht einfallen, seinen Humor nachzuahmen, der sich so gern witzig dem Wahnwitzigen[119] nähert und tragisch damit spielt. — Ich fand, daß Schlegel und Gries sich verdient um die Literatur gemacht hatten, indem sie einen Theil von Calderon übersetzten. Mitten in einer Menge ungeheurer Blumengebüsche, deren Luxus mir nicht gefiel, und deren Duft mich fast betäubte, standen Calderon's höchst poetische Figuren in schönen, richtigen Situationen da. Ein Theil Leser und Nachahmer vergaßen diese schönen Menschenbilder über den Blumengebüschen. Eine Menge Galanteriebuden wurden aufgerichtet, wo man die natürlichen spanischen Rosen aus deutschem Nesseltuche nachmachte. Als ich den standhaften Prinzen las, schätzte ich auch den Menschen, den Denker Calderon recht; und obgleich ich nicht dieselbe Liberalität und Geistesfreiheit bei dem katholischen Adelsmanne, wie bei dem Protestanten und Bürger Shakespeare fand, so sah ich doch ein, daß sein schönes Genie, sein gesunder Menschenverstand ihm all' die Billigkeit geschenkt hatten, die man von einem beliebten Dichter aus der Zeit der Auto da fé's erwarten konnte. — Ich wagte es später auch mit Sparsamkeit einige von Calderon's schönen Versformen in meinen Stücken anzuwenden.

Ueber Göthe habe ich bereits meine Ansicht ausgesprochen. Seine milde Ironie, seine echt poetischen frischen Darstellungen konnten nicht besser sein; nur ist in seinen ersten Werken zu viel, in seinen spätern zu wenig Stoff für die Bühne; auch fehlt es seinen Dramen im Ganzen an der Leidenschaft und Kühnheit, die dazu gehören, wenn man große Wirkungen hervorbringen will. Diese besitzt Schiller im hohen Grade. Kein Dichter war mehr als er, Herr des hohen Gefühles, der edlen Begeisterung; aber man muß sich davor hüten, in Schiller's allzulange, rhetorisch-philosophische Reflexionen zu verfallen.

Ich fühlte: in jeder Poesie setzt stets ein edles Herz dem Genie die Krone auf. Kalter Verstand und ein kühnes Phantasiespiel mit den Gaukelbildern des Lebens genügt nicht; das Genie kann sich auch mit Hochmuth, Härte, Ausschweifung, Spott, selbst mit Grausamkeit verbinden. Aber dieser Lucifer ist ein[120] gefallener Engel. Er imponirt. Viele gute Köpfe und verderbte Herzen ziehen ihn vor, finden in dem kräftigen geistvollen Trotz einen Versteck für ihre Sünden, und nennen die weniger pikante Besonnenheit und Herzlichkeit vielleicht gar widerlich und matt. So schilt ein verderbter Saufbruder die idyllische Milch und das gesunde Brot weichlich, obgleich es Riesen nährt, und der Spiritus ihm selbst zuletzt das Delirium tremens verschafft.

Das Aesthetische und das Ethische.

Wie viel Humanität athmet nicht in dem Pathos des Aeschylos? Wie rührend ist Sophokles! Sein unglücklicher Oedipus, der endlich in Kolonos Ruhe findet; die hohe Antigone, die aus schwesterlicher Liebe in den Tod geht; Elektra, die rächende Schwester, die, wenngleich Weib, doch einen Hamlet beschämt; Philoktet auf seiner Insel mit seinem Bogen; der starke Ajax, ein guter Sohn, Vater, Bruder, Mann, von der Rachbegier aber zur Raserei und aus gekränkter Ehre zum Selbstmord getrieben. — Und nun Du Shakespeare! Dein Lear, durch die Undankbarkeit der Kinder zum Wahnsinn gebracht; dein ehrlicher, tapferer Othello, der aus unglücklicher Eifersucht sein Weib und sein Glück mordet. Dein sentimentaler Hamlet, der, wie Jean Paul so schön sagt, ein Vater für alle Werther ist; Dein Romeo und Deine Julie, voll von süßer unglücklicher Liebesschwärmerei; Dein Macbeth, den Sünde und Gewissensqual in den Abgrund stürzen! — Bei Schiller haben diese Gefühle stets das Uebergewicht, und selbst bei Göthe ist dies oft der Fall; denn wo er gewisse Schwächen und Verstöße gegen die Sitten vertheidigt, denken wir immer an Magdalena, die von den Pharisäern und Sadducäern vor Christus hingeführt wird, der da sagte: „Wer unter Euch rein ist, der werfe den ersten Stein auf sie!“

So überzeugte ich mich also, daß das Aesthetische nicht des Ethischen entbehren könne, weil das Product des vernünftigen Willens Tugend und Sitte ist. Alle menschlichen Handlungen gehen darauf aus, entweder die Ordnung in dem gesellschaftlichen Leben zu befördern oder zu zerstören: da nun das[121] Drama die ideelle Darstellung menschlicher Handlungen ist, so bilden die moralischen Verhältnisse einen großen Theil des Ganzen. Der Dichter muß für die geistige Ordnung begeistert sein. Er darf nicht indifferent mit einer parteilos matten Ironie spielen; er darf die Bilder nicht nur heraufbeschwören, um sie wieder verschwinden zu lassen; er darf nicht allein erschüttern und spannen; denn in der bloßen Lust an dem Entsetzen Erregenden ohne ein edles Gefühl liegt der Keim zu aller Grausamkeit.

Diese Theorie war nun keineswegs das poetische Glaubensbekenntniß jener Zeit, wie es das der Gegenwart ist. Es wurde wieder der Spitzfindigkeit gehuldigt. Große Verbrechen verwechselte man mit großen Verbrechern und achtete sie mehr als eine einfältige Tugend. Die Wollust wurde sogar metaphysisch vertheidigt; und die mechanische Fertigkeit und Zierlichkeit der Versmacherei drohte das natürliche freie Gefühl vom Parnaß wegzutreiben.

Ich sah wohl ein, daß ich, wenn ich nicht in den herrschenden Ton einstimmte, viele Gegner, Tadler und endlich Verächter finden würde; aber die Lust zu gefallen konnte meine Liebe für das Gute und Wahre, oder meine Ueberzeugung nicht umstoßen.

Welche Heldenzeit konnte ich nun besser wählen, als die meines eignen Vaterlandes, die eigentlich noch nicht dichterisch dargestellt war und doch so viel herrlichen Stoff für die Dichtung darbot? Auch für Fremde mußte dies Interesse haben. Jede poetische Darstellung eines Volkes erfreut das andere. Wir machen ja gern Reisen, um andere Nationen kennen zu lernen; wir freuen uns über die Dampfschiffe, die so schnell Nationen mit Nationen verbinden. Aber eine noch raschere Beförderung, die weniger Zeit und weniger Geld kostet, ist das Dichterschiff. Walter Scott hat auf eine höchst angenehme Weise das gebildete Europa mit seinen wilden Landsleuten, einem von Bergen eingeschlossenen Volke, die nie ihr Land verlassen, bekannt gemacht. Aber weit mehr, als die Schotten verdienen die alten[122] Skandinaven bekannt zu werden, die einst das ganze Europa überschwemmten, und von denen die großen südlichen Nationen zum Theil ihre Geschichte und ihre Heimath haben. Zwar ist die Aufgabe der Tragödie sehr verschieden von der des Romans; es ist mir nie eingefallen genau gezeichnete Portraits unserer Vorfahren zu geben; nur die großen Thaten, die großen Characterzüge habe ich mit dem allgemein Menschlichen verbunden.

Ich habe bereits davon gesprochen, daß Schiller in der Braut von Messina den griechischen Chor wieder zu benutzen versuchte. Man fand, daß er ungeachtet unzähliger Schönheiten zwei widerstrebende Elemente vereinigt habe: Griechische Demokratie und das Feudalwesen des Mittelalters. In Baldur dem Guten gebrauchte ich alle griechischen Formen, und es schien, als ob der antike Rhythmus sich recht natürlich mit den alten nordischen Mythen und Heldensagen vereinige. Dieses Stück dichtete ich auf meiner Reise in Weimar und Dresden.

Ueber meine eigenen Tragödien.

In Paris verschaffte mir Bröndsted Suhm's Geschichte von Dänemark aus der großen Bibliothek. Nachdem ich im vorigen Jahre eine norwegische Tragödie geschrieben hatte, Hakon Jarl, wollte ich nun eine dänische schreiben. In Palnatoke fand ich einen guten Stoff, und ich wählte ihn um so lieber, da er sich einem Zeitalter anschloß, das ich in Halle ziemlich gründlich studirt hatte. Damals war man in hohem Grade für das Nationale, das Heroische, das Ernste in meinem Vaterlande empfänglich. Wenn es gestattet ist das Geringe mit dem Hohen zu vergleichen so hatte die Schlacht auf der Rhede am 2. April 1801 die Dänen für die Poesie begeistert — ebenso wie die Schlacht bei Salamis und Marathon die Griechen, und die Vernichtung der spanischen Armada die Britten unter der Königin Elisabeth. Es gehört eine vorhergehende Kraftanstrengung dazu, das Spießbürgerliche, das Spitzfindige, das Kleinliche zu verjagen — und eine Nation für das Große, das Schöne zu stimmen. In der glücklichen Ruhe die auf eine solche Unruhe folgt, gedeiht die Poesie am besten. Mein Hakon hatte, obwohl die[123] Hauptrolle von Frydendahl gespielt wurde, großes Glück gemacht. Dieser war als Komiker vortrefflich, aber durchaus kein Tragiker. Ich pflege sonst selten an die Schauspieler zu denken, wenn ich meine Dramen schreibe. Es scheint mir, als ob die Originalität, nach der ein Dichter in seinen Characterzeichnungen streben soll, ganz verschwinden muß, wenn ein Schauspieler als Modell dasteht. Von der eigenen Subjectivität des Dichters kann er, soll er sich nie ganz losreißen. Die subjective Anschauung und die Begeisterung des Dichters ist der Stoff für das Ideale in seinen Werken, sowie das Object ihm das Characteristische und die Handlung giebt. Aber dieses Object darf er nicht in einzelnen stets wiederkehrenden Persönlichkeiten suchen. Wenn er nur für den Augenblick wirken will, so gewinnt er, wenn er solche Persönlichkeiten benutzt. Oft wird sonst sein Werk ein todtes Kapital, bis der Mann kommt, der das Kapital gebrauchen kann. So dauerte es einige Jahre, ehe der geniale Ryge als Hakon Jarl auftrat. Aber ich hatte doch an einen andern herrlichen Hakon gedacht, als ich meine Tragödie dichtete. Dies war nämlich der Norweger Rosing, ganz für diese Rolle geschaffen, nun aber — gelähmt, für mich, für die Kunst, für die Welt verloren.

Im Hakon Jarl hatte ich den Streit zwischen dem Heidenthum und dem Christenthum, mit dem Uebergewichte der tugendhaften Kraft auf der Seite des Christenthums geschildert; weshalb jenes trotz seines größern poetischen und politischen Lebens untergehen mußte. In Palnatoke wollte ich einen Gegensatz schildern. Hier ist Pflicht und Tugend auf der Seite des Heiden Palnatoke, im Kampf mit dem falschen Mönchswesen, dem verbrecherischen Mönchskönig. Deshalb siegt das Heidenthum und blüht noch einmal in dem kräftigen Jomsburger Bunde auf.

Obwohl ich Schillers Wilhelm Tell sehr liebte und bewunderte, so befürchtete ich doch nicht, daß die ähnliche Scene in beiden Stücken mit dem Apfel auf dem Haupte des Knaben zu meinem Nachtheil mißverstanden werden würde. Diese Scene[124] ist weder Johann-Ballhornerei noch Nachahmung. Sie zeigt, wie so Vieles, daß oft Dasselbe in der Welt, jedoch höchst verschieden je nach der Denkungsweise und den Characteren der verschiedenen Zeitalter geschehen kann. Was in Schiller's Tragödie rührend, zur Wehmuth stimmend ist, wird in Palnatoke fast wie ein lustiger Auftritt zwischen den an Blut und Tod täglich gewöhnten Heiden behandelt; doch handelt das Vaterherz in beiden Scenen und die Barbarei ist in Palnatoke geadelt. Ohne Edelmuth und Hoheit würde eine solche Verwegenheit — wovon man selbst unter tollen Knaben oft Proben gehabt hat — nur empörende Frechheit ohne Poesie sein. Thorvald habe ich in Palnatoke etwas zu weich und modern behandelt. Hätte ich Thorvald Bidförle's Sage in Paris gehabt, so würde ich diesem Character mehr von dem Colorit seines Zeitalters gegeben haben.

Etwas Komisches traf ein, als ich das Stück dichtete. Ich arbeitete eines Abends spät (gegen die Gewohnheit, denn ich dichte gewöhnlich am Morgen), und da fiel mit die Idee von Harald Blauzahn ein, daß er in den Leichenkleidern eintritt und sagt: „Hier stehe ich in meiner wahren Tracht,“ u. s. w. Dieses Bild stand mir in seinem ersten Ursprunge so lebhaft vor der Seele, daß ich selbst erschrak, zu Bröndsted hineinlief, nicht allein sein wollte, und ihn bat, mir etwas Lustiges auf dem Fortepiano vorzuspielen.

Palnatoke wurde im Vaterlande sehr gelobt und viel gelesen; aber es glückte dem in so vielen andern Rollen vortrefflichen Schwarz nicht, den Palnatoke besser zu spielen, als Frydendahl im Jahre vorher den Hakon spielte. Beide Rollen bekamen einige Jahre später erst ihren meisterhaften Darsteller in Ryge.

Da es in Palnatoke keiner Frauen bedurfte, so ließ ich sie auch nicht darin auftreten. Im nächsten Winter schrieb ich Axel und Walborg, worin die Liebe die Hauptsache ist; eigentlich die Treue der Liebe, sowie ich ein paar Jahre darauf in[125] Hagbart und Signe die Leidenschaft des ersten Ausbruchs der Liebe zu schildern suchte; jene zwischen ein paar jungen Christen, diese zwischen zwei Heiden; aber beide heroisch und mit nordischem Gefühl. Mit der sinnlich glühenden südlichen Liebe in Romeo und Julie wollte ich nicht wetteifern; aber der milde Septembermond über dem nordischen Buchenhaine kann auch seine Wirkung thun, obgleich er sehr verschieden von der italienischen Sommernacht ist.

Ich habe bereits erzählt, daß ich den Aladdin wieder von Neuem übersetzte, weil die erste Uebersetzung zu fehlerhaft war. Kein Wunder! Wenn man bedenkt, daß ich zwei Jahre vorher nicht ein deutsches Wort geschrieben und eigentlich erst ein Jahr vorher begonnen hatte, Deutsch zu dichten. Ich übersetzte auch den Hakon Jarl wieder; darauf übersetzte ich noch den Palnatoke, Jesus in der Natur und noch mehrere andere Stücke, und schrieb einige Gedichte Deutsch, unter denen: der irrende Ritter. Ein polemisch didactisches Idyll ist eigentlich keins, doch habe ich es später gekürzt in meine deutsche Sammlung der poetischen Stellen wegen aufgenommen, deren es nach dem Urtheil von Sachverständigen nicht entbehrt.


Ich habe erzählt, wie sehr ich Talma in der Tragödie bewunderte; obgleich ich der französischen Tragödie nicht Geschmack abgewinnen konnte, weil ich sie zu monoton, character- und stofflos und zu vornehm conventionell fand, zwang er mich doch, viel große Schönheiten darin zu erkennen. Etwas war jedoch bei Talma, das mir nie gefiel. Wenn er nämlich eine Scene vortrefflich gespielt hatte, erhob er zum Schluß bei den großen Ausgangsrepliken die Stimme auf eine affectirte, übertriebene Weise, streckte die Hände in die Luft, zitterte mit ihnen und bekam dann einen furchtbaren Applaus. In einem Gespräch mit einem meiner Bekannten, der Talma auch kannte, sagte ich: „Wenn ich mit Talma spräche, würde ich es ihm rein heraus[126] sagen.“ — „„Das brauchen Sie nicht““ — entgegnete der Andere — „„denn Talma weiß es selbst sehr gut.““ — „Und was sagt er darüber?“ „„Er sagt: das ist ein Fehler; aber ich habe meine Landsleute bereits an so viel Natur gewöhnt; in Etwas muß ich mich nach ihren Gebräuchen und Vorurtheilen richten, sonst verliere ich ihre Hingebung und Begeisterung und ohne die kann ich meine Kunst nicht ausüben.““

Die Kunst und die Mode.

Es ist rührend und hart, wenn ein großer Künstler sich so nach dem Modegeschmack der Menge richten muß. Etwas Aehnliches hörte ich später von Spontini, als er seinen „Ferdinand Cortez“ componirt hatte, und ein guter Freund, der ihn außerordentlich lobte, zugleich die bescheidene Frage that, ob der Componist nicht finde, das etwas viel Lärm in dieser sonst so herrlichen Musik sei? „Ja gewiß,“ soll Spontini geantwortet haben; „aber nicht wahr, sie ist doch hübsch, obgleich sie lärmt? Zu dem Letztern war ich gezwungen, um den Beifall des Publikums zu gewinnen.“

Ich habe selbst einen jungen, ausgezeichneten Virtuosen auf dem Pianoforte gehört, der mir erzählte: „Am Sonntag komme ich mit einigen meiner musikalischen Freunde und Künstler zusammen; dann spielen wir Werke von Mozart, Haydn und anderen alten Meistern zu unserm eigenen Vergnügen; denn in Concerten und Assemblée'n will man jetzt nicht mehr schöne Musik hören, sondern nur sehen, wie die Finger mit Leichtigkeit die größten Schwierigkeiten überwinden.“

Nachdem ich mir etwas Uebung in der französischen Sprache erworben hatte, disputirte ich oft mit einem oder dem andern Pariser über die Unnatur und Monotonie der französischen Tragödie; denn ich lernte es viel früher, mich erträglich in einem wissenschaftlichen Gespräche über die Kunst auszudrücken, als richtig Französisch von all' den vorkommenden Kleinigkeiten des täglichen Lebens zu sprechen. Diese Ansichten waren damals etwas ganz Neues; Frau Staël-Holstein hatte damals noch nicht ihr Buch über die deutsche Literatur herausgegeben. Man sah[127] mich an, wie die Hofleute in Gallatracht auf Franklin blickten, wie er als Gesandter von Nordamerika nach Versailles mit seinen eigenen ungepuderten Haaren und einem runden Hute kam. Indessen that das Gesagte doch zuweilen seine Wirkung, und ich hatte ein Mal die Genugthuung, daß ein Franzose mir sagte: „Mein Herr, Sie reden gut, aber Sie überzeugen mich nicht!“

Die neuen französischen und deutschen Dramatiker.

Später haben Victor Hugo und Alexander Dumas sie nur allzusehr überzeugt. Man stürzt leichter aus der Scylla in die Charybdis, als man sein Schiff durch Sandbänke hinsteuert, ohne auf den Grund zu laufen. Man kann ein Gericht zu wässrig und ungewürzt zubereiten, und man kann auf der andern Seite wieder zu viel Cayennepfeffer und Salz hineinthun. Man verdirbt sich den Magen, wenn man nur süße Limonade und wenn man nur Branntwein trinkt. Das juste-milieu ist hier wieder das Beste; aber der Zeitgeist verachtet diese Mäßigung und gebraucht die Bezeichnung als ein Scheltwort. Jenseits des Rheines kann man übrigens den Franzosen jetzt nichts zu hören geben; im Gegentheil: es ist mehr Poesie in Victor Hugo und Consorten, als in dem ganzen jungen Deutschland mit all' seiner pedantischen verschrobenen Begriffsästhetik.

Die geniale anmuthige Demoiselle Mars haben Andere bereits hinreichend gelobt; ich will nur sagen; ich habe sie in ihrer schönsten Blüthe gesehen. So sah ich auch Eliviou, einen eben so großen Sänger, als Schauspieler voller Feinheit und Gefühl im Theater Feydeau. Nie werde ich den Deserteur von Sédaine und Monsigny vergessen, der mir bereits aus meiner frühesten Kindheit bekannt war, wo mein Vater Stücke daraus auf dem Klavier spielte. Auf dem dänischen Theater, wo sich Alles nach der Mode richtet, war dieses herrliche Stück bereits lange bei Seite gelegt worden; aber in Paris, wo man noch nicht die Thorheit über ein Meisterstück hörte, „daß es blos ein altes Stück sei“, sah ich Eliviou, Gavaudan und Madame Gavaudan dies und mehrere gute, alte französische Singspiele[128] bis zur Vollkommenheit gut und zur größten Zufriedenheit des Publikums darstellen.

Französische Schauspieler. — Eliviou.

Eliviou war ein schöner Mann, groß, schlank und blond. Er hatte eine reiche Partie in Toulon gemacht. Ein Landsmann von mir, der ihn kannte, erzählte folgende amüsante und characteristische Anekdote über ihn: In seiner schönsten Blüthezeit reiste er mit einem andern Schauspieler nach Toulon, um dort Gastrollen zu geben. Als sie die Stadt in der Ferne sahen, sagte Eliviou: „Sieh, da liegt nun die fremde Stadt mit all' ihren jungen schönen Mädchen. Und ich will wetten, daß nicht Eine unter ihnen ist, die ich nicht verliebt in mich mache, wenn ich es will.“ Der Freund wollte eine Wette mit ihm eingehen, daß sich dies doch nicht mit allen thun ließe, und Eliviou verpflichtete sich, die Wette der jungen Dame gegenüber durchzuführen, die sein Freund selbst wählen würde. Am ersten Abend sahen sie ein sehr schönes Mädchen, die Tochter eines reichen Mannes, im Schauspielhause. „„Wenn Du sie gewinnen kannst,““ sagte der Freund, „„so hast Du gewonnen.““ Und Eliviou gewann; denn wenige Wochen darauf war das schöne reiche Mädchen seine Braut. — Und da er nun reich war, drohte er oft damit, das Theater zu verlassen, wenn ihm Eins oder das Andere nicht gefiel. Aber man erzählte, daß Napoleon, der ihn nicht verlieren wollte, ihm wieder drohte und sagte: „Wenn er nicht Sänger beim Theater Feydeau sein wollte, so könne er die Muskete über die Schulter nehmen und nach Spanien gehen.“ Eliviou zog vor, für's Erste zu bleiben, wo er war. Später hat er viele Jahre lang als ein bemittelter Privatmann im südlichen Frankreich gelebt. Im Richard Löwenherz sang er vorzüglich die eine Zeitlang bei den Franzosen so sehr beliebte Arie: „O Richard, o mon roi!“ vortrefflich. Man weiß, daß diese Napoleon's Lieblingslied war, und er trällerte es noch oft nach seinem Falle auf St. Helena.

Berühmte französische Schauspieler.

Auch Chenard, ein guter Schauspieler und Bassist, gefiel mir sehr; besonders in Felix, wo er den Vater spielte und[129] einen mir unvergeßlichen Blick, voll seliger Zufriedenheit, zum Himmel sandte, als er seine Pflicht gethan und ein Geheimniß entdeckt hatte, das vielleicht ihn und seine ganze Familie an den Bettelstab bringen konnte. Dieser Blick wurde dreimal von dem gefühlvollen und feinen Pariser Publikum applaudirt.

Auch von Chenard, einem großen, schönen und starken Manne, der aber älter als Eliviou war, hörte ich eine characteristische Anecdote. In der Revolutionszeit beschuldigte man ihn ein Mal, Aristokrat zu sein. Kaum hörte Chenard dies, als er mit der rothen Mütze auf dem Kopfe in den Jakobinerclub eilte, auf die Tribüne hinaufstürzte und rief: „Mitbürger! Man hat mich beschuldigt, Aristokrat zu sein! Ja, es ist wahr, ich bin Aristokrat!“ Hier schwieg er einen Augenblick, während Aller Augen mit Verwunderung das sichere Schlachtopfer bewachten, das zu sagen gewagt hatte, was weder vor- noch nachher von der Tribüne der Jakobiner ertönte, — aber ehe man sich vor Verwunderung gefaßt hatte, fuhr er in einem dreisten, muntern und launigen Tone fort: „Ich bin Aristokrat! ich bin Demokrat! ich bin König, Papst, Bettler, ich bin dumm, klug, ich bin Alles, was Ihr wollt, — ich bin Comödiant!“ „„Ah, le brave Chenard! ah le franc coquin!““ ertönte es von allen Seiten. Im Triumph wurde er von seinen wärmsten Bewunderern auf den Schultern hinausgetragen, und sein Leben war gerettet.

Der talentvolle Potier, der es verstand, einer gewissen unbeholfenen Narrheit soviel feine Züge abzulocken, wie unser Winslöw; der monotonere, aber bei alle Dem doch originelle Brunet, der Rosenkilde der Franzosen, der die Dummköpfe stets so witzig und naiv spielte, daß man ihrer nicht müde werden konnte, erfreuten mich sehr im théâtre des variétés ebenso Madame Hervay, in dem eigentlichen Vaudeville. Im théâtre français hatte ich das Glück, Dacincourt, Dugazon, Mademoiselle Contat und die beiden Baptiste in den besten Stücken Molière's und anderer guten Dichter zu sehen.

[130]

Napoleon's Mangel an Kunstsinn.

Die Werke zweier großen Meister, die ich wiederholt hörte und sah, wirkten vielleicht mehr auf mich ein und ich lernte mehr von ihnen, als von manchem Dichter. Dies waren Mozart und Raphael. Die meisten von Raphael's Bildern hingen in der großen Rumpelkammer, wohin man den Raub aus so verschiedenen Ländern geschleppt hatte. Dieses Zusammenhäufen machte einen widrigen Eindruck auf mich, und obgleich ich stets geneigt war, Napoleon's Größe gegen kleinliche Angriffe zu vertheidigen, so fand ich doch hier wie überall, daß er ungeachtet seines ungeheuren Verstandes ebenso wenig Kunstsinn, wie Sinn für Völkerrecht hatte; ein wirklich humaner Held führt niemals Krieg gegen die Künste und Wissenschaften; es paßt nur für morgenländische Despoten, sich gleich der Krähe mit fremden Federn zu schmücken, um groß zu erscheinen. Die meisten dieser Bilder hingen hier in einem schlechten Licht und hatten die Hälfte ihrer Wirkung dadurch verloren, daß sie von dem ihnen bestimmten, für sie passenden Platze weggenommen waren. Welch ein Unterschied! Solch ein Bild vor dem Altar einer schönen Kirche, — oder hier im Schatten oder Schlaglichte in einem Winkel unter vielem Unbedeutenden zu finden!


Bekanntschaft mit Malthe Bruun.

Ich darf nicht vergessen von meiner Bekanntschaft in Paris mit meinem berühmten Landsmanne „Malte-Brun“ (Malthe Conrad Bruun) zu sprechen. Er hatte während meines Knabenalters eine politische Rolle in meinem Vaterlande gespielt und ich wunderte mich, daß er nicht älter sei; das kam aber daher, weil er selbst nicht vielmehr als ein Junge — etwas über zwanzig Jahr, — war, als er die Rolle spielte. Die ganze Schreckensperiode zu Hause, in der glücklicherweise mehr Tinte, als Blut floß, hatte keinen Einfluß auf mich gehabt, weil ich zu jung war. Als ich zu einiger Selbstständigkeit gelangte, waren in Dreyer's Club nur noch schwache Bewegungen von der französischen Revolution. Ich habe mein ganzes Leben hindurch ein starkes Gefühl für Menschenrechte gehabt. Das hochmüthige[131] Wesen war mir stets verhaßt — (selbst als kleiner Bursche den Pagen gegenüber). Ich kam bald zu der Ueberzeugung, daß der Adel eine Ueberlieferung des Mittelalters sei und eigentlich keine Bedeutung mehr habe. Er schien mir nicht wie eine ehrwürdige Domkirche in einer anmuthig blühenden Landschaft dazustehen, sondern wie ein alter Schrank, der in einem Zimmer mehr Raum wegnimmt, als neue zweckmäßige Möbel. Der König war mir stets heilig; ich fühlte früh schon das Herrliche, Schöne, Wohlthuende in dieser Form, die die Natur selbst, bis auf wenige Ausnahmen, Jahrtausende hindurch überall angenommen und festgestellt hat. Die Mißbräuche berühren die Natur nicht. Ein Dichter, ein Künstler kann nicht anders, als das Königthum lieben. Es ist dies das Recht des Herzens, der kalten, langsamen Spitzfindigkeit gegenüber, die nur der äußern Form huldigend, gar keine Ausnahme macht, selbst wo die Natur sie verlangt; das Königthum ist seiner Natur nach nicht mißgünstig und parteiisch, und muß jedes Verdienst gelten lassen, weil es über ihnen Allen steht. Der Dichter und der Künstler müssen das Königthum lieben; denn die Pracht kann zur Schönheit geadelt werden und bedarf des Schönen, aber das Genie wird leicht durch den kalten, ehrgeizigen Verstand der Menge, die nur den täglichen Hausbedarf achtet, beneidet und unterdrückt. Der Künstler muß wohl die edle billige Freiheit lieben; denn frei muß alles Große und Schöne und Gute sich bewegen; aber er muß die Anbetung der Gleichheit haßen. Das Ausgezeichnete findet sich nur als Ausnahme, und wo Alles gleich gut ist, ist Alles gleich schlecht, und das Triviale herrscht. — In Dreyer's Club brüllte ich in meinen ersten Jünglingsjahren gleich den Andern, wenn die große Bowle uns begeistert hatte: „Wer vorwärts will, der bücke sich!“ und: „Daß Schurken zu Ehre und Würde erhoben &c.,“ ohne mich weiter um die Anwendbarkeit dieser Gedanken auf die Gegenwart zu bekümmern; ich hielt es abstract für satyrische Einfälle über die ganze Menschheit, und so betrachtet, wird es gewiß, wenn[132] auch blindlings hinausgeschossen, immer treffen. In meinen frühern Jahren hatte ich einige gute Einfälle von Malthe Bruun gehört; in seinem Gedicht „die Schlacht bei Tripolis“ hatte ich mehr als gewöhnlichen Dichtergeist gefunden. Ich entsinne mich nicht, wo ich ihn zum ersten Male in Paris sah; vielleicht war es bei Bröndsted. Aufgesucht hätte ich ihn wohl kaum. Der alte Heiberg schreckte mich ab, in dem ich bei einem zufälligen Zusammentreffen in Deutschland einen vollständigen Antipoden fand. Aber Malthe Bruun war ganz anders und so verschieden von P. A. Heiberg, daß sie einander gar nicht leiden konnten. Ich wunderte mich, einen jungen, blonden Mann, mit einem schüchternen Mädchengesicht und einem langen Zopf im Nacken zu sehen. Wir wurden bald gute Freunde, unsere Gespräche waren mehr ästhetisch, als politisch, und Malthe Bruun erkannte die Fortschritte, die die spätere poetische Revolution in Deutschland und Dänemark hervorgerufen hatte. Er las meine Gedichte mit Vergnügen und freute sich über den Gebrauch all' der fremden Versarten, der altnordischen, griechischen und italienischen, die ich angewandt hatte. Unter Anderm entsinne ich mich, daß er sagte: „Ich habe auch einmal Petrarca's Gedicht Vaucluse übersetzt, aber es fiel mir nicht ein, daß es möglich sei, es in derselben italienischen Canzonenform zu übersetzen, obgleich ich eine Ahnung davon hatte.“ Es war mir natürlich lieb, einen so geistvollen Landsmann getroffen zu haben. In vielen Beziehungen machte er den Dänen Ehre. Die Franzosen, die sonst den Fremden nicht gern die Fertigkeit zugestehen, daß sie französisch ebenso gut, wie ihre Muttersprache schreiben, gestanden es doch ihm zu. An dem journal de l'empire, einer der gelesensten und geachtetsten Zeitschriften, die die Meinungen beherrschte, war er ein bedeutender Mitarbeiter. Seine vortreffliche Geographie schrieb er in einem Lande, wo die Geographie bis dahin so vernachlässigt war, daß die Meisten Dänemark nicht von Spitzbergen zu unterscheiden vermochten, und glaubten, daß Hamburg nicht weit von Wien, und mehrere Meilen von Altona[133] läge. — Vereinigt man nun dies Alles mit einem angenehmen bescheidenen Wesen — etwas wie gesagt Mädchenhaftem — das dem ausgezeichneten Schriftsteller gut stand — so mußte dies Alles für Malthe Bruun einnehmen. Unglücklicherweise fehlte ihm durchaus ein fester Character und es war nicht die Wahrheit und die Gerechtigkeit, die ihn begeisterte. Es ging ihm, wie es so vielen politischen Schriftstellern mit Kopf und Kenntnissen geht, — sie wollen eine Rolle spielen und halten es mit der Partie, welche oben ist, oder durch die sie glauben, sich einen Weg zur Berühmtheit, zum Einfluß oder einen Vortheil verschaffen zu können.

Ich disputirte eifrig mit Malthe Bruun über Napoleon, dessen Handlungen er alle unbedingt in die Wolken erhob. „Napoleon,“ sagte ich einmal in der Hitze des Streites, „Napoleon verirrt sich, weil er auf dem einen Ohre taub ist.“ „„Was will das heißen?““ fragte Malthe Bruun. „Das will heißen: er kann nicht Deutsch; er versteht die Völker auf der andern Seite des Rheines nicht. Er will die Welt reformiren, und hat nicht das letzte Kapitel in der Geschichte der Menschenbildung gelesen. Er schilt alle geistig wirkenden Deutschen Ideologen und Schwärmer. Diese Unwissenheit und Verachtung wird ihm vielleicht zu größern Schaden gereichen als er glaubt.“

Wenn ich nun mit aufgebrachten Deutschen in Gesellschaft war, die Napoleon auf eine höhnische Weise herunterrissen, so wendete sich mein Eifer gegen sie in einer entgegengesetzten Richtung. „Ihr entehrt Euch selbst, wenn Ihr einen Mann klein zu machen sucht, der Euch jeden Augenblick so gewaltige Ohrfeigen giebt. Wenn Napoleon Nichts ist, was seid Ihr denn? Weniger als Nichts kann man doch nicht sein?“

Zuletzt blieb Malthe Bruun von mir fort. Bröndsted und Koës fragten ihn um den Grund und er antwortete: „Ich käme gern zu Oehlenschläger; aber wenn ich bei ihm gewesen bin und mit ihm gesprochen habe, so brauche ich vierzehn Tage,[134] um mich wieder in meine vorige Stimmung zu versetzen.“ Dies fand ich sehr schmeichelhaft, sah aber auch zugleich ein, daß wir beide nicht mit einander umgehen konnten. In der kurzen Zeit unserer Bekanntschaft bewog ich ihn doch, sich den Zopf abzuschneiden; aber Napoleon behielt ihn dennoch beim Zopfe, bis dieser Napoleon selbst abgeschnitten wurde; es ging Malthe Bruun so wie Talleyrand und Sct. Christoph, sie hielten es alle Drei mit dem Stärksten; aber nur Christoph hielt so fest an diesem Prinzipe, daß es ihn zuletzt auf den rechten Weg zu Jesus Christus brachte.

Uebrigens hüteten ich und meine Freunde uns wohl, unsere Ansichten Fremden gegenüber auszusprechen. Wir wußten, daß wir von Spionen umgeben waren, in deren Nähe man in gewisser Beziehung ein Stein sein mußte, indem man sagen konnte, wie Nille in Erasmus Montanus: „Ich weiß nicht ob er denken kann, aber reden kann er nicht.“


Bekanntschaft mit Friedrich Schlegel.

War ich nun zu altmodisch, zu fromm, zu frei, zu deutsch für Malthe Bruun und Consorten, so gab es wieder Andere, denen ich nicht deutsch, nicht frei, fromm und altmodisch genug war. In einer Restauration bei Grignon lernte ich Friedrich Schlegel kennen. Er sah gar nicht so aus, wie ich ihn mir vorgestellt hatte; ich erwartete einen magern Kritikus, und es glänzte mir ein ironisch fettes Gesicht sanguinisch entgegen. Wir mochten uns recht gern; aber Schlegel war es nicht recht, daß ich nicht mehr zu seiner Schule gehörte. Doch sagte er mir nie ein beißendes Wort; im Gegentheil er scherzte mit mir, wie mit einem jungen Tollkopf, aus dem Etwas werden könnte, oder aus dem wenigstens Etwas hätte werden können, wenn er den rechten Weg gewählt: d. h., wenn er blind zur Fahne der neuen Schule geschworen hätte. Zu einem Doctor Klinger aus Wien sagte er einmal, als er etwas ärgerlich über mich gewesen war: „Grüßen Sie Oehlenschläger und bitten Sie ihn, nicht[135] böse zu sein, wenn ich mich gestern vielleicht zu sehr des traurigen Vorrechtes des Alters bedient habe.“ Schlegel war ein Mann von großen Talenten. Viele Abhandlungen in der Zeitschrift Europa, in den Characteristiken in seinem „Geist aus Lessing's Schriften“ zeigen den starken Kopf, den tiefen Denker, und er hatte viel mehr Gemüth als sein Bruder. In seinem Athenäum beweisen viele, wenn auch übertriebene Paradoxen Originalität, Keckheit und Humor. Aber seine Lucinde war mir doch stets zuwider; und ebenso der Geist, der im Alarcos herrscht, obwohl ich den kräftigen Ton des Stückes wohl gern hatte.

Deutsche Epigramme auf beide Schlegel.

Ich hatte ein paar deutsche Epigramme auf beide Schlegel's in der Zeit meines Abfalles geschrieben. Sie sind nie gedruckt worden; ich theile sie hier als characteristische Züge mit, die zu jener Zeit meines Lebens gehören. Schlegel's haben sie niemals weder gelesen noch gehört.


1.
Alte und neue Zeit.

Verschied'ne Zeit, verschied'ne Richtung,
So Alles, so die deutsche Dichtung.
Lessing's Aesthethik wollte Wahrheit,
Natur in kräft'ger schöner Klarheit.
Die beiden Schlegel wollen Wehmuth
In mönchischer und stolzer Demuth.
Man liebte alles Schöne weiland,
Jetzt ruft man affectirt den Heiland.
Aus Wildniß stieg ein edles Bildniß;
Das Bild verfliegt, wird wieder Wildniß.
Ach hätten wir statt Schlegeln Lessing!
Nur ein Stück Gold für zwei Stück Messing.

[136]

2.
Unterschied zwischen den beiden Schlegels.

Der August sagt: „Mein Bruder und ich!“
„Ich und mein Bruder!“ sagt Friederich.

In mein Stammbuch schrieb Friedrich:

„Nur der Sehnsucht fließt der Sehnsucht Quell
Nur der Demuth scheint die Wahrheit hell.“

Auf diese Weise wäre der gute Friedrich niemals zur Erkenntniß der Wahrheit gekommen; denn Demuth drückte ihn, wie bekannt, nicht sehr.


Frau Staël-Holstein wohnte in der Nähe von Paris in Auberge en ville; denn Napoleon wollte ihr nicht gestatten, näher zu treten. Ich besuchte sie dort und fand A. W. Schlegel und Benjamin Constant de Rebecque dort, der später eine so wichtige politische Rolle gespielt hat. Die geistreiche Dichterin empfing mich sehr freundlich, obgleich ich nur mittelmäßig Französisch sprach, und bat mich, sie in Coppet zu besuchen, wenn ich nach der Schweiz käme. Ich werde später mehr von diesen merkwürdigen Menschen sprechen.


Ueber Rousseau's Heloise.

Ich legte mich nun mit Eifer auf das Französische und las zum ersten Male Rousseau's Heloise. Dieses Buch rührte mich eben so sehr, wie Werther's Leiden, flößte mir aber bei Weitem nicht die Achtung vor dem Verfasser ein. Die Beredtheit ist darin eben so groß; die Leidenschaften und die Scenen sind eben so kräftig und schön geschildert; aber der neckende Eigensinn, die Jagd nach Paradoxen und etwas Unwürdiges (um nicht zu sagen Niederträchtiges) in dem Character des Verfassers, das zuweilen auf seine Personen übergeht, ärgerte mich oft so, daß ich das Buch auf die Erde warf und mit den Füßen darauf trat. Aber dann konnten wieder ein herrlicher Gedankenreichthum, ein reines[137] edles Gefühl, und echte poetische Schilderungen des menschlichen Herzens, der Natur, des Unglücks und der Wehmuth mich innig rühren und hinreißen. — Wahrlich, Rousseau war ein Genie und ein höchst merkwürdiger Mann. Als ich kurz darauf seine Bekenntnisse las, wurde mir Vieles klar, was ich in der Heloise nicht verstanden hatte. Er hatte keine Erziehung gehabt und seine Gesundheit in der Jugend geschwächt. Sein stolzer Eigensinn kämpfte unaufhörlich mit seinem guten Herzen; und seine allzu krankhafte Empfindlichkeit verhinderte ihn trotz seines Verstandes, sich über die Verhältnisse zu erheben, und sie mit Ruhe und Besonnenheit zu überschauen. Die stete Gewohnheit, gegen so viel Schlechtes und Schiefes zu opponiren, verleitete ihn auch oft, dem Guten und Wahren zu widersprechen. Und so verstand man erst, wie dieser geniale Kopf zuletzt in Fehler und Tollheiten verfallen konnte, vor denen die größten Dummköpfe sich mit Leichtigkeit hätten schützen können.


Skandinavischer Umgang in Paris.

Ich ging viel mit zwei jungen Malern, Olivier aus Dessau, guten, freundlichen Menschen um; der eine malte mich. Dasselbe that auch ein norwegischer Maler, Lieutenant Munk, der damals in Paris war. Der geniale Musiker Kienlen gehörte auch zu meinem täglichen Umgange; er schrieb schöne Melodien zu Aladdin, und soll später in Berlin eine sehr hübsche Musik zu Göthe's Claudine von Villa bella geschrieben haben.

Besonders erfreute es uns Dänen, mit der norwegischen, liebenswürdigen Familie Knudtzon, die nach Paris gekommen war, zusammen zu leben. Bröndsted, Koës und ich aßen oft bei ihnen, und wenn wir so zusammen saßen, bildeten wir uns ein, in Dänemark oder Norwegen zu sein. Ich werde diese lieben Menschen nie vergessen; den braven Johansen und seine treue Sara; die liebenswürdige Frau Labouchère und ihre Schwester, die holde Benedicte. Mein Umgang mit ihnen trug viel dazu bei „Axel und Valborg,“ das ich damals gerade[138] schrieb, das frische, nordische Colorit zu verleihen, das sonst durch den langen Aufenthalt im Auslande leicht hätte geschwächt werden können.

Die Alterthumsforscher Arndt und Millin.

Der wunderliche Alterthumsforscher Arndt, von dem ich bereits früher gesprochen, und den ich viele Jahre darauf als Strauß in meinem Drama: „Die italienischen Räuber“ auftreten ließ, kam auch nach Paris. Die Franzosen wunderten sich über diesen Menschen, der fast wie ein Bettler gekleidet war, aber die Taschen voll gelehrter Manuscripte hatte. Er wäre früher gekommen, aber gerade als er an der Barrière von Paris angekommen, fiel es ihm ein, daß er ein Manuscript in einem Steinhaufen, eine Viertelmeile von Lübeck vergessen habe. Er wanderte deßhalb zurück, um es zu holen, und dies raubte ihm einige Zeit. Millin, Professor der Archäologie und Vorsteher des Antiken- und Medaillencabinets, war sehr höflich gegen ihn und er sehr grob gegen Millin. Er warf ihm Unwissenheit vor. Man kann sich nicht zwei größere Contraste denken! Jener reich, vornehm, Bewohner eines schönen Hotels, in dem alle Gelehrten gewisse Stunden der Woche Zutritt hatten, und in prächtigen Zimmern alle neuen Bücher und Journale lesen konnten; — und Arndt in einem groben blauen Flaus, die langen Haare unter dem Kragen, und alle Taschen dick voll Papiere. —

Zuletzt wurde ich des Herrn Arndt doch überdrüssig. Als ich ihm eines Morgens einen alten Frack, etwas Linnen und ein Paar Stiefeln geschenkt und mein Frühstück mit ihm getheilt hatte, fing er an, indem er den Milchtopf mit einer Brotrinde auswischte, unverschämt von dem dänischen Könige zu reden. Ich bat ihn, sich zu recommandiren, wenn ich ihn nicht die Treppen hinunterwerfen sollte. Er ging, und seit dieser Zeit habe ich nie wieder mit ihm gesprochen.

Im siebenten Stockwerk.

Freilich wäre er tief gefallen; denn ich wohnte im Hôtel de Quinze-Vingt im siebenten Stockwerk.


[139]

Das Ungewitter fing an, sich auf dem nordischen Himmel zusammenzuziehen; und während wir in Paris Zeugen des Friedensfestes in Notredame waren, und Napoleon, wie Heinrich IV. gekleidet, unter einem Thronhimmel sahen, von allen seinen Staatsräthen und hohen Beamten begleitet; während das versammelte Volk am Abend in dem Tuileriengarten, wo er auf dem Balkon saß, sang: „Ou peut on être mieux, qu'au sein de sa famille“ und die ganze Stadt illuminirt war, schlugen unsere dänischen Herzen in banger Erwartung und der Ahnung einer schlimmern Illumination in Kopenhagen.


Ich hatte zuerst eine der ersten Etagen im Hôtel de Quinze-Vingt bewohnt; als ich aber keinen Brief mehr von Kopenhagen erhielt und das Geld ausblieb, wollte ich in einen gewöhnlichen Gasthof ziehen, wo ich billig wohnen konnte. Aber meine wackere Wirthin, Madame Gautier (eine Predigerwitwe, ich glaube von Genf), wollte es nicht erlauben. „Monsieur Oehsleng!“ sagte sie — denn weder sie noch irgend ein anderer Franzose konnte meinen Namen richtig aussprechen, — „wenn Sie auch zwei Jahre bei mir bleiben und ich keinen Sou von Ihnen bekomme, so lasse ich Sie doch nicht ziehen. Ich bin überzeugt, daß Sie mich nicht betrügen wollen; bleiben Sie hier! aber wollen Sie mir eine Gefälligkeit erweisen, so ziehen Sie in meine oberste Etage hinauf! Da sollen Sie Alles bekommen: Mittag, Frühstück und Aufwartung, Alles gut und den vierten Theil billiger.“

Dieses edelmüthige Anerbieten kam mir wie vom Himmel. Ich zog in das siebente Stockwerk, gegenüber dem Carousselplatz, den Tuilerieen und der Ehrenpforte, wo die metallnen Pferde standen, die von Berlin nach Paris gewandert, und nun wieder auf dem Brandenburger Thor stehen. Auf dem Carousselplatze sah ich Napoleon oft mit seinen Garden beschäftigt, während ich da oben den Hakon Jarl übersetzte.


[140]

Nachricht vom Bombardement Kopenhagens.

Eines Tages, als ich ganz munter mit Bröndsted plauderte, tritt Koës blaß wie eine Leiche ins Zimmer und sagt: „Kopenhagen ist von den Engländern genommen!“ Wir wurden wie vom Blitze getroffen. Es circulirten mehrere falsche Gerüchte: daß das Friedrichsberger Schloß abgebrannt sei, daß alle Studenten bei einem Ausfall aus Kopenhagen umgekommen wären.

Es war, Gott sei Dank, nicht so schlimm hergegangen! All' meine Lieben lebten noch und Friedrichsberg hatte nichts gelitten; aber Kopenhagen war bombardirt und unter der Menge von Gebäuden, die in Asche gelegt waren, befand sich auch das große, schöne Haus meines zukünftigen Schwiegervaters auf der Norderstraße.

Brief an Christiane Heger.

Ein Brief, den ich meiner Christiane sandte, wird hier am besten zeigen, was ich erlebt hatte und was ich fühlte.

Paris, den 25. October 1807.

Liebste Christiane!

Unser Freund Koës reist übermorgen von Paris nach Dänemark; er hofft, daß die Engländer Kopenhagen werden verlassen haben, ehe er kommt, so daß die Fahrt über den Belt ihm offen steht. Gebe Gott, daß seine Hoffnung gegründet sei. Ich eile bei dieser Gelegenheit mein Herz vor Dir auszugießen, mein gutes Mädchen, und hoffe auch Briefe für unsere Schwestern fertig zu machen. Du hast lange nichts von mir gehört. Mein Schweigen in der letzteren Zeit verlangt keine Entschuldigung; daß ich so lange zwischen „der irrende Ritter“ und „Palnatoke“ schwieg, war Palnatoke's Schuld; ich arbeitete daran, lebte ein friedliches, glückliches Alltagsleben einen Tag wie den andern. Die eignen Gedanken und Ideen, die in meiner Seele erwachten, drückte ich in meinem Gedichte aus, und ich hatte Dir übrigens im strengsten Sinne des Wortes nichts zu sagen, als von meiner Liebe, die Du kennst. Ein kleiner Nebenumstand war vielleicht Ursache daran, daß Du mit dem Palnatoke keine Briefe erhieltest. Dein guter Vater hatte mich vor einiger[141] Zeit durch einen Brief erfreut; er hatte darin ein venetianisches Lexikon und etwas über Flintglas zu hören verlangt. Ich gestehe mein Unrecht; ich schob es von Tag zu Tag auf, und nun wollte ich Dir nicht schreiben, bevor ich nicht ihm auch schreiben könnte. Ich habe später in der Kaiserlichen Bibliothek verschiedene Notizen über Lexika bekommen, aber in diesem Augenblicke, wo sein Haus verbrannt und sein Eigenthum zerstört ist, hat der arme Mann wohl an andere Dinge zu denken.

Liebes Mädchen! Freilich war ich nicht in Kopenhagen, die Gefahren und Schrecken mit Euch zu theilen, aber meine Qual und mein Unglück sind darum nicht geringer gewesen. In langsamen, bitteren Zügen habe ich den Kelch getrunken, den Ihr auf einmal geleert. Während noch Alles ruhig in Dänemark war, hatten wir hier in Paris die wahrscheinlichste Furcht vor dem, was da geschehen würde. Die dunklen Wolken fingen an vor unsern Augen über unser Vaterland aufzuziehen, während man hier in Paris ununterbrochen Friedensfeste feierte. Denke Dir die raffinirte Qual, in einem Theater zu sitzen, muntere Freudenstücke aufführen zu sehen, ein glückliches, siegendes Volk jubeln zu hören, überall Luxus und Ueberfluß; und nun mit dem Auge der Seele durch die Theaterwände nach dem dunklen Horizont gen Norden zu blicken, die englische Flotte auf den Wogen, die französische Armee auf dem Lande zu sehen. Kronburg, als ein Unglücksprophet seinen Scheitel über den Oeresund erhebend — und das arme Kopenhagen! Und Eure gräßliche Ruhe! Grade beim Friedensfeste hier in Paris, als ich in Notredame gewesen war, das Tedeum gehört, die ganze französische Pracht und Herrlichkeit gesehen, Napoleon zum ersten Male in meinem Leben in Rittertracht unter einem Thronhimmel, den Senat und alle Rathspersonen in ihren Staatsuniformen, eine wimmelnde Menge des Pariser Publikums, Bravoruf und Freudengeschrei gehört, meinen poetischen Geist in die Zeit Karl's des Großen hingezaubert — darauf einen Sprung nach Norden, dem alten Norden und seiner verschwundenen Macht gethan[142] hatte — kam ich müde und wehmüthig nach Hause und fand dort den letzten Brief von Rahbek, Karen Margrete und Job. Lauter Freude! Landpartien! Lust und Scherz! Rahbek nennt mich in diesem Briefe einen glücklichen Dichter! Ja wohl ein glücklicher Dichter! glücklich wie der arme Camoëns, der seine Luciade fertig hatte, gerade als sein Vaterland zu Grunde ging. Lebte Camoëns jetzt, so könnte er wirklich glücklich werden; er hätte dann Stoff zu einer schöneren Luciade als die erste — aber ich armer Däne!

Daß ich nun gerade Palnatoke schreiben sollte! gerade die nordische politische Macht zum Stoff meines Gedichtes wenige Minuten vor diesem Augenblicke wählen mußte! That es das Geschick zum Hohn? oder war es um mich zu trösten, indem es mein Auge darauf hinlenkte, was auch wir gewesen waren, und um es mir frisch im Gedächtniß zu erhalten: Jede Blume hat ihre Zeit, aber in der Kunst blüht ein ewiger Frühling? O, wie spielen die Nornen mit dem armen Menschenherzen Ball. Bald fällt, bald steigt es. Daß die Engländer kommen würden, hatten wir voraus gesehen. Die Tüchtigkeit, der Muth und die Vorsichtsmaßregeln, von denen die Zeitungen immer aus Dänemark sprachen, fingen an uns zu trösten und zu stärken. Castenskiold's Heer! die Bürgerschaft in Kopenhagen! die tiefe Verachtung gegen die Engländer! die gute Sache! die Erinnerung an Dänemarks alte Ehre! die Versicherung des Ueberflusses an Lebensmitteln! Die kecken Maßregeln, die man (in den Zeitungen) genommen hatte, indem man die Vorstädte und Friedrichsberg abbrannte. Und mit glühenden Schmerzensthränen sah ich die Westerbrücke und das Schloß brennen. Der Ort, an dem meine Wiege stand, ging zu Grunde, jedes Monument, das die Erinnerungen aus meinem Leben in meinem Herzen auffrischte. Aber ich opferte mit Freude meine Glückseligkeit dem Vaterlande. Am 29. und 30. sollte ein Heldenausfall stattgefunden haben. Die Zeitungen erzählten uns, daß die Studenten an der Spitze gestanden, Granaten auf das Schloß geworfen[143] hätten und fast alle auf dem Wahlplatz geblieben seien. Da weinte ich. Ich sah Rahbek, Oersted und Carl in ihrem Blute schwimmend, meinen alten Vater in der äußersten Lebensgefahr. Aber ich fühlte mich als ein Spartaner, und klagte das Schicksal an, welches mir nicht auch erlaubte, mit meinen Brüdern bei Thermopylä zu fallen. Nach Verlauf einiger Tage kam mir die Nachricht, daß nicht alle Vorstädte abgebrannt seien, nur etwas von der Westerbrücke und daß das Friedrichsberger Schloß noch stehe. Daß das Schloß stand, freute mich unsäglich; wir erfuhren auch, daß die Niederlage der Studenten nicht so groß gewesen sei, wie das Gerücht ging. Ich fing an für mein persönliches Glück zu hoffen, ohne für das Ganze zu fürchten. Fortwährende Nachrichten über den dänischen Widerstand und die englische Eingebildetheit klangen in unsern Ohren. Ich dichtete ein Lied, welches von der Landsmannschaft bei dem Minister Dreyer gesungen wurde, wo wir Dänemarks Wohl im Blute des Feindes (Englisches Bier) tranken. So ging es fort; wir hörten nun nichts von Kopenhagen, aber wir fürchteten nichts. Eines Morgens saß Bröndsted bei mir, wir lachten und scherzten; in demselben Augenblick kommt Koës bleich wie eine Leiche herein und sagt: „Kopenhagen ist genommen!“ Du hast Phantasie und Gefühl genug, um Dir vorzustellen, welche Wirkung das auf uns hervorbrachte. Von der Hoffnung und Munterkeit stürzte es uns plötzlich in die bitterste Verzweiflung hinab. Wir waren zu einem Dr. Klinger im jardin des plantes eingeladen, um das Naturaliencabinet zu sehen. Wir setzten uns in einen Wagen und fuhren hinaus. Bei Klinger kam ich in die tollste Laune, lachte aus vollem Halse und sagte lauter Narrheiten. Er freute sich darüber, mich so munter zu finden. Ich sagte: „Ist es ein Wunder, daß ich ausgelassen bin? Kopenhagen ist eingenommen, meine Familie getödtet, verwundet oder zu Grunde gerichtet, die Hälfte der Stadt verbrannt und Dänemark zum Teufel gegangen.“ Darauf fing ich wieder zu lachen an. Es war dies das Lachen, vor dem ich früher bei Dir so große[144] Furcht hatte, das ein Vorbote Deines Krampfes war. Indessen bekam ich keinen Krampf. Der liebe Gott hat mich aus einem stärkeren Teige geknetet. Wir gingen in's Naturalienkabinet, sahen große Elephantenskelette, Versteinerungen von Thieren aus Asien in Kalkstücken vom Montmartre &c. Bessern Trost hätte ich nicht bekommen können. Die großen Umwälzungen der Natur standen mir lebhaft vor den Blicken, und mein eignes und Dänemarks Schicksal erschienen mir wie die Bewegungen eines Stäubchens in dem unermeßlichen Raum. Ich sah Kinder in Spiritus, deren Herzen weder im Kummer, noch in der Freude geschlagen hatten, und ich dankte der Vorsehung für das meinige, das beides empfunden und zugleich den Ewigen selbst erfaßt hatte. Meine verzweifelte Stimmung verschwand, ich blickte die Verwandlungen der Natur mit von Thränen geblendeten Augen an, meine Seele erhob sich kühn im Unglücke. Das Unglück macht groß: Ich fühlte meine Unsterblichkeit, die religiöse Hoffnung stand wie ein grüner unvergänglicher, gigantischer Smaragd-Anker vor meiner Seele. Meine Liebe zu den Meinigen wuchs, um so mehr, als ich nicht wußte, ob wir diesseits oder jenseits des Grabes sympathisirten, aber dieses Grab erschien mir nun ein unbedeutender Graben zu sein, der leicht zu überspringen war. So kam ich mit einem frommen Herzen nach Hause und betete innig zu Gott. Von diesem Augenblick an war ich ruhiger. Aber von Zeit zu Zeit stand doch das Unglück des Vaterlandes mir vor der Seele. In der Nacht dachte ich an Euch und wünschte innig, daß Ihr leben möchtet. An einem schönen Herbsttage, als ich hier spazieren gegangen war und mich so leicht ums Herz fühlte, ahnte mir etwas Gutes. Als ich nach Hause kam, fand ich einen Brief von H. C. Oersted. Ihr lebtet Alle!! O wie dankte ich Gott; wie freute ich mich! Selbst daß Euer Haus abgebrannt, konnte meine Freude nicht stören. Kurz darauf bekam ich Deinen Brief. O schreibe mir bald mehr. Detaillire mir Alles, liebe Christiane! ich schließe hier nicht. Ich beginne jetzt den Brief an meine[145] Schwester (denn ich bin zwischen Euch getheilt); daraus wirst Du meinen übrigen Zustand erfahren.

Dein

Oehlenschläger.


Ein Brief von Baggesen.

Kurz darauf kam Baggesen nach Paris; er hatte fast ein ganzes Jahr in dem Hause meines Schwagers, A. S. Oersted gelebt; seinen halberwachsenen Sohn August hatte mein Vater zu sich genommen, und ein Paar Jahre wie sein eignes Kind gepflegt; Ursachen genug für Baggesen, günstig gegen Sophien's Bruder, gegen den Sohn des alten Oehlenschläger und gegen den jungen Dichter gestimmt zu sein, der kurz vorher zu seiner Ehre ein Fest veranstaltet und ein Lied geschrieben hatte. Aber ich sehnte mich doch nicht nach ihm. Er hatte mir vorher einen gedruckten Reimbrief nach Paris gesandt, dem voran geschrieben stand:

„In dem Zimmer meiner besten, verehrten und inniggeliebten dänischen Freundin, Deiner göttlichen Schwester — nachdem ich mit ihr, ihrem Manne, Schwager Christian und Tine Deinen Geburtstag gefeiert hatte.“

Und am Schlusse:

„Ich würde zuviel zu erzählen haben, mein Oehlenschläger, wenn ich davon sprechen sollte, wo und wie ich die drei letzten Monate zugebracht habe. Davon muß Alles oder gar nichts erzählt werden. Ich erspare es mir auf eine Reihe mündlicher Unterhaltungen.

Wunderbar genug sind unsere wirklichen Ereignisse, nachdem sie lange, fast ins Unendliche hinaus auseinander gegangen waren, zusammengetroffen. Ich weiß nicht weshalb; aber ich habe die eigenthümliche, innere Ueberzeugung, daß nicht allein ich zu dem sympathetischen Punkt zurückgekehrt bin, von dem wir Beide ausgingen.

[146]

Ich beabsichtige von hier am 1. December fortzureisen und vor Neujahr in Paris zu sein.

Meine Sehnsucht nach meiner Fanny und meinem Paul und meinem und Sophien's Bruder ist unbeschreiblich. Ich habe viel Angst und Unruhe in dieser Zeit ausgestanden, weil ich nicht reisen konnte. Du wirst vielleicht meiner Frau die bisherige Unmöglichkeit erklären können; selbst mein Leben und nicht nur meine Freiheit war in Gefahr.

Ich bitte Dich innig, meine Frau in Marly zu besuchen (Marly la machinele village sur la hauteurprès St. Germain). Erzähle ihr das Entsetzen, das wir hier ausgestanden haben, meinen heftigen Rückfall und Deutschlands Zerstörung. Küsse und drücke ihre Hand für mich, und sage ihr, wie ungeduldig ich mich darnach sehne, an Deiner Stelle zu sein. Sage ihr, daß ich es nie wagen durfte, ihr die reine Wahrheit in meinem Briefe zu schreiben.

Warum bin ich nicht bereits in Paris, um Dir den raschesten Genuß alles Dessen zu erleichtern, was daselbst Deines Geistes und Deines Herzens werth ist!

Schreibe mit ein Paar Zeilen nach Amsterdam, adressirt: An Herrn Brockhaus, Warmoesstraat Nr. 1–2.

Ewig Dein

Baggesen.“


Auszug aus einem Reimbrief von Baggesen.

Einen Auszug aus dem Reimbriefe theile ich hier mit:

„Du fand'st sie Adam, sie, nach der ich strebte
Im tiefen Ernste grübelnd alle Zeit,
Mit ruhelosem Fleiß in Einsamkeit,
Vom Sonnenaufgang bis die Sonne schwand,
Wo ich in blut'ger Spur nur Dornen fand,
In Schweißes Strömen bei der Stirne Brand,
Indeß das Hinderniß den Fleiß belebte.
Du fandest sie, nach der ich strebte
Vom Abendschimmer bis zur Tagesnähe,
Im Schooß des Abgrunds, auf des Felsens Höhe,
Mit eis'gem Hirne u. s. w.[147]
Was ich gesucht, ja, ja! Du hast's gefunden, —
Indessen mir, dem Armen, war gebunden
Die Hand.
  Mit Freuden hab' ich Deinen Fund erkannt;
Zwar sucht'st Du nicht, doch fand'st Du dennoch Vieles —
Das Aug' des Glückes deckt ein blendend Band —;
Dich lockt, indeß ich grub, der Reiz des Spieles,
Du stehst, ein Kind noch, wo ich erst Dich fand,
Bei unterird'schen, diamantnen Bäumen,
Dem Untergange nah, der Dich umwand, —
Die mächt'ge Himmelslampe in der Hand,
Doch deren Geist Du nicht gleich mir erkannt; —
Noch bist Du von dem bunten Rausch umhüllt,
Du letzest Dich an Tieck'schen Blumenträumen,
Und an der Schlegelbirnen reichen Saaten.
Du hast Dir alle Taschen voll gefüllt
Mit Göthe's unterirdischen Granaten,
Indessen Calderon's Theaterpracht
Den runden Hut zum Viereck Dir gemacht; —
Allein — Du hast sie — hast den Geist gebannt,
Dein ist sie, Adam; und Dein Freund, der lebte
Vergebens, sie zu suchen; als Du spieltest, strebte,
Reicht Dir mit Wollust seine Hand — u. s. w.
Steig' auf, steig' auf,
Hoch auf den Berg im raschen Lauf,
Da setz' Dich, Glücklicher, an meine Seite.
Und ich — der nicht die Lampe hat, doch weiß
Den Geist zu bannen durch ein streng Geheiß,
Ich bin Dir nah', daß ich die Hand Dir leite.
  Du hört'st mich nicht tief in der Höhle Mitt';
Du gingst, belastet durch die schweren Steine,
In Tausend Einer Nacht den Gang alleine.
Doch wuchs mein Hoffen schon bei jedem Schritt,
Als Du Dich hobst. Und — Wunder über Wunder —
Nicht mehr der Knabe, weiß und roth, mit glattem Kinn,
Der nach den Früchten griff, mit kind'schem Sinn,
Ich sah als bärt'gen Mann Dich im Vaulunder;
Und hoch und herrlich stand'st, mit einem Satz,[148]
Als Hakon Jarl Du auf dem höchsten Platz. —
  Empfang' mit diesem Bruderkuß die Hand!
Vergiß die Stöße, die wir uns gegeben,
Dieweil wir unsern Geist verkannt,
Vom Teufel kurze Zeit gebannt,
Der Zwistigkeiten liebt für's Leben,
Und gern sie sä't, wo Witz und Witz sich heben.
Wir lieben uns, trotz ihm und seiner Brut,
Und sind uns, Castor gleich und Pollux, gut.
Ich wechselweis im Himmel erst mit Dir,
Du wechselweis dann in der Höll' mit mir.
Ich froh des Jünglings, Du des Mannes froh.
Und all' die Irrwisch', die so tief im Sumpf
Da hüpfen, und sich drücken, Rumpf an Rumpf,
Seh'n hoch hinauf, und spitzen ihre Ohren,
Seh'n hier des Friedens herrlichen Triumph,
Daß sich Aladdin und Noureddin fanden,
Daß alle früher'n Uebel rasch verschwanden,
Und Mancher hat d'rob den Verstand verloren!“
Antwort auf Baggesen's Reimbrief.

Hierauf antwortete ich auch mit einem Gedichte, in welchem Folgendes stand:

Was also Aladdin betrifft, so denk' ich nun,
Wir lassen seine Wunderlampe brennen still,
Und putzen nicht den Docht gar all' zu nah; denn leicht
Könnt' sie auf diese Weis' erlöschen gar. Auch ist
Der Lamp' Gedicht kein Kinderwerk, im Schlaf gemacht,
Mit offnem Auge blickt es in der Welt umher.
  Vaulunder wurde vor der Lampe schon gedichtet; Illusion
Ist also, was Du glaubtest von dem ältern Mann.
Der Wilde tritt als Aladdin rasirt hervor,
So steht es. Das hat sicher Dich verwirrt gemacht!
  Im Schweiße mag der Bürger gehen seinen Weg!
Wohl heilig ist sein Streben; doch der Musen Sohn
Kennt nicht den Schweiß. Vulkan auf seinem Ambos hat
Geschmiedet Deine Lieder nicht! Ein Silberbach,
So rannen sie melodisch durch das Thal dahin,[149]
Und eigne Quellen trieben sie.
  Was Du gesagt
Von meinem Schlaf, sei Dir verzieh'n; der Dichter doch
Hat eines Vogels Schlaf; er lauschet munter stets
Den schönen Melodien der Welt auf seinem Zweig;
Und selbst sein Schlummer ist ein Traum, ein Mährchen ihm.
  Was ihm die Muse eingiebt, singt getreulich er,
Ob farbig bunt, ob tief in Trauerschleier eingehüllt;
So that ich stets, so will ich thun auch bis zum Tod.
Gefällt allein die Hälfte meines Wesens Dir,
So nimm', was Dir gefällt, allein verschone mich
Mit Deinem Warnungslied! Zu Freundessympathie
Bedarf es, daß der Freund den Freund durchschaue ganz. u. s. w.
  Nun zürn' mir nicht, daß ich mit Ernst und strenger Ruh'
Dem muntern Scherz begegnet. Mich betraf Dein Wort.
Gereiftheit, Männlichkeit zu zeigen in dem Werk
Der Dichter hoffte. Also singt kein schläfrig Kind!
Doch fest, auf beiden Füßen sicher, ganz wie Du
Und Einer, meinem Ziel zu nahen, ist mein Trost,
Mein Stolz und was allein mir anzurechnen ist.
Und damit Gott befohlen, Hand an's Werk gelegt.

So antwortete ich ihm, unter vielem Anderen, das ich hier weglasse, ernst und bescheiden auf eine Epistel, die eine seltsame Mischung von Selbstlob, Vorurtheil und Erkennen meines Talentes war. Diese Epistel würde mich doch mehr gerührt haben, als sie wirklich that, wenn ich nicht gewußt hätte, daß ich meinem Familienkreise in Kopenhagen den größten Theil des Weihrauchs verdankte, den Baggesen damals mir ausstreute, denn er ließ sich stets von seiner Umgebung und deren Meinung beherrschen. —


Belege zur Characteristik Baggesen's.

Aus dieser Zeit habe ich mehrere Briefe aus meinen nächsten Kreisen in Kopenhagen, wovon ich hier Bruchstücke mittheilen will. Zuerst von Christiane:

[150]

„Ich war zwei Abende mit Baggesen bei Rahbek zusammen und hörte ihn das Scheerenschleiferlied singen. An einem Abend begleitete er mich nach Hause und machte mich etwas verlegen, indem er sagte, daß das Stück „Corsoer“ in der Langelandsreise ihm nahe gegangen sei. Deine Schwester, erzählte er mir, sei eine Deiner würdige Schwester, voll von Geist und Witz, aber ganz unwissend. Er ist oft zu Oersted's gekommen, und Sophie war mit ihm in „Corsoer“ , was ihr gewiß sehr unangenehm gewesen ist. Du bist ein prächtiger Junge, das muß ich Dir sagen, weil Du mir so liebevoll das Mißverhältniß in Familien oder zwischen Freunden erklärtest. Ich will nur bemerken, daß Abwesenheit ein herrliches Ding ist, da urtheilt man oft milder, als wenn man anwesend ist.“


„Deinen Baldur habe ich mehrere Male mit immer größerer Freude gelesen. Ich war etwas krank, als ich das Manuscript erhielt; aber eine bessere Medicin hätte ich nicht bekommen können; der Enthusiasmus, in den ich versetzt wurde, brachte das Blut in eine Circulation, die mich curirte. Baggesen habe ich nur einmal über den Baldur sprechen hören; aber ich verstand seine Rede eben so schlecht, wie die Noureddin's zu Aladdin. Er ist einer der Menschen, deren man bald überdrüssig wird; mich langweilt sein Geschwätz vielfach.“


Von H. C. Oersted folgende Bruchstücke:

„Baggesen ist hier. Er kommt viel in das Haus meines Bruders. Er hält viel von Deinen Gedichten, besonders von dem St. Hans Abendspiel und Aladdin. Vom Altnordischen ist er kein Freund. Er kann die vielen alten Worte nicht leiden, die Du aufnimmst, und will noch weniger etwas von den alten Formen wissen; kurz man kann über Vieles mit ihm streiten, aber der Wille scheint gut zu sein. Er will Die eine poetische[151] Epistel schreiben; Deine Schwester arbeitet nicht ganz ohne Glück daran, ihn zu Göthe zu bekehren. Er fühlt bereits, daß Vieles in seinem Urtheil über den großen Dichter aus persönlichen Verhältnissen entsprungen sei. Jedenfalls muß man gestehen, daß Baggesen im Umgange sehr interessant ist, wenn man ihn nur nicht dahin bringt, über die neuere Philosophie und Poesie zu urtheilen. In dieser Hinsicht ist er wirklich schwach, so daß er oft gegen Etwas eifert, nur weil es von ihm verhaßten Personen herrührt; obgleich er bei andern Gelegenheiten ganz Demselben seinen Beifall zollt, wenn es nicht von einem solchen Namen begleitet ist.“


„Dein Brief an Baggesen hat sich so ungetheilten Beifall erworben, wie wohl selten ein literarisches Produkt der Art. Deine Freunde haben sich außerordentlich darüber gefreut; selbst diejenigen, welche Deine Gegner, oder nicht ganz freundlich gegen Dich gesonnen waren, legen großen Werth darauf. Soldin hatte bereits Besuche des kaufenden Publikums, ehe der Brief zum Verkauf angezeigt war. Die Leute konnten ihn nicht rasch genug bekommen; man ging ganz geduldig nach der Pistolsgasse, zu Soldin's Buchbinder, um den Brief zu holen, ehe Soldin Exemplare desselben erhielt. In Dreyer's Club hat Bornemann ihn mit vielem Pathos vorgelesen und Alle lobten ihn. Was nun Baggesen betrifft, so las ich ihn ihm gleich im Manuscripte vor. Im Anfange fand er ihn voller Bitterkeit, aber als er ihn ein paar Mal gelesen, und ich ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, daß nicht Alles, was Du in Deinem Glaubensbekenntnisse aussprichst, auf ihn zu beziehen sei, begnügte er sich, auszusprechen, daß Du ihn mißverstanden hättest, und nicht wüßtest, wie er jetzt sei. Meine Ansicht von Baggesen ist, daß er ein schwacher eitler Mensch sei, der nicht meinte, was er schrieb. Ich habe viele Debatten mit ihm, und kann es nicht unterlassen, ihm Blößen zu geben, wenn er prahlt, schmeichelt und täglich[152] seine Meinung verändert. Baldur hat mit unendlich gefallen. Ich hörte Baggesen ihn erst bei meinem Bruder vorlesen; aber er las ihn mit einer so künstlichen Schläfrigkeit, daß er im günstigsten Falle keinen Genuß bereiten konnte. Ich habe ihn später selbst vor Andern und stets mit Beifall gelesen.“


In einem schärferen Tone wird Baggesen in einem Briefe von einem andern meiner Freunde besprochen.

„Ich habe den ersten Theil seiner Reimbriefe gelesen, und leugne nicht, daß mir Eins und das Andere gefallen hat; aber ich habe mich über sein ewiges Reden von sich selbst geärgert, das sich durch das ganze Buch zieht, dessen Inhalt ist, daß er ein schwacher Mensch sei, der nirgends hinpaßt, der nirgens nützt. Der Brief an Adam scheint mir Pavels' alte Recension, in einer Cantate umgesetzt zu sein. Kopenhagens Einwohner werden sich allerdings über die Gutmüthigkeit wundern, daß er einen Vergleich anbietet; ich bewundere sie durchaus nicht; denn da bei ihm Alles zufällig ist, so beruht seine ganze Gutmüthigkeit auf dem Zufalle, daß er zu Oersteds kam; wäre er zu K***s gekommen, so würde das Gegentheil geschehen sein.

Ich wundere mich, daß dieser Herr vom Klappern zu sprechen wagt, da er doch in der letzten Zeit kein anderes Instrument hantirt, als die Klapper.“


Auch H. C. Oersted sprach strenger über Baggesen, je länger er mit ihm umging. In den letzten Briefen, die ich von Oersted über Baggesen erhielt, heißt es:

„Mit Baggesen stehe ich beständig auf gespanntem Fuße, obgleich ich äußerlich mit ihm in Frieden lebe. Es schmerzt mich oft in meinem Innern, daß es einem Manne, der mit so vielen Talenten geboren ist, so vollständig an Character und Zusammenhang fehlt, wie ihm. Kaum ein Tag vergeht, wo er nicht[153] Ansichten und Gesinnung änderte. Diese Fluidität macht, daß er sich leicht in alle Formen schmiegt; daß er aber nie durch eine lange Arbeit hindurch eine feste und klare Form beibehalten kann. Steffens war einige Tage hier. Man wollte ihn anstellen, da man aber forderte, daß er keine Vorlesungen halten dürfe, so gab er die übrigens nicht unvortheilhaften Bedingungen, die ihm gestellt waren, auf. Baggesen hat ihn erwischt und gesagt, er fürchte, Du hättest Steffens gegen ihn eingenommen; aber Steffens antwortete ganz aufrichtig, daß gerade das Gegentheil der Fall sei. Baggesen fuhr fort, Steffens Complimente zu machen; er will sich mit aller Gewalt zur neuern Poesie bekehren, und hat auch bereits in seinem „Gespenst“ verschiedentliche neue Götter vorgeschlagen.“


„Baggesen besitzt gewiß alle die Talente, die zu einem ausgezeichneten Dichter erforderlich sind; aber es fehlt ihm die innere Einheit, die viele Talente zu einem Genie macht. Deßhalb sieht man auch, wie sich alle Dichterelemente in seinen Arbeiten jagen, Alles in einer unaufhörlichen Bewegung, einem poetischen Chaos, dem der verbindende Geist fehlt, so daß es nie zu einer wahren Organisation gelangt. Wenn der Zusammenstoß der Atome hie und da in dem großen Meere, seinen Gedichten, es zu einer kleinen, schwachen Organisation gebracht hat, so weiß er doch stets durch Verbesserung in einer neuen Ausgabe sie wieder aufzulösen, daß daraus die Einheit wieder herausgebracht wird. Dies hat er z. B. in dem kleinen Gedichte, der Trost, gemacht, das in der ersten Ausgabe damit anfängt, in der ganzen Natur ein Symbol des Todes und des Grabes zu sehen; darauf steigt er in das Grab selbst hinab, und schließt mit Himmel, Seligkeit, Ewigkeit. In der zweiten Ausgabe verschwindet der feine Faden, der Alles verband, und der ganze kleine wehmüthige Erguß wird — Wasser. Es ist meine volle Ueberzeugung, daß die Natur Keinem Genie verleiht; sie rüstet den Menschen[154] mit mehreren oder wenigeren Talenten aus; aber selbst die größten werden nur Talente, wenn nicht künstlerisches Rechtsgefühl, wahre Liebe für Kunst und Wissenschaft hinzutritt, so daß man ohne Rücksicht der Vortheile und Verbindungen, oder etwas noch Niedrigeres, stets in seiner Kunst und Wissenschaft lebt. —

Ich muß Dir erzählen, daß Baggesen einen Sohn hat, der ein vortrefflicher Knabe ist und so viel Character und Verstand besitzt, daß der Vater oft von Herzen wünschen müßte, zu haben, was er hat. Er gleicht ihm indessen sehr, doch ist es wohl die Schweizernatur der Mutter, die ihm die Kraft verliehen hat. Er ist ganz entschlossen Krieger zu werden, und ich habe ihn mit bewundernswürdigem Verstande auf die Einwendungen antworten hören, die man ihm gegen die Wahl dieses Standes machte.“


So wurde Baggesen beurtheilt, nicht allein im Kreise meiner Freunde (der aus einigen der ausgezeichnetsten Männer der dänischen Literatur bestand), sondern von den meisten geistvollen, gebildeten Menschen. Indessen hatte er doch meine Schwester zu gewinnen gewußt. Und war dies ein Wunder? Er gewann ja kurz darauf in Paris, trotz Dem, was ich von ihm wußte, auch mich. Es war fast nicht möglich, kalt gegen ihn zu bleiben, wenn er es recht darauf anlegte, einen Menschen zu gewinnen, so liebenswürdig konnte er sein. War es daher nicht natürlich, daß er auch sie gewann, die er bis in die Wolken erhob und in deren Umgang er damals seine größte Glückseligkeit fand? Als ein Frauenzimmer, obgleich sehr gebildet und geistvoll, war sie — nicht (wie Baggesen selbst zu Christiane sagte) „sehr unwissend,“ aber wohl unwissend im Betreff der literarischen Verhältnisse und der Rolle, die Baggesen selbst darin spielte. Wenn sie ihn nun auch oft sehr tadeln hörte und selbst zuweilen seine Schwächen entdeckte, so gefiel und schmeichelte es ihr[155] wohl auf der andern Seite, daß sie so großen Einfluß auf einen so berühmten und talentvollen Mann mit einem so großen Namen hatte, der sich darein fand, oft ganz kindlich und gehorsam bei ihr in die Schule zu gehen, und geduldig ihren Tadel und ihre Winke entgegennahm, und für die Zukunft Besserung versprach. Es währte nicht lange, so öffneten sich auch Sophien die Augen, damals aber ging sie noch, was Baggesen betraf, im Traum, und es gefiel ihr, ihm Geschmack für das Bessere in einer Kunst beibringen zu können, in welcher er sich einen berühmten Namen erworben hatte, ehe sie geboren wurde.


Zusammenleben mit Baggesen in Paris.

Als Baggesen nach Paris kam, hatte ich mir vorgenommen kalt und zurückhaltend gegen ihn zu sein, aber daraus wurde nichts. Als er zu mir ins Zimmer trat und ich sagte: „Guten Tag, Herr Professor Baggesen!“ rief er weinend: „Nicht so! Du, Du!“ Damit drückte er mich in seine Arme und netzte mein Gesicht mit seinen Thränen indem er mich wiederholt küßte. Es ging mir, wie so vielen Andern; dies schöne augenblickliche Gefühl rührte mich; er hatte mich wiedergewonnen. Wir gingen in Paris fast täglich mit einander um, und der Eine sagte dem Andern nicht ein unangenehmes Wort. Baggesen war ein Chamäleon, das seine Farbe von seiner Umgebung nahm. Er merkte hier bald in unserem Zirkel, daß Einbildung und eine halb französische halb Wieland'sche Aesthetik nichts nützte. — Er wurde also bescheiden, fühlte wohl auch — für den Augenblick, daß ich mich auf Tragödien und Schauspiele besser verstehe, wie er und äußerte selbst einmal: „Ich schäme mich nicht, von Dir zu lernen, obgleich ich der Aeltere bin.“ — Als ich ihm meinen Palnatoke vorlas, warf er sich entzückt vor mir auf die Knie. „Pfui Baggesen!“ sagte ich, „solche Uebertreibung kann ich nicht leiden! Laß das Feuer ruhig, aber stetig brennen.“ — Ein Jahr darauf, als er mich fast wahnsinnig, wie einen Elenden, angriff, der nichts Ordentliches wisse oder könne, hieß es: er sei in[156] Paris vor mir auf die Knie gefallen, um mich zu überreden, die Fehler des Stückes abzuändern.

Da es ihm nun damals darum zu thun war, mich zu gewinnen, so gewann er mich auch, denn ich habe keinen Menschen gekannt, der sich so einzuschmeicheln wußte, wobei ihm sein augenblicklich leichtes Gefühl, sein Witz und seine Beredtsamkeit gut zu statten kamen. Et hatte damals auch noch nicht so stark gesündigt; und wer sähe nicht gern vielen kleinen Schwächen durch die Finger, um einen solchen Gesellschafter zu haben?

Baggesen war eigentlich ein Improvisator; Alles war bei ihm das Kind des Augenblickes und auf die augenblickliche Wirkung berechnet. Ich fühlte selbst, um wieviel unterhaltender er in Gesellschaften sein müsse als ich, der ich nicht mittheilend und laut bin, sondern verlegen schweige, und nur leise mit meinem Nachbar spreche. Erst unter Freunden, eigentlich nur zu Zweien werde ich begeistert und beredt; oder auch als Lehrer vom Katheder, wenn auch noch so Viele zugegen sind. Baggesen war also ein Improvisator, und als solchem durfte man es ihm nicht übelnehmen, daß er einen Haufen Dichtung in seine geselligen historischen Erzählungen einmischte; denn der Gesellschaftssaal war, wie gesagt, größtentheils sein poetisches Arbeitszimmer, wo er häufig die Horazische Regel geltend machte: veris falsa, oder eigentlich: vera falsis remiscet. Hierdurch erlangten seine Erzählungen freilich an Interesse, das wir Andern, die sich an die nüchterne Wirklichkeit hielten, ihnen nicht geben konnten. Was er Schönes und Gutes gedichtet hat, sind, wenn nicht geistvolle Gelegenheitsgedichte, so doch gewöhnlich die Geburten einer kurzen, glücklichen Stimmung. Zu größeren Werken, die Anstrengung und eine anhaltende Begeisterung erforderten, hatte er weder Kraft, noch Fleiß oder Lust. Deshalb sind die meisten derselben nur Fragmente geblieben. In seinen größeren Arbeiten können wir freilich viele einzelne Schönheiten bewundern; wo er aber ernst ohne Humor sein will, ist er größtentheils schwülstig und affectirt.

[157]

Eines Abends spät war er bei mir und erzählte mir von seinen Schuljahren, wie er einmal, seiner Versicherung nach ganz unschuldig, eine harte Strafe hatte erdulden müssen. Dies schilderte er so lebendig und mit so rührenden Zügen, das ich zuletzt höchst erbittert ausrief: „Ich wollte wünschen, ich hätte den alten grausamen Rector hier, ich wollte ihm mores lehren!“ — Indessen wurde es spät. — „Baggesen!“ sagte ich, „willst Du die Nacht über hierbleiben, so werde ich Dir ein Zimmer verschaffen, denn mein Bett ist für zwei zu klein.“ — „„Nein, das ist unmöglich,““ sagte er, „„ich muß durchaus noch heute Abend nach Marly.““ Darauf fuhr er wieder zu erzählen fort, bis es so spät ward, daß er nothwendig bei mir bleiben mußte. Wir stopften uns in das schmale Bett, wie Anchiovis in einem Fäßchen; und da wir nicht schlafen konnten, lagen wir die halbe Nacht und sprachen in Reimen mit einander bis wir endlich von Müdigkeit und Mattigkeit mehr betäubt wurden, als daß wir einschliefen. Früh am Morgen erwachte ich wieder und wunderte mich über das große, fahle, pockennarbige aber doch höchst interessante Gesicht, das neben mir war. Als er erwachte, war er wieder eben so munter. Wir tranken unsern Kaffee zusammen und sprachen lustig und freundlich mit einander.

Eines Tages fand er Holberg's dänische Geschichte bei mir und nahm sie nach Marly mit. Als wir uns das nächste Mal sahen, sagte er: „Nun habe ich auch ein Sujet zu einer nordischen Tragödie gefunden.“ — „„Na, das ist recht,““ antwortete ich. — „Eigentlich werden es drei Tragödien!“ — „Und ich habe auch ein Sujet gefunden und will eine Tragödie schreiben!“ (Axel und Valborg). — „Hm!“ — sagte er, launig lächelnd, indem er eine starke Prise Tabak nahm, und sich selbst zum besten hatte, was er oft mit vieler Grazie that. — „Mir ist bange, daß Du mit Deiner einen Tragödie früher fertig wirst, als ich mit allen Dreien!“ — Ich lud Baggesen ein, zu Mittag bei mir zu essen, er nahm die Einladung an und wir gingen zu meiner Wirthin, Madame Gautier, hinunter, die[158] eine sehr gute table d'hôte hat. Obgleich etwa zwanzig französische Gäste da waren, so genirte uns dies doch nicht, da wir beide Dänisch zusammen sprachen, was kein anderer verstand.

Als wir ein Paar Glas Wein getrunken hatten, sagte ich: „Höre Baggesen, nun sollst Du mir den Plan zu Deinen drei Tragödien mittheilen.“ — „„Ja,““ entgegnete er, „„es liegt mir noch zu konfus im Kopf; ich muß es erst ordnen.““ — „Etwas davon mußt Du doch erzählen können,“ fuhr ich fort. — „„Das erste Stück soll Schiffer Clement heißen,““ sagte er, „„aber damit bin ich noch am Allerwenigsten im Reinen.““ — „Dann wollen wir mit dem Ende anfangen,“ sagte ich, „und gleich zu Christian II. kommen.“ — „„Ja,““ sagte er nach einigem Weigern verlegen, „„ich will Dir eine Hauptsituation erzählen. Christian II. geht in den Rath. Dort stehen zwei Becher auf dem Tisch, der eine mit Blut, der andere mit Milch. Es ist bekannt, daß er bald gut, bald böse war. Nun fingire ich, daß er zuweilen, wenn er Milch trank, gut wurde, daß er aber zuweilen von dem Blute trank und dann böse ward. Er ergreift die Mich und alle rufen froh: „Der Gute!“ — Aber er wirft sie verächtlich fort, trinkt von dem Blute und ruft mit finsterm Grimme: „Der Böse!““ —

„Ja,“ sagte ich lachend, „das wird eine treffliche Wirkung thun, besonders wenn die Milch am Boden dahin fließt. Aber höre, mein guter Baggesen“, fuhr ich ernster fort, „was soll denn das sein? ich kann doch nicht voraussetzen, daß Du diese Geschichte erfunden hast, um Dich über den Dichter des Hakon und Palnatoke, der Dich freundlich zu Gast geladen hat, zum Narren zu machen; ich muß also annehmen, daß es eine Phantasterei ist, die Dir einfällt, da Du in Verlegenheit geräthst einen Plan zu erzählen, an den Du nie vorher gedacht hast.“ — „„Ja,““ sagte er verlegen, „„ich gestehe, daß ich nicht viel darüber nachgedacht habe““ — „das Komischste ist,“ fuhr ich fort, „daß Du, der mich in unsern Gesprächen so oft wegen der Einmischung des Uebernatürlichen in ein Mährchen wie Aladdin getadelt[159] hast, es nun selbst in ein ganz historisches Thema hinein bringst, so daß die Sünde des menschlichen freien Willens — dessen Schilderung gerade hier das Poetische sein sollte — zu einer lächerlichen Marionette des übernatürlichen Zwanges wird.“

Er suchte nun so gut er konnte los zu kommen und ich machte ihm die Flucht leicht. Ich zweifle nicht daran, daß es Vergötterer von Baggesen giebt, die in dieser Scene eine hohe Ironie finden werden, welche meine Einfalt nicht zu begreifen im Stande war. Aber ähnliche Geschmacklosigkeit und Unvernunft findet man oft in Baggesen's dramatischen Arbeiten: „Holger Danske“ und „Erik der Gute.“ Ich habe keine dieser Werke bei der Hand, will aber nur zwei Stellen aus dem letzten Stücke unter vielen andern anführen:

Thora wird während der Belagerung Jomsburg's von Thorald in eine Höhle hingewiesen, wo er ihr zu ihrer Beruhigung sagt:

„Du findest alles Nöth'ge hier,“

worauf sie seufzend antwortet:

„Doch meinen Erik nicht!“

Ich habe bereits früher der Stelle erwähnt, wo die Jomsburgerinnen sich vor Erik verbeugen, der die Stadt eingenommen hat und indem sie ihn bekränzen, singen:

„Keine Ketten uns umschlingen!
Kühl' den Haß im Blute!
Selbst im Tode noch wir singen:
Erik hoch! Der Gute!

Ich möchte es so gern unterlassen, Baggesen's Schwächen und Sünden nach seinem Tode aufzudecken; da man aber später in seinen Werken Schmähschriften gegen mich aufgenommen hat, die dem ewigen Vergessen hätten übergeben werden müssen, so muß ich der Wahrheit ihr volles Recht lassen, damit eine unparteiische Zukunft die Verhältnisse beurtheilen könne. Man spricht davon, daß er für ein Princip gewirkt habe!! Guter Gott! Kein Mensch in der Welt hat weniger für oder nach[160] Principien gehandelt, als Jens Immanuel Baggesen! In Fichte's, Jakobi's, Reinhold's Schriften hat er etwas gelesen, hierzu veranlaßt durch die persönliche Bekanntschaft mit diesen Philosophen, aber seine eigne Kunst, die Poesie hat er nie studirt. Und sein Geschmack? Meine Schwester und ich haben ihn von Wieland zu Göthe bekehrt. Er warf mir ja vor, „daß ich mir die Taschen zu voll mit Göthe's unterirdischen Granaten gestopft und meinen schönen runden Hut durch ein Calderonsches Theater viereckig gemacht hätte.“ Solche Principien waren es, die er damals und später, erst mit schlechten Witzen, später mit Unwahrheiten, Verdrehungen und Schmähworten geltend machen wollte.

Mittheilungen aus der Heimath.

Er schickte mir von Marly aus einen Brief, in dem er einen andern Brief, den er von meiner Schwester empfangen, abgeschrieben hatte. Ich theile hier beide mit.

Den 30. September 1807.

„Obwohl ich fast überzeugt bin, daß Du, Bröndsted und Koës mit der letzten und einzigen Post von Kopenhagen Nachricht erhalten habt, so eile ich doch, bester Adam, Dir die meinige mitzutheilen, die ich Dir mündlich bringen wollte, sie aber wegen einer plötzlichen Unpäßlichkeit, welche mich verhindert zur Stadt zu fahren, jetzt nur schriftlich geben kann.

Wenn Du Hans Christian's Brief nicht bekommen hast, wird es Dich erfreuen, zu erfahren, daß die Deinigen alle wohl, Dein Vater aus Friedrichsberg und Oersteds in Christianshafen sind. Mein Brief ist vom 12. von Christianshafen datirt, ist erbrochen gewesen und mir mit dem Siegel des Königs aus dem Hauptquartier in Kiel zugesandt worden. Er ist von Sophie und enthält auf einer einzigen in Schnelligkeit geschriebenen Octavseite nur — doch ich werde ihn Dir Wort für Wort abschreiben.“ —

Christianshafen, den 12. September 1807.

„Wir sind alle glücklich gerettet und befinden uns recht wohl. Die erste Nacht, als Kopenhagen bombardirt wurde, brachten[161] wir in der Weststraße auf unsern Zimmern in der größten Lebensgefahr zu. Es regnete Bomben und rund umher schlugen sie ein; es brannten mehrere Häuser in der Nähe unserer Wohnungen ab, aber der gute Gott beschützte uns. Den Tag darauf verließen wir das Haus und zogen nach Christianshafen her. In der darauf folgenden Nacht war der Angriff noch stärker und währte bis zum Mittag des folgenden Tages. Da schlugen denn auch Bomben in unsere Wohnung in der Weststraße ein, und in dem Zimmer, wo wir uns aufgehalten und das wir dadurch zu schützen gesucht hatten, daß wir auf dem Boden eine Elle hoch Pferdedünger (ein Mann würde Pferdemist schreiben) aufwerfen ließen, wurden die Decken zertrümmert und die Fenster eingeschlagen; wären wir da geblieben, so würden wir verwundet oder getödtet worden sein. In der dritten Nacht war das Bombardement noch viel stärker und größer und da brannte die Frauenkirche, der Zimmerplatz und ein großer Theil der Stadt. Nun hieß es, daß man auf Christianshafen nicht mehr sicher sei, und wir flohen, wie wir waren, nach Amager hinaus; denn nun wollte der Feind nach den Kirchen und dem Laboratorium auf Christianshafen zielen; auf Amager brachten wir eine entsetzliche Nacht zu und harrten des kommenden Morgens mit ängstlicher Erwartung — er kam und mit ihm der verzweifelte Frieden. O du guter Gott! Das ist und bleibt doch ein ewiger Jammer!

Meinem Vater geht es gut mitten unter dem Feinde, der eine Art Hauptquartier auf dem Friedrichsberger Schloß hat. Ich sah ihn gestern zum ersten Male seit dem 16. August, wo ich ihn in größter Eile verlassen und nach Kopenhagen fliehen mußte. Das Südfeld ist zerstört.

Grüße meinen geliebten Bruder; ich wollte ihm schreiben; da ihm aber Professor Oersted heute schreibt, so ist es überflüssig; aber grüße ihn tausend Mal; meine Freude darüber, daß Ihr einig seid, kann ich nicht beschreiben, Gott segne und behüte Euch!“

[162]

„Das Entsetzliche in diesem Briefe für mich unglücklichen Vater ist, daß Sophie kein einziges Wort über meinen Sohn berichtet. Ich bin fest überzeugt, daß ihm ein Unglück begegnet ist, größer als der Verlust des Lebens, das ja ungefähr das Geringste ist, was man in dieser Zeit verlieren kann.

Ich schäme mich nicht, Dir zu gestehen, liebster Adam, daß ich unbeschreiblich unglücklich im Gefühle meines eigenen Unterganges und des Dänemarks bin. Die Hoffnung, daß wir mit England fertig werden, nachdem wir unsere Flotte und die Hälfte alles Dessen verloren haben, was wir besaßen, kann ich mit Keinem theilen. Wir werden von jetzt ab wie die Katzen gebraucht werden, um ihnen die gebratenen Kastanien aus dem Feuer herauszuholen. Wenn wir auf diese Weise die Krallen verloren haben, speist man den Rumpf aus Mangel an ordentlichem Hasenbraten, auf französische Weise zubereitet. Ueberzeuge mich von dem Gegentheil, und Keiner wird froher sein, als ich. Aber Jeder schließt nach seinen Daten — die meinigen sind leider jämmerlich. Ich halte es für die Pflicht des Menschen, seine Ansicht mitzutheilen, wenn er sie begründet glaubt; denn nur so wird zuletzt die Menschheit doch aufgeklärt.

Gott weiß, wie lange wir nun auf's Neue ohne Nachricht von Seeland bleiben werden, da die Communication wieder aufgehoben ist. Mein Herz wird zerrissen, indem es sich die Möglichkeit eines Krieges zwischen Dänemark und Dänemark denkt.

Ich sehne mich innig danach, Dich und Bröndsted wieder zu sehen. Ihr kommt mir wie die Zwillingsreiche en miniature vor. Wenn wir alle drei zusammen sind, so ist mir's, als ob Dänemark noch existire. Auch schmachte ich sehr nach Euern Nachrichten.

Ich hoffe es wird mir in ein paar Tagen so wohl sein, daß ich mich nach Paris wagen kann. Meine Frau grüßt Euch.“


Abreise von Paris. Aufenthalt in Straßburg.

Ich war achtzehn Monate in Paris gewesen; mit dem Geld, das ich endlich von Kopenhagen bekam, konnte ich meine Schuld[163] bezahlen, aber dann hatte ich nichts zum Weiterreisen. Ich lieh mir eine kleine Summe von einem guten Freunde, packte meine Sachen und meine Manuscripte ein und fuhr darauf zu Cotta. Das Honorar, welches ich von ihm für meine Schriften zu erhalten hoffte, sollte mir eine Reise nach Italien möglich machen. Koës war nach Dänemark zurückgegangen, um seine Geldangelegenheiten nach dem Bombardement in Ordnung zu bringen. Wir hofften einander in Italien wieder zu sehen. Bröndsted blieb noch in Paris. Unser guter Minister Dreyer gab mir einen Paß, in der Eile hatte er aber vergessen, ihn mit der Unterschrift des Polizeiministers Fouché versehen zu lassen. Mein guter Freund, der Legationssecretair Guillaumau versicherte mir zwar, daß es nicht nothwendig sei; als ich aber nach Straßburg kam, mußte ich mich daselbst acht Tage aufhalten, während mein Paß nach Paris gesandt wurde und mit Fouché's Unterschrift zurückkam. Dieser Aufenthalt war mir glücklicherweise gar nicht unangenehm. Ich miethete mir ein kleines Zimmer und schaffte mir Bücher an; unter Anderm las ich hier wieder Cagliostro's Leben, Göthe's Großkophta und seine Erzählung über Cagliostro's Familie. Ich ging täglich auf den Münster hinauf. Einmal kletterte ich so hoch hinauf, wie ich kommen konnte. Draußen auf dem Steintritt, wo man nur auf einem Fuße stehen kann und sich an der Eisenstange halten muß, hätte ich beinahe meinen Hut verloren; aber ich wagte es, mit der einen Hand die Eisenstange loszulassen und den Hut in die Stirn zu drücken. Ob die Polizei mich in den acht Tagen, wo ich in Straßburg war, bewachte, weiß ich nicht. Ein Israelit, Parmazenser, machte meine Bekanntschaft und besuchte mich täglich. Er war ein gebildeter, poetischer Mensch, gewann mich lieb und schrieb mir beim Abschiede in mein Stammbuch:

„Du schmückst des Nordens Heldenkraft
Mit Blumen aus den warmen Zonen;
Dank Deinem Geist, der neu erschafft
Ein Bruderband für zwei Nationen.“

[164]

Mein Aufenthalt in Stuttgart.

Endlich kam der Paß und ich reiste über Carlsruhe und Rastatt nach Stuttgart weiter.

Rasch ging es durch die unfruchtbare Champagne, die, wenn sie nicht von Weinreben bedeckt ist, wie ein großes Stück Kreide aussieht und wo nur die großen Hohlwege merkwürdig sind, wo die Franzosen im Revolutionskriege die Deutschen schlugen und sie daran verhinderten, weiter vorzudringen. Auch bereits zu Chlodwig's Zeit soll hier eine merkwürdige Schlacht geschlagen worden sein. Sehr angenehm war die Veränderung bei der Fahrt über den Rhein zwischen der bleichen, steinigen Champagne und dem saftgrünen, laubreichen Baden. In dieser Nacht hatte ich in einem Wirthshause unter schwäbischen Bauern Gelegenheit, Betrachtungen über den Unterschied zwischen dem französischen und deutschen Nationalcharacter anzustellen.


Der Aufenthalt von acht Tagen in Straßburg hatte meine Ausgaben vermehrt und meine Börse geleert. Als ich nach Stuttgart kam und meine Reise bezahlte, besaß ich keinen Pfennig. Mein Koffer, den ich durch eine andere Gelegenheit voraus gesandt hatte, war noch nicht angekommen. Ich eilte zu Cotta — meine einzige Hoffnung! O Schreck! Er war nicht zu Hause. Man sagte mir, daß er nach Baden gereist sei und erst in drei Wochen wieder komme.

Deshalb ließ ich den Muth doch nicht sinken. Ich ging in den Gasthof zum „König von England“ zurück und sagte zum Wirth: Ich hätte Geschäfte mit Herrn Dr. Cotta abzumachen und wolle im Wirthshaus bleiben, bis derselbe käme. Der Wirth dankte verbindlichst. — So hatte ich also keine Noth, der Koffer kam glücklicherweise auch und ich setzte mich froh zu Tisch.

Dort traf ich einen hübschen muntern Mann, der sich in ein Gespräch mit mir einließ und mir Vieles erzählte. Beim Abschied wünschte er mich bald wiederzusehen. „Mich“ sagte er „werden Sie ohne Zweifel oft sehen, wenn Sie in Stuttgart[165] bleiben.“ — „„Wie so?““ fragte ich. — „Ich bin Schauspieler“ sagte er „und heiße Vinzenz.“ — Später sah ich ihn oft; er war ein sehr guter Komiker. Der verstorbene König von Württemberg mochte ihn gern; und er wagte es sogar einmal ohne Gefahr, den König Holofernes im Herodes von Bethlehem, mit der Krone von Goldpapier auf dem Kopfe, schwarzen wollenen Strümpfen an den Beinen und mit dem Reichsapfel in der Hand, der sehr sinnreich als Schnupftabakdose eingerichtet war, zu spielen.

Schauspielerbekanntschaften.

Ich machte hier auch die Bekanntschaft eines andern Schauspielers, des Herrn Lembert. Eines Tages kam er zu mir und sagte: „Sie könnten mir eine Gefälligkeit erweisen.“ — „„Gern! Welche?““ — „Der König ist krank gewesen und hat sich wieder erholt, ich möchte ihm deshalb gern ein Gedicht überreichen, das ihm gefallen und mir nützen soll.“ — „„Wünschen Sie, daß ich es für Sie mache? Mit Vergnügen!““ Ich machte ihm das Gedicht, aber das Beste mußte ich wieder ausstreichen. Es war eine poetische Erklärung des Wortes Württemberg nach der Legende von dem alten Ritter, der in den frühesten Zeiten so gastfrei gewesen sein sollte, daß man ihn in der Umgegend nannte: „Der Wirth am Berge“. Lembert brachte dem König das Gedicht und bekam eine nicht unbedeutende Summe von Dukaten, die er wohl mehr seinen Talenten als meiner kleinen Romanze zu danken hatte. Indessen mochte diese doch wohl dazu beigetragen haben.


Bei dem Hofrath Vellnagel machte ich die Bekanntschaft der Frau Haendel. Ich hatte sie drei Jahre vorher in Berlin die Jungfrau von Orleans spielen sehen. Bekanntlich zeichnete sie sich durch eine neue Kunst ans. So wie Lady Hamilton in Italien früher schöne Statuen nachgeahmt hatte, so ahmte jetzt Frau Haendel italienische und deutsche Gemälde nach. Da sie eine gute Schauspielerin war, ein hübsches Gesicht hatte,[166] und sich besonders gut auf's Drapiren verstand, so waren diese Darstellungen auch unterhaltend und verdienten Lob, soweit jede sinnreiche Erfindung achtungswerth ist. Indessen würde die Fortsetzung dieser Kunst kaum anzuempfehlen sein. —

Solche Nachahmungen der Nachahmungen der Natur würden zuletzt schädlich werden. Die geniale Frau Haendel machte es wirklich so gut, als man verlangen konnte; aber — selbst gut dargestellt, mag ich doch nicht eine Mutter Gottes sehen, die kurz vorher Thee mit mir getrunken hat, lustig gewesen ist, und dann sich wieder lustig mit uns an den Abendtisch setzt. Dieses Spiel mit dem Heiligen, kann wohl Geist und Geschmack im Kostüm verrathen, aber den Geist nicht zu ernsten Gefühlen erheben. Dergleichen läßt sich besser mit weltlichen Dingen machen; und Frau Haendel stellte auch besser Scenen aus der niederländischen, als aus der italienischen Schule dar.

Es frappirte mich, da ich es zum ersten Male sah; und ich schrieb ein Gedicht darüber, das Frau Haendel-Schütz später in ihrem Stammbuche hat drucken lassen. — Ich machte in Gesellschaft mit dieser interessanten Frau, dem Hofrath Vellnagel und Andern eine Lustfahrt nach dem Walde, wo einige Schauspieler ganz vortrefflich mehrere alte deutsche Farcen im Grünen improvisirten. Auf dem Wege begegneten wir gleich Vinzenz als Prologus auf einem Esel reitend.

Zusammentreffen mit Carl Maria v. Weber.

Bei Vellnagel's sah ich zum ersten Male Carl Maria v. Weber. Ich wußte von ihm nur, daß er ein junger, vielversprechender Musiker, ein beliebter Schüler von Vogler sei. Es ahnte damals Keiner, daß er der große Componist Preciosa's, Oberon's und des Freischütz' werden würde.


Der Dichter Uhland. Schaffhausen, der Rheinfall.

Kurz darauf traf Cotta ein, und ich besuchte ihn in Tübingen. Er empfing mich freundlich und gastfrei; seine Tüchtigkeit, sein Verstand und sein offenes Wesen gefielen mir; auch er konnte mich gut leiden. Er bezahlte mir meinen Hakon[167] Jarl, Palnatoke und die Gedichte reichlich. Und nun beschloß ich, nach der Schweiz und Italien zu reisen. Aber erst machte ich die Bekanntschaft des wackern Uhland. Er war damals noch ein junger Mensch und schrieb „des Knaben Berglied“ in mein Stammbuch. Auch den alten, rührigen Professor Conz, der Mehreres vom Aristophanes übersetzt hat, lernte ich kennen.

Er schrieb mir folgende Verse aus dem Faust zum Andenken auf:

„Das Pergament ist nicht der heil'ge Bronnen,
Aus dem ein Trank den Durst auf ewig stillt;
Erquickung hast Du voll gewonnen,
Da sie Dir ganz aus eigner Seele quillt.“

In dem schönsten Septemberwetter reiste ich nach Schaffhausen. Gleich hier an der Grenze von Deutschland führt die Natur ein feierliches Schauspiel auf, um den Wanderer für das Abenteuerliche und Kühne zu stimmen, wenn er aus dem idyllisch anmuthigen Schwaben heraustritt, und sich den ungeheuren Eisbergen nähert. Der ehrwürdige Vater Rhein, der sonst majestätisch und ruhig durch Germanien hinströmt, bis er sich mit dem Meere vermählt, wird hier plötzlich wild und übermüthig, lärmt wie ein Kobold, schlägt Räder, steht auf dem Kopfe, bricht seinen blauen Spiegel in tausend Stücken, und in dem ungeheuren Lilienbett, wo die Blumen jeden Augenblick kommen und verschwinden, strahlt im Wasserstaube und im Sonnenscheine ein ewiger Regenbogen.

Ganz allein besuchte ich mit einem von Shakespeare's Lustspielen in der Tasche dieses große Lustspiel der Natur; hörte erst das dumpfe Sausen in der Ferne, darauf in der Nähe den entsetzlichen Fall, und legte mich an einem lieblichen Orte in passender Entfernung zur Ruhe, nachdem ich vorher den ertrunkenen Engländern einen Seufzer geweiht hatte. Sie wollen immer da hinüber, wo das Wasser am gefährlichsten ist, und fliegen gewöhnlich, wie die Mücken, in's Licht. — Da lag ich nun und las, lauschte zuweilen und blickte nach dem Wasserfall[168] hinüber, indem ich mich über Shakespeare und die große Natur freute; d. h. über Ein und Dasselbe in verschiedenen Formen.


Der Gastwirth Peter. — Frau von Harmes.

In Zürich traf ich fast den besten Gasthof an, den ich noch gesehen hatte: „zum Schwerte“, an dem herrlichen See; und in Herrn Peter fanden wir den vortrefflichsten Wirth. Alles war bei ihm gut: die Aussicht, Zimmer, Essen, Trinken, Bedienung, Musik, Gäste. Herr Peter hatte schöne Böte und bequeme Wagen. Man konnte Lustfahrten zu Wasser und zu Lande und für einen billigen Preis unternehmen. Ich machte hier die Bekanntschaft zweier Kaufmannsfamilien, die eine aus Hamburg, Knoop, die andere aus Wien, Breuß. Sie fragten mich, ob ich mit ihnen umherreisen wolle? Ich nahm das Anerbieten gern an, da ich auf diese Weise freie Beförderung und eine angenehme Gesellschaft hatte. Ein reicher Baron Mannteufel wohnte im Schwerte; er tractirte alle Welt und gab Herrn Peter viel zu verdienen. Aus Dankbarkeit hatte deßhalb dieser, am Abend vor der Abreise des Barons, ein Transparent mit dem Namenszuge des Gastes und zwei Posaunenengel auf der Brücke angebracht.

Ich übergab dem Dr. Römer, einem ausgezeichneten Botaniker und echten Schweizer, einen Brief. Er hatte große Aehnlichkeit mit einem biedern Norweger und wir wurden deßhalb Freunde. Er führte mich zur Dichterin Frau v. Harmes, geb. Berlepsch. Wir disputirten mit einander über das Göthe'sche Gedicht: „Miedings Tod“; sie fand den Gegenstand zu unbedeutend (Mieding war Maschinenmeister gewesen) ich fand ihn gerade ganz vortrefflich.

Vor unserer Abreise von Zürich überraschte der Wirth uns auf eine angenehme Weise. Die Flügelthüren des Speisesaales öffneten sich, und im Kabinette nebenan gab uns Herr Peter, als Hirt gekleidet, noch zum Abschied ein Ballet oder Entrée, wie man es nennen will. Ich konnte mich nicht genug[169] über die Gewandtheit wundern, mit der der Mann seine Beine gebrauchte. Ich hatte ihn immer nur im gelben Stolpenstiefeln, mit einem grauen Rock über den breiten Schultern und um den runden Leib, dem es nicht an Fülle fehlte, gesehen. Nun machte er in Rosa und Seladon-Tafft mit dem Strohhut auf dem Kopfe die vortrefflichsten Entrechats, während der Champagner zum Abschied sprudelte; ich glaubte mich in ein Feenschloß hinverzaubert!

Gute Reisegesellschaft.

Wir rollten in vortrefflichen Wagen bei herrlichem Wetter unter unzähligen Wallnußbäumen so voll reifer Früchte, wie die wilden Kastanien bei uns, dahin. Wir machten uns deshalb auch kein Gewissen daraus, zuweilen Nüsse von den herabhängenden Zweigen abzureißen und einander während des Fahrens damit zu bombardiren. — Wo wir in ein Wirthshaus eintraten, rief mein Hamburger gleich: „Was haben Sie uns zu geben? Bringen Sie das Beste!“ Das bekamen wir denn auch; aber die Rechnung wurde auch darnach. Als bezahlt werden sollte, legte ich mein Scherflein mit auf den Tisch. — Der Kaufmann sah mich verlegen an, schwieg und nahm es. Aber als ich am nächsten Tage ein Gleiches thun wollte, schob er mir das Geld wieder zurück und sagte: „Nehmen Sie es uns nicht übel; aber wir können unmöglich Ihr Geld annehmen! Sie sehen ja, daß wir nicht ökonomisch reisen und doch sparen wir mehr dabei, als wenn wir zu Hause bleiben. Sie sollen unsertwegen nicht überflüssige Ausgaben haben. Sie könnten billiger und ebenso gut reisen; nun erfreuen Sie uns durch Ihre Gesellschaft, und darunter sollen Sie nicht leiden. Bilden Sie sich ein, wir wären in Hamburg oder Wien, und Sie besuchten uns dort als Gast! Dann brauchen wir uns auch nicht Ihretwegen mit den Ausgaben zu geniren.“ Dies war sehr artig und vernünftig gesprochen; ich zierte mich auch nicht lange, sondern nahm das Anerbieten ohne Einwendungen an. Als ich an dem Abend zu Bett ging und meine kleine Geldbörse unter das Kopfkissen legte, freute ich mich recht kindlich darüber, daß die Geldbörse eine Zeitlang verschont bleiben sollte.

[170]

Am nächsten Morgen, als ich mit den Kaufleuten am Theetisch saß, trat das Hausmädchen herein und brachte mir — meine Börse, die ich im Bett vergessen hatte! Die Kaufleute schwiegen, sahen aber einander an und lächelten. Ich dachte: „Verdammte Zerstreutheit! ganz kann man Dich doch nicht los werden. Das ist mir auf meiner ganzen Reise zum ersten Male passirt; sollen diese Geschäftsleute nun gleich glauben, daß Du ein Genie in der schlechten Bedeutung des Wortes bist? Und ich bin doch gewiß ganz ordentlich und mir ist nichts Aehnliches passirt; wenn ich den Paß in Dresden, — und den Koffer in Quedlinburg, — und die Verspätung in Halberstadt, — und den Paß in Straßburg, — und den Koffer in Stuttgart ausnehme! —“

Besteigung des Righi.

Wir reisten über den Albisberg nach Zug, wo ich den Roßberg sah, der zwei Jahre vorher zwei Städte in seinem Falle begraben hatte. Ueber den Zugersee kamen wir nach Arth, und bestiegen den Righi, einen der schönsten und am leichtesten ersteigbaren Berge. — Ich hatte noch immer den Straßburger Münster im Kopfe, und als ich ganz oben war, fragte ich einen Schweizer: „Ist Das nun viel höher, als der Münsterthurm in Straßburg?“ „„Ach, gehen Sie weg, mit Ihrem Münsterthurm!““ rief der Schweizer, „„von so einer Ameise kann hier gar nicht die Rede sein.““

Man kann sich leicht in Bezug auf eine Höhe täuschen, wenn man sie nur nach dem Augenmaß und dem sinnlichen Eindrucke beurtheilt. Nur die schroffe Tiefe wirkt auf die Phantasie ein, und das langsame Steigen einer Berggegend merkt man nicht gleich.

Wir blieben die Nacht über auf dem Righi; die Schweizermädchen sangen uns alte Lieder vor. Eines darunter gefiel mir besonders gut. Der Refrain war:

„Durch keine Adelshand,
Mit Guot und Muot, mit Herz und Bluot,
Ward's gerettet, Vatterland!“

[171]

Am nächsten Morgen stiegen wir höher hinauf, um eine recht freie Aussicht zu haben. Der Nebel erlaubte uns aber nicht, eine Hand weit vor uns zu sehen. Ich schrieb in das Buch, welches dort lag, und in das viele Reisende schöne Sentenzen hineingeschrieben haben:

„Ich kam hinauf — und sah — und sah —
Gar Nichts! — der Nebel war schon da —.“
Tell's Kapelle.

Weiter am Tage, als wir wieder hinabstiegen, klärte sich der Himmel auf. Wir hörten das Geläute der Heerden. In einer Kluft, ganz von Felswänden umgeben, stand eine Kapelle bei einer Quelle. Bauern von Freiburg kamen dorthin, um das Wasser zu trinken, welches Taubheit heilen sollte. Die Abendsonne ging herrlich unter; die Heerdenglocken klangen in Terzen und Quarten; Freiburger Mädchen sangen Psalmen und kehrten von der heiligen Quelle zurück. Das Gras auf den Höhen war frisch und grün. Ueber den See hin kamen wir nach Tell's Kapelle, wo geschrieben steht: „Hier schlug Thäll Gieselers Huochmuot.“

Man zeigte mir einen Baumstumpf; die guten Leute glaubten, es seien noch Ueberreste jenes Baumes, hinter dem Tell gestanden, als er Geßler seinen Todespfeil sandte. Es war mir, als ob ich Schiller's Geist mit einer Harfe im Arme über die Berge dahinschweben sah. Die seltsamen Physiognomien der fernen Gebirgsketten brachten mir Lavater ins Gedächtniß; und in dem saftgrünen schattigen Thale war mir's, als ob ich Geßner unter einem Baume sitzen und die Landschaft malen sähe, während er Idyllen sang.


Mit meiner Reisegesellschaft zog ich an Küßnacht vorbei über den Vierwaldstädtersee nach Luzern, und von da über Reith und Morgenthal nach Bern. Hier blieben wir ein paar Tage in der Gesellschaft der liebenswürdigen Frau Haller. In Lausanne trennte ich mich von meiner Reisegesellschaft; ich[172] stand wieder allein und fuhr auf einem Retourwagen nach Coppet, um die Baronesse Staël-Holstein zu besuchen, was ich ihr in Auberge en ville versprochen hatte.

Aufnahme bei Frau v. Staël-Holstein.

Ich stieg in einem dunkeln Gasthof ab, trat in ein kaltes, feuchtes Zimmer, und ließ mir einige Bündel trockenen Reisig's im Kamin anzünden, um das feuchte Herbstzimmer zu erwärmen und behaglich zu machen. Sonst, wenn ich allein nach einem so ländlichen Wirthshause kam, pflegte ich gewöhnlich die Küche zu meinem Aufenthalte zu wählen. War es kalt, so konnte man sich dort gleich ans Feuer setzen, wo das Ende eines ganzen Baumstammes brannte, den man nach und nach hineinschob. Der Braten, der gegessen werden sollte, drehte sich dabei lustig an seinem Spieße herum. Ich unterhielt mich mit den Leuten; Mädchen und Burschen kamen und setzten sich an einen entfernteren Tisch; eine Treppe führte gewöhnlich zu einer Galerie hinauf, nach der alle Thüren des zweiten Stockwerkes führten. Ein solcher Versammlungsort, halb Küche, halb Zimmer, bildet oft die Scene in den alten französischen Singspielen. Bei Walter Scott ist er auch oft der Schauplatz. Er ist der Gegenstand vieler hübschen Bilder der niederländischen Schule gewesen. — Aber heute in Coppet hatte ich nicht Lust in dieser Gesellschaft zu verweilen; ich wollte eine Stunde mit mir allein sein, ehe ich wieder in einen großen, fremden Kreis eintrat. Ich hatte A. W. Schlegel wissen lassen, daß ich in Coppet sei, und dort der Baronesse meine Aufwartung zu machen wünsche; nun saß ich da und blickte ins Kaminfeuer und dachte an alle verschwundenen Freuden.

Das Haus der Frau v. Staël-Holstein.

Es währte nicht lange, so kam ein Diener mit einer Einladung von Frau von Staël, und mein Koffer wurde gleich auf's Schloß getragen. Dort war Alles munter und elegant, die witzige Dichterin kam mir freundlich lächelnd entgegen, lud mich ein, einige Wochen bei ihr zu bleiben, und neckte mich, weil ich noch nicht besser Französisch sprach. Mit ihr konnte ich übrigens nicht in Betreff der Sprache in Verlegenheit kommen,[173] denn sie verstand vortrefflich Deutsch. Ihre Kinder, der vor Kurzem verstorbene, wackere August und ihre Tochter, die jetzige Herzogin von Broglie, damals ein halb erwachsenes Mädchen, sprachen auch gut Deutsch, ebenso wie Herr Benjamin Constant, den ich hier wieder traf. August Wilhelm Schlegel konnte fast alle Sprachen gleich gut; und der alte Baron Voigt von Altona, ein Altersgenosse von Lessing und Schröder, der auch zum Besuche hier war, las gerade „Nathan den Weisen“ vor. So konnte man sagen, daß die Deutschen auf eine kurze Zeit die französische Schweiz erobert hatten. Auch der alte liebenswürdige Bonstetten sprach ebenso gut Deutsch wie Französisch. Wie gut Benjamin Constant Deutsch verstand, merkte ich späterhin einmal an einem Abend, wo er uns eine französisch-racinisirte Bearbeitung von Schiller's Wallenstein zur Vergeltung dafür vorlas, daß Göthe den Mahomed und Tancred göthisirt und Schiller die Phädra schillerisirt hatte. Noch befand sich hier der berühmte Historiker Simondi de Sismondi, der auch Deutsch verstand, aber nicht sprechen konnte; und ein Herr Comte de Sabran, der kein Wort Deutsch konnte, aber französische Epigramme machte. — Da ich nun in den französischen Gesprächen bei Tisch für gewöhnlich schwieg, sagte Sismondi einmal der Frau Staël von mir: „C'est un arbre, sur lequel il croît des tragédies.“ Schlegel war höflich, aber kalt gegen mich. Ich achtete seine Gelehrsamkeit, seinen Scharfsinn, seinen Witz und sein außerordentliches Sprachtalent hoch. Ich kenne keine besseren Uebersetzungen, als die seinigen von Shakespeare und Calderon. Vielleicht ist sein Shakespeare hier und da doch ein Bischen zu geleckt. Er hat viel Vortreffliches über Poesie und Kunst gesagt; aber er war nicht frei von Einseitigkeit und Parteilichkeit. Gleich seinem Bruder und der ganzen neuern Schule war er ein zu großer Freund der Aristokratie und Hierarchie und zog Calderon dem Shakespeare vor; Luther und Herder tadelte er bitter; kurz sein ganzes Wesen hatte Etwas, das mir nicht gefiel, etwas Pedantisches und Hochmüthiges.[174] Als er ein Mal bei Tisch von Luther mit Verachtung sprach, fuhr ich auf und schleuderte den Tadel so heftig auf ihn selbst zurück, daß alle Franzosen glaubten, wir würden handgreiflich werden. Doch wurde bald Frieden geschlossen; aber seine Zuneigung für mich ward dadurch natürlich nicht größer. Er ging meinen Palnatoke mit mir durch und half mir viele Sprachfehler verbessern. Nie lobte er Etwas von mir. Zehn Jahre später, als ich wieder mit Frau Staël in Paris sprach, erzählte sie mir, daß er meinen Correggio sehr liebe. Als ich von Genf fortreiste, schrieb er höflich in mein Stammbuch:

„Fremdling, doch altverbrüdert, tritt herein!
Willkommen gern im deutschen Dichterhain!
Sing' nord'sche Sagen uns auf deutsche Weisen,
Und unsrer Wälder Nachhall soll Dich preisen.“
Gedenkblatt von A. W. Schlegel.

Man sieht, daß Alles im Futurum steht; obgleich Einiges bereits im Präsens ja wohl selbst im Perfectum betrachtet werden konnte. Schlegel ritt jeden Tag ein zahmes Pferd, um sich einige Bewegung zu machen. Einmal hatte man ihm ein unbändigeres Roß gegeben, und er weigerte sich, es zu reiten. Frau Staël neckte ihn, und Benjamin Constant erbot sich, das Pferd zu besteigen, um Schlegel zu zeigen, daß keine Gefahr dabei wäre. Wir gingen Alle mit hinunter, um Zeugen dieses Auftrittes zu sein; der große rothhaarige Constant schwang sich wie ein Ritter in den Sattel und galloppirte von dannen; aber kaum war er ein Stück Wegs dahin gekommen, so warf das Pferd ihn in den tiefen sumpfigen Graben. Ich vergesse niemals das Mitleid, das Schlegel mit ihm hatte, als er hinkend wieder zurück kam. „Ja, sagte ich es Ihnen nicht,“ rief Schlegel mit unterdrücktem Lachen, „es ist ein verteufelt stetiges Vieh!“

Einen Zug jugendlicher Eitelkeit darf ich hier nicht vergessen. Als ich eines Tages neben der Frau von Staël ging, welche langsam ritt, und als wir über einen kleinen Bach kamen, trat ich mit Schuhen und seidnen Strümpfen in denselben und durchwatete[175] ihn, anstatt über ein Brett zu gehen, das über demselben lag. Sie machte mich auf meine Zerstreutheit aufmerksam. Ich antwortete, es sei keine Zerstreutheit, sondern ich wollte die Unterhaltung mit ihr nicht unterbrechen; denn das Pferd durchwatete natürlich den Bach. Wahrscheinlich amüsirte es mich, weil ich kurz vorher ihre Corinna gelesen hatte, eine Art Lord Nelvil ihr gegenüber zu spielen, der ihrer Weiblichkeit durch seine männliche Verwegenheit imponiren wollte. Es war für mich auch fast ebenso gefährlich, mich ins Wasser zu stürzen, wie für ihn ins Feuer; aber er schuf doch Nutzen dadurch: ich dagegen konnte mir eine Krankheit durch diesen Narrenstreich zuziehen.

Die Persönlichkeit der Frau von Staël-Holstein.

Wie geistvoll, witzig und liebenswürdig Frau von Staël war, weiß die ganze Welt. Ich habe kein Weib mit so vielem Genie, wie sie gekannt. Deshalb aber hatte sie auch etwas Männliches in ihrem Wesen, war ziemlich vierschrötig und hatte ein markirtes Gesicht. Schön war sie nicht; aber ihre brillanten, braunen Augen hatten doch etwas Anziehendes, und das weibliche Talent, Männer der verschiedensten Charactere zu gewinnen, mit Feinheit zu beherrschen und in der Gesellschaft zu vereinen, besaß sie in hohem Grade. Ihr Genie, ihr Gesicht, ja fast selbst ihre Stimme waren männlich; aber die Empfänglichkeit ihres Herzens war in hohem Grade weiblich: das hat sie in der Delphine und der Corinna bewiesen. Rousseau hat die Liebe nicht mit größerm Feuer geschildert.

Sie schrieb gerade damals ihr Buch über die deutsche Literatur und las täglich einen Band Deutsch. Man hat sie beschuldigt, die Bücher nicht selbst gelesen, sondern ihr Urtheil darüber von Schlegel erhalten zu haben; dies ist durchaus unwahr. Sie las selbst Deutsch mit größter Leichtigkeit; nur die Aussprache fiel ihr schwer: und deshalb übersetzte sie, wenn sie mir etwas aus einem deutschen Buche vorlesen wollte, es lieber gleich ins Französische. Schlegel hat gewiß sehr vielen Einfluß auf ihr Urtheil gehabt, sie lernte durch ihn zuerst die deutsche[176] Literatur kennen, aber ihre Ansichten wichen doch in manchen Dingen durchaus von den seinigen ab. Sie konnte selbst denken; sie stritt häufig mit ihm und neckte ihn oft, wenn er ihr zu parteiisch war. „Vous êtes une tête lente,“ sagte sie einmal über Tisch zu ihm: „moi, je suis une tête vite.“ In ihrem Urtheile über die französische Tragödie wich sie vollständig von Schlegel ab.

Frau von Staël hat das Verdienst, die Erste zu sein, welche die französische Nation auf die Schönheiten der deutschen Poesie aufmerksam machte. Wenn nun gleich Vieles in ihren Aeußerungen flüchtig und schief ist, so muß man es ihr, einer Dame, einer französischen Dame, einer vornehmen und reichen Dame verzeihen, der täglich eine unendliche Menge Gäste nach dem Munde schwatzte. Vieles Geistreiche und Schöne hat sie über deutsche Verfasser geschrieben. Freilich fehlte ihr der tiefe, stillere, ernste Sinn, um eigentlich das Wesen der germanischen und nordischen Poesie zu erfassen. Es hat auch etwas Verletzendes, wenn man alle großen Männer die Revüe vor dieser poetischen Semiramis passiren sieht; doch behandelt sie die ausgezeichneten Schriftsteller mit genügender Achtung und geizt bei ihnen nicht mit Ehrenbezeugungen.

Ihr größtes Talent bestand darin, etwas Treffendes und Witziges über Das zu sagen, was sich ihre Aufmerksamkeit zuzog. Dieses Talent machte sie in Gesellschaften äußerst unterhaltend. Wohin sie kam, zog sie (trotz der Gegenwart der schönen jungen Damen) alle Männer von Kopf und Kenntnissen in ihre Nähe. Bedenkt man nun, daß sie außerordentlich reich und gastfrei war und fast jeden Tag prächtige Gesellschaften gab, so wundert sich gewiß Keiner darüber, daß sie, einer Königin oder Fee gleich, die Männer in ihr Zauberschloß lockte und sie zum Theil beherrschte. Man hätte fast glauben können, daß sie, um diese Herrschaft an den Tag zu legen, während der Mahlzeit immer mit einem kleinen Zweige in der Hand spielte. Der Diener mußte ihr einen solchen täglich neben ihren Teller hinlegen,[177] denn er war ihr ebenso unentbehrlich, wie Messer, Löffel und Gabel.

Zacharias Werner.

Ich war einige Wochen in Coppet gewesen, als eines Tages Zacharias Werner mit einer großen Schnupftabaksdose in der engen Westentasche, die Nase voller Tabak und mit tiefen Verbeugungen in die Halle trat. Er sprach auch schlecht Französisch, aber dies genirte ihn nicht. In seinem Patois theilte er täglich über Tisch der Gesellschaft in einer Art von Vorlesungen seine mystische Aesthetik mit. Man hörte ihm sehr andächtig zu, und es fehlte nicht wenig, so hätte er Proselyten gemacht. Denn obgleich die Franzosen oft für fremde Natur taub sind, so leihen sie der fremden Unnatur doch gern das Ohr: was Cagliostro, Mesmer, Frau Krüdener u. A. bezeugen können. Selbst Frau von Staël hörte bewundernd Werner zu, und schalt mich, weil ich mir seine Ansichten nicht aufmerksamer zu Herzen nahm. — Es that mir leid, diese Verwandlung bei Werner zu entdecken. Mit Vergnügen hatte ich seine Söhne des Thals und seine Weihe der Kraft gelesen; obgleich bereits in diesen Werken der Keim zu seinem spätern krankhaften Wesen liegt. Aber nun ging es auf eine „Weihe der Unkraft“ los, in die ich mich durchaus nicht finden konnte. Er las uns seinen Attila vor, in dem schöne Scenen sind, obgleich hier die Schwärmerei deutlich hervortritt und mit der hierauffolgenden Katastrophe droht. Besonders graute mir vor der Replik: „Umarme mich Jüngling! Jetzt lasse man ihn von Pferden zerreißen.“

Frau von Staël bewunderte dies Alles enthusiastisch; ich konnte hierin nicht mit ihr sympathisiren. Sie hielt das vielleicht für Mangel an Verstand oder Geist, oder Gott weiß was. Noch kannte sie Nichts von meinen Schriften; denn diese waren noch nicht nach Coppet gekommen.

Werner's Persönlichkeit mochte ich gern, er war ein freundlicher Mann; offen, theilnehmend; mit einem gewissen Humor verstand er, über sich selbst auf eine liebenswürdige Weise zu scherzen; ich unterhielt mich gern mit ihm, wenn wir allein[178] waren. Er hatte viel in der Welt erfahren und erlebt; selbst die sinnlich leichtfertige Weise, auf die er zu seiner frommen Erhebung gekommen war, hatte, psychologisch genommen, etwas Interessantes. Er war auch nicht arrogant, und wurde nicht böse, wenn man anderer Meinung war, als er.

Eine kleine Mißhelligkeit.

Eines Tages gingen wir auf der Landstraße zwischen Coppet und Genf spazieren. Ich hatte meinen Correggio im Kopfe und theilte ihm den Plan mit. Ich hatte gehört, daß auch er an einem neuen Stücke schreibe, und bat ihn, mir den Inhalt zu sagen. Wir waren unterdessen nach Hause gekommen. „Nein, verzeihen Sie mir, lieber Freund!“ sagte er, indem er eine Prise nahm, „das kann ich nicht! Ich habe bereits so oft Andern meine Pläne erzählt; aber das kommt in Wochenblätter und Journale, und hat mir vielen Verlust bereitet.“ — Ich hatte mich bereits so sehr an sein wunderliches Wesen gewöhnt, und er sagte mir das so gutmüthig und naiv, daß ich ihm nicht darüber zürnen konnte; ich scherzte über seine Weigerung und wiederholte mein Verlangen.

In demselben Augenblicke trat Frau von Staël in das Zimmer und fragte, wovon die Rede sei. Ich antwortete lachend: „Ich schelte Werner! Ich habe ihm meinen Plan zu einer neuen Tragödie mitgetheilt, und nun will er mir nicht den des Stückes mittheilen, das er zu schreiben beabsichtigt. Ist das nicht unrecht?“ „„Ah!““ antwortete sie ganz ernst und in zurechtweisendem Tone, — „c'est une autre chose! Vous êtes encore jeune; vous avez besoin de vous former!“ Ohne zu antworten, wandte ich ihr den Rücken und verließ das Zimmer. Sie wartete, daß ich wieder kommen würde; endlich sandte sie mir einen Diener nach, der erzählte, daß ich einpacke, um abzureisen. — Nun suchte sie mich sehr freundlich auf, bat mich zu bleiben und nicht böse zu sein. „„Ich wüßte ja, wie sehr sie mich achte; Werner habe sie seiner Gedichte wegen lieb, für mich aber fühle sie persönliche Freundlichkeit.““ — Ich antwortete, „daß ihre Freundschaft mich ehre und freue, und[179] wenn ich noch Nichts weiter sei, als ein hoffnungsvoller Jüngling, so müsse dies mir genügen; aber ich hätte bereits ebenso lange und ebenso viel, wie Werner gedichtet; ich glaubte nicht, von ihm Etwas lernen zu können; er habe Genie und ein gutes Herz, aber keinen gesunden Geschmack; und wenn das so fortginge, so würde er zuletzt auch den gesunden Menschenverstand verlieren. Ich könne nicht verlangen, daß sie mich als Dichter schätzen solle, da sie noch nichts von mir kenne, nur möge sie auch deshalb ihr Urtheil über meine dichterische Berechtigung bis auf Weiteres aufschieben.“ — Sie gab mir Recht; und so wurde der Frieden geschlossen. — Kurz darauf las sie Aladdin und Hakon Jarl und fand nun selbst, daß ich nicht nöthig hätte, bei Werner in die Schule zu gehen.

Gedenkblatt von Zacharias Werner.

Werner fühlte wahrscheinlich dasselbe, und in meinem Stammbuch gab er mir (nun seiner Ansicht nach ebenbürtig) folgende Satisfaction:

„Wir Söhne von dem fernen Norden
Sind hoher Lust gewürdigt worden,
Zu schaffen vor der Menschen Schaar,
Was lebend, dauernd, schön und wahr.
Gesellt durch gleichen Ruf und Meister,
Zieh'n gleichen Theils theilhafte Geister,
Wir, ob getrennt der Pfad auch scheint,
Zu gleichem Ziel, das uns vereint.“
Das schreibt mit redlichem Gemüthe der sich
Ihrer, als eines gleichgesinnten, mit schöner
Kraft ausgerüsteten Mitarbeiters erfreut,
zur Erinnerung und Befestigung
unseres Vereins. Quod Deus bene vertat!!!

Der Winter näherte sich, und Frau von Staël stellte mir vor, wie unklug es sein würde jetzt nach Italien zu reisen. Ich sollte den Winter über bei ihr bleiben, mir einen italienischen Sprachlehrer nehmen, und erst zum Frühjahre über die Alpen geben. — Ich blieb.

[180]

Ich übersetzte in diesem Winter Axel und Walborg, und Werner half mir brüderlich dabei, das Stück der Sprache wegen durchzusehen. Er lobte es sogar auf seine eigenen Kosten.

„Wenn ich nun so ein Stück geschrieben hätte,“ sagte er lächelnd, — „so würde ich einzelne Partieen brillanter ausgearbeitet haben, um die sogenannten schönen Stellen hervorzuheben. Der Erzbischof würde mehr zu sagen bekommen haben. Sie haben auf das Ganze gesehen, ohne Vorliebe für das Einzelne, und daran thaten Sie recht.“

Der Bildhauer Tieck.

Auch einen andern Mann von Talent lernte ich in Coppet kennen, den Bildhauer Tieck, den Bruder des Dichters, der uns Göthe's schöne Büste geschenkt hat. Während er in Coppet war, vollendete er auch die Büsten der Frau von Staël und Schlegel's.

Im strengsten Winter reisten wir alle nach Genf; und hier schaffte Frau von Staël Denen von uns Zimmer in der Stadt, welche in dem Hause, in dem sie wohnte, nicht Platz finden konnten.

Eines Abends überraschte es mich, Schulz's herrliche Musik zu den Gesängen in Racine's Athalia bei ihr zu hören. Ich begriff nicht, wie diese nordischen Herzenstöne so weit nach dem Süden hinabgekommen seien. Später hörte ich, daß meine Landsmännin, die Dichterin Friderike Brun, Schulz's große Freundin, die Musik einige Jahre vorher nach Genf gebracht hatte. Frau Brun war sehr beliebt hier, besonders von Bonstetten und Frau von Staël; ihr Aufenthalt in Genf mit der liebenswürdigen Ida stand noch in frischem Andenken.

Der Frau von Staël Haus in Genf.

In Frau von Staël's Hause war, wie gesagt, ewige Lustigkeit, wenn auch nicht eben immer Freude. Fast jeden Tag waren da prächtige Diners und am Abend Soupers. Ich habe kein Haus gekannt, in dem es so flott zuging. Sie war ungeheuer reich, bekam außerdem ein außerordentlich großes Honorar für ihre Schriften, liebte selbst das gute Leben, und fühlte sich sehr wohl am Ende des Tisches, mit dem Mandelzweige Aaron's[181] in der Hand, der sich am besten dazu eignete, die Tafeln des Testamentes zu schreiben; das war das Katheder, auf dem sie Vorlesungen hielt, und ihre politischen und ästhetischen Verordnungen für eine Schaar ausgezeichneter Männer ausgab, welche — wenn auch nicht immer schwiegen und zugaben — doch wenigstens schwiegen und einnahmen.

Ich konnte jedoch dieses Leben nicht aushalten. Mittags ließ ich es gelten; aber an dem Nachspiele am Abend in die Nacht hinein mochte ich nicht mehr Theil nehmen; ich sehnte mich darnach, allein zu sein, zu lesen. (Des Morgens früh schrieb und dichtete ich, oder ging spazieren.) Ich blieb also in meinem Logis zu Hause, obgleich mir angesagt wurde, mich in den Soirée'n einzufinden. Aber mein eigenes Local war nun natürlich sehr verschieden von den brillanten Salons der Baronesse. Ihr Haushofmeister hatte es mir in größter Eile ohne weitere Rücksicht auf meine Bequemlichkeit verschafft, als wir in die Stadt zogen. Es war ein großes, zugiges Zimmer mit einem Kamin und einem offenen Alkoven. Die Winter können in dem kalten Genf, wo der Wind beständig von den Bergen weht, sehr kalt sein, und dieser Winter war besonders hart. So viel ich auch in den ungeheuren Kamin hineinfeuerte, es half doch Nichts. Endlich fiel es mir ein, mir eine große spanische Wand anzuschaffen. Mit dieser hegte ich einen kleinen Platz vor dem Kamin ein, so wie Robinson Crusoë eine hohe Hecke vor seiner Höhle machte; und wenn ich so fast mit den Füßen und dem halben Körper im Kamin bei dem großen Feuer saß, konnte ich es aushalten. Ich hatte bereits einen Theil des Plutarch, und die ganze Jung-Stilling'sche Gespenstertheorie mit belegenden Spukgeschichten gelesen, ehe ich die Folgen dieser meiner Situation erkannte. Aber als ich am Morgen die Strümpfe anziehen wollte und meine beiden Schienbeine ansah, waren sie voll großer brauner Flecke, und ich hatte die Haut, ohne es zu merken, am Kamin verbrannt. Ich kann also in Wahrheit sagen, daß ich gebraten wurde, ohne warm zu werden.

[182]

Das gesellschaftliche Leben in Genf.

Wie ich mir später half, weiß ich nicht mehr; dagegen entsinne ich mich, einer andern schnurrigen Begebenheit, die mir in diesem Orte begegnete. Ich war auf einem Ball gewesen, wo Genfs ganze — wahrscheinlich vornehme Jugend versammelt war. Wenn auch gleich Genf eine Bürgerstadt ist, so giebt es doch wohl wenige Städte, in denen das hochmüthige Kastenwesen lange Zeit hindurch mit größerer Pedanterie beobachtet wurde, als hier. Als Fremder, als Dichter, als ein Freund der Frau von Staël wurde ich natürlich überall eingeladen. Aber es ging mir hier so, wie in Berlin mit Reichardt; ich begleitete die Baronesse Staël und bekümmerte mich nicht weiter darum, zu wem ich kam. Ich machte keine Visiten, und außer dem Namen Pictet habe ich alle die übrigen vergessen. Auf diesem Balle wunderten die jungen Damen sich darüber, daß ich nicht tanze, und wollten mir gar nicht glauben, als ich versicherte, ich könne nicht tanzen. Es wurde sehr rasch gewalzt. Dieser Tanz schien mir leicht zu erlernen zu sein; ein Bekannter versicherte mir, daß Nichts leichter sei, und versprach mir einen vortrefflichen Tanzmeister zu senden, der mir in wenigen Stunden die nöthigen Pas beibringen würde, so daß ich bei dem nächsten Balle an dem allgemeinen Vergnügen Theil nehmen könne.

Der Tanzmeister.

Der Tanzmeister kam am nächsten Morgen. Hoffmann hatte damals noch nicht seine berühmten Berliner-Thee-Pumpernicker-satanischen Gespenstergeschichten geschrieben; aber man hätte glauben sollen, daß dieser kleine, magere, braune, spitznäsige, leichtfüßige Piemonteser bei dem Urtypus Modell gestanden hätte, der sich als Triebrad in Hoffmann's Schriften bewegt. Mit der Violine unterm Arm, machte er mir die bekannten dämonischen, ironischen Verbeugungen und forderte mich gleich auf, den Walzer anzufangen, nachdem er mir die Pas gezeigt hatte. Kaum hatte ich angefangen, als ich zu meinem Schreck, indem ich über die Straße hinüberblickte, eine Menge Mädchenköpfe in den Fenstern des gegenüberliegenden Hauses entdeckte. Daselbst war[183] nämlich ein Mädcheninstitut, und nun eilten diese lieben Kinder natürlich, um das Wunder, den nordischen Bären, oder Dichter, was er war, in seinem dreißigsten Jahre tanzen lernen zu sehen. Ich kann darauf schwören, daß es dunkel vor meinen Augen wurde. Das Erste was ich that, als ich wieder zur Besinnung kam, war, daß ich den großen Schirm vornahm, und dadurch mit Hülfe des Tanzmeisters die Fenster verschanzte. Hierdurch entstand ein künstliches Halbdunkel, in dem der Hofmann'sche Dämon mit der Violine am Kinn und der grinsenden Miene sich noch diabolischer ausnahm. Kaum hatte ich ein paar Wendungen gemacht, so wurde mir schwindlich (ich kann es durchaus nicht vertragen, mich so zu drehen). Die Angst, mich vor den Mädchen drüben lächerlich zu machen, trug gewiß auch ihr Theil dazu bei, — und da dies Alles nun noch von dem maliciösen Bogenstrich meines Paganini begleitet wurde, so prallte ich gegen die Kante des Kamines an, und hätte mir beinahe die Hirnschale eingeschlagen. — Kaum war ich gerettet und wieder zu mir selbst gekommen, so griff ich in die Tasche und nahm den Louisd'or heraus, um den wir für den Unterricht eines Monats einig geworden waren, reichte ihn ihm, dankte für gütige Unterweisung, und versicherte auf das Bestimmteste, das hiermit unsere Lehrstunden vorüber seien. Ohne die geringsten Einwendungen zu machen, nahm der Kobold das Goldstück mit seinen schwärzlichen magern Fingern, verbeugte sich tief und verschwand.


Gedenkblätter von der Staël, Sismondi und Constant.

Als der Frühling kam, und die Vögel wieder umherflatterten, breitete auch ich meine Fittige aus, um über die Alpen zu fliegen. Die Jungfrau, jenseits des Genfersee's, hatte bereits, gleich einer schönen, kalten Blondine, lange mit mir aus der Ferne coquettirt, und trotz ihres geheimen Pflegmas, Oel ins Feuer gegossen; denn wenn ich sie liebevoll ansah, war es mir immer, als ob sie ebenso auf mich blickte. Ich nahm Abschied von Frau von Staël-Holstein, und sie schrieb in mein Stammbuch:

[184]

I'introduis pour la première fois le français dans ce livre; mais bien que Goethe l'ait appellé une langue perfide, j'espére, mon cher Oehlenschläger, que vous croirez à mon amitié pour vous, et à ma vive estime pour l'auteur d'Axel et Valborg.

Sismondi schrieb hinein:

Vas, Poète! voir l'Italie;
C'est la terre des souvenirs,
Des arts la brillante patrie,
Le trône enchanté des plaisirs.
Mais aussi au rives de Tibre
Pense, qu'un peuple, grand et libre,
Fonda l'éternelle cité.
Vois ses murailles entrouvertes,
Ses palais, ses places désertes.
Tout meurt avec la liberté.

Benjamin Constant schrieb:

Un sublime essor te ramène
A la cour des soeurs d'Apollon;
Et bientôt avec Melpomène
Tu vas d'un nouveau Phénomène
Enrichir le sacré vallon.

Zum Andenken der freudigen, mit einander genossenen Tage.“

Darauf reiste ich am 1. Mai 1809 auf der Diligence durch Anecy nach Chamouny. Hier schlief ich in einem schlechten Zimmer, in einem Bett, wo, wie man mir erzählte, ein junger Reisender kurz zuvor geschlafen hatte, und später auf dem Wege von Räubern ermordet wurde. Ich legte mich doch ohne Furcht zur Ruh, und dachte: „Wo die Räuber vor Kurzem gewesen sind, kommen sie nicht bald wieder.“

Am nächsten Morgen früh um zwei Uhr fuhr ich weiter, konnte nicht sehen, wer im Wagen bei mir saß und setzte den Schlaf ununterbrochen fort. — Als ich erwachte, wunderte ich mich über meine Reisegesellschaft. Mir gegenüber saß Aladdin[185] mit seiner Mutter Morgiane. Aber Aladdin aus der ersten Periode, ein kleiner, dicker, fetter, rundwangiger Junge, der all' die Aepfel und Zwiebacke aß, welche die Mutter in der Tasche hatte, und beständig lustig und unartig war, während sie mit einem traurigen Gesichte da saß, in dem dünnen Kattunmantel fror, und ängstlich daran dachte, wo das Brot herkommen solle, wenn das gegessen sei, woran der Knabe noch mit vollen Backen kaute, während er versicherte, daß es sehr gut schmecke.

Reise durch Savoyen.

Wir kamen durch Savoyen, einem langen, schmalen, von schwarzen Felsenwänden eingeschlossenen Schornstein, wo die Jungen sich darin üben, horizontal zu klettern, bevor sie es in Paris perpendiculär versuchen. Ich hatte gerade kurz vorher in Genf Dalayrac's Singspiel, die zwei kleinen Savoyarden gesehen, und in vielen hübschen Jungen glaubte ich meine Freunde Pietro und Joseph wiederzuerkennen. Eine große, gekräuselte Wolke flog hoch in der Luft über das Thal hin; sie schien mir der herrliche Held Prinz Eugen mit dem Federhut, der Allongenperücke und dem gezogenen Schwerte zu sein.

Lange Zeit begegneten wir nichts Anderm, als unter ihrer Bürde seufzenden Eseln und Eseltreibern; endlich galloppirte ein französischer, stolzer Kriegsmann, mit sonnenverbranntem Angesicht an uns vorüber. Ich fing an, Betrachtungen über den Unterschied zwischen diesen Menschen anzustellen, als ein Eseltreiber sich der Diligence näherte und mit klagender Stimme bat, dem Franzosen um Gotteswillen zu Hülfe zu kommen; denn er sei vom Pferde gestürzt und habe sich den Kopf gefährlich verletzt. Der Mann lag wirklich unfern davon ohne Bewußtsein da. Als er endlich wieder zu sich selbst gekommen war, fing er an bitterlich zu weinen, und beklagte seine junge Frau, die ihn so früh verlieren solle. — Bald entdeckte ich, daß er betrunken, daß Das, was ich für Sonnenverbranntheit gehalten, Branntweinsröthe sei, und daß ihn mehr der Rausch, als seine Wunde incommodirte. Wir nahmen ihn mit in den Wagen, und brachten ihn zu seiner Frau in die Stadt. Sie wunderte[186] sich nicht sehr über diesen Zufall und ist wahrscheinlich daran gewöhnt gewesen, ihren Mann oft mit Beulen und Wunden nach Hause kommen zu sehen.

Eindruck der savoyischen Alpen.

Wie erstaunt war ich, als ich am nächsten Morgen früh, da ich die Augen aufschlug, mich mitten im Winter unter Eis und Schnee sah. Ich hatte bereits schöne Frühlingstage in Genf erlebt; hier auf dem Mont Cénis war es wieder Januar.

Nichts von Allem, was ich auf meiner Reise gesehen habe, machte einen so tiefen Eindruck auf mich, wie die Alpen: sonst hatte die Phantasie mir stets im Voraus schon ein Bild des Gegenstandes entworfen, das stets übertrieben war; und deshalb mußte mich erst eine genaue Bekanntschaft mit dem Gegenstande dahin führen, die schöne Wirklichkeit den nebelhaften, grenzenlosen Träumen vorzuziehen. Aber hier hatte die Phantasie nicht übertreiben können; denn die Natur war gewaltiger und wilder, als die Geburt der unbändigsten Phantasie; und die ungeheure Kraft der Wirklichkeit ließ alle Nebel, wie die schwachen Schatten vor dem Lichte verschwinden. Die Granitphantasieen des Schöpfers machten mich in heiliger Ehrfurcht beben. Mein eigener Körper erschien mir, von all' diesen festen Felsenblöcken umgeben, so locker und los zusammenzuhängen, daß ich fast nicht wagte, meine Glieder zu bewegen, aus Furcht, daß sie wie wurmstichiges Holz auseinanderfallen würden. Hier war keine Spur der Geschichte; seit Jahrtausenden war Nichts verändert. Nur der herrliche, bequeme Weg, der Italien mit Frankreich verbindet, schlängelte sich die Klippen entlang, bald wie eine Terasse am Abgrunde aufgeführt, bald als Höhle durch den Fels gebohrt; Napoleon's merkwürdigstes Denkmal, unvergänglich, wie die Pyramiden des Nils, und eben so nützlich, wie diese eitel und unnütz.

Aber ich dachte auch an andere Helden, während ich die fernen, dunkeln Flecke auf der Steinwand betrachtete, die wie Moos aussahen, aber ungeheure Tannenwälder waren. Auch meiner Voreltern, der Cimbern, Teutonen, Longobarden, Gothen[187] gedachte ich; auch des tapfern Hannibal. Alle klommen diese Alpen hinauf und glitten dann an ihren Schilden hinab, ohne einen andern Weg zu haben; aber Viele blieben auch liegen.

Auf italienischem Boden.

Unser Schlitten glitt schnell von dannen, und ich machte in Gedanken die ganze Reise mit dem Grafen Benjowsky und seinem Verfasser Kotzebue nach Sibirien mit. Aber ich lachte mir doch ins Fäustchen; denn ich wußte, daß mein Sibirien Italien, mein Tobolsk und Kamtschatka, Florenz und Rom sei. Hoch oben auf der Bergstraße steht ein Haus, wo der Commandant die Pässe durchsieht, und fromme Mönche Punsch und Kaffee den Reisenden ohne Bezahlung darbieten. Es ist schön, in der ungastfreien Natur solch eine menschliche Gastfreiheit zu finden, gewöhnlich ist's umgekehrt. Doch genoß ich diese Gastfreiheit nicht; ich zog es vor, sitzen zu bleiben und in meinem warmen Pelz zu schlafen. Später ging es rasch bergab. Der Schnee hörte nach und nach auf. Der Abend war außerordentlich schön, die nackten Steinmassen wichen zurück; die Vegetation begann mit doppeltem Blühen, und der Gedanke: „Nun bist Du in Italien, wo die Citronen blühen, und die Goldorangen glühen,“ setzte Allem die Krone auf. Es schien mir, nachdem diese gewaltige Scene überstanden war, als ob sich nach und nach eine neugeschaffene Erde aus dem öden Chaos erhob. Dort landete Noah in der Arche auf dem Ararat; bei jener Höhle saßen Deucalion und Pyrrha unter dem Baume. Hier spielten Baldur und Vidar mit den im Grase gefundenen Würfeln, und der frühere Kummer und die Beschwerden des Lebens schienen ihnen, wie ein verschwundener Traum.

Eine prosaische Ansicht. Turin.

Ein altmodischer, französischer Kaufmann saß bei mir im Wagen. „Welch ein Werk!“ rief er aus, „welch' ein Meisterstück!“ Ich glaubte, er meine die Natur und Schöpfung, er aber meinte nur den Weg. Er war ärgerlich über die Italiener und konnte nichts Italienisches leiden. Stets schwieg er, wenn ich begeistert bewunderte, bis wir ins Thal kamen und einigen Kühen mit großen Hörnern begegneten. „Seh'n Sie mal,[188] mein Herr!“ rief er, „wie monströs Alles in diesem verfluchten Lande! wie übertrieben! — Die Leute haben hier gar keinen Geschmack.“ — „„Aber was wollen Sie denn in Italien, mein Herr?““ — Er zuckte mit den Achseln und seufzte: „Geschäfte!“ — „„Freilich,““ dachte ich, „„dann muß man zuweilen mit Geschmacklosigkeit und großen Hörnern vorlieb nehmen. — Sollten Sie wohl glauben,““ sagte ich nach einigem Schweigen, „„daß es einmal Menschen gab, die diese Berge überstiegen, als noch gar kein Weg vorhanden war?““ „Das sind dann wohl einzelne Wagehälse und Engländer gewesen.“ — „„Nein, ganze Nationen!““ — „Das muß dann in den fabelhaften Zeiten geschehen sein!“ sagte er mißtrauisch.

In Turin hätte ich mich beinahe verirrt, weil alle Häuser und Straßen da einander gleichen; es ist Alles sehr prächtig, aber monoton und menschenleer. Ich ging ins Theater; das hatte nicht viel zu bedeuten. Am nächsten Tage besah ich das große Opernhaus zum Ersatz, weil keine Oper gegeben wurde. Ich guckte in den finstern ungeheuren Raum hinein. Um mich etwas zu amüsiren, zeigte man mir die Maschinerie. Das half nicht viel. Mein einziger Trost war eine große Trommel, auf der ich einige Donnerschläge und Kanonenschüsse, wie ein zweiter Jupiter oder Napoleon, anbrachte. — Draußen regnete es. Hier fand ich zwar die Sonne wieder; aber unecht vergoldet, in einen Winkel hingeworfen und ihre zerrissenen Pappstrahlen mit Staub bedeckt. — Darauf zeigte man mir ein Druckwerk, durch das man wirklich nicht blos poetisches Wasser auf die Bühne bringen konnte. Man konnte auch den Hintergrund öffnen und die Zuschauer in die wirkliche Welt hinausblicken lassen, wenn der allzulange Aufenthalt im Reich der Phantasie ihnen Heimweh nach Dem geweckt hatte, was sie „besser und bequemer zu Hause“ hatten. Denn es geht dem großen Haufen, wie den Seehunden: sie können sich wohl einige Stunden lang auf den Steinen sonnen, die am Strande der Poesie liegen, aber sie müssen bald wieder in das (nicht salzige, sondern süße) Wasser der[189] Prosa. Am stolzesten war der Vorzeiger des Pferdestalls, von wo aus die vierbeinigen Komödianten (eigentlich Tragiker, denn sie spielen nur in der Opera-Seria) auf die Bretter hinauskommen und in den musikalischen Haupt- und Staatsactionen agiren. In Berlin und andern Orten hat man auch Theaterpferde; es war mir nichts Neues.

In Turin besuchte ich Herrn Bonzanigo, einen Sculpteur en bois, wie er sich nannte; aber er schnitt auch sehr hübsche Sachen in Elfenbein aus. Er hatte wahres Talent und viel Erfindungsgabe, ein artiger alter Mann. — „Man muß Genie haben, um solche Dinge hervorzubringen,“ sagte ich zu ihm. „„Ja gewiß,““ entgegnete er ernst und freundlich, „„viel Genie.““ — Es lag durchaus keine Arroganz, keine Prahlerei in seinem Tone. Er betrachtete das Genie als eine nothwendige Bedingung für Kunstwerke. Derjenige, der keines hätte, meinte er wohl, müßte es lieber unterlassen, und darin hatte der alte Mann Recht.

Die Reisegesellschaft nach Mailand.

Ich reiste mit einem Vetturin nach Mailand. Im Wagen traf ich wieder meinen französischen Kaufmann, und ein ganz wohlgekleidetes Frauenzimmer, eigentlich ein Dienstmädchen, die nach Mailand reiste, um — wie wir später erfuhren — Kindermädchen zu werden. Sie erzählte uns, daß sie in einer kleinen französischen Stadt geboren sei, die ihren Namen nach einem wilden Mann führe, welcher in alten Tagen ganz nackt im Walde gefunden worden sei.

Ein närrisches, kleines Ding von 38 Jahren! Als sie sah, daß wir höflich gegen sie waren, gab sie sich gleich Damen-Airs, und holte eine Schachtel heraus, in der ein Spiel Karten lag. Ihre Schürze heftete sie mit Stecknadeln an unsere Knie an und auf diesem Tisch lud sie uns ein, Mariage zu spielen. — Es schien, als ob sie Lust hätte um Geld zu spielen, um das Spiel interessanter zu machen; aus Eigennutz war es nicht, denn sie verlor beständig. Deshalb wollten wir auch nicht um Etwas spielen. Der alte Kaufmann, der sich darüber freute, eine Landsmännin[190] in dem armseligen Italien zu finden, bat sie, etwas zu singen. „Sie haben gewiß eine schöne Stimme!“ — Das ließ sie sich nicht zwei Mal sagen. Mit einer Prise Tabak in der einen, und den Karten in der andern Hand, fing sie nun an, wie eine Nachtigall zu schlagen. Es war eine Romanze, in der viel von tendresse und einem traître vorkam, der seine Geliebte verlassen hatte.

Das „provisorische Kindermädchen.“

So singend und zuhörend kamen wir nach Chivasco, wo das provisorische Kindermädchen die Honneurs bei Tisch machte, aber mit den Zurichtungen unzufrieden war. Sie erzählte uns, daß sie lange in einem Kloster gelebt habe, ohne doch das Klostergelübde abgelegt zu haben, wo an den großen Festtagen das ganze Personal, von der Priorin bis zu der fille du bassecour (wahrscheinlich sie selbst), in dem großen Refectorium gespeist hatte.

In Cilano brachten wir einige Stunden in der Nacht zu. Hier schlief ich in einem großen Zimmer mit zwei andern Betten außer dem meinigen. In dem einen lag der alte französische Kaufmann, in dem andern ein junger, fremder Italiener. Hier hatte ich wieder meine alte Räubervision und sprang zum Bette heraus. — Glücklicherweise schrie ich nicht; denn sonst wäre gewiß das ganze Haus in Aufruhr gekommen, hier in einem Lande, wo Räuberabenteuer nichts ungewöhnliches sind. Freilich hörte man damals weniger, als jetzt von dergleichen; die strenge französische Polizei jagte den Verbrechern Furcht ein und verminderte zum Theil die Gewaltthätigkeiten und die Unsicherheit auf den Landstraßen. Endlich kamen wir nach Mailand und waren Alle froh, nur nicht unser Gesellschaftsfräulein; sie sollte nun in Dienst gehen, und das kurze Damenleben war vorüber; sie weinte, als sie Abschied von uns nahm.

Der „bezahlte“ Schlingel. — Das Gerücht.

Unser Vetturin, ein großer, langer, ernster Mann im grünen Ueberrock, mit einem schwarzen Zopf im Rücken, war auf der Reise einmal so nachlässig und langsam gewesen, daß wir erst lange nach dem Ave Maria in die Herberge kamen; was[191] immer sehr gefährlich in Italien ist; denn nach dem Ave Maria sind die Landstraßen nicht mehr vor Räubern sicher. Ich hatte ihn deshalb einen Schlingel genannt. Kaum war das Wort gesagt, so that es mir leid. Er war sonst ein ehrbarer, gravitätischer Mensch und glich mehr einem Herrn, als einem Diener. Er schwieg und sah mich ernst an. Ich dachte an die italienische Rache und mir wurde darum nicht gut zu Muthe. Indessen ging Alles gut bis Mailand hin. Der Vetturin trat höflich ins Zimmer zu mir, um sein Geld zu holen. Ich grüßte ihn freundlich, bezahlte ihm die bestimmte Summe, darauf das Trinkgeld und legte noch einen Scudo obenein hin. Er strich das Geld ein, nahm darauf den einzelnen Scudo, sah erst ihn, dann mich an, und sagte, indem er fortging, mit einem gutmüthigen, bedeutungsvollen Lächeln und einer kleinen Verbeugung: „Das war für den Schlingel!“

Die Italiener haben ein zartes Ehrgefühl; man muß sich hüten, sie zu verletzen, und lieber ihre Faulheit und Nachlässigkeit ertragen. In Mailand erfreute es mich am meisten, den großen Marmordom, ganz gothisch, oder altdeutsch, jenseits der Alpen zu sehen, ein kräftiges Denkmal deutschen Einflusses hier im Mittelalter. Ich habe bereits gesagt, daß ich keine Reise, sondern mein Leben schreibe, und deshalb eile ich rasch über die Merkwürdigkeiten hinweg, über die man in hundert Büchern lesen kann. — Das kann ich mit Bestimmtheit sagen: Ich habe Vieles aufmerksam betrachtet und gefühlt, dessen ich hier nicht erwähne; was als Gegensatz manchem andern Reisenden dienen kann, der aus andern Werken über Dinge abschreibt, die er nie gesehen hat.

In Mailand. — Landsleute.

In Mailand traf ich den jetzt verstorbenen Theatermaler Wallich aus Kopenhagen; er führte mich im Schauspielhause in eine Loge zu mehreren vornehmen Damen, welche begierig waren, den jungen Dänen zu sehen, „der Frau von Staël Holstein heirathen sollte.“ Ich bat Herrn Wallich um Gottes Willen, den Damen diesen Traum zu benehmen, und begriff nicht,[192] wie solch leere Gerüchte über die Alpen gekommen sein konnten. Aber je leerer ein Gerücht ist, desto leichter fliegt es. — Wie bekannt, empfangen die italienischen Damen in den Logen Besuche; auf das Schau- oder eigentlich Singspiel achten sie nur wenig, außer, wenn eine beliebte Bravourarie gesungen wird. Bei diesen schönen, artigen Damen traf ich auch den Maler Rossi, der das herrliche Bild, das Abendmahl, von Leonardo da Vinci copirte. Eigentlich mußte er rathen, wie es in Santa Maria della Gracia ausgesehen habe; denn erst mit Kalk überweißt, und dann wieder halb abgewaschen, sind die Farben kaum kennbar; nur die Umrisse haben sich einigermaßen erhalten.

Ich hatte das Vergnügen, noch einen Landsmann, Herrn Dalgas, zu treffen. In Mailand sah ich zum ersten Male eine Opera buffa: le nozze di Lauretta, sehr gut gegeben, mit allen Lazzis und dem lustigen Uebermuth der italienischen Laune. Dies ist echt italienisch! Ihre Seria ist eine schlechte, verzeichnete Copie der griechischen und römischen; und die Musik größtentheils gleich uncharacteristisch obwohl häufig prächtig und wohlklingend. Den Tag darauf sah ich eine Hinrichtung. Ein elender, bleicher, zitternder Räuber wurde guillotinirt. Der kräftige, rothwangige Scharfrichter, malerisch gekleidet, mit einem breiten runden Hute über dem grünen Haarnetze, stach wunderlich gegen jenes elende Geschöpf ab, das, in Lumpen gehüllt, auf einer hölzernen Trage herbeigeschafft wurde, während ein Mönch neben ihm herlief, und ihm einen Holzschnitt des Gekreuzigten, auf ein Stück Pappe geklebt, wie einen Fächer vors Gesicht hielt. — Als das Haupt des Sünders abgeschlagen war, nahm der Scharfrichter sein Taschentuch und steckte es unter sein eigenes Kinn, als ob er barbirt werden sollte. Aber er that es, um nicht blutig zu werden, indem er das Haupt auf eine Eisenstange steckte, unter der der Name und das Verbrechen des Hingerichteten mit großen Buchstaben stand. — Kaum hatte ich den Namen „Raphael“ gelesen, als ich von dannen eilte.[193] Es schmerzte mich, den großen Namen entheiligt zu sehen. Ich hatte erst kurz vorher ein vortreffliches Bild von Raphael d'Urbino aus seiner ersten Periode: Joseph's und Maria's Abschied bewundert.

Hinrichtungen.

Es ist gewiß, daß ich, obwohl mir nicht Gemüth fehlte, in meiner Jugend Neigung hatte, den Hinrichtungen beizuwohnen. Das Entsetzen, welches damit verbunden war, hat etwas Stachelndes und Anziehendes. Die Phantasie trieb ihr Spiel. Die Menge der Frauenzimmer eilt gewöhnlich aus einem andern Grunde, einem falschen Gefühle, dorthin, welches sie bewegt. Sie gehen zu einer Hinrichtung, wie sie zu einer Tragödie gehen, um über Etwas weinen zu können. Ich aber weinte nicht. In einer frühern Periode war ich so eifrig auf dergleichen versessen, daß ich, als Herzlein (ein Goldschmied, der seine Geliebte aus Eifersucht erschossen hatte) geköpft werden sollte, auf einen großen sentimentalen Glasermeister schimpfte, der im Gedränge vor mir stand, und mich durch seine Bewegungen beinahe daran verhindert hätte, die Hinrichtung zu sehen. Aber ich sah sie; und als der Unglückliche im letzten Augenblicke verzweifelt sein Auge gen Himmel aufschlug, ehe er sich auf den Block legte, lief es mir kalt den Rücken hinunter. Als ich nach Hause ging, fühlte ich mich so matt und abgestumpft, als ob ich all' meine Seelenkräfte verloren hätte, und als ein so vergängliches Nichts, wie das dürre Gras, auf das ich trat. Am Abend, als ich mich in der Sommerdämmerung im Dunkeln auskleidete und das Auge zufällig in den Spiegel fiel, erbebte ich vor mir selbst in den bloßen Hemdärmeln. Es war mir, als ob ich mich auskleidete, um hingerichtet zu werden. Es vergingen mehrere Tage, ehe ich mich fassen konnte. Und doch sah ich andere Hinrichtungen. Einen Mordbrenner, der nach dem Köpfen verbrannt wurde, wollte ich auch sehen; dieses Mal aber ging ich fort, ehe er kam, als ich den Scheiterhaufen erblickt hatte. Dagegen sah ich einen Seecapitain, den der Pöbel Capitain „Rührei“ nannte, weil er in diesem Gericht seinen Schwiegervater vergiftet hatte; zugleich mit[194] einem andern Mörder, einem Matrosen, hinrichten. Man erzählt, daß, als sie zum Tode gingen und Abschied von einander nahmen, der Matrose mit einem frommen Gefühle sagte: „Lebewohl! Wir sehen uns droben bald wieder!“ worauf Capitain Rührei kalt antwortete: „Hm! das ist nicht so gewiß!“ — Ich glaubte, ich würde ein häßliches, finsteres Haupt auf der Stange sehen; aber es war ein hübsches Gesicht, fast wie das eines Mädchens, mit blondem, lockigem Haar.

Todesstrafe.

Man hat soviel für und gegen die Todesstrafe geschrieben. Mir scheint, daß die Nothwehr und die Selbstvertheidigung der menschlichen Gesellschaft sie unentbehrlich machen. Raubmorde würden freilich vermindert werden, wenn der Räuber bei dem einfachen Raube nicht mehr sein eigenes Leben wagte; aber der Rache- und Feindesmord würde vermehrt werden, wenn der Brutale und Böse wüßte, daß er durch den Mord des Verhaßten sich nur einer Gefangenschaft aussetzt, aus der eine gewandte Flucht ihn befreien kann. An die beständige Besserung des in Grund und Boden Verderbten zu denken, ist eine fromme Illusion. Der Verbrecher wird mit einem so guten Gefühle und so vortrefflichen Grundsätzen, wie ein frommer Geistlicher sie ihm geben kann, in das andere Leben hinübergeführt. Er wird aus der Gesellschaft ausgeschlossen, deren Mitglied zu sein, er nicht mehr würdig ist! Aber wir glauben ja an ein ewiges Leben! Nur wer an der Unsterblichkeit zweifelt, findet die Todesstrafe in jedem Falle grausam und unmenschlich. Freilich kommt es dabei weit mehr auf die Beweggründe, als auf die Handlung selbst an, und deßhalb müssen edle, weise Richter hierbei prüfen und entscheiden.

Daß die Anwendung der Todesstrafe wegen Mordthat in Italien von außerordentlicher Wirkung war, so lange Napoleon's Gesetze galten, wissen Alle, welche Gelegenheit hatten, den Zustand im Lande damals und später kennen zu lernen. Ein Italiener versicherte mir, daß in seiner Jugend eine große Menge junger Leute in dieser Gegend Morde begangen und sogar damit geprahlt[195] hätten. Nach Napoleon's Zeit wimmelte es wieder von Räubern und Mördern auf den italienischen Landstraßen. Der abscheuliche Menschenfang kam auf, und wenn sich die Fortgeführten nicht durch großes Lösegeld freikauften, so wurden sie gemordet, ja zuweilen erst gepeinigt. Damals, als ich reiste, wurden alle Räuber ohne Barmherzigkeit gleich hingerichtet und die Folge davon war, daß die Wege bald viel sicherer und die Reisenden viel seltener geplündert wurden. Indessen war es doch noch nicht vorbei. Einige Tage darauf, als wir von Mailand nach Lodi reisten, begegneten wir achtzehn gefangenen Räubern in Ketten, und als wir den Führer fragten, welches Schicksal ihrer harre, machte er mit dem Finger ein Zeichen um den Hals.


Die Dorfwirthshäuser.

Diese Gegenden sind gefährlich, obgleich weder Felsen noch Höhlen da sind; aber man fährt mehrere Meilen weit durch öde Gegenden mit dichten Weidenhecken an beiden Seiten. In dieser Einsamkeit können die Reisenden leicht überfallen werden; die Räuber verbergen sich gleich in den Hecken und die wenigen Bauern, welche hier und da wohnen, wagen es nicht, den Räubern hinderlich zu sein, stehen wohl auch oft mit ihnen im Bündniß.

Jetzt wurden wir in vielen Wirthshäusern vollständig von der schlechten Lebensweise des italienischen Landvolkes überzeugt, von der wir soviel gehört hatten, an die ich aber nicht recht glauben wollte. Konnten sie auch nicht Steine in Brot verwandeln, so verwandelten sie doch wenigstens Brot in Stein. Ein Wirthshaus führte in seinem Schilde eine Katze, die eine Maus zwischen den Krallen hielt. Sehr einladend! Und hätten wir uns daselbst mit Mäusen begnügen wollen, so hätte es uns auch nicht an Wild gefehlt.

In besseren Wirthshäusern mußten wir Freitag und Sonnabend fasten, doch wurden größtentheils Fleischspeisen auf einem besondern Tisch für die Ketzer und für Diejenigen angerichtet, welche Dispensation erhalten hatten. Es wurde dann gefragt:[196] ob man magro oder grasso speisen wollte. In San Domino verführte ich eine junge Römerin, die sehr hungrig war, an einem Freitage Fleisch zu essen; aber meine Sünde wurde auch in der nächsten Nacht auf folgende Weise bestraft.

Bestrafte Ketzerei.

Wie ich im besten Schlummer lag, klopfte es an meine Thür, und der Hausknecht trat mit einer Laterne herein, um die Hiobspost zu verkünden, daß ich aufstehen müsse, der Kutscher wolle weiter fahren. Ich sprang aus dem Bett, und fing an, mich anzukleiden; aber als ich nach der Uhr sah, war es erst 3, und ich wußte, daß wir erst um 5 Uhr weiter sollten. Ich lief in den Hof hinunter, in der Hoffnung, daß ich wenigstens die Fuhrmannsscene aus Shakespeare's Heinrich IV. aufgeführt sehen würde. Aber da war kein Mensch. Endlich entdeckte ich den Irrwisch. — Er sagte ganz ruhig, daß wahrscheinlich eine andere Herrschaft fort müsse und ging seiner Wege. — Ich legte mich von Neuem zur Ruh; aber kaum war ich eingeschlafen, als der unruhige Kobold wieder vor meinem Bette stand. „Nun sei es richtig,“ meinte er. Ich sprang wieder auf, sah nach der Uhr und diese zeigte auf 4. Als ich sie ans Ohr gehalten und mich überzeugt hatte, daß sie richtig ging, fing ich an, den Kerl zu schelten, der so unrichtig ging; nahm mich aber doch in Acht, ihn beim rechten Namen zu nennen. Ich legte die Uhr wieder unter mein Kopfkissen und schwor darauf, daß ich nun nicht vor 5 Uhr aufstehen würde. Das Gespenst ließ sich nicht wieder sehen, und hätte ich nicht selbst aufgepaßt, so wäre der Wagen wahrscheinlich ohne mich fortgefahren. Ich nahm mir diese Warnung ad notam und habe es seitdem nie wieder versucht, Katholiken zur Ketzerei zu verführen.


Parma. — Correggio's Frescomalereien.

In Parma sah ich in San Giuseppe und San Giovanni Correggio's Frescomalereien. Während ich nach der herrlichen Wölbung, mit der Brille auf der Nase, hinaufblickte, füllte sich die Kirche nach und nach mit Andächtigen, welche rund um mich herniederknieten.[197] Ich wollte kein Aufsehen erregen, und mochte auch nicht mit ihnen knieen, weil das affectirt ausgesehen haben würde; ich ging nun in einen Winkel, wo mich Keiner bemerkte, und da betete ich auch auf meine Weise. Ich finde dieses Gebet in meinem Tagebuche mit einigen Bemerkungen über Kunst niedergeschrieben, die hier unrecht angebracht sein würden. Das Gebet in San Giovanni war ungefähr folgendes: „Guter Gott! bewahre mein Herz offen und rein, daß es Deine Größe, Güte und Schönheit in Natur und Menschenwerken zu erkennen vermöge. Beschütze mein Vaterland, meinen König, meine Geliebte, meine Freunde! Laß mich nicht im fremden Lande sterben; sondern glücklich in meine Heimath zurückkehren. Gieb mir Munterkeit und Muth, meine Bahn auf Deiner schönen Erde zu wandeln, ohne krankhaft und bitter meine Feinde zu hassen, ohne mich sclavisch und feig den Vorurtheilen der Welt zu unterwerfen. Schenke mir stets Dichterkraft! Du hast meinen Geist für die Kunst geschaffen, und dies ist das stärkste Sehrohr, durch das ich Deine Herrlichkeit schauen kann. Laß mich nach meinem Tode in meinen Werken leben, gleich diesem guten Correggio, so daß, wenn ich Staub bin, noch manche jugendliche Brust durch meine Gesänge begeistert werden könne!“

So ungefähr betete ich unter Correggio's Kuppel; und damals entstand wieder der Gedanke klar in meiner Seele, ein Schauspiel über ihn zu schreiben. Die Idee dazu war mir bereits in Paris gekommen; und später in Modena, als ich das kleine Frescogemälde über dem Kamin in dem Palast des Herzogs sah, welches Correggio gemalt haben soll, als er erst siebenzehn Jahr alt war, wurde der Entschluß gefaßt.

Ein Engel bietet auf diesem Bilde dem kleinen Jesus Kirschen in einer Schale dar; auf dem Schooße seiner Mutter ißt er davon. Die Schönheit, Liebenswürdigkeit und Unschuld, besonders in den Gesichtern des Engels und der Maria, können nicht herrlicher ausgedrückt sein. Noch sieht man auf dem Bilde Joseph und einen andern Mann. Joseph hält ein Spielzeug in[198] der Hand, eine Stadt (vermuthlich Jerusalem), ähnlich den jetzigen nürnberger Spielsachen. Zwei Kaninchen spielen zu den Füßen des Engels. Junges Myrthenlaub wächst im Hintergrunde. Kann man sich etwas Anmuthigeres, Naiveres denken? — Man hat eine Legende von Jesus, wie er als Kind kleine Vögel aus Ton machte, die zu fliegen begannen, als er vor Freude über sie in die Hände klatschte. Das Gemälde hier ist ganz in demselben Geiste, und hätte Correggio auch nichts Anderes der Art gemalt, so wäre das schon genug, um seinem Verhältnisse zu Weib und Kind in meinem Trauerspiele historische Wahrheit zu geben.


Bologna.

In Bologna haben die Häuser ebenso wie in Bern Bogengänge längs der Straßen, nur viel schöner. — Ich sah hier das alte französische Lustspiel, Advocat Patelin, von französischen Schauspielern sehr gut aufführen. — Die herrlichen Kirchen erhoben und freuten mich durch ihre großartigen Verhältnisse und ihren schönen bunten Marmor. Neptun, von Giovanni, steht auf dem Markt mit dem Fuße auf einem Delphin, mit seiner Quos ego-Miene und dem mächtigen Dreizack in der Hand. Ueppige Najaden sitzen zu seinen Füßen und drücken mit hübschen Händen das Wasser aus der vollen Brust. Knaben spielen mit Delphinen, überall sprudelt das Wasser reichlich.

Kunstwerke, Naturschönheiten.

In der Kirche St. Petronio stellte ich meine Uhr nach einer seltsamen Sonnenuhr. Durch ein Loch in dem Kirchengewölbe fällt der Lichtstrahl, gerade wenn die Uhr zwölf schlägt, auf ein Marmorkreuz auf dem Fußboden der Kirche, genau in die Mitte des Kreuzes. Ich sah in Bologna die anatomischen Wachsfiguren. Obgleich diese wohl für einen Anatomen ex professo bei Weitem nicht so nützlich sind, als der wirkliche Menschenkörper, so eignen sie sich doch sehr, einem gebildeten Menschen,[199] der nicht Anatomie studirt hat, Kenntniß von seinem eigenen Körper zu verschaffen. Das Widerliche verschwindet ganz, indem man Fett, Fleisch und Knochen hübsch gefärbt und im reinen Wachse sieht. Man bewundert das Kunstwerk des Schöpfers, ohne von dem Gedanken an die eigne Vernichtung niedergebeugt zu werden. Doch können selbst wirkliche Theile des menschlichen Körpers durch die Reinlichkeit des Präparats und eine hinzugesetzte hübsche Farbe das Unangenehme verlieren. So sah ich einmal bei einem Arzte gut zubereitete Menschenknochen, in Kalk ausgekocht, die wie die schönste Drechslerarbeit aussahen, und ich wurde recht an Benvenuto Cellini erinnert, welcher will, daß Kinder die Zeichnenkunst damit beginnen sollen, daß sie das schöne Menschengerippe, wie er's nennt, nachbilden. Ja wahrlich! Nur die Todesfurcht, der Gedanke an unsere eigne Auflösung macht uns den zergliederten menschlichen Körper zuwider; sonst würden wir hierin mehr als in einem andern Gegenstande die Weisheit des Schöpfers bewundern. — Ich sah in Bologna viele Gemälde und ein herrliches Kunstwerk in Silber von Benvenuto Cellini, die Abnahme Christi vom Kreuze.

Wenn man über die Alpen kommt, fühlt man sich geneigt, die Apenninen mit Remusaugen zu betrachten, als ob sie nur eine Romulusmauer wären; doch war es in diesen Bergen kälter als ich geglaubt hatte; und als wir höher hinaufkamen und der Berg uns seine nackte Stirn zeigte, bekamen wir Ehrfurcht vor ihm.

In dem schattigen Felsenrisse schlummerte noch eine nordische blonde Riesin; das Gebüsch verbarg nur halb ihren weißen Schneekörper. Sie war gleich einem Zugvogel von Thule nach Italien geflogen und hatte sich hier verspätet. Wir sahen ihr Schicksal voraus. Bald würde Phöbus Apollo sie mit seinem brennenden Pfeile treffen und ihr klares durchsichtiges Blut würde in den Arnostrom dahinfließen. Wild und übermüthig haben die Cyclopen in ihren Freistunden hier mit den Felsen Kegel gespielt. Vulkan muß sie plötzlich wieder zur Arbeit[200] zurückgerufen haben; denn Kegel und Kugel liegen in größter Unordnung neben einander. Ich glaube, daß es hier noch zuweilen spukt; man versicherte mir, daß ein kleiner Kobold noch zuweilen seine rothe Flammenzunge, wenn es regne, aus dem Schooße der Erde stecke, um seinen Durst zu löschen.


Florenz: Kunstwerke.
Die Statuen von Caligula und Nero.

In Florenz hielt ich mich 14 Tage auf und hatte also Gelegenheit, die Merkwürdigkeiten dieser schönen Stadt zu sehen, besonders da ich ohne Gesellschaft war und mich vom Morgen bis Abend damit beschäftigte, Alles von Wichtigkeit kennen zu lernen. Freilich regnete es mehrere Tage stark, dies verhinderte mich aber nicht daran, nach Bruneleschi's großer Domkirche zu gehen und das Basrelief auf den erzenen Thüren des Battisterio zu betrachten. In meiner Romanze, die Rosenbäume, habe ich eine alte Legende mit meinen Erinnerungen an die alte Domkirche vereinigt. Da ich Niemand in Florenz kannte, kurz vorher Benvenuto Cellini's Leben, und vor nicht langer Zeit Boccaccio's Novellen gelesen hatte, so lebte ich hier wie im 5. oder 6. Jahrhundert. Ich ging an jedem Tage an dem Palazzo vecchio vorüber, besuchte die Logen, wo Benvenuto's Perseus steht; ebenso Cosimo de Medicis Statue von Giovanni Bologna; und nichts konnte mich aus dem Traume erwecken. Alles deutete auf die alte Zeit hin. — Ich besuchte die Mönche im Kloster und sah sie in ihrem Laboratorium Heilmittel zubereiten; ich hörte Musik in den Kirchen. Zuweilen begegnete ich einem Leichenzuge mit dem Todten auf offener Bahre; die Priester gingen mit angezündeten Lichtern und die Straßenjungen mit kleinen Düten nebenher, indem sie das herabtröpfelnde Wachs auffingen. Ich sah Michel Angelo's David vor dem Palaste und in den Galerien die langen Büstenreihen der Mediceer, so wie die Büsten der römischen Kaiser, wo Nero's fettes, gemeines Gesicht, und Caligula's unverschämter, spitznasiger Wolfskopf mir so ähnlich schienen, daß sie mich zu einem sonderbaren[201] Einfall verführten. Ich sah mich erst um und als ich mich allein fand, spuckte ich ihnen beiden ins Gesicht. Ich ging oft in dem schönen Hain außerhalb der Stadt spazieren, wo ein Denkmal des Narciß an der Quelle errichtet ist, und hörte die Nachtigall schlagen, was mich sehr erfreute; es war die erste die ich hörte, seitdem ich den Friedrichsberger Garten verlassen hatte. — An dem Sonnabend zwischen Charfreitag und dem Ostertage sah ich den Aufzug mit dem Feuerwagen vor der Domkirche, den ich später in meiner Novelle die Glücksritter benutzt habe. — Das Einzige, was mich aus der alten in die neue Zeit versetzte, war die moderne Opernmusik; denn die Gegenstände selbst: Gerusaleme distrutta und Judith hätten es nicht gethan. Mit meinem Wirth in Aquila nera hatte ich ein Abenteuer, das sich eben so gut in der alten wie in der neuen Zeit hätte zutragen können; denn er betrog mich um Geld.

Man hatte mir sein Haus als das vorzüglichste gelobt, obgleich ich hörte, daß das von Schneider viel besser sei. Der Wirth in Aquila nera kam mir sehr galant, aber auch vornehm entgegen, und erzählte von allen Dänen, die bei ihm gewohnt hatten, besonders von der Dichterin Frau Brun und dem Minister Baron Schubart, der einmal die von Livorno nach Hause reisenden dänischen Matrosen bewirthet hatte, die während der Mahlzeit Hurrah riefen, daß es eine Lust war.

Ein Gaunerstreich.

In den ersten paar Tagen war ich recht zufrieden in Aquila nera. Am dritten Morgen, während ich noch halbwach im Bette lag, hörte ich den Wirth, gleich Jakob von Tyboe auf dem Gange lärmen; er trat sehr geschäftig bei mir ein und bat mich, ihm rasch 5 Louisd'or zu geben; er solle gerade in diesem Augenblicke etwas Gold auszahlen und die Juden hätten wegen des Sabbaths ihre Boutiquen geschlossen. — Ich betrachtete es als eine große Ehre, holte meine kleine Börse und hätte ihm gern mehr gegeben. Solch' ein Mann! der über 30 Jahre der vornehmste Gastwirth in Florenz gewesen war! — Aber er[202] wollte nur 5 Louisd'or haben, das lohne ihm Gott! Sonst wäre ich nicht nach Rom gekommen.

Den Tag darauf wurde das Essen schlechter; ich äußerte mein Mißvergnügen darüber und sagte dem Aufwärter, daß ich mich bei seinem Herrn beklagen werde. „Ah!“ entgegnete dieser und machte mit dem Daumen eine jener ausdrucksvollen Bewegungen, deren die Italiener so viele haben, „il padrono va via!“ — Und nun hörte ich, daß der Mann gerade Bankerott gemacht habe und ein Anderer ihn ablösen solle. — Dieser Andere fing eine neue Rechnung mit mir an und von meinen 5 Louisd'or bekam ich nichts zurück. Freilich begegnete ich einmal dem früheren Wirthe auf der Treppe und erinnerte ihn; aber in seinem vorigen vornehmen Ton sagte er, ohne sich verblüffen zu lassen: „Ach mein Herr! ich habe Sie nicht vergessen; aber ich habe hier viel Geschäfte; das Haus ist groß; die Reihe wird auch an Sie kommen!“ Darauf hatte ich nun keine Zeit zu warten und reiste um 5 Louisd'or leichter ab.


Das Wetter war in der letzten Zeit immer noch schlecht. Um drei Uhr des Morgens fuhr ich am 6. April von Florenz fort. Mein alter französischer Kaufmann, den ich 14 Tage lang nicht gesehen hatte, saß wieder im Wagen und schimpfte auf das italienische Wetter. In einem Hohlwege, ziemlich fern von allen menschlichen Wohnungen, stürzte das eine Maulthier; glücklicherweise kam es wieder auf die Beine. Wir hätten hier wirklich singen können: „Das Maulthier sucht in Nebeln seinen Weg;“ aber wir waren gar nicht aufgelegt zu singen und das hätte uns auch nicht getröstet.

In Siena sah ich die schöne alte Kirche. Unser Kutscher war ein Grobian und ein verrückter Kerl; aber ich nannte ihn doch nicht Schlingel. Außerhalb der Stadt lag ein großer Stein, über den er bald unsern Wagen umgeworfen hätte. Blaß wie eine Leiche im Gesicht und mit funkelnden Augen fing er nun[203] an mit entsetzlichen Flüchen nicht allein alle Einwohner der Stadt, sondern auch ihre Großeltern und Urväter in die tiefste Hölle zu verwünschen.


Der Lago di Bolsena. Schneefall.

Endlich kamen wir nach dem Lago di Bolsena, wo die Menschen alle gelb wie Leder im Gesicht sind, dicke wassersüchtige Wänste tragen, und gezwungen gewesen waren, der schlechten Luft wegen ihre Stadt San Laurento niederzureißen und eine andere weiter oben zu bauen, um nicht vollständig zu crepiren. — Wir fuhren an vielen natürlichen Höhlen vorüber, die mich an Polyphem, Ulysses und Circe, Aeneas und Dido, David und Saul erinnerten. Der beständige Regen verwandelte sich zuletzt in einen Schnee, der fingerdick auf Erde und Bäume fiel. Ich glaubte nun wirklich, daß der Weg nach Tobolsk hinführt und konnte gar nicht fassen, daß wir zwischen Florenz und Rom seien. Aber mein alter Franzose wurde immer froher und froher, weil er nun mit Recht auf Italien schimpfen konnte. Auf unserer ersten Reise in den schönen Tagen, wo Alles lächelte und blühte, war er ganz ärgerlich und verstimmt; er hatte sich damals an nichts Anderes, als an die schlechte Bewirthung und an die großen Ochsenhörner halten können; nun dagegen konnte er aus Herzenslust über „le beau sol d'Italie“ spotten, und dies erleichterte und tröstete ihn unendlich.


In Montefiascone wurde wieder magro gegessen. Wir fragten, ob wir denn gar nicht etwas grasso erhalten könnten? Ein junger Römer, der in der Küche stand und sehr eifrig Eier aß, sagte: „Wir sind hier in einem christlichen Lande, in einem christlichen Lande ißt man am Sonnabend kein Fleisch.“ Mein alter Franzose fragte ihn: „ob er denn glaube, daß wir Juden seien? er solle seine Eier essen und sich nicht um die Diät anderer Leute kümmern.“ Der Italiener sagte, er hätte[204] nur generalmente gesprochen. Ich antwortete: „er würde am besten thun specialmente bescheiden zu sein und generalmente andere Leute essen zu lassen, was sie wollten.“ Darauf ging er sehr höflich rasch seines Weges.

Johannes de Fugger's Grabschrift.

Während wir bei der schlechten Mahlzeit und bei dem noch schlechteren Weine saßen, kam ein deutscher Reisender von der Kirche, wo er das Grab eines berühmten Landsmannes gesehen hatte. Andere Zeiten, andere Sitten und hier wahrscheinlich anderer Wein. Jener deutsche Prälat reiste früher in diesen Gegenden umher, gerade um guten Wein zu finden. Wo er ihn fand, weilte er eine Zeitlang und schrieb an seine Thüre: „Est.“ Besonders in Montefiascone mußte ihm der Traubensaft geschmeckt haben; denn er hatte sich dort zu Tode getrunken und sein Diener setzte ihm folgendes Epitaph:

Est, est, est!
Propter nimium est
Hic Johannes Fugger,
Dominus meus, mortuus est.

Hätten wir viel von dem jetzigen Wein getrunken, so wäre es uns wahrscheinlich ebenso gegangen wie dem seligen de Fugger bei dem Baron von Montefiascone.


Ein Ehepaar.

In Ronziglione ging der Wagen entzwei; wir dankten Gott, daß es nicht mitten auf der Landstraße geschehen war. Während der Kutscher ihn wieder mit Stricken zusammen band, suchte ich in einem kleinen Stalle Schutz vor dem Platzregen, wo ich ein Schaf und einen Esel an die Krippe gebunden fand. Meine müßige Phantasie, von Göttern und Menschen verlassen, ließ mich in diesen Thieren ein altes ehrwürdiges Ehepaar sehen. Der Esel schien mir der Mann, etwas bejahrt, mit vieler Menschenkenntniß, aber zurückhaltend und wenig sprechend, obgleich seine philosophische Miene zeigte, daß es ihm nicht an Nachdenken mangelte. Das Schaf, seine Frau, schien in ihren jungen[205] Jahren eine hübsche Blondine gewesen zu sein; nun hatte aber ihr Teint sehr gelitten und war etwas ins Gelbliche gefallen. Sie schien nicht viel Geist zu besitzen, hatte aber ein gutmüthiges Wesen. Ich fragte den Mann, ob er die neuesten Zeitungen gelesen habe? — Ob es wahr wäre, daß der König von Schweden abgesetzt sei? — Er schwieg. — Ich verdachte es ihm nicht; wer mochte wohl damals, wo das Spionirwesen so stark im Schwunge war, sich mit einem wildfremden Menschen in einen politischen Discurs einlassen? Ich gab dem Gespräch eine andere Wendung, näherte mich der Frau und lobte die italienischen Naturschönheiten. — Sie schwieg — vielleicht aus Bescheidenheit: vielleicht glaubte sie, es sei Spott, weil wir armen Ultramontanen so lange Zeit hindurch das elendste Wetter in Italien gehabt hatten. Darauf fing ich ein galantes Gespräch mit ihr an, lobte ihren blonden Teint und sagte: sie gliche mehr einer Nordländerin als einer Italienerin; ohne Zweifel flösse lombardisches Blut in ihren Adern. — Sie lächelte gerührt. — Gerne hätte ich noch länger bei diesen braven Eheleuten geweilt, die mir so durchaus die Geschichte von „Philemon und Baucis“ ins Gedächtniß zurückriefen; aber — der Wagen war mit Stricken zusammengebunden und wir mußten fort. — Das ist das Unangenehme bei Reisen; kaum ist ein angenehmes Freundschaftsband geknüpft, so wird es bald wieder zerrissen.

Wie gern würde ich hier nun ein schönes Naturgemälde liefern, um den zarten Seelen zu gefallen, die solche humoristische Stallfütterung nicht leiden mögen und nur mit ihren Gefühlen auf schönen Wiesen zwischen Blumen und Blüthen grasen. Aber was kann ich dafür? Es regnet noch immer und der schlecht gebundene Wagen kriecht langsam wie eine Schnecke den Hügel hinauf.

[206]


Ein schönes Wirthshaus.

Den Abend, bevor wir nach Rom kamen, klärte sich der Himmel auf und ich konnte wieder in der Abendkühle spazieren gehen, während der Wagen erst langsam nachkam. Weithin auf dem Felde sah ich das Haus, wo wir cena halten sollten, und ich dachte: „Das ist wieder eins von den gewöhnlichen Hundelöchern.“ Aber — im Gegentheil — das Haus war groß und reinlich; und was noch besser war, auf der Treppe begegnete mir die Tochter des Wirthes mit einem Gesichte, das nicht idealisirt zu werden brauchte. Aber sie verschwand gleich wieder wie eine Sternschnuppe. Als ich ins Zimmer trat und darüber nachdachte, wie ich das schöne Mädchen wieder zu sehen bekommen könnte, hörte ich Jemand auf dem Gange gehen. Ich öffnete die Thür in der Hoffnung, daß sie es sei. Aber eine ganz kleine Haushälterin stand mit einem Schlüsselbunde vor der Thür und fragte, ob der Herr Etwas zu befehlen hätte? — Ich glaubte erst eine kleine Zwergin im Halbdunkel zu sehen, aber als sie näher trat, war es ein liebliches Mädchen von 7 Jahren, die Schwester der verschwundenen Schönen und eigentlich ein Miniaturbild von ihr. Die dunkeln Augen waren fast ebenso groß wie die des Originals; das kleine Mädchen war geputzt, denn es war Sonntag und sie hatte ein grünseidenes Tuch um den Kopf. — Ich nahm sie auf den Schooß, küßte sie und fragte: „Wie heißt Du?“ — „„Sancta!““ antwortete sie und hob die hübsche Hand auf, um mir den Silberring an ihrem Finger zu zeigen. Als ich sie wieder losgelassen hatte, verschwand sie wie eine Elfe; bald aber kam sie mit zwei großen Weinflaschen zurück, die sie auf den Boden setzte, weil sie den Tisch nicht erreichen konnte.

Die erwachsene Schwester kam nicht wieder. Später glaubte ich sie über den Gang mit der Kleinen in ein entfernteres Zimmer gehen zu hören. Ich machte mir ein Geschäft daselbst und öffnete die Thür, um Etwas zu verlangen; hier hatte ich ein schönes Bild:

Ein hübscher dreijähriger Knabe saß auf dem Schooße der[207] Schönen und sie kleidete ihn aus, um ihn zu Bett zu bringen. Während sie ihm das Kleidchen auszog, sagte sie ihm stückweis ein Abendgebet vor, das das Kind nachsagen mußte, um es allmälig auswendig zu lernen. Er that es halb willig aus Gewohnheit, halb verdrießlich, weil er sehr schläfrig war, und half aus allen Kräften beim Auskleiden. Eine hübsche Gruppe, und schön anzuhören! Das Mädchen: „Heilige Mutter Gottes!“ Der Knabe: „„Mutter Gottes!““ Das Mädchen: „Ich bete —“ Der Knabe: „„bete —““ Das Mädchen: „Deine himmlische Macht und Herrlichkeit an.“ Der Knabe: „„und Herrlichkeit an!““ — „Ist das Ihr Bruder, Jungfrau?“ fragte ich. — „Nein, Herr!“ antwortete die Schöne, „es ist mein Brudersohn!“ Ich hätte das Gespräch gern fortgesetzt, nun aber kam die Mutter und sagte mir, daß das Mahl auf dem Tische sei.


Die Kuppel von St. Pietro.

„Das ist die Kuppel von St. Pietro!“ rief wie gewöhnlich der Vetturin, als wir uns endlich der großen Stadt näherten, von der man von Ferne nur sehr wenig sieht, da sie tief im Thale liegt. Roms Umgebung ist eine Wüste. Wir fuhren am Abend zur porta del populo hinein, an dem großen Obelisken vorbei über den Platz, in dem drei lange Straßen münden, deren mittelste der Corso ist. Die schöne Welt der Stadt ging gerade spazieren; es that mir leid, daß wir so bald in eine Seitengasse einlenkten, um nach einem Gasthofe hinzufahren. Von Rom ist bereits so viel erzählt worden, daß es thöricht sein würde, wollte man eine Lebensbeschreibung mit römischen Bildern anfüllen.

Der Ort selbst, die Ruinen und Statuen aus der antiken Zeit, die Paläste und Gemälde aus dem Mittelalter, die südliche Natur, das Volk, die Menge fremder Künstler und Reisender, die blühenden Weiber, Alles vereinigt sich, um Rom interessant zu machen. Aber man muß das Alterthum und die Kunst lieben, wenn man sich hier recht unterhalten soll; denn Rom hat[208] nur wenig von den Vergnügungen einer Hauptstadt, die Carnevalszeit ausgenommen, und die war vorüber.


In Rom; Thorwaldsen. — Die Gebrüder Riepenhausen.

Wir hatten in den ersten Wochen schlechtes Wetter und der Scirocco blies oft heiß. Ich suchte gleich meinen Freund Koës auf, der hier ein ganzes Jahr gewesen war und ging mit ihm nach Thorwaldsen's Werkstatt. Wie froh erstaunte ich nicht, als ich seinen Jason und alle die herrlichen Werke sah. Ich kannte bisher Nichts von seinen Arbeiten und hatte ihn selbst nie gesehen. Wie ich nun vertieft in der Betrachtung dastand und endlich das Auge nach der Seite hinrichtete, bemerkte ich einen ziemlich schlecht gekleideten Mann mit einem regelmäßigen, geistvollen Gesichte, schönen blauen Augen, mit thonbespritzten Stiefeln, der neben mir stand und mich aufmerksam betrachtete. „Thorwaldsen!“ rief ich. „„Oehlenschläger!““ rief er. Wir umarmten und küßten einander und von dem Augenblicke an war die Brüderschaft geschlossen. Ein unbeschreibliches Gefühl durchströmte mich. Ich dachte an unsere barbarischen Voreltern, welche früher ohne Kunstsinn Rom so oft zerstört hatten. Nun umarmten zwei dänische Künstler sich, deren Einer mit den edelsten Griechen sich messen konnte; und in der Brust des Jüngern brannte wenigstens eine kräftige, liebevolle Flamme und jugendlicher Muth, um etwas mehr als das Gewöhnliche zu versuchen. Thorwaldsen und ich gingen seitdem täglich um, und damit wir uns um so seltener zu trennen brauchten, gaben wir uns bei den Malern Riepenhausen in Kost, welche versprachen, uns für billige Bezahlung das Mittagessen zu besorgen. In den Brüdern Riepenhausen fand ich Männer von Talent, besonders in Christel, dem Jüngeren. Sie führten jedes Werk in brüderlicher Vereinigung aus. Damals malten sie eigentlich nicht, sie zeichneten mit schwarzer und weißer Kreide ihre eigenen Compositionen. Sie hatten viele Copieen von alten italienischen Bildern gemacht und man durfte[209] sich nicht darüber wundern, wenn sich zuweilen in ihre Ideen einige Reminiscenzen mischten. Uebrigens waren sie Anhänger der neuen Schule und wir stimmten also nicht immer in unseren Ansichten überein. Thorwaldsen achtete ihr Talent, ohne gerade mit ihnen zu sympathisiren. Einmal als er Mittags mit mir hinkam, lag eine neue Zeichnung von ihnen auf dem Tische. Thorwaldsen betrachtete sie aufmerksam. „Wie findest Du es, Thorwaldsen?“ fragte Christel bescheiden — „„Es ist sehr hübsch.““ — „Findest Du keinen Fehler darin?“ — „„Hm!““ — Christel gab ihm die schwarze Kreide in die Hand; und nun markirte er mit ein paar kühnen Strichen Beine, Kniee, Füße, Ellenbogen und Hände der Figuren, und dadurch hatten sie in einem Augenblick, ehe die Suppe auf den Tisch kam, viel gewonnen.

Ihre Bedeutung als Maler.

Thorwaldsen hatte seinem Vaterlande zu danken, daß er bereits als Knabe unter dem ausgezeichneten Abildgaard vortrefflich zeichnen gelernt hatte, der nicht viel productives Genie besaß, aber das Technische verstand. Später brachte der Meister selbst es zur Vollkommenheit sowohl in der wahren, als in der schönen Natur. Riepenhausen's hatten nie richtig zeichnen gelernt und gewöhnten sich erst nach und nach durch practische Uebung daran, ohne es darin doch weit zu bringen. Sie hatten auch nie malen gelernt. Aber Christel hatte Genie, und das weiß immer trotz Hindernissen und Mängeln durchzudringen. Wenn man eine gerade Linie durch die Bilder der Brüder zog, welche sie in einen obern und untern Theil trennte, so war der obere Theil stets ungleich besser, als der untere, denn die Köpfe konnten sie zeichnen und in diese legten sie den poetischen und characteristischen Ausdruck, der die Verdienste ihrer Bilder ausmachte. An die Köpfe schlossen sich die Schultern und Oberkörper einigermaßen gut an, aber das Untere war oft ganz verzeichnet und die Figuren standen gewöhnlich schlecht auf ihren Füßen. Einmal saß ich bei Christel, als er eine weibliche Figur malte. „Den Fuß müssen Sie kleiner und hübscher machen,“[210] sagte ich. — „„So?““ — „Noch mehr!“ — Endlich wurde der Fuß nach meinem Wunsch, und Christel mußte gestehen, daß ich Recht hatte. Ich wunderte mich darüber, daß er sich so hatte verzeichnen können; denn mir schien, als ob Das, was ich bemerkt hatte, Jedem auffallen mußte, der einen Blick für schöne, edle Formen hatte.

Thorwaldsen zeigte mir viele Kunstwerke, und es freute mich, daß er mir in meinen Ansichten über diese Recht gab, indem er mich zugleich lehrte, das Technische besser zu verstehen. Ich las ihm mehrere meiner Gedichte vor und sie gefielen ihm.


Zusammentreffen mit der Dichterin Brun.

Die Dichterin Frau Brun traf ich mit ihren Töchtern Ida und Auguste und ihrem Sohne Carl wieder in Rom. Dieser Letztere verließ uns bald nach meiner Ankunft, und reiste wieder nach Hause. Ich fuhr oft mit den dänischen Freundinnen aus und sah die Merkwürdigkeiten der Stadt. Die gute Frau Brun lebte ganz mit Leib und Seele in der antiken Welt, kannte jeden alten Steinhaufen, jede Ruine, und es war mir außerordentlich lieb, durch ihren beredten Mund Vieles auf leichte, angenehme Weise zu lernen. Ich selbst hatte, wie der Leser weiß, keine sonderliche Lust, in der Mittagshitze nach allen Sehenswürdigkeiten umher zu laufen. Thorwaldsen ging es ebenso. Wenn die Rede auf dergleichen Dinge kam, pflegte er zu sagen: „In dem ersten Jahre, in dem ich hier war (also vor 20 Jahren) besah ich auch Alles; jetzt kann ich Dir keinen ordentlichen Bescheid darüber geben.“ In den großen schönen Kirchen, im Vatican und in der Bildergalerie ging ich oft umher, wenn ich es in der Kühle und Ruhe thun konnte. Nun fuhr ich auch mit Frau Brun aus und bekam dadurch Vieles zu sehen, was sonst wohl nicht geschehen wäre. Aber ich war ihr nicht eifrig genug in meiner Liebe zu den alten Steinhaufen, und deßhalb neckte mich meine Freundin oft scherzend, und ich sie wieder, wenn sie mir zu begeistert vorkam.

[211]

Das Coliseum.

Eines Abends traten wir zusammen ins Coliseum. Es fing an dunkel zu werden; die Sterne funkelten am Himmel und die Johanniswürmchen in den Büschen. Der Mond warf sein bleiches Licht auf die ungeheure Ruine, wodurch das Ganze erst sein Relief erhielt. Frau Brun war entzückt, und das mit Recht. Das Bild war malerisch und groß. Aber ich war in diesem Augenblicke von einem Dämon des Uebermuths besessen, und es machte mir Spaß, ihrer Begeisterung mit Spott und Satyre zu begegnen, vielleicht auch nur, um die schöne Ida zum Lachen zu bringen, die oft hiergewesen war, heute nicht ernst gestimmt schien und zuweilen den Scherz den Alterthümern vorzog. „Oehlenschläger!“ sagte die Mutter, indem sie die hohen Mauern mit Epheu in den Oeffnungen, durch die der Mond schien, betrachtete, — „ist es nicht göttlich?“ — „„Ja!““ entgegnete ich; „„aber noch schöner muß es gewesen sein, als die 12,000 gefangenen Juden mit Schlägen dazu getrieben wurden, dieses Theater in größter Eile aufzubauen; als (fuhr ich ernster fort) die von wilden Thieren zerrissenen Gladiatoren mit eisernen Haken durch die Todespforte geschleppt wurden. Mir kommt das Ganze wie eine ungeheure Richterstätte vor.““ — Meine Freundin lächelte gutmüthig; sie sah bei einem Manne gern eine gewisse ironische Laune, wenn diese auch ihrem weiblichen Gefühl wiedersprach; und sie sagte nur später zu Ida: „Der Oehlenschläger ist doch ein wunderlicher Gesell; in dem ganzen, schönen, großen Coliseum sieht er Nichts, als eine Mördergrube.“ — „„Ach, Mama,““ antwortete Ida, „„das sagt er ja nur so; er fühlt es ebenso gut, wie wir.““


Der Kirchenstaat als französische Provinz.

Merkwürdig war es für mich, daß ich gerade nach Rom kam, als die große Staatsumwälzung stattfand, als Miollis Commandant war. Auf dem spanischen Platze hörte ich einen französischen Officier in einem Kreise von Soldaten verlesen, daß von nun an der Kirchenstaat eine französische Provinz sei.[212] Die Römer standen eng im Kreise umher, und hörten es an, blaß wie die Leichen, mit glühenden Augen. — „A il scelerato! a il maledetto!“ hörte ich in der Nähe Mehrere ziemlich deutlich über Napoleon flüstern.

Pius VII. wurde in der Nacht vom 6. Juli durch die Franzosen aus dem Palast geholt und fortgebracht. Sie krochen durch die Fenster zu ihm hinein, und hoben ihn wieder zu den Fenstern heraus, um keinen Lärm zu machen, Christenblut zu schonen, und den Schweizern die Mühe zu ersparen, ihn zu vertheidigen. Ich bekam deshalb den Papst gar nicht zu sehen. Uebrigens war Alles ruhig in Rom; sogar ruhiger und sicherer, als gewöhnlich, weil die Franzosen eine bessere Polizei einführten. Sobald es am Abend dunkel wurde, mußte man mit einer Laterne gehen, sonst wurde man arretirt. Die papiernen Laternen waren billig; aber eines Abends, als ich spät nach Hause ging, fiel das Licht in meiner Laterne um, zündete das Papier an, und im Augenblicke war sie verbrannt. Glücklicherweise begegnete ich der Wache nicht, sonst hätte sie mich ins Gefängniß geführt.


Ein starker Schnupfen plagte mich sehr, und ein junger, deutscher Arzt rieth mir, ein kaltes Bad statt eines warmen zu gebrauchen. Dies nahm ich buchstäblich. Ein kaltes Marmorbecken in einer kalten Badestube füllte ich mit eiskaltem Wasser und sprang hinein. Die Folge davon war, daß mich beinahe der Schlag getroffen hätte, und daß ich gleich wieder heraus mußte. Ich war so matt, daß ich mich kaum ankleiden und nach Hause schleppen konnte. Ich blieb auf dem spanischen Platze in der Mittagssonne stehen, bis der Schweiß ausbrach, und der hat mich vermuthlich gerettet. Als ich nach Hause kam, warf ich mich aufs Bett und schlief mehrere Stunden fest. Nun erwachte ich und es war mir so leicht zu Muthe, wie einem Vogel in der Luft. Aber noch ein anderes kaltes Bad, unter dem der Tod lauerte, sollte ich versuchen, ehe ich Italien verließ.


[213]

Ein Wassertanz.

Bei Riepenhausen's versammelte sich nach und nach eine größere Anzahl junger deutscher Künstler und Gelehrter: Beaulieu, Kestner, Mayer aus Hannover und Schlosser aus Frankfurt. Mit Einigen von diesen und mit Koës machte ich eine Lustfahrt nach Tivoli, um die Ueberreste von Horaz'-Bad, die Hadrianische Villa und besonders — den berühmten Wasserfall zu sehen.

Zu diesem Wasserfalle muß man über einen schmalen Fußsteig ohne Geländer gehen. Linker Hand stürzt der Strom in einen bodenlosen Abgrund, auf der Rechten ist er ein kleines stillstehendes Wasser. Wenn man hinübergekommen ist, sieht man den unendlichen, schneeweiß schäumenden Fluß sich aus der Höhlung herauswälzen. Ein seltenes, schönes und feierliches Bild!

Als ich meine Augen an diesem herrlichen Schauspiele gesättigt hatte und glücklich über den schmalen Steg zurückgekommen war, entdeckte ich Christel Riepenhausen, der nicht mit uns Andern hinübergegangen, sondern auf dem fernen Ufer zurückgeblieben war, und sich mit dem begnügte, was er von ferne sehen konnte. „Warum stehen Sie da drüben, wie ein Huhn, das mit den Enten nicht ins Wasser gehen darf?“ fragte ich ausgelassen — „„Ich habe es schon so oft gesehen,““ antwortete er, „„ich habe keine Lust, heute hinüber zu gehen.““ — „Nun sollen Sie sehen, daß ich über den schmalen Steg hinübertanze!“ rief ich übermüthig. — Ich tanzte wirklich glücklich hinüber; aber als ich zurück wollte, machte ich (der ich nicht einmal auf der ebenen Erde tanzen konnte) einen Fehltritt, glitt aus — und war im Begriff, in den Wasserfall hinabzustürzen. Mit der Schnelligkeit des Blitzes dachte ich „Du mußt hinab! wirf Dich über den Steg in das ruhige Wasser, da kannst Du vielleicht gerettet werden.“ — Ich stürzte mich fast auf den Kopf hinüber, kam wieder herauf und griff mit beiden Händen um mich. Ein Freund faßte mich am Kragen. Triefend naß stand ich wieder zwischen meinen entsetzten, bleichen[214] Gefährten, und ehe sie sich fassen konnten, rief ich folgende Verse aus Schiller's Taucher:

„Hoch lebe der König! Es freue sich,
Wer da athmet im rosigen Licht;
Da unten aber ist's fürchterlich,
Und der Mensch versuche die Götter nicht.
Und begehre nimmer und nimmer zu schauen,
Was sie gnädig bedecken mit Macht und mit Grauen.“

„Nun wollen wir laufen,“ fuhr ich fort, „damit ich nicht das Fieber bekomme.“ Darauf lief ich, was ich konnte, zum Wirthshaus hinauf, und die Andern folgten schweigend. Christel hatte mich hinuntergleiten sehen, das Antlitz fortgewandt, und ausgerufen: „Ich sehe ihn nie wieder.“ Als ich ins Wirthshaus hinauf kam und mich ausgekleidet hatte, gaben sie mir Jacke und Pantalons von Flanell, welche mir gute Dienste thaten. Nun gingen die Anderen, froh darüber, daß ich gerettet war, zu Tisch, aber ich konnte Nichts essen. Ich legte mich in einem Nebenzimmer aufs Bett, und als ich von dort den entsetzlichen Wasserfall in der Tiefe brausen hörte, faltete ich meine Hände, und dankte Gott für meine Rettung.

Ein Unglückstag.

Am Nachmittag, als wir durch die Stadt gingen, zeigten die Leute mit Fingern auf mich und sagten: „Dort geht der Herr, der in die Cascade gefallen ist, ohne zu ertrinken!“ Es war dies ein unerhörter Zufall und manche Leichtsinnige waren bereits von der Tiefe verschlungen worden.

Aber ich war an demselben Nachmittage wieder in Lebensgefahr; denn als wir auf Eseln den Fels hinaufritten, hätte mich einer der Andern mit seinem Esel beinahe in den Abgrund hinabgestürzt, indem er jubelnd von meiner Rettung beim Wasserfalle sprach. „Laß mich nach Hause!“ rief ich, „es ist heute ein gefährlicher Tag für mich.“ Aber der Abend war schön und ruhig, und als ich in dem alten Garten, der dem Hause Este gehört hatte, unter den großen Cypressen stand, und die Sonne in all' ihrer Herrlichkeit untergehen sah, fühlte ich mich[215] tief ergriffen. Ein Jahr darauf suchte ich das Andenken in einem Gedichte „Rückblick auf Rom,“ auszudrücken, wo ich jene Begebenheit beschrieben habe.


Grotta ferrata.

In der heißesten Jahreszeit zog ich mit Koës, den beiden Riepenhausen, Kestner und Schlosser nach Grotta ferrata hinaus, wo wir alle Bequemlichkeiten entbehrten; wir hatten nur ein großes, verfallenes Haus zu unserer Benutzung (eine frühere Villa), Kühle und frische Luft. Obgleich wir auf dem Lande waren, konnten wir doch weder Milch noch Sahne bekommen, sondern mußten Eier zum Morgenkaffee genießen. Die Wirthin, eine Bauerfrau, besorgte unsere Wäsche; aber als wir sie geglättet haben wollten, lächelte sie wie über Etwas, das sie nie gehört hatte, und wir mußten mit ungerolltem und ungeglättetem Leinenzeuge gehen. Ein altes Billard stand in der Halle mit einigen fünf- und sechseckigen Kugeln. Ueberall war es, die Kunstwerke ausgenommen, eine Seltenheit im Kirchenstaate, etwas Neuverfertigtes zu finden. Alles war da wenigstens ein paar hundert Jahre alt; es schien, als ob die Italiener seit der Zeit im Schlummer gelegen hätten, als ob sie nun Somnambülen wären. Ich war so wenig daran gewöhnt, neue Gegenstände in Italien zu sehen, daß es ordentlich mein Auge erquickte, als ich zum ersten Male in der Schweiz wieder ein hübsches, neues, weißangestrichnes Stacket vor einem gutgepflegten Garten erblickte. Aber wer hielte sich doch nicht gern in einer solch verzauberten Stadt wie Rom auf, wo schöne Feenschlösser mit herrlichen Kunstwerken und kühlen, wenn auch altmodischen Gärten und Hecken sich dem Wanderer öffneten; wo man stets schöne Frauen unter einem blauen Himmel findet; obgleich die Männer im Ganzen genommen etwas müßig und faul dahinschlendern, und das Gras in der Sonne fast überall verdorrt.

Mit der grünen Frische der nordischen Eichen- und Buchenwälder kann das Buschwerk in Italien sich nicht vergleichen.[216] Wir unternahmen einmal eine Fahrt durch die Campagna, wo die Heuschrecken so dicht wie Schnee das Feld bedeckten. Sie spritzten wie Wasser zu beiden Seiten der Radspur in die Höhe, und das Geleise selbst war naß von zerquetschten Heuschrecken. Später wurde ein Priester hinausgesandt, der sie förmlich in die Hölle hinabbeschwören sollte; ob es half, will ich ungesagt sein lassen.

Römischer Sommer. — Der Maler Müller.

Den angenehmen Schatten der Bäume im Sommer, können die Italiener nicht genießen; sie fliehen die Bäume in der starken Hitze, weil sie durch ihre Dünste ungesund sind; die Damen können den Blumengeruch nicht vertragen; denn er ist ihnen zu stark; von den herrlichen Früchten darf man nur wenig, und sie nur immer mit Brot essen, um nicht das Fieber zu bekommen. Der Scirocco kommt häufig von den afrikanischen Wüsten herüber; das Mittelmeer war nicht im Stande gewesen, ihn abzukühlen, und er schlug mich mit Lähmung in allen meinen Gliedern, so lange er währte. Von der aria cattiva litt man in Rom sehr viel. Große, schöne Straßen stehen fast menschenleer, weil Niemand dort wohnen darf; und auf vielen Stellen brennen sie Stroh des Abends, um die ungesunde Luft zu reinigen.


Ich besuchte den berühmten Deutschen, Müller, der zum Dichter geboren war, aber durchaus Maler werden wollte. Ein kräftiger, feuriger Mann, von 60 Jahren, der nicht viel über 40 zu sein schien. Er schrieb eine heilige Genoveva lange vor Tieck. Er wohnte gut und zu sehr billigem Preise hier in Rom. Als ich mich darüber wunderte, sagte er: „Das kommt daher, weil in dieser Straße aria cattiva ist; aber darum kümmere ich mich nicht.“ Ich hatte die Freude, das Herz dieses kräftigen Mannes ganz zu gewinnen und er war ein eifriger Freund meiner Muse.

[217]


Das römische Volk.

Damit man doch nicht glauben solle, daß ich, wie ein Archenholz, nur Italiens Schattenseite gesehen habe, will ich gern gestehen, daß das römische Volk mir im Ganzen genommen gut gefallen hat, das heißt, nicht die Vornehmen; denn diese sind verblüht (obgleich die Frauen noch körperlich schön blühen), sondern das Volk, in dem noch Kraft, Munterkeit, Naivetät und eine glückliche Anlage, Alles leicht aufzufassen, wohnt. Der gewöhnliche Mann ist lustig, gutmüthig und durchaus nicht falsch. Viele kalte Ultramontanen sind bedeutend falscher. Aber rachsüchtig ist der Italiener, größtentheils aus eifersüchtiger Liebe; und da kann er sogar böse und heimtückisch werden, wie ein toller Hund, der im gesunden Zustande treu und freundlich ist. Der Zorn brennt heftiger in dem warmen Blute dort, als bei uns. In Marino sah ich in einem Kruge zwei junge Bauerburschen im Kampf mit einander. Sie waren beim Weine uneins geworden, sprangen von den Bänken auf, zogen ihre Jacken ab, wickelten sie wie ein Schild um den linken Arm, und nun suchten sie, mit langen Messern bewaffnet, einander zu verwunden. Der Eine wurde in die Hand gestochen und blutete. Ein Bildhauer oder Maler würde in diesen schönen, zornigen Antlitzen, in diesen edlen Bewegungen schöne Motive zu einer Composition gefunden haben. Endlich sollte Frieden gestiftet werden. Man reichte ihnen gefüllte Gläser. Mit zitternden Händen und todtenbleich stießen sie an. Ein Italiener, der neben mir stand, flüsterte: „Das geht nie gut aus. Einer von Diesen macht den Andern kalt, ehe das Jahr um ist.“

Diese Blutrache ist ein häßlicher Zug den die Italiener mit den schottischen Hochländern gemein haben; aber um wieviel munterer, gutmüthiger, angenehmer sind doch jene, wenn sie nicht gereizt werden.


Frau Brun erzeigte mir viele Gastfreundschaft; in ihrem Hause lernte ich die beiden Barone Rennenkampf kennen. Ich verdankte[218] meiner Landsmännin noch die Bekanntschaft der Frau v. Humboldt. Wie gern hätte ich auch den Minister, ihren Mann, einen der tüchtigsten Aesthetiker Deutschlands kennen gelernt.

Der fünfte Act meines Correggio.

In Rom und in Grotta ferrata dichtete ich meinen Correggio. Ich war bis zum fünften Acte gekommen, als ich in den Wasserfall bei Tivoli stürzte. Wäre ich dort liegen geblieben, so hätte ich den Wienern nicht die Mühe gemacht, diesen Act bei der Aufführung wegzustreichen. Die Erinnerung an diesen Fall gab mir den Stoff zu Lauretta's Liede.


Als der Sommer nicht mehr so heiß, der Himmel kühl und klar geworden war, so daß ich wieder frei athmen konnte, genoß ich auch die Schönheiten Roms und der Umgegend. Acht Tage lang war ich bei Frau Brun in Albano; dort ritten wir am Abend auf Eseln und machten kleine Wallfahrten. Unter Anderm entsinne ich mich eines Besuchs bei den alten Mönchen im Kloster auf dem Berge. Als wir nach Hause ritten und mein Esel ziemlich rasch den Berg hinab lief, hörte ich meine Freundin hart hinter mir hergallopiren; sie rief: „Oehlenschläger! reiten Sie um Gotteswillen nicht so rasch!“ — „„Weßhalb?““ fragte ich — „Wenn Sie rasch reiten, muß ich es auch; denn mein Esel folgt dem ihrigen immer auf den Fersen.“ Ich versuchte nun langsam zu reiten; aber wenn ich und mein Esel in Gedanken verfielen, trabten wir wieder rasch den steilen Bergweg hinab, bis der Ruf der Dichterin oder das Lachen der reizenden Ida uns in der Fahrt anhielten.

Von welch wunderbarem Gefühle wird man erfüllt, wenn man die Gegend dort unten überschaut! An einem kleinen See lag Alba longa. Weiter hin landete Aeneas, ein abenteuerlicher Schiffer, mit einer handvoll trojanischer Matrosen, auf einer fremden Küste, wo sie eine unbedeutende Colonie anlegten. Und aus diesem Funken entstand die große Weltenflamme.

[219]


Man fragte mich immer, ob ich nicht nach Neapel hinunter wolle; aber ich war nun 4½ Jahr von Braut, Familie und Vaterland entfernt gewesen; ich sehnte mich nach Hause und hatte keine Lust, weiter zu reisen. Hätte der Vesuv Feuer ausgeworfen, so wäre ich doch hinuntergegangen. Aber einen beschwerlichen Weg in der heißesten Jahreszeit zweimal durch die pontinischen Sümpfe zu machen, blos um mich einige Tage in Neapel aufzuhalten, — und dann direct nach Kopenhagen zu jagen, dazu hatte ich keine Lust. Auf der Rückreise wünschte ich nur noch einige Besuche zu machen, und ich mußte mich so einrichten, daß ich nicht zur späten Winterszeit in Dänemark ankam. Auch wollte ich gern der ersten Vorstellung von Axel und Walborg beiwohnen.

Gedenkblatt von Christel Riepenhausen.

Hierüber mußte ich nun viele Neckereien, halb im Scherz, halb im Ernst anhören, daß ein nordischer Barbar keinen Sinn für südliche Naturschönheiten habe; besonders von Christel Riepenhausen, der ein sehr witziges und hübsches Stück in mein Stammbuch zeichnete, wo ich zwischen all' den Schrecken stehe, die er in einer Parodie von Göthe's: „Kennst Du das Land“, folgendermaßen in dem Verse anbrachte, der mit dem Bilde folgte:

„Wo Schlangen dräuen, wo gift'ge Blumen blüh'n,
Aus Erd und Himmel schlagend, Flammen glüh'n,
Scirocco heiß vom bleichen Himmel weht,
Und im Gebüsch der gier'ge Mörder steht, —
Kennst Du das Land?“
Wenn Sie in einem schöneren Lande glücklich sind,
denken Sie neben allen diesen Gefahren an Ihre
Freunde, die Sie herzlich lieben.

Ultramontane in Rom.

In dem ersten Monate, den ich in Rom verlebte, machte es mir Freude, täglich mit jungen, deutschen Künstlern umzugehen; aber ich rathe einem jeden Reisenden, lieber die Bekanntschaft der Eingebornen des Landes aufzusuchen. Dadurch lernt man besser das nationale Element kennen, und deßhalb reis't man[220] doch eigentlich. Die Ultramontanen bringen ihre Sitten und Gewohnheiten mit; da muß man in der Mittagshitze mit ihnen laufen, und in die Nacht hinein wachen, was kein Römer thut. Mit jugendlicher Unwissenheit und Einseitigkeit beloben sie das Halbbekannte mit einem außerordentlichen wenn auch nicht erquickenden Enthusiasmus, und setzen das Vaterländische, das sie oft noch weniger kennen, herab. Auch herrscht gewöhnlich ein roher Ton unter ihnen. In unserm Zirkel, der aus talentvollen, älteren und mehr Gebildeteren bestand, wo Thorwaldsen präsidirte, war es natürlich viel besser. Ich habe manche schönen Abende in diesem Kreise zugebracht, wo wir uns den Acciuto, unsern Orvietto und den Speckschinken selbst mitgebracht hatten, oder uns für ein paar Bajocchi's in einer oder der andern Osterie zu gute thaten.

Auch kam ich zuweilen in brillante Abendgesellschaften, wo man schöne Musik hörte, schöne Damen sah und dann kaltes Wasser und Eis bekam, um sich wieder abzukühlen. Einen herrlichen Abend brachte ich mit Brun bei dem Prinzen Colonna in seiner schönen Villa zu, wo die Marmorüberreste der ältesten Zeit von Myrthen und Lorbeer bewachsen im Grase liegen.


Abschied von Rom.

Als ich Rom verlassen sollte, besuchte ich wehmüthig und einsam zum letzten Male die Kirchen, den Vatican, das Campo vaccino, mit all' den merkwürdigen Ueberresten, Titus' Ehrenpforte, wo man noch in einem fast verwischten Basrelief den siebenarmigen Leuchter sieht. Durch diese Pforte gehen die Juden nicht, sondern um sie herum, auf einem Fußwege. Ich besuchte noch einmal die Villa Borghese, wo ich so oft umhergewandelt war, und wo ich, als ich Correggio dichtete, die Idee zur Scene mit Cölestine erhielt. Denn als ich an einem kühlen Abende da umher ging und dachte, wie ich Correggio auf eine würdige Weise über die Beleidigung erheben sollte, die Octavio ihm zufügte, hielt mich ein Zweig der Lorbeerhecke freundlich am Knopfloche[221] meines Rockes zurück; und der Gedanke fiel mir plötzlich ein „ein schönes, edles Mädchen soll ihm den Lorbeer winden.“

Es that mit recht leid, mich von meinem Sprachlehrer, einem sehr gebildeten und geistreichen Römer zu trennen, dessen Namen ich vergessen, und mit dem ich das Meiste aus Dante's Hölle gelesen habe. Auch von Confidati, meinem vortrefflichen Gesanglehrer, schied ich ungern. Ich hatte mir eine sehr gute Guitarre gekauft, da ich die Absicht hatte, auf diesem Instrumente spielen zu lernen. Aber die Zeit war zu kurz und ich verehrte sie Franz Riepenhausen. Er und sein Bruder zeichneten mich wieder mit schwarzer Kreide sehr ähnlich, und gaben mir das Bild mit. Nach diesem Bilde ist der Kupferstich in Nyerup's Almanach gemacht.

Zwei junge, italienische Mädchen, Kinder der Leute, in deren Hause Riepenhausen's wohnten, spielten mir zum Abschiede eine Pantomime vor, die die Trennung zwischen zwei Geliebten vorstellen sollte. Die jüngste war der Geliebte, die älteste die Liebhaberin. Als diese nun verzweifelt auf einen Stuhl sinken sollte, und nicht leidenschaftlich und betrübt genug war, rief die Jüngste erbittert: „Fatte le smanie, Bestia!

Den letzten Abend war bei Thorwaldsen Gesellschaft; unter Anderen befand sich mein Landsmann und Vetter, Historienmaler Lund dort, der meine Schwester als Kind Zeichnen gelehrt hatte, als er als Jüngling meine Eltern auf Friedrichsberg besuchte. Wir waren Alle lustig und munter. Einige sangen, und ich sang unter Anderm „Göthe's Musen und Grazien in der Mark,“ nach einer alten, pathetischen Freimaurermelodie mir Rouladen und Trillern, welche dazu beitrugen, die Ironie des Gedichtes zu verstärken. Ich hatte Göthe selbst dieses Lied vorgesungen, und es hatte ihn sehr amüsirt und machte ihm besonders Spaß, wenn ich zuletzt das deutsche harte B und das weiche T gebrauchte und sang: „Wir sind pieder und nadierlich.“ Er wiederholte es lachend und rief laut: „„Pieder und nadierlich, der verfluchte Däne!““ — Hier gefiel das Lied auch, nur nicht dem[222] Christel Riepenhausen, der sich kalt zu seinem Nachbar wandte indem er sagte: „Mir scheint die Melodie nicht passend. Was meinst Du dazu?“ — Dieß verstimmte mich natürlich. — Ich hatte nicht gesungen, um Beifall einzuernten, sondern um mein Scherflein zu der allgemeinen Munterkeit beizutragen. — Bald sollte ich fortreisen und diesen Kreis vielleicht nie wiedersehen, doch vergab ich ihm gern, als er am nächsten Morgen bei Tagesanbruch mich mit den übrigen Freunden, unter denen Thorwaldsen war, ein Stück Wegs zur Stadt hinaus begleitete. Koës reiste mit mir. — Wir wollten Beide den dänischen Minister Schubart in Livorno auf Montenero besuchen. Der Weg führte durch schöne Berggegenden: Wir sahen den malerischen Wasserfall in Terni, kamen durch Perugia, Pietro Vanucci's (Raphael's Lehrers) Geburtsort, und sahen sein Portrait, welches die Einwohner nicht um eine ungeheure Summe hatten verkaufen wollen, so stolz waren sie auf ihren Künstler; d. h. als er todt war. Darauf kamen wir von Cortona und Arezzo (Petrarca's Geburtsort) wieder nach Italiens Blumenstadt, meinem Lieblings-Aufenthalte jenseits der Alpen.

Sowohl jetzt, als das erste Mal, als ich in Florenz war, bekam ich ein Sonett von einem bettelnden Dichter, in welchem stand, daß die Nymphen des Arnoflusses sich über meine Ankunft freuten. Ein solches Sonett, und wahrscheinlich dasselbe, bekommt jeder Reisende und vergilt die Höflichkeit mit dem Honorare einiger Schillinge.


Ein Unzufriedener.

Hatte ich nun auf meiner Hinreise nach Rom einen französischen Kaufmann zum Reisegefährten, der unzufrieden mit dem italienischen Wesen war, und mich oft durch seine üble Laune gestört hatte, so traf ich auf meiner Reise nach Florenz einen deutschen Dito, der viel amüsanter war. Er schimpfte Italien noch heftiger aus als der Franzose, und brauchte noch viel beleidigendere Redensarten; aber mit viel mehr Berechtigung;[223] es geschah nicht aus Nationalhaß, sondern, weil er kein Wort italienisch wußte, nicht das Geringste von den schönen Künsten verstand, und noch weniger als ich die Hitze ertragen konnte. Als reicher Gourmand fand er natürlich alle Wirthshäuser auf dem Wege abscheulich. Uebrigens war es ein außerordentlich freundlicher Mann, der blos um einem mitreisenden, gelehrten Freunde zu dienen, sich darein gefunden hatte, Wien zu verlassen, wo er wie im Paradiese lebte, von lauter gebackenen Hähndeln und delicaten Mehlspeisen umgeben. Nun zog er über die Alpen und schwärmte allerdings wie eine Fliege, die unversehens in eine leere Flasche gekommen ist. — Wir trafen ihn stets in den Wirthshäusern scheltend und fluchend, indem er mit dem Taschentuche das glänzende Antlitz abwischte; denn er war sehr corpulent. Er hatte es sich allmälig bequemer gemacht; zuletzt kam er in einer dünnen, weißen Piqué-Nachtjacke und leinenen Hosen. Es würde mich gar nicht gewundert haben, wenn wir ihn die letzten Male im bloßen Hemde oder später nackt gesehen hätten. Es ging ihm, wie einem schiffbrüchigen Manne, der nach und nach Alles, und doch vergeblich über Bord wirft. Jedesmal, wo er mich in einem Wirthshause traf, fragte er mich: „was er in Italien solle?“ und stets blieb ich ihm die Antwort schuldig. Man sollte nun glauben, daß, da er unaufhörlich schimpfte und fluchte, die Leute des Hauses auf ihn böse geworden wären: aber glücklicherweise geschah dies auf deutsch; sie verstanden ihn nicht und lachten über sein Benehmen, da die Italiener sehr viel Sinn für das Burleske haben. Selbst wenn er rief: „Cattive gente!“ das einzige Italienisch, dessen er sich bediente, schlugen sie ein lautes Gelächter auf. Einige glaubten, er sei verrückt und hatten inniges Mitleid mit ihm. In Allem, worüber er sonst mit uns sprach, wenn es ihn interessirte, zeigte er einen guten natürlichen Verstand, und er war gewiß ein tüchtiger, einsichtsvoller Kaufmann. Aber er fragte immer wieder: „was soll ich in dem verdammten Lande? etwa die alten Steinbilder sehen, die da gegen allen Anstand, ohne die geringste[224] Bekleidung stehen? in die katholische Kirche gehen, während ich doch ein guter Lutheraner bin, um ihr Lirumlarum mit anzuhören? mich von den Wirthen betrügen, von ihrem Ungeziefer beißen lassen, und ihr Gift essen?“ Der gelehrte Freund suchte ihn zwar zu beruhigen und hielt ihm kleine, populäre Vorlesungen; aber das half Nichts. Erst als wir in Florenz bei Schneider's waren, kam er in guten Humor, lud uns zu einer prächtigen Mahlzeit ein, und zeigte sich nun in seiner ganzen Gutmüthigkeit.


Pisa und Livorno. — Das Meer.

Als wir ein paar Tage in Florenz gewesen waren, reiste ich mit Koës durch Pisa nach Livorno. In dem Augenblicke, wo ich hier das Meer zum ersten Male wiedersah, brach ich in Thränen aus und fühlte ganz, was der Schweizer empfindet, wenn er seine Berge wiedersieht. In Montenero feierten wir den Geburtstag der Baronesse Schubart; dieser hatte das Merkwürdige für mich, daß er auf den 10. September, also gleichzeitig mit dem meiner Mutter fiel. Meine dadurch veranlaßten Gefühle theilte ich der Baronin in einem kleinen Gedicht mit. Baron Schubart begleitete uns nach Pisa, wo er den Winter wohnte. Hier bewirthete er uns zum Abschiede in seinem eigenen Hause. In Pisa sah ich den schiefen Thurm und das Campo santo. Die vornehmsten Aristokraten des Mittelalters liegen hier in heiliger Erde, die auf Schiffen von Jerusalem geholt ist; und nun sind sie Würmer, gleich den Bauern, die in einfacher, italienischer Erde zu Staub werden. In den Straßen wächst hohes Gras zwischen den breiten Fließen vor den verlassenen Palästen, und die ungeheure eiserne Kette, die früher ihren Hafen sperren sollte, wurde von den Florentinern gesprengt und rostet nun beim Battisterio in Florenz. Dagegen blühen noch an den Wänden des Campo santo die Bilder der ältesten italienischen Maler in jugendlicher Frische. — Die geistige That hat doch auch Etwas zu bedeuten und überlebt die That menschlicher[225] Gewalt, wenn sie auch für den Augenblick dieser dienen muß, und Fichte sagte wohl mit Recht von dem geistig Wirkenden: „Wir sind auch eine Macht und zwar keine geringe.“


In Florenz: Arndt, Bröndsted, Koës.

Als wir nach Florenz zurück kamen, trafen Koës und ich unvermuthet unsern lieben Bröndsted. Wir wußten wohl, daß er nach Italien kommen wollte; aber er überraschte uns hier, und das verdoppelte unsere Freude. Nachdem wir zusammen Mittag gegessen hatten, gingen wir in dem schönen Wetter Arm in Arm durch die Stadt spazieren. An einer Straßenecke stand ein schlecht gekleideter, kleiner Mann mit angeschwellten Taschen und streckte den Kopf mit der spitzen Nase (wie ein Huhn, wenn es trinkt) in die Höhe, um ein Placat zu lesen, das ziemlich hoch angeschlagen war. — „Da steht Arndt!“ flüsterte ich leise zu den Andern, indem wir dicht an ihm vorüber gingen. — Er bemerkte uns nicht, wir eilten von dannen und sahen ihn nie mehr wieder. Er lebte noch einige Jahre, ging oft noch von Süd nach Nord, von Nord nach Süd, und zuletzt fand man ihn in einem Graben, — ich weiß nicht, ob es in der Nähe von Torneå, Marseille, Moskau oder Venedig war, — vom Schlage getroffen, todt, die Taschen voll von Manuscripten, die man zu Nichts gebrauchen konnte.

Ebenso froh wie ich geworden war, Bröndsted in Florenz zu treffen, ebenso betrübt war ich, als ich mich kurze Zeit darauf von ihm und meinem treuen Koës trennen mußte, den ich erst bei Gott wiedersehe, im Leben aber nie vergesse. Der wackere Mensch, dessen Geist nach Wahrheit und Schönheit strebte, starb in Griechenland. Wilder Lorbeer und Myrthe bedecken sein Grab. Er war nicht Zeuge des Jammers und der Zerstörungen des Landes, das er so innig liebte; aber er ahnte die[226] bessere Zukunft, für die die Hellenen so wacker gestritten haben, und die ihnen alle dankbaren Musensöhne von Herzen wünschen.


In Mailand. — Peter Saabye.

Ganz allein stand ich wieder in der weiten Welt, doch mit jugendlicher Munterkeit und mit Muth, und eilte so rasch dem Norden zu, wie die Vetturinräder mich fortschaffen konnten und kam endlich nach Mailand, ging in die große Oper, wo sie eine langweilige Seria ausführten, gähnte — und schlief ein.

Als ich erwachte und mich in dem ungeheuren Raum des teatro della scala statt in meinem engen Bett befand, stand ich auf, um nach Hause zu gehen und den Schlaf auf bequemere Art fortzusetzen. — Ein junger Mensch, der gar kein italienisches Gesicht hatte, stand etwas fern von mir, sah mich fest an, und als ich ihm nahte, fragte er mich bescheiden auf Dänisch, ob mein Name nicht Oehlenschläger sei? — „Ja, mein Herr! — es freut mich, hier einen Landsmann zu treffen! Darf ich auch um Ihren Name bitten?“ — „„Ich heiße Peter Saabye, Sohn des Etatsrath Saabye in Kopenhagen, Ryberg's Associé.““ — „Es freut mich sehr, Sie hier zu treffen, leider reise ich aber morgen bereits wieder fort.“ — „„Das thue ich auch.““ — „Vielleicht nach Rom?“ — „„Nein, nach Kopenhagen.““ „Nach Kopenhagen? Da reise ich auch hin.“ — „„Da können wir vielleicht zusammen reisen?““ — „Das wäre herrlich! aber ich muß erst nach Tübingen, Heidelberg und Weimar.“ — „„Das muß ich auch!““ — „Ah, denn geht es ja ganz schön. Schade, daß wir uns nicht früher getroffen haben, ich bin heute hier angekommen.“ — „„Ich auch.““ — „Von Rom?“ — „„Nein, von Genua.““ — „Hätten wir das gewußt, so hätten wir in demselben Gasthof zusammenwohnen können.“ — „„Wo wohnen Sie?““ — „In der Albergo della Cita!“ — „„Ich auch.““ — Wir gingen nun zusammen[227] nach Hause und da traf es sich denn so, daß unsere Kammern dicht an einander stießen, so daß wir nur die Zwischenthüren zu öffnen brauchten, um Contubernalen zu sein.

Das Hazardspiel.

Wir blieben ein paar Tage in Mailand und hatte noch ein anderes Abenteuer, das ich in meiner Novelle, die Glücksritter, poetisch erzählt habe. Es ging mir nämlich ungefähr wie Xaver, nur daß das Glück, welches ich machte, unendlich geringer war. Ich verirrte mich einmal ebensowie er in den Spielsaal, verstand das Spiel ebensowenig wie er, spielte jedoch, wie ich einen alten Officier spielen sah und gewann. Ich brauchte gerade einen neuen Frack; da ich nun stets das Hazardspiel für etwas des Verführendsten und Verderblichsten in der Welt angesehen hatte, so beschloß ich, einen einzigen Louisd'or zu wagen und gleich aufzuhören, wenn er verloren sei. Gewann ich dagegen, so beschloß ich, mich gar nicht von dem trügerischen Glücke verlocken zu lassen, sondern aufzuhören, so bald ich das Geld für meinen Frack gewonnen hätte. Ich gewann 5 Louisd'or, hörte auf, ging nach Hause, ließ am nächsten Tage den Schneider rufen, und Tags darauf rollte ich in einem hübschen dunkelgrünen Frack mit Saabye in einem bequemen Reisewagen aus Mailand heraus.

Er war ein sehr angenehmer Gesellschafter, besorgte alle Reisekosten bis nach Kopenhagen und als wir dort ankamen, wollte er kein Wort von Abrechnung wissen.

Abschied von Italien. — Simplon.

Wir besuchten in dem schönen Wetter die Borromäischen Inseln im Lago maggiore. Nun litt ich nicht mehr von der Hitze und konnte mich recht amüsiren. In der klaren Luft schien es, als ob wir den Inseln bereits ganz nahe seien, obgleich wir noch ein gutes Stück davon entfernt waren. Wir zogen über den Simplon. Als man mir die Grenze zwischen Italien und der Schweiz zeigte, machte ich einen langen Sprung über sie, wandte mich übermüthig gegen Italien, zeigte mit dem Finger nach Süden und rief: „Nun sieh zu, wie Du mich wieder kriegst.“ — Denn der Gedanke, daß ich in Italien sterben[228] müsse, war oft in mir entstanden, doch drängte ich ihn stets wieder zurück! In einem Liede, das ich auf den Alpen dichtete, sprach ich meine Gefühle aus. Es findet sich in meinen gesammelten Gedichten mit der Ueberschrift: „Simplon.“

Wenn ich Göthe's große Liebe für Italien bedenke, so scheint mir mein Gefühl seltsam, da ich doch in so vielen andern Dingen mit ihm sympathisire. Aber er machte seine Reise auf die angenehmste Art in der besten Jahreszeit. Sein plastischer Geist trieb ihn nach dem Süden hin; und mein nordisches Herz sehnte sich nach der Heimath, zu der ich (gleich den Römern) Germanien zähle; denn sollte ich mir nach meiner Neigung einen Aufenthaltsort außerhalb des Vaterlandes wählen, so würde es das südliche Deutschland sein.

In Heidelberg. — Der alte Voß.

Deshalb freute es mich auch sehr, nach dem schönen Heidelberg zu kommen, wo ich den alten Voß besuchte, zum Theil weil ich wußte, daß ich seinen Sohn, meinen weimarischen Freund, bei ihm treffen würde. — Der Vater sah gerade aus, wie ich mir ihn vorgestellt hatte, lang, hager, steif und gravitätisch, aber verständig, ehrlich, gemüthlich in seinem Hause. Damals hatte er noch nicht sein Buch über Stolberg geschrieben, sonst würde ich ihn kaum besucht haben; denn ich liebte Stolberg immer als einen edlen Mann, mit hohem Dichterfluge. Wenn es auch seinem Schiffe etwas an dem Ballast des ruhigen Verstandes fehlte, wenn auch die Vernunft nicht immer als Steuermann am Ruder saß, so wurden doch die reinen, schneeweißen Segel durch die schönsten Gefühle geschwellt; und in dem Passatwinde der Begeisterung legte Stolberg wie ein Adler doch große Strecken zurück. Erst als er sein Dichterschiff zu einem mystischen Luftballon umbaute, um dem Himmel noch näher zu kommen, konnte und wollte ich ihm nicht mehr folgen. — Was Stolberg zu viel hatte, hatte Voß zu wenig, zu schweren Ballast und zu kleine Segel. Aber ein vortrefflicher, fleißiger Frachtschiffer war er zwischen der alten und der neuen Welt. Auch ein guter idyllischer Gärtner; und wie hoch ich seinen poetischen[229] Landsitz Luisenlund schätze, habe ich bereits gesagt. Etwas intolerant und beißend ist Voß immer gewesen; dies zeigte sich bereits in seinem Verhältniß zu Heyne. In seinen alten Tagen ärgerte ihn die Uebertreibung der Romantiker, und die Verachtung, die sie ihm immer zeigten, verdroß ihn. Er glaubte, Stolberg hätte die erste Veranlassung zu diesem Wesen durch seinen Uebergang zur katholischen Religion gegeben, darüber wurde Voß unbillig und unedelmüthig, und, obgleich er in seinem Buche über Stolberg viel Wahres mit Rücksicht auf Aristokratie und Mönchswesen sagt, so hatte er doch im höchsten Grade Unrecht, seinen Jugendfreund zu beleidigen und sich an ihm durchs kleinliche Erzählen von Anecdoten zu rächen.

Voß freute sich, in mir einen jungen Dichter zu finden, der kein Ultraromantiker sein wollte und darnach strebte, seine Liebe zur Poesie mit Billigkeit und Vielseitigkeit zu verbinden. Auch der Dichterkreis in Göttingen, auch die Musenalmanache die Boie und Voß in ihrer Jugend herausgegeben hatten, waren mir lieb. Hatte ich durch sie nicht zuerst den naiven, warmen Claudius, den sanften Hölty, die feurigen Stolbergs, den merkwürdigen Bürger kennen gelernt? Ich nenne Bürger merkwürdig; denn das bleibt er mir stets durch die seltsame Mischung von wahrem Dichtergenie und einer unruhigen, krankhaften und unpoetischen Persönlichkeit. Freilich erquickten seine Gedichte mich im Ganzen genommen nicht, gerade dieser Mischung wegen, und ich finde echte Wahrheit nur in seiner Leonore, wo der todte Ritter, der wirklich kein anderer ist, als Bürger's eigner poetisch-melancholischer Gespenstergeist, in wilder Laune nach dem Grabe hin galloppirt.

Ich las dem Voß meinen Correggio vor. Als die Vorlesung geendet war, umarmte er mich und sagte: „Ich wollte wünschen, daß Lessing heute Abend hier gewesen wäre!“ — Ich brachte einige sehr angenehme Stunden in seinem häuslichen Kreise zu. „Die gute, verständige Hausfrau“, Ernestine, bereitete uns Stahlpunsch, womit sie Göthe oft tractirt hatte; im[230] Voß fand ich im Schooße seiner Familie ganz den Verfasser der Luise wieder. Er schrieb in mein Stammbuch:

Quod sis, esse velis, nihilque malis.

In Weimar. — Göthe's Benehmen.

Nun hatte ich in Deutschland nichts weiter zu thun, als Göthe in Weimar aufzusuchen und mein Andenken in seiner freundlichen Erinnerung aufzufrischen, ihm meinen Correggio vorzulesen, einige aufmunternde Worte von ihm zu hören und dann in Gottes Namen nach Hause zu reisen. Wie gerne machte ich seinetwegen nicht den Umweg von 20 Meilen.

Aber unglücklicherweise konnte ich nur ein Paar Tage in Weimar bleiben, da ich mit einem Andern reiste, und bei Göthe muß man auf gute Laune warten, wie der Schiffer am Strande auf guten Wind, wenn er eine glückliche Fahrt machen will. — Ich hatte ihm meinen Aladdin dedicirt, meinen deutschen Hakon Jarl und Palnatoke hatte ich ihm mit einem liebevollen Briefe gesandt, ich rechnete auf einen väterlichen Empfang wie ein Lehrling von seinem Meister. Göthe aber empfing mich höflich, doch kalt und beinahe fremd. Hatten so viele andere spätere Begebenheiten die Erinnerung an „die guten Stunden“, die ich so schön und angenehm bei ihm verlebte, aus seinem Gedächtnisse verwischt? Oder — schlummerten diese Erinnerungen nur und wollten sie wieder geweckt werden? War ich zu ungeduldig, da der Sohn den Vater nicht sogleich fand? Ich weiß es nicht! Erst suchte ich den Kummer zu unterdrücken und hoffte, daß später, wenn ich ihm meinen Correggio vorgelesen, das alte Verhältniß wieder eintreten werde. Aber es wurde nichts daraus. — Als ich ihm durch Riemer hatte wissen lassen, daß ich eine neue Tragödie geschrieben hätte, die ich ihm vorzulesen wünschte, ließ er um das Manuscript bitten, er wolle sie am liebsten selbst lesen. — Ich antwortete: Er könne sie nicht selbst lesen, ich habe nur ein schlecht geschriebenes Brouillon bei mir, das voller Aenderungen sei. Doch gab ich Riemer das Manuscript. Er brachte es mir zurück und sagte: Göthe könne es freilich nicht lesen, aber ich möchte das Stück nur drucken lassen, dann würde er[231] es lesen. — Dies schmerzte und ärgerte mich und ich machte meinem Mißvergnügen darüber gegen Riemer Luft. Er wunderte sich fast, daß es Jemand wagte auf Göthe böse zu werden, doch sagte er: „Du hast wohl recht, aber wir Anderen sind so daran gewöhnt, uns Alles von ihm gefallen zu lassen, daß es uns nie einfällt, darüber böse zu werden oder zu zürnen.“ „„Das mag sein, aber Göthe würde es in seiner Jugend schwerlich geduldet haben, so behandelt zu werden.““ Ich entsinne mich eines Zuges aus seinem früheren Leben, der hierher paßt. Als er nach Weimar kam, spielte er einmal Sprüchwörter in einer Gesellschaft. Er bat um die Erlaubniß, mit Wieland (der sich wahrscheinlich ein Air über ihn gab) ein Sprüchwort aufführen zu dürfen, zeichnete mit Kreide auf eine spanische Wand einen Berg, trat dahinter, bat Wieland zu rathen, und da dieser es nicht konnte, trat Göthe hervor, verbeugte sich und sagte: „Mein Herr Hofrath! hinter dem Berge sind auch Leute!“ Dies kann auch hier angewendet werden, nur daß wir statt „hinter dem Berge“ setzen „jenseits des Meeres.“

Göthe lud mich zweimal höflich zu sich zu Tisch, und da war ich keck und satyrisch, weil ich nicht herzlich und kindlich sein konnte. Unter Anderm recitirte ich ein paar Epigramme, die ich auf Schlegels gemacht hatte. Göthe sagte hier wieder gutmüthig: „Das ist ganz gut; aber so Etwas sollten Sie nicht machen; wer Wein pressen kann, soll keinen Essig brauen.“ — Ich: „„Haben Sie denn keinen Essig gebraut, Herr Geheimerath?““ Göthe: „Zum Teufel! Ist es denn Recht, weil ich es gemacht habe?“ — „„Nein! aber wo Wein gepreßt wird, da fallen auch eine Menge Trauben ab, die zum Wein nicht taugen; die können dann noch einen guten Weinessig geben; und der Essig ist ein sicheres Mittel gegen die Fäulniß.““

Abschied von Göthe.

Ich mußte leider bald fort; und so nahmen wir einen kalten Abschied von einander. — Dies war mir in meinem innersten Herzen zuwider; denn keinen Mann in der Welt achtete und liebte ich mehr als Göthe; und nun sollte ich ihn vielleicht[232] in meinem Leben nie wieder sehen. — Die Postpferde waren auf den nächsten Morgen um 5 Uhr bestellt. — Es war bereits 11 Uhr Abends, ich saß allein auf meinem Zimmer im Elephanten, das Haupt auf die Hand gestützt und Thränen in den Augen. Da bemächtigte sich meiner eine unbeschreibliche Sehnsucht, ihn zum letzten Mal an meine Brust zu drücken; aber zugleich rührte sich auch der Stolz in meinem Herzen und ich wollte mich nicht vor ihm demüthigen.

Ich lief nach Göthe's Hause, sah noch Licht in seiner Wohnung, ging zu Riemer auf sein Zimmer und sagte: „Lieber Freund, kann ich nicht Göthe noch einen Augenblick sprechen? Ich wollte ihm doch gern ein letztes Lebewohl sagen.“ Riemer war erstaunt, aber da er meine Gemüthsbewegung sah und Alles wußte, antwortete er: „„Ich werde es ihm sagen, ich will sehen, ob er noch nicht zu Bett gegangen ist.““ Er kam zurück und bat mich einzutreten, indem er selbst ging. Da stand Götz von Berlichingen's und Hermann und Dorothea's Verfasser in der Nachtjacke und zog seine Uhr auf, um zu Bett zu gehen. Als er mich sah, sagte er freundlich: „Nun, mein Bester! Sie kommen ja wie Nikodemus!“ — „„Herr Geheimrath,““ sagte ich, indem ich ihn umarmte, „„erlauben Sie mir, dem Dichter Göthe auf ewig Lebewohl zu sagen!““ — „Leben Sie recht wohl, mein liebes Kind!“ sagte er herzlich. „„Nichts mehr, nichts mehr!““ rief ich gerührt und verließ schnell das Zimmer.

Ich hoffte bei der Abreise, daß wenn Göthe einmal meinen Correggio lesen würde, er Riemer gegenüber, (den ich damals noch für meinen ehrlichen Freund hielt) sich vortheilhaft über das Stück aussprechen würde, wo ich dann mit meiner ganzen kindlichen Liebe wieder zu Göthe zurückkehren und ihm einen langen Brief schreiben wollte. Aber es geschah nicht, und erst 32 Jahre nachher, als Herr Riemer sein Buch über Göthe nach dem Tode des Dichters herausgab, sah ich, welch ein jämmerlicher schwacher Character Riemer sei, der sich zu Göthe verhielt, wie in[233] Wessels „Liebe ohne Strümpfe“ Mette zu Grethe, und gleich ihr sagte:

„Ich halte in der Welt
Kein einzig Ding für recht, das Grethen nicht gefällt.
Nichts Höh'res kenne ich, als dies für mich auf Erden,
Und Grethe wünscht es nicht, mit Dir vermählt zu werden:
Das meine Antwort. Lebe wohl!“
Ein Urtheil Göthe's.

Später — und gerade aus Riemer's Briefen — erfuhr ich, daß sich die Sache doch nicht ganz so verhielt, wie er es mir selbst gesagt hatte. Ich glaubte nämlich, daß Göthe nicht meinen Correggio lesen wollte, aber er hatte ihn gelesen, er hatte ihm jedoch mißfallen; eben so wie Hakon Jarl ihm mißfallen hatte, als er ihn zum ersten Mal hörte. So vielseitig Göthe auch gern scheinen wollte, war er doch an gewisse Formen und Ansichten gefesselt, und war nichts weniger als ein guter Kritiker, da Persönlichkeit und Parteilichkeit einen zu großen Einfluß auf ihn hatten. Auch war er eifersüchtig auf Alles, was sich ihm zu nähern wagte. Er wollte wohl protegiren und das Unbedeutende unterstützen, hatte z. B. große Aufmerksamkeit für jede dramatische Kleinigkeit in Italien — aber den Norden, Dänemark, Skandinavien ignorirte er als Nebenbuhler des deutschen Ruhmes, als Theilnehmer an germanischen Vorzügen, und er bewahrte über uns stets eine arge Unwissenheit, welche sich unter Anderem darin zeigte, daß er, als er später von mir sprach, sagte: „Wenn diese Nordländer ihre Bären auf den Hinterbeinen tanzen lassen können, glauben sie, was Rechtes zu sein.“

Als ich das letzte Mal in Weimar war, hatte ich noch — da er es nicht hören wollte — meinen Correggio der Frau von Schiller vorgelesen; und die Erbprinzessin von Weimar erwies mir die Ehre, Zuhörerin bei der Witwe des großen Dichters zu sein. Mein Correggio hatte ihnen Beiden sehr gefallen. Göthe's bestem Tragiker, Wolff (viele Jahre darauf Verfasser der Preciosa), las ich auch das Stück vor, und er freute sich[234] in der Hoffnung, bald einmal die Hauptrolle spielen zu können. Alles Dieses, hörte ich nun viel später, hatte Göthe verdrossen, und er war erzürnt darüber, daß ich, wie er glaubte, andere Wege ginge, um mein Stück in Weimar aufführen zu lassen. Das fiel mir gar nicht ein. Ich hatte die Gewißheit, daß das Stück in Kopenhagen aufgeführt werden würde, was mir viel größere Vortheile verschaffte, als mir sie Weimar bieten konnte.

Abschied von Deutschland.

So reiste ich also nach Hause, nachdem ich die Gunst des großen Göthe verloren hatte.


Fußnoten:

[1] Ein Gut zwei Meilen nördlich von Kopenhagen am Oeresund.

[2] Job, d. h. Jakob Mynster, damals Prediger im seeländischen Dorfe Spielderup.

[3] Er war damals noch nicht Schloßverwalter, sondern nur Bevollmächtigter.

[4] Er lebte noch zweiundzwanzig Jahre.

[5] Diese Copie kaufte die Gräfin Schimmelmann später von Hansen, schenkte sie mir, und sie hängt — 37 Jahre nachdem Sophie sie gesehen hat, über meinem Schreibtisch.


Ende des zweiten Bandes.

Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.


Anmerkungen zur Transkription:

Der Schmutztitel wurde entfernt.

Rechtschreibung und Zeichensetzung des Originaltextes wurden übernommen und offensichtliche Druck- und Setzfehler korrigiert.

Der Originaltext ist in Fraktur und fremdsprachliche Passagen sind in Antiqua gesetzt. Abkürzungen wie Dr. und römische Zahlen wie XV wurden nicht in Antiqua dargestellt.

Die Kapitelüberschriften aus den Kopfzeilen wurden in den Text als Randnotizen eingefügt.

*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 48558 ***