Title: Der Tatbestand der Piraterie nach geltendem Völkerrecht
Author: Paul Stiel
Release date: January 31, 2011 [eBook #35137]
Language: German
Staats-
und
völkerrechtliche Abhandlungen.
Begründet
von
Dr. Georg Jellinek und Dr. Georg Meyer,
herausgegeben
von
Dr. Georg Jellinek und
Dr. Gerhard Anschütz,
Professoren der Rechte in Heidelberg.
IV. 4. Der Tatbestand der Piraterie nach geltendem
Völkerrecht. Von Paul Stiel.
Leipzig,
Verlag von Duncker & Humblot.
1905.
Alle Rechte vorbehalten.
Seite | |
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur | X–XIII |
Erster Abschnitt. Die völkerrechtlichen Rechtsfolgen der Piraterie in ihrer Bedeutung für den Tatbestand. |
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§ 1. Die Rechtsfolgen der Piraterie | 1–17 |
Die Aufgabe. S. 1. — I. a) Staatloses Gebiet (Anm. 1, S. 2. Kriminaljurisdiktion in herrenlosen Gebieten). b) Das Meer. Internationale Seepolizei. S. 1. — II. Internationale Bekämpfung der Piraterie. 1. Recht der Festnahme von Piratenschiffen. Die Ansicht Zorns. Die rechtliche Denationalisierung ist Rechtsfolge, nicht Tatbestandsmerkmal (v. Liszt). 2. Pflicht zur Festnahme. 3. Durchsuchungsrecht wegen Piraterieverdacht. 4. Flaggenlose Schiffe. S. 4. — III. Völkerrechtliche Rechtsfolgen der Piraterie im Bereiche des internationalen Strafrechts (Anm. 4, S. 15. Zuständigkeit der Staaten zur Bestrafung piratischer Akte, Übersicht der Landesgesetzgebungen). S. 14. | |
§ 2. Prinzipielles über die Piraterie im englisch-amerikanischen Rechte | 17–23 |
I. Das Territorialitätsprinzip. S. 17. — II. Offences against the law of nations; piracy. S. 19. — III. Bedeutung der Besonderheit des englischen Rechtes für die Gewinnung des Tatbestandes. S. 21. — IV. Das amerikanische Recht. S. 22. | |
§ 3. Die Rechtsfolgen der Piraterie und die grundsätzliche Auffassung des Tatbestandes | 23–25 |
§ 4. Anhang zum ersten Abschnitte. Heutiges Vorkommen der Piraterie (Anm. 7, S. 26. Verträge Chinas mit fremden Mächten) | 25–27 |
Zweiter Abschnitt.
Der Tatbestand der Piraterie nach geltendem Völkerrecht. |
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§ 5. Vorläufige Definition. Quellen; insbesondere die Landesstrafgesetzgebungen | 28–35 |
I. Vorläufige Definition. S. 28. — II. Quellen. Die Instruktionen für die Kriegsflotten (Zusammenstellung in Anm. 3, S. 29). S. 29. — III. Das Landesstrafrecht als Erkenntnisquelle [pg VIII](Anmerkungen S. 32–33. Übersicht der landesstrafrechtlichen Bestimmungen). S. 31. — IV. Terminologie. S. 34. — V. Bestimmungen des Landesstrafrechts ohne völkerrechtliche Bedeutung. S. 35. | |
§ 6. Die Piraterie in der Rechtsgeschichte; Nachwirkungen früherer Anschauungen; Folgerungen für den Tatbestand im geltenden Rechte | 35–53 |
I. Einleitung. S. 35. — II. Piraterie unter staatlicher Autorität. Altertum. Altgermanische Zeit. Christliche Friedensordnung des Mittelalters. Christenheit und mohammedanische Staatenwelt; die Barbareskenstaaten. S. 37. — III. Die private Piraterie. Römisches Recht. Seerecht des Mittelalters: der Pirat ist nicht rechtlos; kriegsrechtliche Bestandteile des Piraterierechtes. S. 41. — IV. Reste kriegsrechtlicher Auffassung im geltenden Rechte. Behandlung des Schiffes nach Prisenrecht. Zuständigkeit der Militärgerichte. Härte der Strafen. Es besteht keine „völkerrechtliche“ Befugnis der Handelsschiffe, Piraten festzunehmen oder zu bestrafen; die Landesgesetzgebungen sind nicht einheitlich. S. 46. — V. Folgerungen für den Tatbestand. S. 52. | |
§ 7. Die grundsätzliche Auffassung des Tatbestandes in der Literatur | 53–57 |
Die rein kriminalistische Auffassung. S. 53. — Die seepolizeiliche Auffassung. I. Ihre Anhänger. S. 54. — II. Aufnahme einzelner Elemente der seepolizeilichen bei Anhängern der kriminalistischen Auffassung. S. 55. | |
§ 8. Der seepolizeiliche Charakter des Tatbestandes | 57–63 |
I. Wert einer richtigen Bestimmung des Charakters des Tatbestandes. S. 57. — II. Nachweis des seepolizeilichen Charakters. Die Marineinstruktionen. Die Landesstrafgesetzgebungen. S. 58. — III. Die Piraterie, ein „Unternehmen gegen das Völkerrecht“. S. 62. — IV. Orientierung über den Inhalt des Tatbestandes. S. 63. | |
§ 9. Der objektive Tatbestand | 63–67 |
I. Benutzung eines Schiffes. S. 63. — II. Die Besatzung. S. 64. — III. Beziehung zur hohen See. „Piraterie terrestre.“ Flußpiraterie und Strandraub. Stand der Ansichten über die Art der Beziehung zur hohen See. Entscheidung. S. 64. | |
§ 10. Der subjektive Tatbestand. a) Die Richtung des Unternehmens gegen prinzipiell alle Nationen | 67–72 |
I. Vorfragen. Raub, verübt von Mitgliedern der Besatzung untereinander. Wegnahme des Schiffes durch die Mannschaft (Meuterei); sie ist nicht Piraterie. S. 67. — II. Notwendigkeit der Richtung des Unternehmens gegen prinzipiell alle Nationen. S. 70. | |
§ 11. b) Der Inhalt der piratischen Akte | 72–80 |
I. Gewalt, das notwendige Mittel piratischer Akte. S. 73. — II. Das Objekt der piratischen Akte. 1. Bedeutung der Kontroverse, ob Gewalthandlungen aller Art oder nur räuberische Akte in Frage kommen. 2. Landesgesetzgebungen und Literatur. 3. Entscheidung. S. 73. — III. Nähere juristische Formulierung [pg IX](Objekt und Mittel). S. 77. — IV. Erfordernis der Gewerbsmäßigkeit. S. 77. | |
§ 12. c) Mangel eines politischen Zweckes. Piraterie unter staatlicher Autorität. Heimatstaat und Piratenschiff | 80–86 |
I. Begriff des politischen Zweckes. S. 80. — II. Piraterie unter staatlicher Autorität (Raubstaaten). 1. Völkerrechtsgemäße Handlungen. 2. Handlungen und Autorisierungen nicht anerkannter politischer Verbände. 3. Einzelne völkerrechtswidrige Handlungen und Autorisierungen. 4. Raubstaaten. S. 81. — III. Heimatstaat und Piratenschiff. 1. Das Verhältnis des Staates zu seinen Nationalschiffen nach Völkerrecht (Anm. 2, S. 84. Grund der Haftung des Staates für Delikte der Untertanen); Interventionsrecht. Nichtanwendbarkeit der gewöhnlichen Grundsätze auf das Verhältnis zu einem Piratenschiff. 2. Für Kriegsschiffe gelten keine Sonderregeln. S. 84. | |
Dritter Abschnitt.
Folgerungen. |
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§ 13. Ausdehnungen des Pirateriebegriffs in Landesrecht und Literatur | 87–88 |
1. Landesstrafrechtliche Ausdehnungen. 2. Die Quasipiraterie der völkerrechtlichen Literatur. S. 87. | |
§ 14. Kriegsschiffe und Kaper aufständischer Parteien | 88–96 |
I. Skizzierung des Rechtszustandes. S. 88. — II. Die Literatur. Insbesondere Hall. S. 90. — III. Die Staatenpraxis (Anm. 4, S. 94. Huascar; Crête à Pierrot). S. 94. | |
§ 15. Illegale Kaperei | 97–108 |
I. Quellen. S. 97. — II. Der Rechtszustand. 1. Piraterie und Kaperei. Beutefahrt in Kriegszeiten ohne Autorisation. Kommissionierung durch beide kriegführenden Mächte. 2. Völkerrechtswidrige Autorisierung. Formlose Autorisierung. Kaperei in Verletzung der Pariser Seerechtsdeklaration. 3. Völkerrechtswidriges Verhalten des Kapers. Insbesondere Wegnahme neutraler Schiffe; Fortsetzung der Beutefahrt nach Beendigung des Krieges; Annahme von Kaperbriefen mehrerer Nationen. S. 97. — III. Kommissionierung nicht staatsangehöriger Kaper. Gegensatz der Ansichten. Unabhängigkeit der Entscheidung von der Frage, ob der Staat, der seinen Untertanen die Annahme fremder Kaperbriefe gestattet, sich einer Neutralitätsverletzung schuldig macht (Beantwortung dieser Frage in Anm. 2–3, S. 103). Das für die Entscheidung verbleibende Material. Entscheidung: das Schiff ist weder Pirat noch ist die Autorisierung fremder Kaper überhaupt völkerrechtswidrig. S. 102. | |
§ 16. Der Handel mit Negersklaven | 108–110 |
§ 17. Verletzung unterseeischer Telegraphenkabel | 110 |
Quellenregister | 111–117 |
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[pg XIII]Wheaton, Éléments du droit international. 5. Aufl. 2 Bände. Leipzig 1874.
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N.R.G. | = Martens, Nouveau Recueil Général. |
Rev. gén. | = Revue générale de droit international public. |
R.G.Bl. | = Reichsgesetzblatt. |
St.G.B. | = Strafgesetzbuch. |
Bekennt man sich zu der Auffassung, daß Rechtssubjekte des Völkerrechts nur die Staaten sind, so ist die Piraterie für das internationale Recht nicht Delikt, sondern ein bloßes Rechtsereignis1; und ihre Rechtsfolgen können in dieser Voraussetzung nur in der Person der Staaten entstehende Befugnisse und Pflichten sein. Das Ziel dieser Untersuchung ist, zu ermitteln, wie dieses Ereignis beschaffen sein müsse, damit es zu einem völkerrechtlichen Rechtsereignis werde, d. h. Rechtsfolgen für die Staaten eintreten. Die Rechtsfolgen selbst interessieren nur, soweit ihre Erkenntnis für die Bestimmung des Tatbestandes von Bedeutung ist.
I. Der großen Aufgabe, zur Förderung ihrer Angehörigen wie zur Durchführung dringender Anforderungen der öffentlichen Moral auch in staatlosen Gebieten eine Rechtsordnung aufzurichten, ist die in der Völkerrechtsgemeinschaft vereinigte Staatenwelt in steigendem Maße gerecht geworden. Die rechtlichen Grundlagen der in dieser [pg 2]Hinsicht getroffenen Maßregeln sind für die in Frage stehenden Gebiete nicht dieselben.
a) In staatlosem Landgebiet stehen der Betätigung der einzelnen Staatsgewalten keine aus den Verhältnissen der staatlosen Gebiete selbst abzuleitenden Hindernisse entgegen. Tatsächliche Machtentfaltung wie auch die Ausdehnung der Geltung der Gesetze sind lediglich durch mit dem besonderen Charakter des Gebietes nicht zusammenhängende allgemeine völkerrechtliche Prinzipien gebunden2. Diese Sätze gelten auch für Interessensphären3.
[pg 3]b) Dem dringenderen Bedürfnis entsprechend ist die internationale Rechtsordnung für das Meer zu einer ungleich geschlosseneren Ausgestaltung gelangt. Ihre Grundlage ist nicht, wie bei der auf staatlosem Landgebiet errichteten, eine rein negative, dahin gehend, daß der Entfaltung der Staatsgewalt zivilisierter Staaten keine Schranken gezogen wären, vielmehr ein positives Prinzip, das jede Gebietshoheit ausschließt und so das Meer für ein „staatloses Gebiet“ durchaus eigner Art erklärt4. Auf dieser Grundlage, als Konsequenz des Prinzips der Meeresfreiheit, ergibt sich sodann eine zweifache Verpflichtung der Staaten; sie haben insgesamt Sorge zu tragen, daß nur staatsangehörige Schiffe das Meer befahren; und jeder einzelne hat zu verhindern, daß seine Nationalschiffe die allgemeine Sicherheit verletzen oder gefährden.
Man könnte versucht sein, in diesen Grundsätzen ein geschlossenes System zu erblicken, ausreichend, den friedlichen Seeverkehr in allen Beziehungen zu sichern. Aber der Ozean in seiner unermeßlichen Weite, „undique et undique navigabilis“ (Grotius mare liberum C. 1), läßt dem einzelnen Staate nicht die Möglichkeit, seine Staatsgewalt den ihm angehörigen Schiffen als eine allgegenwärtig [pg 4]wachende und strafende Macht erscheinen zu lassen; und wenn schon bei Nationalschiffen aus tatsächlichen Gründen der aufgestellte Grundsatz nicht ausreicht, so ist, was die keinem Staate angehörigen Fahrzeuge betrifft, der Grundsatz selbst etwas prekärer Natur und zumal in seiner Durchführung im einzelnen sehr unsicher.
So erklärt sich das Bestehen einer Reihe von Rechtsinstituten, die sich in ihrer praktischen Bedeutung, wenn auch nicht notwendig in ihrer juristischen Konstruktion, als Modifikationen der Meeresfreiheit darstellen, in Modifikation derselben ein System internationaler Seepolizei etablieren. Mit einer Ausnahme gehören sie alle der neuesten Zeit an und finden ihre Grundlage in Verträgen5. Die Ausnahme ist die Piraterie6 und 7.
II. „Die seefahrenden Nationen ... erklären sich zur Repression der unter dem Namen der Piraterie begriffenen Tatbestände rechtlich verpflichtet“ (v. Martitz, Int. Rechtshilfe I, S. 66). Dieser Satz enthält einen Grundsatz, einen leitenden Gedanken; welches der genaue Umfang der Befugnisse und Pflichten der Staaten in der Bekämpfung der Piraterie sei, bedarf näherer Untersuchung. Es wird [pg 5]sich sofort zeigen, daß die Stellungnahme zu dieser Frage in sehr wesentlichen Punkten der Bestimmung des Tatbestandes präjudiziert.
1. Festnahme von Piratenschiffen. Ihre Denationalisierung. Daß die seitens ihrer Regierung dazu ermächtigten Schiffe aller Nationen das Recht haben, Piratenschiffe aufzubringen, ist eine nirgends bezweifelte Tatsache8. Bestände dieses Recht nicht, so wäre die Piraterie für das Völkerrecht ohne jede Bedeutung.
Nur ein Autor ist uns bekannt geworden, der in radikaler Weise mit der herkömmlichen Anschauung bricht. Es ist Albert Zorn (Völkerrecht, 2. Aufl. 1903, S. 169): „Dagegen ist der Seeraub (die Piraterie) nicht ohne weiteres in der Weise strafbar, daß jeder Staat das Recht hat, jedes Piratenschiff, gleichviel welcher Nationalität Schiff oder Eigentümer angehört, anzuhalten oder aufzugreifen. Vielmehr ist infolge des Prinzips von der Freiheit des offenen Meeres die für jeden Staat erforderliche Rechtsgrundlage hierfür nur dann gegeben, wenn der Täter ein Staatsangehöriger oder die Tat innerhalb des Staatsgebiets, sei es auf einem Schiffe des betreffenden Staates oder auf einem fremden Schiffe im Küstenmeer, begangen ist oder die Strafbarkeit auf einem Staatsvertrage beruht;“ (dazu N. 2): „Das ergibt sich auch schon daraus, daß dem ‚völkerrechtlichen Verbote‘ z. B. für Deutschland jede [pg 6]Möglichkeit wirksamer Durchführung infolge Mangels einer Strafandrohung fehlt“ (vgl. auch Philipp Zorn, Staatsrecht II, 2. Aufl. 1897, S. 927). Dieser Ausführung kann der Vorwurf einer gewissen Oberflächlichkeit nicht erspart bleiben. Die sehr zutreffende Bemerkung, daß nach geltendem Rechte tatsächlich nicht jeder Staat die Kompetenz zur Aburteilung eingebrachter Piraten habe, ist schon oft gemacht worden; aber daraus den Schluß zu ziehen, daß die Piraterie überhaupt ohne völkerrechtliche Bedeutung sei, ist nur bei einer Konfundierung der vollkommen disparaten Fragen möglich, wie weit sich die Gerichtsbarkeit eines Staates erstrecke und unter welchen Voraussetzungen er zur Festnahme eines Schiffes auf hoher See schreiten dürfe. Auch im Falle des Einschreitens eines deutschen Kriegsschiffes etwa auf Grund des Nordsee-Fischereivertrages oder der Kabelkonvention ist die Möglichkeit der Strafverfolgung in Deutschland nur in den (auch für die Verfolgung von Piraten geltenden) Schranken der §§ 3–8 St.G.B. gegeben9, ohne daß dadurch die Zulässigkeit des Eingriffs irgendwie berührt würde. Wenn vielen Staaten nach Lage ihrer Gesetzgebung die Zuständigkeit zur Bestrafung von Piraten in gewissen Fällen mangelt, so ist deshalb die Aufbringung der Piratenschiffe durch sie keine unnütze Bemühung, es sei denn, es bestehe nicht die Möglichkeit der Auslieferung an irgend einen zuständigen Staat, ein denkbarer aber sehr unpraktischer Fall. Daß in Ergänzung der fehlenden eigenen Zuständigkeit des Staates eine Auslieferungsverbindlichkeit besteht10, ist ein Gesichtspunkt, der Zorn entgangen zu sein scheint.
[pg 7]Unter der Einmütigkeit, mit der die Zulässigkeit der Aufbringung der Piratenschiffe anerkannt wird, verbirgt sich nun aber eine tiefgehende Meinungsverschiedenheit über die Tragweite dieser Anerkennung. Veranlaßt durch die Notwendigkeit, den in Verkennung des Wesens der Piraterie vielfach übermäßig ausgedehnten Tatbestand zu restringieren, hat man behauptet, Pirat sei nur ein solches Schiff, „das völkerrechtlich betrachtet keinem Staate angehört“ (v. Liszt, Völkerrecht, S. 211)11. Es ist das im Grunde eine Frage des Tatbestandes der Piraterie, nicht der Rechtsfolgen; wenn sie gleichwohl hier ihre Behandlung findet, so rechtfertigt sich das daraus, daß, wenn die von v. Liszt vertretene Auffassung richtig ist, die Piraterie zu einem Tatbestand ohne selbständige Rechtsfolge würde, wonach die weitere Darstellung einen ganz anderen Weg einzuschlagen hätte. Ein keinem Staate angehörendes Schiff kann aus dem bloßen Grunde seiner Anationalität aufgebracht werden (s. u. 4). Die Bedeutung der Piraterie besteht wesentlich darin, daß sie die Maßregel auch gegenüber nationalen Schiffen ermöglicht. Vor näherem Eingehen auf die Kontroverse soll eine Präzisierung derselben versucht werden.
Eines der wesentlichsten Elemente des subjektiven Tatbestandes der Piraterie ist die Lösung des Piratenschiffes von jedem anerkannten staatlichen Verbande in einem noch näher zu bestimmenden beschränkten Sinne (gewerbsmäßiges, sozialgefährliches Unternehmen ohne politischen Zweck). Diese Lösung ist ein rein tatsächlicher Vorgang, ein Ereignis in der Psyche der betreffenden Personen. Von ihr, die man als faktische Denationalisierung bezeichnen könnte, [pg 8]ist die infolge der Piraterie eintretende rechtliche Denationalisierung streng zu scheiden. Diese letztere bedeutet eine Lockerung des rechtlichen Bandes, das das Schiff und seine Besatzung mit dem Heimatlande verbindet; und zwar denkt bei ihr die kontinentale Auffassung in erster Linie an die rechtliche Lösung des Schiffes vom Heimatstaate (rechtliche Denationalisierung des Schiffes), die englisch-amerikanische an die Lösung des Bandes zwischen Staat und Untertan (rechtliche Denationalisierung der Besatzung). Faktische und rechtliche Denationalisierung stehen im Verhältnis von Tatbestand und Rechtsfolge. Im Gegensatz hierzu betrachtet v. Liszt die rechtliche Denationalisation als ein Tatbestandsmerkmal, eine Voraussetzung der Piraterie.
Der Grund der v. Liszt’schen Anschauung wird in einem durchaus zutreffenden Gedanken zu suchen sein, dem v. Liszt folgenden Ausdruck verleiht (S. 211): „Wenn die Besatzung eines deutschen Schiffes auf offener See eine Gewalttat begeht, also etwa ein Fischerboot anhält und ausplündert, so tritt ausschließlich die deutsche Gerichtsbarkeit ein; die Tat ist nicht Seeraub im Sinne des Völkerrechts.“ Aber so berechtigt dieser Gedanke ist, so nötigt er doch keineswegs, die juristische Denationalisation zum Tatbestandsmerkmal zu erheben. Ist man von der Unmöglichkeit der verbreiteten Meinung überzeugt, die in einem einzelnen Gewaltakt eines Schiffes den alle Nationen zum Einschreiten berechtigenden Tatbestand der Piraterie sieht, so wäre zunächst einmal in eine Prüfung der juristischen Haltbarkeit dieser Ansicht einzutreten. Demgegenüber geht v. Liszt in der Weise vor, daß er unter Beibehaltung der unhaltbaren grundsätzlichen Auffassung in einem anderen Punkte eine Restriktion des Tatbestandes vornimmt, durch die das gewünschte Ziel erreicht, zugleich aber das ganze Rechtsinstitut seiner Bedeutung beraubt wird.
Diese Überlegung beseitigt nicht die Notwendigkeit, die Behauptung, daß die juristische Denationalisierung [pg 9]lediglich Rechtsfolge der Piraterie ist, positiv zu erweisen. Es genügt jedoch zu diesem Behufe auf die Übereinstimmung der Literatur12, der Staatenpraxis, wie sie den Instruktionen für die Kriegsmarinen zu entnehmen ist13, sowie auch der Landesstrafgesetzgebungen14 hinzuweisen (über den Wert der letzteren für die Ermittelung des völkerrechtlichen Tatbestandes s. u. § 5).
In einem Teile der Literatur findet man den Gedanken der Denationalisierung als Rechtsfolge in der Form ausgedrückt, daß zunächst das Erfordernis der Anationalität des Piratenschiffes aufgestellt wird, alsbald aber die Anmerkung folgt, daß, sofern das Schiff eine Nationalität besessen, es sie durch die Ausübung der Piraterie verloren habe15. Diese etwas irreführende Darstellung ist dadurch [pg 10]ermöglicht, daß die Denationalisierung, eine Rechtsverwirkung, eine mit dem Eintritt des Tatbestandes unmittelbar gegebene Rechtsfolge ist.
Im vorigen sind die Bezeichnungen „anationale Schiffe“ und „denationalisierte Schiffe“ promiscue gebraucht. Für unseren Zweck ist das angängig. Denn die Piraterie löst die Verbindung des Schiffes mit seinem Heimatstaate völlig; beide Seiten des Verhältnisses fallen weg16; nicht nur wird dem Schiffe der Schutz des Staates entzogen, so daß es dem Zugriff jeder Macht unterliegt, sondern es wird auch der Heimatstaat von seiner Verantwortlichkeit für den Bestand einer gesicherten Rechtsordnung an Bord befreit17. Von dieser zweiten, weniger bedeutsamen Seite des Verhältnisses ist abgesehen, wenn als Folge der Piraterie lediglich das Recht zur Aufbringung des Piratenschiffes angegeben wird.
2. Von erheblich geringerer Bedeutung für die Ermittelung des Tatbestandes der Piraterie ist die an sie als [pg 11]Rechtsfolge geknüpfte Pflicht der Staaten, das Piratenschiff festzunehmen18. Diese Pflicht ist eine völkerrechtliche Pflicht der Staaten, nicht natürlich der Kriegsschiffe19 oder gar der Handelsschiffe20. Die Art der Erfüllung der Pflicht ist eine rein landesrechtliche Angelegenheit. Deutschland wird ihr in der Weise gerecht, daß es seinen Kriegsschiffen die Befugnis zum Einschreiten gegen Piraten gibt21; diese Befugnis in Verbindung mit den allgemeinen Dienstpflichten des Offiziers begründet in geeigneten Fällen eine (dem innerstaatlichen Rechte angehörende) Pflicht zur Festnahme.
3. Eine mit den behandelten, sich auf das unmittelbare Vorgehen gegen das Piratenschiff beziehenden Rechtsfolgen der Piraterie aufs engste zusammenhängende Repressivmaßregel ist die Durchsuchung piraterieverdächtiger Schiffe. Die Behandlung des Punktes bringt zugleich die Entscheidung über eine Frage des Tatbestandes (siehe 4).
Die Existenz eines solchen Durchsuchungsrechtes wird, soviel wir sehen, nicht bestritten. Dafür spricht nicht allein seine Notwendigkeit und die allgemeine Zustimmung der Literatur22, auch der französischen23, sondern auch die [pg 12]Staatenpraxis, wie sie namentlich in den neuen deutschen „Bestimmungen für den Dienst an Bord“ nunmehr klar erkennbar ist24. Ob und unter welchen Umständen bei Nichtbestätigung des Verdachtes der Staat bezw. der Kommandant ohne Verschulden verantwortlich sind, kommt hier nicht in Betracht, da jedenfalls nur ein Fall der Genugtuungs- bezw. Ersatzpflicht für eine rechtmäßige Handlung vorliegen würde25.
4. In Betrachtung der Rechtsfolgen der Piraterie, soweit sie die unmittelbare Anwendung staatlicher Zwangsgewalt auf dem Meere betreffen, erweist sich eine zuweilen beliebte Ausdehnung ihres Tatbestandes als unhaltbar. Man sagt, Schiffe, die keinem Staate angehören, seien der Piraterie verdächtig, oder nach Analogie der Piratenschiffe zu behandeln26. Die Unrichtigkeit dieser Gleichstellung ergibt sich aus der Verschiedenheit der in beiden Fällen zur Anwendung gelangenden Maßregeln, der Rechtsfolgen.
[pg 13]Die Staaten sind zwar verpflichtet, das Meer von flaggenlosen Schiffen frei zu halten27, und ihrem Einschreiten steht so wenig ein völkerrechtliches Hindernis entgegen wie dem gegen Piraten; aber wenn schon der Charakter des Einschreitens im Falle bloßer Flaggenlosigkeit ein präventiver, im Falle der Piraterie ein repressiver ist, so tritt der Unterschied vollends hinsichtlich der Prüfung seiner Voraussetzungen zutage. Ein Visitationsrecht in Friedenszeiten gibt es nur zum Zwecke der Unterdrückung der Piraterie; der bloße Verdacht der Anationalität ist nicht ausreichend, irgendeine Zwangsmaßregel nationalen Schiffen gegenüber zu rechtfertigen28.
Wenn aber auch die völkerrechtliche Behandlung flaggenloser Schiffe und der Piratenfahrzeuge differiert und, wie schon daraus zu schließen ist, die Tatbestände verschieden sind, so ist doch zuzugeben, daß die beiden Erscheinungen praktisch oft nicht zu trennen sind. Die Vermutung der Piraterie ist allerdings bei einem flaggenlosen Schiffe, wenn nur noch geringfügige erschwerende Momente hinzutreten, wohl begründet (s. auch u. § 8). Aber um so schärfer muß daran festgehalten werden, daß sie durch Flaggenlosigkeit allein nicht gerechtfertigt ist. Es handelt sich doch praktisch weit mehr um Schiffe zivilisierter Völker, die aus einem politischen Grunde nicht des Schutzes einer völkerrechtlich anerkannten Autorität teilhaftig sind, als um die Kähne wilder und halbwilder Stämme oder die [pg 14]Fahrzeuge auf eigene Faust die See durchschwärmender Abenteurer; und auch die Gegner werden kaum geneigt sein, mit Lord Palmerston (s. o. S. 12, Anm. 3) die deutsche Flotte der Revolutionszeit als eine Piratenflotte zu betrachten.
III. Eine der auffälligsten Erscheinungen in der Literatur über die Piraterie ist die Verschiedenheit der systematischen Stellung, die die Lehre in den Darstellungen der kontinentalen und der englisch-amerikanischen Völkerrechtsschriftsteller gefunden hat. Das kontinentale System bringt sie im Zusammenhang der Behandlung der Rechtsverhältnisse auf hoher See; die Piraterie ist ihm ein seepolizeilicher Tatbestand. Das englische System stellt sie unter das Rubrum: „right of jurisdiction“29; ihm ist die Piraterie ein Tatbestand des völkerrechtlichen internationalen Strafrechts. Der durch die Verschiedenheit der Systematik angedeutete Gegensatz der Auffassungen ist nicht so groß, wie es den Anschein hat; denn die Engländer verkennen nicht, daß die Piraterie auch die Befugnis zu einem sonst verpönten, seepolizeilichen Einschreiten begründet30; und andererseits findet sich auch auf dem Kontinent nicht selten als Rechtsfolge der Piraterie die Zuständigkeit jedes Staates zu ihrer Bestrafung angegeben31. Gleichwohl ist er für ein [pg 15]richtiges Verständnis des Tatbestandes der Piraterie nicht nur in Einzelfragen (s. § 2), sondern auch in der grundsätzlichen Auffassung (s. § 3) nicht ohne Bedeutung.
In der Tat nun ist die Piraterie ein Tatbestand des völkerrechtlichen internationalen Strafrechts32 nur in einem höchst untergeordneten Punkte.
Es trifft nicht zu, daß aus der Piraterie als ihre Rechtsfolge den Staaten die völkerrechtliche Befugnis zu ihrer Bestrafung erwüchse, so oft es auch behauptet worden ist. Diese Befugnis haben sie ohnehin. Das Territorialitätsprinzip ist nicht völkerrechtlich; und die völkerrechtlichen Grenzen, die der Strafgerichtsbarkeit der Staaten tatsächlich gezogen sind, schließen piratische Akte nicht aus33. Der Staat hat die völkerrechtliche Befugnis Piraten zu bestrafen; aber nicht aus einem besonderen Rechtstitel, sondern kraft seiner völkerrechtlichen Persönlichkeit.
Es besteht keine Pflicht der Staaten, von der ihnen offenstehenden Möglichkeit der Strafverfolgung der Piraten Gebrauch zu machen34. Dies folgt aus der tatsächlichen landesrechtlichen Unzuständigkeit vieler Staaten zur Bestrafung piratischer Akte35 und aus der Bereitwilligkeit [pg 16]anderer, auch im Falle eigener Zuständigkeit das Auslieferungsverfahren eintreten zu lassen (s. Note unter 2.).
Die einzige von den normalen Rechtsfolgen des Verbrechens im Bereiche der völkerrechtlichen Beziehungen verschiedene Wirkung der Piraterie ist die Nichtsubsidiarität der eigenen landesrechtlichen Strafbefugnis im Falle gleichzeitiger Existenz einer Auslieferungsverbindlichkeit. Hinter dem gleichmäßigen Interesse aller Nationen an der Repression des gemeingefährlichen Unwesens treten die persönlichen Beziehungen des Verbrechers wie die räumlichen [pg 17]des Verbrechens zurück36. Aber selbst dieser Satz ist sehr prekärer Natur, und die moderne Staatenpraxis steht ihm zum Teil entgegen37.
Um nun aber die Darstellung der Rechtsfolgen der Piraterie zum Abschluß zu bringen, ist eine Klarlegung der im Vergleich zu den hier fixierten Sätzen weit bedeutenderen Rolle unerläßlich, die das englische Recht der Piraterie im Bereiche des internationalen Strafrechts zuweist. Das dadurch vervollständigte System der Rechtsfolgen bildet den ersten Ausgangspunkt zum Aufbau des Tatbestandes.
I. Das Territorialitätsprinzip. 1. Nach dem Rechte des späteren Mittelalters ist die Zuständigkeit der Grafschaftsgerichte auf die infra corpus comitatus be[pg 18]gangenen Delikte beschränkt38. Die durch die Starrheit dieses Grundsatzes herbeigeführten Absonderlichkeiten sind im modernen Rechte im allgemeinen verschwunden; nur in einigen formalen Punkten wirkt das Prinzip noch nach, so wenn die Zuständigkeit eines Gerichtes für außerhalb seines Bezirks, innerhalb oder auch außerhalb des Reiches, begangene Handlungen durch die Fiktion der Begehung in seinem Bezirke begründet wird39; oder wenn Tatort und zuständiges Gericht in der Rechtssprache mit demselben Ausdruck, venue (= vicinitas), bezeichnet werden.
Aber die die Schroffheiten des alten Grundsatzes mildernde Gesetzgebung hat an der Landesgrenze prinzipiell Halt gemacht. Das internationale Strafrecht steht nach wie vor materiell und formell in seinem Bann; formell insofern die staatsrechtliche Begrenzung der Gerichtsbarkeit durchaus in der Form der Abgrenzung gerichtlicher Kompetenz erfolgt40; materiell in der Herrschaft des Territorialitätsprinzips.
2. Wenn aber der alte strafprozessuale Gedanke zufolge der Macht der Vergangenheit über ein konservativ gerichtetes Volk sich inhaltlich teilweise erhalten hat, so hat er doch, in sehr wesentlichen Punkten durchbrochen, [pg 19]eine Einordnung in neue Gedankenkreise dulden müssen. Er wird nunmehr aus einer angeblichen völkerrechtlichen Notwendigkeit abgeleitet; eine Betätigung der Staatsgewalt außerhalb des Territoriums und ohne personale Beziehung41 soll dem internationalen Rechte zuwiderlaufen. So verstanden, erfreut sich, wenn auch die ganze Anschauung sich in Zersetzung befinden mag (siehe die Angaben bei v. Martitz I, S. 65, Note 10 u. 11), das Territorialitätsprinzip als Maxime noch in der neuesten englischen Gesetzgebung und Literatur allgemeiner Anerkennung42.
II. Offences against the law of nations; piracy. In Abweichung von dem Territorialitätsprinzip erkennt das englische Recht, wie bei der Aufstellung des Prinzips selbst von völkerrechtlichen Erwägungen geleitet, für einen Komplex von Tatbeständen den Beruf der Staaten zur Weltrechtspflege an. Die „offences against the law of nations“ als Verletzungen solcher Anordnungen des Landesrechts, die sich zugleich als Bestandteil des Völkerrechtes darstellen43, unterliegen der Ahndung seitens jedes Staates, in dessen Gebiet der Täter betroffen wird.
[pg 20]Zu diesen offences against the law of nations wird auch die piracy gezählt44; aber es ist nicht zu übersehen, daß sie unter ihnen eine durchaus eigenartige Stellung einnimmt. Ihre Bedeutung für das internationale Strafrecht beschränkt sich nicht auf die bloße Begründung einer allgemeinen Befugnis zu ihrer Bestrafung, sondern ihre Wirkung ist der Fortfall allen und jeden völkerrechtlichen Schutzes des Täters seitens seines Heimatstaates im Bereiche des internationalen Strafrechts (Denationalisierung der Person), so daß die Strafkompetenz des verfolgenden Staates über den Piraten auch für solche Verbrechen besteht, die nicht piracy sind45.
[pg 21]Hiernach ist die piracy ein Verbrechen nach englischem Landesrecht, dessen völkerrechtliche Bedeutung darin besteht, daß es, zugleich46 eine offence against the law of nations, den Täter der Gerichtsbarkeit jedes Staates unterwirft.
Daß auch die Engländer die Zulässigkeit der Ergreifung der Piraten auf hoher See (Denationalisierung des Schiffes) als Rechtsfolge der Piraterie anerkennen, wurde schon bemerkt (s. o. S. 9, N. 1); sie heben den Umstand nicht sehr hervor, weil er ihnen, die wenig an eine Scheidung der Fragen gewohnt sind, auf welche Handlungen und Personen ein Staat seine Gerichtsbarkeit ausdehnen könne, und in welchen Grenzen andererseits ihm die Ausübung unmittelbaren Zwanges zustehe, in der Statuierung des Jurisdiktionsrechtes genügend ausgedrückt scheint47.
III. Die Besonderheit der englischen Auffassung ist in mehrfacher Hinsicht für die Eruierung des Tatbestandes von Bedeutung.
1. Die Qualifizierung einer Gruppe rein landesrechtlicher Tatbestände als piracy ist nach englisch-amerikanischem Rechte nicht lediglich ein Ergebnis historischer Zufälligkeit wie etwa im französischen Rechte; der vertraute Begriff dient als Ausgangspunkt für die Erstreckung der Strafgerichtsbarkeit auch auf andere im Ausland begangene Verbrechen48.
[pg 22]2. Andererseits ist in keinem Lande die Grenze der völkerrechtlichen und der landesrechtlichen Piraterie klarer erkennbar als hier. Das Landesrecht, durch das Territorialitätsprinzip beherrscht, kann extraterritoriale Geltung nur für Untertanen beanspruchen49; für piracy juris gentium ist der Unterschied der Staatsangehörigkeit gleichgültig.
3. Eine gewohnheitsrechtliche Weiterbildung des völkerrechtlichen Tatbestandes der Piraterie durch eine von politischen Erwägungen geleitete Staatenpraxis ist durch die englische Auffassung sehr erschwert, da sie, zugleich eine Weiterbildung des Common Law, gerichtlicher Kontrolle unterliegt. Dies ist namentlich für die mit der Kaperei zusammenhängenden Fragen von Bedeutung.
IV. Das amerikanische Recht weicht in einem Punkte nicht unwesentlich vom englischen ab50. Da die Jurisdiktion (Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit) in „all cases of admiralty and maritime jurisdiction“ zu (im allgemeinen) [pg 23]exklusiver Berechtigung dem Bunde zusteht51, die Bundesgerichtshöfe aber keine common-law jurisdiction haben52, so folgt, daß „piracy cannot be punished, except under a statute enacted by Congress“ (Bishop, § 1060, Note 2). Eine Konsequenz dieser dem englischen Rechte fremden Notwendigkeit statutenrechtlicher Durchführung des die piracy pönalisierenden Rechtssatzes war, daß es bis zum Inkrafttreten der Rev. Stat. von 1874 und außer der kurzen Geltungsperiode des Gesetzes vom 3. März 1819 sehr zweifelhaft war, ob überhaupt piracy by the law of nations in den Vereinigten Staaten einen Richter fand53.
Die Bedeutung der Rechtsfolgen der Piraterie für die Erkenntnis des Tatbestandes ist, soweit Einzelheiten in Frage stehen, bereits dargestellt (§ 1 u. 2). Für die grundsätzliche Auffassung ist sie wesentlich negativer Art, insofern die Rechtsfolgen in keiner Weise nötigen, an der üblichen Betrachtungsweise festzuhalten.
[pg 24]Man sieht in der Piraterie ein Verbrechen nach Landesrecht; ein Verbrechen, an das gewisse völkerrechtliche Rechtsfolgen geknüpft sind.
Diese Rechtsfolgen sind nun aber, wie sich ergeben hat, in der Hauptsache seepolizeilicher Art; sie betreffen das Vorgehen der Kriegsschiffe auf hoher See. Hierdurch wird klar, daß die Forderung der Deliktsqualität des den Eingriff veranlassenden Geschehens keine notwendige ist, nicht mit irgend welchen juristischen oder politischen Prinzipien in Zusammenhang stehen kann. Das Interesse an der Unschädlichmachung von Piraten ist nicht geringer und das einer internationalen Eingriffsbefugnis entgegenstehende Interesse nicht größer, wenn ihre Zurechnungsunfähigkeit strafrechtliche Ahndung ausschließt.
Wenn aber das englische Recht der Piraterie eine Stellung vornehmlich im völkerrechtlichen internationalen Strafrecht anweist, so ist die Auffassung doch nicht die, daß mit einem bestimmten strafrechtlichen Tatbestand die völkerrechtliche Zulässigkeit der Bestrafung für diesen gegeben sei, sondern man sieht als seine völkerrechtliche Wirkung die gänzliche Denationalisierung des Täters gegenüber der Strafgewalt fremder Staaten, auch für nichtpiratische Akte, an. Allerdings ist die Voraussetzung des Eintritts dieser Rechtsfolge notwendig ein Delikt im technischen Sinne54; aber die Rechtsfolge ist so eigenartig, daß sich vermuten läßt, es möchte eine rein kriminalistische Behandlung dem Tatbestande nicht gerecht werden.
Im übrigen ist, wie nachgewiesen55, der englischen Auffassung die seepolizeiliche Seite der Piraterie keineswegs fremd, und es steht nichts im Wege, dem kriminellen Tatbestande der piracy im Bereiche des conflict of laws einen seepolizeilichen Tatbestand im Bereiche der Seepolizei zur Seite zu stellen (s. u. § 8 II, Ver. Staaten).
[pg 25]Hiernach ist die Bahn frei für den Nachweis, daß der Tatbestand der Piraterie nicht kriminalistischer, sondern, wie seine Rechtsfolgen, seepolizeilicher Natur ist. Ihn positiv zu erbringen ist die Aufgabe des zweiten Abschnittes (s. bes. § 8).
Aktualität und wirkliche Bedeutung eines Rechtsinstitutes mögen proportional sein, wenn es sich um solche Lebensverhältnisse handelt, die das Recht zu fördern Grund hat oder ohne Sympathie und Antipathie lediglich ordnet. Hingegen kann bei Instituten repressiver Tendenz, wenn sie zweckentsprechend ausgebaut sind, aus dem Mangel der Aktualität ein Schluß auf ihre wahre Bedeutung nicht gezogen werden.
Die Überwachung der Meere durch die Kriegsschiffe aller zivilisierten Nationen hat die Piraterie in entlegene, aus physikalischen oder ethnologischen Gründen schwer zugängliche Gegenden zurückgedrängt, wo sie in Verbindung mit Strandraub oder Flußpiraterie ein im Vergleich zu vergangenen Zeiten nur noch kümmerliches Dasein fristet; aber doch nur, um alsbald wieder aufzuleben, wenn die Kanonen einmal nicht mehr drohen.
Nach der Aufteilung der Erde56 allgemein gezwungen, ihren Sitz in staatlichem Gebiet zu nehmen, empfinden die Piraten den Druck der Völkerrechtsgemeinschaft in doppelter Schwere; nicht nur, daß ihren maritimen Unternehmungen allerorts ein überlegener Gegner droht, ist auch der Staat, dessen Territorium sie zur Operationsbasis wählen, völkerrechtlich verbunden zu verhindern, daß aus seinem Juris[pg 26]diktionsgebiete heraus den Interessen fremder Nationen Gefahren erwachsen57.
Fälle von Piraterie haben sich in neuerer Zeit ereignet im ägäischen Meere58, im roten Meere59, im persischen Golfe60, im malayischen Archipel61, in Indochina62, endlich in China63 und Marokko64 und 65.
[pg 27]I. Piraterie ist ein unpolitisches auf die gewerbsmäßige Ausübung räuberischer Gewaltakte gegen prinzipiell alle Nationen gerichtetes Seeunternehmen.
Wie die Rechtsfolgen der Piraterie, so ist auch ihr Tatbestand seepolizeilicher Natur; sie ist mit der Gefährdung der Interessen gegeben ohne Rücksicht darauf, ob in der Person einzelner oder aller Beteiligter zugleich ein krimineller Tatbestand erfüllt ist.
Die Elemente dieses Tatbestandes sind ein physisch-lokales, Lebensführung ganz oder teilweise auf hoher See (courir les mers), und ein psychisches, die Absicht der Verübung räuberischer Gewalttaten gegen prinzipiell jeden Träger der in Frage stehenden Lebensgüter in Verfolgung privater Interessen.
Durch das psychische Element des Tatbestandes ist bestimmt, in welchem Umfang die „Lösung vom Heimatstaate“ oder „faktische Denationalisierung“ Begriffsmerkmal der Piraterie ist. Die Bedeutung eines selbständigen Merkmals kommt ihr nicht zu.
[pg 29]II. Die arge Zerfahrenheit, die in der Lehre vom Tatbestande der Piraterie herrscht66, rührt nicht zuletzt davon her, daß man sich nicht darüber klar geworden ist, aus welchen Quellen der Begriff zu schöpfen sei.
Die vornehmste Erkenntnisquelle des völkerrechtlichen Gewohnheitsrechtes ist das Verhalten der Staaten. Diuturnus usus, opinio necessitatis können nur auf induktivem Wege aus der Staatenpraxis nachgewiesen werden. Es kommt aber nicht so sehr das tatsächliche Verhalten im einzelnen Falle in Betracht, für das, wie es die Kompliziertheit des Konkreten nicht anders erwarten läßt, regelmäßig eine Vielheit rechtlicher Gesichtspunkte bestimmend ist, ohne daß der Anteil der einzelnen an der Gesamtwirkung immer erkennbar wäre, als vielmehr die autoritative Fixierung der Rechtsüberzeugung in — möglicherweise durch den Einzelfall veranlaßten — Erklärungen wie Noten, Verwaltungsvorschriften, Verträgen, Gesetzen, in denen die verschlungenen Elemente der Wirklichkeit zu Rechtsbegriffen geordnet sind.
Die Frage nach dem Tatbestande der Piraterie kann man dahin formulieren, an welche Voraussetzungen Recht und Pflicht der Staaten zur Aufbringung eines Fahrzeuges aus dem Grunde der Piraterie geknüpft sei (siehe § 1). Hiernach ist das Material zu seiner Bestimmung vornehmlich in denjenigen Gesetzen und Verwaltungsvorschriften der einzelnen Staaten zu suchen, die den Dienst der Kriegsflotte regeln67.
Es ist nun aber nicht zu verkennen, daß die Ausbeute, die die Marinegesetze und -instruktionen gewähren68, ge[pg 30]ringfügiger ist, als man erwarten möchte. Zur Unterstützung der aus ihren Bestimmungen zu gewinnenden Resultate soll daher außer, wie selbstverständlich, der Literatur auch die Geschichte herangezogen werden. Dies bedarf einer Rechtfertigung.
Das Piraterierecht als völkerrechtliches Rechtsinstitut in dem heutigen Sinne ist eine Erscheinung jungen Datums. Der Gedankenkreis der Meeresfreiheit, in den es sich einfügt (s. o. § 1), ist noch im 18., in einzelnen Beziehungen selbst noch im Anfang des 19. Jahrhunderts nicht mehr als ein von einer — freilich stets wachsenden — Anzahl von Staaten verfochtenes politisches Prinzip. Mag auch die Piraterie zu allen Zeiten bekämpft worden sein, so sind doch die rechtlichen Grundlagen des Einschreitens in alter und neuer Zeit durchaus verschieden. Einen der Gründe der Unsicherheit ihres völkerrechtlichen Tatbestandes darf man darin sehen, daß sie ihre heutige Stellung im System des Völkerrechts erst erlangte, als ihr tatsächliches Vorkommen schon selten geworden war.
Entbehren nun aber auch hienach die alten Rechtssätze des Piraterierechts jeder praktischen Anwendbarkeit, so haben sie doch einen nicht zu unterschätzenden Wert für die theoretische Erkenntnis des Tatbestandes. Denn im Wechsel der Rechtsanschauungen ist der Tatbestand unverändert geblieben69; aus dem historischen Rechte auf sein Wesen und seinen Inhalt gezogene Schlüsse sind von unmittelbarer Bedeutung für das geltende Recht. Vor allem ist die historische Betrachtung geeignet, die Anschauung, daß die Piraterie ein Tatbestand seepolizeilicher [pg 31]und nicht krimineller Natur ist, wesentlich zu unterstützen.
III. Das Landesstrafrecht als Erkenntnismittel des völkerrechtlichen Tatbestandes70. Die Piraterie im Sinne des Völkerrechts ist eine gemeingefährliche Lebensführung, ein seepolizeilicher Tatbestand. Die in den Landesstrafgesetzgebungen als Piraterie bezeichneten Tatbestände sind, wie die kriminellen Tatbestände im modernen Rechte allgemein, genau umschriebene, nach Mittel und Erfolg verschieden qualifizierte einzelne Handlungen. Der völkerrechtliche Tatbestand und die landesrechtlichen Tatbestände verhalten sich zueinander wie Mittel und Zweck. Das psychische Element der Piraterie, die Absicht der Begehung von Gewalttaten, verwirklicht sich durch Setzung der landesstrafrechtlichen Tatbestände71.
Bei der ihm zufallenden Auflösung der piratischen Lebensführung in einzelne Akte kann das Landesrecht entweder ohne jede Erwähnung des Begriffs der Piraterie auf piratische Akte die allgemeinen Vorschriften über Raub und Erpressung und weiterhin auch Tötung, Körperverletzung, Sachbeschädigung usw. anwenden; oder sich unter Verwendung des Begriffs seine Zerlegung zu einer besonderen Aufgabe stellen.
Das erste dieser Systeme wird dem Wesen der Sache am meisten gerecht. Es hält sich selbst von der Vermischung völkerrechtlicher und landesrechtlicher Elemente fern und verleitet nicht dazu, sie zu vermischen. Die Gefahr, daß das Gesetz der eigenartigen Bedeutung, die den piratischen Akten wegen ihrer großen Gefährlichkeit auch für das Landesrecht zukommt, nicht gerecht wird, ist bei einiger Aufmerksamkeit des Gesetzgebers gering. Für die [pg 32]Ermittelung des völkerrechtlichen Tatbestandes sind die Landesstrafgesetzgebungen, die diesem ersten Systeme anhangen, kaum von Bedeutung. Zu dieser Gruppe gehört das deutsche, das skandinavische und das belgische Recht72.
Das zweite System ist das des französisch-spanischen und verwandter Rechte und des englisch-amerikanischen Rechtes. Doch ist seine Durchführung in den beiden Rechtsgebieten wesentlich verschieden.
Das englisch-amerikanische Recht sieht in der piracy juris gentium einen zugleich völkerrechtlichen und strafrechtlichen in beiden Disziplinen übereinstimmenden Tatbestand. Als statutory piracy bezeichnet es eine Reihe von Handlungen, deren bloß landesrechtliche Bedeutung nicht zweifelhaft sein kann73. Darüber, daß die see[pg 33]polizeiliche Auffassung der Piraterie mit der englischen Auffassung nicht unvereinbar ist, s. o. § 3.
Die romanischen Staaten bringen in einem Abschnitt des Strafgesetzbuchs oder auch in Spezialgesetzen, meist unter einer besonderen Rubrik „Piraterie“, eine Reihe von Tatbeständen, die sich nur teilweise als piratische Akte, zum anderen Teile als außer aller Beziehung zum völkerrechtlichen Begriff der Piraterie stehende Handlungen darstellen, ohne daß das Gesetz die Grenze irgendwie erkennen ließe. Dieser Gruppe gehören außer dem französischen74, italienischen75, spanischen76, mexikanischen77, portugiesischen78 und brasilischen79, auch das niederländische80 und das griechische81 Recht an.
[pg 34]Die Landesgesetzgebungen des zweiten Systems sind die Ursache der Verwirrung, die in der Lehre von der Piraterie herrscht. Die englisch-amerikanische Auffassung verfälscht den Charakter des Rechtsbegriffes, wenn sie ihn für einen notwendig und lediglich kriminellen ansieht; die Willkür des französischen und der ihm verwandten Rechte in der Verwendung des Namens der Piraterie für eine Reihe sehr verschiedenartiger und durchaus selbständiger Tatbestände verführt zur Ausdehnung auch des völkerrechtlichen Begriffes und ist so zum Ausgang der „Quasipiraterie“ geworden.
Gleichwohl ist der in Frage stehende Komplex strafrechtlicher Bestimmungen für die Gewinnung des völkerrechtlichen Tatbestandes der Piraterie nicht ohne Wert. Das Bestreben der romanischen Gesetzgebungen, dem völkerrechtlichen Tatbestande bei seiner landesrechtlichen Auflösung nahe zu kommen, hat zu einer Anzahl von Bestimmungen geführt, die für Art und Umfang desselben beachtenswerte Anhaltspunkte ergeben. Und das englisch-amerikanische Recht hat den Vorzug, Aufschluß zu geben, ob und inwieweit in anderen Rechten als Piraterie qualifizierte Handlungen als wahre piratische Akte und das Gesamtverhalten ihrer Urheber als Piraterie betrachtet werden kann.
Über das österreichische Recht, das aus dem entwickelten Schema der Landesgesetzgebungen herausfällt, s. u. § 6, IV 3.
IV. Die Mannigfaltigkeit der mit dem Namen „Piraterie“ verknüpften Vorstellungen nötigt zu einer Sicherung der Terminologie. Wir bezeichnen als Piraterie schlechthin den völkerrechtlichen Tatbestand (seepolizeilicher Tatbestand); als piratische Akte die im völkerrechtlichen Tatbestand als Zweck gegebenen einzelnen Handlungen (kriminelle Tatbestände, sofern nicht landesrechtliche Straf[pg 35]ausschließungsgründe vorliegen; sie sind, unter derselben Voraussetzung, die piracy juris gentium der Engländer); als landesrechtliche Piraterie landesrechtlich als Piraterie bezeichnete Handlungen, die in keiner Beziehung zu dem völkerrechtlichen Begriffe stehen (kriminelle Tatbestände; statutory piracy der Engländer).
V. Ohne Zweifel rein landesrechtlicher Natur und im folgenden nicht mehr zu berücksichtigen sind mehrere landesrechtliche Strafbestimmungen, die mit der Piraterie in offensichtlich nur ganz losem Zusammenhang stehenden Tatbeständen ihren Namen beilegen. Es sind die Bestimmungen des englischen und brasilischen Rechtes82 gegen den Handel mit Piraten, ihre Unterstützung speziell durch Lieferung von Schiffen und anderen Gegenständen und gegen überhaupt jedes83 Verständnis mit ihnen, des italienischen Rechtes84 gegen Begünstigung und Hehlerei, des mexikanischen85 gegen den Handel mit Piraten; ebenso die englischen und amerikanischen Vorschriften, die gewisse mit dem Sklavenhandel zusammenhängende Akte als piratisch bezeichnen (piratical slave-trading)86.
I. Die Entwickelung87 des Zusammenlebens der organisierten menschlichen Verbände verläuft in der Richtung [pg 36]von einem die Verbände und ihre Angehörigen ergreifenden ständigen Kriegszustande zu einer friedlichen Gemeinschaft. Zwei Entwickelungsreihen stehen nebeneinander; der Krieg der Verbände wird zu einem Ausnahmezustande und zugleich auf die organisierte Streitmacht der Kriegführenden beschränkt88.
Der Grund dieser Entwickelung ist die fortschreitende Anerkennung der menschlichen Persönlichkeit als eines Faktors von absolutem Wert. Der einzelne wird aus einer bloßen Partikel des Verbandes, dessen Leben das seine völlig einschließt, zu einem selbständigen Wesen, das jenseits der Schranken des Verbandes Interessen universeller Natur kennt und an dem Innenleben des Verbandes nur noch in einem seiner Eigenart entsprechenden Umfang, innerhalb dieses engeren Kreises aber mit größerer Intensität teilnimmt. Zunehmende Extensität und Intensität der Persönlichkeit ist das Stichwort ihrer Entwickelung89.
Der absolute Wert der Persönlichkeit ist in die Welt des Rechtes durch die moderne Naturrechtsschule eingeführt worden90. Das Naturrecht verkündet die Anerkennung dieses absoluten Wertes als ein Prinzip des geltenden Rechtes91. In der Tat nur ein Prinzip für die Rechtsbildung, hat der Gedanke seitdem das innerstaatliche Recht [pg 37]umgestaltet und das Völkerrecht geschaffen92. Er ist der Ausgangspunkt des modernen Fremdenrechtes, das die rechtliche Grundlage der friedlichen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen der Völker und damit der Kernpunkt des Völkerrechtes ist93.
In den Rahmen der Entwickelung des gegenseitigen Verhältnisses der menschlichen Verbände von dem Zustande dauernden Krieges zu dem eines prinzipiellen Friedens fügt sich das historische Piraterierecht ein. Dabei müssen zwei Formen der Piraterie unterschieden werden.
II. Piraterie unter staatlicher Autorität. Der dauernde Kriegszustand zwischen den Staaten erlaubt diesen und jedem ihrer Angehörigen, dem anderen und seinen Angehörigen jeden möglichen Schaden zuzufügen.
Über diesen Zustand ist das Altertum nicht hinausgekommen. Moralische Vorstellungen, wirtschaftliche Bedürfnisse, die politischen Machtverhältnisse94 mögen ihn tatsächlich gemildert haben; aber juristisch haftet noch nach dem Rechte der Digesten dem Raubstaatentum kein Makel an. Wenn auch die Römer selbst staatliche oder staatlich autorisierte Piraterie nur zur Erreichung politischer Zwecke betrieben zu haben scheinen, so erkennen sie doch auch ihre gewerbsmäßige Ausübung als ein rechtmäßiges Mittel des Völkerkampfes an; Raubstaaten sind hostes, rechtmäßige Feinde95. [pg 38]Die praktische Bedeutung der Anschauung besteht fast ausschließlich darin, daß das römische Postliminialrecht auch im Verhältnis zu Raubstaaten Anwendung fand.
In der germanischen Welt herrschten anfänglich dieselben Rechtsüberzeugungen. Der Fremde ist rechtlos96. Von der öffentlichen Gewalt organisierte oder autorisierte Raubzüge sind ruhmeswürdige Unternehmungen. Davon ist Sage und Geschichte voll97.
Das Christentum begründet dann zum erstenmale in der Geschichte eine internationale Friedensgemeinschaft98. An die Staaten tritt die Anforderung heran, in Anerkennung der Persönlichkeit des Fremden Angriffe auf ihn und sein Gut zu unterlassen und ihre Angehörigen an ihrer Verübung zu hindern. Das Wesentliche des Vorgangs ist aber nicht die Unterdrückung der Piraterie, sondern die Umkehrung des Verhältnisses von Krieg und Frieden. Aus der Regel wird eine Ausnahme, aus der Ausnahme die Regel. Die Abolition der Piraterie in Friedenszeiten ist eine bloße Konsequenz des Wandels der Gesamtanschauung99; in Kriegszeiten besteht sie nach wie vor100. Erst seit dem 14. Jahrhundert nimmt die Piraterie der Untertanen die Rechtsform der Kaperei an101. (Mit dieser nur der äußeren [pg 39]Erscheinung nach verwandt ist die Wegnahme fremder Schiffe auf Grund von Repressalienbriefen in Friedenszeiten, ein Institut, das als Ersatz der bisher zulässigen Selbsthilfe Privater gegen fremde Staaten und fremde Untertanen seit dem 14. Jahrhundert ausgebildet wird102.)
Die internationale Friedensordnung des Mittelalters und des Anfangs der Neuzeit beschränkt sich auf die Christenheit. Zwischen ihr und den mohammedanischen Staatswesen dauert das Verhältnis ununterbrochenen Kriegszustandes rechtlich und faktisch bis in das 16. Jahrhundert allgemein, bis in das 19. zwischen einzelnen Gliedern beider Kulturwelten fort103. Die in der älteren Literatur viel erörterte Frage, [pg 40]ob die Barbareskenstaaten als Piraten oder rechtmäßige Kriegsfeinde zu betrachten seien, hat eine einmütige Beantwortung nicht finden können104, weil die Fragestellung irreführend ist. Ihre Piraterie ist eine aus vergangener Zeit in das moderne Völkerrecht hineinragende Erscheinung, die sich seinen Begriffen nicht einfügt. Die Praxis hat weder das moderne Kriegsrecht auf die Barbaresken angewendet noch sie als Piraten behandelt; die Beziehung der feindlichen Mächte steht unter altem Fremdenrecht, jus postliminii nach der Lehre der romanistischen Wissenschaft105 und 106. [pg 41]Dieser Rechtszustand ist seit dem 16. Jahrhundert dadurch kompliziert, daß eine Reihe europäischer Mächte ihre Beziehungen zu den Raubstaaten vertragsmäßig regelte, andere einseitig ihnen gegenüber moderne Rechtsgrundsätze zur Anwendung brachten.
Innerhalb der christlich-europäischen Welt haben sich noch bis in die neuere Zeit Fälle faktischer Begünstigung der Piraterie durch staatliche Maßnahmen ereignet. Doch war man stets bestrebt, einen formellen Bruch mit den Prinzipien des jeweils geltenden Rechtes zu vermeiden107.
Über die Behandlung von Raubstaaten nach heutigem Rechte siehe unten § 12.
III. Die private Piraterie. Von der staatlich autorisierten Piraterie, einer alten Form des Lebens der Völker, ist von je die Piraterie als Unternehmen einer ohne alle Beziehung zu einem staatlichen Verbande auf eigene Faust handelnden Personenvereinigung unterschieden worden. Die Reaktion gegen die erste Form ist der Krieg108; die Bekämpfung der zweiten ist Aufgabe der Sicherheitspolizei und der Strafrechtspflege109.
Die Grenzziehung zwischen beiden Formen stößt auf [pg 42]keine theoretischen Schwierigkeiten. Die Grenze ist durch den Staatsbegriff gegeben. Die Entscheidung im Einzelfalle mag, da auch das private Unternehmen immer eine fest verbundene Personenmehrheit voraussetzt, einem Geschichtschreiber der Piraterie oft nicht leicht werden110. Der gesicherte Bestand des modernen Staatensystems ermöglicht sie ohne Mühe.
Aber so wahr es ist, daß gegen die nicht staatlich organisierte Piraterie nicht Krieg geführt wird, daß Piraten nicht hostes sind111, so sehr ist zu betonen, daß der Tatbestand niemals als ein nur krimineller erscheint. Das historische Piraterierecht enthält eine Reihe von Elementen, deren Heimat nicht das Strafrecht, sondern das alte Fremdenrecht ist, und bildet insoweit ein Analogon des Kriegsrechtes, das auch seinerseits ganz im Fremdenrecht wurzelt. Wenn es in der Literatur gang und gäbe ist, die Piraten als hostes humani generis zu bezeichnen, so ist dies in den meisten Fällen nicht mehr als eine Floskel; die vereinzelt sich findende Bestimmung des right of search gegen Piraten als eines war-right112 ist ohne Zweifel unrichtig; in beidem aber mag man Nachwirkungen alten positiven Rechtes erblicken.
[pg 43]Das römische Recht erkennt Piraten nicht als hostes an (s. S. 42, N. 2). Der Sinn dieses Satzes ist, daß das jus postliminii ihnen gegenüber nicht gilt. Sie erwerben an den in ihre Hände gefallenen Sachen und Personen kein Eigentum. Der Inhalt des Satzes ist lediglich negativ, eine positive Bestimmung, daß sie nach Strafrecht und Strafprozeßrecht zu behandeln seien, enthält er nicht. So ist denn auch das Vorgehen der Römer bei ihren großen Expeditionen gegen die Piraterie lediglich durch Zweckmäßigkeit, nicht durch Rechtsgrundsätze bestimmt113. Ob und inwieweit in dem täglichen Kleinkampf gegen das Unwesen strafrechtliche Gesichtspunkte maßgebend waren, ist aus den Quellen nicht ersichtlich114.
[pg 44]Im Seerechte des Mittelalters soll nach der gewöhnlichen Angabe der Literatur der Pirat rechtlos gewesen sein; jeder habe ihn angreifen, seines Eigens und Lebens berauben dürfen115. Eine solche vollkommene Rechtlosigkeit des Piraten aber hat, wenn überhaupt, nur vorübergehend und vereinzelt bestanden. Schon das Recht des 14. Jahrhunderts widerspricht der Lehre116. Welchen Sinn hätte es, Strafen festzusetzen und Gerichtszuständigkeiten zu bestimmen für Wesen, die einer Rechtspersönlichkeit nicht teilhaftig sind?
Seine Erklärung findet der so häufig ausgesprochene Satz darin, dass tatsächlich einige ältere Autoren die Rechtlosigkeit der Piraten als geltendes Recht darstellen117. Sie [pg 45]stützen sich dabei auf zwei Bestimmungen des kanonischen Rechtes, von denen jedoch der einen, c. 3 X V, 17 de raptoribus118, nur kirchliche Bedeutung zukommt, die andere, c. siquis 6 Causa 23 quaest. 3119, aber niemals in praktischer Geltung gestanden hat und stehen kann; und auf die auth. Navigia C. de furtis (c. 18 C. I. 6, 2), der in der Tat nur eine sehr viel engere Bedeutung zukommt (s. u. S. 46, N. 4 und oben S. 40, N. 3). Die Lehre ist eine der doktrinären und vorübergehenden Aufstellungen, die die Rezeption im Gefolge hatte.
In Wahrheit sieht das ältere Recht in dem Piraten ebensowenig einen Rechtlosen, einen Fremden oder Feind im alten Sinne, wie einen rechtmäßigen Kriegsfeind. Die im Piraterierecht tatsächlich enthaltenen kriegsrechtlichen Bestandteile sind vereinzelt und genau umgrenzt; das Verhältnis ist das, daß einem grundsätzlich polizeilichen und kriminellen Tatbestande einzelne Elemente kriegsrechtlichen Charakters anhaften. Folgende Punkte kommen in Frage.
1. Das Verbot der Piraterie schützt lange Zeit nur die Schiffe des eigenen und befreundeter Staaten. Zu den Feinden in diesem Sinne zählt man auch die Piraten. Fahrzeuge der „Feinde, Türken und Piraten“ können weggenommen werden120.
Eine spezielle Anwendung dieser Möglichkeit bildet die bei Gelegenheit der Regelung der Rückerstattungs- und Entschädigungsansprüche in zahlreichen älteren Gesetzen, auch den Hanserezessen, erwähnte Wiederabnahme geraubten Gutes durch Private.
[pg 46]2. Auch nach dem Aufkommen der noch dem heutigen Rechte angehörenden Rechtsformen der Bekämpfung des Feindes zur See stehen Piratenschiffe feindlichen Schiffen gleich. Sie stehen wie diese unter Prisenrecht121.
3. Eine Recousse durch einen Piraten gibt ihm kein Recht auf einen Anteil122.
4. Am klarsten ergibt sich die Hinneigung des Piraterierechtes zum Fremdenrecht aus den Rechtsregeln über das Strandrecht, in denen altertümliche Rechtsanschauungen sich nicht nur in diesem Punkte erhalten haben. Dem Strandrecht sind ursprünglich alle Fremden mit Leib und Gut verfallen123. Die es im Laufe des späteren Mittelalters unterdrückenden kaiserlichen, kirchlichen und einzelstaatlichen Gesetze lassen es gegen „Feinde, Türken und Piraten“ bestehen124; die Bestimmung ist nicht eigentlich eine Ausnahmebestimmung gegen diese Personenklassen, sondern ein bloßes Unberührtlassen des alten Rechtszustandes.
IV. Reste kriegsrechtlicher Auffassung im geltenden Rechte. 1. Aufgebrachte Piratenschiffe [pg 47]unterliegen in einzelnen Ländern ganz125, in anderen in einzelnen Beziehungen126 prisenrechtlicher Behandlung. Die Differenz dieses Rechtszustandes von dem solcher Staaten, die über das Schicksal des Piratenschiffes lediglich die strafrechtlichen Regeln über die Einziehung entscheiden lassen, ist eine nicht bloß formelle, da ihm zufolge der Verlust des Eigentums nicht an einen kriminellen Tatbestand geknüpft ist127.
2. Die Aburteilung der piratischen Akte gehört in mehreren Staaten zur Zuständigkeit der Militärgerichte128. Daß diese Regelung nur als historische Reminiszenz, nicht als aus sachlichen Erwägungen hervorgegangen zu erklären ist, ergibt sich mit Sicherheit aus ihrer näheren Ausführung [pg 48]im französischen und österreichischen Rechte129. Dagegen beruht die vereinzelt bestehende Kompetenz des höchsten Landesgerichtshofes130 auf politischen, die historische Zuständigkeit der Admiralität131 auf lokalen und technischen Rücksichten.
3. Die Strafdrohungen gegen piratische Akte zeichnen sich allgemein durch eine außergewöhnliche Härte aus. Doch erklärt sich diese angesichts der ungemeinen Schädlichkeit der Piraterie für das Wirtschaftsleben und der ihr zu Grunde liegenden gesellschaftsfeindlichen Gesinnung zur Genüge aus rein kriminalpolitischen Erwägungen. Nur das österreichische Recht, das von der Kriegsmarine eingebrachte Seeräuber unterschiedslos mit dem Tode bestraft und die Berücksichtigung der besonderen Erscheinungsform des Verbrechens, Täterschaft oder Teilnahme, Vollendung oder Versuch, ausdrücklich abweist132, scheint der Auffassung des Piraten als eines nicht durch die Kriegsgesetze geschützten Feindes nicht ganz fern zu stehen, zumal gegen Seeräuber, deren man auf andere Weise als mit Hilfe der [pg 49]Kriegsmarine habhaft geworden ist, die wesentlich milderen Vorschriften der allgemeinen Strafgesetze Anwendung finden (St. G. B. § 190 f.). Ähnlich drakonische Bestimmungen des englischen und amerikanischen Rechtes sind in neuerer Zeit beseitigt worden133.
4. Eine in der Literatur sehr verbreitete Meinung lehrt, es bestehe als Korrelat der Feindschaft des Piraten gegen das Menschengeschlecht eine Befugnis jedes Handelsschiffes, ihn — ohne staatliche Ermächtigung — gefangen zu nehmen und unter gewissen Voraussetzungen sogar zu bestrafen. Diese Lehre ist zweifach unrichtig; eine solche Befugnis gibt es nicht; wenn es sie aber gäbe, so wäre sie nicht als eines der konservierten kriegsrechtlichen Elemente des Piraterierechtes zu verstehen.
[pg 50]Eine kurze Betrachtung der Wurzel der Lehre scheint der geeignetste Weg sie zu widerlegen. Sie geht auf Grotius zurück: „Manet tamen vetus naturalis libertas, primum in locis, ubi judicia sunt nulla, ut in mari ... Idem locum habebit in locis desertis, aut ubi Nomadum more vivitur“ (L. II, XX, 8). Bei Pufendorf kehrt sie wieder: „Ab extraneo autem, si quis in ejusmodi loco [qui ad nullam civitatem pertinet] invadatur, non prohibetur ... ad extremum eundem persequi, ubi praevaluerit“ (L. VIII C. VI § 8). Der Inhalt ihrer Ausführungen ist, wie man sofort ersieht, kein anderer als der alte und wahre Satz, daß, wo die Hilfe des Rechtes versagt, die eigene Kraft Schutz und Rächer ist, angewendet auf die lokale Begrenzung der Rechtsmacht. Nicht die Nichtzugehörigkeit des Gegners zu dem schirmenden Rechtsverbande, sondern dessen Nichterstreckung auf den Schauplatz des Vorfalls rechtfertigt die Anwendung privater Gewalt. Hiernach ist die Frage nach der Zulässigkeit privater Bestrafung der Piraten durch den jeweiligen positiven Umfang des Selbsthilferechtes bestimmt.
Ob ein solches Selbsthilferecht bestehe, war schon Grotius für seine Zeit nicht unzweifelhaft. Für einen Christen, lehrt er, sei es bedenklich134, „poenam sumere de improbo quoquam, praesertim capitalem, quanquam id jure gentium nonnunquam permitti diximus: unde laudandus est mos eorum populorum, apud quos navigaturi instruuntur mandatis a publica potestate ad persequendos piratas si quos in mari repererint: ut data occasione uti possint, non quasi ausu suopte sed ut publice jussi“ (L. II, XX, 14)135. Der wenig jüngere Loccenius steht nicht an, den Inhalt dieses den Staaten erteilten Rates als geltendes Recht darzustellen (de jure maritimo, 1651, S. 963). Damit ist das [pg 51]Selbsthilfeverfahren durch ein öffentliches Verfahren ersetzt. In demselben Augenblick tritt die Befugnis der faktischen Ergreifung in den Vordergrund, die bisher neben dem Rechte der Bestrafung als etwas Selbstverständliches keine Hervorhebung fand (s. Grotius und Pufendorf im Text); die Strafverhängung bleibt den Gerichten vorbehalten136.
Es muß angenommen werden, daß der modernen Literatur, soweit sie ein Recht der privaten Bestrafung der Piraten annimmt137, der Gedanke des Selbsthilferechtes, wenn sie die Zulässigkeit der privaten Ergreifung lehrt138, die Voraussetzung einer dahin gehenden staatlichen Autorisation zu Grunde liegt. Da nun Selbsthilferechte wie obrigkeitliche Befugnisse einzelner Personen nur aus der innerstaatlichen Rechtsordnung abgeleitet werden können, so ist klar, daß die ganze Frage eine rein landesrechtliche ist139.
Durch diese Erkenntnis löst sich die Frage der Befugnis der Kauffahrteischiffe zur Ergreifung und Bestrafung von Piraten im geltenden Rechte dahin, daß die Behauptung eines solchen Rechtes als eines Bestandteiles des allgemeinen Völkerrechtes unzutreffend ist, nicht minder aber die der allgemeinen Nichtexistenz140 derartiger Befugnisse. Das Landesrecht kann Selbsthilferechte verleihen und die Ausübung polizeilicher Befugnisse übertragen, wem ihm gut [pg 52]scheint. Eine Vergleichung des deutschen und des nordamerikanischen Rechtes beweist die Positivität der entwickelten These; dem einen ist die Autorisierung von Handelsschiffen zur Verfolgung von Piraten fremd141; das andere142 läßt sie zu143 und 144.
V. Folgerungen für den Tatbestand. Der Tatbestand der Piraterie ist, mögen auch einige kriegsrechtliche Reminiszenzen an seinen ersten Ausgang erinnern, im modernen Rechte ein polizeilicher; der Pirat ist nicht Feind, sondern Objekt präventiver und strafender Staatstätigkeit.
Gleichwohl gibt es für die Erfassung des Tatbestandes keinen sichereren Ausgang als die historische Betrachtung. Die Tatsache, daß die eine der geschichtlichen Formen der Piraterie eine rein kriegsrechtliche ist, daß die zweite, unter einem von kriegsrechtlichen Elementen durchsetzten Rechte stehend, bei aller Verschiedenheit doch ein Analogon der ersten bildet, daß endlich selbst das moderne Recht Bestandteile nicht polizei- oder kriminalrechtlicher Natur enthält, läßt vermuten, daß die kriminelle Auffassung des [pg 53]Tatbestandes ihm nicht gerecht wird, daß nicht die Ahndung einzelner verbrecherischer Akte, sondern die Repression einer gesellschaftsfeindlichen Lebensführung in Frage steht. Und die Erkenntnis, daß die Wurzel beider Formen das alte Kriegsrecht ist, der Rechtszustand allgemeiner Feindschaft der politischen Verbände, beeinflußt wie die Auffassung des Charakters des Tatbestandes so auch die Bestimmung seines Inhaltes: die Lösung des Piraten von jedem der zu einer internationalen Friedensgemeinschaft verbundenen Staaten, die Richtung seiner Gewalttätigkeiten gegen prinzipiell jedes geeignete Objekt erscheinen als notwendige Merkmale des Begriffs.
Die kriminalistische Auffassung sieht in der Piraterie eine einzelne mit den allgemeinen Merkmalen des Verbrechens ausgestattete Handlung. Sie ist in der Literatur aller Völker verbreitet. Den klarsten Ausdruck findet sie im Zusammenhang mit der Annahme der Identität des Tatbestandes in Law of Nations und Common Law (s. o. § 2) in englischen Sentenzen und literarischen Definitionen145.
Wie aber bei der Unhaltbarkeit der Lehre von vornherein zu vermuten ist, ist auch die richtige Anschauung in der Literatur zu mannigfachem Ausdruck gekommen. Dies ist entweder in Form bedingungsloser Vertretung der seepolizeilichen Auffassung oder, häufiger, in Form der Aufnahme einzelner Elemente der seepolizeilichen in die grundsätzlich beibehaltene kriminalistische Auffassung geschehen. Die folgende Darstellung wird zeigen, daß der einen oder der anderen Gruppe mit wenigen Ausnahmen alle Autoren [pg 54]angehören, die der Lehre eine eingehendere Betrachtung gewidmet haben.
I. Die seepolizeiliche Auffassung sieht den Tatbestand der Piraterie durch ein auf die Begehung bestimmter Akte gerichtetes Unternehmen erfüllt; die tatsächliche Verwirklichung der Absicht und die strafrechtliche Qualifikation des hierdurch gesetzten Tatbestandes hat für sie kein Interesse. Sie findet sich bei Bynkershoek146, Casaregis, de Broglie, Baud147, Wheaton, Ortolan, Pradier-Fodéré, Bluntschli148, Perels und Bonfils149.
[pg 55]II. Die Undurchführbarkeit der kriminalistischen Auffassung, Piraterie tatsächliche Verübung eines einzelnen Verbrechens, hat dazu veranlaßt, sie durch Einführung des Merkmals entweder der „faktischen Denationalisierung“150 oder der Richtung gegen prinzipiell alle Nationen zu modifizieren. Die Tatsache, daß es auf diesem Wege angängig war, die unmöglichen Konsequenzen der unrichtigen Grundanschauung zu vermeiden, mag es erklären, daß die verfehlte Grundanschauung selbst ihre Herrschaft noch immer behauptet.
Ein alle sich in dieser Richtung bewegenden Versuche gleichmäßig treffender Vorwurf ist, daß sie einen aus disharmonischen Elementen bestehenden Tatbestand konstruieren. Erklärt man den Tatbestand der Piraterie für einen kriminellen, so ist es unzulässig, zum mindesten aber inkonsequent, ihn durch die Verfolgung eines nicht politischen Zweckes seitens des Täters oder durch seine „intention of universal hostility“ bedingt sein zu lassen. Strafrechtliche Tatbestände, die je nach dem Zwecke, den der Täter verfolgte, oder nach der Absicht, sie gegen ein individuell oder aber nur generell bestimmtes Objekt zu verwirklichen, verschieden zu qualifizieren wären, sind ein Unding.
1. Die Versuche, die sich in der Richtung bewegen, das Merkmal der faktischen Denationalisierung (Lösung vom Heimatstaate) mit der kriminalistischen Grundanschauung zu verbinden, lassen eine Anordnung nach ihrer Intensität zu. Die energischste Einengung des Tatbestandes in dieser Richtung liegt in seiner Beschränkung auf Handlungen flaggenloser (rechtlich denationalisierter) Schiffe; darüber s. o. § 1; sie nimmt dem Tatbestande alle völkerrechtliche Bedeutung. Die Erhebung der faktischen Denationalisation des Schiffes oder der Besatzung in dem [pg 56]Sinne, daß sie ein außerstaatliches Eigendasein führen151, zum Begriffsmerkmal geht weniger weit; immerhin nimmt auch sie dem Rechtsinstitut den größten Teil seines Wertes, da die modernen politischen Verhältnisse eine Lösung von jedem staatlichen Verbande in diesem Umfange kaum zulassen. Die engste Bedeutung hat die Einsetzung des Erfordernisses der Lösung vom Staatsverbande lediglich in dem Sinne, daß die Handlung nicht zu einem politischen Zwecke vorgenommen sei, in den Tatbestand; diese namentlich von Hall152 gegebene Konstruktion führt zu im wesentlichen zutreffender Entscheidung einiger Einzelfragen (s. u. § 14 und 15); aber den Hauptmangel der ganzen Auffassung, den, daß ein Delikt faktisch vorliegen muß, beseitigt sie natürlich nicht. Daß ihr wie überhaupt der Tendenz der Durchsetzung des kriminalistisch gefaßten Tatbestandes mit Elementen des seepolizeilichen das richtige Gefühl seiner seepolizeilichen Natur zu Grunde liegt, wird bei Hall recht deutlich, wenn ihm bei Behandlung der Frage, ob an der Küste durch Anlanden verübte Gewalttaten als piracy betrachtet werden können, der Satz entschlüpft: „a pirate does not so lose his piratical character by landing within state territory that piratical acts done on shore cease to be piratical;“ hier ist es plötzlich nicht mehr der einzelne Akt, der den Täter als Piraten charakterisiert, sondern umgekehrt wird der Akt zu einem piratischen dadurch, daß dem Täter ein piratischer Charakter beiwohnt.
2. Ein ähnliches Ergebnis wie die zuletzt geschilderte Art des Vorgehens erreicht die Aufnahme der Klausel [pg 57]Richtung gegen prinzipiell jedes taugliche Objekt“ (s. o. § 5 I) in den im übrigen kriminalistisch gefaßten Tatbestand. Diese Konstruktion beherrscht die amerikanische Literatur153, ist in der kontinentalen sehr verbreitet und selbst der englischen nicht durchaus fremd154.
I. Der Gegensatz der seepolizeilichen und der kriminalistischen Auffassung des Tatbestandes der Piraterie besteht darin, daß die eine in ihr eine öffentliche Gefahr sieht, die bekämpft werden muß, die andere ein Verbrechen, das Bestrafung fordert.
Der Inhalt des Tatbestandes ist, wie ja auch die Qualifizierung eines Tatbestandes als eines strafrechtlichen über seinen speziellen Inhalt keine Auskunft gibt, durch seinen Charakter positiv nur dahin bestimmt, daß nur ein gefahrbringendes Unternehmen, demnach, die Begriffe im strafrechtlich-technischen Sinne genommen, weder „Handlung“ noch „Verschulden“ gegeben zu sein braucht. Aber die [pg 58]richtige Grundauffassung ist negativ in allen Einzelpunkten von größter Bedeutung, insofern sie, anders als die kriminalistische, einer dem wirklichen Rechtszustande entsprechenden Bestimmung der Merkmale des Pirateriebegriffes nicht entgegensteht.
Daß nun aber die seepolizeiliche Auffassung des Tatbestandes zutreffend ist, hat schon die Betrachtung der Rechtsfolgen, der Geschichte des Piraterierechtes und der Literatur vermuten lassen. Die folgende Darstellung gibt den Nachweis aus dem positiven Rechte (der Tatbestand nicht Verbrechen, sondern Gefahr); wesentlich unterstützend wird dann auch die Entwickelung der einzelnen Tatbestandsmerkmale sein (§ 9 f.), da sie größtenteils einem strafrechtlichen Tatbestande ihrem Wesen nach nicht angehören können.
II. Die vornehmste Quelle (s. o. § 5) der Erkenntnis des völkerrechtlichen Tatbestandes der Piraterie, die Instruktionen der Staaten an die Kommandanten der Kriegsschiffe, lassen über seinen seepolizeilichen Charakter keinen Zweifel. „Seeraub ist jedes ohne staatliche Ermächtigung in räuberischer Absicht auf die Ausübung von Gewaltakten auf See gerichtete bewaffnete Unternehmen“, definieren die deutschen „Bestimmungen für den Dienst an Bord“ vom 21. Nov. 1903155; und in breiter Ausführlichkeit setzen die amerikanischen Revised Statutes dem Tatbestande des Common Law, den sie ihren Straf-und Zuständigkeitsbestimmungen zu Grunde legen (s. 5368), zum Zwecke, die Zulässigkeit der Festnahme von Piratenschiffen und damit die völkerrechtliche Seite der Angelegenheit zu regeln, einen seepolizeilichen Tatbestand zur Seite: „Any vessel built, purchased, fitted out in whole or in part, or held for the purpose of being employed in the commission of any piratical aggression, search, restraint, depredation, or seizure, [pg 59]or in the commission of any other act of piracy, as defined by the law of nations, shall be liable to be captured and brought into any port of the United States if found upon the high seas or to be seized if found in port or place within the United States, whether the same shall have actually sailed upon any piratical expedition or not, and whether any act of piracy shall have been committed or attempted upon or from such vessel or not156.“
In den Landesstrafgesetzgebungen eine Bestätigung der Auffassung zu finden, sollte man kaum erwarten (vgl. o. § 5). So sehr man darüber streitet, welche Bedeutung im Strafrecht der verbrecherischen Gesinnung zukomme, darin stimmen alle ernsthaften Theorieen überein, daß eine bestimmte verbrecherische Handlung (materielles Verbrechen, Rechtsgüterverletzung) notwendige Voraussetzung zum Eintritt des Strafzwanges sein muß. Der völkerrechtliche Pirateriebegriff hat sich nun aber in der üblichen Vermischung des völkerrechtlichen und landesstrafrechtlicher Tatbestände mächtig genug erwiesen, selbst diese Fesseln zu sprengen. Eine Anzahl von Landesrechten pönalisiert die piratische Lebensführung ohne Rücksicht auf wirkliche Begehung eines piratischen Aktes, bestraft die sozialgefährliche Gesinnung, nicht die verbrecherische Tat157. Die unter diesen Gesichtspunkt fallenden Bestimmungen stehen in ihrem Werte für die Eruierung des völkerrechtlichen Tatbestandes hinter den Instruktionen für die Kriegsmarinen [pg 60]kaum zurück; sie stellen dieselbe Erscheinung unter Strafe, die jene polizeilicher Verfolgung aussetzen158.
Die in Frage stehenden Landesgesetzgebungen zerfallen in zwei Gruppen.
1. Das niederländische und das portugiesische Strafgesetzbuch enthalten als einzige Strafbestimmung gegen die Piraterie die Pönalisierung der Zugehörigkeit zu einem zur Begehung piratischer Akte bestimmten Schiffe159.
2. Das französische, spanische, italienische und brasilische Recht stellen neben einzelnen piratischen Akten die Zugehörigkeit zur Besatzung eines Schiffes unter Strafe, das unter Umständen das Meer befährt, die es der Piraterie verdächtig erscheinen lassen. Die französische Bestimmung160 ist, da sie nicht ausdrücklich Piraterieverdacht, sondern nur die ihn begründenden objektiven Momente (armé et naviguant sans être ou avoir été muni pour le voyage de passe-port, rôle d’équipage, commissions ou autres actes constatant la légitimité de l’expédition) in den Tatbestand aufnimmt, des öfteren in der Richtung mißverstanden worden, daß man meinte, ihr Ziel sei nicht die Unterdrückung der Piraterie, sondern lediglich die Pönalisierung von Ordnungswidrig[pg 61]keiten in den Schiffspapieren161. Daß ihr in der Tat der Gedanke des Piraterieverdachtes zu Grunde liegt, läßt schon die Härte der Strafe annehmen; es ergibt sich mit aller Sicherheit aus einer (prisengerichtlichen) Entscheidung des Conseil d’État vom 24. Dez. 1828162, durch die, dem Geiste des Gesetzes entsprechend, seinem Wortlaute zuwider, trotz Vorliegens der objektiven Momente nach tatsächlicher Widerlegung des Verdachtes der Piraterie die Lossprechung des Schiffes erfolgte, und ferner aus den entsprechenden italienischen und spanischen Bestimmungen, die an das Vorliegen derselben objektiven Momente ausdrücklich die praesumptio juris der Piraterie knüpfen163.
Diese Gruppe von Rechtsvorschriften ist auch deshalb von Interesse, weil sie ergibt, daß die oft aufgestellte These, es sei jedes flaggenlose Schiff (rechtlich anationale Schiff) der Piraterie verdächtig, dem positiven Rechte widerspricht, das einen solchen Verdacht nur bei heimatlosen (sans être ou avoir été muni de passe-port) und zugleich bewaffneten Schiffen Platz greifen läßt164.
Von den niederländischen und portugiesischen unterscheidet sich die hier behandelte Gruppe von Bestimmungen dadurch, daß sie den Verdacht des piratischen Charakters des Schiffes genügen läßt, jene nachweisliche Bestimmung des Schiffes zur Piraterie verlangen.
[pg 62]III. Die Piraterie ein Unternehmen gegen das Völkerrecht. Der völkerrechtliche Tatbestand der Piraterie ist nicht deliktischer Natur. Wenn damit die gewöhnliche, hin und wieder auch bekämpfte, Bezeichnung des Tatbestandes als eines Deliktes wider das Völkerrecht165 in sich hinfällig ist, so ergibt sich doch nur die ganz analoge Frage, ob man sie als ein Unternehmen gegen das Völkerrecht charakterisieren darf.
Der Begriff der „Delikte wider das Völkerrecht“ ist sehr unsicher. Die gegen ihn gerichtete Polemik Triepels, des einzigen Autors, der den Gegenstand einer kritischen Untersuchung unterzogen hat („Völkerrecht und Landesrecht“ S. 329 f.), hebt mit Recht hervor, daß er verfehlt ist, wenn man darunter eine Verletzung des Völkerrechts durch ein Individuum versteht. Triepel versäumt aber zu prüfen, ob ihm denn auch wirklich überall, wo mit ihm operiert wird, eine solche Bedeutung beigelegt wird. Daher stehen seine Ausführungen einer Auffassung nicht entgegen, die als Delikt wider das Völkerrecht ein solches verbrecherisches Verhalten ansieht, das zu pönalisieren und zu verfolgen die Staaten völkerrechtlich verpflichtet sind166. Der Begriff, so gefaßt, ist möglich und unbedenklich.
In Übertragung desselben Gedankens auf polizeiliche Tatbestände, deren Bekämpfung den Staaten als eine gemeinsame Pflicht obliegt, ist man hiernach berechtigt, die Piraterie als ein Unternehmen gegen das Völkerrecht zu bestimmen. Ein Delikt gegen das Völkerrecht wäre sie selbst dann nicht, wenn der Tatbestand ein krimineller wäre; denn die Pflicht der Staaten zur Repression ist nicht eine Pflicht zur Bestrafung der Schuldigen (s. o. § 1).
[pg 63]IV. Der Inhalt des Tatbestandes zerlegt sich in einen objektiven und einen subjektiven Bestandteil (vgl. o. § 5 I), entsprechend der „Handlung“ und dem „Verschulden“ der strafrechtlichen Tatbestände. Das dritte der allgemeinen Begriffsmerkmale strafbarer Handlungen, die Rechtswidrigkeit, ist der völkerrechtlichen Piraterie nicht minder eigen, bedarf aber einer besonderen Darstellung nicht, weil staatliche Autorisation den Begriff überhaupt ausschließt (s. u. § 12), die übrigen Ausschlußgründe der Rechtswidrigkeit (Notwehr, Notstand, berechtigte Selbsthilfe, Einwilligung des Verletzten) aber für einen Tatbestand, der nur durch ein gewerbsmäßiges Unternehmen verwirklicht wird (s. u. § 11), seiner Natur nach kaum in Betracht kommen.
Dem seepolizeilichen Charakter des Tatbestandes zufolge treten in ihm, anders als in strafrechtlichen Tatbeständen, die objektiven Elemente hinter den subjektiven ganz zurück, und bestehen die subjektiven Elemente nicht so sehr in dem Wissen oder Wollen gegenwärtiger als in der Absicht zukünftiger Handlungen. Dem subjektiven Tatbestande ist eine die Gefahr seiner Verwirklichung nahebringende Intensität wesentlich, nicht aber sein Ursprung in einem Verantwortlichkeit (Zurechnungsfähigkeit) begründenden psychischen Zustande.
Damit, daß man die Piraterie als ein auf Begehung rechtsgüterverletzender Akte gerichtetes Unternehmen charakterisiert, leugnet man nicht jeden objektiven Tatbestand. Es bleibt die Notwendigkeit näherer Bestimmung der ihn konstituierenden sinnfälligen Erscheinungen.
Die Merkmale des objektiven Tatbestandes sind das Vorhandensein eines Schiffes (I) mit Besatzung (II) und eine lokale Beziehung des Schiffes zur hohen See (III).
I. Daß der Begriff der Piraterie mangels Existenz eines Piratenschiffes nicht erfüllt sein kann, ist in dem Grade allgemeine Überzeugung, daß man gewöhnlich der Tat[pg 64]sache gar nicht ausdrücklich gedenkt; es folgt schon daraus, daß die wesentlichste Rechtsfolge des Unternehmens die rechtliche Denationalisierung eben des Schiffes ist. Eine große Anzahl landesrechtlicher Definitionen hebt das Merkmal der Benutzung eines Schiffes hervor167. Bloße Ausrüstung eines Schiffes genügt nicht168.
II. Das Schiff bedarf einer Besatzung. Das Verhältnis, in dem ihre einzelnen Mitglieder zu dem subjektiven Tatbestande stehen müssen, wird durch die übliche Redewendung „Begehung der Piraterie durch ein Schiff“ richtig bezeichnet. Die piratische Gesinnung braucht nur denjenigen Mitgliedern beizuwohnen, die die Aktion des Schiffes tatsächlich bestimmen.
Der Piraterie ist bandenmäßige Begehung notwendig. Ob man deshalb eine „Organisation“ für erforderlich hält169, ist eine Frage rein terminologischer Art.
III. Daß der Tatbestand der Piraterie irgendwie mit der hohen See zusammenhänge, ist nicht zweifelhaft. Eine Beziehung des Begriffs auf Vorgänge, die sich in allen ihren Teilen auf dem Lande abspielen, hat einen vernünftigen Sinn nur auf Grund der englischen Auffassung, die ihm seine Stellung im Bereiche des völkerrechtlichen internationalen Strafrechts anweist, findet sich jedoch auch in der englischen Literatur nur vereinzelt170; im Zusammenhange der kontinentalen Anschauung ist sie inhaltlos171.
[pg 65]Flußpiraterie und Strandraub sind nicht Piraterie im Sinne des Völkerrechtes172. Es sind Erscheinungen, die für das Völkerrecht keine größere Bedeutung haben als andere über die Grenzen des staatlichen Polizeihoheits- und Jurisdiktionsbereiches nicht hinausgehende verbrecherische Unternehmungen. Sie stehen unter den Regeln des Interventions-, nicht des Piraterierechtes (s. u. § 12); das Piraterierecht gehört in den Gedankenkreis der Meeresfreiheit (s. o. § 1).
Wie nun aber diese notwendige Beziehung der Piraterie zur hohen See des näheren beschaffen sei, ist sehr bestritten.
Die kriminalistische Auffassung spaltet sich in fünf Richtungen; man sieht als notwendig an die Begehung des Verbrechens entweder „auf hoher See“173 oder „within the jurisdiction of the admiralty“174 oder „außerhalb der Gerichtsbarkeit eines Staates der Völkerrechtsgemeinschaft“175 oder „auf hoher See oder von hoher See aus“176; des öfteren findet sich endlich die lokale Bestimmung in der Weise gegeben, daß man den Kreis der Objekte der piratischen Handlungen [pg 66]auf Schiffe und ihren Inhalt beschränkt177. Bei den Anhängern der seepolizeilichen Auffassung findet man entweder ebenfalls eine der skizzierten Ansichten, mit der Modifikation, daß der umschriebene Bezirk nicht als Ort einer begangenen Handlung, sondern als Schauplatz zu begehender erscheint178, oder aber es wird die räumliche Begrenzung von der einzelnen Handlung losgelöst und in den objektiven Bestandteil des seepolizeilichen Tatbestandes aufgenommen179.
Diese letzte Ansicht ist die richtige. Damit der objektive Tatbestand der Piraterie gegeben sei, ist notwendig, daß das Piratenschiff sich wenigstens zeitweise auf hoher See aufhalte, mag sonst der Sitz des Unternehmens sich in einer Staatsgewalt unterworfenem oder in staatlosem Gebiet befinden. Das offene Meer muß als Operationsfeld oder als Operationsbasis erscheinen. Dagegen ist gleichgültig, welchen Schauplatz die Piraten zur Begehung der piratischen Akte zu wählen gedenken180. Diese Auffassung wird der historischen Tatsache gerecht, daß die Piraterie immer, wo sie einen größeren Umfang annimmt, in der Form einer Verbindung von „Seeräuberei“ und Küstenraub auftritt; sie ermöglicht es, die internationale Verfolgung des Unwesens auch auf solche Fahrzeuge auszudehnen, die etwa unter Schonung der durch ihre Flagge gedeckten Seeschiffe ihre räuberische Tätigkeit auf unter einer ohnmäch[pg 67]tigen Regierung stehende Küstenstriche beschränken181. Andererseits steht sie mit den Landesstrafgesetzgebungen, die an der Küste begangene piratische Akte nicht als solche bestrafen182, nicht in Widerspruch, da die Bestrafung nicht völkerrechtliche Pflicht ist (s. o. § 1).
Die landesstrafrechtlichen Regeln über den Begehungsort der piratischen Akte geben in Verbindung mit den staatsrechtlichen Regeln über die Erstreckung der Strafgerichtsbarkeit (s. S. 15, Anm. 4 und S. 2, Anm. 1) ein vollständiges Bild über den Umfang, in dem piratische Akte einer Bestrafung in den einzelnen Ländern unterliegen.
I. Vorfragen. Das Unternehmen der Piraterie ist eine gemeinsame Gefahr für alle Nationen. Nur aus diesem Grunde erkennen alle es als Pflicht, zu seiner Repression beizutragen.
Diese Sätze sind, so oft sie auch aufgestellt werden, so weit entfernt, auch in ihren Konsequenzen allgemein anerkannt zu sein, daß man sogar solche Akte als Piraterie bezeichnen konnte, die in ihrem Ursprung, ihrem Verlauf und ihren Folgen völlig dem Innenleben eines Schiffes angehören183. Der Nachweis der Notwendigkeit allgemeiner Feindseligkeit des Piratenschiffes erfordert zuvor die Widerlegung solcher Aufstellungen, die aus dem Tatbestande die — über den Bereich des Schiffes hinausgehende — aggressive Tendenz ganz ausschalten wollen.
[pg 68]Die Definition der piracy im Common Law, robbery within the jurisdiction of the admiralty, ist so weit, daß sie robbery, verübt von Mitgliedern der Besatzung untereinander, einzuschließen scheint184. Doch wird dieselbe allgemein in entgegengesetztem Sinne ausgelegt, und entsprechend betrachtet man in den Vereinigten Staaten die Tatbestände der Rev. Stat. s. 5370 (15. Mai 1820 s. 3) und s. 5372 (30. April 1790 s. 8), soweit sie sich auf Vorgänge innerhalb des Schiffes beziehen, als statutory piracy185.
Einen speziellen Fall der auf den Lebenskreis des Schiffes beschränkten robbery aber sieht eine große Zahl englischer und amerikanischer Autoren als piracy by the law of nations an. Wenn eine aufrührerische Mannschaft das Schiff an sich bringt, so soll dadurch, ohne daß Gewaltakte gegen Dritte begangen oder geplant würden, der Tatbestand der Piraterie erfüllt sein186. Einen offiziellen Ausdruck hat der Gedanke in der von v. Martitz (II S. 682 N. 31) bemerkten Tatsache gefunden, daß in den belgisch-britischen Auslieferungsverträgen von 1872 (Nr. 16) und 1876 (Nr. 17) der „Prise d’un navire par les marins ou passagers par fraude ou violence envers le capitaine“ des [pg 69]französischen Textes „Piracy by law of nations“ des englischen entspricht187.
Es liegt auf der Hand, daß die ganze Auffassung mit der Grundanschauung, die in der Piraterie ein einzelnes Verbrechen im technischen Sinne sieht, aufs engste zusammenhängt, mit ihr fällt. Doch auch im Rahmen dieser Grundanschauung ist sie unhaltbar. Im Herrschaftsgebiete des Tatbestandes des Common Law (s. o. Anm. 2, S. 32) erfreut sie sich einer ungeteilten Anerkennung nur im englischen Rechte, und selbst dieses zählt eine Reihe nahe verwandter Tatbestände zur statutory piracy188; das amerikanische Recht steht ihr positiv entgegen189. Die romanischen Rechte charakterisieren zwar den Tatbestand als Piraterie, lassen aber keinen Zweifel, daß es sich um eine rein innerstaatliche Ausdehnung des Begriffes handelt190. Das nieder[pg 70]ländische Strafgesetzbuch endlich kennt das Verbrechen, ohne es als Piraterie zu bezeichnen191.
Ist aber auch der Aufruhr auf dem Schiffe, der zu dem Übergange der Schiffsgewalt auf die Meuterer führt, an sich, selbst wenn er die Merkmale des Raubes trägt, ein lediglich den Flaggenstaat angehender Vorfall, so wird doch nicht selten ein piratisches Unternehmen von ihm seinen Ausgang nehmen. Die Frage, ob und wann Piraterie vorliegt, kann jedoch nur nach den gewöhnlichen Regeln entschieden werden192.
Unbestritten ohne völkerrechtliche Bedeutung sind die in einigen Landesstrafgesetzen als Piraterie bezeichneten Tatbestände der Überlieferung eines Schiffes an Piraten oder Feinde durch ein Mitglied der Besatzung193 und der gewaltsamen Verhinderung des Kommandanten an der Verteidigung gegen sie194.
II. So allgemein die Bezeichnung des Piraten als eines hostis humani generis ist, so wenig ist man oft geneigt, als piratische Unternehmungen nur solche zu betrachten, die sich gegen alle Nationen ohne Unterschied wenden. Vornehmlich in der englischen Literatur pflegen Name und Definition der Erscheinung in einem unvermittelten Widerspruche zu stehen. In der Bezeichnung ragt der wahre Charakter der Piraterie selbst in solche Darstellungen hinein, die sonst in ihr nichts anderes als einen strafrechtlichen mit völkerrechtlichen Rechtsfolgen ausgestatteten Tatbestand, einen durch den Begehungsort ausgezeichneten Fall der robbery sehen wollen.
[pg 71]Der Begriff der Piraterie verlangt eine Gefahr für alle Nationen. Das lehrt die Betrachtung ihres historischen Zusammenhanges mit dem Zustande allgemeiner Feindschaft der politischen Verbände (s. o. § 6), und nicht minder das System ihrer Rechtsfolgen. Der Sinn der ihrer Bekämpfung dienenden Rechtsnormen kann kein anderer sein, als daß sie, in universeller Feindseligkeit den in der internationalen Friedensgemeinschaft vereinigten Nationen gegenüberstehend, auch ihrerseits einer internationalen Verfolgung ausgesetzt ist. „Die Aufgabe der Kriegsschiffe ... umfaßt die Befugnis, da einzuschreiten, wo die allgemeine Sicherheit auf See betroffen oder bedroht ist, und hier einen internationalen Rechtsschutz auszuüben, für die gemeinsamen Interessen aller seeschiffahrttreibenden Nationen einzutreten, denen der Pirat als Feind gegenübersteht“ (Perels S. 113).
Die Richtung gegen alle Nationen wird in einem großen Teile der Literatur als Voraussetzung des piratischen Charakters eines Unternehmens anerkannt (s. o. S. 54, N. 1–4 und bes. S. 57, N. 1 u. 2); zumal die geistvolle und umfangreiche Darstellung Pradier-Fodéré’s ist in allen ihren Teilen auf die Unerläßlichkeit dieses Merkmales gegründet195. Die dem völkerrechtlichen Tatbestande nahekommenden landesrechtlichen Definitionen des portugiesischen und des niederländischen Strafgesetzbuchs sowie der deutschen „Bestimmungen für den Dienst an Bord“ von 1903 bringen den Gedanken in der Form zum Ausdruck, daß sie als piratisch nur ein auf Begehung einer Mehrzahl von Akten gerichtetes Unternehmen kennzeichnen (s. o. § 8 II und S. 60 Anm. 2).
Eine nähere juristische Formulierung wird das Merkmal dahin bestimmen, daß dem Piraten die species des Rechtsgutes, dem generell seine Angriffe gelten, vertauschbare Werte sind. Existenz und Art einer persönlichen Beziehung des Trägers des Rechtsgutes wie einer sachlichen seines realen Substrates zu einer Staatsgewalt sind ihm [pg 72]gleichgültig. Nur solche Beschränkungen legt er sich auf, die im Interesse seiner eigenen Sicherheit geboten196 und die daher seine Gefährlichkeit nur zu erhöhen geeignet sind.
Das Merkmal universeller Feindseligkeit gibt einen Anhalt für die Entscheidung, inwieweit die Rechtsform der Kaperei nicht einhaltende, im Kriege auf Seebeute ausgehende Privatschiffe sowie Schiffe nicht als kriegführende Macht anerkannter Parteien eines Bürgerkrieges sich der Piraterie schuldig machen (darüber s. u. § 14 und 15). Es schließt die hier und da sich findende Qualifizierung eines den Seestreitkräften einer kriegführenden Macht angehörenden Schiffes, das unter falscher Flagge Hostilitäten begeht, als eines Piraten aus197.
Ein nur gegen einen einzelnen Staat oder dessen Bürger gerichtetes Unternehmen ist somit nicht Piraterie (s. aber Anm. 1; in Frage kommt etwa ein Unternehmen aus Rache). Der verletzte Staat braucht, wenn das angreifende Schiff ihm angehört, einen Eingriff dritter Staaten nicht zu dulden. Er kann es aber, wenn ihm diese Art der Bekämpfung beliebt, durch Entziehung des Schutzes der Flagge allgemeiner Verfolgung aussetzen.
Es ist die Frage, Akte welcher Beschaffenheit beabsichtigt (oder, unter Zugrundelegung der kriminalistischen [pg 73]Auffassung des Tatbestandes, begangen) sein müssen, damit der Tatbestand der Piraterie gegeben sei.
I. Unangefochten ist nur ein Bestandteil des Inhalts piratischer Akte, das Mittel der Begehung. Nur Gewalthandlungen sind piratische Akte198. Gewalt ist Ausübung eines physischen oder psychischen Zwanges gegen Menschen.
Unternehmungen, die auf die Aneignung seetriftiger Güter gerichtet sind, sind nicht Piraterie; die zum Schutze des Eigentums an ihnen bestehenden landesrechtlichen Strafbestimmungen finden sich nicht im Zusammenhange der die Piraterie betreffenden Normen, sondern sind meist in Verbindung mit den Bestimmungen über die Strandungsdelikte gebracht199.
II. 1. Mit dem Satze, daß piratische Akte notwendig Gewaltakte sind, ist nur eine äußerste Grenze gezogen. Es ist notwendig zu bestimmen, ob und wieweit man durch Aufstellung weiterer Erfordernisse innerhalb dieser Grenze den Begriff zu beschränken hat, insbesondere ob man ihm nur räuberische Akte subsumieren oder ihn auch auf Gewalthandlungen gegen die Person erstrecken darf. Es ist einer der unsichersten Punkte des Piraterierechtes. Literatur und Gesetzgebung sind durchaus uneinheitlich. Doch wird eine Zurückführung der in ihrer Bedeutung meist überschätzten Frage auf ihren wahren Umfang es ermöglichen, Stellung zu nehmen.
Die Piraterie als Unternehmen gegen prinzipiell alle Nationen muß sich stets gegen eine Mehrzahl von Rechtsgütern wenden und kann sich nur gegen solche richten, denen in den Augen des Täters eine durch eine irgendwie gestaltete Beziehung zu einer Nation gegebene individuelle [pg 74]Bestimmtheit nicht beiwohnt. Zerlegt man nun die Rechtsgüter in Interessen der Gesamtheit, persönliche Interessen und Vermögensinteressen, so erscheinen als ihr natürliches Objekt die Vermögensinteressen. Wirtschaftlichen Gütern jeder Art, Sachen, dinglichen Rechten, den Forderungsrechten des Wirtschaftslebens eignet die Möglichkeit der Umsetzung in Geld; die Gewinnsucht, das hauptsächlichste Motiv der Vermögensverletzung, kennt im allgemeinen keine Unterschiede zwischen ihnen. Sehr viel weniger geeignet ist schon die Gruppe der persönlichen Interessen; denkbar wäre, daß eine Weltanschauung, die den absoluten Unwert alles bewußten Seins behauptet, in einem auf generelle Zerstörung menschlichen Lebens gerichteten Seeunternehmen sich aktiv betätigte; möglich auch, daß sich eine Bande zusammenfände, die zur Befriedigung sexueller Gelüste das Mittel der Eroberung von Schiffen und der Terrorisierung von Küstenstrichen wählte; aber historische Wirklichkeit haben diese und andere Möglichkeiten, die die Phantasie konstruieren mag, nicht. Vollends kommt schließlich die Gruppe der Interessen der Gesamtheit (Staatsverfassung, Verwaltung) für ein gegen alle Nationen gerichtetes die See zur Operationsbasis wählendes Unternehmen nicht in Betracht.
2. Die Stellung der Landesgesetzgebungen und der Literatur in der — hiernach nicht allzu bedeutsamen — Frage ist sehr verschiedenartig.
Das deutsche, österreichische200, englische und amerikanische201 Recht und mit ihnen der größere Teil der Lite[pg 75]ratur202 sehen als piratische Akte nur Gewalttaten räuberischer Natur an. Einige Autoren dehnen den Begriff auf die gewaltsame Zerstörung von Sachen aus, ohne über den Kreis der Vermögensinteressen als Objekt des Angriffs hinauszugehen203.
Demgegenüber betrachten das französische, italienische, mexikanische, brasilische204 und auch das niederländische und portugiesische205 Recht und ein großer Teil der Literatur206 auch solche Gewalthandlungen als piratisch, die sich nicht als Vermögensverletzungen darstellen. Häufiger und bestimmter als in der ersten Gruppe finden sich dabei Restriktionen des Tatbestandes durch die in verschiedener Form aufgestellte Forderung einer gewissen Intensität der angewandten Gewalt.
Das gegebene Schema kompliziert sich in mehrfacher [pg 76]Hinsicht; man beschränkt die räuberischen Akte auf Sachraub oder schließt auch Menschenraub ein; man bestimmt den Begriff des Raubes entweder nach Mittel und Objekt oder nach Mittel und Motiv (gewinnsüchtige Absicht, animus furandi); man hat über die erforderliche Art und Intensität der Gewaltanwendung die mannigfaltigsten Ansichten. Eine Quelle ganz besonderer Schwierigkeiten ist die Verschiedenheit des Tatbestandes des Raubes in den Strafgesetzen der einzelnen Staaten207. Häufig genug auch lassen die gewählten Ausdrücke jede Bestimmtheit vermissen.
3. Die Erwägung, daß gegen alle Nationen sich wendende Seeunternehmungen anderer als räuberischer Art der Geschichte wie dem modernen Leben unbekannt sind, läßt eine Ausdehnung des Begriffes der piratischen Akte über Räubereien hinaus als nicht notwendig erscheinen. Die Beschränkung auf räuberische Akte entspricht der gemeinen Vorstellung. Die Rechtsanschauung der germanischen Seemächte billigt sie (s. o. S. 74 Anm. 1, 2). Sollte in der Tat prinzipielle Menschenfeindschaft ein auf Mord und Zerstörung gerichtetes Unternehmen ins Leben rufen, so erfolgt seine Bekämpfung im Rahmen der gewöhnlichen Rechtsgrundsätze (Pflicht des Flaggenstaates, die Ordnung auf dem Schiffe aufrecht zu erhalten, Haftbarmachung bei verschuldeter Versäumnis ihrer Erfüllung, Interventionsrecht dritter bedrohter Staaten bei Unmöglichkeit derselben). Verfolgung und Bestrafung einzelner durch Piraten begangener Verbrechen gegen die Person sind natürlich durch Beschränkung des Pirateriebegriffes auf Unternehmungen gegen Vermögensinteressen nicht ausgeschlossen208.
[pg 77]III. Objekt der piratischen Akte sind nur Vermögensinteressen; das Ziel des Angriffs kann sein Aneignung beweglicher Sachen, Herstellung physischer Herrschaft über Menschen, sofern der Mensch nur als Ware in Betracht kommt, Begründung von Forderungs- und dinglichen Rechten oder Scheinrechten209.
Das Mittel des piratischen Aktes ist physische oder psychische Gewalt. Aber man wird Drohungen (psychische Gewalt) nur genügen lassen können, wenn sie die Anwendung physischer Gewalt in Aussicht stellen210. Diese Beschränkung zeigt das tatsächliche Auftreten des Unwesens stets. Fälle anderer Art sind kaum denkbar. Die psychische Gewalt kann auf die Beseitigung eines eigenen Handlungen entgegenstehenden Widerstandes wie auf die Herbeiführung von Handlungen des Bedrohten gerichtet sein211.
IV. Der Zusammenhang der bisherigen Darstellung ergibt, daß die Piraterie ein gewerbsmäßiges Unternehmen ist. Eine auf gewaltsame Vermögensverschiebungen gerichtete Aktion, die ihre Spitze gegen alle Nationen kehrt, ist als einzelne Handlung nicht denkbar. Die psychische Seite der Piraterie ist nicht eine momentane Anspannung der Lebenskraft zur Verwirklichung einer in der Vorstellung bereits gegebenen Handlung oder Kette von Hand[pg 78]lungen, sondern eine Disposition zur Erreichung eines vorgestellten Erfolges durch Begehung noch unbestimmter gleichartiger Handlungen. Der vorgestellte Erfolg ist die Erlangung wirtschaftlicher Vorteile212. Die Piraterie ist eine Art der Lebensführung, wenn sie auch nicht den einzigen oder auch nur wesentlichen Inhalt des Lebens zu bilden braucht213.
Die gewerbsmäßige Natur der Piraterie findet sich nur selten ausdrücklich anerkannt214; eine stillschweigende Anerkennung enthalten alle die überaus zahlreichen Definitionen, die als ein wesentliches Merkmal des Tatbestandes die Absicht universeller Feindseligkeit hinstellen (s. o. § 10 II).
Die Lücke, die dadurch entsteht, daß ein auf einen einzelnen Gewaltakt auf See ausgehendes Schiff dem Piraterierecht nicht unterliegt, ist unbedeutend. Ist die Absicht bekannt, so ergreift der Flaggenstaat die zur Verhinderung der Tat notwendigen Maßnahmen; ist sie unbekannt, so ist eine internationale Befugnis zum Einschreiten gegenstandslos. Bei handhafter Tat genügen die gewöhnlichen Notwehr-, Nothilfe- und Festnahmebefugnisse (deutsche St. P. O. § 127). Ist Name und Heimat des Schiffes unbekannt und begegnen ihm nach begangener Tat Kriegsschiffe, zu deren Kenntnis der räuberische Akt gelangt ist, so besteht Piraterieverdacht; hat alsdann die Durchsuchung des [pg 79]Schiffes sein Nationale ergeben, so übernimmt der Flaggenstaat die Ahndung.
Die Gewerbsmäßigkeit des Unternehmens rechtfertigt es, wenn man den Tatbestand nach seiner psychischen Seite durch den kurzen Ausdruck „faktische Denationalisation“ wiedergibt (s. o. § 5 I). Der Pirat ist ein von der Friedensgemeinschaft der Kulturnationen gelöstes Glied in demselben Sinne wie jeder gewerbsmäßige Verbrecher. Mehr darf aber in den Ausdruck nicht hineingelegt werden. Der Gedanke der Notwendigkeit mangelnden Zusammenhanges mit einem anerkannten Staate hat eine allzu starke Betonung in Theorieen erfahren, die als Piratenschiffe nur rechtlich anationale (s. o. § 1) oder doch solche Schiffe ansehen, die sich tatsächlich „dem Verbande mit einem geordneten Staate entzogen haben“ (Bluntschli § 350). Diese letztere Ansicht übersieht, daß zu allen Zeiten Piraterie auch von Bürgern geordneter Staaten von diesen Staaten aus betrieben worden ist, mit Schiffen, die ebenso dem Handels- wie dem piratischen Gewerbe dienten, und daß heute diese Form allein noch von praktischer Bedeutung ist. Es ist nicht eine vollständige oder prinzipielle Lösung von der Gesellschaftsordnung notwendig; es genügt eine Gesinnung, die zum Zwecke, die Stellung in ihr zu behaupten, Mittel verwendet, die ihren Grundlagen zuwider sind215.
I. Begriff des politischen Zweckes. Ein Unternehmen, das politische Zwecke verfolgt (politisches Unternehmen), ist nicht Piraterie216.
Hierbei ist nach allgemeinen Grundsätzen nicht das wahre innerste Motiv der Beteiligten entscheidend. Große und kleine politische Aktionen können auf Motive recht privater Natur zurückgehen. Sondern es kommt der Zweck in Frage, wie er in dem Unternehmen selbst und dem Zusammenhange der Ereignisse, in dem es steht, zu erkennbarem Ausdruck gelangt ist, der in dem Unternehmen objektivierte Zweck desselben.
Der Zweck eines Unternehmens ist ein politischer, wenn es entweder sich als eine staatliche Aktion darstellt oder unmittelbar und erkennbar gegen die äußere Machtstellung oder die Verfassung oder Verwaltung eines bestimmten Staates gerichtet ist217.
Daher ist ein von einem anerkannten Staate autorisiertes Unternehmen nicht Piraterie (über Raubstaaten s. u. II, 4). Ebensowenig aber ein politisches Unternehmen Privater, auch wenn sie etwa die (gegen alle Nationen gerichteten) Rechte der Kriegführenden in Anspruch nehmen, ohne als kriegführende Partei anerkannt zu sein.
Die Besprechung der Fälle, in denen das hier in Frage stehende Tatbestandsmerkmal von besonderer Bedeutung ist, der illegalen Kaperei und der räuberischen Aktion von Kriegsschiffen im Bürgerkriege, ist dem dritten Abschnitte vorbehalten. Hier folgt eine kurze Behandlung des Raubstaatentums nach heutigem Rechte und der Beziehungen [pg 81]zwischen dem Heimatstaate und nicht autorisierten Piratenschiffen, die zugleich einige Grundlagen für die folgende Darstellung gibt.
II. Piraterie unter staatlicher Autorität (Raubstaaten). 1. Völkerrechtsgemäße Handlungen. Völkerrechtsgemäße staatliche oder von den völkerrechtlichen Organen des Staates als staatliche anerkannte Handlungen und auf völkerrechtsgemäßer Autorisierung beruhende Handlungen Privater begründen niemals eine Verantwortlichkeit gegenüber dritten Staaten. Hat das handelnde oder autorisierende Organ innerstaatliche Rechtssätze oder Dienstvorschriften verletzt, so kann es wie auch der rechtswidrig Autorisierte nach den gewöhnlichen Regeln des Disziplinar- und Strafrechts (Ausschluß der Rechtswidrigkeit durch bindenden Befehl; Rechtswidrigkeit trotz illegaler Erlaubnis; dolus und culpa) von seinem Staate zur Verantwortung gezogen werden.
2. Handlungen und Autorisierungen nicht anerkannter politischer Verbände. Nur anerkannte Staaten, und im engeren Kreise des Kriegsrechtes, anerkannte kriegführende Parteien genießen den Schutz des Völkerrechtes.
Die Beziehungen anerkannter Staaten zu den Bewohnern staatloser Gebiete, zu der Völkerrechtsgemeinschaft nicht angehörenden Staaten218, zu organisierten Verbänden innerhalb anderer Staaten (vornehmlich aufständischen Parteien)219, endlich zu anerkannten Staaten, insoweit ihnen die völkerrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit mangelt220, können in völkerrechtlicher Freiheit landesrechtlich geregelt werden. [pg 82]Befehl oder Autorisierung seitens derartiger Verbände sind nicht fähig, eine Handlung unmittelbar zu legalisieren221; doch können sie mittelbar von Bedeutung sein, insoweit das zur Anwendung gelangende Landesrecht die durch sie geschaffene Situation als Notstand oder einen etwa gegebenen Mangel des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit als Schuldausschließungsgrund anerkennt.
3. Einzelne völkerrechtswidrige Handlungen und Autorisierungen. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Staates gegenüber dem verletzten Staate bestimmt sich nach den Regeln über das völkerrechtliche Delikt; sie kann begründet sein, obwohl das handelnde Organ durch Verletzung einer landesrechtlichen Vorschrift oder einer Verwaltungsanordnung seine Kompetenz überschritten hat222.
Das handelnde oder autorisierende Organ und der Autorisierte haften, falls ihre Handlung sich als Landesrechtsverletzung oder Disziplinarvergehen darstellt, dem eigenen Staate nach den gewöhnlichen Grundsätzen (s. o. 1.). Dritten Staaten sind sie nach deren Landesrecht verantwortlich. Ist ihr Handeln nach dem eigenen Landesrecht rechtmäßig, so erhebt sich die schwierige Frage223, ob und inwieweit völkerrechtswidrige landesrechtlich bindende Befehle oder landesrechtlich rechtmäßige Autorisierungen seitens anerkannter Staaten auch im Bereiche des Landesrechts dritter Staaten die Kraft haben, die Rechtswidrigkeit auszuschließen. Es ist eine Frage des Landesrechts. Eine völkerrechtliche Verpflichtung, in dieser Beziehung das eigene Landesrecht in der einen oder anderen Weise auszugestalten, besteht im allgemeinen nicht224. In der Befugnis [pg 83]des verletzten Staates zur Bestrafung ist die eines tatsächlichen Eingriffs in fremdes Staatsgewaltgebiet (Staatsgebiet und Nationalschiffe) nicht eingeschlossen225.
Pirat ist das handelnde Organ oder der autorisierte Private nicht, da die Handlung, jedenfalls nach außen, eine staatliche Funktion darstellt.
4. Raubstaaten (vgl. § 6 II). Durch den gewerbsmäßigen eigenen Betrieb der Piraterie oder durch eine generelle Ermächtigung der Untertanen schließt ein Staat sich aus der Völkerrechtsgemeinschaft aus. Die Wirkung ist nicht, daß er seinen staatlichen Charakter verliert, „corpus morbidum, corpus tamen est“ (Grotius III, III, 2): aber es entsteht auch nicht ein Zustand rechtmäßigen Krieges zwischen ihm und allen anderen Nationen226. Vielmehr ist das Verhältnis das, daß in den gegenseitigen Beziehungen nur das beiderseitige Landesrecht Anwendung findet (s. vor, 2; und oben S. 81, Anm. 1 und S. 82, Anm. 1).
Auf die eigenen Unternehmungen des Raubstaates wie auf die autorisierten seiner Bürger treffen alle Kriterien des Pirateriebegriffs zu227. Auch der politische Zweck fehlt ihnen. Sie sind, nachdem der Staat sich selbst aus der Völkerrechtsgemeinschaft ausgeschlossen hat, nicht mehr Funktion eines anerkannten Staates, und ebensowenig sind sie auf Veränderungen in der Machtstellung der Staaten gerichtet.
Staatliche und private Piraterie, in den Anfängen der Geschichte ungeschieden (s. o. S. 42, N. 1), haben sich nach einer Entwickelung von Jahrtausenden wieder zusammen gefunden. Dereinst eine einheitliche kriegsrechtliche Erscheinung, ist die Piraterie in jeder Form heute ein Tat[pg 84]bestand der internationalen Sicherheitspolizei und der Strafrechtspflege. Die historische Trennung beider Formen ist eine Übergangsstufe in der Entwickelung des allgemeinen Kriegszustandes der politischen Verbände zu einem prinzipiellen Friedenszustande. Ein Rechtsverhältnis, wie es zwischen den Barbareskenstaaten und den Mitgliedern der Völkerrechtsgemeinschaft theoretisch bis ins 19. Jahrhundert bestand, ununterbrochener Krieg unter den Regeln des Postliminialrechtes, ist dem modernen Völkerrechte unbekannt.
III. Heimatstaat und Piratenschiff. 1. Die Staaten sind völkerrechtlich verpflichtet, für ihr Gewaltgebiet, Staatsgebiet und staatsangehörige Schiffe, eine Rechtsordnung aufzurichten und zu tatsächlicher Durchführung zu bringen, die verhindert, daß aus ihm Angriffe auf die ausländische Rechtsgüterwelt hervorgehen228. Sie haben zukünftigen Verletzungen durch Strafdrohungen und polizeiliche Maßregeln entgegenzuwirken, geschehene zu ahnden. Die schuldhafte Verletzung der Pflicht ist völkerrechtliches Delikt229. Die Unmöglichkeit ihrer Erfüllung begründet das Interventionsrecht; Interventionsrecht ist das Recht eines Staates, seine oder seiner Untertanen Interessen außerhalb seiner regelmäßigen Hoheitsgrenzen durch tatsächliche Machtentfaltung zu schützen, im Falle die im all[pg 85]gemeinen in den völkerrechtlichen Pflichten der territorial zuständigen Staatsgewalt gegebene Gewähr ihres Schutzes sich unwirksam erweist.
Diese auch in einigen Fällen zur Anwendung gelangenden Regeln, in denen von mancher Seite Piraterie angenommen wird (s. u. § 14), gelten für das Verhältnis zwischen dem Heimatstaate und wahren Piratenschiffen nicht. Eine „Intervention“ gegenüber einem Piratenschiffe gibt es nicht. Die eigenartige Rechtsfolge der Piraterie ist die rechtliche Denationalisation des Schiffes; diese setzt es dem Zugriff aller Staaten und auch solcher, deren Interessen nicht unmittelbar bedroht sind, aus, entsprechend den tatsächlichen Verhältnissen, die eine Repression der Gefahr durch den Flaggenstaat und interventionsberechtigte dritte Staaten allein nicht genügend erscheinen lassen; andererseits bedeutet sie das Aufgehen der speziellen Pflicht des Heimatstaates zur Aufrechterhaltung einer Rechtsordnung an Bord in der allgemeinen Pflicht der Repression der Piraterie230.
2. Die Pflicht des Heimatstaates zur Verhinderung und Unterdrückung der Piraterie und seine völkerrechtliche Verantwortlichkeit, wie auch die Befugnis fremder Staaten zu eigenem Einschreiten bestehen gegenüber Kriegsschiffen in keinem weiteren oder engeren Umfange als gegenüber Handelsschiffen231. Einer solchen Gleichstellung stehen politische Bedenken nicht entgegen. Sieht man freilich in der Piraterie nicht ein gewerbsmäßiges räuberisches Unternehmen, sondern eine einzelne strafbare Handlung, so ist es unumgänglich, für Kriegsschiffe Sonderregeln aufzustellen232 und 233.
[pg 86]1. Landesstrafrechtliche Ausdehnungen. Die Belegung rein landesstrafrechtlicher Tatbestände mit dem Namen Piraterie erscheint nicht selten ganz willkürlich; im übrigen bezieht sie sich entweder auf die Gleichheit der Strafe234; oder sie bezweckt die Strafwürdigkeit bisher strafloser Handlungen durch Anlehnung an das älteste Seedelikt hervorzuheben235; oder endlich sie knüpft die Ausdehnung der Strafgerichtsbarkeit auf extraterritoriale Delikte an einen schon vorhandenen Grund universeller Zuständigkeit an236.
2. Die Quasipiraterie der völkerrechtlichen Literatur. Der Begriff der Quasipiraterie ist ein unsystematischer. Er umschließt nicht einen auf Grund einer Zusammenstellung und Untersuchung aller illegalen Gewalthandlungen zur See aus diesen gebildeten durch das Merkmal der Verwandschaft mit der Piraterie charakterisierten Komplex von Tatbeständen, sondern ist ganz ein Produkt historischer Zufälligkeit237.
[pg 88]Der Grund, aus dem man einen Tatbestand zur Quasipiraterie zählt, ist entweder eine wirklich bestehende Ähnlichkeit der Repression (Negersklavenhandel, s. § 16; Beschädigung unterseeischer Telegraphenkabel, s. § 17; flaggenlose Schiffe, s. o. § 1) oder eine angebliche Gleichheit derselben, die angebliche Anwendbarkeit des Piraterierechtes auf Tatbestände, die selbst nicht Piraterie sind (gewisse Fälle illegaler Kaperei, s. § 15; Gewaltakte revolutionärer Kriegsschiffe, s. § 14).
Unter den Tatbeständen, die man als Quasipiraterie charakterisiert hat, ist nicht ein einziger, der nicht von anderen als wahre Piraterie bezeichnet worden wäre.
Daß der ganze Begriff der Quasipiraterie ein verfehlter ist, bedarf hiernach kaum noch der Erwähnung. Das Ziel dieser Arbeit ist die Gewinnung eines einheitlichen und klar umschriebenen Tatbestandes, die Wiederherstellung des reinen Pirateriebegriffes aus Geschichte und geltendem Rechte gegenüber mancherlei Verdunkelungen und Verflachungen, deren wahren Grund man zu einem großen Teile in einer gewissen Oberflächlichkeit und Bequemlichkeit sehen darf, die landesrechtliche und völkerrechtliche Rechtssätze (so bei der illegalen Kaperei) und völkerrechtliche Rechtsinstitute verschiedener Art (so bei dem Einschreiten gegen Kriegsschiffe Aufständischer) nicht genügend auseinanderhält.
I. Skizzierung des Rechtszustandes. Einer nicht als kriegführende Macht anerkannten aufständischen Partei stehen die Rechte der Kriegführenden nicht zu. Ihre Beziehungen zur heimischen Regierung wie zu fremden [pg 89]Mächten unterstehen ausschließlich dem heimischen oder fremden Landesrechte238. Diesem steht nach allgemeinen Grundsätzen frei, beliebige strafrechtliche Tatbestände als Piraterie zu qualifizieren.
Die völkerrechtliche Kontroverse liegt auf einem anderen Gebiete. Es ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen und auf Grund welches Titels fremde Mächte dem von einem Bürgerkriege heimgesuchten Staate gegenüber zu einem gewaltsamen Einschreiten gegen ihm angehörige Schiffe befugt sind.
Der Rechtsgrund des Einschreitens kann ein zweifacher sein.
a) Nicht selten fehlt dem revolutionären Schiffe der Schutz einer Flagge; so wenn die Empörer Schiffe fremder Nationen erwerben oder ohne Zustimmung des Heimatstaates zur Kaperei autorisieren (siehe auch unten § 15 III); vornehmlich aber, wenn die bekämpfte rechtmäßige Gewalt durch das berufene Organ des völkerrechtlichen Verkehrs ihren Nationalschiffen den völkerrechtlichen Schutz entzieht239. Diese Entziehung kann auch in der Form geschehen, daß die Regierung die Revolutionäre mit der Absicht, sie allgemeiner Verfolgung auszusetzen, für Piraten erklärt; dagegen ist sie in der Ablehnung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit für ihre Handlungen nicht enthalten240.
b) Die drohende Verletzung fremder nationaler oder privater Interessen rechtfertigt die Intervention des bedrohten oder seitens des bedrohten mit der Wahrnehmung seiner Interessen betrauten dritten Staates.
[pg 90]Dagegen ist eine revolutionäre politische Aktion niemals Piraterie, auch wenn sie gegenüber dritten Mächten die Rechte Kriegführender beansprucht; sie wird es selbst dadurch nicht, daß sie die Kriegführenden zustehenden Befugnisse der heimatlichen Regierung und fremden Mächten gegenüber überschreitet, solange nur der politische Zweck der Maßnahmen in ihnen erkennbar ist.
Daß das Einschreiten der Mächte zum Schutze ihrer Interessen als Intervention, nicht als Repression der Piraterie gedeutet werden muß, ergibt sich mit aller Sicherheit daraus, daß an eine Bestrafung der Empörer nicht zu denken ist und nicht gedacht wird, auch wenn deliktische Tatbestände gegeben sind, die sich als piratische Akte darstellen würden; und aus dem wenig beachteten vielleicht noch wesentlicheren Umstande, daß der Schauplatz des Eingriffs regelmäßig fremdes Staatsgebiet ist241, die Beschränkung der internationalen seepolizeilichen Befugnisse zur Unterdrückung der Piraterie auf die hohe See (oder höchstens in gewissen Fällen das Küstenmeer)242 aber außer Zweifel steht.
II. Die Stellung der Literatur. Die Literatur unterscheidet durchweg nicht genügend, ob ein Einschreiten fremder Mächte überhaupt gerechtfertigt oder speziell aus dem Rechtsgrunde der Piraterie zulässig ist. Oft ist nicht erkennbar, ob sich die Ausführungen auch auf solche Fälle beziehen, in denen ein revolutionäres Schiff Interessen fremder Mächte verletzt oder bedroht, oder ob sie nur in strengem Sinne innere Unruhen im Auge haben.
Daß die politische Aktion der Kriegsschiffe Aufständischer nicht Piraterie ist, wird fast allgemein aner[pg 91]kannt243. Die Anerkennung wird von einigen englischen Autoren in die Form gekleidet, daß sie dem Fahrzeuge den Namen eines Piraten geben, aber die Anwendung des Piraterierechtes ausschließen; hierhin gehört vornehmlich Hall (S. 258 f.)244, dessen Ausführungen aber einer näheren Behandlung bedürfen.
Der Grundgedanke der Ausführungen Halls ist die Unterscheidung revolutionärer Bewegungen in solche, die zur Grundlage „politically organised societies which are not yet recognised as belligerent“ (S. 259) haben, und andere, deren Träger lediglich „persons not acting under the authority of any politically organised community, notwithstanding that the objects of the persons so acting may be professedly political“ (S. 262) sind. Gewaltakte der Kriegsfahrzeuge sollen in dem zweiten Falle Piraterie sein, in dem ersten ein Einschreiten fremder Mächte nicht rechtfertigen.
Die Bezeichnung der Gewaltakte Aufständischer, die keine politisch organisierte Gemeinschaft bilden, als piratischer, ist aber nicht mehr als eine Benennung. Denn beschränken sich die Revolutionäre streng auf die Aktion gegen den eigenen Staat „with careful avoidance of depredation or attack upon the persons or property of the subjects of other states“, so sind ihre Handlungen „for practical purposes not piratical with reference to other states“, obwohl sie „are piratical with reference to the state attacked“ (S. 262); daher ist es in solchen Fällen „not the practice for states other than that attacked to seize, and still less to punish, the persons committing them“. Begehen die Aufständischen Gewaltakte auch gegen Schiffe fremder Mächte, so sind sie zwar der Ergreifung durch den verletzten Staat ausgesetzt; [pg 92]aber eine Strafverfolgung unterbleibt (S. 266) und „the mode in which the crew were dealt with would probably depend upon the circumstances of the case“ (S. 265).
Die Auffassung Halls unterscheidet sich von der oben unter I entwickelten demnach formell darin, daß sie unter Ausscheidung des Namens der Intervention ein Verhalten, das eine Intervention gegen ein revolutionäres Fahrzeug rechtfertigt, als piratisch bezeichnet; materiell darin, daß sie, im Falle die Aufständischen eine wenn auch nicht als kriegführende Macht anerkannte politisch organisierte Gemeinschaft bilden, eine Intervention für unzulässig hält.
Die formelle Abweichung ist unglücklich, denn sie verwendet einen Namen für einen Tatbestand, der durchaus andere Rechtsfolgen hat als derjenige, den der Name sonst zu bezeichnen pflegt (s. auch oben I a. E). Die materielle Abweichung ist unrichtig; dies ergibt schon die einfache Erwägung, daß anderenfalls die Anerkennung als kriegführende Macht nur dekorative Bedeutung hätte; und eine Betrachtung der von Hall selbst gegebenen Begründung bestätigt es.
Denn wenn Hall die Ansicht, daß „acts which are allowed in war, when authorized by a politically organised society, are not piratical“ (das soll heißen nicht geeignet sind, die Zulässigkeit eines Eingreifens zu begründen) mit der Erwägung rechtfertigen will, man könne nicht behaupten „that acts which are done for the purpose of setting up a legal state of things, and which may in fact have already succeeded in setting it up, are piratical for want of an external recognition of their validity, when the grant of that recognition is properly dependent in the main upon the existence of such a condition of affairs as can only be produced by the very acts in question“: so liegt dem eine unhaltbare Auffassung des Verhältnisses von Zweck und Mittel zu Grunde. Akte, die auf Herstellung eines Zustandes gerichtet sind, der nach seiner Herstellung vorgenommene Handlungen derselben Art legal erscheinen läßt, sind selbst doch nur nach dem gegenwärtigen Rechte zu [pg 93]beurteilen. Die Ermordung einer Person ist nicht weniger Mord, wenn sie bezweckte, in ihr das einzige Hindernis zu beseitigen, das dem Erlasse eines die Tötung der Personenklasse erlaubenden Gesetzes im Wege stand, zu der der Ermordete gehörte. Der Zweck mag die Mittel heiligen; legalisieren kann er sie nicht.
Zwei weitere Gründe aber, die Hall zum Beweise der nichtpiratischen Natur (für ihn also der eine Intervention nicht begründenden Natur) der Gewalthandlungen politisch organisierter Revolutionäre beibringt, tun in Wahrheit die Unhaltbarkeit der ganzen Unterscheidung der einen politisch organisierten Verband bildenden und anderer Aufständischer dar. Es sind die politische Natur der Aktion245 und ihre Richtung gegen nur einen Staat246. Aber auch die nicht sich als Aktion einer politisch organisierten Gemeinschaft darstellende revolutionäre Bewegung verfolgt ihrem Wesen nach „public ends“ und ist „enemy solely of a particular state“.
Die Scheidung piratischer und nicht piratischer Akte nach dem Merkmal der Zurückführbarkeit auf wenn auch nicht anerkannte politisch organisierte Verbände oder auf isolierte und kleinere Gemeinschaften247 läßt sich systematisch als eine Übertreibung der Forderung auffassen, daß der politische Zweck eines Unternehmens in ihm klar zum Ausdruck gelangt (objektiviert) sein müsse, um es seines politischen Charakters wegen als nichtpiratisch bezeichnen zu können (s. o. § 12).
Für Kaperschiffe revolutionärer Parteien können keine anderen Rechtssätze gelten als für Kriegsschiffe248. Denn [pg 94]auch das Kaperunternehmen entbehrt objektiv nicht eines politischen Zweckes.
III. Die Staatenpraxis. Ein Kriegsschiff einer aufständischen Partei, das die Gefährdung oder Verletzung ausländischer Interessen streng vermeidet, wird als Pirat weder behandelt noch bezeichnet. Die Mächte enthalten sich ihm gegenüber jeder Einmischung. Die Instruktionen für die Kriegsflotten249, das tatsächliche Verhalten der Mächte und grundsätzliche diplomatische Erklärungen gelegentlich von Präzedenzfällen250 ergeben ein sicheres und einheitliches Bild der internationalen Überzeugung251.
Nicht ganz so sicher ist die Staatenpraxis im Falle, daß die Handlungen der Empörer auch fremde Interessen verletzen oder gefährden, speziell bei Beanspruchung der Rechte Kriegführender gegenüber Neutralen durch sie. Mehrfach haben Großmächte ihr Einschreiten gegen aufständische Kriegsschiffe, die sich der — ohne jeden Zweifel unberechtigten — Ausübung solcher Rechte schuldig gemacht hatten, auf den Rechtstitel der Piraterie gestützt252. [pg 95]Aber es ist doch leicht zu erkennen, daß sich unter dem Namen der Repression der Piraterie die Intervention verbirgt. Man schreitet gegen die angeblichen Piraten innerhalb des Territoriums ihres Heimatstaates ein253; man bestraft sie nicht254; und vor allem, es geht nur der bedrohte [pg 96]oder verletzte Staat gegen sie vor, ohne daran zu denken, die Mitglieder der Völkerrechtsgemeinschaft an ihre internationale seepolizeiliche Pflicht der Säuberung des Meeres von Piraten zu erinnern255.
Zudem ist in Instruktionen und amtlichen Erklärungen des öfteren ausdrücklich die Repression der Übergriffe aufständischer Kriegsschiffe dem Gebiete der Intervention zugewiesen, so daß Name und Rechtsbegriff in Einklang stehen256.
I. Quellen. Die Kaperei als Lebenserscheinung gehört der Vergangenheit an257, wenn sie auch als Rechtsinstitut noch in gewissem Umfange fortbesteht. In keinem der großen Kriege seit Ausgang der napoleonischen Ära sind Kaper zur Verwendung gelangt; die letzten Kaperei-Reglements sind im Anfange des 19. Jahrhunderts erlassen worden258. Eine Fortbildung des gewohnheitsrechtlichen Völkerrechtes kann daher im 19. Jahrhundert kaum stattgefunden haben; zum mindesten spricht die Vermutung gegen sie.
Das Kapereirecht, wie es an der Wende des 18. und 19. Jahrhunderts in Geltung stand, ist in einer klassischen Monographie G. F. v. Martens’259 niedergelegt.
Die Darstellung kann sich nicht auf den Nachweis beschränken, daß die Fälle illegaler Kaperei, die man als Piraterie betrachtet hat, sich dem im vorigen entwickelten Pirateriebegriff entweder unterordnen oder aus ihm herausfallen, sondern es ist daneben zu prüfen, ob nicht etwa spezielle Völkerrechtssätze für die einzelnen Fälle bestehen.
II. Der Rechtszustand. 1. Piraterie und Kaperei. Der historische und nicht anders der modern-systematische Gegensatz der Kaperei und der Piraterie besteht darin, daß die Kaperei, auf Grund einer speziellen [pg 98]staatlichen Autorisation betrieben, sich als eine innerhalb der völkerrechtlichen Gemeinschaft zulässige militärische Aktion moderner Staatsgewalt und damit als ein politisches Unternehmen darstellt260. Der Begriff einer „Kaperei ohne Autorisation“ enthält eine contradictio in adjecto.
Schiffe, die in Kriegszeiten ohne staatliche Autorisation gegen den Feind auf Seebeute ausgehen, stehen danach unter dem allgemeinen Piraterierecht. Beschränken sie ihre Hostilitäten auf Fahrzeuge feindlicher Nationalität, so können sie nicht als Piraten angesehen werden261. Hieran kann sich, sofern sie sich nur in den Grenzen der politischen Aktion halten, auch dadurch nichts ändern, daß sie neutralen Schiffen gegenüber die Rechte Kriegführender ausüben. Der Kriegsgegner darf sie in völkerrechtlicher Freiheit zur Verantwortung ziehen, auch ihre Handlungen landesrechtlich als Piraterie bezeichnen262; der Heimatstaat ist völkerrechtlich verbunden, ihre Aktion zu verhindern263. Dritten Staaten steht ein Eingriffsrecht nicht zu264.
[pg 99]Ein Schiff, das sich von beiden kriegführenden Staaten zur Kaperei autorisieren läßt, kann nicht als Kaper angesehen werden, da seine Aktion eines in ihr objektivierten politischen Zweckes vollständig ermangelt. Seine Hostilitäten sind gegen prinzipiell alle Nationen gerichtet; wenn es neutralen Staaten gegenüber seine Räubereien auf Wegnahme von Kriegskontrebande beschränkt, so ist offenbar die Absicht nur, einen längeren ungestörten Fortgang des Treibens zu ermöglichen (vgl. oben § 10 II). Das Schiff ist demnach Pirat265.
2. Völkerrechtswidrige Autorisierung (vgl. § 12 II 3). Völkerrechtswidrige Autorisierung setzt den autorisierenden Staat allen Folgen der Verletzung der loi de guerre aus. Das autorisierte Schiff, als ein völkerrechtswidriger Bestandteil der Streitkräfte, entbehrt (nicht anders als autorisierte Francstireurs, s. o. N. 4, S. 82) des Schutzes der Kriegsgesetze; der Kriegsgegner kann seine Besatzung strafrechtlich verantwortlich machen. Piraterie im Sinne des Völkerrechts ist nicht gegeben.
[pg 100]Es gehören hierhin vornehmlich die Autorisation ohne Ausstellung eines Kaperbriefes266 und jede Autorisation in einem Kriege zwischen Staaten, die der Pariser Seerechtsdeklaration beigetreten sind267. Über die Autorisation von Schiffen fremder Nationalität siehe III.
3. Völkerrechtswidriges Verhalten des Kapers. Nach dem allgemeinen Grundsatze, daß Verletzung der Kriegsgesetze den Schuldigen für die verletzende Handlung ihres Schutzes beraubt, kann ein Kaper, der außerhalb des Schauplatzes des Seekrieges Beute macht268 oder der Prisen verheimlicht269, von dem Kriegsgegner strafrechtlich verfolgt werden. Wegnahme neutraler Schiffe kann nach dem Landesrecht des verletzten neutralen Staates strafbar sein, doch ist derselbe zur Festnahme des Kaperschiffes nur nach den allgemeinen Grundsätzen (Intervention, s. § 12 III) befugt270. Fortsetzung der Aktion nach Ablauf [pg 101]oder Zurücknahme des Markbriefes oder nach Beendigung des Krieges steht unter denselben Regeln wie die nicht autorisierte Beutefahrt (s. o. 1)271. Piraterie im Sinne des Völkerrechts ist an sich keiner dieser Fälle272.
Sehr zweifelhaft ist die Frage der Behandlung eines Kapers, der für mehrere verbündete oder doch nicht mit einander im Kriege befindliche Mächte gleichzeitig tätig ist273. Dem allgemeinen Pirateriebegriff ordnet sich ein solches Verhalten nicht unter; aber nach dem französischen, spanischen, italienischen, brasilischen und dem älteren niederländischen Rechte könnte es scheinen, als sei es durch speziellen völkerrechtlichen Rechtssatz der Piraterie gleichgestellt274. Die Literatur betrachtet durchweg die mehrfache Autorisierung als einen nicht zu duldenden Mißstand; [pg 102]als Piraten sieht sie den Kaper entweder gar nicht275 oder nur dann an, wenn die Markbriefe nicht von dem Heimatstaate und dessen Kriegsverbündeten ausgestellt sind276.
Die mit der mehrfachen Kommissionierung verbundene Führung mehrerer Flaggen begründet kein internationales seepolizeiliches Eingriffsrecht277.
III. Eine besondere Beachtung hat auch in der neueren Literatur die Frage gefunden, in welcher Rechtslage sich ein von einem anderen als seinem Heimatstaate autorisierter Kaper befindet. Die Meinungen sind sehr geteilt. Man sah bis ins 19. Jahrhundert hinein allgemein und sieht noch heute sehr häufig die Autorisierung für vollkommen legal an278; betrachtet man sie als illegal, so läßt man entweder nur die normalen Rechtsfolgen völkerrechtswidriger Kommissionierung (s. v. II 2) eintreten279, oder aber man [pg 103]erklärt den Kaper für einen Piraten im Sinne des Völkerrechts280.
Für die Entscheidung der Rechtsfrage ist ihre genaue Trennung von einer anderen, mit der sie in der neueren Literatur regelmäßig vermischt wird, von größter Bedeutung. Es ist die, ob eine Regierung, die ihren Untertanen gestattet, fremde Kaperbriefe anzunehmen, sich einer Neutralitätsverletzung schuldig mache281. Ihre Bejahung oder Verneinung präjudiziert einer Stellungnahme zu der Frage der Behandlung des Kaperschiffes in keiner Weise, so wenig wie die Tatsache der Anwerbung im Gebiete einer neutralen Macht, der Ausrüstung in einem neutralen Hafen für die Entscheidung der Frage bestimmend ist, ob die Handlungen eines Truppenkörpers oder eines Kriegsschiffes nach der loi de guerre strafrechtlicher Ahndung entzogen sind. Nicht die Neutralitätsverletzung des Heimatstaates, sondern nur die Völkerrechtswidrigkeit der Handlungsweise des autorisierenden Staates kann der Anerkennung des Kapers als eines rechtmäßigen Feindes entgegenstehen. Die überaus zahlreichen landesrechtlichen Bestimmungen, die den eigenen Untertanen die Annahme fremder Kaperbriefe verbieten, scheiden schon aus diesem Grunde für eine Betrachtung der Rechtsstellung des Kaperschiffes gegenüber dem Kriegsgegner und dritten Nationen völlig aus282 und 283.
[pg 104]Das hiernach für die Erkenntnis des völkerrechtlichen Rechtszustandes verbleibende gesetzliche und diplomatische Material besteht, soweit wir sehen, aus zwei niederländischen Gesetzen aus dem 17. Jahrhundert (holländisch-portugiesischer und holländisch-englischer Krieg)284, englischen und franzö[pg 105]sischen Verwaltungsanordnungen vom Ende des 18. bezw. dem Anfang des 19. Jahrhunderts (französisch-englische Kriege)285, einem Schreiben des französischen Admirals Baudin an den mexikanischen Kriegs- und Marineminister vom 8. Januar 1839 (französisch-mexikanischer Krieg)286, dem amerikanischen Gesetze vom 3. März 1847, Rev. Stat. s. 5374 (amerikanisch-mexikanischer Krieg)287, und dem Art. 7 des spanischen Dekrets vom 24. April 1898 (spanisch-amerikanischer Krieg)288.
Aus diesem Material ergibt sich eins mit aller Sicherheit: [pg 106]daß die autorisierte Kaperei eines nicht dem autorisierenden Staate angehörenden Schiffes nicht Piraterie im Sinne des Völkerrechts ist. Die Dokumente sind sämtlich Erklärungen kriegführender Staaten an den Feind; sie enthalten die Drohung, angeblich völkerrechtswidrige Bestandteile der feindlichen Seestreitkräfte nach Strafrecht zu behandeln289. Von einem internationalen Schutze gemeinsamer Interessen ist gar nicht die Rede.
Es bleibt noch die Frage290, ob der den angeführten Entschließungen einzelner Mächte zu Grunde liegende Gedanke der Völkerrechtswidrigkeit der Autorisierung fremder Schiffe in der Tat geltendes Völkerrecht ist. Die alten holländischen Gesetze haben offenbar nicht vermocht, die Ansicht der völkerrechtlichen Zulässigkeit der durch sie bedrohten Handlungen dauernd zu beeinflussen (s. o. N. 4, S. 102); noch die britischen und französischen Prätensionen an der Wende des 18. und 19. Jahrhunderts wurden als ein Verstoß gegen „settled principles of international law“ empfunden (s. o. N. 1, S. 105); das amerikanische Gesetz von 1847 beschränkt sich auf die Kriminalisierung des Tatbestandes für den Fall, daß der Heimatstaat des Täters vertragsmäßig die Strafwürdigkeit zugestanden hat291, scheint [pg 107]ihn also im allgemeinen nicht für widerrechtlich zu halten; die in der Tat allgemeine Drohung Baudins 1839 galt einem — zu damaliger Zeit — zerrütteten und für ein legales Vorgehen von ihm herangezogener fremder Abenteurer keinerlei Garantieen bietenden Staate; und der gleichfalls allgemeine Artikel des spanischen Dekrets von 1898 endlich war von vornherein unpraktisch. Die Frage spitzt sich schließlich dahin zu, ob man die Haltung Frankreichs 1839 und die Spaniens 1898 als genügenden Ausdruck einer allgemeinen völkerrechtlichen opinio necessitatis betrachten und zugleich darin einen für die Entstehung eines Gewohnheitsrechtes ausreichenden usus sehen will292. In der Erwägung, daß auch die neutralen Mächte an dem Rechtszustande interessiert sind, da sie die Ausübung der Rechte der Kriegführenden gegenüber ihren Schiffen durch unrechtmäßige Bestandteile der Streitmacht nicht zu dulden brauchen, daß aber autoritative Erklärungen Neutraler über die Unzulässigkeit der Verwendung fremder Kaper gänzlich fehlen, wird man die Frage verneinen müssen.
Allgemeine völkerrechtliche Grundsätze stehen dieser Entscheidung nicht entgegen. Deklamationen über das Prinzip des Krieges als eines die ganze nationale Kraft, aber auch nur diese anspannenden Kampfes der Nationen, wie sie Ortolan bringt, der erste literarische Verfechter der Ansicht, die in dem nicht staatszugehörigen Kaper einen Piraten nach Völkerrecht sehen will, können das positive Völker[pg 108]recht nicht beseitigen, das die Verwendung fremder Schiffe so wenig untersagt wie den Kriegsdienst nicht staatsangehöriger Personen293. Zuzugeben ist Ortolan nur, daß dem nicht dem kriegführenden Staate angehörigen an der militärischen Aktion teilnehmenden Schiffe, da es den Schutz seines Heimatstaates nicht beanspruchen kann, ein wahrer nationaler Charakter fehlt; aber es ist anzunehmen, daß es für die Zeit der Kommissionierung zu dem autorisierenden Staate gegenüber dritten Mächten in demselben völkerrechtlichen Verhältnis steht wie dessen Nationalschiffe294 (s. darüber § 12 II u. III).
Die Perhorreszierung der Sklaverei führt auf den Gedanken der Anerkennung eines jeden Gliedes des Menschengeschlechts als einer unverletzlichen und schutzwürdigen Persönlichkeit zurück, ein Prinzip also, das in den modernen Landesrechten zu allgemeiner Durchführung gebracht ist und dem Völkerrechte zu Grunde liegt (s. o. § 6 I). Die Anpassung des innerstaatlichen Personenrechtes an dieses Prinzip interessiert hier nicht. In Rücksicht auf die internationalen Beziehungen läßt es die Unterdrückung der Sklaverei als ein gemeinsames sittliches Interesse der Kulturvölker erscheinen. Dieses Interesse hat sich zwar nicht so stark erwiesen, daß es zur Bildung eines die Abschaffung der Sklaverei für eine völkerrechtliche Pflicht erklärenden Rechtssatzes geführt hätte, hat aber immerhin eine steigende Zahl von Nationen veranlaßt, eine vertragsmäßige Verpflichtung zur Unterdrückung des Handels mit Negersklaven und damit zur Verstopfung der heute allein noch wesentlichen Quelle der Sklaverei zu übernehmen. Soweit diese [pg 109]vertraglichen Verpflichtungen reichen, ist der Sklavenhandel ein völkerrechtswidriges Unternehmen (vgl. oben § 8 III).
Piraterie und Sklavenhandel ist gemeinsam, daß beide gegen die großen Gesamtinteressen der Kulturwelt verstoßen. Während dieser aber in erster Linie sittlichen Forderungen zuwiderläuft, widerspricht jene wirtschaftlichen Notwendigkeiten, und wenn jene von allen Nationen ohne Ausnahme bekämpft wird, ist dieser nur partikulär als völkerrechtswidrig gebrandmarkt.
Das Mittel der Unterdrückung des Sklavenhandels zur See ist die Visitation und Beschlagnahme verdächtiger Schiffe. Das fernere Verfahren ist aber nicht wie bei der Piraterie ausschließlich von dem Landesrecht des Nehmestaates abhängig, sondern die Verträge sind besorgt, die Aburteilung durch den Heimatstaat des beschlagnahmten Schiffes herbeizuführen.
Da hiernach Grund, Umfang und Mittel der Repression des Sklavenhandels und der Piraterie wesentliche Verschiedenheiten zeigen, so ist die Auffassung des Sklavenhandels als Piraterie oder Quasipiraterie295 nicht zulässig. Erklären ihn gleichwohl einzelne Verträge296 oder Gesetze dafür, so kann eine solche Betrachtungsweise völkerrechtlich nur die Bedeutung einer Vergleichung verwandter aber ungleicher Erscheinungen beanspruchen; landesrechtlich mag sie zur Begründung der Kompetenz der heimischen Strafgerichtsbarkeit oder zur Bestimmung des Strafmaßes dienen297.
Nichtsdestoweniger ist der Begriff der Piraterie für die Unterdrückung des Sklavenhandels von großer historischer Bedeutung gewesen, insofern die Zulässigkeit des Eingriffs [pg 110]zwecks Verfolgung der Piraterie im Anfang des 19. Jahrhunderts der einzige Fall eines Visitationsrechtes in Friedenszeiten war, die einzige vermittelnde Beziehung zwischen dem nach langen und schweren Kämpfen endlich zum Siege gelangten Prinzip der Meeresfreiheit und einem im allgemeinen Interesse liegenden System internationaler Seepolizei298.
Wie die Vertiefung seiner sittlichen Interessen den Menschen die Unterdrückung des Sklavenhandels als eine moralische Notwendigkeit erkennen heißt, so macht die Erweiterung seiner ökonomischen und politischen Beziehungen über den ganzen Erdkreis hin einen wirksamen Schutz der internationalen Verkehrseinrichtungen zu einem wirtschaftlichen Bedürfnis. Seiner Befriedigung dienten, soweit Einrichtungen der internationalen Seepolizei in Frage kommen, bis in die neueste Zeit ausschließlich die völkerrechtlichen Rechtsnormen über die Piraterie. So ist verständlich, daß, als das neu entstandene Netz der unterseeischen Telegraphenkabel neue Rechtssätze zu seinem Schutze verlangte, die ersten diplomatischen Schritte sich in der Richtung einer Erweiterung des Pirateriebegriffs auf die zu reprimierenden Handlungen bewegten299. Die Kabelkonvention vom 14. März 1884 und die zu ihrer Ausführung ergangenen Landesgesetze, das schließliche Ergebnis der Verhandlungen, haben sich von diesem Gedanken frei gemacht. Immerhin hat sich auch hier wie in der Bekämpfung des Sklavenhandels der Pirateriebegriff wertvoll erwiesen, insofern die Anknüpfung an ihn dem neuen Rechtsgebilde das Odium des Unerhörten nahm.
(Gesetze, Verordnungen, Seerechtsbücher, allgemeine Dienstinstruktionen.)
Corpus juris civilis:
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Corpus juris canonici:
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Consolato del mare:
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Rôles d’Oléron:
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Brasilien. | |||||||||||||||||||||||||
Strafgesetzbuch vom 11. Oktober 1890:
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Chile. | |||
Strafgesetzbuch vom 12. November 1874:
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Dänemark. | |||||
Strafgesetzbuch vom 10. Februar 1866:
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Deutschland. | |||||||||||||||||||
Constitutio criminalis Carolina von 1532:
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Preuß. Allgem. Landrecht von 1794:
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Strafgesetzbuch vom 31. Mai 1870:
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Allgemeine Dienstinstruktion vom 6. Juni 1871, zur Ausführung des Konsulargesetzes vom 8. Nov. 1867:
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Strandungsordnung vom 17. Mai 1874:
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Strafprozeßordnung vom 1. Februar 1877:
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Instruktion für die Kommandanten deutscher Kriegsschiffe in betreff der Unterdrückung der Seeräuberei in den
chinesischen Gewässern vom 20. August 1877:
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Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom 7. April 1900:
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Kaiserl. Verordnung betr. Zeigen der Nationalflagge durch Kauffahrteischiffe vom 21. Aug. 1900:
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Bestimmungen für den Dienst an Bord (Instruktion) vom 21. November 1903:
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England. | |||||||
Gesetz König Johanns von 1201: S. 12, A. 1; | |||||||
Inquisition taken at Quinborough, 1375, erster Zusatzartikel: S. 44, A. 2; | |||||||
Articuli magistri Rowghton de officio Admiralitatis: S. 44, A. 2: | |||||||
28 Hen. 8 c. 15 (1536): S. 21, A. 1; S. 48, A. 3; S. 49, A. 1; | |||||||
Act to prevent the delivering up of merchants shipps von 1664: S. 46, A. 1; | |||||||
11 u. 12 Will. 3 c. 7 (1698)
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8 Geo. 1 c. 24 (1721)
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18 Geo. 2 c. 30 (1744): S. 22, A. 1; S. 32, A. 2; S. 65, A. 3; S. 103, A. 3; | |||||||
Naval Regulations von 1787 und 1826 (Instruktionen): S. 99, A. 5; | |||||||
5 Geo. 4 c. 113 (1824)
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4 u. 5 Will. 4 (1834) c. 36
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7 Will. 4 u. 1 Vict. c. 88
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7 u. 8 Vict. c. 2
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12 u. 13 Vict. c. 96
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13 u. 14 Vict. c. 26: S. 47, A. 2 | |||||||
20 u. 21 Vict. c. 3
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Larceny Act, 1861
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33 u. 34 Vict. c. 23: S. 49, A. 1 | |||||||
Extradition Act, 1870
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Foreign Enlistment Act, 1870
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Order in council vom 15. Oktober 1885 betr. die Ausübung der britischen Jurisdiktion in gewissen Teilen Afrikas:
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Order in council vom 28. November 1889 betr. die Konsulargerichtsbarkeit in Siam:
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Order in council vom 22. November 1890 betr. die Konsulargerichtsbarkeit in Brunei:
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Colonial Courts of Admiralty Act, 1890: S. 48, A. 3; | |||||||
Merchant Shipping Act, 1894:
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Queen’s Regulations and Admiralty Instructions for the Government of Her Majesty’s Naval Service von 1899
(Instruktion):
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Finnland. | |||
Strafgesetzbuch vom 19. Dezember 1889:
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Kaiserl. Verordnung vom 21. April 1894: S. 15, A. 4. |
Frankreich. | |||||||||||||||||||||||||||||||||
Gesetz Ludwigs des Zänkers von 1315: S. 46, A. 4; | |||||||||||||||||||||||||||||||||
Ordonnanz vom 7. Dezember 1373: S. 38, A. 6; S. 44, A. 2; | |||||||||||||||||||||||||||||||||
Ordonnance touchant la marine von 1681:
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Arrêté du Gouvernement betr. die Kaperei vom 22. Mai 1803:
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Code d’instruction criminelle von 1808:
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Code pénal von 1810:
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Loi pour la sûreté de la navigation et du commerce maritime vom 10. April 1825:
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Konstitution vom 4. November 1848:
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Code de justice militaire pour l’armée de mer vom 4. Juni 1858:
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Décret sur le service à bord vom 20. Mai 1885 (Instruktion):
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Décret betr. die Rechtsverhältnisse der französischen Bürger auf den herrenlosen Inseln des Stillen Ozeans vom 28. Februar 1901: S. 2, A. 1. |
Griechenland. | |||
Strafgesetzbuch vom 10. Jan. 1834:
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Gesetz περὶ Ναυταπάτης καὶ Πειρατείας vom 30. März 1855: S. 33, A. 8. |
Italien. | |||||||||||||||||||||||||||
Statut von Cataro, 14. Jahrhundert:
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Florenzer Capitoli pel viaggio di Barberia, 16. Jahrhundert:
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Genuesische Statuten von 1313 u. 1316: S. 38, A. 6; S. 40, A. 3; S. 45, A. 3; | |||||||||||||||||||||||||||
Pisanisches Breve curiae maris von 1298:
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Statut von Rimini von 1303:
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Statut von Sassari von 1316:
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Sizilisches Gesetz von 1399:
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Codice per la marina mercantile vom 24. Oktober 1877:
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Strafgesetzbuch vom 30. Juni 1889:
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Mexiko. | |||||
Strafgesetzbuch vom 7. Dezember 1871:
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Niederlande. | |||||||||||||||
Placaat von 1597: S. 98, A. 4; | |||||||||||||||
Placaaten von 1611, 1653: S. 103, A. 3; | |||||||||||||||
Placaat vom 29. Januar 1658: S. 101, A. 4; | |||||||||||||||
Placaat v. 29. Juli 1661: S. 104, A. 1; | |||||||||||||||
Placaat vom 11. März 1665: S. 104, A. 1; | |||||||||||||||
Placaat vom 24. Februar 1696: S. 100, A. 3; | |||||||||||||||
Gerichtsverfassungsgesetz v. 18. April 1827:
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Handelsgesetzbuch vom 10. April 1838:
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Strafgesetzbuch vom 3. März 1881:
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Norwegen. | |||||
Gesetz von 940: S. 38, A. 4; | |||||
Strandungsgesetz v. 20. Juli 1893:
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Strafgesetzbuch vom 22. Mai 1902:
|
Österreich. | |||||||
Strafgesetzbuch vom 27. Mai 1852:
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Militärstrafgesetzbuch vom 15. Januar 1855:
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Gesetz betr. den Wirkungskreis der Militärgerichte vom 20. Mai 1869:
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Portugal. | |||
Gesetzbuch vom Ende des 15. Jahrhunderts:
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Strafgesetzbuch vom 16. September 1886:
|
Schweden. | |||||
Gesetz Karls XI. von 1667:
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Strafgesetzbuch vom 16. Februar 1864:
|
Spanien. | |||||||
Siete Partidas von 1266:
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Aragonische Ordonnanzen von 1288, 1330, 1356: S. 38, A. 6; S. 40, A. 3; S. 45, A. 3; | |||||||
Kapereiordonnanz v. 20. Juni 1801:
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Strafgesetzbuch vom 30. Aug. 1870:
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Gerichtsverfassungsgesetz v. 15. September 1870:
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Marinegerichtsverfassungsgesetz vom 10. November 1894:
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Vereinigte Staaten von Amerika. | |||||||||||||||||||||||||||||||||
Revised Statutes von 1874:
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Akte vom 15. Januar 1897: S. 49, A. 1; | |||||||||||||||||||||||||||||||||
Regulation for the Government of the navy of the United States von 1900 (Instruktion):
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Naval War Code von 1900 (Instruktion):
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Pierersche Hofbuchdruckerei
Stephan Geibel & Co.
in Altenburg.
1. περᾶν durchreisen, durchfahren (Stephanus, Thesaurus Linguae Graecae „Πειρατής“); | |
2. πειρᾶν versuchen; entweder in dem Sinne von πειρᾶν τὴν θάλασσαν, sein Glück auf dem Meere versuchen (so z. B. Perels int. öff. Seer., S. 108); oder gleich: begegnende Schiffe angreifen, „versuchen“ (in diesem letzteren Sinne die Wörterbücher von Pape und Passow); | |
3. πείρα Versuch, dann auch List, Betrug (so Dan, Histoire de Barbarie, 2. Aufl. 1649, S. 9; Stephanus a. a. O.). |
1. Zuständigkeit ohne Rücksicht auf die Person des Täters und den Ort der Begehung der Tat auf Grund speziellen Rechtssatzes besteht in folgenden Staaten: England (Common Law; s. § 2); Ver. Staaten, Rev. Stat. von 1874 s. 5368 (s. § 2); Niederlande, Art. 4, Nr. 4 des St.G.B. vom 3. März 1881 bezüglich der in Art. 381, 382 und 385 bezeichneten Verbrechen; Spanien, Gerichtsverfassungsgesetz vom 15. Sept. 1870, Art. 336 (sich beziehend auf die delitos contra la seguridad exterior del Estado, Buch II, Titel I des St.G.B. vom 30. Aug. 1870; die Piraterie bildet Kap. IV dieses Titels); Brasilien, Art. 5 des St.G.B. vom 11. Okt. 1890 (auf Buch II, Titel I, Kap. I des St.G.B. bezüglich, hier in Art. 104–106 die Piraterie); Österreich bezüglich der von der Kriegsmarine eingebrachten Seeräuber, § I, Nr. 5 des Gesetzes vom 20. Mai 1869, „betreffend den Wirkungskreis der Militärgerichte“ (die Bestimmung enthält in Form der Begründung der militärgerichtlichen Zuständigkeit, also einer prozessualen Regel, zugleich eine staatsrechtliche Anordnung über die Ausdehnung der österr. Gerichtsbarkeit); und ferner japanischer Vorentwurf eines St.G.B. (Übersetzung 1899, herausgeg. von der Red. d. Z. f. d. ges. Strafrechtswissenschaft; noch nicht in Kraft), Art. 3, Abs. 2. | |
2. Eine unbeschränkte Zuständigkeit besteht nach den allgemeinen Bestimmungen über die Grenzen der Strafgerichtsbarkeit, ohne daß der Piraterie besonders gedacht wäre, in Italien, Art. 4–6 des St.G.B. vom 30. Juni 1889; in Österreich (für andere als von der Kriegsmarine eingebrachte Seeräuber), §§ 39 und 40 St.G.B.; und in Norwegen, § 12, Nr. 4a des St.G.B. vom 22. Mai 1902. | |
3. In Deutschland kann eine Strafverfolgung wegen piratischer Akte nur eintreten, wenn sie begangen sind gegen deutsche Schiffe oder von deutschen Schiffen oder von Deutschen, § 4 St.G.B. Wie das deutsche Recht das dänische, §§ 4–6 St.G.B. vom 10. Febr. 1866; mit der Erweiterung auf Angriffe fremder Schiffe auf fremde Schiffe, sofern dadurch die Interessen des schwedischen Staates oder seiner Angehörigen verletzt werden, auch Schweden, Kap. I St.G.B. vom 16. Febr. 1864; und, unter Erstreckung des Schutzes auf finnische und russische Interessen, Finnland, Kap. I des St.G.B. vom 19. Dezember 1889 und Kaiserl. Verordn. vom 21. April 1894. Für diese Gruppe von Rechten ist die strafrechtliche Lehre vom Begehungsort sowie die Frage der Gebietsqualität der Schiffe von Bedeutung (Wortlaut der Gesetze: „im Inland“, und ähnlich). Vgl. auch oben unter I a (staatlose Gebiete). | |
4. Das französische Gesetz über die Piraterie vom 10. April 1825 zeigt in allen seinen Teilen die Absicht, seinen Geltungsbereich selbst zu bestimmen. Die allgemeinen Regeln über die Gerichtsbarkeit (solche Regeln sind immer nur subsidiär, vgl. Binding, Handb. d. Strafr., S. 376) des Code d’instruction criminelle finden keine Anwendung. Sehr wesentlich ist, daß der vornehmlich die wahren piratischen Akte treffende Art. 2 des Gesetzes gegen Angriffe fremder Schiffe überhaupt nur französische Schiffe schützt, eine Beschränkung des Kreises der geschützten Rechtsgüter, die der Frage des räumlichen und persönlichen Geltungsgebietes des Gesetzes den größten Teil ihrer Bedeutung nimmt. Art. 2, Nr. 1 bedroht die Piraterie durch französische Schiffe; Nr. 2 die Piraterie gegen französische Schiffe. Piraterie fremder Schiffe gegen fremde ist nicht strafbar (im Vergleich zu den allgemeinen Grundsätzen nach heutigem Rechte eine Verengerung, da nach dem Gesetze vom 27. Juni 1866, Code d’instr. crim., Art. 5, Beteiligte französischer Nationalität strafbar wären). | |
Das französische Recht ist von besonderem Interesse, da es eine offenbar bewußte Beschränkung des Staates in der Strafverfolgung piratischer Akte enthält. |
Das belgische und das finnische Recht enthalten gar keine Spezialbestimmung. Das deutsche Recht (§ 250, Nr. 3 St.G.B.) qualifiziert den Raub auf offener See, das dänische (§ 244 St.G.B. vom 10. Febr. 1866, Abschnitt: „Raub und Drohungen“) „Seeräuberei“ als schweren Fall des Raubes, Schweden (Kap. 21, § 7 St.G.B. vom 16. Febr. 1864) den Angriff auf Seefahrer auf offener See in räuberischer Absicht (unter Gleichstellung von Versuch und Vollendung). Norwegen (St.G.B. vom 22. Mai 1902, § 269, Nr. 2) bestraft die Ausrüstung und den Beginn der Ausrüstung eines Schiffes, um Raub zu begehen, als selbständiges Delikt; Dänemark a. a. O. stellt die Ausrüstung eines Schiffes zum Zwecke des Seeraubes dem Seeraube gleich. Dem deutschen Rechte fehlt eine solche Vorbereitungshandlungen unter Strafe stellende Bestimmung. — Auch Chile gehört, anders als die übrigen Länder des spanischen Rechtsgebietes, in diese Gruppe (St.G.B. vom 12. Nov. 1874, Art. 434).
Der „Raub auf offener See“ in § 250, Nr. 3 des deutschen St.G.B. entspricht der völkerrechtlichen Piraterie in keiner Weise. Er umfaßt nicht alle piratischen Akte und schließt andererseits auch nichtpiratische Handlungen (Raub auf einem Schiffe) ein. Binding, Handb., S. 379, N. 6 scheint, ganz mit Unrecht, dem St.G.B. die Nichterwähnung der Piraterie zum Vorwurf zu machen.
Der Krieg gegen die Ungläubigen ist nach mohammedanischer Auffassung durch Rechtsvorschrift divini juris geboten. Die Kirche betont dagegen, daß der Unglaube kein Grund zum Kriege sei; ihre Forderung des Friedens ist universell; aber die Eroberer vormals christlicher Länder sind von ihr ausgeschlossen; vgl. die Darstellung bei Grotius, mare liberum, Kap. 4.
Dauernder Krieg zwischen Spanien und Algier bis zum Vertrage vom 14. Juni 1786; der Mehrzahl der italienischen Staaten und Algier, Tunis, Tripolis bis ins 19. Jahrhundert (Herrmann, Über die Seeräuber im Mittelmeer, 1815, S. 185 f.); und namentlich des Johanniterordens gegen die ganze mohammedanische Welt, Carsten Niebuhr, Reisebeschreibung nach Arabien, 1774, I, S. 18: „Man kann es daher den Mohammedanern nicht verdenken, wenn sie eben das von den Maltesern denken, was wir Marokkanern, den Algirern, Tunesern und Tripolitanern Schuld geben. Diese Barbaren leben doch wenigstens mit verschiedenen christlichen Nationen in Freundschaft; die Malteser Ritter aber mit keiner Mohammedanischen.“
Im schwarzen Meere führen Christen, polnische Untertanen, noch im 17. Jahrhundert einen ständigen Raubkrieg zur See gegen die Türken (Dan, Histoire de Barbarie, 2. Aufl. 1649, S. 10; dem Autor ist die Rechtmäßigkeit ihrer Handlungen selbstverständlich, „ils ne les font que contre les ennemis de la foy“). — Einige Angaben über die Piraterie der Christen gegen die Mohammedaner auch bei Boutin, Anciennes relations commerciales et diplomatiques de la France avec la Barbarie 1550–1830, Paris 1902, S. 65 f.
In Frage kommen: Actio vi bonorum raptorum, Privatstrafklage, D. 47, 8. Daneben kriminelle Bestrafung auf Grund der leges Juliae de vi; Mommsen, Röm. Strafr., S. 661, Note 5 schließt aus mehreren Angaben, daß als Ergebnis einer längeren Entwickelung die vis in dem ganzen Umfange der actio vi bon. rapt. kriminell bestraft wurde; Strafe s. Mommsen, S. 659, N. 4 und ferner D. 48, 19 l. 28 § 10. In l. 3 § 6 D. ad legem Juliam de vi publica 48, 6 ist der Fall der Dejektion von einem Schiffe besonders genannt. Eine Spezialstrafbestimmung gegen Piraten überhaupt fehlt.
Es gibt spezielle Bestimmungen über Eigentumsverletzungen „bei Gelegenheit einer allgemeinen Kalamität“, Mommsen, S. 662, und zwar bestehen eine Privatstrafklage, D. 47, 9 (de incendio ruina naufragio rate nave expugnata) und l. 4 D. 47, 8 (turba) und für dieselben Tatbestände spezielle kriminelle Vorschriften, Ulpianus l. 1 § 1 D. 47, 9 „et quamquam sint de his facinoribus etiam criminum executiones ...“ Diese Stelle bezieht sich auf Paulus Sent. V, 3, § 1 u. 3 (turba), Marcianus l. 3 § 1 D. ad leg. Jul. de vi publ. 48, 6 (incendium) und Marcianus l. 1 § 1 D. ad leg. Jul. de vi priv. 48, 7 (naufragium). Daß die beiden letzteren Stellen nicht in die leges Juliae gehören, wohin sie in den Digesten geraten sind, ist in der kurzen Note Mommsens nur Behauptung. Es folgt aus Ulpianus l. 3 § 4 D. 47, 9 („non solum autem qui rapuit, sed et qui abstulit vel amovit vel damnum dedit vel recepit, hac actione tenetur“) in Verbindung mit Ulpianus l. 1 § 1 D. 47, 9. Denn die leges Juliae verlangen vis.
Dieser ganze Komplex von Bestimmungen trifft aber nicht die Piraterie, sondern nur bei Gelegenheit derselben von dritter Seite verübte Handlungen. So auch Mommsen, S. 662. Unrichtig Stypmannus, Jus maritimum 1652, in dem „Scriptorum de jure nautico fasciculus“ des Heineccius (Halle 1740), S. 577.
Diese angebliche Rechtlosigkeit entspräche weder der „Friedlosigkeit“ noch der „Rechtlosigkeit“ im technischen Sinne. Die Behauptung geht vielmehr dahin, daß der Pirat außerhalb des schützenden Verbandes stehe, demnach das alte Fremdenrecht auf ihn Anwendung finde.
In ältester Zeit bezeichnet „vargus“ den „Friedlosen“ und den gewerbsmäßigen Räuber (Brunner, D. Rechtsg. I, S. 168, N. 13; dazu II, S. 580, N. 30). Der Text bezieht sich auf Rechtssätze einer sehr viel jüngeren Zeit.
Die Möglichkeit strafrechtlicher Tatbestände dieser Art (formell strafrechtliche, materiell polizeiliche Tatbestände) ist natürlich vorhanden. Die Bedingung der Strafe durch eine effektiv verwirklichte bezw. versuchte Rechtsgüterverletzung ist nicht mehr als eine rechtspolitische Forderung.
Als Grund für den Bruch mit sonst herrschenden strafrechtlichen Prinzipien könnte man die Schwierigkeit des Nachweises der einzelnen piratischen Akte ansehen; aber diese ist für die in Betracht kommenden Staaten nicht größer als für diejenigen, deren Strafbestimmungen gegen die Piraterie eine geschehene Rechtsgüterverletzung voraussetzen.
Die Verschiedenheiten beider Bestimmungen ergibt ihr Text.
Niederl. St.G.B. vom 3. März 1881, Art. 381: „Als schuldig aan zeeroof wordt gestraft:
1º met gevangenisstraf van ten hoogste twaalf jaren, hij die als schipper dienst neemt of dienst doet op een vaartuig, wetende dat het bestemd is of het gebruikende om in open zee daden van geweld te plegen tegen andere vaartuigen of tegen zich daarop bevindende personen of goederen, zonder ...
2º gleiche Bestimmung für die übrigen Mitglieder der Besatzung, Gefängnis bis zu neun Jahren.
Portug. St.G.B. vom 16. Sept. 1886, Art. 162: „Qualquer pessoa que commetter o crime de pirataria, commandando navio armado, e cursando o mar, sem commissão de algum principe ou estado soberano, para commetter roubos ou quaesquer violencias, será condemnado ...
§ 2: ähnliche Bestimmung für die Besatzung.
„1. nach partikulärem Recht Schiffe, die den Negersklavenhandel betreiben; | |
2. Kaper unter gewissen Umständen; | |
3. Schiffe, welche ohne Flagge oder unter einer von keiner Staatsgewalt sanktionierten Flagge fahren, oder solche, die eine Nationalflagge usurpieren und unter derselben Gewaltakte ausüben.“ |
England: der Huascar, 1877 (Bericht bei Pradier-Fodéré, § 2512, Halleck I, S. 388 f.), ein peruanisches Kriegsschiff in den Händen von Aufständischen, hatte englische Handelsschiffe angehalten und von einem derselben Kohlen weggenommen; er wurde von englischen Kriegsschiffen in den peruanischen Gewässern angegriffen, entkam aber; in Südamerika entstand eine große politische Erregung gegen England (die Darstellungen Pradier-Fodéré’s und Calvo’s sind durch sie beeinflußt); die englische Regierung erklärte im Unterhause nicht ohne Widerspruch (W. Harcourt’s, s. Geffcken bei Holtzendorff IV, S. 570) den Huascar für einen Piraten. In demselben Sinne in dem spanischen Bürgerkriege von 1873 das auswärtige Amt an die Admiralität, 24. Juli 1873, Staatsarchiv 1874, Nr. 5219 (vgl. S. 94, N. 3).
Deutschland: am 6. Sept. 1902 bohrte der „Panther“ das in den Händen Aufständischer befindliche haitanische Kanonenboot Crête à Pierrot, das am 2. Sept. in den haitanischen Gewässern von dem deutschen Dampfer Markomannia der haitanischen Regierung gehörige Waffen weggenommen hatte, im Hafen von Gonaives in den Grund; Bericht Marinerundschau 1902, S. 1189 f., ferner Besprechung in der Rev. gén. 1903, S. 315 f. Die Berechtigung des Vorgehens ist ohne Zweifel; es war eine repressive Intervention mangels Funktionierens der staatlichen Strafrechtspflege; die — politisch gehässige — Besprechung in der Revue générale, die Deutschland des Völkerrechtsbruches beschuldigt, geht davon aus, daß die Wegnahme der Waffen rechtmäßig gewesen sei, da die Markomannia sich durch den Transport derselben einer Verletzung des Prinzips der Nichtintervention in Bürgerkriegen schuldig gemacht habe und die Waffen demzufolge Kontrebande im Sinne des Völkerrechtes gewesen seien; die Auffassung ist seltsam verworren („Les devoirs imposés aux Etats par la non-intervention sont sensiblement les mêmes que ceux de la neutralité, mais ils affectent le caractère d’une obligation morale plutôt que d’une obligation juridique“); ein Minimum juristischer Bildung genügt, ihre Unhaltbarkeit zu erkennen. Die deutsche Regierung bezeichnete die Crête à Pierrot als Seeräuber (Marinerundschau, S. 1189). Die amerikanische Regierung soll dem nicht beigestimmt haben, weil die Beschlagnahme der Waffen innerhalb der Dreimeilenzone stattgefunden hatte (piracy, ein Akt upon the high seas, Rev. Stat. s. 5368), ohne die Berechtigung des deutschen Eingreifens zu bestreiten (Köln. Zeitung 1902, Nr. 707).
Denn sie widerspricht den Kriegsgesetzen. Preuß. Allgem. Landrecht I, 9, § 206 (noch in Geltung): „Wer ohne diese [Kaperbriefe] auf Kaperei ausgeht, wird als ein Seeräuber angesehen;“ so auch holländ. Gesetz von 1597 (Baud, S. 79 f.) und darauf gestützt Bynkershoek, Quaest. Jur. Publ. L. I, C. XVII.
Im allgemeinen betrachtet der Heimatstaat das Schiff nicht als Piraten, vgl. französ. Gesetz von 1825, Art. 2, Nr. 1 (Gewaltakte französischer Schiffe Piraterie nur, wenn gerichtet „envers des navires français ou des navires d’une puissance avec laquelle la France ne serait pas en état de guerre“) und brasil. St.G.B., Art. 104, § 1. Ital. Cod. p. l. mar. merc., Art. 322, Abs. 2 und span. St.G.B. von 1870, Art. 155, Abs. 2 bezeichnen zwar die Handlungen als piratische, stellen aber einen wesentlich milderen Strafrahmen für sie auf; das spanische St.G.B. von 1848 ließ sie noch straflos. Über das englische Recht s. folgende Note.
„Je dois faire connoître à V. E. qu’afin d’empêcher, dans l’intérêt du commerce de toutes les nations, qu’un système de piraterie et de brigandage ne s’organise sous le pavillon mexicain, j’ai donné ... aux capitaines des navires de guerre sous mes ordres des instructions dont voici l’extrait:
‚Ne seront considérés comme mexicains que les navires armés dans un des ports du Mexique, pourvus d’une lettre de marque régulière, émanée directement du gouvernement de ce pays, et dont le capitaine et les deux tiers de l’équipage au moins seront nés mexicains.
Tout corsaire, sous pavillon mexicain, qui ne satisferait pas à ces conditions, sera considéré comme pirate, et, comme tel, traité avec toute la sévérité des lois de la guerre‘“ (Ortolan I, S. 449).
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