Title: Die Probefahrt nach Amerika
Author: Leopold Schefer
Release date: June 11, 2013 [eBook #42912]
Language: German
Credits: Produced by Jens Sadowski
Roman
von
Leopold Schefer.
Bunzlau,
Appun’s Buchhandlung.
1837.
Die
Probefahrt nach Amerika.
Motto: Lasset der Welt nur den Lauf,
und das Wasser dann findet ihn selbst schon!
»Schönen guten Abend, Herr Pastor! Hier bringe ich die sechs Dreier Reisegeld nach Amerika von meinem Vater.«
So sprach eine junge Mädchenstimme in unser abenddunkles Zimmer herein, darin ich gedankenvoll, ja kummervoll, auf- und abging. Ich hatte wohl verstanden, was das liebe Kind wie mit Engelsstimme zu mir gesagt. Aber desto mehr war ich von dem himmlischen Gruß überrascht und bewegt, und stand, gewiß über und über roth geworden, im Düstern still, und hatte die Hände gefaltet. Das arme Mädchen aber mochte glauben, wir hätten es nicht gehört, und so sprach es mit leiser Stimme noch einmal: »Schönen guten Abend! Ich bringe unsre sechs Dreier zur Probefahrt . . . .«
Mache doch Licht an! — sagte ich zu meiner Frau, die in der Feierstunde am Fenster saß, zu welchem die wie jung gewordenen ersten Frühlingssterne vom dunkelblauen Himmel herein glänzten; — mache doch Licht, liebe Frau! Es ist Webers Gretchen!
Meine liebe Frau aber regte sich nicht; oder vielmehr, sie legte sich mit dem Gesicht in ihre weißschimmernde Arbeit vor ihr auf ihr Tischchen. Ich seufzete unhörbar, ging selbst, zündete einen Streifen Papier an meiner Luftfeuermaschine an — woraus die Flamme mir blitzschnell dienstfertig herausfuhr und mich dadurch sehr erquickte; und als das Licht brannte, sprach das liebe kleine Mädchen, wie nun erst getrost, recht freundlich: »Schönen guten Abend!«
Guten Abend, mein Kind! sagte ich ihr mit dem Gefühl, das ihr, ihren armen Ältern, und der ganzen armen gepeinigten Gegend recht gute Tage wünschte. Sie gab mir die sechs Dreier Reisegeld nach Amerika, lauter Kupferdreier, mit Grünspan belegt, also aus dem Salzgelde, denn der Weber verkaufte nur Salz. Du bist die Erste, die mir bringt. Gieb mir Deine Hand und Deinen Segen, mein Kind! sprach ich halblaut, meiner Frau wegen, und mit nassen Augen, des übervollen Herzens wegen. Ich trug den Weber in das dazu bereite Buch, gab ihr eine Quittung . . . . damit man den Amerikanischen Kaufleuten nicht zur Schande nachsagen möge, daß sie über jede Kleinigkeit in ihrem wohlgeordneten Lande ein Quittung geben, selbst über ein bezahltes Halstuch; und das liebe Kind schied mit einer verlegenen »Guten Nacht!« an die Frau Pastorin, und mit einer getrosten guten Nacht an mich.
Die Nacht möchte nicht gut werden! dachte ich. Ich trat zu meiner Frau, legte meine Hand ihr auf den Kopf, den sie seitwärts wandte. Mein Kind! Meine liebe Frau! sprach ich so mild als möglich. Sie regte sich nicht. Und so fuhr ich fort in meinem Styl: Laß uns betrachten! Wie wäre es denn — wenn ich ein Missionair wäre? Müßte ich dann nicht? . . . . Oder hättest Du mich dann nicht geheirathet? . . . . Und bin ich nicht wirklich ein Missionair, ein Abgesandter von dem, der uns sagte, uns, mir also auch, und in der Noth erst recht laut: Gehet hin in alle Welt! Und unter aller Welt ist doch gewiß die neue Welt, und so Gott will, die beßre Welt, auch mit begriffen! Ihm war Himmel und Erde bekannt, und gewiß auch Amerika, das in der alten Welt ja auch bekannt war, den Tyriern und Sidoniern; und wenn sie sich auch vor dem Wasser fürchten, doch auch den Juden, und dem weisesten Juden, der so viel und gern am Meere wandelte und lehrte. Und soll ich zeitlebens, oder um meine zwanzig Amtsjahre nur immer geredet haben? Soll ein Geistlicher nicht auch thun? Mit gutem Beispiel vorangehn? Mit Muth! mit Erfahrung! Wer ist denn noch überall der stille Freund und Tröster des Volkes, als die Geistlichen, die Weltgeistlichen? Bin ich’s nicht auch? Habe ich mich nicht um meine schöne laute Stimme gepredigt? Habe ich mich nicht um allen meinen eigenen Trost getröstet, so daß ich selbst wie ein Irrlicht schwebe, nicht wie ein mächtiges Licht, so stark, daß es selber steht! Habe ich mir die gute redliche Brust nicht verdorben, daß nur eine weite Seereise mich herstellen kann, aber gründlich herstellen wird, wie der Doctor sagt. Gönnst Du mir das nicht? Soll das Volk verkommen, verzweifeln, da in aller Welt doch Hülfe für alle Welt ist? Soll ich nicht reisen und ihnen die Ruhestätte der Lebendigen helfen bereiten? Soll ich sterben vor Leiden und Qual? Leide ich nicht? — denn seh’ ich nicht leiden? Laß mich leben! Komm Du mit!
»Das ist mein Tod!« sprach meine liebe Frau, sich aufrichtend, und, sahe von mir weg, hinaus, hinauf unter die Sterne. Aber sie hatte ihre rechte Hand herabhangen lassen, und das hieß von ihr — wie ich aus Erfahrung wußte: — sie hatte mir ihre Hand gegeben.
»Du gehst als ein Volksspion!« sprach sie jetzt, wie für mich sich schämend, aus ihrem edlen liebevollen Herzen.
. . . . Volksspion? wiederholte ich ohne es zu wollen. Aber, mein Kind, sprach ich mit ruhigem Selbstgefühl, haben die Hirten der Heerden nicht ihre Gesandten, die ihnen alles berichten, was ihnen frommt? Sollen die Völker nicht ihre Gesandten haben? Und willst Du den Apostel Paulus, den Columbus, den Vasco da Gamma, den berühmten Reisenden schlechtweg, und den Prinzen, einen Volksspion nennen, weil am Ende jede Reise, jede große Entdeckung, jede kleinste Erfindung für das Volk ist! Halte mich lieber für eine Taube Noäh, oder einen Raben! Und heiße ich nicht Volkmar? Was Volk ist, weißt Du; und was mar bedeutet, habe ich unsrem Gustav Adolph erklärt. Also Volkmar will ich auch seyn!
»So oft er den Soldaten, dem Volke, wie man, nach Deinem Worte, mißbräuchlich und unchristlich sagt, nachläuft, dann nennst Du den Jungen: Volks-Narr! und Du, Du willst ihm vorlaufen! Verstanden?« sprach sie; stand auf und ging hinaus, um das Abendbrot zu besorgen.
Ich aber schämte mich für Alle, die sich des Volkes anzunehmen schämen, nach Kräften, kniete auf ein Knie nieder, beugte mein Haupt und betete: O Volk, o deutsches Volk, Dein bin ich, so lange ein Athem in mir weht, der Athem Gottes. Denn in dir, o Volk, lebt derselbe alte Vater heilig, aber jetzt hier recht erbarmungswürdig, Gottes unwürdig! Denn Gott soll für alle seine Gaben doch nicht hungern und dursten, nicht halbnackend frieren, und so bekümmert aussehen, wie die theuren Menschengesichter hier alle weit und breit um mich. Gott soll kein Schloß vor dem Munde haben, Gott soll man nicht lebendig begraben, in seinem Sohne, seinen Kindern allen, dem Volke! O Gott, gieb, daß Alle erkennen, Wer, welch heiliger Wer in dem Volke lebt. Darum Dein bin ich, o Volk, so lange ich einen Tropfen Blut in den Adern habe, eine Zunge im Munde; denn ich weiß, wer es ist, der Es! — Es blitzt! Es donnert! Es regnet über die Saaten! Es reißt mir am Herzen. Es führt mich fort! —
Ich stand auf, ich konnte nicht mehr. Aber ich war ruhig.
Da kam meine Tochter Marie, oder Mirjam, wie ich sie ihrer Ahnfrau zu Ehren am liebsten nenne. Sie eilte auf mich zu, sie sank mir an die Brust, und ich hielt sie umarmt an dem treuen Vaterherzen. Ich weiß nicht, eine Tochter erscheint dem Vater immer so wunderbar eigen, wie seine Mutter und sein Weib zugleich, und doch wie das zarte schöne Herzblatt des eigenen Wesens selbst. Heut rührte sie mich doppelt. Sie war in ihren Sonntagskleidern, weiß und sauber und lieblich angezogen; sie kam so hastig, ihre ganze Gestalt wollte wie eine vollgedrängte Knospe brechen; ihre Augen, ihre Lippen wollten tausend Dinge, die ganze Welt mir erzählen, vertrauen, preisen! Sie schien eine Flamme, die nicht lodern will, eine Lilie, die nicht gesehen sein will, so kam mir die Jungfrau verändert vor — aber wodurch? Wie so schnell? Denn am Nachmittage war sie auf das Schloß gegangen, das auf einem Hügel mitten in der Stadt liegt, um ihre Freundin, ihre Jugendgespielin zu besuchen, zu trösten. Denn der jungen Baronesse Freysingen war erst vor Kurzem die Mutter gestorben, eine musterhaft gute Wittwe; denn alle Weiber werden als Wittwen gut, besonders aber diese, die schon als Weib unvergleichlich gewesen. Denn um nur Eins zu sagen: sie hatte alle Einwohner der zwanzig großen Dörfer ihrer Baronie frei gegeben ohne Entschädigung. Die Mädchen waren beide siebzehn Jahr alt, also wahre Jungfrauen, ich hatte sie beide zusammen unterrichtet, und aus voller Seele mich bemüht, sie in allem Herrlichen redlich zu confirmiren. Was thut ein Vater nicht! Auch mein ältester Sohn, mein Marbod, hatte Theil an meinen ausländischen Worten, an dem Unterricht in der englischen und französischen Sprache Theil genommen. Viel Augen können Ein Licht sehen, viel Ohren Einen Mund hören, und Kindern gegenüber ist der Vater ein feuriger, reiner, undurchdringlicher Lehrer. Die Kinder waren wie Geschwister. Meine Mirjam hatte den Abend auf dem Schlosse bleiben wollen, und sie kam schon nach Hause? Zu mir? Es war also etwas vorgegangen, geschehen, ihr geschehen, und ich frug sie, was sie mir bringe?
»Mich!« antwortete sie. »Dir . . . oder, wollte ich sagen, Ihnen, lieber, lieber Vater!« Dabei drückte sie mich heftig.
Hat Dir die Mutter draußen gesagt? — Ach die Mutter! Du weißt, daß sie schon ein Jahr und länger her nie ein Wort dagegen gesagt, daß ich nach Amerika will, auf Probe; aber um wirklich sagen und fühlen zu können, wie Auswanderern um das Herz ist, wie ihnen also in Wahrheit geschieht, bin ich mit Gott entschlossen, auf immer auszuwandern. In den zwanzig Dörfern sammeln die Vorsteher . . . . das arme Reisegeld; hier aus der Stadt brachte jetzt ein Kind an mich die ersten sechs Dreier. Nun also ist Ernst! Das Reden ist aus, das Thun geht an, und nun spricht die Mutter: das ist mein Tod! — nicht meiner, mein Kind, sondern ihrer, meint sie — und das macht mir den schweren Gang nur schwerer, denn ich gehe — und sie wird bleiben! Nun, soll ich allein gehen? Oder — kommst Du mit? Denn unser Marbod bleibt hier in der Pfarre als mein Vicar, mein Substitut, cum spe succedendi — sag’ ich Dir heut. Und bleibst Du auch bei der Mutter, so reis’ ich allein mit meinem Gustav Adolph und Gott! Und euch befehle ich Gott!
Ich hielt inne. Du weinst? frug ich dann. Ja, Scheiden ist schwer. Scheiden von Lebendigen schwerer, als von den Todten; denn da hat die Natur geschieden, das Schicksal. Wer aber von Lebendigen, von Geliebten scheidet, der kommt ihnen vor wie ein übermüthiger, leichtsinniger — Narr! Denn so hat mich die Mutter genannt — Volksnarr!
»Ach, mein Vater!« sprach sie leise, »wie soll ich Ihnen nun gestehen — sagen, wollte ich sprechen, daß ein Amerikaner hier ist! Im Schlosse! Den zweiten Osterfeiertag reist er schon fort nach Bremen, sich wieder einzuschiffen. Er will Sie mitnehmen. Sie sollen ihn heut besuchen. Ich soll Sie holen! Ach! —«
Mir war ernst, mir war froh zu Muth. Und doch kam mir meine Tochter noch räthselhaft vor. Ich war bewegter als sie. Denn Alles in meinem Hause, in der Meinen Herzen hat mir immer das Wichtigste geschienen. Und scheinbar gleichgültig frug ich meine Tochter nur: Ist er jung?
»Zehn Jahr gewiß jünger als Sie, mein Vater!«
Also dreißig! — Ist er verständig?
»O wie es sich ihm zuhört! Und dann hat man doch nichts verstanden, nichts gemerkt! Ich könnte kein Wort treu wiedererzählen!«
Also ist er schön? frug ich eben so gleichgültig.
»O Vater,« fuhr sie fort, meine Frage zur Seite lassend, »das Herz klopft Einem vor Freude, endlich einmal einen Mann sprechen zu hören, männlich, frei, stolz — als wenn der blaue Himmel über ihm voll Heldengeister schwebte, die ihn durch frohe Billigung stärkten und zur Feuerflamme machten. Mein Gott! denk’ ich mir selbst den General, den Vormund der Baronesse, oder den Superintendenten dagegen, die mit eingezogenen Achseln stehn, und mit schüchternen Blicken inne halten und lauschen, ob ja nicht etwa ein Minister oder Prinz da oben schwebt, der ihre kriechenden Worte noch nicht kriechend genug findet und sie von oben herab mit dem Finger warnt, daß sie zusammenfahren . . . . . Was habe ich doch gesagt, mein Vater, ja, ja, so kommt es mir vor, als wenn ich bis heut noch keinen Mann reden gesehen hätte, verzeihen Sie, lieber Vater, als Sie auch. Sie können auch reden! — Aber Sie sind ja — mein Vater. —«
Schon gut, schon gut! sprach ich, und wußte genug und seufzte: o Freiheit, wie machst du den Menschen schön! Mein armes Mädchen, dachte ich, auch Dir ist es geschehen! — Ist er verheirathet? ist er reich? frug ich weiter.
». . . Würde er so weit reisen, wenn er eine Frau hätte . . . .«
— meinst Du! Du Schelm! schaltete ich ein. —
». . . ich meine nur: er kommt aus Petersburg, über Constantinopel, Alexandrien und Rom durch Österreich, Baiern. In Nürnberg hat er tausend Dutzend Schachspiele bestellt und bezahlt. Gehn Sie hinauf auf das Schloß; ich will noch bei der Mutter bleiben!«
Noch? Du gutes Kind! Du willst also mit mir! Das danke Dir Gott! Freilich. Die neue Zeit ist wunderbar, oder die neuen Menschen, die den alten elenden Menschen ausgezogen haben, den neuen anziehen wollen, und indeß schauernd stehn wie Bettler. Decke den Tisch.
Die Mutter wollte das Essen noch nicht auftragen. Ich bestand auf Eile: und sie folgte mir zwar, doch mit einer Miene, als wenn ich mich um eine Freude brächte. Warum aber heut am Sonntag Abend ein gebratenes Huhn? — Warum heut Alles so besser als sonst, das erfuhr ich, als zwei Reiter in den Hof gesprengt kamen, und bald darauf ein Husar in der Mutter Armen lag, und in der Schwester Armen. Denn es war mein Sohn, mein Vicar! noch in der bunten Soldatenraupe. Mein Ersatzmann! Die Ankunft des Sohnes bedeutete der Mutter ganz sichtbar meine Abreise, meinen Verlust, und so hatte sie ihn ohne lauten Ausruf, nur mit stillen Thränen empfangen. Darauf setzten wir uns zu Tisch. Ihre Augen hingen immer an seinem — schönen Gesicht; denn warum soll ich als Vater blind und stumm seyn? Sie aß wenig und nichts, er allein fast alles! Denn mein Gott, wie war überhaupt der junge Mensch verwandelt! Einen fein gebildeten jungen Mann hatte ich vor Jahr und Tag fortgeschickt, unter die Soldaten, einen Candidaten der frömmsten Wissenschaft, einen Nachfolger der Jünger Christi, der nie zu laut sprach, wie ein Mädchen erröthete, sich einfach kleidete, die Kartenkönige und Ober nur vom Amtmannspiel her kannte, der nicht tanzte, nicht Pistolen schoß, nicht Wein nicht Branntwein trank, nicht Tabak rauchte, nur von belebenden Dingen, wenn auch froh und heiter, sprach — und ach! was mußte ich jetzt von ihm hören! Nichts wie von Pferden, Jagden und Hunden, von Spielgewinnst, von vortrefflichem Tabak, und noch edlern Tabaks-Pfeifen; von Bällen, von schönen Mädchen in den Quartieren bei der Musterung, Geschichten und Abentheuer von seinen Cameraden, wie sie vielleicht heut an andern Orten seine Abend- oder Nachttheuer erzählten! Und seine Sprache — wie baßrauh, cantormäßig ausgetrunken seine Stimme, sein Auge so zu sagen frech, sein Ansehn — dem Ansehn nach gesund . . . . aber ich bin Kenner, ich sah mit Vateraugen. Da muß ein Vater Freude haben! seufzete ich herzinniglich. Da müssen tausend Väter jetzt Freude haben, denen ihre Söhne so wiederkommen. Alle redliche Mühe der Mütter, alle Sorgfalt der Väter, alle Zucht im Hause, aller heiliger Zorn über die kleinen Keime von Unarten der Knaben, alle Lehren in den Schulen, alle Predigten in den Kirchen — Alles umsonst! Von Unkraut erstickt alles ächte, rechte Menschenwesen und Menschensinn. Predigt doch nicht, lehrt doch nicht! Lehrer und Prediger! Lieben Eltern, laßt doch alle Knaben aufwachsen wie Wilde, ja eure Mädchen auch — denn auf der Universität aller Rohheit und Laster bekommt ihr doch Candidaten der Unreligion nach Hause, die euch Gott und Herz und Athem und Lunge ersparen; die mit ausgerenktem und ausgerenkt verwachsenem Herzen verdorben, sie euch doch verderben, euer Leben und ihres. Aber so verlangt es die in Europa eiserne Zeit. — Ich ward immer überzeugter von der Wahrheit meiner innern Worte. Die Mutter hatte die letzte Flasche Wein ihm zu Ehren herauf holen wollen — denn er hatte bescheiden seine Schwester blos um ein Weinglas gebeten — die Mutter aber kam mit leerer Hand wieder, denn ich hatte den Wein armen Kranken hingetragen, und ihr Auge gab mir ihren Dank; der Sohn lächelte und sein Calfactor mußte die Feldflasche mit Arrak bringen — und ich mußte den vortrefflichen kosten! Ich trank den Tropfen aber auf die Gesundheit der Mäßigkeitsvereine in Amerika, und bat den Sohn um Verzeihung . . . . daß ich den Wein, und heimlich, fortgetragen in der Tasche, mit der ich im Finstern an das Geländer der elenden Treppe der armen Leute angestoßen habe, und die guten Kinder derselben hätten mir die Glasscherben aus der Tasche gezogen — und mit hohlen untergehaltenen Händchen den filtrirten Trank der Mutter hingetragen — und auch noch vergossen, weil sie auf die Mutter gesehen, und nicht auf das Händchen.
Da lachte mein Sohn! Und wie Odysseus überlegte ich, ob ich das lachende Gesicht aus väterlichem Zorne ganz einschlagen sollte, oder ihn nur so ein wenig schlagen, daß ihm Kinnlade und Zähne ausfielen — aber er hätte ja vielleicht den Säbel gezogen, und ich hätte ihn dann selber todtstechen müssen, und alles war aus! Meine Fahrt nach Amerika! Selbst meine Hülfe an alle arme Ältern gegen solche Freude an ihren Söhnen! Die himmelschreiende Freude! Ich stand nur vom Tische auf, und meine feinfühlige Tochter Maria hing sich mir an meinen Arm und flüsterte mir beschwichtigend zu: »Vater, liebes Väterchen! Der Bruder wird in drei Tagen, oder doch in drei Wochen ganz anders seyn, wieder wie zu Hause! Vergeben Sie ihm!«
»Habe ich Sie beleidigt? Vater! Womit denn?« frug der Sohn, so unschuldig unbewußt — daß es einen Stein hätte erbarmen mögen. Das war das Ärgste: er wußte nicht mehr, wo und wie er fehlte! Und ich sagte zur Antwort die Wahrheit: Du nicht, mein Sohn! Du hast mich nicht beleidigt, nicht gekränkt. Du hast nur Ordre pariert. Du erfüllst nur das Gesetz. — Und so begriff ich einigermaßen die neue, wahrhaft edle Absicht: die Soldaten nun fromm zu machen, ihnen Gebetbücher in die Hände und Tornister zu bringen, und die Commerschlieder mit frommen Morgen- und Abendliedern zu ersetzen. Nur so ist ihnen zu helfen.
Desto heißer brannte ich auf das Schloß zu gehen. Da kamen sie schon! Meine Augen waren, wie des alten Zacharias Augen, auf den Amerikaner gespannt. Aber vor ihm trat ein junger schlanker Schwarzer ein, ein Afrikaner, der fröhlich und wohlgemuth seinen Herrn meldete. Den Namen überhörte ich, weil er selbst schon mit der Baronesse und ihrem Vormund, dem General, eintrat. Die Weiber beknipten sich, die Männer — nämlich ich mit — krümmten sich wie lange Haarwürmer, die lange in einem hölzernen Violinbogen gesteckt. Der Amerikaner aber grüßte blos durch seine anständige Erscheinung, das heitre gesunde Antlitz, den wohlwollenden Blick aus den blauen Augen, zu welchen das braune Haar ihm so wohl stand. Nach und nach schied sich die kleine Gesellschaft und vereinigte sich. Die Mutter klagte vermuthlich dem General-Vormund die Noth, der Husarenoffizier theilte der jungen Baronesse seine mit Freuden aufgenommene Freude mit, sie wieder zu sehen, wozu Maria mit einer Hand auf dem leisen Harfenzuge des Pianoforte von Zeit zu Zeit die Melodie von dem Volksliede hören ließ:
»Auf, auf, ihr Brüder, und seid stark!
Der Abschiedstag ist da.
Schwer liegt er auf der Seele, schwer,
Wir müssen über Land und Meer
In’s heiße Afrika!«
Und so trugen die alten, im Volke unvergeßnen und jetzt neu lebendig gewordenen Töne meine Seele in dem nun entsponnenen Gespräch mit dem willkommenen Gaste, dem Amerikaner.
Ihre Kunde, sprach ich am Caminfeuer mit ihm sitzend, darf ich als Wegweiser wohl benutzen, denn Wegweiser sollen etwas mehr wissen und eher als die Wegwandler — Auswanderer.
»Also wirklich! Sie wollen auswandern? — — Auswandern?« sprach er ernst. »Auswandern, sich selbst verbannen! Sich selbst ermorden! — um der Kinder willen. Seinen Leib, sein Herz, seine Seele aus dem Leibe reißen — um der Freiheit willen. O schwer, o bitter, das Bitterste auf der Welt. Sterben wir, so ist hoffentlich Land und Erde vergessen. Meine ich. Aber! Wandern wir aus, so geben wir Vaterland und Leben verloren — es bleibt Alles, Alles hinter uns, wie hinter einem Lebendigbegrabenen. Denn so eng, so dumpf und schweigend und leblos, so jammervoll ist es um den Ausgewanderten, sagte mein Vater uns Kindern bei jeder Gelegenheit, bis in das Alter, noch oft; selbst auf dem Sterbebette — bald leise, bald laut; und im letzten Traume sprach er erst recht bewegt von der Heimath, hier drüben von dem Berge! von dem Vaterhaus — dem Schlosse hier drüben — von den alten Linden — so daß uns in der Fremde geborenen Kindern zu Muthe ward, als wäre ein weltfremder Mann, ein gutmüthiger Wilder — ein Sohn der Sonne unser Vater! Ich führe das nur an, so wie er auch sagte: Selber Bäume, einen ganzen Wald würde man für desto rasender halten, wenn sich die Bäume alle selber ausrissen, über Felder und Berge und das Weltmeer liefen, und drüben mit den Wipfeln oder Köpfen sich in die Erde pflanzten, und die Wurzeln hoch in die Höhe kehrten, daß sie grünten und blühten und Früchte trügen! Doch wenn ich euch ansehe, Kinder, sprach er auch wohl, sehe ich doch, in der Welt ist Alles möglich! . . . . wenn es nöthig ist! Das Unglück ist das einzig wahre Saamenkorn des Glücks! Die Noth, die äußerste Noth ist dem Menschen die Todtenerweckerin, die unbarmherzige Aufschreierin seiner tiefsten, gewaltigsten Kräfte, die ihn über bloßes Menschenseyn mit zwei Beinen und Armen erhebt, und ihm Flügel giebt über das Meer. Es giebt ein kleines Insekt, der Vater wies es mir oft, das hat zwar Flügel unter den Flügeldecken, aber es läßt sich von den Kindern jagen, martern, stechen, brennen — und erst, wenn man ihm die Flügel ansreißen will, dann fliegt es fort, hoch in die Luft, und macht sich unsichtbar seinen Marterhölzern von Menschenfleisch oder Menschenfleischern. Der Mensch ist noch lebenszäher als ein Polyp, der sich umkehren läßt, das Innere heraus, die Haut hinein, und fortlebt — das vermag der Mensch bei Herz und Seele im Leibe — aber mein Vater kam mir doch vor wie . . . . wie eine nackte Seele, so immer wund, so immer schauernd, daß mir erst wohl ward, als er mir seinen Segen gab, der gewaltig klang und voll Verheißung triefte wie Gottes Wort. Aber sein Schloß, seine Kinderstube, seine alten Linden hier mußte ich doch sehen. Wahrlich, mich trieb nicht das Capital, welches noch von ihm her auf diesen Gütern steht. Es mag stehen bleiben, wenn es sicher ist. Sonst will ich sehen, was hier zu unternehmen und auszuführen ist — nach seinem Testament.«
Ich denke, es steht sicher; sprach ich, nicht ganz überzeugt, meinte aber, daß die Sequestration, die jetzt eingetreten war, das Capital desto sicherer stellte. Der Amerikaner war also der Sohn des vorigen alten Herren der Baronie, und der jüngere Herr von Steinbach, und Herr von Steinbach wollte ich ihn nennen, als er nicht unanständig, aber gnugsam lachte, und sprach: »Ich heiße Winhing, mein Bruder Johannes, meine Schwester Sabina, und auch meine Mutter heißt Susa, so daß alle Vornamen der Straßburger Familie sich in uns einmal wiederholen. Aber dem a und de Steinbach haben wir Ade gegeben und den Taufnamen Erwin zu unserem Familiennamen gemacht, da wir einen Mann haben, der den Geschlechtsnamen erst durch Verstand und Fleiß und Kunst geadelt. Das ist nicht ganz zum Lachen, und nicht ganz des Vergessens werth.« Er lachte aber. Und doch freute er sich über mein Weib, auch eine geborne von Steinbach, also eine Mitenkelin vom alten Erwin von Steinbach, der den Straßburger Münster erbaut, und blos als Andenken zeigte er mir das Wappen auf seinem Petschaft —: das gekrönte Kind, das aus blauem Meer auftauchend eine weiße Rose in der rechten Hand hält.
»Mein Vater!« erzählte er dabei, »ging aus dem Wunsch aus Europa: kein armer Adliger mit unglückseligen Sclaven oder sogenannten Unterthanen, wie man sie hier nennt, zu seyn, sondern lieber ein reicher, freier, bloßer Mensch; durch Landbesitz, den er für sein Geld erworben, also adliger, als jene ersten Adligen in Deutschland, die mit gewaffneter Faust einwandernd Leute und Land behielten. Mein Vater hat mir in seinem Testamente vermacht und aufgegeben — und Geld dazu: — in meinen männlichen Jahren eine Colonie verarmter Adliger und bauergutsloser Rittergutsbesitzer nach unsrer Union überzusiedeln, und ich habe schon sechzig Familien, freilich kaum ein Hunderttheil der ganzen Trauerliste. Aber entschließen sie sich? Sie hängen wie Faulthiere am abgefressenen, eingegangenen Brotfruchtbaume, bis sie verschmachtet herabfallen und dann kaum weiter schleichen können auf den neuen Lebensbaum.«
Freilich, kann ich sagen, sprach ich, Frau und Mann müssen Beide gleich entschlossen seyn, auszuwandern! Das ist die erste Regel! Freilich muß die neue Europäische Noth der alten Asiatischen Noth, gleichsam einer ägyptischen Finsterniß gleich kommen, ehe die Deutschen ihr Ruheland Deutschland verlassen, wie einst Asien, aus welchem sie noch verschiedene Kasten voll und von Noth mitgebracht. Die Deutschen vor allen sind Erdwanderer, vielleicht Erdumwanderer — bis ihre Enkel klug und glücklich durch Californien und das von den herrlichen Menschen volle Sibirien wieder heimkommen! Aber was ist Noth? Wenigstens bei den Deutschen, also auch Menschennoth? . . . . »Noth« heißt bei den alten Deutschen: Fessel, Gewalt und Zwang. Dieses Kleeblatt von der Todes- oder Höllenwiese war ihr tiefstes Unglück! Ihr einziges! Sonst ertrugen sie Alles! Was nicht Fessel, Gewalt und Zwang war, war keine Noth — und Noth bezeichnet, wie ihnen, auch uns noch das tiefste Unglück; das letzte aber auch. Ein Volk von Charakter hat Jahrtausende dasselbe Herz, denselben Sinn. Glauben Sie, Master Erwin, daß der klügste Mann von Rom, Cäsar, ein Esel gewesen ist, oder daß er Luchsaugen gehabt? Und dieser alte Luchs und Fuchs, Cäsar, sagt von den Deutschen: »Ubi fons, campus, nemusve iis placuerit, ibi domos figunt, mox alio transituri cum conjugibus et liberis. Nam diu eodem in loco morari periculosum arbitrantur libertati.« Und schon haben es sich die Deutschen über 2000 Jahre hier zu Lande gefallen lassen.
»Wir Amerikaner haben auch die lateinische Sprache abgethan! Was sagen Sie also, Herr Volkmar?«
Und froh verwundert darüber sagt ich: »Wo ein Quell, Feld oder Hain den Deutschen gefällt, da befestigen sie ein Haus, mit der Absicht bald vorüber zu ziehen mit Weibern und Kindern. Denn lange an demselben Orte zu sitzen, halten sie gefährlich für die Freiheit.« — Wir Deutschen kennen unser Vaterland nicht, blos unser Gasthaus und Wirthshaus. Und schändlich wäre es von Einem Deutschen, Einen Deutschen zu beschuldigen, von Einem Übles zu reden, denn es ist nur geschehn, was sie Alle hier gewollt und gesollt, oder geduldet. Nur vom Übel redet ein Redlicher. Aber davon auch frei. Wohin aber nun unser Zug geht, der unwiderstehliche Zug, aus unerklärlichem Drang und Zwang, wo nun das Zelt aufschlagen? Das ist die Frage!
»Kleinasien, Rußland faßt viele Millionen,« bemerkte der Amerikaner. »Ägypten!« —
Da giebt es nur Einen Stoffehändler. Freier Handel wäre uns lieb! versetzte ich.
— »Griechenland ist schön und öde.« —
Da fürchten wir den Religionskrieg, die Pest.
— »Italien ist nah, und Wüste genug um Rom.« —
Von den Römischen Pfaffen ist den Deutschen alles Unglück gekommen, Beten lehrt uns die Noth schon genug. Den Papst hat ein Nebenzweig von unserem Stamme, die Trojaner und ihre Colonie die Römer, mit aus der Mongolei gebracht. Er ist weit genug geschleppt.
— »Also nach Spanien! Das Hesperien selbst der Hesperiden, der Italiäner. Nicht? — Südamerika? An der Grenze von Peru kauft man ein Königreich um das Geld für ein englisches Pferd. —«
Lieber in die Wüste gebaut, als neben unruhige Nachbarn.
— »Also nenne ich Mexico nicht, weil es Neu-Spanien ist. Aber Canada?«
Das soll erst werden und thun, was die vereinigten Staaten von Nordamerika sind und gethan, hört man von dort. Aber warum wollen Sie uns nicht zu sich?
— »Wenn die Deutschen ihren Charakter behaupten können! Und den Charakter verdirbt alles Nachmachen, Nachreden, die angenommene Sprache, Nachsitten, Nacharten, Nachneigen, Nachgehorchen, selbst wenn Gesetze, Verfassung und Regierung höchst menschlich und wünschenswerth wären.«
Wir geben klein zu! Dürfen wir bei Ihnen Wir seyn und Wir bleiben, wenn wir kein Gesetz, keinen Menschen beleidigen?
— »Ja! Ich meine! —« schloß der Amerikaner.
Wir hatten Amerikanisch, also Englisch, und im Grunde dann Altsächsisch, Altdeutsch gesprochen, und dieses uralte »I guess« ich meine, vergesse ich nie. Ich stand auf. Wir waren fertig mit dem — Friedensplan und Friedenszug. Nur noch das Wort setzte mein neuer Freund hinzu: »Raum zu leben und sich wohl zu befinden, haben noch Vierhundert Millionen Menschen, so breit sie sich machen, so hoch sie wachsen wollen. Aber auf den Einmalhunderttausend deutschen Quadratmeilen Land ist unterschiedliches Klima, mit Seeen, mit Wald, mit Bergen, mit Strömen, mit Meeren nach Morgen und Abend und Mittag, mit Pflanzen und Blumen und Kräutern und Bäumen, mit Fischen und Vögeln, mit zahmen und wilden Thieren der Erde, daß Jeder das Seine sich wählen kann. »Brot und Freiheit« steht mit Schweiß und Thränen für unsere Gäste angeschrieben über dem Thor zu unserem Lande. Aber nicht mit Blut! Wir haben keine Schulden — wenn Ihr das Wort versteht. Wir haben keine Feinde, als solche, die wir verachten könnten — wenn Ihr das Wort versteht. Wir haben Frieden auf lange Jahrhunderte — wenn Ihr das Wort versteht. Wir haben keine Armen — wenn Ihr das Wort versteht. Ja wir haben selbst eine miserable Miliz, einen lächerlichen Landsturm, der aber gradezu eine himmlische Heerschaar ist, weil er lächerlich seyn kann — wenn Ihr das Wort begreift. Ich meine.«
Ich meine auch; sagte ich. Heut zu Tage braucht man nichts mehr zu sagen. Die ganze Welt meint blos, und die ganze Welt versteht. So weit haben wir es durch Cultur gebracht! Wie stehen in Etwas erschrecklich hoch, und was bei Ihnen fehlt, weil es noch nicht nöthig ist, die Humanität ist unser Unglück. Denn ein Vernünftiger läßt sich am Ende Alles gefallen, selber ans Kreuz schlagen, weil er meint, es thut Andern wohl, und so thut es ihm nicht weh. Aber das lange Hängen macht Zappeln.
Der General-Vormund fühlte sich bedrückt, daß seine ganze schöne Armee in Amerika mehr als überflüssig und ein Unding sein sollte! So viel Festungen — Undinge! So viel Kanonen — Undinge! So viel Plage, Geschrei und müde Gebeine — Undinge! Aber er fühlte sich schuldig, verschuldet, und schwieg. Mein Sohn Marbod saß in seiner Husaren-Uniform wie ein Gespenst da, und das Gold darauf blitzte umsonst. Meine Tochter hatte endlich ein wenig lauter auf dem Pianoforte, wenn auch nur mit einem Finger, die Melodie des neugebornen Liedes: »Auf, auf, ihr Brüder, und seid stark!« gespielt, und Master Erwin trat nun sehr bescheiden zu ihr und bemerkte blos, daß in der ganzen Union Sonntags kein Laut Musik aus Schonung der vollständigen Ruhe der Andern erklingen dürfe — als sie feuerroth ward und das Instrument verschloß. Der Gehorsam rührte mich schwer und bewegte mich tief zu seufzen, denn meine Braut war mir einst auch so gehorsam gewesen. Kaum aber hatte ich dies sichere Zeichen der Neigung gesehen, als sie erblaßte, sich an die Freundin lehnte und bald darauf aus dem Zimmer ging, ja nicht mehr wieder kam, so lange die Gäste dablieben, denn ihr bewunderter Freund hatte im ferneren Gespräch gesagt: »daß er hundert Sclaven habe.« Hundert Menschensclaven — Er!
Es war schon spät. Abreden wurden getroffen, sie sagten gute Nacht, und Erwin ließ gute Nacht dem armen Kinde sagen. Als sie fort waren, kam meine Maria wieder und versicherte mich: daß sie nun getrost mit mir gehe. Ich wünschte ihr gute Nacht. Da hob sich ihre Brust nur, und ihre Augen blinkten vor dem Licht in ihrer Hand, und sie getraute sich nicht, die Augen vor ihrem Vater aufzuschlagen.
Vom Morgen an war nun ein neuer Geist über mich gekommen. Die Zeit zur Abreise war kurz. Ich verzeichnete mir alle Geschäfte, ich theilte sie in die Tage ein. Durch meinen Entschluß zu reisen war mir die Heimath zur Fremde geworden, das Volk selbst zu Gästen im Lande. Ich war wie ernstlich krank geworden. Ich war mir und Andern unnütz, zu jeder Arbeit unwillig, ungeschickt, verdrossen. Daß die Sonne zum Frühling höher und wärmer schien, kam mir überflüßig vor. Aus jährlicher Gewohnheit deckte ich die Weinlaube ab; aber ob die Reben Augen hatten — die Kirschbäume Knospen — ich sah nicht darnach! Daß die Primeln in reichem Flor standen, erregte mir nur Bedauern; daß ich Kinder taufte, junge Paare traute, schien mir ganz überflüßig. Jemanden zu begraben, that mir recht leid. Hier war es ja nicht werth zu leben, nicht werth zu sterben, oder recht werth, und ich segnete die Todten mit gewaltigen Worten ein — mit Zornworten von der Erde, nicht mit Vorbereitungsworten für ihre neue Welt, ihre beßre Welt. Dem Kaiser Karl V. kann nicht so zu Muth gewesen seyn, als er sich lebendig begraben ließ. Denn um mich sangen ganz andere Stimmen! Prophetenworte riefen mich. Den kommenden Vögeln sagte ich: bleibt dort, liebe Kinder! Alle Papiere suchte ich durch, um Jedem jeden Heller zu bezahlen. Ein langes Geschäft. Ich hatte Geld einzufordern. Ein längeres, undankbareres Geschäft. Von nahen und fernen Freunden hatte ich Abschied zu nehmen, und einen lithographirten Brief schämte ich mich an Alle zu schicken. Da mußte Sohn und Tochter schreiben, ich unterschrieb nur. Von den Andern hatte ich in den Zeitungen Abschied genommen. Aber darauf erhielt ich nun Briefe, dringende Bitten: Zehn, Zwanzig, Hundert, Tausend, Zweitausend Menschen mitzunehmen oder nur zu führen! Diese Briefe voll Noth und Klage, schwerer als sie zu ertragen schien, so lange zu ertragen unmöglich schien, ließ ich in Quartbände heften, binden: die Briefe unglückseliger armer Geistlichen, die auf Korn gesetzt, bei Korn fast verhungerten, weil es nicht galt; die Briefe von — bei ihren Gemeinden verhaßten Geistlichen, weil sie in ein gewisses Horn geblasen; Briefe von examinirten oder gleichsam im Examen entseelten — durchgefallenen Candidaten; die Briefe von Rechtsconsulenten, die nächstens zu verhungern versprachen, weil Bauer und Bürger aus Mangel an Geld zu Prozessen lieber gleich alles Unrecht über sich ergehen ließen; Briefe von Hammerwerksbesitzern, die nur noch den großen Hammer besaßen, aber keine eisernen Gänse; Briefe von Gelehrten, Philologen, Schriftstellern, Professoren, Juris-Doctoren, ja sogar die trübseligsten Briefe von Censoren, Waschweibern, Kammerjungfern, von Studenten, Gymnasiasten und Schuljungen sogar! Briefe von armen Bergleuten, die Tagelöhner, Klafterschläger und Stöckeroder geworden, von ihren Frau-Spitzenklöpplerinnen, den Nachkommen der Frau Barbara Uttmann, die für sie nach Brabant gereiset, und für welche ich nach Amerika reisen sollte, als ein Barbarus Uttmann; denn die armen Weiber versicherten, daß sie ihre Männer und Kinder von dem Kleinhandel nicht ernähren könnten, sondern aus Noth das Körbchen Obst, Gemüse, ja Nägel, Blechgeräthe, Schwefel und Zündhölzchen angreifen und veressen müßten. Der Amerikaner, Master Erwin, besuchte mich täglich, oder ich ihn; er war mein neuer Freund, denn die Noth macht Freunde, oder zum Glück, sie hat auch noch Freunde. —Ich sollte nun aller Welt Freund und Erlöser seyn, wie die Briefe sagten; ein abgesetzter Professor der Geschichte titulirte mich den neuen Cadmus oder Pelops; denn die Noth und der Druck in Ägypten möge wohl auch entsetzlich gewesen seyn bis zum Aus-der-Haut-fahren; denn das Vaterland sei die weite Haut des Menschen oder der Leib des Leibes. Das war auch Erwins Meinung; er war nicht recht einverstanden mit meiner Reise, und sprach eines Tages: »Denken Sie sich nur, wenn wir Amerikaner auswandern wollten; wenn wir freien Amerikaner in Deutschland eine Niederlassung gründen wollten, als saurer Sauerteig in das alte Backfaß . . . .«
Ich erschrak billig, wie Tausende oder Hundert doch, vor diesem furchtbaren Gedanken. Aber es schien Ernst dahinter, er verzog keine Miene, gab mir Plan und Ausführung an, und als sie ihm immer schöner und heilsamer, mir immer grausenvoller erschien, frug er mich: Was Wir denn bei Ihnen zu Lande wollten — als abgebackenes Obst oder Mehl, nicht Korn!
Da brachte mir meine Frau zwei Briefe zusammen herein. Ich überflog sie. Ich ließ sie ihn lesen. Und so laut vorgetragen rauschten und zündeten sie ordentlich in der gemeinen Luft, und es kam fast Entsetzen über mich, daß der heilige Äther auch dazu da seyn solle, solch Geistergift und Elend zu tragen — wie das heilige Meer Sclavenschiffe mit dumpfem Gestöhn. Und so zitterte in der Luft der
Brief des Executors.
»Sie gar lieber Herr Pastor, Sie wissen, daß ich im Nachbarland Justizamtmann gewesen, aber untergehen mußte, weil ich keine Arbeit mehr hatte. So habe ich nunmehr hier die allerhöchste, wichtigste Stelle der Justiz erstiegen, als Executor. Nur ein Executor kennt Recht und Unrecht, von Gerechtigkeit will ich nicht reden. Er kennt Milde und Elend, Milde derer, die auf alte Gerechtsame halten, wie mit Händen von Eisen, um nicht um Schloß und — Thür zu kommen, und das Elend derer, die alte Schuld der Zeit und der Menschen, die sie sich im Schlafe der Dummheit und Feigheit haben aufladen lassen, nun mit erwachten Herzen abzahlen sollen. Kurz, ich bin müde, den Leuten die letzte Kuh aus dem Stalle zu nehmen, und die dürren Thiere meilenweit an miserablen Stricken fortzuschleppen und für ein Hundegeld, kein Kuhgeld, erstehen zu sehen von den abscheulichsten, hartherzigsten Stöcken von armen Teufeln, welche aus Noth ein Auge zudrücken müssen, und das Herz im Leibe todt. Ich heiße zwar kein Sclave, aber ich bin ein Seelensclave, ich lebe in der Seelen- und Herzens-Sclaverei, und ich bitte mit dem letzten Tropfen guten Blutes im Herzen, daß Sie mich mitnehmen, und mich für die Kosten der Überfahrt vermiethen, auf tausend Jahre meinetwegen, oder gradezu als leiblichen Sclaven verkaufen, und mir soll wohl seyn. Die alten Deutschen verspielten sich auch und verkauften sich selbst. Meine Seele verkauft meinen Leib. Brot habe ich so nicht. Nehmen Sie mich mit, oder, ich versichre Sie, lieber Herr Pastor, ich habe noch mehr als einen alten Strick, und so morsch er ist — schwer bin ich nicht. Ich stehe draußen vor Ihrer Thür und warte auf Antwort.«
Ich sprang gleich hinaus, sahe den Mann mit seinem verwilderten Barte, Thuiskon und alle alten Götter standen vor mir; ich führte ihn herein. Er mußte sich setzen, und schwieg. Denn der Amerikaner war ins Feuer gekommen und las nun laut den zweiten:
Brief des Schulmeisters.
»Ew. Hochwürden verzeihen, Sie als Christ von Ihrem großgünstigsten Vorhaben abreden zu wollen. Ist gegen allen herkömmlichen Respekt. Aber wo der Respekt in solcher Zeit hingekommen, weiß ich sub fide quasi pastorali nicht anzugeben. Jetzt speculirt man gradezu auf Alles, die Menschheit sogar zu vermindern, was doch stracks gegen das Einzige Gebot läuft, welches der alte Vater im Paradiese gegeben hat: »Seid fruchtbar und mehret euch!« Ein wahrhaft göttliches, ja paradiesisches Gebot! Wie ich denn selber 9 Kinder habe, zwei Mädchen und sieben Söhne, welche für die Prämie von 50 Rthlr. — also 9 Rthlr. 3 Gr. 5 1/7 Pf. pro Sohn — nun, Gott sei Dank! alle bei den Soldaten auf Lebenszeit versorgt sein werden und müssen. So habe ich als Speculant nun gelesen, daß in China Hungerschulen in Flor sind. Erschrecken Sie nicht, Hungerschulen, worin und wodurch man nicht verdächtig und strafbar die Noth sucht abzuwehren, sondern menschlich und hochpreislich zu ertragen. Wer hungern kann, kann gradezu Alles auf Erden. Und Wer hungern will, der will Alles, der ist zufrieden mit Allem, es heiße wie es wolle, ja es sei, was man will. Ich lege Ew. Hochwürden, sub signo solis, einen ausführlichen Plan bei, worin Alles landesmäßig ausgearbeitet ist, aus dem chinesischen Reiche und Clima in unser deutsches Reich oder Clima übersetzt. In China heißen diese respectablen Schulen gradezu Hungerschulen oder Tsing-Long. Ich schlage für uns und die lieben Unsern lieber den Titel vor: Friedensschulen, Geduldschulen, oder höchstens: Magenschulen. Dort existiren sie zu tausenden. Die Studenten darin tragen eine Ehrenkleidung, die nur sie und auch der Kaiser trägt. Sehr gut und exemplarisch. Denn daß bei uns die Armen wissen, daß Fürsten und Fürstinnen, nebst Prinzen und Prinzeßchen, doch zu Zeiten auch Kartoffeln essen und alle Tage Salz, das giebt den Armen einen gewissen Adelstolz, auch wenn sie selber nichts andres haben. Über die Kleidung wollten wir uns nicht streiten, denn das dort Wohlfeile ist hier theuer, und so habe ich Nanking etwas frei mit »roher Leinwand« übersetzt. Climatisch! Oder Schaafpelz? (Der Kälte wegen. Denn hungern und frieren ruinirte alle unsere Schüler, Studenten oder Akademiker; denn dieser Ehrentitel »Akademiker« würde die deutschen armen Schlucker sehr anlocken.) Beispiele von Vornehmen, Adligen u. s. w. würden Wunder wirken, wie der Hof den Dänen das Pferdefleisch zur Probe gegessen hat. Beilage sub signo lunae aber enthält ein vorläufiges Verzeichniß der Studenten und — hier fehlt mir das Wort — etwa der geistlichen Schwestern unserer Gegend. Die ganze Kunst der Chinesen beruht nun auf dem (sonderbar!) deutschen Sprichwort: »Der Hunger ist der beste Koch!« Die Chinesen in sothanen Schulen, Gymnasien oder Akademieen fasten also, geistlich gesprochen, blos so lange, als es nur ein Araber oder Wilder aushalten kann. Der Schmachtriemen hilft nach; Wasser thut Wunder und nährt lange allein, wie man an Pflanzen sieht. Wenn aber keine Kunst, keine Geduld, kein Zureden der angestellten geistlichen und weltlichen Beamten mehr hilft, und auf lange Schwäche endlich Ohnmacht schon eingetreten, dann wird das Zimmer mit Gänsebraten geräuchert, nämlich mit ungebratenem, mit den Federn, die ein prächtiges Gastmahl vermuthen lassen; oder Kinder schreien im Hofe der Anstalt wie ein Kalb und bellen dazu wie ein Hund, als führe ein Fleischer eins heim, oder schlachte es schon; oder es ertönt quickendes und erquickendes Schweinegeschrei, als werde sogar schon ein Schwein geschlachtet. Andere Knaben klopfen mit zwei stumpfen Beilen auf ein Bret, als mache man Wurst. Kurz nach allen Kunststücken der Politik und der Seelenlehre, wenn der Studiosus wirklich zu sterben drohte vor Appetit — dann wird ihm ein wenig — aber was? — Pferdefleisch gebracht, und die gute ehrliche Seele bleibt wieder in ihrem Leibe oder in ihrem irdischen Vaterlande, und läßt sich wieder täuschen. So lernt er, so kann er, wird sanft, mildthätig, lehrfähig, und stiftet dann selbst wieder eine Magenschule in andern eßbegierigen Gegenden, und alle Unzufriedenen, durch Steuern oder Prozesse, oder gar Arbeitslosigkeit zu Grunde Gerichteten gehen in diese dem Lande räthlichen Schulen. Aber erst in unsern Kleinkinderschulen diese wahre Koch- und Eßkunst einzuführen, wäre eine Verbesserung, welche die Sache an der Wurzel angriffe, und bleibt wie die Erfindung derselben uns Abendländern vorbehalten . . . . Ihnen, ich erspare Ihnen und der seelensguten Frau Pastorin Ihre Auswanderung, und 30,000 unwissenden, armen, deutschen, jährlich blos darum Auswandernden, weit sie eine Erfindung der Chinesen nicht ahnen, die ihnen doch Allen so nahe liegt, sich so aufdrängt Tag für Tag. Aber vergebens. Denn die Welt ist blind. . . . .«
So weit hatte der Amerikaner gelesen, laut, und wir sahen uns billig an, und zuckten die Achseln, als der Verfasser, mein braver Schulmeister in Hammersdorf, hereintrat, weil ihn das Vorlesen wie ein Strom in seine eigenen Worte gezogen. Er hatte seinen besten Staat an, ein abgeschabtes, gewandtes, schwarzes Kleid, aber das blasse, redliche, wohlmeinende, kummervolle lange Gesicht, die mild und treu uns anblickenden Augen benahmen uns jeden Gedanken, als den des redlichen frommen Willens in diesem Manne.
»Daß die Natur so weit herabsinken kann bis in eine solche Gestalt, bis in solche Gedanken!« sprach der Amerikaner leise zu mir. »Er scheint seinen — Schulplan schon selbst erprobt, ja probat gefunden zu haben; so himmlisch-chinesisch sieht er aus. Aber das nennen wir in Amerika: Phantasmen! Schlimme Zeichen schlimmer Krankheit! Sogar in unsern Irrenhäusern spuken doch andere Pläne. Solche nicht. Der redliche Mann ist mir wie ein Verwesungszeichen an einem noch Unbegrabenen — den man nun begraben kann! Man begräbt sicher nur einen Todten. Jetzt rathe ich Ihnen mit mir zu reisen! Noch ein anderes Zeichen habe ich unterweges bemerkt. Die Leute, besonders die Männer bei Ihnen und weithin, scheinen nämlich taub. Man muß schreien, ehe sie hören, zweimal es sagen, ehe sie antworten. Das bedeutet Geistesabwesenheit, Versunkenheit. Kurz, wir reisen! —«
Ich sagte ihm, daß der Schulmeister Tolera, als Repräsentant aller möglichen Toleranz, von den armen Schulkindern kein Schulgeld nehme — und der Executor bestätigte, daß er nie Leute für ihn habe auspfänden sollen — daß derselbe mit Kühen handle, Capitale von 3 bis 20 Thalern den Armen negozire, und der Amerikaner rieth mir, diesen Speculanten mitzunehmen; Fracht und Spesen wolle er für ihn tragen. Ich sagte das laut. Tolera nahm es an, und versprach in seinem Eifer die Magenschule in der vereinigten Republik anzulegen, worauf ihm bemerkt ward, daß dort nur die Faulen hungerten, nicht die Fleißigen »und Fleiß ist die Tugend der freien Amerikaner.« Der Schneider brachte mir eben meine Reisesachen, und so konnte ich dem armen Tolera sogleich meinen respectablen Rock schenken, welchen er draußen anzog und sich dann uns präsentirte. Er ging ihm bis auf die Knöchel, aber das gab ihm Würde. Der Executor hätte den Rock gern gehabt, aber er schlug die Augen nieder und weinte fast, denn für ihn schien der Amerikaner nicht Fracht und Spesen tragen zu wollen. — »Das Glück ist selten doppelt,« sprach er, »das Unglück aber oft. Ich mußte oft wegen zwei Schuldposten auspfänden — und ich will es ferner mit Gottes Hülfe.«
Mit Gottes Hülfe! Das verzweifelte Wort entsetzte und rührte mich. Soll Gott zu Druck und Rache helfen? Ich getraute mich, beim General-Vormund ihm die vacante Stelle des glücklichen Meisters Tolera zu verschaffen, damit er lieber ein Executor des göttlichen Willens werde. Das war er zufrieden und fühlte sich glücklich. Master Erwin nahm dagegen mit feinem Lächeln den Schulmeister in Pflicht, zum Heil Amerika’s dort die Hungerschulen einzuführen. Das war er zufrieden und fühlte sich glücklich.
Ich hatte in den Zeitungen von meinen entfernten Freunden Abschied genommen, aber die Nahen konnte ich nicht besuchen. Mein Gott, so sollte ich sie denn hier lassen, dahinten auf immer! Sie sollten alt werden, Staub werden, vergessen seyn! Wahrscheinlich, wie bisher, sahe ich — wenn ich blieb — etwa nur Einen oder den Andern in Jahren, und noch zufällig irgendwo auf eine Stunde! Aber es war doch möglich, daß ich zu ihnen konnte, sie zu mir! Diese beglückende Möglichkeit schnitt ich mir nun ab. Ach, die Möglichkeit! Die Menschen wissen gar nicht, was sie an der bloßen Möglichkeit haben. Oder vielmehr, sie wissen es wohl, Alle überschätzen sogar die Möglichkeit! Weil alles Gute, Freiheit, Friede, Glück, möglich ist — darum halten sie aus wie besessen, so lange es möglich ist, ja meist noch länger, noch schändlicher. Diese Betrachtung stärkte mich recht, wenn ich mit meinem Sohne durch die zwanzig Dorfschaften ritt, deren Ambassadeur ich war. Wie sie so still vor den Thüren saßen, wie sie sich um mich versammelten, die Greise, die Männer, die Weiber und Kinder, die Jungfrauen und Junggesellen! Sie waren Alle ausgewurzelt mit dem Geiste, nur leicht in Erde geschlagen, wie Bäume, die versetzt werden sollen. Aber es war auch schon ein Geist über sie gekommen, wie ich ihn diesen Leuten nie zugetraut hätte, sondern überhaupt nur der Welt und dem Gott, von wannen er ihnen gekommen. Ja die Leute trösteten mich und drängten mich! In Frankreich hatten die Pfaffen wieder einmal dem Volke den jüngsten Tag weiß gemacht und angesetzt. Der Wirrwarr soll aus der Maaßen gewesen seyn. So konnte ich auch an jedem Abend sagen: Ich habe heut seltsame Dinge gesehen. Wie vor dem jüngsten Tage ging es auch hier zu — und wer weiß, wie nahe er ist — nur alles hier geordneter und zu einem vernünftigen Zwecke, wozu eine besondere Thätigkeit nöthig war, kein Heulen und Zähneklappen und Lippengeplärr. Fast Alles, was die guten Leute hatten, war auf die Bedingung verkauft, verschenkt, ja durch Testamente vermacht an Andere, Bleibende, Herziehende, wenn ich ihnen Nachricht sendete, Freudennachricht: »Ihr Menschen kommt! Ich habe gefunden, was Ihr gesucht, seit Eure Väter aus Indien gezogen, so viel tausend Jahre sie hier sich versessen, und am Teich Bethesda gelegen, den kein Engel bewegt, geschweige ein schwarzer Engel oder mehrere.« Sie betrachteten den Amerikaner, wie ohngefähr die Peruaner einst einen weißen Sohn der Sonne, der zaubern könne. Und so thaten wirklich seine einfachen, graden, wahren Worte, keine Versprechungen. Selber der kleine Landesherr würde keinen solchen Eindruck mehr auf sie gemacht haben, wie Er. Ich seufzte und schwieg. Mein Sohn ging statt rothweltlich nunmehr wiederum schwarzgeistlich; auch den Schnurr- und Schnauzbart hatte ich ihm im Schlafe abrasirt, versteht sich in Eil nur ein Wenig davon, nur die Hälfte auf einer Seite, und die andere Hälfte mußte er Schande halber am Morgen dann selbst cassiren. Alles Volk kam mir auch wie von einem guten Vater jetzt so halb rasirt vor, und die Schande des Halben wird alles Halbe nun selbst rasiren. Wie lange saß ich selber nicht eingeseift! Ich ermahnte die guten Leute zu Geduld, und sie frugen mich fast wehmüthig, ob sie nicht Geduld gelernt hätten, und nun eben erst recht beweisen wollten dadurch, daß sie wegzögen? Ich hatte mich mit den Anordnern von Auswanderungen in vielen andern Gegenden in Verbindung, gesetzt; mit den sehr löblichen Anordnern und Versorgern der Auswanderer aus der Schweiz, aus Würtemberg, aus Rheinbaiern, den Rheinprovinzen, aus Hessen und Sachsen, und manches Gute erfahren, auch Bücher zugesandt erhalten, viele von den Verfassern selbst; denn welcher Deutsche meint es nicht selbst mit dem Teufel gut — wie Klopstock mit dem bösen Engel — geschweige mit Deutschen. Diese Bücher vertheilte ich nun in alle die Dörfer so, daß sie wechselten und Jedes in jedem den Gemeinden an den Sonntagen vorgelesen wurde. Als: Kromme’s Reise durch die vereinigten Staaten; Klinkhardts Reise nach Nordamerika; das herrliche: »Michigan«, ein Wegweiser für Auswanderer; »Illinois«, ein Wegweiser für Einwanderer; (schön gesagt: ein statt aus, denn wer auswandert, thut es eben blos um einzuwandern) »Leben und Sitten in Amerika«; — »Missouri, ein Wegweiser für Einwanderer«; — »Doctor August Neanders Richard Boxter«; — »Kurze Schilderung der Nordamerikanischen Staaten nebst ausführlichen Vorsichtsregeln für Auswanderer, von Witte«; — »Der Nordamerikanische Rathgeber von Gerke«; — »Der vollkommene Nordamerikaner, von Dalp aus Bern.« (Das bis jetzt beste Buch von allen). Und so manche andere Bücher und Charten. Auch hatte ich mir selbst eine enorme Charte der vereinigten Staaten zusammengemalt, eine Specialcharte, illuminirt, so groß, wie ein Scheuntenne, und auf ein Tenne ließ ich sie breiten, und mein bester Schulmeister Tolera erklärte sie mit einem Rechenstiele den Zuschauern im leeren Bansen. Abends fand ich gewöhnlich Handwerker mit ihren Weibern bei mir; und selbst ein sonst immer betrunkener Schlosser war so feierlich-nüchtern, so weiß gewaschen, verständig, so wohl gekleidet und artig, voll vom Gefühl, daß sie nach Amerika wollten — als wenn sie wegen einer edlen That sollten zu einem König zur Tafel gehen, und bei mir Probe äßen, denn ich behielt die guten Leute zu Tische. Meine Tochter Maria hatte ihre Kleider, und Alles, was ich von Weiberhand bedurfte, selbst fleißig gemacht und fertig. Die Mutter hatte keine Hand dabei angelegt. Mein Sohn Marbod war in meine Stelle eingewiesen. Ihr ward noch kein Auge feucht. Erst als ich am Auferstehungstage meine letzte Predigt gehalten, als ich den Leuten das Abendmahl ausgetheilt und es selbst genommen, noch einmal den lieben Ort, die versammelten Menschen, die Apostel über mir im Gewölbe angesehen, und die Altarstufen hinunter gewankt und über die Gräber nach Hause geeilt war, und meiner Frau um den Hals fiel, da glaubte sie mir — denn sie war in der Kirche gewesen und, aus Wehmuth, vor mir nach Hause geeilt. Als sie sich ausgeweint hatte, stand sie, düster zur Erde blickend, glühend im Gesicht, und sprach zuletzt: »Das hätte ich nicht von Dir geglaubt, daß Du mich verlassen würdest . . . .«
Und ich nicht von Dir, sprach ich gestärkt, und bat und drängte sie, mitzukommen.
»Siehe,« sprach sie aufblickend, »soll ich es denn sagen? Wie elend haben wir Jahre lang uns durchgebracht, wie schwer die Kinder erzogen! Denn was Ältern jetzt auf Kinder wenden wollen, das müssen sie sich abdarben. Ihr Geistlichen seid zumeist auf Korn und Hafer gesetzt — auf Geld sitzt Ihr nicht; höchstens auf den paar Groschen für Trauen und Taufen; zum Abendmahl gehen Viele nicht, weil sie es bezahlen müssen — und Korn und Hafer gilt nicht, und von Brot lebt man heut zu Tag nicht — und so haben wir schändlich genug auf den Tod meiner alten Muhme, der Frau von Gaispitzheim in Breslau, gewartet; aber heute lebt sie noch und sitzt auf ihren drei Tonnen Goldes. Gehe ich nun . . . sterbe ich vielleicht, so bekommen unsere Kinder Nichts! Und die armen drei Kinder müssen sich eben so plagen, so darben und dulden wie wir. In Breslau liegt Amerika für mich! Also weil ich redlich als Mutter denke, darum bleibe ich! — Sprich nicht, ich bin kein gutes Weib, oder gar: ich scheide mich von Dir. Du scheidest Dich ja auch nicht von mir — das weiß ich — Du gehest nur! Ach, darum gehe, und gehe getrost, und laß mich getrost. Nur Eins wäre schlimm, und ein schlimmer Betrug, wenn ich bliebe und doch vor der Erblasserin stürbe. Dann gedenke mein! Ich habe es gut gemeint.«
Darauf gab sie sich mir wieder hin. Ich fühlte ihre Nähe, ihr Glühen, ihre Liebe, Ihren Besitz. Die helle schöne Sonne schien uns Beide an, wir hatten zwei Schatten, aber Ein Herz für die Unsern — Wen wir jedes denn für die Unsern hielten! Wie wir es Beide denn gut mit ihnen zu meinen glaubten. Und von ihren heißen Worten schmolz mein Verdacht, als bliebe sie nur weil sie eine Adlige war, und sie wußte, daß ein Adliger eben grade viel weniger in den Freistaaten gilt, als ein verständiger Bauer, und alle Europäische Thorheit, wie türkische Pantoffeln vor dem Gotteshause, auf dem Strande von Amerika abgelegt werden muß, wenn Jemand noch so halsstarrig gewesen, sie nicht zu Hause abzulegen, oder auf der tausend Meilen langen Bußreise durch die Meereswüste, und da sie Gott und Menschen, selbst Wallfischen und Gestirnen abzubitten. Mir war also ein Stein vom Herzen, aber ein anderer darauf gewälzt — mit sehenden Augen, mit Liebe im Herzen, bei lebendigem Leibe und vollem Verstande von meinem Weibe zu scheiden. Denn meine Trennung war einer Scheidung wenigstens gleich! Aber ich hatte mein Wort gegeben, ja meine Seele, das heißt: meine Überzeugung, und so schied ich mich als Geistlicher mit den gebräuchlichen Worten von ihr; aber sie war dazu vor mir niedergeknieet — und ich knieete zuletzt auch zu ihr, und wir hielten uns an den Händen und sahen uns an einander noch einmal satt. Da hörten wir den Gustav Adolph gelaufen kommen. Wir standen gefaßt auf. Und daß der Knabe bei der Mutter bleiben sollte, — weil er wollte, war mir nun lieb; denn sie blieb bei unserem Sohne Marbod, und wenn Dieser nun droben über ihr in der Studirstube umher ging, konnte sie denken: Ich bin’s. Bis sie weinte und sprach, ach, Er ist es nicht, Der ist geschieden! Aber ich will ihm alle Jahre schreiben zur Christbescherung und er schreibt mir, und wenn die Dörfer nachwandern, wandre ich mit . . . . oder schiffe nach! —
Drauf saßen wir Alle vereint, die Henkersmahlzeit zu essen. Da ereignete sich noch eine kurze Scene. Nun, da meine Mirjam mit weggehen sollte, jetzt war es meinem Diakonus Bierey eingefallen sie zu heirathen. Er kam noch vor Tische und hielt um sie an. Ich überließ die Antwort meiner Tochter, die ihm Ja sagte — wenn er mitgehen wollte. »In Amerika soll das vortrefflichste Bier seyn,« sprach er, »auch Wein schon. Das lockt mich sehr; aber dort bin ich von der Gemeinde absetzbar, und meine Einkünfte hängen von der Vortrefflichkeit meiner Predigten ab — und da man sich auspredigt, und alle Jahre schlechter — schlecht will ich nicht sagen — so will ich doch in meinem Europäischen schwarzen Talar stecken bleiben — so leid es mir thut, beste Maria! Nun heirathe ich in meinem Leben nicht, denn es war nur so ein Einfall, aus Neid gewiß nur, denn das Lagerbier ist noch zu jung und bekommt mir nicht. Also ein Einfall aus Neid, aus was Sie wollen, nur machen Sie mich nicht lächerlich, daß ich derber Vierziger habe heirathen wollen. Es würde mir schlecht gegangen seyn!«
Mit den letzten Worten meinte er seine bewährte Antipathie gegen die Mäßigkeitsvereine, nicht gegen die verschiedenen trinkbaren Stoffe, wogegen sie errichtet sind. In Amerika hätte er nun vielleicht gar an die Spitze eines solchen Vereines treten sollen. Er mußte, als Dank von meiner Seite, mein Gast seyn. Die Baronesse schickte mir zur Henkersmahlzeit mit den Meinen sechs Flaschen edlen Wein; und schon bei der zweiten hatte er seine neue Liebschaft über die alte vergessen. Was uns aber traurig überraschte — sechs sehr artige, liebe, wohlerzogene Jungfrauen, die Töchter des uns bekannten, verarmten und als Wittwer begrabenen Eisengußwerkdirectors Horazius kamen reisefertig, und baten mich, daß sie blos unter meinem Schutze mitreisen dürften. Sie wollten sich ungekannt drüben vermiethen — hier schämten sie sich. Sie zeigten mir ihre sechs kleinen Beutelchen mit dem Gelde zur Überfahrt. Es ward ein Taufen angesagt; der Diakonus empfahl sich uns allen und seinen lieben sechs Muhmen — und wünschte uns: glückliche Reise! Es ist kein Zweifel, wer das Sterben erfunden, der hat auch das Abschiednehmen erdacht, es geschieht alle Tage auf der ganzen Erde gewiß tausendfach, aber ich glaube hauptsächlich nur deswegen, daß der Mensch recht empfinden soll, was er besitzt, besessen hat, und in Wahrheit doch behält, sonst würde es bei allen bittern Schmerzen doch nicht zugleich ja gar so selig seyn! »Wir behalten uns!« sprach ich schon immer im Voraus, indem ich in der Stube auf und abging, bald meine — ach was denn! meine Kupferstiche ja nicht mehr — an der Wand ansah, bald meine Mirjam, die, auf dem Sofa sitzend, eine Hand der Mutter gegeben hatte, eine Hand ihrer Jugendfreundin, der Baronesse. Darum ist mein zweiter Hauptrath zum Auswandern: Nehme Jeder alle die Seinen mit! Sonst scheidet er nicht, nein, er schneidet sich entzwei, kommt mit dem verdrossenen Leibe drüben an, und hat die Seele zu Hause gelassen. Wo alle die Unsern sind, da ist es zuletzt überall schön oder doch gut genug. Kinder aber scheiden noch leicht und verlieren noch unbekümmert. Denn mein dummer Junge, mein Gustav Adolph, malte lieber Ostereier, als daß er eine Viertelstunde neben mir gesessen hätte, um meine letzten väterlichen Worte anzuhören! Kinder sind Etwas, sind Viel — und auch Nichts! Unsere Stube war voll vornehmes Abschiedsgesindel, Gevattern, Pathen, Anverwandte. Alles Weltneugierige. Die Menschen können Keinen sterben lassen, er muß ihnen wenigstens noch 12 mal 12 multipliciren; sie müssen ihn trösten, bedauern, vergeben, kränken und zu rechte rücken; sie können Keinen scheiden lassen, sie müssen ihm das Leben schwer und die Zunge leicht machen. Ich ging also indeß auch Abschied, nehmen — zu meinen Büchern. Hilf Gott! wie überfiel es mich da! Ich weinte bitterlich! Aber sonderbar, wie ein Sterbender that ich einen befreiten Blick über die armen Geister. Viel Freude ist in unsrer Literatur nicht, das Meiste: Bedürfniß, Noth, Hülfe. Es ging mir ein Licht auf; ich möchte sagen, ein bitteres. Kein Mensch schreibt mehr aufrichtig! Höchstens ein Mediciner, ein Bohneneinsalzer. Keine Geographie, keine Geschichte ist aufrichtig, was verdient Aufrichtigkeit genannt zu werden. Und da nun Jeder anders fühlt und denkt, so seufzte ich schwer: Ach, mit der Aufrichtigkeit stirbt die Treue, mit der Treue stirbt der Mensch. —
»Sind wir Menschen?« frug eine höhnische Stimme, wie der Teufel, hinter mir, und ich sahe mich um. Aber nun auch, wie viel war ich los und warf ich ab: zuerst alle Landcharten, Rußland, Türkei, Kirchenstaat, Spanien, Portugal, selber Deutschland! Alle Journale fielen von mir ab, wie angeklebte Bilder von einem als Bildermann maskirten Apotheker. Alle Zeitungen, alle Kirchenzeitungen, denn nur noch eine Teufelszeitung fehlt — zerfielen in ihren deutschen Staub, Gott sei Dank! Ich war wie neugeboren. Alle Philosophie, die zuletzt nur dem Papst den Pantoffel flickte. Selbst alle Dichter. Und wie im Himmelsfeuer stand mir Göthe auf seinem Tabor verklärt. Denn sonderbar, unser Matador, der manchen Stier erlegt, unser Dichterfürst, was hat er wiederum in seinem besten, schönsten Werk, dem Wilhelm Meister, anders angelegt — und vollständig in den schwer verkannten Wanderjahren gelehrt — als die Auswanderung! Die Auswanderung! Derselbe, der Herrmann und Dorothee das einzig hülfreiche Wort zur Zeit sprach: Dächten Alle wie ich, so stände die Macht gegen die Macht auf, und wir erfreuten uns Alle des Friedens. Könnte man sich manche Deutschen so dumm denken, daß ein Mann wie Göthe, genährt mit dem Mark der alten Welt, und in Leib und Herzen und Geist das Mark der Natur, ein Mann, der für sich gar herrlich wußte frei zu seyn, und sich aus Allem los zu ringen, so vernagelt, so neidisch, so niederträchtig gelebt und gedacht, nicht Allen Andern das zu gönnen, was ihm allein nichts helfen konnte? In Amerika will ich ein Büchlein ediren »der Volksfreund von Goethe,« der seine ungeheuren Worte frei machen soll. Ja, ich getraute mich, durch Auszüge und Zusammenstellungen seiner schlagenden und erschlagenden Blitze ihn gradezu auf eine der beliebtesten Vestungen zu bringen, wenn er nicht sicher in der Fürstengruft ruhte. — Sicher? — Hat man nicht schon gesagt, er werde wieder hinaus practicirt werden? Weil auch der Staub verschieden sei . . . . weil auch noch die Feder der todten Taube sich vor der Feder des todten Habichts krümme, also krümmen müsse. Fahret hin! sprach ich lachend. Ich fahre auch hin. Aber zur Mitgift auf die Reise stach ich mit dem Finger blind in ein Buch, dachte dabei an Amerika, blickte dann hin und las mit Rührung die schöne tröstliche Stelle in Iphigenia:
»Denken die Himmlischen
Einem der Erdgebornen
Viele Verwirrungen zu,
Und bereiten sie ihm
Von der Freude zu Schmerzen
Tief-erschütternden Übergang;
Dann erziehen sie ihm
In der Nähe der Stadt,
Oder an fernem Gestade —
Daß in Stunden der Noth
Auch die Hülfe bereit sei —
Einen ruhigen Freund.«
Ich küßte den Band und ließ ihn wie Honig in einem absterbenden Baume. Die größte Aufgabe der Indier während ihres Lagers im sogenannten Deutschland scheint mir die Läuterung des durch die herrschsüchtigen Neu-Römer verfälschten Christenthums, und so nahm ich als reines Facit nur »D. August Neanders Werke« und »Reinhards Plan Jesu« mit mir. Von weltlichen Büchern aber ein Buch — wozu ein Volk von Gelehrten gehörte, also die Deutschen, und Jahrtausend alte und reiche Kenntniß es zu schreiben — eine Bibliothek in Einem Werke, mit einem Wort: die unschätzbare »Encyclopädie von Gruber und Ersch.« Wenn einmal ein auf Welt-Unkosten reisender himmlischer Regierungsrath, oder himmlischer geheimer Consistorial-Assessor käme, und auf der Erde Schulexamen ihrer Kinder vorgehalten haben wollte, oder Adam früge: wie viel wissen denn nun meine Kinder durch die Frucht vom Baume der Erkenntniß; so thäte man füglich am kürzesten, dem Vater Adam oder dem himmlischen Regierungsrath oder himmlischen Ober-Consistorial-Assessor die Encyclopädie von Gruber und Ersch als Scriptum der geistreichen Kinder zur Einsicht und Kenntnißnahme gehorsamst darzureichen. Und der Bericht an die Weltregierung, das große Ministerium des wahren Cultus, würde glänzend ausfallen.
Jetzt Abends brachten mir arme Bürger eine Musik. Ich weiß nicht, ich bin bei allen Dingen standhaft, sie kommen mir alle noch weltlich, oberflächlich, menschlich vor. Aber, so wie Musik erschallt, wie Klänge aus der gewöhnlichen Menschenluft da draußen sich regen und hervorbrechen wie rosige Blitze aus Wolken, und wie Donnergemurr und Gottes Rede aus Wolken — dann bin ich hin, dann bin ich erweicht, und die Geister machen mit mir was sie wollen, und das Ereigniß erscheint nun geweiht, es geschieht nun im ewigen schönen geheimen Leben; die Geister des Himmels wissen darum, sie loben, sie preisen, sie verherrlichen es mit ihren Engelszungen, und nur mit höchster Überwindung bring’ ich’s dahin, dazu und darein zu singen, und wenn mir’s gelingt, dann lebe ich mit in dem Leben der himmlischen Heerschaaren! Und nun sangen sie gar: »Befiehl du deine Wege!« . . . und mit erhöhter gewaltiger Stimme: »Und ob gleich alle Teufel hier wollten widerstehn, so wird doch ohne Zweifel Gott nicht zurücke gehn. Was Er sich fürgenommen, und was Er haben will, das muß doch endlich kommen zu seinem Zweck und Ziel!« . . . und das Kraftwort: »Mach’ End, o Herr, mach’ Ende an aller unser Noth!« — Da trat der General-Vormund mit meiner lieben Lehrtochter, der Baronesse, zu mir Einsamen herein. Sie wünschten mir Glück, sie empfahlen sich meiner Gunst und Vorsorge. Denn er übergab mir 2000 Guineen als Privateigenthum seiner Mündel, das in der englischen Bank gestanden und den Gläubigern nie mit gehört habe — nur die Baronie — und auf den Fall, daß sie den Gläubigern ganz gehören werde, sollte ich dem armen Kinde reicher Ahnen, der jungen Baronesse, drüben wieder ein Stück Amerika kaufen, so groß es für das Geld seyn werde und könne. Kaufen aber sollte ich jedenfalls; »denn,« sprach der General-Vormund, »in Zeiten muß Jeder für seinen Fall besorgt seyn. Vorsorge ist die wahre Sorge. Alles Andere ist Kummer und Noth.« — Dagegen versprachen sie mir, für meinen Sohn alles Mögliche zu thun, und meiner — Strohwittwe Freude zu machen, die eigentlich nur um des geliebten Sohnes willen dableibe — und die Freysingen gab mir ihr Händchen darauf, aber sie zitterte, sie war erröthet und ihre Augen schlug sie schüchtern nieder und ein Lächeln schwebte über ihr Gesicht und — ich segnete sie . . . . . wenn mein Vaterherz sie recht verstanden hatte, und sie weinte.
»Ja, es ist ein Elend,« stöhnte der General-Vormund; »die alten Burgen wäscht der Regen herunter, und auch alle die Herren von — »»die Herren von Hab’ und Gut«« — führt der Himmel auch herab unter die Menschenkinder.«
Am schwersten schien mir der Abschied von meiner alten lieben Großmutter, die in dem Alter von 88 Jahren und staarblind in meinem Hause lebte, still und ungemerkt. Aber er ward mir am leichtesten. Denn die gute Alte segnete meinen Gang und sprach: »Du hast wohl einmal gehört, mein Kind, daß mein jüngster Sohn August, um mich als Wittwe zu kränken, von mir gegangen ist nach Amerika. Das hab’ ich aus Rotterdam erfahren. Er war kaum Chirurgus. Meine Augen waren immer schwach; er wollte mich heilen und sein Mittel machte mich blind. Da stieß ich harte Worte im ersten Schrecken gegen ihn aus. Er solle aus meinen Augen gehn! Ich wolle ihn nicht mehr sehn! — Ich will Sie nicht mehr sehen, meine Mutter; ich kann es auch nicht! sprach er und floh. Mein Gesicht kam wieder. Er blieb fort. Nun bin ich blind! Nun kann er kommen! So lange habe ich gelebt, ihn wieder zu sehen! Und gieb Acht, er lebt noch, Du findest ihn! Ja, so lange sterbe ich nicht, bis er kommt. Und Du kommst auch wieder, mein Sohn!«
Nach Allem endlich schliefen wir zum letzten Male im Hause zusammen. O das letzte Lichtauslöschen! Das letzte Gute-Nachtsagen! Und die Glockenschläge der alten Uhr vom alten Thurme! Und das letzte Tagabrufen des Nachtwächters! O die Welt ist entsetzlich tief und schauerlich! Und das Menschenherz ist sehr stark, und unzerreißbar von allen Erdbeben und Stürmen, die unter Gewitterwolken es zittern und klingen lassen von unbegreiflichen, hinreißenden Melodieen des Lebens. Und die Träume kamen; die alten Träume, die weinenden, kamen lachend; und die neuen Träume, die lachenden, kamen weinend! Und ich schlummerte ein wenig, und die Träume weinten viel, aber die Thränen standen am Morgen mir in den Augen. Und ich dachte, so ist schon Hunderttausenden gewesen, in alten Tagen und neuen! So wird noch Millionen seyn, so Gott will. Alle Thüren im Hause standen offen, als ginge es auf einen großen Jahrmarkt . . . . ich jagte noch unser Rothkehlchen hinaus in die Freiheit; ich lies den Zeisig aus dem Gebauer in die Freiheit — die Katze blieb und der Hund lief mit! Und sonderbar — ich schied von Nichts und von Niemand schwerer, als von Jemand, den ich doch mit mir nahm — von meiner Tochter! Wohl weil ich sah, wie sie Mutter und Bruder und Heimath verlor. Man muß die Augen zumachen wie ein Todter, den man hinausträgt, sprach ich zu mir. Mit offenen Augen schiede er selber schwer! —
»Du kommst wieder!« sprach mein Weib zum Abschiedswort, und blieb fest in der Hausthür stehen, »Komm’ wieder, Vater!« sprach mein Knabe, und kroch mir noch in den Wagen nach, um mich noch einmal zu küssen; — denn ich hatte Pfefferkuchen bei mir!
Ein Wagen ist so dumm nicht erdacht; nach hinten und an den Seiten zu — nur nach vorn, nach der Zukunft offen! Die Tochter saß neben mir, mein Schulmeister gegenüber und mein ältester Sohn, der mich begleitete. Der Schwager stieß in sein Horn . . . . mein Gott! ich hatte die Nacht noch Abschied nehmen wollen von Vater und Mutter auf dem Kirchhof — und nun mußte ich denken: wir lassen nur Staub hier; was die Todten uns gewesen und was sie noch sind, das besitzen wir, das sind wir selbst, das nehmen wir mit. Sie waren auch überhaupt nicht von hier — sie sind auch noch weiter ausgewandert! Sie mußten. Wir müssen. Und in den frischen Morgen klang das Horn in den Wald hinein, in den Gesang der Vögel, den Berg hinan, dann den Fluß entlang — und die stillen Wellen reiseten ja alle so Tag und Nacht, so still nach dem Ocean! Die Morgensonne trat auf die Berge und lächelte uns an, die große Reisende, die gestern das Land gesehen, wohin wir wollten, und sie leuchtete uns dazu, gewiß dazu! Meine Frau hatte mir ein Blatt Papier beim Scheiden gegeben, ich entfaltete es; es war ein Notenblatt, das Lied: »Dir folgen meine Thränen!« Da that ich einen Morgenschlaf im Wagen, und die Ändern wurden still, und schliefen wohl auch. O Schlaf! Zwei Augen zu — und die Welt ist still, und das Herz wird leicht und rein, als schmölze der Schlaf es ein, läuterte das Gold, und gösse es nun in die Form des neuen Tages, die ihm die Hoffnung gegeben und reizend geschmückt. Im bestimmten Nachtquartier fanden wir uns mit dem Amerikaner und seinem Neger Wilberforce zusammen. Als er auch meine Mirjam aussteigen sah, schien er sehr froh — er diente ihr höflich-amerikanisch; er frug lächelnd: ob nicht der Diaconus mitgekommen? Sie sah ihn an, er sie; und sie errötheten Beide so flüchtig, wie eine Schwalbe vorüberfliegt. So kamen wir nach und nach, geschwind genug, durch vieler Herren Staaten, über Grenzen und Grenzen, durch mannigfarbig bemalte Schlagbäume, erhielten mancherlei kleines Geld heraus und bekamen nach mancherlei Ellen gemessen. Wir sahen das Bewegen, das Hinundherregen, das Umherdrehen von Soldaten, Fuhrleuten, Landleuten. Nur zu einer Übung in allerhand Privatkleidern sagte der Amerikaner: »Vergessen Sie das nicht!«
Und als wir so viele mißmuthige, verdroßne Gesichter gesehen, und wenig von Lust und Freude gehört, sagte er wieder: »Vergessen Sie das nicht! wenn Sie unsere Gesichter sehen. Kind und Greis sehen einerlei gleichgültig aus, und innerliche Betrachtungen und Überlegungen hemmen Hand und Fuß und Auge und Leben. So tanzen wir auch noch nicht. Die Seele ist zu steif dazu.«
Endlich eines Abends überholten wir in einem dünnen Walde, im Sandweg, Auswanderer! Deutsche Auswanderer nach Amerika. Scheckige Ochsen zogen langsam einen Wagen fort, darauf Grabscheite, Hacken, ein Gebund Betten und kleine Kinder saßen, während die Väter, Mütter, Söhne und Töchter von drei Familien nebenher zu Fuße gingen. Ein andrer Wagen mit Pferden fuhr die letzten oder ersten nöthigsten Sachen, Säckchen mit Sämereien und allerhand Zusammengehäuftes von mehreren Haushaltungen. Wenn Swift ein Gebet über den Besenstiel verfertigt, so wäre mir gewiß jetzt ein rührenderes »Gebet über ein Grabscheit« gelungen, deren Eisen mich glänzend anblitzte. Die Leute gingen anständig gekleidet, aber stumm, wie der Sprache beraubt. Nur eine Jungfrau frug uns: »Wie weit ist noch Bremen?«
Dort liegt es ja! antwortete ich selber überrascht. Die Wagen hielten, die Männer nahmen ihre Mützen ab, Alle falteten die Hände und beteten ein stilles Vaterunser, ein Walte-Gott, oder ein: Nun danket alle Gott! vermuth’ ich. Nun standen die Thürme der Stadt uns auf aus der Hoffnung, der hohe Angariusthurm, die Liebfrauenkirche, das Rathhaus, die Domkirche, die Sternwarte, alles in dem geschmückten grünen Wall umher wie Spielsachen in dem Raum eines Geburtstagskuchens. Dann die Masten der Schiffe! Seiler spannen hier Schifsstaue; dort schmiedeten Männer in Hemden große Anker. Dann umfing uns die enge Straße mit Häusern voll Erkern, über und über vorn mit Fenstern, wie eine streifige gläserne Weste, die Gott vor Schloßen bewahren möge. Endlich die lange Brücke, die liebe Weser und das große Wasserrad. Ein schöner junger Mensch begegnete uns, der unwillkürlich sein englisches Pferd anhielt, wohlwollend, ja fast zärtlich uns . . . ich glaube, zumeist meine Tochter, ansah, den Kopf senkte und dann erst still des Weges ritt. Zufall! Schicksal!
Denn mein lieber Master Erwin kehrte bei einem Handelsfreunde ein; ich, bei meinem redlichen, guten, besten Freunde, dem Doctor Professor Weber. Wir stiegen hinauf, er kannte mich nicht; ich aber wußte, daß er es war, ich brachte ihm Grüße von meinem Bruder, den ich gar nicht habe — und nun fiel er mir um den Hals. Seine schönen Kinder standen um uns und hielten den Athem an — meine Tochter hatte er nicht gesehen, und es ist wohl die eigenste Befriedigung, die schönste Lösung des heiligen Lebensräthsels: einem Freunde die erwachsene Tochter zu bringen, zu zeigen. Und das gute Mädchen stand vor ihm befangen, ja gefangen da, wie eine unbewußte Schuldnerin von unabwehrbarer Neigung und Liebe, die ich dem theuren Freunde im Herzen bewahrte. Er führte sie zu seinem Weibe, der auch ich gleich wie ein naher Verwandter war; und meine Augen hingen an seinen Knaben, wie an Ablegern einer köstlichen Nelke, die der Gärtner bisher nur immer allein gesehen hat! Und nun hat sie sich verdoppelt, vervierfacht, verjüngt, verschönt. Er fand mich im Verlieren, ich wollte nach Amerika, und die Glocke der Freude zersprang. Und so sagte er mir im Vertrauen, daß sein werther Freund und Gönner, der Graf B . . . . . St . . . . . . . ihm den jungen, incognito hierher gekommenen Prinzen empfohlen, der neben ihm wohne und den Titel eines Herzogs in seiner ursprünglichen Bedeutung den Deutschen auffrischen wolle — und als Führer der Auswanderer aus seinem nicht gar großen Ländchen auftreten, da sein Vater sich noch nicht entschließen könne, dem das Amt eigentlich zukomme. Denn, sage er, mit einem Schwarm junger Bienen, welche den alten Mutterstock verlassen, und in die neue, von den Spurbienen gesuchte Bäute schwärmen, zieht nicht ein junger Weisel, sondern der alte erfahrene Weisel des Stockes, als rührendes Beispiel für Menschen! Die Herzöge der alten Deutschen seien es auch nur für die Zeit des Zuges oder der That gewesen, und in dem drüben angekauften freien Lande möchten ihn die Seinen nun ferner zum Haupt wählen, oder einen Andern, wenn er nur brüderlich für sie gesorgt, bis wo sie sein und des Vaters nicht mehr bedürften. Er meine eine große, deutsche, zeitgemäße That dadurch zu thun, indem er mit Willen und Liebe sich an die Spitze der Bewegung stelle; aber sein Vater wolle ihn davon abhalten, und werde dieser Tage in Bremen eintreffen, »um den so guten, edlen, feurigen, jungen Sohn auf gute Weise zurückzuführen und wieder einzuspannen in den alten schweren Wagen von Europa, von dem Niemand wisse, wohin er fahre, nur wie schlecht der Weg sei —« wie er selbst ihm geschrieben. Übrigens lagern Tausende von Auswanderern so eben jenseits der Altstadt, nach Elsfleth zu, die ich lieber sogleich gesehen und ausgefragt hätte. Da kam der junge Prinz gesprengt, er sprang ab, er kam herauf, und überrascht, uns . . . . ich muß es sagen . . . . meine Mirjam hier zu finden, sah er noch einmal so schwärmerisch schön aus, seine Augen leuchteten, aber seine Anrede verwirrte sich, selbst sein Gruß stockte, seine Frage blieb aus, und er schlug die Augen wie ein Mädchen zur Erde. Im Geiste hatte er schon seinen Titel abgelegt, und dem gewünschten Incognito gemäß, lernten wir ihn nur als Herrn Leuthold kennen! Leuthold — Publicola — der Name machte mir ihn werth; und als er nun hörte, daß ich die armen Einwohner von zwanzig großen Dörfern hinübersiedeln wolle, überschüttete er mich mit einer Masse von wohlgegründeten Nachrichten aus redlicher Männer Munde, drückte mir die Hände, und es ward verabredet, das Lager der Auswanderer gegen Abend zu besuchen, und auf dem Pianoforte spielte er mir den unvergleichlich rührenden »Gesang der Pilger« aus Hasses Pilgerinnen vor, und sang dazu mit feuchten Augen und bebender Stimme. Ungern schied ich indeß. Denn ich hatte die eben angekommenen sechs Freundinnen meiner Tochter unterzubringen, die sich drüben vermiethen wollten.
Gegen Abend also gingen wir dann. Ich mit dem Freunde; der Prinz führte meine Tochter und sprach in seinem Feuer mit edlem Anstand zwar, doch wenig verhalten zu ihr — als uns der Amerikaner begegnete und als Freund sich uns anschloß. Er gesellte sich aber zu mir, ging mit mir hinter dem Paare, und sahe ernst und blaß aus und sprach nicht, und sahe bisweilen murmelnd lange starr zu Boden, als schimmere ihm unter der Erde ein großes Buch, dessen Schrift er mit Gewalt entziffern wolle. Der immer vorsichtige Mann stolperte jetzt sogar. Zuletzt trug er, wie ich wohl bemerkte, erst Eine, dann beide geballte Fäuste in der Tasche. Wilberforce, sein Neger, sahe, wie ein treuer Hund nach dem Jäger sieht, gespannt nach den Augen seines Herrn. Er frug endlich, doch leise, meinen Freund, wer der junge Gentleman sei, der die Miß vor ihnen führe. . . . . . »Der Prinz . . .« sagte ich ihm, zwar leis, doch etwas unvorsichtig, und er hörte es kaum halb, als ihm recht wohl schien. Es stand ein Lächeln auf seinem Gesicht, das ganz Europa weglächelte, ein kostbares Lächeln, das mich hinriß. Aber meine Tochter war noch Gänschen genug und noch von keinem Prinzen und so verbindlich geführt worden, und ich als Herr Vater und Unterthan steckte auch noch so tief in der Eselshaut, daß ich keine Scene, besonders nicht gleich und hier auf der Straße besorgte. Der schätzbare Master Erwin aber nahm mich unter den Arm, hielt mich zurück, als wolle er mir etwas zeigen; und als die Übrigen voraus genug waren, frug er mich ehrerbietig und lüftete den Hut dazu: »Wollen Sie mir Ihre Tochter gönnen?«
Wie so? — frug ich.
»Zur Hausfrau! — meine ich.«
Ich wußte, wie meine Tochter dachte und fühlte. Ich gestand ihm das; aber auch, daß sie ihm, daß sie der je ihr eignen und freien Neigung entsagt — weil er Sclaven — hundert — fünfhundert Sclaven habe.
Der Mensch in dem Amerikaner, in dem Kaufmann und reichen Plantagenbesitzer ward roth. Er preßte die Lippen zusammen, blickte mit starren Augen ein inneres Bild vor seiner Seele an, und sprach dann: »Schon gut! meine ich. Also Sie meinen sonst Ja?«
Ich zuckte, eigentlich wunderbar froh die Achseln und meinte: Ja!
Da verließ er mich, ohne Übereilung, ging dem guten Prinzen zur Seite und sprach: »Wollen Sie mir nicht erlauben, meine Braut zu führen?«
Da ließen die Arme der beiden unschuldigen Kinder sich los. Mein Kind war blaß, so viel ich sehen konnte, sie stand ein wenig vorgeneigt, mit gesenktem Antlitz, und hielt ihre linke Hand leicht über die Augen, ihre Lippen standen geöffnet, als wäre eine Rose plötzlich aufgeblüht.
. . . . Das habe ich nicht gewußt; — stammelte der Jüngling.
»Ich auch nicht! Aber Sie wissen es jetzt;« sprach der überraschte und überraschende Bräutigam.
Der Jüngling trat zurück. Die Braut ließ sanft und langsam ihre Hand von den Augen sinken, und ihre großen Augen sahen einen wunderbaren Augenblick nach mir zurück; dann sah sie vorwärts, sah nicht den Bräutigam an, der den gesenkten Arm anständig an den seinen nahm.
Und nun gingen wir — schweigend bis ganz in die Nähe des friedlichen Lagers. Da hörten wir singen, blieben betroffen stehen, und hörten nach rührender Weise in Moll ganz deutlich die Worte:
»Nun wandern wir mit Thränen aus,
Von Bergen und von Thal!
Die Erde ist ein großes Haus
Mit manchem Saal!
Du Sonne, kommst mit über’s Meer
In jene beßre Welt;
Du Mond, du schiffst still nebenher
Am Sternenzelt.
Der Boden zieht sich unterm Meer
Dahin, in sichrem Band;
Und drüben hebt er sich so hehr
Als freier Strand!
Da drüben blüht der Frühling auch
Im alten Himmelreich;
Die Erde hält den alten Brauch —
Bleibt Euch nur gleich!
Habt Dank, Ihr Brüder, nah und fern!
Ihr halft uns Alle gern;
Habt großen Dank, Ihr großen Herrn,
Habt Dank, Ihr Herrn!
Ihr Flüsse habt den schönsten Dank
Für eure klare Fluth;
Doch euer Trank, der macht uns krank,
Ihr meintet’s gut!
Nun sind wir Furcht und Qualen los,
Wir werfen Alles ab;
Und glückt uns Nichts — im Erdenschooß
Bleibt uns das Grab!
Drum angenehme Ruh! Glück zu!
Nun Alle gute Nacht!
Haus, Bäume, Feld und Pferd und Kuh —
Es ist vollbracht!
Viel thaten wir mit unsrem Arm,
Viel tausend Städte stehn! —
Der Korb ist nicht der Bienenschwarm.
Sie stehn — wir gehn!
Wohl hundertmal jed’ Beet mit Fleiß
Umpflügten wir mit Muth —
Das Land ist naß von unsrem Schweiß,
Von unsrem Blut.
Manch Schlachtfeld deckt die Väter zu,
Der Todten morsch Gebein!
Drum laßt uns ziehn in Fried’ und Ruh,
Uns unser seyn!
Nicht hundert Jahr, so kommen wir
Zurück zu Euren Gau’n,
Und wie’s Euch geht, geloben wir,
Mit Ernst zu schau’n!«
* *
*
So etwas hatte ich noch nicht gehört auf Erden, gedachte aber an das Lied: »An Wasserflüssen Babylon.« Die Leute, die gesungen, schwiegen kaum, als wir von einer andern Seite her schon den Ausgang eines andern Liedes vernahmen, das junge Burschen in lustiger Weise sangen:
»Nun schnürt die letzten Lumpen ein
Und macht ein groß Gebund!
Schnürt Sonne, Mond und Sterne drein!
Und bleibt nur fein gesund!
Vor allen schnürt die Hände ein!
Und Kopf und Herz und Mund!
Ein Hüttchen wird schon drüben seyn,
Das glaubt sogar mein Hund!«
* *
*
Einer von ihnen wollte jetzt das bekannte Lied anstimmen: »Was ist des Deutschen Vaterland?« — als Andre ihn unterbrachen und frugen! Ist das noch nicht aus? — und Einer wollte in das Lied eingestimmt haben: »Wer weiß, wie nahe mir mein Ende?« — Mädchen kamen uns entgegen gesprungen, welche schon einen Maikäfer gehascht und wieder fliegen lassen, und aus der dreißigjährigen alten Noth dazu sangen:
»Flieh, Käfer, flieh!
Dein Vater ist im Krieg,
Deine Mutter ist in Pommerland —
Pommerland ist abgebrannt —
Flieh, Käfer, flieh!«
Die Knaben aber sangen ein andres, mir unbekanntes, schwermüthiges, treues Lied, auch aus Moll, was »die Schwalbe« hieß; denn unter diesem Titel forderten es von den andern Kindern zwei liebe, schöne Knaben, beide wie Brüder gleich gekleidet; beide gelbe Strohhütchen auf, beide blaue Jäckchen an, beide weiße lange Hosen und beide baarfuß. Sie sahen gesund, aber kummervoll aus. Und die andern Kinder wollten es, manche dem Anselm, manche dem Wilhelm zu Liebe mitsingen; die Brüder selber sangen nun, hell und bang herauszuhören aus dem lieben Knabengesang:
Du, meine liebe Schwalbe,
Ziehst weit nun über’s Meer,
Siehst meine Heimath wieder —
Ach, wenn Ich doch — Du wär’!
Ich baut’ an Mutter’s Fenster
Mein Nest mir einsam, leer;
Ich säng’ ihr meinen Kummer,
Wenn Stille um uns wär’!
Da spräch’ sie einst zum Vater:
»Das Lied macht mir so schwer!
Ach, fange doch die Schwalbe,
Und bringe sie mir her!«
Da laß ich mich ihn fangen;
Die Mutter küßt mich sehr!
Drauf soll ich wieder fliegen —
Da bin ich schon nicht mehr!
Da steht sie tief betroffen,
Denkt bang an mich und schwer,
Begräbt mich bei dem Weinstock,
Der sagt ihr: daß Ich’s wär!
Jetzt hatten wir Stimmung! Das Herz war uns schwer, und wir begriffen, wie den Abgeschiedenen zu Muth war, die mir so eigen bedürftig, so eigen heimathlos vorkamen, wie den Schiffern die müden Vögel, die vor Hunger und Müdigkeit ohne Menschenfurcht sich auf dem Fluge über das Meer in die Segelstangen setzen, sich ausruhen, auch wohl schlafen und im Schlafe vom Morgen träumend singen! — O Natur, du bist unter allen Masken nur Eine, voll Leid und Freude und Trost und Hoffnung immer und überall.
Darauf gingen wir hinter in den grünen Raum, wo die deutschen Auswanderer lagerten, theils in offen stehenden leeren Magazinen, Scheunen, theils auf dem Platze davor. Es ist unmöglich, zu leugnen, daß der Anblick ergriff: diese kraftvollen, rüstigen Männer, diese gesunden, auch schönen Weiber und rosigen Jungfrauen, diese Knaben und Mädchen, diese kleinen Kinder in Bettchen hier, dort auf Strohe liegend, und von den kleinen Schwesterchen gewiegt, herumgetragen, oder im Schlafe bewacht von einem treuen Hunde, der wie aus dem Schlaf die Augen nach uns richtete, aber die wohlwollende Seele in den unsern erkannte, nicht anschlug, nicht knurrte, sondern ruhig wieder die Schnauze hinstreckte. Auch alte Männer mit weißen Haaren saßen da, welche, kaufmännisch betrachtet, doch kaum die paar Thaler für die Überfahrt werth waren, und welche doch — wie die Türken in Constantinopel sich drüben in Scutari begraben lassen — auch drüben wollten begraben seyn. Sie schnitzten Löffel, auch nur Spielsachen für die Kinder. Hier und da hing ein Ochse oder eine Kuh, welche für ihre Mühe: die Wagen hierher an das Ufer zu ziehen, geschlachtet und für die Seereise in Fässer eingepöckelt wurden. Selbst einigen Ziegen war es so gegangen, die räuchern hingen, und ihre gehörnten Felle nicht weit davon zum Trocknen. Andere Ziegen mit schwellenden vollen Eutern, von den Jungfern mit Gras gefüttert und eben gemolken, sollten den Kindern auf der See frische Milch geben, und es drängte mich, den Weibern zu lehren, wie sie auch Milch aufbewahren können. Kessel kochten das Abendessen über Feuern; im Strom gefangene Fische zappelten auf dem Rasen noch ungeschlachtet. Wasserkrüge und kleine Trinkkrügchen standen bereit. Alle waren anständig gekleidet, Manche vielleicht aus Armuth sonntäglich.
»Welche Wehmuth geht von dem Raume aus!« sprach der Prinz. »Hier schaut man unleugbar: Ganz gewiß ist etwas vorgegangen, ganz gewiß ist diesen Menschen etwas Unleidliches geschehen, ganz gewiß hoffen sie Erlösung, eine bessere Zukunft, als sie hier abwarten und mit durchleben wollen, daß wir diese Tausend und schon Legionen und noch Legionen hier am Eingang des Meeres sehen! Etwas ganz gewiß. Das ist unleugbar. Etwas, dem Niemand helfen kann oder will. Denn menschliche Geduld ist — übermenschlich, oder deutsch. Ach, wer in alle die Herzen sehen könnte! Diese Menschen sind nur — heilige Meerschweine, die auf die Oberfläche der See kommen, wenn Sturm soll kommen! Sie sind Sturmvögel! Oder fliegende Fische, die nicht vor Vergnügen . . . . sondern, dem Tode zu entgehen, vor Angst vor einem oder vielen kleinen Haien, sich der ihnen von der Natur aus Vorsorge zu Lehn gegebenen großen Flossen oder Flosse — der Schiffe — bedienen. Sie sind Männchen im Mantel, die aus dem Wetterhäuschen bei schlechtem Wetter herauskommen, und von der gekrümmten Darmsaite gezwungen, sich herauswinden müssen. Denn welche Schnecke bleibt nicht gern in ihrem Hause? Welcher Fuchs ist so dumm, aus der Haut zu fahren, als wenn sie aufgeschnitten ist und er gebrannt und geprellt wird. Der Mensch ist nicht dümmer als das Vieh, aber am Ende auch so klug und so tapfer. Ja der Zahnarzt, der keinen Zahnarzt findet, nimmt sich in der Angst selbst einen Zahn aus, und je weher er sich selber thut, je lieber er sich selber zur Thür hinauswerfen möchte, je gewaltiger ruckt er an seinem Zahne, bis er hinausfliegt. Kurz, hier schmerzen die Zähne, oder die Herzen. Herzensweh, größtes Weh!« sprach er und schlug die Augen nieder. Meine Tochter auch, die dem von Wohlwollen leuchtenden Jüngling mit feuchten Augen zugesehen, oder zugehört — ich weiß nicht.
Mein ehrwürdiger Prinz — wollte ich sagen — aber durfte nur sprechen: Sie einziger, theurer Herr Leuthold, wie ungern gebe ich Ihnen Recht — verzeihen Sie, es ist höchst unrecht und unanständig, vornehmen Leuten Recht zu geben — Furcht und Hoffnung treibt und jagt die Welt. Indeß, was Jeder, oder was Alle hoffen oder fürchten, ist nach der Bildung des Geistes und Herzens eines Jeden verschieden, und stuft sich ab von Brot bis zur Freiheit, von Qual bis zu Kälberbraten und Salat. Indessen wäre es doch höchst wichtig, selbst den Höchstwichtigen, zu wissen: was diese fliegenden Fische oder Wettermännchen fürchten oder hoffen, oder hoffen und fürchten. Wir wissen es so ziemlich gewiß, aber ob auch Diese? Doch das Volk weiß Alles wahr und klar, durch handgreifliche Dinge, und beurtheilt die Saaten und die Bäume nach Garbe und Frucht; die Graf Magnische Wolle, Electoral- und Königlich-Spanische Wolle beurtheilt es aber blos nach dem Rocke — den es selber tragen kann!
»Rem acu tetigisti! Sie haben den Schaden mit der Sonde berührt, und er schmerzt mich!« versetzte Herr Leuthold. Mein Schulmeister Tolera hatte schon Bekanntschaft unter der Menschenheerde gemacht, und er zeigte uns Studenten von verschiedenen Universitäten, die, wie er uns erzählte, statt Doctoren zu werden, mit dem Gelde von ihren Ältern, theils ohne . . . theils daß diese es wußten, und zufrieden waren, nach Amerika auswanderten. Sie wollen auf einer Nordamerikanischen Universität studiren, oder drüben Garten-, Vieh- und Menschenzucht betreiben, und haben sich schon die haltbarsten, schönsten Mädchen hier ausgesucht, die ihnen die Ältern nicht abschlagen wollen. Ich begreife gar nicht, wie aus altem Holze schon neue Triebe wachsen, wie man auf der Reise an’s Heirathen denken kann. Freilich paaren sich Störche, Amseln, Kraniche und Schwalben, grade ehe sie fortziehn — wie die fortgeschickten Polen in Danzig alles von der Straße wegheiratheten. So wundre ich mich nun nicht mehr so sehr. Vorhin war ein Herr hier, der frug einen Professor, der auch mit auswandert: »Das sind wohl eigentlich alles Pracken?« Gewiß, versetzte der Professor; aber es bleibt dabei die Frage: ob sie geprackt worden, oder ob sie geprackt haben — alle Andern, alle Solche wie Sie, und Sie nicht ausgenommen. Dabei kehrte er ihm den Rücken. Tolera brachte uns aber eigentlich nur die beiden Knaben, die vorhin das Lied von der Schwalbe gesungen, und winkte sie näher. Sie kamen, die gelben Strohhütchen in den wie zum Beten gefalteten Händen, waren bildhübsch, und der Älteste, der Anselm, sprach: »Ach, liebe Herren, Alle oder Einer, unser Vater ist blos über dem Wasser hier drüben, in einer großen Stadt, die Kentucky heißt; unsre Mutter hat sollen nachkommen, sie ist aber gestorben, und nun lacht uns jeder Schiffscapitain aus, wenn wir ihn bitten: uns ohne Geld mit hinüber zu nehmen. Erbarmen Sie sich, Einer oder Alle, unsres Vaters, der wird sich doch gar zu sehr freuen! Ach, und das ist ein rechtes Unglück, man kann drüben nicht mehr die Überfahrt abverdienen, wenn Einen der Capitain dafür auf ein paar Jahr vermiethet, das hat der drübensche Congreß verboten! Ach, wenn der Congreß uns sähe am Ufer stehen, er wäre ein barmherziger Amerikanischer Congreß! Aber die Congresse sind so weit von uns, so unbarmherzig und hart und wie blind, daß sie uns arme Kinder freilich nicht hier stehen sehen können! Aber Sie sehen uns stehen, beste Herren! Oder wenn Sie kein Geld haben, oder an uns nichts wenden wollen, befehlen Sie nur einem Capitain, daß er uns mitnehmen muß! Schreiben Sie es mit ihm nieder, daß er mich drüben verkaufen muß, für mich und meinen Bruder, den armen Schelm! Ich will Gutes thun. Indeß wachs’ ich noch größer. Und wenn ich meinen Vater erst in zehn Jahren sehe, so sehe ich ihn doch einmal und mein Bruder auch.« Die Kinder faßten vor Freude sich schon bei den Köpfen.
Master Erwin sagte uns, daß alle europäische Contracte in der Union gar nichts gelten, und warnte uns. Meine Tochter schien ihn zu bitten, den lieben Knaben die Überfahrt zu bezahlen, als sie der Prinz schon beide an den Händen ergriff, und zu einem Capitain führte, der jetzt aus einer Scheune kam. Ein sonnegebräunter, kerniger, hoher Mann im blauen Frack und langen, weiß und roth gestreiften Hosen und Schuhen, einen dreieckigen langen niedrigen Hut die Quere auf dem Kopfe, wie ein kleines schwarzes Boot. Er gab jedem der Knaben darauf eine Karte aus seiner Brieftasche; und ohne vor Freuden sich nur zu bedanken, sprangen sie fort und rissen vor Eifer im Laufe andere Kinderchen um. Der Prinz kam still wieder zu uns. Master Erwin, oder nun mit Gott denn: mein Schwiegersohn, hatte indeß ein Gespräch mit mehreren Auswanderern angeknüpft, deren Einer ihn jetzt als Amerikaner auf sein Gewissen frug:
Also freies Raff- und Leseholz können Sie uns gewiß versichern?
»Auf fünfhundert Jahr vor der Hand, meine ich.«
Der Kreis sahe sich froh an. Eine alte Frau rieb sich den Rücken und seufzte: Da werde ich also nicht krumm und lahm geprügelt. — Mein Gott! wie bist Du doch gnädig da drüben über dem Wasser! Hier war es wie’s war!
Und ein Anderer frug wieder: Herr, ich habe wegen Angeln und Krebsen vier Jahr gesessen, und bin freilich ein Liebhaber, aber auch ein armer Teufel — wie steht es da drüben?
»— Freier Fischzug in allen Flüssen und Seeen. —«
Der Mann machte eine besondere Geberde, die aber uns nicht galt, zog einen alten Jäger herbei, und frug weiter: Der hier hat, als streng angewiesener Grünspecht, einen oder ein paar Wildschützen erschossen, die einen Hasen nicht haben herausgeben wollen — ist dort Wildpret genug? Denn, lieber Herr, wo jeder Bauer den Garten voll Pflaumenbäume stehen hat, da stiehlt kein Kind eine Pflaume.
»— Freie Jagd und Wildpret in Unzahl. Geflügel in Unzahl. Maisvögel, Truthühner, Tauben.«
Da möchte man sich das Leben nehmen! seufzte der alte Jäger, dessen Augen und Wesen deutlich verriethen, daß er dem Wahnsinn und einer schrecklichen That an sich selber ganz nahe stand.
Aber Wiesewachs, Futter für die Kühe! Wie viel Stunden weit hat man wohl in das Gras? und wächset auch welches?
»— Liebe Frau, da wird ihr der Rücken nicht weh thun. Die Kühe hinaus! und wenn Ihr hundert habt; und welche ihr melken wollt, die ruft Ihr bei Namen. Aber einen Namen muß sie haben. So macht Ihr es auch mit Euren hundert Schweinen, und Ihr ruft nur: Komm, laß dich schlachten! Ich lüge nicht, so mach’ ich es, so machen es tausend Nachbarn noch hundert Jahr . . . Ein Pfaffe hat Europa verdorben, und das Schwein verdirbt Amerika. Haltet keine Schweine, damit ihr keine Schweine werdet; denn auf dreimal Schinken den Tag, setzet Ihr auch vielleicht dreimal Whisky und Rum.«
Ach Gott! nur zu Weihnachten ein Schweinchen! schmunzelte eine Frau.
»— Schlachtet Ochsen! —«
Ach, der liebe Gott ist doch sehr gnädig da drüben über dem Wasser! Hier war es mit den Ochsen nicht recht richtig; stöhnte die alte Frau und sahe ganz jung aus vor Freude.
Aber, aber! sprach ein alter Mann: Ich habe Zeitlebens gearbeitet wie mein eigener Sclave, und habe Nichts, als diese Jacke auf dem Leibe, weil Arbeit uns hier nicht mehr nährt, Alles der bösen Nachbarn wegen, des Krieges wegen, der Schulden wegen, der Furcht wegen! Was wollte ich noch fragen? Ja! — Sind drüben gute Nachbarn? Sonst kehre ich heim.
»Das Weltmeer ist der schlimmste und beste Nachbar; übrigens ist dort kein Papst, kein Kaiser, kein König auf weit und breit. Friede und Brot!« sprach mein Schwiegersohn.
Friede und Brot! wiederholte der alte Mann; und drei alte Weiber sprachen nun wie die drei Eumeniden wieder im Chor: Mein Gott, wie bist Du doch gnädig da drüben über dem Wasser!
»Meine Söhne!« rief hier eine Mutter zu ihren vier Jünglingen. »Meine Söhne!« sprach eine andere Mutter zu ihren Sechsen. »Mein Sohn!« rief eine dritte Mutter.
»Ja, Euer seid Ihr dort!« sprach mein Schwiegersohn; »selber das ganze Land oder Reich, nämlich die souveraine Republik, ist dort Euer, und selber der Präsident, der bloß Euer Vorsitzer ist. Ohne Erbe ist kein Erbfolgekrieg; ohne Furcht vor dem Volke ist keine Unterdrückung, ohne Schulden sind keine Zinsen, ja, es ist die bitterste Wahrheit: in wenigen Jahren muß Jeder bei uns von der Regierung alle Jahre Etwas heraus bekommen an Gelde!«
Und die drei Eumeniden sprachen wieder: Mein Gott, wie bist Du doch gnädig da drüben über dem Wasser!
»Ihr habt Recht!« sprach er, »aber vergeßt nicht: blos Europa hat es dadrüben gut gemacht! Alles, was man hier im Geiste gesehn und gewünscht, das wird da drüben in Wahrheit; was man hier verwünscht hat, das bleibt hier begraben. Drum tretet dankbar und leise auf das heilige Grab und segnet es hier und noch drüben!«
Und es war wunderlich anzusehen, wie Einige leise und schonend auf dem heiligen Boden des Vaterlandes — des Mutterlandes der Freiheit — fort zu den Ihren schlichen. Mir quollen die Thränen in den Augen.
Herr Leuthold aber drückte meinem Schwiegersohn die Hand, daß er Deutschland gepriesen als die saure Rebe der süßen Traube. Das Lager der Auswanderer hatte den tiefsten Eindruck auf ihn und uns Alle gemacht. Und diese ihre erzwungene Muße, dieses große Müßigsein voll stiller Geduld und schönen Zutrauens war allerdings ein eigener Zustand der Menschen auf Erden, in deren Leben wir einen tiefen, düstern und erfreulichen Blick thaten. Diese hier sangen, andre wuschen die Kinder, noch andre aßen, alles in herzlicher Eintracht. Einer theilte dem Andern mit, was er hatte, und es that ihm nur leid, wenn es ihm fehlte, und er sprach wohl freundlich zu ihm: Bruder, das habe ich nicht! und ein Nachbar hatte es gehört, rief ihn und sprach: Bruder, ich habe noch, komm! So wurden die Verschiedenen zu Einem. Denn gleicher Wille und gleiches Ziel verbinden die Völker.
Es war noch Zeit, unsre Arche, das Schiff zu besehen, das mein Schwiegersohn gemiethet. Wir fuhren zu Wasser hin. O so ein Haus! So ein großer verständiger Fisch! Wie sauber Alles. Und die goldenen Sterne, 27 Sterne, für jeden Freistaat ein Stern in himmelblauem Eckfelde der roth, blau und weißen Flagge. Seine Flügel schliefen. Die sauberen Räume standen noch leer. »Es ist nicht groß, darum geht es nicht tief, und kann überall eher ans Land;« sagte mein Schwiegersohn; »es ist neu, also wird es der Capitain nicht mit Willen stranden lassen, um die versicherte Prämie zu gewinnen. Ich habe es ganz gemiethet, es faßt 150 Menschen, und so kostet Jedem die Überfahrt ohne Essen und Trinken nur 30 Thaler. Sie kommen mit nach New-Orleans, um Florida zu sehen, das man so rühmt, und dann den Todtenstrom, den Missisippi hinauf, auf einem der Dampfboote, nach Kentucky, Ohio und wohin Sie wollen.«
So hatten wir denn, wie die Kinder, schon in der Kutsche gesessen, die noch ohne Pferde steht. Abends aber führte uns Master Erwin in die Versammlung der verarmten Rittergutsbesitzer, denn wohl zwanzig Familien hatten seiner, auf des Vaters Befehl gethanen Einladung, mit Freuden Folge geleistet. Sie wohnten alle in der Nähe, sie waren versammelt, sie lernten ihn kennen, wir sie. Unter den merkwürdigen, anständigen, mitunter schönen Gesichtern und den unleugbar sich auszeichnenden Gestalten der Männer, Frauen, jungen Herren und Fräulein, und unter den mannigfachen Reden der Verdrossenen, Neu-hoffenden, vergesse ich nie die Valet- oder Standrede des Adels, welche ein launiger alter Herr hielt, welcher sich selbst den Herrn von Habenichts nannte. Unter andern sprach er: »O Don Colibrados, und alle Ihr Colibraden, kommt mit! Was Ihr einmal waret, begreift Niemand, Ihr selber nicht mehr! selbst Euren Namen nicht. »Wir sind vom Geschlecht der Colibraden!« Das Wort mußte uns Spannung geben. Für den Schein mußten wir alle Wahrheit opfern! Pferde, Spiele, Bälle. Wir tanzten wie ein gewisses fettes Thier vor Angst auf den heißen Eisenstäben. Denn der Güterhandel, der Pferdehandel, der Holzhandel, der Wollhandel, der Getreidehandel, kurz alle Handel und Händel brachten uns zum Tanzen. Was waren wir noch? Sequester der Juden! Sclaven unserer Schaafe und Ochsen. Und nun sollten unsere Junker lernen! Lernen, was andere Menschen, die Krety und Plety, wissen und können; unsere Fräulein sollten Bürger heirathen — blos um das einzige Wörtchen von im Stillen zu behaupten! Das sei Gott geklagt. Wir werfen das einzige Wörtchen »von« von uns ab, als den alten schweren Harnisch, verlassen die hohe Region, erwerben im Thale des Lebens für unser letztes Hab und Gut große Güter, und nennen uns heimlich, bis wir es sind, »die Herren von — Europa.« Und sind wir nicht dennoch die Vorbilder des Volkes gewesen? Und haben wir es nicht vortrefflich gehabt, so lange wir es gewesen? Haben wir Edlen nicht alle wilden Schweine, Hirsche, Rehe, alle Hasen, alle Rebhühner und Lerchen gebraten und gekocht, alle Hechte, Karpfen, und Krebse gegessen, bis wir dem gemeinen Volke den Mund wäßrig gemacht, und alle das liebe Wild ihnen verkauft, um Kutschen und Kleider zu kaufen. Sind wir nicht Keiler, Zehnender, Hasen, Bretklötzer, Hechte u. s. w. über und über? Ja durch und durch! Und unsere Burgen und Zimmer, haben sie nicht nun Alle? Was wir tragen, trägt es nicht Jeder? Was wir wissen, weiß es nicht Jeder? Wie wir ohne Steuern und Gaben zu seyn wußten, will es nicht Jeder? Haben wir uns nicht gegen den hohen Adel gestemmt, und ihm Alles abgetrotzt? Kurz, durch uns Muster und Modelle sind nun Alle im Lande Edelleute geworden, ja sie wollen sogar edle Leute seyn! Und so sind wir die Steinplatte mit der ersten, so so gezeichneten Menschengestalt gewesen, welche man tausendfach abgedruckt hat, die aber selbst darüber abgenutzt und verwischt worden bis zum Unkenntlichen, hoff’ ich. Das war nobel! hoff’ ich. Und unser Lohn ist, der Abschied eines Dieners, oder eines Herrn, der sich unnütz gemacht hat — eines Stockes, der durch Lehre und Zucht der Schulknaben zu kurz geworden — eines Flegels in genere, der durch Dreschen abgedroschen ist, und in der Scheune verloren dahängt, als sein eignes Monument. O Welt, wie schön bist du, wie dankbar! so daß dein größter Dank für die Größten und Edelsten grace, der himmlische Dank ist: daß sie darin überflüßig, verachtet, verspottet, zum alten Flegel werden, vom seligen Herrn von Habealles, allmählig zum Herrn von Habewas, bis endlich zu meines Gleichen: den seligen Herrn von Habenichts! Und so danke ich allen meinen Ahnen, die das vollendet, — allen Schatten der nobelsten Geschlechter danke ich hier in dem Einen schwarzen Schatten, der von mir an der Wand schwebt, als letztes concretes und concentrirtes Bild unsrer edlen Kaste, ich gehe hin und küsse ihn dreimal laut: Dank! Dank! Dank!«
Und so that der herrliche fröhliche Mann wirklich, ging hin und küßte den Schatten »mit dreimal Dank.« Und mit sonderbarem Gefühl wischte er sich den Kalk der Wand von den Lippen, setzte sich und sprach: Nun sage Niemand mehr, daß Einer sich nicht selber küssen kann! Sie meine Herren und Damen, sind männiglich Zeuge! Und männiglich sind Sie, daß Sie mich nicht etwa erzürnt zur Thüre hinauswerfen, sondern so edel, so gescheidt, so politisch, so habsüchtig, daß wir in genere die Landstraße zu Wasser nach Amerika einschlagen wollen und werden. —
»Sie lachen! Alle! Sie lachen heiter! Sie haben überwunden;« sagte mir der liebe Leuthold ins Ohr. »Es wäre vielleicht doch nicht gut, ein ganzes Ländchen mit allen Ständen und Ständchen hinüber zu setzen! Wer drüben leben und denken, unbillig leben und denken will, der bleibe gleich lieber hier und leide sich und Andere! Man dürfte nur »Constantinopel wie es ist« — »Venedig wie es ist« — »Wien — Rom — wie es ist — Neapel — Baiern, wie es ist« — nach Amerika hinüber versetzen, und ganz Amerika wäre auf immer verdorben! Und das verdorbne Europa auch! Ich fange an, Nord-Amerika für eine Art wohlgedeckte große Freimaurerloge anzusehen, wohin man nur mit Schurzfell und Kelle kommen darf. Diese Erfahrung hier wird meine Übersiedelung stark berichtigen! Aber sehen Sie nur, was Herr von Habenichts auskramt!«
Ich sah. Dieser breitete eine große Charte von einem kleinen angekauften Ländchen aus, und zeigte Jedem sein neues Gut, oder doch Habe. »Für den Rest, den Ihr auf Eure Schulden herausbekommen, für die 5000 Thaler etwa, habt Ihr Jeder so viel Erde dort wieder, als Ihr hier niemals besessen — Teiche, Wälder, Wild! Für den Werth des Holzes in Wien oder Berlin kauftet Ihr hier ein Fürstenthum; aber thut es ja nicht! Denn dort müßtet Ihr verhungern, wenn Ihr das schöne Mahagoniholz nicht verbrennen wolltet zu Acker, da die Bäume keine Brotbäume sind. Aber Menschen — denn mit Erlaubniß, so nenne ich Euch jetzt, pflanzt Pisang! Pisang! Denn ein Stück Land, das mit Euren vermaledeiten Kartoffeln bepflanzt, nur Adam und Eva nährt, das nährt, mit Pisang bepflanzt, ein halbes Hundert. Ihr seht also, daß Ihr die alte Bärenhaut mitnehmen könnt, um dort mit den Händen so viel auszuruhen, als Ihr hier mit dem Kopfe habt arbeiten müssen. Jeder findet sein Haus, und gefällt es Euch nicht, wie vermuthlich nicht — doch ein Blockhaus ist kein Stockhaus, sondern nur einstöckig — so baut Euch Ein Schloß auf der Stelle, wo alle Eure Grenzen zusammenstoßen — einen großen Boarding, ein Gemeinlogis, schämt Euch des Namens nicht! Denn ein Gut, wovon nicht Jeder das Gleiche besitzen und brauchen kann, ist ein wahres Übel, wie unsere Güter waren, welchen Namen ein alter Prophet aufgebracht, um uns einmal — das heißt jetzt — den Stolz zu benehmen. Aber was macht denn das Kartenspiel so interessant für die herrlichsten Menschen? Also auch für Euch, denn ich darf Euch nun Menschen nennen, und herrliche Menschen, denn Ihr habt wieder Etwas, ja viel — was reißt so zum Kartenspiel? Nun? . . . . daß sie Freiherrn werden, Schicksalsgötter, daß sie nach ihrem Kopfe mit Königen, Königinnen, Buben, As, Spadille und Manille verfahren können, wo ihnen keine Hausehre, kein Offizier, kein König darein reden darf, denn wenn er kann und will, sticht er — oder paßt, verpaßt. Seht, hier habt Ihr eine beßre Art Charte, die Euch noch froher machen wird — hier ist ein neues Spiel; setzt Euch ein! Da seid Ihr wieder Herren!«
Während nun die schöne klare Charte und mancher Plan den Auszug oder die Auszügler und Vorzügler des Adels beschäftigte, und sie wünschten, daß Alle als Nachzügler kämen, ward mein Freund Weber abgerufen. Er holte bald den Prinzen nach, dessen Vater, der Fürst, gekommen war, mein gnädigster Landesherr, der, obgleich souverain, doch, so viel er von höhrem Ort durfte, Jedem Freiheit ließ, ja gab. Und doch schien mir seine Ankunft dem guten menschenfreundlichen Prinzen fatal. Wir zogen uns auch zurück, und mein Schwiegersohn, Gott bewahre, nicht der neue Landesherr dieser vornehmen Neuweltsrekruten — unter welchen Obersten, Generale und große Thiere waren — sondern blos der bescheidene Herr ihres neuen Landes, ward von ihnen, wie Moses am rothen Meere von den Kindern Israels verehrt, und Jeder empfahl sich ihm einzeln zu gnädigem Schutz. So steckte noch die alte Lust und Gewohnheit: protegirt zu seyn, in den redlichen Leuten!
Zu Nacht erst war ich allein mit meiner Tochter, und konnte sie, als Braut eines ihr lieben Mannes, in meine Arme schließen und segnen. Sie war zu allem still, und sprach zuletzt nur: »O wenn nur die Mutter hier bei uns wär’!« — Ich deutete das in meinem Sinn, wie ich ihr eigentlich nur Segen von dem Segen gab, den ich durch ihre reiche Heirath über mich ausgeschüttet, fühlte. Fand ich drüben keine Anstellung als Prediger, vielleicht wohl gar bei den ausgezognen Adligen, und starb ich nicht, ehe ich verhungerte — so verhungerte ich nun nicht, sondern meine gute Tochter gab mir gewiß das Gnadenbrot! und ich konnte umsonst predigen, taufen, trauen, begraben, was bei uns der nobelste Bischof nicht thut, und wir theuren Herren kosten mit Kirchen und Schulen den armen Leuten zu viel, und ich habe immer einen Stich in der Seele gefühlt, wenn ich den Becher Taufwasser, oder den Leib des Herrn mit den paar Dreiern von den guten Leuten bezahlt erhielt, welche sie hinter dem Altare wandelnd hervorgesucht! Und doch schielte ich abscheulicher Mann dennoch manchmal nach dem Gelde, oder schlauer sogar nur freundlich, nach den Augen der Opfernden; denn, wer mit zugemachten Augen gab, der schämte sich, so wenig zu geben, als er in den bedeckenden Fingern mir auf den Altar heraufreichte — aber, mein Gott! ich bedurfte das Geld, und seufzte, wenn ich es so geschwind durchzählen konnte, und es für den Herrn Sohn auf der — Pferdeakademie nicht langte, denn er lernte reiten; oder nicht langte zu dem bestellten Weihnachtsgeschenk für die Frau . . . . und morgen ging die Post! Darum segnete ich die Tochter mit feurigem Dank für meine Erlösung und bat: daß alle Geistlichen so liebe Töchter hätten, auch so liebe Amerikaner fänden, um Alle, Alle im Geldsinn, nicht im Weltsinn umsonst zu predigen, umsonst Wein und Oblaten auszutheilen, umsonst kleine Kinder zu taufen, kurz, Alle von Judas Ischariot’s Sünde erlöst zu werden — wie ich nun schien. Ich schlief die Nacht in einem Rosengarten, der in Amerika lag; denn im Traume sah ich ungeheure Ströme, Höhlen, Wälder, Wasserfälle, Blumen und Bäume, tausend Wunder, Alles mir neu — und selbst meine Tochter wandelte dort, nebst einem Häuflein Kinder, aber mit dem Prinzen Hand in Hand, der sie dort in seiner Provinz, wohin er sein ganzes Völkchen übergesiedelt, als redlicher einfacher Herr Leuthold geheirathet hatte — — — und ich küßte ihm die Hand, aber er gab mir mit meiner Tochter Hand eine Ohrfeige, und die Hand war eiskalt! — So etwas mußte am Tage mir still durch die Seele gefahren seyn, ich meine nicht die Ohrfeige, sondern, daß die lieben Kinder ein schönes Paar wären!
Der Amerikaner sagte mir am Morgen nichts Näheres, Gewisseres über seine Verlobung — bloß, daß unser Schiff fertig liege, und daß der Wind nur nach Ost umzusetzen brauche. Freund Weber, vom Fürsten beschäftigt, konnte mir auch kein Wörtchen sagen, als: der hergeeilte Vater will den armen Leuthold nach Hause bringen oder zwingen. So kamen wir, ich, meine Tochter, Erwin, von seinem Wilberforce und nun seinem Tolera begleitet, am Ufer der Weser zu einer herzzerreißenden und doch herzerfreuenden Scene. Der junge Leuthold kam uns düster und allein entgegen. Er blieb bei uns stehen, wir lasen in seiner Seele, aber nicht laut, und deuteten lieber auf etwas auf dem Strome, den Knaben, dem er gestern mit seinem Bruder die Überfahrt zu seinem Vater in Kentucky besorgt hatte. Wir kannten den Anselm an seiner Kleidung, ja am Gesicht; sein Bruder Wilhelm fischte mit ihm. Wahrscheinlich hatten sie einen großen Lachs gefangen und der ältere Bruder beugte sich über, er konnte die Last nicht erheben, er wollte sie nicht fahren lassen, während der kleinere Bruder im Strome den Kahn nicht zu halten vermochte. Uns verging der Athem vor Angst. Er machte eine Anstrengung nach dem Fisch und stürzte in die Wogen des tiefen und breiten Stromes. Den kleinen Knaben führte die Strömung im Kahne davon. Der Verschwundene kam nicht herauf. Endlich, endlich erschien das schwarze kleine Haupt — das wieder überspielt ward, dann wieder einmal eine Hand — wie Geisterzeichen aus einer Mauer — endlich zwei Hände. Und indem wir starr hinblicken, ohne an Hülfe zu denken, erblicken wir eine Gestalt in der Gegend des Knaben — meine Tochter ruft gedämpft! es ist der Prinz! und fällt dem Amerikaner um den Hals und verbirgt ihr Gesicht an seiner Brust, und so hält sie ihn auf. Indeß seh’ ich allein das Traurige. Der menschenfreundliche Leuthold ist uns entschlichen, ist weiter unterhalb in den Strom gesprungen — weil kein Kahn hier steht — und hat sich gewiß gefährlich gestoßen an einem ungeheuren Pfahl; denn aus seinen gelegentlichen Worten von gestern weiß ich, daß er schwimmen kann — und jetzt doch dort draußen mitten auf dem Wasser hält er sich kaum. Er rudert; vergeblich. Er sucht; vergeblich. Er bedarf selbst der Hülfe. Der Amerikaner sieht, was vorgeht, über die Achseln seiner Braut, oder doch meiner Tochter. Eine seiner Wangen ist glühend roth, die andere weiß — er hat ein Auge geschlossen, eins hat er mitleidig offen. Ich rede zu ihm an das linke Ohr und frage: »kann Wilberforce nicht schwimmen?« — ich erwarte keine Antwort, gehe vor Eifer auf die andre Seite. »Wilberforce!« rufe ich. Das hat nun auf dem rechten Ohre der sonderbare, halbtodte, halblebendige, halbfrohe, halbtraurige Erwin gehört — er winkt, und der Neger, der sich schon bereitet hat, theilt sicher und flink, wie ein Reh, die Fluth — endlich, endlich kommt er auf die gefährliche Mitte. Ich habe nicht Augen genug, wie es sich ereignen wird, schon ereignet hat. Ein Kahn ist vom jenseitigen Ufer herüber gekommen zu Hülfe. Der Neger hat den rettenden Jüngling ergriffen, er zieht ihn nach. Aber Leuthold, Kindhold, Menschenhold hat den Knaben mit seiner Hand an der Hand und zieht ihn nach. Ich jauchze: sie leben! Er lebt! — Meine Tochter schlägt die Augen auf und sieht mich an. Sie lehnt sich nicht mehr an ihres Bräutigams Brust. Sie sieht nun selbst — der Jüngling wird von den Schiffern in den Kahn gehoben — aufrecht gesetzt, oder setzt er sich selbst; der Knabe wird zu seinen Füßen gelegt, und ist nicht zu sehn. Der Neger schwingt sich in den Kahn. Sie rudern schnell. Sie kommen. Sie nahen. Sie landen. Sie springen ans Land. Selber der Knabe kommt wie betrunken getaumelt. Maria faßt ihn in ihre Arme, so naß er ist. Er drückt sich die schwarzen Locken aus. Leuthold bleibt ruhig in dem Kahn. Ich steige hinein. Der Amerikaner steigt hinein — der schöne Jüngling ist ertrunken, und seine schöne Hoffnung ist dahin, ins Land der Hoffnung, oder war sie zuvor schon dahin. Und die Hoffnung vieler Tausend. Durch den Vater.
Der Bruder des Knaben kommt am Ufer heraufgelaufen. Er ist weiter unten glücklich gelandet. Es freut uns nicht. Hülfe kommt; ein Wundarzt; es freut uns nicht. Das edle purpurne Blut fließt aus dem entblößten mädchenweißen Arm des blassen schönen Jünglings; die Hülfe bleibt vergebens — es betrübt uns nicht. Der Vater, der Fürst kommt. Es betrübt uns nicht. Es ist sein einziger Sohn; er hat nicht Viele retten sollen — Einen zu retten, dem er schon Freude gemacht, dem er Vater und Vaterland wiedergeschenkt, das hat er nicht unterlassen können; die abgeschnittene Rebe hat in der engen einzelnen That sich ausgeweint. Meine Tochter weint. Sie soll mit dem Bräutigam gehen. Sie hat sein Wort nicht gehört. Er geht allein. Der Fürst schenkt dem Neger seine goldene Uhr; Wilberforce läuft seinem Herren nach, zeigt sie und frägt: ob er sie behalten dürfe? Der wirft sie gelassen in den Strom und geht. Jetzt eilen wir nach. Wir kommen zusammen nach Hause. Er hat vorher geschwiegen. Er schweigt auch jetzt. Er steht nur einmal still, blickt freundlich ernst auf den Boden — und ist dann der Vorige! So hing denn auch dieses hin, wie so Vieles in der Welt hinhängt, unausgemacht, ungewiß, selber die Sonne am Himmel.
Tolera berichtete am folgenden Tage, daß sich die Auswanderer alle bereiteten, mit Leuthold zu Grabe zu gehen, der ihnen so manches Gute gethan, wie sich jetzt erst hervorthat. Der Leichenzug wäre merkwürdig gewesen. Besonders wenn die guten Deutschen, wenn Diese noch so genannt werden durften, gewußt hätten, daß er ein Prinz sey, der einmal sich an die Spitze des Volkes zu stellen entschlossen war, um Volkswillen auszuführen, nämlich das Volk, wie Moses aus Ägypten. Wir unter uns glaubten, der Vater werde ihn in dem Bleikeller der hohen Domkirche beisetzen lassen, damit er dort unverweslich und unverwandelt als die größte Merkwürdigkeit ruhe und lehre. Der Vater war aber durch des Sohnes Tod, das Andenken an ihn, das Hineindenken in ihn so zum Sohne geworden, daß er ihn wenigstens in den Freistaaten begraben lassen wollte. Aber Amerika weiset die Todten von sich; kein Schiffer schifft sie hinüber. Das nennt man Aberglauben. Ich hatte die Ehre mit meiner Tochter, den Vater an demselben Abend bei meinem Freunde zu sehen, als Leuthold nach der Gruft seiner Ahnen abgeführt worden. Da ihm als Incognito Niemand besonders krumme Rücken und jämmerlich-unterthänige Redensarten zeigte, so sahe man hier, was Behandlung, die Art des Selbstbenehmens, thut. Er war fast wie wir andern. Es waren an diesem Tage mehrere reiche Auswanderer angekommen, denen keine leiblichen Güter fehlten, also nur die geistigen Güter; denn es waren bekannte hochgebildete Männer, und Frauen darunter!
Der Fürst erzählte, er habe mit ihnen gesprochen — und solcher Deutschen Auswanderung habe ihn frappirt — an das Herz geschlagen. Und wie schlugen mir seine Worte an’s Herz! »Europa,« sprach er, »Europa ist das Land wo alle Rechtsinstitutionen zuerst im Großen auf Völker angewendet worden sind. Seit einem Jahrtausend hat es sogar versucht, die Religion auf den Staat anzuwenden, in jedes Haus, an jeden Heerd, bis in das Gewissen jedes Menschen eindringend. Das sind denn wohl ungeheure, höchst ehrwürdige Versuche! Daß ihr Gelingen aber nicht möglich war, und seyn wird, daß Europa an dem Widerstreit seiner alten, ersten und nun hinzugekommenen entwickelten Institutionen untergehen wird und muß, deswegen grade sey es glücklicheren, durch keine alten Fesseln gehemmten Völkern desto ehrwürdiger — weil es rechtlich war! Es hat den Begriff des Rechtes festgehalten, und heilig das Erworbene, Überkommene geehrt; ob es gleich in späterer Zeit nicht neu ertheilt worden wäre, so hat es doch das Bestehende geschützt — um Keinen zu kränken, und lieber den Anschein haben wollen: als kenne es nicht das Reine, Vollkommene; lieber im Kampf mit Ablösung alter Asiatischer Gebrechen untergehen, als mit dem Schritt zu einem Zustande, wie er den Einsichten der entwickelten Menschheit angemessen wäre, die Verbindlichkeiten seiner Erblasser abschütteln, und groß, frei, herrlich . . . . aber schuldig und verschuldet dastehn. Indeß sichern ihm seine niedergelegten Beweise von Kenntniß des Höchsten: die Achtung des Geistes überall; und sein Verhalten: den Adel des Herzens; und sein Schicksal und seine Verlassenschaft: die ewige Dankbarkeit aller spätern Völker. Und seine Grabschrift wird seyn: Es that, was Recht war; darüber ging es zu Grunde, der Welt zum Opfer. Have, anima pia!«
Er schwieg. Er dachte gewiß an seinen Sohn, denn er sprach noch einmal mit feuchten Augen auf Deutsch: »Ruhe sanft, du gute Seele!«
In dieser wehmüthigen Pause zogen grade die Studenten nach Elsfleth vorüber, um sich diese Nacht noch einzuschiffen. Wir hörten die ersten und letzten Verse ihres Liedes nicht, nur diese beiden, die mit Kraft und Jubel gesungen, nicht ohne Eindruck blieben:
Dem Menschen ist nichts angeboren,
Als Maul und Nase, Aug’ und Ohren
Et caetera! Et caetera!
Und hat er nicht den Kopf verloren,
So steht der Bursch stets neugeboren
In Galla da! In Galla da!
Dem Menschen ist viel eingeboren —
Ein Leben, frei und unbeschoren
Et caetera! Et caetera!
Wo guter Wein gut ausgegohren,
Da singt der Bursch, wie neugeboren:
Halleluja! Halleluja!
»Die guten jungen Menschen!« sagte der Fürst. »Wirklich: junge Menschen! Sie kommen mir so unschuldig vor, wie der Lebensbalsam, der nicht in der Retorte bleiben kann, in welcher er bereitet worden, sondern übergeht! Auch keine Blume blüht in der Erde, in der sie gekeimt. Dann ist die ganze Natur treulos, wenn diese jungen Blumen, jungen Menschen treulos sind. Diese alle fliehen den langweiligen unsichern Proceß, das Recht zu gewinnen. Und . . . . sie wollen des Lebens positive Güter. Und wie kommen mir Alle, alle die Auswanderer so fromm vor, gar so fromm! Sie murren nicht, sie tadeln nicht, sie klagen nicht! Sie leiden! Sie meiden! Sie gehn! Geht mit Gott! Ruhe fordert der Mensch mit Recht; Ruhe seit uralten Tagen; Ruhe zu eigenem thätigem Leben. Und darum Sicherheit — heitere Aussicht — Lämmer am Himmel, nicht Kriegsgestalten. Und hätten wir nicht Alle die Ruhe verdient? Ist es nicht unmenschlich, dem nicht die Ruhe zu gönnen, der sie erlangen kann, der gern arbeiten will, daß ihm das Blut aus den Nägeln dringt, um nur Ruhe zu haben. Die Ruhe ist ein inneres Gut. Und wäre ich so reich, um Jedem sein halbes Brot da drüben zu sichern, und wäre der Mantel des Doctor Faust noch im Gange, daß Jeder gleich drüben erwachen könnte mit allen den Seinen, und früh zu dem Fenster hinaus sehn — wie viele Ämter würden früh ohne Männer seyn. Pfarrämter, Gerichtsämter, selber mancher Ministerstuhl würde leer stehn. Und nur die, welche vom Wirrwarr, vom Kritisiren leben, die würden, sich dann doppelt breit und groß machen, wie Kinder, die auf dem Kirchhofe den Geist spielen, und das Betttuch auf dem Rechen emporstrecken. Indessen ist das Meer eine Art von Zaubermantel. Die Reichen ziehen fort, um ihres Wohlstandes sich drüben doppelt zu freuen, doppelt reich zu seyn — leiblich und geistig. Selber die Besten ziehen fort, die da glauben, daß es in Europa gewiß gut werden wird, ja daß die deutschen »Vereinigten Staaten« die Amerikanischen himmelhoch übertreffen werden. Aber da hört’ ich ein Lied derselben, das heißt:
Und selber die Leiden
Und Wehen vom Neuen —
Die wollen wir meiden;
Dort Deiner uns freuen
Wie Hirten vom Feld —
Du geborener Held!
Und sie glauben also: Wir müssen durch den großen Umschwung in Europa uns viel mehr verwandeln, aus Mangel an Kopf oder Geld von dem in Schwung gebrachten Rade zur Seite geschleudert, als wir uns dort verwandeln müssen, nämlich nur die Augen aufmachen! Die Armen aber, sie finden drüben die oft uns genannten zehn Plagen nicht. In Amerika sind nicht: Europäische Politik; stehende Heere; zu kostspielige Hofhaltung; Aristokratenherrschaft; papistische Umtriebe und Priesterherrschaft; Staatsschulden; Staatspapiere; Handelssperre durch directe und indirecte Abgaben; Ungleichheit der Besteuerung; Ungleichheit vor dem Gesetz. — Nichts ist Viel. Viel ist Nichts. — So gehen sie denn. Und mit doppeltem Eindruck wiederholte er seine Worte: Sie murren nicht, sie tadeln nicht, sie klagen nicht. — Sie leiden! Sie meiden. Sie gehn. Geht mit Gott! Gott ist gewiß auch über dem Wasser!«
Zu diesem Worte, das uns an den Alten-Weiber-Spruch erinnerte, mußten wir beinahe lachen. Er schloß aber ernst:
»Denn keusche Reinheit, zarter Göttersinn
Wohnt in dem armen menschlichen Geschlecht.
Im stillen sanft, im Ganzen allverbreitet
Laß es das Leben allgemach sich schmücken
Auf reinstem Wege, wie dem Menschen ziemt.
Die Einzelnen nur mögen Reue fühlen,
Dem menschlichen Geschlecht ziemt Reue nicht,
Ziemt alles Große, Würdige und Schöne;
Und sicher seines Tags, in mildem Stolz,
So wandelt’s rein zum reinsten Erdenglück.«
Ich führe diese Gesinnungen deswegen an, weil sie darauf einen geheimen Contract zwischen dem Vater des Leuthold und Herrn Erwin zur Folge hatten, worunter ich mich nur als Zeuge mit unterschreiben mußte, ohne jetzt mehr zu erfahren, als daß beide Theile dabei das Beste ihres resp. Vaterlandes besonders im Werke führten. So viel jedoch konnte ich mir abnehmen, daß die Sache einen Austausch von Einwohnern oder Unterthanen betraf, wie sie für jedes Land am zweckmäßigsten wäre! Ich sollte dabei höchlich interessirt seyn, und vorzüglich wirken. Ich! Und somit ward ich in die Welt verwickelt. Wer lebt, kann in Alles gerathen. Ein Kind kann groß wachsen, ein Erwachsener kann Soldat werden, ein Soldat kann — Nelson erschießen! oder Moreau! die auch einmal Jungen gewesen sind. Denn dieß ganze Geschlecht besteht aus großgewachsenen Jungen und Mädchen, und die Kinder spielen nun Leute. Darum kann ich immer keinen rechten Respect vor allen den Herren bekommen! Und was ich selber thue, kommt mir immer nur wie ein großer Kinderstreich vor! Und wenn mich ein alter Bauer »Hochwürden« nannte, so mußte ich mich recht zusammennehmen, um das Amtsgesicht zu machen! Wie mag das dem Papst erst schwer werden! Nur nicht, wenn er bedenkt, daß alle seine Vorfahren und Pfaffen ja eigentlich auch nur Kinder sind. Im Nebenzimmer, unter vier Augen steckte mir der Fürst den kostbaren Ring an den Finger, den sein Leuthold getragen — als ein Andenken für meine schöne liebe Tochter an ihn. Die Vornehmen erfahren und vermuthen doch Alles, weil Jeder sie für seinen Beichtvater hält, dem er Alles aus dem Herzen schütten muß, und der alle Sünden vergeben kann. So war auch meine Tochter verrathen — oder ihr zur Ehre nur der gute Leuthold. Ich kehrte aber die großen funkelnden Steine des Ringes in das Inwendige der Hand — und mußte noch obendrein mich bedanken. Es kam aber nicht besonders heraus. Mehr Freude machte mir ein Beutelchen Gold zum Abschiedsfest der Auswanderer im Lager, damit sie »Einen guten Tag« in Deutschland, hätten. Und wir Andern, die sich selbst hinauspracticirenden Adligen, die Wohlhabenden, kurz wir Alle feierten das Abschiedsfest mit ihnen, unter ihnen als alle nun: Neue Landsleute! Amerikaner! Das Fest war sehenswerth, mehr aber hörenswerth, am meisten jedoch bedenkenswerth.
Ein weißer weiter Frühlingsnebel bedeckte das Vaterland am Einschiffmorgen. Wir sahen die Sonne nicht mehr. Nur einzelne Stimmen ließen sich vernehmen, und ein gewisser Krüppel sang wieder sein unvergessenes Lied: Frisch auf, Cameraden, aufs Pferd, aufs Pferd! Ins Feld, in die Freiheit gezogen! — Wir umarmten die bleibenden Freunde am Ufer, empfahlen ihnen die Abschiedsbriefe in die Heimath, und saßen dann wie die alten Helden — im Pferdebauch. Kanonenschüsse donnerten, so daß wir in der Seele recht hell erwachten und einen Blick in die Welt thaten. Der Lootse, ein Kerl wie ein Bär aus Helgoland, sprang aus dem Nebel auf das Verdeck, der Anker ward eingeladen und wir schwammen! Das nächste Land, das wir sahen, war Amerika, und dazwischen lag nur die Meereswüste, wie vor den Kindern Israel ihre Sandwüste, um in der einsamen heiligen Zeit unsere Sünden abzubüßen und neue gute Entschlüsse zu fassen. O Weltmeer, mit deinem blauen Gewölbe, worin des Tages nur Eine große Lampe vorübergetragen wird, und des Nachts viel tausend goldene Lampen — welcher Tempel vergleicht sich dir! Wo man den Menschen vergißt, da erscheint Gott! Und Deutschland lag mit seinem Gewimmel, seinen Thürmen und Hütten hinter uns, wie den Nachhauseziehenden eine kleine Stadt mit ihrem verlöschenden Jahrmarkt, wenn es drinnen finster werden will. Nur als draußen auf offener See am Abend der Mond aus der Fluth aufstieg, als ich glaubte zu Hause zu seyn, und nur die Tochter neben mir stand, da wurden die Augen mir feucht, und ich lehnte mich an sie. O was ist ein Kind in der Fremde! Wir sehen uns an — und wir reisen nicht; wir sind daheim; da wo wir auch zu Hause daheim sind, wenn wir uns ansehn. Nur die Mutter hatte mir das Herz schwer gemacht; denn das Postschiff hatte uns draußen bei Wangerooge noch eingeholt, Briefe nachgebracht — und meine Frau schrieb mir: »Ich komme! Segle vor dem Zwanzigsten ja nicht ab! Ich bringe unsern Gustav Adolph mit. Es hat sich hier viel verändert!« — Und das las ich bei vollem Winde den Achten des Monats! Zwölf Tage zu spät! Ich hatte ihr geschrieben, daß Steinbach unsere Tochter zur Frau von mir begehrt, und daß ich sie ihm zugesagt. Das war gewiß Eine von den Veränderungen, die sie bestimmt hatten, mir sogleich nachzufolgen. Und nun war ich fort! Mit einem schweren Seufzer mußte ich auch Das gut seyn lassen, wie tausend Andere in der Heimath! Ich verschwieg aber der Tochter die Nachkunft der Mutter, meine Sorge und die Verwirrung, welche nun entstehen mußte. Die Männer müssen verstehen, das Schwerste allein zu tragen. Darum sind auch noch die Weiber und Kinder so lustig in Deutschland. Dafür wußte ich Einem Vater drüben Freude zu machen, durch die zwei Knaben, den Anselm und Wilhelm, die mir anvertraut waren. Vom Schulmeister Tolera unterstützt, hielt ich Vor- und Nachmittags Schiffsschule mit den Kindern der Auswanderer, und trieb vorzüglich nur Neueweltkunde, Geographie und Naturgeschichte. Die Kinder lernten alle wie Genie’s! Denn das Interesse lag vor uns — nicht rückwärts! Das ist die Ursache, daß so viele Candidaten, besonders der heiligen Theologie, den Repuls bekommen! Die Ältern hier aber erlebten Freude und saßen mit gefalteten Händen an den Borden umher. Bisweilen sangen in der Morgen- und Abendstunde auch die Rothkehlchen dazu, und die Staare schwatzten. Denn ein Freund der Natur hatte eine kleine Arche voll Singvögel mit eingeschifft: Leipziger Lerchen, 50, je ein Männlein und ein Fräulein; Polnische Sprosser, 50, je ein Männlein und ein Fräulein. Bayersche Staare! Und Oberlausitzer Haidelerchen, die Vögel mit dem wehmüthigsten Gesange auf Erden! Und auch den fröhlichsten, liebsten Vogel der Kinder — den Kukuk! 12, je ein Männlein und ein Fräulein.
War der Mann mehr ein Menschenfreund? Oder ein Freund der Vögel, der diesen da drüben neue unermeßliche Wälder schenken wollte? Ich weinte fast, wenn ich die lieben Sänger ansah, und war voll von tausend Frühlingen. Der Inhaber derselben frug mich lächelnd: »Bin ich der Herr von Habenichts? Ich will durchaus wissen, ob ich drüben der Herr von Kannnichts seyn werde; das will ich wagen und prüfen! Die geheime Macht ist die größte; und das geheime Wissen und Können, was Jedem einwohnt, ohne daß er es weiß — das ist das Herrlichste. Was für ein Esel hat mein Ahn und Ihr Ahn — Adam geglaubt zu seyn, als ihn der Engel zur Auswanderung aus dem Paradiese genöthigt; und ward er nicht ein herrlicher Landpfleger in Asia, der Normalbauer, auch Schaafzüchter der Heidenheit! Und o wie schwer mußte dem Herrn von Adam das Leben unter nicht einmal bürgerlichen, sondern thierischen Canaillen werden — da er das Paradies geschaut hatte und drinnen gelebt! Wie viel tausendmal besser haben es wir — die wir bei uns nichts vom Paradiese gesehen haben, als Schwarzkittel, Regimenter Engel mit dem Schwerdt, und wenig Freudenhäuser — als die privilegirten! Und ist jeder Bauer im Schiff hier nicht ein Auserwählter des Herrn, wie Noah in seinem Kasten! Damit wir gesegnet würden, durften Millionen nicht ersaufen, sie durften auf trockenem Lande bleiben! Und was fand Noah, als er ausstieg? — Recta Nichts! Und was finden wir? — Recta Alles! Bis auf die Singvögel, und die bringe Ich!«
Zur Ergötzlichkeit der Andern wurden fast alle Gespräche öffentlich gehalten, und ich erstaunte, wie bald sich der Mensch an Redefreiheit gewöhnt. Die alten ertragenen Leiden waren unleugbar überstanden, und wie man von Todten spricht, so redeten hier die Leute von Europäern und Europäischen Dingen: das waren große Schulden — das waren schwere Zeiten — das waren schlechte Aussichten. Kurz, der liebe Schiller ist nie zur See gefahren, sonst hätte er wahrer gesungen: »Auf dem Meere ist Freiheit!« — Uns war es die Freiheitsschule.
Wir waren schon mehrere Wochen gesegelt, und Anselm wußte, wie wir Alle, daß Amerika da sey, wenn die Wache aus dem Mastkorbe riefe: Land! Da rief sie nach einem schweren Gewitter einst: Land! Land! — Es konnten diesmal, da uns der Sturm zur Seite gedrückt, jedoch nur erst die azorischen Inseln seyn. Der Knabe aber stieg in die Strickleitern hinauf — sahe Land, sah in seiner Meinung das heiß ersehnte Amerika — er dachte gewiß an seinen Vater, wollte gewiß die Hände ausstrecken, hatte sich also nicht mehr angehalten, und so war der arme, vor Freude taumelnde Knabe herabgestürzt auf die harten Bohlen, und wir hatten einen Halbtodten im Schiff, den der Arzt herzustellen nicht gewiß versprach. Ich bekam eine Nothtaufe; darum schrieb ich zu den andern Regeln für Überfahrer auch die: nur geborene Menschen mitzunehmen. Der Sturm hatte in der Ferne wo ein Schiff zerbrochen, und in der darauf folgenden gänzlichen Windstille erkannten wir endlich einen Menschen, der, mit einem Schwimmgürtel versehen, sein Leben gerettet hatte. Ich fuhr im Boote mit hinaus ihn aufzufischen. Welch ein Mensch! Alle die Seinen waren umgekommen. Er hatte in einer Tasche vor der Brust noch Lebensmittel auf viele Tage. Sein erstes Wort war: »Niemand muß sich allein retten. Das ist schändlich, unausstehlich!« Der Mann sah furchtbar aus. Er trug einen leichten Panzer, über und über mit Stahlstacheln gegen die Angriffe der Seeungeheuer, womit er auch schon zu Lande, in Wäldern und Sümpfen, jeder Schlange, jedem Bäre getrotzt. Er erzählte uns im Schiffe seine Abenteuer. Trotz dem, daß er der größte Wagehals schien, war er doch nur der größte Gottfried Sicher gewesen und nannte sich selbst den größten Feigling. Auch uns Auswanderern wollte er seinen Namen wie einen großen Mantel umwerfen, daß wir ausgewandert wären. Seine Worte waren schneidend. Er gab mir eines Abends seine Lebensbeschreibung in einer Glasbouteille »Leben eines Wagehalses«, und am andern Morgen war er, so sehr wir auch überall suchten, doch nirgends auf dem Schiffe zu finden. Viele hielten ihn für eine Geistererscheinung, die einem von uns den Tod bedeute. Andere konnten über das untergegangene Schiff nur beruhigt werden, daß sie von Seekundigen hörten: »Erst das hundertste Schiff scheitert, und von hundert gescheiterten Schiffen kommt erst die Mannschaft von Einem um. So steht die Seerechnung!«
Ein ander Seegesicht darauf erfreute und bestürzte mich bang! Ein Schiff segelte unter dem Winde an uns vorüber. Nicht fünfhundert Schritt weit. Die helle Morgensonne schien hinein. Ein Schiff ist auf der See eine Merkwürdigkeit. Nach meiner Gewohnheit sahe ich mit dem Fernrohr hinüber in die rosig und saffranfarbig glühenden Segel. Auch die Reisenden sahen nach uns herüber; Frauen, Knaben, die Gesichter nach uns gewandt. Endlich erblicke ich, ein Gesicht — Gott! es war mein Weib! Ich konnte vor Beben kaum sehen, wie ihr die Augen leuchteten! Wie sie sehnsuchtblaß aussah. Sie hielt die Hand auf den Kopf meines Sohnes. Aber ach! sie vermuthete uns nicht, und sahe sofort herüber in stillem Trübsinn. Das Meer rauschte; der Wind sauste. Ich wollte durch das Sprachrohr dennoch versuchen ihr zuzurufen, mich ihr bemerklich zu machen, sie wenigstens zu grüßen! Ich rief meine Tochter, ich sagte ihr: Kniee nieder! siehe hinüber, da steht ein Weib . . . . wie unsere Mutter. Sie sahe hinüber — sie hatte eben das Mutterantlitz gefunden, da wendete sich das Schiff und zeigte uns das Steuerruder. Es rauschte mit Flügeln, des Sturmes davon. Maria sah mich an. Und ich faßte mich, ich verrieth ihr nichts; und so wußte sie ruhig die Mutter daheim bei den Brüdern. Ich aber besann mich, daß die Mutter ja wußte, wir segelten nach Neu-Orleans. »Also auf fröhliches Wiedersehen in einer bessern Welt!« sprach ich gedankenlos. Und so hatte ich richtig geahnt. Ich hatte sie zum letztenmale gesehen!
Darauf überfiel uns wieder tagelange Windstille. Unser Schiff schien wie ein Schwan auf dem Wasser zu schlafen. Die Tage waren schon heiß. Anselm ward kränker; Er ließ sich noch von seinem Bruder Wilhelm das Lied von der Schwalbe vorsingen, und die andern Knaben sangen es mit; Und für seinen Vater hörte ich weinend die letzten Verse mit an:
Da laß ich mich ihn fangen;
Die Mutter küßt mich sehr!
Drauf soll ich wieder fliegen —
Da bin ich schon nicht mehr!
Da steht sie tief betroffen,
Denkt bang an mich und schwer;
Begräbt mich bei dem Weinstock —
Der sagt ihr: daß Ich’s wär’! —
Unter diesem Gesange war er gestorben, ohne auch todt noch zu seinem ersehnten Vater zu kommen; Denn wir begruben ihn darauf, wie man auf dem Schiffe begraben kann, in Gottes heilige See! Auf ein Bret gebunden, das mit Steinen beschwert war, um zu Grunde zu gehen, in ein weißes Tuch geschlagen, das Gesicht unverhüllt, versenkten wir ihn in die heilige Tiefe. Es war nicht zu weit mehr von der südlichen Spitze von Ostflorida, dem Eingang in den Meerbusen von Mexiko, oder in das neue mittelländische Meer von Amerika, in einem Clima wie in Ägypten. Die See war nicht zu tief und bei der Klarheit des Himmels und der Klarheit des Wassers glaubten wir den Grund des Meeres zu sehen; oder wie wir mit Erstaunen und Bewunderung wahrnahmen: sie trug ihren Grund oben! Und welchen Grund! Welche Zaubergärten! Gesträuche und Wasserpflanzen mit köstlichen großen Blumen, wie Kindergesichter, blühten und schwankten leis, ob sie gleich alle aus Edelsteinen gemacht schienen! Blätter, breit und gezänkelt, wie aus Rubin! Zweige, wie aus Gold und Rauchtopas! Blüthen und Blumen, wie aus Milch oder Schnee — aber Alles, Alles mit einem Anhauch von Smaragdgrün überflossen, wie die Pflaume von blauem Hauch. Und im lichten goldnen Sonnenstrahl funkelte der Zaubergarten golden und blau und grün und roth, wie besät mit funkelndem, strahlendem Thau! — Da hinab — in dies Paradies, das, hierher in das heilige Meer, verzaubert, so himmlisch und ruhig fortblüht — da hinab versenkten wir die weiße Gestalt des schönen Knaben; noch einmal so wohlgemuth durch das tröstliche Wunderspiel der Natur. Das Schiff stand in der Windstille, wie angewachsen, und so sahen wir, wie er losgelassen von den Seilen sank und sank und sank! Wie das weiße Gebild gemach und leise grünlich ward vom Scheine des Meeres, und grüner, und endlich kräftig grün, wie sonnedurchschienener Smaragd. Endlich ruhte er, wie ein großes funkelndes schönes Gestirn, auf schwankenden Zweigen, wie eingewiegt von lieblichen Zaubergestalten von guten Geistern, die sich, in große Blumen verwandelt, ihm weich und hold, öffneten, sich reizend über ihn neigten, und über ihm schlossen. Alles war so wunderbar, daß wir uns nicht gewundert hätten, wenn die Zaubergebilde da drunten nun auch mit heiligen zarten Stimmen gesungen hätten! Selbst nicht, wenn sie den Menschenvers gesungen: »Wer will mir nun den Himmel rauben?« Alles schwieg sofort. Er blieb da drunten sofort und die Augen vergingen uns über der Pracht. Da kam ein Lüftchen, kräuselte das Meer — und Alles war hin! Ein schönes Grab! Ein schöner Tod, der Tod vor Sehnsucht! Aber ich hatte noch einen Knaben für seinen Vater. Und der Knabe war nicht lange begraben, so schrie die Wache vom Mastkorb: Land! Land! Licht! — Denn es war Nacht. Und in der Nacht fuhren wir um die Spitze von Florida, diesem papstlosen Italien der neuen Welt, dessen Sicilien Cuba heißt.
Die leicht anzulegende Durchfahrt quer durch Florida wäre sehr zu wünschen! Denn im Canal von Bahama wurden wir so von Wind und Wogen gepeinigt, daß der wieder seekranke arme Tolera sich mit den Armen an mich anhielt, mir in die Augen sah und frug: »Mein Herr Pastor! was müßte wohl Einer an Hochwürden bezahlen, wenn er Sie zu Hause auf Ihrem Hofe in einen Kasten sperren und fünf Wochen lang Hochwürden Tag und Nacht dermaßen schütteln und rütteln wollte, daß Sie die Welt für einen Dreier verkauften? Ich glaube, schweres Geld!«
Das heißt Krieg, sagte Napoleon, sprach ich, und das heißt Seefahren, und man kommt wohin, und wohin? mein Tolera! Denk’ Er doch! — Am Morgen war uns die Küste wieder zu dem heraufdämmernden Streifen eines Traumes geworden. Die Hitze ward unausstehlich, und die dicksten Männer ließen sich an Stricken unter dem Arme und an das Schiff gebunden eine Stunde lang durch die frische Flut nachschwemmen. Unser Schiff ward gewaschen und neu angestrichen, damit wir, wie Garden geputzt, wie von einem bloßen Spaziergang heiter in das heitre Land einzögen.
Endlich erreichten wir die Mobile-Bay, und den Meerteich vor dem Hafen von Neu-Orleans. Hüben und drüben grünende Küsten, flach wie Ägypten, mit Tulpenbäumen, Akajous, Wachsmyrthen, mit Feigenbäumen, Orangenbäumen voll Früchte, ja mit Palmen!
Wir begegneten ein großes Amerikanisches Kriegsschiff. Es war ein Man of War, ein Seeheld vom ersten Rang. In schweigender Majestät. Und Tolera sagte: Columbus sahe nur grüne Zweige treiben und schloß auf das Land. Solche Früchte aber lassen auf einen Riesenbaum schließen. »Es leone unguem!« Die Sonne stand uns im Rücken. Ein Frühlingsgewitter zog segenverstreuend in’s Land. Ein breiter, prachtvoller Regenbogen bildete ein himmlisches Thor zu dem herrlichen Lande, hoch und weit geöffnet vor uns, wie von bunten, hellen, dreifarbigen Blumen bekränzt! Vor Entzücken glaubten wir selbst an dem himmlischen Thore die himmlische Überschrift mit Gold geschrieben zu sehen:
FRIEDE. BROT. FREIHEIT.
Die Kanonen hallten. Wir waren da! Wir umarmten uns Alle durcheinander vor Freuden! Wir weinten wieder einmal recht aus Herzens Grund, wie die Kinder. So steuerte uns der Lootse in den Hafen, unter die hundert Schiffe, der Stadt näher, nahe, dicht hinan. Wir hatten nicht Augen genug! Und als der Anker fiel, als die Segel alle nach und nach eingezogen waren, als das Schiff stand, — als Alle aus tiefer Brust dem glücklichen Capitain das »Hurrah!« riefen, da erwachte ich wie aus einem Traum. Ich rieb mir die nassen Augen. Es überfiel mich mit Todesangst: Du bist fort! Ein tausend Meilen breiter Meerschwall trennt dich . . . . ich wußte nicht von wem? von was? Aber es lag eine Gewalt in dem stillen, unbekannten, verlornen Etwas, daß ich in einen Winkel hinter das große Steuerrad ging und bitterlich weinte. Auswandern — sterben! Doch auch: Auferstehn! sprach ich wieder zu mir. Steh’ also auf aus dem Grabe! Steh’ auf in der neuen Welt, mit neuem Leibe und neuer Kinderseele!
Ein Gesundheitsbeamter kam — er fand uns Alle gesund, und wir durften an’s Land! — Aber bald murmelte es in der verworrenen Menge der an’s Land zu steigen Begierigen: »Das gelbe Fieber ist in der Stadt! das gelbe Fieber!« Und vor Schrecken legten die Meisten ihre Bürden wieder hin und sahen sich an. Es ward Abend über uns, und wir hatten uns nicht gerührt. Nur um den großen Todtenstrom, den furchtbar angeschwollenen, fünftausend Fuß breiten Missisippi zu sehn, dessen gewaltiges Rauschen und Tosen wir über den Damm weg hörten, stiegen wir nach einander in den obersten Mastkorb. Große Ströme und große Völker gelangen schwer in den Ocean der Zeit! Sie führen zu viel Ballast mit sich, und verwälzen sich selbst ihr Ende mit Staub der Erde. Nur hohe Dämme führten den gewaltigen Strom noch mühsam durch das Delta, durch die vielen Bayous in’s Meer, und nur weil er in Empörung war! Sonst versiegt er wie der Ganges, wie der Nil, wie der Rhein, und wie ihre Völker, und die Pest herrscht in Calcutta, in Ägypten und hier. Dies Ende der Völker und Ströme, diese Lehre der Natur stimmte mich herzhaft! Ich ließ meine Tochter in dem sichern anständigen Schiffe, selber Erwin bat sie darum, und sie folgte doppelt gern. Ich mußte mein gutes Weib aufsuchen! Meinen Knaben! Ich fuhr auf einem kleinen Boot mit einem Führer an die Schiffe, welche in diesen Tagen vor uns schon Auswanderer mitgebracht. Ich fand glücklich den Capitain, der mein Weib und Kind übergeführt. Er nannte mir das Haus, wohin sie mit dem Knaben sich gewendet. Ich bat darauf meinen Freund um seinen Neger Wilberforce; und sauber gekleidet und glühend im Gesicht ging ich in der Abenddämmerung mit ihm dahin. Er trug meinen Mantel und mein rothes Saffian-Kästchen. So drängten wir uns durch ein Gewirr von Menschen, und daß ich auch so schändlich unterscheide — durch unzählige Sclaven, von welchen sehr viele nur Einen Arm hatten, der ihnen von ihren Herren weggehauen worden, wenn sie ihn auch oft nur zufällig gegen denselben erhoben. Alle wichen mir als einem Weißen aus, schon von Weitem. Aber Alle sahen düster, ja gefährlich aus, und ihre Augen funkelten und desto greller in der sinkenden Dämmerung. Das ersehnte war ein ziemlich einsam stehendes prächtiges Haus mit großem Erker mit Spiegelscheiben, in denen der Abendschein glühte. Der treue Wilberforce meldete mich unter dem Namen eines französischen Obersten. Das sey der geringste Titel, den ich mir geben müsse, meinte er. Ich dachte an das Wiener »Gnaden« und ließ es geschehen. Ich ward angenommen. Alles prachtvoll im Hause! Kostbare Teppiche auf der Treppe. Ein glänzendes Vorzimmer. Ein unbeschreiblich liebliches Zimmer, worin ein Weib auf der Ottomane lag, sich halb aufrichtete, als ich hereintrat; und als ich ihr näher trat, und ihr doch noch zu fern stehen mochte, als daß sie in dem abendroth dämmernden Zimmer, wie sie wünschte, mich sahe — da stand sie ganz auf, und leise, leise bog sie ihr Köpfchen vor. Es war mein Weib nicht. Aber da ich mit unbeschreiblicher Sehnsucht, mit dem Lächeln, Jemand zu überraschen, mit der Freude: Freude zu machen, mit großen, gewiß leuchtenden Augen nach ihr gesehen, so hatte ich auch gesehen, daß es ein Weib war, schön, wie die Kaiserin Josephine in ihrer blühendsten Jugend gewesen seyn mag; aber solche Augen voll Seele, groß und mild, solch einen Wuchs, solche Glieder hatte ich noch nie gesehen. Es war, ihrem nur wie mit einem Hauch vom lichtesten, fast weißen Braun behauchten Gesicht, dem Hals und Nacken und den Armen nach, eine Quarterone, die, ein Theil Indisch, zu drei Theilen Weiß gemischt, meist zauberisch schön sind. Mit dieser Neugier, dieser Verwunderung, ich will nicht sagen Bewunderung, sah ich sie an. Sie lächelte, wie ich sie so ansah. Wir waren allein. Ich schlug die Augen nieder. Dann glaubte ich Geräusch hinter den Vorhängen ihres Schlafcabinets zu vernehmen — und ich blickte mit Sehnsucht dahin! Aber es trat Niemand heraus! Nur ein buntgefiederter Ara hatte sich in seinem Ringe geschaukelt und mit der Kette gespielt. Sie hatte sich wieder gesetzt. Und ihr Blick stieg jetzt langsam von meiner Fußspitze an mir herauf und blieb dann an meinen fragenden Augen fest geheftet, bis jetzt sie die Augen niederschlug, und vor sich hinlächelte, wie ich nie gesehen.
Ich ward roth, ich fühlte es, über ein mögliches, wenn auch noch so ehrenwerthes oder holdes Mißverständniß, und so wollte ich, alle Schleier zerreißend, nun, leise jedoch, nach meinem Weibe, meinem Knaben fragen — denn auch er stürzte dem Vater noch nicht in die Arme . . . . oder hatte sie mich in dem Briefe gutmüthig getäuscht, oder ich mich gutmüthig im Schiff — aber wie dann doch der Capitain des Schiffes . . . . so überlegte ich noch . . . . aber eben deswegen wollte ich ja fragen, fiel mir, von dem jungen Weibe ganz Verworrenen ein — da sprang sie plötzlich auf und stieß einen Schrei aus; und wie erschrocken darüber, daß sie so laut geschrieen, hielt sie sich doch gleich selbst mit der kleinen Hand den kleinen Mund zu — ich blickte im Zimmer umher — es war hell! ich blickte nach dem Fenster — ich sah Gluth. Feuer ging auf in der Stadt. Schon schlug eine hohe Lohe empor. Rauch quoll auf Rauch, und die Feuersäule stieg himmelan. —
Die schöne Frau zitterte am ganzen Leibe; ihre Zähnchen klapperten vor Schrecken, und Furcht. — »Sehen Sie dort! Dort auch!« — sprach sie auf französisch, mit gedämpfter, hastiger, ängstlicher Stimme, deren Drang und Laut mich innig durchscholl und bewegte. Und als sie einige Schritt auf die Gluth zu gethan, rief sie in höchster Bestürzung: »Und dort! Dort auch!« —
Sie sank auf ein Knie und verbarg ihr Gesicht in den Händen, und ihr volles Haar fiel schwarz und auch wie schrecklich über sie herab, mit den Spitzen bis auf den Teppich. — »Ich bin verloren!« stöhnte sie. »Wir sind verloren!«
— Die Feuer sind weit! tröstete ich sie. Sie scheinen freilich angelegt. Denn drei Gehöfte gehen an verschiedenen Orten zu gleicher Zeit mit demselben Stundenschlage auf. Aber man wird es löschen. Das Feuer ist dem Menschen oder doch dem Wasser, unterthan.
»Ach, die Sclaven! die Sclaven! Sie stiften den Brand nur an, um uns zu ermorden, um frei zu seyn!« sprach sie, in höchster Angst aufspringend, irrte im Zimmer umher und rang die Hände. »Mein Mann ist todt; schon ein Jahr. Er war hart. Ich bin gut. Aber sie haben es ihm nicht vergessen. Sclavenrache ist fürchterlich! Die südlichen Staaten zittern vor ihren Millionen Sclaven! Wohl hunderttausend sind hier in der Nähe! Und hier, hier im Gehöft sind 63 Neger! Himmel! Sie singen ihr fürchterlich Lied! Quillt nicht dort Rauch aus dem Dach? — Ach, wie entflieh’ ich? Retten Sie mich! Ach, ich bin noch so jung! Ich lebte so gern, nun wollt’ ich erst leben, und soll nun sterben!«
Sie weinte. Und ehe ich nur so was denken konnte, lag das zitternde, glühende, bebende Weib schon an meiner Brust . . . ihre Augen sahen himmlisch bittend mit ihren schwarzen, großen Sternen aus dem großen, reinen, feuchten Milchweiß zu mir auf . . . . ihre Lippen zuckten . . . sie war ein Weib . . . . ich war ein Mensch . . . Lärmen von tausend dumpfen Stimmen scholl her, die Gluth wuchs, als wenn die Wolken anbrennten, Wagen eilten und rasselten, Glocken lauteten grell und ängstlich; »Alle Sclaven bei Todesstrafe in die Häuser!« hörte ich deutlich unten rufen — — Schiller trat als Geist vor mich, ich erblickte sein blasses, menschenfreundliches, keckes Gesicht deutlich, und er sprach deutlich.
»— Vor dem Sclaven, wenn er die Kette bricht —
Vor dem freien Menschen erzittert nicht!«
So etwas hatte ich mir nicht vorgestellt, nirgends, am wenigsten hier; aber ich war mitten hinein geworfen, die junge Wittwe küßte meine Hände, sie gelobte mir ewige Freundschaft, ewige Dankbarkeit, wie ein Weib sich nur irgend bedanken könne, mit Allem, was sie habe und sei, wenn das zulange, mir genug oder nicht genug sei . . . . . nur erretten sollt’ ich sie, retten . . . .
— und ich war bereit.
Aber wie? — Das war die Frage; und ich that sie mit Trost, aber mit Eifer. Ich weiß nicht wie. Es ist etwas Eigenes um ein gar so schönes Weib! und in Noth und in Thränen! Sie wußte Rath. Das Opfer war nicht gering. Aber es gab nur diesen Weg, sonst keinen. Denn an Vertheidigung war nicht zu denken. — In meinen Kleidern wollte sie fliehen, mit meinem Mantel und Hut, mit meinem Bündel. Denn so hatten sie mich gewiß hereinkommen gesehn, so ließen sie mich in dem Eifer gewiß wieder hinaus; aber sie, statt mich. Ich sollte mich aber in ihr Bett legen — als Kranker, vom gelben Fieber plötzlich Befallener — wenn mich die Sclaven suchten und fänden und hervorrissen. Sie würden sehen, ich sei fremd. Selbst in der Wuth würden sie so blind nicht seyn. Am wenigsten könnten sie ahnen, daß wir schon ein Einverständniß hätten!
Bei diesem Wort sah sie mich mit Augen an, von welchen ich nicht mehr geglaubt hätte, daß sie mich angehen, mich anfechten, ja in mich dringen könnten. Ich kam aus dem Erstaunen nicht heraus. In der Welt ist Alles möglich! dacht’ ich. Zeit, Ort und Umstände sind die Herren aller Dinge. Sollte ich sie in Stücke zerhauen sehn? Doch, wenn ihre Flucht gelang, wenn sie sicher war, dann war ich erst in der größten Gefahr. Doch das dachte ich nicht. Denn . . . .
Sie war rasch zum Werk. Sie holte mein Ledertäschchen selbst aus dem Vorzimmer, sie warf meine Sachen heraus, meine besten, theuersten Sachen und Papiere, sie schloß eine Commode auf, nahm Papiere heraus, und füllte es dafür damit an; sie band mir das Halstuch ab, nahm die Weste, nahm den Hut, den Mantel, die Stiefeln, sogar; ich mußte mich in ihr weiches zartes Bett legen, sie deckte mich zu, ja, als ich gehorsam wie ein großes Windelkind, überrascht und wie gefangen mit dem Kopf in den weichen Pfühlen lag, neigte sie schnell ihr Gesicht über mich, ihr rechter Arm schlang sich unter meinem Nacken durch, ihre Stirn ruhte einen Augenblick auf meiner, und ihre Lippen küßten meine Lippen im Fluge einen Augenblick, während ich nicht aufblickte, sondern die Augen fest zugeschlossen hatte; und schnell lispelte sie mir noch zu: »Das soll Dir nicht unvergolten bleiben! So Gott will!«
Und so verschwand sie — wie mein zweites Ich, und ich träumte mit wachenden Augen, und sahe die Gluth des Feuers und hörte das Tosen in der Stadt.
So lag ich voller Erwartung der Dinge. Ich liege eine Viertelstunde, eine halbe Stunde, eine — — zwei Stunden — — ich höre keine Uhr mehr; keine Glocke; das Tosen läßt nach, das Feuer brennt lichter am Himmel als auf der Erde. Ich bin halb eingeschlafen. Endlich ganz. Ich weiß nicht wie lange. Aber mit Sorgen. Denn nun höre ich leise Tritte, überall im düstern Zimmer umher! Ich höre rufen! Es kommt zu meinem Bett! Es ruft mich! meinen Namen! Es greift und tappt auf meiner Decke, es ergreift meinen Kopf, meine Hand. Ich fasse zu, als wenn ich einen Löwen festhalten wollte.
»Ich bin’s!« spricht die Stimme. Es ist der Neger — Wilberforce. »Sind Sie hier? Sind Sie es?« frägt er.
Ich muß leider Ja sagen.
»Haben Sie Muth?« frägt er mich. »Wissen Sie schon?«
Ich habe Muth, wie Du siehst, und weiß nichts! antworte ich.
»Wissen Sie nicht ihr Schicksal?«
Ist sie todt? frag ich, und fahre empor.
»Nun Sie es sagen — ja! Sie ist todt!« spricht er und weint.
Ich falle vor Schreck zurück. Ich denke sie mir todt. In der That, mir stockt das Herz. Ich athme kaum. Weinen kann ich nicht.
»Aber Ihr kleiner Sohn lebt;« spricht er.
Also meine Frau ist todt! ruf’ ich und springe aus dem Bett.
»Am gelben Fieber;« sagt er. »Vor vierzehn Tagen. Die reiche, schöne, junge Wittwe hier hat sie redlich pflegen und begraben lassen, und ihr ein gemauertes Kästchen in das Wasser machen, denn hier begräbt man in Wasser.«
Nun kann ich weinen.
Nach langem Schweigen frag’ ich zu meinem Troste: aber mein Sohn lebt, warum kommt er nicht?
»Schon Ihre vormalige Frau hat geglaubt, Sie sind voraus nach Ohio — und so hat, natürlich aus einem Irrthum, das gute liebe Weib hier, ich meine Madame Josephine, ihn in guter Begleitung nach Cincinnati abreisen lassen mit Briefen an dasselbe Haus, an das Sie empfohlen sind. Das weiß ich vom Hausvoigt. Ja, sie hat ihn schon fortgesandt, ehe er auch erkranke, und ehe seine Mutter gestorben ist.«
Aber warum lebe ich noch? Wo sind die Neger gewesen?
»Zufällig eingeschlossen, — von mir! Sie wären ermordet worden im, Bett. Vielleicht auch nicht. Denn wir sind nur rachsüchtig, nicht blutdürstig. Ich sah Sie forteilen ohne mich — ich eile nach; da entdeck’ ich, es ist Josephine, die sich mir entreißt. Da vermuth’ ich mit Recht, daß Sie noch im Hause sind. Da verschloß ich die Sclaven. Im Grunde umsonst; denn der Aufruhr ward in der Stadt gedämpft. Die Neger hörten nichts mehr, und so blieben sie ruhig. Aber alle hatten sich schon mit Waffen versehn! sie sind schuldig. Ach, bitten Sie morgen für meine Brüder, wenn Josephine vom Landhaus wiederkehrt. Die Gefahr ist vorüber. Morgen können Sie gewiß hundert Sclaven sehen die rechte Hand abhauen. Denn wer von uns nur eine Hand gegen seinen Herrn aufhebt, dem wird sie abgehauen. Darum tragen wir sie gern ganz steif an den Schenkeln hinunter. Ach Gott, wer zu Hause wäre, und hätte nur Freiheit im Vaterland! Freiheit und Vaterland, keins ist ohne das andere was werth — wie nur Ein Bein, Eine Hand! Ach! Ich bin frei! Für treue Begleitung auf seiner Reise hatte mir mein Herr die Freiheit versprochen. Aber was ist das ohne Vaterland! Was ich Jahre gehofft, ist mir nun nichts! Doch nein — die Freiheit ist mir die Erlaubniß im Vaterlande zu wohnen!«
So verließ er mich weinend.
Es war natürlich, daß mir das Unglück meiner Frau um meiner Tochter willen am tiefsten leid that. Denn weil die Tochter lebte . . . . so war ich jetzt am meisten um die Tochter besorgt. Was würde sie gelitten haben! Und warum? Warum schon jetzt? Warum überhaupt! Ich beschloß also fest, meiner einzigen Tochter den Tod ihrer Mutter zu verschweigen. Meiner Großmutter Sohn war gewiß schon lange todt, und in der alten Frau lebte er immer noch glücklich! Und so schlief ich endlich voll Liebe und Träume ein, mit nassen Augen. Zu Hause saß meine alte Großmutter blind — ohne ihren liebsten Sohn; mein Sohn Marbod vielleicht noch auf dem Schlosse bei der Baronesse Freysingen Doppelsonaten spielend. Mein Knabe war hier im Land, aber fremd unter Fremden mich suchend! Aber meine Tochter hatte ich nahe, die arme, ungewisse Braut, die sich edel scheute vor einem Mann, der Sclaven hat . . . . und ich lag hier in dem weichen Bett . . . . als Gesandter . . . und wer hatte gestern in diesem Bett geruht . . . . ein Gebild, das ich nie gekannt, das mir wie im Traume Verheißungen gethan, die mir heiß machten . . . . die nun in Erfüllung gehen konnten . . . . und morgen früh im Morgenroth kam sie vielleicht schon . . . . oder kam nicht . . . . Und ich fürchtete mich vor ihr! und auch nicht . . . . .
Mein Gott! Was ist der Mensch! Das Meer murmelte, ich dachte an seine Wüste — aber auch an seine Blumengärten in der Tiefe. Und ich beschloß neu zu seyn in der neuen Welt. Und ich sah einen mir neuen, hellen, schönen Stern am Himmel, den ich nie gesehn. Und er war doch, und ich war! Ich — 40 Jahr! In meinen schönsten Jahren!
Was ist der Mensch! Und auf diesen Grundstein baute ich edle Pläne für viele Menschen — für schwarze und weiße! Das Alles versteht sich — im Traume!
Ich schlief bis die Sonne schon hoch stand. Ich war todtmüde an Leib und Seele, und die erste Nacht Schlaf auf dem Lande, diese Wonne, dieses Gefühl der Erde, ist allein eine tausend Meilen weite Seereise werth. Das kann man mir glauben, mir, der ich gar nichts auf solche Dinge halte, als da sind: Braten, Wein, gutes Bett und alle die Herrlichkeiten der Herrlichkeiten. Ich sah mir die Sonne an, das heilige Bild, das treu aussehend wie in der Heimath, hier wunderhell am Himmel strahlte und mich anlächelte. Ich war barbarisch hungrig — in diesem Lande, wo Millionen Fische in den Strömen und Seeen schwimmen, wo alle Früchte der Erde im Überfluß wuchsen, war ich barbarisch hungrig, und im Hause regte sich Niemand, kein Mensch frug nach mir. Ich hätte mir gern ein halbes Dutzend Feigen oder Orangen von den Bäumen am Hause hereingelangt; aber ich wäre bald zum Fenster hinausgestürzt, und schlug mir auf den Magen: Freund, Geduld! — Ich goß Waschwasser in das Porcellainbecken, ich ließ es eine Zeit auf dem offenen Fenster stehen, während ich meine zerstreuten Sachen zusammenlas, und als ich mich waschen wollte, verbrannte ich mir fast die Hände darin, so heiß war es von der bloßen Sonne geworden, die hier ein ganz anderes Ding war! Und ich erklärte den im Geiste vor mich tretenden Vorstehern unsrer zwanzig Dörfer laut: Laßt uns betrachten! Es ist Unsinn, hierher in die Gluth zu wandern. Wollt Ihr faul werden? — faul, wie die Italiäner? Zu sinnlichen, unwissenden Menschen? Oder fleißige Deutsche bleiben, die den Tag fleißig arbeiten, oder bis in die Nacht noch fleißig studiren? — Selber Bienen, die hierher kommen, und den ersten und alle Winter hier Blumen und Nahrung im Überfluß finden, werden faul, das heißt: sie nähren sich blos. Oder, liebe Gemeinden, wollt Ihr in Furcht vor den Sclaven leben? Oder noch schlimmer, wollt Ihr Sclaven halten? Ihr könnt Euch ja denken, wie Sclaven zu Muth ist; denn das kann Jeder. Wollt Ihr Plantagenbesitzer werden, Diener der Kaufleute? Wollt Ihr alle Jahre am gelben Fieber sterben? Das heißt: Jeder der Euren nur einmal. Aber das ist genug für Jeden. Und wenn der Vater oder die Mutter in einem Hause stirbt, zu früh, zu unnöthig, macht das nicht oft ein ganzes Geschlecht bis auf Kind und Kindeskind unglücklich? — Ihr wollt das Alles Alle nicht! Ich höre es. Also Kinder, vermeidet die Küste von Amerika, von Boston bis Neu-Orleans, wo ich meine Frau verloren. Zieht nicht in die Staaten, wo die Sclaven die heimlichen Herren sind, also nur nach Ohio, wo kein Mensch einen Menschen als Sclaven halten darf, nach Kentucky höchstens, wo sie verlöschen. Lieber nach Indiana, Illinois! Aber nördlicher nicht! Denn alte Menschen müssen in ein wärmeres Clima wandern, das thut ihnen wohl! Nicht in ein kälteres, wo kein Wein wächst, die Milch der Alten, der Wein, der des Menschen Herz erfreut — und soll sich der Mensch nicht freuen der Erde auf Erden? Bedürft Ihr nicht Freude? Ach, ein Glas Wein Euren Armen und Alten hätte Euch wohl gethan! — Ich dachte in dieser Rede an die Flasche, die ich an dem Treppengeländer zerschlagen, an das Lachen meines Herrn Sohnes — und schwieg; Mit diesen Worten, sahe ich, hatte ich mir aber selbst meinen Reiseplan vorgezeichnet — und ich war nur auf einige Staaten gewiesen, freute mich und rieb mir die Hände. Die Herren Vorsteher mit ihren Hüten in den Händen verschwanden mir aber plötzlich alle; denn ein prachtvoller englischer Wagen mit herrlichen Pferden kam donnernd vor das Haus gefahren und hielt. Ich sah zum Fenster hinab. Und das rückwärts gebeugte Köpfchen, das herauf strahlende Auge, das freundlich lächelnde Gesicht, die wie Perlen blitzenden Zähnchen im rothen, schwellenden Munde — ich kannte das Alles schon wie aus einem Traume. Ich fuhr in meinen Rock — ja, um ein aufrichtiger Mann zu seyn — ich sah in den Spiegel. Die Seereise hatte mich wundervoll hergestellt. Ich konnte kaum öffnen, als sie an ihrer eignen Thür mit schnellem Finger anpochte, und wie eine Erscheinung, rasch und leuchtend, stand Josephine schon im Zimmer; aber wie sorgfältig geschmückt, wie ländlich-lieblich im weißen Kleide mit blauen Bändern um Leib und Brust, und doch wie reich! große Perlen am Ohr; ein unschätzbares Halsband von sehr großen Diamanten um den Hals, dreimal ihn weit umlagernd.
»Nun,« sprach sie doppelt zart und unschuldig klingend auf französisch, und reichte mir ein Händchen und sahe mir in die Augen — »nun, wie schlief es sich hier . . . in Amerika?« und meinte gewiß nur ihr Bett. Denn sie erröthete zart und unschuldig. Aber plötzlich brach sie in lautes Gelächter aus, denn sie sahe auf meine Füße. Ich war in Strümpfen. Aber um ein aufrichtiger Mann zu seyn, mußte ich gestehen und ihr sagen: »Als Sie gerettet waren, sahe ich nicht ein, warum ich hier bleiben, vielleicht den Tod erleiden und nicht lieber versuchen sollte, desgleichen zu entkommen! Das vergeben Sie mir gewiß auch! Ich malte mir also mit meinem Finger aus ihrem Dintenfaß — schwarze Schuhe auf die Strümpfe . . . aber da glaubt’ ich heraufkommen zu hören, und, um ein aufrichtiger Mann zu seyn, ich verbrachte ein angenehmes halbes Stündchen in ihrem Camin, — — Ich mußte lachen. Es war unmöglich, ich mußte. Sie betrachtete ihr Bett und sagte, lachend bis zu Thränen: »Ja, es ist wahr!« Und wie vor Lachen barg sie ihr Gesicht einen Augenblick in den Kopfkissen.
Ich räusperte mich; ich rieb mir mit der flachen Hand die Brust; ich machte, ärgerlich, ein finstres Gesicht.
Aber sie sprach, jetzt ernstlich besorgt: Sie sind hungrig! Ich lebe jetzt auf dem Lande und war gestern nur auf ein Huschchen hereingekommen, doch ist hier Rath. Und schlank und flink, willig und gutmüthig, ja fast gehorsam, als wäre sie selbst eine weiße Sclavin, eilte sie, rief sie, besorgte sie; und athemschöpfend und rosig und heiter kam sie wieder. Mein Gott! mußte ich sprechen und seufzen! Sie hatte mir, ehe sie wiedergekehrt, die mir fehlenden Kleidungsstücke mit einer jungen Sclavin, schwarz wie eine Schnecke, aus dem Wagen geschickt. Dieselbe bediente uns bei Tisch, an welchem wir uns Beide gegenübersaßen, und uns von der überstandenen Angst und der Nacht erzählten. Die kalten Speisen, die Früchte, der Wein, Alles war köstlich, und ein heitres Mahl läßt Alles heitrer betrachten. Und doch kostete sie kaum von Einem oder dem Andern, wie Kinder. Und doch ward ich immer trauriger mit jedem Glase Wein, ob er gleich Amerikaner war. O wie hatte ich mich auf den ersten Bissen Amerikanisches Brot gefreut! auf den ersten Trunk Amerikanisches Wasser! Ich dachte zu Hause an unsre letzte Mahlzeit, ja mein Diakonus stand wieder vor mir, und hielt um Maria an; ich lächelte, und Josephine lächelte hold unbewußt. Darauf nahm sie ein, vielen deutschen Bürgermeistern und Andern noch wohlbekanntes Russisches Instrument, eine Knute von der Wand, aber ländlich zierlich mit schöner bunter Schlangenhaut überzogen und aus Schlangenhaut geflochten. Wir gingen hinab in den Hof, in dessen Mauern vor den Gebäuden die Sclaven standen, die im Glauben, ein Unrecht gestern begangen zu haben, auf ihre Kniee fielen. Sie hatten das Lied gesungen . . . .! Ich sollte es bezeugen! Da knieeten nun die Kinder jener ersten Kinder der frühsten anfänglichen Erde, noch schwarz wie ihre ersten Ältern unter der überall heißen Sonne. Und ihre kleinen Kinder hoben neben den Müttern die kleinen schwarzen Händchen in die Höhe. So weit hatten sie es also in Jahrtausenden gebracht! So weit das weiße Geschlecht! Ich bat für die Armen, die nichts verbrochen, als daß sie die Freiheit wünschten. Ich mußte lange bitten, während ihre Herrin mit von mir abgewandtem Gesicht langsam umherging. Endlich wandte sie sich plötzlich um und sprach: »Ich habe Allen sogleich verziehen, Glauben Sie es! Aber es ist gar so hold, wenn Sie bitten; ich weiß nicht, es macht mir recht innerlich Freude.« Sie rief sechs Mädchen herbei und sagte ihnen: »Ihr habt Euch verheirathen wollen, so macht denn heut Hochzeit, und Alle freuen sich mit Euch!«
Kein Hund, kein Mensch kann sich so bedanken, wie diese von einem guten Worte Glücklichen. Josephine konnte sich nicht ihrer wehren, und sie wies auf mich und sagte: »Danket dem Herrn hier!« — Nun umkniete mich der Schwarm, und ich sagte ihnen: Danket dem Herrn Jesus Christ! Da tiefen Alle: »Ah, Monsieur Jesus Christ! Monsieur Jesus Christ — quand viendrat — il en Amerique?«
Mich frug dann ein alter Neger genauer. Er glaubte: Ihr Freund lebe bei Uns! aber außer seinem Namen wußte er kein Wort von ihm. Die Neger hatten nur jeder einen Namen; von einer Taufe wußten sie nichts, auch nicht, daß ein Pfarrer die jungen Paare trauen werde. Das mußte nun wohl einen Pastor verdrießen, aber nicht grade einen Lehrer und Prediger. Dafür dankte ich meiner gütigen Wirthin für ihre Güte . . . und es mußte gesagt seyn — ich dankte ihr auch, daß sie mein Weib so gepflegt, und sie, die Unbekannte, so dankenswerth habe begraben lassen! Nun war mir der Stein vom Herzen.
»Aber mein Gott!« . . . rief Josephine, und trat einen Schritt auf mich zu. Sie war blaß, ganz blaß geworden, ihre Arme hingen an ihren Schenkeln herab, und die Hand ließ noch eine wundervolle, tellergroße, rothe Blüthe fallen, und ihr Köpfchen neigte sich auf die Brust. Welche Gedanken sie im Innern überwältigten, wie sollte ich es bedenken, ich, dessen Herz so voll war, dessen Augen sich füllten. Endlich lispelte sie, wie zu sich selbst, ohne mich anzusehen: — »also der unvergleichlich schöne Knabe, das war seyn Sohn! Und wie erkannt’ ich nicht gleich den Vater! Ist er ihm nicht ähnlich, wie der halbgefüllte Mond dem vollen Mond?« Und zu mir gewandt sprach sie mit Thränen in den Augen: »Ich hatte den Knaben so lieb, drum schickt’ ich in Zeiten ihn fort!«
Was sollte ich sagen? — Mein Geschäft hier war zu Ende. Mir blieb nichts als zu scheiden, aber erst Abschied zu nehmen; jedoch bei den ersten Worten dazu fragte sie mich, während ihre großen Gazellenaugen mich treuherzig ansahen: »Und wieder in alle Welt schon wollen Sie hin? Wohin? Habe ich Sie beleidigt? War ich zu heiter — war ich zu aufrichtigen Herzens? Ach, viel im Leben hängt davon ab, in welcher Reihenfolge wir etwas vernehmen, in welcher Gedankenfolge ein Mensch den andern sieht . . . . o, ich war so heiter! Und alle die Angst!«
Ich bat sie nur Eins: zu verschweigen, daß die Fremde hier gestorben sei, damit es meinem Knaben, damit es meiner Tochter ein ruhiges Geheimniß bleibe . . . .
»Ihrer Tochter!« sprach sie fast betreten. »Sie haben . . . .?«
Ja, sie ist hier; hatte ich kaum gesagt, als meine Maria schon vor mir stand, und hinter ihr Wilberforce. Die Unruhe hatte sie hergetrieben. Josephine stand lange vor ihr mit niedergesenkten Augen, den Mund fein geschlossen; sie getraute sich aus reinster Schaam, ja Beschämung nicht sie anzusehn. Ja, in dieser befangenen Stellung sprach sie zu ihr, begrüßte sie, hieß sie willkommen, ja reichte sie ihr eine langsame Hand, die sie gleich wieder zurückzog. Sie erblickte im offenen Thor die sechs Schwestern, die auch vom Schiffe an’s Land gekommen; sie sahe mich fragend an, sie ließ sie einladen; und während Wilberforce ging, und nachdem sie von mir gehört, welche Absicht sie hätten, versprach sie mir schon im Voraus, sie alle bei sich zu behalten, wenn ich auch das erlaube . . . . oder vielleicht auch die Tochter . . . wenn ich gehe, damit sie nicht ganz allein sei. Und den Schwestern entgegen wandelnd, vertraute ich dem treuherzigsten Geschöpf von der Welt, daß sie eine sonderbare Braut sei mit Master Erwin; die Ursache ihrer Scheu vor ihm, als einem so grausamen Mann, der Sclaven halte, und nun seine Scheu vor ihr. Aber zu meiner Verwunderung fand sie sein Anhalten sehr natürlich. O der Mensch ist blind über gute Menschen; dann wie ich hätte Ursache gehabt mich zu freuen.
Nun mußte ich bleiben. Ich ging darauf allein zu Erwin, um meine Sachen alle zu Josephinen tragen zu lassen. Er war das zufrieden; auch daß meine Maria bei ihr bleibe, war er zufrieden, ob er mir gleich mit Achselzucken vertraute, daß Josephine, als Abkömmling von schwarzer Haut, bei keiner ganz weißen Haut in irgend einer menschlichen Achtung stehe; so schön, so seelengut, so achtungswerth, ja so reich sie sei — denn sie sei die Wittwe seines Bruders, und wahrscheinlich, wie er sich einbilde, sei ich nur durch Namensverwechselung an ihr Haus gewiesen worden. Ohne etwas zu ahnen, hatte er damit nur mein Weib gemeint.
Also ihr Bruder ist todt? wollte ich fragen, aber ich vermied aus eigener Trauer die Frage. Er versprach mir zur Reise den Todtenstrom hinauf alles Erforderliche anzuordnen; er selbst habe Hoffnung zum Senator gewählt zu werden, und dann müsse er mit, oder nach mir — denn er habe noch Vieles und Schweres zuvor zu besorgen — nach Philadelphia, nach Washington. Dabei gab er mir wieder die Hand, und schüttelte sie dreimal, wie in Bremen auf der Straße, als er die wohl von Eifersucht ausgepreßte Frage an mich that. Das war mein ganzer Bescheid! Ich mochte verdrossen aussehen, aber er lächelte kaum bemerklich. Das ergrimmte mich noch mehr. Meine Hoffnungen waren zu Wasser! Die Auswanderer waren schon lange in’s Land, den Strom auf einem der hundert Dampfschiffe hinauf! Nur den Wilhelm fand ich allein, den ich mit mir nahm. Ich traf zu Hause, so mußte ich schon sagen, aber meine Tochter nicht mehr, Josephinen nicht mehr, sondern nur einen angespannten, auf mich wartenden Wagen, der uns im Fluge hinaus nach dem prächtigen Landsitz brachte.
In den wenigen Tagen, die ich darauf noch hier blieb, hatte sich Josephine an die dritte der sechs Schwestern, an die schöne Clöta gewöhnt, die französisch verstand, sie lieb gewonnen; und gegen meine Maria war Josephine verschämt, aber mild, und so war auch meine Tochter verschämt vor ihr, aber mild. Gegen mich war Josephine gelassen, ernst, düster, so anständig und zart, wie ich kaum je ein so junges Weib, ja nur eine Jungfrau gesehen. Schien ich etwas zu wünschen, so sprang sie in der ersten Zeit noch behend auf wie ein Reh, aber sie kam wieder und hatte nur für sich etwas geholt. Mir war sonderbar zu Muth. Manchmal, wenn wir neben einander am Abend in den schattigen Gängen ihres Gartens wandelten, und die große, hier himmlische Abendsonne durch Lücken der blühenden Akazien und Magnolien ihr Gesicht und Schulter vergoldete, da, um ein aufrichtiger Mann zu seyn — fiel folgendes Gespräch in mir vor:
— Mein liebes Weib, Du bist ja doch nun todt einmal, also auf immer! Ich lebe noch — auf dem Gipfel des Lebens. Der Hinuntergang ist schlimmer als der Hinaufgang. Wie viel Gutes und Schönes würde ich für mich und die Kinder erlangen, mit dieser Gestalt . . . . . wenn ich Muth hätte!
— — Unterstehe Dich! und sag’ ihr ein Wort! sprach meine Frau, die als Erscheinung der Seele mir klar, sogar sichtbar vor meinen Augen in dem Schattengang schwebte, und uns nicht von der Seite wich, — und näher mir wiederholte: Unterstehe Dich das! Und jetzt schon! O Du Undankbarer! Denn war ich nicht eine Adlige, die Dir ihre Hand gab? Und ist diese arme Person hier nicht eine Namenlose, eine Unehrliche im Lande? Mucke!
Da schwieg ich eine Weile. Dann fing ich doch leise wieder an: Aber wenn ich sie nach Europa nähme mit alle den Sclaven? Und ehe wir reiseten, könnte ich Dir lassen ein prachtvolles Mausoleum erbauen mit Deinem Wappen; und vor meinem Namen wollte ich lassen ein »Von« einhauen damit ein Jeder hier läse, daß Du keine Mißheirath gethan!
Lügen willst Du sogar? sprach das Luftgebild. Ich sehe schon, wie Du denkst. Ich bin verloren, aber zum Glück bin ich todt!
Nein, sprach ich, Du sollst meine innere, geistige Frau seyn, und diese hier meine äußere, leibliche.
O sie ist schön! sprach meine geistige Frau; um mich in Versuchung zu führen.
Soll ich ihr hier ungesehen zu Füßen fallen? Ach, ich dürfte nur ihre Hand ergreifen — und ich denke, sie fällt mir zuvor um den Hals.
Da schrie meine Frau auf, und fuhr zwischen mich und Josephine, die sich mit dem Arm an eine Cypresse gelehnt, und der sinkenden Sonne nachsah, aber mit zugeschlossenen Augen. Ich selbst aber hatte den Schrei meiner Frau mit meinem Munde ausgestoßen — so daß die Vögel erschreckt von den Zweigen flogen — daß Josephine mich ansah, und erstaunt sah, wie ich zitternd und bebend und ganz blaß vor Schrecken dastand, wie aus dem Himmel gefallen; aber ich war nur aus dem innern Hause des Menschen heraus auf die lebendige Erde getreten. Und ich schämte mich und schwieg. Und sie frug nicht. Und so blieb es. So blieb sie. So blieb ich. Ein Wittwer ist eine besondere Person. Aber ich dachte auch manchmal: auch eine Wittwe ist eine besondere Person; nicht Jungfrau, nicht Weib, nicht Mutter — denn Josephinen stand dereinst erst dies Glück bevor. — Ach! es sollte nur Wittwen geben von 70 Jahren, und Wittwer von 80! Der Tod, besonders der frühe Tod stiftet allerhand Unheil.
So ein Gespräch wäre mir, in Allem ehrlichem Manne, wahrlich nicht vorgekommen, wenn ich nicht auf immer aus dieser Gegend nun scheiden mußte; Josephinen auf immer zurücklassen. Und die Trennung ist ein Wurm, der die Früchte zu früh reift — daß sie abfallen. Es war ein Gedanke gewesen zum Besten meiner Kinder, zum Besten der armen schwarzen Kinder der Erde. Ich schrieb einen ausführlichen, lehrreichen Brief in die Heimath, an mein Volk — dessen Gesandter ich war; an meinen Sohn. Meine Tochter schrieb an die Baronesse Freysingen, an ihren kleinen Bruder, und — was ich heimlich mit Thränen sah — sie schrieb einen langen, herzlichen Brief an ihre Mutter, die aber nicht weit von ihr in der freien Erde lag. Sie versprach ihr, recht oft zu schreiben. Dann besprachen wir, neben Josephinen sitzend, unsere Reise. Meine Tochter wollte mich nicht verlassen und fiel mir um den Hals. Josephine sagte mir am letzten Abend blos gute Nacht wie gewöhnlich. Aber am Morgen war sie schon früh abgereiset . . . . nach der Stadt in ihr Haus. Dafür fand ich in unserem Dampfschiff unsre Karte für mich, für Maria und unsern Wilhelm Mosburg bezahlt; wir fanden Körbe voll köstlicher Speisen, voll Wein, voll Früchte. Aber auch meine Tochter fand nach dem Wirrwarr des Morgens jetzt erst im Schiffe: daß das dreifache Halsband mit den großen Diamanten von Josephinen ihr um den Hals gebunden war. Das deutete auf ewigen Abschied. Das konnte Niemand gethan haben, als sie — des Nachts — und wir sahen uns an und weinten fast Beide. Mein Kind wollte wieder an’s Land, es zurückstellen, Gewißheit haben, doch danken. Aber das Schiff ging schon sausend den heiligen Todtenstrom hinauf in das heilige Land, einen Urgarten der Erde, das künftige Paradies der schwarzen Kinder, denn hier konnten sie allein arbeiten und gedeihen. Ihnen gehört es also von Natur. Nicht den Weißen, denen es eine Schande geworden, etwas zu thun, weil sie nicht können.
Ich finde in meinem Reisebuche bemerkt: »Hier waren also alle Weiße adlig, oder fühlen sich so; und alle Schwarzen — Canaille, und fühlen sich nicht so; bei uns sind es doch nur einige berühmte Geschlechter — gewesen. In den nördlichen Staaten darf sich sogar kein freier Neger niederlassen.«
Unser Dampfschiff ward, nach der neusten Erfindung, selber mit Wasser gefeuert. Und so fuhren wir, auf der größten Silberader, der Saugader des Landes, in welche 40 große Silberadern sich ergießen, auf dem Missisippi, nach und nach in immer höheren Ufern hinauf. Meine Tochter ist niedergeschlagen. Aus Einem Grunde. Ich bin niedergeschlagen. Aus dreifachem Grunde! Unsere Reisegefährten waren nicht heiter, und erheiterten sich und uns wenig. Viele Amerikaner reisen zu ihrem Vergnügen; und da Europa zu unerheblich oder Asien zu weit ist, so reisen sie im Vaterlande und lernen es kennen und schätzen. Denn wahrlich hier ist ein Vaterland! Und wer wollte den Menschen den Stolz darauf verargen! Wer sich darüber ärgern? Ach, eher kümmern! Aber in dem Gesicht des Amerikaners liegt etwas Unerklärliches. Nicht Tiefsinn, nicht Muthlosigkeit, nicht Schüchternheit, nicht Verlegenheit; aber die Stille einer großen Zukunft, und eine bescheidne und doch schmachtende Begierde danach, und eine fast kindische Befangenheit und ein Bangen, wie eines Bräutigams, ruht auf den Gesichtern. Mir kamen sie vor, als wenn sie selber auswandern sollten — in ferne, ungekannte, schöne Tage! Daher die heimliche Unruh, der eigene gedämpfte Blick, ein fast komischer Ernst und eine heitre Trauer! O wie rührend und schön ist der Jugend Gesicht! Ich seufzete selbst über alte Männer! Und auch die jungen Städte des Landes, groß angelegt aus ungeheurer Hoffnung und doch noch in ihrer Kindheit — rührten mich. Baton; Francesville; Fort Adam; Natchez; Huntson; Warren. Old-Arkansaw gegenüber, kamen Auswanderer den Arkansaw herab, die sich, nicht Alle, aus einem Überfall der noch nicht weit genug vertriebenen Wilden gerettet. Wir mußten sie aufnehmen; es waren Neu-Griechen, die sogar erst seit dem Frieden ihr königliches Vaterland verlassen; ein griechischer Bischof führte sie. Das zeigte deutlich, welche Furcht sie hinweg getrieben. Nach und nach wußten wir um Namen, Vorhaben und Vermögen fast aller Mitreisenden. Und so ward denn ein junger Mensch von etwa 22 Jahren, so hübsch und anständig er war, von den Meisten zuletzt vermieden. Darum grade suchte ich seine Bekanntschaft. Und nach einigen Tagen konnte er nicht über das Herz bringen, mir nicht sein Schicksal zu klagen. — »Man hat mir meinen Vater erschlagen,« sprach er betrübt und zornig, und ich habe als Sohn es so weit gebracht, daß sein Mörder nun hingerichtet wird, ein Ansiedler in Kentucky, dem er Landeserzeugnisse verkauft, und ihn dabei vielleicht zu sehr gedrückt hat; denn im Inlande ist kein Geld, und ganz ohne Geld kann Niemand bestehn, weil doch nicht Jeder Alles erzeugt. Mein Vater war ein Aufkäufer, die freilich überall hier so verhaßt als unentbehrlich sind. Auch hätte er längst in seinem Alter von 60 Jahren ausruhen können, da er die schönste Besitzung in Ohio hat. Aber er hoffte noch immer seinen Sohn, meinen älteren Bruder, zu finden, der ihn verlassen hat, weil der Vater wirklich fast unerträglich sich gegen ihn benommen. Aber hier ist es vergebens, einen Menschen zu suchen. Der Zufall allein thut oft Wunder, wie ich schon gesehen, so jung ich bin. Mein Vater stammte aus Deutschland, und er selbst scheint auch seinen Ältern heimlich davon gegangen zu seyn; denn alle Weihnachtsabende hat er zwar nach Hause geschrieben, aber nie die Briefe fortgeschickt, sondern sie alle gesammelt und sorgfältig vor uns verschlossen. Auch hat er nie einen Brief empfangen, so unerhört es ist, daß Einer auf unsern 7000 Postämtern verloren geht. Hier ist Jedermann unbedingter Herr selbst von dem höchst achtbarsten Vermögen; der Vater kann frei Einem Alles, den andern Kindern Nichts vermachen — mir hatte mein Vater Alles vermacht, und so konnte ich unbesorgt meinen Bruder suchen, und hatte ihn glücklich gefunden. Ich bewege ihn glücklich, mit mir zum Vater zu reisen; er ist nicht daheim; wir reisen ihm nach; — er ist nicht auf der Meierei, von wo er doch nicht fortgereist war. Unser Neufoundländer Hund findet seyn Geripp in einem Ameisenhaufen der großen Ameisen. So sah der Sohn den Vater wieder. Und nun macht man mir Vorwürfe, daß ich das Gesetz angerufen, und sagt: »Hier wird Niemand hingerichtet! Man bessert! Und unsere Anstalten dazu sind die erfolgreichsten auf Erden. Wir haben nur noch die Todesstrafe auf qualificirten Mord, und sind insofern noch dem alten Judengott zugethan, dem: Auge um Auge, Zahn um Zahn; wenn die Europäer — welche hier nur die Verwahrloseten heißen — noch das halbe Judenthum, und das ganze römische Heidenthum in ihrem italiänischen Glauben und römischen Gesetzbuch haben! Statt tausend Straftitel haben wir die Geschworenen, die es so christlich machen können, als sie wollen; auch das ist nicht verboten, und je weniger diese ehrwürdigen Männer von Gesetzgebung und Wesen wissen, je einfacher sie sind, ja wenn sie blos ein Menschenherz im Leibe haben, desto vollkommner sind sie, desto ehrwürdiger. Aber sie sprachen den Mosburg nicht frei, weil sie grade glaubten, einem Mörder müsse es eine Wohlthat seyn, Strafe zu leiden; denn auf Wiedervergeltung beruhe das Weltgericht, und sonst brauche keines zu seyn. Aber das müsse ja seyn, sonst werde die Tugend ja auch nicht belohnt im Himmel, und ewig, ewig.« —
Ich war über ein Wort in der Erzählung erschrocken, und bebte über den Namen Mosburg, denn so hieß der Vater des Knaben, seines noch einzigen Kindes, des armen Wilhelms, der neben mir zuhörte, aber zum Glück nicht Englisch verstand. Sein Vater wohnte bei Perkins. Und so frug ich in Gottes Namen, wie der Ort heiße, wo der Mosburg wohne, oder gewohnt.
Er nannte mir unbedenklich den Ort. Es war Perkins! —
Meine Tochter ging von uns und weinte. Sie führte den Wilhelm mit fort, und zeigte ihm den schönen Abendhimmel und die grünenden Berge, wie ich von fern an ihrem ausgestreckten Arme bemerkte. Dann setzte sie sich, und hatte ihn vor sich umarmt, und ich sahe, er trocknete ihr die Augen mit ihrem Tuche.
Mosburg lebt doch noch? frug ich weiter.
»Ich reise zur Hinrichtung. Es werden Tausende bei diesem seltnen, fast erloschnen Schauspiel zugegen seyn!« sprach er.
Ich war froh. Ich konnte dem lebenden Vater doch den lebenden Knaben bringen! Und wir beschlossen zusammen zu reisen. Ich, wie ich sagte, blos aus Neugier.
Einige vertheidigten dann auch den braven Sohn mit den Worten: »Wenn wir Amerikaner endlich einmal ein rechtes; Volk, ein Muster- und End-Volk werden sollen, so müssen Alle für Alles solidarisch einstehen, so weit es Menschen möglich ist; für Mord und Brand, Diebstahl und Schaden in aller Art; Jeder muß das Recht, ja den Beruf haben, statt eines Andern zu klagen, der feig oder gefühllos es selbst nicht kann oder will. Dann sind erst die Staaten ein wahrer Rechtsstaat, bis dahin ist Alles nur Pfuscherei! Der Freie muß Alles dürfen und können, was recht und was gut ist.«
Man lobte zum Einwandern besonders mir Indiana, das herrliche; Illinois, ja Einer sagte: »Wer redlich an die Zukunft denkt, der thut wohl, sich ganz im Westen am Meere, am Columbiastrom niederzulassen, auf den Fall, daß es mit Europa aus ist und aus wird, und wir die Kräfte nach Asien wenden. Haltet Ihr die Natur für so kurzsüchtig und albern, daß sie sonst dort nach Abend einen solchen allmächtigen Strom hat fließen lassen, und so lange umsonst. Sie könnte ihr Wasser ja besser brauchen.« —
Und so wäre ich lieber in Indiana gereiset, statt nach Kentucky mit Sclaven, aber das Schicksal trieb mich hin; und ich rathe keinem Menschen, auf Reisen eine Commission anzunehmen — denn wie bitter war mir die meine! Aber das reichliche Reisegeld von dem guten Prinzen für den Knaben reichte für mich und Maria. Noch zog mich ein Anderes an den jungen Mann. Nicht, daß er reich und wohlerzogen war, und täglich auf die bescheidenste Weise meiner Tochter gefälliger war, die sie selber rührte, ob sie gleich innerlich fest an ihrem sonderbaren Freunde Erwin hing; und ob ich gleich mit zu jener schlimmsten Art der Väter gehörte, nämlich zu denen, die Töchter haben, und Luchsaugen haben möchten, um jungen Männern in die Herzen zu sehen, wem sie das Beste, was sie haben, einmal anhängen können. Das ist die abscheulichste Sorge für einen Töchter-Vater. Ein Sohn- oder Zehn-Söhne-Vater ist glücklich. Denn die versorgen sich selbst, und müssen und können ihr Schicksal machen. Und meine Tochter war mir so gut wie wiederum auf dem Halse, was mir nur schwer fiel, weil ich mir schon eine lange glückliche Zeit diese Bürde eines Tochter-Vaters erleichtert gefühlt. Doch, um ein aufrichtiger Mann zu seyn, das Alles war es nicht, was mich an den jungen Mann zog, sondern es war die Neugier, die Wißbegier — für meine alte blinde Großmutter — es war der Koffer des jungen Mannes, auf dessen vergoldetem Schilde der Name: Marfolk stand. Das bemerkte ich, als er das Schild sich zerbrach, die zwei Stücken verschoben neben einander lagen, so, daß sein Name nun »Folkmar« zu lesen war. Das gab mir einen Stich in meiner Großmutter Herz. Ihr Sohn, ihr August war also erschlagen — und kam nie wieder? Der Name Volkmar konnte à la Norfolk nur Marfolk englisirt seyn. Denn der Vater war ja ein Deutscher. Der junge Mann bekannte sich zwar zu dem Koffer und zu dem Namen. Aber so fein und plump ich mehr zu wissen versuchte — er wußte nicht mehr.
Wir gelangten in den schönen Ohiofluß und landeten in Handerson in Kentucky, wo Washington auf Mount Vernon, wie vom Herrn, begraben liegt. Hier sah ich mit Freuden das erste Geld, Silber und Gold, und sahe die ersten Zeitungen, die Literatur der Amerikaner; denn das ganze Land schreibt für das ganze Land diese tausend Zeitungen, die in Millionen Blättern wie Wundertauben über das Land fliegen — und wie aufrichtig! Wie der Geist Gottes! Vox populi, vox Dei! Ich wollte sie übersetzen, Auszüge für uns. Aber was für Amerikaner aufrichtig ist, ist noch nicht aufrichtig für Deutschland. Eine oder tausend eben so aufrichtige Zeitungen für Deutschland müßten ganz anders seyn. Und hier schreibt Einer im ganzen Leben vielleicht nur Einen lehrreichen Aufsatz. Ich sahe die erste Schule — aber was wußten die Kinder hier mehr! Wie viel, wie gründlich Alles, was sie Zeit Lebens brauchen können und sollen und werden. Aber wie geschieht das? Antwort: Die Griechen und Römer waren so klug und weise und groß in ihrem Fach — besonders, weil sie nicht mit Griechisch und Lateinisch die jungen Seelen verhunzten. O wir Armen! Wir armen Gläubigen! Wir glauben an alle Völker! Nur an uns nicht. Und deswegen sagte Napoleon: »Die Deutschen sind kein Volk.«
Auf dem grünen Fluß schifften wir nach der Besitzung von Wilhelms Vater. Er war nicht da — in der Stadt im Gefängniß. Ich mußte dem Knaben doch Alles zeigen, und mit wie schwerem Herzen sah ich zu, wenn er sich auf des Vaters Stuhl setzte, seinen im Schrank hängenden blauen Oberrock anzog, und vor Freuden damit in der Stube umhersprang; wenn er die alte Hausfrau nach ihm frug, wie er vor Ungeduld weinte, wenn sie ihn nicht verstand, und wie sie weinte, als ich ihr sagte: es ist der Sohn des Herrn! Selber Marfolk hielt es hier nicht aus, und ehe wir fortzogen, durchrannte der Knabe noch den Garten mit angepflanzten Bäumen, die Wiesen, bestieg die Hügel und hatte fast einen Arm voll duftende Blumen, die er dem Vater mit nach der Stadt nehmen wollte. Selber der Haushund war gerührt, und leckte ihm die Hand, als müsse Derjenige seines Herren Sohn seyn, der sich hier so freue, ihn mit so guten Bissen füttere!
In der Stadt erlangte ich gern, ja mit Seufzen des Mitleids die Erlaubniß, den Vater zu sehn. Der Ort, ein höchst saubrer, freundlicher. Der Mann, ein höchst gutmüthiger, wohlwollender. Und ihm mußte ich sagen, daß ich ihm seinen Sohn Wilhelm bringe!
Der ruhige Mann schlug sich vor den Kopf. Dann saß er mit aufgestemmten Händen, während der Sohn an die Thür pochte vor Ungeduld. Wilhelm aber sollte und wollte dem Vater nicht sagen, daß Mutter und Bruder gestorben seyen.
O Wiedersehn! heiliges Wiedersehn! Wie weinte meine Maria, wie — um ein aufrichtiger Mann zu seyn — wie weinte ich! Wie gedrückt war des Vaters Herz, denn in wenigen Stunden hatte er zu sterben. Wie strömten ihm Lehren und Küsse vom Munde! und segnende Blicke und Thränen von den Augen! — Endlich und endlich, nachdem ihm der Knabe viel erzählen müssen von Mutter und Bruder — ja als er ihm auch im Eifer, sein kindliches Herz ganz auszuschütten, erzählte, wie sie den Anselm in den Meergarten begraben — weil sie beide zu ihm gewollt — weil ja die Mutter gestorben sey — — — da faßte sich der Mann wunderbar, schwieg eine Zeit, schien viel zu fühlen und zu bedenken, und gab mir seinen Sohn dann an der Hand mit den Worten: »Ich habe eine weite Reise vor, mein Kind! Lerne indessen fleißig, lebe gut und fromm und dulde kein Unrecht wie ich! Ich reise gern. Könnte ich nur Alle mitnehmen, die mich dazu nöthigen! Dein Führer hier wird ferner Dein Freund und . . . . Dein Vater seyn.« Dann setzte er sich ruhig hin und sprach nicht mehr. Wie konnte ich anders, als, so schwer sie mir war, eine so heilige Pflicht von dem Vater übernehmen.
Endlich gingen wir fort. Der Knabe ging rückwärts zum Zimmer, rückwärts zur Thür hinaus, um den Vater also noch länger zu sehn — und als die Thür schon zu war, wünschte er ihm noch »glückliche Reise, fröhliches Wiedersehn!« durchs Schlüsselloch. Da hörten wir drinn einen dumpfen Fall! — Aber wir gingen! Und noch war hier ein Herz geschont, das Herz des armen Knaben, der nun mein war.
Nach der Hinrichtung des Vaters besuchte ich allein den freien Platz, worauf viele Tausende versammelt waren. Und wohl zwanzig reisende Geistliche benutzten die Gelegenheit zu zwanzig getrennten camp meetings, zu Feldpredigten oder Bergpredigten. Ich urtheile nie über Männer von meinem Fach — aber die Seele ging mir groß auf, als ich dachte, als ich sah — Erde und Himmel sind die schönste, die einzige wahre Kirche! Und das Leben ist der einzige, reinste, ächteste Gottesdienst. — Auch will ich nicht verschweigen, daß der Ankläger Marfolk fast gesteinigt worden wäre, daß ihn Furcht befiel, dann Haß und Lust von dannen zu ziehn. In dieser Noth hätte ich ihn beinahe »Vetter« genannt. Auch Maria zeigt ihm Mitleid. Nach einigen Tagen stellt er sich gleichfalls beinahe an: mich zu bitten, daß er mich Schwiegervater nennen dürfe. Aber nur beinahe. Maria bittet mich dringend von dannen zu reisen. Und hier muß ich doch sagen, wie meine Tochter hätte gesinnt seyn mögen! Und wie ich hätte gesinnt seyn mögen! Jedes ganz verschieden.
Nämlich Josephine und Erwin wußten, daß wir uns länger in Handerson aufhalten würden, um auszuruhen. Wir empfingen also Briefe. Ich einen Brief von meinem Caplan aus der Heimath, der meldete: daß die Baronesse Freysingen bankrot sey! Daß Erwin sie ausgeklagt. (Das bestürzte Marien vollends.) Daß sie im Schlosse zur Miethe wohne, und daß sie nunmehr als armes, geringes, fast verachtetes Mädchen entschlossen sey, ihrem Jugendfreund Marbod, meinem Sohn, ihre Hand zu geben, wenn er nur von seiner tödtlichen Krankheit genese, und sie hoffe grade durch diese Aussicht ihn herzustellen. Daß meine alte Großmutter mit Gewalt sich habe den Staar stechen lassen, weil ihr Sohn kommen würde; daß sie aber von der Vorbereitungscur ganz schwach, und vor Alter ganz kindisch geworden.
Das war Ein Brief.
Dann schrieb mir meine liebe Clöta aus Neu-Orleans nach manchen andern und vielen Eingängen, daß ihre »schöne,« ihre »seelengute,« ihre »reiche,« ihre »junge,« ihre »geliebte und liebenswürdige« Herrin Josephine — seit dem Tage, unserer oder meiner Abreise krank sey, recht bedauernswürdig krank. Ihre großen Augen seyen noch größer, noch schmachtender geworden, ihr Mund noch kleiner, ihre Grübchen in den reinen Wangen noch sichtbarer. Sie rede oft im Schlafe — und von mir! Sie rufe mich! Sie springe im Nachtkleid aus dem Bett und ringe mit ihr matt und flehend, sie hinaus, sie fort zu lassen. Deswegen meine sie (nämlich Clöta), daß ihre Herrin seit meiner Abreise krank geworden, und wohl nicht besser werden möchte, wahrlich nicht möchte — so gleichgültig sey ihr das Leben, bis ich wiederkäme, oder bis sie mich wiedersähe, bis ich sie wiedersähe, aber mit günstigen Augen. Das läßt Clöta nur durchblicken. Clöta hat von Josephinen ihr kleines Bildniß erhalten — das schickt Clöta mir. Die kostbare Einfassung habe sie behalten. Als Nachschrift stehen die Worte: »Sie hat ihre Plantagen verkauft.«
Das war der zweite Brief.
Diesen las ich allein! Denn eine erwachsene Tochter ist wie ein Engel, vor welchem der Vater sich selber schämt . . . . geschweige ein schönes und junges Weib zu nehmen — so nöthig es dem armen Manne ist, so wohl es ihr selber auch thäte, damit sie vermöchte ein Engel zu bleiben, und nicht eine Sclavin zu werden brauchte.
Maria aber beredete mich fortzureisen. Ich war willig und wollte bereit seyn, wenn ich ein herrliches Grundstück, das ich hier gesehen hatte, für die Baronesse . . . . also auch für meinen Sohn gekauft hätte, woran ich jetzt erinnert worden. O, ein Vater ist ein edler Mann! Aber die Kinder machen ihn dazu! Ich fuhr mir unwillig und schnell mit der flachen Hand über die Stirn bis hinauf in die Haare! Es war aber klug und gut.
Kaufte ich nun für die Baronesse eine kleine Grafschaft, — denn hier sind auch Grafschaften, wie Spinnennetze ohne Spinne, so ohne ihre Hauptzierde: die Grafen — so war zu Hause Marbods Stelle leer, wenn er mit ihr herzog; oder der Diakonus nahm sie an, und bekam vielleicht wieder einmal am Tage Heirathsgedanken. Das Alles war Vorrath für jede Hoffnung, für jedes pis-aller. Ich hatte mit meinen paar Guineen in der Tasche unermeßliche Lande vom Strom aus gesehen, und die Begier, der Geiz der Ankömmlinge war über mich gefallen. Ich wollte das schönste, fruchtbarste Land, den Morgen für 27 Kreuzer, nicht gern aus der zweiten Hand für ein paar Kreuzer mehr. War es noch ganz mit Wald bewachsen, so schien es nach unseren Preisen wohl 100,000 Thaler mehr werth. Aber leerer Acker gilt hier mehr. So zweifelnd und wählend trieb ich mich müde umher, bis ich vor Verzweiflung am grünen Flusse in Kentucky 5000 Morgen — Alles kaufte, was mir irgendwo reizend geschienen. Aber als ich das Gold aufgezählt, von meinen paar Dreiern noch zugelegt, da sah ich — daß die Bergabhänge die Sonne im Rücken hatten — daß hier kein Wein gedeihen möchte. Gott, kein Wein! Ich war außer mir! Aber ich mußte die Acten zu mir stecken, und empfahl Bäume, Quellen, Wildpret, Truthühner, Vögel, Fische und Schlangen, Alles indessen dem lieben Gott. Mit dem Gelde war mir ein Stein vom Herzen, und zwei darauf. Denn ich fand auch, daß mein Eldorado unter dem 37sten Grade der Breite lag; und höchstens erst unter dem 38sten Grade soll sich ein Deutscher ankaufen, wenn er nicht aqua toffana schwitzen will, wie ich vor Angst schon schwitzte. Und nun sollte ich meinen Committenten zu Hause ihr künftiges Paradies aussuchen! War es schlechter als mein gekauftes, dann schien ich ein Eigennütziger! War es besser, dann war ich ein Narr gewesen — Volkmar! In Ohio sollte alles gute Stromuferland schon besessen seyn. Indiana erst später bequem; und da es so breit daliegt, wird auch noch später wohl in Europa ein Unglück seyn, welches Unglückliche hier glücklich macht. Ich weiß nicht, wie mir ward; aber ich fuhr, über den Ohio eben nach Indiana hinüber, hinauf nach Clarkesville ganz in dessen Nähe mein Freund oder Feind Erwin den Adligen auf seines Vaters Befehl im Testament ein unschätzbares Grundstück eingeräumt. Und das erste Wort, das ich von dem vorigen Herrn von Habenichts hörte, war: »Rechts und links von White river, oder gar erst droben von Recovery bis Weautenan soll es am schönsten seyn!« — Wir hatten himmlische Freude, uns wiederzusehen. Ihre Wohnungen waren gut, ihre Gärten und Felder und Wälder wie unvergleichlich. Überall führten mich wenigstens immer funfzig glückliche Menschen herum. Der Nacken that mir weh, die thurmhohen, mit Blüthen wie dunkele große Rosenknospen überschütteten Fichten anzusehn! Die Trompetenbäume, welche, wie die Kinder sagten, Posaunenbäume heißen sollten. Aber wo führte mich der alte Freund auch hin! — In einen Saal, nicht weit vom Ohio, den schon Tausende, die stromauf oder stromab gefahren, besucht hatten, als ein hiesiges Weltwunder. Ich sahe beim ersten Blick ein Wachsfigurencabinet mit allen Europäischen Potentaten, die hier ganz eigenthümlich in tiefem Schweigen, wie in tiefer Überlegung dasaßen. Ich nahm meinen Hut ab, obgleich nichts gesünder ist, als der Gebrauch der Amerikaner, grade wenn man in’s Zimmer kommt, den Hut, selbst vor Damen, aufzubehalten, die ihre noch wunderlichern, man möchte oft sagen unhöflichern Hüte ja auch nicht abnehmen. Aber ich sahe nach langer Wehmuth endlich, daß der Saal ein Klein-Europa, voll seiner besten Erinnerungen, war, alle blos zum Andenken mitgebracht an das theure Vaterland — Deutschland. Da lagen aus dem Cours der Menschen mit fortgenommene Münzen, mit dem Bilde der verschiedenen souverainen Herren. Da hingen Ellen aus jeder Provinz, länger oder kürzer, keine gleich. Da blecherne Maaße, alle verschieden; Meßviertel und Metzen, alle verschieden. Und so tausend verschiedene Dinge. Dort Censuredicte, Cataloge verbotener Bücher aus jedem Ländchen, die einander meist aufhoben. Verschiedene Strafgesetzbücher, Städterechte, Privilegien, Uniformen, silberne Bischofsmützen, schwarze evangelische Mützen. Da hingen an einer langen Kette von Eisen die abgelegten Orden der Herren, ja der Stifts- und anderer Damen. Da lagen Armenlisten, Klosterlisten und Abbildungen von Sonderbarkeiten, eine Reihe Carrikaturen vom ersten Witz, aber unbeschreiblich. Dort lag schwarzes Bauerbrot nebst einer in Wachs bossirten Bauerfamilie. Da verkaufte ein Herr Salz; da Tabak; da einer Wolle, Holz; da hingen Studentenmützen von allen Farben . . . . da lagen Zeitungen mit den letzten Nachrichten; ich bückte mich — ich las den Büchertitel: »Von Authenrieth, Kunst aus Holz Brot zu backen.« — Mein Gott, ich war daheim! Unbezwingliche Wehmuth befiel mich. Heilige Sehnsucht nach alle dem Elend! Das Herz bleibt das Herz. Der Mensch bleibt der Mensch. — »Laßt uns betrachten« . . . . wollte ich anfangen, aber ich mußte aufhören vor Weinen. Ich ging an den großen Häuptern vorüber, die ohne Kronen und Scepter, nur ein Täfelchen mit ihren Namen an den gedeckten leeren Tischchen, saßen — bestaubt, blaß, in hundert Jahren alle todt, zerfallen, wie diese Wachsbilder bald zerschmolzen, in das uralte schwarze Element der Erde. Und ich sahe: Sie waren alle Menschen! Ich sahe, sie waren ja alle aus ihrem Volke! Sie thaten alles Mögliche für ihr Volk, in den Ketten und Banden der Zeit, die schleichen muß wie eine Schlange, nicht fliegen . . . . nicht auswandern kann, sondern daheim gebaut ist, wie Ulysses Bett auf den im Boden festgewachsenen Stämmen der uralten Olivenbäume gezimmert; unbeweglich wohl, aber theuer und werth ist, einzig werth; und wie Penelope daran, an diesem Geheimniß ihren lang verkannten Gemahl erkannte, so erkannte ich hier mein Vaterland! Aber ich stand wie ein Ehebrecher dabei — wie der erschlagene Sohn meiner Großmutter, der seiner Mutter um ein herbes Wort willen auf immer entronnen und umgekommen war, und die arme alte Mutter saß daheim, zwar nicht mehr blind, aber ohne ihn elend, wie er elend ohne sie gewesen. — »Laßt uns betrachten« — wollte ich wieder beginnen, aber ich konnte kaum meine Gedanken alle fassen! Mir war auf der Reise die Flasche zerbrochen, welche mir der Wagehals mit dem Schwimmgürtel ausgehändigt. Ich hatte eine Stelle in seinem Lebenslauf, den ich der Welt einmal mittheilen will, noch vor Kurzem nicht verstehen können; jetzt, jetzt klar und gewaltig überkamen mich die Worte, wie Feuer vom Himmel: »Nichts ist feiger als Flucht! Die armen Elenden! Sie ihrem Schicksal zu überlassen und sich allein zu retten — o Schaam, o Schande! Als wenn eine Mutter oder ein Vater ein krankes Kind, alle seine Kinder krank und gebeugt und hungrig zu Hause wüßte — und an einer prächtigen Hochzeittafel tafeln wollte, sich allein es wohl seyn lassen wollte, in dem freien, fröhlichen, hellen, sicheren, prachtvollen Hause — und nicht heimkehren! O Schaam! O Schande! Nicht heimkehren! Oder fortgehen! wenn sie ihm auch nur krank geschienen! Wenn er ihnen auch nicht helfen könnte, nur mit ihnen leiden, sie nur trösten, sie nur küssen! Ja, hier in Amerika ist das freie, das fröhliche, helle, das sichere, prachtvolle Haus. Ja, es ist hier so schön — daß es eine Schande ist, es sich allein wohlgehen zu lassen, und nicht zu Hause zu sorgen, daß das Übel besser werde. Wo der Mensch besser werden kann, wo er am besten, am hülfreichsten, ja wo er nur am edelsten seyn kann, da ist sein Vaterland!«
So sprach ich mir ohngefähr in zitternder Gluth die Worte vor und vergab dem Manne. Ja, wie ich in Bremen gesehen meinen adligen Freund sich küssen an der Wand, so wußte ich es zu machen, daß ich meine Lippen an die Mauer drücken konnte — denn ich küßte die Welt. Ich war der Schatten hier. Und ich hatte in mir ein Gelöbniß gethan, still, aber fest wie der stille Fels. Nämlich das Gelöbniß: Als ein Deutscher nach Deutschland zu kehren, in ein . . . in mein Vaterland! Damit ich ein Vaterland hätte, und das Vaterland mich; damit ich nicht ehrlos, feig, selbstsüchtig, muthlos, rathlos, hülflos scheine, so sehr ich es wäre! Oder war! O, ich war es nicht mehr, denn ich fühlte mich froh schon daheim! O wie wollt’ ich nun wirken . . . und weben und ruhig sitzen an meinem, an unserem großen Webstuhl, der uns Deutschland heißt: O, ich hätte Heiden bekehrt, geschweige deutsche Auswanderer! Jetzt war mir ein schwererer Stein vom Herzen, der Fels, der mich zu Tode gedrückt. Wie der Riese hatte ich wieder die Erde berührt, und alle ihre Kraft hatte mich geladen. Ich hatte aber noch Pflichten. Mein armes Weib war also umsonst gestorben. Die guten, die edlen Weiber haben immer Recht. In jeder Mutter wohnt die Stimme der Natur. Ich schrieb in meiner neuen Stimmung an Clöta, ließ neue Plane durchblicken — ich legte ihr eine schwarze Locke von meinem Haupte mit in den Brief. Ich fühlte ein neues Leben — gesund am Leibe war ich so schon geworden, ich fühlte das Leben neu. Sollte ich blind seyn? Herzlos? Undankbar? Denn was ist älter als alle Welt? Welches Gefühl? Und wie Josephine mich eher gesehen, und ich sie eher gesehen hatte, ehe wir Beide wußten, daß meine Frau das Schicksal getroffen — wie ich Josephinen also noch in eine lebendige Welt, als die letzte, die schönste Gestalt mit aufgenommen, nicht farbenlos, geisterhaft in die darauf erst mir aufgethane farbenlose, geisterhafte Welt der Geraubten, so war Josephine ja nun darinnen lebendig, und regte sich — o sie regte sich wunderbar! Was ist der Mensch? — Ein immer neues Wesen in der immer um ihn versinkenden Welt. Oder man sollte im neuen Lenz keine neue Rose brechen und an die alte Brust stecken, ja nur ansehn.
Darauf zog es mich ins Land hinein, links an den Wabasch. Schon der Name »Harmoniten« reizte mich. Ich wanderte mit meiner Tochter, wie in einem langen Traume, im süßesten Sonnenschein. Aber die Flasche konnte ja Unrecht haben, ich konnte nun erst am gewaltigsten irren, nun ich glaubte Recht zu haben! Das Gefühl, Unrecht gethan zu haben, verstimmt mit der Welt und macht blind auch. Und wollte ich billig seyn, ich konnte nicht leugnen: diese Deutschen in alle den Ansiedlungen, die ich nun antraf, schienen mein Heimweh überstanden zu haben! Denn sie schienen nicht nur, sie waren wirklich glücklich. Bei mäßiger, ja nicht der Rede werther Arbeit glückliche, harmlose Landleute. Sie waren keine Städter, keine von der alten Welt gebildete oder verbildete Leute, kurz keine Gelehrte, keine Vornehme gewesen. Und doch sagte mit ein Doctor, der hier zum Bauer geworden: »Welch Unglück ist größer, als eine große Stadt? — Welche Lüste tauchen dort auf wie aus feuerspeienden Bergen und schwelgen sich satt! Hier im ganzen Lande, den einzelnen Meiereien, ist kaum ein treuloses Weib. Kein Spieler. Ich sage meine ganze Überzeugung: Es ist nichts schöner und menschlicher, als ganz an und mit der Natur zu leben! Versteht sich menschlich! Menschlich mit Blumen, die man tränkt, menschlich mit alten Bäumen, menschlich mit dem Lamme, dem Hunde, ja mit dem Bär im Walde und mit der Schlange. Denn durch Milde des Menschen sind alle Thiere zähmbar, dienstbar zu machen, und alle sind seiner väterlichen Stimme, seinem liebevollen Auge unterthan, denn die Thierseele ist auch noch ein Hauch von der großen Seele, wenn auch nur wie letzter rosiger Hauch an den Wolken in wunderlichen Gestalten, noch heiliges Licht der Sonne. Gartenbau, Feldbau, das ist das erste, mittle und letzte Geschäft selbst des einst ganz klaren, ganz großen Menschen, und im Schooße der Natur wird es am ersten, am schuldlosesten, wenn einmal die Flamme in ihm entbrannt ist — und sie ist entbrannt! Und hier im Lande werden nur lauter Gärten seyn, lauter Gärtner und Bauern. Aber ein Bauer ist ein ungeheurer Kerl, groß wie Adam,« schloß er lächelnd. Der Doctor begleitete uns auf der Weiterreise, bis nach dem kleinen Flecken Fashionout oder Modelos, welchen Engländer angebaut, um der Mode zu entfliehn.
Mein Gott! wie oft des Tages mußte ich hier im Lande mein kaum gesagtes Wort zurücknehmen! Zu des Doctors Lob des Bauers hatte ich gesagt: In der freien Natur, in einzelnen Pflanzungen hebt das angeborene richtige Gefühl die Menschen über den kleinlichen, schwelgerischen, neidischen, erbärmlichen Verkehr großer Städte. Und hier gilt nur das Herz! Kein Rang, kein adliger Stolz, nicht Schaam einer niedrigen Magd. Man sieht, was in Europa die Seelen bedrückt, das Gefühl der Stände, des eigenen, von Jahrtausenden ausgedrückten Unwerths, das nicht zum Gefühl der gleichen Menschenwürde empor gelassen wird — nur fort nach Amerika. Ich mußte das Wort sehr bedingen. Denn der Doctor frug mich nun gern: »Warum wandern die so ziemlich freien Engländer aus? — Um der Sclaverei der Mode zu entfliehn, der Jeder, der reich geworden, erst recht verfällt! Ein ruinirter Fashionable, den ich curiren soll, sagte mir erst gestern: die Mode ist die albernste Gesetzgebung, die kostspieligste; die Mode ist das Ungeheuer, welches Europa’s Fleiß, der Männer und Weiber Schätze, Lebenslust und wahres Leben auffrißt. Die Europäer, vor allen die Engländer, sind die wahrsten Sclaven durch die Mode. Die Engländer — denn ich bin keiner mehr, sagte er — sind überall frei — aber im Hause Sclaven! Es wäre besser, sie wären in der Nachtmütze, in Pantoffeln, bei der Suppe, bei Messer und Gabel frei, als frei überall außerdem auf Land und Meer. Alle Künste müssen darüber zu Grunde gehn, alle Künstler, kurz Land und Leute. Die englische Gesellschaft und ein jeder Abdruck derselben umher ist die erbärmlichste auf dem Erdboden, und wenigstens zehntausendmal erbärmlicher als die chinesische, wo doch viel zu merken und viel zu lernen ist; aber Alles auf Zeit Lebens, auf das Leben vom Urgroßvater bis zur Urenkeltochter und immerdar in die selige Ewigkeit. Hier in Fashionout beobachten wir Menschenanstand, und kleiden uns und leben nach Wetter, Bedarf, Vermögen, Gesundheit.«
Ich aber dachte, daß Deutschland 2500 Städte hat und 40 Millionen deutsche Zungen, Seelen, oder Mäuler, wie die Chinesen sagen, und Großmäuler, wie die großen Deutschen gern sagen.
Wie von diesem braven Doctor, so ging für mich nun ein tägliches Scheiden an, von jeder Gegend, jedem Bach, jedem Baum, jedem guten, freundlichen Menschen — aber zuerst beinahe von meiner Tochter! Sie war mir krank geworden; ich wollte sie in Gottes Namen nach Lawrencebury am Ohio schicken, in das Haus des jungen, sie ehrenden Marfolk. Aber mit wem? Ach, war nur mein Schulmeister Tolera hier! Denn auf dem Straßenbau hier im Lande hätte er nicht nöthig gehabt, die Menschen hungern zu lehren! Im Gegentheil nicht gar so viel essen; zum Frühstück schon in Butter gebratenen Schweinebraten, Fische, fetten Kuchen, Eier, Käse; und ihr Aufseher — nicht gegen die Unmäßigkeit im Essen angestellt — erzählte mir mit sonderbarer Freude, daß die 6000 Arbeiter hier in 90 Tagen keiner einen Schnaps getrunken habe! Aber meine Tochter nahm sich zusammen, und ihr Geist, so jung der liebe Geist war, war stark. Ich fand es für meine Leute hier überall gut, sich niederzulassen, so weit wir umherzogen, beschwerlich genug. Hier begruben die Leute selbst; sie trauten junge Paare, sie tauften selbst — und der Papst und die Clerisei fiele auch hier in Ohnmacht! Ja, wir wurden selber zu einer Taufe in Silverheelstown eingeladen, wo ein Vater an jedem seiner Kinder einen besondern Gläubigen hatte. Der älteste Sohn war ein Jude; der folgende ein Türke; der dritte ein Quäker; die älteste Tochter eine Katholikin, und so fort, damit doch Eines seiner Kinder den rechten Glauben erwische. Ich sollte nun Pathe stehen bei einem kleinen Buddhaisten. Aber wir wußten Alle von den Ceremonieen dabei nichts. Tolera selbst hätte sich zu Tode gewundert oder betrunken. Indessen dieser Vater wollte auch Vater meiner Kinder werden, und ihnen ein gesegnetes Stück Wüstenei verkaufen. Und ich schloß mit ihm die Bedingungen ab. Und nun begehrten wir alle nach Cincinnati zum Bruder, vielleicht alle weiter, nach Hause. Aber das Geld ging mir unterwegs nun endlich aus! Maria will ihr Halsband von Josephinen verkaufen; — das will ich nicht! Ich will den Ring vom Prinzen verkaufen; — das will sie nicht. Aber das mußte geschehn, denn für den spätern Erlös des Halsbandes bezahlten wir die Heimfahrt nach Europa. Aber nun war kein baares Geld von den Kauflustigen für den Ring aufzutreiben! Höchstens Anweisungen auf eine ferne Bank. Sollten wir nun hier, was wir an Materialien zum Tausch erhielten, verzehren — so waren wir nicht weiter. Wir mußten also lebendige Ochsen und Schweine nehmen und einen Treiber, um sie am Ohio in Geld zu verwandeln. Die Reise war merkwürdig genug. Schweine verliefen sich — ich konnte nicht nachlaufen! Ochsen waren marode, Maria schüttete ihnen Gras hin, beklagte sie und ließ sie liegen. Eine Nacht ruhten wir in einer Höhle der Berge, die voll uralter fremdartiger Menschengerippe war. Wir sahen Postdampfwagen pfeilschnell vorüberfahren, wir konnten keine Stelle darauf bezahlen. Endlich trieben wir glücklich in Lawrencebury ein. Aber Niemand lachte uns aus. Alles Nothwendige steht hier in Achtung. Wir frugen nach Marfolk’s Wohnung, fanden sein großes Gehöft mit Niederlagen und Speichern, und ob er gleich mein Schwiegersohn werden wollte, so drückte er mir doch die übrigen Ochsen und Schweine ab. »Im Handel keine Freundschaft!« sagte er. Dagegen im Hause war er unser Freund. Er wußte um mein Anliegen, er führte mich, noch ehe wir ausgeruht, in seines Vaters Zimmer. Da hing über seinem Tische meiner Großmutter Bild.
Schwarz, in großer Haube, und drunten stand der Name des reisenden Silhouetteurs Näthe aus Görlitz. Er öffnete die Weihnachtsbriefe. Sie waren nach dem Ort meiner Heimath adressirt. Es gab eine Scene der Erkennung, welche Maria durch kühlen Anstand milderte. Marfolk war in allen Zeitungen im ganzen Lande durch seine Anklage auf Hinrichtung gleichsam an’s schwarze Bret geschrieben. Er wollte fort aus Amerika. Er fand es schön, vor die alte Großmutter zu treten, und wenn er nicht in Europa bliebe, wollte er bei der Rückkehr als ein frischer Einwanderer sich in einem andern Staate der Union unter seinem wahren Namen Volkmar niederlassen. Er wollte mit uns reisen! Das setzte voraus, daß wir wirklich reiseten. Auch war ihm die Reise im Testament des Vaters, also nun meines Oheims, aufgegeben. Wegen des Knaben Wilhelm bestimmten wir, daß er ein Gerber werde, als die jetzt noch vortheilhafteste Profession, weil Häute um ein Spottgeld und Leder sehr theuer wären. Übrigens war hier nichts mit andern Handwerken; denn die Maschinen machen schon alles, oder werden hier noch alles machen, als seelenlose, blinde Ableger oder Riesenkinder des Menschen, gleichsam ein eisernes Geschlecht, in welches der Mensch seine Sclaverei gebannt hat; und worüber Europa zu Grunde geht, durch Maschinen, das bringt Amerika empor, weil hier Alle breit und bequem auf die fruchtbare Erde sich stützen, und Alle sich neben und mit Maschinen grade erst recht hoch emporrichten. Um dem Wilhelm zu der Ansiedlung von seinem Vater zu verhelfen, mußte ich ihn jedoch erst durch einen verschriebenen Taufschein als Erben legitimiren. Übrigens lernte ich hier im Hause das Verhältniß und das Verhalten der Dienstboten — bei uns des Gesindes — hier der dienenden Herren und Frauen — kennen, die so behandelt werden und so sich betrugen, als bei uns adlige Herrn und Fräulein im Dienst bei Bürgerlichen sich benehmen und behandelt werden würden. Mein Gott! so viel thut schon das bloße Bewußtseyn: Wir sind frei! und das große Verhältniß: Es ist nur Ein Stand im Lande — der Stand des Menschen! Das war das Bitterste, was ich erfahren habe, und das Schönste. Ja, wenn wir hier blieben, wenn ich keine andere Aussicht für uns wüßte — und ich sahe weder als Pastor, ja nur als Schulmeister ein Ankommen — wenn wir nicht Bauer wurden, in dem kolossalen, freien, Amerikanischen Sinne, durch Ankauf aus dem Ertrag des Diamantenhalsbandes — — — so wollten wir uns selbst mit meiner Tochter vermiethen.
Aber ich hatte recht vermuthet! Mein Vetter Marfolk hielt um meine Tochter an. Ich konnte ihm nichts darauf sagen, als daß schon ein Anderer um sie angehalten, dem ich es schreiben wolle. Und so that ich. In 14 Tagen erhielt ich die Antwort von Erwin: »Im November komme ich nach Philadelphia. In vielen Geschäften. Erwin.« Noch stand das Wort dabei: »Ich bin Senator der vereinigten Staaten.«
Auf solche unbestimmte Antwort drängte mich meine arme Tochter, die mir herzlich leid that, zur Heimreise nach Europa. Ja vorher, gewiß vorher — ehe sie den Erwin wiedersähe. Aber leider waren wir schon im Herbst, der unendlich schön und bunt und mild und heiter sich über das ganze Land gesenkt hatte. Meine Reise konnte nicht die Absicht haben, die Natur abzumalen, und so habe ich alle die tausend Gelegenheiten vorüber gehen lassen, ein Bild von Dinte ihr nachzupfuschen! Denn hier ist mehr wie Griechenland und Italien. Hier ist Persien, kurz alle schönen Gegenden der Welt, nur keine Schweiz. Freilich blieb mir übrig, auf der Besitzung der Baronesse Freysingen und ihres mir so nah verwandten jungen Mannes den Voigt zu machen, oder den Gehülfen auf der Ansiedlung unsrer zwanzig Dörfer — aber meine Tochter hatte alle Amerikaner satt, durch Einen, und Amerika mit ihm herzlich satt. Zum nächsten Frühjahr also versprach mir der gute, bescheidene Vetter Marfolk mit nach Europa überzufahren. Jetzt nahmen wir von ihm Abschied. Wir reiseten ziemlich armselig. Jeder Vater kann sich denken, daß ich endlich schweres Verlangen trug, meinen Knaben in Cincinnati zu sehen. Wir schifften die kurze Strecke den Ohio hinauf nach der Stadt, die einen Hügel hinauf schön und herrlich liegt. Wo er seyn sollte, wußte ich. Ich ließ meine Tochter in unserm Boarding, oder höchst anständigen Familien- oder Gesellschafts-Gasthof, ging allein und fand das Haus. Aber mein Sohn war fort! Fort in eine Anstalt nach Philadelphia. Wer konnte das gethan, ihm so wohlgethan haben? Alles Rathen war aber vergebens. Indeß er lebte, er hatte geschrieben — auch an mich; ich empfing seine Briefe. Ich mußte sie küssen, ehe ich sie las, und dann weinen, denn er erinnerte mich an die Mutter, die nun schon lange im Lande hier schlief. Ich schrieb ihm wieder und ein Diener ging sogleich mit dem Briefe fort.
Als ich nach Hause gekommen, fand ich eine Einladung zum Mittagessen zu einem guten Freunde, der sich jedoch nicht genannt hatte. Straße und Haus war angegeben. Warum sollte ich der Einladung nicht folgen? Meine Aufregung war heftig. Ich zog wieder einmal die guten Kleider an. Alle meine guten Freunde schwebten mir vor. Wie angenehm war mir ihre Nähe im Geist. Aber ach, wie viele waren elend gebannt zu Hause! Doch auch unter den Wenigen, die hierher gewandert seyn konnten, rieth ich vergebens, und blieb in der holden Erwartung, wen ich sehen, wen ich an das Herz drücken würde.
So geh’ ich. So trete ich ein. Niemand zu sehn! Nur ein Tischchen mit zwei Gedecken steht bereit. Aber im Cabinet regt sich es wieder mich sonderbar erinnernd. Ich sehe. Es lauscht zwischen den zugehaltenen Vorhängen. Ich spähe. Ich gewahre ein großes braunes Auge in seinem milchweißen Himmel. Mir klopft das Herz. Ich sehe oben darüber schwarzes, glänzendes Haar. Nun erscheint ein kostbares Nasenspitzchen, die schöne, edelgebildete Nase. Jetzt Lippen wie Erdbeeren, wie eine Doppelkirsche. Mir beben die Kniee wie in meiner grünsten Jugend. Mir vergehen die Sinne. Denn nun sehe ich auch schöne, aber blasse Wangen — das ganze edle Antlitz ist frei. Aber die Augen sind jetzt leise geschlossen. Die Augensterne zucken unter den langbesäumten Augenliedern. Ja, an den Wimpern quillt es leis und zart hervor wie Thau an Blumen. Ich weine selbst.
Josephine! ruf’ ich.
Da verhüllt sich ihre ganze Gestalt wieder hinter dem Vorhang. Ich bin betäubt. Ich setze mich gleichsam in Ohnmacht auf das Sopha. Meine Hand bedeckt die Augen. So bleibe ich lange. Ich träume, ich schlafe eine mannigfach bestürmte, aber schöne Zeit. Ich komme zu mir. Die Gestalt sitzt neben mir. Ihre Hand hält meine Hand. Ich schlage die Augen auf. Ihre großen, feuchten Augen sehen mich an. Wenn ich nicht auf dem Sopha saß, wär’ ich ihr zu Füßen gefallen.
In dieser herzbeklemmenden Stunde erschien mir wie damals wieder im Zimmer vor mir stehend die Gestalt meiner Frau. Ich machte die Augen vor ihr zu. Aber sie sprach heut mild zu mir: »Fürchte Dich nicht! Ich bin unter den Todten so klug geworden, wie alle Todten. Weiber und Männer, die von den Ihren hinweggerissen, nur wohlthun, ihnen auf Erden noch alles Glück zu gönnen, ihnen neidlos alles Glück zu verschaffen, oder bei ihrer Ohnmacht sie doch zu segnen. Also jetzt sprich zu dem armen Weibe. Sie wird kein Wort Dir sagen. Denn ein Weib ist edel. Und so sehr sie verrufen sind, daß sie schwatzen, so halten sie doch ihre Liebe zu heilig, als sie je auf die Zunge zu nehmen gegen einen Mann. Rede also Du! Und sie wird Dir antworten ohne Worte, mit Thränen, mit ihrem ganzen Dir holden, schönen Wesen. Auch prophezeihe ich Dir, lieber Volkmar: Noch heut wirst Du mit ihr getraut. Diese Nacht schon ruhest Du hier. Und wenn Du das Licht auslöschest, und es sich unheimlich im düstern Zimmer regt, so denke: ich bin’s, die hinschwebt, das kalte Lager der Todten zu drücken.« —
Jetzt schwieg sie, sahe mich zärtlich an, und verschwand oder verlosch vielmehr auf derselben Stelle allmählig, wie ein Regenbogen verschwindet und hin ist.
Ich aber war noch ganz verworren, und sagte laut und verständlich vor mich hin: Das laß ich mir eine vernünftige Frau seyn! Sie räth mir nun selbst zu, den Engel zum Weibe zu bitten. — Ich fuhr auf. Denn ich erwachte jetzt über die Worte erst völlig und war gewiß über und über roth.
Aber auch Josephine war von Röthe übergossen. Aber sie verbarg sie an mir.
Und das einmal ausgesprochene Wort meines vormaligen Weibes gab mir Muth und Veranlassung, der schönen jungen Wittwe zu erklären, ja Alles aufrichtig zu sagen, was ich von der Erscheinung gehört . . . . und mein Schlußwort dazu zusetzen oder anzubringen.
Und wie mich mein Weib versichert, so geschahe es. Josephine weinte blos, oder schlang höchstens nur einmal ihre Arme um meinen Nacken — aber die Edle küßte mich nicht! Doch — um ein aufrichtiger Mann zu seyn — ich küßte sie! Zum Erstenmal. Aber nicht zum Letzten. Und als Braut führte sie der Bräutigam — meine Wenigkeit — zu Tische.
Wie wenig essen Glückliche!
Aber wie viel trinkt ein armer erlöster Pastor vortrefflichen Wein! Um ein aufrichtiger Mann zu seyn, muß ich aber gestehen — und jeder Eingang mit dem Worte »gestehen« taugt gewöhnlich nicht viel — ich schämte mich vor meiner Tochter, wieder ein Weib zu nehmen, und ein so schönes, so junges, und da es einmal so war, auch ein so reiches. Wenn meine Tochter heirathete, so mußte sie sich vor mir schämen — daß sie so liebte bis zum Heirathen. Oder wir waren doch quitt. O, ein Vater hat in jeder Lage gar viel zu denken, zu bedenken, zu beobachten. Doch meine Tochter sollte ja gar nicht erfahren, daß ich nur wieder heirathen könnte! So war ich heraus. Aber dabei mußt’ ich nun bleiben.
So viele Monate, so schwere Zwischentage waren wir uns unter tausend Zweifeln mit Josephinen doch gut gewesen — hier zu Lande war kein langweiliges, meist nur überflüßiges Aufgebot nöthig, da keine Kirche, also auch keine Kirchenordnung oder Litanei hier ist. Auf einem Spaziergang gegen Abend ließen wir uns dem Geistlichen melden, denn meine Braut kam mir garnicht mehr so voll vor, als da ich sie zum letztenmal gesehen. Und so standen wir vor dem Geistlichen, gelobten uns Treue, gelobten uns: Glück und Unglück mit einander zu ertragen, und der Mann hielt eine kurze Rede, wie ich selber niemals eine zu halten im Stande gewesen — so gerührt war er. Und als junger Mann und junge Frau wandelten wir nach Hause. Marien aber ließ ich sagen, ich wäre in so liebe Gesellschaft gerathen, daß ich wohl vor Morgen früh nicht nach Hause kommen würde. Dabei schickte ich aber der guten Seele ein großes Körbchen mit allerhand vortrefflichen Speisen und Wein, damit sie unbewußt doch von meinem Hochzeitschmause koste.
Bis zum Morgen aber hatte sich meine liebe, kostbare Jungefrau entschlossen, mit uns nach Europa zu gehn. Ich bat sehr, ob ich gleich wußte, wie gern sie ging, um aus einem Lande zu kommen, wo sie, so schön und edel sie war, nur mit dem Schleier sich zeigen durfte — ihrer schimmernden Farbe wegen.
Als ich nach Hause kam, schlief meine Tochter, und ich küßte sie, und bat ihr unser Glück ab und meine liebende Täuschung. Ich aber konnte ja nun wieder — versteht sich ohne den rechten Namen — von ihrer guten Mutter reden. Ja, der folgenden Tage Einem führte ich Josephinen bei ihr ein — als eine Gesellschafterin für sie auf der schönen Herbstreise durch Ohio nach Philadelphia, ja nach Europa.
Abends ging ich gewöhnlich in die oben angeführte »so liebe Gesellschaft.« Und so hatte ich in diesen wieder glücklichen Tagen nur einen, aber höchst bittern Verdruß. Ich wollte doch das Merkwürdige von Cincinnati sehen. So lasse ich mich in die gelehrte Gesellschaft einführen, zu der auch, und besonders die hiesigen Buchhändler gehören. Man muß meinen Namen Volkmar mit: Volkhard verwechselt haben. Manche kommen und bedauern mich. Manche drücken mir die Hände. Einer fragt mich mißtrauisch: wie ich aus meinem 19jährigen Zuchthaus entkommen? Ein Andrer: was ich gedacht oder für Entschlüsse gefaßt, als ich das Bildniß habe um Vergebung anflehen müssen? Andere wendeten mir den Rücken, oder sahen mich höhnisch, ja was noch barbarischer war, sie sahen mich mitleidig an. Kurz, ehe es zu der Collecte kam, die man für meine arme, unschuldige Frau und Kinder sammeln und ihnen schicken wollte, suchte ich zu entkommen. Denn meine nackte Versicherung, daß ich kein Buchhändler, am wenigsten ein Bayer sei, schlug bei den einmal Verblendeten nicht an, und sie hielten mein Ablehnen für Schaam, für falsche Schaam in Amerika. Durch diesen Vorfall erwachte aber — in meiner Weise, der mitleidigen, hülfreichen — mein Heimweh bis zur Angst. Und ich wand die Hände.
Also nach einer schönen, glücklichen Reise durch das, reich angebaute, unvergleichliche Ohio — worin aber zwischen Urbana und Bixbie und zwischen Chillicothe und Marietta noch ungeheurer Platz zu den gesegnetsten Niederlassungen der Einwanderer harret — waren wir im November endlich in Philadelphia, und wohl logirt, denn meine Frau hatte unermeßliches Vermögen, ob ich gleich noch nicht darnach gefragt, und ich war der Herr wiederum meiner Frau.
Sie ging mit mir voll Freuden zu nunmehr unsrem Sohne Gustav Adolph, welchen, wie ich jetzt erfuhr, sie in eine vortreffliche Erziehungs-Anstalt hatte bringen lassen. Sie ging zuerst zu ihm hinein. Aber das war vergebliche Vorsicht ihn auf den Vater vorzubereiten! Er kam — bei ihr vorbei, über den Saal, auf die Treppe mir entgegen gestürzt, wo er auf den höheren Stufen stehend, mich wie gleichgewachsen, so recht umhalsen konnte. Aber er hatte ja mich, den Vater. Und so war sein erstes Wort: »Ist die Mutter drunten?«
Vorbereitet auf diese Frage sagte ich ihm, daß sie wieder nach Hause gereiset sei, weil ihr lieber Sohn Marbod krank gelegen.
Das glaubte er. Denn er kannte ihre Vorliebe zu jenem Kinde. Und ach, so blieb ihm die Mutter leben, lange, lange Jahre. Er frug aber nach der Schwester Maria. Und so mußte ich ihn unter Bitten und Bedrohungen ermahnen, daß er sage: die Mutter habe mir ihn selbst, den Gustav Adolph, mit einem Freunde hierher nach Philadelphia nachgesandt, weil die Schwester sonst über die Mutter und den kranken Bruder sich grämen würde. Was die Mutter betraf, hatte ich die Wahrheit gesagt. Unter dieser mir von dem folgsamen Knaben zugesagten Bedingung konnte ich der armen Tochter doch eine Freude machen: den Bruder wiederzusehn. Auch mußte sie das glauben, denn auch ihr hatte ich in Vorrath gesagt, daß ich meinen kleinen Sohn gern nachgesandt hätte, und deswegen nach Hause an die Mutter geschrieben. Und so belohnte sich diese fromme List auf der Stelle. Denn Maria kam herauf, und die Geschwister weinten reine Freudenthränen.
Eines Abends darauf — es mochte in Deutschland um die Zeit seyn, wo Tag und Nacht mit einander ringen, nach Mitternacht — kam meine heimliche Frau zu uns in merkbarer Aufregung, und ladete uns zu einem Gang an den Hafen ein, denn es wären Schiffe gekommen, die auslandeten. Wir gingen also.
Die Delawarabai wimmelte von Schiffen. Unmerklich aber führte uns Josephine an einen Stapelplatz, wo Boot auf Boot voll Neger, Hundert zu Hunderten ans Land gesetzt wurden. Negermütter saßen schon auf der Erde, und hatten die Kinder an der Brust, auf dem Schooß, oder um sich her. Junge und ältere Männer, alle neu gekleidet, gingen ab und zu und halfen den Ihrigen Seil ziehen, Päcke tragen, alles in brüderlicher, fröhlicher Gemeinschaft. Auf einmal trat meine Tochter bestürzt hinter mich. Ich wandte mich um. Sie verbarg sich an meiner Brust. Sie war blaß wie von Schnee; sie bebte wie geschüttertes Rohr. »Was? Wer? Warum?« frug ich. — »Ach, dort!« sprach sie und deutete unmerklich über meine Achsel mit dem Zeigefinger. Ich sah überall umher. So erblickte ich auch unter einigen Gruppen zwei einzeln stehende Männer, deren Einem, dem großen, schlanken in blauem Überrock ich nicht ins Gesicht sehen konnte; aber der Andere hatte es uns zugewandt — es war Erwin. Nun wußte ich Alles! Ich drückte ihr herzlich die Hand und hieß sie abwärts sehen. Aber die Männer kamen beide im Gespräch auf uns zu. Ich wich unmerklich aus, aber Erwin schien uns vermuthet, erkannt zu haben. Und während wir alle die Augen zur Erde niedergeschlagen hielten, kamen sie uns so nahe, daß ich ihre Fußspitzen sahe. So blieben sie vor uns stehen. Sie grüßten leicht und zuversichtlich — und ich hatte die Ehre und das Vergnügen und die Erfahrung, an Erwin das Compliment eines getäuschten Tochtervaters zu machen oder zu schneiden, und ihm zu danken. Welches Gesicht ich aber dazu gezogen oder geschnitten, kann ich als ein aufrichtiger Mann nicht sagen; denn ich habe es nicht gesehen — als im Spiegel von Josephinens Antlitz, worauf es ganz roth aussah. Wie mußte mir aber erst werden, als Erwin nun so seine liebe Stimme vernehmen ließ:
»Ich sollte eigentlich recht bös seyn, und ich will auch nicht leugnen, daß ich im Kern der Seele, im Stolze, recht schwer, ja recht schwer beleidigt war! Sehen Sie nur, General,« sprach er zu seinem Begleiter, »da hinter dem Vater steht verschämt das Kind, das mir das Leben so schwer gemacht — aber mich zum freien Manne, und hoffentlich nun auch zum glücklichen« . . . .
Er wollte Mariens Hand ergreifen, und wie sie sich ihm entzog, und um mich herum schlüpfen wollte — ergriff er sie von der andern Seite und hielt sie fest an der Hand. Und das ganze Mädchen zitterte.
Und mit seelenreiner, seelenfroher Stimme sprach er getrost zu ihr: »Ehe ich nicht frei war — denn wer nur noch einen Schatten von einem Sclaven hat, der ist selber ein Sclave — eher schämte ich mich Dir mit einem Worte zu nahen — und Du, Du hast doch das Schweigen verstanden? Meine ich! Aber jetzt, jetzt! Ich habe keinen Sclaven mehr! Bin ich nun Deiner werth? Nicht wahr — ein Amerikaner! . . . . und er sollte Sclaven haben . . . . nicht wahr, das konnte die liebe Seele ja nicht ertragen! Wer würde so ein Mann als Mann gewesen seyn! Nicht wahr? Aber ich habe keinen Sclaven mehr, da siehst Du sie alle umher! Du, mein edles Kind, Du hast sie frei gemacht — und hast doch nur Einen Menschen recht geliebt. Und das hab’ ich verstanden! Das hab’ ich geehrt.«
»Wohl, sehr wohl! Senator,« sprach der General.
Wir andern alle weinten, und namentlich mir schnürte es heimlich ordentlich die Kehle zu. Aber o Gott, der Blick, der jetzt aus meines Mädchens Augen in ihres Freundes Augen strömte, der war wohl werth, daß Du Menschen geschaffen hast, Du allliebender Vater, daß Du sie Sclaven werden lässest und erlösest, durch Deine heilige Macht. Was hätten die Menschen denn sonst auf der Welt zu thun, als etwa alle ewig im Bett zu liegen — wenn Alles vollkommen wäre! Das verhüthe Gott, und hat es verhüthet. So haben die guten Menschen etwas vor, das Gute zu thun, und eine Freude, den Sieg über Irrthum und Blindheit der andern armen Menschen. — Das war mein innerliches Gebet. O ich war ja nun endlich ein glücklicher Tochtervater! Und die Unglücklichen können nicht beten; denn Beten heißt: Gott loben in allen Dingen. So meine ich.
»Die Sache freut mich!« sprach der General. »Sie geben ein Beispiel, und ich danke Ihnen für Viele, Senator.«
»Es geschieht nach meines Vaters Testament;« sprach nach Gottes Willen nun mein Schwiegersohn. »Denn welcher Deutsche vergäße sein Vaterland! Das ist uns keine Schande; denn Deutschland ist auch das Vaterhaus von England, woraus unser Penn stammt. Thue ich was dazu, so geschieht es aus allerhand Liebe und Ehrfurcht. — Also mir keinen Dank, Präsident!«
Gott’s Wetter! hätte ich bald laut gesagt, das ist der Präsident der ganzen 27 vereinigten Freistaaten! und ich hielt mir wirklich den Mund bescheiden zu und sahe meine Tochter bedeutend an, deren Auge aber schon an dem Manne hing, still, sanft, ehrfurchtsvoll, wie eines Kindes Auge, das zum erstenmal den Engel, das Christkind sieht, und selber die eigene größere Schwester in ihm nicht erkennt, ob es sich gleich ohne Maske zu ihm neigt und mit unverstellter Stimme freundlich zu ihm spricht. Das blaue Band auf ihrem Busen ging aber auf und nieder . . . so klopfte ihr Herz. Und ich hätte die golden untergehende Sonne fragen mögen, ob sie etwas Größeres auf ihrer weiten Bahn erblicke, als einen freien Vater freier Kinder.
. . . . . »Und lieber Vater,« sagte Erwin nun zu mir, »die Neger gehen nach Deutschland.« —
Ich erschrak billig und unbillig.
»Ich meine in die Schule,« fuhr er fort, »in die mein gewesenen zwanzig Dörfer der Freysingen; denn ich habe sie laut Testament den Menschen zur Ausstattung mitgegeben. Die Güter der Einzelnen habe ich gekauft. Die Schiffe bringen die Neger hin, und laden Ihre Gesellschaft her. Künftig folgen Mehrere! Tausende! Sorgen Sie nur, daß Sie dagegen 5000 Männer hersenden; denn so viele können gleich einen eigenen Staat gründen und sich eine Verfassung geben, und schon Abgeordnete zum Congresse schicken. Das Schloß der Freysingen, den Park und die Appendixe von Vorwerken aber erlaube ich mir Ihnen anzubieten, lieber Vater!«
»Sie wollen also nicht bei uns bleiben? Wir haben die Deutschen so gern;« sagte mir der gegenwärtige Vater des Volks, »Jeder, wie er will. Nur recht für sich und nicht unrecht für Andere. Aber was haben Sie hier gesehen und bemerkt?«
Ich hatte aber das Herz auf einmal zu voll von der Heimath, oder sprach aus Verwirrung: Was ich alles nicht gesehen? Sub fide pastorali: keinen Majestätsverbrecher, keinen Censor, keinen Pfennig Steuer oder Gewerbesteuer im ganzen Lande, keinen Hungrigen, keinen Faulen, keinen Soldaten, keinen Adligen, keinen Erbitterten, der die Regierung stürzen will, keinen Bettler, keinen Krüppel, keinen Executor, keinen sogenannten Advokaten, keinen Theologen, ja nicht einmal einen Papst; schloß ich.
Es sollte aber noch ärger kommen, denn er wiederholte: »Nein, ich meine, Was Sie hier bemerkt haben?« — Und ich sagte nun gar: Keine Kunst, keine Cultur, keine Religion, — oder Moral, wollte ich sagen! Aber ich konnte gar nichts mehr sagen, und blieb rein stecken, roth wie begossen, denn ich merkte meinen groben Fehler, oder meine fehlerhafte Grobheit — aber mich überkam ein furchtbarer, verzweifelter Muth, und ich setzte hinzu . . . »um ein aufrichtiger Mann zu seyn. Hier steh’ ich, Gott helfe mir, Amen!«
Der Volksvater legte die Hand an’s Kinn. Erwin aber entgegnete mir, fein lächelnd: »Sehn Sie umher, lieber Vater! Es giebt ein großes Thier, dem der Mensch nur Alles nachmachen kann, aber soll! Wo ist in diesem großen Thiere Religion, als im Menschen? Im freien, im ausgebildeten Herzen des Menschen! das bedenken Sie wohl. Aber liegt nicht eben darum die Sittlichkeit der ganzen Natur zum Grunde, schwimmt sie nicht darauf, lebt sie nicht darin, wie eine Wasserblume mit allen ihren Kelchen? So muß die Sittlichkeit auch der Menschenschöpfung, dem Staate zum Grunde liegen, aus ihr hingebreitet, wie ein unsichtbares, aber festes Netz — das Niemand fängt, der es nicht sieht, nicht sehen will, oder nicht gewahren kann.«
Ich hatte mich wieder gesammelt, und fing an zu hören, was ich hörte; und hörte nun weiter: »Da ist die Staatsgestalt die rechte, da ist die Staatsgewalt die ächte, wo sie nicht alle Gewalten selbst ist, sondern alle ebenbürtigen Gewalten neben sich grade befördert; alle Gewalten nämlich, die keine Staatsgewalt weder hervorbringen, noch je vertilgen kann: die Gewalt der Seele: die sittliche oder religiöse Gewalt, und die patriarchalische, die väterliche, die hausväterliche Gewalt. Diese zwei Gewalten müssen in jedem Menschen, in jedem Hause herrschen. Daran darf nicht einmal ein Scherge klopfen — also auch kein Priester. Es giebt also Millionen Staatsgewalten im Lande, deren Ausdruck und Schutz blos die sogenannte eingesetzte Staatsgewalt ist. Wo es so steht, da ist das wahre Recht, die wahre Freiheit zu Hause, wahrhaft zu Hause, zu Kopfe, zu Herzen! — und somit denn im ganzen Lande, bei uns, meine ich. Und der erste negative Staat wird wundersam der erste positive, den die Menschheit aber ausfüllen muß und darf und kann! meine ich.«
Jetzt fielen Kanonenschüsse von einem anlegenden Schiffe, und die Worte wurden mir ordentlich eingedonnert.
»Und was die Kunst betrifft? Ohne Wohlstand, Überfluß und Reichthum keine Kunst? Wo wird sie also eher aufblühen oder eher auslöschen, hüben oder drüben? — So frug ich mich selbst von Rom bis Bremen. Und glauben Sie, gegen eingewurzelte, in Jahrhunderten begründete Armuth sind Fleiß, Ordnung, Recht, ja selber die endliche Freiheit vergebliche Mittel. Doch unsere famose Geldaristokratie ist nur ein offenes, steigendes, sinkendes Institut, das hier kein einziges Vorrecht gewährt! Und wenn Viele im Lande 100,000 Dollar haben, was hindert das, daß nicht Alle so viel erwerben und haben? Was schadet das Haben der Andern Jedem, der nicht vorreich seyn will, sondern nur reich, mitreich! Denn das ist der erbärmliche Unterschied, der den Reichthum dem Vorreichen wieder zu Armuth macht, und dem Reichen den Reichthum zu Pein. Auch dieser Pein wird hier begegnet, durch auseinander wohnende Menschen! Das Paradies mit Einer großen Stadt, voll siebenstöckiger Häuser, wäre auch ganz ohne Adam’s und Eva’s Sündenfall dennoch zur Hölle geworden. Ich meine. Nur die Sonne sieht man mit einem geschwärzten Glase an! Uns aber gar mit russischem Marienglas? Doch sehen Sie nur dort die neuen Einwanderer, die da eben heraufsteigen — o es giebt auch Augen für uns! Indessen Sie sehen, es giebt Patrioten auch hier, die unaufhörlich aufmerksam und unermüdlich thätig das Volk das Gute finden lassen!«
Dabei lächelte er, gab mir eine Rolle Papier und sagte: »Das ist die Magna Charta für Ihre Neger. Ich meine, sie werden den Fürsten achten — unsern Freund, den Vater des lieben Leuthold; sie werden alle Gaben gern geben; gern Soldat werden; nach keiner Preßfreiheit fragen und so weiter; kurz, folgsame, glückliche Deutsche seyn. Ich dächte aber, Sie tauften sie dieser Morgen einen im noch einsamen Dämmer, gäben ihnen Namen, trauten die lange Verheiratheten und thäten dergleichen Europäisch Erforderlichen Alles. Bis zur Abfahrt lernen sie auch noch Etwas — das müssen sie wissen. Aber meine Schwägerin Maria hat ihren guten Theil an dem Allen, müssen Sie wissen. Werde nicht roth! Du aber, Maria, komm auch mit uns! Und der Vater! . . .«
Ich aber hatte mit Erschrecken meinen Sohn Marbod mit der Baronesse Freysingen unter den Gelandeten erkannt, war in einiger Höllenangst und versprach nachzukommen! Sogleich! Und so ging denn meine Tochter, von Erwin an der linken Hand geführt, und zu ihrer Linken von dem edlen, ernsten, wohlwollenden Freunde ihres Freundes begleitet von hinnen, meine heimliche Frau aber zur Rechten Erwins. Mir war wohl, mir war unvergleichlich zu Muth. Denn meine Tochter sahe sich nach mir um, und ihre leuchtenden Augen nickten mir unter dem schattigen Hute so glücklich zu! O es ist wohl werth, edel zu denken und edel zu bleiben — und dann erst recht werth, wenn man dadurch nicht glücklich wird — wie mein armes Kind. Jetzt hatte sie gewiß Respect vor allen Amerikanern. Jetzt blieb sie hier!
Ich flog meinen Kindern entgegen. Wie froh waren sie, einen Vater zu finden, und hier. O, wer kann das beschreiben! Denn um uns standen Hunderte, die wie ein sonderbares, ganz eigenthümliches Geschlecht, ohne Heimath wie die Fische, ohne König und Herrn wie die Vögel gleichsam als Amphibien der Vor- und Nachwelt hier im Abendscheine standen, die noch wankenden Kleinen an ihrer Hand! Aber auch für sie war gesorgt. Nach den ersten Umarmungen aber schon frug auch mein Sohn nach der Mutter. Und so täuschte ich auch ihn, mit dem Wort, das nun gelten und stehen bleiben konnte, als Wahrheit für sie, so bald und so oft sich auch alle, jetzt und später, besprachen, daß die Mutter von Neu-Orleans nach Hause gereiset sey — in unsrer Abwesenheit — weil ihr Marbod krank gelegen. So sollte und konnte nun auch Maria wissen.
»So haben wir sie also verfehlt! die gute Mutter!« sprachen sie bedauernd. »Aber, Väterchen, Du gehst ja heim.« Und nun verschlang der Strom des Lebens die Gedanken, die Todten und Lebenden, die Fernen, die Alten, die heiligen Alten, die alte Welt — Alles und Alle. Ich führte die Angekommenen nach, zu Erwin und zu Maria, zu Josephinen — und heut war Amerika ein herrliches, heiliges Land.
Meine Lage war nun für einen Pastor äußerst lobenswerth, besonders, wenn ich wieder in die vorgeschobene »angenehme Gesellschaft« ging. Ja, ich bekam Amtsarbeit. Die Neger, wohl untergebracht, wohl unterrichtet im A. B. C., wohl beaufsichtigt und versorgt durch Wilberforce und meinen ganz dick gewordenen, fast majestätischen, langen, noblen, gutmüthigen Tolera — die Neger kamen eines Morgens sehr früh (am 14ten November) zur Taufe. Die katholischen Priester hatten ganze Schaaren Südamerikaner mit der Feuerspritze getauft, und dann mit Kartätschen erschossen — so viele Köpfe zu taufen, so viele Pathen zu stellen, war in der nöthigen Kürze unmöglich. Die Schwarzen lagen auf den Knieen. Der Morgen, von sonderbaren Wolken umhangen, graute kaum. In die heilige Stille sprach ich einige Worte zum Eingang. Da war es auf einmal, als wenn eine allmächtige Hand alle Wolken vom Himmel weggerissen! Tausend Gestirne glänzten da droben funkelnd, sprühend, Strahlen versendend, ausströmend, wie goldnen, brennenden, leuchtenden, langen Regen. Jetzt, jetzt rühren sich die Gestirne am Firmament — oder wanke ich? taumle ich? Aber nein! Was nie geschah, und nie geschehen wird — das ganze Firmament voll Gestirne zieht rasch, wie auf entsetzlicher Eil durch das dunkelblaue Himmelsschwarz. Alles wird licht auf der Erde! Die Meerbucht glänzt, die Büsche brennen, die Nachtvögel stürzen, wie betrogen von tausend Sonnen, zur Ruhe; ich unterscheide die Blätter der Blumen zu meinen Füßen, denn ich erblicke mit Erstaunen meinen wie rasend um mich schwirrenden Schatten. Jetzt reißt sich ein Stern los, er stürzt mit Gezisch und Gestrahl, mit Gedonner hernieder. Zehn Sterne reißen sich los, wie reife Früchte! Hundert Sterne stürzen mit Gezisch und Gestrahl hernieder! Tausend Gestirne, immer größer, wie Feuerkugel-Lawinen, stürzen und zischen und strahlen, und tausendfältiges Donnergekrach stürzt drüber hernieder. Ich war blind, ich war taub, ich war außer der Welt.
Es war geschehn. Es war ruhig, als wenn nichts geschehen. Es war todtenstill, es war grabesfinster. Da standen die schwarzen Menschen auf, beteten mich fast an, und dankten mir bebend vor Furcht, und klappten noch mit den weißen Zähnen, die in dem Nachtgraun schimmerten. »Nun sind wir getauft!« riefen sie alle. Und: Ihr seyd getauft! sprach ich und segnete ihren Ausgang und Eingang — in Europa. Dann enteilten sie wie Geister.
Das war wieder einmal ein Wunder, stöhnte ich. Und nach langem Betrachten schlich ich nach Hause und verschlief den ganzen Tag. Mir träumte: Ich war in einem brennenden Hause und fiel in Ohnmacht — dann sprang ich auf und lief fort. Der Traum war meine völlige Lehre oder Cur. Wenigstens hast Du nun Deine Kinder und Kindeskinder beim sicheren Nachbar. So ergötzte ich mich nun noch mit ihnen Allen.
Zum zeitigen heiteren Frühling kam unser Vetter Marfolk richtig. Da war neue Freude. Meine Tochter, die ich mit Erwin getraut, in Gesellschaft der zu trauenden verheiratheten Neger, kam von Washington zu unsrer Abreise. Ich fuhr meinen anvertrauten Einwanderern voraus auf dem ersten Dampfschiff. Der Morgen der Abreise kam. Erwin kam noch, und nach dem Abschied flüsterte er mir noch ein Wort in’s Ohr: »Wir bitten einander zu Pathen!« — Er wußte also, daß ich ein Weib hatte — und Wen! Ich legte als Antwort den Finger über die Lippen. Und er sagte leise: »O gern!« — Ich band ihm meine Einwanderer nach Indiana nochmals auf die Seele. — Was soll ich nun sagen, wie ich von Tochter und Söhnen schied? O es war schwer. Aber alle sagten hier, wie daheim mir wieder: Väterchen, Du kommst wieder! Oder — droheten sie — wir kommen zu Dir! Und dennoch brach mir der Abschied von meinem Hunde, dem Pudel »Menschenfreund« fast das Herz. Meine Tochter wollte ihn behalten. Sie mußte ihn fort-, zurückschleppen, den Strand hinauf; da blieb er geduckt liegen und winselte. Ich mußte noch von ihm Abschied nehmen. Ich streichelte ihm den Rücken; ich sagte ihm: Menschenfreund, sey verständig! Ich ließ ihn mir eine Pfote geben, und er gab mir seine treue, sanfte Hundehand. Aber wie er mich dabei ansah! Was, ja Wer in seinen dunkeln, bangen Augen so wehmüthig heraussah, herausdrang! O ich schämte mich! Kurz, warum bleibt der Hund im ärmsten Hause — wenn er auch darin mager und elend wird? O, die Welt ist gut. Nur der Mensch taugt nicht immer. Du bist ein gutes Thier, ein Menschenfreund! sagte ich ihm, und er wedelte mit seinem feinwolligen Wedel.
Wir kamen ohne Gefährde nach Hamburg. Diesmal in 14 Tagen! Ich konnte nun also langsam fahren, und das that schon fast Noth, doch nicht meinetwegen. Josephine war wie neugeboren. Und — um ein aufrichtiger Mann zu seyn — ich auch. O, es lebt nicht nur ein eigener Geist, meinetwegen ein erst so gewordner in jedem Menschen. Jedes Haus im Lande, jede Familie, jedes Dorf, jede Stadt hat einen eigenthümlichen Geist, eine Stimme wie ein Bienenstock, einen lieblichen Wiederhall, ein Verständniß all unsrer Worte, unsrer Wünsche, unsrer Freuden und Leiden. Und der Geist in einem Lande — der wäre kein Geist? Der Jahrtausende Eingewohnte, das millionenfache Ich? O, das ist das Vaterland! Und als ich Deutschland wiedersah, rief ich aus voller Brust: Ja, es giebt ein Vaterland! Nur wer es noch nicht erkannt, höchstens die Jugend wandere aus, und mache ihre Stimme wo drüben zur neuen Seele des Landes, der Berge, der Flüsse, der Haine. Aber wer je wo geweint hat, wie Männer weinen, der bleibe, und hoffe Frucht von seinen Thränen, und Segen von seinem Seufzen. Denn Millionen weinen und seufzen mit ihm, und wünschen und schaffen mit ihm, und sind stark und mild wie er, und werden sich freuen wie er.
Ich kaufte vier englische Schimmel und einen prächtigen Wagen — wenigstens um nicht ausgelacht zu seyn. Denn am Strande in Amerika hatte ich einen Müller gesehen, der bei schönen Müllerkenntnissen eine künstliche Mühle dort bauen wollen und Mehl wie Kreide mahlen. Aber er hatte eine Handvoll Amerikanisches Mehl in die Hand genommen — wie Schnee und fein — wie Amerikanisches Mehl, und war fein still nach Hause gereiset.
In meiner Vaterstadt fuhr ich nun donnernd über die Schloßbrücke, in nun mein Schloß. Ich saß kaum im Lehnstuhl, als es murmelte und trappelte auf der Treppe und im Vorsaal. Selbst mein Caplan war darunter, denn ich hörte ihn krähen. Aber ich bestellte ihn auf Morgen, denn meine Tochter war verheirathet, und ließ ihm nur sagen, seine sechs Muhmen hätten sechs reiche Kaufleute in Neu-Orleans; aber dort handelten auch die Geistlichen sogar mit Wein, und die Doctoren predigten auch nach Gelegenheit. — »Schon gut, schon gut,« hörte ich ihn sagen.
Eine Freude aber, mußte ich sogleich noch machen: Meiner guten, theuren Großmutter! Ich ging zu ihr selbst hinüber auf die Pfarre; denn sie hatte nur gebeten, sie noch kurze Zeit in der Wohnung zu lassen. Sie wohnte aber unten. Sie sahe mich, sie erkannte mich. »Also Du hast ihn gefunden?« sprach sie. Nach einer langen Erzählung gestand ich vorsichtig zu: Ja, er ist gefunden! Er ist auf dem Schlosse. Er wird kommen. Aber mein Gott, sie freute sich so — daß sie einschlief! — Seliges Alter! Wer nicht alt wird, ist kein Mensch gewesen. Es ist fast übermenschlich und hautschauernd, so übermenschlich gefühllos, jetzt mit der Seele weg, jetzt da zu seyn! Jetzt jung, jetzt alt! Jetzt schon im Paradies — jetzt noch in der Kinderstube! Ein alter Mensch ist wirklich Alles; ein Junger ist nur immer — sein Tag, seine Stunde. Ihr Enkel, der ihrem Sohne so ähnlich sah, hatte auch sogar heut wieder die Kleider angezogen, in welchen sein Vater der Mutter entflohen war. Denn der Vater hatte sie treulich aufgehoben. So, in altväterscher Tracht, aber jung und wirklich voll Schaam hier hereinzutreten, trat er herein. Ich winke ihm, ruhig sich ihr gegenüber zu setzen, weil sie schläft. Nachdem er des armen Vaters gute Mutter sich lange angesehen, schläft er selber noch müde ein. Ich gehe indeß auf den Thurm; ich füttre die Tauben; ich winke Josephinen mit dem Tuche. Mir ist es wie ein Wunder, sie hier zu sehn. Wohl nach einer Stunde gehe ich wieder in das Zimmer. Der junge Volkmar schläft noch. Die Großmutter scheint zu schlafen. Aber ich sehe deutlich, — sie ist munter gewesen! Sie hat sich vorgeneigt — sie hat ihn erblickt — sie hat ihn erkannt: den Sohn! den treulosen Sohn. Die kindische Seele hat ihn für denselben gehalten — so ist sie sitzen geblieben — — aber gestorben, und ruhig und selig todt! Und ich wiederholte meine Worte, jetzt aber mit fromm gefalteten Händen: »Jetzt jung; jetzt alt; jetzt noch in der Kinderstube — jetzt schon im Paradies! O, es können nicht Alle wiederkehren, die hinüber wandern! Schon Ein verlorener Sohn zerreißt der Mutter das Herz, daß sie nicht sterben kann. — — Und Ihr, Ihr tausend Söhne des Vaterlandes! Wie könnt’ es selbst sterben ohne Euch? — O, es giebt ein Vaterland! O seyd denn seine Söhne!«
Ich würde gar nicht geglaubt haben, weg, fort, so lange, so weit gewesen, und wieder da zu seyn, wenn nicht meine Amerikanische Frau kam, so still, so schön, so lieb, und lächelte, als sie die beiden Schlafenden sah. Viele der neuen Auswanderer umringten jetzt das Haus; sie sahen durch die Fenster; ich kannte die Gesichter. Ja Manche stimmten ein fröhliches Auswandrerlied an! Ihre Augen funkelten vor Freude! Und ich dachte: — Was kein Mensch erklären kann, das kann kein Mensch verhindern! Das ist nicht menschlicher Sinn; das ist göttliche Macht! So mußte ich sagen, um ein aufrichtiger Mann zu seyn. Denn ich sahe mein Weib vor mir; und welchen Schatz hatte ich da drüben gefunden! Ist nicht die Schönheit der Welt da drüben? Und die Welt der Liebe? —
Die Sonne ging unter. Die Glocke im Thurme läutete ihr zu Grabe. Der verlorene Sohn sprang auf von dem Hall und stand von dem Glanze geblendet. Und selber die Kinder draußen nahmen schon vor dem Walten der Welt ihr Hütchen ab, und beteten, unter dem Schwirren der Schwalben, das Vaterunser.
Breslau, gedruckt bei Leopold Freund.
Anmerkungen zur Transkription
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