Mein Lied
Von
Peter Rosegger
Erstes bis zehntes Tausend
Leipzig 1911 / Verlag von L. Staackmann
Alle Rechte vorbehalten.
Copyright 1911 by L. Staackmann, Leipzig.
Druck von Grimme & Trömel in Leipzig.
| | Seite |
Vorstellung | 13 |
Heimat. |
| Das Mutterherz | 17 |
| Mein Vaterhaus | 18 |
| Ich bin ein armer Hirtenknab'! | 18 |
| Ich bin daheim auf waldiger Flur | 19 |
| Kindesgebet | 20 |
| Das Kind in seiner jungen Zeit | 20 |
| Mein süßes Kind, du weißt noch nicht | 21 |
| Zum Weihnachtsbaum | 22 |
| Einst wirst du die Träne fliehen | 24 |
| Die Erweckung | 25 |
| Es kann einem wunderlich träumen | 26 |
| Ich bin ein großer Herre! | 27 |
| Habt Dank, ihr guten Leute! | 28 |
| Ich will nichts von dir | 29 |
| Urwaldstimmung | 30 |
| Wenn alle Wälder schlafen | 30 |
| Ruh' im Walde | 31 |
| Wollte heim in meine Berge | 32 |
| Alpenrose — Edelweiß | 32 |
| Meine Lust ist Leben | 33 |
| Gruß aus Italien an die Heimat | 34 |
| Vergib mir, o Süden! | 34 |
| Ein Freund ging nach Amerika | 36 |
| Daheim! | 37 |
| Wir grüßen dich! | 37 |
| Steiermark | 38 |
| Echte Tracht | 39 |
| Singet, jauchzet eure Lieder! | 39 |
| Dem Heimatlande | 40 |
| Ein Lied, ein Schwert und einen Gott! | 42 |
| Heimatsegen | 42 |
| Gebet | 43 |
Liebe. |
| Amors Arsenal | 47 |
| Und sie gefielen mir beide | 47 |
| Eine Jungfrau wollt' er suchen | 48 |
| Das bestohlene Hannchen | 50 |
| Die Einfältigen | 50 |
| Er will mich nicht verstehen | 51 |
| Der Stern im See | 52 |
| Deine schönen Augen | 53 |
| Zur Rosenblühzeit | 53 |
| Wenn ich der Himmel wär' | 54 |
| Weißt du, Mädchen, daß ich sterbe? | 55 |
| Wenn ich durch den Winter geh' | 56 |
| Frage | 56 |
| Was du dir denkst | 57 |
| Waldabenteuer | 57 |
| Der Verlassenen Fluch | 58 |
| Amor, dieser Wicht | 59 |
| Diese Mädels! | 61 |
| Belehrung für einen Dichter | 62 |
| Amors Rat | 62 |
| Gewohnheit | 63 |
| Schon dreißig Jahre bin ich alt! | 63 |
| Ein Rosenblatt | 64 |
| Was in deiner Seele spinnt ...? | 66 |
| Sie liebt dich von Herzen! | 67 |
| Rosen pflanzt man nicht auf Herzen | 69 |
| Heb dich weg und küß mich nicht! | 69 |
| In alten grauen Tagen | 70 |
| Weib | 70 |
| Die Schrift im Sande | 71 |
| Huldigung | 72 |
| Bei mir stimmt's einzig nicht | 72 |
| Seelisch Liebe | 72 |
| Schon fleißig, lieber Goldschmied? | 73 |
| Wenn du gehst von mir | 74 |
| Halbverklungene Heldenkunde | 75 |
| Des Landmanns Saat | 76 |
| O sei mir gegrüßet, du grünender Baum! | 76 |
| Gedenken | 77 |
| O Herrgott, wieviel an Liebe | 78 |
Welt. |
| Mein Ideal | 81 |
| Wir weichen nicht von unsren Idealen! | 82 |
| Mein Erz | 82 |
| Mein Ehrgeiz | 83 |
| Ein Becher, füllt ihn Gott mit Wein | 84 |
| Ewiges Lied | 85 |
| Die Harfe | 86 |
| Die Hand an meiner Rechten | 86 |
| Meine Taschenuhr | 87 |
| Ungeduld | 87 |
| Wilder Waldespsalm | 88 |
| Das Geheimnis | 90 |
| Allseliges Leid | 90 |
| Erprobter Rat | 91 |
| Dichters Wunsch | 92 |
| Welch ein Los! | 93 |
| Wie bin ich so reich an Ehr' und Ruhm! | 94 |
| Nimmer will ich weinen! | 95 |
| Ein Eselslied | 96 |
| Einkehr | 96 |
| Mißratener Fluch | 98 |
| Der Büßer | 99 |
| Erbschaft | 100 |
| Erwartung | 101 |
| Gedenken | 101 |
| Stimmungen | 102 |
| Der Verbitterte | 104 |
| Der Glückliche | 106 |
| Wo wird es sein? | 106 |
| Der unbegreifliche Muskel | 107 |
| Es mahnt | 108 |
| Herbst | 108 |
| Der Tag, der wird schon spat | 109 |
| Wandlung | 109 |
| Ich bereue nichts | 110 |
| Erwägung | 110 |
| Ich bin Mensch geworden | 110 |
| Des Weltkindes Besinnen | 111 |
| Es kommt dereinst ein dunkler Tag | 115 |
| Grab ein! | 115 |
| Volkslied | 117 |
| Lorbeer und Palme | 117 |
| Davongeflogene Seelen | 118 |
| Klingende Funken | 119 |
Hölle. |
| Eines Sünders Reuelieder | 137 |
| Herr Graf, du hast mich lieb gehabt | 138 |
| Neuer Sang mit altem Klang | 139 |
| Ein Streitgesang | 140 |
| Gott und Volk gehört zusammen | 141 |
| An die Naturalisten | 142 |
| Leute gibt es allerlei | 144 |
| Der Schwindel an das Publikum | 145 |
| Der Besessene | 147 |
| Der Reiche | 148 |
| Der Übermensch | 149 |
| Die Dichter und die Leute | 153 |
| Unterricht für moderne Poeten | 154 |
| Des Sängers Verzweiflung | 155 |
| Eine Stimme in der Wüste | 157 |
| Ständchen | 159 |
| Kräftigung | 160 |
| Gen Himmel hinauf | 160 |
| Anklage | 160 |
| Fürsprache | 161 |
| Dem Dichter | 161 |
Himmel. |
| Die Gottsucher | 165 |
| Willst du jene Höh' erreichen | 166 |
| Wie keimt dein Geschick | 167 |
| Stimmung | 167 |
| Ist der Mensch nicht wie die Schwalbe? | 167 |
| Mir graut vor dem Gemeinen | 168 |
| Die Sehnsucht | 169 |
| Steigende Bahn | 169 |
| Zu Gastein am Wasserfall | 170 |
| Es war einmal ein Bettelmann | 170 |
| Der Blinde | 171 |
| Den Armen | 173 |
| Drei himmlische Schreine | 174 |
| Letzter Wunsch | 174 |
| Ruhendes Sein | 175 |
| Unfaßbar | 176 |
| Ewiges Sein | 177 |
| Auch der andre, der bist du | 177 |
| An Gottes Herz | 178 |
| Wanderlied | 179 |
| Die Stunde | 179 |
| Sei gegrüßt, du himmlischer Knabe! | 180 |
| In einer Waldkapelle | 183 |
| Ora pro nobis | 185 |
| Ans Menschenherz | 187 |
| Hymne eines Glücklichen | 189 |
| Am Grabe eines Idealisten | 191 |
Anhang. Das Singen des Tages. |
| An Tirol | 195 |
| Das Erdbeben in Steiermark | 197 |
| An den Lehrer | 198 |
| Ahasver an seinen verklärten Dichter | 198 |
| Festgruß | 199 |
| Wiens Genius | 201 |
| Heimgartens silberne Hochzeit | 203 |
| Sonnengruß | 204 |
| Es zieht ein Segen von Haus zu Haus | 205 |
| Ruf zur Hilfe | 207 |
| Festgruß | 209 |
| Zum Kongreß der Schwachsinnigenfürsorge in Graz | 211 |
| Gruß den Touristen | 211 |
| Dichter der Heimat | 212 |
| Dichtergassen | 213 |
| Musiksegen | 214 |
| Dem Tiere zu Schutz und dem Menschen zu Nutz | 214 |
| Zwei Millionen! | 216 |
| Gruß-Sprüche und Allotrias | 217 |
| Einem dramatischen Volksführer | 231 |
| Flüchtiges | 231 |
| Sylvester | 232 |
| Nagelprobe | 232 |
Mein Name ist Mensch, meine Losung ist Fried',
Doch zeigen sich Feinde, so findet sich Rat,
Meine Lust ist das Sein, meine Tat ist das Lied,
Und singt man sich selbst, ist das Lied eine Tat.
Und schrillet bisweilen ein falscher Ton
Aus heiterer Kehle, das Lied ist doch echt.
So singet der sündige Adamssohn
Im Streiten und Siegen gleich schlecht und recht.
Ich bin ein Geselle, der lacht und trutzt,
Der weder nach Titel und Knittel hascht,
Der nicht Magnaten die Stiefel putzt
Und nicht Proleten die Hemden wascht.
Der nicht vor Launen der Großen bebt
Und nicht um Beifall der Menge wirbt,
Der nicht für die Götzen des Tages lebt
Und nicht für die Schatten der Götzen stirbt.
Der Menschheit Herzschlag ist mein Motor,
Der Menschheit Seheraug' mein Fanal;
Ich seh' das Geheimnis durch jeden Flor,
Und kenne die Sünde mit ihrer Qual.
Umhüll dich mit Seiden, mit Kutten dicht,
Stehst doch als nackter Adam vor mir.
O Menschenbruder verbirg dich nicht,
Ich weiß es: du bist halb Gott, halb Tier!
Ich kränze dein Elend mit Blumen des Hags,
Und taumelst du nieder zu Nacht und Gericht,
So heb ich dich jauchzend zur Höhe des Tags,
Zur Freiheit, zur Liebe, zum seligen Licht.
*[A]
Willst du auf die Erde,
Sprach der Herr zu mir,
Brauchst du Liebe,
Die dich schützet,
Brauchst du Treue,
Die dich nicht verläßt.
Doch du wirst auf Erden
Finden nicht so bald
Lieb' und Treue
Echt und heilig;
Darum geb' ich dir
Von meiner mit.
Und ich will sie legen,
Liebes Menschenkind,
Daß du findest
In der Trübsal
Diese Gaben,
In das Mutterherz!
Mein Vaterhaus ist alt und arm,
Mein Vaterhaus ist klein,
Und schließt doch meine ganze Welt
Und meinen Himmel ein.
Mir brennt ins Herz die Zähre, die
Vom Mutterauge rinnt,
Denn fort von heim, weit in die Welt
Zieht hin ihr liebstes Kind.
Der Platz ist leer am kleinen Tisch,
Der Sohn ist in der Fern',
Ihr Tischgebet gilt sein, und sie
Empfiehlt ihn Gott dem Herrn.
Dort draußen, wo die Sünde lockt,
Und viel Gefahren drohn!
Sie kann nichts tun als weinen still
Und beten für den Sohn.
O nein, ich will mich nicht der Welt
Und ihren Lüsten weihn;
Das Vaterhaus, das Mutterherz
Soll mir der Himmel sein.
*
Ich bin ein armer Hirtenknab',
Der Wald, das grüne Feld,
Mein Brotsack und mein Birkenstab
Ist meine ganze Welt.
Und zieht mein Schäflein grasend hin
Auf grüner, frischer Au,
So gras' auch ich für meinen Sinn
Im hohen Himmelsblau.
Und bricht die dunkle Nacht herein,
So schau ich dort hinauf:
Es blühet in der Sterne Schein
Die Liebe Gottes auf! —
Ich bin daheim auf waldiger Flur,
Mein Hüttchen ist ein grüner Baum,
Mein Ruhebett der Wiesensaum
Am Herzen der Natur.
Ein Rehlein kommt durch Zweige dicht,
Mir dringt ans Ohr sein weicher Laut,
Es sieht mich an, es spricht so traut,
Und ich versteh' es nicht.
Nun kommt ein blühend Mädchen noch,
Und sinnend steht es auf der Flur;
Es sieht mir stumm ins Auge nur,
Und ich versteh' es doch.
Da hat mir einmal ein Vöglein erzählt,
Wenn fromm ein Kind im Abendgebet
Voll Liebe für Vater und Mutter fleht,
Da klinge ein Lied durch die ganze Welt,
Da säusle ein Mai'n durch die Lüfte hin,
Da strahlten die Felsen im Alpenglühn,
Da steige der Ewige niederwärts
Und schließe Eltern und Kind ans Herz!
Das Grünen ist ein Auferstehn,
Das Reifen ist ein Sinken.
Drum laß' das Kind zu seiner Zeit
Die reinen Freuden trinken.
Das Kind in seiner jungen Zeit
Ist Brennpunkt aller Sonnen,
Des Daseins hold begrenztes Ziel,
Des heiligen Glückes Bronnen.
Wächst es heran, ist nichts mehr sein,
Muß um die Wette laufen,
Mit jedem Tag und jeder Plag'
Sein Leben neu erkaufen.
Der erste Drang der Lieb' ist schon
Des Todes erstes Fodern,
Ein Korn, das junge Keime treibt,
Fängt selbst schon an zu modern.
Das Grünen ist ein Auferstehn,
Das Reifen ist ein Sinken,
Drum laß' das Kind zu seiner Zeit
Die reinen Freuden trinken.
Da hüpft mein liebes, lockiges Kind
Im grünen, sonnigen Rosenhag,
Umblüht von Knösplein schwellend hold,
Umschallt von hellem Lerchenschlag.
Sein Äuglein strahlt, sein Mündchen jauchzt
In unbewußter Lebenslust.
Mein süßes Kind, du weißt noch nicht,
Wie bald du wieder sterben mußt.
Wie sieht sich doch im Wahn des ewigen
Lebenstags ein Frühling an?
Du fühlst, was aufblüht — doch was welkt?
Zu Grabe sinkt? Du denkst nicht dran.
Ein junger Gott bist heute noch;
Wie wirst du dich entsetzen, Kind,
Wenn dir die erste Botschaft kommt,
Daß alle Wesen sterblich sind.
Ach, ich verschweig' dir, was ich weiß,
Nur blick mir nicht ins Aug' hinein,
Es könnt' sich spiegeln drinnen noch,
Was ich gesehn im schwarzen Schrein. —
O, leb in Glück, mein Kind! Und erst
Wenn du von allem, allem satt,
Erst dann vernimm, was Gott für dich
In seiner Lieb' bereitet hat.
Ein Herzensgruß allen kindlichen Gemütern.
*
Friede war im Wald und jeder Baum beglückt
Durch schöne, reife Frucht, womit der Herbst geschmückt
Die Äste all, daß jeder Zweig sich bieget,
Bis hoch hinauf, wo leis' die Krone wieget.
Doch höret: wo's zum Segen will gedeihn,
Da findet sich auch gern der Hochmut ein
Und selbst der Neid. Und jeder wollt' sich prahlen,
Daß seine Frucht die schönste sei von allen;
Und jeder hing an seine längsten Äste
Als stolzes Aushängschild der Früchte beste.
Es war ein herrlich Wogen bis zur Spitze,
Ein Wetten, wer das Feinste wohl besitze. —
Nur Eines litt im Wald viel Weh und Gram
Und barg sich ins Gesträuch voll tiefer Scham.
Ein Tannenbäumchen war's, gar schmächtig, schlank,
Wohl aller Früchte, auch der ärmsten, blank;
Und während andere stolz im vollen Prangen,
Hatt' es an seinem Stamm nur Nadeln hangen,
Nur dunkelgrüne Nadeln, zart und spitz;
Sie stachen leicht, doch schärfer stach der Witz
Der andern, und ihr Höhnen, schal und widrig,
Dieweil das Bäumchen, ach, so arm und niedrig.
Es flüsterte der Wald sich in die Ohren
Vom Taugenichts, der da umsonst geboren,
Und warf ihm boshaft gar zu Spott und Schmach
Die ersten gelben, dürren Blätter nach.
Das schnitt dem Bäumchen tief ins junge Herz,
Es wollte schier vergehn in Leid und Schmerz
Und weinte, tiefbedrängt vom Weh, dem schweren,
Das Harz heraus, die bittersten der Zähren. —
So duldete das Bäumchen still und fromm;
Da zog hernieder durch den nächtigen Dom
Ein Engel aus des Himmels heiligen Hainen,
Der sah den armen Dulder schmerzlich weinen.
Er ließ sich erdenwärts vom weiten Raum
Zur armen Tanne, sprechend: »Liebster Baum!
Du warst bisher verachtet und verflucht,
Doch tragen wirst du noch die schönste Frucht,
Die je ein Baum getragen hier auf Erden,
Du sollst der Baum der höchsten Freude werden!« —
Wie wurde jetzt der Himmel trüb und grau.
Es blies ein kalter Wind auf Heid' und Au,
Er heulte durch den Wald voll herber Hast
Und rüttelte die letzte Frucht vom Ast.
Wie bald war jeder Baum, der einst geprahlt,
Der Frucht und Blätter bar — gar kahl und alt,
Es fielen Flocken, und es krächzten Raben,
Und sieh, der stolze Wald war wie begraben.
Nur jenes Bäumchen steht noch frisch und frei
Und grünt und flüstert sanft, wie einst im Mai. —
Und als die heilige Nacht gekommen war,
Da schwebte durch den Wald die Engelsschar
Zum Bäumchen zart und trug es durch die Nacht
In festlich aufgegangener Strahlenpracht.
— Wie Flammen sich zu Sternenkränzen reihn!
Und Früchte, die im Himmel nur gedeihn,
Die reifen auf dem Baum, und Gottes Herz
Sank liebevoll erlösend erdenwärts. —
So trägt der Baum, dereinst verschmäht, verflucht
Wie unser Heiland selbst, die schönste Frucht.
Und wo er kommt, da kommt er nicht allein,
Da bringt er Gaben mit für groß und klein,
Er führt den Jubel ein ins stille Haus
Und streckt die hundert vollen Arme aus,
Und bei dem Kindsgemüt im trauten Raum,
Da ist er recht daheim, der Weihnachtsbaum. —
— O, hört ihr säuseln es in seinen Zweigen,
O, hört ihr klingen sie, die Himmelslieder?
O, seht die Engelsschar in lichten Reigen,
Sie steigt zum lieben Kindesherzen nieder.
Dann grünt und blüht sie auf, die Lieb', im reinen
Allseligen, alleinzigen Erdentraum.
O sei mir hoch gegrüßt, du Freund der Kleinen,
Du Himmelsbote, heiliger Weihnachtsbaum!
O weine, liebe Jugend, weine,
Solang die Träne dir noch süß ist,
Ein Bote milder Herzensreine,
Und nicht der herben Kümmernis ist.
Denn einst wirst du die Träne fliehen,
Und lachend laut, trotz innrer Peinen sein,
Doch bittrer wird dein schrilles Lachen,
Als heut dein stilles Weinen sein.
Die Mutter schläft in der Friedhofsruh'.
Da kommt ihr ältester Sohn auf Besuch
Und ruft mit freudiger Stimme aus:
»Liebe Mutter, komm in mein schönes Haus,
Ich habe ein holdes, ein fröhliches Weib
Und Kinder so frisch wie die Rosen im Mai,
O Mutter, Mutter, ich lade dich ein,
Komm, und hilf uns glücklich sein.«
Die Zypressen schweigen — die Mutter schläft.
Dann kommt der zweite Sohn geritten,
Mit stolzer Würde und feinen Sitten.
»O Mutter, könntest du auferstehn,
Um selbst zu sehen, was mir ist geschehn.
Der König hat mich zum Minister erwählt,
Es jubelt mir zu die halbe Welt.
Mutter, o komm, nimm teil an der Ehr',
Die deinem Sohn so reich widerfährt.«
Die Zypressen schweigen — die Mutter schläft.
Da kommt der jüngste Sohn gegangen,
Hat rote Augen, fahle Wangen.
Sein Ton ist heiser, sein Wort ist müd,
Er weiß von Glück und Ehren kein Lied.
»O Mutter, ich bin so ganz allein,
So seelenverlassen und ganz allein,
Und Hunger —«
Am Hügel rieselt der Sand — die Mutter wacht auf.
Nun wollt' ich schlafen.
Das Tagwerk ist recht hart gewesen.
Bin ich erschaffen
Für Bauernbrot und Bauernnot?
Das ist meine Frag' gewesen.
Da seh' ich ein Häuslein wohl schön gebaut,
Und ein Weib in Huld zum Fenster ausschaut;
Der Fenster waren eben drei,
So schauten aus auch Kindlein zwei
Und riefen: Vater! — Ich tat mich heimen.
— Es kann einem wunderlich träumen!
Dann ging ich dichten.
Und die Leute taten mir Kränze winden.
Und muß berichten:
Eine Maid sagt: Du bist mein allein,
Ich will dir Sträußlein im Lenze binden.
Ich sag': Was soll mir dein Blumengruß,
Wenn ich ein Geheimnis verschweigen muß,
Daß Fraue du zu aller Frist
Mein' herzallerliebste Freude bist!
Drauf tat sie mit Küssen nit säumen.
— Es kann einem wunderlich träumen!
Jetzt kamen Freunde
Und taten mich in die Ferne führen.
Mein Lieb, das weinte.
Ich steig' zum Glück, sie bleibt zurück
Und klagt: »Ich wollt' dich gerne führen!« —
Ich finde Freude, Gut und Geld
Und alle hohe Ehr' der Welt. —
Endlich die Lieb' mich zur Heimat ruft,
Da find' ich die Maid in der Totengruft.
Drum sollst du dein Herz nicht versäumen.
— Es kann einem wunderlich träumen!
Ich gebe mir die Ehre
Und sing' ein Liedel fein,
Ich bin ein großer Herre,
Die ganze Welt ist mein.
Der Landmann, der mag säen
Und ernten Korn und Lein;
Doch Feldesblühn und -wehen
Zur Maienzeit ist mein.
Die Karner mögen tauschen
Und nutzen Baum und Stein,
Doch Waldesgrün und -rauschen
Und Waldesruh ist mein.
Wie arm sind doch die Reichen,
Vom Herzensfrieden fern,
Oft Knechte sondergleichen
Sind diese hohen Herr'n.
Sie streiten sonder Labe
Mit Schwert um Land und Meer;
Ich zieh' mit meinem Stabe
Erobernd hinterher.
Wie lustig ist das Wandern,
Die Sorgen sind ja klein;
Die schwere Welt ist andern,
Die schöne Welt ist mein.
Habt Dank, ihr guten Leute,
Für dieses reiche Mahl,
Das ihr mir aufgetragen
In buntbekränzten Schüsseln
Und Goldpokal.
Mein Herze dürstet nimmer
Nach Weltgenuß und Ehr',
Im stillen Dorf zu leben
Als Mensch bei schlichten Menschen,
Was soll ich mehr?
Daß ich im Frieden atme
Und dankbar, angesichts
Der heiligen Wunder Gottes
Mich meines Lebens freue,
Sonst will ich nichts.
Ich werde nimmer müde,
Des Himmels Glanz zu schaun,
Auf seiner Wolken Spiele,
Auf seiner Flocken Reigen
Mein Lust zu baun.
Der Lüfte sanftes Wiegen
Und wild gewaltige Macht,
Der Wässer Steigen, Stürzen,
Hat stets mir Seligkeiten
Ins Herz gebracht.
Und sink' ich einst zu Grabe
Von heitrem Tageslicht,
Die Erde, ewig Rosen
Aus ihrem Schoße sendend —
Ich fürcht' sie nicht.
*
Ich hab' mir erbaut
Ein Häuschen allhier,
O Leben so laut,
Was willst du von mir?
O führ mich nicht hin
Ins friedlose Feld,
Ich bleib', was ich bin,
Mir selber die Welt.
Mein Glück ist in mir,
Behalte du dich;
Ich will nichts von dir,
Nur lasse mir — mich!
O ruhsamer Wald, wie bist du fein!
Wie bist du in Ewigkeit jung und rein!
Vom blutigen Kreuzweg der Menschensöhne
Entweiht keine Spur deine heilige Schöne.
Wohl heut wie zur Urzeit die Stürme tosen,
Und wühlen im See und brechen den Baum.
Wohl heut wie zur Urzeit blühen die Rosen
Und funkelt der Tau am Blütensaum. —
In dir ist Ruh'.
Mein Leib will liegen
In blumiger Wiegen.
Meine Seele kam her aus unendlichen Zeiten,
Und wie der wandernde Vogel den Ast,
So wählt diesen Leib sie zur kurzen Rast,
Ehe weiter sie fliegt in die Ewigkeiten.
Wenn alle Wälder schlafen
Und alle Quellen schweigen,
Die Nebel stille steigen,
Die Sterne leis' sich neigen,
Da ist das einsam Leben
Ein selig, selig Sein.
Wenn alle Wipfel flüstern
Und alle Vögel singen,
Wenn alle Geigen fiedeln
Und alle Kehlen klingen,
Da ist das einsam Leben
Wohl eine harte Pein.
Ob träumen still, ob jubeln
Im lauten Kreis der Freuden,
Das beste ist, vom Leben
Ohn' allen Abschied scheiden.
Drum sei das einsam Sterben
Gesegnet nur allein.
In der Berge Falten tief geschmiegt
Und gewickelt in den weichen Wald,
Wie das Kindlein in der Wiege liegt,
Ist mein liebster Aufenthalt.
Wie die Mutter sang, so singt der Bach,
Und in Wipfeln muntre Vögelein
Rufen mir der Jugend Märchen wach,
Singen mich zum Schlummer ein.
Von den Kronen wehen Blütenreigen,
Decken mich im kühlen Schatten zu,
Und ein Engel flüstert's allen Zweigen:
Leise rauschet seiner Ruh!
Laß mich einstens, Götterlieblingssohn,
Finden in der Waldesruh mein Ziel,
Kränz mir dort die Stirn, anstatt mit Mohn,
Mit dem heiligen Asphodil.
Wollte heim in meine Berge,
Um den Frieden zu umfassen,
Den ich weltlusttrunken einst im
Grünen Wald zurückgelassen.
Gab ihn einem muntren Vöglein
In Verwahrung, bis ich käme,
Und den süßen Jugendfrieden
Wieder an den Busen nähme.
Hab' mit meinem heißen Herzen
Ruhlos nun den Wald durchzogen.
Doch das liebe muntre Vöglein
Ist schon längst davongeflogen.
Edelweiß und Alpenrose,
Sinnbild ihr der Menschenlose,
Sinnbild unsres höchsten Glücks.
Blutige Rose! Liebe, Leben,
Nimmermüdes Lustanstreben,
Flammenleuchte des Geschicks.
Doch wie bald ist es geschehen,
Daß die Rose muß vergehen,
Bald sind Erdenfreuden fern.
Dann empor zu höchsten Zinken,
Dort wird noch dem Wandrer winken
Der Entsagung blasser Stern.
Ach, an seinen heißen Gluten
Muß zu früh das Herz verbluten,
Und zurück, als letzter Preis,
Bleibt ein wunschlos kühles Träumen
In dem Haupt mit Silbersäumen
— Süßes, seliges Edelweiß!
Gute Nacht, ihr Freunde,
Ach, wie lebt' ich gern!
Daß die Welt so schön ist,
Dankt' ich Gott dem Herrn.
Daß die Welt so schön ist,
Tut mir bitter weh,
Wenn ich schlafen geh!
Ach, wie möcht' ich einmal
Noch von Bergeshöhn
Meine süße Heimat
Sonnbeleuchtet sehn!
Und den Herrn umarmen
In des Himmels Näh',
Eh' ich schlafen geh.
Wie man abends Kinder
Ernst zu Bette ruft,
Führt der Herr mich schweigend
In die dunkle Gruft.
Meine Lust ist leben,
Doch sein Will' gescheh,
Daß ich schlafen geh!
Du treues Haus auf stiller Bergeshöh',
Von weichem Mondessilber mild umgossen,
Wie grüß' ich dich aus fernem welschem Land,
Wo nirgends deine Tannenwälder sprossen.
Wo nie ein Wort der heiligen Sprache klingt,
Die du zum deutschen Erbe mir gegeben,
Und wo man leicht im tollen Fastnachtstanz
Verschachert und verjohlt sein heißes Leben.
Ein Land, so schön und reich und hochberühmt,
Bewohnt von frohem Volk in Bettlerlappen,
Das auf den Trümmern seiner großen Zeit
Sich kindisch freut an bunten Narrenkappen.
Ein Land, ein Märchengarten auf dem Meer,
Ein Eden, das sonst nichts mit dir gemein,
Du Heimatsmatte auf der Bergeshöh',
Als Gotteshimmel mit dem Sonnenschein.
Vergib mir, o Süden!
Ich kann dich nicht lieben,
Ich muß dich meiden,
Meine Wünsche, meine Freuden
Stehn auf dunklem Grund geschrieben.
Meine blassen Taten
Leuchten nur in nordischem Schatten.
In Sturmessausen
Und Wälderbrausen,
In Schnee und Eiseskern,
In düsteren Nebeln
Glänzt mein Stern.
Du, o Süden,
Mit deines Lichtes Grelle,
Versengst mir die Seele.
Deine kahlen Berge und Schluchten,
Deine schattenlosen Buchten,
Deine heißen Terrassen
Und staubigen Straßen,
Deine gekochten Lüfte,
Deine einschläfernden Düfte
Und übelriechenden Dünste,
Deiner schmutzigen Gassen
Lautes Sichgehenlassen,
Deiner Wirte Kniffe und Künste,
All das zusammen
Macht mich erlahmen.
Wie soll im weltfremden Wesen
Der Sohn des stillen Waldes genesen?
Dazu des Meeres unendliche Weite,
Die Länder der Erde all bespülend,
Die Sehnsucht weckend und nicht erfüllend.
So muß man am fremden Eiland kleben
Wie ein Verbannter, und tatlos leben.
O sonniger Süden
Mit deinen Rosen, mit deinen Maien!
Weltumworbenes Paradies,
Ich will dich benedeien;
Wärst du meiner Kindheit
Trautsame Heimat,
Wie wollt' ich in Treuen
Selig mich freuen.
Doch ich bin Germane,
Die sonnige Glut,
Der süße, südliche Seim
Zersetzt mir das Blut.
Meines Glückes Kern und Keim
Ist deutscher Wald,
Und mein Paradies heißt Nebelheim.
Ein Freund ging nach Amerika
Und schrieb mir vor einigen Lenzen:
Schicke mir Rosen aus Steiermark,
Ich hab' eine Braut zu bekränzen!
Und als vergangen war ein Jahr,
Da kam ein Brieflein gelaufen:
Schicke mir Wasser aus Steiermark,
Ich habe ein Kindlein zu taufen!
Und wieder ein Jahr, da wollte der Freund,
Ach, noch was anderes haben:
Schicke mir Erde aus Steiermark,
Muß Weib und Kind begraben!
Und so ersehnte der arme Mann
Auf fernsten, fremden Wegen
Für höchste Freud', für tiefstes Leid
Des Heimatlandes Segen.
Was dies Leben mir beschieden,
Es war gut, ich bin's zufrieden.
Könnt' ich eines noch erwerben:
Nur Daheim, Daheim zu sterben.
Nicht auf fernen Wanderswegen
Möcht' ich mich zur Ruhe legen,
Nirgends auf der ganzen Erde,
Als Daheim am eignen Herde.
Vor des Todes dunklen Schrecken
Wollt' ich nimmer mich verstecken
Wenn aus Augen schmerzbefeuchtet
Liebe mir zu Bette leuchtet,
Wenn die Meinen mich umgeben,
Atmend mein entschwindend Leben,
Und aus gottergebnem Sterben
Meines Herzens Frieden erben.
Wir grüßen dich, Bergland, du teure Heimat!
Wir jauchzen dir zu, wie sehr wir dich lieben.
Wir lieben die blühende Flur — den Brautkranz der Jugend.
Wir lieben des Kornes wogenden Feldplan — den nährenden Vater.
Wir lieben der Weinhügel sonnigen Busen — die säugende Mutter.
Wir lieben den Wald, den dämmernden Garten der blauen Blumen.
Wir lieben der stillen Heide traumvoll sinnende Muse.
Wir lieben den friedlich gebetteten Alpsee,
Wo müde gehetzt das Weltkind rastet
Weich in des Kahnes schaukelnder Wiege.
Wir singen ihm leise ein süßes Schlaflied. —
Vor allem doch euch, ihr stillen Felsen,
Ihr schneegekrönten Wächter der Heimat,
Mit Ehrfurcht grüßen wir euch.
Behütet mit ehernem Wall der Vorfahren heilige Stätte.
Behütet, ihr ewigen Berge, den deutschen Enkeln
Das Land der Treue und Freude!
Gottbegnadet Land! Zur Maienzeit
Sei dir, Styria, ein Strauß geweiht.
Du bist göttlich schön. — Die Felsenstirn
Stolz gekrönet mit diamantnem Firn!
Leuchtend als dein Aug' die klaren Seen,
Wo als Braun die heiligen Tannen stehn.
Hier die goldnen Ähren, dort die Reben
Froh um deinen Busen Kränze weben,
Und allda, wo anderwärts der Spaten
Nichts zu finden weiß, als ewigen Schatten,
Tief in deiner Berge treuem Herzen
Bist du reich an unschätzbaren Erzen,
Deren Kraft der Erde Frucht erneut,
Deren Klang das reine Herz erfreut,
Deren Droh'n die Feinde macht erbeben. —
Schön bist du und herrlich, mild und stark,
Noch im Grabe weltaufbauend Leben
Birgst du, hochgeliebte Steiermark.
Mein Steirer, tracht',
Daß echte Tracht
Wird angewandt
Im Heimatland.
Nicht kostümiert,
Nicht falsch geziert;
Im Stoffe echt,
Dem Zweck gerecht,
Die Form gewahrt
Nach Väterart
Und mit Bedacht
Zu Haus gemacht. —
Ob alt, ob neu:
Stets wahr und treu.
So wie der Mann,
So sein Gewand,
Das ist der Brauch
Im Steirerland.
Singet, jauchzet eure Lieder,
Hochgemute Steirerkehlen!
In der Steirer Herzen wider
Hallt der Jubel eurer Seelen.
Deutscher Heimat süße Sänge
Klingen in den lauen Lüften,
Schlagen an die Felsenhänge,
Wehen über Seen und Triften.
Auf der weiten Gotteserden
Wird kein schöneres Land gefunden;
Durch weißgrüne Bande werden
Mit dem Himmel wir verbunden.
Auf die Scholle sinkt der Sänger,
Daß er fromm das Erdreich küsset:
O geliebtes, heiliges Waldland
Steiermark, sei uns gegrüßet! —
Heimatfreude ist getragen
Von des Liedes Ätherschwingen,
Unsre Lust ist nicht zu sagen,
Darum müssen wir sie singen.
Hörst du das Läuten, Freund?
Her aus den Weiten, Freund?
Weckt es nicht wonnig des
Wanderers Drang? —
Glaub diesen Glocken nicht,
Laß dich verlocken nicht
Von der Sirene
Weltpreisendem Sang!
Und mußt du dennoch fort,
Jagend von Ort zu Ort,
Suchend die Ziele, die
Nirgendwo sind:
Kehre fein balde um,
Freund, in dein Heiligtum,
Wo du bist Gatte und
Vater und Kind.
Reiße vom Strande dich,
Eh' fremde Bande dich
Festgewebt; nimmer ihr
Sklave sollst sein.
Denn deine größte Kraft
Und deine Meisterschaft
Sproßt aus der heimischen
Erde allein. —
Panzre mit Steirererz,
Land, deines Sohnes Herz,
Heb auf den Schild ihn
Des leuchtenden Firn.
Kränze mit Lärchenreis
Und mit dem Edelweiß
Würdig des Älplers
Teutonische Stirn. —
Östlicher Rosenhauch,
Südlicher Lorbeerstrauch
Gleicht nicht des Tannenbaums
Duftendem Reis.
Was auch in weiter Welt
Herrliches aufgestellt,
Heiliges Heimatland,
Dir sei der Preis!
Vom Ortler bis zum Kahlenberg
Am reichen Donaustrand
Ist unsrer deutschen Ahnen Haus,
Ihr freies Heimatland —
Im Reich der Tannen.
Ob's Bayern oder Steiern heißt:
Die Drau, die Traun, die Donau fleußt
Durchs Hochland der Germanen.
Die wildgewaltige Felsenburg
Stellt Ost und Westen gleich.
Es pocht ein einig Volkesherz
Durchs ganze Alpenreich.
Erhebt die Fahnen!
Es hat in Fried' und Streit und Not
Ein Lied, ein Schwert und einen Gott
Das Hochland der Germanen.
Gott grüß dich, teures Heimatland,
Du Hort von hoher Alpenwand
Bis an die nordischen Meere.
Vom Murgestad' bis an den Rhein,
O heilige Erde, bist du mein.
Behüt dich Gott der Herre!
Er weck in dir die alte Treu,
Die alte Kindlichkeit aufs neu
Und milderer Tage Sitten,
Für die der Ahnen Heldenherz
Im frommen Schauen himmelwärts
Gelitten und gestritten.
Und bräch' ein böser Feind herein,
Ich könnte nimmer fröhlich sein,
Ich müßt' vor Wehe sterben.
Ach, laß der Väter Lehr und Ehr,
Der Brüder Freudigkeit und Wehr,
O Herrgott, nicht verderben!
Behüte Gott das deutsche Volk
In seiner Ehr' und stolzen Kraft.
Behüt es Gott in seiner weisen
Treuen Völkerführerschaft!
Auf seiner Wacht, daß allerwärts
Der Menschen Freiheit sich erneue:
Das große Volk, das deutsche Volk,
Behüt es Gott in seiner Treue!
Behüte Gott das deutsche Volk
In seines Hauses frohem Rat,
In seiner Herzensinnigkeit,
In seines Fleißes reicher Tat!
Behüte Gott, daß nie der Zwietracht
Grauser Dämon es berücke!
Das freie Volk, das deutsche Volk,
Behüt es Gott in seinem Glücke!
Behüte du das deutsche Volk,
O Gott, in deiner Liebe Huld
Vor zagem Zweifel an sein Heil,
Behüt es, Herr, vor aller Schuld!
Verleih ihm kindliche Zuversicht,
Wie reinen Herzen sie beschieden.
Das edle Volk, das deutsche Volk,
Behüt es Gott in seinem Frieden!
Das deutsche Volk, behüt es Gott!
Bis es in der Vollendung Licht
Den Ölzweig wahrer Menschlichkeit
Erlösend um den Erdball flicht.
In wilder Zeiten Sturm und Not,
In Streit und Sieges Morgenrot,
Das schwergeprüfte, hehre Volk,
Mein deutsches Volk, behüt es Gott!
*
Ich ging im Frühling aus,
Da stachen die Gräser hervor,
Da schlugen die Bäume aus,
Da schossen die Halme empor.
Ihr Herrn, ich lachte nicht,
Ich kam verwundert zurück.
Das ist — ich wette! — vom Wicht,
Dem Amor, ein Schelmenstück!
Zur Morgenfrüh' hab' ich erlebt
Wohl eine liebe Freude,
Zwei Mägdlein standen am Gartenzaun,
Das eine war blond, das andere braun;
Und sie gefielen mir beide.
Das eine war ernst gegürtet und blaß,
Gehüllt in dunkle Seide,
Das andre leicht geschürzt und bunt,
Mit Veilchenaug' und Rosenmund;
Und sie gefielen mir beide.
Da scholl von der Kirche Glockenklang
Zum Jubel oder zum Leide,
Die eine erglüht und betet leis,
Die andre trillert muntere Weis';
Und sie gefielen mir beide.
Da scherzten zu Paaren in Liebeslust
Die Schäflein auf grüner Weide,
Die eine senkt das Auge mild,
Die andre hüpft und jauchzet wild;
Und sie gefielen mir beide.
Da kam ein Vöglein geflogen herbei,
Sich bergend im nahen Getreide,
Die eine horcht dem fröhlichen Sang,
Die andre hebt den Arm zum Fang;
Und sie gefielen mir beide.
Da neigte ich, bettelnd um einen Kuß,
Mich über des Zaunes Scheide;
Die eine blickte mit strafendem Stolz,
Die andere blinzelte gegen das Holz;
Und sie gefielen mir beide.
Ein Knab' ging hinaus
Von Vaters Haus,
Eine Jungfrau wollt' er suchen.
Er schritt fürbaß
Die Heeresstraß',
Auf der Straßen lagen die Steine.
Er nahm den Pfad
Wohl in die Stadt,
Eine Jungfrau wollt' er suchen.
Er sah mit Gier
Viel goldne Zier,
Viel hohe Türme ragen.
Drauf zog er bald
Zum grünen Wald,
Eine Jungfrau wollt' er suchen.
Im Schattenland
Manch Blümlein stand,
Auf den Bäumen die Vögel sangen.
Zu Berg und Tal,
Auf Burg und Wall
Eine Jungfrau wollt' er suchen.
Sein Wanderstab,
Der schliff sich ab,
Neun Paar Schuh hat er zertreten.
Mit bloßem Fuß
Und müdem Gruß
Er ging in eine Hütten.
Er sah in der Wiegen
Ein Mägdlein liegen,
Die Jungfrau hat er gefunden.
O Herr, des Nachbars Valentin
Der stahl mir gestern meinen Hafer,
Er — stahl ihn mir — er — stahl mir ihn,
Es war nur — eine Handvoll — aber —
Am Hafer hing mein kleines Huhn,
Es hat so gern von ihm geklaubt;
So hat er mir den Hafer nun
Und auch mein kleines Huhn geraubt.
Mein ganzes Herz hing an dem Tier,
Es war so fett und schwarz wie Kohlen:
Jetzt hat der Strolch das Hühnchen mir
Und auch — mein ganzes Herz gestohlen.
Du fragst, warum ich gewinkt dir hab',
Du fragst, warum ich das Röslein dir gab?
— Ei, das solltest du wissen!
Du fragst, warum man jung sein muß,
Du fragst, wozu so verstohlen der Kuß?
— Ei, das solltest du wissen!
»Mein Knab', daß Mägdlein fragen gern
Und tun, als läg' ihnen alles fern —
Ei, das solltest du wissen!«
Er will mich nicht verstehen.
Und wenn ich ihm nicke
Mit glühendem Blicke
Den Morgengruß zu;
Und wenn ich ihm pflücke
Ein Blümlein, und schicke
Ein Bändchen dazu;
So fragt er noch: Warum?
Und will mich nicht verstehen!
Er will mich nicht verstehen.
Und wenn ich die lose
Und blühende Rose
Gar minniglich küß';
Und ich ihm dann sage,
Halb klage, halb frage:
Ist küssen nicht süß?
So fragt er kalt: Warum?
Und will mich nicht verstehen!
Er will mich nicht verstehen!
Und sag' ich auch innig:
Ich habe so sinnig
Geträumt von dir;
Als hätt' ich am Raine
Das Häuschen, das kleine,
Bewohnt mit dir!
So fragt er leis': Warum?
Und will mich nicht verstehen!
Er mag mich nicht verstehen.
Und wenn ich die Arme
Ihm reich', Gott erbarme!
Er ist viel zu blöd'! —
— Ei! wäre ich Mädchen
Des Nachbars jung' Gretchen,
Er tät nicht so spröd';
Er fragte nicht: Warum?
Er würde mich verstehen!
Ein schöner Stern
Ganz lockend licht
Erglänzt im See so wunderlich.
— Ein Mädchen lacht
So süß und spricht:
Ich liebe dich!
Gib acht, gib acht,
Der See ist kalt,
Er spiegelt nur
Das Himmelslicht —
Ein falscher Stern,
Ein falsches Herz;
Vertrau ihm nicht!
Vertrau ihm nicht,
Wenn es zu bunt
In fremder Pracht will blühen voll.
Ein echtes Herz
Darf funkeln nicht,
Muß tief und still erglühen wohl.
*
Oh nichts gibt es auf Erden,
Was mich so sehr entzückt,
Als deine schönen Augen,
Seit sie mich angeblickt.
Sie sind meine Himmelssterne,
Die ich so selig schau;
Sie sind mein Sonnenschein;
Sie sind mein Morgentau;
Sie sind meine Frühlingsblumen;
Sie sind mein Alpensee,
Wo mein Schifflein schaukelt,
Und wo ich untergeh'.
Noch nie ein so wüster April, wie dies Jahr.
Und nie ein so holder Mai.
Und nie im Wandern so stolz ich war,
So königlich fessellos frei.
Wie weit bleibt alles zurück, wie weit,
Was sonst mich bekümmert, beschwert.
Zur Rosenblühzeit, zur Rosenblühzeit
Ist es nicht des Umschauens wert.
Das Haupt blüht weiß, die Wange blüht rot,
Das Herz aller Freuden voll!
Ich frag' mit dem Dichter fast bang, o Gott,
»Was da noch werden soll!«
*
Wenn ich der Himmel wär',
Blieb' ich dir klar,
Legt' dir die Sonne ins
Goldige Haar.
Käme der Abend dann,
Tät' ich zu Ehrn,
Mädchen, dir leuchten den
Glänzendsten Stern.
Wenn ich die Erde wär',
Tät ich schön blühn;
Gäb' ich die holde Blum',
Mädchen, dir hin!
Hätt' ich dann Früchte, recht
Süß und recht groß,
Legt' ich die schönsten wohl
Dir in den Schoß!
Wenn ich die Hölle trüg'
Feurig in mir,
Tät ich nur brennen aus
Liebe zu dir:
Müßte dich holen der
Teufel herein;
Würde die Hölle ein
Himmelreich sein!
*
Weißt du, Mädchen, daß ich sterbe,
Sterben muß an deinem Blicke,
Wenn er weg von mir sich wendet?
Weißt du, Mädchen, daß ich sterbe,
Daß dein Mündchen mich vergiftet,
Wenn es keinen Hauch mir sendet?
Weißt du, Mädchen, daß ich sterbe,
Und an deinen Armen sterbe,
Wenn mich diese nicht umschlingen?
Mädchen, schenke mir mein Leben,
Daß ich dir dasselbe schenke,
Soll das deine ich erringen!
Wenn ich durch den Winter geh',
Denk' ich mir, es gibt auf Erden
Doch nichts Schöneres, als den Schnee,
Und er muß zu Wasser werden.
Ruht im Hag die Jungfrau mild,
Denk' ich mir, es gibt auf Erden
Doch nichts Schöneres, als dies Bild!
— Und sie muß zum Weibe werden.
Tau ich auf dem Röslein seh',
Tau an ihrem Augenstern.
Tauf' mit Wasser Freud' und Weh,
So gewillt es Gott dem Herrn.
Mädchen, wenn ich sehnend flehe,
Hörst du nichts?
Mädchen, wenn das Aug' du senkest,
Siehst du nichts?
Mädchen, wenn ich sterben gehe,
Willst du nichts?
Mädchen, wenn du mein gedenkest,
Fühlst du nichts?
Was du dir denkst, ist längst gedacht,
Was ich dich frag', ist längst gefragt,
Wenn Wange glüht und Auge lacht,
Ist alles, was uns blüht, gesagt.
Oh, sag nicht nein und sag nicht ja,
Wenn ich an deinem Busen ruh',
Zum Plaudern sind wir uns zu nah,
Drum schweig mir deine Liebe zu.
Ich geh' durchs Tal am Waldessaum,
Tief unten rauscht der Fluß,
Oh, wie ist doch das Wandern, traun,
Im Wald ein Hochgenuß!
Dort seh' ich stehn ein Mädel fein,
Ich wink' ihm meinen Gruß
Und ruf' es an: »Feins Liebchen mein,
Komm, gib mir einen Kuß!
Du hast ein braunes Röckel an,
Es deckt kaum deinen Fuß,
Das zarte, runde Wädchen kaum,
Geh, gib mir einen Kuß.
Du hast ein blaues Augenpaar
Und Haare wie von Ruß,
Dein rosenroter Mund — ich merk's —
Hat Durst nach einem Kuß.
Nur scheint die Sonne viel zu heiß,
Mir fällt was ein, ich tu's,
Ich führ' dich ins Gehege hin
Und geb' dir — —« fällt ein Schuß.
»Juchhe!« schreit jetzt das Mädchen auf,
»Das ist Hieronymus!«
Ihr Liebster war's, der Jägersmann,
Und damit Schluß.
Vor des Ewigen Angesichte
Klag' ich ihn, o Himmel, richte!
Ach, wie hab' ich ihn geliebt,
Während er den Tod mir gibt!
Möge ihm in dunkeln Tagen
Auch die grause Stunde schlagen!
Möge er in Qual sich winden,
Und kein Herz, kein treues, finden!
Mög' der Mensch zum Teufel werden,
Dem er hoffend sich auf Erden
Voll Vertraun zu eigen gibt!
— Ach, wie hab' ich ihn geliebt!
Ein Verworfner mög' er lungern
Auf der Heide und verhungern.
Welche Lust mir, wenn er schmachtet,
Glückverlassen, notumnachtet!
Und ich dürfte ihm begegnen,
Wie wollt' ich die Stunde segnen!
Ihn an meinem Herzen haben,
Ihn mit meinem Blute laben!
— Wärst du meiner Qual versunken,
Hättest mein Leid du getrunken,
Wüßtest du, was Hölle ist.
— Wollte dich so lange küssen,
Bis du wieder selig bist.
Ich mach' in meinem Leben kein Gedicht mehr an ein Mädchen,
Das ich nicht darf lieben.
Es ist zu gefährlich, um das Licht zu schwärmen,
Das bestimmt ist, andere zu wärmen.
Wer hatt' mich auch dazu getrieben? —
Wo Auserwählter war mein liebster Freund,
Und sie des liebsten Freundes Auserwählte.
Und ich? Ich war nebstbei so da, und wie es scheint
Ein wenig lecker auch. Und sieh, da stellte
Der Knirps von einem Amor mir die Falle.
Dem Freund zulieb und seiner Maid zu Ehre
Gedacht ich ein Gedichtchen ihr zu weihn.
Aus Eigennutz war's nicht, denn ich begehre,
So dachte ich, dafür das bißchen Heiligenschein
Des Ruhmes nur. War noch erklecklich eitel
Und meint', mit einem Vers müßt' ich beglücken
Ein Mädel von der Zehe bis zum Scheitel,
Und mindestens dem Erdball es entrücken.
Gedacht, getan, ich schrieb ihr ein Gedicht
In leichten Jamben. Für eines andern Liebe
Sind Jamben gut genug. Schweres tauget nicht.
Was anders, wenn ich eine Ode schriebe
Im tiefen Seufzertakte eines Romeo!
Dann allerdings schwerschreitende Trochäen.
Doch, was wollt' ich nur sagen? — Ei ja so!
Ich schrieb der Liebsten meines Freunds,
Um mich verbindlich bei ihr einzustellen.
Sie war zu herzig, traun, sie war's wohl wert,
Der holden Muse warm sie zu empfehlen.
Begann zu dichten, wie's ein Herz begehrt,
Beschrieb die zarten Reize, sagte ihr auf Ehre,
Wie ich an ihrem Glücke Anteil nähme,
Und daß als Freund ich gar imstande wäre,
Dergleichen selber — wenn die Stunde käme —
Zu gönnen mir. Doch müßte auch mein Püppchen
So lieblich sein wie sie. Es stünde immer
Mein Sinn nach solchen Wänglein, solchen Grübchen
Und solchen Äuglein auch, wie man sonst nimmer
Sie gesehn auf dieser Welt, als — im Vertrauen
Nur sei's gesagt — an ihr, der Treuen
Meines lieben, einzigen Freundes, sind zu schauen.
Unmöglich, sang ich, wäre zu bereuen
Eine Wahl, wie diese. Ließ es ihr auch merken,
Daß sie, nur sie allein, die Schönste sei der Schönen.
Und es gelang mir, solches zu bestärken,
So gründlich, daß — bevor ich es konnt' wähnen —
Diese kunstvoll hübsch gedrehten Liebesphrasen
Ich selber treulich glaubte. Und bevor
Das Liedchen fertig noch, begann ich schon zu rasen,
Aus purer Leidenschaft, die bis ans Ohr
Mir tückisch heiß tat steigen — —
Was dann geschah! — Ach, laßt mich schweigen. —
Und hast du einen Freund, das lehret die Moral,
So schicke seinem Liebchen nie ein Liedel,
Auch wenn er's selbst erlaubt, wie's hier der Fall,
Sonst gibt es einen Tanz nach seiner Fiedel.
Und hast du weidlich Pfeile zu verschießen,
Ich gratulier' dazu, doch mußt du wissen,
Auf welche Scheibe du mit Recht darfst zielen,
Denn Amor, dieser Wicht, er läßt mit sich nicht spielen.
Als ich dem Liebel im Stübel gestand,
Ich würd' es küssen müssen,
Da gab's ein Bildchen mir in die Hand,
Daß ich was hätt' zum Küssen.
Es war der heilige Antonius,
Der Findpatron zum Glücke;
Hatt' ich verloren des Liebchens Herz,
So bracht' er mir's zurücke.
Dann, als sie sah, wie glühend ich
Das Amulett tat küssen,
Da hat sie's heftig, zornig, wild
Mir aus der Hand gerissen.
Nun hab' ich gewußt, was zu geschehn,
Die Eifersucht zu kühlen.
Die Mädels, die mögen das Küssen nicht sehn,
Aber fühlen, fühlen, fühlen.
Du beklagst dich, daß dein Weibchen
Nicht will deine Lieder lesen.
Schreib in Küssen, statt in Versen,
Wird sie's immer wieder lesen.
Bist du ferne, wird sie gerne
Lieder unterm Flieder lesen.
Doch, wenn selber singt der Vogel,
Wozu im Gefieder lesen?
Wisse, sie hat nicht die Richtung
Literarisch weiser Richter;
Lieber, als die größte Dichtung,
Ist dem Weib der junge Dichter.
Deshalb ist, seid ihr beisammen,
Nicht die Zeit zum Liederlesen.
Wenn du, mein Freund, zur wonnigen Mundlust
Den kühlen Schnabel des Krugs an den Mund tust,
So halte zur lieblichen, süßen Geleitschaft
Den glühenden Schnabel der Maid in Bereitschaft.
Der Hüttenrauch[B], das Küssen auch,
Das sind zwei schlimme Dinge.
Wer's einmal tut genießen auch,
Der kann es nicht mehr missen auch,
Selbst wenn er am gewissen Brauch
Zuletzt zugrunde ginge.
Schon dreißig Jahre bin ich alt,
Und noch allein geblieben.
Und seh' die Knaben mannigfalt
Wohl ihre Schätzlein lieben.
Ich seh', wie sie sich froh einand
Die Hochzeitskränze winden;
Ich wandre durch das weite Land
Und kann meinen Schatz nicht finden.
Ich such' ihn, wo bei Herdesglanz
Die holden Mädlein blühen,
Ich such' ihn, wo bei Kirmestanz
Die Dirnen alle glühen.
Ich seh' die Jahre rascher ziehn
Und fühl' die Jugend schwinden,
Und suche ihn und rufe ihn,
Und kann meinen Schatz nicht finden.
Und sie, die mir bestimmt muß sein
Für meine Lebensfahrten,
Wird irgendwo allein, allein
Mit Bangen auf mich warten.
Der Alte hier, die Alte dort
Wird einsam einst begraben,
Zwei, die sich treu und heiß geliebt
Und nie gesehen haben.
Was das Rosenblatt bedeutet,
Das in sich zusammenkauernd
Vor dem Hauch des Mundes schauernd
Auf der Hand mir liegt gebreitet?
Kann ich nicht dem toten, süßen
Rosenblatt mit Sehnsuchtsbeben
Noch einmal ein junges Leben
Minnend in die Adern gießen?
Oh, vor meinem heißen Kusse
Wird es nimmer frischen können,
Wird es, ach, nur still verbrennen,
Asche, Asche sein zum Schlusse.
Rosenblatt, warum alleine
Kommst du mir von ihr geflogen,
Ach, daß du nicht mitgezogen
Sie, die Holde, die ich meine!
Jene Süße, von den Musen
Ahnend mir so lang verheißen.
Nächtig, wenn die Sterne gleißen,
Möcht' ich ruhn an ihrem Busen.
Möcht' ins scheue Aug' ihr sehen,
Ihr ins tiefe Herz mich graben,
Möcht' in heißer Glut mich laben
Und in Liebeslust vergehen.
Soll ich warten, bis die Tage
Wachsen und die Nächte schwinden,
Die so lockend, Lieb' zu finden?
Rosenblatt, flieg hin und frage.
Soll ich warten auf die Tage,
Wo zur Form wird, was heut Kuß ist,
Und zur Pflicht, was heut Genuß ist?
Rosenblatt, flieg hin und frage.
Denk an deine Maientage,
Rosenblatt, du kennst das Leben;
Kennst der Liebe Pein und Beben.
Nun, so flieg zu ihr und frage.
Wie nah, mein schönes, süßes Kind,
Ist mir dein holdes Angesicht,
Ich trinke deinen Atemhauch
Und deines Auges lächelnd Licht;
Doch was in deiner Stirne sinnt,
Und was in deiner Seele spinnt,
Ich weiß es nicht.
Ich weiß den von Jahrtausenden
Emporgebauten Erdengrund,
Ich kenne das mit Sternenwelten
Reich geschmückte Himmelsrund;
Doch was in deiner Stirne sinnt,
Und was in deiner Seele spinnt,
Ist mir nicht kund.
Entzückt von deiner Zunge Klang,
Und doch in tiefster Einsamkeit,
Mein Lippenpaar an deins gepreßt:
Und dennoch mir unendlich weit
Ist, was in deiner Stirne sinnt,
Und was in deiner Seele spinnt
Für alle Zeit.
Denn das, worauf ich wollte baun,
Hat mich getäuscht, die Träne dein. —
Es müßte denn dein Herzblut, traun,
Der opferfrohe Bote sein,
Daß Lieb' mir deine Seele spinnt
Und Treu mir deine Stirne sinnt,
Dann bin ich dein.
Einst tat ich im Walde spazieren gehn,
Da sah ich im Wald ein Maßlieb stehn.
O Herzlieb, du bist mein Entzücken!
Doch Maßliebchen, die kann man pflücken.
Ich tat's und fragt' es inniglich:
Verrat's, mein Schätzel, liebt es mich?
Da log es mir frech ins Angesicht:
Dein feines Schätzel, das liebt dich nicht. —
Ich grub mit dem Messer ein tiefes Grab
Und warf das böse Blümlein hinab,
Und wälzte darauf einen schweren Stein,
Sollst ewig und ewig vergessen sein.
Dann tat ich sinnend weitergehn
Und sah ein Schlüsselblümlein stehn.
O Mädel, du bist mein Entzücken!
Und Blumen die kann man zerpflücken.
Ich tat's und fragte inniglich:
Verrat's, meine Traute, liebt sie mich?
Die Blume in Sterbensschmerzen:
Sie liebt dich, sie liebt dich von Herzen! —
Ich grub mit der Hand ein Beetlein auf
Und tat die zerrissene Blume darauf.
Doch als sie lag auf der Totenbahr,
Da ward sie lebendig, erhob sich gar,
Das eine Blättchen, es jauchzte aufs neu:
Sie liebt dich von Herzen, sie liebt dich treu! —
Dann wuchsen der Blume in Kranzesflor
Die Blätter all von neuem hervor,
Schneeblendend weiß, die Spitzen rot,
Wie Unschuld und Liebesmärtyrertod.
Und jegliches blinkte mir traulich zu:
Sie liebt dich von Herzen! O Glücklicher, du! —
Nun kam ein Sturm und knickte die Bäume,
Und Blitze durchzuckten die himmlischen Räume;
Die Blume wiegte ihr Haupt und rief mich:
Sie liebt dich von Herzen! Sie liebt dich, sie liebt dich! —
Dann nahte der Winter und senkte im Schnee
Auf alle Gefilde ein eisiges Weh.
Doch sieh, die Blume hold und weiß,
Sie blühte hervor aus Schnee und Eis,
Und nickte mir zu in Ernsten und Scherzen:
Sie liebt dich von Herzen! Sie liebt dich von Herzen! —
Und als von neuem der Frühling kam,
Da führte zum Wald mich ein tödlicher Gram,
Ein tödlicher Gram, eine höllische Pein,
O selig, glückselig, gestorben zu sein! —
Auf grünendem Beete die Blume stand,
In üppiger Blüte mir zugewandt,
Und winkte und flüsterte süß und innig:
Sie liebt dich von Herzen! Sie liebt dich unsinnig! —
Ich hob meinen Fuß und trat sie tot,
Die gleißnerisch Blume, so weiß und rot.
Und ging noch tiefer in den Wald hinein,
Und suchte das Grab mit dem schweren Stein,
Und habe geweint und habe geklagt:
Du hast es gesagt! Du hast es gesagt!
Ach, du klagst, daß deine Schöne
Nicht dein Herz auf Rosen bette,
Sondern statt mit Blumenkette
Es mit spitzen Dornen kröne.
Nur Geduld, einst wird sie kosen
Deinen Strauß bei Grabeskerzen,
Rosen pflanzt man nicht auf Herzen,
Nur auf Erde pflanzt man Rosen.
*
Heb dich weg und küß mich nicht!
Du nicht, ich bitte dich,
Ein Kuß von dir — o küß mich nicht!
Ein Kuß, er wär' mein Tod.
Kleine Schelmin, lächle nicht!
Du nicht; — blick mich nicht an!
Das traute Du, o nenn es nicht!
Sprich nichts, kein Wort zu mir!
O laß mich gehn, berühr mich nicht!
Ich weiß, mein Kind, du liebst mich nicht.
Und ist nicht auch die Seele mein,
Den Leib allein, den mag ich nicht.
In alten grauen Tagen,
Da hat sich's zugetragen,
Da tat ein Knab' das Maidlein schaun,
Das Maidlein tat dem Knaben traun,
In alten, grauen Tagen.
Der Knab' tat nit lang bitten,
Nahm 's Mädl um die Mitten
Und hub mit ihr ein Tänzlein an,
Der Atem tat ihr stille stahn
In alten grauen Tagen.
Und als er satt am Tanzen,
Da nahm er seinen Ranzen,
Und ließ die Maid zu zwein — allein. —
Das Märchen soll geschehen sein
In alten grauen Tagen.
Schicksal im langen Haar,
Herrin, mir graut vor dir!
Reiß von der Heimat mich,
Raube die Freunde mir.
Brich meinen Tatenmut.
Höhne, verrate mich,
Schände die Ehre mir,
Hass' und verkaufe mich.
Foltere die Seele mir,
Hetz in die häßlichsten
Laster des Lebens mich,
Stürz in die ewigen
Peinen der Hölle mich:
Anbeten! Anbeten!
Anbeten muß ich dich,
Wonniger, göttlicher
Dämon — ich liebe dich!
Als man dem Herrn
Die Sünderin verklagt,
Da hat er bloß gesagt:
Wer selber sich weiß rein,
Der werfe seinen Stein!
Dann schrieb er etwas in den Sand ...
Sie gingen hin und guckten, was da stand.
— — — — — — — — — — — — — —
Verstanden hat's wohl jeder,
Der's geschaut.
Doch keiner hat sich's
Zu sagen getraut.
— — — — — — — — — — — — — —
Mit erbarmendem Lieben
Hat er es auf Sand geschrieben,
Wo es der Wind verweht.
Die Frauen,
Sie bauen
An unserm Vertrauen
Im Spinnen
Und Sinnen
Am schneeweißen Linnen.
Die Süßen,
Wir müssen
Sie ehren und küssen.
Die Feinen
Und Reinen
Sind es, die wir meinen.
»Bei mir stimmt's einzig nicht, was steht geschrieben,
Daß Lieb' und Leidenschaft sich einig wissen.
Die ich genoß, war mir zu schlecht, zu lieben,
Und die ich liebt, zu wert, sie zu genießen.«
Ich lieb' an einem Weib
Nicht bloß den feinen Leib,
Noch mehr die reine Seele.
Ist ihre Seel' nicht mein,
Auf ihren Leib allein
Verzicht' ich leicht und schnelle.
Als ich um sie gefreit
War's für die Ewigkeit
Und nicht für kurze Blüte;
Die wahre Liebe keusch
Plangt nicht so sehr nach Fleisch,
Vielmehr nach Herz und Güte.
Wer für Gestalt nur Sinn,
Für den sind bald dahin
Des süßen Glückes Triebe.
Doch auf der Jahre Höhn
Wird erst die Seele schön
In Ahnung ewiger Liebe.
Schon fleißig, lieber Goldschmied? Guten Morgen!
Ein bißchen, Herr Nachbar, guten Morgen!
— Klopf, klopf!
Was wird denn geschmiedet so laut?
Ich schmiede ein Ringlein meiner Braut.
Das Ringlein wird glänzend und klar,
Ich führe sie bald zum Altar,
— Klopf, klopf, klopf!
Noch fleißig, lieber Goldschmied, guten Abend!
Ich bin nicht mehr Goldschmied, guten Abend!
— Klopf, klopf!
Was wird denn geschmiedet so laut?
Ich schmiede ein Kreuzlein meiner Braut,
Ein eisernes Kreuzlein fürs Grab,
Wir senken sie morgen hinab.
Klopf, klopf, klopf!
Wenn du gehst, wenn du gehst von mir, mein Lieb,
So ist es aus mit mir,
Ich wandre dir nach durch die halbe Welt,
Und such' und ruf' nach dir.
Ich frage den Jäger im grünen Wald,
Den Schäfer auf blumiger Au:
Hast du nicht gesehn eine schöne Maid
Mit hellen Äuglein blau?
Ich frage den Vogel im Tannenhag,
Den Fisch im Meeresgrund:
Hast du nicht gesehn eine schöne Maid
Mit rosenrotem Mund?
Ich frage den Gräber am Kirchhoftor,
Den Priester am hohen Altar:
Hast du nicht getraut eine schöne Braut
Mit krausem, güldnem Haar?
Und weiß ich dich schlafen im tiefen See,
Dann jauchz' ich mit hellem Mut,
Und tauche, mein Lieb, zu dir hinab
In die weiche, kühlende Flut.
Und weiß ich dich eines andern Braut
Mit runden Wängelein rot,
Dann leg' ich mich auf die Erden hin
Und weine, und weine mich tot.
Und wenn ich an Lieb' gestorben bin,
So graben sie ein tiefes Grab,
Und legen ein Kreuz mir auf die Brust,
Und senken mich still hinab.
So hast du dich, Kind, von mir gewend't,
Und ich bin blieben dein.
Gott mit dir, Gott mit dir, du hartes Lieb!
Ich leb' und sterb' allein.
Halbverklungene Heldenkunde
Weiß zu sagen von dem Paare,
Das nach grausen Hunnenschlachten
Auf dem Roß, dem kampfesmüden,
Vor den grimmen Türken fliehet.
Unterwegen rast der Flüchtling
Ob des Vaterlandes Jammer.
Angstvoll hütet er sein Weib noch
Vor der wilden Gier der Feinde.
Sieh, da stürzt das treue Rößlein.
»O verdammt!« so ruft der Reiter,
»Daß sie höhnend mich ermorden,
Ist beim Himmel nicht das Schlimmste,
Doch in ihre Hände fallend
Du, mein Weib, du Heißgeliebte ...«
»Das wird nimmermehr geschehen,
Ich bin dein und will's verbleiben!«
So das Weib, die Brust entblößend.
»Zieh den Dolch und rette, Liebster,
Freudig mich vor den Barbaren.«
Nächtige Brände fester Burgen
Glühn am schwerbewölkten Himmel.
Schnaubend nahn die wüsten Horden,
Sehn zwei purpurrote Brünnlein
Springen auf der dürren Heide.
Der Landmann säet das Weizenkorn.
»O Maid, ich bin dir gut!«
Er mäht das reife Weizenkorn
Und küßt sie bis aufs Blut.
Der Stein zermalmt das Weizenkorn,
Die Maid liegt auf der Bahr'.
Als Hostie thront das Weizenkorn
Auf heiligem Altar.
Wie stiegst du hoch, mein Weizenkorn!
Und wer und wo blieb ich!
O Brot, der ewigen Liebe Born,
Erbarme dich!
O sei mir gegrüßet, du grünender Baum,
Wo ich mein Liebchen sah,
Die Myrt' in den Locken, auf blumigem Saum,
So nah! So nah! So nah!
Wie küßte ich heiß ihren rosigen Mund!
Am Baum ein Vöglein sang.
O Wonne des Herzens, glückselige Stund'!
Wie lang, wie lang — wie lang!
Sie fällten den Baum, und sie bauten den Sarg,
Im Mai, im holden Mai.
Sie schlossen den Schrein, der mein Himmelreich barg.
Vorbei, vorbei, vorbei!
Aller Sonnenschein auf Erden
Ist ein traurig Ding,
Wenn nicht schwebt der Einzigen Schatten
Auf dem Wiesenring.
Könnt' ich einmal noch vernehmen
Ihrer Stimme Klang,
Wollt' ich gerne stumm und taub sein
Auf mein Leben lang.
Alle Rosendüfte, welche
Da den Mai durchziehn,
Gäbe ich für einen Hauch
Ihres Mundes hin.
Alles, was ich noch genieße,
Was ich bin und hab',
Ist nicht wert des blassen Staubs
Auf ihrem Grab.
Es sinken vom Baum die Blätter,
Der Sommer ist vorbei.
Mein Mund ist noch rot und will küssen
Wie einst im Mai.
Es fallen vom Haupt die Locken,
Mich schrecket der Eule Schrei,
Ich flüchte bange zum Mädel,
Wie einst im Mai.
O Herrgott, wieviel an Liebe,
Und ach, wie wenig Zeit!
Die Lieb' ist nicht auszuschöpfen
In Ewigkeit.
*
Ein schöneres Ideal hat noch niemand geträumt,
Als meine sehnende Seele es hegt,
Ich seh' ein Paradies auf Erden erstehn,
Das wieder die Freude, die Liebe trägt.
Ich sehe die Völker des Erdenballs
Im Glanze der glorreichen Einheit stehn,
Ich seh' auf den Zinnen der Treue, des Rechts,
Der Bildung, die Fahne des Friedens wehn.
Ich seh' nur die Waffe des Geistes gezückt
Zum Trotze dem Mordblei, zum Trotze dem Schwert;
Ich sehe das Eisen dem Baue des Felds,
Der sausenden Werkstatt zugekehrt.
Ich sehe die Frau am häuslichen Herd,
Keine Sklavin der Willkür, der Mode mehr.
Eine Priesterin, traun, der wärmenden Glut,
An der Liebe Altar, des Hauses Ehr'.
Ich ahne — ich sehe die herrliche Zeit,
Ich sehe zur Wahrheit die Schönheit sich reihn,
Die Völker in Liebe verschlungen und frei,
Ich sehe die Menschen — Menschen sein!
Wir weichen nicht von unsren Idealen,
Sie schmücken, adeln dieses Erdenwallen,
Sie ehren uns,
Der Niederträchtigen Hohn wird uns zum Ruhm.
Ums welterlösende geweihte Heiligtum
Wir wehren uns!
Der Völker, Rassen, Religionen Streit
Vergeht im warmen Glanz der Menschlichkeit.
Wir kehren uns
Zum treuen, ewigen Geist, der alle zählt,
Und wehe dem, der Haß statt Liebe wählt!
Wir wehren uns!
Doch nicht mit Schwert und Feuer, wie Barbaren;
Denn unsrer Philosophen heilige Scharen,
Sie lehren uns,
Trotz Korybantenlärms von Schelm und Wicht,
Mit heiterer Ruh und lächelndem Gesicht
Zu wehren uns.
Mein deutscher Sang ist euch zu zahm,
Anstatt mein geliebtes Volk zu segnen,
Soll fluchen ich der Feinde stramm,
Dem Nachbar stets mit Trutz begegnen.
Mein Herz ist froh, mein Erz ist rein,
Es dient dem Tod nicht, nur dem Leben;
Wie, muß denn alles Kanone sein?
Mag's nicht auch klingende Glocken geben?
Die Ehr' ist jenes Gut,
Das mir am höchsten frommt,
Doch nicht die flüchtige Ehr',
Die nur von außen kommt.
Ein großer Dichter, traun,
Das hört sich süß und fein;
Doch höher stünd' mein Stolz:
Ein großer Mensch zu sein.
Die Ehre, flach geweht
Hin über Länder weit,
Ist nichts gleich eines Menschen
Tiefer Dankbarkeit.
Wer nur um Ehre schafft,
Der ist zwar wert der Ehr',
Der äußeren bunten Zier,
— Doch sonst auch nicht viel mehr.
Wenn einst ich sterben muß,
Soll keine Trauerschar
Von Gleisnern folgen mir
Zu meiner stillen Bahr'.
Nicht Nekrolog, nicht Stein,
O Gott, man kennt die Weis';
Sie ehren Tote bloß
Zu ihrem eigenen Preis. —
Nur eines wollt' ich, daß
Ein Braver sagen kann
An meinem schlichten Grab:
Er war ein braver Mann.
Ein Vater lag im Sterben,
Drei Söhne sollten erben.
Der eine war ein Bauersmann,
Der pflügen, säen und ernten kann,
Der erbte die Höfe, die Felder,
Die Gärten, die Wiesen, die Wälder.
Der andre war ein Hammerschmied,
Dem gab der Vater, als er schied,
Die Hämmer und all die Geräte,
Auf daß er Werkzeug hätte.
Der dritte war ein munterer Knab'
Mit Sängerkehl' und Wanderstab,
Nach Vaterswill' dem verbliebe
Sein Menschenherz voll Liebe. —
Und als vorbei der Jahre zehn,
Da hat man schon das Ziel gesehn.
Der eine sorgte Tag und Nacht,
Bis endlich er's zu Geld gebracht;
Der andre sorgte Stund' um Stund',
Daß nur sein Haufen Geld nicht schwund;
Der dritte zog von Sorgen frei
Mit Sang an Not und Geld vorbei,
Und schöpft' mit Wonne, teilt mit Lust
Die Lieb' aus seiner Dichterbrust,
Und streut' ohn End' von Haus zu Haus
Die Gab' an Arm' und Reiche aus. —
Ein Becher, füllt ihn Gott mit Wein,
Wird ewig unerschöpflich sein.
Im tiefen, dunkeln Felsental,
Da rauscht ein ewiger Wasserfall.
Ein Wandrer horcht der Melodei,
Es wird ihm wohl und weh dabei,
Und kann doch nichts verstehen.
Er macht ein feines Sinngedicht,
Das klar die schönsten Worte spricht.
Doch sieh, ob dieser Poesei
Wird keinem wohl und weh dabei,
Und kann es doch verstehen.
Und — eh das Jahr von hinnen zieht
Ist schon verstummt des Sängers Lied.
Was man verstand und nicht empfand,
Das klingt nur einmal durch das Land.
— Ewig rauschen die Wasser.
Unser Herz ist eine Harfe,
Eine Harfe mit zwei Saiten.
In der einen jauchzt die Freude,
Und der Schmerz weint in der zweiten.
Und des Schicksals Finger spielen
Kundig drauf die ewigen Klänge,
Heute frohe Hochzeitslieder,
Morgen dumpfe Grabgesänge.
*
Die Hand an meiner rechten Seiten
Ist lobenswert zu jeder Stunde,
Sie holt das Brot aus allen Weiten
Und führt es zärtlich mir zum Munde.
Und ballt die Linke, Unerzogne,
Sich hinterm Rock, wenn Gäste nahen,
So weiß die Rechte, Wohlgepflogne,
Mit edlem Anstand zu empfahen.
Und nahen schlechtgesinnte Mächte,
So greift sie rührig zu den Waffen,
Und weiß mit ritterlichem Rechte
Mir Schutz und Frieden zu verschaffen.
Und weil sie gütig von dem Hehren
Als treue Freundin mir gesendet,
So ist sie auch in allen Ehren
Der Küsse wert, die man ihr spendet.
Und trotzdem leider ist sie heute
Der Linken weit zurückgeblieben,
Denn dreist hat sie, und nicht gescheute,
Ihr eigenes schales Lob geschrieben.
Wie fühl' ich dich an meinem Herzen schlagen,
Du starkes, reges, goldnes Herz der Zeit!
So wandern wir selbander sonder Zagen
Den dunklen Stundenweg der Ewigkeit.
Der Zeiger kreiset stetig in der Runde,
Ein Sinnbild, wie das Weltenuhrwerk kreist;
Dein Herz, o Mensch, ist endlich wie die Stunde,
Unendlich wie die Runde ist dein Geist.
*
O lieber Gott, wo werden jene Stunden sein,
In welchen mir der Lorbeer wird gewunden sein!
»Ha, suche dir die Zweige!« spricht die kluge Welt,
»Denn jedes Glück will mühevoll gefunden sein.«
Ich darf es nicht, die strenge Pflicht hält mich zurück.
Warum muß ich durch Sorg' und Not gebunden sein?
Vielleicht, daß man mir einst die schweren Bande löst,
Doch wird bishin schon Kraft und Will' verschwunden sein.
Und bis man mir zu Lab den milden Balsam beut,
Oh, können wohl vernarbt die heißen Wunden sein.
Und wenn man jauchzend einst den vollen Becher reicht,
Kann der Verschmachtete schon längst tief unten sein.
Der späte Tropfen, der sein einsam Grab benetzt,
Wird, traun, vom Schläfer nimmermehr empfunden sein.
Ihr Häupter in goldiger Morgenglut,
O blicket aus Himmelshöh' nieder
Zum Sänger, der sinnend im Moose ruht,
Euch feiernd durch harmlose Lieder.
Wie lodert dort oben der Gletscherschein,
Wie flüstert im Schatten die Quelle:
O schenkt mir von eurer Herrlichkeit ein,
Bis trunken die sehnende Seele.
Als einst ich verloren die ganze Welt,
Den Glauben, die Hoffnung, die Liebe,
Und als mir die glitzernden Freuden vergällt
Im wüsten Weltgetriebe;
Und als ich mein junges Leben verpraßt,
Weil es ohne Reiz mir und Wert war,
Und als ich den Mann auf der Straße gehaßt,
Weil er wie ich auf der Erd' war.
Da zog ich hinaus wie ein dachloser Hund,
Mich selbst und das Dasein verfluchend,
Da schritt ich verloren, im Waldesgrund
Einen luftigen Baumast mir suchend.
Doch siehe, da war kein Ast mir recht,
Der war mir zu hoch, der zu nieder,
Ein dritter zu gut, ein vierter zu schlecht,
Ein fünfter mir anders zuwider.
Und ein jeder tat so geheimnisvoll
Und flüsterte leis mit dem Nachbar;
Sie machten sich über mich lustig wohl,
Daß ich so elend und schwach war? —
O nein, nur die Welt verspotteten sie
Und schmiedeten eine Verschwörung;
Der Wald und die Welt, die vertragen sich nie,
Ob letzterer tiefen Betörung.
Drum sagten die Bäume: 's wär alles wohl recht,
Die Vorzeit, die Zukunft, das Heute,
Selbst der Himmel ist gut und die Erde nicht schlecht,
Doch die Leute — die argen Leute!
Die Leute, die liegen sich alle im Haar
Und raufen, daß es ein Skandal ist,
Und spielen in Übermut mit der Gefahr
So lange, bis jeder am Fall ist.
Und wenn sie zu Füßen den Abgrund sehn,
Dann schwindeln sie fluchend und taumeln,
Ja, dann erst will mancher zum Walde gehn,
Und — daß er nicht fallen kann — baumeln.
Oh, kämet ihr früher zu uns in den Wald
Mit jugendlich heiteren Sinnen,
Ihr wäret mit »Siebzig« noch immer nicht alt,
Und wüßtet gar zärtlich zu minnen! —
So sagten die Bäume und flüsterten fort,
Erzählten sich sondre Geschichten;
Ich habe verstanden ein jegliches Wort
Und weiß mich darnach nun zu richten.
Und kriegt mir die Fröhlichkeit jäh einen Sprung,
So kratze ich Waldharz und leime,
Und sprudle und jauchze und bin wieder jung,
Und schmied' ein paar hinkende Reime.
Im Walde Frieden. Zwei Hummeln läuten.
Der Tag ist schon neigend.
Da nahen Gestalten aus alten Zeiten,
Die stille Reihe der alten Bekannten,
Sie grüßen mich schweigend.
Sie winken mir stumm ein Geheimnis zu
Und schwanken vorbei.
... Ich hab' nichts verstanden.
Was glänzen doch dem die Augen so hell?
Und birgt in der Brust eine dämmernde Seel',
Und hüllet in staubige Spinnenweben
Geheimnisvoll sein glosendes Leben.
— Weiß es einer, wie wohl sie tut,
Die einsame Glut?
Was brennen doch dem die Wangen so rot?
Er ist ja kalt, er ist ja tot!
Er scherzt nicht mit Freunden, er kost nicht mit Frauen,
Er kann keine lustigen Leute schauen.
— Weiß es einer, wie weh kann sein
Die einsame Pein?
Und weiß es einer, wie wohl es tut,
Wenn glühend das Herz in sich selber ruht,
Und weiß es einer, wie hart es kann sein —
Der schleiche vorüber und laß' ihn allein,
Den Mann in seinem allseligen Leid
Der Einsamkeit.
Magst du wissen, wann du sollst gesellig
Und wann einsam sein?
Willst du Freude, suche Menschen,
Willst du Glück, so bleib mit dir allein.
Wisse, wann dein Werk am schönsten
Und am reinsten mag gedeihn:
In der Arbeit suche Menschen,
Doch im Schaffen bleib mit dir allein.
Wie's auch jeder hält nach seiner Weise,
Lasse eins gesagt dir sein:
Wenn du hassest, meide Menschen,
Wenn du liebst, bleib nicht mit dir allein.
Ach, wie gerne möcht' ich wissen
Oft, zu wem mein Sprüchlein spricht!
Hunderttausend Leser hab' ich,
Aber einen hab' ich nicht.
Hunderttausend Leser heißen
Publikum, und ihre Zahl
Wird willkommen der Verleger
Heißen hunderttausendmal.
Einen möcht' ich, einen haben,
Den ich kenn', von dem ich weiß,
Daß er jede meiner Zeilen
Liest mit Liebe und mit Fleiß.
Einen einzigen ganzen Menschen,
Einen ruft der Dichter an,
Dem er all sein Denken, Dichten,
Frohes Schaffen weihen kann.
Einmal hatt' ich einen solchen,
Habe nur an ihn gedacht,
Habe nur für ihn gedichtet
Und mein Herz ihm aufgemacht.
Also sprach der Mensch zum Menschen
Traut mit leiser, warmer Stimm',
Und die hunderttausend Leser
Fanden sich in mir und ihm.
Als ich redete für einen,
Standen alle rings herum,
Red' ich allen, hab' ich keinen
Menschen — lauter Publikum.
Welch ein Los! Im bunten Lebensgarten
Fröhlicher Genossen bin ich einsam.
Hab' mit ihnen Ziel, Geschick und Leiden,
Sprach' und Lied und Vaterland gemeinsam.
Streuen scherzend Rosen unsren Pfaden,
Lieben uns einander — und bin einsam.
Einsam, wenn das Blau der Fern' uns trennet
Mitten unter ihnen bin ich einsam.
Einsam, wie der Schiffbrüchig' im Meere,
Einsam, wie der Aar im Himmelskreise,
Einsam, wie der Mann, den sie begruben
Unter Nordlichtschein im öden Eise.
Brücken schuf Natur von Aug' zu Auge,
Hängend auf des Lichtes goldnen Stäben;
Schiffe auf dem Wellenmeer des Klanges
Zwischen Mund und Ohren heiter schweben.
Und des Blutes ehern ewige Bande
Flechten aneinander unsre Sinne;
Aber von der Seelen freier Zinne,
Auseinander fern sich ungemessen,
Hat Natur zu baun den Weg vergessen.
Nicht so einsam ist das Alpenröslein
An des starren Eises kalter Schwelle;
Nicht so einsam ist der Stern am Himmel,
Als in ihrem Leib die sehnende Seele.
Einsam, wenn dem Schönen sie und Reinen,
Mai im Herzen, grüne Kränze webet;
Einsam, wenn sie selige Pfade suchet
Nach dem Gottesreich, und ihnen lebet. —
Als in Tiefen mit Genossen kriechen
Ist es besser, hoch zu schweben einsam.
Größer, göttlicher gewiß — doch glücklich?
Glücklich ist der Erdsohn nur gemeinsam.
Wie bin ich so reich an Ehr' und Ruhm!
Wie bin ich so arm an Lieb und Lust!
Ich fühle den Lorbeer ums Haupt herum,
Und keine Rose an meiner Brust!
Wie bin ich so reich an Ehr' und Ruhm!
Aus Erde, die andern nur Dornen beut,
Entsproßten mir Lorbeern und flechten, traun,
Ein Haus, wo kaum ich zu wohnen weiß.
Mit Lorbeern umrankt ist mein schlichter Tisch,
Mit Lorbeern das einsame Lager bekränzt,
Zu kühlen die heiße, pochende Stirn,
Und Lorbeern, zu stillen das sehnende Herz.
Ich rief dich nicht, du prangender Zweig,
Du hast dich ums Herz mir schmeichelnd gerankt,
Und wirst du bald treulos verwelken mir,
Dann steh' ich, Unseliger, grau vor Gram
Auf schauerlich ödem Lebensplan.
Wie bin ich so arm an Lieb' und Lust!
Ihr, die den Poeten beneiden scheel
Um Früchte der Liebe, o hört mich an:
Den grünen, duftenden Lorbeerhain,
Ich gäb' ihn für eine Rose hin.
Der rosenbekränzte Becher des Glücks,
Er mied die durstige Lippe mein;
Den heißen Schweiß auf der blassen Stirn,
Ihn trocknet ermunternde Liebe nicht.
Und Liebe nicht küßt auf dem Katafalk
Die letzte Träne vom Antlitz mir.
*
Ist das Glas des Fensterleins nicht helle,
Ist das Aug' umflort von einer Träne,
Schaut die Welt zu düster in die Seele.
Nimmer will ich weinen, nimmer klagen,
Niemand wischt vom Auge mir die Zähren.
Einsam will ich tragen und entsagen.
Nur dem Retter, wenn er wird erscheinen,
Leis' mir winkend mit der Friedenspalme,
Will ich eine Freudenträne weinen.
Willst du, Freundchen, doch einmal das hochgelobte Land erlangen,
Wo es unserm alten Vater Adam einst so wohlergangen,
Darfst du nicht gen Westen ziehn, wo aller Tage Sonnen fallen,
Mußt du, wo sie auferstehen, hin ins Land des Ostens wallen.
Darfst du nicht das Dampfroß, nicht das stolze Pferd des Ritters reiten,
Selbst des Dichters Flügelhengste könnten leicht dich irreleiten.
Nur das Eselein, das arme, das beharrlich voll Geduld
Trägt auf seinem breiten Rücken eignes Kreuz und fremde Schuld,
Nur das Eselein, das arme, kann ins Paradies dich tragen,
Weißt du, Freund, wie ich das meine, brauch' ich weiter nichts zu sagen.
Tausend Formen hast du, Menschheit,
Durchgeprobt in deinem Leben.
Hier in Freiheit, dort in Knechtschaft,
Hier in Trägheit, dort im Streben.
Hier in stolzen Waffengängen,
Dort mit weichen, frommen Sitten
Bist du kühn zugleich und zagend
Durch die Nacht der Zeit geschritten.
Doch, die Sterne, die da leuchten,
Und die Blumen, die da sprossen,
Und die Trauben, die da reifen,
Hast du einst wie heut genossen.
Ganz wie Adam seine Eva
Sich gemacht zur Herzensbeute,
Ganz wie Kain erschlug den Bruder,
Ganz so liebt und haßt man heute.
Eins ist ewig; was du tun magst,
Menschheit, streiten oder zagen,
Lust und Leid, soviel in deinem
Busen Platz hat, mußt du tragen.
Auch der Mächtige und Freie
Ist die Beute eines Drachen.
Und den Sklaven an der Kette
Kann nur Liebe selig machen.
Das, was dich auf deiner Wander
Manchmal will zu Boden drücken:
Nicht der Weg ist's, der dich schwächet,
Nur die Last auf deinem Rücken.
Ob der König, ob der Priester,
Ob der Volksgewählte führet,
Ob der Glaube, ob das Wissen,
Ob die Kunst das Leben zieret,
Es ist eins. Aus andern Tiefen
Keimen, Mensch, dir Heil und Schmerzen,
Dein Geschick steigt groß und ehern
Einzig nur aus deinem Herzen.
Vor zwei Jahren, zu Sankt Marten,
Habe ich in Nachbars Garten
Einen schweren Fluch gesäet.
Rachedürstend wollt' ich warten,
Bis er in die Halme geht
Und im sonnenfrohen Lenze
Den verhaßten Hof umkränze
Strüppedicht mit Dornenranken.
Sieh, und als am Maienbronnen
Alle Lebewesen tranken,
Haben Blüten sich gesponnen
Um das Haus des Nachbars Jocken,
Der mir tat die Braut entlocken.
Linde weiße, rote Blüten,
An der Stirn des Hauses glühten;
Rankten hold sich um die Dächer,
Stiegen leis in die Gemächer,
Alles zart in Blumen hüllend
Und mit süßem Hauch erfüllend —
Graunerregend wonnesam! —
Als die Zeit der Reife kam,
Welch ein seltsam Früchteprangen!
An den grünberankten Zweigen,
Die sich um die Fenster neigen,
Schwere goldne Äpfel hangen ...
Doch, was seh' ich auf der Erden
Schlangenähnlich sich gebärden!
Unheildeutend grause Zeichen!
Wüste Dorngestrüppe schleichen
Meinem, meinem Hause zu! —
Sachte wird es eingewoben
Von dem Erdgeschoß bis oben,
Wo der Fahne stolzer Prang
Glück verkündet jahrelang.
Wüst umstrickt das Haus zum Hohne
Mit der kahlen Dornenkrone. —
Als sich so das Los gewendet,
Klopft es leise an der Tür,
Kommt der Nachbar Jock und spendet
Tröstend eine Rose mir.
Eine jener süßen, großen
Rosen, die dem Fluch entsprossen.
— Ach, wie mir der Rose Gluten
Meine arme Seele sengten!
Und wie mir die milden, guten
Worte weh das Herz bedrängten! —
Was dir, Mensch, auch mag begegnen,
Nimmer sollst du Rache suchen.
Bist ein Stümper doch im Segnen
Und ein größerer noch im Fluchen.
Rosen hasch' ich, Dornen faß ich, knieend dieser Welt zu Füßen,
Alle Sünden, die ich tue, muß ich auf der Stelle büßen.
Lüg' ich heute, daß nur kleine, enge Stiefelchen mir taugen,
Kommt schon morgen so ein Wichtling, tritt mir auf die Hühneraugen.
Will ich heute träge träumend unter kühlem Flieder sitzen,
Muß ich morgen voll von Sorgen unter Doppellasten schwitzen.
Schlürf' ich heute seliges Leben andachtsvoll aus goldnem Becher,
Teil' ich morgen, ach, den Jammer wilder ausgelass'ner Zecher.
Tu' ich heute einer Schönen froh mein hüpfend Herzlein leihen,
Kommt sie morgen schon, mich mahnend an die Pflichten, sie zu freien.
Klingen heute Hochzeitsglocken, schallt schon morgen Grabgebimmel,
Doch ich hoffe, meine Seele kommt vom Mund auf in den Himmel.
Der Winter, der starre,
Er liegt auf der Sterbe,
O lächelnder Erbe.
Wie üppig du erbst!
Den blühenden Frühling,
Den leuchtenden Sommer,
Den Kastenfüller,
Den goldenen Herbst.
Nun wandle übers Morgensonnenfeld.
In Ehrfurcht tritt zurück von deinem Weg
Die Alltagswelt.
Auf allen Auen heilige Ruh,
Über deinem Haupte hoch
Ein Falter fliegt im Kreise,
Die Perlen auf den Halmen zittern leise,
Und Blumen neigen ihren Kelch dir zu. —
O bebe, junge Brust,
O bete, banges Herz, in ahnungsvoller Lust,
Und laß dich weihen, laß dich segnen.
— Heute wird dein Schicksal dir begegnen.
Auf Bergeshöh' im Sonnenschein,
Wo Alpenrosen, rot und rein,
An Lust und Liebe mahnen;
Auf Bergeshöh' im Sonnenschein
Bin ich mit meinem Leid allein
Bei Rosen und Gentianen.
Die Erde, die mir das Liebste nahm,
Sie schaut mich, ach, so kindlich an
Mit ihren Blumenaugen:
»Und hab' ich dir gleich weh getan,
So denk, wie muß nach Qual und Wahn
Die kühle Erde taugen!«
1.
Freier Hand seit Tausenden von Jahren
Hat Natur an diesem Knochenkarren
Menschenleib voll Fleiß und Kraft gebaut.
Mit der Schöpfung Künsten wohl vertraut
Standen alle Stoffe ihr zur Wahl
Und ein Riesenarsenal.
Nimmermüde schuf sie durch Äonen,
Probte alle Formen, alle Zonen,
Brach entzwei, was etwa doch mißlungen,
Bis das Werk vollbracht, der Sieg errungen.
Und in dieser herrlichen Gestalt
Nahm die Menschenseele Aufenthalt.
Jauchzend brachte sie das Werk in Gang,
Und das heiße Herz in Wonne sprang!
— — Ach, wie balde hörte man im feinen
Blutdurchwogten Tempel — leise weinen ....
2.
Der teure Kranke
Ruht auf weichen Kissen,
Und seine Lieben
Hegen und pflegen
Die müden Glieder
In nimmer rastender,
Zarter Sorgfalt,
Und scheuchen bangend
Trübe Schatten
Emsig davon,
Und haben milde,
Schmeichelnde Worte
Und frohen Trost
Für sich und ihn.
Und plötzlich rollt
Zwischen Kirchhofskreuzen
Von kundigen Armen
Stummer Männer
Rasch gesenkt
Der Sarg zur Tiefe.
Und hüllenlos
In furchtbarer Wahrheit,
Die Herzen erdrückend,
Wie Steine den Toten,
Steht die kalte, unerbittliche,
Dämonische Herrlichkeit
Natur.
3.
Das Leben ist ein böser Traum,
Doch willst du baß erschrecken,
Wenn jener mit der Hippe kommt,
Dich plötzlich aufzuwecken.
Und wenn der mit der Hippe kommt,
Und mäht die Nesseln nieder,
Gleich bittest ihn um so viel Frist,
Um sie zu säen wieder.
Und wenn der mit der Sanduhr kommt,
Dich mahnend, nicht zu säumen,
So flehst: 's ist zwar ein böser Traum,
Doch laß mich weiter träumen.
4.
Wie wird unser Himmel sich gestalten?
Was wird unsre Seligkeit enthalten?
Nichts von allem, was wir heute lieben,
Das ist endlos weit zurückgeblieben.
Heiße Lust bringt immer heißes Leid.
— Schmerzlos Sein allein ist Seligkeit.
Ach, wie ist mir wüst und weh
Auf der dummen Welt!
Dort, wo ich am liebsten geh',
Das, was ich am liebsten seh',
Ist mir längst vergällt.
Nicht vom Feinde stammt mein Leid,
Der macht mich nur stark.
Solche, denen war geweiht
Treu mein Herz zu aller Zeit,
Trafen mich ins Mark.
Was sie falsch mir angetan,
Stumm sei's wie das Grab.
Und des Grams geheimer Bann,
Den mir niemand lösen kann,
Drückt mich bald hinab.
Sonst ein Jauchzen — jetzt ein Schrei:
O du dumme Welt!
Wär' ich dieses Wahnes frei,
Hätt' ich nie auf Menschentreu'
Herz und Glück gestellt!
Hätt' ich nie auf Weibessinn
Nest und Not gebaut,
Flög' ich vogelfröhlich hin,
Freiheit wäre mein Gewinn,
Freude meine Braut.
Lieb' und Treue, blöder Wicht,
Hast du dir gewählt.
Liebe stirbt, Vertrauen bricht,
Was du meinst, das gibt es nicht
Auf der dummen Welt.
Einst war ich so froh und rein,
Wie ein Maientag,
Jetzt, o Nebel, hüll mich ein,
Weil ich Lust und Sonnenschein
Nimmer sehen mag.
Wie ein blätterloser Baum
Steh' ich auf der Heid',
Dürres Laub vom Waldessaum,
Starres Eis und Flockenflaum
Ist mein Hochzeitskleid.
Sterben ist ein' harte Buß',
Wem es nicht gefällt.
Mir ist's redlich zum Verdruß,
Daß ich heut noch leben muß
Auf der dummen Welt.
Seit vielen Jahren genieß' ich die Welt,
Teils geistig und teils leiblich.
Daß so viel Glück ins Herz mir fliegt,
Ich kann's und kann's nicht finden, wo's liegt,
Es ist ganz unbeschreiblich.
Wir lieben die Lieb', wir nennen die Lieb',
Ob männlich oder weiblich.
Wir fühlen die Seligkeit, fühlen die Pein,
Und wissen nicht ja, und wissen nicht nein,
Es ist ganz unbeschreiblich.
Seit vierzig Jahren sann ich und schrieb —
Es war ganz unausbleiblich.
Und als ich geschrieben der vierzig Jahr',
Da stockt' mir das Herz, da seh' ich es klar —
's ist alles unbeschreiblich.
Was hab' ich dich gesucht, du Unbekanntes,
Auf Erden dich gesucht und nicht gefunden.
Du mir Unfaßbares und doch Verwandtes.
Ich habe dich gesucht.
Im Gartenzelt und in der Felsenkrone,
Im engen Wald und auf den Meeresrunden.
In dunklen Nächten, in des Himmels Sonne,
Wie hab' ich dich gesucht!
In Einsamkeit, im prunkenden Gemenge,
Bei Freunden und bei Frauen tat ich fragen,
In stiller Lust, in rauschendem Gedränge
Wie hab' ich dich gesucht!
Wie grünte, blühte es in vielen Zweigen,
Doch keiner hat die heilige Frucht getragen.
Hier mußt' ich sinken, dort zur Höhe steigen,
Ich hab' es nicht erreicht!
Was war's, das ich gesucht? Ich kann's nicht sagen.
Für solche Größe ist das Wort zu klein,
Das Allergrößte kann die Welt nicht tragen.
Wo wird es sein!
Ich find' es doch, denn nichts ist halb gegeben.
Wenn Sehnsucht ist, ist auch der Sehnsucht Stillung,
Der demutsvollen Ahnung wird Erfüllung.
Und lebe ich, so muß auch jenes leben.
Ich find' es doch.
In Gluten und Fiebern lag ich dahin,
Der Doktor kam jeden Tag,
Befühlte den Puls und verschrieb mir Chinin,
Behorchte des Herzens Schlag.
Er horchte durchs Röhrchen, er legte das Ohr
Zur Stelle, wo's seltsamlich schlug,
Es zitterte leis, und es wogte so heiß,
Er wurde durchaus nicht klug.
Der Muskel, er hämmert mit bräutlicher Kraft,
Und doch ist's ein Todesringen!
Wie läßt sich nur mit der Wissenschaft
Das Ding in Einklang bringen?
— Und wenn ich dich soll belehren, Freund,
Ich sag' es nicht zum Scherze,
Was dir nur als ein Muskel erscheint:
Das ist — ein Dichterherze!
Der Wind vom Kirschbaum Blütenblätter streut,
Der Frühling macht's dem Winter nach, es schneit,
So mahnt in Wonnetagen leis das Leid. —
Der Buchenwald in roten Feuern glüht.
Der Spätherbst tut's dem Frühling nach, er blüht,
So weht der Traum von Glück in herber Zeit.
Jugendsonne kehrt nicht wieder.
Legst dich abends müde nieder,
Stehst du morgens trübe auf.
Teilnahmslos für all dein Walten
Nimmt die Sonne durch den kalten
Himmel ihren trägen Lauf.
Der Tag, der wird schon spat,
Mein Aug', das wird schon matt,
All Menschentreiben ist ein Traum,
Die Herrlichkeit, ich seh' sie kaum.
Mein Aug', das wird schon matt.
Mein Haar, das wird schon grau,
Und welche Zier ich schau,
Ob Lorbeerkranz, ob Dornenkron',
's ist beides wohlverdienter Lohn.
Mein Haar, das wird schon grau.
Mein Herz, das wird schon alt,
Es wird schon hart und kalt,
Es fühlt nicht Nadel, fühlt nicht Speer,
Fühlt eure Bosheit nimmermehr.
Mein Herz, das wird schon kalt.
Ich bin ein sündiger Adam,
Und habe vom Apfel gegessen,
Und über den üppigen Apfelbaum
Des Kreuzes fast vergessen.
Doch als die Früchte fielen,
Die Blätter sacht verschwanden,
Da sind die Äste des Apfelbaums
Als kahles Kreuz gestanden.
»Ich bereue nicht die Sünden, die ich je begangen,
Ich bereue nur die Sünden, die nicht begangen.«
Wohl, der Weltmann spricht's.
Ich bereue nicht die Sünden, die ich je begangen,
Ich bereue nicht die Sünden, die ich nicht begangen.
Ich bereue nichts.
Nur das Muß ist Herr, und sein die Schuld am Irren.
Erst die Reue würde mich zur Mitschuld führen.
Ich bereue nichts.
Mein Herz wollt' sein ein Edelstein
Und sich im Feuer härten.
Der Edelstein kann schneiden ein,
Doch nie geschnitten werden.
Ins harte Bett wird trotzdem sich
Der schlimmste Teufel legen,
Ins harte Herz wird niemals sich
Der Gottheit Bildnis prägen.
Ich bin Mensch geworden in der weiten Welt,
Keiner steht von allen, die da leben,
Keiner über mir, keiner unter mir,
Ich bin jedem beigegeben.
Ich bin frei geworden in der weiten Welt.
Fesseln, die mich an das Leiden banden
Oder an der Freude, an der Hoffnung Trug,
Alle schlug ich sie zuschanden.
Ich bin klug geworden in der weiten Welt,
Legte meine Kräfte und Gebresten
Zu der Menschheit ewigem Kapital — und schwieg,
So fährt sich's am allerbesten.
Ein Traum? — Vielleicht. Was wär' sonst das?
Da träume ich nun schon seit sechzig Jahren
Von Torheit, Bosheit, Lug und Haß,
So lebhaft schauend grell und kraß,
Als hätt' ich's am eigenen Leib erfahren. —
Ach, bist du wirklich, du wahnvolle Welt,
Dann hast du mir das Leben scheußlich vergällt. —
Wie kam ich zu dir voll Lust und Vertrauen,
Wollte nur Schönes und Braves bauen.
Da heucheltest du: desselben beflissen,
Und hast mir all Freud' beschmutzt und zerrissen.
Nun hab' ich mich reichlich matt geritten,
Satt gestritten, satt gelitten. —
Müd bin ich ....
Vor kurzem war ich bei Göttern zu Tische.
Dort läßt man schweigend von allem decken;
Das Faule schiebt man beiseit', das Frische
Läßt man sich schmecken.
Man kann dabei gar viel profitieren,
Wie man mit feinen, noblen Manieren
Sich schicklich mag zu Ende führen.
Kein schrilles Schreien mehr, kein grelles Lachen.
Ich will es von jetzt ab besser machen,
Ein Leben führen, wie es genehmer ist.
Will sogar die Verse ohne Normen,
Ganz nach eignen Launen formen.
Weil es mir so bequemer ist.
Doch was andres will ich wagen
Mit Verstattung noch zu sagen.
Trotz des Sportes, aufzuklären,
Ist es finster, bleibt es finster,
Gute Lehren, Leut' bekehren,
Das sind blaue Hirngespinster.
Sagt's Mephisto oder Faust,
Wie man auf der Erde haust,
Es klingt nach in unserm Ohr,
Und wir bleiben wie zuvor.
Selbst Erfahrung wirkt bedingt
Nur so lange, als sie zwingt.
Wir sind hartgesottne Sünder,
Und ihr Frommen seid's nicht minder.
Doch, es wird spät.
Ich trinke den garstigen Trank zur Neige,
Und schweige.
Wie schön zu schauen auch der Götter Leben,
Es ist verzweifelt schwer, ihm nachzustreben.
Ich betracht' und beklag' als betrogener Zecher
Noch einmal die Welt,
Und schleudere den schillernden Becher
An der Ewigkeit eherne Wand,
Daß er zerschellt. —
Wie bin ich noch wirr, obschon aufgewacht.
Ich merke wohl, der giftige Trank
Hat mich betäubt gemacht,
Todesbetrübt und krank.
Und sollte doch jauchzen, daß er endlich leer ist,
Der vertrackte Humpen, und nicht mehr schwer ist.
Sollte ihn mit sanft laugendem Lethe ausspülen,
Ihn mit meiner eigenen Seele ausfüllen,
Mit der guten und schönen,
Wie sie im törichten Wähnen
Sich selber so gerne tat nennen;
Und sollt' mit solch köstlichem Inhalt
Den Becher stolz himmelwärts tragen! —
Wer ist verwegen? Wer darf das wagen?
Ich bin es nicht, kann es nicht sein.
Meine Seele hat von Welt getrunken
Und ist nicht mehr rein.
Auch hat sie Liebe mit Undank betrogen,
Hat Haß mit erkünstelter Sanftmut belogen,
Torheit mit Torheit aufgewogen. —
O meine Seele, der Abend naht.
Willst du mir nicht das Scheiden verschönen
Mit herzfroher, tapferer Tat?
Willst du dich nicht mit der Welt versöhnen?
Wenn es ihr recht ist
Und du ihr nicht zu schlecht bist.
Im Grunde seid ihr doch einander würdig
Und ebenbürtig.
Gott Vater war schalkhaft, als er euch schuf,
Nun ist Irrtum und Torheit euer Beruf.
Ihr krochet hervor aus Sumpf und Schlamm,
Woher auch die Lotosblume kam,
Und ist doch der Sonne liebstes Kind.
Laßt euch nur den Spaß nicht gereuen:
Verzeihen, erneuen, sich freuen!
Dann seid ihr, wie die Götter sind.
Nehmt nur nichts schwer und auch nichts krumm;
Seid nicht zu klug und nicht zu dumm,
Und bildet euch doch ja nicht ein,
Das rechte so mit Klugheit zu erfragen.
Ist schon die Weisheit zu erjagen,
So kann's eher noch mit einer Torheit sein.
Jeder forsche, was ihm tauge,
Vor jeder Wahrheit, die dich quält,
Verschließe ruhig Ohr und Auge,
Und dichte dir die Welt
Wie sie dir gefällt.
Und träume weiter ....
O freue dich, mein Brüderlein,
An deines Lebens Sonnenschein,
Doch trau ihm nicht.
Es kommt dereinst ein dunkler Tag,
Noch eh in unnennbarer Klag'
Dein Auge bricht.
Die Werke dein so stolz erstehn,
Du wirst sie einst zerfallen sehn
Und sein ein Mann;
Doch schläft ein treues Herz im Schrein,
Dem du sein kurzes Erdensein
Hast weh getan:
Dann wirst du fröhlich nimmermehr,
Wirst um des Toten Wiederkehr
Vergeblich flehn.
Am Grabe werden Röslein blühn,
Dein armes Herz wird welken hin
Und still vergehn.
Grab ein, grab ein
In unsrer Mutter reichen Schrein,
Für alle Sorge und Beschwerde
Erliegt dein Lohn in treuer Erde.
Grab ein, grab ein.
Grab einen Schuh
Mit starker Hand, so findest du
Dein Stücklein Brot aus Halmen sprießen,
Oh, mögest fröhlich es genießen!
Grab einen Schuh!
Grab zwei Schuh ein,
So wird dich einst ein Baum erfreun,
Der hier so tief die Wurzel breitet,
Und dessen Dach dir Schutz bereitet,
Grab zwei Schuh ein!
Grab drei Schuh ein,
So sammelt sich darinen rein
Vielleicht die Quelle frisch und helle,
Zur guten Lab' für Leib und Seele,
Grab drei Schuh ein!
Grab vier Schuh ein,
So ist's der Grund zum ersten Stein,
Wenn emsig du ein Haus dir bauest
Und hoffend in die Zukunft schauest,
Grab vier Schuh ein!
Grab fünf Schuh ein,
So blitzt wohl gar des Silbers Schein,
Und tausend goldne Fäden weben
Sich herrlich durch dein ganzes Leben,
Grab fünf Schuh ein!
Grab sechs Schuh ein,
Wie leer mag da die Grube sein;
Oh, nimmermehr, da findest du
Das Beste, eine sanfte Ruh',
Grab sechs Schuh ein!
Es springt ein guldener Bronnen
Aus heißem Herzen auf,
Und spiegelt in der Sonnen
Des Menschen Lebenslauf.
Es steigt ein ewiges Klingen
Zu Gottes Himmel an,
Das Höchste muß man singen,
Weil man's nicht sagen kann.
Kein Adler mag sich heben
So hoch zum Himmelszelt,
Als deine Lust am Leben
Im Jauchzen aufwärts gellt.
So tief legt sich der Müde
Zur letzten kühlen Rast,
Als du dein Leid im Liede
Zur Ruh' gebettet hast.
Strebst du nach Ruhm, o Sänger, so reize die Mitwelt nicht.
Siehe, im Fluch des Volkes welket der Lorbeerkranz.
Gibst du den Lorbeer doch für des Märtyrers Palme hin,
Dann erst grüß' ich dich jauchzend, Sohn der Unsterblichkeit.
Ich komme just vom Leichensaal,
Dem schattengrauen, dem kalten.
Dort liegen die Kadaver all,
Die blassen Lehmgestalten.
Die Freund und Bruder ich genannt
Auf langen, fröhlichen Fahrten,
Die sind mir jetzt ganz unbekannt,
Wie Erde aus fremdem Garten.
So wird's im dunkeln Leichenhaus
Ein erstes Mal uns helle:
Die Seele macht den Menschen aus,
Die ewige, heilige Seele. —
Die Nester leer, die Seelen fort
Auf unbekannten Straßen —
Wohin, wohin? Kein Sterbenswort
Sie haben sagen lassen.
Ich starre in der Blumen Glut,
Ich horche der Vöglein Lieder,
Da wehet leis durch Lebensflut
Ein Hauch der Toten wieder.
Und während die Seelen ohne Rast
Ich such' mit bangem Mute
— Sitzen im Herzen sie mir zu Gast
Und trinken von meinem Blute.
Immer glühen edle Herzen,
Leidversunken, freudetrunken,
Und selbst schnöde Alltagskerzen
Sprühen manchen Sternenfunken.
Lasset uns mit Äthersträngen
Glocken an die Sterne hängen,
Damit sie die stillen Feuer
Weitersenden in Gesängen.
Für das, was uns am höchsten steht,
Für das, was uns am nächsten geht,
Ward uns kein Lied zu eigen.
Da hat man nur ein fromm Gebet
Und — Schweigen.
Ich bin ein Kind
Und bleib' ein Kind,
Weil ich nur so
Den Himmel find'.
Dem wahren Spaziergänger schlägt keine Uhr.
Ein Glücklicher ist er im Reich der Natur.
Er denkt nicht an Zeit, und er frägt nicht nach Ziel,
Seine Lust ist der Weg — führt er hin, wo der Will'.
Durchs Kornfeld streicht der Städter,
Er kann sein Aug' nicht wenden
Vom purpurroten Mohne.
Die violette Rade,
Die deutsche blaue Blume,
Und all die bunten Blüten
Entzücken seine Seele. —
Der Bauer aber wettert:
Der Teufel soll es holen,
Das gottverdammte Unkraut!
Ich hol' mir die Ehren vom Felde!
Sagt der Soldat;
Da gibt es Mord und Brand.
Ich hol' mir die Ähren vom Felde!
Sagt der Bauer;
Da gibt es Lust im Land.
Der Pflug und das Schwert sind feindliche Brüder,
Die Wag' ihrer Siege geht auf und nieder.
Sie hungern nach Brot, sie dürsten nach Ruhm
Und tasten irrend im Kreis herum.
Was ist doch des Feldes Ehrenzeichen?
Sind's goldige Garben? Sind's blutige Leichen?
O möchte die Menschheit sich wählen ganz
Zum Ehrenkranz — den Ährenkranz!
Tut dein Herz dir Gottes kund,
Nimm ihn nicht aus fremdem Mund,
Bau sein Haus auf deinem Grund.
Was ich aus Trutz vollbracht,
Wuchs voll Pracht über Nacht
Und ward — verregnet.
Was ich aus Lieb' gesäet,
Keimte stät, reifte spät
Und ist gesegnet.
Der opferfrohen Güte
Gelingt auch kaum viel mehr,
Als daß sie das Gemüt
Nicht öde läßt und leer.
Genießer deiner Labe
Sind selten doch entzückt,
Nur daß gegebne Gabe
Dein eigenes Herz beglückt.
Auf alle Wiegen sollt' man's schreiben,
In alle Särge sollt' man's schneiden:
Just so, wie's die Menschen treiben,
Just so müssen sie's auch leiden.
*
Was ist der Sinn und Endgewinn
Der großen irdischen Sendung?
Die Königin und die Bettlerin,
Sie haben die gleiche Endung.
»Wissen ist Macht!«
Wie schief gedacht!
Wissen ist wenig,
Können ist König!
Wie wenig an Ungewöhnlichkeit
Verherrlicht die weite Erde!
Das Genie nur ist Persönlichkeit,
Alles andere ist Herde.
Geh kühl vorüber an des Reichtums Stätte.
Der die Welt hat, ist ärmer,
Als der sie — gern hätte.
Traue nicht den trügenden Gaben,
Das Hoffen ist köstlicher als das Haben.
In jedem Haus
Vor allem wert
Drei Dinge sind:
Eine starke Faust,
Ein warmer Herd,
Ein kleines Kind.
*
Bleibe, o Musensohn, eigen, wie die Natur dich gemacht hat,
Ziehe nicht fort mit dem Weltstrom des täglichen Lebens;
Sonst geht es dir, wie dem starken, dem mächtigen Bergfluß:
Sobald er dem Strom sich ergießt, verliert er den Namen!
*
Nach innen leben,
Nach außen weben,
Nach unten schauen,
Nach oben streben.
Ich sag' dir, armes Vögelein:
Der Liebling dieser Menschen sein
Ist schwerer Fehl, und wird bestraft
Mit lebenslanger Kerkerhaft.
O laßt das Denkmalsetzen gehen,
Bis letztes Wort gesprochen ist.
Ein Bild aus Erz kann erst entstehen,
Wenn das aus Ton zerbrochen ist.
Ich würde mich mit Leuten nie versöhnen,
Die nicht dienen wollen und nicht herrschen können.
Wer noch die Menge nicht als Bestie kennt,
Der seh' einmal die blutigen Bahnen,
Die unsere Weltgeschichte trauernd nennt,
Er wird es ahnen.
Den Volksbefreier preist sie jubelnd heut,
Und morgen den Tyrannen.
Zur Bändigung des Pöbels, laßt mal sehen,
War höllisch schwer des Teufels zu entraten.
Der Teufel kam auch billiger zu stehen
Als jetzt — die Million Soldaten.
Sei nie bloß Parlamentarier,
Sei schaffender Autokrat.
Worte sind Proletarier,
Und Fürstin ist die Tat.
In wichtigen Dingen indifferent,
Um nichtige schweifen und keifen,
Ein solches Geschlecht soll man — mordselement! —
Statt salben und täufen — ersäufen.
Zur Gründung von Vereinen
Sind die Deutschen stets bereit.
Nur für eines gründen sie keinen,
Für — deutsche Einigkeit.
Feste feiern, Lieder singen,
Reden halten, Gläser klingen,
Spielen, sporten und flanieren,
Tanzen, flirten und charmieren —
Ist mit solchen guten netten
Dingen unser Volk zu retten?
— Arbeit, Arbeit ohne Ruh',
Taschen auf und Fäuste zu!
Trotzig dem Geschicke stehen,
Oder — feig zugrunde gehen!
Laß dich nicht ein mit der Kanaille,
Die dir auf irdischer Wander
Das Leben verdirbt,
Man setzt sich mit ihr
Höflich und klipp auseinander,
Indem man stirbt.
O nein, mein Freund, das will ich nicht,
Auf Menschenherzen ziel' ich nicht.
Mit Lust und Leiden spiel' ich nicht.
Viel lieber mit dem eiteln Tropf,
Dem aufgeblasenen hohlen Kopf,
Den nehm' ich manchmal gern beim Schopf.
In Fieberdurst lechz' ich nach kühler Labe,
Nach einem Tropfen edler Rebengabe,
Ein Freund erhebt den Becher schäumend voll
Und — trinkt auf mein Wohl!
Wenn du den Leuten Übles tust,
So hängen sie dich,
Oder im großen Gutes tust,
So kreuzigen sie dich;
Und wenn du ihnen gar nichts tust,
Verdrießen sie dich.
Wenn dich die Leut' verdrießen
Und Wehmut dein Herz beschleicht,
So tu ihnen rasch was Gutes,
Dann ist dir wieder leicht.
Wenn du dich selber verdrießest,
Dein Herz ist lahm und wirr,
So wart' auf ein großes Leiden,
Das bringt dich wieder zu dir.
Wer heute Herr, ist morgen Knecht.
Wie Armut stärkt, so Reichtum schwächt.
*
Feinde zu verderben
Ist ein froher Ritt;
Um das Bräutchen werben
Ist ein banger Schritt;
Sterben, sterben, sterben
Ist ein' bittre Freud';
Erben, erben, erben
Ist ein süßes Leid.
Süßes Leid, ich mag dich nicht,
Bittre Freud', ich klag' dich nicht,
Banger Schritt, ich wag' dich nicht,
Mit Menschenbrüdern schlag dich nicht.
Wen stets die Güte und die Freude flieht,
Der wird sich bald gealtert sehen.
Wer seine Stirne oft in Falten zieht,
Dem bleiben sie beizeiten stehen.
Ist dir dein Bett nicht recht,
So kannst du dir's besser richten,
Ist dir die Welt zu schlecht,
So magst du dir eine bessere dichten.
Idealismus allein
Ist weder gut noch klug.
Vom Realen das beste
Ist ideal genug.
Der siegfrohe Herr, der rüde Gesell,
Sie herrschen nach ihrer Weise;
Der Feldwebel, traun, der schreit den Befehl,
Der König — der sagt ihn leise.
Ach, die Lyriker sind eigen,
Wenn sie nichts zu sagen finden,
Müssen sie es laut verkünden,
Daß — sie schweigen.
Im Leben es bunt zu treiben
Ist Brauch bei der Jugend;
Das Streben, gesund zu bleiben,
Ist auch eine Tugend.
Wie jagt der Mann nach fernsten Dingen
Und strebt und strebt ohn' Unterlaß,
Doch nimmer wird das Ringen bringen,
Was einst er ohne Müh' besaß.
Alles Leben ist ein Wunder,
Alles Totsein ein Geheimnis.
Lebst du ewig, ist ein Weilchen
Grabesschlummer kein Versäumnis.
Auf Höhen, wo die Sonne quillt
Aus Gottes Angesichte,
Hab' ich mein Herz mit Glut gefüllt
Und mein Aug' mit Lichte.
Nun find' ich mich talaus, talein
Zurecht auf dunkeln Straßen
Und hoffe wieder stark zu sein
Zum Lieben und zum Hassen.
Wer dieser Erde Pracht und Macht,
Befreit und rein, verachten mag,
Dem wird zur Weihnacht jede Nacht
Und jeder Tag zum Ostertag.
Vater unser! diesen Ruf senden wir den Sternen zu.
Mutter unser! damit sinken müde wir zur Erdenruh'.
Mutter unser! laß uns schlafen süß an deiner warmen Brust,
Vater unser! weck uns wieder auf zu Licht und Himmelslust.
Eines in des andern Arme legt die Kindlein treu und weich.
Vater unser! Mutter unser! Zu uns komme euer Reich!
Als Kind hab' ich gespielt mit Scherben
Und bunte Steinchen froh geschichtet.
Als Mann hab' ich den Bau, den derben,
Des Lebenszieles aufgerichtet.
Und wenn nach Kämpfen und nach Kümmern
Der stolze Bau zugrunde fiele?
Dann werd' ich wieder Kind und spiele
Gar fröhlich mit des Glückes Trümmern.
Ihr spaltet Haare,
Ich kitte Steine,
Wer tut das Wahre
Für die Gemeine?
Geistig Verfeinern
Lähmt alle Stärke,
Trennen, Zerkleinern
Gibt keine Werke.
Jedoch, das meine
Steht tausend Jahre,
Ich kitte Steine,
Ihr spaltet Haare.
Ihr meßt mich mit den Kleinen,
Da besteh' ich.
Ich meß mich mit den Großen,
Da vergeh' ich.
Aus der Tiefe aufgeschwungen,
Doch die Höhe nicht errungen,
Soviel seh' ich.
Soll die jüngste Literatur man lesen?
Trinken jungen Wein, eh er verjesen?
Wartet, bis es zehnmal sich gejährt hat,
Was dann übrig bleibt und sich geklärt hat.
Seit auf dem Sarg ich des redlichen Schusters
Den Lorbeer gesehen,
Flüstert jeglicher Lorbeerkranz,
Den sie mir spenden:
Freund, du hast — Stiefel geschrieben!
Vor deiner Nasen
Soll ich Nesseln grasen;
Hinter deinem Rücken
Will ich Trauben pflücken,
Solltest um dich wenden,
Will ich' s rasch vollenden:
Und vor deiner Nasen
Wieder Nesseln grasen.
Schwarz-rot-gold immerdar!
Schwarz ist ihr Augenpaar,
Rot ist ihr süßer Mund,
Gold ist ihr Haar!
Ich bat das schöne Weib um einen Kuß,
Es hat versagt.
Ich zielt' nach meiner armen Brust den Schuß,
Er hat versagt.
Ich dachte, was das erstemal nicht wird,
Ist bloß vertagt.
Und war, als daß ich's noch einmal probiert,
Viel zu verzagt.
Das Weib ist eine Nuß,
Die man aufbeißen muß,
Dem Mann Gott genad,
Der keine Zähne mehr hat!
Das Schwert will nicht geschossen,
Es will geschliffen sein.
Das Lied will nicht verschlossen,
Es will gepfiffen sein.
Der Pfeil will nicht geschliffen,
Vielmehr geschossen sein.
Die Welt will nicht begriffen,
Sie will genossen sein.
Zu Straßburg trinkt man Schlechtesten und Besten,
Zu Danzig bin ich nüchtern nie geworden.
Getrunken wird im Osten und im Westen,
Gesoffen wird im Süden und im Norden.
Der Deutsche schwingt sich nicht mehr in die Sphäre
Der hohen Musen Thalia, Urania;
Ein goldner Becher kreist vom Fels zum Meere,
Und im Becher badet Frau Germania.
Wohlan, wer einstens dräute
Und nur den Waffen traute,
Sich selbst als Mensch nicht scheute,
Mit Trotz auf jeden schaute,
Und seiner Ehre Beute
Auf Säbelschneiden baute.
Doch Gassenbub', wer heute
Aus Vorwitz um sich haute.
— Ich schlage nicht die Leute,
Ich schlage nur die Laute.
*
Heute pocht sein Herze metrisch,
Heute klingelt seine Zungen,
Heute tanzen alle Musen
Um den ruhmesdurstigen Jungen.
Heute steigt er zum Parnasse,
Heute, glaubt er, glückt es sicher.
Sieh, da drehn sie ihm die Nase
Und entfliehen mit Gekicher.
Manches Genie
Ist vernünftig nie,
Immer Genie.
In Geistesbeschwerden
Ruft's ach und weh aus,
Fühlt sich fremd auf Erden
Und daheim — im Kaffeehaus.
In einem Eisenbahngelaß
Ein altes, stilles Männlein saß.
Und neben ihm zwei schwarze Herren,
Die wollten fleißig ihn bekehren,
Mit feinem Witz, mit leisem Hohn,
Und dann mit dringlichem Sermon;
Gestanden es auch endlich ein,
Daß sie — schon um den Heiligenschein —
Von der Gesellschaft Jesu sei'n.
»Von der Gesellschaft Jesu,« fragt
Der Alte, dem das nicht behagt,
»Doch von der ersten, ihr Geschätzten,
Oder etwa von der letzten?«
»Wieso?« darauf die klugen Herrn.
Der Alte, der erklärt sich gern:
»Nun, Ochs und Esel oder Schächern,
Den welchen mögt nach Art und Fächern
Ihr gern euch füglich zugesellen?«
— Und was geschah? Sich zu empfehlen
Beeilten sich die beiden schnelle,
Schon bei der nächsten Haltestelle.
Kecklich mit dem Schelm zu spaßen
Sollten Schelme bleiben lassen.
*
Siehe, Siziliens südliche Sonne
Scheint schön!
So strahlt sie, Schnee schmelzend, seit Sommern.
Sentimentale Seelen sind selig,
Sehen sie solcher Sonne schweren Schaden?
Segenslos sengt sie sämtliche Saaten,
Schadet schmächtigen Setzlingen sehr,
Selbst starken, strotzenden Stämmen.
Schmachtende Sänger — sonst singend —
Siechen, sinken, schreien sterbend:
Schreckliche Sonne!
»Wieder ist ein Jahr verflossen
In das Meer der Ewigkeit!«
Also dichten Dichterlinge
Jedes Jahr zur selben Zeit.
Doch dem Geist im Setzerkasten
Ward das Späßchen endlich fade,
Heimlich tat er in der Lade
Nach den falschen Staben tasten.
»Wieder ist ein Meer verflossen
In das Jahr der Ewigkeit.« —
Ob des niederträchtigen Wichts
Hat der Dichter sich erschossen,
Doch die Leser — merkten nichts.
Wie die Welt verschieden richtet,
Habt ihr's schon einmal erwogen?
Lügen wir, so heißt's gedichtet,
Dichtet ihr, so heißt's gelogen.
I.
Die süßeste von allen meinen Sünden,
Die hab' ich, schönes Kind, mit dir begangen;
Die härteste von allen harten Strafen,
Die hab' ich, böses Weib, um dich empfangen.
Geblendet von der Schönheit deines Leibes,
Und dann verzehrt von deiner Liebe Gluten,
So starb ich hin und ließ den Geist verlöschen,
Und ließ in Seligkeit das Herz verbluten.
Der Jüngling starb, das Weib gebar den Mann
Zu neuer Sehnsucht und zu neuer Lust,
Doch fand er keine mehr, so süßen Wehs,
Als jenes Sterben war an deiner Brust.
Und heiß durchwühl' ich alle Lebenstiefen,
Den Funken Glücks noch einmal zu ergründen,
Und büß' mit ewig unerfüllter Sehnsucht
Die süßeste von allen meinen Sünden.
II.
Ach, daß ich den ersten reinen
Engelfrommen Kuß im Leben
Einem Mädchen hab' gegeben,
Schuldbefleckt, und nicht dem meinen!
Was soll ich dem Bräutchen sagen,
Wenn es schuldlos, reingesittet
Um den ersten Kuß mich bittet,
Den ich schon zu Grab getragen!
Ach, ich will mit meinen Lippen
Nun den scharfen Dornstrauch küssen,
Um das giftige Blut zu büßen,
— Dann erst an den ihren nippen.
III.
Ich fand in dieser Nacht dein Bette leer.
— »Beim kranken Kinde hättest du gewacht.«
Ich hab' gelobt dir Liebe bis zum Tod;
Mein Herz, das starb in dieser Nacht.
Die Stunden, da das Kind allein verschmacht,
Hat sie bei einem fremden Mann verbracht.
Ich hab' gelobt ihr Liebe bis zum Tod;
Mein Herz, das starb in dieser Nacht.
Ein Särglein für mein Herz und für mein Kind.
Und in der Jasminlaub' ein glücklich Paar!
Als Gott, der liebe Herr, das Weib erschuf,
Ob er wohl auch bei Troste war?
Herr Graf, du hast mich lieb gehabt,
Das arme Bauernkind,
Und dort, wo junge Dirnen auch
Von altem Adel sind.
Ich war dein lieber süßer Schatz,
Und du mein trauter Franz,
Jetzt trägst du deine goldne Kron'
Und ich den Dornenkranz.
Herr Graf, du hast mich lieb gehabt,
Wir hatten zwei ein Bett.
Wenn ich von deinen Hunden jetzt
Den Bretterkobel hätt'!
Du hast der Köche zwei und drei,
Der Kellermeister vier;
Wer reicht die harte Krume Brot,
Den Wassertrofen mir?
O Herr, du hast mich lieb gehabt,
Und unser Kind verschmacht,
Der Vater fährt ins hohe Schloß,
Die Mutter in den Schacht.
Wenn einst sich auf die Gräber tun,
Die Schlösser stürzen ein,
Dann wird, du stolzer Bräutigam,
Wohl unsre Hochzeit sein?
Ich weiß ein Lied zu singen
Von einer schönen Maid,
Die hat ein weißes Hemde
Und güldenes Geschmeid.
Das güldene Geschmeide,
Das tat mir nichts zuleide.
Das Hemde war so lind.
Ich such' am linden Hemde
Daß ich den Herzschlag find',
Dann stoß' ich in den Busen
Das Messer ihr geschwind.
Der harte Stahl tat klingen,
Das heiße Blut tat springen
Mir in das Angesicht.
Dann beicht' ich meine Sünden
Und gehe zum Gericht,
Um meinen Lohn zu finden
Auf hohem Blutgerüst.
Vom Leben will ich scheiden,
Statt Liebespein zu leiden
Ob einer falschen Maid.
Die größte Schmach, die je mir werden kann,
Vermaledeit sei sie, tut der mir an,
Der von mir sagt, ich hätte keinen Feind.
So kläglich arm, zu haben keinen Feind!
Hat je gelebt so arm ein braver Mann?
Ich hasse keine Seele. Denn mir weiht
Den Erdensohn das allgemeine Leid.
Doch, alles Schlechte, Falsche, was da baut
An diesem Leid, ich hass' es tief und laut.
Um eitel Liebe buhl' ich nicht, ist sie
Durch fremden Schwächen huldigende List
Zu wohlfeil mir auf jedem Markt zu haben.
An heißem Haß der Schlechten mich zu laben
Ist meine Lust. Es müssen alle, alle
Die Schurken, Schleicher mich mit bittrer Galle,
Die Wichte mich mit giftigem Hohn begeifern,
Die Finsterlinge meiner fluchend eifern,
Die Knechte fliehen mich, die frevlen Herren,
Die hochmutswütigen, mir Krieg erklären.
Denn was ich will: die Menschheit neu
Verjüngt zu sehn, und sich getreu.
Dem Menschen nicht, dem Laster künd' ich Krieg,
Und sollt es selbst im eigenen Busen sein:
Der ewige Herr im Himmel, der ist mein.
Mein auch der Streit — und sein der Sieg.
Wenn Gott mich fragt am Tage des Gerichts:
Wo sind sie, die dich lieben? — sag' ich nichts.
Doch zeig' ich zum Ersatz ihm, die mich hassen.
Und bitt' ihn um die Prüfung des Gewichts.
Ich hoff', er wird es gelten lassen.
Eurer Flüche Blitzesstrahlen
Schlendre ich zurück auf euch,
Foder' Rechenschaft von allen,
Die gefährden Gottes Reich.
Pfaffen, die sich drängen zwischen
Gott und Menschheit, sie zu trennen,
Die hier fälschen und dort fischen,
Ihnen will ich Wahrheit nennen:
Gott und Volk gehört zusammen,
Heut und alle Tage, Amen.
Und auch jene Pharisäer,
Die mit ihrem flachen Wissen
Spielen sich auf große Seher
Und den Himmel wollen schließen,
Die dem Volke frech vernichten
Seinen Gott und seine Seele —
Weltgeschichte wird sie richten
Und es zeigen grausig helle:
Gott und Volk gehört zusammen,
Heut und alle Tage, Amen.
Geister dieser Zeit, wer soll verstehen
Euch nach menschlicher Vernunft Gesetzen?
Pessimistisch haßt ihr dieses Leben,
Will jedoch die Kunst ein schönres schaffen,
Hei, wie ihr sie geifernd gleich verlästert!
Das, was aus dem Leben ihr verwünscht,
Möchtet in der Kunst ihr wiederfinden,
Nur nichts Froheres, um Gotteswillen,
Nichts, was unsre Seele könnt erfreuen,
Denn die reine Freude soll verpönt sein;
Nichts, was Lieb' und Hoffnung könnte wecken
Zu der Menschheit. Und erst Ideale!
Ideale hat nur der Philister.
Sonst ist Kunst auf lichten Höhn geschritten,
Heiter reigend um die ernstre Schwester
Religion. Sonst hat sie in Erz und Marmor
Mit des Lieds erhabnen Weiheklängen
Unsere Helden zur Unsterblichkeit geleitet,
Unseren ungezognen Leidenschaften
Maßvoll edlere Gestalt gegeben,
Und im Spiel ein Gottesreich gestiftet,
Munter Schnippchen schlagend der Materie.
Und dies lichte Reich wollt ihr vernichten?
Just den göttlichsten der Sinne ihr verlöschen?
Phantasie! Wozu denn ward sie euch?
Wollt ihr schon verstümmeln euer Wesen:
Raubt das Aug', das Ohr, die Sprache euch,
Nicht jedoch die Kraft, die aus dem Staub uns hebt.
Frei nach allen Keimen soll entwickeln
Sich der kleine Mensch. Schildert, Realisten,
Genial den Kot, die feuchte Fäulnis,
Wühlt und schwelgt darin, Naturalisten,
Nach Belieben; auch nach dieser Seite
Muß ausleben sich die Menschheit.
Düngt den Baum, auf daß er wachse, grüne.
Warum ihn verspotten, wenn er blüht?
Menschenbaum braucht Erdreich nicht allein,
Auch Sonnenschein. Und ohne üppig Blühen
Keine Frucht. Die Jugend sei gepriesen
Mit ihrem heitern, hoffnungsfrischen Herzen! —
Gern sei euch der Würmer Reich gelassen,
Achtet, wie sie kriechen, bohren, pissen,
Schildert, bitten wir, nur recht dramatisch
Und genau, man will ja alles wissen.
Uns doch sei gegönnt, als Schmetterlinge
Hoch die sonnigen Blüten zu umgaukeln,
Dieses Sein mit Phantasie zu schmücken,
Und mit freier Seel' die Totengräber,
Die aus Knochen Kunstgebilde machen,
Manchesmal ein wenig auszulachen.
Leute gibt es allerlei
Auf der weiten Gotteswelt.
Wem die Sache nicht gefällt,
Wer da ausmarschiert, um jeden,
So nicht sein ist, zu befehden,
Der wird nimmermehr auf Erden
Mit der Fehde fertig werden.
Juden, Slaven, Atheisten,
Welsche, Philosophen, Christen,
Japanesen, Deutsche, Heiden,
Und wie noch die Massen scheiden,
Kasten, Sekten, Nationen,
Die in Gottes Licht sich sonnen,
Alles rollet hin und her,
Wie der Wellenschwall im Meer.
Wie die Wässer und die Winde,
Stürmisch hier, und da gelinde,
Ewig um den Erdball kreisen,
So in den Naturgeleisen
Wogt die Menschheit hin und wieder;
Schranken, die du heute aufstellst,
Brechen morgen krachend nieder.
Güter, die durch Krieg errungen,
Frieden, so durch Krieg erzwungen,
Reifen neuerdings die Saaten
Aus zu neuen Schreckenstaten.
Nicht einander jagen, schlagen,
Sondern mit Geduld ertragen
Nach dem Rate der Natur,
Ist das Omega und Alpha
Aller Bildung und Kultur.
Wer da ausmarschiert, um jeden
Fremdgesinnten zu befehden,
Der wird nimmermehr auf Erden
Mit der Fehde fertig werden.
Wär' der letzte Feind zertreten,
Müßte er sich selber töten
Als den Rest in dem Planeten.
Von allen Rädern unserer Zeit,
In Werkstatt und auf Eisenbahn,
Steht als Regiererin der Welt
Das Glücksrad obenan.
Das braucht man nicht zu treten erst
Das dreht sich selber um,
Ich kann es dir empfehlen sehr,
Verehrtes Publikum.
Pack an, pack an, ist morgen leicht
Die halbe Welt schon dein,
Und bist du klug, mein guter Freund,
Wird's bald die ganze sein.
Ei, komm doch, ich verspreche dir
Die stolzesten Paläste,
Mit Viergespann, Lakaien d'ran,
Und königliche Feste.
Der Bacchus wird als Portier
Die Gäste nicht verscheuchen,
Die Venus macht im Haus Honneurs,
Ist huldvoll ohnegleichen.
Mit Aktien und Lotterie
Mußt du dein Glück beginnen;
Verdienen ist philisterhaft,
Doch vornehm ist gewinnen.
Da ruht man auf dem Sofa aus
Und schmaucht die feinsten Zigarren,
Und läßt für sich den »Pöbel«, traun,
Hübsch arbeiten und sparen.
Ei, was Gewissen, Ideal!
Das Leben ist ein Spielchen,
Und hochperzentige Wertcoupons
Sind unser höchstes Zielchen.
Was Arbeit, Narr, das Glücksrad her,
Das dreht sich selber um,
Ich kann es dir empfehlen sehr,
Verehrtes Publikum!
Mir graut, ich bin besessen,
Besessen von dem Gelde hier,
Mein Schaffen, selbst mein Sinnen,
Mein Träumen wird zu Gelde mir.
Was meine Hand berühret,
Wird märchenhaft zu Gelde mir,
Die Sehnsucht meines Herzens
Wird eingelöst mit Gelde mir.
Ich dürst' nach Lieb' und Freundschaft,
Nach Mut, nach Frohsinn, Ehr' und Ruhm,
Mein heißer Drang nach Tugend,
Er setzt sich schnöd in Gelde um,
Vor meiner Türe wimmern, ach,
Die Hungernden und Armen,
Und ich bin nicht imstande, ach,
Mich ihrer zu erbarmen.
O Brüder, liebe Brüder,
Wie teil' ich euch von Überfluß,
Da ich doch selber mitten
Im schnöden Gelde darben muß.
Das Geld als Segen Gottes,
Das habe nie besessen ich,
Doch bin von schlechtem Mammon
Seit Jahr und Tag besessen ich.
Und weil vor dem Verlieren
In Angst und Sorg' ich beben muß,
So hab' ich Not und Elend
Vom Geld, solang ich leben muß.
Und wenn ich's einst verlassen soll,
Wird doppelt hart das Sterben,
Und schmähen einen Geizhals mich
Die tief verhaßten Erben. —
O grauenhaftes Schicksal, du,
Den Mammon zu verfluchen,
Und ihn mit Hungers Hast und Gier
Doch immer müssen suchen.
Dem Armen das Verschmachten
Für seine Seele frommen muß,
Dieweil die meine jämmerlich
Im goldnen Bann verkommen muß.
O Gott, wie wird das enden noch,
Was soll mich Ärmsten laben,
Wenn ich den goldnen Becher leer
In lahmer Hand werd' haben!
Noch einmal möcht' für Göttliches
Auf Erden ich erwarmen.
Erlöse von den Banden mich,
Erbarmen, Herr, Erbarmen!
Ach, wir armen Reichen werden
Oft der Lästerzungen Beute!
Und wir sind, bei Licht betrachtet,
Doch die allerbesten Leute.
Was! ich nicht getreu der Pflicht?
Hab' geschworen, reich zu werden;
Schuft, der seinen Eidschwur bricht
Und verachtet Gott auf Erden!
Was! ich hätt' nicht Religion?
Gott ist auf die Welt gekommen,
Glaub' ich fromm, und hat im Gold
Irdisch Wesen angenommen.
Was! ich hielt' auf Ehre nicht?
Darum brauch' ich Geld in Haufen,
Daß ich, wo die Waare feil,
Auf dem Markt kann Ehre kaufen.
Also ist es lustig leben!
Meine Schäden zu verhüllen
Eilt der eine, und der andre
Meine Wünsche zu erfüllen.
Hei, wie ist's doch schön auf Erden!
Wo man alles kann erwerben. —
Einer nur läßt lang sich suchen,
Einer, der für mich will sterben.
Da sitzt ein armer Sünder
Auf einer harten Bank,
Wie Rosen blühn die Wangen
Des Jünglings, stark und schlank.
Ein freies Leben führte
Der junge Nimmersatt,
Er tat zwar nichts aus Liebe,
Doch liebte er die Tat.
Er hat geraubt, gemordet,
Sonst Unheil viel getan,
Ein Berg von Missetaten
Begräbt den jungen Mann.
Ein Meer von heißen Tränen
Ist über ihn geflossen,
Und wo sein Fuß gewandelt,
Kann keine Blume sprossen.
Nun steht er vor den Richtern
In aller Ruhe da.
Man fragt: »Hast du's begangen?«
Er sagt gelassen: »Ja.«
Er weint nicht und er lacht nicht.
Und einer, der noch glaubt,
Fragt: Ob er nicht bereue?
Er schüttelt kühl das Haupt.
Man führt herein die Mutter,
Der er den Sohn erschlagen,
Sie stummt und starrt ins Leere,
Kann nimmer weinen, klagen.
Man führt herbei die Schwestern,
Die nach dem Bruder schrein;
Man trägt den zarten Säugling,
Den mutterlosen, herein.
Der Jüngling, kalten Auges
Blickt er die Opfer an,
Als fragte er: Was weiter?
Ihr seht, ich hab's getan.
Nur einmal strahlt sein Auge,
Das kalte Auge, licht,
Als die Gerichtsverhandlung
Der Abend unterbricht.
Wohlan, jetzt kommt das Süpplein
Und dann der gute Schlummer,
Er schläft die sieben Stunden,
Ohn allen Gram und Kummer.
Die Qualen unsrer Seele,
Dir sind sie nicht bewußt,
Beneidenswertes Untier
Mit deiner hohlen Brust.
Der Erde heiße Herzglut,
Sie kann dich nicht erreichen,
Des Lebens wilde Schmerzflut
Dich nimmermehr erweichen.
Das wilde G'jaid der Not,
Das um den Erdball hetzet,
An dem sich jedes Herz
Langsam zum Tod verletzet,
Du bist davor gefeit.
Das Stöhnen in der Brust
Des Nächsten ist dir, traun,
Ergötzlichkeit und Lust.
Dich bindet keine Sitte
Und keine Menschlichkeit.
Immun bist gegen Liebe,
Immun auch gegen Leid.
Dein Sittensprüchlein lautet:
's gibt weder Gut noch Schlecht.
Wer siegt, das ist der Herrscher,
Wer stark ist, der hat recht. —
Des andern Tags die Richter
Erörtern das Gesetz;
Dich langweilt »dieses öde
Und müßige Geschwätz«.
Von Gut und Böse jenseits
Bist du durch nichts beenget,
Kein Mitleid, kein Gewissen
Je dein Gemüt bedränget.
Die Macht war deine Gottheit. —
Nun hat sie sich gewandt,
Der Stärkre hat den Schwächern
Vor das Gericht gebannt.
Wirst du es auch nicht spüren,
Du eisenharter Mann,
Wenn sie an dir vollführen,
Was andern du getan?
Vielleicht kommt doch zum Vorschein
Bei dir ein bißchen Herz,
Wenn du dich hebst das erstemal
Im Leben — himmelwärts.
Im Saale auf die Richter
Das Volk mit Bangen harrt.
Der Knab' schaut in die Runde
Und streicht den jungen Bart.
Es will ihn fast befremden,
Daß jetzt die Frauen weinen
Und bangen, als die Richter
Zum Urteilsspruch erscheinen.
Nun wird es dumpf und schwül
Als wie in einem Grab.
Der Richter hebt sich hoch —
Tritt vor — und bricht den Stab.
»Zum Tod!« haucht es, »zum Tode!«
Dann alles stumpf und stumm. —
Der Mörder blickt mit Staunen:
»Zum Tode? — Wen? — Warum?
Zum Tode mich?!« er ruft's,
»Zum Tode durch das Strängen?
Der einzige starke Mensch
— Und wollen ihn jetzt hängen!«
Wir säen Samen,
Es wachst nix.
Wir schreiben Dramen,
Es wirkt nix.
Wir erzählen Geschichten,
Es tut nix.
Wir dichten Gedichten,
Es hilft nix.
Wir sprechen Sprüche,
Es nutzt nix.
Wir fluchen Flüche,
Es schad't nix.
Dichter, wenn du für die Leute
Dichten willst, so sei gescheute,
Baue, sollst du etwas gelten,
Ihnen pappendeckne Welten,
Helden, die mit Spagatschnüren
Hübsch sind durch den Plan zu führen.
Dichte Gärten, wo die Grillen
Statt zu zirpen Flöten spielen.
Und zur schönen Augenweide
Dichte Rosen fein aus Seide,
Daß sie duften, Herr Verfasser,
Dichte Tau aus Kölnerwasser.
Mit Magie und Zauberstücken
Magst du ihren Kopf berücken.
Lorbeerkranz wird zwar nicht echt sein,
Doch aus Gold wird er dir recht sein. —
Eins nur, laß die Leute schauen
Nie in deines Herzens Auen.
Deines Gartens schönste Blüte,
Holde Rosen im Gemüte
Würden sie auf Graswert messen
Und mit plumpen Schnauzen fressen.
Während eines blutigen Krieges.
Am erstbesten Eichbaum zerschlag' ich die Leier! —
Zerberste, zerschelle in schnöde Scherben,
Stöhne, schrille im Sterben zum letztenmal falschen Gesang! —
Da sangen die Saiten
Von grünender Erde! —
Rot muß sie sein, von Menschenblut rot sein!
Schießt und stecht und schlaget sie nieder
Die Menschen, die elenden, wo ihr sie findet!
Auf furchigen Feldern,
Bei goldenen Garben,
Heiteren Herzens im Schäferhaine;
In brausender Werkstatt voll regen Fleißes,
Auf rollenden Rädern,
Auf wogenden Wellen in Handel und Wandel;
Auch zwischen den Wänden der Schule, des Wissens,
Im Tempel der göttlichen Kunst, erglühend
Im Schönen und Wahren.
Wo ihr sie findet, trotzig sich freuend, die Menschen,
Schießt und stecht und schlaget sie nieder!
Was soll sie, die flackernde Flamme
Am häuslichen Herde?
Befreit sie und pflanzt die lebendigen Fahnen
Auf Türme und Dächer,
Auf prangende Zinnen stolzer Paläste!
Was lohet und leuchtet entfachet zu Lunten,
Gebilde der Menschen schmelzt ein in den Gluttopf.
Da sangen die Saiten
Von blauem Himmel voll Sonnen und Sterne!
Rot muß er sein, der herrliche Himmel muß rot sein!
Tauchet die Pinsel in brennende Städte
Malet mit lohen Gluten den Himmel;
Wölbet mit Wolken des wogenden Rauches
Den Flammenofen über der Erde,
Daß keine der sengenden Sonnen, der stechenden Sterne
Keiner uns trübe das Schauspiel!
Da sangen die Saiten
Von rosigem Antlitz der Jugend.
Sie sangen von Liebe im Herzen, von Lust in der Brust wohl,
Von trautester Treue, bis einstmals der Tod trennt. —
Fehde den lugvollen, trugvollen, gleißenden Saiten!
Im Herzen ist Haß.
In der Brust brausen Brände!
O reißt auseinander die liebeträumenden Leben.
Das Weib mag weinen und welken,
Der Mann muß erbleichen — und brechen die Liebe.
Reißet den Sohn vom sehnenden Herzen der Mutter,
Einsam sollen sie sterben und starrenden Auges verwesen!
Haß dem Guten, dem göttlich Gerechten,
Haß dem Hohen und Holden!
Im Herzen ist Haß,
Entfachet zur flammenden Tat ihn:
Die Lebenden tötet, die Toten rächet,
Daß ewige Rache die Menschheit richte! —
Da sangen die Saiten
Von Leben und Liebe,
Von Friede und Freude,
Von wahrer, erhabener Menschenvollendung!
— — — — — — — — — — — — — —
Am erstbesten Eichbaum zerschlag' ich die Leier!
Es mußt' ein wildes Schlachten kommen,
Du, Welt, verträgst den Frieden nicht,
Du schreist nach ihm, und naht er schüchtern,
So schlägst du ihm ins Angesicht.
Ich sah noch keinen Tag erstehen,
Der nicht entfacht vom Reinen war,
Und keine Sonne sah ich sinken,
Die trüb nicht vom Gemeinen war.
O dummes, bettelhaftes Prahlen
Mit deines Fortschritts großen Siegen,
Wenn unter den brutalen Füßen
Zermalmt der Seele Schätze liegen.
Zermalmt ist mit den Götzenbildern
Auch Jovis hehre Lichtgestalt,
Und deine neuen Lichter leuchten,
So wie der Fäulnis Phosphor strahlt.
Du weißt so viel und bist nicht weise,
O sage, Welt, ob dir denn wohl ist
Bei deiner krausen Hochkultur, die
Außen bunt und innen hohl ist?
Den Hexentanz des Lebens tanzt
Die Kunst getreulich mit; die Taube
Entsank den reinen Himmelshöhen
Und flattert halbbetäubt im Staube.
Die Güte und die Menschenwürde,
In heißen Kämpfen dir errungen,
Ist fremd geworden deinem Herzen,
Ein Schmuck nur wortelustiger Zungen.
O, nichts vom vorigen Jahrhundert
Hast du dir, Welt, gemacht zu Nutzen,
Als bloß die Kunst, mit frechem Flunker
All deine Torheit aufzuputzen.
Die graugelockte Weisheit schweiget,
Die unerfahrne Jugend spricht;
Besiegt, ruft sie, sind Elemente!
— Die Leidenschaften sind es nicht.
Von Hohn und Geifer der Parteien
Seh' ich mein Vaterland beflecket,
Die Führer blind und taumelnd, bis sie
Ein grauses Menetekel wecket.
Dann mitten in der wilden Drangsal
Wird männiglich die Welt verfluchen,
Doch ringend mit den Nachtdämonen
Den Flug in lichtere Höhn versuchen.
Das stete Glück macht Sünder, Toren,
Und kleines Unheil Weltverhöhner.
Die maßlos schwere Not allein ist
Der große Sühner und Versöhner.
In einer Winternacht
Hab' ich dies Lied erdacht,
Es sei als Minnesang
Der Mitwelt dargebracht. —
Ihr Menschen seid nicht wert,
Daß man euch liebt und ehrt,
Daß man sein Herzblut gibt
Für das, was ihr begehrt,
Denn euer Wunsch ist Wahn,
Und schief ist eure Bahn,
Und jeden steinigt ihr,
Der euch ein Gut gewann.
Der euch ein Gut gewann,
Und euch ein Heil ersann;
Und es geschieht ihm recht,
Denn er hat schlecht getan.
Wer eure Laster schürt
Und euch zum Abgrund führt,
Dem euer schändendes
Und falsches Lob gebührt.
Für dies Geschlecht des Kain
Kann Abscheu nur allein,
Statt Lieb' und Opferlust,
Die rechte Gabe sein.
Was ich suchte, konnt' ich lang' nicht finden,
Was ich liebte, tat zu schnell entschwinden,
Was ich haßte, wollt' mich überwinden.
Doch, was linde Lieb' nicht mochte wagen,
Daß hat droher Trotz zurückgeschlagen,
Und der Kampf hat mich zur Kraft getragen.
Die Menschen bauen, die Menschen zerstören,
Sie lieben, umarmen und schlagen sich tot;
Sie schwärmen von Schönheit, Tugend und Ehren,
Sie klimmen hinan mit großer Not.
Doch sind sie oben nahe dem Ziele,
So stirbt der Drang, es kehrt sich der Wille —
Sie stürzen sich wieder hinab in den Kot.
Das ist der Geschichte ewiger Lauf,
Wir können's nicht wenden,
Nicht ändern und enden,
Unsre Bestimmung ist ewiges Ringen
Gen Himmel hinauf.
Wenn die wilden Wetter schlagen
Und die giftigen Seuchen toben,
Welch ein grauses Heulen, Klagen,
An den hohen Himmel oben!
Großer Gott, für solche Armen
Hätt' ich wahrlich kein Erbarmen.
Hemmest du die bösen Wetter
Und die giftgeschwellten Seuchen,
Machen sie mit Kriegsgeschmetter
Aus sich selber tausend Leichen.
Doch, was auf Erden keimt,
O laß es reifen,
Und was im Menschen ruht,
Das laß erstehn.
O Gott, laß dieses irrende,
Nach deinen Höhen ringende,
Dies arme, herrliche Geschlecht
Nicht untergehn!
Mein Sänger, laß' den Widerpart
Und sing' ein lustig Liedel,
Und lade sie zur Himmelfahrt
Mit einer hellen Fiedel.
Es ruft den einen zwar der Herr
Mit dumpfem Donnerkrachen,
Den andern lockt er noch vielmehr
Mit heiterem Sonnenlachen.
Der eine folgt den Elegie'n,
Der andre frohen Stanzen;
Man kann wohl in den Himmel knien
Man kann auch hinein tanzen.
Unendlich der Raum,
Unendlich die Zeit,
Kein Ziel und Halt
In Ewigkeit.
Die Kinder des Leides, sie sehnen und rufen,
Sie irren und zweifeln in Nacht und Not
Und suchen nach Gott.
Sie suchen im Buchstaben,
Sie suchen im Bild,
Sie beten und bluten,
Sie streiten wild,
Entzünden die Scheiter zur lodernden Fackel,
Sie suchen im Kelch und suchen im Brot:
»Wo bist du, Gott?«
Sie suchen im Leben,
Sie suchen in Kunst,
Sie suchen in Grübeln
Und Liebesbrunst,
Sie suchen im düsteren Schatten der Tempel,
Sie rufen in der Freiheit Morgenrot:
»Wo bist du, Gott?«
Die Armen, sie wandern
Am Pilgerstab,
Die Weisen, sie suchen
Die Himmel ab,
Sie suchen im schuldlosen Kindesherzen,
Und fragen mit Grauen den starren Tod:
»Wo bist du, Gott?«
Und sieh, im Suchen
Und heißen Streit
Steht immer der Herr
An ihrer Seit',
Und klopft ihnen lächelnd wohl auf die Achsel:
»Ihr Kinder, schaut euch doch einmal um!
Seid nicht so dumm.«
Willst du jene Höh' erreichen,
Wo im Schatten kühler Eichen
Sündenlos die Helden stehn:
Laß dich nicht von Lust berücken,
Laß dich nicht vom Weib umstricken,
Oder du mußt untergehn.
Wähne nicht, das Blut zu dämmen,
Blut entströmt gleich andern Strömen
Von der Höh' ins tiefe Tal.
Willst du aufwärts, mußt dich klammen
An des Geistes reine Flammen,
Streben nach dem Ideal.
Wie keimt dein Geschick
Dir, Mensch, in der Brust?
Aus dem Lichte das Glück,
Aus dem Dunkel die Lust.
Wenn plötzlich ein Blitz
Das Dunkel erhellt,
Bist du in Besitz
Von Gott und Welt.
Das Schönste, was im Innern ich empfunden,
Das ist so rein und zart, läßt sich kaum denken,
Und will ich mich im Sinnen, traun, versenken,
So ist mir das Gefühlte schnöd verschwunden.
Und was es ist, das mir so zart entsprossen?
Ich weiß es nicht und kann es nicht enthüllen;
Der Seele reinster Teil nur kann es fühlen,
Und tief in meinem Herzen liegt's verschlossen.
*
Ist der Mensch nicht wie die Schwalbe? —
Mit dem Lenze fliegt er an
Und verjubelt einen Frühling;
— Heißer Sommer quält den Mann.
Wie die Schwalbe an dem Neste,
Baut er flink an seinem Glück,
Muß um seine Reiser, Blätter
Ringen mit dem Mißgeschick. —
Leise kommt der Herbst geschlichen;
Von des Lebens reifem Baum
Reißt der Sturm die Frucht des Schaffens,
Und der Mensch erwacht vom Traum.
Sieh, am Scheitel seines Hauptes
Wird es weiß — der erste Schnee;
Matt und düster blickt das Auge,
Ach, es friert der klare See. —
Und er fühlt ein eigen Heimweh,
Fremd wird ihm die Bruderhand; —
Wie im Herbst die Schwalbe, zieht er
Heim ins ewige Frühlingsland.
Ach, mir graut vor dem Gemeinen,
Das mich stets durch neue Peinen
Und durch alte Sünden schleift.
Heimweh, Heimweh nach dem Reinen,
Nach den kühlen Friedenshainen,
Wo die Seele göttlich reift.
Ach, wo soll sie göttlich reifen!
Nur im Schwalle wüster Träufen
Lernst du das Gemeine fliehn.
Nur mit Kämpfen kannst du siegen,
Und im Fallen lernst du fliegen
Zu den seligen Göttern hin.
Die Berge je höher,
Dem Himmel je näher,
Dem Herzen je weher,
Weil's nicht kann hinein;
Weil es an die schwere,
Die träge Matere
Wie an die Galeere
Geschmiedet muß sein.
Was löst unter Peinen
Uns los vom Gemeinen?
Die Sehnsucht nach Reinen,
Die Sehnsucht allein.
Um aus der Wirrnis die Völker zu retten
Hellet oft plötzlich der Blitz des Propheten
Künftigen Helden die steigende Bahn.
Was noch die Väter säumig beraten,
Steigt in der Söhne mutigen Taten
Fröhlich und siegreich zur Höhe hinan.
Rufe den Menschen, Prophetenwort, rufe
Ihn aus der Tierheit von Stufe zu Stufe,
Bis er erwacht vor des Heiligsten Thron,
Schauend die Wahrheit im Kranze der Sonnen,
Trinkend die Liebe aus feurigen Bronnen —
Ewig des Ewigen seliger Sohn.
Wie du, o Mensch, mußt fallen
Zu Schuld und Gram und Grab,
So fallen wirbelnd und weinend
Die heiligen Wasser hinab. —
Doch sieh, aus dunkelm Abgrund
Steigen in stiller Ruh'
Die lichten Nebel kreisend
Dem Himmel zu —
Den Weg dir weisend.
Es war einmal ein Bettelmann,
Der hatt' einen goldenen Ring,
Sein einzig Eigen war dies Ding
Noch von der Mutter her.
Das Eigentum ward ihm zu schwer.
Er wankte fort zur Morgenstund',
Zu schleudern in den tiefen Grund
Sein Kleinod, daß in Glück und Mai
Die Gottheit ihm nicht neidisch sei.
Ein Weiser siehet voll Erbarmen
Den alten Mann, den siechen, armen,
Und fragt: »Du guter Bruder mein,
Um was soll sie dir neidisch sein,
Die Gottheit? Sprich!«
»Um was? Um was denn sonst?
Um mich.
Sonst hab' ich nichts, weil ich nichts brauch';
Was Glut ihr nennt, das ist bloß Rauch.
Was Gut ihr nennt, erstickt die Lust;
Doch unermeßlich ist der Reichtum
Meiner Brust.«
Der Weise blickt den Bettelmann
Mit gut gespieltem Mitleid an.
Der andre merkt's und lächelt so,
Als wär' er seiner Armut froh:
»Ich dauere euch, ihr dauert mich!
Ihr sagt auch, ich sei lahm und siech.
Ich weiß es nicht. Mein froher Sinn
Fliegt selig durch die Himmel hin.«
Der Weise spricht: »Dein Reichtum groß
Kam nicht dir aus der Erde Schoß.
Und was die Götter dir geschenkt,
Das nehmen sie nicht mehr zurück,
Und neidlos bleibt zu eigen dir
Dein erdenfreies Glück. —
Nur wer, der rohen Triebe Knecht,
Aus irdischer Hand sein Heil empfing,
Der opfere bang und demutsvoll
Den Göttern seinen Ring.«
Als Gott der Herr die Welt erschuf,
Da war sein erster, heiliger Ruf:
Es werde Licht!
Das Gnadenmeer vom Himmel floß
Und sich in alle Herzen goß,
— In meines nicht.
Und auf zum ewigen Sternenzelt
Blickt jedes Aug', dem Herrn der Welt
Ins Angesicht.
Und jedes Blümlein auf dem Plan
Lacht eure Augen freundlich an,
— Das meine nicht.
Der Mutterblick, der holde Stern,
Er blieb mir unermeßlich fern.
Dem Ärmsten flicht
Der Herr aus goldnem Sonnenglanz
Ums Haupt den bunten Farbenkranz,
— Um meines nicht.
Du treuer Engel Gottes, sag,
Was hab' an diesem Erdentag
Ich denn vollbracht,
Daß mitten unter Strahl und Schein
Verstoßen ich bin ganz allein
In ewige Nacht?
Der Engel sprach: Der Strahl, das Licht
Von außen ist das Höchste nicht
Zur Menschen Lust.
Statt Glanz die Glut, ein warm Gemüt,
Das wie ein sonniger Frühling blüht
In deiner Brust.
Wohl muß in deinem Aug ich sehn
Als einzigen Glanz die Träne stehn.
Doch weine nicht!
Noch leben treue Menschen hier,
Und Gottes Ruf erschallt auch dir:
Es werde Licht!
Um Mitternacht, als alles schlief,
Nur meine Zweifel wachten,
Und Weltverdruß mir drohte tief
Die Seele zu umnachten,
Da schlug ich auf ein altes Buch,
Zu spähn nach einem Labespruch,
Um ganz nicht zu verschmachten.
Und sieh, da hat mich sanft ein Wort
Befreit von bangen Banden:
»O suche die Erlösung dort,
Wo sie schon viele fanden;
Nicht was du haschest, wird dein Teil,
Aus Opferfreude kommt dein Heil.« —
Doch hab' ich's falsch verstanden.
Ich stieg in Sehnsucht himmelwärts,
Den Heiland zu verehren.
Der winkte mir, ich sollt' mein Herz
Zurück zur Erde kehren:
»Was du den Armen Gutes tust,
Das dringt zu meiner Vaterbrust.
Kannst du mir es verwehren?«
Die Botschaft war's. Und seitdem mag
Es sonnen oder regnen,
So kann mir doch an jedem Tag
Der liebe Gott begegnen.
Aus jedem Kind und armen Mann
Blickt mich mein treuer Heiland an,
Bereit, mein Werk zu segnen.
Wenn keines Kindes Aug' einst schwimmt
In Dankesfreudenzähren,
Wenn keines Bruders Hand mehr nimmt,
Was du ihm willst bescheren,
O, dann erst hat sich Gott vom Land
Des Sündenfluches abgewandt,
Und wird auch nimmer kehren.
Drum laßt, solang' noch Arme flehn, —
Uns lindern ihre Leiden,
Die Hungernden bei Tische sehn,
Die Frierenden bekleiden!
Dann wird für Reich und Arm zumal
Dies grabdurchfurchte Jammertal
Zur Quelle reiner Freuden.
Drei heilige Räume
Unter himmlischen Sonnen
Stehen hienieden:
Eine Wiege voll Träume,
Ein Bett voll Wonnen,
Ein Sarg voll Frieden.
Was wäre wohl mein letzter Wunsch,
Wenn ich dereinst zur Grube fahr'?
Auf lichter, kühler Bergeshöh'
Eine traute, einsam stille Bahr'.
Auf jener Höh', wo ich als Kind
Gehört den ersten Lerchenschlag,
Gesehn den reinen Sonnenstern
An einem süßen Maientag.
Doch jenes Kreuz, das ewig klagt
Die Menschheit ihres Frevels an,
Mir pflanzt es nicht, weil ich am Pfahl,
An dem er litt, nicht rasten kann!
Mir pflanzet einen jungen Baum,
Der frisch und frei gen Himmel steigt,
Und der, wenn einst die Menschheit reif,
Zu ihr sein Haupt in Freude neigt.
Vielleicht kommt noch ein Zimmermann,
Der ihn zu einer Wiege schlägt,
Vielleicht kommt eine Mutter, die
Ihr Kindlein in die Wiege legt.
Ihr Kind, das als des Menschen Sohn
Die Welt erlöst ein zweites Mal,
Und nicht dafür in Haß und Hohn
Erhöhet wird zum Marterpfahl.
Denn nicht, daß mein Erlöser starb,
Ist meines dunkeln Grabes Licht,
Doch daß er lebt und ewig lebt,
Ist meiner Seele Zuversicht.
Die Lust wie das Leiden,
Sie quälen die Seele;
Sie sind wie die Unrast
Auf stürmischer Welle;
Sie sind eine Botschaft
Vom nahen Vergehen.
Ein Eilen zum Ende
Ist alles Geschehen.
Nach Rast strebt der Pendel
Und jegliche Regung.
Und Sehnsucht nach Ruhe
Ist alle Bewegung.
Die Seele der Gottheit
Ist ruhendes Sein,
Ist wunschlos und streitlos,
Ist raumlos und zeitlos,
Ist Frieden allein.
Nahe ist Werden und Leben und Sterben beisammen,
Früher die endlose Zeit — später die endlose Zeit,
Kurz vor den Tagen, in welchen ich fühle und denke,
War ich ein formloses Nichts, war es von Ewigkeit her.
Kurz nach den Tagen, in welchen ich walte und webe,
Bin ich ein formloses Nichts, werd' es in Ewigkeit sein.
Wie er doch sein kann, der winzige Punkt, wo ich stehe,
Wie es nur möglich, denselben zu fühlen just jetzt?
War es nicht immer der gleiche, weltenumgaukelte Schwerpunkt?
Wußt' ich's nicht ewig, fühl' ich's nicht ewig: Ich bin?
»Wer soll sich nicht heute
Noch freuen des Lichts?
Wir sinken schon morgen
Ins ewige Nichts.«
Hat je sich der Galgenfrist
Einer gefreut,
Der unwendbar morgen
Dem Henker geweiht?
Die Freude an heute
Hat nur einen Wert,
Wenn ewig und ewig
Sie uns wiederkehrt.
Im Hasten des Tags
Wird das Herze bald matt,
Des inneren Glücks
Wirst du nimmermehr satt.
Das Nichtige freut sie
Am flüchtigen Schein,
Das Echte an dir
Verlangt ewiges Sein.
Was die Erde mir geliehen,
Fordert sie schon jetzt zurück.
Naht sich, mir vom Leib zu ziehen
Sanft entwindend Stück für Stück.
Um so mehr, als ich gelitten,
Um so schöner ward die Welt.
Seltsam, daß, was ich erstritten,
Sachte aus der Hand mir fällt. —
Um so leichter, als ich werde,
Um so schwerer trag' ich mich.
Kannst du mich, du reiche Erde,
Nicht entbehren? frag' ich dich. —
»Nein, ich kann dich nicht entbehren,
Muß aus dir ein' andern bauen,
Muß mit dir ein' andern nähren,
Soll sich auch die Welt anschauen.
Doch getröste dich in Ruh'.
Auch der andre, der bist du.«
Wir Eintagsfliegen spielen heut
Gern mit dem Wörtlein: Ewigkeit.
Man frägt: warum? wozu? was dann?
Und manchen geht das Grausen an. —
O Menschenseele, leg dich du
An Gottes Herz zur trauten Ruh'
Und laß nicht kümmern deinen Sinn,
Daß du nicht weißt, woher, wohin.
Mein Leib ist schon dem Tod geweiht,
Die Seele noch voll Lebensfreud'.
Mein Sterben ist ein Wandern
Eine Reis' im Kreis, von Stern zu Stern,
Von euch zu euch, vom Herrn zum Herrn,
Von einem Himmel zum andern.
*
Tick-tack! Tick-tack!
Die Stunde geht in Zickzack.
In Zickzack geht die Stunde,
Der Zeiger schreibt die Runde.
Es nachtet und es tagt,
Es wintert und es frühet,
Die Zeit entfliehet
Und ist doch immer da.
Der Zahn der Zeit
Nagt an der Zeit.
Er nagt umsunst,
Die Zeit, die Stund' um Stunde reiht,
Ist ewige, ewige Ewigkeit.
Tick-tack! Tick-tack!
Das Schicksal geht in Zickzack.
Ein Vorwärts und ein Rückfall,
In Zickzack geht das Schicksal.
Der Zahn der Zeit,
Man sagt, er nagt
An meinem Sein.
Er nagt schon lang,
Mir ist nicht bang,
Er nagt umsunst,
Das Sein ist mein.
Mein Sein war einst, mein Sein ist heut,
Mein Sein ist ewige Ewigkeit.
Eine Weihnachtsandacht.
Christkind, bist da; bist endlich nach langen traurigen
Tagen wiedergekommen zu uns herab.
Ich hab' dich ersehnt als wie ein Kind; denn ich
bin ein Kind mit weißen Haaren.
Nun hör' ich dich rauschen in diesen Zweigen; vor
deinem süßen, warmen Odem flackern die Lichter des
heiligen Weihnachtsbaums.
O, sei gegrüßt, du himmlischer Knabe, der du mit
den sonnigen Äuglein die schweren Nebel durchleuchtest,
die hier im Tale des Tränentaues nimmermehr wollen
schwinden.
Ich möchte dich wärmen an meinem Herzen, und
muß mich fürchten, der menschlichen Leidenschaft stürmische
Gluten könnten versengen dein lockiges Haar. Denn du
bist gewohnt des ewigen Frühlings milden Hauch; o
Gotteskind, bei dir daheim muß es schön sein!
Oft hör' ich es leis in den Lüften klingen, als wie
ein Läuten und Grüßen von oben.
Dann faßt mich das Heimweh, und wie ein verirrtes
Kind in der Nacht ruf' ich und such' ich den Weg zu den
Wohnungen Gottes.
Erzähl nun, erzähle, du holder Bote des Himmels,
was waltet dein Vater, der ewige Herr?
Fast fürcht' ich, der Vater hätt' unser vergessen, denn
wie den Sonnenstrahl vor Wetterstürmen, seh' ich auf
Erden das Göttliche schwinden.
Gerechtigkeitsfreude ging uns verloren und reiner
fröhlicher Sinn.
Die Kunst wühlt im Staube, die kindlichen Herzen
verkümmern.
Wenn du, o mein süßer, heiliger Christ, von Zeit
zu Zeit nicht kämest gesandt, es müßte der Pfad zwischen
Himmel und Erden doch gänzlich verwildern.
Und mich verlangt es so heiß nach Kunde von oben,
was all die Teueren, die uns verließen, denn machen im
Lande der ewigen Liebe.
Mein Mütterlein treu; sie muß schon vor Zeiten
angelangt sein auf mühevollen Krücken.
Zwar war sie fast blind, doch hat sie — das weiß
ich — den Weg nicht verfehlt.
Wie geht's ihr? Singt sie noch immer die lustigen
Lieder? Was werden die Engelein horchen und lachen!
Was war das ein Spaß, wenn sie hat erzählt und gesungen!
Und ernsthaft blieb sie dabei, denn taub war
sie völlig und hat — wie ich meine — ihr fröhliches
Singen und Sagen selbst nicht vernommen.
Und daß ich noch frage: Habt ihr ein Krankes im
Himmel?
Wenn sie nicht Kranke kann warten, die Mutter,
wachen die Nächte und sorgen und sich von dem Munde
die Bissen abkargen, so ist sie nicht glücklich.
Sie wird es schon sein.
Denn sag ihr, sie hätte auf Erden jetzt Enkelein
süß; dieselben, die heute, o Christkind, dein strahlendes
Bäumchen umjauchzen. Und sag es der Mutter: wir lassen
sie grüßen!
Dann wirst du, mein himmlischer Knabe, auch einem
Frauenbild noch sein begegnet, jung wie der Mai, hold
wie ein Engel; wirst es kaum glauben, daß sie auf Erden
geboren.
Im Reigen der Reinsten und Seligsten, der treuen,
opferfreudigen Seelen ist sie zu finden.
Du lächelst, mein Christkind, sahest sie schweben im
weißen, myrtendurchwirkten Kleide.
Ein Antlitz, so zart, wie Kirschbaumblüh' — sie
ist's! — und Augen, so sanft und seelentief — es muß
sich darin ja Gatte und Kind noch spiegeln?
So bist ihr begegnet im himmlischen Land, wie
einsam vielleicht sie gewandelt in stillen Hainen, und
wartend.
Denn dann erst, wenn Gatte und Kinder bei ihr
sind, will freudig sie eingehn zur Seligkeit.
Diese Frau, mein göttliches Kind, wenn du heimkehrst,
wird fragen dich mit weinendem Lächeln, wie es
doch war, als du den Weihnachtsbaum stelltest in das
verwaiste Haus den jubelnden Kindern?
O, sag ihr, wie frisch in den jungen Gemütern die
früh uns verwelkte Lust dieser Welt wieder aufblüht.
Und sage, wie selig ich bin in den Kleinen, wie heiß
ich ihr danke!
Und das, wie ich immer noch weinen muß — Bote
der Liebe — das sag ihr nicht.
»Aus Todesbanden
Ist der Sohn erstanden,
Und sie, das heiligste Weib der Schmerzen,
In der ewigen Jugend Strahl,
Stieg empor auf Rosenwolken
Zum himmlischen Königssaal.« —
O, Dank den Zungen,
Die dies Lied gesungen
Das erstemal in Glauben und Hoffen.
Unser Leib sinkt der Erde zu,
Doch dir, o Herz, steht im Lichte
Heiliger Dichtung der Himmel offen!
In Lebensstürmen verlischt der Schimmer,
Der kindliche Glaube vergeht wie Tau.
Und kommt wie Tau. Denn eins laß ich nimmer:
Das glorreiche Anbild der göttlichen Frau.
Maria, Maria,
Mit deinen Schmerzen,
Mit deinen Freuden!
In meinem Herzen
Bist von allen
Den Idealen,
Den herrlichen, süßen, lieben,
Mir du noch geblieben.
Deines Gedächtnisses Segen
Möge uns retten
Aus der Verzweiflung finsteren Wegen,
Aus der Leidenschaft ehernen Ketten.
— O, ewigen Preis
Der Gebenedeiten,
Der Gnadenreichen!
Erd' und Himmel zu allen Zeiten
Haben nichts, dir zu vergleichen.
Die Könige ruhen zu deinen Füßen,
Die Scharen der heiligen Engel küssen
Den Saum deines leuchtenden Kleides;
Und in den Kammern
Des Elendes jammern
Die lichtlosen Kinder des Leides;
Die Gefallenen weinen
Zu dir, der Reinen,
Die gebrochenen Herzen,
Die verlornen Seelen
Dürsten nach deinen labenden Quellen.
Auf Schutt und Trümmern
Irdischer Freuden,
Auf teuren Gräbern,
Unter Trauerweiden
Blicken Augen tränenumhüllt,
Suchen, Maria,
Du Mutter der Liebe,
Dein himmlisches Bild. —
O, laß uns Kinder der Erde nimmer
Verlieren ganz deiner Minne Schimmer.
Maria, Maria, dies bitten wir!
Und wenn Felsen stürzen
Und die Himmel beben,
Huldreiche Frau,
Laß bestehen, laß leben
Im Menschenherzen
Das süße Bild von dir!
Gedanken in der Kirche zu Zell.
Bei Maria zu Zell an der heiligen Stätte, da kannst
du Wunder schauen christliche Seele. Da kommen gezogen
Völker aus vielen Ländern und lasten ab auf den
Marmorstufen ihr schweres Herz, ihr vielfaches Leiden,
und rufen in fremden Zungen des Heilands selige Mutter,
und klagen und schreien mit wilden Gebärden, und führen
zerrissen in Wehmut die Sprache, so alle Menschen verstehen:
sie weinen.
Sie weinen, daß Trän' um Träne perlet über die
Wangen — der Perlenschnüre schönste, die sie der himmlischen
Frau mögen weihen. Sie weinen und beten mit
hochgefalteten Händen, wie so brünstig auf keiner Stätte
im irdischen Tale sonst sie können beten. Eherner Bildsäule
gleich knien sie da, oder wandeln, das flackernde
Licht in der Hand, wohl leichenblaß in langen Reigen
den Kreuzgang dahin, oder wallen kniend im Bußgewand
um den Altar, oder liegen auf kaltem Stein hingestreckt
wie leblos, die Arme zum Kreuze gebreitet. Unter solchen
Gebärden bangend und hoffend, schreit das zitternde Herz:
»Maria! Zuflucht der Sünder, Heil der Kranken, Trost
der Betrübten, Licht der Sterbenden, bitte für uns:
Ora pro nobis!«
Und siehe! Vom stillen, uralten Bildnis nieder
träufelt die Gnade, der Beter Gemüt ist erleichtert, wie
Berghauch frisch weht Hoffnung und Zuversicht durch
das schwüle Herz. Aufrecht wieder steht der irdische Leib,
im Aug' die Träne der Freude: Erhört! Erhört zu Zell
von Maria!
Im Schatten des Pfeilers dort steht finster und blaß
ein Fremdling. Seine Zunge ist kundig der Sprachen
des Erdballs — Maria hört ihn in keiner. Der Bitterkeit
voll ist sein Herz, und schweres Weh schleppt er mit
sich seit vielen Tagen, es fällt nicht ab an den Stufen
der Gnade, es klammert sich würgend an seinen wogenden
Busen, er flucht dem dunkeln Geschick, er dürstet nach
Freude und Trost, verzehrt sich in lahmem Neid, daß
sie dort, die Beter, vor einem geschnitzten Stück Holz
erlangen, was ihm in der weiten lebendigen Welt versagt
ist.
Mit starkem Mute gehen die Pilger dem Heim zu,
sei es zu ferneren Widerwärtigkeiten des Lebens, sei es
zur Bahre — sie gehen getrost, Maria geht ihnen zur
Seite und führt sie durch Jammer und Grab als treue
Mutter zum ewigen Leben.
Auch dort dem Fremdling pocht schon der Tod ans
liebehaschende Weltherz. Sein Wesen schauert im Anblick
der Grauen des ewigen Grabes. Einen Ruf nach Rettung
erpreßt der Verzweiflung Gewalt ihm, der Schrei gellt
hohl in den Hallen des Tempels, daß flattert erschreckt
aus dem Nest die Schwalbe. Das uralte Holz in der
Zelle ist taub.
O armes, geliebtes, von allen Himmeln verlassenes
Weltkind! Das uralte Holz in der Zelle hilft niemand.
Maria, des Heilands süße, barmherzige Mutter, die jene
wallenden Beter lebendig im Herzen tragen, des
Glaubens innere Wirklichkeit — sie wirket Wunder.
Es ist keine Mär, Maria wirkt jeden Tag Wunder im
Menschengemüte und übt eine göttliche Kraft, die irdischer
Macht nicht vergleichbar.
O Fremdling im Schatten des Pfeilers! Wenn dir
ein ernstes Geschick den kindlichen Glauben genommen
und nicht mehr zurückgibt — es ist des Weltkindes Märtyrtum,
trage es männlich. Doch wehe dir, wenn du
ans Heiligtum tastest, das andere hegen im blutenden
Herzen! Laß brennen im Menschengemüte die Ampel,
die ihnen erleuchtet des Erdenlebens finstere Pfade, des
Grabes Schatten mit Morgenrot hellet, und schweig in
Ehrfurcht, wenn auf wildem Meere weint und schreit
und betet der Menschen gläubiges: Ora pro nobis!
Lebensgenosse, verbirg mir dein Herz nicht. Ich
weiß es, ich kenn' es, ich seh's an dem meinen.
Du hast dich gefürchtet. Dir graute vor Schatten;
an Körpern, die sie geworfen, gingst du sorglos vorüber.
Der Kindheit süßes Blut haben gesogen Vampyre der
Angst in stillen Nächten. Schaudernd vor Geistern
nahmst du den stärksten nicht wahr — den im eigenen
Haupte. Nun ruhn die Gespenster, doch inne bist du des
Weltalls Mächte, die dich im Augenblick können vernichten.
Solange du nur für dich wolltest sein, war
Angst dein Teil; seit du willig der Schöpfung lebst in
gemeinsamer Sache, stehst du in Demut, doch furchtlos
den Mächten, mit offener Stirn.
Du hast gehofft. Das Hoffen ist das beste Haben
des Sterblichen. Doch der tröstenden Mutter Hoffnung
boshaftes Kind heißt: Enttäuschung. Wohl dir, wenn
die Hoffnung dich treu zum Grab trägt; wehe dir, wenn
unterwegs sie dich fallen läßt auf sandigen Boden, wo
unter Disteln und Dornen Verzweiflung wächst! Ich
spotte der Hoffnung nicht, sie ist das Gedicht meiner
Seele, des kindischen Herzens liebliches Spielzeug.
Du hast gehascht. Von Sinnen gestachelt wie toll
gejagt nach Genüssen — nach Geld, nach Ruhm und
anderen Dingen, die das Leben zieren, aber nicht erfüllen.
Wie leicht ist dir manches geworden, zur Wirklichkeit
wuchs der Gedanke, bevor er noch Wunsch war.
Mit Schmerz und Entbehrung verglichen nur waren es
Güter, nur mit dem Maßstab des Leides gemessene
Freuden. Von andern beneidet, fragst du befremdet das
Schicksal: Ist denn das alles? Mehr als erwartet und
doch nicht befriedigt! Es muß in den prunkenden, allumworbenen
Gütern der Welt etwas faul sein.
Du hast gehaßt. O nichts vergiftet das Herz mehr,
als leidiges Hassen. Die Gier, sich zu rächen, verzehrt
das eigene Leben. Nie geht der Herzschlag so wild, als
wenn er Waffen schmiedet gegen den Feind; die lohende
Esse der Brust versengt den heiteren Frieden. Ich habe
die Lust zu hassen dem Teufel zurückgegeben, sie mag der
Verdammten Seligkeit sein. Der Erdsohn wandelt auf
Gräbern, sein Haupt reifet hehrer Vollendung entgegen
im Lichte des Himmels.
Du hast dich, Lebensgenosse, der Liebe ergeben. Die
Lieb' zu dir selbst, mit der fing es an, und bald kam die
Liebe zu zweien; diese gebar dir schmerzlich und vielfach
die Lieb' zu den Kindern. Die selige, zitternde Liebe voll
Glück und voll Bangen. Armes gepeinigtes Herz! Heute
trotzend in Panzern von Eis, morgen fiebernd in Gluten,
an solcher Liebe Glück sachte verblutend. Und das nennt
man Leben! Wie du, so wir alle — lächeln nach außen
und schluchzen im Innern. — Nun kommt das Erbarmen.
Die selbstlose Liebe, die am Kreuz ihre Hände noch ausstreckt,
die Welt zu umarmen. Liebreich und gut sein
mit jedem. Gibt man dir Liebe, gib Liebe zurück. Fügt
man dir Leid zu, so gib dafür Liebe. Lähme die Feinde
mit Liebe, größer, gewaltiger rächt sich auch Gott nicht.
O milde Liebe! Wer anderen wohlwill und wohltut,
erlöset sich selber. Der Unfried in dir geht zur Ruh,
wenn du Fried' hast mit anderen. Die tiefste Wunde
des eigenen Herzens vernarbt, wenn du sie anderen
heilest. In deines Gemütes üppigem Garten, tief unter
Unkraut keimet ein Pflänzlein; heute noch zart mit tauender
Blüte, kann es bei treuer Pflege morgen ein herrlicher
Baum sein. Ein Baum der wahren Erkenntnis, an
welchem die Früchte reifen, nach denen wir lechzen. O
haltloser Mensch, von Furcht und von Hoffnung betört,
von Gier und von Haß gehetzt, müßtest du stürzen, vergehn,
wie der Hirsch, das Blei in der Brust, verblutet im
Moorgrund. Zur Urkraft steh! Gesell dich im Streite
der göttlichen Siegerin zu. Dich rettet die Liebe.
Heiliger Gott, ich möchte beten, preisen dich in göttlicher
Sprache, und jauchzen, singen, wie Engel jubeln
im Schauen deiner Schönheit.
Ich möchte weinen, wie Selige schluchzen, die du
aus der finsteren Drangsal der Erde in deine ewigen
Himmel aufnimmst.
Nur das ist mein Schmerz, mein wonnig Verzagen,
daß ich nicht kann sagen, wie glücklich ich bin. —
Ich hab' dich gefühlt am Busen der Mutter, im Auge
des Freundes dein Lächeln gesehn; und als ich die einzige
fand, die Geliebte, da warst du es ganz, der niederstieg
und mich, den Schwachen, in Wonneschauer Bebenden,
mit heißem Kuß an seine Brust gedrückt hat.
Und als ich mein Ebenbild, nein, das deine, in
meinem Arm hielt, das süße Kind, da warst es du, der
mit erneuter Huld im jungen Auge mich angeblickt. —
Die heißen Freuden haben mein Herz erschüttert;
der Frost der Gräber hat mein Haar gebleicht.
Einsam nennen sie mich und wollen mich trösten
mit ihren kleinen Gaben, die Guten, die Armen, die nicht
wissen, wie reich, nicht ahnen, wie glücklich ich bin.
Denn seit die heiligen Bilder deiner persönlichen
Gottheit mir verweht sind, stehst du aufgedeckt vor mir
in Alleinheit deiner unendlichen Schöpfung.
O, daß ich so vergebens in deinem Reich den Namen
suche, dich zu nennen, du nimmerruhender Auf- und
Niedergang, im Sturm und Sonnenlächeln ewige Harmonie,
aus der mir die Stimme der Mutter, der Gattin
Hauch und des Kindes Lächeln treu wieder entgegengrüßt.
Was einst mich beglückt in einzelnen Wesen, in einzelnen
Wünschen und Hoffen beseelt, das find' ich nun,
vereint mit dir, mit mir vereinigt zum ewigen Sein.
Die Leidenschaft schweigt — gestillt ist die Sehnsucht;
erlöst an dein Herz, o Natur, sink' ich hin.
Die Blumen der Erde, die Sterne des Himmels, sie
mögen verkünden, wie glücklich ich bin.
Ein glücklicher Mensch steigt hier zur Ruh',
Von einem Himmel zum andern;
In hehren Gestalten zieht er durchs All,
Wie selige Geister wandern.
Er hat ein reicheres Dasein geführt,
Als all ihr Schlemmer und Prasser,
Er hat ein edleres Feuer genährt,
Als alle die Hetzer und Hasser.
Er hat das Elend in Liebe geweiht,
Der Jämmerlichkeit sich verschlossen,
Er hat mit dem Blut von eurem Blut
Ein höheres Leben genossen.
Er hat genossen in fröhlicher Ruh',
Was ihr selbst im Kampf nicht erjagtet!
Er hat gebetet, gehofft und gejauchzt,
Dieweilen ihr klagtet und zagtet.
Dieweilen ihr geifernd das Leben verflucht
Und geifernd danach habt gehastet,
Hat er sich im Lichte des Himmels gesonnt,
Im Schatten des Waldes gerastet.
Ihm war ein heiterer Traum dieses Sein,
Das euch ein drückender Alp ist;
Das kommt, weil euch der Magen beschwert
Vom Fraße am goldenen Kalb ist.
Dieweil ihr auf allen Vieren kriecht,
Er fuhr auf dem Sternenwagen,
Ihn hat die göttliche Phantasie
Durch Ewigkeiten getragen.
Ihr sinket als Aas ins finstere Grab,
Als Samenkorn fällt er zur Erde. —
Hab' einst ich im neuen Sein die Wahl,
Mit wem ich's wohl halten werde?
Ein glücklicher Mensch steigt hier zur Ruh',
Von einem Himmel zum andern;
In hehren Gestalten zieht er durchs All,
Wie selige Geister wandern.
Anhang
Das Singen des Tages
Zum Eröffungstag der Arlbergbahn.
(1884.)
Tirol, du schönes, stolzes Land,
Du hüllest dich in Festgewand
Und jauchzest laut.
Durch Berg und Tal der Posthornschall,
Er tönet heut das letztemal
So weh und traut.
Das Posthorn klingt, wie Vogelsang
Dereinst auch an das Herz dir klang
In Sommernacht,
Als es — ein sehnend Walter-Lied —
Vom Liebsten, der in Treuen schied,
Den Gruß gebracht.
Es blies in schwer bedrängter Zeit
Das Notsignal zum Freiheitsstreit
Von Tal zu Tal;
Und auf dem blutigen Felde klang's
Erschütternd, wie des Grabgesangs
Posaunenschall.
Dem Spielmanns-, Senn- und Jägerhorn
Entstammt, ward es zum heiligen Born
Für Lust und Schmerz.
War's Willkomm', war es Scheidens Muß,
Das Horn, es hatte wilden Gruß
Für unser Herz.
Das Lerchenlied — es ist vorbei.
Doch hörst du nicht des Geiers Schrei
Und schrillen Pfiff?
Ein schwarzer Drache schnaubt heran,
Und Feuer speit auf eherner Bahn
Das Lokomotiv.
Der Täler Frieden ist dahin,
Und bald der Welt Parol': Gewinn!
Wird herrschend sein.
Doch nimmer klagt und nimmer bangt;
Was eine große Zeit verlangt,
Wird sie auch weihn.
Solang noch Schwert und Kugel droht,
Der Völkerhaß gen Himmel loht,
Solang, solang
Die weite Welt nicht ist befreit,
Gibt's keine Rast in Einsamkeit,
Trotz Lerchensang.
Die neue Bahn, der weder Sprung
Noch hoher Berge Überschwung
Jemals gefiel:
Durch Nacht und Graus, auf kühnem Steg,
Geradeaus den Mittelweg,
Kommt sie ans Ziel.
Ans große Ziel, dem ich und du
Mit heißer Sehnsucht streben zu,
Und weher Not:
Dem Bruderbund von Hand zu Hand,
Von Herz zu Herz, von Land zu Land,
Das walte Gott!
in der Nacht zum 1. Mai 1885.
Der sanfte Mai! So herb an unsere Mauern
Hat er noch nie gepocht, als diese Nacht.
Aus tiefem Winterschlafe jäh erwacht,
Erbebt die Erde in Empfängnisschauern?
Wir fuhren auf in mitternächtigem Schrecken,
An mondbestrahltem Fenster stand der Mai
Und lächelte herein: Ich war so frei,
Ein wenig eure Herzen aufzuwecken,
Daß hören sie, was schallt in allen Lüften,
Daß sehen sie, was ich mit Blumen schrieb:
Wie kurz die Lebenszeit! O habt euch lieb,
Die Toten pochen laut in ihren Grüften.
(Zum Lehrertag in Graz 1888.)
Als Sparta einst ein großes Fest beging,
Da kam ein Bote aus Athen gezogen,
Man hieß ihn treten in der Krieger Ring
Und fragte grüßend ihn mit Pfeil und Bogen:
»Was ist dein Zeichen, Freund, wir wollen's sehn!«
»Gesittung, Friede!« sprach der von Athen.
Und so wie damals der Athener trat,
Der edle Geist, ins Land der rohen Sitten,
So bist auch du, mein Freund, nun in den Rat
Der rauhen, kampfeslustigen Zeit geschritten.
Es kocht der Haß der Völker und Partein
Und lädt zum blutigen Mahl der Rache ein.
Doch du erziehst mit Mut ein neu Geschlecht,
Und daß aus Wissen sein Gewissen tage,
Zu messen mit Gewissen, Pflicht und Recht,
Gibst du ihm in die Hand die heilige Wage.
Gesittung, Friede seh' ich neu erstehn.
O sei willkommen, Bürger von Athen!
(Zum Tode Robert Hammerlings 1889.)
Bist es du, der mich entsühnet als den Brudermörder Kain,
Welcher, weil des Todes Vater, nimmer dessen Kind kann sein?
Weh, das war ein banges Wandern durch die wilde, finstre Zeit,
Wähnend, hastend, niemals rastend, um den Ring der Ewigkeit.
Seit jedoch der göttergleichen Schönheit leuchtend Gloriol
Aufgestellt zum Straßenzeiger, wo ich rasten darf und soll,
Seitdem will ich leben, leben, maienfroh zur Lust erwacht.
Liebe hat die Welt erlöset, Schönheit selig sie gemacht.
Du, mein Wanderbruder, standest einsam auf des Lebens Firn,
Als der Schönheit Hochpropheten einer, mit der Jovisstirn;
Nun sind beide wir unsterblich, wandern durch das bunte Nichts,
Ich im Schattenreich der Erde, du im Äther ew'gen Lichts.
zur zwanzigjährigen Gründungsfeier des Lesevereines in Krieglach
am 23. Juli 1893.
Es pflegen die Menschen im irdischen Tal,
Die Streitenden, Hoffenden, Edlen zumal
Sich leuchtende Tempel zu bauen,
Auf daß im alltäglichen Drang ein Asyl
Uns winke und weise das höhere Ziel
Zum inneren Leben und Schauen.
Denn nicht in des Körpers gebrechlichen Schrein
Sind uns hinterlegt die Schätze allein,
Und auch nicht in eisernen Truhen;
Die größten, beständigsten Güter der Welt,
Sie sind wohl auf Geist und Gemüt gestellt,
Wo selig die Götter ruhen.
Zu stärken die Kräfte, die schaffenden,
Zu wecken die Götter, die schlafenden,
Das war unser heiliges Streben,
Als einstens, vor zweien Dezennien,
Beseelt und geleitet von Genien,
Dies Bündnis wir riefen ins Leben.
Wir gründeten mutig den frohen Verein
Und luden die Geister des Erdkreises ein
Ins bescheidene Dorf an der Fresen.
In Büchern und Blättern sie kamen heran,
Und mancher verdienst- und ruhmreiche Mann
Ist wohl unser Gast gewesen.
Wir hielten zusammen in treuer Pflicht,
Wir zankten nicht viel und wankten auch nicht
In guten und schlimmen Jahren.
Und hier in diesem gastlichen Haus
Hat unser Verein jahrein und jahraus
All Schutz und Schirm erfahren.
Wie mancher Gesang der Weihestund',
Wie manches Lustjauchzen der Tafelrund'
Hat hier gebraust und geklungen.
Wie mancher Funke und Bildungskeim
Ist siegreich aus diesem Geistesheim
Ins weite Tal gedrungen.
So wird man dem immer noch frischen Verein
Das Fest der Erinnerung gerne verzeihn,
Der treuen Verharrung zum Lohne.
Die Einigkeit war unser Grund und Fach,
Die Einigkeit war unser Turm und Dach,
Die Einigkeit sei unsre Krone.
Am Grabe Anzengrubers.
(Zur Enthüllungsfeier seines Denkmals 1895.)
Ich singe hell an seiner Gruft
Und spiele froh die Leier;
Am Grabe des Unsterblichen
Gibt's keine Todenfeier.
Ihr in der Ferne seht des Meisters
Herrliches Vollbringen;
Ich weiß von seinem Menschentum
Ein rührend Lied zu singen.
Sein Haupt ist schön, auch wenn ich es
Des Lorbeerzweigs entblöße,
Wohl, Dichterkönnen preis' ich hoch,
Noch höher Menschengröße.
Wir Freunde sein, wir denken still
Zu dieser Stund' aufs neue
An seines Wesens schlichte Art,
An seine Mannestreue.
Die Wahrheit, die im Worte er
Gefeiert und gespiegelt,
Im Leben durch Wahrhaftigkeit
Hat er sie, traun, besiegelt.
Sein Leben war ein harter Kampf,
Sein plötzliches Erliegen
Erst hat die Welt ihm aufgeschreckt;
Sein Fallen war sein Siegen.
Sein Erdentag war wolkentrüb,
Das lichte Ziel zu ferne,
Nun leuchten, seit die Sonne sank,
Die Werke hell wie Sterne,
Sie leuchten über die weite Welt,
Doch jetzt will ich erinnern:
Sein Wiegenhaus, sein Schaffensheim,
Sein Grab gehört den Wienern.
An solchen Stätten blicket auf
Sein Volk in Stolz und Schauern;
Ein Jauchzen hat es, daß er kam,
Und daß er ging, ein Trauern. —
O späte Liebe, die wir anders
Nimmer stillen können,
Als daß wir dankend, sühnend
Seine Lebensstätten krönen.
Wir graben ein in Marmelstein
Den Namen, den wir lieben.
Er selbst hat sich mit Loderbrand
Dem Volk ins Herz geschrieben.
1900.
Seit sich der Gärtner müht
Und dieser Garten blüht,
Nie Gold und Silber das Leitmotiv war.
Doch als die Zeit verstrich,
Sachte das Haupthaar blich,
Nahet dem Werke das silberne Jahr.
Silberne Hochzeit hält
Mit seiner Lesewelt
Heimgarten jetzt, zum Jahrhundertbeginn.
Altern nicht wehe tut;
War nur die Ehe gut,
Wird selbst dem Silberhaar goldner Gewinn.
Seit einst im Steirerland
Schlicht dieses Blatt entstand,
Liegen, wie immer, die Geister in Streit.
Und dieser Garten hier
War teils ein Kampfrevier,
Teils ein Idyll auch in stürmischer Zeit.
Oft fiel das Samenkorn
Freilich auf Sand und Dorn,
Oft hat gesäter Wind Sturm auch gebracht.
Ist es auf Bergeshöhn
Nicht der befreite Föhn,
Der aus dem Eise den Frühling entfacht?
Doch nicht der Lenz allein
Soll ewig Herrscher sein;
Fruchtbarer Herbst, wie erwart' ich dich gern!
Was wir im Lenz gesät,
Ahnend schon aufersteht:
Freude den Menschen und Ehre dem Herrn!
Dann — wird im Abendfried'
Einst auch der Gärtner müd,
Reichend den Spaten dem andern zur Hand,
Wird das Vermächtnis sein:
Treuet den Garten mein,
Heimgarten ewig dem steirischen Land!
Den Deutschen in Amerika.
1904.
Aus deutschem Morgenlande
Der Sonnenball
Flicht täglich Bruderbande,
Und grüßt euch all!
Was uns die dunkle Welle
Des Westens nahm,
Das euch in Lichteshelle
Von Osten kam.
Des Ostens heiliges Feuer,
Des Westens Mut
Führt euch mit Kraft das Steuer
Durch hohe Flut.
Die Sonne ist's, die gleiche,
Die uns bescheint;
Die Liebe ist's, die reiche,
Die uns vereint.
Die Sterne fliegen munter
Von uns zu euch;
Die Sonne geht nicht unter
Im Deutschen Reich.
Zum Schillertag 1905.
Es zieht ein Segen von Haus zu Haus;
Es klingt in den Lüften und klingt nie aus,
Es rauscht in den tiefen Gewässern.
Es ruht in der Erde und keimt empor,
Es blüht aus den holden Maien hervor
Und glüht in den Herzen der Bessern.
Es leuchtet und tost ein gewaltiger Strom
Dahin durch des Himmels ewigen Dom,
Daß der Erde Urgrund erbebet.
Es tönet ein zarter, süßer Gesang
Wie Saitenzittern, wie Nachtigallklang,
Der alles weckt und belebet.
Wir fühlen im Herzen der Liebe Hauch,
Das Sehnen nach Großem, die Hoffnung auch
Zu schauen einst glückliche Zonen.
Ein heiliger, glühender Geist durchzieht
Wie Sonnenleuchten das dunkle Gemüt,
Die höchste der Religionen. —
Sein Sterben doch mach' uns nicht zag,
Hie Todestag — hie Ostertag,
Der Geist wird freigegeben.
Wenn große Menschen schlafen gehn,
So ist es ein neues Auferstehn
Zu wahrem, wirkendem Leben.
Und wie die Glocke auf dem Turm
Durch dieses Lebens Fried' und Sturm
In Freud' und Leid uns läutet,
So Friedrich Schillers hehrer Sang
Dem Menschensohn auf lebelang
Viel Trost und Heil bedeutet.
Sein Lied ist es, sein Dichterwort —
Schon tönt's ins zweite Jahrhundert fort
Und hallet im dritten wieder.
Der Hirt in der Alpen Himmelsnäh',
Der Schiffer auf ferner, wildwogender See
Empfindet und singt seine Lieder.
Sein Lied ist es, der schmetternde Ruf,
Der Sklaven den Drang zur Freiheit schuf
Und sie zu Menschen erkoren.
O kennt ihr des Sängers wildweckenden Schrei:
Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei,
Und wär' er in Ketten geboren!
Sein Lied ist es, das weist uns die Bahn:
Ans Vaterland, Bürger, schließ dich an,
Bleib treu deinem Lande und Blute!
Dann deutet er mahnend himmelwärts:
Nicht an die Güter hänge dein Herz!
Häng es allein an das Gute!
Sein Lied ist es, der wonnige Hall:
Die Tugend, sie ist kein leerer Schall,
Der Mensch kann sie üben im Leben! —
Und was die innere Stimme spricht,
Das täuscht die hoffende Seele nicht
In ihrem heiligen Streben. —
O Dichterkönig! Du ließest zurück
Ein Gut, der Deutschen Stolz und Glück,
Ein flammendes Gotteszeichen;
Das Erbe der Nibelungen und
Die Schätze all in Kyffhäusers Grund
Sind nicht damit zu vergleichen.
So schließen wir heute zur Weihestund'
Des Dichtererbes den treuen Bund
Auf allen unseren Wegen:
In Güte treu, in Frieden frei,
Ein einzig Volk von Brüdern sei
Des deutschen Dichters Segen!
bei einer Elementarkatastrophe in Steiermark.
Hört ihr den Ruf erschallen?
Der Charitas Gesang.
Seht ihr die Menschen wallen
Die Straßen froh entlang?
Sie ziehen, traun, dem Rufe nach,
Durch Täler, über Berg und Bach,
Dem Weihesang zu lauschen.
Die Tannenwälder rauschen —
Es wogt der blaue See,
Und Minnelaute tauschen
Das Böcklein und das Reh.
Es schwillt und knospet Trieb um Trieb,
Es blüht die heilige Bruderlieb'
Im schönen Lande Steier.
Wie ernst ist unsere Feier! —
Des Schicksals dunkle Hand
Senkt nieder grause Schleier
Mit Sturm und Blitzesbrand.
Des Landmanns Haus und Feldeshab'
Verwandelt sich zum Wüstengrab. —
Gehört das auch zum Feste?
Ihr hochgeschätzten Gäste,
Ein wohlerwogner Rat:
Der Heimatsehren beste
Ist eine gute Tat.
Hißt auf die Fahnen weiß und grün,
Und laßt das Alphorn schallen hin,
Die Brüder all zu rufen.
Und zu des Altars Stufen,
Die wir der Styria
In heißer Liebe schufen,
Kommt her aus Fern und Nah.
Der Mund für Sang und Bechersrand,
Das Aug' dem Licht, die offne Hand
Den armen Landsgenossen.
Aus Zeiten, längst verflossen,
Ist uns der Väter Art
Ins warme Herz gegossen,
Daß sie die Scholle wart'.
So danken wir in Tat und Spiel,
Daß dieses Land vom Himmel fiel
Und unser Heim geworden.
Und daß nicht durch die Pforten
Zieh' fremder Geist herein,
Der Ahnen Kraft zu morden,
Die Brüder zu entzwein —
Des laßt in Einigkeit uns stark
Der heißgeliebten Steiermark,
Der heiligen Heimat walten.
Und damit nicht erkalten
Die Heimatliebe mag,
Soll nunmehr sich gestalten
Ein froher Steirertag,
Zu zeigen, daß in Glück und Not,
Und wenn den Brüdern Unheil droht,
Wir treu zusammenhalten.
Geweiht dem Wiener Sängerbunde zu seinem fünfzigjährigen Jubiläum.
Ein Herold im freien Alpenland
Naht brüderlich deutschen Söhnen,
Zu grüßen als Sänger mit schlichtem Wort
Die Sänger mit klingenden Tönen.
Grüß Gott! Grüß Gott! erschall aufs neu
Des Vaterlandes Ehr' und Treu!
Es grüßt euch, Sänger, die blühende Stadt
Mit frohem Festesrauschen,
Bereit, der Menschheit hohem Lied
Von eurem Mund zu lauschen.
In ernster Zeit aus Mannesbrust
Ein froher Sang ist Trost und Lust.
Das Jauchzen des Glücks, das Drohen des Zorns,
Das Gelöbnis zum Bruderbunde,
Es klinge hinaus im dreifachen Lied
Der hehren Weihestunde;
Es wecke Freude, Mut und Kraft
Und dämpfe rohe Leidenschaft.
Den ersten Sang, o singet ihn froh
Im seligen Ahnen und Sehnen,
Er gilt dem Geiste der Ewigkeit,
Er gilt dem Guten und Schönen.
Die Guten und Schönen auch unserer Wahl,
Begrüßet sie minnig im Liedesschall!
Den zweiten Sang, o singet ihn laut,
Er braus' von Geschlecht zu Geschlechte,
Das Schwert in der Hand, so weihet ihn, traun,
Für heilige Menschheitsrechte.
Der Unschuld Schutz, der Freiheit Wehr,
Der Falschheit Trutz, der Wahrheit Ehr'!
Den dritten Sang, Walkürenruf,
Die Schilder kühn geschwungen!
Des Vaterlandes Hochgesang
Erschall von allen Zungen.
Dem deutschen Volk in Fried' und Streit
Mit Herz und Hand in Ewigkeit.
Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
Erschuf auch klingende Kehlen,
Und manches, was das Schwert zerriß,
Das Lied kann's wieder vermählen.
Der Schönheit Band, der Freude Gruß
Die Menschen brüderlich einen muß.
1908.
Auf dem Wege zum Licht lasset keinen zurück.
Führet jeden mit euch, der vergessen vom Glück.
Dem die Ampel verlosch, dem die Glut nie gebrannt,
Das Kind, das den leitenden Stern nie gekannt,
Sie taumeln in Nacht und Verlassenheit. —
Ihr begnadeten Pilger der Ewigkeit,
Führt alle mit euch in Liebe und Pflicht.
Lasset keinen zurück auf dem Wege zum Licht!
Den schönsten Blick in das Weltenrund
Hat man — ich ward es inne —
Vom tiefen, kühlen Kellersgrund
Und von der Alpenzinne.
Das Leben kann vertieft, erhöht
Den Erdenpilger beseelen,
Gott schütz uns gnädig vor flacher Öd'
Und flachen Alltagsgesellen!
Des Menschen Geist gleich der Blume sprießt
Aus dunkler Tiefe nach oben,
Und unsere Jakobsleiter ist
Aus Fels und Gletschern gewoben.
Die Bergesspitze, sie sei jedoch
Als Endziel nicht unser Eigen,
Wohl ungeahnte Höhen noch
Die Menschheit hat zu ersteigen.
Ihr wandert gehobenen Herzens zu Fuß
Auf himmelansteigenden Wegen.
Ich reite auf hinkendem Pegasus
Dem leuchtenden Ziele entgegen.
Und dort auf der Höhe, wo herrschen zumal
Der Menschlichkeit Taten und Lieder
Im reinen göttlichen Sonnenstrahl,
Dort oben sehn wir uns wieder.
Gottfried Ritter von Leitner.
(Zum 90. Geburtstag.)
Der teueren Steiermark hast du dein reiches Leben
In Rat und Tat, in Sag' und Sang gegeben,
Darum der Landesfarbenschmuck in hohen Jahren,
Der grüne Lorbeer auf den weißen Haaren.
Robert Hamerling.
Das höchste Ideal, die glühend heiße Phantasie,
Die größte Lust, den tiefsten, unbegrenzten Schmerz,
Schon eins zu schwer für schwache Erdenpilger,
Gott' legt sie alle in dies Dichterherz.
Ludwig Anzengruber.
(Redakteur des »Figaro«.)
Der größte Tragiker unserer Zeit,
Der muß ein Witzblatt machen,
Ein tragischer Witz, bei meiner Seel',
Man möchte Tränen lachen!
Karl Morre.
Ungezählt und ungewogen
Gab dir Gott mit voller Hand,
Ungezählt und ungewogen
Streust du Schätze in den Sand,
Doch gezählt und wohlgewogen
Wird dein Name sein im Land.
Bauet ihr den Dichtern Gassen,
Baut sie nicht an Häusermassen,
Nicht in staubdurchqualmter Enge,
Wo nach Mammon hetzt die Menge.
Bauet sie durch grüne Auen,
Wo die kühlen Wälder tauen,
Bauet sie nach Bergesspitzen,
Wo beim Mahl die Götter sitzen.
Und wenn euch in Niederungen
Fast ersticken Herz und Lungen,
Laßt den Plunder liegen, stehen,
Folgt den Dichtern zu den Höhen! —
Wer dies Märchen nicht kann fassen,
Der soll alles Dichtergassen-,
Dichterstraßentaufen lassen.
(An meinen Sohn.)
Die Musik, sie ist dein Heiland,
Sie ist ein Heiland auch mir,
Wenn sie als treuer Engel
Dich führend bleibt bei dir.
Wenn sie, mein Kind, dich behütet
Vor Lastern, den gemeinen,
Wenn sie dich hebt und leitet
Zu Freuden, zu den reinen.
Zieh unterm Lorbeerzweige
Auf klingendem, seligem Eiland,
Voll Dornen zwar sind die Steige,
Und ein Kreuz trägt jeder Heiland.
*
Ich hör eine alte Satzung lehren:
O Mensch, du sollst deine Eltern ehren!
Und ein neues Gesetz die Weisung gab:
O Mensch, du stammst vom Tiere ab!
Die Moral davon, die liegt nicht weit,
Du sollst achten die Tiere zu aller Zeit.
Und erkennst du sie schon als Stammeltern nicht,
So ist es als Mensch deine heilige Pflicht,
Den Tieren, die dir ihr Dasein weihn,
Ein gütiger, milder Schutzherr zu sein.
Das Tier hat ein fühlendes Herz wie du,
Das Tier hat Freude und Schmerz wie du.
Das Tier hat einen Hang zum Streben wie du,
Das Tier hat ein Recht zum Leben wie du.
Nicht viel sind dir, Mensch, der Tage gegeben,
Doch kürzer noch ist des Tieres Leben.
Und muß es dein armer Sklave schon sein,
In dunkler Nacht wie im Sonnenschein,
Und opfert es dir seine Kraft und Ruh'
Und wendet dir all seine Neigung zu,
Oder flieht es dich angstvoll, weil es ihm scheint
Du seiest sein allergrößter Feind:
O sei sein Schutzherr! Es kann nicht klagen
Den Schmerz, kann dir seinen Dank nicht sagen.
O sieh sein flehendes Auge an,
Es blickt dich eine verwunschene Seele an.
Schon vor vieltausend Jahren die Alten
Haben deutsam an dem Glauben gehalten:
Die Menschenseele müsse wandern,
Von Tier zu Tier, von einem zum andern.
's ist Wahres dran; der Mensch ist geschaffen
Aus ähnlichem Stoff wie Vögel und Affen.
Die Tierexistenz und das Menschenleben
Ist einem und demselben Geschick untergeben;
Wir haben mit jedem Wurm gemein
Das Kämpfen und Ringen ums irdische Sein,
Und wenn wir auch manches Hohe erwerben,
Wir haben mit jedem Tiere gemein:
Das Leiden und Sterben! Das Leiden und Sterben!
O glaubt mir doch, es nimmt besseren Lauf,
Der Mensch hebt das Tier zu sich hinauf,
Als, er stiege durch Roheit und unreine Taten
Zum niedrigsten Tiere hinab in den Schatten.
(Gelegentlich der Nationalsammlung[C]).
2000 Kronen = zwei Millionen!
Die Rechnung ergrimmt sie?
Wenn in deutschen Landen auch Deutsche wohnen,
Dann stimmt sie.
2000 Kronen = zwei Millionen!
Darf man das sagen?
Die Deutschen haben das Spiel gewonnen,
Wenn sie es wagen.
2000 Kronen = zwei Millionen!
Die Rechnung ist richtig.
Ich kann auch die Reichen nicht ganz verschonen,
Die Sache ist wichtig.
Zwei Millionen! Öffnet die Börsen
Mutig und heiter!
Sonst dichte ich in diesen erhabenen Versen
Erschrecklich weiter.
Auf den Wunsch, Neujahrsgratulationen zu dichten.
Die Dichter sollen, traun, mit ihren Lichtern
Dem Volk zum neuen Jahre gratulieren?
O lausche, deutsches Volk, den deutschen Lyren,
Dann gratulier dir selbst zu deinen Dichtern.
Der Meisterschütz.
1889.
Einen Schuß in Ehren
Kann mir niemand verwehren,
Etwas treff' ich immer.
Treff' ich schon die Scheibe nimmer,
Schieß' ich halt der Luft ein Loch,
Etwas treff' ich doch. —
Böcke schieß' ich mir zum Preis,
Fällt der Bock nicht, fällt die Geiß,
Oder gar ein junges Kitz,
Treffen, treffen tu ich immer,
Denn ich bin der Meisterschütz'.
An Alexander Girardi.
1899.
Ich gratulier' zum kleinen Bubn,
Ist Glück nicht süßer noch als Ruhm?
Buchwidmung an die Schwiegermutter.
1899.
In diesem Buch man finden kann,
Wie der Schwiegersohn schön dichten kann.
Er dichtet früh, er dichtet spat,
Und wenn er just Courage hat,
So dichtet er, der tapfre Mann,
Sogar — die Schwiegermutter an.
Die Schwieger —? Wie? Gemach, gemach,
Sie ist danach.
Nachhall.
1899.
In deiner schönen Heimatstadt
Da blieb ich über Nacht,
Und als das Mühlrad rauschend ging,
Und als mich milder Traum umfing,
Da hab' ich deiner gedacht.
In deiner schönen Heimatstadt
Da gab es einst fröhliche Zeit,
Die Jugend hat uns angelacht,
Die erste Liebe war erwacht,
O selige Tage — wie weit!
In deiner schönen Heimatstadt
Es ewigen Frühling gibt,
Und was, o Freund, einst unser war,
Genießt heut eine junge Schar
Und lebt und lacht und liebt.
Zum 28. August 1900.
Du dünkst dich alt, so klagst du mir,
Und ist doch so viele Jugend in dir.
Das Klagen, das magst du sparen!
Eine vierzigjährige junge Frau,
Die gibt — ich rechne ganz genau —
Zwei Mädchen von zwanzig Jahren.
Auf die Einladung
zu einer Kirchenbaufeier auf dem »Ölberg« in M. (1900.)
Am Ölberg sein, um Blut zu schwitzen,
Da blieb' ich allwegs lieber fern,
Doch in Bethanien Festwein blitzen
Am Ostertag, das tät ich gern.
Indessen, wollen wir nicht warten,
Eh' aus dem Hals der Stoppel springt,
Bis auf des Ölbergs hehrem Garten
Vom Turm die erste Glocke klingt?
Zwar tät es not, daß wir uns laben
Zu dieser kampfesheißen Frist.
Doch Feste wollen wir erst haben,
Wenn unser Werk vollendet ist.
An T. Sch.
1900.
Zu dir bin ihs gonga,
Zu dir hots mih gfreit,
Zu dir geh ihs öfter,
Koa Weg is ma z weit.
Koa Weg is ma z weit
Und koa Steg is ma z krum,
Koa Glos is ma z tiaf
Und koa Gspoaß is ma z dum.
Koa Gspoaß is ma z dum
Und koa Red is ma z gscheit,
Mei Toni, ba dir
Hots mih ollemol noh gfreut.
Schlaraffia.
1901.
Schlaraffenbrüder, lu lu!
Ich bring' euch den Humpen, ehe!
Ihr merkt es schon, Sassen, aha!
Ich möchte ins Reich Uhu
Und kann nicht zu euch, oho!
Willst du, Freund, der Weisheit viel erfahren,
Geh' zu Seiner Majestät, dem Narren.
Was dich lehrt bombastisch der Lektor,
Das lebt der Narr dir lachend vor.
Dem Verein der Künstler in Wiesbaden auf eine
Sendung.
O heiliger Becher goldenen Weins!
Bist du nicht zwei, so bist du mir Eins.
Nun sei auch mein flinker Pegasus,
Der froh überbringt den Dankesgruß
Bis nah den Gestaden von Mainz.
Dort lasse dich nieder auf Wiesbadens Flur,
Und biet einen Bruderkuß dar von der Mur
Den Männern des Künstlervereins —
O Tropfen, der mich erquickt und beglückt,
O Flamme, die mich berückt und entzückt,
Im seligen Taumel des Seins.
Kein Trunk hat mich jemals so lodernd entfacht,
Als du, mich den Göttern so nahe gebracht,
Voll wonnig olympischen Scheins.
— Ich trinke euch zu, ich jauchze euch zu!
Ich preise dich, feurige Labe du,
Allheitere Seele des Rheins!
Der Tischgesellschaft.
1901.
Ach wie wär's im Kruge lustig,
Doch zu Hause bleiben mußt' ich,
Hab's ein bißchen auf der Brust ich.
Traun, die halben Nächte pfauch' ich
Und die andern halben hust' ich.
Abschied vom Krug.
Es war einmal 'ne schöne Zeit,
Da saßen wir zu zehnt, zu zweit
In Kleinoscheggers Weinlokal.
Es war einmal.
Nun bin ich traun ein Patient
Und fürcht', der Krug, der hat ein End',
Er ging zum Brunnen sonder Zahl.
Er war einmal.
»Es war einmal« wird immer neu,
Was wir erlebt, das bleibt uns treu
In dichtender Erinnerung
Damit genung.
Einem mit dem Verdienstkreuz Ausgezeichneten.
1901.
Wer oft und treu das schwere Kreuz
Mit andern hat getragen,
Den muß man an der Ehre Kreuz
Mit goldnen Nägeln schlagen.
An einer Wiege.
1902.
Die alten Zeiten
Kehren wieder,
Wo mir erklungen
Die süßen Lieder.
Ein kleines Kindlein
Tat ich liegen,
Nun schläft ein anderes
In dieser Wiegen.
Ich seh's im Traume
Lieblich lachen,
O möcht' es nimmer
Daraus erwachen!
Wegen einer Vorlesung.
1902.
Wenn ich schon lesen soll,
Les' ich am Sonntag.
Wann wär' ich gänzlich wohl?
Wann hätt ich Schontag?
Husten und schnaufen ist
Jetzt mein Beruf,
Hoff', daß es besser wird,
Freund Toni Schruf.
Sollt sich's verschlimmern, so
Schreibt dir der Peter,
Dann geh zum Tischl du
Als sein Vertreter[E].
Sehnsucht nach Bayreuth.
1902.
Die sitzen jetzt beim Göttermahle
Und atmen Liebe hehr und rein,
Wie möcht' ich dort im Speisesaale
Beim großen Tor — der größte sein.
Der größte Tor, der größte Weise,
Der heilige Weltbesieger Christ,
Deß' Herzenskraft und Seelenspeise
Die Einfalt und die Liebe ist.
Zur Urkunde im Schlußstein des Veitscher Schulhauses.
1903.
Wir bauen dies Haus in stürmischer Zeit,
Die Geister gären und liegen im Streit.
Die Seelen sinken und suchen nach Licht,
Durchwühlen den Erdball und finden es nicht.
Wir weihen dies Haus dem göttlichen Geist,
Der wieder die Menschheit gen Himmel weist.
Widmung in ein Buch.
1903.
Ein neues Buch. Doch brauchst du's nicht zu lesen.
Man kann auch so zur Weltweisheit genesen.
Man sagt dem edeln Spender besten Dank!
Und stellt's, statt in den Kopf, bloß in den Schrank.
An Ferdinand v. Saar.
1903.
Im irdischen Tal
Sind wir uns begegnet
Ein einziges Mal,
Doch das war gesegnet.
Seither entschwunden
Bist du mir nimmer,
Und jene Stunden
Währen noch immer.
Einzig nur trennen uns
(Läßt sich's ereilen?)
Zehen der Jahre,
Zwanzig der Meilen.
Der Königin Elisabeth.
1906.
Gütige Frau und Fürstin,
Wie müßte die Krone dich drücken,
Läg' drunter der Lorbeerkranz nicht
Auf der glühenden Stirn.
Der Urania in Wien.
Das Nützliche weihet mit Schönheit,
Die Schönheit mit Würde,
So gründet auf Erden ihr kühn
Der Urania Reich.
Auf Einladung zu einer Scheffelfeier.
1903.
Ich ehre den Dichter nach meiner Art,
Und das ist die schönste Scheffelfeier.
Weißt du, worin sie besteht, mein Treuer?
Ich lese zu Hause den »Ekkehardt«.
Einem Sprachvereinsfeste.
Nun schärfet den Spaten
Und furchet sein wacker
Den siechenden Acker
Der kahlköpfig glatten
Vertrockneten Sprache.
Und streut in die Brache
Papierner Mache
Die kräftigen Saaten
Lebendiger Mundart.
So wie sie uns kund ward
Von ackernden Alten,
So sollen sie erndende
Enkel erhalten!
Widmung ins »Sünderglöckel«.
1903.
Wenn das Sünderglöcklein läutet,
Brauchst du, Freund, nicht zu erschrecken,
Zwar, die Schelme soll es necken;
Arme Sünder soll es wecken;
Aber keinen soll's verletzen,
Und die Guten soll's ergötzen.
Einem Künstler.
Die Natur ist des Stoffes gefesselte Sklavin,
Sie muß wahr sein, auf Kosten der Schönheit.
Die Kunst ist des Himmels freiwaltende Tochter,
Sie darf schön sein auf Kosten der Wahrheit.
An Martinelli zum 70. Geburtstag.
1904.
Du grüßtest mich zu Sechzig,
Denn was sich liebt, das neckt sich.
Ich grüße dich zu Siebzig,
Denn was sich neckt, das liebt sich.
An Fräulein E. B.
1905.
Dein Hans ist ernannt nun zum Doktor der Rechte.
Und ist er für dich auch der Doktor, der rechte,
So reicht euch, wie's recht ist, fürs Leben die Rechte.
An die »Kritik der Kritik«.
1905.
Die Kritik kritisieren?
Den Löwen beißen?
Dummes Schaf, er wird dich zerreißen.
Nichts ist so wütig, so impertinent,
Als ein kritisierter Rezensent.
Richard und Luise.
Zum »hölzernen« 10. Hochzeitstag 1905.
Die diamantne Hochzeit ist die beschwerlichste,
Weil sie so hoch in den Jahren hängt,
Die goldne Hochzeit ist die herrlichste,
Weil in dem Gold noch die Myrte prängt.
Die silberne Hochzeit ist die entbehrlichste,
Weil noch die Liebe zusammenzwängt,
Die eiserne Hochzeit ist die begehrlichste,
Weil noch das Blut in den Adern drängt.
Die hölzerne Hochzeit ist die gefährlichste,
Weil sie am leichtesten Feuer fängt.
Hochzeitsgruß.
Ich seh' die lieben jungen Leut'
Mit seligsüßem Blick lachen,
Man kann aus kurzer Seligkeit
Ein lebenlanges Glück machen.
Die Lieb' allein ist nicht genug,
Man muß es mit Geschick machen.
Und seid ihr liebevoll und klug,
So wird euch Gott die Brück' machen.
Habt Nachsicht mit Roseggers Gruß,
Er kann kein schöneres Stück machen.
Tafelgruß zu einer Vermählung.
So steht's geschrieben denn:
Heil sei den Liebenden,
Die heut im siebenten
Himmel frohlocken.
Lasset nun diese Zwei
Im Paradiese frei
Wundersam süße Mai-
Blümlein brocken.
Doch ist's leicht selig sein,
Wenn uns den Himmel ein
Andrer gebaut.
Denk' ich dein, lobesams
Stammhaus des Bräutigams,
Denk' ich dein, Stammhaus
Der lieblichen Braut.
Segle nun frohgemut,
Schifflein, auf hoher Flut,
Unter den Sternen der Liebe und Treu.
Ich will zu dieser Stund'
Preisen der Eltern Bund,
Leuchtendes Vorbild der glücklichen Zwei
Preise, mein Weihgesang,
Waldsängers Treugesang,
Preise den Schöpfer
Der künftigen Welt.
Was einst in Fleiß und Recht
Erntet ein neu Geschlecht,
Haben weitschauende
Ahnen bestellt. —
Grenzstein der neuen Zeit
Und der Vergangenheit
Ist der zur Trauung
Geschmückte Altar.
Wenn ich des Rheines Reb'
Urdeutschen Wein erheb',
Grüß ich dich, junges,
Dich, älterlich Paar.
Heil sei den Preislichen,
Die hier am häuslichen
Herde warm hocken!
Heil sei den Liebenden,
Die heut im siebenten
Himmel frohlocken!
Euch eint, ihr Ziehenden,
Der mit dem glühenden
Hammer des Herzschlags
Geschmiedete Ring.
Haltet den Talisman,
Der euch das Glück gewann,
Nimmer den goldnen
Hüter gering.
Segle nun, frohgemut,
Schifflein, auf hoher Flut,
Segle ins wogende
Leben hinaus.
Unsere Liebe zieht,
Paar, als dein Engel mit
Ein in dein alpen-
Umfriedetes Haus.
1905.
Das Volk bringst leicht du
Zum Lachen und Weinen,
Zum Jubeln und Greinen;
Zum launigen Spiele,
Es hüpft und es kriecht.
Froh dorthin, o Dichter,
Wo du es haben willst,
Wo du es retten kannst,
Bringst du es nicht.
Eine kurze Zeit wohl möcht' ich leben
Auf der Erde und dann selig sein.
Ohne Leid zu kennen, dürfte eben
Wahre Lust mir nicht recht stellig sein.
Auch der Himmel braucht vom Gegensatze,
Will er uns so ganz gefällig sein.
Das Heute war gestern: morgen,
Und morgen ist es schon: gestern.
Es lohnt sich nicht, um zu sorgen,
Nicht, um zu loben, zu lästern.
Die Freude an gestern, die Sorge um morgen,
Sind zwei müßige Schwestern.
Wie? Zur mitternächtigen Stunde
Hör' ich laute Kreise tagen?
Sylvestergläser klingen,
Sylvesteruhren schlagen.
Essen, trinken, spielen, scherzen!
Ohne Sorge, ohne Reue
Taumeln sie von Jahr zu Jahre,
Und vom alten in das neue.
Ob auch ich dabei bin? — Nein.
Lasset mich mit mir allein.
Einsam in der Scheidestunde
Will ich Glücks und Leids gedenken,
Muß ich doch ein Stück von meinem
Leben in die Grube senken,
Muß ich doch mein wundes Herze
In die fremde Zukunft tragen.
Ist's denn möglich, daß man scherze,
Wenn verhüllte Zeiten tagen? —
Diese Weihestund' ist mein.
Lasset mich mit mir allein.
Die irdene Schale ist nun leer.
Ich hab' mich restlos euch gegeben.
Ich legte mich in euer Leben,
Dem Tode bleibt nichts übrig mehr.
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