The Project Gutenberg eBook of Gestalten der Wildnis This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Gestalten der Wildnis Author: Sir Charles G. D. Roberts Illustrator: A. Behrmann K. Hansen-Reistrup G. Kirchbach Translator: Balder Olden Release date: April 5, 2015 [eBook #48639] Language: German Credits: Produced by Jana Srna and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GESTALTEN DER WILDNIS *** Produced by Jana Srna and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Anmerkungen zur Transkription Im Original gesperrter Text ist +so dargestellt+. Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am Ende des Buches. [Illustration] GESTALTEN DER WILDNIS CHARLES G. D. ROBERTS GYLDENDAL'SCHER VERLAG A. G. BERLIN Autorisierte Übersetzung aus dem Englischen von +Balder Olden+. Umschlag- und Titelzeichnung: +A. Behrmann+ und +G. Kirchbach+. Zeichnungen im Text von +K. Hansen-Reistrup+. Alle Rechte vorbehalten. 1921 Druck: Gyldendal'scher Verlag A. G., Abt. Buchdruckerei Berlin SW 68 INHALT Seite Wie der »Oberst« zu Gallaghers kam 7 Der See-Tiger 25 Eindringlinge 42 Ismael in den Schierlingstannen 57 Ein Jahr ohne Kaninchen 71 Unter gespenstischen Lichtern 86 Stromfahrt durchs Feuer 101 Mütter des Nordens 122 Ein bedrängter Hausvater 132 Puck im Zwielicht 150 Schläfer im Schnee 164 Wie der »Oberst« zu Gallaghers kam Die Mannschaft in Gallaghers Lager war nur klein. Acht Paar Fäuste außer Boß und Koch. Die weitabgelegene und eng begrenzte Waldfläche, die sie abzuholzen hatten, lag in dem Tal, in dem der wilde Ottanoonstrom aus einem Teich entspringt. Aus unerforschlichen Gründen haben die Holzfäller es das »Zwei-Seen-Tal« genannt. Heute, es war heiliger Abend, war viel Unzufriedenheit im Lager, die der große Tim Gallagher, der wohlwollende Boß, nicht beruhigen konnte. Selbst Jimmy Dillyhunt, der findige Koch, wurde ihrer nicht Herr, so beredt er auch den Plumpudding schilderte, den er für morgen vorbereitete. Einen Plumpudding mit viel Rosinen, der in heißer, würziger Sauce dampfte! Was die Jungens brauchten, war frisches Fleisch. Das ewige: Salzfleisch, Pökelfleisch, Salzfleisch, Pökelfleisch hatten sie satt bis zum Hals. Sie hatten für Weihnachten auf Gänsebraten gerechnet und zwar auf viel. Und wenn es nicht Gans war, dann frischen Rostbraten, recht blutig und saftig und braune Sauce dazu, soviel, daß die Kartoffeln drin schwammen. Und jetzt wieder Pökelfleisch! Anscheinend gab es davor kein Entrinnen. Der kleine Pat Nolan brachte das Empfinden Aller zum Ausdruck, als er brummte: »Wenns nicht eine Sünde wär', möchte ich sagen, daß ich Schweine hasse! Ich habe soviel davon im Bauch, daß ich im Schlafen schon grunze!« Der Boß hatte keine Schuld, noch viel weniger Jimmy Dillyhunt. Ein ganz unerwarteter Schneefall, Sturm auf Sturm, Orkan auf Orkan hatten die Waldwege plötzlich so tief vergraben, daß man aus den weitabgelegenen Bauernhöfen keine frischen Vorräte beziehen konnte. Wann diese Vorräte, frisches Fleisch und Gemüse, die Zufriedenheit und gute Laune in den Holzfällerlagern erhalten, zu beschaffen waren, wußte niemand. Um die Geschichte noch schlimmer zu machen, waren die großen Seeforellen, die das Jahr zuvor noch den Zwei-Seen-Teich bevölkerten, durch eine Bande von Dynamitwilderern glatt ausgerottet worden. Um allem die Spitze aufzusetzen, waren Elen und Renntier anscheinend in Geschäfte verwickelt, die sie irgendwo anders festhielten. Während der letzten vier oder fünf Tage waren zwei der Männer immer unterwegs, um ein Elen oder Renntier zu schießen oder vielleicht einen Bären im Winterschlaf zu erlegen. Aber nicht ein armseliges Kaninchen hatten sie nach Hause gebracht. An diesem Nachmittage also hatten die Burschen zeitig aufgehört zu arbeiten, um den heiligen Abend zu feiern und sich recht bequem und behaglich ihrem Mißvergnügen zu überlassen. Um den warmen Ofen gelagert, oder schlemmerhaft in die Koje verkrochen, verwandten sie alles was sie an Geist besaßen, darauf, Tim Gallagher, den Boß, zu necken, oder auf dem fleißigen und vielgeplagten Jimmy Dillyhunt herum zu hacken. Mit dieser Art Zeitvertreib schafften sie sich ein bißchen Aerger vom Herzen. Es war wirklich unterhaltend, zu sehen, wie Jimmy sich beim Brotkneten in Hitze bringen ließ, wie er endlich sein mehlverkleistertes Gesicht zeigte und schreckliche Beleidigungen gegen die Vorfahren seiner Gegner ausstieß, oder wie er die beiden teigigen Fäuste hob, auf und ab sprang und jeden seiner Quäler zum blutigen Boxkampf herausforderte. Da Jimmy nicht nur ein erstklassiger Boxer, sondern vor allem ein mehr als vorzüglicher Koch war, wurden diese Kämpfe aber immer in elfter Stunde durch eine Entschuldigung verhindert. Man durfte es nicht zulassen, daß ein Koch wie er sich ernsthafter Gefahr aussetzte. Der Boß seinerseits wurde aus zwei gewichtigen Gründen niemals wütend. Erstens war er verträglich und liebte es, wenn die Jungens ihren Spaß hatten, selbst auf seine Kosten. Außerdem hatte kein Mensch die Absicht, ihn wirklich zu ärgern. Es war eine weit verbreitete und tief begründete Ueberzeugung: wenn Tim Gallagher wirklich einmal wütend würde, wäre es für jemand sehr unangenehm -- und dieser jemand würde nicht Tim sein. Wenn also wirklich einmal (es geschah nicht oft) die Neckerei der Jungens ihm unangenehm wurde, legte der Boß sein verwittertes Gesicht in gewisse Falten, und sofort verlor selbst Eph Babcock jeden Stachel. So sehr auch Tim Gallaghers Autorität angetastet werden konnte: es genügte, daß er ein ernsthaftes Gesicht machte, sie wieder aufzurichten. An diesem heiligen Abend aber fanden die Burschen, obwohl sie nur ins Lager gekommen waren, um zu schimpfen, daß selbst Schimpfen und Jimmy ärgern seinen Reiz verlor. Der lange Eph und Evan Morgan, die an diesem Morgen gejagt hatten, waren mit leeren Händen zurückgekommen. Alles versank in Melancholie. Sie fingen an, zu besprechen, was sie gern zu essen hätten, wenn Tim Gallagher sie nicht so kurz hielte, und wenn sie einen Koch hätten, dessen Kopf keine Teigkugel wäre. »Der Teufel hole deinen Plumpudding, Jimmy,« sagte der lange Eph, und dann fiel ihm ein, daß Jimmy Dillyhunt französischer Abstammung war. »Gib uns was von deiner patty dee foy grass, oder Froschragout.« »In dem Topf, den ihr kriegt, ist sowas drin,« antwortete Jimmy in einem Englisch, das kein bißchen ausländisch klang. »Was ich möchte,« murmelte Pat Nolan in einem Ton von Verklärung, »das wäre gebratener Truthahn mit Trüffeln und Austern, wie wirs damals in Frederikstown hatten. Ob ich sowas je wieder in die Futterlade bekomme?« Bei dieser Vorstellung litt jeder Tantalusqualen, und sogar der Boß schimpfte: »Hör auf, Pat!« »Jungens,« schrie Evan Morgan mit einem seligen Blick in den Augen, so wie seine Waliser Vorfahren dreingeschaut haben müssen, wenn sie unter den Türmen von Harlech dem Klang der Harfen lauschten -- »Jungens, hat je einer von euch so einen saftigen Bärenschinken gegessen, einen Bärenschinken mit Blaubeeren?« »Meinst du, du allein,« schimpfte Sam Oulton aus seiner Koje mit einer Stimme, die unter den Qualen der Erinnerung giftig klang. »Sei gut, Sammy,« ulkte Eph Babcock, der lange Mann aus Androscoggin, »häng heut Nacht deine Strümpfe 'raus. Wenn sie nicht schmutzig sind, kommt vielleicht der heilige Nikolaus und wirft dir ein Stück Bärenschinken 'rein.« Der schwere Körper des Boß, der gleichgültig auf der Ofenbank lungerte, saß plötzlich kerzengerade da. Gallagher hatte ein scharfes Ohr, und er hörte nicht auf das Geschwätz seiner Leute. »Aufgepaßt, Jungens,« sagte er, »irgend jemand kommt!« Durch den Schnee vor dem Tor kamen Schritte, schwer, aber schlürfend und unsicher. Daß ein Besucher, ein einsamer Fußgänger in dieser Jahreszeit den Weg zu einem so abgelegenen und einsamen Lager wie dem Gallaghers fand, war etwas Unerhörtes. Die Holzfäller sind meistens abergläubisch. Sie dachten sofort an den Klabautermann oder an ein schreckliches Schneegespenst. Das Haar stand ihnen zu Berge, totstill wurde das Lager. Aber Eph Babcock war in erster Linie neugierig. Obwohl auch er abergläubisch war, hätte er der Abwechslung halber selbst Beelzebub willkommen geheißen. Er tat einen Schritt auf die Tür zu. Pat Nolan lag es auf den Lippen, zu schreien: »Geh' nicht!« Aber er beherrschte sich. Eph stieß die Tür weit auf. Im nächsten Augenblick lief er mit einem halbunterdrückten Schrei zurück und langte nach seinem Gewehr, das an seiner Bettstelle lehnte, gerade hinter dem Sitz des Boß. Schnurstracks in den Raum, geblendet vom Lampenlicht, aber nicht erschreckt durch den Anblick menschlicher Gesichter, kam mit wiegendem Schritt ein riesiger schwarzer Bär. Als er das Ende des langen Tisches erreicht hatte, hob sich der seltsame Gast auf die Hinterfüße und so stand er da, eine mächtige Gestalt wie Tim Gallagher, die großen Pelzpfoten demütig über der breiten Brust gekreuzt. Flehend blickte er um sich, dann begann er zu keuchen wie ein Motor, denn in der rauchigen Luft fing seine Nase einen rätselhaften, aber im ganzen höchst erfreulichen Duft auf. Jimmy Dillyhunt ließ sein Taschenmesser einschnappen und kroch bescheiden hinter seinen Kochherd. Er empfand, wie wertvoll das Leben eines Kochs war. Die übrigen Burschen, die natürlich nicht erschrocken, aber beim Erscheinen eines gänzlich Fremden in ihrer Mitte etwas verlegen waren, hatten sich im Augenblick höchst bescheiden in ihre Kojen zurückgezogen. Alle, außer Evan Morgan. Der konnte sie nicht erreichen und stand deshalb sehr aufrecht und respektvoll, kein bißchen herausfordernd, in der nächsten Ecke -- das heißt, in der Ecke, die für ihn die nächste war, nicht für den Bären. Alle Aexte waren draußen, und die einzigen Flinten, außer der Eph Babcocks, standen in der Tür unmittelbar hinter dem Bären. Evan Morgan sah sie nachdenklich an, aber sie schienen ihm zu weit weg. Nur der Boß war nicht überrascht. Er behielt seinen Platz und betrachtete kaltblütig den Gast. Vielleicht zehn Sekunden lang stand der Bär bewegungslos und schien den überraschten Augen in diesem Kreis größer als ein Elefant. So still war es, daß das Rascheln einer Maus im Dach wie Gepolter klang. Einen Augenblick sah der Bär bestürzt aus. Dann fielen seine Augen auf einen großen Blechtopf, der nahe vor ihm auf dem Tisch stand. Vor zwei Minuten noch war der Topf voll dampfender Bohnen gewesen, die Jimmy gerade in ein anderes Gefäß geleert hatte. Jetzt war außer ein paar Bohnen nur der verführerische Duft zurückgeblieben. Gierig, aber doch mit einer gewissen Schüchternheit, streckte der Bär seine mächtige Pfote aus, zog den Topf zu sich und begann ihn auszulecken, wobei er ein höchst unmanierliches Geräusch machte. In diesem Augenblick hatte Eph Babcock sein Gewehr erreicht, riß es vom Haken und hob es an die Schulter. Aber bevor er den Drücker berühren konnte, fiel ihm eine gewichtige Hand auf den Arm. »Halt, wart!« befahl der Boß in einem leisen, aber sehr bestimmten Ton. Er glaubte, daß der enge Raum kein gutes Feld für einen Kampf auf Tod und Leben sei. Babcock hielt an und wartete, obwohl er der Meinung war, der Boß sei närrisch geworden. Er nahm das Gewehr von der Schulter, sah in das Magazin und machte ein Gesicht wie ein Schaf. »Nicht geladen!« murmelte er in einem Ton von Entschuldigung, aber ohne zu sagen, ob sie dem Boß oder dem Bären galt. »Wir sollen wohl den schönen fetten Schinken verlieren, den Evan gemeint hat!« protestierte Sam Oultons Reibeisenstimme aus einer Koje heraus. Aber ein verhaltenes Brummen kam aus der ganzen Reihe von Betten, denn alle stellten fest, in welch peinlicher Lage Eph Babcock war. Er hatte keine Patronen, und jeder konnte sehen, wo die Patronen waren. Wohl gefüllt hingen zwei Gürtel an einem Haken. Auf Oultons Widerspruch gab der Boß keine Antwort. Anscheinend war er durch den Bären zu abgelenkt, um auf irgend etwas anderes zu achten. Die meisten der Burschen in ihren Betten konnten sich jetzt nicht mehr verhalten, ihre Ratschläge zu geben, wie irgend ein anderer die Patronen greifen und sie Eph Babcock hinüberreichen könnte. Aber keiner der zweifellos guten Ratschläge wurde ausgeführt. Denn gerade in diesem Augenblick wurde das Verhalten des Gastes so bemerkenswert, daß jeder vergaß, was er selbst hatte sagen wollen. Als er den Topf leergeschleckt hatte, sah der Bär auf und winselte. Es war klar, daß er Bohnen gern fraß und mehr davon wünschte. Er schien schlichte Hausmannskost zu schätzen, und das entlockte den Helden in den Kojen lange Seufzer der Erleichterung. Der Bär schwankte unruhig von einem Fuß auf den andern, dann nahm er den Topf in seine Vorderpfoten, machte Kehrt und marschierte geradeswegs auf Jimmy Dillyhunt zu. Es war eine rührende Bitte, aber Jimmy schien sie absolut nicht zu verstehen. Mit dem Messer um sich fuchtelnd, protestierte er laut gegen die besondere Beachtung, die er unter seinen Kameraden nicht verdiene. In fliegender Eile gab er seinen Platz hinter dem Kochherd auf und erreichte die Gesellschaft Evan Morgans in dessen Ecke. Evan, der gerade im Begriff war, seine Selbstbeherrschung wieder zu erlangen, grunzte unliebenswürdig: »Warum so eilig, Jimmy?« Aber Jimmy brachte keine Antwort heraus. Enttäuscht über das plötzliche Verschwinden eines Menschen, von dem er so viel erwartet hatte, ließ der Bär seine allzu leere Schüssel auf den Boden fallen. Das laute Klirren erschreckte ihn, und er sprang mit einem Hops zur Seite, wie ein Mädchen, das beinahe in eine Pfütze getreten wäre. Dabei aber bekam er den großen Topf mit Bohnen zu sehen, den Jimmy zum Aufwärmen vorn auf den Herd gestellt hatte. Wie gut sie rochen! Mit einem Brummen tiefer Befriedigung nahm er ein Maul voll. Nun waren die Bohnen, ganz gewiß ein vorzügliches Gericht, nicht für ihn angerichtet. Sie waren heiß. Der Bär war erschreckt und schmerzlich berührt, als er merkte, wie heiß sie waren. Die Augen geschlossen und die Kinnbacken verkrampft, versuchte er, sie im Maul zu behalten. Aber es war zuviel für ihn. Mit einem lauten »uuh« spuckte er sie auf den Boden. Und dann warf er einen erbärmlichen Blick rund um sich, während er bald mit der einen, bald mit der anderen Tatze wehleidig seine Nase rieb. Sein Blick rührte Pat Nolan, dem gutherzigen kleinen Iren schien er ein berechtigter Vorwurf. »Ich hab das nicht gemacht, ich nicht!« murmelte er im Ton herzlichen Bedauerns. »Es war ein gemeiner Witz, natürlich von Jimmy. Mindestens hätt' er dich warnen sollen.« Irgend etwas in Pats Stimme schien dem Bären zu sagen, daß er bei ihm die Teilnahme finden würde, die bei dem ganzen Empfang bisher gefehlt hatte. Halb im Zweifel, aber nicht ohne Hoffnung, watschelte er quer durch den Raum auf Nolans Koje zu. »Hab ich dir nicht gesagt, daß ich's nicht war!« protestierte Nolan leidenschaftlich. »Heiliges Ofenrohr, kann keiner von euch Kerls was tun, daß er mich in Ruhe läßt?« »Das Gewehr rüber, Eph!« zischte Sam Oulton, der in seiner Koje krampfhaft herumgestöbert hatte. »Ich hab ein paar Patronen gefunden!« Der Boß wollte dazwischen treten und ebenso Evan Morgan, der von Bären mehr verstand als die übrigen Holzfäller zusammen. Aber Eph Babcock hatte das Gewehr schon ergriffen, und eifrige Hände reichten es hinüber in Oultons Koje. Doch auch der Bär hatte es gesehen, und unter einem Chorus von Rufen des Staunens sprang er sofort danach. Gerade als die Flinte in Oultons Koje ankam und Oulton die Hände ausstreckte, um sie zu greifen, kam auch der Bär. Er war schneller, streckte seine schwere, schwarze Pfote aus und packte die Flinte. Oulton verschwand wieder in seinem Bette wie der Kopf einer Schildkröte in ihrer Schale. Der Bär aber nahm das Gewehr mit einem Ausdruck von Triumph über die Schulter und salutierte, stramm wie ein Soldat. »Gott sei Dank, daß sie nicht geladen ist, Sammy,« piepste Shorty Johnson mit Fistelstimme aus dem Bett nächst der Tür. »Der Herr Oberst hätt' uns alle damit aus dem Lager 'rausgejagt.« Der Boß und Evan Morgan -- und auch der kleine Pat Nolan, der allmählich gemerkt hatte, daß mit diesem Bären was Besonderes los war, erlaubten sich, zu lachen. Die anderen aber blickten völlig verblüfft auf die unbegreifliche Vorstellung, die der schreckliche Gast ihnen gab. Für sie war es nur Zeichen einer übernatürlichen, also natürlich teuflischen Intelligenz. Sie hätten sich nicht mehr gewundert, wenn der Bär jetzt zur Tür gegangen wäre, den Patronengürtel heruntergenommen und die Waffe geladen hätte, die er so geschickt über der Schulter trug. Aber als er nicht aufhörte zu salutieren, den Rücken zur Tür, fingen sie an, zu Verstand zu kommen. Auch Sam Oulton erschien wieder auf der Bildfläche. Ohne zu bemerken, daß der Boß und Evan Morgan grinsten, steckte er den Kopf vor und schrie: »Jetzt, Jimmy! Jetzt ist der Moment! Rasch, Mensch, setz' den Topp Bohnen draußen in den Schnee! Er geht hinterher. Dann können wir ihn draußen umbringen.« Aber Jimmy hatte keine Eile, in die Bresche zu springen, obwohl die Bohnen eigentlich sein Ressort waren. »Geh du und setz den Topf 'raus, Kleiner,« schlug er hinter dem Rücken des Boß vor, »du bist der nächste!« »Halt den Mund, Jimmy,« unterbrach Pat Nolan, »wozu ein so freundliches Biest umbringen? Schau, was er sich für Mühe gibt. Er macht Kunststücke!« »Der Teufel soll die Kunststücke holen!« schnarrte Sam, »der gibt frisches Fleisch für einen ganzen Monat!« Aus mehr als einer Koje kam Widerspruch gegen Oultons blutdürstige Aeußerung, so plötzlich schlug die Stimmung im Lager um. Evan Morgan widersprach sogar sehr deutlich. »Kannst du immer nur an deinen verdammten Bauch denken?« fragte er. Sam Oulton wurde wütend. »Was ihr Kerls braucht, ist 'ne Saugflasche,« schimpfte er. »Wenn das Lager ein verdammter Kindergarten geworden ist, dann werd ich das Biest allein umbringen!« Und er tauchte, aber noch mit einer gewissen Vorsicht, aus dem Versteck seiner Koje auf. Jetzt schien dem Boß, der die Situation allmählich verstanden hatte, sein Augenblick gekommen. Das Gewehr über der Schulter, stand der Bär noch immer da und salutierte. Aber es sah aus, als wartete er auf etwas. »Marsch!« sagte der Boß mit scharfer Stimme. Sofort marschierte der Bär vorwärts, mit strammen, aber vorsichtigen Schritten, quer durch den Raum und direkt durch die Gruppe, die der Boß, Evan Morgan, Eph Babcock und Jimmy Dillyhunt bildeten. Der Boß und Evan erwarteten ihn ruhig. Aber Eph und Jimmy drückten sich ängstlich auf die andere Seite des Tisches. »Halt!« kommandierte der Boß, ehe der Bär zu nahe gekommen war. Der Bär machte Halt und jeder stieß einen Seufzer aus. »Jetzt, Sammy,« begann der Boß im Ton eines Orakels. »Jetzt laß das Geschwätz von Umbringen. Hast du keine Augen im Kopf? Es ist ein zahmer Bär, das ist er! Und glückselig, daß er zu Freunden kommt. Der ist lang genug im Wald 'rum geirrt. Gib acht, was für ein famoser Kerl das ist. Achtung!« Auf das plötzliche, scharfe Kommandowort hin stand der Bär stramm. Aber er versuchte es zu rasch. Die Flinte fiel aus seiner breiten Pelzpfote und ratterte auf den Boden. Er zuckte nervös und klemmte die Augen zusammen, als erwartete er einen Hieb. Zweifellos hatte Tim Gallagher recht. Es war ein dressierter Bär, der gekommen war, um Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen. Entzückt wie Kinder, sprangen die Männer aus ihren Betten. »Famos ist der Oberst! Tu ihm nichts, weil er die Flinte hingeworfen hat, Tim!« schrie Johnson. »Vielleicht studier' ich einen Ringkampf mit ihm ein,« sagte Eph, »das wär' was für den heiligen Abend!« Oulton kroch verdrießlich in die Tiefe seiner Koje zurück und biß ein extra großes Stück Kautabak ab, um seine Zunge zu bändigen. Er sah ein, daß er zu sehr in der Minorität war. Mittlerweile war Jimmy, dem sein Mißtrauen leid tat, in seinen Kochraum zurückgekehrt. Jetzt trat er vor und trug in der Hand ein langes Stück herrlicher Speckrinde. Der Bär roch es und öffnete die Augen. Er merkte, daß er für den Unfall mit dem Gewehr nicht bestraft werden sollte. Erst starrte er den Leckerbissen an, danach Jimmys dunkles Gesicht, und dann streckte er hoffnungsvoll, aber noch ungewiß die Pfote aus. Als Jimmy seiner Bitte nicht nachkam, glaubte der Bär, er müßte etwas ganz Besonderes tun, um den Preis zu bekommen, etwas sehr Schwieriges und Ungewöhnliches. Mit Gewinsel ließ er sich nieder, legte die Nase zwischen seine Beine, dann hob er langsam sein breites Hinterteil und stand endlich schön und elegant auf dem Kopf. Ein paar Sekunden lang balancierte er so; dann kam er langsam und grunzend auf allen Vieren zurück, nahm die aufrechte Haltung wieder ein und wandte sich schmeichelnd an Jimmy. Das ganze Lager jubelte vor Entzücken. »Gib's ihm, Jimmy! Du kannst es selbst nicht besser! Er hat's weiß Gott verdient! Mach' ein friedliches Gesicht, Jimmy, er hat Angst! Guter alter Oberst!« kamen Beifallsrufe von jedem einzelnen, ausgenommen Sam Oulton. Jimmy gab die Speckrinde, und der Bär nahm sie vorsichtig in seine Krallenpfote. »Leicht wie ein Damenhändchen!« schrie Pat Nolan in seiner Begeisterung. Von diesem Augenblick an gestaltete sich der Abend zu einem Ehrenbankett. Gallaghers Lager bereitete dem Oberst -- denn dieser Name, den Johnson gewählt hatte, blieb -- einen Gala-Empfangsabend. Der Oberst war ein Bär von seltsamen und vielfachen Talenten und dabei von einem kindlichen Glauben an die Menschheit. Dies rührende Vertrauen in jedermanns Wohlwollen rührte die großherzigen und rasch bewegten Holzfäller, daß sie den Bären bald vergötterten, wie Kinder ein Baby. Es wurde ein schwerer Vorwurf gegen Eph Babcock, daß er im ersten Augenblick ungerechtfertigten Entsetzens nach seinem Gewehr gerannt war. »Eph,« sagte Pat Nolan, »hättest du nur ein Haar auf seinem Kopf gekrümmt, es täte mir leid, aber dann hätt' ich dir mit dieser Hand hier die Därme aus dem Bauch gerissen!« »Und das hätt' ich auch verdient, Pat,« gab liebenswürdig der Mann aus Androscoggin zu. Außer Oulton waren alle vergnügt. Der aber, beleidigt und zornig, sprach den Abend über nicht ein Wort; er schenkte den schönsten Kunststücken des Bären kaum einen Blick. Daß er trotzdem voll Interesse war, wußte das ganze Lager. Das war eine große Sache für Gallaghers Lager! Der Oberst war der erste, der das Fest abbrach. Jeder mußte zugeben, daß er das Recht dazu hatte, denn er allein hatte ja die Kosten getragen. Er wollte schlafen und zeigte das an, indem er rings in den Ecken einen Platz suchte, um sich niederzulegen. Im dicken Fell an seinem Hals zeigte eine abgeschabte Stelle, daß er früher ein Halsband getragen hatte. Aus einem alten Geschirr-Riemen machte der Boß ihm ein neues und führte ihn, der sanft gehorchte, zu einem Schuppen, der dem Lager als Schmiede diente. Ein großer Arm voll Stroh wurde aus der Scheuer gebracht, und der Oberst ließ sich darin nieder, mit einer Miene wie der verlorene Sohn, der heimkehrt und sich dessen freut. Am nächsten Morgen verordnete der weise Boß, daß der Oberst vor dem Mittagessen das Haus nicht betreten dürfe. Seine Absicht dabei war, eine gewisse Frische des Interesses für das Fest zu bewahren, daß die Männer sich amüsierten und nicht wieder anfingen, über den Mangel an frischem Fleisch zu schimpfen. Den ganzen Morgen lang, wie gewöhnlich an Sonn- und Feiertagen, beschäftigten sie sich irgendwie im Lager. Wuschen, flickten, rauchten im Haus oder balgten sich draußen im Schnee herum. Als der Oberst gleich nach dem Frühstück herausgelassen wurde, war noch niemand im Freien, sonst wäre er zweifellos »zuhause« geblieben, um mit seinen Freunden zu spielen. Da er niemanden traf und keine Erlaubnis bekam, das Haus zu betreten, durchforschte er sorgfältig das ganze Gehöft, erschreckte die Pferde, indem er an der Stalltür herumschnüffelte, und dann watschelte er gemächlich in den Wald. »Er wird bald zurückkommen,« sagte Gallagher, »der Oberst ist ein braver Kerl, wenn man ihn richtig behandelt.« Und Gallagher hatte recht. Er verstand Menschen und Obersten. Etwa um halb zehn Uhr morgens, als Eph Babcock und Johnson vor der Tür des Lagers einen Ringkampf aufführten, sah man den Bären oben am Waldrand auftauchen. Darin war sonst nichts Auffallendes. Aber seine Bewegungen waren so merkwürdig, daß die beiden Kämpfer gleichzeitig voneinander ließen und hinauf starrten. Ihr Ruf brachte das ganze Lager vor die Tür. »Er scheint sich gut zu amüsieren, ganz allein!« bemerkte Evan Morgan von der Schwelle her. »Durchaus nicht allein,« verbesserte der Boß. »Also wahrhaftig, der Teufel soll mich frikassieren, wenn er nicht ein großes Stachelschwein bei sich hat!« rief Babcock. »Und das Stachelschwein jagt ihn,« schrie Pat Nolan voll Staunen. Er hatte recht, wenigstens in gewissem Sinne. Der Oberst torkelte und kullerte von einer Seite auf die andere, wie ein riesiger, neugeborener Hund, vor dem wütenden Stachelschwein, das ihm nachrückte, jeden Stachel aufgerichtet, daß es wie ein großer Binsenkorb aussah. Der Oberst kam rückwärts aufs Lager zu, als wünschte er, daß seine Freunde das neue Spielzeug sähen, dies drollige, böse, kleine Tier, das er im Wald aufgegabelt hatte. »Er wird sich die Pfoten voll Stacheln machen,« rief Johnson, »und wir haben dann eine Satansarbeit, bis wir sie 'rauskriegen, Tim; ich bin froh, daß es dein Bär ist und nicht meiner!« Sam Oulton machte ein Gesicht, als ob die eben eröffnete Aussicht ihm nicht unangenehm wäre. »Reg' dich nicht auf, Kleiner,« raunte der Boß, »er macht sich nicht zum Narren, er weiß, wie man mit einem Stachelschwein umgeht.« Tatsächlich gab der Oberst wohl acht, daß er den gefährlichen Stacheln nicht zu nahe kam. Wie zum Spaß streckte er bald die eine, bald die andere Pfote aus und stieß gegen das kleine Tier, aber niemals so, daß es zu einer Berührung kam. Das Stachelschwein war sichtbar in unglaublicher Wut über diesen Quälgeist. Ein Stachelschwein ist nicht nur furchtlos, sondern auch sehr dumm, und wenn es sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, läßt es sich nur durch den Tod oder ein gutes Fressen davon abbringen. In diesem Falle hatte das Stachelschwein sich entschlossen, den Oberst zu verfolgen. Zweifellos in der Hoffnung, ihm die Haut mit seinen Stacheln zu zeichnen. Da der Oberst sich auf das Lager zurückzog, kam auch das Stachelschwein ins Lager, gleichgültig, was daraus wurde. Ein altes Stachelschwein, das in seinem Leben schon einiges mitgemacht hat, würde in seinem Zorn ein verschanztes Heer angreifen. Jimmy Dillyhunt fand seinen Augenblick gekommen. Als des Obersten Flucht das Stachelschwein schon auf fünfzig Meter ans Lager herangebracht hatte, sprang er plötzlich, mit einem Schüreisen bewaffnet, vor. Er stieß den erstaunten Oberst zur Seite und traf das Stachelschwein auf die Spitze seiner stumpfen Nase. Der Wald aufgerichteter Stacheln sank zurück. Mit einem Zucken seiner stämmigen, kurzen Beine überrollte es sich und war mausetot. Der Oberst setzte sich auf seine Keulen und starrte Jimmy bewundernd an. Die übrigen Zuschauer brüllten Beifall, in ausgewählten Worten, die sich aber nicht wiedergeben lassen. Jimmy nahm das leblose Tier vorsichtig an seinen unbewaffneten Vorderpfoten und trug es fort. »Großartiges Essen, ein Stachelschwein, wenn's richtig gekocht wird!« sagte er, grinste triumphierend und verschwand in seinem Heiligtum. * * * * * Es war allerdings nur +ein+ Stachelschwein, aber ein extra großes und fettes, und Jimmy verstand die Kunst, zu »strecken«. Mit einer Menge von Klößen machte er ein Gulasch daraus, in dem er -- es muß zugegeben werden -- auch ein gewaltiges Stück Salzfleisch, kleingehackt, unterbrachte. Da schon sehr wenig Stachelschwein sehr viel Geschmack gibt, schmeckte auch das Schweinefleisch im Gulasch danach, und niemand hatte Grund, sich zu beschweren. Das Mittagessen wurde ein nie dagewesener Erfolg. Bei diesem Festmahl wanderte der Oberst hinter den Gästen auf und ab und dankte feierlich für die Leckerbissen, die jeder ihm eifrig zusteckte. Endlich kam er zu Sam Oulton, dem er bisher, wegen Mangel an Entgegenkommen, aus dem Wege gegangen war. Es entstand eine Pause, jeder wartete ab, was der unberechenbare Sammy tun würde. Oulton blickte auf des Obersten vertrauensvollen Kopf, der neben seinem Ellbogen erschien. Er zögerte, grinste liebenswürdig, aber etwas dämlich, dann wischte er sich mit dem Aermel seinen Mund, hob seine große, blecherne Kaffeetasse und sprang entschlossen auf. »Herr Bä ... ich wollte sagen, Herr Oberst!« rief er. »Das ist ein richtiges Weihnachten für Sie und Viele! Sie sind der einzige wirkliche Kavalier in diesem Lager, denn Sie sind der Einzige in der Gesellschaft, der Bildung genug hat, seinen Freunden ein Weihnachtsgeschenk zu machen!« Und dann leerte er seine Blechtasse aufs Wohl des Obersten! Der See-Tiger Durch die breiten, tief-grünen Wellen, deren Kämme eine milde Brise streichelte, kam die Orca-Kuh friedlich herangewälzt, und an ihrer Seite schwamm das Kalb. Von Zeit zu Zeit rieb es sich an der Mutter, als sei es ängstlich vor den weiten, gefährlichen Meereswogen, und suchte Schutz unter ihren mächtigen Flossen. Die Orca-Kuh aber, unter allen Müttern der Wildnis eine der besorgtesten und treuesten, drängte ihr Junges von Zeit zu Zeit mit der großen Flosse an seine Seite oder streichelte es zärtlich mit seiner ungeheuren runden Schnauze. Sie war gut 19 bis 20 Fuß lang, die große Orca. Ein Seemann oder Fischer, dessen Auge zufällig auf sie fiel, hätte sie »Mord-Wal« genannt. Er hätte sie sofort und unter allen Angehörigen ihrer Wal- und Tümmler-Familie herausgekannt, an der riesigen Rückenflosse, die nicht viel weniger als fünf Fuß hoch über dem breiten und massiven Schwanze über ihrem Rücken stand, an den beiden auffallenden weißen Streifen ihrer schwarzen Flanke und an der scharf gezeichneten Linie ihres milchweißen Bauches, der sorglos auf dem Rücken einer Welle ruhte. All dies waren Anzeichen von Gefahr, die kein Wissender übersehen hätte. Das Kalb der Orca hatte wenig Grund zur Sorge, solange es sich nahe seiner Mutter hielt. Denn dies schnellste und wildeste aller Waltiere fürchtete kein schwimmendes Geschöpf, höchstens ihren riesigen Vetter, den Pottfisch oder Pottwal. Nur zwanzig Fuß lang, attackierte und tötete sie durch die Wildheit ihres Angriffs sogar den großen Tranwal, den man den »richtigen« Wal nennt. Obwohl der viermal so lang ist und vielfach ihr Gewicht hat. Den Menschen hätte sie gefürchtet, doch hatte sie nie seine Macht kennen gelernt. Arm an Tran, hatte ihre Familie den Menschen nie zu einer so schwierigen und gefährlichen Jagd verlockt. Wohl gab es Haie, die ihr an Größe ebenbürtig waren oder sie übertrafen, aber kaum einen, der ihr an Wildheit, Schnelle und List gleichkam. So durfte sie in sorgenloser Behaglichkeit durch die glatte, unbewegte See faulenzen, gleichgültig gegen die Brandung an den gelben Klippen zu ihrer Rechten und die offene Weite des Ozeans zu ihrer Linken. Alle Aufmerksamkeit, die sie nicht auf die kindlichen Reize ihres Kälbchens verwandte, widmete sie der Aufgabe, die durchsichtigen Tiefen unter sich abzusuchen, denn dort verbarg sich der große Tintenfisch, ihre häufige Beute. Ganz plötzlich tauchte sie unter; es entstand kein anderer Laut, als das dumpfe Gurgeln des Wassers, das sich über ihr schloß. Tief unten in der Dunkelheit hatte sie einen blassen, trägen Körper erspäht. Es war ein See-Polyp, der töricht genug gewesen, sein Standquartier zwischen den Felsen auf dem Meeresgrund zu verlassen und fremde Jagdgebiete aufzusuchen. Bevor er Zeit gefunden hatte, auch nur an Flucht zu denken, war er in den mächtigen Kinnbacken des Mordwals. Einen Augenblick lang zitterten seine acht langen Fühlhörner verzweifelt und tasteten an die Lippen des Jägers. Dann verschwanden sie, das ganze Tier war mit einem Schluck vertilgt und verschwunden. Friedlich kehrte die Orca zum sonnenhellen Meeresspiegel zurück, zu ihrem ängstlichen Kalb, das nicht flink genug war, der Mutter auf ihrem Jagdzug zu folgen. Sie war nicht zwei Minuten lang abwesend gewesen und nicht einen Augenblick außer Gesicht, aber der Instinkt des Jungen traute dem milden blauen Element nicht, daß für ein Baby voll von Gefahren war. Der Polyp, obwohl ein stattlicher Geselle, hatte für den großen Mordwal nicht mehr bedeutet, als einen leichten Imbiß, nur den Erreger für seinen gewaltigen Appetit. Jetzt suchte das Auge der Orca lebhafter in den Tiefen. Auf einmal bekam die blau-grüne Tiefe des Wassers einen helleren, metallischen Schimmer, kaum dreißig Fuß unter dem Meeresspiegel erschien die weiße Linie eines Riffs und fing das Licht. Hier sonnte sich ein breites flaches Tier, das einem großen Pilz nicht unähnlich war, mit flügelartigen Flossen, die wohl zwölf Fuß im Durchmesser hatten, und einem langen Schwanz, der einer Peitsche glich. Seine kalten, unbewegten Augen starrten empor und bemerkten den Körper des Mordwals! Mit einem kaum wahrnehmbaren Schwung der schwarzen Flossen glitt es von seinem Riff und floh in die Tiefe. Aber der riesige Rochen war nicht schnell oder verstohlen genug, um dem Blick seines Feindes zu entgehen. Wieder tauchte die Orca, diesmal ohne Geräusch zu vermeiden, und so plötzlich, daß ihre breiten Schaufelflossen auf das Wasser aufknallten. Wie ein Senkblei stieß sie in die Tiefe. Der Rochen, der sie sah, geriet in Panik. Er wich zur Seite aus und schoß wieder empor, in rasender Eile und mit einem herrlichen Schwung. Mit der Gewalt dieses Auftriebs warf er seinen ganzen schwarzen, bebenden Leib schlank in die Luft, wo er sich drehte und eine Sekunde lang tropfend hing, als hätte ihn der Wahnsinn seiner Angst ein neues Element erobern lassen. Dem nervenschwachen Kalb war das ein schreckliches Wunder, darüber die Sonne fast erlosch. Aber der heftige Ausflug in die Luft dauerte nur diesen einen Augenblick lang und war so nutzlos, wie er kurz war. Als die flachen schwarzen Flossen laut klatschend wieder auf die Flut prallten, fing die streitbare Orca ihre Beute auf, ergriff sie und zog sie hinunter. Es war kein Kampf, der Rochen war machtlos gegen seinen gewaltigen Gegner -- nur ein kurzes blind-wütiges Toben in schäumenden Wellen, dann blutiger Schimmer im Grün der See. Das war jetzt ein ausreichendes Mahl gewesen, selbst für einen Appetit wie den der Orca. Unbenutztes Ueberbleibsel davon trieb umher und sank unter, um die zahllosen Gassenkehrer von Krabben zu nähren, die in den Ritzen und Höhlen des überspülten Riffs lungerten. Die Orca blieb, für eine halbe Stunde etwa, wo sie war, wälzte sich friedlich in dem hellen Wasser über dem Felsen, säugte und liebkoste ihr Kalb und verdaute ihr Mahl. Dann setzte sie friedvoll die Reise fort, aber landeinwärts gerichtet, bis sie nur noch eine halbe Meile weit von der Kette kleiner Inseln und bröckliger Vorberge war, die jene gefährliche Küste umschlossen. Es war noch nicht voller Mittag und das wolkenlose Sonnenlicht fiel fast senkrecht auf den Meeresspiegel, durchleuchtete die See bis zu erstaunlicher Tiefe. So etwa in halber Höhe des durchsichtigen Glanzes schwamm sorgenlos ein großer Tintenfisch. Sein schneller, spitzer Körper war etwa sechs Fuß lang und an seiner breitesten Stelle, nämlich dem Kopf, hatte er einen Durchmesser von 12--14 Zoll. Aus diesem formlosen Kopf wuchs ein Bündel von Fühlhörnern, wie Blätter aus einer Mohrrübe wachsen, etwa zehn an Zahl und jedes so lang wie der ganze Körper des Tieres. Körper und Fühlhörner waren von gleicher blasser, schmutzig-gelb-grüner Farbe mit bräunlichen Flecken -- eine Farbe, die ihren Träger in dieser sonnenbestrahlten See fast unsichtbar macht. Die Bewegung dieser Sepia war nach rückwärts. Sie geschah nicht durch Arbeit der Fühlhörner, sondern dadurch, daß ein großer muskulöser Sack unter den Fühlhörnern ein Maß Wasser aufsaugte und mit Macht wieder von sich stieß. So sah es aus, als atmete der Fisch das Wasser ein und blies sich damit selbst von der Stelle. Nach dem Festessen, das die Orca sich mit dem gewaltigen Rochen geleistet hatte, war sie durchaus noch nicht hungrig. Aber der saftige Bissen, den dieser Tintenfisch bot, war eine Versuchung, der sie nicht widerstand. Leicht niedertauchend, schoß ihr schwerer, aber fein geformter, schwarz-weißer Körper in die schimmernde Flut. Doch der Tintenfisch blickte auf und sah sie, bevor sie ihn erreicht hatte! Im selben Augenblick schlossen seine zehn losen Fühlhörner sich zu einem harten Bündel, das seine Bewegung nicht hinderte. Seine blassen Flanken zogen sich mächtig zusammen, er stieß Wasser aus und schoß davon, schneller als ein Torpedo aus dem Lauf fliegt. Und zugleich stieß er aus einer Drüse in jenem Sack, dessen Arbeit ihn bewegte, eine Masse schwarzer Flüssigkeit, die sofort eine gewaltig-dunkle Wolke erzeugte und seine Flucht ermöglichte. Außerhalb dieses Verstecks wechselte er die Richtung und floh einer tiefen Höhle auf dem felsigen Grund zu, in der er sich vor den Kinnbacken seiner Feindin sicher wußte. Die Orca wühlte sich furchtlos in die tintige Wolke hinein, aber im tiefen Dunkel verlor sie jede Spur der ersehnten Beute. Ja, für einen Augenblick verlor sie sich selbst. Hierhin und dorthin ließ sie ihre mächtigen Kinnbacken schnappen, aber immer vergeblich. Was sie erfaßte, war leeres, gefärbtes Wasser. Endlich schnellte sie wieder aus dem Schwarzen in's durchsichtige Grün. Aufwärts spähend erblickte sie so Entsetzliches, daß sie mit fast titanischer Anstrengung an die Oberfläche zurückkehrte. So leidenschaftlich war der Stoß ihrer mächtigen Flanke, daß die Wasser der Tiefe wie unter den Schrauben eines Dampfers aufkochten. Das Kalb hatte seiner Mutter erst in die Tiefen folgen wollen, hatte sich dann aber vor der schwarzen Wolke gefürchtet, in der die Mutter verschwand. Angstvoll war es an die Oberfläche zurückgekehrt und schwamm dort ziellos, sehnsüchtig umher, als ein wandernder Haifisch es erblickte. Der Hai wußte wohl, mit wem er es zu tun hatte. Er spähte rundum nach der Mutter, denn gegen eine Mutter-Orca wollte er nicht unhöflich sein. Aber es war keine Mutter in Sicht. Er verstand das nicht. Aber er war toll vor Hunger, und eine solche Gelegenheit war unwiderstehlich. Mit einem Ruck schnellte er gegen das Kalb, warf sich, ihm zur Seite auf den Rücken, um die Beute zu fassen, und zeigte dabei seinen hellen weißen Bauch. Das Kalb verzagte beinahe, als es einen schwarzen, dreieckigen mit unzählbaren Zähnen bedeckten Rachen sah, der sich plötzlich vor ihm auftat. Im letzten Moment riß es sich los und schwamm im großen Bogen dorthin, wo die Mutter niedergetaucht war. Wieder schleuderte der Hai sich heran, aber um seine seltsam vorgebaute Kinnlade brauchen zu können, mußte er sich abermals auf die Seite drehen, und das Orca-Kalb besaß schon das Fluchtvermögen seines Stammes. So mißglückte der Angriff zum zweiten Mal. Bevor der Hai ihn zum dritten Male wiederholen konnte, erspähte er die Mutter, die aus den grünen Tiefen emporschoß. Und obwohl er gut 25 Fuß lang war -- wohl fünf Fuß länger als die Orca -- wandte er sich und floh, sein Leben zu retten. Ein Blick beruhigte die Mutter: ihr Kleines war unverletzt! Dann machte sie sich an die Verfolgung des Angreifers, mit einer Geschwindigkeit, die seine Flucht ganz vereitelte. Nicht fünfzig Meter weit war er gekommen, als sie schon, mit offenem Rachen, über ihm war. Er warf sich krampfhaft zur Seite, und so glückte es ihm, dem ersten Angriff auszuweichen. Mit dem Mut der Verzweiflung wand er sich unter sie, drehte sich zum Biß, kam an den Bauch der Feindin und bohrte seinen dreieckigen Rachen ein. Aber sie hatte schon halb pariert, und er fand keinen wirklichen Angriff. Wohl riß er ihr Haut und Tran aus dem Leib, aber seine Zähne erreichten kein lebenswichtiges Organ. Die tobende Mordwal-Mutter fühlte die Wunde kaum. Unter ihrer Heftigkeit sprühte und dampfte es in der Luft, sie fing den Schwanz des Hais an seiner Wurzel und zermalmte ihn zwischen den Kinnbacken. Wenn überhaupt von einem Kampf die Rede sein konnte, war dies schon das Ende. Ein paar Minuten lang hielt das Toben noch an, warf sich das verfärbte Wasser meterhoch. Aber alles Kämpfen war auf einer Seite. Die Orca riß und preßte und zerrte das Leben aus dem Körper ihres besiegten Gegners. Als sie von ihm abließ, sank eine zermalmte Masse langsam in die Tiefen. Wieder barg sie das verängstete Kalb unter ihrer Flosse, säugte es, und dann schwamm sie ruhig dem tiefen Kanal zu, der sich zwischen den Inseln und dem Ufer hinzog, und in dem sie etwas saftigen Tintenfisch zu finden hoffte, um sich für den einen zu entschädigen, der ihr so rücksichtslos entronnen war. Die Brise, die bisher sanft wie mit Katzenpfoten das Wasser gestreichelt hatte, bekam jetzt einen kräftigen Zug, stark genug, um die Oberfläche des Wassers tief purpurn zu färben. Sie trieb an der Küste entlang, zwischen Klippen und Eiland, ein kleines Boot vor sich her, dessen einziges Segel im Sonnenglanz leuchtete. Zwei Fahrgäste waren in dem zerbrechlichen Fahrzeug, ein Mann am Steuer, der eine große Shag-Pfeife rauchte, und ein seidiger, brauner Jagdhund, der am Fuß des Mastes kauerte. Es war eine schwierige Küste und ein gefährliches Wasser für solch eine Nußschale. Aber der Mann war ein tüchtiger Sport-Segler, und er wußte, daß zwischen dem Hafen, den er verlassen hatte, etwa fünfzehn Meilen weit zurück an der Küste, und dem Hafen, den er erreichen wollte, ein Dutzend Meilen weiter nordwärts, mehr als ein Zufluchtsort lag, den er anlaufen konnte, falls ein plötzlicher Sturm sich im Osten erheben würde. Zwar war dies Wasser ihm fremd, aber er hatte eine gute Seekarte. Es war sein besonderes Vergnügen, unbekannte Gewässer abzusegeln, nur in der Gesellschaft seines treuen Hundes, der stets mit ihm einverstanden war, wenn es galt, einen interessanten Platz zu besuchen. Gardner war also ein vorzüglicher Segler, sein Auge erkannte jedes Wetter-Symptom, und er hatte den Instinkt, der durch Ruderpinne und Segelleinen den Puls des Windes fühlt. Aber von Naturwissenschaft wußte er ein bißchen weniger als es einem Mann zu wünschen war, der die bevölkerte See zu seinem Spielplatz macht. Von dem Stamm der Walfische und ihren verschiedenen Abarten wußte er nur das Wenige, was er über den großen furchtbaren Tran-Wal gelesen und was er von dem lustigen und harmlosen Tümmler gesehen hatte. Daher kam es ihm nicht in den Sinn, daß er sich zurückhaltend benehmen müßte, als er den gewölbten schwarzen Rücken und das gewaltige Haupt der Orca sah, die lässig durch die Wellen strich. Wäre er ein Habitué dieser Wasser gewesen, -- er hätte dem Schnabel seines Schiffes schleunigst eine andere Richtung gegeben, nur um die Orca zu überzeugen, daß er ihr Privatleben nicht zu stören beabsichtige! So aber geschah es, daß er näher heran segelte, um zu sehen, was für eine Art von Fisch oder Tier es war, dies schwarz-weiße Geschöpf, das von seiner Nähe so gar keine Notiz nahm. In einer Entfernung von 80 oder 100 Meter bekam Gardner einen verrückten Einfall. Hier war gute Gelegenheit für einen Schuß, das unbekannte Tier würde eine wertvolle Trophäe abgeben. Er dachte nicht daran, was er anfangen sollte, wenn er diese Trophäe erst besaß. Er überlegte sich nicht, daß er mit seinem leichten Gewehr kaum eine schmerzhafte Wunde in die Tranmasse schicken konnte, die alle edleren Organe des See-Ungeheuers schützte. Er wußte nicht einmal, daß ein toter Wal auf den Grund sinkt, daß er mithin auch für den besten Schuß keinen Lohn zu erwarten hatte. Ueber ihm war einfach der Zwang, zu töten. Er warf ein Knie über das Steuerruder, um seinen Kurs zu halten, nahm das Gewehr hoch und feuerte auf einen Punkt hinter der großen Flosse der Orca -- irgendwohin, wo er das Herz vermutete. Während er schoß, sprang sein Hund auf, denn er merkte, daß etwas Aufregendes geschah, legte seine Pfoten auf den Bootsrand und bellte wütend gegen das fremde schwarze Ungeheuer, das durch die Wellen rollte. Zu Gardners Erstaunen zeichnete das Ungeheuer selbst überhaupt nicht auf den Schuß, aber unter seiner Flanke begann sofort eine wilde Bewegung. Irgend etwas dort schlug wie wahnsinnig auf das Wasser, das Ungeheuer selbst schwang sich zur Seite und starrte mit großer und ängstlicher Aufmerksamkeit auf dieses Etwas. Sie schlug mit ihrer Flosse sanft dorthin, als wollte sie das Etwas beruhigen, und dann sah Gardner, es war das Waljunge, das er geschossen hatte. Da fühlte er Gewissensbisse. Hätte er das Kalb gesehen, so hätte er weder auf die Alte noch auf das Junge geschossen, denn er war nicht einfach grausam, sondern nur gedankenlos. Ein paar Sekunden lang starrte er unentschlossen vor sich hin, dann beschloß er, das Kalb -- in der Annahme, daß es tötlich verwundet war -- von seinen Qualen zu befreien. Er zielte sorgfältig und schoß noch einmal. Das Echo warf den Knall von den Klippen einer Insel zurück, die kaum hundert Fuß weit ablag. Diesmal hatte Gardner gut getroffen. Ehe noch die Echos der Entladung verhallt waren, lag das Kalb still und begann dann, langsam zu sinken. Ein paar Sekunden lang herrschte Ruhe, nur durch das erregte Bellen des Jagdhundes gestört. Die Orca schwamm langsam rund um den Körper ihres Jungen, anscheinend versicherte sie sich, daß es tot war. Dann wandte sie ihre kleinen Augen auf das Boot. Es dauerte nur einen Augenblick, aber in diesem Augenblick erkannte Gardner, daß er einen abscheulichen Fehler begangen hatte. Unwillkürlich wandte er sein Boot gegen die felsige Insel. Während er das Steuerruder herumwarf und in Hast sein Segel freimachte, sah er, wie das Wasser unter dem schwarzen Körper der Orca aufschäumte. Sie war gut 100 Meter weit von ihm weg, aber so mächtig war ihr Ansturm, daß es war, als sei sie im Augenblick auch schon über ihm. Mit Geheul sprang der Hund in den Bug. Da das Boot in diesem Augenblick mit seiner Breite dem schrecklichen Angriff zugekehrt war, behielt Gardner seinen Sitz und gab noch einen verzweifelten Schuß ab, direkt in's Gesicht der anstürmenden Bestie. Ebenso gut hätte er mit Erbsen schießen können. Das Gewehr fiel ihm vor die Füße, im Augenblick war es, als hätte ein Schnellzug das Boot gerammt. Es wurde aus dem Wasser gehoben, seine ganze Seite war zerschmettert, während Gardner schlank über die Spiere flog. Als er niederfiel, hörte er zum letzten Mal seinen braunen Hund heulen. Um nicht in das Segel verwickelt zu werden, das auf ihn niedersackte, tauchte Gardner unter und schwamm an fünfzehn Fuß weit unter dem Wasser. Seinem Tauchen und dem Umstand, daß das Segel ihn vorübergehend versteckt hatte, dankte er zweifellos sein Leben. Er war ein Meisterschwimmer, und in wahnsinniger Eile strebte er jetzt auf die Insel zu, mit Paddelschlag, den Kopf fast immer unter Wasser. Die Orca bemerkte zunächst seine Flucht nicht. Der unglückliche Hund hatte durch sein Gebell ihre Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, ihn hatte sie ergriffen und in dem Augenblick, in dem er ins Wasser fiel, zermalmt. Dann hatte sie ihre Wut gegen das Wrack des Bootes gerichtet, sie hatte es zerrissen, zu Brennholz gemacht, indem sie es in ihren mächtigen Rachen nahm und schüttelte, wie ein Terrier eine Ratte schüttelt. Nach diesen Taten kehrte sie sich zur Insel hin, und jetzt fielen ihre todbringenden Augen auf die Gestalt des schwimmenden Mannes. Ihr Ansturm war wie der eines Torpedos, aber Gardner legte schon seine tobenden Hände auf das Riff. Dies Riff, eine Felsnase, die kaum zwölf Zoll breit war, wurde grade noch von der See überwaschen. Er fühlte, daß hier kein Zufluchtsort war. Aber grade über ihm, etwa in seiner halben Höhe, lag eine Grotte im Felsen, die wunderlich ausgemeißelt war, als sollte eine Bildsäule darin aufgestellt werden. In verzweifelter Hast rettete er sich in dies dürftige Versteck, zog seine Beine dem Körper nach, machte sich in der Grotte so flach wie möglich. In diesem Augenblick schon flogen Schaum und Sprühregen über ihn her, denn mit furchtbarer Gewalt warf sich sein Verfolger gegen den Felsen zu seinen Füßen. Gardner schauerte und es fiel ihm schwer, wieder Luft in seine verkrampften Lungen zu bekommen. Er hatte schon manches Rennen geschwommen, aber keines wie dies. Vorsichtig drehte er sich um, und während er noch flach wie eine Muschel auf dem Boden lag, starrte er hinunter und zitterte vor Angst, sein Feind könnte zum zweiten Mal einen so wahnsinnigen Sturm versuchen, diesmal vielleicht mit besserem Erfolg. Aber die Orca schien den Versuch nicht wiederholen zu wollen. Die Gewalt ihres Angriffs war furchtbar gewesen und hatte wohl auch ihr den Atem verschlagen. Jetzt schwamm sie ruhig vor dem Felsen auf und ab, ein grausamer und schrecklicher Belagerer. Gardner sah in ihre kalten, kleinen Augen und zitterte vor dem intelligenten und unversöhnlichen Haß, der darin flammte. Als er sich soweit erholt hatte, um seine Lage zu überdenken, mußte er zugeben, daß sie nahezu verzweifelt war. So weit er auch nach den Seiten und nach oben die Klippen abfühlte, fand er keine Zacke und keinen Griff, mit Hülfe deren er hoffen konnte, die Spitze des Felsens zu erklettern. Wie lange sein rachsüchtiger Feind die Belagerung fortsetzen würde, konnte er nicht beurteilen. Aber wenn er bedachte, wieviel Leid er ihm zugefügt hatte, wie sachlich seine Art der Belagerung war und wie furchtbar die Wut seines Angriffs, hatte er wenig Anlaß, zu hoffen, daß er seinen Posten bald verlassen würde. Er wußte, daß die Orca in diesen belebten Wassern reichliche Nahrung finden würde. Aber so reich dies Meer auch an tierreichem Leben war, wußte er doch, daß ein Schiff hier nur selten auftauchen würde. Die Küstenschooner mußten hier einen weiten Bogen machen, der unsichtbaren Riffe und unterirdischer Strömungen wegen. Seine Insel war sicher nur eine halbe Meile weit vom Strand, unter gewöhnlichen Umständen für ihn eine leichte Schwimmübung. Aber selbst wenn der Belagerer ihn verließ, hatte er keinen Schutz gegen die Gier der riesigen Haie, die in diesen Insel-Kanälen ihr Wesen trieben. Er war der vollen Glut der Sonne ausgesetzt -- der Felsen fühlte sich unter seinen Händen schmerzhaft heiß an -- und so fragte er sich, wie lange es dauern würde ... Bald würden seine Beine unter dem Gewicht des Körpers einknicken, er würde vorwärts torkeln, direkt in den Rachen seines lauernden Feindes. Dann beruhigte er sich über diese Gefahr, denn er bemerkte plötzlich, daß die Sonne bald hinter seinem Riff verschwinden und ihn im Schatten lassen würde. Was die Hitze anbetraf, konnte er es also bis zum nächsten Morgen ruhig aushalten. Aber dann? Blieb das Wetter schön, wie sollte er dann die unerträglich lange Glut des Vormittags überstehen, ehe die Sonne zum zweiten Mal hinter der Klippe verschwand? Er begann, um Sturm und undurchdringlichen Nebel zu beten. Aber dabei hielt er plötzlich inne, es wurde ihm bewußt, in welcher Klemme er war. Kam ein Sturm, dann war zu dieser Jahreszeit anzunehmen, daß es ein Südost war; in diesem Falle würden die ersten brandenden Seen ihn von seinem Sitz herunterwaschen. So beschloß er endlich, sein Gebet ganz allgemein zu halten und der Vorsehung keine zweifelhaften Ratschläge zu geben. Unwillkürlich kramte er in seiner Tasche herum, zog ein Paket durchnäßten, triefenden Tabaks nebst einer Büchse nasser Streichhölzer hervor. Unter den Streichhölzern waren ein Paar Wachszünder, und er hatte eine dürftige Hoffnung, daß er sie nur sorgfältig zu trocknen brauchte, um vielleicht einen Funken zu schlagen. Er breitete sie mit dem Tabak auf den heißen Stein zwischen seinen Füßen. Seine Pfeife hatte er bei der Katastrophe verloren, aber in seiner Tasche fanden sich Briefe, und mit diesen, die er gleichfalls trocknen wollte, konnte er sich vielleicht Zigaretten drehen. Das Unternehmen gab ihm etwas zu tun und half ihn so über den endlosen Nachmittag hinweg. Zuletzt aber mußte er feststellen, daß keins der Wachshölzer ihm einen Funken geben würde. Aergerlich warf er die nutzlosen Ueberbleibsel in's Meer. Ganz unerwartet kam die Nacht, wie immer in diesen Breiten, und das Mondlicht verzauberte die langen Wellen in leuchtendes Glas. Die ganze Nacht über schwamm die Orca vor dem Felsen auf und ab, bis die Eintönigkeit ihrer Bewegung den Gefangenen hypnotisierte, daß er seine Augen gegen die Felsspitze richten mußte, um dieser Hypnose zu entgehen. Seine tötliche Angst war, er könnte in seiner Schwäche einschlafen und aus der Grotte herausfallen. Die Beine wurden ihm schwer, aber in der Nische war kein Raum, sich niederzusetzen, oder auch nur einigermaßen bequem zu kauern. In seiner Verzweiflung entschloß er sich endlich, seine Beine über den Felsen herunterbaumeln zu lassen, wo die Feindin sie freilich erschnappen konnte, wenn sie wieder einen ihrer wilden Luftsprünge wagte. Sobald er sich bewegte, schwamm sie näher und starrte ihn mit unverändertem Haß an. Aber sie versuchte nicht, ihren Luftangriff zu wiederholen. Gardner nahm an, daß sie zu einem zweiten Zusammenprall mit dem Felsen keine Lust hatte. Endlich erschöpfte sich diese endlose Nacht. Der Mond war schon lange hinter der Klippe verschwunden, der samtne Purpur des Nebels wurde dünn, die Sterne erblaßten. Dann erwachte der unendliche Glanz eines wolkenlosen tropischen Morgens über der See, die schimmernde Fläche des Wassers schien sich der Sonne entgegenzuwerfen. Gardner riß seine letzte Kraft zusammen, um die Feuerprobe zu bestehen, die jetzt auf ihn wartete. Um sich auf diese Feuerprobe vorzubereiten, zog er seinen leichten Rock aus und heftete daran ein Stück Bindfaden, das sich in seinen Taschen fand. Dann warf er den Rock hinab und tauchte ihn tief in's Wasser. Die Orca schnellte vor, um zu sehen, was er tat, aber er zog den triefenden Rock wieder empor, ehe sie ihn schnappen konnte. Dieser Einfall war beinahe eine Offenbarung, denn indem er seinen Kopf und Körper feucht hielt, hätte er der Hitze länger trotzen können und vielleicht auch die äußersten Qualen des Durstes mildern. Ein gütiges Schicksal hatte es jedoch gewollt, daß seine Prüfung bald zu Ende ging. Es war vielleicht 9 Uhr morgens, da klang irgendwo hinter der Insel ein gleichmäßiges, gedämpftes Tschug, Tschug, Tschug, Tschug, für Gardners Ohren die göttlichste aller Melodien. Im Augenblick hatte er sein weißes Hemd über den Kopf gezogen und hielt es in zitternden Händen. Ein Augenblick verging und es kam eine mächtige vierzig Fuß lange Motorbarke in Sicht. Sie war kaum hundertfünfzig Meter weit fort und machte gewaltigen Lärm, aber Gardner schrie wie ein Wilder und schwenkte sein Hemd in die Luft, bis es ihm glückte, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Sie nahm die Richtung auf seinen Felsen, aber gleich darauf setzte der Motor aus und die Barke schwenkte wieder zur Seite. Der Führer hatte gesehen, daß Gardner belagert war. Es waren drei Mann in der Barke. Einer rief den Gefangenen an. »Was gibt's?« fragte er kurz. »Ich habe gestern dem Biest sein Kalb geschossen!« rief Gardner zurück. »Es hat mein Boot zerschlagen und mich auf diesen Felsen gejagt.« Einen Augenblick war Schweigen in der Barke. Dann sagte der Kapitän: »Wenn einer was erleben will, braucht er sich nur mit einem Mordwal einzulassen.« »Ich bin auch schon darauf gekommen, daß es eine Dummheit war,« gab Gardner zur Antwort. »Aber es war gestern morgen, und jetzt bin ich fertig. Kommt her und nehmt mich auf.« Auf der Barke wurde Rat gehalten. Die Orca setzte ihren Patrouillengang vor dem Felsen fort, als wäre so ein Ding, wie ein vierzig Fuß langes Motorboot, nicht der Mühe wert, sich darum zu kümmern. »Du mußt noch ein bißchen länger zappeln!« schrie der Kapitän. »Wir gehen in den Hafen zurück und holen eine Walfisch-Kanone. Wir haben eine schwere Büchse an Bord, aber es hat keinen Sinn, sie damit zu ärgern. Denn wenn der erste Schuß nicht richtig sitzt, macht sie in zehn Minuten Brennholz aus unserem Boot. In einer Stunde sind wir wieder zurück, hab' keine Angst.« »Dank!« sagte Gardner, und in einem weiten Bogen verschwand die Barke hinter der Insel. Diese eine Stunde schien dem Gefangenen entsetzlich lang. Er hatte Zeit, seine kühltropfende Jacke zu segnen, ehe er wieder das Tschug, Tschug, Tschug des Motors hinter seinem Kerker hörte. Diesmal hielt das Boot, kaum daß es in Sicht war, geradewegs auf die Orca. In seinem Bug, der anmutig über die Wellen tanzte, bemerkte Gardner eine seltsame Kanone -- eine Art Elefantenbüchse auf drehbarer Lafette. Jetzt nahm die Orca Notiz von der Tatsache, daß das Boot direkt auf sie hielt. Sie unterbrach ihr ruheloses Patrouillieren und schien zu überlegen, ob sie das Boot angreifen sollte oder nicht. Die Schrauben arbeiteten rückwärts, bis die Barke zum Stillstand kam, und der Kapitän am Bug richtete die Waffe. Es war ein mächtiger Knall. Das See-Ungeheuer warf sich halben Leibes aus dem Wasser und fiel mit gewaltigem Klatschen wieder zurück. Eine Sekunde lang tobte es wie irrsinnig im Halbkreis, prellte dann mit dem Kopf gegen die Klippe und sank dann, zwei Faden tief, auf ein zackiges Riff. »Ist es tief genug, um herunterzuspringen?« fragte der Kapitän, als die Barke langsam beidrehte. »Reichlich,« sagte Gardner, schwang sich steifbeinig aus seiner Grotte und kletterte die Felsen hinab. Eindringlinge Der See war halb ausgetrocknet. Sein weiter Spiegel lag unbewegt unter widerstandslos brennender Sonne, ein mattes, rauchiges Orange, in das der Widerschein der Wolken grüne Lichter warf. Sein fernes westliches Ufer, mit niederen Fichten bestanden, hing zackig und schwarz gegen die Wolken. Sein östliches Ufer lag, fernher schimmernd, glatt und nackt. Nur ein Dickicht aus Weiden und Pappeln zeichnete die Mündung eines dort einfließenden Stroms. Alles kam zusammen, ein Bild unbeschreiblich trauriger Schönheit zu bilden: fließend düstere Farben, die Leblosigkeit des umragenden Horizonts, die matte Ruhe der Wasserfläche. Plötzlich erschien ein schwarzer Punkt -- nein zwei schwarze Punkte waren es -- im Bleiglanz des Seespiegels, die sich aus dem Dunkel des westlichen Ufers gelöst hatten. Seite an Seite schoben sie sich rasch durch die Flut, brachen mit langen, sanft verlaufenden Kräusellinien eine Straße zum Mittelpunkt des Sees. Die glühende Sonne verriet, daß diese beiden Punkte die Köpfe schwimmender Elentiere, einer Kuh und eines Bullen, waren. Bis auf die dunklen, ungeschlachten, aber schönen Köpfe, deren lang ausgreifende Schnauzen durchs Wasser schnitten, waren ihre Körper ganz bedeckt. Die gewaltigen Geweihe des Bullen lagen flach auf dem Seespiegel über unsichtbaren, machtvoll arbeitenden Schultern. In den Augen des Tierpärchens lag eine fragende Angst, gepeinigte Wildheit wie vor einer Panik. Dieser Ausdruck berührte seltsam in den Augen der stolzen Herren der Wildnis, die gerade in dieser Jahreszeit, wenn die riesigen Bullen brünstig sind, alle Kreatur ringsum zum Kampfe fordern. Aber über sie war die einzige Angst, die beugen konnte, plötzlich gekommen: die Angst vor dem Unbekannten. Das Pärchen hatte sich gerade auf dem offenen Landstreifen zwischen dem Kiefernwald, durch den es wechselte, und dem Ufer, an dem es badete und Lilienwurzeln fraß, aufgehalten, als die Angst mit aller Gewalt über sie kam, sie in den gelben Spiegel des Sees jagte, am anderen Ufer Zuflucht zu suchen. Wovor sie flohen, wußte keines. Seit Tagen schon war die Kuh unruhig, der Bulle zornig und mißtrauisch. In der Luft lag die Ahnung einer dunklen, neuen Gefahr, die unwiderstehlich näher kam. Durch irgendeine mystische Fernwirkung war diese Angst aus Staunen, Furcht und Entsetzen des kleineren Wilds in die Nerven der großen, sonst unerschütterlichen Elentiere übergesprungen. Im Glanz dieses Oktobermorgens war das Geheimnisvolle nahgerückt -- war fühlbar geworden, ohne daß es aufgehört hätte, ein Geheimnis zu sein. Als die Kuh allein am Ufer stand und ihrem Gefährten rief, machte der Gedanke sie zittern, irgend etwas Anderes, Unbekanntes, nicht ihr Männchen, könnte dem Schrei ihrer Sehnsucht folgen. Der Bulle kam dann plötzlich, wachsam, geräuschlos, als fürchte er einen Hinterhalt oder eine schreckliche Ueberraschung. Wie ein Schatten war sein stolzer, schwarzer Körper an ihrer Seite, indes ihre Schreie noch durch die Stille nachechoten. Während die Beiden ihre zarten, liebenden Schnauzen eng aneinanderlegten, war ein Rotbock aufgesprungen, entsetzt, aber unentschlossen, wohin er fliehen sollte. Die Beiden starrten ihm nach, als wäre der gewohnte Anblick eines rennenden Bocks plötzlich ein Ereignis geworden. Der seltsame Schrecken, den der Bock erregt hatte, war kaum vergessen, als ein Fuchs eilig aus den Büschen brach. Als er das Elenpaar, ganz ineinander versenkt, schwarz und geheimnisvoll, am Ufer stehen sah, nicht achtend, welche Augen es sehen könnten, kam der Fuchs angeschlichen und setzte sich, ein Dutzend Schritte fern, abwartend auf seine Keulen. Seine klugen Augen waren voll Erwartung, als bilde er sich ein, ihr sorgloses Vertrauen bilde eine Zuflucht, die ihm selbst Rettung war. Zu anderer Zeit hätte das stolze Liebespaar seine Annäherung zornig abgewiesen, aber heute erwiderten sie seinen fragenden Blick mit noch größerer Angst. Aus ihren Augen schloß der Fuchs, daß auch hier keine Hilfe warte. Unruhig spähte er über seine Schulter ins Fichtendunkel, aus dem er gekommen war, kam langsam auf seine Füße und trottete zum Wasser hin. Mit gespanntem Blick folgten ihm die Beiden, sahen, wie sein Trott in den Galopp verzweifelter Flucht überging, bis er den Schutz des Walddickichts gefunden hatte. Der Anblick so plötzlicher Panik an einem Tier von der Klugheit des Fuchses nahm ihnen die letzte Nervenkraft. Viele Füchse hatten sie gesehen, doch keinen, der sich so benahm. Was hatte er von ihnen gewollt? Warum hatte er sie so forschend angesehen? Und warum war er geflohen? Zitternd drängten sie sich aneinander, starrten in die dunkle Wildnis, in der der Fuchs verschwunden war. Dort war auch ihr Heim, ihr sicheres, wohlbekanntes Versteck, dem sie kein Vertrauen mehr schenkten. Welcher Verrat mochte sich in den schweigenden Schatten vorbereiten? So scharf die Augen der Elentiere waren, sie entdeckten nichts. Plötzlich aber fingen ihre großen Ohren, weither, durch unendliches Schweigen den Widerhall eines geisterhaften Lautes. Vielleicht war es das Schleichen vieler Füße. Dann sahen sie aus den Tiefen ganz schwarzer Waldschatten ein Grün leuchten, ein Züngeln blasser Feuer, vielleicht das Glühen fremder Augen. Endlich kam eine Brise aus dem Forst, so leicht, daß sie kaum die langen Zotteln an des Bullen Hals bewegte. Sie trug eine Witterung, die ihnen fremd, aber unbeschreiblich drohend war. Vor diesem letzten Zeichen von Gefahr zerbrach ihr Widerstand völlig. Zitternd drückten sie sich, immer Seite an Seite ins Wasser. Die Augen in den Forst versenkt, schwammen sie ins Leuchten hinaus. * * * * * Acht riesige Wölfe zählte das Rudel, dazu einen, der kleiner und zarter gebaut war, der aber trotzdem einen gewissen Einfluß auf seine Kameraden hatte. Die acht waren so ungeschlachte Gesellen, wie man sie in der östlichen Wildnis nicht erwartet hätte. Sie stammten vom gewaltigen Alaskawolf ab, hatten lange Rachen und lange Flanken, einen breiten Schädel, schwere Schultern, und jeder von ihnen war stark genug, die Kehle einer Elenkuh mit einem einzigen Biß zu zerreißen. Mit der Ausnahme eines Einzigen hatten sie jedoch niemals Alaska noch ein Elen gesehen, auch nicht die wilden Ströme, die nordwärts rollten, noch die unbegrenzten Felder vereisten Schnees. Sie waren südlich vom St. Lorenzstrom geboren, und auf der Suche nach weiteren Einsamkeiten, als ihre Heimat sie bot, kamen sie nordostwärts gezogen. Auf seltsame Art hatte diese große und kampftüchtige Gesellschaft sich mitten im kultivierten Osten gebildet. In einem Dorf in Nord-Vermont war vor Jahren ein großer, grauer Wolf aus einer reisenden Menagerie entsprungen, war tagelang mit Toben und Brüllen gehetzt worden. Aber er war klug. In seinem langen und unermüdlichen Galopp hatte er sich nicht einmal unterbrechen lassen, ehe zwischen ihm und seinen Verfolgern viele Meilen lagen und er einen Forst fand, der wild genug schien, ihn zu verbergen. Hier hatte er in weiser Zurückhaltung nur Rehe und Hasen gejagt, aber nie ein Geschöpf belästigt, das er unter dem Schutz des Menschen glaubte. Dank dieser Vorsicht ahnte kein Mensch sein Dasein. Später begegnete er, nahe dem Dorfe, einer langschnauzigen, wolfsähnlichen Bastardhündin, die er bewog, ihren Herrn zu verlassen und sein wildes Leben zu teilen, nach dem sie immer Sehnsucht empfunden hatte. Treu hatte sie an seiner Seite gejagt und ihm zwei Junge geschenkt, schwerknochige Welpen, die stark und wild wie ihr Erzeuger wurden, aber nicht vorsichtig wie er, sondern wild und unbezähmbar in ihren Trieben. Sie gehorchten ihrem Vater und Herrn, weil sie ihn fürchteten und seine Ueberlegenheit anerkannten, sie achteten das heiße, zähe Temperament ihrer schlanken Mutter. Als aber die Zeit verging und das Wild seltener wurde, ließen sie sich nicht zurückhalten, um die Dörfer zu streifen, und so zogen sie die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich. Als ein paar junge Pferde und viele Schafe ihr Opfer geworden und einige unschuldig in Verdacht geratene Hunde erschossen waren, rief der weise Alte sein Rudel zusammen und führte es ostwärts. Die Reise war lang und von Gefahren umdroht. Manchmal gab es wenig Wild, und das Rudel lernte den Hunger kennen. Manchmal fanden sie kein waldiges Land, um ihre Reise zu verbergen, manchmal, wenn sie gezwungen waren, sich an der Herde irgendeines Dorfes zu vergreifen, schwärmten die Bauern mit Hunden und Flinten und Flüchen gegen sie aus, daß die Vorsicht des Alten begründet war. So erreichten sie endlich die wilden Gebiete der sicheren Tannenforste, der Seen und wilden Wasserstürze, die Grenzen von Maine, mit Neu-Braunschweig und Quebeck. Auf dieser Reise hatten sie Gehorsam und Vorsicht gelernt. Nie hatte diese Wildnis in ihren schrecklichsten Träumen eine Heimsuchung wie dies Rudel geahnt. Keine Erinnerung an irgendeine Plage wie diese lebte in den Pelz oder Federn tragenden Bewohnern der östlichen Wildnis. Von Wölfen hatte man überhaupt nur eine Art dunkler, ererbter Ueberlieferung, und da handelte es sich nur um die kleinen, östlichen Nebelwölfe, die wohl tapfere Jäger, aber kaum einen Alp bedeuteten. Kein Bär oder Renntier hatte sich jemals um den Nebelwolf gekümmert, der seit einem halben Jahrhundert hier nicht mehr aufgetaucht war. So entstand die Panik, so kam es, daß lange Zeit kein Geschöpf dieser Region den Weg der Eindringlinge kreuzte. Das Land, in das sie eindrangen, beherbergte Bären, und es war unvermeidlich, daß das Rudel mit ihnen zusammenstieß. Eines Tages streiften sie geräuschlos auf der frischen Spur eines Rehes -- geräuschlos, wie der weise Führer es sie gelehrt hatte --, da stießen sie plötzlich auf ein großes, schwarzes Tier, das mitten in der Rehspur stand und einen verfaulten Baumstumpf absuchte. Sie hielten, bildeten einen Halbkreis, das Fell auf ihren starken Nacken und Schultern sträubte sich wie Bürsten. Der Bär schien gleichfalls überrascht. Ein alter, mißlauniger Einzelgänger, hatte er vom Einzug der schrecklichen Bastarde weder etwas gehört noch gespürt, hätte sich auch kaum um ihr Erscheinen bekümmert. Er war kein Opfer nervöser Panik. Sich umwendend, um den Eindringlingen sein Gesicht zu zeigen, hockte er sich auf die Keulen, brummte aus tiefer Kehle, hob eine große Tatze mit langen, scharfen Krallen und blickte seine Gegner furchtlos an. Er war zu jedem Kampf bereit, aber ebenso bereit, Frieden zu halten, wenn man ihm seine Ruhe ließ. Ameisen, Käfer, Beeren und verrottete Baumstämme waren ihm zu wichtig, als daß er Kampf um Kampfes wegen gesucht hätte. Die Wölfe waren nicht hungrig und fühlten, daß der Bär keine leichte Beute war. Unentschlossen warteten sie ab, ob ihr Führer ein Zeichen zum Angriff gäbe. Der aber saß mit hängender Zunge im Mittelpunkt der Schlachtreihe und zeigte keine Hast. Er studierte den Feind; als begabter Feldherr besaß er das Talent, abzuwarten. Dieses Talent fehlte dem Bären. Als er zu wissen glaubte, daß die hageren Fremden seine Waldkäfer-Jagd nicht stören wollten, wandte er sich wieder dem Baumstamm zu und spaltete mit einem Griff seiner großen Tatze einen ganzen Block. In diesem Augenblick stieß das kleine, schneidige Bastardweibchen wie eine Schlange vor und schnappte nach seinen Hinterfüßen, um ihm die Sehne zu zerreißen. Mit solcher Leichtigkeit und Schnelligkeit aber drehte er sich und schlug nach ihr, daß sie kaum ein Maul voll Pelz in den Zähnen hielt und dem furchtbaren Schlag mit genauer Not noch entging. Daß sie ihm nicht ganz entkommen war, bewies ein langer, blutiger Riß an ihrer Seite. Im Augenblick war das ganze Rudel zum Angriff übergegangen. Als der Leiter aber seine Gefährtin gerettet sah, rief er die wilde Brut wieder zurück. Die Jungen gehorchten, denn sie sahen jetzt, mit welcher Art Feind sie es zu tun hatten. Nur einer von ihnen war schon zu weit vorgedrungen. Ein sausender Schlag hatte ihn vor die Brust getroffen, warf ihn mitten unter seine Brüder, zerbrochen das Genick, zerfetzt die Gurgel. Als er zuckend und geifernd lag, kam der Vater zu raschem Entschluß. Solange gewöhnliches Wild in der Nähe war, schien es zwecklos, das Rudel auf einen so gewaltigen Gegner zu hetzen und schwere Opfer zu bringen. Mit scharfem Befehl rief er sein Volk zusammen, führte es im Lauf seitab und nahm die Spuren des Rehs wieder auf. Den Leichnam ließ er zurück, gleichgültig, was aus ihm werden mochte. Der Bär sah ihnen zornig nach, bis sie außer Sicht waren. Dann wandte er sich zu dem toten Körper, beschnüffelte ihn, drehte ihn mit der Tatze um und kehrte endlich zu seinen Käfern zurück. Wolf oder Hund war nicht nach seinem Geschmack. Das Rudel machte indes erregt und zornig seine Beute. Ueber dem warmen Wildpret vergaß es sein mißlungenes Abenteuer, der verlorene Bruder war bald vergessen. Immerhin war man um eine Lehre reicher. Ein paar Tage später kamen die Wölfe zum sonnendurchglühten See, aus dem dunklen Schatten der Tannen sahen sie voll Verwunderung die ersten Elentiere ihres Lebens. Vor kurzem noch hätten die Wölfe diese ungeschlachten Gestalten als eine Art übertrieben großen Rehwildes betrachtet und sich ohne Zaudern an die Verfolgung gemacht. Jetzt aber erinnerten sie sich des Bären. Sie trauten diesen beiden hochschultrigen Geschöpfen nicht, ihren gespaltenen Hufen und ihren nichtssagenden Gesichtern. So warteten sie auf das Zeichen ihres Führers, und der Führer war auch diesmal nicht eilig, es zu geben. Welch unerwartete Kräfte mochten in diesen Riesen stecken, die dem gewöhnlichen Wild so ähnlich und doch so unähnlich waren? Als die beiden Elen jedoch, von dem Unsichtbaren geängstigt, ins Wasser gingen, durch die orangegelbe Flut schnitten, entschloß er sich, sie als Jagdbeute zu betrachten. Allein zog er auf Kundschaft aus, bis er bestimmt wußte, wohin das Paar sich gewendet hatte. Als dann der kürzeste Weg gefunden war, kehrte er in den Waldschatten zurück, und einen Augenblick später war das Rudel in voller Hatz. Die Elentiere hatten das andere Ufer erreicht, machten aber noch keinen Halt. In ihrer fiebrigen Angst setzten sie schwarz und triefend den Marsch fort -- wenn ein Elentier einmal läuft, läuft es lange. In ihrem weit ausholenden scheinbar mühelosen Trott, der aber Meilen frißt, folgten sie ihrer Angst, bis der Orangeschimmer weit hinter ihnen lag, das schwach bewaldete Hinterland sie aufnahm. Sie hatten nur einen Zweck -- sich vor den grünen Augen, den schleichenden Schritten im Tannenwald zu retten. Daß ihr Weg sie geradezu in den Bann dieser grünen Augen und schleichenden Schritte führte, ahnten sie nicht. * * * * * Die Nacht war angebrochen, der Mond, dreiviertel voll, zeitig erschienen. In einem Versteck aus Hollunderbüschen, einer Art Insel im offenen Land, lagen zwei Jäger, die in dieses Tal gedrungen waren, um Elen zu jagen. Der eine, ein Riese von Kerl, nach seinem Anzug zu schließen wahrscheinlich der Führer, trug außer dem Gewehr eine Axt und ein langes Rohr aus Birkenrinde, das wie eine Trompete aussah. Es war Brunstzeit. Wohl versteckt, aber doch mit freiem Ausblick auf die Steppe, hatten die beiden es sich für eine lange, ereignislose Wartezeit bequem gemacht. Adam Moore, der Führer, nahm sein Birkenrohr an die Lippen und orgelte den seltsamen Lockruf der Elenkuh, der hart und formlos, aber unbeschreiblich wild und einsam klingt. »Bei Gott, Adam,« murmelte Rawson, »Sie treffen den Ton!« Moore dankte für so viel Anerkennung; dieser kaltäugige, abgehärtete Engländer, der in jedem Winkel der Welt großes Wild gejagt hatte, gehörte zu den wenigen Sportsleuten, auf deren Anerkennung er Wert legte. Nach kurzer Pause stieß er seinen Lockton zum zweitenmal aus, dann legte er das Instrument über seine Kniee und wartete. Die Luft war unbewegt. Unter blauweißem Mondschein schien die lautlose, unbegrenzte Wildnis zu Glas erstarrt. Dann aber kam von fern her das Geräusch brechender Aeste, kam näher und näher. »Dacht' ich mir, Adam,« flüsterte Rawson. Er hob sein Gewehr auf ein Knie. Moore legte die große Hand auf seinen Arm: »Hören Sie! Zwei!« Auf gute Schußweite wurden die Flüchtlinge sichtbar, verhetzt und erschöpft. Das Geweih des Bullen war herrlich! Aber Rawson sah nur die Angst der Prachttiere, und unwillkürlich ließ er sein Gewehr fallen. In ihrer Angst vor Unbekanntem kamen die Flüchtlinge geradenwegs auf das Dickicht zu, dachten nicht an die Schrecken, die dort auf sie lauern mochten. In ihrem Weg lag ein Baumstumpf, den ein vergangenes Hochwasser hergetragen und zurückgelassen hatte. Der Bulle umging ihn. Die Kuh aber, fast blind vor Erschöpfung, stolperte darüber, fiel mit einem klagenden Schrei auf ihre Schnauze und lag da, als fürchte sie nicht länger ihr Schicksal. Als die Gefährtin nicht mehr an seiner Seite ging, blieb auch der Bulle stehen und beschnüffelte sie gesenkten Hauptes. Er berührte sie mit seiner Schnauze, stieß sie mit dem scharfen Geweih, um sie zu neuer Anstrengung zu zwingen. Dann stand er trostlos neben ihr, blickte den Weg hinab, den sie gekommen. »Gutes Wild!« flüsterte Rawson mit glänzenden Augen. Im nächsten Augenblick rauschte es heran, unsere Gestalten huschten durch das Mondlicht. »Wölfe, Hochlandswölfe!« schrie Moore. Er war im Westen gewesen und kannte die Sorte. [Illustration] »Acht Stück!« Er warf das Rohr fort und griff zum Gewehr. Wild von langer Hatz, zögerten die Wölfe keinen Augenblick, sondern sprangen wie besinnungslos auf ihre Beute, ihr grauer Führer eine halbe Länge vor der Front. Im Näherkommen glühten die nackten, weißen Fangzähne und kalten Augen im Mondlicht. Der gehetzte Bulle rührte sich nicht. Als das Leittier jedoch nach seiner Gurgel sprang, zuckte er zurück und schlug mit scharfen Hufen furchtbar um sich. Diese unbekannte Art von Verteidigung überraschte das Leittier; in vollem Sprung prallte es gegen die wirbelnden Hufe und blieb mit zerschlagenem Schädel liegen. Gleich darauf knallte Rawsons Gewehr, ein zweiter Wolf fiel. Die übrigen aber hingen an Flanke und Schultern des tapferen Bullen und versuchten, ihn niederzureißen. Noch einmal feuerte der Engländer, ohne der Wirkung zu achten. Dann sprang er rasend vor Kampflust, dem Bullen zu Hilfe, schwang sein Gewehr wie eine Keule. Moore, der nicht mehr schießen konnte, weil er Gefahr lief, Rawson zu treffen, griff zur Axt und folgte ihm in langen Sätzen. Als Rawson seinen Kolben auf den Rücken eines Wolfs schmetterte, der im Genick des Bullen hing, sah er ein kleineres, schmaleres Tier, das ihn von der Seite beschlich. Instinktiv brüllte er »Kusch« und gab dem Angreifer einen wütenden Fußtritt unter die Schnauze. Wäre er weniger mit seinem Kampf beschäftigt gewesen, dann hätte er mit Erstaunen gesehen, daß der neue Angreifer winselnd den Schwanz zwischen die Beine zog, ihn umschlich und in seltsamer Ergebenheit vor ihm liegen blieb. Ganz plötzlich hatte ein Befehl aus menschlicher Kehle alte Dressur in dem Hundebastard wieder lebendig gemacht. Ihres weisen Führers beraubt, kehrten die jungen Wölfe nun alle Wut gegen die neuen Angreifer. Für Minuten hatte Rawson Not, sich gegen die Sprünge einer flammenäugigen Bestie zu decken, die er nur mit kurzen, wütenden Stößen bekämpfen konnte, weil der Raum für einen tötlichen Schlag fehlte. Zugleich aber führte der Riese seine Axt mit so furchtbarer Wirkung, daß die Zahl der Angreifer schon auf drei geschmolzen war. Einen von diesen erledigte der Bulle, der, blutüberströmt, aber nun im Kampf von seiner dunklen Angst befreit, die hämmernden Vorderhufe so blindwütend brauchte, daß er Freund und Feind gleich gefährlich wurde. Das Glück wollte es, daß er Rawsons Gegner traf, der sich jetzt heulend gegen ihn kehrte. Dadurch fand Rawson Zeit zu einem vollen, sausenden Schlag, der den Kampf beendete. Von den beiden letzten Wölfen erlag einer, der Moore von der Seite angesprungen hatte, seiner sausenden Axt. Beim Klang seines Todesröchelns zog der letzte überlebende sich zurück, zögerte einen Augenblick und gab dann die verlorene Schlacht auf. Als er floh, den Bauch an der Erde, schwang Moore noch einmal die Axt. Sie pfiff von der Faust eines erfahrenen Hinterwäldlers gelenkt durch die Luft, und zerschmetterte dem Flüchtling das Rückgrat. Der Riese sprang nach, ergriff noch einmal die Waffe und gab dem winselnden Tier den Gnadenschlag. Die arme Kuh war inzwischen wieder zu Atem gekommen und stellte sich mühsam auf die Füße. Sie zu schützen, nahm der Bulle seine Retter an. Rawson entging mit knapper Not seinem Angriff. »Wir sind nicht länger beliebt,« lachte er und zog sich in sein Dickicht zurück. Da sprang die Bastardhündin, die er fast vergessen hatte, mit unverkennbar hündischer Demut an ihm empor. Er betrachtete sie einen Augenblick voll Erstaunen, erkannte sie dann und verstand. »Scher dich weg und sei dankbar für dein ganzes Fell!« kommandierte er: »Ueberläufer!« Er wollte seinem Befehl mit dem Gewehrkolben Nachdruck geben, aber Moore widersprach: »Nicht wegjagen!« sagte er. »Bin froh, daß Sie sie nicht wollen. Jetzt behalte ich sie selbst. Ist mehr wert, als ein Dutzend meiner elenden Köter ohne Nase und Appell. Sie hat übrigens ihre Lektion hinter sich! Die geht nicht wieder zu den Wölfen über!« Ismael in den Schierlingstannen Er war wirklich ein Ismael. Seine Zähne und Krallen waren gegen jedes Geschöpf der Wildnis, ob groß oder klein, und jedes andere Geschöpf der Wildnis war gegen ihn -- die Schwachen in nie ruhender Angst, und selbst die Stärkeren in einem Haß, dem Furcht sich beimischte. Der Bär sogar, der so herablassend höhnisch auf viel größere Feinde blickte, bequemte sich, ihn mit wachsamer Feindseligkeit zu betrachten. Ganz gleichgültig war nur das riesige Elen-Tier. Es stolzierte durch den Forst und beachtete seine Existenz nicht. Und doch war dieses Geschöpf, dem es glückte, einen so gewaltigen Tribut an Furcht und Haß zu erheben, wie dieser Ismael aus den Schierlingstannen, nicht größer als ein Fuchs. Unter den Waldleuten und den Trappern war er unter verschiedenen Namen bekannt. Meist nannte man ihn den »Fischer«, obwohl es im Dunkel liegt, warum er so genannt wurde. Seine Tüchtigkeit im Fischen war bei weitem nicht so groß wie die des Waschbären, und mit der Geschicklichkeit solcher Meister, wie Mink und Otter, konnte er sich nicht vergleichen. Auch unter dem Namen »schwarze Katze« war er bekannt, obwohl er weder schwarz, noch eine Katze war. Daß er so unpassende Namen trug, ist jedoch weniger erstaunlich, als es auf den ersten Blick schien. Er gehörte nicht zu denen, die sich einer peinlichen und sorgfältigen Beobachtung fügen. Was die Menschen dann und wann von ihm zu sehen bekamen, war nur geeignet, Irrtümer zu erregen. Als ein Mitglied der großen und gefürchteten Mustela-Familie besaß dieser Ismael aus den Schierlingstannen ganz die blitzhafte Gewandtheit und den wilden Mut seines kleinen Vetters, des Wiesels, aber zugleich die unerbittliche List und die erstaunliche Muskelkraft seines größeren Stammesgenossen, des verhaßten Vielfraßes, den man auch den »indianischen Teufel« nennt. Obwohl von der scharfen, grausamen Schnauze bis zum Ende seines hübschen, buschigen Schweifes keine drei Fuß lang, war er durch unglaubliche Gewandtheit und die Wut seines Angriffs selbst dem stärksten Fuchs und jedem Hund, der nicht mindestens zweimal so groß war, ein überaus gefährlicher Gegner. Die wenigen Feinde, die er als überlegen an Kraft anerkennen mußte, konnte er im allgemeinen durch List besiegen. Im tiefen Dickicht der Schierlingstannen hatte Ismael seine Zuflucht, dort, wo die tiefen, immergrünen Bäume Winters wie Sommers die Sonne abschließen, wo geborstene und faulende Baumstämme die Erde zu einem Labyrinth gewundener Schleichwege und unübersehbarer Verstecke machen. Hier war sein eigentliches Gebiet, denn er konnte wie ein Eichhörnchen klettern, und es war ihm gleichgültig, ob er auf dem Erdboden marschierte, oder in den bebenden Spitzen der Tanne. Doch gab es, dank seiner allzu großen Jagdtüchtigkeit, im Schierlingswald nicht mehr allzu viel Wild, und so mußte er seine Beutezüge weit über Land führen. Da er geräuschlos wie ein Mink und unermüdlich wie ein Wolf lief, legte er zwischen Abend- und Morgenrot ungeheure Entfernungen zurück. Irgendwelche Grenze erkannte er nicht an. Ganz unparteiisch brach er in alle Reservate ein und forderte jeden anderen Waldfrevler zum Wettbewerb an Kraft und Arglist heraus. Den ganzen Tag aber schlief er im tiefen, grünen Schatten der Schierlingstannen, zusammengeknüllt wie eine friedliche Katze, die in einem Heiligenschrein ruht. Sein ungeheurer Kraftaufwand forderte lange Ruhe. Und das war ein Glück für alle anderen Waldtiere, denn so konnten sie den ganzen Tag ungehindert durch den Tannenwald ziehen und ihren verstohlenen Geschäften nachgehen, ohne an den schrecklichen Schläfer in dem Baum zu denken. Verschwand aber die Sonne, dann fürchteten sich selbst die schnellen Waldmäuse vor seiner Nachbarschaft. Und die wilden Kaninchen, die auf Ismaels Speisezettel eine Hauptrolle spielten, flohen den wegsameren Hartholzwäldern zu, um ihre Mondscheinfeste zu feiern. Das Wiesel sogar, dieser unversöhnliche Mörder aller Brut, versagte es sich, im Schierlingswald zu jagen. Denn es wußte, Ismael würde es nicht nur hetzen -- etwa in blinder Freude an dem schwierigen Sport --, nein, er würde auch sein zähes, sehniges Fleisch, das trocken wie eine Peitschenschnur ist, herunterwürgen, dies Fleisch, das kein anderer Forsträuber berührte, solange ihn nicht verzweifelter Hunger trieb. An einem Frühlingsabend -- das Licht des aufgehenden Mondes versilberte die dünne Spitze, ehe noch der letzte Sonnenstrahl im Nebel verschwunden war -- wachte Ismael mit ungewöhnlichem Appetit auf. Ein bißchen hastig kroch er aus seinem Lager und gönnte sich nicht, wie sonst, die Zeit, an dem langen, schräg liegenden Baumstumpf, hinter dem seine Höhle lag, hinzuscheuern. In der vergangenen Nacht hatte er ausschließlich von Kaninchen gelebt, und Kaninchenfleisch hat seine Eigenart, der Hinterwäldler sagt, »es hält nicht vor«. Man wird sofort wieder hungrig, auch nach einem noch so herzhaften Kaninchenmahl, so daß man sehr häufig essen muß, wenn man von diesem Fleisch leben will. Vielleicht ist das eine Fürsorge der Natur, die hindern will, daß das fruchtbare Geschlecht der Kaninchen die ganze Erde überschwemmt. Als Ismael auf seiner Treppe auftauchte, hallte eine dumpfe, hohle Stimme plötzlich durch die Baumspitze. Diese Stimme war schrecklich, und sie klang ganz nahe, aber dennoch war es fast unbestimmbar, woher sie kam. Ismael kannte ihr Drohen sehr gut. Aber ohne sich daran zu kehren, sprang er den schiefen Baumstamm hinab. Für ihn hatte die große Horneule, der Schrecken aller kleineren Räuber, keine Bedeutung. Zufällig aber war dieser fremde Marodeur ein Neuankömmling, eingewandert aus den wenig besiedelten Distrikten südlich des Ottanoon-Tales, wo »Fischer«, die Nachbarschaft und Gewohnheiten der Menschen fürchten, selten sind. Die Eule kannte Ismael nicht. Ihre blassen, starren Augen sahen eine pelzumkleidete Gestalt am Baum hinuntergleiten. Als auf diesen huschenden Körper ein Strahl des Mondlichts fiel, schloß die Eule ihre Schwingen über den Rücken und stieß geräuschlos nieder. Gerade da blickte Ismael mit tiefem Knurren auf. Mit einem heftigen Satz sprang er zur Seite, es war für ihn kein schwieriges Abenteuer. Ismaels geschmeidiger Hals reckte sich und seine langen Zähne senkten sich tief in die gepolsterten Schenkel der Eule. Zwar bekam er nur ein Maul voll dauniger Federn, aber der verletzte Vogel ließ rasch von einer so gefährlichen Begegnung ab. Ismael spuckte gewaltig, um sein Maul von dem zähen, würgenden Gefieder zu befreien. Dann trat er in großer Geschwindigkeit seinen Marsch an. In der Nachbarschaft hatte er kein Wild zu erwarten, deshalb war er in Eile, und wie er so in langen, geräuschlosen Sprüngen auszog, war er eine schöne Verkörperung von Kraft, Gliederbeherrschung und Schnelligkeit. Um aber keine Gelegenheit zu versäumen, die irgendein Jagdzufall ihm in den Weg führen konnte, hielt er im Laufen die Nase hoch und achtete auf jede Witterung. Als er den Schierlingswald verlassen hatte, geriet er in ein Gebiet von jungem Nachwuchs, in ein Dickicht aus halbhohen Kiefern, vermischt mit Birken, Pappeln, Ahorn und Weichseln. Hier nahm er ganz unerwartet eine scharfe Witterung auf. Er stand still wie vor einem Schuß, erstarrte im Augenblick zur Unbeweglichkeit, hielt die Schnauze hoch, und seine scharfen Nüstern prüften die Luft in jeder Richtung. Die Witterung kam von einem Stachelschwein und war so frisch, so einladend, daß er wußte: das stachlige Nagetier war nicht weit. Seine unermüdlichen Augen spähten die Umgebung ab. Endlich, in die Höhe blickend, bemerkte er einen dunklen Ball, der sich im schlanken Ast einer Birke wiegte. Nun ist das Stachelschwein eine Beute, auf die sich die meisten Waldjäger nur ungern einlassen. Seine todbringenden Stacheln sind scharf wie Nadeln und mit dünnen Widerhaken so besetzt, daß sie sich, einmal ins Fleisch eingedrungen, immer weiter bohren, bis sie ein Zentrum des Lebens erreichen. Wiesel, Fuchs oder Luchs setzen sich dieser Gefahr nur aus, wenn der Hungertod sie bedroht. Aber Ismael hatte seine eigene Art, mit Stachelschweinen umzugehen und er wußte, daß das Fleisch unter diesem gefährlichen Panzer kräftig und wohlschmeckend ist. Ehe das stumpfsinnige Stachelschwein seine Nähe auch nur ahnte, saß er schon auf der Birke, weit draußen auf dem wiegenden Ast. Der dünne Ast bog sich unter seinem Gewicht, als Ismael vorsichtig darauf hinschlich. Das Stachelschwein wunderte sich, daß es plötzlich so viel schwerer wurde, und zog sich auf einen weniger gefährdeten Punkt zurück. Aber ehe es seinen Weg noch halb gemacht hatte, stand es plötzlich, nur ein paar Zoll weit, dem schweigenden, todbringenden Gesicht Ismaels gegenüber. Im Augenblick stand jede Stachel zur Verteidigung auf. Aber die Lage auf dem schwankenden Ast war so schwierig, daß das Tier sich nicht sofort in jene Kugel aus spitzen Nadeln verwandeln konnte, vor der alle seine Feinde sich fürchten. Krampfhaft versuchte es, sein nacktes, ungeschütztes Gesicht zwischen den Pfoten zu verbergen. Die Erscheinung vor ihm schlug zu rasch zu. Ismaels Kopf schnellte vor, schnell und geradeaus wie das Maul eines Rattlers, bohrte sich unter die drohende Front der Widerhaken und grub in die Nase des Stachelschweins seine unwiderstehlichen Fangzähne. Im selben Augenblick begann Ismael, der alle nur möglichen Gefahren dieser Lage kannte, auf dem Zweige rückwärts zu kriechen. Das Stachelschwein kämpfte darum, sich zu wenden, um den Feind mit seinem mächtigen Schwanz niederzuschlagen, aber es wurde allzu heftig fortgerissen. Es wehrte sich mit den Pfoten, hielt sich mit aller Kraft zurück und trachtete, seine blutende Nase freizubekommen. Aber da war jede List und jeder Widerstand zu schwach, so unwiderstehlich zerrte Ismael. Bis jetzt war das Abend-Zwielicht in seiner geisterhaften Mischung aus Sonnenuntergang und erstem Mond ganz ohne Stimmen gewesen. Nur der friedliche Ruf eines Nachtfalken klang manchmal hoch über dem violetten Gewölk der Abendnebel. Jetzt brach in diesen Frieden ein jammervolles Gewirr von Tönen, halb unterdrückt und dennoch verzweifelt. Nur wer unmittelbar unter dem Baum stand, hätte den Kampf mit ansehen können. Aber das heftige Brechen von Zweigen, atemlos stöhnende Seufzer, das Knirschen von Klauen, die unbarmherzig aus der Rinde gerissen wurden, waren beredte Künder des Trauerspiels. An der Gabel des Astes angekommen, krallte Ismael seine kräftigen Hinterläufe in den Stamm ein, und mit einem plötzlichen Ruck brachte er das Stachelschwein um seinen Halt, schlug es mit Gewalt gegen einen tiefer liegenden Ast. Halb ohnmächtig und von Entsetzen gepackt, legte das Opfer all seine Stacheln zurück und suchte krampfhaft nach einem Halt. Ismael ließ es diesen Halt beinahe finden, aber als die Beute so ausgestreckt und verteidigungslos hing, gab er die Nase frei und schnappte nach der Gurgel. Sofort erlahmte der Widerstand und hörte im Augenblick ganz auf. Als das Tier bewegungslos hing, ließ es Ismael los, und der Körper fiel in die Tiefe. Voll Angst, irgendein anderer Räuber könnte ihm zuvorkommen, folgte Ismael ihm nach, wälzte ihn sorgfältig auf den Rücken -- denn er wußte, daß die unteren Teile unbeschützt waren -- und dann begann er sein Mahl. Nachdem er gefressen hatte, so viel er konnte, ließ er die Ueberbleibsel achtlos für den nächsten Hungrigen zurück, mit dem ganzen Selbstvertrauen eines immer erfolgreichen Jägers. Er selbst begab sich in die Krone einer nahen, hochstämmigen Buche. Hier machte er sich an eine sorgfältige Toilette, putzte seinen schönen Pelz, bis auch nicht eine Spur des blutigen Abenteuers zurückblieb. Dann verließ er die Buche und schlich durch die mondsilbrige Stille, so wach und jagdlustig, als hungerte er seit vielen Stunden. Durch diese Stille kam jetzt das leichte Plätschern eines laufenden Wassers. Als hätte dieser Laut eine Erinnerung in ihm geweckt, schwenkte er scharf zur Seite, und in ein paar Sekunden erreichte er eine kleine grasige Halde am Ufer eines seichten Baches, der sanft über die Kiesel plätscherte. Ismael war nicht durstig. Er schenkte dem Wasser keine Aufmerksamkeit, sondern kroch schnüffelnd durch Gras und Kräuter, bis er plötzlich gefunden hatte, wonach er suchte. Da stürzte er sich hinein, überschlug sich wieder und wieder und biß in einer Art von Wollust um sich. Was er gefunden hatte, war ein Beet mit Katzenkraut, ein Gewürz, für das er die halb wahnsinnige Leidenschaft der Katzen selbst fühlte. Als Ismael sich an dieser Kostbarkeit genug getan hatte, ging er stromabwärts, die Nase hoch, wie immer. Aber die Schärfe seiner Witterung hatte im Augenblick durch das Gewürz gelitten. So geschah es, daß Ismael, als er einen schweren verfaulten Baumstamm umschlich, geradezu in eine große schwarze Bärin hinein rannte, die im Moder nach Käfern grub. Die Bärin machte mit ihrer riesigen Tatze einen furchtbaren Angriff, und nur durch einen blitzschnellen Seitensprung entging Ismael einem bösen Schicksal. Wütend und feindselig umschlich er den Stamm und erschien plötzlich auf der andern Seite, knurrte giftig und duckte sich, als wollte er dem großen Tier an die Kehle fahren. Doch war er keineswegs wahnsinnig; als die Bärin mit zornigem Brummen nach ihm schlug, duckte er sich zur Seite und verschwand wie eine Schlange im Unterholz. Unter den Aesten eines Tannen-Dickichts hinkriechend, stieß er fünf Minuten später auf etwas, das warm und lebendig war und zusammengeknüllt auf dem Boden lag. Ismaels Nase hatte diesmal versagt -- vielleicht weil die Brut der wilden Tiere bisweilen, gleichsam zu ihrem Schutz, keine Witterung gibt --, und seine Augen hatten gleichfalls versagt, weil die unbewegte kleine Gestalt in Farbe und Linie ganz in ihre Umgebung verschmolz. Die Ueberraschung war für Ismael nicht überwältigend. Seine geübten Zähne fuhren sofort und ohne Ueberlegung nach der Gurgel des neuen Opfers. Es erklang ein scharfes Wimmern, voll Ohnmacht und Sehnsucht, dann kämpften hilflose Glieder einen tragisch-kurzen und matten Kampf. So sorgsam die Mutter es versteckt hatte, das Rehkalb war allzu früh dem Schrecken der Wildnis erlegen. Ismael liebte Wildpret fast noch mehr als Stachelschwein. So trank er gierig das warme Blut, obwohl er nicht gerade hungrig war, und brachte es sogar fertig, noch einen soliden, kleinen Nachtisch zu sich zu nehmen. Bei dieser angenehmen Beschäftigung versäumte er es doch nicht, nach der alten Rehkuh zu wittern, denn er wußte, daß ihre messerscharfen Hufe und ihre Mutterverzweiflung selbst ihm gefährlich werden konnten. Plötzlich dröhnte und krachte etwas durch die Aeste. Es war jedoch nicht die Hindin, die in das Dickicht einbrach, es war die große, schwarze Bärin. Sie hatte ihn verfolgt, und jetzt war sie da, ihm seine Beute abzunehmen. Eine oder zwei Sekunden lang war Ismael blind vor Zorn, stemmte sich über das Wildpret, und so gefährlich war die Wut, mit der er den Eindringling anfletschte, daß es schien, als würde die Ungleichheit ihrer Kampfmittel ausgeglichen. Aber die Bärin kümmerte sich nicht um diesen Zorn. Sie polterte vorwärts und schlug plötzlich nach dem kleinen braunen Tier, das so unverschämt war, ihr Widerstand zu leisten. Der Hieb fiel natürlich in die Luft, denn Ismael war wie ein Schatten verschwunden. Aber gleich darauf fühlte die Bärin einen stechenden Schmerz in den großen Muskeln über ihrer Ferse. Wie der Blitz fuhr sie herum und schlug abermals. Aber wieder war Ismael verschwunden. Laut knurrend duckte er sich, zwölf Fuß weit fort von ihr, als forderte er sie zur Verfolgung auf. Die Bärin jedoch, so böse sie war, ließ sich nicht verlocken. Ihre Wunde war wohl schmerzhaft, aber nicht gefährlich, denn der Rachen ihres Gegners war viel zu schmal, um ihren großen pelz-geschützten Gliedern ernsthaften Schaden zu tun. An Gewandtheit aber, das wußte sie, konnte sie sich mit dem durchtriebenen kleinen Gegner nicht messen. Vor allem war sie hungrig. In ihrem Lager, unter der Felsnase eines nahen Bergrückens, hatte sie zwei helläugige, lustige Bärenjunge liegen, und der Appetit dieser Jungen stellte Anforderungen an ihre Brüste, denen sie mit einer Nahrung aus Waldkäfern und wilden Knollen kaum entsprechen konnte. Das Fleisch der Rehkitze war für sie ein Gottesgeschenk. Unfreundlich brummend, machte sie sich an die Mahlzeit, hielt aber dabei einen wachsamen Blick auf den Feind. Nun traf es sich durch Zufall, daß Ismael von dem Lager unter der Felsnase und seinen verwöhnten Inhabern wußte. Aus sicherem Hinterhalt hatte er alles beobachtet, vor Bosheit mit den Zähnen knirschend, aber doch nicht wagemutig genug für das gefährliche Abenteuer, dort einzudringen. Jetzt war seine Wut stärker als jeder Gedanke an Vorsicht. Trotzdem verließ die Schlauheit ihn nicht ganz. Er machte einen zweiten drohenden Vorstoß gegen seine Gegnerin, um sich ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit zu versichern, und dann drehte er sich zur Seite, als hätte die Wut ihres Gegenangriffs ihn gelähmt. Er verzog sich nicht allzu schnell, und in einer Richtung, die entgegengesetzt zu der des Bärenlagers war. Pfiffig hielt er sich im Mondlicht der offenen Wiese, die Augen der alten Bärin folgten ihm aufmerksam, bis er unter dem Schatten verschwand. Endlich, als er sicher war, daß kein Auge mehr ihm folgte, machte er Kehrt, beschrieb einen kurzen Umweg und eilte dann schnurstracks zur Felsnase. Das Lager der alten Bärin lag in einer kleinen Höhle mit engem Eingang, gerade dort, wo die geneigte Fläche aus Schiefergestein, die einen Ausläufer des Blauberges bildet, plötzlich abbricht und einen tiefen Hohlweg überschattet. Dort, etwa fünfzehn Fuß unter dem Schiefer-Vordach lief ein halb zerborstenes Riff, das zum Eingang der Höhle führte. Auf diesen Eingang fiel jetzt ganz unbewölkt das Licht des Mondes und tauchte die Spitzen der Tannen im Tal darunter in schneeiges Weiß. Es war zweifellos eine gefährliche Sackgasse, ohne Hintertür zum Entweichen, aber Ismael zögerte nicht. Er wußte, daß die alte Bärin weit fort war, in dem Dickicht auf der anderen Seite des Felsens, und ihr gestohlenes Mahl verzehrte. So glitt er an dem Schieferdach hin, einen Augenblick lang stand sein dunkler, biegsamer Schatten verräterisch im Licht. Dann schlüpfte er in die Höhle. Die beiden schwarzen, glänzenden Bärenjungen, die vielleicht die Größe einer Hauskatze hatten, fingen gerade an, hungrig zu werden. Im Hintergrund der Höhle zusammengekauert, wimmerten sie sich gegenseitig an, ihre kleinen, spitzen Ohren mühten sich ab, die schlürfenden Fußtritte der heimkehrenden Mutter zu hören. Ihre hellen, schalkhaften, kleinen Augen hingen sehnsüchtig an dem Flecken von Licht, der den Eingang zu ihrer Behausung füllte. Plötzlich sahen sie nicht die große Gestalt ihrer Mutter, hinter der alles Licht verschwand, sondern einen kleinen flinken Schatten, der mit zierlichem Sprung hereinkam. Und da wußten sie, daß dies springende Geschöpf ein Todfeind war, daß es sie deshalb mit so grausam gierigen Augen anstarrte, und beide erhoben sie ein schrilles, jammervolles Hilfegeschrei. Wie es unter so persönlich gearteten, so hoch entwickelten Tieren wie den Bären oft vorkommt, waren die beiden Jungen in ihrem Temperament ganz verschieden. Eins von ihnen stellte sich tapfer der Gefahr, sein weiches Pfötchen fuhr zum Schlag empor, und die dünnen, schwarzen Ränder seiner Lippen fletschten sich mutig über den dünnen Zähnen. Das andere erstarrte im Blick der nahen, drohenden Augen, es zitterte bang und verlor alle Kraft, sich zu bewegen. Dies unglückliche kleine Geschöpf war es, auf das Ismaels Auge zuerst fiel. Mit einem Sprung saß er an seiner Kehle, drehte es auf den Rücken und begann wild, das Blut zu saugen. In diesem Mord war die Wollust befriedigter Rache, und darüber vergaß Ismael alle Vorsicht. Eine Sekunde später wurde Ismael durch ein schwaches Kratzen und Nagen an seinem Hinterbein gestört. Das andere Bärenjunge, von jenem Schlag, der die Gefahr nicht abwägt, war seinem kleinen Bettgenossen tapfer zu Hilfe gekommen. Mit triefenden Backen und furchtbarem Knurren sprang Ismael zur Seite, um sich auf den machtlosen Angreifer zu werfen. Im selben Augenblick aber fingen seine Ohren das Schleichen rascher Schritte draußen in dem Felsen. Mit einer blitzschnellen Bewegung, als wäre sein Körper ganz aus stählernen Federn, kam er bis zum Eingang zur Höhle. Dort aber erreichte ihn auch die Bärenmutter, atemlos vor Hast. Kaum beim Mahl, war plötzlich instinktive Angst über sie gekommen, sie hatte diese Angst nicht abschütteln können -- jetzt war sie da! Ihre furchtbare Tatze traf Ismael mit aller Wucht ins Gesicht, trieb ihm den Kopf zwischen die Schultern und klebte ihn an den Felsen. Dann traf die andere Tatze, wie ein Rammklotz, auf seine schlanken Lenden. Aber selbst in Todesnot arbeiteten seine Zähne noch, schnappte er wild und furchtbar um sich. Freilich, in ein oder zwei Sekunden war alles vorbei, lag er ohne Atem, eine formlose Masse aus Blut und Pelz, zu Füßen der Siegerin. Die alte Bärin nahm Abstand und warf noch einen langen Blick auf den Kadaver, dann hastete sie wimmernd vor Angst in ihr Lager. Das unverletzte Junge kam ihr entgegen gekrabbelt. Mit hastigem Lecken und Beschnüffeln überzeugte sie sich, daß ihm nichts fehlte, dann wandte sie sich zu dem toten. Heulend beroch sie es, liebkoste es mit ihrer Zunge, bewegte es zärtlich mit der Tatze. Vielleicht eine volle Minute dauerte es, bis sie ganz begriffen hatte, daß es tot war. Als sie an der Wahrheit nicht länger zweifeln konnte, hörte sie auf zu jammern. Mit dem starren kleinen Leichnam im Maul verließ sie die Höhle und legte ihn sorgsam auf eine steil abfallende Felsecke. Als hätte sie ihm eine Art Beerdigung zugedacht, ließ sie den Körper langsam den Felsen hinabgleiten. Er fiel schneller und schneller, überschlug sich und blieb endlich in den Zweigen einer alten Pechtanne hängen, die, wohl fünfzig Fuß tiefer, gleichsam gewartet hatte, ihn aufzunehmen. Die Mutter gönnte sich nicht die Zeit, diesen Fall zu beobachten. Heftig wandte sie sich um und warf sich noch einmal auf die Ueberreste Ismaels. Da schlug und bearbeitete sie diese mit ihren Tatzen, bis sie an kein Geschöpf mehr erinnerten, das je die Wildnis durchstreift hatte. Sie dachte nicht daran, sein widerwärtiges, zähes Fleisch zu verzehren -- sie war wählerisch im Essen, liebte Honig und Früchte und reine Nahrung. Als sie an dem Kadaver ihre ganze Wut ausgetobt hatte, schleuderte sie ihn rechts über die Felsnase, dann zog sie sich in die Höhle zurück, um das Kleine zu säugen, das ihr geblieben war. Was von Ismael übrig geblieben war, fiel in einen Hohlweg hinab, der viel begangen war. Dort balgten sich vielleicht um sein Fleisch ein paar neidische alte Füchse oder Wildkatzen, vielleicht bot er -- noch unrühmlicher -- ein lang ausgedehntes Fest für aasfressende Käfer und Schmeißfliegen. Ein Jahr ohne Kaninchen Es war das Hungerjahr -- für alle fleischfressende Kreatur der nördlichen Wildnis ein Jahr voll nie unterbrochenen Lauerns, hellster Wachsamkeit, ungeahnt heftiger Fehde. In diesem Jahre brach jede Schonung, jeglicher Vertrag. Denn es war das Jahr ohne Kaninchen! Was kaum einmal in Jahrzehnten vorkommt, ihre schwärmenden Rudel waren auf rätselhafte Art verschwunden, als hätte eine Pestilenz sie ausgerottet oder als hätte eine Laune unbekannter Mächte sie ins Exil verstoßen. Seitdem herrschte Anarchie in der Wildnis, denn das Kaninchen ist dort die letzte Auskunft, der große Erhalter des Friedens. Das Kaninchen ist es, das unter den gefährlich selbständigen und unleitbaren Jägern und Räubern dem Leben eine gewisse Gleichmäßigkeit gibt. Auf seine unerschöpfliche Fruchtbarkeit, auf den Vorrat an Nahrung, den es mit der Legion seiner lebendigen Körper bietet, sind alle anderen Leben angewiesen. Die leichte Jagd auf Kaninchen befriedigt den Blutdurst der Raubtiere. Dank dieser mühelosen Jagd können die Raubtiere des Waldes sich nutzlose Kämpfe ersparen, und indem sie eins das Leben der anderen schonen, vermeiden sie Gefahren und unnützes Blutvergießen. Denn, mit Ausnahme mancher Männchen in der Brunstzeit, suchen nur wenige Raubtiere den Kampf um des Kampfes willen. Mit einem Gegner von annähernd gleicher Tüchtigkeit lassen sie sich nur dann ein, wenn es die Verteidigung ihrer Jungen gilt. Ein zu kostspieliger Sieg ist ja meist so schlimm wie eine Niederlage. Er schwächt auch den Sieger, daß er dem nächsten Feind, den der Zufall über seinen Weg führt, zur leichten Beute wird. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, wenn man unter den größeren Tieren manchmal so etwas wie Waffenstillstand beobachten kann, soweit er die hilflosen Jungen angeht. Es handelt sich da nicht um Wohlwollen, es ist einzig und allein die Frage kühler Ueberlegung. Werden aber ihre Jungen bedroht, dann sind selbst die Schwachen gefährlich, die Starken von unversöhnlichem Rachedurst. Im allgemeinen gilt deshalb unter gleich Starken das Beschleichen von Brutplätzen nicht als gute Jagd. Die Gefahr ist zu groß für den Gewinn. Als jedoch die Kaninchen verschwunden waren, hatte sich alles geändert. Da wurde jede Jagd gute Jagd. Man kann sich schwer vorstellen, daß diese kleinen, huschenden, schlau-äugigen Tierchen im Haushalt der Wildnis eine so bedeutsame Rolle spielen. Dennoch war kein Tier so stark oder hochmütig, daß es bei ihrem Verschwinden gleichgültig geblieben wäre. Der Mensch sogar wurde davon betroffen; denn jetzt kamen die Füchse und die Wildkatzen seiner Siedlung nahe, pürschten sich an die Hühnerhöfe und die Weideplätze abgelegener Farmen. Auch die großen Pflanzenfresser, Hirsche, das Renntier und sogar das gewaltige Elen wurden von der plötzlich einreißenden Anarchie ergriffen. Jetzt mußten Elen und Renntier ihre Jungen mit einer Wachsamkeit behüten, wie nie zuvor. Die schwächeren Tiere aber bekamen Feinde, die sie bisher kaum beachtet hatten, die aber grausam gefährlich wurden. Von allen Bewohnern der Wildnis war der Bär am wenigsten betroffen. Er hatte nie mehr als einen gleichgültigen Seitenblick für ein so geringes Wesen wie das Kaninchen gehabt, und solange er im Forst Wurzeln, Früchte und Schwämme, Maden und Käfer, Ameisen und Honig fand, spielte Fleischnahrung für ihn kaum eine Rolle. Wurde aber einmal der Hunger auf Fleisch mächtig in ihm, dann liebte er große Jagd auf Rehe, Schafe oder eine verlaufene Färse. Aber trotz all ihrer Unabhängigkeit mußten selbst die Bären auf das Verschwinden des Kaninchens Rücksicht nehmen. Sie bekamen Furcht, sich allzu weit von ihrem Lager zu entfernen, denn in ihrer Abwesenheit konnte ein besonders kühner Fuchs oder Luchs oder Fischer eindringen und die Jungen töten. Die Luchse waren es andererseits, die am meisten zu leiden hatten. Sie und die Wiesel waren die eifrigsten Kaninchenjäger, dem Luchs aber fehlte die Anpassungsfähigkeit des Wiesels. Der Luchs geht seinen von Alters her bestimmten Weg; obwohl er viel wilder und auch viel kampftüchtiger ist als sein kleiner Vetter, die Wildkatze, ist er doch dem Menschen und all seinem Beginnen gegenüber besonders scheu. Statt mit Fuchs und Wildkatze die Bauernhöfe zu umschleichen, blieb der Luchs, wo er einmal war, hungerte oder ging auf gefährliche Jagd. Fast auf der Spitze eines steilen und felsigen Hügels, im Herzen eines Zedern-Dickichts, hatte eine weise alte Luchsmutter ihr Lager. Die Oberfläche des Hügels war ein Wirrwarr aus verknorrten Birken und Schierlingstannen, in brüchige Felsblöcke eingekeilt, das Lager aber eine Höhle mit engem Eingang, nahe der Spitze. Hier glaubte die Mutter der Wildnis ihre Brut wohl versorgt. Alle Zugänge zu der Höhle waren eng und schwierig, und nur ein kühner Feind hätte diesen gefährlichen Eingang betreten, solange er nicht ganz sicher war, ob die Mutter zurückkehren würde. So wagte sie es, was in dieser gefährlichen Zeit nur wenige Mütter wagten, weit hinaus auf Beute zu schweifen. Und das war gut. Denn ihre getigerten, samtigen Kätzchen waren derbe und hungrige Kinder, deren Säuglingsgewinsel schon einen herben, streitlustigen Klang hatte, selbst da sie noch blind im Nest krabbelten. Die Mutter mußte tüchtig jagen, um für die Ansprüche dieser geliebten Brut Milch genug in den Brüsten zu haben. Im Gegensatz zu den meist glücklicheren Müttern der Wildnis hatte sie ganz allein für ihre Familie zu sorgen. Ihr zügelloser Gatte durfte nicht einmal wissen, wo das Familienversteck lag, sonst war es möglich, daß er sich in einer Anwandlung unväterlicher Gier aus dem eigenen Nachwuchs ein Festmahl machte. Für gewöhnlich sah sich dies wilde und verschlafene Ehepaar, ausgenommen in der Brunstzeit, nur selten. In diesem Hungerjahr aber trafen sie sich häufig zu gemeinsamer Jagd auf irgendein Wild, mit dem sie einzeln nicht fertig werden konnten. War das Glück ihnen günstig, dann konnten sie zusammen vielleicht einen Bock zur Strecke bringen. Aber kaum hatten sie sich brav daran gesättigt und die Ueberreste im Dickicht verborgen, floh das Weibchen in angstvoller Hast zu ihrem Lager. Das Männchen stellte sich, als wollte es ihr folgen; aber da wandte sie sich mit so drohender Wut gegen ihn, daß er zurücksprang, sich auf seine Keulen setzte, seine noch bluttriefenden Lippen schleckte und sie so unschuldig anblickte wie ein Kätzchen seinen Herrn, nachdem der Kanarienvogel verschwunden ist. Die erfahrene Mutter aber ließ sich nicht täuschen. Ueber ihre graue Schulter zurückäugend, knurrte, spuckte und zischte sie, bis die gefährliche Erscheinung ihres Gatten außer Sicht war. Dann schwenkte sie von ihrem Wechsel ab und schlug eine entgegengesetzte Richtung ein. Ihr Eheherr aber hatte viel zu viel Liebe zu seinem Fell, als daß er es gewagt hätte, ihr zu folgen. Als die Luchsmutter eines Tages von solch einem Ausfluge heimkehrte, bald wie ein Lichtstrahl durchs Dickicht gleitend, dann wieder in großen, geräuschlosen Sprüngen, fühlte sie plötzlich etwas wie eine dumpfe Vorahnung. Vielleicht war sie länger als gewöhnlich fort gewesen. Mit gespanntem Körper schlich sie voran, hinein in das Gewirr aus Blöcken und Felsen. Kaum am Ziel, fing ihre Nase eine scharfe, fremde Witterung, und ein Streifen rötlich-gelben Fells verschwand unter einem Busch. Schnell wie der Blitz war auch sie in diesem Busch -- aber da war nichts mehr! Um die nächste Ecke jedoch bog ein großer Fuchs. Sie zauderte einen Augenblick. Besinnungslos vor Wut, war sie nahe daran, ihn zu verfolgen, ihn mit ihren furchtbaren Krallen in Stücke zu reißen -- dann war die Mutterliebe stärker. Sie eilte zu ihrem Lager, schnüffelte hinein, wimmernd vor Angst und Sehnsucht. Die Kätzchen waren alle da, ungestört, und drängten sich an ihre Zitzen, als sie es fühlten und rochen, daß die Mutter sich über sie beugte. Aber sie hatte jetzt keine Zeit, sich den Wünschen der Jungen zu widmen. Der Gedanke an ihren Feind ließ sie nicht ruhen. In aller Hast beleckte sie die Kleinen, um sie ein wenig zu beruhigen, dann ließ sie sie wieder allein, und hinter ihr klang hell der Jammer von Hunger und Enttäuschung. Sorgfältiges Abschnüffeln belehrte die Mutter bald, daß der Fuchs kaum auf zehn Fuß weit an den Einschlupf herangekommen war. Aber für ihr liebendes Herz war das schon mehr als genug. Der Feind hatte aufgeklärt, er hatte das Versteck gefunden, in dem sie ihren Schatz verbarg! Es war ein Feind, den sie fürchtete, denn er war stärker als sie selbst, und ganz außer sich vor Wut und Angst suchte sie jeden Winkel und jeden Spalt auf dem Hügel ab. Natürlich fand sie nichts als Moschus-Duft, den er so freigebig zurückzulassen pflegt. Der Zufall aber wollte es, daß sie am Fuße des Hügels, fast unmittelbar unter ihrem Lager, einen anderen Eindringling entdeckte. Ein schwarzer Bär grub dort Wurzeln aus der fetten Erde zwischen den Felsen. Sein Besuch war so harmlos wie möglich, er dachte nicht einmal an junge Luchse. In den Augen der sorgenden Mutter aber spionierte auch er den Weg zum Versteck ihrer Kleinen auf! Natürlich kann auch der stärkste Luchs den Kampf mit einem Bären nicht wagen. Eine Mutter aber ist Mutter, und dies ist das große Wunder unserer Schöpfung. Der Bär wühlte aufmerksam Moos und Gras durcheinander und dachte an keine Gefahr, als wie ein Wirbelwind Klauen und Zähne und wildes Fauchen ihm ins Genick kamen. Er war völlig überrascht, blutete schwer und schlug vergeblich mit seinen schweren Pranken über die Schulter. Jeder Schlag hätte seinen wütenden Angreifer getötet, aber nicht ein Mal traf er; kaum daß er ein Stückchen armseliges Fell berührte. Im nächsten Augenblick floh er, und von Entsetzen gepackt, tobte er durch die Zedern. Die Luchsmutter saß ihm im Nacken, biß und kratzte, bis ein niedriger Zweig sie abschüttelte. Worauf sie eine Pause machte, um die langen, schwarzen Haare, die sie so eifrig ausgerissen hatte, aus ihren Zähnen zu spucken und dann mit erleichtertem Herzen zu ihrem Lager zurückzukehren. Der Bär rannte drauf los, aber sein Entsetzen wich allmählich einem Gefühl von Entrüstung, bis dieses jedes andere Gefühl unterdrückte. Da machte er Kehrt und trottete langsam auf der eigenen Spur zurück. Er wollte den unverschämten Wegelagerer aufspüren und erledigen! Als er den Hügel erreicht hatte, änderte er abermals seine Absicht. Schließlich: war es der Mühe wert, der Hexe aufzulauern? Sie schien reichlich listig zu sein. So wechselte er zur anderen Seite des Hügels und tobte dort seine Wut aus, indem er einen alten Baumstamm zu Splittern riß. Obwohl ein winziger Gegner ihn ruhmlos in die Flucht geschlagen hatte, war das Abenteuer für den Bären nicht allzu wichtig. Seine Wunden waren leicht und bald vergessen. Etwas anderes war es für die Luchsmutter. Ihre Sicherheit war dahin! Sie fühlte, daß beide, Fuchs und Bär, hinter ihren Jungen her waren, durfte sich nicht mehr aus dem Bau wagen, um zu jagen. Nahe dem Lager aber gab es, dank ihrem guten Ruf, selten ein Stückchen Wild zu sehen. So konnte sie nichts mehr tun, als in unermüdlicher Geduld auf wilde Hühner und Waldmäuse zu lauern. Dabei wuchs ihr Hunger, der Vorrat kostbarer Milch in ihren Brüsten wurde geringer, indes die Jungen, deren Augen sich gerade öffneten, in ihrer Gier immer dringlicher wurden. Etwa drei Tage nach dem Besuch des Bären und des Fuchses tauchte eine riesige Elen-Kuh in der Gegend jener Höhle auf, die suchte, wie die Luchsmutter es jüngst getan hatte, Ruhe und Sicherheit. Sie langte auf der andern Seite des Hügels an und ahnte nichts von der Luchsin, die in ihrem Buschversteck, nahe der Spitze, auf der Lauer lag. Sie war schwarz und grimmig und sah sehr gefährlich aus, die große Elen-Kuh. Sicher konnte sie mit einem einzigen Schlag ihrer gespaltenen Vorderhufe auch die größte Katze zusammenschmettern. Deshalb dachte die Luchsin auch nicht daran, mit ihr selbst anzubinden. Aber sie wußte genau, weshalb die schwarze Pflanzenfresserin dies Versteck aufsuchte, und hoffnungsvoll leckte sie ihre schnurrbärtigen Lippen. Bei Tagesanbruch gebar die Elen-Kuh ein langbeiniges, zitterndes Kalb und bettete es in das zarte Moos am Fuße des Felsens. All ihre Schmerzen waren im Augenblick vergessen, lang und zärtlich beleckte sie das Neugeborene, bis sein zartes Fell trocken war und dunkel glänzte. Als dann der warme Tag erwachte, krabbelte es auf seine schwachen Füße und machte den ersten Versuch, zu säugen. Es war so lächerlich mager und klapprig, dickköpfig und gliederschwach! Die wackligen Beine konnten das Gewicht des Körpers kaum tragen, nach zwei oder drei Minuten sank es wieder ins Moos zurück. Und da lag es, blickte mit sanften, neugierlosen Augen um sich, indeß die Mutter es mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit betrachtete. Für sie war dieses Kälbchen das Einzige im ganzen grünen Forst, das wirklich schön war ... Ein Raschellaut, aber anders als der von fallendem Laub oder Gezweig, kam plötzlich an ihr wachsames Ohr. Scharf wandte sie den Kopf. Da hockte, keine hundert Fuß weit ab, der Bär am Zedernstamm, wühlte Erde und hatte das Maul voll heller, gelber Pilze. Ein Bär! Unter allen nur möglichen Feinden war das der furchtbarste! Mit einem harten Schrei, einer Art heiseren Gebrülles, stürzte sie gegen ihn! Der Bär war überrascht und erschrak beim Anblick des schwarzen Unwetters, das auf ihn niederging. Er war kein besonders großer Bär, aber sie war eine besonders große Elen-Kuh. Falls er imstande war, nachzudenken -- eine Frage, in der die Gelehrten sich scharf widersprechen -- dann überlegte er vielleicht, daß dieser Hügel keine besonders glückliche Gegend für ihn war. Zu viele Mütter und kaum genug Pilze. Jedenfalls beschloß er, eiligst zu verschwinden. Und diesen großen Entschluß führte er so geschwind aus, daß es ihm gelang, einen gewaltigen Abstand hinter sein Hinterteil und diese furchtbar schmetternden Hufe zu legen. Da empfand er, daß er sich mit einiger Berechtigung Glück wünschen dürfe. Die Luchsin hatte aus ihrem hohen Versteck den wilden Angriff der Elen-Kuh auf den Bären beobachtet, und ihre blassen, runden Augen standen in Flammen. Unhörbar verließ sie ihr Versteck -- das schwache Opfer ließ keinen Schrei hören. Viel zu erfahren, viel zu geschickt im Töten war die Luchsin! Sie wünschte keinen Kampf, der die Aufmerksamkeit der Mutter von der Verfolgung des Bären abzog. So verließ das unglückliche Kalb dies Leben, dem es eben erst seine Augen geöffnet hatte und wußte nicht, wie ihm geschah. Die Luchsin schleppte ihre widerstandslose, aber noch zitternde Beute eilig den Felsen hinauf. So rasch wie irgend denkbar mußte sie das Kälbchen aus dem Bereich seiner Mutter bringen. Für ein Tier ihres Gewichts, nicht mehr als vierzig armselige Pfund, war die Luchsin bewundernswert stark, und dabei war sie leidenschaftlich in ihrem Entschluß. Dies Beutestück würde es ihr möglich machen, im Bau zu bleiben, bis die Jungen die Zeit der völligen Hülflosigkeit überwunden hatten. Nichts konnte sie mehr in die Ferne locken. Aber trotz aller verzweifelten Anstrengungen war das armselige Kälbchen mit seinen langen, schleppenden Beinen so unhandlich, daß sie nur gefährlich langsam über die brüchigen Felsen klettern konnte. Als die Elen-Kuh erfaßt hatte, daß der Bär ihr entronnen war, machte sie eilends kehrt. Das leichte Moos flog unter ihren gespaltenen Vorderhufen, so schnell eilte sie zu ihrem Kalb zurück. Dann fiel sie in einen schlendernden Trott, dachte nichts Böses mehr und war stolz darauf, den Feind so tapfer vertrieben zu haben. Da war das Junge nicht mehr auf seinem Platz! Einen gewaltigen Satz tat sie vorwärts, ihre lodernden Augen suchten die ganze Fläche des Hügels ab, und da sah sie mit einem Blick nach der Höhe, was geschehen war! [Illustration] Als diese schwarze Rachegestalt donnernd auf sie zutobte, strengte die Luchsin sich verzweifelt an, ihre Beute in Sicherheit zu bringen. Der Abhang war an dieser Stelle so steil, daß ein Elen ihn kaum erklettern konnte. Aber die verzweifelte Mutter schnellte sich dennoch empor, und ihre vorgeworfenen Hufe trommelten zu beiden Seiten des toten Kälbchens auf die Felsen. Im Augenblick verzagt, ließ die Luchsin ihre Beute fahren und duckte sich mit bösem Fauchen. Dann sah sie, daß der Gegner zu kurz gesprungen war, stieß wieder vor und senkte die Zähne aufs neue in die Gurgel des Opfers. Von ihrem wilden Sprung war die Mutter heftig auf die Keulen zurückgefallen. Ohne den Stoß zu beachten, nahm sie einen neuen Anlauf, und dann ging's abermals zum Angriff. Diesmal war sie weniger ungestüm, und die Luchsin, die über die Schulter des Kälbchens nach ihr äugte, war ohne Angst. Aber in Wirklichkeit war die weiße alte Elen-Kuh nie so gefährlich wie gerade jetzt. Sie, die schon so manches Lebensjahr, so manche Gefahr triumphierend überstanden hatte, sie wußte, wie ihre Kraft am besten zu brauchen war. Und bei dem ersten Sprung schon hatte sie gesehen, daß ihrem Jungen nicht mehr zu helfen war. Rache war alles, woran sie denken konnte! Bei diesem Angriff stemmte sie die beiden Hinterbeine ein und prallte in einem wundervoll berechneten Stoß vor. Die Luchsin wurde völlig überrumpelt. Nahe daran, das Gleichgewicht zu verlieren, klammerte sie sich mit aller Kraft auf ihren Stützpunkt, in wütendem Zorn, mit zitternden Ohren. Diesmal hatte sie sich gänzlich verrechnet. In der nächsten Sekunde schon traf sie die Wucht eines der stampfenden Vorderhufe, trieb ihren Kopf zwischen die Schultern -- und da torkelte ihr zäher Körper, kraft- und willenlos über das tote Kälbchen hin. Abermals fiel die Elen-Kuh zurück, denn es war ihr auf dem festen Abhang nicht möglich, festen Fuß zu fassen, dann wiederholte sie den wundervollen Sprung. Diesmal stampfte sie die beiden Körper ineinander und ließ sie den Abhang hinunterkollern. Klar und unerbittlich in ihrer Wut, fegte sie das Opfer sorgfältig zur Seite, trampelte seine Reste in die Erde. Als die Rache ganz vollzogen war, kehrte sie um, beschnüffelte minutenlang zärtlich ihr Junges, und aus ihrer zottigen Kehle kamen tiefe Schmerzenslaute. Stundenlang stand sie noch so, das Haupt gesenkt, bewegungslos, bis der letzte Sonnenschein dahin war und der Wald im tiefen Schwarz lag. Dann ging der Mond auf, warf sein weißes Licht über die Baumspitzen und breitete sich wie eine blasse Hand über den Felsen, bis er das traurig-grausame Schauspiel am Fuße des Hügels beleuchtete. Da war es, als verstünde die Elen-Kuh plötzlich, daß das Geschick sich unerbittlich vollzogen hatte. Sie hob das schwere Haupt, sog die Nachtluft mit vollen Lungen ein, und lautlos verschwand sie in den Zedern. Ein oder zwei Stunden später pürschte sich vorsichtig der Bär wieder heran. Erst versteckt, hatte er seine letzte Gegnerin abziehen sehen, mit einem Ausdruck, als würde sie in diesem Forst nie wieder erscheinen. Hocherstaunt kam er jetzt angetrottet, um eine Erklärung für dies Wunder zu suchen. Die Erklärung war ganz nach seinem Geschmack. Für die zerstampften Reste der Luchsin hatte er nur ein verächtliches Grunzen, aber gesegneten Hungers machte er sich über das herzhafte Mahl her, das ihm das Elen-Kalb bot. Glückselig saß er auf seinen Keulen und genoß dies Fest, vielleicht mit einem Gedanken daran, wie doch die Bären unter allen Geschöpfen der Wildnis die glücklichsten seien. Das wäre zumindest eine kluge und richtige Betrachtung gewesen, hätte er sie nur anstellen können, und nicht mehr als der gebührende Dank für jene Mächte, die seine Art so großmütig bevorzugt haben. Die kleinen Luchse in ihrem Lager, Säuglinge, die jetzt über allen Begriff hungrig wurden und jammervoll weinten, schienen einem langsamen und erbärmlichen Lebensende geweiht. Doch so grausam ist die Natur nur selten. Voll Neugier, zu wissen, ob auf dem Hügel etwas Neues passiert sei, kam der Fuchs durch die schwarzen Schatten geschlichen! Aus dem Dickicht heraus beobachtete er den Bären bei seinem Festmahl und begriff. Weiter durchforschte er das Hügelland und hörte das Jammern der Kätzchen. Sich diesen Ton zu erklären, fiel ihm nicht schwer. Noch eine kurze Erkundung, dann tauchte er in die Höhle unter. Ein paar Schreie, die schwach aber tapfer klangen, und nun war auch der Jammer von Hunger und Einsamkeit verklungen. Der Fuchs war viel zu sachlich, um mit seinen Opfern zu spielen und sie zu quälen, wie irgend ein Katzentier es getan hätte. Er tat sie auf einmal ab und schickte sich schleunigst an, sie in seinen Bau zu schleppen. Denn obgleich er selbst einen tüchtigen Imbiß wohl brauchen konnte, dachte er zuerst an sein Weibchen und seine Kinder, denen er mit ganzem Herzen ergeben war. Jetzt, da die schreckliche Luchs-Mutter den Hügel nicht länger beherrschte, fing das kleinere Waldvolk wieder an ihn mit Vorsicht zu besuchen. In der Nachbarschaft des verlassenen Lagers hielten sie sich freilich nicht gerne auf, denn die Höhle im Gipfel konnte leicht einen neuen, gefährlichen Mieter finden. Von den beiden Körpern am Fuße des Felsens waren bald nur noch ein paar sauber und weiß geputzte Knochen übrig, dann verödete der Ort. Ein paar wilde Hühner und Spechte wurden seine einzigen Besucher. So endete der Sommer. Als die Ahorn-Aeste sich langsam in herbstliches Gelb kleideten, erschienen wieder ein paar Kaninchen, einzeln und in Paaren, ein furchtsames, auseinander gestreutes Volk. Sie ließen sich nieder, und da die Zahl ihrer Feinde geringer geworden, vermehrten sie sich mit erstaunlicher Schnelligkeit, als wäre es ihr einziges Ziel, die Erde zu bevölkern. Bald horchten ihre langen Ohren, äugten ihre scharfen Augen wieder durchs Dickicht, empfindliche Nüstern witterten jeden Windhauch, und flockige, weiße Spiegel hoppelten aus dem goldigen Farrenkraut. Zwar liebten die Kaninchen den Zedernwald mit seinem feuchten und schwarzen Moos, seinen halb versteckten Teichen nicht, aber ein paar besonders abenteuerfrohe Gesellen unter ihnen streiften überall hin. An einem frischen Oktobermorgen, als die Birkenbäume schon ganz in Gold getaucht zwischen den grauen Felsen des Hügels standen, streifte ein tapferer Kaninchen-Rammler am Fuße des Hügels hin und stöberte jenes Häuflein weißer Knochen auf. Erst erschrak er gewaltig und suchte mit großen Sätzen Zuflucht im Dickicht. Aber da die Knochen keine feindliche Haltung einnahmen, fühlte er sich bald beruhigt. Als er sie lange genug angestarrt hatte, kam er zur Ueberzeugung, sie seien harmlos. Mit verständnisloser Neugier umsprang er sie, dann ließ er sich wie ein Wachtposten auf dem Spiegel nieder, die langen Ohren in närrischer Wachsamkeit gespitzt. Nichts wäre ihm weniger in den Sinn gekommen, als die Tatsache, daß er und die Seinen verantwortlich waren für dieses Häuflein bleichender Gebeine. Unter gespenstischen Lichtern In jene ungeheure Tiefe drang nie ein Strahl von Licht, sie lag eine halbe Meile unter der wild gepeitschten grünpurpurnen Fläche des Ozeans und ihren milchweißen Schaumkämmen. Die seltsamen Bewohner dieser Tiefen konnten nicht bis zu den sonnenbestrahlten Flächen emporsteigen, durften nie erfahren, wie es dort oben war. Sie waren für gewaltigen Druck gebaut, unter dem sie geboren waren -- bei einer Reise zum Licht wäre ihr Gerüst zerstört, wären ihre Eingeweide nach außen gedreht, ihre Augen aus den Höhlen gerissen worden, und die zerbrechlichen Gewebe ihres Körpers hätten zerfallen müssen. So lebten sie ihre Jahre hin, ohne zu wissen oder zu ahnen, was Sonne ist, in einer Ruhe, die auch der wildeste Orkan nicht stören konnte. Und doch waren diese Tiefen nicht in völlige und ewige Dunkelheit versenkt. Dann und wann verbreitete ein Schwarm zarter Infusorien vom Stamm jener Lebewesen, die nachts an der Oberfläche der See leuchten, ein Fleckchen nebelhaften Schimmers. Dann und wann kam ein blasser, trügerischer Schein, der immer wieder verlosch und wie ein Atemzug neu auflebte, von den weithin gebreiteten Büschen jener seltsamen pflanzenähnlichen Geschöpfe, die man Seelilien nennt. Und aus dem weiten Beben des tangbestreuten Meeresgrundes stieg ein seltsam phosphoreszierendes Leuchten auf, das die Dunkelheit bekämpfte. So herrschte für Augen, die empfindlich genug waren, diese leichten Bewegungen wahrzunehmen, etwas wie gespenstisches Zwielicht, das sich zumindest in Lichtflecken über das Bett der Tiefsee hinzog. Neben diesem unruhigen Schimmer, der stets an seiner eigenen Schwäche hinzusterben schien, tauchte ab und zu ein Schwarm von Glühwürmern auf, die unter irgend einem Riff oder einem Busch von Lilien erstrahlten, um Sekunden später wieder zu verlöschen. Oft auch entflammten ein paar bescheidene Lämpchen in blauen oder violetten Farben, die sich in sanfter Bewegung rechts und links neigten, als ob ein unsichtbarer Träger das grausige Dunkel mit ihnen absuchte. Auf beiden Seiten dieses unkenntlichen Geschöpfs schimmerten blasse, lichte Büschel, helle Augen leuchteten auf, wurden größer und verschwanden. Manchmal bewegte sich durch das Dunkel etwas wie ein anderes Wesen, gleichsam das Gespenst eines Lichts; zwei lichte Büschel wehten von seiner Nase, seine Flossen schimmerten wie durchsichtige Nebel, und auf jeder Seite trug es eine doppelte Reihe sanft glühender Punkte. Oft folgte ihm eine größere Gestalt, geisterblaß, der Kopf gewaltig groß und lang, der Körper bebend und stürzte sich wie zur Flucht ins Gewirr der Seelilien. Gespenstische Lichter hasteten immer, in irgendwie phantastischer Form durch das lautlose Dunkel. Ueber einem Ding, das wie ein riesiger flacher Stein aussah, schwebte, zwei Fuß hoch, ein Büschel violetter Flammen, gleichsam eine Aureole zartleuchtender Gewebe, die wie Flaum aus einem Keim schwachen Lichts erwuchsen. Diese leuchtende Blüte hing, das verriet ihre duftige Durchsichtigkeit, an der Spitze eines dünnen Rohrs, das leise schwankte, obwohl in dem umgebenden Wasser keine Bewegung war. Diese Stütze aus Rohr schien aus einem flachen Felsstück zu wachsen, dessen schwärzliche Ränder im bewegten Schatten des Schlammes ringsum verschwanden. Die schöne kleine Flamme zitterte manchmal, manchmal zerrte sie an ihrer Stütze, manchmal verblaßte sie bis zur Unsichtbarkeit, um dann wieder in hellerem Glanz aufzustrahlen, im ganzen hatte sie eine Lebhaftigkeit, für die sich kein Anlaß zeigte. Plötzlich erspähte einer der gespenstigen Fischkörper mit doppelter Linie glühwurmartiger Punkte auf den Seiten und riesigen weißlichen Augen die zitternde Flamme und nahm Richtung, sie zu erforschen. Der Besucher war klein, kaum einen Fuß lang und schien deswegen mit einiger Bescheidenheit aufzutreten. Doch als er näherkam, glaubte er, dies kleine violette Licht sei etwas, das man nicht nur mit Behagen essen, sondern auch ohne Gefahr in Besitz nehmen könnte. Er beeilte sich, daß nicht irgend ein hungriger Wanderer ihm zuvorkäme. Abgesehen von seiner seltsamen Beleuchtung machte er den Eindruck eines gewöhnlichen Fischleins aus höher gelegenen Wassern. Aber im Sturm auf das Flammenbüschel tat er einen erschreckend weiten Rachen auf, einen Rachen, aufgerissen bis zum Scheitel seines langen Kopfes! Die kleine Flamme entwischte zur Seite und beugte sich zierlich zum Grund, als hätte sie Augen und wollte dem Angriff geschickt ausweichen. Gleich darauf geschah etwas Entsetzliches. Der flache, schwarze Block, der die Flamme getragen hatte, klaffte auf. Es tat sich eine Höhle auf, mit langen Zähnen bewehrt, die alle nach innen strebten. Der tollkühne Gespensterfisch war gefangen. Mit Schnappen schloß die Höhle sich; rechts und links schimmerten, wo sie gewesen war, zwei blasse, kalte Totenaugen. Ihr Phosphoreszieren dauerte nur eine Sekunde oder zwei, dann schien der schwarze Stein wieder eine leblose Platte wie zuvor, an der Augen wie dumpfe Warzen saßen. Und wieder stieg das violette Flämmchen sanft empor, zitterte und bewegte sich grundlos wie zuvor. Plötzlich aber ging die Flamme aus, verlöschte ganz. Eine Reihe harter Stöße hatte die Wasser durchzuckt. Auch alle die anderen Lichtchen in der Nachbarschaft verlöschten plötzlich, die Glühwurmbüschel, die flimmernden Punkte und Sterne, die suchenden Augen und gespenstigen Lichtbüschel, ja selbst das bläßliche Leuchten der unerschütterlichen Seelilien war nicht mehr. Nichts war mehr zu sehen als die Nebelflecken der Infusorien und trügerischer Schein über dem Schlammbett. Irgendwo im Dunkel, viel zu weit, um sichtbar zu sein, aber nahe genug, sich schrecklich fühlbar zu machen, tobte eine Schlacht von Giganten. Für all die kleineren Wesen der Unterwelt hieß das »Licht aus und nicht gerührt!« Selbst jener große Steinblock von Kreatur, der doch sieben oder acht Fuß lang war und gut zwei Fuß breit -- dort wo sein Höllenmund sich geöffnet hatte, wünschte die Aufmerksamkeit dieser Kämpfer nicht auf sich zu lenken. Er hielt seinen zarten, violett schimmernden Köder gut versteckt und freute sich, unter allen Steinblöcken auf dem Meeresgrund am wenigsten beachtet zu sein. Allmählich verschwand die Unruhe, wieder lag das Wasser in schwerer Ruhe. Als erste Tiefseebewohner, die Vertrauen faßten, suchten die Seelilien das Dunkel, das eine unwiderstehliche Lockung für alle Arten zartlebender Organismen war, die ihr zuschwammen oder zuwehten, um von den fleischgierigen, immer hungrigen Blumen verschlungen zu werden. Bald ließen auch andere vorsichtige Geschöpfe ihr Geisterlicht wieder ausstrahlen, nahmen ihr Schweifen, Schwimmen und Krabbeln wieder auf, -- Fische, Krebse, Seesterne, Krabben, mächtige Seeigel und purpurschwarze Rochen. Zu allerletzt schwenkte der riesige Wegelagerer, der Tiefseeräuber, seine liebliche violett schimmernde Todeslampe wieder über dem geheimen Abgrund seines Rachens. Die Geistertiefe war keineswegs verlassen, wenigstens nicht in dieser Region. Geheimnisvoll geschäftiges, fast unsichtbares Leben schwärmte überall, jagte und wurde gejagt; aber ein paar Augenblicke lang kam dem schwebenden Köder nichts mehr nahe. Das Ungeheuer verlor die Geduld. Sein Hunger wuchs, es lebte doch nur, ihn zu befriedigen! Aber da es bei aller Kraft keine Schnelle besaß, die Beute zu verfolgen, konnte es nichts tun, als warten, immer tiefer in dem Schlamm versinken, der sein Versteck sicher machte. Sein einziger Ausdruck von Ungeduld war gesteigertes Wiegen und Beben des violetten Flämmchens am schlanken Rohr. Ganz unerwartet wurde solcher Eifer belohnt. Das Licht erregte die Aufmerksamkeit einer drollig aussehenden krabbenartigen Kreatur, deren kleiner, runder, rosenfarbiger Körper sich auf unendlich langen Stengeln von Beinen bewegte. Seine Freßpartie war fast so groß wie sein Körper, und vom Kopf hingen zwei peitschenähnliche Antennen oder Fühler, die in ihrer Endlosigkeit fast noch lächerlicher waren als die Beine. In seinen Fühlern mochte irgend ein geheimnisvolles Organ, die Umgebung wahrzunehmen, verborgen sein, denn das Tier bemerkte das zitternde Violett der Flamme. Wo seine Augen hingehörten, da waren nur zwei schwarze Punkte, eine Art Nagelköpfe und dürftige Andeutung dessen, was bei einem seiner Tiefseevorväter Augen gewesen sein mochten. Dennoch, wie immer es geschehen sein mochte, die Storchenkrabbe hatte den Köder wahrgenommen. Tolpatschig, aber mit großer Geschwindigkeit pürschte sie sich heran, ihre mächtigen Kinnbacken arbeiteten gierig. Ein anderer Landstreicher hatte das lockende Violett gleichzeitig wahrgenommen! Ein riesiger Purpurkrebs, stark wie eine Languste, schwamm vom Rücken heran. Der konnte freilich sehen, denn er trug ein Paar ausschweifend großer Augen und jedes dieser Augen hatte ein breites weißes Licht, strahlend wie eine Automobillampe. Er sah nicht nur den Köder, sondern auch den langbeinigen Rivalen, der sich von der Seite heranpürschte, und in eifersüchtiger Hast schoß er auf die Beute. Beide kamen gleichzeitig an, das Flämmchen gab sein Winken auf und sank. Beide verfolgten es, krachten aneinander und verschwanden in einer schwarzen Höhle, die ihnen jählings entgegenklaffte. Die Höhle tat nur einen saugenden Laut, dann schloß sie sich mit Schnappen. Für Sekunden erwachten die fahlen Augen an ihrer Seite, glühten im satten Grün und verloschen abermals. Dann wieder hob die violette Flamme sich lockend über schlammigem Grund. -- -- -- Der nächste Passant sah so stattlich aus, daß man glauben mußte, der Wegelagerer würde sich erschreckt vor ihm in Schatten hüllen. Es war ein gewaltiger Tintenruderfisch, gut achtzehn Fuß lang, mit zwei langen, dünnen Floßfühlern, die wie ein Paar Ruder von den Seiten seines Kopfes weg schwenkten. Für seine Größe war der Körper außerordentlich schlank, kaum einen Fuß im Durchmesser, er trug eine Rückenflosse, die vom Schwanz bis zum Ende des Kopfes reichte. Auf dem Kopf aber krönten diese Flosse ein paar schwere Stacheln, wohl zwei Fuß lang, die drohend über der Schnauze des Besitzers wachten. Der Körper war silbrig, in einer Art Kleid, das mattgrün phosphoreszierte. Gleichgültig schwamm der Ruderfisch das zitternde lila Lämpchen an, das, so bedrohlich er aussah, sein Kommen kühn erwartete. Als er herankam, tat er ein schmales, nicht sehr gefährliches Maul auf, natürlich verschwand das Licht. Die Höhle darunter öffnete sich, schlürfte empor und schloß sich hinter den Kiemen des Ruderfisches. Minutenlang peitschte der lange Schwanz verzweifelt das Wasser, daß alle Lichter rings vor Schreck erloschen. Aber in der Gewalt dieses schrecklichen Rachens, dieser langen, reißenden Fänge, war der Tintenfisch hilflos trotz aller Kraft und Größe. Rasch wurde er reinlich in zwei Hälften zerbissen, der Kopf mit seinen Schutzstacheln rollte zur Seite. Die breite, nicht gerade einnehmende Gestalt des Räubers schwang sich aus dem Schlamm empor, schnappte gierig nach dem zitternden Körper, riß ein Stück von zwei Fuß Länge ab und verschlang es mühelos. Sein Magen schwoll und schwoll, aber er hielt das Festmahl durch, bis nur mehr ein zwei oder drei Fuß langes Stück Schwanzende an das Opfer erinnerte. Dann sank er auf sein Lager zurück, paddelte mit den Flossen, bis sein geschwollener Körper wieder ganz im Schlamm vergraben war und fuhr fort, das Riesenmahl zu verarbeiten. Da für den Augenblick kein Nahrungsbedürfnis bestand, wurde die violette Lampe eingezogen. Sobald der Tumult sich gelegt hatte und die gespenstischen Lichter wieder erschienen waren, lief auf irgendwelchem seltsamen Weg das Gerücht um, neben dem großen Stein würde ein Festmahl gehalten. Nach wenigen Minuten schon wurden die beiden Ueberbleibsel des toten Ruderfisches, sein Schwanz und sein bewehrtes Haupt der Mittelpunkt von gierigem Leben und scharfen Kämpfen, über die in seltsamer Verwirrung Lichter spielten. Der blutrote Tiefseekrahfisch, gewaltige Krabben, Fische, die nur aus Kopf, Rachen und langen, peitschenähnlichen Schwänzen bestanden, Fische, die nur Magen und Därme waren, Fische mit Papageienschnäbeln, Geschöpfe ohne Augen, aber mit langen tastenden Antennen ausgerüstet, Fische, deren riesige, starrende Augen in gar keinem Verhältnis zu ihrem übrigen Körper standen, rissen Bündel von den beiden widerstandslosen Fetzen Fleisch oder fielen sich gegenseitig an, -- wie ihr Geschmack sie reizte. Ihre Lichter spielten ineinander und verwoben sich, bis jedes Stück des Opfers eine Masse aus pulsendem Dämmerlicht schien. Da jeder dieser rasenden Genießer von kleiner Figur war -- die größte der Fischgestalten maß nicht mehr als einen Fuß Länge -- herrschte während der ersten Zeit unter den Festgenossen keinerlei Mangel. Dann aber kamen drei seltsam blickende Fremdlinge angesegelt, zu sehen, was los war. Schwarze Fische mit kurzen Leibern, etwa zwei Fuß lang, mit schleppenden, traurigen Säcken am Bauch. Ohne Eile schwammen sie herbei, überblickten die Sachlage, öffneten ihre Mäuler. So weit waren diese Mäuler, daß der eigene Körper des Fisches bis zum Schwanz darin Platz gehabt hätte. Neben diesen gähnenden Fallen wurden ihre Träger selbst beinahe zierlich. Ohne Gier begannen die Besucher sich zu nähren, nicht vom Aufgetragenen, sondern von ihren Festgenossen. Sie schlürften ein wenig und verschlangen mühelos die ganz in Anspruch genommenen Esser. War man einmal in diesem Rachen, dann gab es nur noch einen Weg, denn die Kinnbacken waren mit langen, scharfen Zähnen besetzt, die alle hineinführten in die fassungskräftige und glitschige Gurgel. Fische, Garnelen, Krabben, sie alle wurden unparteiisch aber energisch in diese breiten elastischen Mägen gepumpt, in denen sie zu Paketen gequetscht liegen blieben, bis die Säure mächtig einsetzender Verdauung ihnen die letzte Ruhe gab. Nach ein paar Minuten hing unter jedem der drei Fremdlinge ein Bauch, der größer war, als sein gesamter übriger Organismus. Dann segelten sie gewichtig und nachdenklich von dannen, das Versteck eines Tiefsee-Anemonen-Dickichts zu suchen, in dessen Schutz sie friedlich verdauen konnten. Die unbeschädigten Festteilnehmer aber setzten ihr Bankett fort, als hätte sie nichts gestört. Verdauung ist für die Bäuche dieser Tiefseebewohner ein Prozeß, der mit erstaunlicher Schnelligkeit vor sich geht. Schon nach einer oder zwei Stunden hatte der Körper des überfüllten Wegelagerers seine normale Gestalt annähernd wiedergewonnen, sofort auch erwachte sein Hunger von neuem, sah man wieder sein lockendes, violettes Flämmchen über der Schlammplatte funkeln und tanzen. Diesmal hatte er nicht lange zu warten, denn der Erfolg des vorangegangenen Gelages machte die sonst einsame Stätte zu einem Treffpunkt der Tiefseewelt. Eine unglaublich monströse, phantastisch formlose Gestalt kam langsam an. Mit großen, leeren Augen sah sie den Köder, machte sich langsam auf, ihn zu verschlingen. Der Neuankömmling, der sich in grünsilbriger Beleuchtung nur schattenhaft kundgab, sah aus wie eine Art Doppeldecker. Bei einer Länge von etwa fünf Fuß erinnerten Kopf und Hinterkörper an einen ungewöhnlich fetten und großmäuligen Aal. Tatsächlich war er eine seltsam entstellte Abart der Aalfamilie. Was ihn vom Familientyp abweichen ließ, war sein Bauch, der ausgewalzt schien, an den Randflossen fast durchsichtig, und der ungefähr wie ein lenkbares Luftschiff zigarrenförmig unter seinem Körper hing. In dieses amüsante Gepäckstück von Bauch war ein starker, schwärzlicher Fisch, von nicht weniger als zwei Fuß Länge hineingepackt, zusammen mit einer Masse zinnoberroter kleiner Seekrebse. Selbst mit so außerordentlichem Proviant war die seltsame Kreatur noch wohl bei Appetit, vielleicht hielt sie das hübsche, violette Lämpchen für einen pikanten Nachtisch. Sie riß den Rachen auf und schoß herbei. Mit der unteren Kinnlade berührte sie schon beinahe das glühende Ding, indes sie sich leicht zur Seite warf, dabei aber hatte der pendelnde Zylinder ihres Magens den Felsblock im Schlamm beinahe berührt. Es öffnete sich der Felsblock und nahm gemächlich beides zugleich auf: den Bauch selbst und seine halbverdaute Beute. Dann schloß sich der felsähnliche Rachen, mit krampfhaftem Schwanzschlagen machte sich der Schwimmer davon, von Gestalt nun etwa einem gewöhnlichen Aal gleichend. Minutenlang drehte er sich in wahnsinnigen Kreisen, dachte nicht mehr an Feind noch Beute, für die er ja keine Verwendung mehr hatte. Dann, mit seinem Bauch jeden Lebensinhalts beraubt, legte er sich zur Seite und sank auf den Meeresgrund. Ehe er noch ausgezuckt hatte, war er schon zum Fraß einer Kolonie winzig kleiner, zitronengelber, augenloser Krabben geworden. Die gelben Krabben hätten in kaum fünf Minuten eine bunte und zahlreiche Auswahl ungeladener Gäste bei ihrem Bankett gesehen, hätte nicht ein seltsames Etwas nun alle Aufmerksamkeit in etwas höhere Wasserschichten gezogen. Unmittelbar über ihren Köpfen erschien eine massige Gestalt, die im Niedergehen immer größer und glänzender wurde. Als sie näherkam, erwies sie sich als blaßgrünlicher Körper, mit langen Reihen und Bündeln aus weißem, gelbem, blauem und violettem Licht übersät! Der verwandelte sich in eine strudelnde Masse wildkämpfenden Lebens. Endlich ließ er sich langsam auf die Seelilien nieder und war nun das fast nackte Skelett eines Walfisches, innen und außen von jeder Species Tiefseeschmarotzer überschwemmt. Kein Wunder, daß unter solchen Umständen die zitronengelben Krabben ihren Raub in Ruhe verzehren durften. Der Walfisch war an der Oberfläche von Fischern harpuniert, abgetrant und weggeworfen worden. Als das blutende Stück Aas versank, hatten sich zuerst Scharen von Haien gierig daraufgeworfen, sein Fleisch in großen, dreieckigen Stücken vom Skelett gerissen. In einer Tiefe, in der Haie den Druck des Wassers nicht länger ertragen können, war das riesige Skelett schon beinahe kahl. Den Haien folgten in immer größerer Zahl Scharen hungriger Tiefseebewohner, von jeder Familie und Art, schreckliche, 12 bis 15 Fuß lange, lanzenähnliche Geschöpfe, deren bewaffnete Kinnladen dem gewaltigsten Hai Respekt einflößen, kleine, schwarze, taschenähnliche Fische, die nicht größer sind, als eine Menschenhand, die nur aus Magen und Rachen bestehen, die aber keine Schwimmkraft haben, um die saftigen, Fleischstücke an sich zu reißen, in die sie die bissigen Zähne versenken. Während das mächtige Knochengerüst im größeren Wasserdruck immer langsamer niedersank, retteten die kleineren Geschöpfe sich so weit wie möglich in sein Inneres, um vor den größeren und gierigeren Tafelgenossen sicher zu sein. Aber innerhalb wie außerhalb des Skeletts war dieses Mahl ein unaufhörlicher und unbarmherzig geführter Krieg, denn großzügig und unparteiisch fraßen die Gäste einander auf. Sobald das Skelett in seinem zitternden Glanz in das Bett von Seelilien gesunken war, eilten meilenweit alle Kriechtiere herbei, die meisten ohne Augen, aber mit langen Antennen von wundervoller Empfindlichkeit, und jedes wollte seinen Teil erobern. Jetzt strahlte das riesige Aas von Licht und Funken. Nach kaum einer Stunde waren die Knochen so sauber, daß nur jenen Kreaturen etwas blieb, die am Kopf Bohrer tragen und imstande sind, aus dem festen Knochenbau Säfte zu saugen. Und dann war die Schar der Gäste wieder verschwunden: teils von ihren Feinden verschlungen, teils beschäftigt, andere zu verschlingen. Von den mächtigen Rippen und aus dem porösen Rückgrat des Skeletts schwanden die Lichter. Zu seinem Mißvergnügen hatte der Wegelagerer, obwohl sein Versteck kaum fünfzig Fuß weit vom Seelilienbett entfernt war, keinen Teil an dem Trubel nehmen können. Es war gegen seine Methode, sich aus dem Schlamm zu erheben und in fremde Händel einzugreifen. Für ihn war es am besten, wenn er sein Lämpchen emporreckte und ein paar unzufriedene Mitläufer solchen Gelages an sich zog. Ein paar bescheidene Bissen waren ihm auf diese Art zuteil geworden, gerade genug, seinen Appetit zu erregen. In seiner Gier erlaubte er sich, aus seinen seltsam verhüllten Augen einen fahlen Schimmer auf der Suche nach Beute umherzustrahlen. Diese glimmernden Augen entdeckten etwas, das ihr Licht sofort verlöschen, die violette Farbe verschwinden ließ, als hätte man ein Lämpchen entzwei geschlagen. Mit einem Ruck vergrub der Wegelagerer sich tiefer im Schlamm. Was er gesehen hatte, war ein langer, kränklich weißer, suchender Fühler, der -- viele Schritte fern -- die Rippen des Skeletts abtastete. Andere, gleich neugierige Sucher waren gefolgt. Aber der Wegelagerer hatte sich nicht die Zeit gegönnt, sie zu beobachten. So viel Schlamm wie möglich wünschte er über sich, selbst über seine Augen gebreitet, solange diese Fühler, Riesenschlangen gleich, durch die Nachbarschaft geisterten. Ein Zufall hatte es gewollt, daß ein riesiger, weißer Tintenfisch, auch Tiefsee-Teufelsfisch genannt, der mit Hunderten seinesgleichen ein paar Meilen weit sein Lager hatte, über sein Jagdgebiet hinausgeschweift war. Vielleicht hatte der Angriff eines Zuges von Pottwalen ihn aufgeschreckt und zur Wanderschaft veranlaßt. Seine weiten, alles umfassenden Augen hatten das schimmernde Sinken des Skeletts beobachtet. Er bewegte sich langsam; wenn die Not nicht große Eile bedingt, pflegt er seinen Körper über den Meeresboden zu schleppen, statt wie der kleine Tintenfisch in höheren Gewässern auf dem Rücken zu schwimmen. So war, als er den Schauplatz erreichte, von dem großen Mahl nichts übrig geblieben, seinen Hunger zu stillen. Dieser träge Wandersmann war keineswegs unter seinesgleichen besonders beachtenswert. Zusammen mit seinem Kopf, der einen Papageienschnabel trug, maß der kriechende Sack seines Körpers kaum zehn Fuß, denen allerdings die gespreizten Fühler noch weitere zwanzig Fuß Reichweite gaben. So stark wie der Arm eines Mannes war jeder dieser Fühler, die sich in einem Büschel wie Karottenblätter von der Stirn ausbreiteten. Jeder Fühler trug an seinem Ende eine Saugplatte von großer Gewalt und war empfindlich wie der empfindlichste Menschenfinger. Wie ebensoviele blasse, hungrige Schlangen waren sie in emsiger, steter, suchender Bewegung. Das unheimlichste an dem unbeschreiblichen Monstrum aber waren die Augen: zwei tintenschwarze Linsen, weit ausgebuchtet und so hoch, daß ihre oberen Ränder den Kopfansatz fast berührten. Ohne Lider, unbeweglich und von einer nicht beschreibbaren Bösartigkeit, blickten sie drein, als könnte ihrer wachsamen Gier nichts entgehen. Die schrecklichen Fühler betasteten jeden nackten Knochen des Walfischskeletts, ergriffen jede armselige Kreatur, die dort noch hing und warfen sie in den grausigen Schnabel. In furchtbarer Schnelle und Präzision vollendeten bei dieser Gelegenheit auch ein paar arme Fische ihr Schicksal, unklug genug, den Schauplatz nicht längst verlassen zu haben. Im Papageienschnabel begegneten sie sich mit etlichen Krabben und Krahfischen, die vergeblich versucht hatten, sich ins Versteck der Seelilien zu retten. So bescheidene Beute aber diente nur als Appetitanreger. Voll Jagdlust hob das blasse Ungeheuer sich auf den Grat des Walfischskeletts, spähte aus und ließ sich gemächlich auf die andere Seite gleiten, seine unfehlbare Gier hatte in dem benachbarten Felsstück etwas Bemerkenswertes entdeckt. Rasch zogen zwei neugierige Fühler zur Aufklärung aus. Mit einem Griff, der das zähe Fleisch des Wegelagerers krampfte, faßten sie zu. Entdeckt und ohne Hoffnung sich zu retten, geriet der Straßenräuber nicht in Verzweiflung, sondern in sinnlose Wut. Er stammte aus grimmigem Kämpferblut, seine Augen spieen grüne Flammen, wie wahnsinnig schnappte das Tor seines Rachens. Wohl zwei Fuß weit tat dieser Rachen sich auf, packte einen der Fühler, wo er vier oder fünf Zoll dick war, und zermalmte ihn ohne Anstrengung, so sehnig er war. Dann aber hatten vier weitere Fühler sich in seinen Körper geheftet, daß alles Schnauben und Spucken und Schnappen keinen Widerstand mehr bedeutete. Nicht schnell, aber unwiderstehlich wurde er aus seinem Lager geholt und in das Gezüngel schnürender Arme gezogen. Weite, tintenschwarze Augen glühten ihn ausdruckslos an. Dann tat der Papageienschnabel sich furchtbar auf, in einem langen, durstigen Schlürfen verschwand der Wegelagerer, den Kopf voraus, wehrlos, wohlschmeckend. Mit diesem nahrhaften Bissen war das weiße Monstrum einstweilen gesättigt. Er setzte seinen Körper langsam in Bewegung und verkroch sich in die Rippen des Walfischs. Dort schien es mit offenen Augen zu schlafen, die Fühler sorglos um sich gebreitet. Als es wiederum still wurde, steckten die Glühwürmer ihre Lichterchen in Brand, ganze Büsche weißer Strahlen umschlangen rote und grüne Sterne, all die schwebenden, kaum erkenntlichen gespenstischen Lichter zogen Phosphorglanz durch stille Wasser. Nur das schöne zarte Violett tanzte nicht mehr über der verankerten Felsplatte im Schlamm der Tiefe, fünfhundert Faden unter dem Meeresspiegel. Stromfahrt durchs Feuer Gewissermaßen kannten sie einander recht gut, der Mann und der Bär. Seit fast zwei Jahren waren sie anerkannte Feinde. Tatsächlich +gesehen+ hatte der Mann den Bären nur einmal, und auch da nur für einen kurzen Blick -- ein Paar pfiffiger, neugieriger Augen, die im tiefen Dickicht aufblitzten, einen furchtbaren, schwarzen Schatten, der geräuschlos im Dunkel versank. Die großen Spuren aber kannte er gut, die ein Drittel größer waren als die des gewöhnlichen schwarzen Bären in Ost-Kanada und sich in bedrohlichen Kreisen rings um seine Hütte zogen. Er kannte seine Klauen-Abdrücke, narbengezierte Bäume, in die der Träger dieser Klauen seine Zeichen fast so hoch setzte wie ein Grizzly-Bär. Diese gefährlichen Klauen hatten manchen dicken, kaum halb verfaulten Baumstamm wie Papier auseinandergerissen, wenn der Bär nach Ameisen und Käfern suchte. Aus alldem konnte der Mensch unschwer den Schluß ziehen, daß hier seiner Herrschaft über die Wildnis, eine Herrschaft, die er vor kurzem erst angetreten hatte, ein gefährlicher Nebenbuhler drohte. Und dieser Nebenbuhler würde wahrscheinlich, wenn die kleine Farm erst mit Vieh versorgt war, auf Schafe und Ochsen eine schwere Steuer legen. Im übrigen nahm der Mann an, daß sein Rivale einen Pelz von seltener Pracht trug, der auf dem Pelzmarkt einen besonderen Preis erzielen würde. In den Pausen zwischen Roden und Graben, Kartoffelpflanzen und Weizen säen, Hütten bauen und Busch brennen begann er deshalb, seinem gefährlichen Gegner Fallen zu stellen, denn er hielt ihn für zu listig, in den Bereich seiner Büchse zu kommen. Der Bär kannte andererseits den Menschen viel besser, als der Mensch ihn kannte. Er beobachtete ihn, seit er zum ersten Male den Fuß auf die Ufer des wilden Südfork gesetzt hatte. Seitdem folgte ihm das riesige schwarze Tier wie ein Schatten, feindselig natürlich, weil er ein Fremder und ein Störenfried in seinen Einsamkeiten war, vor allem aber mit gespannter Neugier. Trotz seiner Größe konnte er sich, wenn es nötig schien, so geräuschlos wie ein Wiesel oder eine Schlange bewegen. Bewegungslos wie einer der alten Baumstümpfe, die längst vergessene Holzfäller zurückgelassen, hatte er beobachtet, wie des Menschen Axt blitzte und durch die Luft flog, wie Birken, Tannen und Eschen fielen, wie die Rodung wuchs und Sonnenlicht auf den wirren Grund des Forstes fiel. Sein Erstaunen waren die beiden schweren, roten Ochsen, die dem scharfen Ruf des Menschen folgten und gefällte Stämme für ihn schleppten. Dann hatte er beobachtet, wie unter den geschickten Händen des Menschen die Hütte Form bekam, eine ganz überraschende Form. Anfangs hatte er nicht begriffen, warum die beiden großen Ochsen so gehorsam waren, statt sich gegen den Menschen zu kehren, ihn auf die langen Hörner zu spießen oder mit den gespaltenen Hufen in den Boden zu trampeln. Bald aber hatte er eine unerklärliche Gewalt in der Stimme des Menschen erkannt, in seiner unbedenklichen Gleichgültigkeit gegen jedes Auge, das ihn aus dem Dunkel des Urwalds anstarren mochte. Es war klar, daß der Mensch sich nicht fürchtete. Er mußte also sehr stark sein. Da begann der Bär, ihn zu fürchten, obwohl er zunächst nicht wußte, wovor er sich eigentlich fürchtete. Höchstens war es das Geheimnisvolle in der menschlichen Stimme, das scheinbar die Ochsen unterwarf und zum Gehorsam zwang. Als die Hütte gebaut war, geschah etwas Sonderbares. Der Mensch war außer Sicht, über der sonnenbeschienenen Rodung summten Wespen und Fliegen, die roten Ochsen lagen wiederkäuend im Schatten und atmeten tief, ein großer Rehbock trat aus dem Baum und äugte nach der Hütte. Da trat der Mensch aus der Tür und hob etwas an die Schulter, das wie ein langer, brauner Stock aussah. Gleich darauf kam ein Funke aus dem Ende des Stockes gesprungen, zugleich hörte man ein kurzes, scharfes Geräusch. Der Bock aber, der weit weg auf der andern Seite der Rodung stand, sprang in die Luft und fiel tot nieder. Bei diesem Anblick war dem Bären ein Entsetzen durch alle Nerven gefahren, und er hatte sich tief ins Dickicht verkrochen. Kein Wunder, daß die großen, roten Ochsen, trotz ihrer gefährlichen Hörner, diesem Geschöpf dienten, wenn es weithin töten konnte, mit einem kleinen Stock und einem scharfen Knall! Von nun an war der Bär noch eifriger dabei, den schrecklichen Eindringling zu beobachten, Angst und Feindschaft machten ihn immer wachsamer. Sicherlich durfte er den Menschen auch auf noch so kurze Zeit nicht aus den Augen lassen, sonst geschah etwas nie Gehörtes und nie Vergeßbares. Als der Mensch jetzt zum ersten Male sein Feld bestellt, gesät und gepflanzt hatte und seine Hütte wetterfest war, legte er sich darauf, den Bären in einer Falle zu fangen. Der Bär aber wußte schon einiges von diesem Plan! Unter all den unsichtbaren, neugierigen Zuschauern, deren scheue Augen das Werk beobachteten: Eichhörnchen, Rebhühnern, Hasen, Waschbären, Regenpfeifern, Waldmäusen, Rehen, Füchsen und Eulen, war es der Bär, der am schärfsten beobachtete und verstand. Die erste Falle war gebaut, mit dem Köder versehen und aufgestellt, und der Mann war fortgegangen, um sie ihre grausame Arbeit tun zu lassen. Da hatte der Bär sie der schärfsten Prüfung unterzogen. Obwohl er über den Fall Trojas nie etwas gehört hatte, besaß er doch von Natur aus jenes wichtige Stück Intelligenz, das den Männern von Troja, zu ihrem Unglück, gefehlt zu haben scheint. So fürchtete er den Menschen, selbst wenn er Geschenke machte. Er roch den Köder zwar, ein Stück frischen, fetten Specks, aber nur aus angemessener Entfernung. Damit wollte er nichts zu tun haben! Aus Großmut, nahm er an, war ein solcher Leckerbissen nicht für den ersten Besten dort aufgehängt. Während er in einem Dickicht aus jungen Fichten, deren scharfer Duft seine Witterung einschläferte, saß und lauerte, kam eine langschwänzige Wildkatze angepürscht. Sie sah den leuchtenden, weißen Köder und machte sich rasch an den Eingang zur Todesfalle. Ihre runden, blassen Augen leuchteten gierig, obwohl sie vor dem scharfen Menschengeruch ringsum ängstlich die Ohren niederlegte. Klug war sie nicht, die Wildkatze. Sie wußte wohl, daß das köstliche Stück Fleisch dem Menschen gehörte. Aber er war doch nicht in Sicht! Sie konnte ja von weitem hören, wie er seine dummen Ochsen anrief. Geduckt zog sie vorwärts und warf sich mit leisem Freudeknurren über die Beute. Irgend etwas schien sich zu bewegen. Mit entsetzten Augen sah der Bär die drei schweren Stämme, die über dem Köder ein Dach bildeten, krachend niederfahren. Mit ohrenzerreißendem Gedröhne, das aber aufhörte, kaum daß es begonnen, hatten die Balken die unglückliche Wildkatze zerquetscht. Ein rotes Eichhörnchen, das von einem nahen Ast den ganzen Vorfall beobachtet hatte, brach in jammervolles Geschrei aus. Ein Rabe, der sich auf schwarzen Flügeln aus den Baumwipfeln fallen ließ, setzte sich vorsichtig auf einen der Stämme und sah mit harten, neugierigen Augen die tote Katze an. Dabei wackelte er mit dem Kopf, als wollte er sagen: »Ich habe mir's ja gedacht!« Er war der Meinung, alle Wildkatzen sollten tot sein. Das war der Zustand, in dem er sie am meisten liebte. Aber die Art, in der diese hier ihr Ende gefunden hatte, erschreckte ihn doch und schien ihm ein Wunder. Von diesem Tage an schien alles Werk des Menschen dem Bären eine Art Falle -- alles mußte er mit angstvoller Wißbegier untersuchen, aber nichts durfte er berühren! So kam es, daß der Mensch im Laufe der Zeit eine Kuh und ein Kalb in die Rodung bringen durfte, dann ein Schwein, dann Schafe und ein halbes Dutzend geschäftiger Hennen, ohne daß der Bär je eine Tatze gegen sie hob. Besonders beim Anblick der Schafe wässerte ihm das Maul, aber sie sahen so verdächtig harmlos aus. Sicher waren sie Fallen. Wenn er eins ergriff, würden vielleicht die Balken über ihm zusammenkrachen und ihn so flach schlagen, wie die Wildkatze. Der Mensch nahm dies Verhalten als Selbstverständlichkeit und dachte nicht darüber nach, daß es Vorsicht war. Aber das Fehlschlagen aller seiner Listen machte ihn auf die Dauer wütend, und er schwur, des Bären Pelz zu besitzen, ehe noch ein anderer Winter ins Land zog. Das Ende dieses Sommers brachte quälende Trockenheit. Der Südforkstrom, der immer in wilden Stürzen dahinsaust und aus nie versiegenden Seen im Hochgebirge gespeist wird, sank nur wenig. Im Ottanoonfluß aber zeigten sich nackte Sandbänke und schimmernde Steinblöcke, die von den ältesten Wäldlern im ganzen Land keiner je trocken gesehen hatte. Mancher Waldbach verschwand gänzlich; was noch an ihn erinnerte, war eine Kette stiller, schwarzer Tümpel unter gewaltigen Zedernwurzeln. In den Wildseen starben die Lilien, fahl lagen sie auf stinkendem, wurzeldurchwachsenem Morast. Der Mensch war nicht allzu erregt. Denn kaum dreihundert Meter weit von seiner Hütte, am Ende der Schonung, floß der Südfork, dem keine Trockenheit etwas anhaben konnte. Sein Weizen und seine Kartoffeln waren weit genug, um durch die erste Trockenheit nicht ganz zerstört zu werden. Und sein Vieh war mit Wasser versorgt. An diesem Punkt und vielleicht eine Meile stromabwärts und flußabwärts brauste der Südfork nicht sehr wild, so daß der Mensch ihn in seinem großen Kanoe bequem befahren und ausfischen konnte. Weiter unten wurden die Stürze zwölf oder fünfzehn Meilen lang und fast unüberwindlich steil, bis der tobende Strom sich endlich in einen schattigen See ergoß. Unter einem leblosen und trockenen Himmel, in brütender Hitze, schien der Forst qualvoll zu stöhnen und sich nach Regen zu sehnen. Aber statt der lang ersehnten grauen und kühlen Wolken, die schwere Sturzregen in sich trugen, kam plötzlich eine tiefe, braune Wolke, durch die die Sonne wie ein Diskus aus glühendem Kupfer aussah. Der balsamische Duft des Waldes verschwand, statt seiner kam ein scharfer, böser Dunst, der die Augen quälte und den Gaumen brennen machte. Da verschwanden die Adler, Eulen, Krähen und alle flügelstarken Vögel. Alle die vierfüßigen Jäger der Wildnis wurden unruhig, Gefahren umdrohten sie, die sie nicht bekämpfen und denen sie nicht entfliehen konnten. Der große, schwarze Bär suchte, die Nase hoch gehoben, in allen Richtungen des Kompasses die Wolken ab. Er verlor alle Angst vor dem Menschen und seiner Arbeit, wimmernd zog er sich fünf Meilen weit stromabwärts zu einem Tümpel, der sich im Bereich des schäumenden Südfork gebildet hatte. Zur gleichen Stunde lehnte sich der Mensch, der unentwegt an seinem traurigen Kartoffelacker geschafft hatte, auf seine Hacke und sah mit Besorgnis die veränderten Wolken an. »Feuer!« murmelte er. »Irgendwo in der Nähe, und vielleicht gar nicht weit! Wenn nur kein Wind kommt!« Dann warf er die Hacke zur Seite, legte den Ochsen das Joch über und schickte sich an, drei Tonnen voll Wasser vom Fluß zu seiner Hütte zu bringen. Falls Funken über die Rodung fliegen, dachte er, ist es gut, Wasser zur Hand zu haben. Bei dieser Arbeit fühlte er sich wie gelähmt, die tote Luft und eine dumpfe Vorahnung drückten. Als er jedoch sein Gespann am Ufer halten ließ, sah er jenseits des Flusses ein Bild, das Leben in seine Glieder jagte! Die Ochsen sahen es auch, sie wurden scheu, schnaubten und zerrten an ihrem Joch. Jenseits der Baumspitzen stiegen Rauchwolken auf, durch ihre Aeste brach da und dort eine rote Flamme, die wie eine höllische Zunge um sich schlug. Der Mann wurde ein Satan von Kraft. Hin und her sprang er mit seinem Wassereimer, vom Fluß zur Tonne und zurück, brüllte furchtbar auf die Ochsen ein, die nicht stillhalten wollten, und bald hatte er die Tonne bis zum Rand gefüllt. Auf dem Weg zur Hütte aber konnte er nicht hetzen, der Weg war uneben, er mußte vorsichtig fahren, sonst verschütteten die Tonnen ihren kostbaren Inhalt. Die Ochsen aber brauchte er nicht anzutreiben, und nach einer schwierigen Fahrt auf dem heißen, holprigen Wege erreichte er einen abgerodeten Hügel hinter seiner Hütte. Hier blieb er einen Augenblick wie erstarrt. Auch vom südlichen Horizont, jenseits der Rodung, stiegen diese seltsamen Wolken auf, auch dort leckten dünne, rote Zungen bösartig empor und verschwanden wieder. Von beiden Seiten schloß sich das Feuer um ihn zusammen! Erst jetzt erkannte er die gräßliche Gefahr! Wassertonnen! Weiß Gott! ... Mit einem bitteren Lachen und einem Fluch über die Nutzlosigkeit seiner Mühen, in Gram und Wut über den Zusammenbruch all seiner Hoffnungen, befreite er die Ochsen aus dem Joch und rannte den Abhang hinunter, den Rest seiner Herde loszulassen. Er gab ihnen allen dieselbe Möglichkeit, das Leben zu retten, die er selbst hatte. Dann riß er eine Decke und ein leichtes Felleisen von seinem Lager und rannte zum Fluß. Mittlerweile hatte der Bär den kleinen Teich -- Bogan nennen ihn die Indianer -- fünf Meilen stromabwärts erreicht. Er fand ihn schon gedrängt voll von schwimmenden, zitternden Flüchtlingen. Denn schon war im Norden und Süden der Himmel voll Rauchwolken, die in dunklen, rollenden Massen näher kamen, und von Baumspitze zu Baumspitze sprangen tobende Flammen. Unter dem Druck eines plötzlich erwachten Ostwindes trieben die beiden Feuersbrünste zusammen. Mit furchtbarer Geschwindigkeit vereinten sie sich über dem Fluß, der gerade an dieser Stelle einen Bogen beschrieb und sich über eine Reihe gebrochener Felswände brodelnd südwestwärts wandte. Aber das Brausen der Wasserfälle wurde jetzt durch einen viel schrecklicheren Laut übertönt, das Zischen und Lodern der Feuersbrunst. Durch die Aeste brachen gelbe, stickige Rauchwolken, von allen Seiten, unberechenbar wohin, und warfen sich auf das Wasser, wurden dünn und verloren sich, als hätte der sprühende Schaum sie verschluckt. Hier und dort loderte ein einsamer Tannbaum in Flammen auf und leuchtete wie eine riesige Notfackel, und plötzlich heulte es durch die Luft, ratterte wie von unsichtbaren Explosionen, und schwirrende Brände, Vorreiter der großen Feuersbrunst, loderten mit Zischen in die Flut. An den Rändern der engen Bogan saßen die Tiere gedrängt und sahen mit weiten, angstgequälten Augen dies flammende, fliegende, fallende Verderben. Ein paar Wildkatzen und ein großer, grauer, kanadischer Luchs kauerten am Ufer oder auf ausgedorrten Stümpfen und Aesten. Als eine Lohe nahe von ihnen niederfiel, legten sie die Ohren glatt und schauerten schreiend zurück. All ihre Leidenschaft, zu jagen und zu töten, war von Furcht verdrängt, und sie sahen nicht einmal die zitternden Hasen, die verzagten Eichhörnchen, die stoisch-gleichgültigen Murmeltiere, die rings um sie zusammengedrängt saßen. Das blutdürstige Wiesel sogar dachte einmal nicht an Mord, in den behenden Reihen glitt es ängstlich auf und nieder. Ein roter Fuchs, sonst ein Geselle, der jeglicher Gefahr trotzte, saß am Ende eines gestrandeten Holzblocks und äugte in die Baumspitzen, als grübelte er in seinem Sinn über irgendeine Kriegslist nach, mit der dieser grauenvolle Gegner sich schlagen ließe. Die schwimmenden Tiere, Ottern, Biber und Wasserratten, bedeckten mit ihren Köpfen die Oberfläche der Bogan; bei allem Entsetzen vor dieser Katastrophe, der die Welt zu unterliegen drohte, vertrauten sie dennoch ihrem alten Element, das immer ihr Schutz gewesen. Ein schwarzer Elen-Bulle mit zwei Kühen und ein Dutzend Stück Rotwild standen bis zum Bauch im Wasser und tauchten von Zeit zu Zeit unter, um sich Kühlung zu verschaffen. Nur Bären waren nicht da, außer dem großen Schwarzen selbst, denn alle Rivalen hatte er in seiner Eifersucht längst aus der Gegend vertrieben. Nachdem er die Lage kurz überprüft hatte, watete der Bär ins Wasser. Er steckte den Kopf unter die Oberfläche, um sich von der Qual brennender Augen und Nüstern zu befreien. Wo er stand, war die Bogan seicht, aber ihr Boden sumpfig, so daß er Gefahr lief, zu versinken. Immer wieder riß er Fuß um Fuß aus dem verderblichen Schlamm -- da flog aus der Brandwolke ein lodernder Ast heraus und schlug gegen eine Wildkatze, die nahebei auf einem Ast saß. Die Katze sprang heulend in die Luft und lief Gefahr, in das Wasser zu fallen, das sie haßte; in der Luft gab sie sich einen Ruck, und es gelang ihr, auf dem mächtigen Rücken des Bären zu landen. Ihre Klauen bohrten sich tief ein, mit schmerzlichem Gebrumm versuchte er, sie abzuschütteln. Sie aber, wahnsinnig vor Angst, schien in ihm nichts zu sehen, als einen lebendigen Baumstamm, und immer fester hielt sie sich, bohrte sie ihre Klauen in sein Fell. Zu jeder anderen Zeit hätte er sie abgeschüttelt und in Stücke gerissen, aber jetzt konnte er nicht mehr zornig werden. Das Ganze war so unpersönlich, er wußte nur, daß irgend etwas auf seinem Rücken quälte, und daß er es los werden mußte. Er warf sich nieder, überrollte sich im Wasser, und dabei erstickte er die Katze im Schlamm. Als er wieder hoch kam, war die quälende Last verschwunden, aber sein Platz in der Bogan befriedigte ihn nicht mehr. Das Wasser war nicht tief genug, er fühlte sich wie eine Ratte in der Falle. Was er brauchte, war mehr Raum, mehr Luft, mehr Sicht, selbst wenn es nur Schlamm zu sehen gab. Ein paar Rehböcke, die ihn mit ihren großen, sanften, entsetzten Augen kaum sahen, stieß er zur Seite und watete zum Eingang der Bogan. Hier fühlte er den Strudel, der ihn die Wasserfälle hinabzureißen drohte, hier ließ er sich in tieferem Wasser nieder, das seine Schultern überspülte. Eine unbeholfene Elen-Kuh stand nahe bei, zuckte verzweifelnd mit ihren Ohren, starrte nicht in die Flammen, sondern in die verfärbten Wellen und den Schaum der gepeitschten Wasser. Dann kam an seiner Nase vorbei ein großer brauner Otter geschwommen. Er hob Kopf und Schultern über die Wellen wie ein wachsamer Seehund, prüfte die Fälle, und dann stürzte er sich geradewegs, das Haupt furchtlos gehoben, in den Fall. Sicher hatte er sich klar gemacht, daß die kleine Bogan nicht länger Sicherheit bot. Der Bär sah nachdenklich und fast neidisch ihre Flucht, aber ihm fehlte der Mut, sich in die sprudelnden, brüllenden Wellen zu werfen. Bald aber wurde das Gebrüll der Wellen unhörbar im unermeßlich grausamen Aufruhr des Feuers. Flammen sprangen und tosten, es war, als heulten sie, und als hätten selbst die Rauchwolken brüllende Stimmen bekommen. Die Hitze wurde giftig, wurde unerträglich; Funken und Brände fielen so dicht über die Bogan, daß viele Tiere mit plötzlich versengtem Fell wahnsinnig wurden und in den Schmelzofen hineinstürzten, während andere einfach im Wasser niedersanken und sich ertrinken ließen. Die Tiere, die das Wasser kannten, tauchten, so tief sie nur konnten, und erwarteten zitternd ihr Schicksal; nur der weise Fuchs schwamm vorsichtig alle Winkel der Bogan aus und fand endlich eine Höhle unter dem Ufer, deren Eingang von durchweichten Wurzeln geschützt war. In diesem herrlichen, kleinen Versteck saßen zwar schon, eng zusammengedrückt, ein paar Ottern und Moschusratten, aber er drängte sich ohne Förmlichkeit hinein und überließ es den andern, sich unterzubringen. Da die sonst nicht sehr vollkommene Geschichte jenes Waldes zu erzählen weiß, daß er noch in späteren Jahren zwischen den verkohlten Stämmen der Rodung des Menschen auf Hasen und Rebhühner jagte, ist anzunehmen, daß dies Versteck sich als zuverlässig erprobt hat. Inzwischen verzagte der Bär, als das Schicksal mit Flammen über ihn hereinbrach. In der ganzen Gesellschaft war er außer dem weisen Fuchs das einzige Tier, das klug genug war, die Schrecken dieser Stunde ganz zu überdenken. Für seinen mächtigen Körper war keine Höhle im Wasser groß genug. Er wimmerte erbärmlich und kehrte die Augen sehnsüchtig zu dem wild schäumenden Kanal, durch den jenes andere Tier geflüchtet war. Er wagte sich nicht auf diesen Pfad, der ihm sicherer Tod schien. Zwischen zwei Mauern aus Rauch und Flammen war dies stürzende Wasser nur noch eine siedende Straße ins Verderben. Aber auch die Bogan selbst wurde ein Ort der Schrecken. Was von kleineren Tieren noch lebte, bedeckte wie ein Teppich ihre Oberfläche. Eine oder zwei Wildkatzen, unzählbare Eichhörnchen, Wiesel, Marder, Murmeltiere, Mäuse, Waschbären und selbst ein paar Hasen, die in dieser Stunde letzter Verzweiflung gelernt hatten, zu schwimmen -- alles andere war tot. In dem Tollhaus-Gedränge, das jetzt in der Mitte des Teiches wütete, waren selbst ein paar Rehe untergegangen. Der Bär und das schwerblütige stoische Elen hielten sich in all dem vernichtenden Trubel noch aufrecht; sie lagen im Wasser und hoben von Zeit zu Zeit die Mäuler, ihre Lungen mit der brausenden und giftigen Luft zu füllen. Als er durch Zufall seine verzweifelten Augen stromaufwärts wandte, sah der Bär plötzlich eine wilde Gestalt durch Gischt und Rauch auf sich niederkommen. Sogleich erkannte er sie. Es war der Mensch, der im Heck seines leichten Kanoes ausgestreckt lag und es mit wuchtigen Paddeln zwischen Felsen und Sturzseen hindurchsteuerte. Er hatte sich das Ende einer Decke um den Kopf geschlungen. Ein Zipfel davon, der hinter ihm in der Luft wehte, glimmte und rauchte. Er lenkte sein Kanoe in die Bogan, und beinahe wäre er gekentert, als er heftig gegen den untergetauchten Rücken eines der Elentiere rannte. Auf Armlänge von dem Baren glückte es ihm, das Boot zum Halten zu bringen, und jetzt sah der Bär, daß sein Aussehen sich seltsam verändert hatte. Seine großen, sehnigen Hände, sein mutiges Gesicht waren schwarz und ausgedörrt. Die Augen starrten furchtlos aus kahlen Höhlen, Augenbrauen und Wimpern waren abgesengt. Trotzdem sah der Bär in seinem Kommen einen Schimmer von Rettung. Er fühlte: hier ist ein gewaltiger Geist, den selbst die Dämone des Feuers nicht überwältigen werden! Heulend näherte er sich dem Kanoe, in seinem Herzen wuchs eine Hoffnung. Der Mensch bemerkte ihn und erkannte selbst in diesem verzweifelten Moment, mit entstelltem Lachen, den Feind, der seinen Listen so oft entgangen war. »Diesmal hat's uns beide im Genick, alter Kerl!« brummte er, während er sich die Decke vom Kopf riß und sie rasch über die Wand des Bootes ins Wasser tauchte. Dann schlang er sie, noch triefend, wieder um Kopf und Schultern, nahm eine Sonde zwischen die Zähne, um die Rauchwolken durch diesen Filter zu atmen. Gleich darauf stürzte er sich wieder in die Wirbel, und in Rauchschwaden eingehüllt, brauste er hinein in den heulenden Wasserfall. Einen Augenblick zögerte der Bär, winselte wie ein junger Hund, und dann stürzte er sich nach. Tatsächlich war der Bär ein besserer Schwimmer als er selbst geglaubt hatte. Nach den ersten Sekunden hilfloser Verzagtheit im Toben und Rasen der Strudel fand er die Kraft, seinen Kopf wieder über Wasser zu halten und mehr oder weniger seinen Weg zu bestimmen. Anfangs mißverstand er die Anzeichen der Strudel und steuerte sich schlecht. Aber nachdem er atemlos seinen Weg durch eine Reihe wahnsinniger Stürze hindurch gekämpft hatte, sah er vor sich, ein wenig rechts, etwas wie einen sanfteren Durchlaß durch eine Schranke von Brechern. Dorthin strebte er mit aller Kraft, während er flußabwärts gewirbelt wurde, und erreichte sein Ziel. Seine Füße schleiften am Boden hin, krampfhaft versuchte er, sich mit den Klauen zu halten, aber er wurde fortgerissen, und vom Rand einer spitz auslaufenden Felsnase stürzte er mitten hinein in einen gischtenden Kessel. Glücklicherweise war der Kessel so tief, daß die Wucht seines Sturzes den Bären nicht zerschmettern konnte. Er kreiste in einem Strudel, bis Atem und Ueberlegung ihm wieder kamen. Dann entrann er seitwärts und geriet wieder in den tosenden Strom. Aber von jetzt ab verstand er es, die heimtückischen sanften Strecken zu meiden, hielt sich in den wirbelnden, heftig schäumenden Kanälen, die ihm genügende Wassertiefe und einen klaren Weg boten. Der Mensch, der mit seinem starken Ruder steuern und die Fahrt beschleunigen konnte, war jetzt außer Sicht. Aber der Bär schwamm vertrauensvoll in seinen Spuren. Beide Ufer des Flusses waren jetzt eine einzige tobende Feuersbrunst, ein Chaos, eine schwarze Rauchwolke, von roten und gelben Flammen zerrissen. Riesige Stämme bebten minutenlang darüber, dann schwankten und fielen sie, und das Schmettern ihres Falles blieb in all dem Toben ungehört. Maul und Nüstern des Bären brannten wie das Feuer selbst, wenn er seinen triefenden Kopf hob und die glühende Luft atmete. Aber sein Vertrauen in die Führung des Menschen war so groß, daß er nicht mehr verzweifelte. Der Hauptarm des Südfork mündete endlich in einer gewaltigen Mulde, in die er mit einem Donnern hineinschoß, das selbst im Brausen der Flammen zu hören war. Hier kämpfte der Bär, um ans Ufer zu kommen, aber es war zu spät. Unwiderstehlich packte ihn der Strom, einen Augenblick später war er wieder im Wirbel. Die Strudel überrollten ihn, tauchten ihn unter, dumpfes Dröhnen füllte seine Ohren, seine Lungen waren am Bersten. Dann plötzlich wurde er wieder in die Luft geworfen, fast erstickt fühlte er unter seinen Füßen glatte, wegsame Steine! Im nächsten Augenblick griffen seine Klauen in Holz, sie krallten sich ein wie Zangen und hielten fest! Gleich darauf zog er sich aus dem Strom und kämpfte mit aller Kraft zu ein paar Baumstämmen hin, die abgetrieben und zwischen Felsen eingeklemmt waren. Gerade vor sich sah er zu seinem Erstaunen den Menschen klettern, der, den Körper noch unter Wasser, in einem Felsspalt steckte. Nur seine Augen hielt er frei, der ganze Kopf war in die triefende Decke eingeschlagen, das Kanoe nirgends zu sehen. Mit stieren Augen erkannte der Mensch das schlammbedeckte, keuchende Tier und schob sich in den Stämmen vorwärts, ihm Platz zu machen. »Wie geht's, Geselle?« rief er. »Mach' dir's bequem hier! Du und ich, wir sind wohl die Einzigen, die noch leben hier herum!« Der Bär schrak ängstlich zurück, betroffen von dem matten Klang dieser Worte oder von den Augen des Menschen, die auf ihm lagen. Aber da er an seinen Hinterbeinen noch den reißenden Strudel fühlte, drang er weiter vor und kroch in Sicherheit, kaum einen Arm weit ab von dem Mann. Einstweilen waren die beiden Flüchtlinge sicher. Sie hatten Wasser genug, sich damit zu bedecken, und ein paar Felswände über ihren Gesichtern schützten sie vor gelegentlich vorzischenden Flammen, die über die Fläche des Stroms hinleckten. Nun konnten sie nichts mehr tun, als warten. [Illustration] Den ganzen Tag und die ganze Nacht (obwohl sie nicht wußten, wann Tag und Nacht miteinander wechselten) lagen Mensch und Tier so nebeneinander und klammerten sich ans Leben, während rings um sie und über sie fort das Feuer raste. Dann begann es abzusterben, glühende Baumstümpfe und Stämme blieben zurück, ihr Rauch schwelte am Ufer, hier und da zischte noch eine Flamme auf. Die Luft war jetzt so kühl, daß man ohne Qual atmen konnte. Und ein verzweifelt grauer Wolkenhimmel blickte auf das Bild der Zerstörung herab. Der Mann stand auf, reckte seine steifen Glieder, wrang das Wasser aus seinen Kleidern und dann -- so rasch wechseln unsere Bedürfnisse! -- setzte er sich an die nächste Glut, um seinen Körper zu wärmen. Der Bär beobachtete ihn ängstlich, aber er wagte sich nicht näher. Wie ein Hund folgte er den Bewegungen des Menschen. Für den Augenblick hatte er allen eigenen Willen verloren. Der Mensch erkannte jetzt klar: für die nächsten Tage gab es keine Flucht von diesen glühenden Gestaden, wenn nicht ein Wolkenbruch kam und die schwelenden Torflager löschte. Aber zwischen seinem Zufluchtswinkel und dem Ufer, ein kleines Stück stromabwärts, bemerkte er eine Landzunge aus Sand und Geröll, an der ein paar Holzblöcke gestrandet waren. Sie lag unter dem sprühenden Schaum der Wasserfälle so geschützt, daß die Hitze wohl ein paar Büsche angesengt, aber nicht vermocht hatte, sie zu verbrennen. Diese langgestreckte Kiesfläche schien dem Menschen ein Weg zur Rettung, er mußte sie erreichen. Aber der tiefe Wirbelstrom würde ihn, obgleich er ein tüchtiger Schwimmer war, wie einen Strohhalm vorbeiwirbeln. Wenn der Bär es nur zuerst versuchen wollte! Gleich darauf aber fiel ihm ein, daß selbst dieser Versuch ihm nichts nützen würde, denn der Bär war imstande, sich in einer Strömung zu behaupten, in der er selbst unterging wie eine junge Katze. Trotzdem sah er den Bären auffordernd an und rief ihm über die tosenden Wellen zu: »Versuch du's, Kamerad! Hier können wir noch lange hängen.« Der Bär glaubte, er würde irgend eines Verbrechens angeklagt, und zog sich ängstlich in einen Winkel zurück. Da er nichts tun konnte, als sich dem Schicksal zu stellen, verlor der Mensch jetzt keine Zeit mehr. Durch Warten konnte er weder Kraft noch einen neuen Entschluß gewinnen. Indem er sich sorgfältig auf der schmalen Brücke zwischen den beiden Kanälen hielt, nutzte er alles aus, was sein tolles Wagnis erleichtern könnte. Als er dem reißenden Strom nicht länger widerstehen konnte, warf er sich so weit hinaus wie möglich und schwamm verzweifelt darauf los, hoffnungslos und doch hoffend, er würde die Landzunge erreichen, ehe der Fluß ihn vorbeigetrieben hätte. Im nächsten Augenblick freilich erkannte er, daß alles umsonst war. In diesem Wirbel war er nicht mehr als ein treibendes Blatt. Der Bär hatte jede seiner Bewegungen verfolgt. Was das Manöver bedeutete, ahnte er nicht, aber er glaubte, daß der Mensch auf diesem Wege den Rettungswinkel nicht verlassen könnte. Als er dann sah, wie der sich mitten in den Fluß hineinwarf, den Kopf zum Ufer gewandt, fühlte er sich ganz verlassen. Mit einem wimmernden Schrei stürzte auch er in den Strom. Den Menschen aus den Augen zu lassen, wagte er nicht mehr. Dann würde das Feuer zurückkehren und ihn vernichten! Die Schnauze hoch gehoben, kämpfte er sich prachtvoll durch die wirbelnde Flut. Und obwohl in furchtbarer Geschwindigkeit stromabwärts getragen, gelang es ihm doch, seine Diagonale immer weiter zu sichern. Jetzt endlich hatte er es gelernt, die Gewalt abzuschätzen, gegen die er zu kämpfen hatte, und die Richtung gefunden, in der die Landspitze zu erreichen war -- da stürzte eine Welle den Menschen auf ihn! Der Mensch klammerte sich im langen Pelzhaar seiner Flanke fest. In seinem Entsetzen über diesen unerwarteten Angriff kämpfte der Bär noch machtvoller drauf los. Der Mensch blieb, wie das Schicksal es gewollt hatte, in seine Flanke eingekrallt. Mit letzter Anstrengung erreichte der Bär an einer bequemen Zugangsstelle die Landzunge und schwang sich wie eine erschreckte Katze hinauf. Der unheimliche Griff in seiner Flanke ließ nach. Als er sich umdrehte, um zu sehen, was passiert war, stand der Mensch atemlos, aber lachend im Sand und rief: »Hab Dank, Geselle! Gut gemacht!« Entsetzt von diesem Lachen, einem Geräusch, wie er es nie gehört hatte, sprang der Bär auf die andere Seite der Landzunge und spähte zum Ufer. Der Mann war inzwischen wieder zu Atem gekommen. Jetzt machte er sich daran, im ruhigen Wasser an den Ausläufern der Sandbank zwei Baumstämme nebeneinander zu rollen. Aus treibenden Wurzeln und den Ruten von halb verdorrten Weidenbäumen drehte er Taue, mit denen er die beiden Stämme immer wieder und wieder umwand. So brachte er ein Floß zuwege, das stark genug war, ihn über alle Schnellen zu tragen. Er wußte, daß er nur noch eine halbe Meile vom See entfernt war; und er wußte auch, daß die schlimmsten tobenden Katarakte des Südfork hinter ihm lagen. Er hatte weder Ruder noch Staken, um seinen Kurs zu halten, aber trotzdem stieß er das Floß vertrauensvoll in die Flut. Dabei winkte er seinem Gefährten Lebewohl. »Bleib ruhig sitzen, Kamerad!« rief er. »Du bist gut, wo du bist, laß die Wälder sich abkühlen!« Der Bär war durch die drohenden Flammen nicht mehr geängstigt, aber noch erschreckt von dem kraftvollen Griff in sein Fell. So nahm er den Rat des Menschen scheinbar als endgültig hin. Anfangs freilich folgte er dem Floß ein Stück weit in die brandenden Wasser hinein und wimmerte unentschlossen. Dann aber ließ er sich auf seinen Keulen nieder und beobachtete, wie es schwankend und taumelnd die Wellen niederschoß. Der Mann kauerte darauf, und der Bär sah ihm nach, bis er an einer Flußkrümmung verschwand. Mütter des Nordens Es war im ersten, trunkenen Sturm des arktischen Frühlings. Wie durchzuckt von der Wärme langer Tage, die voll Sonne waren, brach zu Füßen der südwärts gewandten Gletschermauern strahlendes Grün und blühendes Leben aus dem dünnen Erdreich, das ewiges Eis umschloß. Bäche erwachten in sonnenbeschienenen Tälern, an ihren Ufern sproßte das Gras, öffneten sich wie in leidenschaftlicher Eile sternengleich Blumen, weiße, gelbe und blaue. Die kleinen nordischen Schmetterlinge kamen in Schwärmen, mit ihnen wespenschlanke Bienen und unzählbare Arten von Käfern, als hätten die plötzlich erwachten Blüten sie, in ihrer Sehnsucht befruchtet zu werden, aus dem Schlaf gerufen. Ueber ihren schmutzigen Nestern, in unzugänglichen Klippen, schrien die Möwen, oder sie füllten die Luft mit dem Leuchten ihres Gefieders, wenn sie über das graugrüne ruhige Meer hinschwärmten. Für einen Augenblick versuchte die nordische Welt alle Qualen des Winters zu vergessen, seine mitleidlose Wildheit, seine tätliche Kälte und sein Dunkel. Die plumpen, großen, grunzenden Walrosse fühlten ihn auch und begrüßten ihn, den Glanz des arktischen Frühlings in ihren Einsamkeiten. In den Klippen einer Felsinsel, ganz nahe dem Wasser, sonnte sich eine kleine Herde. Es waren zwei alte Bullen und vier Kühe mit ihren krabbelnden, klumpigen Kälbern. Alle hatten sie sich gern, sie lagen da Kopf an Kopf, die Vorderflossen zärtlich über des Andern formlosen Leib gelegt, und in allen Tönen des Behagens grunzten, stöhnten, brummten sie, während die helle Sonne ihre dicken Häute kitzelte. Alle fühlten sie sich unter diesem Himmel frei von Sorgen, bis auf einen einzigen alten Bullen. Er war auf Wache, streckte seinen mächtigen Kopf mit Hauern und Schnurrbart hoch über die schweigenden Gefährten hin, hielt Augen, Ohren und Nase bereit, um eine nahende Gefahr zu wittern. Eins der formlosen, unbeholfenen Kälber lag mit seiner Mutter in einer Vertiefung des Felsens, vielleicht zwanzig Fuß weit fort von der Brandung -- in einem sicheren Winkel, den kein Wind aus Nord oder Ost berühren konnte. Die übrige Herde war dem Meer so nahe, daß von Zeit zu Zeit eine breite, bleigrüne Welle aussprang und sie überspülte. Die Jungen zeigten Lust, aufzuspringen und sich diesen plötzlichen Duschen zu entziehen. Aber ihre Mütter waren streng genug, um sie nahe dem Wasser zu halten. Jetzt wurde die kleine Gruppe durch ein Haupt vermehrt. Ein anderer alter Bulle, der auf dem Boden des Meeres fouragiert hatte, indem er mit seinen Hauern Muscheln, Seesterne und Austern aufgrub und sie in der massiven Mühle seiner Kinnbacken klein schrotete, hob plötzlich sein wildes Haupt an die Oberfläche. Trotz seines mächtigen Körpers bewegte er sich im Wasser fast so schnell und graziös wie ein Seehund. In einer Sekunde war er an der Klippe. Dort stemmte er seine ungeheuren Hauer ein, zog sich mit der Kraft seines breiten Rückens empor, stützte sich auf eine breite Vorderflosse und hob sich aus dem Wasser. Dann warf er sich laut grunzend vor Zufriedenheit unter seine Kameraden. Es bildete keine sehr liebliche Gesellschaft, dies ungeschlachte Seevieh, das muß zugegeben werden. Die Ausgewachsenen waren zehn bis elf Fuß lang, rund und ausgebaucht wie Bierfässer. Der Schmuck eines Schwanzes ging ihnen ab, ihre Farbe war ein schmutziges Gelbbraun. In dünnen Büscheln war ihre Haut mit widerspenstigen Borsten bewachsen, und das gab ihnen etwas Ungepflegtes, als wären sie von Mäusen befressen. Lächerlich krumm waren ihre kurzen, aber stark entwickelten Flossenfüße. Der obere Teil ihres Schädels war flach, schmal und ohne Ohren, die Schnauze dagegen ungeheuer entwickelt, denn sie mußte die massiven, abwärts wachsenden Hauer tragen, von denen jede ihre zwölf bis fünfzehn Fuß lang war. Die tolle Vergrößerung des Oberkiefers wurde auch noch betont durch den Schmuck langer, steifer Schnurrbärte, die ihrem Träger den Ausdruck borstiger Reizbarkeit gaben. Die wackligen Gestalten der Kälber machten denselben Eindruck wie die der Eltern, aber ihr sauberes, junges Fell war noch nicht so faltig, auch durch Beulen und Schrammen noch nicht entstellt, natürlich hatten sie keine Hauer, aber in Erwartung dieser Waffe war ihre Schnauze schon überstark und gab ihnen einen Ausdruck von Roheit, dem die Sanftheit ihrer Babyaugen lächerlich widersprach. Sie rollten und schmiegten sich gegen die berghaften Flanken ihrer Mutter, deren wachsame Hingabe sie empfanden. Das Kalb, das von der Herde am weitesten getrennt landeinwärts lag, hatte Schmerzen und wimmerte. Am Morgen hatte es vom Horn eines vorbeiziehenden Narwals einen bösen Stich in die Schulter bekommen, und die ängstliche Mutter versuchte es zu trösten, preßte es derb aber zärtlich an ihre Seite und lockte es, zu säugen. Die ganze Herde schien in diesem Augenblick mit dem Leben so über alle Begriffe einverstanden. Aber die besorgte Mutter war mit den Klagen ihres Jungen zu sehr beschäftigt, um auch nur zu fühlen, wie zärtlich die Frühlingssonne schien. Noch eine andere Mutter, nicht fern von dieser, war trotz des Frühlings unglücklich. Auf dem Festland, das hinter der Insel lag, kam ein magerer weißer Bär mit seinem Jungen zum Ufer gewandert. Die enge Bucht zwischen Insel und Festland war voll großer Eisschollen, die der Strudel der letzten Flut hineingetragen hatte. Von diesen wellenzerfressenen und verschlammten Blöcken waren viele am Ufer zurückgeblieben, die jetzt im Strahl der Sonne zerschmolzen und manchmal mit gläsernem Klirren auseinander fielen. In der Hoffnung, einen toten Fisch oder irgend einen anderen genießbaren Abfall der See zu finden, schnüffelte die brave Mutter zwischen diesen Trümmern hin und her. Schon lange war ihre Jagd schlecht gegangen, die Lachsschwärme hatten ihr Erscheinen an der Küste unerklärlich verspätet, und jetzt rumorte der Hunger in ihren Eingeweiden. Freilich füllte sie sich den Magen, wie es eben ging, mit den jungen Trieben der Binsen und anderem Grünzeug, aber das war nicht die Kost, für die Mutter Natur sie nun einmal gebaut hatte. In Ermangelung richtiger Nahrung preßte sie ihr lebendiges Leben selbst in die Brüste, um den Kleinen zu stillen. Aber auch er litt, denn der Vorrat an Muttermilch war erbärmlich gering. Gerade jetzt, als die alte Bärin still stand, um einen Haufen Seetang zu durchschnüffeln, kroch der Kleine unter ihren Leib, um zu säugen. Er wimmerte vor Enttäuschung, so dünn war der Strahl ihrer Milch. Sie drehte den Kopf, um ihn zärtlich zu lecken, und ihre stolzen Augen schimmerten in Traurigkeit. Da sich unter den angeschwemmten Eisschollen nichts fand, was ein Bär genießen konnte, wandte sie sich verzweifelt dem Wasser zu, als sie plötzlich eine seltsame Witterung von der See her fing. Die kam direkt von der Insel, war Walroß-Witterung! Sie hob die lange Schnauze mit der schwarzen Spitze und sicherte, dann stand sie unbeweglich wie ein Eisklotz und suchte prüfend die Insel ab. Das Junge stand ebenso bewegungslos, entweder ahmte es die Mutter nach, oder es gehorchte einem wohlverstandenen Zeichen. Sich still zu verhalten, gehört zum Ersten, was jede kleine Kreatur der Wildnis zu lernen hat. Kein Walroß war zu sehen, aber die Nase der Bärin konnte sich nicht getäuscht haben. Daß die plumpen Seetiere da waren, auf der andern Seite der Insel wahrscheinlich, war sicher; sie sonnten sich wohl und genossen den herrlichen Tag. Walrosse waren eigentlich nicht das Wild, das die Bärin gewählt hätte. Die großen Bullen waren mutig und hitzköpfig, die mächtigen Kühe furchtlos in der Verteidigung ihrer Jungen wie sie selbst -- sie waren Gegner, die man, wenn irgend möglich, vermied. Aber gerade jetzt hatte sie keine Wahl. Ihr Junges hungerte! Nichts auf der Welt schien ihr so wichtig, wie dies kleine unruhige Bärlein mit seinen Schalksaugen. Mit dem Jungen eng an ihren Fersen, stahl sie sich nun, durch die Eisschollen gegen jede Sicht geschützt, in die zurückebbende Flut hinein. Die Bucht war so voll von Treibeis, daß sie für ihr Junges fürchtete, aber zurücklassen konnte sie es nicht. So nahm sie es beim Schwimmen eng an ihre Seite. Es war ein guter Schwimmer, der furchtlos tauchte, wenn sie es tat, der mit seiner kleinen, schwarzen Nase die grau-grünen Wellen tapfer und schnell durchschnitt. Es tat ihr alles nach, war wachsam, schnell und vorsichtig wie sie, denn es wußte, daß diese Jagd auf großes Wild ging. Die Insel war der Ausläufer einer Berghöhe und fiel in steilen Hängen zum Meer. Die weiße Bärin war viel zu klug, um die Höhe zu erklettern und dann über die Walrosse herzufallen. Sie wußte gut, daß die Herde gegen jede Annäherung von der Landseite her auf ihrer Hut war. Von dorther kam ja alles, was sie fürchteten. Als sie das Gestade erreicht hatte, schwamm sie deshalb unter Wasser bis zum äußersten Vorsprung. Dort erst ging sie, durch eine Scholle gedeckt, an Land und preßte sich dabei so eng an den Felsen, daß sie selbst ein Stück davon schien. Jede Bewegung machte das Junge eifrig nach. Aber als sie sich auf den Hintertatzen hob und den schmalen Kopf in einen Riß der Scholle legte, um hinüberzuäugen, hielt es sich im Hintergrund und wartete auf sie, den Kopf ängstlich zur Seite gedreht. Die Walrosse waren nicht fünfzig Fuß weit weg in guter Sicht. Bei aller Hungerqual übereilte die Bärenmutter sich nicht, sondern blieb minutenlang auf der Lauer, prüfte die Zugänge zum Walroß-Lager, während eine leichte Brise ihr die angenehmste Witterung in die Nüstern trug. Sie sah, daß an die Herde selbst nicht heranzukommen war, denn die lag wohlgeschützt und nahe dem Wasser. Wenn sie einen Ueberfall versuchte, würden alle beim ersten Alarm entweichen; versuchte sie aber, eins der Jungen im Wasser zu greifen, dann wäre sie im Augenblick überwältigt, gespießt von den mächtigen Hauern, auf den Meeresboden gezerrt, ersäuft und zerrissen worden. Mit glühenden Augen aber beobachtete sie die Kuh und das Kalb, die höher am Abhang lagen. Da war eine Aussicht, voll von Gefahr, aber es war eine Aussicht! Sie ließ sich auf alle Viere fallen, machte sich flach und begann, zwischen den Felsen in die Höhe zu kriechen, jeden Hügel, jeden Vorsprung als Deckung nützend. Das Junge folgte ihr noch immer. Es war wunderbar, wie klein sich das gewaltige weiße Tier machte, während es langsam seine Beute beschlich, seine Bewegungen waren geräuschlos wie die einer Katze. Das war auch nötig, denn das Walroß hat scharfe Ohren, und in der Luft war kein Hauch als das tiefe Atmen und Grunzen der Herde, das gelegentliche Klirren und Klingen von brechendem Eis. Nicht mehr als zwanzig Schritt vor ihrer Beute hielt die alte Bärin und warf ihrem Jungen einen kurzen, strengen Blick zu. Sofort stand es auch und verkroch sich dann behutsam hinter einen Felsen. Nun schlich die Mutter allein weiter. Sie wußte, daß ihr Kleines flink genug war, um dem Ansturm eines Walrosses auszuweichen, aber sie wollte es keiner Gefahr aussetzen. Plötzlich hob die Walroßmutter den Kopf und spähte um sich, als ahnte sie eine Gefahr. Es war nichts Drohendes zu sehen, aber sie war unruhig geworden. Sie neigte den Kopf zu ihrem Kalb und fing an, es den Hang hinunter zu der übrigen Herde zu wälzen. Wie aus den nackten Felsen gezaubert, erhob sich da, nicht zwölf Fuß weit vor ihr, eine riesige, weiße und furchtbare Gestalt. Der alte Bulle auf Posten ließ seinen Warnungsruf hören. Aber in dem Augenblick schon fiel die weiße Masse über das kranke Kalb her, hob die Tatze und zerschmetterte ihm das Genick, ehe es noch wußte, wie ihm geschah. Mit Geheul richtete die Walroßmutter sich auf, warf die Wucht ihres Körpers gegen den Feind. Ihr Angriff war schnell, erstaunlich schnell, aber die weiße Bärin war schneller. Fast im selben Augenblick, in dem sie den tödlichen Schlag geführt hatte, schob sie mit verblüffender Kraft und Sicherheit ihre tote Beute zur Seite, ein paar Fuß tief den Abhang hinunter. Zugleich spannte sie ihren langen Rücken wie einen Bogen, und so gelang es ihr, den Ansturm der Walroßmutter halb zu parieren, der andernfalls ihr Ende bedeutet hätte. Immerhin trug sie auf der einen Hüfte eine schwere Wunde von ihren furchtbaren Hauern davon, die wie Rammklötze niederfuhren, und auf ihrem weißen Fell zeichnete sich eine breite, blutige Spur. Im nächsten Augenblick hatte sie ihren Raub vor dem zweiten Angriff der Mutter in Sicherheit gebracht. Das Walroß-Lager war jetzt in Aufruhr! Die anderen Kühe hatten ihre erregten Jungen sofort in die See gerollt und stürzten sich ihnen mit gewaltigem Plätschern nach. Die drei Bullen kletterten mit furchtbarem Grunzen, in großen ungeschickten Sätzen die Höhe hinauf, voll Eifer, in den Kampf zu kommen. Die beraubte Mutter stöhnte und keuchte in vergeblichen Anstrengungen, die Mörderin ihres Jungen zu erreichen. Doch zeigte sie sich immerhin so gewandt, daß die Bärin genug zu tun hatte, ihr zu entgehen, während sie ihre Beute den Hügel hinauf halb schleppte, halb trug. Auf einmal blieb das tote Kalb in einer Spalte hängen, und die Bärin mußte eine Pause machen, es freizubekommen. Das dauerte nur einen Augenblick, aber es fehlte nicht viel, dann wäre dieser Augenblick ihr letzter gewesen. Die ungefüge Gestalt der Kuh war ihr im Rücken, sie fühlte es mehr, als sie es sah. Wie eine plötzlich freigegebene Sprungfeder schnellte die Bärin zur Seite, und die beiden Hauern fuhren nieder, gerade da, wo sie gestanden hatte, mit der Wucht einer ganzen Tonne von Knochen und Muskeln, deren Waffe sie waren. Die verzweifelte Kuh richtete sich blitzschnell auf, um ihre Vorteile auszunutzen. Aber diesmal kam sie schlecht an. Ihre viel intelligentere Feindin hatte sie umgangen und fuhr jetzt mit wütenden Zähnen von hinten in ihren Nacken. Aus dem Gleichgewicht geworfen, rollte die Kuh felsabwärts und überschlug sich, ehe sie wieder zum Stehen kam. Die drei Bullen hielten mitten in ihrem atemlosen Ansturm inne, um zu sehen, was geschehen war. Und in diesem Augenblick gelang es der Bärin, ihre Beute auf ein Riff zu schleppen, das die Walrosse unmöglich erklettern konnten. Ein paar Fuß höher, und sie hatte eine geräumige Plattform erreicht, von der sie zwanzig Fuß hoch auf die wütenden Walrosse hinab sah. Wenige Sekunden später traf auch das Junge auf ihren Ruf bei ihr ein. In sicherem Abstand vom Feind war es leichtfüßig über die Felsen geklettert. Als die drei Bullen erkannten, daß die Mörderin sich ihrer Rache ganz entzogen hatte, kehrten sie um, wälzten sich grunzend und zankend ins Meer zurück. Die Mutter aber, in Gram und Zorn untröstlich, blieb! Richtete sich an der Felswand auf, klammerte sich mit ihren großen Flossen machtlos daran fest, schlug ihre Hauer gegen den Stein, als sollte er unter ihren Hieben zerbrechen. Wieder und wieder fiel sie zurück, um ihre nutzlosen und dennoch erhabenen Anstrengungen zu wiederholen, sobald sie nur wieder Atem in der Brust fühlte. Die alte Bärin aber sah, ihr Junges stillend, gelassen auf dies Schauspiel herab. Langsam kam die unglückliche Kuh dann zur Besinnung, kehrte um und kroch schwerfällig, mit müden, ruckartigen Bewegungen den Felsen hinab. Sie stürzte sich ins Meer, hoch auf schlugen die Wasser, und dann schwamm sie davon, eine Meile weit draußen zu ihrer Herde zu stoßen. Ein bedrängter Hausvater Im vergangenen Jahre war der Seehundbulle verspätet nach Norden gekommen und hatte trotz seines Grimms und seiner Rauflust, was Wohnung und Weiblichkeit betraf, schlecht abgeschnitten. Mit einem recht mittelmäßigen und ganz nackten Felsstück, weit fort vom Wasser, hatte er sich zufrieden geben müssen, dazu mit einem armseligen Bestand von drei sanftäugigen, aber mehr oder weniger mitgenommenen kleinen Damen. Diese drei, die er in wildem Kampf von zwei benachbarten Bullen eroberte, hatten bei der Auseinandersetzung über ihre unterwürfigen Reize manche Mißhandlung erlitten, und ihre sonst glatten Pelze waren danach so zerrissen und zerschlissen, daß der bedenkenfreieste Pelzhändler erschrocken wäre. In Erinnerung an den Preis, den er für seine Verspätung bezahlt hatte, wurde unser Seehundbulle in diesem Jahre schon frühzeitig erregt, tobte in der purpurnen See und hielt sein Antlitz nordwärts gewendet. Längs der steilen, umbrandeten Küsten von Kalifornien und Oregon, durch die wilden Brecher des Pazific schwamm er nun zielbewußt, manchmal gradenwegs wie ein Fisch, dann in schönen Bogen, die er mit gewaltiger Schnelligkeit und biegsamem, öligem Gleiten beschrieb, als hätte er aus seinem ganzen schweren Körper eine mächtige Schraube gemacht, die ihn durch die Flut trieb. Während des größten Teils seiner leidenschaftlichen Reise schwamm er unter Wasser und hob nur von Zeit zu Zeit seine schnurrbärtige Schnauze in die Luft, um zu atmen. In jenen belebten Meeren gab es soviel Fische, daß selbst er seinen nie ruhenden Hunger mühelos sättigen konnte. Von Zeit zu Zeit unterbrachen sie dennoch ihre Fahrt, er und seine Gefährten, -- denn er war auf dieser Nordlandreise in Gesellschaft anderer gereifter Bullen --, um ein paar Stunden ihrer kostbaren Zeit mit tollen, fast kindlichen Spielen im Schein der verführerischen Frühlingssonne zu verbringen. Es war, als hätten sie für den Augenblick vergessen, wie eilig ihre Reise war, und als ob eine Welle von Leichtsinn sie mit sich risse. Eigentlich war diese Auswanderung fast ohne Gefahr für die Vorhut des Seehundvolkes. Alles Bullen, ausgewachsene Bullen, stark und gewandt, mit Körpern von mindestens sechs Fuß Länge, die aus Sehnen und gestählten Muskeln bestanden, gab es selbst in diesen gefährlichen Wassern wenig Feinde, die sie zu fürchten hätten. Wenn sie nicht gar zu unachtsam waren, würde kein Hai ihnen nahe kommen, denn mit ihrer überlegenen Geschwindigkeit und ihrer wunderbar entwickelten Tauchkunst konnten die großen Robben dem plumpen Hai recht unangenehme Ueberraschungen bereiten. Sie fürchteten höchstens den blitzschnellen, erbarmungslosen »Mörder«, den Schwertfisch, der ohne Anzeichen plötzlich aus den Tiefen emporstoßen konnte. Auch waren sie immer auf der Wache gegen die schwarz-weiße Schreckensgestalt der furchtbaren Orca, die man auch den Mord-Wal nennt. Die schlimmsten Feinde der nordwärts wandernden Seehunde aber -- jene skrupellosen Räuber von menschlichen Wilddieben -- ließen unsere Bullen und seine Kameraden friedlich ziehen, denn ihr grobes und narbiges Fell war für die Pelzhändler wertlos. Diese Verbrecher warteten lieber auf die glatten jungen Kühe und die zweijährigen, oder höchstens dreijährigen Bullen mit ihrem feinen Pelz, die »Jungburschen«, wie sie von den Pelzjägern genannt werden. Aber obwohl kein Wilddieb ihm die Reise störte, hatte der große Seehund eine furchtbare Angst zu überstehen, ehe er die lange Strecke der britisch-columbischen Küste hinter sich hatte. Von den Königin-Charlotte-Inseln kam ein kanadischer Regierungskutter, klein, aber geschäftig und gierig wie ein Terrier, der Ratten jagt, mitten in die Herde gedampft. Der große Bulle tauchte tief in den dunkelgrünen Glimmer der See, tief erschreckt durch den feindseligen, schwarzen Kasten und die grausam schäumende Schraube, während die übrige Herde sich in panischer Angst zerstreute. Aber inzwischen hatte der kanadische Kommandeur schon festgestellt, daß er bloß die Vorhut von alten Bullen vor sich hatte, und daß er seine Beute, nämlich die Pelzwilddiebe, weiter südlich zu suchen hätte. Nach diesem Abenteuer hielt der große Seehund westwärts und folgte dem kühn geschwungenen Bogen der Küste von Alaska. In steigender Hast hatte er sich an die Spitze der Vorhut gesetzt und so umschwamm er den Zipfel von Alaska, passierte die Kette der alëutischen Inseln, dort, wo sie sich wie die Steine einer Furth zum Nachbar-Kontinent hinüberstrecken, und kam an die seichte Flut des Behring-Meeres. Bis hierher war die Reise fast ohne Ereignisse gewesen. Aber gerade hier hatte er ein Abenteuer zu bestehen, das seine Laufbahn beinahe zu einem plötzlichen und wenig rühmlichen Ende geführt hätte. In der Mündung eines reißenden Polarflusses stieß er auf einen mächtigen Schwarm von Lachsen, die zu ihren Laichplätzen schwammen. Das war eine jener Gelegenheiten, bei denen die sonst so selbstbeherrschten Seehunde den Kopf verlieren. Die ganze Herde wurde wild. Es war das große Lachsfest. Durch den eng gedrängten Schwarm jagten ihre großen, schwarzen, sehnigen Körper, bissen und töteten in einer Art von Delirium zehnmal mehr Fische, als sie vertilgen konnten, bis auf der trüben, grauen Flut große, blutrote Flecke standen. Manchmal warf sich ein schmaler, schwarzer Kopf, der einen stattlichen Schnurrbart trug und auf einem massiven Genick von ungeheurer Kraft saß, hoch über die sprudelnden Wasser und biß in einen fetten, zuckenden Fisch, den er im Maul trug; als wäre ein toller Zerstörungswahnsinn ausgebrochen, zerbissen die Seehunde den schimmernden Lachs in zwei Stücke, schluckten ein Maul voll und ließen die blutigen Reste ins Wasser zurückfallen. Und schon stürzten die tobenden Fischer sich auf neue Beute. Für den Lachs war dies eine böse Stunde. Denn schon pürschten sich vom nahen Ufer ein paar gemächliche weiße Bären heran, die sich in den Schwarm warfen und reiche Beute machten, die sie aber ans Ufer trugen, um sie dort in Ruhe zu verzehren. Das Lachsvolk aber, das unter der Gewalt eines unerträglichen Triebes stand, wich nicht aus und hielt nicht an, und ihre Anzahl war so unermeßlich, daß Seehund und Bär zusammen kaum fühlbaren Schaden anrichten konnten. Im Ueberschwang seines Jagdeifers passierte es dem großen Bullen, daß er die Ruhe eines nicht allzu friedlich blickenden fremdartigen See-Bewohners störte, der sich zufällig auf dem schlammigen Meeresboden von einer Seite auf die andere wälzte. Das Tier trug eine blasse Leichenfarbe, war etwa zwölf Fuß lang und erweckte den Eindruck, als entstammte es der Mesalliance eines Einhorns mit einem Tümmlerwal. Aus der Mitte seines ungeheuren, stumpfen Maules ragte, wohl sechs Fuß lang, ein massiver, scharf zugespitzter, seltsam geschwungener Hauer aus hartem Elfenbein. Seine kleinen, kalten Schweinsaugen betrachteten die Legionen von Lachsen, die über ihm hinzogen, ohne Teilnahme, vielleicht, weil einstweilen sein Riesenappetit auf Lachs befriedigt war. An jener Stelle war das Wasser der Mündung nicht mehr als zehn oder zwölf Fuß tief. Da geschah es, daß der große Seehund bei seinem besinnungslosen Tauchen das See-Einhorn mit seiner Hinterflosse gewaltig über die Schnauze schlug. Vielleicht litt das Einhorn gerade in diesem Moment an Verdauungsstörungen. Jedenfalls war sein Zorn sehr leicht gereizt. Mit jäher Wut stieß es in die Höhe. Der Seehund sah gerade mit einem Blick den blassen Koloß in die Höhe schnellen, obwohl das schäumende Wasser fast undurchsichtig war. Geschmeidig wie ein Aal wich er zur Seite, gerade noch zur rechten Zeit. Die starke Elfenbein-Lanze traf nicht in ein Zentrum seines Lebens, aber immerhin riß sie ihm gerade vor der Vorderflosse eine breite, rote Wunde in die Flanke. In der Wildheit seines Angriffs fuhr das Einhorn nicht nur mit dem Hauer, sondern mit seinem halben Körper aus dem Wasser heraus. Als er wieder untertauchte, griff der gereizte Seehund ihn seinerseits an und schlug ihn gewaltig über das Schweinsauge. Aber dabei stellte er fest, daß sein Angreifer einen Panzer aus Tran trug, der für seine Zähne undurchdringlich war. Und so zog er sich aus dem Gefecht und verlor sich unter den Lachsen, während das Einhorn sich wieder in den Schlamm sinken ließ, um seine unterbrochene Verdauung fortzusetzen. An einem fast unbewegten Morgen, als die blasse Sonne tief am Horizont hing, erreichte der große Seehund jene seltsame Insel der Pribiliv-Gruppe, die während der ganzen Nordlandsfahrt sein Ziel gewesen war. Die Küste dieser Insel war über alle Beschreibung kahl und elend, aber die Spitze, auf die der Seehund hielt und auf deren Besitz er Anspruch erhob, bot für seinesgleichen gewisse Vorteile. Eine halbe Meile vorgelagert lag eine andere flache Insel, die schmal und lang, als Wellenbrecher gegen die schweren Seen des Ozeans diente. Der Kanal zwischen den beiden Inseln aber war immer voll von Fischen, und rings um den Felsvorsprung, auf dem er Wohnung genommen hatte, war das Wasser klar und tief. Als er landete, war der lange Bogen jener Felsküste sogleich von den Scharen seiner Reisegefährten bestürmt. Durch die Polar-Einsamkeit, die bisher still wie ein Grab gewesen, hallte jetzt ihr scharfes Gebell und grunzendes Schreien, denn wie Wilde stürzten sich die Ankömmlinge über das Felsgestade. Hier schlug der große Bulle sofort sein Heim auf: die Wolken waren sein Dach, die vier Winde seine Mauern, sein Fundament eine schräg abfallende Klippe, die auch der tollste Polarsturm nicht erschüttern würde. Wie gut er gewählt hatte, sollte er sogleich erproben, denn als er kaum fünf Minuten lang im Besitz seiner Wohnung war, mußte er sie schon verteidigen. Ein anderer Bulle, noch größer als er selbst, mit ergrautem Schnurrbart und mit einer weißen Narbe quer übers Gesicht, warf sich auf die Klippe und fiel in Wut über den Hauseigentümer her. Aus der Selbstverständlichkeit dieses Angriffs ließ sich vielleicht schließen, daß er im vergangenen Jahr der Inhaber der Wohnung gewesen war und berechtigte Ansprüche zu verfechten glaubte. Aber an jenen wilden Gestaden gelten nur solche Rechte, die man sich erkämpft. Mit Gebrüll richtete sich der Hausbesitzer auf, stemmte sich auf seine seltsamen, wackligen Knochen und fiel mit entnervender Wut über den Eindringling her. Die überhöhte Stellung gab ihm einen gewissen Vorteil. Seine hinteren Flossen, die breit, kurz und stark sind, waren nach vorn gebogen, wie die Hinterbeine eines Land-Vierfüßlers, nicht trostlos nach rückwärts wie die der östlichen Seehunde, sie boten ihm eine sichere Stütze für diesen Angriff. Beim ersten Streich schon verwundete er seinen Gegner unbarmherzig und drängte ihn bis auf den rechten Winkel des Felsens zurück. Der Eindringling jedoch war wuchtig und stark-knochig und wußte sich zu halten. So blieb der Ausgang des Kampfes minutenlang zweifelhaft. Die einander würdigen Gegner brüllten sich ihre Wut ins Gesicht, während die nächsten Nachbarn in Beifallsbezeugungen ausbrachen. Im schräg auffallenden Strahl der Sonne wiegten sich die beiden Nacken der Duellanten auf und nieder, ihre Köpfe stießen so blitzschnell gegeneinander, daß das Auge kaum folgen konnte, und zielten einander nach der Gurgel und parierten mit weit offenem Rachen die tödlichen Hiebe. Die Ueberlegenheit an Temperament und Jugend, die es dem Hausbesitzer möglich gemacht hatte, als erster der ganzen Herde anzukommen, erwies sich endlich dem schwereren Gewicht überlegen. Der Eindringling bekam einen schweren Stand, und plötzlich, sei es, daß er den Mut verlor, oder daß er durch seine Wunden geschwächt war, wurde er geworfen und taumelte ins Wasser. Auf seine Klippe postiert, noch immer kampflustig den Kopf wiegend, erwartete der Hausherr einen neuen Vorstoß. Aber der Eindringling hatte genug. Noch einmal streckte er den Kopf hoch über die Wellen und blickte seinen Feind an, dann tauchte er unter, schwamm beschämt von dannen und suchte sich einen Platz in den überspülten Ausläufern der Niederlassung. Während der nächsten vierundzwanzig Stunden hatte der Hausherr noch vier Kämpfe zu bestehen, um sein Eigentum zu verteidigen. Von diesen späteren Zusammenstößen war aber keiner so gefährlich wie der erste. Dann wurde, zum Glück für seine blutende Flanke, das Leben friedlicher, denn das Lager war endlich aufgeteilt. Der große Bulle konnte jetzt zwar ausruhen und verschnaufen, aber seine Ruhe mußte er mit unermüdlicher Wachsamkeit bezahlen. Nachkömmlinge wollten landen, die seinen Anspruch auf die gewählte Wohnung bestritten. Aber wenn er an den Rand seines Riffs kroch, seinen blutenden Körper zeigte, den mächtigen Nacken wiegte und seine großen, klugen Augen in ihrer entschlossenen Wachsamkeit funkeln ließ, bot er das Bild eines so gefährlichen Gegners, daß die Herausforderer sich meist beruhigten und weiterschwammen, um leichtere Kämpfe zu bestehen. Versuchte wirklich einer zu landen, dann fiel der Hausherr über ihn her, ehe er noch recht ans Trockene gekommen war, und fertigte ihn mit klaffenden Wunden ab. Zugleich aber mußte er gegen seine unmittelbaren Nachbarn, zwei schwere rauflustige Bullen auf der Hut sein. Die hatten zwar selbst gute Wohnungen gefunden, aber sie drohten stets, die Grenze zu überschreiten, die er gezogen hatte. Vielleicht war diese Grenze wirklich fast übertrieben weit, aber der Hausherr hatte die Absicht, eine große Familie zu gründen und sich für die Entbehrungen des letzten Jahres zu entschädigen. Mit wütendem Bellen und Brüllen warnte er deshalb vor jedem Versuch, in sein Recht einzugreifen. Eine traurige Begleiterscheinung dieser Lage war es, daß der ununterbrochen bedrängte Hausherr keine Zeit mehr hatte, sich zu nähren. Wenn er nur für einen Augenblick seinen Posten verließ, mußte er damit rechnen, daß er bei der Rückkehr einen anderen Bullen dort treffen und gezwungen würde, neue Kämpfe zu führen, deren Ausgang zweifelhaft war. Keine zehn Schritte weit vor seiner Nase war die Tafel gedeckt. Fette Fische schwärmten in der eisigen, großen See, aber er konnte nicht gehen, um sie zu fangen. In dieser Beziehung war er sicherlich schlechter daran als seine Kameraden und Nebenbuhler. Aber jeder Bulle, der einen wirklich guten Platz gesichert hatte, mußte alle Zeit und alle Aufmerksamkeit darauf verwenden, ihn zu bewachen. Es war vielleicht der erste Mai, und während der folgenden fünf oder sechs Wochen, durch all die langen, blassen Polartage, an denen die Sonne tief am Horizont stand und kaum einen Augenblick dahinter verschwand, brach der Hausherr kein einziges Mal sein Fasten. Ja, er wagte es kaum, zu schlafen, denn immer noch konnte irgend ein tapferer, junger Neuankömmling ihn überfallen. Zum Glück war er von dem fetten Winter und seinem leichten Dasein her noch gut genährt, und die stattliche Transchicht unter seinem Fell hielt seine Kräfte aufrecht. [Illustration] Gegen Ende des Monats kamen die glatten und friedlichen Horden der »Halbbullen« und der »Jungburschen« an, die noch nicht alt genug waren, sich zu paaren, oder auch nur Ansprüche an dergleichen zu stellen. Mit ihnen erschien die Schar der kleinen, sanftäugigen, einjährigen Kühe, spielfrohe Kinder des Ozeans. Diesem ganzen Gewimmel Unschuldiger schenkten die alten Bullen keinerlei Aufmerksamkeit. Die schwärmten an den Ausläufern der Niederlassung hin, waren glücklich über jede Art Unterkunft, die sie fanden, und verbrachten ihre friedvollen Stunden -- wenn sie sich nicht mit Fischen beschäftigten -- mit harmlosen, glücklichen Spielen wie eine Schar Kinder, die von der Schule kommt. Dann endlich, in der ersten Woche des Juni, trat das lang erwartete Ereignis ein, dem all dies Suchen nach Unterkunft, dies Wachen und Kämpfen und Fasten gegolten hatte, die Ankunft der erwachsenen Kühe. Sie kamen in immer größeren Scharen, Flosse an Flosse gedrängt. Da die Kühe mit zwei Jahren ausgewachsen sind, die Bullen aber nicht vor dem siebenten Jahr, und da die Weibchen außerdem in größerer Anzahl geboren werden als die Männchen, kamen im Durchschnitt zehn oder zwölf von ihnen auf einen erwachsenen Bullen. Trotzdem war kein Bulle in der Herde, der nicht Angst gehabt hätte, er würde zu kurz kommen. Die ersten beiden Kühe kamen knapp hintereinander direkt auf das Riff unseres bedrängten, aber jetzt triumphierenden Hausvaters zugeschwommen. Er erwartete sie in großer Erregung, den Kopf so hoch übers Wasser gehoben wie es nur möglich war und eifrig winkend. Das Seehundsweibchen ist viel kleiner als ihr polygamer und gewalttätiger Herr, sanftäugig und von milden Sitten. Als die erste Schwimmerin das Riff erreichte, griff der Hausherr ihr formlos ins Genick, ehe sie noch Zeit hatte, aus eigenem Antrieb den Felsen zu erklettern, und half ihr mit mehr Gewalt als Zärtlichkeit aufs Trockene. Der derbe Griff seiner Zähne in ihr Genick mußte schmerzhaft sein, aber die kleine Kuh schien es als Zeichen seiner Zuneigung zu nehmen, denn sie beklagte sich nicht. Er jedoch, der so plötzlich ihr Herr geworden, nahm sich nicht die Zeit, schön zu tun oder seine glitzernde Braut auch nur zu bewundern. Als er sie sicher in seinem Rücken wußte, machte er sich blitzschnell daran, ihrer Reisegefährtin dieselbe verbindliche Aufmerksamkeit zu beweisen. Diesmal aber kam er zu spät. Sein energischer Nachbar zur Rechten war ihm gerade noch zuvorgekommen und schnappte stolz die widerstandslose Schöne fort, um seinen eigenen Herd mit ihr zu schmücken. Heulend vor Enttäuschung und eifersüchtig blickte der Hausherr über seine Grenzen hinüber, um zurückzufordern, was er für sein Eigentum hielt. Aber da zeigte ihm ein kurzer Blick nach rückwärts, daß sein Nachbar zur Linken sich eben anschickte, die Braut zu rauben, die er schon erobert hatte. Einen Augenblick lang bebte er in hilfloser Unentschlossenheit. Aber die treulose, kleine Kuh gab kein Zeichen, als ob sie ihm folgen wollte, sondern sie schien bei der Aussicht eines plötzlichen Wechsels ihres Eheherrn schamlos gleichgültig. So verfügte er sich wütenden Herzens an ihre Seite und stand dort mit keuchendem Rachen Posten. Der Frauenräuber, der schon öfter als einmal die Rauflust unseres Hausherrn gekostet hatte, war bescheiden genug, sich zurückzuziehen. Inzwischen kamen die Kühe in solcher Zahl an, daß jeder große Bulle genug zu tun hatte, alle einzufangen, die in seinen Bereich kamen und nicht mehr versuchen mußte, seinen Nachbarn zu berauben. Während der nächsten achtundvierzig Stunden etwa gelang es dem schnellen und unermüdlichen Hausherrn, nicht weniger als zwei Dutzend sanftäugige Weiberchen zu greifen und unterzubringen. Schön artig huddelten sie sich auf der Felsplatte in seinem Rücken und beobachteten mit Bewunderung seine herkulischen Anstrengungen, ihre Zahl zu vergrößern. Eifersucht kannten sie nicht. Die meisten von ihnen waren vielleicht sogar stolz, einem gut besetztem Harem anzugehören, dessen Größe die Tapferkeit seines Herrn bekundete. Zwei allerdings erlaubten es sich, die Liebenswürdigkeit eines leichtsinnigen jungen Bullen in der hinteren Linie entgegenzunehmen, dem es bisher nicht gelungen war, sich eine Gefährtin zu sichern. Ihr Herr war ja eifrig damit beschäftigt, weitere Ankömmlinge in Empfang zu nehmen. Aber für die meisten lag in dem Griff, mit dem der Hausherr sie im Nacken gepackt hatte, etwas Unvergeßliches. Er bewies ihnen einen gewaltigen Liebhaber und nahm ihnen die Lust zum Herumtreiben. Noch ein paar Tage lang rückten verspätete Abteilungen von Kühen ein, und da dem Hausherrn das Glück treu blieb, sah er sich endlich als das Haupt eines Harems von mehr als vierzig Mitgliedern. Für sein weites Herz und seine gewaltigen Ansprüche waren das nicht zu viel, aber es machte ihn zum Gegenstand der bittersten Feindschaft. Selbst seine tüchtigsten Nachbarn von rechts und links besaßen keine so zahlreiche Gesellschaft auf ihren Klippen, während im Rücken eine ganze Straße voll junger Bullen war, die zu spät gekommen waren und immer auf eine Gelegenheit zum Wildern lauerten. So sehr war der Hausherr mit ehrenvollen Aufgaben beschäftigt, daß er nicht die Zeit fand, ein Auge voll Schlaf zu nehmen. Und was die Nahrung anbetraf, hatte er schon so lange darauf verzichtet, daß er kaum mehr wußte, was Essen bedeutete. Vierzig Weiber -- und alle in Gefahr, von irgend einem Stärkeren oder schlaueren Gesellen geraubt zu werden, der zufällig des Weges kam! Es war schon eine Aufgabe für den bedrängten Hausvater, seine Frauenschar immer wieder abzuzählen. Immer wieder umstreifte er wachsam die eng gelagerte Schar. Und wenn eine, die sich vielleicht vernachlässigt oder übersehen glaubte, den Versuch machte, sich wegzustehlen, um einem traurig blickenden Bewerber in der hinteren Linie zuzulaufen, erfuhr sie plötzlich, daß sie weniger vergessen war als sie gedacht hatte. Sie wurde im Genick gepackt und geschüttelt, bis sie sich selbst für eine verworfene Sünderin hielt, und dann in die Mitte des Harems hineingeschleudert. Alles dies ging natürlich nicht ohne fortgesetzte Reibereien ab, denn der eine oder andere enttäuschte Ehebrecher versuchte, es auf einen Kampf ankommen zu lassen. Aber für die jungen, unerfahrenen Bullen aus der hinteren Gasse war der Hausherr ein viel zu starker und erprobter Kämpfer, so daß diese Reibereien stets rasch ein Ende fanden. Ein paar Tage nach Ankunft der Kühe wurden die ersten, wolligen, kleinen Hundchen zur Welt gebracht. Als die Geburten zunahmen, verringerten sich die Sorgen des Hausherrn ein wenig. Sobald ein Junges geboren war, konnte er sicher sein, daß die Mutter nicht mehr daran dachte, auszureißen. Ehebrecher freilich waren noch so gefährlich wie immer, denn diese schmiegsamen Räuber scheuten keine Verantwortung und zeigten sich stets bereit, Mutter und Kind zugleich an sich zu nehmen. Sobald die Jungen ihre erste Hilflosigkeit überwunden hatten, durften die Mütter ihren Herrn verlassen, direkt durch das Haupttor, um Fische zu fangen und sich für ihre Kleinen mit Milch zu versehen. Der Hausherr wußte, daß jetzt jede Kuh pünktlich heimkehren würde. Für ihn selbst aber gab es auch jetzt weder Ruhe noch Futter. Er hatte nichts zu tun, als zu Hause zu sein, Wache zu halten, den Nachwuchs von vierzig Weibern zu hüten und Nebenbuhler in die Flucht zu jagen. Es war ein aufreibendes Leben. In jener Zeit war er nicht mehr ein glatter und wohlgenährter Ritter, sondern ein jämmerliches Gestell aus Haut und Knochen, bedeckt mit unschönen, aber ehrenhaften Narben. Kraft und Feuer blieben ihm jedoch, und kein Nebenbuhler forderte ihn heraus, der es nicht bereuen mußte. Eines Tages erschien jedoch ein Feind, dem selbst des Hausherrn Mut nicht gewachsen war. Die Pelzjäger erschienen auf dem Nistplatz. Es waren nicht jene verbrecherischen Schlächter, die Wilderer, sondern ehrliche Jäger, die mit Schonung töteten. Sie kümmerten sich nicht um die alten Bullen und ihre heranwachsenden Familien, obwohl die Bullen sie wütend anbrüllten. Sie brachen vielmehr in die Spielplätze der unverehelichten Jugend ein und richteten dort unter den Halbbullen und Jungburschen ein furchtbares Gemetzel an. Bald war der einst so fröhliche Spielplatz mit Blut und Leichen bedeckt. Doch achteten sie darauf, selbst von den unglücklichen Jungburschen einen guten Prozentsatz zu schonen, damit der nutzbringende Stamm der Pelzrobben nicht ausgerottet würde. Mit den Pelzjägern kam ein nachdenklicher Mann, der nicht töten, sondern beobachten wollte. Das Töten liebte er nicht. Als er sich einen Augenblick das Schlachten angesehen hatte, rümpfte er mit Ekel seine Forschernase. Dann hatte er es sehr eilig, sich abzuwenden und den übrigen Teil der Niederlassung zu studieren. Sie mit einer Kamera zu beschießen und in Erfahrung zu bringen, was die Pelzrobben treiben, wenn sie eine ärmlichere Aufgabe hatten als die, geschlachtet zu werden. Ohne auf Drohungen, Geheul und schnappende Rachen zu achten, ging er langsam hinter den Nistplätzen entlang; blieb alle paar Schritte stehen, um seinen Apparat anzusetzen und zu knipsen. Voll Begeisterung und neuer Kenntnisse kam er hinter das Felsstück, auf dem der kampfgewohnte Hausherr seinen Harem von vierzig Schönheiten bewachte. Diese ungeheure Familie und ihr imposanter Wächter fesselten das Auge des Beobachters. Das war wirklich ein Hausstand, den man beobachten mußte. Erst knipste er aus einigem Abstand; dann entschloß er sich, in das gedrängte Privatleben einzudringen und die häuslichen Einrichtungen zu untersuchen. Ohne besondere Aengstlichkeit wich er den zornigen Bullen der Hintergasse aus, die vor ihren armseligen Harems tobten, und wanderte furchtlos mitten hinein unter die ängstlichen Kühe und die rundäugigen, treuherzigen Jungen von der Familie unseres Hausherrn. Soviel Seehunde hatte er kampflos schlachten sehen, daß er sich von dem Mut dieser Tiere ein falsches Urteil gebildet hatte. Ohne auf die scharfe Warnung des Hausherrn zu achten, beugte er sich nieder, um eines der Jungen zu untersuchen und zu streicheln, das ihn mit seinen Augen voll rührender Tiefe und Sanftheit furchtlos anblickte. Nun wußte der Hausherr recht gut, wer dieser Fremde war -- der ungeheure Mensch, der alle Tiere unterworfen hat, der plötzlich zu töten versteht, unsichtbar oder mit einer zuckenden Flamme --, aber er zauderte nicht; es galt, sein Heer zu verteidigen und da dachte er nicht an die Gefahr. Eine häßliche, aber gefährliche Gestalt, schritt er sofort zum Angriff. Gerade im kritischen Augenblick blickte der Mensch auf und sah den rasenden Bullen. Er machte einen wilden Sprung, verlor seine Kamera, aber entging dem gefährlichen Biß seines Angreifers. Eine große Flosse traf ihn jedoch und so fiel er halb betäubt auf den Rücken einer protestierenden Kuh. Zu seinem Glück beschäftigte sich der Hausherr zunächst damit, die Kamera zu vernichten, und inzwischen fand der Mensch Zeit, sich auf den nächsten Ueberfall vorzubereiten. Die einzige Waffe, die er trug, war ein schwerer Knotenstock, den er zugleich als Stütze und als Keule benutzte. Als er zur Seite sprang, bekam sein Gegner einen schweren Hieb über die Nase, die empfindlichste Stelle des Seehundes und der Hausherr brach zusammen wie ein durchbohrter Gladiator. Der Mensch sah voll Mitgefühl auf seinen gefallenen Feind nieder, hob das Ueberbleibsel von Kamera auf, tätschelte ein Junges, das ihm nicht aus dem Weg gehen wollte und zog sich zurück. Als er die rückwärtige Linie der Bullen durchbrochen hatte, sah er sich um und stellte mit großer Befriedigung fest, daß sein Hieb nicht ganz so wirksam gewesen war, wie er gefürchtet hatte. Der Hausherr kam langsam wieder zu sich, hob sein furchtloses Haupt und überzählte seine Familie, um festzustellen, ob keines fehlte. Dann brüllte er wieder, obwohl es noch ein bißchen schwächlich klang, allen Eindringlingen seine Verachtung zu. Als die erfolgreichen Jäger ein paar Tage später die Insel verließen, mußte er natürlich der Meinung sein, daß sie seinetwegen von dannen zogen. Da sich niemand fand, der seine Theorie bestritt, ist es erklärlich, daß er stolz darauf war. Etwa sechs Wochen später, gegen Ende Juli, waren die Jungen stark genug, um zu reisen. Die Qualen des endlos verlängerten Fastens waren fast unerträglich geworden, und so kam der Hausherr und alle seine Nebenbuhler plötzlich zu der Erkenntnis, daß es nicht der Mühe wert war, an einer solchen Küste ihre Harems zusammenzuhalten. Es fiel ihnen ein, daß sie nächstes Jahr andere, aber nicht viel weniger reizende Gefährtinnen sammeln könnten. Da waren plötzlich die schrecklichsten Fehden vergessen, sie stürzten sich ins Wasser und machten sich hungrig daran, Fische zu jagen. Dann wandten sie plötzlich alle die Gesichter nach Süden und bald lagen die öden Felsen einsam da, um wieder Sturm und Kälte der nahenden Polarnacht zu bestehen. Puck im Zwielicht Puck, der Düstere, zickzackte durch das purpurne Zwielicht unter dickblättrigen, überhängenden Aesten, und Mücken zu jagen, war alles, woran er dachte. Die langen, ruhigen Stunden des goldigen Sommertages hindurch hatte er geschlafen, wie ein Sack im schattigen Giebel einer alten Scheune aufgehängt, die mitten in einer blühenden Wiese lag. Andere braune Fledermäuse hatten Seite an Seite mit ihm dort geschlafen, wie er, an ihren langen Hakennägeln festgekrallt und feierlich eingehüllt in das seidige Schwarz ihrer faltigen Schwingen. Es war ein beliebter Schlafraum für die Fledermäuse, dieser düstere Giebel, in dem kreuzweise gelegtes Balkenwerk ihnen die angenehmste Gelegenheit gab, sich fest zu haken -- und infolgedessen herrschte dort einiges Gedränge. Der eine oder andere fand sich manchmal beengt, wachte auf, quiekte und stieß seinen Nachbarn mit den knochigen Ellbogen seines Flügels, um dann mit blecherner Stimme zu protestieren, -- mit einer sehr blechernen, aber doch barschen, ein wenig zitternden Stimme, die fast wie das Räderwerk einer Drei-Mark-Uhr klang. Puck selbst hatte das Glück, ganz am Ende der Reihe zu hängen, als nächster zu einem weiten Spalt im Dach, der die frische Abendluft hereinströmen ließ. Aber mehr als einmal war er fast von diesem Hochsitz abgedrängt worden, sodaß er öfter als irgend ein anderer aufgewacht war, gequiekt und räder-geschnarrt hatte. Auch hatte ihn bei dieser ungewöhnlichen Wachsamkeit ein oder zweimal der Anblick einer großen Ratte geärgert, die tief unten auf einem langen Balken herumlungerte und ihn mit ihren grausamen Perlenaugen anstarrte. Ratten haßte er, aber da er sich in diesem Fall außer Reichweite wußte, war er nicht weiter erschrocken. Er hatte sich in seine Flügel eingehüllt und war wieder eingeschlafen, noch unter dem Blick des Feindes. So war ihm der Tag angenehm genug vergangen. Als es Nachmittag wurde, hatte er sich ein paar Mal aufgerafft, um zu dem Spalt am Giebel zu flattern und einen Blick auf das Wetter zu werfen, bis er sich endlich, als die Sonne hinter den niedrigen Hügeln jenseits des Bachs strahlend untergegangen war, durch den Spalt hindurch ins gold-violettene Dunkel schwang. Zehn Minuten später schon waren ihm die Mitinhaber des Schlafsaals gefolgt, und der Giebel ihrer alten Scheuer war nun leer. Er war ein seltsam dreinschauender Kerl, der kleine braune Fledermäuserich, ein Gemisch aus Vogel und Maus und Kobold, drollig aber finster, ein richtiger Puck, der alle hellen Stunden verdröselte und im Dunkel zu seinem launischen und ausschweifenden Leben erwachte. Sein kleiner Körper, der in einen kurzen, braunen Pelz von auserlesener Feinheit gekleidet war, hing zwischen zwei ungeheuren Flügeln aus brauner Haut. Diese Haut, die biegsamer war als feinster Gummi, spannte sich, wie Seide über ein Schirmgestell, über die unglaublich entwickelten Arm- und Fingerknochen der Vorderglieder. Am Ende seines Rückens vereinigten sich die beiden Flügel und umspannten noch die zerbrechlichen Hinterbeine bis zu den Knien, die dadurch aussahen, als seien sie in eine falsche Richtung gezogen. Zwischen den starken Schulterblättern saß ein kleiner, seltsamer, fast formloser Kopf mit einem Knuttel von Nase, einem launischen breiten und schiefgezogenen Mund, großen flachen Ohren und winzigen, unruhig glitzernden Jett-Augen. Häßlich und grotesk war er, wenn er sich von seinem Sitz schwang oder im Gebälk herumkletterte. Im Augenblick aber, in dem er sich ins Halbdunkel des Abends schwang, bot Puck, der Düstere, ein erlesenes, ganz phantastisches Bild. So breit und biegsam waren seine Flügel, daß bei gleichem Gewicht kein Vogel der Welt seine Luftübungen von bewundernswerter Gewandtheit nachahmen konnte. Aus vollem Schnellflug in grader Linie konnte er sich plötzlich wie einen Stein fallen lassen oder, im beinahe rechten Winkel hochschnellen wie ein Geschoß, das aus der Schleuder fliegt. Ein schwindelerregendes Zickzack schien sein natürlicher Flug, und Haken konnte er schlagen von einer Exaktheit, die selbst den Sperber beschämten. Daß er das konnte, war gut. Denn die Mücken, die durch die Luft schnellten und tanzten, und andere flinke Insekten waren Pucks Nahrung, die jäh niederschießende Eule seine einzige Feindin. Als er in dieser Nacht durch die duftenden Wiesen am Wasser segelte, war die ruhige Luft voll von Insekten: Mücken, Fliegen, Nachtfalter und die ersten schwärmenden Maikäfer. Solange er hungrig war, schnappte er gierig nach allem, was er sah. Aber als das Dunkel wuchs und sein Heißhunger gestillt war, wurde er wählerisch. Manchen guten Bissen, der leicht zu haben war, ließ er sich direkt am Munde vorbei gehn und vergnügte sich damit, nach schwer erreichbarem Wild zu jagen. So haschte er einmal nach einem hoch fliegendem Falter weit über den Baumspitzen, und diese Beute griff er unmittelbar vor dem Schnabel eines niederstoßenden Nacht-Vogels, schlang sie hinunter und verschwand, ehe der enttäuschte Vogel noch recht wußte, wer ihm zuvorgekommen war. Ein anderes Mal ließ er sich fallen und erwischte einen Maikäfer, der grade von einem wiegenden Grashalm aus die Flügel zum Flug spreitete, zur namenlosen Empörung einer Spitzmaus, die sich an den Käfer herangepürscht hatte und grade zum Sprung ansetzte. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Pucks Augen, denen das Zwielicht klar wie Kristall war, die wildernde Spitzmaus im Gras beobachtet hatten, und daß es ihm ein diebisches Vergnügen war, ihr die Beute vor der Nase wegzuschnappen. Selbst die pfeilschnellen Turmschwalben konnte er manchmal auf diese Art narren -- ein Schatten tauchte vor ihnen auf, und auf geheimnisvolle Weise verschwand die eben noch gejagte Motte. Als in den Wolken das violette Licht verblaßte, verließ Puck, der Düstere, seine Wiese und flog stromabwärts, über Feld und Hecken, zu einem Garten, in dem zwischen Rosen- und Blumenbeeten, im Schutz tiefer Bäume, ein Haus mit breiten Veranden lag. Hier schien die linde Sommernacht wie trunken vom Hauch taufeuchter Rosen und Levkojen, japanischer Lilien und Würze streuender Nelken. Hierher zog süßer Honigduft die Nachtkäfer in dichten Schwärmen. In diesem Garten, unter den Bäumen, lustwandelten ein Mann und ein Mädchen am Flußufer, das weiße Kleid des Mädchens leuchtete durch die Nacht. Eine andere kleine, braune Fledermaus, ein Weibchen, gesellte sich zu Puck und nahm an seinen fröhlichen Spielen teil. Vielleicht war es sein Weibchen, jedenfalls seine Spielgefährtin. Ueber diesen Punkt läßt sich nicht streiten, denn in Bezug auf seine häuslichen und intimen Gewohnheiten hat Puck, der Düstere, bisher wenig erraten lassen. Eine kleine Weile wiegten sich die beiden in fröhlichen Tänzen, umkreisten, überflogen und untertauchten sich, drehten sich manchmal in schwindelnd rasch gezogenen Bogen, um sich an irgend einem Stelldichein-Platz in der Luft wieder zu finden. Das Weibchen flog weniger leicht, nicht ganz so blitzsicher wie Puck selbst -- und wer die beiden auf kurze Entfernung und bei gutem Licht beobachtet hätte, hätte gesehen, daß sie bei aller Spieligkeit eine sehr treue und hingebende Mutter war. Denn bei allem Tollen trug sie ihre beiden Kleinen mit sich! Die brachten es auf irgend eine seltsame Art zu Wege, ihr ins Genick zu klettern, und dort saßen sie so fest, daß ihre schnellsten Wirbelflüge, ihre fast atemberaubend steilen Schwünge die Kleinen nicht aus dem Sitz warfen. Ein lebhafter Abend muß es für diese Mauskinder gewesen sein, die noch zu jung waren, um zu Hause zu bleiben, weil eine schweifende Ratte sie finden konnte. Mitten im Spiel stürzte sich irgend woher aus den Lüften ein geräuschloser Schatten, den mächtige Flügel trugen, auf das tanzende Paar. Zwei riesige Augen, kreisrund, starr und matt glühend, starrten sie an, und gewaltige Krallen, die furchtbar greifen konnten, jagten sie nach rechts und links, in gräßlicher Stille. Aber so blitzhaft schnell war ihr Ausweichen, daß beide, Puck und die kleine Mutter, den gierigen Krallen entgingen. Wie ein paar Blätter waren sie beim Angriff der Eule auseinander geweht. Sofort verschwanden sie tief unter den Aesten, und die enttäuschte Eule rauschte weiter, um weniger listiges Wild zu jagen. Gleich darauf flatterten auch die beiden Fledermäuse wieder empor. Aber, obgleich unverzagt, empfanden sie doch die Notwendigkeit, aufzupassen, solange der Feind sich in der Nähe aufhielt. Deshalb begaben sie sich zu ihrem Spiel ins untere Ende des Gartens, wo der Mann und das Mädchen spazierten, und um deren gedankenschwere Häupter schwangen sie jetzt ihre kreisenden Tänze. Menschliche Geschöpfe hielten sie für harmlos und nur dazu gemacht, die Eulen fern zu halten. Zu Pucks Erstaunen stieß das Mädchen plötzlich einen hellen Schrei aus und warf sich ihren leichten seidenen Schal über den Kopf, daß sie wie eine florentinische Madonna aussah. »Igitt!« schrie sie ängstlich. »Da versucht wieder eins von diesen schrecklichen Tieren in mein Haar zu kommen!« Der Mann lachte friedlich und zog sie an sich. »Dummes Mädel, selbst in +dein+ Haar würde eine Fledermaus für kein Zureden kriechen! Sie wäre geschmacklos genug, sich dort höchst unbehaglich zu fühlen!« »Ja, aber aus Versehen könnte sie hineinkommen!« behauptete das Mädchen, und ihre weiten Augen folgten, unter dem Schutz ihres Arms, den Grotesk-Tänzen der beiden Schatten. »Du weißt, sie sind fast blind, meine Amme hat mir erzählt, als ich noch ein kleines Mädel war, wenn mir je eine Fledermaus ins Haar käme, müßte ich's ratzekahl abschneiden. Sie würde sich so hinein verwickeln, daß man sie nie wieder herausbringt!« »Deine Amme hat Dir merkwürdige Dinge erzählt, scheint mir,« widersprach der Mann. »Wenn Du mir glaubst, daß die Fledermäuse so wenig blind wie irgend denkbar sind, wirst Du Dir an Sommerabenden viel Angst sparen. Sie sehen sogar wunderbar gut, mein Schatz, und sie verfliegen sich nie, im Gegenteil, im Gleiten und Stürzen sind sie sicherer als irgend ein Vogel. Jedes von diesen kleinen Biestern, die da um uns herumflattern, könnte von Deiner süßen, kleinen Nase eine Mücke herunter schnappen, ohne Dich auch nur mit dem Flügel zu treffen.« »Ich mag sie aber doch nicht!« sagte das Mädchen etwas getröstet. »Ich wollte, sie gingen weg!« »Wie alle Welt beeilen sie sich, deinem leisesten Wunsch zu gehorchen,« erwiderte der Mann und lachte wieder, denn bei den letzten Worten des Mädchens hatten Puck und seine Gefährtin sich emporgeschwungen, und jetzt verschwanden sie unter den Baumwipfeln. Ich behaupte nicht, daß die Beiden Englisch verstanden, oder daß sie in ihrem empfindlichen Nervenzentrum durch Fernwirkung Kenntnis von der Abneigung der jungen Dame bekommen hatten. Ihr Grund war einfach, daß die kleine Mutter sich vom Gewicht ihrer beiden Babys im Genick ermüdet fühlte und davongeflogen war, um einen sicheren Ast zu finden, auf den sie die Kleinen für ein paar Augenblicke verstecken konnte. Hoch oben im dunklen Wipfel einer Fichte nahm ein gewaltiger Ast die Jungen auf, die sich, gehorsam dem Befehl der Mutter, an die Rinde krallten und ihre winzigen Körper fest an das rauhe Holz preßten. Hier gibt es keine Gefahr, dachte die kleine Mutter, und verließ sie, um sich für ein paar Minuten lang in ungestörtem Flug zu erholen und ein wenig mehr Mücke und Motte zu sich zu nehmen. Puck hatte gewartet, bis sie ihre Babys im Ast versorgt hatte, jetzt flog er leichten Herzens mit ihr, um über den Blumenbeeten zu fouragieren. Nicht mehr als fünf Minuten lang waren sie fort, als es der kleinen Mutter plötzlich wie mit einem Schlage durchs Herz fuhr: die Kinder brauchten sie! Im schwirrenden Bogen eilte sie zur Fichte zurück, und nach ganz kurzer Ueberlegung folgte Puck ihr auf den zierlichen Fersen. Nun war es geschehen, daß ein Wiesel-Vater, die grausamen Augen rot von Gier und Blutdurst, den Fichtenstamm entlang wanderte. Er hatte gerade die Spur eines Eichhörnchens verloren, dem er so nahe gekommen war, daß er es fast schon sein Eigentum genannt. In Gedanken hatte er gerade dem armen Schächer seine Zähne durch die Gurgel gejagt, als wie durch ein Wunder der Nacht -- und für die Geschöpfe der Wildnis ist die Nacht voll von Wundern -- Wild und Spur verschwanden. Im Fichtenbaum hatte sich das ereignet, und jetzt suchte der furchtbare Jäger den ganzen Baum nach der verlorenen Witterung ab, fest entschlossen, seine bösen Absichten nicht vereiteln zu lassen. Auf dieser Suche kam er auch, geschmeidig und schnell wie eine Schlange, den hohen Ast entlang, auf dessen äußerster Gabel die kleine Fledermaus ihre Babys gelassen hatte. Puck, der Düstere, hatte während seines kurzen Lebens niemals eine ernstliche Meinungsverschiedenheit mit größeren Geschöpfen als etwa einem Nachtfalter oder einem Maikäfer gehabt. Welch ein unbekämpfbares und schreckliches Ungeheuer dieser lange, dunkle Schatten auf dem Ast war, ahnte er vielleicht, aber er zögerte nicht! Das Wiesel erschrak, als ihm plötzlich ein harter Flügelhieb quer übers Gesicht fegte. Mit bösem Knurren bäumte es auf und schnappte nach dem kühnen Angreifer. Aber seine langen, weißen Zähne griffen nur leere Luft, und beinahe verlor er das Gleichgewicht auf dem Ast. Als es sich erholt hatte, die Seele voll Wut, sah es hinter sich, beinahe in Reichweite, einen dunklen, kleinen, flatternden Schatten, der wie eine verwundete Katze am Baum hinkroch. Geschmeidig wie ein Aal, schnell wie der Blitz, fuhr es auf den kecken kleinen Schatten los. Aber der war verschwunden! Und ein paar Fuß unterhalb des Astes sah das Wiesel Puck, den Düsteren, gemächlich auf und nieder schweben. Des Wiesels eng zusammensitzende Augen glühten wie Kohlen, und bei dem Gedanken, von einer armseligen Fledermaus hereingelegt zu sein, fletschte es die langen, weißen Zähne. Aber während es sich mit der Herausforderung Pucks wütend beschäftigte, hatte die kleine Mutter ihre süßen Babys wieder sicher ins Genick genommen und segelte mit ihnen durch den Abend. Aber nach einem solchen Erlebnis hatte sie genug von Spiel und Tänzen. Sie dachte nur daran, ihre Kinder in das sichere Versteck des Scheunengiebels zurückzubringen, sie dort zu säugen, ihre seidenen Pelze zu lecken und die süßen kleinen Schwingen mit ihren Lippen sorglich zu reinigen. Puck, der Düstere, war jetzt allein gelassen und dachte, vielleicht erregt und übermütig durch sein erfolgreiches Abenteuer mit dem Wiesel, an neue, tolle Unternehmungen. Ganz nahe dem Gartenhaus jagte er einen großen Falter, der mit unglaublicher Geschwindigkeit flog. Hart bedrängt, rettete er sich in die Dunkelheit eines weit offenen Fensters. Puck folgte ihm unbedenklich und erwischte den Flüchtling, als er gegen die Decke des Zimmers stieß. In diesem Augenblick schloß ein Dienstmädchen das Fenster. Dann ging sie hinaus, ohne den Eindringling zu bemerken, und verriegelte das Tor. Puck glaubte, man könne den Raum so leicht verlassen wie man hineinkam und stieß im Flug hart gegen die blaß schimmernde Fensterscheibe. Er war ein wenig betäubt und sehr erstaunt. Wieder und dann noch einmal versuchte er, die harte, unsichtbare Barrière zu überwinden, aber nicht blindlings oder in verzagter Heftigkeit, wie ein Vogel es getan hätte. Selbst in dieser unerwarteten und gefährlichen Lage behielt er den Kopf klar. Als die erste Ueberraschung verwunden, fing er an, das Glas von dem Luftraum draußen zu unterscheiden, und dann gab er mit Gleichmut auf, Unmögliches zu ertrotzen. Zuerst widmete er sich der genauesten Untersuchung jeder Ecke und jedes Verstecks im Zimmer. Aber obwohl der Raum voll von zerbrechlichem Tand und zierlichen Nippes war, sah und flog er so vorsichtig, daß seine Flügel nicht den kleinsten Schaden anrichteten. Er kam unter jedes Stück Möbel, hinter jedes Bild und untersuchte aufs gründlichste den Wandschirm, der während des Sommers den Ofen verbarg. Bei diesen Entdeckungsreisen stöberte er eine ganz unerwartet reiche Auswahl von Insekten auf, und seine Angst war keineswegs so groß, daß er nicht alle Leckerbissen dankbar verzehrt hätte, die der Zufall ihm brachte. So verging die Nacht mit dem Gefühl einer gewissen Unsicherheit, aber nicht gerade langweilig. Als die Dämmerung grau durchs Fenster kam und die Geranien sich glühend färbten, gab Puck, keineswegs in Verzweiflung, sein vergebliches Mühen auf. Tagesanbruch war für ihn der Moment, schlafen zu gehen. So hing er sich bequem in eine Falte des großen Vorhangs in einer Ecke des Zimmers und bettete sich mit philosophischer Ruhe, als wäre er in seiner Scheuer unter seinem gewohnten Dach. Ein paar Stunden später kamen zwei Dienstmädchen ins Zimmer und fingen an, aufzuräumen. Im Verlauf dieser Tätigkeit nahmen sie die Vorhänge ab. Sie schüttelten sie tüchtig, um sie später zusammenzulegen. Zu ihrem Entsetzen fiel Puck, der Düstere, heraus. Beim Anblick dieses gut vier Zoll langen Ungeheuers schrien sie so entsetzlich, daß der Mann herbeieilte, der abends mit seinem Mädchen im Garten spaziert war. Er trug Reithosen und Handschuhe. Puck, der nur halbwach und sehr ärgerlich über die rauhe Berührung war, richtete sich auf dem Vorhang mit halb gespreiteten Flügeln und funkelnden, winzigen Jett-Augen auf. Der Ausdruck seiner Meinung über die Dienstmädchen wurde so heftig, wie möglich, und klang etwa wie das Räderdrehen einer besonders großen und besonders schlecht geölten billigen Taschenuhr. »Großer Gott, Hanne,« rief der Herr, »ich dachte, Sie und Liese hätten mindestens ein Rhinozeros aufgestört, solchen Lärm schlagt ihr! Glaubt ihr, die arme, kleine Fledermaus will euch fressen?« Er bückte sich, um Puck aufzunehmen. Aber der kleine, barsche Kerl schnarrte ihn an und schnappte so heftig nach ihm, daß der Mann froh war, dicke Handschuhe zu tragen. Die Mädchen zitterten. »Sehen der Herr nur!« schrie Hanne. »Er würde uns fressen, wenn er nur könnte, er ist so wild!« »Er ist wirklich ein richtiger kleiner Teufel!« sagte der Mann, nahm Puck behutsam in seine handschuhbekleideten Hände und trug ihn zum Fenster. Puck war jetzt hellwach, und sein Uhrwerk-Schnarren empörte sich schrill gegen die Gefangenschaft in Händen eines Menschen. Am Fenster ließ der Mann ihn los. Der Glanz des vollen Tages verwirrte Puck. Aber indem er die Augen zu einem kaum haarbreiten Spalt schloß, konnte er die Landschaft doch einigermaßen erkennen. Im Augenblick hatte er sich in die Luft geworfen, und im nächsten schon flatterte er in den nahen Aesten. Er nahm seinen Weg, so dicht wie möglich in den Bäumen, zum Flußufer, und von da ging's über die Wiesen zur alten Scheuer! Ein paar Minuten später hängte er sich unverzagt neben seine schlafenden Kameraden in den warmen, braunen Schatten des Giebels. Unter gewöhnlichen Umständen hätte Puck sich jetzt niedergelassen, um den Rest des hellen Tages zu verschlafen. Aber es war Bestimmung, daß diese vierundzwanzig Stunden eine besonders ereignisreiche Zeit für ihn werden sollten. An einem schmalen, wagerechten Dachsparren, nur ein paar Fuß unter sich, bemerkte er seine Spielgefährtin vom letzten Abend, die kleine Mutter mit ihren beiden Jungen. Sie hatte ihren Nachwuchs an der glatten Oberfläche des Sparrens verwahrt, während sie selbst mit ihrem Putz beschäftigt war -- eine Angelegenheit, die für die Fledermaus so wichtig ist wie für die eitelste Katze. Mit erstaunlicher Gewandtheit kratzte sie sich mit den Hornspitzen ihrer Flügelarme hinter den Ohren, kämmte sich den Pelz an Stellen des Körpers, die unerreichbar schienen. Dann machte sie sich an die Haut der Flügel, nahm erst den einen, dann den andern vor, streckte und prüfte sie, zog sie durch die Lippen und beleckte die ganze Fläche, bis über ihre Makellosigkeit kein Zweifel mehr bestehen konnte. Während die kleine Mutter so beschäftigt war, schwirrte aus den schmutzigen Nestern unter der Dachtraufe eine Schwalbe hastig in den Giebel empor, um eine große Wespe zu jagen. Der verzweifelte Käfer war seiner Verfolgerin im Giebeldach entgangen, und jetzt stürzte er sich gerade über der Dachsparre in die Tiefe, so daß er die Fledermaus-Babys im Flug berührte. Die Schwalbe schoß ihm rücksichtslos nach, und diesmal blieb es nicht bei einer streifenden Berührung der kleinen Krabbler. Die Schwalbe traf sie so rauh, daß beide glatt von dem Sparren abgerissen wurden. Obgleich sie Fliegen noch nicht gelernt hatten, spreiteten sie zwar instinktiv ihre zerbrechlichen Flügel, aber sie fielen doch mit Geflatter wie zwei abgestorbene Eichblätter herunter auf den Boden. Glücklicherweise war der Boden der Scheune mit Spreu und Halmen und allen Spuren der letzten Heuernte dicht bedeckt, so daß die Säuglinge sanft landeten und nicht verletzt wurden. Aber sie landeten weit voneinander, wie zwei wirbelnde Blätter es getan hätten. Die Mutter, die gerade, als das Unheil passierte, dicht in die Falten ihrer Flügel eingewickelt war, machte sich schleunigst los und eilte ihren Kleinen nach. Dann kam ihr Puck, den seine letzten Abenteuer unternehmungslustig gemacht hatten, im Zick-Zack nach, um zu sehen, was er für sie tun könnte. Er fand Beschäftigung, und das sofort! Die große Ratte, die unter der Diele der Scheuer wohnte, kam gerade aus ihrem Loch. Es war ihr, als ob irgend etwas gefallen war, und obwohl sie nicht recht wußte, was es war, kam sie eilig und in großen Erwartungen angeschossen. Sie vermutete eine junge Schwalbe, die aus dem Nest gefallen oder geworfen war, und junge Schwalben liebte sie der Abwechslung halber. Die Neugier der Ratte wurde durch einen leichten Schlag auf ihren Kopf abgelenkt. Eine Fledermaus war ihr scheinbar direkt auf den Rücken gefallen. Die Ratte wurde nicht ärgerlich, im Gegenteil, sie war ungeheuer interessiert. Noch nie hatte sie eine Fledermaus gegessen, aber schon oft Lust dazu gehabt. Und ihr bot sich unzweifelhaft eine Gelegenheit, denn diese Fledermaus schien krank oder verwundet. So sprang die Ratte auf die neue Beute. Sie sprang falsch, zweifellos, aber doch nur um Fingersbreite, und die jämmerlich matte Fledermaus flatterte noch immer in Reichweite. Wieder und wieder sprang die Ratte an, ihre langen, weißen Zähne schnappten mit furchtbarem Laut zusammen, aber sie fingen nichts, bis sie sich auf einmal wieder vor dem Loch am Winkel fand, aus dem sie gerade aufgetaucht war. Dann schwang sich zu ihrem Mißvergnügen die armselig flatternde Gestalt, die doch schon fast in ihren Zähnen gewesen war, mit starken Flügelzügen doch empor. Und zugleich stieß eine andere Fledermaus schwirrend aus der Mitte der Diele auf, mit zwei Jungen, die in ihrem Genick saßen. Enttäuscht und beschämt machte sich die Ratte hinaus in die Wiesen, um sich mit einem Paar gemütlichen Grashüpfern zu trösten. Puck, der Düstere, aber schwang sich, von Triumph geschwellt, auf seinen hohen Sitz zurück. Nach dem, was er mit Eulen, Wieseln, Faltern und Menschen und Ratten erlebt hatte, fühlte er seine gewöhnliche Schläfrigkeit nicht. So machte er sich an seinen Putz, den er so eifrig und peinlich besorgte, wie es einer braunen Fledermaus von seiner Tüchtigkeit ansteht. Schläfer im Schnee I. Mit Stöhnen und Knirschen kam der wacklige Zug an der frostigen Hinterwaldstation »Blechkessel« zum Stehen, rechts und links von Schneewällen eingepfercht. Außer Melissa Elliot war kein Fahrgast für Blechkessel im Zug. Sie war ein großes, blondes Mädel mit blauen Augen, Pelzmütze auf dem Kopf, das energische Kinn in einer grauen Luchsboa vergraben und beide Hände voll von Paketen und Bündeln. So stand sie auf den vereisten Stufen, bis zwei junge Männer, die am andern Ende des Wagens ängstlich gewartet, angerannt kamen und ihr ans Licht halfen. Jeder versuchte, dem andern zuvorzukommen, das Mädchen für sich in Beschlag zu nehmen, aber Melissa benahm sich so taktvoll, daß jeder nur einen Ellbogen zu stützen bekam, gleichzeitig aber zur Entschädigung seinen gerechten Anteil ihres Handgepäcks. Der Schaffner warf ihren braunen Koffer mit lautem Knall auf die Plattform. Der Zugführer rief: »Alles einsteigen!« obwohl er der Einzige war, der dieser Einladung folgen konnte. Und langsam, mit Gestöhn und mächtigen Rauchwolken (denn der Nordwind stand gerade auf Blechkessel) zog der schmierige Zug wieder an. Station und Stationsvorstand schienen ihm sehnsüchtig nachzublicken; Blechkessel wurde in jeder Richtung nur von einem Zuge täglich berührt! Und von der Station selbst sah man nichts als ein paar senkrecht eingerammte Stämme, die sich hier und da aus dem Schnee erhoben, dahinter einen ragenden Wall von Fichtenbäumen und die schmale, doppellinige Metallspur, die aus dieser Wildnis in die geschäftige Welt führte. Das Dorf »Blechkessel«, ein dürftiges, kleines Sägemühlennest, lag im Flußtal, hinter dem Wald verborgen, wohl zwanzig Meilen von der Station ab. Obwohl nur ein Fahrgast gekommen, warteten zwei Gefährte vor dem Bahnhofsgebäude. Walter Bird hatte seine glänzende braune Stute flott in den leichten Promenadenschlitten gespannt, Jimmy Wright aber einen seiner großen grauen Lastgäule und den schweren »Pung« mitgebracht, einen niedrigen Lastschlitten, wie man sie im Hinterwald braucht. Die jungen Männer lauerten schon seit einer Woche auf jeden einwärts brausenden Zug, denn daß Melissa zu Weihnachten nach Hause kommen wollte, wußten sie und keiner gönnte dem andern auch nur den leisesten Vorzug. Bubenhaft stolz auf die größere Eleganz seines Fahrzeugs, schwang Walter seine Pakete wie eine Trophäe in die Luft und versuchte Melissa geradenwegs zu seinem Schlitten zu ziehen. »Schau dir meine neue Yacht an, Melissa!« rief er in naiver Pfiffigkeit, »seit einem Monat hab' ich sie und noch hat kein Mädel drin gesessen! Für dich hab' ich das Möbel frisch gehalten!« Jimmy Wrights scharfe, tiefgelagerten Augen hatten indes beim Anblick des schweren braunen Koffers geleuchtet. Denn neben der Verlockung des kleinen, flotten Schlittens hatte er sich vor Mißtrauen krank gefühlt, jetzt aber hatte das Auge des Praktikers festgestellt, daß der Schlitten zu klein war, diesen Koffer zu tragen. Indes er Melissas Arm ließ, stürzte er sich über den Koffer und schwenkte ihn wie eine Handtasche in seinen Pung. Er war überzeugt, daß eine Dame und ihr Gepäck sich nicht voneinander trennten. »Hab' mir ja gedacht, daß du einen Koffer mit dir führtest, Lissy,« brummte er. »Hab' deshalb den Pung mitgebracht und nicht den Spazierschlitten. Hoffentlich macht es dir nichts, in einem Pung zu fahren, jetzt wo du so lange in Frederikton warst.« Melissa sah zögernd von einem zum andern. Ihre blauen Augen zeigten nur Freundlichkeit und ein gewisses kindliches Behagen an der schmeichelhaften Lage. »Es war lieb von euch Beiden, nach mir zu sehen!« rief sie plötzlich, »und am liebsten würde ich mit beiden zugleich fahren. Wär' ich nur im Zirkus aufgewachsen, vielleicht könnt' ich's dann!« Sie lachte und rang in drolliger Verzweiflung die Hände. »Jimmy hat deinen Koffer erwischt,« behauptete Bird. »Der hat seinen Teil weg, du kommst mit mir!« Jimmy Wright sah grimmig aus, als Mann von schweren Worten fand er keine Antwort. Der brennende Wunsch, diese verlockende schlanke Gestalt zu packen und mit sich zu nehmen, machte ihn fast noch schweigsamer, als er gewöhnlich war. Seine Ruhe aber war ihm vielleicht nützlicher als Schlagfertigkeit, denn im Augenblick machte sie Melissa zu seiner Verbündeten. »Walter,« widersprach sie, »wenn du glaubst, das ist eine anständige Verteilung, dann wird Jimmy wahrscheinlich mich nehmen und dir den Koffer lassen! Ein netter Einfall, daß ein alter, brauner Koffer, gleichgültig was drin steckt, als Entschädigung für mich gelten soll!« Jetzt sah Bird niedergeschlagen aus, und, seinen Kummer zu steigern, fand Jimmy diesmal Worte, gerade die rechten, die eigentlich er hätte finden müssen. »Es ist nicht irgend ein Koffer, Lissy,« sagte er. »Es ist deiner, und das macht den größten Unterschied von der Welt.« Melissa dankte ihm mit einem lustigen Blick, erschrak aber über die jähe Betrübnis in Walter Birds sonst so frischem und selbstbewußtem Gesicht. »Es läßt sich nur auf eine Weise machen,« sagte sie fest, »und wenn einer von euch nicht einwilligt, dann geh' ich gerade mit dem andern. Wenn ihr aber beide einverstanden seid, dann fahr' ich den halben Weg mit dem einen und die zweite Hälfte mit dem andern. Und zwar die erste Hälfte mit dir, Walter,« setzte sie hastig hinzu, denn sie sah, daß Bird aussah, als wollte er widersprechen. Ohne es selbst zu wissen, hatte sie ein besonderes Vertrauen zu Jimmys Gleichmut, und gerade deshalb neigte sie dazu, ihm die schwerere Probe aufzuerlegen. »Sehr anständig, Lissy, bist immer für gleiches Spiel,« stimmte Jimmy herzlich zu. »Fahre euch bis zur Ecke von Boilsweg nach, dann steigst du zu mir in den Pung. Boilsweg ist gerade die Mitte zwischen Station und Postamt.« Bird vergrub in diesem Augenblick Melissas Füße in die Decken seines wohleingerichteten Schlittens. »Die Braune ist manchmal ein bißchen hartmäulig,« warf er über die Schulter hin. »Wenn's nach Hause geht, ist es nicht gerade leicht, sie am Boilsweg zum Halten zu bringen, Jimmy.« Melissa hatte plötzlich einen roten Kopf. Jimmy Wright behauptete mit Recht, daß sie für ehrliches Spiel war. »Ich steige am Boilsweg um,« sagte sie bestimmt, und Bird merkte, daß sie es sicher tun würde, ob die Stute hielt oder nicht. So gab er den Kampf auf. »Werd' sie schon zum Halten bringen,« rief er zuversichtlich, »ob der Hafer sie sticht oder nicht! Habe das nur gesagt, um Jimmy aufzukratzen.« »Wußte ich ja, Walter,« stimmte Melissa bei und bestätigte ihm, sie sei das einzige Mädchen, das ihn verstand. Triumphierend hob er die Zügel, und die Braune ging in einem Tempo los, das zunächst rechtfertigte, was er ihr nachgesagt. Dann fiel ihm ein, wie kurz die Strecke nach Boilsweg war, und plötzlich hielt er sie zurück. Jimmy Wrights schwerer Grauer holte im Humpelgalopp auf. Anfangs war Walter vergnügt, daß er Melissa als erster bei sich hatte. Dann fiel ihm plötzlich ein, sein Rivale würde die Schöne im Dorf einfahren, während er im leeren Schlitten hinterhertrotten mußte, als hätte er den Kampf aufgegeben. Melissa bemerkte seine veränderte Miene und machte ihm so schöne Augen, daß jetzt auch Jimmys Gesicht hinten im Pung sich verfinsterte. Die Frage war tatsächlich so schwierig, daß selbst ein gewandteres Mädchen als Melissa sie kaum gelöst hätte. Ihre eigene frohe Laune verging langsam in diesem Kampf der Gefühle um sie. Darüber wurde ihr bewußt, daß sie kalte Füße hatte und der scharfe Frost ihre Finger steif machte, und als die Ecke von Boilsweg erreicht war, hatte sie Lust, mit beiden Rittern zu grollen. Hatte sie nicht für alle Beide das Beste gewollt. Hatten die Beiden ein Recht, sie zu quälen? Bird hatte seine Stute allmählich fast Schritt gehen lassen, aber trotzdem kam endlich die kritische Ecke. »Hier sind wir,« sagte Melissa etwas spitz, und Bird hielt gehorsam, wenngleich wütend. Jimmy trieb seinen großen Gaul schleunigst durch die tiefen Schneewehen am Straßenrand und brachte seinen Pung so nahe an den Schlitten, daß Melissa einfach hinüberspringen konnte. »Wohin jetzt?« fragte Bird. »Wirst doch im Hotel absteigen, die Postkutsche fährt erst morgen Nacht.« »Ich ins Hotel?« rief Melissa, »nein, fahr mich geradenwegs zu Parkers, Jimmy, von denen bekomm ich, was ich brauche. Ich kenne seine drei Pferde, sie kennen mich, und sein alter roter Pung kann jeden Weg machen. Glaubt ihr, ich bleibe eine Nacht und einen Tag in Blechkessel, wenn ich nur zwanzig Meilen von daheim bin, am Abend vor Weihnachten? Sobald ich gegessen habe, geht's nach County-Line! Der Weg wird schwierig sein, aber ich darf keine Zeit verlieren.« Jimmy Wright hatte gerade seinen Gaul antreiben wollen. Als Melissa ihre Absicht auseinandersetzte, ließ er die Zügel wieder fallen und sah hilflos zu Bird hin. Ein verständnisvoller Blick machte die jungen Leute im Augenblick zu Bundesgenossen. »Tausend Wetter!« rief Bird, da fiel ihm ein, daß Melissa das Fluchen haßte. Um aber seine Worte nachdrücklicher zu machen, setzte er gerade noch einmal an. »Zehntausend Wetter, Lissy, kannst einfach nicht daran denken, bis nach County-Line durchzufahren. Kommt gar nicht in Betracht! Mußt auf die Kutsche warten!« »Walter hat recht,« erklärte Jimmy nachdrücklich. »Seit dem letzten Schneefall ist kein Schlitten bis County-Line runtergefahren, und seither hat es gehörig geweht. Die Kutsche sogar wird morgen zu tun haben, um durchzukommen. Für ein Mädel wie dich -- noch dazu allein -- ganz unmöglich!« »Jetzt werdet ihr beide langweilig,« sagte Melissa scharf. »Als hätt' ich's nicht schon hundertmal gemacht!« Im Zorn auf beide schüttelte sie die Hände und kam sich zugleich sehr lächerlich vor. -- Seite an Seite standen zwei Schlitten im tiefen Schnee, und statt zu reisen, diskutierte man. »Wenn Tilly Smith zum Beispiel nach County-Line wollte, um ihre Eltern und ihre kleine Schwester zu sehen, würde der Unsinn nicht gesagt werden.« Walter Bird lachte verächtlich. »Tilly Smith!« rief er. »Wer die anschaut, braucht gleich einen neuen Spiegel!« »Ist das ein Grund, daß man ihr nicht hilft und sich nicht um sie kümmert?« fragte Melissa. »Ach was, Tilly Smith kann sehr gut für sich selbst sorgen.« »Ich auch!« rief Melissa und machte ein resolutes Gesicht. »Ihr Beide wart sehr gut und lieb, daß ihr mir entgegengekommen seid, aber was ich tu und lasse, hat mir keiner von euch vorzuschreiben. Ich weiß es selbst. Jetzt bitte vorwärts, zu Parkers! Man friert ja an!« »Schön,« antwortete Jimmy, »wenn du durchaus nicht auf die Kutsche warten willst, bring' ich dich hin, Lissy. Mein alter Grauer wird durch die Schneewehen durchkommen, Parkers Gäule bleiben stecken.« »Und ich sage dir, daß ich allein fahre!« widersprach Melissa, der die Geschichte langsam auf die Nerven ging. Dann merkte sie selbst, wie unhöflich sie war. »Verzeih, Jimmy, ich wollte nicht so grob werden. Natürlich ist es lieb von dir, daß du so weit mit mir fahren willst, und es wäre ja nett, wenn ich dich bei mir hätte. Aber es geht nicht, es würde so komisch aussehen. Papa und Mama wissen, daß ich im Winter und im Sommer den Weg oft genug allein gemacht habe. Sie würden glauben, ich wäre in der Stadt ein ganz anderes Mädel geworden, oder ich wäre überhaupt keine Hinterwäldlerin mehr. Und andererseits, wenn du so weit mit mir fährst, können sie dich nicht mehr nach Hause lassen. Dann müßtest du bei uns bleiben, Jimmy, und es ist Weihnachten,« setzte sie in einem fast bettelnden Ton hinzu, voll Angst, er könnte sich verletzt fühlen. »Sechs Monate bin ich weg gewesen.« Jimmys robustes braunes Gesicht hatte sich während Melissas Rede verfinstert, aber die letzten Worte besänftigten ihn. Er verstand am besten, daß sie sich nach Hause sehnte, weil er so lange nach ihr gehungert hatte. »Mir scheint, wir müssen dich gehen lassen, du warst immer groß darin, deinen eigenen Weg zu suchen.« »Gut!« rief Bird, der gleichmäßig fürchtete, Melissa könnte den Weg allein machen, oder sie könnte ihn mit Jimmy Wright allein machen. »Kann nur sagen, wenn ich frei wäre, würd ich's nicht so leicht aufgeben, Jimmy. Allein kann sie nicht fahren. Ich habe Lust, den ganzen Weihnachtszauber aufzugeben und selbst mit ihr zu fahren.« Melissa war dicht dran, ihm eine deutliche Antwort zu geben. Aber dann änderte sie ihren Sinn. »Natürlich würdest du alles aufgeben, Walter,« sagte sie liebenswürdig, »wenn ich dich wirklich brauchte. Aber ich lasse nicht zu, daß deine Mutter Weihnachten allein ist. Jetzt ist genug Unsinn über all das gesprochen worden. Ihr seht, außer meinen Kleidern hab' ich in Frederikton nichts verändert. Bin dasselbe Hinterwaldmädel wie immer!« II. Es war fast ein Uhr nachmittags, als Melissa im alten roten Pung mit Parkers kräftigem Grauen von Blechkessel aufbrach. Es war beißend kalt, aber klar und ruhig, und obwohl man gewarnt hatte, sie würde auf den verwehten Straßen stecken bleiben, hatte sie keine Angst. Der Mond mußte bald nach Sonnenuntergang erscheinen, so daß Dunkelheit ihre Reise nicht störte. Um welche Zeit sie ankam, war ihr gleichgültig, denn ihr einziger Gedanke war eben der: anzukommen! Ein paar heiße Ziegelsteine auf dem Boden des Schlittens, zwei Paar wollene Strümpfe und biegsame Mokassins aus Renntiermoos hielten sie warm. In ihrem Koffer und ihren Paketen steckten viel interessante Dinge für Vater, Mutter und Meg, das kranke Schwesterchen, das bald ein Jahr im Bett zubrachte. Melissa sehnte sich nach Megs müden, grauen Augen und dem sehnsüchtigen Lächeln auf ihrem blassen, kleinen Gesicht. Unter so lieben Heimaterwartungen vergingen Melissa die ersten fünf Meilen ihrer Reise wie ein Gedanke, obwohl der Weg wirklich so schwierig war, daß diese fünf Meilen anderthalb Stunden des kurzen Winternachmittags gekostet hatten. Eigentlich war die Straße gar nicht zu erkennen, hätten nicht da und dort ein Schlitten, ein Pung oder eine Lastfuhre mit Holz Spuren gezogen. Aber wo die Straße sich, fünf Meilen vor dem Dorf, mit einem andern Weg kreuzte, verschwanden die Spuren ganz. Melissa mußte sich aus ihren Träumen reißen. Sie kutschierte sorgfältig und wachsam, gab manchmal dem frommen Gaul den Kopf frei, nahm ihn dann wieder fest in die Zügel, wenn es durch eine Schneewehe ging, die nicht zu umfahren war. Trotzdem kam sie so langsam vom Fleck und hatte sich so sehr anzustrengen, daß sie bald hungrig wurde und sich auf ein Paket Butterbrote freute, das man ihr in den Schlitten gelegt hatte. Es würde tiefe Nacht werden, ehe sie County-Line erreichte. Melissa verstand gut, wie man ein Pferd lenkt und bei Kraft erhält. Von Zeit zu Zeit hielt sie an und machte eine Atempause. Einmal, als der Gaul in Schweiß geraten war, sprang sie aus dem Schlitten, frottierte ihn und ließ ihn zehn Minuten lang ruhen. All die unerwartete Mühe jedoch steigerte nur ihren herzlichen Eifer. Als der Winterabend in kaltem Lavendelrot, in Bernsteingelb und Lila über den leblosen Einsamkeiten hinschwand, entdeckte Melissa die Gestalt eines Menschen, die vor ihr her durch den Schnee humpelte. Es war ein Mann; ein Mann, der nicht mehr weiterkonnte. Erschöpfung sprach aus den schwer niederhängenden Schultern und der Mühsal seiner kämpfenden Schritte. Melissas Mitleid ließ sie alles andere vergessen. Der Mann gab kein Zeichen, daß er ihr Näherkommen bemerkte, bis sie ihn eingeholt hatte. Dann rief sie ihm zu: »Steigen Sie ein und kommen Sie mit! Sie sind müde, das sieht man.« Beim Klang ihrer Stimme drehte der Mann den Kopf; als sie sein Gesicht sah, zuckte durch Melissas Herz eine plötzliche Angst. Irgend etwas Schreckliches, das sie nicht verstand, lag in seinem Blick. Aber sie wollte tapfer sein und so zwang sie sich, nur das eine zu sehen: daß sein Gesicht hager und elend war, die Augen vor Müdigkeit in ihre Höhlen gesunken. Der Mann gab keine Antwort, faßte nur mit verzweifeltem Griff den Rand des Pungs und zog sich halb hinein, halb plumpste er auf die Planken. So lag er plötzlich zu Melissas Füßen. Melissa warf ihm ein paar ihrer Decken über, dann kutschierte sie los, beklommen, aber in dem Bewußtsein, daß sie das einzig Richtige getan hatte. Vielleicht eine halbe Stunde später fing der Mond an, seine langen, schwarzen Schatten über den weißen Weg zu werfen. Da zog sich der Mann plötzlich empor, preßte sich auf den Sitz neben Melissa und strich sich die klebrigen Haarsträhnen aus Augen und Stirn. Dann spähte er um sich und vorwärts, als suche er einen Wegweiser und kümmerte sich zunächst um Melissa nicht mehr, als er sich um eine Holzpuppe gekümmert hätte. Dann aber wandte er sich mit einer Plötzlichkeit, vor der ihr Herz bebte, zu ihr und herrschte sie an: »Hast Schnaps?« Sie konnte zuerst nicht antworten, aus Angst, daß die Stimme ihr zitterte. Endlich sagte sie höflich: »Ich hätte Ihnen längst etwas anbieten sollen, weil Sie so furchtbar erschöpft sind. Nein, Schnaps habe ich nicht! Ich bin doch ein Mädchen!« Sie stellte sich lustig und lachte. »Aber ich habe eine Flasche Kaffee, die einmal heiß war. Und ein paar schöne, große Butterbrote.« Als sie den Frühstückskorb unter der Decke hervorzog, griff der Mann gierig nach der Flasche, stürzte den Inhalt bis zum letzten Tropfen hinunter und warf sie weg. Dann fiel er wie ein Wolf über die Butterbrote her. Eine Art Zorn kam jetzt Melissa zu Hilfe. »Ein bißchen hätten Sie mir schon lassen können,« sagte sie streng. »Wir haben noch einen langen Weg, und schließlich könnte ich doch auch Hunger bekommen. Nehmen Sie sich gefälligst zusammen und versuchen Sie, sich zu benehmen wie ein anständiger Mensch!« Der Bursche hörte einen Augenblick auf zu essen und starrte sie an. Sie fühlte den Blick, aber sie tat, als sei sie ganz damit beschäftigt, ihr Pferd über eine gefährliche Stelle wegzubringen. Immer noch schweigend nahm der Fahrgast seine Mahlzeit wieder auf, aß langsam weiter, bis nur noch drei Brote übrig waren. Die wickelte er sorgfältig ein und steckte das Paket in seine Tasche. Melissa sah das mit einem Seitenblick und war plötzlich heiß vor Wut. Sie wollte ihm ausgiebig die Meinung sagen, als der Bursche anhob: »Rascher fahren!« und nach den Zügeln griff. Instinktiv hielt sie fest, mit aller Kraft, die nicht so gering war. Aber mit einer Hand, einer schweren, knochigen Hand, die wie Eisen zugriff, drückte er ihr die Gelenke so unbarmherzig zusammen, daß ihre Finger sich von selbst lösten. Melissa war nahe daran, zu schreien, aber im letzten Moment setzte ihr entschlossener Wille sich durch. Ohne ein Wort steckte sie die Hände unter die Bärendecke, rieb die Gelenke und kochte innerlich. Wie hatte dies Scheusal all ihr Mitleid in Haß verwandelt! Zugleich aber zitterte sie vor Angst. Etwas geheimnisvoll Schreckliches lag über der ganzen Begegnung und machte sie bis in die Schlagadern hinein frieren. Ein Gedanke nur hielt sie aufrecht und beherrschte ihre Nerven. Ihr ganzes Leben lang hatte sie viel mit Tieren zu tun gehabt und so kannte sie das Gesetz, daß man niemals Angst zeigen darf, da man sonst verloren ist. Bitter warf sie sich vor, daß sie Jimmy Wright nicht erlaubt hatte mit ihr zu kommen. Nur Jimmy Wright wäre dieser Lage gewachsen gewesen, neben ihm hätte sie sich sicher gefühlt! Kaltblütig zurückgelehnt, studierte sie des Fremden Gesicht und plötzlich verstand sie, daß das vielleicht gar kein Verrückter war. Ein verzweifeltes, wildes Gesicht, zweifellos ein brutales, aber keineswegs ausdruckslos. In den blutunterlaufenen, tiefliegenden Augen der Blick eines Gehetzten. »Was mag er getan haben?« fragte sie sich. Dann bekam sie wieder die große Wut, als er anfing, auf das Pferd einzupeitschen, das brave Tier so wütend vorwärts trieb, daß es in der nächsten Schneewehe zusammenbrechen mußte. »Sie sind so blöd, wie Sie gemein sind,« sagte sie kalt. »Gerade wenn Sie's eilig haben, schonen Sie das Pferd! Wenn es an der nächsten Meile kaputt ist, sind Sie genau so weit, wie vor einer halben Stunde, als ich Sie aufnahm!« Der Vagabund machte den Mund zu einem Fluch auf und zeigte seine langen, verfärbten, brüchigen Zähne. Sie hielt dem Blick stand, die Wut wurde größer als ihre Angst. »Kesses Frauenzimmer! Aber Maul halten! Hab' anderes zu denken!« kommandierte er. Dann sah er ein, wie recht sie hatte, und hetzte den Gaul nicht mehr. Ja, als seine Erregung sich allmählich legte, kutschierte er mit soviel Verständnis, wie Melissa selbst. Aus der Tatsache, daß er das Tier schonte, erkannte Melissa, daß er noch weit zu fahren habe. »Gut,« sagte sie zu sich, »wenn wir nur so weit kommen, daß mein Vater mich hört. Dann halten wir ihn!« Während der nächsten zwei Meilen wurde kein Wort gesprochen. Der Mond stand jetzt hoch über den sturmverwehten Fichten, stahlblau und tötlich kalt schien er auf die unberührte Schneefläche. Sie erreichten einen Punkt, von dem eine andere Straße nach links abwich und etwa zwanzig Meilen weit zur amerikanischen Grenze führte. Der Fremde drehte den Pferdekopf nach links. »Halt!« schrie Melissa, »ich will nach County-Line!« Der Bursche lachte. Dieses eiskalte, unbarmherzige Lachen drückte Melissas Mut tiefer als das ganze scheußliche Abenteuer. »Hab' dich ganz vergessen,« sagte er. »Natürlich willst nach County-Line. Ich gehe 'rüber nach Maine, dann weiter, so weit ich komme. Unterröcke kann ich nicht brauchen. Scher dich 'raus! Rasch! Hab' keine Zeit zu verlieren!« Damit warf er ihr Gepäck in den Schnee. Melissas Mut versank jetzt ganz. »Das können Sie nicht tun!« bettelte sie und rang die Hände. »Ich war doch so gut zu Ihnen! Ich komme um! Ich frier' mich hier zu Tod!« »Nur noch sechs oder sieben Meilen bis County-Line,« sagte der Vagabund und wälzte Melissas Koffer über Bord. »Kannst du bis morgen früh machen! Warst anständig, deshalb laß' ich dir deinen Kram!« Als Melissa noch immer verzweifelt neben ihm saß, drehte er sich wild zu ihr und drückte das Gesicht fast an ihres. »Muß dich 'rausschmeißen,« zischte er. »Machst sonst Lärm und bringst mir die Bande auf die Fersen! Weißt gar nicht, was für Glück du hast. Flink, eh ich's mir überlege! Dumm genug von mir, daß ich dich nicht stumm mache! Stumm wär's am besten für mich!« Krank vor Angst legte Melissa eine Hand vor die Augen, um dies gräßliche Gesicht nicht mehr zu sehen und wankte aus dem Pung. Der Vagabund warf ihr die Bärendecke nach und sauste ab. Melissa stand bis an die Knie im Schnee. Neben ihr lag die Bärendecke, mit zitternden Beinen ließ sie sich darauf fallen. Um sie herum lagen jetzt zerstreut, halb im Schnee vergraben, ihr Koffer, ihre Bündel und Päckchen. Der Schlitten schwenkte an der nächsten Wegbiegung und verschwand. Ein paar Sekunden später verklangen die Glöckchen und jetzt war kein Laut mehr ringsum als manchmal das Knarren von Holz in den frosterstarrten Bäumen. Nur ein paar Minuten lang blieb Melissa ohne Ueberlegung. Dann fand sie sich wieder und dachte nach: Konnte sie die paar Meilen zu Fuß machen, ehe Hunger und Frost sie überwältigten? Natürlich konnte sie es. Sie wollte doch! Ganz rasch wollte sie gehn und Lärm schlagen und Polizisten auf die Spur bringen. Vielleicht war es sogar besser hier allein zu sein als mit dem Verbrecher im Schlitten. Ein Mörder war er doch zweifellos. Die Empörung gab ihr neue Kraft und belebte sie. Sie raffte die Röcke bis zum Knie, griff nach der Bärendecke, warf einen Abschiedsblick auf den Koffer, die kostbaren Bündel und stapfte tapfer die weiße Straße hinab nach County-Line. Der frische Entschluß trieb sie vorwärts, ließ sie bis zu den Hüften durch Schneetriften stampfen. So hatte sie gut eine halbe Meile zurückgelegt, ehe sie ihre Not ganz erkannte. Oefter und öfter mußte sie jetzt Atempausen machen. Ihr Kampf mit den endlosen Schneemassen wurde weniger und weniger zum Triumph. Sie dachte daran, den schweren Bärenpelz aufzugeben. Aber dann fiel ihr ein, daß dieser Pelz ihre einzige Zuflucht war, wenn sie Halt machen und gründlich ausruhen mußte. So schleppte sie ihn verzweifelt mit sich, hüllte sich hinein und setzte sich darauf, so oft sie rastete. Vor Anstrengung blieb sie anfangs warm. Dann kam die Erschöpfung, und sofort empfand sie die Schärfe der Kälte. Der Mondschein sogar schien vor Kälte zu zittern, und plötzlich fiel ihr ein, daß sie County-Line vielleicht niemals erreichen würde. Sie zwang sich, diese Möglichkeit zu vergessen, aber sie drängte sich durch die Maschen ihres Willens und schwächte sie. Dann schickte sie einen Gedanken zu Jim, der ihr neuen Mut gab und ihr Herz wieder wärmte. Vielleicht folgte er ihr, trotz ihres Verbotes. Walter war nur ein lieber Junge, den sie lenken mußte. Aber Jim, der war durch und durch ein Mann! Bisher war kein Wind zu spüren, die dicken Bäume hatten ihn vollständig aufgefangen. Aber an der nächsten Straßenbiegung schlug er ihr voll ins Gesicht, fing den Atem von ihrem Munde und verdoppelte den bissigen Frost. Noch ein Kampf von zehn oder fünfzehn Minuten, dann mußte sie gründlich ausruhen. Zugleich kam die große Sehnsucht nach Schlaf über sie und erfüllte ihr Herz mit neuer Angst. Denn sie wußte, wenn sie jetzt nachgab, war alles zu Ende. Wenn sie jetzt einschlief, wachte sie nicht wieder auf. So schleppte sie sich in den Schutz einer riesigen zusammengebrochenen Kiefer, deren weißbeschneite Wurzeln hoch in die Luft standen. Für ein paar Minuten mußte sie ihr ermattetes Hirn und ihren halbgelähmten Willen aus der zerstörenden Kraft des Windes retten. Die aufgereckten Baumwurzeln boten guten Windschutz. Sie legte mühsam die zwanzig Schritte zurück und wollte ein paar Minuten lang ohne Qual einem neuen Entschluß nachhängen, um keinen Preis aber sich niederlegen. Eine Vision schwebte vor ihren Augen: das warme, sichere Heim ihrer Eltern und der kleinen Schwester, die jetzt vielleicht glücklich schlief ... So leid tat sie sich selbst, daß sie Schmerz fühlte. Aber obwohl noch immer entschlossen und noch immer tapfer, dabei fast erstarrt, bannte sie die lähmende Vision. Sie wußte, daß jede Faser ihres Willens zum Kampf geballt sein mußte. Fest in die Bärendecke gehüllt, taumelte sie hinter die Wurzeln der Kiefer, preßte sich eng an ihre Rinde. Als sie das tat, erlebte sie es, daß der Schnee plötzlich unter ihr wich. Mit einem Entsetzensschrei versuchte sie sich zurückzuhalten, im selben Augenblicke war es, als verschwände die Erde unter ihren Füßen. Sich irgendwo anklammernd, hilflos um sich greifend, versank sie in einer blinden Schneewehe. -- -- -- Der Fall dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde und ging kaum sechs oder sieben Fuß tief. Melissas entsetztem Hirn schien es eine lange Zeit, sie glaubte, daß sie, im Fall zerschmetternd, noch einmal zu sich kommen würde. Statt dessen fand sie sich plötzlich sanft und warm gebettet. Mit beiden Händen um sich tastend, griff sie in ein riesiges, warmes, pelziges Etwas, das sich bewegte und leise brummte. Ihr Herz stockte, ein Schreckensschrei erfror auf ihren Lippen. Sie wollte sich verkriechen, aber da war kein Raum. Sie wollte aufstehen, aber sie war glatt auf die Seite gefallen, und ihre Beine versagten den Dienst. Ganz ruhig lag sie, von Angst gelähmt, eng angepreßt an die Flanke des Bären, in dessen Winterlager sie gedrungen war. Die massige Gestalt bewegte sich leise, brummte und winselte, als beschwerte sie sich über die rauhe Unterbrechung im tiefen Winterschlaf. Melissa fühlte, wie eine große Tatze gegen sie drängte, als verlange sie mehr Raum. Eine riesige Schnauze schnüffelte durch ihre Beine und legte sich plötzlich darauf, als wäre da ein bequemes Polster gefunden. Es fiel Melissa ein, daß schon manchmal Menschen vor Angst gestorben sind, und sie glaubte, wenn so etwas geschehen konnte, mußte es ihr jetzt geschehen! Jeden Augenblick erwartete sie, die Zähne des Bären in ihrem Fleisch zu fühlen. Als aber lange Sekunden vorübergingen und nichts geschah, begriff sie, daß das Tier sie als Bettkameradin angenommen hatte und friedlich wieder eingeschlafen war. Mit aller Kraft erstickte sie ein wildes, hysterisches Gelächter, das sich empordrängte. Ihr Zittern machte den Bären abermals winseln und grunzen, als enttäuschte ihn jedesmal sein Schlafkamerad. Das brachte sie zu ruhigem Denken. Sie lag jetzt ganz still und zerbrach sich den Kopf darüber, wie man aus einer so unerhörten Lage entkommen könne. Ein alter Indianer hatte ihr einmal erzählt, daß der Bär während seines Winterschlafes, insbesondere im Anfang, wenn er noch rund und fett ist, so gutmütig sei, wie ein gutgefütterter Kater, daß man in sein Lager einbrechen und ihn aufwecken, kratzen und schinden könne, ohne Gefahr zu laufen. Diese längst vergessene Belehrung kam ihr in den Sinn und brachte Trost. Daß es Wahrheit sein konnte, erlebte sie ja selbst! Die Wärme des mächtigen Körpers, in dem sie fast versank, und der starke Geruch des Pelzes ließen Angst und Energie zugleich in ihr einschlafen. Sie war behaglich gebettet, beschützt vor der unerträglichen Kälte da oben -- und schläfrig. Mein Gott, so unsäglich schläfrig! Nerven und Muskeln gaben gleichzeitig nach. Sie wußte nicht, was sie tat, als sie sich noch tiefer in die Flanke des riesigen Tieres eingrub -- und einschlief ... Wundersam, durch Stunden und Meilen voll von Träumen, und wie aus weiter Ferne, kam der Klang einer Stimme zu ihr, die ihren Namen rief. Mit großer Anstrengung machte sie sich wach, schrie »Jim« und öffnete die Augen. Klar im Mondschein war über ihr das Gesicht Jim Wrights, der mit wütendem Eifer den Eingang zur Höhle freigrub. »Lebst du, Mädel? Bist noch ganz? Ich komme, wenn ich nur erst sehen kann, wo du bist. Beinahe bin ich zu dir hinuntergefallen!« Vor der rauhen Stimme wurde der Bär unruhig und wimmerte. »Pscht!« machte Melissa sorglich. »Ja, ich bin noch ganz, aber furchtbar schläfrig. Komm nicht herunter Jim, er schläft! Reich mir nur die Hand und hilf mir hinaufklettern!« [Illustration] »Heiliger Himmel!« fluchte Jim, als er die ungeheure Gestalt neben Melissa erkannte. Er hatte den Bären zuerst für ihren Pelzmantel gehalten. Nur die plötzliche Angst, daß er auf Melissas Körper stürzen könnte, hinderte ihn, sich zwischen sie und diese schreckliche Gestalt zu werfen. Aber Jim war ein Holzfäller, ein Waldmensch, ein Flußmensch und an rasches Handeln gewöhnt. Indeß er sich glatt aufs Gesicht warf, griff er hinunter, packte Melissa unter die Arme und zog sie halb, halb schwang er sie glatt heraus in den mondbeleuchteten Schnee. Das war ein schwieriges Stück Arbeit, selbst für seine gewaltigen Arme. »Lauf,« keuchte er, »lauf zum Schlitten! Ich hab' mein Gewehr mit!« Und dabei zog er ein paar schwere Pistolen aus dem Gürtel. Mit beiden Händen klammerte Melissa sich an seine Arme. »Wag' es nicht, ihn zu verletzen, Jim! Er hat mir das Leben gerettet! Ohne ihn wär' ich jetzt tot! Als ich hineinfiel, mit meinem ganzen Gewicht gerade auf ihn drauf, ist er aufgewacht. Und ich dachte, jetzt würde er mich fressen. Aber er hat nur ein bißchen geschnauft, hat seinen warmen Kopf auf mich gelegt und ist gleich wieder eingeschlafen. Ich glaube, er war froh, daß ich bei ihm war.« Mit einem glücklichen Lachen und ganz entspanntem Gesicht steckte Jim Wright die Revolver wieder in seinen Gürtel. »Weiß es ja, ein Bär gibt nicht jedermanns Narren ab«, bemerkte er in einem Ton, der wieder einen Schimmer von Rot in Melissas blasses Gesicht brachte. »Und jetzt müssen wir ihn wieder warm zudecken,« rief Melissa, »und keinem Menschen darfst du erzählen, wie die Geschichte ausgegangen ist! Sonst kommen sie her und finden den armen Kerl und bringen ihn im Schlaf um.« Rüstig schaufelte Jim den Schnee wieder auf seinen alten Platz zurück. »Dieser Bär, Lissy, wenn den einer stört -- den stör' ich! Solange ich lebe, will ich keinen Bären mehr umbringen, oder ihm sonst was zu leide tun. Zur Belohnung für das, was der alte Kerl getan hat!« Gerade das war es, was Melissa gern hörte, und sie dankte mit einem langen Blick. Jim half Melissa in den Pung und hüllte sie ein wie ein kostbares Bündel. »Kommst rasch ins Bett, Lissy, das ist die Hauptsache, ehe es Tag wird. Wenn ich dich sicher daheim weiß, hol' ich deinen Koffer und all deinen Kram. Meg soll ihr Christkindl pünktlich bekommen.« Zufrieden und getröstet verkroch Melissa sich in ihre Decke und machte Jim die allerschönsten Augen. »Wie du mich immer verstehst, Jimmy! Weißt du, ich hab's immer gewußt, daß du mir nachkommen würdest, obwohl ich dummes Zeug geredet habe.« »Hast mich auch verstanden, Lissy,« gab er schwerfällig zur Antwort, »und wenn du nicht zu müde bist, dann sag mal, was bedeutet das alles, Mädel? Wie ich an die Straßenkreuzung komm' und seh', was geschehen ist -- beinah' umgeworfen hat's mich. Deine sieben Sachen im Schnee und deine arme, kleine Fußspur so jämmerlich nach County-Line hin. Herrgott! War mir zumute!« Als seine Stimme ins Zittern kam, fing Melissa rasch an, ihre Geschichte zu erzählen. »Und schließlich,« sagte sie, »er hätte mich abmurksen sollen, für seine eigene Sicherheit, Jim, das muß man ihm doch anrechnen. Eigentlich wünsche ich, daß er davonkommt. Wie schrecklich, wenn es sein Unglück würde, daß er mir das Leben gelassen hat!« Jim lachte. »Das nenn' ich anständig gedacht, Lissy. Gut! Dann bist du eben zu schläfrig zum Erzählen, wenn du nach Hause kommst. Und ich verspreche dir, nicht zu plaudern, bis ich mit deinem Koffer wieder da bin. Gibt mehr Zeit, als der Kerl nötig hat. Na, und mehr kann er nicht verlangen!« Jetzt war Lissy so glücklich, daß sie plötzlich wieder einschlief, während der Graue mächtig durch den Schnee pflügte. Jim nahm sie in seinen linken Arm, drückte sie an die Brust und fühlte nur, diese Fahrt konnte nicht lange genug dauern. Erst in der Waldlichtung vor County-Line wachte Lissy auf. Sie erkannte, wie lang sie schon schlief, machte sich steif und drehte ihr Gesicht zur Seite, daß Jim nicht sah, wie rot sie wurde. »Glaubst, ich bin der Bär?« begehrte Jim auf. »Oder hätte ich dich nicht festhalten sollen? Wärst wieder aus dem Pung gefallen, das durfte ich nicht leiden. Denn jetzt hab' ich für dich zu sorgen, Mädel! Jetzt -- immer!« »Morgen ist Weihnachten, Jim. Wenn die Eltern dich einladen, nach Weihnachten zu uns zu kommen ...« »Bin ich da, Lissy!« -- Mit hellem Geläute fuhren sie durch die schlafenden Straßen. Weitere Anmerkungen zur Transkription Der Schmutztitel wurde entfernt. Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. Die unterschiedlichen Schreibweisen +tödlich+ und +tötlich+ wurden beibehalten. Korrekturen: S. 25: zufälllig → zufällig dessen Auge +zufällig+ auf sie fiel S. 63: krampfthaft → krampfhaft und suchte +krampfhaft+ nach einem Halt S. 63: ausgestrekt → ausgestreckt als die Beute so +ausgestreckt+ und verteidigungslos hing S. 67: schnurstraks → schnurstracks und eilte dann +schnurstracks+ zur Felsnase S. 77: ausspüren → aufspüren den unverschämten Wegelagerer +aufspüren+ und erledigen! S. 86: tankbestreuten → tangbestreuten dem weiten Beben des +tangbestreuten+ Meeresgrundes S. 102: das → den in +den+ Bereich seiner Büchse zu kommen S. 128: Anstrum → Ansturm um dem +Ansturm+ eines Walrosses auszuweichen S. 138: Temparament → Temperament Die Ueberlegenheit an +Temperament+ und Jugend End of Project Gutenberg's Gestalten der Wildnis, by Charles G. D. Roberts *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GESTALTEN DER WILDNIS *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. 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