The Project Gutenberg eBook of Die Kathedrale: Gedichte

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Title: Die Kathedrale: Gedichte

Author: Ruth Schaumann

Release date: June 20, 2016 [eBook #52381]

Language: German

Credits: Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
Proofreading Team at http://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE KATHEDRALE: GEDICHTE ***

Ruth Schaumann

Die Kathedrale

Gedichte

Kurt Wolff Verlag München

Bücherei der „Jüngste Tag“ Band 83

Gedruckt bei E. Haberland in Leipzig

Copyright 1920 by Kurt Wolff Verlag in München

Sonett

Es greifen rote Sträucher in die weißen

Und Au und Himmel um bewärmte Stämme;

Den Himmel wieder enge Felsenkämme

Mit scharfen Zügen in die Höhe reißen.

Und Pferdeleiber bräunen durch die Schwemme,

Sich überspülend mit erloschnem Gleißen.

Ich weiß wie ich und diese alle heißen,

Und alle Namen sind wie hohe Dämme,

Die unsre Ahnen furchtsam aufgeführt,

Um nah gelegne Ströme weit zu trennen.

Wir haben erbhaft nie daran gerührt —

Wie lange währt dies „Nur beim Namen nennen“

Wann sind die vielen Wasser reif geschürt

Sich brausend ineinander zu bekennen.

Die Arche Noah

Hoch liegt die Luke offen und beklommen

Das Grau erschöpfter Tage ihr im Rahmen

Und heilt des Vogels Weg, den er entkommen.

Die Luft ist jedem Raume am Erlahmen,

Nicht kann die überschwere Kuh gebären,

Die Speicher seufzen nachts vom Drang der Samen.

Und Holz beginnt im letzten Schacht zu gären,

Und Nässe graut herein, als wenn die Sünden

Des toten Volks in sie gesammelt wären.

Wir heben uns von den zerstreuten Bünden

Und schichten sie und spreiten sie nach Stunden

Erneut zum Schlafen über Deinen Gründen.

Du hast mein Leben auf dem Fels gefunden,

Den Gipfel, den kein Blick einst ganz erklärte,

Und Deine Reue bleibt an mich gebunden.

Viel schmerzt die Lende mich, die unbewährte;

Im Traum zeugt sie mir immer Kain zu Abel —

Und doch lockt schon der Taube Brutgefährte

Ihr zu und junges Reis aus ihrem Schnabel.

Prüfung Abrahams

Gib den erwählten Berg aus diesen Massen;

Im zweiten Tag selbst will der Pfad nicht enden

Und jeder Schritt versucht mich Dich zu lassen.

Der volle Gürtel greift in meine Lenden;

Schon fühle ich den Knaben Fragen sinnen —

Sei gnädig diese von mir abzuwenden.

Nur jene Wolke laß uns nicht gerinnen;

Wohl dürstet seine müde Haut, doch trocken

Ist alles Reisig auf den Eselinnen.

Durch keinen Stein erlaubst Du mir zu stocken,

Es geht so still einher, die Halfter schwanken,

Und durch die Zehen fällt der Staub in Flocken.

Ich möchte Dir wie sonst den Abend danken,

Nur weiß ich keines seiner Worte wieder;

Denn unter Dir die armen Sinne sanken

Wie aufgewühlter Wegsand in sich nieder.

David

Mich fremdet matt, wie Leinen mich berührt,

Das grüne, brustgekreuzt mit Lederriemen,

Daß meine Schulter jenen kleinen Striemen

Von eines Erstlings Tragung wieder spürt.

Auf eines Hügels Schwinge lag ich her

Und wurde brudergleich dem Angeschauten,

Den Wolken und der Würze blauer Rauten,

Selbst Berge überstanden mich nicht mehr.

In Allem war ich, Alles war in mir

Und lag auf sich bewegt in Deinem Schoße,

Bis unbewußt ich mich daraus verstoße

Und meine Herde weide unter Dir.

Tempelgang Mariä

Da ist die große Treppe und der Bogen

Voll Dunkelheit, darein die Leute sinken,

Von ihrer höchsten Schwelle aufgezogen.

Nein, meine Mutter, ich mag nicht mehr trinken,

Nimm Du den Reiseschlauch, ich möchte warten

Bis jene Greise in den Grund verwinken.

In Röcken, die von Gold und Steinen starrten

Sind die und doch so milde, als die Blüten

Ausruhn und offen stehn im Mittaggarten.

Und alle gehn wie Hirten, so sie hüten;

Und wieder gleichend meinem jüngsten Lamme

Nach meinem Ruf und dann der Hand Begüten.

Und wo sie einziehn, ist wohl eine Flamme;

Mit andern Augen treten sie von innen

Und schatten ab vom steingebauten Stamme.

Und blicken um ein Tierlein zu gewinnen;

Keins wird gebracht, nun wird ihr Feuer kleiner;

Und sterben. — Unter meinen Füßen rinnen

Die Stufen abwärts und nun trägt mich einer.

Der Engel Gabriel

Mir sträubten alle Federn aus den Poren

Vom Schimmern ihres Haares und dem Streifen

Geneigter Stirn, und ich vernahm das Reifen

Von meiner Gegenwart in ihren Ohren.

Und hob die Botschaft an, in unsern Worten;

Nur denkend, aber schon verstand die Leise

Im Auseinanderrinnen roter Kreise,

Vor deren Zug die meinen wie verdorrten.

In steilen Flügeln hing ich bis sie schwangen

Und ich geblendet glitt vom Sonnenstaube,

Gefolgt vom tiefen Schlummerruf der Taube,

Die sich dem reinsten Nestraum unterfangen.

St. Joseph

Und vorüber wächst der Mondenflecken,

Meine Kniee dürfen sich nicht strecken,

Denn sie würden mich dem Schlaf verschwachen,

Und noch ist in ihrer Zelle Wachen.

Und ich muß auf frischgedeckten Kissen

Wieder, mir so fremd, die Jungfrau wissen.

Hörbar wird aus tiefem Atemsammeln

Süßes, immer wiederholtes Stammeln.

Nun nichts mehr, als Duft von Simons Schafen,

Um das ferne Kind ist sie entschlafen,

Und ich darf mich bis zum Ruf der Gassen

Meines Lagers Einsamkeiten lassen.

Advent

Nach hohem Schweben ward die Kerze den Schnee am Sims gewahr

Und sprach ihn durch die Scheiben auf seine Weise warm;

Vor mein Gerät zurück fand neigend mich Dein Arm

Und ferne schwang dahin verzogene Gefahr.

Und meiner Tage viele gabst Du Dir anzusehn,

So wie Gedanken blühn bevor der Mund sie spricht;

Und Abende für mich trug sinnend Dein Gesicht

Und ließ vor schwerem Glück sie auseinandergehn.

Und alles hob heran und senkte vor mein Knien

Der einen Stunde Schoß, die mich nach Deiner Macht

In sich empfangen wird so weit wie eine Nacht,

Wo aus dem Fall der Frucht die müden Zweige ziehn.

Die Hirten auf dem Felde

Auf brach die Nacht im Himmel, wie von Früchten

Die wir in heißer Asche berstend rösten.

Als Finsternisse dann vom Quellen lösten

Hing es wie Sturz und sah uns alle flüchten.

Da ward die Glanzfaust mild, uns übereilend,

Gekehrt in Strahlen wider unser Staunen.

In ihrem Anfang aber und Posaunen

Stand eine Stimme hin, sich uns erteilend.

Und wurde tief, daß er uns leuchten solle,

In die verstummte Luft als Stern geschlagen;

Und läßt sein Licht vor uns vom Felde tragen

Auf reger Herden Hügelmeer und Wolle.

Mariä Trauer

War dieses Krüglein meiner Hand zu schwer —

So schüchtern kommt sie aus den heilgen Wochen,

Nun netzt es keines Wandrers Dürre mehr.

An meiner Vorsicht habe ich’s zerbrochen;

Wie nach Erfüllung war es leere Kühle

Und hat doch süß vom letzten Trank gerochen.

Geschah dies also — wie ich mich befühle,

Daß nach dem schweren, morgenroten Wein

Kein Wasser den geneigten Rand bespüle?

Der Fluß, der Regen — sind denn die gemein?

Was weiß ich wohl davon in meinem Stalle —

Ich möchte nun nie mehr voll Wassers sein.

Herr, Vater meines Sohns, gib mir zu sterben,

Nur daß ich Dir entlang getröstet falle

Und Du zu Füßen Dir am Boden findest

Vom Dufte Deines Weins belebte Scherben.

Das Engelkonzert

Da sie im Rosenhage aus dem Kinde

Sein Lächeln frug, wie es noch nie gegeben,

Stand ein gemeines Rispengras daneben,

Das bog sich an ihr Kleid geheimem Winde.

Die Innigsten vom himmlischen Gesinde

Gelangten aus des Mittags Lichtbestreben;

Vertieften sich in ihr verklärtes Leben

Und wagten es im Spiel zum Angebinde.

Entzückte Einfalt, ehemals in Taten

Von einer armen Magd, ward hier zu Klängen

Die zart des Kindes Zehentraum umbaten.

So kam von angeschwungnen Saitensträngen

Der Engelschar Erinnern und Erraten —

Und Gottes Mutter ließ die Lider hängen.

Nach Christi Tempelweile

Nicht müde bin ich, Sohn, ich stand ganz stille;

Die Wege alle waren es, die gingen,

Die namenlos vor meiner Sorge zogen.

Nur einmal sah ich braune Vögel singen

Und einen Apfelbaum in Blüten schweigen,

Wo kleine, strohgewebte Nester hingen.

Da dachte ich, dies sollte ich Dir zeigen;

Doch Du warst fort und ich um Dich zu finden

Und ließ die Straßen durch die Augen steigen.

Ich fühlte große Leeren aus mir schwinden,

Auf jede folgten viele schmerzlich neue,

Dann glaubte ich für immer zu erblinden.

Die Stadt kam auf mich zu so ohne Reue,

Dein weißes Kleid das kam und Du darin —

Sieh mir nicht an, wie mühsam ich mich freue.

Es ist mir nur wie graues Haar gekommen,

Daß ich nun, da Dich Gott ergriffen hat,

Wohl nichts mehr als ein Nest im Frühling bin,

Das große Hände plötzlich ausgenommen.

Die Schwestern des Lazarus

Nun kann ich die verborgne Sonne hören;

Ihr Sinken rauscht noch hinter Hügeln weiter,

Nicht Tier noch Blatt wagt dies Geräusch zu stören.

Nur Du blickst laut, weil ich dem Abend heiter

Darin zum viertenmal des Bruders Schuhe

So rechtlos liegen bei der Dattelleiter.

Er aber in des Felsens kalter Ruhe

Mit Tod durchtränkt den Wohlgeruch der Öle,

Der Kräuter und die Linnen Deiner Truhe.

Als wir ihn damals trugen bis zur Höhle

Erwartet ich den Meister jede Wendung,

Und daß er uns zu halten anbeföhle.

Doch nach des Grabes zögernder Beendung

Empfing ich Freude aus dem Wuchs der Weile,

Die uns der Herr nicht kommt auf alle Sendung.

Auch dieser Tag ist fromm in karger Eile,

Und noch vor Nacht sich neue Knospen weiten,

Mich für das Kommen einer lichten Steile

Die größer als Dein Trauern zu bereiten.

Die Jünger im Garten

Zur atemlosen Einsamkeit des Hügels

Hat sich der Meister zagend aufgetrauert.

Wir wachen Ihm im Schutz des Ölbaumflügels.

Der Garten hat sich zu uns hingekauert;

Stumm lauschend wie in seinem dunkeln Grunde

Ein Vogel seine bange Brut bedauert.

Die Ferne murrt gleich einem müden Hunde

Sich in die eigne Wärme mit Behagen;

Und tief am Himmel heilt des Nachtrots Wunde.

Nun bettet Christi Mutter sich in Klagen,

Denn wieder ist Er undurchdenkbar eigen

Und was Er tut will nichts als Tod besagen.

Saht ihr sie einmal blaß die Lippen neigen

Im Anblick der verlaßnen Muttertiefe,

Die nichts ersehnt, als daß ihr Sohn im Schweigen

Noch einmal Leib und Seele in sie schliefe.

Der Grabwächter Christi

Ich schlief vom Stehn hernieder, nur gewahr

Der feuchten Erde dann mit flachem Haupte;

Als nächstes noch ein Strauch, der sich belaubte,

In meiner Stirn und herb den Nüstern war.

Geträum verschlang mich mehrmals, doch der Geist

Blieb bloß und schwimmend auf der Tiefe liegen

Und hörte Hauch vom Grab, und schwach entfliegen

Das Siegelband, bis taumelnd es verkreist.

Kühl, wie ein Talraum seine Frühe, blies

Durch Felsenfugen Staunen in den Garten

Und überschwand betäubend mein Erwarten,

Bis schwarz die offne Tür mich in sich stieß.

Apostelweg

Das Haar uns in vollbrachte Strecke steht,

Vom Sturm und Sturz der Bäume so gehalten;

Aus den Gesichtern flattern alle Falten

Und im Gewand die Leiber sind verweht.

Dazwischen ruht Dein Wort und Bildnis bloß

Greift aufgerichtet in die schwanken Seiten,

Bezwingt sie in ein heißes Vorwärtsschreiten

Und Deine Stille läßt darin nicht los.

Wenn in entrückter Stadt, wohin Du willst,

Erst unsre Glieder wieder um Dich schließen,

Von Dir wird unser Körper überfließen,

Bis Du auch dort Dir neu ein Strombett schwillst.

St. Agnes

Stumm steigt ihr Schatten vor ihr über Feld,

Streift aus der Luft verlaßne Falterkreise

Und ruht nun knieend in dem Ackergleise

Vom Blühn der wilden Blumen dicht durchstellt.

Und über ihren braunen Nacken träuft

Der Sonne Hügelabend wie ein Sinnen,

Da samtnes Bunt sich im vertieften Linnen

Aus dem Gezirp gepflückter Stengel häuft.

Blick hin! Der grünen Hecke müder Flaum

Weht auf vor eines Widderlammes Helle,

Und einsam treibt an ihres Herzens Quelle

Des langgelockten Fließes weißer Schaum.

Trennung

Mit allen Tagen nun vergeht die liebe Farbe,

Von Sonnenwegen voll in Dein Gesicht gelangt;

Auch Deine Hände sind, wie wenn der Meerstrand darbe

Und Sand durch seiner Flut Versinken sichtbar bangt.

Dir gleich sah ich allein nur einen Hirten hören,

Besorgt ob seine Schar am letzten Naß schon leckt —

Die Heide blühte wohl, stand rot in Bienenchören,

Doch Lamm an Lamm umsonst zum Quellenbett gestreckt.

Die Hänge fern der Stadt sind jetzt vom Herbst erworben,

Auch Deiner Neigung Duft ist dort vom Gras verbraucht.

Erkundend steht Dein Blick, bevor er halb erstorben

Aus leerem Feld zurück in Deinen Herzschlag taucht.

Herbst

Wie Flaum an totem Vogelleib im Sand

Bewegt mein Nahn das Haar an Deiner Schläfe,

Als ob auch Dich des Laubes Siechtum träfe

Welkt Lächeln über Deines Mundes Rand.

Sich selbst umschlingend gleiten durch den Zaun

Der Wiese silbergrau geweifte Fäden —

Du legst die Lider auf wie weiße Läden

Und läßt mich leere Sterberäume schaun.

Dachraum

Im Fenstergarten wird das Farben matt,

Beharrlich gilbt daraus nur eine Winde,

In sich gedeckt, wie er sich sternig finde,

Steht der ergraute Abend auf der Stadt.

Die eingelegten Scheiben lassen schon

Die Spiegelzüge unsres Bundes blassen;

Und aus den Giebeln stimmenmüder Gassen

Erweitert sich ein Mond wie roter Mohn.

Wir wissen nicht, was nun an uns geschieht,

Wo wir nicht lächeln können und Nichts denken

Als nur des Tones klagenloses Senken

Am Ende einem alten Pilgerlied.

Neigung

Mehr als Du meinst, daß ich vollendet sei

Wenn erst ich Dich durch meinen Tod begreife,

Will ich Dir werden, daß an meiner Reife

Dein Mund sich netze einer Furche frei.

Um diesen Willen weißt Du und die Gier,

Der nicht genügt was Du mir zugeboren,

Und siehst mich doch nicht an wie einen Toren

Und überläßt die Erde offen mir.

Gibst mir die hohe Sonnenwiese hin,

Auf daß ich teil aus ihrem Leben habe

Und, eh Du Dich versehen, Deine Labe

Vor der Erschaffung eines Abends bin.

Versenkung

Als ich mein letztes Anschaun hingeschenkt,

In feierlicher Freude wie an Erben,

Den Rüstern vor der Tür, den frühlingsherben,

Ward Nacht um sie und ich in Dich versenkt.

Kelchgleich empfingest Du und ließest mich

Bis in den tiefsten Deiner Kreise gleiten,

Daß mein Gefühl aus seinen flachen Weiten

Gesegnet in sich selbst zusammenwich.

Wie eine Abendlilie am Stiel

Sankst Du, und ich verging in langem Rollen

Beschwert, ein Tau, mit süßen Blütenpollen,

Der duftend im gebeugten Leib zerfiel.

Zuflucht

Die Seele nimm mir auf und halte bitte

Für eine kurze Weile ihr Verzagen,

Wie man mich trug in kranken Kindertagen,

Daß ich des Lagers Härten nicht so litte.

Geduldig laß mich Dir in Armen zittern,

Wie Du auch duldest Beben eines Blattes,

Dem kleinen Lamm entschuldigst sein Ermatten

Beim Schmerzen fremder Kräuter, selten bittern.

Aus Deiner Hände liebendem Befassen

Strömt Güte in mich ein von Deinem Herzen,

Und unbesorgt kannst Du gleich freien Kerzen

Mich wieder klar alleine brennen lassen.

Die Brücke

Kleid und Leib durchstreicht mir Frost,

Daß sie um mich sind wie Rinde.

Schattenblätter einer Linde

Kommen aus des Gitters Rost.

Der gefüllte Mond zerbrach

Im Gestrüpp der Uferpflanzen,

Wellen, die vor ihnen tanzen,

Salben ihn einander nach.

Wartend liegt mein weitrer Gang

Sich voll Tau und Nebelschwaden,

Mich bedacht hinweg zu baden

Als der Stelle Überschwang.

Domplatz

Obgleich schon Mittag in den Uhren der vielen Türme summt,

Bleibt dieses Morgens Knospe verhalten wie mein Herz,

Das sich nicht rühren kann und ungestillten Schmerz

Gleich einen Säugling durch ein immer altes Wort umstummt.

Du stehst mir bei, wie einst aus Joseph auch Marie,

Der nur mit fernem Blick ihr Haupt vom Strohbett trug,

Bis die gedrängte Stirn ein blauer Schweiß beschlug

Und Deines Sohnes Bild in Deine Gnade schrie.

Kein Laut und Mensch des Wegs vom Stadtdom tritt mich ein,

Die Augen sind mir fremd im Angesicht gemacht,

Behorchend, wie gebannt, den geistgelegnen Schacht

Dem aus der Wandung blickt, von Dir begehrt, ein Stein.

Ruf

Wie in ein Feld von weißen Orchideen

Steigt blank in Wolken ab des Himmels Schein;

Noch einmal wacht zu atemreichem Drehen

Das Kraut und jedes Blatt der Buchen ein.

Der Umriß meines Körpers steht vom Wege

Als schwarzes Maß dem goldnen Rainberg vor,

Und nimmt ein seitwärts schattendes Gehege

Und dunkles Abbild eines Farns empor.

Und eines Kiesels Lösung lautet zagend

Die nächste Steinwand her und vor dem Grund

Erneuter Stille öffnet sich versagend

Um Deines Namens Heiligkeit mein Mund.

Fiat

Behalte mich Dir vor, so Du begehrst

Daß einer Deines Namens wegen leide,

Demütig sich in hänfne Stricke kleide

Vor Händen, die Du auserwählt bewehrst.

Mir sind gewiß die Pfeile nicht zu scharf,

Der Lanzen keine sollte meiner schonen,

Denn jede läßt mich tiefer in Dir wohnen,

In den ich bis zur Neige gehen darf.

Wund stehst Du vor mir und ich liebe Dich,

Noch außer Dir und schon in Dich genommen —

Und Viele wird der Eingang überkommen,

Daß sie ihn selig suchen, Herr, wie ich.

Ahnung

Diese Nacht war ich nur Dank

Über allen meinen Träumen,

Als von starken Fensterbäumen

Blatt zu Blatt vorübersank.

Hörbar gaben sie sich kahl,

Hofwärts und durch Nichts belichtet,

Doch das Rauschen ging gesichtet

Hin vor Deiner Augen Tal.

Und ich spürte irgendwo

Schon den Tag beim Atemfinden,

Und ward willig zum Erblinden

Meiner Zeit bereit und froh.

Bergung

Bewege Dich und sei mir gütesacht

Nur eine weite Höhle ohne Feuchte,

Daß ich mich selbst darinnen ganz verleuchte

Vor fremden Wesen und der großen Nacht.

Ich werde dort mich wie ein armes Wild

Warm, aber stumm und hungerlos verhalten,

Nur wunde Glieder aus den Schmerzen falten,

Denn Deine Finsternis ist keusch und mild.

Der Tag krankt unter mir und nahend ist

Geruch von Nachtgetier und Lavaflüssen,

Und dennoch stirbt mir jedes Fürchtenmüssen,

Weil Du schon dunkel wachsend um mich bist.

Endung

Mir wird die Wendung meines Wegs bewußt,

Da nun mein Gang so anders in mich lautet,

Wie über Hänge, wo der Sommer krautet

Für sich und ohne zeitlichen Verlust.

Ich rege mich nur wie ein Gras sich regt,

Doch stetig ist die Gegend mehr entlegen

Und naht Dich immer faßlicher zugegen,

Daß schon die Hand sich mir zum Herzen legt;

Das atmend widergeht, als wenn es bald

Gelind die dünngewachte Wand durchtrete,

Sich innig dann in sein Verhängnis bete,

Wie eine Vogelstimme in den Wald.

Elevation

Nur eines Lächeln fehlt noch, sonst begänne

Ich schlanken Aufstieg mit geschloßnen Füßen,

Daß bald mich von des Hanges Gräsergrüßen

Der hochverklärte Stundenduft gewänne.

Und ich auf Licht in gleicher Höhe stände

Mit dem verschmiegten Nest der braunen Meise,

Daß ihres Brütens scheues Lauschen leise

In mein Gefühl durch weiche Augen fände.

Und weilte in Erhebung aller Stille;

Vernehmend durch die Bildung innrer Schleier

Den zarten Bruch der ersten Vogeleier

Bevor ich mir an Deine Brust entquille.

Frühwinter

Immer klarer lasse ich

Die Gestalt im Schneetrieb ragen

Und ein auferlöstes Tagen

Fühlt und leuchtet sie an Dich.

Durch das netzgewordne Wehn

Deiner Zeit und Deiner Himmel

Faßt sich ganz mein Wortgewimmel

In ein stummes Eingestehn.

Leise, während ich dabei

Unverschrien mit Dir alleine,

Schmilzt der schwersten Flocken eine

Sich auf meiner Lippe frei.

Füllung

Nah fühle ich, in meine Seele sinkt

Geweihte Schwere, dunkel sie erweiternd;

Still wird sie wie ein Kind, das schlaferheiternd

Die erst geballten Hände offen trinkt.

Nicht bete ich mehr, denn mein ganzes Sein

Ist nach erblaßter Scheu Dir unterlegen,

Und keine Frage duldet Dir entgegen,

Weil alles ohne Wort und Wille Dein.

Nur die vollbrachte Tiefe ruft Dich an,

Des letzten irdischen Gesichts gedenkend,

Wo eine weiße Birke niedersenkend

In offne Gräserkelche Tau verrann.

Gottesstunde

Verbrachte Stunden sammeln sich der Seele;

Etwelche jeder Art von der ich lebe,

Undringlich kommen sie, daß auch sich hebe

Die jüngste auf, gleich einer armen Schmele.

Und einzig dieser gönnst Du ein Bewegen

Vor Dir und mir durch segnendes Umschweigen,

Befiehlst dem Dunkel rings und ihrem Steigen

Ist keine Wand und keine Zeit entgegen.

Und so entgeht sie mir, wie gute Hände

Aus andrer Halt sich nehmen ohne Sträuben,

Erblüht mich ferner und ihr Samenstäuben

Beginnt auf eines Deiner Nachtgelände.

Heimgang

Nur Weißdornbuschwerk duftet meine Lider

Noch manchmal auf für ein verhaltnes Schauen;

Sonst ohne Blicke und der Steine Stauen

Gerate ich den Tannengang hernieder,

Der finster wird, wie ich voll süßem Schämen,

Denn Deine Trift und goldne Wolkenriesen

Hast Du dem Wald zuvor in mich gewiesen

Als in den Raum, da sie zu schlafen kämen.

Herbergend habe ich, nun sie sich legen,

Was ich besaß gebreitet wie auf Dielen

Gelöste Garben Strohs, daß in sie fielen

Der Schläfer großes Atmen und Bewegen.

Terrasse

Der wilde, rote Wein ward schwarz und hängt im Abend

Und Zeit der Sterne ist, die hinter Wolken stehn,

Aus Häusern kommt das Licht, in Bäumen sich erlabend,

Die dunkel eingewölbt nur noch im Innern wehn.

Bewegung träumt mein Sitz im Steinbalkon als stammten

Die Züge Dir vom Mund, der Deinen Atem wiegt,

Und wieder werde ich in allen Tiefen samten

Und wunschlos wie ein Tod, wenn er mit Lächeln liegt.

Bis in die Augen steigt mir Ruhe ohne Gleiche,

Rinnt in die kühle Nacht, noch warm von meinem Sinn.

Ernst wie dem großen Wild sein später Durst zum Teiche

Rührt Deine Zuversicht auf alle Stille hin.

Mond

Wie der Geist von Deinem Geist

Strömt der Mond in meine Züge,

Kühlt zu reinlichster Genüge

Dinge, die noch Nichts gespeist.

Laut und lauter klingt das Licht

Über finstere Platanen;

Und das sonst gedrängte Ahnen

Dehnt sich aus und ruht sich schlicht.

Alle Sterne stehn wie Wald

Blau erhöht an beiden Ufern,

Wo Getön von frommen Rufern

In der Stillung Bann verhallt.

Anhöhe

Behutsam darf ich aus dem Saum des Ranftes

Des Löwenzahnes graues Lichtrund steigern,

Was taubeschwert die Winde ihm verweigern

Erfüllen als ein unbedenkbar Sanftes.

So löst mein leise abgesetztes Blasen

Die stillen Scharen der geschirmten Samen,

Und folgsam treiben sie in Deinem Namen

Wie eine Zirruswolke in den Rasen.

Du aber schweigst dabei den Abend tiefer,

Der Du die Erde bist und bist mein Hauchen

Und meines Wesens fließend Untertauchen

Im fernen Einglühn einer schwarzen Kiefer.

Der Mönch

Wer bin ich, daß der Himmel mir sein Falben

Bis in die stillsten Farbentöne deutet

Und meiner Sinne Suchen ausgereutet

Vom Fluggetümmel abendtrunkner Schwalben.

Da Glied um Glied, das Schlummer vorgekostet,

Demütig wird im Hängen und Berühren

Des groben Hanfes in den Lendenschnüren,

Die Sonnenheimgang zärtlich überrostet.

Du läßt die Klarheit also um mich schwellen,

Daß ich im satten Bade nicht zerfalle,

Nur ausgebaut zum ruhenden Kristalle

Durchscheinend allen Ufern, allen Wellen.

Die Sternnacht

Meine Augen schlossest Du

Nur ein Blick blieb außer ihnen,

Im Gesumm der Sternenbienen

Sieht er meinen Händen zu.

Wie sie schwer und ewig tun

Um ein Nachtgebet geflochten,

Also vor den Brunnen mochten

Herden einst um Jakob ruhn.

Und der Decke Leinwand liegt

Unter ihnen mir am Leben,

Liegt auch so, nur ohne Schweben,

Wenn es eingeholt versiegt.

Abend

Der Anblick schlafgedämpfter Vogelspiele

Durch knospenschwere Zweige sanfte Sicht

Auf letzte hingetriebne Wolkenkiele

Baut lautlos meinen Tag vollendungsdicht.

Ein Raum steigt er empor und ich empfinde

Ihn größer in mir als den Leib umher,

Und ist lebendig still, wie kühle Winde

In Dünen sind aus nahversenktem Meer.

Und wie ihn nun der Mond, aus fernem Tale

Durch halben Abend gleitend, ruhig schließt,

Steht er als endlich werte Kathedrale

Gewärtig, daß Du rauschend sie beziehst.

Inhalt:

Sonett 5
Die Arche Noah 6
Prüfung Abrahams 7
David 8
Tempelgang Mariä 9
Der Engel Gabriel 10
St. Joseph 11
Advent 12
Die Hirten auf dem Felde 13
Mariä Trauer 14
Das Engelkonzert 15
Nach Christi Tempelweile 16
Die Schwestern des Lazarus 17
Die Jünger im Garten 18
Der Grabwächter Christi 19
Apostelweg 20
St. Agnes 21
Trennung 22
Herbst 23
Dachraum 24
Neigung 25
Versenkung 26
Zuflucht 27
Die Brücke 28
Domplatz 29
Ruf 30
Fiat 31
Ahnung 32
Bergung 33
Endung 34
Elevation 35
Frühwinter 36
Füllung 37
Gottesstunde 38
Heimgang 39
Terrasse 40
Mond 41
Anhöhe 42
Der Mönch 43
Die Sternnacht 44
Abend 45

Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):