The Project Gutenberg eBook of Hygiene des Geschlechtslebens

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Title: Hygiene des Geschlechtslebens

Author: Max von Gruber

Release date: December 28, 2016 [eBook #53823]
Most recently updated: October 23, 2024

Language: German

Credits: Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HYGIENE DES GESCHLECHTSLEBENS ***

Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der 1916 erschienenen Ausgabe der Zeitschrift so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Zeichensetzung und offensichtliche typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche sowie inkonsistente Schreibweisen wurden beibehalten, insbesondere wenn diese in der damaligen Zeit üblich waren oder im Text mehrfach auftreten.

Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter an den Anfang des Textes verschoben. Die Erklärungen zu den Tafeln 1 und 2 wurden der Übersichtlichkeit halber direkt an die Abbildungen angeschlossen.

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Bücherei der Gesundheitspflege

Band 13

Prof. Dr. M. v. Gruber

Hygiene des Geschlechtslebens

Hygiene des
Geschlechtslebens

Von

Dr. Max v. Gruber

K. Geh. Rat u. Obermedizinalrat
o. ö. Professor der Hygiene an
der Universität München

11. bis 13., verbesserte Auflage
53.–70. Tausend

Mit vier farbigen Tafeln

Verlagssignet

Verlag von Ernst Heinrich Moritz in Stuttgart

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten


Gesetzliche Formel für den Schutz gegen
Nachdruck in den Vereinigten Staaten:

Copyright 1916 by
Ernst Heinrich Moritz, Stuttgart

Druck der Engelhard-Reyherschen Hofbuchdruckerei in Gotha


Inhalts-Übersicht.

      Seite
Einleitung   1
1. Kapitel:  Die Befruchtung 3
2. Vererbung und Zuchtwahl 18
3. Die Geschlechtsorgane 40
4. Der Geschlechtstrieb und die angebliche hygienische Notwendigkeit des Beischlafs 45
5. Folgen der geschlechtlichen Unmäßigkeit und Regeln für den ehelichen Geschlechtsverkehr 58
6. Künstliche Verhinderung der Befruchtung 67
7. Verirrungen des Geschlechtstriebs 76
8. Die venerischen Krankheiten und ihre Verhütung 83
9. Ehe oder freie Liebe 100

= 1 =

Einleitung.

Mit einem lebhaften Gefühle von Bangigkeit habe ich diese kleine Schrift veröffentlicht. Ich habe in ihr die heikelsten Dinge rückhaltlos besprochen. Ich mußte es tun, wenn der Leser volle Einsicht in das Geschlechtsleben erhalten sollte. Diese aber wollte ich gewähren, weil ich überzeugt bin, daß diese Einsicht, zur rechten Zeit empfangen und vernünftig gebraucht, den besten Schutz gegen die furchtbaren Gefahren bietet, die dem einzelnen wie der Gesamtheit aus dem Geschlechtsleben drohen. „Vernunft und Wissenschaft des Menschen allerhöchste Kraft“ gilt hier wie überall!

Aber das scharfgeschliffene Schwert wird in der unrechten Hand, unvorsichtig gebraucht, dem, den es schützen sollte, zur Gefahr; was Arznei sein sollte, wird zum Gift. Ich bitte daher den Leser dieses Schriftchens, es sorgfältig zu bewahren, damit es nicht Unberufenen in die Hand falle! Und den Knaben, dem es trotzdem in die Hände kommt, bitte ich, wenn sein Ohr bis dahin von unreinen Reden verschont geblieben ist und wenn er bis dahin noch nichts von den Regungen des Geschlechtstriebes verspürt hat, sich selbst zu beweisen, daß ein Mann in ihm steckt, seine Neugierde zu unterdrücken und es ungelesen wegzulegen. Möge er sich glücklich schätzen, solange er von diesem Triebe noch nicht beunruhigt wird, der ihn zum bloßen Werkzeug zur Erhaltung der Gattung machen will und nur allzufrüh eines der schlimmsten Hindernisse bilden wird, das zu über= 2 =winden er alle Kraft wird aufbieten müssen, wenn er seine persönlichen Fähigkeiten zur vollen Ausbildung bringen, als Individuum etwas Tüchtiges werden und leisten will. Möge er sich hüten, den noch Schlummernden vorzeitig selbst zu wecken!

Als Leser habe ich mir vor allen den zum Manne reifenden Jüngling gedacht. Aber auch ihm gegenüber muß es meine erste Sorge sein, seinen Geist richtig zu stimmen, damit er das, was er hören soll, mit Ernst und reinem Willen aufnehme.

Die wichtigste Aufgabe der Söhne ist, gesunde Enkel zu erzeugen. So betrachtet, ist das Geschlechtsleben kein Gegenstand schamloser Leichtfertigkeit, als der es leider behandelt zu werden pflegt.

So mannigfaltig die Empfindungen sind, die das Nachdenken und die Besprechung geschlechtlicher Dinge in uns erwecken, eine müßte bei richtiger Betrachtung die stärkste sein: die Empfindung der Ehrfurcht. Denn was gibt es Ehrwürdigeres auf Erden als den Drang der Geschlechter nach Vereinigung, der auch unsere Eltern zusammengeführt hat, als den geheimnisvollen Vorgang des Zusammentrittes der Zeugungsstoffe, aus dem wir selbst hervorgegangen sind und durch den wir wieder Erzeuger unserer Nachkommen werden? Was gibt es Ehrwürdigeres als diesen unversieglichen Quell jungen Lebens, der im Wechsel vergänglicher Generationen die Gattung unsterblich erhält?

Wahrlich, nicht um unsere Lust handelt es sich, wenn die Natur den Geschlechtstrieb in uns zu erwecken beginnt, lange bevor wir selbst unsere volle körperliche und geistige Ausbildung erlangt haben. Das Individuum ist ihr nur das Werkzeug zur Erhaltung der Gattung. Sicherstellung neuer Befruchtungen, neuer Zeugungen ist das Ziel des ganzen Geschlechtslebens.

Die Vorgänge, durch welche aus der befruchteten Eizelle= 3 = das junge Tier hervorgeht, sind unfaßbar verwickelt. Der Wissenschaft ist es aber im Laufe der letzten Jahrzehnte gelungen, den Vorgang der Befruchtung selbst wenigstens im wesentlichen aufzuklären. Wir beginnen unsere Aufgabe am würdigsten, wenn wir uns diese Erkenntnisse zu eigen machen. Der ganze ungeheure Ernst des Geschlechtslebens und der Zeugung wird uns zum Bewußtsein kommen, wenn wir sehen, wie eng das Kind bis in jede einzelne seiner Myriaden von Zellen hinein mit dem Leibe seiner Eltern und Vorahnen verknüpft ist, in wie hohem Grade daher sein ganzes Sein von ihrer Eigenart, Tüchtigkeit, Kraft und Gesundheit abhängig ist. Neue Pflichten erwachsen uns aus dieser Einsicht: die Pflicht, in unserer Lebensführung alles zu vermeiden, was den von uns abgesonderten Keimstoffen schädlich werden kann, und die Pflicht, keine Kinder zu erzeugen, die voraussichtlich krank sein werden.

1. Kapitel.
Die Befruchtung.

Damit es bei den Organismen (Lebewesen) mit geschlechtlicher Fortpflanzung zur Entstehung eines neuen Individuums (Einzelwesens) komme, ist es notwendig, daß das weibliche Ei durch den männlichen Samen befruchtet werde. Der Samen verdankt seine Fähigkeit, zu befruchten, winzig kleinen Körperchen, die massenhaft in ihm enthalten sind. Sie sind so klein, daß man sie nur unter dem Mikroskop bei starker Vergrößerung sehen kann. In jedem Tröpfchen menschlichen Samens sind Zehntausende dieser Körperchen enthalten, die sich, solange der Samen frisch und warm ist, lebhaft bewegen. Diese Körperchen heißen Samenfäden (Spermatozoen, Spermatosomen, Spermien). Man= 4 = unterscheidet an ihnen drei Abschnitte, den sog. Kopf, das Mittelstück und den Schwanz oder Geißelfaden. Beim Menschen ist der ganze Samenfaden etwa 5100 mm lang, sein Kopf, der etwa die Gestalt einer etwas plattgedrückten Birne hat, aber nur 31000 mm. Der größte Teil der Länge des Spermatosoms entfällt auf den feinen Geißelfaden, den Schwanz. Die Vorwärtsbewegung des Samenkörperchens erfolgt durch Schwingungen dieses Schwanzes. Mit seiner Hilfe kann es ziemlich weite Wege zurücklegen. In einer Sekunde kann ein Samenkörperchen bei gradlinig fortschreitender Bewegung einen Weg von 5100 bis 15100 mm zurücklegen, in der Stunde also einen Weg von 180–540 mm oder 18–54 cm. Bei Fischen und bei anderen Tieren, bei denen das unbefruchtete Ei nach außen abgesetzt und außerhalb des weiblichen Körpers befruchtet wird, kann man sehen, wie die Samenfäden alsbald das Ei aufzusuchen und zu umschwärmen beginnen. Auch die in die weiblichen Geschlechtsteile entleerten Samenfäden wandern mit Hilfe ihrer Geißelfäden dem Orte zu, wo sich das Ei befindet. Diese Bewegung der Samenfäden macht durchaus den Eindruck, als ob man mit eigenem Willen begabte Wesen vor sich hätte. Man hat die Samenfäden daher früher auch „Samentierchen“ genannt; aber sie sind keine des selbständigen Lebens und der Vermehrung fähige Wesen, sondern sehr hinfällige Zellen, die bald absterben, wenn sie sich nicht mit dem Ei vereinigen können.

Das Ei ist eine kugelige Zelle, an der man die Hüllhaut (Eihaut, Eimembran), den Dotter und das Keimbläschen unterscheiden kann. Bei den großen Eiern der Vögel kann man diese drei Teile leicht mit unbewaffnetem Auge erkennen: erst wenn die zarte Eihaut zerrissen wird, fließt der Dotter aneinander; in der Mitte des weißen Keimfleckes gewahrt man das Keimbläschen.= 5 = Bei den Vögeln ist die Eizelle noch vom Eiweiß und der Eischale umhüllt. Beim Menschen ist das unbefruchtete Ei so klein, daß es gerade noch mit freiem Auge gesehen werden kann (Durchmesser 0,18–0,20 mm); aber es ist immer noch riesig groß im Verhältnisse zu den Samenfäden. Der Kopf des männlichen Samenfadens nimmt nur etwa ein Hunderttausendstel des Raumes eines menschlichen Eies ein. Dafür werden aber die Samenfäden in den männlichen Geschlechtsdrüsen, den Hoden, in ungeheuer viel größeren Mengen gebildet als die Eier in den Eierstöcken, den Geschlechtsdrüsen des Weibes. Im menschlichen Weibe reifen während der ganzen Zeit der Fortpflanzungsperiode etwa 400 Eier, während man schätzen kann, daß der Mann während der Dauer seiner Zeugungsfähigkeit etwa 400 Milliarden Samenfäden bildet, so daß also auf jedes reife Ei etwa 1000 Millionen Samenfäden kommen. So viele werden gebildet, damit wenigstens einige wenige ihr Ziel, das Ei, erreichen! Die ungeheure Mehrheit verfehlt ihr Ziel und geht zugrunde; selbst von jenen, welche bis zum Ei gelangt sind, gelingt es als Regel nur einem einzigen, ins Innere des Eies zu gelangen.

Dort, wo die Befruchtung des Eies außerhalb des weiblichen Körpers erfolgt — die See-Igel liefern besonders geeignetes Beobachtungsmaterial —, kann man sehen, wie die Samenfäden, mit dem Kopfe voran, da und dort in die Eihaut eindringen. Sobald ein Samenfaden sich dem Dotter bis auf eine gewisse Entfernung genähert hat, baucht sich der Dotter ihm entgegen aus, so daß sich hier ein Wulst, der sog. Empfängnishügel, bildet. In diesen Wulst dringt der Kopf des Samenfadens ein, während sein Schwanz, der seinen Dienst geleistet hat, abgestoßen und aufgelöst wird. Hierauf zieht sich der Wulst wieder in die Masse des Dotters zurück; die Befruchtung ist vollzogen. In diesem Augenblick umkleidet sich der Dotter mit einem= 6 = neuen Häutchen, das keinen zweiten Samenfaden in den Dotter eindringen läßt.

Um verstehen zu können, was nun im befruchteten Ei vor sich geht, ist es notwendig, daß wir weiter ausholen.

Jedermann weiß, daß die einzelnen Abschnitte des Körpers, der Rumpf, die Gliedmaßen, nicht in sich gleichartige Gebilde sind, sondern aus Teilen von sehr verschiedenartigem Aussehen und mit sehr verschiedenartigen Leistungen bestehen. So finden wir in den Gliedmaßen unter der Haut die roten weichen Muskeln, die harten Knochen, die weißen Stränge der Nerven, die Röhren der Blutgefäße usw. Wenn wir dann die einzelnen Organe (Werkzeuge) betrachten, so finden wir, daß auch sie nicht durch und durch aus einer gleichartigen Masse bestehen, sondern wieder aus verschiedenen Geweben zusammengesetzt sind. Dies zeigt uns z. B. sofort eine aufmerksame Betrachtung des gekochten Fleisches, wie es auf unseren Tisch kommt. Auch die Gewebe wieder sind nicht homogene, in sich gleichartige Gebilde, sondern bestehen — wie wir allerdings erst bei der mikroskopischen Untersuchung erkennen können — aus winzig kleinen Elementarteilen, den sog. Zellen. Ebenso wie der Leib aller Tiere besteht der aller Pflanzen aus solchen Elementargebilden, die trotz manchen Verschiedenheiten im einzelnen der Hauptsache nach gleichartig gebaut sind. Manche pflanzliche und tierische Gewebe sehen zum Verwechseln ähnlich aus, so sehr stimmen sie in den Hauptzügen ihres Baues überein.

Die niedrigsten Pflanzen und Tiere bestehen aus einer einzigen Zelle. Hier leistet also die eine Zelle alle Lebensgeschäfte, wie die Aufnahme und Verdauung der Nahrung, die Ausscheidung des Unverdauten und der Abfälle des Stoffwechsels, die Wärmeerzeugung, Eigenbewegung, Fortpflanzung usw. Man nennt diese niedersten einzelligen= 7 = Organismen, insofern sie tierischen Charakter haben, Protozoen. Im Gegensatz zu ihnen stehen die Metazoen, deren Leib aus einer Mehrheit von Zellen besteht. Das Metazoon ist gewissermaßen eine Kolonie von Protozoen. Je höher entwickelt das Tier ist, um so mehr unterscheiden sich seine einzelnen Zellen in ihrer Gestalt voneinander, um so verschiedener werden auch ihre Leistungen, um so vollkommener ist der Grundsatz der Teilung der Arbeit durchgeführt, so daß also nicht mehr alle, sondern nur ein Teil der Zellen mit der Nahrungsaufnahme und Verdauung beschäftigt ist, nur gewisse Zellen die Fortpflanzung besorgen usw.

Der alte Name „Zelle“ bedeutet so viel als Kämmerchen, weil man anfangs dachte, daß jeder solcher Elementarorganismus mit eigenen, festen Wänden, einer Kapsel oder besonderen Haut umhüllt sei, wie man es bei vielen Pflanzenzellen tatsächlich findet. Heute wissen wir, daß durchaus nicht alle Zellen derartige Hüllen besitzen. Wir unterscheiden heute an jeder Zelle zwei Hauptteile: den Zelleib oder das Protoplasma und den Kern, ein bläschenartiges Gebilde, das meistens im Innern des Protoplasmas liegt und für gewöhnlich zu ruhen scheint, während ausschließlich vom Protoplasma die Aufnahme und Verdauung der Nahrung, die Bildung der Absonderungen, die Fortbewegung besorgt zu werden scheinen. Trotz der scheinbaren Ruhe ist aber der Kern an allen Vorgängen in der Zelle aufs engste beteiligt; er ist z. B. ganz unentbehrlich für die Verdauung der aufgenommenen Nahrung, für die Erhaltung und das Wachstum der Zelle, für die Bildung der Zellhaut, wo eine solche vorhanden ist. Man kann sagen, der Kern regiere das Leben der Zelle. Die Eigenart der Zelle hängt fast ganz von ihm ab.

Auch das Ei und der Samenfaden sind Zellen. Am Ei erkennen wir die Hauptteile der Zelle ohne weiteres;= 8 = das Keimbläschen ist ihr Kern, der Dotter ihr Protoplasma, die Eihaut ihre Zellhaut. Der Samenfaden dagegen ist eine Zelle von sehr absonderlicher Form und mit einem Anhängsel, dem Schwanze. Aber auch bei ihm hat man den Kopf als Zellkern erkannt und einen zarten Saum um den Kopf und das Mittelstück als eine, allerdings winzig kleine, Menge von Protoplasma. Ei und Samenfaden unterscheiden sich dadurch sehr auffällig, daß das erstere in seinem Dotter ungeheuer viel Protoplasma besitzt, der letztere sehr wenig.

Alle Zellen vermehren sich durch Teilung. Dies gilt für die mehrzelligen wie für die einzelligen Organismen. Unser ganzer Körper ist aus der fortgesetzten Teilung der befruchteten Eizelle hervorgegangen. „Jede Zelle stammt wieder von einer Zelle“; das ist eine der wichtigsten Feststellungen der Biologie.

Dieser Wachstums- und Vermehrungsprozeß der Organismen ist eines der dunkelsten Rätsel, vor denen die Naturforschung steht; vorläufig unfaßbar auch dort, wo, wie bei den Bakterien, das Ganze sehr einfach vor sich zu gehen scheint. Einfach scheint uns die Sache nur deshalb, weil wir bei diesen winzigen Wesen von den meisten Vorgängen nichts sehen. Wir sehen hier nur, wie die Zelle wächst, eine stäbchenförmige Zelle z. B. sich bis zu einem gewissen Grade verlängert, wie dann in der Mitte ihrer Länge eine Scheidewand, dann eine Einschnürung auftritt, diese letztere immer deutlicher wird, bis schließlich die zwei Hälften auseinanderfallen. Jede Hälfte sieht genau so aus wie die Mutterzelle, bevor sie sich in die Länge gestreckt hatte, und jede hat auch genau dieselben Eigenschaften wie die Mutterzelle und ist wie diese befähigt, sofort wieder zu wachsen und sich zu teilen. Unter günstigen Umständen erfordert eine solche Teilung nicht mehr Zeit als 20 Minuten, so daß bei Fortdauer günstigster Umstände durch fort= 9 =gesetzte Teilung binnen 24 Stunden aus einem einzigen Bakterium 4700 Trillionen werden könnten.[A]

Tafel 1.

(Nach Boveri.)


GRÖSSERES BILD

Erklärung der Fig. 1–10 auf Tafel 1.

Fig. 1. Ruhende Zelle; a) Zelleib oder Protoplasma; b) ruhender Kern mit Chromatingerüste, Kernhaut und Kernsaft; c) Zentralkörperchen oder Centrosoma. — Fig. 2. Zweiteilung des Centrosomas; beginnende Chromosomenbildung. — Fig. 3. Die beiden Tochter-Centrosomen rücken gegen die Pole und umgeben sich mit Strahlenhöfen; das ganze Chromatin in (4) Chromosomen vereinigt. — Fig. 4. Fortschreiten der beiden Vorgänge; Auflösung der Kernhaut, Aufsaugung des Kernsaftes. — Fig. 5. Anordnung der Chromosomen in der sog. Äquatorialplatte; fädige Verbindungen mit den Centrosomen. — Fig. 6. Längsteilung aller Chromosomen. — Fig. 7 und 8. Wanderung der Tochter-Chromosomen zu den Polen: beginnende Teilung des Zelleibes. — Fig. 9. Die Zweiteilung der Zelle vollzogen: Neubildung von Kernhaut und Kernsaft um jede Chromosomengruppe. Schwinden der Strahlenhöfe um die Centrosomen. — Fig. 10. Übergang beider Tochterzellen in die Ruheform; Auswachsen der Chromosomen zum Chromatingerüste.]

Bei den Bakterien vermag man nicht recht den Kern und das Protoplasma zu unterscheiden, und vermag man daher auch nicht zu sagen, wie sich beide bei der Teilung verhalten. Anders ist es bei jenen Zellen, bei denen Protoplasma und Kern deutlich voneinander geschieden sind. Hier hat man die allermerkwürdigsten Vorgänge kennen gelernt. Wir müssen uns mit dieser sog. indirekten (Umwegs-) Zellteilung der kernhaltigen Zellen genauer beschäftigen, weil wir nur durch sie zu einem tieferen Verständnis der Befruchtung vordringen können.

Wenn wir eine nicht in Teilung begriffene Zelle unter sehr starker Vergrößerung betrachten, erscheint uns der ruhende Kern als ein Bläschen, das in der Regel die Gestalt der Mutterzelle nachahmt. Wenn wir die Zelle künstlich färben, sehen wir, daß auch der Kern wieder ein zusammengesetztes Gebilde ist. Wir sehen in ihm ein oder mehrere rundliche Körperchen, die Kernkörperchen, und ein badeschwammartiges Gerüstwerk, das mit der deutlich erkennbaren Kernhaut zusammenhängt und den ganzen Kern durchzieht. Die Maschen der Waben dieses Gerüstwerkes sind vom Kernsafte ausgefüllt. Eine der Substanzen, aus welchen das Gerüst besteht, hat die Eigenschaft, sich mit gewissen Farbstoffen stark zu beladen, wenn man= 10 = die Zelle künstlich zu färben sucht; sie wird daher Chromatin (färbbarer Stoff) genannt.

Kommt es nun zur sog. indirekten Teilung oder Teilung durch „Mitose“ (Fadenbildung des Chromatins), so verändert sich zunächst der Kern in der auffallendsten Weise (s. Tafel 1 Fig. 1–10). Das Chromatingerüste zieht sich zu einem zunächst vielfach gewundenen Strange zusammen, der weiter zusammenschrumpft, sich dabei verdickt und verkürzt und schließlich durch Querteilung in eine Anzahl von Teilstücken zerfällt, welche Chromosomen genannt werden. Die Zahl dieser Chromosomen ist bei den verschiedenen Organismenarten verschieden (4, 8, 16 und mehr; beim Menschen 24), aber für die Zellen jeder Tier- und Pflanzenart unveränderlich. Während es zur Bildung der Chromosomen kommt, löst sich der Kern als solcher auf, indem die Kernhaut verschwindet und der Kernsaft ins Protoplasma übertritt.

= 11 =

Die Chromosomen ordnen sich nun in einer Ebene, die ungefähr dem Äquator der Zelle entspricht, parallel hinter- und nebeneinander. Dann spaltet sich jedes Chromosoma der Länge nach in zwei genau gleichgroße Hälften, und die Hälften jedes Chromosoms wandern nun in entgegengesetzter Richtung, die eine nach dem einen, die andere nach dem andern Pol der Zelle. Die Zahl der Chromosomen hat sich also genau verdoppelt, und in der Nähe jeden Poles versammeln sich genau so viele Chromosomen, als die Mutterzelle hatte; also 4, wenn diese 4 hatte, 8, wenn 8 usw. Um jede der Chromosomengruppen scheidet sich nun wieder Flüssigkeit aus dem Protoplasma aus, die Chromosomen fangen an, Fortsätze auszusenden, die miteinander verwachsen, so daß wieder ein genau solches Gerüstwerk und eine genau solche Kernblase entstehen, wie sie die Mutterzelle hatte. Inzwischen hat sich auch das Protoplasma am Äquator eingeschnürt. Es wächst hier eine Scheidewand quer durch die Mutterzelle durch, die beiden Hälften lösen sich allmählich voneinander los, und indem sie wachsen, werden sie mehr und mehr das genaue Abbild der Mutterzelle, aus der sie hervorgegangen sind.

So umständlich der Vorgang der Kernteilung und Kernneubildung schon nach dem bisher Gesagten ist, in Wirklichkeit ist er noch weit verwickelter. Tatsächlich fängt der Teilungsvorgang damit an, daß sich ein besonderes, kleines Körperchen, das sich neben dem Kerne im Protoplasma der Zelle findet, das Zentralkörperchen oder Centrosoma, verdoppelt und die beiden Hälften an die Pole der Zelle auseinanderrücken. Um jedes der beiden neuen Centrosomen bilden sich fädige Strahlen. Ein Teil dieser Fäden heftet sich an die Chromosomen an, und mit Hilfe dieser Fäden werden die Chromosomenhälften — wie wir’s beschrieben haben — schließlich auseinandergezogen und gegen die Pole hingeführt. Tatsächlich regiert also das[S. 12] Zentralkörperchen oder Centrosoma den ganzen Teilungsvorgang. Aber so wichtig an sich dieser Vorgang ist, wollen wir uns auf diese Andeutungen beschränken, die aus der Abbildung wohl verständlich werden dürften.

Für uns ist vor allem wichtig die Umwandlung des ruhenden Kernes in die Chromosomen, die Halbierung der Chromosomen und die sorgfältige Verteilung der Hälften auf die beiden Tochterzellen. Was durch den ganzen Vorgang erreicht wird, ist völlig klar: offenbar wird dadurch das Chromatin, die färbbare Substanz des Kernes, so gleichmäßig als irgend möglich auf die Tochterzellen verteilt. Offenbar ist diese gleichmäßige Verteilung des Chromatins Bedingung dafür, daß die Tochterzellen der Mutterzelle gleich werden.

Der geschilderte Vorgang der sog. indirekten Zellteilung verläuft in der ganzen Tier- und Pflanzenwelt in der Hauptsache völlig gleichartig: der überraschendste Beweis für die enge Verwandtschaft alles Lebendigen!

Genau so, wie wir’s hier geschildert haben, verläuft nicht nur die Zellteilung beim Wachstum der mehrzelligen Organismen, der Metazoen, sondern auch die ungeschlechtliche Fortpflanzung der Protozoen. Zellteilung folgt bei ihnen in dieser Weise auf Zellteilung; ohne Ende, wenn nicht äußere Hindernisse eintreten.

Neben der ungeschlechtlichen Fortpflanzung sehen wir aber auch schon bei vielen Einzelligen geschlechtliche Fortpflanzung auftreten. Wir finden bei ihnen sogar mehrere Arten davon. Am einfachsten sind die Kopulation und die Konjugation.

Es kommt vor, daß sich zwei von diesen einander völlig gleichenden einzelligen Wesen aneinanderlegen, ihre Kerne sich spalten, die Hüllhäute an der Berührungsstelle der beiden Zellen verschwinden und nun die Kernhälften zwischen den beiden Individuen ausgetauscht werden.= 13 = Die Hälfte des Kernes des Individuums A wandert in das Individuum B und umgekehrt, worauf sich die beiden Individuen wieder voneinander trennen. Die beiden Kernhälften, die eigene und die fremde, vereinigen sich, und in jedem Individuum erfolgt nun eine neue Kernteilung und die Teilung der Mutterzelle in Tochterzellen, genau so, wie wir’s oben geschildert haben.

Noch einfacher ist der Vorgang, wenn geradezu zwei Individuen zu einem verschmelzen. Die beiden Kerne legen sich aneinander, und nun erfolgt die Vermehrung, indem jeder der beiden aneinanderliegenden Kerne in zwei Hälften geteilt wird, so daß jede Tochterzelle den halben Kern der Elternzellen A und B erhält und ihre Tochterzellen wieder je ein Viertel von A und B usf.

Bei manchen Protozoen, bei den Metazoen und beim Menschen wird die Fortpflanzung, wie wir schon besprochen haben, durch bestimmte Geschlechtszellen besorgt. Es gibt dann, wie wir bereits wissen, bei jeder Art zweierlei Geschlechtszellen, die sich durch ihr Aussehen unterscheiden und verschiedene Leistungen zu verrichten haben, aber in der Hauptsache, nämlich bezüglich ihrer Kerne, gleichartig sind. Diese Geschlechtszellen werden in eigenartigen Mutterzellen, bei den höheren Pflanzen und Tieren in besonderen Organen, durch Zellteilung gebildet.

Im Gegensatz zu den anderen Zellen sind diese Geschlechtszellen in der Regel unfähig, für sich allein weiterzuleben, zu wachsen, sich zu teilen und zu vermehren. Es kommen aber Ausnahmen vor, und bei vielen höheren Wesen kann sich unter bestimmten natürlichen oder künstlich hergestellten Bedingungen auch aus dem unbefruchteten Ei ein neues Individuum entwickeln (sog. Parthenogenesis oder Jungfrauenzeugung, z. B. Entstehung der Drohnen aus den unbefruchteten Eiern der Bienen).

In der Regel gehen die Geschlechtszellen zugrunde,= 14 = wenn sie nicht zur Vereinigung gelangen; den Samenfäden fehlt es an Protoplasma, den Eiern fehlt das Zentralkörperchen, das Centrosoma, das den ersten Anstoß zur Zellteilung gibt. Im reifen, befruchtungsfähigen Zustande haben Eizelle und Samenfäden auch nur halb so viel Chromatin und bilden auch nur halb so viele Chromosomen als die gewöhnlichen Körperzellen ihrer Art, da bei ihrer Reifung die Hälfte der Chromosomen ausgestoßen worden ist. Dieser Unterschied in der Chromosomenzahl tritt zutage, wenn die Befruchtung erfolgt ist, die beiden Geschlechtszellen sich vereinigt haben.

Nachdem der Kopf des Samenfadens vom Ei aufgenommen worden ist und die neugebildete Dotterhaut das Eindringen eines zweiten Samenfadens in das Innere des Eies unmöglich gemacht hat, sehen wir (s. Tafel 2, Fig. 11 bis 17), wie der Kopf des Spermatozoons sich allmählich dem Kerne der Eizelle nähert. Sein Kern nimmt= 15 = dabei an Größe zu und teilt sich dann in halb so viele Chromosomen, als den Kernen des Organismus, von dem der Samenfaden abstammt, sonst zukommen; beim Menschen also in 12. Die Chromosomen wachsen durch Fortsätze zu einem feinen Netzwerk aus. Zugleich scheidet sich aus dem Protoplasma der Eizelle Flüssigkeit aus, so daß der Kern des Spermatozoons nun genau wie das Kernbläschen einer ruhenden Zelle aussieht und dem Kerne der Eizelle zum Verwechseln ähnlich geworden ist. Es besteht kein Geschlechtsunterschied mehr zwischen den beiden Kernen. Auch ihre Größe ist in diesem Stadium vollkommen gleich. Während diese Veränderungen mit dem Kerne vorgehen, hat sich ein winziges Körperchen, das mit dem Kopfe des Spermatozoons in das Ei mit hereingebracht worden ist, mit einem Strahlenhofe umgeben und in zwei Körperchen geteilt. Jedes von diesen bekommt wieder einen Strahlenhof. Wir haben ohne Zweifel Gebilde vor uns, die genau den Zentralkörperchen oder Centrosomen der gewöhnlichen, in der Teilung begriffenen Zellen entsprechen. Während Eikern und Samenkern immer näher zusammenrücken, rücken die beiden Centrosomen auseinander. Die beiden Kerne fangen nun gleichzeitig an, Chromosomen zu bilden; der Kern des Eies genau so viele wie der Kern des Samenkörperchens, also ebenfalls nur halb so viele, als die Kerne der betreffenden Tierart sonst bilden. Diese Chromosomen ordnen sich in einer Ebene zusammen und teilen sich der Länge nach. Ihre Hälften werden durch die Fäden, die von den Centrosomen ausgegangen sind, auseinander- und gegen die Pole hingezogen; kurz, alles weitere verläuft genau so wie mit dem einen Kerne einer gewöhnlichen Zelle, die sich in indirekter Zellteilung befindet. Der einzige wahrnehmbare Unterschied ist nur der, daß die Hälfte der Chromosomen vom Eikern, die andere Hälfte vom Samenkern herrührt, und daß= 16 = jedem Pole angenähert die Hälfte der väterlichen und der mütterlichen Kernsubstanz zugeführt wird, also jede der beiden Tochterzellen einen Kern bekommt, der zur Hälfte vom Vater, zur Hälfte von der Mutter abstammt. Da der Spermakern wie der Eikern halb so viele Chromosomen bildet als die Kerne der Körperzellen, so liefern beide zusammen ebensoviel Chromatin und Chromosomen, wie in einer normalen Zelle vorhanden ist, und jede der beiden Tochterzellen bekommt daher ebenfalls die normale Menge davon.

Jede der beiden Tochterzellen teilt sich nun in derselben Weise weiter, und jedesmal erhält jede der bei der Teilung neu entstehenden Enkel-, Urenkel-, Ururenkel- usw. Zellen ungefähr gleichviel mütterliches und väterliches Chromatin; die Hälfte ihrer Chromosomen ist väterlicher, die andere Hälfte mütterlicher Herkunft. Die Kernsubstanz jeder Zelle unseres Körpers stammt also halb vom Vater, halb von der Mutter her.

Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, daß während der fortgesetzten Teilungen und Wachstumsvorgänge die Gesamtmasse des Chromatins sich ganz ungeheuer vermehrt hat. Die Substanzen, aus denen das neue Chromatin gebildet wurde, stammen natürlich aus der Nahrung; aber sie werden zuerst chemisch umgewandelt, assimiliert, dem ursprünglichen Chromatin gleichgemacht, bevor sie Teile der Zellkerne werden. Die Art dieser Umwandlung und Formung wird in einer noch nicht genügend aufgeklärten Weise durch die Beschaffenheit des ursprünglich ererbten Chromatins bestimmt.

Tafel 2.

(Nach Boveri.)


GRÖSSERES BILD

Erklärung der Fig. 11–17 auf Tafel 2.

Fig. 11. A) Ei. a) Eihaut mit ihren Porenkanälen (in den späteren Figuren weggelassen); b) Eidotter; c) ruhender Eikern; d) Empfängnishügel mit eingedrungenem Samenfaden. B) Samenfäden. e) Kopf; f) Mittelstück; g) Schwanz des Samenfadens. — Fig. 12. Vordringen des Samenkerns gegen den Eikern; Auftreten des Centrosoms der Samenzelle mit Strahlenhof; Auflösung des Schwanzes. — Fig. 13. Teilung des Samenfadenkopfes in zwei Chromosomen. — Fig. 14. Fortschreitende Annäherung des Samenkerns an den Eikern unter Auseinanderrücken der Tochter-Centrosomen an die Pole; Auswachsen der Samenkern-Chromosomen zum Chromatingerüste. — Fig. 15. Der Samenkern ist dem Eikern gleich geworden. — Fig. 16. Samenkern und Eikern haben gleichzeitig (je 2) Chromosomen gebildet. — Fig. 17. Längsteilung der väterlichen und mütterlichen Chromosomen in gleiche Hälften und Verbindung der Hälften mit den Centrosomen. (Bezüglich der weiteren Entwickelung s. Fig. 7–10.)]

Die Kernsubstanz unserer Zellen ist die eigentliche Vererbungssubstanz; sie ist jedenfalls die Hauptträgerin der die einzelnen Individuen einer Art unterscheidenden vererblichen Anlagen. Das Proto= 17 =plasma der Eizelle scheint hauptsächlich die Bedeutung eines Nahrungsstoffes für die wachsenden und sich teilenden Kerne zu haben, wenn es auch bei den verschiedenen Organismenarten chemisch und baulich ebenso spezifisch verschieden ist wie die Kernsubstanz und daher die der ganzen Art gemeinsame Beschaffenheit mitbestimmt. So wird es begreiflich, daß im allgemeinen das väterliche und das mütterliche Erbe gleichgroßen Einfluß auf die körperliche und geistige Beschaffenheit ihrer Nachkommen ausüben, obwohl die Mutter das große Ei, der Vater den winzigen Samenfaden liefert. Von der ganzen großen Masse des Eies ist nur ein winziger Teil, nicht größer als der Kopf des Spermatozoons, Vererbungssubstanz.

Wie das Chromatin aller anderen Zellen ist auch das des Samenfadens und der Eizelle halb väterlichen, halb mütterlichen Ursprungs, und dies macht es wieder verständlich, daß Eigenschaften der Großeltern und viel fernerer Ahnen in den Enkeln wieder auftauchen können (Atavismus).

Wenn wir uns vor Augen halten, daß auch auf ungeschlechtlichem Wege Fortpflanzung durch anscheinend unbegrenzte Zeiten möglich ist (man denke nur an die ungeschlechtliche Teilung der Bakterien und anderer Protisten [einfachster Lebewesen] und an die Fortzüchtung vieler Pflanzen durch sog. Ableger!), so kommt man zu dem Schlusse, daß es die Aufgabe der geschlechtlichen Fortpflanzung, der Befruchtung sei, durch Vermischung der Keimstoffe einerseits individuelle Eigentümlichkeiten und Abnormitäten der Eltern auszugleichen und so die Gesamtheit der Anlagen und damit die Haupteigenschaften der Spezies unverändert zu erhalten, andererseits wieder neue Kombinationen von Anlagen und dadurch Mannigfaltigkeit unter den Individuen herzustellen.

= 18 =

2. Kapitel.
Vererbung und Zuchtwahl.

Im vorhergehenden Kapitel ist es mir vor allem darum zu tun gewesen, dem Leser zu zeigen, daß die aufeinanderfolgenden Generationen aufs allerengste miteinander verknüpft sind. Geformte Teile des elterlichen Körpers haben sich losgelöst und setzen in dem neuen Gebilde, das wir Individuum nennen, das Leben fort, das sie im elterlichen Körper geführt haben. Das Neue an dem neuen Individuum ist nur, daß eine neue Mischung von Lebendigem erfolgt ist. Wir sind, wenigstens den Anlagen nach durchaus, körperlich und geistig, die Geschöpfe unserer Eltern und Ahnen. In dem elterlichen Chromatin, in dem Keimplasma oder Idioplasma, wie es auch genannt wird, ist unsere ganze Organisation vorherbestimmt. Durch das Keimplasma ist vorherbestimmt gewesen, daß wir Angehörige der Spezies Mensch geworden sind; von ihm hängen die Farbe unserer Haut, die Beschaffenheit unserer Haare, der Bau des Schädels und alle anderen Eigentümlichkeiten der Menschenrasse ab, die wir an uns tragen, alle Eigentümlichkeiten unseres Volksstammes innerhalb der Rasse; innerhalb der Eigentümlichkeiten des Volksstammes wieder alle Besonderheiten der Familie und alles mit der Individualität unserer Eltern Übereinstimmende in uns. Die Farbe unserer Augen, die Gestalt der Nase, des Mundes, der Ohren, die Statur, der Gang, die Gebärde, die Sprechweise, die geistige Begabung, der Charakter, das Talent und Temperament, kurz alles ist hier im Keimplasma in der Hauptsache schon festgelegt, so groß und wichtig auch die äußeren oder „Umwelts“-(„Milieu-“)Einflüsse= 19 = sind, die die Keime während ihrer Entwicklung und bis zu ihrer Vereinigung und das Individuum nach der Vereinigung der elterlichen Keime treffen.

Wenn trotzdem selbst die Kinder gleicher Eltern in der Regel untereinander verschieden sind und nicht selten sogar sehr auffällige Unterschiede zeigen, so rührt dies — wenn wir von der merkwürdigen, noch nicht genügend aufgeklärten Tatsache der sog. Mutation, d. h. des plötzlichen Neuauftretens oder Verlustes einer vererbbaren Eigenschaft oder Anlage in einem Individuum, hier absehen — hauptsächlich von zwei Umständen her. Erstens davon, daß kaum jemals die Bedingungen, unter denen sich zwei Individuen entwickeln, ganz gleich sind und die Verschiedenheit der Lebensbedingungen bei gleichen Anlagen Verschiedenheiten des Aussehens und der Leistungen der Individuen herbeiführt (Modifikation, Lebenslage-Variation). Zweitens aber — und dies ist viel wichtiger! — davon, daß kaum jemals die Kinder desselben Elternpaares tatsächlich gleiche Anlagen erhalten.

Die Keimstoffe sind nämlich nichts Einheitliches! Die Erbmasse ist ein Konglomerat (Zusammenballung) einer ungeheuren Anzahl einzelner Anlagen (Erbeinheiten), welche in hohem Maße unabhängig voneinander vererbt werden. Wir haben gehört, daß bei der Reife der Keimzellen die Hälfte der Chromosomen und des Chromatins ausgestoßen wird. Bei dieser Ausstoßung trennen sich die zusammengehörigen väterlichen und mütterlichen Anlagen voneinander, und nur eine von ihnen bleibt in der reifen Keimzelle zurück (z. B. die Anlage zu brauner Augenfarbe, die etwa vom Vater ererbt war, oder die Anlage zu blauer, die von der Mutter ererbt war). Es ist aber rein zufällig, welche von diesen= 20 = beiden Anlagen im einzelnen Falle zurückbleibt. Da es sich dabei um eine ungeheuere Zahl von Anlagenpaaren handelt, ist es klar, daß auf diese Weise eine ungeheuere Zahl von Kombinationen (Zusammenstellungen) der Anlagen bei der Reifung der Keimzellen entstehen muß; sowohl bei denen des Mannes wie bei denen der Frau. Und wieder ist es völlig dem Zufall anheimgegeben, welche von diesen verschiedenartigen Keimzellen des Vaters und der Mutter bei der einzelnen Befruchtung gerade zusammentreffen! Und nun wirken diese neukombinierten zusammengehörigen Anlagen wieder in verschiedener Weise aufeinander, mischen sich in einem Falle in ihrer Wirkung, während in einem andern Falle die eine die andere völlig unterdrückt!

Alle diese Umstände müssen bewirken, daß fast niemals zwei Individuen einander ganz gleich werden; müssen jene Unterschiede alles Geborenen in bezug auf Gestalt, Körperkraft, Gesundheit, Begabung, Tatkraft herbeiführen, die zwar im Vergleiche zu dem Übereinstimmenden klein, trotzdem aber für Wert und Schicksal des Individuums entscheidend sind!

Wie weit die Abhängigkeit der Beschaffenheit der Nachkommen von der Beschaffenheit der elterlichen Zeugungsstoffe geht, wird durch nichts klarer bewiesen als durch das Vorkommen von sog. identischen Zwillingen, zum Verwechseln ähnlichen Individuen, die infolge einer Störung des normalen Entwicklungsganges aus einem Ei und einem Samenkörperchen entstanden sind.

Wenn beim Menschen die Vererbung der Besonderheiten der Eltern und Familienstämme auf die Nachkommen nicht auffallender ist, so rührt dies davon her, daß wir bei der Gattenwahl meistens auf diese Eigentümlichkeiten keine Rücksicht nehmen, sondern von ganz anderen= 21 = Beweggründen uns leiten lassen. Mit welcher Vollkommenheit individuelle Eigenschaften der Eltern auf die Nachkommenschaft vererbt und bei ihr ausgebildet werden können, zeigt die künstliche Zuchtwahl, die der Mensch unter seinen Haustieren und Kulturpflanzen trifft. Die Mittel, die er dabei anwendet, sind: Auslese der vollkommensten oder mit einer bestimmten erwünschten Eigenschaft ausgestatteten Exemplare für die Zucht, Kreuzung möglichst ähnlicher Individuen, Auslese der Nachkommen in demselben Sinne, Inzucht der erwünschten Varietät (Abart), strenge Reinzucht der Rasse, strengster Ausschluß aller minderwertigen, fehlerhaften oder kranken Exemplare von der Fortpflanzung und jeder Vermischung mit fremden Blute, sorgfältige Pflege der Brut. So gelingt es, binnen weniger Generationen Stämme von vollendeter Schönheit und Tüchtigkeit oder von auffallendester Besonderheit zu züchten. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß, wenn wir unter uns in ähnlich sorgfältiger Weise Zuchtwahl treiben würden, binnen weniger Generationen Menschenstämme erzeugt werden könnten, die alles, was es bisher von Menschen gegeben hat, an Schönheit, Kraft und Tüchtigkeit weit hinter sich lassen würden.

An nichts kranken die menschlichen Zustände so sehr, als daß viel zu viele Minderwertige, Dumme, Schwache, Faule, Gesellschaftsfeindliche erzeugt werden und viel zu wenig Vollwertige, Gescheite, Starke, Strebsame, Gemeinsinnige, Gewissenhafte!

Zwangsweise läßt sich auf absehbare Zeit die Züchtung einer edlen Menschenrasse nicht durchführen. Aber jeder sollte beim Abschluß der Ehe daran denken, daß die Kinder nicht vom Himmel fallen und Edles nur durch Erbschaft von Edlem entstehen kann, gut geratene Kinder nur durch= 22 = glückliche Vereinigung des gut Geratenen der Ahnen. Die tüchtige Jugend sollte daher das hohe Ideal der bewußten Erzeugung und Fortpflanzung körperlich, geistig und sittlich bestbeanlagter Familienstämme, bewußter Zuchtwahl, erfassen und freiwillig befolgen. Vor solchen Generationen von Tüchtigen aus Tüchtigen müßten Minderwertigkeit und Nichtswürdigkeit bald das Feld räumen.

Wenn wir auch nicht zwangsweise Übermenschen züchten können, mit jener Gedankenlosigkeit und Leichtfertigkeit wie bisher darf es bei der Kindererzeugung jedenfalls nicht weitergehen! Es muß ins allgemeine Bewußtsein übergehen, daß es eines der schlimmsten Verbrechen ist, Kinder zu erzeugen, von denen man vorher wissen kann, daß sie höchstwahrscheinlich verkümmert, verkrüppelt, schwer krank oder mit schwerer Krankheitsanlage behaftet sein werden. Tausende und Tausende werden erzeugt, die besser unerzeugt geblieben wären. Namenloses Elend, eine unendliche Summe von Schmerz und Qual wird dadurch immer von neuem in die Welt gebracht! Vernunftbegabten Wesen geziemt es nicht, so zu handeln.

Wenn ein Mensch von Geburt auf mit Fehlern oder Krankheit behaftet, zu bestimmten Erkrankungen veranlagt oder im allgemeinen schwächlich und wenig widerstandsfähig ist, so kann dies sehr verschiedene Ursachen haben. Es kann darauf beruhen, daß er aus Keimstoffen hervorgegangen ist, die von den Ahnen her fehlerhaft oder minderwertig sind (Vererbung im eigentlichen Sinne). Es kann sein, daß von Hause aus gutgeartete Keimstoffe erst im Leibe der Eltern verschlechtert worden sind (Keimverderb). Es kann= 23 = sein, daß ein aus gesunden und kräftigen Keimen hervorgegangener Sprößling während seines Lebens im Mutterleibe geschädigt oder krank geworden ist.

Es gibt aber auch nicht wenige Fälle, wo es nur so scheint, als ob das Kind bereits krank und minderwertig geboren worden wäre und in Wahrheit seine Krankheit oder Minderwertigkeit auf Schädigungen beruht, die es erst nach der Geburt in seiner frühesten Kindheit erfahren hat. Es ist wichtig, diese Dinge zu unterscheiden, da sie beim Abschluß der Ehe und bei der Kindererzeugung berücksichtigt werden müssen.

Was die im eigentlichen Sinn vererblichen Fehler und Mängel des Keimplasmas anbelangt, so ist zunächst zu sagen, daß es eine Reihe von Bildungsfehlern gibt, die bei sonstiger normaler Beschaffenheit von Generation auf Generation, manchmal mit Überspringung einzelner Glieder der Kette, vererbt werden. Zum Teile sind sie ganz geringfügig und nicht beachtenswert, z. B. Muttermale oder Vertauschung von rechts und links bei der Lagerung der Eingeweide. Viel bedeutungsvoller ist die Vererbung von schlechter, zu Zahnfäule (Karies) neigender Zahnbeschaffenheit, von Kurzsichtigkeit, Farbenblindheit und anderen Fehlern des Auges, von gewissen Formen unheilbarer, fortschreitender Schwerhörigkeit, die Vererbung überzähliger Finger und Zehen, der Hasenscharte (gespaltene Oberlippe oder Oberkiefer), des Wolfsrachens (gespaltener Gaumen), von Mißbildungen der Finger und der Hände. Höchst ungünstig für die Nachkommenschaft ist die vererbliche Verkümmerung der Brustdrüse, wegen der damit verbundenen Unfähigkeit zum Stillen. Ein anderer böser ererbter Bildungsfehler ist die sog. Bluterkrankheit oder Hämophilie. Die geringste Verletzung kann beim „Bluter“ fast unstillbare Blutverluste und selbst den Tod durch Verblutung herbeiführen.

= 24 =

Höchst merkwürdig ist bei dieser glücklicherweise seltenen Krankheit, daß sie nur bei den männlichen Nachkommen auftritt und nur durch die selbst gesund bleibenden weiblichen Nachkommen vererbt wird. Diese Latenz (das Verborgenbleiben) der Erbeigenschaften in den weiblichen Gliedern eines Familienstammes kommt übrigens auch bei anderen krankhaften sowie bei lebensnützlichen Anlagen (Talenten) vor; geradeso, wie Frau und Mann gewisse Besonderheiten der Merkmale des anderen Geschlechtes (z. B. des Bartwuchses, der Form und Größe der Brüste) verborgen auf ihre Söhne bzw. Töchter vererben.

Auf vererblichen Fehlern der Keimstoffe beruht ferner die Neigung der Mitglieder mancher Familien zu gewissen Stoffwechselkrankheiten, wie namentlich zur Gicht, zur Fettsucht, zur Zuckerharnruhr; die Neigung zu gewissen langwierigen Hautkrankheiten, insbesondere zu den sog. Flechten. Auch gewisse Erkrankungen des Herzens und der Blutgefäße, die zum Schlagflusse führen, scheinen auf erblicher Grundlage zu entstehen.

Allgemein bekannt ist es endlich, daß in einzelnen Familien die Neigung zu Geisteskrankheiten und nervösen Leiden mannigfacher Art sich forterbt. Dabei ist bemerkenswert, daß die Art des Nervenleidens bei den verschiedenen Familiengliedern sehr verschieden sein kann. Einige zeigen reizbare Schwäche oder Exzentrizität in ihren Meinungen und Neigungen, jähen Wechsel ihrer Stimmung, andere leiden an Krämpfen, Lähmungen, Epilepsie; neben eigentlichen Geisteskrankheiten treten Hysterie, Hypochondrie, Trunksucht, Neigung zu geschlechtlichen Ausschweifungen, zu Selbstmord, zu Verbrechen auf. Das Vererbte ist eine abnorm leichte Störbarkeit und Verwundbarkeit des Nervensystems. Welche Krankheit sich dann tatsächlich entwickelt, scheint bis zu einem gewissen= 25 = Grade vom „Zufall“ abzuhängen. Nach neueren Forschungen ist es aber gewiß, daß es verschiedenartige krankhafte Veranlagungen des Nervensystems gibt, z. B. besondere Anlagen zu Verrücktheit, zu Epilepsie usw. Ein erheblicher Bruchteil der Nachkommen pflegt übrigens selbst bei schwerer Belastung von wirklicher Erkrankung freizubleiben, und bei manchen Arten solcher Vererbungen können neben der fehlerhaften Anlage hohe geistige Begabung, Talent, Schwung und Tatkraft einhergehen. Bei schwerster Belastung zeigen einzelne Familienglieder auch körperliche Bildungs- und Entwicklungsfehler (die sog. Degenerationszeichen).

Viel häufiger als eine solche begrenzte Fehlerhaftigkeit der Keime, die sich in bestimmten Bildungsfehlern und Krankheitsanlagen der im übrigen vielleicht völlig gesunden und kräftigen Nachkommen äußert, ist ihre Minderwertigkeit und Schwächlichkeit im ganzen, wie sie in der Lebensschwäche und kümmerlichen körperlichen, intellektuellen und moralischen Entwicklung des Kindes und in seiner Kränklichkeit, d. h. seiner geringen Widerstandsfähigkeit gegen äußere Schädlichkeiten, zutage tritt.

Diese Lebensschwäche der Keime kann wieder etwas sein, was schon von den Vorfahren ererbt ist. Meistens aber ist sie erst die Folge der ungünstigen Bedingungen, unter denen die Keime im Körper der Eltern gewachsen sind.

So ist die Schwächlichkeit der Kinder nicht selten einfach auf das unpassende Alter der Eltern zurückzuführen. Nur innerhalb einer gewissen Lebensperiode steht die Keimbildung auf voller Höhe. Kinder zu junger Eltern (Mutter unter 20, Vater unter 24 Jahren) sind nicht selten lebensschwach und sterben daher zahlreicher schon im ersten Lebensjahr wieder ab. Es kommen bei ihnen auch häufiger als sonst Bildungsfehler, wie Hasenscharte,= 26 = Wolfsrachen, Idiotie, vor, zum Zeichen, daß die Keimstoffe der Jugendlichen häufiger nicht allein weniger kräftig, sondern auch mit Fehlern behaftet sind. Bemerkenswert ist auch, daß jugendliche Mütter verhältnismäßig häufig Zwillinge gebären. Sie teilen diese Eigenschaft mit den älteren Frauen. Wie die zu jungen gebären zu alte Frauen häufiger lebensschwache Kinder. Auch Idiotie kommt unter den Kindern von Frauen über 40 Jahre häufiger vor als unter solchen von Frauen in der Vollkraft. Ebenso wie höheres Alter der Mutter wirkt das des Vaters (über 50 Jahre) im Durchschnitt nicht günstig.

Ungünstig auf die Produktion der Keimstoffe wirken schlechte äußere Lebensbedingungen, wie unzureichende Ernährung, körperliche Überanstrengung durch Arbeit, durch geschlechtliche Exzesse beim Manne, zu zahlreiche und zu rasch aufeinanderfolgende Schwangerschaften bei der Frau, ungünstiges Klima (Aussterben der europäischen Familien in den Tropen) und anderes.

Auch manche akute (heftige und kurzdauernde) und namentlich chronische (langwierige) Erkrankungen des elterlichen Körpers schädigen die Keimstoffe. Weitaus am gefährlichsten sind diesen die chronischen Vergiftungen.

Als der Nachkommenschaft besonders gefährliche Gifte sind zu nennen: der Alkohol, das Morphium, die giftigen Metalle und unter diesen das Blei und das Quecksilber, ferner gewisse von Mikrobien herrührende Gifte.

Unter diesen letzteren ist mit Recht besonders berüchtigt das syphilitische Gift, das bei der Syphilis, der wichtigsten unter den sog. Geschlechtskrankheiten, im Körper auftritt. Dieses Gift vor allen führt zum Verderb vieler von Hause gesunder Keimstoffe und bedroht die modernen Völker mit Degeneration; dieses Gift ist es,= 27 = das die städtischen Familien in ungeheuerem Umfang ausrottet.

Infolge der Vergiftung des elterlichen Organismus mit diesem Gifte kommt es zu einer Verkümmerung der Zeugungsstoffe, die sich in dem Auftreten von Fehl-, Früh- und Totgeburten, in Lebensschwäche der Kinder, Mißbildungen und Verkümmerungen, nervösen Leiden, allgemeinem Siechtum und geringer Widerstandskraft gegen äußere Schädlichkeiten äußert. Besonders nachdrücklich möchte ich darauf hinweisen, daß die elterliche Syphilis in sehr hohem Maße für Tuberkulose zu disponieren (geneigt machen) scheint.

Nächst dem Syphilisgifte dürfte der Alkohol die wichtigste Ursache des Keimverderbs sein. Es ist erwiesen, daß Säufer sehr häufig unfruchtbar sind, und daß dies auf einem vorzeitigen Schwund der Hoden beruht. Unzählige ärztliche Erfahrungen scheinen zu beweisen, daß auch schon eine geringergradige chronische Vergiftung des elterlichen Körpers mit Alkohol in geringerer Lebensfähigkeit, in Schwächlichkeit und Kränklichkeit der Nachkommen und insbesondere in der Minderwertigkeit ihres Nervensystems sich äußert. Kinder von eigentlichen Trinkern leiden überaus häufig an Idiotie, Geisteskrankheiten, Epilepsie, Trunksucht usw., wobei es allerdings schwierig zu entscheiden ist, inwiefern nicht schon die Trunksucht des Vaters als ein Zeichen für die ererbte Krankhaftigkeit seines eigenen Zentralnervensystems anzusehen ist.

Bei elterlicher Syphilis kommt noch etwas anderes vor als die Vergiftung der Keimstoffe im kranken elterlichen Körper. In einem gewissen Stadium der Syphilis kann Ansteckung des befruchteten Keimes mit dem Syphilisparasiten, der Spirochaete pallida, erfolgen, so daß das Kind bereits mit Syphilis behaftet geboren wird oder schon im Mutterleibe infolge der Ansteckung mit Syphilis abstirbt. Solche Fälle sind leider sehr häufig.

= 28 =

Anders steht es bei der Tuberkulose der Eltern. Es kann auch hier vorkommen, daß das Kind bereits mit dem Tuberkelbazillus angesteckt geboren wird. Dies scheint indessen nicht vom Vater, sondern nur von der Mutter aus möglich zu sein und überaus selten vorzukommen. Erst nach der Geburt droht dem Kinde die Hauptgefahr, von seinen tuberkulösen Eltern oder sonstigen Verwandten angesteckt zu werden. Besonders gefährlich ist ihm der Tuberkelbazillen enthaltende Auswurf der Mutter und ihre Tuberkelbazillen enthaltende Milch. Die Gefahr ist um so größer, als eine überaus häufige Folge der elterlichen Tuberkulose Schwächlichkeit und Kränklichkeit der Kinder ist, wodurch ihre Widerstandskraft allen äußeren Schädlichkeiten gegenüber von vornherein herabgesetzt ist.

Man spricht aber auch von einer spezifischen (einseitigen) Neigung, an Tuberkulose zu erkranken. Man spricht sogar von einem „tuberkulösen Habitus“ (äußerer Beschaffenheit). Leute mit „tuberkulösem Habitus“ sind charakterisiert durch große Körperlänge bei geringem Brustumfang, langem, flachem, oben engem Brustkorb mit abstehenden Schulterblättern und durch schlechte, schlaffe Körperhaltung. Diese Leute sind dabei mager, blutarm und größerer körperlicher Anstrengung nicht gewachsen, leicht in Schweiß versetzt; sehr häufig sind sie nervös leicht erregbar, von rascher Auffassung und lebhaftem Gemüte, aber von geringer Ausdauer. Ihre Muskeln sind schwach entwickelt, ihre Schleimhäute zart und blaß, ihr Appetit und ihre Verdauungskraft häufig gering. Ihr Herz ist leicht erregbar, aber schwach. Auffallend ist bei ihnen der rasche Wechsel von Röte und Blässe des Gesichtes, die Kühlheit von Händen und Füßen. Die genaue anatomische Untersuchung hat gezeigt, daß ihr Herz im Verhältnisse zu ihrer Körpergröße zu klein, ihre Blutgefäße zu eng sind.

Dieser Habitus kann indessen auch bei Kindern von= 29 = Eltern auftreten, welche weder tuberkulös erkrankt noch hereditär (erblich) belastet sind; andererseits bei Kindern tuberkulöser Eltern fehlen. Er führt auch keineswegs mit Notwendigkeit zu tuberkulöser Erkrankung. Es ist überhaupt zweifelhaft, ob es eine spezifische Disposition (einseitige Empfänglichkeit) für Tuberkulose gibt und ob nicht die Häufigkeit der Tuberkulose in gewissen Familien neben der schon erwähnten Schwächlichkeit und geringen Widerstandsfähigkeit von Kindern kränklicher Eltern überhaupt, einfach auf der frühzeitigen massenhaften Ansteckung beruht, der die Kinder in solchen Familien, in der Nachbarschaft von Hustenden und Spuckenden ausgesetzt sind. Tatsächlich kann man nachweisen, daß die Kinder aus solchen Familien schon in den ersten Lebensjahren bis zu 90 und 100 Prozent angesteckt werden, während es bei Kindern aus nicht tuberkulösen Familien 18 und noch mehr Jahre dauern kann, bis alle infiziert sind. Übrigens kommt es auch nach erfolgter Ansteckung in der Regel nur unter Zusammenwirken ungünstiger Umstände, unter denen namentlich schlechte oder falsche Ernährung, körperliche Überanstrengung, Exzesse in baccho et venere und schwächende Krankheiten zu nennen sind, zum Ausbruch der Krankheit. Unter dem Zusammenwirken solcher Einflüsse können auch Menschen aus gesundem Stamme an Tuberkulose erkranken; die Nachkommen von tuberkulösen Eltern erkranken nur häufiger und erliegen der Krankheit rascher. In den schlimmsten Fällen vermögen die sorgfältigste Pflege, die beste Ernährung, die größte körperliche Schonung Erkrankung und Tod im kräftigsten Lebensalter nicht zu hindern. Aber so schlimm steht es glücklicherweise selten. In den meisten Fällen kann man durch möglichst frühzeitige Absonderung der Kinder von Personen mit offener Tuberkulose und durch Schaffung guter hygienischer Verhältnisse, durch Vermeidung= 30 = aller Ausschweifungen, durch Enthaltsamkeit von Alkohol auch solche disponierte Personen vor der Krankheit bewahren. Man ist jetzt geneigt anzunehmen, daß ihre Neigung, an Tuberkulose zu erkranken, davon herrührt, daß sie seit der ersten Kindheit in einzelnen tuberkulös erkrankten Organen, z. B. in erkrankten Lymphdrüsen, besonders reichliche Mengen von Tuberkelbazillen mit sich herumtragen, die gelegentlich in die Lunge geraten und hier die Schwindsucht hervorrufen können.

Im Zusammenhange mit der Vererbung muß auch die sog. Inzucht besprochen werden, d. h. die Kindererzeugung zwischen nahen Blutsverwandten. Sie ist nicht an sich schädlich. Dies lehren die Erfahrungen der Tier- und Pflanzenzüchter, die gerade durch eine vorsichtige Inzucht vorzügliche Rassen herzustellen imstande sind. Sie darf sich nur nicht in zu vielen Generationen wiederholen, sonst führt sie zur Unfruchtbarkeit. Alle Völker, welche eine bedeutende Rolle in der Geschichte gespielt haben, wie die nordische Rasse oder die Juden, sind ohne Zweifel aus einer weit getriebenen und lange fortgesetzten Inzucht hervorgegangen.

Die Gefahr der Inzucht für den Menschen liegt darin, daß nahe Verwandte häufig die gleichen Anlagen zu Bildungsfehlern und Krankheiten haben und die ungünstige Wirkung dieser Anlagen sich dann bei den Nachkommen summiert. Der Züchter schließt dies so gut als möglich aus, indem er nur tadellose Exemplare paart. Beim Menschen fehlt aber diese sorgfältige und scharfe Auslese und ließe sich vielfach auch gar nicht treffen, weil wir gar nicht jene Kenntnisse über unsere Stammbäume haben, über welche der Züchter bei seinen Tieren verfügt. Man muß daher vor Verwandtenehen dringend warnen. Daß die Natur Einrichtungen getroffen hat, namentlich bei vielen Blütenpflanzen, um die Selbstbefruchtung zu verhüten, kann uns auch als Fingerzeig dienen.

= 31 =

Wie enge Blutsverwandtschaft meistens schädlich wirkt, so ist auch die Kreuzung von Rassen, die sich zu ferne stehen, nicht günstig. Solche Ehen sind häufig auch wenig fruchtbar. So treffen in Preußen auf 100 rein christliche Ehen 454 Kinder, auf 100 rein jüdische 421, auf 100 Ehen zwischen Juden und Christen aber nur 138 bis 178 Kinder. Allerdings ist es wahrscheinlich, daß hierbei auch die sozialen Verhältnisse, d. h. die absichtliche Einschränkung der Kinderzahl eine sehr große Rolle spielt.

Die vorstehenden Erörterungen dürften genügen, um zu zeigen, welch ungeheuer ernstes Geschäft die Gattenwahl ist oder vielmehr sein sollte! Freilich dürfen wir auch nicht zu ängstlich und wählerisch sein. Völlig normal und frei von fehlerhaften oder minderwertigen Anlagen ist kein einziger Mensch. In der Regel ist auch nur ein Bruchteil der Keime, welche ein mit — selbst ernstlicheren — vererblichen Fehlern, Krankheiten oder Krankheitsanlagen behaftetes Individuum erzeugt, mit der schlimmen Erbschaft behaftet. Selbst dann ferner, wenn ein mit der krankhaften Anlage behafteter Keim an der Entstehung eines Kindes beteiligt ist, muß nicht in allen Fällen der Fehler oder die Krankheit zur Entwicklung kommen, da bei manchen Keimfehlern die krankhafte Beschaffenheit des einen Keimes durch die gesunde des anderen unwirksam gemacht, unterdrückt wird [Dominanz oder Prävalenz (Vorherrschaft) der normalen Anlage über die krankhafte; Rezession (Rücktritt) der krankhaften Anlage gegenüber der normalen], und da bei manchen krankhaften Anlagen zweckmäßige Lebensweise den wirklichen Ausbruch der Krankheit zu verhindern vermag. Durch fortgesetzte Kreuzung mit Stämmen, welche von der gleichen krankhaften Anlage frei sind, kann bei solchen Anlagen das Krankhafte dauernd verborgen gehalten und trotz dem Vorhandensein der krankhaften= 32 = Anlage in gar manchen der Nachkommen eine ganze Reihe von Generationen erzeugt werden, welche von der betreffenden Krankheit vollkommen frei ist. Nur wenn bei unzweckmäßiger Gattenwahl zwei krankhafte Anlagen gleicher Art zusammentreffen, tritt dann die ererbte krankhafte Anlage in dem betroffenen Nachkommen als Krankheit hervor. So scheint es sich glücklicherweise mit der Mehrzahl der Krankheitsanlagen des Nervensystems zu verhalten, bei denen also die richtige Kreuzung für die individuelle Gesundheit der Nachkommen von ausschlaggebender Wichtigkeit ist.

Aber nicht immer ist das Verhältnis der krankhaften zur gesunden Anlage ein solches, wie wir es soeben besprochen haben; in nicht wenigen Fällen dominiert die krankhafte Anlage über die normale, so daß alle Individuen, welche die abnorme Anlage besitzen, auch tatsächlich abnormal geraten!

Die beiden Tafeln 3 und 4 werden die Regelmäßigkeit klarmachen, mit welcher die Vererbung der einzelnen Anlagen (Erbeinheiten) von den Eltern auf die Kinder erfolgt, und die verschiedene Wirkung, welche die Vererbung einer bestimmten Anlage auf die Beschaffenheit der Kinder hat, je nachdem diese Anlage sich dominant oder rezessiv verhält. Wir können hier selbstverständlich nur die einfacher gelagerten Vererbungsweisen besprechen. Es gibt auch verwickeltere; z. B. solche, bei denen eine Mehrheit von Erbeinheiten zusammentreffen muß, damit ein Merkmal (Eigenschaft) zum Vorschein kommt.

Tafel 3.

Vererbung einer dominanten Anlage.


GRÖSSERES BILD

Auf Tafel 3 ist die Vererbung einer dominanten Anlage dargestellt. Jeder kleine rote Kreis bedeutet eine väterliche oder mütterliche Keimzelle, welche die dominante Anlage (z. B. die für Sechsfingrigkeit) be= 33 =sitzt, jeder kleine weiße eine Keimzelle, welche diese Anlage nicht besitzt. Jeder große rote Kreis bedeutet eine Person, welche die Anlage zeigt, also z. B. mehr als fünf Finger (Zehen) an einer Gliedmaße besitzt; jeder große weiße Kreis eine Person, welche die Anlage nicht zeigt, durchwegs die normale Finger-(Zehen-)Zahl aufweist. Die in die großen Kreise eingezeichneten (weißen und roten) Halbkreise bedeuten wieder die Keimzellen, welche von der betreffenden Person gebildet werden. Sind beide eingezeichneten Halbkreise rot, so heißt das, daß alle Keimzellen, welche die betreffende Person hervorbringt oder hervorbringen wird, mit der dominanten Anlage behaftet sind; sind beide Halbkreise weiß, so sind sämtliche Keimzellen frei von der Anlage; ist ein Halbkreis rot und der andere weiß, so heißt das, daß die eine Hälfte der Keimzellen dieser Person die Anlage besitzt und die andere nicht.

Die zweimal zwei kleinen Kreise in der ersten Säule bedeuten die je zwei Keimzellen, aus deren Vereinigung die Eltern hervorgegangen sind, und ebenso die Keimzellen, welche sie selbst produzieren. Wie man sieht, sind in bezug auf eine dominante Anlage sechs Fälle möglich: 1. Beide Eltern sind aus je zwei Keimzellen mit der Anlage hervorgegangen und produzieren auch wieder nur Keimzellen mit der Anlage; oder 2. der eine der Eltern ist aus zwei Keimzellen mit der Anlage hervorgegangen und der andere aus einer Keimzelle mit und einer Keimzelle ohne diese Anlage, und der erstere produziert dabei auch wieder nur Keimzellen mit der Anlage und der zweite je zur Hälfte Keimzellen mit und ohne Anlage; oder 3. der eine ist aus zwei Keimzellen mit, der andere aus zwei Keimzellen ohne die Anlage entstanden; oder 4. beide sind aus je einer Keimzelle mit und einer ohne die Anlage entstanden; oder 5. der eine aus einer Keimzelle= 34 = mit und einer Keimzelle ohne die Anlage, der andere aus zwei Keimzellen ohne die Anlage; oder endlich 6. alle Keimzellen waren frei von der Anlage, und daher sind dann auch alle neu produzierten frei davon.

In der zweiten Säule bedeuten die viermal zwei kleinen Kreise die möglichen Fälle der Kombination der von den Eltern produzierten Keimzellen. Also dort, wo die Eltern ausschließlich Keimzellen mit der Anlage hervorbringen, ist selbstverständlich nur eine Kombination möglich; dort, wo der eine der Eltern nur Keimzellen mit der Anlage, der andere zur Hälfte Keimzellen mit und Keimzellen ohne die Anlage produziert, sind zweierlei Kombinationen möglich, die mit gleicher Häufigkeit auftreten werden usw.

In den folgenden drei Säulen findet man dann die Beschaffenheit der Kinder und ihrer Keimzellen angegeben. Im Falle 1 sind alle Kinder sechsfingrig und bringen nur Keimzellen mit der Anlage dazu hervor; im Falle 6 sind alle Kinder normalfingrig und bringen auch nur normale Keimzellen hervor; im Falle 3 sind alle Kinder sechsfingrig und bringen alle zur Hälfte Keimzellen mit und zur Hälfte Keimzellen ohne die Anlage hervor usw.

Man sieht, daß bei dominanter Anlage alle Personen, welche die Anlage empfangen haben, auch diese Anlage zeigen, und daß nur solche Personen, welche die Anlage zeigen, diese Anlage vererben können.

Ganz anders liegen die Verhältnisse, wenn es sich um eine rezessive Anlage, z. B. um Taubstummheit, handelt, wie Tafel 4 lehrt. Die Zeichen bedeuten hier dasselbe wie auf Tafel 3, nur daß die kleinen roten Kreise und Halbkreise hier Keimzellen mit einer rezessiven Anlage bedeuten und die großen roten Kreise Personen, welche diese rezessive Anlage zeigen; nach der Erklärung,= 35 = welche soeben für Tafel 3 gegeben wurde, wird auch Tafel 4 sofort verständlich sein.

Tafel 4.

Vererbung einer rezessiven Anlage.


GRÖSSERES BILD

Wieder sind alle sechs möglichen Fälle der Anlagenkombination der Eltern in Betracht gezogen. Man sieht, daß hier durchaus nicht alle Personen, welche die Anlage empfangen haben, diese auch zeigen, sondern nur jene, welche die Anlage zweimal empfangen haben, und daß eine Generation existieren kann, welche selbst keine Spur der krankhaften Anlage zeigt, aber (s. Fall 3) in allen ihren Gliedern Keimzellen produziert, welche zur Hälfte die Anlage besitzen und daher beim Zusammentreffen mit einer zweiten gleichartigen Keimzelle kranke Personen hervorrufen.

Die Angabe in den Tafeln 3 und 4: „Von je 4 Kindern zeigen (zeigen nicht) die Anlage“ darf natürlich nicht wörtlich genommen werden, als ob in den Fällen 2, 4 und 5 wirklich in jeder einzelnen Gruppe von 4 Geschwistern die Verteilung der Anlagen und Eigenschaften genau nach der Regel vor sich gehen müßte. Es verhält sich hier genau so wie mit dem Satze, „daß gleichviel Knaben und Mädchen geboren werden (genau 106 Knaben auf 100 Mädchen)“. Diese Regelmäßigkeit tritt erst dann hervor, wenn eine sehr große Masse von Geburten durchgezählt wird. In den einzelnen Familien gibt es bekanntlich die größten Abweichungen davon.

Zusammenfassend wäre als vernünftige Regel für die Zulässigkeit der Kindererzeugung etwa folgendes hinzustellen: Leute mit ernsteren Bildungsfehlern, Idioten, Schwachsinnige, Irrsinnige, Epileptische, Säufer, verbrecherische Naturen, chronisch Kranke wie: an Tuberkulose Leidende, Syphilitische im primären und sekundären Stadium, dürfen sich an der Fortpflanzung nicht beteiligen. Ebenso taugen wenig zur Fortpflanzung Individuen, welche in ihrer körperlichen Entwicklung zurückgeblieben sind oder deren Ge= 36 =schlechtscharaktere mangelhaft ausgeprägt sind; also namentlich nicht Frauen mit schlecht entwickelten Brüsten und Hüften oder solche, die nicht oder von Anfang an unregelmäßig oder krankhaft menstruieren. Schlechte Entwicklung des Knochengerüstes, deutliche Zeichen früherer Rachitis (englische Krankheit) sind bei der Frau besonders deshalb bedenklich, weil dann nicht selten auch Fehler am knöchernen Becken vorhanden sind, welche das Gebären erschweren oder selbst unmöglich machen können. Schlechte Zähne lassen befürchten, daß die Frau nicht imstande sein werde, ihre Kinder zu stillen, da beide Gebrechen sehr häufig zusammen auftreten.

Glücklicherweise findet der unverdorbene Geschmack des Mannes nur solche Frauen schön und verlockend, bei denen der ganze Körper und insbesondere die Geschlechtscharaktere gut entwickelt sind und die daher auch zur Zeugung am besten geeignet erscheinen. Wer kräftige Kinder zu erhalten wünscht, suche sich überhaupt einen kräftigen, gesunden Gatten. Wer selbst nicht ganz kräftig ist, muß um so mehr trachten, eine kräftige, blühende Frau zu bekommen.

Leider täuscht aber oft der Schein; die Jugendblüte verhüllt manche Mängel. In sehr vielen Fällen ist auch die hervorragende Beschaffenheit eines Individuums („Plusvariante“) rein individuell und nicht vererblich. Ebenso können allerdings auch Schwächlichkeit oder gewisse Arten von Kränklichkeit einer Minusvariante rein individuell sein; bei guten Keimstoffen! Es ist daher unbedingt notwendig, sich nicht allein um die Beschaffenheit des zu ehelichenden Individuums selbst, sondern auch um seine Abstammung zu kümmern. Gute Abstammung gibt die beste Bürgschaft für gute Nachkommen! Viel verläßlicheren Aufschluß als die Betrachtung des einen Individuums allein gewährt die= 37 = Betrachtung der Beschaffenheit und Lebensführung seiner Eltern. Haben diese tüchtig und rechtschaffen gelebt, erfreuen sie sich eines gesunden Alters, oder sind sie nach einem gesunden Leben an zufälligen Krankheiten gestorben, welche ohne ererbte Anlage auftreten, so darf man hoffen, daß die Tochter oder der Sohn von tüchtigem und gesundem Stamme sei und daher selbst eine gute Beschaffenheit besitzen und gute Keime liefern werde. Hat die Mutter ihre Kinder gesäugt, so darf man zuversichtlicher hoffen, daß auch die Tochter dazu imstande sein werde, als wenn die Mutter dazu unvermögend war.

Man achte aber auch auf die Beschaffenheit etwa vorhandener Geschwister und darauf, an welchen Krankheiten verstorbene Geschwister zugrunde gegangen sind. Denn wir haben schon gehört, daß gewisse krankhafte Anlagen in einzelnen oder allen Individuen einer Generation verborgen bleiben, in deren Nachkommen aber wieder hervortreten können, also „latent“ (verborgen) vom Großelter auf den Enkel übertragen werden können.

Soweit es möglich ist, ziehe man daher auch Erkundigungen über die weitere Aszendenz (Ahnenschaft), über die Großeltern usw. ein. Man achte insbesondere darauf, ob etwa die gleiche Anomalie oder krankhafte Anlage in beiden Familienstämmen, dem väterlichen und dem mütterlichen, aufgetreten ist. In diesem Falle ist die Wahrscheinlichkeit besonders groß, daß das Individuum selbst erkranken oder die krankhafte Anlage auf seine Nachkommen vererben wird, auch wenn augenblicklich keine Krankheitserscheinungen an ihm wahrzunehmen sind.

Je schwerer das Leiden ist, um das es sich handelt, um so größer ist die Gefahr für die Nachkommen, um so weniger läßt es sich daher verantworten, wenn ein schwer belastetes Individuum Kinder erzeugt.

= 38 =

Ein rühmenswertes Beispiel von Entsagung haben die Mädchen von Tenna, einem Dorfe in Graubünden, gegeben. In diesem Dorfe hauste die Hämophilie durch viele Generationen und griff infolge der Inzucht immer mehr um sich. Da beschlossen die Mädchen aus den belasteten Familien, die, wie wir wissen, selbst von dieser Krankheit stets verschont bleiben, auf die Ehe zu verzichten und so die Krankheit zum Erlöschen zu bringen!

Je unbedeutender sich nach der Häufigkeit des Vorkommens und nach der Schwere der Mängel die erbliche Belastung darstellt, um so eher ist die Fortpflanzung zulässig.

Von größter Bedeutung ist es natürlich bei Vorhandensein einer vererblichen krankhaften Anlage in einer Familie, zu wissen, ob es sich um eine dominante oder um eine rezessive Anlage handelt (s. o.). Wenn ein Individuum frei ist von einer in seiner Familie vorkommenden Krankheit mit einer beim eigenen Geschlechte dominanten Anlage, dann wird es sicher nur normale Keime liefern. Dagegen wird ein Individuum, das selbst von einer Familienkrankheit mit rezessiver Anlage frei ist und frei bleibt, trotzdem krankhafte Keime liefern können. Leider ist unsere wissenschaftliche Kenntnis in dieser Hinsicht noch nicht sehr groß, so daß es als eine der wichtigsten Regeln bezeichnet werden muß, unter allen Umständen auf Kreuzung mit gesundem, d. h. mindestens von der eigenen krankhaften Familienanlage freiem Stamme zu achten. Am sichersten wäre es für die Zukunft, wenn alle Personen, in deren Aszendenz schlimme rezessive Anlagen heimisch sind, sich der Fortpflanzung gänzlich enthalten würden, gleichgültig, ob sie selbst krank sind oder nicht. Dieser Grundsatz ist aber heute, wo gewisse rezessive Anlagen, wie die Krankhaftigkeiten des Nervensystems, so häufig sind, völlig undurch= 39 =führbar. Aber die Kreuzung mit gesundem Stamm sollte bei Vorhandensein von rezessiven Krankheitsanlagen als Gewissenspflicht betrachtet werden.

Die Gatten müssen auch alles zu tun suchen, um durch entsprechende eigene Lebensweise und durch Schaffung günstiger Entwicklungs- und Lebensbedingungen für die Nachkommenschaft das Hervortreten der ererbten krankhaften Anlagen zu verhindern (s. o.).

Zu junge und zu alte oder erkrankte Personen sollen keine Kinder zeugen. Sowohl zu enge Verwandtschaft als zu große Verschiedenheit der Abstammung sind der Fortpflanzung ungünstig.

Selbst bei bester Abstammung, passendstem Alter und gesundem Aussehen der Erzeuger kann die Nachkommenschaft schlecht ausfallen. Es kommt gar nicht selten vor, daß scheinbar völlig gesunde Eltern aus gutem Stamme kranke oder schwer zu Krankheit veranlagte Kinder erzeugen. Dann ist Keimverderb im Spiele. So kommt es z. B. vor, daß aus der Ehe eines geheilten Syphilitikers Kinder hervorgehen, die eines nach dem anderen tuberkulös werden. Überaus häufig ist es, daß Leute, die Mißbrauch mit alkoholischen Getränken treiben oder getrieben haben, selbst scheinbar gesund bleiben, aber unfruchtbar sind oder überwiegend lebensschwache, mehr oder weniger verkümmerte und minderwertige, insbesondere zu Tuberkulose, zu Herz-, Nieren-, Nervenkrankheiten neigende Kinder erzeugen. Die auffallend häufige Verkümmerung der Familien der akademisch Gebildeten ist ohne Zweifel im wesentlichen die Folge der traurigen akademischen Trink- und Sexualsitten und ihrer Fortsetzung weit in die Philisterzeit hinein. Auch manche Berufsschädigungen scheinen einen sehr üblen Einfluß auf die Keime ausüben zu können, ohne daß das die Keime liefernde Individuum selbst auffällig= 40 = krank zu sein braucht. Besonders schädlich wird der Nachkommenschaft angestrengte Berufstätigkeit der Frau. Überreichliche Ernährung schadet ebenfalls — wie bei Tieren und Pflanzen nachgewiesen ist — der Erzeugung guter Keime. Vielleicht gibt es auch noch andere schädliche Einflüsse im Leben der Wohlhabenden und der Städter, welche ihre Keime verschlechtern. Sicher ist, daß die lebenskräftigsten Keime in der Regel von Individuen zu erwarten sind, die selbst vom Lande stammen oder väter- oder mütterlicherseits aus einer Familie, welche erst jüngst in die Stadt, in eine höhere Gesellschaftsklasse gelangt ist. Bei Kreuzung unter sich sterben die städtischen Familien und die Familien der höheren Stände in der Regel binnen drei Generationen aus. Dies bedeutet für das Volk im ganzen die fortgesetzte Ausmerzung seiner begabtesten Zuchtstämme und damit die Gefahr einer fortschreitenden Verschlechterung der Beschaffenheit des Durchschnittes und zunehmenden Mangels an zur Führung geeigneten Persönlichkeiten. Es muß ernstlich versucht werden, durch vernünftige Gattenwahl und vernünftige Lebensführung diesem Unheil Einhalt zu tun.

3. Kapitel.
Die Geschlechtsorgane.

Die Keime werden in besonderen Drüsen gebildet und abgesondert; die Samenkörperchen oder Spermatozoen in den beiden Hoden des Mannes, die Eier in den beiden Eierstöcken der Frau. Diese Keimdrüsen sind die wichtigsten Teile des ganzen Geschlechtsapparates; sie bestimmen den Geschlechtscharakter. Die übrigen Teile sind dazu bestimmt, die beiden Keimstoffe zusammenzubringen; bei der Frau= 41 = außerdem dazu, dem befruchteten Keime eine Stätte der Entwicklung und des Wachstums zu gewähren und der Ernährung des Neugeborenen zu dienen.

Der männliche Zeugungs- und Begattungsapparat besteht aus den Hoden, den Nebenhoden, den Samenleitern, den Samenblasen (oder Blasendrüsen), der Vorsteherdrüse, den Cowperschen Drüsen und dem Zeugungsgliede. Alle Teile bis auf Vorsteherdrüse und Zeugungsglied sind paarig.

Der weibliche Geschlechtsapparat besteht aus den beiden Eierstöcken, den beiden Eileitern, aus der Gebärmutter, der Scheide, den Bartholinischen Drüsen, den äußeren Geschlechtsteilen und den Brüsten.

Trotz aller Verschiedenheit im Baue und in der Lage — die männlichen Geschlechtsteile liegen zum größten Teile außerhalb der Leibeshöhlen, die weiblichen innerhalb — läßt sich nachweisen, daß beide Geschlechtsapparate aus einer äußerlich ursprünglich gleichartigen Anlage durch verschiedenartige Entwicklung hervorgehen.

Die Hoden mit den Nebenhoden haben die Gestalt eines von vorne und hinten etwas plattgedrückten Eies. Sie sind beim erwachsenen Manne etwa 5 cm lang, 3 cm breit und 2,5 cm dick, jeder wiegt etwa 16 g. Sie hängen am Samenstrange und sind mit mehreren häutigen Hüllen versehen. Sie stecken im Hodensacke, der durch eine Scheidewand in zwei Hälften, eine rechte und eine linke, geteilt ist. Die Lage der Scheidewand ist außen durch die Naht, die von vorne nach hinten über den Hodensack wegläuft, bezeichnet.

Bei der mikroskopischen Untersuchung läßt sich erkennen, daß der ganze Hoden aus Knäueln von langen Schläuchen besteht, in deren Wänden sich eigentümliche Drüsenzellen, die Samenmutterzellen, befinden, welche die Spermatozoen liefern. Nach ungefährer Schätzung sind diese Drüsen= 42 =schläuche des Hodens zusammen 500 bis 600 m lang. An einem Ende sind sie blind; das andere findet seine Fortsetzung zunächst im Nebenhoden, dann im Samenleiter.

Der Samenleiter bildet zusammen mit den Blut- und Lymphgefäßen und den Nerven des Hodens den Samenstrang, an dem der Hoden hängt und der im sogenannten Leistenkanale die Bauchwand durchsetzt. Im Bauchraume ziehen die Samenleiter um die Harnblase herum zum Blasengrunde, wo sie schließlich in die Harnröhre münden. Die Wand der Samenleiter wird hauptsächlich aus einer dicken Schicht von Ring- und Längsmuskeln gebildet, die sich wurmartig zusammenziehen können.

Dort, wo die Samenleiter in die Harnröhre münden, unter dem Grunde der Harnblase, liegen die zwei Blasendrüsen oder Samenblasen und die Vorsteherdrüse oder Prostata. Alle drei Drüsen sondern Flüssigkeiten ab, die zusammen mit dem Samen entleert werden und dazu dienen, den Spermatozoen ihre Bewegungsfähigkeit und dadurch ihre Befruchtungsfähigkeit zu erhalten. Die Vorsteherdrüse, welche etwa die Größe und die Gestalt einer Kastanie hat, wird von der Harnröhre, dem Abflußrohre der Harnblase, durchbohrt.

An der Harnröhre unterscheidet man drei Abschnitte. Der oberste heißt „Vorsteherteil“, weil er von der Vorsteherdrüse umschlossen ist, dann kommt der „häutige Teil“, in dessen Wand sich kräftige Ringmuskeln befinden, und endlich der Gliedteil, welcher aus dem Körper herausragt, während die beiden anderen Teile im Körper verborgen sind. Dort, wo der Gliedteil beginnt, münden in die Harnröhre noch die Ausführungsgänge zweier etwa erbsengroßer Drüsen, der Cowperschen Drüsen.

Der Gliedteil der Harnröhre ist dadurch ausgezeichnet, daß er von drei sog. Schwellkörpern umgeben ist.= 43 = Man unterscheidet zwei Schwellkörper des Gliedes und einen Schwellkörper der Harnröhre. Die drei Schwellkörper zusammen bilden das Begattungsglied oder männliche Glied. Die Schwellkörper des Gliedes liegen nebeneinander an der Ober-(Vorder-)seite des Gliedes, die Harnröhre mit ihrem Schwellkörper verläuft an ihrer Unter-(Hinter-)seite in der Längsfurche zwischen ihnen. Die Schwellkörper des Gliedes sind walzenförmige Gebilde, deren inneren Bau man sich ähnlich dem eines Badeschwammes vorstellen mag. Ein Netz- und Fachwerk aus Bindegewebe umschließt zahlreiche Hohlräume, die untereinander und mit den Schlagadern und Blutadern in offener Verbindung stehen und stets mehr oder weniger von Blut durchströmt werden. Ganz ähnlich wie die Schwellkörper des Gliedes ist auch der Schwellkörper der Harnröhre eingerichtet, welcher wie der Mantel eines Mantelrohres die Harnröhre umhüllt. Dieser Schwellkörper hat hinten, wo der häutige Teil der Harnröhre in ihn eintritt, eine Anschwellung, die sog. Zwiebel, und geht vorne in die Eichel über, welche über das vordere Ende der Schwellkörper des Gliedes kappenartig übergestülpt ist. Die sog. Zwiebel des Schwellkörpers der Harnröhre und ebenso die hinteren Enden der Schwellkörper des Gliedes sind an der Unterseite von kräftigen Muskeln umschlossen, welche willkürlich bewegt werden können. Auf der Kuppe der Eichel mündet die Harnröhre als Schlitz mit einer rechten und linken Lippe. Der Rand der Eichel ist wulstig verdickt und durch eine tiefe Furche gegen die Schwellkörper des Gliedes abgesetzt.

Im gewöhnlichen Zustande hängt das Glied schlaff nach abwärts. Wenn sich aber die Schwellkörper stärker mit Blut füllen, dann streckt sich das Glied und richtet sich auf. Es nimmt dabei bedeutend an Größe zu und wird infolge der prallen Füllung der Schwellkörper mit Blut sehr steif= 44 = und hart. Dabei entblößt sich beim Geschlechtsreifen die Eichel, die für gewöhnlich von der Vorhaut, einer Falte der leicht verschiebbaren Oberhaut des Gliedes, bedeckt ist. Die Vorhaut ist durch das Bändchen an der Unterseite des Gliedes mit der Eichel verwachsen. Zwischen Vorhaut und Eichel sammelt sich das sog. Smegma an, eine käseartig riechende, fettige Masse, welche von Drüsen am Eichelwulst abgesondert wird.

Bei der Frau entsprechen den Hoden die Eierstöcke. Sie haben eine ähnliche Gestalt wie jene, sind aber kleiner. Jeder Eierstock wiegt nur etwa 6 g. Sie bestehen aus einem Gerüstwerk, in dem Tausende (zirka 70000) von winzig kleinen Bläschen liegen, die sog. Graafschen Follikel. In den Graafschen Follikeln entwickeln sich die Eier, in jedem Follikel eines. Es werden jedoch nur etwa 400 von den vielen Tausenden während des ganzen Lebens reif. Wenn es zur Entwicklung eines Eies kommt, dann schwillt der Graafsche Follikel sehr bedeutend an, bis zu 15 mm Durchmesser. Er rückt zugleich an die Oberfläche des Eierstocks und platzt schließlich, so daß das reife Ei frei wird und in die Bauchhöhle austritt, in welche die Eierstöcke hineinragen. Das Ei wird dann durch eigentümliche Vorrichtungen in den benachbarten Eileiter (die sog. Muttertrompete), ein enges Rohr mit muskulöser Wand, hineinbefördert und in diesem der Gebärmutter zugeführt. Die Gebärmutter hat etwa die Gestalt einer vorne und hinten etwas abgeplatteten kleinen Birne. Sie ist ein enger Sack mit einer dicken Muskelwand. Man unterscheidet an ihr den Körper — der oberste dickste Teil — den Hals und den Scheidenteil. Sie ist durch Aufhängebänder am Becken befestigt und mit den Eileitern verwachsen, die oben in den Körper der Gebärmutter münden. Unten öffnet sich die Gebärmutter mit dem sog. Muttermunde gegen die Scheide. Während der Schwangerschaft, wo sich das= 45 = Kind in der Gebärmutter entwickelt, nimmt diese das 20- bis 30fache ihrer normalen Größe an.

Die Scheide ist ein häutiges Rohr mit einem oberen blinden Ende. Sie ist zur Aufnahme des männlichen Gliedes bei der Begattung bestimmt. In den oberen Teil der Vorderwand der Scheide ragt zapfenartig der Scheidenteil der Gebärmutter herein, an dem sich der Muttermund befindet. Nach unten geht die Scheide in die Schamspalte über, einen Schlitz, der von den inneren kleinen und den äußeren großen Schamlippen gebildet wird. Vorne, wo die kleinen Schamlippen verwachsen sind, befindet sich die sog. Klitoris, ein kleines zapfenartiges Gebilde, das aus einem Schwellkörper, ähnlich denen des Mannes, besteht. Im Grunde der Schamspalte, am vorderen Rande des Einganges der Scheide, mündet die Harnröhre; am hinteren Rande des Scheideneinganges münden die Ausführungsgänge der kleinen Bartholinischen Drüsen. Bei der Jungfrau befindet sich hier meist eine Schleimhautfalte, welche den Scheideneingang teilweise verschließt, das Jungfernhäutchen, das in der Regel unter geringer Blutung beim ersten Beischlafe zerreißt.

4. Kapitel.
Der Geschlechtstrieb und die angebliche hygienische Notwendigkeit des Beischlafes.

In unseren Gegenden beginnt beim Knaben etwa im 14. oder 15. Lebensjahre die sog. Pubertäts- oder Mannbarkeitsperiode, d. h. die Zeit, in welcher die männlichen Geschlechtsdrüsen erst ihre volle Reife und Ausbildung erlangen. Sie dauert mehrere Jahre. Um diese Zeit stellt= 46 = sich eine erhebliche Vergrößerung der Hoden ein, in denen jetzt erst die Bildung der Spermatozoen beginnt.[B]

Beim Mädchen beginnt die Geschlechtsreife in der Regel etwas früher. Sie ist bei diesem durch das rasche Wachstum der Eierstöcke und durch die Ausbildung reifer Eier charakterisiert. Alle 28 Tage wird in der Regel ein Ei reif und aus dem Eierstock in die Eileiter befördert. Zur Zeit dieses Vorganges tritt eine Erweiterung der Gefäße in der Schleimhautauskleidung der Gebärmutter ein. Ein Teil der Gefäße zerreißt, und Blut tritt aus ihnen aus. Das ausgetretene Blut (etwa 100–200 ccm) fließt aus den äußeren Geschlechtsteilen ab. Der Blutausfluß dauert normalerweise drei bis vier Tage (monatliche Blutung, Periode, Menstruation). Bei der gesunden Frau wiederholt sich der Vorgang der Menstruation in der geschilderten Weise vom Beginne der Geschlechtsreife bis zum Eintritte des sog. Klimakteriums oder Wechsels zwischen dem 45. bis 50. Lebensjahre. Nur solange die Frau menstruiert, ist sie befruchtungsfähig. Während der Schwangerschaft und während des Stillens setzt die Menstruation in der Regel vollständig aus.

Beim Manne findet die Samenabsonderung ununterbrochen statt. Sie hält auch in viel höheres Alter hinein an als die Bildung reifer Eier bei der Frau. Wenn sich eine gewisse Menge Samen in den Ausführungsgängen der Hoden angesammelt hat, kommt es zu freiwilliger Samenentleerung; normalerweise zur Nachtzeit: nächtliche Pollution. Ihr erstes Auftreten bezeichnet scharf den Eintritt der Pubertät.

Mit der Pubertät entwickeln sich auch die sogenannten sekundären Geschlechtscharaktere. Beim Jüng= 47 =linge wie beim Mädchen beginnen an den äußeren Geschlechtsteilen und in den Achselhöhlen, beim Manne auch an den Lippen, am Kinne und an den Backen Haare hervorzusprießen; die äußeren Geschlechtsteile, beim Manne das Glied, beim Weibe die Brustdrüse, beginnen rasch zu wachsen; der ganze Körper, namentlich das Knochen- und Muskelsystem, treten in eine Periode stärkeren Wachstums ein; auch der Kehlkopf nimmt, insbesondere beim Manne, rasch an Größe zu, was die bekannte Veränderung der Stimmlage, das Mutieren, zur Folge hat. Alle diese Veränderungen sind Folgen des Beginnes der Tätigkeit der Geschlechtsdrüsen und bleiben aus, wenn die Hoden vor Eintritt der Pubertät entfernt werden (bei Kastraten). Sie sind darauf zurückzuführen, daß die tätigen Keimdrüsen neben Samen und Ei noch andere Stoffe absondern, die ins Blut übergehen und dann auf die verschiedenen Organe des Körpers einwirken (innere Sekretion). Diese inneren Absonderungen der Geschlechtsdrüsen wirken auch auf das Zentralnervensystem ein und führen die Entwicklung des männlichen und weiblichen seelischen Geschlechtscharakters und das freiwillige Erwachen des Geschlechtstriebes herbei.

Der Geschlechtstrieb äußert sich in verschiedener Weise: als Verlangen nach geschlechtlicher Vereinigung und als Verlangen nach Nachkommenschaft. Bei noch unberührten Frauen guter Art ist meistens dieses letztere Verlangen viel stärker als das erstere.

Der Begattungstrieb äußert sich zunächst darin, daß der Anblick oder die Vorstellung einer Person des anderen Geschlechtes Freude erregt, den Wunsch nach Annäherung, nach Berührung, Umarmung, nach Gegenliebe zu erwecken vermag. Bei der unberührten Jungfrau geht das Verlangen in der Regel nicht weiter; ja, es gibt nicht wenige Frauen, die zeitlebens in Kuß und inniger Umarmung= 48 = volle Befriedigung finden würden, denen der eigentliche Begattungsakt keine besondere Lust gewährt und die den Beischlaf nur aus Verlangen nach Nachkommenschaft und aus dem Wunsche, dem geliebten Manne Freude zu bereiten, gestatten. Gerade derartige Frauen geben häufig treffliche Hausfrauen und Mütter ab.

Beim Manne aber führt die Befriedigung des Verlangens nach Berührung zum immer stärker anschwellenden Verlangen nach dem Vollzuge der Begattung, zu welcher ihn die inzwischen eingetretene Steifheit des Gliedes befähigt.

Beim Beischlafe wird das infolge der geschlechtlichen Erregung steif gewordene Glied in die Scheide hineingeschoben und in derselben hin und her bewegt. Infolge der Reibung und des dadurch bewirkten Nervenreizes kommt es zur Ausschleuderung des Samens, zur Ejakulation. Der Samen wird zuerst aus den Nebenhoden in die Samenleiter gedrückt und in diesen dann durch die erwähnten wurmartigen Zusammenziehungen ihrer Muskeln weiter bis in die Harnröhre gepreßt. Zugleich mit dem Samen werden auch die Absonderungen der Blasendrüsen und der Vorsteherdrüse in die Harnröhre ergossen. Alsbald folgen Zusammenziehung der Muskelfasern des häutigen Teiles der Harnröhre und jener Muskeln, welche die hinteren Teile der Schwellkörper umhüllen, so daß die gemischten Flüssigkeiten aus der Mündung der Harnröhre stoßweise herausgeschleudert werden. Der Schließmuskel der Harnblase hat sich gleichzeitig ebenfalls so fest als möglich zusammengezogen, so daß der Samen aus der Harnröhre nur nach vorne und nicht nach hinten in die Blase befördert werden kann.

Der abgeschleuderte Samen gelangt in die Scheide, manchmal aber durch den sich öffnenden Muttermund zum Teile unmittelbar in den Halskanal der Gebärmutter. Auf= 49 = alle Fälle gelangt ein Teil der Spermatozoen auf der Suche nach dem Ei mit der Zeit in die Gebärmutter und in die Eileiter, nicht selten bis in die Bauchhöhle. Nach ihrer Auflösung gelangen ihre Bestandteile in die Säfte des Weibes. Es ist also in der Anatomie und Physiologie begründet, wenn die Frau instinktiv zurückhaltender ist als der Mann, und wenn selbst eine tiefstehende Moral, die dem Manne keine Zügel anlegt, von ihr geschlechtliche Zurückhaltung streng fordert. Auch wenn es nicht zur Befruchtung mit allen ihren für die Frau so gewichtigen Folgen kommt, bedeutet der Beischlaf für die Frau eine unvergleichlich tiefere und nachhaltigere körperliche Einwirkung als für den Mann.

Mit Eintritt der Ejakulation sinkt das geschlechtliche Verlangen sofort auf Null herab, um erst nach einiger — allerdings sehr ungleich langer — Zeit wieder zu erwachen. Das äußere Kennzeichen dafür ist die normalerweise alsbald nach der Ejakulation eintretende vollständige Erschlaffung des Gliedes.

Auch bei der geschlechtlich stärker erregbaren oder durch das geschlechtliche Zusammenleben stärker erregbar gewordenen Frau stellt sich unmittelbar vor und während des Beischlafes eine starke Blutfüllung in den Geschlechtsteilen und infolgedessen ebenfalls ein Verlangen nach Entspannung ein. Beide Erscheinungen erlöschen erst dann vollständig, wenn eine gewisse Höhe der Wollustempfindung (geschlechtlicher Orgasmus) überschritten worden ist, ähnlich der, welche beim Manne die Ejakulation zu begleiten pflegt.

Die Befriedigung des Geschlechtstriebes durch den Beischlaf ist für gesunde, reife Menschen ohne Zweifel das Naturgemäße. Indessen ist es mit der Heranzucht einer gesunden und tüchtigen Nachkommenschaft, mit höherer Kultur und geordnetem Gesellschaftsleben überhaupt un= 50 =vereinbar, daß jeder das auftauchende Verlangen ohne weiteres befriedigt — blindlings Kinder in die Welt setzt. Die gesetzliche Ordnung des Geschlechtsverkehrs ist eine soziale Notwendigkeit. Natur und Kultur befinden sich da im Widerstreite, und jede Generation ist von neuem vor die folgenschwere Entscheidung gestellt, wie sie sich mit den einander widerstreitenden Forderungen abfinden kann und abfinden will.

Es interessiert uns daher vor allem die Frage, ob die Befriedigung des Geschlechtstriebes durch den Beischlaf eine hygienische Notwendigkeit ist; ob die Enthaltung vom Beischlaf schädlich ist, etwa wie die Nichtbefriedigung des Hungers, des Durstes, des Schlafbedürfnisses.

Muß, ganz abgesehen von der Befriedigung des Verlangens nach Beischlaf, der Samen aus dem Körper des Mannes häufig entfernt werden, wie der Harn oder der Darmkot?

Von all dem kann keine Rede sein. Der Nahrungstrieb, der Schlaftrieb dienen der Erhaltung des Individuums. Sie müssen befriedigt werden, wenn nicht das Individuum zugrunde gehen soll; der Geschlechtstrieb aber dient nur zur Erhaltung der Gattung; er sucht das Individuum rücksichtslos einem seinem individuellen Leben ganz fremden Zwecke zu unterjochen.

Der Mann ist bei uns etwa erst im 24. Jahre voll erwachsen; das Mädchen etwa erst mit 20 Jahren voll gebärfähig, da erst in diesem Alter das Wachstum seines knöchernen Beckens vollendet ist. Lange, bevor die volle körperliche Entwicklung eingetreten ist, erwacht aber schon der Trieb. Die Befriedigung des Geschlechtstriebes vor Vollendung der Entwicklung ist aber keineswegs zuträglich, wie die höhere Sterblichkeit jugendlicher Ehemänner und Ehefrauen unter 20 Jahren im Vergleiche mit ihren ledigen Altersgenossen lehrt. Ebenso zeigt sich der Ge= 51 =schlechtstrieb bei Männern gar nicht selten noch im hohen Alter, und auch hier lehrt die Erfahrung, daß seine Befriedigung überaus schädlich werden kann. Diese Tatsachen beweisen aufs klarste, wie ganz anders es sich mit dem Fortpflanzungstriebe verhält als mit dem Selbsterhaltungstriebe.

An eine Schädlichkeit der Zurückhaltung des Samens im Körper ist erst recht nicht zu denken. Der Samen ist kein schädlicher Auswurfstoff, kein Stoffwechselabfallstoff wie der Harn oder der Kot. Man hat darüber Experimente gemacht, indem man Menschen Samenflüssigkeit oder wässerige Auszüge aus Tierhoden unter die Haut gespritzt hat. Diese Einspritzungen wirken günstig. Namentlich ist es erwiesen, daß sie die Wirkung der Übung auf unsere Muskeltätigkeit erhöhen. Bekanntlich erhöhen körperliche Übungen die Leistungfähigkeit unserer Muskeln. Dies ist nun in viel höherem Grade der Fall, wenn Hodenauszug oder Samen eingespritzt wird; die Muskeln und die Muskelnerven ermüden dann viel weniger und erholen sich dann viel rascher.

Diese Experimente stehen auch im Einklang mit der uralten Erfahrung, daß höchste körperliche Leistungen nur bei vollständiger Enthaltung von jeder Art Befriedigung des Geschlechtstriebes erzielt werden können. Deshalb enthielten sich die Athleten bei den Griechen und Römern ebenso des Beischlafes, wie dies unsere heutigen Sportsleute tun, wenn sie sich auf ihre Wettkämpfe vorbereiten (trainieren). Und daß es sich auch mit den geistigen Leistungen ganz ähnlich verhält, lehren vielfache Erfahrungen von Gelehrten und Künstlern. Während der Zeit der Enthaltung wird sicherlich Samen aufgesaugt und gelangen seine Bestandteile ins Blut. Dies wirkt also — wie wir sehen — nicht schädlich, sondern günstig. Wir haben übrigens soeben erst davon gesprochen, wie die innere= 52 = Sekretion der Geschlechtsdrüsen den Körper von Mann und Frau erst zur vollen Entwicklung bringt.

Man könnte nun allerdings denken, daß die Aufsaugung von Samen nur dann nützlich ist, wenn sie eine gewisse Höhe nicht überschreitet, daß ein Zuviel davon aber schädlich werden könne. Diesem Einwande gegenüber muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Natur durch die nächtlichen Pollutionen — die etwas ganz Normales sind, wenn sie nicht allzu häufig stattfinden — schon vorgesorgt hat, daß keine übermäßigen Ansammlungen von Samenflüssigkeit stattfinden, ferner darauf, daß die Absonderung des Samens von selbst abnimmt, wenn der Geschlechtsapparat nicht benützt wird. Mit den Hoden verhält es sich in dieser Beziehung geradeso wie mit den anderen Organen. Wenn sie nicht benützt werden, erhalten sie weniger Blut zugeführt, und wenn sie weniger Blut erhalten, sinkt ihre Ernährung und ihre ganze Lebenstätigkeit. Also auch dadurch ist einem Schaden vorgebeugt.

Der Leser wird aber vielleicht sagen: „Es mag sein, daß der Samen keine schädliche Flüssigkeit ist, die entfernt werden muß; ich sehe ein, daß der Geschlechtstrieb keine Einrichtung zur Erhaltung des Individuums ist; aber was hilft es? Ist denn der Trieb nicht unüberwindlich? Und wenn er überwunden werden kann, erregt und erschöpft denn dieser beständige Kampf unser Nervensystem nicht in solcher Weise, daß dadurch die Gesundheit leidet? Das wird doch auch von Ärzten gelehrt.“

Davon, daß bei einem gesunden, normalen Manne das Verlangen nach Beischlaf unüberwindlich ist, so daß es befriedigt werden müßte, kann keine Rede sein. Es ist unleugbar, daß manchem geschlechtsreifen Manne der nicht befriedigte Trieb erhebliche Beunruhigungen schafft, und daß es ihm zeitweise große Anstrengungen kosten kann, ihn im Zaume zu halten. Bei den meisten Männern ist der= 53 = Geschlechtstrieb aber gar nicht so stark, als manchmal behauptet wird, und bei jedem Manne hängt die Stärke seiner Regungen in hohem Maße von seiner Lebensweise und von seinem ganzen Verhalten ab. Wenn wir unsere Vernunft und unseren Willen gebrauchen wollten, würde es der ungeheuren Mehrheit der gesunden Männer nicht allzu schwer werden, sich des geschlechtlichen Verkehrs zu enthalten und sich auch bei mangelnder geschlechtlicher Befriedigung von stärkerer Belästigung und Störung des Wohlbefinden freizuhalten. Um darüber klar zu werden, müssen wir zunächst genauer betrachten, wie die geschlechtliche Erregung zustande kommt.

Auch der leidenschaftlichste Mann ist nicht immer sexuell erregt. Die geschlechtliche Erregung tritt stets nur zeitweise, in der Regel nur auf äußere Anstöße hin, ein und läßt von selbst nach einer gewissen Dauer wieder nach, wenn der äußere Anlaß zu wirken aufgehört hat. Von dem Zustande, in dem sich die Hoden befinden, namentlich von ihrer Blutfülle und der Füllung ihrer Ausführungsgänge mit Samen, hängt der Grad der Erregbarkeit ab, d. h. ob schwächere oder stärkere Einwirkungen erforderlich sind, damit die geschlechtliche Erregung wirklich eintritt.

Die Erregung kann zunächst durch örtliche Reizung der Empfindungsnerven veranlaßt werden. Von den Geschlechtsteilen, insbesondere vom Gliede, laufen Empfindungsnerven zum Rückenmarke. Werden sie, z. B. durch Berührung des Gliedes, erregt, so leiten sie diese Erregung zum Rückenmarke fort, wo sie unmittelbar auf Nerven übergeht, die wieder zum Gliede zurücklaufen, und zwar zu seinen Blutgefäßen. Die Erregung dieser Nerven hat zur Folge, daß den Schwellkörpern des Gliedes reichlicher Blut zugeführt wird, während gleichzeitig der Abfluß des Blutes aus ihnen erschwert wird. Das Blut häuft sich also im Gliede an; diesem schwillt an, richtet sich auf und wird= 54 = steif. Dieser Vorgang der Erektion (Aufrichtung) kann völlig unabhängig von unserem Bewußtsein verlaufen, kann ein reiner Reflexvorgang sein — wie wir zu sagen pflegen. Er kann auch ohne jede Wollustempfindung stattfinden, wie z. B. bei ganz jungen Knaben bei Harndrang. Bei älteren Knaben aber erwecken die Erregungen, die von den sensiblen Nerven der Geschlechtsteile zum Rückenmark und zum Gehirne weitergeleitet werden, oft schon lange vor dem Eintritte der Pubertät eigentümliche Lustgefühle; beim Geschlechtsreifen erweckt die Steifheit des Gliedes außerdem Bedürfnis nach Entspannung und Verlangen nach dem Weibe. So kommen z. B. wollüstige Träume zustande, wenn während des Schlafes infolge des Reizes, den der Druck der gefüllten Blase auf die Nachbarschaft ausübt, das Glied steif geworden ist (was am häufigsten gegen Morgen eintritt, daher die Bezeichnung „Morgensteifheit“). Wie durch den Druck der gefüllten Blase kann auch durch den Druck des gefüllten Mastdarmes auf seine Nachbarschaft, durch Druck und Reibung der äußeren Geschlechtsteile seitens der Kleidung oder der übereinandergeschlagenen Beine, durch Jucken infolge von Unreinlichkeit der Haut oder von Hautausschlägen Erektion und durch diese wieder geschlechtliches Verlangen erregt werden.

Es ist ohne weiteres klar, daß man sehr vieles tun kann, um diesen Erregungen vorzubeugen. Man vermeide, abends viel zu trinken, man sorge für geregelten Stuhlgang, man trage weite Hosen und vermeide auch sonst jeden stärkeren Druck auf die Geschlechtsteile, wie durch Übereinanderschlagen der Beine oder durch schwere Bettdecken und Überbetten; man vermeide jede überflüssige Berührung der Geschlechtsteile mit der Hand, man halte durch Waschungen und Bäder die Haut rein, sorge für frühzeitige ärztliche Behandlung von Hautausschlägen usw.

Ebenso wie örtliche Erregung wollüstige Vorstellungen= 55 = hervorrufen kann, führen umgekehrt gewisse Vorstellungen zur Erregung der Geschlechtslust und zur Erektion. Wenn man derartige erregende Vorstellungen zu vermeiden sucht, kann man unendlich viel in der Beherrschung des Triebes erreichen. Aber nur allzu häufig geschieht das Gegenteil: der Geschlechtstrieb wird durch leichtfertige Gespräche, durch Lesen unzüchtiger Bücher, durch Anblick obszöner Bilder und Theatervorstellungen u. dgl. künstlich erweckt und gestachelt! Wenn der Geschlechtstrieb heute bei so vielen Knaben und unreifen Jünglingen frühzeitig zur Äußerung kommt, so ist dies nicht ein natürliches Erwachen, sondern sicherlich bei 90 von 100 die Folge von Verführung. Und dieselbe verruchte Afterkunst und Afterliteratur, die unsere Sinnlichkeit mit allen Mitteln unablässig reizt und stachelt, lehrt dann die angebliche Unüberwindlichkeit des Triebes!

Ebenso, wie wir in hohem Maße fähig sind, der geschlechtlichen Erregung vorzubeugen, so sind wir auch imstande, die eingetretene Erregung zu bändigen. Wenn so viele junge Männer dem geschlechtlichen Verlangen ohne weiteres Folge leisten und es durch unehelichen Beischlaf befriedigen, so ist dies keineswegs ein Beweis dafür, daß sie ihm folgen müssen. Sie wollen nur nicht ernstlich sich beherrschen! Weichlichkeit, Neugierde und kindischer Ehrgeiz, es den anderen gleichzutun, Betäubung des Gewissens und der Urteilskraft durch Alkohol spielen dabei eine viel größere Rolle als der Trieb selbst. Die meisten wohlerzogenen jungen Leute machen ihren ersten Besuch bei Prostituierten und holen sich ihre venerischen Erkrankungen in „angeheitertem“ Zustande, wenn sie nicht mehr fähig sind, die Folgen ihres Tuns klar zu überblicken.

Vom Gehirne gehen nicht allein Erregungen des Geschlechtsapparates aus, sondern auch Hemmungen des Reflexvorganges der Erektion. Diese Hemmungen kommen häufig von selbst, ganz unwillkürlich zustande. So ist z. B.= 56 = bekannt, daß Schrecken, Schmerz und andere heftige Empfindungen, daß lebhaft auftauchende Vorstellungen überhaupt, welche die Aufmerksamkeit ablenken, ganz plötzlich Erlöschen des Verlangens und Erschlaffen des Gliedes herbeiführen können. Intensive geistige Beschäftigung pflegt die Erregungen, die von den Geschlechtsorganen ausgehen, von vornherein zu übertönen. Wir können nun auch willkürlich solche Vorstellungen erwecken, welche die Erregung hemmen, z. B. die Vorstellung von unseren Pflichten oder von den Gefahren, welche die Befriedigung des Triebes mit sich bringt.

Nicht allein auf dem Gebiete des Geschlechtslebens, sondern allen Einwirkungen der Außenwelt gegenüber ist nur derjenige Herr seiner selbst und daher frei, der die Hemmungseinrichtungen, die in seinem Gehirne vorhanden sind, zu gebrauchen gelernt hat; diese Fähigkeit kennzeichnet den Kulturmenschen. Der andere bleibt der Sklave des Augenblicks.

Wir stehen also keineswegs machtlos da. Die wichtigste Regel aber für den, der Selbstbeherrschung üben soll und üben will, ist: Widerstehe dem Anfange!Principiis obsta!In ihrem ersten Beginne ist die einzelne geschlechtliche Erregung meist so schwach, daß sie mit leichter Mühe unterdrückt werden kann. Versäumt man aber dies Stadium oder gibt man der Empfindung nach, dann schwillt sie lawinenartig an und erfordert schließlich eine gewaltige und peinliche Willensanstrengung zu ihrer Unterdrückung.

Daß aber die Gesundheit Schaden nimmt, wenn selbst heftigere derartige Kämpfe häufiger stattfinden, kommt bei Menschen mit einem von vornherein normalen und nicht geschwächten Nervensysteme wohl kaum vor. Jene krankhaften Erscheinungen, die man gerne der Enthaltsamkeit zuschreibt, sind nicht die Folge von dieser, sondern im= 57 = Gegenteile in der Regel die Folge geschlechtlicher Ausschweifungen und Sünden. Es können aber auch nachweisbare Krankheiten des Geschlechtsapparates oder des Zentralnervensystems vorliegen. Es sind Fabeln, wenn behauptet wird, daß beim Manne Samenfluß oder schmerzhafte Entzündungen im Hoden und Nebenhoden, Samenaderbruch (Varikokele), Unfähigkeit zum Beischlaf (Impotenz), oder umgekehrt die sog. Satyriasis; beim Weibe weißer Fluß, Bleichsucht, Hysterie, Lageveränderungen und Geschwülste der Gebärmutter, die sog. Nymphomanie; bei beiden Geschlechtern Irrsinn, Neigung zum Selbstmord, zu Verbrechen aus der Nichtbefriedigung des Geschlechtstriebes durch den Beischlaf entständen.

Allerdings zeigt der Vergleich der Sterblichkeitsverhältnisse der Verheirateten und der Ledigen, daß die Mortalität der verheirateten Männer in allen Altern über 20 Jahre und die Mortalität der Ehefrauen, nachdem das Alter der größten Geburtenhäufigkeit überschritten ist, erheblich geringer ist als die der Ledigen. Aber diese geringere Sterblichkeit, ebenso wie die geringere Häufigkeit von Irrsinn, Selbstmord, Verbrechen unter ihnen kann schon deshalb nicht auf die Befriedigung des Geschlechtstriebes bei den Verheirateten bezogen werden, weil die Ledigen leider zum großen Teile durchaus nicht Personen sind, die den Trieb nicht durch Beischlaf befriedigen. Die geringere Sterblichkeit der Verheirateten beruht zum Teile darauf, daß beim Abschlusse der Ehe auch heute schon eine gewisse Auslese stattfindet und körperlich elende, kranke oder verkümmerte Individuen, Idioten, Irrsinnige, Blinde, Lahme usw., in der Regel nicht geehelicht werden. Hauptsächlich aber beruht sie darauf, daß die Verheirateten in der Regel ein geordneteres Leben führen, weniger Alkoholmißbrauch treiben und viel weniger der Gefahr der Geschlechtskrankheiten ausgesetzt sind. Wie gering die Rolle ist, welche die= 58 = Befriedigung des Geschlechtstriebes durch den Beischlaf dabei spielt, geht daraus hervor, daß Mönche und Nonnen trotz der Ungunst mancher ihrer Lebensbedingungen im allgemeinen keine wesentlich höhere Sterblichkeit aufweisen als ihre Altersgenossen unter den Laien.

Leichtere Störungen und Unbehaglichkeiten, wie unruhiger Schlaf infolge von Erektionen, häufigere Pollutionen, Kopfschmerzen und eine gewisse nervöse Aufregung infolge von Blutfülle, lassen sich durch die früher besprochenen Maßregeln, ferner durch Enthaltung von alkoholischen Getränken und stark gewürzten Speisen, kühles, nicht zu weiches Bett, kalte Waschungen und Bäder, ferner insbesondere durch intensive Pflege von körperlichen Übungen bis zu deutlicher Ermüdung in der Regel leicht vermeiden oder beseitigen. Je beharrlicher alles vermieden wird, was den Geschlechtstrieb erregen könnte, um so leichter fällt im allgemeinen die Enthaltsamkeit, da — wie wir schon besprochen haben — die Hoden bei Nichtgebrauch des Geschlechtsapparates ihre Tätigkeit einschränken.

5. Kapitel.
Folgen der geschlechtlichen Unmäßigkeit und Regeln für den ehelichen Geschlechtsverkehr.

Während kaum irgend etwas Sicheres von schädlichen Folgen der Enthaltsamkeit vom Beischlaf für Menschen mit gesundem Nervensystem bekannt ist, steht es fest, daß geschlechtliche Unmäßigkeit sehr häufig schadet. Besonders häufig leidet beim Manne das Nervensystem darunter, was leicht begreiflich ist, wenn man die heftige= 59 = Erregung bedenkt, unter welcher sich der Beischlaf vollzieht.[C] Schon deshalb darf also auch in der Ehe der Geschlechtstrieb nicht zügellos befriedigt werden.

Auch in jenen Perioden der Ehe, während deren der Beischlaf erlaubt ist, darf er nicht zu häufig ausgeübt werden. Viele alte Gesetzgeber haben darüber Vorschriften gegeben: Zoroaster erlaubte ihn alle neun Tage, Solon dreimal im Monate, Mohammed einmal wöchentlich. Eine uralte deutsche Regel, die auch ich früher fälschlich Luther zugeschrieben habe, lautet:

„Alle Wochen zwier
Schadet weder ihr noch mir,
Macht im Jahr hundertundvier“,

wobei allerdings auf die Menstruation vergessen wurde. Es ist nicht möglich, eine feste Regel aufzustellen. Wie oft der Beischlaf ausgeübt werden kann, ohne daß es schadet, hängt nämlich in hohem Maße von der persönlichen Anlage, vom Alter, der Ernährung und der Arbeitsleistung des Mannes ab. Stark geistig Arbeitende müssen in der Regel mäßig sein. Wer auf die Winke der Natur achtet, wird leicht selbst das zuträgliche Maß finden. Wenn lebhaftes Verlangen nach dem Beischlaf besteht, die Erektion rasch und kräftig eintritt, wenn nach vollzogenem Beischlaf eine angenehme Müdigkeit empfunden wird, die nach kurzer Ruhe dem Gefühle voller Frische Platz macht, tiefer und ruhiger Schlaf nachfolgt, so ist nicht zuviel geschehen, auch wenn die obige alte Regel weit überschritten wird.= 60 = Dagegen lasse man sich durch träge Erektionen, durch das Gefühl von Ermüdung und Unlust, Gefühl von Druck in der Kreuzgegend, Aufgeregtheit und Schlaflosigkeit hinterher warnen. Der Satz: „Jedes Tier ist nach dem Beischlafe traurig,“ gilt nur für Kranke und Unmäßige.

Was die beste Tageszeit für die Vornahme des Beischlafes anbelangt, so bevorzugen die einen die Zeit unmittelbar nach dem Zubettlegen, wobei dann die ganze Nacht der Erholung dient, die anderen die Zeit unmittelbar nach dem Erwachen, wenn die Gatten völlig ausgeruht und frisch sind. Im letzteren Falle ist es aber ratsam, sich nach Vollendung des Beischlafs noch eine kurze Ruhezeit und ein Schläfchen zu gönnen. Überhaupt wird der Beischlaf am zuträglichsten sein, wenn er in voller Bequemlichkeit und Ungestörtheit, frei von Sorgen oder Gewissensbissen, vollzogen wird. Der eheliche Geschlechtsverkehr ist deshalb viel zuträglicher als der außereheliche. Am zweckmäßigsten ist die Rückenlage der Frau mit gespreizten Schenkeln unter dem Manne. Diese Lage ist schon durch den Bau der Geschlechtsteile als die natürliche vorgezeichnet. Andere Stellungen ermüden stärker. Bei Lage des Mannes unten und der Frau oben sinkt die Gebärmutter zu sehr nach unten, sie wird schädlichen Erschütterungen ausgesetzt und an ihren Bändern gezerrt. Die Frau empfindet dann häufig hinterher Schmerzen, ja, es kann zu Entzündungen im Innern kommen. Jede Künstelei ist überhaupt zu vermeiden, insbesondere die willkürliche Verzögerung der Samenausschleuderung, um die Dauer der Wollustempfindung zu verlängern. Dagegen ist es für die physische und psychische Gesundheit der Frau und für das Glück der Ehe sehr wichtig, daß auch die geschlechtliche Erregung der Frau durch den Eintritt des Orgasmus beim Geschlechtsakt voll befriedigt und gelöst wird.

= 61 =

Man darf nie vergessen, daß die Ehe weder wegen des wirtschaftlichen Nutzens allein noch wegen der seelischen Freuden, die sie mit sich führt, sondern im wesentlichen um des physischen Zweckes willen, behufs regelmäßiger Befriedigung des geschlechtlichen Bedürfnisse geschlossen wird. Dies muß mit Nachdruck betont werden. Die verstiegene Sentimentalität und der fleischlose Intellektualismus sind ebensowenig imstande, eine befriedigende Ordnung in das Verhältnis von Mann und Weib zu bringen, als der brutale Sensualismus. Wohl niemals würden es zwei Menschen auf die Dauer ertragen, in der Weise von Ehegatten miteinander verkettet zu sein, wenn sie nicht dabei die physische Befriedigung ihres Geschlechtstriebes suchen und finden würden. Auch bei solchen Frauen, welche mit noch schlummerndem Geschlechtstriebe in die Ehe eingetreten sind, wird er durch die Ehe notwendigerweise geweckt. Erregung von Wollustempfindungen durch geschlechtliche Handlungen ohne nachfolgende vollständige Befriedigung aber wirkt schädlicher und verstimmt mehr als völlige Enthaltung vom geschlechtlichen Verkehr. Der kluge und rücksichtsvolle Gatte wird sich daher nicht allein um seine eigene Befriedigung kümmern, sondern auch auf die seiner Frau bedacht sein. Mit einer Frau, die nur langsam in höhere Grade geschlechtlicher Erregung gerät, wird er den Beischlaf erst dann beginnen, wenn auch bei ihr starke Erregung eingetreten ist; etwa infolge fortgesetzter Liebkosungen.

Je einfacher man in seinen Genüssen bleibt, um so gesünder. Eheleute mögen sich immer vor Augen halten, daß, je mäßiger sie im Genusse sind, um so länger der normale Beischlaf seinen Reiz für sie behält, um so länger die beiderseitige geschlechtliche Gesundheit, besonders die Leistungsfähigkeit des Mannes vorhalten wird, sie um so länger= 62 = also der ehelichen Genüsse sich erfreuen zu können hoffen dürfen. Eine gewisse zeitliche Regelmäßigkeit im Vollzuge des Beischlafes ist durchaus ratsam. Die ganze Funktion des männlichen Geschlechtsapparates richtet sich dann darauf ein, und der Beischlaf geht dann ohne schädliches Übermaß von Erregung vor sich. Selbstverständlich soll man aber nur dann beischlafen, wenn man sich vollkommen gesund und kräftig fühlt, und nur dann, wenn die Erektion sich von selbst eingestellt hat. Sie zum Zwecke des Beischlafes künstlich herbeizuführen, ist ein Mißbrauch, der sich mit der Zeit an der Gesundheit rächt. In berauschtem Zustande den Beischlaf auszuführen, ist durchaus verwerflich, weil die Gefahr besteht, daß ein in solchem Zustande erzeugtes Kind krank und schwächlich wird. Wer noch Kinder zu erzeugen die Absicht hat, sollte sich überhaupt regelmäßigen oder irgend häufigeren Genusses von alkoholischen Getränken enthalten und auch niemals ausnahmsweise ein Übermaß davon zu sich nehmen. Je besser die Gatten für Gesundheit und Kraft ihres Körpers sorgen, um so gesündere und lebensfrischere Kinder dürfen sie erwarten. Diese Fürsorge für die eigene Gesundheit, die geordnete, vernünftige Lebensführung ist eine der größten und wichtigsten Pflichten derjenigen, welche Kinder in die Welt setzen wollen.

Unmäßigkeit und Unordnung im Geschlechtsverkehre schaden hauptsächlich dem Manne. Die Frau, welche sich beim Beischlafe lediglich duldend verhält, kann in dieser Hinsicht viel mehr vertragen als er. Da die weiblichen Geschlechtsteile stets zum Vollzuge des Beischlafes bereit sind, während beim Manne erst Gliedsteife eingetreten sein muß, kann die Frau beliebig oft hintereinander den Beischlaf an sich vollziehen lassen. Wenn sie nur langsam= 63 = in Erregung gerät, bleibt sie oft nach dem ersten Beischlafe noch in starker unbefriedigter Erregung und brächte ihr erst der zweite oder dritte Vollzug die volle Höhe des Genusses. Wenn solche Frauen einmal Erfahrung gewonnen und die schamhafte Scheu abgestreift haben, suchen sie mit allen Künsten den Mann möglichst rasch nach dem Beischlaf wieder zu einem neuen zu stacheln. Es gibt Frauen von wahrhaft unersättlicher Begierde, die den Mann buchstäblich bis auf den letzten Tropfen auszusaugen vermögen. Da ihnen Jünglinge mit unabgestumpfter geschlechtlicher Reizbarkeit besonders erwünscht sind, sei der junge Mann vor solchen Frau Potiphars auf der Hut.

Die ersten Folgen der Unmäßigkeit sind Abnahme der Wollustempfindung beim Beischlafe, damit zusammenhängend Verzögerung des Eintrittes der Ejakulation, Verminderung der Kraft, mit welcher der Samen ausgeschleudert wird. Nach dem Beischlafe Gefühl der Verstimmung, der Ermüdung, der Mattigkeit in den Beinen, die länger und länger anhalten, je länger und ärger die Unmäßigkeit fortgetrieben wurde. Als weitere Folgen können auftreten: Druck in der Lendengegend, nervöse Erregbarkeit, Gefühl von Druck im Kopf, von Eingenommensein des Kopfes, gestörter Schlaf, Ohrensausen, Flimmern vor den Augen, Lichtscheu, zittriges Gefühl und wirkliches Zittern, Neigung zum Schwitzen. Es kann ferner Herzklopfen eintreten; Muskelschwäche, die sich schon in den schlaffen Mienen, in der schlaffen Haltung des geschlechtlich Ermüdeten und Erschöpften verrät; Unlust zu anhaltender, schwerer Arbeit und Unfähigkeit, sie zu leisten, Gedächtnisschwäche, Neurasthenie und Melancholie. Die Verdauungstätigkeit sinkt, die Ernährung wird schlechter; infolge davon Blutarmut und Schwächung der Widerstandskraft gegen äußere Schädlichkeiten, insbesondere gegen Infektionskeime und unter diesen wieder insbesondere gegen den Tuberkelbazillus.= 64 = Auch der Geschlechtsapparat selbst funktioniert bald noch schlechter und weist die Erscheinungen der sog. reizbaren Schwäche auf: die Erektionen verlieren an Kraft und Dauer; bei unvollkommener Erektion oder alsbald nach der Einführung des Gliedes in die Scheide tritt die Ejakulation ein, ohne daß die Höhe des Wollustgefühles erreicht wird; die Fähigkeit zum Beischlaf geht damit mehr und mehr verloren; nächtliche Pollutionen treten häufig auf und hinterlassen eine gesteigerte nervöse Erregung und Mattigkeit.

Die leichteren Störungen des Wohlbefinden gehen übrigens im allgemeinen rasch wieder vorüber, wenn Enthaltsamkeit geübt wird, wenn die Ernährung gut und die ganze sonstige Lebensweise den hygienischen Grundsätzen gemäß ist. Insbesondere erholen sich vollkommen geschlechtsreife junge Männer, die von vornherein gesund und kräftig waren, von den Torheiten der Flitterwochen bald, wenn die Vernunft die Herrschaft wiedererlangt hat. Je länger die Exzesse gedauert haben, je schwächlicher das Individuum von vornherein war, um so schwieriger tritt volle Wiederherstellung ein. Am gefährlichsten wird die geschlechtliche Unmäßigkeit unreifen oder nicht voll erwachsenen Jünglingen, sowie Männern, die sich bereits dem Greisenalter nähern; sind sie etwa von vornherein nicht ganz gesund, so können sie sich dadurch dauerndes Siechtum, ja selbst raschen Tod zuziehen.

Auch in der Ehe kommen Zeiten, in welchen vollständige Enthaltsamkeit geübt werden muß. Sie sind durch Rücksichten auf die Frau und auf die Nachkommenschaft unbedingt gefordert. Zur Zeit der Menstruation darf der Beischlaf nicht ausgeübt werden. Er verbietet sich übrigens für das feinere Empfinden von selbst durch den Zustand der weiblichen Geschlechtsteile. Während der Menstruation ist das Innere der Gebärmutter wund, der ganze Geschlechtsapparat des Weibes= 65 = gereizt und mit Blut überfüllt. Unter diesen Umständen ist, wie bei allen Wundflächen, die Gefahr vorhanden, daß eine Wundinfektion eintritt, diese dann zu Entzündungen der Gebärmutter und ihrer Anhänge führt und so die Frau auf die Dauer krank macht. Diese Gefahr wird durch das Einführen des Gliedes in die Scheide sehr gesteigert.[D] Jedenfalls muß der Beischlaf während des Blutabganges unterbleiben; noch besser ist es, ihn auch während der darauffolgenden Woche zu unterlassen, bis die Innenfläche der Gebärmutter wieder vollkommen überhäutet ist.

Bei dieser Gelegenheit sei Ehemännern der Rat erteilt, das Glied durch Waschungen immer reinzuhalten, wobei insbesondere auf die Furche hinter dem Randwulst der Eichel und auf die Falten des Bändchens zu achten ist. Ebenso soll die Frau die äußeren Geschlechtsteile, namentlich die Schamspalte, reinhalten. Sehr empfehlenswert ist es, einige Zeit nach vollzogenem Beischlaf mit Hilfe eines Irrigators und eines Mutterrohres die Scheide mit lauwarmer, reiner Kochsalzlösung (1 Kaffeelöffel Kochsalz auf 1 l Wasser) auszuspülen. Dies darf aber nicht sogleich nach dem Beischlafe geschehen, da sonst die Empfängnis verhindert werden könnte. Der Irrigator und das Mutterrohr müssen reingehalten und durch Waschen mit einer Desinfektionsflüssigkeit, z. B. mit 2 prozentiger Lysollösung (20 ccm Lysol auf 1 l Wasser), vor dem Gebrauche desinfiziert werden. Die Kochsalzlösung soll abgekocht sein. Desinfektionsmittel dürfen ihr aber nicht zugesetzt werden. Ich kenne Fälle, wo die sehnlichst gewünschte Schwängerung infolge solcher fehlerhafter Reinlichkeit ausblieb, aber sofort eintrat, als die „hygienischen“= 66 = Ausspülungen ausgesetzt wurden. Durch alle diese Maßregeln wird manchen Erkrankungen, namentlich dem sogenannten weißen Flusse, vorgebeugt, einem Katarrhe der Scheide, der der Frau wie ihrem Ehemann recht lästig werden kann.

Sehr vorsichtig muß man mit dem Beischlafe auch während der Schwangerschaft sein. Er darf nicht zu häufig und nie stürmisch ausgeführt werden. In den ersten Monaten der Schwangerschaft, namentlich bei Erstgeschwängerten, wird er am besten ganz unterlassen. Werden diese Vorschriften nicht beachtet, dann kommt es leicht zu Fehl- und Frühgeburt, durch die nicht allein das Kind verloren geht oder geschädigt wird, sondern auch die Frau dauernden Schaden nehmen kann.

Unbedingt verboten ist der Beischlaf während des Wochenbettes, wenn nicht die Frau, deren innere Geschlechtsteile arg verwundet sind, schwerer Gefahr ausgesetzt werden soll. Auch bei ganz normalem Verlaufe des Wochenbettes soll mindestens vier Wochen damit gewartet werden, und auch dann noch ist weise Beschränkung dringend anzuraten.

Mit Rücksicht auf die Frau wie auf das Kind wäre es eigentlich geboten, der Frau, die geboren hat, eine monatelange Schonzeit zu gewähren. Man muß auf das dringendste fordern, daß jede gesunde Mutter ihr Kind stillt, wenn möglich 8–9 Monate lang. Das Leben des Kindes im ersten Lebensjahre ist in hohem Grade gefährdet, wenn es nicht seine natürliche Nahrung erhält; und die üblen Folgen der künstlichen Fütterung scheinen auch noch in der späteren Lebenszeit nachzuwirken. Die Erfahrung lehrt aber, daß bei sexuell erregbaren Frauen durch Ausübung des Beischlafes, namentlich wenn er häufiger oder stürmisch unter größerer Aufregung erfolgt, die Milchabsonderung frühzeitig zum Stillstand kommen kann oder die Menstruation und damit zugleich die Befruchtungsfähig= 67 =keit trotz des Stillgeschäftes wieder eintritt. Für den Säugling wie für die Mutter ist es aber schädlich, wenn es bald zu einer neuen Schwangerschaft kommt; für den Säugling, weil dann die Milchabsonderung bald unzureichend wird und aufhört; für die Mutter, weil die Frauen durch allzu rasch aufeinanderfolgende Schwangerschaften überanstrengt werden, rasch verblühen und Neigung zu Krankheiten, insbesondere zu Tuberkulose, bekommen. Bei zu rascher Geburtenfolge werden auch meist schwächliche Kinder geboren. Rascher als etwa alle 2½ Jahre sollten die Schwangerschaften nicht aufeinanderfolgen, wenn die Frau bei voller Kraft und Gesundheit bleiben und einer kräftigen Nachkommenschaft das Leben schenken soll.

6. Kapitel.
Künstliche Verhinderung der Befruchtung.

Die Natur hat uns nicht allein das Verlangen nach Begattung eingepflanzt, sondern auch den Wunsch, Nachkommen zu erzeugen und großzuziehen. Bei der Frau, deren natürliche Lebensaufgabe es ist, Kinder zu tragen und zu gebären, pflegt dieser Wunsch von klein auf überaus lebhaft zu sein. Beim Manne pflegt er erst mit der Zahl der Jahre zu wachsen. Je älter der Kinderlose wird, je mehr seine persönliche Leistungfähigkeit abnimmt, um so mehr überkommt ihn ein Gefühl der Leere, der Entbehrung eines wichtigsten Lebensgutes und zugleich ein Gefühl seiner Überflüssigkeit in der Welt. Eine Ehe ohne Kinder hat ihren Hauptzweck verfehlt. Nur wer Vaterfreuden und Vaterleiden empfunden hat, hat voll ausgelebt, was das Dasein zu bieten vermag.

Ein Volk, dessen Angehörige nicht mehr die Tatkraft und den Lebensmut haben, die Last der Aufzucht von Kin= 68 =dern auf sich zu nehmen, dafür Opfer zu bringen, dafür etwas zu wagen, ein Staat, dessen Bürger die Zahl der Kinder aufs äußerste beschränken, nur um nicht zuviel Sorgen zu haben, nicht zu hart arbeiten zu müssen, um ein schlaffes Wohlleben führen oder um Besitz anhäufen zu können, sind dem Untergange geweiht. Für ein Volk von bequemen Rentnern oder von raffiniert genießenden Intellektuellen und Ästheten ist kein dauernder Platz auf der Erde. Nur derben Völkern, die nicht erst besonderer Reizmittel der Zivilisation und der Kunst bedürfen, um ihres Lebens froh zu werden, die sich kräftig vermehren und fröhlich im Gefühle des Gebrauches ihrer Kräfte für ihre Kinder sich rühren, gehört die Zukunft. Wenn wir Deutsche uns nicht kräftig vermehren, wird uns Rußland mit seiner Volksmasse binnen 100 Jahren erdrücken.

Mit Rücksicht darauf, daß ein erheblicher Bruchteil der Geborenen abstirbt, bevor das Alter der vollen Fortpflanzungsfähigkeit erreicht ist, daß nicht wenige, welche dieses Alter erreichen, doch zur Erzeugung gesunder Kinder untauglich sind, daß viele aus äußeren Gründen an der Eheschließung verhindert werden, müßte jede Ehe zwischen Gesunden heute mindestens vier Kinder tragen, wenn das ganze Volk in gesundem Blühen erhalten werden soll. Die Überhandnahme der willkürlichen Einschränkung der Kinderzahl („Zweikindersystem“, Einkind-, Keinkindehen) muß daher die größte Besorgnis für die Zukunft des deutschen Volkes erwecken. Besonders verhängnisvoll ist die zunehmende Ehelosigkeit, Verspätung der Verehelichung, absichtliche Verhinderung der Befruchtung und unzulängliche Kindererzeugung bei den besser Begabten. (S. o.) Das Ein- und Zweikindersystem ist auch deshalb schädlich, weil sich statistisch herauszustellen scheint, daß das dritte und vierte Kind der Frau im Durchschnitt am kräftigsten und besten geraten. Nebenbei hat das Kleinhalten der Familie= 69 = auch schlimme Folgen für die Kultur. Die Kinder in solchen kinderarmen Familien werden sehr häufig verzogen, zu anspruchsvollen, beständig auf ihr eigenes Wohlsein bedachten, eigensüchtigen Menschen gemacht. Das Aufziehen von ein oder zwei Kindern vermag die Frau nicht genügend zu beschäftigen. Schon in jungen Jahren, im Vollbesitze ihrer Kräfte hat sie keine ausfüllende Lebensaufgabe mehr und sucht dann — nicht selten auf bedenklichsten Wegen — Zerstreuung oder drängt sich in das Arbeitsgebiet des Mannes, auf dem sie in der Regel doch nur zu stümpern vermag. Sie schwärmt für „soziale Tätigkeit“, weil ihr die natürliche soziale Tätigkeit — die wichtigste und wertvollste von allen! —, die Erfüllung des Mutterberufes, genommen oder verkümmert worden ist.

Es gilt, das richtige Maß der Kindererzeugung zu treffen, denn blindlings darf die Vermehrung auch nicht vor sich gehen. Allerdings bietet vorläufig die Erde noch reichlich Raum für die Vermehrung der Menschheit im ganzen und kann ihr Ertrag an Nahrungsmitteln noch ums Mehrfache gesteigert werden. Wir dürfen auch hoffen, daß der Weltkrieg, der zu unserer Vernichtung führen sollte, uns einen solchen Zuwachs an Siedelungs- und Ackerland verschaffen wird, daß nicht so bald ein Mißverhältnis zwischen der Zahl der zu Nährenden und zu Pflegenden und der Menge der verfügbaren Nahrung, Wohnung und Kleidung entstehen kann. Der Krieg hat leider auch so stark unter den erwerbstätigen Männern aufgeräumt, daß es den Überlebenden nicht an reichlicher Gelegenheit zu lohnender Tätigkeit fehlen wird.

Bei jeder einzelnen Familie lassen sich aber darüber Erfahrungen machen, daß der Haushalt nur so lange gedeiht, als die Zahl der Kinder im richtigen Verhältnisse zur Größe des Einkommen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern steht, so daß die Kinder ge= 70 =nügend ernährt, mit genügender Sorgfalt gewartet, beaufsichtigt und erzogen werden können, während zugleich jedes schädliche Übermaß darin ausgeschlossen bleibt. Sind der Nachkommen zu wenige, dann werden sie leicht verwöhnt, verzärtelt und verzogen; werden der Nachkommen zu viele, dann verkommt alles. Die Frau leidet physisch unter den ungeheuren Zumutungen, welche die gehäuften Schwangerschaften und Säugungen an ihren Körper stellen, und vermag um so weniger die sich stets vermehrende Last des Haushalts zu tragen; die angeborene Kraft und Gesundheit der Kinder nimmt im Mittel vom 8. bis 9. Kinde einer Mutter an merklich ab — auch dann, wenn die Pausen zwischen den einzelnen Geburten lange genug waren —, und die schwächlichen und kränklichen, die um so größerer Sorgfalt bedürften, finden sie nicht mehr. Ordnung und Reinlichkeit sind nicht mehr aufrechtzuerhalten, die Familie verfällt und zerfällt; Krankheit und Laster räumen unter ihr auf.

Die Vernunft gebietet also, nicht mehr Kinder zu erzeugen, als man bei Arbeitslust und frischem Mut und bei einiger Gunst des Schicksals voraussichtlich ernähren und aufziehen können wird. Die Kindererzeugung muß in Schranken gehalten werden, wenn sich der Mensch von dem grausamen Zustande befreien will, der in der unvernünftigen Natur das Gleichgewicht erhält: Massentod neben Massenzeugung!

Es gibt noch andere Gründe, welche einzelne zwingen oder wenigstens zwingen sollten, auf die Erzeugung von Kindern vollständig oder zeitweise zu verzichten. Wir haben schon ausführlich von der Vererbung gesprochen, und wie in manchen Stämmen die erbliche Belastung, die Fehlerhaftigkeit des Keimplasmas derartig ist, daß keine Hoffnung auf Erzielung einer wenigstens ihrer Erscheinung nach (s. S. 31) gesunden Generation durch Kreuzung= 71 = mit gesundem Stamme besteht; eine elende, kranke Nachkommenschaft mit Bestimmtheit oder großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.

Aber auch wenn der Stamm ein guter ist, kann die Aussicht auf gesunde Nachkommenschaft schlecht sein wegen chronischer, zeitweise auch wegen akuter Krankheit der Frau oder des Mannes. Dann ist es ebenfalls Pflicht, sich der Zeugung zu enthalten. Daß die Schwangerschaften überhaupt nicht rasch aufeinanderfolgen dürfen, wenn die Güte der Kinder nicht leiden und das Selbststillen lange genug fortgesetzt werden soll, wurde schon oben erwähnt.

Ein Mann, welcher das 50. Lebensjahr überschritten hat, sollte, auch wenn er sich noch vollkommen gesund und rüstig fühlt, in der Regel keine Kinder mehr erzeugen, da die Kinder älterer Männer nicht selten schwächlich sind und da er kaum hoffen darf, so lange zu leben, bis die Kinder, erwerbsfähig geworden, seiner Unterstützung nicht mehr bedürfen.

In anderen Fällen verbietet sich eine neue Schwängerung, weil eine frühere Geburt Veränderungen im Geschlechtsapparate der Frau hinterlassen hat oder weil eine der so häufigen Frauenkrankheiten sie befallen hat, die eine neue Schwangerschaft, eine neue Entbindung zur Lebensgefahr machen.

Die Notwendigkeit, der Erzeugung von Kindern Schranken zu setzen, ist daher unbestreitbar, und mit dieser Forderung dürfte auch jeder ohne weiteres einverstanden sein. Weniger Neigung besteht aber zur Beschränkung im Geschlechtsgenusse. Man will die Erzeugung von Kindern vermeiden, aber auf den Geschlechtsgenuß nicht verzichten, und man wendet daher künstliche Mittel an, um die Befruchtung zu verhindern. Wir müssen darüber hier sprechen, weil durchaus nicht alle diese Mittel so ganz= 72 = harmlos sind, wie angepriesen wird. Wir müssen auch deshalb warnen, weil die meisten von ihnen den Zweck, dem sie dienen sollen, nur sehr unvollkommen erreichen.

Das älteste und am häufigsten angewandte Verfahren ist wohl der sog. unterbrochene Beischlaf (Coïtus interruptus). Das Glied wird vor der Ejakulation aus der Scheide herausgezogen, so daß der Samen außerhalb der weiblichen Geschlechtsteile ergossen wird. Wird dies pünktlich vollzogen und die etwa mit Samen benetzte Außenseite der Geschlechtsteile und ihre Nachbarschaft alsbald gereinigt[E], dann ist selbstverständlich die Schwängerung vollständig ausgeschlossen. Aber die Ausführung stellt an die Aufmerksamkeit und Willenskraft des Mannes eine nicht geringe Zumutung. Der Mann darf sich nicht sorglos den Wollustgefühlen überlassen und findet daher auch nicht so leicht volle Befriedigung. Die Samenentleerung findet, wenn nicht zum Schlusse manuell nachgeholfen wird, nicht mit jener Kraft statt, die sie beim normalen Akte hat und die notwendig ist, um volle Lösung der nervösen Spannung und der Blutfüllung herbeizuführen. Der Widerstreit zwischen dem Triebe und dem bewußten Willen scheint bei manchen das Nervensystem stärker anzugreifen als die Aufregung des natürlichen Beischlafes, wenn sich auch ohne Zweifel die meisten an diese Art des Vollzuges des Beischlafes allmählich völlig gewöhnen.

Auch die Frau bleibt unbefriedigt, falls der Beischlaf unterbrochen wird, bevor bei ihr der Orgasmus eingetreten ist. Wie schädlich dies nach verschiedener Richtung werden kann, wurde schon früher hervorgehoben. Es wurde aber dort auch schon angedeutet, wie sich durch geeignete= 73 = Vorbereitung erreichen läßt, daß der Gipfel der Wollustempfindung bei der Frau eintritt, bevor es beim Mann zur Ausspritzung des Samens kommt.

Ohne Zweifel wird der unterbrochene Beischlaf von sehr vielen jahrzehntelang fortgetrieben, ohne daß sie merklich Schaden nehmen. Aber früher oder später scheinen sich doch bei manchen Störungen einzustellen, und es gibt Menschen, die dadurch in einen krankhaften Zustand geraten. Als Wirkungen des unterbrochenen Beischlafes können auftreten: beim Manne Neurasthenie in den mannigfaltigsten Formen, Störungen der Erektion und Ejakulation und damit rasche Abnahme der Potenz bis zum vorzeitigen, vollständigen Erlöschen der Fähigkeit, den Beischlaf auszuführen (s. o.), Nervenschmerzen in den Genitalien, Vergrößerung und Verhärtung der Vorsteherdrüse; bei der Frau ebenfalls Neurasthenie, dann chronische Blutüberfülle der inneren Geschlechtsteile, Lockerung der Aufhängebänder der Gebärmutter, Lageveränderungen der letzteren und im Gefolge davon Hysterie. Durch Enthaltsamkeit und entsprechende ärztliche Behandlung, namentlich durch passende Wasser- oder Luftkur, können übrigens viele von diesen Störungen wieder beseitigt werden, wenn sie noch nicht einen allzu hohen Grad erreicht haben.

Viel gesundheitsschädlicher als der Coïtus interruptus dürfte die namentlich in England und Nordamerika vielfach geübte sogenannte „Male Continence“ („männliche Zurückhaltung“) sein, für welche in zahlreichen Schriften der Neo-Malthusianer Propaganda gemacht wird. Das Glied wird in die Scheide eingeführt und hier ruhig liegen gelassen, so daß es überhaupt nicht zur Ejakulation kommt. Hier wird also eine überaus starke geschlechtliche Erregung herbeigeführt und überlang aufrechterhalten, ohne daß die physiologisch erforderliche Entladung nachfolgt. Dies muß schädlich werden. In der Regel wird wohl die Befriedigung= 74 = schließlich durch Masturbation erzielt werden, wenn auch davon nicht gesprochen wird.

Alle anderen Mittel zur Verhütung der Empfängnis sollen verhindern, daß der innerhalb der Scheide entleerte Samen bis zum Ei gelangt. Hierher gehören einerseits der Kondom (Präservativ), ein Überzug aus Gummi oder aus Fischblase, der vor dem Beischlafe über das Glied gezogen und an der Wurzel des Gliedes durch einen darübergezogenen Kautschukring festgehalten und in den dann der Samen ergossen wird, andererseits Schwämmchen, Scheidenkugeln aus Fett oder Leim mit keimtötenden Stoffen, Kautschukringe mit darin ausgespannter Membran (das sog. Pessarium occlusivum), welche, vor dem Beischlafe in die Scheide eingeführt, dem Samen den Weg zur Gebärmutter versperren sollen, Einblasung von pulverigen Spermatozoengiften in die Scheide unmittelbar vor dem Beischlafe, endlich Ausspülung der Scheide unmittelbar nach demselben.

Von diesen Mitteln ist zu sagen, daß in der Praxis keines derselben volle Sicherheit gewährt. Am verläßlichsten ist der Kondom. Aber der Überzug über das Glied kann die Befruchtung nur dann verhindern, wenn er die Dehnungen und Zerrungen während des Beischlafes aushält und nicht zerreißt. Ist der Kondom dickwandig und daher fest und haltbar, dann stört er das Zustandekommen der Wollustempfindung des Mannes in beträchtlichem Maße; dies gilt besonders von den Kondoms aus Gummi, welche überdies bald brüchig werden. Ist der Kondom dagegen dünn und zart, wie die feineren Kondoms aus Fischblase, Kalbs- oder Schafsblinddarm, dann spürt man allerdings nicht viel von ihm, besonders, wenn man ihn nach dem Überziehen über das Glied mit Wasser befeuchtet, dann kann er aber während des Beischlafes leicht zerreißen.

= 75 =

Die Verstopfungen der Scheide durch Schwämmchen usw. sind viel unsicherer, wenn sie nicht von sachkundiger Hand vorgenommen werden. Außerdem stören sie die geschlechtliche Befriedigung der Frau in mehr oder minder hohem Maße und können ihr dadurch in derselben Weise schädlich werden wie der unterbrochene Beischlaf. Endlich kommt es durch die Hantierungen in der Scheide, durch den Druck der Einlagen und durch Infektion sehr leicht zu Entzündungen und Katarrhen.

Am harmlosesten für Mann und Frau sind die Ausspülungen der Scheide mit lauem Wasser oder lauer Kochsalzlösung unmittelbar nach dem in normaler Weise vollzogenen Beischlafe (s. o.). Aber dieses Verfahren ist das unsicherste von allen, da sogleich bei der Ejakulation Samen in den äußeren Muttermund und in den Halskanal der Gebärmutter eingedrungen sein kann und dieser Teil des Samens durch die nachfolgende Ausspülung nicht entfernt wird. Ich kenne mehrere Fälle, wo trotz der Ausspülungen bald Befruchtung erfolgte.

Kaum weniger unzuverlässig als die Ausspülung nach dem Beischlafe ist das Einblasen von gepulverter Borsäure und ähnlichen Stoffen vor dem Beischlafe. Sie können auch durch den chemischen Reiz, den sie ausüben, schädlich werden.

Der Leser sei also bei allen diesen künstlichen Verhinderungen der Befruchtung auf der Hut!

Er darf auch ihren schlechten Einfluß auf das sittliche Verhältnis von Mann und Frau nicht übersehen. Ein solcher wird wohl nicht eintreten in einer Ehe, die bereits mit Kindern gesegnet ist und in welcher die durch jahrelanges Zusammenleben gefestigte innige Zuneigung der Gatten zueinander das Abstoßende derartiger Praktiken verhüllt. Wird dagegen der Geschlechtsverkehr von vornherein lediglich zum Zwecke des Genusses gepflegt, so vergiftet dies die Beziehung der Gatten zueinander, und= 76 = schädigt es namentlich die Sittlichkeit der Frau. Sie betrachtet den Vollzug des Beischlafes nicht mehr, wie sie von Natur aus geneigt ist, mit Ehrfurcht als eine folgenschwere und feierliche Handlung, bei der die geheimnisvollen Urmächte des Lebens das verborgen Treibende sind, sondern lernt allmählich, daß es sich bloß um ein Vergnügen handle, das man sich bei einiger Klugheit gönnen kann, ohne verräterische Folgen fürchten zu müssen.

Ein Gatte, welcher sich nicht überhaupt seiner Frau gegenüber Zurückhaltung bezüglich der geschlechtlichen Vergnügungen auferlegt, die angeborene Schamhaftigkeit der Frau nicht schont, sondern im Gegenteile ihre Sinnlichkeit künstlich weckt und stachelt, darf sich dann über ihre gelegentliche Untreue nicht wundern und beklagen.

7. Kapitel.
Verirrungen des Geschlechtstriebes.

Ich habe nicht die Absicht, in diesem Büchelchen alle Verirrungen des Geschlechtstriebes ausführlich zu besprechen. Im allgemeinen will ich nur sagen, daß jene Verirrung, über welche in unserer Zeit so viel Lärm gemacht wird, die Neigung zum eigenen, Abneigung gegen das andere Geschlecht, nur höchst selten angeboren sein dürfte. Wo diese Neigung wirklich angeboren ist, beruht sie auf einer Mißbildung. In den allermeisten Fällen ist sie aber gar nicht angeboren, sondern zurückzuführen auf die Weise, in welcher das Individuum zum ersten Male zum Genusse von intensivsten Wollustempfindungen gekommen ist; ein Erlebnis, das bei stark sinnlichen Naturen einen ungemein tiefen Eindruck zu hinterlassen pflegt und namentlich Personen mit krankhafter psychischer Veranlagung dauernd aus der Bahn normalen Empfindens abzulenken vermag.

= 77 =

Wie sich’s übrigens verhalten möge, ob die Verirrung angeboren oder erworben ist, keineswegs dürfen Staat und Gesellschaft dulden, daß diese Personen („Homosexuelle“, „Urninge“) ihre Neigungen ungestört befriedigen, ungestört um ihre Art von Liebe werben. Denn wenn man dies zuließe, würde die Verführung bald in ungeheurem Maße um sich greifen, und wenn nicht die Zahl der Urninge, so doch die der sog. Bisexuellen bald zu einem Heere heranwachsen und eine Zeit geschlechtlicher Ausartung kommen, wie die, welche den Untergang der antiken Kultur herbeiführen half. Der gesetzliche und gesellschaftliche Gegendruck ist übrigens eine Wohltat für die Verirrten selbst. Ich kenne mehrere Fälle, wo unter diesem Druck solche zur Homosexualität Verführte wieder zu durchaus normalem Geschlechtsempfinden zurückgebracht und glückliche Gatten und Väter geworden sind.

Über eine einzige Art von abnormaler Befriedigung des Geschlechtstriebes muß ich mehr sagen: über die Masturbation oder Onanie, da dieses Übel ungemein verbreitet ist und darüber die verkehrtesten Ansichten herrschen, welche die Schäden noch vergrößern. Während die einen erklären, daß das Masturbieren ein sehr zweckmäßiges Mittel sei, sich Erleichterung zu verschaffen, wenn sich zuviel Samen angesammelt hat und der eheliche Beischlaf nicht möglich ist, und daher ebensowenig Tadel verdiene als der Gebrauch des Taschentuches oder der Klistierspritze, mit denen man auch der Natur nachhilft, sehen andere im Masturbieren das furchtbarste Übel mit den schädlichsten Folgen für die Gesundheit. Beide Meinungen sind falsch.

Beim normalen Beischlafe wird die Ejakulation durch mechanische Einwirkung der Scheide auf das Glied herbeigeführt. Es ist nicht einzusehen, warum es schädlicher sein soll, warum die nervöse Erschütterung größer sein soll,= 78 = wenn die mechanische Einwirkung auf einem anderen Wege vor sich geht als beim natürlichen Beischlaf. Mäßig getriebenes Masturbieren ist für den Geschlechtsreifen wohl ganz unschädlich, wahrscheinlich sogar weniger gefährlich als der unterbrochene Beischlaf.

Nicht in der absoluten Schädlichkeit des einzelnen Aktes liegt die Gefahr der Masturbation, sondern vor allem darin, daß, da zum Beischlafe zwei Personen notwendig sind, zur Masturbation aber nur eine, die Gelegenheit zum Masturbieren ungeheuer viel größer ist als die zum Beischlaf und damit auch die Verlockung zur Unmäßigkeit ganz ungeheuer wächst! Die Leiden, die der Arzt so häufig bei Onanisten findet, sind dieselben, wie sie nach exzessiver Unmäßigkeit im Beischlafe auftreten: also Verstimmung, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, Druck und Schmerzen in der Lendengegend, Störungen der Ernährung, Schwächung des Gedächtnisse und der übrigen geistigen Fähigkeiten, Schwäche der Willenskraft, Schwäche der Erektionen, vorzeitiger Eintritt der Ejakulation und damit Schwierigkeiten, den normalen Beischlaf auszuführen. Wenn diese Störungen so viel häufiger und ausgeprägter bei Onanisten als bei Koitierenden angetroffen werden, so liegt dies eben daran, daß der Koitus selten durch längere Zeit so unmäßig geübt wird, wie dies bei Masturbation vorkommt, und dann daran, daß die Masturbation vor allem von geschlechtsunreifen oder halbreifen Knaben und Jünglingen betrieben wird, für welche jede Betätigung des Geschlechtstriebes ungesund ist.

Es muß daher die ernsteste Sorge der Eltern und Erzieher sein, die Kinder vor diesem hygienischen Laster zu behüten. (Auch Mädchen masturbieren!)

In den allermeisten Fällen verfallen die Kinder nicht= 79 = von selbst darauf, sondern kommen durch Verführung und böses Beispiel dazu. Sorgfältige Auswahl der Spielkameraden und Gefährten und beständige Überwachung des Verkehrs der Kinder miteinander sind daher der wichtigste Schutz.

Nichts macht die Kinder der Verführung zugänglicher als die unbefriedigte Neugierde bezüglich der Herkunft der Kinder. Es ist daher im höchsten Grade töricht, die Kinder mit dem Storchenmärchen abzuspeisen, statt sie rechtzeitig in beschränktem Umfange aufzuklären. Die Zeit zwischen dem zehnten und zwölften Jahre ist dazu am besten geeignet; die Kinder haben schon genug Verständnis, während ihr Geschlechtstrieb noch nicht erwacht ist. Ohne viel Aufheben zu machen, zeige man den Kindern in der Blüte auch die Staubfäden und den Fruchtknoten mit seinen Eiern und erkläre ihnen, daß die Eier durch den Pollenstaub befruchtet werden müssen, damit neue Pflanzen daraus hervorgehen können. Wenn die Kinder Käfer oder Schmetterlinge finden oder Hunde auf der Straße sehen, die gerade in der Begattung begriffen sind, und man ihrer Frage nicht ausweichen kann, ohne ihr Mißtrauen gegen unsere Aufrichtigkeit zu erwecken, so sage man ihnen kaltblütig, ohne Verlegenheit oder verdächtiges Schmunzeln, mit kurzen Worten, daß dies geschehe, damit das Weibchen Eier lege bzw. Junge bekomme; ohne die geringste Andeutung, daß dies für die Tiere mit Lustgefühlen verbunden ist! Bei einigem Geschicke läßt sich dies so machen, daß das Kind von selbst den erforderlichen Analogieschluß zieht, ohne daß seine Phantasie ungebührlich erregt wird. Sollte das Kind fragen, ob es beim Menschen ebenso sei, so antworte man ohne Zögern trocken mit Ja, schneide aber weitere Fragen mit einem:= 80 = „Das kannst du noch nicht verstehen!“ ab. Schon dem ganz kleinen Kinde, das fragt, sage man, daß es von seiner lieben Mutter unter Schmerzen geboren worden sei. Man wird davon nur günstige Wirkungen sehen. Dagegen hüte man sich, mit der Aufklärung vorzeitig zu weit zu gehen und dadurch erst Aufmerksamkeit und Phantasie des Kindes auf das Geschlechtliche zu lenken.

Von frühester Jugend auf muß darauf geachtet werden, daß das Kind nicht die üble Gewohnheit annimmt, seine Geschlechtsteile anzufassen, das Glied zwischen den Schenkeln zu drücken und ähnliches. Lange vor Erwachen des Geschlechtstriebes können sich, wie wir gehört haben, Erektionen und Lustempfindungen einstellen, und so kann es kommen, daß manchmal Knaben von zwei und drei Jahren schon masturbieren; selbstverständlich, ohne daß es zu einer Samenergießung kommt. Wie ich aus Erfahrung weiß, kann man dem Kinde sehr leicht Sorge vor den schädlichen Folgen der Betastung der Geschlechtsteile beibringen, ohne daß man ihm deren Bestimmung auseinanderzusetzen braucht. Der Umstand, daß die Geschlechtswerkzeuge zugleich Harnwerkzeuge sind, macht es sehr bequem, dem Kinde die üblen gesundheitlichen Folgen von Hantierungen an ihnen verständlich zu machen. Diese Belehrung wird dem Kinde um so weniger auffallen, je mehr man ihm auch sonst hygienische Ratschläge gibt und es zu hygienischer Lebensweise anleitet.

Überaus wichtig ist es, den Körper der Kinder, namentlich die Geschlechtsteile, reinzuhalten — selbstverständlich, ohne sie durch zartes Reiben zu reizen —, Hautausschläge rasch behandeln zu lassen, damit nicht Jucken zur Masturbation führe. Die Körperwaschungen müssen auch benützt werden, um einen lebhaften Ekel gegen alles Unreine, alle unreinen Berührungen usw. anzuerziehen.= 81 = Dieser Ekel wird zu einem nicht zu unterschätzenden Schutzmittel sowohl gegen widernatürliche Hantierungen als gegen den Verkehr mit den von so vielen Männern besudelten Prostituierten.

Die Kinder sollen geschlossene Hosen tragen, so daß sie die Geschlechtsteile nicht ohne weiteres mit der Hand erreichen können; andererseits sollen die Hosen weit genug sein, um nicht zu drücken und zu spannen. Man bringe die Kinder müde zu Bett, so daß sie sofort einschlafen, und lasse sie alsbald nach dem Erwachen aufstehen. Man dulde nicht, daß sie die Hände unter die Bettdecke schieben, geradesowenig als daß die Knaben mit den Händen in den Hosentaschen umhergehen und sitzen. Man sehe häufig nach, ob die Nähte der Hosentaschen nicht zerrissen sind und so nicht etwa ein verborgener Weg zu den Geschlechtsteilen eröffnet ist. Im übrigen helfen alle jene Maßregeln, die wir früher schon als Mittel zur Erleichterung der Enthaltsamkeit kennen gelernt haben, auch zur Verhütung der Masturbation.

Die wichtigsten Vorbeugungsmaßregeln, um die Kinder von sexuellen Verirrungen und späterhin von ungezügeltem Geschlechtsgenusse zurückzuhalten, sind Erziehung zu Pflichterfüllung, Selbstbeherrschung und freiwilliger Enthaltung von einzelnen Genüssen überhaupt; ohne diese werden alle anderen wenig helfen.

Ist ein Kind bereits auf das Masturbieren verfallen, so sind alle eben besprochenen Maßregeln um so strenger anzuwenden und das Kind beständig zu überwachen. Namentlich achte man auch darauf, daß es nicht zu lange auf dem Abort verweile. Übertriebene Strenge und harte Bestrafungen sind nicht am Platze. Viel nützlicher ist es, das Kind selbst zu belehren und sein Vertrauen zu gewinnen. Im übrigen lasse man sich durch die übertriebenen Schilderungen, die man nicht selten auch in ärztlichen Schriften aus früherer Zeit findet, nicht allzusehr erschrecken. Wenn die= 82 = Masturbation nicht exzessiv getrieben wird, tritt geradeso wie nach Übermaß im Beischlaf bei Enthaltsamkeit und passender Lebensweise wieder vollständige Erholung ein. Sehr schwere Gesundheitsstörungen sind überhaupt selten. Wenn man liest, daß infolge von exzessiver Masturbation Geistesstörungen, Krämpfe, Veitstanz und Epilepsie auftreten, so liegt eine Verwechslung von Ursache und Wirkung vor. Das Verhältnis ist vielmehr dies, daß zügellose Masturbation ein Zeichen einer schon bestehenden psychischen Krankhaftigkeit ist, die sich dann später zu den genannten Krankheiten ausbildet.

Eine sehr häufige Erscheinung ist, daß junge Männer, die, nachdem sie gewohnheitsmäßig masturbiert haben, in die Ehe treten, fürs erste nicht fähig sind, den Beischlaf auszuführen. Es ist dies fast immer nur die Folge ihrer Besorgnis, daß sie zum Beischlafe nicht fähig sein werden, da sie in den populären Schriften gelesen haben, daß die Masturbation zur Impotenz führe. Ihre Aufregung hemmt das Zustandekommen der Erektion. In einem solchen Falle heißt es nichts erzwingen wollen und in Geduld die gute Stunde abwarten. Sie kommt ganz bestimmt, und mit dem ersten Gelingen sind alle Schwierigkeiten überwunden.

Die Neigung zur Masturbation erlischt beim gesunden Manne meist sofort, wenn er den normalen Geschlechtsverkehr kennen gelernt hat. Dies ist der Grund dafür, daß masturbierenden jungen Männern häufig der Rat gegeben wird, Prostituierte aufzusuchen. Ich halte dies aber für eine verwerfliche Torheit, da — um von allem anderen zu schweigen — das Masturbieren für den gesunden Geschlechtsreifen eine winzige Schädlichkeit ist verglichen mit den venerischen Krankheiten, die man sich im Verkehr mit Prostituierten früher oder später fast mit Gewißheit= 83 = holt. Einen Unreifen aber frühzeitig zum Beischlafe mit Prostituierten verlocken hieße erst recht ihn völlig in die Gefahr des Verderbens stürzen.

Ich mußte die Besorgnis wegen der Schädlichkeit des Masturbierens auf das richtige Maß zurückführen, da die beständige Angst und die Verzweiflung des Masturbierenden die Schädlichkeit seines Tuns ganz wesentlich steigert. Der Jüngling möge aber darin keinen Anlaß finden, weniger energisch gegen eine etwa bei ihm vorhandene Neigung dazu anzukämpfen. Denn grade für den Jüngling ist es fast unmöglich, Maß zu halten, wenn er einmal der Verlockung erlegen ist. Und wenn ihm die strotzenden Hoden Beunruhigung schaffen, so möge er stets bedenken, daß von dieser strotzenden Fülle seiner Geschlechtsdrüsen auch das beglückende Gefühl der Lebensfreude und der Jugendkraft, sein Wagemut und seine Tatenkraft abhängen, und daß er sich des größten irdischen Glücken beraubt, wenn er sich durch Gebrauch eines elenden Surrogats bereits abgestumpft hat, bevor er zum ersten Male ein geliebtes Weib umarmt.

In der Anziehung, welche die beiden Geschlechter aufeinander ausüben, liegt der reizvolle Zauber der Jugend. Das geschlechtliche Verlangen zieht uns zu unserem Wohle unwiderstehlich in die menschliche Gemeinschaft. Derjenige, der sich selbst befriedigt, wird leicht zum vereinsamten Sonderling und Selbstling.

8. Kapitel.
Die venerischen Krankheiten und ihre Verhütung.

„Die Wollust der Kreaturen ist gemengt mit Bitterkeit.“ Der Leser dieser Blätter hat bereits die Wahrheit dieses Ausspruches vielfach bestätigt gesehen. Und noch haben wir von den schlimmsten Übeln, die der Ge= 84 =schlechtsverkehr bringen kann, gar nicht eingehender gesprochen.

Es gibt drei ansteckende Krankheiten, die hauptsächlich durch den Geschlechtsverkehr verbreitet werden und daher venerische Krankheiten genannt werden. Es sind diese der weiche Schanker, der Tripper und die Syphilis. Es ist möglich, sich mit allen drei Krankheiten auf einmal anzustecken.

Der weiche Schanker ist unter ihnen die am wenigsten gefährliche, ein Geschwür an den Geschlechtsteilen, beim Manne besonders häufig am Randwulste der Eichel, das bei frühzeitiger geeigneter Behandlung in der Regel bald heilt, ohne schlimme Folgen zu hinterlassen. Doch kann auch diese Krankheit ärger verlaufen. Insbesondere kommt es nicht selten zu Anschwellungen der Vorhaut, die so stark werden können, daß die Vorhaut nicht mehr über die Eichel vor- oder zurückgeschoben werden kann, wodurch äußerst heftige Schmerzen entstehen; ferner zu schmerzhaften und gefährlichen Vereiterungen der Lymphdrüsen in der Leistenbeuge, den sog. Bubonen. Jedes kleinste Geschwürchen, jede kleinste Abschürfung am Gliede darf übrigens schon deshalb nicht leicht genommen werden, weil es sich dabei um syphilitische Ansteckung handeln kann und der Laie dies nicht zu entscheiden vermag.

Mit großem Unrechte hält man vielfach den Tripper für eine ganz ungefährliche Krankheit. Die bakteriologischen Forschungen haben erst ins volle Licht gesetzt, wie gefährlich diese Krankheit dem Manne werden kann und ein wie schreckliches Leiden sie sehr häufig für die Frau ist.

Beim Manne tritt der Tripper als eine eiternde Entzündung der Schleimhaut des vorderen Teiles der Harnröhre auf. Er beginnt meistens am dritten Tage nach dem unreinen Beischlafe, seltener später, im Laufe der ersten oder der zweiten Woche, mit einem geringfügigen, wasser= 85 =hellen Ausflusse aus der Harnröhre, Rötung der Lippen der Harnröhre und Brennen und Kitzeln in derselben. Der Ausfluß wird bald eitrig und nimmt rasch an Menge zu. Der Tripper ist immer sehr schmerzhaft, heilt aber in der Regel leicht, wenn der Erkrankte so rasch als möglich ärztliche Hilfe sucht. In böseren Fällen aber, oder wenn die Erkrankung vernachlässigt worden ist, greift die Entzündung in der Harnröhre weiter nach hinten und von der Schleimhaut in die darunterliegenden Gewebe. Bei der Ausheilung, die dann nur schwierig und oft erst nach Monaten und Jahren vollständig wird, kommt es häufig zu Narben, die sich mit der Zeit zusammenziehen (sog. Strikturen) und durch die Beschwerden, welche sie, namentlich beim Beischlafe und beim Harnlassen, beim Reiten und Fahren, aber auch schon bei ruhigem Sitzen veranlassen, das Leben für immer verbittern können. Die Tripperentzündung kann sich aber auch noch weiter ausbreiten: auf die Cowperschen Drüsen, auf die Vorsteherdrüse, auf die Blasendrüsen („Samenblasen“), auf die Harnblase und durch die Harnleiter hinauf bis auf die Nieren. Gar nicht selten ergreift sie auch die Nebenhoden und führt dadurch zur Unfruchtbarkeit. Auch in entfernte Körpergegenden kann der Erreger des Trippers, der Gonokokkus, durch den Blut- und Lymphstrom verschleppt werden und dort Entzündungen hervorrufen. So kommen Tripperentzündungen und Eiterungen in den Gelenken vor; so können Entzündungen der Herzklappen, des Rippenfells, des Rückenmarkes entstehen; schwere Leiden, die selbst zum Tod führen können.

Noch viel gefährlicher als für den Mann ist der Tripper für die Frau. Auch bei ihr beginnt die Erkrankung in der Regel in der Harnröhre; sie verbreitet sich aber rasch weiter und ergreift zunächst hauptsächlich die Bartholinischen Drüsen und den Mutterhals. Sie hat eine große Neigung,= 86 = in das innere Genitale einzudringen. Es kommt zu Entzündungen der Gebärmutter, der Eileiter, der Eierstöcke und des diese Organe umgebenden Bindegewebes. Ist die Entzündung einmal in diese tieferen Teile eingedrungen, dann ist sie meistens unheilbar. In der Regel ist sie nicht geradezu lebensgefährlich, obwohl Fälle vorkommen, wo Bauchfellentzündung verhältnismäßig rasch zum Tode führt, und obwohl natürlich bei der Frau wie beim Manne entfernte lebenswichtige Organe ergriffen werden können. Aber stets ist die unheilbar gewordene Tripperentzündung der inneren Geschlechtsorgane ein Leiden, das der Frau durch beständige Schmerzen und Beschwerden das Leben verbittert, ihre Blüte und körperliche Leistungfähigkeit vernichtet und ihr meistens die Fähigkeit, befruchtet zu werden, raubt.

Der Trippereiter bzw. der in ihm befindliche Gonokokkus ist äußerst ansteckend. Außer durch den Beischlaf kann er auch durch die Finger, durch mit frischem Eiter beschmutzte Kleidungsstücke und Instrumente übertragen werden. Wiederholt sind auch Ansteckungen kleiner Mädchen durch Wasser in Badebecken und Badewannen, in denen Tripperkranke gebadet hatten, vorgekommen. Besonders muß betont werden, daß die Bindehaut des Auges sehr leicht mit dem Gonokokkus zu infizieren ist und die so entstehenden Augenentzündungen zu den allerbösartigsten gehören. Zu dieser Infektion der Augen kommt es besonders leicht, wenn das Kind bei der Geburt durch die Scheide und die Schamspalte der tripperkranken Mutter durchgedrückt wird. Es kommt so die berüchtigte ansteckende Augenentzündung der Neugeborenen zustande, welche in mehr als zehn Prozent der Fälle beiderseitiger Blindheit die Ursache der Erblindung ist!

Die Tripperkrankheit ist während ihrer ganzen Dauer ansteckungsfähig. Besonders= 87 = schlimm ist dabei, daß die sichtbaren Krankheitserscheinungen bei einem lange bestehenden Tripper so unbedeutend werden können, daß selbst der Arzt sie leicht übersieht. Da der chronische Tripper in der Regel keine Schmerzen verursacht, kann der Mann glauben, er sei völlig genesen, und doch die Gattin beim ersten Beischlafe anstecken!

Der Tripper ist furchtbar verbreitet. In manchen Städten bekommen nach und nach alle Männer, welche außerehelichen Beischlaf ausüben, den Tripper, und auf manchen Frauenkliniken hat man festgestellt, daß der vierte Teil aller Patientinnen daran leidet. Etwa sieben Prozent der heutigen Ehen sind wegen dieser Krankheit völlig unfruchtbar, sei es, daß der Mann, sei es, daß die Frau zeugungsunfähig geworden ist! Und weitere etwa sieben Prozent bringen es nur zu einem Kinde, weil der Mann seine Frau zugleich mit der ersten Schwängerung tripperkrank gemacht hat!

Noch schlimmer als der Tripper ist die dritte venerische Krankheit, die durch die Spirochaete pallida erzeugte Syphilis, da sie den ganzen Organismus ergreift. Man unterscheidet drei Stadien der Krankheit.

Etwa vierzehn Tage bis drei Wochen nach der Ansteckung bildet sich ein derbes, rotes Knötchen, das an der Oberfläche wund oder geschwürig wird. (Primäre Syphilis, harter Schanker.) Bald stellt sich auch Schwellung der benachbarten Drüsen ein. Nicht selten sind diese Krankheitserscheinungen so unbedeutend, daß sie leicht vollständig übersehen werden.

Acht bis zehn Wochen nach Auftreten des Geschwürs kommt es zu Allgemeinerscheinungen: die Ernährung leidet, der Kranke wird nervös reizbar, unter Fieber und Kopfschmerzen bilden sich Ausschläge auf der Haut und auf den Schleimhäuten, besonders auf denen des Mundes und des Rachens; auch Knochenhautentzündungen sind sehr häufig.= 88 = Nach einiger Zeit verschwinden diese Krankheitserscheinungen. Nach einer Pause von etwa sechs Monaten kommen sie aber wieder, und dieses Verschwinden und Wiederauftreten wiederholt sich nun durch zwei bis drei Jahre alle drei bis sechs Monate. Man nennt dieses Stadium der Krankheit sekundäre Syphilis. Während der harte Schanker im Beginne ein rein örtliches Leiden ist, krankt bei der sekundären Syphilis der ganze Körper. Nach der angegebenen Zeit, also nach zwei bis drei und vier Jahren vom Beginne der Krankheit an, tritt scheinbar Genesung ein. Aber oft zeigen schwere Erkrankungen, die nach vielen Jahren auftreten, daß der Schein getrogen hat. Namentlich sind Erkrankungen des Zentralnervensystems, Geschwülste (sog. tertiäre Syphilis), Tabes (oder Rückenmarksdarre) und progressive Paralyse (oder fortschreitende Verblödung) solche späte Folgen der syphilitischen Ansteckung.[F] Überaus häufig bleibt auch nach der definitiven Genesung von der Syphilis der Organismus dauernd geschädigt und geschwächt. Insbesondere nehmen die Blutgefäße dauernden Schaden. Syphilitiker haben im Durchschnitte eine erheblich kürzere Lebensdauer als Leute, welche niemals an Syphilis erkrankt waren. Nach den Erfahrungen der Gothaer Lebensversicherungsanstalt in den Jahren 1852 bis 1905 ist die Sterblichkeit jener Versicherten, welche Syphilis durchgemacht haben, um 68 Prozent höher als jene der von Syphilis verschont gebliebenen. In der Altersklasse von 36 bis 50 Jahren beträgt die Sterblichkeit der ersteren sogar 186 Prozent von jener der letzteren, also fast das Doppelte.

Die Kranken sind sicher ansteckend während= 89 = des ganzen ersten und zweiten Stadiums und während des letzteren sowohl zur Zeit, wo Krankheitserscheinungen wahrnehmbar sind (Floreszenz), als in den Pausen (Latenz). Nach neueren Erfahrungen können sogar auch noch in späterer Zeit, wenn schon lange keine Krankheitserscheinungen mehr aufgetreten sind, Ansteckungen erfolgen.

Der Ansteckungsstoff ist vorhanden in den Absonderungen der Geschwüre und wunden, nässenden Stellen, in den abgestoßenen Oberhautschüppchen der erkrankten Hautstellen, während des sekundären Stadiums im Blute und in allen Absonderungen, besonders auch im Speichel und im Mundschleime.

Die Ansteckung erfolgt daher, wenn auch weitaus am häufigsten beim Beischlafe, so doch nicht allein dabei, sondern auch von Mund zu Mund beim Kusse oder durch gemeinsam benutzte Eß- und Trinkgeschirre, Tabakpfeifen, Musikinstrumente u. dgl., bei kleinen Verletzungen direkt auf die Finger, Hände und andere Körperstellen, von der Brustwarze der Amme auf den Säugling und umgekehrt vom Säugling auf die Amme. Auch bei kleinsten Operationen, z. B. bei der Impfung, kann durch infizierte Instrumente die Übertragung erfolgen.

Von den Eltern kann direkt schon bei der Zeugung Syphilis auf die Nachkommenschaft übertragen werden. Ein gesund erzeugtes Kind kann im Mutterleibe infiziert werden, wenn die Mutter während der Schwangerschaft syphilitisch wird. Wir haben schon davon gesprochen, sowie davon, daß die elterliche Syphilis für die Nachkommenschaft auch dann verderblich werden kann, wenn das Kind nicht angesteckt wird, indem die Schädigung des elterlichen Körpers durch das vom Krankheitserreger erzeugte Gift auch eine Schädigung der Keime zur Folge hat, so daß die Kinder lebensschwach und elend ausfallen, Entwicklungshemmungen und Bildungsfehler, Skrofulose und andere= 90 = Krankheiten der Ernährung aufweisen. Noch in der zweiten Generation kann, namentlich wenn die Frau hereditär syphilitisch ist, Neigung zu Abortus, Totgeburt und Geburt lebensschwacher Kinder vorhanden sein.

Die Gefahr für die Nachkommenschaft besteht hauptsächlich während des primären und sekundären Stadiums, in den ersten drei bis vier Jahren nach der Infektion. Nach Ablauf dieses Stadiums werden in der Regel normale Kinder erzeugt. Doch auch noch bei manchen von diesen später Erzeugten gibt sich durch mancherlei krankhafte Zustände und Anlagen die Andauer der Störung der elterlichen Keimbildung kund.

Das Überstehen der Syphilis macht für eine neue Infektion unempfänglich, es ruft, wie man zu sagen pflegt, erworbene Immunität hervor.

Auch die Syphilis ist ungeheuer verbreitet. In den verschiedenen Gebieten Mitteleuropa dürften mindestens fünf bis zehn Prozent der ganzen Bevölkerung im Laufe ihres Lebens syphilitisch infiziert werden; in den Großstädten sind es noch sehr viel mehr; in Berlin mindestens 40 Prozent der geschlechtsreifen Männer!

Es ist klar, daß unter diesen Umständen der außereheliche Geschlechtsverkehr stets gefährlich ist. Jede Frau, die bereits geschlechtlich verkehrt hat, ist verdächtig, eine venerische Krankheit durchgemacht zu haben oder noch venerisch krank zu sein, und ebenso muß die Frau jeden Mann, der bereits den Beischlaf ausgeübt hat, von vornherein als verdächtig ansehen. Die Hauptquelle der Ansteckung sind jedoch ohne Zweifel die Prostituierten (Dirnen, Huren), die gegen Bezahlung jeden zum Beischlaf zulassen. Nahezu alle erkranken früher oder später an Tripper und weichem Schanker, die meisten auch an Syphilis. Man hat in St. Petersburg konstatiert,= 91 = daß von 100 Mädchen, die das Gewerbe der Prostitution beginnen, binnen fünf Jahren 80 syphilitisch wurden. Von 100 Bordellmädchen wurden jährlich 12 bis 51 wegen Syphilis ärztlich behandelt. In Berlin erkrankten laut Erhebungen von den freilebenden Prostituierten jährlich 32 bis 82 Prozent an venerischen Krankheiten, in Budapest von den Bordellmädchen 144 bis 180 Prozent.

Man bemüht sich, durch polizeiliche Überwachung die Prostitution ungefährlich zu machen, indem man die erkrankten Prostituierten so rasch als möglich herauszufinden sucht, um sie dann abzusondern und ärztlich zu behandeln bis zur Genesung oder wenigstens bis zu dem Zeitpunkte, wo sie nicht mehr ansteckungsfähig sind.

Dieses Ziel läßt sich aber nur höchst unvollkommen erreichen. Vor allem ist es unmöglich, alle Prostituierten zur Untersuchung heranzuziehen, da die Prostitution in allen möglichen verlarvten Formen auftritt (geheime Prostitution) und auch die unverhüllte Prostitution sich den Augen der Polizei so viel als möglich zu entziehen sucht; — in den Großstädten wenigstens — zum guten Teile mit Erfolg. Je schärfer die Polizei gegen die Prostituierten vorgeht, um so hartnäckiger und erfinderischer suchen sich die Prostituierten vor ihr zu verbergen.

Ferner ist es unter Umständen ungemein schwierig, festzustellen, ob die Prostituierte krank ist oder nicht. Ein chronisch gewordener Tripper macht auch bei der Frau so geringe wahrnehmbare Erscheinungen, daß sehr häufig nur wiederholte mikroskopische Untersuchungen die Diagnose der Krankheit ermöglichen. Floride Syphilis ist zwar leicht zu erkennen, aber im latenten Stadium der sekundären Syphilis können alle Krankheitszeichen fehlen, während die Prostituierte doch infektiös ist. Sechs Siebentel aller syphilitischen Männer, die Sperk in Petersburg behandelt hat, haben sich bei latent syphilitischen Dirnen angesteckt.

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Ein Mädchen, das heute gesund befunden worden ist, kann bei der ungeheuren Häufigkeit der venerischen Krankheiten in der nächsten Stunde angesteckt werden. Sie kann schon angesteckt sein, ohne daß die Krankheitserscheinungen schon ausgebrochen sind. Aber am nächsten Tage brechen sie aus, und nun ist sie ansteckend. Ja, es sind sogar Fälle sichergestellt, wo die Dirne die Krankheit von einem Manne unmittelbar auf den nächsten Besucher übertragen hat, ohne selbst zu erkranken. Etwas von dem, was der erste Besucher gebracht hat, hat der zweite sofort wieder mitgenommen.

Hat man die Erkrankten herausgefunden, so ist es fast unmöglich, sie so lange abzusondern, bis sie nicht mehr ansteckungsfähig sind; die syphilitischen Dirnen müßten durch drei bis vier Jahre, die tripperkranken, sobald ihre inneren Organe ergriffen sind, eigentlich für immer abgeschlossen gehalten werden!

Jeder, dem Leben und Gesundheit lieb sind, jeder, der sich eine gesunde Nachkommenschaft wünscht, sollte schon dieser ungeheuren Gefahr wegen die Prostitution meiden.

Ebenso wie den größten physischen Abscheu sollte der Verkehr mit Prostituierten auch den größten moralischen Abscheu erwecken. Lust ohne Liebe ist gemein und macht gemein, und die Hingabe des Körpers gegen Geld ist die tiefste Erniedrigung der Frau. Der Mitmensch in der Frau sollte uns zu hoch stehen, als daß wir sie einfach zum Werkzeug unserer Lust herabwürdigen; das Mitleid sollte uns abhalten, dieses Gewerbe fördern zu helfen, das die ungeheure Mehrzahl der unglücklichen Frauen, die sich ihm ergeben haben, körperlich und geistig zugrunde richtet!

Wie sehr sind auch die armen Wichte selbst zu bedauern, die das Feuer ihrer ungebrochenen Jugendkraft an Wesen verschwenden, die, wie die Dirnen, zum größten Teile= 93 = von Geburt aus tiefstehende, psychisch verkrüppelte Geschöpfe sind — Vagabunden- und Verbrechernaturen ins Weibliche übersetzt! —, die auch infolge des Mißbrauchs ihrer Organe die rein physische Genußfähigkeit längst verloren haben und nur des Geschäft wegen mühsam heucheln, als ob sie beim Beischlaf noch irgendeine Wollustempfindung hätten!

Als Moralist könnte ich damit schließen; aber ich bin Arzt und fühle Erbarmen mit der menschlichen Schwäche und fühle die Verpflichtung, wenigstens physischen Schaden so viel als möglich zu verhüten, wenn ich schon den sittlichen Schaden nicht verhindern kann. Ich fühle diese Verpflichtung um so lebhafter, als die venerischen Krankheiten nicht bloß den Sünder bedrohen, der sich leichtfertig in die Gefahr stürzt, sondern auch völlig Unschuldige und das Volk in seiner Gesamtheit.

Ich will daher zunächst sagen, wie man die Gefahr, im Geschlechtsverkehr angesteckt zu werden, vermindern kann; sie mit Sicherheit auszuschließen, ist bis jetzt unmöglich!

Das weitaus beste Mittel gegen die Ansteckung, das wir heute kennen, ist der Kondom (s. S. 74); ihn beim Verkehr mit Dirnen, beim außerehelichen Beischlafe überhaupt nicht gebrauchen ist bodenloser Leichtsinn! Wenn er während des Beischlafes hält, schützt er das Glied, den am meisten gefährdeten Körperteil, gegen alle drei Infektionen, und ebenso schützt er auch die Frau vor dem angesteckten, z. B. mit chronischem Tripper behafteten Manne. Aber dünnere Fabrikate reißen leicht; billigere und schlechtere sogenannte Fischblasen sind sehr häufig von vornherein nicht völlig dicht; Gummikondoms werden bei der Aufbewahrung sehr rasch brüchig. Es wäre daher töricht, dem Kondom ganz sorglos zu vertrauen. Ferner ist zu be= 94 =denken, daß der Kondom nach dem Beischlafe an seiner Außenseite Infektionskeime tragen kann, daß man sich daher auch noch beim Abziehen desselben infizieren kann. Auch an die Nachbarschaft des Gliedes, auf den Hodensack usw., kann beim Beischlafe Infektionsstoff gekommen sein, und auch mit den Fingern kann man welchen aufgenommen haben, während das syphilitische Gift, wie wir gehört haben, an den verschiedensten Stellen der Haut und der Schleimhäute haften und durch die kleinsten Verletzungen eindringen kann. Die Benützung des Kondoms muß daher auf alle Fälle durch sorgfältige Waschung mit einer kräftigen Desinfektionsflüssigkeit, am besten mit 1 Promille Sublimatlösung (eine 1 g-Pastille auf 1 l Wasser) ergänzt werden. Mit dieser Lösung muß vor allem die Außenseite des Kondoms abgewaschen werden, bevor dieser vom Gliede abgezogen wird, dann Glied, Hodensack und ihre ganze Nachbarschaft sowie die Hände.

Viel unsicherer als der Kondom ist die Anwendung chemischer Desinfektionsmittel. Ich kann sie nur dann empfehlen, wenn kein Kondom zu haben ist. Ihre Anwendung ist aber jedenfalls viel besser als nichts! Gegen den Tripper gewähren Einträufelungen von 10- bis 20prozentigem Protargol, einer Silberverbindung, in die Harnröhre einen verhältnismäßig sicheren Schutz, wenn sie unmittelbar nach dem Beischlaf oder wenigstens so rasch als möglich — keinesfalls später als fünf Stunden danach! — vorgenommen werden. Dagegen ist es recht schwierig, durch Waschen oder Einsalben des Gliedes die Ansteckung mit Syphilis zu verhüten. Bei der deutschen Marine wird nach folgender Vorschrift verfahren: So bald als möglich nach dem Beischlaf wird das Glied, insbesondere die Eichel, die Kranzfurche und die Vorhaut, mit Benzin gründlich gereinigt. Hierauf werden in= 95 = die durch Druck mit zwei Fingern senkrecht auf den Schlitz der Eichel zum Klaffen gebrachte Harnröhrenmündung mittels einer Pipette zwei bis drei Tropfen 20 prozentiger Protargollösung eingeträufelt. Einige Tropfen werden auch auf ihre äußere Umgebung verteilt. Die Flüssigkeit muß 1 bis 2 Minuten lang in der Harnröhrenmündung stehen bleiben; so lange muß diese daher nach oben gerichtet und offengehalten werden. Hierauf wird das Glied mit 1 promilliger Sublimatlösung gewaschen, schließlich ein mit der Sublimatlösung getränkter Wattestreifen in die Eichelfurche eingelegt und dort bis zu 12 Stunden lang liegen gelassen. Die Waschung mit der Desinfektionslösung muß sehr gründlich vorgenommen werden, und man muß darauf achten, daß die ganze Oberfläche des Gliedes, die Furche um die Eichel, das Bändchen, die beiden Blätter der Vorhaut wirklich von der Desinfektionsflüssigkeit benetzt werden, und daß alle Teile etwa zwei Minuten lang unter der Wirkung der Desinfektionsflüssigkeit stehen. Dem Laien wird es nicht so leicht gelingen, alle diese Vorschriften zu erfüllen. Die Nachbarschaft des Gliedes und die Hände wäscht und desinfiziert man selbstverständlich mit. Die Waschung darf natürlich auch nicht so grob ausgeführt werden, daß dabei die zarte Oberhaut abgeschürft und dem Ansteckungsstoff geradezu eine Pforte eröffnet wird. Den Beischlaf auszuführen, wenn am Gliede auch nur die geringfügigsten Abschürfungen vorhanden sind, ist ganz besonders gefährlich und töricht.

Statt der Waschungen wird auch Einsalbung des Gliedes vor und nach dem Beischlaf angewendet. Die beste Salbe dürfte die „Neisser-Siebertsche Desinfektionssalbe“ sein, welche ebenfalls Sublimat enthält. Selbstverständlich muß auch ihre Anwendung mit= 96 = der Einträufelung von Protargol in die Harnröhre verbunden werden. Billige Schutzbestecke mit Benützungsvorschrift (20–25 Pfg. für einmalige Anwendung) sind jetzt wohl in allen Apotheken käuflich. Man verlange ausdrücklich solche mit Protargol und Neisser-Siebertscher Salbe.

Wer einen Beischlaf vollzogen hat, der unrein sein konnte, tut gut, sein Glied drei Wochen lang jeden Tag genau zu betrachten, ob er daran keine Krankheitszeichen wahrnimmt. Jede Hautabschürfung, jedes Eiterpünktchen, Knötchen oder Geschwürchen muß beachtet werden. Man untersuche besonders die Eichel und die Furche hinter ihrem Randwulste, das Bändchen und die Innenseite der Vorhaut. Sobald man irgend etwas Verdächtiges wahrnimmt, eile man sofort zum Arzte, um die verdächtigen Stellen gründlich verätzen zu lassen. Wenn dies in den ersten 24 Stunden, nachdem sich die angegebenen Erscheinungen gezeigt haben, geschieht, gelingt es nicht selten, die weitere Entwicklung des Schankers und der sekundären Syphilis abzuschneiden.

Nach Besichtigung des Gliedes streife man mit dem Finger der Unterseite der Harnröhre entlang von hinten nach vorne und beachte, ob sich auf diese Weise ein Tropfen Flüssigkeit aus der Harnröhre herausdrücken läßt. Am besten ist es, diesen Versuch am Morgen vor dem ersten Harnlassen anzustellen. Tritt ein Tropfen aus der Harnröhre heraus, so suche man ebenfalls sofort den Arzt auf, der sehr häufig imstande ist, durch energische Behandlung die Entwicklung des Trippers abzuschneiden.

Überhaupt muß jedem, der in bezug auf Geschlechtsverkehr kein reines Gewissen hat, auf das allerdringendste empfohlen werden, bei Auftreten irgendwelcher Krankheitserscheinungen nicht allein an den Geschlechtsteilen, sondern auch auf der Haut, an den Lippen, an der= 97 = Schleimhaut des Mundes und des Rachens sogleich zum Arzt zu gehen und ihm volle Wahrheit einzuschenken. Verschämtheit oder Unwahrhaftigkeit dem Arzte gegenüber wäre das Allertörichteste.

Auch wenn der Tripper, der weiche oder harte Schanker oder die sekundäre Syphilis sich schon entwickelt haben, ist volle Heilung möglich, wenn frühzeitig kräftige ärztliche Behandlung eingeleitet wird. Man befolge daher gewissenhaft die ärztlichen Verordnungen und lasse sich nicht durch törichtes Gerede von Naturheilkundigen und Kurpfuschern irremachen. Insbesondere bitte ich die Leser, mir, der ich gar nicht ärztliche Praxis ausübe, also ganz unverdächtig bin, zu glauben, daß die Behandlung der Syphilis mit Quecksilber (z. B. die sog. Schmierkur) eines der allerwirksamsten Heilverfahren ist, über das die Medizin verfügt, und daß es damit fast immer gelingt, die Syphilis wirklich zu heilen, während bei allen anderen seit längerer Zeit bekannten Heilverfahren die Gefahr der tertiären Syphilis, der Paralyse usw. viel größer ist. Die Heilung der sekundären Syphilis durch Quecksilber dauert stets sehr lange, und die Kur muß durch zwei bis drei Jahre mehrmals wiederholt werden, bis man des Erfolges sicher sein kann. Wir haben ja schon gehört, daß die Syphilis die Eigentümlichkeit hat, Pausen zu machen und nach mehreren Monaten zu rezidivieren. Der Patient darf also ja nicht die Geduld verlieren, wie dies so häufig geschieht. Vorzügliche und rasche Wirkung übt das neue von Ehrlich empfohlene Arsenpräparat „Salvarsan“ aus. Es hilft aber auch nicht in allen Fällen und ist selbst keineswegs ganz harmlos für den Körper — ebensowenig wie das Quecksilber —, so daß es höchst töricht wäre, im Vertrauen auf das Salvarsan die Gefahr der Ansteckung mit Syphilis leicht zu nehmen. Die Erfahrungen über das Salvarsan dauern noch nicht lange genug, um ein abschließendes Urteil über dieses= 98 = Heilmittel zu gestatten; es muß aber schon jetzt dem Angesteckten auf das dringendste empfohlen werden, sich so früh als möglich der Salvarsankur zu unterziehen.

Sorgt der Geschlechtskranke für sich, so muß er auch für andere sorgen. Er darf keinen Augenblick vergessen, daß er an einer ansteckenden Krankheit leidet. Jeder Geschlechtsverkehr ist ein nichtswürdiges Verbrechen, wenn man weiß, daß man geschlechtskrank ist!

Aber auch abgesehen davon muß der Geschlechtskranke vorsichtig sein. Der Tripperkranke muß darauf achten, daß er nichts von dem eitrigen Ausflusse, der das Ansteckende ist, in seine eigenen Augen bringt. Er muß seine Finger, wenn er sie damit beschmutzt haben könnte, stets sofort reinigen und desinfizieren, ebenso dafür Sorge tragen, daß alle Gegenstände, die infiziert sein können, z. B. Leibwäsche, desinfiziert werden, bevor sie anderen Leuten in die Hand kommen.

Wir haben schon gehört, daß der Tripper sehr häufig chronisch wird, daß solche langwierige Tripper in der Regel höchst unbedeutende Erscheinungen machen, daß sie aber trotzdem noch im hohen Maße ansteckend sind. Die Vorsichtsmaßregeln dürfen daher erst dann eingestellt werden, wenn durch gründliche ärztliche Untersuchung mit Hilfe des Mikroskops die volle Ausheilung bzw. das Ende der Ansteckungsfähigkeit festgestellt ist. Dies gilt insbesondere von der Ausübung des Beischlafes[G] und von dem Eingehen der Ehe. Da der chronische Tripper jahrelang fortbestehen kann, darf niemand, der an Tripper erkrankt war, heiraten, ohne daß ihm dies ein erfahrener Arzt nach gründlicher Untersuchung erlaubt hat. Wer anders handelt, ist ge= 99 =wissenlos. Tausende und Abertausende von armen Frauen werden ohne geringstes eigenes Verschulden für die Dauer ihres Lebens siech, weil sie von ihrem Gatten, vielleicht gleich in der Hochzeitsnacht, mit Tripper angesteckt werden!

Hat der Tripperkranke nur darauf zu achten, daß nichts von dem Ausflusse der Harnröhre an einen unrechten Ort gebracht wird, so muß der Syphilitische noch viel vorsichtiger sein, da alle seine Absonderungen ansteckend sind und insbesondere durch den Speichel und den Mundschleim die Krankheit leicht übertragen wird. Also während der ganzen zwei- bis dreijährigen Dauer der sekundären Syphilis nicht küssen! insbesondere nicht auf den Mund! Keine gemeinschaftliche Benützung von Eß- und Trinkgeschirr, von Tabakpfeifen, von Gerät, das, wie Musikinstrumente oder Glasbläserpfeifen, in den Mund genommen werden muß.

Wie der Tripperkranke darf auch der Syphilitische nicht heiraten bzw. nicht den Beischlaf ausüben, bevor jede Gefahr der Ansteckung der Frau und der Erzeugung kranker Kinder ausgeschlossen ist. Da dies keinesfalls vor Ablauf von vier Jahren nach erfolgter Ansteckung sicher ist, muß mit der Ehe so lange gewartet werden. Aber auch nach vier Jahren ist eine Ehe nur dann zulässig, wenn eine sorgfältige ärztliche Behandlung stattgefunden hat, und wenn mindestens seit einem Jahre nicht die geringsten Erscheinungen von Syphilis aufgetreten sind. Diese Vorschriften mögen drakonisch scheinen, sie sind aber bei der Furchtbarkeit der Folgen eines vorzeitigen Abschlusses der Ehe unbedingt geboten.

Alles dieses über die venerischen Krankheiten Gesagte möge sich nicht allein der Ehekandidat vor Augen halten, sondern auch die Frau, um die geworben wird, bzw. ihre Eltern und Vormünder. Sie sollen unbedingt verlangen,= 100 = daß der Brautwerber sein Freisein von venerischen Krankheiten durch ein ärztliches Zeugnis nachweist. Eigentlich sollte keine Ehe geschlossen werden dürfen, bevor beide Brautleute ärztlich untersucht, gesund und frei von gefährlicher erblicher Belastung befunden worden sind; zum mindesten sollte gesetzlich vorgeschrieben werden, daß die Brautleute ärztliche Untersuchungszeugnisse austauschen müssen, damit sie wissen, woran sie sind. Unendliches Unheil könnte dadurch verhütet werden! Einen gewissen Schutz gegen die Verehelichung mit Kranken wird es schon gewähren, wenn es zur allgemeinen Gewohnheit wird, was ja auch aus wirtschaftlichen Gründen dringend zu empfehlen ist, daß die Gatten bei Abschluß der Ehe ihr Leben versichern, und die Ehe unterbleibt, wenn die Versicherung versagt wird, was in der Regel auf Grund eines ungünstigen Ergebnisses der ärztlichen Untersuchung geschieht. Möge sich wenigstem dieser Gebrauch rasch einbürgern.

9. Kapitel.
Ehe oder freie Liebe.

Angesichts der Ekelhaftigkeit und Gefährlichkeit der Prostitution, wie sie soeben geschildert worden ist, werden sich gar manche versucht fühlen, in einem sog. „Verhältnis“ Befriedigung zu suchen bis zu dem Zeitpunkte, wo sie imstande sind, eine Ehe zu schließen. Sie mögen aber folgendes zu Herzen nehmen:

Volle Sicherheit vor Ansteckung würde ein solches Verhältnis nur dann bieten, wenn es mit einer Jungfrau eingegangen wird und wenn beiderseits strenge Treue bewahrt wird, denn bei der heutigen Verbreitung der Geschlechtskrankheiten ist, wie schon früher betont wurde, jeder= 101 = polygamische Verkehr in hohem Grade gefährlich. Bei einem Mädchen, das sich leichten Herzens, etwa gar gegen Entgelt in irgendwelcher, wenn auch verhüllter Form, zu einem solchen „Verhältnisse“ hergibt, darf man aber nicht auf Treue rechnen. Wenn es, wie dies so häufig der Fall ist, schon von Hand zu Hand gewandert ist, ist es kaum weniger gefährlich als die offenkundige Prostituierte. Auch davor sollte sich der von Streben nach Höherem erfüllte junge Mann scheuen, daß das Zusammenleben mit einem Mädchen, das geistig und gemütlich tief steht, das kein Verständnis für seine Ziele hat und nur triviale Vergnügungen kennt, sein eigenes Kulturniveau erniedrigen muß. Ein solches „Liebesverhältnis“ beschmutzt seelisch weit mehr als der gelegentliche Besuch bei einer Prostituierten, der den Charakter einer Notdurftsverrichtung, wie der Besuch eines öffentlichen Aborts, hat.

Der unerfahrene Jüngling lasse sich auch gesagt sein, daß für ein weibliches Wesen nichts leichter ist, als Liebe und Verlangen zu heucheln, und daß es nicht wenige niedrig denkende Weiber gibt, die mit klarer Überlegung auf den Fang von solchen Gimpeln ausgehen, die, durch den Geschlechtstrieb blind gemacht, bereit sind, der Frau, welche ihnen Liebe heuchelt und die letzte Gunst gewährt, Geld und Arbeitskraft zu opfern, ihr die Sorge um den Lebensunterhalt wenigstens für einige Zeit, wenn nicht für immer abzunehmen, ihre Luxusbedürfnisse und Launen zu befriedigen. Gar mancher Harmlose meint zu erobern, während er wehrlos gefangen wird. Die Frau, die im selbständigen Lebenskampfe dem Manne nicht gewachsen ist, besitzt in der klugen Benutzung des männlichen Triebes eine Waffe, deren rücksichtsloser Gebrauch ihr nicht allzu selten vollen Triumph verschafft.

In den Augen der Kurtisane ist der Mann ein dumm-gieriges Tier, das dazu da ist, für die Frau zu= 102 = arbeiten, und, wenn es ihr Gut und Blut geopfert hat, noch immer dankbar sein muß, wenn sie es zu sich ins Bett läßt. Eine solche Gesinnung hat früher in der bürgerlichen Welt als verächtlich gegolten; die moderne Selbstvergötterung der Frau hat es aber fertiggebracht, auch die „Dame“ für diese Auffassung und deren sehr einträgliche Verwertung in der Ehe zu begeistern. Die Frau ist die Krone der Schöpfung; der Mann ein Wesen niederer Art, geschaffen, sie zu ernähren und zu bedienen! Amerika und England sind hierin die leuchtenden Vorbilder für das „rückständige“ Deutschland. Für diese Sorte Weiber gilt das Wort Nietzsches: „Wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht!“

Ein ehrbares, hochgesinntes Mädchen zu einem „Liebesverhältnisse auf Zeit“ verleiten ist auch dann ein unverantwortliches Beginnen, wenn es mit voller Offenheit über die Endabsichten geschieht. Selbstverständlich ist es eine Schlechtigkeit, Kinder in die Welt zu setzen, für die man nicht sorgen will oder nicht sorgen kann. Das Schicksal der unehelichen Kinder ist ein überaus trauriges. Ihre Sterblichkeit ist im Vergleiche mit jener der ehelichen Kinder sehr hoch; die Zahl der Militärdiensttauglichen unter ihnen ist niedrig. Zeigen diese Tatsachen, wie schlecht es im Durchschnitt mit ihrer körperlichen Gesundheit steht, so lehrt die verhältnismäßig große Zahl von Geisteskranken, Selbstmördern, Trinkern und Verbrechern unter ihnen, daß auch ihre geistige Gesundheit keine bessere ist. Wenn auch sehr viel davon Erbschaft der Minderwertigkeit ihrer leichtsinnigen Erzeuger ist, so haben doch auch ungenügende Pflege und Erziehung einen wesentlichen Anteil daran. Kein halbwegs gewissenhafter Mann wird es also auf die Möglichkeit der Erzeugung eines unehelichen Kindes ankommen lassen wollen. Er könnte von vornherein bei einem solchen Verhältnisse nur an Geschlechtsverkehr mit= 103 = Verhinderung der Empfängnis denken. Er möge aber zunächst sich klarmachen, wie leicht in einem Augenblicke leidenschaftlichster Erregung alle Vorsätze vergessen werden, das Nichtbeabsichtigte doch geschehen kann. Und selbst dann, wenn das Schlimmste, leichtsinnige Schwängerung, vermieden wird, bleibt ein solches Verhältnis unsittlich, ein Verstoß gegen die Nächstenliebe wie gegen eine der wichtigsten Forderungen sozialen Lebens.

Ich will nicht davon reden, daß schon die Entjungferung an sich dem Mädchen Schaden bringt, indem sie ihm das spätere Eingehen der Ehe erschwert, da der Mann mit vollem Recht die unberührte Frau als Gattin bevorzugt.

Die Hauptsache ist, daß es ohne Schädigung oder tiefe Verwundung der weiblichen Seele dabei nicht abgeht. Der Wunsch nach Mutterschaft ist der gutgearteten Frau eingeboren. Nur dann, wenn der Geschlechtsverkehr ihr die Hoffnung eröffnet, Mutter zu werden, beglückt er sie vollkommen. Wer eine Frau unter erbärmlichen Praktiken in den Geschlechtsverkehr einführt, beraubt sie um die Stunde höchster Glücksempfindung, die ihr die redliche Ehe mit den ersten schrankenlosen Umarmungen gebracht hätte.

Noch schlimmer ist der Schaden, den ihr die Auflösung des Liebesverhältnisses bringt. Die Frau, der von der Natur die Last der Mutterschaft auferlegt ist, sucht instinktiv bei dem Manne dauernden Anschluß, dauernden Schutz. Daher die Innigkeit der Liebe der rechten Ehefrau, die weit über ihre Freude am physischen Genusse hinausgeht, daher ihre Treue und ihr Verlangen nach Treue. Auch wenn sie das Liebesverhältnis eingegangen haben sollte mit dem vollen Bewußtsein, daß es nur eine Episode werden solle, unvermerkt wird es ihr zum wesentlichen Lebensinhalt, so daß seine Auflösung eine Wunde setzt, die nur schwierig vernarbt und fürs ganze Leben schmerzt. Der besser ver= 104 =anlagte Mann, der diesen Kummer kommen sieht, fühlt sich dann oft außerstande, das Band zu zerreißen, und sieht sich durch Mitleid an ein Wesen gefesselt, das vielleicht doch nicht in seine Lebenssphäre paßt, doch nicht alle jene Eigenschaften besitzt, die er bei seiner Lebensgefährtin gewünscht hätte.

Gelingt es dem Manne aber, der Frau seine eigenen brutal sinnlichen, polygamischen Neigungen beizubringen, dann zerstört er in ihr die sozial wertvollsten Empfindungen, dann macht er sie auch seelisch untauglich, eine gute Gattin und Mutter zu werden.

Wir müssen die Keuschheit der Frau als höchstes soziales Gut schätzen und pflegen, denn in der Keuschheit der Frau ist die einzige sichere Bürgschaft dafür gegeben, daß wir wirklich die Väter unserer Kinder sein werden, daß wir für unser eigenes Blut uns mühen und schaffen. Ohne diese Bürgschaft aber keine Möglichkeit eines gesicherten, innigen Familienlebens, dieser auf absehbare Zeit unentbehrlichen Grundlage für das Gedeihen von Volk und Staat. Darin und nicht in der selbstsüchtigen Willkür des Mannes ist es begründet, daß Gesetz und Sitte strengere Anforderungen an die Frau bezüglich Keuschheit vor der Ehe und Treue in der Ehe stellen als an den Mann. Es steht bei ihrer Ungebundenheit viel mehr auf dem Spiele als bei seiner.

Man schwärmt heute viel von der „Freien Liebe“ mit wirtschaftlicher Unabhängigkeit von Mann und Frau, als Ersatz für die heutige, bürgerliche Ehe, deren Schattenseiten und Härten man nicht schwarz genug zu schildern weiß. Aber diese Schwärmereien, die ihr Bestechendes haben, sind vom hygienischen Standpunkte aus verwerflich. Sie müssen daran scheitern, daß es über die physische Leistungfähigkeit der ungeheuren Mehrheit der Frauen hinausgeht, neben den Bürden der Mutterschaft und der= 105 = Pflege und Aufzucht der Kinder auch noch die des selbständigen Erwerbes zu tragen.

Das Verderblichste an der sog. Frauenemanzipation und der Erwerbsarbeit der verheirateten Frau liegt darin, daß in dem Widerstreite zwischen Mutterschaft und Berufspflichten in der Regel die erstere den kürzeren zieht. Wenn überhaupt Kinder kommen, sind sie meistens kümmerlich. In der Regel hintertreibt man die Entstehung von Kindern von vornherein. Nichts gefährdet die Fruchtbarkeit der Kulturvölker mehr als die moderne außerhäusliche Erwerbsarbeit der Frau und die aus ihr hervorgegangene Frauenbewegung.

Die Teilung der Arbeit zwischen Mann und Weib im gemeinschaftlichen Wirtschaftsbetriebe der Familie ist gerade für die Frau ein physiologisches und kulturelles Bedürfnis. Sie sichert auch den Kindern am besten Pflege und Erziehung. Es wäre ein ungeheurer Rückschritt gerade im Sinne individueller Entwicklung, wenn an Stelle der Familienerziehung Massenaufzucht in öffentlichen Anstalten treten würde. Dies wäre, nebenbei bemerkt, auch ein ungeheurer Verlust an jenen Lustempfindungen, die dem Menschen aus dem Zusammenleben von Eltern und Kindern erwachsen.

Gewiß wird es in jeder Ehe Zeiten — wenn auch vielleicht nur Augenblicke — hochgradiger Verstimmung geben, wo es als drückende Last empfunden wird, aneinandergefesselt zu sein. Über solche unglückliche Störungen werden jene Gatten am leichtesten hinwegkommen, die keusch in die Ehe eingetreten und einander treu geblieben sind. Der Liebesgenuß, den sie ausschließlich beieinander zu suchen und zu finden gewohnt sind, ist etwas unendlich Süßes, das sie immer wieder zusammenführt und versöhnt.

Alles in allem genommen ist die Ehe der richtige Boden für heiteres Gedeihen von Mann, Weib und Kind, und= 106 = gehen diejenigen nicht irre, die sich nach der Ehe sehnen und nach ihr trachten!

Wie wenig wissen überhaupt diejenigen, welche immer nur an die körperliche Schönheit des jungen Weibes und an den physischen Geschlechtsgenuß denken und welche die Menschen bejammern, daß sie durch Gesetz und öffentliche Meinung im geschlechtlichen Verkehr auf ein einziges Individuum beschränkt werden, von dem Glücke, das aus dem seelischen Unterschiede und der seelischen Anziehung von Mann und Weib zu erwachsen vermag! Wie bedauernswert sind diejenigen, die im Weibe nur das jagdbare Wild sehen, an dem man seine Stärke und seine List übt und an dem man, wenn man es gefangen hat, als Tier mit dem Tiere seinen physischen Drang befriedigt, solange einem dies Spaß macht! Sie ahnen nicht, daß auf der Grundlage gegenseitiger Achtung, Treue und Güte zwischen Mann und Weib ein Bund der Kameradschaft und Freundschaft entsteht, der, indem er Leib und Gemüt befriedigt, weit höhere und dauerhaftere Glücksgefühle bereitet als der rasch verfliegende Rausch der Brunst.

Der erwachende Jüngling betrachtet das Weib, dessen Leib und Seele dazu geschaffen ist, Mutter zu werden, mit Ehrfurcht; mit jener Ehrfurcht, die er seiner eigenen Mutter widmet, die ihn geboren, gesäugt und aufgezogen hat. Möchte er doch diese Empfindung, stark und rein, unbefleckt durch gemeinen Genuß, in die Ehe hinübernehmen. Dann wird diese an ihm das Dichterwort völlig wahr machen können. „Das ewig Weibliche zieht uns hinan!“

Mit diesen Worten soll keineswegs eine blinde Schwärmerei für das Weib in der Wirklichkeit erweckt werden. Nur allzu viele Weiber haben recht wenig „Ewigweibliches“, dafür aber ein ausgiebiges Maß von „Allzuweiblichem“ in sich, geradeso wie die meisten Männer Mangel an „Ewig= 107 =männlichem“ und Überfluß an „Allzumännlichem“ leiden. Aber durch gewissenhafte Arbeit kann aus wenigem viel und aus viel wenig gemacht werden. Je höher das Ziel ist, nach dem wir streben, um so Höheres werden wir erreichen. Wer einem anderen Menschen von vornherein zeigt, daß er ihn keiner höheren Leistung für fähig hält, wird ihn auch niemals zu einer solchen bringen. Je reiner und edler das Ideal der Weiblichkeit ist, das der Mann erträumt und ersehnt, je größeres Vertrauen er in die Fähigkeit der Frau setzt, sich diesem Ideale zu nähern, um so besser wird es ihm gelingen, die vorhandenen Keime des Ewigweiblichen im Weibe zu wecken. Je niedriger er die Frau von vornherein bewertet, um so mehr Niedriges wird er auch in ihr finden. Der Mann vergesse nie, daß er zur Führerschaft berufen ist, und daß, wenn er als Führer versagt, das ganze Volk in die Irre gehen muß.

Natürlich gilt ganz Ähnliches wie von dem Einflusse des Mannes auf die Frau auch vom Einflusse der Frau auf den Mann. Kaum etwas spornt den Mann mehr zur Tat als der Beifall der Frau. Nicht als Kämpferin auf dem Kampfplatz der Männer, aber als Kranzspenderin lenkt die Frau die völkische Entwicklung mit. Wenn sie nur dem edlen Wettstreit ihren Beifall spendet, nur nützliches, tüchtiges und rechtschaffenes Handeln belobt und belohnt, leistet sie ihrem Volk den besten Dienst. Der Adel ihres Wesens und Verhaltens bestimmt den Adel ihres Hauswesens, die Gesittung ihrer Familie.

Die Macht der Frau als Gattin und Mutter ist so groß, daß sie mitten in einer Wüste von Dummheit und Ichsucht, an deren Urbarmachung die treueste Arbeit des Mannes scheitert, eine Oase von Seelenhoheit und Glück zu schaffen vermag, — wenn sie nur selbst ein reines Herz besitzt! Nur der Umstand, daß in der modernen Frauenbewegung alte Jungfern das große Wort führen, die in= 108 =folge ihres bedauerlichen Schicksals von der Größe und Herrlichkeit des wahren Frauenberufes nichts ahnen, macht es verständlich, daß die „moderne Frau“ das Reich der Ehe und Familie, wo die Frau als Verwirklicherin des Ideals edler Menschlichkeit den Kreis ihrer Lieben beglücken und dadurch unberechenbare Fernwirkungen ausüben kann, als Gefängnis haßt und verachtet und mit unbelehrbarer Leidenschaftlichkeit in die unerfreuliche Welt des Mannes hineindrängt, um dort auf seinen Wegen kümmerlich dahinzukriechen. Dorthin, wo ein — wenn auch kleines — Reich dauernden Friedens bestehen kann, trägt die „Emanzipierte“ mit ihrer Selbstsucht Unruhe und Kampf; in der Welt des Mannes aber, für welche Kampf und Krieg unerschütterliches Gesetz sind, will sie, in der richtigen Einsicht, daß der Krieg die Unfähigkeit der Frau für das Staatsleben zu völliger Nacktheit enthüllt, den „ewigen Frieden“ stiften, wobei sie nichts anderes erreichen kann, als den Herzen der Männer Schwachheit, Wehleidigkeit und Feigheit einzuflößen.

Es gehört zu den größten Mängeln unserer gesellschaftlichen Einrichtungen, daß sie der Mehrzahl erst lange nach Eintritt der Geschlechtsreife das Eingehen der Ehe gestatten. Wie viele könnten aber auch unter den heutigen Verhältnissen längst die Wonnen jugendkräftiger Liebe ohne Gewissensskrupel in der Ehe genießen, wenn sie mit einem bescheidenen Haushalte zufrieden wären, wenn nicht der Hang nach trägem Wohlleben und nichtigem Luxus oder töricht überspannter Ehrgeiz sie von der Ehe zurückschrecken würde!

= 109 =


Ich bin am Schlusse meiner Erörterungen angelangt. Aus der ungeschminkten Darstellung der Wirklichkeit ergeben sich ungezwungen die Folgerungen. Die Hygiene kommt zu ganz denselben Forderungen wie die Moral. Die oberste Forderung ist: daß jeder seinen Geschlechtstrieb beherrschen lernen muß! Enthaltsamkeit von allen geschlechtlichen Genüssen bis zum Eintritt der vollen Geschlechtsreife und bis zur Vollendung des eigenen Wachstums! Befriedigung des Geschlechtstriebes ausschließlich in der Ehe! Maßhalten im Genusse; auch in der Ehe!

Die Zahl der Kinder darf man nicht so weit anwachsen lassen, daß es der Familie unmöglich wird, sie zu ernähren und aufzuziehen.

Die Erzeugung von Kindern, die voraussichtlich krank oder minderwertig geraten würden, muß unterlassen werden.

Dagegen hat der Gesunde und Tüchtige seinem Volke gegenüber geradezu die Pflicht, zahlreiche Nachkommen zu erzeugen. Es ist ein unersetzlicher Verlust für die Nation und eine Sünde an ihr, wenn — wie dies so häufig geschieht — gerade geistig und sittlich hochstehende und dabei körperlich gesunde Männer ehelos bleiben und sich der Fortpflanzung enthalten, wenn so gerade der edelste Keimstoff vergeudet wird! Heute mehr als je, da uns der Weltkrieg Hunderttausende von Männern bester Art geraubt hat!

Regelung des ganzen Geschlechtslebens im Dienste der Fortpflanzung! Veredelung des rein tierischen Verkehrs zu einer sittlichen Gemeinschaft!

Dies ist das Ideal! Möge die Jungmannschaft ihm aus allen Kräften nachstreben zum Wohle von Volk und Staat!


Soeben erschien:

Hygiene der Nerven und des Geistes

Von Prof. Dr. Aug. Forel

Vierte, verbesserte und erweiterte Auflage

348 Seiten mit Tafeln und Textbildern

Geheftet M 3.40 :: Gebunden M 4.20

Der berühmte Gelehrte räumt in diesem Werke mit den vielen landläufigen Vorurteilen, all den bequemen Schlagwörtern von Modekrankheit, von Überbürdung mit Arbeit u. a. und all den verkehrten Ansichten über unsere Lebensweise gründlich auf. Seine Darstellung spricht zum Verstande und zum Herzen, sie weist klar und sicher auf die vielfältigen Ursachen der Nervosität hin und auf die Fehler, die der Kulturmensch gewohnheitsmäßig Tag für Tag macht und dadurch sein Nervenleiden selbst verschuldet. Der Verfasser zeigt Mittel und Wege zur Gesunderhaltung der Nerven und zur Herbeiführung ihrer Wiedergesundung. Die Darstellung der Nervenhygiene des Kindesalters, die das Buch gibt, verdient die besondere Beachtung aller Kreise.

Bücherei der Gesundheitspflege

········ Herausgeber: ········

Obermed.-Rat Dr. F. v. Gußmann und Geh. Medizinalrat Prof. Dr. M. Rubner a. d. Universität Berlin

Die Bedeutung einer verständigen Gesundheitspflege erschließt sich in neuerer Zeit immer weiteren Kreisen. Dem Laien, der sich über ihre Aufgaben und Ziele genau unterrichten will, bietet sich in der „Bücherei der Gesundheitspflege“ die beste Gelegenheit, über alle Fragen der allgemeinen wie der speziellen Hygiene belehrt zu werden. Die Arbeiten dieser Sammlung sind wahre Meisterstücke der Volksaufklärungskunst. Wissenschaftlicher Ernst durchdringt ein jedes der prächtigen Bücher. Klare, übersichtliche Anordnung des Materials, deutliche, schöne Abbildungen, die berühmten Namen der Autoren, von denen jeder eine Größe in seinem Fache ist, endlich der äußerst geringe Preis lassen die „Bücherei der Gesundheitspflege“ ungemein empfehlenswert erscheinen. Die Sammlung wurde auf der Ausstellung für Wohlfahrts- und Gesundheitspflege in Berlin sowohl wie auf der Allgemeinen hygienischen Ausstellung in Wien mit der goldenen Medaille, und auf der Weltausstellung in Brüssel mit dem Ehrendiplom ausgezeichnet.

— Verzeichnis der erschienenen Bände nebenstehend. —

Aufgaben, Zweck und Ziele der Gesundheitspflege von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Orth. Brosch. M —.80. Eleg. geb. M 1.—.

Bakterien, Infektionskrankheiten und deren Bekämpfung von Hofrat Pro. Dr. Schottelius. Mit 33 Taf. Br. M 5.—. Eleg. geb. M 6.—.

Gesundheitspflege im täglichen Leben von Prof. Dr. Grawitz. Brosch. M 1.50. Geb. M 2.—.

Hygiene des Auges von Prof. Dr. v. Sicherer. Mit vielen Abbild. Brosch. M 1.80. Geb. M 2.25.

Hygiene der Nase, des Rachens und des Kehlkopfes von Prof. Dr. Neumayer. Mit Tafeln und Abbildungen. Br. M 1.80. Geb. M 2.25.

Hygiene der Zähne und des Mundes von Prof. Dr. Port. Mit 4 Taf. u. Abbildungen. Brosch. M 1.40. Geb. M 1.80.

Hygiene der Lunge von Prof. Dr. v. Schrötter. Mit 18 Originalabbildungen. Brosch. M 1.80. Geb. M 2.25.

Hygiene der Nerven und des Geistes von Prof. Dr. Forel. Mit 4 Tafeln und 6 Textabbild. Brosch. M 3.40. Geb. M 4.20.

Hygiene des Magens, des Darms, der Leber und der Niere von Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Ewald. Mit Tafeln und Illustrationen. Brosch. M 2.—. Geb. M 2.50.

Hygiene des Stoffwechsels von Prof. Dr. Dennig. Brosch. M 1.20. Geb. M 1.50.

Hygiene des Blutes von Medizinalrat Dr. Walz. Mit 4 kol. Abbild. Br. M 1.20. Geb. M 1.50.

Hygiene des Herzens und der Blutgefäße von Prof. Dr. Eichhorst. Mit 9 Tafeln. Brosch. M 2.—. Geb. M 2.50.

Hygiene der Haut, Haare und Nägel von Prof. Dr. Riecke. Mit 17 Originalabbildungen. Brosch. M 2.40. Geb. M 3.—.

Hygiene des Geschlechtslebens von Obermedizinalrat Professor Dr. v. Gruber. Mit 4 Taf. Brosch. M 1.40. Geb. M 1.80.

Entstehung und Verhütung der menschlichen Mißgestalt von Prof. Dr. Lange und Prof. Dr. Trumpp. Mit 125 Abbildungen. Brosch. M 1.60. Geb. M 2.—.

Säuglingspflege und allgemeine Kinderpflege von Prof. Dr. Trumpp. Mit 35 Abbildungen. Brosch. M 1.80. Geb. M 2.25.

Körper- und Geistespflege im schulpflichtigen Alter von Professor Dr. Trumpp. Brosch. M 1.40. Geb. M 1.80.

Gesundheitspflege für Frauen und Mütter von Prof. Dr. S. Gottschalk. Mit 7 Tafeln und 32 Textbildern. Brosch. M 2.40. Gebunden M 3.—.

Körperpflege durch Gymnastik, Licht und Luft von Dr. Jaerschky. Mit 42 Illustrationen. Brosch. M 1.60. Elegant geb. M 2.—. Übungstafeln apart M —.80.

Körperpflege durch Wasseranwendung von Prof. Dr. Rieder. Mit 10 Tafeln und 16 Textabbild. Brosch. M 2.40. Eleg. geb. M 3.—.

Hygiene der Kleidung von Prof. Dr. Jaeger und Frau Anna Jaeger. Mit 94 Abbildungen. Brosch. M 2.50. Geb. M 5.—.

Nahrungsmittel- u. Ernährungskunde von Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Rubner. Mit viel. Tabellen. Brosch. M. 2.—. Eleg. geb. M 2.50.

Ausführliche Prospekte versendet kostenfrei der Verlag:

Ernst Heinrich Moritz, Stuttgart.


FUSSNOTEN:

[A] Zum Glück für die anderen Organismen mit geringerer Vermehrungsfähigkeit werden die Umstände rasch ungünstiger in dem Maße, als die Zahl der Nachkommen zunimmt, so daß in der Wirklichkeit die Nachkommenschaft niemals in annähernd so raschem Tempo wächst. Immerhin macht uns ihre außerordentlich große Vermehrungsfähigkeit begreiflich, wieso diese winzig kleinen Wesen rasch so gewaltige Veränderungen hervorrufen können, wie wir sie bei der Gärung und Fäulnis oder bei gewissen ansteckenden Krankheiten beobachten.

[B] Von dieser Regel gibt es viele Ausnahmen. Es sind Fälle von Befruchtung durch 11jährige Knaben bekannt. Ebenso kommt verspäteter Eintritt der Geschlechtsreife vor.

[C] Auch der Säfteverlust durch die häufige Samenentleerung mag schädlich sein, obwohl die entleerten Mengen selbst bei extremer Ausschweifung so klein sind, daß an einen schädlichen Verlust von Eiweiß nicht zu denken ist. Es ist möglich, daß der Verlust von spezifischen Absonderungsprodukten der Hoden empfunden wird, die bei Mäßigkeit zum Teil wieder aufgesogen worden wären. (S. o.)

[D] Die Einführung des Gliedes in die durch zersetztes Blut verunreinigten weiblichen Geschlechtsteile kann übrigens auch beim Manne zu Entzündungen und kleinen Abszessen an der Eichel und an der Vorhaut Anlaß geben.

[E] Es kann auch Schwängerung erfolgen, wenn der Samen außen auf die Schamspalte oder in deren Nähe ergossen worden ist.

[F] Bei der Entstehung der Paralyse scheint auch nicht selten der Alkoholmißbrauch beteiligt zu sein.

[G] Auch in diesen Fällen gewährt der Kondom einen wertvollen, wenn auch keineswegs ganz sicheren Schutz.