The Project Gutenberg eBook of Novellen: Die zweite Liebhaberin; Verlust und Gewinn

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Title: Novellen: Die zweite Liebhaberin; Verlust und Gewinn

Author: Melchior Meyr

Release date: May 1, 2017 [eBook #54640]

Language: German

Credits: E-text prepared by the Online Distributed Proofreading (http://www.pgdp.net) from page images generously made available by Internet Archive (https://archive.org)

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Novellen

von

Melchior Meyr.

Stuttgart.

Cotta’scher Verlag.

1863.

Buchdruckerei der J. G. Cotta’schen Buchhandlung
in Stuttgart und Augsburg.

Inhalt.

Seite
Die zweite Liebhaberin.1
Verlust und Gewinn.319

Die zweite Liebhaberin.

I.

An einem schönen Septemberabend fuhr der Personenzug in den Bahnhof der Residenz, um unter dem prächtigen Dache des Hauptgebäudes Halt zu machen. Die Wagen entleerten sich und ein bunter Menschenstrom wogte an der Mauer hin, die einen zum Ausgang, wo die Erwarteten von Bekannten und Verwandten begrüßt wurden, andere zum Packwagen, wo man das „Passagiergut“ zurück erhielt.

Unter den letzteren befand sich ein junger Mann von ungefähr achtundzwanzig Jahren, stattlich gewachsen, in der vollen Kraft gesunder Jugend. Eine elegante Reisetasche, etwas größer als gewöhnlich, hing an seiner Schulter und das Haupt deckte ein hellbrauner Sommerhut, unter welchem dunkelblonde Haare, die vielleicht um ihrer Schönheit willen etwas länger wachsen durften, den Hinterhals beschatteten. In anständig modischer Kleidung, die ihm gut, fast möchte man sagen flott stand, bewegte er sich ruhig und sicher im Gedräng weiter, besorgte sein Gepäck in den Wagen des Gasthofs, wo er zu wohnen gedachte, und schickte sich an, zu Fuß nachzugehen.

Der Bahnhof lag am äußersten Ende der Vorstadt und der mildsonnige Abend hatte eine ungewöhnliche Zahl Spaziergänger auf die Straße und auf den schönen Platz vor dem Hauptbau gelockt. Der Ankömmling schritt durch sie hindurch, mit frohen Augen Alles betrachtend, was sich ihm darbot. Ihn schien Alles gleich lebhaft zu interessiren: die neuen Häuser der Vorstadt und die zierlichen Gärtchen, die davor oder dazwischen lagen, die Menge, die sich hin und her bewegte, und die einzelnen Figuren, die sich ihm vorübergehend bemerklich machten. Er faßte mit demselben heitern Antheil das schmucke Dienstmädchen in’s Auge, die mit einem Korb am runden Arme munter dahin schritt, und die feine Dame, die im eleganten offenen Wagen neben Gemahl oder Papa nachlässig hingegossen saß; den Proletarier, der mit freiem Hals und nicht ganz reinlichem Hemd behaglich eine Cigarre rauchte, und den Officier, der mit angenehmem Kriegerbewußtseyn ein Racepferd durch die Straße lenkte. Ja, wenn er hie und da zurückschaute, warf er auch in den leicht aufgewirbelten, von der Sonne vergoldeten Staub, der allerdings die schöne Abendlichkeit des Bildes mit vollenden half, einen vergnügten Blick, um gemüthlich seinen Weg fortzusetzen.

Ein so lebendiges Gefallen an den Außendingen setzt eine wohlwollende Seele und gleicherweise ein begnügtes, zuversichtliches Herz voraus. In der That hätte sich dem schärferen Beobachter auch dieses in dem hübschen Gesicht gar wohl bemerklich gemacht. Mit der gutmüthigen Freude, die es zunächst verschönte, sah auch ein tiefes Selbstgefühl aus ihm, und zuweilen ging ein Stolz in ihm auf, mit dem er lächelnd auf die Menschen sah, die für ihn wieder zu einer „Masse“ zusammengeflossen waren.

Der Grund dieser Zuversicht war ein sehr triftiger, und der Leser wird ihn gewiß mit Vergnügen erfahren. In der Reisetasche des jungen Mannes befand sich nicht nur eine Anzahl von Kassenscheinen, womit einen Winter anständig zu leben war, sondern neben andern unschätzbaren Papieren auch das stattliche Manuscript eines Trauerspiels, das in seiner Heimath die günstigsten Urtheile erfahren hatte und das er nun auf der Hofbühne geben zu lassen gedachte, um sich mit einemmal den gefeiertsten Namen der gegenwärtigen Dramatik angereiht zu sehen. Die Wirkung, die er beim Vorlesen des Stückes erzielt hatte, war so entschieden, die Lobsprüche, die er von Männern und Frauen erhalten, waren so empfindungsvoll betont, daß er einen durchschlagenden Effekt auf dem Theater mit vollkommener Sicherheit erwarten zu dürfen glaubte. Manchmal, wenn er auf der Herfahrt, in die Ecke des Coupés gelehnt, über sein Vorhaben nachdachte, hatten ihn allerdings auch wohl Zweifel angewandelt und sein Herz in eine nicht unbedeutende Gährung versetzt; allein das Ueberdenken der ergreifenden Scenen, womit das Spiel ausgestattet war, hatte ihn wieder völlig beruhigt; und wie er nun an dem sonnigen Tag gegen die Residenz herfuhr, die ihm durch das Seitenfenster in all ihrer Gebäudepracht entgegenglänzte, da nahm das reinste Vertrauen in seiner Seele Platz.

Bei dem tief heitern Blick, den er über die Spaziergänger hingleiten ließ, schien er nun zu denken: „Ihr laßt mich jetzt unbeachtet vorübergehen, ihr guten Leute; ich bin euch nichts — ein junger Mensch wie jeder andere. Aber ihr werdet mich schon ansehen, wenn ich unter allgemeinem Applaus und Zurufen meines Namens auf die Bühne trete und euch für den Beifall danke, den ich euch durch die Gewalt meiner Tragödie entrissen habe. Dann werde ich ein Gesicht haben für euch und den Weg des literarischen Ruhmes fortsetzen können unter den herzerfreuenden, ermuthigenden Zeichen der Achtung meiner Nation.“

Wenn er diese Gedanken nicht wörtlich hatte, so gewannen seine Züge doch mehr und mehr einen Ausdruck, der ihnen entsprach. Er strahlte in einer Mischung von Zuversicht und Selbstgefühl, die von Selbstgefälligkeit nicht mehr zu unterscheiden war. Doch mit einemmal, nach einer Reflexion, wie es schien, gewann das Gesicht einen ernsteren, löblicheren Ausdruck: er sah aus wie einer, der sich freut um der Freude willen, die er geliebten Andern zu bereiten hofft.

In die Stadt selbst eingetreten setzte er seine Beobachtungen fort. Der Anblick, der sich ihm bot, war ihm nicht ganz neu, denn er hatte vor einem Jahrzehnt schon ein paar Tage hier verbracht, wirkte aber wegen verschönerter Häuser und Läden mit allem Reiz der Neuheit auf ihn. Da man ihn als Poeten kennt, so begreift man den Sinn für charakteristische Gegenstände, die er in seiner Auffassung gleich idealisirte und dichterisch empfand, indem ihn instinktmäßig dabei der Gedanke leitete, das so Geschaute als Zierde in einem seiner Werke verwenden zu können. Aus diesem Grund — um die Physiognomie der Residenz rein in sich aufzunehmen — hatte er den Weg vom Bahnhof eben zu Fuß gemacht; und die Bilder in ihrer Erfreulichkeit waren ihm jetzt nicht nur werthvoll an sich, er nahm sie auch behaglich als günstige Vorbedeutung. Auf einmal blieb er stehen und besann sich. Die Lage des ihm empfohlenen neuen Gasthofs hatte er sich zu Hause beschreiben lassen, wußte aber nun doch nicht, wie er dahin gelangen könne. Eben kamen indeß zwei Damen gegen ihn heran, und er beschloß die ältere zu fragen.

Es waren feine Gestalten und feine Gesichter, und die Familienähnlichkeit verrieth ihm sogleich, daß er Mutter und Tochter vor sich habe. Sie waren es in der That und auch abgesehen von seinem Anliegen gar sehr der Beachtung werth. Die Mutter hatte einen bräunlichen Teint und ihre Wangen erschienen ziemlich abgemagert; sie machte aber den Eindruck völligen Wohlbefindens und ihr braunes Aug zeigte anmuthig heitern Geist und alle Wärme der Herzensgüte. Das Antlitz der Tochter glänzte in gesunder Blässe, die ein klein wenig in’s Bräunliche spielte und auf den Wangen nur von sehr zartem Roth überflogen war. Aus ihrem gleichfalls braunen Auge leuchtete noch mehr und schöneres Feuer, und der ganze Ausdruck des Gesichts war eine reizende Mischung von Gutmüthigkeit, froher Ueberlegenheit und Schalkheit.

Während unser junger Mann die Aeltere fragte, den Weg sich bezeichnen ließ, wieder fragte, um eine nähere Explikation zu erlangen, sah ihn die Tochter mit großer Unbefangenheit an, und bald verschönte ein schelmisches Lächeln ihren Mund. Unser Poet verrieth den Mann der Provinz, der seine gesellige Bildung in einer mittleren Handelsstadt und zwei kleinen Universitätsstädten erlangt hatte, nicht nur durch den Dialekt, der aus seinem Hochdeutsch sehr merklich herausklang, sondern er stand auch vor der Mutter mit einer gewissen Verlegenheit, in der sein gutmüthiges Wesen so ziemlich den Charakter der Unbeholfenheit annahm. Gewandt und leicht auftretend, wenn er unter guten Bekannten oder unerkannt unter den Menschen sich bewegte, konnte er die schöne Sicherheit gar wohl verlieren, wenn er sich im geselligen Verkehr eine bestimmte Haltung zur Pflicht machen sollte; und das war ihm jetzt sichtlich begegnet. Der jungen Dame kam nun insbesondere noch das ergötzlich vor, daß der Fragende steif an dem Angesicht der Mutter hing und auf sie selber auch nicht einen Blick zu werfen sich getraute. Dieß verrieth ihr den Ungewohnten noch mehr als alles Bisherige, und der junge Mann begann sie zu interessiren.

Wenn sie glaubte, daß er in dieser ungalanten Theilnahmlosigkeit verharrend sich empfehlen werde, that sie ihm doch Unrecht. Sobald er hinlänglich unterrichtet war, sah er nach warm accentuirtem Danke rasch auf die jugendliche Gestalt; ihre Blicke begegneten sich, und da sie doch fühlte, daß sie ihn eigentlich auslächelte, so erröthete sie ein wenig; indeß erheiterte sie sich gleich wieder und dankte auf die Abschiedsverbeugung mit einer Freundlichkeit, die eben so viel Theilnahme wie Herablassung verrieth.

Geschmack und Galanterie des Dramatikers waren gerettet, wenn auch die Tournüre noch vieles zu wünschen übrig ließ. Hätte sie übrigens gewußt, wie reizend sie ihm erschienen war, so hätte sie mit einem noch günstigeren Begriff ihre Promenade fortgesetzt. Unser Poet wurde durch Gestalt und Miene — trotz einer entfernten Ahnung der Bedeutung ihres Lächelns — so lieblich getroffen, daß der Eindruck vielleicht ein tieferer geworden wäre, hätte nicht ein übermächtiges Bild von innen entgegengewirkt. Aber auf ihn konnte weibliche Liebenswürdigkeit nur mehr einen leichten, flüchtig angenehmen Effekt machen; denn in seinem Herzen thronte eine Königin, zu der er mit aller Verehrung eines Liebenden und Dichters empor sah und der allein zu huldigen das Glück und der Stolz seines Lebens war.

Im Gasthof erhielt er ein kleines Zimmer im dritten Stock und auf den Hof, was ihm gerade recht war. Er hätte allenfalls noch in’s Theater gehen können; aber man gab eine Oper von einem Meister zweiten Rangs, die ihn nicht reizen konnte, und er wußte sich zu Hause schöner zu unterhalten. Nachdem er einen leichten Hausrock angezogen hatte, setzte er sich auf das Sopha, öffnete die auf den Tisch gelegte Reisetasche und zog nicht nur das Bühnenmanuscript hervor, sondern auch eine Anzahl Briefe, mit denen eine noch nicht ganz getrocknete, halb offene Rose herausfiel. Sein blaues Auge leuchtete, als er diese theuren Gegenstände erblickte. Er sog den Duft der welken Rose ein und drückte sie an seine Lippen. Dann nahm er einen Brief, las, lächelte und las weiter, bis sein Gesicht in einem innig glücklichen Schein erglänzte.

Deutsch ausdrucksvolle, wohlgebildete Züge; mit einer nur wenig gebogenen Nase, gerade aufwärts gehender Stirn und stark ausgeprägtem Vorderkopf ähnelte er dem Bild Albrecht Dürers, wie es der Meister selbst gefertigt, nur daß aus seinem Gesicht eine subjektivere, weltlichere Seele hervor sah. Der Treuherzigkeit und Gutmüthigkeit, die den Grundton bildete, gesellte sich ein modern schwärmerisches Gefühl, worin er zwar die ganze Welt liebend umfangen konnte, mit specifischer Lust aber doch an sich selber, seinen eigensten Angelegenheiten und Aussichten hing.

Wer mochte es ihm verdenken, wenn er dermalen, in Ihren Briefen lesend, nur Sie vor Augen hatte und nur die Eine Hoffnung, als erfolggekrönter Autor vor ihre Eltern treten, ihre Hand erhalten und sie heimführen zu können? War er doch mit ihr so gut wie verlobt und bedurfte es zu seinem höchsten Glück nichts als des Beweises, daß er der Mann war, sie als glückliche, gefeierte, beneidenswerthe Frau durch’s Leben zu führen. Diesen Beweis hoffte er aber zu liefern; er hoffte sich zu legitimiren als Dramatiker, als produktiver Geist, dem auch bei den dermaligen Verhältnissen im deutschen Vaterlande Ruhm und Wohlfahrt genügend, wo nicht überflüssig in Aussicht ständen und dem kein verständiger Vater, keine gütige Mutter ihr Kind würde versagen wollen, um wie viel weniger mehrjährig befreundete Verwandte die geliebte und liebende Tochter. Die Erkorene war nämlich seine Cousine, und dieser Umstand brachte etwas Eigenthümliches in das Verhältniß, über das der Leser ohne Zweifel näher unterrichtet zu werden wünscht.

Heinrich Born war der Sohn eines braven Mannes, dem nach mühseligem Ringen und Streben nicht nur die Stelle eines Oberlehrers in einem Städtchen, sondern auch eine nicht ganz unbedeutende Erbschaft zufiel, so daß er dem schönsten Wunsch seines Herzens nachkommen und den einzigen begabten Sohn studiren lassen konnte. Die Preise, die derselbe auf dem Gymnasium davon trug, erfreuten ihn außerordentlich; er schüttelte aber sehr bedenklich den Kopf, als ihm der Studiosus im dritten Semester erklärte, die begonnene Theologie unmöglich absolviren zu können, sondern sein Leben und seine Geisteskraft der Literatur — der Dichtkunst widmen zu wollen. Er machte alle Einwendungen eines praktischen Mannes; dem Jüngling stand aber in unbedingtem Selbstvertrauen eine unerschöpfliche Menge von Gegengründen zu Gebote, und als zu diesen noch Betheurungen und dringende Bitten hinzukamen, als der junge Poet die Unwiderstehlichkeit des Triebes hervorhob, dessen Nichtbefriedigung ihn zur Verzweiflung bringen würde, da gab der gute Vater nach und versöhnte sich, dem Talente des Einzigen selber vertrauend, endlich mit dem gewagten Lebensplan, indem die poetischen Versuche, die jener ihm mittheilte, die allenfalls gesunkene Hoffnung neu wieder anfachten.

Die dichterische Seele hatte unser Heinrich nicht von diesem schlichten Manne, sondern von der Mutter, der er auch viel ähnlicher sah und die ihn mit ihrer zärtlichen Liebe zum Poeten verderben half. Ihrer Beistimmung gewiß, konnte er seinen Weg nicht nur ungehindert, sondern auch immer wohl unterstützt fortsetzen, indem sie bei den ehelichen Berathungen über den „Wechsel“ immer einer verhältnißmäßigen Zulage das Wort redete. Er nährte sich nun von den Wissenschaften, die ihn reizten, machte Verse und Entwürfe zu Tragödien, die er zum Theil ausführte, und imponirte zuletzt auch dem Vater noch ganz ernstlich, indem er nach dem fünften Universitätsjahr mit dem Diplom eines Doktors der Philosophie heimkehrte.

Schon als Gymnasiast und angehender Student pflegte er in den Ferien einen Verwandten zu besuchen — Geschwisterkind seiner Mutter — der in einer nahe gelegenen größeren Stadt Kaufmann war. Die bemittelte Familie, die sich als solche fühlte, nahm den jungen hübschen Vetter um so lieber auf, als das poetische Gemüth sich für die erwiesenen Freundlichkeiten immer sehr dankbar zeigte und nach Kräften zur Unterhaltung beitrug. Er war für einen Theil der Herbstferien regelmäßig geladen, und wenn er einmal nicht kam, so erwartete man ihn um so bestimmter im folgenden Jahr. Bald ehrte er aber die Einladung des gastfreien Hauses so weit es schicklicherweise nur immer anging; denn unterdeß war die älteste Tochter, die sechs Jahre weniger zählte als er, zu einer so auffallenden Schönheit herangeblüht, daß sie beim ersten Wiedersehen sein Herz völlig in Besitz nahm und er das Loos seines Lebens für entschieden halten mußte.

Auguste Werthlieb war von stattlichem Wuchs, die Gestalt in allen Verhältnissen untadelig, das Gesicht regelmäßig schön und die Wangen sanft geröthet; Augen wie Haare schwarzbraun, und Hals, Nacken und Arme nicht von jener gerühmten „blendenden Weiße,“ sondern wie von einem ätherischen Goldton angehaucht, der ihnen eine holde Wärme gab und ihren Verehrern über alles bezaubernd erschien. Den Ausdruck der Züge konnte man sowohl vornehm als edel nennen. In ihrem Wesen lag etwas natürlich Selbstbewußtes, Sicheres und zum Herrschen Geneigtes; und da sie bald im Hause und in der Stadt gefeiert wurde, so gewöhnte sie sich etwas ruhig Gebietendes an und lernte die Artigkeiten entgegennehmen, als ob sie sich von selber verständen. Vor dem Mißbrauch der so rasch erlangten Macht schützte sie aber ein angeborener gesunder Sinn und klarer Blick in’s Leben, ein durch ihr Temperament begünstigter Gleichmuth der Seele, mit dem sie immer auch bedachte, was die andern wünschen mochten. Wenn ihre Thätigkeit im Hause eine mehr anordnende als dienende war, so sprach sie ihre Willensmeinung doch so freundlich aus, daß man ihr immer gern nachkam; und wenn sie von ihren Verehrern, alten und jungen, sich huldigen ließ wie eine Fürstin, so erwiederte sie die geleisteten Dienste mit so anmuthigem Dank, daß sich jeder belohnt, wenn auch nicht eben vor andern ausgezeichnet fühlte.

Ein alter Verwandter, der eine Zeitlang als Gast im Hause war und sie mit Interesse beobachtet hatte, sagte dem Vater, als er von ihm Abschied nahm: „Zu deiner Auguste kann ich dir nur gratuliren. Sie ist nicht nur sehr schön — und, nebenbei gesagt, von einer dauerhaften Schönheit — sondern eines der verständigsten Mädchen, die mir vorgekommen sind. Die laß nur immer gehen, und wenn’s zum Heirathen kommt, selber wählen! Ich verbürge mich dafür, sie trifft die beste Wahl, für sich und für dich.“

Heinrich hatte sich mit dem kleinen Bäschen von ihrer ersten Bekanntschaft an geduzt und außerdem herablassend mit ihr gespielt, wie sich dieß bei einem um so viel älteren Jüngling von selber versteht. Noch beim letzten Abschied von der eben Sechzehnjährigen, obwohl er für den Reiz der werdenden Schönheit nicht ganz unempfindlich war, blieb er ruhig und fühlte sich selbst als die höhere Persönlichkeit. Wie er sie aber nach einem Jahr in dem Glanz vollendeter jungfräulicher Schönheit wieder sah, da war’s um ihn geschehen. Er erschrack förmlich, als sie ihm den Willkomm bot; der Ausdruck ihres Gesichts hatte für ihn etwas so Ernstes und Feierliches, daß ihm die frühere Leichtigkeit der Begrüßung unmöglich wurde; seine Gedanken verwirrten sich, und erst nach einigen ungeschickten Versicherungen, die auf den Gesichtern der Anwesenden ein Lächeln hervorriefen, und nach erduldeter Beschämung stellte sich der alte Ton wieder bei ihm ein.

Er war gefangen, bezaubert, und hatte nun zu dem Einen Ziel ein zweites, das er mit jenem zusammen erreichen mußte. In dem Verkehr mit ihr, der sich weiterhin in heiterer Gemüthlichkeit herstellte, ward es ihm klar, daß sie die Seine werden müsse, werden sollte, daß er nur im Bunde mit ihr den Lorbeer erreichen könnte, nach dem seine Hand sich streckte. Sie war freundlich, ja herzlich gegen ihn, und wenn er nicht erwarten durfte, daß sie ihn vor andern merkbar auszeichnete, so glaubte er ihr doch mehr als irgend ein anderer zu seyn und die völlige Gewinnung ihrer Liebe hoffen zu dürfen. Er wollte ihr dienen und sie verdienen auf seine Weise. War doch auch das jetzige Glück in ihrem Umgang schon unendlich; gingen doch die süßesten Gefühle durch sein Herz und gaben seinen poetischen Phantasien einen Glanz, der ihn selber entzückte. Er fühlte sich wie in einem Garten voll der mannigfaltigsten Blumen, die ihn in frischester Blüthe magisch anleuchteten und deren Wohlgerüche stromgleich in ihn einzogen. Es war eine Fülle des Lebens, der Lust und der Poesie, daß er nur bedauerte, den wunderreichen Gehalt nicht sogleich in die rechte Form bringen zu können, er hätte sich damit gewiß den ersten Dichtern an die Seite gestellt. Indessen was jetzt nicht möglich war, das geschah später — und am Ende noch besser als jetzt. Jetzt wollte er leben, lieben, der Wonne sich hingeben, die Zauberbilder des Liebelebens in sich aufnehmen, um sie später in reinen Kunstwerken zu unwiderstehlicher Wirkung vorzuführen.

Einen ganz besondern Reiz hatte es für ihn, aller Vorzüge, welche die Geliebte zierten, sich bewußt zu werden und sie in Versen und Prosa für sich wiederzugeben. Wie ein Künstler seine Geliebte immer wieder zeichnet und malt, so wurde er nicht müde, die Erwählte in ihrer Erscheinung, ihrem Benehmen, in dem gesteigerten Zauber besonders holder Momente wieder und wieder zu beschreiben. Er fühlte alles an ihr poetisch; jede Linie ihrer Gestalt, jeder Blick, jede Bewegung entzückte ihn. Die ruhige Anmuth ihres Benehmens erschien ihm edel im schönsten Sinne des Worts, das höhere Bewußtseyn, das nicht selten aus ihren Zügen sprach, für eine von der Natur so verschwenderisch ausgestattete Jungfrau durchaus geziemend; der sichere Takt und der Verstand, den sie im Gespräch mit ihm zeigte, verrieth ihm einen geradezu genialen Geist. Sie herrschte in ihrem Hause — das gebührte ihr. Nach Geist und Charakter war sie geartet, als Fürstin ein Volk zu regieren; und wenn ihr dieses Loos nicht zufallen konnte, so war es am Ende auch schön, als Gattin eines Dichters durch’s Leben zu gehen und als Urbild seiner schönsten Gestalten von einer Nation gefeiert zu werden.

Daß er zum Dichter bestimmt war im vollsten Sinne, konnte das eine Frage seyn? Wenn er bisher keine Gewißheit hatte, jetzt war sie gegeben: mit dem glühenden Gefühl, mit dem phantasievollen, hochstrebenden Geist, den er sich zusprechen durfte, hatte er Sie gefunden, die alle seine Kräfte belebte, steigerte, auf die höchsten Ziele lenkte, an der er die herrlichsten Eigenschaften des Weibes anschaute und die ihm zugleich die ausdauerndste Anstrengung, den reinsten Kunstfleiß zur frohen Pflicht machte, weil die Früchte davon sie erquicken sollten. Jetzt hatte das Schicksal seine Hoffnung, seinen Glauben feierlich bestätigt, ihm die Richtung und das Ziel seines Lebens im hellsten Sonnenlicht gezeigt. Alles stimmte zusammen. Zu der Leidenschaft und dem glühenden Ehrgeiz des Dichters kamen die lieblichsten Geschenke der Welt und der Natur; gute Geister halfen ihm und bereiteten ihm die Wege; ja es sollte in ihm wieder einmal ein Poet ausreifen, der, in eigenster Seele glücklich, auch die andern beglückte und den himmlischen Glanz der Liebe und Freude in die Seelen ergoß.

Jahre gingen hin. Das Verhältniß gedieh weiter, indem die beiden Herzen vertrauter und in Momenten schöner Erregung die liebenden Blicke des Dichters gar warm und hold erwiedert wurden; aber zur förmlichen Erklärung und zum festen Beschluß kam es dennoch nicht. Der Grund lag in der Zurückhaltung Auguste’s, die in ihrer Freundlichkeit, auch bei lebhafterer Wallung des Herzens, ein gewisses Maß nicht überschritt und auch den Liebenden in den Schranken des Verehrers zu halten oder doch wieder in sie zurückzuführen wußte. Außerdem war Heinrich so glücklich, sie immer wieder sehen, mit ihr verkehren und ihr die Aufmerksamkeit der Liebe erweisen zu können, daß er eine Aenderung, wäre es auch eine glückerhöhende gewesen, kaum wünschte. Was er hatte, war so hold, so voller Duft und Poesie! Und das Andere mußte ja kommen — in schönster Weise kommen, wenn sein Ruhm als Dichter nicht mehr eine bloße Verheißung, sondern eine vollendete Thatsache war!

Die Liebe macht jedes Wesen klug und — nach Möglichkeit — praktisch, sogar den poetischen Idealisten. Heinrich sah wohl, daß die Verwandten ihre Tochter nur einem wohlgestellten Manne geben würden; und wenn er sich nun durch Vorlesen klassischer Dichtungen und eigener Arbeiten angenehm und interessant machte; wenn er bei Gelegenheit ein wirksames, die betreffenden Personen schmeichelhaft berührendes Lied sang; wenn er hie und da auch eine der Kritiken mittheilte, die er in Journale zu liefern begann, so versäumte er nicht, bei natürlichen Anlässen die Vortheile jetzt lebender Schriftsteller vor ihren ehemaligen Genossen in’s Licht zu setzen und nachzuweisen, daß ein Mann der Feder, wenn er thätig sey, durch bloße Zeitungsartikel sich ein Einkommen zu beschaffen im Stande wäre, das dem eines gut besoldeten Staatsdieners gleich komme, ganz abgesehen von den möglichen Erfolgen als Lyriker und Erzähler, und nun gar als dramatischer Dichter, der erst von den deutschen Bühnen und dann von dem Verleger stattliche Ehrensolde zu erlangen vermöge.

Da es galt, eine Kaufmannsfamilie zu überzeugen, so rechnete er genau vor, was man durch Lieferung so und so vieler Bogen in politische und literarische Journale sich erwerben könne, was Bücher einbringen, die Auflagen erleben, und was namentlich an Tantièmen und Honorar ein Stück abwerfe, das den Siegeszug über die Bühnen Deutschlands mache — der wackere Jüngling, der, während er diese Möglichkeiten sich und Andern vorhielt, auch von der ersten einen nur äußerst mäßigen Gebrauch machte und es für ehrenvoller und natürlicher hielt, seine Bezüge fortgehenden Anstrengungen des Vaters zu danken. Der Vetter indeß hörte die Darlegung mit Antheil, gewann von dem merkantilischen Sinn des Poeten einen vortheilhaften Begriff und sprach einmal seine ernstliche Freude darüber aus, daß nun doch auch die Schriftsteller und Dichter wie solide Menschen zu leben vermöchten. „Freilich,“ setzte er lächelnd hinzu, „müssen ihre Gedanken auch durchgehen!“ Der Jüngling, in seiner vollkommenen Sicherheit, stimmte mit so heiterer Miene bei, daß der Alte freundlich hinzufügte: „Nun, bei dir hoffen wir das Beste, nach den schönen Sachen, die du uns schon vorgelesen hast....“

Die instinktmäßige Beschwichtigung eines rechnenden, in Literaturverhältnissen aber nicht eben bewanderten Mannes diente dem jungen Mann nachhaltig. Seine dichterischen Arbeiten wurden mit größerem Antheil gehört, und als er am Geburtstag der Mutter ein kleines Festspiel aufführen ließ, in welchem Auguste die Hauptrolle gab und das einen sehr anmuthigen, deßgleichen rührenden Eindruck machte, gratulirte man ihm auf’s wärmste; Auguste dankte ihm zärtlich, die Eltern glaubten auch auf die dramatischen Projekte des Poeten Vertrauen setzen zu können und sagten sich, daß er am Ende doch der Mann wäre, ihre Tochter glücklich zu machen. Unser Musensohn durfte unter den Verehrern der gefeierten Schönheit nicht nur ungestört sich bemerklich machen, sondern es wurde in dem Kreise allmählich auch angenommen, daß er der Bevorzugte, der Erwählte sey, und daß man eines schönen Morgens die Verlobungsanzeige lesen könnte.

Während einer längeren Abwesenheit nach jenem poetischen Sieg drohte seinen Hoffnungen indeß einen Moment große Gefahr. Ein Anbeter Auguste’s bewarb sich um ihre Hand. Es war ein Beamter, der eine bedeutende Stelle inne hatte, noch in guten Jahren stand und sich einer ansehnlichen Gestalt erfreute. Die Eltern, geschmeichelt, wußten die Ehre sehr zu schätzen, gaben aber die Entscheidung der Tochter anheim; diese, in höflichen Ausdrücken, ertheilte dem Bewerber einen Korb. Heinrich war unendlich erfreut, als ihm das Ereigniß von einem Bekannten gemeldet wurde. Nun hatte er den vollen Beweis, daß ihr Herz ihm gehörte, auf ewig gehörte! Und nun wollte auch er nicht länger säumen, sondern in muthigem Anlauf sein Glück versuchen, um die Hauptentscheidung seines Lebens herbeizuführen.

Er hatte eine historisch romantische Tragödie begonnen, die ihn bald vor allen andern Arbeiten anzog, und wenn er sich an sie hingab, ihn anmuthete wie eine erhabene poetische Waldlandschaft. Der Kern der Handlung war ihm durch die sagenhafte Geschichte einer fürstlichen Familie gegeben, die wirksamsten Momente hatte er aber selber erfunden, indem er die Hauptpersonen zu gleicher Zeit romantisch idealisirte und den Sinn der historischen Vorgänge vertiefte. Jeder Act schien ihm Scenen zu enthalten, die, gut gespielt, auf die Zuschauer ergreifende, erschütternde Eindrücke hervorbringen mußten. Es gibt eine Poesie der Situation und der Sprache, der sich niemand entziehen kann; und diese Poesie schien ihm in den fertigen Theilen so gelungen, daß er über die gleichmäßige Hinausführung des Ganzen nicht mehr in Sorge zu seyn brauchte. Denn bei poetischen Kunstwerken kommt es auf den Entwurf und das richtige, farbensatte Treffen des Anfangs an; dieser führt dann zum entsprechenden Fortgang und Ende mit Nothwendigkeit, indem das Oberflächliche und Matte, das in schwächeren Augenblicken in das Gemälde kommt, von dem überwiegend Großen und Mächtigen immer selbst wieder ausgestoßen wird.

Reines Glück der jugendlichen Dichterseele, wenn ein wundersames, reiches, romantisch holdes und großes Bild vor ihr steht und sie dasselbe Zug für Zug, ja noch farbiger und mannigfaltiger, als sie es anschaut, auf’s Papier bringen zu können hofft! Wenn die Verse dem liebenden Sinn leuchten, würzig duften und das Herz an Alles, was erhaben, schaurig und süß in der Welt ist, dabei erinnert wird! In den beglücktesten Momenten ist es keinem zu verdenken, wenn er glaubt, etwas Hamlet- und Faustähnliches hervorgebracht zu haben. Und wenn das nun, prächtig ausgestattet, von ausgezeichneten Schauspielern dargestellt, auf die Herzen der Zuschauer eindringt? — Der Sieg ist unvermeidlich und die Ueberwundenen müssen Beifall jubeln!

Ein Jahr etwa vor dem Beginn unserer Erzählung brachte Heinrich das Stück zu Ende. Er ging es kritisch genau durch und opferte manchen Vers, der ihm an sich poetisch, aber den Gang der Handlung aufhaltend erschien, so wie er sich überhaupt immer fragte, welchen Effekt die wesentlichsten Scenen auf der Bühne zu machen im Stande wären. Durch Erfahrung belehrt, wie sehr Autoren sich täuschen können, theilte er das reingeschriebene Manuscript nacheinander zweien Freunden mit und ließ sich von diesen zu nicht unbedeutenden Aenderungen und Streichungen bestimmen. Endlich glaubte er einstweilen sicher zu seyn und wollte das Werk eine erste Probe bestehen lassen, indem er es im Hause der Geliebten vorlas.

An einem schönen Sommerabend, vor einer gewählten Versammlung, die den runden Theetisch im Gartenhaus umsaß, machte er den Versuch, der über Erwarten gelang. Die Einleitung, die er voranschicken zu müssen glaubte, wurde noch etwas befangen gegeben, aber die Verse weckten den Muth des Autors, und bald las er mit einer Wärme, die sich nach und nach zur Begeisterung steigerte. Er fand den Ton der Liebe, des innigen Ernstes, des pathetischen Schwunges, des schlagenden, zermalmenden Ausbruchs. Die Zuhörer, erst ruhig und schweigsam, dann erfreut, gerührt und nach den effektvollsten Stellen mit ihrem Beifall nicht karg, waren am Schluß höchlichst erregt, und die bei den letzten Acten nöthig gewordenen Lampen beleuchteten ernst ergriffene, gehobene, glückliche Gesichter. Am glücklichsten war freilich der Autor. Er empfing — wie das nach einem derartigen Sieg der Fall zu seyn pflegt — von allen Seiten Lobsprüche, die noch um ein Gutes mehr besagten, als es die Anerkennenden am andern Tage gutgeheißen hätten; sein Antlitz, mitten im Fluß bescheidener Ablehnungen, strahlte in beinahe mädchenhafter Wonne; und als er endlich einen Moment allein gelassen wurde, gestand er sich, wie viel von diesen Beifallsworten auch abgehen möchte, ein würdiger Erfolg seines Stücks auf der Bühne sey doch wohl ganz gesichert. „Ein würdiger Erfolg?“ rief eine Stimme aus den Tiefen seiner Seele. „Das ist nicht genug! Ein durchschlagender, ein hinreißender muß es seyn!“

Nach der Entfernung der Geladenen sahen ihn Eltern und Geliebte mit vertrauensvolleren Blicken an. Man gratulirte nochmals, der Vater namentlich mit bedeutungsvoller Miene, und endlich wünschte man sich mit einer so ruhigen Freude und Zufriedenheit Gutenacht, als ob schon Alles gewonnen, der Bund schon geschlossen wäre.

Andern Tages reiste der Glückliche nach Hause, um durch Schilderung seines Triumphs die Mutter zu entzücken, den Vater im Glauben zu stärken und ihn zu einer freilich bedeutenden, aber jetzt unzweifelhaft letzten Spendung zu vermögen. Der brave Herr, mit hoffendem Lächeln, aber auch wieder mit bedenklicher Miene, sorgte für das bereits erwähnte Päckchen Papiergeld, das dem Sohne Muße gab, den Bühnenerfolg an entscheidender Stelle vorzubereiten und gründlich zu erkämpfen. Mit dem elterlichen Segen ging dieser wieder zum Vetter zurück, um allerlei Einkäufe zu machen, ein paar Tage in der Familie zu verleben und dann auf Postwagen und Eisenbahn dem Wahlplatz zuzueilen.

Die Verwandten halfen ihm bei seinen Besorgungen mit heiterer Traulichkeit und einem Ausdruck von Achtung, der dem Dichter ganz besonders wohlthat. Am Abend wußte er die Geliebte allein im Garten und eilte, sie aufzusuchen.

Nach etwelchen alltäglichen Fragen und Antworten begann er mit einem gewissen Lächeln: „Morgen also, liebe Auguste, geht’s fort — in’s Feld.“ — „Ich wünsche dir alles Glück dazu, Heinrich,“ erwiederte sie mit ernster Empfindung; „von ganzem Herzen.“ — „Es gehört viel Muth zu dem Unternehmen,“ fuhr der junge Mann fort, indem er sie bedeutsam ansah; „denn für mich steht nicht weniger als Alles auf dem Spiel!“

Das Mädchen, zu Boden sehend, versetzte: „Mögest du gewinnen — Alles gewinnen — das ist mein Wunsch und meine Hoffnung!“ — Sie schaute auf, ihm in’s Auge; es war ein Blick der freundschaftlichsten Theilnahme — der Liebe, der ihn traf und entzückte.

Rasch faßte er ihre Hand und rief, sie zärtlich drückend mit überwallender Herzlichkeit: „Ich danke dir, Auguste — und gehe getrost. Es muß mir ja gelingen — wenn nicht um meinetwillen, so doch um deinetwillen, da du so lieb und so gut bist, es zu wünschen. Wenn nur,“ setzte er mit einem eigenen Ausdruck von Sorge und Hoffnung hinzu, „die Prinzessin gut gespielt wird!“

Auguste lächelte. Sie hatte wohl gemerkt, daß zu dieser Figur sie gesessen und der Dichter alles aufgeboten hatte, sie darin zu verherrlichen. „Wie mir der Doktor sagte,“ bemerkte sie, „haben sie in der Residenz gerade für diese Rolle eine sehr gute Schauspielerin!“ — „In Gottes Namen,“ versetzte der Autor. „Mir,“ fügte er halb lächelnd hinzu, „wird sie freilich nicht ganz genügen können, wie gut sie’s auch machen mag, aber dafür kann sie nicht! Wenn sie nur das Publikum ergreift und hinreißt; denn diese Rolle muß entscheiden. Nun, und wenn ich dann wiederkehre — mit dem Lorbeer wiederkehre —?“

Auguste war zu einem Strauch getreten, um eine eben aufbrechende Rose zu pflücken. Indem sie ihm dieselbe bot, sagte sie, mit einem leisen Hauch von Verlegenheit, gütig: „Zum Andenken — an unsern Garten, wo wir so schöne Stunden verlebten. Möge sie dir Glück — alles Glück bedeuten!“

Heinrich sah auf die Rose und die rosig Blühende, und wäre dieser gern um den Hals gefallen, wenn es auf dem häuser- und fensterumgebenen Platz nur irgend hätte gewagt werden können. Dafür ergriff er ihre Hand, preßte sie zärtlich und rief: „Dieser Rose wird der Kranz folgen, nach dem ich trachtete von Jugend auf; und dann, dann hoff’ ich auf deinem Haupt einen noch schöneren zu sehen —“ — Das Mädchen, unwillkürlich, erwiederte den Druck der Hand, erröthete tiefer und sah den schönen und liebenden Dichter mit dem reinsten Wohlwollen an. — —

Wird der Leser nun begreifen, daß Heinrich den ersten Abend in der Residenz ganz dem Cultus der Geliebten widmete? Er hatte ihr lange gedient, und ihr eigenartiges Wesen, ihr jungfräulicher Stolz hatte ihn in ihrer Neigung sichtlich nur langsame Fortschritte machen lassen; aber endlich hatte er das geliebte Herz gewonnen — gewonnen für Zeit und Ewigkeit.

Die Briefe, die er von ihr erhalten, waren aus verschiedenen Jahren. Er hatte den ersten, den ihm die noch nicht erwachsene Cousine schrieb, glücklicherweise nicht verloren und besaß also jede Zeile, die sie, anfragend oder antwortend, an ihn gerichtet hatte. Auch diese ihre Aeußerungen charakterisirte im Ganzen eine gewisse ruhige Zurückhaltung; in denen aus der letzten Zeit herrschte aber ein wärmerer Ton, und wenn die freundlichsten Stellen an hingebender Empfindung auch nicht den entsprechenden in seinen Briefen gleichkamen, so übten sie doch auch jetzt wieder eine beseligende Wirkung auf ihn. Im übrigen war ihm alles köstlich, was er las; alles war bezeichnend für sie und rief ihm ihr himmlisches Bild vor die Seele.

Er ging so ziemlich wieder alle ihre Briefe durch, indem er das schwindende Tageslicht durch Kerzenlicht ersetzte. Ein Ausspruch, auf den er traf, erinnerte ihn an eine Stelle in seiner Tragödie; er schlug sie auf und las, indem er vorwärts und rückwärts ging. Wieder konnte er nicht umhin, die Dichtung von Herzen zu approbiren. — Endlich legte er das Manuscript weg. Es waren ihm Ideen gekommen, die er sich nicht entgehen lassen durfte; er nahm ein Heft mit der Aufschrift: „Gedanken und Entwürfe,“ schrieb, sann weiter nach, schrieb wieder, und blickte zuletzt mit eben so innig vergnügten als selbstzufriedenen Mienen in dem kerzenhellen Zimmer umher.

Der Dichter, wie wir hier bemerken müssen, cultivirte eine Art Aberglauben; nicht ernstlich, vielmehr spielend und sich gelegentlich selbst darüber belustigend, ohne indeß den angenommenen Vorzeichen alle Einwirkung auf sein Gemüth rauben zu wollen. Früh schon wurde er sich mit angenehmer Empfindung seines Namens „Born“ bewußt, da er ihm in seiner Kunst eine unerschöpflich quellende Frische zu verheißen schien; und auch mit seinem Vornamen, den so gewaltige Männer, unter andern der größte deutsche Kaiser getragen, war er sehr zufrieden. Denn im Grunde, sollte im nomen nicht dennoch ein omen gegeben seyn können? Daß jedes Zeichen, dem eine Bedeutung beigelegt wird, in der That etwas bedeute, konnte man freilich nicht behaupten; aber das war auch noch nicht erwiesen, daß hier immer der blinde Zufall waltete. Vielleicht gefallen sich höhere Mächte doch darin, gewisse bevorzugte Naturen durch entsprechende sinnliche Erscheinungen auf ernstere Ereignisse vorzubereiten und zum Abwarten zu ermuthigen — wer weiß es?

Dermalen vergegenwärtigte sich nun der gute Freund unwillkürlich seinen Eintritt in die Residenz, den heitern Abend und die in ihm angeregten frohen Gefühle; die interessante und anziehende Begegnung der beiden Damen; das traute Zimmer im Gasthof und die seligen Eindrücke, welche Geschenk und Briefe der Geliebten auf ihn gemacht; die Tragödie, die ihm unwiderstehlich wieder imponirte, und endlich die Fülle neuer, schöner Ideen. Aber noch blieb etwas übrig.

Er schlug einen kleinen Kalender auf, den er bei sich führte, suchte den Namen des heutigen Tages, und las auf der katholischen Seite „Justinian,“ auf der protestantischen, zu seinem großen Vergnügen, „Herkules.“ Herkules! welch glorioser Patron! Und noch dazu bei wachsendem Mond! — Der folgende Tag war bezeichnet durch „Magnus,“ der dritte durch „Regina;“ bessere Tage zum Einzug in die Stadt, wo die große Entscheidung fallen sollte, hätte er sich offenbar nicht wünschen können.

Wundersam erheitert und kaum über sich selbst lächelnd, erhob er sich, um in’s Speisezimmer hinunterzugehen; denn bei der idealistischen Beschäftigung hatten sich endlich doch Hunger und Durst sehr merkbar eingestellt. Er vollendete nun die guten Auspicien, indem er eine bedeutende Portion Braten verzehrte, eine Flasche vom Besten ausstach, wobei er das erste Glas für sich auf das Wohl der Geliebten leerte, und endlich zu Bette gegangen rasch in tiefen Schlaf sank.

II.

Es gibt nicht leicht ein angenehmeres Gefühl, als wenn ein phantasiebegabter Mensch nach gesundem Schlaf in einem Zimmer erwacht, das dem überraschten Auge fremd erscheint und auf das er sich erst wieder besinnen muß. Sagt er sich dann auch, wo er ist, so wirkt der Zauber der Neuheit doch fort, und ein poetischer Dämmer webt vor seinen Blicken. Das ist recht die Zeit der wachen Träume, der beglückenden Vorstellungen, die dem hoffenden Gemüth in der wachsenden Morgenhelle wundersam, ungleich muthiger und frischer gelingen, als Abends zuvor.

Heinrich machte davon die lieblichste Erfahrung. Der Tag ließ sich so heiter an wie der gestrige. Ein goldener Reflex der Wetterfahne, die er von seinem Bett aus erblickte, verkündigte dem Liegenden die aufgegangene Sonne, und nun ließ es ihn doch nicht länger ruhen. Denn nicht zum Phantasiren und Träumen, sondern vielmehr zum klaren Ueberlegen und Handeln war er in die Residenz gekommen.

Er erhob sich, kleidete sich an und bestellte das Frühstück. Im Sopha zurückgelehnt überdachte er die Aufgaben des Tages. Er hatte ein Empfehlungsschreiben von einem Universitätsfreund an einen Schriftsteller, ein zweites von einem älteren Schauspieler, den er in der letzteren Zeit kennen gelernt, an eine junge Kunstgenossin, Mitglied der hiesigen Hofbühne, und eine Karte von einem Schulrektor der Handelsstadt an einen Gymnasialprofessor und namhaften Gelehrten. Sein Beschluß war, die Gänge gleich den Vormittag zu machen. Er wollte zuerst den Schriftsteller, dann den Professor und zu guter Letzt die Künstlerin aufsuchen.

Nach gemüthlichem Schlendern und Betrachten der Hauptstraßen und Plätze, wobei er sich am längsten vor dem Kunsttempel aufhielt, in dessen Innern die für ihn so wichtige Entscheidung fallen sollte, begab er sich in die Wohnung des Autors, der sich besonders in den Fächern der Erzählung und der Kritik bekannt gemacht hatte.

Er fand einen untersetzten, wohlgenährten, ruhig blickenden Mann von mittlerem Alter. Betroffen sah er ihn an; denn nach dem Feuer und der blühenden Sprache einer seiner Novellen hatte er sich ihn ganz anders vorgestellt. Dr. Willmann — so hieß der Schriftsteller — nahm das Empfehlungsschreiben, las es, warf auf den Empfohlenen einen prüfenden Blick und sagte dann: „Sie sind, wie ich aus dem Brief abnehme, Literat?“ — Man kennt den Begriff, den Heinrich von sich selbst erlangt hatte. Er trachtete nach der Wirksamkeit eines Dichters im hohen Styl, konnte sich eine ehrenvollere und segensreichere nicht denken, und wollte darum als Dichter auch gelten. Nun war aber für die Männer der Feder die Bezeichnung „Literat“ im Gebrauch, allgemein genug, um die besten und die schlechtesten in sich zu begreifen, und darum den Behörden und dem Publikum sehr handlich, dagegen für den Ehrgeizigen und Hochstrebenden, der so den schlimmsten seiner Metiergenossen gleichgestellt wurde, sehr übel anzuhören. An sich ein Ehrentitel, hatte der Name durch allzuweite Ausdehnung auf Solche, die sich mit literis fast nur im materiellsten Sinne zu thun machten, eine Zweideutigkeit erlangt, daß er auf gewisse Nerven geradezu peinlich wirkte; und zu diesen gehörten die Heinrichs. Das konnte jetzt freilich nichts helfen; nach einer augenblicklichen unangenehmen Empfindung und momentanem Zucken fühlte er, daß er in den sauern Apfel beißen müsse, und sagte dann, ohne indeß ein gewisses vornehmes Lächeln unterdrücken zu können: „Wenn Sie wollen, ja. Die Aufgabe meines Lebens ist aber die Poesie, und ich hoffe mit der Zeit das Prädikat eines Dichters verdienen zu können!“

Der Erfahrene lächelte. „Um so besser,“ erwiederte er. „Sie haben bis jetzt noch nichts Größeres veröffentlicht?“ — „Noch nicht. Allein ich will hier —“ — „Ein Stück aufführen lassen — das steht im Brief. Ist es ein Schauspiel? — ein Lustspiel?“

Heinrich schüttelte den Kopf, als ob er sagen wollte: „Bah!“ — „Eine historisch-romantische Tragödie“ erwiederte er. — „Ah!“ rief der Andere; und heiter setzte er hinzu: „In Versen?“ — „Das meiste: einzelne Scenen in Prosa.“ — „Wo Volk spricht — shakespearisch! — Ich bitte Sie, Platz zu nehmen.“

Heinrich setzte sich und theilte dem neuen Bekannten auf dessen Befragen Gegenstand und Verlauf des Stücks im Allgemeinen mit. Willmann horchte — bald mit Interesse. Wenn auch bei gewissen Versicherungen des Poeten, wie er dieß und jenes ausgeführt zu haben glaube, ein Schein von ironischer Beistimmung in dem runden Gesicht aufging, so verfehlte doch die ehrlich überzeugte, nach und nach begeisterte Art der Darstellung nicht, einen gewissen Eindruck auf ihn zu machen. Er fühlte, daß der junge Mann Talent habe — guten Willen obendrein — und im Grund verdiene, damit auf den rechten Weg gewiesen zu werden.

„Sehr interessant!“ rief er, nachdem Heinrich das Referat geschlossen; „und wenn das Alles gut und schön motivirt ist — darauf kommt freilich Alles an — dann kann’s auf der Bühne schon eine Wirkung machen. Indessen, mein lieber Herr Doctor, Trauerspiele sind eigentlich nicht mehr zeitgemäß. Man will heutzutag erheitert, unterhalten seyn und wohlthuende Eindrücke empfangen, und man liebt daher vor allem den sogenannten guten Ausgang.“ — „Mag seyn,“ versetzte der Poet nach einem unwillkürlichen Mundverziehen. „Aber zur Abwechslung wird doch wohl auch eine Tragödie, wenn sie wirklich poetisch ist —“ — „Ihr Publikum finden?“ ergänzte der Andere; „allerdings; aber ein kleines und minder treues,“ fügte er lächelnd hinzu. „Sicherer werden Sie immer gehen, wenn Sie das Lustspiel und Schauspiel cultiviren und darin hauptsächlich moderne Gegenstände behandeln.“

„Am sichersten,“ versetzte Heinrich mit selbstgewissem Lächeln, „geht der Dichter, wenn er seinem Genius folgt. Das hab’ ich bei diesem Stücke gethan, und ich hoffe, es wird sich rechtfertigen.“ — „A la bonne heure,“ erwiederte der Doctor erheitert. „Wenn das ist, dann haben Sie freilich gewonnen und können Ihren Weg gehen nach Belieben. Der Erfolg entscheidet. Indessen,“ fuhr er nach momentanem Schweigen fort, „wie sehr er durch die Güte der Arbeit verbürgt seyn mag, der Erfolg auf der Bühne muß doch auch sonst noch vorbereitet werden. — Haben Sie das Stück schon eingereicht?“ — „Noch nicht. Ich möchte vorher noch eine Copie — der Sicherheit wegen —“ — „Ich begreife. Nun, wenn es die Intendanz hat, rathe ich Ihnen, die Herren Regisseure zu besuchen. Es sind meine Freunde, und Sie können sich bei jedem auf mich berufen.“ — „Sehr dankbar.“ — „Und dann — unnütz wär’s nicht, wenn Sie auch die persönliche Bekanntschaft der hiesigen Theaterkritiker bald zu machen suchten. Es ist immer besser, sich ihnen empfohlen zu haben.“

Hier sah ihn der Dramatiker zweifelnd an und sagte nach einigem Zögern: „Herr Doctor, wenn ich offen reden soll, das widersteht mir einigermaßen, und ich meine, ich kann’s überhaupt unterlassen. Macht mein Stück die Wirkung, die ich hoffe, dann werden die Kritiker schon gezwungen seyn —“ — „Es zu loben, meinen Sie? Da sind Sie doch wohl im Irrthum. Kritiker lassen sich zu nichts zwingen, am wenigsten zur Anerkennung. Ihr Urtheil steht mit dem des Publikums oft im direktesten Widerspruch.“ — „Womit sie sich dann aber nur selber schaden!“ versetzte der Poet mit Nachdruck.

Doctor Willmann zuckte die Achseln und schwieg. Nach einer Pause erhoben sich beide und jener sagte: „Mein lieber Herr College, Sie sind mir von einem guten Freunde empfohlen und ich glaubte Sie darum auf Alles aufmerksam machen zu müssen, was Ihnen nützlich seyn kann. Was Sie thun wollen, ist natürlich ganz Ihre Sache. Sollte ich Ihnen aber künftig in etwas dienen können, so bitte ich Sie, wenden Sie sich an mich. Unter allen Umständen ist es mir sehr angenehm, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.“

Heinrich verließ den Schriftsteller mit gemischter Empfindung. Eine gewisse Höflichkeit in den Formen konnte er ihm nicht absprechen; indessen von einer höheren Gesinnung hatte er nicht sehr viel wahrgenommen und das gelegentliche sarkastische Lächeln, das ihm nicht entgangen war, konnte ihm nicht gefallen. „Ein Freund,“ sagte er sich, „wird das nicht werden, das ist klar. Allein dienstfertig scheint er doch zu seyn, und am Ende muß man jeden nehmen, wie er ist.“

Nach kurzem Luftschöpfen begab er sich zum Professor. Durch ein Dienstmädchen, dem er die Empfehlungskarte übergeben hatte, angemeldet, wurde er in der Wohnstube von der Frau empfangen, die ihm sagte, ihr Mann arbeite noch, werde aber bald fertig seyn und freue sich, den Herrn Doctor kennen zu lernen. Sie fragte ihn nach der Familie des Schulrektors, die sie kannte, ließ sich von ihm über seine Herfahrt und die ersten Eindrücke der Residenz berichten und schaute ihn bald mit offenem Wohlwollen an. Ein etwa siebzehnjähriges hageres und ziemlich bleichsüchtiges Mädchen trat von einem Seitenzimmer ein und wurde von der Frau als ihre älteste Tochter vorgestellt. Da sie mit der behaglich aussehenden Dame fast gar keine Aehnlichkeit hatte, so glaubte Heinrich von ihr einen Schluß auf den Vater ziehen zu können. Auch sie thaute bald auf und warf auf den stattlichen jungen Gelehrten, wofür sie ihn hielt, nach einer Weile, da er sich zur Mutter gewendet, verstohlenerweise einen sehr beifälligen Blick. Endlich wurden in dem entgegengesetzten Seitenzimmer Schritte hörbar, die Thüre ging auf und eine lange, hagere Figur mit gelblich braunem Gesicht rief: „Herr Doctor, darf ich bitten?“

Heinrich verfügte sich in das Studirzimmer, stellte sich vor und betrachtete die Züge, die er schon einigermaßen errathen hatte, während der ersten Begrüßungsreden mit Interesse. Professor Sartorius war Lehrer der obersten Gymnasialklasse und ein so leidenschaftlicher Pfleger der classischen Philologie, daß es ihn schwer ankam, diejenigen, die in der Sphäre derselben nicht heimisch waren, ernstlich zu schätzen. Er hatte sich durch zwei scharfsinnige Werke voll kühner Hypothesen einen Namen und Gegner gemacht, und dieß erfüllte ihn mit einem galligen Stolz, der für gewöhnlich mit richterlicher Strenge gepaart aus seinem raubvogelähnlichen Gesicht hervorsah. Freundlichkeit war ihm eine schwierige Sache; er mußte dazu ein gewichtiges Motiv haben oder einen besondern Anlauf nehmen. Dießmal war sie aber doch, nach Möglichkeit, vorhanden, und die eigenthümlichen Züge, welche lächelten, erschienen unserem jungen Mann sehr charakteristisch.

Die Antworten, die ihm Heinrich auf seine ersten Fragen gab, mußten ihm gefallen, denn er sah diesen mit dem humansten Blick an, dessen er fähig war, und sagte: „Ich irre mich wohl nicht, Sie wollen sich gleichfalls dem Lehrfach widmen?“ — Heinrich sah ihn überrascht an. — „Sind Sie nicht Philolog?“ fuhr jener fort. — „Nein,“ versetzte Heinrich. „Ich habe —“ — „Ah so,“ fiel der Professor ein; „ein anderes Fach. Nun, und was für eines? — Geschichte — Mathematik — Naturwissenschaft — Philosophie?“

Bei diesen schwerwiegenden Namen schüttelte unser Poet den Kopf, erwiederte aber, mit ahnender Seele, zögernd: „Ich habe — ich bin — Dichter.“ — „Dichter!“ wiederholte der Gelehrte, indem er ihn mit einer Betroffenheit ansah, die einem ruhigen Beobachter komisch erschienen wäre. „Dichter! — Und sonst nichts?“

Durch diese Frage, die dem Gelehrten unwillkürlich aus dem Munde kam, fühlte sich nun aber begreiflicherweise der Poet verletzt. „Ich meine, das wäre genug,“ entgegnete er mit einer gewissen Schärfe. „Wenn man’s recht ist —“ — „Allerdings,“ versetzte der Professor mit einem Ausdruck, der bezeugte, daß er den jungen Mann bereits völlig aufgegeben habe. Dieser sah, wie er mit dem Herrn daran war, und sann auf eine Form, hinwegzukommen. Aber der Schulmann sammelte sich wieder, da er bedachte, ein von seinem Collegen ihm Empfohlener müsse doch irgend eine Bedeutung haben; und indem er seinem Gesicht mit Anstrengung einen gewissen Schein von Höflichkeit zu geben suchte, fuhr er fort: „Ohne Zweifel haben Sie schon dichterische Werke der Oeffentlichkeit übergeben? Ich bin in der neuesten deutschen Literatur nicht sehr bewandert, wie ich Ihnen bekennen muß. Berufsgeschäfte und Fachstudien —“

„O,“ versetzte Heinrich, „wenn Sie die neuesten Werke auch alle angesehen hätten, von mir würden Sie doch keines darunter getroffen haben; denn ich habe bis jetzt noch keines herausgegeben.“ — „So?“ erwiederte der Professor, dem sein College nun ganz unbegreiflich wurde. — „Ich habe aber,“ fuhr Heinrich trotz allem wieder mit einem gewissen Bewußtseyn fort, „ein größeres Werk vollendet, eine historisch-romantische Tragödie, die ich bei dem hiesigen Hoftheater einreichen will.“

Der Professor nickte mit einem unbeschreiblichen Ausdruck. Heinrich, in seiner Zuversicht, fügte hinzu: „Wenn es gegeben wird und Sie der Aufführung beiwohnen —“ — Nun war aber die Geduld des Mannes zu Ende. Mit offenster Geringschätzung und gereizt scharfem Ton erwiederte er: „Ich gehe nie in’s Theater! — Finde keine Zeit dazu, Herr Doctor,“ setzte er etwas milder hinzu, indem er den gelehrten Titel ironisch accentuirte, „und muß also schon bedauern —“

Heinrich begriff die vollkommene Zwecklosigkeit weitern Hierseyns, „glaubte also die kostbare Zeit des Herrn Professors nicht länger in Anspruch nehmen zu dürfen,“ und empfahl sich mit dem ernsten Stolz eines Verletzten. Die Miene des Gelehrten, der sich einer Last überhoben sah, erhellte sich wieder einigermaßen; er trug dem Abgehenden seltsam lächelnd einen Gruß an den Schulrektor auf, geleitete ihn und zeigte ihm die Gangthüre, indem er sagte: „Wenn ich Ihnen sonst in etwas dienen kann —“ — Heinrich, seinerseits ironisch, verbeugte sich tief und entfernte sich.

Dem Rückkehrenden trat die Frau neugierig entgegen. „Nun,“ rief sie, „wie hat dir der junge Mann gefallen? Ist er wirklich —?“ — „Ein Literat!“ fiel der Gatte ein, indem er seiner Verachtung freien Lauf ließ; „ein Mensch, der noch nicht einmal Literat ist! Ich begreife nicht, wie mir der alte Krug so einen Gesellen in’s Haus schicken konnte. Es sieht beinahe aus, als ob er mich damit ärgern wollte. Nun,“ setzte er mit einem selbstzufriedenen grimmigen Lächeln hinzu, „er wird so bald nicht wiederkommen.“ — Die Frau stand überrascht, ja betrübt, und sagte endlich mit Bedauern: „Schade!“

Heinrich ging mit sehr ernstem Gesicht auf der Straße weiter. „Ein fataler Mensch!“ sagte er sich endlich, „und kein gutes Omen! Dieser Pedant, der seine Weisheit aus Büchern gezogen hat, glaubt ein großer Geist zu seyn, brüstet sich mit Verachtung der Kunst, und weiß nicht, daß er vor Gott und Menschen eine widerliche Figur ist. Ah, bah!“

Entschlossen zog er den Hut auf die Stirn, lächelte über sich selbst und schritt mit erneutem Muthe weiter. Körperlich fühlte er sich aber ziemlich ermattet und folgte daher der Einladung eines Schildes, der ihm eine Auffrischung versprach. Er ließ einen guten Jahrgang kommen, trank mit Bedacht und konnte nicht umhin, dankbar auf das Gewächs zu sehen, das es so gut mit ihm meinte und so poetisch duftete, während ihm die Menschen prosaisch erschienen oder gar ernstlich unangenehm wurden.

Der Wein versetzte ihn trotz allem bald in die Stimmung, seinen dritten und wichtigsten Gang zu unternehmen; und ein gewisses Gefühl sagte ihm, daß er damit besser fahren werde. Eine Schauspielerin konnte einen Dichter, der ihr Rollen zu schreiben verhieß, unmöglich anders als liebenswürdig empfangen; und sein Freund, der alte Schauspieler, hatte ihm die Betreffende zwar etwas zum Necken geneigt, sonst aber als durchaus verständig, edeldenkend und gutartig geschildert. Er machte sich auf den Weg und stand bald im zweiten Stock eines hübschen Hauses vor der gesuchten Thüre. Auf sein kräftiges Klingeln erschien eine alte Magd; er übergab ihr das Schreiben, nannte seinen Namen und wurde von der Wiederkehrenden in einen kleinen Salon geleitet: Fräulein Rosa werde sogleich erscheinen.

Heinrich, allein gelassen, schaute umher und mußte sich sagen, daß er nicht leicht ein reizender eingerichtetes Zimmer gesehen. Die Vertheilung der Möbeln, Wandbilder und sonstigen Zierden war so geschmackvoll, daß sich die Augen unmittelbar wohlthuend berührt fühlten, und eine kleine Epheulaube in der Ecke sah überaus traulich her. Die Bilder waren zum Theil Porträts berühmter Schauspielerinnen, und unser Dramatiker, der die wenigsten davon gesehen, begann sie zu mustern. Eben betrachtete er den genialen Kopf einer großen noch lebenden Tragödin, als die Thüre aufging und ein Kleid rauschte. Er sah hin und stand auf’s lebhafteste betroffen: es war die junge Dame von gestern. Auch sie hatte ihn erkannt. „Ah,“ rief sie nach momentan überraschtem Blick mit heiterer Freundlichkeit, „das ist ja ein alter Bekannter. Nun,“ fuhr sie fort, indem sie auf ihn zuging und ihm die Hand bot, „willkommen in der Residenz, willkommen im Namen des Theaters!“

Heinrich, etwas erröthet, drückte die zierliche Hand stärker, als er’s im Sinne gehabt, und dankte für den gütigen Empfang mit der Miene eines Glücklichen. Ein paar Minuten später saßen sie beisammen auf der Rohrbank in der Laube.

„Ein dramatischer Dichter,“ begann Rosa, indem sie ihn lächelnd ansah. „Etwas Poetisches hab’ ich gestern in Ihnen vermuthet; aber daß Sie dramatische Werke schreiben, für uns arbeiten, das hätte ich nicht zu hoffen gewagt. Nun, um so besser,“ fuhr sie fort. „Wir sehnen uns Alle wieder nach einem guten, effektvollen Stück; ich für meine Person wünschte dringend, eine neue hübsche Rolle zu bekommen, und würde mich sehr freuen, wenn in Ihrer Dichtung eine für mich vorkäme.“

Heinrich sah sie an, überlegte, und schaute zweifelhaft. Die Schauspielerin errieth ihn sogleich. „Ihr Stück hat keine Rolle für mich?“ entgegnete sie. — „Ich fürchte —“ — „Ah,“ rief sie bedauernd, „das ist ja ein Mangel! Was ist es denn aber für eine Gattung? Freund Holler hat mir darüber nichts geschrieben.“ — „Eine historisch-romantische Tragödie,“ versetzte der Poet. — „Eine historisch-romantische Tragödie!“ wiederholte sie. Und indem sie ihn ansah, fügte sie mit einem gutmüthigen, aber noch mehr schelmischen Lächeln hinzu: „Das hätt’ ich mir denken sollen.“

Heinrich, dem der Sinn dieser Rede nicht entging, wurde verlegen, oder, wie er meinte, ärgerlich. „Also die dritte Opposition gegen mein Streben!“ rief’s in ihm; „erneuerter Unglaube, und ein neuer unnützer Besuch!“

Die Künstlerin, seine Gedanken ahnend, fuhr fort: „Ja, ja, so machen es uns die ehrgeizigen Dichter heutiger Zeit! Nur das Erhabenste und Größte soll von ihnen über die Bretter gehen, damit sie sich gleich den ersten Classikern an die Seite stellen! Recht schön, aber es gibt ein Publikum, das auch etwas Anderes sehen, und Schauspieler, die etwas Anderes spielen wollen.“ Sie schwieg und betrachtete den Schweigenden. Dann, mit anmuthiger Laune, fuhr sie fort: „Also nicht einmal eine hübsche Nebenfigur haben Sie für mich? So eine Vertraute z. B., munter, fröhlich, schalkhaft, und doch vollkommen treu und anhänglich, ein leichteres, irdisches Wesen, das sich aber neben der idealen Hauptheldin noch recht gut ausnehmen kann?“

Der Poet, halb erheitert, schüttelte den Kopf. — „Wie?“ rief sie, „gar nichts?“ — „Leider!“ erwiederte der Poet. „Wie ich’s auch überlege, ich finde keine Rolle darin, die Ihrer würdig wäre. Die Hauptfigur ist Heroine, heroische Liebhaberin —“ — „Das begreift sich,“ warf die Schauspielerin dazwischen. — „Und von den übrigen keine so bedeutend, daß ich Sie Ihnen anbieten könnte; abgesehen davon, daß alle wesentlich ernsthafter Natur sind.“ — „Also die reine Tragödie! Gar kein Humor?“ — „Ausgenommen in den Volksscenen, denen ich eine naturwahre Derbheit zu geben suchte, die vielleicht belustigend wirkt.“

Die Künstlerin schwieg, dann sagte sie: „Wissen Sie, verehrter Herr Doctor, daß Sie im Grunde genommen sehr naiv sind? Sie wollen ein Stück aufführen lassen, in dem ich keine Rolle habe, und bringen mir einen Brief mit der Aufforderung, Ihnen dabei behülflich zu seyn! Kennen Sie das Theater? Kennen Sie die Leute vom Theater? Glauben Sie, daß eine zweite Liebhaberin — welches zu seyn ich die Ehre habe — sich berufen sehen kann, der ersten zu einem Triumph zu verhelfen? Wissen Sie, was Künstlereifersucht ist? — Ach, mein bester Herr, Sie sind Dichter und kennen das menschliche Herz im Allgemeinen gewiß vortrefflich, aber die Schauspielerherzen im Besondern haben Sie noch nicht kennen gelernt!“

Sie hatte das Letzte mit so ernst resignirtem Tone gesagt, daß der Poet fast wieder irre wurde. Jedenfalls nahm er sich zusammen und entgegnete: „Unter diesen Umständen muß ich dann freilich um Verzeihung bitten und meinen Wunsch zurücknehmen. Eigentlich hat aber den Fehler doch Herr Holler gemacht. Er, obwohl er mein Stück so weit kannte, hat mir Sie genannt —“ — „Weil er mich kennt,“ fiel Rosa heiter ein; „weil er weiß, daß ich ein gutes Herz habe, das sogar uneigennützig seyn kann.“ Und mit ernsterem Tone fuhr sie fort: „Keine Sorge, Herr Doctor, wir Schauspieler sind nicht so schlimm, wie man uns macht, wenigstens lange nicht alle. Eifersucht und Neid können wir allerdings fühlen, und ich wollte Ihnen große Künstler nennen, die auch darin nicht klein sind. Wir mögen auch wohl mehr Anfälle davon erleiden, als andere Sterbliche: das liegt im Handwerk; aber in der Regel bleiben sie auf der Oberfläche und sind bald wieder verflogen. Eigentlich und für gewöhnlich sind wir ein gutmüthiges Völkchen; wir versöhnen uns außerordentlich leicht, und wenn wir uns schön thun, sind wir dabei so ehrlich, wie andere gebildete Menschen.“

Der Poet, mit befreiter Seele, ließ auf die letzte Bemerkung ein bescheidenes Lachen hören, und die Schauspielerin fuhr fort: „Was mich betrifft, so kommt Ihnen eine Tugend zu statten, die ich habe, wenn Sie’s nicht lieber einen Mangel nennen wollen. Ich besitze keinen Ehrgeiz. Natürlich, wenn man, wie ich, seit Jahren zweite Liebhaberin ist und meist für Nebenfiguren lodern muß, da wird man nach und nach bescheiden, und das bischen höheres Streben, das man in seine Stellung noch mitgebracht hat, verfliegt einem gänzlich. In der Regel haben wir die Aufgabe, der hochgesinnten und tief fühlenden ersten Liebhaberin, die sich natürlich nicht zu rathen und zu helfen weiß, freundlichen Beistand zu leisten, und das gewöhnt man sich zuletzt förmlich an, so daß man sich auch außer dem Theater ein Vergnügen daraus macht, zu helfen, wenn’s eben geht. Sie sehen, so gar übel sind Sie bei mir doch nicht angekommen, und ich wünsche nur, daß es auch in meiner Macht steht, etwas für Sie zu thun.“

Die letzten Worte hatten einen verbindlichen, ja herzlichen Klang, in welchen die Künstlerin von dem scherzenden mit Anmuth übergegangen war; und Heinrich konnte nicht umhin, ihre Hand zu fassen und ihr mit Wärme zu danken. Sie antwortete mit einem Blick, der fast lauter Güte war und durch ein flüchtiges Licht von Schalkheit nur um so reizender wurde. Dem Poeten, unter dem Strahl desselben, ging das Herz auf; er ahnte, daß er verstanden wurde, empfand einen Drang, gegen die fühlende Seele sich vertrauensvoll über sein Streben auszusprechen, und sagte: „Es ist mir sehr lieb, verehrtes Fräulein, zu sehen, daß Sie die höhere dramatische Poesie nicht verwerfen. Ich bin nicht gegen das Schauspiel und die Darstellung des gewöhnlichen Lebens auf dem Theater; im Gegentheil, es können da recht gute Sachen entstehen, rührende und erheiternde, und man kann auch eine schöne poetische Wirkung herausbringen; aber die Hauptsache bleibt doch immer die Tragödie, die Tragödie, die uns in die tiefsten Abgründe des Herzens hinabführt, um uns zu den höchsten Höhen der Menschheit emporzutragen. Der Dichter soll uns über die gemeine Wirklichkeit hinwegheben und die Welt des Ungewöhnlichen, des Außerordentlichen erschließen. Wir wollen mit ihm eintreten in das Reich der Poesie, wo wir Alles, was wir im gewöhnlichen Leben entbehren, in erquickendster Schönheit und Fülle haben. Und dazu muß er sich den rechten Stoff wählen und den rechten Schauplatz der dramatischen Handlung. Die Menschen, die er schildert, müssen außerordentlich seyn dürfen — er muß durch sie nicht nur nicht gehindert, sondern selbst emporgehoben werden. Da sind nun Stoffe, die auf dem Grenzgebiet der Geschichte und der Sage liegen, besonders günstig; der Dichter hat volle Freiheit zum höchsten poetischen Ton und kann Alles herausgeben, was an Größe, Tiefsinn und romantischem Gefühl in ihm liegt. — Wollte Gott,“ setzte er mit herzlichem Ernst hinzu, „daß es mir mit meinem Versuch gelungen wäre! Ich würde gewiß das Publikum ergreifen, begeistern — und Sie, mein Fräulein, wie ich zuversichtlich hoffe — bekehren.“

Die Schauspielerin hatte mit wirklicher Theilnahme zugehört und erwiederte nun auf die artig betonten Schlußworte: „Sie haben nicht weit mehr dazu. Wer so gut über eine Sache reden kann und sie so lebendig vor Augen hat, dem muß es mit ihr auch gelingen. Und nehmen Sie das in vollem Ernst: Ihr Erfolg würde mir große Freude machen, denn ich sehe, Sie meinen es ehrlich mit Ihrer Kunst.“

Diese Worte erfüllten den Poeten mit tiefer Genugthuung. Seine Augen glänzten und sein männlich schönes Gesicht gewann so sehr den Ausdruck eines Dichters, daß es den von ihm geäußerten Hoffnungen förmlich zur Bestätigung diente. Die Künstlerin betrachtete ihn, und über ihre Wange floß eine Röthe froher Anerkennung. Heinrich, von ihrem Anblick seinerseits bewegt, rief: „Mein Fräulein, Sie werden nicht immer zweite Liebhaberin bleiben und nicht immer die bloß muntern oder bürgerlich rührenden Partien spielen! In Ihnen lebt ein höherer Geist, ein dichterisches Gemüth! Sie dürfen nur wollen, und Sie werden uns die poesievollsten Gestalten vor Augen stellen! Ja, je mehr ich Sie ansehe —“

Rosa hatte diese Rede betroffen angehört; nach den letzten Worten erheiterten sich indeß ihre Mienen plötzlich und der gemüthlich schelmische Ausdruck erlangte wieder die Oberhand. „Nicht weiter, mein begeisterter Freund!“ entgegnete sie; „es könnte Sie gereuen! Wollen Sie mir nicht gar Ihre Heroine antragen und gleich zum Einstand einen Rollenstreit veranlassen? Nein, mein lieber Herr: jedem das Seine, das ist ein guter Spruch. Ich bleibe, was ich bin; und wenn in der That einige Anlagen zum „Höheren“ in mir liegen, so will ich sie hervorsuchen, pflegen und ausbilden, um nach und nach einer passenden Rolle in einem Ihrer künftigen Stücke zuzureifen.“

Heinrich, auf eine galante Antwort sinnend, schwieg, und seine Miene hatte bereits eine kleine Wendung zur Verlegenheit gemacht, als man die äußere Thüre gehen hörte. Die junge Dame sah erheitert auf, und gleich nachher trat die Mutter in das Zimmer. Der Poet erhob sich rasch. Jene, die ihn erkannte, sah ihn verwundert, aber vergnügt an.

„Unsere gestrige Begegnung,“ rief die Tochter, zu ihr tretend. „Herr Doctor Born, dramatischer Dichter, der mir durch Freund Holler empfohlen ist und ein fertiges Stück mitgebracht hat.“ — „Ah,“ rief die Frau mit einem so wohlwollenden als feinen Lächeln; „seyen Sie doppelt willkommen!“ Sie reichte ihm die Hand, und der Poet schüttelte sie kräftig. — „Du siehst,“ bemerkte Rosa zu ihr, „wir haben gestern nicht weit davon gerathen: ein schöner Geist, Schriftsteller oder Maler, der in die Residenz kommt, um hier den Erfolg und die Ehren zu finden, die ihm gebühren.“

Die Mutter, nach einem freundlich verweisenden Blick auf sie, erkundigte sich bei dem jungen Mann theilnehmend nach seinem Vorhaben und der mitgebrachten Dichtung. Man setzte sich nochmal zusammen, und Heinrich gab den beiden Damen alle gewünschte Aufklärung. Unter Anleitung der Erfahrenen nahm das Gespräch eine praktische Wendung. Was ist zu thun? Was kann zur Annahme des Stücks beitragen? Dieß war die Frage, die man erwog. In seinem Vorsatz, die Regisseure zu besuchen, wurde Heinrich im Lauf der Unterredung bestärkt: seine erklärte Abneigung, den Herrn Kritikern sich zu empfehlen, hatte dagegen lächelndes Kopfschütteln zur Folge. „Vor der Aufführung,“ sagte Rosa, „sollten Sie doch mit einigen bekannt seyn. Aber die Sache geht ja ganz einfach, wofür habt ihr Herrn denn das Wirthshaus?“

„Es ist wahr,“ versetzte der Poet. „Und einen literarischen Fachgenossen, den man bei einem Glas Wein kennen gelernt hat, kann man am Ende besuchen.“ — „Ich sollt’s meinen,“ entgegnete die Schauspielerin, nicht ohne ein spöttisches Mundrümpfen.

Die Mutter sah ihn lächelnd an, dann sagte sie: „Was nun aber die Annahme betrifft —“ — „Ich hab’ einen Gedanken,“ rief hier die Tochter. „Da Sie uns,“ fuhr sie zu dem Autor gewendet fort, „das Stück zu lesen geben wollen —“ — „Sobald die Abschrift fertig ist.“ — „Und ich voraussetze, daß außer unserer Heroine auch unser heroischer Liebhaber, unser Heldenvater und unser Charakterspieler dankbare, sehr dankbare Rollen darin haben werden —“ — Heinrich, nach einem Moment der Erwägung, erwiederte zuversichtlich: „Ich meine.“ — „So will ich gelegentlich gegen diese Herrschaften ein Wort fallen lassen über das Stück, was sie ruhig vernehmen, dann über die verschiedenen Rollen und die Möglichkeit eines Triumphes, was sie mit großem Interesse hören werden. Sie können das Manuscript auch ihnen mittheilen; und wenn namentlich unsere Heroine gegen den Herrn Intendanten recht lebhaft den Wunsch ausspräche, die Rolle zu spielen, dann hätten wir Aussicht.“

Der Autor nickte vergnügt und dankte für die gütige Theilnahme und die freundlichen Rathschläge auf’s wärmste. Die Stockuhr belehrte ihn aber, daß die Essenszeit heran nahte, und er empfahl sich, indem er mit der Copie bald möglichst wiederzukommen versprach.

Durch den herzlichen Antheil, den ihm die beiden Frauen zugewendet, fühlte er sich in tiefster Seele ermuthigt; er sah die Angelegenheit in bester Einleitung begriffen und kehrte durchaus zufrieden in den Gasthof zurück.

Noch am selben Tage schrieb er an die Geliebte. Aus dem langen Brief heben wir folgende Stellen aus: „Die persönliche Bekanntschaft mit Friedrich Willmann hat mich über diesen Autor einigermaßen enttäuscht. Im Grunde hat er mich gut aufgenommen und scheint mir nützlich werden zu wollen. In seiner Art liegt aber etwas Ironisches, das mir nicht recht gefallen kann. Er ist ein großer Verehrer der Klugheit — mehr als es sich für einen Dichter geziemen will — und scheint mir bei seinen Arbeiten doch hauptsächlich auf die Vortheile zu sehen, die sie ihm bringen sollen. — Mir ist die Poesie eine heilige Sache. Ich liebe sie um ihrer selbst und des Glückes willen, das man fühlenden Herzen damit bereiten kann. Wenn ja noch eine ihrer Folgen mich locken und reizend vor meiner Seele stehen mag, so ist es der Ruhm — der Lorbeer, der die Schläfe des Siegers krönen soll. An Weiteres denk’ ich kaum, wie ich dir, edle und große Seele, frei bekennen will. Aber der wahre Dichter steht unter dem Schutze der Götter und er hat die Verheißung, daß ihm alles Uebrige zufallen wird.

„Unserem Rektor kannst du sagen, daß er mich an einen sonderbaren Kauz empfohlen hat. Ich meinte bisher, die Stockphilologen im schlimmen Sinne seyen ausgestorben und die Männer der Erudition trachten darnach, dem Studium der Humaniora einige Humanität im wirklichen Leben beizugesellen; allein es gibt doch noch einzelne Exemplare und ich bin hier auf eines gestoßen. Ein Mensch, der sich sein gelerntes Wissen mühselig erworben hat, kann freilich einen andern, der sich das seine fröhlich selber producirt, nur geringschätzen! — Ich hab’ mich aber doch geärgert, als der Pedant seine Empfindung so deutlich merken ließ und sich mit der groben Ungerechtigkeit seines Vorurtheils sogar noch etwas zu wissen schien. Das Gute ist, daß nicht nur dem Gottseligen, sondern auch dem Poeten Alles zum Besten dienen muß. Jetzt, wo ich dieß schreibe, steht der Mann als ein Original vor meiner Seele, das mich ergötzt, und es wird höchstens so viel Groll in mir bleiben, daß ich ihn gelegentlich einmal satirisch verwenden kann.

„Ich bin vergnügt, meine geliebte Auguste, denn mein dritter Besuch — der eigentlich bedeutsame — ist über Erwarten gut ausgefallen. In der Schauspielerin, an die ich, wie du weißt, ein Schreiben hatte, und in ihrer Mutter, die ebenfalls beim Theater war, habe ich zwei außerordentlich theilnehmende, liebenswürdige Personen kennen lernen, und ich darf wohl sagen, Freundinnen gewonnen. Die junge Dame ist hübsch und könnte manchem Andern gefährlich werden — ich freilich bin gefeit und in mein Herz dringt kein anderes Bild, als das der Einen, die allmächtig in ihm regiert. Ein Wesen von heiterem Humor und einem Trieb, neckisch mit den Menschen zu spielen, aber dabei ein freundliches Gemüth, das es nicht beim bloßen Wünschen läßt, sondern für Andere auch zu handeln vermag. Der Weg des Stückes zur Bühne wird geebnet, und wenn nur dieses erste Ziel erreicht, die Annahme erfolgt ist, dann bin ich außer Sorge.

„Die Hauptrolle wird in sehr gute Hände gelangen, das hab’ ich schon erkundet, und wenn sie der Künstlerin, die das Stück lesen wird, einleuchtet, so wird dieß auch bei der Frage der Annahme von großem Gewicht seyn. — Du siehst, es läßt sich wirklich Alles gut an, und meine Zuversicht ist keine Thorheit.

„Wie unendlich gespannt bin ich darauf, das herrlichste Gebilde meiner Phantasie, das gleichwohl nur ein schwaches Nachbild der geliebtesten Wirklichkeit ist, auf der Bühne verwirklicht zu sehen! Wie höchst seltsam wird mir dabei zu Muthe seyn! — Zauberei! Blick in eine Welt voll unaussprechlicher, magischer Erscheinungen! — O Auguste! — ich hab immer nur dich vor Augen, ich beziehe Alles, was ich erfahre, schaue, denke, auf dich, und wenn dein Bild vor mir aufleuchtet, scheint mir alle Kraft und Kunst nur gegeben zu seyn, daß ich dich verherrliche und dir ein Leben der Ehre und Wonne bereite! — O Liebe — Poesie der Poesie! Das liebende Auge sieht nicht nur die Geliebte in wunderholdem Licht; von dem Glanz, den es in sich aufgenommen, bleibt auch so viel zurück, daß es die ganze Welt verklärt und jeden Winkel der Erde in süßem Scheine malt!

„Laßt mir’s gelingen, gute Geister! laßt mich den Sieg erstreiten, nur um der Einen Lust willen, Ihr ihn zu melden! Ich wollte ja gern entsagend warten und ausdauern in Verkanntheit und Undank der Welt! Aber um deinetwillen darf’s nicht seyn — um deinetwillen muß es, wird es glücken!

„Lebe wohl, Theuerste! Wenn du nur ein Tausendtheil der Freude empfindest, dieses zu lesen, die ich fühle, es zu schreiben, so bin ich glücklich!“

III.

Die Tragödie wurde einem Copisten übergeben, der langsam schrieb, aber eine deutliche, charaktervolle Hand nachgewiesen hatte. Der Autor wartete indeß zum Wiederbesuch seiner Gönnerinnen die Vollendung der Copie nicht ab. Man führte im Hoftheater Minna von Barnhelm auf und Rosa gab darin die Franziska. Es war eine ihrer besten Rollen und sie übertraf sich dießmal selber darin. Das Publikum war hingerissen und unser Poet außerordentlich erfreut. Zum erstenmal erkannte er die eigenthümliche Bedeutung eines wahren Schauspiels oder Lustspiels, wenn er auch den Mangel der Gattung und das Einseitige des Lessing’schen Stücks (was er dafür halten mußte) nicht übersah. Hauptsächlich überzeugte er sich aber, was in einer Partie wie Franziska geleistet werden kann, wenn die Schauspielerin mit reizender Laune sie völlig wieder zu beleben wußte, und er eilte daher gleich am andern Vormittag zu der Künstlerin, um ihr seine Freude, seinen Dank mit Enthusiasmus auszusprechen.

Rosa lächelte befriedigt, glücklich und antwortete von ihrer Seite mit dankendem Blick. Die Mutter trat aus dem Seitenzimmer und sie rief ihr heiter entgegen: „Ich hab’ ihm gestern gefallen, dem Tragödiendichter! und er ist gekommen, ein wahres Füllhorn des Lobes vor mir auszugießen!“

Vergnügt erwiederte die Frau: „Das ist freundlich. Aber du hast die Rolle gestern wirklich gut gespielt; ich habe sie noch nicht so von dir gesehen.“ — „Gott weiß, warum,“ entgegnete die Künstlerin. „Zuweilen ist man eben voller Lust und Uebermuth — und das ist die Hauptsache bei der Schauspielkunst.“ — „Bei jeder Kunst!“ versetzte Heinrich.

Die Schauspielerin sah für sich hin. „Nun,“ bemerkte sie dann etwas scheinheilig, „Sie haben sich also überzeugt, daß man in einer Rolle, die aus dem gewöhnlichen Leben genommen ist, doch auch eine Wirkung machen kann?“ — „Das habe ich nie bezweifelt,“ entgegnete Heinrich, „aber in dieser Ausdehnung allerdings nicht für möglich gehalten. Es war eben ein non plus ultra,“ fügte er lächelnd hinzu, „und die reißen immer hin.“

Die Künstlerin wiegte den Kopf. „Sie geben also zu, daß es auch gar keine so schlechte Aufgabe wäre, ein Schauspiel zu schreiben?“ — „Um so lieber,“ versetzte der Poet, „als ich’s nie geläugnet habe. Das Schauspiel in Prosa hat seine Vorzüge und seine Vortheile, obschon —“ — „Es natürlich tief unter der Tragödie in Versen steht,“ ergänzte Rosa, „das ist klar! Aber wenn es nun so ausfiele, wie Minna von Barnhelm —?“ — „Dieses Stück,“ erwiederte Heinrich nach einigem Besinnen ernsthaft, „ist vortrefflich in seiner Art; aber im Grunde ist doch zu viel bürgerliche Moral und Tugend darin, wodurch es einen etwas hausbackenen Charakter erhält, und die Sphäre, in die wir blicken, hat etwas Enges, ja hie und da Gequältes. — Das poetische Drama, die Schöpfung der idealisirenden Phantasie, die uns in eine große, weite, farbenreiche Welt führt, ist doch was ganz anderes.“

Die Schauspielerin, durch die Sicherheit, womit Heinrich dieses Urtheil fällte, betroffen, ja gereizt, schüttelte unwillkürlich den Kopf. „Ei, ei,“ entgegnete sie, „das heißt leicht fertig werden mit einem Stück, das eine Probe bestanden hat, wie sie nicht viele bestehen! Diese Minna von Barnhelm ist seit ihrer ersten Aufführung überall auf dem Repertoire geblieben, und das muß doch seinen Grund in einem Werth haben, den wenige Dramatiker zu erreichen sich schmeicheln dürfen.“

Der Poet schwieg und die Mutter trat mit einer Querfrage dazwischen, um ihm über eine angehende Verlegenheit hinwegzuhelfen, die vielleicht eine empfindliche Replik zur Folge gehabt hätte. Während der Beantwortung sammelte sich der Getroffene und fühlte nun, daß er etwas gut zu machen habe. Er kam auf die Lessing’sche Komödie zurück, rühmte mit dem Ausdruck wahrer Achtung die Charakteristik, den ebenso kernigen wie zierlichen Dialog, und namentlich das Zuhauseseyn in den Regionen der Ethik und Aesthetik, die Geistesbildung des Dichters, vermöge deren er dem bürgerlichen Spiel einen ewigen Gehalt zu verleihen gewußt habe. Rosa hörte mit Vergnügen zu, und als er zum Schluß wieder auf die Franziska zu reden kam und über ihre Auffassung und Durchführung bestimmte ästhetische Urtheile fällte, die fast noch schmeichelhafter klangen als die Ausdrücke allgemeiner Bewunderung, da sah völlig wiederhergestelltes Vertrauen aus den braunen Augen.

Nach einer Weile begann sie: „Wann bekommen wir aber Ihre Schöpfung, die Tragödie zu lesen?“ — Der Poet versetzte: „In einer Woche soll ich die Abschrift erhalten. Diese wird in’s Bureau der Intendanz wandern, mein eigenes Manuscript werde ich Ihnen zu Füßen legen.“ — „Sehr viel Ehre,“ erwiederte sie heiter. — „Aber,“ fuhr sie nach einigem Besinnen fort, „können Sie uns nicht einstweilen andere Produkte mittheilen — oder selbst vorlesen? — Sie haben gewiß lyrische Gedichte gemacht.“ — „Allerdings.“ — „Liebeslieder!“ — „Auch solche,“ versetzte der Poet lächelnd. — „Natürlich,“ rief sie, indem sie ihn vergnügt ansah. „Nun, wissen Sie was? Kommen Sie übermorgen, wo ich frei bin, Abends zu uns und bringen Sie Ihre Gedichte mit. Wir lernen Sie dadurch näher kennen, auch als Vorleser, und wenn Sie hier die Probe bestehen, dann können Sie den Schauspielern vielleicht Ihr Stück selber vorlesen, was unter Umständen sehr nützlich seyn kann.“

Die Mutter stimmte bei, und Heinrich sagte mit Vergnügen zu. Man schied im besten Einvernehmen und gesteigerter wechselseitiger Theilnahme.

Als der Poet die Stube verlassen hatte, sagte Rosa zur Mutter: „Vornehm ist er sehr, ich meine poetisch vornehm, im Grund aber doch ein guter Mensch!“ — „Das erste,“ versetzte die Mutter, „hast du ihn vorhin beinahe zu deutlich fühlen lassen.“ — „Konnte nicht schaden,“ erwiederte sie. Und lächelnd fuhr sie fort: „Auf seine Liebesgedichte bin ich begierig; wird wohl viel Einbildungskraft dabei seyn.“ — „Wer weiß!“ bemerkte die Mutter. „Es ist ein hübscher Mann und die Poeten —“ — „Phantasiren und idealisiren. Nun, wenn es nur schön herauskommt, dann soll er doch Lob haben.“

Der Dichter machte mit allerlei Gedanken, aber im Grunde vergnügt den Gang in die kleine Wohnung, die er sich nicht allzuweit vom Theater gemiethet hatte. „Sie hat Recht,“ sagte er zu sich, „wenn sie das Stück von Lessing hoch hält; aber ich hab’ auch Recht. Wie geistreich und fein die Comödie seyn mag, das eigentliche Aroma der Poesie ist doch nicht darin. Und hier allein liegt der wahre Zauber, das überschwängliche holde Leben, und wir können uns baden in einem Meer von Wohlgerüchen.“

Am Abend des zweiten Tages stellte er sich bei den Damen mit zwei Heften ein, in die er seine Gedichte eingeschrieben hatte. Man setzte sich um den runden Tisch, auf welchem bald die Theekanne brodelte. Das Getränk durchduftete die Stube, und Heinrich, von Rosa ermuntert, begann zu lesen. Er hatte die Hefte vorher durchgegangen und genau bestimmt, was und in welcher Folge er vortragen wollte. Trotz der geistigen Zuversicht, die er mitgebracht, fing er nun doch mit unsicherer Stimme und rothem, ziemlich befangenem Gesicht an zu lesen. Glücklicherweise hatte er zum Eingang Lieder gewählt, die eben so anspruchslos wie hübsch waren; der aufrichtige Beifall der Hörerinnen entband ihn und gab auch seinen Sprachwerkzeugen die nöthige Freiheit. Bald war er in der höheren Stimmung, wo man im Schwunge des Gefühls gar nicht mehr weiß, daß es eine Befangenheit gibt.

Die Frauen konnten die Gedichte nicht immer gelungen finden. An den einen widersprachen Uebertreibungen ihrem Geschmack, an andern vermißten sie den wahrhaft schließenden Schluß. Der Dichter, jetzt durch herzliches Lob erfreut, mußte sich ein andermal mit einem ernsten Gesicht, das mehr Tadel zurückhalten als Anerkennung ausdrücken sollte, oder mit einem Ausruf begnügen, der etwa bedeutete: „Nun ja, lassen wir’s passiren!“ — In seinem Eifer machte er sich aber nicht viel daraus, wenn er’s auch richtig deutete, und im Ganzen war die Lobernte doch überwiegend. Endlich, beim Aufschlagen eines neuen Gedichts, wurde seine Miene ernst bis zur Feierlichkeit; er nahm eine entsprechende Haltung an und begann mit herz- und klangvollem Ton zu lesen. Es war eine begeisterte Schilderung der Geliebten und eine leidenschaftliche Erklärung völlig und ewig sich hingebender Liebe.

„Sehr schön!“ rief die Mutter, als er geendet hatte; und Rosa bemerkte mit Ernst: „Bei weitem das schönste! Das innigste Gefühl, edler Schwung, der wahrste, herzlichste Ausdruck! Das,“ setzte sie mit einem leisen Lächeln hinzu, „das ist Poesie!“ — Heinrich antwortete auf diese Anerkennung mit dem Ausdruck einer ernsten Freude. Er sah dann auf den Tisch und sagte: „Wenn mir dieses Gedicht gelungen ist, so ist’s auch nicht zu verwundern: es ist einfach aus meinem Herzen abgeschrieben, und an das Mädchen gerichtet, mit dem ich verlobt bin!“

Mutter und Tochter fuhren bei diesem Geständniß unwillkürlich zusammen und sahen sich an. Auf dem Gesicht Rosa’s folgte einer leichten Blässe rasch eine tiefere Röthe; aber schnell sich fassend rief sie mit der Miene und Stimme herzlicher Theilnahme: „Sie haben eine Braut? Und davon haben Sie uns noch nichts gesagt?“ — „Es fand sich noch kein Anlaß dazu,“ erwiederte Heinrich. — „Nun,“ rief das Mädchen, die sich völlig wieder in ihre Gewalt bekommen hatte, „davon müssen Sie uns mehr erzählen! — Das Idealbild,“ fuhr sie nach kurzem Innehalten mit Lächeln fort, „haben wir aus dem Gedicht kennen gelernt. Aber wer ist sie? Weihen Sie uns ein; das Original erweckt in uns noch viel größern Antheil.“

Heinrich befriedigte die erste Neugierde und gab dann Antworten auf weitere Fragen. Da die beiden Frauen das lebendigste Interesse zeigten, so glaubte er mit genauem Bericht über Entstehung und Gang des Verhältnisses und namentlich mit dem freudigen Lob Auguste’s ihnen eben die größte Freude zu machen, und that sich nun Genüge nach dem Bedürfniß eines Liebenden, ohne zu ahnen, welche Eindrücke er damit auf das geheime Innere der jungen Hörerin hervorbrachte.

Es wäre für den, der in dieses Innere zu schauen vermocht hätte, ein eigenes Schauspiel gewesen, das Mädchen zu beobachten, deren Herz, mehr als sie selber geahnt, sich dem jungen Mann zugewendet hatte. Die menschliche Seele ist reicher an Fähigkeiten und Affekten, als die meisten Menschen gewahr werden, und gute und schlimme Gedanken, liebe und leide Gefühle können in ihr so rasch wechseln, daß man an ein förmliches Zugleichseyn glauben möchte. In Rosa spielten sie wunderbar durcheinander, als der Poet sein Liebesleben schilderte, sein Glück ausmalte und seine Hoffnungen aussprach. Und sie ließ nicht nach mit Fragen, als ob es jetzt für sie nichts Süßeres gäbe, als die Antworten zu vernehmen. Doch ein geübter Wille und geübte Kunst standen ihr bei, und mit ihnen gelang es ihr, die Theilnahme einer Freundin zu beweisen, in nichts zu verrathen, daß sie den Verlobten der Andern liebgewonnen hatte, sondern zu thun, was ihr der Stolz des Weibes und ein im tiefsten Grunde zartes Gefühl eingab.

Als Heinrich seine Bekenntnisse geschlossen hatte, sagte die Mutter: „Unter diesen Umständen muß es Ihnen freilich doppelt lieb seyn, mit einem ausgezeichneten Erfolg heimzukehren, und wir müssen über alles wünschen, daß Sie ihn erringen.“ — „Allerdings,“ fügte Rosa hinzu, die ihn von der Seite mit einem Blick angesehen, wie man einen kindlich Glücklichen betrachtet; „und unsere Pflicht, Beistand zu leisten, wird immer ernsthafter. Hören Sie meinen Vorschlag! Sie können, was nicht von jedem Poeten zu sagen ist, Ihre eigenen Gedichte gut vorlesen: wenn Sie nämlich dreinkommen, und Sie kommen, wie es scheint, gerne drein, wenn gute Menschen Ihnen Vertrauen einflößen. Machen Sie nun, daß wir Ihre Tragödie erhalten. Wir laden dann die Darsteller der Hauptrollen ein, und Sie lesen ihnen das Stück. Tragen Sie es vor, wie Ihr letztes Gedicht, dann wird man die Rollen um so richtiger auffassen, um so lieber lernen und um so besser spielen.“

Heinrich dankte mit Herzlichkeit, indem in seiner natürlichen und poetisch eingenommenen Seele nun doch fast eine Ahnung aufstieg, daß die Schauspielerin ihm eine besondere Freundlichkeit zuwendete. Den eigentlichen Zustand ihres Herzens errieth er freilich nicht, und verließ darum das Haus mit vollkommen ruhigem, glücklichem Gemüth.

Mutter und Tochter, als sie allein waren, gingen schweigend hin und her. Die letztere that eine häusliche Frage und horchte auf die gewissenhafte Beantwortung mit halbgeschlossenen Augen und einem ernsten Schein von Aufmerksamkeit. Dann suchte sie eine ihrer Rollen hervor, setzte sich damit zur Lampe und fing an zu lesen. Unwillkürliche Zeichen von Ungeduld und Abwesenheit verriethen aber der Mutter deutlich, von welchen Gefühlen sie beherrscht war.

Rosa war sechs Jahre beim Theater und hatte ihr zweiundzwanzigstes Jahr hinter sich, ohne daß sie in eine ernstliche Herzensbeziehung wäre verflochten worden. Vor leichtsinnigem Vertrauen schützte sie nicht nur eine erfahrene, sorgsame Mutter, sondern ihr eigener heiter verständiger Sinn. Sie war durch Natur und Erziehung, was die Franzosen sage nennen, und ließ sich nun wohl huldigen, trat aber vor gewissen Annäherungen immer einen Schritt zurück, was dann die Folge hatte, daß sie als „kalt“ verschrieen wurde. Eigentlich war sie aber nur so klar, hinter gewissen Betheurungen die egoistische Absicht wahrzunehmen und darüber die entsprechende Geringschätzung zu empfinden. Sie sammelte sich daher in dieser Hinsicht keine „Erinnerungen,“ und ließ sich an ihrem Beruf, an geselligem Verkehr, an unterhaltender, unterrichtender Lektüre genügen. Auf der Bühne traf sie gleichwohl nicht nur den Ton einer fröhlichen und schalkhaften Liebhaberin, der ihr unmittelbar von Herzen ging, sondern auch den Ausdruck tieferer Neigung, worüber sich nur diejenigen wundern können, denen die Schöpferkraft der wahren Künstlernatur unbekannt ist. Um Liebe darzustellen, muß man nicht, was man sagt, geliebt haben, so daß man darnach seine eigenen Erfahrungen spielt, es genügt die Liebefähigkeit. Und diese besaß die Künstlerin, mächtiger als sie bis jetzt sich zugetraut hatte, wie sie nun zu ihrem Leide erfuhr.

Heinrich hatte schon einen freundlichen Eindruck in ihr hinterlassen nach der ersten Begegnung auf der Straße. Davon war die Ursache nicht nur seine jugendlich männliche Schönheit, sondern der Schein des Genius in seinem Gesicht und die Treuherzigkeit seines Wesens, der das lächelnerregende gelinde Ungeschick eher nützte als schadete. Als sie in dem ihr Empfohlenen den jungen Mann erkannte, der ihr so schnell interessant geworden war, hatte sie die angenehmste Empfindung, und die erste Unterredung ließ geradezu eine Neigung in ihr aufkeimen, wobei Streben und Vorhaben des Poeten heitere Bilder der Hoffnung vor ihre Seele riefen. Sein begeistertes Lob ihrer Franziska klang ihr um so wohlthuender, als sie darin ein Entgegenkommen sehen zu können glaubte; und wenn sie ihm bei zu geringer Schätzung des classischen Stücks mit einer empfindlichen Mahnung entgegen trat, so lag der Grund eben in der näheren Theilnahme, der an dem Liebgewordenen eine Schwäche ärgerlich war. Die leichten Lieder, die er heute gelesen, auch die ersten erotischen, aus denen kein natürlicher Ernst hervorsah, stimmten zu ihrer Hoffnung; und nun mußte die Erklärung des Verlobten die zarte Maienblüthe ihres Glücks mit einemmal hintilgen!

Die Mutter, als Rosa sich endlich in’s Lesen zu finden schien, ging in die Küche. Nach einer Weile kam sie wieder und jene, das Heft weglegend, bemerkte: „Da hab’ ich nächstens wieder ziemlich geschraubte Dinge zu sagen. Was doch die Poeten manchmal für Reden drechseln, die wir dann natürlich und zierlich vortragen sollen, mit einem Ernst, als ob sie uns just aus dem Herzen kämen!“ Die Mutter, ernst lächelnd, erwiederte: „Es wird so arg nicht seyn. Uebrigens gehört das eben zum Komödiespielen. Wenn die guten Dichter uns helfen, so müssen wir dagegen den mittelmäßigen beistehen.“ — „Eine Pflicht, die zuweilen sehr lästig werden kann,“ erwiederte Rosa mit einem Seufzer. Sie fuhr über ihre Stirn und sagte: „Ich bin müde und mein Kopf ist eingenommen. Am Ende,“ fuhr sie mit halbem Lächeln fort, „ist’s der Duft der Poesie, die wir heute vernommen haben. — Sey’s was es wolle, ich geh’ zu Bette.“ Sie reichte der Mutter die Hand und sagte mit weicher Stimme: „Gute Nacht, Mutter!“

Die gute Frau nahm sie in ihre Arme, küßte sie auf die Stirn und erwiederte herzlich: „Schlafe wohl, mein Kind!“ Beide sahen sich an und der feuchte Glanz ihrer Augen ließ sie wechselseits in ihren Herzen lesen. Die Mutter nickte mit dem Ausdruck ernsten Bedauerns. Da hob Rosa den Kopf empor, lächelte und rief: „Dummes Zeug! Gute Nacht, Mutter!“

Als sie das Zimmer verlassen hatte, stand die Frau eine Weile nachdenkend und sagte dann: „Ich hoffe, es wird vorüber gehen. Allerdings ist’s ihre erste Neigung und sie geht tiefer, als sie selber zu wissen scheint. Aber das Mädchen ist verständig und hat Charakter — sie wird’s überwinden.“

Nach Verfluß einiger Tage sah die wackere Frau den Liebling in einer Stimmung, die sie in ihrer Hoffnung bestärkte. Am andern Morgen nach jenem aufklärenden Abend hatte sie über Kopfweh geklagt und endlich unterbrochenen Schlaf bekannt; aber am folgenden zeigte sie ein heiteres Gesicht, scherzte zärtlich mit der Mutter und benahm sich fast ganz wie ehedem. Die Rolle, über deren Unnatur sie geklagt hatte, spielte sie mit mehr Leben und Beifall als früher, lächelte darnach über sich selber und kehrte mit zufriedenem Gemüth nach Hause zurück.

Als Heinrich einen Tag später mit der Tragödie kam, wurde er von Mutter und Tochter so heiter wie freundlich empfangen und das Manuscript von der Künstlerin mit einem Ausruf des Vergnügens begrüßt. „Endlich,“ rief sie, indem sie es mit beiden Händen faßte, „haben wir es! — Und das andere?“ fuhr sie nach einem Moment fort, „haben Sie’s eingereicht?“ — „Heute,“ erwiederte der Poet. „Der Herr Intendant war nicht zu sprechen, ich hatte mich aber vorgesehen, das Manuscript mit einem Schreiben eingesiegelt —“ „Gut,“ rief die Künstlerin. „Mögen unsere Geschicke sich nun erfüllen! — Ich bin sehr neugierig, besonders nach der Andeutung, die Ihnen letzthin entschlüpft ist — auf die Heldin.“

Heinrich lächelte mit einer gewissen Unruhe. „Ich bitte nur,“ sagte er dann, „das Stück im Zusammenhang, Scene für Scene, und da es denn doch eine Tragödie ist, mit ernster Hingebung lesen zu wollen.“ — „Mit dem günstigsten Vorurtheil, mit Liebe werde ich’s lesen,“ erwiederte Rosa lächelnd. — „Um so besser,“ versetzte Heinrich. „Eine Dichtung kann nur wirken, wenn ihr der Leser mit Vertrauen und Neigung entgegen kommt. Es ist natürlich, die Gaben des Poeten sind eine Art von Speise, die nur munden kann unter Voraussetzung des entsprechenden Appetits.“ — „Da haben Sie’s bei mir eben getroffen,“ versetzte die Schauspielerin. „Was ich vor Ihrem poetischen Mahl fühle, ist nicht nur Appetit, sondern geradezu Hunger zu nennen. Das ist aber bekanntlich der beste Koch und kann auch —“ Sie unterbrach sich selbst und fuhr mit zurückgehaltener, nur leise durchscheinender Laune fort: „Genug, ich glaube nicht nur in bester Stimmung zu seyn, Ihre Dichtung zu würdigen, sondern ich verspreche Ihnen auch, mit allem Ernst an die Lektüre zu gehen und mit aller Andacht dabei auszuharren.“ — „Und ich,“ versetzte der Poet mit glänzenden Augen, „glaube Ihnen und sage Ihnen dafür den besten Dank.“

Er sah von der Tochter auf die Mutter und fuhr fort: „Es ist ein großes Glück für mich, daß ich so liebenswürdige Gönnerinnen gefunden habe. Ich weiß es aber auch zu schätzen. Lassen Sie mir’s nur auch ferner angedeihen! Entziehen Sie mir Ihr Wohlwollen nicht! Ich werde Ihres Raths und Ihrer Hülfe nur immer mehr bedürfen — und sie mit der dankbarsten Verehrung erwiedern.“

Auf diese mit Herzlichkeit gesprochenen Worte versetzte die Mutter: „Rechnen Sie auf jeden Dienst, den wir ihnen leisten können. Sie sind uns von einem braven Mann und bewährten Freund empfohlen, und in der kurzen Zeit, wo wir Sie kennen, haben wir Sie liebgewonnen, erwarten von Ihnen das Beste —“ — „Nun,“ rief die Tochter mit gütigem Blick, „und wenn es Sie beruhigen kann — so lassen Sie uns Freundschaft schließen, treue Freundschaft! —“ Sie bot ihm die Hand, Heinrich ergriff und drückte sie, indem ein Strahl des Dankes ihm aus dem Auge ging.

„Sie sind verlobt und glücklich,“ fuhr das Mädchen mit edlem Ausdruck fort, „und wenn der Erfolg hinzu kommt, haben Sie kaum noch etwas zu wünschen. Aber eine Freundin beim Theater kann einem Dramatiker immer noch nützlich seyn, denn hier findet sich immer was zu thun.“ — Sie hielt ein wenig inne, und indem ihre Miene sich anmuthig aufheiterte, fügte sie hinzu: „Nun, und für alle Dienste, die ich Ihnen zu erweisen gedenke, verlange ich nichts, als daß Sie mir gelegentlich eine hübsche Rolle schreiben.“

„Oh,“ rief Heinrich, „mit dem größten Vergnügen! Seit ich Sie als Franziska gesehen, ist mir ein Licht aufgegangen über den bezaubernden Reiz einer ächten Lustspielfigur, und ich sage mir, wie schön es wäre, wenn mir auch auf diesem Felde etwas gelänge. Aber lassen wir den Vortheil; ich verehre Sie, mein Fräulein — Ihre Kunst, Ihren Charakter, Ihre Herzensgüte, und wenn ich Ihnen etwas zu Danke machen könnte, würde ich mich unendlich glücklich schätzen.“

Dieß war mit einer Wärme gesprochen, daß Rosa, beglückt, gerührt, ihm nochmal die Hand gab, und die ernstfreundliche Mutter deßgleichen.

Nachdem der Poet sich empfohlen und entfernt hatte, sagte Rosa zur Mutter: „Ich wünsche von Herzen, daß das Stück sich bewährt und auf dem Theater etwas macht. Es ist wirklich ein braver Mensch, voll des besten Willens und kein Falsch in ihm. Eine rührende Mischung von Geschick und Ungeschick, Verstand und Naivetät — von einer Naivetät, die andere vielleicht Blindheit nennen möchten —“ — „Ein Dichter,“ fiel die Mutter mit dem halb ironischen Lächeln des Wohlwollens ein, „der mehr in einer Welt der Träume als in der wirklichen zu Hause ist. Die Erfahrung wird ihn schon klüger machen, obwohl ich sehe, daß er auch schon mit seiner Naivetät gar sehr zu wirken und die Herzen für sich zu gewinnen vermag.“ — „Vielleicht,“ erwiederte Rosa, die nachdenklich dagestanden, „hilft sie ihm auch beim Publikum durch — es gelingt der erste Wurf, und wir haben einen Glücklichen mehr.“

Die Künstlerin hatte sich von dem ersten Schmerz, welcher nach dem plötzlichen Versinken einer lieblichen Hoffnung ihr Herz angefallen, in Wahrheit erholt. Es war still geworden in ihr, nachdem sie mit ausdauerndem Wollen den letzten Unmuth der Enttäuschung überwunden hatte, und da sie dem jungen Mann, für den eine Neigung in ihr entstanden war, doch eigentlich keinen Vorwurf machen konnte, so glaubte sie in dem erhebenden Gefühl der Genesung ganz zu seiner Freundin, seiner uneigennützigen Freundin geeignet zu seyn.

Nun mußte sie aber doch erfahren, daß eine Neigung, die, wie rasch immer, sich einmal in’s Herz gesenkt hat, nicht so leicht wieder vergeht oder in ein anderes Gefühl sich wandeln läßt. Das Bild des jungen Mannes stellte sich ihr vor die Seele, sie fühlte mehr und mehr einen Zug zu ihm hin, ein Hangen und Wohlgefallen, welches nicht das der Freundschaft war. Konnte sie nicht mehr hoffen, so war es doch immer noch Liebe, was sie empfand, und diese hatte nur einen andern Charakter. Es war die Liebe, die sich aus sich selber nährt und aus der stillen tiefen Freude an dem Geliebten; die Liebe, die sich mit Großmuth paart und im Bunde mit ihr auch die Entsagung versüßen kann. Es ist auch eine schöne Flamme, die heimlich im Herzen lodert und deren Strahlen geistig hold um den Geliebten spielen. Wenn sie unerwiedert bleibt, so ist eben damit ein eigenthümliches Glück verbunden; die liebende Seele kann sich dann des reinen Schenkens und Gebens bewußt seyn. Und wenn Geben, von Empfangen belohnt, seliger ist, Geben ohne Lohn ist edler und größer.

Rosa, der schmeichelnden Einladung folgend, wurde in einen Strom von Empfindungen getaucht, die ihr gänzlich neu waren und deren Schauer sie mit Staunen erfüllten. Wie oft hatte sie die Liebe schon gespielt, und mit Leben, ja mit Leidenschaft gespielt! Aber es war doch nur eine Leidenschaft der Phantasie, wobei das Herz nur in gewissem Sinn mitwirkte. Die Gefühle, die jetzt in ihr erstanden, waren That und Wahrheit, von Natur getränkt, und übten auf sie eine unwiderstehliche Anziehungskraft.

In diesen Tagen einer verhängnißvoll sich entwickelnder Neigung war das Mädchen durch ein Zusammentreffen von Umständen an der Bühne nicht beschäftigt. Sie brachte die meiste Zeit daheim zu, verkehrte mit der Mutter in alter Gemüthlichkeit, die jetzt nur einen stilleren, sanfteren Charakter hatte, und die Mutter konnte wohl an eine vollendete Heilung glauben. Aber die Krankheit war eine Liebe, die vielmehr gepflegt und genährt wurde.

Zuweilen, wenn die Neigung in der Liebenden zum Verlangen wurde und sich plötzlich die Hoffnungslosigkeit vor sie stellte, begann es freilich in ihr zu beben und zu glühen, und sie fühlte: wenn das dauerte, wär’ ich verloren! Aber sie riß sich heraus aus diesen Empfindungen, die Kraft der Entsagung überwog, ihr natürlich frischer Sinn half, und es blieb von dem Leidgefühl nichts zurück, als eine milde Trauer, die sie gleichfalls in sich zu verschließen wußte.

Sonderbare Gedanken gingen durch ihren Kopf. „Was ich jetzt habe,“ sagte sie sich einmal, „ist mir doch lieber, als meine frühere leichte Fröhlichkeit. Ich würde mir’s nicht mehr nehmen lassen! — Wer weiß? Vielleicht ist das eben recht für eine Schauspielerin! Die Andere ist glücklich in der Wirklichkeit, ich im Bilde, und vielleicht spielt nur die Entsagung mit wahrer Innigkeit und Leidenschaft, und ich gewinne an Ruhm auf dem Theater, was ich an Glück im Leben verliere.“

Eine Woche ging hin, ohne daß sie zum Lesen der Tragödie gekommen war. Wie stark erst ihre Neugierde gewesen, es erhob sich in ihr eine Scheu, das Manuscript anzusehen, die mächtiger wurde und sie immer wieder zögern ließ. War es die Besorgniß, die Dichtung möchte nicht gelungen seyn, der Geliebte möchte sich nicht rechtfertigen als dramatischer Poet und sie in die Lage kommen, ihn beklagen, mit ihm leiden zur müssen? Oder war es ein Zagen vor der Heldin, deren Urbild der Autor hatte errathen lassen? Die Furcht, sie möchte diesem Idealbild allzu unähnlich seyn, allzu tief unter ihm stehen, und schmerzlicher Demüthigung, unwiderstehlicher Eifersucht überliefert werden? Vielleicht alles zusammen. Nachdem sie diesem Gefühl indeß wieder und wieder nachgegeben, kam zu der innern Mahnung, ihr Versprechen zu halten, größeres Vertrauen zu dem Dichter und zu sich selber. Eines Abends, wo die Mutter ausgegangen war, nahm sie das Heft vor und las.

Das Verzeichniß der Personen mit den Namen und Titeln alter Zeiten ermangelte nicht, ein gewisses romantisches Verlangen in ihr zu erregen. Sie ging die erste, zweite, dritte Scene durch und fühlte sich angezogen. Warme Situationen, und ein warmer, inniger Ton, dem die Ueberschwänglichkeit, zu welcher sich einzelne Worte und Zeilen verstiegen, nicht eigentlich schadete; glühende, tiefe Liebe zweier Personen, die für einander geschaffen und einander werth waren; heroische, opferfreudige Kraft, mit feindlichen Mächten in Kampf zu treten und zu siegen in Triumph oder Untergang.

Die Schauspielerin, sich selbst vergessend, las weiter. Die geahnten, gefürchteten Wolken steigen am Horizont der sonnebeglänzten Landschaft, in welche das Liebespaar gestellt erscheint, rasch empor und entfalten sich drohend. Ein erster Zusammenstoß erfolgt, und die Liebe, die Treue siegt. Aber andere Menschen mit andern Leidenschaften und Zwecken treten auf, nähern sich der feindlichen Gewalt, sehen sich von ihr angezogen, beredet, und in Verflechtung selbstischer Interessen knüpft sich ein Bund, welcher dem Neid, der Eifersucht und dem giftigen Groll unwiderstehlich dienen zu können scheint.

Der erste Akt ist zu Ende. Für die Aufführung allerdings zu lang und einzelne Scenen in der zweiten Hälfte nicht klar, nicht schlagend genug. Aber beiden Uebelständen kann durch Streichen und theilweises Umarbeiten abgeholfen werden. Dann wird er nicht nur als Exposition seine Schuldigkeit thun, sondern bereits wirklich ergreifen, einen großen romantischen Prospekt eröffnen und durch die eigenthümliche dichterische Sprache das Publikum anziehen und erheben.

Die Künstlerin, die über ihre bisherige Rollensphäre hinaus begabt war, fühlte sich zufrieden und wahrhaft glücklich. Sie freute sich im Namen des Poeten, der sich als dramatischen, als Bühnendichter bewiesen; sie freute sich der Poesie, die aus dem Buch in ihre Seele strömte; und — sie freute sich über sich selber, daß die ihr allerdings nicht ähnliche Heldin, mit der sie aber dennoch fühlen konnte, ihr vielmehr lieb geworden war. Die Poesie ist heilig und heiligend. Wenn die Seele zu ihr sich erhoben hat, schweigen die irdischen Gefühle und Leidenschaften, und bewußt oder unbewußt sieht der Geist die Wirklichkeit vom Gesichtspunkt des Ewigen.

Rosa, wie gerührt sie war und wie sehr sie auf das Kommende sich freute, wollte für jetzt doch nicht weiter gehen. Sie fühlte sich durch das Bisherige schon eingenommen und gewissermaßen gesättigt. Es war ein guter, ein sehr guter Anfang; an ihm wollte sie sich ergötzen, ihn wollte sie in der Seele tragen und den Genuß des verheißenen guten Fortgangs auf die folgenden Tage sparen. War ihre Liebe zu dem Manne doch schon jetzt vertieft und erhöht — durch die Achtung, die er ihr eingeflößt! Wie schön, wenn er durchdrang mit seiner ersten Dichtung, um ihr immer bedeutendere, reifere nachfolgen zu lassen! — Sie stand auf, ernst und gehoben, mit dem Ausdruck eines guten und gut seyn wollenden Gemüths.

Unterdessen hatte sich Heinrich weiter in der Residenz umgesehen, neue Bekanntschaften gemacht und, da er nicht feiern konnte, sogar eine neue dramatische Arbeit begonnen — wieder ein Trauerspiel. Dieses freilich nicht aus Trotz gegen die Rathschläge der Klugheit und auf seinen Genius pochend, sondern einfach, weil er nur dazu einen Entwurf besaß und nicht zu einem Schauspiel oder Lustspiel. Er trat aber darin dem Schauspiel bereits etwas näher, und sehr schmeichelte ihm nun der Gedanke, die Vorzüge der Tragödie und des Dramas in der neuen Dichtung vereinigen und beide Parteien zufrieden stellen zu können. Das allein schien ihm auch die seiner in der That würdige Aufgabe, während er sich, ein Schauspiel fertigend, wie man es wünschte, von der Höhe, zu der er sich berufen halten mußte, doch einigermaßen herabzusteigen schien.

Doctor Willmann hatte ihm einen Gegenbesuch gemacht; er suchte ihn wieder auf, benahm sich schon freier, kameradschaftlicher gegen ihn, und der Schriftsteller nahm ihn eines Abends in eine Gesellschaft mit, die sich in einem Bierlokal zu versammeln pflegte. Es waren meist jüngere Männer, Beamte, Aerzte, ein paar Offiziere und mit Willmann drei Literaten. Heinrich wurde von seinem Einführer als Dramatiker vorgestellt und dann besonders mit einem der Schriftsteller bekannt gemacht, der ungefähr seine Jahre hatte. Doctor Dorn — so hieß derselbe — bot ihm einen Stuhl neben sich, und es zeigte sich bald, daß er, unter anderem, auch Theaterkritiker war. Als Heinrich dieß vernommen, konnte er nicht umhin, seine Freude darüber auszusprechen und in seiner Miene eben so viel Achtung wie Vergnügen an den Tag zu legen. Dem Kritiker gefiel dieß; er erkundigte sich nach dem Stück, und auf unsern Poeten hatte die Residenzluft schon so gut gewirkt, daß er unwillkürlich über die Aufgabe mit Wärme, über die Leistung aber bescheiden sich ausdrückte und dem andern dadurch als ein Mensch erschien, dem man seiner Bravheit wegen unter die Arme greifen könne. Das Bier, das man in dem Lokal erhielt, war schmackhaft, die neuen Bekannten stießen wiederholt an, tranken nach Durst und gingen um Mitternacht fast als gute Freunde nach Hause, indem sie unter dem dunkeln Nachthimmel mit Köpfen hinwandelten, die durch Getränk und Gesprächeslust hell erleuchtet waren.

Zwei Tage darauf las man in einer Zeitung, deren Feuilleton hauptsächlich der Feder Dorns offen stand: „An der hiesigen Hofbühne ist eine neue Tragödie eingereicht, welche durch effektvolle Scenen und durch eine edle, schwungvolle Diktion große Hoffnungen erweckt. Der Dichter, Heinrich Born, dem literarischen Publikum durch geistreiche Aufsätze und Kritiken bekannt, weilt hier und ist bereits wieder mit einem neuen Stück beschäftigt.“ — Heinrich, der das Blatt in einem Speisehaus arglos zur Hand genommen hatte, fühlte sich durch die öffentliche Hervorhebung so betroffen, daß er ordentlich zurückfuhr. Nach der ersten Ueberraschung wog aber das Vergnügen, mit so viel Ehren genannt zu seyn, als es zunächst irgend möglich erschien, doch bei weitem vor; er las die Notiz wiederholt, überlegte den wahrscheinlichen Effekt auf Publikum und Intendanz und verließ die Restauration mit den angenehmsten Empfindungen.

Zufällig kam ihm auf der Straße Willmann entgegen. Mit einem Lächeln, worin Bonhomie und gemüthliche Satire bis zur Liebenswürdigkeit gemischt waren, rief dieser: „Nun, ich gratulire! Sie haben doch gelesen?“ — „So eben,“ erwiederte Heinrich, indem er ihm die Hand reichte. „Es freut mich, und ich muß Ihnen für die Bekanntschaft nochmal herzlich danken.“

Der Doctor zuckte ablehnend die Achsel und bemerkte: „Er muß sehr für Sie eingenommen seyn; sonst ist er mit Lob und Empfehlung nicht so rasch bei der Hand.“ Heiter für sich hinsehend schwieg er einen Moment. „Apropos,“ setzte er dann hinzu, „haben Sie die beiden Herrn schon besucht?“ — „Besucht wohl,“ erwiederte der Dramatiker, die Regisseure verstehend, „aber nicht zu Hause getroffen.“ — „Ich habe vorgestern,“ sagte der Andere, „mit ihnen gesprochen. Gehen Sie morgen früh zu ihnen, beide werden zu Hause seyn.“

Sie trennten sich händeschüttelnd, und Heinrich sagte sich im Weitergehen, daß er, mit Ausnahme eines Einzigen, bis jetzt eigentlich doch lauter freundliche, liebenswürdige Leute hier getroffen habe und alles nur immer besser sich anlasse.

Andern Tages machte er sich bald auf den Weg und besuchte zuerst den Regisseur des ernsten Dramas. Er fand einen stattlichen Mann von reifem Alter, dessen bedeutendes, mit einigen Runzeln versehenes Gesicht eben so viel Würde als Wohlwollen ausdrückte. Man sah ihm an und fühlte auch durch seine Höflichkeit hindurch, daß er seit Jahren Heldenväter spielte und eben so auf dem Schlachtfeld wie im Thronsaal oder auf dem Throne selbst an seinem Platze war. Nach dem ersten Willkomm gestand er dem jungen Dramatiker, daß er sein Stück nur dem Titel und den Personen nach kenne, sich aber freuen würde, eine Tragödie im höheren Styl darin zu finden, die er zur Aufführung befürworten könnte. Denn man möge sagen was man wolle, das Trauerspiel bleibe immer die Hauptsache für das Theater und müsse namentlich an Hofbühnen, wie die hiesige, gepflegt werden.

Heinrich war damit freudig einverstanden und drückte die Hoffnung aus, daß seine Tragödie, für deren höhere Haltung er einstehen könne, auch als wirksames Theaterstück sich erproben möchte. Nur zu lang würde sie wohl noch seyn!

Der Regisseur, der bis jetzt ernst dagestanden, zeigte in seinem Gesicht den Ausdruck heiterer Ueberlegenheit. „Wenn das Stück nur sonst gut gebaut ist,“ sagte er dann, „den Uebelstand der Länge wollen wir schon beseitigen.“ Der Poet nickte begreifend, mit einem Lächeln, in das die Ahnung eines mörderischen Einbruchs in seine Verse einen leisen Zug von Schmerz und Verlegenheit brachte. Der Heldenvater, dieß gewahrend, fuhr fort: „Ich weiß wohl, daß wir den Herrn Dichtern an’s Herz greifen, wenn wir ihnen Stellen herausstreichen, die sie gern für ihre schönsten zu halten pflegen. Aber es geschieht doch nur zu ihrem Besten, und ich würde Ihnen rathen —“

Heinrich, nach einer heroischen Anstrengung, entgegnete: „Herr Regisseur, ich stelle Ihnen meine Tragödie zur Verfügung. Verfahren Sie damit ganz, wie es Ihnen gut dünkt; denn ich weiß, ein Künstler wie Sie, streicht nur das Ueberflüssige und wirklich Schädliche, damit das Aechte, Schöne und Reine um so besser wirke.“ — „Darauf,“ erwiederte der Regisseur, „können Sie sich verlassen! Das Theater und der Dichter haben Ein Interesse, und wir werden nichts aufgeben, womit man auf die Zuschauer Effekt machen kann. Ein Stück zum Lesen und ein Stück zum Aufführen ist zweierlei. Was beim Lesen charmant seyn kann, wird auf der Bühne, wenn es die Handlung aufhält, unangenehm, sehr unangenehm, und ohne die Streichfeder der Regie würden die meisten deutschen Bühnendichtungen an ihrer eigenen Poesie zu Grunde gehen. — Vertrauen Sie,“ fuhr er lächelnd fort, „in dieser Beziehung ganz den Schauspielern. Wenn Ihr Stück angenommen wird, so dürfen Sie später auch den Vorschlägen der einzelnen Darsteller unbedenklich folgen und noch mehr aufopfern; denn womit einer etwas machen kann, das läßt er sich nicht nehmen.“

Unser Poet, die Skrupel, die in ihm aufgestiegen waren, unterdrückend, gab seine Zustimmung mit Ernst und in so guter Manier, daß der Künstler geradezu für ihn eingenommen wurde. Er eignete sich für das Stück ein günstiges Vorurtheil hauptsächlich wegen der Einsicht an, die der junge Mann bewies, und sagte endlich, indem er ihm die Hand gab: „Was ich für Sie thun kann — natürlich in Uebereinstimmung mit den Interessen der Bühne — das geschieht, verlassen Sie sich darauf! Es sollte mir sehr lieb seyn, wenn wir aus Ihrer Dichtung mit einander ein rechtes Theaterstück herausarbeiten könnten. Ich bin jetzt um so neugieriger darauf und hoffe, ich werde es bald vornehmen können.“

Mit großer Beruhigung verließ Heinrich den einflußreichen Mann. Er fühlte, wie sich ihm der Boden unter den Füßen zusehends consolidirte, und freute sich nun auf den Besuch bei dem zweiten Regisseur, obwohl er in Folge der ihm gewordenen Charakteristik eine gewisse Scheu vor ihm empfunden hatte. Unmittelbar verfügte er sich zu ihm.

Eingetreten in eine Stube, die eine ziemlich malerische Unordnung verrieth, wurde er von einem länglichen, hageren Mann willkommen geheißen, in dessen Gesicht und Accent ein sarkastischer Ausdruck stehend geworden war, so daß nun auch die Versicherung seiner Freude, den Autor des eingegangenen Theaterstücks kennen zu lernen, einen unverkennbar ironischen Klang hatte. Heinrich, dem sich dieß aufdrängte, fühlte sich etwas aus der Fassung gebracht, und es wurde ihm noch unheimlicher, als der Regisseur ihn mit einer Miene betrachtete, welche, durch alle äußere Freundlichkeit hindurch, zu sagen schien: „Der sieht mir auch aus, als ob er uns Zeug brächte, das niemand genießen kann!“

Seiner anderweitigen Protektionen gedenkend, faßte sich aber der Poet und empfahl seine Dichtung mit Würde, indem er hinzufügte: die Urtheile, die er schon darüber vernommen, berechtigten ihn zu der Hoffnung, daß sie auch dem Herrn Regisseur nicht ganz mißfallen werde. — „O,“ rief dieser mit Emphase, „davon bin ich überzeugt! — Auch die Presse,“ fuhr er nach einem Schweigen mit bedeutsamem Blick fort, „hat auf das Stück bereits aufmerksam gemacht —“ — „Aber ohne daß ich dazu Veranlassung gegeben,“ fiel Heinrich ein. „Ich wurde selber davon überrascht.“

Mit einem Gesicht, welches vergnügten Unglauben ausdrückte, entgegnete der Schauspieler: „Fällt mir nicht ein, das anzunehmen! Man kennt ja die Herrn Feuilletonisten und ihre Art voreilig zu protegiren, um hinterdrein — Nun, ich bin auf Ihre Dichtung gespannt und zweifle nicht, daß sie vortrefflich seyn wird. Aber ich muß Ihnen doch gestehen: Tragödien sind eigentlich nicht mein Fach, und, um Alles zu sagen — auch nicht meine Passion. Sie sind schwierig zu lernen, kostspielig in Scene zu setzen und lohnen sich selten.“

„Wenn aber eine einschlägt,“ warf Heinrich ein, „dürfte sie doch —“ — „Ein Gewinn seyn?“ ergänzte der Andere, indem er ihn heiter fixirte, „ja. Und wenn ich das der Ihrigen ansehe, ist Ihnen meine Empfehlung gewiß.“

„Tragödien,“ fuhr der Poet nach leichtem Kopfneigen mit halbem Lächeln fort, „können am Ende doch nicht ganz vom Repertoire ausgeschlossen werden.“ — „Natürlich nicht,“ erwiederte der Regisseur. „Was würden wir da mit unsern Tragikern — unsern Heldenspielern und Heroinen anfangen? Und sogar das Publikum will hie und da noch ein neues Trauerspiel sehen.“ — „Zur Abwechslung,“ setzte der Poet hinzu, der auf die Manier des Mannes einzugehen anfing. — „Ja wohl,“ versetzte der Andere, „und am Ende aus alter Gewohnheit. Aber sie müssen selten kommen — immer seltener —“ — „Bis sie endlich ganz verschwinden können!“ setzte der Poet halb fragend hinzu. — „Ich meinerseits,“ entgegnete der Schauspieler, „würde mich zu trösten wissen.“

Heinrich, der im Regisseur nun deutlich die lustige Person erkannte, lachte und jener schien das wohl aufzunehmen. Er sah den Poeten freundlicher an und fuhr dann mit einer gewissen Bonhomie fort: „Sie dürfen diese Aeußerungen nicht so schlimm aufnehmen, Herr Doctor. Jeder liebt am Ende, was er kann und womit er Ehre einzulegen hofft, und meine Sphäre ist die Komödie, das Conversationsstück, und was so drum herum liegt. In Tragödien kommt höchstens einmal ein Bösewicht an mich, der mehr drolliger Schuft als erhabener Verbrecher ist, und größere Ansprüche kann ich auch nicht erheben. Abgesehen davon, daß das Erhabene nicht mein Fach ist, so besitzen wir hier für die große Gattung einen Mimen, der schon durch sein Auftreten und den Schauerblick seines rollenden Auges dem Publikum Grauen einflößt, und wenn dieser in Ihrem Stück eine Rolle hat, gratulire ich Ihnen im voraus. Eine edle, tugendhafte Partie in einem Trauerspiel ist für mich geradezu ein saurer Apfel, in den ich nur beiße, wenn’s eben nicht anders geht. So ist mir der Sinn für die Tragödie, den ich in meiner Jugend wohl auch gehabt habe, fast gänzlich entschwunden, und ich fühle leider, daß ich auch die hochpoetischen nicht ganz so schätzen kann, wie sie’s verdienen. Indessen,“ fügte er mit einer Miene hinzu, die es fast bis zum Ernst brachte, „meine Pflicht verlangt, den ehrenvollen Ruf und den Vortheil der Bühne im Auge zu haben, und wenn sich dieß mit Ihren Wünschen vereinigen läßt — zählen Sie auf mich!“

Der Dramatiker, durch das launige Bekenntniß ergötzt und die ernstliche Zusage ermuthigt, reichte dem Künstler dankend die Hand und beide schieden mit beinahe freundlichen Empfindungen, jedenfalls unter cordialen Betheurungen.

„Auch das,“ sagte der Poet auf der Straße zu sich, „ist besser gegangen, als es zuerst das Aussehen hatte. Nun, der Poesie kann am Ende niemand widerstehen, und wenn er sich dem Stück hingibt —“ Er sah geradeaus und seine Miene erhellte sich froh: in einer jungen Dame, die auf ihn zukam, hatte er Rosa erkannt. Grüßend trat er zu ihr und betrachtete sie verwundert. Aus ihrem Gesicht sprach eine Freude und eine Güte, die es glänzend verschönten, und zugleich ein höherer Ernst, als er je an ihr wahrgenommen hatte.

„Es freut mich sehr,“ antwortete sie auf den Gruß, „daß ich Sie treffe! Ich hab’ Ihre Tragödie gelesen — anderthalb Acte —“ — „Nun?“ rief Heinrich, dessen Herz zu pochen anfing. — „Ich wünsche Ihnen Glück von ganzem Herzen! Was ich bis jetzt kenne, hat mich außerordentlich angezogen; es ist ein förmlicher Zauber, und wenn das so fortgeht —“ — „O,“ rief Heinrich, an weitere Scenen denkend, mit inniger Ueberzeugung, „es muß noch besser kommen!“ — „Nun,“ versetzte sie, „dann kann ich wenigstens nur an einen vollständigen Erfolg auf dem Theater glauben. — „Ah,“ rief der Autor, dem ein Strom der Wonne durch die Brust ging, „das ist heute ein glücklicher Tag!“

Er berichtete ihr in Kürze über seine Besuche und ließ deren Ergebniß unbewußt im besten Licht erscheinen. Rosa’s Gesicht erheiterte sich und sie rief: „Das geht ja gut über Erwarten! Vor Berger (so hieß der Regisseur des Lustspiels) brauchen Sie nicht bange zu seyn. Wenn ein Trauerspiel wirklich ergreift und fortreißt, hat auch er Respekt davor, und überhaupt ist er nicht so schlimm, wie er aussieht. Ich gestehe Ihnen, ich freue mich außerordentlich, das Stück zu Ende zu lesen und dann mit Ihnen darüber zu sprechen. Diese Woche bin ich freilich sehr beschäftigt, aber in der nächsten hoffe ich damit fertig zu werden.“ Sie grüßte den Autor mit dem Blick einer Schwester und ging dem Theater zu, wohin sie eine Probe rief.

Heinrich sah ihr nach und wandte sich nur zögernd um. „Eine wahre Freundin!“ rief er weitergehend. „Sie nimmt wirklichen Antheil an mir und meinem Schicksal. Wie schön, daß ich sie gefunden habe!“

Das Glück des Poeten war aber heute im Zug und die Fülle seiner Gaben noch nicht erschöpft. Als er nach Hause kam, fand er ein Schreiben von Auguste. Er erbrach es mit hastigem Finger, las und seine Mienen sagten: das ist mehr, als ich verdiene! Die Stellen, die ihn am meisten erfreuten, lauteten:

„Auf deinen lieben, schönen, poetischen Brief hätt’ ich dir schon früher geantwortet, wenn ich nicht mit der Mutter acht Tage auf Besuch bei Vetter Kronfeld gewesen wäre, der, wie du weißt, seine Fabrik eine halbe Tagereise von uns hat. Die Leute sind reich, gastfrei und waren gegen uns besonders freundlich. Der alte Herr, der mich längere Zeit nicht sah, hat mich förmlich in Affektion genommen, und ich mußte ihm beim Abschied versprechen, nächstes Frühjahr auf längere Zeit wiederzukehren, um, wie er sich ausdrückte, seiner Tochter (die der Mutter nachschlägt und etwas in sich gekehrt und kopfhängerisch ist) zum Vorbild zu dienen. Wie viel Vergnügen wir aber dort hatten, ich bin jetzt doch auch wieder herzlich froh, zu Hause zu seyn, und benutze die erste freie Stunde, um dir zu schreiben.

„O Heinrich, du bist gut, und ich wünsche über Alles, daß es dir auch gut gehe und du für dein Streben, deinen Fleiß und deine Ausdauer nach Verdienst belohnt werdest. Gewiß, niemand in der Welt kann sich mehr über dein Fortkommen und das Gelingen deiner Pläne freuen. Wie schön wäre es, wenn du unsern rechnenden Kaufleuten beweisen könntest, daß man sich auch durch poetische Arbeiten eine ehrenvolle Existenz zu schaffen vermag — von dem Ruhm des Namens zu schweigen. Und warum sollte es nicht möglich seyn? Dir trau’ ich zu, daß du alle Zweifler beschämen wirst.

„Die Schilderung der Bekanntschaften, die du gemacht hast, war von großem Interesse für mich; das Benehmen des Professors hat mich aber in deinem Namen recht geärgert. Unser guter Rektor, dem ich’s vorhielt, lachte und sagte zu seiner Entschuldigung nur: „Ich meinte, er hätte sich gebessert; nun scheint es aber nach den Angriffen, die sein letztes Buch erfahren hat, mit ihm noch ärger geworden zu seyn. Es schadet nichts. Unser Dichter wird Freunde genug finden und den Zopf entbehren können.“

Daß sich die Schauspielerin für dich interessirt, ist sehr gut. Mache dir nur Freunde und cultivire alle Bekanntschaften, die dir nützlich werden können, denn der Werth der Leistungen reicht allein noch nicht aus, man muß auch die Gunst der Menschen dazu gewinnen, und da darf uns kein Gang und keine Artigkeit reuen. Aber, aber! — die schöne Künstlerin, die „einem andern gefährlich werden könnte,“ läßt mich doch auch für dich nicht ganz ohne Sorge! Wirst du immer so „gefeit“ seyn, wie du mir schreibst? Bist du deines poetischen Herzens so ganz sicher? Doch, es ist mir eigentlich nicht ernst mit diesen Reden. Du bist die treueste, ehrlichste Seele, ich kenne dich und ich vertraue dir. Lebe wohl! Versäume nichts, was deinem Unternehmen dienlich seyn kann. Dein Stück, wenn es nur gegeben wird, muß dem Publikum gefallen. Schreibe mir bald wieder.“

IV.

Die nächsten Tage verflossen unserem Dichter auf’s angenehmste. Es ist gar schön, auf ein Ziel hinzublicken, das uns, nicht allzufern, in reizendem Lichte winkt und dessen Erreichen vernünftigerweise nicht mehr bezweifelt werden kann. Das Verlangen darnach wird ruhiger und in Ruhe lieblicher als vor erweckter Zuversicht: die Freude des Gelingens wird im sichern Herzen voraus empfunden.

Heinrich füllte seine Stunden mit Arbeit und Genuß in wohlthuendem Verhältniß. Die Kunstschätze der Residenz hatte er bisher nur theilweise und flüchtig gesehen; jetzt widmete er ihnen eine ernstere Betrachtung und erhielt unter Ergötzungen aller Art eine Fülle poetischer Anregungen. Das Theater, in das ihm der Intendant freien Eintritt gewährt hatte, besuchte er fast regelmäßig, und während er sich dem Vergnügen hingab, das die Handlung in ihm erweckte, lernte er immer mehr einsehen, worauf es hier eigentlich ankam. Gewöhnlich war er ganz Empfänglichkeit und der Kritik völlig unfähig beim Beginn eines Stückes; er freute sich schon, daß es nur das gab, was ihm geboten wurde. Nach und nach trat aber das Urtheil in ihm hervor und wurde nur um so strenger und kühner. Er sah manches, was ihm vorbildlich erschien, noch mehr aber, was ihm unrichtig und schwach dünkte und was er besser zu machen den Beruf hatte.

Sehr anziehend war es für ihn, die Darsteller zu beobachten, welchen er die Hauptrollen in seinem eigenen Werke zudachte. Mit dem Heldenvater und dem Charakterspieler war er sehr zufrieden. Der letztere schien ihm zwar an die Grenze des ästhetisch Erlaubten zu gehen; allein die dämonische Persönlichkeit in seinem Stück war auch ungewöhnlich scharf gezeichnet und eine frappante Entfaltung mimischer Kräfte vielleicht eben in seinem Interesse. — Die heroische Liebhaberin, die ihm schon als Maria Stuart imponirt hatte, sah er auch als Jungfrau von Orleans, und nach beiden Rollen mußte er sie für seine Heldin wie geschaffen halten, da diese mit den Schillerschen Charakteren eine gewisse Verwandtschaft hatte, obwohl sie durch eine Reinheit und Hoheit, womit sie alle Prüfungen bestand, über beide hinausragte. Bei dem Applaus, den die Künstlerin errang, konnte er nicht umhin, kräftig mitzuwirken und nebenbei an denjenigen zu denken, den er bescheiden hinzunehmen hatte.

Sein neues Drama rückte vor. Der Entwurf war genau und erlaubte ihm stetiges Fortarbeiten. Die fertigen Auftritte schienen ihm anziehend und spannend, er freute sich von einem Tag zum andern auf die Fortsetzung, und ein Gefühl sagte ihm: es muß werden!

Eine Mahnung des Dankes bewog ihn, Doctor Dorn zu besuchen. Er wurde freundlich empfangen und die Art, wie er seine Erkenntlichkeit ausdrückte, heiter vernommen. Nach einer Weile fragte ihn der Journalist, welche Blätter ihm dermalen offen ständen. Als Heinrich ihm bekannte, daß er in Journale seit längerer Zeit nichts geschrieben, weil er ganz und gar von seinen dramatischen Arbeiten in Anspruch genommen werde, schüttelte Dorn mißbilligend den Kopf und sagte: „Da haben Sie sehr unrecht gethan, mein lieber Freund! Zeitungen müssen einem immer zur Verfügung stehen, damit man Freundlichkeiten nicht nur in Empfang nehmen, sondern auch erwiedern kann. Wenn Sie als Dichter bekannt werden wollen, müssen Sie nothwendig auch als Referent und Kritiker thätig seyn; denn wer seine Hand nicht in einigen Blättern hat, also weder nützen noch schaden kann, auf den wird man bald keine Rücksicht mehr nehmen.“

Heinrich konnte die Bündigkeit des Schlusses nicht läugnen — unter gewöhnlichen Verhältnissen. Daß er aber sein Streben und sein Talent für eine Ausnahme hielt, die solche Vorsorge gar nicht nöthig haben würde, durfte er dem Andern doch auch nicht gestehen. Er nickte daher bedeutsam, lächelte ein wenig und schien die gute Lehre begriffen zu haben.

Dorn betrachtete ihn mit Vergnügen und mit einem schelmischen Zug um den Mund, wie einen, den man auf den rechten Weg zu leiten im Begriff ist. Nach etwelchen Fragen, die sich auf Heinrichs jüngste Erfahrungen bezogen, legte er diesem ein broschirtes Buch vor und fragte ihn, ob er es schon gelesen habe. Jener verneinte es und setzte hinzu, daß ihm auch der Name des Autors noch nicht vorgekommen sey.

Dorn schmunzelte. „Das ist nicht zu wundern,“ sagte er. „Das Buch ist von mir. Ich wollte aber in einem satirischen Roman ganz ungenirt seyn, und so hab’ ich’s pseudonym herausgegeben.“ — „Ah,“ rief unser Poet, „das muß pikant seyn!“ — „Ich meine schon,“ erwiederte der Autor mit gemüthlicher Selbstgefälligkeit. „Aber bis jetzt hat es doch noch nicht die Beachtung gefunden, die ich mir versprochen habe. Es ist freilich noch nicht lang heraus und muß eigentlich erst bekannt werden. — Interessirt Sie’s?“ fuhr er nach einem Moment fort, „wollen Sie’s lesen?“ — „Wäre mir allerdings sehr lieb —“ — „So nehmen Sie’s mit nach Hause.“

Heinrich fühlte wohl, daß er damit eine Verpflichtung auf sich nahm. Allein er konnte schicklicherweise nicht zurück, steckte das Buch ein und verließ den guten Freund mit dem Entschluß, das Opus zu lesen, und wenn es irgend anging, in einem Journal zu empfehlen.

Im Theater war ihm eine eigene Genugthuung vorbehalten. Rosa trat in einem neuen Familienstück auf und führte die Partie eines Mädchens, die mit aller Munterkeit eines fröhlichen Herzens auftrat, aber nach hereingebrochenem Unglück unerwartete, rührende Festigkeit und Hingebung bewies, in so ergreifender Weise durch, daß sie in den letzten Akten den rauschendsten Beifall erntete. Die Theaterkenner schauten sich verwundert an und gestanden sich, daß sie ihr das nicht zugetraut hätten; Heinrich, dem Thränen in die Augen getreten waren, fühlte sich überaus glücklich und namentlich auch dadurch befriedigt, daß er ihr Talent so richtig begriffen, sie auf die besondere Fähigkeit schon aufmerksam gemacht hatte.

Am andern Tage trieb es ihn zu ihr, um zu gratuliren und ihr sein früheres Wort in’s Gedächtniß zurückzurufen. Das letztere gerieth ihm etwas mentorartig und die Künstlerin zuckte unwillkürlich die Achseln. „Nun,“ sagte sie, „ich muß am Ende doch daran glauben, daß noch etwas mehr in mir steckt, als ich bis jetzt selber gedacht habe. Wenn das Publikum mit seinem Beifall sich irren kann, so geben mir doch Kenner und Aesthetiker, wie Sie, die vollste Bürgschaft. Eigentlich,“ fuhr sie nach kurzem Innehalten leichter und gutmüthiger fort, „kommt es wohl nur auf die Rolle an, die man erhält. Der Dichter schreibt vor, wir müssen ausführen, und — es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken.“

Heinrich erwiederte, dieser Schillersche Spruch sey allerdings richtig, aber das Wachsen setze die Kraft selber voraus, und die Freundin thäte wohl daran, von der gestern Abend glänzend erwiesenen Gabe der Rührung und Erhebung öfteren und umfassenderen Gebrauch zu machen. Die freundschaftliche Besorgtheit um ihr Talent und dessen Ausbildung zog dem Poeten einen Blick zu, den er zu deuten nicht in der Lage war, obwohl ihn ein neues Achselzucken begleitete. Seine Vermuthung ging auf eine geringere Schätzung eben dieser Gabe von Seiten der Künstlerin, und er suchte nun zu beweisen, wie sehr sie durch die entsprechende Pflege derselben sich steigern, ergänzen, und welch vollkommene Genugthuung sie dann empfinden würde.

Rosa hörte stumm zu. Als er mit seiner Argumentation fertig war, sagte sie: „In Ihrer Tragödie hab’ ich noch nicht weiter lesen können; ich muß dazu ganz ruhig und gesammelt seyn.“ — „Ich dränge durchaus nicht,“ erwiederte Heinrich. — „Das ist mir lieb. Auch für die nächsten Tage geht’s noch nicht. Sie wissen, das Theater ist unberechenbar, und ich soll übermorgen gegen alles Erwarten eine Rolle spielen, die ich fast ganz vergessen habe.“ — „Das verträgt sich allerdings nicht mit der Lektüre meines Stücks,“ versetzte der Poet, „und ich würde selber bitten, daß Sie sich von jetzt an möglichst im Zusammenhang erhalten möchten.“

Es wurde ausgemacht, daß Rosa, wenn sie fertig wäre — in acht, höchstens zehn Tagen glaubte sie es zu seyn —, den Dichter zu sich bitten lasse. Heinrich meinte lächelnd: es sey vielleicht gut, wenn er sich noch etliche Zeit in süßer Täuschung wiegen könne, und empfahl sich, „des Rufes gewärtig.“

Acht Tage vergingen, ohne daß dieser erfolgte. Der Poet brachte den ersten Akt seines neuen Stücks zu Ende und machte sich rüstig an den zweiten. Im Eifer des Schaffens kam in ihm die Neugierde, das Urtheil der Künstlerin zu vernehmen, so wenig empor, daß er drei fernere Tage ruhig hingehen ließ. Als aber noch zwei verstrichen, ohne daß Botschaft an ihn ergangen wäre, da fing er doch an bedenklich zu werden; eine dumpfe Aufregung störte sein Denken und Schaffen, und er beschloß, unaufgefordert anzufragen. Im Grunde war Verschiedenes möglich, er brauchte noch gar nichts Uebles zu fürchten bei einer so geringen Hinausschiebung, die ein kleiner Zwischenfall beim Theater erklärte; aber eben darum wollte er nachsehen, um durch Kenntniß des wirklichen Motivs den Gedanken ein Ende zu machen, die ihn zu belästigen anfingen.

Es war ein Operntag; Heinrich begab sich in die ihm so trauliche Wohnung, die er nun doch mit Herzklopfen betrat, gegen Abend und wurde von den beiden Frauen, obschon er sie ernster als gewöhnlich traf, so herzlich, so gütig empfangen, daß er sofort leichter zu athmen begann.

Nach einer Weile sagte Rosa: „Sie kommen heute gelegen; ich hätte Sie morgen zu uns eingeladen.“ — „Sie sind also fertig?“ entgegnete der Poet lebhaft. — „Seit gestern, obwohl ich manche Scenen wiederholt gelesen habe.“

Heinrich, dankend, sah die Künstlerin an. Aus ihrer gehaltenen Miene war ihr Urtheil nicht abzunehmen, obwohl dem Autor so viel klar wurde, daß er unbedingte Beistimmung, wie die ersten Akte sie gefunden, in Bezug auf das Ganze nicht wohl erwarten durfte. Etwas zögernd fragte er daher: „Und Ihre Ansicht?“

Rosa schwieg einen Moment, dann sagte sie: „Ich habe das ganze Stück mit dem größten Interesse gelesen.“ Heinrich nickte, indem seine Miene unwillkürliches Bedenken verrieth. „Und die Poesie, die Sie in den ersten Acten fanden,“ fragte er dann, „ist sie Ihnen auch in den folgenden erschienen?“ — „O, allerdings,“ erwiederte sie. „Es sind reizende Scenen darin, ergreifende, erschütternde Momente!“ — „Nun,“ versetzte der Autor, wieder beruhigt, „das ist schon etwas! Wie lautet aber Ihr Urtheil im Ganzen? und namentlich, was hab’ ich auf der Bühne zu hoffen?“

Das Mädchen sah ihn an und schien über die Antwort nicht mit sich in’s Reine zu kommen; dann, mit einer gewissen Entschlossenheit, aber doch zugleich mit bescheidener Zurückhaltung im Ton, versetzte sie: „Was den Bühnenerfolg betrifft, so getrau’ ich mir, offen gestanden, nicht, Ihnen etwas Bestimmtes vorherzusagen.“

Der Poet war betroffen, ja bestürzt. „Ah,“ rief er, „das hätt’ ich nicht erwartet! — Sie glauben also, daß es auf der Bühne keine Wirkung machen wird?“ — „Das ist nicht meine Meinung,“ entgegnete Rosa lebhaft, indem sie eine gewisse Verwirrung nicht verbergen konnte.

Die Mutter, die bisher still vor einer weiblichen Arbeit gesessen hatte, bemerkte nun: „Rosa will nichts weiter sagen, als daß sie Ihnen einen Erfolg, wie wir ihn alle wünschen, nur nicht verbürgen kann. Die Möglichkeit will sie keineswegs bestreiten.“ — „Durchaus nicht!“ fuhr die Schauspielerin fort. „Bei einer gewagten Handlung, und die Ihrige ist gewagt, kömmt’s auf eine Linie an. Wird das, was man den Zuschauern bietet, ihnen eben noch recht, oder wird’s ihnen schon zu viel, zu stark seyn? Das ist die Frage, auf die sich namentlich bei Tragödien vor der Aufführung niemand eine sichere Antwort gestatten wird.“

Der Dichter war sehr betreten. Nach der schönen und reinen Anerkennung der ersten Akte hatte er eine Ausdehnung dieses Urtheils auf das Ganze um so mehr erwartet, als nach seiner Meinung das Hauptgewicht der Handlung durchaus in der zweiten Hälfte lag. Zuletzt etwas bedenklich geworden, hatte er sich doch höchstens auf Beanstandung einer und der andern Einzelnheit gefaßt gemacht. Daß das Ganze, die scenische Wirksamkeit der Tragödie überhaupt, eine Frage werden könnte, das hatte er nicht für möglich gehalten; es überraschte ihn schmerzlich, er konnte noch nicht daran glauben.

„Aber,“ begann er, indem sein verdüstertes Gesicht sich wieder zu einem Ausdruck von Selbstgefühl erhob, „die Sprache, wie Sie selber zugeben, ist doch poetisch, die Handlung anziehend, fesselnd, und in allen Akten, besonders in den letzten, kommen Auftritte vor, von denen Andere gemeint haben, daß sie bedeutenden Effekt machen müßten.“ — „Gerade über diese Auftritte in den letzten Akten,“ entgegnete die Künstlerin, „und über die Wirkung derselben auf’s Publikum traue ich mir kein bestimmtes Urtheil zu. Effektvoll sind sie, das ist keine Frage. Aber wenn sie nun — wehe thäten?“ — „Sie meinen, daß sie vielmehr peinlich als tragisch wirken könnten? Aber meine Hauptpersonen sind durch ihren Geist und Charakter innerlich so reich und so erhaben, sie triumphiren im Leid, gewinnen im Untergang —“ — „Das ist Ihre Absicht mit ihnen gewesen,“ versetzte Rosa, „man sieht das wohl. Nun, und in Rücksicht darauf möcht’ ich allerdings das Gelingen für eben so möglich halten.“

„Meine Tochter,“ begann die Frau wieder, „ist nur so ehrlich, Ihnen keine Hoffnung machen zu wollen, die sich nachher nicht erfüllen könnte; und darin, mein lieber Herr Doctor, muß ich ihr Recht geben. Ich habe Ihre Dichtung auch gelesen und stimme mit Rosa darin überein, daß sie große Vorzüge besitzt und großes Talent verräth; wenn aber die letzten Auftritte, worauf Sie alles angelegt haben, nicht den beabsichtigten Effekt machen, dann kann doch, trotz aller Schönheiten, der Erfolg nicht so ganz herauskommen, wie Ihre Freunde ihn wünschen, und niemand herzlicher als wir.“

Heinrich sah von einer auf die andere, nickte wie einer, der zu begreifen anfängt, und sagte mit trauriger Miene: „Das ist schlimm! Das Vertrauen, das ich auf diese Tragödie gesetzt habe, ist durch diese Urtheile erschüttert; ich kann nicht mehr daran glauben und bin in großer Verlegenheit.“

Die Schauspielerin, die einen Blick herzlichen Bedauerns auf ihn geworfen, sagte nun: „An dem ist es noch nicht, mein lieber Freund! Wir haben Ihre Dichtung als Theaterstück beurtheilt in ihrer jetzigen Gestalt, aber die braucht sie ja nicht zu behalten. Sie können ja ändern und was bedenklich erscheint, herausbringen.“ — Das Gesicht des Autors erhellte sich wieder und er erwiederte: „Das ist wahr.“

Rosa, mit einem gutmüthigen Lächeln, fuhr fort: „Lassen Sie nur erst die Regisseure drüber kommen und das Stück „einrichten!“ So eine Einrichtung hat schon oft Wunder gethan, und wie sollte sie nicht einem Stück zu Gute kommen können, das an Schönheiten so reich ist? Vielleicht schlägt man Ihnen auch vor, einzelne Partien ganz umzuarbeiten —“

Heinrich stand nachdenklich. „Und dazu,“ sagte er dann, „müßte ich mich wohl verstehen?“ — „Gewiß,“ rief das Mädchen. „Ein Theaterstück ist noch ganz was anderes, als eine dramatische Dichtung; und wohl dem Autor, wenn man aus einer solchen überhaupt ein wirksames Stück herausschneiden kann! Es lohnt sich darum schon der Mühe, noch ein paar Wochen daran zu setzen.“

Heinrich lächelte mit Ergebung. „Ich sehe schon,“ erwiederte er, „ich muß wieder von vorn anfangen!“ — „Theilweise,“ versetzte Rosa, „und das thut nichts! Hören Sie überhaupt erst das Urtheil der Regisseure. Ich muß Ihnen bekennen, ich habe mich Ihrer Dichtung gegenüber auf etwas eingelassen, dem ich doch eigentlich nicht gewachsen bin. Einer im höheren Styl gearbeiteten Tragödie es anzusehen, welchen Erfolg sie auf der Bühne haben werde, mein lieber Freund, das ist sehr schwer, und da können noch ganz andere Leute daneben treffen, als eine junge Schauspielerin, die in diesem Fach wirklich nicht zu Hause ist. Nun,“ fuhr sie nach einem Moment fort, „zuletzt muß man’s eben darauf ankommen lassen. Ich weiß, daß Stücke, denen noch auf der Leseprobe der beste Erfolg prophezeit wurde, so ziemlich durchgefallen sind, während andere, über die man die Achseln zuckte, angesprochen haben. Auf den Brettern ändern sich die Verhältnisse oft ganz unerwartet, und wir Schauspieler bringen mit einander heraus, was wir vorher selber nicht wissen können. Das Publikum, das die Eindrücke empfängt, hat zu urtheilen, und urtheilt auch; bei ihm ist der letzte und entscheidende Spruch, und darauf hin muß man’s wagen.“ — „In Gottes Namen!“ rief Heinrich; „wagen wir’s! Und wenn Männer von Einsicht vorher Aenderungen verlangen — ändern wir!“

Nach diesen kräftig betonten Worten erheiterten sich die Mienen. Man war zu einem Resultat gekommen und ließ die Sache für jetzt auf sich beruhen, indem Heinrich sich vorbehielt, an einem der nächsten Tage mit den Freundinnen über Einzelnheiten des Stücks zu berathen. Eine Unterhaltung über andere Gegenstände konnte nicht lang dauern. Die Frauen waren ausgebeten, und Heinrich verabschiedete sich. Er hatte zu seinem Opus wieder Vertrauen gewonnen und war entschlossen, es auf das „Glück der Schlachten“ ankommen zu lassen.

Wenn Heinrich die Erklärungen der beiden Schauspielerinnen überdachte und eins in’s andere rechnete, brauchte er den Muth in der That noch nicht zu verlieren. Der Geschmack beider neigte sich zum Genre, zum Angenehmen und Reizenden, zur leichten Rührung. Das Große, das Erschütternde und eigentlich Tragische war ihnen — zu stark. Darum das enthusiastische Lob des ersten Drittheils seines Stücks, das in milder und höchstens ahnungsvoller Beleuchtung stand, und das zweifelnde Zurückscheuen vor den Schlägen des endlich sich entladenden Gewitters. Männer, zumal solche, deren Fach die Tragödie war, mußten nothwendig anders urtheilen und gaben wohl umgekehrt der zweiten Hälfte den Vorzug vor der ersten.

Unter solchen Gedanken kam er nach Hause. Als er in seine Stube eintrat, sah er, trotz des nächtlichen Dunkels, auf seinem Schreibtisch ein Paket liegen, das er mit einem zufriedenen Ausruf begrüßte. Er hatte seinen Vater um Uebersendung eines Collegienheftes gebeten, das er zu Hause gelassen, freute sich nun der schnellen Besorgung, deßgleichen auf Nachrichten von Hause, und machte eilig Licht. Im Schein der brennenden Kerze warf er einen Blick auf die Adresse: die Hand war fremd. Er betrachtete das Siegel und ein Schauer überlief ihn: die Sendung kam von der Intendanz, es war die Abschrift seiner Tragödie.

In der That enthüllte sich diese aus dem aufgerissenen Umschlag. Ein beigelegtes Schreiben, das der Poet mit einer heftigen Bewegung entfaltete, lautete kurz:

„Ew. Wohlgeboren stelle ich das eingereichte Manuscript Ihrer historisch-romantischen Tragödie hiemit ergebenst wieder zurück, indem ich lebhaft bedaure, daß dieselbe zur Darstellung auf hiesiger Hofbühne nicht geeignet befunden wurde. Mit Hochachtung — von Dachburg.“

Heinrich, nachdem er das Blatt auf den Tisch fallen lassen, stand und rang mit der Verzweiflung, die unaufhaltsam in ihm empor drang. Nun war Alles verloren — Alles! Wenn die erste Bühne seines Landes — sie, die vor allen berufen war, höherer Dichtung entgegen zu kommen, ihm ein Werk, das er mit seinem Herzblut geschrieben, so verachtungsvoll zurückschicken konnte, dann hatte er bisher im Traum eines Thoren gelebt; er hatte sich über die Welt und sich selber gänzlich getäuscht — er war Nichts! Der Grund, auf dem er vorwärts zu gehen meinte, wich, und er sank in’s Bodenlose!

Welche Liebe hatte er seiner Dichtung zugewendet! welch liebenden Fleiß, Jahre hindurch! — Was hatte er in sie hineingearbeitet von edlen Gedanken, holden Gefühlen, großen Vorstellungen, erhabenen Phantasiebildern! Wie hatte er sich gefreut, wenn ihm das Unaussprechliche doch auszusprechen gelungen war und es in wohllautendem Vers, in blühendem Bild ihm selber wohlgefallen mußte! Und nun war Alles nichts — Alles umsonst! Mit tödtlich kühler Phrase wies man die Frucht ausdauernder Begeisterung von der Schwelle des Lebens und rief ihm zu: „Fort in die Finsterniß — und vergehe!“ Nicht einmal einen Versuch machen mit einer Schöpfung, deren poetischer Gehalt über allen Zweifel erhaben war! Nicht einmal einen Vorschlag, die Fülle des Schönen darin für die Bühne zu retten! Verworfen ohne Weiteres!

So kurzer Proceß wird mit dem Ernsten und groß Angelegten gemacht, während man das Seichte, das kindisch Ergötzliche begierig ergreift, ja sogar dem Verderblichen die Hallen des Kunsttempels öffnet! Wahr ist also, was geklagt wird: die Poesie ist in die Acht erklärt! Die Menge will das Gemeine, und das Theater bietet es ihr, um für die hingeworfene Ehre das Geld in Empfang zu nehmen!

Und nun, was soll geschehen? Er dachte an Auguste, an ihre, an seine Eltern — und es war ihm, als ob eisige Messer ihm die Brust zerschnitten. An derselben Vorstellung aber, die ihm noch die bitterste Qual verursachte, erhob er sich wieder. Es ist eine Prüfung für uns — Auguste wird sie bestehen — und ich muß sie auch bestehen! Die Meinigen müssen sich ergeben! Was daraus werden mag — genug der Verzweiflung!

Er nahm das Manuscript nebst dem Schreiben der Intendanz und verschloß es in seinen Schrank. Dann schlug er ein ästhetisches Werk auf, an dem er eben studirte, las und suchte sich mit Gewalt in den Inhalt zu vertiefen. Was aber schon so mancher erfuhr, der in ähnlicher Lage war, das mußte nun auch Heinrich erfahren. Die schmerzlich getroffene Seele kann, so lange die Wunde brennt, sich nicht in der Fassung erhalten, die sie sich auferlegt. In demselben Augenblick, in dem der kämpfende Wille schon gesiegt zu haben meint, bricht die Leidenschaft wieder durch und vernichtet mit Einem Aufsturm die mühsam errungene stolze Haltung. Die Motive des Zorns dringen gegen die Gründe des Trostes an, vertreiben sie mit unwiderstehlicher Gewalt und behaupten das Feld, das gepeinigte Menschenherz!

Heinrich, matt an Leib und Seele, warf sich endlich auf’s Lager und suchte die erlösende Wohlthat des Schlafes; aber vergeblich. In erneuerter Aufregung und neuem Kampf dagegen, in tief ödem Gefühl, der Frucht klarster Anschauung seiner Niederlage, und wüstem Durcheinander weher Empfindungen ging — langsam genug — Stunde um Stunde dahin, und erst gegen Morgen ließ ihn die Erschöpfung in einen dumpfen Schlummer sinken.

Wie kurz dieser währte und wie unruhig er war, der rüstige junge Mann fühlte sich beim Erwachen doch wieder gekräftigt. Die Pflege des Leibes erwies sich auch für ihn als abziehend von den Leiden der Seele. Durch ein substantielles Frühstück wurde die Restauration so weit geführt, daß wieder förmlicher Unternehmungsgeist in ihm aufkam. Er eilte zu Willmann, ihm sein Unglück mitzutheilen und wo möglich etwas Näheres über die Gründe der Ablehnung zu erfahren, wornach er jetzt die größte Neugier empfand.

Der praktische Literat empfing ihn mit ernstem Gesicht, in dem nur ein viel feinerer Beobachter, als unser Poet jetzt war, auch noch den Ausdruck einer gewissen Zurückhaltung hätte bemerken können. Wie Heinrich den Bericht anfangen wollte, entgegnete er ihm: „Ich weiß schon, was Sie zu mir führt. Die Intendanz hat Ihnen die Tragödie zurückgeschickt —“ — „Mit den geringsten Umständen von der Welt! Und ich habe nun das Vergnügen, für die Aussaat des Besten, was ich besaß, und für die treueste Pflege desselben Verdruß und Schmach zu ernten!“

Der Doctor nickte mit Ernst. „Ich kenne diese Empfindungen aus eigener Erfahrung,“ erwiederte er dann, „und bedaure Sie von Herzen. Zu thun ist aber nichts mehr in dieser Sache, denn beide Regisseure haben sich gegen die Aufführung erklärt.“ — „Beide!“ rief Heinrich, indem eine leichte Blässe über seine Wangen flog. „Aber,“ fuhr er nach einer Pause sich wieder ermannend fort, „was haben sie denn für Gründe, das Stück für ganz und gar unbrauchbar zu erklären? Ich resignire natürlich, das versteht sich von selbst; aber diese Gründe kennen zu lernen, hab’ ich wirklich ein großes Verlangen.“

„Dieses,“ versetzte Willmann, „glaube ich befriedigen zu können. Ich habe mit den Herren gesprochen. Es thut beiden leid, daß sie das Stück nicht zur Annahme empfehlen konnten — ja, ja, auch dem Komiker, er hat mir’s wenigstens ernstlich versichert — und ich glaube nun, daß es ihnen selber lieb seyn wird, die Motive, die sie zu ihrem Votum bestimmt haben, Ihnen bekannt werden zu lassen. Vielleicht kann ich Ihnen die Abschriften heute noch zuschicken.“ Heinrich ergriff seine Hand und rief: „Sie würden mich außerordentlich verbinden! Da ich nun doch einmal nichts kann, so möcht’ ich wenigstens erfahren, woran’s liegt, um allenfalls, wenn’s unvermeidlich wird, bei Zeiten mich auf ein anderes Metier zu werfen.“

Willmann schüttelte den Kopf. „Nicht so desperat, mein Freund!“ entgegnete er. „Ich kenne Ihr Stück nicht und kann also eigentlich über Ihr Talent nicht urtheilen; aber zum Aufgeben Ihrer Bestrebungen scheint mir noch durchaus kein Grund vorhanden. Lesen Sie zunächst die Urtheile der Regisseure, die ich selbst noch nicht kenne und auf die ich ebenfalls gehörig neugierig bin.“

Als unser Poet Abends in seiner Stube brütend saß, kam die zugesagte Sendung an. Mit begreiflicher Hast öffnete er das Couvert, nahm die Papiere heraus und griff zuerst nach dem Votum des tragischen Künstlers. Dasselbe lautete:

„Das historisch-romantische Trauerspiel ist ein Erstlingswerk und erweckt als solches schöne Hoffnungen für die Zukunft. Der Dichter gebietet über einen nicht gewöhnlichen Schatz von Empfindung und Phantasie, besitzt auch einen natürlichen poetischen Takt, und wo diese mit einander ausreichen, wie in den ersten Akten, da gelingen ihm anziehende und darstellbare Scenen. Noch im dritten Akt glaubte ich das Stück zur Annahme vorschlagen zu können, aber gegen das Ende desselben zeigt sich ein Mangel an Klarheit des Baus und an Motivirung, der in den letzten Akten immer fühlbarer wird, so daß wir von dem Ganzen einen wüsten und peinlichen Eindruck mit hinwegnehmen. Der Dichter malt zu sehr in extremen Farben, und nicht nur die bösen, sondern auch die edlen Charaktere des Stücks machen endlich den Eindruck von Carikaturen. Das Liebespaar drängt sich ordentlich zum Märtyrthum, unter übertriebenen und prunkenden Deklamationen; wo aber nicht mehr natürlich und menschlich empfunden wird, da können wir nicht mitfühlen und finden daher auch keine Befriedigung. Ich habe reiflich erwogen, ob dem Stück durch Streichen zu helfen wäre, aber bald gesehen, daß es einer völligen Umarbeitung bedürfte. Die Tragödie ist trotz des poetischen Talents, das der Verfasser in allen Akten beweist, als Theaterstück verfehlt, und die Aufführung in seinem eigenen Interesse nicht zu wünschen.“

Heinrich hatte die Lektüre mit einem gewissen Trotz begonnen und glaubte mit ihm das Schlimmste bestehen zu können; aber der Trank, den er zu verschlucken bekam, wurde gegen das Ende doch gar zu bitter; unter unwillkürlichem Schaudern leerte er den Kelch und empfand auf’s neue die ganze Pein der Niederlage. Für den einseitigen Beifall, den ihm gute Freunde gespendet und den er sich selber zugesprochen hatte, mußte er nun in der That grausam büßen. Mit einem Lächeln, welches die Gefaßtheit auf eine noch stärkere und abschmeckendere Mixtur ausdrückte, nahm er das zweite Blatt zur Hand und las:

„Das fünfaktige Trauerspiel von Heinrich Born habe ich mit großem Interesse gelesen; zur Darstellung auf unserer Hofbühne konnte ich es aber mit dem besten Willen nicht empfehlen. Die Schwärmerei der Liebe, die im ersten Akt und theilweise noch im zweiten herrscht, ist zwar noch recht jugendlich; aber wenn der Dialog gehörig beschnitten würde, möchte sich unser Publikum davon doch erwärmt und erbaut fühlen. Die Aussicht, die uns durch die Exposition eröffnet wird, ist ahnungsvoll; indem wir aber gespannt in eine großartige Scenerie vorschreiten wollen, versinken wir plötzlich in Moorgrund. Von dem dritten Akt an bietet uns das Stück ein Interesse, das der Autor gewiß nicht beabsichtigt hat. Daß uns hier überlange pathetische Reden Seufzer auspressen, dort eine Reihe kleiner Scenen wie Hagelschauer auf uns herstürzen, bemerke ich nur beiläufig; obwohl dieß, und wie Tugend und Laster meistens consequent nach Vorschrift sich aussprechen, eines komischen Eindrucks nicht verfehlen würde. Das Schlimmste ist aber die Verletzung der poetischen Gerechtigkeit im Ausgang. Die Hauptpersonen erliegen im Kampf und finden den Tod, obwohl sie ihn in keiner Art verdient haben. Uebertriebenes Pathos und ein auf die Länge schwer zu ertragender Adel der Gesinnung muß ihnen freilich zur Last gelegt werden; aber wie streng dieß auch der gelangweilte Zuschauer beurtheilen mag, als Todsünden können sie am Ende doch nicht gelten; und so würde sich das schwergeprüfte Publikum zuletzt auch noch darüber ärgern müssen, daß das überedle Paar untergeht, während von den Missethätern nur Einer mit in den Abgrund gerissen wird und die übrigen, die auch noch erkleckliche Bösewichter sind, aus ihrer Betäubung sich wieder erholen und ihr Metier fortsetzen können. — Sey mir zum Schluß noch erlaubt zu bemerken, daß der junge Dichter, trotz aller dieser Mißgriffe, nicht nur poetische, sondern auch dramatische Begabung verräth und darum in aller Weise verdient, daß die Hofbühne durch Nichtaufführung dieser seiner Tragödie ihm eine große Beschämung erspart.“

Es gibt ein gewisses Maß von Widerwärtigkeit, das die menschliche Seele in sich aufnehmen kann; was darüber in sie eindringen will, das findet sie entweder fühllos oder entschlossen zur vollkommenen Entsagung, kann daher nicht mehr auf sie wirken. Unser Poet hatte zur Verurtheilung eines Werkes, daß er mit aller Begeisterung der Liebe geschaffen und das ihm theuer, ja heilig geworden war, jetzt auch noch den Hohn zu kosten bekommen. Was konnte weiter geschehen? Welche Anklage, welche Schande gab es noch für ihn? Vorderhand schien der Köcher des Unheils erschöpft zu seyn.

Ruhiger las er die beiden Absprüche wieder. Ihm fiel jetzt namentlich die Rücksichtslosigkeit auf, womit die Herren ihren Tadel ausdrückten. Von der Achtung, die nach seiner Ansicht ein Dichter unter allen Umständen ansprechen konnte, war in diesen Erklärungen sehr wenig zu bemerken, ja es ließ sich nicht läugnen, daß die zweite das Gegentheil davon recht vergnüglich zur Schau trug.

Er war bereit, Vorschläge zu Streichungen und Aenderungen, wie weit sie gehen mochten, anzunehmen und auszuführen. Und wenn dieß geschah, wie sollte eine Dichtung, die schon beim Vorlesen Begeisterung erweckt hatte, von der Bühne herab nicht vielmehr noch gewaltiger ergreifen? Aber freilich: gespielt mußte sie werden, und dazu mußte sie verstanden seyn! Die Hauptcharaktere mußten Darsteller finden, welche den Adel derselben als Natur erscheinen ließen; und auf diese Bedingung scheint man im Gefühl der Ohnmacht hier stillschweigend verzichtet zu haben! Den Seelenadel zu verspotten, war freilich leichter!

Nun war aber in der That alles aus. Das Gebilde, das hier zum wahren Leben gelangen sollte, war hingetilgt und auch als Schatten vernichtet. Der Autor, welcher Märtyrer der höchsten menschlichen Tugenden geschildert hatte, war selbst Märtyrer seines Strebens; er erlag den Streichen, die — ein Philister und ein Spaßmacher gegen ihn geführt hatten! Der Unmuth, den er über die Ungerechtigkeit empfand, und der Stolz, der sich in ihm regte, erhoben ihn wieder zur vollen Kraft des Trotzes gegen die Welt; und dieses Gefühl gab ihm endlich auch die Stimmung zu einem Bericht seines Mißgeschicks an die Geliebte. Er setzte sich an den Pult, überlegte, wie sie und ihre Eltern das Erlebniß auffassen müßten, und schrieb:

„In meiner Tragödie hab’ ich große Seelen geschildert, welche den Prüfungen des Lebens unbeugsamen Muth entgegenstellen und, vom wahren Standpunkt angesehen, aus allen siegreich hervorgehen. Nun, meine geliebte Auguste, mir selber ist jetzt eine Prüfung auferlegt, die ich zu bestehen habe. Aus Gründen, die ich durchaus unstatthaft finden muß, hat die hiesige Intendanz die Annahme meines Stückes verweigert. Man gesteht mir poetische und speciell dramatisch poetische Begabung zu, man findet Anmuth und Schönheit in dem Werke; aber man behauptet, die Effekte in den letzten Akten wären zu stark, könnten eher den gegentheiligen als den beabsichtigten Eindruck machen, und glaubt nun die Aufführung nicht wagen zu dürfen. Ich kann das in keiner Art zugeben, bin vielmehr überzeugt, daß durch gewisse Kürzungen und Abänderungen eben das wirksamste Bühnenstück daraus zu machen wäre. Allein die Ablehnung ist nun einmal erfolgt, und ich halte es unter meiner Würde, mich damit wieder aufzudrängen. Der Ersatz und Trost ist jedoch schon da. Ich arbeite an einem neuen Stück, worin das, was man am ersten getadelt hat, aus allen Gründen gar nicht vorkommen kann; ich bin schon im zweiten Akt, und hoffe mit ihm noch entschiedener zu erreichen, was mit unserer Tragödie anzustreben mir versagt wird, indem ich mir vorbehalte, auch diese noch zu den Ehren durchgreifender Bühnenwirkung zu bringen. Der Erfolg, den zu holen ich hieher gekommen bin, ist nur vertagt.

„Sehr verdrießlich ist mir diese Erfahrung dennoch, und im ersten Moment, wie ich nicht läugnen will, übte sie eine entmuthigende Wirkung auf mich. Ich besann mich aber wieder auf meinen Beruf, meine Kraft, und halte den Kopf oben. Laß mich du nun die Stimme der Liebe hören, die Trostworte einer edeln und gütigen Seele! Mein Selbstgefühl und meine Thatkraft hab’ ich wieder; aber dein liebender Zuruf wird mir auch die Freude, die schöne Begeisterung wieder bringen, womit die Poesie von selbst aus der Seele fließt. Ich verlange sehnlich nach einem Wort von dir. Grüße die Eltern und laß ihnen die Sache in einem Licht erscheinen, das sie am wenigsten verletzt. Schreibe mir bald, liebe Auguste, sobald als möglich!“

Heinrich trug diesen Brief selber auf die Post. Nachdem dieß aber geschehen, fühlte er sich matt an Leib und Seele, und da er in der gegenwärtigen Situation durchaus kein Interesse hatte, mit Bekannten zusammenzutreffen, so begab er sich in ein Gasthaus. Das preiswürdige Getränk durch die Kehle gießend, empfand er bald seine zugleich stärkende und besänftigende Wirkung. Es war eine eigene, in ihrer Art auch poetische Lust, nach der eben so großen als unerwarteten Niederlage melancholisch den Gaumen zu erquicken und im Herzen allgemach die Hoffnung wieder aufleben zu lassen; ein wundersames Durcheinander von Gefühlen. Nachdem er dem gewöhnlichen Maß des Abendtrunkes noch einen Zusatz gegeben, fand er die Kraft in sich, die beiden Regisseure mitsammt der Theaterintendanz tief unter sich zu erblicken und ihnen mit allem Vergnügen die Titel zu geben, die sie nach seiner Ansicht gründlich verdient hatten. Schlag gegen Schlag und Hohn gegen Hohn — das thut der männlichen Seele wohl, und der Geist erhebt sich wieder zu der ihm gebührenden Höhe.

Es war Mitternacht, als Heinrich nach Hause kam. Die Schmähmonologe laut fortsetzend und damit sein Herz inniglich ergötzend, legte er sich zu Bette und fiel bald in tiefen Schlaf.

V.

Heinrich, als Dichter, war sehr empfindlich für üble Eindrücke; aber wie tief sie im ersten Moment gehen mochten, ihre Dauer war kurz, da seine elastische, vorwärts gehende Natur sich nach Möglichkeit immer wieder davon befreite. Am folgenden Morgen, nach einem Schlummer, in welchem er das in voriger Nacht Versäumte gründlich hereinbrachte, hatte er seine Gefaßtheit wieder und genoß einer wohlthuenden Stille des Herzens. Freudlos war er allerdings und nicht gehoben durch das schöne Leben der Hoffnung, aber doch vorläufig getröstet. Im tiefsten Innern war noch ein unerschütterlicher Rest von Zuversicht, und mit ihm gedachte er das gefallene Gebäude seines Glücks aufzurichten.

Als er in der warmen Stube hin und her wandelte, ging ein humoristisches Licht über seine Züge. Er nahm den Kalender, suchte den Tag, an welchem die Intendanz ihm seine Tragödie zurückgeschickt hatte und lächelte seltsam. Er las den Namen Jonas. — Konnte es (wenn es nicht am Ende mehr war) ein auffallenderes Spiel des Zufalls geben? Ein aus dem Bauch eines Wallfisches an’s Land gespuckter Prophet! Welche Aehnlichkeit mit seinem Fall, wenn man, wie das bei Vergleichungen geschehen muß, von der Unähnlichkeit Umgang nahm! Unser Poet sah sich in seiner Ansicht bestärkt, daß man hier als ungenießbar ausgeworfen habe, was für den betreffenden Rachen nur viel zu gut, weil viel zu ätherisch war; und man findet nun gewiß natürlich, daß er auf das Erlebniß Reflexionen gründete, die ganz darnach angethan waren, ihn weiter zu beruhigen.

Eine Widerwärtigkeit, auch wenn das Aergste überstanden ist, hat aber doch immer noch ihre Folgen. Am nächsten Tage stand in dem verbreitetsten Blatte der Residenz folgender Passus: „Die historisch-romantische Tragödie, die nach der pomphaften Ankündigung eines hiesigen Journals ganz ungewöhnliche Hoffnungen erregen sollte, ist dem Autor, Heinrich Born, von der Intendanz als für die Darstellung unbrauchbar wieder zugestellt worden. So hat also auch dießmal voreiliges Lob einem jungen sogenannten Talent nicht zum Fortkommen, sondern nur zur Beschämung verholfen!“

Heinrich, als er diese Zeilen beim Mittagessen, und zwar gänzlich unvorbereitet las, fuhr zurück wie von einer Schlange gebissen: er fühlte in dem Einen Stich alle Pein literarischen Prangerstehens. Hastig sah er in dem Lokal sich um und pries sein Geschick, daß wenigstens kein Bekannter da war, der ihn hätte beobachten können. Allerdings ein sehr fataler Beginn des öffentlichen Genanntwerdens, nach dem er so großes Verlangen getragen und das er sich so schön vorgestellt hatte! — Der Appetit war ihm verdorben; er eilte fertig zu werden, da immerhin Ein und der Andere eintreten mochte, dem er bekannt war, und verließ die Restauration in kürzester Zeit.

Aber niemand entgeht seinem Schicksal. Als er durch eine Straße wandelte, in der die Möglichkeit einer unangenehmen Begegnung sehr gering war, sah er plötzlich eine Figur auf sich zukommen, der er jetzt von allen am wenigsten sich darstellen mochte — den Professor Sartorius. Ausweichen konnte er nicht mehr, es wäre auch feige gewesen, und so ging er gerade vorwärts, zog instinktmäßig den Hut und rief mit gebührender socialer Achtung den Gruß des Tages. Der Professor lüpfte seinen Hut schweigend, sah mit einem Gesicht für sich hin, das in Spott und Schadenfreude die feinste Genugthuung verrieth, und ging an ihm vorüber. Er hatte den Passus nicht nur auch gelesen, sondern ihn seiner Frau gezeigt und ihr die Anerkennung abgenöthigt, wie gänzlich er seinen Mann gleich beim ersten Gespräch erkannt habe.

Als der Poet sechs Schritte über ihn hinaus war, drehte er sich um und sah ihm nach. „Vermaledeiter Pedant!“ rief er für sich und setzte innerlich murrend seinen Weg fort.

Eine halbe Stunde unbehelligt, hatte er doch noch ein Zusammentreffen zu bestehen. Um eine Ecke biegend, stand er vor Doctor Dorn, der einen leichten Ausruf der Ueberraschung hören ließ und ihn dann mit einem höchst eigenthümlichen Lächeln begrüßte. Es war eine Complication von Schadenfreude, eigener Beschämung und trotziger Geringschätzung derselben, wozu noch ein Zug spottender Anklage kam. „Nun,“ fragte er den gleichfalls Ueberraschten und ziemlich Verlegenen, „haben Sie schon gelesen?“ Der Poet machte eine Bewegung des Bedauerns, die zugleich verachtende Erhebung über den Unfall ausdrücken sollte.

„Da haben wir uns eine saubere Geschichte eingebrockt!“ fuhr jener fort. „Ich habe Ihr Stück nach Ihrem Referat und nach den Versen, die Sie mir vordeklamirten, empfohlen, und bin nun im Grund mit Ihnen blamirt!“ — Heinrich zuckte die Achsel. „Es thut mir leid,“ entgegnete er. „Indessen,“ setzte er etwas spöttisch hinzu, „Sie werden es wohl verschmerzen.“

Dorn strich sich mit der Miene eines erprobten Kämpfers den Bart. „Nun,“ versetzte er, „das hoff’ ich auch. Morgen ist der Bettel vergessen! — Für Sie,“ fuhr er spielend fort, „ist die Sache etwas unangenehmer; aber bilden Sie sich darum noch keinen Kummer ein! Solche kleine Unglücksfälle kommen so oft vor, daß sie eigentlich gar nicht der Rede werth sind. Auch schaden sie nichts; im Gegentheil: ein von Vielen gelobter und Vielen geschmähter Mann ist eben eine Celebrität; und was kann man sich Besseres wünschen?“

Der Poet antwortete auf diese richtige, aber mitten im Verdruß des Bloßgestelltseyns doch nicht völlig tröstende Bemerkung mit einem nur halb erheiterten Gesicht. „Diese Veröffentlichung einer Niederlage,“ sagte er dann, „und der Ton, worin sie gehalten ist, verräth doch eigentlich eine große Feindseligkeit. Was hat das Blatt gegen mich?“

„Das Blatt hat nichts gegen Sie,“ versetzte Dorn. „Aber der Feuilletonist — Emil Schilf — ist Autor von zwei Stücken, die hier mit Glanz durchgefallen sind. Die Hervorhebung Ihrer Tragödie hat ihn geärgert, das wirkliche Reüssiren derselben hätte ihn mit giftigem Neid erfüllt; was ist also natürlicher, als daß er bei Ihrem Unglück inniges Vergnügen empfindet und sich die Freude macht, es an die große Glocke zu hängen?“ — „Verächtlich!“ rief Heinrich.

„Begreiflich,“ entgegnete Dorn, „und sehr gewöhnlich!“ Er schwieg, sah ihn freundlich an und sagte: „Wie steht’s mit Ihrem neuen Stück? Rückt’s vor?“

„Der zweite Akt ist zur Hälfte gediehen, und ich hoffe darin alles vermeiden zu können, was man am ersten Drama gerügt hat.“ — „Bravo! Nur immer lustig vorwärts!“ Nach kurzem Innehalten sah er ihn von der Seite an und fuhr fort: „Haben Sie zufällig auch schon Zeit gefunden, einen Blick in mein Buch zu werfen?“ — „Noch nicht. Die Aufregung und der Verdruß der letzten Tage —“ — „Natürlich,“ fiel Dorn ein. „Aber nehmen Sie’s nun doch gelegentlich zur Hand! Sie werden manches darin finden, was Ihnen eben jetzt wohlthut — auch über Theater und Theaterleute.“ — „Ah,“ rief der Poet, „dafür hätt’ ich gegenwärtig allerdings die Stimmung!“ — „So lesen Sie,“ erwiederte der Autor, indem er ihm die Hand reichte; „amüsiren Sie sich und spitzen Sie Ihre Feder! Es wird alles noch gut werden.“

Unser Dichter hatte wiederholt die Mahnung empfunden, seine Freundinnen zu besuchen, aber nicht die Scheu bezwingen können, jetzt vor sie zu treten. Er war gar zu sehr gedemüthigt, und der Gedanke, den Frauen, denen er Achtung abgewonnen hatte, nun ein Gegenstand des Mitleids und vielleicht gar einer Art von Geringschätzung zu werden, hatte etwas außerordentlich Unangenehmes für ihn. Endlich aber faßte er sich doch; er wollte auch dieses Verhältniß in’s Reine bringen, wenn auch um den Preis eines vielleicht sehr fatalen Moments, und begab sich stehenden Fußes zu ihnen.

Mutter und Tochter begrüßten ihn sehr herzlich. Rosa ergriff seine Hand, sprach ihr Bedauern in ernster, achtungsvoller Art aus und fügte die sachgemäßen Tröstungen so freundlich hinzu, daß sie wahrhaft erquickend wirkten. Heinrich, sich selbst wiedergegeben, versetzte: „Seyen Sie außer Sorge! Ich bin noch immer ein Poet, und hänge nicht von Einem Stücke ab.“

„Bravo!“ rief das Mädchen erfreut, und die Mutter setzte hinzu: „Ein Unglück beim Anfang ist oft eher ein Glück; man hat um so mehr Hoffnung, mit Glück aufzuhören.“ — „Wenn man’s erlebt!“ erwiederte der Poet mit etwas bitterem Humor. „Indessen, das hängt nicht von uns ab. Thun wir das Unsere und erwarten wir die Folgen!“

Rosa, die aus dem Accent und der Miene Heinrichs abnahm, daß er im Innern von seinem Mißgeschick doch noch sehr bedrückt war, sagte für sich hinsehend: „Wer weiß, ob diese Zurücksendung Ihrer Tragödie nicht schon selber ein Glück war!“

Der Autor, der sie augenblicklich verstand, entgegnete: „Sie meinen, daß mir dieses kleine Unglück das noch viel größere eines eclatanten Falles erspart haben könnte?“ — Rosa, leicht erröthend, machte eine Bewegung mit den Armen, welche die Möglichkeit nicht läugnen wollte. — „Also auch Sie!“ fuhr Heinrich mit einem Ausdruck von Anklage und Kümmerniß fort, „auch Sie geben das Stück unrettbar verloren!“ Er sah sie an und brach unwillkürlich in die Frage aus: „Ist es denn aber so gar schlecht?“

Die Frauen konnten sich bei der Naivetät dieses Ausrufs einer Anwandlung von Lachen nicht erwehren und Rosa beeilte sich zu erwiedern: „Durchaus nicht — an sich selbst, aber für die Aufführung höchst bedenklich!“ — „Höchst bedenklich!“ wiederholte der Poet, wie einer, der betroffen die Stärke eines Ausdrucks erwägt. „Und das sogenannte Einrichten konnte dem nicht abhelfen?“ — „Vielleicht,“ erwiederte Rosa. „Aber es gab so viel Kopfzerbrechens und so viel Arbeit, daß Sie leichter und sicherer ein neues Stück ausführten.“

Der Poet, nach momentanem Besinnen, machte eine entschlossene Bewegung und rief: „In Gottes Namen! Das neue Stück, wie Sie wissen, ist angefangen, und ich werde es zu Ende bringen. Die Lust, zu schaffen, ist noch die alte, und der Muth deßgleichen!“ — Die Künstlerin schwieg und ihre Miene verrieth keine Zustimmung. — „Sie zweifeln am Gelingen?“ rief Heinrich. „Wie! Haben Sie gar kein Vertrauen zu mir?“ — „Zu Ihnen,“ erwiederte Rosa mit herzlichem Ernst, „alles, zu Ihrem neuen Stück wenig. Es ist wieder ein Trauerspiel!“

„Nun,“ versetzte Heinrich nicht ohne Unmuth, „das ist doch wohl an sich kein Verbrechen! Oder soll das Trauerspiel ganz in die Acht erklärt seyn? Darf jetzt überhaupt keines mehr geschrieben werden?“ — „Das,“ versetzte Rosa, „will ich durchaus nicht sagen. Aber der Gegenstand Ihres neuen Stücks hat seine Gefahren; ich wünsche Ihnen sicheren und wo möglich allgemeinen Erfolg, und der ist jetzt nur mit einem gelungenen Schauspiel oder Lustspiel zu hoffen.“

Heinrich, durch die freundschaftliche Theilnahme begütigt, entgegnete: „Es mag seyn; ein rein realistisches Drama kann, wie der Geschmack jetzt ist, am sichersten durchschlagen. Aber was hilft mich das? Ich habe keinen Entwurf. Mir einen abzuquälen, ist nicht meine Art und würde auch zu nichts führen. Es mag ein Unglück seyn, aber es ist nun einmal so.“

Rosa hatte bei dieser Entgegnung für sich hingesehen. Jetzt, mit Lächeln den Kopf erhebend, fragte sie: „Würden Sie eins ausführen, wenn man Ihnen den Stoff dazu gäbe?“ — Heinrich, nachdem er sie forschend betrachtet, erwiederte: „Das kommt darauf an. Wenn mich die Aufgabe in die Seele träfe, Liebe und Leidenschaft in mir erweckte —“

Während dem hatte die Mutter den Kopf geschüttelt und einen Blick der Verwunderung auf die Tochter geworfen, der sich aber bald in einen Blick der Zärtlichkeit wandelte. Rosa, mit einem Ausdruck ernster Freude, entgegnete dem Poeten: „Nun, ich glaube einen solchen Stoff zu haben und will ihn an Sie abtreten!“

Heinrich schaute betroffen, fast gerührt auf sie. „Ist’s möglich?“ rief er. — „Ja, ja,“ versetzte die Mutter. „Sie hat nicht nur einen Stoff, sondern einen genauen Plan, und schon einzelne ausgeführte Scenen!“

Heinrich wußte nicht, was er sagen sollte. Sein Auge hing an der Künstlerin, die erröthet war, und mit einem Ton liebenden Interesses rief er endlich: „Wie! Sie sind dramatische Dichterin? — Und das erfahr’ ich erst jetzt?“ — „Ein gutes Sujet,“ erwiederte das Mädchen, „und ein harmloser Versuch, es zu dramatisiren, macht noch lange keine Poetin. Ich hab’ im Gegentheil bei der Ausführung gefunden, daß mir just die Poesie abgeht, und da ich den Gegenstand für sehr günstig halte und ganz dafür eingenommen bin, so würden Sie mich geradezu glücklich machen, wenn Sie sich seiner annehmen wollten.“

Heinrich schüttelte den Kopf mit einer Miene des Widerstrebens. „Das geht nicht,“ rief er, „das darf ich nicht! Ich Sie berauben? Unmöglich!“ — „Wenn ich mich nun aber berauben lassen will?“ entgegnete das Mädchen nicht ohne Ungeduld. „Soll man Ihnen nicht einmal etwas schenken dürfen, Sie großartigster aller Sterblichen? Seyen Sie doch nicht gar zu gewissenhaft! Es kleidet niemand gut, am wenigsten die Poeten!“ Nach einer Pause, in der sie ihn lächelnd ansah, fuhr sie fort: „Nun? — Sie thun mir wirklich einen Gefallen. Ich bin der Aufgabe nicht gewachsen und würde Gott weiß wie lange daran herum arbeiten; aber Sie können etwas daraus machen. Ich gönne Ihnen den Stoff, und meinem Stoff den Poeten.“ — Das Gesicht Heinrichs klärte sich auf. „Nun,“ rief er, „wenn es Ihnen ernst ist —“ — „Vollkommen! Hier meine Hand und meinen Dank.“

Der Poet schüttelte die dargebotene Rechte und Rosa fuhr mit wahrer Genugthuung fort: „Der Handel ist abgeschlossen. Ich will die Blätter nochmal durchgehen und Ihnen das Ganze dann säuberlich vorlegen. Prüfen Sie und machen Sie daraus, was Sie wollen.“

Der Poet war von diesem Beweis theilnehmendster Güte wahrhaft gerührt. Er dankte und pries das Glück, eine so treffliche Freundin gefunden zu haben, in so warmen Ausdrücken, daß ihn beim Abschied auch die Mutter bewegt lächelnd und mit einer Miene ansah, als ob sie entschlossen wäre, sich in etwas Unvermeidliches zu fügen.

Heinrich war von der neuen Aufgabe — obwohl sie ihm noch eine bloß allgemeine war — sofort ergriffen. Er brachte die nächsten zwei Tage in Ueberlegungen und Phantasien zu, die sich fast alle auf sie bezogen, versetzte sich in moderne bürgerliche Menschen, rief sich die Erfahrungen in’s Gedächtniß, die er selber gemacht, und suchte Reden und Gesprächsfragmente auszudenken, die zugleich richtig und pikant waren. Er bildete ein förmliches Schauspielwollen in sich aus und kam zu den Freundinnen am dritten Tage voller Begierde, auf diesem Feld einen Versuch zu machen.

Rosa theilte ihm das Sujet in Kürze mit, las ihm dann ihren Plan und endlich, von ihm ermuthigt, sogar die ausgeführten Scenen vor.

Die Handlung gründete sich auf ein thatsächliches Ereigniß in einem früheren Bekanntenkreise der beiden Künstlerinnen, was dem Conflikt und dem Ausgang etwas lebendig Eigenthümliches gab. Im Wesentlichen eine „alte Geschichte,“ aber durch die neuen Beziehungen, in welchen sie verlief, neu und charakteristisch für die gegenwärtige Zeit. Menschliche Charaktere; die guten mit Schwächen und natürlichen Beweggründen, ihre Gegner neben begreiflicher Selbstsucht mit honetten Elementen ausgestattet; der Zusammenstoß und der Gang der Intrigue von der Art, daß die Hauptpersonen die verschiedenen Seiten ihres Wesens herauswenden konnten, die edleren Charaktere im Moment der Entscheidung siegreich die bessere Wahl trafen, sich erprobten und steigerten, die Vertreter der Intrigue, der Lockung anfänglichen Gelingens nachgebend, sich verstrickten und selber fingen, um zuletzt der Beschämung überliefert, zur Entsagung und Unterwerfung gezwungen zu werden. Alles das verlief im Plane so natürlich zusammenhängend, daß die Organisation im Wesentlichen gegeben war und die Phantasie nur auf poetische Begründung und Bereicherung zu denken hatte.

In Heinrich, als er den Entwurf übersah und die Anschauung, was man daraus machen könnte, ihn erhob, regte sich die erfindende Kraft. Was jenes Votum des ersten Regisseurs an ihm als natürlichen poetischen Takt gerühmt hatte, das zeigte er jetzt auf eine die Künstlerin angenehm überraschende Weise, indem er mit Sicherheit die Punkte markirte, wo Angelegtes wirksamer entwickelt, neue Effekte angebracht und mit dem Vorhandenen lebendig verbunden werden konnten. Sogar für ein paar komische Auftritte ersah er den Platz und mehrte die Zahl der Personen durch die Figur eines drolligen Gesellen, den er auf der Universität kennen gelernt hatte und jetzt der Freundin als Einlage sehr plausibel zu machen wußte.

Nachdem man, unter Assistenz der Mutter, ein paar Stunden lang erwogen, debattirt und sich verständigt hatte, konnte man sich rühmen, einen Plan zu besitzen, den man für höchst versprechend halten mußte. Heinrich war voller Freude. Das Thema begann vor seiner Seele zu leuchten, und er sehnte sich innig nach der Gestaltung.

Eines erschien ihm daran besonders reizend. Die Heldin, die im Plan Rosas Antonie hieß, zeigte eine nicht zu verkennende Aehnlichkeit mit Auguste. Wie diese mußte er Antonie sich vorstellen, und gleich Antonie würde Auguste gehandelt haben, wenn sie durch Schickungen in dieselbe Lage gekommen wäre. Eine Freundin dagegen war in einer Weise gedacht, daß er bei Zeichnung des Bildes mit Glück Züge von Rosa selber verwenden konnte, unter welcher Voraussetzung er einen sehr anmuthigen Charakter zu schaffen gewiß war. — Welche Lust nun, in Ausführung dieser Gestalten seiner Zärtlichkeit als Liebender und Freund zu gleicher Zeit genügen, die Geliebte verherrlichen, der edeln Freundin aber eine Rolle schreiben zu können, worin sie den Lohn des reichsten, beglückendsten Beifalls ernten mußte!

Dieser Gedanke entzückte ihn so sehr, daß er dem lieben Mädchen zum Abschied mit einer Herzlichkeit und Innigkeit in’s Auge sah und die Hand drückte, daß seine Haltung von der eines Liebenden kaum mehr zu unterscheiden war. Hätte sie bei der wohlwollenden Ueberlassung an Lohn gedacht, in diesem Moment erhielt sie ihn.

„Das muß gelingen!“ rief der Poet noch mit frohem Pathos. „Ich werde das Meinige — das Meinigste thun, Sie werden helfen, verbessern, zurechtweisen — und mit einander werden wir ein Werk hervorbringen, das dem Publikum Thränen entlocken und es zu begeistertem Dank hinreißen soll! Adieu für jetzt! In acht Tagen sehen Sie den ersten Akt!“

Mit strahlenden Blicken empfahl er sich, um selbstbewußt und stattlich seiner Wohnung zuzuwandern.

Er war voller Zuversicht, er anticipirte den Sieg, und hatte doch das Gefühl, daß er dadurch nicht die Nemesis reizte. Der Erfolg lag dießmal in der Sache. Charaktere, Beziehungen, Conflict und Lösung, Alles war natürlich, menschlich ansprechend und befriedigend. Die ehrenwerthen Personen hatten so viel Schwäche, daß man an ihre Tugend glaubte und sich ihrer freute, die andern so viel Gutes, daß man ihr Vergehen begriff und ertrug. In dichterischer Ausführung konnte er für alle interessiren, und der Schluß mußte nothwendig beglückend, erhebend wirken. Die Lebenswahrheit, die freundliche Mäßigung und die labende Frische der Natur, das war es, was dem neuen Gemälde die Herzen gewinnen mußte. Er stellte sich’s recht lebhaft vor und erquickte sich innig an diesen Eigenschaften.

Auf einmal zuckte er, wie erschreckt. Eine peinliche Empfindung malte sich auf seinen Zügen und das schöne Roth der Freude wandelte sich in das düsterdunkle der Scham. Er hatte an seine Tragödie gedacht, mit dem klaren Blick des Moments die Gestalten derselben prüfend überschaut: und wie durch einen Zauberschlag war der täuschende Flor gefallen, durch den er sie bis jetzt gesehen; sie standen vor ihm in all ihrer Einseitigkeit, Unnatur, Uebertreibung, und Qualgefühle gingen durch sein Inneres.

So vollzieht sich der Fortschritt in gewissen Naturen. Man denkt Ideale, prägt sie mit Lust aus und sieht die Bilder mit aller Liebe und Freude des Schöpfers. Der untersuchende Verstand Anderer entdeckt die Gebrechen daran und hebt sie hervor; man ist dagegen gewaffnet. Das Mißurtheil hat Mangel an Auffassung oder böser Wille gefällt; es wäre Thorheit, ja Verrath, sich ihm zu unterwerfen! — Neue, schärfere Angriffe rütteln an dem Werk und dringen schmerzend in das Herz des Urhebers. Die Stimme der Freundschaft spricht das Wort der Rüge und wirkt Bedenken, Zweifel. Zweifel! Das Herz wird beunruhigt, aber noch lebt in ihm die Hoffnung. Da sieht der Geist in reiner Gestalt das Aechte, Gute, wenn auch bescheiden Gute; er ist genöthigt, es als Maßstab anzulegen an die so hochgehaltenen Gebilde; und wie in der Sage Zauberinnen, welche durch eine magische Zierrath als Musterbilder der Schönheit die Sinne bestrickten, nach Hinwegnahme derselben plötzlich durch eben so große Häßlichkeit erschrecken, so grinst den Unglücklichen die Kehrseite des Bildes in aller Grellheit an; er sieht, im Innersten verwirrt, nur die Ungestalt und diese noch übertrieben, er gesellt sich zu den Feinden seines Produkts und tobt gegen sich selber.

Noch vor einer Stunde hatte die Freundin die Personen ihres Entwurfs mit Seitenblicken auf die Figuren der abgewiesenen Tragödie charakterisirt und den Autor an diesen den Mangel an Natur und Wahrheit fühlen lassen. Aber dadurch wurde er noch nicht besiegt. Die Schauspielfiguren hatten vor jenen Idealen allerdings etwas voraus, aber diese noch mehr vor jenen; beide hatten ihren Werth, ihre Schönheit, ihre Sphäre des Wirkens. Jetzt aber, nachdem es ihm wie Schuppen vom Auge gefallen, wurde er selbst Richter, um nicht zu sagen Rächer; die Angriffe der Andern, die er früher abgewiesen, verbanden sich mit ihm und drangen mit ihm vereint gegen das Werk an, und es ging in Trümmer.

Es war ein sehr schmerzliches Gefühl, das völlige Aufgebenmüssen einer so unendlich geliebten und unwillkürlich bewunderten Schöpfung! Die Selbstverdammung gab dem Urheber eine Art Genugthuung, verlief sich aber in tiefe Oede des Herzens, und die Verzweiflung begann ihre schwarzen Fittige wieder um sein Haupt zu schlagen.

Doch jetzt konnte sie ihn wohl anfallen, nicht bezwingen. Gottlob! gottlob! sein Werk lag zu Boden, er selber stand! Der Ersatz für den schmerzlichen Verlust war gegeben, er täuschte sich nicht. Die neue Dichtung mußte gelingen und ihm halten, was er sich von jener allzuhoch gespannten nur trügerisch versprochen hatte. War es doch auch eine schlichte Aufgabe, die er ergriff, der er sich fügte! Uebte er doch in der That, wenn er ihr sich hingab, die Tugend der Selbstbezwingung und Selbstbescheidung! Er hatte durch die Sirenenstimme der Einbildung sich verlocken lassen zur Selbstüberschätzung, Selbstüberhebung. Aber er war vollauf gestraft, er erkannte sein Unrecht, er wollte das Bessere — und nun mußte es ihm auch gelingen.

Die neue Arbeit stand vor ihm in täuschungsloser Klarheit. Denn freilich seit Langem kannte er die Aufgabe der Dichtung: die Natur zu verklären, die Menschen aufzufassen, wie sie sind, und sie mit ihren wirklichen Eigenschaften zu idealisiren. Wie oft hatte er sich das gesagt! Auch geschrieben hatte er’s und drucken lassen für Andere! Dennoch ließ er sich auf einen Irrweg verlocken, weil ihn eben der Wahn blendete, in reinen Musterbildern des Guten und Bösen, deren jedes leidenschaftlich und in diesem Sinn auch lebensvoll nach seinem Ziele ging, das überschwänglich Poetische zu leisten. Nun aber, nachdem er den Wahn als Wahn erkannt, war ihm jenes natürliche Ideal der Dichtung nicht mehr bloßer Gedanke, sondern historisch erprobte, durch Erfahrung bestätigte Wahrheit. Nun hatte er’s im Wollen, und nun mußte er’s auch haben im Vollbringen!

Unter diesen Gedanken war er nach Hause gekommen. Er trat in seine Stube als ein verwandelter Mensch: gedemüthigt, aber auch wieder erhoben und festen, freudigen Sinnes. Auf dem Tisch lag ein Schreiben: es war von Auguste. Der Liebende erbrach es mit dem Vorgefühl, daß es herzlich Gewünschtes bringen werde — und er täuschte sich nicht. Das Schreiben lautete:

„Mit dem größten Leidwesen, mein lieber, guter Heinrich, hab’ ich deine letzte Meldung gelesen. Ist es denn möglich? Eine Dichtung, die uns Alle begeisterte, von der wir noch lange nachher mit Bewunderung gesprochen haben, sie soll nicht einmal der Aufführung werth seyn? Man schickt sie dir wieder zurück, als wäre sie ein schlechtes Machwerk! O wie unendlich bedaure ich dich! Ich kann an meiner eigenen Entrüstung abnehmen, wie groß die deine gewesen ist, und bewundere jetzt deine Fassung und deinen neuen Muth. Das Genie und die Liebe und der Fleiß, den du auf diese Dichtung gewendet hast, Alles soll vergebens gewesen seyn? Bist du denn nicht verzweifelt?

„Ich muß mir dein poetisches Talent recht vergegenwärtigen und lebhaft daran denken, daß man eben so eigene und ungewöhnliche Zwecke, wie du sie hast, in dieser Welt nicht auf den ersten Anlauf erreicht, wenn ich nicht selbst verzweifeln soll. Wie schwierig ist es — ich hab’ es ja von dir gehört und mit dir erlebt! — ein dramatisches Werk zu schreiben! Damit ist aber noch nichts gethan. Nun soll es die Prüfung bestehen von Menschen, die vielleicht gar nicht gerecht urtheilen mögen, und wenn es diese bestanden hat, dann soll es auf der Bühne nach dem Geschmack des Publikums seyn, den man nicht berechnen kann. Welche Gefahren, welche Sorgen liegen auf diesem Weg! Ja wahrlich, die Ehren und das Glück, die man im günstigen Fall gewinnt, dürfen sehr groß seyn, wenn sie diese Anstrengungen und Aufregungen irgend belohnen sollen!

„Stelle ich mir dein Talent, deine Begeisterung und deine Ausdauer vor, dann glaube ich, trotz allem, doch wieder an dich und hoffe auf’s neue. Gib dir nur Mühe, in deinem zweiten Werk die Fehler zu vermeiden, die man am ersten getadelt hat. Mache Bekanntschaft mit Schauspielern und mit Dichtern, die schon effektvolle Werke geschrieben haben, und laß dir von ihnen rathen. Richte dich nach der jetzigen Stimmung des Publikums, die du im Theater studiren kannst, und trachte in deinem Stück nach Scenen, die du am meisten auf die Herzen wirken siehst. Wenn du das alles recht beobachtest, dann wirst du mit deinem Talent ganz gewiß durchdringen.

„Den Eltern dein Mißgeschick recht vorzustellen, ist mir sehr schwer geworden. Bei ihrem großen Vertrauen auf dich wollten sie die Nachricht zuerst gar nicht glauben. Als ich nun die Stellen aus deinem Schreiben vorlas, wurden sie verstimmt, verlegen, und dem Vater entschlüpfte das Wort: es ist doch ein unsicheres Handwerk! Ich nahm mich aber deiner an, und mein herzlicher Eifer gab mir Gedanken und Gründe für deine Bestrebungen ein, daß sie mir zuletzt nichts mehr entgegnen konnten. Aber das rechte Vertrauen ist noch nicht wiedergekehrt.

„Ein übles Nachspiel gab’s, als die Zeitung eintraf, die deine Abweisung so hämisch bekannt gemacht hat. Auf die Fragen zu antworten, die man jetzt von allen Seiten an mich richtete, ist mir auch gar nicht leicht und angenehm gewesen; ich hab’ es aber in meiner Liebe zu dir gethan, so gut ich konnte. Die Einen sprachen ihr herzliches Bedauern aus, und darunter der brave Rektor, der mir sagte, dein Brief sey ihm Bürge, daß es dir mit dem nächsten Versuch um so besser glücken werde. Andere konnten aber ihre Schadenfreude nicht zurückhalten und ihre Reden wurden durch ihre Mienen so auffallend Lügen gestraft, daß ich mich über beide sehr geärgert habe. Ich bin den Menschen förmlich böse geworden.

„Diese Nachrichten, mein lieber Heinrich, sollen dich nicht entmuthigen, sondern vielmehr anfeuern. Biete jetzt nur alle deine Kräfte auf und erfreue mich bald mit einer guten Nachricht, die den Glauben der Eltern stärken und die bösen Zungen, die bereits über dich zischeln, verstummen machen kann. Vertraue auf meine unwandelbare innige Theilnahme an Allem, was du unternimmst; schreibe mir Alles, was dir irgend Bedeutendes widerfährt! Ich weiß, daß du zur Vollendung des neuen Werkes noch eine gute Zeit brauchen wirst, und harre in Hoffnung; aber dann melde mir endlich einen Erfolg, der Alles wieder gut macht und die treuesten deiner Freunde am glücklichsten!“

Die eben so klare und verständige wie herzliche Erwiederung erfreute und erhob den Liebenden im Innersten, und muthig blickte sein Auge, als er die letzten Zeilen gelesen. Ein Erfolg, ein naher, gewisser Erfolg war gefordert, aber jetzt, Gott sey Dank, auch sicher! Das Geschenk eines unfehlbar zum Gelingen führenden Entwurfs war eine Fügung, berechnet auf das dringende Bedürfniß seiner Lage. Hülfe in der Noth, doppelt und dreifach willkommen! Er fühlte das wunderbare Zusammentreffen mit tiefem Dank gegen die Vorsehung und gegen die liebe Freundin, die ihr sichtlich als Werkzeug gedient hatte.

Am andern Morgen griff er die Arbeit an und die ersten Scenen gelangen ihm nach seinem Gefühl munter, frisch — um nicht zu sagen keck. Als er zu Tische ging, begegnete er Willmann. In der Freude seines Herzens trat er auf ihn zu, faßte ihn bei der Hand und theilte ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit seinen Fund, seine Hoffnung mit. Der Doctor war ernstlich erfreut. Mit einem Blick, der einen fast zärtlich schelmischen Glanz hatte, rief er: „Also bekehrt! Einer von den Unsern! — So rasch ist der Plan —“ Er hielt inne, schüttelte ihm die Hand und setzte hinzu: „Nehmen Sie meinen herzlichen Glückwunsch! Jetzt sind Sie im rechten Fahrwasser! Vorwärts mit dem Genius des Jahrhunderts, und vogue la galère!“

VI.

Der Kampf des Realismus mit dem Idealismus, der hauptsächlich unsere Epoche bezeichnet und auf allen Gebieten mit wechselndem Glücke geführt wird, mußte nothwendig auch in der Sphäre der Dichtung hervortreten. Daß ein Streit so berechtigter Gegensätze am Ende nur zur Ausgleichung führen kann, braucht sinnigen Lesern wohl nicht mehr gesagt zu werden. Aber wie soll diese erfolgen? Durch die leidenschaftlichen Vertreter der Gegensätze, welche sich, „des langen Haders müde,“ zuletzt die Hand reichen werden? Schwerlich. Der Kampf wird dazu dienen, die Akten spruchreif zu machen; aber die gedeihende Harmonie wird das Werk seyn derjenigen Geister, die, zu beiden Richtungen begabt, den Streit in sich selber durchkämpfen und der Ausgleichung fähig werden in der gerecht unterscheidenden, gerecht urtheilenden Liebe zu beiden. Sie, denen der Sieg gelingt im Kleinen, können das Vorbild liefern und Zusammenwirken für den Sieg im Großen, der sich, wenn es Gott gefällt, nach und nach wird erstreiten lassen.

Zu den Geistern solch doppelter Begabung gehörte in gewissem Sinn auch den Dichter, dessen Schicksale hier dargestellt werden sollen. Er hatte ein Auge für die wirkliche Welt, er lebte und liebte in ihr, er fühlte die Poesie des Lebens und suchte sie auszusprechen in verschiedenen dichterischen Formen. Aber zugleich folgte er einem unwiderstehlichen Hang zu idealen Gebilden der Phantasie, und glaubte in ihnen eben das Größte, das Erhabenste leisten zu können. Im Schwunge des idealisirenden Geistes ging er über die Wirklichkeit hinaus, und sogar ihre Poesie stand vor ihm in kleinem, unscheinbarem Licht. Seinen Hauptberuf erblickte er jenseits der Schranken des Irdischen, und auf ihn warf er sich daher mit aller Leidenschaft muthiger Jugend.

Der erste durchgeführte Flug hatte sich ihm indeß übel gelohnt. Gleich Phaeton war er herabgestürzt aus den himmlischen Höhen: gewaltig erschüttert, aber glücklicherweise doch nicht zerschmettert und kein tragisches Opfer der Unternehmung. Sich wieder erhebend sah er sich auf der Erde und fand, unter freundlicher Aufmunterung, daß sie lieblich anzuschauen war und ihm anspruchlosere, aber erreichbare Schönheit zum Ersatze bot. Dankbaren Sinnes erblickte er diese im besten Licht und freute sich über Alles, nachdem ihm das Große nicht gelungen war, um so besser das traulich ansprechende Kleinere zu leisten.

Im Grunde: was ist Poesie? Das durch den liebenden Geist verklärte Leben. Der Geist kann alles verklären, was er liebt; nicht nur das Große, sondern auch das Kleine, das auch erlöst seyn will von den Banden der Prosa, und wie die Geschichte aller Künste zeigt, auch erlöst werden sollte und soll. Die Malerei hat Götter und Heroen dargestellt, aber auch den Schmetterling, den Käfer und den Apfel wiederzugeben nicht verschmäht. Und wer, der sich ein offenes Herz bewahrt hat, wird sich nicht auch solcher Abbildungen freuen, wenn sie nämlich gelungen sind!

Gedanken dieser Art gingen durch den Kopf des Poeten, als er sein Drama weiter führte. Seine Liebe zu dem Stoff hielt aus und gewann, indem sie ruhiger wurde, vielmehr an Innigkeit. Allerdings kam zuweilen mitten in der Freude über die gelingenden Figuren ein Schamgefühl über ihn, wenn er der Vornehmheit gedachte, womit er auf solche Arbeiten früher herabgesehen hatte. Er büßte die Ueberhebung, die ihm so schlimm bekommen war, nachträglich noch wiederholt, fühlte aber auch, daß die Buße heilsam war für ihn und seine Arbeit.

Als er den ersten Akt zu Ende gebracht hatte (er brauchte denn doch länger dazu, als acht Tage), begab er sich zu den Freundinnen. Unter guten Erwartungen las er ihnen die Reinschrift vor und wurde, hinsichtlich des Ganzen, mit herzlicher Beistimmung erfreut. Im Einzelnen hatten beide zu tadeln; die Ausstellungen gründeten sich aber auf Erfahrung und natürlichen Takt, wurden ihm einleuchtend gemacht, und er änderte mit Vergnügen. Hatte er doch schon selbst über sich zu Gerichte gesessen und sich vielfach die Lust des Verbesserns gegönnt. Jetzt setzte er’s nur fort und freute sich der wachsenden Reinheit.

Nachdem er den letzten Einwand auf kurzes Bedenken hin als richtig zugestanden hatte, sah ihn Rosa lächelnd an und sagte: „Mein lieber Freund, Sie haben einen guten Fortschritt gemacht. Sollte man nicht glauben, der Tadel wäre Ihnen jetzt lieb? Statt daß Sie empfindlich werden und Ihre Lesart heftig vertheidigen, erkennen Sie die unsere an und lassen sie gelten. Das ist ein Zug, der bei deutschen Dramatikern nicht sehr häufig vorkommen soll.“

„Mir,“ entgegnete Heinrich mit Heiterkeit, „hat ihn auch erst ein Kraftmittel beigebracht. Jetzt freilich gehört er zu mir und ich gedenke ihn zu behalten.“ — „Immer zu!“ rief die Mutter lächelnd. — „Im Grunde,“ fuhr der Poet fort, „kommt es auch hier nur darauf an, was man eigentlich will: die Sache, die Kunst, oder sich selber. Wer die Kunst will, der hat ein Ideal der Vollendung vor Augen, und er ruht nicht, bis sein Werk diesem so nahe als möglich kommt. Wer sich will, der gibt etwas von sich und hält es für das realisirte Ideal, weil es von ihm ist. Natürlich wird so Einem der Widerspruch als persönliche Beleidigung erscheinen, während er jenem, als zur Verbesserung der Sache dienend, lieb und willkommen ist.“

„Weislich erklärt,“ entgegnete Rosa mit Lächeln. „Nun, unsern Widerspruch können Sie schon gelten lassen; er kommt weder aus einem tadelsüchtigen noch frivolen Gemüth und hat nichts als die Schönheit Ihres Werkes im Sinn.“ — „Das weiß ich,“ erwiederte Heinrich, „und darum hör’ ich ihn mit Freuden und bitte um die Fortsetzung.“

Wir können nicht gemeint seyn, den Poeten in seiner Thätigkeit und seinem Verkehr mit den beiden Frauen Schritt für Schritt zu begleiten. Er arbeitete stetig jeden Tag, und wenn das Drama langsam vorrückte, weil nach und nach die Schwierigkeiten mehr hervortraten und wiederholte Versuche nöthig machten, so wuchs es doch und nährte die Begierde des Autors zum Weitergang.

Die fertigen Partien (auch kleinere, wenn sie an sich bedeutend oder gewagt erschienen) las er an freien Abenden den Damen vor, hörte Lob und Tadel und änderte nach gewonnener Ueberzeugung Einzelnheiten und ganze Scenen. Für einen theilnehmenden Beobachter wäre es interessant gewesen, zu sehen, wie Dichter und Schauspielerin dabei sich ergänzten. Heinrich strebte nach Gehalt, Geist, höherem Ausdruck, und vielfach gerieth es ihm damit. Nicht selten wurde der Dialog aber zu schwer, zu gefüllt, oder gewann einen verstiegenen Charakter; und so wurde er von Rosa bekämpft, bis der Poet sich fügte. Die Künstlerin hatte vorzugsweise den Effekt im Auge, drängte in diesem Sinn die rührenden Scenen auszubeuten und besonders drastische Abgänge herzustellen. Hier überschritt sie aber ein paarmal die Linie, schlug Reden vor, die sich nicht natürlich aus der Situation ergaben, und mußte sich von dem Dichter widerlegt sehen, dem die poetische Wahrheit über alles ging. Wenn die Forderungen der Wahrheit und der Wirkung einander entgegen traten, ging es nicht ohne Conflikt ab; allein man vereinigte sich wieder, indem von beiden Seiten eingeräumt wurde, daß in einem Bühnenstück eben die Wahrheit wirkungsvoll seyn müsse, und Heinrich, wenn er die unmittelbaren Forderungen Rosas ablehnte, folgte ihr doch in sofern, als er dann für naturgemäße Kraftentwicklung Sorge trug.

Im Ganzen bewies unser Poet, daß er das menschliche Herz im Guten und Schlimmen, so wie die Leiden und Freuden der bürgerlichen Sphäre gar wohl kannte und über fein abgelauschte Züge des realen Lebens zu gebieten wußte. Er erprobte sich als Poeten, indem er wirkliche, lebendige Menschen zeichnete, die in natürlicher Entfaltung ihres Innern Sympathie zu gewinnen vermochten. Das wurde den Freundinnen immer deutlicher, und Rosa empfand darüber das reinste Vergnügen.

Der Verkehr der drei Leute hatte etwas so ungezwungen Trauliches und unter Umständen Heiteres, daß ein Besucher, auf den ersten Blick hin, sich gesagt hätte, die sind glücklich und machen sich glücklich. In der That unterhält nichts anziehender und schöner, als gleiches Interesse bei einem gemeinsamen Unternehmen. Rosa konnte das Drama so gut ansprechen wie Heinrich, und jedenfalls lag ihr das Gelingen um nichts weniger am Herzen, als ihm. Ihr schönes braunes Auge glänzte Genugthuung, wenn sie etwas für gut erklären mußte, besonders wenn dieß nach einer zweiten Bearbeitung der Fall war, die sie gefordert hatte. Da rühmte sie den Autor, daß er ihren Rath befolgt, es gleich so richtig getroffen und sich dadurch als wahren Dichter bewiesen habe, so warm, so froh, daß er beglückt lächelte und auch über das Gesicht der Mutter ein Schein der Freude ging.

Die jungen Leute erschienen zuweilen fast wie Verlobte, die es schon längere Zeit waren und darum in ruhiger Freundlichkeit sich gefielen. Bei näherer Betrachtung zeigte sich freilich, daß der Poet an der Liebenswürdigkeit des Mädchens sein Vergnügen hatte und sich unwillkürlich dem Reiz ihres Umgangs hingab, aber doch nur in Gefühlen der Freundschaft sich bewegte, während aus ihrem Auge zuweilen Blicke kamen, die ihre tiefe Leidenschaft verriethen — ein süß und schmerzlich erregtes inneres Leben, das nur durch Willenskraft verschlossen gehalten wurde.

Man fragt vielleicht, wie es möglich war, daß der junge Mann diesen Zustand ihrer Seele nicht endlich doch erkannte und nun mit sich zu Rathe ging über das unter solchen Verhältnissen ihm gebotene Benehmen? Daran war aber theils die Naivetät, die recht eigentlich unschuldige Natur Heinrichs, theils die Kunst des Mädchens Schuld, die sich selbst so sehr in der Gewalt hatte, daß sie den Ausdruck einer tieferen Empfindung rasch wieder in Scherz verkehren und damit auslöschen konnte. Ihr zärtlicher Antheil an ihm und seinem Vorhaben entging Heinrich freilich nicht; allein er nahm ihn für den Beweis einer Freundschaft, die auch er gegen sie empfand, für die natürliche Sympathie der Künstlerin mit dem Dichter, und endlich — warum nicht? — für den Ausdruck eines Wohlgefallens an seiner Person, das er ebenfalls reichlich wieder vergalt. Wußte sie doch, daß er verlobt war und an der Geliebten mit unverbrüchlicher Treue hing; wie hätte er denken sollen, daß sie eine Glut in ihrem Herzen nährte, die nur in Auguste gerechtfertigt war? Ihm blieb daher die Geliebte die Geliebte, die Freundin die Freundin, und darum genoß von den dreien nur er allein eines reinen, ungetrübten Glücks.

Die Wirklichkeit hatte auch dießmal rücksichtslos ihren eigenen Weg genommen. Der dramatische Dichter und die feinsinnige, reizende Künstlerin schienen für einander geboren. Aber während sie ihn liebte und in dieses Gefühl sich immer mehr vertiefte, hing er nicht nur mit leidenschaftlicher Innigkeit an der Jugendgeliebten, sondern umgab sie, die Schöne, nur um so eifriger mit den Zaubern einer verschönernden Einbildungskraft. Sie war ihm die edle, die hohe Gestalt, die Königin seiner Gedanken, zu der emporzustreben ihn mit der süßesten Lust erfüllte. Alle Eigenschaften an ihr waren liebenswerth über Alles, und sie endlich sein zu nennen und sie mit allen an’s Herz zu drücken, eine nicht zu fassende Wonne. Die schöpferische Phantasie, die große Künstlerin, durchleuchtete das Bild und ließ es in Farben erglänzen, daß neben ihnen auch die lieblichsten wirklichen ihr Licht verlieren mußten. Wenn die Freundin sich um ihn verdient machte und ihm zur Erreichung seines Zweckes half, so erwiederte er dieß mit herzlichem Dank. Aber den Zweck wollte er nur erreichen, um die Erwählte durch seinen Triumph zu erfreuen und triumphirend heimzuführen.

Rosa, wie resignirt sie war und wie sehr ihr liebendes Gemüth schon durch den großmüthigen Beistand sich beglückt fühlte, hatte doch eine schmerzlich bittere Empfindung, als diese Gesinnung Heinrichs einmal so recht offen hervortrat. Sie kämpfte dagegen, hielt sie nieder, und es gelang ihr so sehr, daß sie sich mit ihm an der Vorstellung seines endlichen Glückes selber zu weiden schien. Dadurch wurde aber Heinrich nur um so sicherer gemacht, und wenn er erst noch eine gewisse Scheu gefühlt hatte, die Geliebte vor der Freundin zu preisen und der Freude seines Herzens Worte zu geben, so folgte er jetzt dem Drange desselben um so rückhaltloser, weil er dadurch der Theilnehmenden selber Freude zu machen glaubte.

Mit all ihren Fähigkeiten, sich über sich selber zu erheben, wurde Rosa jetzt doch auf harte Proben gestellt. Ein Liebender findet so viele Gelegenheit, von der Geliebten zu reden! Eine allgemeine Frage nach ihr gibt ihm Anlaß zu ausführlichem Bericht, wobei er weit mehr sein eigenes Bedürfniß, als das der Hörer zu Rathe zieht. Eine Erkundigung nach einem Bezug, der nur ihn selber betrifft, läßt ihn in die Antwort einflechten, was sie vorher oder nachher, in oft sehr entferntem Zusammenhange, gesagt oder gethan hat u. s. w. Heinrich, um der bewiesenen Theilnahme durch eben so großes Vertrauen entgegen zu kommen, theilte die schönsten Stellen aus den Briefen mit, die er von Auguste erhielt; er las Gedichte vor, die er ihr gelegentlich zum Ruhme sang, und gab dazu Commentare, die oft noch viel poetischer waren als die Gedichte selbst. Wenn man bedenkt, daß Rosa dem allem gegenüber die einmal angenommene Haltung zu bewahren hatte, so ahnt man, was sie dabei litt.

Ein eigenes Gefühl regte die dramatische Arbeit selber in ihr an. Der Poet hatte den Gedanken, in den beiden Mädchengestalten sowohl die Geliebte als die Freundin zu schildern, gewissenhaft ausgeführt; und es begreift sich, daß im Vergleich zur ersten die zweite Figur in all ihrer Artigkeit als Mond neben der Sonne und recht eigentlich secundär erschien. Die Künstlerin hielt bei der ersten Wahrnehmung mit Mühe ihren Unmuth zurück, um erst in der Einsamkeit ihr Herz zu entlasten. Sie war nicht nur persönlich gekränkt, sondern auch ästhetisch verletzt. Denn eben jene erste Figur drückte sich in der Arbeit zu hoch und zu kostbar aus, so daß es den Effekt des Ganzen nothwendig beeinträchtigen mußte. Rosa, nachdem sie mit sich zu Rathe gegangen, trat den Uebertreibungen in diesem Bilde so geschickt als möglich entgegen, mußte aber doch länger kämpfen, indem der Poet endlich nur nachgab, als sie ihm bewies, daß eine natürlichere und ruhigere Sprache die Liebhaberin auch herzgewinnender erscheinen ließe. Bei der andern Gestalt hatte sie dagegen Vorschläge zu machen zu besserer Ausstattung an Gemüth und an Witz. Sie zeigte indeß klar, daß auch dieß im Interesse der Dichtung sey, und der Poet, hier innerlich erheitert, gehorchte.

Wenn die muthige Führerin nun Leid und Mühe genug hatte, so war ihr doch auch ein Ersatz geboten. Ihre Mühe trug Früchte. Unter ihrer Beihülfe gedieh das Werk und klärte und bildete sich der Autor selber. Drang er durch zum vollen Gebrauch seines Talents, erreichte er schon etwas mit dem ersten Werk, so konnte sie sich sagen, daß sie Miturheberin, ja eigentliche Stifterin seines Glückes war. Er selbst war gewissermaßen ihr Werk, der von ihr Gelenkte, Beschenkte, und sie hatte ihm gegenüber das Gefühl des Künstlers vor einer gedeihenden Schöpfung. Freilich, ihre Natur war nicht zu bloßer Geduldübung geschaffen, und ihr weibliches Herz forderte seine Rechte. Eben nach längerer Zurückhaltung, in der Müdigkeit, welche stete Selbstüberwindung zu hinterlassen pflegt, brachen ihre Gefühle nur um so gewaltsamer hervor, um sie schmerzlich zu erschüttern.

Einmal, nach einem eben so arglosen wie groben Rückfall Heinrichs in die Ausschließlichkeit der Leidenschaft, stellte sich ihr in der Einsamkeit sein Benehmen vor die Seele und ein wahrer Unwille erstand in ihr. Sie sah ihn in den Widersprüchen seiner Natur, in seinen anziehenden und abstoßenden Eigenschaften, und diese letzteren erschienen ihr in grellem Licht. Da sie sich nun doch zu ihm hingezogen fühlte, so war sie entrüstet über sich selber, klagte sich an und empfand diese Bekanntschaft als ein unseliges Verhängniß. Eine Frage erhob sich in ihr, deren Erwägung ihr Qualen verursachte. War es die Verlobte werth, daß sie ihr weichen mußte? Die Stellen, die Heinrich aus ihren Briefen mitgetheilt, hatten ihr keinen so guten Begriff beigebracht, daß sie den Lobeserhebungen des Liebenden hätte Glauben schenken können. Der Gedanke stellte sich ihr dar, daß dieser auch hier sich täuschen und da, wo er einen Engel erwartete, nur ein gewöhnliches Weib finden könnte, die sich seinem poetischen Wollen und Streben vielmehr entgegen setzte. Sie fühlte, daß sie, die Künstlerin, ihn fördern, ergänzen, glücklich machen könnte. Sie dachte sich, wie schön und fröhlich sie mit einander zu leben, wie reizend sie ihre zusammenstimmenden Berufe zu treiben vermöchten, und ein Schmerz, eine förmliche Indignation durchdrang sie, daß die Welt und das Geschick es anders beschlossen, daß das eben so Schöne, wie Vernünftige nicht seyn sollte. Sonderbar! Die Möglichkeit trat vor ihre Seele, ihn trotz allem durch ein anderes Benehmen gegen ihn zu gewinnen, mit der Abwesenden zu kämpfen und — zu siegen. Aber sie verwarf den Gedanken, wie er gekommen war. „Nein,“ rief sie, nicht ohne das Pathos des Stolzes, „ich will keinen Mann erobern, der mich nicht liebend sucht! Eben weil ich eine Schauspielerin bin, darf ich nicht thun, was bei den ehrsamen Müttern und Töchtern der guten Gesellschaft Regel ist. Sie soll ihn haben — und ich, ich werde mich trösten!“

Nicht immer gelang es ihr, über ihr Leid auf diese Art sich endlich zu erheben. Zuweilen versank sie in stille, tiefe Trauer und erschien wie krank, wofür sie sich dann auch ausgab. Einmal ging ihr eine Aeußerung des Poeten über das Glück, dem er entgegen sah, so zu Herzen, daß sie in ihrem Stübchen vor Zorn weinte und unter reichlich fließenden Thränen ihr Geschick verklagte, das sie mit diesem Manne belastet und den Frieden ihres Herzens durch eine sinnlose Leidenschaft vergiftet habe.

Der Mutter konnte solche schmerzvolle Aufregung nicht immer verborgen bleiben. Sie schüttelte den Kopf und warf auf die Tochter Blicke, die, ihr Innerstes durchdringend, sie erröthen machten. An einem Abend, wo sie ihr besonders niedergedrückt erschien, fragte sie, was ihr sey, und das Mädchen sprach ihren Verdruß darüber aus, eine Rolle nicht erhalten zu haben, die ihr zukäme und auf die sie sich schon lange gefreut habe. Die Züge der Mutter wurden ernst, vorwurfsvoll, und sie rief: „Geh, und mach mir nichts weis! Du hängst an diesem Menschen und verstrickst dich immer tiefer in deine unselige Leidenschaft! Das Stück, das ihr mit einander ausarbeitet, ist dein Unglück, und ich erkläre mir nun die fatale Empfindung, die ich hatte, als du es an ihn abtratest. Je mehr er dich kränkt, desto mehr liebst du ihn. Deine Gedanken kommen nicht von ihm los, du sorgst und arbeitest für ihn, und dein Lohn ist Herzeleid!“

Rosa hatte sich während dieser Rede gefaßt. „Du übertreibst, liebe Mutter,“ entgegnete sie mit der Ueberlegenheit einer Seele, die an ihrem Loos trotz allem festhält. „Wenn du aber auch Recht hättest, was thät’ es? Ein bischen unglückliche Liebe schadet nicht, am wenigsten einer Schauspielerin. Man macht damit neue Erfahrungen, neue Sphären menschlicher Gefühle schließen sich auf, und man spielt besser. Ja, ja,“ fuhr sie mit einem Blick auf die achselzuckende Mutter fort, „für mich insbesondere ist dieses Unglück ein wahres Glück. Ich habe mich bis jetzt offenbar zu einseitig auf die muntere Seite gelegt, und das geht wohl eine Zeit lang, wird aber nach und nach langweilig und schädlich. Das Herzeleid führt in die Tiefe, macht uns ganz — allerdings, liebe Mutter! — und wir gelangen zur wahren künstlerischen Ausbildung.“

Die Frau, mit einem Zug des Tadels um den Mund, hatte den Kopf geschüttelt. „Du rufst den Humor zu Hülfe!“ entgegnete sie. „Wird er immer vorhalten?“ — „Es ist mein Ernst,“ versetzte Rosa mit Ergebung. „Dieser Poet ist in unser Haus gekommen und wir haben uns für ihn interessirt. Das Theater, von dem er alles erwartete, hat ihn abgewiesen und recht eigentlich in Verzweiflung gestürzt; ich konnte ihm die rettende Hand bieten, und ich bot sie ihm. Bei alledem hab’ ich mir nichts vorzuwerfen. Kommt mehr Unglück dabei für mich heraus, als mir lieb ist, so muß ich’s tragen. Aber sey nur ruhig, ich bin nicht so schwach, und werde schon damit fertig werden.“

Die Augen der Frau waren naß geworden. „Du bist ein gutes Kind,“ rief sie, „ein edles Herz. Du hättest ein besseres Loos verdient!“ — „Ach, Mutter,“ versetzte das Mädchen, „man kann in dieser Welt nicht alles haben und muß sich genügen lassen! Mir ist dieses Unglück im Grunde doch lieber, als das ehemalige Glück, und ich würde es nicht dafür hergeben, wenn sich’s mir in der letzten Zeit auch ein wenig stark aufgelegt hat. Ich hab’ nun einmal meine Freude dran! Laß mir’s, bis mich’s von selber verläßt!“

Die Mutter, gerührt, umfaßte die Tochter, schloß sie an ihre Brust und drückte einen zärtlichen Kuß auf ihre Stirn. „Wann wird das aber geschehen?“ entgegnete sie. „Die Arbeit, die euch immer wieder zusammenführt, wird noch eine gute Zeit dauern. Kann sie die Krankheit nicht so verschlimmern, daß sie unheilbar wird?“ — „Im Gegentheil,“ versetzte das Mädchen; „eben diese Arbeit, wenn sie gelingt, wird mich heilen; und wenn ich mich so eifrig darum annehme, sorg’ ich eigentlich nur für mich selbst.“

Die Mutter schaute sie zweifelnd an. — „Ganz einfach,“ erwiederte die Tochter. „Wenn das Stück geräth und gut aufgenommen wird, ist der Poet ein gemachter Mann. Denn Talent hat er, das haben wir nun gesehen, und wenn er einmal erfährt, wie er’s am besten verwenden kann, wird er den Weg, auf den wir ihn gebracht haben, nicht mehr verlassen. Er kann um seine Auguste anhalten und wird sie heirathen — und ich werde mich beruhigen; denn so kindisch bin ich nicht, daß ich einen weiblichen Werther spielen werde. Ist der Poet ein Ehemann und sehen wir uns wenig oder gar nicht mehr, dann wird es in meinem Herzen wieder still werden und nur der Nutzen der Erfahrung wird übrig bleiben.“ — Die Frau sah ihr in’s Auge und lächelte mitleidig. „Sehr gut berechnet,“ entgegnete sie. „Also für jetzt glaubst du dich deinem sogenannten Glück noch ruhig überlassen zu können?“ — Das Mädchen sah für sich hin und über ihr wehmüthiges Gesicht ging ein Schein von Lächeln, das nicht ohne Schelmerei war. „Nun,“ fuhr die Mutter fort, „ich kann’s nicht ändern. Du willst es haben — sieh nun auch, wie du die Folgen trägst!“

Tage, Wochen gingen hin, die Arbeit näherte sich ihrem Ende. Sey es die Einrichtung der Natur, zufolge welcher nach einer Zeit stürmischer Erregung immer wieder eine Zeit der Ruhe kommt — sey es der Einfluß, den der gute Fortgang des Stücks auf ihr Gemüth übte, genug, Rosa wurde schon in dieser Zeit heiterer gestimmt und erfreute die Mutter durch einen Ausdruck ernster Zufriedenheit. Der Poet hatte aber auch den Takt oder das Glück, ihr fast nie mehr durch Naivetäten wehe zu thun. In der Freude seines Herzens über das Gelingen der Arbeit wurde er dankbarer gegen die Spenderin, unwillkürlich zarter, und ließ keinen guten Anlaß vorübergehen, ihr Lob zu sagen. Der letzte Akt brachte so das Ende gut Alles gut nicht nur für die Personen des Stücks, sondern auch für die Erfinderin, die eine große Genugthuung empfand, wobei das Bewußtseyn gelungener Hülfe die Melancholie der Entsagung weit überwog.

Heinrich fühlte sich im Innersten glücklich. Viel Mühe hatte er sich gegeben; aber nun durchdrang ihn eine Sicherheit, wie er sie in solcher Klarheit nie empfunden hatte. Sein eigenes Urtheil stimmte mit dem der Freundinnen — eine Täuschung war unmöglich.

Als er an einem sonnigen Wintermorgen die letzten Auftritte skizzirt hatte und die Schönheit des Wetters ihn auf die Straße lockte, begegnete ihm Willmann. Sie begrüßten sich und der Novellist sagte: „Nun, ich gratulire. Ihr Schauspiel soll gut — sehr gut werden.“ — „Woher wissen Sie das?“ fragte Heinrich. — „Ich weiß es,“ entgegnete der Andere behaglich.

Der Poet nickte begreifend und sagte dann: „Ich meine freilich selber, daß es mir geräth; und ich hoffe nun, den beiden Herrn, die mich wegen meiner Tragödie so schmählich heruntergemacht haben, beweisen zu können, daß ich auch etwas zu liefern vermag, wofür sie mir Dank wissen müssen.“ — „Dem,“ versetzte Willmann, „sehen sie mit Freuden entgegen; denn Jeder freut sich, wenn er ein Projekt gelingen sieht.“

„Wie muß ich das verstehen?“ rief Heinrich. — „Nun,“ erwiederte der Doktor, „am Ende muß es ja doch heraus, ich will’s Ihnen also gestehen, daß wir Ihnen einen Streich gespielt haben, einen Streich zu Ihrem Besten. In Ihrer Tragödie waren Sie auf einer Straße des Verderbens, zeigten aber trotz Allem eine nicht gewöhnliche Befähigung zum Dramatiker — darüber waren die Regisseure einig. Wie diese Befähigung nun von jenem Pfad abziehen? Wir kamen zusammen, beriethen uns, und es wurde beschlossen, eine energische Kur anzuwenden. Ihr Verlangen, die Urtheile kennen zu lernen, setzte man voraus und redigirte sie für den Autor besonders. Der Trank wurde verschluckt und wirkte gründlich.“

„Ah,“ rief Heinrich mit einem Ausdruck von Empfindlichkeit. „So habt ihr also mit mir gespielt?“ „Aus Antheil an Ihnen,“ fuhr Willmann begütigend fort, „aus Achtung vor Ihrem Talent! Es galt, Sie von Ihrer tragischen Ueberschwänglichkeit par force wegzubringen, und in diesem Sinn hat Freund Berger allerdings vortrefflich gearbeitet. Genug, es ist geglückt, Sie haben sich nicht nur auf die rechte Wahlstatt begeben, sondern nach allem, was ich höre, darauf auch schon einen Sieg erkämpft.“

Unser Poet entrang sich doch nur mit Mühe der demüthigenden Empfindung, geführt, wenn auch zu seinem Besten geführt zu seyn. „Es ist geglückt,“ begann er nach einer Pause; „aber nicht durch euch, ihr Herrn, sondern durch ein liebenswürdiges Geschöpf, das mich freundlich aufgeklärt und mir das Bessere an die Hand gegeben hat.“

„Wohl,“ versetzte der Andere; „aber dieser Freundlichkeit mußte vorgearbeitet seyn, wenn sie bei einem so verstockten Idealisten durchdringen sollte. Die Heilung ist methodisch vor sich gegangen. Nach der Erschütterung durch Donner und einschlagenden Blitz kam der Sonnenschein und that das Uebrige.“ — „Die Hauptsache!“ warf Heinrich ein. — „Die Hauptsache,“ wiederholte der Schriftsteller, „zugegeben!“ Er schwieg einen Moment und fuhr dann lächelnd fort: „Für Sie kann man wirklich gute Hoffnungen hegen. Ein junger Mann, der notorisch verlobt ist, gewinnt noch andere Frauenherzen, so sehr, daß sie sogar Opfer bringen für ihn. Mein lieber College, Sie kommen durch die Welt, darauf können Sie sich verlassen. Und eins ins andere gerechnet, sind Sie nun doch eigentlich mit einem sehr gnädigen Lehrgeld davon gekommen.“

Während dieses Gesprächs waren sie unvermerkt in die Nähe des Theaters gelangt. Willmann richtete seinen Blick auf das stattliche Gebäude und sein Gesicht erheiterte sich. Zwei Männer waren aus einem Seitenthor getreten und kamen gegen sie her; es waren die Regisseure. Heinrich konnte nicht umhin, mit Willmann vorwärts zu gehen, obwohl er vor der Begegnung eine erklärliche Scheu empfand. Er hatte die Herrn nach der Lektüre ihrer Urtheile nicht nur nicht wieder besucht, sondern auch auf der Straße glücklich vermieden, so daß für ihn jetzt eine Art Eis zu brechen war. Indessen zeigte sich, daß er die Zeit her doch viel Welt in sich aufgenommen hatte; denn er bezwang sich und es gelang ihm, die Begrüßung möglichst unbefangen abzumachen.

Hallfeld (so hieß der ältere der beiden Schauspieler) dankte freundlich und sagte: „Wir haben uns lange nicht gesehen. Wie ich aber höre, sind Sie die Zeit her fleißig gewesen und werden bald etwas Schönes fertig haben!“ — „Fertig,“ entgegnete Heinrich, „wird es bald seyn. Ob es etwas Schönes ist, werden Sie zu entscheiden haben.“

Der Komiker und Intrigant hatte unterdeß einen Blick auf ihn geworfen, in welchem Spott und Wohlwollen sehr ergötzlich gemischt waren. „Sie haben sich,“ bemerkte er mit höflichem Kopfneigen, „herabgelassen, einen Stoff aus dem gewöhnlichen bürgerlichen Leben zu behandeln und ein Schauspiel zu schreiben?“ — Heinrich sah ihn an und zuckte unwillkürlich die Achsel. — „Sie soll gelungen seyn,“ fuhr jener fort, „die Frucht Ihrer Condescendenz.“ — „Die Freundin,“ warf Hallfeld ein, „hat mit uns darüber gesprochen. Demnach wäre am Erfolg nicht zu zweifeln, und ich hoffe, daß wir es bald zu lesen bekommen werden.“

„Ich freue mich sehr auf den Intrigant,“ versetzte Berger, „der recht eine Rolle für mich seyn soll. Mir sagen nämlich ganz besonders gemischte Charaktere zu — Menschen, die mit respektabler Schlechtigkeit eine Art von Gutmüthigkeit, ja Biederkeit verbinden. So Einer, wie ich aus den gegebenen Andeutungen schließen möchte, kommt in Ihrem Stück vor.“ — „Und soll,“ entgegnete Heinrich mit eingehender Laune, „wenn das Stück angenommen wird, auch dem Künstler zufallen, den die Natur geschaffen zu haben scheint, Charaktere dieser Art congenial zu versinnlichen.“ — „Charmant!“ rief der Komiker, während die Andern lächelten.

„Ich gestehe,“ begann Willmann, „ich freue mich sehr auf die Vorstellung, an der ich nicht mehr zweifle. Sie haben,“ fuhr er auf Heinrich blickend fort, „durch Ihre erste Arbeit ernstlichen Antheil erregt.“ — „Allerdings,“ bemerkte der Heldenvater mit Würde. — „Unbedingt!“ setzte der Komiker hinzu. — „Und da Sie sich in der Zeit der Calamität so ritterlich gehalten haben, so gönnen wir Ihnen von ganzem Herzen einen öffentlichen Erfolg.“ — „Und den wohlverdienten Lorbeer,“ ergänzte Berger — „den Lohn der Demuth, die sich selbst bezwungen!“ — Nach weiterem Austausch von Höflichkeiten dieser Art schied man erheitert und mit den besten Wünschen. Heinrich ging nach der Wiederanknüpfung mit den Kunstverwandten eines hin und wieder doch lästig empfundenen Druckes entledigt nach Hause. Behaglich fühlte er, wie sich der Weg für ihn mehr und mehr ebnete und ein günstiges Zeichen nach dem andern hervortrat.

An demselben Tag schrieb er einen längeren Brief an Auguste. Die Geliebte hatte ihm auf die Meldung, daß er auch das zweite Trauerspiel einstweilen liegen gelassen und nun an einem Schauspiel arbeite, nach längerem Schweigen eine Antwort gesandt, welche die zärtlichste Besorgniß für ihn an den Tag legte, indem nach den bisherigen Erfahrungen leider nicht mit Gewißheit angenommen werden könne, daß er bei dieser neuen Arbeit ausharren werde. Darauf hatte der Verlobte sie durch Versicherungen beruhigt, die, wenn sie nicht Ueberzeugung bewirkten, doch Glauben fanden. Jetzt konnte er nicht nur die Vollendung, sondern gleich auch die Gelungenheit des Stücks anzeigen — und mit welch gerechtem Selbstgefühl that er es!

„Ja, meine Theure,“ schloß der Bericht, „meine Prüfungszeit ist vorüber und der Lohn der Ausdauer so gewiß, daß ich ihn schon in der Hand zu haben glaube. Endlich, endlich ist mir’s gelungen! Nicht nur die Annahme des Stücks, auch die Wirkung auf der Bühne und das Verbleiben auf dem Repertoire ist mir verbürgt — durch das Urtheil von Kennern. In vierzehn Tagen ist die Arbeit fertig, revidirt, bühnengemäß hergestellt; der raschen Annahme wird die rasche Darstellung folgen, und dann heißt’s: Auf Wiedersehen! auf glückseliges Wiedersehen!“

Dem Brief war eine Nachschrift beigefügt, die also lautete: „Die frühere Aeußerung über Doctor Willmann muß ich zurücknehmen. Hinter einer allerdings etwas gewöhnlichen Außenseite verbirgt dieser Schriftsteller ein tieferes Herz, und an mir und meinem Schicksal nimmt er wahren Antheil. Theilt er nicht alle meine Ideen, so ist er doch ein Mitstrebender und Literat im besten Sinne des Worts, eine redliche, neidlose Seele, ein Freund, auf den ich rechnen kann.“

VII.

Die letzten Scenen wurden ausgeführt, in dem kleinen Kreise berathen und nach wenigen Aenderungen gebilligt. Das Stück war fertig.

Für die nächsten Tage hatte der Autor nun den Genuß, das vollendete Werk nochmal zu übergehen und im Einzelnen durchzubilden. Es gehört dieß, wenn der Organismus im Wesentlichen gelungen ist, zu den angenehmsten Arbeiten, und Heinrich schlürfte denn auch die Neige der Schöpferfreuden con amore. Wie aber auf Erden kein Glück rein bleiben soll, so wurde auch in den süßen Trank dieser Tage ein bitterer Tropfen geworfen, der ihn ärgerlich vergällte.

Unser Poet hatte den satirischen Roman seines guten Freundes Dorn schon vor Monaten zu lesen begonnen, aber sich nicht damit befreunden können. Er fand den Witz vielfach gezwungen und die Bosheit des Autors, auch wo sie das Schlechte geißelte, zu direkt und gehässig, als daß er mit ihr hätte sympathisiren können. Der Geist, der das Opus eingegeben hatte (dieß erkannte er aus den ersten Kapiteln), war der Geist der Rache und der Schadenfreude, blinder Leidenschaften, denen nichts Wohlthuendes gelingen kann. Einzelne Treffer ergötzten ihn freilich, die Neugier wurde rege erhalten, aber das Gelesene hinterließ keinen guten Eindruck und das Buch erzeugte in Heinrich zuletzt einen förmlichen Widerwillen, so daß er es, noch nicht in die Mitte gekommen, bei Seite warf.

Als Dorn sich gelegentlich einmal darnach erkundigte, fühlte der etwas Befangene die Nöthigung, ebenso den guten Bekannten wie die Wahrheit zu schonen, und sagte darum: er habe sich mit großem Interesse hineingelesen, könne aber einen so stark gewürzten Trank nur in kleineren Dosen zu sich nehmen, und müsse sich noch eine Frist ausbitten. Der Autor, durch diese Erklärung nicht übermäßig zufriedengestellt, machte doch gute Miene, und man trennte sich unter kameradschaftlichen Versicherungen.

Nach der Vollendung seines Dramas erkannte der Poet, daß er das Beißen in den sauern Apfel nicht länger verschieben könne; er nahm das Buch eines Abends vor und verschluckte den Rest heroisch. Aber er konnte das frühere Urtheil nur bestätigen. Ergötzlich im Einzelnen — nicht allzuhäufig —, unerquicklich im Ganzen; von der Schneide des Hohnes Rügenswerthes, Verwerfliches, aber auch Gutes, ja Großes getroffen, das der Schreiber nur nicht begriff; ein Buch, das in einem Sinne zu besprechen, wie der Autor es wünschte, für Heinrich ganz und gar unmöglich war.

Kurz nach Gewinnung dieser Ansicht traf er wieder mit Dorn zusammen. Er theilte ihm auf Befragen das Neueste über sein Stück und seine Hoffnungen mit, und der Feuilletonist gratulirte mit sichtlicher Zurückhaltung; dann sagte er: „Wie haben wir’s aber mit unserem Roman? Jetzt werden Sie ihn doch wohl gelesen haben!“ — „Freilich,“ erwiederte Heinrich mit einer gewissen Hast. „Er hat mich interessirt bis zu Ende. Sie haben darin Hiebe ausgetheilt, die ich den Getroffenen von Herzen gegönnt habe. Läugnen will ich aber nicht, daß ich auch auf Angriffe gestoßen bin, die ich durchaus nicht unterschreiben möchte.“ — „So?“ entgegnete der Andere. — „Nun,“ fuhr er nach kurzem Schweigen fort, „im Grunde ist das natürlich, man kann nicht in allen Stücken gleich denken. Ihr Urtheil im Ganzen ist also?“ — „Daß das Buch von dem Publikum, für das es geschrieben ist, mit Nutzen und Vergnügen gelesen werden kann.“

Dieses bedingte Zugeständniß war an sich nicht darnach angethan, eine Autorseele zu befriedigen. Unser Poet aber, der sich bewußt war, daß der Roman eben so gut mit Schaden und Mißvergnügen gelesen werden könne, hatte es zum Ueberfluß mit einer gewissen Verlegenheit ausgesprochen, so daß die eingeschränkte Beistimmung noch dazu als abgenöthigt erschien. Dorn, dem sich dieß aufdrängte, betrachtete ihn mit verdächtigen Blicken. Er ging auf einen andern Gegenstand über, machte seinem Herzen in scharfen Bemerkungen über Abwesende Luft, und sagte zuletzt mit einem Lächeln „Guten Tag,“ das nichts Gutes zu bedeuten schien.

Heinrich gehörte zu den Menschen, die nicht gern eine Schuld unbezahlt lassen, und er überlegte daher ernstlich, ob nicht eine Form auszudenken wäre, in der er, ohne der Gerechtigkeit eben in’s Angesicht zu schlagen, dem Autor, der ihn öffentlich gelobt hatte, doch auch einen Dienst erweisen könnte. Allein er fand keine, und dieß beunruhigte ihn sehr und trübte das Glück der schönen Tage. Endlich rief er: „Zum Henker mit dieser Affaire! Gehen wir auf die Hauptsache los, und wenn sie erreicht, dem Kritikus Respekt eingeflößt ist, dann wird ihn eine Gefälligkeit zufrieden stellen, die ich ihm ohne Gewissensbisse erweisen kann!“

Im Nachklang dieses heroischen Entschlusses vollendete Heinrich die Revision und stellte ein reinliches Manuscript her.

Als er den Freundinnen ankündigte, daß er das Stück sofort einreichen könne, schüttelte Rosa den Kopf. „Vorher,“ sagte sie, „muß noch was Anderes geschehen. Die Regisseure und Doctor Willmann sind Ihnen wahrhaft zugethan. Wir wollen diese Herrn zum Thee einladen, und Sie tragen ihnen dann Ihr Stück vor. Gut gelesen wird es nicht nur einen gewinnenden Eindruck machen, sondern auch zu Bemerkungen Anlaß geben, die Ihnen weiter nützlich werden können.“ — Heinrich, über die consequent liebevolle Sorgfalt erfreut, erklärte seine Zustimmung unter Worten des Dankes.

Am nächsten Sonnabend war die Gesellschaft in dem traulichen Zimmer versammelt. Man hatte sich cordial begrüßt, und unter dem Schlürfen des feinen Getränks nahmen bald gute Geister die Seelen ein. Der Poet hatte offenbar eine günstige Position. Konnten ihn nicht alle, wie er jetzt war, gewissermaßen als ihre Schöpfung ansprechen, und mußten sie sich daher nicht über alles ihm Gelungene freuen, als ob es von ihnen wäre? Er fühlte das auch, und der letzte Rest von Befangenheit wich aus seiner Seele.

Willmann, ihn betrachtend, sagte:„Hat unser Dramatiker in der letzten Zeit nicht geradezu ein anderes Aussehen bekommen? Sein Blick ist jetzt so menschlich, sein ganzes Wesen so vertrauenerweckend —“

„Sehr natürlich,“ fiel Berger ein. „Er ist herabgestiegen aus den ätherischen Höhen und Mensch geworden, indem er sich in wirkliche Menschen versetzte, und — menschlich gesinnt auch für uns Theaterleute — Rollen geschrieben hat, die man wirklich spielen kann — wie ich höre.“

„Die Welt,“ fuhr der Novellist heiter fort, „wird gesund, man kann nicht mehr daran zweifeln. Der Realismus erstarkt und macht eine bedeutsame Erwerbung nach der andern.“ — „Leben und Lebenlassen,“ rief der Regisseur, „das ist die Parole des Jahrhunderts! Sogar auf dem Theater, wo man sonst mit wohlklingenden Versen im Mund sich dem Tod in die Arme warf, daß die Bühne sich endlich mit Leichen bedeckte, wird es mehr und mehr Sitte, in schlichter Prosa zu guter Letzt sich um den Hals zu fallen und dem Publikum das wohlthuende Schauspiel verständiger Gemüther zu geben, die dem Glück entgegen gehen.“ Mit einem Blick auf Hallfeld, der launig den Mund rümpfte, fuhr er fort: „Der Herr College scheinen nicht ganz einverstanden zu seyn?“

„Doch,“ versetzte dieser. „Aber in eurem eigenen Interesse möcht’ ich euch Herrn rathen: übertreibt’s nicht mit eurer Prosa und eurem Lebenlassen! Denn sonst möchte das Publikum am Ende auch das genug kriegen und ihr könntet einen Rückfall erleben.“ — „O,“ rief Berger, „mir ist nicht bange!“ — „Man kann für nichts einstehen,“ erwiederte der Andere. Der Komiker sah ihn an, und da er, besonders vor einem Auditorium, zu necken und zu streiten liebte, fuhr er fort: „Sie kämpfen für Ihr scheinbares Gebiet, lieber College, aber Sie thun sich selber Unrecht. Ihr Spiel ist im Prosadialog so vorzüglich wie in der Versetragödie und für mich und Meinesgleichen noch viel erquickender. Es herrscht darin eine Natur, eine Frische —“ — „Bitte!“ rief Hallfeld. — „Also davon abgesehen! Sagen Sie mir nun in allem Ernst: was hat man eigentlich an einer versificirten Tragödie?“

„In allem Ernst?“ fragte Hallfeld erheitert. „Wollen Sie etwas Ernsthaftes hören?“ — „Oh,“ rief Berger mit einem Ton des Vorwurfs, „von Ihnen mit Freuden! Und gewiß alle hier Anwesenden?“ — „Ja wohl, ja wohl,“ riefen Heinrich und Rosa. — „Also, kurz gesprochen, was hat man davon?“ — Hallfeld erwiederte mit ruhigem Nachdruck: „Die Kunst.“ — „Die Kunst!“ wiederholte der Andere. „Sie meinen die Kunst im aparten Sinne, wo sie über die natürlichen Formen des wirklichen Lebens hinaus geht?“ — „Die Kunst in dem Sinn, wo sie über die Kleinheit, Gewöhnlichkeit und Dürftigkeit des wirklichen Lebens sich erhebt,“ entgegnete Hallfeld. „Die Kunst, die in eine Welt versetzt, wo das höhere Maß in der Ordnung ist und die Verse so natürlich klingen, wie im gewöhnlichen Leben die Prosa.“

„Das klingt sehr schön,“ erwiederte Berger, „und“ (setzte er lächelnd hinzu) „ungefähr so sagt’s der Herr Professor auch. Aber ich, als ein verstockter Realist, stelle mir die Sache selbst vor und muß Ihnen die Wirkung, die faktisch so oft mit angesehene Wirkung entgegen halten. Erlauben Sie mir eine kleine Charakteristik. Wir geben also eine versificirte Tragödie (denn um die Tragödie handelt sich’s) — was ist, kurz und bündig gesagt, der Effekt? Das Publikum — in nicht allzugroßer Zahl — sitzt erwartungsvoll, und die pathetischen Verse beginnen. Irgend eine Gräuelthat ist schon verübt oder wird verübt; zunächst mit glücklichem Erfolg. „Triumph“ ruft das Verbrechen, „Rache“ die Tugend. Man streitet, man tobt, man rast, wobei nicht selten das nervenerschütternde Spiel noch durch einen gräulichen Lärm hinter den Coulissen verstärkt wird. Der Frevler, unter dem Beistand höllischer Dämonen, wehrt sich verzweifelt. Endlich, krach, trifft ihn der Blitz, die Exekution gelingt, der Tod heimst ein, und der Vorhang fällt. Die Zuschauer, wenn sie mit ihren Gedanken nicht schon lange daheim oder im Wirthshause sind und die ganze, meist drei bis vier Stunden dauernde Handlung mitgeduldet haben, fühlen sich geschüttelt und gerüttelt, in dumpfe Verwirrung gesetzt, und gehen mit zerschlagenen Gliedern weg, trotz der Verse, und trotzdem, daß sie zu der grausigen Aktion sehr natürlich geklungen haben.“

Die Gesellschaft, von der drastisch gezeichneten Carikatur ergötzt, lachte, Hallfeld mit eingeschlossen. Nach kurzem Schweigen erwiederte dieser: „Darf ich nun auch eine Tragödie aufführen?“ — „Immer zu!“ rief Berger.

Hallfeld begann: „Also — das Publikum sitzt in ernster Erwartung und der Vorhang geht auf. Schon durch den Klang der Verse wird der Hörer der Atmosphäre des Alltagslebens entrückt und in eine höhere feierliche Stimmung versetzt. Eine große, gewaltige Kraft, deren Leidenschaft uns mit Staunen erfüllt, wird zum tragischen Uebermuth, zum Verbrechen hingerissen, und die Göttin, die dadurch verletzt ist, bereitet die Strafe; ihre Organe setzen sich in Action und ein Kampf beginnt, den wir mit erhabener Spannung begleiten. Wir fordern den Untergang des Frevlers, indem wir seinen dämonischen Geist bewundern, und er sinkt endlich unter den Schlägen der Gerechtigkeit. Der Zuschauer, um mit einem Heros der tragischen Dichtung zu reden, ist zermalmt, aber zugleich erhoben; und nachdem er in eine Welt Blicke gethan hat, die ebenfalls Natur und Wahrheit, aber Natur und Wahrheit oberster Art ist, nachdem er Blicke gethan hat in’s Jenseits und in die Ewigkeit, verläßt er das Theater, wie man einen Tempel verläßt. Und ein Tempel — ein Tempel der Kunst — soll’s ja auch seyn, das Theater, nicht ein Haus, wie man’s zu Hause auch und am Ende noch besser hat.“

Der tragische Künstler hatte diese Entgegnung spielend, wenn auch mit Würde spielend, begonnen, aber nach und nach zu einem Ernst sich erhoben, der seines Eindrucks nicht verfehlen konnte. Heinrich rief ein so lebhaftes Bravo, daß Willmann ihm bedeutsam drohte; die Wirthinnen nickten beifällig und Berger sah schweigend auf den Tisch. Plötzlich aufsehend und den Redner betrachtend, entgegnete der Komiker: „Ihre Schilderung ist so pathetisch poetisch gerathen, daß sie eigentlich in fünffüßigen Jamben hätte gegeben werden sollen, und ich sehe dadurch meinen alten Verdacht bestätigt, daß Sie im Geheimen dergleichen anfertigen.“

„Wäre heutzutage weder eine Kunst noch ein Verbrechen,“ erwiederte Hallfeld. — „Gewiß nicht,“ entgegnete Berger, „namentlich das Erste nicht. Nun, um Ihnen meine aufrichtige Meinung zu sagen: schön gesprochen haben Sie; wenn’s nur eben so wahr wäre! Gut, gut,“ rief er, als Hallfeld zu reden sich anschickte, „ich weiß, was Sie sagen wollen. Die classischen Stücke, classisch aufgeführt, wirken so. Zugegeben. Aber classische Stücke haben wir nicht viel, und wenn wir’s ehrlich bekennen wollen, sind auch unter den classischen welche, die vielmehr den von mir geschilderten Effekt machen. Neue Stücke, die sich den classischen unter den classischen anreihen — mit aller Achtung vor den lebenden Talenten sey es gesagt — dürften uns nicht in allzugroßer Anzahl geliefert werden; also wäre es gewiß ein billiger, allen Verhältnissen Rechnung tragender Vorschlag: das Theater in so fern als Tempel zu behandeln, als wir einmal in der Woche die Priester der Tragödie darin fungiren lassen, an den übrigen Tagen aber es als ein Haus zu benutzen, was es trotz alledem viel mehr ist, als ein Tempel. Denn ein Tempel ist es doch nur in poetischer Anschauung und metaphorisch; dem unbestochenen Auge bleibt es eben das Schauspielhaus, das Haus, worin vorzugsweise gegeben werden sollen Schauspiele, inclusive Lustspiele.“

Die Hörer schienen den Vorschlag zur Güte heiter aufzunehmen und der ermunterte Komiker fuhr fort: „Ermessen wir dabei unsere Kräfte, vielleicht auch die Kräfte des Zeitalters! Mir scheint ein Wink der Geschichte in der unbestreitbaren Thatsache zu liegen, daß wir im genreartigen Drama — wenn Sie den Ausdruck erlauben wollen — auch besser spielen, als in der hochstylisirten Tragödie. Zum lebensgroßen Bild reicht unsere Natur hin, zum überlebensgroßen müssen wir uns schon verteufelt strecken, und das kommt gar nicht immer schön heraus. Talente, mit einem Geist, einer Figur und — einer Stimme, wie wir sie an unserem Heldenvater bewundern, sind selten und werden immer seltener. Wir Andern bewegen uns im lustigen, gemüthlichen, pikanten Kreis, bewirken Lachen und nebenbei Rührung und geben dem Publikum das, was es doch eigentlich am öftesten begehrt und wofür es auch am dankbarsten sich zeigt durch Ausfüllung des Hauses und durch Füllung der Kasse.“

„Das,“ fügte Willmann mit einem Blick auf Hallfeld hinzu, „ist doch wohl auch sehr zu bedenken. Das Publikum sieht sich jetzt am liebsten selber auf der Bühne, namentlich in wohlwollender Zeichnung und gewinnendem Bilde. Da wir aber dergleichen jetzt auch besser machen, besser spielen, so sind wir am Ende aus allen Gründen gemahnt, den Zuschauern vorzugsweise zu bieten, was sie vorzugsweise zu wünschen so freundlich sind.“

„Gut gesagt!“ rief Berger. „Und wie viel ist hier noch zu thun! Welche Schätze warten noch der Hebung! Welch köstliche Narren, Philister und Bösewichter können die Poeten noch herauf bringen! Also vorwärts auf dieser Straße! Richten wir uns in Vorführung von Schauspielen und Tragödien nach dem Verhältniß der Werkeltage und Festtage — und es wird wohl stehen im Lande!“

Hallfeld lächelte, als einer, der den Streit zu beenden wünscht. „Damit,“ sagte er, könnte ich mich am Ende zufrieden erklären. Festtage! Dazu gehören auch die Feiertage der Woche!“ — Berger, nach einigem Besinnen, rief: „Meinetwegen! Ich will nicht knauserig seyn. Aber, wohlgemerkt, nach dem protestantischen Kalender! Dann: Soyons amis!“ Er reichte ihm die Hand und der Anwalt des Trauerspiels, mit einer Freundlichkeit, die nicht ganz ohne Herablassung war, schüttelte sie.

Unser Poet hatte während der letzten Verhandlung mit einer Miene dagesessen, die den Frauen und endlich auch Willmann aufgefallen war. Ein Ernst sprach aus seinem Gesicht, der sich von dem des Heldenspielers wesentlich unterschied, indem er einen poetisch feierlichen Charakter hatte. „Was ist Ihnen?“ rief ihm der Schriftsteller zu. „Sie scheinen in höheren Sphären zu seyn!“ — „Ich habe eine Idee,“ versetzte der Angeredete, „eine Idee, die mir Freude macht!“ — „Nun?“ rief Willmann, während die Andern auf Heinrich schauten. „Ich hoffe nicht, daß Sie eine Idee haben, die Sie abtrünnig werden läßt. Ihr Aussehen —“ — „Verkündet Frieden — Harmonie!“ rief der Poet. — „Das laß ich mir gefallen!“ entgegnete jener. „Sie unterschreiben also die Capitulation zwischen der Comödie und der Tragödie?“ — „Mit einer Modifikation, die sich auf unser Metier bezieht.“ — „Ah so! — Nun?“

Der Poet begann unter allgemeiner Aufmerksamkeit: „Leben und Lebenlassen ist ein guter Spruch. Ich glaube, daß wir ihn eben jetzt auf unsere Fahne schreiben und unserem großen Dichter folgend das „Gedenke zu sterben“ in „Gedenke zu leben“ umwandeln müssen.“ — „Ah, bravo!“ rief der Vertreter der Comödie, der an dem Redner mit humoristischer Aufmerksamkeit hing. „Wir müssen zwar alle sterben,“ fuhr Heinrich fort, „und es wird gut seyn, auch daran zu denken. Aber bevor es zu Ende geht, müssen wir leben, das Leben gründlich benützen, und dürfen uns in diesem edeln Beruf nicht durch Todesgedanken stören lassen.“ — „Recht gesprochen!“ rief Berger — „Also lob’ ich die Richtung in der Kunst, die das Leben, in dem wir thatsächlich stehen, zeichnet, aufhellt und auf Ziele weist, damit dieses Leben nicht bleibe, wie es ist, sondern selbst immer schöner und erfreuender werde.“ — Der Komiker blickte zweifelnd.

„Die dramatische Poesie,“ fuhr Heinrich fort, „lasse Streit und Verwirrung entstehen, um sie zu lösen, sie führe Irrthum und Schuld vor, um davon zu heilen.“ — „Ja wohl,“ fiel Berger ein; „aber das darf nicht schulmeisterlich, tendenziös —“ — „Nein,“ versetzte Heinrich, „sondern nur poetisch geschehen! Der Dichter sehe das wirkliche Leben mit den Augen der Liebe, er sehe es, wie es in der That ist, reorganisire es liebevoll und zeige es im Bilde wahr und schön. Er sey Realist, er ergreife die Wirklichkeit in ihrer Fülle, ihrer Eigenthümlichkeit und eigenthümlichen Schönheit, und bereichere die poetische Literatur, die dramatische Literatur, mit neuen und neuschönen Gemälden.“

„Ganz gut,“ rief der Komiker. „Sie dürfen aber nur nicht gar zu schön —“ — „Das sind sie nie, wenn sie wahr sind!“ — „A la bonne heure!“ — „Und weil es denn,“ fuhr Heinrich fort, „an der Zeit ist und alle Forderungen darauf hinweisen, so cultivire der Dichter jetzt vor allem diese Poesie des wirklichen Lebens und liefere auch dem Theater Stücke, die mit dem Vorsatz und der Möglichkeit, schön zu leben, schließen!“

„Bravo!“ rief Willmann. — „Diese Thätigkeit,“ fuhr der Poet fort, „sey ihm aber zugleich eine Schule, eine Vorschule für die wahre Tragödie.“ — „Ah so!“ riefen Willmann und Berger zugleich, während Hallfeld erheitert aufhorchte und die Frauen lächelten. — „Für eine neue Tragödie,“ rief der Poet, „für die Tragödie der Zukunft!“ — „Hört, hört!“ rief Hallfeld, indem er den Collegen ansah.

„Der Dichter unserer Zeit, indem er die frische, kernige, treffende Sprache des wirklichen Lebens redet, lerne eine neue poetische Diction schaffen, in der nicht der Ton unserer großen Poeten mehr oder minder wiederklingt, sondern ein neuer ertönt, worin jene frische, kernige, treffende Sprache geadelt, verklärt erscheint.“ — „Hm!“ erwiederte der Anwalt des Lustspiels. — „Er lerne, indem er das Leben glorificirt im Schauspiel, das Leben glorificiren in der Tragödie!“

„In der Tragödie — das Leben?“ wandte Berger ein. — „Er lerne,“ fuhr Heinrich nickend fort, „indem er einen trostreichen Schluß herbeiführt im Schauspiel, einen trostreichen Schluß herbeiführen in der Tragödie. Er erschüttere die Herzen durch das flammende Gemälde der Schuld und Sühnung, aber er öffne mehr und schöner, als es bis jetzt geschehen ist, die Sphäre der Ewigkeit und erhebe über das Grauen des zeitlichen Todes durch die Anschauung ewigen Lebens! Er lerne in der Abspiegelung irdisch guten Ausgangs die tragisch poetische Hinweisung auf den himmlisch guten Ausgang, den wir alle fordern, der kommen muß und kommen wird, auf Grund ewiger Gerechtigkeit und Schönheit.“

Willmanns Gesicht war bei dieser Wendung auffallend bedenklich geworden, und Berger rief: „Aber lieber Freund —“ — „Lassen Sie mich alles sagen,“ entgegnete Heinrich, „ich werde gleich fertig seyn! Der Dichter also studire das wirkliche Leben in seiner Eigenthümlichkeit; er erfülle sich mit der Kraft der Natur und schildere Menschen und Verhältnisse, wie sie sind! Indem er aber die Wunder der Wirklichkeit, die Wunder der Natur wieder erkennt und tiefer erfaßt, als je zuvor, lerne er die Art der Natur gebrauchen zum Bilden von Idealen, die in höherer Sphäre wieder Natur sind!“

Hallfeld drückte seine Beistimmung durch lebhaftes Zunicken aus; der Poet fuhr fort: „Wir wollen die Menschen nicht nur vorgeführt sehen, wie sie sind, sondern auch wie sie seyn sollen. Auch darauf ist unser tiefes Verlangen — die Neugierde unseres Geistes gerichtet. Diese Menschen, wie sie seyn sollen, müssen aber so natürlich, so motivirt aus ihrem eigensten Wesen heraus handeln, wie die realen Menschen, und darum ist das Genre für die höhere Kunst, das reale Schauspiel für die stylisirt ideale Tragödie Vorbild schon in dieser Beziehung; aber eben so in der andern eines befriedigenden Schlusses durch den Sieg des Lebens. Die Tragödiendichtung kann nicht aufhören, denn es gibt tragische, hochtragische Persönlichkeiten nicht nur in der Mythologie und der Sage, sondern auch in der wirklichen Geschichte; also auch die Forderung des Realisten, daß die Menschen geschildert werden müssen, wie sie sind, führt zur Tragödie. Aber die Tragödie wird unerträglich, wenn der Dichter nicht naturwahre, aus innerster Nothwendigkeit handelnde und zugleich erhöhte Menschen vorführt, die dem strengen Gericht, das die tragische Nemesis hält, auch gewachsen sind durch die Größe des Geistes und Sinnes, wenn er nicht die ganze Handlung in eine höhere Sphäre rückt und die Zuschauer zwingt, sie vom Standpunkt der Ewigkeit aus zu betrachten. Sie wird insbesondere für uns unerträglich, wenn der Dichter auf den himmlischen Ausgang der Dinge nicht wenigstens hinzeigt und im irdischen Ausgang nicht das Heil, d. h. die Rettung für die Ewigkeit fühlbar macht. Ich verlange also das natur- und lebenswahre, durch seinen Ausgang erfreuliche Schauspiel; ich verlange die natur- und lebenswahre, durch ihren Ausgang über das Leid der Erde triumphiren machende, wahrhaft erhebende Tragödie, und ich glaube, daß wir durch jenes zu dieser gelangen müssen und werden. — Das ist mein Bekenntniß.“

„Das ich unterschreibe,“ rief Hallfeld mit einem Eifer und zugleich mit einem Ausdruck von Achtung, wie er sie dem Poeten gegenüber noch nicht an den Tag gelegt hatte. „Sie haben mir aus der Seele gesprochen und es besser ausgedrückt, als ich’s gekonnt hätte! — Den Teufel auch,“ setzte er lächelnd hinzu, „wo haben Sie diese Sachen her?“

Der Poet sah ihn heiter an. „Das fragen Sie,“ rief er, „einen Doktor der Philosophie und Aesthetiker, der eine verfehlte Tragödie geschrieben hat und durch ein Schauspiel sich zu rehabilitiren hofft? Ach, mein Freund, das Sagenkönnen ist heutzutage nicht schwer — das Machenkönnen ist’s! Und darauf werden wir, fürcht’ ich, in Ansehung der Tragödie noch einige Zeit warten müssen.“

„Weise gesprochen!“ rief hier der Regisseur der Comödie; „oder vielmehr klug gesprochen nach imponirendem Weisesprechen! Schwer mag die Tragödie seyn, die Sie in Aussicht gestellt haben — sehr schwer — wenn am Ende nicht gar unmöglich. Darum soll mich’s freuen, wenn Ihnen zunächst Ihr Schauspiel so gut gelungen ist, wie sich’s bei solchen dramaturgischen Anschauungen allerdings nicht anders erwarten läßt.“

„Und dieses Schauspiel,“ setzte Willmann hinzu, „wollen wir jetzt hören. Ihre Ausgleichung, lieber Freund, ist billig, und ich kann mich damit recht gut einverstanden erklären. Sie weisen das reale Drama in die Gegenwart, die neue realideale Tragödie in die Zukunft — das ist ein Vorschlag. Ueberlassen wir die Tragödie nun getrost unsern Nachkommen; wir unsererseits wollen um so fröhlicher das Drama und die Comödie cultiviren, spielen und genießen.“

„Das,“ versetzte Heinrich, „ist nicht ganz meine Meinung. Der Faden der tragischen Dichtung darf und wird nie abreißen; und ich stehe nicht gut dafür, daß ich selber —“ — „Ah,“ rief Willmann auf die Thüre blickend, „unsere verehrte Wirthin mit der Bowle! Jetzt, mein Bester, hat die Discussion ein Ende. Was von dem Abend noch übrig ist, sey dem Genusse des Tranks und des Schauspiels geweiht!“

Die dampfende Bowle wurde von der Mutter auf den Tisch gesetzt und Rosa füllte die Gläser. Der Punsch, auf Männer berechnet, wurde versucht, ausgezeichnet befunden und gepriesen. Stärke, Süßigkeit und Duft übten ihre Wirkung und erweckten alsbald jenes poetische Gefühl, das die letzten Reste stattgehabter Differenz auslöschte. Der Dramatiker holte sein Manuscript herbei, setzte sich damit zurecht und las das Personenverzeichniß.

Das eigenthümlichste Bild unter den Hörenden gewährte nun die junge Künstlerin. Rosa war dem Gespräch der Gäste mit Aufmerksamkeit gefolgt und hatte an der Art, wie Heinrich zuletzt seine Sätze aussprach und verfocht, eine eigene, tiefe Freude gehabt. Der Poet, den der Geist, der über ihn kam, Ueberzeugungen und Ahnungen klar aussprechen lehrte, hatte auch sie belehrt, und seine Worte waren ihr so einleuchtend erschienen, daß sie für ihn auch als tragischen Dichter neue Hoffnungen faßte. Wie er nun vor Kennern die erste Prüfung bestehen sollte, war ihre Seele nur Interesse und Sorge für ihn. Ihr Gesicht, etwas blässer als gewöhnlich, hatte einen Glanz, der es geistiger und bedeutender erscheinen ließ, und Hallfeld, der sie betrachtete, konnte nicht umhin, die Verwandlung in ihr erkennend, einen Theil der Wahrheit zu ahnen.

Heinrich, sinnlich und geistig gehoben, fand im Text bald den richtigen Ton und las den ersten Akt mit einer Lebendigkeit, einer Wahrheit, daß die beiden Schauspieler wiederholt beifällig nickten. Auch über den Inhalt drückten die Mienen Beistimmung aus.

„Gut,“ rief Hallfeld; „klar angelegt und eingeleitet! Ich habe kaum etwas dagegen zu bemerken.“ — „Der Akt,“ bemerkte Willmann, „löst seine Aufgabe. Der Conflikt, der vorbereitet und angekündigt ist, reizt, und wir begehren die Fortsetzung.“ — „Die ersten Akte,“ meinte Berger, „sind heutzutag meistens gut. Haben Sie die Güte und lesen Sie weiter.“

Der Poet las den zweiten Akt, in welchem sich hauptsächlich der Intrigant entwickelte. Sein artistischer Vertreter lächelte bei den dialogischen und monologischen Aeußerungen, warf einen Blick auf den Poeten, als ob er sich über seine Fähigkeit, derartige Charaktere zu schaffen, wunderte, und rief am Schluß: „Nicht übel! Hübsch! Daraus läßt sich was machen!“

Der Poet, erfreut, entgegnete: „Sonst aber, was haben Sie einzuwenden?“ — „Nun,“ versetzte der Schauspieler, „allerlei. Aber im Wesentlichen bin ich zufrieden, und das Uebrige nach der Lektüre!“

Der dritte Akt war der ernst- und inhaltreichste. Er brachte den wirklichen Zusammenstoß, die Bewährung der Hauptpersonen und, nach charakteristisch erheiternden, die rührendsten, erhebendsten Scenen. Heinrich, wissend, um was es sich handelte, las die letzten Auftritte mit aller Kraft und Innigkeit, deren er fähig war, und der Effekt war bedeutend, um nicht zu sagen hinreißend.

„Bravo!“ riefen Hallfeld und Willmann wie aus Einem Munde, während ihre Blicke eine bewegte Seele verriethen. Die Augen der Wirthinnen waren feucht geworden. Rosa hatte ihrer Rührung und ihres Glückes kein Hehl, und auch Berger nickte mit ernsthaftem Gesicht.

„Dieser Akt,“ sagte Hallfeld, „entscheidet. Die Wirkung auf dem Theater wird durchschlagend seyn, oder Alles müßte mich täuschen. Und jetzt,“ fügte er lächelnd hinzu, „zweifle ich nicht mehr, daß auch die beiden letzten Akte gut seyn werden. Handlung und Dialog bleiben bei der Klinge — ein schützender Genius muß über dem Ganzen gewacht haben.“

Heinrich, mit einem Blick auf Rosa deutend, erwiederte: „Hier sitzt er in der Gestalt unserer edeln und liebenswürdigen Freundin!“

„Das,“ rief Berger, „hab’ ich mir freilich schon lange gedacht! Alle Achtung vor Ihrem Talent, mein Herr Poet! Aber der Schritt vom offenbaren Un- d. h. von offenbarer Ueberphantasie zu Verstand, Sinn und Grazie macht man von selber nicht so schnell. Eine gütige Fee mußte Ihnen helfen; und wie ich sehe, hat sie Ihnen geholfen, vielleicht mehr, als wir jetzt noch denken.“

„Sie thun dem Dichter Unrecht,“ entgegnete Rosa mit ernstlichem Verweisen. „Mein Antheil an dem Stück ist sehr gemessen. Wenn Sie wollen, hab’ ich im Kriegsrath meine Stimme abgegeben, die Schlacht aber hat er gewonnen.“ — „Die Schlacht,“ versetzte Berger, das Haupt wiegend, „ist eigentlich noch im Gange, und obwohl die Zeichen auf Sieg deuten, so ist doch noch Alles möglich.“

Der Dramatiker las den vierten Akt. Während der ersten Hälfte schüttelte Berger ein paarmal den Kopf, wie einer, der ungeduldig wird, und sah dann mit halbgeschlossenen Augen für sich hin; bei der zweiten dagegen hellten seine Mienen sich auf und am Schluß ergriff er zuerst das Wort. Die Wendung der Intrigue gegen den Anspinner,“ sagte er, „hat — ich kann’s nicht anders sagen — etwas Feines, und die Scene zwischen Anna und dem alten Studenten ist geradezu lustig. Ueberhaupt, die Anna gefällt mir, und,“ setzte er mit einem fein bedeutsamen Blick auf Rosa hinzu, „ich habe allen Grund, zu vermuthen, daß sie auch dem Publikum gefallen wird. Ich wittere hier etwas wie einen Triumph.“ — Die Gesichter erheiterten sich, und Rosa dachte bei sich: Das ist nicht ohne Mühe gewesen!

„Nun,“ rief Willmann dem Poeten zu, „lesen Sie schnell den letzten Akt! Wir sind im Zuge! Fängt doch sogar Mephistopheles an zu loben!“ — Berger drohte mit dem Zeigefinger und der Doktor lächelte.

Heinrich las weiter. Die Hörer, zu guter Letzt, nahmen sich ernstlicher zusammen, und da auch der Inhalt vorherrschend ernst war, saßen sie mit beinahe feierlichen Mienen da. Jeder war in sich gekehrt, und nur ein scharfes Auge hätte die Andeutung besondern Wohlgefallens bei dieser und jener Einzelheit bemerken können. Der Schluß — ein zierlich erhebendes Wort des Glücklichen, der die gerettete Antonie heimführte — entfesselte aber Herzen und Zungen, und in den Seelen Heinrichs und Rosas weckten herzlich lebhafte Rufe der Anerkennung Schauer der Freude.

„Die Schlacht ist gewonnen!“ rief Hallfeld mit pathetischem Beifall. „Was man im Einzelnen auch noch einwenden kann, das Ganze dringt in’s Herz und gewinnt es!“ — „Und das ist die Hauptsache,“ fuhr Willmann zum Poeten gewendet fort. „Ich kann’s nicht verschweigen, ich fühle eine gewisse Verwunderung, daß es Ihnen so gut gerathen ist, aber — um so besser! Jetzt sind Sie über’m Berg!“

Heinrich, nachdem er beiden mit Händeschütteln gedankt, schaute auf den Komiker, der nach einem allgemeinen Ausruf der Billigung stumm dagesessen hatte und nun ein Gesicht machte, als ob ihm des Lobes viel zu viel wäre. „Und Sie?“ fragte der Poet. „Lassen Sie die Kritik hören, die Sie versprochen haben! Ich bin gefaßt — gerüstet!“

„Nun,“ erwiederte der Schauspieler mit einem gewissen Behagen, „dießmal wird es gnädig abgehen. Im Ganzen halt’ ich das Drama für einen guten Wurf und zweifle nicht, daß wir es mit Glück aufführen können, falls nämlich darin gewisse unerläßliche Aenderungen vorgenommen werden.“ — „Und die sind? Ich höre, mein Herr Regisseur!“ — „Sie haben,“ fuhr jener fort, „immer noch zwei Neigungen, die ich als Schauspieler, dem einige Erfahrung zur Seite steht, sehr bedenklich finden muß, weil Sie in den Dialog etwas fatal Aufhaltendes und Lähmendes bringen.“ — Heinrich, ernster geworden, sah ihn fragend an. — „Zunächst einen Hang zu einer gewissen Umständlichkeit in der Entwicklung der Gedanken und einer allzu gründlichen Motivirung. Man kann auch zu viel motiviren, werther Herr; ja, man kann sogar etwas zu Tode motiviren!“

Dieser Spruch, der die andern erheiterte, traf den Poeten bis zur Verlegenheit. Berger, nachdem er sich daran geweidet, fuhr fort: „Lebendige Menschen, die wir Schauspieler ja doch vorstellen, müssen aus ihrem Charakter heraus handeln und dürfen nicht jeden Entschluß, den sie fassen, durch eine lange Demonstration einleiten. Sie haben aber im zweiten, am Anfang des dritten, namentlich aber in der ersten Hälfte des vierten Aktes Entwicklungen beliebt von wahrhaft physiologischer Gründlichkeit. Wenn ich bedenke, daß ich schon beim Lesen davon chokirt worden bin, so kann ich von der Bühne herab nur eine geradezu unangenehme Wirkung prophezeien.“

„Das ist wahr,“ bemerkte Hallfeld ernsthaft, „und das muß allerdings geändert werden.“ — „Sodann,“ fuhr der Andere fort, „zeigen Sie immer noch eine Tendenz zu einem Pathos, das ich, ohne Sie damit beleidigen zu wollen, hochtrabend nennen möchte. Ich will Ihnen zwar bekennen, ich wundere mich, daß der Verfasser der historisch-romantischen Tragödie darin nicht noch viel mehr geleistet hat, und mache Ihnen über die Bekehrung mein aufrichtiges Compliment. Aber es finden sich doch noch einige starke Proben in dem Stück, und wie begreiflich sind es gerade die edeln Liebenden, die sich dadurch hervorthun. An wenigstens vier Stellen wünsch’ ich eine tüchtige Beschneidung.“

„Wenn es seyn muß —“ versetzte Heinrich zögernd. — „Es muß seyn,“ entgegnete der Regisseur mit Nachdruck; „für die Aufführung unter allen Umständen! Ueberhaupt,“ fuhr er nach einem Moment lächelnd fort, „kann ich Ihnen nicht verhalten, daß mir Ihre Anna um ein Gutes besser gefällt als Ihre Antonie. Diese soll zwar viel bedeutender, hochgesinnter und tieffühlender seyn, das sieht man wohl, und verwandten Seelen mag sie auch so vorkommen. Für mich hat sie aber eine Art von Prätension, die mir nicht recht munden will. Die andere ist bescheidener, aber eben darum ansprechender, wohlthuender. Kurz gesagt: die Antonie (vorausgesetzt, daß ihr noch einige hochgehende Reden gestrichen werden) ist mir interessant, aber die Anna lieb’ ich.“

Heinrich, durch diese vergleichende Würdigung in’s Herz getroffen, war plötzlich erröthet, um den Mund Rosas zuckte dagegen ein Lächeln, das unter dem Schleier des Ernstes eine innige Genugthuung verrieth. Hallfeld, der das Erröthen Heinrichs aus der Verletztheit des Poeten ableitete, glaubte sich in’s Mittel schlagen zu müssen. „Ich denke nicht ganz so wie Freund Berger,“ versetzte er. „Die Anna ist reizend, aber die Antonie hat ihre eigenen Vorzüge, und so viel sie weniger gefällt, so viel mehr imponirt sie.“ — „Die Geschmäcke,“ bemerkte Berger, „sind verschieden. Ich halte aber dießmal den meinen für besser und habe Sie stark in Verdacht, daß Sie ihn im Stillen theilen. Doch davon ist nicht weiter zu reden.“

„Zur Sache denn!“ fuhr Hallfeld fort. „Das Stück wird nicht über drei Stunden spielen; für ein Schauspiel ist das aber doch zu lang und der Dichter wird daher noch etwelche Striche zu dulden haben.“ — „Immer zu!“ rief der Poet. — „Es wird so arg nicht werden,“ entgegnete Hallfeld. „Eigentlich ist das Stück schon gestrichen und man sieht auch daraus, daß nicht nur Kennerinnen, sondern Künstlerinnen die feine Hand im Spiele gehabt haben.“ — „Gott vergelt’s ihnen!“ rief Heinrich mit Laune.

„Reichen Sie nun,“ fuhr der Regisseur fort, „das Stück ohne Weiteres ein. An der Annahme ist nicht zu zweifeln; die Intendanz wird nach einem versprechenden Schauspiel, in dem noch dazu nichts Anstößiges vorkommt, mit beiden Händen greifen, und das Uebrige ist unsere Sache.“ — „So möge es denn,“ rief Berger, „eingehen in’s Fegfeuer der Regie, um, nach glücklichem Bestehen desselben, auf dem Repertoire zum ewigen Leben zu gelangen!“

Man stieß an, trank und spann nach Abmachung der Hauptsache, trotz der vorgerückten Zeit, ein zwangloses Gespräch fort, worin man gleichwohl immer wieder auf das Stück zurückkam und namentlich unter allerlei pikanten Bemerkungen die Rollen besetzte. Endlich, als durch eine nochmalige Füllung der Gläser die Bowle erschöpft war, erhob sich Willmann, der zuletzt überlegend dagesessen hatte, mit einer Art humoristischer Feierlichkeit in seinem Gesicht, und sprach:

„Meine Damen und Herrn! Wir haben heut einem Akte beigewohnt, den man, genau genommen, einen weltgeschichtlichen nennen müßte. Der unvermeidliche Schritt vom Idealismus zum Realismus, von despotisch eigenmächtiger Phantasie zur Natur und Naturwahrheit, der die Eine Aufgabe der Gegenwart bezeichnet, ist vollzogen von einem Manne, der noch vor Kurzem mit germanischer Innigkeit und Leidenschaft an der großen Zauberin und Männerverlockerin hing. Freuen wir uns dieser That auf der einen, dieser Eroberung auf der andern Seite! Freuen wir uns als wohlwollende Herzen, daß es dem begabten Freunde gelungen ist, von dem Dämon, der ihn im Kreis herumgeführt hat, sich loszureißen und der schönen grünen Weide froh zu werden! Er ist angekommen auf dem heitern Plan, wo muntere Gesellschaft in offenen Gezelten tafelt und denjenigen, der ihr Vergnügen erhöht, königlich zu beschenken willig ist. Die Welt, meine Freunde, ist nicht undankbar. Wer sie erquickt, den erquickt sie wieder; ihr Dank entspricht der Gabe und dem realen Spender kommt realer Segen in’s Haus. Klar zu reden: was verlangt die Welt eigentlich von uns, den heutigen Schriftstellern? Daß wir ihr Menschen zeichnen. Wer aber Menschen zeichnet, der zeichnet nicht nur Leidenschaft und Natur, sondern auch Gemüth und Geist und alle Tugenden, die in Menschen sich finden. Und wer’s versteht, der rundet sein Gemälde, daß es anzieht, fesselt und die reizende Wirkung eines Kunstwerks macht. Wir Realisten lassen es uns nicht nehmen, daß wir im Grunde auch die rechten Idealisten sind. Haben wir nicht eben von einer solchen Verbindung den Beweis erlangt? Sind wir nicht erhoben worden in höhere Regionen durch den Aufschwung edler Seelen, und sind uns nicht Thränen idealer Ergriffenheit in’s Auge gedrungen? Ja fürwahr, unser Freund hat nicht nur einen Schritt, er hat einen Sprung gemacht, und wie ein Löwe vom alten Standpunkt auf den neuen sich stürzend, ein Werk vollbracht, dem gegenüber die Lästerungen und Verleumdungen der Zurückgebliebenen schmählich zu Boden fallen werden. Hat ihm dabei eine holde Fee liebevoll geholfen — preisen wir ihn glücklich und benedeien wir die Fee! Wir können nichts ohne Feen! Wohl uns, daß, nachdem die fabelhaften sich uns entzogen haben, die realen, die besseren uns geblieben sind! Der Schutzgeist unseres Dramas, die Grazie des Theaters, die liebenswürdigste aller Feen, um so liebenswürdiger, als sie lebendig, wirklich ist — sie lebe hoch!“

Alle erhoben sich; unter freudigen Hoch- und Bravorufen der Männer stieß man an, trank, trank aus und schüttelte sich mit glänzenden Mienen die Hände. Der Moment des Scheidens war gekommen, und man trennte sich in der heitersten Stimmung.

Wenn der Dramatiker eine tiefe Befriedigung mit nach Hause nahm, so war das Gefühl, das die Seele der Künstlerin durchdrang, nicht minder beglückend und hatte einen edleren, größeren Charakter. Der Zweck, den ihr liebendes Gemüth sich gesetzt, war erreicht. Heinrich hatte nicht nur ein Drama zu Stande gebracht, dessen Erfolg ihr über jeden Zweifel erhaben schien, er hatte als Bühnendichter die fördernden Einsichten erlangt, sich gebildet, seine Fähigkeiten in seine Gewalt bekommen, und was er nun fernerhin unternahm, das konnte ihm nicht anders als gerathen. Der Grund seines Lebensglücks war gelegt, durch sie gelegt! Dieser Gedanke erfüllte sie und erhob sie dergestalt über sich selbst, daß in dem süßen Stolz der Großmuth auch die Vorstellung, wie die Früchte des durch sie möglich gemachten Siegs einer Andern zu Gute kamen, nichts Betrübendes für sie hatte, sondern Vielmehr etwas Wohlthuendes. Die Entsagende gönnte der Besitzenden nicht nur ihr Glück, sie war sicher, daß sie es ruhig, ja freudig mit Augen sehen werde.

VIII.

Nach wenigen Tagen war Heinrich im Stande, das nochmal durchgesehene Stück dem Theater zu übergeben. Er verfügte sich mit dem Manuscript zum Intendanten und wurde mit einer Freundlichkeit empfangen, die ihn gleich in die beste Stimmung versetzte.

Baron von Dachburg, ein stattlicher Herr in den Fünfzigen, nahm das Manuscript artig in Empfang. „Ich habe,“ bemerkte er mit dem Wohlwollen eines Hochgestellten, „von dem Werk schon viel Gutes gehört und freue mich sehr, es kennen zu lernen. Bedenkliches,“ fügte er mit lächelnder Miene hinzu, „politisch Anzügliches ist nicht darin?“ — „Durchaus nicht,“ erwiederte der Autor. „Es bewegt sich rein in der gebildeten bürgerlichen Sphäre.“ — „Das ist gut,“ versetzte jener. „Solche Stücke sieht man jetzt gern und sie halten sich! Nun — soll mir sehr lieb seyn, wenn wir es geben können und damit Glück machen. Sie werden dann mehr für’s Theater schreiben?“

„Die dramatische Poesie,“ erwiederte Heinrich, „wird das Hauptgeschäft meines Lebens seyn. Ich habe schon jetzt neue Entwürfe, und kann die Zeit kaum erwarten, wo ich wieder einen in Angriff nehmen kann.“ — „Vortrefflich!“ bemerkte der Intendant mit Freundlichkeit. „Sie haben sich,“ fuhr er lächelnd fort, „von Ihrem Unfall schnell erholt und gleich ein gutes Werk darauf gesetzt. So ist’s recht! So kommt man vorwärts! Ich muß Ihnen gestehen, ich habe mit Schriftstellern auch Erfahrungen gemacht, die nicht ganz angenehm sind. Mehr als einer, wenn wir ihm ein Stück nicht aufgeführt haben, weil damit nichts anzufangen war, hat sich hingesetzt und unsere Anstalt in Journalen heruntergezogen. Sie haben die Ablehnung nicht übel genommen und sich vielmehr bestrebt, uns ein neues wirksames Stück zu verschaffen; Sie sind ein Dichter, ein Mann von Ehre, und es soll mir eine große Freude seyn, wenn wir Ihnen jetzt auch den wohlverdienten Erfolg verschaffen können.“

Unserem Poeten ging bei diesen Worten des Intendanten das Herz auf und es wandelte ihn fast eine Rührung an. Das Glück — das Ja, die Hoffnung auf das Ja — macht auf den, der unter schmerzlichen Empfindungen das Nein erduldet hat, immer eine liebliche Wirkung; die Zustimmung dringt wie Musik in’s Ohr des Verlangenden, und der, welcher sie ertheilt, gewinnt in seinen Augen selber ein verklärtes Aussehen. Indem Heinrich von solchen Gefühlen durchdrungen war, darin seinen Dank aussprach und dem Intendanten gleichsam entgegen glänzte, machte er auch auf diesen einen immer bessern Eindruck; das Gefallen war gegenseitig, und man schied endlich unter wechselseitigen Höflichkeiten, wobei das eigentlich seynsollende Verhältniß zwischen zwei Gleichberechtigten, die ein gemeinschaftliches Unternehmen besprechen, fast schon erreicht war.

Als der Poet mit freuderothem Gesicht in’s Vorzimmer trat, stand Berger vor ihm. Man grüßte sich und der Regisseur betrachtete den Glücklichen mit forschendem Blick. „Sie kommen vom Herrn Intendanten? Sind charmant empfangen worden?“ — „Allerdings!“ rief Heinrich. — „Beneidenswerther Dramatiker! Jetzt, wenn Sie Flügel hätten, würden Sie doch wohl direkt zur Sonne fliegen?“ Der Poet zuckte die Achsel. „In Ermanglung derselben geh’ ich direkt in’s Weinhaus. Adieu!“

Berger sah ihm nach und sagte für sich: „Er ist mir gar zu glücklich, der junge Mann! Ich fürchte, ich fürchte, das Schicksal hat noch eine Prüfung für ihn aufgespart!“

Zunächst sah es aber nicht darnach aus, als ob diese Besorgniß in Erfüllung gehen sollte. Wenige Tage nachher bekam Heinrich von der Intendanz ein Schreiben zugesandt, worin ihm nicht nur die Annahme seines Dramas gemeldet, sondern hinzugefügt war, daß die Vorstellung noch in dieser Saison statthaben und möglichst beschleunigt werden solle.

Köstliche Eröffnung für einen Poeten, der bis jetzt viel, sehr viel gestrebt, aber sehr wenig Reales erreicht hatte! Und wie reizend es gewesen, Sieg und Ruhm im Geiste vorauszunehmen, da beide noch als bloße Forderungen existirten — der Hinblick auf eine Entscheidung in nächster Nähe, deren glücklicher Ausfall garantirt schien, war doch etwas ganz anderes; eine markig poetische Vorstellung, dem wirklichen Erleben am ähnlichsten, und für ihn, der in dieser Beziehung nur in Phantasien gelebt hatte, ein ganz neues Gefühl.

Ein Verlangen, das er längere Zeit nicht empfunden, rief ein Lächeln auf sein Gesicht. Er nahm den Kalender, der auf seinem Schreibtisch lag, suchte den heutigen Tag auf und ein heiterer Ausruf entfuhr ihm. Der Name war: „Felicitas.“ — Felicitas! Das konnte nicht bloß die Annahme seines Stückes bedeuten, das freilich an sich schon ein Glück war, der ganze Sinn mußte vielmehr seyn, daß Annahme und Aufführung das Glück seines Lebens begründen würden.

In der Freude seines Herzens eilte er zu den beiden Freundinnen. Die günstige Entscheidung war für sie freilich keine Neuigkeit mehr, Rosa hatte sie schon mit nach Hause gebracht, aber die Verbriefung wurde doch mit Jubel aufgenommen. Der gute Poet war so voll Glück und Dank, daß ihn eine Art von Taumel anwandelte; er verwickelte sich in den Artigkeiten, die er noch einmal spenden zu müssen glaubte, aus Ueberfülle seines Herzens dergestalt, daß Worte aus seinem Munde kamen, die fast den Eindruck einer Liebeserklärung machten. Jedenfalls war es eine Freundschaftserklärung der wärmsten Art, die er an die Künstlerin richtete, und ein Händedruck begleitete sie, von einer Zärtlichkeit, welche auf die Wangen der Empfängerin Rosen und auf die Lippen ein süßglückliches Lächeln rief.

Als er fort war, sagte die Tochter zur Mutter: „Es ist doch eine grundgute Seele, unser Dichter! Der immer wiederholte Dank könnte einem lästig werden; aber man sieht daraus eben, daß er wirklich dankbar ist und nicht mit Einer Erklärung den Dienst für abbezahlt hält, und das freut mich doch auch wieder.“

Die Mutter schaute sie an, lächelte und seufzte. „Ach,“ versetzte Rosa, „laß das, gute Mutter! Man muß sich nicht immer heirathen, wenn man sich lieb hat. Im Gegentheil. Manche sind der Meinung —“ — „Geh!“ rief die Mutter. „Stelle dich nicht lustiger als du bist!“ — „Nun,“ fuhr das Mädchen ernster fort, „das mag seyn wie es will. Der Umgang mit diesem Bräutigam hat mir Freude gemacht und ich habe Augenblicke, in denen ich vollkommen glücklich bin. Sind es nur Brosamen, die von des Herren Tische fallen — ich bin damit zufrieden, und damit gut!“ —

Ob die Zufriedenheit Rosas wohl keine Störung erlitten hätte, wenn sie erfuhr, welche Gedanken in diesem Moment den Dichter bewegten? Ein anderer Zug hatte sein Herz ergriffen, eine andere Strömung ging Alles überfluthend durch sein Inneres. Der Moment, den Liebe und Ehrgeiz mit gleichem Glutverlangen herbeigesehnt hatten, war endlich erschienen: er konnte der Geliebten jetzt nicht nur das günstige Urtheil von Kennern, sondern die wirkliche Annahme seines Stücks und die baldige Aufführung melden — Thatsachen, welche die letzten Bedenken im Herzen der Eltern niederschlagen und, durch den Erfolg auf der Bühne gekrönt, ihm die Braut in die Arme führen mußten. Sobald er zu Hause war, schrieb er in diesem Sinn und ergoß die Fülle seines Herzens in einem Bericht, welcher die Glut und den Schwung einer Dichtung hatte.

Man gesteht, daß Heinrich ein Recht hatte, sich glücklich zu fühlen. Freundschaft und Liebe begeisterten ihn. Aussichten auf Erfüllungen, deren Duft ihm berauschend entgegen strömte, hatten sich ihm eröffnet, und zunächst erwarteten ihn Vorbereitungen des großen Unternehmens, die ihm schon als völlig neue Geschäfte reizend erscheinen mußten.

Eines derselben, die Leseprobe seines Dramas, fand in der folgenden Woche statt. Wenn er sich davon einen besondern, oder gar einen künstlerischen Genuß versprochen hatte, mußte er sich freilich getäuscht sehen. Im Grunde machten die Rollenleser das Schauspiel für sich zur Komödie, lasen nach Laune scherz- oder ernsthaft, laut oder murmelnd, versuchten hie und da einen travestirenden Ton und benützten jeden Anlaß, um Heiterkeit an den Tag zu legen. Berger hatte als fungirender Regisseur, der mit dem Autor die Lektüre leitete, die größte Mühe, sich gegen seinen eigenen Muthwillen in der Würde seines Amtes zu erhalten, konnte aber doch nicht umhin, durch ein paar komische Verlesungen allgemeines Lachen hervorzurufen.

Von einer Wirkung des Stücks als eines dramatischen Ganzen konnte nicht die Rede seyn. Auch in dieser Beziehung war es gut, daß der Autor sich durch eigenes Vorlesen hierüber Gewißheit verschafft hatte, denn sonst wären ihm Anwandlungen peinlichen Zweifels wohl nicht erspart worden. Jetzt fand er sich darein und lachte, zum Theil auf seine Kosten, herzlich mit.

In die nächsten Tage fielen Besuche, die Heinrich bei seiner Antonie und seinem Robert (dem Liebhaber) zu machen hatte. Die Künstlerin war nicht mehr ganz jung, aber noch immer von stattlicher Schönheit, darum auf dem Theater, bei der Regelmäßigkeit ihrer deutschen Züge, eine glänzende Erscheinung. Sie hatte die Rolle sehr an’s Herz genommen, erklärte dem Autor ihre Freude darüber und las ihm eine ihr besonders liebe Rede aus dem dritten Akt mit einer Innigkeit, daß der Hingerissene sie unwillkürlich wie etwas ganz Neues selber bewunderte. Auch der Liebhaber war mit seiner Partie ganz zufrieden, konnte pathetisch Uebertriebenes mit nichten darin finden und bemerkte dem Dichter lächelnd, er solle ihn nur machen lassen.

Heinrich überlegte auf dem Heimweg die Erfahrungen der letzten Zeit mit Behagen. Er mußte sich gestehen, daß der Verein von Bildung, Leichtigkeit, froher Laune und gutmüthigem Wesen den Schauspielern etwas eigen Anziehendes und dem Verkehr mit ihnen einen ganz besondern Reiz gab. Daß dieser Verkehr nun in dem gemeinschaftlichen Unternehmen eine praktische Basis hatte und für den Dramatiker, der fort producirte, überhaupt niemals abriß, war ihm ein sehr erfreulicher Gedanke.

Nicht lange, so wurde er zur ersten Theaterprobe gerufen. Als ihn der Fuß zum erstenmal durch die Coulissen auf die Bühne trug, empfand er mit einem gewissen Schauer die ganze Größe des Moments, der ihn in die nächste Nähe einer Lebensentscheidung versetzte. Von Berger und Rosa gebeten, vorläufig nur zu beobachten, nahm er an dem Tische des Regisseurs im Vordergrund Platz und sah wie träumend auf die ersten Inscenirungsversuche.

Die schwache Beleuchtung gab dem ganzen Treiben etwas Geheimnißvolles, Nächtliches — um nicht zu sagen Unterirdisches — das auf den Autor einen wunderseltsamen Eindruck machte. Es war ihm, als ob Gnomen ihm sein Werk abgenommen hätten, um nun auf eigene Weise damit zu wirthschaften und sich eine Unterhaltung daraus zu machen.

Der Zuschauerraum, wenn der Blick sich dahin richtete, gähnte ihn in seiner absoluten Leerheit fragenvoll an. Wird er am Tage der Entscheidung sich füllen? Werden die Gesichter freudig schauen und die Hände mit gefühlt kräftigem Zusammenschlagen jenes gewaltige Rauschen bewirken, das als entzückende Harmonie in die Ohren der Schauspieler — des Dichters dringt?

Große Frage! Mächtiges Anliegen! Aber der Raum antwortete nicht und sah in seinem braunen Dunkel auf ihn her — ein Symbol mystischer Allmöglichkeit. War doch auch die Handlung, die dem Publikum vorgeführt werden sollte, noch äußerst im Werden — ein Kommen und Gehen, ein Versuchen und Wiederversuchen, ein Recitiren, wobei der Souffleur allgegenwärtig helfen und wieder helfen mußte, um oft nur schlechten Dank dafür zu ernten.

Man hatte sehr Recht gehabt, dem Autor dieses erste Experiment in Bezug auf Wirkung als nichts beweisend zu charakterisiren. Darüber unterrichtet wurde es ihm nach und nach geradezu heimlich zu Muthe. Er sah sich in das wundersame Treiben verflochten, eingesponnen, und die zweite Hälfte schien ihm nun bereits auch mehr Façon zu bekommen. Die erste Liebhaberin und Rosa waren ihrer Partien schon fast ganz mächtig, wurden in einzelnen Auftritten zu förmlichem Spiel erwärmt und erquickten den Poeten durch den reinen kräftigen Herzensklang der Rede. Er selber faßte den praktischen Zweck in’s Auge und machte Vorschläge zu Stellungen, die ein paarmal sogar befolgt wurden.

Die verhältnißmäßige Befriedigung, die er zuletzt empfand, wurde übrigens getrübt durch eine hingeworfene Bemerkung Bergers. „Das Stück,“ sagte dieser, als sie zusammen das Theater verließen, „ist doch noch zu lang. Uebermorgen werden wir hierüber klar sehen, und dann müssen Sie unter Umständen noch ein paar tüchtige Schnitte machen.“

Die zweite Probe begann auf eine für den Dichter sehr anziehende Weise. Die Rollen waren unvergleichlich besser gelernt und die Reden gingen so rasch vom Munde, daß sie bereits im Zusammenhang auf ihn zu wirken begannen. Die Wahrnehmung der beginnenden Organisation, des lebendigen Zusammengreifens, erquickte und hob seine Seele. Welch ein Gefühl, den Dialog, den er in einsamer Stube geschaffen, hier zu vernehmen aus dem Munde von Künstlern, die alle den ihnen angewiesenen Theil zur eigensten Sache machten! Welche Lust, die Gestalten, die er nur als Bilder des Geistes besaß, durch sie verkörpert und die vorzüglichsten eine Innigkeit, Kraft und Leidenschaft offenbaren zu sehen, daß Entschlüsse und Worte mit Nothwendigkeit in ihnen sich erzeugt zu haben schienen! Es war von ihm, was er hörte und sah, und doch etwas Anderes: gefärbt, gemodelt durch die Individualität des Schauspielers, neu geworden durch eigenthümliche Natur und Kunst und zum Theil in einer Weise potenzirt, daß er, der Autor, es selber zu beklatschen große Lust empfand.

Ein tiefes Bewußtseyn der Macht durchdrang ihn. Er war Urheber dieser Aktion, die sich zum Kunstwerk vollenden wollte! Er war das Princip, das mittelst liebevoller Organe die Gebilde seiner Phantasie in die Sinnenwelt treten sah! Freilich erlangten die Ideen erst ihre Vollendung durch die Organe, die das aus sich hinzugaben, was jenen noch fehlte, die sinnliche Realität. Allein in dem Bunde des Dichters mit dem Künstler war jener doch die erfindende, anordnende, vorschreibende, dieser die reproducirende, ausführende Macht. Nicht so — das fühlte er natürlich — als ob die Kunst des Schauspielers überhaupt keiner Erfindung bedürfte, die im Gegentheil auf’s dringendste gefordert war; aber die Kraft des Poeten war eine Kraft zur Schöpfung, die Kraft des Schauspielers eine Kraft zur schönen Aeußerung des bereits Geschaffenen und verhielt sich mithin zu jener als weibliche zur männlichen.

Wenn er daraus nicht von selber den Schluß zog, daß der Dichter gegen Schauspieler überhaupt — auch gegen die männlichen — galant zu seyn habe, so wurde es ihm durch Erfahrung beigebracht.

Der erste Liebhaber, der heute förmlich zu spielen begann, machte einmal einen Accentfehler, und der Poet rief ihm das hervorzuhebende Wort mit der Lebhaftigkeit eines Verletzten zu. Die Folge war ein sehr markirter Verdruß auf dem Gesicht des Künstlers, der solche Einhülfe nicht gewohnt zu seyn schien. Heinrich fühlte, daß die Oeffentlichkeit der Correktur nicht angebracht sey, verhielt sich bei einem zweiten Fehlgriff schweigend, und benutzte eine kräftige Schlußrede des Herrn, um durch lauten Beifall sein Gesicht wieder aufzuhellen. Dann ging er mit ihm auf die Seite und schlug die richtige Accentuirung vor. Der Schauspieler nickte lächelnd, und Heinrich gab in seinem Innern dem geheimen Verfahren den Vorzug.

Als er in der Seele vergnügt auf die Bühne zurückkehrte, trat ihm Berger entgegen und sagte: „Es thut mir leid, Ihnen eine doch vielleicht unangenehme Bemerkung machen zu müssen. Der so schöne dritte Akt hat einen großen Fehler: er ist zu lang. Im fünften und sechsten Auftritt kommen Reden vor, die nicht eigentlich zur Sache gehören, sie müssen heraus!“

„Aber, lieber Freund,“ rief Heinrich nach einem Moment der Ueberlegung, „das sind ja gerade die schönsten Stellen!“ — „Thut nichts! Sie müssen heraus!“

„Ah,“ rief der Poet, „Spiele des Geistes — Lichter, die einige Minuten in Anspruch nehmen!“ — „Sie müssen heraus, sag’ ich Ihnen!“ — „Wenn ich sie nun aber nicht streiche?“ — „Das ist etwas Anderes,“ entgegnete der Regisseur. „Dann wasch’ ich meine Hände in Unschuld.“

Der Poet, mit humoristischem Unmuth, der aber einen guten Theil Ernst enthielt, stampfte den Boden. Der Regisseur betrachtete ihn vergnügt, zuckte die Achseln und sagte: „Probiren wir die letzten Akte! Mir schwant sogar noch etwas?“ — „Was?“ rief der Poet, „noch etwas?“ — „Ich vermuthe sehr,“ entgegnete der Andere. Und indem er ihn mit väterlicher Freundschaft ansah, fuhr er fort: „Ja, ja, mein Bester! Das Fegfeuer, von dem ich neulich sprach, ist keine bloße Floskel! Man muß wirklich hindurch und die Flecken müssen weg, sonst kommt man nicht — Doch da naht Vater Hallfeld mit dem Liebespaar, hören wir sie!“

Der vierte Akt ging sehr gut vorüber. Berger that hier, wie schon im zweiten, sein Bestes, wirkte sogar auf die Schauspieler ergötzlich und fand nun, daß an diesem Akt, obwohl er Zeit genug in Anspruch nahm, doch nichts zu streichen sey. Beim Beginn des fünften sah er auf die Uhr. Er ließ ihn ruhig spielen, agirte seine Partie zu Ende, nickte aber bei den letzten Scenen mit einem Ernst, der etwas Drohendes hatte.

Als das letzte Wort gesprochen war, holte er zu der Gruppe der noch Anwesenden den Poeten herbei und sagte: „Die Probe ist gut gegangen; wir haben sogar wunderbarer Weise keine Scenen wiederholen müssen und können mithin sagen, wie lang das Stück spielen wird. Ueber drei Stunden immer noch, und das ist so lang, daß es dem Stück den Untergang bereiten kann.“

„Ueber drei Stunden?“ rief Hallfeld ungläubig. — „Ueber drei Stunden,“ erwiederte Berger, „mit dem ersten und dritten Zwischenakt, die wegen zweier Umkleidungen eine längere Zeit beanspruchen.“ — „Das ist wahr,“ versetzte Hallfeld nach einem Moment des Erwägens.

Rosa schaute besorgt auf den Dichter. „Da muß noch gestrichen werden!“ — rief sie. — „Meine Ansicht und mein Antrag,“ versetzte Berger — „Herr Dichter, ich kann Ihnen nicht helfen! Sie müssen aus dem dritten Akt herausbringen, was ich Ihnen schon gesagt habe, außerdem aber die letzten Scenen des Stücks kürzen, umarbeiten, wie Sie wollen, so daß sie Schlag auf Schlag gehen. Wenn der Zuschauer auf das Ende hinsieht, dann hat er keinen Sinn mehr für nebenläufige Interessen und für schöne Reden, die nicht absolut zur Handlung gehören. Wie der Blitz muß es herabfahren, nichts darf aufhalten! Ihre letzten Scenen halten auf, bringen Sentenzen, Beleuchtungen, die auf dem Theater überflüssig sind. Aendern Sie! Wir haben noch zwei Proben — es geht noch!“

Die Schauspieler ohne Ausnahme stimmten zu, und der Poet gab sich. Berger lobte ihn; dann, zu Hallfeld und Rosa gewendet, fuhr er fort: „Meine Herrn und Damen, wir haben uns eben wieder einmal getäuscht. Wenn auch unser altbewährter Spruch, daß Alles, was beim Thee oder Punsch gelobt wird, nichts tauge, dießmal glücklicherweise keine Anwendung findet, so ist uns doch in der süßen Betäubung des Getränks und der Freundschaft bei den letzten Scenen die Schlange hinter Blumen entgangen — mir sogar, der ich mich noch am meisten des kritischen Umherspähens beflissen habe. Freuen wir uns, daß wir es noch in der eilften Stunde gemerkt haben und lassen wir uns nun das wohlverdiente Mittagbrod schmecken!“

Wer der letzten Aufforderung am wenigsten nachkommen konnte, war der Poet. Er aß in seinem Speiselokal mit Hast, begab sich nach kurzem Gang in laulicher Luft heim und machte sich entschlossen an die Arbeit. Die beanstandeten Zierlichkeiten im dritten Akt strich er seufzend. „Dieser Einfälle,“ sagte er sich, „hab’ ich mich gefreut, sie sind unläugbar fein und schön, und nun müssen sie weg!“ Die neue Verbindung, nachdem er sie fertig gebracht, schien ihm lange nicht so elegant, wie die gestrichene. „Aber was thut’s?“ rief er ironisch. „Sie hat ja einen Vorzug, der alle andern aufwiegt: sie ist kurz!“

Die zweite Operation war ungleich schwieriger. Hier, wenn auch manches aus den vorliegenden Scenen zu brauchen war, galt es eine völlige Umarbeitung, und wie sollte ihm diese jetzt gelingen? Wie sollte er ohne Freiheit, ohne Behagen, ohne Begeisterung eben das Beste, das Ende gut Alles gut auf’s Papier werfen?

Er erfuhr nun aber, was wir Alle schon erfahren haben: daß der Drang der Nothwendigkeit die Initiative des Genius ersetzen kann. Das Unumgängliche glüht wie Feuer auf uns her, die Gefahr erregt, erhitzt uns, eine stille Wuth gedeiht zu förmlicher Begeisterung: der Sprung wird gewagt — und er glückt.

Drei Stunden waren vorübergegangen, als die Aenderungen vor ihm lagen; aber sie freuten ihn selbst. Schlag auf Schlag! Der verwünschte Regisseur hatte Recht: so war’s besser! Nun mußte er die Aenderungen noch in die verschiedenen Rollen einschreiben, die er mitgenommen hatte. Er that auch dieß, und besorgte dann die Rollen an ihre Inhaber, zum Theil in eigener Person. Todtmüde kam er nach Hause, und überlegte, auf das Sopha gestreckt, wie groß der Erfolg seiner Arbeit seyn müsse, um ihn für die Aufregungen und Strapazen dieser Tage nur einigermaßen zu entschädigen.

Einen Lohn brachte ihm doch schon die dritte Probe. Berger, nachdem er die Aenderungen gelesen, rühmte ihn und drückte ihm die Hand. „Es hat weh gethan,“ sagte er dann, „der Schnitt in’s Fleisch? Was? Aber ’s ist besser so! Beim Teufel, gut haben Sie’s gemacht! Famos!“ Lächelnd trat er einen Schritt näher und sich heiter feierlich neigend, setzte er hinzu: „Succès complet!

Die Wangen des Poeten, die von Mühen und Sorgen etwas gebleicht waren, überzogen sich bei dieser Zustimmung mit Röthe. Die Probe begann und er folgte ihr mit Freude. Zum drittenmal hörte er nun seine Worte; aber sie klangen nur um so traulicher zu ihm her, besonders aus dem Munde der anmuthigen Schauspielerinnen, die ihnen die schönste Seele einzuhauchen wußten. Der Dialog überhaupt ging flüssig, und die Effektmomente traten als solche deutlich hervor.

Die nächtliche Scenerie des Lokals, die ihn zuerst so seltsam angemuthet hatte, machte nun in ihrer Heimlichkeit einen vergnüglichen Eindruck auf ihn. Es lag in dem Thun und Treiben ein Reiz, wie ihn das verborgene Schmieden eines Complottes haben mag, das zum Sieg der Betheiligten führen soll. In Puppenhülle geschah die Vorbereitung des Schmetterlings, der an’s Licht treten und in prachtvoller Entwicklung alle Welt erfreuen sollte.

Die neuen letzten Scenen erprobten sich vollständig. Man gratulirte dem Poeten von allen Seiten, und Rosa nickte mit gesenkter Wimper selig lächelnd. „Das hat Mühe gekostet,“ rief sie ihm zu, „nicht wahr? Aber es ist der Mühe werth gewesen!“ — „Das mein’ ich auch,“ rief Berger. „Was wollen Sie? Wir haben wieder einmal ein Stück, und damit Punktum!“

Als Heinrich mit auffallend heiterem Gesicht in das Speisehaus trat, das er seit Wochen regelmäßig besuchte, ließen sich die dortigen Bekannten Bericht erstatten, drückten ihr großes Verlangen aus, das Stück zu sehen, und die gutgelaunten übten sich einstweilen im Klatschen. Der Poet, überall von wohlthuenden Wellen umspült, aß mit Lust und gründlichem Appetit. Nach einem tüchtigen Spaziergang suchte er die Ruhe seiner Stube und fand ein Schreiben von Auguste. Mit begreiflicher Hast, denn er hatte lange darauf gewartet, erbrach, mit ernstem Gesicht las er es.

Es war die lebendigste, wärmste Theilnahme, die sich darin für ihn ergoß, aber durch einen dunkeln Ton der Sorge, um nicht zu sagen der Wehmuth, überschattet. Die Geliebte, die freilich nur aus der Ferne zu sehen vermochte, schien den Hoffnungen, die er an seine letzten Erfahrungen geknüpft hatte, keinen vollen Glauben schenken zu können. Um so inniger und feuriger waren ihre Wünsche für ihn, um so dringender ihre Ermahnungen. Eine fast mütterliche Zärtlichkeit sprach aus dem Brief. „Ach, lieber Heinrich,“ rief sie ihm zu, „du machst dir keine Vorstellung, wie dein Glück der Gedanke meines Herzens ist, wie mich die Sorge für dich zittern macht! Dein Lebensplan ist ungewöhnlich und begeisternd, aber umgeben von Gefahr, Sorgen und schweren Mühen. Ach, wohl müssen die Dichter ihre Befriedigung finden in ihrer Arbeit selber, denn wie gering ist eigentlich ihr Lohn, und wie gehässig wird ihnen auch der geringe noch streitig gemacht! Wie müssen sie alle Kräfte des Geistes und Herzens anstrengen und den höchsten Fleiß anwenden Jahre hindurch, um endlich zu haben, was Andere spielend, im Vorbeigehen erwerben! Und doch, wenn der Erwerb auch Nebensache ist, so gehört er doch nothwendig zum Leben. Das Schaffen, wie göttlich es an sich ist, muß sich doch, leider, auch irdisch lohnen. Ich sehe dich nun schon Jahre lang streben und ringen und von einer Arbeit zur andern gehen; und mich ergreift eben jetzt, wo du mir so sicher den Erfolg ankündigst, eine Furcht, die mich verzagen macht. Möge es dir gut gehen, theurer Heinrich! Mögest du alles gehoffte Glück erlangen! Dieß ist der brennende Wunsch meiner Seele, der meinem Herzen ausgepreßte Ruf, den ich an dich aus der Ferne richte!“

Heinrich legte den Brief still aus der Hand. Die Geliebte hatte sich noch nie mit so leidenschaftlicher Innigkeit, aber auch noch nie so geängstigt, so gedrückt gegen ihn ausgesprochen. War die Stimmung in ihrer Familie gegen ihn eine zweifelnde, schlimmere geworden? Hatte sie von den Eltern zu leiden? Nach einem Schweigen aufathmend, rief er: „Wahrlich, ein Erfolg thut mir jetzt noth! Ich sehe, daß die Familie einen greiflichen Beweis meiner Kunst verlangt, und im Grunde hat sie dazu auch das Recht. Gott sey Dank, daß ich nur noch einen Tag vor der Entscheidung stehe.“

Eingangs hatte Auguste gemeldet, daß sie ihm schreibe vor ihrer Abreise zu Kronfelds, deren dringender Einladung sie nicht länger habe widerstehen können. Ihm war es nun tröstlich, daß sie hier Zerstreuung finden würde, bis er selber kam und durch die glückselige Botschaft alle Sorgen zerstreute. Denn das wollte er thun. Was die Zeitungen bekannt machten, das konnte er nicht hindern; aber er selbst wollte brieflich nichts melden, sondern in Person den Bericht erstatten und den Lohn aller Anstrengungen, die Wirkung genießen.

Die vierte und letzte Probe — am Tage der Aufführung selber — ging so glatt wie eine Vorstellung. Heinrich mußte glauben, was ihm von mehreren versichert wurde, daß die Rollen auffallend gut gelernt seyen. Berger, der die Bemerkung auch machte, fügte hinzu: „Das ist der Vortheil des Schauspiels und der natürlichen Prosa. Verse würden sie heute noch stottern und unter Kunstpausen vom Souffleur herauflangen müssen.“

Obwohl ihm schließlich von Allen das Beste prophezeit worden war, so hatte der Autor gegen Abend auf seiner einsamen Stube doch eine sonderbare Empfindung. Der Tag war trüb und es begann fein zu regnen; günstiges Wetter in Einem Betracht, das aber doch einen grauen Flor über seine Seele warf. Er hatte sich so lange ritterlich gehalten, unser Dramatiker; nun, in thatenloser Stille, kamen ihm wieder Gedanken, und mit den Gedanken Zweifel. Sein Herz fing zu seiner eigenen Ueberraschung wieder an zu klopfen, und ein leichter Schauer ging ihm über den Leib. Er konnte sich’s nicht wegläugnen, er bekam, was man eine Gänsehaut zu nennen pflegt, und aller gute Muth, aller Trotz, der in ihm lag, war nöthig, die Bängniß einigermaßen zurückzudrängen und darüber zu lächeln.

Unstreitig, für ihn handelte sich’s um keine gewöhnliche Entscheidung. Auch derjenige, bei dem an solchem Tag nicht das ganze Lebensglück, sondern nur ein bescheidener Theil davon auf dem Spiele steht, kann doch, wenn Alles gethan und fest bestimmt ist, mit empfindlichem Unbehagen die letzten Stunden des Harrens verbringen. Eben die Muße, die ihn zur Passivität verurtheilt, macht ihn zum bloßen Instrument, worauf nun beunruhigende Geister nach Lust und Laune spielen können. Bei Heinrich erhielt aber in Folge seiner besondern Verhältnisse und einer ihm eigenen Feinfühligkeit alles das eine abnorme Steigerung. Am Morgen schon, als er zur Probe ging, waren seine Augen durch die Theaterzettel erschreckt worden, die ihm von den Straßenecken entgegenschauten und zuzurufen schienen: „Unwiderruflich!“ Es war ihm gewesen, als ob man es ihm ansehen müßte, daß er der Heinrich Born sey, der mit so fetter Schrift auf dem Zettel prangte, und er hatte sich darum an dem ersten sachte vorbeigeschlichen. Die Glückwünsche bei Tisch hatten für ihn heute einen Klang gehabt, in den etwas dämonisch Gefahrdrohendes eingemischt war. Die scherzhafte Laune von gestern hatte sich auch bei den muntersten Tischgenossen in Ernst verwandelt und keiner von ihnen hatte ihm ein belustigendes Wort mit nach Hause gegeben. Nun saß er da, völlig allein, sah die Frist kleiner und kleiner werden, die ihn von dem Ereigniß trennte, und dieses trat ihm in riesiger Bedeutung vor die Seele. Er dachte an das Tribunal, vor das er sich zu stellen hatte, an die Neigung, die Stimmung des Publikums, auf die Alles ankam und die gleichwohl unberechenbar war; an mögliche Zwischenfälle, die störend, ja verderblich werden konnten; an das Handgreifliche der Niederlage vor einer öffentlichen Versammlung, die sich ablehnend verhielt oder gar mit entrüstetem Lärm verdammte — und trotz Allem schien er einen Wurf wagen zu müssen, oder schien man (denn die Sache war ihm ja bereits ganz aus der Hand genommen) einen Wurf zu wagen in seinem Namen, der ganz eben so gut Alles verlieren wie gewinnen konnte.

Aus dem Sturm der Gefühle, welche diese Gedanken in ihm erregten, erhob er sich gewaltsam. Er kleidete sich an — in sein bestes Gewand; denn war er zum Opfer bestimmt, so wollte er als Opfer wenigstens auch geschmückt seyn. Die Uhr des nächsten Thurmes schlug sechs, er hüllte sich in seinen Mantel, setzte den Hut auf und ging gegen die Thüre.

Auf einmal stand er und kehrte sich um. Mit einem Ausdruck, als ob er eine förmliche Thorheit beginge, die er aber doch nicht zu lassen vermöchte, trat er zum Schreibtisch, nahm den Kalender zur Hand und suchte den Patron des Tages. Er las: „Emanuel.“ Ernste, aber gute Vorbedeutung. Beruhigter machte er sich auf den Weg zum Theater.

In dem Kunsttempel, der heute für ihn die Bedeutung einer Arena hatte, angekommen, begab er sich auf die Bühne, wo er zunächst nur einige Diener traf, die den mechanischen Theil der Vorstellung zu besorgen hatten. Der Gedanke des complicirten, stufenmäßigen Zusammenwirkens bei einer solchen ging ihm durch den Kopf. Wie vieler Kräfte bedurfte es dazu, von dem Dichter an, der das Werk schuf, bis hinunter zu dem untersten Gehülfen, der die Coulisse schob oder am Strange des Vorhangs zog! Das Publikum sagte sich das aber nicht, ja ließ sich am Ende das Produkt so vieler Anstrengungen gar nicht einmal gefallen.

Allmählig regte sich’s draußen im Zuschauerraum. Der Poet sah durch die kleine Oeffnung des Vorhangs, die man ihm bezeichnet hatte, und ward erfreut durch ein schon ziemlich gefülltes Parterre und durch versprechend besetzte Punkte der numerirten Plätze. Was auch kommen mochte, die vertrauende Theilnahme des Publikums war doch schmeichelhaft und wirkte ermuthigend auf seine Seele.

Die Schauspieler, einer um den andern, kamen auf die Scene. Der Poet starrte die ersten, den Liebhaber und die beiden Regisseure, die durch Costüm, Schminke und „Maske“ unkenntlich gemacht waren, einen Moment an, um, sie erkennend, die dargereichten Hände zu schütteln.

Immer näher rückte der Moment, immer festlich ernster wurde die Zurüstung. Pochte das Herz des Autors auch ungleich lebhafter als gewöhnlich, so war es doch eine feierliche Unruhe, die ihn bewegte; es war eine „bange Wonne,“ die ihn ergriff —

„Wie einen König bei der Thronbesteigung.“

Zuletzt traten die beiden Damen herein, die das Stück mit zu beginnen hatten, und kamen auf die Gruppe zu — in blendender Schönheit. Der Poet begrüßte sie mit dem Blick eines Bezauberten, und im Entzücken des Anschauens verlor sich der letzte Rest von Angst aus seinem Herzen. Die Freundin betrachtete ihn verklärt lächelnd mit einem unmerklich süßen Schein von Wehmuth um die Lippen; dann schwebte sie zum Vorhang und rief, sich umsehend, mit gedämpfter Stimme: „Ah, ganz schwarz! Kommen Sie!“ Heinrich eilte hin, sah hinaus, erblickte ringsum gefüllte Räume, und ein Gefühl der Macht über die Massen ging wie ein süßer Gluthstrahl durch sein Herz.

Die Ouvertüre begann. Die freundlichen Töne hätten ihn nothwendig in der frohen Stimmung erhalten müssen; aber sie bezeichneten die allerletzte Frist vor Seyn oder Nichtseyn und klangen in das Ohr des Bedenkenden wie von einem tragischen Hauch umbebt. Still begab er sich zur Seite, einen etwas erhöhten Sitz zwischen den vordersten Coulissen einzunehmen. Der Vorhang wurde aufgezogen und das Spiel nahm seinen Anfang.

Und nun? Ergriff den Autor eine Besorgtheit um den Ausgang, eine Spannung, ein Sturm der Gefühle, die Geist und Sinne zu überwältigen drohten? Nichts von alledem! Sobald die Handlung begonnen hatte, fühlte er sich durchaus ruhig, war nur Zuschauer und ganz Aufmerksamkeit auf das Spiel. Es ging, wie er es gewollt, das Publikum lauschte, die große Stille verrieth sein Interesse, froh gehoben nickte er vor sich hin. Er war so ganz angezogen von der Entwicklung, so zufrieden mit der Darstellung, daß er es gar nicht merkte, wie das Publikum den Akt schließen und den Vorhang fallen ließ, ohne irgend ein Zeichen des Beifalls zu geben.

Im zweiten Akt rief Berger, der seine Rolle mit feinster Charakterisirung gab, ein paarmal Heiterkeit mit Bravos hervor, und ein Wehen der Theilnahme ging durch das Haus; am Schluß wurde aber doch nur wenig und kurz applaudirt.

Im Zwischenakt trat der erste Liebhaber zu dem Poeten und sagte: „Sie sind heute wieder recht faul da draußen! Zusehen können sie, wenn sie nur die Hände nicht rühren dürfen! Aber haben Sie keine Sorge, die Hauptwirkung Ihres Stücks liegt im dritten Akt, jetzt werden sie wohl losbrechen müssen.“ — „Warten wir!“ versetzte der Poet.

Die ersten Scenen des Hauptaktes, die nicht auf Effekt angelegt waren, verliefen ruhig. Als die ergreifenden kamen, herrschte im Haus zuerst eine feierliche Stille, die für den Kenner feineren Beifall ausdrückt, als der Applaus der Hände. Dann, bei gipfelnden Reden, kamen aber auch diese wiederholt in Thätigkeit, und unzweideutige Zeichen der Rührung gelangten zur Wahrnehmung des Poeten. Glaubte das Publikum damit genug gethan zu haben? Oder war die Bewegung, in die es versetzt erschien, zu ernster Natur? Oder endlich, fand es den Schluß doch nicht so drastisch wie die freundlichen Hörer bei der Vorlesung? Genug, der Applaus war nicht so durchgreifend, wie ihn die Schauspieler eben hier erwartet hatten; und da man auch den Vorhang nicht schnell genug aufzog, so verhallte er wieder, ohne daß es zum Hervorruf kam. Der entscheidende Effekt war verfehlt.

Heinrich, nach der auch für ihn höchst unerwarteten Enttäuschung, erhob sich von seinem Sitz und trat zu den Schauspielern, die sich an der Coulisse gesammelt hatten. „Nun?“ rief er, eine Gährung in seinem Innern unterdrückend, mit Fassung, „das sieht aus wie eine Niederlage!“

Der erste Liebhaber, der mit der Heldin des Stücks auf einen Hervorruf gerechnet hatte, zuckte verdrossen und schon mit einer Spur von Geringschätzung die Achsel; die andern blieben stumm; Hallfeld aber entgegnete mit dem Ton würdevoller Tröstung: „Das nicht, Herr Doktor. Das Publikum nimmt Antheil, das Stück wirkt.“ — „Aber lange nicht so,“ versetzte der Poet, „wie wir’s uns vorgestellt haben. Geht’s so fort und wird der Beifall, wie zu fürchten ist, noch schwächer, dann haben wir einen succès d’estime, d. h. auf gut deutsch: das Stück fällt durch!“

„Nein, sag’ ich Ihnen!“ entgegnete der Regisseur energischer. „Man hat bei diesem Akt weniger applaudirt, als er’s verdient; Ihr Stück ist aber gut und endet ansprechend, also wird man’s hereinbringen. Ruhig Blut! Noch ist nichts verloren!“

„Das mein’ ich auch,“ rief Berger, der eben herzugetreten war. „Dieser Akt wird entscheiden. Erst der Ernst, dann der Humor; — wir wollen sie schon weich machen, die hartgesottenen Sünder!“ — „Es sind Blöcke!“ rief hier der alte Student, der bei einer kurzen, aber schlagenden Rede auch auf Beifall gehofft zu haben schien, mit humoristischem Unmuth.

Die Gesichter erheiterten sich bei diesem Ausruf, der für jetzt ohne Widerspruch blieb. Die Musik des Zwischenaktes ging zu Ende, die Schauspieler traten hinter die Coulissen und Heinrich nahm seinen Platz wieder ein.

Als der vierte Akt begann, wunderte sich der Poet selbst über seine Stimmung. Von ängstlicher Aufregung war keine Spur mehr in ihm! Dagegen hatte sich ein Quell heroischen Muthes in ihm erschlossen und durchströmte sein Herz, daß er trotzig, ja stolz der Dinge harrte, die da kommen sollten.

Er war sich der Güte des Stückes bewußt geworden und erkannte, das Seine vollauf gethan zu haben. Zeigte sich das Publikum spröde, kalt, nur oberflächlich und flüchtig erregt, dann that es ihm Unrecht. Dem Unrecht aber konnte er gerechte Indignation und männliches Selbstgefühl entgegensetzen. Er sollte glücklicherweise nicht in die Lage kommen, seine Ausdauer in dieser Stimmung darzuthun.

Die Zuschauer, just als fühlten sie wirklich, daß sie etwas gut zu machen hatten, benutzten gleich die erste Gelegenheit zum Applaus und befriedigten damit die edeln Liebenden, die alle beide einer Ermunterung sehr benöthigt waren. Berger leistete als Fallensteller, dessen Situation tragisch zu werden anfängt, sein Vorzüglichstes, entwickelte eine geradezu geniale Naturwahrheit und wurde auf offener Scene gerufen. Anna in der Scene mit dem alten Studenten rief Ausbrüche des Vergnügens hervor, und am Schluß wurden alle dreie gerufen.

Der Poet, der sich geweigert hatte, mit auf die Bühne zu gehen, weil er seinen Namen nicht gehört, war doch hoch erfreut, und gegen die drei, als der Vorhang herab gelassen war, mit Lobsprüchen nicht eben karg. Die Darsteller des Liebespaars, welche den fünften Akt zu beginnen hatten, kamen mit heitern Mienen auf die Scene: sie wußten, das Publikum war im Zuge, und nun würden auch sie ihre Ernte halten.

So kam es denn auch. In den ersten Auftritten eine ernste, schöne Aufmerksamkeit, dann lebhafter Applaus, am Schluß, nachdem die letzten Scenen wirklich Schlag auf Schlag gegangen waren, rauschender, langanhaltender Beifall; Rufe nach dem Liebespaar, der Anna und — dem Dichter.

Der Vorhang wurde aufgezogen. Heinrich, während die Mitgerufenen im Hintergrund erschienen, trat auf das Proscenium und dankte. Er sah das ganze Haus lebendig, klatschend und rufend, sah die Blicke von allen Seiten auf sich, den Helden des Abends, gerichtet, sah huldvolles Nicken und Applaudiren aus der Loge des Landesherrn und seiner Familie: seine kühnsten Hoffnungen waren erfüllt, seine stolzesten Phantasien durch die Wirklichkeit erreicht, übertroffen!

Als er nicht ohne heroische Haltung nach gefallenem Vorhang sich umwendete, trat ihm Hallfeld entgegen und rief mit einem Wohlwollen, das etwas Feierliches hatte: „Doktor Born, schlafen Sie ruhig auf Ihren Lorbeeren!“ Der zweite Regisseur, der sich genähert hatte, nickte vergnügt. „Nun,“ sagte er, „hab’ ich mein Versprechen gehalten? Und,“ setzte er mit schelmischem Blinzeln hinzu, „bin ich nicht im Grunde ein guter Mensch?“ — „Ein Engel!“ rief der Poet lachend. „Aber Adieu für heute! Auf Wiedersehen!“

Ihn rief eine süße Pflicht hinweg. Flüchtigen Fußes eilte er auf die andere Seite, die beiden Schauspielerinnen zu erhaschen, und traf sie, die gegen ihre Gewohnheit etwas gezögert hatten, glücklich noch auf dem Weg zum Garderobezimmer. Mit aller Galanterie der Freude küßte er der ersten Liebhaberin, welche vor Zufriedenheit glänzte, die Hand; dann, während jene sich entfernte, ergriff er die Hand Rosa’s. In der Brust des Glücklichen drang das Gefühl des unendlichen Dankes, den er der lieben Freundin schuldete, mit einemmal übermächtig empor, sein Herz begann zu schmelzen. Während er die zarten Finger küßte, fiel beinahe eine Thräne darauf, und nur mit Mühe fand er einige Worte des Dankes. Das Mädchen sah die feuchten Augen, die tiefe Bewegung, faßte seine Hand, um sie zu schütteln, und rief: „Wenn Sie glücklich sind, lieber Freund — mehr als ich können Sie’s nicht seyn! Gute Nacht!“

IX.

Heinrich, nach einem Imbiß, den er in Gesellschaft des treuen Willmann zu sich genommen, hatte sich nach Hause begeben und die Nacht war ihm in jeder Hinsicht eine gute gewesen. Geraume Zeit freilich konnte er nicht einschlummern; als es ihm aber gelang, war der Schlaf so gründlich, daß er andern Tags mit einem Wohlgefühl die Augen aufschlug, wie er’s lange nicht mehr empfunden hatte. Blinzelnd sah er umher, erinnerte sich und rief: „Darf ich’s wirklich glauben? Hab’ ich gestern das Residenzpublikum erobert?“ — „’S ist so,“ antwortete er mit Humor sich selbst, „der Traum ist Leben geworden!“

In der heitersten Stimmung erhob er sich, kleidete sich an und setzte sich zum Frühstück. Sonnige Gedanken zogen durch seinen Kopf und zum Ueberfluß schien die Sonne der ersten Frühlingswoche durch’s Fenster. Eine natürliche Sitte gebot ihm, den Darstellern der Hauptrollen seinen Besuch abzustatten, und er folgte ihr mit größtem Vergnügen.

Zunächst begab er sich zum Liebhaber. Da er selber spät aufgestanden war, traf er diesen schon in vollendeter Morgentoilette und wurde sehr zuvorkommend empfangen. Haltung und Blicke des hübschen, beliebten und eben so verwöhnten jungen Mannes sprachen während der Unterhaltung nicht nur Höflichkeit, sondern eine unwillkürliche Hochachtung aus, die ihm sehr wohl anstand und vom Poeten mit Genugthuung wahrgenommen wurde. Dieser, an die Miene sich erinnernd, die ihm sein Robert gestern nach dem dritten Akt gezeigt, konnte nicht umhin, sich innerlich zu fragen: wie er wohl aussehen möchte, wenn die Geschicke einen andern Lauf genommen hätten!

Der zweite Besuch galt der heroischen Liebhaberin. Nach einigem Warten vorgelassen, sah er sich liebenswürdig begrüßt, huldvoll angelächelt. Die Schauspielerin hatte ihr Vergnügen nicht nur an dem Dichter, der ihr eine dankbare Rolle geschrieben, sondern auch an dem Manne, der ihr so stattlich bis jetzt nicht erschienen war. Das blaue Auge gewann eine gewisse poetische Zärtlichkeit, die ihr sehr anziehend ließ. Der Dank des Poeten für ihre gestrige Leistung fiel unter diesen Umständen wärmer aus, als es sonst wohl geschehen wäre, und die Künstlerin nahm ihn um so freudiger hin.

In diesem Leben, das so viel Ungemach und Verdruß mit sich führt, gibt es doch glücklicherweise nicht nur die eigentlichen Honigwochen, sondern auch uneigentliche Honigmomente, die von großem Werthe sind. Zu ihnen gehört das erste Wiedersehen nach einem gemeinschaftlich erkämpften Sieg. Die Gemüther sind da so froh, so geneigt, ja gedrängt zur Anerkennung, daß eine gegenseitige Steigerung des Glücks und eine schöne Annäherung der Seelen unvermeidlich ist. — „In ihr hab’ ich auch eine Freundin,“ sagte sich der Poet, als er wieder auf der Straße war. „Freilich,“ setzte er mit Laune hinzu, „muß ich fortfahren, ihr Gelegenheit zu ausgezeichnetem Spiel zu geben. Aber das ist ja meine Absicht, und ich wünsche mir nichts Besseres, als ihre volle Zufriedenheit.“

Mit beschleunigten Schritten ging er zu den altbewährten Freundinnen. Er traf sie in einer Stimmung, die wohl zu den schönsten gehört, deren wir uns im Leben erfreuen können. Sie waren glücklich alle beide; der Ausdruck ihrer Mienen hatte aber etwas Gehobenes, das der Freude des Herzens eine ernste Weihe gab. Das Licht derselben wirkte magisch auf den Dichter, und Alles, was er sagte, hatte den Charakter eines Ernstes, mit welchem verglichen auch der Ton der wärmsten Galanterie noch profan erscheint.

Heinrich war für die Anmuth Rosas nie unempfindlich gewesen; heute aber kam sie ihm schön vor — schön im edelsten Sinne des Worts. Da die Schönheit vorzugsweise aus der Seele kommt, so war dieß begreiflich. In dem Mädchen lebte ein Gefühl, das durch ihre Gesinnung in Schönheit verklärt wurde. Zu der Liebe ihres Herzens, zum Bewußtseyn ihrer Großmuth war jetzt ein großer äußerer Erfolg hinzu gekommen, der ihr die Erfüllung der liebevollsten Absicht und damit ihre eigene innere Vollendung brachte. Es wird immer eine Frage bleiben, ob das wirkliche Lebensglück in der That werthvoller ist, als die Entsagung unter solchen Verhältnissen.

Als Heinrich zu gehen sich anschickte, bemerkte Rosa: „Sie haben bis jetzt nur Schönes über Ihr Stück gehört. Erlauben Sie mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß das nicht so fortgehen wird. Sie werden auch Tadel, scharfen Tadel hören, namentlich aber lesen.“

Der Poet sah sie an. „Was will man denn aber,“ fragte er dann, „im Grunde tadeln an dem Stück? Es ist doch offenbar gut; hat auch entschieden gefallen —“

Die Künstlerin konnte nicht umhin zu lächeln. „Das ist ja eben der größte Fehler in den Augen gewisser Kritiker!“ entgegnete sie. „Lassen Sie sich dadurch aber nicht böse machen; auch nicht, wenn allenfalls in Gesellschaften die Nase darüber gerümpft wird. Manche Leute sind nun einmal so, daß sie nur Gescheidtheit zu beweisen meinen, wenn sie absprechen. Aber das Wort verhallt, das Schmähblatt verweht der Wind; darum behalten Sie guten Muth!“

Heinrich versprach es ihr lächelnd und nahm Abschied, um sich zum Intendanten zu begeben. Im Theater angekommen, wurde er sogleich vorgelassen. Mit einer Munterkeit, die ihm ordentlich etwas Jugendliches gab, rief der würdige Bühnenchef: „Ah, da kommt ein glücklicher Dramatiker! — Nun,“ setzte er Heinrichs Hand ergreifend hinzu, „hat mich sehr gefreut — in Ihrem Namen und in unserem! Das Publikum, anfangs ein bischen spröde, hat sich sehr gut benommen.“ — „Ausgezeichnet,“ erwiederte der Autor. — Der Intendant nickte heiter. „Mit der Darstellung,“ fragte er dann, „sind Sie zufrieden?“ — „Vollkommen,“ rief der Poet mit großer Wärme. — „Das hör’ ich selten von den Herrn Dichtern,“ erwiederte der Intendant lächelnd. „Und es ist im Grund mehr, als ich zugeben könnte. Sie waren im Ganzen recht brav; aber eins und das andere kann noch viel besser werden. Nun, das wird kommen! Was sagen Sie aber dazu, daß wir das Stück übermorgen schon wieder geben?“

Heinrich sah ihn froh überrascht an. „Meine Zustimmung,“ entgegnete er, „haben Sie durchaus.“ — „Das glaub’ ich,“ versetzte der Intendant erheitert, „an einem Feiertag! Das Haus wird voller werden, als das erstemal.“ — „Ich bin Ihnen zum größten Danke verpflichtet!“ rief der Glückliche. — Der Herr, ihn ansehend, fuhr fort: „Es wird eine zweite Probe seyn, vor einem neuen Publikum; aber Ihr Stück wird sie bestehen. Also es hat mich von Herzen gefreut, und ich gratulire nochmals.“ Der Poet empfahl sich.

Als er im Vorzimmer den Ueberrock anzog, traten die beiden Regisseure herein. Heinrich, sie grüßend, zeigte ein Gesicht, welches nicht nur den Sarkastischen, sondern auch den Ernsten zum Lächeln reizte.

„Sie blühen ja wie eine Rose!“ rief Hallfeld. — „Austausch des Vergnügens zwischen Theatervorstand und Dichters!“ erklärte Berger. „Anwartschaft auf ungezählte künftige Triumphe!“ — „Der Herr,“ bemerkte Hallfeld, „will Ihnen in der That sehr wohl.“

„Er liebt die Bescheidenheit,“ fuhr der Andere fort, „die Dankbarkeit, das gute Herz!“ — „Verbunden mit der Kunst, ein Stück zu schreiben, das volle Häuser macht,“ ergänzte Hallfeld. — „Also übermorgen? in der großen Halle?“ — Heinrich, den Besuch auf der Bühne zusagend, verabschiedete sich.

Sonst war dieser Tag der Besuche noch durch ein zufälliges Treffen bezeichnet, das der Poet im Grund herbeigewünscht hatte. Nachmittags, als er in der besten Laune die Hauptstraße hinabspazierte, kam Professor Sartorius gegen ihn heran. War das nicht eine vom Geschick ihm zugewendete Genugthuung? Sich instinktmäßig zusammennehmend ging er dem Gelehrten entgegen, grüßte mit der edeln Freundlichkeit eines Mannes, der wohlverdiente Achtung ansprechen kann, und erwartete nun in dem Gesicht des Widerlegten etwas davon zu sehen. Das war freilich eine Täuschung. Der Begrüßte dankte mit einem Ausdruck von Aerger und Spott, wie über jemand, der auf zufälliges Glück unangenehme Ansprüche gründen will, und ging vorüber.

Wir können verrathen, daß das Benehmen des Ehrenmannes eine Frucht häuslichen Verdrusses war. Ein jüngerer Professor der Anstalt, der Heinrichs Drama gesehen, war nach Tisch bei der Familie gewesen, hatte über den Erfolg berichtet und die Arbeit gerühmt. Als er wieder fort war, sagte die Frau mit stillem Vorwurf zum Gemahl: „Wir hätten diesen Born doch einmal einladen sollen!“ — „Warum?“ fragte jener mit Stirnrunzeln. — „Weil er ein talentvoller Mann ist,“ versetzte die Gattin; „viel mehr, als du’s ihm angesehen hast.“ — „Pah!“ rief der Professor; „er hat ein Rührstück verfaßt, das den Unwissenden gefällt.“ — „So?“ rief die Frau, „gehört Professor Holm zu den Unwissenden?“ — „Holm ist ein guter Mensch, aber auch ein Schöngeist,“ entgegnete der Mann. — „Holm —“ wollte die Gattin fortfahren; aber jener fiel aufgebracht ein: „Geh! Laß mich ungeschoren mit deinen Belletristen!“ Sehr verdrießlich ging er in sein Studierzimmer zurück, wo sich die Stimmung gegen einen Menschen, der ihm eine Verlegenheit bereitet hatte, begreiflicherweise nicht verbessern konnte. Aber auch ihm sollte eine Freude, eine Genugthuung werden, und der Poet sollte seine Ansicht über die Natur der Menschen vervollständigen.

Am andern Morgen faßte Heinrich zunächst einen Bericht an seine Eltern ab, worin er seine baldige Ankunft meldete. Er that seinem Herzen recht Genüge und malte alles, wovon er wußte, daß es die liebenden Seelen erquicken und für die bewiesene Ausdauer belohnen würde, mit glänzenden Farben. Dann, nach Erholung trachtend, ging er an dem schönen Morgen in eine Restauration.

Er saß behaglich in einer Ecke, als ihn eine Neugier überkam, ob die Blätter noch keine Kritiken seines Dramas enthielten. Rasch ging er die im Lokal vorhandenen durch; zwei Besprechungen waren da, von Emil Schilf und von Dorn.

Da er von dem erstern mit Recht nicht viel Gutes erwarten konnte, nahm er die Auslassung des Befreundeten vor. Bei der dritten Zeile schon verdunkelte sich sein Antlitz bis zu tiefem Roth. Er las weiter, starrte auf die Buchstaben, wie einer, der zu träumen glaubt, schüttelte zornig den Kopf und warf endlich das Blatt mit dem Rufe weg: „Aber das ist ja eine wahre Bestie!“

Die Kritik, die so übel auf ihn wirkte, lautete: „Wer noch daran gezweifelt hätte, daß Theater und Drama bei uns immer größerem Verfall entgegen gehen, der konnte vorgestern in unserem Hoftheater den Beweis davon erlangen. Das Publikum (allerdings, wie leicht zu sehen war, unter Anführung einer wohlvertheilten Claque) hat ein Schauspiel mit Beifall aufgenommen, das wir zu den geistlosesten Produkten rechnen müssen, womit wir in den letzten Jahren gestraft worden sind. Das Thema so abgedroschen als möglich, der Dialog von der plattesten Art; edelseynsollende Personen, die im gewöhnlichen Verkehr langweilig, in Rührscenen durch Prätension widerlich und lächerlich sind; ein schlechter Geselle, der nur dazu erfunden ist, damit jene in Edelsinn machen können; und ein Ausgang wörtlich nach Schiller:

Wenn sich das Laster erbricht, setzt sich die Tugend zu Tisch.

Der Gang der Handlung ist kürzlich der (folgt nun eine nähere Inhaltsangabe, die zu dem Gesagten den Beweis liefern soll, also ganz in demselben Styl gehalten ist. Dann fährt der Kritiker fort): „Wie war es möglich, daß ein solches Machwerk Beifall erlangte? Man könnte sagen, auch der Applaus war gemacht, und zum großen Theil ist er’s offenbar auch gewesen. Man könnte den Succeß auf Rechnung der Schauspieler bringen, die in der That alles Mögliche leisteten, den hölzernen Figuren Blut und Leben einzugießen. Allein es läßt sich nicht in Abrede stellen, auch das Stück selber, mindestens in der zweiten Hälfte, fand Anklang. Der Geschmack ist also wirklich bereits auf eine Stufe gesunken, wo er mit Abhub vorlieb nimmt! Weiter kann’s nicht gehen!“

„Der Autor des Stücks hat früher eine Tragödie geschrieben, die für ihn und seine Laufbahn als Dramatiker Hoffnungen erwecken konnte. Als Theaterstück verfehlt und zur Aufführung nicht brauchbar, verrieth sie doch eine höhere Tendenz und enthielt Poesie. Warum ist Herr Born in dieser Richtung nicht fortgegangen? Warum hat er sich nicht bemüht, seine dichterische Fähigkeit, so viel die Natur ihm verliehen hat, in einer zugleich höher gehaltenen und bühnengemäßen Arbeit zu verwerthen? Warum ist er zum Feind geworden seiner eigenen Begabung? Die Antwort gibt sich jeder selbst. Das ist eben der Fluch unserer Zeit, daß man die Aufgaben, deren Lösung Fleiß und Anstrengung erfordert, umgeht, um — nach Gewinn zu langen. Nun, der wird dem Verfasser nicht entgehen. Solche dramatisirte Gemeinplätze sind recht ein Futter für unsere Bühnen, wie sie gegenwärtig sind, und wir prophezeien dem spekulativen Schreiber in dieser Beziehung eine recht schöne Ernte. Dem Gewinn an Honorar (sic) wird aber ein tödtlicher Verlust an Dichterehre zur Seite gehen. Herr Born, indem er den Geschmack des Publikums herunterbringen hilft, wird sich aufhelfen. Aber Alles in der Welt hat seine Grenzen, und endlich wird auch bei uns der Messias erscheinen, der ihn und seinesgleichen aus dem Tempel der Kunst hinaustreiben wird.“

Der Poet, so schmählich behandelt in einem vielgelesenen Journal, hatte eine Empfindung des Grimms und des Verdrusses, die für den ersten Moment das höchste Glücksgefühl der letzten Tage aufwog. Dämonisch angezogen, ergriff er das Blatt noch einmal, überflog es und schüttelte den Kopf als über etwas völlig Unbegreifliches. Wie konnte ein Mensch, mit dem er freundlich verkehrt hatte, gegen ihn diesen Ton anstimmen? Aus Rache, weil er nicht dazu gekommen war, sein Buch zu loben? Aber er hatte ja das Beste darüber gesagt, was er irgend vermochte, und die Zögerung, sein Urtheil über die verwünschte Satire öffentlich auszusprechen, wenn sie als Kränkung aufgefaßt wurde, stand doch mit einer solchen Beschimpfung seines Werks und Charakters im ungeheuersten Mißverhältniß. Die Schmähkritik verdammte ein Stück, das den reinsten und ehrlichsten Sieg errungen; sie verdammte den Geschmack eines Publikums, zu welchem die gebildetsten Männer und Frauen der Residenz gehörten; sie hatte nur Worte des gröbsten Tadels und der Verleumdung, wo feine Seelen mit Vergnügen und Achtung anerkannten: woher kam dem Verfasser nur der Muth, der Wahrheit und der öffentlichen Meinung dermaßen in’s Gesicht zu schlagen? Wie kommt man überhaupt dazu, absichtlich ungerecht zu seyn? — Heinrich versuchte sich in einen Menschen hineinzudenken, der unter Voraussetzungen, wie sie hier gegeben waren, einen solchen Artikel zu schreiben vermochte, es gelang ihm nicht. Mit Staunen betrachtete er die Höhe der Gemeinheit, um beschämt vor ihr die Blicke zu senken.

Man kann sich irren, das begriff er. Man kann in der Leidenschaft übertreiben, das begriff er auch. Wie aber ein Wesen, das den Namen Mensch beansprucht, Wahrheit und Gerechtigkeit völlig umkehren und den Urheber eines guten Produkts wie einen Verbrecher zu behandeln im Stande war, und zwar öffentlich, dem öffentlichen Urtheil sich preisgebend, das begriff er nicht.

Was sollte er nun aber thun? Sollte er die Lästerkritik ungeahndet hingehen lassen, oder gegen den Schreiber auftreten? Und wenn dieß, mit welchen Waffen? Diese Frage beschäftigte ihn eine Zeitlang, er kam aber zu keinem Beschluß und wollte darüber Sachverständige hören.

Mit einem Lächeln der Geringschätzung nahm er das andere Journal zur Hand; denn wie boshaft der Exdramatiker sich aussprechen mochte, den Exfreund konnte er nicht erreichen, überbieten auf keinen Fall.

In der That blieb dem letzteren die Palme, da jener nur das Werk verdammte und im Autor bloß gänzliche Talentlosigkeit nachzuweisen suchte. Dieß that er freilich mit so frohem Eifer, er zauste und rupfte das Stück mit einem so glückseligen Gefühl der Machtvollkommenheit, daß er, wie ergötzlich er auf unbetheiligte Leser wirken mochte, dem Getroffenen doch die Hand jucken machte. Allein im Vergleich zur ersten war die zweite Kritik dennoch harmlos und Heinrich machte endlich eine Bewegung wie über die Expektoration eines Tollkopfs.

Sonderbare Erfahrungen! Der Genuß des Süßesten und des Bittersten auf zwei Tage zusammengedrängt! Der Gegenstand der herzlichsten Zustimmung ein Gegenstand der gehässigsten Anfeindung! Hier die Liebe, die lieblich schenkt, dort der Haß, der die reizenden Gaben zu besudeln giftig herbei dringt! — „Harpyen!“ rief der Poet, „wortwörtlich! Einladende Speisen zu beschmutzen, mit blinder Gier erfüllt! Welch ein Tiefsinn der mythologischen Phantasie!“

Etwas gehoben durch seinen gerechten Groll, verließ er das Haus doch noch mit sehr gemischten Empfindungen. Er fühlte eine wahre Sehnsucht, einen braven Menschen zu sehen, und suchte daher Willmann auf, von dem er wußte, daß er sich um diese Zeit öfters auf dem Weg zur Redaktion eines Unterhaltungsblattes treffen ließ. Zum Glück sah er ihn bald und ging eilig auf ihn zu. Der Erfahrene, nach einem Blick auf ihn, sagte bescheiden lächelnd: „Sie scheinen von einem Dorn gestochen zu seyn?“

„Allerdings,“ erwiederte Heinrich mit entsprechendem Mundverziehen. „Eben hab’ ich sie mir aus dem Fleisch gezogen, die giftige Spitze. Was sagen Sie dazu?“ — „Es ist stark,“ versetzte Willmann, „sehr stark.“ — „Ein non plus ultra in jeder Hinsicht!“ rief der Gekränkte. „Was soll ich dagegen thun?“ — „Nichts,“ erwiederte der Andere mit ruhigem Nachdruck.

Heinrich sah ihn an. „Sie meinen, der Artikel richtet sich selbst? und die Verachtung, womit man ihn lesen wird, kann mir Rache genug seyn?“ — Willmann sah ihn erheitert an. „Nichts weniger als das!“ rief er. „Der Artikel, fürcht’ ich, wird mit großem Vergnügen gelesen werden.“ — „Wie!“ rief der Poet. „Ist nicht das Publikum mit beschimpft? Und wird es sich das gefallen lassen?“

„O,“ versetzte Willmann, „recht gern!“ Und indem er ihn prüfend ansah, fuhr er fort: „Sind Sie in der That so kindlich, daß Sie nicht wissen, was Schadenfreude ist? Das Publikum, mein lieber Freund, will sich amüsiren. Hat es sich nun positiv amüsirt an einem schönen und guten Stück, dann will es sich auch negativ amüsiren an der Durchhechelung, ja an der Zerrupfung eben desselben Stücks. Der menschliche Geist, mein Freund, ist reicher und seine Bedürfnisse sind mannigfaltiger, als Sie anzunehmen scheinen.“ — „Das glaub ich nicht!“ rief Heinrich in edlem Eifer.

Willmann schüttelte den Kopf. „Ihre realistische Durchbildung,“ sagte er, „ist noch lange nicht vollendet. Der Umstand, daß solche Artikel geschrieben werden, und zwar viel häufiger, als Sie zu wissen scheinen, beweist ja gerade ihre Beliebtheit, ihre Beliebtheit bei der großen Majorität der Leser. Schläge sind freilich sehr unangenehm für den, der sie bekommt; aber für den Zuschauer? Interessant, wo nicht gar beglückend. Ich bin fest überzeugt, daß nicht nur unsere Biedermänner in Stadt und Land, sondern auch manche vom zarten Geschlecht, wie ich’s kenne, den Artikel mit Vergnügen lesen werden.“

„Und trotzdem soll ich —?“ — „Nichts dagegen thun — allerdings! Und zwar darum nicht, weil auch das vorübergeht, wie der Wind“ — „Indessen,“ versetzte der Poet, „hat dieser Mensch nicht nur mein Stück, sondern auch meinen Charakter angegriffen!“ — „Das ändert gar nichts,“ entgegnete Willmann. „Im Gegentheil, es kommt eben Ihnen zu Gute und schadet dem Kritikus, weil das Publikum sich diesen Vorwurf nur aus Neid erklären wird. Hätten Sie,“ fuhr er ihn heiter ansehend fort, „wohl gar Lust, Händel anzufangen, weil man Ihnen vorgeworfen hat, daß Sie lieber Stücke schreiben, die gefallen und Geld eintragen? Im Namen der Preßfreiheit verlang’ ich, daß Sie’s gedruckt seyn lassen!“

Heinrich wollte eben antworten, als nahende Tritte beide umsehen machten. Sie erblickten den Professor Sartorius, den der Heimweg vom Gymnasium an ihnen vorüberführte. Willmann kannte und grüßte ihn und Heinrich mußte folgen. Der Gelehrte, während des Gegengrußes, sah nun auf den Poeten mit einer so stechend vergnügten Miene, daß dieser sich augenblicklich sagte: „Er hat’s gelesen — und ist glücklich darüber!“

In der That, so war es! Nicht nur hatte der häuslich Beschämte die Kritik mit großem Vergnügen entdeckt und genossen — er hatte sie in der Tasche, und freute sich nun herzlich, damit seinerseits die Frau zu beschämen. Bei dieser Gelegenheit machte er natürlich auch eine kleine Ausnahme von der Regel; der Feuilletonist und Literat (eine Gattung, von der sonst eben er am schlechtesten zu denken pflegte) war hier ein durchaus zuverlässiger Mann und eine unumstößliche Autorität gegen den Poeten.

In der Seele des Nachschauenden kam ein gewisser Humor auf, und sein Angesicht ward heiter. „Sie haben Recht!“ sagte er zu dem Freund. „Laßt sie schimpfen und am Schimpf sich erquicken! Ueber ein Kleines, dann sind wir wieder oben!“

Zunächst schien sich das feindliche Princip gegen den Dramatiker wirklich erschöpft zu haben. In den nachfolgenden Kritiken waren Lob und Tadel auf eine für den Autor ehrenvolle Weise gemischt, und dieser konnte das Gift durch das Gegengift unschädlich gemacht sehen. Der Theateragent der Residenz stattete ihm einen Besuch ab, erbot sich, das als Manuscript zu druckende Schauspiel gegen eine mäßige Tantième zu versenden, zu protegiren, und man traf eine Verabredung zu beiderseitiger Zufriedenheit. Die Hauptsache war aber, daß die Wiederholung des Stücks an dem Feiertag noch mehr Glück machte, als die erste Aufführung. Das überfüllte Haus gerieth schon beim zweiten Akt in eine sehr erfreuliche Bewegung, um dann im dritten mit einem Sturm loszubrechen, der die kühnsten Prophezeiungen des ersten Leseabends verwirklichte. Der Dichter, im Hintergrund einer Loge unerkannt und unbeachtet, genoß sein Werk zum erstenmal rein, fühlte sich in den brausenden Wellen des sich selbst höher hinauftreibenden Applauses unendlich wohl, eilte zum Schluß der Vorstellung auf die Bühne, und unter Händedrücken und Umarmungen war eitel Freundschaft und Seligkeit.

In der sichern Voraussicht, daß es wieder „gut gehen“ würde, hatte Willmann ein kleines Souper in einem besondern Zimmer des nächsten Gasthauses veranstaltet. Theaterfreunde und Schauspieler, darunter die beiden Regisseure, kamen nach der Aufführung zusammen, speisten und ergaben sich bei nachfolgendem Weinpunsch fröhlichem Gespräch. Es war natürlich, daß das Gelag den Charakter einer Ovation für den Poeten annahm. Der Regisseur der Tragödie stand auf, schilderte mit elegantem Lob das Bestreben und Verhalten des Freundes, hob namentlich die Ausdauer hervor, die ihn endlich zum wohlverdienten Triumph geführt habe, und sprach den Wunsch aus, daß die Verbindung des Dichters mit dem Theater, insbesondere mit der hiesigen Bühne, keine vorübergehende, sondern eine dauernde seyn möge.

Heinrich, durch die lauten und herzlichen Zurufe der Versammlung gerührt, begeistert, erwiederte: „Meine Freunde! Auf den ehrenden Wunsch, den ein Kenner und Künstler ersten Ranges an mich gerichtet hat, muß ich erklären, daß die Verbindung meiner poetischen Thätigkeit mit dem wirklichen deutschen Theater das Ziel meines Lebens ist und immer bleiben wird. Dramatische Dichtung und Darstellung müssen Hand in Hand gehen, wie Freund und Freund, ja ich möchte fast sagen, wie Mann und Frau! Sie sind geschaffen, sich wechselseitig zu hegen, zu fördern, und nur im engsten Bunde kann jede ihrer eigensten Vollendung entgegen gehen. Das dichterische Werk, das in bestimmtem Hinblick auf die scenische Darstellung und ihre Gesetze hervorgebracht wird, erlangt nicht nur größere Bühnenwirksamkeit, sondern auch höheren Werth an Poesie, an dramatischer Poesie. Die dramatische Poesie ist es aber doch unstreitig, auf die es beim Drama vor allem ankommt. Wir wollen hier nicht den Reiz der Erzählung und nicht den Zauber des Liedes auf Kosten des dramatischen Lebens: wenn diese beiden zugelassen werden, dürfen sie nur Elemente — Zierden bilden zum Vortheil der Handlung. Die Bühne weist den dramatischen Dichter auf dieses höchste Ziel immer wieder hin, sie zieht ihn von den Abschweifungen in die Gebiete des Epos und der Lyrik immer wieder zurück, und darum wird es in der Zukunft seyn, wie es in Wahrheit immer gewesen ist: die reinste Entfaltung der Dramatik auch als Poesie wird abhängen von dem lebendigen Verkehr der Dichter mit dem Theater und von der Erfüllung der Ansprüche, welche an das Drama durch den Zweck bühnengemäßer Wirkung gestellt werden.“

„Die Dichtung, die solchen Bund eingeht mit dem Theater, muß aber in diesem Bund allerdings frei seyn und jene Forderungen des Theaters vollkommen selbstständig erfüllen: durch Poesie — durch Wahrheit und Schönheit. Ein poetisches Drama, das einen einseitig epischen oder lyrischen Charakter hat, ist kein Bühnenstück, aber immer noch ein dichterisches Werk; ein Drama, das nur Bühnenstück ist, sinkt aus der Sphäre der Poesie überhaupt in die Region der Machwerke und Surrogate. Fern sey es von mir, den Kreis der Poesie verengern zu wollen! Schönheit ist möglich auch in Abspiegelung des wirklichen, des oft sogenannten prosaischen Lebens, und wie weit ich selber in meinem ersten Versuch hinter dem Ideal zurückgeblieben seyn mag, Kunstverständige geben mir zu, daß sie gleichwohl poetische Ergötzung in ihm gefunden haben. Schönheit ist möglich gegenüber von allen Stoffen, denn die Schönheit kommt aus dem liebevollen Geist, der die Stoffe kunstgemäß bildet; aber da muß sie seyn, wo mit dem Anspruch der Kunst aufgetreten wird. Das Drama, das den Forderungen der Darstellung entgegen kommt in und mit Poesie, steigert, erhebt, adelt die Darstellung. Das Bühnenstück aber, das jene Forderungen täuschend erfüllt durch sinnlich wirkende Effekte, degradirt die Bühne und entwürdigt die Kunst zum prosaischen Gewerbe.“

„Es gibt einen wahren und einen falschen Bund der dramatischen Dichtung mit der Bühne. Der wahre Bund zweier gleichmäßig freien, in wechselseitiger Liebe freien Künste, die sich einander ganz machen und gebend und empfangend mit einander das höchste aller Kunstwerke hervorbringen, die scenische Darstellung des dramatischen Gedichts — dieser Bund der Ehren und des ehrenhaften Vortheils — er lebe hoch!“

Großer Applaus folgte der mit Schwung vorgetragenen Rede, und unter nachträglichen Bravos stießen Alle mit dem Poeten an. Berger konnte aber nicht umhin zu bemerken: „Treffliche Grundsätze und sehr gut ausgesprochen! Aber nehmen Sie sich in Acht!“ — „Handeln Sie darnach,“ rief Hallfeld pathetisch dagegen, „und lassen Sie sich nicht irre machen! Wenn dem Theater auch diese Zumuthungen zu viel sind, dann haben wir kein Recht mehr, uns Künstler zu nennen.“

Der kräftige Spruch des Heldenvaters rief Widerspruch und eine Discussion hervor, die unter Anleitung Willmanns die Frage mehr und mehr in Erwägung praktischer Fälle beleuchtete und bis nach Mitternacht währte. Die endlich geleerte zweite Bowle brachte unter den Streitenden eine Art Versöhnung zu Stande, indem die idealere Partei zugab, daß unter Umständen auch poetisch bedeutungslose Dramen wirklich künstlerische Bühnenleistungen möglich machten, und man ging endlich in guter Freundschaft auseinander.

Als Heinrich am andern Morgen erwachte, fühlte er sich, trotz des reichlichen Genusses alles Guten, doch vollkommen heiter und kräftig. Aber das Glück der Seele hat eben auch die schöne Eigenschaft, daß es die Nahrung des Leibes möglichst wohl bekommen macht, und nicht nur gesunde Männer, wie Heinrich, sondern auch Hypochondristen können wir nach einem Triumph, den sie während eines anstrengenden Schmauses gefeiert haben, oft zu holdseliger Jugend erblüht sehen.

Die letzten Pflichten, die den Dichter in der Residenz gehalten hatten, waren erfüllt, der Tag der Abreise zur Geliebten gekommen. Er wollte heute noch fort, packte einen kleinen Koffer mit Kleidungsstücken, legte die Theaterzettel der beiden Aufführungen mit den guten Recensionen dazu und machte sich dann auf zu den Freundinnen, um Abschied zu nehmen.

Es war doch ein eigenes Gefühl, als er die Treppe hinan stieg, um zweien Wesen Lebewohl zu sagen, mit denen er so lange und so herzlich verkehrt, von denen er so viel Liebes erfahren hatte. „Wie wird es Rosa aufnehmen?“ rief’s unwillkürlich in ihm. „Keine Einbildung!“ antwortete er sich selbst, und zog entschlossen die Klingel.

Die junge Künstlerin war allein zu Hause. Mit sanft heiterer Miene grüßte sie ihn; aber die Ahnung, was ihn herführe, gab ihrem Gesicht alsbald einen Schein von Wehmuth. Heinrich betrachtete sie, ein Ernst überkam ihn und steigerte sein Gefühl zur Verlegenheit. Ein kleines Gespräch über den gestrigen Abend, das den ersten Erkundigungen und Antworten folgte, hielt nicht lange vor. In dem Schweigen, das eintrat, nahm sich aber der Poet endlich zusammen, lächelte durch den Ernst und sagte: „Ich bin gekommen, um Abschied zu nehmen.“

Rosa, obwohl sie das erwartet, fühlte sich durch die Thatsache doch so getroffen, daß sie unwillkürlich auffuhr: „Ah!“ rief sie, indem eine leichte Blässe über ihr Gesicht flog. Aber schnell, mit Lächeln, setzte sie hinzu: „Ich begreife!“ — „Ich reise zu den Meinigen,“ fuhr Heinrich fort, „die guten Nachrichten selber zu überbringen —“ — „Freilich, freilich!“ rief die Künstlerin mit lebhaftem Nicken. Wie schmerzlich sie den Stich in ihrem Herzen empfand, sie erkannte die Nothwendigkeit, ihn zu verbergen, und es mußte ihr gelingen.

Mit einer Theilnahme, wie man sie einem kindlich Glücklichen zuwendet, und mit einer gewissen Laune im Ton, fuhr sie fort: „Da wird große Freude seyn im Lande! Ein Dichter, der auszog mit Manuscripten und Projekten und heimkehrt mit einem Lorbeerkranz! Gefeiert vom Publikum, angegriffen vom Neid, gerühmt von dramaturgischer Weisheit! Was können die Verwandten und die liebende Braut sich Besseres wünschen? Das Talent, an das man glaubte, ist bewiesen, glänzend bewiesen, und der öffentliche Erfolg in der Residenz muß dem Sieger die Huldigung der Provinz eintragen! Mit Stolz werden die Eltern die Hand der Geliebten in die seine legen, der Bund wird geschlossen werden und die Freunde werden glücklich seyn — die hiesigen, das mögen Sie glauben, nicht am wenigsten!“

Die Liebende hatte sich während dieser Rede innerlich so befreit, daß ihre Miene bei den letzten Worten das reinste Wohlwollen ausdrückte. Der Schein desselben wirkte nun aber auch befreiend auf den Poeten. Ja, es war liebevolle Freundschaft, was sie beseelte — nicht mehr! Sie war ihm gut, sie hing an ihm als ihrem Zögling und wollte sein Bestes; aber sie lebte in einer Sonnensphäre der Kunst und der Seelengüte, von wo sie nur mit freudigem Antheil auf sein Glück hernieder sah. Gewisse Gedanken, die er sich gemacht, Vermuthungen, die er gehegt, waren grundlos. Er besaß in ihr einen guten Engel, einen Schutzgeist; von ihr geleitet, gefördert zu werden, hatte sein günstiges Geschick ihn zu ihr geführt, und ihr konnte er nun auch, wie immer, traulich sein ganzes Herz öffnen.

„Ja,“ rief er mit dem Glücksgefühl eines Liebenden, „so, hoffe ich, wird es kommen! Ich will Ihnen ehrlich gestehen, dieser Erfolg hat mir auch noth gethan. Wie sehr Auguste an mich glaubt, sie hat Eltern und Verwandte, die sehen wollen, um zu glauben. Aber jetzt, wenn ich heimkehre, werden sie befriedigt seyn und Augen machen wie Kinder vor dem brennenden Christbaum. Der Erfolg, wie ich ihn berichten kann, wird auf sie den größten Effekt machen; sie werden mich höher stellen, meinen Zusagen überhaupt und völlig glauben, und sie können es auch. Nachdem ich — mit Ihrer Hülfe, liebste Freundin — meine Kraft erprobt habe, ist mir’s, als ob mir Alles gelingen müßte. Es liegt mir in den Fingern und ich meine es nur auf’s Papier werfen zu dürfen. Ja, ich führe Auguste einem gesicherten Loos entgegen, ich bin davon überzeugt, und werde daher mit aller Zuversicht vor die Eltern treten.“

Rosa, nachdem sie mit einem schwer zu beschreibenden Blick beigestimmt hatte, sagte: „Wann wollen Sie reisen?“ — „Heute noch, in einer Stunde,“ erwiederte Heinrich. „Es ist auch die höchste Zeit. Ich habe nichts an Auguste geschrieben, weil ich mir den Genuß verschaffen wollte, die Erlebnisse der letzten Tage vollständig mündlich zu schildern.“

„Ich verstehe,“ rief das Mädchen. Mit einem Lächeln der Trauer, das aber sogleich in ein Lächeln der Liebe überging, reichte sie ihm die Hand und sagte: „Reisen Sie mit Gott! und finden Sie alles Glück, das Ihr Herz sich wünscht! Aber — vergessen Sie dabei nicht ganz Ihre hiesigen Freunde!“

„O,“ rief Heinrich, „von niemand wird in unsern Unterhaltungen öfter und ehrenvoller die Rede seyn, als von Ihnen! Ihr Lob wird von allen Lippen erschallen, und wenn ich dann mit Auguste zurückkehre, wird unser erster Gang zu Ihnen seyn!“ — Rosa nickte dankend. „Empfehlen Sie mich,“ fuhr Heinrich fort, „der lieben Mutter, es ist mir leider unmöglich, sie zu erwarten. Und nun — leben Sie wohl!“

Er war näher getreten und gab ihr die Hand. Sie, mit edler Freundlichkeit, sagte: „Die herzlichsten Wünsche nochmals, und auf Wiedersehen!“ — „Auf Wiedersehen, unbedingt!“ entgegnete Heinrich, nickte mit einem Blick des Dankes und verließ die Stube. — Rosa begleitete ihn vor die Thüre und rief ihm noch heiter nach: „Grüßen Sie die Braut von der Freundin!“

Dann kehrte sie rasch in die Stube zurück. Das Möglichste war geleistet, ihre Kraft aber zu Ende. — Erschöpft, von tiefster Trauer bezwungen, warf sie sich auf’s Sopha.

Sie hatte entsagt, wiederholt entsagt. Sie hatte ihr Leid besiegt und die erhabene Freude der Großmuth empfunden. Aber dabei hatte sich doch wieder eine Art Hoffnung erhoben, die ja in einem Leben, wo alles veränderlich und das Unwahrscheinlichste noch immer möglich ist, auch nicht ganz und gar ohne Grund war. Jetzt aber, wo der Geliebte nach erreichtem Zweck unmittelbar zu der Andern eilte, um das Band mit ihr unauflöslich zu knüpfen, jetzt war ihr der letzte Schimmer von Hoffnung genommen. Er war dahin für sie! Und wer konnte ihr verbürgen, daß er als Gatte der Andern ihr auch nur als Freund bleiben werde?

Ihre Einbildungskraft führte sie ihm nach und den Ereignissen voraus. Sie sah ihn in die Arme der Verlobten sinken und dieser, was sie selbst vergeblich ersehnt hatte und ersehnte, alles, alles allein zu Theil werden. Ein Gefühl der Eifersucht erhob sich in ihr und stürmte über ihr Wollen und Denken hin gleich einer Springfluth. Jener war alles gegeben, ihr war alles genommen: unselig wehvolles, grausames Geschick! Und wieder die Eine Frage, die sich so oft in ihr erhoben: Konnte Auguste ihm seyn, was sie ihm hätte seyn können? — „Nein!“ mußte sie selber entscheiden. Denn welche Vorzüge sie haben mochte, sie liebte ihn nicht wie sie! Sie hatte ihn nicht erkannt, sah nicht in sein gutes, fühlendes, reiches Herz wie sie, war nicht bezaubert von dem schöpferischen Genius und der lebenswarmen Phantasie, von dem Weitblick des Geistes und der Beschränktheit des kindlichen Sinnes! Für sie hatte die Natur ihn werden lassen! Denn sie bewunderte sein Talent und sie trat ein, wo es zu gut war, um sich mit der Welt abzukämpfen! Seine Schwächen waren ihr lieb, so lieb wie die Gaben, womit Gott und Natur ihn ausgestattet! Sie konnte ihn beglücken, sie konnte glücklich seyn mit ihm!

Hatte sie nicht so mancher Versuchung widerstanden und sich mitten in einer Welt des Leichtsinns, der oft so reizend ist, rein erhalten für ihn? So sehr, daß auch ihr Herz — ihr so oft kalt genanntes Herz — jungfräulich war, und ihre Liebe zu ihm ihre erste Liebe? Und alles das nur, um das Liebste zu entbehren und für ihr ganzes Leben beraubt und elend zu seyn?

Ihre Lippe zuckte bei diesem Gedanken und das Antlitz drückte ein Gefühl tiefster Gekränktheit aus. Ihr Inneres zerfloß. Thränen stürzten ihr in die Augen und rollten die Wangen herab; sie gab sich ihrer Leidenschaft hin und weinte wie ein Kind.

X.

Während die Liebende sich in Thränen zu erleichtern suchte, fuhr Heinrich auf die Eisenbahn, nahm einen Platz in einem wenig besetzten Coupé und sah die letzten Bedenken, die sich nach dem Abschied noch in ihm erhoben hatten, bald durch die Reisegefühle zerstreut, die schmeichelnd seine Brust durchzogen. Es war Anfangs April, die Luft mild, der Himmel dünn überzogen, die Wälder schwärzlich braun, aber Saatfelder und Wiesen grün; und fort ging’s in gewaltigem Rollen, dem Neuen und Neugewordenen entgegen. Da beschäftigt die dichterisch erregte Seele der Augenblick mit seinen Erscheinungen, und wenn sie darüber hinausgeht, so ist’s, in die Zukunft, der man entgegen zieht; das Vergangene ist verschwunden.

Heinrich athmete froh am geöffneten Fenster, sah die Bilder der Landschaft vorüberfliegen, sah den Raum zwischen sich und ihr kleiner und kleiner werden, und es war ihm, als ob er einem Paradies entgegen zöge, das auch schon die zu ihm führenden Wege mit Poesie zu durchhauchen vermochte. Sein Geist eilte voraus, über die Gegenwart hinweg, um das Künftige zur Gegenwart zu machen.

Welch ein Moment, wenn er vor die Eltern trat und sagte: „Hier bin ich! Ich hab’ Alles gehalten, was ich versprochen, und Alles erreicht, was ich mir vorgesetzt! Anerkennung ist mir geworden und verheißen, eine schöne, glückliche Zukunft mir und Auguste verbürgt!“ Welch ein Triumph, wenn er ihre Seelen mit Liebe, mit Bewunderung erfüllte! Wenn die Familie und die Freunde des Hauses mit Blicken einer Achtung auf ihn sahen, die nicht mehr erschüttert werden konnte, und er endlich in der That als das vor ihnen galt, was er war!

Der Ruhm ist süß, nirgends aber süßer als in der Heimath. Nach einem alten Worte gilt der Prophet nichts im Vaterlande; deßwegen muß er eben fort aus ihm und draußen Geltung und Ehre suchen. Hat er sie aber gefunden, dann ist ihm nichts reizender, als ihrer zu genießen in dem Winkel der Erde, der ihn leben und streben sah, unerkannt, ungeglaubt. Die Menschen, denen bei allem persönlichen Wohlwollen sein Ideal ein Aergerniß oder eine Thorheit war, zu überführen durch die That, das ist die Vollendung seines Werks, und wenn er dann die Mienen, deren Zweifel und Spott ihm wehegethan, im Lichte des Beifalls, ja der stolzen Mitfreude glänzen sieht, dann ist sein letzter und feinster Ehrgeiz gestillt; — der Moment ist gekommen, wo er befriedigt ruhen kann.

Heinrich war aber ein Dichter, dessen Geist immer wieder zur Produktion sich drängte. Mitten in den Visionen des Glücks erzeugte er Gedanken und Entwürfe zu neuen, größeren und schöneren Werken. Ideale der dramatischen Poesie traten vor seine Seele, lockend, erregend, und wiesen ihn auf die höchsten Ziele dichterischer Thätigkeit. Es waren dieß nicht Bilder, wie er sie in dem Schauspiel vorgeführt, sondern in seiner Tragödie angestrebt hatte. Jene menschlich interessanten und liebenswürdigen Figuren waren nicht das Höchste; sie konnten überschritten, überglänzt werden durch Gestalten, die den größeren Geist und Charakter, den höheren Schwung der Seele in der gemessen schönen Rede, der Musik des Wortes, der Sprache der Götter ausdrückten. Das war und blieb der Gipfel der Kunst, und ihn zu ersteigen, vielmehr zu erfliegen, glaubte er sich vorzugsweise berufen. Das Schauspiel, das in der Sprache des gewöhnlichen Lebens eben dieses Leben malte, verdiente Anerkennung, wenn es mit ächten, ergötzenden Farben ausgeführt war; und falls ihm selber künftig anziehende Stoffe sich boten, wollte er sich ihnen nicht entziehen. Aber die eigentliche Aufgabe des dramatischen Dichters war doch das hochpoetische Drama, die Tragödie, die in göttlich und dämonisch begabten Charakteren und im Zusammenstoß gewaltigster Leidenschaften die höchst möglichen Erscheinungen der Erde vor Augen stellte; und nur durch Arbeiten auf diesem Feld konnte der lebende deutsche Dichter hoffen an die großen — die allein stehengebliebenen Dramatiker alter und neuer Zeiten sich würdig anzureihen. Ihn hatte es zu solchen Arbeiten gedrängt von Jugend auf, sie waren seine erste Liebe — sie mußten auch seine letzte seyn. Nur ächtes Leben, Quell der Natur mußte die höheren Gebilde durchströmen, wie die bescheidenen Bilder der Wirklichkeit. Vielmehr: noch wahrer mußten jene Gebilde seyn, als diese, weil sie schöner seyn mußten, und in der edelsten Form nicht vergängliches Leben ausdrückten, sondern ewiges. — Darin lag nun eben der Fortschritt, den er in Abweichung von seinem ersten Wege gemacht, daß er nach der Erkenntnis der falschen die wahre Idealisirung sich eingeprägt — daß er das Wollen in sich aufgerufen hatte zum Vollbringen des gesunden Höchsten.

Die bescheidene Arbeit, die ihm gelungen war, hatte ihm den Beifall des Publikums errungen. Die idealeren, die ihm gelingen mußten, sollten ihm diesen Beifall auch erringen, aber das Publikum zugleich in die Höhe hinanheben, die er selber erstiegen — beglückend und wahrhaft fördernd, wahrhaft bildend zugleich sich erweisen.

Als er mit seinen Gedanken dahin gekommen war, sah er für sich hin, wie sich erinnernd, und ein Lächeln verklärte sein Angesicht. Pretentiös hatte man die Reden seiner Schauspielheldin gefunden? Allerdings nicht ganz ohne Grund; er hatte das auch eingesehen und deßwegen herabgestimmt, wo er vermochte. In dem wahrhaft poetischen Drama, wie es ihm nun vorschwebte, konnte er aber sein Ideal des Weibes den höchsten Ton anstimmen lassen, und man fand es natürlich; denn in solche Sphäre gehörte dieser Ton. — —

Der Zug ging langsamer; er fuhr in den Bahnhof eines größern Ortes, von welchem Heinrich seinen Weg mit der Post fortzusetzen hatte. Sein Gepäck an sich nehmend, sorgte der Reisende für einen Platz und benützte die Zwischenzeit zu behaglichem Speisen. — Der Wagen, der ihn aufnahm, war glücklicherweise nicht allzuvoll, und bald wiegte ihn das heimlichere, poetischere Fahren durch Ebenen und Waldthäler in süße Träumereien.

In derselben Stunde, welche den Poeten seinem Reise- und Lebensziel entgegenbrachte, erging auch an die Zurückgelassene in der Residenz ein Ruf, den sie für ihr Leben als epochemachend ansehen konnte.

Sie hatte sich ausgeweint — recht von Herzen — und eine eigen wohlthuende Stille war in sie gezogen: jener Friede der Genesung, wo die Seele, von einer erdrückenden Last befreit, leise die Schwingen wieder erhebt und holde, tröstende Stimmen ihr vom Himmel zu ertönen scheinen. Die Spuren des Thränengusses suchte sie nicht zu verbergen. Als die Mutter heimkehrte, trat sie ihr mit feuchten, gerötheten Augen entgegen und erwiederte auf die Frage, was ihr wäre, mit einem Ton unverholener Trauer: „Er hat Abschied genommen — und ist fort!“ — Die Mutter nickte mit einem Blick liebenden Mitleids. Nach kurzem Schweigen sagte sie: „Um so besser!“

Zwei Stunden gingen vorüber. Der Gegenstand war nicht mehr berührt, das Mädchen gefaßter worden, und der Schein einer still gehobenen Seele klärte ihr Antlitz. Da kam ein Theaterdiener mit einem Schreiben von der Intendanz nebst einer Rolle.

Rosa las, und ein froher Ausruf entfuhr ihrem Munde. Ein schon länger erschienenes, von der Hofbühne aber seit Jahren nicht gegebenes Drama sollte auf hohen Wunsch zur Aufführung kommen. Die Hauptperson darin war eine Figur, die der zweiten Liebhaberin, nach den bisherigen Begriffen von ihr, immer noch zu hoch lag, für welche die erste aber nicht mehr Jugend und Naivetät genug hatte. Es war das fein, ergreifend und schwungvoll ausgeführte Bild einer in schmerzlichen Lagen, in einer Steigerung von Leid sich bewährenden treuen Liebe. — Die Intendanz, von jenem Wunsche gedrängt, fragte nun bei der jungen Künstlerin an, ob sie die Partie nicht doch zu übernehmen vermöchte. Jene, welche die Dichtung kannte, war sofort entschlossen und antwortete mit einem dankbaren Ja.

Es war — das Ganze der Rolle angesehen — ein Schritt auf eine neue und wesentlich höhere Stufe der Darstellung, eine Aufgabe, bei der sie sich etwas zuzumuthen hatte, in ihrem jetzigen Gemüthszustand ein wahrer Segen für sie.

Die Kunst erschien ihr, die das empfand, in erhebendster Bedeutung. Sie war nicht nur ein Ersatz für das mangelnde Glück des Lebens, nicht nur auch ein Quell der Befriedigung, sondern das höhere Leben, der größere Wirkungskreis. — Menschen darzustellen mit allen Mitteln einer lebendigen Persönlichkeit; feinen, fühlenden Seelen zu erscheinen in den anmuthigsten, wohlthuendsten Offenbarungen des Gemüths; ihnen sich einzuprägen in den edelsten Gestalten und ihnen eine Freude zu seyn auch in der Erinnerung; das Beste, was dichterische Phantasie geschaffen, am schönsten zu versinnlichen und dadurch nicht nur zu beglücken, sondern Muster zu werden für die Lebenden und mitzuarbeiten an dem großen Werk der Bildung, das unmerklich, aber dennoch weiter führt: — das ist fürwahr eine Thätigkeit, die ein Menschenleben ausfüllen, in der ein Menschengeist sich genügen kann.

Rosa, an diesen Ideen und Möglichkeiten sich erhebend, sagte zu sich selbst: „Das Eine ist mir genommen, das Andere gegeben; ich muß zufrieden seyn. — Ich will dem Rufe folgen und suchen meinen Kreis zu erweitern, und meine fast, daß es mir gelingen müsse. — In Gottes Namen! Ich will nur Künstlerin seyn, aber dieß ganz! Und wer weiß? Vielleicht hab’ ich doch Recht, wenn ich glaube, daß die Sehnsucht besser spielt, als die Fülle des Glücks. Vielleicht erobert die entbehrende Seele das Leben der Liebe um so glühender auf der Bühne, und der Verlust des Menschenherzens wird ein Gewinn der Kunst, ein Gewinn für ihre Freunde. — — Einerlei! Diese treu Liebende, die ein deutsches Dichterherz erfunden, rührend im Leid und groß in der Schmach, die sie vernichten sollte, dieses schöne Bild will ich spielen und mir gütlich thun dabei. Ich will es aus mir herauslassen, was mich schmerzt und bedrängt, und wenn ich nur mein Herz erleichtere, sollen sie mich loben und rufen: es ist eine Künstlerin! Wahrlich, unsereins darf nicht verzweifeln, ja kaum klagen! Eine Andere müßte sich grämen und die Wunden von der Zeit heilen lassen, die so langsam und so dürftig heilt; ich kann mein Herzeleid in andere Herzen ergießen, daß es rührt und wohlthut! — — Es ist,“ setzte sie nach einem Augenblick lächelnd hinzu, „ein wenig ideell, dieses Glück der Schauspielerin, das ist nicht zu läugnen; aber es ist ein Ersatz, und mir soll’s genug seyn!“

Die Aufführung des Stücks war für die nächste Woche beantragt. Rosa nahm die Rolle vor, erwog sie nach ihrem Grundcharakter und ihren Wandelungen, vertiefte sich in sie und lebte ganz ihrer Aufgabe. —

Heinrich näherte sich dem Ende seiner Fahrt. Nach einer Wendung um eine Anhöhe lag die Stadt vor ihm in Abendbeleuchtung, bescheidener als die Residenz, aber heimlicher, und für den liebenden Dichter von einem bezaubernden romantischen Duft umflossen. Die Schornsteine rauchten, die hervorragenden Gebäude, die hohen Thürme schauten so freundlich bekannt und doch poetisch anders her zu ihm, der selbst ein Anderer geworden. Die Gärten am Zwinger umkränzten die Häusermassen so traulich. Dort aber, in der Nähe der Hauptkirche, da lag es, das Heim seiner Seele, das Haus, das die Erwählte beherbergte. Der äußerste Garten vor der Stadtmauer war erreicht, eine kurze Frist noch, und er begrüßte sie.

Der Wagen ging durch das Thor, durch die Hauptstraße: das Herz des Liebenden begann zu klopfen, in Gefühlen zu klopfen, die ihn überraschten. Die stolze Freude, womit er vor Auguste und die Eltern zu treten gedachte, war noch in ihm; aber je näher er dem Hause kam, je mehr erhob sich daneben eine Sorge, die ein unwillkürliches dumpfes Beben zur Folge hatte. Sahen die Eltern seine Erfolge und Hoffnungen mit seinen Augen an? Würdigten sie die Bedeutung seines Talents in seiner ganzen Ausdehnung? Legten sie die Hand der Tochter in die seine mit dem ehrenden Vertrauen, das er fordern konnte, und das zu seinem Glück unentbehrlich war? Oder? —

Unwillig schüttelte er den Kopf über Gedanken, welche den Moment des Wiedersehens trüben wollten — über den Kleinmuth, der kränkend war für die braven Leute — kränkend auch für das Geschick, das ihn bisher doch so freundlich geführt hatte.

Im nächsten Gasthof stieg er ab, kleidete sich um und eilte dem stattlichen Hause zu. In den untern Gang eingetreten, erblickte er eine alte, seit Jahren zum Haushalt gehörende Magd, die ihn in der Dämmerung forschend ansah, und als sie ihn erkannte, einen Ausruf der Ueberraschung hören ließ, der einen Klang des Bedauerns hatte.

Heinrich war nicht in der Verfassung, dieß zu bemerken und rief erfreut: „Hanna! — Wie steht’s? Sind alle zu Hause?“ — „Ja, Herr Heinrich,“ war die Antwort. — „Alle?“

„Alle miteinander.“ — „Gut!“ rief der Glückliche, machte einen Schritt gegen die Treppe, hielt aber plötzlich an und sagte zu der ernst vor ihm Stehenden mit Lächeln: „Melde mich, Hanna!“

Die Alte stieg hinan, Heinrich ging auf und ab. Aus’s neue begann sein Herz bange zu pochen. Er schüttelte den Kopf über sich selbst und mühte sich, die Unruhe niederzuhalten; aber das änderte nichts und bald gerieth sein ganzes Wesen in Aufruhr.

Die Alte blieb ungewöhnlich lange aus. — Warum ließ man ihn warten? Was hatte das zu bedeuten? Niemals war ihm das begegnet in diesem Hause! — Endlich erschien sie mit einem Licht und rief: „Sie sind willkommen, Herr Born.“ Heinrich betrachtete sie und sagte: „Du bist so ernsthaft, Hanna. — Es ist doch nichts vorgefallen? Keinem ein Unglück begegnet?“ — „Durchaus nicht,“ erwiederte die Alte nicht ohne ein gewisses Mundverziehen. „Sie werden aber doch nicht mehr Alles so finden, wie’s gewesen ist!“ — „Was ist geschehen?“ rief Heinrich schnell. — „Gehen Sie nur hinauf!“ war die Antwort. „Sie sind im großen Zimmer.“

Der Liebende, mit Vorgefühlen, die jetzt nur gar zu gerechtfertigt waren, eilte die Treppe hinan, klopfte an die Thüre und trat auf das „Herein“ des Vetters in den Salon.

Er erblickte beim Schein einer Lampe die Eltern, nicht weit von ihnen Auguste, und neben ihr einen stattlichen, elegant gekleideten Mann von seinem Alter, den er sich nicht erinnerte früher gesehen zu haben. Der Unbekannte war größer und muskulöser gebaut, als selbst er, die Haare dunkel, die Gesichtsfarbe gesund und braun. Aussehen und Haltung verriethen einen Mann, dem eine feste Lebensbasis und bewährte Fähigkeiten eine ungewöhnliche Ruhe und Sicherheit verleihen.

Dem Poeten entfielen bei diesem Anblick die freudigen Ausrufungen, womit er den Verwandten in die Arme zu eilen gedacht hatte, ganz und gar. Da man auf seinen ersten Gruß auch noch sehr förmlich antwortete, da Auguste tief erröthet war und mit unwillkürlichem verlegenen Bedauern zu ihm hersah, befiel ihn mit einemmal die schlimmste Ahnung, und eine unbeschreibliche Verwirrung ergriff ihn.

Auguste, mit plötzlicher Entschlossenheit und einer Haltung, deren sich eine Heroine nicht zu schämen gehabt hätte, trat einen Schritt näher und sagte, vorstellend, zu Heinrich: „Herr Kronfeld, Sohn unseres Verwandten, den du kennst — mein Bräutigam.“ Dann zu diesem: „Doktor Born, unser Vetter — der Dichter, dessen Lob du in den Zeitungen gelesen hast.“

Der junge Kaufmann verneigte sich und erklärte seine Freude, die Bekanntschaft zu machen, nicht ohne einen merklichen Zug von Triumph in dem ruhig vornehmen Gesicht. Heinrich starrte ihn an und dankte mechanisch.

Das Wort „Bräutigam“ hatte ihn trotz seiner Ahnung wie ein Donnerkeil getroffen und auf einen Moment förmlich gelähmt. Ringend suchte er wieder eine Haltung zu gewinnen, instinktmäßig betrachtete er Auguste und die Eltern, ob es nicht doch ein Scherz wäre, den sie mit ihm vorhatten — eine Comödie, die sie spielen wollten. — Aber die Mienen Aller widersprachen dieser Meinung strengstens. Das glühende Gesicht der Tochter verkündete einen unwiderruflich gefaßten Entschluß; die Eltern sahen verlegen und sarkastisch her, wie man auf einen Geopferten und Getäuschten zu blicken pflegt.

Es war geschehen! Der beispiellose Verrath war begangen! Er war betrogen, geäfft, gehöhnt auf’s Schnödeste! Ein Abgrund von Treulosigkeit that sich vor ihm auf. — Doch, ein unmännlich Jammerbild wollt’ er den verrätherischen Seelen nicht geben. Die Falsche war seiner Verzweiflung nicht werth, auch nicht seines Zorns und einer Scene, die erzürnte Vorwürfe herbeigeführt hätten. Die kalte Ruhe der Verachtung mußte er zeigen, den Hohn des Mannes, dem nur das verächtlich Werthloseste entzogen wird! —

Trotz der besten Vorsätze war es aber das nicht, was dem Dichter gelingen konnte, und auch in der That nur sein erster Gedanke. Ihm geziemte der Stolz der geistig sittlichen Ueberlegenheit und des reinen Bewußtseyns. Das war das Arsenal, aus dem er die Waffen holen mußte gegen die empörende Unbill. Durften sie sich nicht weiden an dem Geknickten, so war er doch zu gut, namentlich aber zu groß dazu, um Böses mit Bösem zu vergelten. Er wollte zeigen, daß er nicht nur in seinen Poesien hochsinnig dachte, sondern auch in der That und Wahrheit. Er wollte sie vernichten durch den Adel des wahren Poeten und durch die stolze Gleichgültigkeit, die damit Hand in Hand ging.

Indem es dem Dichter wirklich gelang, sich zu fassen, entgegnete er mit einer ironischen Artigkeit, die in der That ganz von oben kam: „Halten Sie es meiner Ueberraschung zu gute, daß ich nicht gleich die rechten Worte gefunden, auf Ihre erfreuliche Mittheilung zu antworten. Sie kennen meine Gesinnung und wissen, welchen Antheil ich an Allem nehme, was Sie betrifft. Empfangen Sie nun meine besten Wünsche, und möge dir, liebe Cousine, alles Glück zu Theil werden, das du verdienst — und das der Mann deiner Wahl dir verbürgt!“

Diese Rede, trotz der Ironie, die namentlich der Braut sehr fühlbar wurde, befreite die Gemüther gleichwohl: die Scene, die man fürchten mußte und fürchtete, obwohl man sie zu bestehen sich entschlossen hatte, war vermieden, und man konnte die aufgerissene Kluft mit Versicherungen überdecken. In der That zeigte sich ein Schein von Erkenntlichkeit und Wohlwollen in allen Mienen. Der Vater ergriff das Wort und versetzte mit großem Ernst: „Ich danke dir, Heinrich! Wenn Leute, die sich lieben und in jeder Beziehung für einander passen, Glück haben können in der Welt, so dürfen wir’s für unsern Sohn und unsere Tochter hoffen. Herr Kronfeld, der Jahre lang im Ausland gewesen und erst vor wenig Wochen aus London zurückgekehrt ist, wird die Fabrik seines Vaters übernehmen und von den Kenntnissen, die er auswärts gesammelt hat, Gebrauch machen. Schon jetzt beschäftigt er dreihundert Arbeiter —“

Heinrich verneigte sich mit einer Anerkennung, aus der die ganze still sublime Geringschätzung des Idealisten heraussah. — „Es werden aber,“ fuhr jener mit einem Ausdruck fort, als ob die Verlobung der Tochter dadurch mehr als gerechtfertigt wäre, „mit der Zeit nochmal so viel werden.“ — „Das ist in der That großartig!“ rief Heinrich. „Wie ich meine Cousine kenne, ist das auch der rechte Wirkungskreis für sie, das eigentliche Feld für ihren ausgezeichneten praktischen Sinn und ihren auf’s Große gerichteten Geist. Ich wiederhole meine Glückwünsche — und freue mich, daß sich Alles so schön gefügt hat.“

Mutter Werthlieb lächelte, halb über die Ironie, die sie ihm gönnen mußte, halb über die Art, gute Miene zu machen, wofür sie’s nahm. In Folge eines instinktmäßigen Dranges, nun auch dem gleichwohl sehr gekränkten Vetter etwas Angenehmes zu sagen, begann sie: „Laß uns jetzt aber auch von dir reden, lieber Heinrich! Du hast Glück gemacht, dein Stück hat Beifall gefunden. Wir haben’s gehört und gelesen.“

Heinrich zuckte unwillkürlich die Achsel und entgegnete mit einer Miene der Geringschätzung: „Was will das heißen? Eine Kleinigkeit!“ — „Nun,“ bemerkte der Vetter, der die Rede wörtlich zu nehmen den Takt hatte, „es hat mich doch sehr gefreut. Auf der Hofbühne, eine solche Auszeichnung! Es ist immer ein schöner Anfang.“

„Ja,“ fuhr Auguste, deren Miene schwer bekämpftes Schamgefühl ausdrückte, mit einem Blick des Antheils fort; „es hat uns Alle außerordentlich gefreut —“ — „Und überrascht?“ fiel Heinrich ein; „natürlich!“

Auguste, erröthend, entgegnete: „Ich hab’ es nicht anders von dir erwartet.“ — „Du schmeichelst!“ versetzte der Poet mit voller Ueberlegenheit. „Ich, wenn ich aufrichtig seyn soll, hätte dieses Zutrauen nicht von dir erwartet!“

Die Mutter, der Tochter zu Hülfe kommend, fuhr fort: „Ein Bekannter von uns, der zufällig dort war, Stadtrath Weiß, hat die erste Aufführung gesehen und uns genau erzählt, wie’s gegangen ist. Anfangs war er für dich sehr in Sorge; aber dann wurde er stolz auf einen solchen Landsmann und hat sich deiner Bekanntschaft gerühmt. Uebrigens“ — fügte sie lächelnd hinzu — „hat er gethan, was in seinen Kräften stand und dich mitgerufen.“ — Heinrich, lächelnd über die Naivetät dieser Mittheilung, erwiederte: „Sagen Sie ihm gelegentlich meinen Dank.“

„Es muß ein eigenes Gefühl seyn,“ bemerkte nun der junge Fabrikbesitzer mit der Miene eines über solche Triumphe glücklicherweise Erhabenen, „vor ein begeistertes Publikum zu treten und seinen Ruhm so handgreiflich in Empfang zu nehmen.“ — „Jedenfalls,“ erwiederte Heinrich, „fühlt man sich dabei geehrter, als in mancher andern Situation!“

Der alte Herr lächelte unwillkürlich, er mußte diese Bemerkung gut finden. Im Grunde schien ihm jetzt nicht nur das Eis gebrochen, sondern der fatale Handel so gut wie beigelegt, und nun kehrte der Geschäftsmann, der in seiner Familie das Behagen liebte, ohne weiteres zur vetterlichen Traulichkeit und zur Bonhomie des vieljährigen Gönners zurück. Er sah den Poeten freundlich an und rief mit cordialer Ermuthigung: „Du mußt uns das Stück vorlesen! Wir bitten eine Gesellschaft zusammen, Verwandte und Freunde, die du kennst und die dich als Dichter verehren, und du feierst dann auch hier deinen Triumph.“ — „Ach ja,“ rief die Gattin, „das wäre charmant!“

Dießmal konnte der Poet doch nicht umhin, einen stechenden Blick der Verachtung auf Menschen zu werfen, die sich’s mit ihm so außerordentlich leicht machten. Er nahm sich indeß zusammen und versetzte mit möglichstem Ernst: „Wird doch nicht gehen, Base. Ich will so bald als möglich zu meinen Eltern, die sich nach mir sehnen und deren treuer Liebe ich die Freude, die ich ihnen machen kann, nicht länger vorenthalten darf. Auch ich, wie Sie sich denken mögen, sehne mich darnach, sie wieder zu sehen.“ Und mit einem Ausdruck rückhaltloser Superiorität, der vielleicht die beste Rache ist, setzte er hinzu: „Genießen Sie das Glück, das die rühmliche Verbindung Ihnen Allen verheißt! Die Gesinnung, die es geschaffen hat, wird es auch erhalten; und mit aller Freude, die ein Freund darüber empfinden kann, scheid’ ich nun! Leben Sie wohl!“

Er hatte bei den letzten Worten umhergesehen und einen durchdringenden Blick auf Auguste ruhen lassen. Diese schlug die Augen nieder und machte eine Bewegung, als ob sie in’s Herz getroffen wäre. Heinrich, es gewahrend, verbeugte sich und verließ das Zimmer.

Mit brennenden Wangen ging er die Treppe hinunter. Als er der Alten ansichtig ward, rief er: „Du hast Recht gehabt, Hanna! — Gott sey, Dank! Das wär’ überstanden!“

Jene trat einen Schritt näher, und indem sie ihr Gesicht in strenge Falten legte, sagte sie mit gedämpfter Stimme: „Fräulein Auguste hat sehr unrecht gegen Sie gehandelt. Ich kann Ihnen sagen, das ist nicht nur meine Meinung, sondern gar viele denken so.“ — „Wirklich?“ rief der Poet mit dem Ton ironischen Verwunderns. — „Der Herr Rektor,“ fuhr Hanna fort, „hat ihr die Freundschaft aufgekündigt und kommt nie mehr in unser Haus.“

„Ein Ehrenmann,“ versetzte Heinrich; „das ist begreiflich! — Nun, Hanna, lebe wohl! Es thut mir gut, wenigstens Eine treue Seele in diesem Hause getroffen zu haben.“ Ernst ergriff er ihre Hand, drückte sie und sagte herzlich: „Behalte mich in gutem Andenken!“ — „Oh,“ rief die Alte mit Thränen in den Augen, „Sie sind gut, Herr Heinrich, und Sie werden auch noch glücklich seyn! Besser vorher als nachher! Machen Sie sich keinen Kummer! Ein Herr wie Sie —“

Der junge Mann, trüb lächelnd, schüttelte den Kopf, machte eine Bewegung des Abschieds und ging der Thüre zu. Auf einmal, von der Treppe herab, ertönte der dringende Ruf: „Heinrich!“ Er kam von Auguste, die sich alsbald zeigte und mit raschen Tritten zu ihm herabstieg.

Heinrich hatte sich wieder umgewendet, befremdet sah er sie an und sagte kalt: „Was wünschen Sie von mir?“ — „Geh!“ versetzte das Mädchen mit einem Blick des Vorwurfs in dem schuldbewußten Gesicht. „Stell’ dich nicht fremd gegen mich! Wir sind immer noch Verwandte und Jugendfreunde!“

Heinrich lächelte mit einem Ausdruck unverholener Geringschätzung. Dann, nach einer Bewegung, die einen gefaßten Entschluß anzeigte, entgegnete er: „Nun, also — was willst du von mir?“ — „Ich muß mit dir reden,“ erwiederte das Mädchen. — „Wozu das, gute Cousine?“

„Du mußt mich hören!“ fuhr sie leidenschaftlicher fort. „Ich verlang’ es von dir! — Ich bitte dich darum,“ setzte sie weicher hinzu.

Heinrich, nach einem Blick auf sie, nickte mit dem Ausdruck des Verstehens. Sie ging ihm voran in ein Zimmer, das er selbst, wenn er auf Besuch hier war, zu bewohnen pflegte; er folgte mit der Miene glaubensloser Neugier.

Jene, nachdem sie die Thüre geschlossen, begann: „Ich weiß, Heinrich, daß du mich verdammst. Du denkst das Schlimmste, das Niedrigste von mir, weil du nicht weißt, wie Alles so gekommen ist — und ich kann dich nicht so gehen lassen! Was ich gethan habe, das ist geschehen nach genauer Ueberlegung; und ich hab’ nur gethan, was ich für meine Pflicht hielt.“

Heinrich betrachtete sie mit einem Blick des Mitleids. „Ich will’s nicht bestreiten,“ sagte er dann. „Es gibt verschiedene Ansichten über das, was man Pflicht nennt.“

„Der Entschluß, zu dem ich endlich gekommen bin, hat mich einen großen Kampf gekostet,“ fuhr Auguste mit Nachdruck fort. — „Das kann ich glauben,“ erwiederte jener. „Dem Verlobten die Treue zu brechen —“ — „Wir waren nicht verlobt!“ fiel Auguste rasch ein.

„Förmlich nicht,“ versetzte Heinrich — „allerdings! Wir hatten nicht Ringe gewechselt und keine Verlobungskarten ausgegeben. Aber ich hab’ das Verhältniß nie anders angesehen, und du schienst dich doch auch zu benehmen, als ob es eben diese Bedeutung hätte. Erinnerst du dich vielleicht noch unseres Abschieds und was du mir dabei gesagt hast? Erinnerst du dich der Briefe, die du mir geschrieben? Mir schienen das Betheurungen einer Liebenden, die treu seyn will. Und wie lang ist’s her, daß ich den letzten erhalten habe?“

Auguste war tief erröthet. Nach einem Moment des Besinnens entgegnete sie, ohne die innere Bewegung verbergen zu können: „Ich will meine Briefe nicht verläugnen, ich will kein Wort verläugnen, das in ihnen steht. Wir sind eben mit einander aufgewachsen; du hast mich liebgewonnen und ich dich, und wir haben so fortgelebt wie in einem Traum. Aus der Freundschaft naher Verwandter, die sich dutzten von Jugend auf, ist ein Verhältniß entstanden, das ernster schien, als es war. Die hergebrachte Vertraulichkeit hat wenigstens mich weiter geführt, als ich sonst gegangen wäre: ohne deine Base zu seyn, hätt’ ich nie mit dir Briefe gewechselt.“

„Mag seyn,“ versetzte Heinrich, indem seine Augen zu funkeln begannen. „Aber du hast sie nun einmal gewechselt, hast mein Gelöbniß der Liebe und Treue vernommen und wieder vernommen — hast es erwiedert! Und wenn auch in deinen Briefen nicht die Wärme, die glühende Liebe herrschte wie in den meinen — von der Jungfrau hab’ ich das nicht verlangt —, so sind es doch Ergießungen einer Seele, die sich für gebunden achtet, die ihr Loos an das des Geliebten gefesselt hält.“

„Ja,“ versetzte Auguste, „das ist wahr — wahr von den Briefen, die ich dir bis zu einer gewissen Zeit geschrieben habe! Damals, wenn du mich von meinen Eltern hättest verlangen können, wär’ ich dir gefolgt, mit Freuden gefolgt!“ — „Aber dann,“ versetzte Heinrich, „kam ein Anderer und Besserer —“ — „Nein!“ unterbrach ihn das Mädchen. Schon vorher änderte sich meine Gesinnung — und mußte sich ändern.“

Der Poet sah sie erstaunt, mit tiefem Unmuth an; Auguste fuhr fort: „Erinnere dich, wie es dir ergangen ist, und versetze dich in meine Lage! Du bist in die Residenz gereist mit einer Theaterdichtung, die wir hier alle für ausgezeichnet gehalten haben und von welcher du für deine Person dir Ehre, glänzenden Ruhm und die größten Vortheile versprochen hast. Du hast sie nicht einmal zur Aufführung bringen können. Und wie zornig du über den Vorfall warst, endlich hast du doch selber zugeben müssen, daß sie für die Bühne sich nicht eignete. Dann hast du ein neues Stück angefangen und warst deiner Sache ganz sicher und hast mir wieder die besten und schönsten Erfolge prophezeit. Ich habe dir wieder geglaubt und meine Eltern, die höchst bedenklich geworden waren, nochmal zum Glauben bewogen. Da, nach Wochen erneuerter Hoffnungen, schreibst du mir: die zweite Arbeit sey wieder aufgegeben und du habest eine dritte begonnen, wozu dir diese Schauspielerin den Stoff überlassen habe. Auf diese Nachricht, ich will es nicht läugnen, wankte auch mein Vertrauen.“ — „Zur unrechtesten Zeit!“ fiel Heinrich ein.

Auguste sah ihn mit einem eigenen Blick an und sagte: „Ich bin keine Dichterin, wenn ich auch Dichter verehre; ich kann mir die Dinge nicht durch Phantasie verschönern und muß sie daher nehmen, wie sie sind. Ich habe dich geliebt und dir vertraut, und hättest du mein Vertrauen gerechtfertigt, so wär’ ich die Deine geworden. Aber nachdem zwei deiner stolzesten Verheißungen unerfüllt geblieben waren und sich recht eigentlich in Nichts aufgelöst hatten, wie wär’ es mir möglich gewesen, ernstlich an die dritte zu glauben? Wie konnte ich annehmen, daß dir mit dem fremden Entwurf gelingen werde, was dir mit deinen eigenen, die du so begeistert ausgedacht und so sehr gepriesen hattest, nicht gelungen war? Ich mußte denken, daß du über dein Talent überhaupt in einer Täuschung befangen warst, daß deine Kräfte zu dieser Art von Arbeiten nicht hinreichten, daß deine Bemühungen vergeblich seyn und bleiben würden — und daß du mich, wenn auch mit dem besten Glauben von der Welt, hinhalten würdest und müßtest, weil dir ein Plan um den andern fehlschlug.“

Heinrich wollte reden, aber das Mädchen schnitt ihm das Wort im Mund ab, indem sie fortfuhr: „Sag’ selbst, welch ein Schicksal erwartete mich unter diesen Umständen? Wenn ich den Bitten, den dringenden Mahnungen meiner Eltern auch hätte widerstehen können, so wurde ich älter; ein Jahr um’s andere und mit ihm das bischen Jugendblüthe ging dahin; und wenn mir das in einer Art geschah, wie es mancher geschehen ist — wer stand mir dafür gut, daß du nicht endlich selber dein Herz von mir abkehrtest?“

„Oh!“ rief Heinrich, indem er sich unwillig wegwandte. — „Es wäre nicht das erstemal,“ fuhr Auguste fort, „daß ein glühender Liebhaber kalt würde und sich zurückzöge! Poeten sind wandelbar, und eine neue Liebe kann für ihr Herz gar leicht mehr Reize haben, als die Pflicht der Treue. Genug, wenn ich mich nicht selbst verblenden wollte, konnte ich jetzt in einem fortgesetzten Verhältniß weder mehr auf mein Glück rechnen noch auf das deine. Mein Vater (wenn ich das auch sonst von ihm hätte erwarten dürfen) konnte unsere Erhaltung für sich allein nicht bestreiten, nicht mehr bestreiten, mein guter Heinrich! Von dem Augenblick nun, wo ich das in aller Klarheit sah, betrachtete ich mich nur noch als deine Verwandte, deine Freundin; und wenn du meinen letzten Brief nochmals ansehen magst, wirst du dich überzeugen, daß sich in ihm nur die sorgenvolle Theilnahme an deinem Schicksal ausspricht, wie sie eine Freundin empfindet. Kurze Zeit, nachdem ich diesen Brief geschrieben, sah ich den jungen Kronfeld, gewann sein Herz, ganz ahnungslos von meiner Seite, und hörte seinen Antrag. Ich verbrachte trotz alledem Tage der größten Aufregung und der peinlichsten Zweifel, weil ich mir den Eindruck vorstellte, den dieser Schritt auf dich machen würde und eine Stimme in mir doch wieder für dich gesprochen hatte. Aber von dem ausgezeichneten jungen Mann, von meinen und seinen Eltern gedrängt, wiederholt und mit Gründen gedrängt, denen ich nichts mehr entgegenzusetzen wußte, sagte ich endlich Ja.“

Heinrich nickte, wie zu der guten Vertheidigung einer schlechten Sache, und entgegnete bitter: „Das war zu derselben Zeit, wo dein Geliebter und Verlobter sein Wort zur Wahrheit machte und mit der Schöpfung seines Geistes einen Erfolg errang, der ihm eine rühmliche Zukunft, uns beiden eine geehrte Existenz verbürgte!“

Auguste konnte nicht umhin, nun einen flüchtigen Blick des Mitleids auf ihn zu werfen. „Heinrich,“ erwiederte sie, „ich freue mich dieses Glücks von ganzer Seele! Aber nach der Belehrung, die ich darüber erhalten habe, kann ich die Hoffnungen nicht mehr theilen, die du darauf zu bauen scheinst. Wer ist dir denn gut dafür, daß dieses Stück auch anderswo so gefällt wie da, wo die Mitarbeiterin darin gespielt und natürlich ihre Freunde und Verehrer hat? Wer ist dir gut dafür, daß man es an andern Orten, wo keine Gönner helfen, auch nur gibt? Und wenn es gegeben würde und gefiele, wer verbürgt dir, daß deine neuen Arbeiten eben den Beifall erhalten wie diese, die unter so besondern Verhältnissen entstanden ist? Ein Theaterstück, das hier und dort wohl aufgenommen wird, gründet noch nicht die Existenz eines einzelnen Mannes, geschweige denn einer Familie. Ich habe darüber im Hause meines Bräutigams von einem Schriftsteller, der in diesen Dingen bewandert ist, Aufklärungen erhalten, die mich in meinem Entschluß nur bestärken konnten. Darum will ich dir aber jetzt das Herz nicht schwer machen. Es ist möglich, daß dir von nun an Alles über Erwarten gelingt, und niemand kann es inniger wünschen als ich. Aber ich, in meinen Verhältnissen, konnte an diese Möglichkeit — noch dazu in einer Zeit, wo sie eine höchst entfernte war — nicht das Schicksal meines ganzen Lebens knüpfen, während von anderer Seite mir und meinen Eltern das gesichertste, ehrenvollste Loos und ein Wirkungskreis geboten war, wie ich ihn mir immer gewünscht habe.“

Heinrich stand mit bebender Lippe. „Richtig!“ entgegnete er; „richtig — und abscheulich!“ — Auguste sah ihn an wie eine Verletzte. — „Du hast sehr einsichtsvoll gehandelt!“ fuhr jener fort; „als ein wahres Muster von Ueberlegung und praktischem Verstand! Aber von Gemüth und von Würde der Gesinnung erblick’ ich keine Spur in deinem Verhalten! Wenn diese Gründe gelten, dann kann man jede Treue brechen; denn immer kann man sagen: ich habe zwar eine heilige Zusage gegeben und unwandelbare Treue hoffen lassen; aber dort bietet sich mehr Vortheil, mehr Sicherheit, man lebt nur Einmal und muß vernünftig seyn, also laßt uns absagen und unser Lebensglück begründen!“

„Heinrich!“ rief das Mädchen, gegen diese Auslegung sich wehrend, in einem Tone zugleich der Scham und der Entrüstung. — „Geh,“ rief dieser, „du kennst die Liebe nicht! Die Liebe ist eine Flamme, die mit wunderbarer Gewalt auflodert und über alle Rücksichten hinweggeht. Die Liebe will keine Sicherheit, sie will das Wagniß und die Gefahr, und freut sich ihrer! Denn nur der Gefahr und dem Unglauben der Welt gegenüber kann sie zeigen, was in ihr und an ihr ist! Nur in der Selbstaufgebung und im Opfer genügt sie sich! Die Liebe scheut nicht zurück vor dem Gedanken des Leides, ja nicht des Untergangs! Die Liebe hofft Alles und geht Hand in Hand mit dem Glauben; aber sie ist auch bereit, Alles zu dulden, weil sie weiß, daß jedem zeitlichen Verlust ewiger Ersatz wird! Geh hin und stelle dich zu deines Gleichen! Du verlierst mehr, als du gewinnst! Ein einziger Augenblick einer edeln Seele, die göttlich denkt und handelt, ist mehr werth als ein ganzes Leben solcher verständigen, klugen, herzlosen Figuren! Ich habe mich getäuscht, ja; aber nicht über mich und mein Talent; denn in mir glüht eine Flamme, die nie verlöschen und nur immer heller aufleuchten wird! Ueber dich hab’ ich mich getäuscht und über deine Gesinnung! In dir hab’ ich eine Göttin erblickt und als eine Göttin hab’ ich dich gefeiert, und sehe nun, daß du nichts bist, als ein Weib, und zwar ein gewöhnliches Weib, mit all dem trivialen Verstand und dem offenen Auge für den Vortheil! Meinethalb! Ich bin beschämt und muß es tragen! Ich bin verschmäht und weggeworfen, und soll meine Schmach nun auch noch für Recht erkennen und der Verächterin meinen Beifall zollen! Doch, Gott sey Dank, es gibt noch Seelen in der Welt, die lieben und liebend wagen und opfern! Es gibt noch Seelen, die mir anhängen mit einer Liebe und Treue, die nichts wankend machen kann! Fort, fort zu ihnen! fort zu meinen Eltern! fort an das Herz der Mutter, die alles empfangen soll, was du verschmähst, und die es mit Freuden empfangen wird! — O,“ fuhr er mit Thränen in den Augen fort, „der Boden brennt mir unter den Füßen — nie, nie werd’ ich dieses Haus mehr betreten!“

„Heinrich!“ rief Auguste erschüttert, mit schmerzlichem Bedauern in dem glühenden Gesicht. Aber dieser war fertig. „Fahr wohl!“ rief er mit einem Stolz, der sein Gesicht leuchten machte; „fahr wohl für diese Welt! Sey glücklich, wie du es vermagst, und vergiß, daß meine Liebe jemals dir gehört hat! Sie war die Tochter des gröbsten Irrthums, ich bereue sie — und sie ist dahin für immer!“

In größter Aufregung, aber dennoch mit stolz gemessenen Schritten verließ er Zimmer und Haus. Auguste, sich fassend und wieder aufrichtend, sah auf die offene Thüre. „Er stürmt fort,“ sagte sie zu sich selbst, „mit Verachtung im Herzen! Aber es ist mir doch lieb, daß ich ihn noch gesprochen habe. Er hat meine Gründe gehört, und wie schlecht sie ihm jetzt vorkommen mögen, wenn er meinen Entschluß ruhiger bedenkt, wird er mich und sich selbst besser beurtheilen. Ich hab’ doch recht gethan, mich nicht für mein Leben an ihn zu fesseln. Das erkenn’ ich jetzt mehr als jemals. Und,“ setzte sie mit einem Ausdruck voll Selbstgefühl hinzu, „wie verächtlich mein Loos ihm erscheinen mag, ich nehm’ es an.“ —

Heinrich ging rasch in den Gasthof zurück, eilte auf sein Zimmer und schloß sich ein. Es war Zeit. Sein Herz war unendlich gedrückt, von einem Strom der bittersten Empfindung durchfluthet, und Thränen stürzten ihm aus den Augen, Thränen der Scham, des Wehs und des Zorns. „Welch ein Verrath!“ rief er. „Welch ein Abgrund von Selbstsucht! Ist es möglich? Hab’ ich mich so völlig getäuscht? Unverzeihlich, unverzeihlich! Bei mir war Alles Ernst, hoher, heiliger Ernst, bei ihr Alles Schein, Phrase, hohle Phrase! Ewige Schmach für mich! Sie hab’ ich angesehen und dargestellt als das Ideal des Weibes! leuchtend in allen Tugenden, die sie zu haben schien, mit jener diabolischen Magie des Weibes zu haben sich anstellte, und die doch keiner ferner waren als eben ihr! Doch — in Gottes Namen! Sey mein Irrthum der gröbste gewesen, Liebe hat in mir geirrt und ein großmüthig fühlendes Herz! Mag ich der Dumme gewesen seyn, wenn ich nur nicht der Lieblose war! Denn der Weltverstand lernt sich, die Liebe nimmermehr, und wo die Liebe fehlt, da fehlt das Heil und die Ehre des Menschenthums!“

Schweigend saß er eine Zeitlang. Dann, mit schmerzlichem Ernst nickend, fuhr er fort: „Unerhört ist die Kränkung, die ich erfahren habe, und ich weiß es, ich werde von dem Gift, das mich peinigt, so schnell nicht genesen; aber Etwas bleibt mir, das mich trösten und endlich, so Gott will, auch heilen wird: das Herz meiner Eltern, das Herz edler Seelen, die mir Antheil bezeigt und mit liebevoll uneigennütziger Freundlichkeit und Güte mich gefördert haben.“

Er hielt inne, und während die Thränen in seinen Augen versiegten, starrte er für sich hin. Plötzlich fuhr er zusammen. Eine dunkle Röthe ergoß sich über seine Wangen, seine Brust arbeitete und die Züge, die nur Anklage und Leid ausgedrückt hatten, verriethen auf einmal Schuldgefühl, Scham und Sorge.

Mit der Hand über die Stirn fahrend, rief er aus: „Zu meinen Eltern! Sie sollen meine Ehre, meine Schmach erfahren! — Bei ihnen hoffe ich Ruhe und, so Gott will, neuen Lebensmuth zu finden!“

XI.

Am andern Morgen reiste Heinrich ab. Der Tag war schön, und der schmerzlich Beraubte, aber der Entsagung Fähige hatte, in der offnen Chaise, die er für sich genommen, allein durch Feld und Wald hinrollend, wundersame Empfindungen. Die Lerchen sangen steigend in die sonnige Höhe — die frohen, frischen Klänge, die ihn von allen Seiten umtönten, übten auf das gedrückte Herz eine freundliche Wirkung. Je weiter er von der Stadt sich entfernte, um so erleichterter fühlte er sich. Sie versank hinter ihm, in der er so brennenden Schimpf erfahren: die Flecken, die seiner Ehre sich angeheftet, schienen mit ihr zu vergehen, und das stechende Leid milderte sich zu linder Trauer.

Als er der Heimath sich näherte, sprachen ihn die Landschaftsbilder wohlthuender an, und die Poesie der Knabenjahre, der ersten Ausflüge, deren er sich hier erinnern mußte, legte sich ihm balsamisch an die Seele. Die Liebe, der er entgegenging, beglückte und rührte ihn in der bloßen Vorstellung, und tief empfand er die heilige Festigkeit des Bandes, das Eltern und Kind verknüpft. Die peinliche Erfahrung hatte ihn selbst wieder zum Kinde gemacht, das Trost und Hülfe suchte bei denen, welche die Natur ihm zum treuesten Beistand angewiesen; und diesem Trost, wie sehnte er sich ihm entgegen! Als nun aber das Städtchen selbst hervortrat, da gingen schmerzlich erregte Gefühle durch die wohlthuenden: er bangte vor dem Moment des Geständnisses, vor dem Unmuth und dem Schmerz der mitbeleidigten Eltern, und er mußte alle Kraft zusammennehmen, um endlich mit gefaßter Miene vor sie zu treten.

Die ersten zärtlichen Begrüßungen und Umarmungen belehrten ihn, daß ein Geständniß nicht mehr nöthig sey. Die Untreue der Geliebten war im Orte schon bekannt, und das Benehmen des Mädchens wurde namentlich von der Mutter leidenschaftlich verurtheilt. Heinrich vernahm aus dem Munde der guten Frau Bedauern, Anklagen und Glückwünsche nacheinander, während der Vater schweigend oder mit ernsten, kurzen Worten zustimmte. Er sah aber auch, wie die Freude über den öffentlichen Erfolg und den beginnenden Ruhm des Sohnes den Verdruß über die erlittene Kränkung in Beiden überwog, und fühlte mit tiefer Beruhigung, daß er sich mit ihnen verständigen konnte. Wie wohl that ihm das! Gerührt sah er in die guten Augen, aus denen die treueste Liebe glänzte.

Er wollte sich entstricken von den Erschütterungen der letzten Tage, zu dem neuen Leben in möglichster Einsamkeit sich vorbereiten, und mit heimlichen, wenn auch melancholischen Empfindungen richtete er sich in dem Stübchen ein, das er seit Jahren zu bewohnen pflegte — still, abgelegen, mit der Aussicht auf den Garten, für ihn ein erinnerungsreicher Boden und ganz geeignet zum Rückgang in frühere Zeiten, zum Ueberdenken des Erlebten und zum Ausreifen neuer Entschließungen. — —

Es ist nicht meine Absicht, den Verkehr Heinrichs mit den Seinen und mit den guten Freunden, deren er in dem Geburtsorte besaß, näher zu schildern. Auch die letztern nahmen lebhaft Partei für ihn, und manche scharfe Bemerkung fiel über das weibliche Geschlecht überhaupt, wogegen aber eben der Geschädigte zu protestiren pflegte.

Er genas, wenn auch langsam und ohne den fröhlichen Sinn und schönen Muth früherer Tage wiederzufinden. Zuweilen sprach er sich über Auguste und ihr Verhalten in einer Art aus, daß man schließen mußte, er sehe in der Lösung des Bandes ein für ihn unter allen Umständen günstiges Geschick. Dann erblickte man ihn aber doch wieder in Aufregung, Verwirrung und Betrübniß. Die Mutter, die am innigsten mit ihm fühlte, tröstete ihn in solchen Momenten und meinte: er werde schon die Rechte noch finden! Wenn er dann eigen seufzte und die Achsel zuckte, ruhte sie nicht mit erheiternden, ja schmeichelnden Reden, bis seine Mienen sich wieder aufhellten. Einmal entgegnete er der Trösterin mit Ernst: „Wer eine Erfahrung gemacht hat, wie ich, der findet nicht leicht den Muth zu einer neuen Unternehmung. Wenn man einem Scheinbild nachjagt, sieht man sich am Ende nicht nur getäuscht, man hat vielleicht gerade das wahre Glück, das man erlangen konnte, thöricht versäumt und auf immer verloren! — Nun,“ setzte er mit leisem Lächeln hinzu, „immer bleibt mir ja eine Mutter, die mich liebt, wie ich sie liebe — und die mir nie untreu werden wird!“ — „Das schon,“ erwiederte die Gute. „Aber das ist nicht genug! Für dich nicht, und für mich auch nicht!“

Unser Freund scheute sich, den Eltern eine letzte Eröffnung zu machen. Er gab sich den Gefühlen hin, die sich in ihm erzeugten, rechnete mit sich selbst und lebte ein Leben stiller Erwägungen.

Ungefähr acht Tage nach seiner Heimkehr schrieb er an den ihm so freundlich gewogenen Rector der Handelsstadt einen Brief, der uns den besten Blick in den Zustand seines Herzens thun läßt. Er hatte nicht die Stimmung gefunden, den eben so braven und heitern wie gelehrten Schulmann noch zu besuchen; aber durch die Nachricht, die ihm Hanna mitgetheilt, war die Achtung, die er immer gegen ihn empfunden, so vermehrt worden, daß es ihm jetzt eine wahre Genugthuung verschaffte, gegen ihn mit aller Offenheit sich auszusprechen. Die Hauptstellen lauteten:

„Es ist sonderbar, welche Erfahrungen wir armen Sterblichen machen und immer wieder machen. In gewissen Dingen werden wir nicht nur nicht durch den Schaden Anderer klug, sondern auch nicht einmal durch unsern eigenen. Immer wieder täuschen wir uns — weil der Trug so lieblich ist und ein tiefes, glühendes Verlangen der Seele stillt!

Wie viel ist über die Liebe gesagt und gesungen! — und noch immer ist nicht recht in’s Licht gesetzt, daß es zweierlei Liebe, zwei grundverschiedene Arten von Liebe gibt. Unterschieden sind sie wohl; aber nicht mit völliger Gerechtigkeit und siegreicher Klarheit. Die eine ist reizender, bestrickender gemalt wie die andere; und wenn diese auch als die bessere hingestellt worden ist, so fühlt man aus dem Bilde das Pflichtgefühl des Malers, nicht die reine, selige Begeisterung heraus. Was er erhöhen wollte, fand nicht auch die wahre höhere Schönheit und muß dem Zauber weichen, der unwillkürlich in die Spiegelung des Geringern gekommen ist.

Wir lieben am Weib die äußere Erscheinung, den Schein — und der Schein trügt. Es gibt eine Schönheit des Leibes, der keineswegs eine Schönheit der Seele entsprechen muß. Die Seele hat wohl eine Fähigkeit zur Schönheit, aber nicht so viel, daß sie schön seyn, sondern nur, daß sie (wie unsere Sprache so treffend sagt) schön thun kann. Auch die Seele ist also mehr zum Schein als zum Seyn ausgestattet, und mit dem Schein täuscht sie uns; sie erscheint uns so, daß wir uns selber täuschen, indem wir das bloße So-Thun für Seyn und Wahrheit nehmen, und nun triumphiren, als ob wir die schönste Wahrheit selber gefunden.

Ja wohl: edlen Sinn, treue Liebe, aufopfernden Muth blicken die leuchtenden Augen und strahlt das erröthete Angesicht! Aber im Innersten lebt das klare, kalte, berechnende Ich, das frei ist gegen die Affecte und sich vorbehält, diese zu bestätigen oder zurückzunehmen, je nach Befund. Davon merken wir aber nichts, wir von dem schönen Doppelschein Betrogenen! Was uns so außerordentlich hold anspricht, das muß nothwendig wahr seyn! Die Liebe, die mit so wunderbarem Feuer aus den Augen in unser tiefstes Herz einglüht, kann nur eine ewige seyn! Und nun erhebt sich unsere Liebe mit doppelter und dreifacher Macht, in dankbarer Rührung schmelzen wir und durch keine Verherrlichung glauben wir der Bewunderten genugthun zu können. Was wir an lieblichen und edeln Eigenschaften nur zu denken vermögen, sehen wir in ihr — tragen es über in sie und sehen es wirklich und gewöhnen uns daran: das Weib steht als eine Göttin vor uns, an der alle Wandelung des Lebens nur ein Schönerwerden seyn kann!

Was haben wir für Mittel gegen diese vereinten Täuschungen? Gegen die Magie, die wir wollen und miterzeugen, weil sie uns beseligt? Es gibt nur Ein wirksames: die Enttäuschung durch die That, — durch den thatsächlichen Schaden, den thatsächlichen Schimpf und das Herzeleid! — —

Dichterische Seelen dürfen doch vielleicht auf Entschuldigung rechnen, wenn sie der Blendung erliegen! — Der Dichter muß gut seyn, er muß Glauben und Liebe haben; denn er soll in Schönheit führen und idealisiren Alles, was er sieht, — und dazu muß er schon Alles liebevoll und schön sehen. Der Dichter treibt nur sein Metier, wenn er verschönert und gläubig preist und liebevoll verherrlicht; darum ist er auch so sicher dabei und erlangt am schwersten den Scharfblick, der hinter den Blumen der äußeren Lieblichkeit die Schlange der Selbstsucht wahrnimmt. Ihm muß der wirkliche Sachverhalt unerbittlich ad oculos demonstrirt werden, sollen es nicht länger Augen seyn, die sehen ohne zu sehen! — Aber auch dann — der Zauber, an dem er so lange gehangen hat, wirkt noch immer! Bilder ehemaligen Glücks umgaukeln den Beraubten, Sehnsuchtgepeinigten; der schöne Schein glänzt in unwiderstehlichen Reizen, und tiefstes Leid erfüllt seine Seele, daß er verlieren soll, was er zu höchster Seligkeit erlangen wollte und in entzückenden Träumen schon als erlangt sich vorgespiegelt hat! — —

Doch, verehrter Freund, hier thu’ ich mir selber Unrecht. Regungen dieser Art hab’ ich freilich; aber doch nur selten, und ich verstehe ihnen zu antworten und sie abzuweisen. Die Wahrheit, die wahre Schönheit, die Schönheit der Seele leuchtet mir in siegendem Glanz; ich sehe sie immer schöner, und ihr heiliger Zauber entkräftet den unheiligen, der die Schwäche bestrickt hat. Wenn sie vor mir lebendig wird, dann erbleichen die Farben der täuschenden Erscheinung und diese gewinnt durch ihr erkanntes Wesen ein mißtöniges Licht, das die letzten Sympathien im Herzen tilgt.

Was gibt es Lieberes, als ein ehrliches Herz? Was gibt es Holderes als die Güte, die darnach trachtet, daß sie Freude mache und Hülfe leiste, und die keinen andern Lohn will, als das frohe Gesicht des Beglückten? Was gibt es Schöneres und Rührenderes, als die Großmuth, die sich selber beraubt, um Andere zu bereichern? Was gibt es Himmlischeres, als den Blick aus dem Aug eines Weibes, deren innerstes Wesen Güte, Großmuth ist? O, neben diesem Blick erscheint der süßeste, dessen die Sirene in Momenten der Rührung fähig ist, oberflächlich und machtlos! Dort nur sehen wir in den Himmel, in heilig holdes Leben; wir fühlen uns unendlich heimlich und gesichert, unser Gefühl beglückt uns nicht nur, es erhöht und weiht uns, und nicht nur selig, sondern mit der Besten selber gut und edel geworden erblicken wir die Gestalt und Alles, Alles an ihr in dem Licht ewiger Schönheit!

Hat es solche Frauen nicht gegeben? Und Gott sey Dank, es gibt noch solche! Es ist keine poetische Täuschung, wenn wir von Frauen reden, die Engel sind! Sie wandeln auf Erden, diese schönen Wesen, sie erweisen sich, und wehe dem Stumpfsinnigen, der nach thatsächlichem Erweis ihre himmlische Güte noch bezweifeln könnte!

Die That und die Bewährung durch die That, daran erkennt man sie. Denn sie geben sich nicht immer das Ansehen ihres innern Wesens und lieben es nicht selten, den Adel ihres Denkens und Fühlens hinter Scherz und Spiel zu verstecken. Es gibt ernste Heilige auf Erden; aber es gibt auch heitere, die sich in lieblicher Laune gefallen und deren gütige Seele, wenn sie sich offenbart, nur um so rührender erscheint.

Menschen haben ihre Schicksale. Das meine war, von dem Schein getäuscht und betrogen zu werden. Hab’ ich mich dadurch eines ehrlichen Herzens unwerth gemacht, so muß ich’s dulden. Aber Ein Vortheil — Ein Ersatz ist mir doch geworden: ich habe die wahre Schönheit erkennen lernen auf Grund der falschen, und mein Herz lodert in Liebe zu Dem, was ewig liebenswerth ist.“

Zwei Tage darauf erhielt er von dem alten Herrn das Antwortschreiben:

„Aequam memento rebus in arduis
Sevare mentem!

Diesen alten Spruch, mein lieber Freund, ruf’ ich Ihnen zu, damit Sie ihn beherzigen, wie’s noth thut! Aus Ihrem freundlichen und dichterischen Brief hab’ ich zu meiner großen Beruhigung ersehen, daß Sie sich über den Verlust der schönen Werthlieb fast schon getröstet haben. Fahren Sie fort und bringen Sie es dahin, daß Sie sich zu diesem Ende Glück wünschen. Sie hat uns Alle getäuscht, und auch ich hab’ mich zu schämen, daß ich sie, weil sie schön war und in ihrer stolzen Ruhe etwas Klassisches hatte, für gut gehalten. Ja, ja, der Mammon! — Mir will vorkommen, als ob er noch nie so der Gott der Welt gewesen wäre, als gerade in unsern Tagen! Alles hält man jetzt für unsicher, nichts erweckt mehr Vertrauen im Herzen der Menschen, als Geld und Gut. Man stellt sich vor, was man Alles dafür haben kann, und trachtet immer nach mehr, ohne zu bedenken, daß man doch nur äußere Dinge dafür eintauscht, welche sehr häufig auch schädlich sind, und daß man oft nicht nur die Tugend, sondern auch die edelsten Freuden dafür hingibt. Aber das sind nugae für die jetzige Zeit. Was die Moralisten aller Jahrhunderte, Philosophen und Poeten des Alterthums so schön und überzeugend gelehrt haben: daß das wahre Glück in der Tugend bestehe, damit kann man heutzutag nur noch den Spott auf sich ziehen. Wo will die Welt hin, mein lieber Freund? Und wird sie auf diesem Wege, der aus der Bildung heraus in die Rohheit führt, endlich Halt machen und zur Vernunft und edlen menschlichen Denkart umkehren?

Thätigkeit, Maß und gute Laune, das erhält uns jung, es verschafft uns den Boden in der Welt, den wir brauchen, und verheißt uns ein glückliches Alter. Mit großer Freude hab’ ich von Ihrem guten Erfolg auf der Bühne gelesen. Sie sind doch schnell zum Zwecke gekommen, und das beweist mir, daß das Drama das Fach ist, auf das Sie mit Ihrem Talent vorzüglich angewiesen sind. Cultiviren Sie es, und versäumen Sie dabei nicht, die alten Autoren zu studieren, Griechen und Römer! Sie wissen, ich bin kein Pedant und setze die Alten nicht unbedingt über die Neuern, weil ich in ihnen zu Hause bin und meine liebsten Freuden aus ihnen schöpfe. Aber lernen kann man sehr viel aus ihnen; und mich will bedünken, als ob man sie gegenwärtig besonders auch zum Vortheil der dramatischen Dichtung studieren sollte. Man ist zu bunt geworden im Drama, wie mir scheint, — man bringt zuviel Stoff und verliert über den Effecten den Effect. Ein Streben nach größerer Concentration und Harmonie thut den jetzigen dramatischen Autoren noth; und wo finden sie da herrlichere Muster, als es die großen Tragiker der alten Griechen sind, deren einer jetzt sogar wieder von unsern Bühnen herab die Herzen erschüttert?

Ihnen, mein lieber junger Freund, wird das Studium der Alten noch ganz besonders ersprießlich seyn; denn Sie — nehmen Sie mir’s nicht übel! — verrathen noch immer zu viel Ueberschwänglichkeit! Die Vergötterung eines Weibes hat Ihnen Kummer eingetragen; und nun scheinen Sie mir doch wieder nach einer andern Seite hin vergöttern zu wollen, phantasiren sich Engel in Menschengestalt, und sind in Gefahr, sich eine neue Enttäuschung zu bereiten. Freilich gibt es engelgute Frauen; aber auch diese bleiben immer menschliche Wesen mit verschiedenen menschlichen Eigenschaften, die mit dem Engelsideal oft gar sehr in Widerspruch treten. Man muß sich das zuvor sagen und natürlich-gesunden Sinnes nicht zuviel erwarten, wenn man nicht Beschämung und Verdruß erleben will.

Doch darum nicht den Muth verloren, mein lieber Poeta! Es gibt gute, brave, wohlgezogene Mädchen, und ich wünsche von Herzen, daß Sie eine solche finden und mit ihr des Lebens froh werden mögen. Vielleicht schwebt Ihnen bereits ein liebes Kind vor, wie ich Ihnen eines wünsche? Sind Sie der Hauptsache gewiß, dann sehen Sie nur frisch über alles Andere hinweg und gründen Sie mit Besonnenheit ihr Glück im Ehestand! Denn dafür, wie ich Sie kenne, hat Sie Gott geschaffen. Ich sage Ihnen: Ihre Phantasie wird sich nie ganz losringen von der Schönen, die so unwürdig gegen Sie gehandelt hat, wenn Sie nicht der Gatte einer Andern werden. Ein Engel, den Sie nur träumen, wird Sie nicht frei machen gegen die, welche denn doch immer noch lebendig da ist, sondern nur ein gutes braves Weib, das Sie die Freuden des Hauses kosten läßt. — Leben Sie wohl, handeln Sie als Mann, und wenn etwas eintrifft, das mir Freude machen kann, vergessen Sie nicht, es mir zu melden, sondern denken Sie auch im Glück an mich!“ —

Als Heinrich diesen Brief las, konnte er nicht umhin, die tröstende Wirkung zu empfinden, die herzlicher Antheil, mit wackerm Humor ausgesprochen, immer auf uns übt. Zuletzt schüttelte er aber doch melancholisch den Kopf. „Uebertriebene Vorstellungen?“ sagte er zu sich; — „phantastische Ansprüche? — Wenn es nur das wäre!“

Er schwieg, und ein Seufzer stahl sich aus seiner Brust. „O Verblendung,“ rief er aus. „Stumpfsinn des Träumers, worüber kannst du hinwegsehen! — — Aber Geschehenes ist nicht zu ändern. Ich muß einen neuen Plan machen zum Leben und etwas versuchen! Meine Eltern sollen mich hören, und das heute noch!“

XII.

Vierzehn Tage waren hingegangen, seitdem Rosa von der Intendanz die ehrende Aufforderung erhalten. Die Vorstellung des Dramas, in welchem sie die Hauptrolle geben sollte, hatte stattgefunden und sie darin eine Kraft, Leidenschaft und Kunst entwickelt, daß die Kenner mit Staunen folgten und das Publikum den aufgeregtesten Beifall spendete. Der Sieg war vollkommen und bildete denn auch andern Tags den Hauptgegenstand der Unterhaltung in den feineren Kreisen der Stadt.

Rosa, indem sie den früher schon gelungenen Versuch in überraschender Vollendung wiederholte, hatte ihre Begabung für die höhere Sphäre der strengsten Kritik dargethan. Die Verwandlung ihres Herzens und Willens im Bunde mit der angesammelten Erfahrung hatte neue Fähigkeiten in ihr zu Tage gebracht und nicht nur ihrer Gestalt und Miene einen edleren, heroischeren Ausdruck, ihrem Spiel mehr Feuer, Innigkeit und Schwung verliehen, sondern auch ihre Stimme umfangreicher und tönender erscheinen lassen. So wahr ist es, daß die physischen Mittel abhängen vom Geist, ein erhöhtes Wollen auch sie erhöhen und die unzureichend scheinenden zureichend machen kann.

Es war der Künstlerin doch eine große Genugthuung. Ein süßes Gefühl der Macht durchdrang sie, und am Abend während der Vorstellung, am andern Tag bei Besuchen glückwünschender Verehrer empfand sie die reinste Freude. Sie hatte sich’s ausgedacht, alle ihre Kräfte aufgerufen und zusammengenommen und das Bild ihrer Seele auf der Scene verwirklichen wollen; aber wer stand ihr gut dafür, daß sie es auch konnte? Nun mußte sie dem Beifall der Zuschauer, der allgemeinen Stimme glauben und durfte die Leistung für gelungen halten.

Nach und nach sank die bewegte Fluth, Ruhe kam in ihr Herz und die Befriedigung ihrer Seele gewann einen Charakter des Ernstes, von dem sich eine stille Melancholie nicht abhalten ließ. Die Grundempfindung war doch eine beglückende. Die innere Vertiefung wurde von ihr als ein Zuwachs ihres Wesens, als dauernder Gewinn empfunden.

Als sie am dritten Morgen aus ihrem Stübchen in’s Zimmer trat, fand sie die Mutter eifrig lesend. Verschiedene Zeitungen waren eingegangen, die sämmtlich das Lob der Tochter verkündeten, und die gute Frau schwelgte eben in einem wahren Hymnus, in den sich die gefürchtete Feder Emil Schilfs ergossen hatte. Dieser Gute konnte, wenn nicht höhere Motive entgegen traten, eben so tapfer preisen wie schmähen, und dießmal, von dem Spiel Rosas bezwungen, hatte er sein Feuilletongenie in einem Panegyrikus blitzen lassen, daß die Mutter Edelsteine und Perlen zu lesen glaubte. Mit leuchtenden Augen ging sie auf die Tochter zu, meldete ihr die Vollendung des Triumphs durch die Presse und küßte sie unter Thränen der Freude. Sie war über den Erfolg noch glücklicher, jedenfalls stolzer als Rosa, und ihre Mienen hatten zugleich etwas Geheimnißvolles, als ob aus dem umgedrehten Füllhorn noch eine Spendung zu erwarten wäre.

Zunächst beschäftigte sie ein anderer Gedanke. Nach einem Moment des Besinnens ernst geworden, faßte sie die Hand der Tochter und sagte: „Du hast Alles erreicht. Du hast gezeigt, daß du eine Künstlerin bist; die schärfsten Kritiker setzen dich schon den berühmtesten Namen an die Seite. Schau nun aufwärts, mein Kind! Widerstehe deiner Schwäche! Bezwing’ eine Leidenschaft, die an deinem Herzen zehrt! Vergiß ihn, der ohne Zweifel dich vergessen hat!“

Rosa hatte ernsthaft gehorcht. Bei den letzten Worten, ungläubig oder gegen den Gedanken sich wehrend, schüttelte sie den Kopf. — „Wie!“ rief jene, mit einem Anflug von Unmuth; „du zweifelst noch? Kommt er auch nur dazu, uns, die wir Alles für ihn gethan haben, ein paar Zeilen zu schreiben? Er denkt nicht an dich! Er lebt seiner Braut — oder seiner Frau. Er ist aufgegangen in seinem Glück — und wem verdankt er’s?“

„Du bist ungerecht, Mutter,“ entgegnete die Tochter mit dem Humor eines melancholischen Herzens. „Wem verdanke denn ich mein Glück? — wem verdank’ ich den Triumph, den ich gefeiert habe? Offenbar Ihm, wie du selber zugeben mußt, seiner Liebenswürdigkeit — was mir nämlich so vorkam — und seiner Lieblosigkeit! Beide mußten zusammen kommen, um mich zu der Schauspielerin zu machen, die nun vom Publikum und den Journalen gefeiert wird. Gestehen wir’s uns jetzt,“ fuhr sie nach einem Moment fort, indem sie ihr launig in’s Auge sah, „ich war in der That ein oberflächliches Ding. Possen zu machen war meine Kunst und mein Bestreben. Die Soubrettenrollen hatten mir nach und nach eine Frivolität beigebracht, daß mir der ehrlichste Ernst bereits anfing pretentiös zu erscheinen. Ich war leichtfertig und kalt — ja, auch kalt! In den besten Momenten war’s doch nur soso, und nicht das Rechte. Nun ist Alles anders geworden, und wenn ich wieder eine Rolle von der lustigen Gattung bekomme, werde ich auch diese feiner und schöner spielen. Es war eine Schickung,“ fuhr sie mit einem unterdrückten Seufzer fort, „und der Hauptvortheil ist auf meiner Seite. Also keinen Seitenhieb auf ihn — das bewußtlose Werkzeug meines guten Genius! Laß ihn das Glück genießen, das er um mich gar wohl verdient hat! Und wenn er uns dabei vergißt — dem Glücklichen, wie du weißt, schlägt keine Stunde.“

Die Mutter schüttelte den Kopf, indem ihre Augen feucht wurden. „Ich würde dich,“ entgegnete sie, „für das edelste Geschöpf der Welt erklären, obwohl du mein Kind bist, wenn ich nicht wüßte, daß die Liebe in allen Geschöpfen großmüthig ist. Du sprichst zu seinen Gunsten? Du liebst ihn also noch! — O Welt, o Welt!“

„Was hast du nur dagegen?“ versetzte Rosa mit Lächeln. „Wenn die Liebe großmüthig und edel macht, dann ist’s ja genug, zu lieben und die Vortheile davon zu haben. Ist edle Gesinnung nicht die Hauptsache? Und wenn zu ihr die bloße Liebe führt, wozu bedarf es da noch des Geliebtwerdens?“ — „Geh!“ rief die Mutter, halb gerührt, halb unwillig, „du bist eine Thörin!“ — „Das edelste Geschöpf,“ entgegnete Rosa, „eine Thörin?“ — „Allerdings,“ versetzte die Mutter, „eine Schwärmerin, von der ich sorgen muß, daß sie ihr Lebensglück versäumt, indem sie ein unerwiedertes Gefühl wie ein Heiligthum pflegt. Doch, ich hoffe, die Zeit wird das Ihre thun. Du bist noch jung, und was du dir auch einbilden magst, ehe Monate dahingegangen sind, wird diese Leidenschaft dir erscheinen wie ein Traum, über den man lächelt, wenn man erwacht. Du wirst die Augen aufmachen und endlich den Mann finden, der dich wieder liebt.“

Rosa, mit einer ablehnenden Bewegung, hemmte die Fortsetzung. „Es mag seyn,“ erwiederte sie nach einem Moment. „Bis jetzt hab’ ich aber nichts dergleichen im Sinn und das Träumen ist mir noch lieber als das Wachen. Lassen wir’s und erwarten wir alles Uebrige von der Zeit! Ich bin wirklich zufrieden; ich habe meine Plane als Schauspielerin und will die gute Gelegenheit benutzen, um noch einige Rollen zu spielen wie die so gut gelungene und so viel gepriesene. Ich werde sie bekommen — was will ich mehr?“

Die Mutter nickte und schwieg. Sie trat auf die Seite, machte sich an einem Schrank etwas zu thun und betrachtete dann die nachdenklich Dastehende mit einer eigenthümlichen Mischung von Trauer und Hoffnung, als plötzlich die Klingel ertönte und nach einigen Sekunden die Köchin mit einem Brief erschien „an die gnädige Frau.“ Diese erbrach ihn, las und ihre Wangen rötheten sich; mit Mühe hielt sie eine triumphirende Empfindung nieder, die sich auf ihrem Gesicht ausdrücken wollte, und sagte zu Rosa mit Lächeln: „Ich muß ausgehen! Studire derweil die Blätter.“ — „Wohin gehst du?“ fragte Rosa. — „Vorderhand,“ erwiederte die Frau, „bleibt das mein Geheimniß.“ — „Ah!“ rief jene, „du hast Geheimnisse vor mir? Das ist etwas Neues!“

Mit einem liebevollen Blick entgegnete die Mutter: „Nicht gegen dich, mein Kind, wie du dir denken kannst, sondern für dich! Für dein Glück — dein wahres Glück —“ — „Nun,“ versetzte Rosa mit einem Aufschauen des Argwohns, „ich hoffe nicht —“ — „Keine Sorge!“ unterbrach sie die Frau kopfschüttelnd. „Deine Freiheit soll dabei nicht angetastet werden.“ — „Dann,“ erwiederte jene, „thue, was du vorhast, und mögen deine Bemühungen gesegnet seyn!“

Die Mutter verließ die Stube. Rosa trat zu dem runden Tisch, nahm eine Zeitung und las. Ihre Züge erhellten sich. „Es thut doch wohl, ausgezeichnet zu werden,“ sagte sie endlich; „zumal von einem, dem sonst nichts gut genug ist und der lieber verwundet — um seinem Namen Ehre zu machen. Sonderbare Menschen! Die besten können die schlimmsten und die schlimmsten die besten werden! Sogar auf die Bosheit kann man sich heutzutag nicht mehr verlassen!“

Sie ergriff ein anderes Blatt, und schon die ersten Zeilen entrissen ihr einen Ausruf der Verwunderung. Es war der Preisgesang von Schilf, der mit seinen humoristisch-pathetischen Sprüngen auf die klare Seele der Gefeierten nur einen sonderbaren Eindruck machen konnte, aber sie doch erheiterte und vergnügte. Sie schüttelte den Kopf und lächelte. „Welche Bekehrung!“ rief sie zuletzt; „und was ist gegenwärtig nicht Alles möglich!“

Das Blatt weglegend, als ob sie von Lob gesättigt wäre, suchte sie unbewußt die Bank in der Laube auf. Ihr Herz verlangte zu träumen und gewissen Gedanken sich hinzugeben. Eine Rede der Mutter hatte sie getroffen. „Es ist in der That auffallend,“ sagte sie sich, „daß er nicht einmal schreibt — einige wenige Zeilen schreibt! — Hat er uns wirklich vergessen im Hause der Braut — oder der Frau? Undankbar ist er doch sonst nicht gewesen; im Gegentheil, er konnte mit seinen Danksagungen ordentlich zur Last fallen. Aber allerdings,“ fuhr sie mit einem traurigen Lächeln fort, „aus den Augen, aus dem Sinn, das ist ein bewährter Spruch. Das Glück entrückt den Geist, und das Erste, was wir dabei vergessen, ist die Pflicht, die leidige Pflicht.“ Innehaltend schaute sie vor sich hin. Dann sagte sie: „Oder wär’s doch anders? Hätte ihn das Glück vielmehr belehrt und ihm die Augen geöffnet über mich und meine Gefühle? Hätte er hinterdrein erkannt, daß ich ihn liebe, leidenschaftlich liebe, und wollte er mir durch eine Schilderung seliger Tage nur nicht wehe thun? Möglich auch das! und das stimmt mehr zu seinem Charakter!“

Sie schwieg und schien sich in eine Vorstellung zu vertiefen. Auf einmal erhob sie den Kopf und rief: „Sachte, Phantasie! Nach Glück ausschauen heißt sich Unglück holen! Machen wir aus der Noth eine Tugend,“ fuhr sie mit ruhiger Entschlossenheit fort. „Gönnen wir jener ihr Glück und befassen wir uns mit der vielgerühmten Entsagung! Am Ende bleibt mir mein Geist — wie ich hoffe, auch mein Humor — und die Kunst, das göttliche Gefäß, in das ich mein Herz, wenn es zu voll und zu schwer geworden, immer wieder ausströmen kann.“

Sie stand auf und sah auf die Thüre. Ein Verlangen, die Mutter zu sehen, erhob sich in ihr — eine Neugier, was sie vorhaben möge. Auf einmal ertönte die Klingel, von kräftiger Hand gezogen. War das nicht ein Klingeln, wie —? Ohne zu wissen, was sie that, mit schauerndem Herzen, ging sie zur Thüre und öffnete sie, während die Magd eben die äußere aufmachte. Ein Schrei der Ueberraschung entfuhr ihr. „Heinrich Born!“ rief sie. „Sie kommen selbst?“ — Heinrich, der eingetreten und auf den Ruf still gestanden war, grüßte mit einem Ernst, den man feierlich nennen konnte, ging in’s Zimmer und gab ihr die Hand.

Rosa, nach der Ueberzeugung, die sie haben mußte, erkannte die Nothwendigkeit, ihn als liebende Freundin, als Schwester zu empfangen; sie raffte all ihre Kraft zusammen, und ihr Herz, wie mächtig es klopfte, fügte sich. „Nun,“ fragte sie mit gutmüthigem Lächeln, „Sie sind glücklich? Haben Alles nach Wunsch getroffen, und — Erzählen Sie mir! Sie wissen, welch innigen Antheil ich nehme.“

Heinrich stand betreten, verdüstert. Rosa, vergebens auf eine Antwort harrend, fuhr fort: „Was ist Ihnen? Das Glück macht ernst, ich weiß es — Aber Sie haben ein Aussehen — — Sind Sie nicht glücklich?“ — „Nein,“ erwiederte Heinrich mit traurigem Ton. — „Wie!“ rief das Mädchen. „Sind Sie nicht mit Auguste verheirathet? oder werden heirathen?“

„Nein,“ rief jener, indem er bitter den Mund verzog. „Das Verhältniß ist gelöst. Sie hat für gut gefunden, einen Andern — einen Reichen zu beglücken und wird nächstens —“ — „Ah!“ rief die Liebende, jäh bestürmt von den widersprechendsten Empfindungen, aber nach einem blitzähnlichen Gefühl der Freude doch mit einem Ernst des Bedauerns in ihrem Gesicht. „Sie sind betrogen — und unglücklich?“ fuhr sie mit dem Tone des Mitleids fort.

„Betrogen und unglücklich — ja,“ versetzte Heinrich; „aber unglücklich nicht durch den Betrug, sondern durch die unverantwortliche Selbsttäuschung, in der ich befangen und so sicher gewesen bin. Wie ist es möglich, daß ein Mensch eine solche Zeit in solcher Verblendung lebt? Was kann so einer noch von sich selber erwarten?

Rosa, durch den bittern und traurigen Ton dieser Antwort getroffen und irre geführt, sagte mit Ernst: „Der Glaube an eine Liebe, die man Ihnen so lang und so gut geheuchelt hat, kann Sie nicht beschimpfen. Er verräth nur ein liebendes, treues Herz, das auch Andere der Treue fähig hält, und das ehrt Sie und Sie können stolz darauf seyn. Trösten Sie sich,“ fuhr sie mit Güte fort. „Wenn es nicht der Verlust ist, der Sie unglücklich macht, dann fangen Sie nur wieder mit neuem Muth an zu leben! Unternehmen Sie eine Arbeit! Sie gehören ja zu den Glücklichen, die in ihrer Kunst den Balsam haben für die Wunden der Seele! Und wenn es ein Trost für Sie seyn kann, meine — unsere Freundschaft bleibt Ihnen. Wir sind nach wie vor bereit, Ihnen zu dienen und zu helfen, wo wir können.“

Die freundlichen Worte hatten auf den Ermahnten einen wohlthuenden und rührenden Eindruck gemacht. Er wollte reden; aber plötzlich, wie von einem heimlichen Gedanken getroffen, wandte er sich heftig weg. Das Mädchen sah ihn erstaunt, bestürzt an. „Was ist Ihnen?“ rief sie. „Hab’ ich etwas gesagt, das Sie beleidigt?“ — „Nein, nein!“ rief Heinrich in tiefer Erregung. Er schwieg, faßte sich wieder, und sagte mit traurig entschiedenem Ton: „Fragen Sie mich nicht! Ueberlassen Sie mich meinem Schicksal. Mir ist nicht mehr zu helfen.“

„Also doch!“ erwiederte Rosa nach einem Moment des Schweigens, mit einem Ausdruck des Mitleids und der Betrübniß. „Sie verzweifeln, und können und wollen keinen Trost annehmen! Aber Sie sind ungerecht! Wenn Ihnen die Geliebte untreu geworden ist, dürfen Sie deßwegen der Freundin untreu werden? Das finde ich nicht schön gehandelt!“

Heinrich, mit sich selber kämpfend, stand ein Raub schmerzlich verwirrter Empfindungen. — „Ermannen Sie sich!“ fuhr das Mädchen liebevoll mahnend, wie zu einem Kranken fort. „Versuchen Sie, was eine neue Beschäftigung und der Umgang mit treuen Freunden vermag! Ich weiß wohl,“ setzte sie mit einem Schein traurigen Lächelns hinzu, „die Freundschaft ist kein Ersatz für verlorene Liebe; aber etwas sollte die unsere, die ja nicht von gestern ist, doch vermögen. Wenn nicht das Glück, so sollten Sie doch die Ruhe der Seele bei uns wieder finden können.“

Heinrich, mit unwillkürlichem Widerspruch, schüttelte den Kopf. „Wie!“ rief das Mädchen, nicht ohne ein Gefühl der Kränkung ihrerseits; „auch das nicht? Sie sind also unheilbar? Sie wollen es seyn?“

Der so wunderbar Verkannte sah sie an. Eine Rührung übermannte ihn, und in ihr kam unaufhaltsam ein Schmerzensblick der Liebe aus seinem Auge. Obwohl er ihn so schnell als möglich in einen Blick des Bedauerns, der Bitte um Vergebung wandelte, so hatte ihn Rosa doch bemerkt und ahnte die Wahrheit. Unmöglich war es ihr, von ihrem Antlitz einen Schein der Freude, von ihrem Blick ein Leuchten der Liebe zurückzuhalten. Aber noch war es nicht gewiß, noch war es nicht ausgesprochen, und sie konnte sich irren. Mit ernstem, herzlichem Ton fuhr sie fort: „Ihr Benehmen ist sonderbar. Die kränkende Behandlung, die Sie erfahren haben, macht Sie nicht unglücklich, sagen Sie? und doch geberden Sie sich wie einer, der es ist. Sie geben sich für verloren, unrettbar verloren; und wenn man Ihnen Trost einsprechen will in der besten Meinung, wenden Sie sich wie beleidigt ab. Sie sind also noch immer unglücklich! Warum?“

„Weil — weil —“ rief der Gedrängte, wie einer, der nicht länger an sich halten will. Aber als ob ihm die Zunge plötzlich den Dienst versagte, schwieg er dennoch. Dann, mit großer Anstrengung den Tumult der Seele niederhaltend, erwiederte er: „Mein Fräulein, beste Freundin! ich habe Sie nach meiner Rückkehr besuchen und begrüßen wollen; aber ich sehe, daß ich in einer unsinnigen Stimmung bin, daß ich mich vor Ihnen wie ein Thor benehme, und es ist meine Pflicht, Sie von diesem Anblick zu befreien. Ich bin zu Ihnen gekommen mit Vorsätzen, die ich nicht halten kann. Vergeben Sie mir, und leben Sie wohl!“

Er wandte sich, um zu gehen; allein Rosa, die jetzt nicht mehr zweifeln konnte, erröthend, mit einem Ausdruck um die Lippen, dessen Ernst das Entzücken der Seele nur einigermaßen zu dämpfen vermochte, rief: „Bleiben Sie! Reden Sie! antworten Sie aufrichtig und ohne Rückhalt! Warum?“

„Weil,“ rief Heinrich, und stockte noch einmal. Aber nun antwortete besser, schöner und rührender ein Blick der Liebe und Verehrung, der aus der tiefsten Seele kam, und Thränen, die in seinen Augen glänzten.

„Weil Sie mich lieben!“ rief mit leuchtendem Antlitz das Mädchen. „Weil Sie mich lieben!“ wiederholte sie, „und weil Sie glauben, ich hegte für Sie nur Gefühle der Freundschaft! Ist’s nicht so?“

„Ja!“ rief Heinrich erschüttert. „Ja, weil ich Sie liebe und Ihrer nicht werth bin! Das ist der Grund! Und nun strafen Sie mich für meine Anmaßung, verschmähen Sie mich!“

Das Mädchen erwiederte süß lächelnd: „Das werd’ ich nicht thun, lieber Freund! Ich freue mich allzusehr über diese Bekehrung —“ — „Wie,“ rief Heinrich, „Sie könnten verzeihen?“ — „Ich habe Sie geliebt,“ erwiederte sie, „vom ersten Tag an, wo ich Sie sah. Bei der ersten Begegnung schon regte sich’s in meinem Herzen!“

Heinrich, der voll Entzücken gehorcht hatte, faßte sie bei den Händen und drückte sie zärtlich. Auf einmal rief er bestürzt: „Himmel! und mit dieser Gesinnung haben Sie die Lobpreisungen der Andern gehört?“ — „Nun,“ erwiederte sie, „ich will’s Ihnen nur gestehen: das hat mir auch wirklich manchmal Kummer gemacht.“ — „Und doch!“ rief Heinrich ergriffen. „Sie sind das liebenswürdigste und beste Geschöpf, das mir auf dieser Welt begegnet ist! Gott sey gepriesen, daß er mich Sie finden ließ! — Und Sie könnten — Sie wollten die Meine werden?“

Rosa, indem ein seliges Licht ihr Antlitz verklärte, erwiederte: „Da es nun doch einmal heraus ist, ja! Und von Herzen gern!“

Nun hatte der Glückliche keine Worte mehr. Er umfing die Geliebte und küßte die Lippen, die so lieblich entschieden hatten, mit dem Feuer der innigsten Leidenschaft, mit Thränen der Rührung und der Freude. Rosa schauerte zusammen. Endlich, endlich fühlte sie die Seligkeit der Gegenliebe!

Aus dem Wonnerausch, in den ihr ganzes Wesen getaucht war, sich erhebend und den Geliebten mit nassen Augen zärtlich ansehend, rief sie: „Wie schön ist Alles gegangen! Ich würde mir nichts nehmen lassen von dem, was ich erduldet habe! Zum glücklichen Leben bleibt uns noch Zeit genug, und es thut wahrhaftig gut, wenn man vorher etwas ausgestanden hat! Wie wird sich die Mutter freuen! — die Mutter,“ setzte sie horchend hinzu, „die, wie ich höre, so eben die Thüre aufschließt!“

Einen Moment später erschien die gute Frau, und zwar mit großer Genugthuung, im Zimmer und wollte eben reden, als sie den Poeten erblickte und ihn überrascht ansah. „Doctor Born!“ rief sie, „Sie sind hier, mit Frau Gemahlin?“

Heinrich schüttelte erröthend, lächelnd den Kopf und ging auf sie zu, ihre Hand zu fassen. Rosa, mit anmuthiger Heiterkeit, antwortete für ihn: „So gut ist’s uns nicht geworden! Man hat sich für einen Andern, einen Reichern entschieden; als der Poet kam, war die schöne Hand vergeben und die gepriesenen Lippen der Angebeteten wünschten ihm glückliche Reise. So ist er nun wieder hier, ein armer Betrogener, mit wundem Herzen Trost suchend bei seinen Freunden in der Residenz, welche sich dießmal ausnahmsweise etwas herzlicher benommen haben, als die Leute draußen im Land, wo die Biederkeit zu Hause ist.“

Die Mutter sah von einem auf’s andere, sah die Gesichter glücklich, die Augen strahlend von Liebe, und ahnte, wußte die Wahrheit. Rosa nickte der gerührt Blickenden zu und sagte: „Du erräthst es, liebe Mutter! Ja, er hat sich bekehrt! er liebt mich, liebt mich so schön, wie man’s nur wünschen kann — und hat um meine Hand angehalten! Werden wir ihm einen Korb geben?“

Die Frau lächelte und schwieg: „Was du thun wirst,“ versetzte sie dann, „weiß ich nicht. Ich für meine Person hab’ einen Korb in Bereitschaft.“ — „Wie!“ rief Heinrich, einen Scherz erkennend, mit heiterer Frage. — „Den Korb mit dem Hochzeitsgeschenk,“ erläuterte die Gute, indem sie ein groß besiegeltes Schreiben hervorzog. — „Ah!“ rief die Tochter ahnend, „das ist dein Geheimniß?“ — „Allerdings,“ versetzte jene, indem sie ihr den Brief übergab. „Dein Erfolg von letzthin hat meine Bemühungen unterstützt: du bist aufgerückt und dein Gehalt beinahe verdoppelt!“

Rosa öffnete das Schreiben der einsichtsvollen Intendanz, überflog es und rief: „Tausend mehr — das ist stark! — Aber gut!“ setzte sie mit einem Blick auf den Poeten hinzu, — „sehr gut! Wir werden es zu brauchen wissen.“

Der Poet nickte erheitert, sagte dann aber: „Ich sehe, du meinst, ich selber bringe nichts als meine Lieder und meine Liebe! Erlaube mir, daß ich doch noch eine kleine Rente hinzufüge, die meine guten Eltern mir ausgeworfen haben — für den Haushalt.“ — „Wie schön!“ rief das Mädchen und faßte lächelnd seine Hand.

„Ich will es bekennen,“ fuhr Heinrich fort, „ich bin hierher gekommen mit einer Liebe, die ich zu verbergen entschlossen war; aber die Hoffnung ließ ich mir nicht völlig rauben. Ich wollte schweigen, aber schweigend die unendlich Geliebte zu verdienen, zu gewinnen suchen, wie lange es dauern mochte. Das hab’ ich meinen Eltern gestanden, und sie, welche die edelsten Seelen aus meinen Schilderungen kannten, gaben mir ihren Segen dazu. „Versuche dein Glück,“ sagte die gute Mutter zum Abschied; „eine bessere Frau wirst du in der ganzen Welt nicht finden.“ Und weil es denn doch eine Gnade gibt in der Welt, so hab’ ich sie gefunden und,“ setzte er mit liebendem Blick auf die Mutter hinzu, „zur besten Frau die beste Schwiegermutter!“

Diese gab ihm gerührt die Hand und Heinrich umarmte und liebkoste sie mit der Zärtlichkeit eines Sohnes. Die drei Glücklichen tauschten Reden und Bezeigungen der Liebe, als die Klingel wieder ertönte und gleich darauf Männertritte sich hören ließen. Die Thüre ging auf und es zeigten sich die beiden Regisseure mit Doctor Willmann.

„Gratulire, gratulire!“ rief der Heldenvater, der den Zug eröffnete. Als er bei den Damen auch den Poeten erblickte, setzte er überrascht hinzu: „Sie schon wieder hier? Und mit einer Miene — — was muß ich denken?“

Heinrich besann sich kurz, nahm die Geliebte bei der Hand und sagte: „Meine Herrn, erlauben Sie mir eine Vorstellung! Rosa Wendling, erste Liebhaberin der Hofbühne — meine Braut!“

Rufe des Staunens und der Freude antworteten auf diese Eröffnung. Nachdem Heinrich in der kürzesten Form erklärt hatte, wie es gekommen, folgten Glückwünsche unter frohem Beloben und Händeschütteln.

„Nun,“ rief Berger dem Poeten zu, „nun sind Sie fertig! Arm in Arm mit Ihr werden Sie das Jahrhundert in die Schranken fordern! Sie werden Schauspiele schreiben, Lustspiele —“ — „Und Tragödien!“ fiel Hallfeld ein. — „Diese letzteren,“ fuhr Berger fort, „wenn sie unvermeidlich entstehen, werden wir mit dem größten Interesse lesen.“ — „Und wenn sie gelesen sind und sich erprobt haben — spielen,“ setzte Hallfeld hinzu.

Berger sah Willmann an, der angenehm lächelte, und zuckte die Achsel. Heinrich versetzte: „Meine Freunde, ich habe Erfahrungen gemacht, die mir auch zu dramatischen Arbeiten sehr förderlich seyn werden. Alles, was Arbeit heißt, bleibt aber der Zukunft vorbehalten. Zunächst will ich glücklich seyn und Hochzeit machen, Hochzeit mit der edelsten und liebenswerthesten Braut, wie sie nur je der Glücklichste heimgeführt hat — wozu die Herrn freundlich geladen sind.“

Verlust und Gewinn.

I.

Auf der Besitzung des Baron Waldfels, in einem Thal des nordwestlichen Theils von Süddeutschland, war in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, an einem Tage, den man sich nicht wohl anders denken kann als schön, am Pfingstmontag, eine fröhliche Gesellschaft versammelt. Die Witterung war in der That höchst angenehm. Die Sonne, wiederholt durch leichte Wölkchen verschleiert, erwärmte die Luft nicht allzusehr, und doch glänzte die fruchtbare Gegend in den schönsten Farben des Frühlings. Ueber diese Gunst des Himmels war vor allen der Baron erfreut, der seit mehreren Tagen einen einflußreichen Mann und entfernten Anverwandten, den Grafen Warburg, bewirthete und heute durch ein Vogelschießen, das er dem guten Schützen zu Ehren in seinem Park veranstaltet, den bisherigen Festlichkeiten die Krone aufsetzen wollte. Wie es glückliche Tage gibt, so ging ihm dießmal auch alles nach Wunsch. Es hatten sich aus der Umgegend zahlreiche Gäste eingefunden, deren Namen und Titel zum Theil sehr wohlklingend waren. Die Schützen nicht nur, auch die Zuschauer und Zuschauerinnen, die an einer wohlbesetzten Tafel im Schatten einer Baumgruppe saßen, fanden sich bald in der heitersten Stimmung. Die Hauptsache war aber, daß keiner der Geladenen so unhöflich war, besser zu schießen als der Graf. Dieser machte bald nach einander Scepter und Reichsapfel fallen und kam dadurch in die freundlichste Laune. Der Wirth und die vorgestellten Gäste benutzten die Gelegenheit, das Geschick Seiner Excellenz auf das Wärmste zu bewundern und ihm darüber die zierlichsten Dinge zu sagen. Die ganze Gesellschaft wurde in eine freudige Aufregung versetzt, die eine geraume Zeit anhielt. Man schien sich glücklich zu preisen, so etwas mit angesehen zu haben.

Der Graf, der es liebte, sich nach allen Seiten hin einen guten Namen zu machen, hatte ausdrücklich gegen den Baron den Wunsch ausgesprochen, daß auch das Landvolk in den Park zugelassen werden möchte. Demgemäß hatte sich auf beiden Seiten des Grasplatzes, der den Schützen eingeräumt war, hinter nothwendig erachteten Planken eine bunte Menge von Bewohnern des herrschaftlichen und anderer benachbarter Dörfer im Sonntagsputz aufstellen dürfen. Die Bauern wußten natürlich, wer der König des Festes war, und vermöge jener verehrungsfrohen Theilnahme, die sich über alles beglückt fühlt, wenn ein Hochstehender sich auszeichnet, oder auch in Folge jener eben so volksmäßigen Schlauheit, die bei sich erwägt, welchen Nutzen möglicherweise eine gehörige Schmeichelei bringen könne, machte sich unter ihnen ebenfalls ein sehr lebhaftes Staunen über die Geschicklichkeit des Grafen laut. Wenn die einen Ausrufe des Triumphes hören ließen und aussahen, als ob sie selber den guten Schuß gethan hätten, so sagten andere, während der Gefeierte vorbei ging, für ihn vernehmlich, zu irgend einem Nachbar: „Das ist Einer! der versteht’s! Hast du schon so was gesehen? Da können sich die andern verkriechen“ u. s. w. Der Graf lächelte und schien über diese Art der Anerkennung nicht weniger erfreut als über die Glückwünsche der Schützen und der schönen Damen.

Alles das bewirkte, daß der Baron vor Genugthuung strahlte. Was kann es für einen gastfreien Mann auch Angenehmeres geben, als zu sehen, daß eine von ihm veranstaltete Festlichkeit gut verläuft? Das Anordnen ist unstreitig eine Kunst; aber zum Gelingen gehört außer der Kunst noch Glück. Beides, seine eigene Schöpfung und die Gunst des Augenblicks genießt der Wirth bei einem wohlgerathenen Fest mit einander; und wer bedenkt, wie selten wahre Fröhlichkeit in der Welt ist, wie sie gar oft auch da nicht erscheinen will, wo man sie mit pomphaften Veranstaltungen sucht, der wird die innige Zufriedenheit des Barons über ihre damalige Gegenwart um so begreiflicher finden. Herr von Waldfels gehörte zu den guten Naturen, die nicht nur fähig sind, sich von Herzen zu freuen, sondern denen die Freude auch wohl ansteht. Er war von stattlicher Größe und behaglicher Rundung. Ein schöner Kopf mit ziemlich hoher Stirn, nobler Nase und feinem Mund verrieth eben so wie seine Haltung den ächten Cavalier. Eine gewisse Röthe, die auf Kenntniß und Schätzung edler Getränke deutete, geziemte dem angehenden Fünfziger. Wer ihn heute sah, wie er mit unerschöpflicher Artigkeit den Wirth machte, wie er mit dem Schein der Absichtslosigkeit von einer Gruppe zur andern ging und jedem seiner Gäste, vom Grafen an bis zu dem geringsten derselben, ein passendes Compliment zu sagen wußte; wie er doppelt anmuthig und beglückt erschien, wenn er einer Dame den Hof machte; wie er gelegentlich auch einem Bauern oder einer hübschen Bäuerin einen Scherz zuwarf, der großes Vergnügen hervorrief, und mit Lächeln die Dorfbuben betrachtete, die sich in der Nähe der Tafel jubelnd im Grase wälzten — wer alles das auch nur als unbetheiligter Zuschauer gesehen, der würde ihn für einen ungewöhnlich liebenswürdigen Mann erklärt haben. Und daß diejenigen, die seine Kuchen aßen und seine Weine tranken, sich noch wärmer über ihn ausdrückten, begreift sich.

Als die Gesellschaft im besten Zuge des Vergnügens war, hatten sich zwei junge Leute von ihr entfernt. Sie wandelten in einer Allee unter einem prächtigen Laubdach hin und führten in gelegentlichen Fragen und Antworten nur ein abgerissenes Gespräch, schienen sich aber doch auf’s angenehmste zu unterhalten. Es war Arthur, der zwanzigjährige Sohn des Barons, und seine fünfzehnjährige Cousine, Anna, das einzige Kind einer Freifrau von Holdingen, welche heute bei dem verwittweten Baron die Honneurs machte. Arthur, der ein ziemlich geübter Jagdschütze war, hatte anfangs auch einige Kugeln nach dem Vogel gesendet, aber den Wettkampf um die von seinem Vater ausgesetzten splendiden Preise, wie billig, den Eingeladenen überlassen. Da er nun auch seinen geselligen Pflichten als Sohn des Hauses bereits genügt hatte, so konnte er wohl dem Verlangen nachgeben, mit seinem Bäschen ein wenig spazieren zu gehen.

Es hat einen eigenen Reiz, den Jubel eines Festes aus der Ferne zu vernehmen. Wir empfinden hier, was man die romantische Poesie des fröhlichen Lebens nennen könnte; wir athmen seinen zartesten und süßesten Duft ein. Sind wir ohnehin von einem schönen Gefühl bewegt, und lauschen wir an lieblich heimlicher Stelle, dann gleicht nichts dem Zauber, der bei solchen Tönen ungesehener Lust unser Herz erfüllt. Die beiden jungen Leute, wenn sie eine Fanfare hörten, die nach einem guten Schuß geblasen wurde, oder lautes Gelächter und frohen Lärm, wandten sich theilnehmend um und horchten. Sie sahen sich dann lächelnd an und freuten sich wechselseitig über ihr Vergnügen. „Wie schön ist heute Alles!“ rief zuletzt Anna mit einem Ausdruck des jugendlichen Gesichts, der das Fest mehr ehrte, als das geistreichste Lob. Arthur stimmte herzlich bei und sagte: „Es ist mir besonders lieb meines Vaters wegen, und daß der Graf sieht, wie vergnügt wir hier leben.“

Trotz der gerühmten Schönheit des Festes entfernte sich das Paar, einem unbewußten Zuge der Herzen folgend, immer weiter davon. Sie waren an der westlichen Grenze des Gartens angekommen und gingen in’s Freie. Den jungen Mann schien ein Gedanke zu beschäftigen, der zugleich inniges Wohlgefühl und Befangenheit auf seinem Gesicht hervorrief. Ein süßes und banges Geheimniß schien ihm zum erstenmal klar und klarer zu werden. Als das schöne Kind diesen Ernst wahrnahm, wurde sie gleichfalls ernster und sah mit einer gewissen Verlegenheit vor sich hin. So wandelten sie schweigend neben einander bis zum Fuß der Hügelreihe, die sich hinter dem Garten erhob und deren nächste Partien Eigenthum des Barons waren. „Wir wollen hinauf,“ sagte Arthur wieder freundlich und traulicher; „es ist schon lang, daß wir nicht mehr zusammen herunter gesehen haben.“ Das Mädchen, statt aller Antwort, ging ihm voran. Als sie auf dem Heidegras glitschte und einen leichten Schrei ausstieß, ergriff Arthur ihre Hand, um sie zu führen. Eine Röthe glühte in den beiden Gesichtern auf, die über den Zustand ihrer Herzen keinen Zweifel mehr ließ. Aus wechselseitigem Wohlgefallen war in den jungen Seelen eine Neigung aufgekeimt, die dadurch, daß sie einen kindlichen Charakter behielt, nicht weniger tief und innig war, eine Neigung, die sich jetzt in wonnigem Gefühl offenbarte und in ihrer Bedeutung von Arthur klar erkannt, von Anna wenigstens geahnt wurde. Der Jüngling schien von Dank gegen den Zufall erfüllt zu seyn, daß er ihm Anlaß gegeben, Annas Hand zu ergreifen. Denn zwischen Verwandten ist ein traulicher Verkehr allerdings natürlich, aber die Liebe verändert das erste, unbefangene Verhältniß. Das Mädchen, mit dem ein junger Mensch umging, wie mit einer Schwester, wird durch sie ein wunderbares, heiliges Wesen, dem er nur mit inniger Scheu, mit tiefer Verehrung nahen kann. Die Vertraulichkeiten, die er sich früher erlaubte, scheinen ihm jetzt die kühnsten Wagnisse, und unmöglich dünkt es ihm, eine Hand zu berühren, die er sonst mit vetterlicher Unbefangenheit ergriff. Dafür ist aber, was früher ein Spiel war, jetzt auch ein unendliches Glück, wohl werth in Demuth erharrt oder mit kühnem Entschluß erstrebt zu werden.

Während die beiden Glücklichen Hand in Hand emporsteigen, wollen wir einen kurzen Rückblick auf ihre Vergangenheit und ihre Lebensverhältnisse werfen.

Arthur war das einzige Kind des Barons. Seine Mutter, die aus einer Patricierfamilie stammte, erlag einer Krankheit, als er zehn Jahre alt war. In der nächstfolgenden traurigen Zeit hatte der Vater das Glück, für den Knaben einen vortrefflichen Erzieher zu erhalten, der in ihm neben dem Sinn für die Wissenschaft ein Interesse für das Nützliche und Gemeinnützige weckte und ein unbefangenes Urtheil, einen festen Charakter in ihm ausbildete. Dieß war um so nothwendiger, als der Baron in dieser Zeit sich immer mehr den Neigungen eines Lebemanns überließ und für den Sohn ein gefährliches Beispiel werden konnte. Arthur war von fröhlicher Gemüthsart, er gefiel sich bei geselligen Vergnügungen und war keineswegs unempfänglich für Schmeichelei, Eigenschaften, die der Verlockung manche schwache Seite boten. In Folge der guten und klugen Führung lernte er sich aber beherrschen, und seine Studien und ein gehaltvolles Gespräch wurden ihm das Liebste. Mit Recht konnte man ihn für einen musterhaften jungen Menschen erklären.

Er war sechzehn Jahre alt, als die Baronin von Holdingen ihren Wohnsitz in der Nähe seines väterlichen Gutes nahm. Der Gatte dieser Dame war als Beamter in der Residenz gestorben und hatte ihr nichts hinterlassen als ein bescheidenes Landhaus. Da sie in der Stadt von ihrem Wittwengehalt nicht mehr standesmäßig leben konnte, bezog sie ihre Villa, die etwa anderthalb Stunden von Waldfels lag. Als eine Frau, die auf ihre Abstammung, auf die Stellung, die ihr Gemahl eingenommen hatte, große Stücke hielt, richtete sie sich mit ihren geringen Mitteln dennoch würdig ein und führte ein Hauswesen, das bei aller Einfachheit einen angenehm aristokratischen Zuschnitt hatte. Der Baron, als ziemlich naher Verwandter, war ihr mit Rath und That behilflich gewesen, und das Verhältniß der beiden Familien hatte sich dadurch nur um so fester geknüpft.

Arthur hatte an seiner kleinen Cousine gleich beim ersten Anblick großes Wohlgefallen. Er behandelte sie anfangs mit der wohlwollenden Herablassung, die einem Jüngling, auf dessen Wangen sich schon die ersten Spuren eines Flaums zeigen, gegen ein eilfjähriges Kind natürlich ist; aber bald kam er davon ab. Anna, die eine sehr gute Erziehung erhalten hatte, war ihren Jahren körperlich und geistig voraus. Sie gehörte zu den Naturen, die sich in harmonischem Wachsthum entwickeln, immer dieselben zu bleiben scheinen und immer liebenswürdiger werden. Wenn es Mädchen gibt, die zuerst ein unscheinbares Aussehen haben, in der Zeit des Uebergangs vom Kinde zur Jungfrau sich aber schnell zu überraschender Schönheit ausbilden, so war Anna schon als Kind von großer Schönheit, und diese erreichte später nur einen höheren Grad der Vollendung. Eine schlanke, feine Gestalt, ein Gesicht von aristokratischem Gepräge, das aber, von kindlicher Freude und herzlicher Güte belebt, nicht eine Spur von äußerlicher Vornehmheit zeigte. Sie war wie eine edle Blume, fein, ätherisch, aber durchaus frisch und natürlich. Schon früh zeigte sie entschiedene geistige Fähigkeiten, durch welche sie nach und nach in den Stand gesetzt wurde, ernsthaften Gesprächen mit Interesse zu folgen und mit verständigen Worten selber daran Theil zu nehmen. Alles das flößte dem Jüngling eine Achtung ein, die ihn ein anderes Verhalten gegen sie annehmen ließ. Er behandelte sie nun wie ein Mädchen von seinem Alter, und dieß schien auch ihr am besten zu gefallen. Da sie häufig beisammen waren, so entstand zwischen ihnen ein vertrauliches Verhältniß, in welchem sich beide wohl und glücklich fühlten. Es war jedoch vollkommen harmlos; nicht ein Hauch von Leidenschaft, wie sie in solchem Alter auch schon möglich ist, regte sich in ihnen.

Nach einer Reise durch die Schweiz und Frankreich bezog Arthur die Universität. In der akademischen Freiheit gab er sich den Studien hin, die ihn am meisten anzogen, und seine Lieblingsfächer wurden Naturgeschichte und Physik, auf der andern Seite Nationalökonomie und Statistik, und seine Lieblingslektüre Reisebeschreibungen. Die Erde mit ihrem Reichthum an Natur- und Kunstprodukten, deren beste Anwendung und Vertheilung, Handel und Wandel kennen zu lernen, wurde der vorherrschende Trieb in seiner Seele. Da er bei der Liebe zur Sache leicht faßte und bald einen Zusammenhang ausfindig machte, so hatte er über diese Gegenstände selber seine Gedanken und hielt sie für wichtig genug, um sie niederzuschreiben. Er führte bei seiner angenehmen Beschäftigung ein geregeltes Leben, zeigte sich aber in vorkommenden Fällen seines Standes würdig, und schonte da, wo es eine Ehrensache war, etwas zu thun, das Geld weniger, als andere seiner Commilitonen, die sich eines bessern „Wechsels“ rühmten. In der neuen Welt, die ihm in seinen Studien aufging, und bei den Bekanntschaften, die er machte, war ihm das Bild der kleinen Anna einigermaßen erblaßt, und zufällig ward ihm in den ersten anderthalb Jahren seines Universitätslebens nicht die Gelegenheit, es durch eine Zusammenkunft wieder aufzufrischen. Vor wenigen Tagen nun, wo ihn sein Vater des Grafen wegen nach Hause gerufen, sah er seine Cousine zum erstenmal wieder. Sie war beinahe völlig herangewachsen. Ihr Wesen verrieth schon jene Fülle des Gemüths und jenen eigenthümlichen Gehalt, der bei andern Naturen erst später hervorzubrechen und dem Aeußern den Charakter der Tiefe und eines geheimnißvollen innern Lebens zu geben pflegt. Es war die Jungfrau in ihrer ersten, rosigen Erscheinung, noch Kind und doch schon Weib — ein überaus holdes Bild des in Unschuld blühenden Lebens. Arthur fühlte sich bei ihrem Anblick tief in’s Herz getroffen. Er stand nach dem ersten Gruße scheu und verlegen vor ihr. Nur mit Mühe faßte er sich und suchte den früheren vertraulichen Ton mit ihr zu finden, was ihm einigermaßen gelang. Aber ein Keim war in seine Seele gesenkt, der nun rasch aufging und sich drängend entfaltete. Eine ahnungsvolle Sehnsucht bemächtigte sich seiner, das liebe Kind allein zu sprechen, und als er am heutigen Fest Alle mit ihrem Vergnügen beschäftigt sah, lud er sie zu dem kleinen Spaziergang ein.

Sie waren auf dem Rücken des Hügels angekommen. Obgleich hier eine Hülfe nicht mehr nöthig war, ließ Arthur die geliebte Hand doch nicht los, indem er die Eigenthümerin derselben durch Bemerkungen über das Fest zu beschäftigen suchte. Er führte sie auf die nächste Erhöhung, wo sie ihrem erklärten Zweck zufolge die Aussicht genießen wollten. Der Anblick, der sich ihnen hier darbot, entriß ihnen trotz ihrer anderweitigen Gedanken doch herzliche Ausrufungen der Bewunderung. Es war um die sechste Stunde, der Himmel völlig rein geworden und der Glanz der Sonne im Westen nicht durch das kleinste Wölkchen mehr getrübt. Die fruchtbare Landschaft lag in abendlich warmer Beleuchtung vor ihnen: rechts der Park, wo das Knallen der Büchsen und das entfernte Zischen der Kugeln den Fortgang der männlichen Lustbarkeit anzeigte, und das nach Osten gebaute Schloß; weiterhin, rechts und links sich ausdehnend, das Thal mit einem wohlgebauten Städtchen, freundlichen, von Obstgärten umkränzten Dörfern, reichen Getreidefeldern und üppigen Wiesen, durch welche der Segen des Thals, der blinkende Fluß dahinströmte; die gegenüberliegenden Hügelreihen mit herrlichen Laubwäldern bedeckt, an ihrem Fuße hin und wieder herrschaftliche Wohnungen und auf einem Gipfel, aus Bäumen hervorragend, eine verwitterte Burgruine. Durch das allgemeine Grünen und Blühen hatte die Landschaft einen eigenen, frühlingsseligen Charakter erhalten, und dieser stimmte so völlig zu dem Frühling in den Herzen der jungen Leute, daß sie mit feuchten Augen die vor ihnen ausgebreitete Schönheit und in lautloser Verständigung sich selber ansahen.

Endlich rief Anna mit kindlicher Freude: „Wie herrlich ist’s hier oben! Man möchte da wohnen und gar nicht mehr hinuntergehen!“ — „Ich hab’ auch im Sinn,“ bemerkte hierauf Arthur mit einem gewissen Selbstgefühl, „hier oben ein Belvedere bauen zu lassen.“ — „Auf dieser Stelle?“ fragte das Mädchen. — „Nein,“ versetzte der junge Mann, „nicht hier.“ — „Warum nicht?“ entgegnete sie verwundert. Arthur wiegte das Haupt und ein geheimnißvolles Lächeln umspielte seinen Mund. Anna sah ihn fragend an und sagte: „Wo ist es denn schöner?“ — „Komm,“ erwiederte Arthur und ergriff die losgelassene Hand wieder. Er führte sie nordwestlich an zwei kleinen Anschwellungen vorüber auf einen etwas höher liegenden und mehr vortretenden Punkt und sagte: „Hier ist’s schöner.“ Das Mädchen sah umher und schien den Unterschied nicht gleich wahrnehmen zu können. Auf einmal rief sie: „Ah, da sieht man unser Haus — und mein Fenster, ganz deutlich!“ Eine glühende Röthe ergoß sich bei diesen Worten über das Gesicht des Jünglings. Anna wendete sich zu ihm, und wie durch einen Zauber flammte dieselbe Röthe in ihrem Antlitz auf. Sie hatte den Grund der Wahl dieser Stelle erkannt. Was bisher nur in Ahnung vor ihre Seele getreten war, das stand jetzt klar wie der Tag vor ihr: sie war über alles geliebt, sie liebte über alles und für’s ganze Leben. — Ein Schauer von Wonne ergriff sie; bebend und wie niedergedrückt durch die Fülle des Glücks, senkte sie das Haupt. Aber die Liebe war zu mächtig, sie besiegte die Bangigkeit und die Scham und ihr Sieg kündigte sich in der Heiterkeit an, die sich über das Gesicht des schönen Mädchens verbreitete.

Auch Arthur hatte sich von der ersten Verlegenheit erholt; er sah auf Anna mit der Zärtlichkeit eines durchaus redlichen Gemüths, eine freudige Hoffnung leuchtete aus seinen Zügen. Da wendete sich Anna zu ihm und schaute ihn mit einem Blick an, der in unendlicher Güte die ganze Liebe und Treue ihres Herzens offenbarte. Arthur faßte entzückt ihre beiden Hände und rief: „Anna! liebe gute Anna! Du liebst mich! Ja, du liebst mich!“ Das Mädchen, die ja schon alles gestanden hatte, erwiederte nichts; aber Arthur wollte das holde Wort von ihren Lippen hören und rief dringend: „Sprich, Anna! Liebst du mich? Willst du mir gehören?“ Das Mädchen erhob ihr Haupt, und mit dem Ton inniger Liebe, mit dem Ausdruck einer heiligen Verpflichtung erwiederte sie: „Ja, Arthur!“ Der Jüngling preßte ihre Hände an seine Brust und rief, indem Thränen seine Augen füllten: „Dank dir, Anna! tausend, tausend Dank! Ich bin dein in Freud und Leid! Und kein anderer Trieb soll mein Herz erfüllen mein ganzes Leben hindurch, als dich zu lieben und dich glücklich zu machen!“ — —

Nach einer Weile finden wir das junge Paar auf dem Rückwege. Die Liebe erweckt in redlichen und lebensvollen Gemüthern vom ersten Moment ihres Entstehens an bei jedem Schritt ihrer Entwicklung wunderbare Empfindungen; aber das höchste und reinste Glück gewährt sie nach dem ersten gegenseitigen Geständniß. Hier ist ihr süßes Leben verschmolzen mit der Heiterkeit des Siegs, mit dem Wohlgefühl des gewissen Besitzes. Der freudige Stolz, ein Herz gewonnen zu haben, ist mit innigem Dank für ein erhaltenes höchstes Geschenk verbunden. Die Seele ist klar und ruhig bewegt, aber die Empfindung tiefer als je vorher. Der Himmel, in welchem die Liebenden wandeln, erscheint ihnen so vertraut, als ob sie immer in ihm geweilt hätten, und doch so neu, wie ein Wunder, das sich eben vor ihren Augen begeben.

Hätten Arthur und Anna ihre Empfindungen schildern können, sie hätten sich vielleicht in dieser Weise ausgedrückt; aber sie waren in ihr Glück versenkt und hatten keine Zeit, sich selber zu beobachten. Sie vergaßen auch des Redens unter sich und gingen schweigend den Hügel hinab. Ihr ganzer Verkehr beschränkte sich darauf, daß sie von Zeit zu Zeit die jugendlichen Gesichter gegen einander wandten und sich wie träumend mit seligem Lächeln ansahen.

Als sie mitten im Park waren, hörten sie unmittelbar nach einem Schuß ein allgemeines Freudengeschrei. Die Trompeter und Hornisten bliesen den Siegestusch mit nie vernommener Stärke und wiederholten ihn mehrmals. Offenbar hatte sich etwas Großes ereignet. Das Paar beflügelte neugierig seine Schritte, und am freien Platz angelangt, erblickten sie den Grafen, von Herrn und Damen umgeben, die ihm mit dem lebhaftesten Eifer Complimente machten. Bald erfuhren sie warum. Es hatte sich in der That etwas Wunderbares begeben, wie es aber im Leben doch nicht ganz ungewöhnlich ist. Wir sehen bei Hazardspielen, daß gewisse Spieler an gewissen Tagen unwiderstehlich glücklich sind. Dasselbe können wir bei den Unterhaltungen bemerken, wo es hauptsächlich auf Geschicklichkeit ankommt und wo es um vieles begreiflicher ist, da die Freude über das erste Gelingen offenbar eine die Fähigkeiten steigernde Kraft besitzt. Nun wohl, der Graf hatte heute seinen gesegneten Tag und so eben seinen Leistungen die Krone aufgesetzt, indem er die Krone des Vogels herunterschoß und damit den ersten Preis gewann. Freilich hatte ihn der Zufall dabei sehr begünstigt. Andere Schützen hatten das Stück, welches dießmal besonders gut befestigt war, so wohl getroffen, daß es bereits wankte. Aber was konnte das helfen? Sie hatten das Verdienst, der Graf das Glück und die Ehre. Es versteht sich von selbst, daß ihm sein Glück nun eben als das höchste Verdienst angerechnet wurde. Die vornehmeren Gäste, die ihn umgaben, überboten in Artigkeiten sogar ihre früheren Leistungen, und einige Bauernbursche hatten beim Fallen der Krone gerade heraus gejauchzt wie bei einem Kirchweihtanz. Dieß hätte man sonst wohl als ungehörig empfunden, jetzt wurde es ganz wohl aufgenommen, so hoch war der Strom der Begeisterung gestiegen.

Es dauerte einige Zeit, bis Arthur zu dem Grafen durchdringen konnte. Als er ihn begrüßte, rief dieser: „Ah, junger Freund, wo stecken Sie? Man hat Sie seit zwei Stunden nicht gesehen.“ — Arthur erwiederte, er habe sich erlaubt einen Spaziergang zu machen. „Allein?“ fragte der Graf. „Sind Sie Poet? Philosoph? Wie?“ — Der junge Mann bemerkte, er habe seine Cousine, Anna von Holdingen, begleitet. — „Ah so!“ rief der Graf und lächelte. Der edle Herr war ein großer Kenner in Herzensangelegenheiten, hatte schon früher einen Blick aufgefangen, den Arthur arglos auf Anna warf, und ein leichtes Erröthen desselben machte ihn jetzt in seiner Vermuthung um so gewisser. Durch seinen Erfolg als Schütze zur Güte und Milde gestimmt, unterdrückte er indeß vor den andern eine neckende Frage, die ihm schon auf der Zunge lag, und sagte beifällig: „Damendienst geht allem vor. — Aber,“ setzte er vergnügt hinzu, „etwas früher hätten Sie doch kommen sollen. Sie haben etwas versäumt.“ — In Arthur regte sich nun auch ein gewisser Humor und er sagte: „Ich bedaure unendlich, nicht Augenzeuge von einem Schusse gewesen zu seyn, von dem man in Waldfels „noch reden wird in spätsten Zeiten.“ Allein überrascht hätte mich der Anblick der fallenden Krone keineswegs: Excellenz können was Sie wollen.“ — „Ei, ei,“ versetzte der Graf, „Sie schmeicheln!“ — „Die Schmeichelei,“ erwiederte Arthur, „liegt nicht in dem, was ich sage, sondern in dem, was Excellenz thun.“ — „Schon gut,“ sagte der Graf. „Uebrigens,“ fuhr er heiter fort, „muß ich gestehen, daß der heutige Tag der schönste ist, den ich seit lange erlebt habe. Ich erinnere mich kaum, so vergnügt gewesen zu seyn und werde meinem freundlichen Wirthe dafür ewig Dank wissen.“ — „Der heutige Tag,“ erwiederte Arthur mit schelmischem Doppelsinn, „wird einen Glanzpunkt in der Geschichte von Waldfels bilden. Was sich an ihm Wunderbares begeben, werde ich getreu bemerken und die spätesten Geschlechter sollen sich noch daran erfreuen.“ — Der Graf lachte und verabschiedete den jungen Vetter mit einer huldvollen Handbewegung. Später sagte er zu dem Baron: „Ihr Arthur gefällt mir immer besser. Er hat Geist, viel Geist, und wenn er sich für den Staatsdienst bestimmen will, verbürge ich Ihnen, daß er seine Carrière machen wird. Was ich dazu beitragen kann, ihn in die Höhe zu bringen, soll mit dem größten Vergnügen geschehen.“

Nach dem letzten glücklichen Schuß zog sich der Graf von dem Wahlplatz zurück und überließ es Andern, das schon geplünderte Thier vollends zu Grunde zu richten. Als die Sonne gesunken war, bestimmte und vertheilte man die Preise, und der Graf, der die drei ersten erhielt, war doppelt und dreifach der König des Tages. Den würdigen Schluß des Festes machte ein Souper, das im Gartensaal aufgetragen wurde. Der Graf bildete natürlich den Mittelpunkt der Gesellschaft. Vor ihm prangte in schönster Vase ein riesiger Blumenstrauß; hinter ihm an der Wand hatte man die von ihm gewonnenen prächtigen Fahnen aufgehängt. Er war offenbar von dem Gefühl dessen, was er war und wofür er gehalten wurde, vollständig durchdrungen; aber dieses Gefühl gab sich in der Form der Huld und jedermann gönnte es ihm nicht nur, sondern fand es schön und groß. Arthur hatte es einzurichten gewußt, daß er neben seine Cousine zu sitzen kam. Er unterhielt sich in der Freude seines Herzens unbefangen mit ihr, und das Paar theilte sich die lieblichsten Dinge mit, ohne daß die Nachbarn es merkten. Nur Seine Excellenz fanden Zeit, hie und da einen Blick auf sie zu werfen und Wahrnehmungen zu machen, die Sie zu ergötzen schienen. Der Baron ließ seine Blicke über die Gesellschaft hingleiten wie ein Feldherr über seine Truppen. Er sah, daß in dem herrlich erleuchteten Raum an schön geschmückten Tafeln untadelich servirt wurde; er vernahm von allen Seiten das empfundene Lob der Speisen und Getränke; er bemerkte, wie das Vergnügen eher zu- als abnahm und die verschiedenen Unterhaltungen endlich in einen frohen Lärm zusammenfloßen, der nur durch lautes Gelächter zuweilen unterbrochen und überboten wurde. Das alles freute ihn in tiefster Seele. Und als er nun zuletzt in Champagner ein Hoch auf den Grafen und Schützenkönig ausbrachte, in welches die Gesellschaft mit grenzenlosem Enthusiasmus einstimmte, und der Gefeierte in höchst anerkennenden Ausdrücken den Wirth leben ließ, da mußte es den Gästen vorkommen, als ob sie nie einen glücklicheren Mann gesehen hätten, als den Herrn von Waldfels. Nur wenige schienen diese Ansicht nicht ganz zu theilen, und an einem der Geladenen hätte man beim Serviren des Champagners sogar ein unwillkürliches Achselzucken wahrnehmen können.

Zuletzt fand auch dieser schöne Tag ein Ende. Der Graf zog sich in seine Gemächer zurück und die Gäste verabschiedeten sich. Arthur fand Gelegenheit, der Geliebten durch einen Händedruck zu sagen, was seine Lippen vor der Mutter nicht auszusprechen wagten, und die beglückendste Antwort zu empfangen. Er war zu aufgeregt, um sich schon zur Ruhe zu begeben, und ging allein in den Park zurück. Die Nacht war schön, thauig, zaubervoll. Der Mond strahlte vom reinsten Himmel und verklärte die Landschaft mit jenem silberklaren, ahnungsvollen Licht, das in gewisse Stimmungen süßer einklingt, als das goldene Sonnenlicht. Der Liebende suchte die Plätze auf, die er mit dem theuern Mädchen durchwandelt, ließ die Erlebnisse des Tages an sich vorüberziehen und entwarf reizende Plane für die Zukunft, indem er einstweilen an dem Bilde des Lebens sich weidete, das auf Schloß Waldfels erblühen sollte. Spät ging er zu Bette und setzte in Träumen fort, was er wachend begonnen hatte.

II.

Arthur hatte eine Eigenschaft, die im Leben sehr förderlich seyn kann, wenn sie nicht übertrieben in Thätigkeit gesetzt wird: er liebte es, unentschiedene Verhältnisse sobald als möglich in’s Klare zu bringen, und das, was er für gut und nothwendig hielt, herzhaft auszuführen. Als er nach der Abreise des Grafen am Abend des folgenden Tags über seine Verlobung mit Anna — denn das war ihm die wechselseitige Erklärung — und das nun von ihm geforderte Verhalten nachdachte, kam er zu dem Entschluß, dem Vater alles zu gestehen und sein und Annas Glück durch die Beistimmung der Eltern zu sichern.

Arthur liebte seinen Vater herzlich, wenn er auch nicht alles an ihm billigen konnte, und hatte zu seinem Wohlwollen, seiner theilnehmenden Güte das vollste Vertrauen. Er fühlte daher guten Muth, als er am nächsten Morgen sein Zimmer aufsuchte, um mit ihm über seine Herzensangelegenheit zu sprechen. — Uns liegt nun aber vor allem ob, die Leser mit dem Manne, von welchem das Schicksal des Jünglings abhing, näher bekannt zu machen.

Baron Günther von Waldfels gehörte zu einer Klasse von Adeligen, wie sie jetzt seltener geworden sind. Sein Vater, schon bei der Uebernahme des Familiengutes sehr wohl gestellt, führte ein zwar stattliches, aber doch ökonomisches Leben. Er vergab seinem Stande nichts und übte eine würdige Gastfreundschaft; allein da er sich beinahe ausschließlich auf seiner Besitzung aufhielt und sich mit der Verwaltung seines Vermögens beschäftigte, so kam er nicht in den Fall, seine Einkünfte zu verzehren, und im Lauf der Zeit mehrten sich daher Capitalien und Güter. Bei seinem Tode war Günther zweiundzwanzig Jahre alt. Als der ältere Sohn übernahm er dem väterlichen Testament zufolge die Güter, während sein um mehrere Jahre jüngerer Bruder in’s Landesheer eintrat.

Es kommt oft vor, daß der Sohn eines haushälterischen Mannes zur Verschwendung geneigt ist; im Volk sagt man in Bezug darauf: der Sparer muß seinen Zehrer haben. Den letzteren vorzustellen, hatte der neue Herr von Waldfels in der That alle Talente, und nachdem diese durch die väterliche Autorität niedergehalten gewesen, traten sie in der Freiheit um so glänzender hervor. Jung, schön und reich — warum sollte er sich etwas versagen? Er war von grenzenloser Gutmüthigkeit, der Baron Günther, und bewährte diese eben so gegen sich selbst, wie gegen Andere. Er begriff nicht, wie man ein anderes Streben haben könne, als das Leben zu genießen, und einen höhern Ehrgeiz, als Andern Genuß zu bereiten. Beides that er denn auch in großem Maßstabe. Mehrere Jahre lang besaß er den Ruhm des prächtigsten und freigebigsten Herrn in der ganzen Umgegend; aber die Güter, die sein Vater erworben hatte, waren dafür in den Kauf gegeben.

Als er sich beinahe ganz auf die Einkünfte des Stammgutes beschränkt sah, lernte er in einer süddeutschen Handelsstadt ein schönes, blondes, zartgebautes Mädchen kennen. Er empfand in Kurzem eine heftige Leidenschaft für sie und sie wurde seine Gattin. Das Geschlecht, aus welchem Arthurs Mutter stammte, ehedem reich, war jetzt kaum mehr wohlhabend zu nennen; statt der Mitgift brachte aber die junge Frau ökonomische Tugenden nach Waldfels. Sie wußte der Verschwendung Günthers Einhalt zu thun und mit verhältnißmäßig geringen Mitteln doch ein anständiges Haus zu machen. Da die Liebe des Barons zu ihr sich gleich blieb und die häuslichen Freuden ihn beschäftigten, so hielt er wirklich an sich und begnügte sich mit seinen immer noch bedeutenden Revenuen. Leider starb die gute Frau an den Folgen einer unglücklichen Niederkunft. Der Baron war untröstlich; er zog sich von der Gesellschaft zurück und trauerte um die geliebte Gattin mit einer Ausdauer, die ihm niemand zugetraut hätte. Allein noch war nicht ein volles Jahr verflossen, so fühlte sein Herz sich befreit und sein ursprünglicher Charakter trat in der alten Stärke wieder hervor.

Es lag diesem Herrn im Blute, daß es für den Sprößling eines alten Geschlechts nicht wohl passend sey, auf Erwerb zu sehen, auf der andern Seite aber höchlich geziemend, diejenigen, die etwas erworben hatten und fortfuhren es zu thun, gleichwohl an Generosität zu übertreffen. Er verschmähte die Spekulation und hielt es unter seiner Würde, bei Kauf und Verkauf zu feilschen, weßwegen die Handelsleute überaus gern mit ihm zu thun hatten und ihn als das Muster eines „einsichtsvollen“ Mannes priesen. Handwerker und Künstler durch Bestellungen aufzumuntern und überhaupt durch Freigebigkeit Glückliche zu machen, erschien ihm als Pflicht und Ehrensache. Natürlich war es, daß er bei dieser Beglückung Anderer sich selbst am wenigsten vergaß. Gefiel ihm ein Pferd, ein Jagdhund oder was sonst immer, so mußte er es haben; und daß diese Passion ausgebeutet wurde, versteht sich von selbst. Dabei war er zu Hause und in Gesellschaft eine höchst angenehme Erscheinung. Er hatte die noble Würde eines Mannes, der fähig ist Andere zu erfreuen, und das liebenswürdige Mit- und Selbstgefühl eines wahrhaft freundlichen Gebers. Unmöglich war es, beim Spiel mit mehr guter Laune zu verlieren. Es schien ihm ordentlich Vergnügen zu machen, wenn seine Geldstücke zu dem Häufchen eines andern wanderten, und wenn dieser seine Freude darüber nicht verbergen konnte, so betrachtete er ihn mit einem wohlwollend überlegenen Lächeln, wie etwa ein Vater sein Söhnchen, wenn es wegen irgend einer Bagatelle kindisches Vergnügen blicken läßt.

Man hätte diesem Mann unerschöpfliche Hülfsquellen gegönnt, so wohl stand ihm sein prächtiges Leben an. Die seinen waren es nicht. Schon im ersten Jahre reichten die Einkünfte nicht zu; bald mußte zum Verkauf einzelner entbehrlicher Grundstücke und endlich zum Geldaufnehmen geschritten werden. Dieses, das nöthige Abbezahlen kleiner und das Aufborgen größerer Summen wurde von da an die hauptsächlichste Beschäftigung des Barons. War er durch die Nothwendigkeit darauf gewiesen, so fand er in ihr bald auch einen eigenen Reiz. Er wandte ein Capital von Zeit, Geist und Erfindungskraft daran, das ihn, der Verwaltung seiner Besitzungen gewidmet, zum reichen Mann hätte machen müssen. Alles, was an Schlauheit in ihm lag, kam bei diesen Geschäften zum Vorschein. Er sorgte dafür, daß seine Passiva der Welt möglichst ein Geheimniß blieben, und wußte durch feines, liebenswürdiges Benehmen immer neue Gläubiger zu gewinnen. Dabei verläugnete er seine noble Denkart keineswegs. Er beglückte die Frauen und Kinder der Gläubiger durch Geschenke, er machte bei seinen Anleihen großmüthige Bedingungen, und wenn er seine Lieferanten und Handwerker nur sehr theilweise bezahlte, so hinderte er sie doch auf keine Weise, übermäßig große Rechnungen zu machen.

Dieß ging, so lange es gehen konnte. Ungefähr drei Jahre vor dem Beginn unserer Erzählung kam er in große Bedrängniß, und es gehörte die ganze Stärke seiner glücklichen Natur dazu, um nach außen keine Bekümmerniß merken zu lassen. Er mußte sich bedeutend anstrengen, um das Schiff wieder flott zu machen, und so hart es ihn ankam, die letzte Zeit her seinen kostspieligsten Gewohnheiten entsagen. Die Ehre des Hauses mußte jedoch aufrecht erhalten werden. Sein Sohn, vor welchem er die Lage der Dinge zu verbergen verstand, mußte auf Gymnasium und Universität als junger Mann von Stande leben. Als der ihm verwandte Graf nach wiederholten Einladungen endlich Waldfels zu besuchen versprach, so durfte er nichts vermissen, was er von einem Wirthe seines Gleichen nur irgend zu erwarten berechtigt war. —

So war der Mann, und so standen seine Angelegenheiten. Die Leser können daraus einen Schluß ziehen, was der Sohn von ihm zu hoffen und zu fürchten hatte.

Als Arthur in das Zimmer trat, kramte der alte Herr eben in einem Haufen von Papieren. Er horchte hoch auf, als jener ihm eröffnete, daß er mit ihm über eine Sache von Wichtigkeit zu sprechen habe. Der junge Mann, wenn er auch eine wesentlich redliche Natur war, entbehrte doch keineswegs der Klugheit, welche zur Erreichung guter Absichten die geeigneten Mittel zu finden weiß. Er hielt es dießmal für gut, etwas auszuholen, und sprach zuerst von einem Lebensplan, den er sich gebildet habe. Er müsse dem Vater endlich gestehen, daß ihn eine besondere Neigung zu cameralistischen und ökonomischen Studien treibe, und daß er sich nichts anderes wünsche und auch nichts anderes vorhabe, als nach Absolvirung der Universität ihm bei der Verwaltung des Guts zu helfen, wobei er durch mancherlei Verbesserungen, die er für möglich halte, den Ertrag desselben glaube steigern zu können. — Der Baron antwortete mit einem bedeutungsvollen Hm! und forderte ihn durch seine Mienen auf, weiter zu reden. — Arthur ging nun über auf das angenehme Leben in und um Waldfels. Er sprach von dem gemüthlichen Charakter des Volks, von den vortrefflichen Familien in der Umgegend und rühmte namentlich Frau von Holdingen und ihre Tochter als ausgezeichnet durch Bildung, Geist und Charakter, hinzufügend, daß der Vater dieß selbst anerkenne, indem er sie am höchsten schätze und am liebsten mit ihnen umgehe. — Der Baron, der darin nur eine weitere Begründung des Wunsches erblickte, später in Waldfels zu leben, kam noch nicht auf die rechte Fährte und stimmte dem Lob seiner Verwandten von Herzen bei. Darüber bezeigte der Sohn die größte Freude und sprach nun die zuversichtlichste Hoffnung aus, daß der gute Vater gewiß seinem innigsten Wunsch nicht entgegentreten werde. Er wolle auf dem Lande leben bei seinem Vater und an der Seite einer braven Frau. Alle Tugenden, die er von einer Frau verlange, habe er aber in Anna von Holdingen gefunden; er liebe seine Cousine und werde von ihr wieder geliebt; er habe beim letzten Feste die Versicherung ihrer Liebe und Treue von ihr erhalten und er bitte den Vater inständig, zu diesem Bunde der Herzen seine Beistimmung zu geben.

Der Baron sah bei dieser unerwarteten Eröffnung aus, wie einer, der zweifelt, ob er recht höre. Er erhob sich, betrachtete den Sohn halb mitleidig und sagte: „Bist du klug, Arthur? Du willst dich verloben — mit einem Kind?“ — „Anna,“ versetzte Arthur mit bescheidenem Ernst, „ist kein Kind mehr. — Indeß,“ fügte er mit einem Lächeln hinzu, „wenn sie’s noch wäre, so wär’ es ihr einziger Fehler; und du weißt ja, daß man eben diesen am schnellsten und sichersten ablegt.“

Des Barons Antlitz verdüsterte sich und mit schwerem Bedenken schüttelte er den Kopf. Es gehörte zu seinem Wesen, daß er sich über die Zukunft Arthurs nie eine klare Vorstellung gemacht hatte. Er sorgte für die ihm gebührende Ausbildung, im übrigen ließ er ihn gewähren. In den seltenen Augenblicken, wo er wegen der Zerrüttung des ererbten Vermögens doch einige selbstanklagende Regungen empfand, beschwichtigte er sein Gewissen dadurch, daß er annahm, der Sohn, der so viele Fähigkeit und so viel Ausdauer im Studium zeige, werde seiner Zeit in den Staatsdienst treten, um eine gute Carrière zu machen; und als er den Grafen zu sich einlud, dachte er unter anderem wirklich auch daran, seinem Arthur durch die ehrenvolle Bewirthung desselben einen einflußreichen Protektor zu gewinnen. Auf der andern Seite erwog er, daß es einem Träger des Namens Waldfels, begabt und liebenswürdig, unmöglich fehlen könne, eine vorzügliche Partie zu machen und durch die Reichthümer der Erwählten die Mängel des väterlichen Vermögens zu decken. So mußte das Geständniß Arthurs, wodurch beide Hoffnungen bedroht waren, tiefen Verdruß und Unmuth in ihm erregen. Als der Sohn auf seinem Gesicht einen Ernst sah, der ihm völlig ungewohnt erschien, wurde er sehr betreten und fragte im Ton trauriger Ueberraschung: „Wär’s möglich, Vater, daß dir meine Wahl mißfiele? Hättest du an Anna etwas auszusetzen?“

Der Baron versetzte mit Würde: „Nach meiner Ansicht ist die Zeit, wo du an Verlobung, oder gar an Verheirathung denken kannst, überhaupt noch nicht gekommen. Wenn sie aber gekommen ist, so muß ich dir aus vielen Gründen eine reichere Partie wünschen, da unsere Vermögensverhältnisse keineswegs mehr brillant sind.“ — „O,“ rief der Sohn, „wenn es nur das ist, dann hab’ ich keine Sorge!“ Und mit Selbstgefühl setzte er hinzu: „Wir wollen das Gut schon mit einander verwalten, daß ich eine reiche Frau nicht nöthig habe. Ich habe meine Gedanken, und wenn du mir freie Hand gibst, so verbürge ich mich dafür, in wenigen Jahren stehen wir so, daß ich Anna in eine glückliche, gesegnete Familie einführen kann.“ — „Du weißt nicht,“ entgegnete der Vater mit einem Seufzer, „wie weit es gekommen ist!“ — „Das ist einerlei!“ versetzte der liebende, muthige Jüngling. „Im schlimmsten Fall hätten wir nur ein paar Jahre mehr nöthig.“ Und indem er ihn schmeichelnd bei den Händen faßte, rief er in bittendem Ton: „Sey der gute, liebe Vater, der du immer warst! Gib deine Einwilligung!“

Dem Baron stellte sich bei diesem Drängen seine Lage so klar vor Augen, wie nie vorher. Das Gefühl, daß sein einziger Sohn und das gute Mädchen einem traurigen Loos entgegen gehen würden, erschütterte ihn, und eben die Liebe, die Sorge, gab ihm nun Kraft zur Strenge. Er wies die Hand des Sohnes zurück und sagte mit Entschiedenheit: „Laß diese Thorheiten! Du bist selbst noch ein Kind und weißt nicht, was zum Leben gehört!“ — Und froh, von sich selber etwas Empfehlenswerthes anführen zu können, fuhr er fort: „Ich war zehn volle Jahre älter, als ich mich mit deiner Mutter verlobte. Das ist die Zeit, wo man gegenwärtig allenfalls an’s Heirathen denken darf. Die kindischen Schwärmereien der Jugend sind dann von selber vergangen und der Kopf ist hell genug, um eine in jeder Beziehung glückliche Wahl zu treffen. Das muß ich wissen, der ich Erfahrung habe und die Welt kenne. Aber ihr jungen Leute wollt heutzutage klüger seyn als die Alten, und es ist doppelt nöthig, euch in die gehörigen Schranken zurückzuweisen. — Kurz, ich gebe zu dieser Verbindung meine Einwilligung nicht und werde dafür sorgen, daß die voreilige Liebschaft ein Ende findet.“

Nach diesem Beweis von Energie wollte sich der alte Herr wieder an den Schreibtisch setzen, aber Arthur hielt ihn zurück. Mit Ernst und Festigkeit erwiederte er: „Du bist hart gegen mich, Vater, und das thut mir weh, denn ich bin’s nicht von dir gewöhnt. Aber deine Härte — verzeih’ mir, daß ich so zu dir rede — kann und wird meinen Entschluß nicht ändern. Ich habe es wohl überlegt, um was ich dich bitte, und ich muß vor allem das thun, was ich für meine höchste Pflicht halte. Ich kann meiner Cousine nicht entsagen. Sie ist ein so liebenswürdiges Mädchen, daß sie das Bild, das ich mir immer von dem vortrefflichsten Weib gemacht habe, noch bei weitem übertrifft. Schon jetzt vereinigt sie mit dem schönsten und tiefsten Gefühl den heitersten Geist und den klarsten Verstand. Und wenn sie nach deiner Ansicht noch ein Kind ist, was muß man erst in der Zukunft von ihr erwarten? Daß ein solches Wesen existirt, ist ein Wunder, daß ich sie gefunden habe, ein unendliches Glück — und dieses Glück, das ich mit meinem Blute erkaufen würde, sollt’ ich von mir stoßen? — Das ist es aber nicht allein. Ich habe mich gegen Anna erklärt, ich habe das Versprechen der Treue mit ihr gewechselt, und glaubst du, daß ein Waldfels sein feierlich gegebenes Wort brechen werde?“

Das Vaterherz konnte sich dem Eindruck dieser Entgegnung nicht ganz verschließen; aber noch bewahrte der Baron seine Festigkeit und rief im Ton des Unwillens aus: „Das ist eben dein unverzeihlicher Fehler, daß du ein solches Wort gegeben hast!“ — „Es ist dazu gekommen,“ erwiederte Arthur, „ich weiß selbst nicht wie. Ich folgte meinem Herzen und es ist mir nicht eingefallen, daß es jemand betrüben könnte. Ich fand das höchste Glück des Lebens — konnte ich da noch an etwas anderes denken? — Und was ist denn alles andere im Vergleich mit diesem Glück? Was kann denn noch in die Wagschale fallen, wenn wir das Herz eines Mädchens gewinnen, für dessen Besitz wir niedersinken und Gott auf den Knieen danken möchten? — Ich weiß nicht, ob es Menschen gibt, die so klein von sich denken, daß sie sich nicht zutrauen, ein über alles geliebtes Weib durch’s Leben zu führen. Ich aber, lieber Vater, gehöre nicht zu ihnen; und wie unsere Verhältnisse jetzt auch beschaffen seyn mögen, ich werde Anna glücklich machen, glücklicher als irgend jemand in der Welt es vermag.“

Der Baron konnte sich bei diesen Worten nicht enthalten, mit Theilnahme auf den Sohn zu blicken und in seinem ganzen Wesen eine innere Bewegung zu verrathen. Er sagte mit sanfterer Stimme: „Lieber Arthur, du weißt nicht, was du versprichst! Du kennst die Klippen nicht, die dich bedrohen! Du wirst scheitern, wie so viele vor dir gescheitert sind!“ — „Ich werde nicht scheitern!“ rief Arthur mit dem Ausdruck innerster Zuversicht. „Ich fühle einen Muth in mir, dem nichts zu schwer vorkommt, und hier in meinem Herzen ruft eine Stimme: du wirst über alle Schwierigkeiten triumphiren! — Aber,“ fuhr er dringend und herzlich fort, „du, Vater, mußt mir zu diesem Unternehmen deine Beistimmung schenken und deinen Segen geben. Du warst immer so gut gegen mich und in den letzten Jahren, ich darf es wohl sagen, Vater und Freund in Einer Person. Deine Liebe, deine Freundschaft gehören zu meinem Glück, sie sind das Mittel und die Bedingung dazu, ich kann und will es nicht haben ohne sie. Darum schenke sie mir und gib mir dein Jawort! Wir wollen dann zusammen arbeiten und hoffen und Gott und uns selber vertrauen.“

Die Widerstandskraft des Barons war zu Ende. Sein Herz war erweicht; und zugleich hatte der Muth und die Zuversicht des Sohns ihn angesteckt. Was er so eben noch in Abrede gestellt, das erschien dem gerührten Herzen jetzt nicht nur wieder möglich, sondern beinahe wahrscheinlich. Ohnehin hatte er ja das Seine gethan; er hatte gewarnt und lange genug gekämpft. Der junge Mensch fügte sich nicht; man mußte sich überzeugen, daß hier nichts mehr zu ändern sey. — Allen diesen Eindrücken wich der Vater endlich und erklärte: „Wenn du es nicht anders haben willst, so mag es seyn. Ich gebe meine förmliche Einwilligung noch nicht, aber ich verspreche sie dir für den Fall, daß die Baronin nichts gegen eure Verlobung einzuwenden hat. Dann aber,“ setzte er mit Bedeutung hinzu, „vergiß nie, daß ich dich gewarnt und nur deiner Hartnäckigkeit nachgegeben habe.“

Arthur hatte nicht bis zum Schluß dieser Rede gewartet, um dankerfüllt des Vaters Hand zu ergreifen und zu drücken. Er umarmte ihn nun mit kindlicher Zärtlichkeit und rief mit Bezug auf die letzten Worte: „Nein, lieber Vater, nie werde ich das vergessen, so wenig wie die unendliche Güte, womit du meine Bitte erfüllt hast. Wenn ich unglücklich werde, so ist es nur meine Schuld. Wenn ich Glück erlebe, so hab’ ich es einzig und allein dir zu danken.“ — „Gut,“ versetzte der Baron mit väterlichem Ansehen, „dieß ist abgemacht. Aber Eines muß ich mir noch bedingen. Morgen Nachmittag gehen wir zur Baronin: bis dahin wirst du das Schloß nicht verlassen.“ — Arthur versprach es und verabschiedete sich.

Er hielt Wort. Er unterdrückte das Verlangen, zu der Geliebten zu eilen, aber er schrieb an sie und sorgte dafür, daß der Brief ihr geheim übergeben wurde. Er meldete ihr das Ergebniß der Unterredung mit seinem Vater und forderte sie dringend auf, ihrer Mutter gleichfalls ein Geständniß zu machen und bis zur Ankunft seines Vaters ihre Beistimmung zu erlangen. — Den andern Morgen hätte man an dem schönen Mädchen wohl bemerken können, daß ein ungewöhnlicher Vorsatz ihre Seele beschäftigte. Sie zeigte eine bewegtere häusliche Thätigkeit als sonst. Wenn sie davon abließ, stand sie bald in tiefen Gedanken und ihren reizenden Mund verschönte ein eigenes, halb verlegenes Lächeln. Sie schien die rechte Form der Ausführung nicht finden zu können und nahm endlich ihre Zuflucht zum Pianoforte. Dieses Instrument spielte sie mit Fertigkeit, heute aber führte sie die gewählten ernsten Stücke mit einem Gefühl und einer Kraft aus, daß die Mutter, die sich zu einer weiblichen Arbeit gesetzt hatte, selbst mit Verwunderung horchte und unwillkürlich dem rührenden Eindruck der Musik sich hingab. Auf einmal erhob sich das junge Mädchen und trat vor die Mutter. Ihr Vorhaben nicht nur, sondern auch das Bewußtseyn ihrer großen Jugend rief eine holde Schamröthe auf ihren Wangen hervor; aber ihr Entschluß war gefaßt und die Stimmung, wo sie ihn ausführen konnte, hatte sie gewonnen. Sie erklärte der etwas befremdet blickenden Mutter, daß sie ihr ein Bekenntniß abzulegen habe, und bat sie, ihr mit Güte ein ruhiges Gehör zu schenken. Dann erzählte sie den Vorgang am Pfingstmontag mit der Ergebung einer kindlich bescheidenen, aber zugleich mit dem Muthe einer liebenden Seele, durchaus getreu nach der Wahrheit.

Frau von Holdingen war auf’s höchste überrascht. Sie hatte nicht geglaubt, daß hinter der Aufmerksamkeit des jungen Vetters, die ihr natürlich nicht entgangen war, eine so ernstliche Neigung verborgen wäre, und staunte nun über ihr plötzliches Hervorbrechen. Aber sie war nicht, wie der Baron, in der Lage, die Vereinigung der Kinder bedenklich zu finden; im Gegentheil, sie empfand sogleich eine große Befriedigung. Die Familie Waldfels war eine der ältesten im Lande, Arthur war ein Jüngling von soliden Eigenschaften und, was sie schon früher zum öftern hervorgehoben hatte, so recht von adelig schöner Gestalt. Die Vermögenszustände des Barons hielt die von ihres Gleichen stets das Bessere annehmende Dame für geordneter als sie waren, den Sohn mithin für den Erben einer immerhin noch bedeutenden Besitzung, und da ihr Kind wenig oder gar keine Mitgift zu erwarten hatte, die materielle Denkweise der lebenden Männerwelt ihr aber nur zu gut bekannt war, so hatte der Gedanke, ihre Anna Baronin von Waldfels werden zu sehen, für sie etwas höchst Erfreuliches und Beruhigendes. Sie mußte sich Mühe geben, ihr Vergnügen vor der Tochter nicht geradezu merken zu lassen, und die ernste Miene einer Beichtigerin zu behaupten. Am Ende fiel ihr nichts Besseres ein, als ebenfalls ihre hohe Verwunderung darüber auszudrücken, wie bei dieser Jugend sowohl des Vetters als namentlich Anna’s selber ein solcher Vorgang habe möglich seyn können.

Darauf erwiederte Anna mit Ergebung: „Ich weiß wohl, daß ich noch jung bin, aber ich bin alt genug, um einzusehen, daß ich einen besseren und edleren Mann, als Arthur, nie finden würde, und ich habe ihn so lieb, daß ich ihn nicht lieber haben könnte! Als er mich zum Spaziergang einlud, hatte ich keine Ahnung von dem, was kommen sollte. Es ist, wie wenn’s vom Himmel gefallen wäre. Als ich darüber nachdachte, war’s geschehen. Nun hat Arthur mein Wort, mein heiliges Versprechen — und du,“ setzte sie mit herzlich bittendem und zuversichtlichem Ton hinzu, „du, liebe Mutter, wirst mich gewiß nicht hindern, es zu halten.“

Frau von Holdingen erhob sich. Ihrem Herzen folgend umarmte sie das Kind, indem sie mit Güte sagte: „Beruhige dich, Anna! Hält Arthurs Gesinnung auch die Prüfung der Mutter aus, dann hast du nicht zu fürchten, daß ich eurer Verlobung mich widersetzen werde. Es kommt aber hier vor allem auf den Baron an, der mit seinem Sohn vielleicht andere Absichten hat. Wenn er die Verbindung nicht wünschte, so wäre es für dich eine Ehrensache, deinem Vetter zu entsagen.“

Um vier Uhr Nachmittags rollte die offene Chaise des Barons in den Hof. Der wackere Herr war in froher, gemüthlicher Laune. Er hatte mit gutem Appetit gegessen und die ihm zugesandte Probe einer neuen Weinsorte vortrefflich gefunden. Das Wetter war schön und die wehende Ostluft erquickend; als er daher mit dem Sohn an blühenden Wiesen hinfuhr, vergaß er den düstern Hintergrund seiner Angelegenheiten gänzlich und hatte nur heitere Anschauungen. Aus der Art seines Auftretens schöpfte Frau von Holdingen sogleich die vollste Beruhigung, und die erröthenden jungen Leute gaben sich durch Blicke die freudige Gewißheit, daß auf beiden Seiten alles wohl stehe.

Nach den ersten Begrüßungen ließ der Baron, der nicht gewohnt war, in solchen Dingen lang zurückzuhalten, seine Blicke von der Tochter zur Mutter gleiten und sich dann also vernehmen: „Ich sehe, liebe Base, daß unsere gute kleine Cousine auch schon gebeichtet hat. Nun, was sagen Sie zu den jungen Leuten? Ist das nicht erstaunlich? Hat man in unsern Zeiten von so etwas gehört? — Sie haben uns eine eigenthümliche Aufgabe gestellt, unsere Kinder; aber wie wir darüber denken, wir können nicht vermeiden, uns nun damit zu beschäftigen.“

Frau von Holdingen nahm eine würdevolle Haltung an und erwiederte: „Allerdings hat mir meine Tochter alles gestanden und ich habe mein Urtheil nicht zurückgehalten über die Art, wie sie sich in ihrer Jugend zu einem solchen Schritt hat hinreißen lassen. Aber eben diese Jugend, lieber Baron, muß sie entschuldigen. Was jetzt geschehen soll, das hängt allein von Ihrer Entscheidung ab. Haben Sie gegen das Verhältniß und gegen die künftige Verbindung der jungen Leute nur die geringste Einwendung zu machen, so kenne ich meine Pflicht, und ich werde dafür sorgen, daß aller Verkehr zwischen ihnen abgebrochen wird.“ — „Ach, beste Baronin,“ versetzte der alte Herr, „das würde nicht viel helfen. Arthur hat sich mir von einer ganz neuen Seite gezeigt: er wäre im Stand, seinem Vater zu trotzen! Auch unsere Anna, im Vertrauen, sieht nicht darnach aus, als ob sie in dieser Angelegenheit ohne weiteres Gehorsam leisten wollte. Was sollen wir thun? Die Kinder lieben sich, sie haben sich Treue gelobt — und wir müssen zu ihrem Spiel gute Miene machen; — das heißt, wenn Sie, verehrte Frau, nicht aus mir unbekannten Gründen Bedenken tragen, Ihre Einwilligung zu geben.“

Die Baronin beeilte sich zu erklären, daß sie die Verbindung ihrer Tochter mit dem Sohne des Barons von Waldfels für höchst ehrenvoll und für das größte Glück halte, das Anna nur irgend erwarten könnte. Nun wäre es dem wohlwollenden und galanten Mann völlig unmöglich gewesen, sein Jawort zu versagen. Er liebte es ohnehin nicht, Scenen dieser Art hinauszudehnen, und versetzte daher mit herzlicher Freundlichkeit: „Da Sie so liebenswürdig denken, gnädige Frau, und in Ihrer Güte sich selbst übertreffen, so geben wir in Gottes Namen unsere Einwilligung und behalten uns vor, die wirkliche Verlobung so lange hinauszuschieben, als es uns schicklich dünkt. — Möge der Himmel,“ setzte er mit Ernst hinzu, „seinen Segen dazu geben!“ — Dann, mit Liebe zu dem Paare gewandt, rief er: „Bedankt euch nun bei der guten Baronin, Kinder!“

Die beiden, denen bei den ersten Reden doch wieder etwas bange geworden, folgten der Aufforderung rasch und ließen ihre zärtlichen Gefühle an den Eltern so herzlich aus, daß diese selbst der Rührung nicht widerstehen konnten und sich mit feuchten, tiefbefriedigten Blicken ansahen. Arthur hatte Anna’s Hand ergriffen, sein Auge hing an ihr in triumphirender, seliger Liebe. Er wagte es nicht, ihre Lippen zu küssen, und drückte, indem er sie an sich zog, seinen glühenden Mund auf ihre Stirne. Das Mädchen sah dabei so bräutlich schön aus und ihr Glück hatte einen so strahlend edeln Charakter, daß der Baron der Mutter zuflüsterte: „Mein Arthur hat sehr wohl gethan, sich dieses Kleinod so früh zu gewinnen. Hätte er noch gezaudert, so würden die Mitbewerber aus der Erde gewachsen seyn, und es hätte ihm doch wohl einer gefährlich werden können. Er hat auch in dieser Sache den Verstand und die Klugheit bewiesen, die ihn immer ausgezeichnet haben.“ — Die Mutter antwortete mit einem dankbaren und wohlgefälligen Lächeln. —

So leicht wurde diese Angelegenheit, die so manche bedenkliche Seite darzubieten schien, einem Ende zugeführt, das alle Theile zufrieden stellte. Der Baron hielt es um so weniger für nöthig, auf seine dermaligen Vermögensverhältnisse hinzudeuten, als es ihm ja wieder gelungen war, in dieser Beziehung gute Hoffnungen zu fassen. Und wenn es nicht der Fall gewesen wäre, wie hätte ein so guter Mann es über’s Herz bringen können, die gegenwärtige heitere Stimmung durch einen prosaischen Mißton zu trüben? Man vereinigte sich darüber, die förmliche Verlobung in Ansehung der Jugend Annas erst nach einem Jahr erfolgen zu lassen. Arthur sollte seine Studien beenden, reisen und endlich nach Waldfels zurückkehren, wo dann nach den Umständen früher oder später die Vermählung stattfinden sollte. Der alte Herr zeigte sich nicht abgeneigt, das Gut an Arthur zu übergeben, so daß Anna die Aussicht hatte, als Herrin in das Schloß geführt zu werden.

Beim Abendessen ließ sich der Baron die geringere, aber ächte Weinsorte der Baronin eben so gut schmecken, wie seine bessere zu Hause. Seine Laune belebte sich mehr und mehr. Er begann die Kinder zu necken und freute sich an dem jungfräulichen Erröthen des Mädchens. Unter andern wollte er darin einen Hauptbeweis für das Fortschreiten der Menschheit erkennen, daß die jetzige Generation nicht nur fähig sey, so früh zu lieben, sondern auch so früh schon eine glückliche Wahl zu treffen und mit Leidenschaft Verstand und Festigkeit zu verbinden. Er selber gestehe, sich mit der Thorheit länger abgegeben zu haben, was er übrigens auch nicht bereue. Wie er so dasaß, glänzend von Wohlwollen und Vergnügen, hätte er verdient, von dem besten Maler der altniederländischen Schule porträtirt und in der Poesie seines Wesens für alle Zeiten bewahrt zu werden. Endlich ergriff er das Glas, um einen Toast auf das Liebespaar auszubringen. Er wünschte und verkündete ihnen mit väterlicher Zärtlichkeit und mit dem besten Glauben ein Leben voll Liebe, Glück und Freude.

Mußten Arthur und Anna der Zukunft nicht mit den frohesten Empfindungen entgegensehen? Mußten sie sich nicht schon angeweht fühlen von dem Hauch der vollkommensten Erdenseligkeit? Aber die Macht, welche das Geschick der Menschen bestimmt, hat oft ihre Gründe, eben diejenigen, die ein schönes, ruhiges Daseyn zu verdienen scheinen, die Wege des Unglücks zu führen. Die Zeit nahte heran, wo die Hoffnungen, von denen die Herzen der Liebenden bewegt und erhoben waren, eine nach der andern zertrümmert werden sollten.

Seit der Rückreise Arthurs auf die Universität war mit dem Baron eine eigene Veränderung vorgegangen. Das Glück der beiden Kinder hatte ihn in Wahrheit tief gerührt und in der nun folgenden Einsamkeit nachdenklich gemacht. Er fühlte die Verpflichtung, für sie etwas zu thun, und nahm sich mit völligem Ernste vor, seinen Haushalt noch weiter einzuschränken und auf den Ruhm eines glänzenden Edelmanns ganz zu verzichten. Daß sein Koch ihn zu dieser Zeit im Lohn steigern wollte, kam ihm gerade recht. Er entließ ihn, verschaffte sich eine bewährte Köchin und befahl ihr, zwei Gerichte weniger zu geben als bisher. Da er von seinem gewohnten Weinmaß etwas abzubrechen sich nicht entschließen konnte, so begnügte er sich mit einer billigeren Sorte und bewahrte die besten für unumgängliche Gelegenheiten auf. Ein reicher Nachbar hatte früher umsonst großes Verlangen nach seinen zwei vorzüglichen Wagenpferden blicken lassen; jetzt benützte er das Gelüste desselben, trat ihm die beiden Grauschimmel um hohen Preis ab und bezahlte damit einen drängenden Gläubiger. Er fing an bei den nöthigen Einkäufen auf Billigkeit zu sehen und mit den verwunderten Kaufleuten um den Preis zu handeln. Ja, er bekümmerte sich sogar um seine Land- und Forstwirthschaft, ging selbst auf die Felder, um die Arbeiten mit anzusehen, und unterhielt sich mit dem Verwalter über die vortheilhafteste Benützung des Bodens. Bei verschiedenen Gelegenheiten hielt er seinen Untergebenen Reden über die Nothwendigkeit einer sparsamen Haushaltung mit so anmuthiger Würde, als ob er nie an etwas anderes gedacht hätte. Die Leute stimmten ihm achtungsvoll bei, so lange sie vor ihm standen; wenn sie sich allein sahen, konnten sie sich nicht enthalten, lächelnd den Kopf zu schütteln.

Ob es dem guten Herrn möglich gewesen wäre, in der eingeschlagenen Richtung zu beharren, können wir nicht sagen. Das Schicksal enthob ihn der Probe. Er fühlte sich eines Abends unwohl und legte sich früher als gewöhnlich zu Bette. Morgens fand man ihn todt. Ein Schlagfluß hatte seinem Leben ein Ende gemacht. — —

Das plötzliche Hinscheiden einer lebensfrohen und lebenskräftigen Person hat für diejenigen, die ihr mit Liebe anhingen, etwas tief Erschreckendes. Zu dem Schmerz über den Verlust gesellt sich der grausame Zweifel an allem, was man bisher für sicher und dauernd gehalten. Die Hinfälligkeit des Menschen, die Unzuverlässigkeit alles Irdischen sieht mit dem Antlitz der Gorgone auf uns her, und es erfordert die höchste Stärke, sich noch aufrecht zu erhalten und den Pflichten des Tages zu genügen.

Frau von Holdingen und Anna hörten die Todesnachricht mit Entsetzen. Die Ahnung einer unheilvollen Wendung ihres Geschicks durchzuckte sie, als sie die bleichen Gesichter gegen einander wandten und sich mit thränenlosen Augen ansahen. Sie begaben sich in größter Eile nach Waldfels, wo der herbeigerufene Arzt eben erklärt hatte, daß man jede Hoffnung aufgeben müsse. In der allgemeinen Trauer, unter den Thränen, die jetzt reichlich um den Gestorbenen flossen, ermannte sich Frau von Holdingen zuerst. Sie sandte einen reitenden Boten an den Sohn und übernahm als nächste anwesende Verwandte die Leitung des Hauses.

Arthur erschien am folgenden Tage in Begleitung seines Oheims, den er von der Landstadt, wo er als pensionirter Oberst lebte, mitgenommen hatte. Wir versuchen es nicht, seinen Schmerz zu schildern. Die Liebe, die er für seinen Vater empfand, hatte sich durch dessen gütiges Benehmen bei der ihm theuersten Angelegenheit noch erhöht. Wenn er seinen vertrauten Freunden von ihm erzählte, so glänzten seine Augen, als spräche er von der Verlobten. Welch ein erschütterndes Gefühl war es nun, dem theuern Mädchen wieder die Hand zu reichen und den geliebten Vater todt vor sich zu sehen! Er gab sich seinem Schmerz ohne Widerstand hin. Die Anordnung der Trauerfeierlichkeiten mußte von dem Oheim und Frau von Holdingen übernommen werden.

Noch einmal sahen die Räume des Schlosses eine zahlreiche, hochansehnliche Versammlung von Freunden der Familie Waldfels. Wenn nicht Alle wahre Trauer um den Mann empfinden konnten, der jetzt in die Gruft seiner Väter gesenkt wurde, so bedauerten doch Alle sein Ableben aufrichtig und hörten mit Theilnahme die Rede des Ortsgeistlichen, der ihnen seine menschlich schönen Charakterzüge mit schonender Hindeutung auf seine Schwächen in’s Gedächtniß rief.

Ein letzter Wille des Barons fand sich nicht vor; der Sohn war daher alleiniger Erbe und der Oberst, als der nächste Verwandte, wurde sein Vormund. Als beides geordnet war, ging Arthur in Verbindung mit dem Oberst muthig an die Arbeiten, die ihm durch die Lage der Dinge und durch die Gesetze des Landes geboten waren. Aber bald sollte dieser Muth niedergeschlagen werden.

Was die Leser schon errathen haben müssen, enthüllte sich. Schon die Durchsicht der hinterlassenen Papiere ließ die beiden Waldfels einen ungefähren Schluß ziehen auf den wahren Stand der Vermögensverhältnisse. Als aber in Folge des öffentlichen Aufrufs die sämmtlichen Gläubiger der Verlassenschaft sich meldeten, übertraf die Wirklichkeit selbst das, was sie in den schlimmsten Momenten gefürchtet hatten: die Summe der Forderungen drohte das ganze Erbe zu verschlingen.

Für Arthur, der sich in so schönen Hoffnungen gewiegt und so heilige Pflichten übernommen hatte, war es ein schreckliches Gefühl, als er zum erstenmal diese Wahrnehmung machte. Er war gerade allein — sein Oheim war auf einige Tage in seinen Wohnort zurückgegangen —, die klar erkannte Thatsache wirkte daher um so grausamer und niederwerfender auf ihn; die Verzweiflung wühlte in seinem Herzen. Wenn er daran dachte, welch ein reiches Erbe seinem Vater hinterlassen worden war, so konnte er sich einer bittern Empfindung nicht erwehren. Wie war es möglich, solchen Wohlstand gänzlich zu untergraben und den Sohn dem Bettelstab nahe zu bringen? Wie war es möglich, den Weg zum Untergang vorwärts zu gehen und nie zurückgeschreckt zu werden? — Bei alledem vermochte er dem Vater nicht zu grollen. Er dachte an seine unbegrenzte Gutmüthigkeit, an die Begriffe, die er von seinem Stande gehegt hatte, und der Ruin des Familienvermögens erschien ihm als eine Art von Verhängniß, als eine Folge von Schwächen des Vaters, die zu seiner Natur gehörten und für die er nicht mit Strenge verantwortlich gemacht werden konnte. Er tadelte sich selbst, daß er nicht gesehen, wohin die allzu glänzende Lebensweise zuletzt führen müsse, daß er sich nicht schon früher ernstlich von dem Stande des Vermögens unterrichtet und versucht habe, den Vater zu den unausweichlichen Einschränkungen zu bestimmen. Was sollte er nun beginnen? Welch ein Loos wartete seiner? Wie sollte er die Hoffnungen seiner Geliebten, wie sollte er seine feierlich ertheilten Zusagen erfüllen? — Er hatte keine Antwort auf diese Fragen.

III.

Die Verzweiflung ist für ein kräftiges, emporstrebendes Gemüth eine unsäglich bittere, aber eine heilsame Arznei. Sie führt es in dürre, todte Wüsten, aber eben hier wird der Resignation des Rechtschaffenen das Manna des Geistes zu Theil. Sie wirft es in die tiefsten, dunkelsten Abgründe, aber gerade in ihnen erscheinen dem emporblickenden Auge die Sterne des Himmels. Gleich einem Erdbeben öffnet die Erschütterung des Herzens neue Quellen und macht Kräfte frei, deren Umfang bis dahin nicht geahnt werden konnte. Eben so wie großes, unerwartetes Glück, führt plötzlich hereinbrechendes, niederschmetterndes Unglück die im Innersten zerbrochene Seele zu Gott und gibt der passiven Religiosität eines edeln, aber ungeprüften Herzens die Weihe zur Thatkraft, zur Bewährung.

Arthur fühlte die ganze Pein der Hoffnungslosigkeit, und wir dürfen es wohl sagen, daß die grausame Enttäuschung ihm bittere Thränen auspreßte. Nach und nach aber legte sich der Sturm in seinem Herzen und es wurde stiller darin. Er empfand leise das Vorgefühl der Genesung. Mit beruhigterem Geist erkannte er das Große der Prüfung, die ihm auferlegt war; er fühlte den Muth in sich, sie zu bestehen. Indem er an die Kämpfe dachte, die seiner warteten, erhob sich seine Seele und die Hoffnung auf den Sieg stärkte sein Herz. In dieser Stimmung vermochte er Gott zu danken für die ihm zugemutheten Arbeiten; er fühlte sich durch sie geehrt und gelobte sich, mit den ihm verliehenen Kräften Alles zu thun, um das Glück, das ihm nicht geschenkt werden sollte, durch sich selbst zu erringen.

Da er sich überzeugt hatte, daß sein Erbe den Gläubigern zur Beute fallen würde und müßte, so dachte er nach, welche Mittel ihm wohl noch blieben, seinem Geschick eine Wendung zum Bessern zu geben. Da fiel ihm der Graf ein, der sich gegen seinen Vater so warm über ihn ausgesprochen hatte. Er setzte sich nieder, erstattete dem hochgestellten Mann einen treuen Bericht von seiner Lage und bat ihn um gütige Aufklärung darüber, welche Laufbahn ihn am schnellsten in den Stand setzen könnte, seiner Verlobten und sich eine ehrenvolle Existenz zu schaffen. Mitten in der Abfassung dieses Schreibens tauchte eine eigenthümliche Vorstellung in ihm auf, bei der er nicht umhin konnte, über sich selber zu lächeln. Als er es beendet und abgeschickt hatte, trat dieser Gedanke wieder vor seine Seele, und er hing ihm nach, wie man Träumen nachhängt, ohne mehr daraus zu machen als sie sind. Seine Einbildungskraft mußte sich sehr gefällig erzeigen, denn sein Gesicht glättete sich und gewann beinahe einen heitern Ausdruck.

Zunächst hatte er aber eine ernste Pflicht zu erfüllen: er mußte Frau von Holdingen und Anna von dem Stand der Dinge unterrichten. Als er nach dem Landhause fuhr, wohin er so gern die besten Nachrichten gebracht hätte, fühlte er doch wieder eine Bewegung, die er nur mit Mühe bemeistern konnte. Er fand die nöthige Ruhe erst in der Begrüßung der Frauen, schilderte ihnen aber nun das thatsächliche Verhältniß, wie es sich ihm endlich dargestellt hatte, mit würdiger Resignation. Als er geendet, trat eine tiefe Stille ein. Er betrachtete Mutter und Tochter und bemerkte zu seinem Troste, daß der Eindruck seiner Erzählung nicht so niederschlagend war, als er gefürchtet hatte. Bei Anna war dieß in ihrem Herzen, ihrem Charakter und ihrer Jugend begründet; Frau von Holdingen aber war auf eine solche Eröffnung schon einigermaßen vorbereitet, da ihr Gerüchte zu Ohren gekommen waren, die ungefähr auf dasselbe hinaus liefen. Dessen ungeachtet konnte sie sich nicht enthalten, das Schweigen zuerst durch einen Ausruf schmerzlichen Staunens zu unterbrechen und einen mütterlich tiefbesorgten Blick auf die Tochter zu werfen.

Mancher erwartet nun vielleicht, daß der junge Waldfels mit der Erklärung hervorgetreten sey, er gebe unter solchen Umständen Fräulein von Holdingen das von ihr empfangene Wort zurück; er liebe sie zu sehr, um sie an sein unsicheres Loos zu fesseln und dem Glücke, das sie zu erwarten das Recht habe, sich in den Weg zu stellen. Ein solcher Gedanke hatte sich Arthur in der ersten Niedergedrücktheit allerdings auch dargeboten, war aber sogleich von ihm verworfen worden. Er kannte Anna und wußte, daß er sie durch eine solche Erklärung nur kränken würde. Er gehörte ihr, wie sie ihm; sie hatte Ansprüche auf eine Liebe, die sich nicht in muthloser Entsagung, sondern in vertrauensvollem Behaupten des gewonnenen Besitzes offenbaren muß. Wie sehr er Recht hatte, zeigte sich jetzt. Nach dem Ausruf der Mutter wandte sich Anna liebevoll zu ihm, ergriff seine Hand und sagte mit innigem Ernst: „Es ist ein Unglück, Arthur, das ich um deinet- und um unsertwillen schmerzlich bedaure. Aber wir wollen auch das mit einander tragen. Jetzt ist es gut für uns, daß wir so jung sind, wir können warten. Ich traue dir alles zu und meine, es müßte dir alles gelingen. Wenn andere, die mit Nichts anfangen mußten, in der Welt etwas erreicht haben, warum solltest du’s nicht? Und wenn ich nie deine Frau werden könnte,“ setzte sie mit dem schönen Aufschwung jugendlicher Gemüther hinzu, „so würde ich doch stets die Deine seyn. Ich habe dir mein Wort gegeben, und ich wiederhole es jetzt: entweder du oder keiner soll meine Hand erhalten!“ — Arthur hörte mit freudiger Bewegung diese schmeichelhaften Worte und umarmte und küßte die Geliebte, indem Thränen in seinen Augen glänzten. „Im Unglück muß man seyn,“ rief er aus, „wenn man edle Seelen kennen lernen will! Wenn man auch weiß, wie gut sie sind, so thut es doch innig wohl, zu hören und zu sehen, was man weiß. Vertraue mir nur, Anna, dein Glaube soll dich nicht täuschen! Was ich auch unternehme, es muß gesegnet werden um deinetwillen. Wir werden glücklich seyn, verlasse dich darauf — ja, glücklicher als wenn der Reichthum des Großvaters ganz auf mich gekommen wäre!“

Die Baronin hatte während dieser Reden mit einem Ausdruck auf die jungen Leute gesehen, wie er der Welterfahrung eigen ist, wenn sie von liebenswürdigen Seelen Hoffnungen aussprechen hört, gegen deren Erfüllung, wie sie leider weiß, so viele Hemmnisse aufstehen können. „Ihr armen Kinder,“ schien sie sagen zu wollen, „wie leicht versprecht ihr das Höchste, und und wie schwer wird es euch werden, nur etwas von dem zu halten, was ihr jetzt schon gethan zu haben glaubt!“ Aber ein Hauch von der Begeisterung der Liebenden war in ihre Seele gedrungen. Sie bekämpfte eine Regung weltlichen Sinnes, trat zu dem Paar und sagte mit dem Ausdruck edler Selbstüberwindung: „In Gottes Namen denn! Ich kann zwar euer jugendliches Vertrauen nicht ganz theilen und warne euch, in dieser Welt das Gute so leicht und so rasch zu erwarten. Aber eurer Treue soll von mir kein Hinderniß kommen. Ich habe meine Einwilligung zu eurer Verbindung gegeben und ich werde sie nicht zurücknehmen. Möge es euch,“ setzte sie mit besorgter Liebe hinzu, „so wohl gehen als ihr’s verdient!“

Auf dem Heimweg nahte Arthur jene Vorstellung wieder, die ihn schon einmal freundlich angemuthet hatte. In der Bewegtheit seines Geistes formte er unwillkürlich einen Plan daraus, und ein Wunsch regte sich in seinem Herzen, das Phantasiegebild verwirklicht zu sehen. „Sollte das,“ sagte er zu sich selbst, „meine Bestimmung seyn? Sollte ich auf diesem Weg finden, was ich suche?“ Er schüttelte den Kopf. Er dachte an den Brief, den er an den Grafen abgesandt hatte, an die möglichen Aussichten, die sich ihm von dieser Seite her eröffnen könnten. „Er wird mir irgend einen annehmbaren Vorschlag machen und ich werde ihnen bald eine gute Nachricht bringen können,“ sagte er zu sich selbst. Diese Vorstellung erheiterte ihn sichtlich und er kam völlig beruhigt nach Hause.

Solche Gegengewichte ruhen in jugendlichen und schöpferischen Seelen gegen den Druck äußerer Verhältnisse! So leicht stellt sich der innerlich begabte Mensch wieder her, wo andere vernichtet und trostlos am Boden hinschleichen! — Aber ein anderes freilich ist es, über den Gedanken einer mühevollen Zukunft sich zu erheben, und ein anderes, die wirklichen Schwierigkeiten, wenn sie nun anrücken, zu bestehen und zu überwinden. Da wandelt sich der Muth gar oft wieder in Niedergeschlagenheit, die Hoffnungslust in Unmuth und Pein.

Am folgenden Tag kam der Oberst von seinem Wohnort zurück, um sich für die Dauer der Vormundschaft im Schlosse einzurichten. Arthur beeilte sich, ihm seine traurige Entdeckung mitzutheilen. Der Kriegsmann schien davon nicht sonderlich bewegt zu seyn. Er nickte nur ernsthaft mit dem Kopf und sagte: „Das hab’ ich mir gedacht!“

Hugo von Waldfels hatte eine gewisse Aehnlichkeit mit seinem Bruder, unterschied sich aber von diesem durch Energie und eine Anlage zur Heftigkeit, die während seiner militärischen Laufbahn eine Art methodischer Ausbildung erlangt hatte. Sein Aeußeres hatte nicht die behagliche Rundung Günthers, erschien aber dafür um so strammer und schlagfertiger. Auch er hatte sein Erbe großentheils durchgebracht. In der ersten Zeit war ihm das Spiel verderblich geworden; später hatte ein Liebesverhältniß mit der schönen Tochter armer Leute seine Kasse erschöpft. Der Sohn derselben machte Ansprüche auf seine Unterstützung, und der unverheirathete Cavalier, der ihn liebte, hatte schon über den Rest seines Vermögens zu seinen Gunsten verfügt. Wenige Jahre vor dem Tode seines Bruders machte ein Sturz vom Pferde den damaligen Oberstlieutenant dienstunfähig, und es erfolgte die Pensionirung. Seine Mittel wurden dadurch für seine Bedürfnisse ziemlich schmal, und er mußte nun auch allerlei Manöver anwenden, um sich nichts abgehen zu lassen. In die Forderungen der Welt schickte er sich ziemlich gut. Obschon er von seiner Abkunft und seinem Stande nicht gering dachte, so wußte er doch dem großen Geldbesitz die zeitgemäßen Concessionen zu machen, und wenn er in seiner Heftigkeit den Stab über jemand brach, so ließ er sich doch auch wieder begütigen. Es war ein Mann, wie es viele gibt, einer von denen, die bei Erfüllung ihrer Pflichten auch verschiedene schwache Seiten blicken lassen, und zum Theil solche, die sie an andern sehr ernstlich tadeln können.

Bei der Mittheilung Arthurs war dieser Mann nicht nur darum so ruhig, weil er sich das Verhältniß ähnlich vorgestellt, sondern weil er auch schon ein Mittel zur Abhülfe gefunden hatte, das er für durchaus praktikabel hielt. Der Neffe, der davon nichts wissen konnte, rief mit Verwunderung über die scheinbare Theilnahmlosigkeit: „Mein Unglück scheint Sie nicht sehr zu betrüben! Wissen Sie mir Rath? Können Sie mir aus dieser Noth heraushelfen?“ — Der Oberst erwiederte: „Nach meiner Ansicht ist die Sache leicht. Wenn die Gesammtsumme, die dein Vater schuldig wurde, so groß ist, wie du sagst, so ist zu fürchten, daß bei gerichtlichem Verkauf der Hinterlassenschaft der Erlös sie nicht einmal decken wird. Dieß müssen wir den Gläubigern begreiflich machen und es dahin zu bringen suchen, einen Vergleich mit ihnen abzuschließen. Die Bursche sollen sich mit fünfzig oder sechzig Procent begnügen. Dann übernimmst du das Gut und stellst deine Angelegenheiten wieder her.“

An diese Möglichkeit hatte Arthur auch schon gedacht, aber durch nähere Prüfung der verschiedenen Forderungen war er davon ab- und zu dem Entschluß gekommen, eine solche Procedur nicht vornehmen zu lassen. Die einen der Gläubiger waren nämlich versichert, die andern hatten bloß Handschriften des Barons aufzuweisen. Jene waren reich, diese fast ohne Ausnahme nur mittelmäßig begütert. Nun war anzunehmen, daß eben die reichen sich an ihre Unterpfänder halten und allein die unversicherten „kleinen Leute“ zu einem Nachlaß zu bestimmen seyn würden. Dieß zu versuchen widerstrebte der Denkart des jungen Mannes, während er zugleich erkannte, daß die Auskunft im besten Fall doch nur eine kümmerliche seyn würde. Sein Geist hatte sich ohnehin nach einer andern Seite gewendet und sich mit dem Gedanken, das Stammgut aufgeben zu müssen, schon vertraut gemacht. Darum erwiederte er jetzt ruhig: „Das geht nicht, lieber Onkel!“

„Warum nicht,“ fragte der Oberst, der sich von der Sicherheit des Neffen unangenehm berührt fühlte. — Arthur bemerkte zunächst: „Weil dabei Leute ihr Geld verlieren würden, denen eine solche Einbuße sehr empfindlich fallen müßte“ — „Das sind Skrupel eines jungen Menschen,“ versetzte der Oberst ungeduldig. „Es handelt sich darum, ob eine alte Familie im Besitz ihres Erbgutes bleiben oder ob sie es Andern preisgeben soll, die es zertrümmern, vernichten werden; es handelt sich darum, ob diese Familie selbst mit Ehren fortbestehen oder untergehen soll. Dieß ist nicht möglich, ohne daß einige Philister verlieren, — darum sollen sie verlieren!“ — Arthur, durch diesen Ton seinerseits verletzt und gereizt, entgegnete: „Wenn eine Familie nur auf Kosten Anderer bestehen kann, so thut sie besser unterzugehen.“

Der Oberst sah ihn groß an. „Ist das Ernst?“ sagte er endlich. „Bis jetzt hielt ich dich für einen verständigen Menschen — hätt’ ich mich getäuscht? wärst du ein phantastischer Thor?“ — Arthur versetzte: „Den Verstand, den Sie mir zutrauen, hab’ ich vielleicht; aber er geht allerdings nur Hand in Hand mit der Ehrlichkeit. Ich will nicht verständig seyn, wenn ich unehrlich seyn müßte! Und in diesem Fall halt’ ich’s noch dazu für nicht verständig, unehrlich zu seyn.“

Das war dem Oberst zu viel. Eine dunkle Röthe überzog sein Gesicht und er schien eine heftige Entgegnung auf der Zunge zu haben. Allein er bezwang sich, um den jungen Menschen durch Gründe zu besiegen. Er sagte: „Unsere Voreltern, wie dir ohne Zweifel bekannt ist, waren reich und hochangesehen. Sie haben in dieser Gegend seit Jahrhunderten Gutes gethan, sie haben zu verschiedenen Zeiten wahre Opfer gebracht für das Volk. Nun wohl, diese Leute sollen auch einmal für uns ein Opfer bringen!“ — Arthur schüttelte den Kopf und entgegnete: „Wenn unsere Voreltern dem Volke Gutes gethan haben, so würden wir uns nur ausgeartet zeigen, wenn wir es beraubten.“ — „Das ist die Folgerung eines hochmüthigen Narren!“ platzte der Oberst heraus. — „Es ist die Logik eines rechtschaffenen Mannes,“ erwiederte Arthur mit Festigkeit. — Der Oberst stampfte mit dem Fuß und wendete sich in tiefem Unmuth von dem Jüngling ab. In einer Pause der Ueberlegung fühlte er jedoch die Nothwendigkeit, seine Leidenschaft zu unterdrücken, und begann mit erneuerter Geduld: „Wenn du eine solche Art von Ehrlichkeit hast — gut! folg’ ihr! Aber folg’ ihr zu einer Zeit, wo sie dich nicht zu Grunde richtet. Deine erste Pflicht ist, durch einen Vergleich mit den Gläubigern dich zu retten. Ist dieß geschehen, dann arbeite dich wieder empor, und wenn du wohlhabend bist, dann ersetze ihnen ihre Verluste.“ — Arthur wiederholte sein Kopfschütteln und bemerkte: „Ich wäre nicht im Stande, auf die bloße Möglichkeit hin, daß ich begangenes Unrecht wieder gut machen könnte, gegen meine Grundsätze zu handeln. Aber solchen Ersatz zu leisten, hab’ ich nicht einmal Aussicht.“

Er machte den Oheim nun auf den Umstand aufmerksam, daß die versicherten Gläubiger ihrer Lebensstellung und ihrem Charakter nach zu einer Einbuße sich nicht verstehen würden, daß aber die Forderungen der Handschriftenbesitzer wenig mehr als ein Drittel der Schuldenmasse betrügen, er mithin auch im Fall eines Accords nur eine geringe Erleichterung zu erwarten hätte. — Der Oberst war betroffen. Wie es Menschen von despotischem Hange begegnen kann, so hatte er, was er wünschte, sich auch als leicht ausführbar gedacht und angenommen, daß man die Gläubiger überhaupt zu einem Nachlaß würde bestimmen können. Nun schämte er sich, daß der junge Mensch die Verhältnisse richtiger angesehen haben sollte, und empfand nur um so mehr Unmuth gegen ihn. Er fühlte einen Drang, ihn seinerseits wieder zu treffen, und sagte endlich: „Vielleicht! — vielleicht ist es so! — Aber so geht’s, wenn man sich den Rettungsweg, der einem noch geboten war, selber verbaut! Der Bankier Pranger, dem du das meiste schuldig bist, hat eine Tochter, die jetzt achtzehn Jahre seyn muß. Es ist wahr, daß sein Vater noch Krämer dort im Städtchen war und sich glücklich pries, aus seinem Laden etwas in’s Schloß liefern zu dürfen. Aber der Sohn hat Glück gehabt, er ist ein reicher Mann und geadelt. Dergleichen Leute wünschen nichts mehr, als sich mit alten Familien zu verbinden, und es wäre nicht das erstemal, daß der Abkömmling eines guten Hauses durch eine solche Heirath seine zerrütteten Verhältnisse wieder herstellte.“

Arthur hatte dieser Rede mit Verwunderung gehorcht und erwiederte nun mit Ernst und Strenge: „Wozu sagen Sie mir das? Wollen Sie doch bedenken, daß dergleichen Reden jetzt gar keinen Zweck mehr haben.“ — „Nun,“ fuhr der Oberst heraus, „wenn ich dein Vater gewesen wäre, so hätte ich meine Einwilligung zu dem thörichten Verhältniß, das du angeknüpft hast, nicht gegeben und du wärest frei — —“ Weiter konnte er nicht reden. Arthur, mit gerötheten Wangen und funkelnden Augen, hatte sich vor ihn gestellt und rief: „Kein Wort mehr davon, Onkel! Ich bitte Sie!“ — Die Betonung dieses „bitte“ verrieth eine Leidenschaft, die den Oberst verstummen machte. Er wandte sich von ihm und ging düster im Zimmer auf und ab.

In der Stille, die nun eintrat, fand er Zeit zum Nachdenken. Er fühlte, daß er den Neffen doch ungebührlich verletzt habe, und ein gewisses Bedauern, das er darüber empfand, gab ihm die Kraft, nochmals den Ton der „Güte“ anzustimmen. Er sagte: „Wenn man sieht, daß ein junger Mensch im Begriff ist sich unglücklich zu machen, so dürfen seine Verwandten nicht ablassen, ihn darüber aufzuklären, und wenn sie dabei Dinge hören sollten, die sie zu hören nicht gewohnt sind. Ich folge dieser Pflicht und frage dich: Was willst du für die Zukunft beginnen? Hast du schon einen Entschluß gefaßt?“ — Arthur erwiederte der Wahrheit gemäß: „Noch nicht.“ — Dieser Ungewißheit gegenüber erschien dem Oberst sein Vorschlag wieder als der verhältnißmäßig beste, und mit erneuter Sicherheit begann er: „Du willst also dein Haus einreißen, bevor du wenigstens eine neue Hütte gebaut? Du verwirfst die Ansicht eines erfahrenen Mannes und weißt nicht nur keine bessere, sondern gar keine entgegenzusetzen? Du gehst also blind in dein Verderben?“ — Der junge Mann stand nachdenklich da und der Oberst, der ihn erschüttert zu haben glaubte, fuhr mit Gewicht fort: „Arthur, du kennst mich dafür, daß ich kein Schwätzer bin. Ich mache dir jetzt einen Vorschlag; wenn du ihn verwirfst, so werd’ ich ihn nicht wiederholen. Laß mich versuchen, dir Waldfels zu retten! Ich bin dein Vormund und kenne meine Rechte, aber was ich thue, will ich mit deiner Beistimmung thun. Entschließe dich und gib sie mir! Manches geht leichter, als man sich’s vorstellt. Vielleicht läßt sich der geadelte Kaufmann zu günstigen Bedingungen überreden: solche Menschen sind irgendwo zu packen. — Bedenke,“ setzte er mit Ernst hinzu, „daß du dir nicht allein gehörst, sondern einem Geschlecht, daß du Pflichten gegen einen Namen hast, der zu den besten im Lande gehört, und daß dieser Name mit dir untergehen wird.“ — Arthur erwiederte nach kurzem Bedenken: „Sie wollen mein Bestes auf Ihre Weise und ich danke Ihnen für den Eifer, den Sie dabei an den Tag legen. Allein den Weg, den Sie mir vorschlagen, kann ich nicht gehen. Ich erkenne meine Pflichten gegen meinen Namen an und werde sie erfüllen, — aber nur so, wie mein Charakter und meine Ueberzeugung es gestatten.“

Der Oberst stöhnte bei diesen Worten. Der Geduldfaden, den er so lang erhalten hatte, mußte endlich reißen. Er empfand all den Zorn, den man über die Hartnäckigkeit und die Blindheit eines Menschen empfindet, dem man vergebens den besten und zweckmäßigsten Rath ertheilt hat, und indem er sich mit grimmigem Gesicht vor Arthur hinstellte, rief er: „Gut, junger Herr! Jetzt hab’ ich nur noch Eine Pflicht zu erfüllen, nämlich dir zu erklären, was dein Betragen für Folgen nach sich ziehen wird. Mir, dem erfahrenen Mann, kann nichts abgeschmackter vorkommen als der Hochmuth, der meint, die Welt müsse sich nach ihm und seinen Bedürfnissen richten, nichts widerlicher als die Phantasterei, die den Unverstand für Tugend ausgibt. Ich halte deinen Leichtsinn für unverantwortlich und sage dir daher: wenn du dabei bleibst, so zieh’ ich meine Hand von dir ab, ich vergesse, daß du mein Neffe bist, und überlasse dich deinem Schicksal!“ — „Und ich,“ erwiederte Arthur, „erkläre, daß ich gleichwohl dabei beharren muß, daß ich mich aber immer als Ihren Neffen betrachten, für Ihren guten Willen dankbar seyn und diese Gesinnung im glücklichen Fall beweisen werde.“ — Der Oberst zuckte die Achseln, sah ihn mitleidig an und verließ das Zimmer.

In der ersten Aufregung, welche die Scene in ihm hervorgerufen, empfand Arthur die Befriedigung eines Menschen, der sich sagen kann, mit Festigkeit nach seiner Ueberzeugung gehandelt zu haben. Als er aber mit kühlerem Blut darüber nachdachte, erschien es ihm doch peinlich, mit seinem Oheim in ein gespanntes Verhältniß gerathen zu seyn, dessen Aufhören er nach seiner Meinung nicht erwarten konnte, ohne eine ihm unmögliche Nachgiebigkeit zu beweisen. Wie es bei leidenschaftlichen Erörterungen zu gehen pflegt, hatte er keine Gelegenheit gefunden, von den Aussichten zu reden, die ihm gar bald durch den Grafen eröffnet werden könnten. Da er aber diesen Herrn dringend gebeten hatte, in Rücksicht auf die geschilderte Lage seinen gütigen Rath ihm bald ertheilen zu wollen, so beschloß er jetzt, bis zum Einlauf des Schreibens zu warten und den Oheim durch eine gute Nachricht, auf die er hoffte, wo möglich wieder zu versöhnen.

Mehrere Tage gingen hin. Das Benehmen des Obersten entsprach seiner Erklärung. Er genügte seinen Pflichten als Vormund, ohne seines Projektes noch einmal Erwähnung zu thun, und beobachtete gegen seinen Neffen die Formen kalter Höflichkeit; aber er suchte die Momente des Zusammenseyns möglichst abzukürzen und zog sich theils auf sein Zimmer zurück, theils machte er Besuche in der Nachbarschaft. Arthur entschädigte sich im Hause der Verlobten. Er verschwieg hier die Scene mit dem Oheim, und da auch dieser für gut fand, nichts zu sagen, so blieb der junge Mann glücklicherweise mit einer neuen Erörterung verschont. Mutter und Tochter hatten mit ihm angenommen, daß er auf Waldfels verzichten und sein Glück anderweitig suchen müsse. Darum bildete nun das Schreiben, das Arthur an den Grafen abgesandt hatte, und die zu erwartende Proposition den Hauptgegenstand der Unterhaltung und mancher Vermuthung.

Die sehnlich erharrte Antwort erschien endlich. Der junge Waldfels betrachtete Adresse und Siegel mit begreiflichem Herzklopfen, eilte auf sein Zimmer und las in größter Spannung.

In verhältnißmäßig ausführlichem Schreiben drückte der hochgestellte Herr zunächst sein Leidwesen über den frühzeitigen Hintritt des Vaters aus, eines der vortrefflichsten Männer, die er gekannt, und dessen Andenken seinen Freunden stets theuer bleiben werde. Dann ging er auf Arthurs Verlobung über, an der er um so herzlicheren Antheil nehme, als er vielleicht zuerst an dem edeln jungen Paar die Anzeichen einer tieferen Neigung wahrgenommen und sich darüber gefreut habe. Er wünsche demselben alles Glück, das die Erde bieten könne, und bedaure auf’s innigste, daß die Hinterlassenschaft des Vaters nicht von der Art sey, um ihnen sogleich die hiezu nöthige Unterlage zu gewähren. Was die Anfrage des jungen Freundes betreffe, so wolle er hierauf eine gewissenhafte Antwort ertheilen. Er für seine Person würde es am liebsten gesehen haben, wenn er sich der diplomatischen Carrière hätte widmen können, denn dazu scheine er ihm ganz besonderes Talent zu besitzen. Allein zu dieser Laufbahn sey ein nicht unbedeutendes Vermögen die nothwendige Voraussetzung, und so könne in Ermanglung eines solchen leider auch dießmal wieder eine glänzende Begabung nicht die ihr zukommende Bethätigung finden. Aehnliches gelte von der militärischen Laufbahn. Könnte er dem Baron die baldige Erlangung einer Lieutenantsstelle allenfalls auch garantiren, so verböte sich für ihn die Wahl dieses Standes doch wegen der Bedingungen, an welche die Landesgesetze die Verheirathung eines Offiziers knüpften. Alles wohl erwogen, müsse er seinem trefflichen Verwandten rathen, auf der Universität die Jurisprudenz zu absolviren und sich dem Staatsdienst zu widmen. Zwar sey es seine Pflicht, ihn darauf aufmerksam zu machen, daß der Concurrenten jetzt gar viele seyen und daß er eine Reihe von Jahren werde Geduld haben müssen, bis er eine seinen Wünschen entsprechende Stellung werde erlangen können. Allein als begabter junger Mann werde er sich auch hier mit der Zeit hervorthun und ihm Veranlassung geben, seine Schritte zu fördern. Er auf seinem Posten habe sich freilich die strengste Gerechtigkeit und Unparteilichkeit zum Gesetz gemacht; allein es freue ihn außerordentlich, wenn er einem edelgesinnten jungen Mann mit gutem Recht freundschaftlich unter die Arme greifen könne. Im Uebrigen rathe er, nur guten Muthes zu seyn. In der Welt sey manches möglich und es könne von irgend einer Seite her eine unerwartet günstige Wendung seines Geschicks eintreten. Sollte aber die Erfüllung seiner höchsten Lebenswünsche dennoch erst spät eintreten, so werde sie ihn nur um so inniger beglücken, und er werde das erhebende Gefühl eines mit Ausdauer errungenen und in jeder Hinsicht verdienten Looses haben. Indem er daher u. s. w. u. s. w.

Als Arthur diesen Brief gelesen hatte, senkte er das Haupt in tiefer Niedergeschlagenheit. Er hatte von dem Mann, der ihm so viel Theilnahme bewiesen und dessen Macht anerkannt war, irgend einen Vorschlag erwartet, der ihn auf ungewöhnlichem Weg rasch zum ersehnten Ziel führen könnte. Nun sah er sich den gewöhnlichsten Rath gegeben! Er sah sich mit Redensarten beschenkt, die ihm von purer Gleichgültigkeit dictirt und nur den Wunsch auszudrücken schienen: belästige mich nicht weiter!

Hätte er den Grafen näher gekannt, so würde er weniger gehofft haben, durch das Ergebniß seiner Anfrage aber auch weniger erschüttert worden seyn. Der vielvermögende Herr besaß eine ausgebreitete Verwandtschaft und hatte eben gegenwärtig mehrere Vettern zu versorgen, die ihn näher angingen als Arthur. Auch Andere hatten ihm Gefälligkeiten und Ehren erwiesen und konnten nun mit Ansprüchen hervortreten. Darunter waren Männer, die nützlich oder schädlich werden konnten, und diese mußte er vor allen berücksichtigen. Als kluger Mann hatte er von jeher die Nothwendigkeit begriffen, für brauchbare Persönlichkeiten über Belohnungs- und Anfeuerungsmittel verfügen zu können, und es sich daher zur Regel gemacht, sich niemals ohne Noth durch eine schriftliche Zusage zu binden. Da er sich nun auf seinem hohen Standpunkt ohnehin von Supplicirenden umdrängt sah, denen er allen helfen sollte — konnte er dem jungen Waldfels unter den gegenwärtigen Verhältnissen mehr zuwenden, als ein mäßiges Theilchen von Sympathie? Durch sein ausführliches theilnehmendes Schreiben glaubte er sogar ein Uebriges gethan und durch das ernstlich gemeinte Versprechen einer späteren gelegentlichen Unterstützung seine wohlwollende Gesinnung vollkommen bewiesen zu haben.

Arthur konnte sich in die Seele des Staatsmanns nicht hineindenken; er beschuldigte ihn daher unfreundlicher Kälte und sah in ihm nur einen herzlosen Weltmenschen, von welchem für ihn gar nichts mehr zu erwarten sey. Es ist so schwer, gerecht zu seyn, wenn man eine unerwünschte Antwort erhalten hat! Die vorgeschlagene Laufbahn, die für den Jüngling an sich nichts Reizendes hatte, erschien ihm jetzt geradezu widerwärtig; sein Herz wandte sich gänzlich davon ab. Allein welche andere bot sich ihm dafür? Was sollte er dem Oberst sagen, den er durch eine gute Nachricht zu gewinnen und zu beschämen gehofft? Die Reihe sich zu schämen war nun an ihm. Und was sollte er Frau von Holdingen sagen, die von dem einflußreichen Mann eben so wie er eine trostreiche Auskunft erwartet hatte? — Bei diesem Gedanken ergriff ihn eine marternde Empfindung, und schmerzlicher als je fühlte er die Stiche der Verzweiflung im Herzen.

In der Gedankenbewegung, der er sich willenlos hingab, erschien Arthur endlich jenes Traumbild, das in der letzten Zeit vor den Geschäften des Tags zurückgewichen war, auf’s neue. Sein nach Rettung verlangendes Herz fühlte sich zu ihm hingedrängt; das, was ihm zuerst nur spielender Gedanke gewesen, erschien ihm nun als eine Eingebung, und siegreich trat in ihm der Glaube hervor, daß er zu der Thätigkeit, wie sie ihm hiemit sich öffnen würde, berufen sey, daß er in ihr sein Glück finden und sein Geschick wieder herstellen werde. Die Stunde der Entscheidung war für ihn gekommen. Nachdem er die Vorstellung noch eine zeitlang betrachtet hatte, erhob er sich entschlossen und rief aus: „Ja, diesem Zuge will ich folgen! Verlassen von Andern will ich mir selbst vertrauen und kühn der Göttin mich weihen, die heutzutage allein noch Wunder zu thun vermag. Ich fühle mich dazu begabt, die Aussicht reizt und lockt mich, und dießmal, das weiß ich, wird mein Vertrauen mich nicht täuschen. — Aergert euch dann, ihr Herrn,“ setzte er mit stolzer Geringschätzung hinzu, „mit euch bin ich fertig!“ —

Der Entschluß, den Arthur in aufgeregtem Zustande gefaßt, hielt die Probe nüchterner Untersuchung aus. Den andern Tag, nachdem er alle Verhältnisse wohl erwogen hatte, erneuerte er ihn und gelobte sich, nicht wieder von ihm abzugehen. Sein Vorhaben war aber von der Art, daß es ihm geboten schien, niemand, auch nicht der Geliebten, ein Geständniß davon zu machen. Er nahm sich vor, es für Alle ein undurchdringliches Geheimniß seyn zu lassen und bei Anna und Frau von Holdingen an das Vertrauen zu appelliren, das redliche Herzen einem Ehrenmann schenken müssen. Eine tiefe Ruhe nahm in seiner Seele Platz. Es war die Ruhe des Bewußtseyns, einem höheren Rufe zu naturgemäßer Bestimmung zu folgen.

Die Frage war jetzt nur, wie er den Frauen die Antwort des Grafen mittheilen sollte, ohne ihre Herzen zu erschrecken und zu betrüben. Aus dieser Verlegenheit riß ihn ein Mann, der seinen Wünschen überhaupt wie ein Bote des Schicksals entgegenkam — ein Unterhändler seines Hauptgläubigers. Arthur erkannte aus den Reden desselben gar bald, daß es den reichen Landsmann über die Maßen gelüstete, Eigenthümer von Waldfels zu werden. Er fand nach dem, was er von ihm gehört, diese Neigung begreiflich und knüpfte an sie seine Hoffnungen an.

Daniel Pranger, oder wie er seit vier Jahren hieß, Daniel von Pranger war der Sohn eines kleinen Materialwaarenhändlers in dem zwei Stunden von Waldfels entfernten Städtchen. Schon der Vater, der seine Kunden mit Eifer bedient, hatte sich nach und nach ein nicht ganz unbedeutendes Vermögen gesammelt. Daniel, der die Kaufmannschaft in der altberühmten Handelsstadt erlernt, aus der die Baronin von Waldfels stammte, übertraf ihn als selbstständiger Mann an Glück und Unternehmungsgeist. Er wagte viel, und wo er wagte, gewann er. Endlich setzte er seinen Spekulationen die Krone auf, indem er die Wittwe eines Bankiers heirathete und damit eine gar viel bessere Partie machte, als der verstorbene Baron, der kurz zuvor Arthurs Mutter heimgeführt hatte. Wenn den Glücklichen sein gesicherter Reichthum mit Stolz erfüllte, so war es ihm doch das süßeste Gefühl, von dem Glanz desselben umstrahlt in der Vaterstadt aufzutreten und die Ausrufungen des Staunens und die respektvollen Schmeicheleien zu vernehmen, womit ihn seine Jugendfreunde beehrten. Er wiederholte diese Besuche mit Familie in gemessenen Zeiträumen und unterließ nicht, vor seinem Abgang Verwandten und Bekannten jedesmal ein Diner zu geben, das wochenlang den Hauptgegenstand der Unterhaltung im Städtchen bildete. Bei einem dieser Besuche mußte er hören, daß die Festlichkeiten, die in Waldfels veranstaltet wurden, in Aller Munde waren. Die Honoratioren rühmten die Pracht derselben und noch mehr die noble Feinheit, mit welcher der Baron seine Gäste zu unterhalten wisse; die Frauen ließen für den damals noch in den besten Jahren stehenden Herrn eine große Eingenommenheit blicken. Alles das erfüllte den reichen Mann mit einem Gefühl, das wir nicht mit Unrecht als Neid bezeichnen können. Der Baron ehrte ihn gelegentlich durch eine Einladung, was ihn freute; aber er behandelte ihn dabei mit einer Höflichkeit, die ihm nicht eifrig genug vorkam, und zeichnete ihn nicht vor andern aus, wie er es erwartet hatte; er fühlte sich gedrückt und kam unbefriedigt und verdrießlich nach Hause. — Ein glücklicher und stolzer Moment war es daher für ihn, als Herr von Waldfels ein Jahr später in seinem Hause erschien, um ein bedeutendes Anlehen bei ihm zu machen. Er bot ihm mehr, als der Baron verlangt hatte, bedang sich hinreichende Sicherheit und fühlte sich groß in dem Bewußtseyn, der finanzielle Protector eines Mannes zu seyn, den er in seiner Jugend so hoch über sich erblickt hatte und dem er auch in der Fülle seines Reichthums den Rang nicht abzulaufen vermochte. Schon zu dieser Zeit dachte er daran, daß ihm bei der Lebensweise des Barons wohl einmal seine Besitzung in die Hände fallen könnte. Er hatte seitdem ein lauerndes Auge auf den Gang seiner Angelegenheiten und es war ihm angenehm, sich wegen nicht bezahlter Zinsen in einer Weise mit ihm zu vergleichen, daß die bisherige Schuld um ein Ziemliches größer wurde. Als er das Ableben des Barons erfuhr, trat der Wunsch, das Edelmannsgut zu besitzen, auf’s lebhafteste in ihm hervor. Er faßte den Entschluß, alle Segel aufzuspannen, um sich einen so glänzenden Ruhesitz zu verschaffen und zu dem Ruhm eines reichen Mannes noch den eines Herrn von Waldfels zu fügen. Den Erben durch Kündigung des Capitals in die Enge zu treiben, schien ihm aus Gründen der Ehre und Klugheit nicht räthlich; er drängte ihn daher in keiner Weise und wartete mit Ruhe seine Zeit ab. Als die Epoche der Mündigkeit Arthurs herannahte, hielt er es für das Zweckmäßigste, bei dem unerfahrenen, in Verlegenheit befindlichen Jüngling durch einen geschickten Unterhändler das Geschäft beginnen zu lassen.

Dieser, ein jüdischer Handelsmann aus der Nachbarschaft, erwähnte natürlich nichts davon, daß er von dem Bankier zu seiner Anfrage beauftragt sey. Er habe sich gedacht, daß es dem Herrn Baron unter den gegenwärtigen Umständen erwünscht seyn könnte, die schöne Besitzung gut zu verkaufen, und die Verehrung, die er gehegt für den seligen Herrn Vater, mit dem er so manches Geschäft gemacht, und das Interesse für das Wohlergehen des jungen Herrn Baron habe ihn bewogen, sich nach einem Mann umzusehen, wie man ihn brauche. Er habe einen solchen gefunden, einen Mann, reich und reell, der im Stande sey, die Besitzung gut zu bezahlen, und den man dazu bringen könnte, sie zu kaufen — den Herrn von Pranger. Wenn der Herr Baron geneigt seyen, sie zu veräußern, so biete er ihm seine Dienste an, und so wahr er das Leben habe, der Herr Baron solle ein Geschäft machen, das er nicht bereuen werde.

Arthur konnte sich nicht erwehren, mit Heiterkeit auf den Mann zu sehen, der dieß Alles mit einer Lebhaftigkeit und Wärme vortrug, als ob jede Sylbe aus seinem Herzen käme. Er richtete mehrere Fragen an ihn, die sich auf Herrn von Pranger bezogen, und so vorsichtig der Jude antwortete, so gewann Arthur doch die klarste Anschauung von dem wirklichen Stand der Dinge. Sehr angenehm berührt davon, gab er die Erklärung: er sey nicht abgeneigt, das Gut zu verkaufen, sofern es nämlich preiswürdig bezahlt würde; vorher müsse er sich aber mit den Seinen berathen. — „Natürlich,“ erwiederte der Jude, „bei einer Sache von solcher Wichtigkeit! — Aber,“ setzte er fein hinzu, „der Herr Oberst haben vielleicht eine zu militärische Ansicht von der Sache und muthen Ihnen zu, eine Last zu tragen, die zu schwer für Sie werden könnte. Ein junger Herr, wie Sie, kann Anspruch machen auf alle Ehren in der Welt. Warum sollten Sie sich mit einer Besitzung plagen, die sich unter den jetzigen Verhältnissen — verzeihen Sie, daß ich das sage! — für einen Herrn von Stande doch schwerlich mehr rentiren kann. Indessen der Herr Baron sind klug, das ist allgemein bekannt, und wissen selbst, was für Sie am vortheilhaftesten ist.“ — Arthur ließ das gut seyn. Man bestimmte die Zeit der nächsten Zusammenkunft und trennte sich.

IV.

In der Stimmung, welche die Unterredung mit dem jüdischen Unterhändler im jungen Waldfels angeregt, glaubte er seinen Oheim aufsuchen zu müssen. Er fand ihn in seinem Zimmer, bat ihn nach bescheidenem Gruß herzlich, den Auftritt von letzthin vergessen und ihm wegen eines Anerbietens, das ihm gemacht sey, den Rath der Erfahrung ertheilen zu wollen. Der Oberst, durch dieses Entgegenkommen einigermaßen begütigt, brummte etwas von Pflicht und erklärte sich dazu bereit. Als Arthur in seinem Bericht Herrn von Pranger als Käufer nannte, machte der Kriegsmann ein erzürntes Gesicht. „Dieser Sohn eines Käsekrämers,“ rief er aus, „will Waldfels haben? Das ist ja schamlos!“ — Arthur stellte dem Oheim vor, daß er eben bei Herrn von Pranger Aussicht habe, das Gut vortheilhaft zu verkaufen. „Und was den Umstand betrifft,“ fuhr er lächelnd fort, „daß der Sohn eines Krämers in den Besitz von Waldfels kommen würde, so erlaube ich mir, Sie daran zu erinnern, daß Sie selber einen Vorschlag gemacht haben, nach dem er der Schwiegervater und nach Umständen der Großvater eines Herrn von Waldfels werden sollte.“ — Der Oberst schnitt eine Grimasse des Verdrusses und versetzte: „Ja, das hab’ ich gesagt! — Hol’s der Henker! Das Geld ist heutzutag Alles!“ — Er ging unmuthig im Zimmer auf und ab und stieß abwechselnd Flüche und Seufzer aus. Endlich stellte er sich vor den Neffen hin und sagte mit einem grimmigen Humor: „Nun, wenn der Kerl durchaus unser Stammgut haben will und du nicht davon zurückzubringen bist, es abzugeben, so laß dir’s wenigstens so gut als möglich bezahlen!“ — Arthur, erfreut über die Willfährigkeit, die sich hierin kund gab, versetzte: „Dafür, lieber Oheim, lassen Sie mich sorgen. Bezahlen soll er es!“

In dem erleichterten Gefühl, das wir immer haben, wenn wir jemanden tractabler finden, als wir zu hoffen gewagt, begab sich Arthur zu Frau von Holdingen. Er sprach hier aus Gründen zuerst von der Absicht des Bankiers. Die Baronin konnte ebenfalls ihre Betrübniß nicht verbergen, daß ein Gut, welches die Familie Waldfels Jahrhunderte hindurch besessen hatte, in die Hände eines solchen Mannes kommen solle. Sie mußte indeß gestehen, daß man es am Ende noch für ein Glück halten müsse, wenn Arthur dadurch in den Besitz einer Summe Geldes gelange, die er zu seinem Fortkommen gar sehr würde brauchen können. „Um so mehr,“ fiel Arthur ein, „als unser edler Verwandter, der Herr Graf, die Hoffnungen, die wir auf ihn gesetzt haben, vor der Hand nicht erfüllen zu wollen scheint.“ Er überreichte der Baronin das Schreiben, das sie begierig las. Als sie es geendet, zuckte sie die Achseln und sagte: „Ich habe ihn immer für einen Menschen gehalten, der nur an sich denkt.“ Sie schwieg bekümmert und Arthur wandte sich zu Anna, die ihn schon vorher mit einem Blick angesehen hatte, der zu sagen schien: „In Gottes Namen, das macht es nicht aus!“ Nun lenkte sie das Gespräch auf einen andern Gegenstand und zog auch die Mutter in dasselbe, so daß sich nach einiger Zeit alle drei wieder in gefaßter Stimmung befanden. Arthur sagte beim Abschied zur Baronin: „Wir wollen uns jetzt an das Nächste halten und einen vortheilhaften Verkauf zu bewerkstelligen suchen. Ich hoffe Ihnen bald gute Nachrichten geben zu können.“

Die Verhandlungen zwischen dem jungen Waldfels und Herrn von Pranger begannen. Jener, durch seinen Oheim unterstützt, benahm sich dabei so klug, daß die Begierde des Bankiers, die freiherrliche Besitzung in seine Hände zu bekommen, immer mehr gestachelt wurde. Es kam Arthur zu gute, daß die übrigen Gläubiger in seine Redlichkeit volles Vertrauen setzten und in das Geschäft keine Störung brachten. Nützlich wurde es ihm, daß der Oberst auf seine Faust das Gerücht unter die Leute gehen ließ, er sey im Stande einem Gewissen einen schlimmen Streich zu spielen, indem er das Geld zu seiner Bezahlung herbeischaffe. Endlich — und das war die Hauptsache — hatte Arthur noch das Glück, den jüdischen Unterhändler, Herrn Samuel Rosenheimer, auf seine Seite zu bekommen.

Wie wir unsern jungen Freund kennen gelernt, war er von Herzen freundlich gegen jedermann. An Samuel Rosenheimer ergötzte ihn das mit der Sicherheit eines Künstlers durchgeführte Spiel, welches er durchschaute; er verkehrte gern mit ihm und erwies ihm dabei mit Vergnügen die Höflichkeiten, auf die ein so geschickter Mann Anspruch machen konnte. Herr von Pranger dagegen kehrte gegen seinen Unterhändler bald die unangenehme Seite des Auftraggebers hervor. Er ward ärgerlich, daß die Sache nicht von der Stelle rücken wollte; einmal in übler Laune, setzte er sich hin und schrieb einen Brief, in welchem er Herrn Rosenheimer kränkende Vorwürfe machte und ihm erklärte, daß er sich in die Nothwendigkeit versetzt sehen könnte, einen andern Unterhändler zu wählen. Nun kann der Israelit in der Regel gar vieles vertragen, wenn es seyn muß; gewisse Beleidigungen verletzen ihn aber um so tiefer und eine stille Wuth bleibt um so länger in seinem Gemüthe. Als Samuel Rosenheimer diesen Brief gelesen hatte, verzog er seinen Mund verächtlich und sagte für sich: „Der Herr Baron von Waldfels, der Abkömmling einer so alten und so angesehenen Familie, ist höflich gegen mich, und dieser Mensch, dessen Großvater im Spittel gestorben ist, belohnt meine Mühe mit Undank und Geringschätzung! — Nu, wir wollen sehen!“

Am andern Tag kam er zu Arthur und konnte oder wollte eine gewisse Aufregung nicht verbergen. Er faßte den jungen Mann bei der Hand und sagte: „Herr Baron, erlauben Sie, daß ich heute ernsthaft mit Ihnen rede. Ich mein’s gut mit Ihnen — glauben Sie mir! Sie sind ein braver und liebenswürdiger Herr und unverdient — das weiß der liebe Gott! — in eine schlimme Lage gekommen. Der Herr Vater — Gott hab’ ihn selig! — er war auch ein braver Herr; aber er trieb’s ein bischen zu hoch, er war auch zu gut — und wie’s so geht wenn man einmal anfängt Schulden zu machen, ist’s oft nicht mehr möglich aufzuhören. Und nun steht’s so — unter uns, Herr Baron, können wir das schon sagen — daß Sie möglicherweise um Ihr ganzes Vermögen kommen können. Das thut mir weh, ich versichere Sie, weh thut’s mir! Ich weiß ja auch, warum Sie jetzt wünschen müßten, das ganze große Vermögen zu haben, das an Ihren Herrn Vater gekommen ist. So wahr ich hier stehe, ’s freut mich allemal, wenn ich Sie sehe mit Fräulein von Holdingen — zwanzig Meilen in der Runde gibt es kein so liebes und so schönes Paar! — Herr Baron — nichts für ungut! — ich hab’ auch ein Herz!“

Dem Juden waren bei diesen Worten die Augen feucht geworden und Arthur wußte nicht, was er von ihm halten sollte. Seine Gedanken errathend fuhr jener fort: „Sie wünschen zu erfahren, was ich eigentlich will, das will ich Ihnen sagen. — Ihnen, Herr Baron, muß geholfen werden! — und ich, Samuel Rosenheimer, der ich hier vor Ihnen stehe — ich will Ihnen helfen!“ — Arthur sah ihn verwundert an. Es kam ihm vor, als ob er dießmal kein Spiel vor sich sähe, und er sagte freundlich: „Wie wollen Sie das machen, lieber Herr Rosenheimer?“ — „Fragen Sie mich nicht,“ erwiederte jener, „ich werd’s machen! — Wissen Sie was? Ich kehre auf eine Stunde in’s Wirthshaus zurück. Gehen Sie unterdeß zum Herrn Onkel, berathen Sie sich mit ihm und schreiben Sie die Bedingungen, unter denen Sie das Gut ablassen wollen, auf einen Bogen Papier; weiter nichts. — Herr Baron, ich empfehle mich Ihnen.“

Nach einer Stunde kam der Jude wieder. Arthur übergab ihm lächelnd das gewünschte Papier. Rosenheimer las es und sagte bedenklich: „Sie fordern viel, Herr Baron.“ — „Nicht mehr,“ erwiederte Arthur, „als die Besitzung für einen Liebhaber werth ist. Ich selbst würde sie um diesen Preis nicht abgeben, wenn ich nicht dazu gezwungen wäre.“ — Der Jude versetzte: „Nu, wir wollen sehen! — Für jetzt muß ich Sie aber bitten, in dieser Sache nichts weiter zu thun und mit niemand darüber zu reden. Vertrauen Sie dem Samuel Rosenheimer und warten Sie, bis er wieder kommt.“

Zwei Tage nachher gelangte an Herrn von Pranger durch einen Geschäftsfreund die Nachricht, der Fürst von N. habe geäußert, er wolle das Gut Waldfels kaufen. Einige Stunden nachher trat Rosenheimer mit geheimnißvoller Miene in’s Comptoir. Der Bankier nahm ihn sogleich mit in sein Zimmer und fragte ihn hastig: „Ist’s wahr, daß der Fürst von N. die Absicht hat, Waldfels an sich zu bringen?“ — „Haben Sie auch schon davon gehört?“ versetzte der Jude ruhig. „Ich kann Ihnen nur sagen, was mir mein Schwager aus der Residenz des Fürsten geschrieben hat: daß dieser Herr beabsichtigt, schon in den nächsten Tagen einen seiner Beamten nach Waldfels zu schicken.“ — Dem Bankier stieg das Blut in’s Gesicht und er rief unwillig aus: „Das wäre ja schändlich, wenn mir ein Gut, auf das ich schon Jahre lang spekulire, vor der Nase weggeschnappt würde?“ — „Können Sie sich wundern,“ versetzte Rosenheimer, „daß eine so schöne Besitzung noch mehr Liebhaber findet? Uebrigens dürfen Sie sich gratuliren: noch weiß der junge Herr nichts von dieser Absicht des reichen Fürsten, noch steht Ihnen Waldfels zu Gebot. Aber wie? Bezahlen müssen Sie’s! Der junge Baron ist zäh, grausam zäh; er kennt den Werth seines Gutes genau — nu, was red’ ich viel? Hier sind die Bedingungen!“

Er hatte unterdessen die Brieftasche gezogen und übergab ihm das Papier. Der Bankier las rasch und rief unmuthig aus: „Wie, das ist —“ — „Das Ultimatum von dem Herrn Baron,“ fiel Rosenheimer ein. — „Ist der junge Mann klug?“ versetzte Herr von Pranger; „diese Summe!“ — „Die Summe ist schön,“ bemerkte Rosenheimer, „aber Waldfels ist noch schöner.“ — „Und die Bedingungen?“ fuhr der Bankier fort. „Sechs Jahre das Gut nicht verkaufen, an den Gebäuden keine wesentlichen Aenderungen vornehmen zu dürfen! Was soll das?“ — „Herr von Pranger,“ erwiederte Rosenheimer, „Sie wissen, solche Herren hängen mit einer ganz sonderbaren Zärtlichkeit an dem Stammsitz ihrer Familie. Es thut dem armen jungen Mann weh, daß er Waldfels nicht behaupten kann. Da es aber nicht möglich ist, so will er wenigstens dafür sorgen, daß es noch einige Jahre so besteht, wie er es gefunden hat. Eine Grille, wenn Sie wollen! Aber was kümmert das Sie? Wenn Sie Waldfels einmal haben, geben Sie’s doch nicht wieder her, und Veränderungen an den Gebäulichkeiten wären nicht nöthig, wenn ein Fürst — was sag’ ich? — wenn ein König es beziehen wollte.“

Der Bankier zuckte die Achseln und ging im Zimmer auf und ab. Der Jude las in seinem Gesicht, daß ihm der Gedanke, Waldfels an einen Andern kommen zu lassen, unerträglich fiel; er näherte sich ihm und sagte: „Herr von Pranger, Sie sind ein reicher Mann, — keine Widerrede! — Sie sind ein reicher Mann! Was macht es Ihnen, wenn Sie ein paar tausend Gulden weniger haben? Wenn Sie’s nicht wissen, spüren Sie’s nicht, aber dem jungen Mann thun sie gut. Und wenn es wird bekannt werden, was Sie gegeben haben, so wird man sagen: der Bankier von Pranger ist ein großmüthiger Charakter; — er hat dem jungen Mann in seiner Verlegenheit das Gut nicht abgedrückt — er hat gehandelt als ein wahrer Edelmann — er verdient den Edelmannssitz zu haben.“ — Das hieß seinen Mann bei der schwächsten Seite fassen. Herr von Pranger wurde um vieles freundlicher und vermochte seinen Worten kaum den Schein eines Vorwurfs zu geben, als er sagte: „Was sind Sie für ein Unterhändler! Sie nehmen die Partie des Barons!“ — „Ich nehme nicht die Partie des Barons,“ entgegnete Rosenheimer. „Ich habe gethan, was ich konnte. Kann ich dafür, daß der junge Baron so hartnäckig, und daß der Fürst auf den Einfall gekommen ist, das Gut zu kaufen?“ Die letzten Worte gaben dem Bankier wieder einen Stich in’s Herz. „Nun, wollen Sie?“ fragte Rosenheimer und sah ihn scharf an. Der Andere schwieg, aber der Jude sah, woran er war. „Herr von Pranger,“ sagte er, seinen Hut ergreifend, „ich habe meine Schuldigkeit gethan und will Sie nicht weiter belästigen. Aber um eins bitt’ ich Sie: wenn das Gut in drei oder vier Tagen gekauft ist, machen Sie mir keine Vorwürfe.“

Er ging gegen die Thüre. „Warten Sie,“ rief Herr von Pranger. — „Haben Sie sich entschlossen?“ entgegnete der Jude. — „Ja,“ versetzte der Bankier mit heroischer Anstrengung, „in’s Teufels Namen! Melden Sie dem jungen Mann, daß ich morgen nach * * kommen werde, um den Kauf mit ihm abzuschließen.“ — „Wollen Sie mir nicht eine schriftliche Einladung an den Baron mitgeben? Es macht einen besseren Effekt.“ Herr von Pranger schrieb ein Billet, siegelte und gab es Rosenheimer, indem er sagte: „So eilen Sie!“ — „Ich werde eilen,“ sagte der Jude und empfahl sich.

Als er das Haus verlassen hatte, zuckte er die Achseln und sagte mit der Miene tiefer Geringschätzung: „Wie dieser Mensch zu seinem Reichthum gekommen ist, möcht’ ich wissen! Ist das ein Geschäftsmann? Gott soll helfen!“ — Samuel Rosenheimer bedachte in diesem Augenblick nicht, daß eine übermäßige Begierde nach einem zu erlangenden Gegenstand auch verständige Männer zuweilen toll und blind machen kann.

Den andern Tag feierte man zu Waldfels ein bescheidenes Fest. Es war der 31. März, der Tag, an welchem Arthur vor einundzwanzig Jahren das Licht der Welt erblickt hatte und der ihn heute mündig machte. Er, der Oberst, Frau von Holdingen und Anna hatten gemeinschaftlich gespeist und saßen eben beim Kaffee, als der alte Diener hereintrat und zu Arthur sagte: „Herr Samuel Rosenheimer bittet um einige Augenblicke, er habe Ihnen etwas Interessantes und Angenehmes zu melden.“ — „Ah,“ rief Arthur, „er soll hier hereinkommen.“ — Herr Rosenheimer trat ein, begrüßte die Gesellschaft und stellte sich mit glänzenden Augen vor Arthur. „Herr Baron,“ sagte er, das Billet des Bankiers emporhaltend, „was hab’ ich hier? was meinen Sie?“ — Arthur erwiederte lächelnd: „Wie kann ich das wissen?“ — „Haben Sie die Güte zu lesen,“ sagte Rosenheimer, übergab ihm das Schreiben und erklärte den andern: „Es ist eine Einladung vom Bankier Pranger nach * *, wo morgen auf die von dem Herrn Baron gestellten Bedingungen hin das Geschäft wegen Waldfels vor sich gehen soll.“ — „Ist es wahr?“ fragte der Oberst den Neffen, der das Billet gelesen hatte. Arthur übergab es ihm, der Oberst las und rief in der ersten Ueberraschung: „Was doch so ein“ — er wollte sagen: „verdammter Jude nicht alles durchsetzen kann!“ Aber er besann sich, nahm einen Armstuhl, rückte ihn zurecht und sagte freundlich: „Herr Rosenheimer, setzen Sie sich!“ Dieser hatte indeß noch keine Ohren für ihn und dankte nur leichthin. Er sah den jungen Waldfels an und sagte: „Nun, Herr Baron, verdien’ ich Lob? Hab’ ich mein Wort gehalten? Wie?“ Arthur reichte ihm die Hand und erwiederte mit Herzlichkeit: „Ich bin Ihnen sehr verpflichtet, Sie haben sich um mich und uns alle verdient gemacht. Nehmen Sie meinen besten Dank und rechnen Sie auf meine ganze Erkenntlichkeit.“ — „O ich bitte!“ rief Rosenheimer und setzte sich. — Nachdem Arthur den Damen die Kaufbedingungen mitgetheilt, welche der Jude dem Bankier annehmlich zu machen gewußt hatte, bemerkte Frau von Holdingen mit graziöser Kopfbewegung: „Dieser Erfolg macht Ihnen in der That alle Ehre, Herr Rosenheimer. Trinken Sie mit uns eine Tasse Kaffee?“ — Das Gesicht des Unterhändlers zerschmolz in das süßeste Lächeln. „Gnädige Frau Baronin,“ rief er, „diese Ehre! Sie beschämen mich wahrhaftig!“ Unterdessen hatte die Dame eine Tasse eingeschenkt und präsentirte sie ihm; Herr Rosenheimer nahm sie mit Würde und trank.

Das menschliche Herz ist seltsamer Regungen fähig. Obwohl der Gedanke, das alte Familiengut einem Andern überlassen zu müssen, für Arthur und die Seinen schmerzlich war, so freuten sich jetzt doch alle sehr, es so vortheilhaft angebracht zu sehen. Arthur erblickte in diesem Ausgang der Unterhandlungen ein günstiges Vorzeichen, einen Anfang des Glücks, das sich jetzt auch wieder einfinden müsse. Als er dieß gegen Anna bemerkte, sah ihm das schöne Mädchen mit dem liebevollsten Vertrauen in’s Gesicht. Rosenheimer weidete sich an dem Anblick des Paares und seine Augen füllten sich mit Wasser bei dem Gedanken, daß er es sey, der dieses schöne Vergnügen gestiftet.

Während die andern einen Spaziergang in den Park machten, fragte Arthur den Juden, wie er zu dem glücklichen Resultat gekommen sey. Rosenheimer hatte den Takt, die kleine Kriegslist, die angebliche Absicht des Fürsten von N. betreffend, zu verschweigen und nur im Allgemeinen zu bekennen, daß er Herrn von Pranger bei zwei schwachen Seiten, bei der Furcht, das Gut durch einen Andern gekauft zu sehen, und bei der Ehre angefaßt habe. Nachdem er dem jungen Waldfels nochmal eingeschärft, zur bestimmten Stunde sich an dem bezeichneten Ort einzufinden, empfahl er sich. — Auf dem Heimwege empfand dieser Mann eine so vollkommene Genugthuung, wie nie vorher. Er hatte sich gerächt; er hatte Gutes gethan und Lob und Ehre dafür empfangen; er hatte die Aussicht, den Lohn, den ihm Herr von Pranger für seine Mühe entrichten mußte, durch einen sicherlich glänzenden Beweis der Erkenntlichkeit des Herrn Barons gemehrt zu sehen. Bei dieser Erwägung sagte er zu sich selber: „Der junge Herr hat Ursache, mich gut zu bezahlen. Er ist zum Glück gekommen, er weiß nicht wie. Lieber Gott, wenn so ein Mann auch Verstand hat, was hilft das? Man muß die Mittel und Wege kennen — ein Geschäft ist ein Geschäft! — Aber ’s freut mich von ganzer Seele, daß ich diesen braven Leuten geholfen habe. Um viel Geld ließ’ ich mir das nicht abkaufen!“

Der Abschluß des Geschäfts ging den andern Tag rasch vor sich. Herr von Pranger machte keine Schwierigkeiten; er dachte jetzt nicht mehr an die Summe, die er zahlen mußte, sondern nur an das Glück, Eigenthümer des Edelmannsgutes in der Nähe seiner Vaterstadt zu werden, und trieb selber zur Erledigung. Als Arthur und der Oberst ihm gratulirten, fühlte er sich so groß, daß er den Wunsch des erstern, er möchte einige seiner Diener behalten, ohne weiteres zu erfüllen gelobte. Nach einem kleinen Gelag fuhren beide Theile vergnügt nach Hause.

Als Rosenheimer einige Tage später zum Bankier kam, sagte er: „Wissen Sie was Neues, Herr von Pranger? Der Fürst von N. ärgert sich schwer, daß Sie ihm das schöne Gut weggekauft haben. Er schämt sich, und denken Sie, jetzt soll niemand sagen, daß er die Absicht gehabt hat, es zu acquiriren!“ — „Mag er sich ärgern,“ versetzte Herr von Pranger; „ich hab’ es jetzt und werd’s behalten.“

Die Geldsummen, die nach und nach flüssig wurden, setzten Arthur in den Stand, alle Forderungen an ihn ohne Ausnahme zu tilgen, Herrn Rosenheimer, nach dessen eigenem Ausdruck „wahrhaft edelmännisch“ zu bedenken und noch etliche Tausend Gulden in der Hand zu behalten. Die unversicherten Gläubiger priesen ihn laut und meinten, eine so rechtschaffene Handlungsweise könne nicht ohne Lohn bleiben; aber auch Herr von Pranger, wie Rosenheimer vorausgesagt, wurde allgemein gerühmt, daß er die mißlichen Umstände des jungen Waldfels nicht mißbraucht, sondern die Besitzung als reicher Mann großherzig bezahlt habe.

Die letzte Zeit im Hause seiner Väter war für Arthur, trotz des glücklichen Verkaufs, eine trübe und melancholische. Der Oberst, den keine Pflicht mehr in Waldfels hielt und der den Einzug des Herrn von Pranger nicht mit ansehen mochte, war in seinen Wohnort, zu seiner gewöhnlichen Lebensweise zurückgekehrt. Einige Tage vor seiner Abreise, wo der Gedanke des guten Verkaufs nicht mehr den Reiz der Neuheit besaß, hatte er wieder angefangen, den Neffen mit der Bemerkung zu quälen, daß er doch am Ende besser gethan hätte, seinem ersten Rath zu folgen und das Gut für sich zu erhalten. Er hatte ihm das Prekäre seiner Lage vorgestellt, ihn ermahnt, jetzt nur rasch und mit allen Kräften nach einem sichern Unterkommen zu trachten, und was dergleichen lästige Bemerkungen mehr waren, so daß Arthur eine wahre Erleichterung fühlte, als er sich verabschiedete. In der nun folgenden Einsamkeit wurde der junge Mann aber für die Wehmuth des Scheidens und Meidens um so empfänglicher, als der launische April sich eben in einer lenzlich milden Heiterkeit gefiel, die in zarten Gemüthern eine stille Trauer so sehr begünstigt. Arthur machte die letzten Besuche im Dorfe und kehrte weich gestimmt zurück. Er wandelte allein in all den geliebten Räumen der Besitzung umher und konnte nicht verhindern, daß heiße Thränen seine Wangen herabliefen. Am Ende fand er Trost in dem Gedanken, daß er sein Stammgut wenigstens für die nächsten sechs Jahre vor Zertrümmerung gesichert habe. Was dachte er sich wohl dabei? Schmeichelte er sich mit der Hoffnung, die Besitzung jemals wieder zu erwerben? Konnte er es irgend für möglich halten, daß der neue Eigenthümer sie wieder abgeben, daß er selber in den Stand kommen werde, sie zu bezahlen? — Sollen wir die Wahrheit sagen, so folgte er einer instinktmäßigen Regung, über deren Vernünftigkeit er sich keine Rechenschaft gab. Genug, daß dieser Gedanke ihm wirklich wohl that und den Schmerz der Trennung linderte.

An demselben Tag, wo Herr von Pranger mit seinen beiden Söhnen sich zu einem glanzvollen Einzug in Waldfels rüstete, siedelte Arthur mit den wenigen Effekten, die er für sich behielt, nach dem Städtchen über. Im alten gothischen Hause eines wohlhabenden und ihm befreundeten Mannes, der in fremden Landen Geld erworben hatte, um es in seinem Geburtsort zu verzehren, standen zwei Zimmer für ihn bereit. Er hing im größern seine Familienbilder auf und brachte Kisten und Koffer unter, das kleinere richtete er sich zur Wohnung ein. Als er in dem fertigen Nest allein da saß, hatte er ein angenehmes Gefühl. Der Abschied von Waldfels, von seinen Dienern und den Dorfbewohnern, die ihm mit nassen Augen ein herzliches Lebewohl nachriefen, hatte ihn gerührt und erschüttert. Wie wohl ihm die Liebe that, die man ihm bewies, so war er doch froh, die Aufregung überstanden zu haben und sich ungestört den Gedanken widmen zu können, die seine Seele erfüllten.

Sein Leben war sehr einfach. Den größten Theil des Tages verwendete er auf Studien, die Abende brachte er fast ohne Ausnahme bei Frau von Holdingen zu. In der Regel guten Muthes und unterhaltend, saß er hier zuweilen doch auch in tiefen Gedanken und die Schatten der Sorge flogen über seine jugendlichen Züge. Dann setzte sich Anna zum Clavier und spielte eines von ihren Lieblingsstücken, die auch die seinigen waren. Die Regungen des Zweifels und der Bangigkeit gingen unter im süßen Gefühl, das die edeln Töne in ihm hervorriefen, in einem wunderbaren innern Leben, wo die Empfindungen der Ergebung und der Hoffnung sich durchdrangen, wo düstere Bilder an der Seele vorüberzogen, ohne zu erschrecken, glänzende, ohne zu erheitern, und beide nur sanfte Schauer im Herzen erweckten. Wenn Anna die Saiten ausklingen ließ und zu dem Geliebten trat, dann entspann sich wohl ein Gespräch, welches Arthur Gelegenheit gab, Beispiele zu erzählen, wie muthige Herzen kühne Dinge gewagt unter dem Spott der Welt, aber endlich durchgeführt zur Beschämung der Welt. Und die jungen Seelen fühlten sich mit einander gestärkt und erhoben.

Der Baronin fiel es auf, daß Arthur sich niemals über einen Lebensplan aussprach. Sie versuchte es ein paarmal, ihn durch Anspielungen zum Reden zu bringen, aber er lenkte das Gespräch auf einen andern Gegenstand. In ihrer Besorgniß nahm sie sich vor, ihn geradezu um eine Erklärung anzugehen, warum er nicht auf die Universität zurückkehre und was er denn überhaupt vorzunehmen gedenke. Da sie aber sah, daß er nicht gerne sprach, so wurde sie bedenklich und verschob die Ausführung ihres Entschlusses von einem Tag zum andern.

Eines Tages wurde Arthur ein Brief übergeben, auf den er mit Verlangen gewartet haben mußte, denn er wechselte die Farbe, als er das Postzeichen erblickte, schloß sich in sein Zimmer ein und wurde den ganzen Abend nicht wieder sichtbar. Den folgenden Morgen brachte er mit Schreiben zu, hatte dann eine längere Unterredung mit seinem Wirth, machte mehrere Gänge und packte Abends einen Koffer.

Am zweiten Morgen, in den Strahlen der Maiensonne, wanderte er nach dem Landhaus. Er traf Anna allein im Zimmer und gab ihr die Hand. Sie sah ihn an und sagte: „Wie siehst du heute aus? So feierlich!“ — Arthur erwiederte: „Ich komme auch in einer feierlichen Absicht: ich muß dir eine Prüfung zumuthen.“ — Anna lächelte und sagte: „Eine Prüfung?“ Der Jüngling aber blieb ernst und setzte hinzu: „Ich muß dich verlassen.“ Das Lächeln verlor sich aus dem Gesicht des Mädchens; sie erwiederte mit Ergebung: „Darauf bin ich gefaßt.“ — Arthur schüttelte den Kopf und sagte: „Ich verlasse dich nicht, wie du meinst, ich muß weit hinweg, ich muß außer Landes gehen — und ich kann nicht sagen, wann ich wiederkehre.“ — Anna sah ihn bestürzt an, der nun entschlossen fortfuhr: „Und das ist noch nicht das Schlimmste. Ich kann dir auch nicht sagen, wohin ich gehe, und eben so wenig, was ich unternehmen werde.“ — Das gute Kind wußte nicht was sie denken sollte; sie richtete einen traurigen und vorwurfsvollen Blick auf ihn. Arthur umfaßte sie zärtlich und sagte: „Glaubst du, ich würde vor dir ein Geheimniß haben, wenn ich nicht überzeugt wäre, daß es so besser sey für dich wie für mich? Es gibt Dinge in der Welt, die man zuerst thun muß, ehe man davon reden kann, Vorsätze, die den Gleichgültigen lächerlich erscheinen und theilnehmenden Herzen Sorge einflößen, die aber glücklich durchgeführt den Beifall Aller haben. In meinem Innern lebt ein Trieb, der mich unwiderstehlich zu einem Unternehmen hindrängt, aber zugleich ein siegesmuthiger Glaube, daß ich hier finden werde, was ich suche. Es ist mir, als ob ich nur ausgehen dürfte, um zu nehmen, was für mich bereit liegt. Willst du diesen Glauben mit mir theilen, ohne zu sehen? Willst du mir gestatten, das Geheimniß, das du mitzubesitzen ein Recht hättest, für mich allein zu behalten?“ — Anna konnte diesen aus tiefstem Herzen kommenden Worten nicht widerstehen; sie erhob sich mit einem Aufschwung des Geistes auf die Höhe des Geliebten und erwiederte mit inniger Zuversicht: „Ja, Arthur!“ — „Wirst du mir“, fragte dieser weiter, „vollkommen vertrauen?“ — „Vollkommen,“ erwiederte das Mädchen. — „Und wenn Monate vergehen, ehe ein Brief von mir an dich gelangt, Jahre vergehen, bevor ich wiederkehre, wirst du nie an mir irre werden, nie in deinem Glauben wanken?“ — „Niemals,“ versetzte sie. — „Ich hab’ es ja gewußt,“ rief Arthur freudig, „daß du mir vertrauen würdest, wie ich dir vertraue! — O,“ fuhr er fort, „der Glaube ist etwas so Schönes! Ich begreife jetzt, warum diejenigen, die fähig sind zu glauben, zum Dulden und Harren berufen werden. Glaube mir nur unbedingt. Wir werden uns wiedersehen! Wir werden uns glücklich wiedersehen!“

In diesem Moment trat Frau von Holdingen herein. Arthur hatte den Muth, ihr sogleich seinen Entschluß und seine Forderung mitzutheilen. Die Wangen der guten Frau rötheten sich und unwillig rief sie aus: „Wie, das können Sie von mir verlangen? Sie wollen in die weite Welt gehen, Sie wollen sich Jahre lang entfernt halten, und ich, die Mutter Ihrer Verlobten, soll nicht erfahren, was Sie thun und treiben?“ — „Verehrte Frau,“ entgegnete Arthur mit Ernst, „ich muthe Ihnen nichts zu, als was eine edle Seele gewähren kann. Hier zu Land müßte ich mit geringer Neigung einen Weg einschlagen, der mich nach mehrjähriger Anstrengung und im glücklichen Falle doch nur zu einem sehr bescheidenen Loose führen würde. In der Ferne dagegen winkt mir ein Glück, nach dem ich mit Freuden ausziehe und das ein fröhliches Streben auch viel reicher lohnen wird. Mein Entschluß ist das Ergebniß der gewissenhaftesten Prüfung. Aber an die Ausführung kann ich nur dann mit Muth und Freude gehen, wenn Sie mir ein besonderes Geständniß erlassen, wie es mir Anna erlassen hat.“ — „Das ist ja unerhört!“ rief die Baronin. „Nein, lieber Freund,“ setzte sie hinzu, „ich kann, ich darf es nicht dulden!“ — Nun trat Anna zu ihr, nahm sie beim Arm und sagte: „Schau ihm doch nur in’s Gesicht, Mutter! Sieht so ein Mann aus, dem man nicht vertrauen kann? Wenn er uns nicht sagt, was er beginnen will, so ist das Geheimniß nothwendig, und wir sollten ihn vielmehr bitten, zu schweigen.“ — Die Baronin schüttelte das Haupt und rief: „O Kind, Kind!“ — Anna fuhr fort, indem ein ernstes Lächeln ihren Mund umspielte: „Als ich ein Kind war, da erzähltest du mir Geschichten aus einer Zeit, die du vor allen liebst, aus einer Zeit, wo man sich Treue gelobte und hielt, wo der Liebende auszog auf Abenteuer oder zu heiligen Kämpfen und die Geliebte ihn vertrauensvoll ziehen ließ. Du hast mir damals die Tugenden dieser Zeit zur Nachahmung empfohlen und solltest mir jetzt nicht den Beweis gestatten wollen, daß ich etwas von dir gelernt habe?“ — Das Gesicht der Baronin hellte sich bei dieser Rede ein wenig auf. Sie wendete sich gegen Arthur und rief: „Sollten Sie vielleicht —“ — „Ich bitte Sie, liebe Mutter“ fiel Arthur ein, indem er sie bei der Hand nahm, „fragen Sie mich nicht!“ — Die Baronin, durch einen eigenthümlichen Gedanken getröstet, war schon überwunden. „Ihr macht mich selber thöricht,“ rief sie. „Wahrlich, wir leben in einer neuen und seltsamen Zeit, wo die Kinder die Eltern regieren!“ Nach einem Moment des Schweigens fand sie das ganze Ansehen der Mutter und sagte mit Ernst und Würde: „Ein Trost ist es mir, daß Sie, lieber Sohn, ein Mann von Kopf und Verstand und ein Mann von Ehre sind. Ihrem Verstand und Ihrer Ehre will ich vertrauen. Unternehmen Sie, was Ihr Herz Sie heißt, und möge Gott seinen Segen dazu geben!“ — „Amen,“ riefen die beiden Kinder und hingen an der Mutter in liebender Umarmung.

Das Leben sorgt bei gewissen Ereignissen in der Regel für ein Gegenbild, und für Arthur war es kein Verlust, daß er das zu der eben geschilderten Scene nicht zu Gesichte bekam. Arthur hielt es nämlich für seine Pflicht, auch dem Oheim sein Vorhaben zu melden, natürlich in der von ihm beschlossenen Allgemeinheit. Als der Oberst den Brief gelesen, sagte er zu sich selber: „Da haben wir’s! Der Mensch ist verrückt und wird ein Abenteurer! Wenn sein Projekt etwas taugte, hätte er Ursache, es mir zu verschweigen? Es taugt also nichts! Er nimmt das Bischen, was ihm bleibt, in die Tasche und geht auf und davon. So machen’s die Leute, die tugendhafter seyn wollen, als andere!“ — Nachdem er hierauf mit Selbstgefühl seine Tabakspfeife ausgeklopft, setzte er hinzu: „Wär’ es nicht meine Pflicht, die Post zu nehmen und ihm den Kopf zurechtzusetzen?“ Er sah in den Brief und sagte: „Es ist zu spät! — Nun, mag er gehen! Ich sehe nicht ein, warum ich mich wegen eines Menschen kümmern soll, der meinen Rath verschmäht und es für nobel hält, sich zu ruiniren!“

Es war am letzten des schönen Monats, als Arthur mit den Seinigen und einem alten Diener im Posthofe stand. Dieser hatte seine Stelle bei Herrn von Pranger aufgegeben, weil ihm einer der Söhne in einer Weise begegnet war, die er sich, wie er sagte, auch von einem geborenen Baron nicht hätte gefallen lassen. Da er sich ein kleines Vermögen erspart hatte, so fragte er Arthur, ob er ihm nicht unentgeltlich dienen könne, und als dieser es für unmöglich erklärte, machte er seinen Antrag Frau von Holdingen. Auf Arthurs Bitte, dem es tröstlich war, eine vertraute Seele bei den Seinen zu wissen, hatte ihn die Baronin in ihr Haus aufgenommen. Der gute Alte erzählte jetzt, daß im Schlosse große Vorbereitungen zu einem Feste getroffen würden, das alles überbieten solle, was früher dort gesehen worden sey. Aber,“ setzte der treue Diener hinzu, „sie mögen Geld aufwenden so viel sie wollen, so schön wird’s doch nicht werden, wie unser Fest am vorjährigen Pfingstmontag. Wer hätte damals gedacht, daß dieses Schloß und dieser Park in andere Hände kommen und der junge Herr außer Landes gehen würden!“ — Arthur klopfte ihm auf die Schulter und sagte: „Halte dich nur gut, alter Freund, und wir feiern vielleicht noch schönere Feste mit einander, wenn auch nicht in Waldfels.“ — „Gott geb’ es!“ erwiederte der Alte, halb gläubig und halb resignirt.

Ueber die Lippen der Frau von Holdingen war kein Wort gegangen, als hie und da eine Ermahnung, die sich auf die Pflege der Gesundheit und auf die Bequemlichkeit des Abreisenden bezog. Anna war still; an der Bewegung ihrer jugendlichen Brust konnte man sehen, daß sie zu ergriffen war, um reden zu können. Die Postpferde waren endlich an den Wagen gespannt. Arthur trat zu Mutter und Tochter, um den letzten Abschied zu nehmen. Als er die Geliebte sah in der holdesten Vollendung der Jungfrau, so schön in Liebe und Leid, so unendlich Werth, Glück zu genießen, so unendlich fähig, Glück zu bereiten — da verließ ihn die bis dahin behauptete Kraft. Sich trennen zu müssen auf Jahre, vielleicht auf immer, von der Wonne seines Lebens! Zwischen sich und das höchste Ziel seiner Wünsche die Zeit und das Schicksal treten zu lassen! Der Gegenwart zu entsagen für eine ungewisse Zukunft, der liebsten Wirklichkeit für ein Mährchen vielleicht! — Gegen diese Gedanken hielt auch der Glaube und das Vertrauen, die ihn bis dahin erfüllten, nicht mehr Stand; ein unendliches Weh ergriff sein Herz. Er preßte die Verlobte an seine Brust; die Thränen der Unglücklichen vermischten sich und flossen vereint zu Boden. Mit Gewalt riß er sich endlich los und stieg in den Wagen, der nach Norden rollte. Die Zurückgebliebenen sahen ihm weinend nach und das liebende Mädchen wollte in Leid und Wehmuth vergehen, als sie die Töne des Posthorns erschallen und schwächer und schwächer werden hörte.

V.

Nach der Abreise des Verlobten trat in dem Landhause eine Zeit stillen Lebens ein, wie es entsagende Gemüther zu führen pflegen. Mutter und Tochter füllten die Stunden mit ihren gewohnten Beschäftigungen aus; sie begnügten sich aber, nur das Nöthigste mit einander zu reden, und überließen sich meist ihren Gedanken. Es war eine Zeit, wo man das Ticken der Stubenuhr am Tage öfter hörte als sonst, aber für die Liebende zugleich eine Zeit wundersamer Empfindungen. Eine solche Existenz hat ihre eigenen Reize. Ergebung und Hoffnung können das Leid der Entbehrung versüßen und den Geist oft zu unerwartet lichten Anschauungen führen. Die Werke der Kunst, die Schönheit der Natur wirken eindringlicher auf das weiche Gemüth und erheben es über bedrückende Gefühle, die tröstenden Einflüsse der Religion finden ein bereiteres Herz.

Hie und da wurde der sanfte Fluß dieses Lebens freilich durch einen Mißton unterbrochen und getrübt, indem die Mutter sich nicht enthalten konnte, in eine sorgliche Stimmung zurückzufallen und über den Abwesenden Bemerkungen hören zu lassen, in denen sie das schon Zugestandene zum Theil wieder zurücknahm. Anna schwieg dazu; sie wußte, daß dergleichen Anwandlungen am schnellsten vergehen, wenn sie keinen Widerspruch erfahren. Fühlte sie sich betrübt, so suchte sie die Gesellschaft des alten Dieners auf, der an Arthur mit rührender Zärtlichkeit hing und ihn im Gespräch mit ihr um so mehr erhob, als er sah, wie sehr es die junge Herrin beglückte.

Die Zeit bewährte zuletzt auch hier ihre beruhigende Macht und erleichterte die Gefühle Aller. Die Sorge um jemand setzt ohnehin eine Kenntniß von seiner Lage voraus. Wir sorgen nur um Personen in unserer Nähe und um entfernte nur in so weit, als wir sie geistig bei ihren Unternehmungen begleiten können. Die Abwesenden, bei denen dieß nicht der Fall ist, übergeben wir der Obhut Gottes und vertrauen schon darum, weil uns nichts anderes übrig bleibt. Vielleicht war dieß einer der Gründe, warum Arthur über sein Vorhaben nichts Bestimmtes aussagen wollte.

Der Umgang der Baronin bestand jetzt nur aus wenig Personen. Hauptsächlich verkehrte sie mit dem Rentier, der die Familienbilder und sonstige werthvolle Mobilien Arthurs bewahrte und sich in allen Stücken als sein väterlicher Freund bewiesen hatte. Umgeben von den Vorfahren desselben, gedachte man des Abwesenden und die Baronin erging sich gelegentlich in Vermuthungen. Arthur hatte auch seinem Wirthe nichts Näheres über sein Vorhaben mitgetheilt, aber dieser war durch einen zufällig entschlüpften Ausdruck auf eine Spur gekommen, die er für die richtige hielt. Eben darum ließ er vor den Damen nichts davon merken und verschwieg auch was er wußte: daß Arthur für den Fall seines Todes über die Hälfte seines Vermögens, die bei ihm angelegt war, zu Gunsten Annas verfügt hatte.

Von Zeit zu Zeit sah die Baronin den Pfarrer von Waldfels, einen milden und verständigen Seelenhirten, der ebenfalls mit Liebe an dem freiherrlichen Hause, besonders an Arthur hing. Ihr Verkehr mit der Familie Pranger beschränkte sich auf höfliches Grüßen, wenn sie sich zufällig an einem dritten Ort sahen. Die Baronin hörte nur von andern, wie es im Schlosse immer hoch hergehe, wie Herr von Pranger sich Weihrauch streuen lasse, die jungen Herrn übermüthige Streiche machten, und nur die Mutter eine gutmüthige Frau sey, der man nichts vorwerfen könne, als eine allzugroße Verliebtheit in ihre Kinder.

Es war mitten im Sommer. Die Baronin und Anna saßen im Zimmer beisammen und hatten eben von der Einsamkeit gesprochen, in der sie gelassen würden, als zu ihrer großen Ueberraschung Frau von Pranger mit ihrer Tochter bei ihnen vorgefahren kam. Sie erkundigte sich mit Wärme nach dem Befinden der Damen, verweilte über eine Stunde und bat sie zuletzt mit aller Herzlichkeit um einen Besuch in Waldfels. Die Baronin sagte höflich zu und rieth nach ihrer Entfernung hin und her, was wohl der Zweck dieses plötzlichen Entgegenkommens seyn möchte. Auch während des Gegenbesuchs im Schlosse, wo man sie mit Freundschaft überhäufte, sah sie nicht klarer, wohl aber hatte Anna, mit welcher August, der ältere Sohn des Hauses, sich unterhielt, eine Vermuthung, die der Wahrheit nahe kam.

Um das Folgende begreiflicher zu machen, müssen wir erwähnen, daß in der letzten Zeit das Gerücht aufgetaucht war, die Verlobung zwischen dem jungen Waldfels und Anna von Holdingen sey wieder rückgängig geworden, indem beide Theile eingesehen hätten, daß sie gegenseitig ihrem Glück im Wege ständen; der Abschied, den sie im Posthofe von einander genommen, sey der letzte überhaupt gewesen. Diese Fabel war auch nach Waldfels gedrungen und dort wahrscheinlich gefunden worden. August von Pranger, auf den Anna schon beim ersten Anblick einen ungewöhnlichen Eindruck gemacht hatte, sah sie nun mit andern Augen an, als er sonst wohl gethan hätte, und die Folge war, daß er bei der nächsten zufälligen Begegnung sein Herz gänzlich an sie verlor. Ein Bekannter, dem er das erwähnte Gerücht mittheilte, bestritt die Wahrheit desselben mit gewichtigen Gründen, aber das konnte ihn jetzt auf seinem Weg nicht mehr aufhalten. Im Gefühl seiner selbst faßte er den Beschluß, den Kampf, wenn davon noch die Rede seyn könne, mit dem Abwesenden zu wagen und sich um die Gunst des schönen Fräuleins zu bewerben. Er öffnete sein Herz vor allem der Mutter, deren Liebling er war, und machte von seiner Flamme und der Pein, die er leide, eine so ergreifende Schilderung, daß die gute Dame bald den Versuch aufgab, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Sie bedachte, daß eine Verbindung mit der alten Familie Holdingen für sie ehrenvoll und dem Fräulein ein gesichertes Loos mit ihrem Sohn zu wünschen sey. Nachdem sie ihre Hülfe zugesagt, rückte man hinter den Vater und brachte ihn endlich zu der Erklärung, daß sie in dieser Sache freie Hand haben sollten. Mutter und Sohn beriethen sich, und der unerwartete Besuch bei Frau von Holdingen war die Eröffnung des Feldzugs.

Anna sagte ihrer Mutter natürlich nichts von ihrer Muthmaßung, die ja auch eine trügerische seyn konnte, und so knüpfte sich zwischen den beiden Familien eine Beziehung, die verschiedene wechselseitige Besuche zur Folge hatte. Bei diesen warf aber August von Pranger seiner Ausersehenen zuletzt so glühend zärtliche Blicke zu, daß ein Zweifel über seine Gefühle nicht mehr möglich war. Anna mußte fürchten, daß es von Blicken zu Worten kommen würde, und sie faßte den Entschluß, seine Krankheit vor dem eigentlichen Ausbruch durch abkühlende Mittel zu heilen. Als er das nächstemal sich zu entschieden huldigenden Reden verstieg, behandelte sie dieß als eine galante Sprechübung, rühmte ihn wegen seiner Einfälle, rieth ihm aber, im Ausdruck nicht zu weit zu gehen, da die Uebertreibung der Zierlichkeit schaden müßte. Erneuten Versicherungen setzte sie erneuten Spott entgegen. Ein Unbefangener hätte dabei in ihren Zügen nicht nur die vollkommenste Gleichgültigkeit, sondern zugleich eine Andeutung von Geringschätzung erblicken müssen; aber Verliebte sind dafür bekannt, daß sie alles, was überhaupt noch einer Auslegung fähig ist, zur ihren Gunsten auslegen. Der junge Herr sah in der scherzenden Abweisung nichts als eine Art von Koketterie, die ihn locken wolle, und er beschloß, dem vorausgesetzten Wunsche zu entsprechen.

Eines Tages begab er sich ohne Begleitung nach dem Landhause. Er wußte es zu machen, daß er mit Anna allein im Garten war, und ergoß sein Herz in einer leidenschaftlichen Erklärung, die mit der Bitte um ihre Liebe und ihre Hand schloß. Anna, die von ihren Mitteln doch eine andere Wirkung erwartet hatte, war hochbetroffen. Der Ausdruck ihres errötheten Gesichts verrieth, daß sich nicht nur die Liebende, sondern auch der Sprößling einer alten Familie beleidigt fühlte, und mit dem Stolz beider erwiederte sie: „Herr von Pranger, Sie wissen, daß ich mit meinem Vetter, dem Herrn von Waldfels, verlobt bin. Sie haben selbst die Ehre gehabt, den Baron zu sehen und kennen zu lernen. Und nun frag’ ich Sie: was hat Ihnen den Muth gegeben, der Braut eines solchen Mannes einen solchen Antrag zu machen?“ Der junge Mensch sah sie bestürzt an. Anna fuhr fort: „Ich kann mir denken, daß ein längeres Verweilen in unserem Hause Ihnen nicht angenehm seyn wird. Nehmen Sie die Ueberzeugung mit sich, daß dieser Vorgang für die ganze Welt ein Geheimniß bleiben wird, nur für meine Mutter nicht, der ich ihn mitzutheilen verpflichtet bin.“ — Nun regte sich der Stolz auch in dem Abgewiesenen; er suchte seinem glühenden Gesicht den Ausdruck der Geringschätzung zu geben, verbeugte und entfernte sich.

Anna ging zu ihrer Mutter und erzählte ihr das Erlebniß. Die Baronin hörte mit Entrüstung zu und sagte zuletzt: „Das war also der Grund dieser plötzlichen Freundlichkeit? Ich hätte mir’s denken sollen, daß irgend etwas Unedles dahinter verborgen war.“ Mit trübem Lächeln setzte sie hinzu: „Wie unersättlich diese Menschen sind! Sie haben dem jungen Mann sein Stammgut abgenommen, und nun wollen sie ihm auch die Verlobte nehmen!“ — Anna bemerkte mit Ernst: „Für diese Absicht, glaub’ ich, sind sie genug, vielleicht zu sehr gestraft.“ — —

Die kleine Episode hatte für die Baronin doch eine nachtheilige Folge: der Aufenthalt im Landhause begann ihr verleidet zu werden. Schon das Gerede, das ihr plötzlicher Bruch mit der Familie Pranger veranlaßte, mußte ihr unangenehm seyn. Dazu kam aber noch, daß diese Familie sich anstrengte, die erlittene Niederlage durch Siege auf einem andern Gebiete wieder gut zu machen, und daß ihr dieß vollkommen gelang. Es gab jetzt zu Waldfels mehr Festlichkeiten, als anfangs im Plane lag, und Speisen und Getränke wurden immer vortrefflicher. Die Wirthe bemühten sich nun auch mehr, die Gäste artig zu behandeln, alle Glieder der Familie nahmen sich möglichst zusammen, und bald ertönte die ganze Gegend von ihrem Lob. Es traten geschworene Anhänger des Hauses Pranger auf, die den Chef desselben viel höher stellten, als den verstorbenen Baron, die Mutter als die ausgezeichnetste Dame und die drei Kinder als die liebenswürdigsten Sterblichen priesen. Der Reichthum hat so viele Hülfsmittel!

Als die Baronin von dem Zulauf und dem Vergnügen in Waldfels hörte, hatte sie eine verdrießliche Empfindung. Sie konnte sich nicht enthalten, mißliebige Bemerkungen über die gebildete Welt der Umgegend zu machen und Einzelne zu nennen, von denen sie das wiederholte Erscheinen im Schlosse nicht erwartet hätte. Anna versetzte lächelnd: „Kannst du dich darüber wundern, daß diesen Herrn der Wein noch eben so gut schmeckt wie früher? Und wenn sie den Wirth dafür loben, so ist das hübsch: es beweist, daß sie dankbar sind.“ — „Allerdings,“ erwiederte die Mutter. „Wer diesen Leuten gut zu essen und zu trinken gibt, der ist ihr Götze, und dem Götzen wird geräuchert. Aber Herrn von A. und Herrn von O. hätt’ ich’s nicht zugetraut.“ — Anna wiegte das Haupt und schwieg.

Bald erfuhr man, daß August von Pranger einer neuen und milderen Schönheit, der Tochter des Herrn von A. seine Huldigung zuwende. Die Baronin sagte lächelnd zu Anna: „Er hat sich getröstet.“ — „Gott sey Dank,“ versetzte diese heiter, „daß ich ihn nicht mehr auf dem Gewissen habe.“ — Eine Woche später wurde bekannt, daß Herr von O. sich mit Fräulein von Pranger verlobt habe und die Hochzeit noch in diesem Jahre gefeiert werden solle. Die Baronin sagte: „Nun begreif’ ich die eifrigen Besuche dieses Herrn bei dem Bankier und finde sie verständig. Er braucht einen solchen Schwiegervater.“ Ein Verziehen der Oberlippe zeigte jedoch an, daß ihr diese Nachricht übel gemundet hatte. Ihre gute Laune verlor sich mehr und mehr. Wenn wir bedenken, daß sie in der zweiten Hälfte des Lebens stand und sich auf bloße Hoffnungen angewiesen sah, während ihre Gegner reeller Güter sich erfreuten, so werden wir ihre Stimmung begreifen. Anna mußte sich Mühe geben, den Geist der Mutter oben zu erhalten; allein glücklicherweise kam ihr das Schicksal zu Hülfe.

An einem Herbstmorgen wurde dem guten Mädchen ein Brief überbracht, bei dessen Anblick ihre Augen strahlten. Er war von Arthur, aus London datirt und die ersten Worte ein freudiger Zuruf. Die Glückliche verschlang ihn und eilte jubelnd damit zur Mutter. Diese las und ihr Gesicht klärte sich einigermaßen auf. „Es ist gut,“ sagte sie zuletzt; „aber nach der Freude, die du gezeigt hast, würde ich schon die Meldung eines glücklichen Resultats erwartet haben.“ — „O,“ rief das Mädchen, „ich bin damit vollkommen zufrieden!“

Die Stellen des Briefes, die für uns von Interesse sind, lauteten: „Ich bin in einer eigenen Lage. Ich möchte dir täglich schreiben, wie ich immer an dich denke; allein ich müßte dann von meinem Thun und Treiben reden, müßte dir Gedanken mittheilen, die sich darauf beziehen — und ich hab’ nun einmal das Gelübde gethan zu schweigen. Laß mich dem gefaßten Entschluß treu bleiben, wie es auch mit den Gründen dazu beschaffen sey. Unser Schicksal ist ungewöhnlich, mag es auch unser Verhältniß und unser Verhalten seyn. Ich habe dein geliebtes Bild stets vor Augen, all mein Dichten und Trachten bezieht sich auf dich, jede Mühe wird mir durch dich versüßt, meine ganze Existenz durch dich verklärt. Wenn du wüßtest, wie oft ich mich glücklich preise und wie ich dir danke!..... Ich kann dir nun melden, daß ich meinen vorläufigen Zweck hier erreicht habe und in den nächsten Tagen unter guten Anzeichen an den Ort meiner Bestimmung abgehe. Es wird eine weite Reise seyn, und lange kann es dauern, bis ein zweites Schreiben von mir in deine Hände kommen wird. Aber ich spreche dir nicht Muth zu; ich weiß ja, daß du mir vertraust, und für diejenigen, die sich lieben und vertrauen, ist die Entfernung nichts, denn sie sind im Geist innigst beisammen. Was hilft es, wenn man sich leiblich nahe ist und in Gedanken getrennt? Wenn ich aber dein Bild im Herzen hege, wenn ich fühle, daß du mich im Herzen trägst, wenn ich mit dir rede, Gedanken tausche, dann empfind’ ich eine unaussprechliche Lust. Und ich weiß dann: was im Geist ist, das wird für die, welche ausharren, zuletzt in Wirklichkeit seyn.“

Ich überlasse den Leserinnen die Entscheidung, ob dieser Brief trotz der Schlichtheit seiner Sprache nicht darnach angethan war, das Mädchen zu beglücken. Für die Mutter, die nur relativ zufrieden gestellt war, hatte das gewogene Schicksal noch eine andere Gabe bereit. Zwei Tage später wurde ihr amtlich gemeldet, daß ihr die verstorbene Frau von B. das Gut Schönbach vermacht habe. Sie empfand große Freude und eine unendliche Beruhigung. Nun war die Tochter gesichert! Und selbst wenn Arthur ohne Erfolg heimkehrte, war die Verbindung der Kinder möglich. Allerdings war Schönbach nur ein kleines Gut, es hatte kein volles Hundert Morgen Landes; aber die Einkünfte reichten doch für den Anfang hin und Arthur hatte einen Ausgangspunkt für weitere Unternehmungen. Wie schön war es von der hochbetagten Verwandten, daß sie sich vor ihrem Ende noch ihrer erinnert hatte! Um so schöner, als die seltsame Frau vor mehreren Jahren ihr eine Aeußerung übel genommen und den Verkehr mit ihr abgebrochen hatte. Die Baronin wurde durch die Vorstellung dieser Großmuth so gerührt, daß ihr Thränen in die Augen kamen, die freilich bald wieder versiegten. Mit beinahe kindlicher Lebhaftigkeit theilte sie der von einem Spaziergang heimkehrenden Tochter die gute Neuigkeit und ihren Entschluß mit, das Landhaus zu verkaufen und schon diesen Herbst nach dem fünfundzwanzig Meilen südlicher gelegenen Schönbach zu ziehen. Anna war sehr erfreut; sie sah, daß die gute Mutter nun wieder Boden unter sich fühlte, daß ihr heiterer Sinn wiedergekehrt war, um sie hoffentlich nicht wieder zu verlassen. Der neue Beweis eines günstigen Schicksals erhob ihre Seele. Wie gern hätte sie dem Geliebten die Nachricht mitgetheilt, ihn vielleicht zurückgerufen! Aber sie kannte seine Adresse nicht und mußte ihn seinen Gang gehen lassen.

Die erste Person, welche die Baronin mit dem Glücksfall und ihrem Vorhaben bekannt machte, war der Rentier. Dieser fügte dem Ausdruck seiner Freude die Bitte hinzu, das Landhaus ihm zu überlassen, und stellte zugleich ein Angebot, welches die Baronin für so günstig hielt, daß sie den Handel auf der Stelle abschloß. Mit baarem Geld versehen und um so vergnügter bereitete sie sich vor, die Erbschaft anzutreten und die Uebersiedelung zu bewerkstelligen. Sechs Wochen später finden wir sie in Schönbach eingerichtet. Das sogenannte Schlößchen war ein zweistockiges Haus am Ende des gleichnamigen Dorfes. Links und gegenüber lagen die nöthigen Wirthschaftsgebäude, rechts ein ziemlich großer Garten. Mutter und Tochter bewohnten die Zimmer des obern Stocks, die Räume des untern dienten den Bedürfnissen der Haushaltung.

Der Eintritt in andere Verhältnisse hat für ein lebendiges Menschenherz immer etwas Erfreuliches, um so mehr, wenn man einer unangenehmen Situation entgangen ist. Man hat neue Anschauungen, macht neue Bekanntschaften, sieht neue Arbeiten vor sich, und das Neue zeigt in der Regel zuerst die schönere Seite. — Die Baronin fühlte sich als Gutseigenthümerin gar wohl. Sie hatte einen Haushalt von acht Köpfen unter ihrem Befehl: einen Baumeister, zwei Knechte, zwei Mägde, einen Jungen, eine Köchin, die zugleich Kammerjungfer war, und den alten Diener. Die neuen Leute schienen brav und geschickt; der Baumeister namentlich zeigte großen Eifer für seinen Dienst. Scheuer, Böden und Keller waren gut versehen, das Vieh gesund. Der Winter stand vor der Thür, aber man war auf ihn gerüstet.

Der Winter war ziemlich streng, die Familie Monate hindurch eingeschneit. In der Einsamkeit, die nur durch wenige Besuche unterbrochen wurde, trat der in Anna liegende Hang zum Nachdenken hervor, und sie fand eine Lust darin, sich ihm hinzugeben. Beziehungen, in denen man sich auf Glauben und Hoffen angewiesen sieht, begünstigen ohnehin die Einkehr in sich selbst und die Vergeistigung des Menschen. Die höchsten Wünsche, die man hegt, finden jetzt nur Befriedigung im Seelenleben; wie natürlich, daß man dieses pflegt und hochhält. Und je mehr man äußerlich entbehrt, desto mehr gewinnt man innerlich. Je weniger man von der sinnlichen Wirklichkeit ergriffen ist, desto freier entfalten sich die Blüthen des Geistes. Wenn aber der Mann durch das Nachdenken über sich selbst, über Gott und Welt, rechtshin oder linkshin, zu dieser oder jener eigenthümlichen Ansicht geführt werden kann, so wird die weibliche Seele in der Regel zu einer religiösen Anschauung gelangen. Die Lehren der Religion werden ihr auf dem Wege des Nachdenkens entgegen kommen und der Lohn desselben wird seyn, daß sie in jene Lehren eine tiefere Einsicht gewinnt, daß sie in ihr lebendig, ihr wahres Eigenthum werden. — Das war bei Anna der Fall. Die Frucht ihres Nachdenkens bestand darin, daß das Verhältniß zu Gott, welches dem Christen durch seinen Glauben geboten und in gewissem Sinn anerzogen wird, für sie ein selbstständig gesuchtes und erlangtes wurde, daß ihr in dem, was sie bisher nur kindlich geglaubt hatte, ein neues Licht aufging, welches sie in ihrem Glauben befestigte.

Es wäre eine schöne Aufgabe für den Denker, die verschiedenen Arten, wie die Menschen sich zu Gott verhalten können, im Zusammenhang darzustellen und zu beurtheilen. Welch eine Reihe von Möglichkeiten — von der Denkweise, die vor der Welt Gott nicht sieht, ohne sich ihm ganz entziehen zu können, bis zu derjenigen, die vor Gott die Welt nicht sieht! Von der Religiosität solcher, die sich begnügen, Gott die äußere Ehre zu erweisen und sich nur in der Noth von Herzen an ihn wenden können, bis zu der Innigkeit des Frommen und Weisen, der erkennend und liebend in Gott lebt! Wie viele Abstufungen sind in jeder Hauptrichtung möglich, und wie erscheint jede derselben in der Wirklichkeit motivirt und charakteristisch! — Die Religiosität, die ihrer selbst mächtig, die der Gerechtigkeit und Milde gegen die Welt fähig ist, ohne an Kraft und Wärme zu verlieren, wird immer als das Ziel des Menschen erkannt werden. Die Gesinnung, die sich in und mit dieser Religiosität erzeugt, bewährt sich als ein Segen für jede, auch für die beste Natur; denn auch in der besten Natur sind Gefühle und Neigungen, denen man sich arglos hingeben kann, die aber erst eine Prüfung auszuhalten und eine Richtung zu empfangen haben. Durch die Richtung auf das religiöse Ziel werden die selbstsüchtigen Triebe zurückgedrängt, die guten geklärt und erhöht und der Geist tüchtig gemacht für alle Beziehungen des Lebens.

Als der Winter seinem Ende nahte, konnte Anna bei einem Einblick in ihr Inneres erkennen, daß mit ihr eine Verwandlung vorgegangen war. Ihr Vertrauen auf Gott war befestigt und klar geworden. In der Prüfung, der sie sich früher nur unterworfen hatte, erkannte sie den heilvollen Zweck und pries den Willen, der sie dazu berufen. Der Glaube an den entfernten Verlobten, an seine Liebe und Treue, an sein Glück, an die Krönung ihrer gemeinsamen Wünsche, hatte einen wesentlich heitern Charakter erhalten, und nicht selten war es ihr, als ob alles, was sie hoffte, schon erfüllt wäre.

Der Frühling kam und entfaltete sich bald in aller Schönheit. Der Mai verdiente dießmal seinen Namen des Wonnemonats, was bekanntlich nicht in jedem Jahr der Fall ist. Es begann die arbeit- und freudenreiche Zeit des Dorflebens. Mutter und Tochter theilten sich in die Pflichten der Herrschaft. Jene behielt sich das oberste Regiment vor und notirte Ausgaben und Einnahmen; die Tochter leitete die Arbeiten im Garten. Mit Hülfe des alten Dieners und einer Magd war sie hier so thätig, daß nach einiger Zeit Küchen- und Ziergewächse, Bäume, Sträucher und Spaliere gleich gut im Stande waren. Ihre Spaziergänge liebte sie nach ihren eigenen Feldstücken zu richten, und wenn ihr eines üppig entgegen glänzte, so wurde das Wohlgefallen an seiner Schönheit noch gar sehr durch den Gedanken erhöht, daß Boden und Frucht ihr gehörten. Es war ein neues, angenehmes und heimliches Gefühl für sie. Die Heuernte, eine der fröhlichsten Arbeiten, wenn sie vom Wetter begünstigt wird, begleitete sie von Anfang bis zu Ende.

Bei diesen Beschäftigungen war es natürlich, daß sie mit verschiedenen Dorfleuten näher bekannt wurde. Sie fand unter Weibern und Mädchen solche, mit denen gut verkehren war, die sie zu sich einlud und selber besuchte. Man unterhielt sich über Haus- und Feldwirthschaft, über gewöhnliche und ungewöhnliche dörfliche Vorgänge. Anna freute sich, von dem Leben und Treiben ihrer Bekanntschaften, von Leid und Freud dieser Existenzen eine Anschauung zu erhalten. Sie mußte über sich selber lächeln, wenn sie bedachte, daß sie eines solchen Umgangs noch vor einem Jahr nicht fähig gewesen wäre und in der Mitte der Bäuerinnen schwerlich ein anderes Gefühl gehabt hätte, als das des Höherstehens und der Herablassung. Jetzt bewirkte die Gemeinsamkeit der ökonomischen Interessen eine gewisse Sympathie und Vertrautheit, und sie fühlte, daß ein solches Verhältniß nicht nur besser, sondern auch nützlicher sey. Ganz mit Recht; das bloße Herabsehen läßt geistig arm, das Herabsteigen zu wohlwollender Theilnahme befreit und bereichert. — Nach und nach hatten sich auch verschiedene andere Bekanntschaften mit gebildeten Familien der Umgegend geknüpft. Es fanden sich ältere und junge Männer in Schönbach ein, die der Baronin ihren Respekt, der schönen Tochter galante Aufmerksamkeit bezeigten. Die beiden Damen konnten nicht umhin, zuweilen an geselligen Partien Theil zu nehmen, und sahen, daß es ihnen eben so wenig an Unterhaltung wie an Arbeit fehlte.

In der letzten Zeit wurde das frohe Leben in Schönbach nur dadurch gestört, daß von Arthur keine Nachricht einging. Obwohl Anna nach dem ersten Brief sich darein ergeben hatte, lange ohne Kunde zu bleiben, obwohl sie mit Vertrauen und Muth gerüstet war, so fing sie doch endlich an besorgt zu werden. Das Ziel seiner Reise mochte seyn, welches es wollte, für den Fall glücklicher Erreichung desselben sollte eine Meldung schon eingetroffen seyn. War das Schreiben verloren gegangen? Oder hielt sich Arthur gar nicht verpflichtet, seine Ankunft zu melden? Wollte er erst ein glückliches Ergebniß seiner Unternehmung abwarten? — Die Beruhigung der Verlobten erfolgte jedoch bald, indem der ersehnte Brief ankam. Er war aus Calcutta, bezog sich auf ein früheres, von dort abgesandtes Schreiben und bestätigte somit die erste Vermuthung Annas. Die Hauptstellen darin lauteten:

„Ich lebe ganz der Thätigkeit, die ich mir erwählt. Mit jedem Tag wird sie mir interessanter und lieber. Wenn man die Gabe besitzt, sich von einer Unternehmung eine schöne Vorstellung zu machen, so hat man freilich bei der Ausführung noch gar manche Probe zu bestehen. Denn hier gibt es Arbeit und Mühe und unangenehme Erfahrungen. Die Begeisterung entflieht zuweilen gänzlich und man hat Augenblicke, wo man von dem Gefühl gepeinigt wird, als habe man sich in der Wahl seines Berufs vergriffen. Doch das dauert nicht; es ist nur der Rauch, der aufsteigt, so lange die Flamme das Holz noch nicht ganz ergriffen hat. Die Arbeit wird geläufiger, man fühlt sich den Schwierigkeiten gewachsen, und nun stellt sich auch die Freude wieder ein; man findet, daß die erwählte Thätigkeit in der Wirklichkeit so schön ist, wie sie in der Vorstellung war, ja schöner noch. — Ich stehe im Anfang, und doch habe ich schon eine so fröhliche Ansicht gewonnen. Das ist mir Bürge, daß ich sie nicht mehr verliere, daß mein Beruf mir halten werde, was ich mir davon versprochen..... Wie entzückend ist es, die ersten Schritte gelingen zu sehen zu einem muthig gesteckten Ziel und bei jedem Schritt die Empfindung zu haben, daß er näher dem Momente bringt, wo die Träume eines liebevollen Herzens sich erfüllen werden! O theure Braut! mein Metier kann sich freilich nicht schmeicheln, daß ich es um seiner selbst willen liebe. Hinter all meinem Thun und Treiben glänzt mir die Sonne eines glücklichen Wiedersehens und vergoldet seine Umrisse. Aber in diesem Schein liebe ich es doch und die Wirkung ist dieselbe.“

Als das glückliche Mädchen ihren Brief der Mutter zeigte, rief diese beim ersten Blick in ihn: „Ah, Calcutta!“ Sie las ihn mit Aufmerksamkeit und gab ihn mit ernster, aber zufriedener Miene wieder zurück. Nicht länger stand sie an, gegen die Tochter ihre Meinung über den erwählten Beruf Arthurs auszusprechen. Er sey offenbar in die indisch brittische Armee getreten und habe eine Carrière eingeschlagen, die zwar der Gefahren mancherlei, aber dafür auch die Hoffnung ungewöhnlicher Erfolge biete. Das Blut der Waldfels habe sein Recht verlangt und sie wolle es nicht tadeln. Eben darum hätte er aber keine Ursache gehabt, die Wahl dieses Berufs ihnen zu verschweigen. Wenn die Gefahr auf dem Pfade der Ehre liege, so sey sie kein Schreckbild für ein edelgeborenes Weib. — Anna schwieg; sie konnte die Sicherheit der Mutter nicht theilen, wußte aber auch keine andere bestimmte Ansicht entgegenzustellen. Sie fühlte nur, was der Geliebte auch erwählt hatte, es war das Rechte.

In ihrer Antwort schilderte sie ihm auf seinen Wunsch genau, was sie bisher erlebt und gethan; sie war mit Liebe ausführlich. Nach einem reizenden Gemälde des Lebens in Schönbach erklärte sie ihm, daß er nun die Wahl habe zwischen großen Hoffnungen und einem bescheidenen Besitz. Sie sage ihm dieß nur für den Fall, daß die Aussichten in der Fremde sich trübten, und habe keineswegs die Absicht, ihn von dem einmal gefaßten Entschluß abzubringen.

Zur Erhaltung der Heiterkeit, die mit dem Briefe Arthurs im Hause der Baronin eingekehrt war, trug nicht wenig bei, daß die Getreideernte eben so glücklich von statten ging, wie die Heuernte, zuletzt auch die Einsammlung der Herbstfrüchte. Frau von Holdingen war sehr zufrieden gestellt und lernte eine neue Schönheit der Landwirthschaft in guten Einnahmen kennen, die nach und nach in ihre Kasse flossen. Anna, die es sich nicht versagen konnte, den Arbeiten zu folgen, hatte trotz der Schutzmittel gegen die Sonne einen etwas gebräunten Teint erhalten. Die Mutter schüttelte lächelnd den Kopf und meinte, sie sey eine ganze Bäuerin geworden. Die eleganten Herrn der Umgegend schienen sie aber nicht weniger reizend zu finden, als vorher, und ein malender Dilettant, der sie einmal im Obstgarten sah, rief enthusiastisch: Pomona! —

In ähnlicher Art wie das eben geschilderte vergingen vier Jahre. Es waren in ökonomischer Hinsicht gute Jahre, wo beim Gedeihen des Ganzen einzelnes Unglück in Feld und Stall nicht in Betracht kommen konnte. Frau von Holdingen sah sich nicht nur in den Stand gesetzt, ihre häusliche Einrichtung zu verbessern und zu verfeinern, sondern zuletzt auch eine Summe Geldes auszuleihen. — Sie hatte dabei ein höchst behagliches Gefühl und blickte mit um so größerer Sicherheit in die Zukunft, als auch die Nachrichten von Arthur fortwährend günstig lauteten. — Von diesem liefen jährlich in der Regel zwei Schreiben ein, theils aus Calcutta, theils aus andern ostindischen Plätzen. Sie zeugten von der Unwandelbarkeit seiner Gesinnung, von der guten Laune, womit er die Mühen seines Berufes ertrug, von seinem immer vorwärts strebenden Geist. In dem ersten hatte er den Damen zu der Erwerbung von Schönbach gratulirt, aber heiter hinzugefügt, daß er sich nun erst recht aufgefordert fühle, für ein gehöriges Aequivalent zu sorgen. Die letzten Briefe meldeten, daß er viel im Lande herumgekommen, manche Gefahr bestanden und zu einem ansehnlichen Posten vorgerückt sey. Frau von Holdingen sah dadurch ihre Ansicht vollkommen bestätigt, fand es aber um so unbegreiflicher, daß er aus der Wahl seines Standes auch jetzt noch ein Geheimniß machen wolle und nicht einmal jenen ansehnlichen Posten, zu dem er sich aufgeschwungen, näher bezeichne. Anna setzte den Geliebten in Kenntniß von allem, was in ihrem Kreise geschah, und machte ihm bei natürlichen Anlässen auch Mittheilungen über ihr inneres Leben. Wenn sich diese Verlobten nun auch nicht so häufig schreiben konnten, wie andere, so waren ihre wenigen Briefe doch um so gehaltvoller und gedankenreicher.

Bei längerer Muße, zumal in Winterszeiten, ermangelte die Mutter nicht, an der weiteren Ausbildung ihrer Tochter für das höhere gesellige Leben zu arbeiten. Sie hatte die Freude, sich von dieser in Sprachen und sonstigen literarischen Kenntnissen eingeholt, zum Theil überflügelt zu sehen; aber noch immer vermißte sie manches in den Stücken, die zur Repräsentation gehören. Als sie einmal wieder eine Ausstellung zu machen hatte und eine Ermahnung folgen ließ, antwortete Anna mit einem Lächeln, das zu sagen schien, die Mutter lege diesen Dingen eine zu große Wichtigkeit bei. Die Baronin aber bemerkte gleichfalls heiter: „Man muß auf alles gerüstet seyn. Wenn dein Bräutigam mit einem Nabobsvermögen zurückkehrt und eine seinem Reichthum entsprechende Stellung im Vaterlande erlangt, so soll er eine Frau haben, die ihm durch die Würde und Grazie ihrer Erscheinung Ehre zu machen versteht.“

Die Gunst des Schicksals hat auf die meisten Herzen eine sichermachende Wirkung. Es gehört schon eine eigenthümliche Erfahrung und eine Gewohnheit des Nachdenkens dazu, wenn man in der Mitte guter Tage an die bösen denkt, die kommen möchten, und sich darauf gefaßt macht. Die hoffende und vertrauende Natur wird das in der Regel vergessen und glauben, was heute war, müsse auch morgen seyn, und doch ist die ungetrübte Dauer der Wohlfahrt das Seltene, ihre Störung das Gewöhnliche im Leben.

Der sechste Frühling, den Mutter und Tochter in ihrem Besitzthum verlebten, war von besonderer Schönheit. In den ersten Tagen des Mai sagte Anna zum Baumeister: „Wir werden ein sonniges Jahr haben.“ Dieser versetzte bedenklich: „Wenn wir nur nicht zu viel Sonne bekommen! Unsere Felder können eher noch einen nassen als einen gar zu trockenen Jahrgang ertragen, und ich fürchte —“ — „Keine schlimme Prophezeihung!“ fiel Anna ein. „Es ist noch immer recht geworden.“ — „Eben deßwegen,“ meinte der Baumeister, „kann es auch einmal schief gehen. Doch wir wollen das Beste hoffen.“

Der Himmel erfüllte nicht, was der gefällige Mann hoffte, sondern was der erfahrene fürchtete. Nach wenigen Wochen schon konnte sich Anna von den schlimmen Wirkungen der alleinherrschenden Sonne überzeugen. Die Feldfrüchte hatten eben zu der Zeit keinen Regen erhalten, wo sie dessen am meisten bedurften; sie waren zum großen Theil verdorrt, selbst auf den besten Plätzen verkümmert. Und das Jahr behauptete den einmal angenommenen Charakter. Regentage waren selten, die heißen schienen kein Ende nehmen zu wollen. Bäche trockneten ein, der Boden bekam Risse, die Natur verschmachtete. Wie sehnsüchtig sahen die armen Bewohner der Gegend nach einer Wolke zum Himmel auf! Wie freuten sie sich, wenn sie endlich erschien und sich ausbreitete! Aber sie ging, wie sie gekommen, und später erfuhr man, daß sie ihren Segen anderswo niedergeströmt hatte. — Das Sonnenlicht, das die Welt verschönt und Aug und Herz erquickt, wurde den Menschen eine Qual, sein Wieder- und Wiedererscheinen fürchterlich.

Es war ein Mißjahr und hatte rings bedeutende Verluste zur Folge. Die Baronin, bei welcher die Ausgaben die Einnahmen ebenfalls erklecklich überstiegen, mußte die angelegte Summe zurückfordern und großentheils verbrauchen. Glücklicherweise hatten die benutzten guten Jahre die bemittelteren Familien in den Stand gesetzt, ein Fehljahr auszuhalten; die Noth wurde nicht so groß, als man besorgte, und an Frau von Holdingen kamen von armen Familien des Dorfes nur so viele Bittgesuche, als sie allenfalls befriedigen konnte. Sie wurde von der Tochter angetrieben, so viel als möglich zu thun; denn für diese hatte der Sommer wenigstens eine herrliche Frucht gebracht: ein Schreiben Arthurs, worin er meldete, daß ihn das Glück auf’s neue begünstigt, und daß er, wenn es so fortfahre, die geliebte Braut in zwei bis drei Jahren hoffe wiedersehen zu können. Ihr gerührtes Herz fühlte sich nun um so mehr gedrängt, zu helfen und Freude zu machen, wo sie konnte.

Der in diesem Jahre vergebens erflehte Regen kam im nächsten Frühling reichlich; schöne Tage fehlten nicht, man konnte sich ein fruchtbares Jahr versprechen. Leider überwog der Regen nach und nach, die schönen Tage wurden eine Ausnahme, der Segen des Feldes drohte in Nässe zu verkommen. Neue und schwerere Sorgen ängstigten die Herzen der Landleute. Es war nicht bloß der Schmerz über den Verlust, der sie quälte, es war auch das uneigennütze Leid: die Früchte, die so schön gewachsen, so kläglich verderben zu sehen. Und dieses Leid erneuerte sich fortwährend; denn es ist dem Landmann unmöglich, ein für allemal zu resigniren. Sobald die Wolken sich wieder ein wenig verziehen, hofft er wieder, und die Nichterfüllung schmerzt auf’s neue. Das stete Dunkel der Regentage wirkt an sich niederschlagend, und man möchte verzweifeln, wenn man es jeden Morgen die Welt verdüstern sieht.

Frau von Holdingen wurde in große Betrübniß versetzt. Sie konnte im Fall eines neuen Fehljahres Noth und Verlegenheit nicht vermeiden, und diese Vorstellung entriß ihr nicht selten unmuthsvolle Ausrufungen. Anna machte die Beobachtung, daß die Dorfleute das drohende Unglück mit mehr Ruhe ertrugen, und daß ihre Klagen gelassener waren, als die der Mutter. Sie wunderte sich über diesen Umstand, der doch ganz natürlich war. Diejenigen, die mehr gewohnt sind, ihren Willen und ihre Wünsche geltend zu machen, empfinden es um so schmerzlicher, wenn das Geschick sich ihnen entgegenstellt, während Schultern, die für gewöhnlich mit Lasten beschwert sind, einmal außergewöhnlich noch mehr tragen können.

Endlich hellte der Himmel sich auf und es kam eine Reihe schöner Tage. Das Wort des Baumeisters, daß die Felder von Schönbach noch eher Nässe als Dürre ertragen könnten, bewährte sich. Manches war verdorben, das übrige erholte sich wieder. Die Getreideernte begann und die Gesichter erheiterten sich, denn die Frucht war besser, als man erwartet hatte; aber kaum hatte man ein Drittel davon eingebracht, als ein Wetter am Himmel aufzog und ein Hagelschlag der stärksten Art alles, was noch draußen stand, im Lauf einer Viertelstunde vernichtete.

Wer ein solches Ereigniß miterlebt hat, der kann sich sagen, daß er die schrecklichste Erfahrung des Landmanns kennen gelernt. Was als bloße Vorstellung die Seele erbangen macht, das steht als grausame, unwiderrufliche Wirklichkeit vor Augen! Der herbste Verlust wird zugleich unter den erschütterndsten Formen erlitten! Dießmal wurde das ohnehin Fürchterliche des Schauspiels noch dadurch erhöht, daß die ungewöhnlich großen Hagelkörner auch die Ziegel auf den Dächern zerschlugen und das Zerknallen und Herabstürzen derselben das Getöse des Sturmes noch schauerlicher machte. Es war den armen Bewohnern des Dorfes, als ob die Welt untergehen sollte. Frau von Holdingen und Anna hatten sich bei den Händen gefaßt; ihre Gesichter waren erbleicht und ihre Seelen rangen mit dem Schrecken. Als die Betroffenen den Schaden besichtigten, erneuerte sich der Jammer: die Wirklichkeit übertraf die schlimmsten Befürchtungen. Ein so vollkommener Verlust hat aber wenigstens das Gute, daß man die Pein des Verlierens mit einemmal absolvirt. Man hat in dieser Richtung nichts mehr zu hoffen, aber auch nichts mehr zu fürchten; die Sache ist abgethan und in dem gefolterten Herzen kann die Ruhe der Entsagung Platz nehmen. So fügten sich nun die armen Landleute in das Unabänderliche und suchten zu retten, was noch zu retten war.

Auch die Baronin trug das vollendete Unglück besser als das drohende, und war zunächst bemüht, die Mittel zur Fortführung ihres Haushalts herbeizuschaffen. Sie bedurfte einer namhaften Geldsumme und erhielt sie von dem befreundeten Rentier, mit dem sie von Zeit zu Zeit Briefe gewechselt hatte. Als der Bedarf durch Einkäufe gedeckt war, sah sie der Zukunft mit ruhigerem Herzen entgegen. — Es war dennoch ein trauriger Herbst. Zu dem trüben Gefühl, das eine verkümmerte Wirthschaft erregt und erhält, kam eine neue, schwerere Sorge. Seit dem vorigen Sommer war keine Nachricht von Arthur eingegangen. Man konnte freilich denken, daß wieder ein Brief verloren gegangen sey, oder daß der Verlobte Gründe gehabt habe, die Absendung eines Berichts zu verzögern. Allein in Folge des erlebten Unglücks und der Noth, welche die beiden Frauen mit Augen sahen, ohne ihr abhelfen zu können, waren ihre Seelen der Furcht zugänglicher geworden; sie ängstigten sich durch düstere Vorstellungen, über die sie sich nur mit Anstrengung wieder zu erheben vermochten.

Am Ausgang dieser Jahreszeit erhielten sie von dem Rentier eine Nachricht, die auch nur einen unerfreulichen Eindruck auf sie machen konnte. Herr von Pranger, dessen Vermögensverhältnisse durch die Lebensweise der Familie schon angegriffen waren, hatte in Folge großer Verluste, die er bei zwei Bankerotten erlitten, seine Zahlungen einstellen müssen; das Gut Waldfels befand sich in den Händen seiner Gläubiger. „Auch andere Leute haben Unglück,“ sagte Anna zur Mutter. „Mich dauert die Familie und namentlich die gute Frau.“ — „Und mich,“ bemerkte die Mutter, „dauert auch die schöne Besitzung, die jetzt dem Schicksal der Zertrümmerung schwerlich entgehen wird. Doch — das Unglück mag seinen Lauf nehmen!“

Die moralische und religiöse Kraft Annas wurde im Laufe des Winters auf die stärkste Probe gestellt. Sie erhielt keine Nachricht von dem Geliebten. Die Annahme, daß auch ihn ein Unglück betroffen habe, mußte für Anna an Wahrscheinlichkeit gewinnen, und sie erfuhr dabei, daß auch der festeste Wille nicht im Stande ist, das angefochtene Menschengemüth immer aufrecht zu erhalten; daß die Kraft des Menschen im glücklichsten Falle nur so weit reicht, aus den Niederlagen sich wieder zu erheben und weiter zu kämpfen. Ihr Leben wurde ein Wechsel von unüberwindlicher Trauer und von stiller Ergebung und Erhebung des Geistes. Wer Gott vertrauen gelernt, der wird sich freilich in dem Glauben, daß zuletzt alles ein gutes Ende finden werde, nicht erschüttern lassen; aber er muß darum nicht für nothwendig halten, daß schon im irdischen Leben die Krönung seiner Wünsche erfolgen werde. Für dieses Leben kann er, wie ja so viele seiner Mitmenschen, zum Unglück, zur Entsagung verurtheilt seyn. Je inniger er aber an jenen Wünschen hängt, um so peinvoller wird es für ihn seyn, an ihrer Erfüllung verzweifeln zu müssen, und nur in den geistigsten Momenten wird er seine Schmerzen unter sich drängen können.

Die Gemüthsbewegungen, denen das gute Mädchen ausgesetzt war, griffen zuletzt auch ihre Gesundheit an. Sie verlor die Farbe und die zierliche Rundung ihrer Wangen, den Glanz ihres Auges. Die Mutter sah sie mit Blicken tiefen Kummers an. Ein so edles Kind, ein so herrliches Geschöpf, sollte es wirklich um das Glück des Lebens betrogen und dem Leide geweiht seyn? — Traurig senkte sie das Haupt und ein schmerzlicher Seufzer entrang sich der Brust.

Es war nur eine Mehrung ihrer Betrübniß, als ein wohlhabender adeliger Gutsbesitzer aus der Nachbarschaft, der Anna schon früher eine gewisse Aufmerksamkeit gewidmet hatte, durch eine Verwandte anfragen ließ, ob sie seine Bewerbung mit günstigen Augen ansehen würde. Aus den Reden der Dame ging hervor, daß sowohl sie als ihr Cousin das Verhältniß Annas gelöst, d. h. von dem entfernten Verlobten aufgegeben glaubten und eben dadurch sich zu der Anfrage ermuthigt fühlten. Frau von Holdingen schüttelte bei dieser Eröffnung den Kopf und schwieg kummervoll. Den Mund Annas umspielte ein eigenes Lächeln und sie erwiederte: „Ich danke Herrn von ** für seine gütige Gesinnung; aber mein Verhältniß mit Arthur von Waldfels ist nicht gelöst und wird sich niemals lösen. Ich weiß, daß er gesinnt ist wie ich, daß er Treue halten wird bis zum letzten Athemzug. Wenn er aber todt wäre, so würde ich dennoch ihm und nie einem andern gehören.“ — —

Endlich begann ein neuer Frühling, und zwar so schön, daß auch die bedrücktesten Seelen sich etwas erleichtert fühlen mußten. Ein guter Jahrgang war an der Zeit und alle Anzeichen verhießen ihn. Als Frau von Holdingen bei einem gelegentlichen Blick in die leere Scheuer den Kopf schüttelte, sagte der Baumeister, der es bemerkt hatte: „Sie wird wieder voll werden. Ich prophezeie dießmal ein Jahr wie das erste, das Sie in Schönbach zugebracht haben.“

Die Prophezeiung traf ein, und doch sollte sich die erste Versicherung als eine Täuschung erweisen. In einer Nacht des Mai wurden die Bewohner des Schlößchens durch Feuerlärm geweckt. Es brannte im Nachbarhause. Als die Baronin aus dem Fenster sah, hatte die Flamme bereits auch ihre Wirthschaftsgebäude ergriffen. Mit größter Mühe wurden die Ställe geräumt und das Wohnhaus gerettet; von Scheuer und Viehhaus blieben nur die Mauern übrig. — Es heißt, kein Unglück komme allein, und dieser Spruch hat eine reiche Erfahrung für sich. Man kann die Thatsache aus der Natur und dem Zweck des Unglücks erklären, oft aber enthält das erste schon einfach den Keim des folgenden in sich. Im gegenwärtigen Fall hatte der Brand zu dem Hagelschaden eine genaue Beziehung. Frau von Holdingen hatte die zerschlagenen Ziegeldächer an den Wirthschaftsgebäuden vorläufig nur mit Stroh decken lassen und die rechte Wiederherstellung besseren Zeiten vorbehalten. Das Stroh hatte Feuer gefangen, wo Ziegel ohne Zweifel widerstanden hätten, bis Hülfe gekommen wäre; und so war der erste Verlust an dem zweiten Schuld geworden.

Das Wohlwollen, das die Baronin bei verschiedenen Gelegenheiten den Dorfleuten bewiesen hatte, wurde ihr jetzt vergolten. Die bemittelten Familien erboten sich eifrig, das obdachlose Vieh in ihre Ställe aufzunehmen. Gerührt machte sie von dem Anerbieten Gebrauch und im Anschauen der herzlichen Theilnahme fiel ein Schein des Trostes in ihre Seele. Aber dieser verschwand bald wieder. Die schlimmste Frucht des fortgesetzten Unglücks ist der Wahn, daß man ganz von Gott verlassen und einer unheilbringenden Macht verfallen sey. Wenn ein solcher Mißglaube in edlen Herzen nicht Wohnung nehmen kann, so kann er sie doch in einzelnen Momenten anfallen und zu Boden drücken. Noch immer war keine Nachricht von Arthur eingetroffen! Mußten die Frauenseelen, die all ihr Glück auf ihn gesetzt hatten, nicht endlich von Verzweiflung ergriffen werden? Mußte das Schreckbild seines Untergangs dem geängsteten Mädchen nicht näher und näher treten? Als der Dorfbote von der Post noch einmal zurück kam, ohne das ersehnte Schreiben mitzubringen, war die Kraft der Armen erschöpft und ohne Widerstand brach sie zusammen. Ihre Thränen flossen, als ob sie die Seele in ihnen hinströmen wollte. Die Mutter richtete sie auf und mit der Stärke der Pflicht und der Liebe hielt sie das unglückliche Kind in den Armen.

VI.

Die Stürme des Herzens gleichen in ihrer Wirkung den Gewitterstürmen. Sie vertreiben aus der Atmosphäre der Seele die niederdrückende Schwüle und schaffen Raum für ein stilles und mildes inneres Leben. In einem Anfall von Verzweiflung, der in einen Strom von Thränen endet, wird eine Last abgeworfen. Was dem Menschen vorher unmöglich war, das wird ihm dann leicht, was er vorher mit größter Anstrengung nicht von sich zu erlangen vermochte, das kommt beinahe von selber. Es ist dieß mit ein Beweis, daß im Menschen eine Natur wohnt, die ihr eigenes Leben hat und nicht berufen zu seyn scheint, dem Geiste jederzeit Gehorsam zu leisten.

Zwei Tage später, um die Mittagsstunde, finden wir Mutter und Tochter im gemeinschaftlichen Zimmer des Schlößchens. Anna war in eine Ecke des Sophas gelehnt, ihr Gesicht war bleich, aber es drückte eine Melancholie aus, die nicht ohne einen gewissen Schein von Heiterkeit war — die Frucht der Ergebung. Wenn der Verlust eines theuren Wesens die Seele in tiefe Trauer versetzt, so weiß der Glaube ja, daß dieses Wesen nicht für immer verloren ist, und das Gefühl des Besitzes über die Welt hinaus wirft ein sanftes Licht in das Dunkel des Leids. Aber das Herz der Liebenden war auch durch die Hoffnung erhellt, welche nicht abließ, sich wieder und wieder in ihr zu erheben. Es war ein sonderbarer Zustand: eine Entsagung durch Hoffnung, und eine Hoffnung durch Entsagung gedämpft; ein Schweben durch eine milde Region der Trauer, deren Ende als Möglichkeit vor der Seele steht.

Die Mutter sah das schweigende Kind mit tiefer Besorgniß an. Sie erblickte in ihr nur ein hinwelkendes Bild der Resignation, und bei dem plötzlich aufsteigenden Gedanken, daß der Anfang einer Krankheit da seyn könnte, die sie dem Grabe zuführen müßte, fuhr sie erschreckt zusammen.

In diesem Augenblick trat der alte Diener ein und meldete einen Fremden, der sich Theodor Schmidt nenne und die gnädige Frau um einige Minuten Gehör bitte. — „Vielleicht ein Zimmermeister aus der Nachbarschaft, der sich um den Bau bewerben will. Führ’ ihn her!“ — Als der Fremde erschien, sah die Baronin gleich, daß sie sich geirrt hatte. Es war ein elegant gekleideter Mann in den Dreißigen, dessen Haltung den feiner Gebildeten, dessen Figur und Dialekt den Norddeutschen verriethen. Der Fremde begann: „Ich habe —“ einen Blick auf Anna werfend, hielt er jedoch inne, zog die Hand, die er der Brusttasche genähert hatte, wieder zurück und sagte nach kurzem Bedenken: „Ich habe Ihnen eine gute Nachricht zu überbringen.“ — Anna sah ihn an; die Mutter erwiederte: „Eine gute Nachricht? Zögern Sie nicht, werther Herr, wir bedürfen einer solchen.“ — Der Fremde fuhr fort: „Ich bin beauftragt von dem Herrn Baron von Waldfels —“ Anna, die keinen Blick von ihm verwendet hatte, rief: „Arthur von Waldfels? — Er lebt? Er ist gesund?“ — „Er lebt und ist gesund,“ erwiederte der Fremde. „Er befindet sich in Deutschland und ich bin beauftragt, die verehrten Damen zu ersuchen, meine Begleitung zu ihm anzunehmen.“ — Anna starrte ihn an; das Zuviel des Glücks machte sie mißtrauisch, aber das ehrliche Gesicht des Fremden tröstete sie wieder. „Ist es möglich?“ rief sie, indem eine glühende Röthe ihre Wangen übergoß, „ist es möglich?“ — Der Fremde nahm einen Brief aus der Tasche und übergab ihn Anna. Diese öffnete ihn und las und Entzücken leuchtete aus ihrem Gesicht.

Der Brief lautete: „Auf dem Boden des deutschen Vaterlandes, aus seiner ersten Handelsstadt, begrüße ich dich, Geliebteste, und die innig verehrte Mutter. Ich lebe des Glaubens, daß dieser Brief die theuersten Wesen, die ich auf der Erde habe, gesund antreffen wird und bereit, mein Glück zu theilen. Ich bin wiedergekehrt, nachdem ich den Zweck, um dessen willen ich ausgegangen bin, erreicht habe, mit tiefem Dank gegen den Himmel, der meine Thätigkeit über Erwarten gesegnet hat. Der Ueberbringer, mein Sekretär, dessen Treue erprobt ist, wird dich und die geliebte Mutter zu mir geleiten. Folge ihm und erfahre bei deiner Ankunft, warum es mir nicht möglich war, selber zu dir zu eilen.“

Frau von Holdingen hatte die Tochter, als sie den Brief nahm und öffnete, mit der höchsten Spannung betrachtet; auch ihr war das Glück zu unerwartet gekommen, als daß sie sich dem Glauben daran sogleich hätte hingeben können. Aber durch die Wonne der Liebenden sah sie die Nachricht bestätigt und Thränen füllten die Augen der geprüften Frau. Sie trat näher; Anna rief mit himmlischer Freude: „Es ist wahr! Mutter, liebe Mutter!“ und fiel ihr um den Hals. Lange hielten sie sich umfaßt. Die Ueberglückliche weinte am treuen Mutterherzen und ihre Thränen wollten kein Ende nehmen. Endlich richtete sie sich auf und sagte: „Das vollkommenste Glück, ein Glück, das mir keinen Wunsch mehr übrig läßt, war mir aufgespart — und ich hatte den Glauben daran verloren und war verzweifelt! Ich habe die Probe nicht ausgehalten, auf die ich gestellt wurde, und bin beschämt!“

Im Laufe des Gesprächs vernahmen sie, daß der Sekretär schon längere Zeit in Arthurs Diensten stehe. Die Mutter forderte ihn wie gelegentlich auf, etwas von den Schicksalen des Barons mitzutheilen. Aber jener versetzte, er bedaure, diesem Wunsche nicht entsprechen zu können; die Erzählung seiner Schicksale habe sich Herr von Waldfels selber vorbehalten. — „Ah,“ rief die Baronin heiter, „noch immer geheimnißvoll! — Nun,“ setzte sie mit Selbstgefühl hinzu, „wir glauben die Hauptsache errathen zu haben und können uns für das Uebrige noch einige Tage gedulden.“

Am andern Morgen fuhr ein Postillon mit einem stattlichen Reisewagen vor, den Arthur den Damen entgegengeschickt hatte. Unter fröhlichem Blasen ging es durch das Dorf, wo die am Wege stehenden Leute Grüße und Glückwünsche nachriefen. Bald rollte der Wagen auf der weißen Landstraße fort. Mit welcher Heiterkeit sah Anna die schönen Saaten, den grünen Wald und alles, was sich ihren Blicken darbot! Wie freundlich und wie heimlich sprach sie alles an! — Sie saß da so leicht, mit so edler und freier Haltung, daß Wagen und Pferde für sie erfunden zu seyn und keine höhere Aufgabe zu haben schienen, als ihr zu dienen.

Am zweiten Nachmittag fuhren sie durch eine Gegend, die den Damen bekannt war. Etwa drei Meilen weiter nach Westen lag das Thal mit Waldfels und dem Landhause. Anna sah hinüber und konnte nicht umhin, ein Bedauern zu empfinden, daß dem Bräutigam das schöne Gut seiner Ahnen verloren seyn sollte. Vor Kurzem hatte ein Besucher nach Schönbach die Nachricht gebracht, daß die Besitzung wieder verkauft worden sey. Sie hatte dieß unbewegt vernommen; wie konnte für die Tiefbetrübte eine solche Veränderung Bedeutung haben? Aber im Glück regen sich neue Bedürfnisse; wenn die großen Wünsche erfüllt sind, dann tauchen die kleineren wieder auf, denn die Menschenseele strebt nach dem Vollkommenen. Jetzt, mit den höchsten Geschenken des Himmels begnadigt, empfand sie in der That ein Verlangen nach dem Besitz von Waldfels, und es that ihr ernstlich leid, ihm entsagen zu müssen.

Die Seitenstraße, die nach dem Thale führte und zunächst einen kleinen Hügel hinanstieg, wurde sichtbar. Anna machte die Mutter darauf aufmerksam. Diese, ihre Gedanken errathend, rief in bedauerndem Tone: „’s ist Schade!“ — Die Anschauung ihres Gefühls an der Mutter brachte aber das Mädchen zur Selbsterkenntniß und sie sagte: „Was doch die Menschen ungenügsam sind! Ich habe das Höchste erlangt — ein Glück, dessen ich mich unwerth fühlte und das ich nicht tragen zu können glaubte; und jetzt wünsche ich eine Zugabe! — — Weg mit den Augen!“ sagte sie zu sich selbst und richtete die Blicke die Linie entlang, auf der sie dem Geliebten näher kommen sollte.

In andere Gedanken verloren, gewahrte sie es nicht, daß der Postillon in die Seitenstraße einbog; aber Frau von Holdingen rief: „Was ist das?“ und sah den Sekretär mit betroffen fragendem Blick an. Dieser versetzte mit einem Lächeln: „Wir fahren die rechte Straße, gnädige Frau.“ — Anna, die den Ausruf der Mutter und diese Antwort vernommen hatte, sah, wo sie war, und wie ein elektrischer Funke zuckte eine Ahnung durch ihre Seele. Der neue Käufer von Waldfels war Arthur! Sie sollte den Geliebten in der Besitzung seiner Ahnen wiedersehen — auch ihr letzter Wunsch sollte erfüllt werden! Mit erglühten Wangen faßte sie die Hände der Mutter und sah in ein Antlitz, aus dem ihr derselbe Glaube entgegen blickte. Und dieser Glaube wurde vom Abgesandten bestätigt — durch Schweigen. — Wie wonnig klopfte das Herz der Liebenden, wie selig lächelte sie, als der Wagen weiter und weiter rollte und sie dem Bräutigam näher und näher brachte! Endlich fuhren sie in das Thal ein, das im reichen Schmuck des Frühlings prangte. Der letzte Zweifel schwand. Sie sahen das Landhaus, sie sahen das Städtchen, aber ihre Blicke richteten sich nach Waldfels. Dort lag es, überglänzt von der Abendsonne, das Schloß mit dem Park, die Krone des Dorfs. Das Posthorn schmetterte — wie anders klangen jetzt seine Töne zum Wiedersehen, als vor Jahren zum Abschied! Der Wagen rollte in die alte Allee, dem Thore zu, das mit Blumen geziert hersah.

Ein schlanker Mann, in eleganter, einfacher Kleidung, eilte ihnen entgegen und rief: „Willkommen!“ Es war Arthur. Der Wagen hielt. Anna, von der Rechten des Geliebten ergriffen, flog an seine Brust. Es war kein Traum! Sie hielten sich in ihren Armen, ihre Herzen schlugen an einander — ihr Glück war vollendet! Ein Wunder der staunenden Seele, war es helle, klare, selige Wirklichkeit! — Anna erhob ihr Haupt, Freudenthränen rollten aus ihren Augen, die an dem Geliebten hingen. Arthur streichelte die Thränen von ihren Wangen und sah sie aus feuchten Augen mit unendlicher Liebe an. Dann sagte er in herzlichem Ton: „Siehst du, Anna? unser Vertrauen hat uns doch nicht betrogen! Die muthig unternommene Arbeit ist gesegnet worden; Alles ist erreicht, was wir gehofft haben, ja mehr als das; der Himmel ist mir günstig gewesen um deinetwillen — selbst über meine Träume hinaus!“ — Anna rief: „Was soll ich thun, Arthur, um so viel Glück zu verdienen?“ — „Bleibe, wie du bist!“ erwiederte dieser liebevoll.

Die Baronin stand vor ihnen. Arthur ergriff ihre Hand, umarmte sie und rief: „Verzeihen Sie, liebe Mutter!“ — Diese erwiederte gerührt: „Der Braut gebührt der Vorrang. — Meine Augen haben das Schönste gesehen, was eine Mutter sehen kann — Ihre Liebe zu Anna ist dieselbe geblieben.“

Aus dem Thor, durch das der leere Wagen gefahren war, kamen der Rentier und der Pfarrer von Waldfels. Von Arthur geführt, begab sich die Gesellschaft in den Hof, wo die Damen von der Dienerschaft ehrerbietig begrüßt wurden. Die Glücklichen erkannten in allem die Zeichen des wiederhergestellten Glanzes, und von welchen Empfindungen mußten sie bewegt seyn, als sie nach so vielen Jahren zum erstenmal wieder in das schöne Schloß eintraten!

Nach einer halben Stunde finden wir den kleinen Kreis in einem Zimmer vereinigt, dessen Wände mit den Familienbildern des Hauses Waldfels geschmückt waren und dessen Altan und Fenster die Aussicht in den Park boten. Während das verlobte Paar sich mit dem Geistlichen, der Rentier mit dem Sekretär unterhielt, saß die Baronin allein an der Seite und ließ ihre Blicke von Arthur zu einem Bilde gleiten, das einen stattlichen Krieger aus dem siebzehnten Jahrhundert vorstellte. Ihr schien, als ob ihr künftiger Schwiegersohn keinem seiner Ahnen mehr gliche als diesem, und sie fand es nun um so begreiflicher, daß die kriegerische Neigung desselben in ihm wieder erwacht sey. Arthurs Glieder waren beinahe so kräftig wie die des alten Generals, und sein Gesicht eben so gebräunt. Allerdings fehlte ihm die gewaltige Narbe, welche die Stirn des Vorfahren zierte, und wir können nicht verschweigen, daß die Baronin gleich nach der ersten Begrüßung in dem Gesicht des Wiedergekehrten nach einem solchen Zeugniß der Tapferkeit gesucht hatte. Allein es gibt glückliche Soldaten, die das Privilegium zu haben scheinen, unverwundet zu bleiben, und zu diesen mußte der Baron gehören. Die Neugierde, die sie bis jetzt unterdrückt hatte, regte sich aber bei dieser Vergleichung auf’s neue. Sie widerstand jetzt nicht länger, und zu der Gruppe tretend, erinnerte sie Arthur daran, daß er ihnen eine Erzählung seiner Schicksale und seiner Thaten schuldig sey. „Oder,“ setzte sie lächelnd hinzu, „wäre die Zeit dazu noch immer nicht gekommen?“ — „In der That, noch nicht ganz,“ erwiederte Arthur. „Wir haben bis zum Abendessen nur noch eine halbe Stunde, mein Bericht wird aber ziemlich lange dauern und ich will ihn daher Ihnen und mir erst nach einer entsprechenden Stärkung zumuthen. Ich mache Ihnen aber einen andern Vorschlag. Haben Sie die Güte, uns etwas von der letzten Zeit in Schönbach zu erzählen, von der wir hier nur sehr wenig und gar nichts Bestimmtes wissen.“

Die Baronin erklärte sich bereit. Nach einer kurzen Einleitung schilderte sie die Regentage und den Hagelschlag des vorigen Jahrs. Sie zeigte sich dabei in ökonomischen Ausdrücken so bewandert, daß Arthur sich nicht enthalten konnte, nach dem Bedauern ihres Unglücks auch seine Bewunderung ihrer landwirthschaftlichen Kenntnisse auszusprechen, was sie indeß mit einem leichten Achselzucken hinnahm, vielleicht um damit anzudeuten, daß die Kenntniß jener Ausdrücke noch lange nicht die Oekonomin mache. Als sie der Sorgen wegen des Ausbleibens einer Nachricht erwähnte, war Arthur betroffen. „Wie!“ rief er aus, „Sie haben meinen letzten Brief nicht erhalten?“ — Die Baronin erwiederte mit Bedeutung: „Wir haben keinen Brief von Ihnen erhalten seit mehr als anderthalb Jahren.“ — Arthur saß mit dem Ausdruck tiefen Bedauerns da und sagte: „Ich bin sehr zu tadeln. Bei solcher Entfernung sollte man Nachrichten dieser Art in zwei oder drei nacheinander abgehende Briefe niederlegen, da die Möglichkeit des Verlustes um so viel näher liegt. Aber das Glück hatte mich verwöhnt: ich dachte nicht daran. — In diesem Schreiben,“ fuhr er zu Anna gewendet fort, „hatte ich dir gemeldet, daß ich Anstalt machte, meine Angelegenheiten in Ostindien zu ordnen und nach Europa zurückzukehren. Ausdrücklich war darin bemerkt, daß von dort aus kein Brief mehr nachfolgen würde.“ — Nach einer Pause begann die Baronin: „Eine Schilderung, wie wir unter solchen Umständen den Winter verlebten, will ich Ihnen erlassen.“ — Arthur, die Hand der Geliebten fassend, rief herzlich: „Verzeih mir!“ — Zuletzt schilderte sie den Brand in Schönbach, und die Männer äußerten ihre Verwunderung über diese Steigerung betrübender Erlebnisse. Arthur sagte: „Das Schicksal hat ungleich getheilt. Sie haben das Unglück gehabt und ich das Glück. Aber,“ setzte er hinzu, „mein Glück ist im Stande, Ihr Unglück zu decken.“ — „Es ist eigen,“ bemerkte Anna; „ich möchte mir jetzt das Unglück der letzten Jahre nicht nehmen lassen, sogar die Sorge und die Angst nicht, die ich um deinetwillen empfunden. Nur das erlebte Leid beruhigt das Herz bei allzugroßer Freude.“ — „Dieß,“ setzte der Geistliche hinzu, „ist unter andern der Zweck des Leides in der Welt. Aber in der Regel dankt man dem lieben Gott für das Mittel erst später.“

Nach Tisch saßen sie wieder in dem heimlichen Zimmer beisammen. Während des Essens hatte ein kurzer Gewitterregen die Natur erfrischt und balsamische Luft strömte durch die offenen Fenster. Die Sonne war unter-, der Mond aufgegangen, aber noch herrschte der Glanz im Westen. Niemand achtete der Schönheit des Abends; die Geister waren gespannt auf die Erzählung Arthurs. Dieser, neben Anna sitzend, begann endlich, indem er das Wort zunächst an die Baronin richtete.

„Sie wissen, daß mein Weg zuerst nach London ging. Dort lebte ein Kaufmann, ein Großhändler, den mein Vater vor etwa zehn Jahren sich verpflichtet hatte, indem er ihm bei einer Ehrensache einen wesentlichen Dienst leistete. Ich wußte dieß aus einem Dankschreiben, das sich unter den nachgelassenen Papieren fand, hatte mich brieflich an diesen Mann gewendet und Rath und Hülfe war mir zugesagt worden. In London stellte ich mich ihm vor. Ich fand einen rüstigen Fünfziger, der mich mit großem Wohlwollen aufnahm. Dadurch ermuthigt, theilte ich ihm sogleich mit, was in meinem Briefe schon angedeutet war: daß ich den Entschluß gefaßt habe, Kaufmann zu werden.“

Die Baronin wollte bei diesen Worten ihren Ohren nicht trauen. „Wie?“ rief sie, „Kaufmann? — daran dachten Sie? — Doch,“ setzte sie hinzu, indem sie sich bezwang, „ich will Sie nicht unterbrechen.“ — Arthur, der bei diesem erwarteten Ausruf ein Lächeln nicht unterdrücken konnte, fuhr fort: „Herr Goodman — dieß war der Name des Kaufmanns — sah mich prüfend an und sagte dann mit Ernst: „Ich begreife, daß Sie einen Stand ergreifen wollen, in welchem Sie das Glück, das Sie suchen, am schnellsten und sichersten erreichen zu können glauben. Allein es ist möglich, lieber Freund, daß Sie diese Laufbahn gar viel anders finden, als Sie erwarten, und es ist meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen. Das Erlernen der Kaufmannschaft hat für eine gewisse Art von Menschen seine großen Unannehmlichkeiten. Ob Sie in Ihrem Alter und — wie er lächelnd hinzusetzte — als deutscher Edelmann dabei aushalten, das ist noch die Frage. Aber angenommen Sie bleiben standhaft und erlangen eine Stellung, in der Ihre Arbeit sich lohnt, so haben Sie bei der consequentesten Thätigkeit und Umsicht auch noch ungewöhnliches Glück nöthig, wenn Sie das Ziel, das ich aus Ihrem Brief kenne, endlich erreichen wollen. Ist Ihnen das Glück nicht günstig, werden Ihnen bloß die Früchte des Fleißes zu Theil, so verfehlen Sie Ihren Zweck.“

„Gut,“ rief hier die Baronin, „das schreckte Sie ab und Sie suchten —“ — „Keineswegs,“ fiel Arthur ein, „das schreckte mich nicht ab, denn ich war auf solche Einwendungen vorbereitet. Ich erwiederte mit Entschiedenheit, mein Entschluß sey reiflich erwogen, ich fühle mich zu dieser Thätigkeit hingezogen und habe mehr Vorkenntnisse, als er mir vielleicht zutraue; Mühen und Anstrengungen vermöchten mich nicht abzuschrecken und ich könne mich des Glaubens nicht erwehren, daß ich auf diesem Wege erreichen werde, was ich suche. Herr Goodman, der mich mit Ruhe angehört hatte, ergriff nun meine Hand mit jener männlichen Herzlichkeit, welche der Engländer denjenigen zeigt, die ihm gefallen. „Wenn das ist,“ versetzte er, dann will ich nicht mehr abmahnen, sondern helfen.“ Er hielt Wort — und Arthur Waldfels trat als Lehrling in seine Handlung ein.

Diese Eröffnung machte auf die Baronin und Anna einen gleich starken, aber sehr verschiedenen Eindruck. Die Verlobte, die sich zwar immer zu der Annahme der Mutter geneigt, aber sich nie ganz für sie entschieden hatte, war bei den ersten Worten Arthurs im Klaren. Gehörte nun auch nach ihrer Ansicht ein ungewöhnlicher Entschluß dazu, einen solchen Stand zu ergreifen, so war die Ausführung nur ein Beweis mehr für die Tiefe und Innigkeit seiner Liebe. In ihr erweckte daher diese Mittheilung nur Rührung, und aus ihren Mienen sprach eine herzliche Genugthuung. Frau von Holdingen dagegen erschien ganz außer Fassung gebracht. Mit der Röthe der Verlegenheit auf ihrem Gesicht rief sie: „Kaufmannslehrling! — ein Baron von Waldfels — — Ah,“ setzte sie nach einem Moment auf die Ahnenbilder deutend hinzu, „was würden diese da zu einem solchen Schritt ihres Abkömmlings gesagt haben!“ — „Diese da,“ entgegnete Arthur, „würden sich wohl nicht in der Lage befinden, von Ihnen gegenwärtig angerufen zu werden, wenn ich jenen Schritt nicht gethan hätte!“

Die Baronin war bei allen ihren Lieblingsanschauungen, wie dem Leser schon bekannt ist, eine verständige und keineswegs unpraktische Frau. Von dem Gewicht dieser Entgegnung getroffen und an die guten Folgen des seltsamen Unternehmens erinnert, faßte sie sich und erwiederte lächelnd: „Es mag wahr seyn. Am Ende gilt hier das Wort: der Zweck —“ — „Heiligt das Mittel?“ fiel Arthur ein. „In diesem Falle gewiß! Erlauben Sie mir übrigens, Sie auf das letzte der von Ihnen angerufenen Bilder aufmerksam zu machen: es stellt eine Dame vor, die, wie Sie sich erinnern werden, von Kaufleuten abstammt.“ — „Es ist wahr,“ rief die Baronin, auf welche das Bekannte, an das Arthur sie mahnte, wie eine Enthüllung wirkte. „Der Genius der Mutter hat in Ihnen gesiegt!“ — „Und dem Himmel sey dafür gedankt!“ versetzte Arthur; „denn der Genius meines Vaters — mit aller Hochachtung sey von ihm gesprochen — hätte mich schwerlich nach Waldfels zurückgeführt.“ — Die Baronin, welche die Wahrheit dieses Wortes zugeben mußte, schwieg. Sie nahm sich zusammen und sagte dann mit Anmuth: „Verzeihen Sie meine Verwunderung über Ihren Entschluß, dessen Ungewöhnlichkeit Sie selber nicht läugnen werden. Sie haben reussirt — das ist die Hauptsache.“

„Im Vorgefühl des Erfolgs,“ bemerkte Arthur, „wurde ich Kaufmann. Da ich gegen Herrn Goodman meine Ehre verpfändet hatte, so erfüllte ich alle meine Pflichten, auch die unerfreulichen, gewissenhaft. Mancher Auftrag schien mir nur ertheilt zu werden, um meine Geduld zu prüfen; ich bestand die Probe. Meine wissenschaftliche Bildung, meine Vorkenntnisse und eine gewisse Anlage zum praktischen Denken förderten mich rasch. Ich begriff den Zweck dessen, was ich treiben sollte, und lernte um so leichter. Ich hatte den Zusammenhang der verschiedenen Arbeiten vor Augen, und die einzelnen erschienen mir um so interessanter. Es dünkte mich, als ob jeder Tag mich weiter brächte, und schon jetzt machte ich die angenehme Erfahrung, daß das Schwierige mir geläufig wurde. — Sie sehen aus allem, daß ich ein ungewöhnlicher Lehrling war; ich hatte auch ein ungewöhnliches Schicksal. Noch war kein Vierteljahr verflossen, als mich Goodman zu sich rufen ließ, meine Ausdauer, meine Gewandtheit hervorhob und zu dem Schluß kam, daß ich verdiene, ein Kaufmann zu werden. (Hier konnte sich Frau von Holdingen nicht enthalten, ein wenig die Achseln zu zucken.) Er eröffnete mir, daß er mich in eine Stelle bringen könne, die mich unter glücklichen Umständen rasch fördern werde, — in die Stelle eines Commis bei einem Geschäftsfreund in Calcutta. Ich war auf’s angenehmste überrascht. Ostindien war das Land meiner kaufmännischen Träume und ich sah in diesem Ruf eine besonders günstige Vorbedeutung. Goodman hatte mir Aufträge in seinem Interesse zu ertheilen und rüstete mich mit den nöthigen Geldern aus. Ich beeilte mich, dieses erste Resultat nach Deutschland zu melden, und ein rascher Segler trug Cäsar und sein Glück.“

„Die Fahrt ging verhältnißmäßig schnell und ohne besondere Abenteuer vorüber — die „Stadt der Paläste“ lag vor mir. Ich erinnere mich noch wohl der zauberhaften Empfindung beim ersten Anblick und des Staunens, welches Tage lang bei mir anhielt. Eine Stadt, welche mit der Pracht Europas und der Pracht Asiens die Augen blendet — die Vereinigung der wunderbarsten Contraste — der Versammlungsort von Repräsentanten aller Nationen, aller Religionen und aller Stände — der Schauplatz der mannigfaltigsten und seltsamsten Gesichter, Figuren und Trachten im Rahmen einer tropischen Natur! — Es steht wie ein Mährchen vor den Augen, aber dieses Mährchen ist Wirklichkeit! — Doch,“ unterbrach sich der Erzähler mit einem Lächeln, „ich muß der Lust zu schildern Widerstand leisten, wenn ich meinen Bericht heute noch zu Ende bringen soll. Also zur Sache!“

„Ich wurde von dem Handelsfreunde meines Londoner Beschützers, Herrn Warren, gütig empfangen, besorgte mit seiner Hülfe die übernommenen Aufträge und trat als letzter Commis in ein großartiges Geschäft ein. Die neuen Verhältnisse machten neue Anstrengungen nöthig; aber ich ließ es daran nicht fehlen und orientirte mich bald. Das Talent — Sie erlauben mir schon, mir so etwas beizulegen — und die Liebe zur Sache erleichtern jede Arbeit. Man hat damit schon vorher eine Ahnung von dem, was man sich zu eigen machen soll; man sucht und man findet. Je weiter man vorrückt, je klarer und angenehmer wird die Thätigkeit. Für Leute, die reflektiren — und als guter Deutscher gehör’ ich zu diesen — hat die Beobachtung eines so bedeutenden Handelshauses an sich großen Reiz. Wie in einem gut regierten Staate thut jeder an seiner Stelle seine Pflicht, und das Haupt, allein oder mit Hülfe des Fähigsten, lenkt das Ganze und läßt Gedanken ausführen zum Gedeihen des Ganzen. Man benützt die Schöpfungen der Vorfahren, Erfindungen und Einrichtungen, welche dazu dienen, die Geschäfte zu vereinfachen und zu erleichtern. Wohlgeführte Bücher bewirken eine Art von Allwissenheit; sie befähigen den Kaufmann, über den Stand der mannigfaltigsten Geschäfte und Beziehungen sich jederzeit Rechenschaft zu geben. Der Geist herrscht, der Stoff ist bewältigt. Es ist ein Gefühl, ganz ähnlich dem eines Generals, der eine Armee kommandirt, oder dem eines Künstlers, der seinem Gegenstand Form und Schönheit gibt.“ Arthur hielt ein wenig inne und richtete seinen Blick auf den Rentier, dessen Gesicht bei den letzten Worten, im Andenken an die Zeiten, wo er selber als Buchhalter wirkte, sich angenehm aufgeklärt hatte. Die beiden Geschäftsleute nickten einander zu und Arthur nahm seine Erzählung wieder auf.

„Ich arbeitete mich rasch empor. Warren, den mein Eifer freute, begünstigte mich ungewöhnlich. In den ersten dritthalb Jahren fungirte ich als Korrespondent und als Reisender. Bei einer Handlung, die jährlich Millionen umsetzte, dürfen Sie hier an nichts Kleinliches denken. Ich vermittelte bedeutende Geschäfte, lernte Land und Menschen kennen, lernte die Sprache des Landes und konnte unserem Hause manchen guten Dienst leisten. Gestützt auf solide Kenntnisse regte sich mein Geist und ich hatte Ideen. Warren hörte sie, hieß sie gut, und sie bewährten sich. Wir ersahen hie und dort unsern Vortheil, kauften wohlfeil ein, verkauften theuer und machten großen Gewinn.“

Bei dieser Mittheilung war die Baronin bedenklich geworden, und unwillkürlich rief sie: „Aber Sie werden doch nicht —“ — Sie hielt inne, das Wort wollte nicht über die Zunge. — „Betrogen haben?“ ergänzte Arthur heiter. „Mit nichten, verehrte Frau! — Erlauben Sie mir, bei dieser Gelegenheit überhaupt mich der Kaufmannschaft anzunehmen. Daß im Handel betrogen wird, ja, daß der Handel zum Betrug reizt, will ich nicht läugnen. Aber der Betrug ist hier, wie auf andern Gebieten, nur ein Surrogat für mangelnde positive Eigenschaften. Um als Kaufmann etwas zu erwerben, muß man Kenntnisse, Verstand, Einfälle, Muth und Glück haben. Wer dieß nicht hat und doch zu etwas kommen will, der wird sich auf Betrug legen. In der Regel wird aber gerade der Betrüger die kleinen und mittelmäßigen, der begabte und muthige Kaufmann dagegen die großen Geschäfte machen. Nur muß man die Dinge sehen, wie sie sind. Wenn ich ein Auge habe auf die politischen und merkantilischen Ereignisse, wenn ich in die Zukunft sehe, ihre Bedürfnisse erkenne und zu rechter Zeit mich in den Stand setze, sie zu befriedigen, so bin ich ein guter Geschäftsmann und kein Betrüger. Wenn ich mir Waaren verschaffe, wo sie billig, und sie dahin fördere, wo sie theuer sind, benachtheilige ich weder Verkäufer noch Käufer, im Gegentheil, ich diene beiden und verdiene ihren Dank. Ich nehme von dem, der abgeben will, und gebe ab an den, der nehmen will; ich befriedige die Wünsche beider und nütze beiden. Der Gewinn, der dabei abfällt, gebührt mir von Rechtswegen, denn ich habe gethan, was ihn zur Folge hat, und niemand gehindert, dasselbe zu thun. — Shakespeare, wie Sie wissen, nennt seinen Kaufmann von Venedig einen königlichen Kaufmann. Kann man denken, daß Antonio sich mit Betrug abgegeben hat? Aber solcher königlichen Kaufleute gibt es jetzt mehr als jemals. Es gibt Männer, die sich an dem Handel betheiligen mit dem vollen Bewußtseyn der segensreichen Wirkungen desselben für die Welt, Männer, deren Reichthum die Frucht ihrer Einsicht und ihres Fleißes ist und die von ihm noch dazu den achtungswerthesten Gebrauch machen.“

„Ich geb’ es zu,“ erwiederte die Baronin, „und sehe nun wohl, zu welchen Kaufleuten Sie sich gesellt haben.“ — Arthur fuhr fort: „Die Folge meiner Dienstleistungen war, daß mir Warren sein ganzes Vertrauen schenkte. Er gab mir davon den sprechendsten Beweis, indem er mich zu dem Posten eines Disponenten oder Handlungsvorstehers erhob.“ — „Das also,“ fiel die Baronin lächelnd ein, „war der bedeutende Posten, zu dem Sie sich emporgeschwungen haben? Ich will Ihnen gestehen, ich dachte, Sie wären wenigstens Major geworden. Nachdem ich Ihren ersten Brief aus Calcutta gelesen, glaubte ich nämlich nicht anders, als Sie hätten den Militärstand ergriffen.“ — „Damit sagen Sie mir nichts Neues,“ versetzte Arthur. „Ich konnte das schon lange aus Annas Briefen abnehmen. Allein gestatten Sie mir eine Bemerkung. Wenn ich auch Geld und Gunst genug gehabt hätte, um die dort gewöhnliche Zahl oder Unzahl von Concurrenten aus dem Felde zu schlagen und eine Lieutenantsstelle zu erlangen, so wäre ich dadurch in derselben Zeit doch schwerlich in den Stand gesetzt worden, mit solchen Erübrigungen nach Hause zu kehren. Ich will nicht läugnen, daß man auch als Offizier in Indien sein Glück machen kann, zumal wenn man in dieser Eigenschaft mit irgend einem diplomatischen Posten betraut wird; allein immer bleibt der Unterschied, daß der Offizier, wenn nicht außergewöhnliche Einflüsse im Spiele sind, die Gaben der Fortuna erwarten muß, während der Kaufmann ihnen entgegen gehen kann. Ich fühlte einen Drang, selbstständiger zu handeln, meine Gedanken rascher zu verwerthen, und wählte den Stand des Kaufmanns.“

„Das mag seyn,“ erwiederte die Baronin; „allein ich wurde zu meiner Annahme durch den Glauben verleitet, Offizier zu werden läge dem Baron Waldfels am nächsten.“ — „Ich begreife das,“ versetzte Arthur. „In Deutschland sieht man das so an, aber in England und in Indien hat man dafür einen andern Standpunkt.“ — Anna, die mit großer Aufmerksamkeit zugehört hatte, wagte hier die Mutter daran zu erinnern, daß das indische Reich einer Gesellschaft von Kaufleuten seine Gründung verdanke und noch von einer solchen regiert werde. „Die Armee steht im Dienste der Compagnie, sie wird von einem Manne befehligt, den diese gewählt hat, und es ist wohl natürlich, daß die Machthaber sich nicht unter ihren Dienern fühlen, wie ehrenvoll die Stellung derselben auch seyn mag.“

Frau von Holdingen erröthete ein wenig. Es war ihr begegnet, was so oft geschieht: sie kannte die Thatsachen, aber sie hatte nie diese Folgerung daraus gezogen. Arthur bemerkte: „Allerdings regiert in Indien eine Handelsgesellschaft, wenn auch nicht absolut, und diese Gesellschaft hat nicht nur Diener aus den ersten Familien Englands, sie hat auch Fürsten und Könige des Landes unter sich und schreibt ihnen die Wege vor, die sie wandeln sollen. Daß bei solchen Verhältnissen der Kaufmann, zumal wenn er Aktien der Compagnie besitzt, ein nicht geringes Selbstgefühl hat, ist schwerlich zu verwundern. Doch,“ setzte er hinzu, „das hat er auch in Deutschland, und man gönnt es ihm, wenn er reich ist.“ — „Nun wohl,“ rief die Baronin nicht ohne eine gewisse gute Laune, „ich bin überwunden und Ihre Erzählung wird von jetzt an vor meinen Einreden sicher seyn.“ — „Ich bitte Sie um das Gegentheil,“ versetzte Arthur. „Wenn mein Bericht Anlaß zu einer interessanten Erörterung gibt, so ist es um so besser. Lassen Sie mich übrigens bei dieser Gelegenheit noch gestehen, daß der Stolz der Geburt — und zwar nicht nur der, den man zeigen zu können glaubt, sondern auch der, den man innerlich hegt und aus Klugheit hinter Höflichkeit verbirgt — daß dieser Stolz, sage ich, für den, der nachzudenken pflegt, eben in Indien einer starken Probe ausgesetzt ist. Wenn man den Kastengeist in seiner vollendetsten Ausbildung und mit all seinen Folgen erblickt, wenn man jenen Stolz an Persönlichkeiten wahrnimmt, bei denen er uns absurd und lächerlich erscheint, wenn man überhaupt die verschiedensten Menschen mit den verschiedensten Prätensionen hervortreten sieht, die man schwach finden muß, so kann man sich wohl fragen, ob man nicht Ursache hat, das eigene Selbstgefühl eben so zu beurtheilen.“

Die Baronin mußte ihre Zusage schon jetzt brechen, indem sie sich nicht enthalten konnte, zu rufen: „Wie, wollen Sie Geburt und Stand für nichts erklären?“ — „Keineswegs,“ erwiederte Arthur mit Ernst. „In einer Welt, wo sich jeder seiner Vorzüge freut und sich etwas darauf zu gute thut, freue ich mich auch dessen, was mir zu Theil geworden ist, und namentlich des Glücks, unter meinen Vorfahren Männer zu wissen, die sich in Krieg und Frieden ausgezeichnet und das Ansehen verdient haben, dessen sie genossen. Ich sehe mit Liebe und Stolz auf die Bilder, die ihre Züge bewahren, und danke Gott, daß der Boden, auf dem sie gewandelt sind, wieder mein Eigenthum geworden ist. Baron Waldfels,“ setzte er heiter hinzu, „klingt schön, und ich freue mich, so genannt zu werden.“ — „Gut!“ rief die Baronin ebenfalls heiter; „aber? — denn ein Aber wird doch nicht fehlen.“ — „Aber,“ fuhr Arthur fort, „indem ich mich dieser Empfindung hingebe, sind meine Augen offen für die Vorzüge Anderer, ich bewundere diejenigen, mit welchen Gott die Geister und Herzen der Menschen ausgestattet hat, und ich empfinde Hochachtung, wo ich unter andern Umständen vielleicht nur eine gönnerhafte Billigung hätte blicken lassen, die uns nicht mehr zu Gesichte steht. Ich will es Ihnen gestehen, ich hatte dazu einen gewissen Hang und es war gut, daß ich durch das Schicksal davon geheilt wurde.“ — „Ich habe zwar,“ versetzte die Baronin, „von einem solchen Hang nichts bemerkt; indessen wollen wir Ihr Wort gelten lassen und dafür um die Fortsetzung Ihrer Geschichte bitten.“

Arthur begann wieder: „Es war ein Beweis großen Vertrauens, daß mich Warren so jung auf diesen Posten erhob; allein ich kann sagen, daß ich es rechtfertigte. Die Geschäfte gingen lebhafter als je und ich nützte dem Hause auf mannigfaltige Weise. Da ich einen Gehalt hatte, um den mich ein Major hätte beneiden können, der Chef des Hauses mir überdieß einen Antheil an dem Gewinn bewilligte, so gediehen dabei auch meine eigenen Angelegenheiten und ich sammelte mir, was bei uns ein Vermögen seyn würde, dort aber freilich nicht viel heißen will. Dennoch konnte ich damit etwas thun, was mich außerordentlich freute und immer meine schönste Erinnerung von jenem Lande bleiben wird.“

Als Arthur hier eine kleine Pause machte, sahen ihn die Zuhörer erwartungsvoll an, und er fuhr fort: „Nicht lange nach meiner Ankunft in Calcutta hatte ich die Bekanntschaft eines Kaufmanns gemacht, der um etliche Jahre älter war als ich, eine anmuthige Frau und reizende Kinder hatte. Ich kam oft in sein Haus, denn es gehört zu meinen größten Genüssen, Glückliche zu sehen, und namentlich eine glückliche Familie. Im Lauf der Zeit wurde aus der Bekanntschaft wahre, herzliche Freundschaft. Mackenzie war ein Engländer von der besten Art, jeder Zoll ein Gentleman, und besonders unter den Seinen von dem angenehmsten Humor und der größten Liebenswürdigkeit. Eines Abends, als ich ihn aufsuchte, traf ich ihn in seinem Zimmer allein und sehr niedergeschlagen. Er wollte eine Zeitlang nicht mit der Sprache heraus; endlich gestand er mir, daß er in jüngster Zeit einen großen Verlust erlitten habe und daß gegenwärtig beinahe sein ganzes Vermögen einem Schiff anvertraut sey, das er mit einer Ladung Baumwolle nach Europa geschickt habe und mit Manufakturwaaren zurück erwarte. Ich tröstete ihn, so gut ich konnte, und es gelang mir, ihn wieder aufzuheitern. Bald darauf kam ein Gerücht zu meinen Ohren, das Schiff Mackenzie’s sey verunglückt. Ich ging sogleich zu ihm und fand ihn in stummer Verzweiflung. Auch er wußte nichts Bestimmtes, aber er sah voraus, daß in Folge dieses Gerüchts Forderungen bei ihm eingehen würden, denen gegenüber er sich für insolvent erklären müsse. Mein Entschluß war gleich gefaßt; ich eilte nach Hause und bald konnte ich dem Bedrängten nicht nur mein Vermögen, sondern auch eine namhafte Summe von Warren zur Verfügung stellen. Die ängstlichen Gläubiger wurden befriedigt und mein Freund war gerettet.“

„Ah,“ rief die Baronin, „da sieht man den Edelmann unter den Kaufleuten!“ — Arthur erwiederte: „Es wäre schlimm für die gedrängten Kaufleute, wenn nur die Barone unter ihnen einer solchen Handlung fähig wären! — Uebrigens hatte diese Aushülfe die Folgen der feinsten Spekulation: sie war es, die mein Glück entschied. Das Schiff Mackenzies war allerdings einem heftigen Sturm ausgesetzt gewesen, aber es hatte ihn bestanden und lief eine Woche später glücklich ein. Freude und Wohlstand kehrten mit ihm wieder. Mein Freund, dessen erhobener Geist sich jetzt mit kühnen Entwürfen trug, bat mich dringend, mich mit ihm zu verbinden, und da ein vor kurzem angekommener Verwandter Warrens nach meiner Stelle trachtete, so gab ich nach. Wir strengten unser Talent an, wir wagten und wir gewannen. — Ach, liebe Mutter,“ fuhr der Erzähler fort, „welchen Reiz hat das Leben eines Kaufmanns! In welcher Spannung wird er erhalten und in welches Entzücken kann er versetzt werden! Nichts gleicht der Freude, die er empfindet, wenn ein wohlberechnetes, aber immer noch gewagtes Unternehmen gelingt und der Segen desselben in goldener Wirklichkeit in sein Haus einzieht.“

Annas Gesicht erheiterte sich bei diesen Worten und sie sagte: „Es scheint doch, daß du nach und nach gelernt hast, dein Metier um seiner selbst willen zu lieben.“ — „In gewissem Sinn allerdings,“ erwiederte Arthur, „ich will es nicht läugnen; aber doch nicht eigentlich. Der Beweis liegt vor. Als ich das Vermögen, das ich in die Handlung meines Freundes gebracht hatte, um das Vierfache gemehrt sah und hinreichend fand, um denen, die mich so großmüthig hatten ziehen lassen, ein angenehmes und würdiges Loos zu schaffen, da sagte ich zu mir selber: Genug! und kündigte dem Freund meinen Entschluß an, nach Deutschland zurückzukehren.“ — Ein Blick von Liebe und Dankbarkeit war die Antwort der Verlobten, ein beifälliges Kopfnicken verrieth die Empfindung der Baronin.

„Mackenzie bot alle Kraft der Ueberredung auf, mich zurückzuhalten. Er rief: Das Glück ist für uns, noch einige Jahre und wir sind Millionäre! Obwohl diese Aussicht reizend und die Liebe, die mein Freund für mich an den Tag legte, rührend war, so blieb ich dennoch fest, wobei ich übrigens gern gestehe, daß das Gewicht des Hauptgrundes, der mich nach Hause trieb, durch das einiger andern noch verstärkt wurde.“ — „Und die sind?“ fragte die Baronin. — „Zunächst das Klima, das zu einem Leben nöthigt, in welchem die Sinne eine größere Rolle spielen, als einem Deutschen von meinem Schlage lieb seyn kann. Wir haben dort Monate der schönsten und angenehmsten Witterung; aber auf sie folgt eine heiße Zeit, gegen deren Gipfelpunkte die heißen Tage in Deutschland Kinderspiel sind, und die Glut wird endlich durch eine Regenzeit gekühlt, deren stärkste Ergießungen die Welt scheinen ertränken zu wollen. Die Feinde der Menschheit unter den Insekten und Amphibien bedrohen und verfolgen uns fast unausgesetzt, und man kann Dinge erleben, die an eine Landplage Egyptens erinnern. Allerdings wissen sich die Reichen gegen die Unbilden der Natur zu schützen, und es ist interessant, die verschiedenen Mittel kennen zu lernen, durch welche man jene lästigen Erscheinungen zu beseitigen oder zu mildern sucht. Die Häuser erhalten durch solche Einrichtungen einen neuen Zuwachs von Prunk und einen sehr eigenthümlichen Charakter. Allein diese Rücksichtnahme auf materielle Anfechtungen und die Erholungen, die man sich dabei gönnen zu müssen glaubt, machen selber materiell, und es gehört ein fester Wille dazu, wie er nicht jedermanns Sache ist, um den Kopf oben zu halten und den verschiedenen Reizungen zu widerstehen. — Was mich betrifft, so war ich von einem Gedanken erfüllt und durch eine, ich darf wohl sagen fieberhafte Thätigkeit in Anspruch genommen. Ich ging also durch die Ausflüsse des Klimas hindurch zu dem Ziel hin, das ich als Leitstern vor Augen hatte. Mein Wille und mein Streben hoben meine Körperkraft und ließen mich die Anfälle der tropischen Natur überwinden. Aber zuletzt war ich doch froh bei dem Gedanken, den Anstrengungen und Aufregungen des dortigen Lebens zu entgehen und zu einer geistigeren Existenz in das Vaterland zurückkehren zu können.“ — „Das leuchtet ein,“ bemerkte die Baronin.

„Ein anderer Grund lag in den politischen Verhältnissen des Landes. Ich bin zwar ein zu guter Germane und glaube zu sehr an einen vernünftigen Gang der Geschichte, als daß ich die Herrschaft der Engländer in Indien für ein Uebel und nicht vielmehr für einen Erfolg im Interesse des Menschengeschlechts halten sollte. Ich kenne auch wohl die Anstalten, die man in’s Leben gerufen hat, um jene Herrschaft im Sinne des Geistes und der Kultur zu rechtfertigen. Aber bis jetzt sind mit ihr immer noch gewaltige Mißbräuche verbunden, Mißbräuche auf Kosten der Eingeborenen, von denen auch nicht abzusehen ist, wann sie ein Ende finden können und werden. Ich will ein andermal Beispiele geben und Sie werden mir dann zugestehen, daß das englische Indien kein Land ist, wo ein Mann von meiner Lebensanschauung wünschen konnte, Hütten zu bauen.“

„Ich begreife das,“ nahm jetzt der Pfarrer das Wort, „freue mich aber, daß Sie über das englische Regiment nicht den Stab zu brechen haben. Denn wir müssen an dem Glauben festhalten, daß die Herrschaft eines christlichen Volks und die geistigen Güter, die sie mitbringen, dem beherrschten Lande zuletzt immer zum Segen gereichen werden.“

„Hoffen wir das und glauben wir, daß die Keime, die jetzt vorhanden sind, nach und nach sich entfalten werden. Aber mein Herz trachtete endlich aus diesen Verhältnissen heraus, nach dem Aufenthalt im Vaterlande, wo das Christenthum das Leben zwar auch noch lange nicht ganz nach seinen Grundsätzen gemodelt hat, aber in der Umbildung doch schon weiter gekommen ist. — Meine Sehnsucht nach der Heimath,“ fuhr der Erzähler zu Anna gewendet fort, „wurde hauptsächlich durch die Briefe angefacht und gemehrt, die ich aus Schönbach erhielt und die mir in der Glut meiner Thätigkeit die köstlichste Erquickung waren. Wie reizend die Schilderung des äußern Lebens, wie schön und ergreifend die Mittheilungen aus dem innern! — Da es mir nicht einfallen konnte, dich und die Mutter nach Indien zu rufen, so blieb mir nichts übrig, als nach erreichtem Zwecke zu euch nach Deutschland zu eilen. — Ich stellte meinem Freund alle diese Verhältnisse vor und überzeugte ihn; und mit demselben Eifer, mit welchem er sich zuerst meiner Abreise widersetzt hatte, förderte er sie nun. Das Vermögen, das ich mir im Schweiß meines Angesichts erworben hatte, wurde mir in London und Hamburg zur Verfügung gestellt; ich nahm Abschied und bestieg das Schiff, das mich nach Europa führen sollte. — Darf ich dir gestehen, daß ich in den letzten Tagen, wo meine Seele bei dem Gedanken jauchzte, dich und meine Freunde in Deutschland wiederzusehen, doch Augenblicke hatte, wo ich Bedauern empfand, von dem Feld meiner Thaten auf immer scheiden zu müssen? — Mein Leben ist im Vaterland, und ihm will ich dienen, nachdem ich mir die Mittel verschafft habe, es in meinem Sinne zu thun. Aber nie werde ich jenes Land vergessen mit den Wundern seiner Natur und seiner alten Kunst! Nie die gewaltigen Eindrücke auf meinen Reisen und die Abenteuer, die ich erlebte! Nie die kolossale Thätigkeit der Hauptstadt und die großartigen Erscheinungen ihres Weltverkehrs!“

Als Arthur nach diesen mit Wärme gesprochenen Worten innehielt, benützte Frau von Holdingen die Gelegenheit, zu fragen, wie es sich denn mit den Gefahren verhalte, die er in jenem Lande bestanden habe. Sie wolle bekennen, durch diese Nachricht hauptsächlich in ihrer Meinung bestärkt worden zu seyn, daß er in der Armee diene. Arthur erwiederte: „In einem Lande, wo es Löwen, Tiger und Schlangen erster Größe gibt, in welchem, wie Sie aus den Zeitungen erfahren haben werden, ein Geheimbund von Schwärmern existirt, die ihrer Gottheit durch Mordthaten zu huldigen suchen, und wo der Reisende fast ausschließlich auf Selbsthülfe angewiesen ist, da braucht man keineswegs Militär zu seyn, um in Lebensgefahr zu gerathen. Ich werde Ihnen die Abenteuer gelegentlich mittheilen, die mir aufstießen, und kann Ihnen jetzt schon sagen, daß ich mich dabei auf eine Weise aus der Affaire gezogen habe, die eines Cavaliers nicht ganz unwürdig war.“

„Nun, Gott sey Dank,“ fiel Anna ein, „du bist jetzt zu Schiff und hast dieses Land hinter dir!“ — „Ja,“ versetzte Arthur, „ich bin zu Schiff, ich segle nach Europa mit dem Landsmanne, den ihr hier seht und der mir in den letzten Jahren der treueste Gehülfe war. Die Reise ging auch dießmal ohne jedes außergewöhnliche Erlebniß von Statten. Wir fuhren zuerst nach London. Da ich Goodman wieder einen kaufmännischen Gefallen hatte erweisen können, so empfing er mich mit doppelter Freude und war stolz auf seinen Zögling. — Von London aus, wo ich mehrere Tage verweilen mußte, schrieb ich an unsern würdigen Freund Hellmuth. — Was man wünscht, das glaubt man gern. Ich konnte nicht umhin zu hoffen, daß Waldfels wieder zu erlangen seyn würde; und da man in solchen Fällen eine gewisse ahnungsvolle Aengstlichkeit hat, so bat ich unsern Freund, mein Anerbieten sogleich Herrn von Pranger mitzutheilen. Mein Brief kam zu rechter Zeit, denn schon waren die Gläubiger im Begriff, es an einen Liebhaber abzugeben.“

„So ist es,“ bemerkte der Rentier auf einen fragenden Blick der Baronin. „Da mir aber der Herr Baron den unkaufmännischen Auftrag gegeben hatte, genau denselben Preis, den er dafür erhalten, wieder zu bieten, so war es mir leicht, den Concurrenten aus dem Felde zu schlagen. Die runde Summe trug übrigens dazu bei, Herrn von Pranger den Vergleich mit seinen Gläubigern zu erleichtern und ihm die Fortführung seines Geschäfts möglich zu machen.“

„Das hör’ ich gerne,“ rief Anna. „Möge ihm der Verkauf des Gutes so wohl gedeihen, wie dir,“ sagte sie zu Arthur. — Dieser nickte und fuhr fort: „Die Nachricht von dem Abschluß des Kaufs traf mich in Hamburg. Ich sandte Herrn Schmidt nach Schönbach und eilte nach Waldfels, um es würdig zu machen für den Einzug meiner theuersten Gäste. — Daß ich diese gesund und froh wiedergesehen habe, das ist die Krone meines Glücks — und Gott möge es mir erhalten!“

Nach diesen herzlich und feierlich gesprochenen Worten trat eine Stille in der Versammlung ein, indem alle den Empfindungen sich hingaben, welche die Erzählung in ihnen angeregt hatte. Dann ergriff Arthur auf’s neue das Wort und sagte: „Wenn ich zurückdenke an die Zeit des letzten Abschiednehmens, so kommt mir alles, was unterdessen geschehen ist, wie ein Traum vor. Ich frage mich, wie das, was jetzt als eine Thatsache vor mir liegt, möglich gewesen, und erschüttert danke ich dem Himmel, der solche Wunder an mir gethan hat. Der Instinkt, der mich beherrschte, hat mich richtig geleitet; das Bild meiner Phantasie ist eine Wahrheit geworden. Ich habe alles, was mir zur Freude des Lebens nothwendig ist, ich bin in den Stand gesetzt, meinem Vaterlande und meinen Freunden nach meiner Neigung zu dienen. Und dieses Glück habe ich mir erkämpft, es ruht auf Arbeiten, deren Erinnerung mich erfreut und erhebt, und die mir Bürge seyn dürfen, daß ich mir’s auch erhalten werde. O meine Freunde! ihr werdet mir glauben, wenn ich euch sage, daß ich mich jetzt ohne Vergleich glücklicher fühle, als wenn mir der Wohlstand, dessen ich mich erfreue, geschenkt worden wäre. Gesegnet sey das Mißgeschick, gesegnet sey die Nothwendigkeit, die mich zwang, durch eigene Kraft mir Güter zu erwerben, die ich nun im tiefsten Sinne des Wortes mein nennen kann!“

Einer unwillkürlichen Regung folgend, richtete er dann seine Blicke auf das Porträt des Vaters, auf welches eben der Schein der Lampe fiel. Der Baron, der in seiner besten Zeit und in der schönsten Stimmung gemalt worden war, sah mit frohem Selbstgefühl auf die Gesellschaft, und dem phantasiebegabten Betrachter konnte es scheinen, als ob ihn die Erzählung des Sohnes mit freudiger Theilnahme erfüllt hätte. Arthurs Augen glänzten; nie waren die liebenswürdigen Eigenschaften des Vaters so klar und rein vor seiner Seele gestanden, als in diesem Augenblick. Die Gesellschaft errieth und begriff seine Gefühle. Mit heiterer Miene wandte er sich zu der Baronin und sagte mit der Laune eines liebevollen Gemüthes: „Werden Sie mich jetzt absolviren, beste Mutter? Werden Sie mir verzeihen, daß ich ein so ungewöhnliches Mittel ergriffen habe, mein Wort zu halten?“ — „O,“ rief die Baronin mit freundschaftlichem Vorwurf, „wollen Sie mich beschämen? Sie sind gerechtfertigt durch den Erfolg, der Ihr Unternehmen krönte, und wir müssen Sie preisen, das Mittel gewählt zu haben, das zum Ziel führte.“

Der erreichte Zweck hatte in der That seine Wirkung auf die Seele der Baronin schon vollständig geübt, das Mittel glänzte verschönt in den Strahlen seines Lichtes. In dem Vergnügen, das sie nun empfand, begegnete es ihr, den Schwiegersohn zu fragen: warum er denn aus seinem Projekt ein Geheimniß gemacht und sie nicht gleich in dasselbe eingeweiht habe? Hier konnten Arthur und Anna nicht umhin, sich lächelnd anzusehen, und jener versetzte: „Ich habe nicht zu hoffen gewagt, daß meine Wahl schon vor dem Erfolg Gnade vor Ihren Augen finden würde, und hielt es für sicherer, zu schweigen.“ — Die Baronin hatte den Humor zu erwiedern: „Sie mögen Recht gehabt haben.“ —

Es war unvermerkt spät geworden. Der Mond stand hoch am Himmel, der Zeiger der Uhr wies auf eilf. Arthur trat zu einem Wandschrank, nahm ein Papier heraus und sagte wiederkehrend zu Frau von Holdingen: „Für heute hab’ ich noch eine Bitte an Sie. Ich bin zwar aus Indien nicht als Millionär, aber doch mit einem Vermögen zurückgekehrt, das durch den Wiederkauf von Waldfels noch nicht erschöpft ist. Erlauben Sie mir nun, daß ich auch Ihnen ein Geschenk mache, wodurch Sie wieder das werden, was Sie zur Zeit meiner Abreise gewesen sind: die Eigenthümerin der kleinen, zierlichen Villa, in der wir so schöne Stunden verlebt haben. Es ist jetzt für uns eine Zeit der Restauration; und wenn Sie auch später mit uns das Schloß bewohnen werden, so müssen Sie uns doch, wie früher, in den geweihten Räumen zuweilen bewirthen können.“ Er übergab ihr das Dokument und die Baronin erwiederte: „Ich nehme das Geschenk an und danke Ihnen von Herzen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich irre mich wohl nicht, wenn ich annehme, daß dort heute schon alles zu unserer Aufnahme bereit ist?“ — „Allerdings,“ versetzte Arthur. Die Baronin drückte ihm die Hand.

VII.

Wie man sich denken kann, hatte schon die Ankunft Arthurs und sein Einzug in Waldfels die Bewohner der Umgegend in große Aufregung versetzt. Als man aber bald nachher von den Vorbereitungen zu seiner Vermählung Kunde bekam, steigerte sich die Theilnahme auf’s Höchste. Dasselbe herzliche Mitgefühl äußerte sich in allen Schichten der Bevölkerung, und da es sich gleich von Anfang sehr entschieden aussprach, so wurde auch von Seiten der früher geschworenen Anhänger des Hauses Pranger kein Mißton laut, vielmehr machten sie Anstalten sich zu bekehren.

Am meisten Vergnügen herrschte vielleicht im Dorfe Waldfels selber. Die ererbte Anhänglichkeit der Bauern hätte sich bei diesem Anlaß auch bewährt, wenn der Sprößling der alten Familie, der in sein Erbe zurückkehrte, ohne persönliche Vorzüge gewesen wäre. Wie freuten sie sich nun erst der Wiederkehr eines so liebenswürdigen und gefeierten Herrn! Wie freuten sie sich seines Reichthums, seines Ansehens, seiner schönen Braut! Denn das hat der Träger eines alten Namens, wenn er ihm Ehre macht durch Eigenschaften des Geistes und Herzens, vor allen andern einmal voraus: man findet seine Erfolge durchaus in der Ordnung und hat selber ein Gefühl der Befriedigung, wenn er Glücksgüter erwirbt, die seinem Rang entsprechen.

Eine eigene Tonleiter von Empfindungen sollte bei dieser Gelegenheit der Oberst von Waldfels durchlaufen. Arthur hatte ihm seine Schicksale in einem Schreiben mitgetheilt, das aus dem Städtchen datirt und bestimmt war, ihn zu necken, indem das angenehme Resultat erst in den letzten Zeilen erwähnt wurde. Bei dem Worte „Kaufmannslehrling“ und „Handlungsdiener“ gerieth der alte Krieger in eine schwer zu beschreibende Entrüstung. Seine Augen funkelten, seine Hände zitterten und er machte eine Bewegung, als wollte er den Brief wegwerfen. Allein die Neugierde bewog ihn fortzufahren und sein Blut begann ruhiger zu fließen, als er von Rupien und Pfunden las. Im Ueberfliegen der letzten Seite erhellten sich seine Züge mehr und mehr, und als er an die Nachricht von der Wiedererwerbung des Gutes kam, stieß er einen Freudenschrei aus. Er las noch einmal, athmete tief auf und schüttelte dann lächelnd den Kopf, indem er sagte: „Wer hätte dem Jungen das zugetraut? — Zwar Verstand hat er immer gehabt und Obstination wie ein Satan! — Kaufmann! Verwünschter Einfall! — Aber die Hauptsache ist, daß er den Rupienbaum geschüttelt hat, wie die Engländer zu sagen pflegen. So oder so! Er ist der Baron von Waldfels und — beim Teufel! er ist zu rechter Zeit gekommen!“

Um den letzten Ausdruck zu verstehen, muß man wissen, daß der Oberst sich in der Zwischenzeit wieder seiner alten Passion, dem Spiel, ergeben hatte und in seinen Finanzen sehr zurückgekommen war. Der Gedanke, daß Arthur bei seinem bekannten Charakter ihm und namentlich auch seinem herangewachsenen Sohn unter die Arme greifen werde, hatte etwas sehr Tröstliches für ihn. Er konnte sich nicht enthalten, eine gewisse Hochachtung vor dem reichen Mann zu empfinden, und war stolz, sein Oheim zu seyn.

In dem Briefe nach Waldfels eingeladen, beeilte er sich, dem freundlichen Ruf zu folgen. Auf dem Wege traf er durch einen eigenen Zufall mit Seiner Excellenz dem Grafen zusammen. Dieser hatte seine Stellung in Folge der politischen Ereignisse verloren, neuerdings aber wieder gewonnen und war nun um so ängstlicher darauf bedacht, sie zu behaupten. Als ihm der Oberst seine Neuigkeit mittheilte, flüsterte ihm sein Gewissen zu, daß er in dem reich gewordenen Verwandten einen Gegner finden könnte; er wußte sich aber zu beherrschen und drückte mit Würde seinen freudigen Antheil aus, indem er hinzufügte, er sey überzeugt, daß der Baron von Waldfels durch seine ausgezeichneten Gaben die conservative Partei verstärken und eine Zierde derselben seyn werde. Der Oberst hatte die Bosheit, Seiner Excellenz die Möglichkeit entgegenzuhalten, daß Arthur im Auslande liberale Grundsätze eingesogen haben könnte und daß ihn eben seine unabhängige Stellung verleiten könnte, sie geltend zu machen. Der Graf erwiederte, er werde das von einem Baron von Waldfels nun und nimmermehr glauben.

Das Wiedersehen zwischen Oheim und Neffen war sehr herzlich. Der Oberst, dem graue Haare jetzt ein ehrwürdiges Aussehen gaben, schloß den Glücklichen in seine Arme und belegte ihn mit den schönsten Namen. Arthur richtete auch an ihn die launige Frage: „Sind Sie mit mir zufrieden? Grollen Sie mir nicht wegen —“ — „Lieber Neffe,“ fiel der Oberst ein, „wer so viel Glück hat, wie du, der hätte Unrecht, nicht das Sonderbarste und Tollste zu unternehmen. — Scherz bei Seite: du hast deine Sache gut gemacht und ich gebe dir meinen Beifall.“

Der alte Krieger lebte im Schlosse wieder ganz auf. Daß Waldfels der Familie gesichert war, erfüllte ihn mit stets erneuter Genugthuung. Arthur hatte sich auf eine gelegentliche Anspielung bereit erklärt, für seinen jungen „Vetter“ zu sorgen, was ihm eine große Last von seinen Schultern nahm. In der Freude seines Herzens zeigte er gegen die Damen von Holdingen alle Galanterie, deren er fähig war. Man hätte ihn für ganz verwandelt halten können, wenn er die alte Kraft des Zorns nicht zuweilen gegen irgend einen Diener bei einem wirklichen oder vermeintlichen Fehler desselben gezeigt hätte.

Bald nach dem Oberst trat ein anderer alter Bekannter im Schlosse auf: Herr Samuel Rosenheimer. Die Verhältnisse des Unterhändlers hatten sich ziemlich gebessert, er fuhr mit einem Einspänner im Land herum, wo er verschiedenartige Geschäfte mit Glück betrieb. Eben mit seinem jüngsten Sohn im Städtchen anwesend konnte er dem Verlangen nicht widerstehen, dem Herrn Baron seinen Besuch zu machen. Die Begrüßung war sehr warm. „Herr Baron,“ begann Rosenheimer nach den ersten Complimenten, „ich kann Ihnen versichern, keine größere Freude hab’ ich in meinem Leben gehabt, als wie ich gehört hab’, daß Sie wieder in unserem Lande angekommen sind! — und wie? — Edmund,“ rief er seinem Sohn zu, „küß dem Herrn die Hand! ’s ist ein großer Baron — aber ein noch größerer Kaufmann. Sieh dir ihn genau an, damit du weißt, wie so ein Herr aussieht!“ — Der Junge gaffte den Belobten mit einer Mischung von Dreistigkeit und Schüchternheit an, wobei indeß die Dreistigkeit überwog. Arthur gab ihm die Hand und der Kleine drückte einen Schmatz darauf.

„Aber sagen Sie mir, Herr Baron,“ fuhr Rosenheimer mit galantem Lächeln fort, „wie haben Sie’s angefangen? Wie ist’s möglich, daß man in so kurzer Zeit ein solches Vermögen sammeln kann? — Ja, ja,“ setzte er hinzu, „wir dürfen uns gratuliren, daß nicht mehr Herrn Barone auf den Einfall kommen, Kaufleute zu werden. Gott soll hüten! was würde aus uns werden?“ — Arthur konnte nicht umhin, über diese Art von Schmeichelei zu lachen, und meinte dann, über das Glück eines Kaufmanns sollte sich am wenigsten derjenige wundern, der nach allem, was man sehe, selbst bedeutend vorwärts gekommen sey. — Rosenheimer protestirte gewaltig gegen diese Annahme. „Rückwärts, Herr Baron, rückwärts! — Und wie soll’s anders seyn? Die Geschäfte gehen für unser einen alle Tage schlechter. Kein Mensch will mehr bezahlen, und wenn man jemand hilft, wär’s Noth, man gäb’ ihm noch Geld dafür, daß er sich helfen läßt.“ — Er hielt ein wenig inne, dann fuhr er mit einem gewissen Ernst fort: „Herr Baron, weil wir gerade unter uns sind, erlauben Sie mir ein Wort. Ich habe das Glück gehabt, Ihnen einen Dienst zu leisten. Ich hab’s gern gethan und ich bin dafür bezahlt worden, es fällt mir nicht ein, Ansprüche zu machen. Aber wahr bleibt wahr: ich hab’ doch ein klein wenig dazu beigetragen, daß Sie jetzt wieder der Besitzer Ihres väterlichen Gutes sind, und ich bin überzeugt, wenn Sie werden wieder Geschäfte machen, werden Sie sich erinnern, daß es einen gewissen Samuel Rosenheimer in der Welt gibt.“

Arthur erwiederte, das Geschäftemachen habe aufgehört und er gedenke jetzt auf seinen Lorbeeren zu ruhen. — Rosenheimer lächelte. „Sagen Sie das einem andern, Herr Baron! Wer einmal so gute Geschäfte gemacht hat, wie Sie, der kann’s nicht mehr lassen! — Und wenn Sie so gewiß, als Sie wieder Geschäfte machen, Ihren gehorsamen Diener mit Aufträgen beehren werden, so will ich mich glücklich schätzen.“ — „Unter dieser Bedingung,“ versetzte Arthur, „haben Sie mein Versprechen.“ — „Ich dank’ Ihnen,“ erwiederte der Jude. — „Ach,“ fuhr er nach einer Pause fort, „Sie glauben nicht, wie gern ich mit solchen Herrn zu thun habe, wie Sie! Haben sie wieder ein Geschrei gemacht gegen die Herrn von Adel! Ich möcht’ wissen! Der gemeine Pöbel, der ist stolz und hoffärtig und anmaßend; ich will die Grobheiten nicht zählen, die ich von solchen Leuten schon hab’ verschlucken müssen. Aber die rechten vornehmen Herrn sind freundlich und höflich. Wer Grund hätte, stolz zu seyn, der ist’s nicht, und wer keinen Grund hat, der ist’s. Wie kommt das, Herr Baron?“ — „Das ist schwer zu sagen,“ versetzte Arthur erheitert. „Vielleicht aber daher, weil es eine Art von Schwachheit ist, stolz zu seyn und namentlich seinen Stolz merken zu lassen, und weil Leute von Bildung es nicht lieben, für schwach zu gelten.“ — „Sie haben Recht,“ erwiederte der Jude. „Bildung! — Siehst du, Edmund? Hab’ ich dir’s nicht immer gesagt? — Herr Baron, ich danke Ihnen nochmal und freue mich außerordentlich auf Ihren ersten Auftrag.“ — Er fuhr sehr befriedigt nach Hause. —

Daß dem Glücklichen gehuldigt wird, ist eine bekannte Sache. Wir erwähnen darum nur im Vorbeigehen, daß Waldfels zu dieser Zeit eine nicht geringe Anzahl Gäste sah, welche die Erfolge Arthurs durch ihre Bewunderung zu illustriren suchten. Doch mögen in wenigen Fällen so viele Gratulationen von Herzen gegangen seyn, wie in diesem.

Der Augenblick, der Arthur und Anna für immer verbinden sollte, nahte heran. Hätten wir erwähnen sollen, daß die Verlobte schon auf der Reise nach Waldfels ihre ganze frühere Kraft und Frische wieder erlangt hatte? Dergleichen sagt man sich von selbst. — Am Tage der Trauung glänzte sie in einer Schönheit, die selbst ihrer Mutter auffiel. Die Aufregung des Moments gab ihrem Antlitz einen bezaubernden Ausdruck; eine wonnige Feierlichkeit sprach aus ihrem ganzen Wesen. Es war die vollendete Schönheit, erfüllt von dem edelsten und lieblichsten Leben der Seele. — Wir bewohnen eine Welt der Unvollkommenheit; aber in dieser Welt gibt es doch Geschöpfe, die von ihrer Regel ausgenommen zu seyn scheinen; und diese Geschöpfe haben Momente, wo man sagen möchte: Engel des Himmels müssen neben ihnen verlieren!

Die Trauung fand in der Schloßkapelle, unter Anwesenheit nur der nächsten Freunde statt. Der Geistliche sprach über einen Text, der ihm Gelegenheit gab, das Heil der Prüfungen zu schildern, die über den Menschen verhängt werden. Es waren Gedanken, die zum Theil schon von dem Brautpaar ausgesprochen waren, die aber vor dem Altar, an die höchsten Gründe angeknüpft und an den größten Beispielen bewiesen, feierlich erhebend und ergreifend wirkten. Kein Auge blieb ohne Thränen der Rührung.

Bei dem darauf folgenden Mahle fand die Baronin Gelegenheit, zu dem Rentier zu sagen: „Ich finde, daß mit dem Bräutigam während seiner Abwesenheit doch eine Veränderung vorgegangen ist. Er ist freilich unterdessen ein Mann geworden — aber das ist es nicht allein. Er hat in seinem Benehmen etwas Eigenthümliches, was mir sehr gefällt; und ich glaube, man kann sagen, er hat etwas —“ — „Von einem Engländer,“ ergänzte der Freund. — „Allerdings,“ erwiederte die Baronin, „und zwar erinnert er mich an die edelsten, die ich gesehen. Doch — das ist begreiflich!“ — Sie sah mit einem Blick inniger Liebe auf das Brautpaar und setzte hinzu: „Er sieht so unendlich zuverlässig aus! Mein Kind wird glücklich seyn!“ —

Nach einigen Tagen befand sich die junge Frau allein in ihrem Zimmer, mit einer weiblichen Arbeit beschäftigt. Aus einer gewissen Erregung und einem gelegentlichen Horchen nach der Thüre hin konnte man schließen, daß sie jemand erwartete; und so war es. Nach einer Weile kam Arthur und lud sie zu einem Spaziergang ein. Lächelnd erhob sie sich, denn das Ziel desselben war ihr nicht unbekannt. Sie gingen durch den Park, jener Thüre zu, hinter welcher die Anhöhen lagen. Wie anders war jetzt ihre Empfindung, als an jenem Pfingstmontag, wo sie unter der süßen Last einer unausgesprochenen Liebe diesen Weg wandelten! Aber die Erinnerung daran füllte ihre Herzen jetzt mit der reizendsten Empfindung. Von dem Hügel sah ein zierliches Belvedere herab, das erst vor einer halben Stunde der letzte Handwerksmann verlassen hatte, und ein bequemer Steig führte zu ihm hinan. Arthur hatte sein Wort von damals gehalten und Anna dankte mit einem liebevollen Blick. Am Fuße des Hügels angekommen, lächelte die junge Frau; sie ließ den Steig bei Seite und lief mit jugendlicher Leichtigkeit einige Schritte über das Haidegras hin; plötzlich glitschte sie, stieß einen Schrei aus und fiel in die Arme Arthurs, der ihr nachgeeilt war. Herzlich lachend klommen sie Hand in Hand zu dem hübschen kleinen Gebäude empor. Anna rühmte und bewunderte es und beide sahen von ihm schweigend in das Thal hinab, das wieder im Glanz der Abendsonne dalag. Nach einer längeren Pause sagte Arthur mit einem Ausdruck von Laune, durch die er den innern Ernst zu verdecken strebte: „Was man in der Jugend wünscht, hat man im Alter die Fülle!“ — Und Anna erwiederte: „Wir haben in früher Jugend gewünscht, und der Himmel hat die Gnade gehabt, uns von der Bedingung des Alters zu dispensiren.“ — „Ja,“ sagte Arthur, „er gab uns das Glück in der besten Zeit! Aber das soll uns nicht niederschlagen; wir vertrauen dem Geber und wollen von seinem Geschenk einen Gebrauch machen, durch den wir die Gunst, wenn nicht abverdienen, doch nach Möglichkeit rechtfertigen.“ — Die junge Frau reichte ihm schweigend die Hand.

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