Title: Unschuld: Ein modernes Mädchenbuch
Author: Elsa Asenijeff
Release date: March 24, 2020 [eBook #61670]
Most recently updated: October 17, 2024
Language: German
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Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der 1901 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen sowie Schreibvarianten bleiben gegenüber dem Original unverändert, sofern der Sinn des Texts dadurch nicht beeinträchtigt wird.
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Ein modernes Mädchenbuch
von
Elsa Asenijeff
Leipzig 1901
Verlag von Hermann Seemann Nachfolger
Alle Rechte vom Verleger vorbehalten.
Gedruckt bei
E. Haberland in Leipzig-R.
Einleitewort. | |
Heimlichkeiten. | |
Großstadtdunkel. | |
Mädchenklatsch. | |
Ehe. | |
Bei den Volkssängern. | |
Allein. | |
Die drei Schwestern. | |
Tatjana. | |
Loras Wirtschaftswoche. | |
Mütterchen erzählt! (Zwei Märchen.) | |
I. | |
II. | |
Tante Jola. | |
Am Waldweg. | |
Was Mädchen nicht wissen sollen. | |
Mädchen und Weib. (Eine Plauderei.) | |
Kleines Kind. | |
Ein Märchen. | |
Schulfreundinnen. | |
Und so seien wir geweiht. |
Ihr Jugendknospen der Menschheit! Eure Schönheit erfreut alle Herzen. Aber wer dankt Euch und denkt, daß Ihr auch knospende Seelen seid!
Nicht für alle unter Euch kann ich sprechen, denn es giebt niemand auf der Welt, der für alle sprechen könnte. Für Jene, welchen ein Walzer oder ein schönes Kleid oder Reichtum und Glanz alles gelten, sind meine Worte nicht. Noch für solche, die wie im dämmernden Schlaf im Dasein dahingehen, nicht nach rechts, noch nach links blickend, nicht fragend, nicht wollend, und an deren stummer Teilnahmslosigkeit sich das Schicksal vollzieht.
Aber die Einfalt meines Lebens kann Euch Edelsten dienen, hinter deren maienschönen Stirnen die Frage an das Schicksal sich einkrallt.
Euch, die Ihr in Heiligkeit und Schönheit durch die rauhe Rohheit des Lebens gehen wollt.
Euch, mit den glühenden, opfervollen Herzen, denen alles Beleidigende, was sie erblicken, nur den Gedanken der Güte an heilendes Bessern gibt.
Ach! wären meine Gefühle Macht! — ich segnete Euer werdendes Leben!
Elsa Asenijeff
Zur Zeit der
Tuberosenblüte
1901
Bertha kam vom Pensionat heim. Ihre Eltern wohnten im ersten Stock. Jedesmal, wenn sie die Stiege nach fünf Uhr hinaufging, kam vom zweiten Max, der Gymnasiast, herunter. Er hatte Locken wie ein Dichter und sah sehr männlich aus.
Zuerst waren sie beide rot geworden. Er hatte sie gegrüßt.
Der Schulbub, dachte sie, ihn böse anblickend.
Aber am anderen Tage hielt er ein Briefchen, welches plötzlich in ihre Hände glitt. Das gefiel ihr. Es war etwas so Heimliches, Verbotenes dabei.
Ein Liebesbrief! Gott, das mußte schön sein!
Vielleicht gar ein Gedicht: Brust — Lust, Herz — Schmerz!
Etwas regte sich in ihr, das Ding da wegzuschleudern. —
Sie schwebte fast die Treppe empor. Es war, als hätte sie neue, kräftigere Muskeln bekommen.
Oben klingelte sie. Das Stubenmädchen öffnete. Die Mama kam zufällig auch heraus.
„Was hast du denn, du siehst ganz sonderbar aus?“
„Ich? o gar nichts,“ sagte sie in halb keckem, halb wegwerfenden Ton. In sich meinte sie, nun sei sie etwas, weil sie einen Brief von einem „Herrn“ bekam.
Die Mutter sah ihr in die Augen, strich ihr über die Scheiteln: „Hast du mir nichts zu sagen, mein Kind?“
Plötzlich wurde der Kleinen weich zu Mute: die Mami belügen! So etwas! Aber dann kam der aufrührerische Kindertrotz in sie: „warum sind sie immer hinterher, mich zu quälen, mich auszuspionieren, als ob ich etwas Schlechtes[S. 3] thun wollte. Justament! da habt ihr’s, nun thue ich’s erst recht.“
„Gut, mein Mädchen: du weißt noch nicht, daß selbst der Dieb Einwände und Entschuldigungen für sich findet.“
Der Mama entgegnete sie: „ich weiß nicht, was du hast, es ist nichts.“
Dann ging sie nach einem gewissen Ort, dem einzigen, wo sie allein gelassen wurde, und las: „Glühende Liebe — Triebe, Sonne — Wonne.“
Es war wunderbar schön! Sie zitterte dabei vor freudiger Aufregung.
Er bat um ein Rendezvous. Gott! wo denn? Man ließ sie ja nie allein.
Aber es ging doch, weil es verboten war. Er sah sie am Schulweg, und in einer Hauseinfahrt drückte er ihr schnell die Hände, umschlang und küßte sie. Das war herrlich! Die ganze Zeit dachte sie nichts als: na, wenn Papa und Mama das wüßten!
Max erzählte ihr auch von schönen Büchern, die er bereits gelesen. Er wollte ihr dieselben[S. 4] auch leihen. Das konnte er, der sie stets heimlich aus seines Vaters Bibliothek entwendete.
Aber da wurde ihr Stolz gekränkt. Sie lehnte dankend ab. Denn sie hatte auch Mut, und auch ihr Papa eine Bibliothek.
Nun wollte sie etwas Verbotenes lesen.
Mittags schlich sie, einen plausiblen Vorwand vorschützend, hinaus und trat in des Vaters Arbeitszimmer. Dort nahm sie ein x-beliebiges, dünnes Buch mit extravagantem Einband. Das mußte „so etwas“ sein.
Dann trug sie es in ihr Bett, legte es unter die Polster, um danach scheinbar gleichgültig ins Speisezimmer zurückzukehren.
Nachts, als alles schlief, zündete sie an, um zu lesen. Richtig! Eine Liebesgeschichte für erwachsene Leute!
Sie verstand nicht alles, allein es war sehr schön: Da liebte ein Mann ein Mädchen. Und er sagte ihr: Das Leben ist ernst und schwer. Wollen wir miteinander gehen und treu zusammen aushalten? Das Leben ist oft schmutzig, du aber bist rein wie eine weiße Blüte am[S. 5] hohen Aste. Willst du mein Weib und mein Kind und meine Mutter sein? Sie aber sah ihn mit ihren reinen Augen an und legte ihre Hände vertrauend in die seinen.
Bertha las, las — ihre Wangen wurden fiebernd. Dann glitt das Buch aus den Händen, über die Decke — sanft hinab bis auf den Teppich, wo es zuklappte.
Ihre Gedanken aber kamen drohenden Gespenstern gleich, höhnend: Siehst du, siehst du! Nun haben deine Lippen geküßt. Du Schulmädchen mit dem Schulbuben, ihr schriebt euch Liebesbriefe, statt zu lernen.
Nun hast du die zarte Knospe Liebe in deiner Seele aufgerissen, ehe es Frühling ward. Und das Leben ist so lang und so schön! — Wenn es dann einmal Mai in deinem Herzen wird und einer vor dich hintritt (dem du nicht Küsse giebst, weil es die Eltern verboten) — wirst du ihm so selig — rein in die Augen sehen können? So glücklich, wie im ersten Kuß an einen, der deiner wert ist!
Ja, nun ist eines schon vorüber — eins[S. 6] hast du dir selbst für immer schon zerstört. Wen hast du gestraft in deinem Kindertrotz? Deine Eltern oder dich?
Siehe zu, das Leben ist schwer. Da weinte sie um ein Süßes, Ewig-Verlorenes, Niewiederbringliches, das sie verscherzt, wie die ersten Menschen das Paradies.
Ja, ja, in einer Großstadt, da sieht man so manches, was man nicht bemerken darf.
Diese Frauen z. B., von denen man nicht spricht.
Die sich nach den Männern umdrehen und so schöne Unterröcke haben.
Marie ging mit ihrer Tante. Lästig! Immer steckte jemand hinterher. Als ob das Leben derart dann lustig wäre!
Frei sein wie ein Bub! Nicht immer wie ein kranker Vogel behütet werden! Das wäre was!
Ihre Tante schritt in Engelsgeduld neben ihrer Nichte, aber solcher Liebenswürdigkeiten[S. 8] wird man eben erst inne, wenn man selbst ins Tantenalter kommt.
Plötzlich tauchte aus einem Hausthore ein widerliches, altes Weib auf, welches ein wunderschönes, halbwüchsiges Mädchen vor sich herstieß: „Nun, wird’s bald? Wenn du nicht bald anfängst, so giebt’s Prügel! Da geht einer — schnell!“
Das junge Mädchen aber machte ein Gesicht, als geschähe ihm das Schrecklichste im Leben. Als wäre es ganz hilflos und allein allem Elend preisgegeben. Völlig verlassen! Aus seinem wehen Blick schrie diese Verlassenheit anklagend zu Marien hinüber. Beider Augen begegneten sich eine Viertelsekunde.
Nie im Leben wird sie diesen Blick vergessen. Diese bodenlos tiefe, einsame Qual.
Die Tante zog Marie schnell auf die andere Straßenseite.
Und nun ahnte sie manches, als würde sie plötzlich hellsehend.
Leise flüsterte sie zur Tante, die geduldig neben ihr einherschritt: „Du Schützende, Gute!“
„Wieviel Taillenweite hast du, Grete?“
„Achtundvierzig Centimeter.“
„Und du, Mary?“
„Fünfzig.“
„Und du, Ella?“
„Siebenundvierzig Centimeter.“
„Gott, wie schön! Siebenundvierzig!“
„Du schnürst dich, du! Das ist unschön, Künstler sagen, es sei häßlich.“
„Ja, nur — hm, ich habe mit einem Leutenant getanzt, was versteht ihr?“
„Natürlich, der schnürt sich selber, so darf er es an dir nicht tadeln.“
„Weißt du,“ sagte die bisher schweigsam[S. 10] dasitzende kleine Sophie, „du wirst, wenn du heiratest, keine Kinder bekommen können.“
„Das will ich auch nicht, da würde ich meine Taille verlieren.“
„Ja, also wozu willst denn du auf der Welt sein?“
„Zum Tanzen, Schönanziehen, Rudern, Reiten.“
„Und du willst kein kleines Kind, das dich anschaut mit Augen, die sagen: liebe Mami, ehe es noch sprechen kann.“
„Nein! denn ich kann den Kinderlärm nicht vertragen und dann — die Taille...“
„Ja,“ meint Sophie, „deine Taille wirst du behalten, aber dein Gesicht wird alt werden. Dann wird auch dein Leutnant trotz deiner Taille nicht mehr mit dir tanzen wollen. Du aber wirst allein sein, wie andere.“
„Ihr sprecht Unanständiges,“ sagte Mary. „Wenn ihr noch von euren Courmachern sprechen würdet, aber vom Kinderbekommen, wovon wir noch gar nichts wissen sollen.“
„Ihr wißt es ja doch,“ sagte Sophie.[S. 11] „Na, aber man thut so dergleichen, aus Anstand!“
„Was soll denn da Schlimmes daran sein, Mary? An eine liebe Mutter zu denken, die Tag und Nacht bei ihrem Kindchen wacht und seinen kleinen hilflosen Leib pflegt, während die anderen tanzen und sich freuen.“
„Du regst immer Gespräche an, die nicht sein sollen, Sophie. Sieh, in keinem Roman steht von kleinen Kindern, sondern immer nur von der süßen Liebe. Aus Anstand, weißt du!“
Die kleine Sophie mit den ernsten, verträumten Augen: „Nein, nicht aus Anstand, ich weiß eigentlich nicht warum. Es ist — hm! vielleicht, weil die Männer die Bücher schreiben. Sie wissen nicht, wie süß ein kleines Kind ist.“
Ella: „Aber es schreiben doch auch Frauen.“
Sophie: „Ja, aber die trauen sich nicht. Sie schreiben, wie sie es von den Männern gelernt. Ihre Seelen kriechen erst aus ihrem Leib heraus und in ein Mannesgehirn hinein, dann erst schreiben sie.
Die Lieben aber, welche die Kinder gern[S. 12] haben, die schreiben nie. Die sitzen zu Hause und heißen Mami und pflegen das liebe Kind, daß es dereinst ein ordentlicher Mensch werde.“
Mary: „Laß es gut sein. Du bist noch zu kindisch. Erzähl, Ella, von deinem Leutnant.“
Sophie leise in ihren Gedanken: Was haben sie von ihrem Rudern, Reiten und ihren Leutnants? Alle Tage dasselbe Einerlei.
Ich aber möchte blühen wie die Erde, die Bäume bringt, kleine, die wachsen und schön werden. Ich möchte ein kleines Kindchen. Lieben wollt ich das Süße, bevor ich es noch sähe. Lieben und schützen. Es soll einmal ein großer Mann werden, ja, so berühmt wie noch niemand...
— — — — — — — — — —
„Sophie, Mary, Ella, schnell, wir haben Erlaubnis, in den Cirkus zu gehen. Kommt, die Gouvernante geht mit.“
Alle ziehen sich an.
Sophie: „Ich danke euch, ich kann jetzt nicht mitgehen.“
„Warum?“
„Ach! laß sie, den launenhaften Spielverderber.“
Sophie, der es warm um die Augen wird, heimlich zu sich: Ich will das Geld lieber der armen, blinden Frau geben, damit ich gut werde, für einst — für mein Kindchen!
Die Mama war immer so bleich. Soweit sich Maria zurückerinnerte, aus ihren Mädchenjahren bis zurück in die Kinderzeit — immer sah sie die Mutter bleich, mit den ernsten, wunden Augen und dem milden Lächeln um die Lippen.
Der Papa liebt die Mama nicht. Entschieden! Maria sagt dies niemandem, niemandem! Dennoch ist es so. Sie hat es schon als Kind gefühlt. Sie wußte nichts damals, dachte nichts — aber sie litt!
Niemals gab es Scenen oder Rohheiten im Hause. Die Eltern blieben immer vornehm und gebildet. Aber es fehlte der Sonnenschein. Das Weiche, Gütige, welches in einem Blick[S. 15] sich offenbart! Und wofür gerade Kinder, denen Worte noch unverständlich sind, ein so feines Empfinden haben.
Aber jetzt war sie schon ein Mädchen. Und es blieb das Gleiche. Nie hörte sie zanken, oder ein rohes Wort. Aber es war da, wie die Gewißheit, saß gleich einem Schiefer in schmerzender Wunde. Sie wußte und schwieg. Niemand erfuhr ihr Geheimnis.
Sie litt.
Aber heute geschah Schreckliches. Sie saß mit Mama. Diese am Sofa, sie selbst ihr vis-à-vis vor dem Spiegel, mit dem Rücken gegen die Thür.
Es begann zu dämmern. Beide schwiegen. Da verstanden sie sich am besten. Sie hätte so gerne ihre Arme um Mutters Hals geschlungen, in heißen Küssen flüsternd: Du arme, arme Mami! Aber es ging nicht. So durfte sie mit der, die ihr das Leben geschenkt, nicht sprechen. Wie hätte sie der Tochter klagen dürfen — — —
Also schwiegen beide, nur ihr Empfinden sickerte in feinen Wellen durch den Raum, ver[S. 16]mischte sich, während die Lippen geschlossen blieben.
— — — — — — — — — —
Es läutete.
Der Papa! dachten beide, aber niemand sprach es aus.
Und plötzlich fühlten sie eine schwere Müde in den Gliedern. Sie wollten ihm entgegen, ohne es zu können. Es war etwas in ihnen, wie im Kinde, dem vor Schlaf die Lider zufallen — schwer — müd — — —
Der Papa lachte, er ging durch die Zimmer. Endlich kam er ins Nebengemach. Er schäckerte mit dem Stubenmädchen, das Licht anzünden wollte.
Maria sah es genau durch den Spiegel. Da — schrecklich — ganz unmerklich zuckte Mama zusammen. Sie konnte es nicht beschreiben. Es war, als ob ihre Seele innen einen Ruck bekommen hätte. Dabei spreizten sich ihre Augen auseinander, als sähe sie in einer Vision den Tod vor sich. Die arme Mama! Es dauerte alles nur eine Tausendstel[S. 17]sekunde. Papa hatte das Mädchen in die Wangen gekniffen.
Nun fühlte sie Mamas gefolterten Blick: Hat meine Tochter gesehen?
Da blickte sie in schamhaftem Mitleid auf die Tischdecke: ich denke schon die ganze Zeit, wie diese Gobelins heutzutage eigentlich ganz schön imitiert werden können.
„Ja, nicht wahr,“ sagte die Mama. „Siehst du, alles ist möglich, wenn man nur ernstlich will.“
Dann stand sie auf, laut rufend: „Guten Abend, Papa.“ Und ging dem Gatten entgegen.
Darauf saßen alle drei unter der Lampe. Papa, sie und Mama, mit den wunden, traurigen Augen und dem gütig-verzeihenden Lächeln — die Gute — Edle — —
Taratahi taho! Tschin! tschin!
Volkssänger, Auflauf.
Es ist Feierabend. Sie geht mit Vatern und Muttern zu den Volkssängern. Sie ist ein sehr braves Mädchen, eigentlich ganz altmodisch erzogen.
In der Atmosphäre von Bier, Schweiß und Cigarrendampf lassen sie sich an einem Tische nieder. Die Kellner schreien, die Frauen machen dumme, possierliche Affengesichtchen auf die Männer, die wie Faune dreinschauen.
Vorne auf der Bühne steht einer, der sich zu lange Arme und Beine gemacht. Darüber lachen die Leute. Er singt, wie niemand singt;[S. 19] springt, wie niemand springt — darüber lachen die Leute.
Sie sieht alle diese Gesichter an. Schrecklich! Es liegt etwas Gemeines, Rohes in dieser Freude. Alle werden häßlich. Plötzlich fällt ihr ein, wie süß es wäre, wenn alle Menschen schön sein würden. Und wie komisch es sei, daß die Menschen sich extra bemühen, häßlich und gemein zu werden.
Wären doch alle schön! denkt sie. Dann erinnert sie sich der kleinen, bleichen Martha, die immer den blinden Peter zur Kirche führt, während die Gassenbuben sie auslachen. Die ist so schön. Nein! Sie hat ein Stumpfnäschen und kleine, grüne Augen. Sie ist häßlich. Aber doch schön. Ihre Seele leuchtet aus ihr heraus.
Die kleine Martha, die schöne Martha — taratahi, taho! Tschin-tschin.
Alles applaudiert!
Endlich eine neue Nummer!
Wie die Frauen würdelos sind! Wie sie sich mit Blicken anbieten. Ihr kommen die Thränen in die Augen: wären doch alle schön![S. 20] Die Frauen wenigstens — so schön wie die kleine Martha.
— — — — — — — — — —
Ein Weib tritt auf das Podium heraus. Sie hat kurze Röcke und ein tiefdekolletiertes Kleid. Wie sie wunderschön ist! Das Kleid ist aus glänzender Seide und Brillanten funkeln darin. Sie ist schön wie die Märchenprinzessin. Sie tanzt und hebt die Röcke wie Flügel empor, so daß sie einem wunderschönen, fliegenden Schmetterlinge gleicht.
Sie singt dazu etwas, was Geny nicht ganz verstehen kann und jedesmal am Ende einer Strophe macht sie plötzlich ein häßliches, gemeines Gesicht. Ihre Augen zwinkern. Die Männer aber klatschen, Beifall schreiend, in die Hände. Geny weiß nicht warum, aber sie kann es sich so ungefähr denken.
Und dann tanzt jene wieder so entzückend, die Märchenprinzessin.
Die Männer sitzen da mit Augen wie Feuerräder. Die Märchenprinzessin aber lächelt und tanzt in funkelnder Seide.
Ihr Gesicht ist schön. Allein es ist ganz verklebt von einer dicken, weißen Schicht Schminke, und die Lippen sind unnatürlich rot gefärbt. Auch hat sie breite, schwarze Striche unter den Augen.
Warum machst du das? es ist häßlich, sagen Genys Blicke.
Weil sie es so wollen. Taratahi-taho! tanzt die Märchenprinzessin.
Dann zwinkert sie wieder mit den Augen. Ihr Gesicht wird gemein — die Männer applaudieren.
Die Augen Genys sind feucht. Du schöne Märchenprinzessin, warum machst Du dich häßlich?
Genys Eltern stehen auf. Die Nummer ist aus. Sie gehen fort. Die Eltern voran. Sie zappelt hinterdrein.
Im Korridore steht die Märchenprinzessin mit ein paar Herren plaudernd. Geny guckt sie verwundert an. Die Märchenprinzessin macht plötzlich ein böses, herausforderndes Gesicht, als[S. 22] wollte sie sagen: was willst du kleine Alberne von mir?
Warum hat sie die häßliche Schminke? Darunter ist sie gewiß schön.
Und weshalb macht sie so gemeine Blicke? Darunter — darunter — ist die Seele darunter schön?
Auf einmal wird ihr so weich und wehleidig zu Mute, sie weiß nicht warum. Ihr thut so leid um die Märchenprinzessin. Es ist alles nur die häßliche Schminke, darunter —
Im Nu geht sie, ganz impulsiv, auf die Märchenprinzessin zu, umarmt sie und flüstert: „Schwester!“
Diese hat sie zuerst wild und abweisend angesehen, mit einem Blick voll Rohheit, aber dann brechen zwei dicke Thränen aus ihren Augen, auf ihrem Wege das Weiß-schwarz-rot der Schminke wegschwemmend.
Die Seele jener fühlt: ich danke dir, du bist der erste Mensch, der nichts von mir verlangte und mir dennoch Gutes that.
Sie sehen einander gütig und heilig an.[S. 23] Ihr Weg liegt weit auseinander. Die eine wird einst eine brave, kleine Frau, die andere muß verkommen.
Aber einmal kamen ihre Seelen doch zueinander.
— — — — — — — — — —
Die Eltern rufen: „Geny!“ Und sie zappelt schnell nach. Ihre Seele fühlt: es ist doch nur die Schminke, die häßlich war — nichts als die Schminke — — —
Sie versteht sich mit Papa besser, als mit Mama. Die Mama hat sie nicht lieb. Nicht, daß sie es je gesagt hätte, aber es ist so. Die Mama hat niemand vom Hause lieb, auch den Papa nicht.
Sie sitzt nur immer da und träumt und seufzt. Wenn sie durch die Zimmer geht, sieht sie niemand an, als wäre ihre Seele immer wo anders. Nur, wenn dann die Gäste kommen, leuchten ihre Augen. Alle sehen dann auf ihr schönes Kleid und ihre nackten Schultern. Sie aber lacht, daß man ihre schönen Zähne sieht.
Dann läßt sie ihr Töchterchen rufen, damit es die Gäste begrüße. Das Mädchen kommt in den Saal voll unbekannter Leute, sich selber[S. 25] fremd mit dem gebrannten Haar und dem weißseidenen Kleide. Und eine schöne, fremde Frau ruft sie heran, küßt sie auf den Mund. Diese Dame ist ihre Mutter. Ihr ist so bang, aber doch so gut. Die Mutter jedoch küßt sie, sagend: „Mein liebes Töchterchen!“
Sie weiß nicht, was das alles soll, die Lichter thun ihren Augen weh. Aber die Mutter, die M—u—tt—er hat sie geküßt! Ist das gut! Ist das süß!
Plötzlich weiß sie es ganz sicher in sich, vielsicher: sie hat ja die Mutter so lieb. Es ist ja alles nicht wahr, sie hat die Mama lieb.
Und sie reckt sich zu ihr empor, um ihr ins Ohr zu flüstern: „Mami!“
Sie stockt. Sie wollte sagen: wirst du mich immer so lieb haben wie heute?
Aber sie schämt sich und getraut sich nicht. Unten hat sie aber unglückseligerweise mit den Füßen auf Mamas schönes Kleid getreten, daß es knackt. Da trifft sie ein strafender Blick und sie muß hinaus.
Ihre Seele aber weint. Sie kann es nicht[S. 26] begreifen. Wegen dieses dummen Kleides durfte sie nicht bei ihr bleiben.
Und nun sieht sie immer diesen zürnenden Blick. Ach!
Wo muß nur der Papi sein? Der ist noch im Comptoir und rechnet. Rechnet und zählt den ganzen Tag, daß ihm davon die Haare vom Kopfe fielen. Wenn nur der Papi da wäre, der hat wenigstens kein schönes Kleid an.
Doch der Papi hat zu arbeiten und Mama empfängt Gäste. Sie jedoch muß mit der Gouvernante im kahlen Mädchenzimmer essen.
— — — — — — — — — —
Es ist heute schon so was Warmes, Trauriges in ihr. So, als ob sie ganz verlassen während des Regens im Freien stünde und um Obdach bettelte. Sie geht zu Fräulein Anna, welches in der Ecke sitzend schreibt.
„Liebes Fräulein Anna!“
„Betty! siehst du nicht, daß ich schreibe? Laß mich doch einmal in Ruhe. Nicht fünf Minuten kann man für sich haben.“
„Verzeihen Sie, Fräulein Anna.“
„Und wissen Sie, Betty, ich muß heute noch auf eine halbe Stunde fort.“
Betty treten die Thränen in die Augen.
„Aber daß Sie nichts davon erzählen, sonst giebt’s Strafaufgaben.“
„Nein, niemand, Fräulein Anna.“ (Heimlich denkt sie, wen? sie denn nur zum Erzählen gehabt hätte!)
Fräulein Anna geht fort mit einem Federhut, ganz weiß im Gesicht und Brillanten in den Ohren.
Betty ist allein.
Wenn ich nur schon groß wäre! denkt sie. Dann werde ich auch einmal Mama und bekomme einen Papa. Dann will ich zu ihm ins Comptoir gehen und sagen: Komm, lieber Papi, laß die Sorgen! Draußen scheint die Sonne.
Ich will lieber kein schönes Kleid. Komm mit mir ins junge Grün und gieb mir die Hand. Dann weiß ich wenigstens, daß ich nicht allein bin. Denn es giebt so viele, viele Menschen, aber alle sind sie allein.
Hollah! der Papa ist zu Hause. Da darf man nicht viel Lärm machen, denn er ist nervös. Aber da ist er doch. Nun sitzen alle drei plaudernd um ihn herum. Nur die schöne Mama geht umher, denn sie hat mit den Blumen zu schaffen. Der Papa spricht und die Mama lächelt nur manchmal vom Fenster zu ihnen herüber.
Der Papa weiß stets so Schönes, Merkwürdiges vom Leben zu erzählen. Zuletzt aber fragt er sie immer: wenn ihr in diesem oder jenem Fall gewesen wäret, was hättet ihr dann gethan? Und alle sagen dann, was sie gethan hätten. Es ist wie in der Rechenstunde, alle lauschen gespannt und denkfiebernd.
Doch einmal fragt der Papa: „Was hält jede von euch für das größte Glück? Oder, ich will es besser so formulieren: was wäre euch heißester Lebenswunsch?“
Alle Gesichter werden ernst. Selbst die Mama kommt herzu und lauscht.
Bertha, die zweite, sagt: „Ich möchte einen Freund, der mich nach meinem Tode beweint.“
Mara, die jüngste, wird sehr rot, indem sie spricht: „Ich möchte ein liebendes Herz, das treu für mich schlägt.“
„Und du, Elsa? Nun?“
Elsa steht da, aufrecht, plötzlich ganz bleich im Gesicht, mit leuchtenden Augen und zerzaust eine Blume in ihren Händen.
„Nun, Elsa?“
„Ich, Papa? ich will nichts als Ruhm.“
Die Schwestern brechen in ein schallendes Gelächter aus. Die Stimmung, welche harmonisch über allen lag, flirrt auseinander.
Der Papa ist plötzlich böse. Seine zürnenden Augen liegen drohend auf den beiden Allzufröhlichen.
„Ihr seid albern,“ sagt er.
Innerlich fühlt er das Unabwendbar-Tragische in diesem Weib-Kind.
Dann wendet er sich zur ältesten, seine sonst herrische Stimme wird förmlich schüchtern und eine Nuance leiser als sonst. Er flüstert fast: „Da wirst du immer unglücklich sein, mein Kind.“
„Ja, das weiß ich,“ sagt Elsa herb und lächelt dazu, als hätte man ihr das Allersüßeste verheißen.
Sie sieht vor sich hinaus, weit, weit in Fernen, wo es keine Eltern, noch Geschwister giebt.
Sie blickt ins Land der stolzesten Verheißung. Alles ist still. Bertha dreht ein Sacktuch um den Daumen, immer und immer wieder.
Papas Augen sind feucht: wie hatte ihn dies Kind da erraten! In alle seine verborgensten Verschwiegenheiten geschaut. Ein großer, edler Ehrgeiz, der lag auch in seinem Blute!
Hjah! den hatte sie von ihm geerbt. Er sah auf dieses halbwüchsige Mädchen in seiner[S. 31] schlanken Kraft, mit dem trotzigen Zug um den Mund. Ihm ward wehe. Wie hatte er gestrebt, gesehnt, gewollt und viel erreicht, aber dennoch — nicht alles. Er wußte — die Erfüllung war er noch nicht.
Und dort stand die schöne, bleiche Mutter. Ihr Blick glitt schamhaft über die Bilder an den Wänden, die ihre Hand gemalt. Man sagte, sie sei genial — allein es war doch noch nicht das — das — Genie! Ganz nahe daran, wie ein Ansetzen dazu, wie eine große Sehnsucht danach, aber nicht es selbst.
Und dieser beiden Sehnsüchte hatte dies Kind bekommen.
Nun sahen sie einander an und verstanden plötzlich ihre schamhaft heimlichsten Hoffnungen, welche nie die Lippen gestanden.
Es liegt Schmerz und Enttäuschung darin, die Scham der Armut. Noch heißt es warten, ansammeln, aufspeichern durch die sparende Geduld von Generationen.
Segnend und wehmütig fällt beider Blick auf den Scheitel ihrer Tochter.
Wenn sie nur kein Mädchen wäre, denkt der Vater.
Die Mutter aber: wird sie es endlich? Bringt sie die Verheißung unserer Generationen oder ihre Lenden?
Die Schwestern sind verschämt, aber trotzdem kitzelt sie noch ein schlechtverbissenes Lachen. Elsa sieht niemand, sondern träumt: das Leben ist mein, denn ich erzwinge es mir.
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Aber es kam anders, als die drei erwachsen wurden.
Berthas Gemahl starb, die Wittwe in Thränen lassend. Und Maras Gatte wurde ihr untreu. Elsa aber verstand, was sie damals mit dem Worte Ruhm gemeint hatte. Sie verstand darunter „Größe“. Und die Erhabenheit wich nicht aus ihrer Seele.
Sie dachte: was brauchen Frauen das Buhlen um Erfolg? Seien wir groß! Und dabei wurden ihre Pupillen so schmerzlich weit und traurig.
Dann sah sie mit dem Blick ihrer Eltern auf ihren kleinen Knaben, mit jenem Blick voll flehendem Herzeleid: „bist du es endlich? Bist du die Erlösung? O künde mir es, bevor ich sterbe!“
Schon als ganz kleines Kind war sie anders als die übrigen. Sie schien gesund und blühend, hatte auch volle, runde Kinderbacken. Aber immer kam ihr junger Organismus bei geringsten, fast unbeachteten Anlässen zu Erschütterungen, die von Verdauungsstörungen und heftigen Krämpfen im Unterleib gefolgt waren. Dann legte man sie zu Bett und sie träumte.
Für sie war Kranksein und im Bette liegen der Inbegriff des Schönsten.
Dann starrte sie vor sich hin, dachte, sie läge in einem gläsernen Sarge, der weit hinausschwämme ins ferne Meer, wo nichts zu erblicken als sie und weite Wolken und unendliche Wässer.
Dieses Lieblingsbild ihrer Kinderphantasie war charakteristisch für ihr Wesen. Selbst bewegungslos aus dem kleinsten Raum in das Unendliche hinauszuträumen. In ihm, der Ausgeburt eines kaum dreijährigen Gehirnes, lag schon der Keim für ihr ganzes künftiges Werden.
Sie blieb bewegungsfaul und träumte gerne. Lachen, springen, lärmen war ihr ein Gräuel. Bis in ihr zwölftes Jahr hatte sie überhaupt niemand lachen gesehen. Noch weniger springen oder laufen. In einer Ecke zusammengekauert oder die gefalteten Hände ums Knie geschlungen, während die weiten Pupillen verloren in die Ferne starrten, war ihr am wohlsten.
Später kam jene Zeit der Unruhe, der Fieber, des Unbehagens ohne Grund, wo aus dem Kind das Weib geboren werden soll.
Da löste sich das erste Lächeln von den geschlossenen Lippen und unter Schmerzen, Zittern und Stolz fühlte sie sich, dem Kinde entwachsen, Mädchen, Weib.
Das war die erste Freude in ihr. Etwas, was sie mit andern einte, gleichmachte.
Denn die Mädchen tuschelten untereinander, ganz rot: „Hast du schon? — hm? — du verstehst —???“
Und die, so noch Kinder waren, wurden wie etwas gar Verächtliches angesehen! Aber in den Augen der andern lag ein Glanz, in ihrer Haltung plötzlich über Nacht ein Stolz, wie in der Pflanze, die eine Blüte angesetzt.
Tatjana kam einst in die Pensionsklasse; sie, die stets zu früh erschien, um sich schweigend, gleich wie in ein Versteck auf ihren Platz zu flüchten, hatte sich verspätet.
Fast alle Kolleginnen waren schon anwesend und sahen mit Erstaunen auf das fast diaphane Antlitz Tatjanas, deren Augen fiebrig glänzten.
Eine Freundin zog sie in die Fensterecke. „Aber Tatjana, was ist’s denn? Ich wette, du — — —“
„Ja,“ sprach Tatjana. Und eine königliche Würde lag in Wort und Geberde.
Damals, als sie ihnen gestehen konnte, daß sie das Schicksal reif zum Leben befunden hatte.
Und allen war heilig und schicksalsbang[S. 37] über das, was kommen mußte und vor ihnen lag, noch in Dunkelheiten verhüllt.
Aber sonst gab es nichts Gemeinsames zwischen ihnen und ihr.
Das Geschehen rollte der Zeit entlang. Die einen heirateten, andere studierten, andere mußten Stellen zu ihrem Lebensunterhalte suchen. Das äußerliche Leben ist so schwer und drängt fast alle in denselben Weg nach Brot.
Aber es giebt noch ein innerliches Leben; dies lebte Tatjana.
Gerade als ihre Eltern für sie einen soliden Herrn gefunden hatten, der pensionsfähig war, weder trank noch Karten spielte, noch sich in schlechter Gesellschaft umhertrieb, erklärte Tatjana, sie wolle ins Kloster.
Man denke den Jammer ihrer Eltern! Sie war mit diesem Herrn so gut als verlobt. Während sie bisher mit den beiden die Abende verplaudern mußte, hatte sie nun diesem Herrn Antworten zu geben, auf all das Verschiedene, was er sie fragte und worin er manchmal die Würze belehrender Wahrheiten einstreute. Aber[S. 38] Tatjana hörte nicht darauf. Wenn sie nun auch wohlerzogen genug war, in anmutsvoller Haltung scheinbar lauschend hinzuhorchen, so blieb ihre Seele doch zusammengekauert und träumte ins Weite.
Man zog über die Geistlichkeit los, die die Seelen verführe und von allem praktischen abwende. Sie solle sagen, wessen Einflüsterungen sie erlegen sei. Wer doch der intrigante Priester wäre, der sie lehre, dem Willen ihrer Eltern entgegen zu sein. Wann? wo? man ließ sie doch nie allein.
Tatjana verstand nicht einmal, was Vater und Mutter meinten. Ihr hatte niemand zugeredet. Ganz zufällig las sie in einem Zeitungsfetzchen, worin eine Anstoßschnur, die sie gekauft hatte, eingewickelt war, von einem Kloster, worin das Sprechen verboten sei. Die ärgsten Demütigungen des Stolzes würden dort den einzelnen auferlegt, obwohl zumeist die Erbinnen alter Adelsgeschlechter darin aufgenommen wären. So mußten sie z. B. im Freien Esel oder Gänse hüten. Tatjanas Seele prägten[S. 39] sich nur die ersten Zellen ein: nicht sprechen, allein sein. Auf einer weiten, weiten Wiese, ohne Meer zwar, aber den Himmel über sich. Und ist das nicht der tiefste, geheimnisvollste Ocean, größer als alle Seen der Erde, mit leuchtenden Welten, die darin herumschwimmen, weit hinaus über die weißen Korallenstöcke der Milchstraßen — — —
Ihr wurde weit und wohl, als wäre ihr ganzer Leib ein Gebet an das All.
Aber die Eltern drangen auf Gehorsam, schalten über ihre Hyperreligiosität in Unerkenntnis des heimlichen Grundes ihrer Seelensehnsucht.
So wurde sie, entgegen ihrem Wunsche, dieses Herrn Gemahlin.
Ihr Herz hatte keine Liebesknospen angesetzt, denn ihrem Leben war niemand erschienen, der der weckende Frühling ihrer Seele hätte sein können. Zu Liebschaften war sie aber zu ernst und tief.
Doch wurde sie ihrem Gemahl eine mustervolle Gattin. Und mehr verlangte man nicht[S. 40] von ihr, als dieses Aeußerliche. Mehr hätte sie auch nicht zu geben gehabt. Im Innern aber blieb sie die Gleiche. Nur war der Ocean nun das Leben, das tiefer und unfaßbarer als alle Himmel ist. Und darin schwamm sie im Netze ihres engen Geschicks, einsam, ganz allein umher zwischen den dräuenden Gefahren böser Erfahrungen, die wie Meeresungeheuer ihren Untergang verlangten. Darin träumte sie — im Ocean des Lebens allein.
Und alles äußere Geschehen wurde ihrem innersten Wesen nach ein träumendes Gefühl, wie bei anderen ein Gedanke, oder noch anderen eine That.
— — — — — — — — — —
„Und so soll das Leben aus sein, weil sie ihr’s verpfuscht haben? Das eine Leben!!“ rief die resolute Brigitta, welche der Geschichte zugehört und die immer oppositionslustig war.
„Aus? verpfuscht?“ sagte Agnes, während sie sinnend vor sich hinstarrte. „Aber es geht nicht zu verderben.“
„Wieso denn nicht?“ sprach Brigitta,[S. 41] die Specialistin für Eltern- und Erzieherkritik! „Wenn alles gegen ihren Willen ging!“
„Nicht doch,“ entgegnete Agnes. „Alles blieb, wie es sein mußte, ob sie geheiratet hätte oder nicht, geliebt oder nicht, glücklich oder unglücklich gewesen wäre, immer würde sie dieselbe grübelnde Träumerin gewesen sein. Immer, in allen Lebensmöglichkeiten. Also, was hätte jemand daran ändern können? Ein paar äußerliche Zufälligkeiten. Weiter nichts.
Jedes wird, was in seiner Natur vorbereitet liegt.“
„Ja,“ sprach eine, die den Spitznamen Fräulein Chrysantheme trug. Sie war sorgsam gelockt, parfümiert und herausstaffiert wie die kostbarsten jener Treibhauspflanzen, deren Namen man ihr gab. Sie war schon Braut eines sehr reichen Menschen, der den ihr nötigen Luxus verschaffen konnte und von ihr nichts verlangte, als daß sie die Schönste und Eleganteste sei.
Im Gedanken an ihre voraussichtlich glänzende Zukunft wiederholte sie triumphierend mit jenem Stolz ohne Duft ihrer Blumen:[S. 42] „Jedes wird, was in seiner Natur vorbereitet liegt.“
„Ja,“ seufzte es aus der dunkelsten Ecke, wo Violetta saß. Und sie fühlte mit heimlichem Grauen, daß sie ihre Seele verschenken müsse, sei es für ein Leben, einen Tag oder eine Stunde, wie das Schicksal es dann wollen wird, aber verschenken, ohne zu fordern. Verschenken! Verschenken ohne Gegenglück — o! und vergessen sein, wie der, der schenkt, ohne Erwiderung zu erwarten. Vergessen, wie der Sonnenstrahl, der lebengebende.
Wie sie aussah, wollt ihr wissen? Ob sie „schwarze, schwarze“ übergroße Augen hatte und eine „weiße, weiße“ Haut, eine schlanke, schlanke Taille und dazu eine sehr üppige Brust.
Nein, seht ihr, so war’s nicht. Sie ist keine Romanfigur, sondern ein lebender Mensch, und die Farbe ihrer Augen ist rätselhaft graugrün.
Sie hat auch kein klassisches Gesicht. Ihre dunkelbraunen, lockigen Haare lassen die junge, schon durchfurchte Stirne und die mächtig hervorgebogenen Hügel über den Brauen frei. Doch bedecken sie eingefallene Schläfen, die von dem Mangel an Eßlust der Trägerin Zeugnis[S. 44] geben. Die Nase ist oben breit angelegt und verläuft fleischlos und schmal in ein paar stets vibrierende Nasenflügel. Das Kinn springt nicht vor, aber ist wohlwollend, breit und zeigt viele Festigkeit.
Die Kleine heißt Lora. Solche 18 Jahre, das ist Jugend, sag ich euch! Diese Fröhlichkeit. Immer ein Witz, eine Taquinerie auf den Lippen, immer Worte, auf welche die Männer wie Bienen nach dem Honig gehen. Sie ist eigentlich frei in ihren Bemerkungen, macht nicht die schamrote Jungfrau, sondern spricht offen über alles, was sie im Leben mit ihren eigenen Augen gesehen. Denkt Euch!
Dabei ist sie so aalglatt in ihrem Benehmen, daß sich keiner ihrer Verehrer auch das geringste erlaubt. Nicht einmal das bekannte, geraubte Küßchen in einer Ballsaalnische.
Die Eltern können sorglos sein. Jetzt schon sind ein paar Heiratsanträge da. Lora will aber nicht und — na, da darf sie auch noch warten. Es ist auch zu hübsch im Hause mit ihr. Die zwei jüngeren sind einsilbiger; machen[S. 45] als wären sie nur da, um zu Lorens Witzen zu applaudieren. Grete, die jüngste, ist sentimental und weint über alles. Amalie, die zweite in der Schwesternreihe, ist jedoch die Praktische. Immer sitzt sie und überrechnet jeden Pfennig ihres kleinen Monatsgeldes oder ordnet die Wäsche in ihrem Schrank, in dem ohnedies alles so peinlich eingereiht ist. Sie wird einmal sicher ein braves Hausmütterchen.
Das kann man eigentlich von Lora nicht sagen. Es ist, als entzöge sie sich dieser behäbigen Pünktlichkeit, die so segenvoll jedem Haushalt wird.
Kommt ihre Woche der Hausführung daran — denn jede der drei hat abwechselnd nach einander eine Woche die Hausfraupflichten — so ist das ganze Haus wie Geisteshänden übergeben. Nichts von Amaliens Pünktlichkeit. Bei dieser weiß man wenigstens, um so und so viel ist das Frühstück und dann das Mittagsmahl. Dabei stets ausreichend zu essen und Speisen, die der Köchin wenig Mühe machen. Alles ist geregelt. Amaliens Woche ist auch sehr vom[S. 46] hygienischen Standpunkt zu empfehlen. Einmal wöchentlich Hülsenfrüchte (wegen der Zähne); zweimal Schweinebraten, einmal Kalbfleisch und Freitags Fisch. Sonst Beefs. Und nachher dreimal wöchentlich Mehlspeisen. So, da weiß jeder, wie er daran ist. Auch Grete ahmt Amalien nach.
Nur diese arme Lora! Ihre Woche ist so was ganz Merkwürdiges. Die Köchin fürchtet sich davor. Immer lauter komplizierte Gerichte. Immer etwas, woran mindestens eine Stunde gerührt oder mit der Schneerute geschlagen werden soll. Und dabei muß man acht geben, wie auf die Lunte einer Bombe. Dann kommt so wenig auf den Tisch, daß jeder kaum so viel bekommt, als nötig ist, daß er Lust hätte, mehr zu wünschen.
Lora macht dabei auf Anklagen das unschuldigste Gesicht: „Was wollt ihr denn? Was ihr soeben gespeist habt, ist nur allernahrhaftestes; gleichsam die Essenz der Speisen. Viel nahrhafter, als das schwere, schlechtverdauliche Zeug, womit ihr sonst den Magen überladet, und[S. 47] das euer Gehirn dann denkunfähig und faul macht.“
Lora geht, wie ihr staunend hören werdet, selbst in die Küche. Es ist kein „Schwindel“ möglich. So und so viel Eier und so und so viel anderes. Sie weiß es ganz genau. Und dann das schreckliche Rezept erfinden! Lora sagt: „Aus dem Kochbuch? Nein! Wir wollen etwas machen, was noch niemand gegessen hat.“
Dann kommen die sonderbarsten Gerichte. Canapes von Artischockenböden mit Fülle von einem seltsamen Champignonragout, überzogen mit... u. s. w.... oder eine ganz besondere Sauce von Hahnenkämmen, wie sie nirgends angegeben steht. Die Kochkönigin, deren Herrschaft die Küche ist, sinkt zu einer Rührmamsell herab. Ohne Loras Gegenwart kann kein Gericht zu Ende gebracht werden. Und das Fräulein ist so genau.
„Nicht mit den Händen, Käte, nur nicht mit den Fingern! Dazu sind zwei Gabeln da,“ sagt Lora, die sich leicht ekelt. Dann hantiert die Köchin damit so ungeschickt, wie jemand,[S. 48] der zum ersten Male Stelzen geht. Dennoch zittert sie vor Angst, wenn das Fräulein fortgeht. „Es wird was geschehen, es wird verpanschen, bitte, bitte, bleiben Sie, Fräulein Lore.“
„Komme schon wieder, Käte, bis es Zeit ist; nur immer nach rechts rühren, sonst wird’s nichts.“
Und das Fräulein schlüpft hinaus, leicht, elastisch, den Saum des weißen Kleides sorgsam emporgehoben.
Käte rührt ängstlich. Wenn’s nur was wird! Sie traut sich unter keiner Bedingung aufzuhören. Dann schimpft sie innerlich über das Fräulein, in dem Maße, als ihre Finger müde werden.
Da ist aber das Fräulein wieder da. „Nein, diese verteufelte Sauce, bei der alle Finger krachen. Es ist Schinderei, so was zu kochen,“ sagt Lore in einem ärgerlichen Tone, der so gut zu Kätens momentanem Gedankengang paßt, daß diese auflachen muß. Und so ist der Küchenfrieden wieder hergestellt.
Lore legt dann die letzte Hand an, wie der Bildhauer an des Abbozzators grobe Arbeit. Und dann ziert sie alles gefällig, verführend, appetitreizend.
Darauf schlüpft sie in ihr Zimmer, doucht sich, wechselt das Kleid, denn der Küchengeruch ist ihr unerträglich und sie schmückt sich gerne zum Essen. Alle Blumentöpfe, die im Hause sind, werden um den Tisch gestellt. Ueberall Sträuße oder blühende Blumenstöcke. Einer ihrer Verehrer, der zufällig zur Essenszeit im Hause erschien, fragte erstaunt, ob heute wohl ein Familienfest sei. Heimlich vermutete er, weil es gar so blumenfroh aussah, es sei seiner Geliebten Geburtstag.
„Meine Woche ist’s,“ sagte sie lächelnd, während er von ihr auf alle die weißen Azalien, Hyazinthen und Fraisien sah, die blütenduftend erfreuten.
Kam dann das Essen, so wurde niemand satt, als die Augen. Denn alles war so hübsch. Und Lore begriff nicht, wie man so viel essen könne. Sie naschte kaum von jedem und sobald[S. 50] ein Schüsselarrangement zerstört war, konnte sie’s nicht sehen, es ekelte sie davor.
Was sie freute, waren die Blumen. Sie legte in diese Organismen eine Fülle von Bezauberung, welche deren Leben ihr gewährten. Es war eigentlich das Einzige, was sie wirklich liebte. Nur der Duft geliebter Blumen, (denn auch unter ihnen hatte sie Antipathien), vermochte ihrer Seele eine Weile innere Heiterkeit zu geben.
Denn wie sehr man auch darüber staunen kann, Lores Seele war voller Schwermut. Nicht, daß sie sentimental gewesen wäre, aber alles in ihr drängte nach außen, gepeinigt von Sehnsuchten, deren Ursache und Ziel sie selbst nicht kannte. Zerstört von Wunden, die verfließend schienen, wie die zartfarbigen Nebel am Himmel. Gewürzt von Enttäuschungen, die ihr das Leben schon gab, als sie es erst sah, ohne es genossen zu haben.
Das schönste war weg: die Illusionen.
Wie allen Mädchen, meinte man auch ihr nichts Besseres, Weiblicheres mitgeben zu können,[S. 51] als Illusionen. Diese wurden in ihr großgezogen, wie künstliche Treibhauskulturen, wo es Pflanzen voller Blüten giebt und kein einziges, lebensnotwendiges grünes Blatt.
Aber auch sie hatte Augen, sah und war unglücklich. Doch schwieg sie ängstlich darüber, daß sie das Leben so schaute, entkleidet seiner Poesie. Sie schämte sich dessen, wie ein Ungläubiger, der aus Ehrfurcht vor dem, was er verloren, eine Blasphemie auf den Lippen zurückhält, die ihm doch aus ehrlichem Herzen käme.
(Ein warmer, hellerleuchteter Raum. Um den runden Tisch sitzen: die Mutter, Fritz, 6jährig; Marie, 9jährig; Kätchen, 14jährig.)
„Mütterchen, erzähl uns was!“
„Ei,“ sagt die gütige Mutter, „ich habe drinnen einen ganzen Kasten voll Bilder. Da will ich eines nach dem andern hervornehmen und euch zeigen.“
„Wo ist der Koffer?“ rief der neugierige Fritz.
„Sachte mal! Warte nur! Es sind gar keine gewöhnlichen Bilder. Wer nicht ein unschuldig Herz hat, der kann sie gar nicht sehen. Dem Aufmerksamen aber erscheinen sie wunderhübsch, und der Beste sieht sie am schönsten.“
Alle warteten gespannt, denn Mütterchen wußte so schöne Geschichten zu erfinden.
Da fing die Frau an:
„Es war einmal ein Junge, der weder Vater noch Mutter hatte. Beide waren dort draußen am Friedhof unter der Erde. Wenn es ihm gar zu traurig zu Mute wurde, ging er hinaus, um die Eltern zu sehen. Die aber lagen tief unter der schwarzen Erde. Da konnte er sie nicht erblicken. Deshalb weinte er, denn er hatte niemand, der ihm den Weg ins Leben zeigen wollte.
Die fremden Leute, bei denen er wohnte, wiesen ihm die Thüre und sagten: Nun bist du groß genug, dich allein weiter zu bringen, gehe jetzt in die Welt. Irgendwo draußen ist das Glück, gehe hin, es zu suchen.
Darauf schlossen sie die Thüre hinter ihm. Nun war er draußen. Aber es wurde ihm sehr bange. Er fing zu laufen an und es war ihm, als müßte er noch heute an das Ende der Welt, wenn er nicht den Mut verlieren wollte. Da kam er in den verzauberten Wald.[S. 54] Ich will doch ein wenig rasten, meinte er, während er sich auf einen schönen Rasen niederließ. Plötzlich horchte er auf. Durch die Stille des Waldes klopfte und hämmerte etwas, das war sein Herz. Warum fürchtete er sich nur so? Alles war ruhig um ihn, die Vögel ruhten Gefieder an Gefieder; die Blumen blühten still; niemand that ihm was zuleide. Da kam auch der Friede in ihn und er schlief ein. Im Traum erschien ihm eine schöne Fee, setzte sich zu ihm, streichelte ihm die Wangen und küßte ihn auf den Mund. Und plötzlich war es ihm so gut wie noch nie. Er sah sie an, sie war so schön, o so schön! Aber am herrlichsten waren ihre Augen, die schienen so tief, wie der tiefste See und so weit, wie der Himmel. Und wenn man hineinstarrte, wurde man jung und froh.
Ihr klagte er all sein Leid. Er erzählte ihr alles, was er gelitten, aber plötzlich kam ihm dies alles so gering vor, daß er dabei lachen mußte. Und bei der Schilderung jedes neuen Schmerzes von einst lachte er immer mehr, so sehr schien ihm jetzt alles unbedeutend.
Warum hatte es ihm nur einst so weh gethan?
Nun sah er sie an und fragte: wer bist du?
Sie lächelte aus ihren Augen und sagte: ich bin die Zufriedenheit. Aber manche nennen mich das Glück.
Ei, rief er, das trifft sich gut, ich suche ja eben das Glück. Willst du immer mit mir bleiben? Das hängt von dir, aber nicht von mir ab, sagte das Glück.
So lange du mich allein liebst, bin ich bei dir, aber sowie du an anderes denkst, muß ich dich verlassen. Bewahre dir ein einfältiges Herz, dann bleiben wir immer zusammen.“
Ei gewiß, sagte der Junge. So soll es immer bleiben und nun schau, daß wir beide schlafen können.
Aber morgens kam der böse Dämon und kniff ihn ins Herz.
Auh! schrie der Junge.
Mit Verlaub, sagte der Dämon, ich sah Sie da so gedankenlos schlafen, während das[S. 56] Leben dahin fließt. Da suchte ich Sie auf eine zarte Weise zu wecken.
Du Grobian, du.
Mit Verlaub! Ich wollte Ihnen nur jene schönen Knaben und Mädchen zeigen, die dort in Reihen vorüberziehen.
Da sah der Junge plötzlich, daß sein Kleid ärmlich und verschlissen war.
Traurig sagte er: Ich kann nicht mit.
Ei, sehen Sie, das ist Ihre Schuld. Warum träumen Sie, statt sich um etwas zu kümmern?
Träume ich?
Na ja, natürlich! Sie thäten besser, Ihre Toilette zu wechseln.
Aber ich bin arm, dies ist mein einziges Kleid.
So? Nun dann laufen Sie, zu suchen, wo Sie was finden können.
Wo sind die anderen?
Fort, sagte der Dämon, an’s Ende der Welt. Dort ist Glück. Wirklich? sagte der Junge. Am Ende der Welt, wo es so vieles zu sehen giebt!...
Ja, dort.
Da durchzog ihn plötzlich eine Sehnsucht, die Welt zu sehen und zu erkämpfen, zu erobern: Geld, Reichtum, alles, was glücklich macht!
Er fühlte in seinem Herzen inmitten dieses dunklen Verlangens einen schmerzenden Stich und vor sich sah er zwei wunderschöne Augen, aber er erkannte sie nicht mehr.
Nun machte er sich auf den Weg. Und der Dämon war sein Begleiter. Jetzt durfte er freilich auf keinem Wege mehr ausrasten.
Weiter, weiter, sagte der Dämon.
Jetzt hatte er weder zum Lachen noch zum Weinen Zeit. Die Welt ist gar so weit. Es war zum müde werden. Aber der Dämon peitschte ihn fort, weiter, weiter! Nun trug er schöne, seidene Kleider und schlief in Betten aus duftenden Hölzern, und viele Diener waren um ihn, die seiner Befehle warteten. Aber der Dämon rief: Wie stünden dir silberne Kleider gut, und wie schön ruht es sich in Betten aus kostbarem Elfenbein. Da lief der Junge, sich dies zu erwerben.
Dann stellte er sich vor den Dämon und sagte: Siehst du mein schimmerndes Silberkleid und das Bett aus feinstem Elfenbein?
Nicht übel, meinte der Dämon. Aber würdiger ist doch ein goldenes Kleid und ein Bett aus Gold und Edelsteinen.
Nun war dem Jungen die ganze Freude vergangen und er arbeitete, bis das goldene Kleid sein wurde.
Dann stellte er sich im Goldkleid neben sein Edelsteinbett und rief den Dämon.
Keine Krone? sagte dieser.
Da wurde es dem Jungen schwer, er ließ das Bett zertrümmern und warf das Kleid in den Strom.
Darauf suchte er sich ein Königreich. Ganz am Ende der Erde lag eins, größer als alle anderen. Das eroberte er. Dort war die Erde am reichsten. Oben auf den Wiesen blühten nur glänzende, duftende Blumen und in den Bächen blitzte goldener Sand und auf den Feldern lagen funkelnde Diamanten.
Hob man aber die Erde weg, so standen[S. 59] darunter die herrlichsten Säle, deren Wände lauter Edelstein und Gold waren. Und das Volk brachte ihm eine Krone, die ein einziger, großer Brillant war, in dem die ganze Sonne in vielen Farben leuchtete.
Darin sah er so schön aus wie ein Gott, so daß niemand es wagte, ihn anzublicken.
Und in der großen Stadt, wo sein goldener Palast stand, blickte er aus den edelsteinernen Fenstern auf sein Volk, welches jauchzte und schrie: Hoch lebe unser König, der Erde glücklichster Herr!
Er stand derweil auf dem Balkone und hielt ängstlich die seltene Krone mit seinen beiden Händen, damit sie nicht der Wind davontrüge.
Und unten tanzten schöne Mädchen mit flatternden Locken. Aber er konnte nicht hinab, wegen seines Ansehens und auch aus Furcht vor dem Winde.
Nun hieß es ja auch denken, wie alle diese Schätze vor untreuen Dienern und habgierigen Feinden zu sichern seien.
So hatte er wieder keine Zeit, sich zu freuen und er selbst zu sein.
Da kam der Dämon.
Der König drehte sich um und sprach: Siehst du meine Krone?
Nun ja, was weiter?
Du bist doch nicht der Einzige in der Welt, der König ist. Und es muß doch nur eine Freude sein, das zu haben, was sonst niemand hat.
Da wurde der König traurig, und wenn er nicht so viel Sorgen gehabt hätte, so würde er geweint haben.
So aber hatte er keine Zeit dazu.
Und nun wollte er wissen, was das sei, das sonst niemand haben könne.
Such es, sagte der Dämon.
Aber der König konnte nicht weiter, denn er war ja am Ende der Welt. Und er konnte nicht aus seinem Schloß, damit die Sonne nicht an dem Schimmer der Edelsteine seine Kleider entzünde.
So mußte er zum ersten Male ruhig bleiben. Und da konnte er nachdenken. Dabei fiel sein Blick auf einen Spiegel.
Wer war der alte Graukopf mit dem traurigen Runzelgesicht, der ihm daraus entgegengrinste? Der Alte war es selbst. Und hinter ihm stand der Tod und streckte seinen Arm nach ihm aus.
Sind wir schon so weit?
Ja, sagte der Tod. Nun bist du am Ende der Welt und am Ende des Lebens.
Aber ich habe mich ja noch gar nicht gefreut?
Das ist deine Schuld.
So? Und ich habe das Glück nicht gefunden.
Das ist wieder deine Schuld. Uebrigens scheint mir dies auch gar nicht der Zweck des Lebens zu sein.
Der König dachte nach. Eigentlich war er nie glücklich gewesen, d. h., doch einmal, als er noch arm war. Damals, als er im zerrissenen Kleid den Traum von der Glücksfee geträumt.
So schön war in seinem Leben doch nichts als dieser Traum.
Alles herrliche der Erde war nicht so schön wie dieser Jugendtraum. Nun wollte er wieder sich zu verinnerlichen versuchen.
Aber es ging nicht. Da kamen Ziffern, Sorgen, Galle und Neid — alles — nur kein Traum.
Und nun nahm ihn der Tod in seine Arme. Die Räte zogen darauf seinen Leichnam aus, sodaß er nun so nackt war, wie der Aermste der Armen.
„Nichts hab’ ich gehabt und doch das Schönste. Doch ich wußte es nicht.“
Draußen stand der Jüngling, welcher der neue König werden sollte.
Da wollte ihn der Tote warnen, aber seine Glieder waren steif und der Tod nahm Erde und legte sie über seinen Leib. Daraus blühen Blumen empor und sie duften des toten Königs Gedanken.
Aber nur der Reine kann sie verstehen. Das ist das Schlimme, es ging noch kein Reiner vorüber.
Es war einmal ein alter Mann, der nie mit Menschen sprach. Ja er ging niemals hinaus in Feld und Flur, um zu sehen, ob die Erde ihr grünes Samtkleid oder den weißen Pelz überzogen hatte. Er saß nur immer still in seiner Stube, mit der großen Brille über der Nase und schluckte durch die Augen schwarze Buchstaben.
Die Leute nannten ihn Gelehrten.
Einstmal im Winter sah des Nachbars Kind zwischen den weißen Eisblumen nach dem stillen Haus, wo der alte Mann wohnte. Die Fenster waren von innen vermacht, so daß man nicht hineinsehen konnte. Das thut er wahrscheinlich wie die Vögel bei den Nestern, um sich vor Kälte zu schützen, dachte das Kind.
Aber einstmal schien die Sonne wieder so warm und sagte: guten Morgen, Erde, steh doch auf, erwache doch!
Da streckte sich die Erde, schüttelte die weiße Federdecke und aus allen ihren Falten lächelte frisches Grün hervor. Ei! wie war[S. 64] das schön! Und die Leute gingen wieder ins Freie, die Frauen in bunten Kleidern, so daß man sie für wandelnde Blumen hielt.
Da dachte das Kind: jetzt wird auch das Fenster dort sich öffnen, denn die Sonne sprach schon: Wachet auf! Hatte es der Alte nicht gehört? Es guckte neugierig heute und morgen und übermorgen hinüber, aber immer blieb das Fenster verrammelt.
Da denkt das Kind: er ist wohl krank, daß er nicht der Sonne Ruf verstand. Ich will gehen, ihn zu wecken. Heimlich schlich das Kind sich hinüber an die Thüre, aber niemand sagte: „herein“.
Da öffnete es beherzt.
Drinnen flackerte ein kleines Lämpchen am Tische, wo der Alte saß und Buchstaben aß.
„Guten Tag,“ sagte das Kind. „Erwache doch, lieber Alter, Du schläfst wohl?“
„Wer bist du?“ fragte der Alte mürrisch.
„Ich bin ein Kind und komme dich zu wecken.“
„Warum störst du mich?“
„Ich wollte dich wecken.“
„Du glaubst wohl, daß ich schlafe?“
„Ja.“
„Du irrst dich.“
„Also, was thust du denn, lieber Alter?“
„Ich suche das Leben und kann’s nicht finden.“
„Das Leben,“ jauchzte das Kind.
Und es kletterte über einen Bücherstoß zum vergitterten Fenster hinauf, schob den Vorhang zur Seite und stieß den Flügel auf.
„Aber da ist ja das Leben, da draußen ist’s.“
Die Luft wehte frisch herein, der Klang von Menschenstimmen, Wagenrollen, der Pfiff der Eisenbahnen tönte in den Räumen.
„Da draußen?“ sagte der Alte. „Nicht möglich!“
Das Lämpchen verlosch, erschreckt durch den frischen Luftzug. Und nun sah das Kind, daß der Alte gelb war, wie die Blätter seiner Bücher, und daß seine Haut den Pergamenteinbänden derselben glich.
Der Alte war ja tot und hatte es selbst nicht gewußt.
Huh! Da fürchtete sich das Kind und sprang hinaus, in’s Leben... in’s Leben!!
Die Tante ging im Zimmer herum, übersah den gedeckten Tisch, ordnete die Blumen. Draußen war es so froh und sonnig. Nicht schwül, nur so ein Maitag des Lebens.
Else sah der Tante zu. Wie sie milde und sanft in jeder ihrer Bewegungen war! Und ihr Gesicht, so liebend gütig.
Else dachte nach. Tante war doch schon viele Jahre verheiratet und noch immer glücklich.
Das Nichtchen legte den Finger an den Mund, als wollte sie es nicht verraten und machte dabei ein verschmitztes Gassenjungengesicht: etsch! ihr glaubt, weil ich ein Backfisch bin, bemerk ich nicht, daß die meisten Ehen unglücklich sind.
Tante Jola aber machte ihr stilles, liebenswürdiges Gesicht und als sie jetzt so freundlich nach Else blickte, konnte diese sich nicht enthalten zu fragen.
Erst sondierte sie die Tante. Wird sie böse sein, oder ihr statt einer Antwort eine gute Lehre geben? Denn das konnte sie so nicht leiden. Sie wollte über manches klar werden, aber stets schickte es sich nicht, dies zu wissen. Dann blieben immer nur die Dienstmädchen zum Ausfragen über. Die sagten aber alles brutal. Und sie meinte, wenn ihr dasselbe, was sie zu fragen hatte, von Tante beantwortet würde, so müßte es so fein und zart sein, wie ihre Haut, ihr Gang, ihr ganzes Benehmen.
„Tante Jola?“ begann sie zaghaft.
„Nun Else?“
„Aber ich bitte dich, sei lieb und kläre mich auf. Du bist so gut, du wirst mich nicht ausmachen.“
„Was ist’s denn?“
„Liebe, liebe Tante,“ sprach jene ganz leise flüsternd: „ich weiß, daß du glücklich verheiratet[S. 69] bist und Onkel auch.“
Die Tante lächelte: „Ist das so schlimm?“
„Nein, Tante, aber... aber, ich wollte damit sagen, daß die meisten anderen Ehepaare, die ich sah,... es nicht sind.“
Die Tante wurde ernst und nachdenklich.
„Bitte, sag mir, wie ihr es macht, daß ihr so glücklich seid!... Daß du ihn so glücklich machst!“
Die Tante sah Else in die Augen: „Du kleine Psychologin, das letzte Wort merke dir für dein zukünftiges Weibsdasein. Es ist der Frau möglich, ihren Gatten glücklich zu machen. Sie muß nur ein bißchen die Augen offen halten und guten Willen haben.“
Danach dachte sie wie traumversunken nach und sagte endlich: „Nur daß wir zwei eine gute Ehe sind, das danke ich eigentlich meiner guten, klugen Mutter.
Schau dir einmal deine Freundinnen an. Sind nicht gerade jene, die nicht oberflächlich sind, voll seltsamer Träume über den künftigen Gatten? Scheint er ihnen nicht wie ein Ideal,[S. 70] das aus dem Himmel zu ihnen niedersteigt? Wenn sie sich mit diesen schönen Träumen in stillen Stunden begnügten! — aber sie wollen diesen Wolkengott heiraten, täglich mit ihm zusammen sein, die Alltagssorgen und Kleinlichkeiten, die das Leben mit sich bringt, mit ihm teilen.
Das sieht so anders aus, als das Erträumte. Nachher werden sie mürrisch, unzufrieden und kommt erst dies, dann ist es des immer Schlimmeren kein Ende.
Meine liebe Mutter hatte mich aber irdisch erzogen, sie gab mir Sinn, das Leben zu nehmen wie es ist und schön zu finden, was einmal so sein muß. Ich habe mir keine Idealmänner erdichtet, sondern Charaktere herauszufinden gewußt. Und glaube mir, der beste von allen war mein Gatte,“ sagte sie warm.
Else dachte nach.
Die Tante nahm aber die Nichte beim Kopf und sah ihr in die träumerischen Augen: „so mußt du es auch machen, Else! Dann wirst du einst glücklich werden und selbst beglücken.“
Der Kleinen wurde wirr und flimmernd um die Augen.
„Wenn man aber träumen muß, Tante Jola, und das Leben nicht sehen will,“ sagte sie flüsternd.
„Armes Kind!“
„Wenn man nichts wünscht vom Leben, als einen einzigen schönen Traum, so schön, wie alle Träume zusammen, die je geträumt wurden..“
Stimmlos leise klang es zurück: „Armes reiches Kind!“
Hella ging mit der Malerin durch den Wald. Es war Sommer. Die heiße Nachmittagssonne konnte nicht direkt herabglühen. Das Laub der Bäume, je nachdem es dichter oder schütterer stand, war heller, goldiger oder tiefergrün beleuchtet. Wie ein Sonnenlächeln strahlte das Licht durch den Wald.
Hella und die Malerin plauderten miteinander.
Hella sprach mit ihrer selbstüberzeugten, sicheren Jung-Frauenart: „Das Porträt ist sehr schön, aber zu nüchtern. Wissen Sie, es ist so, wie der Wald hier ist, aber das Sonnenlächeln drüber fehlt. Und das ist doch das schönste daran.“
Die Malerin antwortete: „Ja, könnte ich immer, wie ich wollte. Aber ich muß es den Leuten recht machen. So wie die es wollen, muß ich es machen, sonst bekomme ich keine Aufträge.“
Das Mädchen fühlte sich durch diese Antwort angewidert. Sie dachte, man müsse lieber leiden, als seiner Ueberzeugung untreu werden. Nachher schämte sie sich ihrer absprechenden Anmaßung. Dachte, wie schwer das Leben wohl sein mag und wie schrecklich der Kampf um die nötigen Daseinsbedingungen. Und da wurde es ihr klar: einige sind stark genug zu widerstehen und sich endlich durchzusetzen, andere jedoch müssen nachgeben, um leben zu können. Und Leben-Können ist doch der Zweck des Daseins.
Dann sah sie die Malerin an. Sie hatte dunkelgrüne Augen. So ungefähr, wie die dunklen Stellen einer Resedablüte oder eines tiefgrünen Chrysoberylls. Sie selbst aber hatte eine kornblumenblaue Leinwandbluse. Etwas ganz gewöhnliches. Aber dieses Blau, das an[S. 74] sich durch die Art des Stoffes am Kleidungsstücke stumpf erschien, spiegelte im Glanz der Augen in ungeheurer Heftigkeit. Das schwarze Innere der Pupille verschwand. An seiner Stelle leuchtete eine blaue Rundung, wie von blankpoliertem Lapis lazuli. Und rings herum der grüne Kranz des Augensternes. Das Weiße im Auge strahlte gletscherfarben. Es war wunderschön. Etwas Mystischem, Dämonischem glich dieser Anblick. Und es war doch nur der Widerschein der gemeinen Leinwandbluse in den freundlichen Augen der Malerin. Aber daß eben so aus Nichts plötzlich ohne unser Wissen und Zuthun Bedeutendes werde, das ist das Rätselhaft-Wunderbare des Lebens.
Da Hella die Malerin mit begeisterten Worten auf ihre Beobachtung aufmerksam machte, sprach diese ihre Verwunderung aus, daß ein junges Mädchen, welches nicht male, solches bemerke.
„Ja, warum denn nicht,“ sagte Hella. „Woran sollte man sich sonst freuen?“
Die Malerin sagte: „Wenn alle solch’ geübte Augen hätten, wäre für uns das Malen leichter.[S. 75] So müssen wir manches anders malen, als wir es sehen, weil wir wissen, daß es das Publikum nicht verstehen würde.“
Hella erhitzte sich, indem sie erwiderte: „Das sollte kein Maler thun. Das ist ein Versündigen an der Kunst. Mögen die Leute sehen lernen!“
Die Malerin dachte seufzend nach. Dann sagte sie: „Sie haben ja recht. Aber das Leben ist schwer. Indes giebt es ja viele, die wahren Künstler, welche lieber eine Weile den Spott der Wenig-Beobachtenden hinnehmen und getreulich wiedergeben, was sie sehen. Spät, oft erst nach ihrem Tode kommen die, welche sie verstehen und ihnen recht geben. Aber gemeiniglich ist für den gewöhnlichen Menschen der Himmel blau, der Sonnenuntergang gelb, die Anzeichen des Windes am Himmel rot. Damit ist ihr Farbensehen der Natur zu Ende.“
Hella flüsterte geheimnisvoll: „Wissen Sie, jemand anderem würde ich es nicht verraten, man würde mich ja auslachen. Doch Ihnen kann ich es sagen. Ich sah einen Sonnenunter[S. 76]gang, da erschienen die Fenster der Häuser türkisblau. Das war märchenschön.
Und dann ein andermal konnte ich einen Brand beobachten. Unten drängten sich die Menschen wie häßliches Ungeziefer. Es war Sommer und ungefähr ½-9 Uhr abends. Das Licht der Laternen hatte noch keine Leuchtkraft. Aber die Brandlohe war so intensiv, daß sie den Himmel leuchten machte. Nie hätte ich mir dies als möglich gedacht. Das Firmament hatte das tiefe Blau eines südeuropäischen Himmels. Und goldene Sternentropfen fielen aus der Luft. Oben aber, ferne und blaß wie Auerlicht mit schlechtgewordenen Strümpfen, hingen die Sterne. Denken Sie, unsere schönsten Sterne!“
Die Malerin lächelte über diese drollige Beschreibung, während Hella fortfuhr: „Und die Straßen sahen gräßlich aus; durch das übermäßige Licht schien die unbeleuchtete Seite in tiefstem Schatten, die andere aber phantastisch erhellt. Es war, als wäre die Grellheit des Blitzes bleibend geworden.
In allen Fenstern sah man Menschen. Doch man unterschied weder Augen noch Haare. Sondern ihre Gesichter hingen nur wie Riesenbüschel fahlfarbiger Früchte aus den Fensterrahmen.“
— — — — — — — — — —
Wieder dachten beide nach. Die Malerin sagte: „Haben Sie gesehen, daß der Sonnenuntergang in manchen Gegenden violett ist?“
Die junge Eigensinnige entgegnete: „Violett? Nein! Aber tieffliederfarben. Es giebt eine Art seltener Syringen, die so tief im Ton sind, d. h.“ und sie verbesserte sich selbst „eine Nuance zwischen tieffliederfarben und mauve.“
Ihr Gesicht drückte ein leises Mißbehagen aus. „Wissen Sie,“ meinte sie zur Malerin, „die Maler können überhaupt meistens die Farben gar nicht benennen.
Aber malen können wir sie! Ja, das ist wahr. Doch wie soll sich der Schriftsteller helfen? Es giebt rot, blau, grün, gelb, weiß, schwarz, violett. Dann sind wir fast fertig. Wie brutal muß da eine Beschreibung sein,[S. 78] während das Auge die herrlichsten Nuancen sieht, die so schön zusammenstimmen, wie Harmonieen.“
„Nun, so belehren Sie die Leute, wenn Sie es besser wissen,“ sagte die Malerin mit leichtem Spott.
„Das will ich auch einst, bis ich mehr weiß,“ sagte Hella mit träumender Heftigkeit. „Aber wo soll ich anfangen? Selbst innerhalb der paar armseligen Worte, die die Menschen für Farben haben, haben sie nicht Gefühl genug zu unterscheiden, daß eine Farbe in glänzendem Stoff zu einer anderen paßt, während dieselbe, matt zur anderen gebracht, disharmoniert.“
Die Malerin, die mehr auf Sehen, als auf das Reden über das Sichtbare eingerichtet war, fand sich verletzt und gelangweilt.
So schieden sie, eben als Hella noch etwas von ihren Beobachtungen verraten wollte.
Die Malerin dachte: „Ein bißchen verrückt ist sie doch.“
Hella aber träumte: „Was für Herrlichkeiten hat die Erde — wir aber gehen wie knurrende Blinde ewig unzufrieden an allem Schönen vorbei.“
Oben, fünf Stock hoch, wohnte die arme, junge Frau in der Mansarde. Sie war ganz unförmig und hatte ein hageres, eingefallenes Gesicht. Da ihre Beine geschwollen waren, konnte sie die vielen Stockwerke nicht mehr hinabsteigen, um in Arbeit zu gehen.
Fräulein Helene brachte ihr heimlich alltäglich das Essen hinauf.
Wissen durfte niemand davon, denn ihre Eltern hätten sie gescholten und ihr niemals gestattet, so bei „allerlei Leuten“ herumzulaufen.
Wenn das feine, junge Mädchen über die Treppe der Armut stieg, sorgsam die Röcke raffend, damit dieselben nicht vom Schmutz der[S. 80] Stiege verunreinigt würden, so wurde ihr wirr zu Mute über die Kompliziertheit des Lebens.
Irgendwo war es nur hell, weiß, schön und irgendwo schien alles grau, Schmutz, Ekel. Wenn nur mein Leben heilig und schön bliebe, wünschte ihre Seele.
Die junge Frau kam ihr diesmal nicht entgegen. Sie saß am Bettesrand. Und obwohl ihr armes Leidensgesicht ganz unbewegt schien, gingen doch zwei stille Thränen ihren Weg über die Wangen. Helene wußte nicht, was sie fühlte. Viel Mitleid vielleicht, aber auch Ekel. Dennoch sagte sie mild: „liebe Frau, soll ich Ihnen den Arzt schicken?“
„Nein, nein, danke, Fräulein.“ Und dann stöhnte sie plötzlich auf, als zerrisse ihr Leib. Die Nachbarin kam herein. „Fräuleinchen, fort von hier. Wenn das Ihre Leute wüßten.
Werde schon nach Hilfe sehen. Gehen Sie nur schnell fort und kommen Sie nicht wieder. Sonst giebt es Schelte für uns arme Leute.“
„Soll ich ihren Mann holen? Wo ist ihr Mann?“
„Mann? Hehe! sie hat keinen. Ihr Bräutigam ist fortgelaufen, als sie ihm sagte, daß ein Kind kommt.“
„Ein Kind?“ rief Helene erschreckt, während ein zweites, mächtigeres Grauen in ihrem Innern auflohte. Ihr war, als müßte sie umsinken vor Entsetzen, aber ein Ekel hielt sie aufrecht. Es kam ihr vor, als würde sie mit in den Sumpf gezogen, dessen sie im Halbverständnis der angedeuteten Worte inne ward.
Ihre Seele that heimlich den Eltern Abbitte. So etwas gab es!
Aber die junge Frau stöhnte immer heftiger, während die alte Nachbarin ihr bedeutete, fortzugehen.
Plötzlich entsann sie sich, daß eine neugierige Freundin einmal im Konversations-Lexikon über die Geburt nachgelesen hatte und einer zweiten Freundin hatte es das Dienstmädchen erzählt. Nur ihre Eltern thaten, als wußten sie nichts davon.
Helene zitterte, wollte nicht bleiben, konnte nicht fort.
Das wurde also ein Kind ohne Vater. Und zu solchen Leuten ging sie. Die mußte man ja verachten, das schlechte Geschöpf. Danach dachte sie: muß ich gleich verurteilen, was ich für mich selbst als schlecht empfände? Und sie schämte sich ihrer Pharisäergedanken.
Die alte Nachbarin, die einstweilen Wasser gehitzt und eine Menge Bändchen, Tücher und eine Schere bereitete, sah so ruhig aus. Helene konnte nicht umhin, dies gemeine Weib, mit den groben, furchigen Arbeitshänden mit einer Art Ehrfurcht zu betrachten. Während sie selbst zitterte, war jene die ruhig Helfende. All das Hündisch-Demütige der Armut war von ihr weg, und sie schien von einer stillen Größe. In ihrem Antlitz lag etwas Erzstarres und dennoch Güte. Wie eine Priesterin des Schmerzes erschien ihr die Alte, die der Leidenden zuzurufen schien: „Weib, erfülle Dein Schicksal.“
Helene flüsterte ihr zu: „müssen alle Frauen so leiden?“
„Alle! Die einen mehr, andere weniger, aber alle, alle.“
Wieder wirbelte es durch ihr Inneres. Alle? Und warum verachtet man, oder bespöttelt man die, welche verunstaltet durch die Gassen gehen, mit der Last des zukünftigen Lebens in ihrem schwachen Leib.
Man sollte sich vor ihnen neigen, wie vor dem Herrscher, wenn er vorübergeht.
Nun aber drängte die Alte, sie müsse Hilfe holen, es würde Zeit und Helene müsse unbedingt fort.
Es stieg wieder eine Verachtung für jenes Weib in ihr auf. Dann fragte sie: „Wird sie auch so schwer leiden müssen?“
„Natürlich.“
Helene zitterte, dann ging sie zu der Stöhnenden, reichte ihr, was sie sonst nie gethan, die Hand und flüsterte leise: „Möge es Ihnen wohlergehen, Mutter!“
Als Helene nach drei Tagen Zeit fand, wieder zu der Verlassenen hinzugehen, kam ihr die Alte an der Thür entgegen, noch starrer als sonst.
„Es ist vorüber,“ sagte sie hart.
„Was?“
Die Alte deutete hinein, ohne sie anzusehen. Im Zimmer lag in einem schmalen Holzsarg die junge Frau. Kein Kranz, kein Schmuck. Arme Leute zieren Tote nicht. Armer Leute Geld reicht nur zum Hungerstillen.
Helene fing zu weinen an. Die Alte sah fast verächtlich zu ihr hinüber. Ihre Weichheit schien ihr Schwäche.
„’s ist gut so, sie hat sich’s zu sehr zu Herzen genommen. Die Schande hat sie umgebracht.“
„Aber wenn alle gut und verzeihend mit ihr gewesen wären, hätte sie da gelebt?“
„Wahrscheinlich.“
„Und das Kind hätte jemand gehabt, der es geschützt und gepflegt hätte! Nun wird es wieder schutzlos sein, wie die arme Tote und alles wird wieder so häßlich werden, weil niemand gut ist.“
Die Alte sah wieder so sonderbar zu ihr.
Dann ging sie ins andere Zimmer und machte Milch warm für das erwachte Kind, und mit vieler Zartheit kam sie seiner kleinen Hilflosigkeit entgegen.
Als das Kind gesättigt war, legte sie es hin und sagte barsch: „Heute kommt es ins Findelhaus.“
Dann ging sie zur Thür hinaus.
Erschüttert ging Helene weg.
Sie dachte: „So schwer ist unser Leben. Ein Schicksal liegt auf unserem Scheitel. Und man öffnet uns nicht die Augen. Man läßt uns lächeln und vertändelt sein. Wir wissen nichts vom Leben. Wir fehlen oder thun Gutes, werden dafür verurteilt oder gelobt und begreifen selbst nichts davon. Einst sollen wir dieses Schauerliche und Süße werden: Mütter! Wir tragen der Menschheit Zukunftshoffnung in unserem Schoß.“
Helene gelobte sich: „Und ich will dieser armen Toten gedenken, wie die einfache Frau mich durch ihr Thun gelehrt: nicht mit Worten oder schönen Gefühlen, sondern in Werken.
Warum sagt man uns nichts vom Leben, von unserem Leben, damit unsere eigenen Seelen nicht leichtsinnig verworfen werden, sondern weiß und heilig bleiben, für das Schicksal, das unserer harrt?“
Sie ging die Straßen entlang, ihrem Hause zu. Mechanisch streiften ihre Augen die Aufschriften an den Läden. An einer Thür hing ein Schild: Heute Schlachtfest.
Ihre verletzte Seele buchstabierte den Augen nach: Schlachtfest. Sie sah das bluttriefende, noch rauchende Fleisch, aus dem der ihm eigentümlich fad-üble Geruch stieg. Da ein Bein, dort der Kopf, enthäutet, noch mit den Augen darin. Das hatte noch vor wenigen Stunden gelebt. Darin pulsierte fröhlich das Blut, welches nun zerronnen am Fleisch klebte. Auch das ist unter Qual dem Leben gegeben worden, dachte sie. Dann: „Wie können Mütter sich von Getötetem nähren? Frauen muß alles Geborene heilig sein. Der Mann mag das Töten verherrlichen, wir aber wollen das Leben feiern und alles Geborene ehren und schützen. Denn in uns liegt des Lebens Sinn. Und unser Werk dieser Erde muß Güte sein und wieder Güte und der Güte nie genug...“
Weib: Du bist ein Mädchen von heute: unschuldig, aber wissend —
Mädchen: ja, alle Mysterien sind mir bekannt, ohne —
Weib: daß du dich selbst dabei beschmutzt hättest. Du weißt nur, wie die Sonne am Himmel von der Erde weiß.
Mädchen: Ja.
Weib: Und was gedenkst du nun zu thun? Wohin zieht dich das Leben?
Mädchen: Dir ist’s leicht, du gabst deine Seele hin.
Weib (bitter): Heißt geben empfangen?
Mädchen: Nein, allein du konntest jemand[S. 88] etwas geben. Nur Reiche beschenken und wenn du den würdigen für deine Seele fandest...
Weib: Wenn! Wenn! Wenn ich ihn aber nicht gefunden hätte? Wenn ich mich getäuscht habe und schnell die zum Geben geöffnete Hand wieder geschlossen hätte?
(Beide schweigend nachdenkend.)
Nach einer längeren Weile das
Mädchen: Muß man nicht unglücklich sein, wenn die Schwesterseele nicht zu finden ist?
Weib: Du nennst sie Schwesterseele. Nenne sie Allmenschenseele, das wäre besser. Aber deine Augen sagen es mir, du verlangst mehr vom Leben. Die Schwesterseele bin ich dir. Doch du wünschest mehr. Deine hungernden Mädchenaugen verraten das Verlangen nach Glück.
Mädchen (leise): Und Glück ist Liebe.
Weib (traurig): Auch du, die der neuen Generation! Ist dies ein Mangel unserer Gewöhnung oder unserer Erziehung, werden wir alle immer so denken müssen?
Mädchen (seufzt).
Weib: Wäre unsere Welt wirklich so eng? Der Mann hat Berge und Bergestiefen, Meer und Meeresgrund, Reiche, Sternenwelten und noch über sie hinaus Sehnsüchte, und wir, wir hätten nur die Liebe? Sind wir so arm?
Mädchen: Und er hat noch die weiten Reiche, die er unter dem Mikroskop sieht: Wunder über Wunder, Staunen ohne Ende! Ist das Leben nicht das allerherrlichste Märchen? Da siehst du in ein kleines, dünnes Rohr, nicht größer als dein Auge und drinnen, dahinter liegen plötzlich Welten, Reiche von Ungekanntem ... Und immer neues, immer wieder!
Weib: Wir aber, wir hätten nur die Liebe?
Mädchen: Der Mann sehnt sich auch nach Liebe.
Weib: Auch! Du sagst es. Aber wir sehnen uns nur nach Liebe. Hast du nicht Frauen beobachtet, die einen Beruf haben? Der Mann wird sein Lebensziel ernst nehmen, und Liebe wird ihm das Versüßende sein. Der Frau aber wird die Liebe ernst sein und der[S. 90] Beruf ein Tändelding. Ein Ding, das sie ihrer Erwartung wie eine Schürze vorhängt.
Mädchen: Wer lehrte dich so bittere Gedanken? War das Leben so schlimm mit dir?
Weib: Ich meine nur so. Es ist keine Bitterkeit darin. Vielleicht habe ich unrecht. Es quält mich nur manchmal in schlaflosen Nächten, das zu finden, was uns wirklich aus unserer inneren Natur heraus angepaßt wäre. Damit wir von dort aus unser Lebensziel fänden. Nicht was wir eben „auch“ leisten könnten, sondern was nur wir zu stande brächten.
Mädchen: Und wenn es die Liebe wäre!
Weib: Dann müssen wir sie eben zu unserem Lebenszweck erheben. Liebe zu allem Geborenen; zu allen Leidenden, Trostsuchenden. Dann soll es die Liebe sein, mit der wir den Ernst, den Schmerz der andern lindernd durchleuchten.
Mädchen: Es ist noch etwas. Ich finde die Worte nicht, aber ich trage es in mir.
Weib: Du Einfältig-Süße, die du die Erfahrene lehrst! Auch wir waren nicht ganz arm. Denn in uns liegen, dem Manne un[S. 91]bewußt, der Kräfte viele. Ohne Erworbenes zu sein, ruht es in uns. Und wir liegen, wie die Frucht im Mutterleib, geschützt im Schoße des Alls. Das ist das Uns-Eigene. Warum sollte nur herrlich sein, was der Mann sein Werk nennt.
Die Bäuerin hielt das Kind am Arm und sah dem Horo[1] zu.
Du, sagte zu ihr die junge Stadtfrau: Ist’s ein Bub’ oder ein Mädchen?
Nein! Ein Bube!
Wie alt?
Schon fast zwei Jahre.
Geht er?
Ach nein, noch immer nicht.
Die Stadtfrau sieht sein bleiches Gesichtchen an, welches klagt: noch immer nicht, ich bin ja so krank!
Fidelfideldidilum!
Sieh’ ’mal die dort an, wie sie tanzt, die[S. 93] mit dem goldflittrigen Kleide, das ist meine Tochter!
Aber dein Kleiner?
Ist sie nicht schön und weiß und blühend?
Liebe Stadtfrau, sie trinkt mein Blut, sie saugt am Mark meiner Knochen, für mein Fleisch kauft sie sich Goldflitter und die Mutter hält mich fest dazu, daß ich nicht fortkann.
Das Kleid hat viel gekostet, eine Kuh und ein Kalb.
Frau, dein Kindchen ist blaß.
Und leise in der Seele löst sich’s los und legt sich warm über des Kindes Seele.
Da hebt der Kleine sein schmerzlich-gleichgültiges Gesichtchen.
Der Kopf, den der abgemagerte, unnatürlich helle Hals nicht zu tragen vermochte, lag kraftlos auf der Schulter!
Aber jetzt wurde ihm gut. Und seine klugen, totgezeichneten Augen sahen nach der Stadtfrau.
Die Frau erschauerte.
Aus dem mageren Körper flatterte eine[S. 94] zuckende Seele empor und legte sie mit mildem Schauer um ihr Sein.
Und etwas sprach — aber nicht mit armen Menschenworten, sondern unendlich schöner, heiliger zu ihr, flog ihr zu wie heißer Dank, wie inniges Verständnis, klagte von frühem Tod und einsamem Sterben. Und noch viel heimlicher tönte es darunter: auch du leidest, auch du!
Die Stadtfrau bebte. Ist’s möglich! Die Vernunft sagt doch nein!
Aber ein Neinsagen ist doch kein Ungeschehenmachen.
Die Augen des Kindes erschlossen sich plötzlich, es blühte ein Glanz darinnen auf, der zu ihr herüberstrahlte.
Endlich hab’ ich dich doch gefunden, mein Teil, mein Sein, meine Seele! Nun kann nichts mehr schaden.
Träume ich? dachte die Frau.
Und ihre Augen versanken in die des Kindes, in Tiefen, Untiefen, Unendlichkeiten.
Wie weit deine Seele ist, dachte sie.
Sieh’ da! sprach die Bäuerin, er lacht, das hat er noch nie gethan.
Wirklich! Ein beredter Glanz lag um das Schweigen seiner Lippen.
Sieh’ zu! Das hat er noch nie gethan!
Und das wird er nie mehr thun.
Die Frau dachte: es ist alles so wunderbar, fast erschrecklich. Er spricht kein Wort, dennoch sagt er bergetiefes Durchschauen. Mir ist mild zu Mute, als hätte ich mein totes Kind wieder.
Allein. Das ist doch nicht möglich! Ich bin ja irr. Es muß etwas anderes sein, etwas Heimliches, das wir noch nicht wissen.
Nun fing es zu dunkeln an. Die Frauen, die kleine Kinder hatten, gingen heim, um sie zu füttern.
Der Leib will auch sein Teil.
Aber die Bäuerin sah, wie ihre Tochter zu der Fiedel sprang.
Frau, sagte die Städterin, er ist müde, führ’ den armen Liebling heim.
Nun ja, werden schon, sieh’ erst meine Tochter an.
Der Kleine stöhnte, aber die Bäuerin hörte nicht. Da stieg in seiner Seele das wilde, rohe, gewaltthätige Tier auf, das der Mensch ist, kämpfend, dürstend, verzweifelnd!
Und er kratzte und biß die Mutter. In seinen Augen lag ein finsterer Haß.
Um mein Leben ring’ ich, ohne los zu können.
Sie mordet mich, die Böse! Leben! Leben! Werden! Erfüllen!
Die Bäuerin lachte: Siehst du den Schlimmen, aber er kann doch nicht los, ich halte ihn fest.
Fest!
Es krallte sich dies bange Wort in der Stadtfrau Seele ein.
Eine wilde Angst stieg aus ihrem Innern zu dem Kleinen:
Kann ich dir nicht helfen, kleiner Liebling? dachte sie. Ich will dich retten. Ich will! Ich will!
Trag’ ihn gleich heim, sagte sie befehlend.
Und dann schwammen Brocken von Gedanken in dem Wogen ihres Innern empor.
Trinkt er genug?
I, woher denn! sagte die Bäuerin. Wir können keine Milch zahlen und unsere Kuh mußten wir verkaufen. Ein Brot in Wasser verrührt thut’s auch.
Ich werde den Bauern Geld geben für Milch.
(Das behalten sie für sich.)
Oder selbst Milch schicken.
(Die trinken sie aus.)
Oder das Kind ihnen abnehmen.
(Das wäre eine Schande im Dorfe, der Ehr’ wegen können sie’s nicht —)
..... oder, oder! Himmel, giebt’s nichts mehr, keinen Ausweg!
Ihr stieg die Röte ins Gesicht. Sie sah den Kleinen an, ein unendlich feines, bedeutungsvolles Lächeln flog traurig über sein Antlitz: keinen.
Aber du thatest mir so wohl, sagte die Sanftmut seines Blickes.
Nun ging die Bäuerin.
Leb’ wohl, ich bin immer bei dir — lebe wohl, sagte des Kindes Seele.
Die Bäuerin war schon weit. Das Kind hielt den Kopf wie durch helfende Kraft aufrecht und der Stadtfrau zugewandt.
Sein Mund lächelte ihr vielen Dank.
Und dann waren sie ihr weit. Da sank sein Haupt wieder kraftlos auf die Schulter und müde Verzweiflung legte sich in die Furchen um den Mund.
Ferne stand die Stadtfrau, seelenwund und verzweifelnd und sann und sann und rang die Hände gegen den Himmel und wollte, wollte so gerne! — und — konnte doch nicht!
[1] Ein Nationaltanz.
Die kleineren Schulmädchen saßen in der Vorpause zusammen. Sie hatten schon alles Mögliche geschwatzt, ihre feinen Kleidchen bewundert und ihre Eltern gerühmt. Was nun?
Da sagte eine: „Else, bitte erzähl uns ein Märchen. Aber wieder eins, das du fandest.“
„Ich erzähle nur die, welche mir selbst einfallen,“ erwiderte diese.
Darauf steckte sie die Spitze des Zeigefingers ein klein wenig in den Mund, machte ein schrecklich nachdenkliches Gesicht und fing an:
Es war einmal ein junger König. Er hatte Augen aus Bernstein. Und drüber lagen goldene Wimpern. Die funkelten wie Blitze.
Er trug goldene Kleider und goldene Schuhe, denn darauf sieht man den Staub nicht so sehr. Und seine Diener fanden auch, daß er so am besten angezogen sei.
Zu ihm kamen die Leute des Landes und brachten ihm ihre Verehrung dar. Der eine sagte: „Du bist herrlich!“ Der andere: „Du bist umsichtig und weise!“ Der dritte: „Du kannst alles. Du bist der Größte und Beste.“
Und der König nickte allen freundlich zu, sah auf sein Kleid und dachte: gut, daß ich meinen goldenen Anzug habe.
Einstmals kam aber ein junges Weib zu ihm, die ehrlich und aufrichtig an seine Weisheit und Größe geglaubt hatte. Und sie meinte, sie müsse ihm das wie ein braves Kind seinem Vater sagen.
Als sie aber vor ihm stand und sah, wie jung und schön er war, wurde sie ganz verlegen und wußte nicht, was sie sprach.
Draußen vor der Thür war einer, die Brust voller Orden. Der hatte ihr die Hofsprache gelehrt. Er sagte ihr: „Mein Kind,[S. 101] du mußt dir unsere feine Rede angewöhnen. Willst du sagen, hier ist’s schmutzig, so rufst du, ei, welche schöne Reinlichkeit! Und gefällt dir was nicht, so mußt du sagen, ich bin mit allem einverstanden. Dann versteht man dich schon.“
Sie wollte auch die Worte des goldgestickten Kleides mit den Orden beherzigen. Denn sie hielt auf feine Manieren.
Aber als sie vor dem jungen König stand, hatte sie alles vergessen.
„Das bist du also!“ entfuhr es ihr.
Und dann schwiegen beide verlegen. Denn eine solche Anrede hatte der König noch nie gehört. Da wußte er nicht, was er antworten sollte.
„Weißt du, jetzt muß ich erst sehen, wie hübsch du es hast,“ sagte sie, und setzte sich auf den Thron.
Da mußte der König lachen, denn nie war ihm so drolliges passiert.
Kaum saß sie aber, als sie schon aufsprang: „Hör mal,“ sagte sie, „da ist ja alles voll Staub.“
Der König wurde verlegen: „Am Golde sieht man es doch nicht,“ entschuldigte er.
„Aber meine Finger fühlten es.“ Da sah er, daß sie zarte, weiße Händchen hatte. Und wie sie sich schüttelte, damit der Staub nicht an ihrem Kleide hängen bliebe, lösten sich ihre dunklen Haare und fielen in lockigen Längen über die Schultern.
Der König rief plötzlich: „Du gefällst mir unbändig!“ Denn er liebte die Kraftausdrücke.
„Du gefällst mir auch,“ sagte sie und bereute gleich, daß sie sich verraten hatte.
„Was hast du mir denn eigentlich zu sagen?“ fragte er.
„Ach, das hab ich nun vergessen. Aber du hast ja braune Augen mit Goldwimpern,“ rief sie erstaunt wie ein Kind, das eine schöne Blume findet. „Das ist ja wie in einem Märchen!“
„Was ist denn das für ein Märchen,“ fragte er neugierig, denn er liebte über alles Geschichten zu hören.
„Das kann ich dir jetzt nicht sagen, es warten so viele andere draußen auf dich.“
„Du hast recht,“ sagte der König. „Du mußt aber wiederkommen.“
„Ach nein,“ meinte sie.
„Du mußt. Ich bin der König und ich beordere Dich zur Audienz.“
„Wann denn?“
„Morgen gleich,“ sagte er und strich sich mit der Hand unter der Nase weg, denn er liebte die einfachen Manieren.
„Gut, morgen!“
„Aber jetzt sag mir noch schnell, wer du bist und was du thust.“
„Ein Weib bin ich und träume. Weißt du, so schöne Träume,“ sagte sie, und wurde rot vor Vergnügen.
„Ach, ach!“ sagte der König, was immer viel zu bedeuten hat.
Und dann ging er ganz nahe an sie und wollte sie küssen.
„Niemals!“ rief sie und sah ihm zornig[S. 104] in die schönen Augen. Und wupp, ehe sie’s selber wußte, hatte er seinen Kuß.
— — — — — — — — — —
Die Lehrerin kam herein. Da mußte Else ihr Märchen unterbrechen. In der Nachmittagspause aber setzten sich wieder alle um sie herum und sie begann:
Als der König am andern Tage das junge Weib erblickte, lief er ihm schnell entgegen, so daß der goldene Pantoffel am Boden nachschlappte. „Da bist du ja,“ rief er froh und schüttelte ihre Hände.
„Warte mal,“ rief sie und zog aus der Tasche einen kleinen vergoldeten Holzstiel, aus dem ein Büschel rosa und blauer Federn herauswuchs. „Erst pußte ich mir den Sessel da ab, sonst ärgere ich mich.“
Dann setzte sie sich und sie plauderten. Aber als sie dem König in die braunen Augen sah, die mit den goldgelben Wimpernrändern wie zwei Aurikelchen aussahen, bemerkte sie, wie er so traurig darein blickte. „Was hast du denn? Sag mir’s,“ meinte sie zutraulich.
„Ach!“ sagte der König und glaubte, es schicke sich für ihn nicht, seine Geheimnisse gleich auszuplaudern.
Aber dann fing er an: „Draußen ist’s wohl schön?“
„Nun und ob,“ sagte die junge Frau.
„Und draußen giebt es Leute, die lachen dürfen?“
„Warum denn nicht?“
„Ach!“ sagte der König wieder, denn er meinte, er hätte schon zu viel von sich verraten.
Nach einer Weile, als sie so friedlich nebeneinander am Thron saßen, kam ein Sonnenstrahl, küßte zuerst die Frau, nachher den König und blieb dann wie ein goldener Segen über ihren Häuptern liegen.
Die junge Frau lächelte mild und erzählte mit süßer Stimme ihr Märchen.
Da wurde dem König, er wußte nicht wie! Als ob aller Frühling und alle Sonne in ihm wäre! Aber er traute sich nicht, es der jungen Frau zu sagen.
So seufzte er nur: wie unglücklich und allein bin ich!
Die junge Frau aber sprach weiter, leise, süß, lieblich.
Da wuchs dem König der Mut. Er rief: „Weißt du was, du wirst meine Frau und ich werde froh wie du.“
Und die junge Frau lächelte nur und war gar nicht erstaunt darüber, als ob dies so sicher hätte kommen müssen, wie Blumen im Frühling.
Da kribbelte und krabbelte es im Gang und die Klinke der Thüre, die zu des Königs Gemächern führte, wurde angefaßt.
Mit einem Satze war der König an der Thüre und riegelte zu. „Ich bin nicht zu sprechen,“ rief er hinaus.
„Wer ist’s denn?“ fragte das junge Weib.
Aber der König sagte nur „ach!“ und der Sonnenstrahl war auch fortgehuscht. Da meinte sie, es sei Zeit und ging auch.
„Du kommst aber wieder, du bist ja nun meine Braut.“
Als sie das nächste Mal zu ihm wollte,[S. 107] ging sie durch den Garten. Ein Vöglein hüpfte auf dem Sandweg. Wenn sie es haschen wollte, war es ein paar Schritte weiter, drehte das Köpfchen nach ihr um und hielt still.
So ging es, bis sie endlich tief im Schloßpark stand. Es rischelte und raschelte und am Wege standen drei alte Runzeldamen. Sie hatten alle Drei den Drachenorden I. Klasse an der Kette umgebunden und sahen sehr böse drein.
Vor Schreck blieb die junge Frau stehen. Die Drei aber sprachen wütend: „Warum ist der Himmel blau und der Frühling grün und warum die Frauen schön! Und können wir auch nicht beglücken, so können wir doch schaden.“
Dann riefen sie einander zu: „Du hast ihn verdorben, du hast ihn verdorben, du hast ihn verdorben.“ Nachher schrien sie so aufeinander, daß das junge Weib davonlief und ganz atemlos in den Audienzsaal kam.
„Höre mal,“ sagte sie dem König, „da bei dir ist es doch nicht so schön, als ich dachte.
Da sah ich drei...“
„Sei still, sei still,“ rief der König.
Da schwieg sie.
Dann setzte er sich hin und weinte. Und dann sagte er leise: „Das sind meine hohen Verwandten.“
„Nicht möglich!“ lachte sie.
„Und ich will nie ein böses Wort über sie hören, verstehst du, nie!“
„Aber sie schimpfen über dich.“
„Sie haben mich lieb, auf ihre Weise,“ sagte er und fing wieder zu weinen an.
Dann sagte er: „Es muß sein und ich will sie rufen lassen und ihnen sagen, daß du meine Braut bist.“ Dem Diener befahl er: „Rufe ihre Hoheiten die Galle, die Milz und die Leber. Ich lasse sie zu mir bitten.“
Aber sie kamen nicht.
Als sie aber fort war, traten sie ein und knurrten: „Die, die, die? Niemals!“
Darauf waren sie verschwunden.
Der König konnte es aber vor Sehnsucht nicht mehr aushalten und ließ sich heimlich mit dem jungen Weibe trauen.
„Nun bist du mein Weib, aber warte nur,[S. 109] ich setze dich auch auf den Thron, bei meinem Königsschwur, über ein Jahr bist du Königin.“
Bis dahin wohnte sie in einem unterirdischen Palast. Von außen mußte sie durch eine schmutzige finstere Höhle. Fledermäuse scheuchten auf, Ratten huschten herum.
Aber drinnen war es gemütlich. Wände aus Porphyr, Stufen aus rosa Marmor, Stühle aus duftenden Hölzern und kleine Tischchen von Amethysten. Nur Blumen gab es keine, die verdorrten gleich. Und die Sonne konnte auch nicht hinab.
Des Königs Frau wurde aber immer blässer und blässer. Denn sie wohnte in Nacht. Aber sie hatte die Sonne lieb. Und seine Lippen küßten warm, aber unter der Erde war es so kalt.
„Bist du glücklich?“ fragte er sie. Da stürzten Thränen in ihre Augen. Aber sie verbarg ihren Kopf schnell an seiner Brust und sagte: „Ich bin glücklich.“
Und jedesmal rief er: „Von morgen sollst du auch Königin sein.“ Aber dann dröhnte[S. 110] es draußen, und die Fledermäuse flatterten ängstlich und drei Stimmen kreischten. Nie, nie! Und eine rief: ich habe die Macht von der Erde. Und die zweite: ich habe die Macht vom Firmament, und die dritte: ich habe die Macht von der Hölle. Und können wir niemand beglücken, so wollen wir schaden. Und es wird nie!
Da weinte der König und schmiegte sich hilfesuchend an sein schutzloses Weib.
So verging die Zeit, und als er einmal heimlich zu seiner Frau kam, lag ein kleines Mädchen da, sein Kind.
Da lächelten beide vor Glück und umschlangen einander. Er warf sich der jungen Mutter zu Füßen und rief: „Wie glücklich hast du mich gemacht!“ Draußen aber dröhnte es: ich habe die Macht von der Erde und ich habe die Macht von der Hölle. Nur die dritte Stimme schwieg.
„Weißt du, ich sehne mich nach der Sonne,“ sagte die junge Mutter.
„Entsinnst du dich noch der Sonne, als wir zusammen so froh am Throne saßen?“
„Noch heute laß ich dich zur Königin ausrufen! Du zweifelst doch nicht an meinem Wort“ sagte er und warf sich in die Brust. „Ich habe auf der ganzen Welt nur dich lieb. Baue auf mich.“
Von der Erde,... von der Hölle! klang es draußen.
Und kleinlaut verbesserte sich der König: „Habe nur noch ein Weilchen Geduld, dann wird alles gut werden.“
Da lächelte die junge Frau wehmütig, sah noch einmal nach dem Kindchen und dem König, als müßten die in ihren Augen eins werden. Dann flüsterte sie: „Wo ist Frau Ehr, meine Mutter?..“ seufzte und war tot.
Unter den Schulmädchen war eine Bewegung entstanden. Die blasse, kleine Desiree, mit der nie jemand sprechen wollte, war aufgesprungen. Thränen liefen über ihre harmvollen Wangen, als sie zitternd sagte: „Aber das ist ja die Geschichte meiner Mama!“
Da wurden die Mädchen böse und erklärten, es sei eine dumme, häßliche Geschichte und sie wollten nichts weiter davon hören. Damit drehten sie der kleinen, blassen Desiree verächtlich den Rücken und gingen auseinander.
Sie sind einst zusammen im Lehrerinnenseminar gewesen. Wieviel Jahre seither schon verflossen waren! Nun sahen sie mit ihren ergrauenden Haaren zurück in die Vergangenheit, die schon weit, o wie weit lag, — und wunderten sich, wie schnell sie gegen das Land des Todes fuhren. Ist das ein Eilzug durch Gefahren und Geschehnisse! Kaum, daß sie sichs versahen, war alles schon wieder vorüber.
Und nun blickten sie unwillkürlich zurück. Da saßen sie, durch einen äußerlichen Zufall zusammengeführt bei einander, erinnerten sich der in der Jugend gemeinsam verlebten Jahre, gestanden sich die fern von einander entstandenen Geschehnisse der vielen Jahre.
Wie es so geht, hatten sie als Mädchen sich fest versprochen, Freundinnen durchs Leben zu bleiben. Aber das Leben ist mächtiger als Versprechungen aus Kindermund. Der Zufall riß sie auseinander. Nun waren sie überzeugt, daß sie sich nie wieder begegnen würden und daß das Ganze nur thörichte Jugendträume blieben. Wieder vergingen Jahre, da hatte eine die andere vergessen.
Doch das Leben führte sie plötzlich zu einander. Und nun fühlten sie sich wieder so vereint und fast verpflichtet, sich gegenseitig zu berichten, was das Leben ihnen Schlimmes oder Gutes gebracht.
Mit Scheu und Wehmut sahen sie einander an. Da ein blonder Kopf, der einst voll ährengoldner Haare glänzte — nun waren sie schütter und verblaßt.
Hat zuviel Sonne darauf geschienen? dachte die Dichterin.
Dort ein Kopf: Augen wie schwarze Kirschen, Jasmin die Wangen — alles Duft und Glut einst! Jetzt war die Haut lehm[S. 115]farben und über das Haar lag es wie Spinneweben auf altem Gemäuer.
Und dann jene.
Die schöne Gestalt, die sie damals hatte. Ja, wie wurde die einst beneidet! Sie war die erste, die einen Busen hatte und Hüften. Ach! Wie sah sie reizend und rund im Schwimmkleid aus! Wie ein Püppchen. Sie-Selbst hatte damals eine rechte Herzensfreude an sich! Nun war sie ganz aufgedunsen und von ungesunder Blässe, die einst schönen Augen verschwanden im Fett.
Jene wieder war hager. Fast hätte man es von ferne für Jugend nehmen können. Aber es ist die spitzige Eckigkeit stark gewordener Knochen.
Wie sie sich so ansahen und sich vergebens bemühten, die geliebten Züge der Jugend unter dieser schlimmen Veränderung wiederzuerkennen, fiel sinnender Ernst in ihr Gemüt.
Als wären sie von derselben Gedankenkette umschlungen, fühlten sie: ist mit unseren Träumen, Wünschen, Hoffnungen nicht dies gleiche Anders[S. 116]werden vor sich gegangen, wie mit unserer äußeren Gestalt? Haben wir erreicht, was einst unsere Jugend hoffend sich als Ziel gesetzt?
Da schwiegen sie beschämt auf ihre eigene, stumme Frage.
Sie wurden sich klar, daß alles, alles anders gekommen war, als sie gewollt, gedacht, geträumt hatten. Wie durch die heransausende Lokomotive die dürren Blätter auf den Schienen durch den Luftzug fortfliegen, so hatte sie das Schicksal hinausgeweht und sie glaubten, sie wären selbst geflogen.
Nun wußten sie es und mußten fast über sich lächeln. Dann erzählten sie einander von ihren Geschehnissen.
Da war eine unter ihnen, zärtlich, scheu, voll liebender Hingebung. Ueber alles, wie die Schale um süßen Kern, ein herber Trotz. Ach! ach! was wird das für ein Glück für den, der einst den Kern bekommt! hatten damals die Mädchen gesagt. Die verheiratet sich bald, prophezeiten sie.
Aber es kam anders. Sie schlug einen nach dem andern aus. (Wer hätte sich dies von ihr gedacht!) Und spät, wie der, welcher lange suchend am Markte umhergeht, ohne zu finden, was ihm eigentlich behagt und dann etwas halbwegs Konvenierendes nimmt, um nur nicht ganz leer nach Hause zu kommen, spät erst wählte sie einen Gatten.
Ihre Befürchtungen hatten sich nicht getäuscht. Es wurde so schlimm, daß sie sich gezwungen sah, wieder in ihre Einsamkeit zurückzukehren. Das Leben war aber drüber halb vergangen und dem Herbste blüht kein neuer Mai.
Du Arme, Süße, sagten die Freundinnen. Du weinst um ein verpfuschtes Leben!
Ei nein! sagte sie. Zwar schön war es nicht, doch weiß ich nicht, was ihr habt. Warum soll ich nur an mich denken? Ist denn mein kleines Einzeldasein schon wert eines so großen Gejammers! Ein Mensch allein, was ist das? Nichts. Alle, alle, die Menschheit! Erst die hat ein Schicksal, ein Leben, einen Weg, eine Zukunft.
Die kleine Zwischenkette des Leides, die ich im Dasein repräsentiere...! (Sie machte eine verächtliche Handbewegung, als wäre das gar nicht der Betrachtung wert.)
Und mein Dasein ist gar nicht so umsonst, als ihr meint. In dem Verfehlten meines Lebens habe ich soviel erlernt, beobachtet, was ich andern warnend geben kann, damit ihr Weg einst lichter wird. So ist die ganze Jugend, alles Blühende, Hoffnungskünftige der Menschheit meine Familie.
Die Schwarze seufzte tief auf.
Erzähle du nun, flüsterten die anderen. Aber es lag nicht das Oberflächliche klatschsüchtiger Neugierde darin, sondern der Durst, aus den Bechern der Geschicke das Leben zu ergründen.
Die Schwarze seufzte nochmals mit den Augen nach dem Spiegel hinüber —: Ihr könnt es euch nun nicht vorstellen, aber ich war schön, verehrt, angebetet.
Eine Sirene, eine Sphinx nannten mich zitternde Männerlippen in scheuer Verehrung.[S. 119] Und ich war stolz! Aber glücklich! nein! ich war es nie. Immer lag noch etwas in mir, was ans Licht kommen wollte. Ein Ewig-Ungeborenes sehnte am Grunde meiner Seele. Ich will euch alles gestehen, sagte sie leidenschaftlich. Verurteilt mich, aber sagen muß ich es. Seht, einstmals lebte ich wie ein Pfau. Nein, es ist häßlich, dies so zu schildern.
Ich empfand es anders. Ich war ganz trunken von Leben, Jugend, Schönheit. Ich berauschte mich an dem, was Spiegel und Männer sagten. Alle Menschen sah ich mühend um Macht und Ansehen, und ich kam und siegte. Das war wie zu stark betäubender Blumenduft — man taumelte lächelnd dahin. Zwar manchmal fühlte ich etwas in mir, als gäb es Welten von Innerlichkeit darin, die unberührt dastanden, wie das Schweigen mächtiger Urwälder. Aber dorthin kam meine leichte Seele nie. Sie fürchtete Dunkel und Gefahr.
Jetzt aber sehe ich es, ich vergeudete mein Leben. Von allem Herrlichen hab’ ich nichts genossen. Als meine Seele noch vibrieren konnte,[S. 120] war ich nichts als der Götze für fremde Verehrung. Was habe ich davon? Nein, nie war ich glücklich!
Die Dichterin, die bisher von allen ungesehen im Dunkel saß, sprach mild: verurteile dich nicht! Auch das war Leben! Und auch du hast dein Teil dem Ganzen gegeben. Denn wenn du auch selbst scheinbar nichts gethan noch gewollt, so hast du die Träume der Schaffenden befruchtet. Und auch dein Leben ist gesegnet.
Nun war die Blonde an der Reihe. Sie sprach ganz schüchtern: Ihr Lieben, von meinem Leben ist wenig zu berichten. Wenn ich nicht euren gütigen Ernst sehe, so müßte ich schweigen, so uninteressant ist es. Seht ihr, es giebt Blumen, die blühen jeden Frühling. Und manche, die gar nicht aufhören zu blühen. Ich kann es gar nicht fassen, aber es ist so.
Doch giebt es eine Pflanze, die blüht nur einmal und siecht dann hin — seht ihr! So eine Liebesblume wie die Aloe war ich. Mein zages und vielleicht stolzes Herz schoß nur einmal zur Liebesblume empor. Einen hab’ ich[S. 121] geliebt, hab’ ihm ein Kind gegeben. Außer meinem Gatten habe ich nichts gewünscht, geliebt, geträumt. Nun ist er tot. Da fühle auch ich mich sterben.
Die Dichterin drückte ihr die Hand. Du Allzureiche, Vielverschweigende, sprach sie. Nur der Durstige weiß beredt des Trankes Erquickung zu schildern.
Die Hagere seufzte: Ja, ihr! Aber was soll ich sagen! Ihr wißt, ich bin Frauenrechtlerin, habe einen nun bekannten Namen, jedes Blatt citiert mich. Man betrachtet mich förmlich als die Berufene, über die künftige Stellung des Weibes in der Gesellschaft zu entscheiden. Weib, Gesellschaft, Stellung, ich pfeife nun auf sie!
Wie ich jetzt so nachdenkend mit euch sitze, scheint es mir, als hätte ich mich in eine Einseitigkeit verbissen, die so schlimm ist als irgend eine andere. Ich nahm an, daß wir Frauen höchst unwürdig lebten. So als eine Art Püppchen für Männer. Nette Tändeldinge ihrer freien Stunden. Nichts weiter. Mir graute[S. 122] davor. Ein Gattenfang! Damit ist das Leben aus. Und sonst nichts für uns an den Tischen des Lebens! Und dieses ekelhafte Hinarbeiten auf dieses eine Ziel. Sonst nichts. Wenn ich nur diese verschiedenen Weiblichkeiten sehe, sich drehend und Augen rollend vor allem, was männlich ist! Nein, ich kann euch diesen Ekel nicht mitteilen. Die große Leidenschaft, die hätte ich wohl anerkannt, auch in meiner radikalsten Emancipierungsperiode. Aber ihr werdet mir zugeben, daß die gewaltige Liebe, die sich einsetzt und behauptet gleich einem Naturgeschehnis, selten ist, wie die Sintflut.
Also blieb nichts, als dieses kleine Stückchen Speck, das verlockend in der Mausfalle der Ehe hing. Und das waren wir, und immer wieder wir! Thränen der Wut habe ich über unser Los geweint! Glaubt es mir!
Dann dacht ich mir so ungefähr: weg mit diesem falschen Königstum und Sirenentum des Weibes. Verdient, plagt euch, arbeitet! Das hat auch sein Königliches. Es giebt euch Freiheit, damit ihr nicht so um den Mann zu[S. 123] buhlen braucht. Und dann, wenn wir arbeiten wie er, wollen wir auch seine Rechte haben.
Aber, nun werde ich irr an mir. Ueber die erste Jugend hinaus, die ich keusch und stolz, nichts wissend von Liebe verbracht hatte, scheint unauslöschlich all das, was ich verdammte, in köstlichsten Lockfarben. All’ das, was ich öffentlich vertrete, verwünscht mein Inneres. Ich zweifle. Oft bringe ich Stunden dahin, im Innern zu widerlegen, was ich doch überzeugt einst geschrieben habe. Oft auch kommt mir dieser Schmerz, als hätte ich die Frauen, statt zur Selbständigkeit zu noch Sklavenhafterem verleitet: nämlich zur Nachahmung der Mannesthätigkeit. Dann... dann hätte ich ihrer Natur den Boden unter den Füßen weggezogen, so daß sie rettungslos versinken müssen. Seht ihr, das ist schrecklich!
Warum Mannes-Wissenschaft? rief sie, während die Hälfte der Zuhörerinnen sie nicht verstand. Was ist das! Weil sie es so gefunden haben, soll es so die absolute Wahrheit sein? Nichts ist es, als ihre Anschauungs[S. 124]weise. Man kann einen Berg von oben und unten und rechts und links betrachten. Warum ist es gleich das Einzig-Richtige, von woher die Männer ihn sahen. Und seht ihr, gerade zu diesem Schauen hab ich die Frauen verführt. Vielleicht wäre aus ihnen selbst heraus in Generationen einmal etwas gekommen. Niemand kann sagen, was. Aber Etwas! Ich fühle es, daß es möglich gewesen wäre. Und muß es Wissenschaft sein? Dies Männliche, die Wissenschaft!
Im Gehirn liegen noch feinere Möglichkeiten, den Dingen beizukommen, als das Denken!
Die Hagere hatte sich in Eifer geredet. Keine der Anwesenden verstand sie, kaum eine war darunter, die nur nachfühlen konnte, welches innere Martyrium über diesem selbstlosen Frauenleben lag. Nur das Aeußerliche, Lächerliche daran wurde ihnen klar.
Und weil sie nun schon am Spötteln waren, so kritisierten sie sich heimlich gegenseitig.
Die Närrin, die niemand angeschaut!
(Das war die Hagere.)
Die muß auch gelebt haben! Wer weiß, was für ein zweideutiges Dasein!
(Das war die Schwarze!)
Könnte auch eine Entfettungskur gebrauchen, statt sich zur Jugenderzieherin aufzuschwingen!
(Das war die Volle.)
Ach! was für ein fades Dasein! Ob sie’s nicht bereut!
(Das war die Blonde.)
— — — — — — — — — —
Die Dichterin schien noch ganz nachdenklich über die Worte der Hageren. Dann sprach sie: Kränke dich doch nicht! Was du uns zuriefest ist wahr.
Verstand ich dich recht, so sagtest du: des Mannes Herz ist der Boden eures Wesens. Ihr beurteilt euer Leben darnach, ob ihr nur seichtwurzelnde Blümchen darin wart, Eintagsblüten, oder starke Pflanzen mit tiefgehenden, weit verzweigten Wurzeln. Was du da fandest, ist doch wahr! Und dein Weg und Wollen dann! Was kann ein Mensch, der in heiligem Glauben[S. 126] einem Ziele zustrebte, Gütigeres den Künftigen sagen, als: seht, da liegt der Fehler, so dürft ihr es nicht machen. Soviel ist nun gewiß.
Alle betrachteten nun die Dichterin. Sie war ja ungefähr in ihren Jahren. Aber das Merkwürdige ihres Aeußeren schien, daß man bei ihr weder an Jugend noch Alter dachte. Es lag etwas über ihrem Wesen, wie bezaubernde Beleuchtung auf einer einfachen Landschaft. Dieses Licht aus ungeahnten Weiten und seine Farben sah man. In ihm schien alles zu liegen.
Höre mal, riefen alle. Du bist uns deine Geschichte schuldig. Erzähle nun auch du. Wir haben uns jede nicht übel zugerichtet. Nun solltest auch du offen sein!
Ach liebe Freundinnen, sagte die Dichterin, wie gerne würde ich das thun! Aber mein Leben war wesentlich einfacher als das eure. Ich könnte euch eigentlich nur Episoden mitteilen, die auch wohl nicht der Bedeutung wert schienen, für mein Inneres aber unvergeßliche Daseinsquellen wurden. Dennoch aber will ich[S. 127] euch erzählen, damit ihr seht, daß ich offen sein möchte wie ihr es wart. Und hauptsächlich darum, weil ich euch für die heutige Stunde unseres Zusammenseins dankbar sein werde, solange ich atme.
Keine so großen Einleitungen! Erzähle! Erzähle!
Die Dichterin wurde noch bleicher, sah noch versonnener aus, dann sprach sie: Als ich ganz jung war, hatte ich auch dieses berauschende Lebensgefühl, wie es eine von euch geschildert hat. Nur — seht ihr — nicht an mir selbst.
Sah ich Frauen mit den Blicken des Jubels in den Augen, die dahinschwebten wie von den Wolken des Stolzes getragen, da fühlte ich, was sie empfanden.
Und kannte ich Tiefeinsame, Männer, Helden des Schaffens, dann beglückte mich die Weihe ihrer entsagungsvollen Einsamkeit.
Ich-Selbst liebte draußen im Freien zu sein. Oft brachte ja das Geschick das, was Menschen Unglück und Leid nennen. Aber wenn[S. 128] ich für mich allein hinausging, so etwas Kleines, Erbärmliches, ein Menschlein nur! — Da wurde mir sicher zu Mute. Ich ging wie geborgen unter dem Firmamente, das wie ein goldgesticktes Gewölbe schien und doch ein tiefes Grauen von ungeheuerlichen, glühenden Welten ist. Dann wurde das Denken leer. Denn wie hätte ich Kleines, ich Nichts das Billionenmal Größere und Machtvollere begreifen können! Aber ich löste mich auf. Wurde Gefühl von jenem Gefühl, Kraft von der Allkraft, Wirkung vom Allwirken...
Nein, nein! riefen alle! Erzähl uns von dir. Was gehen uns die Sterne an!
Eben das ist ja mein Leben und euer Leben...
Nein! Etwas Positives! Hast du geliebt? Sag!
Ich habe auch geliebt, sprach die Dichterin mild.
Die Frauenrechtlerin dachte: auch! wie sie das sagt! Vielleicht geht sie den herrlichen[S. 129] Erlösungsweg, den ich meinte und nicht fand. Sie, die in Einfalt wandelt. Und sie grübelte der Satzfolge nach. Nicht: auch ich habe geliebt, hatte sie gesagt. Sondern: ich habe auch geliebt. Darin lag es deutlich ausgesprochen. Unter den Erlebnissen meines Lebens war auch Liebe. Aber nicht das Einzigste, sondern nur Eins mit darunter.
Die übrigen waren enttäuscht. Nichts mehr? sagten die andern.
O ja! die Blumen z. B. sprach die Dichterin.
Nein, das meinen wir nicht.
Und Ihr-Selbst heute, ihr Lieben! Wie ihr so eure Schicksale mitteilet, die so völlig verschieden waren — da kam mir das Dasein wie eine große Blume vor. Die einen sind die Blütenblätter und die anderen der Samen, wieder andere die Kelchblätter und andere die Wurzeln im dunklen Erdreich... Und alle müssen andere Schicksale haben, das liegt ohne ihr Wollen in ihnen. Aber alle zusammen sind die Wunderblume „Leben“.
Sie ist verrückt! dachten die Zuhörerinnen. Aber tiefer, als in ihrem Denken fühlten sie, daß der Dichterin Einfalt lauschend am pulsenden Herzen des Lebens lag.
Im Veilchenbund, einem Kränzchen junger Mädchen, kam es zu bedenklichen Zerwürfnissen. Isolde, Lina, Bella und die schwarze Bertha liebelten herum, flirteten mit jedem Mann, den sie erblickten und fanden nichts reizender, als Bräute oder junge Frauen zu kränken, indem sie mit deren Männern kokettierten.
Den tieferen Naturen des Veilchenbundes erschien das jedoch weder so lustig, noch heldenhaft, noch auch wert, um die heilig schönen Stunden ihrer Jugend darauf zu vergeuden.
Etwas lag in ihnen, das den noch Unwissenden vom Leben erzählte, von der tragischen Schwere, die über dem Dasein liegt.
Obwohl ihre Unschuld noch nichts erlebte, so hatten sie durch Beobachtung manches erfahren. Ihre lichten Seelen sahen manches Schmutzige, welches sie anders gewünscht hätten. Oft fragten sie, warum man ihnen das Häßliche verschwieg, wenn es nun einmal da war. Wenn es einmal dräuend auch über ihr Leben kommen mußte, das sie so gerne sternenrein und zart gewünscht hätten! Und sie zitterten vor der Rohheit des Daseins.
Einige erzählten sich auch von Büchern, die sie heimlich gelesen hätten. Es waren dies ernste, traurige Werke, an denen man fühlte, wie weh es dem Autor that, daß er solche Menschen schildern mußte. Aber es waren eben Menschen und Uebelstände unserer Zeit.
„Abscheulich sind diese Bücher,“ sagte ein kleiner Blondkopf. „Warum schreiben sie nicht etwas Holdes, damit man das Leben anlachen kann! Sondern immer nur Trübes, Schreckliches, Gequältes.“
Die Mütterliche aber mit der weichen Stimme und den grüngrauen Augen umschlang[S. 133] sie und sprach: „Sei nicht traurig, auch du wirst stark sein.
Wir sind in einer Uebergangszeit. Vieles scheint uns roh, was bisher den Menschen nicht wehe that. Aber siehst du darin nicht ein Zukunftshoffnungsleuchten, daß die Menschen es ändern wollen?“
„Ja,“ sagte eine, „das geht nicht von heute auf morgen. Was Jahrhunderte als gut befunden wurde, kann nicht durch das einfache Bessererkennen auch schon geändert sein. Unsere Zeit hat auszuscheiden, für eine lichte Zukunft, wo die Menschen wieder froh sein können und dürfen.“
Die Blonde sprach: „Ich möchte so gerne lachen und glücklich sein.“
Und darauf die Mütterliche: „Wir alle wollten es, aber können wir es, wo so viele leiden? Unserer Enkel Enkelkinder werden vielleicht wieder froh und dankbar ins Leben sehen können. Unserer aber wartet ein Werk. Wir wollen einzig wahre Mütter sein. Nicht nur die Daseinsgebenden, auch die Leben[S. 134]gebenden! Nicht nur unserer Kinder, sondern auch anderer Kinder, ja allen Menschen.“
Eine rief begeistert: „Und alle Lüge und Trug sei von unserem Wirken verbannt.“
Und eine andere: „Wir wollen dann die Erfahrneren sein, die den Weg denen erleichtern, die über uns hinaus wachsen werden.“
Alle hielten bewegt inne.
Dann sprach die Mütterliche, ohne jemand anzusehen, mit ins Weite leuchtenden Augen:
„Nun ist unsere Zeit gekommen, nun dürfen auch wir Heldinnen sein. Nicht eine oder die andere, wie es da oder dort einst schon war, sondern alle, alle! Wissende, die dennoch die gute Saat auswerfen, obwohl die Ernte nicht zu erleben ist.“
Die Finstere sprach leise: „Immer wird es dasselbe bleiben, immer wird es elende Gemeinheit geben, Schlechte gab es und wird es geben.“
Es traf sie der strafende Blick aller: „Wäre es so oder anders, das ist nicht zu ergründen. Wozu also müßig darüber streiten! Halten[S. 135] wir, was wir uns versprachen: Das soll das uns Sichere sein.“
Denn wir haben des Lebens tragische Erhabenheit gefühlt und so seien wir geweiht!
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Martha Asmus, Indiskrete Mitteilungen über Erfahrenes.
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M. 2,—, Liebhaberausgabe M. 4,—
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IV. Wie wir aus dem Bestehenden das Beste machen können.
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Der Roman von Tristan und Isolde ist das hervorragendste poetische Erzeugnis der modernen Romantik. Halb Geschichte, halb Dichtung schildert er die Schicksale des unsterblichen Liebespaares, die schon Wagner zu seinem grossartigsten Musikdrama begeisterten. Die tiefe Poesie des Romans steigert sich in einzelnen Abschnitten zu einem geradezu berückenden Glanz. Wie Tristan den Morholt erschlägt, wie König Marke um Isolde wirbt, wie beide dann alle Bitternisse der Liebe durchkosten, als Flüchtlinge verbannt und verfehmt durch den Wald Morois irren, wie Isolde wieder an den Hof Markes kehrt und das Gottesurteil wagt, durch das Liebesidyll im Schlossgarten hindurch bis zum endlichen Unheil des schwarzen und des weissen Segels — es giebt keine Geschichte, die zugleich ergreifender und entzückender wäre, als dieser Roman. Seine Lektüre ist wie eine Wanderung im romantischen Märchenwald. Er ist ein Liebesbrevier vom höchsten Rang und ein Lebensbuch, das jedem seine eigenen Schicksale wiederspiegelt.
Von demselben Werk ist eine
Grosse Prachtausgabe
erschienen, mit ca. 150 Vollbildern, Textillustrationen und Zierleisten geschmückt von Robert Engels.
Preis in vornehmem Geschenkband M. 18,—
Liebhaberausgabe, nur 50 numerierte Exemplare,
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