Sie war geflochten aus besten Stricken,
aus bleiverknoteten, festen, dicken,
meine Geißel nämlich — und der Stil
so grad recht handlich zum Prügelspiel.
Doch nein: es sollte ja ernst zugehn:
ich wollte das Schandweib blutig karbatschen,
diese alte Prüde mal zappeln sehn.
Also rasch in den Frack! in die Ecke die Latschen,
die Lackschuh an, Glacés, Chapeau,
damit nicht etwa, käm ich so
als Mensch blos, ohne den Affenschniepel,
Verdacht entstünde: hinaus, du Rüpel!
Ich las noch einmal die Adresse:
Frau Geheime Komm.-Rat J. von Kohn
etcetera — die „Kommission“
verschwieg man, schien’s, aus Delikatesse.
Eine Krone drüber, riesengroß,
ersetzte das „geborne“ Schwänzchen.
Da war ich geladen zum Lesekränzchen.
Denn, verehrter Leser, ich träumte blos.
Hm! dacht ich: wie wird sie mich begrüßen?
Wahrhaftig, sie hatte Karriere gemacht,
hatte mich immer schon ausgelacht —
na warte, Kröte, heut sollst du’s büßen!
Ich übte Probe; verdammt, das zog,
wie die Knute um Wade und Schienbein flog!
Ich knöpfte sie zärtlich unter die Weste,
ich übte den Handgriff, es ging aufs beste.
Noch ein Blick in den Spiegel! famos, famos,
das wird ein lustiges Lesekränzchen:
[S. 256]
erst Faust von Goethe, und dann mein Tänzchen!
Faust?? — Wie gesagt, ich träumte blos.
Wo hatt ich sie eigentlich kennen gelernt?
Seltsam! ich sann und sann und sinnte,
meine Gedanken waren wie Stinte:
kaum da, schon wieder weit entfernt.
Ich lief und lief, durch Zeit und Raum,
von Straße zu Straße, in meinem Traum:
ich wußte genau, ich kannte sie
seit je, die Dame Prüderie —
und doch: wer war sie? — Das war ja rein
zum rasendwerden mit dieser Fratze:
Doch immer die selbe! dies Blinzeln! Nein,
doch nicht! bald lüstern, fast wie’n Schwein,
bald wie’ne Schlange, nein wie’ne Katze.
Und dennoch — Teufel, ich irr mich nicht:
um diese vielfältigen Blicke immer
das selbe zahme Kaninchengesicht,
nein Affengesicht, nein Hühnchengesicht,
das selbe süßlederne Frauenzimmer.
Ah — ja natürlich! klar wie Butter:
erst war sie die Tochter von unserm Paster.
Die warnte mich stets vor dem Pfad der Laster;
dann wurde sie heimlich Fräulein Mutter.
Das heißt, nicht etwa von meiner Seite,
ich wußte noch nicht, was der Vogel gepfiffen,
ich nahm die Worte noch für die Leute;
ein Andrer, der hatte sie — besser begriffen.
Und dann: weiß Gott, das war sie ja auch:
[S. 257]
die Frau Patin mit dem verschämten Bauch.
Ihr seliger Gatte war sehr verderbt,
er hatte ihr einen Apoll vererbt
mit nichts als einem Blatt zum Kleide;
drum band sie ihm, so geht die Fabel,
aus himmelblauer chinesischer Seide
ein christliches Mäntelchen vor den Nabel.
Nein! Himmel! es war ja ihr Fräulein Base:
das ethisch-ästhetische Fräulein Lucinde,
die mit der Entenschnabelnase
und dem Traktätchen „Die Kunst der Sünde“.
Sie hatte sich züchtig nach einem Mann
in den vornehmsten Zeitungen umgetan,
doch wollte keiner die Tugend belohnen;
nun schrieb sie poetische Rezensionen.
Ganz Deutschland pries ihren edlen Stil
ob seiner fließenden Reinlichkeit;
besonders Dehmeln besprach sie viel
und beklagte seine Peinlichkeit.
In Höherem Auftrag ließ sie auch,
der Staat bewilligte die Mittel,
ein Werk erscheinen mit dem Titel:
„Das verbesserte Volkslied zum Schulgebrauch“.
An den Anfang war als Motto gestellt:
„Hähnchen von Tharau ists, das mir gefällt“.
Und immer neue! Verdammte Hexe,
kaum bist du Eine, so sind es sechse —
Herrgott, nun ist sie gar ein Mann:
der Herr Seelenforscher von nebenan,
Privatdozent und Licentiat,
der den wunderschönen Vollbart hat,
[S. 258]
er schwingt fürs Frauenwohl die Feder.
In Schriften spricht er und vom Katheder
über die höhere Sinnlichkeit
aller wahrhaft sittlich Emanzipierten
und die sexuelle Verworfenheit
und perversen Affekte der Prostituierten;
er will ein kirchliches Zuchthaus gründen
zur Korrektur der natürlichen Sünden.
Die Termini technici liebt er nämlich,
so ein Fremdwort finden die Damen charmant;
deutsch klingt gleich alles so beschämlich
und zehnmal weniger intressant.
Drum ist er, nur aus besagtem Grunde,
bei einem Spezialarzt ständiger Kunde.
Ah, da geht er ja wieder; Herr, warten Sie doch!
was machen Sie denn so breite Beine?!
Nein, er ists ja garnicht — ah: Frau von Knoch
mit ihrem Möpschen an der Leine,
seine verehrte Gönnerin.
Ach nein: Frau Konsistorialrat Klooß,
mit dem würdevoll wackelnden Doppelkinn,
die „Witwen- und Waisen-Beschützerin“
und Fünfmillionenbesitzerin,
geborene Freiin von — Kronensproß.
Ihr Neffe, der war ein deutscher Dichter,
so einer von dem verruchten Gelichter,
die alles beim rechten Namen nennen
und gar keine moralischen Rücksichten kennen;
dem hat sie natürlich ihr Haus verschlossen.
Und da hat der Mensch die Frechheit besessen,
angeblich aus Mangel an Kleidung und Essen,
und hat sich ’ne Kugel durchs Hirn geschossen.
[S. 259]
Und immer neue! Mein Schädel brannte,
während ich so durch die Straßen rannte;
ich lief und lief wie spukgeschreckt.
Aus allen Mienen, aus allen Blicken,
als hätte ein Teufel die Welt beleckt,
schien mir dies Weibsbild entgegenzunicken.
Seitdem ich die Nase ins Leben gesteckt,
war sie mir über den Weg gekrochen
mit ihrem frommen Kaninchengesicht,
nein Katzengesicht, nein Hühnchengesicht,
mit ihren schlangengeschmeidigen Knochen.
Sie hatte so’was in den Augen,
das schien sich einem ums Herz zu stricken,
alle Liebe drin zu ersticken
und jede Männlichkeit auszusaugen.
Und wo man hinkam, war sie zu treffen,
sie schien die reine Gesellschaftsklette;
sie ließen sich alle geduldig äffen
von dieser verzuckerten glatten Kokette
mit ihren ahnungslosen Mienen,
die — seltsam — nimmer zu altern schienen
und die ich auch niemals jung gesehn;
ihr schien die Natur aus dem Wege zu gehn.
Zwar: sie auch ihr! denn sonderbar:
kein Haus, in dem dies Rackervieh
nicht irgendmal zu finden war,
blos in den Hütten des Volkes nie.
Und immer, waren wir mal zu Zwein
und ich wollte der Hexe die Wahrheit geigen,
so ein Lächeln und Lispeln: „lassen Sie sein,
geliebter Freund! wie süß dies Schweigen!“
und ein Seufzen, ein schmachtendes Fächerwiegen:
[S. 260]
„ich weiß ja, alles ist natürlich!“
und ein lüstern lauerndes Hüftenbiegen:
„im Wort nur ist es ungebührlich!“
Dann aber, wie bei Leckerein
die Eßbegierden rasch verfliegen,
fing plötzlich so ein glasiger Schein
ihre schwülen Blicke an zu lähmen;
ich konnte den Ekel kaum bezähmen,
ich fluchte, um nicht auszuspein.
Das brachte sie jedesmal zum Lachen:
„Sie wollen die Welt wohl besser machen?“
Nur manchmal, wenn sie wie in Schauern,
als ob sich ihr Gefühl ertappte,
die Lider über die Augen klappte,
empfand ich was wie ein Bedauern:
vielleicht steckt doch in all dem Schleim
ein kleiner verschimmelter Edelkeim.
Ich spürte dann immer so ein Jucken
in allen fünf Fingern, ihr die Mucken
mal mit der Karbatsche auszuplätten;
man weiß ja, Prügel und dann ein Kuß
ist verrückten Weibern ein Hochgenuß —
Das war das Letzte, das konnte sie retten.
Herrjee, das wars ja, das wollt ich ja eben!
und siehe da: schon bin ich zur Stelle.
Sie thronte, von ihrem Stab umgeben,
der kleine Herr Gatte stand dick daneben,
grad gegenüber der Zimmerschwelle.
Die persischen Polster und Teppiche strahlten
im weißen Schimmer der Glühlichtblüten,
die Teelöffel klirrten, Brillanten sprühten,
die Seidenroben rauschten und prahlten;
[S. 261]
auch sprach man schon. Ich legte die Rechte
verbindlich an mein Westenlätzchen
und — fühlte nach meiner Knutenflechte;
sie steckte sicher; na warte, Schätzchen!
Laut: Gnä’je Frau, ich habe das Glück.
Sie schien mich garnicht wiederzukennen.
Ich nahm die Ehre, mich zu nennen.
„Ah, der neue Herr Lektor. Ein’n Augenblick.“
Natürlich! sie hatte jetzt höhere Ziele,
die Geheime Komm.-Rat J. von Kohn,
als ihre plebejischen Kinderspiele;
sie war ja bei Hofe Vertrauensperson.
Sonst schien sie aber nicht verändert,
nur sozusagen zart konserviert,
die verschleierten Augen pikant umrändert,
und das Haar im „Jugendstil“ frisiert.
Dem Herrn Geheimen schien, wie Allen,
seine Geheime sehr zu gefallen.
Nun fing man an von Kunst zu sprechen.
Der Herr Geheime sprach: Verzeihn Se,
wenn ich so frei bin aufzubrechen;
ich habe Geschäfte beim Hofrat Heinse.
„Oh“ — „leider“ — „bitte“ — bedauerndes Lächeln,
Verbeugen und Neigen und Wangenfächeln.
„Ja, leider dringende Kommission,“
verschwand mit Würde Herr J. von Kohn;
nun ging es hoffentlich bald los.
Ich sah mich um — i, Gott soll schützen,
da schienen ja lauter Bekannte zu sitzen!
Da rechts: Frau Konsistorialrat Klooß,
[S. 262]
geborene Freiin von Kronensproß.
Da: Fräulein Lucinde von Entenschnabel.
Da die Patin mit dem verbundenen Nabel,
und Frau von Knoch mit ihrem Begleiter,
und die Pastertochter — na, und so weiter:
das ganze verehrliche Lesekränzchen,
wie sie da saßen und standen, die Biedern,
auf ihren unaussprechlichen Gliedern,
germanische wie semitische Pflänzchen:
o Boccaccio, göttlicher Schmetterling,
dies Häufchen Gemüse in Einer Schüssel,
das wär was gewesen für Deinen Rüssel,
wenn nicht auch Dir der Spaß verging!
Ja, die Frau Geheime war unbestritten
in den weitesten Kreisen wohlgelitten.
Gott sei getrommelt und gepfiffen:
jetzt winkte sie. Die ganze Herde
schien plötzlich ehrfurchtsvoll ergriffen,
und mit entsprechender Geberde
sprach die Geheime: „Lieben Freunde,
ich bin entzückt und hingerissen,
daß meine treue Kunstgemeinde
so fest zusammenhält. Sie wissen,
daß wir uns heute dem unendlich
von uns verehrten wundervollen
Genie von Weimar widmen wollen;
das heißt, mit Auswahl selbstverständlich.
Ich darf wohl bitten — hier, mein Lieber,“
das ging an meine Wenigkeit,
sie reichte mir den Faust herüber —
„die gestrichenen Stellen abzuachten;
wenns dann gefällig, wir sind bereit.“
[S. 263]
Ich sah in das Buch; zwei Diener brachten
mir Lesepult und Wasserglas;
ich sah in das Buch. Ei Teufel — Das,
das ging wahrhaftig über den Spaß:
da war ja Alles, schien’s, gestrichen.
Na, ich nahm Platz, die Diener schlichen
lautlos hinaus, ich machte tief
mein Kompliment, mein Auge lief
die Blätter durch — aha! hier oben
ein ganz besonders fetter Strich —
Und salbungsvoll das Kinn gehoben,
begann ich ernst und feierlich:
„Ein Jeder lernt nur, was er lernen kann,
„Vergebens daß ihr wissenschaftlich schweift;
„Doch wer den Augenblick ergreift“ —
man horchte auf — „das ist der rechte Mann.
„Ihr seid noch ziemlich wohlgebaut“,
Fräulein Lucinde nickte zart;
„An Kühnheit wirds euch auch nicht fehlen.
„Und wenn ihr euch nur selbst vertraut“,
ich griff mir schmachtend in den Bart,
Fräulein Lucinde saß erstarrt,
„Vertraun euch auch die andern Seelen.
„Besonders lernt die Weiber führen“,
der Pastertochter wurde schwach.
„Es ist ihr ewig Weh und Ach“ —
die Patin schien der Schlag zu rühren,
„So tausendfach“ —
Frau Klooß erkannte mit Gewimmer:
Herr Gott, das wird ja immer schlimmer —
„aus Einem Punkte zu kurieren.
„Und wenn ihr halbweg ehrbar tut“,
[S. 264]
jetzt ging ein Ächzen durch das Zimmer,
„Versteht das Pülslein wohl zu drücken“,
die Frau Geheime schien zu sticken,
„Habt ihr sie alle unterm Hut.
„Und faßt ihr sie mit feurig schlauen Blicken“,
schrie ich — „verdammte Heuchlerbrut,
„Wohl um die schlanke Hüfte frei,
„Zu sehn, wie fest geschnürt sie sei“ —
da platzte die Bombe: ein Jammergeschrei:
die Frau Geheime lag auf dem Rücken.
Und krach! auf die Diele das Wasserglas
und den Lesetisch, und heraus die Knute:
„Hoppla! Achtung, Frau Zimperschnute!
Karline, jetzt kommt der Kontrabaß!
jetzt will ich dir zeigen, wie man streicht!“
und knautsch, da hatt ich sie beim Wickel.
Ei, alle Wetter: dies dicke Karnickel,
das war ja wie’ne Puppe leicht!
Und plötzlich: Himmel, was war denn Das:
Fräulein Lucinde sank fassungslos
dem Herrn vom Frauenwohl in den Schooß,
die Patin schnappte leichenblaß
nach Luft: in meinen Fingern saß
— die Frau Geheime bibberte nur —
ihre ganze Jugendstilfrisur.
Und auf der grau strupphaarigen Platte
— mir schauderte — ein Schurf und Schinn,
ein Schund und Schmiericht, als klebte drin
die ganze abgekratzte Pomade
von zehn Jahrhunderten festgefilzt,
so eingeschimmelt und verpilzt.
[S. 265]
Die ganze Bande lag in Krämpfen;
na wart’t, Kanaljen, es kommt noch besser,
ich will euch schon die Ohnmacht dämpfen!
Und schnipp schnapp flitz: mein Taschenmesser:
herrjee, wie wurden sie plötzlich munter!
Frau Klooß, geborene Freiin, schrie:
„Allmächtiger Vater, er mordet sie“ —
und holterdipolter, stuhlüber stuhlunter,
als ob ein Satan zwischen sie führe,
das ganze verehrliche Lesekränzchen,
germanische wie semitische Pflänzchen,
klabotter klabatter hinaus zur Türe.
„So, Schatz!“ ich nahm sie sacht beim Ränzchen,
zum Glück hatt ich noch Handschuh an —
„jetzt wollen wir mal, wie zwischen Mann
und Weib das manchmal soll passieren,
uns etwas näher inspizieren!“
Und rietsch raatsch runter die Brüsseler Spitzen
und Seidenfranjen und Sammetlitzen,
und schlitz — an knöpfen war nicht zu denken,
so war die Kracke verschnürt und verschnallt —:
das Taschenmesser! und —: brrr, schnitts kalt
und heiß mir selber in allen Gelenken,
wie da aus Flunker und Flitter und Flatter,
aus Fetzengeknitter und Fadengeknatter,
aus Watte und Wolle und Fischbeinzacken
und Gummi-Busen und -Hinterbacken
mit Winseln und Betteln und Strampeln und Schelten
sich diese vermickerten Knickknochen pellten.
Ich stand — na, wie klein Hans beim Drecke.
Zum Henker! um diese verschrumpelte Schrippe,
[S. 266]
dies Bastardklümpchen von Spinne und Schnecke,
dies dürre, lahme Altjungferngerippe,
da hatte ich Narr mich so geplagt?
Zwar: Jungfer — Das zu untersuchen
bei diesem verbrutzelten Hutzelkuchen,
das hätte wohl kaum ein Arzt gewagt.
Ich konnte mich immer noch nicht fassen;
blos heimlich wünscht ich, hätt ich ihr doch
das Hemde wenigstens angelassen!
Pfui Teufel, wie sie da vor mir kroch
mit ihren Faltenschlitzen und Runzeln,
mit ihren Zottelzitzen und Zunzeln,
mit ihren ausgetrockneten Waden
und eingetrockneten Hinterfladen —
fast entsank die Geißel meinen Armen,
mein Ekel stieg bis zum Erbarmen.
Lern aber einer die Weiber kennen!
Noch eben mitten in Zappeln und Flennen:
kaum merkte sie meine Männerschwäche,
ich merkt’es selber erst durch sie,
es war die reine Telepathie:
da grinst und äugelt mich die freche
Vettel mit ihrer geschminkten Fratze
so von unten über die Achsel an,
daß mirs durch beide Nieren rann.
Ich weiß nicht, ob die alte Katze
mich etwa zu — beglücken dachte,
ob sie sich über mich lustig machte,
ob diese abgetakelte Ratze
in ihrer kahlen Scheußlichkeit
meinte, sie sei dadurch gefeit:
ich fühlte nur plötzlich eine Wut,
[S. 267]
mir schien das ganze erbärmliche Blut
unsrer verjammerlappten Zeit
in dieser Hexe zusammengebreit,
und — „So! nu zappel, verwünschte Pute,
jetzt bin ich mit meiner Geduld zu Rand“,
hol ich zum Hieb aus mit der Knute,
da — — legt sich sanft um meine Hand
und rührt mich bis ins weheste Mark
wie junge Liebe so still und stark
und warm, um meinen Hals gebogen,
ein Arm. Und mild, voll Stolz und Huld,
tönt eines Atems leises Wogen:
„Laß ab! sie büßt an ihrer Schuld.“
Und wie sich nun mein Nacken wendet,
von Schauern mächtig überwallt,
da steh ich scheu und fast geblendet
vor einer schimmernden Gestalt.
Im bleichen Kreis der Glühlichtglocken
ist ihre Nacktheit heller Tag,
es spielt ein Schein um Stirn und Locken
wie Blütenschmelz im Frühlingshag.
Zur Hüfte nieder um die Brüste
fließt mantelschwer ihr offnes Haar
und wogt und flimmert dämmerklar,
als ob ein Morgenwind es küßte.
Weiß leuchtet aus der schlanken Rechten,
zum Gruß geneigt und zum Gebot,
ein Lilienstab, den dunkelrot
zwei volle Rosen hoch umflechten;
so steht sie wehrend, wundersam
beglänzt. Und ich — mich überkam
ein Ahnen wie Erinnerung,
[S. 268]
ein Sehnen, neu und kinderjung:
ich hatte sie nie noch nirgendwo
gesehn, und wie mir dennoch so
ihr freudig Auge, seelenweit,
und ihres Mundes Zärtlichkeit
jedwedes Faserchen tief innen
zu lauter Andacht ließ gerinnen:
ach, wars denn nicht, als sähe wieder
meine liebe Mutter zu mir nieder?
Und wie nun fromm und ganz befangen
mein Blick an ihr zu Boden wollte
und doch in bangem Hinverlangen,
da doch ihr Haar an Ohr und Wangen
und Brüsten schmeichelnd sie umrollte,
mein Herz nach ihrer Schönheit schrie,
als müßtest Du mir, Du, mit weiten
Armen aus ihr entgegenschreiten,
du Eine, Einzige, die mir nie
ein Wort noch Winkchen vorenthalten,
nicht Seel noch Leibs geheimste Falten,
seit endlich dein an mein Herz schlug —
Und wie’s so immer inniger drängte
und wie mich süß und süßer tränkte
der dunklen Rosen Wohlgeruch:
es riß mich nieder ihr zu Füßen
und machte meine Arme breit:
„wer bist du, Weib, mit deiner süßen,
mit deiner milden, herben, süßen,
unsagbar süßen Herrlichkeit?“
Und aus der Rechten sacht zur Linken
läßt sie das Blumenszepter sinken,
dann spricht sie, über mich geneigt,
[S. 269]
nimmt mir die Geißel aus der Hand nun,
nimmt eines Teppichs bunten Rand nun,
indem sie ihn der Andern reicht,
und winkt ihr mit der Lilie: „Geh!
bedecke dich! es tut mir weh,
in deiner Blöße dich zu sehn.“
Und wieder über mich geneigt nun,
indeß die Andre scheu entweicht nun,
tönt ihres Atems leises Wehn:
„Was wars doch, was in liebsten Lüsten,
wenn Lippen sich und Seelen küßten,
den trunknen Blick dir ganz benahm,
was dich im reinsten Rausch der Wonnen,
tief in ein Andres einversponnen,
wie willige Blindheit überkam?
Dann warst du Mein! ich bin die Scham.
„Mußt dich aber nicht gleich, mein Bester,“
senkte sie lächelnd die Lilienblüten,
„so um alles in Eifer wüten.
Die da, meine mißratene Schwester,“
nickte sie neckisch nach der Tür hin,
während sie mir den Scheitel zauste
und ihre zierlichen Nüstern krauste,
„Die da ist schon über Gebühr hin
durch die eigene Ohnmacht gestraft:
fehlt ihr zur rechten Freude die Kraft.
Hat ja viele Seelen zu Sklaven,
alle die Biedern, alle die Braven
vom werten Orden der Gleißnerschaft,
alle die zahmen, ewig alten,
sinnelahmen Halben und Kalten,
scheint ein gar gewaltiger Bund,
[S. 270]
ist aber doch nur — nun eben Schund.
Haben die Welt nie aufgehalten;
und alles, was sie zu Stande brachten,
und ihrer Weisheit letzter Grund
ist — ihr gegenseitig Verachten.
Können sich nicht gesund betrachten,
weil ihrem armen dünnen Blut
jedes freie Lüftchen wehe tut,
und machen drum aus ihrer Not
ein Gebot.
„Und, Lieber,“ streicht sie zart mein Haar,
„der Heuchler meint die Lüge wahr,
der Wahre muß ihn nur verstehn!
Wenn Kraft und Schönheit nackend gehn,
man würde sich nicht sehr beklagen;
doch etwas schwerer zu vertragen
ist Häßliches, bei Licht besehn.“
Und während silbern noch im Ohr mir
ihr fröhlich stolz Gelächter klingt,
winkt mit den Rosen sie empor mir
und spricht: „Ein schlechter Boden bringt
aus echter Wurzel schlechte Blüte.
Und wer mit schwächlichem Gemüte
sich schämt, der ist zur Scham verdorben;
doch ist sie drum nit ausgestorben.
Wer Löwe ist, der gönnt der Katze
den Mäusefang in seiner Welt;
sie will auch leben. Jede Fratze
zeugt für den Gott, den sie entstellt.“
So beugt sie sich mit gnädigem Kusse
in heller Anmut zu mir hin,
[S. 271]
und ich, ich fühle ihrem Gruße
mein ganz Gefühl entgegenglühn —
glühn, bis mich’s schauernd übermannte,
ich wieder an ihr niedersank,
mein Mund auf ihren Brüsten brannte,
ich ihre Lenden schon umspannte,
ihr Haar mir um die Finger schlang,
die Stirn geschmiegt in ihren Schooß —
Sie aber, hold und mütterlich,
zupft mich am Ohr: „Ich bitte dich,
mein lieber Mensch! was willst? laß los!
ermuntre dich! du — träumst ja blos.“