Title: Meine Erinnerungen aus Ostafrika
Author: Paul Emil von Lettow-Vorbeck
Release date: October 14, 2023 [eBook #71877]
Language: German
Original publication: Leipzig: Verlag von K. F. Koehler
Credits: Peter Becker, Reiner Ruf, and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive)
Anmerkungen zur Transkription
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Deutsche Denkwürdigkeiten
von
General von Lettow-Vorbeck
Leipzig
Verlag von K. F. Koehler
1920
Copyright by K. F. Koehler, Verlag. 1920
Spamersche Buchdruckerei in Leipzig
[S. v]
Überall regte sich in den erst wenige Jahrzehnte alten deutschen Kolonien verheißungsvolles Leben. Wir fingen an, den Wert unseres kolonialen Besitzes für unser Volk zu begreifen; Ansiedler und Kapital wagten sich herbei, Eisenbahnen entwickelten die weiten Gebiete, Industrien und Fabriken blühten empor. Im Vergleich zu anderen Völkern hat sich die deutsche Kolonisation friedlich und stetig vollzogen, und die Eingeborenen hatten Vertrauen zu der Gerechtigkeit der deutschen Verwaltung. Kaum begonnen ist diese Entwicklung durch den Weltkrieg vernichtet worden. Trotz aller handgreiflichen Gegenbeweise will ein unberechtigter Lügenfeldzug der Welt vorspiegeln, daß die Deutschen ohne koloniale Begabung und grausam gegen die Eingeborenen gewesen wären.
Eine kleine, wesentlich aus diesen Eingeborenen gebildete Truppe hat sich dem Verlust entgegengestemmt. Fast ohne äußere Zwangsmittel, sogar ohne sofortige Bezahlung hielt sie mit ihrem zahlreichen Eingeborenentroß treu zu ihren deutschen Führern während des ganzen langen Krieges gegen mehr als hundertfache Übermacht. Als der Waffenstillstand kam, stand sie schlagfertig da, von bestem soldatischem Geiste beseelt. Das ist eine Tatsache, an der sich nicht rütteln läßt und die allein schon die Unhaltbarkeit der feindlichen Entstellungen beweist.
Den Kampf der Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika erschöpfend zu schildern, war mir nicht möglich. Das vorhandene Material läßt es[S. vi] nicht zu, vieles ist verloren gegangen, und noch jetzt fehlt mir die Kenntnis mancher Ereignisse, deren Träger noch nicht in die Heimat zurückgekehrt sind. Meine eigenen Aufzeichnungen sind zum großen Teil verloren, und es fehlte mir die Muße, neben meiner sonstigen Tätigkeit den Feldzug in Ostafrika eingehend zu bearbeiten. So kann ich nur Unvollkommenes liefern. Im wesentlichen bin ich auf mein Gedächtnis angewiesen und auf das, was ich selbst erlebt habe. Irrtümer im einzelnen sind unvermeidlich.
Aber trotzdem dürften die folgenden Schilderungen nicht wertlos sein, und vielleicht auch nicht ohne Interesse. Zeigen sie doch, wie sich unser bisher größtes koloniales Ereignis im Kopfe dessen abgespielt hat, der zu der militärischen Führung berufen war. Ich habe mich bemüht, meine Erinnerungen aus Ostafrika so wiederzugeben, wie sie wirklich sind, und so wenigstens subjektiv Richtiges zu bieten.
[S. vii]
Erster Abschnitt: Vor Kriegsbeginn
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Gedanken über Aufgaben und Zweck der Schutztruppe. Die
Verteidigungsmöglichkeiten der Kolonie in ihren Einzelheiten. Verteilung,
Bewaffnung und Ausbildung der Truppe. Militärische Verwendung und Gesinnung der
Eingeborenen. Wirtschaftlicher Wert des Landes und Wirtschaftspflege der
Eingeborenen. Pferdezucht und Jagd. Mehrere Besichtigungsreisen. Nationale
Propaganda der späteren feindlichen Missionen in den angrenzenden Gebieten.
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Zweiter Abschnitt: Der Beginn des Krieges
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Eintreffen der Nachricht der Mobilmachung. Teilnahme am Kriege
oder Neutralität? Die Stärke der Schutztruppe und die englischen
Kriegsverluste. Der englische Konsul und seine Tätigkeit. Der Gouverneur
der Kolonie, die oberste militärische Gewalt und die Verteidigung
der Küstenplätze. Vorbereitungen der Mobilisation. Etappenwesen,
Nachschub und Verpflegung. Sanitätswesen und Malaria.
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Dritter Abschnitt: Die ersten Kämpfe
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Beschießung des Funkenturmes in Daressalam. Übergabeverhandlungen
von seiten der Zivilbehörden. „Königsberg“ und „Möve“. Einnahme
von Taveta. Die Verschiebung der Hauptmacht nach der Nordbahn.
Neue Telegraphenverbindungen. Beschießung von Bagamojo.
Gegen die britische Ugandabahn. Angriffe auf Britisch-Karunga am
Nyassasee. Kleinkrieg im Norden.
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Vierter Abschnitt: Die Novemberkämpfe bei Tanga
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Erkundungen bei Tanga. Ein englisches Landungskorps erscheint.
Konzentration aller verfügbaren Truppen. Erste Gefechte bei Ras
[S. viii]
Kasone. Aufklärung im verlassenen Tanga. Die Umgebung des voraussichtlichen
Gefechtsfeldes. Die Aufstellung der Kompagnien. Die
feindliche Landung. Der Angriff. Die ungünstige Lage der Verteidiger.
Der Gegenstoß der Verstärkungstruppe. Kopflose Flucht des Feindes.
Mißglücken der Verfolgung. Störung des Feindes am Landungsplatz.
Die ungeheueren englischen Verluste. „Die dressierten Bienen.“ Verhandlung
über Auslieferung der Verwundeten. Die große Beute.
Die eigenen Verluste. In den Lazaretten. Die gleichzeitigen Ereignisse
am Longidoberge.
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Fünfter Abschnitt: In der Erwartung weiterer Ereignisse
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Rückverlegung der Truppen nach Neu-Moschi. Der Dienstbetrieb beim
Kommando. Auto und Träger im Wettbewerb. Erkundungsfahrten
im Auto. Die Verpflegung und der Nachschub. Die Etappenstraßen.
Arbeitslast und Arbeitsfreudigkeit. Die reichliche Verpflegung. Der
ausgehungerte Oberleutnant. Sonntagsjägervergnügen. Die Fleischversorgung
der Truppe.
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Sechster Abschnitt: Weitere schwere Kämpfe im Nordosten
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Vorrücken feindlicher Kräfte bei Jassini. Erkundung des Geländes
für einen möglichen Kampf. Vormarsch deutscher Kompagnien gegen
die englischen Stellungen. Überraschung und Umzinglung des verschanzten
Feindes. Das schlechtkämpfende Araberkorps. Tapfere Verteidigung
des Feindes. Schwierige Lage der Angreifer. Der Feind
zeigt die weiße Fahne. Abmarsch zur Nordbahn.
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Siebenter Abschnitt: Kleinkrieg und neue Zurüstungen
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Notwendigkeit der Schonung von Menschen und Material. Die Fürsorge
für die Verwundeten. Ein Funkspruch aus der Heimat. Streifen
in der Longidogegend. „A damned good piece of work.“ Bahnzerstörungspatrouillen.
Leiden und Tod in der Steppe. Ankunft eines
Hilfsschiffes. Fieberhafte Herstellung von Munition. Ein Vorstoß am
Oldoroboberge. Rohstoffüberfluß und Mangel an Fertigfabrikaten.
Neue Industrien zum Ersatz des Fehlenden. Wegebau. Ausbau der
Truppe an Größe und Gefechtswert.
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Achter Abschnitt: In Erwartung der großen
Offensive; energische Ausnutzung der noch zur Verfügung stehenden Zeit
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Feindliche Massai greifen am Viktoriasee an. Die „Königsberg“ im
Rufiji. Ihr rühmliches Ende. Ein neuer Erfolg am Kilimandjaro.
Hartnäckige Angriffe gegen die englische Bahn. Vorstoß gegen das
englische Lager am Kasigao und seine Besetzung. Schutzmaßregeln
des Feindes gegen unsere Bahnzerstörungen. Gefechte im Busch. Gedanken
[S. ix]
über die Möglichkeit des Widerstandes bei Angriff großer feindlicher
Truppenmassen. Vorbereitungen für einen Rückzug nach Süden.
Abtransport von Material. Zähes Halten der Stellung am Oldorobo.
Der neue „Mungu“.
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Neunter Abschnitt: Kleinkrieg zu Wasser und
zu Lande bis zur Jahreswende 1915–16
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Die eigenen und die feindlichen Streitkräfte an den Grenzen der
Kolonie. Schwierigkeit der Truppenbewegungen innerhalb des Schutzgebietes.
Die Ereignisse an der Küste. Kleine Gefechte im Ssonjogebiet.
Dauernde Kämpfe östlich und westlich des Viktoriasees. Die
Ereignisse in Ruanda, am Kiwusee. An der Russissigrenze. Land-
und Wassergefechte im Gebiet des Tanganjikasees. Das Gebiet um
Bismarckburg. Am Nyassasee.
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Zweites Buch
Der konzentrische Angriff der Übermacht (Vom Eintreffen der südafrikanischen Truppen bis zum Übertritt über die Grenzen) |
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Erster Abschnitt: Feindlicher Vorstoß am
Oldoroboberge
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Mehrfaches Vordrücken des Feindes. Die phantastischen Panzerautomobile.
Der Artilleriekampf. Die südafrikanischen Truppen. Angebliche
feindliche Grausamkeitsbefehle. Verstärkung des Feindes am
Longido. Im Kampf gegen eine Inderpatrouille. Die vornehme Gesinnung
der weißen Offiziere. Unsere braven Askari und die Irreführung
der Engländer.
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Zweiter Abschnitt: Vorrücken des Feindes und
Kampf bei Reata
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Spione an der Arbeit. Die Wege des feindlichen Vormarsches. Abwehrmöglichkeiten.
Der Feind greift am Kitovo an. Die feste Stellung
in der Linie Reata–Kitovo. Das „Königsberggeschütz“. Erkundung
feindlicher Kavallerie. Feindlicher Angriff und Umzinglungsversuch.
Einnahme neuer Verteidigungsstellungen. Rückzug des Feindes nach
Taveta. Nach dem Kampf. Neues Vorfühlen des Feindes. Beim
Kommando in Neu-Steglitz. Ein zweites Hilfsschiff.
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Dritter Abschnitt: Zurückweichen vor
übermächtiger feindlicher Bedrängung
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Pläne und Erwägungen. Eifrige feindliche Erkundungsversuche. Vorbereitungen
zum Kampf. Vorstoß auf den feindlichen Patrouillenschleier.
[S. x]
Schwere Verluste. Neue starke Angriffe des Feindes (am
21. März). Mißlingen des Gegenangriffes. Eine Alarmmeldung:
der Feind im Rücken. Rückzug nach Kissangire. Die Alarmmeldung
erweist sich als falsch. Die gute Stimmung der Truppe. Die Lage
der Zivilbevölkerung. Kampf und Kapitulation der 28. Kompagnie bei
Lokisale (5. April). Heranschaffen von Hilfstruppen. Konzentration
der Truppen zur Zentralbahn.
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Vierter Abschnitt: Das Vorgehen des Feindes
im Gebiete der Nordbahn
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Abfahrt nach Korogwe. In Handeni. Nachrichten aus Deutschland.
Die Hindernisse des Weitermarsches. Der angeschwollene Fluß. Zu
Pferde und mit der Feldbahn nach Kimamba. Erkundung südlich von
Kondoa. Etappenwesen und Intendantur. Fühlung mit dem Feinde.
In Stellung. Der Feind scheint seine Stellungen zu räumen. Ein
unerwartetes Nachtgefecht. Schwere eigene Verluste. Günstige Patrouillenunternehmungen.
Artillerieduelle. Die Beschaffung von Verpflegung
aus dem Lande. Ein mißlungener feindlicher Vorstoß.
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Fünfter Abschnitt: Zwischen Nordbahn und
Zentralbahn
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Vordringen des Feindes an der gesamten Nordfront. Gleichzeitige Angriffe
von Südwesten her. Ausweichen und Umklammern. Auf der
Suche nach der schwächsten Stelle des Gegners. Der schneidige englische Patrouillenführer.
Erhöhte Fliegertätigkeit beim Feinde. Weiteres
Vorrücken des Generals van Deventer nach Süden. Widerstand
schwacher deutscher Kräfte auf langer Linie. Kämpfe in der Nähe der
Zentralbahn. Erkundungen. Heftige Gefechte mit dem vordringenden
Gegner. Am Wamifluß.
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Sechster Abschnitt: Dauernde Kämpfe in der
Nähe des Rufiji
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Feindliche Angriffe aus dem Südwesten. Was wird der Feind tun?
Ein feindlicher Umzinglungsversuch. Das Gefecht bei Mlali. Rückzug
nach Kissaki. Die moralischen Wirkungen unseres Rückzuges. Die
„Boma“ von Kissaki. Sicherung unserer Rindviehbestände. Feindliche
Niederlage am 7. September. Vernichtung einer zweiten feindlichen Abteilung.
Deutsche Menschlichkeit — englischer Dank. Ein überraschender
Vorstoß bei Dutumi (9. September). Dutumi muß aufgegeben werden.
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Siebenter Abschnitt: Feindliche Angriffe im
Südosten der Kolonie
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Unsere ungünstige Lage bei Kilwa. Vergebliche feindliche Angriffe bei
Kissangire. Flußpferde und Elefanten als Fettlieferanten. In Mpaganja.
[S. xi]
Der heimgeleuchtete Miesmacher. Vormarsch auf Kissangire.
Die verirrte Patrouille. Erfolge bei Kissangire. Die Portugiesen bei
Newala geschlagen. Im Lager von Utete. In fester Stellung bei
Kibata. Artilleristische Vorbereitungen. Die Wirkung der schweren
Granaten. Ein mißlungener Infanterieangriff. Die militärische Lage
Ende 1916. Starke feindliche Angriffe bei Dutumi und Kissaki. Ein
mißlungener feindlicher Umgehungsversuch.
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Achter Abschnitt: Sorgen und Bedrängnisse
während des Aufenthaltes im Rufijigebiet
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Der Marsch durch die Kissiberge. Lager bei Ungwara. Die Truppen
auf Irrwegen. Unnütze Esser. Maßnahmen gegen den drohenden Verpflegungsmangel.
Die Verringerung des Trägerpersonals. Herabsetzung
der Rationen. Widerstände. Die Askarifrauen. Der Mais als Retter
in der Not. Eine Intendanturabteilung für Verpflegung. Kleine Gefechte
im Busch bei Ungwara. Das Einsetzen der Regenzeit. Maßnahmen
zum Schutz der Frauen und Kinder. Weiterzug der Truppe nach Süden.
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Neunter Abschnitt: Das Ende der
Grenzenverteidigung auf den Nebenschauplätzen
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Am Ruhudje- und Ruahafluß. Ein feindlicher Angriff und plötzliches
Abbrechen desselben. Der Irrtum des Feindes. Kapitulation des
Majors v. Grawert. Teilung der Truppen des Generals Wahle. Der
Marsch auf Tabora. Zurück zum Kilimandjaro. Der Marsch des Majors
Kraut zum Rowuma. Verpflegungsschwierigkeiten und Zukunftspläne.
Auf reichem portugiesischem Gebiet. Patrouillen gegen Kilwa. Eine
schwere Niederlage des Feindes. Versuche mit Brotersatz. Primitive
Stiefelherstellung. Die krähenden Hähne. Salz, Fett und Zucker. Das
Sanitätswesen. „Lettowschnaps.“ Verbandzeug. Operationen mit
primitiven Mitteln.
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Zehnter Abschnitt: Um Lindi und Kilwa
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Umschau nach einer neuen Verpflegungsbasis. Erkundungen im portugiesischen
Gebiet über den Rowuma. Gefechte bei Kilwa. Die Lage
des Sanitätswesens. Um das deutsche Lager bei Lutende. Eiliger
Weitermarsch in die Berge von Ruawa. Die Erlebnisse der Abteilung
Lieberman in der Landschaft von Ndessa. Ein kaiserlicher Gruß aus
der Heimat. Feindliche Parlamentärspione. Ein feindlicher Angriff
bei Narunju. Die Fliegerbombe im Dynamitlager. Sammlung der
Nichtkombattanten in der Mission Ndanda.
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Elfter Abschnitt: In der Südostecke der
Kolonie
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Konzentrischer Vormarsch des Feindes. Bei Ruponda und Likangara.
Unsicherheit beim Gegner. Gerüchte. Das Gefecht bei Mahiwa. Ein
[S. xii]
glänzender Sieg. Änderung des Angriffsplanes. Die Taktik des feindlichen
Führers. Das Ende des Kampfes. Die Verluste und die Beute.
Ein neues Gefecht bei Lukuledi. Kleinkrieg.
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Zwölfter Abschnitt: Die letzten Wochen auf
deutschem Boden
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Rücksprache mit dem Gouverneur. Erwägungen. Abmarsch von Lukuledi.
Kleinere Gefechte im Busch. Der Munitionsmangel und seine
Folgen. Dauerndes Vorrücken des Feindes bis Chiwata. Unser Ausweichen
auf Nambindinga. Pläne zur freiwilligen Beschränkung der
Truppenstärke. Auf dem Makondehochland. Wasser- und Verpflegungsmangel.
Wohin? Neuordnung der Truppe in Newala. Die feindliche
Patrouille und ihr Brief. Außer Sicht des Feindes.
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Drittes Buch
Kämpfe auf fremder Erde (Vom Übertritt nach Portugiesisch-Ostafrika bis zum Waffenstillstand) |
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Erster Abschnitt: Über den Rowuma
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Flußübergang. Das feindliche Lager bei Ngomano. Sturm auf die
portugiesische Befestigung. Der „Tag der alten Gewehre“. Reiche
Beute. Weitermarsch den Ludjenda aufwärts. Auf der Suche nach
Verpflegung. Ein durchsichtiges feindliches Angebot. Nachricht von der
Kapitulation des Hauptmanns Tafel. Teilung der Truppe. Reibungen
und Unannehmlichkeiten. Einnahme mehrerer portugiesischer Lager.
Heldentat des Leutnants Kempner. Bei Nangware. Büffelfett und
Waldesfrüchte. Reiche Verpflegung bei Chirumba. Patrouillen. Anmarsch
des Feindes. Plänkeleien. Feindliche Einflüsterungen. Neuer
Mut und neues Vertrauen.
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Zweiter Abschnitt: Östlich des
Ludjendaflusses
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Verpflegungsfragen. Im Regen. Tabakversorgung. Bei Nanungu.
Der Bau von Pontonbooten. Patrouillen über den Msalufluß. Nachrichten
von den Ereignissen in Europa. Kampfpause. Patrouillen bis
zur Küste. Das kostbare Porischwein. Neuer feindlicher Aufmarsch.
Dauernde Plänkeleien. Gegen den Feind am Kirekaberge. Ein Buschgefecht.
Eine irrtümliche Meldung und ihre Folgen. Die beiderseitigen
Verluste in den letzten Gefechten. Erfolge des Hauptmanns Koehl.
Weitermarsch zum Koromaberge. Ein Überfall. Der Gouverneur in
Gefahr. Unangenehme Verluste.
[S. xiii]
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Dritter Abschnitt: Im Gebiet des Lurio- und
Likungoflusses
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Auf dem Wege nach Koriwa. Die Kranken und Verwundeten. Lager
am Lurio. Abteilung Müller nimmt die Boma Malema. Anmarsch
feindlicher Truppen von mehreren Seiten. In einem reichen Lande.
Die Vorsichtsmaßregeln des Generals Edwards. Kampf im Busch.
Weitermarsch auf Alto-Moloque. Die Apfelsinenboma. Dauernde
Patrouillengefechte. Die Station Nampepo und andere Niederlassungen.
Am Likungofluß. Reiche Beute. Das Schätzungsvermögen der Eingeborenen.
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Vierter Abschnitt: Weitermarsch in
südlicher Richtung
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Wo ist die feindliche Munition gestapelt? Auf der Suche. Das Hindernis
der langen Marschkolonnen. Kokosani-Namakurra. Über den
Likungo. Ein Erfolg bei Namakurra. Der verschanzte Bahnhof.
Artillerievorbereitung und Sturm. Flucht des Feindes über den Namakurrafluß.
Die Verluste hüben und drüben. Willkommene Beute an
Verpflegung und Munition.
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Fünfter Abschnitt: Wieder nach Norden
zum Namirruefluß
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Hindernisse für den Weitermarsch nach Süden. Die feindlichen Operationen
und die eigenen Pläne. Zurück über den Likungo. Marsch in
mehreren Parallelkolonnen. Eine merkwürdige Kriegslage. Auf der
Suche nach Beute. Bei Ociva. Die englischen und die portugiesischen
Gefangenen. Einnahme der Boma Tipa. Marsch nach Namirrue.
Erkundung der feindlichen Felsenbergstellung. Ein neuer Feind taucht
auf. Ein siegreiches Nachtgefecht gegen ihn. Das Wirrwarr der feindlichen
Kolonnen. Vergebliche Verfolgung des fliehenden Feindes. Der
Minenwerfer und seine Wirkung. Sturm auf den Felsenberg. Abmarsch
nach Pekera. Ruhepause im Lager von Chalau.
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Sechster Abschnitt: Zurück zum
Luriofluß
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Bei Chalau. Ein englischer Parlamentär. Der Anmarsch des Feindes.
Abmarsch über den Ligonja. In Ili. Marsch nach Numarroe. Brotbereitung
für die Gefangenen. Ein Frühstück im Busch. Die Boma
Numarroe. Ein Erfolg der Abteilung Goering. Die Einnahme der
Boma. Die beiderseitigen Verluste. Weiter über die Berge nach Regone.
Plänkeleien. Was wird weiter? Heftige Kämpfe bei Lioma.
Schwere Verluste. Keine Aussicht auf einen größeren Erfolg. Weiter
nach Norden. Durcheinander der Abteilungen. Ein schwieriger Marsch
durch die Berge. Am Lurio. Schlechter Gesundheitszustand der Truppe.
Beiderseitige schwere Verluste. Die Influenzaepidemie.
[S. xiv]
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Siebenter Abschnitt: Noch einmal auf
deutschem Boden
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Schneller Abmarsch nach Norden. Über den Ludjenda. Ein Ruhetag
bei Mwembe. Feindliche Kundschaftung. Aufklärung durch Fernpatrouillen.
Nach Ssongea. Das Heimweh des Samarunga. Die
Mission Pangire. Wechsel der Marschrichtung. Ernste Nachrichten aus
Europa. In der Mission Mbozi. Patrouillenmeldungen.
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Achter Abschnitt: Einmarsch in
Britisch-Rhodesien
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Auf dem Marsche nach Fife. Der Feind in seiner verschanzten Stellung.
Erfolglose Beschießung und Weitermarsch. Patrouillengefechte.
Reiche Chininbeute. Kartenstudium. In Eilmärschen nach Rhodesien
hinein. Missionsstation Kajambi und ihre ängstlichen Bewohner. Einnahme
von Kasama. Eingeborene plündern auf englische Anordnung.
Weiter auf den Zambesi zu.
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Neunter Abschnitt: Waffenstillstand
und Heimkehr
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Der verirrte englische Motorfahrer. Waffenstillstand. Mit dem Fahrrad
zur Zambesifähre. Die Bedingungen des Waffenstillstandes. Besprechung
mit dem britischen Kommissionar. Die Lage in Deutschland.
Der Waffenstillstand und die Lage unserer Truppe. Entlassung der
Gefangenen. Schwierigkeiten bei der Entlöhnung der Askari. Marsch
nach Abercorn. „Übergabe“ und „Räumung“. Bei General Edwards.
Waffenabgabe. Nutzloser Widerstand gegen die englische Auslegung
der Abmachungen. Zu Schiff nach Kigoma. Belgische Gastfreundschaft.
Mit der Bahn nach Daressalam. Internierung. Die Grippe und ihre
Opfer. Die treuen Askari. Bemühungen zum Schutz des Privateigentums.
Einschiffung zur Heimat. Auf dem „Feldmarschall“. In Rotterdam
und auf heimatlichem Boden. Rückblick und Ausblick.
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[S. xv]
nach Originalen von Hauptmann W. v. Ruckteschell
Inhalt der Kartentasche
1 Übersichtskarte von Afrika (1 : 56000000)
1 Karte mit eingezeichneter Marschroute des Hauptteiles der Schutztruppe (1 : 8000000)
21 Bewegungs- und Gefechtsskizzen von der Hand des Verfassers
[S. 3]
Als ich im Januar 1914 in Daressalam landete, da ahnte ich kaum, welche Aufgabe an mich nach einigen Monaten herantreten würde. Aber seit einem Jahrzehnt hatte der Weltkrieg mehr als einmal so nahe gedroht, daß ich mir ernsthaft die Frage vorlegen mußte, ob die mir unterstellte Truppe in einem solchen Kriege überhaupt eine Rolle zu spielen berufen wäre und welches ihre Aufgabe sein könnte. Nach der Lage der Kolonie und der Stärke der vorhandenen Kräfte — die Friedenstruppe war nur wenig über 2000 Mann stark — konnte uns nur eine Nebenaufgabe zufallen. Ich wußte, daß das Schicksal der Kolonien, wie das jedes deutschen Besitzes, auf den europäischen Schlachtfeldern entschieden werden würde. Zu dieser Entscheidung mußte jeder Deutsche ohne Rücksicht darauf, wo er sich gerade befand, das Seinige beitragen. Auch in der Kolonie hatten wir die Pflicht, im Falle eines Weltkrieges für das Vaterland zu tun, was in unseren Kräften stand. Die Frage war, ob wir die Möglichkeit hatten, die große heimische Entscheidung von unserem Nebenkriegsschauplatze aus zu beeinflussen. Konnten wir mit unseren geringen Kräften erhebliche Teile des Feindes vom Eingreifen in Europa oder auf anderen, wichtigeren Kriegsschauplätzen abhalten oder den Feinden eine nennenswerte Einbuße an Personal oder Kriegsgerät zufügen? Ich habe damals diese Frage bejaht. Allerdings ist es nicht gelungen, alle Instanzen in solchem Maße hierfür zu gewinnen,[S. 4] daß sämtliche für einen Krieg wünschenswerte Vorbereitungen ausgeführt werden konnten.
Es war zu überlegen, daß sich feindliche Truppen nur dann fesseln lassen würden, wenn wir den Feind wirklich an einer für ihn empfindlichen Stelle angriffen oder zum mindesten bedrohten. Es war ferner zu bedenken, daß durch eine reine Verteidigungstaktik mit den vorhandenen Mitteln nicht einmal der Schutz der Kolonie zu erreichen war. Handelte es sich doch um eine Grenz- und Küstenlänge ungefähr so groß wie die von Deutschland. Von diesem Gesichtspunkt aus ergab sich die Notwendigkeit, die geringen vorhandenen Kräfte nicht zu lokaler Verteidigung zu zersplittern, sondern im Gegenteil zusammenzuhalten, den Feind an der Kehle zu packen und ihn dadurch zu zwingen, seine Kräfte zu seinem eigenen Schutz zu verwenden. Gelang es, diesen Gedanken auszuführen, so wurde damit zugleich aufs wirksamste unsere Küste und unsere unendlich lange Landesgrenze beschützt.
Legte man sich nun die Frage vor, wo ein für den Gegner so empfindlicher Punkt lag, daß er uns Aussicht auf einen erfolgreichen Angriff oder wenigstens auf ein Drohen mit einem solchen bot, so kam man von selbst auf die Grenze zwischen Deutsch- und Britisch-Ostafrika. Längs derselben führt, auf wenige Tagemärsche entfernt, die Lebensader des britischen Gebietes, die Uganda-Bahn, also ein Objekt, das bei seiner Länge von gut 700 Kilometer für den Feind außerordentlich schwer zu schützen war und deshalb bei wirksamer Bedrohung einen großen Teil seiner Truppen festlegte.
Meine im Januar 1914 angetretene erste Erkundungs- und Besichtigungsreise führte mich von Daressalam zu Schiff nach Tanga, von dort nach Usambara und weiter in die Gegend des Kilimandjaro und Meru-Berges. In Usambara fand ich in dem mir von der Kriegsschule her gut bekannten Freund, dem Hauptmann a. D. von Prince, einen begeisterten Anhänger des Gedankens, daß wir Ostafrikaner bei einem etwaigen Kriege gegen England nicht stillsitzen dürften, sondern mit zugreifen müßten, falls sich auch nur die Spur einer Aussicht ergab, dem Kriege in Europa Entlastung zu verschaffen. Er konnte mich zugleich darüber orientieren, daß in dem Gebiet von Usambara, am Kilimandjaro und am Meru-Berge freiwillige Schützenkorps in Bildung waren, die voraussichtlich bald fast alle waffenfähigen Deutschen dieser Nordgebiete[S. 5] umfassen würden. Bei der dort dichten Pflanzerbesiedlung war dies von großer Bedeutung. Wenn wir im Verlaufe des Krieges im ganzen etwa 3000 Europäer haben bei der Schutztruppe in Dienst stellen können, so lieferten gerade diese Gebiete der Usambarabahn den Hauptbestandteil. Allerdings war es schwer, eine haltbare militärische Organisation dieser Freiwilligenvereinigungen zu finden und den vielen guten Willen auch wirklich nutzbar zu machen. Immerhin wurde im großen und ganzen erreicht, daß alle, auch die nicht gesetzlich hierzu Verpflichteten, bereit waren, sich im Kriegsfalle der Schutztruppe zu unterstellen. Auch bei den Bezirksämtern fand ich großes Entgegenkommen, leider aber auch das berechtigte Bedenken, ob solche Freiwilligenorganisationen in einem Weltkrieg, der uns mit Sicherheit vollständig von der Heimat abschnitt und auf uns selbst stellte, die nötige Festigkeit haben würden. Schlecht sah es auch mit der Bewaffnung aus; wenn auch fast jeder Europäer eine brauchbare Pirschbüchse hatte, so war doch die Verschiedenartigkeit der Modelle und die entsprechende Schwierigkeit der Munitionsbeschaffung bisher nicht behoben worden. Anträge auf gleichmäßige militärische Bewaffnung dieser Schützenvereine waren noch in der Schwebe und blieben bis zum Ausbruch des Krieges unerledigt.
In Wilhelmstal traf ich eine schwarze Polizeiabteilung unter ihrem tüchtigen aus Dithmarschen stammenden Wachtmeister.
Während die eigentliche Schutztruppe dem Kommandeur unterstand, hingen die einzelnen Abteilungen der Polizeitruppen von den Verwaltungsinstanzen ab, und so hatte jeder Bezirksamtmann zum Zwecke der Steuererhebung und um seinen Befehlen die nötige Autorität zu geben, eine Truppe von etwa 100 bis 200 Mann. Es herrschte das Bestreben vor, diese Polizeitruppe immer mehr auf Kosten der Schutztruppe zu vergrößern. Neben der Schutztruppe war eine zweite, ebenso starke Truppe entstanden, die ihrer ganzen Natur nach eine Karikatur militärischen Wesens war und kaum etwas Besseres sein konnte. Der Bezirksamtmann, ein Zivilbeamter, verstand von militärischen Dingen häufig wenig und legte die Ausbildung und Führung seiner Polizei-Askari[1] in die Hand eines Polizeiwachtmeisters. Dieser arbeitete eifrig mit dem Pflichtgefühl eines alten Unteroffiziers; aber die Anleitung[S. 6] durch einen höheren militärischen Vorgesetzten wurde ihm selten zuteil, da der Polizei-Inspekteur, ein Offizier, jeden Bezirk nur ab und an bereisen konnte. Die Polizei-Askari verbummelten daher vielfach und entbehrten der straffen Zucht, die notwendig war, um sie für ihre Funktionen, die doch Zuverlässigkeit erforderten, geeignet zu erhalten. Bedauerlicherweise entzog die Polizei der Schutztruppe oft die alten schwarzen Chargen und damit die besten Elemente, welche dann bei der Polizei ihre guten militärischen Eigenschaften verloren. Im großen und ganzen war es so, daß zugunsten einer Polizeitruppe, aus der bei den gegebenen Grundlagen nie etwas Brauchbares werden konnte, die Schutztruppe in ihrer Qualität mehr und mehr verschlechtert wurde.
Von Neu-Moschi, dem Endpunkt der Usambarabahn, begab ich mich über Marangu, wo ein englischer Pflanzer wohnte, und wo ich den englischen Konsul King aus Daressalam traf, in die Gegend des Kilimandjaro und von da nach Aruscha. Mehrere deutsche Pflanzer, zum Teil ehemalige Offiziere, die ich während des Marsches auf ihren Besitzungen besuchte, bestätigten mir, daß auch die dortigen deutschen Ansiedler wertvolles militärisches Material wären.
Ich lernte die reizende Besitzung des Kapitänleutnants a. D. Niemeyer kennen, dessen Gattin uns mit vortrefflichem, selbstgezogenem Kaffee bewirtete. Später hat sie uns gelegentlich ein bißchen gestört; als ihr Mann nämlich im Kriege im Lager von Engare-Nairobi war, nordwestlich des Kilimandjaroberges, hatten wir ihr für ein Gespräch mit ihrem Gatten vorübergehend einen Telephonanschlußapparat geliehen. Unmittelbar darauf stockte der gesamte Fernsprechverkehr, und nach langem, langem Suchen kamen wir endlich dahinter, daß unsere anmutige Wirtin von früher den Apparat nicht wieder ausgeschaltet hatte und auch keine Absicht zeigte, dies zu tun.
Auf seiner in der Nähe gelegenen Pflanzung bot uns Korvettenkapitän a. D. Schoenfeld gastlich ein ausgezeichnetes Glas Moselwein in einem militärischen Kommandoton, der schon damals auf den energischen Führer hindeutete, welcher später die Rufijimündung so zähe gegen feindliche Überlegenheit verteidigte. Kurz vor Aruscha traf ich auf der Kaffeepflanzung meines alten Kadettenkameraden Freiherrn von Ledebur bei Tisch auch den liebenswürdigen alten Oberstleutnant a. D. Freiherrn von Bock. Wir unterhielten uns über die freiwilligen[S. 7] Schützenvereinigungen, die am Meru-Berge im Entstehen begriffen waren, und ich ahnte nicht, daß wenige Monate später der über sechzig Jahre alte Herr einer unserer zähesten Patrouillengänger am Ostrande des Kilimandjaro sein und oft mit seinen paar Leuten, zum großen Teil Rekruten, erfolgreich gegen mehrere feindliche Kompagnien fechten würde. Seine echte Ritterlichkeit und väterliche Fürsorge gewannen ihm bald die Herzen seiner schwarzen Kameraden in solchem Maße, daß er in ihren Augen der tapferste aller Deutschen war, und sie mit rührender Treue an ihm hingen.
In Aruscha fand zum ersten Male die Besichtigung einer Askarikompagnie statt. Der Geist und die Disziplin der schwarzen Truppe zeigten die treffliche Erziehung durch meinen Vorgänger, den Oberst Freiherrn von Schleinitz, aber die Ausbildung im Gefecht gegen einen modern bewaffneten Gegner war, den bisherigen Verwendungsgrundsätzen entsprechend, weniger gepflegt worden. Die Kompagnie war — wie der größte Teil der Askarikompagnien — noch mit dem alten rauchstarken Gewehr Modell 71 bewaffnet. Vielfach war die Ansicht vertreten, daß diese Bewaffnung für eine schwarze Truppe zweckmäßiger wäre als ein modernes rauchschwaches Gewehr. Die Truppe war bisher niemals gegen einen modern bewaffneten Gegner, sondern nur in Eingeborenenkämpfen verwandt worden, wo das größere Kaliber ein Vorteil ist, die Nachteile der Rauchentwicklung keine Rolle spielen. Nach Ausbruch des Krieges freilich lernten auch die begeistertesten Anhänger des Infanteriegewehrs Modell 71 um. Gegen einen rauchlos-modern bewaffneten Feind war nicht nur bei den weiten Entfernungen des Gefechts in der freien Ebene, sondern auch im Buschkrieg, wo die Schützen oft nur wenige Schritte voneinander entfernt sind, das Modell 71 unbedingt unterlegen. Der rauchlos schießende Schütze bleibt eben verborgen, während die Rauchwolke nicht nur dem scharfen Auge des eingeborenen Askaris, sondern auch dem an Bureauarbeit gewohnten Europäer den Feind schnell und sicher verrät. So bestand im Anfang des Krieges die größte Belohnung, die einem Askari zuteil werden konnte, darin, daß man ihm statt seines alten rauchstarken Gewehres ein modernes Beutegewehr gab.
Bei der Verteilung der Truppe in einzelnen Kompagnien über das Schutzgebiet hatte der Nachteil mit in Kauf genommen werden müssen,[S. 8] daß die Verwendung in großen Verbänden und die Schulung der älteren Offiziere im Führen derselben nicht geübt werden konnte. Es war klar, daß im Kriege die Bewegung und Gefechtsführung von Truppenkörpern über Kompagniestärke auf große Schwierigkeiten und Reibungen stoßen mußte. Entsprechend der nach meiner Auffassung doppelten Aufgabe der Truppe, sowohl gegen einen äußeren, modernen, wie gegen einen inneren, eingeborenen Feind zum Kampfe bereit zu sein, fiel die Gefechtsausbildung in zwei verschiedene Gebiete. Die Gefechtsübungen im Eingeborenenkriege lieferten hierbei ein Bild, welches von unseren europäischen Besichtigungen stark abwich. In Aruscha marschierte bei dieser Gelegenheit die Kompagnie durch dichten Busch, das Pori, und wurde nach Eingeborenenart auf dem Marsch überfallen. Der Feind wurde dargestellt durch Merukrieger, die im vollen Kriegsschmuck mit Lanzen und ihrem Kopfputz aus Straußenfedern sich versteckt hielten und dann auf wenige Schritte mit ihrem Kriegsgeheul die Safari, die Marschkolonne, überfielen. In einem solchen Nahkampfe, wie ihm 1891 die Zelewskische Expedition bei Iringa erlegen war, spielt sich die Entscheidung bei geringer Entfernung und in wenigen Minuten ab. Die Truppe ballt sich schnell um die Führer zusammen und geht dem Feind zu Leibe. Diesem ganzen Charakter des Eingeborenenkampfes entsprechend war eine sorgfältige und gründliche Schießausbildung der Askari im modernen Sinne bisher nicht notwendig gewesen. Sie stand daher auch auf einer ziemlich tiefen Stufe, und für den Soldaten dürfte es interessant sein, daß beim Schießen stehend-freihändig bei 200 Meter nach der Ringscheibe bei manchen Kompagnien kaum der Ring 3 im Durchschnitt erreicht wurde; nur ganz wenige Kompagnien brachten es auf etwas über Ring 5. Auch für eine gründliche Maschinengewehrausbildung war der Charakter des Eingeborenenkampfes kein ausreichender Antrieb. Erfreulicherweise fand ich bei allen Europäern der Truppe aber sehr bald vollstes Verständnis für die Wichtigkeit gerade dieser Waffe im modernen Gefecht. Trotz dieses nicht gerade hohen Ausbildungsgrades waren im Gefechtsschießen auch bei großen Entfernungen die Ergebnisse nicht unbefriedigend, und dem Askari kam hierbei sein scharfes Auge, mit dem er die Geschoßeinschläge beobachtete und dementsprechend seinen Haltepunkt verbesserte, in hohem Maße zustatten.
[S. 9]
Die Reise führte mich weiter über die Mission Ufiome, wo der treffliche Pater Dürr saß, nach Kondoa-Irangi, Kilimatinde und zurück nach Daressalam. Der Eindruck dieser ersten Besichtigungsfahrt war der, daß militärisch noch vielerlei vorzubereiten war, wenn wir für den Fall eines Krieges der Engländer gegen uns ernsthaft gerüstet sein wollten. Leider gelang es nicht, die maßgebenden Stellen hierfür genügend zu erwärmen. Es herrschte die Meinung vor, daß wir mit England außerordentlich günstig ständen, und daß ein Krieg, wenn er überhaupt käme, in weiter Ferne läge. So kam es, daß, als der Krieg nun wirklich nach wenigen Monaten ausbrach, wir unvorbereitet waren.
Die Reise war für mich, der ich neu nach Ostafrika gekommen war, nicht nur von militärischem Interesse gewesen. In Boma la Ngombe, einem Ort zwischen Moschi und Aruscha, war eine Menge alter Askari noch vom verstorbenen Oberstleutnant Johannes angesiedelt worden; sie trieben dort meistens Viehhandel und waren zu Wohlstand gekommen. Die Nachricht von meinem Eintreffen war mir vorausgeeilt, und die Leute erschienen vollzählig, um mich bei meiner Ankunft zu begrüßen. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß diese Loyalität nicht rein äußerlich war; die Leute erzählten mir begeistert von den Deutschen, unter denen sie früher gestanden hatten, und stellten auch nach Ausbruch des Krieges unaufgefordert und ohne den geringsten Druck eine große Summe Geldes zur Unterstützung der Truppe zur Verfügung. In der dortigen Gegend sah ich auch die ersten Massai, die im Gegensatz zur Mehrzahl der ostafrikanischen Stämme reine Hamiten sind und in einem besonderen Reservat leben. Erwähnt mag werden, daß Merker, der beste Kenner der Massai[2], in ihnen die Urjuden sieht. Sie haben in ausgesprochenem Maße die Eigenschaften des reinen Steppenbewohners. Gelegentlich führte mich einer dieser großen, schlanken und sehr schnellen Leute auf meinen Jagdausflügen; ihr Sehvermögen, sowie die Fähigkeit, Spuren zu lesen, ist erstaunlich. Daneben ist der Massai klug und, wenigstens dem Fremden gegenüber, außerordentlich verlogen. Er lebt in geschlossenen Dörfern aus Lehmhütten und zieht, wie alle Nomadenvölker, mit seinen Herden durch die Steppen. Zum Waffendienst bei der Truppe meldet er sich selten. Ackerbau treibt der[S. 10] Massai so gut wie gar nicht, während dieser bei den übrigen Stämmen die Hauptbeschäftigung ist und erst eine dichte Besiedlung ermöglicht. So ernähren die Bananengebiete am östlichen Abhange des Kilimandjaro eine eingeborene Wadschaggabevölkerung von rund 25000 Menschen, und diese Zahl könnte leicht weiter vergrößert werden. Der große Viehreichtum in der Gegend von Aruscha, in der Massaisteppe und bei Kondoa-Irangi zeigte mir, daß die Tsetsefliege, dieser Hauptfeind des afrikanischen Viehbestandes, dort verhältnismäßig selten ist. Vergleichsweise mag angegeben werden, daß der Rindviehbestand in dem einen Bezirk Aruscha größer geschätzt wird als derjenige in ganz Südwestafrika. Bei Kondoa-Irangi und bei Singidda waren die Leute von weit her gekommen und hatten sich zur Begrüßung am Wege aufgestellt. Kein Reisender, der diese Gebiete durchmißt, kann sich der Beobachtung entziehen, daß in dem fruchtbaren und hoch gelegenen Inneren Raum zur Ansiedlung von Hunderttausenden von Europäern ist.
Einen Eindruck, den ich erst später, während des Krieges, gewonnen habe, möchte ich hier einfügen. Wir sind manchmal durch fruchtbare Gebiete gezogen, die von den Eingeborenen ganz verlassen, bekannterweise aber noch ein Jahr vorher dicht besiedelt waren. Die Leute waren einfach fortgezogen, hatten sich in dem reichlich zur Verfügung stehenden, menschenleeren und fruchtbaren Lande anderswo niedergelassen und dort neue Äcker angelegt. Nutzt man das bebauungsfähige Gebiet wirklich aus, so könnte in dem bisher nur von rund 8 Millionen bewohnten Deutsch-Ostafrika wohl eine Bevölkerung ernährt werden, die hinter der Einwohnerzahl Deutschlands kaum zurücksteht. Ein in Mahenge während des Krieges gefangener Engländer äußerte, daß aus Ostafrika wohl ein zweites Indien zu machen wäre, und ich glaube, daß er mit dieser Auffassung recht hatte. Durch die Erfahrungen des Krieges bin ich in meiner Meinung bestärkt worden, daß viele wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten bestehen, die man vor dem Kriege kaum geahnt hat.
In Singidda sah ich eines der Gestüte des Landes. Als Zuchtmaterial befanden sich dort zwei Pferdehengste, keine Pferdestuten, einige Maskateselhengste und in der Hauptsache eingeborene Eselstuten. Über die Zuchtziele habe ich keine rechte Klarheit erlangen können; jedenfalls war es nicht gelungen, von den Pferdehengsten und Eselstuten Zuchtprodukte[S. 11] zu erzielen. Das Gebiet ist aber für Pferdezucht außerordentlich günstig, und der dort stationierende Regierungstierarzt Hoffmeister zeigte große Lust, sich in dieser Gegend als privater Farmer und Pferdezüchter niederzulassen. Ähnliche Gestüte befanden sich in Kilimatinde, Iringa und Ubena. Von Singidda nach Kilimatinde zog ich den Mpondifluß entlang; es wird den Jäger interessieren, zu hören, daß diese Gegend als dasjenige Gebiet in Ostafrika gilt, wo die besten Büffel stehen.
Schon einige Tage vorher hatte ich auf Büffel mit Erfolg gepirscht, doch war es mir nicht gelungen, einen starken Bullen zum Abschuß zu bringen, und so war ich, soweit es meine Zeit irgend zuließ, dem Büffel auf der Spur. Außer einem eingeborenen Jungen hatte ich als Spurenleser zwei ausgezeichnete Askari der Kondoakompagnie. Sobald ich nach Schluß eines Marsches in das Lager kam und vom Maultier stieg, fragte ich Kadunda, einen dieser Askari, der den Marsch zu Fuß mitgemacht hatte, ob er bereit sei zur Jagd. Er stimmte jedesmal mit größter Passion zu, und fort ging es auf der Fährte durch den Busch, der manchmal so dicht war, daß man unter den Zweigen kriechen mußte, um überhaupt vorwärts zu kommen. Solch eine Fährtenjagd durch dichten Busch und das übermannshohe Schilf, stundenlang in der prallen Sonne, ist für den an afrikanisches Klima zunächst nicht gewohnten Europäer eine außerordentliche Anstrengung. Der angeschossene Büffel gilt in Ostafrika als das gefährlichste Jagdtier; er nimmt oft schnell und mit großer Entschlossenheit an. Am Mpondi hatte einige Zeit vorher ein angeschossener Büffel einen Jäger so überraschend angegriffen, daß dieser zwar erfreulicherweise auf dessen Nacken zu sitzen kam, aber kaum sein Leben gerettet hätte, wenn ihm nicht im kritischen Moment sein Tropenhut heruntergefallen wäre. Das Untier attackierte nun diesen Hut, und der Schütze hatte Gelegenheit, ihm die tödliche Kugel aufs Blatt anzutragen. Aus dieser und ähnlichen Erzählungen wird man begreifen, daß die Spannung, wenn die Fährte, der man folgt, wärmer und wärmer wird, außerordentlich wächst und die Sinne sich schärfen. Aber obgleich ich den Büffel oft auf wenige Schritte neben mir atmen hörte, war das Dickicht so groß, daß ich nicht zum Schuß kam. Ich hatte die Erfüllung meines Wunsches schon aufgegeben und mit meiner Karawane den endgültigen Abmarsch angetreten, als wir morgens um 7 Uhr eine ganz frische Büffelfährte kreuzten. Der[S. 12] Wald war an dieser Stelle lichter, und die Führer zeigten Lust, der Fährte zu folgen. So ließen wir die Karawane weitermarschieren und bekamen nach vierstündiger anstrengender Pirsche den Büffel zu Gesicht. Als ich in einer Lichtung auf 100 Meter den Kolben hob, verbot Kabunda es und bestand darauf, daß wir den Büffel, der im ganz lichten Stangenholz an uns vorüberzog, bis auf dreißig Schritt anpirschten. Zum Glück durchschoß die Kugel die große Schlagader; der Büffel lag sofort, und etwaige weitere Stadien dieser Episode waren damit abgeschnitten. Wie es oft vorkommt, fanden wir auch hier eine steckengebliebene Kugel aus einem Eingeborenengewehr im Innern des Tieres bereits vor. Im übrigen bestand die Jagdbeute aus einer großen Anzahl Antilopen und Gazellen verschiedener Gattungen; Löwen haben wir oft gehört, aber nicht zu Gesicht bekommen.
Auf diesem Zuge durch das „Pori“ lernte ich zu meiner Verblüffung die Tatsache kennen, daß ein spurloses Verschwinden selbst im Inneren Afrikas nicht leicht ist. Ich war losgezogen, ohne zu hinterlassen, welchen Weg ich nehmen würde. Da erschien plötzlich während des Marsches mitten im Pori ein Eingeborener und brachte mir die Überseepost. Die gegenseitigen Mitteilungen der Eingeborenen geben einander eben Kunde von allem, was in ihrer Nähe vor sich geht. Zurufe, Feuerzeichen und die Signaltrommel dienen dazu, die Neuigkeiten auszutauschen und schnell zu verbreiten. Die unglaubliche Ausbreitungsfähigkeit der zahllosen Gerüchte, die ich späterhin kennenlernen sollte, ist zum großen Teil auf diese Mitteilsamkeit zurückzuführen.
Nach der Rückkehr nach Daressalam von der ersten Besichtigungsreise im März wurde sogleich die Umbewaffnung von drei weiteren Kompagnien — es waren bisher erst drei Kompagnien mit modernen Gewehren bewaffnet — in die Wege geleitet. Es wurde von größter Wichtigkeit, daß wenigstens diese Waffen, mit der dazugehörigen Munition, noch gerade rechtzeitig vor Ausbruch des Krieges im Schutzgebiet eintrafen.
Bei einer Besichtigungsreise im April nach Lindi, wo ich die dritte Feldkompagnie sah, hatte ich mir bei einem Fall in ein Steinloch Kniewasser zugezogen und konnte daher meine nächste große Reise erst Ende Mai antreten. Obgleich der öffentliche Verkehr der Zentralbahn erst bis Tabora freigegeben werden konnte, war der Bau doch[S. 13] so weit gediehen, daß ich bis Kigoma (am Tanganjika-See) mit der Bahn gelangte und so schon eine oberflächliche Kenntnis dieses wichtigen Verkehrsmittels gewann, das unsere Küste in unmittelbare Verbindung mit dem Tanganjika, seinen reichen angrenzenden Gebieten und weiter mit dem Stromsystem des Kongo brachte. In Kigoma war der Dampfer „Goetzen“ erst im Bau, und ich fuhr noch mit dem kleinen Dampfer „Hedwig v. Wißmann“ nach Bismarckburg. In Baudouinville, im Kongogebiet, machte ich einen kurzen Besuch bei dem dortigen Bischof der Weißen Väter, ohne eine Ahnung zu haben, wie bald man mit diesem Gebiet im Kriege sein sollte. Die wundervolle Kirche würde bei uns ein Schmuck für jede Stadt sein. Sie war von den Vätern selbst erbaut und im Innern mit reichen Schnitzereien versehen. Geräumige, prachtvolle Obstgärten umgeben die Station. Die Löwenplage muß dort sehr groß sein; die Väter erzählten mir, daß vor kurzem ein Löwe des Nachts über die Mauer in das Innere des Hofes gesetzt war und ein Rind geschlagen hatte. Unsere Aufnahme war sehr freundlich und ein Glas schönen Algier-Weines der Willkommgruß.
Auch in der Mission Mwasije, auf deutschem Gebiet, wo auch Weiße Väter, zum größten Teil Belgier, lebten, wurden wir gut aufgenommen. Während des Krieges erbeutete Korrespondenzen bewiesen aber, daß die französischen Missionare, die gleichfalls aus Stationen des Tanganjika-Gebietes leben, keineswegs nur das Christentum zu verbreiten suchten, sondern auch bewußt nationale Propaganda trieben. Ein Brief eines Missionars enthält einen Bezeichnungsunterschied zwischen einem „missionaire catholique“ und einem „missionaire français“; der letztere sei verpflichtet, neben dem Christentum auch französisch-nationale Propaganda zu treiben. Bekanntlich ist diese nationale Propaganda etwas, von der sich die deutschen Missionare im allgemeinen fernhielten.
Diese Missionen, die sich naturgemäß in den dicht bevölkerten gut angebauten Gegenden finden, haben auf die Erziehung der Eingeborenen einen außerordentlich großen Einfluß. Der Missionar ist meist der einzige dauernd ansässige Weiße, der Land und Leute gut kennenlernt und Vertrauen erwirbt. Recht verdient haben sich die Missionen durch die Einführung der europäischen Handwerke gemacht; Tischlereien, Schuhmachereien und Ziegeleien findet man überall eingerichtet.
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Die weiteren Reisen zeigten mir, daß das so überaus fruchtbare Gebiet um Langenburg und Ssongea, wo sich viele Weizenfelder befinden und dessen dichte Besiedlung sich auf der Karte schon aus den zahlreich vorhandenen Missionen verrät, nur durch eine einzige Kompagnie geschützt war, zu der nicht einmal eine unmittelbare Drahtverbindung bestand. Wollte man Langenburg telegraphisch erreichen, so war dies von Daressalam nur über Südafrika auf der englischen Linie möglich. Die vorhandene heliographische Verbindung von Iringa bis Langenburg war ihrer Unzuverlässigkeit wegen kein ausreichender Ersatz. Erwähnt mag werden, daß in dem dortigen Gebiet die Eingeborenen nicht nur durch die Missionen und die deutsche Verwaltung zur Kulturarbeit herangezogen worden sind, sondern daß dort auch nennenswerte Eingeborenenindustrien alteinheimisch bestehen. Bei eisenhaltigem Boden begegnet man zahlreichen Schmieden, deren Blasebalg in ursprünglicher Weise aus Fellen und durchbohrten Ästen gebildet ist. Recht schön sind auch die Webearbeiten der Eingeborenen; Korbflechtereien gibt es hier wie fast überall im Schutzgebiet. Ihre Erzeugnisse sind geschmackvoll und so dicht, daß die Eingeborenen zum Trinken geflochtene Becher benutzen. Die großen Viehbestände einiger europäischer Farmer — es kommt hier besonders Mbejahof zwischen Nyassa- und Tanganjika-See in Betracht — litten bei den unentwickelten Verkehrsmitteln unter der Schwierigkeit des Absatzes.
Bei der Mission Mbosi lagerte ich, und der dortige Missionar Bachmann, ein langjähriger und ausgezeichneter Kenner von Land und Leuten, erzählte mir, daß ein auffallender Wechsel in den Köpfen der Eingeborenen vor sich ginge. Fremde Araber und Suaheli zeigten sich im Lande und erzählten den Leuten, daß die Deutschen nun bald fortgehen und die Engländer das Land in Besitz nehmen würden; das war im Juni 1914.
Die Weiterreise führte mich bei Iringa auch zu den Stätten, wo der große Häuptling Kwawa in der ersten Zeit den Deutschen getrotzt hatte, und bei Rugano konnten mir einzelne der zahlreich versammelten Eingeborenen ihre eigenen Beobachtungen von der Vernichtung der Zelewskischen Expedition an Ort und Stelle mitteilen.
Trotz des Bemühens, mich in den Umkreis meiner ostafrikanischen Obliegenheiten einzuarbeiten, galt ich bei alten Afrikanern als Neuling. Immerhin hatte mich meine Dienstlaufbahn in gewisser Art auf die mir vom Schicksal gestellte Aufgabe vorbereitet.
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Es mag ungefähr zu der Zeit gewesen sein, als ich, ein früh aus der pommerschen Heimat verpflanzter Kadett, Cäsars Bellum Gallicum studierte, daß dem deutschen Vaterlande durch Bismarck seine ersten Kolonien geschenkt worden sind. Im Jahr 1899-1900 habe ich im Generalstab unsere eigenen wie viele ausländische Kolonien bearbeitet. Während der Chinawirren (1900-1901) lernte ich in Ostasien alle mit uns kämpfenden Truppenkontingente, besonders auch die Engländer, dienstlich wie kameradschaftlich kennen. Der Herero- und Hottentottenaufstand in Südwestafrika führte mich (1904-1906) in die Eigenart des Buschkriegs ein. Nicht nur mit Eingeborenen, sondern auch mit Buren machte ich damals im Stabe des Generals v. Trotha wie als selbstständiger Kompagnie- und Detachementsführer reiche persönliche Erfahrungen. Die ausgezeichneten Eigenschaften des seit Menschenaltern in der afrikanischen Steppe heimischen niederdeutschen Volksstammes gewannen mir Achtung ab. Daß das Burentum später entscheidend — und in gewissem Sinne tragisch — dabei mitwirken würde, den deutschen Teil Afrikas englisch zu machen, ahnte ich nicht.
Im Jahre 1906 wurde ich in Südwest verwundet. Dies führte mich nach Kapstadt, so daß ich auch die Kapkolonie oberflächlich kennenlernte. Auf der Rückreise streifte ich damals auch die spätere Stätte meines Wirkens, Deutsch-Ostafrika, zum erstenmal.
Meine spätere Stellung als Kommandeur des 2. Seebataillons in Wilhelmshaven gab mir Einblicke in das innere Leben unserer kräftig aufstrebenden Marine, die mit der deutschen Überseearbeit so eng zusammenhing. Ich nahm an Übungen und Fahrten auf großen und kleinen Schiffen, an Flottenmanövern und an einer Flottenreise nach Norwegen teil, wobei sich immer neue Seiten des allgemeinen wie des militärischen Lebens auftaten.
Auch bei der Rückkehr in die Armee gab mir der Wechsel zwischen Front- und Stabsdienst viele Anregungen und Gelegenheit zu Vergleichen. So war ich durch meine Entwicklung darauf geführt worden, mich rasch in neuen Verhältnissen zurechtzufinden. So dankbar ich für jede Erweiterung meines Gesichtsfeldes war, das Beste verdanke ich doch der heimischen Armee, bei der es mir unter der Anleitung vortrefflicher Kommandeure vergönnt war, den rechtverstandenen Geist militärischen Lebens und echter Disziplin kennenzulernen.
[1] Askari heißt „Soldaten“ und bedeutet keinen besonderen Stamm.
[2] M. Merker, Die Massai, Berlin 1901 (2. Aufl. 1910).
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Auf dem Weg über die Heliostation Kidodi auf Kilossa zu erhielt ich Anfang August 1914 durch Eilboten ein Telegramm des Gouverneurs, ich müsse sogleich nach Daressalam zurückkommen, und am nächsten Tage die Nachricht, daß Seine Majestät die Mobilmachung befohlen habe, der Kriegszustand sich aber nicht auf die Schutzgebiete bezöge. Ein Telegramm des Staatssekretärs des Reichskolonialamtes forderte zur Beruhigung der Ansiedler auf. Im Gegensatz hierzu nannte ein Funkspruch des Admiralstabes auch England als voraussichtlichen Gegner.
In Kilossa gelang es, einen Güterzug zu erreichen, und so traf ich am 3. August in Daressalam ein. Hier herrschte regste Tätigkeit; die Kriegserklärung hatte mitten in die Vorbereitungen zu einer großen Ausstellung hineingetroffen, zu deren Programm auch die feierliche Eröffnung der Tanganjika-Bahn gehören sollte; zahlreiche Deutsche waren zum Besuch in Daressalam eingetroffen und konnten nicht wieder abreisen. Zum Zweck der Vorbereitungen zur Ausstellung war auch Hauptmann von Hammerstein, Führer der 6. Feldkompagnie in Udjidji, dort eingetroffen, und es war sehr günstig, daß ich diesen tätigen Offizier, mit dem mich außer Gemeinsamkeit der Auffassung auch herzliche persönliche Beziehungen verbanden, sogleich für die Mobilmachung in Anspruch nehmen konnte.
Die Frage, die sich sofort aufdrängte, war die, ob die Kolonie in dem sicher bevorstehenden Weltkriege, in den ja mit größter Wahrscheinlichkeit auch England eingreifen würde, neutral blieb oder nicht. Wie im Anfang bereits ausgeführt, hielt ich es für unsere militärische Aufgabe, feindliche, das heißt also englische Truppen zu fesseln, wenn es irgend möglich war. Dies war aber unausführbar, wenn wir neutral blieben. Es würde dann der Fall eintreten, daß wir, die wir die See nicht beherrschten, mit unserer im Augenblick zwar kleinen Truppe, hinter der aber eine über acht Millionen starke loyale, sehr tüchtige und zum Militärdienst geeignete Bevölkerung stand, untätig verbleiben müßten.[S. 17] Demgegenüber hätte England kein Interesse daran gehabt, aus Rücksicht auf uns auch nur einen einzigen Mann in Ostafrika zu verwenden. England hätte auch den letzten brauchbaren Askari, soweit nicht Rücksicht auf die englische eingeborene Bevölkerung dies beschränkte, zu anderen Kriegsschauplätzen, die wichtiger waren als der ostafrikanische, heranziehen können. Es hätte also für England zweifellos Vorteil gehabt, wenn irgend ein Abkommen uns zur Neutralität verurteilt hätte; das war aber nicht der Fall. Die Kongoakte, die sich auf die äquatorialen Gebiete bezieht, spricht nur davon, daß bei Konflikten von zwei der in Betracht kommenden Mächte eine dritte ihre guten Dienste zur Vermittlung anbieten könnte. Dies ist aber, soweit mir bekannt, von keiner Seite geschehen. Wir waren also nicht verpflichtet, unsere Operationen aus Rücksicht auf irgend ein Abkommen zurückzuhalten. Vom militärischen Standpunkt aus war es nicht für uns, sondern für England ein Nachteil, daß auch auf ostafrikanischem Boden Krieg geführt wurde. Der Umstand, daß wir nicht neutral zu bleiben brauchten, setzte uns in die Lage, mit unserer günstigen Küste dem deutschen Kreuzerkrieg im Indischen Ozean als Stützpunkt und Zuflucht zu dienen. Vor allem aber konnten wir mit unseren wenigen tausend Mann während der ganzen Dauer des Krieges eine gewaltig überlegene feindliche Truppenmacht fesseln.
Die Schutztruppe bestand bei Beginn des Krieges aus 216 Weißen (von denen ein Teil als beurlaubt abzurechnen ist) und 2540 Askari; ferner waren in der Polizeitruppe 45 Weiße, 2140 Askari; dazu kam später das Personal von der „Königsberg“ (die anfänglich ausgelaufen war) mit 322 Mann, und der „Möve“ mit 102 Mann. Im ganzen wurden im Verlauf des Krieges etwa 3000 Europäer zur Truppe eingezogen und etwa 11000 Askari.
In den angegebenen Zahlen ist auch alles enthalten, was nicht focht, wie Polizeischutz, Sanitätspersonal, Magazinbeamte usw. Wie viele Milliarden die versuchte Niederkämpfung unserer geringen Streitmacht gekostet hat, wird ja von englischer Seite wohl einmal selbst dargelegt werden. Dabei hätten wir den Krieg vermutlich noch Jahre lang fortsetzen können.
Für die feindlichen Stärken stehen mir authentische Angaben nicht zur Verfügung, und ich muß den englischen Offizieren und den Pressemeldungen,[S. 18] auf die ich mich berufe, die Verantwortung für die Richtigkeit überlassen. Nach diesen haben über 130 Generale gegen uns im Felde gestanden, die Gesamtstärke der feindlichen Soldaten betrug rund 300000; die Verluste an europäischen und indischen Toten 20000, an Pferden und Maultieren 140000. Diese Zahlen, besonders die Zahl der Generale, scheinen mir allerdings selbst etwas zu hoch gegriffen; ich kann deswegen nur wiederholen, daß sie aus englischer Quelle stammen. Jedenfalls sind es aber recht achtbare Verluste gewesen. Und unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Zahl der gefallenen und gestorbenen schwarzen Soldaten nicht bekannt gegeben ist, dürfte die Gesamtzahl der feindlichen Toten nicht unter 60000 Soldaten betragen. Der Gefechtskalender weist schon heute, obwohl die Nachrichten von Tafel und Wintgens noch fehlen, mindestens tausend Gefechte auf.
Recht interessant war es, in Daressalam in jenen Tagen der Spannung die Tätigkeit des englischen Konsuls King zu beobachten. Er war überall zu sehen, sei es im Offizierskasino zu einer Partie Bridge oder auf der Post, wo unsere Telegramme abgegeben wurden. Die später bei Tanga erbeuteten Dienstvorschriften des englischen Expeditionskorps, die zum großen Teil auf Kings Angaben beruhten, zeigten, wie rührig dieser Mann in der Zeit vor dem Krieg gewesen war und wie ausgezeichnet er über die inneren Verhältnisse unserer Kolonie Bescheid wußte. Seine Beurteilung der einschlägigen Verhältnisse ging so weit, daß er die Europäer verschiedener Gegenden in ihrem Kampfeswert gegeneinander abwog und denen von Daressalam wenig Neigung zum Kampf (stomach for fighting) zusprach. Wenn man ehrlich ist, muß man zugeben, daß es bei einem großen Teil der dortigen Deutschen (und auch der dortigen Behörden) tatsächlich einiger Zeit bedurft hat, bis sie von dem kriegerischen Geist ergriffen wurden, ohne den die Erfüllung unserer Aufgabe nun einmal nicht möglich war.
Recht schwierig war die Lage der von zahlreichen Europäern (dabei vielen Frauen und Kindern) bewohnten Küstenorte, die ja einer Beschießung durch englische Kriegsschiffe in jeder Minute ausgesetzt waren. Der Gouverneur vertrat den Standpunkt, daß eine solche Beschießung unter allen Umständen vermieden werden müßte. Gemäß einer Bestimmung, die allerdings den Fall eines äußeren Krieges nicht berücksichtigte, lag die oberste militärische Gewalt im Schutzgebiet in den Händen des[S. 19] Gouverneurs, und beim Aufhören der Verbindung mit der Heimat war es nicht möglich, hierin Wandel zu schaffen; ich mußte mich mit dieser vom militärischen Standpunkt sehr erheblichen Schwierigkeit abfinden und mit der Möglichkeit rechnen, daß bei genauer Ausführung der Anweisungen des Gouverneurs beispielsweise Daressalam und Tanga, also die Anfangspunkte unserer Eisenbahnen und die gegebenen Stützpunkte für feindliche Operationen, die von der Küste aus ins Innere gehen sollten, dem Feinde kampflos in die Hände fielen.
Nach meiner Auffassung konnten wir durch Bedrohung des Feindes in seinem eigenen Gebiete unsere Kolonie am besten schützen. Wir konnten ihn sehr wirksam an einer für ihn empfindlichen Stelle, der Ugandabahn, fassen, und unsere zahlreiche deutsche Ansiedlerbevölkerung des Gebietes unserer Nordbahn (Tanga-Moschi) stand hierzu gewissermaßen aufmarschiert. Aber der von mir schon früher für den Kriegsfall vorgeschlagenen Truppenversammlung im Norden am Kilimandjaro stimmte der Gouverneur nicht zu. Es mußten aber doch, um überhaupt handeln zu können, die über das ganze Gebiet zerstreuten Truppen zusammengerufen werden. Da dies in dem von mir gewünschten Gebiet des Kilimandjaro zunächst nicht erreichbar war, fand die Versammlung der Truppen notgedrungen einen Tagesmarsch westlich Daressalam, auf den Höhen von Pugu statt. Dort traf sich die Daressalamer Kompagnie mit den teils im Fußmarsch, teils mit der Bahn herangezogenen Kompagnien aus Kilimatinde, Tabora, Udjidji, Usumbura und Kissenji.
Die Polizei, welche nach den geringen für den Kriegsfall getroffenen Vorbereitungen sofort zur Schutztruppe treten sollte, wurde wenigstens zum Teil zur Verfügung gestellt, eine Anzahl gediente Askari eingezogen, und so wurden sogleich vier neue Kompagnien (die Kompagnien 15 bis 18) aufgestellt.
Der Beurlaubtenstand an Deutschen wurde nach Bedarf eingezogen und jede Kompagnie zu rund 16 Europäern, 160 Askari und 2 Maschinengewehren formiert.
An einigen Stellen stieß die Einberufung der Europäer zur Waffe auf Schwierigkeiten. Den Besatzungen einiger Schiffe der Ostafrikalinie, die im Hafen von Daressalam lagen, wurde auf ihre Anfrage vom Bahnhofskommandanten irrtümlicherweise geantwortet, daß für sie kein Platz in der Truppe sei. Auf Veranlassung des stellvertretenden[S. 20] Gouvernements wurde den Leuten dann ein Revers vorgelegt, nach dem sie sich schriftlich verpflichten sollten, im Kriege neutral zu bleiben. Nachträglich wurde den Mannschaften dieser Verstoß gegen die Wehrpflicht klar, und auch ihr gesundes Empfinden sträubte sich dagegen. Unter Darlegung der Verhältnisse wandten sie sich an mich, der ich von diesen Vorgängen keine Ahnung hatte; glücklicherweise konnte der geplante Akt noch rückgängig gemacht werden, da der Revers noch nicht in die Hände des Feindes gelangt war.
Die Trägerausstattung der Kompagnien schwankte und wird durchschnittlich ungefähr 250 betragen haben. Die im Hafen von Daressalam ungeschützt lagernden Bestände an Waffen, Munition und anderem Kriegsgerät wurden auf verschiedene Plätze des Inneren längs der Bahn verteilt, wo Depots eingerichtet wurden.
Die Ausbildung der Truppen wurde sogleich mit Schwung betrieben, und schon damals bewährte sich die von einem praktischen Kompagnieführer, dem Hauptmann Tafel, angeregte Unkenntlichmachung unserer Kopfbedeckungen durch Gras und Blätter. Es war natürlich die Frage, ob es gelingen würde, mit unseren Askari auch gegen moderne Truppen zu fechten; es wurde dies von manchem alten Landeskenner bestritten. Nach Beobachtungen, die ich während des Aufstandes in Südwestafrika 1904-1906 gemacht hatte, glaubte ich aber, daß auch in dem ostafrikanischen Schwarzen, der ja derselben großen Familie des Bantustammes angehört wie der Herero, Tapferkeit und militärische Tüchtigkeit geweckt werden könnten. Es war das gewiß ein Wagnis; aber dies vereinfachte sich dadurch wesentlich, daß uns gar nichts anderes zu tun übrig blieb.
Alle Organisationsfragen, die sonst im Frieden sorgfältig vorbereitet und durchdacht waren, mußten jetzt im Augenblick behandelt und entschieden werden. Hierzu gehörte die außerordentlich wichtige Regelung des Verpflegungswesens und des gesamten Nachschubs. Es kam darauf an, die großen, auch militärisch wichtigen Straßen in erster Linie zu berücksichtigen. Welche Straßen würden dies wohl sein?
Zunächst stellte sich heraus, wie nachteilig es war, daß zwischen dem Gebiet der Zentralbahn und der Usambarabahn keine Schienenverbindung bestand. Der Verkehr zwischen beiden hatte sich im Frieden zu Schiff von Daressalam nach Tanga abgespielt; jetzt war uns diese Möglichkeit unterbunden.[S. 21] Augenscheinlich war an die Wichtigkeit einer militärischen Benutzung der Bahnen nicht gedacht worden. Als Ersatz mußten wir eine Etappenstraße zwischen Morogoro und Korogwe an der Nordbahn ausbauen. Die zweite Straße führte westlich des Massai-Reservates entlang von Dodoma über Kondoa-Irangi, Ufiome nach Aruscha, und die dritte aus dem reichen Gebiet von Tabora, der Hauptstadt des Wanjamwesilandes, nach Muansa am Viktoriasee und damit in das Gebiet der auch vom Konsul King als wichtigsten unserer Stämme erkannten Wassukuma. Diese Verbindung war auch deshalb bedeutungsvoll, weil sie uns außer den reichen Viehbeständen die Reisernte vom Viktoriasee zuführte. Andere Linien verbanden Kilossa mit den reichen Gebieten von Mahenge, Iringa und sogar Langenburg, welches uns einen großen Teil des Bedarfs an Weizenmehl lieferte.
Nachdem die erste Organisation des Nachschubwesens im großen und ganzen hergestellt war, war es nicht möglich, dies auch weiterhin in seinen Einzelheiten vom Kommando aus zu leiten. Es mußte eine Persönlichkeit gefunden werden, die auf Grund ihrer militärischen Vergangenheit geeignet war, das Nachschubwesen nicht nur vom Standpunkt der Verwaltung aus, sondern auch den oft sehr drängenden militärischen Bedürfnissen entsprechend zu leiten und diesen anzupassen.
Generalmajor z. D. Wahle, der zum Besuch seines Sohnes und der Daressalamer Ausstellung zufällig am 2. August eingetroffen war, stellte sich sofort der Truppe zur Verfügung und übernahm auf meine Bitte die Etappenleitung. Seine Aufgabe war deshalb besonders schwierig, weil da, wo keine Eisenbahnen waren, im wesentlichen nur die eingeborenen Träger benutzt werden konnten. Mir stehen über die Zahlen der für die Zwecke der Truppe in Anspruch genommenen Träger keine Angaben zur Verfügung. Es ist auch sehr schwer, diese Zahlen irgend wie festzulegen. Es gehörten Leute dazu, die nur die Lasten von einem Ort zum andern trugen, ehe sie der ständige Träger übernahm, aber ich übertreibe sicherlich nicht, wenn ich sage, daß im ganzen Hunderttausende von Trägern für die Truppe tätig gewesen sind, die doch auch alle verpflegt und ärztlich versorgt werden mußten.
Von den vielen anderen Schwierigkeiten mag noch eine von besonderer Art erwähnt werden. Das Friedensleben der Europäer in tropischen Kolonien hatte sie aus gesundheitlichen Rücksichten an einen[S. 22] gewissen Komfort gewöhnt. Europäische Verpflegung kann man in Ostafrika, wenn man auf Safari (Reise) ist, im allgemeinen nicht kaufen; nur wenige Europäer hatten es gelernt, von den Früchten, welche der Farbige oder die Natur lieferten, zu leben. Unterkunftsmöglichkeiten gibt es selten. Gegen die Moskitos muß man aber geschützt sein. So reiste der weiße Beamte oder Militär kaum mit weniger als 11 Trägern, die außer seinem Zelt, Feldbett und Kleidung auch eine erhebliche Menge an Verpflegung trugen. So hohe Trägerzahlen waren aber für eine Truppe, die beweglich sein sollte, eine Unmöglichkeit. Eine weitere Schwierigkeit ergab sich daraus, daß fast jeder Askari einen Boy hatte. An solchen Desturis (Sitten) zu rütteln, ist bei den naiven Leuten, die durch die Denkungsweise des Islam noch besonders im Festhalten an ihrer alten Überlieferung bestärkt werden, und die außerdem einen großen Stolz und viel Eitelkeit besitzen, besonders schwierig. Es war im einzelnen Falle für den Kompagnieführer nicht immer leicht, hier einen Mittelweg zu finden.
In dem Tropenkriege, der uns bevorstand, spielte die ärztliche Versorgung eine Hauptrolle. Der Eingeborene ist im allgemeinen gegen Malaria in hohem Maße immunisiert, und es kommt selten vor, daß ein Askari daran wirklich erkrankt; manche Stämme aber, die in hochgelegenen, malariafreien Gegenden wohnen, wie beispielsweise die Wadschagga am Kilimandjaro, die deshalb nicht von Jugend auf immunisiert sind, leiden stark an Malaria, sobald sie in die Ebene herunterkommen. Für jeden Europäer wurde von den Abendstunden bis in den Morgen hinein gegen die Malariamücke (Anopheles) streng auf mechanischen Schutz durch ein Moskitonetz gehalten. Ich habe viele Monate am Boden geschlafen, und das Moskitonetz hat mich auch da in hohem Grade geschützt: allerdings habe ich doch zehnmal die Malaria gehabt; denn im Felde ist es nicht immer möglich, die Schutzmaßregeln so anzuwenden, wie es vom gesundheitlichen Standpunkt aus erwünscht ist. Um möglichst jede Kompagnie mit einem Arzt versehen zu können, war es uns hochwillkommen, daß eine stattliche Anzahl Sanitätsoffiziere sich zum Studium und zur Bekämpfung der Schlafkrankheit am Tanganjika und in den südlichen Gebieten, am Rovuma, befand.
Der Betrieb, den diese ganze Tätigkeit der Mobilmachung mit sich brachte, hielt auch den Eingeborenen am Telephon zu Pugu Tag und[S. 23] Nacht in Atem, und es war erstaunlich, mit welcher Gewandtheit hier und anderswo der Eingeborene seinen Apparat bediente. Seine große Begabung für Technik hat uns die wertvollsten Dienste geleistet. Reibungen gab es natürlich unendlich viele. Es kam in den ersten Tagen vor, daß Vieh, das aus der Gegend nördlich von Tabora nach Daressalam zur Versorgung der dortigen Zivilbevölkerung geschafft wurde, anderm Vieh begegnete, das gleichzeitig in entgegengesetzter Richtung für Truppenzwecke ging. Ich spüre es noch heute einigermaßen in den Gliedern, wie auf Station Pugu ein solcher, mit schönstem Ausstellungsvieh beladener Zug mit voller Fahrt in einen anderen, worin ich mich befand, hineinfuhr und in dem zur Bearbeitung der Mobilmachung notwendigen Personal beinahe eine recht fühlbare Verminderung angerichtet hätte.
Unser Sammelplatz Pugu liegt etwa 20 Kilometer landeinwärts von Daressalam. Hier war unser Lager am Anstieg der Puguberge. Der Wald ist außerordentlich dicht und das Land mit Eingeborenen- und auch Europäerpflanzungen stark besiedelt. Trotz der etwas erhöhten Lage befindet sich Pugu durchaus in der heißen Küstenzone, und obgleich wir im August noch in der kühlen Jahreszeit standen, war die Temperatur doch so, wie wir sie mit dem Ausdruck „tropisch“ bezeichnen: es ist die drückende, etwas feuchte Hitze, die für den Europäer größere Märsche sehr anstrengend macht.
Wir hatten in jener Zeit für die Europäer noch Zelte und für jeden ein Feldbett mit dem unvermeidlichen Moskitonetz, so daß in dieser Hinsicht keine Schwierigkeiten bestanden. Für Krankheitsfälle wurde in der nahen Pflanzung Wichmann ein vorläufiges Feldlazarett eingerichtet. Unsere Pferde hatten nicht übermäßig zu leiden. Aber doch erkrankten alle unsere Tiere nach und nach an Tsetse. Den Schutz, den wir in Daressalam den Tieren durch einen Tsetse-sicheren Stall gegeben hatten, der mit Drahtgitter in Art der Fliegenfenster versehen war, konnten wir hier im Feldlager ihnen nicht mehr verschaffen.
[S. 24]
So waren wir im Feldlager Pugu in voller Tätigkeit, als am 8. August vormittags von Daressalam her schweres Artilleriefeuer ertönte. Nach bald eingehenden Meldungen stammte es von zwei englischen kleinen Kreuzern „Astraea“ und „Pegasus“, die den Funkenturm zum Ziel nahmen. Dieser Turm lag an so exponierter Stelle, weil die Lage an der Küste eine weitere Reichweite in das Meer hinaus ermöglichte; der Turm in Daressalam war wichtig für uns, weil die im Bau befindliche Groß-Station in Tabora noch nicht fertiggestellt war, und die zwei kleineren Stationen von Muansa und Bukoba nur lokalen Wert hatten. Der Turm wurde von den Engländern nicht getroffen, sondern durch uns selbst in etwas zu großer Besorgnis, daß er dem Feinde in die Hände fallen könnte, gesprengt. Nach kurzer Zeit brachte ein Beobachtungsoffizier die Meldung, daß bei Kondutschi, einen Tagesmarsch nördlich Daressalam, der Feind anscheinend eine Landung vorbereite. Bei der Gestaltung der Küste war eine solche nicht unwahrscheinlich. Ich ordnete deshalb sogleich den Abmarsch der vorhandenen sieben Askari-Kompagnien[3] an, um die günstige Chance, den Feind dort bei einer Landung zu überraschen, auszunutzen.
Noch ehe der Abmarsch angetreten war, sprach ich auf der Station Pugu den Gouverneur Dr. Schnee im Eisenbahnzuge bei seiner Durchfahrt nach Morogoro. Er zeigte sich von den Feindseligkeiten der Engländer ganz überrascht und sehr einverstanden mit meiner Absicht, den Feind bei Kondutschi anzugreifen. Auf dem Wege dahin begegnete ich zwei Herren des Daressalamer Gouvernements, die mir ein Schreiben vorzeigten, das Verhandlungen betreffs der Übergabe Daressalams an die Engländer enthielt. Da mir der Gouverneur hiervon nichts mitgeteilt hatte, ich außerdem ziemlich eilig war, sah ich nur flüchtig hinein. Ich kam nicht auf den Gedanken, daß es sich hier um Abmachungen handeln könnte, die der Gouverneur gebilligt hätte. Als aber die Truppe in der Nacht auf einem Berge 16 Kilometer nördlich Daressalam angelangt[S. 25] war, und wir am nächsten Morgen den Hafen und die davorliegenden englischen Kreuzer übersahen, stellte sich heraus, daß die Meldung von einem Landungsversuch in Kondutschi ein Irrtum gewesen war. Wir stellten fest, daß die englischen Schiffe nach Land zu verkehrt hatten, und es schien mir jetzt doch wahrscheinlich, daß Verhandlungen mit dem Feinde stattfänden. Ich marschierte nun auf die Stadt vor; da ich befürchten mußte, daß es in der Eile des Augenblicks vielleicht zu nachteiligen Abmachungen in Daressalam kommen könnte, schickte ich den Hauptmann Tafel hinein. Dieser sollte mitteilen, daß ich die vollziehende Gewalt übernähme und daß Verhandlungen mit dem Feinde ausschließlich durch mich zu gehen hätten. Erst durch Hauptmann Tafel erfuhr ich, daß tatsächlich auf Anordnung des Gouverneurs Übergabeverhandlungen geführt worden waren. Mein Eingreifen in diese wurde vom Gouverneur nicht gebilligt, bei dem ja laut einer allerdings auf ganz andere Verhältnisse zugeschnittenen Schutztruppenbestimmung die oberste militärische Gewalt ruhte.
Praktisch hatte dies für den Augenblick keine Folgen. Nur einige englische Marinemannschaften waren an Land gewesen und bereits wieder an Bord gegangen. Für den Soldaten war es aber nicht erhebend, daß hier unter den Augen einer tausend Mann starken guten Truppe ein Abkommen geschlossen war, das uns in Daressalam jede feindliche Handlung untersagte, während sich der Feind hierzu nicht verpflichtete, und daß wir von einem in militärischer Hinsicht so wichtigen Schritte überhaupt keine Kenntnis erhalten hatten.
Die „Königsberg“ war bereits vor mehreren Tagen aus dem Hafen von Daressalam ausgelaufen, und das im Hafen liegende Vermessungsschiff „Möve“ war am 8. August von ihrem Kommandanten gesprengt worden. Dies bedeutete für uns an Land einen wertvollen militärischen Zuwachs, da der Kommandant der „Möve“, Korvettenkapitän Zimmer, nunmehr unter meinen Befehl trat. Oberleutnant z. S. Horn fuhr sofort mit einigen Matrosen nach Kigoma und bemannte und armierte den kleinen Dampfer „Hedwig von Wißmann“. Er jagte auf dem Tanganjika den belgischen Dampfer „Delcommune“, den er nach einigen Tagen überraschte und zusammenschoß, und sicherte uns hierdurch die außerordentlich wichtige Beherrschung des Tanganjika-Sees. Die schnelle Verschiebung von Truppen, die an der Zentralbahn standen, auf Bismarckburg oder auf[S. 26] Usumbura zu war von der ungestörten Transportmöglichkeit auf dem Tanganjika durchaus abhängig und hat im späteren Verlauf der Operationen eine Rolle gespielt.
Im Norden des Schutzgebietes war die in Aruscha stehende 1. Kompagnie durch die in schnellem Marsche von Kondoa heranrückende 13. Kompagnie und eine aus Polizeiaskari in Moschi gebildete Kompagnie verstärkt worden. Auch ein großer Teil der Europäer der Nordbezirke hatte sich zu einer Abteilung unter dem Hauptmann von Prince zusammengetan. Diese Truppen standen in der Hauptsache in der Gegend von Moschi. Das östlich vorgelagerte, auf englischem Gebiet liegende Taveta war vom Feinde besetzt; es kam darauf an, diesen wichtigen Punkt, dessen Besitz für den Feind ein wertvolles Ausfalltor gegen unsere europäischen Siedlungsgebiete des Nordens bedeutete, schnell zu nehmen. Es bedurfte geraumer Zeit, bis es gelang, die Truppen hierzu in Bewegung zu setzen. Viele glaubten, daß wir auf Grund der Kongoakte verpflichtet seien, neutral zu bleiben, und hatten zu den Anweisungen des neuen Kommandeurs wenig Vertrauen; erst am 15. August wurde endlich das schwach besetzte Taveta genommen.
Der Verlauf des Gefechts bewies, daß die Truppe zu gemeinsamem, einheitlichem Handeln in dem unübersichtlichen Buschgelände noch sehr der Weiterbildung bedurfte. Den Befehl übernahm hier im Norden Hauptmann Kraut, der sich zufälligerweise im nordöstlichen Grenzgebiet zu Grenzregulierungen aufhielt. In den nächsten Tagen gelang es, auch den Inhaber der obersten militärischen Gewalt dazu zu bewegen, der Verschiebung der Hauptstreitkräfte zur Nordbahn zuzustimmen.
Diese an sich einfache Verschiebung erforderte unter den damaligen Verhältnissen erhebliche Vorbereitungen. Es waren wenige Deutsche zu finden, welche das ganze Gebiet zwischen der Strecke Daressalam-Morogoro einerseits und Tanga-Mombo andererseits so gut kannten, daß sie zuverlässige Angaben über Wege und Verpflegungsverhältnisse machen konnten. Es war notwendig, Erkundungsoffiziere auszusenden und so eine Anzahl brauchbare Verpflegungsstraßen festzulegen. Die Ergebnisse dieser Erkundungen konnten aber nicht alle abgewartet werden; die Märsche mußten beginnen. Das Gebiet war nach europäischen Begriffen dünn besiedelt, und bei dem vorhandenen Kartenmaterial waren die Verpflegungs- und Wasserverhältnisse nur unter dem Gesichtspunkt vermerkt[S. 27] worden, ob sie als Höchstgrenze für eine Kompagnie ausreichend wären. Man konnte daher ohne Vorbereitungen nicht gut viel mehr als eine Kompagnie ohne Tiefenstaffelung auf eine Straße setzen; die Geübtheit und Gewandtheit im Beschaffen von Verpflegung, wie die Truppe sie gegen Ende des Krieges besaß, war damals noch nicht vorhanden. Es kam im großen und ganzen darauf hinaus, daß der Marsch und die Verpflegung einer Kompagnie unter dortigen Verhältnissen ungefähr dieselben Rücksichten verlangte, welche unter deutschen Verhältnissen eine Division erfordert. Bei dieser Verschiebung war mit der Gefahr zu rechnen, die darin bestand, daß die Kompagnien längere Zeit für Befehle nicht erreichbar waren. Die einzige telegraphische Verbindung von der Zentralbahn nach dem Norden lief unmittelbar längs der Küste und konnte jederzeit unterbrochen werden, wenn der Feind es beabsichtigte.
Die Gewandtheit, mit der Postdirektor Rothe und Sekretär Krüger auf die Wünsche der Truppe eingingen, sogleich den Bau der neuen Drahtlinie Morogoro-Handeni-Korogwe in Angriff nahmen und sich hierbei von der sonst in den Tropen üblichen Solidität unter dem Druck der Verhältnisse vorübergehend frei machten, ermöglichte den Bau der Strecke in wenigen Wochen. Wegen der Zerstörung durch Termiten werden im Frieden grundsätzlich eiserne Telegraphenpfosten gesetzt, die wegen der gerade in hiesiger Gegend zahlreichen Giraffen sehr hoch und mit sehr starkem Leitungsdraht versehen sein müssen. Der zunächst notgedrungen nur behelfsmäßige Bau und das Legen von Kabeln hatten unausgesetzte Störungen und Reparaturen zur Folge.
Inzwischen eingegangene Meldungen vom Vorgehen kleinerer feindlicher Abteilungen bei Jassini, zwei Tagemärsche nördlich Tanga, bestärkten mich in dem Glauben, daß der Feind in dortiger Gegend eine Landung vorhatte und dann schnell in das Innere längs der Nordbahn vordringen würde. So waren die einzelnen Kompagnien von verschiedenen Punkten der Bahnstrecke Daressalam-Mpapua abmarschiert und in der Hauptsache konzentrisch auf Handeni, einige Teile gegen andere Punkte der Strecke Tanga-Korogwe unterwegs, als ich in Pugu am 23. August nachmittags von Oberleutnant von Chappuis, der mit der 17. Feldkompagnie gerade bei Bagamojo lagerte, telephonisch angerufen wurde. Er meldete mir, daß ein kleiner englischer Kreuzer vor Bagamojo läge und den dortigen Leiter der Zivilverwaltung aufgefordert[S. 28] hätte, die Telegraphenstation zu zerstören; widrigenfalls würde er den Ort beschießen. Ich gab an Hauptmann von Chappuis Befehl, sogleich die vollziehende Gewalt zu übernehmen und eine Landung des Feindes mit der Waffe zu verhindern. Ein Boot des Kriegsschiffes, das unter Parlamentärflagge an Land anlegen wollte, wurde daher abgewiesen, und die Folge war eine Beschießung des Ortes. Der Kompagnie und den Eingeborenen machte diese großen Spaß, da sie so gut wie ohne jedes Treffergebnis verlief.
Das Kommando begab sich Ende August mit der Bahn nach Kimamba bei Morogoro. Unterwegs wünschte mir General Wahle, der von Morogoro aus das Etappenwesen leitete, alles Gute für das entscheidende Gefecht, das wir in Gegend Handeni erwarteten und zu dem auch sein Sohn unterwegs war. Dann reiste das Kommando mit Hilfe zweier requirierter Automobile weiter auf Handeni zu. Nach 30 Kilometer Fahrt mußte dieses Transportmittel aufgegeben werden, da der angeordnete Ausbau der Straße noch nicht genügend vorgeschritten war. Hauptmann von Hammerstein und ich fuhren auf Fahrrädern weiter und überholten nach und nach die marschierenden Kompagnien. Die vermutete Landung des Feindes bestätigte sich nicht, und wir trafen Anfang September in Korogwe ein. In Tanga war inzwischen ein englischer Kreuzer erschienen und hatte dort liegende Leichter abgeschleppt.
Es galt nun das Verpflegungs- und Nachschubwesen der Truppe im Norden zu organisieren. Der bisherige Feldintendant Hauptmann d. L. Schmid war wegen Krankheit ausgefallen, und es war schwer, eine geeignete Persönlichkeit zu finden. Glücklicherweise bot sich eine solche in dem Hauptmann d. L. Feilke, dem langjährigen erfahrenen Leiter der Prinz-Albrecht-Plantagen in Usambara, der sich in der Gegend von Tanga aufhielt, wo er sich der Truppe zur Verfügung gestellt hatte. Früher Adjutant des 8. Jägerbataillons, vereinigte dieser 52jährige welterfahrene und geschickte Offizier aufs glücklichste die für den schweren Posten eines Intendanten erwünschte militärische Vorbildung und wirtschaftliche Begabung. Er kam sofort, und wir beide fuhren nach Neumoschi. Dort traf ich den Hauptmann Kraut. Auf dem Kilimandjaro war der Kleinkrieg durch Anlage von Verpflegungsdepots vorbereitet worden, unsere Patrouillen gingen über Taveta hinaus in der Richtung[S. 29] auf die britische Ugandabahn vor, und es war schon zu zahlreichen kleinen Zusammenstößen gekommen. Die nötige Erfahrung für Fernpatrouillen, wie sie in späterer Zeit so erfolgreich zu Bahnzerstörungen führten, besaß aber die Truppe zur damaligen Zeit noch nicht. Die ersten Patrouillengänger waren halb verschmachtet an der Ugandabahn angelangt und gefangengenommen worden. Ich begab mich von Neumoschi aus zum Himolager, wo Hauptmann von Prince in befestigter Stellung stand. Er begleitete mich nach Taveta, das von einem vorgeschobenen Offiziersposten besetzt war. An Ort und Stelle konnten wir nun die Verlegung des Gros der Nordtruppe nach Taveta besprechen. Die dortige, sehr zahlreiche Eingeborenenbevölkerung schenkte den von der Truppe eingesetzten Verwaltungseuropäern durchaus ihr Vertrauen; die Leute verkauften ihre Erzeugnisse weiter auf dem Markt, und das Verhältnis war ein recht befriedigendes.
Schon bei Ausbruch des Krieges war an vielen Stellen die Befürchtung vor Eingeborenenaufständen aufgetaucht. An der Zentralbahn entstanden wilde Gerüchte über eine Erhebung der Wahehe — es ist dies der kriegerische Stamm, der in der Gegend von Iringa so lange der deutschen Besitzergreifung getrotzt hatte —, und am Kilimandjaro wurde ein Aufstand der Wadschagga befürchtet. Die große Anzahl der schwarzen Arbeiter auf den europäischen Siedlungen der Nordgebiete wurde aus Verpflegungsgründen ebenfalls von den Behörden für unzuverlässig gehalten. Diese Befürchtungen haben sich aber sämtlich nicht bestätigt. Später hat mir ein sehr intelligenter gefangener belgischer Askari geradezu gesagt: „Du weißt ja, die Eingeborenen halten immer zu dem, der der Stärkere ist“, und ein englischer Massai äußerte unumwunden: „Uns ist es gleichgültig, ob die Engländer oder die Deutschen unsere Herren sind.“
Erst später, nach dem Eindringen des Feindes, bildete der Eingeborene eine wesentliche Gefahr für uns; dann war sie allerdings sehr groß. Der Eingeborene hat ein feines Gefühl dafür, wann die wirkliche Macht von der einen Hand in die andere übergeht.
Nach kurzer Rückkehr nach Korogwe rückte das Kommando dann nach Neumoschi und bald darauf nach Taveta. Drei der an der Nordbahn eingetroffenen Kompagnien der Zentralbahn wurden bei Tanga vereinigt, die übrigen fünf in das Gebiet des Kilimandjaro befördert.[S. 30] Bei Daressalam blieb zunächst nur Hauptmann von Kornatzki mit der neu formierten 18. Feldkompagnie.
In der nächsten Zeit kam es zu Unternehmungen verschiedener fliegender Kolonnen von Kompagniestärke, deren Zweck es war, die feindlichen Abteilungen, die nach vorliegenden Meldungen die Wasserstellen des angrenzenden englischen Gebietes besetzt hielten, zu vertreiben, ihnen Verluste beizubringen und dadurch den Weg für unsere Patrouillenunternehmungen gegen die Uganda- und Magadbahn frei zu machen. So war Ende September Hauptmann Schulz mit seiner Kompagnie vom Kilimandjaro aus den Tsavofluß abwärts marschiert, bis zur Ugandabahn vorgedrungen und dort auf einen mehrere Kompagnien starken Gegner gestoßen, der sich wahrscheinlich mit Hilfe der Bahn gesammelt hatte. Nördlich des Kilimandjaro hatte Hauptmann Tafel mit seiner Kompagnie und einer fünfzig Mann starken Europäerabteilung eine englische Reiterkolonne verfolgt, war aber dann von dieser im dichten Busch in seinem Lager am Engitoberge angegriffen worden. Es war das erste ernsthaftere Gefecht unserer Askari hier im Norden. Obgleich der Feind aus englischen und burischen Farmern, also guten Reitern und Schützen, bestand, die mit dem Leben in der Steppe vertraut waren, gingen unsere Askari ihm mit aufgepflanztem Seitengewehr so energisch zu Leibe, daß von dem 80 Europäer starken Gegner ungefähr 20 tot liegen blieben, sein Gesamtverlust also auf mindestens die Hälfte seiner Kopfzahl zu schätzen war.
In gleicher Weise wie am Kilimandjaro führten auch die Unternehmungen des Hauptmann Baumstark, der die drei bei Tanga versammelten Kompagnien befehligte, zu Gefechten im Grenzgebiet zwischen Jassin und Mombassa. Der Zweck aller dieser Unternehmungen war zugleich, über das in Frage kommende Operationsgebiet die allernotwendigste Klarheit zu schaffen, da diese Strecken im Frieden nicht erkundet und uns auch in bezug auf Wasser- und Anbauverhältnisse unbekannt waren. Nach und nach wurde so ein anschauliches Bild über Land und Leute geschaffen. Das englische Grenzgebiet war längs der Küste gut besiedelt und reich angebaut. Weiter im Innern hat es den Charakter der trockenen Dornsteppe mit teilweise dichtem Busch. Aus der Steppe erheben sich eine Anzahl von Gebirgszügen, die mehrfach in felsigen Massiven schroff aufsteigen. Die Truppen waren in mehreren[S. 31] befestigten Lagern östlich des Kilimandjaro untergebracht, das Kommando aber wegen der Schwierigkeit der Verbindung von Taveta wieder nach Moschi zurückgekehrt.
Die Drahtverbindung zwischen Moschi und Taveta konnte der später eintreffende Feldpostdirektor auf meine Frage nur als „niedlich“ bezeichnen. Die Isolatoren waren abgeschlagene Flaschenhälse, die auf Stangen oder an Baumzweigen befestigt waren; der Draht war von den Einzäunungen der Pflanzungen entnommen. Die Störungen waren aber doch so erheblich, daß der große Nachrichten- und Meldeverkehr des Kommandos mit dieser Leitung auf die Dauer nicht hatte bewältigt werden können.
Unser Verkehr mit der Außenwelt war seit Kriegsbeginn so gut wie abgeschnitten; zwar nahmen wir anfangs die Funksprüche von Kamina, dann unter günstigen Witterungsverhältnissen gelegentlich die Funksprüche von Nauen auf; aber sonst waren wir bezüglich neuer Nachrichten auf das Auffangen feindlicher Funksprüche und darauf angewiesen, feindliche Post oder sonstige Papiere in unsere Hand zu bringen.
[3] Askari sind „Soldaten“, nicht ein besonderer Volksstamm.
Erbeutete englische Zeitungen berichteten, daß Deutschland den Verlust seiner geliebten Kolonien, seiner „Küchlein“, so besonders schmerzlich empfinden würde und daß Deutsch-Ostafrika der „wertvollste Happen“ sei. Erbeutete Post sprach von der demnächstigen Ankunft eines indischen Expeditionskorps von 10000 Mann, und da ich sowieso aus allgemeinen Erwägungen heraus schon immer mit einer feindlichen Landung größeren Stiles in der Gegend von Tanga gerechnet hatte, reiste ich Ende Oktober dorthin, fuhr mit meinem mitgenommenen Auto die Gegend ab und besprach mich an Ort und Stelle mit Hauptmann Adler, dem Führer der 17. Kompagnie, sowie dem Bezirksamtmann Auracher. Erfreulicherweise trat dieser meiner Auffassung bei, daß bei einer ernsthaften Bedrohung Tangas vor allem einheitliches Handeln notwendig sei, und ich versicherte ihm, daß ich selbstverständlich für alle[S. 32] hieraus hervorgehenden Konsequenzen die Verantwortung übernähme. Dies war besonders deshalb von Bedeutung, weil nach den gegebenen Anweisungen des Gouverneurs eine Beschießung von Tanga unter allen Umständen vermieden werden sollte. Die Ansichten darüber, was im gegebenen Fall zu tun oder zu lassen sei, konnten also sehr verschieden sein.
Wenige Tage nach meiner Rückkehr nach Neumoschi, am 2. November, wurde von Tanga aus gedrahtet, daß 14 feindliche Transportschiffe und 2 Kreuzer vor Tanga erschienen seien. Diese verlangten die bedingungslose Übergabe der Stadt; die Verhandlungen darüber zogen sich in die Länge, da Bezirksamtmann Auracher, der an Bord gegangen war, darauf aufmerksam machte, daß er besondere Weisung einzuholen habe, und das angedrohte Bombardement durch die Bemerkung verhinderte, daß Tanga ein offener und unverteidigter Ort sei. Hauptmann Baumstark, der mit zwei Kompagnien nördlich Tanga im Grenzgebiet war, wurde sofort auf Tanga in Marsch gesetzt. Ebenso wurden aus der Gegend von Taveta und vom Kilimandjaro die beiden Europäerkompagnien und die Askarikompagnien im Eilmarsch nach Neumoschi herangeholt. Zwei Lastautos, die zum Verpflegungstransport auf der Strecke Neumoschi-Taveta dienten, taten bei dieser Truppenverschiebung wertvolle Dienste. Meine Absicht, alle verfügbaren Truppen gegen die zweifellos in Tanga bevorstehende Landung mit größter Schnelligkeit dort zu sammeln, war trotz der den Truppen zugemuteten, starken Märsche nur durchführbar, wenn die Nordbahn ihre Leistungsfähigkeit auf das Äußerste anspannte, und das war bei den wenigen Lokomotiven — es waren nur acht — viel verlangt. Die etwa 300 Kilometer lange Strecke ist eine Schmalspurbahn, auf der im voll ausgelasteten Zuge von 24 bis 32 Achsen nur eine Kompagnie mit vollem Gepäck oder zwei Kompagnien ohne Gepäck und ohne Träger befördert werden konnten. Nur dem Entgegenkommen aller mit diesen Transporten beschäftigten Personen — ich nenne besonders den als Leutnant zur Truppe eingezogenen Eisenbahnkommissar Kröber und den Betriebsdirektor Kühlwein —, die die Züge bei Tanga bis auf das Gefechtsfeld und in das Feuer hinein vorführten, ist es zu danken, daß diese Transporte überhaupt ausgeführt werden konnten. Noch am 2. November wurden die gerade in Neumoschi anwesenden Truppenteile, anderthalb Kompagnien,[S. 33] mit der Bahn abtransportiert, am 3. morgens das Kommando mit einer weiteren Kompagnie; drei andere Kompagnien folgten später. Ebenso wurden alle kleineren Formationen des Bahnschutzes nach Tanga herangezogen. Die Stimmung der abfahrenden Truppen war glänzend; dies mag jedoch weniger darauf zurückzuführen sein, daß der Askari sich über den Ernst der Lage klar war, als vielmehr darauf, daß für ihn eine Eisenbahnfahrt unter allen Umständen ein großes Vergnügen bedeutete.
Das Kommando traf am 3. November abends in Korogwe ein. Ich begab mich zu dem dort eingerichteten Lazarett und sprach die aus dem Gefecht von Tanga am 3. November zurückgekommenen Verwundeten. Einer derselben, Oberleutnant d. L. Merensky, berichtete mir, daß am 2. November bei Tanga Posten- und Patrouillengefechte in der Gegend von Ras Kasone stattgefunden hatten und daß am 3. November ein anscheinend mehrere tausend Mann starker Feind, der bei Ras Kasone gelandet war, die 17. Kompagnie östlich von Tanga angegriffen hatte. Diese, durch die Europäer und Polizeiaskari aus Tanga unter dem Oberleutnant Auracher verstärkt, hatte dem Angriff standgehalten, bis die ersten von Neumoschi eintreffenden anderthalb Kompagnien eingriffen, sofort gegen die linke Flanke des Feindes vorstürmten und ihn zurückwarfen. Oberleutnant Merensky hatte den Eindruck, daß der Feind vollständig geschlagen und die Wiederholung eines Angriffes unwahrscheinlich wäre. Die während der Eisenbahnfahrt stückweise eintreffenden Telegramme hatten mir ein klares Bild der Lage nicht geben können, als das Kommando am 4. November um 3 Uhr morgens 6 Kilometer westlich von Tanga die Bahn verließ und dort den Hauptmann Baumstark antraf.
Dieser hatte die Lage anders beurteilt und glaubte bei der großen Überlegenheit des Feindes, daß bei einem erneuten Angriff Tanga nicht zu halten sei. Er hatte deshalb seine von Norden kommenden zwei Kompagnien und die Teile, die am 3. November bei Tanga im Gefecht gestanden hatten, am Abend dieses Tages 6 Kilometer westlich von Tanga gesammelt und in der Stadt selbst nur Patrouillen belassen. Ob Tanga frei oder vom Feinde besetzt war, darüber herrschte keine Klarheit. Starke Offizierspatrouillen wurden sofort über Tanga hinaus auf Ras Kasone zu vorgetrieben. Glücklicherweise hatte das[S. 34] Kommando einige Fahrräder mitgebracht, und so konnte ich, um schnell Aufklärung durch persönlichen Augenschein zu schaffen, sogleich mit Hauptmann von Hammerstein und dem kriegsfreiwilligen Dr. Lessel zum Bahnhof Tanga hinein vorfahren. Von der hier angetroffenen vorgeschobenen Postierung der 6. Feldkompagnie konnte ich auch nichts Näheres über den Feind erfahren und fuhr weiter durch die leeren Straßen der Stadt vor. Die Stadt war vollständig verlassen, und die weißen Europäerhäuser leuchteten in den Straßen, durch die wir fuhren, im klarsten Mondschein. So erreichten wir den Hafen am jenseitigen Stadtrande; Tanga war also frei vom Feinde. 400 Meter vor uns lagen hell erleuchtet die Transportschiffe, auf denen großer Lärm herrschte: es war kein Zweifel, daß die Landung unmittelbar bevorstand. Ich bedauerte sehr, daß unsere Artillerie — wir hatten nämlich auch zwei Geschütze C/73 — noch nicht zur Stelle war. Hier, im hellen Mondschein, auf so nahe Entfernung, hätte sie trotz der Anwesenheit der feindlichen Kreuzer vernichtend wirken können.
Wir fuhren dann weiter auf Ras Kasone zu, ließen im deutschen Gouvernementshospital unsere Räder stehen und gingen zu Fuß an den Strand, an dem dicht vor uns ein englischer Kreuzer lag. Auf unserem Rückweg wurden wir am Hospital anscheinend von einem indischen Posten — wir konnten die Sprache nicht verstehen — angerufen, sahen aber nichts. Wir setzten uns auf die Räder und fuhren zurück. Der Tag begann zu grauen, und linker Hand von uns hörten wir die ersten Schüsse fallen. Es war dies die Offizierspatrouille des Leutnant Bergmann der 6. Feldkompagnie, die westlich Ras Kasone auf feindliche Patrouillen gestoßen war. Einer meiner Radfahrer brachte nun an Hauptmann Baumstark den Befehl, sogleich mit allen Truppen auf Bahnhof Tanga anzutreten. Für die Art, wie ich das sicher bevorstehende Gefecht zu führen gedachte, war die Beschaffenheit des Geländes mit ausschlaggebend. Im Norden boten die Häuser der am Hafen gelegenen Europäerstadt Schutz gegen Sicht und daher auch gegen das Artilleriefeuer der nahe gelegenen Kreuzer. Umgeben war die Stadt von ununterbrochenen Kokospalmen- und Kautschukpflanzungen, die sich fast bis Ras Kasone ausdehnten und in die außer der Eingeborenenstadt auch einige Anpflanzungen von Eingeborenen eingestreut waren. Unterholz war nur an wenigen Stellen vorhanden und das Gelände durchaus[S. 35] flach. Es war wahrscheinlich, daß der Feind, mochte er nun bei Ras Kasone allein oder gleichzeitig an mehreren Stellen, zum Beispiel auch bei Mwambani, landen, einen Druck gegen unseren südlichen, also rechten Flügel ausüben würde. Auch für uns war hier südlich von Tanga die Aussicht auf größere Bewegungsfreiheit durch die Beschaffenheit des Geländes gegeben. Ich beschloß, den sicher zu erwartenden feindlichen Angriff am Ostrande von Tanga anzunehmen und starke Reserven hinter unserem rechten Flügel zum Gegenstoß gegen die feindliche Flanke zu staffeln.
Bei den verschiedenen Aufgaben galt es die Eigenart der Truppenteile zu berücksichtigen. In der damaligen Zeit hatte jede Kompagnie noch nach der Art ihrer Zusammensetzung und dem Standpunkte ihrer Ausbildung ihr besonderes Gepräge. Die gute 6. Feldkompagnie, die im Frieden in Udjidji auch mit Maschinengewehren eine sorgfältige Ausbildung im Schießen erhalten hatte, wurde beauftragt, in einer breiten Front den Ostrand von Tanga zu besetzen. Rechts rückwärts von dieser, außerhalb Tanga, wurde das Bataillon Baumstark, bestehend aus der aus Polizei gebildeten 16. und 17. Feldkompagnie sowie kleineren, zu einer Kompagnie zusammengezogenen Formationen, gestaffelt. Rechts rückwärts hiervon, an der Telegraphenstraße Tanga-Pangani, blieben drei gute Kompagnien, nämlich die aus Europäern bestehende 7. und 8. Schützenkompagnie mit ihren drei Maschinengewehren sowie die 13. Feldkompagnie mit ihren vier Maschinengewehren, zu meiner Verfügung. Das Kommando selbst blieb zunächst an der Straße Tanga-Pangani und schloß sich an die dortige Drahtleitung an. Die 4. und 9. Feldkompagnie sowie die zwei Geschütze C/73 (Batterie Hauptmann Hering) waren noch im Anrollen und die Zeit ihres Eintreffens ungewiß. So verblieb die Lage im wesentlichen bis zum Nachmittag. In der heißen Sonne der Küstenzone litten wir nicht wenig unter Durst, stillten ihn aber durch das Wasser der jungen Kokosfrüchte. Auch sonstige Getränke gab es damals noch in Tanga; wir hatten noch Wein und Selterswasser. Sogar warme Würstchen wurden den Truppen vom Schlächtermeister Grabow gebracht.
Die Vorgänge bei den feindlichen Schiffen wurden dauernd scharf beobachtet. Man sah jedes Boot, das von ihnen abstieß, und dessen Besatzung. Ich schätzte die Summe der bis zum Mittag gelandeten[S. 36] Feinde auf 6000. Aber auch bei dieser noch zu niedrigen Schätzung des Feindes mußte ich mir die Frage vorlegen, ob ich es wagen durfte, mit meinen tausend Gewehren einen entscheidenden Kampf aufzunehmen. Ich habe die Frage aus verschiedenen Gründen bejaht. Es war zu wichtig, den Feind an einem Festsetzen bei Tanga zu hindern. Wir würden ihm sonst die beste Basis für Unternehmungen gegen die Nordbezirke überlassen; bei seinem Vordringen würde er in der Nordbahn ein glänzendes Hilfsmittel für seinen Nachschub haben, und immer neue Truppen und Kampfmittel könnten bequem und überraschend heran- und vorgeführt werden. Dann war aber mit Sicherheit zu erwarten, daß das Gebiet der Nordbahn für uns unhaltbar würde, und unsere bisherige so erfolgreiche Art der Kriegführung mußte aufgegeben werden. Gegen diese gewichtigen sachlichen Gründe mußten enge Bedenken, wie der Befehl des Gouverneurs, die Beschießung von Tanga unter allen Umständen zu vermeiden, zurücktreten.
Einige Umstände sprachen auch zu unseren Gunsten. Einmal war mir persönlich von früher her, aus Ostasien, die Schwerfälligkeit englischer Truppenbewegungen und englischer Gefechtsführung bekannt, und es war sicher, daß diese Schwierigkeiten in dem sehr gedeckten und dem Feinde unmittelbar nach seiner Landung ganz unbekannten Gelände ins Unendliche wachsen würden. Die geringste Störung der Ordnung mußte weitgehende Folgen nach sich ziehen. Ich hatte Aussicht, mit meiner Truppe, deren Europäer die Gegend von Tanga gut kannten und deren Askari im Busch zu Hause waren, die Schwächen des Feindes durch geschicktes und schnelles Manövrieren auszunutzen.
Freilich, wenn die Sache unglücklich ablief, war es schlimm. Schon bisher war die Art meiner aktiven Kriegführung mißbilligt worden. Kam hierzu noch eine große Niederlage im Gefecht, so war es mit dem Vertrauen der Truppe wahrscheinlich endgültig vorbei; und mit Sicherheit würden mir auch von vorgesetzter Stelle aus unüberwindbare Schwierigkeiten in der Kommandoführung bereitet worden sein. Mein Entschluß war nicht leicht, und seine in der kriegerischen Lage begründete Schwere wurde dadurch noch in unnötiger Weise vergrößert, daß die Bestimmungen dem eigentlich verantwortlichen Führer nicht die genügende Freiheit einräumten. Aber es half nichts: es mußte alles an alles gesetzt werden.
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Noch am Vormittag gab ich an Hauptmann von Prince persönlich den Befehl, mit seinen zwei Europäerkompagnien nach Tanga hineinzurücken, um bei einem Angriff gegen die am Ostrande des Ortes liegende Askarikompagnie schnell und ohne Befehl eingreifen zu können. Schon fing ich an zu zweifeln, ob der Feind am 4. November überhaupt noch angreifen würde, als um 3 Uhr nachmittags ein Askari in seiner einfachen und strammen Art die Meldung machte: „Adui tajari.“ (Der Feind ist bereit.) Das kurze Wort werde ich niemals vergessen. Im nächsten Moment ging gleichzeitig das Gewehrfeuer auf der ganzen Front los, und man konnte auf den raschen Verlauf des Gefechts mit seinem Hin- und Herwogen nur aus der Richtung des Knalles der Schüsse Schlüsse ziehen. Man hörte, daß das Feuer sich vom Ostrande Tangas her in die Stadt hineinzog: hier war also die 6. Kompagnie zurückgeworfen worden. Bis dicht an den Bahnhof und in die Stadt hinein war der Feind mit zwanzigfacher Übermacht vorgedrungen. Hauptmann von Prince war mit seinen beiden Europäerkompagnien sofort vorgestürmt und hatte die zurückgehenden braven Askari augenblicklich zum Stehen und Wiedervorgehen gebracht. Das britische, nur aus Europäern, langgedienten Mannschaften, bestehende North Lancashire-Regiment, 800 Mann stark, wurde mit schweren Verlusten zurückgeworfen, und auch der zwischen diesem Regiment und dem Strande vorgehenden indischen Brigade (Kaschmir-Schützen) wurden die von ihr genommenen Häuser in hartnäckigem Straßenkampf entrissen. Aber auch südlich von Tanga hatte Hauptmann Baumstark seine Kompagnien an der Front eingesetzt, und nach etwa einstündigem Gefecht beobachtete ich, wie hier die Askari durch die Palmen bis an die Straße Tanga-Pangani zurückgingen. Die Europäer des Kommandos liefen sofort hin und brachten die Leute zum Stehen. Ich sehe noch heute den temperamentvollen und zähen Hauptmann v. Hammerstein vor mir, wie er voller Empörung einem zurückgehenden Askari eine leere Flasche an den Kopf warf. Es waren ja schließlich zum großen Teil junge, gerade erst aufgestellte Kompagnien, die hier fochten und durch das starke feindliche Feuer verblüfft waren. Aber als wir Europäer uns vor sie hinstellten und sie auslachten, kamen sie schnell wieder zu sich und sahen, daß eben nicht jede Kugel traf. Aber im ganzen war der Druck, der gegen unsere Front ausgeübt wurde, doch so stark, daß ich glaubte,[S. 38] mit dem Herbeiführen der Entscheidung nicht länger warten und zum Gegenstoß ansetzen zu müssen. Hierzu stand allerdings nur eine einzige Kompagnie zur Verfügung, aber es war die gute 13. Feldkompagnie. Die 4. Kompagnie, deren Ankunft ich von Minute zu Minute sehnsüchtigst erwartete, war noch nicht eingetroffen.
Das bisherige Gefecht hatte gezeigt, daß der Feind sich mit seiner in der Flanke ungesicherten Front nicht weiter nach Süden ausdehnte, als der rechte Flügel unserer Front reichte. Hier also mußte ihn der Gegenstoß vernichtend treffen, und jedem Teilnehmer wird der Moment unvergeßlich sein, als hier die Maschinengewehre der 13. Kompagnie mit ihrem Dauerfeuer einsetzten und den sofortigen Umschwung des Gefechts herbeiführten. Die ganze Front raffte sich auf und stürzte sich mit jubelndem Hurra vorwärts. Inzwischen war auch die 4. Kompagnie eingetroffen; wenn sie infolge eines Mißverständnisses auch nicht noch weiter über die 13. ausholend eingesetzt wurde, sondern sich zwischen dieser und unserer Front einschob, so kam sie doch noch vor Dunkelheit zum wirksamen Eingreifen. In wilder Flucht floh der Feind in dicken Klumpen davon, und unsere Maschinengewehre, aus Front und Flanke konzentrisch auf ihn wirkend, mähten ganze Kompagnien Mann für Mann nieder. Mehrere Askari kamen freudig strahlend heran, über dem Rücken mehrere erbeutete englische Gewehre und an jeder Faust einen gefangenen Inder. Die Handfesseln aber, die wir bei diesen vorfanden, zum Gebrauch an deutschen Gefangenen, wandte niemand von uns ihnen gegenüber an.
Man stelle sich diesen Augenblick vor: im dichten Walde, alle Truppenteile, vielfach sogar Freund und Feind durcheinander gemischt, die verschiedensten Sprachen durcheinander geschrien, und dazu die rasch hereinbrechende tropische Dunkelheit, und man wird verstehen, daß die von mir angesetzte Verfolgung gänzlich mißglückte. Ich hatte mich auf dem rechten Flügel befunden und schnell die zunächst erreichbaren Teile in der Richtung auf Ras Kasone zu energischem Nachdrängen angesetzt. Dann hatte ich mich auf den linken Flügel begeben. Dort fand ich von unseren Leuten fast nichts vor; erst nach längerer Zeit hörte ich in der Nacht Schritte von den Nagelstiefeln einer Askariabteilung. Ich war froh, endlich eine Truppe zu haben, wurde aber etwas enttäuscht, als es eine Abteilung des rechten Flügels unter Leutnant Langen war, die[S. 39] die Richtung auf Ras Kasone verfehlt hatte und so auf unseren linken Flügel geriet. Aber nicht genug mit diesen Reibungen. Auf unerklärliche Weise glaubte die Truppe auf einen Kommandobefehl wieder in das alte Lager westlich von Tanga abrücken zu sollen. Erst im Laufe der Nacht gewann ich am Bahnhof in Tanga Klarheit darüber, daß fast alle Kompagnien dahin abmarschiert waren. Sie erhielten selbstverständlich Befehl zu sofortiger Rückkehr. Leider war hierdurch aber doch eine solche Verzögerung eingetreten, daß es nicht möglich war, die Geschütze der nachträglich eingetroffenen Batterie Hering noch in der Nacht bei Mondschein gegen die Schiffe in Wirkung zu bringen.
Erst am Morgen des 5. November trafen die Truppen, deren starke Erschöpfung ja begreiflich war, wieder in Tanga ein und besetzten im wesentlichen wieder die Stellung des vorigen Tages. Jetzt mit allen Kräften gegen die feindliche Einschiffung bei Ras Kasone vorzurücken war nicht angebracht, da die dortige Gegend ganz übersichtlich war und von den beiden in unmittelbarer Nähe liegenden Kreuzern beherrscht wurde. Aber den starken Patrouillen und einzelnen Kompagnien, welche zur Störung des Feindes auf Ras Kasone vorgingen, gelang es doch, einzelne Abteilungen des Feindes, einige seiner Boote und auch das Deck des am Hospital liegenden Kreuzers überraschend unter Maschinengewehrfeuer zu nehmen. Im Laufe des Tages verstärkte sich der Eindruck immer mehr, daß die Niederlage des Feindes gewaltig gewesen war. Zwar wurden die Verluste in ihrem vollen Umfange zunächst nicht bekannt, aber die vielen Stellen, wo Hunderte und wieder Hunderte von gefallenen Feinden sich häuften, sowie der Verwesungsgeruch, der unter der Einwirkung der tropischen Sonne auf der ganzen Gegend lag, gaben uns einen Anhalt. Wir schätzten den Verlust sehr vorsichtig auf etwa 800 Tote, ich glaube aber, daß diese Zahl viel zu niedrig ist. Ein höherer englischer Offizier, der genau über Einzelheiten unterrichtet war, hat mir später gelegentlich eines Gefechts, dessen englische Verluste er auf 1500 Mann angab, gesagt, daß die Verluste bei Tanga ganz erheblich größer gewesen seien. Ich halte sie jetzt mit 2000 Mann noch für zu niedrig geschätzt. Größer noch war die moralische Einbuße des Feindes. Er fing beinahe an, an Geister und Spuk zu glauben; noch nach Jahren wurde ich von englischen Offizieren danach gefragt, ob wir bei Tanga dressierte Bienen verwandt hätten,[S. 40] aber ich kann jetzt wohl verraten, daß bei uns, bei einer Kompagnie, im entscheidenden Moment alle Maschinengewehre durch diese „dressierten Bienen“ außer Gefecht gesetzt wurden, wir also unter dieser Art der Dressur genau so gelitten haben wie die Engländer.
Der Feind fühlte sich vollständig geschlagen und war es auch tatsächlich. In wilder Auflösung waren seine Truppen geflohen, Hals über Kopf in die Leichter gestürzt. Die Möglichkeit eines erneuten Kampfes wurde überhaupt nicht erwogen. Aus Gefangenenaussagen und aufgefundenen offiziellen englischen Schriftstücken ging hervor, daß das gesamte englisch-indische Expeditionskorps, 8000 Mann stark, von unserer wenig über 1000 Mann starken Truppe so vernichtend geschlagen worden war. Erst am Abend wurde uns die Größe dieses Sieges vollständig klar, als ein englischer Parlamentäroffizier, Hauptmann Meinertshagen, erschien und mit dem von mir entsandten Hauptmann von Hammerstein über Auslieferung von Verwundeten verhandelte. Hauptmann von Hammerstein begab sich in das Hospital, das mit schwerverwundeten englischen Offizieren angefüllt war, und genehmigte in meinem Namen, daß diese auf ihr Ehrenwort, in diesem Kriege nicht mehr gegen uns kämpfen zu wollen, von den Engländern abgeholt werden durften.
Die Beute an Waffen gestattete, mehr als 3 Kompagnien modern zu bewaffnen, die 16 erbeuteten Maschinengewehre waren uns hierbei besonders willkommen. Der Geist der Truppe und das Vertrauen in die Führer hatte sich mächtig gehoben, und mit einem Schlage war auch ich von einem großen Teil der Schwierigkeiten befreit, die sich als hemmende Gewichte an die Führung hingen. Das dauernde Feuer der Schiffsgeschütze, das in dem ganz unübersichtlichen Gelände wirkungslos gewesen war, hatte in den Augen unserer braven Schwarzen seine Furchtbarkeit verloren. Die Materialbeute war erheblich; außer den 600000 Patronen hatte der Feind sein gesamtes Telephongerät und so viele Bekleidung und Ausrüstung liegen lassen, daß wir auf mindestens ein Jahr unseren eigenen Ansprüchen, besonders an warmen Mänteln und wollenen Decken, genügen konnten. Die eigenen Verluste, so schmerzlich auch an sich, waren an Zahl doch gering. Etwa 16 Europäer, unter ihnen auch der treffliche Hauptmann von Prince, und 48 Askari und Maschinengewehrträger waren gefallen. Die[S. 41] Europäer wurden in einem würdigen Kriegergrab unter dem Schatten eines prachtvollen Bujubaumes bestattet, wo eine einfache Gedenktafel ihre Namen verzeichnet. Die Ausräumung des Gefechtsfeldes und die Bestattung der Toten erforderte mehrere Tage angestrengtester Arbeit für die ganze Truppe; die Straßen waren buchstäblich besät mit Gefallenen und Schwerverwundeten. In unbekannter Sprache flehten sie um Hilfe, die ihnen trotz besten Willens nicht immer gleich gewährt werden konnte.
Auf unserem innerhalb von Tanga gelegenen Hauptverbandplatze hatte unser männliches und weibliches Pflegepersonal im Feuer auch der schweren Schiffsgeschütze Freund und Feind gewissenhaft versorgt. Noch am Abend des 4. November hatte ich die Verwundeten aufgesucht. Ich ahnte nicht, daß der Leutnant Schottstaedt, der hier mit schwerem Brustschuß auf einem Stuhle saß, nur noch wenige Minuten zu leben hatte. Der englische Leutnant Cook, vom 101. indischen Grenadier-Regiment, lag mit schwerem Beinschuß da. Die Verwundung dieses frischen jungen Offiziers, der im Brennpunkt des Gefechts auf dem indischen linken Flügel in unsere Hände gefallen war, vermochte seine heitere Stimmung nicht zu beeinträchtigen. Mit dem Hauptteil der anderen Verwundeten wurde er im Feldlazarett Korogwe von unserem besten Chirurgen, dem Stabsarzt Dr. Müller, dreiviertel Jahr lang behandelt. Er ging bereits wieder umher, als ein unglücklicher Fall auf der Treppe leider zu tödlichem Ausgange führte.
Die Gefechtstage von Tanga stellten zum erstenmal erhebliche Ansprüche an die Verwundetenfürsorge. Zu diesem Zweck waren in Korogwe sowie an verschiedenen anderen Orten der Nordbahn Lazarette eingerichtet worden, zu denen die Kranken mit der Bahn ohne Umladen transportiert werden konnten. Für den Transport waren besondere dauernde Lazaretteinrichtungen nicht getroffen worden, und es hat auch niemals Schwierigkeiten gemacht, das Erforderliche zu improvisieren.
Trotz der zweifellosen Niederlage bei Tanga war es doch wahrscheinlich, daß die britische Zähigkeit diese Entscheidung nicht als eine endgültige hinnehmen würde. Auch nach seiner Niederlage war der Feind uns um ein Mehrfaches numerisch überlegen und ein Landungsversuch an anderer Stelle nicht unwahrscheinlich. Eine Fahrt zu Rad am 6. November in nördlicher Richtung, an die Mansabucht, überzeugte[S. 42] mich aber, daß die feindlichen Schiffe hier offenbar nur zum Zweck der Pflege ihrer Verwundeten und Beisetzung ihrer Toten eingelaufen waren und keine Landung beabsichtigten. Die Schiffe fuhren dann auch bald in der Richtung auf Zanzibar ab.
Interessant war mir dann ein kurzer Besuch in unserem Regierungshospital bei Ras Kasone, das inzwischen von den auf Ehrenwort entlassenen englischen Verwundeten geräumt worden war. Es lagen hier unter anderen zwei am 3. November bei Tanga sowie andere in einem früheren Gefecht verwundete deutsche Offiziere, die die Vorgänge während des Hauptkampftages am 4. November hinter der englischen Front vom Lazarett aus hatten beobachten können. Mit größter Spannung hatten sie die Landung bei Ras Kasone und den Vormarsch gegen Tanga verfolgt, hatten dann am Nachmittag das entscheidende Einsetzen unseres Maschinengewehrfeuers und die Beschießung durch die feindlichen Schiffsgeschütze gehört, sowie dicht am Hospital die wilde Flucht des Feindes gesehen. Die zahlreich in der Nähe des Lazarettes einschlagenden Geschosse hatten erfreulicherweise keinen Schaden verursacht. Am 5. November, ganz früh, hatten sie plötzlich wieder Geschützfeuer vernommen, und zwar von Tanga her; sie hatten erkannt, daß es deutsche Geschütze sein müßten. Es waren dies unsere zwei Kanonen C/73, denen es zwar nicht mehr gelungen war, in der Nacht bei Mondschein die englischen Transportschiffe aufs Korn zu nehmen, die aber wenigstens nach Tagesanbruch noch einige erfolgreiche Treffer anbringen konnten. Ein längeres Wirkungsschießen war leider nicht möglich, da die Rauchentwicklung den Standpunkt der Geschütze sofort verriet und das Feuer der Schiffsgeschütze auf sich zog.
Inzwischen war es klar geworden, daß der Angriff des Feindes bei Tanga keine einzelne Unternehmung, sondern im größeren Rahmen gleichzeitig mit anderen gedacht war. Nordwestlich des Kilimandjaro, am Longidoberg, den Hauptmann Kraut mit 3 Askarikompagnien und einer berittenen Europäerkompagnie besetzt hatte, erschienen im Morgennebel des 3. November überraschend englische Truppen. Gerade als am Longido heliographisch der Befehl eintraf, Hauptmann Kraut solle nach Moschi abrücken, schlugen die ersten Geschosse ein. Der etwa tausend Mann starke Feind hatte den in der freien Steppe gelegenen mächtigen Longidoberg an mehreren Stellen unter der Führung[S. 43] von Massais erstiegen, die unseren Posten zuriefen: „Wir sind Leute vom Hauptmann Kraut.“ Aber unseren sich rasch entwickelnden drei Feldkompagnien gelang es, die Teile des Feindes im felsigen Gelände zu umfassen und rasch zurückzuwerfen. Eine feindliche berittene Europäerabteilung, die in der Steppe am Fuße des Berges sichtbar wurde und diesen anscheinend von Süden her ersteigen oder auf unsere Verbindung wirken wollte, wurde unter wirksames Feuer genommen und schnell zurückgetrieben.
Wahrscheinlich im Zusammenhange mit diesen Ereignissen im Gebiete der Nordbahn standen feindliche Unternehmungen am Viktoriasee. Ende Oktober waren zahlreiche Wagandakrieger von Norden in den Bezirk Bukoba eingedrungen. Zur Unterstützung ging am 31. Oktober eine Truppe von 670 Gewehren, 4 MG., 2 Geschützen von Muanza auf dem kleinen Dampfer „Muanza“ mit 2 Schleppern und 10 Dhaus (Booten) ab. Kurz nach dem Auslaufen wurde dieser Transport durch bemannte englische Dampfer angegriffen, gelangte aber unbeschädigt nach Muanza zurück. Ein englischer Landungsversuch bei Kajense, nördlich Muanza, scheiterte an dem Feuer unserer Posten.
Es lag also Anfang November ein an mehreren Stellen großzügig angelegter konzentrischer Angriff gegen unsere Kolonie vor. Sein Scheitern erweckte in jedem die Erwartung, daß wir uns würden halten können, so lange die Heimat hielt. Die lückenhaften Nachrichten aber, die wir von dort auffangen konnten, flößten uns Zuversicht ein. Wir hatten zwar zur Zeit des Gefechts bei Tanga den Namen Hindenburgs noch nicht gehört, wußten aber auch nichts von dem Rückschlag an der Marne und standen noch unter dem erhebenden Eindruck des siegreichen Vormarsches nach Frankreich.
Schon mit Rücksicht auf die Bedrohung des Kilimandjarogebietes schien es mir angezeigt nach dem entscheidenden Erfolg von Tanga, der sowieso nicht weiter ausgebeutet werden konnte, die Truppen schnell wieder in die Gegend von Neumoschi abzutransportieren. Der Jubel[S. 44] der Ansiedler der Nordgebiete, die ja den Hauptteil der bei Tanga fechtenden Europäer gestellt hatten, war unbeschreiblich. Blumengeschmückt fuhr der erste Zug, der die Europäerkompagnie trug, wieder in Neumoschi ein. Ich selbst hatte bei Tanga noch ausreichend zu tun und folgte erst nach einigen Tagen zum Bahnhof in Neumoschi, wo das Kommando seine geschäftliche Tätigkeit wieder aufnahm. Bei der Knappheit des Personals konnten wir es uns nicht leisten, für die verschiedenen Funktionen auch immer verschiedene Persönlichkeiten zu haben. Wie der Offizier des Kommandos gelegentlich als Schütze oder Radfahrer einspringen mußte, so mußte auch der Intendant ordonnanzieren, der Schreiber im Gefecht mitschießen und als Gefechtsordonnanz tätig sein. Es war eine große Erleichterung des Dienstbetriebes, daß wir in dem europäisch ausgebauten Bahnhofsgebäude von Neumoschi eine Lokalität besaßen, wo wir trotz großer Engigkeit innerhalb des Stabes die meisten Sachen schnell im mündlichen Verkehr erledigen konnten. Wir verfügten über gute Telephon- und Telegraphenanlagen und lagen zentral in dem Netz von Fernsprechverbindungen und Wegen, die wir uns in beiden Richtungen sowohl auf Tanga, Taveta, Ost-Kilimandjaro, West-Kilimandjaro zum Longido, wie auch nach Aruscha geschaffen oder, soweit sie vorhanden waren, vervollkommnet hatten. Es gab Wochen, wo sich unser Dienstbetrieb fast wie im Frieden abspielte, allerdings bei gesteigerter Arbeitsleistung. Aber obgleich fast niemand innerhalb des Kommandos für sein Ressort vorgebildet oder vorbereitet war, so vollzog sich das Zusammenarbeiten doch harmonisch und erfolgreich. Es wurde vom besten Geist, von der Liebe zur Sache und kameradschaftlichem Zusammenhalten getragen.
Ich selbst begab mich im Auto — wir hatten uns nämlich auch bis zum Longido hin eine Autostraße gebaut — nach dem zwischen Longido und Kilimandjaro gelegenen Engare-Nairobi (kalter Fluß), einem Flüßchen, das vom Nordabhange des Kilimandjaro die Steppe in nordwestlicher Richtung durchzieht. Dort saßen eine Anzahl Burenfamilien auf ihren Farmen. Die Abteilung Kraut hatte ihr Lager dorthin verlegt, da der Verpflegungsnachschub bis zum Longido hin bei zweitägigem Marsch durch die Steppe nicht geschützt werden konnte und deshalb allzu gefährdet war. Ich überzeugte mich, daß auch hier, nördlich des Kilimandjaro, zur Zeit keine Gelegenheit zu Unternehmungen war und[S. 45] kehrte nach Neumoschi zurück. Der Weg von Neumoschi, wo ein großer Teil des Verpflegungsnachschubes aus Usambara und den weiter südlich gelegenen Gebieten per Bahn gesammelt wurde, beträgt bis Taveta 50 Kilometer. Wenn wir auch nur wenige Kraftfahrzeuge, nämlich 3 Personenwagen und 3 Lastautos im ganzen, zur Verfügung hatten, so bedeutete das für unsere Verhältnisse doch etwas Wesentliches. Die Drei-Tons-Wagen konnten auf der gut ausgebauten Straße bei trockenem Wetter bequem in einem Tage hin und zurück gefahren werden. Da Träger für dieselbe Strecke hin und zurück mindestens vier Tage brauchten, ergab die Berechnung, daß ein Auto so viel leistete wie 600 Träger, die außerdem selbst Verpflegung beanspruchten.
Dem später von den Engländern vertretenen Grundsatz, den Lastentransport von den Schultern der Träger und der Tiere zu nehmen und mit Automobilen zu bewerkstelligen, muß umsomehr beigetreten werden, als Menschen und Tiere unter den tropischen Erkrankungen in hohem Maße litten, während Mücken gegen Automobile ja machtlos sind. Wir konnten aber diesen klaren Vorteil nicht ausnutzen, weil wir eben nur wenige Kraftwagen hatten. Immer wieder mußten wir auch in dieser für den Nachschub ruhigen und geregelten Periode des Krieges auf Träger zurückgreifen. Noch heute sehe ich die Freude des damaligen Intendanten, als eine Trägerkarawane von 600 Wassukuma von Muanza her in Neumoschi anlangte; sie brachte vom Viktoriasee über Kondoa-Irangi bis zum Kilimandjaro Reis, der hier dringend benötigt wurde. Wenn man berücksichtigt, daß der Träger für diesen mindestens 30 Tage erfordernden Marsch täglich ein Kilogramm Verpflegung selbst braucht und höchstens 25 Kilogramm trägt, so müssen die Märsche schon sehr überlegt eingerichtet werden und durch besiedelte und verpflegungsreiche Gebiete führen, wenn überhaupt solche Transporte von Wert sein sollen. Wenn trotz dieser Nachteile der Trägertransport in großem Umfange in Anspruch genommen werden mußte, so zeigt dies die Schwierigkeit des Nachschubes und der Verpflegung, die wir in Kauf nehmen mußten.
Der Intendant Hauptmann Feilke verstand es aber auch meisterhaft mit den Leuten umzugehen und für sie zu sorgen. Die Träger fühlten sich gut aufgehoben, und das Wort „Kommando“, das sich einzelne als Eigennamen beilegten, gewann an Verbreitung. Mir persönlich gaben die paar Kraftwagen die Möglichkeit zu zahlreichen Geländeerkundungen[S. 46] und Besichtigungen von Truppen. Nach Taveta, wohin ein Teil der Truppen aus Tanga zurückkehrte, konnte ich von Neumoschi in zwei Stunden fahren; es hätte dies sonst vier Tage gedauert; später bin ich an einem Tage von Neumoschi aus zum Engare-Nairobi und westlich um den ganzen Meruberg nach Neumoschi zurück gefahren, eine Reise, die mit Trägern wohl nicht unter zehn Tagen zu machen war.
Der Erfolg von Tanga wirkte belebend auf die Entschlossenheit der ganzen Kolonie zum Widerstande.
Am 26. November gelang es in Morogoro dem Chef des Etappenwesens, Generalmajor Wahle, die Einwilligung des Gouverneurs zu erlangen, daß Daressalam im Falle eines Angriffes verteidigt werden sollte. Es war ein Glück, daß diese Einwilligung noch eben rechtzeitig erfolgte. Schon am 28. November erschienen zwei Kriegsschiffe, ein Transportschiff und ein Schlepper vor Daressalam, und verlangten eine Besichtigung unserer im Hafen liegenden Schiffe. Hier lag unter anderem die zum Lazarettschiff eingerichtete „Tabora“ der Deutsch-Ostafrikalinie. Da die Engländer schon bei einer früheren Gelegenheit erklärt hatten, daß sie sich an kein über Daressalam getroffenes Abkommen gebunden erachteten, so hätte es jedesmal erneuter Konzessionen bedurft, wenn man einer angedrohten Beschießung entgehen wollte. Es war also eine Schraube ohne Ende geschaffen. Ich drahtete nun, daß die verlangte Einfahrt einer englischen Pinasse in den Hafen mit Waffengewalt zu verhindern sei. Leider war diese Pinassenfahrt aber entgegen meiner Auffassung von der deutschen Behörde zugestanden worden, und der zur Zeit in Daressalam anwesende älteste Offizier fühlte sich hierdurch gebunden. Als nun aber die Engländer statt mit der einen zugestandenen Pinasse mit mehreren kleineren Fahrzeugen einfuhren, auf der „Tabora“ Zerstörungen vornahmen und sogar Personal dieses Schiffes gefangen fortnahmen, wurde das Unzweckmäßige unserer bisherigen Zugeständnisse allen bis dahin Zweifelnden doch zu augenscheinlich. Hauptmann von Kornatzky kam noch gerade rechtzeitig genug, um die kleinen englischen Fahrzeuge, als sie beim Auslaufen die schmale nördliche Hafeneinfahrt durchfuhren, wirksam unter Maschinengewehrfeuer zu nehmen. Hierbei wurde leider auch einer der deutschen Gefangenen verwundet. Die Abwehrmaßnahmen waren eben nicht rechtzeitig getroffen worden. Es ist dies ein kleines[S. 47] Beispiel dafür, wie gefährlich und schließlich auch unvorteilhaft es ist, wenn im Kriege der militärische Führer immer wieder in seinen Entschlüssen und in der Ausführung seiner nun einmal unvermeidlichen Handlungen beeinträchtigt wird.
Übrigens richtete die nun folgende Beschießung von Daressalam keinen nennenswerten Schaden an, denn daß ein paar Häuser dabei beschädigt wurden, kann man ernsthaft als solchen nicht rechnen.
In den Zeiten relativer Seßhaftigkeit, die wir in Neumoschi hatten, war auch die wirtschaftliche Seite des Lebens angenehm. Die Europäer, zum großen Teil den Siedlerkreisen der Nordgebiete angehörend, beschafften sich den Hauptanteil ihrer Verpflegung selbst. Reis, Weizenmehl, Bananen, Ananas, europäisches Obst, Kaffee und Kartoffeln strömte reichlich von den Pflanzungen her an die Truppe. Zucker beschafften die zahlreichen Fabriken, und Salz wurde in der Hauptsache von der an der Zentralbahn zwischen Tabora und dem Tanganjika gelegenen Saline Gottorp geliefert. Viele Pflanzungen stellten ihren Betrieb ganz auf die Truppenverpflegungen ein, und bei den reichlich vorhandenen Arbeitskräften machte dieser Wechsel im Anbau keinerlei Schwierigkeiten.
Aber auch der Nachschub mußte angespannt werden. Die von Kimamba zur Nordbahn, nach Mombo und Korogwe führende große Etappenstraße wurde immer weiter ausgebaut, um den Transport der aus dem Gebiet der Tanganjikabahn und weiter aus dem Süden stammenden Erzeugnisse nach dem Norden zu bewältigen. Mindestens 8000 Träger waren allein auf dieser Strecke dauernd in Tätigkeit. Es stellte sich bald als praktisch heraus, die Trägerkarawanen die etwa 300 km lange Strecke nicht durchgehen zu lassen, sondern die Träger auf einzelne Etappen zu verteilen. Hier war es dann möglich, sie stationär unterzubringen und auch in gesundheitlicher Beziehung zu überwachen. Hygieniker bereisten die Strecke und taten das Menschenmögliche für die Gesundheit der Träger im Kampfe besonders gegen Ruhr und Typhus. So entstanden an dieser stark in Anspruch genommenen Etappenstraße auf Tagesmarschentfernungen dauernde Trägerlager, in denen die Leute in zunächst provisorischen, später gut ausgebauten Hütten untergebracht waren. Die Lagerdisziplin war streng geregelt. Um auch für die zahlreich durchreisenden Europäer zu[S. 48] sorgen, wurden für diese kleine Häuser mit Betonfußboden angelegt; der einzelne hatte hier die Möglichkeit, sich aus den Beständen der Etappe zu verpflegen, ohne, wie es sonst bei afrikanischen Reisen üblich ist, den gesamten Verpflegungsvorrat auf lange Zeit mitschleppen zu müssen. Die Arbeit an dieser Etappenstraße war Gegenstand dauernder Aufmerksamkeit, Europäer und Farbige mußten die Zusammenarbeit so großer Menschenmassen erst lernen und begriffen die Wichtigkeit von Ordnung und Disziplin für das Funktionieren des Nachschubes und für die Gesundheit aller Beteiligten.
Auf dem Bahnhof von Neumoschi arbeiteten Telegraph und Telephon andauernd, Tag und Nacht. Bei der Improvisierung der gesamten Organisation konnten Reibungen nicht völlig ausbleiben. Alle Angehörigen des Kommandos waren außerordentlich belastet. Aber es boten sich auch Lichtblicke während der angestrengten Arbeit. Die materielle Versorgung der Europäer hier im Norden kam auch uns im Kommando zugute. Durch zahlreiche Zusendungen von Privatleuten wurden wir geradezu verwöhnt. Wenn einer von uns die Nordbahn entlang fuhr, an der es im Frieden selbst für Geld und gute Worte schwer war, sich etwas Verpflegung zu beschaffen, so sorgte jetzt fast an jeder Station jemand für uns. Ich erinnere mich an einen Fall, wo der aus der Gegend nördlich des Erokberges von anstrengenden Patrouillen recht ausgehungert zurückgekehrte Oberleutnant Freiherr v. Schroetter beim Kommando in Neumoschi eintraf. Nachdem er von 7 bis 11 Uhr nach Durchschnittsbegriffen reichlich verpflegt worden war, bat er schüchtern, ihm doch noch einmal Abendbrot zu geben. Am nächsten Morgen trat er einen vierzehntägigen Urlaub zu seiner in Usambara gelegenen Pflanzung an, um sich zu erholen und nach dem Rechten zu sehen. Nach dem Frühstück gaben wir ihm Kaffee, Brot, Butter und Fleisch in den Zug mit und hatten die verschiedenen Bahnstationen angewiesen, sich dieses gänzlich verhungerten Patrouillenmannes anzunehmen. So wurde ihm nach einer halben Stunde in Kahe von der dortigen Bahnhofswache von neuem Frühstück gereicht, in Lembeni hatte die reizende Frau des dortigen Bahnhofskommandanten ihm einen Kuchen gebacken und in Same versorgte ihn der Führer des dortigen Rekrutendepots, Feldwebel Reinhardt. In Makanja brachte ihm der Wachthabende, Pflanzer Barry aus der Umgegend,[S. 49] selbstbereitete Schokolade und Ochsenherzen — es ist dies eine etwa melonengroße Frucht —, in Buiko hatte der gastliche Betriebsdirektor der Nordbahn, Kühlwein, der uns so oft bei unserer Durchreise erfrischt hat, ihm ein solennes Essen vorbereitet. In Mombo, wo der Nachschub der Usambaraberge zusammenströmte und wo wir in der Hauptsache unsere Truppenwerkstätten eingerichtet hatten, erwartete unsern Schützling Oberdeckoffizier Meyer mit einem nahrhaften Vesperbrot. Da aber erhielten wir das Telegramm: „Bitte nichts weiteres bestellen. Ich kann nicht mehr.“
So viel verständnisvoller Scherz für die Stimmung eines ausgehungerten Leutnants in dieser andauernden Bewirtung liegt, so zeigt sie besser als theoretische Auseinandersetzungen das innige Zusammenarbeiten aller Teile der Bevölkerung der Nordbezirke mit der Truppe und das Bestreben, uns jeden Wunsch an den Augen abzulesen. Dieses Zusammenhalten ist geblieben, solange die Truppe im Norden war.
Wenn der Dienst es irgend gestattete, sorgten wir für Abwechslung und Erholung. Oft haben wir uns in der Umgebung von Neumoschi des Sonntags zu fröhlicher Treibjagd zusammengefunden. Träger und Askari hatten bald ihre Rolle als Treiber begriffen und trieben in musterhafter Ordnung durch den dichtesten Busch uns das Wild zu, das sie mit lautem: „Huju, huju“, auf deutsch: „Da ist er“, ankündigten. Die Strecke dürfte, was Vielseitigkeit anbetrifft, auf europäischen Jagden bisher nirgends erreicht worden sein: Hasen, verschiedene Zwergantilopen, Perlhühner und verschiedene Verwandte des Rebhuhnes, Enten, Buschböcke, Wasserböcke, Luchse, verschiedene Arten Wildschweine, kleine Kudus, Schakale und eine Menge anderes Wild kamen vor. Ich entsinne mich, daß einmal zu meiner Überraschung auf 15 Schritt lautlos ein Löwe vor mir erschien. Leider hatte ich die Flinte in der Hand, und ehe ich die auf meinen Knien liegende Büchse in Anschlag bringen konnte, war er ebenso lautlos verschwunden. Die Jagd gab in dem wildreichen Gebiet des Kilimandjaro, mehr aber noch östlich von Taveta, einen willkommenen Zuschuß zu unserer Fleischversorgung. Im wesentlichen beruhte diese aber auf den Viehbeständen, die aus den Gebieten des Kilimandjaro und Meru von den Massai, aber auch von weit her aus den Gebieten des Viktoriasees für die Truppe nutzbar gemacht wurden.
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Als wir in der Missionskirche von Neumoschi und später in unserer Messe im Bahnhof das Weihnachtsfest 1914 feierten, begannen sich die militärischen Ereignisse nördlich von Tanga so weit zuzuspitzen, daß ein entscheidendes Eingreifen dort wahrscheinlich wurde. Unsere Patrouillen, welche dort auf britischem Gebiet standen, waren in den letzten Tagen des Dezember allmählich zurückgedrängt worden und hatten sich südlich von Jassini auf deutschem Gebiet gesammelt. Es waren hier 2 Kompagnien und ein aus etwa 200 Arabern gebildetes Korps vereinigt. Der Feind hatte sich augenscheinlich verstärkt und die Gebäude der deutschen Pflanzung Jassini besetzt.
Es machte den Eindruck, als ob er durch allmähliches Vorrücken längs der Küste auf Tanga vordringen und das von ihm besetzte Gebiet durch ein Blockhaussystem sichern wollte. Um die Verhältnisse an Ort und Stelle zu erkunden, fuhr ich mit Hauptmann von Hammerstein Mitte Januar nach Tanga und dann im Automobil auf der soeben fertiggestellten neuen Straße, die 60 km längs der Küste nach Norden in das Lager des Hauptmanns Adler bei Mwumoni führte. Eine Erkundung, auf der mich der durch zahlreiche erfolgreiche Patrouillengänge in der dortigen Gegend besonders geeignete Leutnant d. R. Bleeck führte, zeigte, daß das Gelände um Jassini herum in der Hauptsache aus einer meilenlangen Kokospflanzung der Deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft bestand, in die Sisal, eine mit spitzen Stacheln versehene Agavenart, hineingebaut war. Dieser Sisal, der ein dichtes Unterholz in den Stangen der Kokospalmen bildete, war an vielen Stellen mit seinen stachligen Blättern so ineinander gewachsen, daß man sich nur hindurch zwängen konnte, wenn man eine Menge recht unangenehmer Stiche erduldete. Eine Schwierigkeit ist es ja immer, in solchem ganz unbekannten Gelände, ohne die Grundlage einer Karte, nur auf die Meldungen der Patrouillen hin die Anlage für ein Gefecht zu treffen. Hier konnte diese Schwierigkeit dadurch behoben werden, daß der zur Truppe eingezogene langjährige Assistent der Pflanzung, Lt. d. R. Schaefer,[S. 51] genaue Angaben machen konnte. Es wurde eine leidlich zutreffende Skizze angefertigt und mit Kriegsnamen versehen. Im großen und ganzen schien es so, daß es sich bei Jassini um einen vorgeschobenen Posten handelte, und daß die Hauptmacht der feindlichen Truppen weiter nördlich sich in befestigten Lagern befand. Es war anzunehmen, daß ein Angriff auf den vorgeschobenen Posten bei Jassini die Teile des feindlichen Gros aus ihren Lagern herauslocken und zum Kampfe im freien Felde veranlassen würde. Mein Plan war, diese Möglichkeit auszunutzen. Um gegen den aus seinen Sammelpunkten zur Unterstützung herbeieilenden Feind unter günstigen taktischen Bedingungen zu fechten, beabsichtigte ich, meine Truppen an seinen voraussichtlichen Anmarschwegen so bereit zu halten, daß er seinerseits gegen sie anlaufen mußte.
Die Beschaffung der Verpflegung hatte in der dicht besiedelten Gegend keine Schwierigkeiten, und von den zahlreichen Europäerpflanzungen konnten die erforderlichen Träger gestellt werden. Es brauchten also beim Hertransport der von Moschi telegraphisch herbeibefohlenen Kompagnien nur die Maschinengewehr- und die Munitionsträger mitzukommen, eine wesentliche Erleichterung für den Eisenbahntransport. Dieser spielte sich bei der erprobten Umsicht des Linienkommandanten, Leutnant d. Ldw. a. D. Kroeber, und dem Verständnis und dem Feuereifer, mit dem das gesamte Bahnpersonal die unvermeidlichen Anstrengungen glatt ertrug, schnell und ohne Reibung ab.
Am 16. Januar waren die von Moschi kommenden Kompagnien einige Kilometer westlich von Tanga ausgeladen und sogleich in Richtung auf Jassini in Marsch gesetzt worden, ebenso die Truppen aus Tanga, wo zum unmittelbaren Schutz nur eine Kompagnie zurückblieb. Am 17. Januar abends waren die Streitkräfte, im ganzen neun Kompagnien mit zwei Geschützen, 11 Kilometer südlich Jassini bei der Pflanzung Totohowu versammelt, und der Befehl zum Angriff wurde für den nächsten Morgen gegeben. Major Kepler wurde mit zwei Kompagnien rechts umfassend, Hauptmann Adler mit zwei weiteren Kompagnien links umfassend gegen das Dorf Jassini angesetzt. Nordwestlich, an der von Semanja kommenden Straße, wurde das Araberkorps aufgestellt, Hauptmann Otto mit der neunten Kompagnie ging frontal auf der Hauptstraße gegen Jassini vor; ihm folgte unmittelbar das Kommando[S. 52] und dahinter das Gros, aus der Europäerkompagnie, drei Askarikompagnien und zwei Geschützen bestehend. Die Märsche waren so angesetzt, daß beim ersten Tagesgrauen der Angriff gleichzeitig gegen Jassini zu erfolgen hatte und alle Kolonnen sich durch energisches Vorgehen gegenseitig entlasten sollten. Noch vor Anbruch des Tageslichtes fielen die ersten Schüsse bei der Kolonne Kepler, wenige Minuten später begann das Feuer auch vor uns bei der Kolonne Otto und wurde dann allgemein. Es war nicht möglich, sich ohne jede Übersicht in dem endlosen Palmenwald auch nur ein annäherndes Bild zu machen von dem, was eigentlich los war. Wir waren aber bereits so dicht an der feindlichen Stellung von Jassini, daß der Feind überrascht schien, trotz seines ausgezeichneten Kundschafterdienstes. Diese Vermutung hat sich später wenigstens teilweise bestätigt. Von unserer schnellen Konzentration südlich Jassini und dem unmittelbar darauf erfolgenden Angriff mit so starken Truppen hatte der Feind tatsächlich keine Ahnung gehabt.
Die Kolonne Otto warf eine ihr gegenüber verschanzte Postierung schnell zurück, und das Kommando begab sich nun links ausholend durch den Wald, wo zunächst eine und dann zwei weitere Kompagnien zu umfassendem Vorgehen gegen Jassini angesetzt wurden. Hierbei war es auffallend, daß wir auf nahe Entfernung, vielleicht 200 Meter nur, ein sehr wohlgezieltes Feuer erhielten, und erst viel später stellte sich heraus, daß der Feind in Jassini nicht nur einen schwachen Posten hatte, sondern daß hier vier indische Kompagnien in einem stark ausgebauten und vortrefflich gedeckten Fort eingenistet waren. Der hinter mir gehende Hauptmann von Hammerstein brach plötzlich zusammen: er hatte einen Schuß in den Unterleib erhalten. So nahe mir dies natürlich ging, mußte ich im Augenblick den Schwerverwundeten in ärztlicher Hand zurücklassen. Nach wenigen Tagen riß der Tod dieses ausgezeichneten Offiziers eine schwer auszufüllende Lücke in die Tätigkeit unseres Stabes.
Das Gefecht war sehr heftig geworden. Zwei unserer Kompagnien hatten, obgleich die beiden Kompagnieführer, die Oberleutnants Gerlich und Spalding gefallen waren, in glänzendem Sturmlauf die festen Pflanzungsgebäude von Jassini rasch genommen und sich nun unmittelbar vor der feindlichen Stellung eingenistet. Bald wurde das Eingreifen der feindlichen Hauptkräfte fühlbar. Aus nordöstlicher Richtung, von Wanga her, trafen starke feindliche Kolonnen ein und erschienen plötzlich[S. 53] dicht vor unseren an der Befestigung bei Jassini liegenden Kompagnien. Der Feind machte drei energische Angriffe an dieser Stelle und wurde jedesmal zurückgeworfen. Von Norden und Nordwesten her trafen gleichfalls feindliche Kolonnen ein. Gegen die westlichen hatte das Araberkorps seine Aufgabe schlecht erfüllt; schon am Tage vorher hatten mich viele der Araber bestürmt, sie doch zu entlassen. Als sie jetzt im dichten Versteck an der feindlichen Anmarschstraße den Gegner erwarten sollten, war ihnen die Spannung zu groß. Statt überraschend ein vernichtendes Feuer abzugeben, schossen sie blind in die Luft und rissen dann aus. Glücklicherweise trafen diese feindlichen Kolonnen dann aber auf Hauptmann Adlers beide Kompagnien und wurden blutig zurückgewiesen. Das ganze Gefecht hatte sich bis dahin als ein tatkräftiges Vorstürmen charakterisiert; auch die letzte Reserve, nämlich die Europäerkompagnie, war auf ihre dringende Bitte eingesetzt worden. Gegen Mittag war das Gefecht vor der starken feindlichen Befestigung an allen Stellen zum Stehen gekommen. Wir hatten tatsächlich keine Mittel, gegen diese Befestigungen etwas Ausreichendes zu unternehmen, und auch unsere Feldgeschütze, die wir aus 200 Meter in Stellung brachten, erzielten keinen durchschlagenden Erfolg. Die Hitze war unerträglich und wie bei Tanga löschte alles den Durst mit jungen Kokosfrüchten.
Ich selbst begab mich mit Leutnant Bleeck nun auf den rechten Flügel, um die Vorgänge bei der Kolonne des Majors Kepler zu erkunden; über die feindliche Befestigung hatte ich damals noch keine volle Klarheit gewonnen, und so gerieten wir auf dem Sande eines zur Zeit trockenen, ganz freien und übersichtlichen Creeks wiederum in ein sehr wohlgezieltes Feuer. Die Geschosse schlugen aus 500 Meter Entfernung dicht bei uns ein und konnten bei den deutlich sichtbaren Sandspritzern gut korrigiert werden. Der Sand war so tief und die Hitze derartig groß, daß man nur wenige Schritte laufen oder rasch gehen konnte. In der Hauptsache mußten wir langsam ungedeckt gehen und das lästige Feuer über uns ergehen lassen. Glücklicherweise tat uns dieses aber keinen ernsthaften Schaden, obgleich ein Schuß durch den Hut und einer durch den Arm, den ich erhielt, zeigten, daß es wenigstens gut gemeint war. Bei der Rückkehr vom rechten Flügel waren der Durst und die Erschöpfung so groß, daß zwischen einigen sonst[S. 54] nicht feindlich gesinnten Herren ernstliche Meinungsverschiedenheiten wegen einer Kokosnuß entstanden, obgleich in den massenhaft vorhandenen Bäumen weitere Nüsse unschwer zu erlangen waren.
Das Kommando hatte sich wieder an die Straße Totohowu-Jassini begeben. Auf dieser lag eine leichte Pflanzungsbahn, deren Wagen unausgesetzt Verwundete nach Totohowu fuhren, in dessen Europäergebäuden ein Lazarett eingerichtet war. Die Munition — der Askari trug etwa 150 Patronen — begann knapp zu werden, und die Mahnungen aus der Schützenlinie mehrten sich, daß sie sich nicht mehr halten könnte. Leichtverwundete, die verbunden waren, und ein Haufen Versprengter strömten beim Kommando zusammen, ganze Züge hatten sich total verlaufen oder aus anderen Gründen den ihnen zugewiesenen Platz verlassen. Alle diese Leute wurden gesammelt, von neuem eingeteilt und so wieder eine verwendungsfähige Reserve geschaffen. Die Munition der Maschinengewehrgurte war zum großen Teil aufgebraucht, und neue Munition rollte von Totohowu auf der Trollibahn heran. Die Gurtfüller der Maschinengewehre, an den Stämmen der Palmen befestigt, arbeiteten unausgesetzt. Es war klar, daß wir bereits erhebliche Verluste erlitten hatten. Mancher Wunsch wurde ausgesprochen, das Gefecht abzubrechen, da die Einnahme der feindlichen Befestigungen ja doch aussichtslos erschien. Wenn man aber bedachte, in welcher unangenehmen Lage der in seiner Befestigung eingeschlossene Feind war, der kein Wasser hatte und alle Tätigkeiten des täglichen Lebens dort verhältnismäßig eng zusammengedrängt in glühender Sonne und im feindlichen Feuer verrichten mußte, so schienen doch beim zähen Festhalten unsererseits Erfolge noch weiterhin erreichbar. Der Nachmittag und die Nacht vergingen in unausgesetztem Gefecht; wie immer in solchen kritischen Lagen tauchten alle möglichen Gerüchte auf. Die Besatzung der feindlichen Befestigungen sollte aus südafrikanischen Europäern, hervorragenden Scharfschützen, bestehen; einige wollten genau ihre Sprache verstanden haben. Und es war auch wirklich jetzt noch sehr schwer, sich ein klares Bild zu machen. Meine Ordonnanz, der Ombascha (Gefreite) Rajabu, war sofort zu näherer Erkundung bereit, kroch dicht an die feindliche Linie heran und fiel dort. Der Schwarze, an sich leicht erregbar, war es in dieser kritischen Lage bei Nacht doppelt, und ich mußte die Leute mehrfach ernstlich schelten, wenn sie blind in die Luft knallten.
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In der Frühe des 19. Januar lebte das Feuer zu größter Heftigkeit wieder auf. Der Feind, auf allen Seiten eingeschlossen, machte einen mißglückten Ausfall und zeigte kurz darauf die weiße Fahne. Vier indische Kompagnien, mit europäischen Offizieren und Chargen, fielen in unsere Hand. Wir alle bemerkten den kriegerischen Stolz, mit dem unsere Askari auf den Feind blickten; ich habe nie gedacht, daß unsere Schwarzen so vornehm aussehen könnten.
Freund und Feind hatten sich in unangenehmer Lage befunden und waren der Erschöpfung ihrer Nervenkraft nahe. So pflegt es bei jedem ernsthaften Ringen zu sein — die Askari lernten aber jetzt, daß man das erste Mißbehagen bezwingen muß, um den zum Sieg erforderlichen letzten Vorsprung vor dem Feind zu gewinnen. Den Verlust des Feindes schätzte ich auf mindestens 700 Mann, die erbeuteten Papiere ergaben ein klares Bild über seine Stärke, die mehr als das Doppelte unserer eigenen betrug. Hiernach hatte der Führer der Truppe in Britisch-Ostafrika, General Tighe, der kurz vorher in Wanga gelandet war, mehr als 20 Kompagnien, die meistens im Fußmarsch aus der Richtung von Mombassa her die Küste entlang marschiert waren, in Jassini und Umgebung versammelt. Sie sollten weiter in Richtung auf Tanga vordrücken.
Der Abtransport der Verwundeten von Jassini in die Lazarette der Nordbahn ging in wenigen Tagen mit Hilfe der Automobile und der Rikschas, die zwischen dem Feldlazarett von Totohowu und Tanga verkehrten, glatt vor sich. Diese Rikschas, von einem Mann gezogene kleine federnde Karren (wie Dogcarts), die in Tanga die Rolle von Droschken spielten, waren von dem leitenden Sanitätsoffizier für Verwundetentransporte requiriert worden. Der Feind hatte sich in seine befestigten Lager nördlich der Landesgrenze zurückgezogen, auf die mir ein erneuter Angriff wenig Aussicht versprach. Ihm gegenüber wurde als Rückhalt für die sofort einsetzenden Unternehmungen der Patrouillen eine Abteilung von wenigen Kompagnien bei Jassini belassen; der Hauptteil der Truppen wurde wieder in die Gebiete des Kilimandjaro abtransportiert.
Der Marsch zu dem Einschiffungspunkt der Nordbahn führte die Truppen über die Pflanzung Amboni. Dort hatten die Bewohner von Tanga aus freien Stücken Verpflegung und Erfrischungen vorbereitet, und nach den ungeheuren Strapazen, die die Unternehmung von Jassini[S. 56] mit ihren andauernden Gewaltmärschen, ihrer aufreibenden Hitze und den Tag und Nacht währenden Gefechten mit sich gebracht hatte, belebte sich das schwefelhaltige Flüßchen Sigi schnell mit Hunderten von weißen und schwarzen badenden Gestalten. Alle Mühsal war vergessen und die Stimmung stieg aufs höchste, als gerade in diesem Augenblick nach längerer Pause wieder einmal ein Funkspruch aus der Heimat aufgenommen wurde. Er zeigte uns, daß die Meldung von den Gefechten bei Tanga soeben in Deutschland eingetroffen sein mußte und enthielt die Anerkennung Seiner Majestät für den dort errungenen Erfolg.
Später erbeutete Papiere erwiesen zahlenmäßig, daß der Feind Truppenverschiebungen vom Viktoriasee nach dem Kilimandjaro zu vornahm. Das Gefecht von Jassini entlastete also tatsächlich andere, weit entfernt gelegene Gebiete. Diese Beobachtung bestätigte den ursprünglichen Gedanken, daß das feste Anfassen des Feindes an einer Stelle zugleich die beste Sicherung auch des Restes des Schutzgebietes sei. Es war von untergeordneter Bedeutung, ob der Rest des Schutzgebietes auch lokal energisch verteidigt wurde. Trotzdem begrüßte ich es mit Freuden, daß der Gouverneur sich im Februar 1915 zu dem Befehl bewegen ließ, daß die Küstenplätze bei feindlicher Bedrohung zu verteidigen seien. Die bisherigen Erfolge hatten bewiesen, daß eine solche lokale Verteidigung auch gegen das Feuer der Schiffsgeschütze nicht aussichtslos war.
Unser mit neun Kompagnien ausgeführter Angriff hatte bei Jassini zwar zu einem vollen Erfolge geführt, aber er zeigte mir, daß so schwere Verluste, wie auch wir erlitten hatten, nur ausnahmsweise ertragen werden konnten. Wir mußten mit unseren Kräften haushalten, um eine lange Dauer des Krieges zu ertragen. Von den aktiven Offizieren waren Major Kepler, die Oberleutnants Spalding und Gerlich, die Leutnants Kaufmann und Erdmann gefallen, Hauptmann v. Hammerstein an seiner Wunde gestorben. Für den Verlust dieser Berufssoldaten —[S. 57] ungefähr ein Siebentel der im ganzen vorhandenen aktiven Offiziere — gab es keinen Ersatz.
Auch der Verbrauch von 200000 Patronen zeigte mir, daß ich mit den vorhandenen Mitteln höchstens noch drei derartige Gefechte führen konnte. Die Notwendigkeit, größere Schläge nur ganz ausnahmsweise, dafür aber in der Hauptsache Kleinkrieg zu führen, trat gebieterisch in den Vordergrund.
Der leitende Gedanke, immer wieder gegen die Ugandabahn zu wirken, konnte aber wieder aufgenommen werden, da sich hier Unternehmungen mit größeren Truppenkörpern sowieso nicht ausführen ließen. Es galt, in mehrtägigen Märschen die weite, wasser- und menschenarme Steppe zu durchschreiten, die außer gelegentlichen Jagderträgnissen wenig an Verpflegung bot. Es war nötig, nicht nur Verpflegung, sondern auch Wasser mitzutragen. Schon hierdurch begrenzte sich die Stärke der marschierenden Abteilung. Es bedarf für solche Expedition durch verpflegungs- und wasserlose Gebiete viel Erfahrung der Truppe, wie sie im damaligen Stadium des Krieges noch nicht vorhanden sein konnte. Für den Durchmarsch durch diese Steppe war eine Kompagnie schon zu viel, und wenn sie dann nach mehrtägigem Marsch einen Punkt der Ugandabahn wirklich erreicht hätte, so hätte sie wieder umkehren müssen, weil der Verpflegungsnachschub nicht aufrechterhalten werden konnte. Diese Verhältnisse besserten sich mit der Zeit durch größere Schulung der Truppe und durch die allmählich wachsende Kenntnis des Geländes, welches zuerst im wesentlichen terra incognita war.
Es blieb also nichts anderes übrig, als den gewollten Zweck durch kleine Abteilungen, Patrouillen, zu erreichen. Auf diese Patrouillen wurde in der Folgezeit der allergrößte Wert gelegt. Vom Engare-Nairobi aus umritten kleinere Abteilungen von 8 bis 10 Mann, aus Europäern und Askari gemischt, die feindlichen Lager, die sich bis zum Longido vorgeschoben hatten, und legten sich an deren rückwärtige Verbindungen. Aus der Tangabeute standen Telephonapparate zur Verfügung, die sie an die englischen Telephonleitungen anschlossen; dort warteten sie dann ab, bis größere oder kleinere feindliche Abteilungen oder Ochsenwagentransporte vorbeizogen. Aus 30 Meter wurde der Feind dann aus dem Hinterhalte beschossen, Gefangene und Beute gemacht, und die Patrouille verschwand wieder in der endlosen Steppe.[S. 58] So wurden damals Gewehre, Munition und Kriegsbedarf aller Art erbeutet.
Eine dieser Patrouillen hatte am Erokberge beobachtet, daß der Feind seine Reittiere zur bestimmten Zeit zur Tränke trieb. Schnell machten sich zehn unserer Reiter auf und lagerten nach zweitägigem Ritt durch die Steppe in der Nähe des Feindes. Sechs Mann kehrten mit den Pferden zurück, die vier anderen nahmen jeder einen Sattel und schlichen sich auf wenige Schritte durch die feindlichen Posten bis in die Nähe der hinter dem Lager gelegenen Tränke. Ein englischer Soldat trieb die Herde, als ihm plötzlich zwei unserer Patrouillenreiter mit fertig gemachtem Gewehr und dem Zuruf: „Hands up!“ aus dem Busch gegenübertraten. Vor Erstaunen fiel ihm die Tonpfeife aus dem Munde. Sofort wurde an ihn die Frage gerichtet: „Wo sind die fehlenden vier Pferde?“ Unser gewissenhafter Patrouillenmann hatte nämlich beobachtet, daß die Herde nur aus 57 Stück bestand, während er gestern 61 gezählt hatte! Diese vier waren schonungsbedürftig und im Lager zurückgelassen worden. Schnell wurden das leitende Pferd der Herde und noch einige andere gesattelt, ausgesessen, und im Galopp ging es herum um das feindliche Lager, den deutschen Linien zu. Auch in dem gefangenen Engländer, der ohne Sattel, auf dem blanken Rückgrat des Pferdes diese „Safari“ nicht gerade bequem mitmachen mußte, regte sich der angeborene Sportsinn seiner Nation. Humorvoll rief er aus: „Ich möchte jetzt wirklich das Gesicht sehen, welches mein Captain macht“, und als die Tiere glücklich im deutschen Lager angekommen waren: „It was a damned good piece of work“ (Es war eine verteufelt gute Leistung).
Die so gemachte Beute, durch eine Anzahl auch sonst aufgetriebener Pferde und Maultiere verstärkt, gestattete die Aufstellung einer zweiten berittenen Kompagnie. Die Zusammensetzung der nunmehr vorhandenen zwei berittenen Kompagnien, aus Europäern und Askari gemischt, hat sich bewährt. Sie gab uns das geeignete Material, um die weiten, nördlich des Kilimandjaro belegenen Steppengebiete mit starken mehrtägigen Patrouillen abzustreifen, auch bis zur Ugandabahn und zur Magadbahn vorzudringen, Brücken zu zerstören, Bahnpostierungen zu überfallen, Minen am Bahnkörper anzubringen und überraschende Unternehmungen aller Art auf den Landverbindungslinien zwischen[S. 59] der Bahn und den feindlichen Lagern auszuführen. Auch für uns ging es dabei nicht ohne Verluste ab. Eine Patrouille hatte in der Nähe der Magadbahn einen glänzenden Feuerüberfall gegen zwei Inderkompagnien ausgeführt, dann aber ihre Reittiere, die im Versteck zurückgelassen worden waren, durch das feindliche Feuer verloren; den weiten, viertägigen Rückweg durch die Steppe mußte sie zu Fuß und ohne Verpflegung zurücklegen. Glücklicherweise fand sie in einem Massaikral Milch und etwas Vieh, später rettete sie dann ein erlegter Elefant vor dem Verhungern. Aber mit den Erfolgen regte sich auch die Unternehmungslust, und die Bitten, möglichst bald eine Patrouille gehen oder reiten zu dürfen, wurden zahlreich.
Einen anderen Charakter hatten die Patrouillen, die aus dem Kilimandjarogebiet mehr in östlicher Richtung vorgingen. Sie mußten sich zu Fuß tagelang durch dichten Busch hindurcharbeiten. Die Bahnzerstörungspatrouillen waren meist schwach: ein oder zwei Europäer, 2 bis 4 Askari, 5 bis 7 Träger. Sie mußten sich durch die feindlichen Sicherungen hindurchschleichen und wurden vielfach von eingeborenen Spähern verraten. Trotzdem erreichten sie ihr Ziel meist und waren manchmal über zwei Wochen unterwegs. Für so wenige Leute war ein geschossenes Stück Wild oder eine geringe Beute dann ein erheblicher Verpflegungsrückhalt. Trotzdem waren die Strapazen und der Durst in der brennenden Hitze so groß, daß mehrfach Leute verdurstet sind; auch Europäer haben Urin getrunken. Schlimm stand es, sobald einer krank oder verwundet war; es war dann oft trotz besten Willens nicht möglich, ihn zu transportieren. Das Tragen eines Schwerverwundeten von der Ugandabahn durch die ganze Steppe bis zu den deutschen Lagern, wie es vorgekommen ist, bedeutete daher eine ganz gewaltige Leistung. Das sahen auch die Farbigen ein, und es sind Fälle vorgekommen, wo ein verwundeter Askari im vollen Bewußtsein dessen, daß er rettungslos verloren und den zahlreich vorhandenen Löwen preisgegeben war, nicht klagte, wenn er verwundet im Busch liegengelassen werden mußte, sondern von sich aus Gewehr und Patronen den Kameraden mitgab, um wenigstens diese nicht verlorengehen zu lassen.
Mehr und mehr vervollkommnete sich dieses Patrouillenwesen. Die Vertrautheit mit der Steppe wuchs, und neben der Spreng- und Schleichpatrouille entwickelten sich die Kampfpatrouillen. Diese, 20 bis[S. 60] 30 Askari oder stärker, manchmal mit ein bis zwei Maschinengewehren ausgerüstet, zogen auf den Feind los und suchten ihm im Kampfe Verluste beizubringen. Im dichten Busch kam es hierbei zu so nahen und überraschenden Zusammenstößen, daß unsere Askari manchmal buchstäblich über den liegenden Feind hinweggesprungen und so von neuem in dessen Rücken gelangt sind. Der Einfluß dieser Unternehmungen auf die Selbständigkeit und den Tatendrang war bei Europäern und Farbigen so groß, daß sich schwer eine Truppe mit einem besseren soldatischen Geist finden dürfte. Freilich, manche Nachteile ließen sich nicht ausgleichen. Insbesondere konnten wir bei unserer Knappheit an Patronen keine so hohen Grade der Schießausbildung erreichen, um den Feind, wo wir ihn in ungünstige Lage gebracht hatten, wirklich aufzureiben.
Auch unsere Technik lag nicht müßig. Geschickte Feuerwerker und Waffenmeister konstruierten unausgesetzt im Verein mit den Ingenieuren der Fabriken geeignete Apparate für die Bahnsprengungen. Manche dieser Apparate zündeten, je nachdem sie eingestellt wurden, entweder sofort oder nachdem eine bestimmte Anzahl Achsen darüber gefahren war. Mit der zweitgenannten Einrichtung hofften wir die Lokomotiven zu zerstören, da die Engländer als Schutzmaßregel ein oder zwei mit Sand beladene Wagen vor den Maschinen laufen ließen. Als Sprengmaterial war Dynamit auf den Pflanzungen reichlich vorhanden, sehr viel wirksamer aber waren die bei Tanga erbeuteten Sprengpatronen.
Im April 1915 traf überraschend die Nachricht von der Ankunft eines Hilfsschiffes ein. Dieses wurde bei seiner Einfahrt in die Mansabucht nördlich Tanga von einem englischen Kreuzer gejagt, beschossen, und der Führer mußte es auf Strand setzen. Wenn es auch in den folgenden Wochen gelang, die für uns so wertvolle Ladung fast vollzählig zu bergen, so stellte sich leider heraus, daß die Patronen durch das Seewasser stark angegriffen waren. Pulver und Zündhütchen zersetzten sich mehr und mehr, und damit wuchs die Anzahl der Versager. Es blieb nichts anderes übrig, als die gesamte Munition auseinanderzunehmen, das Pulver zu reinigen und zum Teil neue Zündhütchen einzusetzen. Solche fanden sich, wenn auch von anderer Konstruktion, glücklicherweise im Schutzgebiet vor; aber monatelang waren in Moschi alle auftreibbaren Askari und Träger von morgens bis abends mit der Herstellung[S. 61] der Munition beschäftigt. Die von früher vorhandenen unbeschädigten Patronen wurden ausschließlich für die Maschinengewehre zurückbehalten, von der bearbeiteten Munition wurden diejenigen Patronen, die etwa 20% Versager hatten, für Gefechtszwecke, die mit höheren Versagerprozenten für Übungszwecke verwandt.
Die Ankunft des Hilfsschiffes rief eine gewaltige Begeisterung hervor, zeigte sie doch, daß tatsächlich noch eine Verbindung zwischen uns und der Heimat bestand. Alle lauschten gespannt den Erzählungen des Führers, Leutnant zur See Christiansen, als dieser nach Herstellung von seiner Verwundung bei mir in Neumoschi eintraf. Die gewaltigen Kämpfe in der Heimat, der Geist der Opferfreudigkeit, die unbegrenzte Unternehmungslust, von denen die Kriegshandlungen der deutschen Truppen getragen waren, fanden auch in unseren Herzen ein Echo. Viele von denen, die den Kopf hatten hängen lassen, richteten sich auf; hörten sie doch, daß das unerreichbar Scheinende geleistet werden kann, wenn ein entschlossener Wille dahinter steht.
Ein anderes Mittel, auf den Geist der Truppe zu wirken, war die Handhabung von Beförderungen. Allgemein konnten diese nur zum Unteroffizier und innerhalb der Unteroffizier-Dienstgrade ausgesprochen werden, während eine Beförderung zum Offizier, die in vielen Fällen ja wohlverdient gewesen wäre, meine Zuständigkeit überschritten hätte. Es wurde in den einzelnen Fällen sehr scharf abgewogen, ob auch eine wirkliche Leistung vorlag. So wurden unverdiente Beförderungen vermieden, die den Geist der Truppe verderben. Im großen und ganzen waren wir aber darauf angewiesen, die Pflege der moralischen Faktoren weniger durch Belohnungen als in anderer Richtung zu suchen. Kriegsorden kannten wir in natura so gut wie gar nicht. Nicht den persönlichen Ehrgeiz des einzelnen, sondern ein von Vaterlandsliebe diktiertes echtes Pflichtgefühl und eine mit der Zeit sich immer mehr verstärkende Kameradschaft mußten wir anrufen und rege halten. Vielleicht hat gerade der Umstand, daß dieser dauerhafte und reine Ansporn zum Handeln nicht durch andere Motive getrübt wurde, Europäern und Askari die Zähigkeit und Schwungkraft verliehen, welche die Schutztruppe bis zum Schluß ausgezeichnet haben.
Die Engländer waren am Kilimandjaro nicht untätig. Vom Oldoroboberge, der 12 km östlich Taveta von einem deutschen Offiziersposten besetzt[S. 62] war, wurde am 29. 3. morgens ein Angriff durch zwei indische Kompagnien telephonisch gemeldet. Hauptmann Koehl und der österreichische Oberleutnant Frh. v. Unterrichter setzten sich von Taveta aus sofort in Marsch und griffen die beiden Kompagnien, die sich an den steilen Abhängen des Oldorobo festgebissen hatten, von beiden Seiten so scharf an, daß der fliehende Feind etwa 20 Mann liegen ließ, 1 Maschinengewehr und 70000 Patronen in unsere Hände fielen. Andere feindliche Unternehmungen führten am Tsavo entlang zum Nordost-Kilimandjaro; sie stützten sich auf das am Tsavo gelegene Msimalager, das stark befestigt und von mehreren Kompagnien besetzt war. Die am Nord-Ost-Kilimandjaro sich abspielenden Patrouillengefechte verliefen für uns durchweg günstig; auch die jungen Askari der 60 Mann starken Abteilung Rombo, die ihren Namen von einer am Ost-Kilimandjaro gelegenen Mission hatte, vertrauten ihrem Führer, dem über 60 Jahre alten Oberstleutnant von Bock, unbegrenzt. Ich erinnere mich, daß ein Verwundeter, der von ihm nach Neumoschi kam und mir eine Meldung machte, es ablehnte, sich ärztlich behandeln zu lassen, um keine Zeit zur Rückkehr zu seinem Führer zu verlieren. In mehreren Gefechten, manchmal gegen 2 feindliche Kompagnien, warfen diese jungen Leute den Feind zurück, und es ist bezeichnend, daß sich bei den Engländern die Sage um diese Kämpfe wob. Der britische Oberbefehlshaber beklagte sich brieflich bei mir, daß eine deutsche Frau an diesen Kämpfen teilnehme und Unmenschlichkeiten verübe, eine Vorstellung, die natürlich jeder Begründung entbehrte und mir lediglich zeigte, auf welchem Standpunkt der Nervosität man an feindlicher maßgebender Stelle angelangt war.
Trotz der großen Beute von Tanga war es klar, daß bei der voraussichtlich langen Dauer des Krieges die Vorräte unserer Kolonie sich aufbrauchen mußten. Die Farbigen in Neumoschi fingen auf einmal an, seidene Stoffe zu tragen: das war keineswegs ein Zeichen besonderen Luxus, sondern die Bestände der Inderläden an Baumwollkleidung gingen zu Ende. Wir mußten mit Ernst daran denken, selbst Neues zu schaffen, um das zahlreich vorhandene Rohmaterial zum Fertigfabrikat zu gestalten. Es hat sich nun ein eigenartiges, an die Schaffenskraft eines Robinson erinnerndes Leben entwickelt. Baumwollfelder gab es reichlich. Populäre Bücher wurden hervorgeholt, die über die vergessene[S. 63] Kunst der Handspinnerei und -weberei Auskunft gaben; von weißen und schwarzen Frauen wurde mit der Hand gesponnen; auf den Missionen und bei privaten Handwerkern wurden Spinnräder und Webstühle gebaut. Bald entstand so der erste brauchbare Baumwollstoff. Die von den verschiedenen Färbemitteln als besonders zweckmäßig ausprobierte Wurzel eines Baumes, Ndaa genannt, gab diesem Stoff eine braun-grünliche Farbe, die sich weder im Gras noch im Busch abhob und für die Uniform besonders zweckmäßig war. Der von den Pflanzern gewonnene Gummi wurde mit Schwefel vulkanisiert, und es gelang, eine brauchbare Bereifung für Automobile und Fahrräder herzustellen. Bei Morogoro war es einigen Pflanzern gelungen, aus Kokos ein dem Benzol ähnliches Antriebmittel, Trebol genannt, für die Motore der Automobile herzustellen. Wie in früheren Zeiten wurden Kerzen aus Unschlitt und Wachs im Haushalt und bei den Truppen angefertigt und Seife gekocht. Auch die zahlreichen in den Nordgebieten und längs der Tanganjika-Bahn gelegenen Fabriken der Pflanzungen wurden für Zwecke des Lebensunterhaltes umgestellt.
Besonders wichtig war die Herstellung von Schuhwerk. Rohmaterial lieferten die zahlreichen Vieh- und Wildhäute, Gerbstoff die Mangroven der Küste. Schon im Frieden hatten die Missionen gute Stiefel hergestellt; ihre Tätigkeit wurde jetzt weiter ausgebaut und auch die Truppe richtete größere Gerbereien und Werkstätten ein. Allerdings dauerte es einige Zeit, bis die Behörden den dringenden, unvermeidlichen Wünschen der Truppe in ausreichendem Maße nachkamen und insbesondere die für das Sohlenleder erforderlichen Büffelfelle zur Verfügung stellten. Der alte historische Kampf um die Kuhhaut ist so auch unter ostafrikanischen Verhältnissen mutatis mutandis wieder aufgelebt. Die ersten Stiefel, die in größerer Menge hergestellt wurden, entstanden bei Tanga. Wenn sie anfänglich in ihrer Form auch verbesserungsbedürftig waren, so schützten sie doch die Füße unserer weißen und schwarzen Soldaten bei ihren Märschen und Patrouillengängen in dem Dorngestrüpp des Pori. Bohren sich doch die zu Boden gefallenen Dornen beim Gehen immer wieder in den Fuß hinein. Alle die kleinen Anfänge, die in der Herstellung von Verpflegung auf den Pflanzungen schon im Frieden bestanden, wurden durch den Krieg und die Notwendigkeit, große Massen zu verpflegen, zu umfangreicherer Tätigkeit[S. 64] angespornt. Auf mehreren Farmen des Kilimandjaro wurden Butter und vortrefflicher Käse in großer Menge verfertigt, und die Schlachtbetriebe in der Gegend von Wilhelmstal konnten den Anforderungen an Wurst und sonstigen Räucherwaren kaum genügen.
Es war vorauszusehen, daß das für die Erhaltung der Gesundheit der Europäer so wichtige Chinin sich bald erschöpfen und sein Bedarf durch Beute allein nicht gedeckt werden würde. So war es von großer Bedeutung, daß es gelang, im Biologischen Institut Amani in Usambara aus der im Norden gewonnenen Chinarinde gute Chinintabletten herzustellen.
Der für den Verkehr von Ochsenwagen und Automobilen so wichtige Wegebau zwang zur Anlage stehender Brücken. Ingenieur Rentell, zur Truppe eingezogen, baute westlich Neumoschi über den reißenden Kikafustrom aus Stein und Beton eine Bogenbrücke mit mächtigem Pfeiler. Den Wassermassen hatte in den Regenperioden, also besonders im April, in dem wohl 20 m tiefen, steilen Bett keine Holzbrücke standgehalten.
Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, wie befruchtend der Krieg und seine Forderungen auf das gesamte wirtschaftliche Leben eingewirkt haben.
Auch an der Organisation der Truppe wurde eifrig weiter gearbeitet. Durch Abgabe der in den Schützenkompagnien zahlreich vorhandenen Europäer an die Askarikompagnien wurde deren Abgang an Europäern gedeckt; Askari wurden in die Schützenkompagnien eingestellt. So wurden Feld- und Schützenkompagnien in ihrem Bestande gleichartiger und im Laufe des Jahres 1915 einheitlich. In Muansa, Kigoma, Bismarckburg, Lindi, Langenburg und an anderen Orten hatten sich unter den verschiedensten Bezeichnungen kleinere Truppenverbände gebildet, von deren Bestehen das Kommando meist erst nach längerer Zeit Kenntnis erhielt. Auch diese Formationen wurden allmählich zu Kompagnien ausgebaut; so erhöhte sich im Laufe des Jahres 1915 nach und nach die Zahl der Feldkompagnien auf 30, der Schützenkompagnien auf 10, die anderer Verbände von Kompagniestärke auf etwa 20; im ganzen wurde so die Höchstzahl von 60 Kompagnien erreicht. Bei der begrenzten Zahl von geeigneten Europäern und zuverlässigen Askarichargen war es nicht angezeigt, die Zahl der[S. 65] Kompagnien noch weiter zu erhöhen; es wären dann nur Verbände ohne inneren Halt ins Leben getreten.
Um trotzdem die Gesamtzahl der Streiter zu steigern, wurde der Etat der Kompagnien von 160 auf 200 Askari erhöht und den Kompagnien gestattet, über diesen Etat hinaus Askari einzustellen. Die Kompagnien bildeten ihre Rekruten zum Teil selbst aus. Die große Masse des Nachschubs an Askari kam aber aus den in den bevölkerten Gebieten von Tabora, Muansa und an der Nordbahn eingerichteten Rekrutendepots, die zugleich die lokale Sicherung und Ordnung aufrechterhielten. Bei der großen Zahl der neu aufgestellten Kompagnien war es für die Rekrutendepots aber nicht möglich, so viel Nachschub zu liefern, daß bei den Kompagnien durchweg der Etat von 200 Mann erreicht wurde. Die erreichte Höchstzahl der Truppe betrug Ende 1915 2998 Europäer und 11300 Askari, einschließlich Marinepersonal, Verwaltungsbehörden, Lazarette und Feldpost.
Wie notwendig alle diese kriegerischen Vorbereitungen waren, bewies die Ende Juni 1915 eintreffende Nachricht, daß aus Südafrika der General Botha mit 15000 Buren auf dem Kriegsschauplatz in Ostafrika eintreffen würde. Dieser Nachricht mußte von Anfang an große Wahrscheinlichkeit zugesprochen werden. Die lückenhaften Funksprüche und die wenigen Mitteilungen über die Vorgänge in der Außenwelt hatten erkennen lassen, daß die Verhältnisse in Südwest-Afrika für uns ungünstig standen, und daß die dort verwandten britischen Truppen wahrscheinlich in nächster Zeit anderweitig verfügbar werden würden.
Zunächst allerdings schien sich dieses erwartete Eingreifen der Südafrikaner nicht zu bestätigen; offenbar versuchte der Engländer uns ohne deren Mithilfe mit eigenen Kräften niederzuringen. Im Juli 1915 griff er die Kolonie an verschiedenen Stellen an. Östlich des[S. 66] Viktoriasees erschienen große von Engländern organisierte und geführte Masaibanden, angeblich viele Tausende, die in die viehreichen Gebiete der deutschen Wassukuma, östlich des Viktoriasees, einfielen. Im Punkte des Viehraubes verstanden die Wassukuma aber keinen Spaß, sondern leisteten unseren schwachen Posten jede Hilfe, schlugen die Massai, nahmen ihnen das geraubte Vieh wieder fort, und zum Zeichen, daß sie „wahr gesprochen“ hatten, legten sie 96 abgeschnittene Masaiköpfe vor unserer Polizeistation nieder.
Gegen den Hauptteil der Truppe im Kilimandjarogebiet ging der Feind mit erheblichen Kräften vor. Um einerseits eine wirksame Sicherung der Usambarabahn und ihrer reichen Pflanzungsgebiete durchzuführen und andererseits den Weg der Patrouillen zur Ugandabahn abzukürzen, war von Taveta aus eine Abteilung von 3 Kompagnien, bis Mbujuni, einen starken Tagesmarsch östlich Taveta, vorgeschoben worden. Einen weiteren Tagesmarsch östlich lag das gut besetzte und befestigte englische Lager Makatau, an der Hauptstraße, die von Moschi über Taveta, Mbujuni, Makatau, Bura nach Voi an der Ugandabahn führt. Dunkle Gerüchte hatten vermuten lassen, daß von Voi her eine neue größere Unternehmung in Richtung auf den Kilimandjaro zu erwarten stand.
Am 14. Juli erschien eine feindliche Brigade unter General Malleson in der im allgemeinen lichten Dornbuschsteppe von Makatau. Das Feuer einer Feldbatterie, das sich gegen die Schützengräben unserer Askari richtete, war ziemlich wirkungslos, aber die feindliche Überlegenheit von 7 : 1 war doch so erheblich, daß unsere Lage kritisch wurde. Feindliche berittene Europäer umfaßten den linken Flügel der Unsrigen, und es ist das Verdienst des leider später gefallenen Oberleutnant d. Ldw. Steinhäuser, daß er mit der braven, aus den Gefechten in der Gegend des Longido bewährten 10. Feldkompagnie nicht wich, obgleich die Unsrigen seitwärts der Kompagnie zurückgingen. Gerade im kritischen Moment kam die Patrouille des gleichfalls später gefallenen Oberleutnants von Lewinsky, die auf den Gefechtslärm sogleich losmarschiert war, der gefährlichen feindlichen Umfassung in den Rücken und lähmte sie völlig. Die englischen Truppen, mit Europäern und Indern durchsetzte Askari, waren sehr brav in dem wenig Deckung bietenden Gelände gegen unsere[S. 67] Front vorgegangen. Das Scheitern der englischen Umfassung aber besiegelte ihre Niederlage. Auf dem Bahnhof in Moschi wurde ich von dem Fortgang des Gefechtes telephonisch genau unterrichtet und habe so aus der Entfernung alle Spannungen von dem zunächst ungünstigen Stande bis zum vollen Erfolge miterlebt.
Dieser und die erhebliche Beute steigerten die Unternehmungslust unserer Europäer und Askari von neuem. Gestützt auf die bisherigen Erfahrungen und die erlangte Gewandtheit folgte jetzt recht eigentlich die Zeit unausgesetzter Kampf- und Sprengpatrouillen. Ich glaube in der Zahl nicht zu hoch zu greifen, wenn ich annehme, daß mindestens 20 englische Eisenbahnzüge zerstört oder wenigstens erheblich beschädigt worden sind.
Aufgefundene Photographien und eigene Beobachtungen bestätigten die Vermutung, daß tatsächlich eine Bahn von Voi nach Makatau gebaut wurde, welche wegen ihrer guten Erreichbarkeit und ihrer Bedeutung ein wundervolles Objekt für unsere Patrouillen bot. Der Bau dieser Kriegsbahn bewies, daß ein Angriff mit großen Truppen, und zwar an dieser Stelle des Gebietes des Kilimandjaro, vorbereitet wurde. Das erwartete Eingreifen der Südafrikaner stand also bevor. Es galt, den Feind in dieser seiner Absicht zu bestärken, damit die Südafrikaner auch wirklich, und zwar in recht großer Zahl, kamen und von anderen, wichtigeren Kriegsschauplätzen ferngehalten wurden. Mit äußerster Anstrengung wurden deshalb die Unternehmungen gegen die Ugandabahn, die nach Lage der Verhältnisse auch jetzt noch im wesentlichen nur in Patrouillenunternehmungen, nur ausnahmsweise in Vorstößen ganzer Kompagnien bestehen konnten, betrieben.
Die nähere Bekanntschaft mit dem Steppengebiet zwischen Ugandabahn und deutsch-englischer Grenze hatte ergeben, daß von den verschiedenen aus der Ebene schroff aufsteigenden Gebirgsstöcken das Massiv des Kasigao wasserreich und leidlich besiedelt war. Bei der Entfernung von nur 20 bis 30 km von der Ugandabahn mußte der Kasigao einen günstig gelegenen Rückhalt für Patrouillenunternehmungen bilden. Schon die Patrouille des Oberleutnants Freiherrn Grote hatte einen Handstreich gegen das auf halber Höhe des Berges gelegene kleine englisch-indische Lager ausgeführt. Die Schützen der[S. 68] Patrouille Grote hatten das von einer Steinmauer umgebene Lager umstellt und schossen von dem überhöhenden Teil des Berges wirkungsvoll in das Lager hinein. Sehr bald zeigte der Feind die weiße Flagge, und ein englischer Offizier und einige 30 Inder ergaben sich. Einem Teil des Feindes war es gelungen, auf den Berg zu entkommen und unsere Patrouillen beim Abrücken zu beschießen. Hierbei traten für uns die einzigen Verluste ein, in einigen Verwundeten bestehend, unter ihnen ein deutscher Sanitätsunteroffizier. Auch durch das Feuer eines 6 cm-Geschützes war die feindliche Postierung am Kasigao gelegentlich überrascht worden.
Gegen Ende des Jahres 1915 wurde der Feind am Kasigao, der sein Lager inzwischen verlegt hatte, erneut angegriffen. Eine deutsche Kampfpatrouille hatte unter Oberleutnant von Ruckteschell die Nacht durch in 9 Stunden den steilen Berg erstiegen und war ziemlich erschöpft in der Nähe der feindlichen Verschanzung angelangt. Eine zweite, mit der Patrouille Ruckteschell gemeinsam handelnde Patrouille unter Oberleutnant Freiherrn Grote war infolge von Erkrankung und Erschöpfung dieses Offiziers etwas zurückgeblieben. Oberleutnant von Ruckteschell schickte eine zuverlässige alte farbige Charge zum Feinde und ließ ihn zur Übergabe auffordern. Er beobachtete, daß unser Askari beim Feinde sehr herzlich bewillkommnet wurde; er hatte dort unter den englischen Askari eine Anzahl guter Bekannter getroffen. Der Feind lehnte aber trotz aller Freundlichkeit die Übergabe ab. Für uns war die Lage infolge großer Erschöpfung und Mangels an Verpflegung kritisch. Wenn überhaupt etwas unternommen werden sollte, mußte sofort gehandelt werden. Glücklicherweise hielt der Feind in seinen Verschanzungen unserem Maschinengewehrfeuer und dem unmittelbar darauf ansetzenden Ansturm nicht stand, er wurde aufgerieben und ein großer Teil seiner fliehenden Leute zerschellte beim Herabstürzen von den steilen Felsen. Bei der Beute befand sich außer reichlicher Verpflegung auch Bekleidung und wertvolles Zeltgerät. Das Zusammengehörigkeitsgefühl, das unsere Askari uns Deutschen gegenüber empfanden und das durch die zahlreichen gemeinsamen Unternehmungen mächtig entwickelt wurde, führte bei dieser Gelegenheit zu einer eigenartigen Szene. Nach der nächtlichen Ersteigung des Kasigao, die über Felsklippen und Dorngestrüpp ging, bemerkte ein Askari, daß Oberleutnant[S. 69] v. Ruckteschell sich das Gesicht blutig gerissen hatte. Sogleich nahm er seinen Strumpf, den er wohl 6 Tage nicht gewechselt hatte, und wischte damit seinem „Bwana Oberleutnant“ das Gesicht ab. Dessen etwas erstaunter Frage kam er mit den Worten zuvor: „Das ist Kriegssitte, so etwas tut man nur seinen Freunden.“
Ich hatte mich, um mich selbst über die Verhältnisse an Ort und Stelle zu orientieren und die Unternehmungen gegen den Kasigao zu beschleunigen, mit der Bahn nach Same, von dort im Auto nach der Mission Gonja und dann mit dem Fahrrad oder zu Fuß in Richtung auf den Kasigao an die deutsche Grenze begeben, wo eine Kompagnie an einer Wasserstelle lagerte. Die Verbindung durch Heliograph und durch Boten von dort zum Kasigao funktionierte leidlich, und so konnte der am Kasigao errungene Vorteil festgehalten werden. Es wurden sofort Truppen nachgeschoben, so daß der Kasigao bis zum Eintreffen der Südafrikaner durch mehrere Kompagnien besetzt blieb. Der Nachschub dorthin gestaltete sich allerdings recht schwierig; das deutsche Grenzgebiet westlich des Kasigao war an sich zwar reich, konnte aber doch der Verpflegung einer so großen Truppenmasse, deren Kopfstärke mit Trägern etwa 1000 Mann betrug, auf die Dauer nicht genügen.
Ich fuhr dann mit dem Auto um die Süd-Pareberge herum auf einer seinerzeit im Frieden angelegten Kunststraße. Der Bau dieser Straße war mit Rücksicht auf die Kosten liegen gelassen worden, und die Haufen Kleinschlag lagen seit Jahren unbenutzt an der Seite des Weges. Die Wasserdurchlässe — in Röhren unter der Oberfläche der Straße bestehend — waren zum großen Teil gut brauchbar. Es bedurfte geringer Arbeit, um diese Straße für den Nachschub vermittels eines Lastautos in Stand zu setzen. Von der Nordbahn bei Buiko ging dieser mit Auto bis Gonja und von dort weiter zum Kasigao mit Trägern. Die Telephonleitung bis zur Grenze war bereits im Bau und wurde nach wenigen Tagen fertiggestellt.
Vom Kasigao aus vorgehende Patrouillen hatten dann mehrfache Zusammenstöße mit feindlichen Abteilungen und führten auch Störungen der Ugandabahn durch. Bei dem wild zerklüfteten und mit Dornbusch dicht bewachsenen Gelände waren indes die Bewegungsschwierigkeiten so groß, daß der Kasigao als Rückhalt für Patrouillenunternehmungen bis zum Eintreffen der Südafrikaner nicht voll zur Geltung gekommen[S. 70] war. Aber durch die stete Bedrohung der Bahn war der Feind wenigstens zu umfassenden Sicherungsmaßnahmen veranlaßt worden. Längs der Bahn waren breite Schutzstreifen freigeschlagen und nach außen durch dichte Dornverhaue abgesperrt worden. Dann waren alle paar Kilometer feste, mit Hindernissen versehene Blockhäuser oder Verschanzungen angelegt, von denen aus Wachen ständig den Bahnkörper absuchen mußten. Bereitschaften von Kompagniestärke und mehr wurden beweglich gehalten, um sofort, wenn von einer Stelle die Gefährdung des Bahnkörpers gemeldet wurde, mit Extrazug zum Schutz heranzufahren. Außerdem waren Sicherungsabteilungen nach uns zu vorgeschoben, von denen aus versucht wurde, unsere Patrouillen bei der Rückkehr von der Bahn abzuschneiden, sobald Späher oder auf den Höhen aufgestellte Beobachtungsposten Meldung erstatteten. Auf den Höhen südöstlich des Kasigao bis zur Küste hin und weiter in dem Ansiedlungsgebiet der Küste wurden gleichfalls englische Lager festgestellt. Auch gegen sie richteten sich die Unternehmungen unserer Patrouillen und Streifabteilungen. Immer wieder wurde versucht, den Feind zu schädigen, zu Schutzmaßregeln zu veranlassen und auf diese Weise seine Kräfte hier im Gebiet der Ugandabahn zu fesseln.
Waren so von der Küste aus bis Mbujuni (an der Straße Taveta-Voi) Stützpunkte für unsere Kampfpatrouillen geschaffen worden, so wurde auch weiter nördlich im gleichen Sinne gearbeitet. Das feindliche Lager bei Mzima, am oberen Tsavoflusse, und dessen am Tsavofluß entlangführende rückwärtige Verbindung waren andauernd Objekte für unsere Unternehmungen, auch mit größeren Abteilungen. Hauptmann Augar war bei einer solchen Unternehmung mit seiner 13. Kompagnie südwestlich des Mzima-Lagers im dichten Busch durch drei feindliche Europäer-Kompagnien des neu eingetroffenen 2. Rhodesischen Regiments überrascht worden. Der Feind kam von verschiedenen Seiten, doch fehlte ihm, im Buschkrieg noch wenig bewandert, die nötige Einheitlichkeit im Handeln. So glückte es unserer Askari-Kompagnie, erst einen Teil des Feindes zu werfen und dann schnell entschlossen auch den anderen Teil zu schlagen, der im Rücken erschienen war.
Auch weiter nördlich spielten sich für uns günstige Buschgefechte ab, in denen wir in Kompagniestärke auftraten und dem Feinde, der häufig überlegen war, empfindliche Verluste beibrachten. Nördlich des Engare[S. 71] Len hat besonders die aus Lindi herangezogene 3. Feldkompagnie recht energisch gearbeitet und ihre Kampfpatrouillen bis zur Ugandabahn vorgetrieben. Schon der Umstand, daß wir jetzt mitten in der verpflegungslosen und vielfach wasserarmen Steppe Streifzüge in Stärke von Kompagnien und mehr ausführen konnten, zeigt, daß die Truppe in dieser Art des Kleinkrieges gewaltige Fortschritte gemacht hatte. Der Europäer hatte gelernt, daß vieles, was für Reisen in tropischen Gebieten recht erwünscht ist, im Kriege auf Patrouillengängen eben fortfallen muß und daß man sich zur Not auch eine Weile mit einer einzigen Traglast behelfen kann.
Die Patrouillen mußten den verräterischen Lagerrauch vermeiden und nach Möglichkeit schon fertiges Essen mitnehmen. Mußte aber abgekocht werden, so war dies in den Morgen- und Abendstunden besonders gefährlich. Der Führer mußte sich dann ein dem Einblick entzogenes Versteck aussuchen und auf alle Fälle nach dem Abkochen den Lagerplatz wechseln, ehe er zur Ruhe überging. Ein voller hygienischer Schutz war bei den Strapazen einer Patrouille nicht möglich. Regelmäßig traten daher nach der Rückkehr eine Anzahl Malariafälle bei den Teilnehmern auf. Da aber der Patrouillendienst trotz ständiger Schädigung des Feindes verhältnismäßig wenig Leute erforderte, brauchte nur ein Teil der Kompagnien in vorderer Linie zu sein. Nach einigen Wochen wurde jede Kompagnie in gesund gelegene Ruhelager zurückgezogen. Europäer und Askari konnten sich von den enormen Strapazen erholen und in Ausbildung und Mannszucht befestigt werden.
Gegen Ende des Jahres 1915 war die Wasserarmut im Lager von Mbujuni so groß und der Verpflegungsnachschub so schwierig geworden, daß nur eine Postierung dort belassen, die Abteilung selbst aber weiter nach Westen in die Gegend des Oldoroboberges zurückgezogen wurde. Das feindliche Lager von Makatau wuchs inzwischen immer mehr an. Ein lebhafter Zugverkehr herrschte dorthin, und man sah deutlich, wie für die Weiterführung des Bahnbaues eine große Schneise in westlicher Richtung geschlagen wurde. Zwar hatten unsere Kampfpatrouillen hier häufig Gelegenheit, dem Feinde bei seinen Arbeiten und bei der Sicherung derselben Verluste beizufügen, aber der Bahnbau schritt doch immer weiter nach Westen vorwärts.
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Die Möglichkeit war zu erwägen, daß das Gebiet der Nordbahn bald in die Hände des Feindes fallen könnte. Es mußte also Vorsorge getroffen werden, die Truppenbestände der Nordbahnbezirke rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Das hatte, soweit Schienenwege zur Verfügung standen, keine Schwierigkeit. Der Weitertransport über Land aber erforderte große Vorbereitungen. In Neumoschi und in Mombo lagerten zum großen Teil unsere Bestände an Munition, Bekleidung und Sanitätsmaterial. Es war vorauszusehen, daß die Fabrikanlagen oder Teile derselben über Land nicht würden abtransportiert werden können; sie mußten deshalb so lange wie möglich an Ort und Stelle ausgenutzt und in Betrieb gehalten werden. Den feindlichen Angriff im Norden vorausgesetzt, ergab sich die Richtung unseres Abtransportes im allgemeinen in südlicher Richtung, und nicht nur die Vorbereitungen, sondern auch die Transporte selber mußten ohne Zeitversäumnis, also schon im August 1915, begonnen werden.
In umsichtiger Weise beschaffte daher der Linienkommandant, Leutnant a. D. Kroeber, von den Pflanzungen Feldbahnmaterial und baute bei einer Tagesleistung von etwa 2 km von Mombo aus eine Feldbahnstrecke nach Handeni. Die Trollis wurden ebenfalls von Pflanzungen aufgekauft und nach reiflicher Überlegung dem Handbetrieb der Vorzug vor dem Lokomotivbetrieb gegeben. So gelangten die Bestände aus dem Norden vollzählig und rechtzeitig auf Schienen bis Handeni. Dort setzte, von der Benutzung einiger weniger Wagen abgesehen, in der Hauptsache Trägertransport bis Kimamba an der Zentralbahn ein. Zurückhaltung in den Transporten war jedoch geboten, weil ich trotz aller sichtbaren Vorbereitungen eines feindlichen Angriffs gegen das Kilimandjarogebiet doch mit der Möglichkeit rechnete, daß die Hauptkräfte des Feindes oder wenigstens erhebliche Teile desselben nicht am Kilimandjaro, sondern in der Gegend von Bagamojo-Daressalam eingesetzt werden würden.
Ende 1915 drängte nun der Feind mit seiner Eisenbahnhaubitze immer weiter nach Westen vor, ihm gegenüber verstärkte Major Kraut mit drei Kompagnien und zwei leichten Geschützen seine Stellung auf dem Oldoroboberge. Dieser Berg erhebt sich 12 km östlich Taveta an der Hauptstraße aus der flachen Dornsteppe und beherrscht das Gelände in weitem Umkreise. Seine teilweise in den Fels eingehauenen Verschanzungen[S. 73] mit zahlreichen Scheinanlagen hatten einen fast uneinnehmbaren Stützpunkt geschaffen. Der Nachteil der Stellung lag in dem absoluten Wassermangel. Ein zur Truppe eingezogener Pflanzer, Leutnant d. R. Graf Matuschka, hatte als Kundiger mit der Wünschelrute zwar bei Taveta in der Erschließung vortrefflicher Brunnen Erfolge gehabt, aber am Oldorobo wurde kein Wasser erschlossen, obgleich an den von ihm bezeichneten Stellen über 30 m tief gegraben wurde. Das Wasser mußte daher von Taveta her in kleinen Eselwagen zum Oldorobo gefahren werden und wurde dort in Fässern gesammelt. Dieser Wassertransport war eine außerordentliche Belastung unserer Transportmittel. Merkwürdigerweise kam der Feind nicht darauf, ihn zu stören und dadurch den Oldorobo für uns unhaltbar zu machen. Statt dessen schob er sich, gestützt auf seinen Bahnbau, bis auf 5 km von Osten her an den Berg heran und baute dort stark befestigte Lager. Es war nicht gelungen, ihn daran zu hindern, da wegen Wasser- und Transportschwierigkeiten stärkere Truppenmassen sich nur vorübergehend von Taveta entfernen konnten. Der Feind selbst deckte seinen Wasserbedarf vermittels einer langen Leitung, die von den Quellen der Buraberge ausging. Die Zerstörung des feindlichen Wasserreservoirs durch die Patrouillen des Leutnants d. R. v. Stietencron brachte dem Gegner nur vorübergehende Verlegenheit.
Um diese Zeit zeigten sich auch die ersten Landflugzeuge des Feindes und bewarfen unsere Stellungen am Oldorobo und bei Taveta, später auch Neumoschi selbst mit Bomben. Am 27. Januar 1916 wurde einer dieser Flieger, der vom Oldorobo zurückkehrte, mit Erfolg von unserer vorgeschobenen Infanterie beschossen und stürzte ab. Die Engländer hatten den Eingeborenen mitteilen lassen, daß dies Flugzeug ein neuer „Mungu“ (Gott) wäre; dadurch, daß dieser neue Mungu nun aber abgeschossen und von uns erbeutet wurde, trug er eher zur Hebung als zur Schädigung des deutschen Ansehens bei.
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Bei der Verwendung der Hauptkräfte der Truppe im Gebiete der Nordbahn durften die anderen Teile der Kolonie nicht gänzlich entblößt werden. Es war notwendig, im Innern des Landes unbedingt Herr über die Eingeborenen zu bleiben, um den gesteigerten Anforderungen der Trägergestellung, des Anbaues, der Lieferungen und der Arbeiten aller Art nötigenfalls Nachdruck geben zu können. So blieb die 12. Kompagnie in Mahenge und die 2. Kompagnie in Iringa. Beide haben neben ihren sonstigen Aufgaben zugleich als größere Rekrutendepots fungiert, welche zur Auffüllung der in der Front entstandenen Lücken dienten und gleichzeitig Neuaufstellungen ermöglichten.
Die weit entfernten und drahtlich nicht erreichbaren Abteilungsführer an den Grenzen waren richtigerweise bestrebt, dem Feinde zuvorzukommen und ihn auf seinem eigenen Gebiete anzugreifen. Bei dem Mangel an Verbindungen deutscherseits zerfielen diese Kämpfe in eine Reihe von Einzelunternehmungen, die von einander unabhängig waren. Anders beim Feinde; offensichtlich war dieser bestrebt, seine Hauptkampfhandlungen mit den an anderen Stellen der Grenze stattfindenden Nebenunternehmungen in Einklang zu bringen.
Im Oktober 1914, also vor den Gefechten von Tanga, meldete Kapitän Zimmer aus Kigoma, daß an der belgischen Grenze etwa 2000 Mann ständen; Hauptmann Braunschweig aus Muansa, daß am Viktoriasee bei Kisumu gleichfalls ein stärkerer Gegner, bei Kisii etwa 2 Kompagnien sowie weitere Truppen bei Karungu versammelt seien. Nach anderen, von einander unabhängigen Eingeborenenaussagen sind indische Truppen im Oktober in Mombasa gelandet und sodann weiter in Richtung Voi abtransportiert worden. Im Bezirke Bukoba drangen englische Truppen über den Kagera vor, und die Nebenstelle Umbulu meldete den Einmarsch feindlicher Truppen in das Ssonjogebiet. Offenbar waren dies Vorbereitungen für Unternehmungen, die im Einklang mit dem großen, Anfang November 1914 auf Tanga einsetzenden Angriff stehen sollten.
Bei der Unzulänglichkeit der Verkehrsmittel der Kolonie war es nicht möglich, gegen diese verschiedenen, längs der Grenze aufmarschierten[S. 75] feindlichen Abteilungen schnell unsere Hauptkräfte abwechselnd gegen die eine, dann gegen eine andere einzusetzen. Wir mußten daher an dem Hauptgedanken unserer Kriegführung festhalten, vom Gebiete der Nordbahn aus den dort gegenüberstehenden Feind kräftig anzufassen und auf diese Weise mittelbar auch die anderen Stellen, an denen Krieg geführt wurde, zu entlasten. Notgedrungen mußten aber diese Nebenstellen gelegentlich verstärkt werden.
So waren September 1914 von Iringa und Ubena aus die Hauptleute Falkenstein und Aumann mit Teilen der 2. Kompagnie in den Bezirk Langenburg gerückt. März 1915 wurde die 26. Feldkompagnie von Daressalam über Tabora nach Muansa geschoben. Im April 1915 veranlaßten die Truppenansammlungen des Feindes im Maradreieck (östlich des Viktoriasees) und bei Bismarckburg weitere zeitraubende Truppenverschiebungen aus Daressalam über Muansa zum Maradreieck, sowie über Kigoma nach Bismarckburg; letztere wurden auf dem Tanganjikasee durch den langsam fortschreitenden Bau des in Kigoma liegenden Dampfers „Goetzen“ noch besonders verzögert.
Zunächst richteten sich die feindlichen Angriffe hauptsächlich auf die Küste.
Unser kleiner Kreuzer „Königsberg“ war zu Anfang des Krieges aus dem Hafen von Daressalam ausgelaufen und hatte am 20. September 1914 bei Zanzibar den englischen Kreuzer „Pegasus“ überrascht und zusammengeschossen. Darauf waren mehrere große feindliche Kreuzer eingetroffen, die eifrig nach der „Königsberg“ suchten. Am 19. Oktober fuhr eine Pinaß bei Lindi zu dem im Lukuledifluß versteckten Dampfer „Präsident“ der Ostafrika-Linie. Die in Lindi aufgestellte Schutzgebietswehr und Ersatzkompagnie war unter Hauptmann Augar gerade zur Abwehr einer bei Mikindani vermuteten Landung abwesend, so daß gegen die Pinaß nichts unternommen werden konnte.
Erst am 29. Juli 1915 sprengten mehrere Walfischfänger, die den Lukuledi aufwärts fuhren, den dort liegenden Dampfer „Präsident“.
Unser kleiner Kreuzer „Königsberg“ hatte sich nach erfolgreichen Kreuzfahrten im Indischen Ozean in der Rufidjimündung versteckt. Sein Aufenthalt war aber dem Feinde bekannt geworden. Der Fluß bildet hier ein weit verzweigtes und sehr unübersichtliches Delta, dessen Inseln mit dichtestem Busch bewachsen sind. Die Ausgänge der einzelnen Wasserarme wurden von der Abteilung „Delta“, einer aus Marinemannschaften, eingezogenen Europäern und Askari gebildeten Schutztruppenabteilung von etwa 150 Gewehren, einigen leichten Geschützen und einigen Maschinengewehren unter dem Korvettenkapitän Schoenfeld verteidigt. Die vielfachen Versuche des Feindes, mit leichten Fahrzeugen in die Flußmündung hineinzufahren, wurden stets mit erheblichen Verlusten für ihn abgewiesen. Der „Adjutant“, ein kleiner Dampfer, den die Engländer als gute Prise genommen und armiert hatten, war ihnen bei dieser Gelegenheit wieder abgenommen worden und diente uns fortan als Hilfskriegsschiff auf dem Tanganjikasee. Auch einige englische Flugzeuge waren an[S. 76] der Rufidjimündung zu Schaden gekommen. Ein Sperrschiff, welches die Engländer in der nördlichsten der Rufidjimündungen versenkt hatten, hatte seinen Zweck, das Fahrwasser zu sperren, nicht erfüllt. Den mehrfachen Beschießungen mit Schiffsgeschützen, gegen die er an sich machtlos war, war Kapitän Schoenfeld durch geschickte Anlage seiner Stellungen und rechtzeitige Veränderung derselben begegnet. Anfang Juli 1915 hatten die Engländer zwei flachgehende, mit schweren Geschützen besetzte Kanonenboote zum Rufidji herangebracht. Am 6. Juli erfolgte der erste Angriff von 4 Kreuzern, 10 anderen armierten Schiffen, 2 Flußkanonenbooten. Die feindlichen Schiffe beschossen unter Fliegerbeobachtung die „Königsberg“, die im Fluß vor Anker lag. Der Angriff wurde abgeschlagen; aber bei seiner Wiederholung am 11. Juli hatte die „Königsberg“ schwer zu leiden. Die Bedienungsmannschaften der Geschütze wurden außer Gefecht gesetzt. Der schwer verwundete Kommandant ließ die Verschlüsse der Geschütze über Bord werfen und das Schiff sprengen. Der an sich schmerzliche Verlust der „Königsberg“ hatte wenigstens für den Kampf an Land das Gute, daß das gesamte Personal und das wertvolle Material nunmehr der Schutztruppe zur Verfügung standen.
Korvettenkapitän a. D. Schoenfeld, der an der Rufidjimündung an Land den Befehl hatte, machte sich dann sofort mit großer Umsicht daran, die über Bord geworfenen Geschützteile wieder heraufzuholen. Unter seiner Leitung wurden die 10 Geschütze der „Königsberg“ vollzählig geborgen und wieder feuerbereit gemacht; 5 fanden Aufstellung in Daressalam, je 2 in Tanga und Kogoma und 1 in Muansa. Für den Transport konnte Schoenfeld einige für schwere Lasten gebaute Fahrzeuge verwenden, die sich auf einer nahen Pflanzung vorfanden. Die Geschütze haben in ihren gegen Sicht gedeckten Stellungen an Land vortreffliche Dienste geleistet, und meines Wissens ist bei dieser Art der Verwendung trotz der zahlreichen Beschießungen durch feindliche Schiffe nicht ein einziges beschädigt worden.
Am 26. September 1915 wurde der Dampfer „Wami“ nachts aus dem Rufidji nach Daressalam gebracht.
Ende August kamen mehrere Boote mit Mannschaften vom Dampfer „Ziethen“ aus Mozambique in Lindi an, um in die Truppe einzutreten.
Auf Mafia landeten am 10. Januar 1915 etwa 300 Mann indischer und schwarzer Truppen mit Maschinengewehren. Unsere aus 3 Europäern, 15 Askari und 11 Rekruten bestehende Polizeitruppe leistete 6 Stunden tapferen Widerstand, ergab sich dann aber nach Verlust ihres schwer verwundeten Führers, des Leutnants d. Res. Schiller, der von einem Mangobaum aus ein wohlgezieltes Feuer auf den Feind unterhalten hatte. Die Engländer hielten Mafia durch einige hundert Mann besetzt und richteten auch auf den kleineren Inseln in der Umgebung Beobachtungsposten ein.
Anscheinend von hier aus wurden auch die Eingeborenen aufgereizt. In der Nacht vom 29. zum 30. Juli 1915 wurde bei Kisidju eine Dhau mit derartigen Flugblättern gefangen.
Die Ereignisse bei Daressalam, wo am 22. Oktober 1914 der Kommandant eines englischen Kreuzers sich durch keinerlei Abkommen für gebunden erklärte, sind bereits besprochen.
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Ein für Zwecke der Ausstellung vor Kriegsbeginn in Daressalam eingetroffenes Flugzeug wurde bei Ausbruch der Feindseligkeiten in den Dienst der Truppe gestellt, am 15. November aber bei Daressalam durch einen Unglücksfall zerstört. Oberleutnant Henneberger fand hierbei den Tod.
Bei Tanga war es nach den großen Gefechten vom November 1914 ruhig gewesen. Am 13. März 1915 war ein Schiff auf einem Riff festgekommen, bei Springflut aber wieder frei geworden. Mit der Bergung von 200 Tonnen Kohlen, die das Schiff über Bord geworfen hatte, wurde sofort begonnen.
Mehrere Reihen selbst konstruierter Minen, mit Zündung von Land aus, haben sich nicht bewährt, und es stellte sich später heraus, daß sie unbrauchbar geworden waren.
Beschießungen der Küstenplätze fanden dauernd statt.
Am 20. März beschoß ein Kriegsschiff Lindi, als seine Forderung, die dortigen Truppen sollten sich ergeben, abgelehnt wurde. Ebenso wurde am 1. April 1915 die Gegend südlich Pangani beschossen, ferner am 12. April die Insel Kwale, in der Nacht vom 23. zum 24. April das Rufidjidelta.
Am 15. August 1915 erschienen vor Tanga „Hyazinth“ und 4 Wachtboote. Unsere zwei 6 cm-Geschütze wurden schnell von ihrem Ruhelager Gombezi nach Tanga transportiert und griffen gemeinsam mit einem leichten Geschütz aus Tanga am 19. August wirksam ein, als „Hyazinth“, 2 Kanonenboote und 6 Walfischfänger erneut erschienen, den Dampfer „Markgraf“ zerstörten und Tanga beschossen. Ein Kanonenboot erhielt 2 Treffer, die Walfischfänger, von denen der eine mit Schlagseite abfuhr, vier Treffer.
Im Ssonjogebiet, zwischen Kilimandjaro und Viktoriasee, hatten sich im Laufe der Monate mehrfach feindliche Patrouillen gezeigt, und die Eingeborenen schienen aufsässig werden zu wollen. Feldwebel Bast, der mit einer Patrouille dorthin entsandt wurde, fiel infolge Verrats der Ssonjoleute am 17. November 1914 in einen Hinterhalt und fand hierbei mit 5 Askari den Tod. Durch eine Strafexpedition des zur Truppe eingezogenen Bezirksamtmannes von Aruscha, Leutnants d. R. Kaempfe, wurden die Ssonjoleute wieder zur Ordnung gebracht.
Erst im Juli 1915 kam es in dieser Gegend wieder zu Patrouillengefechten; bei einem derselben fielen 22 feindliche bewaffnete Eingeborene. Ende September und Anfang Oktober 1915 machte dann die Patrouille des Oberleutnants Büchsel einen mehrwöchigen Ritt durch Ssonjo in das englische Gebiet, ohne auf den Feind zu stoßen, da ein englischer Posten, der offenbar gewarnt worden war, ausgewichen war.
Am Viktoriasee standen die 7. Kompagnie in Bukoba und die 14. Kompagnie in Muansa mit einander in funkentelegraphischer Verbindung. Die Herrschaft auf dem See war unbestritten in englischer Hand, da der Feind hier mindestens über 7 große Dampfer verfügte. Trotzdem aber konnten unser kleiner Dampfer „Muansa“ sowie auch andere kleinere Fahrzeuge sich große Bewegungsfreiheit bewahren. Während nun der Resident von Bukoba, Major a. D. von Stuemer, die Grenze mit seiner Polizei und mit Hilfskriegern der befreundeten Sultane deckte, war Hauptmann Bock von Wülfingen mit dem Hauptteil der 7. Kompagnie von Bukoba nach Muansa[S. 78] gerückt. Von dort aus marschierte er Anfang September 1914 mit einem aus Teilen der 7. und 14. Kompagnie sowie Wassukumarekruten und Hilfskriegern gemischten Detachement am Ostufer des Viktoriasees nach Norden gegen die Ugandabahn vor. Am 12. September warf er jenseits der Grenze bei Kisii eine feindliche Abteilung zurück, zog dann aber auf die Meldung vom Anmarsch weiterer feindlicher Streitkräfte nach dem Süden ab. Die Grenze östlich des Viktoriasees wurde dann nur durch schwächere Abteilungen verteidigt.
Die Kriegsführung am Viktoriasee war für uns recht schwierig; stets bestand die Gefahr, daß der Feind bei Muansa oder an einem anderen Orte des Südufers landete, Usukuma in die Hand bekam und die historische Hauptstadt des Landes, Tabora, bedrohte. Blieben unsere Truppen in der Gegend von Muansa, so waren aber die Gebiete um Bukoba und infolgedessen auch Ruanda bedroht. Am meisten Aussicht am Viktoriasee versprach noch eine aktive Kriegführung unter einheitlicher Leitung. Aber auch die Durchführung dieser Absicht war nicht ganz leicht, da der hierfür in erster Linie in Betracht kommende Major von Stuemer durch seine Tätigkeit als Resident an den Bezirk Bukoba gefesselt wurde, während doch Muansa gerade das wichtigere war.
Ende Oktober 1914 war der Versuch, einen Teil der Truppen von Muansa auf Booten wieder nach Bukoba zu transportieren, durch das Erscheinen armierter englischer Schiffe bei Muansa gescheitert. Anscheinend hatte der Feind unseren funkentelegraphischen Verkehr entziffert und daraufhin seine Gegenmaßregeln getroffen. Die zur Unterstützung Bukobas am 31. Oktober 1914 auf Dampfer „Muansa“ von Muansa mit 2 Schleppern und 10 Dhaus abgehende Expedition von 570 Gewehren, 2 Geschützen und 4 Maschinengewehren wurde am gleichen Morgen durch plötzlich auftretende feindliche Dampfer zerstreut, aber bald wieder ohne Verluste in Muansa gesammelt. Ein englischer Landungsversuch bei Kajense nördlich Muansa wurde am gleichen Tage verhindert, der englische Dampfer „Sybil“ nach einigen Tagen bei Majita gestrandet gefunden und zerstört.
Am 20. November warf Abteilung Stuemer nördlich Bukoba die in das deutsche Gebiet eingedrungenen englischen Truppen in zwölfstündigem Gefecht zurück und schlug sie erneut, als sie den Kagerafluß überschritten hatten, bei Kifumbiro. Am 5. Dezember 1914 haben die Engländer Schirati, am 6. Dezember Bukoba ohne Erfolg von See aus beschossen.
Kleinere Patrouillengefechte fanden östlich und westlich des Viktoriasees dauernd statt. Einen größeren Schlag versuchte der Feind am 8. Januar 1915, wo er mit 6 Geschützen und mit Maschinengewehren von See aus Schirati beschoß und 2 indische Kompagnien und eine größere Anzahl berittener Europäer landete. Oberleutnant von Haxthausen mit seinen 22 Gewehren war nach 3-1/2stündigem Gefecht vor der Übermacht ausgewichen. Der Feind verstärkte sich dann in den nächsten Tagen auf 300 Europäer, 700 Inder. Am 17. Januar schlug Haxthausen dann 70 Europäer, 150 Askari mit 2 Maschinengewehren an der Grenze, und am 30. Januar räumte der Feind Schirati wieder und schiffte sich nach Karungu ein. Ich glaube, daß dieser Abzug eine Folge der schweren Niederlage war, die der Feind inzwischen, am[S. 79] 18. Januar, bei Jassini erlitten hatte. Er hielt es für geboten, seine Truppen wieder an die Ugandabahn zu schneller Verfügung heranzuziehen.
Westlich des Sees überfiel Hauptmann von Bock nördlich Kifumbiro einen 40 Mann starken feindlichen Posten und jagte ihn mit einem Verlust von 17 Gefallenen zurück.
Englische Schiffe hatten am 1. März 1915 den Dampfer „Muansa“ an der Rugesidurchfahrt angegriffen. „Muansa“ war leck geworden und fuhr dicht an Land auf. Ein Abschleppungsversuch durch den Feind wurde durch unser Feuer verhindert, so daß es glückte, am nächsten Tage den Dampfer zu bergen und nach Muansa in Sicherheit zu bringen, wo er repariert wurde. Bei der Schwierigkeit der Truppenverschiebungen zu Wasser zwischen Muansa und Bukoba war weiterhin eine gemeinsame Befehlsführung unzweckmäßig; die Befehlsführer beider Bezirke wurden deshalb unmittelbar dem Kommando unterstellt.
Landungsversuche der Engländer wurden am 4. März in der Moribucht, am 7. März bei Ukerewe, am 9. März bei Musoma von unseren Posten abgeschlagen. Bei Schirati fanden zu gleicher Zeit mehrere Patrouillengefechte statt, bei denen der Führer, Oberleutnant Recke, fiel und unsere Patrouillen zerstreut wurden. Am 9. März schlug Oberleutnant von Haxthausen mit 100 Europäern und Askari am Maikaberg einen vierfach überlegenen Feind; nach einem feindlichen Verlust von 17 gefallenen Weißen und einer größeren Anzahl Askari zog der Gegner ab. Bei uns waren ein Europäer und 10 Askari gefallen, 2 Europäer, 25 Askari verwundet, ein Europäer verwundet gefangengenommen worden. Außer der bereits erwähnten 26. Feldkompagnie wurde Muansa durch 100 Askari aus dem Bezirk Bukoba verstärkt, die am 6. April dort eintrafen.
Anfang April wurden auch einige Punkte der Ostküste von See aus beschossen, gleichzeitig machten Masai einen Einfall östlich des Sees, töteten einen Missionar und mehrere Eingeborene und raubten Vieh. Mitte April rückte Hauptmann Braunschweig von Muansa mit 110 Europäern, 430 Askari, 2 Maschinengewehren und 2 Geschützen zum Maradreieck ab und verstärkte Oberleutnant von Haxthausen. In Muansa blieben über 500 Gewehre zurück.
Am 4. Mai wurden einem englischen Dampfer in der Marabucht 3 Treffer durch ein Geschütz C/73 beigebracht und hierdurch anscheinend eine Truppenlandung verhindert. Am 12. Mai wurden bei Majita 300 Mann gelandet, fuhren aber schon am 18. Juni wieder ab und schleppten das Wrack der „Sybil“ mit sich. Auch das Maradreieck hatte der 900 Mann starke Feind am 20. Mai wieder geräumt und sich jenseits der Grenze auf mehreren Bergen verschanzt. Beschießungen der Küste fanden in jener Zeit des öfteren statt.
Major von Stuemer hielt seit Anfang Dezember 1914 eine weit ausgedehnte Stellung am Kagera besetzt. Allmählich wurde der auf etwa 300 Mann geschätzte Feind reger. Es schien, als ob er Übersetzmaterial für den Kagera vorbereitete, seine Schiffe zeigten sich häufiger in der Sangobucht.
An der Grenze von Schirati wurde in der Nacht vom 4. zum 5. Juni 1915 der Posten Becker, 10 Askari stark, durch 10 Europäer und 50 Inder vom 98. Regiment[S. 80] umzingelt. In das Gefecht griff auch ein armierter Dampfer ein. Der Feind wurde aber geschlagen und verlor 2 Europäer und 5 Askari an Toten.
Es mag hier erwähnt werden, daß die feindlichen bewaffneten Späher sich auch an der Schiratigrenze der Giftpfeile bedienten.
Am 21. Juni griffen die Engländer mit 800 Europäern, 400 Askari, 300 Indern, 3 Geschützen und 8 Maschinengewehren, die durch das Feuer der armierten Dampfer verstärkt wurden, Bukoba an. Unsere wenig über 200 Gewehre starke Besatzung räumte den Ort nach zweitägigem Kampfe. Der Feind plünderte ihn, zerstörte den Funkenturm und fuhr am 24. Juni in Richtung auf Kissumu wieder ab. Er hatte schwere Verluste erlitten. Nach seiner Angabe waren 10 Europäer gefallen, 22 verwundet. Deutscherseits war aber beobachtet worden, daß ein Dampfer mit 150 Toten und Verwundeten abgefahren war. Auf unserer Seite waren 2 Europäer, 5 Askari, 7 Hilfskrieger gefallen, 4 Europäer, 30 Farbige verwundet, das Geschütz verloren gegangen.
Von den Ereignissen der folgenden Zeit ist zu erwähnen, daß Bukoba am 18. Juli 1915 ohne Erfolg beschossen wurde. In Mpororo ging ein größerer Häuptling zu den Engländern über. In Muansa traf am 12. September eins der 10,5 cm-„Königsberg“-Geschütze ein; dort waren aus Wassukumaleuten mit der Zeit 5 Kompagnien neugebildet worden.
Es machte den Eindruck, daß der Feind sich gegenüber Bukoba hinhaltend verhielt und Truppenverschiebungen von dort nach Kissenji vornahm. Am 29. Oktober wurde ein englischer Angriff durch etwa 100 Gewehre, mit Maschinengewehren, Geschütz und einem Minenwerfer gegen unsere Kagerastellung mit anscheinend großen Verlusten für den Feind abgewiesen. Auch am 4. und 5. Dezember blieben englische Angriffe am unteren Kagera erfolglos. Mehrere feindliche Abteilungen drangen in die Landschaft Karagwe ein. Den Befehl in Bukoba übernahm Ende 1915 Hauptmann Gudovius, bisher Bezirksamtmann in Pangani, dem die neu zusammengestellte 7. Reservekompagnie als Verstärkung für Bukoba folgte.
In Ruanda führten die durchgreifenden Maßnahmen des dortigen Residenten, des Hauptmanns Wintgens, zu guten Erfolgen. Er überraschte am 24. September 1914 die Insel Idschwi im Kiwusee und nahm den dortigen belgischen Posten mit seinem Stahlboot gefangen. Ein anderes Stahlboot hatte Oberleutnant z. S. Wunderlich, der mit einigen Mannschaften der „Möwe“ zum Kiwusee gerückt war, auf einem requirierten Motorboot gleichfalls genommen. Am 4. Oktober warf Wintgens nördlich Kissenji mit seinen Polizeiaskari, Hilfskriegern und einigen Leuten der „Möwe“ 4 belgische Kompagnien mit schweren Verlusten für den Feind zurück. Nach weiteren kleineren Zusammenstößen brachte Hauptmann Wintgens dann der belgischen Überlegenheit von 1700 Mann und 6 Geschützen am 20. und 30. November 1914 sowie am 2. Dezember nördlich Kissenji eine Teilniederlage bei. Am Tschahafisee warf er eine englische Postierung zurück. Ein Engländer, 20 Askari fielen, auf unserer Seite fielen 2 Askari, ein Europäer wurde schwer verwundet.
Bei Kissenji und an der Grenze fanden dann im Februar 1915 wieder mehrere kleine Zusammenstöße statt. Am 28. Mai wies Leutnant Lang mit seiner kleinen[S. 81] Besatzung in Kissenji den Angriff von 700 Belgiern mit 2 Maschinengewehren ab. Der Feind hatte dabei schwere Verluste, bei uns fiel ein Europäer.
Im Juni 1915 sollen in der Gegend des Kiwusees über 2000 belgische Askari mit 9 Geschützen und 500 englische Askari zusammengezogen gewesen sein; die Reise des belgischen Oberbefehlshabers Tombeur zum Kiwu spricht für die Wahrscheinlichkeit dieser Nachricht. Am 21. Juni wurde ein Angriff von 900 Belgiern mit 2 Maschinengewehren und 2 Geschützen auf Kissenji abgeschlagen. In einem Nachtangriff von 400 Belgiern am 5. Juli auf Kissenji hatte der Feind starke Verluste. Am 3. August wurde Kissenji wirkungslos mit Geschützen und Maschinengewehren beschossen. Infolge der drückenden feindlichen Übermacht wurde die 26. Feldkompagnie von Muansa nach Kissenji verlegt.
Unmittelbar nach Eintreffen der 26. Kompagnie bei Kissenji am 31. August schlug Hauptmann Wintgens die belgischen Vorposten, von denen 10 Askari fielen. Am 2. September nahm er eine von 150 Askari mit 3 Geschützen und einem Maschinengewehr besetzte Stellung im Sturm. Im Laufe der folgenden Wochen fanden täglich kleinere Zusammenstöße statt. Am 3. Oktober wurde der Angriff von 250 Askari mit einem Maschinengewehr bei Kissenji abgeschlagen, wobei 14 Mann Verluste beim Feinde beobachtet wurden. Es wurde dann, vielleicht infolge des Gefechtes bei Luwungi am 27. September, der Abmarsch stärkerer feindlicher Truppen nach Süden festgestellt.
Am 22. Oktober wurde wieder ein belgischer Vorposten von 300 Askari mit 2 Geschützen und 2 Maschinengewehren überrumpelt, wobei der Feind 10 Askari an Toten verlor. Am 26. November warfen die Abteilung Ruanda und ein Zug der von Bukoba eingetroffenen 7. Kompagnie, im ganzen 320 Gewehre, 4 Maschinengewehre und ein 3,7 cm-Geschütz den 200 Mann starken Feind aus einer befestigten Stellung, wobei er 2 Europäer und 70 Askari an Toten, 5 Askari an Gefangenen und viele Verwundete verlor. Bei uns fielen ein Europäer und 3 Askari, verwundet wurden 4 Europäer, 5 Askari, ein Hilfskrieger. Am 21. Dezember griff der Feind mit 1000 Askari, 2 Maschinengewehren, 8 Geschützen, darunter 4 modernen 7 cm-Haubitzen erneut Kissenji an. Er ließ 21 gefallene Askari liegen, 6 wurden verwundet gefangengenommen, zahlreiche Verwundete abtransportiert. Unsere 350 Gewehre, 4 Maschinengewehre, 2 Geschütze starke Truppe verlor 3 Askari an Toten, einen Europäer und einen Askari als Schwerverwundete.
Am 12. Januar 1916 überfiel Hauptmann Wintgens nördlich Kissenji eine belgische Kolonne, wobei 11 belgische Askari fielen. Am 27. Januar wies Hauptmann Klinghardt mit 3 Kompagnien einen Angriff von 2000 belgischen Askari mit Handgranaten und 12 Geschützen gegen die Kissenjistellung mit schweren Verlusten für den Feind ab.
Auch das Gebiet des Russissi war reich an Zusammenstößen. Am 10. und 13. Oktober hatten bei Changugu, am 21. und 22. Oktober bei Chiwietoke, am 24. Oktober bei Kadjagga erfolgreiche kleine Gefechte zwischen deutschen Patrouillen mit Kongotruppen stattgefunden.
Am 12. Januar 1915 griff Hauptmann Schimmer ein belgisches Lager bei Luwungi an, der beabsichtigte Überfall glückte aber nicht. Hauptmann Schimmer und 3 Askari fielen, 5 wurden verwundet.
[S. 82]
Am 16., 17. und 20. März 1915 fanden dann kleinere Patrouillengefechte statt, und am 20. Mai wurde ein belgischer Posten überfallen. So gab es dauernd kleine Zusammenstöße, auch während des Juni und Juli. Im August schien der Feind seine Kräfte dort zu verstärken. Den Befehl am Russissi erhielt jetzt Hauptmann Schulz; unsere dort befindlichen Streitkräfte bestanden nunmehr aus 4 Feldkompagnien, einem Teil der Besatzung der „Möwe“ und der etwa kompagniestarken Abteilung Urundi. Ferner befanden sich 2 leichte Geschütze dort. Am 27. September wurden bei einem Angriff des Hauptmanns Schulz auf Luwungi 4 Europäer, 54 Askari als tot festgestellt, außerdem 71 Askari als getroffen gezählt. Die Verluste beliefen sich also, auch im Einklange mit späteren Eingeborenenaussagen, auf etwa 200. Bei uns fielen 4 Europäer, 20 Askari; 9 Europäer, 34 Askari wurden verwundet.
Bei den Gelände- und Stärkeverhältnissen am Russissi kam es dort nicht zu dem von uns angestrebten Waffenerfolge. Es blieben dort deshalb nur die Abteilung Urundi und eine Feldkompagnie; 2 Kompagnien rückten am 18. und 19. Dezember 1915 zu Hauptmann Wintgens nach Ruanda, 3 zur Mittellandbahn ab.
Am 19. Oktober hatte der Feind bei einem Zusammenstoß mit der 14. Reservekompagnie trotz doppelter Überlegenheit 20 Askari verloren; bei uns fielen 3 Askari, 12 wurden verwundet. Trotz des nahen, nach glaubwürdigen Eingeborenenaussagen 2000 Askari starken belgischen Hauptlagers war es angängig, unsere Truppen am Russissi zugunsten anderer Stellen zu vermindern, da beiderseits die Bedingung für eine Offensive nicht günstig zu sein schien. Am Russissi blieb Major von Langenn mit der Abteilung Urundi und der 14. Reservekompagnie.
Auf dem Tanganjikasee hatte Kapitän Zimmer zu Beginn des Krieges etwa 100 Mann der „Möwe“ und in Usumbura etwa 100 Askari gesammelt; außerdem verfügte er über einige in Kigoma eingezogene Europäer und noch etwa 100 Askari der Posten von Urundi und aus Ruanda (Wintgens), im ganzen also über etwa 400 Gewehre.
Oberleutnant zur See Horn von der „Möwe“ hatte am 22. August 1914 mit dem kleinen armierten Dampfer „Hedwig von Wißmann“ ein erfolgreiches Gefecht gegen den belgischen Dampfer „Delcommune“. Es stellte sich aber später heraus, daß „Delcommune“ nicht völlig unbrauchbar geworden war. Der Kommandant der „Möwe“, Korvettenkapitän Zimmer, war nach Vernichtung seines im August 1914 gesprengten Schiffes mit seiner Mannschaft nach Kigoma gefahren. Der Dampfer „Kingani“, der von Daressalam mit der Bahn gleichfalls dorthin transportiert worden war, sowie verschiedene kleinere Fahrzeuge auf dem Tanganjikasee wurden dann armiert und durch Korvettenkapitän Zimmer in Dienst gestellt. Auch setzte er ein 9 cm-Schiffsgeschütz auf ein Floß und beschoß eine Anzahl der belgischen Küstenstationen. Kigoma selbst befestigte er stark und baute es zu einem Stützpunkt für die Seekriegführung auf dem Tanganjikasee aus.
Die eine halbe Kompagnie starke Abteilung Bismarckburg warf im Verein mit den armierten kleinen Dampfern „Hedwig von Wißmann“ und „Kingani“ am 20. November 1914 in der Bucht westlich Bismarckburg eine belgische Kompagnie zurück, erbeutete vier 11 mm-Maschinengewehre sowie 150 km Telegraphendraht,[S. 83] der für die im militärischen Interesse dringend notwendige Verlängerung der Linie Kilossa-Iringa auf Neu-Langenburg zu verwandt wurde.
Anfang Oktober hatten Versuche, den bei Baraka auf der Kongoseite liegenden belgischen Dampfer „Delcommune“ vollends zu zerstören, nicht zum Erfolg geführt. Seit der nochmaligen Beschießung am 23. Oktober sah Kapitän Zimmer „Delcommune“ als erledigt an. Die Besatzung von „Hedwig von Wißmann“ überraschte am 27. Februar 1915 einen belgischen Posten bei Tembwe und erbeutete dessen Maschinengewehr. Ein belgischer Offizier und 10 Askari fielen, ein schwer verwundeter belgischer Offizier und ein Engländer wurden gefangen. Bei uns fiel ein Askari, ein Europäer wurde tödlich, ein Askari schwer verwundet.
Im März 1915 nahmen die Belgier in Ubwari, dessen Bewohner sich deutsch-freundlich gezeigt hatten, Massenverhaftungen vor und hängten eine Anzahl Leute auf.
Nach aufgefangenen Funksprüchen sind im Juni auf dem Tanganjika mehrere belgische Walfischboote fertiggestellt gewesen; an einem neuen belgischen Dampfer, dem „Baron Dhanis“, wurde gearbeitet. Deutscherseits wurde am 9. Juni 1915 Dampfer „Goetzen“ fertiggestellt und von der Truppe übernommen. Er hat bei den Truppenverschiebungen auf dem Tanganjika wertvolle Dienste geleistet. Bei Bismarckburg war die dortige Polizeitruppe unter dem tüchtigen Verwalter des Bezirks, Lt. d. Res. Haun, zur Schutztruppe übergetreten. Es kam zu kleineren Scharmützeln auf feindlichem Gebiet, und auch hier gelang es, den Feind im wesentlichen fernzuhalten.
Erst Anfang Februar 1915 rückten mehrere hundert feindliche Askari in Abercorn ein, und Teile derselben drangen bis in die Gegend der Mission Mwasye vor, zogen dann aber wieder ab.
Mitte März wurde dann die Truppe unter Lt. d. Res. Haun am Kitoberge durch eine englisch-belgische Abteilung im Lager überfallen. Lt. Haun geriet schwer verwundet in Gefangenschaft und mehrere Askari fielen. Oberleutnant Aumann wurde mit einer Abteilung, die später als Kompagnie formiert wurde, von Hauptmann Falkenstein, dem Führer der 5. Feldkompagnie (Langenburg), abgezweigt und deckte in der Gegend von Mbozi die deutsche Grenze. Dort waren im Februar 1915 mehrfach mehrere hundert Mann starke Abteilungen in deutsches Gebiet eingedrungen; Ende März wurden in Karonga Europäer in unbekannter Zahl, in Fife und in anderen Orten der Grenze etwa 800 Mann gemeldet. Der Feind schien also einen Angriff vorzubereiten. Er streifte bis in die Gegend von Itaka vor, und Anfang April wurde Kituta am Südende des Tanganjikasees als von den Belgiern verschanzt gemeldet. Major von Langenn, der nach Wiederherstellung von seiner schweren Verwundung — er hatte ein Auge verloren — am Russissi tätig war, wurde mit der Führung der Operationen in dem ihm bekannten Gebiet Bismarckburg-Langenburg betraut. Außer seiner früheren 5. Feldkompagnie, die bei Ipyana und in der Gegend von Mbozi stand, wurden ihm hierzu die etwa kompagniestarke Abteilung Bismarckburg und drei Kompagnien unterstellt, die von Kigoma und Daressalam herangezogen wurden. Während des Seetransportes nach Bismarckburg fanden östlich dieses Ortes[S. 84] einige erfolgreiche Zusammenstöße unserer Patrouillen gegen 50 bis 250 Mann starke feindliche Streifabteilungen statt.
Major von Langenn hatte am 7. Mai 1915 4 Kompagnien bei Mwasye versammelt, eine gegenüberstehende belgische Abteilung ging zurück. Am 23. Mai warf Patrouille Oberleutnant von Debschitz eine belgische Kompagnie zurück, von der 2 Europäer, 6 Askari fielen. Am 24. Mai erging Befehl an Langenn, mit 3 Kompagnien nach Neu-Langenburg gegen den dort als bevorstehend gemeldeten Angriff abzurücken. Den Befehl in Gegend Bismarckburg übernahm General Wahle. Dieser traf am 6. Juni in Kigoma ein und sammelte bei Bismarckburg die als 29. Feldkompagnie formierte Abteilung Bismarckburg und die von Daressalam herangezogene 24. Feldkompagnie und halbe Europäerkompagnie.
Am 28. Juni griff General Wahle mit 2½ Kompagnien die Farm Jericho an, brach aber das Gefecht ab, als er erkannte, daß die feste Stellung ohne Artillerie nicht zu nehmen sei. Bei uns fielen 3 Europäer, 4 Askari, verwundet wurden 2 Europäer, 22 Askari. General Wahle wurde durch 2 Kompagnien von Langenburg her verstärkt.
Seit dem 25. Juli 1915 belagerte General Wahle mit 4 Kompagnien und 2 Geschützen C/73 den bei Jericho stark befestigten Gegner. Von Abercorn aus unternommene Entsatzversuche wurden abgeschlagen, am 2. August 1915 aber die Belagerung aufgehoben, da mit der vorhandenen Artillerie eine Wirkung nicht zu erzielen war. General Wahle fuhr mit 3 Kompagnien zurück nach Daressalam. Die 29. Kompagnie blieb bei Jericho, die 2 Geschütze in Kigoma.
Am 19. Juni war durch „Goetzen“ der bei Kituta auf Strand liegende Dampfer „Cecil Rhodes“ abgeschleppt und versenkt worden.
Während des September und Oktober kam es nun zu dauernden Patrouillengefechten an der Grenze von Bismarckburg; bei Abercorn drangen wieder belgische Verstärkungen ein. Am 3. Dezember wurde bemerkt, daß die Befestigungen von Jericho verlassen und geschleift waren. Ein neues, nordöstlich Abercorn erbautes Fort beschoß Oberleutnant Franken am 6. Dezember mit 100 Gewehren und einem Maschinengewehr und brachte dem Feinde dabei anscheinend Verluste bei.
Die englische Marineexpedition, deren Anmarsch über Bukama-Elisabethville seit langem beobachtet wurde, hatte am 22. Oktober 1915 die Lukugabahn erreicht. Die aufgefangenen Notizen, daß für die Deutschen eine Überraschung auf dem Tanganjika vorbereitet würde, brachten mich auf den Gedanken, daß wir hier mit besonders konstruierten kleinen Fahrzeugen, die vielleicht mit Torpedos ausgerüstet wären, zu rechnen haben würden. Es handelte sich also um eine sehr ernst zu nehmende Gefährdung unserer Herrschaft auf dem Tanganjika, die auf unsere gesamte Kriegführung von ausschlaggebendem Einfluß sein konnte. Die gleichzeitig mit diesen Vorbereitungen stattfindenden feindlichen Truppenverschiebungen in der Richtung auf den Kiwusee und auf Abercorn zu bewiesen, daß Hand in Hand eine beabsichtigte Landoffensive gehen sollte. Um hierbei den Feind möglichst noch während seiner Versammlung zu schlagen, griff Hauptmann Schulz am 27. September 1915 bei Luwungi die Belgier an und brachte ihnen schwere Verluste bei.
[S. 85]
Der Dampfer „Kingani“ überfiel in der Nacht vom 28. Oktober eine belgische Telegraphenbaukolonne und machte einige Beute. In der Lukugamündung wurde ein fahrender Eisenbahnzug festgestellt. „Kingani“ kehrte von einer Erkundungsfahrt zur Lukugamündung nicht zurück und war nach einem belgischen Funkspruch vom 31. Dezember verlorengegangen. Vier Europäer, acht Farbige sollen tot, der Rest gefangen sein. Augenscheinlich war der günstige Zeitpunkt, die feindlichen Vorbereitungen zur Herrschaft auf dem Tanganjika zu stören, verstrichen.
Am 9. Februar 1916 wurde dann noch einer unserer armierten Dampfer durch den Feind genommen.
Auf dem Nyassasee war der deutsche Dampfer „Hermann von Wißmann“, der vom Ausbruch des Krieges nichts wußte, am 13. August 1914 von dem englischen Regierungsdampfer „Gwendolin“ überrascht und fortgenommen worden.
Hauptmann von Langenn war mit seiner in Massoko bei Neu-Langenburg stehenden 5. Feldkompagnie am 9. September 1914 gegen die englische Station Karonga vorgegangen. Beim Kampfe gegen die in fester Stellung befindlichen Engländer wurde Hauptmann von Langenn selbst schwer verwundet. Die beiden Kompagnieoffiziere gerieten, gleichfalls schwer verwundet, in englische Gefangenschaft. Die deutschen Unteroffiziere und die Askari schlugen sich sehr brav, mußten aber doch einsehen, daß sie gegen die Schanzen des Feindes nichts ausrichten konnten und brachen deshalb das aussichtslose Gefecht ab. Über 20 Askari waren gefallen, mehrere Maschinengewehre und leichte Geschütze verlorengegangen. Aus Iringa und Ubena trafen nun umgehend Verstärkungen der 2. Kompagnie ein; auch mehrere hundert Wahehehilfskrieger wurden aufgeboten. Nach und nach stellte sich heraus, daß der Feind auch starke Verluste erlitten hatte. Er hütete sich vor größeren Unternehmungen gegen den Bezirk Langenburg, so daß dieses fruchtbare, für uns so wichtige Verpflegungsgebiet uns anderthalb Jahre lang erhalten blieb.
Später rückte unsere 5. Kompagnie bei Langenburg mit ihrem Hauptteil wieder näher an die Grenze zur Mission Ipyana vor. Am 2. November 1915 fand am Lusirafluß ein Vorpostengefecht statt und dem Dampfer „Gwendolin“ auf dem Nyassasee wurden einige Geschütztreffer beigebracht.
Anfang Dezember 1914 fanden nördlich Karonga, am Ssongwefluß, Patrouillenzusammenstöße statt. Oberarzt Dr. Gothein, der Anfang Mai 1915 aus englischer Gefangenschaft zurückgeliefert worden war, erzählte, daß in dem ersten Gefecht bei Karonga, am 9. September 1914, der Feind an Toten 6 Europäer und 50 Askari, an Schwerverwundeten 7 Europäer und über 50 Askari verloren hatte. Die Engländer unterhielten eine rege Spionage, besonders durch den „Wali“, einen eingeborenen Verwaltungsbeamten am Ssongwe.
An der Grenze kam es im Mai 1915 zu einigen für uns günstigen Überfällen. Die Regenzeit verzögerte sich, so daß der südliche Teil des Bezirkes Langenburg bis Ende Juni gegen einen Angriff als geschützt gelten konnte.
Im Juni 1915, als Major von Langenn mit seinen Verstärkungen eingetroffen war, kam es entgegen der Erwartung zu keinen größeren Gefechten. Die Zeit wurde benutzt, um auf englischem Gebiet einen Telegraphen ab- und auf deutschem Gebiet in[S. 86] Richtung auf Ubena wieder aufzubauen. Auch im August bewahrheitete sich die Nachricht von einem geplanten feindlichen Angriff nicht. Am 8. Oktober erst trafen stärkere feindliche Truppen, Europäer und Askari, in Fife ein. Auch an dieser Grenze kam es zu zahlreichen kleinen Scharmützeln. Gegen Ende des Jahres wurde das Eintreffen neuer Verstärkungen auch bei Ikawa festgestellt. Hauptmann Aumann wies am 23. Dezember 1915 dort den Überfall einer feindlichen Abteilung von etwa 60 Europäern und zwei Maschinengewehren ab.
Am Njassasee kam es nur zu unbedeutenden Zusammenstößen. Am 30. Mai landeten die Engländer bei Sphinx-Hafen 30 Europäer, 200 Askari mit zwei Geschützen und zwei Maschinengewehren. Sie erlitten durch unsere 13 Gewehre und ein Maschinengewehr anscheinend über 20 Mann Verluste und fuhren nach Zerstörung des Wracks des „Hermann von Wißmann“ ab.
[S. 87]
[S. 89]
Östlich des Oldorobo zeigte der Feind nun mehrfach stärkere Truppenmassen von 1000 und mehr Mann, die sich auf weiter Entfernung gegen den Berg entwickelten, aber nicht herankamen. Es waren also Übungen, durch welche die jungen südafrikanischen Europäertruppen für die Bewegungen und den Kampf im Pori ausgebildet werden sollten. Anfang Februar ging der Feind mit mehreren Regimentern von Osten her gegen den Oldorobo vor. Für uns war es erwünscht, wenn er dort so fest anbiß, daß er nicht wieder fortkommen konnte; es bestand die Hoffnung, ihn dann durch einen Gegenangriff mit der bei Taveta lagernden Abteilung des Hauptmann Schulz zu schlagen. Andere, mehrere Kompagnien starke deutsche Abteilungen standen westlich von Taveta an der Straße nach Neu-Moschi und an der nach Kahe, bei der Pflanzung Neu-Steglitz.
Am 12. Februar ging wiederum ein auf mehrere Regimenter geschätzter europäischer Gegner bis auf 300 m gegen den Oldorobo vor. Das Kommando in Neu-Moschi war in dauernder telephonischer Verbindung mit Major Kraut, hielt nun den günstigen Augenblick für gekommen und gab Befehl zur Feuereröffnung. Die Wirkung unserer Maschinengewehre und unserer 2 leichten Geschütze war als gut gemeldet worden, als das Kommando im Automobil Neu-Moschi verließ, um sich auf das Gefechtsfeld zu begeben. Abteilung Schulz erhielt Befehl,[S. 90] von Taveta aus hinter der Abteilung Kraut, gedeckt gegen das Feuer der feindlichen schweren Artillerie, entlang zu marschieren und den feindlichen rechten (nördlichen) Flügel entscheidend anzugreifen. Die bei Neu-Steglitz stehenden Truppen rückten nach Taveta vor. Es lagen einige wilde Meldungen vor über feindliche Panzerautomobile, die durch die Buschsteppe fahren sollten. Die Phantasie der Farbigen, denen diese Panzerautomobile etwas ganz Neues und Überraschendes waren, hatte die Leute Gespenster sehen lassen. Am Oldorobo angekommen, wurde das Kommando telephonisch orientiert, daß der Feind, der gegen unsere stark verschanzte Front vorgegangen war, mit schweren Verlusten abgewiesen worden war, und daß Abteilung Schulz voll entwickelt gegen seine rechte Flanke vorging. Die zahlreichen in unsere Stellung auf dem Oldorobo einschlagenden Geschosse der englischen Haubitzen taten fast keinen Schaden, obgleich sie recht gut lagen. Dem großen Munitionsaufwande der feindlichen Artillerie gegenüber mußten sich unsere leichten Geschütze darauf beschränken, besonders günstige Ziele auszunützen, nicht nur, weil die Munition knapp war, sondern auch, weil wir keine Schrapnelle hatten. Der Feind ging in Auflösung durch das Pori zurück. Über 60 Europäer wurden durch uns beerdigt. Nach Gefangenenaussagen und nach den erbeuteten Papieren waren drei Regimenter der 2. südafrikanischen Infanteriebrigade im Gefecht gewesen. Es war also den Engländern tatsächlich gelungen, die militärischen Kräfte der südafrikanischen Union für ihre imperialistischen Ziele nutzbar zu machen; nach erbeuteten Papieren scheint die Aussicht auf Pflanzungen und Farmen bei der Anwerbung der Leute als Zugmittel benutzt zu sein. Die plötzliche Erkrankung des zur Übernahme des Oberbefehls in Ostafrika schon auf der Ausreise befindlichen britischen Generals Smith-Dorrien dürfte den Engländern nicht ungelegen gekommen sein; denn die Übertragung des Oberbefehls an einen Südafrikaner, den General Smuts, hat auf die Werbung einen günstigen Einfluß ausgeübt. Die Ausbildung dieser neu geschaffenen Verbände war gering, und es war an dem Verhalten der vielfach sehr jugendlichen Europäer zu erkennen, daß viele noch niemals an einem ernsthaften Kampf teilgenommen hatten. Nach dem Gefecht am Oldorobo beobachteten wir aber, wie der Feind die Lücken in seiner Ausbildung sehr gründlich zu verbessern suchte.
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Trotz dem Nachdrücken durch die Abteilung Schulz und mehrfachen Beschießen sich sammelnder feindlicher Abteilungen entkam bei der Schwierigkeit und Unübersichtlichkeit des Geländes der Feind noch in seine befestigten Lager.
Interessant war es, daß in mehreren aufgefundenen Tagebüchern der ausdrückliche Befehl (order) verzeichnet stand, daß keine Gefangenen gemacht werden sollten. Tatsächlich hatte der Feind ja auch keine gemacht, aber es schien doch angezeigt, an den britischen Befehlshaber eine Anfrage zu richten, damit wir unser Verhalten den englischen Gefangenen gegenüber danach einrichten konnten. Es liegt kein Grund vor, die Mitteilung des Brigadegenerals Malleson, daß ein solcher Befehl nicht gegeben sei, in Zweifel zu ziehen; dieser und manche spätere Fälle zeigen aber, was für ein Unsinn in den privaten Tagebüchern steht. Es ist deshalb verkehrt, wenn der Feind deutsche Aufzeichnungen, die in seine Hände fielen, ohne eingehende Prüfung für Ernst nehmen will.
Zu dieser Zeit waren auch die feindlichen Truppen auf dem Longidoberg erheblich verstärkt worden. Dieser Berg, der von dem Feinde wahrscheinlich aus Nachschubschwierigkeiten geräumt worden war, wurde neuerdings wieder von ihm besetzt. Unsere Patrouillen hatten den dicht bewachsenen Felsen mehrfach erstiegen und die feindlichen Lager aus nächster Nähe beobachtet. Wenn es an sich schon schwer ist, Truppenzahlen richtig einzuschätzen, so ist das in dem buschigen Gelände, wo immer nur wenige Leute gleichzeitig zu sehen sind, und wo das Bild sich dauernd ändert, ganz unmöglich. Die Angaben von Eingeborenen waren zu ungenau. Aber allgemein mußte aus der Gesamtlage sowie aus der Steigerung des Nachschubes, der andauernd mit Ochsenwagen zum Longido vom Norden her gebracht wurde, geschlossen werden, daß der Feind sich erheblich verstärkte.
Seine Streifzüge in das Kilimandjarogebiet waren blutig abgewiesen worden. Als eine Eskadron von indischen Lancers zwischen Kilimandjaro und Meruberg hindurch sich nach Süden vorbewegte, wurde sie von einer unserer berittenen Patrouillen unter Oberleutnant Freiherrn von Lyncker sogleich energisch angegriffen. Unsere Askari, die den hohen Wert von Reittieren für unsere Kriegführung begriffen hatten, stürzten sich mit dem Ruf: „Wahindi kamata frasi“ (Es sind Inder, fangt die Pferde) auf den abgesessenen Feind. Dieser war so[S. 92] überrascht durch die Schnelligkeit unserer Leute, daß er in wilder Flucht davonlief und einen Teil seiner Pferde stehenließ. Unter anderem war der brave europäische Führer tot liegengeblieben; es war ihm nicht gelungen, die Kopflosigkeit seiner Leute zu verhindern.
Ich möchte überhaupt betonen, daß in dieser ersten Zeit des Krieges das Verhalten der britischen Berufsoffiziere durchweg ein ritterliches war, und daß die Achtung, die sie uns zollten, voll erwidert wurde. Aber auch unsere Askari gewannen durch ihr braves Verhalten im Gefecht und durch ihre Menschlichkeit die Achtung des Feindes. Der schwerverwundete englische Oberleutnant Barrett fiel am 10. März in die Hände unserer Askari; auf Grund falscher Schilderungen glaubte er, daß seine letzte Minute gekommen sei, und war erstaunt, als unsere Askari, bei denen sich kein Europäer befand, ihn so gut es ging verbanden und zum Arzt trugen. Verwundert äußerte er: „Ihre Askari sind ja Gentlemen.“ Bis zu welchem Maße die Vorstellung der englischen Soldaten irregeleitet war, zeigte mir am 12. Februar ein junger am Oldorobo gefangener Südafrikaner, der fragte, ob er nun erschossen werden würde. Wir lachten ihn natürlich aus. Gewiß kommen in einem langen Kriege Fälle von Roheit und Unmenschlichkeit vor. Das ist aber auf beiden Seiten der Fall und darf nicht, wie es von der englischen Presse geschehen ist, verallgemeinert und zu einer unwürdigen Hetze ausgenutzt werden.
In jener Zeit wurden nun die ersten feindlichen Späherpatrouillen beobachtet und teilweise auch festgenommen. Es waren dies „Schensi“ (harmlos erscheinende Eingeborene), welche als Zeichen, daß sie das Objekt ihres Auftrages wirklich erreicht hatten, bestimmte Gegenstände, z. B. Teile vom Bahnkörper der Usambarabahn, mitbringen mußten. Das Gesamtbild, das man sich zu machen hatte, zeigte, daß der Feind das Gebiet der Usambarabahn und die Anmarschwege zu derselben eingehend erkundete. Ein Blick auf die Karte lehrt nun folgendes. Ein gleichzeitiges Vordringen des Feindes vom Oldorobo und Longido[S. 93] her in Richtung auf Neu-Moschi mußte den Verlust des wirtschaftlich wertvollen Kilimandjarogebietes zur Folge haben. Wenn wir aber vor einem überlegenen Feind auf unsere Hauptnachschublinie allmählich ausweichen wollten, so führte dies zu einer Bewegung unserer Hauptkräfte längs der Usambarabahn, also fast spitzwinklig zu der Richtung eines vom Oldorobo her erfolgenden Angriffes. Die Gefahr für uns, von dieser unserer Hauptnachschublinie durch den Feind abgeschnitten zu werden, war sehr groß. Ging der Feind nördlich des Djipesees vor, so war er in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt durch den Kilimandjaro und das Steilmassiv des Nordparegebirges. Es ist klar, daß dann sein Vordrücken unmittelbar gegen Kahe für uns am unangenehmsten war und, wenn erfolgreich, unsere rückwärtige Verbindung, die Usambarabahn, durchschnitt. Noch bedenklicher aber war es für uns, wenn der Feind südlich des Djipesees durch das Tal vordrückte, welches zwischen Nordpare und Mittelpare südlich Lembeni an die Nordbahn heranführte. Schließlich konnte er auch zwischen Mittelpare und Südpare durch das Tal bei Same die Bahn erreichen. Beim Anmarsch aus Lembeni und Same konnte der Feind sich schnell und streckenweise ohne Vorbereitungen auf freier Ebene einen brauchbaren Weg für seine Kraftfahrzeuge schaffen und auf diese seine Unternehmungen basieren.
Bei unserer geringen Truppenzahl in der Gegend des Kilimandjaro — etwa 4000 Gewehre — war es unmöglich, die Streitkräfte zur Sicherung gegen diese verschiedenen Anmarschmöglichkeiten zu zersplittern. Schon aus rein defensiven Gründen mußten wir die Kräfte zusammenhalten und dicht am Feinde bleiben, um ihn dort festzuhalten, wo wir waren, und hierdurch seine Bewegungen zu überwachen. Ob es glücken würde, die beiden aus Richtung Longido und Makatau im Vormarsch gegen das Kilimandjarogebiet zu erwartenden Hauptgruppen des Feindes, deren jede allein uns erheblich überlegen war, nacheinander einzeln zu schlagen, war von Anfang an sehr fraglich. Eine Aussicht hierzu bot sich nur, wenn unsere Truppen blitzartig erst gegen die eine und dann ebenso schnell gegen die andere feindliche Gruppe bewegt werden konnten. Die Vorbereitungen hierzu wurden getroffen, und auf Grund persönlicher Erkundung wurden eine Anzahl Kolonnenwege, die mit Namen und Bezeichnungen versehen waren, in dem zerklüfteten Waldgelände nördlich der großen Straße festgelegt, die von Neu-Moschi nach Westen[S. 94] führt. Zur Benutzung dieser Wege in größerem Umfange ist es nicht gekommen. Man durfte sich eben nicht scheuen, eine Sache neunundneunzigmal vergeblich zu versuchen, wenn das hundertste Mal Aussicht auf Gelingen bot. Mit der Befolgung dieses Grundsatzes sind wir nicht schlecht gefahren.
Die Tätigkeit des Feindes steigerte sich, und der Gegner zeigte bei den vielen kleinen Zusammenstößen eine gute Ausbildung. Er hatte auch zahlreiche neue Askaritruppenteile aufgestellt, die sich zum großen Teil aus den begabten Stämmen des Njassagebietes rekrutierten. Das dem Kilimandjaro nach Nordwesten zu vorgelagerte und nur spärlich mit Busch bestandene Steppengebiet war seiner großen Übersichtlichkeit wegen zu überraschenden Offensivunternehmungen für uns nicht günstig; mehr Aussicht hierzu bot das dichte Buschgelände zwischen Kilimandjaro und Meru selbst, das der Gegner, der vom Longido kam, voraussichtlich durchschreiten würde. Hier wurde nun eine aus fünf ausgesuchten Askarikompagnien bestehende Abteilung von rund 1000 Gewehren versammelt. Bei der Unübersichtlichkeit des Geländes glückte es aber dieser Abteilung nicht, eine der zahlreichen Anfang März nach Süden vordrückenden feindlichen Kolonnen entscheidend zu fassen. Auch für den Gegner war die Schwierigkeit, sich zu orientieren, groß, und erst durch einen indischen Meldereiter, der eine Meldung statt zu seiner eigenen Truppe versehentlich zu uns brachte, erfuhren wir, daß sich hier die erste ostafrikanische Division unter General Steward befand. Da diese Zusammenstöße sich in der Gegend von Geraragua und südwestlich davon abspielten, war es für ein Eingreifen mit unseren bei Neu-Steglitz und Himo stehenden Reserven zu weit (Geraragua-Neu-Moschi etwa zwei Tagemärsche). Ehe dieser Moment eintrat, drückte der Feind auch von Osten her vor. Die Flugrichtung der feindlichen Flieger zeigte das augenscheinliche Interesse des Gegners für die Gegenden ein bis zwei Stunden nördlich von Taveta. Man mußte auf den Gedanken kommen, daß der Feind aus seinen östlich Oldorobo gelegenen Lagern sich nicht ein zweites Mal an diesem Berge blutige Köpfe holen wollte, sondern beabsichtigte, diese Stellung nördlich zu umgehen und das Wasser des Lumiflusses, eine Stunde nördlich von Taveta, zu erreichen. Am 8. März wurden vom Oldorobo aus mächtige Staubwolken beobachtet, die sich vom feindlichen Lager aus in der angegebenen Richtung[S. 95] bewegten. Auch wurden zahlreiche Automobile festgestellt. Vom Ost-Kitovo aus, einem 6 km westlich Taveta gelegenen Berge, beobachtete auch das Kommando diese Bewegungen. Unsere Kampfpatrouillen, die Gelegenheit hatten, die feindlichen Kolonnen mit Erfolg zu beschießen und auch eine Anzahl Gefangene zu machen, stellten einwandfrei fest, daß an dieser Stelle die feindlichen Hauptkräfte anrückten und General Smuts anwesend war.
Noch am Nachmittag des 8. 3. beobachtete das Kommando starke feindliche Kolonnen von Europäern am Dzhallasee, die von dort in breit ausgedehnter Schützenlinie ein Stück in Richtung auf den Ostkitovo vorgingen. Bei dem Mangel an Artillerie mußten wir an diesem Tage und häufig auch noch später ruhig mit ansehen, daß der Feind in nicht zu großer Entfernung vor unserer Front wenig geschickte Bewegungen ungestraft ausführen durfte. Es war aber klar, daß diese umfassende Bewegung des Feindes die Stellung am Oldorobo, der wir im Verlaufe des Krieges eine Anzahl glücklicher Gefechte verdankten, nunmehr unhaltbar machte. Ich beschloß, die Truppen auf den Bergen, die westlich von Taveta die Lücke zwischen dem Nordparegebirge und dem Kilimandjaro sperrten, zu neuem Widerstand zu entwickeln. Abteilung Kraut erhielt telephonisch Befehl, am Wege, der von Taveta nach Neu-Steglitz führte, auf den Reata-Latema-Bergen Aufstellung zu nehmen. Nordwestlich des Latema-Berges, an der Straße, die von Taveta nach Himo führt, besetzte Abteilung Schulz die Berge von Nordkitovo und sicherte den Abmarsch der Abteilung Kraut. Diese Bewegungen wurden in der Nacht ungestört vom Feind ausgeführt. Auf unserem äußersten linken Flügel, an den Südosthängen des Kilimandjaro, sperrte die Kompagnie des Hauptmann Stemmermann die Straße, die von Mission Rombo nach Himo und Neumoschi führte. Mission Rombo wurde vom Feinde besetzt. Ein Teil der Eingeborenen machte kein Hehl daraus, daß sie nunmehr Leute der Engländer wären. Hierdurch wächst die Wahrscheinlichkeit dafür, daß in dieser Gegend schon seit langem englische Spionage und Beeinflussung der Eingeborenen tätig waren und daß die oft am Ostabhange des Kilimandjaro beobachteten Lichtsignale hiermit in Zusammenhang standen.
Die von uns eingenommene Bergstellung war durch das Gelände sehr begünstigt, hatte aber doch den großen Nachteil, daß unsere paar[S. 96] tausend Askari viel zu wenig waren, um die etwa 20 km breite Front wirklich zu füllen. Es konnten nur einige Punkte der vorderen Linie besetzt werden; die Hauptmasse der Truppe wurde bei Himo zur Verfügung gehalten, um sie, je nachdem sich die Lage entwickelte, einzusetzen. Es war eine Zeit großer Spannung. Vor uns hatten wir den weit überlegenen Feind, hinter uns, aus Richtung Longido nach Süden vordrückend, einen gleichfalls überlegenen Gegner, und unsere rückwärtige Verbindung, die zugleich unser Abmarschweg war, wurde, wie oben geschildert, in so empfindlicher Weise vom Feinde bedroht. Mit Rücksicht auf das Gelände, unsere Bekanntschaft mit diesem und in Anbetracht der augenscheinlich nicht allzu gewandten taktischen Führung des Feindes hielt ich es aber nicht für aussichtslos, diesen mindestens in einem seiner Teile gründlich zu schlagen. Die Stellungen der Linie Reata-Nordkitovo sollten deshalb zu zähem Widerstand ausgebaut werden. Von Tanga wurde eines der dort montierten Königsberggeschütze mit der Bahn heranbefördert. Mit Recht wird der Leser fragen, warum dies nicht längst geschehen war. Aber das Geschütz war ohne Räder und schoß von feststehendem Pivot aus, war also sehr unbeweglich. Es ist daher erklärlich, daß sein Einsatz so lange hinausgezogen wurde, bis über die Stelle kein Zweifel mehr bestand.
Die Lage entwickelte sich nun so schnell, daß das Geschütz gegen Taveta nicht mehr eingesetzt werden konnte. Es ist daher an der Bahn bei Kahe, am südlichen Ufer des Panganiflusses aufgebaut worden, von wo es später in den Gefechten von Kahe ausgezeichnet gewirkt hat.
Am 10. März erkundete der Feind gegen unsere gesamte Front. Berittene Abteilungen von etwa 50 Mann ritten heran, saßen dann ab und gingen in weit ausgedehnter Schützenlinie, die Pferde am Zügel, weiter vor, bis sie Feuer erhielten. Dies war ihr Zweck. Das Feuer verriet ihnen unsere Stellungen, wenn auch unvollkommen. Uns bot diese Art der Erkundung Gelegenheit zu Teilerfolgen, die dem Feind eine Anzahl Menschen kostete und uns einige 20 Pferde einbrachten. Von unserem Berge von Nordkitovo aus beobachteten wir genau, wie Teile unserer Schützenlinien, schwache Momente beim Gegner erkennend, rasch vorgingen und die feindlichen Erkundungsabteilungen von mehreren Seiten unter Feuer nahmen. Mir schien der Kräfteeinsatz dieser[S. 97] feindlichen Unternehmungen zu groß, um sie nur mit einer Erkundungsabsicht zu erklären; es machte mir den Eindruck, daß es sich um ernsthafte, aber etwas verunglückte Angriffsbewegungen handelte. Über die Richtung des weiteren feindlichen Hauptangriffes konnte noch keine Klarheit gewonnen werden. Eine Umfassung unseres linken (nördlichen) Flügels bot für den Feind sehr viel weniger taktische Schwierigkeiten, beraubte ihn aber des wirksamen Druckes auf unsere rückwärtigen Verbindungen. Die für uns unangenehmste Richtung von Taveta über Reata gegen Kahe bedingte für den Feind einen schweren und auch bei großer Überlegenheit wenig Erfolg versprechenden Frontalangriff gegen die befestigten Höhen von Reata und Latema. Es schien mir angezeigt, hinter der Abteilung des Majors Kraut, die auf der Höhe von Reata-Latema lag, den Hauptmann Koehl mit zwei Kompagnien so dicht heranzuschieben, daß er zum schnellen Eingreifen auch ohne Befehl in der Lage war. Die telephonische Verbindung mit unseren Abteilungen war für den Augenblick sichergestellt. Man mußte aber damit rechnen, daß sie zum mindesten sehr erschwert wurde, sobald eine Abteilung sich von den augenblicklichen Drahtlinien entfernte. Material zu schnellem Bau eines Kabels, das den Bewegungen hätte folgen können, war nicht verfügbar. Ebenso fehlte es uns an leichten Funkenstationen, durch die später die Engländer mit Erfolg die Bewegungen ihrer Kolonnen im Busch regelten.
Am 11. März früh erschien wieder ein Flugzeug über Neumoschi und warf einige Bomben. Ich sprach gerade mit einem alten Buren über das Gefecht vom 12. Februar und daß es von den Engländern doch unverantwortlich sei, eine solche Menge junger und in den Tropen ganz unerfahrener Leute den Einflüssen unseres Klimas und des Tropenkrieges so rücksichtslos auszusetzen. Von Reata her meldete Major Kraut, daß sich starke feindliche Truppen von Taveta her auf seine Stellungen zu bewegten. Bald erfolgte auch ein kräftiger feindlicher Angriff von mehreren tausend Mann gegen unsere in ihrer Stellung eingenisteten 3 Kompagnien. Unsere 3 leichten Geschütze konnten den Geschützkampf gegen die schwere Artillerie natürlich nicht aufnehmen und mußten sich wie bei dem Gefecht am Oldorobo darauf beschränken, mit ihren wenigen Granaten die günstigen Momente gegen feindliche dichtere Truppenmassen auszunutzen. Ich hielt den Angriff in dem mir[S. 98] bekannten schwierigen Gelände für wenig aussichtsvoll, doch wurden die zwei hinter der Abteilung des Majors Kraut zur Verfügung stehenden Kompagnien des Hauptmanns Koehl zum Angriff angesetzt. Hauptmann Koehl, der ursprünglich einen der Lage entsprechenden und entscheidenden Flankenstoß gegen den Feind beabsichtigt hatte, mußte sich in dem unbekannten und dichten Busch von dessen Unausführbarkeit überzeugen. Zeit und Ort und damit die Wirksamkeit seines Angriffes hätten ganz dem Zufall überlassen werden müssen. Richtigerweise marschierte er deshalb an Major Kraut zu dessen unmittelbarer Unterstützung heran. Auf Grund meiner Beobachtung von Nordkitovo aus und nach den einlaufenden Meldungen gewann ich das Bild, daß der Feind unsere Front von Reata bis Kitovo beschäftigen wollte, seine entscheidende Bewegung aber um unseren linken Flügel ausholte. Dorthin bewegten sich zunächst große Reitermassen, die auf den Höhen und Schluchten des südöstlichen Kilimandjaroabhanges abwechselnd sichtbar wurden und wieder verschwanden. Die 11. Kompagnie, Hauptmann Stemmermann, die sich oberhalb dieser Reiter am Hange befand, verhinderte, daß der Feind diesen erstieg. Im Laufe des Nachmittags hatte sich die Spitze der Reiter durch die dichten Bananenpflanzungen bis in die Gegend von Marangu vorgearbeitet. Anscheinend waren die Reiter sehr erschöpft. Es wurde beobachtet, daß sie sich zum Teil mit den vorgefundenen unreifen Bananen verpflegten.
Im Laufe des Nachmittags wurde es klar, daß ein starker Frontalangriff des Feindes sich gegen die Abteilung Kraut auf dem Reata- und Latemaberg richtete. Die eingehenden telephonischen Meldungen lauteten aber günstig: der Feind hatte augenscheinlich schwere Verluste; Hunderte von Tragbahren waren bei ihm zum Abtransport Verwundeter in Tätigkeit. Abends waren alle Angriffe des Feindes gegen unsere Front mit schweren Verlusten für ihn abgeschlagen. Bei Dunkelheit hatten die beiden Kompagnien der Abteilung Koehl energisch nachgedrückt und den sich von neuem setzenden Feind unter Maschinengewehrfeuer genommen. Ich hatte mich abends nach Himo zurückbegeben und war gegen 11 Uhr damit beschäftigt, den Befehl zum Angriff auf die bei Marangu festgestellten feindlichen Reiter in der Morgenfrühe des 12. März auszugeben. Da telephonierte Leutnant Sternheim, der Führer der Geschütze der Abteilung Kraut, daß der Feind in der Nacht noch[S. 99] einmal angegriffen habe und mit starken Massen in die Stellung bei Reata eingedrungen sei. Die Meldung ließ es als wahrscheinlich erscheinen, daß dieser starke Feind von Reata nun weiter in der Richtung auf Kahe drücken und uns von unserer Verbindung abschneiden würde. Dieses Risiko zu übernehmen und trotzdem den Angriff auf den Feind bei Marangu durchzuführen, erschien mir zu bedenklich. Ich gab daher Befehl zum Abmarsch der bei Kitovo und Himo stehenden Truppen noch während der Nacht an die Straße Kahe-Reata. Als Sicherung sollte in Himo die Kompagnie Stemmermann verbleiben. Der befohlene Abmarsch der Truppe mußte die unangenehme Folge haben, daß im günstigsten Falle für Stunden jede Verbindung des Kommandos mit den einzelnen Truppenteilen aufhörte. Wer diese Nachtmärsche im dichten Busch kennt, der weiß, wie leicht außerdem Teile ganz abreißen und dann auf absehbare Zeit überhaupt nicht wieder zu erreichen sind. Glücklicherweise war mir das Gelände wenigstens einigermaßen bekannt, als wir querfeldein auf die neue Straße herüberrückten und hierbei andauernd lebhaftes Feuer auf den Reata- und Latemabergen hörten. Einige Versprengte, die sich im Busch verlaufen hatten, kamen uns entgegen; unserer Angabe, daß wir Deutsche wären, glaubten sie nicht und verschwanden wieder. An der neuen Straße angekommen, trafen wir auf den Verbandplatz. Auch hier waren die Angaben der vielen Verwundeten so widersprechend und unklar, daß man nur den Eindruck eines sehr heftigen Nahkampfes im Busch hatte, aber über dessen eigentlichen Zusammenhang und Verlauf man nichts erfuhr. Allmählich gelang es, telephonische Verbindung mit Major Kraut zu erhalten. Dieser befand sich mit einem Teil seiner Abteilung am Südwesthange des Reataberges an der Straße Kahe-Taveta. Das Feuer auf den Höhen war allmählich verstummt, und seine Patrouillen hatten auf dem Reataberge nichts mehr vom Feinde gefunden. In der Morgenfrühe des 12. fand Major Kraut auf den Bergen einen Teil seiner Abteilung in den alten Stellungen wieder; der Feind war nach Taveta zurückgegangen.
Als ich gegen 6 Uhr früh auf dem Reataberge eintraf, wurde die zahlreich vorhandene Beute gesammelt. Das Durcheinander des nächtlichen Nahkampfes im Busch war sehr groß gewesen. Englische Gefallene, die weit hinter der Front der Abteilung Kraut im Busch lagen, zeigten an, wie weit einzelne Abteilungen des Feindes geraten waren. Feindliche[S. 100] Einzelschützen, die versteckt in den Felsen eingenistet waren, unterhielten ein gutgezieltes Feuer und waren nicht auszumachen. Es war klar, daß der feindliche Angriff mit schweren Verlusten für den Gegner abgewiesen worden war. Der Abtransport der eigenen und feindlichen Verwundeten ging glatt vonstatten, ebenso der der Gefangenen. Mit den aus der Gegend von Himo an die Straße Kahe-Reata durch dichten Busch heranrückenden Abteilungen bestand keine Verbindung, und es war nicht zu erwarten, daß diese vor Ablauf mehrerer Stunden hergestellt werden würde.
Bei dieser Lage war es zu bedauern, daß ich die Truppen unseres linken Flügels, die in der Gegend Kitovo-Himo gestanden hatten, an die Straße Kahe-Reata herangezogen hatte. Bei der Preisgabe der Höhen unseres linken Flügels war die Stellung von Reata auf die Dauer nicht zu halten, um so weniger, als unsere Stellung kein Wasser hatte, das eine Stunde weit von rückwärts herangebracht werden mußte. Um die in Marsch befindlichen Abteilungen des linken Flügels wieder abzudrehen und von neuem in die Gegend von Himo und Kitovo in Marsch zu setzen, dazu fehlte in diesem Augenblick die Verbindung, und es war, wie erwähnt, anzunehmen, daß sie nicht vor Ablauf von Stunden erreicht werden würde. Ich beschloß deshalb, die Stellung von Reata zu räumen, und ging nach Aufräumung des Gefechtsfeldes mit der am weitesten nach dem Feinde zu gelegenen Gefechtslinie bis an das südwestlich des Reataberges gelegene Wasser zurück. Im Laufe des Tages trafen dahinter die anderen Abteilungen an verschiedenen Punkten der Straße Kahe-Reata ein und bezogen Lager.
Das Kommando begab sich zur Pflanzung Neu-Steglitz. Das Pflanzungsgebäude liegt auf halbem Wege zwischen Kahe und Reata, auf einer kleinen Höhe, die einen weiten Überblick über den gerade an der Straße Kahe-Reata besonders dichten Wald gewährt. Auf dem Wege traf ich den Kapitän Schoenfeld, der mich von der Aufstellung seines 10,5 cm-Königsberggeschützes bei Dorf Kahe, am Südufer des Panganiflusses, unterrichtete. Der Feind besetzte nach unserem Abzug den Reataberg und schoß eine Weile mit Gewehren und leichten Geschützen ins Blaue hinein.
In den nächsten Tagen wurde der Vormarsch starker feindlicher Abteilungen von Taveta her nach Himo und das Aufschlagen großer Lager[S. 101] dort beobachtet. Gegen einen vorgelagerten, von uns nicht besetzten Berg, den kleinen Himo, entwickelte sich von Osten her über die dort ganz freie Ebene ein starker feindlicher Angriff, der nach langer und lebhafter Beschießung der leeren Höhe mit ihrer Inbesitznahme durch den Feind endete. Leider war es uns nicht möglich, mit raschen Truppenverschiebungen diesem Angriff aus unserem dichten Busch her schnell genug beizukommen. Vom kleinen Himo her beschoß leichte feindliche Artillerie häufiger unser Pflanzungsgebäude in Neu-Steglitz. In den wenigen Räumen dieses Gebäudes hatte ich vor Wochen nach erfolgreicher Büffeljagd eine gastliche Stunde verlebt. Der damalige eingeborene Jagdführer war zu den Engländern übergelaufen. Jetzt lag hier recht eng der Stab des Kommandos und seine Fernsprechzentrale. Ich selbst war so glücklich, mit Hilfe einer Chaiselongue und der Decke des Eßtisches ein leidlich bequemes Lager zu finden. Fernsprüche und Meldungen kamen ohne Unterbrechung Tag und Nacht; sie störten uns aber nicht dabei, uns wenigstens die materielle Seite des Daseins leidlich behaglich zu gestalten. Wir hatten ein Dach über uns, hatten auch die Benutzung einer europäisch ausgestatteten Küche und führten unsere gemeinsame Messe wie bisher in Neu-Moschi. Die eigenartigen ostafrikanischen Verhältnisse bedingen es, daß der Europäer dort eine nach europäischen Begriffen zahlreiche Bedienung hat. Auch jetzt im Felde hatte fast jeder zwei eingeborene Boys, die das mitgeführte Kochgerät und die Verpflegung verwalteten, vorzüglich kochten, Brot buken, wuschen und auch dem Leben im Busch einen großen Teil der Behaglichkeit verliehen, die man in Europa nur in Wohnhäusern vorfindet. Ich habe diese Erleichterungen des Daseins mitten im Busch so wenig wie möglich eingeschränkt mit Rücksicht auf Kräfte, Gesundheit und Stimmung der Europäer. Wenn der Stab des Kommandos trotzdem mehrfach Gebäude vorzog, so geschah dies weniger aus Gründen der Bequemlichkeit, als zur Erleichterung des nun einmal notwendigen Schreib- und Zeichenwesens.
Hier auf der Pflanzung Neu-Steglitz erreichte uns die überraschende Nachricht, daß ein zweites Hilfsschiff mit Waffen, Munition — dabei auch mehrere tausend Schuß für die nunmehr an Land verwandten 10,5 cm-Königsberggeschütze — und anderem Kriegsmaterial für uns im Schutzgebiet angelangt war. Das Schiff war im äußersten Süden unserer[S. 102] Küste in die Ssudibucht eingelaufen und hatte sofort begonnen, seine Vorräte an Land zu schaffen. Trotz der großen Entfernung und der ausschließlichen Verwendung von Trägern als Transportmittel ist die Ladung für die Truppe in vollem Umfange nutzbar gemacht worden. Dieses Ergebnis war bei den vielen feindlichen Schiffen, die unsere Küste blockierten und absuchten, und denen das Einlaufen unseres Hilfsschiffes bekannt war, erstaunlich. Aber auch den Engländern wird unser Schiff Anlaß zum Erstaunen gegeben haben. Nachdem die Ladung gelöscht war, lief es wieder aus und war zur nicht geringen Überraschung des Feindes verschwunden. Wenn bei den auch in England vorkommenden Neckereien zwischen Marine und Landtruppen den letzteren vorgeworfen wurde, daß sie nicht mit uns fertig würden, so wurde die Marine mit dem berechtigten Hinweise zum Schweigen gebracht, daß sie den Deutschen nicht soviel Zufuhr an Waffen und Munition hätte gestatten sollen.
Die Bestände des Hilfsschiffes gingen nun in der Hauptsache über Land zur Zentralbahn und wurden an dieser oder in deren Nähe zur Verfügung des Kommandos gestapelt. Bei unserem Mangel an geeigneter Artillerie war es besonders willkommen, die mit dem Schiff gelandeten 4 Feldhaubitzen und 2 Gebirgsgeschütze schnell heranziehen zu können.
Das Hilfsschiff hatte auch Kriegsauszeichnungen mitgebracht: ein Eisernes Kreuz 1. Klasse für den Kommandanten der „Königsberg“ und so viel 2. Klasse, daß die Hälfte ihrer Besatzung dekoriert werden konnte. Für die Schutztruppe kam ein Eisernes Kreuz 1. und eins 2. Klasse, die für mich bestimmt waren, außerdem eine Anzahl Auszeichnungen für Askari; für die Europäer traf erst im September 1916 funkentelegraphisch die Nachricht ein, daß die Dekorationsvorschläge des Kommandos genehmigt seien.
In unserem Rücken war Major Fischer mit seinen zwischen dem Kilimandjaro und Meru verwandten fünf Kompagnien vor der feindlichen Übermacht nach Neu-Moschi ausgewichen und nach Kahe herangezogen worden. Der ihm unterstellt gewesene Hauptmann Rothert[S. 103] war vor stark nachdrängenden Truppen mit seiner Kompagnie und der etwa gleichfalls kompagniestarken Abteilung Aruscha über Aruscha in der Richtung aus Kondoa-Irangi ausgewichen. Verbindung mit ihm war erst nach längerer Zeit über den Draht, der von Dodoma-Kondoa-Irangi nach Umbulu gebaut war, zu erwarten. Unsere Preisgabe von Neu-Moschi gab notgedrungen die Straße Taveta-Neu-Moschi-Aruscha dem Feinde frei. Dieser hatte somit die Möglichkeit, auch mit seinen von Taveta kommenden Truppen über Aruscha-Kondoa-Irangi in das Innere der Kolonie einzudringen und unser Nachschubwesen hier an einer äußerst empfindlichen Stelle zu treffen. Von uns, die wir in der Gegend von Kahe und Neu-Steglitz versammelt waren, hatte er hierbei nicht allzuviel zu befürchten. Gefährlich konnten wir ihm nur durch Angriff werden. Wenn wir nun auch alle Kompagnien von Tanga herangezogen und nur die unumgänglich nötigen Sicherungen dort zurückgelassen hatten, so konnten wir mit unseren 4000 Gewehren zwar den Feind im geeigneten Gelände anlaufen lassen, auch wohl, wenn er Fehler machte, diese durch geschicktes und schnelles Handeln ausnutzen, aber für mehr war das Kräfteverhältnis von 1 : 7 doch zu ungünstig. Von einem Angriff, der den nicht nur zahlenmäßig, sondern auch an Bewaffnung stark überlegenen Feind noch dazu in befestigten Stellungen vorfinden würde, konnte ich mir keinen Erfolg versprechen. Den Bitten mehrerer Kompagnieführer, anzugreifen, habe ich deshalb nicht nachgegeben. Aber dieser Ausdruck kühnen Soldatengeistes hat mich in der schwierigen Lage, in der wir uns befanden, gestärkt und gehoben. Kleinere Unternehmungen, die wir mit Patrouillen und einzelnen Abteilungen gegen die feindlichen Lager unternahmen, verliefen bedeutungslos, haben aber vielleicht dazu beigetragen, daß der Feind uns mit seinen Hauptkräften beachtete und nicht einfach an uns vorbeimarschierte. Von Himo schob er sich zwar weiter nach Westen vor, und es wurden auch starke Staubwolken beobachtet, die bis nach Neu-Moschi und weiter darüber hinaus nach Westen zogen. Ein großer Teil des Feindes bog aber aus der Gegend von Himo auf uns ab. Für den Führer sind solche Lagen außerordentlich spannend: man ist nicht Herr der Lage und muß notgedrungen auf die Initiative verzichten. Nur die allergenaueste Erkundung kann vielleicht eine Schwäche des Gegners enthüllen, und um diese auszunutzen und von neuem die Initiative zu gewinnen, darf[S. 104] keine Minute verloren werden. Glücklicherweise bot aber der Feind Schwächen, die wenigstens teilweise ausgenutzt werden konnten.
Die Fliegererkundung dürfte bei dem dichten Busch und dem mächtigen Hochwald, in deren Schutz sich unsere Lager befanden, dem Feinde kaum etwas genutzt haben. Die von den Fliegern geworfenen Bomben führten bei Kahe nur zu wenigen Verlusten und störten den über diesen Ort gehenden Abtransport unserer Bestände nicht. Um unser Feuer herauszulocken, erschienen wiederum nordwestlich Neu-Steglitz die bekannten englischen Reiter in weit ausgedehnter Schützenlinie. Ihnen gegenüber, im Busch versteckt, waren unsere Kompagnien bereit, sofort zuzufassen, sobald sich größere Abteilungen zeigten. Ein solcher Gegenstoß wurde am Spätnachmittag des 18. März durchgeführt, und zwar mit leidlichem Erfolge. Um das in Frage kommende Gelände gründlich kennenzulernen, waren Europäerpatrouillen andauernd unterwegs, und auch ich benutzte dazu jede verfügbare Minute. Durch das Dickicht wurden Wege geschlagen und bezeichnet. Hierdurch wurde die Möglichkeit geschaffen, klar zu bestimmen, an welchen Punkt man eine Abteilung hinschieben wollte.
Auch an der großen Straße, die von Himo nach Kahe führt, hatte sich ein starker Feind bis vor die Front der Abteilung Stemmermann vorgeschoben, die bei Kahe mit der Front nach Norden an dieser Straße in befestigter Stellung lag. Feindliche Patrouillen kamen recht gewandt in die unmittelbare Nähe der Abteilung und verschleierten zugleich den Feind. Als ich am Nachmittag des 20. März bei der Abteilung Stemmermann eintraf, herrschte keine Klarheit darüber, was vor der Front eigentlich los war. Es war sehr wohl möglich, daß der Feind hier nur demonstrierte, um uns an einer anderen, für uns empfindlicheren Stelle anzufassen. Ein solches Manöver wäre für uns sehr gefährlich gewesen, da es in dem unübersichtlichen Busch erst sehr spät, meist zu spät, bemerkt werden konnte. Ich beschloß, den feindlichen Patrouillenschleier vor unserer Front zurückzuwerfen, bis auf die eigentliche Stellung. Schon vorher wurde bekanntgegeben, daß um 1 Uhr nachts die Kompagnien wieder auf ihre bisherigen Stellungen abrücken sollten; die Maschinengewehre blieben, um nicht verloren zu gehen, und zur Sicherung in unseren Verschanzungen zurück. Es war heller Vollmond, als die Spitzenkompagnie Feuer erhielt, anscheinend durch eine feindliche[S. 105] Wache oder Patrouille, die abzog. Wir stießen noch mit mehreren Patrouillen zusammen, gelangten dann aber etwa 5 Kilometer nördlich unserer eigenen Verschanzungen auf einen stärkeren Gegner mit Maschinengewehren. Das sich nun entwickelnde recht heftige Gefecht zeigte uns, daß wir auf die Hauptstellung des Feindes gestoßen waren; ein Sturm auf diese schien mir aussichtslos. Unter Belassung von Patrouillen baute ich wieder ab. Unter unseren nicht unerheblichen Verlusten befanden sich leider auch drei schwer ersetzbare Kompagnieführer, von denen die Oberleutnants von Stosch und Freiherr Grote nach wenigen Tagen an ihren Wunden starben, während Hauptmann Augar erst nach langer Zeit durch einen künstlichen Fuß wieder zum Dienst verwendbar wurde.
Unser Abbauen, das der Feind wohl für unfreiwillig hielt, hat in ihm anscheinend den Glauben hervorgerufen, uns durch einen energischen Angriff am nächsten Tage über den Haufen werfen zu können. Am 21. März waren die Angriffe starker feindlicher Kräfte gegen die Front der Abteilung Stemmermann bei Kahe erfolglos: sie wurden mit schweren Verlusten für den Feind, der in der Hauptsache aus südafrikanischer Infanterie bestand, zurückgeschlagen. Unser 10,5 cm-Königsberggeschütz, dessen Feuer von erhöhten, Übersicht gewährenden Standpunkten aus geleitet wurde, beschoß den feindlichen Anmarsch mit anscheinend gutem Erfolg. Man darf annehmen, daß von den schweren Verlusten, die die Engländer an südafrikanischen Europäern allein auf mehrere hundert Mann an diesem Tage angaben, ein Teil auch diesem Geschütz zu danken ist. Der Feind erkannte, daß ein erneutes Vorgehen über das 500 Meter breite Schußfeld vor unseren Schützengräben keine Aussicht bot und versuchte, unsere rechte Flanke zu umfassen. Aber auch unser Gegenstoß war durch Erkundungen und Festlegen von Wegen gut vorbereitet und traf am Nachmittag von der Abteilung Schulz aus wirksam in die feindliche Flanke. Der letzte Teil des Vorgehens der Abteilung Schulz war durch den dichten Busch allerdings sehr mühsam gewesen. Die Askari konnten sich nur schrittweise hindurcharbeiten, als sie plötzlich die feindlichen Maschinengewehre nur noch wenige Schritte vor sich arbeiten hörten.
Leider gelangte aber dieser Gegenangriff wegen der inzwischen auf unserem linken Flügel stattgehabten Ereignisse nicht zur Durchführung. Die Patrouillentätigkeit der letzten Tage und die Staubwolken hatten[S. 106] gezeigt, daß aus der Gegend von Neumoschi her starke berittene feindliche Abteilungen westlich der Bahn Kahe-Neumoschi unsere nach Norden gerichtete Front umgehen wollten, deren linker Flügel bei Bahnhof Kahe war. Diese Bewegung hätte bei weiterer Durchführung hinter unserem Rücken an die Eisenbahn geführt und uns von unseren rückwärtigen Verbindungen abgeschnitten, während wir mit Front nach Norden gegen einen überlegenen Feind fochten. Ich hatte deshalb eine starke Reserve von 8 Kompagnien bei Bahnhof Kahe bereitgestellt. Da ich es aber für notwendig hielt, mich im Gefecht persönlich bei Dorf Kahe, in der Nähe der Abteilung Stemmermann, aufzuhalten, so konnte ich nicht unmittelbar und schnell über die bei Kahe stehenden Reserven verfügen. Dichte Geländebewachsung machte jede Übersicht unmöglich. Die Verfügung über die Reserve bei Kahe mußte der Initiative des dortigen Führers und seiner Unterorgane überlassen bleiben. Diese hatten beobachtet, daß feindliche Truppen durch den Busch vorgehend einen südwestlich Bahnhof Kahe gelegenen Hügel besetzt hatten. Eine Kompagnie war gegen diesen Feind selbständig vorgegangen, aber sein Schrapnellfeuer brachte ihr Vorgehen zum Scheitern. Darauf beschoß unser 10,5 cm-Geschütz diese leichten feindlichen Geschütze und warf sie zurück.
Am späten Nachmittag gelangte an mich die dringende Meldung, daß der Feind mit starken Kräften in unseren Rücken gegen die Bahn bei Kissangire vorgehe und der von uns befürchtete Fall eingetreten war. Notgedrungen mußte ich den sofortigen Abmarsch auf Kissangire anordnen. Ich wollte den dortigen Feind, der im Augenblick noch nicht stark sein konnte, durch rasches Zufassen mit allen Kräften schlagen. So kam es, daß der oben erwähnte, gut angesetzte Gegenstoß der Abteilung Schulz nicht bis zur vollen Wirksamkeit durchgeführt wurde. Der nächtliche Abmarsch unserer Kräfte über den dicht hinter uns liegenden Panganifluß, über den schon vorher eine Anzahl Übergänge und Brücken hergestellt worden waren, vollzog sich glatt und ohne Störung. Noch am nächsten Tage fanden unsere zurückgelassenen Patrouillen das Nordufer des Pangani vom Feinde frei. Unser gutes 10,5 cm-Geschütz, das wir seiner Unbeweglichkeit wegen nicht mitnehmen konnten, wurde gesprengt. Nach Mitternacht, also am 22. März ganz früh, traf ich auf dem Bahnhof Kissangire ein und ersah zu meinem[S. 107] größten Erstaunen, daß alle Meldungen über die starken feindlichen Truppenbewegungen nach Kissangire irrtümlich, unser Abmarsch also unnötig gewesen war. Es ist mir dies ein besonders schlagender Beweis dafür gewesen, wie außerordentlich schwer die Beobachtung von Truppenbewegungen in dem dichtem Busch ist, und wie vorsichtig jeder Führer bei der Bewertung solcher Meldungen sein muß. Dieser Fall zeigt aber auch, wie schwer es für jeden Führer ist, sich aus der eigenen Kombination und Beurteilung der Lage, sowie den sich stets widersprechenden Meldungen der Askari und auch der Europäer eine Grundlage für seinen Entschluß zu schaffen, die der Wirklichkeit auch nur annähernd entspricht. Gerade im afrikanischen Busch ist es wichtig, die vorliegenden Meldungen, wenn irgend durchführbar, durch eigene Beobachtungen zu ergänzen.
Unser Abmarsch war nun aber nicht zu ändern, und es galt, die Kräfte von neuem zu gruppieren. Hierbei spielten die Wasserverhältnisse eine entscheidende Rolle. Mit Rücksicht auf diese und auf die erforderliche Staffelung in die Tiefe blieb nur eine Abteilung von wenigen Kompagnien auf den Höhen von Kissangire und beobachtete von hier aus die sich 12 km bis zum Pangani erstreckende wasserarme Dornbuschsteppe. Östlich dieser bei Kissangire stehenden Abteilung des Majors von Boemcken wurde die Abteilung Otto auf die Berge von Nordpare hinaufgeschoben und sperrte die über das Gebirge führenden Pässe. Major Kraut nahm aus dem zwischen dem Gebirge von Nordpare und dem von Mittelpare durchführenden Ngulupaß Aufstellung. Das Gros der Truppe bezog in der fruchtbaren Gegend von Lembeni mehrere befestigte Lager.
Trotz dem mehrfachen Zurückgehen in der letzten Zeit war der Geist der Truppe gut, und die Askari waren beseelt von einem berechtigten Stolz auf ihre Leistungen im Kampf gegen einen so vielfach überlegenen Feind. Nur ganz vereinzelte liefen zu ihm über, fast ausnahmslos Leute, deren Vieh in dem jetzt vom Feind besetzten Gebiete stand und die deshalb für ihr Eigentum fürchteten.
Die deutsche Zivilbevölkerung hatte die Gegend des Kilimandjaro verlassen und war in der Hauptsache nach Usambara, in die Gegend von Wilhelmsthal abgewandert. Auch die Gegend von Aruscha war geräumt worden, und die Farmer waren mit Ochsenwagen über Kondoa-Irangi[S. 108] nach Dodoma abgezogen. Die zahlreich vorhandenen Griechen waren meist auf ihren Kaffeepflanzungen am Kilimandjaro, die Buren englischer Nationalität auf ihren Viehfarmen geblieben, die sich vom Nordwesthang des Kilimandjaro nördlich um den Meruberg herum und an dessen Westabhängen entlang bis in die Gegend von Aruscha hinzogen. In Lembeni war der regelmäßige Betrieb nicht unterbrochen worden; Verpflegungszüge rollten bis zur Station heran; Kompagnien, die nicht in vorderster Linie standen, arbeiteten fleißig an ihrer Ausbildung, und das Kommando setzte seine Tätigkeit wie in Moschi jetzt im Eisenbahngebäude von Lembeni fort. Flieger erschienen und warfen Bomben, genau wie vorher.
Das Gelände wurde sorgfältig für verschiedene Gefechtsmöglichkeiten vorbereitet, Durchgänge durch den dichten Nashornbusch und Schußfeld geschaffen. Persönliche Erkundungen nahmen viel Zeit in Anspruch und führten mich häufig zu den im dichten Busch und an den beherrschenden Höhen lagernden Kompagnien. Die Anpassungsfähigkeit der Truppe und die Kunst, sich nach Möglichkeit auch die materielle Seite des Lebens angenehmer zu machen, hatten sich schon leidlich entwickelt. Gern denke ich an die Gelegenheiten zurück, wo mir in einer behaglich eingerichteten Grashütte eine Tasse Kaffee mit schöner, fettreicher Milch, die aus dem zerriebenen Fleisch der reifen Kokosnuß hergestellt war, gereicht wurde. Auch auf die Berge von Nordpare führten mich meine Gänge häufiger. Hier fand ich eine üppige und wasserreiche Zone vor, durch welche abseits vom Wege kaum durchzukommen war. Der Wasserreichtum des Landes erwies sich als viel größer, als auf Grund früherer Erkundungen erwartet wurde; auch hier zeigte es sich, wie die durch den Krieg geschaffene Notwendigkeit die Hilfsquellen eines Landes aufschließt und so zu einer Bewertung derselben führt, die die früheren Abschätzungen weit übersteigt. Die Eingeborenen von Nordpare sind genau wie die des Kilimandjaro Meister darin, durch das von den Bergen kommende Wasser ihre Felder künstlich zu berieseln.
Am 4. April führte mich einer meiner Erkundungsgänge zur Abteilung Otto auf die Pareberge. Von deren Nordwestecke hatte man klaren Einblick in das unten liegende feindliche Lager beim Bahnhof Kahe. Der naheliegende Gedanke, dieses mit einem unserer weittragenden[S. 109] Geschütze zu beschießen — wir hatten inzwischen ein fahrbar gemachtes 10,5 cm-Königsberggeschütz, sowie ein auf Lafette C/73 gestelltes 8,8 cm-Geschütz nach Lembeni herangezogen —, war leider nicht durchführbar. In etwas zu großem Eifer hatte die Truppe den Bahnkörper, der von Lembeni nach Kahe führte, gründlich zerstört. Mit unseren Mitteln konnte er nicht wieder so weit fahrbar gemacht werden, um das schnelle Vor- und Zurückschieben eines unserer Geschütze zu gestatten.
Alle unsere Beobachtungen und Meldungen stimmten darin überein, daß der Feind, der früher oft südlich des Djipesees mit Patrouillen und auch stärkeren Abteilungen aufgetreten war, für diese Gegend kein Interesse mehr zeigte. Jedenfalls war er mit seinen Hauptkräften auf Kahe sowie über Neumoschi hinaus weiter nach Westen auf Aruscha zu marschiert.
Nach einer kalten Nacht auf der feuchten Höhe bei Nordpare stieg ich am 5. April wieder nach Lembeni hinab. Hier war Meldung eingegangen, daß am Tage vorher Hauptmann Rothert, der mit der 28. Kompagnie bei dem Lolkisale, einem zwei Tagemärsche südwestlich von Aruscha in der Massaisteppe gelegenen hohen Berge, lagerte, durch einen stärkeren Gegner angegriffen worden war. Die vom Lolkisale nach Südwesten führende heliographische Verbindung hatte dann aufgehört. Erst später stellte sich folgendes heraus. Mehrere berittene feindliche Kompagnien waren von Aruscha kommend aus der Steppe gegen unsere auf dem Berge liegende 28. Kompagnie von verschiedenen Seiten vorgegangen. Da die Unsrigen das Wasser besaßen, konnten sie das Gefecht gegen den Feind, der ohne Wasser war, gut aushalten. Am zweiten Gefechtstage wurde die Lage für den Gegner, eben seines Wassermangels wegen, kritisch. Leider wurden aber nach schwerer Verwundung des Hauptmanns Rothert diese Verhältnisse deutscherseits nicht richtig gewertet. Man hielt die Lage für so hoffnungslos, daß die Kompagnie mit ihren Maschinengewehren und ihrer Munition die Waffen streckte. Auch bei dieser Gelegenheit zeigten einige Askari die Früchte ihrer gesunden militärischen Erziehung und machten die Übergabe nicht mit. Sie sind ebenso wie die Verwundeten, ungestört durch den Feind, in der Gegend von Ufiome zu unseren Truppen gestoßen. Dort trafen sie eine junge Schützenkompagnie, die von der Zentralbahn,[S. 110] und die Abteilung Aruscha, die von Aruscha her sich bei Ufiome gesammelt hatten.
Der Weg auf Kondoa-Irangi und in das Innere der Kolonie war für den von Aruscha her eindringenden Feind kaum noch gesperrt. Es wurden deshalb aus der Gegend des Kiwusees, an der Nordwestecke der Kolonie, drei Kompagnien unter dem in den Gefechten bei Kissenji bewährten Hauptmann a. D. Klinghardt durch Fußmarsch und auf Tanganjikadampfern nach Kigoma und von dort weiter mit der Bahn nach Saranda geschafft. Von hier marschierten sie weiter auf Kondoa-Irangi vor. Die jetzt schon nördlich Kondoa-Irangi befindlichen Truppen (etwa zwei Kompagnien), sowie eine von Daressalam her mit der Bahn herangeschaffte Kompagnie wurden auch Hauptmann Klinghardt unterstellt. Diese Bewegungen erforderten lange Zeit zur Ausführung. Es wurde daher sogleich auch die gute und bewährte 13. Kompagnie, deren Friedensstandort Kondoa-Irangi gewesen war, mit der Bahn von Lembeni in die Gegend Buiko geschafft; sie marschierte von dort weiter durch die Massaisteppe nach Kondoa-Irangi. Dieser Marsch durch das wasserarme und wenig bekannte Gebiet mußte angetreten werden, bevor die im Gange befindlichen Erkundungen geschlossen waren. Er bedeutete für die nach afrikanischen Begriffen große Kopfzahl, wie sie eine Kompagnie mit ihren Trägern darstellte, jetzt in der trockensten Zeit, vor Einsetzen der großen Regen, ein gewisses Wagnis.
Dieses Wagnis mußte aber unternommen werden, weil der uns bei Kahe gegenüberstehende Feind, nachdem seine Erkundungsabteilungen mehrfach abgewiesen worden waren, augenscheinlich keine Miene machte, gegen uns vorzugehen. Der Feind legte also zur Zeit sein Hauptgewicht auf Kondoa-Irangi. Da für uns aus schon früher dargelegten Gründen ein Angriff von Lembeni gegen Kahe unzweckmäßig erschien, beschloß ich, den im Kilimandjarogebiet stehenden Feind lediglich zu beschäftigen und mich mit den Hauptkräften gegen die feindliche Gruppe, die inzwischen bis in die Gegend von Kondoa-Irangi vorgedrungen war, zu wenden. Die Ausführung dieser Absicht war nicht ganz leicht; für den über 200 km langen Marsch von den Ausladestationen der Nordbahn zur Zentralbahn war viel Zeit erforderlich, und jeden Moment konnte eine Änderung der Lage sofortige neue Anordnungen[S. 111] des Kommandos notwendig machen. Alle Truppen mußten daher erreichbar bleiben. Die einzelnen Teile konnten nicht, wie seinerzeit bei dem Marsch von der Zentralbahn zur Nordbahn, auf weit getrennten Straßen in Bewegung gesetzt werden. Der Marsch unserer 15 Feld- und zwei berittenen Kompagnien mußte auf einer Straße stattfinden. Das stellte die Truppe vor eine ganz neue und schwierige Aufgabe. Zeit war nicht zu verlieren. Die zu vier und drei Feldkompagnien formierten Abteilungen des Hauptmanns von Kornatzky, Hauptmanns Otto, Oberstleutnants von Bock und Hauptmanns Stemmermann wurden mit Tagemarschabständen per Bahn von Lembeni nach Mombo und Korogwe abtransportiert. Von dort marschierten sie nach Kimamba (Station westlich Morogoro) zur Zentralbahn weiter. Mannigfaltige Reibungen traten ein. Unbedingt festliegende Marschziele der Abteilungen konnten für die einzelnen Tage um so weniger vorgeschrieben werden, als schwere Regen einsetzten, die den schwarzen Boden stellenweise so aufweichten, daß buchstäblich kaum vorwärts zu kommen war.
So kam es, daß die eine Abteilung ganz kleine Märsche machte und die nachfolgende auflief. Dies war recht unangenehm und störte die geregelte Verpflegung auf der Etappenstraße sowie den Transport des Kompagniegepäcks, für den die Relaisträger der Etappe in Anspruch genommen werden mußten. Die Kompagnien fingen nun an, nach alter afrikanischer Sitte sich selbst zu helfen, ergriffen ohne Rücksicht auf sonstige Anordnungen die Etappenträger und behielten sie einfach bei sich. Der gesamte Betrieb der Etappenlinie, der auf regelmäßigem Arbeiten der Relaisträger beruhte, wurde hierdurch stark in Mitleidenschaft gezogen.
Nachdem alle Transporte von Lembeni abgerollt waren, übergab ich die Führung aller an der Nordbahn stehenden Truppen an Major Kraut. Auch eine eigene Intendantur wurde für sie eingerichtet. Unsere Eisenbahnfahrt nach Korogwe führte uns noch einmal vor Augen,[S. 112] wie fest die deutsche Bevölkerung der Nordgebiete mit der Truppe verwachsen war und wie sie deren Leistungen würdigte. An jede Station waren die Leute, manchmal von weit her, gekommen; jeder war sich klar darüber, daß unser Abschied von den Nordbezirken ein endgültiger wäre und die Bezirke in Feindeshand fallen würden. Trotzdem war die Stimmung eine gehobene. Vieles von dem wenigen, was an Europäerverpflegung noch vorhanden war, wurde herangebracht. Die Witwe des kürzlich in Buiko beerdigten bisherigen Linienkommandanten Kroeber ließ es sich nicht nehmen, uns noch die letzten Flaschen aus dem Bestande ihres Kellers anzubieten.
Major Kraut und Kapitän Schoenfeld begleiteten mich bis Buiko, von wo aus wir verschiedene, mir für die weiteren Operationen wichtig erscheinende Geländepunkte in Augenschein nehmen konnten. Die Herren blieben dann zu persönlicher näherer Erkundung zurück. Von Korogwe führten uns unsere Automobile schnell nach Handeni, dem Endpunkte der von Mombo aus gelegten Feldbahn. Unterwegs überholten wir unsere berittenen Kompagnien, und der Ausruf des Beamten der Zivilverwaltungsstelle von Handeni: „Das ist ja der berühmte Wilddieb van Rooyen“, zeigte mir von neuem, daß unter unseren Reitern gefahr- und jagdgewohnte Leute waren, auf die bei den kommenden Anforderungen Verlaß war. In Handeni war der erste Sammelpunkt der von Norden abtransportierten Bestände. Major von Stuemer, der seinen bisherigen Posten von Bukoba mit der Leitung unserer im Augenblick wichtigsten Etappenstraße vertauscht hatte, klagte nicht wenig über die Störung, die ihm unsere durchmarschierenden Truppen für den Weitertransport der Bestände bereiteten. In Handeni, dem Sitz der Verwaltungsstelle, wo die Etappenstraßen von Morogoro, Korogwe und Kondoa-Irangi auf den Kopf der Feldbahn Mombo-Handeni trafen, hatte sich durch den Krieg ein Europäerviertel von fast städtischem Anstrich entwickelt. Die durch Oberleutnant zur See Horn in norwegischem Stile erbauten Häuschen boten einen reizenden Anblick, der im Augenblick allerdings durch den strömenden Regen beeinträchtigt wurde. Im Innern waren die Häuser, deren jedes meist aus drei Räumen bestand, behaglich für die Unterbringung von Europäern eingerichtet. Unangenehm war die enorme Masse von Ratten, die des Nachts häufig über den Schläfer hinwegliefen. Hauptmann von Kaltenborn,[S. 113] der mit dem in Ssudi gelandeten zweiten Hilfsschiff angekommen war, meldete sich hier bei mir und konnte die von ihm schon vor einiger Zeit übersandten Heimatsberichte durch mündliche Nachrichten ergänzen.
Am nächsten Tage überholten wir im Auto eine Anzahl unserer marschierenden Abteilungen und konnten die zwischen ihnen entstandenen Reibungen wenigstens teilweise beseitigen. Fernsprechverständigung glückte infolge der durch den starken Regen hervorgerufenen Ableitungen, sowie Zerreißen des Drahtes durch Trägerkolonnen, einzelne Wagen und Giraffen, nur selten. Um so wichtiger war es für mich, durch diese Strecke der Störungen, die mich von der Truppe und den eingehenden Meldungen abschnitt, rasch hindurchzukommen. Das aber wurde immer schwieriger.
Immer heftiger strömten die Regen, und immer grundloser wurden die Wege. Anfangs waren es nur einige wenige schlechte Stellen; dann zogen und schoben 20 und mehr Träger unser Auto. Die Niampara (Trägerführer) gingen in tanzendem Schritt und mit Gesang voraus. Die ganze Gesellschaft stimmte in das „Amsigo“ und „Kabubi, kabubi“ ein, und unter dem Rhythmus dieser Gesänge ging die Arbeit bei bester Laune anfangs glatt vonstatten. Als wir aber Tuliani passierten, hatten die Regengüsse einen sonst ganz flachen Fluß derartig angeschwellt, daß seine reißenden Wasser des Vormittags die fahrbare Brücke vollständig weggerissen hatten. Wir fällten einen der großen am Ufer stehenden Bäume, aber er war nicht lang genug, um sich beim Fallen mit seiner Krone auf dem jenseitigen Ufer fest zu verankern. Wie ein Streichholz wurde der meterstarke Stamm fortgetrieben. Der Adjutant, Oberleutnant Müller, versuchte den Fluß zu durchschwimmen, wurde aber gleichfalls abgetrieben und kam an unser Ufer zurück. Nun versuchte es Hauptmann Tafel, der von seiner schweren Verwundung wieder hergestellt war und beim Kommando die Operationen bearbeitete. Er erreichte das andere Ufer, und auch einigen Eingeborenen, guten Schwimmern, glückte dies. Aber es gelang nicht, durch die Schwimmer eine Leine ans andere Ufer zu bringen, und so saßen wir fest, Hauptmann Tafel ohne jede Kleidung auf dem anderen Ufer und wir auf diesem. Die Aussicht, abzuwarten, bis das Wasser abgelaufen war, war nicht verlockend, durfte ich doch keine Minute verlieren, um den Anfang der in Marsch befindlichen Abteilungen zu überholen. Da rückte spät am[S. 114] Nachmittag ein Eingeborener damit heraus, daß etwas unterhalb eine ihm bekannte Furt wäre. Das Durchwaten war dort nicht ganz einfach und dauerte mindestens dreiviertel Stunde; unter erheblichen Umwegen mußten wir dem Führer genau folgen und uns vorsichtig von Untiefe zu Untiefe weiterarbeiten. Das Wasser, das uns bis zu den Schultern reichte, war so reißend, daß man der vollen Kraft bedurfte, um nicht umzufallen. Endlich erreichten wir bei Dunkelheit mit völlig durchnäßten Sachen das andere Ufer. Dorthin waren uns von einer noch glücklicherweise telephonisch erreichten Abteilung drei Maultiere und Begleitaskari entgegengeschickt worden.
Beim Weitermarsch, der im strömenden Regen die ganze Nacht hindurch dauerte, hatten wir mehrfach stundenweit bis zum Sattel durch Wasser zu reiten oder bis zum Hals durch Wasser zu gehen, erreichten aber doch schließlich noch in der Nacht die große im Kriege erbaute Wamibrücke. Sie war auch fast ganz fortgerissen, aber doch ein Rest stehengeblieben, so daß wir hinüberklettern und zur Feldbahn, die zur Station Kimamba führte, gelangen konnten. Auch diese Feldbahn war, wie die Bahn Mombo-Handeni, im Kriege entstanden und wurde mit der Hand betrieben. In dem Bestreben, es recht gut zu machen, nahmen die guten Leute mehrere Kurven etwas zu hastig, und wiederholt sausten die Loren mit allem, was sich auf ihnen befand — dazu gehörten auch wir —, in den angrenzenden Graben oder auch darüber hinaus. Jedenfalls hatten wir reichlich genug von dieser Wasserreise, als wir in der Morgenfrühe in Kimamba anlangten. Der dort stationierte, zur Truppe eingezogene Vizefeldwebel Rehfeld nahm uns aufs freundlichste auf. Da sich in Kimamba ein Bekleidungsdepot befand, konnten wir uns mit Askarisachen wenigstens trocken einkleiden. Wann der Rest des Kommandos mit unseren Sachen ankommen würde, war ja nicht abzusehen.
Nach Rücksprache mit dem Gouverneur, der sich zu diesem Zweck nach Kimamba begeben hatte, fuhr ich am nächsten Tage nach Dodoma. An der Zentralbahn war das schnelle kriegsmäßige Arbeiten, das im Norden jedermann in Fleisch und Blut übergegangen war, noch wenig zum Leben erwacht. Die kurz vor uns in Dodoma eingetroffene Abteilung des Hauptmanns von Kornatzki hatte einige Schwierigkeiten in der Verpflegungsbeschaffung, obgleich Dodoma dort an der Bahn[S. 115] lag und schnell Nachschub erhalten konnte. Mit Hauptmann Klinghardt, der einen Tagemarsch südlich Kondoa-Irangi die Höhen von Burungi besetzt hatte, setzte ich mich in telephonische Verbindung, und am nächsten Tage des Vormittags ritt ich mit einigen Offizieren des Kommandos von Dodoma zu ihm ab.
Der Weg führte uns durch eine menschenleere Buschsteppe. Die im Kriege gebaute Landstraße hatte die bautechnisch günstigste Trace gewählt und berührte Ansiedlungen nur selten. Das Land Ugogo zeichnet sich durch großen Viehreichtum aus. Seine Bewohner gehören zu den Nomadenstämmen, die in ihren Sitten die Massai nachahmen und daher häufig Massaiaffen genannt werden. Zahlreiche Ochsenwagen kamen uns entgegen, in denen deutsche und burische Farmer, aus der Gegend des Meruberges, mit ihren Familien nach Kondoa fuhren. Es war das von Südwestafrika bekannte Bild behaglichen „Treckens“ mit diesen für die Verhältnisse der Steppe so überaus geeigneten Fahrzeugen.
Das Etappenwesen zur Abteilung Klinghardt war noch nicht eingespielt; in der ersten der kleinen Etappenstationen lagerten wir des Nachts. Es zeigte sich, daß das Nachschubwesen sehr gesteigert werden mußte, wenn auf ihm die Verpflegung so starker Truppenmassen, wie sie jetzt auf Kondoa-Irangi vorgeführt wurden, basiert werden sollte. Hierzu kam eine neue Schwierigkeit: den gewaltigen Anforderungen, die das gesamte Verpflegungs- und Nachschubwesen an den Leiter desselben stellte, waren die bisherigen Feldintendanten gesundheitlich nicht gewachsen gewesen. Dem Hauptmann der Landw. Schmid waren sehr bald Hauptmann d. Landw. Feilke, diesem Hauptmann d. Res. Freiherr von Ledebur und dann Hauptmann a. D. Richter, ein älterer Herr, gefolgt. Der letztere war leider jetzt, bei Beginn einer wichtigen neuen Operation, am Ende seiner Kräfte angelangt. Seine Geschäfte hatte der hierin zunächst nicht eingearbeitete Major a. D. von Stuemer, der in Handeni im Etappendienst tätig gewesen war, übernehmen müssen.
Am nächsten Tage abends hatten wir den 4 Tagemärsche langen Weg zurückgelegt und trafen an den Burungibergen bei Hauptmann Klinghardt ein. Das Aufschließen der uns folgenden, aus dem Bereich der Nordbahn kommenden Abteilungen mußte längere Zeit dauern, und[S. 116] so ergab sich die Möglichkeit zu ergiebigen Erkundungen. Sehr willkommen war es, daß wir hier die Bekanntschaft einer ganz neuen, vortrefflichen Karte machten. Der Bezirksamtmann von Kondoa-Irangi hatte sie mit anderen Sachen beim Verlassen seines Amtssitzes einem Jumben (Häuptling), der an den Burungibergen saß, zur Aufbewahrung gegeben. Bei diesem fanden wir glücklicherweise das wertvolle und so geheimgehaltene Material.
Englische berittene Europäerpatrouillen kamen mehrfach in die Nähe unserer Stellungen, und man wußte, daß dahinter stärkere berittene feindliche Abteilungen standen. Wo diese sich aber befanden, war nicht bekannt. Manche Nachrichten besagten: in Kondoa-Irangi, andere: südlich dieses Ortes, und wieder andere: an der Straße, die von Kondoa-Irangi nach Saranda führt. Es war von Wichtigkeit, daß sich bei Burungi größere Eingeborenenpflanzungen befanden, so daß dort viel Verpflegung vorhanden war. Man brauchte nicht abzuwarten, bis der von Dodoma her angesetzte Verpflegungsnachschub voll in Wirksamkeit trat. Die Truppe konnte sich mehr als bisher hiervon freimachen und hauptsächlich aus dem Lande leben. Sobald die nachfolgenden Abteilungen aufgeschlossen waren, wurde der Vormarsch auf Kondoa angetreten. Südlich des Ortes stießen wir nur auf stärkere berittene Sicherungsabteilungen, die schnell zurückgeworfen wurden, und gelangten Anfang Mai ohne ernstere Gefechte in den Besitz der großen Höhen, die dem Ort Kondoa auf 6 km vorgelagert sind.
Wir hatten zwei Marinegeschütze, ein 8,8 cm und ein 10,5 cm, auf fahrbaren Lafetten mitgeführt und sogleich in Stellung gebracht. Diese beschossen aus unseren überhöhenden Stellungen mit anscheinend gutem Erfolge die feindlichen Lager südlich Kondoa. Die Zelte wurden sofort niedergelegt. Man beobachtete, wie der Feind eifrig seine Stellungen verschanzte und wie seine Fahrzeuge in der Richtung auf Kondoa zurückeilten. Mehrere Patrouillengefechte waren für uns erfolgreich, und kleine feindliche Postierungen wurden schnell geworfen, die hier und da noch vorgeschoben waren. Von Süden, also von rückwärts her, sahen wir eine Reiterpatrouille auf unsere Stellung zureiten. Da auch unsere berittenen Patrouillen unterwegs waren, glaubte ich zuerst, es wären Deutsche. Bald aber verriet uns die gleichmäßige Haltung der in Gewehrschuhe gesteckten Karabiner, daß es Engländer waren. Diese[S. 117] hatten von unserer Anwesenheit augenscheinlich keine Ahnung. Sie wurden auf ganz nahe Entfernung herangelassen und verloren bei der geringen Feuerentfernung ungefähr die Hälfte ihres Bestandes. Nach den bisherigen Beobachtungen war es wahrscheinlich, daß der Feind vor uns seine Stellung räumte. Ich beschloß am 9. 5. 1916, falls sich diese Beobachtung bestätigen sollte, die niedrigen, jetzt vom Feinde besetzten Höhen sogleich selbst zu besetzen. Für einen Angriff waren die Verhältnisse nicht günstig, da unser Vorgehen bemerkt werden mußte und ein überraschender Sturm ausgeschlossen war. Ohne Überraschung aber bot ein Versuch, die besetzte Stellung zu stürmen, keine Aussicht auf Erfolg; der Feind hatte sich genügend auf den kleinen Höhen verschanzt, und diese beherrschten völlig das für den Nahkampf in Betracht kommende Gelände, das bei dem niedrigen Dornbusch und den zahlreichen Felsstücken nur langsam zu durchschreiten war.
Ich befand mich bei den Kompagnien, welche den vorn befindlichen Sicherungspatrouillen folgten; diese meldeten kurz vor Einbruch der Dunkelheit, daß die Höhen vom Feinde geräumt seien. Unsere Kompagnien blieben daher in Marsch; die Führer gaben Befehl, die Bagage heranzuziehen, um sich für die Nacht einzurichten. Ich selbst begab mich zum Lager des Kommandos, das auf den etwas rückwärts gelegenen großen Höhen geblieben war. Meine große Erschöpfung suchte ich durch eine Tasse Kaffee mit etwas Rum zu bekämpfen, schlief aber mit dem Bewußtsein, daß nichts weiter zu veranlassen wäre, bald fest ein. Neben meinem Lagerplatz stand das 8,8 cm-Geschütz. Gegen 11 Uhr abends weckten mich Bemerkungen, die Oberleutnant z. S. Wunderlich, der Führer des Geschützes, machte; er konnte sich mehrfaches Aufleuchten, das er in der Richtung auf den Feind zu sah, nicht erklären. Auch ich war mir im ersten Augenblick nicht ganz schlüssig. Bald aber war kein Zweifel, daß dieses Aufleuchten, das sich immer mehr verstärkte, Gewehr- und Maschinengewehrschüsse bedeutete. Als sich der Wind drehte, war auch der Gefechtslärm deutlich hörbar. Gegen alle Erwartung war also vor uns ein ernster Kampf im Gange, aber bei der großen Entfernung und dem Marsch durch unübersichtlichen Busch und Felsengelände hielt ich es für ausgeschlossen, die zurückgehaltenen Reserven mit irgendwelcher Aussicht auf Erfolg einsetzen zu können. Selbst die allergröbste Orientierung über die Gefechtslage erforderte[S. 118] Stunden, und der Mond würde kaum noch eine Stunde scheinen. Wohl oder übel mußte ich daher das Gefecht vorn sich selbst überlassen.
Dort hatten unsere Kompagnien die von der Patrouille abgesuchte Höhe allerdings frei vom Feinde gefunden, aber unmittelbar dahinter lag der Feind auf einer zweiten Welle des Geländes in verschanzter Stellung. Hiergegen liefen unsere Kompagnien nun an, und bei der Unübersichtlichkeit des Geländes und der Dunkelheit gingen Überblick und Zusammenhang verloren. Unsere Askari nisteten sich dem Feinde gegenüber ein, und Hauptmann Lincke, der, nachdem Oberstleutnant v. Bock schwer verwundet und Hauptmann v. Kornatzki gefallen war, den Befehl übernommen hatte, sagte sich, daß er hier zwar liegenbleiben könne, aber nach Tagesanbruch wegen des beherrschenden feindlichen Feuers jede Bewegungsmöglichkeit aufgeben müsse. Da somit ein Erfolg nicht erreichbar schien, brach er vorsichtigerweise noch in der Nacht das Gefecht ab und kehrte auf die Ausgangsstellung zurück. Der Feind, der in der Hauptsache aus dem 11. südafrikanischen Infanterieregiment bestand, hatte sich gut geschlagen und unsere Kompagnien wiederholt unter wirksames Maschinengewehrfeuer genommen. Unsere Verluste von etwa 50 Toten und Verwundeten müssen in Anbetracht der geringen Gewehrzahl, die am eigentlichen Gefecht teilgenommen hat — etwa 400 —, als schwer bezeichnet werden.
In den folgenden Tagen besetzten wir nun auch die weiter östlich gelegenen großen Höhen und drängten die im Vorgelände befindlichen Reiterabteilungen mit recht empfindlichen Verlusten für sie ab. Es kam mehrfach vor, daß von feindlichen, etwa 20 Mann starken Abteilungen keiner oder nur wenige Leute entkamen, und auch sonst hatten wir eine ganze Reihe günstiger Zusammenstöße. Mehrfach beobachteten wir von unseren, weite Übersicht gewährenden Höhen aus mit guten Gläsern, wie feindliche Truppen und Wagenkolonnen von Norden her auf Kondoa zu fuhren, dann nach Osten abbogen und in den Bergen verschwanden. Auch unsere Patrouillen, die wir weit fort in den Rücken des Feindes schickten, bestätigten den Marsch größerer Transporte, die sich von Aruscha her in Richtung auf Kondoa-Irangi bewegten.
Die Engländer hatten sogleich die Zivilverwaltung in Kondoa in die Hand genommen und in geschickter Weise die Jumben (Häuptlinge) nach diesem Ort entboten und ihnen Verhaltungsmaßregeln gegeben.[S. 119] Hierzu gehörte auch die Pflicht, deutsche Truppenbewegungen zu melden. So war es für unsere Patrouillen häufig zweckmäßig, sich im Bereich des Feindes als Engländer auszugeben. Die Unterschiede der Uniformen waren ja nicht groß und durch das lange Kriegsleben noch mehr verwischt worden; vielfach wurden Uniformröcke überhaupt nicht, sondern nur blusenartige Hemden getragen, und das kleine Tuchabzeichen, das die Engländer am Tropenhut trugen, war wenig auffallend. Der Unterschied in der Bewaffnung war oft verschwunden, da auch ein Teil der Deutschen englische Gewehre trug.
Im allgemeinen hatte man nicht den Eindruck, daß in Kondoa schon ein sehr starker Feind war; aber unser Angriff mußte, selbst wenn er Erfolg haben würde, über freies Gelände gegen Befestigungen führen, die wir mit unseren wenigen Geschützen nicht genügend zudecken konnten. Die mit Sicherheit zu erwartenden erheblichen und unersetzbaren Verluste veranlaßten mich, von einem allgemeinen Angriff abzusehen und den Feind durch kleine Unternehmungen, die sich bisher so vorteilhaft erwiesen hatten, zu schädigen. Unsere Artillerie — es waren auch die beiden Gebirgsgeschütze und 2 Feldhaubitzen, die mit dem zweiten Hilfsschiff angekommen waren, eingetroffen — beschoß günstige feindliche Ziele, die sich boten. Auch die Gebäude von Kondoa-Irangi, wo General van Deventer eingetroffen war, wurden gelegentlich durch unser 10,5 cm-Geschütz unter Feuer genommen. Westlich unserer Hauptkräfte, an der Straße Saranda-Kondoa-Irangi, hatte unsere junge 2. Schützenkompagnie in mehreren günstigen Zusammenstößen Teile des 4. südafrikanischen Berittenenregiments allmählich in die Nähe von Kondoa-Irangi zurückgedrängt.
Der Feind verstärkte sich nun immer mehr. Anfang Juni beschoß er uns auch auf große Entfernung, etwa 12 km, mit schwereren Geschützen von 10 cm und 12,5 cm Kaliber. Seine Beobachtung und Feuerleitung verdiente alle Anerkennung; jedenfalls schlugen am 13. 6. 1916 seine Granaten bald sehr genau in unserem Kommandolager ein. Ich unterbrach meine Arbeit, die ich im Schutze eines Grasdaches vorgenommen hatte, und begab mich etwas seitwärts hinter eine Felsplatte. Unmittelbar nachdem dort auch der Ordonnanzoffizier, Oberleutnant Boell, eingetroffen war, platzte ein Geschoß dicht über uns, verwundete Oberleutnant Boell schwer am Oberschenkel und mich und einige andere[S. 120] Europäer leicht. Materiellen Schaden hat uns das feindliche Artilleriefeuer im übrigen fast gar nicht zugefügt, aber es war doch lästig, wenn seine schweren Geschosse immer von Zeit zu Zeit in unser Lager einschlugen.
Von den erheblichen Arbeiten, wie sie gute Unterstände erfordern, sahen wir ab, da wir die Kräfte unserer Leute für den Patrouillen- und Sicherheitsdienst, sowie für die Beschaffung der Verpflegung voll beanspruchen mußten. Das ganze Land war, soweit das Auge reichte, mit Eingeborenenkulturen bedeckt; in der Hauptsache — und dies kam für die Verpflegung der Truppe vorzugsweise in Betracht — war Mtama, eine Hirsenart, angebaut worden, deren Reife jetzt gerade begann. Die Eingeborenen waren zum großen Teil fortgelaufen, der Nachschub von Dodoma hatte unserem Vormarsch nicht folgen können; unsere Verpflegung basierte daher fast ausschließlich auf den Beständen, die die Erntekommandos der Kompagnien selbst einbrachten. Die Garben trockneten auf Steinen schnell in der heißen Sonne. In allen Kompagnien herrschte reger Mahlbetrieb, sei es, daß die ausgedroschenen Körner mit Steinen zerrieben oder in „Kinos“, das sind harte Holzgefäße, mit Stangen zu Mehl zerstampft wurden. Für die Europäer gab es damals noch Weizenmehl, das auf den Etappenwegen vorgebracht wurde. Unser aus einer Mischung von Weizenmehl und Eingeborenenmehl hergestelltes Brot vor Kondoa war von einer ganz ausgezeichneten Beschaffenheit. Außer Mtama und anderen Körnerfrüchten gab es Zuckerrohr, Muhogo (eine Pflanze mit wohlschmeckender, eßbarer Wurzel), Süßkartoffeln, dann verschiedene Arten Erbsen und andere Eingeborenenfrüchte sowie genügend Vieh. Die Truppe konnte in dem überaus wohlhabenden Gebiet von Kondoa reichlich und vielseitig verpflegt werden.
Die beobachtete Ausdehnung des Feindes von Kondoa nach Osten hin lenkte auch unsere Aufmerksamkeit auf dieses uns bis dahin wenig bekannte Gebiet. Hauptmann Schulz wurde mit mehreren Kompagnien dorthin entsandt und fand ein außerordentlich schwieriges Berggelände mit starker Bewachsung vor; dazwischen waren Ansiedlungen von großer Fruchtbarkeit. Hier kam es zu einer ganzen Reihe für den Feind recht verlustreicher Gefechte, an denen für uns eine oder auch mehrere Kompagnien beteiligt waren. Eine stärkere feindliche Abteilung[S. 121] suchte sich zwischen den Kompagnien der Abteilung Schulz und uns hineinzuschieben und hatte wahrscheinlich die Absicht, die Abteilung Schulz abzuschneiden. Dieser Versuch des Feindes mißglückte aber gänzlich. Unsere Truppen drängten von beiden Seiten gegen diesen feindlichen Keil und warfen ihn zurück. Recht gewandt benahm sich hierbei der alte Effendi (schwarzer Offizier) Juma Mursal; er legte sich an einer Wasserstelle auf die Lauer und beschoß die Engländer, die hierher zum Tränken kamen, mit gutem Erfolg; nach seiner Beobachtung sind dabei 6 gefallen. In der Gefechtsperiode von Kondoa-Irangi sind dem Gegner allmählich recht erhebliche Gefechtsverluste beigebracht worden. Rechnet man hierzu noch die Verluste an Krankheiten bei seinen jungen weißen Truppen, die nicht an die Tropen gewöhnt und so außerordentlich unvorsichtig in ihren Schutzmaßregeln gegen Tropenkrankheiten waren, so dürfte der Gesamtausfall des Feindes in der Zeit von Kondoa-Irangi kaum unter 1000 Mann an Weißen betragen haben.
Ende Juni 1916 gewannen die Vorgänge auf den anderen Kriegsschauplätzen entscheidenden Einfluß auf unsere Maßnahmen vor Kondoa. Aus der Gegend des Kiwusees und vom Russissi rückten die Belgier, westlich des Viktoriasees und seit Mitte Juli auch von Muanza her drangen englische Streitkräfte konzentrisch auf Tabora vor. General Wahle, der von Tabora aus den gemeinsamen Befehl über unsere im Nordwesten stehenden Truppen führte, zog seine Abteilungen von den Grenzen her allmählich auf Tabora zu zusammen.
Von Südwesten her, aus dem Raum zwischen Tanganjika und Nyassa, drangen gleichfalls feindliche Abteilungen vor. Vor ihnen wich unsere in der Gegend von Bismarckburg fechtende Kompagnie langsam nach Nordosten in Richtung auf Tabora aus. Aus dem Bezirk Langenburg gingen unsere beiden dort sichernden Kompagnien allmählich in Richtung aus Iringa zurück. Diesen folgte General Northey, dessen Division mit allen Mitteln moderner Kriegführung ausgerüstet war. Von diesen[S. 122] Vorgängen hatte das Kommando bei der Schwierigkeit der Verbindung nur unvollkommene Nachrichten.
An der Nordbahn hatten die Patrouillen des Majors Kraut, die von dessen fester Stellung bei Lembeni ausgingen, gelegentlich erfreuliche Erfolge gehabt. Mehrere Flugzeuge wurden zum Landen gebracht oder verunglückten; die Insassen wurden gefangen, die Apparate vernichtet. Als die schweren Regen aufgehört hatten, trat von Kahe her der Feind seinen Vormarsch längs der Nordbahn sowie östlich derselben durch die Pareberge hindurch und westlich längs des Pangani an. Hunderte von Automobilen und große Reitermengen wurden beobachtet. Um bei der großen Überzahl des Feindes nicht abgeschnitten zu werden, zog Major Kraut sein Gros unter Belassung schwacher Abteilungen am Feinde mit der Bahn bis Buiko zurück. In dieser Gegend sowie bei Mombo kam es dann zu einigen Gefechten, bei denen manchmal unsere Kompagnien durch den Feind, der den Bahnkörper hinter ihnen absperren wollte, hindurchfuhren und ihn von den Waggons aus beschossen. Der Feind konnte zwar infolge seiner numerischen Überlegenheit mit leichter Mühe stets mit frischen Truppen umfassende Bewegungen ausführen, aber das schwierige Gelände beeinträchtigte die Wirksamkeit solcher Umgehungen im hohen Maße. Es schien daher, daß der Feind häufig diesen Gedanken fallen ließ und dafür eine Art Ermüdungstaktik betrieb. Er griff heute mit einem Teil seiner Truppen an, ließ diese dann ruhen und setzte morgen andere, übermorgen wieder andere ein. Trotz allem augenscheinlichen Drängen und seinen günstigen Nachschubverhältnissen war sein Vormarsch ziemlich langsam. Niemals sind die Truppen des Majors Kraut in eine wirklich schwierige Lage gekommen, im Gegenteil; den unsrigen glückten häufig Feuerüberfälle und Teilerfolge, die gelegentlich, wie bei einem durch Hauptmann Freiherrn von Bodecker geführten Nachhutgefecht in der Gegend von Handeni, dem Feinde recht erhebliche Verluste beibrachten.
Bei diesem von allen Seiten erkennbaren konzentrischen Vordringen des Feindes mußte man sich die Frage vorlegen, was nun mit dem vor Kondoa stehenden Hauptteil der Truppe geschehen sollte. Für einen Angriff war die Gelegenheit allzu ungünstig. Es fragte sich also, wohin im großen und ganzen unser Abmarsch zu gehen habe. Ich faßte[S. 123] die Gegend von Mahenge ins Auge. Sie entzog uns der Umklammerung durch den Feind und war reich und für den Kleinkrieg geeignet. Von dort aus bot sich auch die Möglichkeit, weiter nach Süden auszuweichen und den Krieg noch lange Zeit fortzusetzen.
Ein anderer wichtiger Gesichtspunkt war die Sicherung unserer an der Zentralbahn, besonders in der Gegend von Morogoro lagernden Kriegsbestände. Diese waren bei dem schnellen Vordringen des Generals Smuts, dem gegenüber Major Kraut bis über die Gegend von Handeni hinaus nach Süden vorgedrungen war, stark gefährdet. Wenn auch anzunehmen war, daß die stetig wachsende Länge seiner rückwärtigen Verbindungen den General Smuts hemmen würde, so schien er mir doch der gefährlichste und wichtigste Gegner zu sein. Ich beschloß daher, dem Kondoafeinde gegenüber nur ein Detachement unter Hauptmann Klinghardt bei Burungi stehenzulassen, mit den Hauptkräften aber wieder nach Dodoma zu marschieren, von dort mit der Bahn nach Morogoro zu fahren und an Major Kraut heranzurücken. Es hat sich später herausgestellt, daß die Engländer über diese Bewegung bis ins kleinste unterrichtet waren und z. B. über einen Eisenbahnunfall genau Bescheid wußten, der einer Kompagnie während dieses Transportes zustieß. Bei den Europäern in Morogoro verschwand beim Eintreffen unserer Kompagnien und angesichts der glänzenden Haltung der Askari auch der letzte Rest einer niedergedrückten Stimmung; jeder Mann und jede Frau hatten begriffen, daß unsere Lage zwar schwierig war, daß es aber keine andere Möglichkeit gab, als weiterzufechten, und daß unsere Truppe nach ihrer ganzen Beschaffenheit auch imstande war, noch lange mit Erfolg standzuhalten. Anfang Juli traf ich bei Major Kraut ein, der in befestigter Stellung am Kangaberge stand, nordöstlich Tuliani. Ich hatte geglaubt, daß die Askari durch das Zurückgehen niedergedrückt wären, traf sie aber in einer vortrefflichen, selbstbewußten Stimmung an. Vor ihrer Stellung hatten sie 50 bis 100 Meter Schußfeld geschaffen und waren fest davon überzeugt, daß ein feindlicher Angriff abgeschlagen werden würde.
Die Zeit bis zum Eintreffen der übrigen Abteilungen bei Tuliani benutzte ich zu Erkundungen und gewann so bald ein Bild über die Pässe, die das schwierige, westlich unserer Etappenstraße gelegene Felsen- und Waldgelände durchschnitten.
[S. 124]
Ein Versuch, mit einer stärkeren Abteilung unter Umgehung des feindlichen Lagers dieses von rückwärts her anzugreifen, führte des außerordentlich dichten Busches wegen zu keinem Erfolg. Wohl aber erlitt der Feind Einbuße durch zahlreiche, kleine Patrouillenunternehmungen, die seine Transporte und seine hinter der Front verkehrenden Autos beschossen. Auch das Auto eines Stabes wurde bei dieser Gelegenheit wirksam unter Feuer genommen. Der Feind war ebenfalls mit Patrouillen tätig, und mehrere seiner Fernpatrouillen waren in unseren Rücken gelangt. Eine derselben, von Leutnant Wienholt geführt, verriet sich dadurch, daß sie eine unserer Trägerkolonnen überfiel und deren Lasten verbrannte. Hierunter befanden sich eine Anzahl mit dem Hilfsschiff angekommener und sehnlichst erwarteter Beinkleider. Wienholt erregte daher bei jedermann peinliches Interesse, wurde in seinem Lager im dichten Busch ausgemacht und überfallen. Er selbst entkam und wollte im Vertrauen darauf, daß im afrikanischen Busch nicht leicht jemand zu finden ist, allein durch unsere Linie hindurch zu den Engländern zurückwandern. Unseren bewährten Leuten, die früher den erfolgreichen Pferdefang am Longido gemacht hatten, van Rooyen, Nieuwenhuizen und Truppel, gelang es, seinen Wechsel aufzuspüren und ihn zu fangen. Bei der Rückkehr von einem Erkundungsgange traf ich Wienholt in unserem Lager in Tuliani bei fröhlichem Schmause mit denen, die ihn ergriffen hatten. Wir alle mußten die vortrefflichen Leistungen seiner Patrouille, deren Weg in der bei ihm erbeuteten Karte genau verzeichnet war, ehrlich anerkennen. Wienholt ist dann in das Innere in ein Gefangenenlager gebracht worden und nach Monaten aus diesem beim Baden entwichen. 1917 hat er in der Gegend von Kilwa und Liwale und später 1918 in Portugiesisch-Ostafrika wieder ausgezeichnete Patrouillendienste gegen uns geleistet. Seine Schilderung eines Überfalles durch einen Leoparden, der den Begleiter Wienholts im Lager mit großer Kühnheit schlug, hat mich lebhaft interessiert. Ich nehme an, daß er die anschauliche Schilderung, deren Original ihm leider später bei einem Patrouillenzusammenstoß abhanden gekommen und in unsere Hände gefallen ist, inzwischen seinen Bekannten und Freunden zugänglich gemacht hat.
Es vergingen jetzt Wochen, in denen uns die Engländer hauptsächlich mit Fliegerbomben belästigten. Augenscheinlich hatten sie die Stelle[S. 125] des Kommandolagers in Tuliani genau erfahren. Ich entsinne mich eines Tages, wo 4 Flugzeuge, denen wir nichts anhaben konnten, stundenlang über unserem Lager kreisten und Bomben abwarfen. Aber wir hatten gelernt, uns unsichtbar zu machen; nur der Europäer, der in der Telephonhütte beschäftigt war, wurde so schwer verletzt, daß er eine Hand verlor. Eine daneben gelegene Hütte mit wertvollen Akten wurde durch eine Brandbombe unter Feuer gesetzt.
Meine Automobile waren damals noch im Gange, und ich konnte häufig von Tuliani aus die auf der guten Etappenstraße vorgeschobene Abteilung Kraut schnell erreichen. Dort hatte Korvettenkapitän Schoenfeld vortreffliche Anordnungen für die Feuerleitung des 10,5 cm- und des 8,8 cm-Marinegeschützes getroffen. Von seinem auf den Höhen des Kangaberges gelegenen Artilleriebeobachtungsposten hatte man guten Einblick in die englischen Lager. Schwächere deutsche Abteilungen waren von Usambara her nicht dem Major Kraut auf Tuliani gefolgt, sondern längs der Usambarabahn in Richtung auf Tanga ausgewichen. Sie hatten dort sowie in der Gegend von Korogwe kleinere Zusammenstöße mit dem Feinde und wichen östlich der Abteilung Kraut allmählich nach Süden aus. Ihnen folgten stärkere Abteilungen des Feindes. Mit der Zeit wuchs für die Truppe bei Tuliani die Gefahr, östlich umgangen zu werden und die Verbindung mit der für die Ausrüstung mit Munition und Material sowie für die Verpflegung so wichtigen Gegend von Morogoro zu verlieren. Gleichzeitig rückte von Kondoa aus General van Deventer, dessen Truppen auf eine Division verstärkt worden waren, in südlicher Richtung vor. Vor ihm wich Hauptmann Klinghardt zunächst nach Süden und dann in Richtung auf Mpapua aus.
Die Unübersichtlichkeit und Unwegsamkeit des Geländes veranlaßte hierbei den Hauptmann Klinghardt, seine an sich schon geringen Truppen (5 Kompagnien) noch mehr zu teilen, um wichtige Pässe zu beobachten und zu sperren. Der Feind folgte mit einer großen Zahl von Automobilen, und es glückte gelegentlich, eins derselben durch eingebaute Minen zu beschädigen. Bei der notgedrungenen Zersplitterung der Kräfte des Hauptmanns Klinghardt und der Schwierigkeit der Verbindung unter ihnen konnte oft ein Teil nicht wissen, was bei den Nachbarabteilungen vorging. Eine starke deutsche Reiterpatrouille suchte[S. 126] von Osten kommend Anschluß an eine Abteilung die sie bei Meiameia an der Straße Dodoma-Kondoa-Irangi vermutete. Sie ritt ahnungslos in ein feindliches Lager hinein und wurde fast vollzählig gefangengenommen. Die Rückwärtsbewegung unserer Kondoatruppen, die nicht lediglich fortzukommen, sondern dem Feinde Schaden zuzufügen suchten, war ein recht schwieriges Manöver; der Moment, wann man zurückgehen, wann wieder halten und wann zu einer raschen Gegenoffensive schnell wieder vorgehen muß, um dann wieder schnell und rechtzeitig abzubauen, ist schwer zu erfassen. Zuverlässige Meldungen fehlten; bei dem Rückmarsch mehrerer Kolonnen durch unbekanntes Gelände wuchsen die Schwierigkeiten bei dem Mangel an Verbindungsmitteln ins Unendliche. Der Einfluß des Führers wurde oft ausgelöscht und dem Zufall gar zu vieles überlassen. Am 31. 7. 16 erreichte der Feind die Zentralbahn bei Dodoma. Hauptmann Klinghardt wich nach Osten längs der Bahn aus.
Bei den Gefechten, die sich westlich Mpapua abspielten, wurden einige günstige Situationen nicht erkannt, und Nachbarabteilungen, auf deren Unterstützung gerechnet wurde, trafen nicht rechtzeitig ein. Das gibt in der Truppe leicht ein Gefühl der Unsicherheit und wirkt lähmend auf das Vertrauen und die Unternehmungslust. Der Fall wurde hier noch dadurch erschwert, daß der Führer, Hauptmann Klinghardt, an Typhus erkrankte und gerade im kritischen Augenblick ausfiel. Als sein Nachfolger wurde von Tuliani her Hauptmann Otto entsandt; diesem glückte es, die auseinander geratenen Teile wieder zu sammeln und einheitlich zu verwenden.
Auch die 2. Schützenkompagnie, die auf der Straße Kondoa-Saranda nach diesem letzteren Ort zu hatte entweichen müssen und mit der die Verbindung völlig verlorengegangen war, zog sich südlich der Bahn in großem Bogen wieder an die Abteilung Otto heran. Die Gefechte der Abteilung Otto boten bei der Überzahl des Feindes vielfach das Bild eines Frontalangriffes und gleichzeitiger Umgehungen unserer beiden Flügel. Es glückte dem Feinde nicht immer, diese Bewegungen in richtigen Einklang zu bringen. So geriet bei Mpapua sein Frontalangriff zu dicht an unsere Front heran und erlitt erhebliche Verluste; auch die Umfassungen, selbst wenn sie bis in den Rücken unserer Stellungen führten, hatten keine entscheidende Wirkung. In dem unübersichtlichen[S. 127] Gelände war es immer möglich, sich der Gefahr zu entziehen oder, falls die Gelegenheit dazu günstig war, die umgehenden Truppen einzeln zu fassen. Auf alle Fälle erforderte die Umfassungstaktik des Feindes in dem außerordentlich dichten Busch und zwischen den vielen Felsen große Anstrengungen und brauchte die Kräfte seiner Truppen auf. Hauptmann Otto wich jeden Tag immer nur wenige Kilometer nach Osten zurück, und die Bahn gestattete ihm hierbei, nach Wunsch die Stellung seines schweren Geschützes zu ändern. Als sich die Abteilung Otto Kilossa näherte, war es notwendig, eine Verschiebung auch unserer bei Tuliani stehenden Hauptkräfte vorzunehmen. Das Kommando und ein Teil der Truppen rückten nach Morogoro; Major Kraut mit mehreren Kompagnien und einem 10,5 cm-Geschütz rückte nach Kilossa. Bei Tuliani übernahm Hauptmann Schulz den Befehl.
Ich rechnete jetzt damit, daß von Norden vordrückende Kolonnen bald die Gegend westlich von Bagamojo erreichen und auch bei diesem Ort selbst Truppenlandungen stattfinden würden. Zur persönlichen Orientierung fuhr ich nach Station Ruwu und von dort mit dem Fahrrad den sandigen und gewellten Weg entlang auf Bagamojo zu. Einen Tagemarsch südlich Bagamojo traf ich auf das Lager von zwei Europäern. Es war der Bezirksleiter Michels, der seinen gefährdeten Amtssitz von Bagamojo weiter in das Innere verlegen wollte. Die Bevölkerung war zutraulich und lebte wie im Frieden. Der Weltkrieg war an ihr bisher spurlos vorübergegangen. Da die Zeit drängte, mußte ich umkehren, und der schnelle Maskatesel des Herrn Michels brachte mich in wenigen Stunden wieder nach Ruwu. Am nächsten Tage erkundete ich von Kidugallo aus mit dem Fahrrad die dort und weiter nördlich angelegten Verpflegungsmagazine und fuhr dann wieder nach Morogoro. Andere Erkundungen, ebenfalls meist zu Rad, führten mich zu den nach Westen in Richtung auf Kilossa vorgelagerten Bergen, sowie die Straßen entlang, die westlich und östlich um die Uluguruberge herumführen. Die Pässe, die von Morogoro aus den Nordabhang des Riesenmassivs der Uluguruberge hinauf und weiter in südlicher Richtung auf Kissaki führen, mußten zu Fuß erkundet werden. Bei dem Druck des Generals van Deventer gegen Kilossa und bei der Gefahr, daß auch Hauptmann Schulz bei Tuliani umgangen wurde, durfte der Moment, Hauptmann Schulz auf Morogo heranzuziehen, nicht verpaßt[S. 128] werden. Um uns trotzdem die Möglichkeit zu Gegenschlägen zu wahren, mußten wir die Gegend von Tuliani solange wie möglich halten.
Die von Tuliani aus einen kleinen Tagemarsch unmittelbar nach Norden zu vorgeschobene Abteilung des Hauptmanns Stemmermann wurde bei Matomondo von starken europäischen und indischen Truppen angegriffen. Der Feind war recht geschickt. Ein an einem Felsenhange stehendes Maschinengewehr der 6. Kompagnie wurde von einzelnen Indern, die sich unbemerkt von vorn herangeschlichen hatten, ergriffen und schnell den steilen Hang heruntergeworfen, so daß es nicht wiedergefunden werden konnte. Der Feind, der in unsere Reihen eingedrungen war, wurde durch einen Gegenstoß der 21. Kompagnie mit schweren Verlusten zurückgeworfen. Im Nahkampf schoß der englische Major Buller, der Sohn des bekannten Generals aus dem Burenkriege, dem Kompagnieführer Oberleutnant von Ruckteschell durch den Hut, wurde dann aber selbst durch diesen schwer verwundet. Major Buller wurde dann in das deutsche Lazarett nach Daressalam geschafft und von der Gattin seines Gegners, die dort als Schwester tätig war, gesund gepflegt. Während des Gefechts von Matomondo hatten englische Reiter weiter westlich ausgeholt; sie erschienen überraschend in einem Gebirgspasse, der von Westen nach Tuliani führte. In dem dichten Busch hatte die unter dem General Brits aus Südafrika gekommene 2. Reiterbrigade anscheinend schwere Verluste.
Hauptmann Schulz wich nun mit Genehmigung des Kommandos nach Derkawa aus, das an dem Wege Tuliani-Morogoro am Wamiflusse in dichter Buschsteppe liegt. Er stand hier in befestigter Stellung am Südufer und wurde am 13. August durch den von Tuliani her nachdrängenden Feind, der mindestens eine Infanterie- und die berittene Brigade Brits stark war, sowie gleichzeitig von Osten her durch eine Brigade, die den Wami aufwärts an dessen rechtem Ufer entlang marschiert war, angegriffen. Während des Gefechts bestand von Morogoro aus mit Hauptmann Schulz dauernde telephonische Verbindung; die Verluste des Feindes wurden auf mehrere hundert Mann geschätzt und später auch von den Engländern bestätigt. Die feindlichen Angriffe wurden abgeschlagen, aber in dem dichten Busch war die Lage so unübersichtlich, daß ein durchschlagender Erfolg nicht erreichbar schien.[S. 129] Hauptmann Schulz trug Bedenken, seine letzte, noch geschlossene Kompagnie einzusetzen. Seine Absicht, nach Schluß des Gefechts nach Morogoro abzumarschieren, billigte ich, da mir die Gesamtlage die Zusammenziehung meiner Kräfte wünschenswert machte. Nach dem Eintreffen des Majors Kraut bei Kilossa zog ich auch den Hauptmann Otto mit einem Teil seiner Kompagnien nach Morogoro heran. Major Kraut hatte sich hinter Abteilung Otto durch Kilossa hindurchgezogen und nahm nach Gefechten bei diesem Ort dicht südlich desselben an der Straße nach Mahenge Aufstellung. Auch nachdem feindliche Truppen in Kilossa eingerückt waren, hatte noch wenige Stunden telephonische Verbindung mit der Abteilung Kraut durch den Feind hindurch bestanden.
Von da ab war die unmittelbare Verbindung mit Major Kraut unterbrochen. Helioverbindung funktionierte nicht, und die Drahtlinien, welche von Kisaki und später vom Rufiji aus nach Mahenge und von dort zu den Truppen des Majors Kraut führten, waren noch nicht fertig, beziehungsweise noch gar nicht begonnen. Mit General Wahle bei Tabora fehlte ebenfalls seit der zweiten Hälfte des Juli, also mehr als einem Monat, jede Verbindung. Bagamojo war in die Hände des Feindes gefallen; mit dem Fall von Daressalam und der Unterbrechung der Verbindung dorthin war täglich zu rechnen.
Gegen die von Neulangenburg her vorrückenden Truppen des Generals Northey war Ende Juni von Dodoma aus Hauptmann Braunschweig entsandt worden. Dieser hatte den beiden aus der Gegend Neulangenburg ausgewichenen deutschen Askarikompagnien Verstärkungen von Kondoa und von Daressalam her zugeführt und seine eigenen Truppen, im ganzen fünf Kompagnien und eine Feldhaubitze, bei Malangali gesammelt. Dort hatte seine Truppe gegen den überlegenen Feind tapfer gefochten, hatte aber doch in Richtung Mahenge ausweichen müssen.
[S. 130]
Es fragte sich, wie jetzt, wo sich die konzentrisch vorrückenden feindlichen Kolonnen einander in der Richtung auf Morogoro näherten, unsere Operationen weiterzuführen seien. Der Feind rechnete damit, daß wir uns am Nordhange der Uluguruberge auf Morogoro zum letzten entscheidenden Kampf stellen würden. Diese Auffassung ist mir nicht recht verständlich gewesen. Bei unserer erheblichen Unterlegenheit war es doch Wahnsinn, hier die Vereinigung der feindlichen Kolonnen, deren jede einzelne uns bereits numerisch überlegen war, abzuwarten und uns dann mit dem Rücken gegen das steile Felsengebirge zu schlagen, dessen Pässe leicht zu sperren waren und das uns jede Bewegungsfreiheit in unserem Rücken nahm. Ich hielt es für praktischer, die Operationen so zu führen, daß wir es nur mit einem Teile des Feindes zu tun hatten. Bei der bekannten Vorliebe des Feindes und besonders des Generals Brits für weit ausholende Umgehungsbewegungen rechnete ich damit, daß von Dakawa, wo starke feindliche Lager festgestellt waren, oder von Kilossa her sich eine Kolonne in Bewegung setzen würde, um westlich der Uluguruberge in unseren Rücken zu gelangen. Diese Möglichkeit lag so auf der Hand, daß ich täglich nach den westlich Morogoro gelegenen Bergen hinausradelte, um dort die Meldungen unserer Patrouillen rechtzeitig entgegenzunehmen und durch eigene Beobachtung der Rauch- und Staubwolken zu ergänzen. Diese ließen bald keinen Zweifel, daß eine starke Kolonne aus der Gegend von Dakawa sich gegen die Bahn zwischen Morogoro und Kilossa in Bewegung setzte. Patrouillen stellten feindliche Truppen fest, die die Bahn überschritten und weiter nach Süden marschierten. Bergbeobachtungsposten meldeten, daß die Staubwolken die Richtung auf Mlali nahmen.
Da es meine Absicht war, diese Bewegung des Feindes weit auslaufen zu lassen und den vereinzelten Teil dann mit allen meinen Kräften anzugreifen, wartete ich ab, bis ich diese Kolonne dicht bei Mlali vermutete. Hauptmann Otto, der bei Morogoro lagerte, erhielt am Abend des 23. August den Befehl, mit drei Kompagnien in der Nacht nach Mlali abzurücken. Er traf dort am 24. frühmorgens ein, als englische Reiter soeben das Magazin Mlali in Besitz genommen hatten. Als ich im Auto bei Abteilung Otto eintraf, war das Gefecht im vollen Gange. Das Gelände war aber infolge der vielen steilen Höhen, die die Bewegung erschwerten, für kurze entscheidende Angriffsbewegungen nicht[S. 131] günstig. Die anderen Truppen aus Morogoro, mit Ausnahme der Abteilung des Hauptmanns Stemmermann, wurden telephonisch herangezogen. Ich selbst fuhr noch einmal nach Morogoro zu mündlichen Besprechungen hinein. Der Abteilung Stemmermann, der mit Rücksicht auf die Wegeverhältnisse auch das 10,5 cm-Königsberggeschütz und die Haubitzbatterie zugeteilt waren, erhielt den Auftrag, längs des Osthanges der Uluguruberge auszuweichen und dort den Feind hinzuhalten. Die Pässe der Uluguruberge selbst wurden durch schwache Patrouillen gesperrt. Als ich am Nachmittag wieder in der Gegend von Mlali anlangte, hatte das Gefecht zu keiner Entscheidung geführt. Die feindlichen Truppen waren an mehreren Stellen zurückgeworfen worden, und eigene glaubten, nennenswerte Verluste beim Feinde beobachtet zu haben. Beim Einbruch der Dunkelheit waren wir aber so in die Berge hineingeraten, und jede Bewegung gestaltete sich so schwierig und zeitraubend, daß wir halten blieben. Die Nacht war recht kalt, als wir ohne unsere Lasten auf den Höhen lagen. Glücklicherweise aber war die reiche Gegend bisher durch den Krieg kaum in Anspruch genommen worden, und ein am Spieß geröstetes Huhn stillte bald den knurrenden Magen.
Am nächsten Morgen zeigten uns zahlreiche Explosionen in den deutschen vom Feinde überraschten Magazinen, daß der Gegner abgezogen war und unsere dort gestapelten 10,5 cm-Granaten zerstört hatte. Dieser Abzug wurde in südwestlicher Richtung gehend vermutet, was sich später auch als richtig herausgestellt hat. Es war wahrscheinlich, daß der Feind eine Umgehungsbewegung machte, um vor uns Kissaki zu erreichen. Bei der reichen Verwaltungsstelle dieses Ortes waren 600000 Kilogramm Verpflegung und das von Morogoro abtransportierte Truppenmaterial gesammelt worden. Wilde Gerüchte eilten der Wirklichkeit voraus und berichteten, daß bereits starke Kräfte südlich von uns auf den nach Kissaki führenden Wegen angelangt seien. Wenn nun auch die Fahrstraße bei Mlali aufgehört hatte und die weiteren Wege nach Kissaki nur Pfade mit vielen Schluchten und Hindernissen waren, so war doch mit der Möglichkeit eines schnellen Marsches des Feindes nach Kissaki sehr ernsthaft zu rechnen, und wir durften keine Zeit verlieren. Am Abend fanden wir in der Mission Mgeta bei dem dortigen Pater eine überaus gastliche Aufnahme. Die Gebäude[S. 132] liegen reizend in dem tiefen Einschnitt des Mgetaflusses, der hier ziemlich reißend zu Tal fließt. Die vielen Lichter am Bergabhange erweckten den Eindruck, als ob man sich in Deutschland einem kleinen Badeorte nähere. Auch einige Europäerinnen aus Morogoro weilten hier und nahmen den letzten Abschied von der Truppe. Mit Ausnahme weniger Krankenschwestern mußten alle Frauen zurückbleiben.
Der Abtransport unserer Lasten arbeitete leidlich. Es kam der Truppe zustatten, daß etwa tausend schwarze Arbeiter, die noch bis vor wenigen Tagen in den Forstkulturen bei Morogoro gearbeitet hatten, ihr auf Drängen des umsichtigen Hauptmanns Feilke zur Verfügung gestellt wurden. Die Trägerfrage fing aber an, schwierig zu werden. Die Leute sahen, daß wir die Gegend räumten; eine Anzahl der Eingeborenen, die ihr Erscheinen zugesagt hatten, blieben zur Verzweiflung der verständigen Jumben, die uns gern helfen wollten, aus. Da in der Gegend von Mgeta nur schwache Abteilungen des Feindes erschienen, wurde es wahrscheinlich, daß seine Hauptkräfte eine Umgehungsbewegung ausführten. Unter Belassung einer Nachhut, die uns nur allmählich folgte, wurde daher unser Gros in den nächsten Tagen näher an Kissaki herangezogen. Eines Nachts erschien ein Askari in strammer Haltung an meinem Lager; es war der in Morogoro krank zurückgelassene Effendi Juma Mursal der 4. Feldkompagnie. Er war aus dem Lazarett fortgegangen und uns über die Berge gefolgt. Er berichtete, daß der Feind so stark, wie früher bei Kahe, von Morogoro westlich um die Uluguruberge herum marschiert sei und daß einer Anzahl deutscher Askari die Gefechte der letzten Zeit zuviel geworden wäre. Sie hätten sich von der Truppe entfernt und raubten in den Pflanzungen südwestlich Morogoro.
Von Kissaki aus wurde eine Fernsprechleitung zu uns gelegt; durch sie hielt uns Hauptmann Tafel dauernd unterrichtet, daß bei Kissaki vom Feinde nichts zu merken sei. Aber westlich von uns wurde der Vormarsch feindlicher Kräfte nach Süden durch unsere Patrouillen festgestellt. Ich rückte deshalb nach Kissaki und mußte einen Teil unseres Kriegsmaterials, das in kleinen Depots an unserem Wege gelagert war, vernichten. Leider fand hierbei wiederum, wie schon vorher in Morogoro bei gleicher Gelegenheit, ein tüchtiger Feuerwerker durch Unglücksfall den Tod. In Kissaki dauerte es mehrere Tage, ehe wir ernsthaft mit dem Feinde in Berührung kamen. Die Boma (Feste) selbst zu[S. 133] besetzen, war nicht ratsam; sie bestand aus einem von massiver hoher Mauer umgebenen Gebäudekomplex und lag inmitten eines völlig freigeschlagenen Geländes. Der Feind konnte sie daher nur durch einen verlustreichen Angriff nehmen, aber er brauchte gar nicht zu stürmen; durch Artillerie und Fliegerbomben hätte er den Aufenthalt in dem engen Raum der Boma unleidlich gemacht, und der Verteidiger wäre in die Notwendigkeit geraten, seinerseits aus der Boma heraus über das freigeschlagene Schußfeld zu gehen und das Feuer auszuhalten, das der Feind dann in aller Ruhe auf ihn abgab. Unsere für den Kampf geschaffenen Geländeverstärkungen lagen deshalb weit außerhalb der Boma, gegen Fliegerbeobachtung gedeckt und so angelegt, daß sie ungesehen besetzt und wieder geräumt werden konnten.
Über die reichen Bestände an Material und Verpflegung in Kissaki gewann ich erst beim persönlichen Eintreffen ein klares Bild. Ich erfuhr, daß entgegen meiner Annahme weiter südlich bei Behobeho und am Rufiji bei Kungulio so gut wie nichts lagerte. Bei Kissaki lagerten große Bestände, aber trotz der dichten Eingeborenenbesiedlung war ein Abtransport nicht möglich. Die zahlreich vorhandenen Leute, denen der Krieg und die vielen Askari etwas ganz Neues waren, verloren den Kopf und liefen in den Busch. Die Zivilverwaltung, die das volle Vertrauen der Leute genoß, erwies sich den so überwältigend auf die Eingeborenen einstürmenden Einflüssen gegenüber als machtlos. Selbst Geschenke von den sonst so hochgeschätzten Kleidungsstücken vermochten die Leute nicht zu halten. Es schien, als ob sich alle bösen Geister verschworen hätten, um uns die Transportmöglichkeit zu nehmen. Unsere Kolonne von mehreren hundert Trageseln war von Morogoro über die Berge getrieben worden. Sie langte verspätet und gänzlich erschöpft in Kissaki an. Die wenigen Ochsenwagen, die wir hatten und die der Beschaffenheit der Straße wegen östlich um die Uluguruberge herum fahren mußten, wollten und wollten nicht ankommen. Der Leiter des Etappenwesens sah auch keinen Ausweg zum Weitertransport unserer für den Krieg notwendigen Bestände. Und doch war es klar, daß wir vor der feindlichen Übermacht weiter nach Süden an den Rufiji ausweichen mußten.
Ein Lichtblick war es, daß unsere großen Viehbestände, die östlich Mpapua geweidet hatten, von dort rechtzeitig weggeführt wurden.[S. 134] Mehrere tausend Stück, meist schönes Rindvieh, gelangten nach Kissaki und wären eine höchst willkommene bewegliche Verpflegungsreserve gewesen. Leider aber wurde die Freude hierüber durch die an manchen Stellen häufig vorkommende Tsetsefliege beeinträchtigt; erkrankten die Tiere durch deren Stich, so kamen sie sehr herunter und gingen meist nach wenigen Wochen ein. Die Masse des Viehs wurde deshalb in die gesunden Gegenden am Rufiji weitergetrieben. Im übrigen wurde mit allen Truppenträgern, dann mit allen erreichbaren Leuten aus der Landschaft und den paar Fahrzeugen ganz energisch aus Behobeho und weiter aus Kungulio abtransportiert. Hierfür mußte Zeit gewonnen werden, und Hauptmann Stemmermann, der auf der Oststraße um die Uluguruberge herum marschierte, durfte nur ganz langsam vor der feindlichen Division zurückgehen, die ihm mit aller Anstrengung nachdrängte.
Bei Kissaki wartete ich mit den Hauptkräften der Truppe ab, um die Gunst der Lage schnell erfassen und ausnutzen zu können. Wie zu erwarten stand, hatte der Feind infolge unseres Abmarsches auf Kissaki die Konzentration seiner Truppen bei Morogoro aufgegeben, war mit einigen Teilen unmittelbar über die Uluguruberge, mit anderen getrennten Kolonnen aber, weit westlich und östlich ausholend, gefolgt. Die Hoffnung, eine oder mehrere dieser feindlichen Kolonnen getrennt zu schlagen, hat sich nun über Erwarten erfüllt. General Brits hatte westlich der Uluguruberge seine Division in einzelne Brigadekolonnen (zwei Brigaden beritten und eine zu Fuß) zerlegt, die miteinander schwer Verbindung halten konnten. Bald wurden, einen Tagmarsch westlich Kissaki, starke feindliche Lager festgestellt, und am 7. September 1916 wurde die in einer Pflanzung bei Kissaki liegende Abteilung des Hauptmanns Otto von einem starken berittenen europäischen Gegner und von schwarzen und weißen Fußtruppen angegriffen. Es stellte sich später heraus, daß der Feind aus der berittenen Brigade des Generals Enslin und Teilen der Infanteriebrigade der Division Brits bestand. Die Umgehung, die der Feind um den linken Flügel der Abteilung Otto herum ausführte, wurde so weit auslaufen gelassen, bis die feindliche Umgehungsabteilung ganz im Rücken der Abteilung Otto in der Nähe der Boma Kissaki angelangt war. Augenscheinlich rechnete der Feind nicht damit, daß weiter rückwärts noch deutsche Reserven[S. 135] verdeckt aufgestellt waren. Diese wurden nun losgelassen. Die tapfere 11. Feldkompagnie mit Leutnant d. R. Volkwein gelangte durch den dichten Busch hart an den umgehenden Feind und griff ihn sofort unter Hurra mit aufgepflanztem Seitengewehr an. Damit waren die schönen Pläne des Feindes zusammengeklappt; in weiterem Vorgehen wurde er jetzt einfach aufgerollt und vollständig geschlagen. Ein energisches Nachdrängen und eine großzügige Verfolgung waren bei dem kaum durchdringlichen Busch nicht möglich, aber die feindlichen Truppen waren zum großen Teil aufgelöst und in ihren Teilchen in wirrem Durcheinander im Busch zerstreut. Die Handpferde mit ihren Pferdehaltern wurden erbeutet, einige fünfzehn Europäer gefangen. Noch am nächsten Tage kam aus einer ganz anderen Richtung ein englischer Soldat an, der sich mit seinen Handpferden im dichten Busch verirrt und keine Ahnung hatte, wohin er gehen sollte. Der Mann hatte viel Humor; er warf sein Gewehr und seine Patronen über einen kleinen Fluß und sagte: „Es ist eben Zufall; ich konnte den richtigen Weg nehmen oder den falschen. Ich hatte das Pech, den falschen Weg zu nehmen. Das ist mein Fehler.“
Die Abteilung Tafel, die nördlich Kissaki an unserem Anmarschwege lagerte, hatte am 7. September nur noch abends mit Teilen in das Gefecht eingegriffen; ich hatte sie zurückgehalten, da ich glaubte, daß gleichzeitig mit dem am 7. von Westen erfolgenden Angriff auch ein solcher von Norden her längs unserer Anmarschstraße einsetzen würde. Diese an sich zweckmäßige Absicht hat General Brits zweifellos auch gehabt; ihre Ausführung ist ihm aber mißlungen. Die berittene Brigade des Generals Nussy kam, ohne eine Ahnung von dem Gefecht vom 7. zu haben, am 8. von Norden her gegen die Abteilung Tafel anmarschiert. Sie wurde ebenso gründlich geschlagen wie ihre Kameraden am Tage vorher. Das Gefecht am 8. war im dichten Busch noch unübersichtlicher, und es gelang einer größeren Anzahl von Gefangenen, die die 1. Kompagnie gemacht hatte, wieder zu entkommen.
Ein Teil der an beiden Tagen gemachten, etwa dreißig europäischen Gefangenen wurde gegen die eidliche Verpflichtung, in diesem Kriege nicht mehr gegen Deutschland und seine Verbündeten zu kämpfen, an den Feind zurückgegeben. Das Menschliche dieser Maßregel, die unter den tropischen Verhältnissen im eigensten Interesse der Gefangenen[S. 136] lag, wurde von den Engländern verkannt. Sie glaubten an Spionage, hielten den deutschen Parlamentär, der die Gefangenen zurückbrachte, fest, schickten ihn dann mit verbundenen Augen mitten in den Urwald und ließen ihn dann auf gut Glück laufen. Es war ein Wunder, daß der durch langes Umherirren erschöpfte Mann sich zu uns zurückfand. Man sieht hieraus, wie es uns englischerseits erschwert wurde, unnötige Härten dem Feinde gegenüber zu vermeiden. Dabei hatte der englische Troupier Vertrauen zu der Behandlung, die wir gegen Gefangene übten. Verwundete Engländer baten beim Aufräumen des Gefechtsfeldes, an dem sich deutsche und englische Ärzte beteiligten, darum, doch von dem deutschen Arzt behandelt zu werden. Und auch später äußerten Verwundete, daß sie bei einer Behandlung durch englisches Sanitätspersonal kaum wiederhergestellt worden wären.
Ich war der Auffassung, daß diese erfreulichen Erfolge von Kissaki eine endgültige Entscheidung gegenüber den Truppen des Generals Brits nicht gebracht hatten, und glaube auch jetzt noch, daß bei dem dichten Busch und der Zerklüftung des Geländes eine energische Verfolgung, die ja allein den erstrebten Erfolg hätte verwirklichen können, nicht durchführbar war. Meine Aufmerksamkeit richtete sich um so mehr gegen den der Abteilung Stemmermann folgenden Feind, als dieser bis zwei Tagemärsche nordöstlich Kissaki herangekommen war. Die Lage war dort in den letzten Tagen nicht günstig gewesen; das gebrochene Gelände hatte mehrfach zu einer Zersplitterung der deutschen an sich schon schwachen Kräfte verleitet. Einzelne Teile waren in Hinterhalte geraten, die Truppe war sehr angestrengt, und manchem war die Sache stark auf die Nerven gegangen. Am 9. September näherte sich Abteilung Stemmermann dem Orte Dutumi, der mir durch vorherige Erkundung bekannt war. Ich glaubte, daß der Feind schon am nächsten Tage weiter drängen würde und hielt die Gelegenheit für günstig, bei einer schnellen Verschiebung unserer Hauptkräfte von Kissaki nach Dutumi dort einen Erfolg zu erzielen. Abends marschierten wir von Kissaki auf der schönen breiten Straße ab und langten im Laufe der Nacht bei Dutumi an. Hauptmann Otto blieb mit fünf Kompagnien bei Kissaki. Bei der Ankunft beschloß ich, das Moment der Überraschung auszunutzen und den feindlichen linken Flügel, der dicht vor der Abteilung Stemmermann festgestellt war, in der Morgenfrühe[S. 137] umfassend anzugreifen. Es war mir bekannt, daß dieser Flügel in der Ebene stand, während sich die feindliche Mitte und der rechte Flügel von uns aus gesehen nach links die Vorberge des Ulugurugebirges hinaufschob. Auf unserem linken Flügel war eben dieser Vorberge wegen die Angriffsmöglichkeit weniger günstig.
Am 9. September früh ging nun auf unserem rechten Flügel die Abteilung Schulz zum Angriff vor. Bald setzte auf beiden Seiten Gewehr- und Maschinengewehrfeuer ein, und auch leichte feindliche Artillerie begann zu schießen; bei der Bewachsung der Ebene mit dichtem, hohem Elefantengras war es aber unmöglich, ein klares Bild zu gewinnen. Ich glaubte den Angriff in gutem Fortschreiten und begab mich zur Orientierung auf den linken Flügel. Die dortigen Höhen waren gleichfalls dicht bewachsen. Es war sehr anstrengend, vorwärts zu kommen, und schwer, jemand zu finden. Ziemlich erschöpft kletterte ich in der tropischen Mittagshitze herum, als ich glücklicherweise das Geräusch von Blechgeschirr hörte und meine Vermutung, daß hier ein Europäer gerade seine Mahlzeit einnahm, bestätigt fand. Es war Hauptmann Goering, der im Busch auf einer Höhe, die gute Aussicht bot, Aufstellung genommen hatte. Hier traf gegen 3 Uhr nachmittags die wenig erfreuliche Meldung ein, daß auf unserem rechten Flügel der Angriff der Abteilung Schulz sein Ziel nicht erreicht hatte. Es war einfach nicht gelungen, durch das dichte Elefantengras an den Feind heranzukommen. Sollte also am heutigen Tage überhaupt noch etwas Entscheidendes unternommen werden, so war dies nur auf unserem linken Flügel möglich. Sehr wahrscheinlich war angesichts des schwierigen Geländes ein Erfolg auch hier nicht. Die vorgehenden Kompagnien gerieten in ein sehr schluchtenreiches Berggelände, in dem sie sich ergebnislos mit dem Feinde herumschossen, und kehrten bei Dunkelheit in ihre Ausgangsstellungen zurück.
An den folgenden Tagen griff nun der Feind in der Hauptsache auf unserem linken Flügel an und wurde mehrfach in Gegenstößen abgewiesen. Im großen und ganzen war es aber klar, daß in dem Gelände von Dutumi ein entscheidender Erfolg nur bei großer Ungeschicklichkeit des Gegners erreichbar war; dagegen war unsere rückwärtige Verbindung, die nicht mehr nach Kissaki, sondern von jetzt ab nach Südosten auf Behobeho zu führte, in hohem Maße durch den Feind gefährdet.[S. 138] Ich gab deshalb Dutumi auf und rückte mit dem Gros eine Stunde weiter nach Süden über den Mgetafluß hinüber, wo die Truppe ein ausgedehntes befestigtes Lager bezog, das sie monatelang besetzt hielt. Durch diese Bewegung wurden leider die reichen Felder von Dutumi aufgegeben. In dem armen Gebiet von Kiderengwa mußten wir uns in der Hauptsache auf Nachschub basieren, der vom Rufiji her kam. Leider hat die Anstrengung dieser Transporte, verbunden mit Erkrankung an Tsetse, sehr bald zum fast vollständigen Eingehen unserer Tragesel geführt. Von Kiderengwa aus gingen die Kampfpatrouillen an die rückwärtigen Verbindungen des Feindes, die von Dutumi nach Nordosten führten, sowie an die Straße Dutumi-Kissaki, die bald von feindlichen Abteilungen und Transporten belebt war.
Übereinstimmende Beobachtungen zeigten nun auffallende Truppenbewegungen beim Feinde; sowohl östlich wie westlich der Uluguruberge wurden Truppentransporte nach Morogoro in solcher Stärke beobachtet, daß die Eingeborenen sagten: „Wana hama“ (Sie ziehen um). Ein großer Teil der südafrikanischen Europäer, von denen viele übrigens am Ende ihrer Kräfte angelangt waren, wurde in die Heimat entlassen. Andere Beobachtungen zeigten eine Truppenverschiebung nach Osten. Im allgemeinen trat eine Ruhepause ein, die nur von kleinen Patrouillenunternehmungen und gelegentlichen Artilleriebeschießungen unterbrochen wurde.
General Smuts war sich seines Fehlschlages bewußt. Er forderte mich brieflich auf, mich zu ergeben, und offenbarte dadurch, daß er am Ende seiner Machtmittel angelangt war.
Inzwischen erforderte die Lage bei Kilwa erhöhte Beachtung. Dort fanden seit einigen Tagen größere Truppenlandungen statt. Wir hatten nur schwache Küstenschutzabteilungen, die meist aus jungen, neu angeworbenen Askari bestanden und in eine Kompagnie zusammengefaßt waren. Diese Kompagnie war nicht ausreichend, und es bestand[S. 139] die Gefahr, daß von Kilwa her feindliche Truppen an den Rufiji oder nach Liwale marschierten und in unseren Rücken gelangten. Zweifellos trug sich der Feind mit derartigen Absichten, und es mußte dagegen etwas getan werden. Major von Boemcken war mit drei Kompagnien schon vom Gefechtsfelde von Dutumi aus nach Kungulio am Rufiji abgerückt; von dort erfolgte Fußmarsch und Transport auf dem Heckraddampfer „Tomondo“ nach Utete. Der „Tomondo“ war das einzige auf dem Rufiji verkehrende, ganz flach gehende Dampfschiff und leistete zum großen Teil die Verpflegungstransporte, die vom unteren Rufiji bis Kungulio geschafft und dann weiter mit Eseln und Trägern zur Truppe bei Kiderengwa gebracht wurden. Es bedurfte jetzt einiger Auseinandersetzungen, bis der „Tomondo“ seitens der Verwaltung für die notwendigen Truppentransporte zur Verfügung gestellt wurde. Bei Kilwa entwickelte sich die Lage für uns nicht nach Wunsch; es kam zwar zu einer Anzahl nicht ungünstiger kleiner Gefechte, aber, wie so oft während des Krieges, glückte es nicht, unsere dortigen Kräfte einheitlich zu verwenden. Unter anderem gelang dem Feinde die Zerstörung eines westlich Kilwa in allzu großer Nähe der Küste angelegten Verpflegungsmagazins. Die Eingeborenen wurden in geschickter Weise durch den Feind zum Aufstand gereizt und leisteten ihm wertvolle Spionendienste. Mehrere deutsche Erkundungsabteilungen gerieten in verlustreiche Hinterhalte. Der oberste Zivilbeamte des Bezirks Kilwa wurde gefangengenommen. Die Ungunst der an sich schwierigen Lage bei Kilwa war noch dadurch vergrößert worden, daß die Askari des Bezirksamtmanns nicht dem militärischen Befehlshaber unterstellt wurden.
Gleichzeitig machte sich von Norden, aus der Richtung von Daressalam her, der Druck feindlicher Kräfte gegen den unteren Rufiji zu fühlbar. Unsere von Daressalam nach Süden an den Rufiji ausgewichenen schwachen Abteilungen, die in der Hauptsache aus einer jungen Askarikompagnie und einem Teil der Königsbergbesatzung bestanden, waren keine ausreichende Deckung für das reiche Verpflegungsgebiet des unteren Rufiji. Auf dieses war die Truppe aber zur Zeit durchaus angewiesen, denn die Gebiete des mittleren Rufiji waren nur dünn besiedelt und konnten auf die Dauer die Verpflegung für Soldaten und Träger nicht liefern. Auf die Erträge der von uns angesichts dieser Notlage sogleich in den fruchtbaren Niederungen von Logeloge und[S. 140] Mpanganja angelegten Maisfelder war vor März 1917 nicht zu rechnen. Es drohte daher eine große Gefahr, als mehrere Inderkompagnien den vorgeschobenen Offiziersposten in der Boma Kissangire angriffen. Der Feind, der ohne genügende Feuervorbereitung gegen das steile Mauerwerk anstürmte, wurde mit erheblichen Verlusten zurückgeschlagen. Leider fand auch der deutsche Führer, Leutnant d. R. Baldamus, der sich allzusehr den feindlichen Geschossen aussetzte, den Tod. Sein tapferes und zähes Aushalten hat uns den Sitz der Verwaltungsstelle Kissangire bis zum Eintreffen ausreichender Verstärkungen gesichert, und so ist es diesem Offizier zu danken, daß wir das reiche Verpflegungsgebiet des unteren Rufiji noch monatelang zur Verfügung behielten.
Es wurde schon erwähnt, daß bei Kiderengwa ein Stillstand in den Bewegungen eingetreten war; ein Angriff auf den in starker Stellung verschanzten Feind versprach keinen Erfolg. Das Kommando ließ deshalb in der Gegend Kissaki-Kiderengwa nur acht Kompagnien unter Hauptmann Tafel, eine Truppenstärke, die später noch vermindert wurde. Mit dem Hauptteil der Truppen rückte das Kommando zum unteren Rufiji ab. Der Weg nach Kungulio führte an großen Seen vorbei, die, ebenso wie der Rufiji, mit vielen Flußpferden belebt waren. Bei dem allgemeinen Bedürfnis nach Fett wurde die Flußpferdjagd eine Lebensfrage. Man muß aufpassen, bis der Kopf des Tieres gut sichtbar wird und man einen sofort tödlichen Schuß anbringen kann. Das Tier versinkt dann, kommt nach einiger Zeit wieder hoch und wird vermittels eines aus Baumrinde schnell hergestellten Seiles an das Ufer gezogen. Dort wird es zerlegt, und der Sachverständige kennt sehr wohl die Stellen, wo das weiße, appetitliche Fett sitzt. Die Menge desselben ist sehr verschieden: ein feistes Stück liefert gut zwei Eimer voll. Aber nicht nur die Bereitung des Fettes, sondern auch die Anbringung des sofort tödlichen Schusses will gelernt sein. Törichte Leute waren leichtsinnig verfahren, und man konnte an vielen Stellen die verendeten Kadaver angeschossener Tiere sehen, die schnell verderben und für die Verpflegung unbrauchbar werden. Auch der Elefant wurde jetzt mit anderen Augen angesehen als früher; während der Elefantenjäger sonst Länge und Gewicht der Zähne abschätzte, ehe er seinen Schuß abgab, drängte sich jetzt die Frage in den Vordergrund: wieviel Fett[S. 141] wird das Tier liefern? Denn auch das Elefantenfett ist sehr gut und vielleicht von noch besserem Geschmack als das des Flußpferdes.
Bei Kungulio waren die mitgeführten Viehherden in den Fluß getrieben worden und hatten diesen durchschwommen. Der Übergang der Truppe hatte sich bisher auf Fähren vollzogen, an denen der Betriebsdirektor unserer verlorenen Nordbahn, Herr Kühlwein, sich jetzt mit der bescheideneren Stellung eines Betriebsdirektors der Kunguliofähre begnügte. Als wir eintrafen, war die auch für Fahrzeuge gangbare, etwa 300 m lange Brücke fertig geworden. Wir bezogen auf dem Südufer ein Lager an der Pflanzung Niakisiku, des zur Truppe eingezogenen Leutnants d. R. Bleeck. Die Europäerhäuser waren als Lazarett eingerichtet und voll belegt. In Logeloge trafen wir den Sitz der Etappenleitung; dort war eine große Anzahl geräumiger Grashütten für die Truppe hergestellt worden. Die Pflanzung selbst, einer Gesellschaft gehörig, zeigte weitausgedehnte Sisalfelder. Auch Verpflegung war reichlich angebaut. In dem tsetsefreien Gebiet wurde viel Rindvieh gehalten, und auch der Rest unserer Tragesel war aus den Tsetsegegenden nördlich des Rufiji nach hier zurückgezogen worden. Die Familien der Europäer wohnten hier noch friedlich in ihren Massivhäusern und waren dankbar, daß ihnen der bisherige Verlauf der Operationen es ermöglicht hatte, länger als zwei Jahre ihr häusliches und wirtschaftliches Leben ungestört weiterführen zu können.
In Logeloge und der landwirtschaftlichen Versuchsanstalt von Mpanganja, die wir am nächsten Tage erreichten, hatten sich auch andere Europäer der Umgegend gesammelt und sich, soweit sie in den vorhandenen Baulichkeiten nicht unterkamen, Häuser aus Holzstangen und Rohr oder Gras gebaut. Auch eine wenig erfreuliche Erscheinung trat hier hervor. Während die Truppe an der Front vom besten Geiste und großer Unternehmungslust beseelt war, sah es hinter der Front manchmal anders aus. Leute, die am wenigsten von der Sache verstanden, wußten alles besser und nährten eine gewisse Unzufriedenheit. So etwas wirkt ansteckend und untergräbt auf die Dauer die richtige Empfindung. Erfreulicherweise war aber bei vielen hinter der Front befindlichen Leuten der Truppe der soldatische Stolz doch stark genug, um die Miesmacher gelegentlich in derber Weise abzuführen. In einem der dortigen Lazarette gab jemand seiner abfälligen Kritik allzu beredten Ausdruck;[S. 142] da antwortete ihm ein Verwundeter: „Ich will Ihnen einmal etwas sagen. Der Kommandeur ist das Gehirn der Truppe, aber Sie sind das A... der Truppe!“ Die ungeschminkte Bezeichnung war so treffend, daß sie sofort alle Lacher auf die Seite des Sprechenden brachte und die Schlacke fortputzte, die sich anzusetzen drohte.
Es war nun die Frage, ob das Kommando sich zuerst nach Norden, gegen den Feind bei Kissangire, oder gegen den Kilwagegner wenden sollte. Dieser war nicht, wie Major von Boemcken befürchtet hatte, in der Richtung auf Liwale weiter gerückt, sondern hatte sich, vielleicht veranlaßt durch unsere Truppenverschiebungen, in nördliche Richtung gewandt. So schob er sich in die reiche, aber sehr bergige und für Truppenbewegungen schwierige Gegend von Kibata. Dort schien mir der Feind im Augenblick wenig gefährlich. Ich hielt es für ausreichend, wenn er nur am weiteren Vordringen gegen den Rufiji gehindert wurde, eine Aufgabe, zu der schwache Kräfte, fünf Kompagnien unter Hauptmann Schulz, genügten. Major von Boemcken, der für Liwale fürchtete, war mit zwei Kompagnien und einem 10,5 cm-Geschütz in die Gegend von Mpotora geraten, ein Zufall, aus dem wir, wie sich zeigen wird, später viel Nutzen gezogen haben. Ich hatte daher freie Hand zum Weitermarsch auf Kissangire. Das war wichtig und ermöglichte uns die Sicherung des reichen Verpflegungsgebietes nördlich des unteren Rufiji und den Abtransport der reichen Bestände von dort nach dem mittleren Rufiji. Ob sich dort Gelegenheit zu Waffenerfolgen bieten würde, war nicht zu übersehen; ich glaubte aber, daß der Feind, der ja auch von den Ulugurubergen her Truppen nach Osten in die Gegend von Kissangire geschoben hatte, von Norden drücken würde. So konnte sich also sehr wohl die Gelegenheit für ein günstiges Gefecht bieten. Wir überschritten den Rufiji bei Utete in Booten und langten in wenigen Tagen in Makima, einen Tagemarsch südlich Kissangire, an. In Kissangire selbst war inzwischen eine ausreichende Besetzung von zwei Kompagnien versammelt worden und dort eifrig mit Geländeverstärkungen beschäftigt. Etwas weiter nördlich, bei Maneromango, befand sich ein starker Gegner, und eine Europäerpatrouille, die noch von Kiderengwa abgegangen war, bestätigte uns die Verschiebung feindlicher Kräfte von Westen her in die Gegend Maneromango-Kissangire.
[S. 143]
Diese Patrouille war einige Tage nach ihrem Abmarsch von Kiderengwa in furchtbarer Hitze in wasserloses Gebiet geraten, und die einzelnen Teilnehmer hatten sich im dichten Busch untereinander verloren. Die Leute machten sich durch Schießen bemerkbar und mußten sich notgedrungen den Engländern gefangen geben. Nur der zähe Patrouillenführer war in ein Eingeborenendorf gekommen, wo ihn die Leute anscheinend freundlich begrüßten und ihm Eier brachten. Als er sich nach diesen beugte, fielen die Schwarzen über ihn her und übergaben ihn einer englischen Askaripatrouille, die in der Nähe versteckt war. Ein Askari mit Maultier, der sich ziemlich hochfahrend benahm, hatte den Deutschen weiter zu transportieren. Beim Transport machte der Deutsche in der Unterhaltung ihn auf Fehler an seinem Sattelzeuge aufmerksam, und es gelang ihm, das Maultier in seine Hand zu bekommen und auf ihm schleunigst davonzureiten. Bei dem sich entspinnenden Handgemenge hatte er die Schußwaffe des Askari ergriffen und diesen damit erschossen.
Auch östlich Kissangire drangen unsere Abteilungen weiter nach Norden vor, und es kam zu einer ganzen Reihe kleinerer Buschgefechte, die gelegentlich für den Feind recht verlustreich waren. Etwas östlich, an der Küste bei Kissidju, trieben sich auch feindliche Abteilungen herum, und dort lag auch ein kleines englisches Kriegsschiff. Hauptmann von Lieberman überfiel eines Morgens mit seiner 11. Kompagnie diesen Gegner, und unsere Askari gingen ihm mit Hurra recht gründlich zu Leibe. Auch auf das Kriegsschiff wurden einige anscheinend erfolgreiche Schüsse aus dem Feldgeschütz angebracht. Nach Vertreibung des Feindes aus Kissidju kehrte Hauptmann von Lieberman sodann zurück. Auch gegen die rückwärtigen Verbindungslinien des Gegners wurde gearbeitet, und fast täglich kam es zu kleinen Gefechten.
Das dichtbesiedelte Land ist von geradezu fabelhaftem Reichtum. Askari und Europäer hatten außer reichlich Mehl auch Mangos, Papeien, Mustaphelen, Kokosnüsse und andere Arten tropischer Früchte zur Verfügung. Überraschend waren die großen Reisfelder, die hier dicht südlich Daressalam lagen, während doch im Frieden Reis zum großen Teil von Indien importiert wurde. Vieh war wenig vorhanden, aber die Kompagnien fingen an, Jagdkommandos weit in die wildreiche Steppe zu entsenden, die sich besonders im Westen unserer Stellungen[S. 144] erstreckte. Daß Wild in der Nähe sein mußte, darauf wiesen schon die zahlreichen Löwen hin. Mehrfach ist eine Familie von fünf Löwen nachts durch unser Lager gewandert und hat dabei auch Tiere geschlagen.
Während sich das Kommando in Makima aufhielt, traf im Oktober eine Nachricht ein, die vermuten ließ, daß die feindliche starke Truppenlandung bei Kilwa sowie das Erscheinen feindlicher Abteilungen, die von Westen her in Richtung auf Liwale an den Mbarangandufluß gelangt waren, zu einer großen konzentrischen Bewegung des Feindes gegen Liwale gehörten. Starke portugiesische Truppen hatten den Rowuma überschritten, waren in das Makondehochland eingefallen und hatten sich in den Besitz von Newala gesetzt. Der Kommandant der „Königsberg“, Kapitän z. S. Looff, war an Land nach Räumung von Daressalam zunächst wieder in das alte Gebiet der „Königsberg“ am Rufiji gerückt und war dann nach Lindi marschiert. Er hatte jetzt den Befehl im Süden übernommen. Mit den drei dort zunächst nur verfügbaren neu aufgestellten Askarikompagnien hatte er sich gegenüber starken Stellungen des Feindes, der bei Lindi gelandet war, verschanzt, die Hilfsschiffstransporte, die von Ssudi nach dem Norden gingen, gesichert und den Portugiesen, die sich am unteren Rowuma zeigten, durch kleinere Unternehmungen Schaden zugefügt. Um sich nun auch noch mit der Aussicht auf einen schnellen durchschlagenden Erfolg gegen die hinter ihm bei Newala vordringenden Portugiesen zu wenden, dazu waren seine Kräfte etwas schwach.
Es war nun recht willkommen, daß sich, wie oben erwähnt, zwei Kompagnien und das 10,5 cm-Königsberggeschütz der Abteilung von Boemcken zufällig bei Mpotora befanden. Als Führer für dieses Detachement wurde vom Rufiji her Hauptmann d. R. Rothe entsandt, der unter den jetzigen Verhältnissen als Oberpostdirektor abkömmlich war und auf sein eigenes Drängen der Truppe uneingeschränkt zur Verfügung gestellt wurde. In wenigen Tagen traf er von Niakisiku mit Fahrrad bei seinem Detachement ein und führte es auf Newala vor. Kapitän Looff übernahm den gemeinsamen Befehl; die Portugiesen wurden mit dem Königsberggeschütz gehörig zusammengeschossen und ihre Stellungen im Sturm genommen. Es gab eine wirklich sehr beträchtliche Beute von vier Gebirgsgeschützen, einer Anzahl Maschinengewehre,[S. 145] mehreren hundert Gewehren, vieler Munition, mehreren Automobilen, Verpflegung und Ausrüstung aller Art. Im Laufe der nächsten Woche wurden immer von neuem Verstecke von vergrabenem Material und Munition aufgefunden. Sehr verschwiegene Orte waren besonders ergiebig. Die Portugiesen wurden vollständig vom deutschen Gebiet verjagt und ein Stück in ihr eigenes Gebiet hinein verfolgt. Aber die Rücksicht auf die allgemeine Lage hielt mich davon ab, die Verfolgung wirklich bis auf das äußerste fortzusetzen. Abteilung Rothe wurde wegen der Beachtung, die der immer stärker werdende Kilwagegner erforderte, wieder nach Mpotora herangezogen. Schon bevor diese Bewegung ausgeführt wurde, hielt ich die Verschiebung stärkerer Kräfte aus der Gegend von Kissangire nach Kibata zu für erforderlich. Die Gelegenheit, nördlich des unteren Rufiji ein entscheidendes, erfolgreiches Gefecht zu führen, hatte sich nicht geboten. Notgedrungen mußte ich in den Bergen von Kibata, wie vorausgesehen, einer langwierigen und wenig entscheidenden Operation entgegengehen.
Die Truppenverschiebungen gegen Kibata fanden Ende November 1916 statt. Beim Durchmarsch lagerten wir bei Utete, wo in dem Gebäude der Zivilverwaltung geräumige Lazarette eingerichtet waren und wo sich auf einer „Baraza“ (einer luftigen Veranda) das Leben einer kleinen Offiziersmesse aufgetan hatte. Der Ort war auf seinen beherrschenden Höhen stark mit Schützengräben und Verhauen befestigt und beherrschte von hier aus die tiefer gelegene und weitausgedehnte Eingeborenenstadt. Nachts hörte man fast ununterbrochen das tiefe Grunzen der Flußpferde, und ein frecher Löwe suchte, nachdem ihm der Angriff auf einen Schwarzen mißlungen war, einen anderen Mann in unserem Lager zu schlagen. Glücklicherweise wurde ihm seine Beute im letzten Moment durch einen herbeieilenden Europäer und mehrere Schwarze entrissen. Beim Weitermarsch kamen wir auf die Straße Mohoro-Kibata. Hauptmann Schulz, der mit seiner Abteilung zwei Stunden nördlich Kibata eine feste Stellung bezogen hatte, wurde durch Nachschub aus der reichen Gegend von Mohoro her verpflegt. Verschiedene Magazine an dieser Straße ergänzten sich aus den fruchtbaren Gebieten ihrer unmittelbaren Umgebung. Außerdem entsandte Hauptmann Schulz auch Aufkaufkommandos in die seinem Lager nahe gelegenen Gebiete, in denen sich der ganze Reichtum des Landes offenbarte.
[S. 146]
In der Nähe von Mbindia, dem Lagerplatz der Abteilung Schulz angelangt, sah man von einem Berge aus eine breite, die Höhen überschreitende Schneise. Es war dies der Anmarschweg eines 10,5 cm-Königsberggeschützes, dessen Transport in die Feuerstellung vor Kibata Kapitänleutnant Apel leitete. Hunderte von Eingeborenen zogen in rhythmischem Gesang die schwere Last die steilen Hänge hinauf und hinunter, über die durch den dichten Busch ein geeigneter Weg festgelegt und freigeschlagen worden war. Kurz nach der Ankunft in Mbindia war das Geschütz auf einem Bergsattel in Stellung gebracht worden, und von hier konnte später die Beschießung mit Erfolg vor sich gehen. Auch eine der 10,5 cm-Feldhaubitzen wurde weiter vorwärts in einem Tal aufgestellt, um die vor ihr liegenden Höhen zu überschießen und die feindlichen Lager zu erreichen. Eingehende Erkundungen hatten die Möglichkeit ergeben, unsere Infanterie, gedeckt durch den dichten Busch, auf eine Höhe heranzuschieben, die das Gelände nördlich Kibata beherrschte. Die schwache feindliche Besatzung dieser Höhe wurde überraschend von rückwärts angegriffen und schnell vertrieben. Dann wurde eine andere Höhe angegriffen, die unmittelbar nördlich der massiven Europäergebäude an einer Wasserstelle gelegen war. Bald sah man unsere Askari diese Höhe ersteigen und sich auf derselben auf etwa 80 m gegenüber einer starken feindlichen Stellung einnisten.
Der Aufmarsch unserer Artillerie war inzwischen vollendet; außer dem 10,5 cm-Königsberggeschütz und der Haubitze waren auch die beiden Gebirgsgeschütze, und zwar in der Linie unserer Infanterie, in Stellung gebracht worden. Mit der Feuereröffnung auf die Gebäude, wo man auf der kahlen Höhe Menschen und Tiere zahlreich herumgehen sah, war gewartet worden, bis alles bereit war. Eine Kompagnie, die den Feind umgangen und sich an seine von Kibata nach Kilwa führende Hauptverbindungsstraße gelegt hatte, beobachtete, daß die schweren, bei der Boma einschlagenden Geschosse eine heillose Panik verursachten. Haufen feindlicher Askari liefen fort, so schnell sie konnten, an der Front der verdeckt liegenden Kompagnie vorbei. Aber leider ließ sich die Kompagnie davon abhalten, diesen günstigen Moment auszunutzen. Sie hoffte, daß den vereinzelten Askarihaufen bald noch stärkere Abteilungen folgen würden und wollte die Gelegenheit zu einem Feuerüberfall nicht vorzeitig preisgeben. Die erwarteten feindlichen starken[S. 147] Abteilungen kamen aber nicht, und so ging hier, wie leider auch sonst oft, eine gute Gelegenheit verloren durch die Erwartung einer noch besseren. Der Infanterieangriff gegen die erwähnten Höhen dicht nördlich Kibata hatte uns den Verlust mehrerer sehr tüchtiger Europäer gebracht; Feldwebel Mirow war gefallen, Vizefeldwebel Zitzmann trug durch einen Beinschuß eine schwere und sehr schmerzhafte Verletzung des Beinnerves davon. Oft hatte er sich früher durch seine unermüdlichen und erfolgreichen Patrouillengänge gegen die Ugandabahn ausgezeichnet. Er ging jetzt durch längeren Aufenthalt im Lazarett dem Dienst verloren und fiel noch vor seiner Wiederherstellung in Feindeshand.
Es war sehr schwierig, sich in den außerordentlich zerklüfteten Bergen von Kibata zurechtzufinden. Zahlreiche Erkundungsunternehmungen wurden entsandt, und nach einigen Tagen fühlten wir uns in den Bergen leidlich zu Hause. Kibata und die Verbindungsstraßen des Feindes waren gut einzusehen, und wir stellten fest, daß der Feind seine Truppen immer mehr verstärkte. Tatsächlich hat er die Hauptkräfte seiner bei Kilwa gelandeten Division bei Kibata verwandt. Unsere Beobachtungen und die Eigenart des Geländes führten zu dem Gedanken, daß der Feind uns von Kibata aus westlich, also um unseren rechten Flügel, zu umgehen beabsichtigte, um uns auf diese Weise zur Räumung der Höhen zu veranlassen, die von Norden aus Kibata und dessen Hauptwasserstelle beherrschten. Ein direkter Angriff des 129. Belutschenregiments war mit schweren Verlusten für den Feind abgeschlagen worden. In den ersten Tagen des Dezember wurden erst schwächere, dann stärkere Abteilungen erkannt, die sich von Höhe zu Höhe gegen unsere rechte Flanke vorschoben und mit ihrer Spitze bald einen beherrschenden Berg, von den Engländern Goldcoasthill genannt, erreichten. Unser Gegenstoß hiergegen wurde zunächst durch Schluchten und Wald begünstigt, und unsere Askari wurden, auch für uns überraschend, ganz dicht vor den feindlichen Stellungen sichtbar. Unsere Geschütze waren feuerbereit; leider aber schlug die erste Granate in unsere Askari ein, und der Infanterieangriff, der allein durch schnelle Überraschung Erfolg versprach, war mißlungen. Aber durch das nun einsetzende Feuer unserer zwei Gebirgsgeschütze auf 1600 m sowie unserer dahinter stehenden Haubitze hatte das feindliche Goldküstenregiment ganz erhebliche Verluste. Der Feind befand sich auf einem Berggrat, dessen Steilhänge[S. 148] zum großen Teil kahl waren. Er konnte daher kaum ausweichen, und auch die Geländeverstärkungen erforderten bei dem harten Boden längere Zeit. Wir haben dann den Berg mit unserer Infanterie umstellt und konzentrisch mit unseren Maschinengewehren die guten Ziele beschossen. Es wurde für den Feind unmöglich, die für ihn so wichtige Position zu halten. Nach ihrer Räumung fanden wir eine ganze Anzahl Massengräber, und der Verlust an Gefallenen dürfte allein an dieser Stelle kaum weniger als 150 gewesen sein.
Das Vorgehen des Goldküstenregiments hatte dem Feind aber doch Vorteile gebracht. Bei meinen schwachen Kräften — wir hatten im ganzen etwa neun Kompagnien — hatte ich eine der beiden unmittelbar bei Kibata liegenden Kompagnien fortgezogen, um sie gegen den Goldcoasthill zu verwenden. Als ich nachts ins Lager zurückgekehrt war, hörte ich bei der nun allein dicht am Feinde stehenden Kompagnie zahlreiche kleinere Detonationen, die wir erst nach längerer Zeit als einen uns damals noch unbekannten Handgranatenangriff erkannten. Der Feind griff mit mehreren Kompagnien so schnell und geschickt an, daß er überraschend in die Gräben unserer schwachen Kompagnie eindrang und diese hinauswarf. Der Verlust dieser Stellung beraubte uns der Möglichkeit, von den dortigen sehr geeigneten Höhen aus die feindlichen Truppenbewegungen und den Verkehr zur Wasserstelle auf nahe Entfernung unter Feuer zu nehmen. Ich hatte dies bis dahin mit Erfolg getan, gelegentlich auch ein leichtes Geschütz dorthin vorgeschoben und nach Feuerschluß wieder zurückgezogen.
Die Einbuße dieser Höhen und die hierbei erlittenen Verluste traten aber völlig zurück gegen den am Goldcoasthill erzielten Erfolg. Trotz unserer numerischen Unterlegenheit beherrschten wir die Lage durchaus. Unsere Patrouillen und starken Streifabteilungen gingen dem Feind unmittelbar in den Rücken und auch weiter fort auf seine rückwärtigen Verbindungen. Kleinere Unternehmungen, die der Feind gelegentlich versuchte, führten zu keinem Resultat. Im ganzen hat der Feind bei Kibata recht erhebliche Verluste gehabt, und ich glaube, daß diese nicht unter 400 Mann anzuschlagen sind. Auch seine operativen Absichten wurden ihm gründlich zerschlagen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß er von Kilwa aus auf Liwale vordrücken wollte. Unser kräftiges Zupacken bei Kibata zwang ihn, sich von Kilwa aus gegen uns zu wenden[S. 149] und das übrige Gebiet und den Apparat unserer eigenen Verpflegungs- und Transportlinien in Ruhe zu lassen. Gegen Ende Dezember erschienen feindliche Flugzeuge, kreuzten häufig über unseren Stellungen und bewarfen sie mit Bomben. Obgleich sie hierbei sehr viel stärkere Bomben als früher verwandten, fügten sie uns doch kaum Verluste zu. Am Weihnachtstage sahen wir, daß von einem Flugzeuge aus sich eine größere Masse auf die Boma Kibata herabsenkte. Unsere Hoffnung, daß der Feind sein eigenes Lager beschösse, hat uns aber enttäuscht: es waren größere Mengen Zigaretten als Weihnachtsgeschenk für seine Truppen.
Zu jener Zeit erhielt ich eines Tages ein persönliches Schreiben des britischen Oberbefehlshabers, General Smuts, in welchem er mir die Verleihung des Pour le mérite mitteilte und die Hoffnung aussprach, daß sein herzlicher Glückwunsch mir nicht unangenehm sein würde. Ich dankte ihm in ebenso höflicher Weise, wenn ich auch zunächst glaubte, daß es sich um eine Verwechslung mit dem mir kürzlich verliehenen Kronenorden II. Klasse mit Schwertern handelte. Ich erwähne diesen Brief des Generals Smuts als ein Zeichen dafür, daß trotz eines aufreibenden Krieges zwischen den feindlichen Parteien persönliche gegenseitige Hochschätzung und Ritterlichkeit durchaus bestand. Auch sonst hat der Feind bei vielen Gelegenheiten die Hochachtung vor den Leistungen der deutschen Truppe bekundet.
Ende 1916 hielt ich die militärische Lage in der Kolonie für außerordentlich günstig, wußte ich doch, daß die südafrikanischen Truppen durch Gefechtsverluste und Krankheiten zum großen Teil aufgerieben waren und daß von dem Rest ein großer Teil nach Ablauf seiner Verpflichtung nach Südafrika zurückkehrte. Gefangene hatten uns wiederholt versichert, daß sie genug von dem „Picknick“ in Ostafrika hätten. Auch die indischen Truppen, die längere Zeit in Ostafrika im Felde gestanden hatten, waren numerisch gesunken, und die neu herangeführten Truppen — wir stellten bei Kibata indische Pathanregimenter fest — bestanden zum großen Teil aus jungen Soldaten. Andere Regimenter, wie die 129. Belutschen, die in Flandern gefochten hatten, waren zweifellos recht tüchtig, aber auch bei ihnen war zu erwarten, daß sie auf die Dauer den Strapazen des afrikanischen Krieges nicht standhalten würden. Die feindlichen schwarzen Askaritruppen waren im allgemeinen jung und zur Zeit erst in geringer Anzahl im Felde gewesen. So konnte[S. 150] man es ruhig auch weiterhin auf einen längeren Krieg ankommen lassen. Ich glaube auch jetzt noch, daß es uns gelungen wäre, dem überlegenen Feind gegenüber nicht nur standzuhalten, sondern ihn auch zu schlagen, wenn er nicht die Möglichkeit gehabt hätte, seine abgenutzten Verbände immer wieder aufzufüllen und neue Truppen heranzuführen. Ich wußte Ende 1916 nicht, daß dies inzwischen im größeren Umfange geschehen war. Unter anderem war aus Nigeria eine ganze Brigade schwarzer Truppen nach Daressalam gebracht und von dort ohne Aufenthalt weiter nach Dutumi und Kissaki transportiert worden.
Die fünf dort unter Hauptmann Otto lagernden Kompagnien wurden in den ersten Januartagen 1917 durch General Smuts mit mindestens zwei Brigaden angegriffen. Der Feind hatte bei seinem Angriff gleichzeitig weitausholende Umgehungsbewegungen vorbereitet, die es ihm bei seiner großen Überlegenheit an Zahl ermöglichten, sich unseren Truppen, die in Richtung auf Kungulio auswichen, auf ihren Marschstraßen vorzulegen. Mehrfach mußten unsere Askari sich den Weg mit dem Bajonett bahnen, und bei der Unübersichtlichkeit des Geländes kamen einzelne unserer Kompagnien in recht schwierige Gefechtslagen. Unsere Feldhaubitze stieß bei ihrem Abmarsch aus Behobeho mit nur schwacher Bedeckung auf einen im Hinterhalte liegenden Feind von mehreren Kompagnien und ging nach Vernichtung ihrer Bedienungsmannschaft verloren. Aber schließlich gelang es doch allen Teilen, sich der Umgehung durch den Feind zu entziehen und bei Behobeho zu sammeln. Hier kam es sogleich wieder zu ernsthaften Gefechten, in denen sich auch der Feind sehr brav schlug. Der alte Selous, ein auch in deutschen Kreisen durch seine Liebenswürdigkeit und spannenden Erzählungen gut bekannter Jäger, der als Leutnant eingetreten war, fiel in diesem Kampf. Vor sich und an den Seiten den überlegenen Feind, hinter sich den mächtigen Rufiji mit nur der einen so leicht zerstörbaren Brücke, glückte es Hauptmann Otto doch, dem ihm erteilten Auftrage gemäß das Südufer des Flusses mit allen Truppen zu erreichen und die Brücke zu zerstören.
Eine weite von uns beobachtete Umgehungsbewegung des Feindes, die dieser von Kissaki aus weiter westlich auf Mkalinzo am Rufiji zu ausführte, wurde nun unwirksam. Die dort marschierende feindliche Brigade traf nicht mehr frühzeitig genug auf dem Südufer des Rufiji[S. 151] ein, um den Übergang des Hauptmanns Otto zu verhindern und ihn dadurch in eine verzweifelte Lage zu bringen; im Gegenteil, es kam zu recht erheblichen Teilerfolgen für uns. Der von Behobeho nachdrängende Gegner folgte sehr scharf und überschritt mit großen Teilen den Rufiji bei Kungulio mit Booten. Hauptmann Otto hatte seine Abteilung etwas südlich des Flusses bereit, griff nun den zum Teil übergesetzten Gegner an und schlug ihn vollständig mit schweren Verlusten für den Feind zurück. Dieser Teilerfolg war durch das Verhalten der erwähnten, auf Mkalinzo angesetzten feindlichen Umgehungskolonne begünstigt. Sie bestand zum großen Teil aus Weißen und einem Teil der schwarzen Nigeriatruppen. Beide waren dem großen Umgehungsmarsch nicht gewachsen und deshalb erschöpft und verwendungsunfähig am Rufiji eingetroffen. Sie fielen für eine ganze Zeit aus, und die Einheitlichkeit der im ganzen nicht schlecht angelegten Operation des Generals Smuts ging in die Brüche.
Das Vordringen des starken Feindes bei Kungulio barg die Gefahr in sich, daß der Feind sich in den Besitz des mittleren Rufiji und des südlich davon gelegenen Landes setzte. Leicht konnte er dann den Hauptteil unseres Kriegsmaterials und den Apparat unserer Etappenverbindungen, die in der Hauptsache vom mittleren Rufiji nach Liwale zu liefen, in die Hand bekommen. Ich mußte daher auf seine Bewegungen mit unseren vor Kibata stehenden Hauptkräften reagieren und marschierte mit dem größeren Teil derselben nach dem Utungisee ab, um von dort aus zur Unterstützung des Hauptmanns Otto oder zur Ausnutzung einer sich bietenden günstigen Lage bereit zu sein.
Unser Abmarsch von Kibata ging am ersten Tage programmäßig vonstatten. Am nächsten Tage ritt ich mit einigen Begleitern voraus in der Erwartung, daß die Truppen, die einige eingeborene Führer bei sich hatten, den Weg nicht verfehlen würden. In den Kissibergen fanden[S. 152] wir zahlreiche Eingeborene vor, die aber sehr scheu waren und vielfach bei unserer Annäherung ihre reichen Reisbestände im Stich ließen. Ich habe es noch an demselben Tage bedauert, von dieser reichen Verpflegung nichts für den eigenen Gebrauch entnommen zu haben. Wir Reiter rasteten während der Mittagshitze im Pori. Einige Landeskundige machten mich auf die erfrischende, stark blausäurehaltige Mbinjifrucht aufmerksam, an der wir uns labten. Leider wußten wir damals noch nicht, daß auch der geröstete Mbinjikern eine vortreffliche Nahrung darstellt, ähnlich unserer Haselnuß. Die Hitze war zum Umfallen, aber da wir im Bereich der feindlichen Patrouillen waren, mußten wir aufmerksam sein. Die Wasserstellen waren jetzt in der äußersten Trockenzeit leer; nach langem Suchen fanden wir endlich einen kleinen Tümpel zwar schmutzigen, aber von Landeskundigen als nicht gesundheitsschädlich bezeichneten Wassers. Gegen Abend erreichten wir die verlassene große Niederlassung. Glücklicherweise fanden wir dort einen im deutschen Verwaltungsdienste stehenden Schwarzen vor, der uns darüber orientierte, daß dies Ungwara, unser für diesen Tag in Aussicht genommenes Marschziel, sei. Nach Durchschreiten des Ortes zeigte der Mann uns einen Wassertümpel, an dem wir Lager bezogen. Mein schwarzer Koch, der alte bärtige, bei vielen Ostafrikanern wohlbekannte Baba, hatte mit uns Reitern fast Schritt gehalten und traf nach kurzer Zeit, unserer Spur folgend, ein. Schnell hatte er für sich seinen „Ugali“ (Brei) zurechtgemacht und saß behaglich am Feuer. Wir sahen ihm neidisch zu; denn wir hatten nichts und warteten auf unsere Lasten und die nachfolgende Truppe. Aber niemand kam, und wir legten uns hungrig schlafen. Der Retter in der Not nahte aber in Gestalt einer prachtvollen Säbelantilope, die bei fast tageshellem Mondschein zur Tränke wechselte. Fast gleichzeitig krachten die beiden Schüsse zweier meiner Begleiter, van Rooyen und Nieuwenhuizen, der jagderprobten Buren, die deutsch geworden waren. Wie elektrisiert waren wir aus unseren Decken emporgeschnellt, und nach kurzer Zeit brieten die ersten Stücke des delikaten Wildbrets am Spieße.
Am nächsten Tage erreichten wir den Utungisee, wo uns Hauptmann Feilke erwartete und mit Brot, Kaffee und aus Wildpret hergestellter Wurst erfrischte. Von den nachfolgenden Truppen fehlte jede Spur. Sie hatten uns im Pori verloren und sich fast alle so gründlich[S. 153] verlaufen, daß ein Teil derselben erst nach Tagen in der Gegend von Utete unsere Telephonlinie erreichte und mit uns in Verbindung trat. Bei der Schwierigkeit der Verbindungen war es mir bisher nicht möglich gewesen, über den Stand unserer Verpflegung ein zutreffendes Bild zu erhalten. Ich hatte geglaubt, am Utungisee, bei Mpaganja sowie in der Gegend von Madaba wohlgefüllte Magazine vorzufinden. Dies war meine Absicht gewesen, als ich aus dem reichen Gebiet nördlich des unteren Rufiji Verpflegung mit aller Anspannung über Mpaganja in das Etappengebiet abtransportierte. Die Verpflegungslage hatte sich aber ganz anders entwickelt.
Im Etappengebiet war außer den Trägermassen, die zum Abtransport der Kriegsbestände nach Süden nötig waren, noch eine Menge Personal gehalten worden, das zum Wegebau, zum Bau von Grashütten und zu anderen Zwecken verwendet wurde. Auch auf den kleinen Etappenorten lagen eine Anzahl Leute herum, die auch im günstigsten Falle nichts anderes taten, als ihre eigene Verpflegung herbeizuholen und aufzuessen. Oft aber wurde auch dieses Heranholen der Verpflegung noch wieder durch andere Leute besorgt, die ihrerseits wieder verpflegt werden mußten. Es war in vielen Fällen beinahe so, daß eine Last Verpflegung, die bei der fechtenden Truppe nördlich des unteren Rufiji gesammelt und abgeschickt worden war, schließlich in einem kleinen Etappenort landete und von Leuten verzehrt wurde, die nichts oder etwas ganz Nebensächliches leisteten. Bei den schwierigen Verkehrsverhältnissen und den großen Entfernungen war es auch dem tätigen und durchgreifenden Hauptmann Stemmermann, der die Leitung des Etappenwesens übernommen hatte, noch nicht gelungen, in diese Verhältnisse vollen Einblick zu erhalten und die Mißstände abzustellen. Es gab auch in Afrika zuviel Leute, deren Hang, die vorhandenen wertvollen Kräfte für nebensächliche Dinge zu verwenden und dadurch wichtigere Dinge zu schädigen, so groß ist, daß nur ein eiserner Besen Wandel schaffen konnte. Das Gesamtergebnis aller dieser Hemmungen war, daß Tausende und aber Tausende von Nichtstuern die Bestände verzehrten, die mit großen Anstrengungen im Bereich der fechtenden Truppe gesammelt worden waren. Die Etappe leistete nichts für die Verpflegung der Truppe, lebte im Gegenteil noch auf deren Kosten, und dabei stand der Augenblick in greifbarer Nähe,[S. 154] wo wir die Verpflegungsgebiete, die zur Zeit von der fechtenden Truppe gehalten wurden, aufgeben mußten. Da war guter Rat teuer. Mit allem Nachdruck mußte auf sofortigen Anbau in dem augenblicklich von uns besetzten Gebiete, also der Umgebung von Madaba und Liwale, dann aber auch in den weiter südlich gelegenen Teilen des Schutzgebietes, die voraussichtlich für die späteren Operationen in erster Linie in Frage kamen, gesorgt werden. Aber das Heranwachsen aller dieser Verpflegung erforderte Monate. Diese Monate mußten wir noch am Rufiji bleiben und hier leben. Hier waren zwar einige hundert Hektar Mais angepflanzt worden, aber auch diese mußten erst voll heranreifen. Nicht früher durfte aus Verpflegungsgründen die Truppe nach Süden rücken; sie mußte sich in dem verpflegungsarmen Gebiet halten, in dem sie augenblicklich lag.
Die Erfüllung dieser Aufgabe war schwierig. Eine Forderung mußte sofort durchgeführt werden: das Abschieben aller Esser, die für die Kriegführung der nächsten Monate nicht unbedingt notwendig waren. So wurden Tausende von Trägern und Arbeitern des Etappengebietes nach ihrer Heimat entlassen. Die großen Nachteile dieser Maßregel mußten bewußt mit in Kauf genommen werden; lieferten wir doch dem Feinde Tausende von Leuten, deren Aussagen ihm ein bis ins einzelne gehendes Bild unserer Verteilungsstärke, Verpflegungslage und inneren Verhältnisse geben mußte. Die Verringerung des Etappenpersonals allem genügte jedoch nicht. Auch das nichtfechtende Personal der Kompagnien wurde verringert. Unter anderem wurde bestimmt, daß für keinen Europäer von jetzt ab mehr als fünf Farbige zuständig sein durften. Das klingt für europäische Ohren reichlich, aber unter afrikanischen Verhältnissen ist für den Europäer eine farbige Bedienung wirklich unerläßlich, also mindestens ein Mann oder Junge, der kocht und die persönlichen Dienste verrichtet. Dazu kommt, daß alles Eigentum an Bekleidung, Verpflegung, Decken und Zeltmaterial dauernd mitgeführt werden muß. Wenn man bedenkt, daß im Frieden für den reisenden Beamten auf einer größeren Safari (Reise) elf bis dreizehn Träger außer seinen zwei bis drei persönlichen Dienern zuständig waren, so wird man verstehen, wie einschneidend die vom Kommando angeordnete Beschränkung war und welchen Sturm der Entrüstung sie erregte. Glücklicherweise war ich in der Lage, allen Einwendungen, die mir vom[S. 155] gesundheitlichen und kulturellen Standpunkt aus gemacht wurden, die einfache Tatsache gegenüberzuhalten, daß ich selbst seit Monaten statt mit drei mit knapp zwei Lasten, also im ganzen mit vier Schwarzen, ausgekommen und dabei gesund geblieben war. Besondere Dankbarkeit empfinde ich noch jetzt gegen die Offiziere der Truppe, die, wie bei so vielen anderen Gelegenheiten, die Notwendigkeit einer unbequemen Maßregel einsahen und mit bestem Beispiel vorangingen. Sie sahen die richtige Auffassung unserer Offiziersüberlieferung darin, daß sie nicht besondere Bequemlichkeiten für sich beanspruchten, sondern gerade in erster Linie die unvermeidbaren Unbequemlichkeiten auf sich nahmen. Ich glaube, daß von allen, Soldaten und Nichtsoldaten, bis in die höchsten Zivilstellen hinauf, nicht einer ist, der die anfänglich so hart bekämpfte Maßregel jetzt noch verurteilte.
Jedoch durch das Abschieben der „Esser“ allein war das Existenzproblem noch nicht zu lösen; die Bestände langten einfach nicht. Es war schon damals vorauszusehen, daß die Verpflegungseinfuhr aus dem Gebiet der fechtenden Truppe, die natürlich mit Hochdruck weiterbetrieben wurde, nicht ausreichen würde, um uns bis zum Beginn der neuen Ernte, also bis Ende März, zu verpflegen. Bei aller eingehenden und reiflichen Überlegung kamen wir nicht um die Notwendigkeit herum, auch die Verpflegungssätze herunterzusetzen, eine außerordentlich unsympathische Maßregel, da auch der Schwarze, wenn Verlaß auf ihn sein soll, gut verpflegt sein muß. Es entlud sich denn auch ein neuer und sehr viel stärkerer Sturm der Entrüstung. Von allen Seiten kamen die Schreiben und Telegramme, daß die auf täglich 600 g Mehl festgesetzte Menge von Zerealien die für den Körper erforderliche Kalorienzahl nicht liefern könnte. Aber auch hier stand die unerbittliche Tatsache fest, daß eben nur soundso viel Verpflegung vorhanden war und wir mit dieser auskommen mußten. Die Herabsetzung der Zerealienportion war nicht zu umgehen. Im übrigen mußten die Kompagnien und der einzelne für einen entsprechenden Ausgleich durch die Ergebnisse der Jagd sorgen, was bei dem wildreichen Gebiet bei einiger Rührigkeit auch zu erreichen war. Aber in Verpflegungssachen ist nun einmal die Logik bei vielen etwas beeinträchtigt, und für manchen war es nicht allzu schwer, alle Schuld für die zur Zeit kaum ausreichende Verpflegung auf den bösen Kommandeur zu schieben und selbst die Rolle dessen zu spielen,[S. 156] der mit allen Kräften für die baldige Wiederheraufsetzung des täglichen Verpflegungssatzes arbeitete. Ich mußte dies mit Gemütsruhe über mich ergehen lassen und machte meine Beobachtungen darüber, welche Leute imstande waren, sich mit einer unerbittlichen Notwendigkeit abzufinden oder welchen dies nicht gelang.
Die Ausführung dieser einschneidenden Anordnungen geriet nun auf Schwierigkeiten. Eine Menge von Askarifrauen hatten die Truppe begleitet, waren dann aber in verschiedenen Lagern am Rufiji hängengeblieben, wo es ihnen gerade gefiel. Ich hatte das größte Interesse, sie nach Süden abzuschieben, wo die Verpflegung leichter durchführbar war. Die Transporte wurden auch eingerichtet und die Frauen für den Marsch mit Verpflegung ausgerüstet. Aber schon nach einem kurzen Tagemarsch blieben sie einfach liegen und erklärten, nicht weitergehen zu können. Ihre auf längere Zeit berechnete Verpflegung hatten sie spätestens am dritten Tage aufgegessen und schrien nun nach mehr. Einige fielen sogar über den Europäer her, der den Transport führte, und verprügelten ihn. Auch unter der schwarzen Farbe machte das holde Geschlecht von den Vorzügen, die ihm in seiner Gesamtheit mit Recht zugeschrieben werden, nicht immer uneingeschränkten Gebrauch.
Schließlich kamen wir aber auch über diese Schwierigkeit hinweg, und die Verpflegungsfrage löste sich leidlich. Die Askari, denen die Lage auseinandergesetzt wurde, sahen die Schwierigkeiten ein und waren recht verständig. Gute Jäger wurden auf die weiten Jagdgründe verteilt und der knurrende Magen dann von Zeit zu Zeit wieder reichlicher gefüllt. Ich entsinne mich, daß bei uns am Utungisee unsere etwa 200 Schwarzen an einem Tage einen starken Büffel und im Anschluß daran noch einen Elefanten restlos verzehrten. Auch den durchziehenden Trägerkarawanen konnte häufig ein Stück Wildbret verabfolgt werden.
Im Laufe des Februar schrumpften die Bestände unserer Magazine, die ich mir täglich notierte, zusammen. Ich mußte befürchten, daß ich aus Verpflegungsgründen das Heranreifen der neuen Ernte am Rufiji nicht abwarten könnte. Dann war nicht nur diese Ernte verloren, sondern auch die weiter südlich heranwachsenden Bestände konnten nicht voll ausgenutzt werden. Dort würden wir nur die gerade reifen Früchte verbrauchen und weiterziehen, den Rest unreif stehenlassen müssen. Ein[S. 157] glücklicher Zufall brachte mir in dieser Verlegenheit Hilfe. Ich ging eines Tages vom Utungisee nach Mpanganja zu Hauptmann Tafel, der dort mit bewährter Umsicht die taktischen und zugleich die Verpflegungsangelegenheiten leitete. Nachts blieb ich in seinem Lager, und er setzte mir ein sehr schönes Gericht aus jungem Mais vor, der wie Spargel zubereitet war. So kamen wir auf die Maisfelder von Mpanganja und Umgebung zu sprechen. Diese saßen voll von Frauen und anderen Eingeborenen, die dort wie ein Flug Zugvögel eingefallen waren und von der jungen, ganz unreifen Frucht lebten. Das war so unwirtschaftlich wie möglich, aber es brachte mich doch auf den Gedanken, im Notfalle die Maisbestände schon vor ihrer Reife in größerem Umfange ausnutzen zu können. Dieser Notfall trat nun sehr bald ein, und ein Versuch mit den in der Reife am weitesten vorgeschrittenen Körnern ergab, daß diese aus einer Darre notreif getrocknet werden und aus ihnen ein recht gutes Mehl hergestellt werden konnte. Es wurden nun von Tag zu Tag die reifsten Kolben abgeerntet, und da die Gesamtbestände immer weiter heranreiften, so besserte sich die Verpflegungslage von Tag zu Tag. Schon am 1. März konnten die Rationen auf 700 g, also fast auf die volle Höhe des früheren Satzes, heraufgesetzt werden.
Die zunehmende Verschärfung der gesamten Kriegslage erforderte eine intensivere und straffere Ausnutzung unserer Verpflegungsmöglichkeiten; die ruhige und langsame Verpflegungsbeschaffung, wie sie im ersten Teil des Krieges von den Zivilbehörden in befriedigendem Maße geleistet worden war, war jetzt nicht mehr ausreichend. Zweimal, bei Kissaki und am Rufiji, war ich unvorhergesehenerweise in die schwierigste Verpflegungslage gekommen, die Weiterführung der Operationen in Frage gestellt worden. Eine straffere Organisation des Verpflegungswesens, die die militärischen Notwendigkeiten erkannte, vorausschauend berücksichtigte und schneller und durchgreifender arbeitete, war eine Lebensfrage für die weitere Kriegführung. Glücklicherweise ließ sich auch der Gouverneur hiervon überzeugen, und so wurde eine aus einer Anzahl Truppenangehöriger neugebildete Intendanturabteilung über Liwale nach Massassi vorausgesandt. Sie richtete mehrere Unterabteilungen im Anschluß an die Nebenstellen der Verwaltung im Bezirk Lindi ein und hat auf diese Weise Hand in Hand mit den Zivilorganen[S. 158] dort den Anbau und das Ansammeln der Verpflegung in Magazine vorbereitet und später durchgeführt. Durch diese Einrichtung wurde die angestrebte Durchtränkung des Verpflegungs- und Nachschubapparates mit dem unvermeidlichen militärischen Geiste im großen und ganzen erreicht.
An Bekleidung war in damaliger Zeit kein fühlbarer Mangel, und auch Waffen und Munition waren ausreichend vorhanden.
Wegen der Umgehungsbewegung des Feindes bei Mkalinzo, wo starke Truppenmengen festgestellt worden waren, hatte Hauptmann Otto das Gros seiner Abteilung von Kungulio aus nach Süden verschoben. Nördlich Mawa deckte er das reiche Verpflegungsgebiet von Madaba und die vom Utungisee über Mawa dorthin laufende Transport- und Telephonstraße. Am 24. Januar 1917 wurde Hauptmann Otto nördlich Mawa von mehreren Bataillonen der Nigeriabrigade angegriffen. Der mit schweren Verlusten geschlagene Feind wurde mehrere Kilometer durch den Busch verfolgt bis zu einer verschanzten Stellung, in der er Aufnahme fand. Von Kibata her waren die Truppen des nach unserem Abzug dort belassenen Hauptmanns Schulz, die gelegentlich verstärkt und abgelöst wurden, nach Kämpfen in der Gegend Kibata-Utete-Kissiberge allmählich nach Ungwara zusammengezogen worden. Stärkere Kräfte — festgestellt wurde eine Infanteriebrigade — waren ihnen gefolgt. Trotz seiner numerischen Überlegenheit verliefen die einzelnen Gefechte für den Feind meist ungünstig und recht verlustreich. Hauptmann von Lieberman, Hauptmann Goering, Hauptmann Koehl und zahlreiche Patrouillenführer schlugen häufig um das Doppelte und mehr überlegene Abteilungen Inder oder schwarzer Soldaten vollständig und erbeuteten Gewehre, Maschinengewehre und Munition. Der lange Krieg hatte eine große Anzahl tüchtiger Unterführer erzeugt, und das Beispiel, wie es der später gefallene Oberleutnant Kroeger gab, rief unbegrenzte Unternehmungslust und Wagemut hervor. Ohne nach der Stärke des Feindes zu fragen, war er häufig mit wenigen Mann im dichten Busch dem Feinde sofort mit aufgepflanztem Seitengewehr und Hurra zu Leibe gegangen und hatte so auch bei den Askari Schule gemacht. Verschiedene farbige Patrouillenführer taten sich hervor, und wenn später der brave Effendi der 4. Feldkompagnie mit seiner Patrouille eine ganze indische Kompagnie in selbständigem Gefecht[S. 159] schlug, so verdanken wir dies der hier bei Ungwara durchgemachten Schulung.
Die Gefahr für unsere über Madaba und Liwale nach Süden gehende Verbindung durch einen starken Feind, der westlich Kibata stand, war zu offenkundig, und es war notwendig für uns, für ausreichenden Schutz zu sorgen. Dies bedingte eine allmähliche Verschiebung unserer Kräfte vom Rufiji aus nach Süden um so mehr, als die Verpflegungsbestände im Gebiet dieses Flusses sich ihrem Ende näherten und die großen Regen vor der Tür standen.
Es war von besonderer Wichtigkeit, die Gebiete des Rufiji nicht vor dem Einsetzen dieser großen Regen zu räumen. Gelang dies, so stand ein erheblicher Zeitgewinn für uns zu erwarten, da während der Regen selbst und in der Zeit nach ihnen die Operationen notgedrungen stillstanden, die Feldfrüchte, besonders der Mtama (Hirse), also ausreifen konnten.
Als die Wanderungen der Ameisen gezeigt hatten, daß die großen Regen bevorstanden, war vorbeugend vom Kommando befohlen worden, daß Frauen, Kinder und Nichtkombattanten in möglichst großer Anzahl auf das Nordufer des Rufiji übergesetzt und von dort weiter nach Daressalam transportiert wurden. Daß diese durch die Regen und die Verpflegungsmaßnahme bedingte unvermeidliche Maßnahme viele Mißbilligung hervorrief, darum durfte ich mich ebensowenig wie bei anderen Entrüstungsstürmen kümmern. Ich stehe aber auch jetzt noch auf dem Standpunkt, daß das frühzeitige Abschieben dieser Leute mehr in ihrem eigenen Interesse lag, als daß sie noch einen Teil der Regenzeit im aufgeweichten Boden oder in überschwemmten Wohnungen ohne ausreichende Verpflegung hätten zubringen müssen.
Die Regen, die Ende März einsetzen, waren 1917 ganz besonders stark. Unser etwas erhöht liegender Lagerplatz am Utungisee wurde zu einer Insel, von der aus der Verkehr durch den Wald zum Rufiji nur durch Boote möglich war. Eine Anzahl Leute ist während der Regenzeit im Walde ertrunken, andere flüchteten sich tagelang auf die Bäume. Das Wasser stieg so hoch, daß es in Mpanganja in die erhöht liegenden Wohnräume der Europäer und in die Lazarettgebäude eindrang und allen Unrat in Bewegung setzte. Ein Verbleiben von Frauen und Kindern, Kranken und Verwundeten war ganz unmöglich, und so[S. 160] mußten sie sich nach dem Abzug der Truppe an die Engländer wenden, die auch in Würdigung der Notlage für Verpflegung und Abtransport sorgten.
Das Gros der Truppe marschierte rechtzeitig aus den Überschwemmungsgebieten des Rufiji und des Utungisees nach Süden weiter, nachdem sie aus der am Rufiji vorhandenen Verpflegung fast bis auf das letzte Korn Nutzen gezogen hatte. Der Abmarsch vollzog sich ganz allmählich und staffelweise; in Mpotora, das Hauptmann Rothe mit seinen zwei Kompagnien, die die Portugiesen bei Newala geschlagen hatten, in einem verschanzten Lager besetzt hielt, sammelte sich der größere Teil der Truppe. Am Rufiji blieben nur kleinere Abteilungen, die sich allmählich bis zur Stärke von Patrouillen schwächten. Vier Tagemärsche östlich von Madaba bot sich den Abteilungen Koehl und Goering Gelegenheit zu erfolgreichen Unternehmungen gegen feindliche Abteilungen, die am Westrande der Matumbiberge standen. Aber allmählich wurden alle unsere Abteilungen nach Mpotora herangezogen, und nur Hauptmann Otto blieb in dem höher gelegenen Gebiet von Madaba stehen.
Major Kraut war im August 1916 von Kilossa aus schrittweise auf Mahenge ausgewichen und hatte bei Kidodi am Ruaha nur die Abteilung Schoenfeld belassen.
Die Truppen des Hauptmanns Braunschweig traten unter Befehl des Majors Kraut. Von diesen war Ende Mai 1916 Hauptmann Falkenstein mit der 5. Feldkompagnie von Ipyana, Hauptmann Aumann mit seiner Kompagnie aus Gegend Mbozi unter dauernden kleinen Scharmützeln in Richtung auf Lupembe und Madibira zurückgegangen. Gegen den mindestens eine Brigade starken, nachdrängenden Feind mußte unseren schwachen Abteilungen ein Halt gegeben werden. Ende Juni 1916 war deshalb Hauptmann Braunschweig, der sich in Dodoma befand, über Iringa entsandt und durch Kompagnien, die von den[S. 161] Kondoatruppen und von Daressalam herangezogen wurden, auf fünf Kompagnien gebracht worden, einschließlich der beiden Kompagnien aus Langenburg. Auch 100 Mann der „Königsberg“-Besatzung (aus Daressalam) und eine Feldhaubitze gehörten zu seiner Abteilung. Bei Malangali nahm er den Angriff des Feindes an und brachte diesem anscheinend auch erhebliche Verluste bei. Dann aber räumte er die Stellung und ließ die schwer transportierbare Haubitze stehen, nachdem sie unbrauchbar gemacht worden war. Braunschweigs Lage wurde dadurch erschwert, daß in seinem Rücken ein großer Wahehehäuptling aufstand und mit allen Leuten und Vieh zum Feinde überging. Hauptmann Braunschweig wich dann in einer ganzen Reihe kleiner Nachhutgefechte auf Mahenge zu aus und wurde dem Major Kraut unterstellt. Nach zahlreichen kleinen Gefechten hielten dessen vorgeschobene Abteilungen im großen und ganzen die Linie des Ruhudje- und Ruahaflusses. In dem reichen Bezirk von Mahenge war die Verpflegung ausgezeichnet, auch nachdem ein großer Teil des westlich des Ruhudje belegenen Reisgebietes aufgegeben war. An diesem Fluß, bei Mkapira, hatte der Feind ein starkes befestigtes Lager bezogen. Wenn dieses auch durch einen gewaltsamen Angriff bei unseren Mitteln nicht einzunehmen war, so bot sich doch Gelegenheit, auf den Feind durch das Abschneiden seiner nach Lupembe führenden Verbindung so einzuwirken, daß er wegen Nahrungsmangel aus seinen Verschanzungen herauskommen mußte.
Major Kraut überschritt mit fünf Kompagnien und einem leichten Geschütz den Fluß und bezog im Rücken des Feindes, quer über dessen Verbindungslinie, auf einem Kranze von Höhen befestigte Stellungen. In der Front des Feindes deckten schwache Truppen das nach Mahenge zu gelegene Flußufer. Leider waren die Befestigungen unserer einzelnen Kompagnien so weit voneinander entfernt, daß in dem schwer passierbaren Gelände eine rechtzeitige Unterstützung nicht gewährleistet war. Am 30. Oktober 1916 vor Tagesanbruch wurde die auf dem rechten Flügel stehende 10. Kompagnie durch einen umfassenden feindlichen Angriff überrascht. Der Feind drang sehr geschickt auch von rückwärts in die Stellung der Kompagnie ein und setzte unter schweren Verlusten für uns die Maschinengewehre außer Gefecht. Auch auf dem linken Flügel wurde die Kompagnie des Oberleutnants von Schroetter von allen[S. 162] Seiten angegriffen und mußte sich mit dem Bajonett unter Verlust des leichten Geschützes und eines Maschinengewehres den Weg nach außen bahnen. Bei den schweren Verlusten, die der Feind erlitten hatte, hätte Major Kraut trotz diesen teilweisen Mißerfolgen auf dem westlichen Ufer des Ruhudje bleiben können; aber auch in seinem Rücken, nach Lupembe zu, wurde Gefechtslärm bei der ihn deckenden 25. Feldkompagnie hörbar. Irrtümlicherweise glaubte Major Kraut an einen starken Angriff auch von dort her und ging deshalb auf das östliche Ruhudjeufer zurück. Zu seinem Erstaunen waren die starken Befestigungen des Feindes bei Mkapira nach einigen Tagen verlassen, der Feind nachts abgezogen. Nähere Untersuchung ergab, daß der Gegner bei dem vorhergehenden Gefecht sehr schwere Verluste erlitten hatte. Doch war hierdurch sein Abzug nicht zu erklären; die Lösung dieses Rätsels ergab sich erst später durch das Erscheinen des Generals Wahle, mit dem bis dahin jede Verbindung gefehlt hatte.
In Erwartung der Anfang 1916 einsetzenden großen Offensive waren die Verstärkungen, die vorübergehend zum Viktoriasee, nach Ruanda, zum Russissi und in das Tanganjikagebiet entsandt worden waren, zurückgezogen worden und zu unseren, im Gebiet der Nordbahn stehenden Haupttruppen gestoßen. Es mußte für diese Nebenkriegsschauplätze eine einheitliche Kriegführung geschaffen werden; zu diesem Zweck wurde ein „Westbefehl“ unter Generalmajor Wahle geschaffen, der im allgemeinen von Tabora aus diese Operationen leitete und in Einklang miteinander brachte. Im April und Mai 1916, als die britischen Hauptkräfte im Gebiet des Kilimandjaro ihren Aufmarsch vollendet hatten und nach Schluß der Regenzeit in südlicher Richtung weiter vordrangen, begannen auch auf diesen Nebenkriegsschauplätzen Engländer und Belgier von Muansa, vom Kiwusee, vom Russissi und von Bismarckburg her konzentrisch auf Tabora vorzudrücken. Unsere schwachen Abteilungen wichen auf diesen Ort zu aus.
Major von Langenn ging von Tschangugu zunächst auf Issawi zurück und zog hierher auch Hauptmann Wintgens von Kissenji her heran. Den nachdrängenden beiden belgischen Brigaden wurden gelegentlich in günstigen Rückzugsgefechten erhebliche Verluste beigebracht. Das deutsche Detachement wich dann weiter auf Mariahilf aus. Die Gefahr, die das Vordringen der nachfolgenden starken belgischen Kräfte[S. 163] für unseren Bezirk Bukoba in sich schloß, war von Hauptmann Gudovius richtig erkannt worden. Als im Juni 1916 stärkere englische Truppen über den Kagera vordrangen, wich er mit seiner Abteilung von Bukoba nach Süden aus. Bei der Schwierigkeit der Verbindung und des Nachrichtenwesens geschah ihm hierbei das Unglück, daß ein Teil seiner Truppe am 3. Juli in der Gegend von Ussuwi auf starke belgische Streitkräfte stieß. Hauptmann Gudovius selbst fiel, durch schweren Unterleibsschuß verwundet, in Feindeshand. Das Gefecht nahm für uns einen ungünstigen Verlauf und war verlustreich. Doch glückte es den einzelnen Teilen der Abteilung, sich nach Muansa und nach Uschirombe durchzuschlagen.
Mitte Juli 1916 gelang den Engländern die überraschende Landung etwa einer Brigade in der Gegend von Muansa. Auch dort kam es zu einigen für uns günstigen Teilgefechten, dann aber wich der Führer, Hauptmann von Chappuis, in Richtung auf Tabora aus. In der ungefähren Linie Schinjanga-St. Michael machten die Truppen aus Muansa sowie diejenigen des Majors von Langenn und des Hauptmanns Wintgens erneut Front und wiesen mehrere Angriffe der Belgier ab. Kapitän Zimmer hatte in Kigoma den Dampfer „Goetzen“ versenkt und den Dampfer „Wami“ gesprengt. Er wich dann langsam längs der Bahn nach Tabora zurück. Ein gleiches tat die Kompagnie des Hauptmanns Hering von Usumbura aus. Die Annäherung der Operationen an Tabora gab dem General Wahle Gelegenheit, rasch Teile der nördlich Tabora stehenden Truppen heranzuziehen, mit der Bahn zu einem kurzen Schlage nach Westen vorzuschieben und schnell wieder zurückzutransportieren. Die 8. Feldkompagnie schlug bei dieser Gelegenheit westlich Tabora ein belgisches Bataillon gründlich, und auch Abteilung Wintgens griff überraschend und erfolgreich sowohl westlich wie nördlich Tabora ein. Diese Teilerfolge waren manchmal recht erheblich, und der Feind verlor an einzelnen Gefechtstagen Hunderte von Gefallenen, auch wurden mehrere leichte Haubitzen im Sturm genommen.
In der Gegend von Bismarckburg war am 2. Juni 1916 die 29. Feldkompagnie in ihrer befestigten Stellung auf dem Namemaberge durch überlegene englische und belgische Truppen umstellt worden. Beim Durchbruch durch diese geriet der tapfere Kompagnieführer Oberleutnant[S. 164] d. R. Franken schwer verwundet in Gefangenschaft. Leutnant d. R. Haßlacher wich Schritt für Schritt auf Tabora zurück. Er fand südlich dieses Ortes in einem Patrouillengefecht den Heldentod.
So waren im September 1916 die Truppen des Westbefehlshabers im wesentlichen um Tabora versammelt, und es war der Augenblick zu einem im großen und ganzen festgelegten Ausweichen in südöstlicher Richtung gekommen. Von den letzten Operationen und von der Einnahme Taboras am 19. September 1916 erfuhr das Kommando erst sehr viel später. Vorderhand bestand keine Verbindung mit dem Westbefehlshaber; diesem war bekannt, daß bei einem Ausweichen unserer Hauptkräfte die Gegend von Mahenge vorzugsweise in Betracht kam. Entsprechend richtete General Wahle seine Märsche ein. Für den Transport von Gepäck und Verpflegung konnte anfänglich die Eisenbahn benutzt werden. Dann marschierte die östliche Kolonne unter Major von Langenn auf Iringa, die mittlere Kolonne unter Hauptmann Wintgens, bei der sich auch General Wahle befand, auf Madibira und die westliche Kolonne unter Oberleutnant a. D. Huebener auf Ilembule. So stießen sie auf die von Neulangenburg nach Iringa führenden Verbindungen und die an dieser Straße liegenden Magazine des Feindes. Die Abteilung Huebener verlor die Verbindung und kapitulierte, nachdem sie bei Ilembule Ende November durch einen überlegenen Feind eingeschlossen war, nach tapferem Gefecht. Abteilung von Langenn hatte das Unglück, bei einem Flußübergang in der Nähe von Iringa durch einen Feuerüberfall überrascht zu werden und dabei viele Leute zu verlieren. Auch der dann erfolgende Angriff auf Iringa brachte ihr Verluste und führte nicht zum Erfolg.
Abteilung Wintgens überraschte in der Gegend von Madibira mehrere feindliche Magazine und Kolonnen, erbeutete hierbei auch ein Geschütz und Funkenmaterial. Ihr mehrtägiges Gefecht von Lupembe führte bei aller Zähigkeit nicht zur Fortnahme dieses Ortes und seiner Bestände. Der Einfluß des Vormarsches der Abteilung Wahle auf die Kriegslage in der Gegend von Mahenge machte sich sofort geltend. Die augenscheinlich recht guten feindlichen Truppen, die aus ihrer festen Stellung bei Mkapira am 30. Oktober den erfolgreichen Ausfall gegen Major Kraut gemacht hatten, fühlten sich in ihrem Rücken aufs äußerste bedroht, räumten ihr festes Lager und zogen wieder nach Lupembe zu[S. 165] ab. General Wahle übernahm nun den gemeinsamen Befehl bei Mahenge.
Ende November 1916 waren die Truppen des Westbefehlshabers Generals Wahle um Mahenge gruppiert. Von hier aus leitete er die sich ungefähr bis Ssongea-Lupembe-Iringa-Kidodi erstreckenden Operationen.
Es ist erwähnt worden, daß seit Juli 1916 jede Verbindung mit General Wahle aufgehört hatte; erst im Oktober 1916 traten seine Patrouillen südlich Iringa in Verbindung mit denen des Majors Kraut.
Erst jetzt, also nach dem Gefecht von Mkapira, erfuhr Major Kraut und durch diesen auch das Kommando den Anmarsch des Generals Wahle; ganz anders aber stellte sich die Entwicklung der Lage in den Augen des Feindes dar. Dieser mußte in dem Vormarsch der Kolonnen des Generals Wahle gegen die englische von Iringa nach Langenburg führende Etappenstraße und der zufälligen gleichzeitigen Bedrohung Mkapiras durch Major Kraut eine großangelegte, gemeinsame Operation sehen, die seine Truppen bei Mkapira in große Gefahr brachte, auch nachdem Major Kraut wieder auf das östliche Ruhudjeufer zurückgegangen war. Er entzog sich dieser durch schleunigen Abzug von Mkapira in westlicher Richtung nach Lupembe.
Die Kolonnen des Generals Wahle sammelten sich zunächst im Raume von Lupembe-Mkapira. Von der am weitesten westlich marschierenden Kolonne des Oberleutnants Huebener fehlte jede Nachricht; ihre Kapitulation bei Ilembule wurde erst viel später bekannt.
So willkommen die Verstärkung der Westtruppen war, so traten doch Schwierigkeiten in der Verpflegung hervor, und es wurde notwendig, einen größeren Raum, der sich fast bis Ssongea erstreckte, für die Verpflegung auszunutzen und zu belegen. Die Abteilung des Majors von Grawert rückte nach Likuju, an der Straße Ssongea-Liwale, diejenige des Majors Kraut in die Gegend von Mpepo, und Hauptmann Wintgens schloß eine feindliche Abteilung ein, die bei Kitanda in befestigtem Lager stand. Bald regte sich der Feind zum Entsatz dieser Abteilung, aber die Entsatztruppen wurden mit schweren Verlusten abgeschlagen. Gleichzeitig entwickelte sich die Lage bei der Abteilung von Grawert außerordentlich ungünstig. Es war dem Feinde gelungen, das Vieh dieser Abteilung fortzutreiben. Da auch sonst in der Gegend die Verpflegung[S. 166] knapp war, hielt Major von Grawert, wohl in Überschätzung der Verpflegungsschwierigkeiten, seine Lage für hoffnungslos und kapitulierte im Januar 1917. Ein fahrbares 8,8 cm-Marinegeschütz, das mit großer Mühe nach Likuju transportiert worden war, fiel außer einer Anzahl guter Maschinengewehre dem Feinde in die Hände. In Wirklichkeit scheint die Lage der Abteilung Grawert nicht so verzweifelt gewesen zu sein; wenigstens kam eine starke Patrouille unter Vizefeldwebel Winzer, der nicht mit kapitulieren wollte, unbelästigt vom Feinde in südlicher Richtung davon und fand nach einigen Tagen schmaler Kost reichlich Verpflegung in den Gebieten westlich Tunduru. Mir zeigte das Verhalten dieser Patrouille, daß es auch aus anscheinend verzweifelten Lagen fast immer noch einen Ausweg gibt, wenn der Führer entschlossen ist, auch ein großes Risiko auf sich zu nehmen.
Die Verpflegungsschwierigkeiten des Generals Wahle wuchsen nun immer mehr. Ob sie durch rücksichtsloses Abschieben von Nichtkombattanten in der Art, wie es am Rufiji geschehen war, erheblich hätten vermindert werden können oder ob eine größere Gewandtheit in der Beschaffung und Verteilung der Lebensmittel imstande gewesen wäre, die materielle Lage der Westtruppen wesentlich zu verbessern, war ich vom Utungisee nicht in der Lage zu entscheiden. Die behelfsmäßige Drahtverbindung nach Mahenge war wenig leistungsfähig und oft unterbrochen, und vom General Wahle in Mahenge bis zu den Truppen war immer noch ein mehrtägiger Botenverkehr erforderlich. So war es für mich schwer, aus den unvollkommenen Nachrichten eine Anschauung zu gewinnen. Genug: die Verpflegungsschwierigkeiten wurden in Mahenge als so erheblich angesehen, daß die Versammlung so starker Truppenmassen nicht länger für möglich gehalten wurde und Teile abgeschoben werden mußten.
Abteilung Kraut und Abteilung Wintgens wurden nach Westen auf Gumbiro in Marsch gesetzt, um von dort nach Süden dringend die Straße Ssongea-Wiedhafen zu überschreiten, wo in den Bergen südlich Ssongea genügend Verpflegung vermutet wurde. Die Meldung über diese Bewegung traf bei mir so spät ein, daß ich nicht mehr eingreifen konnte. Von Gumbiro wandte sich Hauptmann Wintgens nach Norden und hat in der Gegend des Rukwasees gegen eine ihn verfolgende feindliche Kolonne mit Erfolg gekämpft; bei der Annäherung[S. 167] an Tabora wurde er selbst typhuskrank gefangengenommen, und Hauptmann Naumann führte die Abteilung weiter, bis er sich schließlich gegen Ende 1917 am Kilimandjaro der feindlichen Verfolgungskolonne ergab, die mit reichlicher Reiterei ausgestattet war. Es ist zu bedauern, daß diese von der Initiative eingegebene und mit so großer Zähigkeit durchgeführte Einzeloperation doch zu sehr aus dem Rahmen der gesamten Kriegshandlung herausfiel, um für diese von Nutzen sein zu können.
Major Kraut hatte sich in Gumbiro von Hauptmann Wintgens getrennt und war dem ihm vom General Wahle erteilten Befehl entsprechend nach Süden marschiert. Das Überschreiten der Etappenlinie Ssongea-Wiedhafen machte keine Schwierigkeiten, führte aber, da der Feind seine Vorräte in den Etappenlagern gut verschanzt und gesichert hatte, zu keiner Beute. Auch im Lande wurde jetzt, im März 1917, also in der ärmsten Jahreszeit, einige Monate vor der neuen Ernte, wenig Verpflegung vorgefunden. Nach einigen Nachhutgefechten gegen englische Truppen glückte am Rowuma ein Überfall auf das kleine portugiesische Lager bei Mitomoni. Major Kraut zog dann den Rowuma abwärts nach Tunduru und begab sich selbst zu persönlicher Berichterstattung zum Kommando nach Mpotora. Zwei seiner Kompagnien blieben bei Tunduru zur Sicherung des dortigen reichen Verpflegungsgebietes. Die drei anderen rückten weiter nach Osten und wurden vorübergehend dem Kapitän Looff unterstellt, der vor Lindi lag.
Die Operationen der letzten Monate hatten das für die Verpflegungsbeschaffung der Truppe in Betracht kommende Gebiet immer mehr eingeengt. Die fruchtbaren Gebiete von Lupembe, Iringa, Kissaki und am unteren Rufiji waren verloren gegangen, das noch besetzte Gebiet schloß große Strecken unbebauten Landes in sich. Die Ertragfähigkeit der reicheren Landesteile war zum großen Teil unbekannt; erst später stellte sich durch die Operationen selbst heraus, wieviel[S. 168] beispielsweise die Gegend südwestlich Kilwa und südwestlich Liwale an Verpflegung zu liefern imstande waren. Bekannt war mir damals nur ganz im allgemeinen, daß der östliche Teil des Lindibezirks sehr reich war und als die Kornkammer der Kolonie bezeichnet wurde. Aber dieser reiche Landesteil war bei seiner Küstennähe auch sehr gefährdet, und man mußte sich für den Fall, daß er verloren gehen würde, schon jetzt die Frage vorlegen, was dann geschehen sollte.
Von selbst richteten sich da die Blicke über den Rowuma hinüber auf das portugiesische Gebiet. Aber über dieses waren die Nachrichten noch spärlicher als über die Teile der deutschen Kolonie. Glücklicherweise aber waren eine Anzahl eingeborener, portugiesischer Häuptlinge aus Haß gegen ihre Bedrücker auf deutsches Gebiet übergesiedelt, und auch sonst genossen wir Deutschen bei den intelligenten Schwarzen des portugiesischen Gebietes, die vielfach auf deutschen Pflanzungen arbeiteten, einen sehr guten Ruf. So gelang es, sich doch wenigstens ein ungefähres Bild des Gebietes östlich des mittleren Nyassasees zu machen und als sehr wahrscheinlich festzustellen, daß südlich des mehrere Tagereisen breiten, wenig bewohnten Steppengürtels des Rowuma, in der Gegend von Mwembe, sich ein fruchtbares Gebiet befand. Eine Expeditionstruppe von wenigen hundert Gewehren unter Major von Stuemer überschritt südlich Tunduru den Rowuma, setzte sich sehr bald in den Besitz von Mwembe, und unsere Patrouillen streiften von dort an die Ufer des Nyassasees bis in die Gegend von Fort Johnston und nach Osten bis halbwegs Port Amelia.
Bei der Schwierigkeit der Verbindung — Eilboten von der Telephonstation Liwale nach Tunduru gingen etwa drei und von Tunduru nach Mwembe fünf Tage — war es schwer, ein Bild über die Verhältnisse bei Mwembe zu gewinnen. Erst Leutnant d. R. Brucker, der im Januar 1917 zu persönlicher Berichterstattung von Mwembe her beim Kommando eintraf, schaffte Klarheit. Schon die von ihm mitgebrachten europäischen Kartoffeln ließen vermuten, daß dort an Verpflegung etwas zu erwarten war. Er schilderte uns das Land als reich und berichtete, daß auch die Umgebung von Tunduru reich sei und der Krieg sich dort bisher nicht fühlbar gemacht hatte. Eier und Hühner gab es in dem reich angebauten Lande noch in großer Zahl. Als Brucker in Tunduru auf der Erde schlief, hatten die dortigen Europäer dies noch[S. 169] für Renommisterei gehalten; so wenig kannten sie den Krieg. Bei der allgemeinen Schwierigkeit der Verpflegungsbeschaffung und den häufigen Truppenverschiebungen wurde die Notwendigkeit, die Truppe von dem wenig leistungsfähigen Etappennachschub mehr und mehr loszulösen, immer brennender. Mit aus diesem Grunde erhielten die Abteilungen des Hauptmanns Goering und von Lieberman Befehl, in die Gegend dicht südlich Kilwa zu ziehen, wo nach Erzählungen einiger Europäer in den Kiturikabergen viel Verpflegung sein sollte. Um den Verpflegungsnachschub von rückwärts her zu entlasten, wurden die Truppen ohne zeitraubende Erkundung auf Kilwa in Marsch gesetzt, und es war ein Glück, daß sich die Nachrichten über den Verpflegungsreichtum in der dortigen Gegend dann bewahrheiteten.
Um den Feind, der von Kilwa aus bereits kleinere Abteilungen bis halbwegs nach Liwale vorgeschoben hatte, möglichst in seinem Ausschiffungspunkt bei Kilwa von Süden her zu fassen und zugleich so auch die südlich Kilwa nach dem Mbemkuru zu gelegenen, fruchtbaren Gebiete zu sichern, machten die Abteilungen Goering und von Lieberman von Mpotora aus nach Süden zu einen Bogen und drangen nun, Abteilung Goering in der Nähe der Küste, direkt auf Kilwa zu, Abteilung Lieberman etwas westlich davon gegen die Straße Kilwa-Liwale vor. Längs dieser Straße ging eine schwächere Abteilung auf Kilwa zu und diente als Rückhalt für Kampfpatrouillen, die die feindlichen Streifabteilungen mehrfach in ihren Lagern überraschten und zurückwarfen. Bald wimmelte es in der Gegend von Kilwa von unseren Kampfpatrouillen. Mehrere feindliche Magazine wurden überrascht und die Besatzungen zum Teil niedergemacht. Bei einer dieser Gelegenheiten drang der später gefallene brave Feldwebel Struwe mit einem großen Teil der 3. Feldkompagnie geschickt in das Innere eines Magazines ein und fügte von hier aus, gedeckt durch die Mehlsäcke, dem Feind, der von außen her in großer Zahl erschien, schwere Verluste bei. Aber es war schwierig, aus dem überrumpelten Magazin viel mitzunehmen, und so mußte sich die Patrouille damit begnügen, den Hauptteil der Bestände zu vernichten. Es trat auch der bei der Patrouillenführung gewiß seltene Fall ein, daß ein Feldgeschütz mit auf Patrouille ging. Dieses erreichte nach sorgfältiger Erkundung die Küste bei Kilwa-Kissiwani und beschoß mehrere dort liegende Transportschiffe.
[S. 170]
Am 18. April 1917 wurde Hauptmann von Lieberman, der mit der 11. und 17. Kompagnie einen Tagemarsch südwestlich Kilwa, an der Straße Kilwa-Liwale bei Ngaula, in verschanzter Stellung stand, durch acht Kompagnien mit zwei Geschützen angegriffen. Oberleutnant z. S. a. D. Buechsel machte mit seiner 17. Kompagnie einen so wuchtigen Flankenstoß, daß er nacheinander mehrere Askarikompagnien des Feindes über den Haufen warf und diese sowie das 40. indische Pathanregiment in wilder Flucht davonliefen. Der Feind ließ etwa 70 Tote liegen, und es ist, wie später Engländer erzählt haben, nur dem Zufall zu verdanken, daß seine Geschütze, die in einem Fluß steckengeblieben waren, nicht von uns gefunden wurden.
Im allgemeinen hatte man den Eindruck, daß die Kräfte des Feindes wieder einmal ziemlich erschöpft waren. Falls er nicht ganz erhebliche Verstärkungen heranbrachte, war vorauszusehen, daß die vorhandenen Kräfte in nicht zu ferner Zeit aufgerieben und seine Operationen erfolglos bleiben würden. Augenscheinlich erforderte schon seine jetzige Operation eine große Kraftanspannung. Es war festgestellt worden, daß eine Batterie aus Hinterindien nach Kilwa herangezogen und daß eine große Anzahl neuer Askarikompagnien aufgestellt worden waren.
Gefährlicher als der Feind erschien mir die materielle Lage der Truppe. Die Weizenbestände des Hilfsschiffes gingen zu Ende, und es schien mir fraglich, ob man aus Mtamamehl allein ohne Zusatz von Weizenmehl würde Brot backen können. Ich glaubte damals noch, daß Brot ein unbedingtes Erfordernis für die Europäerernährung wäre und machte deshalb persönlich Backversuche ohne Weizenmehl. Schon diese fielen leidlich zur Zufriedenheit aus. Später, unter dem Zwange der Not, haben wir alle ohne Weizenmehl vortreffliches Brot hergestellt. Die Methoden waren sehr verschieden. Wir haben gutes Brot später nicht nur aus Mtama, sondern auch aus Muhogo, aus Süßkartoffeln, aus Mais, kurz schließlich von fast jedem Mehl und in verschiedenartigsten Mischungen gebacken und je nachdem durch Zusatz von gekochtem Reis, gekochtem Mtama auch die wünschenswerte Beschaffenheit erzielt.
Auch die Bekleidung erforderte Beachtung. Eine Stiefelnot war in Sicht. Meine Versuche zeigten mir bald, daß der Europäer zwar auf leidlichen Wegen, keinesfalls aber durch den Busch dauernd barfuß gehen[S. 171] kann. Sandalen, die jeder leicht aus irgendeinem Stück Leder herstellt, erwiesen sich als Aushilfe, ersetzten jedoch nicht die Stiefel. Für alle Fälle ließ ich mich im Gerben von Leder mit der Hand unterweisen und habe mir unter Anleitung auch einen Gegenstand verfertigt, den man zur Not als einen linken Stiefel bezeichnen konnte, wenn er auch eigentlich ein rechter Stiefel hatte werden sollen. Für den Europäer ist es sehr erwünscht, wenn er die einfachsten Grundlagen dieser Handwerke so weit kennt, um aus der Decke der Antilope, die er heute erlegt, in einigen Tagen einen Stiefel herzustellen, oder einen solchen wenigstens wieder gebrauchsfähig zu machen, ohne daß ihm die Hilfsmittel der Kultur zur Verfügung stehen. Ein Nagel muß als Pfriem, ein Baumast als Leisten dienen, und der Zwirn wird aus dem zähen Leder einer kleinen Antilope geschnitten. Tatsächlich sind wir aber nie in eine wirkliche Notlage in dieser Beziehung geraten; denn immer hat uns Beute wieder die notwendige Bekleidung und Ausrüstung verschafft, und manchen Beutesattel haben wir verwandt, um aus ihm Stiefelsohlen und Flicken zu schneiden.
Mehr und mehr gelangte fast jeder Europäer auf den Standpunkt des südafrikanischen „Treckers“ und war sein eigener Handwerker. Natürlich nicht immer in eigener Person, aber innerhalb des kleinen Haushaltes, den er mit seinem schwarzen Koch und schwarzen Diener selbständig führte. Viele hatten sich auch einige Hühner zugelegt, die mitgetragen wurden, und Hahnenschrei verriet die deutschen Lager ebensoweit wie die Ansiedlungen der Eingeborenen. Der Befehl einer Abteilung, der das Krähen der Hähne vor 9 Uhr morgens verbot, schaffte keine Abhilfe.
Die wichtige Salzfrage wurde von den Truppen bei Kilwa sehr einfach durch Verdunstenlassen des Meerwassers gelöst. Um aber auch bei Verlust der Küste den Ersatz an Salz, das in den Magazinen anfing, knapp zu werden, zu sichern, wurden salzhaltige Pflanzen gesucht und ihre Asche ausgelaugt. Einen Fingerzeig hierfür gaben uns die Eingeborenen der Gegend, die ihren Salzbedarf auf gleiche Weise deckten. Das so gewonnene Salz war nicht schlecht, ist aber in nennenswertem Umfange nicht in Anspruch genommen worden, da wir später unseren Bedarf stets durch Beute rechtzeitig decken konnten. Der große Elefantenreichtum der Gegend lieferte viel Fett; Zucker wurde ersetzt durch den[S. 172] prachtvollen wilden Honig, der in großer Menge gefunden wurde. Die Truppe hatte einen gewaltigen Fortschritt in der Beschaffung der Verpflegung gemacht, wußte auch, Feldfrüchte notreif zu machen und sich auf diese Weise vor Mangel zu schützen.
Es verdient an dieser Stelle besonders hervorgehoben zu werden, daß das Sanitätswesen in den wechselnden, schwierigen Verhältnissen des Feldlebens es verstanden hat, die besonders wichtigen Fragen des Chinins und des Verbandzeugs in befriedigender Weise zu lösen. Erwähnt ist schon, daß im Norden aus den Beständen der Chinarinde Chinintabletten hergestellt wurden, die die englischen an Güte übertrafen. Nach der Räumung der Nordbezirke war ein großer Teil Chinarinde nach Kilossa geschafft worden; von diesen Beständen war auf Anregung des damals stellvertretenden Sanitätsoffiziers beim Stabe, Stabsarzt Taute, ein Teil weiter nach Süden transportiert worden. Die Tablettenzubereitung konnte mangels eines entsprechenden Instituts nicht fortgesetzt werden; dafür wurde durch Auskochen der Chinarinde flüssiges Chinin hergestellt. Dies hatte einen verteufelten Geschmack und wurde unter dem Namen Lettowschnaps zwar ungern, aber doch mit Nutzen für den Patienten getrunken.
Die andere schwierige Frage war die Beschaffung von Verbandstoff. Um diesen beim Schwinden der Leinwandbestände zu ergänzen, wurden nicht nur Kleidungsstücke aller Art nach Desinfizierung verwandt und nach Benutzung durch erneutes Auskochen wiederum brauchbar gemacht, sondern es wurde auch Verbandzeug mit gutem Erfolg aus Baumrinde hergestellt. Einen Fingerzeig hierzu gab uns die Methode der Eingeborenen, die längst aus Myomborinde Kleidungsstücke und Säcke verfertigten. Das ärztliche und Apothekerpersonal hat das Menschenmögliche getan, um die Truppe gesund und lebensfähig zu erhalten. Die hohe Anpassungsfähigkeit des Sanitätsdienstes und das erforderliche Haushalten mit den primitiven verfügbaren Mitteln verdient um so mehr Anerkennung, als gerade der Sanitätsdienst ursprünglich unter den Verhältnissen des Tropenklimas mit Recht daran gewöhnt war, mit seinen Beständen etwas frei zu wirtschaften. Der Sanitätsoffizier beim Stabe, Stabsarzt Stolowsky, und später sein Nachfolger, Stabsarzt Taute, haben hier eine musterhafte und hingebende Tätigkeit und Umsicht entwickelt.
[S. 173]
Auf gleicher Höhe stand die chirurgische Tätigkeit. Die Lazarette, die während des ersten Teiles des Feldzuges meist in massiven Gebäuden untergebracht worden waren und in solchen Jahr und Tag ständig ohne Platzwechsel gearbeitet hatten, mußten sich in bewegliche Kolonnen umwandeln, die in jedem Augenblick mit allen Kranken und allen Lasten aufgepackt werden konnten und der Truppe auf ihren vielen Hin- und Hermärschen in gleichem Tempo folgten. Alles nicht unbedingt notwendige Material mußte abgestoßen werden; die Vorbereitungen für eine chirurgische Operation wurden demzufolge stets mehr oder weniger improvisiert. Der Raum dazu war meist eine soeben erst hergestellte Grashütte. Trotzdem sind Stabsarzt Müller, Regierungsarzt Thierfelder und andere auch durch schwere Fälle, dabei mehrere Blinddarmoperationen, nicht in Verlegenheit gekommen.
Das Vertrauen, das, wie schon bei einer früheren Gelegenheit erwähnt, auch feindliche Soldaten zu den deutschen Ärzten hatten, war vollberechtigt. Die erfolgreiche und hingebende ärztliche Tätigkeit stärkte bei Weißen und Schwarzen das gegenseitige Vertrauen ganz gewaltig. So bildeten sich mehr und mehr die festen Bande, die die verschiedenartigen Elemente der Truppe bis zum Schluß als ein geschlossenes Ganzes zusammenhielten. —
Bei Lindi hatte sich der Feind mehr und mehr verstärkt, und es wurde festgestellt, daß Truppenteile, die bisher in Gebieten westlich von Kilwa gestanden hatten, mit Schiffen nach Lindi fuhren. Auch General O’Grady, der bei Kibata eine Brigade befehligt hatte, tauchte bei Lindi auf. Der naheliegende Gedanke, daß der Feind mit starken Kräften von Lindi aus gegen unsere dort nur schwachen Truppen und gegen unser Hauptverpflegungsgebiet vorgehen würde, in gleicher Weise, wie er es früher bei Kilwa beabsichtigt hatte, schien sich zu verwirklichen. Mehrere Angriffe waren durch die Truppen des Kapitäns z. S. Looff westlich Lindi zurückgeschlagen worden. Drei von den Kompagnien, die mit Major Kraut gekommen waren, wurden auf Veranlassung des Gouverneurs nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, zur schnellen und gründlichen Züchtigung aufständischer Makondeleute in der Südostecke unseres Schutzgebietes verwandt, wozu sie im Augenblick gerade verfügbar waren, sondern Kapitän Looff unterstellt. Zwei von ihnen beteiligten sich an einer Unternehmung gegen Sudi, südlich Lindi, wo sich feindliche Streitkräfte[S. 174] stark verschanzt hatten. Der Angriff ging sehr brav an die Befestigungen heran, erlitt dann aber erhebliche Verluste und konnte nicht zu einem günstigen Abschluß gebracht werden.
Später wurde auf Lindi vom Mpotora aus Hauptmann Rothe mit drei Kompagnien zur Verstärkung abgesandt. Aber die Regenzeit machte uns einen argen Strich. Schon der Übergang über den Matandufluß war schwierig gewesen. In der Trockenzeit nur aus wenigen Tümpeln bestehend, hatten sich jetzt die Wasser aller Regen, die im Dondeland niederfielen, schließlich im Tale des Matandu vereinigt. Es war ein reißender, gewaltiger Strom entstanden, der etwa den Eindruck der Fulda bei Kassel bei Hochwasser machte und große Baumstämme mit sich riß. Unter Benutzung einiger Strominseln waren zwar unter Leitung kundiger Ingenieure Baumstämme eingerammt und eine Brücke für Fahrzeuge hergestellt worden, aber plötzliches Hochwasser riß sie immer wieder fort, und mehrere Leute ertranken hierbei. Ein weiter unterhalb gebauter Steg hatte kein besseres Schicksal; eine schmale Hängebrücke, die an aus Baumrinde geflochtenen Seilen hing, war nur ein geringer Notbehelf und ziemlich bedenklich, da beim Wechsel von Durchnässung und heißer Sonne stets die Gefahr bestand, daß die Seile mürbe wurden und rissen.
Am Mbemkuru, bei Nahungu, fand Hauptmann Rothe auf seinem Marsch ähnliche Wasserverhältnisse vor. Das Wasser war so reißend, daß schon der erste Übersetzversuch mit den wenigen vorhandenen Fährbooten verunglückte. Aus Verpflegungsmangel bei Nahungu marschierte nun Hauptmann Rothe in das reiche Gebiet nordöstlich dieses Ortes und kreuzte hierbei unbewußt die Absichten des Kommandos recht empfindlich. Denn gerade dieses nordöstlich Nahungu liegende reiche Gebiet mußte geschont werden, um für die Truppen, die südlich Kilwa standen, als Reserve zu dienen und im Bedarfsfalle bei einer aus taktischen Gründen erforderlich werdenden Verstärkung dieser Truppen auch deren Verpflegung zu gewährleisten. Der Zeitverlust, der entstand, bis die Botenpost den Hauptmann Rothe erreichte, war recht störend; aber schließlich wurde die Abteilung Rothe doch noch so rechtzeitig auf Lindi zu wieder in Marsch gesetzt, daß sie an mehreren Gefechten erfolgreich teilnehmen konnte.
Bei der durch die Verschärfung der militärischen Lage bei Lindi nötig gewordenen Verstärkung unserer dortigen Truppen und den ferneren[S. 175] noch in Aussicht stehenden Truppenverschiebungen dorthin war Generalmajor Wahle von Mahenge herangezogen worden und hatte den Befehl an der Lindifront übernommen; der Befehl in Mahenge ging an Hauptmann Tafel über. Mitte Juni 1917 war General Wahle nach mehreren Gefechten, die eine erhebliche Verstärkung des Feindes gezeigt hatten, den Lukuledifluß aufwärts so weit zurückgegangen, daß der nachfolgende Feind seine nördliche Flanke unvorsichtig preiszugeben schien.
Ich beschloß, den Vorteil auszunutzen, ohne allerdings genau zu wissen, wie dies geschehen sollte. So viel war klar, daß nur ein überraschendes Auftreten Erfolg versprach. Ich marschierte deshalb mit vier Kompagnien und der aus zwei Geschützen bestehenden Gebirgsbatterie über Nahungu auf der großen Straße vor, die über Lutende nach Lindi führt. Bei Lutende stand die Kompagnie des Hauptmanns von Chappuis, der mir persönlich zur Orientierung einen Tagemarsch entgegenkam. Am 29. Juni traf ich mit den Kompagnien bei Lutende ein und ließ hinter der Kompagnie Chappuis die Kompagnie des Leutnants Wunder und weiter rückwärts den Rest Lager beziehen. Ich selbst begab mich mit meinem tüchtigen Begleiter Nieuwenhuizen, der früher schon bei der Pferdebeute am Erokberge eine Hauptrolle gespielt hatte, zur Erkundung nach vorn. Von der Höhe, auf der die Kompagnie Chappuis lag, hatte man einen weiten Überblick und sah die einzelnen Farmhäuser der Umgebung von Lindi, den Lukuledifluß und in ihm den Dampfer „Präsident“ liegen, der dorthin geflüchtet und unbrauchbar gemacht worden war. Im Vorgelände war es vielleicht ein Glück, daß wir auf einige Wildschweine und einen Buschbock in der im übrigen wildarmen Gegend nicht zum Schuß kamen; denn bald, gar nicht weit vom Lager der Kompagnie Chappuis, kreuzten wir die Spuren einer starken feindlichen Patrouille, die soeben erst durchgekommen sein konnte. Auch die Unterhaltung von Eingeborenen, die wir beobachteten, ließ darauf schließen, daß die Leute soeben etwas Interessantes gesehen hatten. Als wir sie heranwinkten, leugneten sie allerdings. Im großen Bogen gehend langten wir abends bei Dunkelheit im Lager der Kompagnie Wunder an. Dem Kompagnieführer und dem tüchtigen Steuermann Inkermann, der am nächsten Tage den Heldentod starb, teilten wir das Beobachtete mit und mahnten zu größter Aufmerksamkeit. Auch[S. 176] wurde angeordnet, daß das in einer größeren Waldblöße liegende Kompagnielager, das durch überraschende Beschießung aus dem umgebenden Busch gefährdet war, verlegt werden sollte. Nach einer uns gereichten Tasse Tee kehrten wir dann zu unserem, etwa eine Viertelstunde rückwärts gelegenen Haupttrupp zurück.
Am Morgen des 30. Juni hörten wir bei der Kompagnie Wunder Gewehrfeuer, das sich immer mehr verstärkte. In der Erwartung, daß der Feind den Geländeverhältnissen entsprechend das Kompagnielager aus dem umgebenden Busch unter Feuer nahm, ging ich sogleich mit den drei Kompagnien rechts, also südlich der Straße ausholend, durch den Busch vor, um den Feind überraschend im Rücken anzugreifen. Aber bald kamen uns Askari entgegen und erzählten, daß der Feind in großer Zahl in das Lager eingedrungen sei, die Kompagnie überrascht und herausgeworfen habe. Ein junger Askari klagte einem alten „Betschausch“ (Sergeant) der 3. Kompagnie, daß der Feind ihnen alles weggenommen habe. „Niamaza we, tutawafukuza“ (Halt’s Maul, wir werden sie ’rauswerfen), war die stolze Antwort, die dem aufgeregten Jüngling sofort den Mund stopfte und ihn beschämte. Die Antwort des Betschausch war in der Tat die beste Kennzeichnung der Lage. Der Feind, aus mehreren Kompagnien des 5. indischen Regiments und einigen Schwarzen bestehend, hatte geglaubt, bei Lutende nur einen schwachen deutschen Posten zu finden. Unvorsichtig war er in unsere ungünstig angelegten Verschanzungen eingedrungen und war nun seinerseits in der unangenehmen Lage, von allen Seiten aus dem umgebenden Busch konzentrisches Feuer zu erhalten.
Die Lage war so klar, daß sie zum schnellsten Zusammenhandeln der Unterführer auch ohne Befehl herausforderte, und auch Hauptmann von Chappuis griff sofort ein. Dem Feinde ging es nun sehr schlecht. Der später gefallene, im Lager der Kompagnie Wunder verbliebene Stabsarzt Mohn war dort vorübergehend in die Hand des Feindes geraten und berichtete, wie außerordentlich unangenehm unser konzentrisches Feuer auf ganz kurze Entfernung gewirkt hatte und wie groß die Panik war, die beim Feinde entstand. Immerhin ermöglichten die Deckungen, welche einige Schluchten und Geländebewachsungen boten, einem Teil des Feindes, zu entkommen. Dieser ist in wilder Flucht davongelaufen. Eine Anzahl seiner Leute hat sich aber so verirrt, daß[S. 177] sie noch nach Tagen einzeln halb verhungert im Busch durch unsere Patrouillen aufgegriffen wurden. Etwa 120 Gefallene wurden durch uns beerdigt. Außer unserer Munition, die der Feind vorübergehend in Besitz genommen hatte, fielen auch dessen eigene Munition, die er gerade an das Lager herangezogen hatte, sowie etwa 100 Gewehre und einige Maschinengewehre in unsere Hand. Unter den Schwerverwundeten, die von uns in das englische Lager bei Naitiwi gebracht und dort abgeliefert wurden, befand sich auch der später an seiner Wunde gestorbene, englische Regimentskommandeur.
Wir blieben nun noch einige Wochen in der fruchtbaren Gegend von Lutende und suchten dem Feinde, der in seinen befestigten Lagern bei und südlich Naitiwi keine Aussicht für einen erfolgreichen Angriff bot, durch Kampfpatrouillen Verluste beizubringen. In der Entfernung, in südwestlicher Richtung, hörten wir häufig die Detonationen der Fliegerbomben und der schweren Geschütze, die gegen Abteilung Wahle gerichtet waren. Kompagnie von Chappuis wurde zur Abteilung Wahle als Verstärkung in Marsch gesetzt. Von kleineren Unternehmungen abgesehen, kam die Lage bei Lindi aber wohl infolge unseres Erfolges bei Lutende zu einem gewissen Stillstand.
Daß aber im ganzen eine neue Kraftanstrengung des Feindes im Gange war, dafür sprachen nicht nur die Meldungen von erheblichen Truppentransporten nach Kilwa, sondern auch der Umstand, daß Ende Mai der britische General Hoskins, der dem General Smuts im Kommando gefolgt war, durch General van Deventer abgelöst wurde. Es erschien also wieder ein Bur als Oberbefehlshaber, und die Gerüchte, daß von Südafrika neue Europäertruppen herankämen, gewannen an Wahrscheinlichkeit. Südlich Kilwa griff der Feind mit drei Brigaden unsere neun Kompagnien an, aber Hauptmann von Lieberman, der dort für den schwer erkrankten Hauptmann Goering den Befehl übernommen hatte, verstand es in außerordentlich geschickter Weise, mit der feindlichen Überlegenheit fertig zu werden. Am 6. Juli griff mindestens eine Brigade den Hauptmann Lieberman bei Unindi in der Front an und wurde mit schweren Verlusten zurückgeschlagen. Das kühne Vorstürmen unserer Kompagnien erforderte aber auch bei uns Opfer; unter ihnen befand sich Leutnant d. R. Bleeck, der als Kompagnieführer einen tödlichen Unterleibsschuß erhielt. Als kühner Patrouillenführer, in[S. 178] zahlreichen Gefechten und auch beim Stabe des Kommandos hatte dieser tapfere und gerade Charakter vortreffliche Dienste geleistet und mir persönlich nahegestanden. Die rechte Flanke des Hauptmanns von Lieberman deckte Hauptmann Spangenberg mit zwei von den neun Kompagnien gegen eine andere feindliche Brigade. Er führte diesen Auftrag aus und ging mit seinen zwei Kompagnien so energisch gegen diese feindliche Brigade vor, daß später bekannt gewordene, englische Berichte von einem Angriff sehr starker, deutscher Kräfte sprachen.
Trotz dieses Erfolges von Unindi hatte die große zahlenmäßige Überlegenheit des Feindes und die Gefahr, durch Umgehungsbewegungen desselben die rückwärtigen Magazine und Bestände zu verlieren, den Hauptmann von Lieberman zum allmählichen Ausweichen nach Süden unter steten Gefechten veranlaßt. Mir schien der Augenblick gekommen, durch einen schnellen Abmarsch mit meinen bei Lutende verfügbaren Kompagnien und der Gebirgsbatterie beim Hauptmann von Lieberman überraschend einzugreifen und vielleicht eine günstige Gelegenheit für eine gründliche Niederlage des Feindes zu erwischen. In flotten Märschen rückten wir von Lutende direkt nach Norden ab und überschritten den Mbemkuru, der wieder ein unbedeutendes Flüßchen geworden war, ohne Schwierigkeit zwei Tagemärsche unterhalb Nahungu. Schwärme wildgewordener Bienen, die uns zu einem kleinen Umweg veranlaßten, hatten nur eine geringe Störung verursacht. Nördlich des Mbemkuru ging es weiter nach Norden in die Berge von Ruawa.
Die zwei Tage, die es dauerte, ehe die Truppe aufgeschlossen war, benutzte ich zu eingehenden Erkundungsgängen und erfuhr zu meiner Überraschung am 28. Juli zufällig durch Eingeborene, daß von unserem Lager von Ruawa ab ein etwa sechs Stunden weiter, fast geradliniger Weg durch die Berge zum Lager des Hauptmanns von Lieberman an der Wasserstelle Narungombe führte. Sogleich wurde eine Europäerpatrouille abgesandt, um diesen Weg auszugehen. Am 29. Juli hörte ich im Lager bei Ruawa vormittags einige Detonationen aus der Richtung der Abteilung Lieberman; da ich dann aber später nichts hörte und auch der von mir zur Abteilung Lieberman abgesandte und am gleichen Morgen wieder zurückgekehrte Europäer meldete, daß dort alles ruhig sei, glaubte ich nicht an ein ernsthaftes Gefecht. Diese Auffassung mußte ich aber ändern, als mittags der sehr zuverlässige van[S. 179] Rooyen von der Jagd zurückkehrte und meldete, daß er zweifellos andauerndes Maschinengewehrfeuer gehört habe. Der Leser wird sich vielleicht wundern, daß ich erst jetzt den Abmarsch zur Abteilung Lieberman antrat, aber es ist zu berücksichtigen, daß der Marsch dorthin ganz ohne Wasser war und meine Truppen wirklich recht erschöpft, zum Teil erst soeben bei Ruawa eingetroffen waren. Als ich bei Einbruch der Dunkelheit mich dem Gefechtsfelde der Abteilung Lieberman auf knapp drei Stunden genähert hatte, dauerte es bis in die Nacht hinein, ehe meine Kompagnien heran waren. Ein Weitermarsch bei stockfinsterer Dunkelheit durch den Busch wäre aussichtslos gewesen, hätte mit Sicherheit zu einer Menge von Mißverständnissen geführt und die schon stark in Anspruch genommenen Kräfte der Truppe zwecklos verbraucht.
Bald nachdem um 3 Uhr früh der Weitermarsch angetreten war, traf die Meldung der vorausgesandten Offizierspatrouille ein, nach der Hauptmann von Lieberman den Feind zwar geschlagen hatte, dann aber wegen Munitionsmangel in der Nacht auf Mihambiha abmarschiert war. Die Nachhut hatte die Wasserstelle geräumt und war zur Zeit des Abganges der Meldung im Begriff, gleichfalls abzumarschieren. Mein Befehl, die Wasserstelle unter allen Umständen zu halten, da ich bestimmt um 6 Uhr früh eintreffen und in das Gefecht eingreifen würde, war somit leider durch die Verhältnisse überholt worden. Ich glaubte nun, daß der Feind, der ja im ganzen doch überlegen war, die Wasserstelle seiner Gewohnheit gemäß sogleich stark verschanzt hätte und daß ich jetzt bei Durchführung eines Angriffes mit einer durstigen Truppe hiergegen anzurennen hätte. Und das schien mir zu wenig aussichtsvoll. Nachträglich, nachdem ich Kenntnis von der wirklichen Lage beim Feinde erhalten habe, neige ich allerdings zu der entgegengesetzten Ansicht. Der Feind hatte tatsächlich trotz seiner Überlegenheit eine der schwersten Niederlagen des Feldzuges erlitten. Sein südafrikanisches 7. und 8. Europäerregiment waren nahezu aufgerieben. Immer wieder war er in dichten Schützenlinien gegen die Fronten unserer Askarikompagnien angestürmt und immer wieder durch Gegenstöße zurückgetrieben worden. Ein Waldbrand war in seine Reihen hineingeweht worden. Schließlich hatte die Masse seiner Truppen sich im wirren Durcheinander im Busch aufgelöst und war geflohen. Maschinengewehre, Massen von[S. 180] Gewehren und Hunderte von Munitionskisten hatte er auf dem Gefechtsfelde zurückgelassen. In diesem Zustande hätte mein Eingreifen selbst nach Abzug der Abteilung Lieberman vielleicht noch den Untergang dieses Hauptgegners besiegelt. Sehr zu bedauern ist es, daß damals die Gewandtheit vieler Teile der Truppe noch nicht groß genug war, um sich bei dem Mangel an deutscher Munition sofort noch während des Gefechtes mit feindlichen Gewehren und Patronen auszurüsten, die ja in Menge umherlagen. Der in greifbarer Nähe liegende höchste Erfolg war leider durch den Zufall vereitelt worden. Aber dankbar mußte man doch für die Waffentat sein, welche die sieben tapferen Askarikompagnien unter der zweifellos glänzenden Gefechtsführung des Hauptmanns von Lieberman gegen die bedrückende Übermacht vollbracht hatten.
Aber hierüber gewann ich erst später Klarheit; für den Augenblick hielt ich es für richtig, nach Mihambia zu rücken, um durch Vereinigung mit der Abteilung Lieberman eine einheitliche Führung zu sichern, die Abteilung Lieberman durch Abgabe von Munition gefechtsfähig zu machen und ihr, falls erforderlich, nach dem schweren Gefecht durch die sichtbare Verstärkung einen erhöhten moralischen Schwung zu geben. Das letztere erwies sich als unnötig; bei meinem Eintreffen fand ich die Abteilung Lieberman in glänzender Stimmung vor, und alle Kompagnien waren stolz darauf, den überlegenen Feind so schwer geschlagen zu haben. Für mich war die Operation von Narungombe ein erneuter Beweis dafür, wie schwer es ist, im unbekannten, afrikanischen Busch und bei der Unzuverlässigkeit der gegenseitigen Verbindung auch unter sonst günstigen Bedingungen eine in mehreren Kolonnen angesetzte Operation so durchzuführen, daß das angestrebte vereinte Schlagen auf dem Gefechtsfelde auch wirklich erreicht wird. Bei Narungombe, wo alle Vorbedingungen so günstig wie fast nie waren, war die Durchführung schließlich an geringen Zufälligkeiten gescheitert, und so wurde ich in der Auffassung bestärkt, Truppen, mit denen ich einheitlich handeln wollte, noch vor dem Schlagen in engste, gegenseitige Verbindung zu bringen.
Der Schlag von Narungombe brachte den Kilwagegner auf längere Zeit zum Stillstand, und wieder waren es notgedrungen einzelne Patrouillenunternehmungen, die dem Feinde auf seinen Verbindungen[S. 181] Verluste zufügten, indem sie seine Automobile und vorbeimarschierenden Abteilungen aus dem Busch beschossen, bei günstiger Gelegenheit auch mit der blanken Waffe angriffen. Um nun einerseits diesen Patrouillenunternehmungen eine breitere Basis zu geben, dann aber auch zum Schutze gegen die in westlicher Richtung ausholenden, feindlichen Truppenbewegungen und schließlich aus Verpflegungsrücksichten zog ich die Truppen mehr seitlich in die Linie Mihambia-Ndessa auseinander. In der reichen Landschaft von Ndessa zeigten sich zahlreiche Flieger, gegen deren Bomben wir schutzlos waren und die auch einige schwere Verwundungen zur Folge hatten; an der Luftaufklärung konnte man das erhöhte Interesse des Feindes für diese Gegend entnehmen, und bald wurden auch seine Bewegungen noch weiter westlich ausholend festgestellt. Unsere Kampfpatrouillen arbeiteten zwar so erfolgreich, daß gelegentlich ganze Kompagnien des Feindes mit schweren Verlusten in die Flucht gejagt wurden, aber der Gegner versuchte immer wieder von neuem, sich Aufklärung zu verschaffen. Er gab sich kaum noch die Mühe, seine Absicht, mit Hilfe von Parlamentären zu erkunden, zu verbergen. Ich entsinne mich eines Falles, wo der Parlamentär von rückwärts durch den Busch an unser Lager herankam; er hatte also die von verschiedenen Seiten zu unserem Lager führenden Straßen nicht nur vermieden, sondern absichtlich gekreuzt. Mit der Annäherung des Feindes wurde die Beschaffung unserer Verpflegung, deren Bestände sich allmählich erschöpften, schwieriger. Es war nicht zu verhindern, daß unsere ungeschützt weit im Lande verbreiteten Aufkäufer und Jagdkommandos dem Feinde verraten und dann von ihm überrascht wurden. Die Bearbeitung der Eingeborenen durch den Feind zeigte sich darin, daß südlich Mihambia mehrere Eingeborenendörfer plötzlich verlassen waren. Von früher her war mir diese Erscheinung ein untrügliches Zeichen dafür, daß der Feind dort vorzudringen beabsichtigte. Unsere Verpflegungslage schloß es aus, auf längere Zeit Truppen in der bisherigen Stärke in der Gegend Mihambia-Ndessa zu unterhalten. Da deshalb ohnehin eine Räumung dieses Gebietes in greifbare Nähe rückte, und da der Feind gleichzeitig westlich Lindi, dem General Wahle gegenüber, mit starken Truppen eine gesteigerte Angriffstätigkeit entwickelte, so beschloß ich, mit einem Teile der Kompagnien von Ndessa aus zum General Wahle abzurücken, um vielleicht dort zu erreichen,[S. 182] was bei Narungombe mißlungen war, nämlich mit einer überraschend durchgeführten Verstärkung unserer Truppen einen entscheidenden Teilerfolg zu erzielen. Am 8. August hatten die Truppen des Generals O’Grady allerdings eine sehr schwere Niederlage erlitten. Hierbei war ein indisches Regiment, das durch den freien Raum zwischen zwei ausgebauten, starken deutschen Stützpunkten vorgedrungen war, durch unsere dahinter bereit gehaltenen Reserven angegriffen und nahezu vernichtet worden. Bei der Verfolgung fiel wertvolles Material in unsere Hand. Aber der Feind hatte nach einigen Tagen erneut angegriffen, und vor seinen starken Umgehungsabteilungen war General Wahle nach Narunju und einem in gleicher Höhe südlich des Lukulediflusses liegenden Berge zurückgegangen.
Bei Ndessa blieb Hauptmann Koehl mit sechs Kompagnien und einer Batterie zurück; ich selbst überschritt mit vier Kompagnien und zwei Gebirgsgeschützen unterhalb Nahungu den Mbemkurufluß und marschierte dann quer über das Mueraplateau zur Missionsstation Namupa. Der dortige Präfekt bewirtete uns unter anderem mit Muhogo (eine Feldfrucht mit genießbaren Wurzeln), der wie Bratkartoffeln zubereitet war, und ergänzte die verschwindenden Verpflegungsbestände unserer Europäer durch Bananen und andere Früchte seiner weiten Gartenanlagen.
Im Lager von Njangao erregte ein zum Teil gut aufgefangener, an mich gerichteter deutscher Funkspruch, der beim Eintritt in das vierte Kriegsjahr die Anerkennung Sr. Majestät des Kaisers zum Ausdruck brachte, allgemeinen Jubel.
Bei unangenehmem Regenwetter bezogen wir mit den zuerst eintreffenden Kompagnien Lager bei Njengedi, an der großen Straße Njangao-Lindi, hinter der Abteilung Wahle. Ich begab mich sogleich zur Orientierung zum General Wahle nach Narunju. Hier lagen sich in fast undurchdringlich dichtem, stark zerklüftetem Gelände, dessen Niederungen vielfach mit tiefem Sumpf ausgefüllt waren, Freund und Feind ganz nah gegenüber. Unsere Truppen arbeiteten an tiefen Schützenlöchern, die durch Verhaue vor der Front gedeckt waren. Nur schwache fünf von den sieben Kompagnien, die General Wahle zur Verfügung hatte, lagen bei Narunju, die zwei übrigen auf dem Südufer des Lukulediflusses auf dem Ruhoberge. Bei der Gefahr eines[S. 183] überraschenden Angriffs auf unsere schwachen Kräfte bei Narunju ordnete ich deren Verstärkung durch die Kompagnien des Ruhoberges an und setzte auf diesen Berg zwei der von mir mitgebrachten Kompagnien in Marsch. Schon am folgenden Tage, am 18. August 1917, geschah der feindliche Angriff auf Narunju. Außer dem Hauptmann Lieberman vom Ruhoberge her kamen auch die beiden anderen von mir mitgebrachten Kompagnien noch zum Eingreifen. Ich sehe noch jetzt die Askari der 3. Kompagnie, die soeben erst bei Njengedi angekommen und sofort nach Narunju weitermarschiert waren, im buchstäblichen Eilmarsch vor Einbruch der Dunkelheit dort eintreffen und höre ihre freudigen Zurufe, da sie glaubten, den Feind wieder einmal gründlich zu schlagen.
Aber unser umfassender Angriff gegen den feindlichen rechten Flügel führte nur zu einem Zurückdrängen desselben; der Busch war gar zu dicht für Angriffsbewegungen, die sich auf kurze Entfernungen in dem ununterbrochenen Gewehr- und Maschinengewehrfeuer des Feindes entwickeln mußten. Die Dunkelheit steigerte die Schwierigkeit der Führung, und es ist kein Zweifel, daß bei dem Verwerfen der Fronten in dem zerrissenen Gelände unsere Abteilungen sich vielfach gegenseitig beschossen haben; ein Erkennen von Freund und Feind war eben kaum möglich. So glaubte ich, als ich in völliger Dunkelheit im Busch vor mir lautes Stimmengewirr hörte, daß dies von unserem umfassenden Angriff herrührte, der den Feind völlig zurückgeworfen habe. Erst nach längerer Zeit stellte es sich heraus, daß dies Feind war, und bald hörte man auch seine Schanzarbeiten. Die genaue Feststellung der feindlichen Verschanzungen bot für uns den Vorteil, daß wir sie mit guter Beobachtung durch das 10,5 cm-Königsberggeschütz der Abteilung Wahle unter Feuer nehmen konnten. Das ist mit anscheinend gutem Erfolg geschehen; jedenfalls hat der Feind am nächsten Tage seine Verschanzungen geräumt und ist zurückgegangen.
Der gewünschte, durchschlagende Erfolg war nicht erreicht worden und bei den vorhandenen Geländeschwierigkeiten auch nicht zu erwarten, da wir durch das Gefecht am 18. dem Feinde unsere Stärke verraten hatten und somit das Moment der Überraschung für uns fortfiel. Wiederum mußte ich mich mit hinhaltenden Maßnahmen begnügen. Für ein längeres Bleiben bot sich in dem reichen Lande vom Standpunkte[S. 184] der Verpflegung aus keine Schwierigkeit. Selten ist die Truppe so gut verpflegt worden wie in der Gegend von Lindi. Große Felder von Süßkartoffeln und Muhogo breiteten sich aus, so weit das Auge reichte, auch Zuckerrohr gab es reichlich. Schon die zahlreichen Araberpflanzungen deuteten auf den Reichtum und die alte Kultur des Landes hin. Wir richteten uns also häuslich ein, und wenn auch die Gewehrkugeln häufig durch unser Lager flogen und die Flieger ihre Bomben abwarfen, so wurde doch durch diese kaum Schaden angerichtet. Der Zahnarzt, der uns nach langer Zeit die ersehnte Behandlung angedeihen ließ, hatte sein Atelier in einem Europäerhause aufgeschlagen und behandelte gerade einen Patienten, als eine Granate in das Zimmer schlug. Bei der jetzt vorgenommenen, genauen Untersuchung des Raumes stellte sich heraus, daß der Pflanzer seine Bestände an Dynamit in dem Zimmer aufgehoben hatte. Glücklicherweise waren diese nicht getroffen, wodurch Patient und Zahnarzt endgültig von allen Zahnschmerzen befreit worden wären.
Nicht leicht war die Frage, was aus den deutschen Frauen und Kindern werden sollte, die zum Teil aus Lindi geflüchtet waren und nun nicht wußten, was sie machen sollten. Eine Anzahl von ihnen war in den Pflanzungsgebäuden von Mtua untergekommen, die im feindlichen Artilleriefeuer lagen. Bei dem Zusammenschmelzen der Verpflegung und bei der großen Schwierigkeit der Transport- und Unterkunftsverhältnisse war es erwünscht, Frauen und Kinder nach Lindi abzuschieben. Einige waren auch verständig genug, dies einzusehen. Durch Parlamentär wurde ihre ordnungsgemäße Überführung in die englischen Linien verabredet, und so konnten sie nach Lindi abreisen. Aus mir unbekannten Gründen haben die Engländer dann aber diese Methode nicht fortsetzen wollen. Daher sammelte sich nach und nach die Masse der Frauen und Kinder sowie auch der männlichen Nichtkombattanten in der katholischen Mission Ndanda. Dort war schon seit längerer Zeit ein militärisches Genesungsheim eingerichtet, das zu einem größeren Lazarett erweitert wurde. Alle die hier untergebrachten Leute fanden gute Unterkunft und Verpflegung in den weitläufigen Baulichkeiten der Mission und deren ausgedehnten Gärten.
[S. 185]
Während nun bei Narunju für mehrere Wochen ein Stillstand eintrat, hatte der Feind eine regere Tätigkeit in dem von der Abteilung Stuemer besetzten Teil des portugiesischen Gebietes gezeigt. Gegen Mwembe waren mehrere englische Kolonnen konzentrisch von Südwesten und Süden her vorgegangen, und Major von Stuemer, der sich zum Widerstand nicht für stark genug hielt, hatte Mwembe geräumt. Dann waren die einzelnen Kompagnien allmählich auf den Rowuma zu zurückgewichen. Nördlich dieses Flusses hatte Kapitänleutnant d. R. Jantzen, den das Kommando mit zwei Kompagnien nach Tunduru entsandt hatte und aus den zu sich die einzelnen Kompagnien der bisherigen Abteilung Stuemer sammelten, den einheitlichen Befehl übernommen. Auch von Ssongea her drangen feindliche Abteilungen in Richtung auf Tunduru zu vor.
Einzelheiten über den Gegner waren schwer festzustellen; ich hatte den Eindruck, daß er unsere Hauptkräfte bei Narunju lediglich hinhalten wollte, um mit starken Truppen in unser Verpflegungsgebiet, das wesentlich in der Gegend von Tunduru-Massassi-Ruponda lag, einzudringen und unsere Bestände fortzunehmen. Es schien mir damals nicht ausgeschlossen, gegen diesen Feind einen Erfolg erzielen zu können, und ich marschierte deshalb am 10. September 1917 mit fünf Kompagnien aus den Lagern von Narunju und Mtua ab nach Massassi. Von dort wurde zunächst Hauptmann Goering mit drei Kompagnien gegen Tunduru in Marsch gesetzt, das inzwischen vom Feinde besetzt worden war; Abteilung Jantzen stand nordöstlich dieses Ortes. Zu Rad erkundete ich die Straße nach Tunduru und mußte befürchten, daß die Verpflegungsschwierigkeiten sehr groß sein würden. Das hat sich leider bestätigt. Verpflegung aus dem Lande war nicht durchführbar, und zu einer längeren Operation, für die erst Nachschub von Massassi her einzuleiten war, fehlte die Zeit.
Die kleinen Patrouillenunternehmungen der Engländer und Portugiesen, die von Süden her über den Rowuma kamen und unsere Magazine[S. 186] und Transporte belästigten, trieben uns allerdings nicht zur Eile. Aber der Feind, der von Kilwa her gekommen war und den Hauptmann Koehl durch das schwere Gefecht von Mbeo-Chini und eine Anzahl kleinerer Zusammenstöße nicht hatte aufhalten können, kam in die Gegend von Nahungu. Seine fliegenden Kolonnen, zum großen Teil beritten, umgingen die Abteilung Koehl weiter westlich und drangen den Mbemkurufluß aufwärts auf Nangano zu vor. Die Verbindung zu Hauptmann Koehl, die auf der Telephonstrecke Nahungu-Nangano basiert hatte, wurde zunächst für einige Tage, dann dauernd unterbrochen. Die dort liegenden Feldmagazine fielen in Feindeshand und wurden zerstört. In Voraussicht der Unterbrechung der empfindlichen Telephonlinie war von Ruponda aus in nordöstlicher Richtung eine neue Telephonstrecke gebaut worden, aber der an diese anschließende Botenverkehr zur Abteilung Koehl erforderte mehrere Tage.
Bei der langsamen Nachrichtenübermittlung von und zur Abteilung Koehl war es nicht möglich, sich rechtzeitig ein Bild von der dortigen Lage zu machen, und da der beabsichtigte Erfolg bei Tunduru ohnehin nicht durchführbar war, marschierte ich mit den fünf Kompagnien von Massassi aus Anfang Oktober nach Ruponda, dann weiter nordöstlich und vereinigte mich bei Likangara mit Abteilung Koehl. Auf die Meldung hin, daß feindliche Abteilungen sich Ruponda von Nordosten her näherten, wurde der Abtransport der Kranken und der Bestände aus Ruponda nach Lukuledi und nach Mnacho angeordnet. Am 9. Oktober 1917 wurde eine feindliche Patrouille bei Ruponda mit einigem Verlust für den Feind zurückgeschlagen, am 10. Oktober griff ein stärkerer Gegner — festgestellt wurde das 25. indische Kavallerieregiment — Ruponda auf mehreren Seiten an. Der Marsch unserer Kompagnien nach Likangara hatte also leider etwas zu schnell stattgefunden; es wäre sonst die Möglichkeit vorhanden gewesen, daß der Feind bei Ruponda auf einen Teil unserer durchmarschierenden Kompagnien gestoßen wäre und vielleicht eine Niederlage erlitten hätte. So aber befanden sich außer einigen Patrouillen in Ruponda keine Truppen; die Kranken fielen zum großen Teil in Feindeshand und leider auch das etwa 90000 kg Verpflegung enthaltende Magazin. Bei Likangara kam es zu keinen nennenswerten Gefechten. Es zeigten sich wohl feindliche Patrouillen und schwächere Abteilungen, aber unsere Kampftruppen,[S. 187] die gegen die den Mbemkurufluß entlangführende, hauptsächlichste Verbindung des Feindes gingen, dort Automobile beschossen und zerstörten und Post und Vorräte erbeuteten, brachten mich zur Vermutung, daß die Hauptkräfte der feindlichen Kilwatruppen weiter westlich herum in Richtung auf Ruponda ausholten.
Die vermehrte Tätigkeit des Feindes einige Tagemärsche östlich Likangara, wo der Gegner unsere Aufkaufposten aushob, sowie Erzählungen der Eingeborenen machten es wahrscheinlich, daß gleichzeitig stärkere feindliche Truppen von Nahungu aus direkt in südlicher Richtung, also auf General Wahle zu, marschierten. Erbeutete Post zeigte uns, daß der Feind trotz seinem ausgedehnten Nachrichten- und Spionagesysteme recht im dunkeln tappte. Er wußte beispielsweise nicht, wo ich mich aufhielt, obgleich er hierauf den größten Wert zu legen schien. Sagte ihm doch die Kenntnis meines jeweiligen Aufenthaltes, wo der Hauptteil unserer Truppen zu vermuten sei. Während nun die eine seiner Nachrichten meinte, daß ich mich in der Gegend von Lukuledi befände, wollte eine andere wissen, ich sei bei Tunduru, und eine dritte, ebenso bestimmte, in Mahenge. Die Schwatzhaftigkeit unserer Europäer, die es trotz aller Hinweise nicht lassen konnten, in ihren privaten Briefen ihre Kenntnis von der Kriegslage und ihre Vermutungen einander zu schreiben, hat hier einmal etwas Gutes geschaffen; es wurde nämlich so viel geklatscht, die Gerüchte waren so widersprechend, und auch Unwahrscheinliches wurde so wahllos geglaubt, daß aus den Korrespondenzen der Deutschen eigentlich alles, auch das Entgegengesetzte, herausgelesen wurde. Trotz dieser unbeabsichtigten Irreführung des Gegners ist es aber nicht zu verstehen, daß verständige Leute wichtige Dinge, deren Kenntnis dem Feinde entzogen werden muß, einer Postverbindung anvertrauten, von der sie wußten, daß sie unzuverlässig war und daß die Briefe häufig in Feindeshand fielen.
Es war mir klar, daß die Unsicherheit in der Beurteilung der Lage, in der sich der Feind offenkundig befand, mir eine große Chance geben mußte, wenn schnell und entschlossen gehandelt wurde. Ich durfte hoffen, daß der beabsichtigte entscheidende Schlag, den ich in der Gegend von Lindi zweimal, bei Tunduru einmal gesucht, und dessen Gelingen bei Narungombe an einem seidenen Faden gehangen hatte, jetzt endlich[S. 188] heranreifen würde. Günstig hierfür erschien mir im Rahmen meiner Beurteilung der Gesamtlage die Entwicklung der Dinge bei Abteilung Wahle. Die gesamte feindliche Kriegshandlung mußte den Gedanken nahelegen, daß die einzelnen Kolonnen des Feindes mit aller Wucht vordringen würden, um uns durch konzentrische, gegenseitige Einwirkung zu zerquetschen. Auch die Lindidivision des Feindes drückte mit großer Energie vor. Vor ihr waren die neun schwachen Kompagnien des Generals Wahle in ständigen Gefechten bis Mahiwa zurückgegangen. Das Gelände bei Mahiwa war mir persönlich einigermaßen bekannt. Es war sehr wahrscheinlich, daß mein Abmarsch dorthin vom Feinde nicht rechtzeitig bemerkt werden würde.
Am 14. Oktober 1917 marschierte ich im Vertrauen auf das Kriegsglück mit fünf Kompagnien und zwei Gebirgsgeschützen über die Berge von Likangara nach Mnacho, traf dort bei Dunkelheit ein und marschierte am 15. Oktober bei Tagesanbruch weiter. Auf dem schmalen Pfade an den Abhängen riß die Marschkolonne sehr auseinander. Die Geschütze blieben weit zurück; die Tragetiere versagten, Askari und Träger halfen aus, und immer von neuem verstand es Vizewachtmeister Sabath, die Schwierigkeiten zu meistern und seine Kanonen vorzubringen. Es überraschte mich, daß mir von Mahiwa aus keine Meldung entgegenkam, aber das Gewehr- und Maschinengewehrfeuer ließ erkennen, daß ein Gefecht im Gange war. Vor Eintritt der Dunkelheit traf ich bei der hinter dem linken Flügel der Abteilung Wahle in Reserve zurückgehaltenen Kompagnie des Oberleutnants d. L. Methner ein. Der Feind schien gegen diese umfassend durch den Busch vorzugehen. Die einschlagenden Geschosse hatten für mich die unangenehme Folge, daß der Träger, der meine Schreibtasche mit den wichtigsten Meldungen und Karten trug, auf zwei Tage verschwand. Unsere beiden, zuerst eintreffenden Kompagnien wurden sogleich zum Gegenangriff gegen die feindliche Umfassung angesetzt und der Feind hier zurückgeworfen. Die Kompagnien gruben sich dann ein. Am 16. morgens begab ich mich dorthin und stellte fest, daß sich der Feind dicht gegenüber auf 60 bis 100 m gleichfalls verschanzt hatte. Als mir Oberleutnant von Ruckteschell eine Tasse Kaffee anbot, mußte man etwas achtgeben, da der Feind ziemlich aufmerksam war und leidlich gut schoß. Die Gelegenheit zu einem überraschenden und entscheidenden Angriff[S. 189] schien mir günstig zu sein. Er wurde mittags, den Feind links (also nördlich) umfassend, angesetzt. Abteilung Goering sollte hier vorgehen.
Nachdem wir in Ruhe Mittag gegessen hatten, begab ich mich schnell zum linken Flügel, wo Hauptmann Goering sich soeben mit zwei Kompagnien entwickelte. Als er eine breite Niederung überschritten hatte, holte er zu meiner Überraschung noch weiter nach links aus. Bald traten die Kompagnien ins Gefecht. Erst nach und nach konnte ich mir diese auffallende Bewegung erklären. Hauptmann Goering war überraschend auf einen neuen Gegner gestoßen, der von Nahungu aus eingetroffen war und jetzt von Norden her anlief. Es waren mehrere Bataillone und zwei Geschütze der Nigeriabrigade, die von unserem Eintreffen bei Mahiwa nichts wußten und glaubten, die Truppen des Generals Wahle durch einen gegen dessen linke Flanke und Rücken gerichteten Angriff vernichtend schlagen zu können, während gleichzeitig die nach Osten gerichtete Front des Generals Wahle durch eine Division energisch angegriffen wurde. Die Nigeriabrigade war nun ebenso überrascht wie Hauptmann Goering, fand sich aber nicht so schnell in die neue Lage hinein. Hauptmann Goering, dem Reserven dicht folgten, ging mit seinen zwei Kompagnien so energisch im Busch gegen den Feind vor, daß er dessen einzelne Teile völlig überrannte, durcheinanderwarf und entscheidend in die Flucht schlug. Ein feindlicher Offizier, der eine Munitionskolonne vorführte, hielt unsere Truppen für die seinigen, und so gelangten wir in den Besitz von etwa 150000 Beutepatronen. Ein Geschütz mit Munition wurde im Sturm genommen und mehr als 100 Nigeriaaskari als gefallen festgestellt. Auch rechts vom Hauptmann Goering, wo zwei Kompagnien unter Oberleutnant von Ruckteschell und dem hierbei schwer verwundeten Leutnant d. R. Brucker fochten, wurde der Feind ein Stück in den Busch zurückgeworfen.
Gleichzeitig mit diesen Kämpfen auf der Flanke und auch an den folgenden Tagen griff der Feind die Abteilung Wahle mit aller Anstrengung an. Der Gegner zeigte hierbei starke Übermacht; immer wieder wurden frische Truppen gegen unsere Front eingesetzt. Die Gefahr, daß die Front des Generals Wahle nicht standhalten würde, war groß, das Gefecht schwer. Die Gefahr war brennend, daß unsere Umfassung in dem sehr schwierigen Busch- und Sumpfgelände durch schwache feindliche Truppen so lange aufgehalten werden würde, daß in der[S. 190] Front des Generals Wahle inzwischen eine für uns ungünstige Entscheidung fiel. Dann aber war das Gefecht für uns verloren. Ich hielt es für zweckmäßiger, die Nachteile, die der Feind sich durch seinen verlustreichen Frontalangriff selbst schuf, soviel wie möglich zu vergrößern und alle meine Kräfte so zu verwenden, daß der Feind sich in seinem immer stärker werdenden Frontalangriff gegen die Abteilung Wahle wirklich verblutete.
Die ursprünglich beabsichtigte Umfassung des feindlichen linken Flügels wurde deshalb an den folgenden Tagen nicht weiter durchgeführt, sondern im Gegenteil die irgend verfügbaren Kompagnien vom linken Flügel fortgezogen, um die Front des Generals Wahle zu verstärken. Auf diese Weise wurde erreicht, daß unsere Front nicht nur festhielt, sondern auch genügende Reserven durch kraftvolle Gegenstöße schwache Momente beim Feinde sofort erfassen und ihm eine wirkliche Niederlage beibringen konnten. Zu meiner vielleicht auffälligen Taktik bestimmte mich auch die Persönlichkeit des feindlichen Führers. Vom General Beves war mir vom Gefecht von Reata (11. März 1916) her bekannt, daß er seine Truppen mit großer Rücksichtslosigkeit einsetzte und nicht davor zurückscheute, einen Erfolg statt durch geschickte Führung und deshalb mit geringeren Verlusten, vielmehr durch einen immer wiederholten Frontalangriff anzustreben, der, wenn der Verteidiger standhielt und über einigermaßen ausreichende Kräfte verfügte, zu schweren Verlusten des Angreifers führte. Ich vermutete, daß General Beves auch hier bei Mahiwa von ähnlichen Überlegungen geleitet war. Ich glaube, daß es recht wesentlich die Ausnutzung dieser Schwäche in den Berechnungen des feindlichen Feldherrn war, die uns hier bei Mahiwa einen so glänzenden Sieg verschaffte. Bis zum 18. Oktober, also im ganzen vier Tage lang, stürmten immer neue Angriffswellen gegen unsere Front an, aber der persönliche Augenschein zeigte mir, daß hier auf unserem, rechten Flügel die Wucht des Angriffes allmählich nachließ und die Niederlage des Feindes eine vollständige wurde.
Am 18. Oktober abends hatten wir mit unseren etwa 1500 Mann eine feindliche Division, die wohl mindestens 4000, wahrscheinlich aber nicht unter 6000 Mann im Gefecht hatte, vollständig geschlagen und dem Feinde die schwerste Niederlage beigebracht, die er, abgesehen von[S. 191] Tanga, überhaupt erlitten hat. Nach Angabe eines höheren englischen Offiziers hat der Feind 1500 Mann verloren; ich habe aber Grund anzunehmen, daß diese Schätzung viel zu niedrig ist. Bei uns waren 14 Europäer, 81 Askari gefallen, 55 Europäer, 367 Askari verwundet, 1 Europäer, 1 Askari vermißt. In Anbetracht unserer geringen Streiterzahlen waren diese Verluste für uns recht erheblich und um so fühlbarer, weil sie nicht ersetzt werden konnten. Unsere Beute betrug ein Geschütz, sechs schwere und drei leichte Maschinengewehre sowie 200000 Patronen.
Die Kriegslage verbot leider, unseren Sieg voll auszunutzen; in unserem Rücken war nämlich der Feind, der am 10. Oktober Ruponda besetzt hatte, mit starken Kräften weiter nach Süden vorgedrungen und hatte am 18. Oktober den Major Kraut bei Lukuledi angegriffen. Nachholend muß bemerkt werden, daß unsere Truppen, die unter Kapitänleutnant Jantzen in der Gegend von Tunduru gefochten hatten, allmählich von dort nach Nordosten an den oberen Mbemkuru ausgewichen und über Ruponda, noch vor der am 10. Oktober stattgefundenen Besitznahme dieses Ortes durch den Feind, an das Kommando herangezogen worden waren. Zwei dieser Kompagnien hatten unsere zum Schutz der Magazine in der Nähe von Lukuledi stehende Kompagnie verstärkt, und diese drei Kompagnien waren es, die unter dem Befehl des Majors Kraut bei Lukuledi am 18. Oktober durch einen überlegenen Feind von Norden her angegriffen wurden.
Der auf sechs Kompagnien des Goldküstenregiments geschätzte Gegner wurde zwar abgewiesen, aber um unsere gefährdeten Verpflegungs- und Materialbestände, die in Chigugu und Chiwata lagen, zu sichern, rückte Major Kraut nach dem ersteren dieser Orte ab. Außer Chigugu und Chiwata war durch den Feind, der sich meiner Ansicht nach zweifellos bei Lukuledi verstärkte, auch Ndanda, wo eine große Menge unseres Kriegsmaterials lagerte, gefährdet. Jeden Augenblick konnte der Fall eintreten, daß der Feind von Lukuledi aus in unsere rückwärtigen Verbindungen eindrang, unsere Bestände und Verpflegung in Besitz nahm und uns auf diese Weise kampfunfähig machte. Ein Mittel, unsere rückwärtigen Verbindungen durch lokale Sicherungen ausreichend zu schützen, gab es für uns nicht; denn die paar tausend Mann, die wir hatten, brauchten wir zum Fechten. Da die Truppe aber lebensfähig bleiben wollte und sollte, mußte die Gefahr auf andere Weise beseitigt werden.
[S. 192]
Dazu gab es nur ein Mittel, nämlich den Feind bei Lukuledi entscheidend zu schlagen. Wir durften daher bei Mahiwa keine Zeit verlieren, und ich mußte, so schwer es mir wurde, den Gedanken an eine vernichtende Verfolgung fallen lassen. Während am 19. Oktober früh einige sichtbare Teile des Feindes beschossen wurden, war ich schon mit sechs Kompagnien und zwei Geschützen im Abmarsch; am nächsten Tage trafen wir zwei Stunden östlich Lukuledi ein, und am 21. Oktober wurde der Feind bei Morgengrauen, anscheinend ganz überraschend, angegriffen. Die Kolonne des Majors Kraut überraschte nördlich Lukuledi, an der Straße nach Ruponda, das Lager des 25. indischen Kavallerieregiments, das gerade mit angespannten Fahrzeugen zum Vormarsch auf Massassi bereitstand; das Lager wurde gestürmt, und das feindliche Regiment verlor fast sämtliche Zugtiere, im ganzen 350. Während ich nun mit den Abteilungen Koehl und Ruckteschell in ziemlich ernstem Gefecht bei Lukuledi gegen den dort verschanzten Feind stand, wartete ich vergeblich auf das Eingreifen der Abteilung Kraut. Ein Sturm auf das Lager ohne das Moment der Überraschung versprach keinen Erfolg. Als die Truppe nun auch von seitwärts durch Minenwerfer wirksam beschossen wurde, zog ich nach Abweisung eines stärkeren, feindlichen Angriffes das Gros aus dem wirksamen Kreuzfeuer heraus, um unnötige Verluste zu vermeiden. Ein neuer, aus einer starken Patrouille oder einer Kompagnie King’s African Rifles (englische ostafrikanische Askari) bestehender Gegner, der überraschend im Busch auftauchte, wurde schnell zurückgeschlagen. Hierbei fiel an der Spitze seiner Kompagnie Oberleutnant Kroeger. Dann wurde das Gefecht abgebrochen. Erst in der Nacht traf Meldung von Major Kraut ein: er hatte in dem Glauben, bei Lukuledi nicht mehr mit Erfolg eingreifen zu können und weil er keinen Gefechtslärm gehört hatte, den Ort im Bogen umgangen und dann südöstlich von Lukuledi Lager bezogen.
Durch die Ungunst der Umstände war es nicht gelungen, den Feind bei Lukuledi wirklich entscheidend zu schlagen, und der Zweck meiner Unternehmung nur zum Teil erreicht; aber die Verluste des Feindes durften als erheblich angesehen werden. Auch der Eindruck auf ihn war größer, als ich anfangs glaubte. Jedenfalls ergaben die Erkundungen, daß er Lukuledi wieder geräumt hatte und in nördlicher Richtung abgezogen war. Unter unseren Verlusten befanden sich drei gefallene Kompagnieführer.[S. 193] Noch jetzt steht mir Leutnant d. R. Volkwein vor Augen, wie er, notdürftig von einer schweren Beinverwundung hergestellt, vor seiner Kompagnie durch den Busch hinkte. Auch mit Leutnant d. R. Batzner und Oberleutnant Kroeger sprach ich noch kurz, ehe sie fielen. Als tüchtiger Maschinengewehrführer fiel hier auch Vizefeldwebel Klein, der so häufig seine Patrouillen an die Ugandabahn geführt hatte. Aber unsere Verluste waren nicht umsonst gebracht. Unsere Patrouillen verfolgten den Feind und beschossen dessen Lager in der Gegend von Ruponda und die feindlichen Verbindungen. Die Unmöglichkeit für uns aber, in der Gegend von Ruponda stärkere Truppenmassen zu verpflegen — waren doch unsere dort angesammelten Bestände in Feindeshand gefallen —, zwang mich, auf eine gründliche Verfolgung des Feindes zu verzichten.
Ich hielt es damals für möglich, daß der Abmarsch des Feindes von Lukuledi nach Norden hervorgerufen war durch Bewegungen unserer Truppen, die unter Hauptmann Tafel von Mahenge her in Anmarsch waren. Mit ihm fehlte seit Anfang Oktober jede Verbindung. Er hatte Anweisung erhalten, vor den starken, feindlichen Kolonnen, die von Norden (Ifakara), Westen und Südwesten (Likuju, Mponda) her auf Mahenge zu vordrangen, nur ganz allmählich auszuweichen und die Vereinigung mit den unter mir stehenden Hauptkräften zu suchen. Ich hielt es für wohl möglich, daß er bereits jetzt in der Gegend von Nangano oder westlich davon eingetroffen war und der Feind aus Besorgnis für seine eigenen rückwärtigen Verbindungen jetzt in Lukuledi wieder kehrtgemacht hatte.
Am 24. Oktober traf der Gouverneur von Chiwata her, das inzwischen zum Zentralpunkt der Verwaltung geworden war, in meinem Lager östlich Lukuledi zu einer Rücksprache ein. Ich legte meine Auffassung endgültig dahin fest, daß trotz aller Verpflegungsschwierigkeiten, die in Deutsch-Ostafrika bald entstehen mußten, der Krieg weitergeführt[S. 194] werden könne und müsse. Die Möglichkeit hierzu werde durch eine Basierung auf das portugiesische Gebiet geboten. Dies sei nur ausführbar, wenn wir in Portugiesisch-Ostafrika eindringen und Deutsch-Ostafrika räumen würden.
Die Verpflegungsfrage wurde brennend; in unseren vorhandenen Magazinen hatten wir rund 500000 kg liegen. Das würde für etwa anderthalb Monate reichen. Aber es hatte sich herausgestellt, daß die Zahlen kein unbedingt zuverlässiges Bild ergaben. Die gestapelten Säcke waren zum großen Teil mindergewichtig, und die Körner hatten durch Insektenfraß gelitten. Neue Ernte war frühestens erst wieder im März zu erwarten. Bei den weiteren Operationen mußte daher rein vom Verpflegungsstandpunkt aus eine Verschiebung nach Süden stattfinden. Allerdings rechnete ich noch mit der Möglichkeit, daß Hauptmann Tafel mit seinen Truppen in der Gegend von Massassi und Chiwata eintreffen würde und daß ich ihm dann die hauptsächlich in der Gegend von Chiwata liegenden Magazinbestände überlassen könnte, um selbst mit einem Teil der Truppen von Chiwata aus das Makondehochland in Richtung auf Lindi zu überschreiten und die Hauptetappenstraße des Feindes am Lukuledifluß anzugreifen. Für beide Möglichkeiten der weiteren Kriegführung war die Gegend von Chiwata wegen ihres Reichtums für uns von größter Bedeutung. Chiwata war aber nicht geschützt und war noch dadurch gefährdet, daß auch von Norden her gegen Mnacho feindliche Unternehmungen stattfanden, sich auch berittene Abteilungen des Feindes an der Straße Lukuledi-Lindi in der Gegend von Ndanda zeigten. Auch schenkte die feindliche Fliegertätigkeit unseren Lagern von Chiwata eine gesteigerte Aufmerksamkeit.
Dies waren die Gründe, aus denen ich Ende Oktober 1917 mit dem Hauptteil meiner Truppen von Lukuledi abrückte. Es war noch nicht zu übersehen, ob sich von Chiwata aus erneut die Gelegenheit zu einem Vorstoß auf eine der voraussichtlich demnächst wieder vorrückenden Kolonnen des Feindes bieten würde. Für die nächsten Wochen richtete sich der Druck des Feindes wiederum gegen die Abteilung Wahle. Dort traten ganz neue Truppen auf, unter ihnen auch das aus südafrikanischen Mischlingen gebildete Capekorps. Dieses hatte an der Zentralbahn gestanden und war zur Verstärkung der Truppen des Generals Beves anscheinend über Daressalam-Lindi herangezogen. Glücklicherweise[S. 195] hatte General Beves diese Verstärkungen nicht abgewartet, als er seine Niederlage bei Mahiwa herbeiführte.
General Wahle wich Schritt für Schritt den Lukuledi aufwärts aus. Leider konnte ich ihm keine Unterstützungen schicken, mußte ihm sogar einige Kompagnien fortnehmen, um von Chiwata aus bei günstiger Gelegenheit Truppen für einen Vorstoß in der Hand zu haben und zugleich unsere Magazine zu schützen. Durch die Buschgefechte der Abteilung Wahle, zu denen es fast täglich kam, wurden dem Feinde anscheinend erhebliche Verluste beigebracht und er zähe hingehalten; zu einem durchschlagenden Teilerfolg und zu erheblicher Munitionsbeute kam es aber nicht, und unsere Munitionsbestände zehrten sich mehr und mehr auf. Am 6. November ritt ich von Chiwata nach Nangoo bei Ndanda und erkundete hier dicht hinter der Abteilung Wahle das Gelände für ein etwaiges Eingreifen mit den Chiwatatruppen. Am 7. November ritt ich von Nangoo aus in südlichem Bogen über das Makondehochland nach Chiwata zurück. Am gleichen Tage wurden wieder feindliche Truppen bei Lukuledi festgestellt, am 9. November fand ein Patrouillengefecht bei Chigugu statt, dicht westlich Chiwata.
In dieser kritischen Zeit, wo sich die Anfänge der feindlichen Kolonnen Chiwata näherten, bestand für uns naturgemäß das dringende Bedürfnis, uns auf eine dieser Kolonnen mit allen unseren Kräften so frühzeitig zu werfen, daß die anderen feindlichen Kolonnen in das Gefecht nicht eingreifen konnten. Für einen solchen Schlag war Vorbedingung, daß wir unsere an sich geringe Truppenzahl in ihrer vollen Gefechtsstärke zur Wirkung bringen konnten. Hierbei spielte die Munitionsfrage eine Hauptrolle. Unsere gesamten Munitionsbestände waren auf rund 400000 Patronen zusammengeschmolzen, das war bei einer Zahl von rund 2500 Gewehren und 50 schweren und leichten Maschinengewehren, die tatsächlich, wenn man alles zusammenraffte, in Frage kamen, für ein ernstes Gefecht schon knapp, und die Weiterführung des Kampfes war nur dann möglich, wenn Munition erbeutet wurde. Hierfür war das Gelände ungünstig. In dem dichten Busch war der einzelne geneigt, viel zu schießen und wenig zu treffen; die Munitionsbestände zehrten sich auf, ohne daß schnelle, für uns günstige Entscheidungen erzielt wurden. Eine befriedigende Lösung der Munitionsfrage wurde noch dadurch unmöglich gemacht, daß die Patronen[S. 196] zum weitaus größten Teil aus der rauchstarken Munition 71 bestanden, während die Truppe nur zu rund 1/3 mit Gewehren 71 bewaffnet war; 2/3 hatten deutsche, englische oder portugiesische moderne Gewehre, und für diese war ausreichende Munition nicht vorhanden. Die geringen Bestände an modernen Patronen waren für unsere Hauptwaffe, die Maschinengewehre, notwendig. Da war guter Rat teuer. Es blieb nichts übrig, als im Gefecht von jeder Kompagnie nur den mit Gewehr 71 bewaffneten Zug einzusetzen und schießen zu lassen, die beiden anderen Züge, die modern bewaffnet waren, und bei denen jeder Mann nur etwa 20 zu seinem Gewehr passende moderne Patronen, im übrigen aber rauchstarke Patronen 71 trug, in Reserve zurückzuhalten. Die Züge wurden dann abgewechselt, so daß, wenn zuerst der erste Zug mit Gewehren 71 gefochten hatte, er seine Gewehre an den ihn ablösenden zweiten Zug abgab, selbst dessen moderne Gewehre nahm und in Reserve zurückgezogen wurde. So konnte günstigenfalls nur ein Drittel der verfügbaren Streiterzahl wirklich ins Gefecht eingesetzt werden, und auch dieses mußte mit den Patronen aufs äußerste sparen.
Die Artilleriemunition war bis auf einige Schuß unserer beiden Gebirgsgeschütze und einige portugiesische Munition bis zur letzten Patrone verschossen worden. Unsere letzte Feldhaubitze sowie das bei Mahiwa erbeutete englische Geschütz wurden gesprengt. Die beiden letzten 10,5 cm-Königsberggeschütze waren schon einige Tage vorher vernichtet worden. Ein deutsches Gebirgsgeschütz wurde einen Tag später bei Kitangari vernichtet und versenkt. So blieb noch ein deutsches und ein portugiesisches Gebirgsgeschütz übrig. Der Mangel an Artilleriemunition war in den letzten Monaten schon so erheblich gewesen, daß wir an sämtlichen Beständen alles in allem selten mehr als 300 Schuß hatten. Das war etwa die Gefechtsausrüstung eines einzigen der so zahlreichen englischen Geschütze.
Unter solchen Verhältnissen war ein erfolgverheißender Offensivstoß nur möglich, wenn die Lage sich ganz ausnahmsweise günstig gestaltete. Dieser Fall trat nicht ein. Zwar wurde mit Kampfpatrouillen gearbeitet und der Feind nach Möglichkeit geschädigt, sonst aber blieb nichts übrig, als daß die Truppen des Generals Wahle und die noch bei Mnacho zum Abtransport der dortigen Bestände stehengebliebene 11. Feldkompagnie[S. 197] vor dem nachdrängenden Feind allmählich aus Chiwata zu auswichen. Am 10. November wurde die unmittelbar im Rücken des Generals Wahle, der bei Nangoo stand, liegende Mission Ndanda durch einen starken Gegner, der vom Westen kam, überraschend besetzt. Das dortige Feldlazarett und ein Teil unserer Bestände fielen in die Hand des Feindes. Die südlich Ndanda stehende Abteilung Lieberman sicherte den Abmarsch der Abteilung Wahle, die von Nangoo aus aus dem von mir am 7. November erkundeten Wege südöstlich von Nangoo das Makondeplateau erstieg und sich dann durch den Abmarsch quer über das Plateau nach Chiwata der durch den Feind gestellten Schlinge entzog. Auch die 11. Kompagnie fand sich von Mnacho her heran, und so war, abgesehen von der Abteilung des Hauptmanns Tafel und kleiner, weiter südlich stehender Detachierungen, die gesamte Truppe bei Chiwata vereinigt; die allmähliche Verschiebung unserer Bestände aus Chiwata in östlicher Richtung aus Nambindinga zu war im Gange und auf diese Weise der weitere Abmarsch auf Kitangari eingeleitet. Dabei spähte ich gespannt danach aus, ob sich nicht eine der feindlichen Kolonnen eine Blöße geben würde. Am 14. November glaubte ich, diesen Fall eintreten zu sehen.
Eine starke feindliche Kolonne, zu der das 10. südafrikanische berittene Infanterieregiment gehörte, hatte uns von Lukuledi aus über Massassi umgangen und griff an diesem Tage von Südwesten her das zwei Stunden südlich Chiwata gelegene Mwiti an. In diesem Ort, der bisher nur schwach besetzt gewesen war, war am Tage vorher durch Verschiebungen von Chiwata her die Abteilung von Lieberman (drei Kompagnien) versammelt worden. Trotz aller Munitionsschwierigkeiten bot sich, wie ich glaubte, die Möglichkeit, mit der bei Chiwata stehenden Abteilung Koehl so überraschend in das Gefecht bei Mwiti einzugreifen, daß dieser Gegner vereinzelt geschlagen wurde; ich war aber zu sehr mit den allerdings schwierigen Anordnungen für den Abmarsch auf Nambindinga beschäftigt und habe die sich bei Mwiti bietende Gelegenheit leider unbenutzt vorübergehen lassen.
So blieb mir nur das allmähliche Ausweichen auf Nambindinga übrig. Bei der Räumung von Chiwata fielen die kriegsgefangenen europäischen Mannschaften des Feindes sowie die Inder, die zum Lazarett transportiert worden waren, zusammen mit diesem, zum großen[S. 198] Teil mit Schwerverwundeten gefüllten Lazarette in Feindeshand. Der Abmarsch auf Nambindinga fand unter steten Gefechten vom 15. bis 17. November statt. Ich wollte den Feind veranlassen, die konzentrische Bewegung seiner von Norden, Westen und Süden vorrückenden Kolonnen auch wirklich bis zu deren Vereinigung auszuführen; dann, wenn der Feind auf engem Raume mit seiner großen, unbehilflichen Menschenmasse stand, konnte ich abmarschieren, wohin ich wollte. Am 17. November mußte ich bei Nambindinga einen entscheidenden Entschluß fassen. Das dauernde Buschgefecht drohte unsere letzte Munition zu verzehren. Es wäre sinnlos gewesen, dieses Fechten, das zu keiner für uns günstigen Entscheidung führen konnte, weiter fortzusetzen. Wir mußten also abmarschieren.
Gleichzeitig mußten wir unsere Kopfstärke vermindern. Denn unsere vielen Leute mit wenig Munition hatten weniger Gefechtskraft als eine geringere Zahl, aber ausgesuchter Leute mit ausreichender Munition. Die Verpflegungslage forderte das gleiche. Nur durch eine erhebliche Verminderung unserer Verpflegungsstärke ließ es sich ermöglichen, mit den vorhandenen Vorräten noch zwölf Tage zu reichen. Unser Verpflegungsgebiet war eingeengt, neuer Aufkauf durch den Feind gestört und die Lebensmittel der Landschaft erschöpft. Der Bestand an Chinin reichte für die Europäer noch auf einen Monat. Nach Aufbrauch dieses letzten Chinins mußten die Europäer der Malaria und ihren Folgen erliegen; sie würden den Strapazen des Tropenkrieges nicht mehr gewachsen sein. Nur bei Reduzierung der Europäerzahl auf ein Minimum blieb für den einzelnen so viel Chinin, daß wir noch monatelang würden weiteroperieren können. Es kam darauf hinaus, unsere Truppe auf rund 2000 Gewehre zu vermindern und hierbei die Europäerzahl auf nicht über 300 festzusetzen. Alles, was über diese Zahl hinausging, mußte zurückgelassen werden. Es half nichts, daß bei den mehreren hundert Europäern und 600 Askari, die wir so notgedrungen im Lazarett Nambindinga zurückließen, sich auch Leute befanden, die gern weitergefochten hätten und die gesundheitlich hierzu in der Lage waren. Leider läßt es sich nicht verschweigen, daß es einer Anzahl derer, die hier bei Nambindinga blieben, auch von den Europäern, nicht unwillkommen war, die Waffen niederzulegen. Aber es verdient doch hervorgehoben zu werden, daß es nicht nur der Mehrzahl der Europäer,[S. 199] sondern auch vielen Askari bitter schwer geworden ist, zurückbleiben zu müssen. Manchem braven Askari mußte seine Bitte, bei uns bleiben und mit uns fechten zu dürfen, abgeschlagen werden. Als aber nach zwei Tagen Oberleutnant Grundmann, obgleich er nach schwerer Verwundung kaum gehen konnte, wieder bei mir eintraf und meldete, er habe es trotz Befehl nicht übers Herz bringen können, in Gefangenschaft zu gehen, da habe ich mich über diesen Ungehorsam gefreut, wie selten.
Es mag hier erwähnt werden, daß der Feind mit unseren Gefangenen im allgemeinen, soweit ich es zu beurteilen in der Lage bin, menschlich verfuhr; aber doch scheint mir, daß er bestrebt war, uns Grausamkeit gegen englische Gefangene zuzuschieben, vielleicht um hieraus die Berechtigung zu Repressalien herzuleiten, vielleicht auch aus anderen Gründen. Leutnant d. R. Gutsch war in Ndanda krank zurückgelassen worden und in Feindeshand geraten. Auf die ganz aus der Luft gegriffene und unerwiesene Behauptung eines Schwarzen hin, daß Leutnant Gutsch gelegentlich einer Patrouille einen englischen Verwundeten verbrannt habe, wurde er in Handfesseln gelegt und dann auf der Seefahrt nach Daressalam mehrere Tage lang in den Vorraum des Aborts eingeschlossen. In Daressalam wurde er mehrere Wochen lang ins Gefängnis gesperrt, ohne überhaupt verhört zu werden. Als er dann schließlich gehört wurde, stellte es sich heraus, daß sich die gegen ihn begangene, sinnlose Grausamkeit nur auf die lügenhafte Aussage eines Schwarzen gründete. Ferner teilte mir General van Deventer mit, daß Hauptmann Naumann, der sich in der Gegend des Kilimandjaro ergeben hatte, wegen Mordes verfolgt würde; auch er ist, wie ich später hörte, lange Zeit und gleichfalls ohne Vernehmung eingesperrt worden, bis schließlich auch seine Unschuld anerkannt wurde. Ein Grund zu dieser jeden Gerechtigkeitsgefühls spottenden Handhabung der Rechtspflege ist mir um so weniger verständlich, als die englischen Gefangenen bei uns durchaus menschlich behandelt und materiell oft besser verpflegt wurden als unsere eigenen Leute[5].
Die gefaßten Entschlüsse stellten die Kriegführung auf gänzlich veränderte Grundlagen. Bisher hatten wir die Verpflegung in Magazinen[S. 200] sammeln und aus diesen in der Hauptsache die Anforderungen befriedigen können; auch die Ergänzung der Munition hatte stets aus gelagerten Beständen erfolgen können. Dieses System hatte uns zwar eine Menge empfindlicher und für den Feind angreifbarer Punkte verschafft, die wir nicht schützen konnten, aber es war durch die bisherige Methode möglich gewesen, die Truppe in einer für unsere Verhältnisse erheblichen Stärke unter Waffen zu halten und große Teile derselben auf engem Raume auch auf längere Zeit zu verwenden. Es war ferner möglich gewesen, wenigstens einigen Lazaretten einen ständigen Charakter zu geben, hier Verwundete und Kranke in Ruhe der Genesung zuzuführen und so einen großen Teil der in der Front entstandenen Lücken durch die wiederhergestellten, kriegserfahrenen Leute zu ergänzen. Dieses System hatte unsere Operationen natürlich in hohem Maße von den Verpflegungs- und Nachschubsverhältnissen abhängig gemacht und die Bewegungsfreiheit gehemmt. Der Vorteil, für unsere Verhältnisse starke Truppen verwenden und mit ihnen auch größere feindliche Verbände mit Erfolg bekämpfen, manchmal gründlich schlagen zu können, war aber so groß, daß ich dieses System solange wie irgend möglich beibehalten hatte.
Jetzt war dies nicht länger möglich, und die erwähnten Vorteile hatte ich unter dem Zwange der Notwendigkeit bewußt fahren lassen müssen. Es war gewiß fraglich, ob selbst die verminderte Truppe ohne jedes Magazin und ohne jeden Nachschub unterhalten werden könnte. Die Aussicht, nach zwölf Tagen mit 5000 hungrigen Negern ohne Verpflegung in der Steppe zu sitzen, war nicht verlockend. Würde es gelingen, diejenigen Bedürfnisse der Truppe, die die Eingeborenenfelder nicht liefern konnten, also vor allem Munition und dazu passende Waffen, in solchem Umfange zu erbeuten — denn nur eine Beute aus den Beständen des Feindes konnte als Ersatzmöglichkeit in Frage kommen —, daß die weitere Kriegführung lebensfähig blieb? Das waren alles ernste Fragen. Gelang es aber, auf der neuen Grundlage die Truppe lebensfähig zu machen, so mußten die gesteigerte Unabhängigkeit und Beweglichkeit, entschlossen ausgenutzt, uns dem unbeweglicheren Feinde gegenüber trotz seiner gewaltigen Überlegenheit an Zahl doch gelegentlich die lokale Überlegenheit schaffen. Bei dem endlosen uns zur Verfügung stehenden Raume würde es uns möglich sein, uns[S. 201] ungünstigen Lagen zu entziehen. Der Feind würde gezwungen sein, einen enormen Aufwand an Menschen und Material dauernd in Bewegung zu halten und seine Kräfte in ungleich höheren Maße zu erschöpfen als wir selbst. Es war also Aussicht vorhanden, auch weiterhin starke feindliche Kräfte zu binden und endlos lange hinzuhalten, wenn — meine Überlegungen stimmten. Das war damals zweifelhaft. Das Wagnis mußte aber unternommen werden. —
Unseres Bleibens bei Nambindinga war nicht lange; der oben auf dem Plateau liegende Ort hatte nämlich kein Wasser, und die im Tal liegende Wasserstelle lag im Feuer der feindlichen Geschütze und Maschinengewehre. Unter dem Schutze von Patrouillen, die den Feind bei Nambindinga hinhielten, traf das Kommando und der Hauptteil der Truppen am 18. November bei Kitangari ein. Der Feind drängte nicht nach, konnte es wahrscheinlich auch nicht. Er hatte, wie vorauszusehen war, sich aufs äußerste angespannt, um bei Chiwata den so lange ersehnten letzten Schlag zu führen, und mußte sich für weitere Operationen erst neu gliedern. In Kitangari bestätigte sich die alte Erfahrung, daß die Verpflegungsbestände des dortigen Magazins viel zu hoch eingeschätzt waren. Wenn man alles zusammennahm, was an Vorräten irgendwie verfügbar war, so hatte die Truppe für rund zehn Tage Verpflegung; auf eine wesentliche Ergänzung dieser Bestände aus der Landschaft war von Kitangari aus nach Süden nicht zu rechnen. Die Frage, wohin sich nun der Weitermarsch richten sollte, spitzte sich in der Hauptsache dahin zu: Wo bot sich Aussicht, die Truppe wieder in ausreichendem Maße zu verpflegen? Zeit durfte nicht verloren werden.
Es war mir bekannt, daß längs des Rowumagebietes Engländer und Portugiesen unsere Verpflegungsbestände systematisch zerstört hatten. Unsere kleinen Magazine, Aufkaufposten und Verpflegungskolonnen waren überfallen und die Bestände vernichtet worden. Die Eingeborenen waren beeinflußt, sich gegen uns feindselig zu verhalten. Nordufer und Südufer des mittleren Rowuma waren nur dünn besiedelt; den Rowuma aufwärts, bei Tunduru, hatten längere Zeit stärkere Kräfte beider Parteien gefochten, die Verpflegungsbestände waren dort wahrscheinlich erschöpft. Über das südlich des unteren Rowuma gelegene Mafiaplateau konnte ich wirklich zuverlässige Nachrichten nicht erhalten. Selbst wenn dort, wie manche mitteilten, vor dem Kriege ein reicher[S. 202] Anbau bestanden hatte, so war es doch sehr fraglich, ob auch jetzt noch, nachdem dort stärkere portugiesische Truppen jahrelang gehaust hatten, Verpflegung vorgefunden werden würde. Am wahrscheinlichsten schien es mir damals, in der Gegend, wo die Operationen des Majors von Stuemer auf portugiesischem Gebiet stattgefunden hatten, in dem Winkel zwischen Rowuma- und Ludjendafluß, sowie weiter südlich in der Gegend von Nangware und Mwembe Verpflegung vorzufinden. Zweifelhaft war auch das; auch dort hatten kriegerische Operationen den Anbau der Eingeborenen gestört. Indessen erschien mir unter den verschiedenen, zweifelhaften Aussichten diese letztere noch am günstigsten, und ich beschloß, vorderhand den Rowuma aufwärts zu marschieren.
Mitbestimmend für diese Marschrichtung war der Wunsch, durch eine tüchtige Beute an Patronen und anderem Kriegsmaterial die Truppe wieder auf längere Zeit schlagfertig zu machen. Frühere Beobachtungen und Aussagen von Eingeborenen legten den Gedanken nahe, daß auch jetzt irgendwo in der Gegend des Rowumaflusses für uns geeignete Bestände des Feindes lagern würden. Am 20. November wurde Newala erreicht, wo sich die letzten detachierten Teile, die nach Süden zu gesichert hatten, anschlossen und die Neuorganisation der Truppe endgültig durchgeführt wurde. In Newala wurden die letzten Nichtmarschfähigen zurückgelassen, und mit 300 Europäern, 1700 Askari und 3000 Trägern und sonstigen Farbigen wurde am 21. November 1917 weiter nach Süden zum Rowuma marschiert. Die Tragfähigkeit aller war voll ausgelastet. In dem Maße, wie während des Marsches Verpflegung verzehrt wurde, wurden Leerträger entlassen, um die Zahl der zu verpflegenden Leute so niedrig wie möglich zu halten. Vielen unserer guten, alten Träger mußten wir ihre Bitte, bei uns bleiben zu dürfen, abschlagen; eine große Zahl von ihnen erbot sich, ohne Lohn bei uns zu bleiben, manche wollten sogar ohne Lohn und ohne Verpflegung bleiben und sich ihren Unterhalt auf eigene Faust aus den Resten unserer Verpflegung und den Früchten des Pori beschaffen. Der damalige Feldintendant, Leutnant zur See a. D. Besch, hat in diesen schweren Tagen die nun einmal notwendige Neuorganisation des Träger- und Verpflegungswesens mit größter Umsicht zustande gebracht. Ihm gebührt für die weitere Leistungsfähigkeit der Truppe ein Hauptverdienst.
[S. 203]
Vom Feinde waren in der Nähe des Rowuma, wie zu vermuten war, nur schwache Abteilungen gemeldet. Am 21. November trafen wir bei Mpili am Ufer des Flusses ein und waren im Begriff, Lager zu beziehen, als weiter vorwärts bei einer Jagdpatrouille Schüsse fielen. Bei der Erkundung bemerkten wir vor uns einen größeren Teich, an dessen jenseitigem Ufer Pferde getränkt wurden. Dahinter lag ein felsiger Berg. Bald erschien auch ein Eingeborener, augenscheinlich ein Spion, der einen Brief brachte: „Wir sind englische Kavallerie und wollen mit portugiesischen Infanterieregimentern Fühlung nehmen.“ Ob dies nun eine Finte war, ließ sich nicht feststellen. Es war klar, daß wir es im Augenblick nur mit einer schwachen Reiterabteilung zu tun haben konnten. Der Feind wurde durch umfassenden Angriff schnell verjagt und hatte bei der Verfolgung anscheinend mehrere Mann Verlust; fünf gefangene Europäer gehörten dem 10. südafrikanischen Berittenenregiment an und wurden aus Rücksichten der Verpflegung wieder zum Feinde, nach Newala, abgeschoben. Die erbeuteten Pferde, etwa zehn, waren uns als Reittiere und etwaiger Verpflegungszuschuß willkommen.
Der Weitermarsch den Rowuma aufwärts ging sehr langsam vonstatten. Einem großen Teil der Truppe waren andauernde Märsche in größeren Verbänden unbekannt. Endlos lang waren die Kolonnen auseinandergerissen. Die Askarifrauen folgten einzeln mit mehreren hundert Meter Abstand von einander. Es bedurfte einiger Zeit, bis sie richtige Marschordnung innehielten. Es stellte sich heraus, daß die Auswahl der mitgenommenen Askari nicht bei allen Kompagnien nach den wünschenswerten Gesichtspunkten geschehen war. Bei der Neuformierung der Kompagnien, die notgedrungen während des Gefechtes hatte vorgenommen werden müssen, waren manche gute und zuverlässige Leute zurückgelassen worden und dafür andere mitgenommen, die zwar kräftiger, aber weniger zuverlässig waren. Manche gingen mit ihrem Söhnchen auf den Schultern ins Gefecht; auch da wäre besser ein ebenso zuverlässiger Mann mitzunehmen gewesen, der nicht den Ballast von Weib und Kind schleppte.
Jetzt war das alles aber nicht mehr zu ändern.
Augenscheinlich hatten wir uns der weiteren Beobachtung durch den Feind völlig entzogen; die unsere Märsche sonst begleitenden Flieger fehlten, keine Bombe fiel in unsere Lager, und eine feindliche Verpflegungskolonne[S. 204] kreuzte von einem Ufer des Rowuma auf das andere mitten durch unsere Lager hindurch. Sie war eine willkommene Beute. An Feldfrüchten fanden wir in der Landschaft so gut wie nichts, dafür lieferte uns die Jagd erhebliche Beute. Mehrere Büffel und eine ganze Anzahl Antilopen, besonders Wasserböcke, kamen zur Strecke. Aber wir durften uns nicht aufhalten, die zusammenschmelzenden Verpflegungsbestände mahnten stets zum Weitermarsch. Glücklicherweise hatte ich einige landeskundige Europäer zur Verfügung, die kurz vorher in der Gegend der Einmündung des Ludjendaflusses in den Rowuma tätig gewesen waren. Dort war schon in Friedenszeit eine portugiesische Station gewesen, und auch im Kriege war eine stärkere oder schwächere Besatzung festgestellt worden. Es war anzunehmen, daß sich auch jetzt dort irgend etwas vom Feinde finden würde. Die wenigen Eingeborenen, die wir trafen, sprachen gleichfalls von einer stärkeren Besatzung, die von manchen auf 2000 Engländer oder Portugiesen angegeben wurde. Solchen Eingeborenenzahlen war zwar nur bedingter Wert beizumessen, aber sie bestärkten mich in dem Glauben, daß in der dortigen Gegend, bei Ngomano, etwas zu machen sei.
[5] Die englischen Behörden lieferten für ihre Gefangenen Verpflegungsgegenstände, die uns selbst fehlten.
[S. 205]
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Am 25. November 1917 frühmorgens durchwatete unsere Vorhutkompagnie den Rowuma etwas oberhalb der Lujendamündung, das Gros, 9 Kompagnien, folgte im Laufe des Vormittags, die Nachhut mit etwa 2 Tagemärschen Abstand; Hauptmann Goering war mit 3 Kompagnien weiter unterhalb auf das Südufer des Rowuma gegangen, um gegen ein dort gemeldetes portugiesisches Lager einen Handstreich zu versuchen. Von Hauptmann Tafel fehlte jede Nachricht, und ich rechnete mit der Wahrscheinlichkeit, daß er den Rowuma sehr viel weiter westlich erreichen würde.
Das Gefühl, von allen Hilfsmitteln entblößt zu sein sowie die absolute Unsicherheit des kommenden Schicksals hatten in vielen die Empfindung verursacht, die man volkstümlich als „allgemeine Wurschtigkeit“ bezeichnet. Unbekümmert um die taktische Lage waren die Jagdpatrouillen unterwegs, und ihre Schüsse wurden, wie sich später herausstellte, deutlich vom Feinde gehört. Beim Flußübergang angesichts des Feindes nahmen manche in Ruhe ein gründliches Bad; bei vielen bedurfte es einiger Energie, um ihnen die Forderung der Kriegslage klarzumachen.
Am Südufer fielen bald Schüsse. Die Vorhutkompagnie war auf feindliche Späher gestoßen, von denen mehrere tot liegenblieben. Die nachfolgenden Stunden, während welcher die nach und nach eintreffenden[S. 208] Kompagnien aufmarschierten und den Übergang der nachfolgenden Teile deckten, benutzte ich zur Erkundung. Nicht weit vor unserer Front, vom anderen Ufer des Lujendaflusses her, hörte man Signale und sah auch Leute. Wir gelangten dicht an das feindliche Lager heran, und man sah auf wenige hundert Meter Leute in weißen Anzügen herumgehen. Andere führten Erdbefestigungen aus, auch eine Trägerkolonne wurde bemerkt. Sicher handelte es sich um eine größere Truppenzahl.
Während ich noch überlegte, ob und auf welche Weise ein Angriff Aussicht bot, trat eine Kolonne in Khaki gekleideter Askari vom Lager her den Vormarsch auf unsere Truppen an. Etwa eine Kompagnie des Feindes war aus dem Lager herausgetreten. Ich vermutete, daß der Gegner richtigerweise mit allen seinen Kräften unsere noch beim Flußübergang beschäftigten Truppen angreifen wollte, lief schnell zurück und ordnete für unsere zuerst übergegangenen Kompagnien die Einnahme einer geeigneten Verteidigungsstellung an. Der günstige Fall, den ich erhofft hatte, trat aber nicht ein: der Feind kam nicht. Und so wurde ich erneut vor die Frage gestellt, was zu tun wäre. Man konnte zweifelhaft sein, ob es nicht mit Rücksicht auf unsere zahlreichen Träger zweckmäßiger wäre, an dem Feinde, der hier bei Ngomano stand, vorbei und weiter den Lujendafluß aufwärts zu marschieren. Entweder störte uns der Feind hierbei nicht, oder, wenn er uns stören wollte, mußte er aus seinen Verschanzungen herauskommen und sich zu einem schwierigen Angriff entschließen.
Andererseits war es nicht unwahrscheinlich, daß unser Angriff auf das feindliche Lager dieses noch nicht allzu stark befestigt antreffen würde. Die Erkundung hatte ergeben, daß auf dem jenseitigen Ufer des Lujendaflusses entlang ein Streifen dichten Galeriewaldes unmittelbar an das Lager heranführte und die Möglichkeit bot, hier mit stärkeren Kräften überraschend und entscheidend anzugreifen. Ich war mit mir noch nicht ganz einig, als Hauptmann Müller mich darin bestärkte, von den beiden in Betracht kommenden Entschlüssen denjenigen zu wählen, der zwar ein großes Wagnis, aber auch die Aussicht auf den seit längerer Zeit ersehnten durchschlagenden Erfolg und auf die unbedingt notwendige Beute an Patronen und Kriegsmaterial bot. Zeit durfte nicht verloren werden.
Der Angriff wurde deshalb noch während des Flußüberganges der[S. 209] nachfolgenden Teile unternommen. Während unser leichtes Gebirgsgeschütz die feindlichen Schützengräben von Westen her beschoß und gleichzeitig mehrere Kompagnien den Feind auf dieser Seite sowie von Norden beschäftigten, überschritt die Abteilung des Hauptmanns Koehl den Lujenda einen Kilometer oberhalb Ngomano, ging auf dem jenseitigen Ufer in dem hohen Galleriewalde vor und griff das feindliche Lager von Süden her entscheidend an. Ich selbst befand mich auf einem kleinen Hügel westlich des Lagers, in der Nähe unseres Geschützes. Unmittelbar hinter mir marschierte die zuletzt über den Fluß gehende Abteilung des Generals Wahle nach und nach in einer Geländesenkung auf. Vor mir hatte ich über das dichte, aber niedrige Buschwerk hinweg einen leidlichen Einblick in die feindlichen Befestigungsanlagen. Die Maschinengewehre des Gegners schossen nicht schlecht und ihre Garben lagen mehrfach auf unserem kleinen Sandhügel, von wo ich eine Anzahl Europäer und Askari, die sich hier unnötigerweise angesammelt hatten und dem Feinde gut sichtbar waren, in Deckung zurückschicken mußte. Der uns von früher bekannte helle Klang der feindlichen Gewehre und das Fehlen der Minenwerfer machte es wahrscheinlich, daß der Gegner aus Portugiesen bestand. Hatten wir doch gelernt, den dumpfen vollen Knall unserer 71er, den scharfen Ton unserer S-Gewehre, den Doppelschlag der englischen Gewehre und den hellen Klang des nur etwas über 6 mm Kaliber betragenden portugiesischen Gewehrs deutlich zu unterscheiden. Auch unsere Askari hatten es sofort gemerkt; in den vorhergehenden Gefechten war es sehr unangenehm gewesen, daß die feindlichen Minenwerfer sich stets so schnell auf unsere Stellungen einschossen. Bei der Rauchentwicklung unserer 71er war es eben nicht möglich, sich hiergegen zu schützen. Heute aber gab es keine Minenwerfer, und der verräterische Rauch unserer guten, alten Gewehre war nicht so schlimm. Dafür aber gaben sie, wenn sie trafen, ein ganz gehöriges Loch. Bald erkannten unsere Askari, daß sie heute ihr soldatisches Übergewicht auch zur Geltung bringen konnten, ohne durch Nachteile in der Bewaffnung gehindert zu sein. „Heute ist der Tag der alten Gewehre“, riefen sie ihren deutschen Führern zu, und bald sah ich von meinem Hügel aus die Schützenlinie der Abteilung Koehl in vollem Lauf gegen die feindlichen Befestigungen anstürmen und diese nehmen.
[S. 210]
Das war das Signal zum Ansturm auch auf den anderen Angriffsfronten. Von allen Seiten drangen sie in den Feind, der durch das konzentrische Feuer stark erschüttert war. Von dem etwa 1000 Mann starken Gegner dürften kaum mehr als 300 entkommen sein. Unsere Askari stürzten sich vielfach ohne Rücksicht auf den noch feuernden Feind auf die Beute; auch eine Menge Träger und Boys hatten die Situation erfaßt, waren sofort zur Stelle und wühlten in den Schmalztöpfen und sonstigen Verpflegungsbeständen herum, öffneten Konservenbüchsen und warfen sie wieder fort, wenn sie glaubten, in einer anderen Büchse etwas Schöneres zu finden. Es war ein furchtbares Durcheinander. Auch die soeben gefangenen portugiesischen Askari machten gemeinsame Sache bei der Plünderung ihrer eigenen Bestände. Es war nicht anders möglich, als mit größter Energie durchzugreifen. Ich wurde recht deutlich und machte beispielsweise auf einen mir bekannten Träger, der mir immer wieder ausriß und sogleich an anderer Stelle wieder zum Plündern erschien, mindestens siebenmal Jagd. Schließlich gelang es aber doch, die Ordnung herzustellen.
Ungefähr 200 Gefallene wurden durch uns beerdigt, etwa 150 Europäer gegen die eidliche Erklärung, in diesem Kriege nicht mehr gegen Deutschland oder seine Verbündete zu fechten, frei gelassen, mehrere hundert Askari gefangen. Wertvolles und für uns so notwendiges Sanitätsmaterial, das bei der jahrhundertelangen Kolonialerfahrung der Portugiesen vorzüglich war, ebenso mehrere tausend Kilogramm Europäerverpflegung und vielerlei Ausrüstung, dabei auch 6 Maschinengewehre, und etwa 30 Pferde wurden erbeutet, leider aber keinerlei Eingeborenenverpflegung. Fast die Hälfte unserer Truppe wurde neu bewaffnet, diesmal portugiesisch, und hatte reichlich Munition. Eine Viertel Million Patronen waren erbeutet, und diese Beute steigerte sich im Laufe des Dezember auf fast eine ganze Million. Aus den Beutepapieren ging hervor, daß die portugiesischen Europäerkompagnien erst wenige Tage vorher bei Ngomano eingetroffen waren, um den unmöglichen englischen Befehl auszuführen, das Entweichen der Deutschen über den Rowuma zu verhindern. Es war wirklich ein reines Wunder, daß diese Leute alle so rechtzeitig für uns in Ngomano versammelt waren, daß die Einnahme dieses Ortes sich wirklich lohnte[S. 211] und wir mit einem Schlage von einem großen Teile unserer Verlegenheiten befreit waren.
Aber eine große Verlegenheit bestand noch immer, und diese trieb uns rastlos weiter. Das war die Sorge, für die Masse unserer Eingeborenen Verpflegung zu schaffen. So zogen wir den Lujendafluß aufwärts. Tag für Tag suchten unsere Patrouillen nach eingeborenen Führern und nach Verpflegung. Es kam aber in den nächsten Tagen sehr wenig ein. Die Eingeborenen, an sich in dieser Gegend wenig zahlreich, waren infolge des Durchmarsches der Portugiesen vor deren Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit geflohen und hatten ihre geringen Vorräte versteckt. Ein Maultier und ein Pferd nach dem anderen wanderte in unsere Kochkessel; glücklicherweise ist die Gegend sehr wildreich, und der Jäger kommt fast bei jedem Pürschgange auf eine der zahlreichen Antilopen oder auf Perlhühner zum Schuß.
Waren anfänglich die Marschkolonnen übertrieben lang und unordentlich, so machte Übung auch hier bald den Meister. Bald lernten Träger, Bub, Weiber und Kinder Abstände und Tempo innehalten, genau wie die Askari. Ordentlich und gleichmäßig zog der Heerwurm, zu Einem hintereinander, auf den schmalen Negerpfaden oder auch quer durch den Busch in das unbekannte Land. Nach zwei Stunden folgte meist der erste, nach weiteren zwei Stunden der zweite halbstündige Halt; sechs Stunden reine Marschzeit, also 25-30 km täglich, waren die Regel, oft waren die Tagesleistungen größer. Die Truppe war meist in Abteilungen zu drei Kompagnien, eine Kolonne, ein Feldlazarett gruppiert. Die vorderste Abteilung einen Tagemarsch voraus, die letzte einen Tagemarsch hinter dem Gros der Truppe. In jeder Abteilung die Gefechtskompagnien mit ihren Maschinengewehren voran; sie hatten nur die nötigsten Patronen- und Sanitätslasten bei sich und für jeden Europäer etwa eine Last mit dem Unentbehrlichen. Die Askari marschierten flott vorwärts, kerzengerade aufgerichtet, das Gewehr auf der Schulter mit dem Kolben nach hinten, wie es von jeher in der Schutztruppe Sitte war. Flott ging die Unterhaltung, und nach den vielfach reichen Beuten der feindlichen Lager dampften überall die Zigaretten. Wacker marschierten die kleinen Signalschüler, halbwüchsige Jungens in Askari-Uniform mit, die meisten ihre Habseligkeiten in einem Bündel auf dem Kopfe tragend. Vertraulich riefen mir die Askari ihr[S. 212] „Jambo Bwana Obas“ (Guten Tag, Herr Oberst!) oder „Jambo Bwana Generals“ zu, oder ein kleiner Signalschüler drückte seine Hoffnung aus, einmal nach „Uleia“ (Europa) und nach Berlin zu kommen. „Dann wird der Kaiser zu mir sagen „Guten Tag, mein Sohn!“ und ich werde ihm vorsignalisieren. Er wird mir dann Braten geben und mich zur Kaiserin führen. Die Kaiserin sagt dann „Guten Tag, mein Kind!“ und wird mir Kuchen geben und mir die Schaufenster zeigen.“ Bei allem Geplauder spähten die Askari haarscharf aus, und keine Bewegung im dicken Busch entging ihren Luchsaugen. Die vorangehende Spitze sprach jede Spur an und schloß daraus auf den Marsch und die Nähe feindlicher Truppen. Ebenso militärisch waren die Maschinengewehrträger, meist stramme Waniamwezi und Wazukuma. Den Kompagnien oder Abteilungen folgten die Träger mit den Lasten von Verpflegung, Gepäck, Lagergerät und Kranken, die getragen werden mußten. Die Lasten, etwa 25 kg, wurden auf den Köpfen oder abwechselnd auf einer Schulter getragen. Die Leistung dieser Leute ist enorm. Immer fester verwuchsen sie mit der Truppe. War die Verpflegung einmal knapp, und man kam ohne Beute von der Jagd zurück, so sagten sie wohl „Haisuru“ („Schadet nichts, wir werden ein ander Mal bekommen“). Viele gingen barfuß und oft traten sie sich Dornen ein. Manchmal zog einer während des Marsches kurz entschlossen sein Messer und schnitt sich ein ganzes Stück Fleisch von seinem verletzten Fuße ab. Dann marschierte er weiter. Den Trägern folgten die Frauen, die „Bibi“. Viele Askari hatten ihre Frauen und Kinder mit im Felde, manche Kinder brachte der Storch während der Märsche. Die Frauen trugen ihr „mali“ (Eigentum) und das ihres Eheherrn zusammengebunden auf dem Kopfe. Oft trugen sie noch ein kleines Kind, das in ein Tuch eingebunden auf ihrem Rücken hing und mit seinem Wollköpfchen herausguckte. Für Ordnung und Schutz bei den Frauen sorgte ein Europäer oder eine zuverlässige alte Charge mit einigen Askari. Alle liebten das Bunte, und nach einer großen Beute von bunten Tüchern sah der ganze viele Kilometer lange Zug manchmal wie ein Karneval aus. Auch während des Marsches mußte an die Verpflegungsbeschaffung gedacht werden. Jagdpatrouillen marschierten der Kolonne voraus oder seitwärts durch den Busch. Manche blieben mit einigen Trägern noch in der Nähe der alten Lagerplätze,[S. 213] wenn sich hier Wild oder Spuren gezeigt hatten. Andere Patrouillen ließen sich durch Menschenspuren zu Ansiedlungen führen, um dort Verpflegung zu beschaffen.
Bei der Ankunft am Lagerplatz schlugen vier Askari und mein Boy Serabili Äste und machten ein Gestell für die Zeltbahnen oder für eine Grashütte. Manchmal wurde auch ein erhöhtes Nachtlager aus Zweigen hergestellt, das mit Gras belegt wurde. Bald langte der bärtige „Baba“, mein Koch, an und traf umsichtig seine Anweisungen für die Anlage der Küche. Die Träger marschierten an, holten Wasser, schlugen mit ihren Buschmessern Brennholz und schnitten Gras. Jagdpatrouillen brachten ihre Beute, und bald dampften überall die Lochfeuer. Trägerkolonnen hatten inzwischen in den Dörfern gedroschen und brachten Korn mit. In den „Kinos“ (dicken Holzgefäßen) wurde das Korn mit dicken Knüppeln gestampft, und weit durch das Pori hallten die dumpfen Schläge. Meldungen, Geländeerkundungen, Beutepapiere wurden gebracht, eine Kiste an schattiger Stelle war das Büro. Bei längerem Aufenthalt wurde aus Zweigen ein Tisch gebaut. Abends am Feuer wurde gemeinsam mit Kameraden gegessen, die Boys brachten Kisten zum Sitzen, Grandseigneurs hatten Feldstühle. Dann ging es zur Ruhe unter das Moskitonetz und morgens früh ging es weiter ins Ungewisse. Würden wir Verpflegung finden und würden wir bis dahin mit dem wenigen Vorhandenen ausreichen? Diese Fragen tauchten jeden Tag von neuem auf und begleiteten uns durch Wochen und Monate. Das ewige Marschieren war begreiflicherweise auch kein reines Vergnügen. Beim Kommen schnappte ich wohl Bemerkungen über mich selber auf, wie: „Geht es denn noch immer weiter? Der Kerl stammt wohl aus einer Landbriefträgerfamilie?“
Als wir die Mündung des Chiulezi erreicht hatten, waren die Verpflegungsschwierigkeiten so groß geworden und die von früher her als reich bekannte Gegend hatte sich so sehr geändert, daß ich meine ursprüngliche Absicht, die Truppe zusammenzuhalten, fallen ließ. Es schien dies im Augenblick auch in taktischer Hinsicht unbedenklich zu sein. Von den Engländern, die uns vielleicht folgten, war bei ihrer sich täglich verlängernden rückwärtigen Verbindung und der hierdurch sich steigernden Nachschubschwierigkeit ein fühlbares Nachdrängen mit starken Kräften nicht zu erwarten. Ein Schreiben des britischen Oberbefehlshabers,[S. 214] des Generals van Deventer, das mir durch Parlamentär zuging und in dem er mich zur Übergabe aufforderte, bestärkte mich in der Auffassung, daß General van Deventer durch unser Ausweichen ziemlich enttäuscht war und unserem Einmarsch in portugiesisches Gebiet vor der Hand ratlos gegenüberstand. Weder er noch vorher General Smuts hatten in Situationen, welche für die Engländer günstig waren, daran gedacht, eine Aufforderung zur Übergabe zu schicken. Warum taten sie es also in einer Lage, die, wie die jetzige oder die im September 1916 bei Kissaki, für uns zweifellos günstig war? Doch nur, weil sie mit ihrem Latein zu Ende waren. Das war wirklich nicht schwer zu durchschauen. Die Zeit bis zu den Ende Dezember einsetzenden, großen Regen war zu kurz für die Vorbereitungen zu einer neuen Operation, und nach Einsetzen der Regen mußte der feindliche, auf Automobile basierte Nachschub auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen.
Wir hatten also Zeit und konnten uns unbedenklich in mehrere Kolonnen teilen. Von dem zeitweiligen Verlust der Verbindung untereinander hatten wir keinen Schaden zu befürchten. So wurde die Abteilung des Generals Wahle abgetrennt und marschierte durch die Mkula-Berge, während ich selbst den Lujenda weiter aufwärts zog.
Die in dem erwähnten Brief des Generals van Deventer mir mitgeteilte Übergabe des Hauptmanns Tafel war ein harter und unvorhergesehener Schlag.
Hauptmann Tafel hatte im Mai 1917, als General Wahle zur Übernahme der Truppen an der Lindi-Front abmarschierte, den Befehl in Mahenge übernommen. Das reiche Gebiet des Mahenge-Bezirkes sicherte er nach Norden durch die wenige Kompagnien starke Abteilung des Korvettenkapitäns Schoenfeldt. Dieser verstand es durch geschickte Benutzung seines 10,5 cm Königsberg-Geschützes seinem kleinen Detachement von wenigen Kompagnien Rückhalt zu geben und auch die materielle Lage seiner Truppe durch Anbau von Gärten und Feldern recht günstig zu gestalten.
Am mittleren Ruhudje stand gleichfalls eine schwache Abteilung unter Hauptmann Aumann und nordöstlich Ssongea die Abteilung des Hauptmann Lincke in der Gegend von Likuju. Diese hatte häufige Zusammenstöße mit dem Feinde und litt in dem armen Gebiet unter[S. 215] Verpflegungsmangel. Sie wich daher allmählich nach Norden, nach Mponda aus. Dort wurde sie durch 2 Kompagnien und 1 Geschütz, die vom Hauptteil der Truppe herangezogen worden waren, verstärkt. Hauptmann Otto übernahm den Befehl. Im August 1917 gingen starke englische und belgische Truppen konzentrisch gegen Mahenge vor; Hauptmann Tafel hatte dies kommen sehen und seine Verpflegungsvorräte aus dem Gebiet von Mahenge auf Mgangira abtransportiert. Am 11. September wurde Mahenge geräumt. Wenn auch die einzelnen Gefechte vielfach günstig verlaufen waren, so machte sich doch die Überlegenheit des Feindes allzusehr bemerkbar, und die Knappheit an Munition wurde bei den meist mit rauchstarkem Gewehr 71 bewaffneten Askarikompagnien immer empfindlicher.
Später erfuhr ich durch Hauptmann Otto, der sich mit einer Patrouille des Hauptmann Tafel zu mir durchgeschlagen hatte und mich in Chirumba erreichte, daß Hauptmann Tafel in 3 Kolonnen westlich von Liwale nach Süden marschiert war, am oberen Mbemkuru mehrere, zum Teil erfolgreiche Gefechte gehabt und auch größere Mengen Munition erbeutet hatte. Er war dann weiter nach Süden zum Bangalafluß marschiert und hatte sich, da er mich in der Gegend von Massassi glaubte, nach Osten gewandt. Südlich dieses Ortes angekommen erfuhr er von Eingeborenen, daß seit mehreren Tagen die Deutschen nicht mehr nördlich des Rowuma kämpften. Hauptmann Tafel wandte sich nun zum Rowuma, überschritt ihn in der Nähe der Einmündung des Bangalaflusses und hoffte, auf dem Südufer Verpflegung vorzufinden. Seine Vorräte waren buchstäblich erschöpft. Er fand aber nichts und hatte keine Ahnung davon, daß nur etwa einen Tagemarsch von ihm entfernt die von mir detachierte Abteilung Goering das portugiesische Lager Nampakescho genommen hatte und in der reichen Landschaft so viel Verpflegung vorfand, daß sie für 14 Tage gut zu leben hatte. So ging Hauptmann Tafel auf das Nordufer des Rowuma zurück und ließ dem Feinde seine Übergabe ankündigen.
Die Nachricht von der Waffenstreckung des Hauptmanns Tafel, da es doch bei meiner unmittelbaren Nähe am seidenen Faden hing, daß die von uns beiden angestrebte Vereinigung geglückt wäre, machte mich von neuem bedenklich dagegen, einen Teil meiner Truppen zu detachieren.[S. 216] Ich wurde geradezu auf die Folter gespannt, als von der Abteilung Goering, mit der bei Ngomano Patrouillenverbindung bestanden hatte, jede Meldung ausblieb. Auch während des Weitermarsches den Lujenda aufwärts, als es notwendig war, die einzelnen Abteilungen und Kompagnien der Suche nach Verpflegung wegen weiter auseinander zu ziehen, mußte wiederholt auf die Unterführung eingewirkt werden, um nicht die Verbindung und den Zusammenhang des Ganzen zu stören. Es war ja auch gar nicht möglich, daß die Herren, die später als Abteilungsführer so Ausgezeichnetes leisteten und sich in den Rahmen des Ganzen einzufügen verstanden, die hierzu notwendige Schulung schon von Anfang an mitbrachten.
Der Gouverneur war auch nach Verlassen des Schutzgebietes bei der Truppe geblieben; nach den Bestimmungen — die allerdings den Fall eines Krieges mit einer europäischen Macht nicht vorsahen — stand ihm im Schutzgebiet die oberste militärische Gewalt zu. Dieser Befugnis hatte er eine für den Kommandeur außerordentlich hindernde Auslegung gegeben und in meinen Tätigkeitsbereich mehrfach störend eingegriffen. Ich war dagegen machtlos gewesen und mußte den größten Wert darauf legen, daß wenigstens jetzt, außerhalb des Schutzgebietes, meine Arme frei waren. Wenn ich nun auch den Ansprüchen des Gouverneurs nicht nachgab, so ist doch soviel zu verstehen, daß es in dieser recht schwierigen Kriegslage Meinungsverschiedenheiten genug gab, die den militärischen Führer, dem man allenfalls die Buchstabenverantwortung, niemals aber die moralische Verantwortung abnehmen kann, in übergroßem Maße belasteten.
Es ist vielleicht verständlich, daß ich in dieser Zeit gegen die Menschen meiner Umgebung nicht immer sehr zart und rücksichtsvoll war. So kam es, daß gerade die Offiziere des Stabes, die doch mit größter Hingebung für die Sache arbeiteten und Anerkennung verdienten, manch ungerechtfertigten Vorwurf erlitten. Wenn sie sich hierdurch nicht mißmutig machen oder in der freudigen Weiterarbeit beeinträchtigen ließen, so verdienen sie hierfür besonderen Dank; gerade der Arbeit dieser Herren sind zum großen Teil die unter widrigen Umständen erzielten Erfolge zuzuschreiben, die das Publikum geneigt ist, in so freigiebiger Weise ohne Abzug meinem Konto ausschließlich gut zu stellen. Für mich, der ich von jeher Freude am kameradschaftlichen Leben hatte,[S. 217] wie es in unserem Offizierskorps gepflegt wird, gab es natürlich auch etwas Schöneres, als diesen Zustand, wo alle Beteiligten ein bißchen brummten. Erfreulicherweise war dies aber nur vorübergehend.
Unsere Lage war jetzt so, daß wir bei einem Zusammenstoß mit dem Feinde nicht nach dessen Stärke fragen durften. Zu langen Erkundungen hatten wir keine Zeit. Vielleicht ist es dieser Überzeugung und der Entschlossenheit, mit der beim Zusammentreffen mit portugiesischen Truppen verfahren wurde, zuzuschreiben, daß im Laufe des Dezember in kurzer Zeitfolge noch drei weitere portugiesische Befestigungen genommen wurden. Von entscheidender Wichtigkeit war bei diesen Unternehmungen die Persönlichkeit des Unterführers, der jeweils zuerst auf den Feind stieß. Er durfte keine Zeit verlieren und deshalb auch keine Befehle abwarten. Leutnant der Res. Kempner, der mit der 11. Kompagnie den Lujenda aufwärts als Vorhut marschierte, fand am 2. Dezember bei Nangwale ein befestigtes portugiesisches Lager vor. Dasselbe lag, wie die meisten portugiesischen Lager, auf einer kahlen Höhe mit weitem Schußfeld. Sogleich entwickelte sich die brave 11. Kompagnie am Buschrande und trat zum Sturm an über das 300 m breite, freie Schußfeld. Die Askari, die volles Marschgepäck trugen, konnten das Tempo, das der Kompagnieführer und sein Effendi (schwarzer Offizier) vorlegten, nicht halten. Leutnant Kempner und der Effendi sprangen auf die feindliche Brustwehr, von dort in das Innere der feindlichen Schanze und befanden sich so einige Zeit ganz allein inmitten der aus einem Zuge bestehenden feindlichen Besatzung. Diese war so verblüfft, daß sie dem Befehl, die Waffen niederzulegen, unter dem Eindruck des Hurra unserer heranbrausenden Askari sofort nachkam. Außer ihnen fiel ein nennenswertes Munitionsdepot und Verpflegung, die für mehrere Tage für die ganze Truppe ausreichte, in unsere Hand. Als aber der portugiesische Offizier den Leutnant Kempner zu einem Glas Kognak sehr guter Sorte aufforderte, war die Flasche leer und gab ihrem Besitzer Anlaß, zum zweiten Male verblüfft zu sein, aber diesmal mit dem Unterschiede, daß auch sein Gegner verblüfft war. Ein Ombascha (schwarzer Gefreiter) lachte dazu.
Ernste Sorgen erfüllten mich über das Schicksal des Hauptmanns Goering, von dessen Abteilung jede Nachricht fehlte. Von der Abteilung des Generals Wahle, die den Chiulezifluß aufwärts marschiert[S. 218] war, wurde erst nachträglich bekannt, daß sie gleichfalls in den Mkula-Bergen ein in verschanzter Stellung liegendes Detachement von mehreren portugiesischen Kompagnien geschlagen und aufgerieben hatte. Die andauernd zur Abteilung Wahle versuchte Blinkverbindung war nicht gelungen, obgleich die Portugiesen von den Mkula-Bergen aus unsere von Nangwale her gegebenen Zeichen genau beobachtet hatten. Die bei Abteilung Wahle gefangengenommenen portugiesischen Europäer hatten die Verpflichtung abgelehnt, in diesem Kriege nicht mehr gegen uns fechten zu wollen. Sie waren dann vom General Wahle aus Verpflegungsrücksichten nach Norden, zum Rowuma hin, abgeschoben worden.
Dem Hauptmann Stemmermann gelang es erst nach mehrtägiger Einschließung, noch eine stärker besetzte und auch energisch verteidigte feindliche Befestigung, die Boma Chao, zu nehmen. Da ein Sturm auf diese keine Aussicht auf Erfolg hatte, wurde der Feind vom Wasser abgeschnitten, dadurch seine Lage in den Schanzen unhaltbar gemacht und er zur Übergabe gezwungen. Unter unseren Verlusten befanden sich leider auch eine Anzahl sehr guter schwarzer Chargen.
Ich war am Tage des Gefechts bei Nangwale nicht anwesend gewesen, um Marschstockungen der nachfolgenden Kompagnien zu beseitigen und dafür zu sorgen, daß die Bewegung so im Fluß blieb, wie es beabsichtigt war. Durch einen Doppelmarsch holte ich die für mich entstandene Verzögerung leicht wieder ein und war in Nangwale so rechtzeitig, um die Verteilung der Beute vornehmen zu können. Lebten wir doch auch im günstigsten Falle nur von der Hand in den Mund. Bei Nangwale, wo vor einem halben Jahre unsere Truppen eine so reiche Gegend vorgefunden hatten, war das Bild jetzt ganz verändert. Es gab außer den erbeuteten Vorräten einfach nichts; auch das Wild war im größeren Umkreise von Nangwale abgeschossen oder verscheucht. Das war eine Enttäuschung; denn ich hatte gehofft, bei diesem Ort von den gröbsten Verpflegungsschwierigkeiten befreit zu sein. Die Truppe mußte daher weiter geteilt werden. Aus den Aussagen der Gefangenen und aus den erbeuteten Papieren ging hervor, daß die Besatzung von Nangwale durch Trägerkolonnen, die von weit her, aus der Gegend von Mwalia, kamen, verpflegt worden war. Dort mußte also etwas zu finden sein.
[S. 219]
Hauptmann Koehl marschierte am 5. Dezember mit 5 Kompagnien, einem Geschütz und einer Munitionskolonne von Nangwale in die Gegend Mwalia-Medo ab. Ich selbst marschierte weiter den Lujenda aufwärts. Glücklicherweise bewahrheitete sich die Versicherung des Leutnants d. Res. von Scherbening und anderer Europäer, die diese Gegend früher als Patrouillen durchstreift hatten, daß wir bald in ein Gebiet mit Verpflegung kommen würden. Aber die Bestände waren nicht überreichlich, und wir waren recht froh, daß die Jagd wieder einen großen Teil zu unserer Verpflegung beizusteuern imstande war. In der Tat sind die enormen Massen an Flußpferden, die während mehrerer Tagemärsche oberhalb von Nangwale den Fluß manchmal in großen Herden von 15 bis 20 Stück bevölkerten, ein ganz wesentliches Nahrungsmittel für uns geworden. Auch ich konnte es mir nicht versagen, auf einen starken Bullen einen Kopfschuß anzubringen; das Tier ging sofort unter und ließ über sich einen Wirbel wie ein untergehendes Schiff. Nach einiger Zeit kam es wieder hoch, mit den Läufen nach oben und schlug nur noch wenig. Das Tier wurde dann mit Hilfe eines Seiles ans Ufer gezogen. Die zahlreich vorhandenen Krokodile mahnten hierbei zur Vorsicht, und manche gute Beute konnte aus Besorgnis vor dieser Gefahr nicht geborgen werden. Das Wildbret des Flußpferdes schmeckt wie derbes Rindfleisch, die Zunge ist dabei besonders wohlschmeckend. Das wichtigste aber ist das ausgezeichnete Schmalz, das die Truppe inzwischen sehr schnell zuzubereiten gelernt hatte. Seine schneeweiße appetitliche Farbe war jetzt etwas ganz anderes als das schmutzige Gelb der ersten Versuche am Rufiji. Bei meinen mehrfachen Erkundungs- und Jagdgängen in den Wald hatten mir der begleitende Askari und die zum Tragen des erlegten Wildes mitgenommenen Leute allmählich auch einige Geheimnisse des Pori verraten. Wir hatten längst gelernt, aus verschiedenen Blattpflanzen (Mlenda genannt) recht guten Spinat zu machen; jetzt zeigten mir die Leute auch verschiedenerlei recht wohlschmeckendes, wildes Baumobst. Auch lernten wir, daß die Kerne der Mbinji-Frucht, deren Fleisch mir von früher her als blausäurehaltig bekannt war, durchaus blausäurefrei sind und geröstet eine außerordentlich wohlschmeckende Nahrung bilden; der Geschmack erinnert an unsere Haselnuß.
Am 17. Dezember 1917 langte das Kommando in Chirumba (Mtarika)[S. 220] an. Dorthin war Oberleutnant von Ruckteschell mit seiner Kompagnie vorausgeeilt und hatte den schwachen portugiesischen Posten schnell vertrieben. Es war dies eine Station der portugiesischen Nyassa-Kompagnie; diese kaufmännische Gesellschaft verwaltet zugleich den nördlichen Teil der Kolonie. Auch weiter südlich wird deren Verwaltung von anderen Privatgesellschaften durchgeführt. Der portugiesische Beamte in Chirumba, namens Fernandez, scheint recht tüchtig gewesen zu sein. Die massiven Gebäude seiner auf einer ganz kahlen Erhebung angelegten Station waren tadellos sauber; eine dicht daneben gelegene Schanze sicherte gegen Überfälle. Schöne Gartenanlagen mit Obst und Gemüse befanden sich am Ufer des nahen Lujendaflusses. Alleen von Maulbeer- und Mangobäumen säumten die sorgfältig angelegten Wege. Diese Mangos, von den Eingeborenen Emben genannt, gab es bei der Station und in den nahen Eingeborenendörfern in verschiedenen Arten. Sie fingen bereits an zu reifen und waren so zahlreich, daß ihre geregelte Aberntung durch die Truppe sich lohnte. Einer Vergeudung, zu der der Schwarze ja im allgemeinen neigt, wurde nach Möglichkeit vorgebeugt; die prachtvolle süße Frucht kam allen Europäern und auch einem großen Teile der Farbigen zugute und bildete bei dem Mangel an Zucker auf Wochen hinaus eine wirklich wertvolle Zutat zur Verpflegung. Als ich bei meinem Eintreffen in Chirumba die Veranda des Europäerhauses betrat, setzte mir Oberleutnant von Ruckteschell lange entbehrtes Schweineschmalz vor; hier wie auf vielen anderen portugiesischen Stationen hatte es europäische Schweine gegeben.
Wir machten uns auf mehrere Wochen seßhaft. Eine Abteilung zog weiter stromaufwärts und nahm die kleine Station Luambala in Besitz. General Wahle zog gleichfalls nach dem uns von früher her bekannten, reichen Stationsort von Mwembe. In das reich angebaute Dreieck Chirumba-Luambala-Mwembe und nach außen hinaus über dessen Grenze gingen nun bald unsere Verpflegungspatrouillen und Streifabteilungen. Die Eingeborenen in dieser Gegend erwiesen sich zum großen Teil als verständig und freundlich; sie wußten von früher her, daß sie von der deutschen Truppe nichts zu befürchten hatten. Trotzdem hatten manche ihre Verpflegungsvorräte im Busch versteckt und wollten nichts oder nur wenig liefern. Unsere Leute hatten aber[S. 221] längst gelernt, beispielsweise einen verdächtig aussehenden Baumstumpf genauer zu untersuchen und festzustellen, daß er künstlich aufgestellt und sein Inneres mit Vorräten angefüllt war. Andere stachen mit dem Stock in den lockeren Boden eines frisch angelegten Gartenbeetes und fanden darunter die vermuteten Erntevorräte eingegraben. Kurz, eine Menge solcher Verstecke wurden entdeckt, und als wir in einer großen Grashütte beim Weihnachtsfest zusammensaßen, da waren wir von den drückendsten Verpflegungssorgen befreit. Der Lujendafluß war nach den Schilderungen unserer Leute vor einigen Monaten so fischreich gewesen, daß an einigen Stellen ganze Körbe voll Fische herausgeholt werden konnten. Auffallenderweise wurde aber um diese Zeit nur sehr wenig gefangen. Meist waren es etwa unterarmlange Welse und kleinere Fische, die mit Vorliebe ganz knusperig gebraten wurden. Auch sie trugen ihren bescheidenen Teil zur Bereicherung der Verpflegung bei.
Die Verbindung mit der Abteilung Koehl, die in die Gegend von Medo gerückt war, wurde durch Relaispost hergestellt. Ich rechnete mit der Wahrscheinlichkeit, daß der Feind nach alter Methode eine größere konzentrische Unternehmung gegen uns vorbereitete, daß seine Vorbereitungen aber mindestens einen Monat in Anspruch nehmen würden. Somit war mit einer erheblichen feindlichen Tätigkeit erst nach der Regenzeit zu rechnen, deren Schluß ich auf Ende Februar annahm. Ungefähr um diese Zeit gedachte ich unsere Streitkräfte in der Gegend von Nanungu enger zu versammeln. Bis dahin mußten wir die Verpflegungsbestände dieses Gebietes also schonen und so viel wie möglich von den Beständen leben, die aus dem äußeren Umkreise unserer gesamten jetzigen Unterbringung bezogen werden konnten. Die Jagdergebnisse waren bei Chirumba anfangs nicht erheblich, steigerten sich aber, als auf dem östlichen Ufer des Lujendaflusses und besonders weiter stromaufwärts stärkere Bestände an Antilopen vorgefunden wurden. Der Verkehr über den Fluß vollzog sich jetzt, bei dem niedrigen Wasserstande der Trockenzeit, für die Trägerkarawanen, die ihre Lasten nach Magazinen auf das Ostufer des Flusses schafften, durch mehrere Furten. Außerdem waren zum Übersetzen einige große Einbäume vorhanden. Zur weiteren Erkundung und zum Ansammeln von Verpflegung wurden wochenlang Patrouillen entsandt. Die auf[S. 222] Monate entsandte Patrouille des Leutnants von Scherbening marschierte von Chirumba über Mtende, Mahua und schließlich weiter nach Süden über den Luriofluß, dann den Malemafluß aufwärts und überrumpelte die portugiesische Boma Malema. Ein Italiener, der am Lujendaflusse Elefanten gejagt und sich gänzlich abgerissen und verhungert bei uns eingefunden hatte, begleitete die Patrouille des Leutnants von Scherbening. Durch verschleppte Malaria war aber die Gesundheit des Mannes derartig untergraben und seine Milz so riesenhaft angeschwollen, daß er aus der Gegend von Mahua schließlich auf seine bei Malacotera gelegene Pflanzung getragen werden mußte.
Anfang Januar 1918 begannen die Engländer, sich zu regen. Von der Südostecke des Nyassasees her nahten sich zwei feindliche Bataillone — das 1. und 2. der I. Kings African Rifles — der Abteilung des Hauptmanns Goering, der herangekommen war und dann ein festes Lager in dem spitzen Winkel zwischen Luambala- und Lujendafluß bezogen hatte. Er sicherte die weiter oberhalb am Lujendafluß gelegenen Verpflegungsmagazine. Am 9. Januar wurde vormittags ein Teil des Feindes, der hier vereinzelt angriff, geschlagen. Als der Gegner nachmittags nach Eintreffen seiner Verstärkungen erneut vorging und zugleich feindliche Truppen auf das Ostufer des Lujendaflusses nach Norden in Richtung auf die Verpflegungsmagazine vordrangen, ging Hauptmann Goering mit dem Hauptteil seiner Truppe auf das Ostufer. Im bisherigen Lager, auf dem Westufer, blieb nur eine stärkere Patrouille, die den Feind zurückhielt. Zu gleicher Zeit gingen feindliche Truppen — festgestellt wurde das aus südafrikanischen Mischlingen bestehende II. Cape-Corps — von Mtangula aus auf Mwembe vor.
Es kam nun zu einer Unzahl von kleineren Unternehmungen und Patrouillengefechten, die uns bei der Schwierigkeit, unsere Träger, die Verpflegung herantrugen, ausreichend zu decken, oft in eine unangenehme Lage brachten. Die Engländer benutzten diese für uns unangenehme Zeit geschickt zu Versuchen, die Anhänglichkeit unserer Askari und Träger zu untergraben. Natürlich waren viele derselben kriegsmüde. Die Strapazen waren auch wirklich recht groß gewesen. Dazu kam bei vielen das unsichere Gefühl, wohin die Reise nun weiter führen sollte. Die überwiegende Mehrzahl der Schwarzen hängt[S. 223] an den Verwandten und an der Heimat. Sie sagten sich: wenn wir nun weiter marschieren, dann kennen wir das Land und die Wege nicht mehr. Von da, wo wir jetzt sind, finden wir uns noch zurück, aber später nicht mehr. Die englischen Einflüsterungen und Flugblätter, die Colonel Baxter in unsere Reihen tragen ließ, fielen deshalb bei manchen auf fruchtbaren Boden, und so sind damals eine Reihe guter Askari und selbst ältere Chargen desertiert. Kleine Unannehmlichkeiten, wie sie immer vorkommen, Weiberangelegenheiten und dergleichen, trugen das ihrige dazu bei, den Leuten ihren Entschluß zum Fortlaufen zu erleichtern. Es kam vor, daß ein alter Sol (schwarzer Feldwebel), der eine glänzende, selbständige Patrouille geführt und eine starke Trägerabteilung mit Lasten geschickt mitten durch die feindlichen Reihen zurückgebracht hatte, und der wegen seiner guten Leistungen zum „Effendi“ (schwarzen Offizier) vorgeschlagen war, plötzlich verschwunden war. Auch er war desertiert. Die Impulsivität des Schwarzen macht auch für schlechte Einflüsterungen leicht empfänglich. Aber wenn sich der feindliche Colonel rühmen kann, durch seine Tätigkeit in unseren Reihen bei einigen Elementen eine moralische Krankhaftigkeit erzeugt zu haben, so war dieser Zustand doch nur von vorübergehender Dauer. Bald kehrten die alte Unternehmungslust und das alte Vertrauen zurück, auch bei denen, die den Kopf hatten hängen lassen. Das Beispiel der guten Askari, die einfach lachten über die goldenen Berge, die ihnen der Feind versprach, wenn sie desertierten, gewann die Oberhand. In einem so langen und aufreibenden Kriege war eben die Stimmung gelegentlich auch niedergedrückt. Es kam weniger darauf an, sich hierüber zu erstaunen und zu entrüsten, als vielmehr, dem kräftig entgegenzuwirken, und dazu waren die guten Elemente fest entschlossen, die zahlreich unter unseren Europäern, Askari und Trägern vorhanden waren.
Die Patrouille des Hauptmanns Otto, die vom Hauptmann Tafel vor dessen Waffenstreckung zu mir abgesandt war und die Einzelheiten über die dortigen Vorgänge meldete, war in Chirumba eingetroffen.[S. 224] Hauptmann Otto rückte jetzt mit zwei weiteren Kompagnien nach Luambala und übernahm dort den gemeinsamen Befehl auch über die Abteilung Goering (3 Kompagnien). Richtigerweise erfolgte der Hauptdruck des Feindes dort bei Luambala, und zwar auf dem östlichen Ufer des Lujenda. Es war ja klar, daß, wenn der Feind dort flußabwärts vordrang, meine Lage bei Chirumba, auf dem Westufer des Flusses, in einem Gebiet, dessen Verpflegungsbestände nach und nach erschöpft wurden, und mit dem durch die inzwischen gefallenen Regen stark angeschwollenen Fluß in meinem Rücken äußerst ungünstig wurde.
Es war nötig, mich dieser Lage zu entziehen und meine Kräfte rechtzeitig auf das östliche Lujendaufer zu verschieben. Leider waren die Furten infolge Hochwassers nicht mehr passierbar, der gesamte Uferwechsel auf die drei vorhandenen Einbäume angewiesen.
Die Kompagnien wurden nach und nach ohne irgendwelche Störungen auf das Ostufer hinübergesetzt. Die Ernährung fing an, recht schwierig zu werden. Erfreulicherweise meldete Hauptmann Koehl, der in der Gegend von Medo und Namunu die sehr verständigen Eingeborenen zum Anbau schnell reifender Feldfrüchte angehalten hatte, daß dort schon von Mitte Februar ab auf die Erträgnisse der neuen Ernte zu rechnen sei. Aber bis dahin war noch ein Monat; so mußten wir mit allen Mitteln versuchen, noch längere Zeit in der Gegend von Chirumba zu bleiben. Erfreulicherweise halfen uns da, wie früher das Manna den Kindern Israel, die in enormen Mengen um diese Jahreszeit hervorschießenden Pilze aus der gröbsten Verlegenheit. Ich hatte mich schon in Deutschland für Pilzkunde interessiert und fand bald nahe Verwandte unserer deutschen Sorten, der Pfifferlinge, Champignons, Steinpilze und anderer im afrikanischen Walde vor. Ich habe sie oft in kürzester Zeit körbeweise gesammelt, und wenn auch eine allzu einseitige Pilznahrung schwer verdaulich und nicht allzu kräftig ist, so waren uns die Pilze doch eine wesentliche Beihilfe.
Bei strömendem Regen zogen wir dann weiter nach Osten. Die sonst trockenen Bergschluchten waren zu reißenden Flüssen geworden. Durch gefällte Uferbäume, die quer über den Fluß fielen, wurden Übergänge geschaffen, ein Geländer schnell durch Stangen oder zusammengeschlagene Baumrinde improvisiert. Mein Maultier, das ich wegen[S. 225] eines Fiebers ritt, das mich befallen hatte — ich war anscheinend besonders empfänglich für Malaria und litt häufig darunter — sowie die wenigen anderen Reittiere, die bisher nicht in den Kochtopf gewandert waren, schwammen hinüber. Am Lagerplatz angekommen, bauten mir meine Leute wegen der Feuchtigkeit des Erdbodens schnell aus Zweigen eine erhöhte Lagerstelle, über die meine beiden Mannschaftszeltbahnen als Dach gespannt wurden. Oberveterinär d. Res. Huber, der für das materielle Wohl der Mitglieder des Kommandos sorgte, und unter ihm unser tüchtiger schwarzer Koch, der bärtige alte „Baba“, waren sogleich am Werk, und trotz regennassem Holze konnten wir uns stets in kurzer Zeit am Feuer zu gemeinsamem Mahle einfinden. Oft hatte es Dr. Huber fertig gebracht, hierzu in der Eile ein schützendes Grasdach herstellen zu lassen.
An sonnigen Tagen wurde eifrig Tabak fermentiert und geschnitten. Der tüchtige Feldintendant, Leutnant z. S. a. D. Besch, der stets von neuem erfinderisch war, wenn es das leibliche Wohl der Truppe galt, hatte auch hieran gedacht und den bei den Eingeborenen vorgefundenen recht guten Tabak gesammelt. Trotz alledem waren die Entbehrungen aber recht groß, und die Einflüsterungen des Feindes, daß jeder Schwarze, der zu ihm überliefe, frei in seine Heimat ziehen und dort auf eigenem Boden behaglich leben sollte, trafen auch jetzt nicht immer auf taube Ohren. Auch der jahrelang treu dienende Boy eines Offiziers war eines Morgens verschwunden; wahrscheinlich hatte seine „Bibi“ (Frau) das Kriegsleben satt bekommen.
Die Abteilung des Hauptmanns Otto rückte von Luambala aus direkt nach Osten nach Mahua und fand dann am Luriofluß ein reiches Gebiet mit Verpflegung vor. Abteilung Goering, die von Luambala aus quer durch die Landschaft auf Mtende rückte, fand unterwegs größere Verpflegungsmengen. Die Ernte war in dieser Gegend sehr viel früher als in Deutsch-Ostafrika; der Mais fing an zu reifen und konnte zum großen Teil schon verzehrt werden.
Das Kommando zog zunächst von Chirumba nach Mtende und dann nach einigen Tagen weiter nach Nanungu; Abteilung Wahle, die von Chirumba aus nach Mtende gefolgt war, wurde hier von mehreren feindlichen Kompagnien umgangen, die überraschend auf einer Höhe im Rücken der Abteilung auftauchten und den Botendienst[S. 226] und die Transporte unterbrachen. General Wahle entzog sich durch einen Umweg dieser unbequemen Lage und rückte in Richtung auf Nanungu näher an das Kommando heran.
Bei Nanungu fanden wir reichliche Verpflegung, und es lohnte sich, in dem Raume von Nanungu, Namunu und weiter südlich am Lurio wieder, wie in früherer Zeit, Aufkaufposten und Magazine anzulegen. Die Wildbestände lieferten gute Beute, und die Eingeborenen brachten gern Gartenfrüchte und Honig herbei, um diese gegen Fleisch, lieber aber noch gegen Bekleidungsstücke einzutauschen. Recht willkommen war eine wohlschmeckende, süße, kirschartige Porifrucht, die zu Millionen in der Gegend von Nanungu heranreifte. Ich ließ sie mit Vorliebe zu Jam verarbeiten. Auch andere Leckereien, besonders Erdnüsse, bekamen wir gelegentlich, und weit und breit verrieten die krähenden Hähne, daß es in den Lagern und bei den Eingeborenen Hühner und Eier gab.
Das Einsetzen der Regenzeit stimmte nicht genau mit dem Vorhersagen der Eingeborenen überein; es gab zwar tüchtige Güsse, aber das Wasser lief in dem hügeligen Gelände schnell ab und sammelte sich in der Hauptader jener Gegend, dem Msalufluß, der zu einem starken Hindernis anschwoll. Über den Msalufluß hatte der als Vizefeldwebel zur Truppe eingezogene Feldpostsekretär Hartmann eine Pontonbrücke gebaut, die uns mit der Abteilung des Generals Wahle verband. Diese war noch auf dem westlichen Ufer des Flusses geblieben. Als schwimmende Unterstützungen der Brücke dienten Rindenboote. Die Notwendigkeit, in dem wasserreichen Gebiete die angeschwollenen Flüsse glatt überwinden zu müssen, lenkte meine Aufmerksamkeit auf diese Frage. Bisher hatten wir für alle Fälle einige Einbäume mitgetragen. Der Transport war aber auf die Dauer zu schwierig und dieses Mittel zu wenig leistungsfähig. Der Kriegsfreiwillige Gerth, ein Pflanzer vom unteren Rufiji, interessierte sich besonders für diese Frage und ließ sich von den Eingeborenen der Landschaft, die hierin besonders sachkundig waren, im Bau von Rindenbooten unterweisen. Nachdem die Versuche schnell zu einem Resultat geführt hatten, wurde bei allen Kompagnien der Bau solcher Boote, für deren Herstellung nach einiger Übung knapp zwei Stunden erforderlich waren, mit Eifer betrieben. Diese Boote sind in größerem[S. 227] Maßstabe von uns nicht benutzt worden, aber sie gaben uns das sichere Gefühl, daß im Notfalle auch ein starkes Stromhindernis für unsere recht unhandlichen Karawanen und Lasten nicht unüberwindlich sei.
Nach einiger Bekanntschaft mit der Gegend fanden wir im Msaluflusse Furten, die auch bei hohem Wasserstand einen Uferwechsel gestatteten. Unsere Kampfpatrouillen unter Sergeant Valett und anderen gingen von unseren gesicherten Lagern bei Nanungu aus, durchschritten den Fluß, der unser Unterkunftsgebiet nach Westen zu als Hindernis begrenzte, und suchten den Feind in seinen Lagern bei Mtende auf. Einer dieser Patrouillen, die besonders stark gemacht und mit 2 Maschinengewehren ausgerüstet war, gelang es, westlich von Mtende eine feindliche Verpflegungskarawane zu überfallen. Die Unsrigen haben sich dann aber nicht schnell genug den feindlichen Bedeckungstruppen entzogen und kamen, von mehreren Seiten angegriffen, in eine schwierige Lage. Beide Maschinengewehre gingen verloren und die sie bedienenden Europäer fielen. Nach und nach trafen die Askari zwar wieder vollzählig in Nanungu ein, aber der Patrouillenführer, Feldwebel Müßlin, der sich während des Marsches allein entfernt hatte, war in Feindeshand gefallen. Eine andere Patrouille, mit der Hauptmann Müller nach Norden zu den Msalu überschritt, vertrieb schnell eine englische Postierung bei Lusinje. In der Gegend von Lusinje war auch das Lager des englischen Leutnant Wienholt erbeutet worden, der, wie früher erwähnt, aus unserer Gefangenschaft entlaufen und einer der besten englischen Patrouillenführer geworden war. Die Eingeborenen wurden durch die englischen Patrouillen gründlich bearbeitet und leisteten dem Feinde gegen Belohnung durch Kleidungsstücke Spionagedienst. Auch der anläßlich des Bootsbaues erwähnte Kriegsfreiwillige Gerth wurde am Msalufluß, am Hause eines Jumben, von einer englischen Patrouille überfallen und fand hierbei seinen Tod.
Mächtig erhoben uns damals in der zweiten Hälfte des März 1918 die Nachrichten von der gewaltigen deutschen Märzoffensive an der Westfront, die unsere Funkenstation auffing. Ich wettete mit dem Sanitätsoffizier beim Stabe, Stabsarzt Taute, daß Amiens bald fallen würde. Die Zeit mehrwöchentlicher Ruhe, die jetzt beim Stillstand unserer Operationen eintrat, benutzte ich, um meinen rechten Fuß, der mir infolge eines Sandflohes seit einem halben Jahr Unbequemlichkeiten[S. 228] machte, in Ordnung bringen zu lassen. Die in manchen Lagern in Unmenge vorkommenden Sandflöhe bohren sich mit Vorliebe an den Rändern der Fußnägel in das Fleisch und verursachen dort schmerzhafte Entzündungen. Wird nicht aufgepaßt, so greifen diese weiter um sich und nach ärztlicher Ansicht ist die Verstümmelung vieler Füße der Eingeborenen und der Verlust der Zehen häufig auf solche Sandflöhe zurückzuführen. Auch ich litt unter dieser Unbequemlichkeit, und beim Gehen bildeten sich immer wieder Entzündungen. Stabsarzt Taute konnte mir glücklicherweise den Zeh unempfindlich machen, um dann den Nagel herauszureißen.
Auch in anderer Weise war ich einmal etwas gehindert. Auf einem Erkundungsgange hatte mir ein Halm des übermannshohen Grases in mein rechtes Auge geschnitten, und bei der nachfolgenden Behandlung war infolge von Atropin die Anpassungsfähigkeit der Linse beeinträchtigt; ich konnte deshalb mit dem rechten Auge nicht ordentlich sehen und keine Schrift oder Kartenskizzen erkennen. Dieser Zustand war lästig, weil mein linkes Auge durch eine im Jahre 1906 beim Hottentottenaufstand in Südwestafrika erhaltene Schußverletzung so stark beschädigt worden ist, daß ich mit diesem nur vermittelst Starbrille lesen kann. Eine solche war aber nicht verfügbar, und so war ich gezwungen, an verschiedene Unternehmungen heranzugehen, ohne richtig sehen zu können.
Die Patrouillen der Abteilung Koehl waren aus der Gegend Medo-Namunu inzwischen bis an die Küste vorgestreift, hatten am unteren Luriofluß und weit südlich desselben portugiesische Befestigungen erobert, einige Kanonen, vor allem aber Gewehre und Munition, meist von altem Modell, und erhebliche Mengen an Verpflegung erbeutet. Die Eingeborenen erwiesen sich hierbei freundlich gegen unsere Leute und sahen in ihnen auch hier die Befreier von der portugiesischen Bedrückung. Auch Patrouillen der Abteilung Otto waren von Mahua her in das Gebiet südlich des Lurioflusses gestreift, und der in Eingeborenenangelegenheiten so erfahrene Oberleutnant d. Ldw. Methner, erster Referent unseres Gouvernements, rühmte die Tüchtigkeit und Klugheit der portugiesischen Eingeborenen und den verständigen und weiten Blick ihrer Ortsoberhäupter.
Leutnant von Scherbening, der mit seiner Patrouille die Boma[S. 229] Malema genommen hatte, berichtete von dem großen Reichtum dieser Gegend. Um auch uns hiervon etwas zukommen zu lassen, schickte er ein erbeutetes Schwein nach Nanungu. Da es nicht laufen wollte, wurde es 500 km weit getragen. Bei seiner Ankunft stellte sich leider heraus, daß es gar kein europäisches Schwein war, sondern ein Porischwein, wie wir es selbst im Walde häufig erlegten.
Wieder war eine Zeit gekommen, wo es schwer war, Nachrichten über den Feind zu erhalten. Aber aus den unvollkommenen Karten, die uns zur Verfügung standen, war doch manches herauszulesen. Ich konnte nicht zweifeln, daß die sicher bevorstehenden feindlichen Operationen mit ihren Hauptkräften von der Küste, aus der Gegend von Porto Amelia, ansetzen würden. Das Auftreten stärkerer feindlicher Kräfte bei Mtende sowie die allerdings sehr unsichere Nachricht, daß auch feindliche Truppen von Südwesten her auf Mahua im Anmarsch waren, zeigten mir, daß zugleich mit dem bevorstehenden Vorrücken der feindlichen Hauptkräfte andere Truppen von Westen her operieren wollten. Es schien eine Lage heranzureifen, in der es möglich war, die innere Linie, auf der ich stand, auszunutzen und den einen oder den anderen Teil des Feindes vereinzelt zu fassen. Die Nachschubverhältnisse des Gegners bedingten es, daß diejenigen seiner Kolonnen, die von Westen kamen, nicht allzu stark sein konnten. Hier also bot sich auch voraussichtlich die von mir gesuchte günstige Chance. Mit dem Hauptteil meiner Truppen blieb ich deshalb in der Gegend von Nanungu und zog nach hier auch die Abteilung des Hauptmanns Otto vom Lurio heran. Mit diesen Kräften wollte ich angriffsweise verfahren und zwar nach Westen zu. Dem Hauptmann Koehl, der seine Abteilung bei Medo sammelte, fiel die Aufgabe zu, die von Porto Amelia heranrückenden Hauptstreitkräfte des Feindes hinzuhalten und allmählich schrittweise auf mich zurückzugehen.
Hauptmann Müller, der nach jahrelanger Tätigkeit beim Kommando eine selbständige Abteilung von 2 Kompagnien übernommen hatte, wurde aus der Gegend von Nanungu auf Mahua vorgesandt, um dort dem Feinde nach Möglichkeit Abbruch zu tun. Er umging Mahua und überraschte südwestlich dieses Ortes die befestigte Verpflegungsstation Kanene. Die verteidigenden englischen Europäer sahen ein, daß die angesammelten Bestände verloren waren. Um dies wenigstens teilweise[S. 230] zu verhindern, machten sie sich über die Alkoholbestände des Lagers her und fielen recht angeheitert in unsere Hände.
Ich selbst rückte Mitte April gleichfalls in Richtung auf Mahua vor und hörte beim Anmarsch schon aus weiter Entfernung von dort her heftige Detonationen. Hauptmann Müller war nordöstlich Mahua bei Koriwa auf ein feindliches Bataillon unter Colonel Barton gestoßen, das einen Streifzug unternommen hatte und nun von den Unsrigen während des Marsches sogleich angegriffen wurde. Trotzdem auf unserer Seite kaum 70 Gewehre im Gefecht waren, gelang es doch, den Feind auf seinem rechten Flügel zu umfassen und ihn von dort aus von einem Termitenhügel (großen Ameisenhügel) so energisch unter wirksames Maschinengewehrfeuer zu nehmen, daß er in wilder Flucht davonlief. Er verlor dabei über 40 Mann. Oberleutnant z. S. Wunderlich, der einen schweren Schuß durch den Unterleib erhalten hatte, mußte zu dem 2 Tagemärsche entfernten Lazarett von Nanungu geschafft werden und starb nach kurzer Zeit.
Der Schlag, zu dem ich das Gros angesetzt hatte, war durch die schwache Abteilung Müller bereits erfolgreich ausgeführt worden. Ich wandte mich deshalb mit meinen Hauptkräften wieder in die Gegend dicht westlich Nanungu. Dort war inzwischen ein stärkerer Feind am Msaluflusse eingetroffen und hatte diesen mit stärkeren Patrouillen überschritten. Meine Berechnung, einen stärkeren feindlichen Körper unmittelbar nach Überschreiten des Flusses überraschend fassen zu können, traf nicht zu; die erhaltenen Meldungen waren irrtümlich gewesen. Aber in einer ganzen Reihe kleinerer Zusammenstöße am Msalufluß und westlich desselben wurden dem Gegner durch unsere Kampfpatrouillen doch nach und nach erhebliche Verluste zugefügt, und seine Streifabteilungen räumten bald das östliche Msalu-Ufer. Unsere Verpflegungspatrouillen, deren Aufgabe es war, in der Richtung auf Mahua weiter Verpflegung zu beschaffen, stießen am 3. Mai überraschend auf stärkere feindliche Abteilungen in der Gegend von Saidi, die unser Feldlazarett und unsere Verpflegungsmagazine bei Makoti stark gefährdeten.
Nach Makoti war zur Vorbereitung der zukünftigen, mehr nach westlicher Richtung geplanten Operationen ein Teil unserer Bestände gebracht worden. Unsere sofort entsandten Kampfpatrouillen hatten[S. 231] am Kirekaberge bei Makoti mehrere Zusammenstöße mit dem Feinde. Ich glaubte zunächst nur an Patrouillen des Gegners, entsandte deshalb den Hauptmann Schulz mit einer starken Patrouille dorthin zur Verstärkung und rückte selbst am 4. Mai mit dem Gros an die Straße Nanungu-Mahua. Von hier aus glaubte ich, schnell gegen irgendwo überraschend auftretende feindliche Kräfte eingreifen zu können. Die allgemeine Lage klärte sich dadurch, daß unsere Patrouillen im Laufe des Tages am Kirekaberge auf einen neuen Gegner gestoßen waren. Eine feindliche Abteilung war zurückgeworfen worden, und es war wahrscheinlich, daß stärkere Kräfte in verschanzten Lagern dahinter standen. Am 5. Mai morgens marschierte ich aus meinem Lager ab, auf Makoti zu. Während des Anmarsches wünschte ich sehnlichst, daß der Feind uns den Angriff auf seine befestigte Stellung ersparen möchte, und hoffte, was ja auch nach der ganzen Lage gar nicht unwahrscheinlich war, daß er aus seinen Schanzen herauskommen und sich so ein Kampf im freien Felde entwickeln würde. Gelang es uns bei dieser Gelegenheit, mit unseren Hauptkräften einzugreifen, ohne daß der Feind von unserem Anmarsch eine Ahnung hatte, so war ein erheblicher Erfolg nicht unwahrscheinlich.
Um 11 Uhr vormittags langte ich am Kirekaberge an und begab mich nach vorn zum Hauptmann Schulz, der mit seinen Patrouillen einige in dem Stangenholz befindliche Felsengrotten besetzt hatte. Als ich gerade angekommen war, erhielt ich von einem Sol (schwarzen Feldwebel), der von einem Patrouillengang zurückkehrte, die Meldung, daß der Feind in großer Stärke ausgeschwärmt vorrücke und sofort auf nahe Entfernung auftauchen müsse. Ich benachrichtigte hiervon den Oberleutnant Boell, der mit seiner Kompagnie soeben hinter der Abteilung Schulz eingetroffen war, und beauftragte ihn, im Falle eines feindlichen Angriffes sogleich einzugreifen. Dann ging ich zurück und ordnete den Aufmarsch unserer weiteren, nach und nach eintreffenden Kompagnien. Inzwischen ging vorn das Gefecht los. Der Feind hatte in dichten Schützenlinien vorgehend unsere Patrouillen schnell aus ihren Steingrotten zurückgeworfen, war dann aber zu seiner größten Überraschung in das wirksame Maschinengewehrfeuer der Kompagnie Boell geraten und teilweise zurückgegangen. Die demnächst eintreffende Abteilung Goering wurde sogleich zum rechts umfassenden[S. 232] Angriff angesetzt, der Feind dadurch völlig überrascht und mit recht schweren Verlusten in großer Eile zurückgeworfen.
So langten wir nach mehreren Kilometern heftigen Nachdrängens vor den feindlichen Verschanzungen an. Auf unserem linken Flügel, wo zwei weitere Kompagnien eingesetzt wurden, ging das Gefecht mehrfach hin und her, und es war mir im Busch schwer, Freund und Feind zu unterscheiden. Es dauerte dadurch einige Zeit, bis ich mir von den Verhältnissen auf dem linken Flügel ein klares Bild machen konnte, und erst die Meldung des Majors Kraut, der von mir zur Erkundung dorthin gesandt war, ließ mich erkennen, daß das Vorgehen unseres linken Flügels auf einer Waldlichtung in recht wirksames feindliches Feuer geraten und dadurch zum Stocken gekommen war. Ein Gegenangriff, den der Feind unternahm und der schon ziemlich dicht an den Standplatz des Kommandos gekommen war, hätte uns recht unangenehm werden können. Zu unserem großen Glück traf aber gerade in diesem Augenblick Oberleutnant Buechsel, der mit seiner Kompagnie detachiert gewesen war und deshalb verspätet ankam, auf dem Gefechtsfelde ein und konnte der Gefahr begegnen.
Auf dem rechten Flügel hatte inzwischen Hauptmann Goering erkannt, daß ein frontales Anstürmen auf die feindlichen Verschanzungen keine Aussicht auf Erfolg bot. Er hatte deshalb Oberleutnant Meier mit einer starken Patrouille die Stellung des Gegners umgehen lassen, um von rückwärts her einen dort befindlichen feindlichen Minenwerfer zu beschießen und womöglich fortzunehmen. Diese Wegnahme gelang nicht, da der Feind unerwarteterweise noch über Reserven verfügte, die die Patrouille Meier fernzuhalten imstande waren. So kam das Gefecht zum Stillstand. Bei Einbruch völliger Dunkelheit lagen wir dem Feinde dicht gegenüber. Beiderseits fielen nur noch ab und zu Schüsse.
Während des Gefechts wurden die büromäßigen Arbeiten — es wurde auch in Afrika geschrieben, wenn auch nicht so viel als sonst üblich — erledigt. Eine Anzahl Eingänge, wie Beschwerden und sonstige Unannehmlichkeiten lagen vor. Mit den Kompagnieführern konnte ich mich von Zeit zu Zeit mündlich besprechen und ließ sie zu diesem Zweck zu mir kommen. Ich selbst wechselte meinen Standplatz so wenig wie möglich, um bei der Übermittlung der eingehenden Meldungen Schwierigkeiten und unliebsame Verzögerungen zu vermeiden.[S. 233] Abgekocht wurde weiter rückwärts, wo auch der Verbandplatz eingerichtet worden war. Auch wir, die Angehörigen des Kommandos, erhielten durch unsere schwarzen Diener wie gewöhnlich die zubereitete Verpflegung in die Gefechtslinie vorgebracht.
Um die Truppe zu weiterer Verwendung wieder in die Hand zu bekommen, wurden Teile derselben aus der vorderen Gefechtslinie zurückgezogen und gesammelt. Ich überlegte, daß es zweckmäßig sei, die Nacht über so liegen zu bleiben, um am nächsten Tage das Gefecht wieder aufnehmen zu können und vor allem, um zu versuchen, den Feind von seinem Wasser abzuschneiden, das irgendwo außerhalb seines Lagers liegen mußte.
Da traf gegen Mitternacht die Meldung ein, daß eine unserer Patrouillen an der Straße Nanungu-Mahua auf einen stärkeren Feind gestoßen sei. Ich mußte befürchten, daß dieser Gegner, den ich der Selbständigkeit seines Auftretens wegen für stark hielt, weiter auf Nanungu vordringen und sich so in den Besitz unserer an dieser Straße gelagerten Kompagnielasten (Munition, Verbandzeug, Verpflegung, Kranke usw.) sowie der Magazine von Nanungu setzen würde. Ich rückte deshalb noch in der Nacht mit dem Hauptteil meiner Kräfte über Makoti wieder an die Straße Nanungu-Mahua ab. Dicht am Feinde blieben nur starke Patrouillen, die aber nicht bemerkten, daß der Gegner ebenfalls noch während der Nacht seine Stellung räumte und in Richtung auf Mahua abzog. Am 6. Mai stellte sich heraus, daß die Meldung von den starken feindlichen Kräften an der Straße Nanungu-Mahua, die meinen Abmarsch veranlaßt hatte, verkehrt gewesen war; es befand sich dort überhaupt kein Feind. Hauptmann Müller, der das Schießen der englischen Minenwerfer gehört hatte, war in vortrefflicher Initiative aus seinem nordöstlich Mahua gelegenen Lager im Eilmarsch sofort auf den Gefechtslärm losmarschiert und anscheinend für Feind gehalten worden.
Als er auf dem Gefechtsfeld ankam, stellte er fest, daß der Gegner abgerückt war. Der Feind, der aus 4 Kompagnien und einer Maschinengewehrkompagnie bestand, und, nach seinen Befestigungsanlagen zu urteilen, 1000 Mann stark war, war durch unsere wenig mehr als 300 Gewehre — wir waren 62 Europäer und 342 Askari gewesen — vollständig geschlagen worden. Auf seiner Seite waren[S. 234] 14 Europäer und 91 Askari gefallen, 3 Europäer und 3 Askari hatte er an Gefangenen verloren. Außerdem war sein Hospital mit etwa 100 Verwundeten in unsere Hand gefallen; andere Verwundete hat er nach Aussage von Eingeborenen noch mitgenommen. Unsere Verluste betrugen: 6 Europäer, 24 Askari, 5 andere Farbige gefallen, 10 Europäer, 67 Askari und 28 andere Farbige verwundet.
Während diese für uns so erfreulichen Erfolge gegen die westlichen feindlichen Kolonnen erzielt wurden, hatte Abteilung Koehl gegen die feindliche Division, die von Porto Amelia auf Nanungu vordrang, andauernd Gefechte, manchmal von erheblichem Umfange, zu bestehen. Bei Medo hatte der Feind nach seiner eigenen Angabe recht schwere Verluste; in einem Gefecht, das westlich von Medo stattgefunden hatte, war es dem Hauptmann Spangenberg mit seinen 2 Kompagnien gelungen, den Feind sehr gewandt zu umgehen, von rückwärts her an seine leichte Feldhaubitzbatterie heranzukommen und diese im Sturm zu nehmen. Fast die gesamte Bedienung und Bespannung fiel. Leider war es nicht möglich, die Geschütze und die Munition mitzunehmen. Sie wurden unbrauchbar gemacht. Aber trotz solcher Einzelerfolge mußte Abteilung Koehl weiter zurückweichen. Es nahte der Augenblick, wo sich vielleicht durch rechtzeitiges Eingreifen meiner Hauptkräfte bei der Abteilung Koehl ein durchschlagender Erfolg gegen General Edwards erzielen lassen würde.
Wieder einmal war aber die Verpflegungsfrage ein Bleigewicht für die Bewegungen. Die Feldfrüchte der Landschaft waren im wesentlichen aufgezehrt bis auf den Mtama, der in dieser Gegend früher heranreift als in Deutsch-Ostafrika. Aber er war noch nicht reif. Um nicht rein aus Verpflegungsgründen abrücken zu müssen, halfen wir uns dadurch, daß wir den Mtama durch Trocknen notreif machten. Die Frucht war auch auf diese Weise gut verwertbar, und da in der Gegend sehr viel wuchs, so konnte im allgemeinen jeder so viel bekommen, wie er haben wollte, und keiner litt Not.
Der Bestand der Felder veranlaßte mich, mit den Hauptkräften der Truppe mehr nach Südwesten, in der Richtung auf Mahua, zu marschieren und in der Gegend des Timbaniberges, am Koromaberg, Lager zu beziehen. Von hier aus wollte ich im Notfall nach Süden weiterziehen, um in den fruchtbaren Gegenden der Vereinigung des[S. 235] Malema- und Lurioflusses die dortigen reichen Verpflegungsgebiete auszunutzen. Westlich des Timbaniberges war das Gelände günstig, um ein entscheidendes Gefecht gegen General Edwards aufzunehmen, der der Abteilung des Hauptmann Koehl von Nanungu weiter in südwestlicher Richtung folgte. Das außerordentlich felsige und zerrissene Gelände am Timbaniberg und 6 km nordöstlich davon bis zu der Stelle, auf die die Abteilung Koehl zurückgewichen war, war nicht günstig für ein von mir beabsichtigtes entscheidendes Gefecht. Am 21. Mai verrieten sich neue feindliche Lager westlich der Stellung der Abteilung Koehl durch ihren Rauch. Ich vermutete, daß dieser neue Gegner am 22. Mai der Abteilung Koehl von Westen her in den Rücken marschieren würde. Da habe ich leider versäumt, der Abteilung Koehl den ganz bestimmten Befehl zu geben, sogleich mit ihren Hauptkräften aus dem ungünstigen Gelände heraus bis südwestlich des Timbaniberges zu rücken. Statt des unzweideutigen Befehls gab ich eine Anweisung, die zu viel Freiheit des Handelns ließ.
So kam es, daß die Abteilung Koehl ihre Träger mit den Munitions- und Bagagelasten erst am 22. Mai vormittags in Marsch setzte. Auch das wäre noch gut gegangen, wenn nicht unglücklicherweise an ihrem Anfange der Gouverneur marschiert wäre, der sich bis dahin bei der Abteilung Koehl aufgehalten hatte. In Verkennung des Ernstes der Lage machte der Gouverneur mitten in dem ungünstigen Gelände, wo er jeden Augenblick der Überraschung durch den Feind ausgesetzt war, ohne sich wirkungsvoll verteidigen zu können, einen längeren Halt. Hierdurch ließen sich die Bagagen der Abteilung Koehl trotz dem ihnen vom Hauptmann Koehl erteilten ausdrücklichen Befehle verleiten, ebenfalls zu halten. Ich selbst erkundete an diesem Tage vormittags noch einmal das südwestlich des Timbaniberges gelegene, recht günstige Gelände und traf hierbei unter anderem den Leutnant Kempner, der tags vorher bei Abteilung Koehl verwundet worden war und zurückgetragen wurde. Bei der Abteilung Koehl selbst, wo seit dem Morgen mehrere Angriffe des Feindes abgeschlagen waren, war Gefechtslärm in weiter Ferne zu hören. Mit Hauptmann Koehl bestand telephonische Verbindung, und ich kehrte, ohne eine Ahnung von den Verhältnissen seiner Bagage zu haben, gegen 11 Uhr vormittags in das Koromalager zurück.
[S. 236]
Um 12 Uhr mittags war ich gerade im Lager eingetroffen, als plötzlich Minenwerferfeuer in großer Nähe erscholl, zweifellos zwischen uns und der Abteilung Koehl. Unmittelbar darauf war die Fernsprechverbindung dorthin unterbrochen. Jetzt blieb keine Wahl, als sofort vom Koromalager her mit allen Kräften auf diesen neuen Gegner vorzumarschieren, wobei ich die stille Hoffnung hatte, daß es trotz der Ungunst des Geländes vielleicht gelingen würde, ihn zu überraschen und entscheidend zu schlagen. Nach einer knappen Stunde trafen wir am Timbaniberge ein und warfen vorgeschobene feindliche Abteilungen schnell zurück. Einige versprengte Leute von uns meldeten, daß der Gouverneur und die Bagage des Hauptmann Koehl vom Feinde überraschend angegriffen und alle Lasten verloren seien. Der Gouverneur selbst sei mit genauer Not entkommen, andere sagten, er sei gefangen genommen worden. Der Feind schoß ziemlich lebhaft mit mehreren Minenwerfern und wurde durch unsere Kompagnien von mehreren Seiten angegriffen. Er hatte aber eine gute Stellung eingenommen, in der er sich verschanzt und einen Teil der erbeuteten Lasten geborgen hatte. Leider nahmen wir ihm nur wenige wieder ab. Aber die feindliche Stellung wurde doch umstellt und unter konzentrisches, für den Feind recht verlustreiches Feuer genommen. Nach einer später erbeuteten Nachricht haben die I. King’s African Rifles allein hierbei etwa 200 Mann verloren.
Bei dieser Einschließung des Feindes unterstützten uns mehrere Kompagnien und Patrouillen des Hauptmanns Koehl. Auch dieser hatte sich mit seinen Hauptkräften gegen den neuen in seinem Rücken auftretenden Feind gewandt und hoffte, denselben schlagen zu können, während eine starke Patrouille, mit der Front nach Nordosten, seinen bisherigen Gegner hinhielt. Diese Patrouille war aber viel zu schwach. Sie wurde zurückgedrängt und mußte von neuem durch Truppen der Abteilung Koehl verstärkt werden. Wenn der Feind auch zweifellos im ganzen erhebliche Verluste erlitten hatte, so war ein durchschlagender Erfolg für uns doch nicht erreichbar. Das Gefecht wurde bei Eintritt der Dunkelheit abgebrochen, und wir rückten in das von mir erkundete günstige Gelände zwischen Timbani- und Koromaberg ab.
Im Lager am Koromaberg hatte sich inzwischen der Gouverneur eingefunden. Er hatte bei dem Abenteuer sämtliche Lasten verloren[S. 237] und wurde durch Unteroffizier Reder, dem bewährten und umsichtigen Führer einer Kolonne, verpflegt. Auch ich steuerte dazu bei, dem Gouverneur aus seiner Verlegenheit zu helfen und verehrte ihm ein paar blaue Strümpfe, die seine Gattin mir im Anfang des Krieges angefertigt hatte, die aber leider abfärbten.
Außer dem sehr fühlbaren Verlust von etwa 70000 Patronen hatten wir auch den Verlust eines größeren Bestandes von Papiernoten — ich glaube, es waren 30000 Rupien — zu beklagen. Meinem Wunsche, statt mit Papiernoten zu bezahlen, lieber Requisitionsscheine auszugeben und dadurch eine Menge Sicherheitstransporte zu ersparen und unnötige Verluste zu vermeiden, war früher nicht stattgegeben worden. Es waren Millionen Rupien Papiernoten gedruckt worden. Das Mitschleppen derselben war in dem jetzigen Stadium des Krieges eine besondere Last. Um in der Zukunft wenigstens weitere Verluste zu vermeiden, hat auf meine Anregung dann der Intendant einen großen Teil der früher mühsam hergestellten Noten wieder vernichtet.
Am 23. Mai wurden vom Koromalager auf einem quer durch den Busch nach Koriwa abgesteckten Wege der Rest unserer Lasten und der Hauptteil der Truppe in Bewegung gesetzt. Der Hauptteil unserer Trägerkolonnen und die Kranken waren vorangegangen. Die Nachhut unter Hauptmann Otto blieb noch einige Tage am Koromaberge und wies dort mehrere Angriffe des Feindes erfolgreich ab. Es schien, als ob der Gegner wieder einmal nach der Beendigung einer konzentrischen Operation dort bei Timbani den Hauptteil seiner Truppen vereinigt hätte und vor Antritt des Weitermarsches einiger Zeit zur Regelung seines Nachschubs bedurfte. Zurückkehrende Patrouillen meldeten starken Autoverkehr auf der Straße Nanungu-Timbaniberg. Andere Patrouillen berichteten von dem Vormarsch feindlicher Kräfte von Osten her auf dem nördlichen Lurioufer.
Vom Feinde unbelästigt marschierte ich zunächst in die reiche Gegend von Kwiri, südlich Mahua, und dann von dort aus weiter zum Luriofluß.[S. 238] Dabei stellte es sich aber heraus, daß ein Teil unserer Schwerverwundeten und Kranken diese mehrtägigen Märsche in ihren „Maschillen“ (Tragbahren) nicht würde durchhalten können. Da war es nicht leicht, für ärztliche Pflege zu sorgen. Es waren zu wenig Pfleger da, um die Kranken einzeln von Fall zu Fall zurücklassen zu können. So blieb nichts anderes übrig, als die Kranken von Zeit zu Zeit zu sammeln und dann gemeinsam unter einem Arzt als vollständiges Lazarett zu etablieren und sich endgültig von ihnen zu trennen. Auch der Chefarzt der Schutztruppe, Generaloberarzt Dr. Meixner war bei Kwiri mit einem solchen Lazarett liegen geblieben. Von Leutnant d. Res. Schaefer, der uns bei den Vorbereitungen zum Gefecht von Jassini so ausgezeichnete Dienste geleistet hatte, und der jetzt an Schwarzwasserfieber schwer erkrankt war, nahm ich bei dieser Gelegenheit Abschied. Der erfahrene Afrikaner war sich über seinen Zustand vollständig klar, war freundlich wie immer und sah seinem unvermeidlichen baldigen Ende mit Ruhe entgegen.
Nördlich des Lurio wollte ich mich nicht lange aufhalten; ich glaubte, daß dieser Fluß, der noch vor kurzem hoch angeschwollen war, ein großes Hindernis sein würde. Es kam mir darauf an, dieses mit unserem zahlreichen Troß schnell und ungestört zu überwinden. Als wir am Luriofluß ankamen, stellte es sich heraus, daß um diese Jahreszeit zahlreiche Furten einen bequemen Uferwechsel gestatteten. Ohne Nachteile befürchten zu müssen, beließen wir einen Teil unserer Truppen auf dem Nordufer und bezogen mit dem Gros am Südufer Lager. Das Land war sehr reich, die Bewohner zutraulich; von den früheren Unternehmungen der Patrouillen und Streifabteilungen hatten sich gute Beziehungen gebildet; eine meiner Ordonnanzen wurde von alten Bekannten freudig begrüßt.
Mir kam es darauf an, daß die Engländer hier anbissen und veranlaßt wurden, immer mehr Truppen heranzuziehen. Wich ich dann langsam genug aus, so würden meiner Überlegung nach die starken feindlichen Truppen voraussichtlich folgen, wegen der großen Schwierigkeiten des Nachschubs aber nichts ausrichten können. Auf diese Weise konnte, was die Hauptsache war, genügend Zeit gewonnen werden für Unternehmungen gegen schwächere, weiter südlich gelegene feindliche Lager und Postierungen. Ein solches Lager wurde durch die[S. 239] nach Süden vorausgesandte Abteilung des Hauptmanns Müller bei Malema festgestellt, demselben Orte, wo unsere Truppen früher schon erfreuliche Erfolge erzielt hatten.
In mehrtägigen Gefechten nahm Hauptmann Müller die Boma Malema ein. Sie war von einem englischen Halbbataillon besetzt gewesen, das nachts in südlicher Richtung abzog. Gleichzeitig war eine portugiesische Patrouille von der Boma Malema aus nach Norden vorgegangen und zurückgekehrt. Hauptmann Müller hielt diese für die abziehenden Engländer, griff sie während ihres Marsches an und war sehr erstaunt, in den Gefallenen Portugiesen zu erkennen.
Nach dem Gefecht veränderte Hauptmann Müller seinen Lagerplatz. Oberleutnant von Schroetter, der malariakrank war, war dabei für kurze Zeit zurückgeblieben und wurde von einer plötzlich auftretenden englischen Patrouille gefangen. Als diese Patrouille zur Boma Inagu abmarschierte, gelang es ihm zu entkommen und unter Verlust seiner sämtlichen Sachen, ohne Kopfbedeckung — und das will in der Tropensonne viel besagen — schließlich die Unsrigen gänzlich erschöpft wieder zu erreichen.
Nach Eingeborenen- und Patrouillenmeldungen konnte kein Zweifel mehr bestehen, daß starke feindliche Kräfte, die bei Mozambique gelandet waren, nach Westen auf die Boma Malema zu vorrückten und schon bis auf wenige Tagemärsche in deren Nähe gelangt waren. Zugleich wurden auch von Westen her, aus Richtung Malacotera, Truppen auf dem Vormarsch in Richtung auf die Boma Malema gemeldet. Der von Norden folgende Gegner erreichte nach einigen Tagen den Luriofluß, so daß wir dessen Nordufer räumten. Nach erbeuteten Papieren und nach den noch auf dem Nordufer gelieferten Gefechten zu urteilen, war dieser Feind aber doch stärker, als ich es vermutet hatte. Vermittelst leichter Automobilkolonnen war es ihm möglich, uns mit seinem gesamten Nachschub sowie mit einer Truppe, die ich auf etwa 3 bis 4 Bataillone mit Hilfswaffen schätzte, schnell zu folgen.
Das Gelände längs des Malemaflusses, in dem unsere Lager sich befanden, war ganz außerordentlich reich. Der Mtama stand in voller Reife, und es gab reichlich Tomaten, Bananen, Süßkartoffeln (Bataten) und andre Früchte. Die Verpflegung war auch sehr vielseitig. Wild[S. 240] und Fische waren ausreichend vorhanden. Die Eingeborenen kannten die deutschen Truppen von früher her und waren sehr zutraulich. Als ich einmal von der einen Abteilung zur anderen ritt, kamen die Frauen aus ihren Hütten angelaufen, um das ihnen ganz unbekannte „Njama“ (Tier, Wild, Fleisch) zu sehen: ich ritt nämlich ein Pferd! Das reiche Verpflegungsgebiet war so ausgedehnt, daß wir es nicht annähernd ausbeuten oder schützen konnten. Es war gar nicht zu verhindern, daß es außer für uns auch für die großen Massen von Askari und Nichtkombattanten des Feindes den Lebensunterhalt lieferte. Wir konnten dem Feinde nicht die Möglichkeit nehmen, sich gleichfalls auf dieses reiche Gebiet von neuem in großem Maßstabe zu basieren und die Länge seiner Verpflegungslinie zu verkürzen. Das Land war für unsere Verhältnisse eben zu reich, und wir waren nicht imstande, es vor unserem Abrücken, wie in früheren Fällen, so weit auszufouragieren, daß es für die Verpflegung der feindlichen Massen unzureichend wurde. Dazu kam, daß wir im Augenblick sehr beweglich waren; durch den mehrwöchigen Aufenthalt waren die Verwundeten und Kranken so weit wiederhergestellt, daß alle, auch die Insassen der Feldlazarette, gut marschfähig waren.
Dieser Vorteil wäre durch größere Gefechte wieder verloren gegangen. Ich faßte den Entschluß, die Gegend trotz ihrem außerordentlichen Reichtume allmählich zu räumen und den Ring, durch den mich die feindlichen Kolonnen in dem fruchtbaren Gebiete des Malemaflusses einkreisten, zu verlassen. Es war dabei meine Absicht, diese feindlichen Kolonnen durch den kleineren Teil meiner Truppen soweit hinzuhalten und zu beschäftigen, daß sie die Sache ernst nahmen und an meine Nachhut wirklich anbissen. Die Direktiven des englischen Befehlshabers, die in unsere Hände gefallen waren, taten mir bei dieser Überlegung sehr gute Dienste. Er wollte sich nicht zum zweiten Male, wie bei Koriwa, von uns „foxen“ (hinters Licht führen) lassen und hatte deshalb angeordnet, daß stets, sobald irgendwo mit uns Fühlung gewonnen würde, einige Abteilungen uns sogleich im Umkreise von 5 bis 6 englischen Meilen zu umgehen hätten. General Edwards, dem ich dies später einmal erzählte, war außerordentlich amüsiert, daß ich von diesen seinen Absichten Kenntnis erlangt und meine Maßnahmen danach getroffen hatte. Es lag auf der Hand, daß bei einer genügenden[S. 241] Staffelung meiner Truppen nach der Tiefe die feindlichen Umgehungsabteilungen in die größte Gefahr kommen mußten, zwischen meine Abteilungen zu geraten und auf diese Weise von meinen rückwärts gestaffelten Abteilungen in der Flanke oder im Rücken überraschend angefaßt zu werden. Leider gelang mir die Ausführung dieser Absicht nur unvollkommen. Man hatte in dem sehr dichten Busch eben doch, auch wenn man Lagerfeuer und Staub sehr genau beobachtete, zu geringe Anhaltspunkte, um eine Kolonne richtig anzusetzen, und es war für eine Kolonne sehr schwer, ihre Richtung innezuhalten. Hierzu gesellten sich aber noch eine Menge Störungen infolge dichten Busches, Sümpfen und Wasserläufen. Trotz alledem gelang es, ab und zu eine der feindlichen Umgehungskolonnen zu fassen und überraschend unter Feuer zu nehmen. Die unvermeidlichen Störungen bei Bewegungen getrennter Kolonnen im dichten Busch waren auf englischer Seite wohl noch größer als auf deutscher. Bei einem Zusammenstoß ergab sich oft ein Durcheinander, in dem Freund und Feind nicht wußten, wen sie vor sich hatten. So ging einmal die Abteilung des Oberleutnants von Ruckteschell, die zunächst dem Feinde gewesen war, auf die rückwärts gestaffelten Teile der Truppe zurück. Hierbei traf sie im Busch auf etwa 30 Schritt Entfernung auf eine Streifabteilung, die als feindlich erkannt wurde. In aller Ruhe und unter den Augen dieses Feindes wurden die Maschinengewehre in Stellung gebracht, und der Gegner, der die Unsrigen für Engländer gehalten hatte, darauf aus nächster Entfernung wirksam unter Feuer genommen und im Augenblick in die Flucht getrieben. Ebenso gerieten unsere eigenen Patrouillen häufig mitten zwischen die feindlichen Truppen. Vizefeldwebel d. Res. Schaffrath ließ bei einer solchen Gelegenheit seine Patrouille in dem dichten Gras niederlegen und eröffnete dann auf das Ende der vormarschierenden, feindlichen Kolonnen ein wirksames Feuer. Dann versteckte er sich wieder. So gelang es ihm im Verlaufe einiger Stunden noch mehrfach, dem Feinde empfindliche Verluste beizubringen und Beute zu machen.
Durch diese hinhaltenden Gefechte wollte ich Zeit gewinnen, um mit dem Gros in das weiter südlich gelegene, nach den vorhandenen Schilderungen als reich anzunehmende Land einzufallen und die dort vermuteten, kleineren feindlichen Besatzungen zu schlagen und zu vertreiben.[S. 242] Als nächstes Objekt kam dafür die portugiesische Boma Alto-Moloque in Betracht. Diese war nach einer erbeuteten Karte im Frieden der Sitz einer höheren Verwaltungsstelle und eines über den Rahmen einer Kompagnie hinausgehenden, höheren Militärkommandos gewesen. Dort mußten also Eingeborene und Verpflegung zu finden sein. Zwischen uns und Alto-Moloque lag das hohe Gebirge von Inagu. Der Weg, der von der Boma Malema westlich um die Inaguberge nach Alto-Moloque führte, war durch ein englisches Bataillon gesperrt, das bei Inagu in einem befestigten Lager lag. Es war also wahrscheinlich, daß unser Vormarsch auf diesem Wege gestört worden wäre, und das wäre mir bei der Größe unserer Trägerkolonnen unangenehm gewesen. Zum mindesten hätte unser Marsch Aufenthalt erlitten, und das beabsichtigte, überraschende Auftreten bei Alto-Moloque wäre vereitelt worden. Mir lag aber gerade daran, zu überraschen, da bei Alto-Moloque Beute an Munition und Waffen zu vermuten war.
So ließen wir den Feind in seinen Befestigungen bei Inagu unberücksichtigt und marschierten um die Inaguberge östlicher herum auf Alto-Moloque zu. Die operative Lage war etwas merkwürdig und wird durch die Äußerung eines alten Südafrikaners gut charakterisiert, der in seinem noch nicht ganz reinen Hochdeutsch meinte: „Is das eine komische Orlog (Krieg); ons lopt achter de Portugies an, und de Englanders lopt achter ons an.“ — Wir marschierten auf Negerpfaden oder auch quer durch den Busch. Mehrere größere Ströme mußten auf unserem Marsche durchschritten werden. Auch dieses Gebiet war reich, und wir stießen bald auf starke Menschenspuren, die in Richtung auf Alto-Moloque zogen, sowie auf Lagerbauten, wie ich sie in dieser Art zum ersten Male sah. Es waren dichte und sehr ordentlich gebaute Grashütten. Die Feuer glimmten teilweise noch, die umherliegenden, abgeschnittenen Hühnerköpfe waren noch frisch. Auch Schießereien mit portugiesischen Patrouillen fanden statt, und einige Gewehre mit Munition wurden erbeutet.
Es galt, keine Zeit zu verlieren; die durch Befreiung von allem Troß besonders beweglich gemachte Abteilung Müller marschierte voraus und fand in Alto-Moloque nur wenige portugiesische Offiziere und Unteroffiziere vor, die auf der Veranda des sehr schönen Europäerhauses[S. 243] gerade Kaffee tranken und gefangen genommen wurden. Mit dem Gros folgte ich jetzt langsam; die Nachhut unter Hauptmann Koehl hatte eine ganze Reihe kleinerer Zusammenstöße, die im ganzen dem Feinde eine nicht unerhebliche Reihe von Verlusten beigebracht haben. Eine unserer Askaripatrouillen war beim Einsammeln von Verpflegung durch eine stärkere feindliche Patrouille überrascht und gefangen genommen worden. Sie war Zeuge, wie dann diese feindliche Patrouille mit einer anderen englischen Abteilung ein recht verlustreiches Gefecht im Busch hatte und konnte bei dieser Gelegenheit wieder entwischen. Die Unvorsichtigkeit, mit der manche unserer Europäer trotz allen Mahnungen immer wieder verfuhren, hatte für uns einige unnötige Verluste zur Folge. Ein Askari, dessen Vater, der alte Effendi Plantan, schon zu den Zulu-Askari von Wißmann gehört hatte, war ein besonders zuverlässiger und intelligenter Mensch, den ich gern auf Patrouillen mitgenommen hatte. Von einem ganz überflüssigen Botengange ist er nicht zurückgekehrt und wahrscheinlich abgefangen worden. Es ist eine allgemeine Erscheinung, daß ein großer Teil der Kriegsverluste in Ostafrika überflüssig und durch Gedankenlosigkeit an den Haaren herbeigezogen war.
Allmählich schloß Abteilung Koehl auf das Gros auf. Dieses hatte die große Straße Alto-Moloque-Inagu an einer Europäerpflanzung mit reichen Truppenverpflegungsbeständen erreicht und von hier aus auf der feindlichen Fernsprechleitung mit Alto-Moloque, von wo zuerst ein Portugiese, dann aber Hauptmann Müller geantwortet hatte, Verbindung aufgenommen. Hauptmann Müller meldete, daß nur wenig Munition erbeutet worden wäre; diese sei vielmehr durch mehrere Trägerkarawanen noch gerade rechtzeitig in südwestlicher Richtung abtransportiert worden. Starke Patrouillen folgten sofort den Spuren derselben. Als das Gros am 16. Juni bei Alto-Moloque eintraf, fanden wir hier sehr schöne massive Europäerhäuser vor. Recht anmutig lagen sie auf einer kleinen Höhe und boten einen meilenweiten Umblick über die umgebenden Wälder auf die mächtigen und schroffen Felsengebirge in der Ferne. Tausende von Apfelsinenbäumen standen gerade in voller Reife und gaben der Station bei den Farbigen sofort den Namen „Boma ja machungwa“ (Apfelsinen-Boma).
Die zahlreichen Karten und Schriftstücke aller Art, die in der Station[S. 244] vorgefunden wurden, gaben uns ein leidlich anschauliches Bild über das in der Richtung auf Quelimane zu gelegene Gebiet. Wir konnten daraus ersehen, daß von Alto-Moloque über Ili eine Drahtlinie bis nach Quelimane führte. Am Einfluß des Lugella in den Likungofluß war der Sitz einer großen Gesellschaft, der Lugella-Gesellschaft. Dort befanden sich große Plantagen und Fabrikanlagen und lagerte viele Verpflegung. Überhaupt schien an diesem Sitz der Lugella-Gesellschaft ein Hauptreservoir an Verpflegung und Munition für größere Truppenmengen in Vorbereitung zu sein. Wollte man die Chancen, die eine solche Lage für uns bot, ausnutzen, so mußten die Unterführer sehr schnell handeln und durften durch keine allzu bindenden Vorschriften eingeschränkt werden. Das Bild, das ich mir machte, beruhte eben doch vielfach auf nicht erwiesenen Annahmen. Unsere verfolgenden Patrouillen mußten sich schnell und selbständig anpassen können, wenn das ursprünglich gemachte Bild sich nachträglich nicht bewahrheitete. Zeit durften sie nicht verlieren; sonst war es dem Feinde möglich, seine Bestände rechtzeitig abzutransportieren. Er wurde darin durch eine Eisenbahn, die nicht weit südlich des Sitzes der Lugella-Gesellschaft ihren Anfang hatte und von dort nach Süden, zum Namakurafluß führte, und durch die auf diesem Flusse verkehrenden Dampfer unterstützt.
Wie es so manchmal geht, haben unsere verfolgenden Patrouillen und Kompagnien gelegentlich etwas versagt. Es darf aber nicht vergessen werden, daß außer vielem anderen ein sehr gereiftes taktisches Urteil dazu gehört, um selbständig zu entscheiden, wann die sehr aufreibende, weitere Verfolgung des fliehenden Feindes mit allen Kräften noch weiter fortzusetzen oder wann sie abzubrechen ist. Um die Gunst der Lage aber doch nach Möglichkeit zu ergreifen, entsandte ich noch am Tage meines Eintreffens in Alto-Moloque die ganze Abteilung Müller, deren Gros bis dahin von mir festgehalten worden war, zur Verfolgung. Bei verschiedenen Patrouillen und kleinen Streifzügen wurden in der Gegend von Alto-Moloque vereinzelte portugiesische Askari aufgegriffen, die sich teilweise in den Dorfschaften der Gegend aus eigener Machtvollkommenheit als kleine Tyrannen niedergelassen hatten und uns von den Eingeborenen gemeldet wurden.
Die Gegend von Alto-Moloque erwies sich, wie erwartet, als sehr[S. 245] reich. Wir waren daher in der Lage, der Abteilung Müller einen größeren Vorsprung bei der Verfolgung des Feindes zu lassen. Eine der Patrouillen dieser Abteilung hatte bei Ili ein feindliches Magazin erbeutet; eine feindliche Trägerkolonne, die von einer, mehrere Tagemärsche östlich von Alto-Moloque stehenden, englisch-portugiesischen Abteilung entlassen worden war und ohne eine Ahnung von unserer Anwesenheit zu haben, den Ort Alt-Moloque passieren wollte, war unserem Intendanten sehr willkommen zum Abtransport der bei Ili erbeuteten Verpflegung. Dieser beabsichtigte Abtransport glückte bedauerlicherweise nur zum Teil, da bei Ili eine neue englische Abteilung eintraf, anscheinend von Inagu her, und unsere Patrouille vertrieb.
Der Weitermarsch unseres Gros auf Ili zu wurde durch größere feindliche Patrouillen belästigt, die sich von Norden her der Straße Alto-Moloque-Ili genähert hatten. Eine dieser Patrouillen wurde sofort energisch verfolgt und in ihrem Lager überfallen, aber ich gewann doch den Eindruck, daß sich stärkere Kräfte des Gegners von Norden, von Ili und Alto-Moloque her uns näherten. Ich hatte nicht die Absicht, mich aufzuhalten, sondern wollte im Gegenteil möglichst bald auf die Abteilung Müller, die sich auf dem Marsche nach Lugella befand, aufschließen. So marschierte ich südlich um Ili herum und nahm die portugiesische Station Nampepo in Besitz. Von den portugiesischen Gesellschaften sind in dieser Gegend in etwa Tagemarschentfernungen kleine, sauber gebaute Stationen errichtet worden, um die herum die Felder liegen, welche die Gesellschaft bewirtschaftet. Eine ganze Reihe dieser Stationen und der dazugehörigen Magazine waren während des Marsches in unsere Hände gefallen. Auch Nampepo war eine solche Niederlassung, nur größer als gewöhnlich, und in einem außerordentlich reichen Gebiet gelegen. Eine Spezialität des Lagers von Nampepo bildete die Jagd auf zahme Schweine. Diese liefen in großer Zahl verwildert im Pori umher, so daß wir hier außer Schweinebraten und Sülze auch eine prachtvolle Blutwurst zu essen bekamen. Ein deutscher Pflanzer aus der Gegend von Morogoro, Hauter, der während des Krieges viel Wurst nach Morogoro geliefert hatte, hatte sich in der Zubereitung derselben genügende Kenntnis verschafft, die uns hier zu statten kam. An Stelle des Rinderdarmes nahm er den Schweinemagen, und der Genuß dieses ungewohnten Leckerbissens war so groß,[S. 246] daß wir uns auch durch die in unserem Lager einschlagenden Geschosse nicht stören ließen.
Es näherte sich nämlich eine stärkere feindliche Kolonne von Norden her der Boma Nampepo, die Hauptmann Spangenberg mit unseren Vorposten besetzt hielt. Man konnte von der Höhe aus deutlich den Anmarsch einer großen feindlichen Kolonne bemerken. Da die Gelegenheit zu einem Angriffsgefecht für uns außerordentlich günstig war, so wurde der Feind in seinem Anmarsche nicht gestört. Er griff uns aber wider Erwarten nicht an. Die in einer Entfernung von etwa 1500 m aus dem Busch aufsteigenden Rauchsäulen verrieten uns, daß er dort Lager bezogen hatte. Patrouillen, die den Feind umgingen, näherten sich nachts dem Lager und schossen in dasselbe hinein. Die Abteilung Koehl war inzwischen aufgeschlossen, und ich marschierte mit dem Gros weiter, um der Abteilung Müller in der Richtung auf Lugella zu folgen. Hauptmann Spangenberg blieb mit der Nachhut am Feinde und folgte uns dann mit Tagemarsch-Abstand.
Der Abteilung des Hauptmanns Müller war es inzwischen gelungen, den Likungofluß bei der Einmündung des Lugella in einer Furt zu durchschreiten; es gelang ihr, ein portugiesisches Bataillon, das von Süden her zum Schutze heranrückte, ziemlich gründlich zu schlagen. Einige Maschinengewehre wurden erbeutet. Die großen Bestände der Lugella-Gesellschaft fielen in unsere Hand; es konnte reichlich Verpflegung und Kleidungsstoff ausgegeben werden; die zur Verteidigung eingerichteten Gebäude und etwa 300000 kg Verpflegung wurden verbrannt. Hauptmann Müller hielt danach seine Aufgabe, da ein weiteres, lohnendes Ziel nicht bekannt war, zunächst für erledigt, ging auf das östliche Likungoufer zurück und erwartete dort mein Eintreffen.
Ich befürchtete, daß die reiche Beute der letzten Wochen einzelne unserer Europäer verleiten würde, sich Sachen ungerechtfertigterweise anzueignen, und nahm Gelegenheit, auf das unrichtige einer solchen Handlungsweise hinzuweisen. Es wurde daran erinnert, daß Kriegsbeute dem Staate gehört und daß der einzelne ein Beutestück, welches er benötigte, anzumelden habe. Dieses wurde dann abgeschätzt und von dem Betreffenden bezahlt. Es war mir wichtig, die Moral der Truppe unbedingt sauber zu halten, um an das Ehrgefühl appellieren und Leistungen verlangen zu können.
[S. 247]
Munition war hier und da auch erbeutet worden, sogar ein kleines portugiesisches Geschütz war in unsere Hände gefallen, aber die erhoffte und angestrebte große Beute an Patronen hatte sich nicht gefunden. Es war mir überhaupt fraglich, ob in Alto-Moloque und Ili so große Bestände gewesen waren, ob es sich nicht vielmehr nur um Übertreibungen nach Eingeborenenart handelte. Es war nicht notwendig, daß dabei böser Wille der Leute vorlag; im Gegenteil, die Eingeborenen waren uns wohlgesinnt. — Einen der gefangenen portugiesischen Offiziere, der uns fortgelaufen war, brachten sie uns z. B. aus eigenem Antriebe wieder, einige deutsche schwarze Boys, die wohl geplündert hatten und von den Eingeborenen festgenommen und verhauen worden waren, brachten sie uns ebenfalls wieder an und entschuldigten sich damit, daß sie sie für Portugiesen gehalten hatten. — Wie schwer ist es schon für den Europäer, beispielsweise die Stärke einer marschierenden Abteilung zahlenmäßig zutreffend einzuschätzen! Der Eingeborene steht aber größeren Zahlen noch viel unsicherer gegenüber, und der von ihm gebrauchte Ausdruck „mingi“ (viel) oder „kama majani“ (wie das Gras) kann ebensogut 50 wie 5000 bedeuten.
Aber mögen nun die größeren Munitionsbestände gelagert haben, wo sie wollen, jedenfalls waren sie nicht in unsere Hand gefallen. Es galt, von neuem zu suchen. Daß sie irgendwo in dieser Gegend stecken mußten, darauf deuteten die gesamte Kriegslage sowie die von uns erbeuteten Schriftstücke hin. Es hatte viel Wahrscheinlichkeit, daß die vermuteten größeren Bestände weiter südlich lagerten, sei es, daß sie infolge unseres Anmarsches dorthin abtransportiert worden waren oder aber, daß sie sich schon früher dort befunden hatten. Es war wahrscheinlich, daß diese Vorräte sehr bald weiter zur Küste geschafft wurden und im Notfall von dort aufs Schiff gingen.
Stärkere Patrouillen hatten während unseres Marsches mehr als tagemarschweit die Gegend abgestreift und einige kleinere feindliche Verpflegungsmagazine, aber keine Waffen oder Munition erbeutet. Die[S. 248] Abteilung Müller, mit der wir uns am 27. Juni bei Mujeba vereinigt hatten, marschierte noch an dem gleichen Tage weiter nach Süden; die Eingeborenen erzählten nämlich von einer großen Boma Origa, die irgendwo weiter südlich in der Gegend der Küste liegen sollte und wo viel Munition aufgestapelt sei. Diese Boma sollte die Abteilung Müller aufsuchen. Die Nachrichten darüber waren, wie in allen solchen Fällen, sehr ungenau. Ich war mir klar, daß mit Sicherheit während des Marsches wieder andere und widersprechende Meldungen eingehen würden. Lange Zeit zur Prüfung der Nachrichten hatte man aber nicht. Man mußte darauf vertrauen, daß wenigstens etwas Wahres an ihnen sei. Dieser Lage entsprechend wurde dem Hauptmann Müller größte Freiheit des Handelns gelassen. Sollte sich auf seinem Wege irgendein lohnendes Objekt finden, so sollte er ohne Zeitverlust entscheiden, was zu tun zweckmäßig wäre. Ich würde mit dem nachfolgenden Gros unbedingt zu seiner Unterstützung eingreifen und mich auf jeden Fall mit der durch ihn geschaffenen Lage abfinden. Vor allem dürfte er besondere Befehle und Weisungen nicht abwarten. Ich war mir bewußt, daß hierdurch die Führung unserer Operationen in hohem Maße in die Hand eines Unterführers gelegt wurde; das war nur bei einem sehr guten, taktischen Urteil und großer Initiative dieses Unterführers möglich.
Unsere Vorhut hatte mit ihren drei schwachen Kompagnien gleichzeitig die Aufgabe einer sehr weit voraus zur Aufklärung entsandten Kavallerie und einer mit großer Entschlossenheit geführten Avantgarde zu erfüllen. Unter anderen Umständen hätte ich mich in dieser wichtigen Lage selbst bei der Vorhut aufgehalten und mir dadurch einen größeren Einfluß auf den Gang der Operationen gesichert. Die Erfahrung hatte mich aber gelehrt, daß meine Anwesenheit beim Gros wegen unserer weit auseinandergezogenen Marschkolonnen unerläßlich war, um Stockungen rasch zu beseitigen und bei einer unvorhergesehenen Änderung der allgemeinen Lage eingreifen zu können. Man darf nicht vergessen, daß unser ganzer Vormarsch nur auf Kombinationen beruhte und daß, wie es tatsächlich oft geschehen ist, durch unvermutet aus einer anderen Richtung erscheinende feindliche Abteilungen die Lage sich mit einem Schlage von Grund aus ändern und sofortige neue Anordnungen erforderlich machen konnte. Wir marschierten damals auf den schmalen Negerpfaden oder quer durch den dichten Busch in der[S. 249] Marschkolonne zu Einem. Bei einem Tagesmarsch von 30 km mußte bei der großen Länge unserer Marschkolonne der Anfang schon in der Dunkelheit, also um 5 Uhr morgens aufbrechen, wenn das Ende der Kolonne noch am gleichen Tage, wenn auch erst spät abends, kurz vor der Dunkelheit, den festgesetzten Lagerplatz erreichen sollte. Das war aber notwendig; denn es galt, noch Lagermaterial zu beschaffen, Holz zu hauen, Gras zu schneiden und nötigenfalls für die Kranken Schutzdächer zu bauen. Hieraus ergab sich, daß die gesamte Truppe nicht geschlossen marschieren konnte. Dazu war sie viel zu lang. Die die Vorhut bildende Abteilung Müller marschierte ein bis zwei Tagemärsche voraus; die Nachhut, Abteilung Spangenberg, folgte dem Gros gleichfalls mit etwa Tagemarsch-Abstand. Verbindung wurde durch stehengelassene Relais aufrecht erhalten.
In den Meldungen, die mir durch die Relais der Abteilung Müller übermittelt wurden, erschien nun häufiger der Name „Kokosani“; dort sollten nach den gemachten Angaben größere Depots des Feindes unter starken Bedeckungstruppen lagern. Wo aber lag dies Kokosani? Der Name war auf unseren Karten nirgends zu finden. Erst allmählich stellte sich heraus, daß Kokosani dasselbe war, wie der auf portugiesischen Karten als Namacurra bezeichnete Ort. Nach allen bisher eingelaufenen Nachrichten sowie nach der Lage auf der Karte zu urteilen, mußte Kokosani jedenfalls das lohnendste Objekt sein. Ob es aber möglich sein würde, dieses wahrscheinlich sehr stark befestigte Lager mit unseren verhältnismäßig beschränkten Streitmitteln zu nehmen, darüber fehlte uns jeder Anhaltspunkt, das konnte erst der Versuch klarstellen. Hauptmann Müller war selbständig nach Westen zu dorthin abgebogen. Auf dem Wege stellte sich heraus, daß eine Furt über den Likungofluß, von der die Eingeborenen gesprochen hatten, tatsächlich vorhanden war.
Ich marschierte mit dem Gros nun flott voran, um aufzuschließen und erteilte gleichen Befehl an die Nachhut unter Hauptmann Spangenberg. Am 1. Juli nachmittags war das Gros am Likungofluß angelangt und durchschritt ihn sofort. Das Wasser dieses gewaltigen, etwa 400 m breiten Stromes reichte an den tiefsten Stellen der Furt bis zum Halse. Der Übergang dauerte für den einzelnen etwa eine Stunde. Als die Truppe glücklich auf dem Westufer angekommen war, wurden[S. 250] dort Lager bezogen und am nächsten Morgen den Spuren der vorausmarschierenden Abteilung Müller weiter gefolgt.
Unterwegs begegneten uns etwa 30 Eingeborene. Sie hatten in Kokosani gearbeitet und erzählten uns, daß eine große Zahl Portugiesen und Askari dort lagerten und daß viele Kisten angekommen wären. Die Verständigung mit diesen Leuten, die nicht Kisuaheli konnten, geschah durch Dolmetscher. Mehrere unserer Askari beherrschten die Landessprache oder verwandte Dialekte. Bald kam uns eine wichtige Meldung von der Vorhut entgegen. Hauptmann Müller hatte am Tage vorher den Feind bei Kokosani durch eine Umgehung völlig überrascht. Es war gelungen, am hellen Tage von Norden her durch ein Sisalfeld (kniehohe Agaven) ohne jede Deckung auf die Gebäude der Faktorei losmarschierend in die portugiesischen Befestigungen einzudringen und in einem mehrstündigen, recht erbitterten Nahkampfe die 3 darin befindlichen portugiesischen Kompagnien mit schweren Verlusten für den Feind zu schlagen. Dabei wurden eine Anzahl Gewehre sowie 2 Feldgeschütze mit dazu gehöriger Munition erbeutet.
Ich selbst marschierte dem Anfang unseres Gros etwas voraus und traf vormittags auf weit ausgedehnte und übersichtliche Plantagenfelder. Dann folgte ich weiter einer Feldbahn, die auf der großen Straße mitten durch die Felder ging und nach kurzer Zeit ein Vollbahngleis kreuzte. Dieses führte, wie sich später herausstellen sollte, vom Namacurrafluß aus nach Norden bis in die Nähe von Lugella. Als Hauptmann Müller am Tage vorher an diesem Vollbahngleis eintraf, hielt er dort einen Eisenbahnzug an, der gerade von Lugella her ankam. Man kann sich die große beiderseitige Überraschung denken, als diesem Zuge einige portugiesische Unteroffiziere entstiegen, die Müller bei Lugella gefangen genommen und wieder laufen gelassen hatte.
Beim Eintreffen an den Faktoreigebäuden kam mir Hauptmann Müller ziemlich lahm entgegengehinkt. Er äußerte sein Erstaunen darüber, daß ich mit meiner Abteilung unbelästigt auf der großen Straße direkt nach Kokosani gekommen war und glaubte, daß irgendwo in der Nähe noch 2 englische Kompagnien stehen müßten. Er hatte den Aufenthalt derselben bisher noch nicht feststellen können, aber die vom Hauptmann Müller erbeuteten Schriftstücke wiesen unzweifelhaft auf ihre Anwesenheit in der Gegend hin. Weiter teilte mir Hauptmann Müller[S. 251] mit, daß größere Mengen von Infanteriepatronen bisher von ihm noch nicht gefunden worden seien. Alle waren noch beschäftigt, nach derartigen Beständen zu suchen. Bei näherer Überlegung schien es mir nun das Wahrscheinlichste zu sein, daß die gesuchten Munitionsbestände gar nicht in der Gegend der Faktorei, sondern unmittelbar an der Vollbahn lagern müßten, und zwar an deren südlichem Anfangspunkt. Dort war die Anlage eines größeren Magazines geboten; denn hier mußte der Umladeplatz vom Schiffstransport des Namacurraflusses auf die Bahn sein. Es war festzustellen, ob diese Überlegungen zutrafen. Ich ging sogleich zurück und stieß auf dem Gelände der Pflanzung auf den Anfang unseres Gros. Die vordersten Kompagnien waren wenig erfreut, daß sie Kehrt machen mußten, um dann der Vollbahn weiter nach Süden zu folgen. Wenig schmeichelhafte Worte über meine Anordnung waren nach dem langen anstrengenden Marsche verständlich. Zum Glück für mich habe ich sie nicht gehört.
In ziemlich schlechter Laune trafen die ersten Leute in der Nähe des Bahnhofs ein; sie glaubten ernstlich nicht an einen Zusammenstoß. Plötzlich war er aber doch da; mehrere Askari unserer Spitze fielen durch feindliche Kugeln getroffen auf ganz nahe Entfernung. Die übrigen, gefechtsbereiten Teile des nachfolgenden Gros wurden herangezogen. Bei meinem Eintreffen war die Lage im einzelnen wenig klar; der Feind war offenbar verschanzt, nähere Erkundungen waren erst im Gange. Es entwickelte sich zunächst ein hinhaltendes Feuergefecht. Es fing an zu regnen und war unangenehm kalt, so daß sich alles recht unbehaglich fühlte. Ich selbst begab mich zur Kompagnie des Oberleutnants von Ruckteschell, die den Wellblechgebäuden des Bahnhofes in etwa 70 m Entfernung gegenüber lag und von hohen Termitenhügeln aus auf den Feind ein wohlgezieltes Gewehr- und Maschinengewehrfeuer abgab, sobald sich etwas zeigte.
Meiner Meinung nach war die augenblickliche Lage für einen Sturm auf den Bahnhof nicht günstig. Wir waren gezwungen, durch den dichten Busch, der durch wirksamstes feindliches Feuer beherrscht wurde, gegen die Stellung des Gegners anzulaufen. Das bot aber kaum Aussicht auf Gelingen. Eine Menge Leute wären wahrscheinlich nicht mitgelaufen, und diejenigen, die an die feindlichen Befestigungen nahe herankamen, lagen wahrscheinlich fest und würden nicht weiter kommen.[S. 252] So war also nichts zu erreichen. Dagegen brachte mich meine Erkundung auf den Gedanken, daß auf die zum Teil sehr gut sichtbaren Ziele Artilleriefeuer, besonders von zwei Seiten, wirksam sein, die feindlichen Askari erschrecken und zum Umherlaufen veranlassen würde. Das würde ein günstiger Augenblick für wirksames Maschinengewehrfeuer sein. Aber der Tag war schon zu weit vorgeschritten und unsere Kanone entzwei, so daß heute nichts Entscheidendes mehr unternommen werden konnte. Die Masse der Truppe rückte daher wieder in das Lager, nur die aus 3 Kompagnien bestehende Abteilung des Hauptmanns Poppe blieb dicht am Feinde.
Am nächsten Tage, dem 3. Juli, wurde unsere Kanone mit vieler Mühe wieder in Ordnung gebracht. Glücklicherweise war sie von dem gleichen Modell wie die von Hauptmann Müller erbeuteten Geschütze, und so konnte durch Auswechslung der einzelnen brauchbaren Teile aus diesen drei Kanonen ein verwendungsbereites Geschütz hergestellt werden. So war Aussicht, die vorgestern erbeuteten 200 Schuß wirksam anzubringen. Am Nachmittag sollte das Geschütz auf wenige hundert Meter Entfernung das Feuer gegen den Bahnhof eröffnen. Ein anderes, kleineres Geschütz von 4 cm Kaliber war bereit, in der vordersten Infanterielinie, also auf etwa 100 m Entfernung, ein die Schußlinie des anderen Geschützes kreuzendes Feuer zu beginnen. Alle Maschinengewehre wurden bereit gehalten. Ich selbst war am Vormittag wieder in den Faktoreigebäuden zur Besprechung gewesen und hatte den dortigen Zivilpersonen sagen lassen, sie brauchten sich nicht weiter zu ängstigen, wenn nachmittags etwas geschossen würde. Die weißen Frauen und Kinder waren durch die Gefechte sehr beunruhigt und zum Teil in den Busch geflohen.
Reichlich müde hatte ich mich zum Lager begeben, als der Gefechtslärm am Bahnhof plötzlich aufhörte. Telephonisch wurde gemeldet, daß vorn am Bahnhof ein größeres Geschrei und Hurrarufen zu vernehmen sei. Nach und nach stellte sich nun Folgendes heraus: Der Feind war durch das wohlgezielte, konzentrische Feuer, das seit dem 2. Juli nachmittags auf ihn abgegeben wurde, anscheinend etwas mitgenommen. Jetzt schlugen auf einmal aus zwei Richtungen die Artilleriegeschosse bei ihm ein, und sobald er sich nur rührte, erhielt er Maschinengewehrfeuer. Seine jungen Truppen hielten das nicht aus und wurden unruhig.[S. 253] Unsere Kompagnien erkannten diesen schwachen Augenblick und nutzten ihn in vortrefflicher Initiative in der gleichen Sekunde aus. Sie gingen sofort mit lauten Hurra darauf los und waren im nächsten Moment in der feindlichen Stellung. Der Gegner fing an, fortzulaufen; die Engländer behaupteten, sie wären hierbei durch die Portugiesen angesteckt worden. Jedenfalls liefen sie weg, und unsere Kompagnien drängten sofort aufs schärfste hinterher. Da kam der fliehende Feind an den Namacurrafluß, der dicht hinter seiner Stellung entlang strömte, zog rasch seine Stiefel aus und stürzte sich ins Wasser. Hierbei ertrank der Hauptteil der feindlichen Truppen, dabei auch ihr Führer, der Major Gore-Brown.
In der Zeit vom 1. bis 3. Juli waren beim Feinde 5 Europäer und 100 Askari gefallen, 4 Europäer und etwa 100 Askari ertrunken, 421 Askari gefangen genommen worden. Von den außerdem gefangenen Europäern, 5 Engländer und 117 Portugiesen, wurden 55 Portugiesen abgeschoben, 46 Portugiesen krank und verwundet im Lazarett Kokosani zurückgelassen. Wir hatten 8 Askari und 1 Maschinengewehrträger gefallen verloren, 3 Europäer, 11 Askari und 2 Maschinengewehrträger waren verwundet. Wie groß die Mengen an Munition und Verpflegung waren, die wir am Bahnhof erbeuteten, ließ sich im ersten Augenblick nicht annähernd übersehen. 7 schwere, 3 leichte Maschinengewehre und 2 Geschütze fielen in unsere Hand; die letzteren beiden waren unbrauchbar gemacht worden.
Immer neue Lasten erbeuteter Munition trafen in unserem Lager ein. Der Intendant, Leutnant z. S. a. D. Besch, war verzweifelt, weil er nicht wußte, woher er die Träger zum Transport dieser Mengen beschaffen sollte. Dazu kamen über 300000 kg Verpflegung und die Bestände der Zuckerfabrik Kokosani. Aus der Beute konnte jeder unserer Farbigen so viel an Kleiderstoffen erhalten, wie er haben wollte, und mein Boy Serubili sagte zu mir: Dies wäre doch eine ganz andere Sache als bei Tanga; jedermann bekomme hier ja so viel Zucker, wie er sich wünsche. Tatsächlich war der ganze Lagerplatz mit Zucker besät; jeder der Schwarzen wurde so reichlich mit Verpflegung aller Art und Kleidung versehen, daß die Leute wie auf Kommando aufhörten, zu stehlen, und das will immerhin bei den Schwarzen etwas besagen. Auch viele Europäerverpflegung und Konserven wurden erbeutet. Jeder[S. 254] unserer Europäer konnte auf Monate hinaus versehen werden. Leider war es uns nicht möglich, die große Beute an vorgefundenen guten Weinen vollzählig mitzuführen. Nachdem eine hinreichende Menge davon als Stärkungsmittel für die Kranken ausgesondert war, mußte der Rest in der Hauptsache an Ort und Stelle ausgetrunken werden. Die hierdurch hervorgerufene sehr große Fidelitas wurde gern in Kauf genommen und jedermann nach so langen Entbehrungen ein einmaliges Sich-gehen-lassen von Herzen gegönnt. Auch ein guter Schnaps stand in einer großen Menge von Fässern in der Fabrik von Kokosani für die englischen Truppen bereit. Trotz besten Willens war es aber nicht möglich, auch diesen ganz auszutrinken, und so mußte eine große Menge in den Namacurrafluß gegossen werden.
Aber immer neue Trägerkarawanen mit Beute trafen ein, und immer größer wurde die Verzweiflung des Intendanten. Sie erreichte ihren Höhepunkt, als vom Bahnhof her telephoniert wurde, daß soeben ein Flußdampfer angekommen sei. Ohne Ahnung von den Vorgängen bei Namacurra entstieg ihm ein englischer Stabsarzt, und eine nähere Untersuchung des Bootes ergab das Vorhandensein eines größeren Patronentransportes von über 300 Lasten.
Wir hatten insgesamt etwa 350 moderne englische und portugiesische Gewehre erbeutet, ein willkommener Zuwachs, um unsere Bewaffnung wieder einmal den Verhältnissen anzupassen. Gewehre Modell 71 wurden fast ganz ausgeschaltet und die überzählig werdende Munition 71 durch Abhalten von Gefechtsschießen nutzbar verwandt.
Nach den aufgefundenen militärischen Anweisungen des Feindes mußte ich damit rechnen, daß uns von Quelimane her in kurzer Zeit stärkere feindliche Kräfte entgegenkommen würden. Das Gelände zwischen Namacurra- und Zambesifluß wies aber eine große Zahl von Flußbarrieren auf, so daß ein Weitermarsch auf den Zambesi zu für uns mit großen Schwierigkeiten verknüpft gewesen sein und uns in unserer Bewegungsfreiheit außerordentlich behindert haben würde. Das südlich[S. 255] und südwestlich von unserem jetzigen Aufenthaltsort gelegene Gelände war also für unsere Kriegsführung ungünstig. Spätestens am Zambesi würden wir festsitzen, ohne in der Lage zu sein, den Übergang über diesen gewaltigen Strom zu bewerkstelligen, der von feindlichen Kanonenbooten beherrscht wurde.
Zweckmäßiger erschien es mir, die bisherige Marschrichtung aufzugeben. Aber bei dem gänzlichen Mangel an Meldungen war es schwer zu sagen, wohin ich mich wenden sollte. Nur soviel schien deutlich zu sein, daß uns der Feind nicht unmittelbar gefolgt war, wenigstens waren unsere Nachhut und die von ihr auf dem Marsche zurückgelassenen Patrouillen in keiner Weise vom Gegner bedrängt worden. Es war wahrscheinlich, daß feindliche Truppen, falls sie uns überhaupt gefolgt waren, gleichlaufend zu unserem Wege zu einer überholenden Verfolgung angesetzt waren. Traf diese Überlegung zu — und sie schien mir durch einige Eingeborenennachrichten bestätigt zu werden — so war anzunehmen, daß der Feind über unsere Lage bei Namacurra ungenügend unterrichtet war und daß auch die aus unserer Gefangenschaft entlassenen portugiesischen Soldaten ihm kein zutreffendes Bild geben konnten.
Es war dafür gesorgt worden, daß diese Leute glauben mußten, wir wollten uns bei Namacurra verschanzen und zäh verteidigen, hätten fernerhin Absichten auf Quelimane. Das unerwartete Mißgeschick von Namacurra mußte die Schritte des verfolgenden Feindes beflügeln. Wahrscheinlich würden seine Kolonnen auf der Verfolgung seitlich an uns vorbei über das Ziel hinausschießen, um so mehr, als sie in Sorge um den so wichtigen Hafen von Quelimane sein mußten. So kam ich auf den Gedanken, bei Namacurra abzuwarten, bis die verfolgenden feindlichen Kolonnen wirklich in Eilmärschen an mir vorbei waren, und mich dann wieder zurück nach Nordosten zu wenden. Im großen und ganzen schwebte mir hierbei der Gedanke vor, daß der Feind durch diese Marschrichtung, die etwa auf Mozambique und damit auf einen Hauptetappenort führte, in Sorge geraten und sofort wieder Kehrt machen würde, sobald er es bemerkte, um die Gegend von Mozambique mit ihren zahlreichen Magazinen zu schützen. Tat er es aber nicht, so hatten wir bei Mozambique freie Hand. Wie sich die Lage auch gestalten würde, dem Feinde wurden auf diese Weise ganz gewaltige[S. 256] und seine Kräfte erschöpfende Marschleistungen zugeschoben, während wir Zeit gewannen, unsere Kräfte schonen und Verwundete und Kranke wiederherstellen konnten.
Der günstige Augenblick zum Beginn unseres Abmarsches in nordöstlicher Richtung war schwer zu bestimmen; wir mußten etwas auf das Kriegsglück bauen. Sollte ich etwa zu früh abmarschieren und noch auf eine der feindlichen Kolonnen stoßen, so war immerhin Aussicht, sie vereinzelt zu schlagen. Zunächst aber galt es, wieder sicher über den Likungofluß zu kommen. Die vorhandenen Nachrichten über die Furten waren sehr unsicher. Um nicht dieselbe Furt wie beim Hermarsch zu benutzen, marschierte ich mit dem Gros der Truppe am 4. Juli abends nach einem weiter südlich gelegenen Übergange ab. Leutnant d. Res. Ott stellte aber bei einer von ihm unternommenen Erkundung fest, daß sich an der angegebenen Stelle überhaupt keine Furt befand. Dagegen war aus Eingeborenenaussagen sowie den aufgefundenen Spuren zu entnehmen, daß am gleichen Tage eine englische Patrouille sich in dieser Gegend aufgehalten hatte. Die Lage konnte unangenehm werden. Um keine Zeit durch Erkundungen zu verlieren, rückte ich längs des Westufers des Likungoflusses zu unserer alten Furt. Leider hatte ich von dieser die bisherigen Sicherungen fortgezogen und wußte nicht, ob sie frei war. Ich war deshalb recht froh, als am 5. Juli die Durchkreuzung des Flusses ohne weitere Störung glücklich vor sich gegangen war. Die Abteilung Koehl war noch bei Namacurra geblieben und folgte als Nachhut.
Als wir nun wieder in der Kolonne „zu Einem“ quer durch den Busch marschierten, war die große Länge der Marschkolonne lästig und für den Fall eines Zusammentreffens mit dem Feinde bedenklich und gefährlich. Wir suchten deshalb die Marschkolonne zu verkürzen und kamen darauf, in zwei, später in noch mehr Parallelkolonnen durch das Pori zu marschieren. Diese Anordnung hatte zwar den Nachteil, daß, statt früher einer, jetzt mehrere Kolonnenanfänge erst einen Weg durch den Busch treten und Dickungen frei schlagen mußten. Aber die Vorteile der Marschverkürzung überwogen diesen Nachteil.
Die Meldungen unserer Patrouillen und die von Eingeborenen erhaltenen Nachrichten zeigten, daß der Marsch der feindlichen Kolonnen in südwestlicher Richtung doch nicht so weit vorgeschritten war, wie ich[S. 257] vermutet hatte. Sowohl zwischen dem unteren Monigafluß und dem unteren Likungofluß als auch bei Mujeba wurden feindliche Truppen gemeldet, bei einigen die südwestliche Marschrichtung festgestellt. So kam die merkwürdige Lage zustande, daß die feindlichen Truppen in mehreren Kolonnen in südwestlicher Richtung marschierten, während wir zwischen diesen Kolonnen hindurch in entgegengesetzter Richtung, nach Nordosten, gingen. Diese Tatsache konnte dem Feinde nicht lange verborgen bleiben, um so weniger, als es bald zu Patrouillenzusammenstößen kam und feindliche Truppen, die auf der Telephonstraße von Mulevalla nach Mucubella zu marschierten, unsere Marschspuren kreuzten. Wir zogen weiter, auf Ociva zu, warfen westlich dieses Ortes eine schwache portugiesische Abteilung zurück und besetzten Ociva selbst am 14. Juli 1918. Leider fanden sich in dieser Station nicht die erwarteten reichen Bestände an Verpflegung und Munition vor; augenscheinlich waren durch die zahlreichen feindlichen Truppen die Verpflegungsgebiete der Gegend sehr ausfouragiert worden, oder man hatte die ursprünglich hier vorhanden gewesenen Bestände schon fortgeschafft. Einer nach Muatama entsandten Kampfpatrouille unter Vizefeldwebel Hüttich gelang es, dort eine kleinere feindliche, aus Engländern und Portugiesen gemischte Abteilung zu überraschen; da es leider unmöglich war, die in dieser Station vorhandenen Bestände abzutransportieren, mußten die Magazine verbrannt werden.
Inzwischen rissen die Verhandlungen mit den Eingeborenen darüber, wo Verpflegung zu finden sei, nicht ab; die Ergebnisse weiterer Patrouillen, die auf Murua zur Aufklärung über die Verpflegung entsandt waren, konnten nicht abgewartet werden. Verschiedene Patrouillengefechte zeigten uns, daß der Feind über die veränderte Kriegslage mittlerweile Klarheit erlangt und dementsprechend seine Kolonnen hatte Kehrt machen lassen. Der Verpflegungsmangel zwang uns zum Weitermarsch, und der Angriff einer gemischten portugiesisch-englischen Kolonne bei Ociva gegen unsere Nachhut unter Hauptmann Koehl konnte nicht zu einem vollen Erfolge ausgebaut werden, da sich unser Gros bereits auf dem Weitermarsche befand. So hielten wir uns einige Tage in der leidlich reichen Landschaft zwischen den Ortschaften Ociva und Murua auf. Beutepapiere zeigten uns, daß eine englische Patrouille unseren Weg genau verfolgt hatte.
[S. 258]
Es war interessant zu beobachten, daß die gefangenen Engländer, die wir mit uns führten, die Beschwerden der großen Märsche, der zahlreichen Flußübergänge und die vielerlei Unbequemlichkeiten bezüglich der Verpflegung und Unterbringung im allgemeinen als selbstverständlich hinnahmen; sie sahen ein, daß wir Deutschen ja genau die gleichen Strapazen zu ertragen hatten, außerdem aber noch eine Menge Patrouillengänge, Gefechte, die Verpflegungsbeschaffung und den Wachtdienst zu leisten hatten, also viel mehr belastet waren als sie selbst. Sie ertrugen alles mit einem gewissen Humor, und es war ihnen augenscheinlich interessant, den Krieg auch einmal vom Standpunkt der „Germans“ aus kennen zu lernen. Völlig anders die portugiesischen Offiziere. Sie waren freilich in keiner beneidenswerten Lage; zum großen Teil waren sie syphilitisch und wurden von den englischen Gefangenen streng gemieden. Sie waren auch wirklich keine Feldsoldaten. Sie hatten aus der Beute von Namacurra ihren reichlichen Anteil zugewiesen erhalten, aber nicht gelernt, sich damit einzurichten. Das wertvolle Öl hatten sie sofort mit Reis zusammen verbraucht, und es war zuviel verlangt, daß die Deutschen ihnen jetzt mit ihren eigenen, knapp bemessenen Portionen aushelfen sollten. Das Laufen wurde ihnen auch unbequem, ihre Stiefel waren zerrissen, — kurz, ihr Sprecher, der bei Namacurra gefangene Generalstabsoffizier, beklagte sich dauernd bei mir über Unbequemlichkeiten, die ich beim besten Willen nicht ändern konnte. Er kam dann immer wieder darauf zurück, freigelassen zu werden. Ich hätte ihm das an und für sich auch gern zugestanden, wenn er die Verpflichtung eingegangen wäre, nicht weiter gegen uns zu fechten; das aber wollte er nicht. Von mir konnte aber nicht verlangt werden, die Leute ohne irgendeine Gegenleistung laufen zu lassen und sie in den Stand zu setzen, sofort von neuem auf uns zu schießen.
Die Verpflegungsrücksichten trieben uns weiter. Nachdem sich die auf die Gegend von Ociva gesetzten Erwartungen bezüglich der Verpflegung nicht erfüllt hatten, faßte ich den Plan, das Gebiet östlich des Ligonjaflusses zu erreichen, welches auf der Karte als dicht bevölkert und gut angebaut bezeichnet war. Auf dem Wege in diese Gegend nahm die Vorhut unter Hauptmann Müller rasch die Boma Tipa, wo mehrtägige Verpflegungsbestände, besonders an Erdnüssen,[S. 259] gelagert waren, die so in unsere Hand fielen. Die schwache portugiesische Besatzung leistete nur geringen Widerstand und floh sofort; der Postenführer, ein portugiesischer Serganto, wurde als einziger gefangen genommen.
In der schnellen und geordneten Verteilung der Beute hatten wir eine große Fertigkeit erlangt; das Gros erlitt kaum eine Marschverzögerung, und ich sehe noch das schmunzelnde Gesicht eines der gefangenen Engländer vor mir, die ganz und gar vergessen zu haben schienen, daß die Portugiesen ja eigentlich ihre Verbündeten seien. Offensichtlich hatten sie ihren Spaß daran, wie den Portugiesen von uns eine ihrer Stationen nach der anderen mit ihren Lebensmittelvorräten ohne viel Umstände fortgenommen wurde. Die erbeuteten Papiere des Feindes gaben uns wiederum wertvolle Aufklärungen. Zwei Tage von Tipa entfernt lag eine andere Boma, namens Namirrue, wo außer der portugiesischen Besatzung auch eine englische Kompagnie zur Verstärkung eingetroffen war. Anscheinend lagerten an diesem Ort also bedeutende Verpflegungsbestände. Wenigstens waren nach unseren Informationen Verpflegungskolonnen angesetzt, um sich bei Namirrue aufzufüllen. Die englischen Truppen, die sich dort befanden, gehörten wahrscheinlich zu einem neu auftretenden Gegner, der aus der Richtung von Mozambique her angekommen war. Unser bisheriger Feind, der jetzt in der allgemeinen Marschrichtung Südwest-Nordost anzunehmen war, konnte unmöglich einen solchen Vorsprung vor uns gewonnen haben. So marschierte die Vorhut sogleich mit unserem Geschütz weiter nach Namirrue (das kleinere Geschütz war bei Namacurra unbrauchbar gemacht und zurückgelassen worden, nachdem seine paar Schuß verschossen waren). Hauptmann Müller mußte zusehen, was bei Namirrue zu machen war und dementsprechend selbständig handeln. Das Gros der Truppe verblieb zunächst bei Tipa, auf dem Ostufer des Moloqueflusses. Es sollte Verpflegung beschaffen und den von Südwesten her nachdrängenden Feind so lange hinhalten, daß Hauptmann Müller bei Namirrue genügend Zeit hatte. Es dauerte nicht lange, so erschienen kleine feindliche Streifabteilungen bei Tipa, am Westufer des Ligonjeflusses, der dort kein nennenswertes Hindernis bildet. Es kam zu einer ganzen Reihe unbedeutender Patrouillenzusammenstöße, auch auf dem Ostufer des Flusses. Die Nachhut unter Hauptmann[S. 260] Koehl lieferte eine große Zahl hinhaltender Gefechte in den zum großen Teil vorher längs der Straße Tipa-Namirrue erkundeten Stellungen. Da ich mir noch nicht klar darüber war, ob das Gros die beste Gelegenheit zum Eingreifen bei der Abteilung Koehl oder bei Namirrue finden würde, so folgte ich mit ihm der Abteilung Müller zunächst nur langsam. Da traf von Hauptmann Müller die Nachricht ein, daß sich eine feindliche Abteilung von etwa Kompagniestärke auf dem Felsenberge bei Namirrue verschanzt habe, und daß er ihr auch mit seinem Geschütz nicht recht beikommen könne. Dagegen sei es sehr wahrscheinlich, daß zur Unterstützung dieses Feindes englische Truppen aus nördlicher oder nordwestlicher Richtung heranrücken würden. Die Gelegenheit für uns sei günstig, diese dann in freiem Felde zu schlagen. So marschierte ich denn mit dem Gros auf Namirrue ab und überschritt am 22. Juli den Namirruefluß etwa 4 km oberhalb des von dem Feinde besetzten Felsenberges. Am Ostufer des Flusses wurden Lager bezogen, und es kam sogleich zu einigen Patrouillenzusammenstößen. Ich selbst ging mit Leutnant Besch in einem Bogen um den Felsenberg herum zum Hauptmann Müller, der dicht südöstlich desselben lagerte. Die feindliche Stellung war durch Patrouillen und Maschinengewehre umstellt worden. Oben auf dem Berge konnte man einzelne Pferde erblicken, ab und zu auch Leute. Zeigte sich ein günstiges Ziel beim Feinde, so erhielt es Feuer, um den Gegner daran zu hindern, Leute vom Berge herunter zum Wasserschöpfen zu schicken. Es schien aber, als ob der Feind aus einem uns unbekannt gebliebenen Wasser seinen Bedarf zu entnehmen imstande war.
Nach einer Tasse Kaffee bei Hauptmann Müller begaben wir uns weiter um den Berg herum und begegneten dem Leutnant d. Res. Kempner und anderen Patrouillen, die eifrig erkundeten. Wir mußten uns der Deckung wegen teilweise durch den dichten Busch hindurcharbeiten, gerieten dabei aber in zahlreiche Juckbohnen; die Berührung mit dieser Pflanze verursacht ein geradezu unerträgliches Hautkratzen. Wir befanden uns gerade in der Mitte eines solchen Dickichtes, als vom Lager unseres Gros her lebhaftes Feuer ertönte. Gleichzeitig gab der Feind auf dem Felsenberge Salven ab, offenbar als ein Signal für seine Freunde. Ich hatte sofort die Überzeugung, daß hier eine nicht allzustarke feindliche Abteilung heranrückte, ohne Kenntnis vom Eintreffen unseres[S. 261] Gros zu haben. Es regte sich sofort in mir der Wunsch, diese seltene Chance sogleich mit allen Kräften auszunutzen. Eiligst suchte ich zum Gros zu laufen, kam in dem hindernden Dickicht aber nur langsam vorwärts, und dazu juckte es zum wahnsinnig werden. Schließlich langten wir im Lager noch eben vor Einbruch der Dunkelheit an. Mein Vertreter, Major Kraut, hatte zunächst schwache Teile eingesetzt. Bei dem hellen Mondschein durfte ich hoffen, auch die hereinbrechende Nacht zu einem erfolgreichen Kampf ausnutzen zu können. Alle vorhandenen Kräfte mit Ausnahme einer im Lager als Deckung zurückbleibenden Kompagnie wurden sofort entwickelt. Auf dem rechten Flügel machte Hauptmann Goering, der zu einer Umfassung angesetzt war, eine vollständige Umgehung bis in den Rücken des Feindes. Da hörte er Hundegebell, ging darauf los und fand den englischen Führer Colonel Dickinson mit seinem Adjutanten und Sanitätsoffizier am Telephon in einer Schlucht und nahm sie gefangen. Hauptmann Goering griff nun sogleich weiter an, und die in der Front und auf dem linken Flügel eingesetzten Abteilungen der Hauptleute Spangenberg und Poppe griffen ebenfalls fest zu. In kürzester Zeit wurde der aus einem Bataillon bestehende Feind über den Haufen geworfen und in wilder Flucht zurückgejagt. Alle Abteilungen drängten scharf nach, aber bei der herrschenden Dunkelheit und in dem dichten Busch ging die Fühlung mit dem Feinde verloren, von dem man nicht wußte, woher er eigentlich gekommen war.
Erst später wurde klar, daß die feindlichen Truppen parallel mit uns marschierend, den Namirruefluß gleichzeitig mit uns etwas oberhalb passiert hatten. Bei der durch die dauernden Bewegungen der Truppenkörper von Tag zu Tag wechselnden Lage, bei der Unübersichtlichkeit des Buschgeländes und der großen Anzahl seiner marschierenden Kolonnen war es dem Feinde trotz der andauernden Arbeit seiner Funkenstationen eben einfach nicht möglich, sich ein klares Bild von der Gesamtlage zu machen und seinen Unterführern dauernd über alle Veränderungen rechtzeitig Nachrichten zukommen zu lassen. So war hier eine Kolonne vereinzelt und noch nicht einmal mit allen ihren Kräften auf uns geplatzt; sie hatte nur mit einem Bataillon den Fluß überschritten. Dieses war in einer exponierten und recht gefährlichen Lage durch unser Gros übel zugerichtet worden.
[S. 262]
Eine zur weiteren Verfolgung des fliehenden Feindes angesetzte Kompagnie kehrte am nächsten Tage ergebnislos zurück; auch hier, nach dem so günstig verlaufenen Gefecht, waren Unterführer und Truppe nur schwer dazu zu bewegen, wirklich rücksichtslos und mit Einsatz aller Kräfte hinterher zu hauen, um den errungenen Erfolg auch ganz auszunutzen. Oberleutnant von Schroetter, der dann mit seiner Kompagnie die Verfolgung mehrere Tage lang doch noch so aufnahm, wie es die Lage wirklich gebot, konnte außer einigen Patrouillenplänkeleien nichts mehr ausrichten. Der Feind hatte in der Zwischenzeit einen zu großen Vorsprung gewonnen. Nur die sehr schleunige Flucht des Gegners wurde bestätigt.
Mit den Hauptkräften der Truppe blieb ich halten; die Ausnutzung des Erfolges lag weniger in der Verfolgung des geschlagenen Feindes als vielmehr in den Chancen, welche die Lage des anderen, von uns auf dem Felsberge eingeschlossenen Gegners bot, nachdem die ihm zugedachte Hilfe fürs erste unwirksam gemacht worden war.
Zum ersten Male in diesem Kriege hatten wir einen Minenwerfer mit Munition erbeutet. Die verschiedenen Teile desselben wurden nach und nach auf dem Gefechtsfelde gesammelt und die 17 vorhandenen Schuß verwendungsbereit gemacht. Schießversuche mit nicht scharfen Minen waren befriedigend verlaufen und für den Nachmittag um 4 Uhr konnte die Beschießung des auf dem Felsberg eingenisteten Feindes angesetzt werden. Mit der Führung gegen diesen wurde Hauptmann Müller beauftragt, dessen Abteilung am Tage vorher nicht im Gefecht gewesen war und von diesem nicht einmal etwas gemerkt hatte. Dazu kam die im Lager zurückgebliebene Kompagnie des Oberleutnants von Ruckteschell. Der Minenwerfer wurde auf der einen Seite, unser Geschütz auf der anderen Seite des Berges in Stellung gebracht; unsere Maschinengewehre befanden sich rings um den Berg herum in Bereitschaft zum Eingreifen. Um ¾-4 Uhr empfahl sich Oberleutnant von Ruckteschell von dem gefangenen englischen Oberst Dickinson, der ihm zur Bewirtung zugeteilt worden war, und sagte ihm, daß er nach einer Stunde zurück zu sein gedenke. Um 4 Uhr schlug der erste Schuß unseres Minenwerfers mitten in der feindlichen Stellung ein. Der Führer des Gegners überlegte gerade, ob er nicht in der nächsten Nacht ausbrechen sollte. Im Augenblick wurde der Berg lebendig, und überall zeigten sich[S. 263] die Leute, die die Hänge herunter und wieder hinauf liefen. Sie wurden unter Maschinengewehr- und Geschützfeuer genommen. Sehr bald zeigte der Feind die weiße Flagge, schoß aber weiter.
Oberleutnant von Ruckteschell kam, wie er gesagt hatte, nach einer Stunde zu seinem Gast zurück, leider aber mit zerschossenem Bein. Seine Ordonnanz, die ihn bei seiner Verwundung aus dem Gefecht tragen wollte, war unter ihm gefallen. Hauptmann Müller hatte inzwischen von der anderen Seite den Berg erstiegen und das Lager im Sturm genommen. Es war von einem Zuge berittener Infanterie des Goldküsten-Regimentes und einer halben Kompagnie zu Fuß besetzt gewesen, von denen fast niemand entkam. Auch die Pferde waren fast ausnahmslos gefallen. Auf unserer Seite war der tapfere Leutnant d. Res. Selke kurz vor Einbruch in die feindliche Stellung einer Kugel des Gegners erlegen. Er wurde auf dem Gefechtsfelde bestattet. Die Beute an Material war nur gering, aber die beiden Gefechtstage hatten dem Feinde eine gehörige Einbuße an Personal gebracht. Seine Abteilungen, die an Kopfzahl kaum geringer waren als die auf unserer Seite am Kampf beteiligten Abteilungen, wurden buchstäblich zertrümmert. Hier, wie früher bei Namacurra, stellte es sich heraus, daß die Engländer Schwarze aus Deutsch-Ostafrika, vielfach auch alte deutsche Askari, zwangsweise in ihre fechtende Truppe eingestellt hatten.
Unsere gründliche Arbeit bei Namirrue war dadurch erreicht worden, daß die schwache, nur 3 Kompagnien starke Abteilung Koehl Störungen fernhielt. Abteilung Koehl ging von Tipa aus nur ganz schrittweise aus Namirrue zurück und hatte täglich Nachhutgefechte zu bestehen gegen den mit äußerster Anstrengung nachdrängenden Feind. Jetzt war sie bis auf einen halben Tagemarsch an Namirrue herangerückt, und ich zog sie auch auf das Ostufer des Namirrueflusses. Ausgeschickte Patrouillen hatten inzwischen aus den Eingeborenen soviel herausbekommen, daß bei Pekera ein feindliches Magazin mit einer Besatzung sei. Diese Nachricht erschien mir recht wahrscheinlich, weil Pekera bereits in dem als volkreich und sehr fruchtbar bezeichneten Gebiete östlich des Ligonjaflusses liegt. Unsere Berechnungen bestätigten sich, als wir nach 2 Tagemärschen bei Pekera anlangten. Der dort stationierte berittene Zug des Goldküstenregiments wurde gleichfalls aufgerieben, mehrere Motorfahrer abgefangen. In gleicher Weise setzten wir uns schnell in[S. 264] den Besitz der Boma Chalau und einer Reihe anderer Stationen, wo die Portugiesen reiche Vorräte, besonders sehr viel Erdnüsse, aufgestapelt hatten. Unsere Patrouillen streiften bis Angoche, und wir waren in kürzester Zeit Herren des weiten und außerordentlich reichen Gebietes. Ein Teil der gefangenen portugiesischen Offiziere entwich eines Nachts und gelangte glücklich zu den feindlichen Truppen in Angoche zurück. Anscheinend hatten sich unter den Herren einige befunden, die die Gegend aus ihrer Friedenstätigkeit gut kannten.
Die nun folgende Zeit der Ruhe während des Aufenthaltes in der Gegend von Chalau ermöglichte die Wiederherstellung unserer Kranken und Verwundeten, die durch die langen Transporte sehr mitgenommen waren; auch den Gesunden tat einige Schonung wohl. Alle hatten unter den unausgesetzten Märschen und Anstrengungen der letzten Zeit doch etwas gelitten. Es war bemerkenswert, wie die Erfolge der letzten Zeit unter den Trägern, die ja meist ein sehr gutes und zuverlässiges Personal darstellten, kriegerischen Geist hervorriefen. Eine Menge derselben meldete sich zum Eintritt als Askari. Auch mein alter Koch hatte nicht übel Lust, zur Waffe zu greifen.
Am 5. August fing die Verpflegung an knapper zu werden, und es gab in der Hauptsache als Nahrung nur noch bitteren Muhogo. Verschiedene feindliche Patrouillen, die sich aus nordöstlicher Richtung her näherten, zeigten mir an, daß die aus Südwesten folgenden feindlichen Kolonnen uns während unserer Ruhepause tatsächlich überholt hatten und sich nunmehr zu einem Angriff auf uns bei Wamaka, einem nordöstlich unseres Lagers belegenen Ort, zu sammeln im Begriff waren.
Um den Feind in seinem Irrtum über unser Ziel zu bestärken, marschierte ich am 7. August auf der Straße nach Wamaka vor und bezog drei Stunden nordöstlich von Chalau, in einem guten Verpflegungsgebiet, Lager. Einige feindliche Patrouillen wurden vertrieben. Von Wamaka her erschien ein feindlicher Parlamentäroffizier, der mitteilte, daß der englische Befehlshaber geneigt sei, auf einen Austausch[S. 265] des gefangenen ärztlichen Personals einzugehen. Er bat mich ferner, Ort und Zeit zu bestimmen, wo für die englischen Kriegsgefangenen Ausrüstung an uns abgegeben werden könnte. Diese sehr durchsichtigen Vorschläge bewiesen mir, daß der Feind etwas Ernsthaftes, und zwar von Norden her, vorhatte und bestrebt war, sich die Arbeit dadurch zu erleichtern, daß er mich in eine Falle lockte. Verschiedene feindliche Spione wurden gefangen genommen und bestätigten meine Vermutungen. Ihre Aussage, daß der Feind beabsichtigte, uns in drei Kolonnen anzugreifen, entsprach der üblichen Anlage solcher Unternehmungen.
Als mehrere Patrouillen- und Vorpostengefechte am 10. und 11. August mir anzeigten, daß eine stärkere feindliche Kolonne auf der Straße Wamaka-Chalau im Vormarsch war, nahm ich an, daß mindestens noch eine andere Kolonne parallel zu dieser weiter südlich marschierte: ihr Ziel war voraussichtlich Chalau. Ich beschloß, diese südliche feindliche Kolonne vereinzelt zu fassen. Die Aussicht zum Gelingen meines Planes war allerdings nicht groß, da der Feind häufig unter Vermeidung der Wege durch den Busch marschierte. In Voraussicht einer solchen Entwicklung der Lage hatte ich einen Weg erkunden und bezeichnen lassen. Trotzdem dauerte unser Abmarsch, den wir am 11. August abends antraten, die ganze Nacht hindurch. Erst bei Helligkeit langten wir östlich von Chalau an der von mir gewählten Stelle an. Starke Patrouillen, unter ihnen eine ganze Kompagnie unter Hauptmann Koehl, befanden sich noch unterwegs.
Mein grundlegender Gedanke war ein Abmarsch nach Westen, um mich dann entweder in die Gegend von Blantyre oder östlich des Njassa-Sees wieder nach Norden zu wenden. Ohne vom Feinde belästigt zu werden, überschritten wir bei Metil den Ligonjafluß und kreuzten die Straße Tipa-Namirrue. Das dort befindliche Grab eines Offiziers vom 1. Bataillon der II. King’s African Rifles bewies, daß die feindliche Kolonne, die uns von Tipa aus zunächst auf Namirrue gefolgt war, uns vollständig im Norden bis Wamaka hin umgangen hatte; denn zu den Truppen, die jetzt von Wamaka her kamen, gehörte dasselbe 1. Bataillon der II. King’s African Rifles. Auf dem Weitermarsch nach Ili kreuzten wir die Lager feindlicher Truppen, die von Südwesten her kamen und weiter in Richtung auf Alto-Moloque marschiert waren.[S. 266] Auch sie hatten also große Umwege gemacht und entsprechend große Marschleistungen hinter sich. Es war auffallend, daß alle diese Kolonnen des Gegners auf einmal einen so hohen Grad von Beweglichkeit erlangt hatten; sie hatten die Art ihrer Verpflegung geändert und sich, wenigstens teilweise, vom Nachschub frei gemacht. Wie Gefangene berichteten, schickten sie Fourierkommandos voraus, die von den Eingeborenen Verpflegung beschafften und dann an die Truppe verteilten. Diese Verpflegungsbeschaffung scheint recht rücksichtslos unternommen worden zu sein. Die Zutraulichkeit, welche die Eingeborenen bei unserem, nur kurze Zeit zurückliegenden Aufenthalt in der Gegend von Ili gezeigt hatten, war verschwunden. Sie sahen jetzt in jedem Askari ihren Feind, und einzelne Leute, die auf dem Marsche zurückblieben, wurden mehrfach durch Eingeborene angefallen.
Als wir bei Ili ankamen, wurde der dort befindliche englische Telegraphenposten schnell überwältigt. Die aufgefundenen Papiere gaben brauchbare Aufschlüsse über die feindlichen Truppenbewegungen. Hiernach befanden sich größere Magazine bei Numarroe und Regone, stärkere Truppen sollten von Alto-Moloque und von Mukubi aus uns zu überholen suchen, während eine Kolonne unserer Spur unmittelbar folgte. Der Feind, der bis vor kurzer Zeit im Dunkeln getappt hatte, hatte augenscheinlich seit einigen Tagen zuverlässige Nachrichten über unsere Bewegungen erhalten. Recht schwierig war es, den Weg nach Regone festzustellen, da keine Führer aufzutreiben waren. Aber von Ili aus führte eine neu gebaute Telephonleitung aus Kupferdraht nach Numarroe. Wenn wir dieser Linie folgten, waren wir sicher, unterwegs auf irgendein für uns wertvolles Objekt zu stoßen. Tatsächlich sind Teile der feindlichen Kolonnen, als wir Ili verließen, uns nahe gewesen. Unsere zurückgelassenen Patrouillen trafen sogar an den Gebäuden von Ili mit Askari zusammen, von denen sie glaubten, daß es Freunde wären: sie tauschten mit ihnen Zigaretten und Feuer und merkten erst nachher, daß es Feinde waren.
In diesen Tagen nahm mich eine wirtschaftliche Frage viel in Anspruch. Die Brotbereitung für die kriegsgefangenen Europäer stieß bei den fortgesetzten Märschen auf Schwierigkeiten. Die Leute waren ziemlich ungewandt und nicht imstande, sich selbst zu helfen. Schließlich gelang es aber doch, dem Übel auf den Grund zu kommen und[S. 267] eine größere Menge Mehl durch andere Formationen herstellen zu lassen. Hauptmann d. Res. Krüger, der die Sorge für die Kriegsgefangenen hatte und bald darauf starb, war damals schon schwer krank und durch die Strapazen erschöpft; beim besten Willen hatte er nicht immer Mittel und Wege finden können, die zum Teil sehr weitgehenden Wünsche der Gefangenen zu erfüllen.
Am 24. August morgens überschritten wir den Likungofluß und marschierten weiter in Richtung auf Numarroe. Schon meilenweit sahen wir den Berg und die Gebäude der Boma Numarroe. Bei einer Marschpause wurde in fröhlicher Gesellschaft mit Leutnant d. Res. Ott, Vizefeldwebel d. Res. Nordenholz und den anderen Herren der Vorhut gefrühstückt. Längst hatten wir uns daran gewöhnt, während der Marschpausen ohne viele Umstände etwas Brot und eine Büchse mit Schmalz oder Flußpferdfett hervorzuholen. Oberleutnant z. See Freund besaß sogar noch Butter aus der Zeit von Namacurra her. Auch die Askari und Träger, die früher mit ihrer Mahlzeit bis zum Beziehen der Lager gewartet hatten, nahmen mehr und mehr die „desturi“ (Moden, Gewohnheiten) der Europäer an. Jeder der Schwarzen holte, sobald eine Marschpause eintrat, sein Frühstück hervor. Es war außerordentlich behaglich, wenn so die ganze Truppe in bester Stimmung im Walde lagerte und zu neuen Anstrengungen, zu neuen Märschen und neuen Gefechten die notwendigen Kräfte sammelte.
Wir waren noch 2 Stunden östlich von Numarroe entfernt, als bei der Vorhut die ersten Schüsse fielen. Eine feindliche Kompagnie hatte sich unserer Marschstraße vorgelagert und wich nun geschickt von Kuppe zu Kuppe langsam vor uns in Richtung auf Numarroe aus. Mit Leutnant Ott, der durch Brustschuß verwundet wurde, sah es recht bedenklich aus. Ich bog mit dem Gros, an dessen Anfang die Abteilung Goering marschierte, aus und zog südlich an dem Gegner vorbei, direkt auf die Boma Numarroe los. Noch vor Einbruch der Dunkelheit wurde unser Geschütz in Stellung gebracht und das Feuer auf die Boma und ihre besetzten Schützengräben eröffnet. Abteilung Goering bog ohne Zeitverlust noch weiter nach Süden aus, um unter Benutzung einer Schlucht von rückwärts her dicht an die Boma heranzurücken. Die Vorhut (Abteilung Müller) — das ging aus dem Gefechtslärm hervor — war gleichfalls scharf vorgedrungen. Die feindlichen Schützen[S. 268] schossen nicht schlecht, und trotz der Entfernung von etwa 1000 m schlugen die Infanteriegeschosse in unmittelbarer Nähe ein, sobald sich jemand von uns zeigte.
Bald wurde es dunkel; das Feuer schwoll gelegentlich an und ließ wieder nach, bis plötzlich großer Gefechtslärm aus der Richtung der Abteilung Goering hörbar wurde. Dann trat Stille ein. Abteilung Goering war überraschend von rückwärts in den Feind eingedrungen und hatte dann einige zäh verteidigte Schützengräben im Sturm genommen. Der abziehende Feind war aber von einer anderen deutschen Abteilung nicht als Feind erkannt worden und entkommen. Die Nacht war unangenehm kalt, dazu fiel strömender Regen, und unsere Lasten waren noch nicht herangekommen. Am nächsten Tage wurden drei feindliche Europäer und 41 Askari durch uns begraben; 1 Europäer und 6 Askari waren verwundet, 1 Europäer, 7 Askari und 28 andere Farbige unverwundet von uns gefangen genommen. Unter den Gefangenen befand sich auch der feindliche Führer, Major Garrad, der hier das halbe 2. Bataillon der IV. King’s African Rifles befehligte. Bei uns waren Vizefeldwebel Nordenholz durch Kopfschuß, 6 Askari und 1 Maschinengewehrträger gefallen, 3 Europäer, 18 Askari und 4 Maschinengewehrträger verwundet worden. 40000 Patronen und 2 leichte Maschinengewehre, außerdem Handgranaten, Sanitätsmaterial und größere Bestände an Verpflegung wurden erbeutet. Unter unseren Verwundeten, die in den massiven, sauber gebauten Häusern zurückgelassen wurden, befand sich auch Leutnant d. Res. Ott, der wie immer in sonnigster Laune war. Glücklicherweise war seine Verwundung nicht so schwer, wie zuerst befürchtet wurde, aber es war nicht möglich, ihn mitzunehmen.
Am 25. August wollte ich auf alle Fälle das Lager von Regone erreichen. Aus den erbeuteten Papieren wußte ich, daß nach Regone wertvolle Bestände, dabei auch Minenwerfergranaten, vor uns in Sicherheit gebracht worden waren. Die Besatzung von Regone war im Augenblick wahrscheinlich noch schwach. Bei der Nähe der feindlichen Kolonnen aber war anzunehmen, daß die Lage am 26. August bereits für einen Handstreich zu spät sein würde. Der Weg führte durch den Paß eines steilen Felsengebirges. Unsere Vorhut stieß auf dem Marsche dort bald auf den Feind und beschäftigte ihn, während[S. 269] ich mit dem Gros seitwärts an diesem Feinde vorbei direkt auf Regone zu marschierte. Bei der Kletterei in dem wenig übersichtlichen Berggelände kam es fast zu einem Gefecht zwischen zwei deutschen Abteilungen, die sich gegenseitig für Feinde hielten. Die Maschinengewehre waren bereits in Stellung gebracht, als sich der Irrtum glücklicherweise noch aufklärte.
Dann marschierten wir weiter über die Berge, während unter uns, schon etwas rückwärts, das Maschinengewehrfeuer unserer Vorhut hörbar war. Der Marsch war so beschwerlich, und unsere Kolonne wurde, da wir über die Berge nur in einer Reihe gehen konnten, so lang, daß das von mir für diesen Tag gesetzte Ziel, Regone, nicht annähernd erreicht wurde. Wir wußten ja überhaupt nicht genau, wo Regone eigentlich lag. Nur aus dem Umstand, daß wir von den Bergen aus in weiter Entfernung mehrere Wege zusammenlaufen sahen, schlossen wir, daß dort Regone liegen müsse. Auf halbem Wege nach Regone zeigte sich ein großes Zeltlager, und ich nahm an, daß dies die andere Hälfte des Bataillons war, die auf Regone zur Unterstützung von Numarroe herangerückt war.
Bei strömendem Regen mußten wir im Busch Lager beziehen. Am nächsten Tage war das beobachtete Zeltlager geräumt, die Boma Regone ziemlich stark besetzt. Ein Anlaufen gegen sie über den kahlen Hügel hinweg bot keine Aussicht auf Erfolg, und wir beschränkten uns auf Unternehmungen mit Patrouillen und einzelnen Abteilungen. Der Feind hatte, wie ich aus seinen Papieren ersah, Anweisung gegeben, uns bei Regone ungestört anbeißen zu lassen, um dann mit starken Reserven, die außerhalb lagen, uns in der Flanke oder im Rücken anzugreifen. Es war daher besondere Vorsicht geboten, und die Initiative, mit der die Kompagnie des Oberleutnant Boell trotz aller dieser Bedenken gegen die Boma vorging, hätte gefährliche Folgen haben können. Einige außerhalb der Befestigungen sich zeigende feindliche Lager und Kolonnen wurden überraschend beschossen und Verpflegungsvorräte erbeutet. Die vorgefundenen Papiere bestätigten die Annäherung stärkerer feindlicher Kolonnen von Süden und Südosten her gegen Regone. Aber auch im Norden standen Truppen; ob diese sich nun in der Gegend Lioma-Malacotera befanden oder bei Malema, war nicht auszumachen. Festgestellt war aber, daß sie vorhanden[S. 270] waren, und es war wahrscheinlich, daß auch sie, und zwar von Norden her, sich Regone nähern würden.
Da ein Handstreich auf Regone keine Aussicht auf Erfolg bot und eine länger andauernde Unternehmung wegen der von außen zu erwartenden Störungen gleichfalls nicht auf eine glückliche Durchführung rechnen durfte, so beschloß ich, weiter zu marschieren. Wegen der Fluß- und Sumpfbarrieren südlich des Nyassasees erschien mir die früher von mir in Betracht gezogene Marschrichtung nach Westen nicht ratsam, zumal auch deshalb nicht, weil der Feind dorthin mit Hilfe von Dampfschiff und Eisenbahn sehr leicht Truppen zusammenziehen und auch ernähren konnte. Zweckmäßiger erschien mir der Weitermarsch nach Norden, östlich am Nyassasee vorbei; es war wahrscheinlich, daß der Feind durch unsere Rückkehr nach Deutsch-Ostafrika sehr überrascht sein und die natürliche Hauptstadt dieses Gebietes, nämlich Tabora, für das Ziel unseres Marsches halten würde. Unter diesem Eindruck würde er dem Hauptteil seiner Truppen den Landmarsch nach Tabora, und die schwierigen Nachschubverhältnisse eines solchen ersparen, seine Truppen vielmehr nach den Küstenplätzen von Portugiesisch-Ostafrika zurückziehen, von dort mit Schiff nach Daressalam und dann weiter mit der Bahn nach Tabora selbst schaffen. Diese meine Berechnungen haben sich im großen und ganzen als zutreffend erwiesen. Der Gedanke lag nahe, daß ich schließlich nicht nach Tabora, sondern, am Nordende des Nyassasees angekommen, in anderer Richtung, wahrscheinlich nach Westen weitermarschieren würde. Zunächst kam es jedenfalls darauf an, das Nordende des Nyassasees zu erreichen. Bis dahin mußte mehr als ein Monat vergehen, und es konnte sich vieles ändern.
Bei Regone wurde der Anmarsch und die Versammlung stärkerer Truppenmassen beobachtet, die unmittelbar nach unserem Abmarsch unsere Lagerplätze absuchten, uns dann aber nur langsam folgten. Das Gelände war mit seinen zahlreichen Schluchten und Wasserläufen für unsere Nachhutstellungen besonders günstig. Auf dem Wege nach Lioma wurde ein größeres feindliches Magazin mit viel Tabak erbeutet. Die Abteilung Müller, die nach Lioma vorausgeschickt war, brachte bald Meldung über dessen Besetzung, konnte aber über die Stärke derselben nichts Näheres feststellen. Ich erreichte diese[S. 271] vorausgeschickte Abteilung mit dem Gros am 30. August. Die Lage der feindlichen Befestigungen war in dem dichten Busch immer noch nicht genau auszumachen gewesen. Anscheinend war der Feind erst kürzlich eingetroffen und hatte seine Schanzarbeiten noch nicht vollendet. Deshalb griff ich sogleich an. Die Abteilungen Müller und Goering umgingen den Feind zunächst, um von Norden anzugreifen. Inzwischen marschierte das Gros nach und nach in mehreren Schluchten im Walde auf.
Ich selbst konnte mir bei dem Mangel an Aufklärung kein genaues Bild machen. Da wurde von rückwärts her, wo unsere Trägerkolonnen sich noch im Marsche befanden, plötzlich lebhaftes Feuer gehört. Eine stärkere feindliche Patrouille hatte unsere Träger überraschend beschossen. Ein großer Teil unserer Lasten ging verloren. Hauptmann Poppe, der mit 2 Kompagnien zu meiner Verfügung stand, wurde hiergegen eingesetzt. Er fand bei seinem Eintreffen die Patrouille nicht mehr vor, folgte aber ihrer Abzugsrichtung und traf auf ein verschanztes Lager, das er sogleich im Sturm nahm. Vizefeldwebel Schaffrath erhielt hierbei einen schweren Schuß. Von diesen Ereignissen erhielt ich durch Hauptmann Poppe persönlich Meldung, als er, durch Brustschuß schwer verwundet, zurückgetragen wurde. Er meldete mir, daß der Feind völlig geschlagen und reiche Beute an Waffen und Munition gemacht worden sei. Die Kompagnien der Abteilung Poppe waren dem fliehenden Gegner gefolgt und auf ein neues größeres Lager gestoßen. Auf das gleiche Lager stieß von Norden her die Abteilung Goering, so daß der Feind unter wirksames Kreuzfeuer genommen wurde. Ein neu auftretender Gegner, der aus nordöstlicher Richtung heranrückte, wurde inzwischen durch die Abteilung Müller hingehalten.
Über diese verschiedenen Vorgänge erhielt ich erst spät nach Einbruch der Dunkelheit eine einigermaßen klare Übersicht, die mir meine persönlichen Erkundungsgänge nicht verschafft hatten. Bei einem dieser Gänge fuhr eines der zahlreich einschlagenden Infanteriegeschosse durch die Hose eines meiner Begleiter, des Landsturmmannes Hauter, traf den anderen Begleiter, Leutnant z. See a. D. Besch, in den Oberschenkel und verletzte die Schlagader. Glücklicherweise war der Verbandplatz in der Nähe. So konnte ich mich von unserem bisherigen[S. 272] Intendanten, der zugleich auch die Geschäfte eines Ordonnanzoffiziers versah, mit dem Bewußtsein verabschieden, daß er durchkommen würde. Seine geringe Habe überließ er seinen Kameraden, denen er für die Zukunft alles Gute wünschte. Auch mir verehrte er eine Handvoll Zigaretten. Ich hatte nämlich die Gewohnheit, in ernsteren Gefechten andauernd zu rauchen.
Mitten im Busch traf ich auch den Oberleutnant von Ruckteschell mit einigen Trägern und seiner Tragbahre, deren er sich wegen seines noch nicht wiederhergestellten Beines zeitweise bedienen mußte; er hatte die Kolonne während des schwierigen Anmarsches nach Möglichkeit zusammengehalten und strahlte jetzt, das Gewehr in der Hand, vor Freude darüber, am Gefecht gegen die feindlichen Patrouillen teilnehmen zu können, die sich in der Flanke und in unserem Rücken zeigten. In dem dichten Busch hatte sich ein Teil unserer Kolonnen verlaufen und fand sich erst nach Stunden wieder zu uns heran. Nach Einbruch der Dunkelheit hatte sich der in einer Schlucht liegende Verbandplatz mit Verwundeten gefüllt. Es wurde gemeldet, daß Oberleutnant von Schroetter und Oberleutnant z. See Freund gefallen waren. Bei einer nochmals unternommenen Patrouille gerieten Vizefeldwebel Bolles und Hüttig versehentlich dicht an die feindlichen Schützen und wurden überraschend beschossen; Bolles fiel, Hüttig wurde schwerverwundet gefangen genommen. Vizefeldwebel Thurmann war bis auf 5 Schritt an den feindlichen Schützengraben gelangt und beschoß, ein vorzüglicher Schütze, von einem Termitenhaufen aus immer wieder erfolgreich die Ziele, die der Feind im Innern seines Lagers zeigte, bis auch er einen tödlichen Schuß erhielt.
Einen Sturm auf das Lager hatte Hauptmann Goering als aussichtslos nicht versucht und nach Einbruch der Dunkelheit deshalb nur Patrouillen am Feind belassen, den Rest der Truppe zurückgezogen. So sammelte sich das Gros in mehreren Gruppen nördlich des feindlichen Lagers, und ich beschloß, am nächsten Tage nach Aufräumung des Gefechtsfeldes weiter zu marschieren.
Notgedrungen mußten wir einen Teil unserer Kranken und Verwundeten, auch die kranken Gefangenen, unter einem englischen Sanitätsoffizier zurücklassen und traten um 9 Uhr vormittags in mehreren Kolonnen den Weitermarsch nach Norden an. Führer hatten[S. 273] wir nicht; das Gelände war ganz unbekannt, und nur ganz allgemein konnte ich dem Führer der Vorhut bezeichnen, daß ich an einem der nördlich vorgelagerten Berge vorbeizumarschieren beabsichtigte. Bald war bei der Vorhut Gefechtslärm hörbar. Im Busche wurde es erst nach und nach klar, daß unsere Vorhut sich gegen einen Feind gewandt hatte, der von links rückwärts her gegen sie erschienen war. Die Geschosse desselben schlugen auf nahe Entfernung und ziemlich zahlreich bei dem Kommando ein, das dem Gros vorausmarschierte.
Ein von mir zurückgeschickter Askari sollte den Anfang des Gros an die Stelle, an der ich war, heranführen. Die Lage war zweifellos günstig, um den Feind zwischen unserer Vorhut und unserem Gros einzuklemmen und gründlich zu schlagen. Ich wartete, aber unser Gros kam nicht. Da lief ich schließlich zurück und sah an den Spuren, daß unser Gros falsch geführt und längst seitwärts an uns vorbei marschiert war. Dagegen sah ich den Anfang der Abteilung Stemmermann, zu der der größte Teil unserer Kolonnen und unserer Kranken gehörte, ahnungslos im Begriff, in den Feind hinein zu marschieren. Gerade eben konnte ich die Abteilung noch abdrehen. Ich selbst erreichte nun die vordersten Abteilungen Müller und Goering, die sich inzwischen weiter nach Norden in Marsch gesetzt hatten. Sie folgten einer Straße, die auf die Berge hinaufführte, sich oben aber gänzlich verlor. Dem Gefechtslärm, den ich von Zeit zu Zeit weiter rückwärts hörte, maß ich keine weitere Beachtung bei. Erstaunt bemerkte ich am Spätnachmittag, daß der Rest der Truppe den Abteilungen Müller und Goering nicht gefolgt war, sondern rechts von uns im Tale marschierte. Ich ahnte nicht, daß inzwischen unsere Marschkolonne von einem neuen Gegner, der von Osten gekommen war, nochmals beschossen wurde, und daß hierbei ein großer Teil eines Feldlazarettes in Feindes Hand gefallen war.
Um die Truppe wieder zu vereinigen, suchte ich wieder von meinem Berge herunterzukommen. Der Abstieg erwies sich aber nicht als möglich; die Felsen waren steil, fast senkrecht. Auf einem Negerpfade marschierten wir weiter, und der Abend brach herein, als Hauptmann Müller mir meldete, daß auch dieser Abstieg an einem Abgrund endete. Glücklicherweise fand sich noch ein kleiner Seitenpfad. Wir folgten diesem, und es glückte, hinabzuklettern. Auch hier war es an einigen Stellen[S. 274] steil, aber die nackten Füße gaben den Trägern Halt, und auch ich kam, nachdem ich die Stiefel ausgezogen hatte, hinunter. Es wurde stockdunkel, und wir hatten kein Wasser. Schließlich fand sich aber auch dies, und mir fiel ein Stein vom Herzen, als wir auf den Rest der Truppe stießen, der unter General Wahle gleichfalls die Vereinigung gesucht hatte. Wir hatten am 30. und 31. August 6 Europäer, 23 Askari an Toten, 11 Europäer, 60 Askari an Verwundeten, 5 Europäer, 29 Askari an Vermißten, 5 Askari an Gefangenen verloren; 48000 Patronen, wichtige Medikamente und Verbandszeug, wichtiges Büchsenmachergerät und die gesamte Bagage der Abteilung Müller waren verloren gegangen. Auch die feindlichen Verluste waren schwer, wie aus einer später erbeuteten Verlustliste des 1. Bataillons der I. King’s African Rifles hervorging. Außer diesem Bataillon hatten Teile des 3. Bataillons dieses Regiments und die II. King’s African Rifles gegen uns im Gefecht gestanden.
Unsere Truppe hatte sich glänzend geschlagen; einem Teil der Träger, von denen über 200 vermißt wurden, war das überraschende Feuer allerdings etwas in die Glieder gefahren. Von der Abteilung Koehl fehlte Nachricht, aber unsere Führer waren inzwischen so erfahren und gewandt im Buschkrieg geworden, daß ich mir keine Sorge zu machen brauchte. Am nächsten Tage überraschten wir bei unserem Eintreffen im Lager eine englische Verpflegungskolonne.
Dann passierten wir die Straße Cutea-Malema, an der sich bald auch feindliche Truppen zeigten und überschritten den Luriofluß bei Mtetere. Ein englischer Aufkaufposten floh und einige Verpflegung wurde erbeutet. Abteilung Koehl traf hier wieder beim Gros ein. Sie war dem uns verfolgenden Feinde nachgezogen und hatte festgestellt, daß er mehrere Bataillone stark war. Wir rückten dann den Lurio abwärts in die reiche Landschaft Mpuera. Sol (Feldwebel) Salim, der hier gelegentlich einer früheren Patrouille seine Frau geheiratet hatte, die ihm treu gefolgt war, ließ sie, da sie ihrer Niederkunft entgegen sah, bei ihrem Vater, dem dortigen Jumben, zurück.
Die Truppe war gesundheitlich etwas mitgenommen; alles hustete, und es zeigten sich die Anfänge einer recht unangenehmen Lungenseuche, die uns in den nächsten Wochen viel Leute kosten sollte, von den Ärzten aber als verschieden von der spanischen Influenza angesehen[S. 275] wurde. Da in dieser Gegend reichliche Verpflegung vorhanden war, so gönnte ich der durch die Ereignisse der letzten Zeit recht angestrengten Truppe einen Ruhetag, der auch wegen der zahlreichen Kranken erforderlich war. Hauptmann Koehl war mit seiner Kompagnie ohne Bagage zurückgelassen worden, um dem Feinde von rückwärts her möglichst viel Schaden zuzufügen. Er meldete das Eintreffen stärkerer feindlicher Truppenmassen in der Gegend von Mtetere und östlich von diesem Orte. Es war klar, daß der Feind im Augenblick uns noch mit Anspannung aller seiner Kräfte verfolgte und zu diesem Zweck seine Truppe zusammenhielt. Die Gelegenheit zu einem Teilerfolg schien mir schon deswegen nicht günstig, weil er nicht ausgenutzt werden konnte und ein Gefecht uns Verwundete gekostet hätte, die wir nicht mitnehmen konnten. Da es in meiner Absicht lag, demnächst die Gegend nördlich von Luambala aus Verpflegungsgründen aufzusuchen, wollte ich den Abmarsch dorthin nicht weiter verzögern.
Während des Ruhetages am 5. September war in dem reichen Gebiet von Mpuera die Verpflegung ergänzt worden, und am 6. September früh wurde der Abmarsch in nördlicher Richtung angetreten. Es war anzunehmen, daß der Feind in mehreren Kolonnen flußabwärts, also in nordöstlicher Richtung marschieren würde; unsere Truppe zog daher in voller Gefechtsstaffelung durch den Busch, und ich erwartete jeden Augenblick, auf die nördliche der feindlichen Kolonnen zu stoßen; aber wir überschritten deren wahrscheinliche Marschstraße, ohne Spuren von ihr zu entdecken. Gegen Mittag näherten wir uns unserem Marschziele, einer am Hulua-Berge gelegenen Wasserstelle. Da fielen bei der Vorhut die ersten Schüsse, und bald entwickelte sich ein lebhaftes Gefecht. Hauptmann Müller, der Führer der Vorhut, war auf das Ende einer feindlichen Kolonne gestoßen, die spitzwinklig zu unserer Marschrichtung nach Nordosten marschierte. Schnell hatte er das am Ende befindliche 2. Bataillon der II. King’s African Rifles angegriffen und in die Flucht geschlagen, das Feldlazarett des Gegners und seine Eselkolonne genommen.
Die Abteilung Goering entwickelte ich rechts neben der Abteilung Müller; auch sie warf Teile des Feindes schnell zurück, ging dann aber nicht weiter vor, als der Gegner stärkere Truppen — das 1. Bataillon des II. King’s African Rifles und anscheinend auch Teile des 3. Bataillons[S. 276] dieses Regimentes — entwickelte. Unser linker Flügel, der im Vorgehen auf ansteigendes, offenes Gelände geraten war und dort gleichfalls auf frische feindliche Truppen stieß, war wenige hundert Meter zurückgegangen und hatte eine sanfte Anhöhe mit mehrere hundert Meter großem Schußfeld besetzt. Über diese Verhältnisse gewann ich erst Klarheit, als ich vom rechten Flügel, wo ich Abteilung Goering angesetzt hatte, wieder auf den linken Flügel ging.
Das Gefecht wurde ziemlich heftig und kam im großen und ganzen zum Stehen. Von der Nachhut, unter Hauptmann Spangenberg, her, deren Eintreffen ich jetzt erwartete, war Minenwerferfeuer gehört worden. Die Nachhut hatte bei Mpuera den Angriff einer anderen feindlichen Kolonne abgewiesen und Teile derselben in regellose Flucht geschlagen. Um 7 Uhr morgens war sie, der ihr erteilten Anweisung entsprechend, dem Gros gefolgt. Sie traf gegen 5 Uhr nachmittags auf dem Gefechtsfelde ein, und ich erwog, ob ich nicht durch Einsatz aller Reserven versuchen sollte, hier am Hulua-Berge heute noch die II. King’s African Rifles entscheidend zu schlagen. Ich habe diesen Gedanken aber fallen lassen; die Zeit war sehr knapp, denn es war nur eine Stunde bis zur Dunkelheit, und ich rechnete bestimmt darauf, daß am anderen Tage sehr früh frische Teile des Feindes auf dem Gefechtsfelde eintreffen würden. Zudem würde die Durchführung eines entscheidenden Gefechtes uns sicher erhebliche Verluste kosten, und diese Verluste wollte ich bei der geringen Zahl von 176 Europäern und 1487 Askari, die unsere Stärkenachweisung vom 1. September 1918 angab, vermeiden. Oberleutnant zur See Wenig, der mit seinem Geschütz bei der Abteilung Goering Verwendung gefunden hatte, meldete mir, daß er als einziger noch gefechtsfähiger Offizier den Befehl dieser Abteilung übernommen hatte. Bald wurde Hauptmann Goering mit schwerem Brustschuß, Oberleutnant Boell mit schwerem Kopfschuß auf den Verbandplatz gebracht.
So setzte ich die Reserven nicht in das Durcheinander eines nächtlichen Buschkampfes ein, sondern rückte nach Aufräumen des Gefechtsfeldes in nordwestlicher Richtung weiter. Bald trat völlige Dunkelheit ein, und der Marsch ging im dichten, hohen Grase nur sehr langsam von statten. Nach 5 km wurde Lager bezogen. Die Gefechtsverluste des 6. September waren 6 Askari, 4 Maschinengewehrträger gefallen,[S. 277] 13 Europäer, 49 Askari, 15 andere Farbige verwundet, 3 Europäer, 13 Askari, 12 Träger vermißt, 3 Askari, 3 Träger gefangen. Beim Feinde waren etwa 10 Europäer, 30 Askari als getroffen beobachtet worden, 8 Europäer, 45 Askari wurden gefangen genommen; die zum Teil kranken und verwundeten Gefangenen und unsere eigenen Schwerverwundeten waren unter der Pflege englischen Sanitätspersonals auf dem Gefechtsfelde zurückgelassen worden. Später bei Mwembe erbeutete Papiere gaben an, daß „Kartucol“ (abgekürzter Ausdruck für: Kolonne der IV. King’s African Rifles) am 6. September schwere Verluste hatte und zeitweilig bewegungsunfähig war.
Unser Weitermarsch wurde durch den Feind nicht belästigt. Hauptmann Koehl war mit seiner Kompagnie westlich von Mpuera zurückgeblieben, um von rückwärts her gegen den Feind und seine Verbindungen zu wirken. Er folgte unserer Spur und hatte am Milweberg leichte Zusammenstöße mit dem 1. Bataillon der VI. King’s African Rifles, das am 8. September von Süden her am Milweberg eintraf. Wir zogen in mehreren Reihen quer durch das Pori, durch wildreiches Gebiet. Sogar einige Büffel wurden während des Marsches erlegt. Bei Kanene kreuzten wir die vom Amarambasee nach Mahua führende Etappenstraße. Der Feind hatte das Magazin von Kanene abgebrannt, aber wir fanden in der Landschaft selbst ausreichend Verpflegung, und die materielle Lage der Truppe würde gut gewesen sein, wenn nicht die Influenzaepidemie immer mehr um sich gegriffen hätte. Etwa 50 Proz. hatten Bronchialkatarrh, und in jeder Kompagnie hatten 3 bis 6 Mann Lungenentzündung; da in der gesamten Truppe nur etwa 80 Kranke getragen werden konnten, so mußten etwa 20 Mann mit leichter Lungenentzündung zeitweise zu Fuß gehen. Eine befriedigende Lösung des Krankentransportes war eben nicht möglich, oder man hätte die Kriegführung beenden müssen; man konnte die Kranken nicht einfach im Pori liegen lassen. Diese Zwangslage mußte die Nerven des vortrefflichen, leitenden Sanitätsoffiziers, Stabsarzt Taute, bis aufs äußerste in Anspruch nehmen. Es war ein Glück, daß dieser in ärztlicher und organisatorischer Hinsicht hochbegabte Mann sich unter dem Gewicht seiner Verantwortung aufrecht erhielt. Seinen Anordnungen und dem durch die Verhältnisse bedingten Wechsel der Gegend und des Klimas ist es zu danken,[S. 278] daß die Epidemie bald zurückging. Eine Anzahl schonungsbedürftiger Askari und anderer Farbiger folgten der Truppe langsam nach; manche von ihnen verloren den Mut, wenn sie unsere Lagerplätze dann immer schon verlassen vorfanden. Eine ganze Anzahl ist aber doch herangekommen, besonders, wenn die Truppe einen der kurzen Märsche machte oder, was allerdings selten vorkam, einen Ruhetag einlegen konnte.
Aber allzusehr aufhalten durften wir uns nicht. Die Kriegslage erforderte gebieterisch, daß wir die verpflegungsarmen und die durch die letzte Zeit des Krieges stark in Anspruch genommenen Gebiete östlich des mittleren Nyassasees schnell durchschritten. Schnelligkeit war hierbei umsomehr geboten, als der Feind zu Schiff Truppen an das Nordende des Nyassasees verschieben und uns so in der Besetzung des dortigen Gebietes mit starken Truppen zuvorkommen konnte. Als wir uns dem Lujendaflusse näherten, wurde das Gelände bergiger und war vielfach von Flußläufen und Schluchten durchzogen. Die Marschrichtung konnte nach dem Kompaß allein nicht innegehalten werden. Es war nötig, die Wasserscheide zu berücksichtigen und auf den Bergrücken entlang zu gehen. Glücklicherweise fand der Führer der Vorhut, Hauptmann Spangenberg, einige Eingeborene, die ihm als Pfadfinder das Aufsuchen eines guten Weges erleichterten. Aber einiges Hin und Her war nicht zu vermeiden, und das verzögerte unseren Marsch, während der Feind von Malacotera her auf guter Straße schnell nach Luambala Truppen und Verpflegung verschieben konnte.
Ich war etwas in Sorge, ob das Wasser des Lujendaflusses genügend abgelaufen sein würde, um die Furten benutzen zu können. Die Herstellung von Rindenbooten hätte wohl keine Schwierigkeiten gemacht, aber bei der reißenden Strömung würde das Übersetzen der gesamten Truppe kaum glatt vonstatten gegangen sein. Jedenfalls lag mir daran, daß es durch den Feind nicht gestört würde, und auch dies trieb zur Eile an. Glücklicherweise wurde durch vorausgesandte[S. 279] Patrouillen unterhalb von Luambala eine Furt gefunden, und das Durchwaten des Flusses an dieser Stelle machte keine Schwierigkeiten.
Aus einigen erlegten Flußpferden wurde wieder Fett zubereitet, und in der Gegend von Mwembe, das wir am 17. September erreichten, konnte die Verpflegung aufgefüllt werden. Dort wurde nach langer Zeit ein Ruhetag gemacht. Hier, bei Mwembe, erreichte die Lungenentzündung ihren Höhepunkt. Seit Mitte August waren 7 Europäer und etwa 200 Farbige an Lungenentzündung erkrankt, davon 2 Europäer und 17 Farbige gestorben. Die Magazine von Mwembe waren durch die schwache feindliche Postierung zerstört worden, aber die Landschaft bot doch noch ausreichende Vorräte. Bedenklich wurde die Trägerfrage. Die Leute wurden durch die andauernden Märsche, durch die Epidemie und das Tragen der vielen Kranken stark in Anspruch genommen, und wir näherten uns ihren heimatlichen Gebieten. Wahrscheinlich würden die Wangoniträger, sobald sie ihre nördlich des Rowuma gelegene Heimat erreichten, weglaufen. In der Gegend von Mwembe und den gut angebauten Tälern des Luscheringoflusses wurden mehrere feindliche Patrouillen des Intelligence-Department (der Nachrichtenabteilung) angetroffen, die zwar schnell verjagt wurden, aber doch anzeigten, daß der Feind im großen und ganzen über unseren Marsch unterrichtet war.
Fernpatrouillen von uns wurden nach Mitomoni und nach Makalogi gesandt. Südlich des Rowuma führte uns der Marsch nach Verlassen des Luscheringotales quer durch eine außerordentlich wildreiche Steppe, und ebenso war es am Rowuma selbst, den wir am 28. September erreichten. Aber der Wildreichtum hatte auch seine Nachteile; wieder einmal wurde ein Posten von Löwen geschlagen. Wir betraten wieder deutschen Boden und blieben bei Nagwamira zwei Tage; mehrere feindliche Magazine und Transporte, die über unser Erscheinen nicht unterrichtet waren, wurden überrascht. Die Landschaft war außerordentlich reich, und die Truppe konnte sich gründlich erholen. Unsere nach Mitomoni gesandten Patrouillen meldeten dort ein stärker befestigtes Lager und das Eintreffen von Verstärkungen, die von Westen her kamen. Auch Ssongea war vom Feinde besetzt, seine Stärke allerdings nicht festzustellen. Die verschiedenen Nachrichten, sowie die[S. 280] geographische Lage machten es wahrscheinlich, daß auch nach Ssongea, vom Nyassasee her, Verstärkungen unterwegs waren.
Wir marschierten weiter, auf Ssongea zu, und trafen südlich dieses Ortes auf reich besiedeltes Gebiet. Der feindliche Funkerverkehr zeigte an, daß feindliche Truppen in Ssongea standen und daß eine andere Kolonne, wahrscheinlich von Mitomoni her, in die Gegend von Ssongea gelangt war. Am 4. Oktober marschierte ich westlich an Ssongea vorbei weiter nach Norden. Als die Vorhut unter Hauptmann Spangenberg an der großen Straße Ssongea-Wiedhafen anlangte, wurde sie durch drei feindliche Kompagnien mit Minenwerfern angegriffen, die von Westen her gekommen waren. Der Feind wurde ein Stück zurückgeworfen. Wegen des sehr berg- und schluchtreichen, für einen Angriff nicht günstigen Geländes und der späten Tagesstunde war es unwahrscheinlich, noch an diesem Tage einen wirklich durchschlagenden Erfolg erzielen zu können. Morgen aber würde neuer Feind eintreffen. Ich führte deshalb den Angriff nicht weiter durch und marschierte westlich am Feinde vorbei in ein Lager bei der Missionsstation Peramiho.
Beim Weitermarsch durch das Wangoniland entliefen, wie befürchtet, eine ganze Anzahl der Wangoniträger. Es war ja auch Übermenschliches verlangt, daß diese Leute, nachdem sie jahrelang ihre Angehörigen nicht gesehen hatten, jetzt einfach durch deren Gebiet hindurchmarschieren sollten. Dazu ist das Heimatgefühl des Negers zu stark. Auch Samarunga, einer meiner eigenen Träger, ein sehr anhänglicher und zuverlässiger Kerl, hatte sich Urlaub zum Besuch seines in der Nähe befindlichen Dorfes erbeten. Er kam auch ganz ehrlich zurück und brachte seinen Bruder mit. Beide marschierten dann weiter mit uns; auch als der Bruder wieder fortgegangen war, blieb Samarunga noch. Um seine gedrückte Stimmung zu heben, gab ich ihm von meiner Fleischportion, aber am nächsten Morgen war er doch verschwunden, nachdem er meine Sachen noch gut in Ordnung gebracht hatte.
Nördlich Ssongea wurden wieder einzelne feindliche Nachrichtenpatrouillen aufgegriffen. Tagelang zogen wir durch ehemals besiedeltes, reiches Land. Tausende von Farmern könnten sich dort in gesundem, schönem Klima ansiedeln. Am 14. Oktober kamen wir nach Pangire (Jacobi), einer anmutig gelegenen Missionsstation, in der vor[S. 281] dem Kriege Missionar Gröschel mich bei meiner letzten Friedensreise gastlich ausgenommen hatte. Die Familie des Missionars war fortgeführt worden, aber die zum Wabenastamme gehörigen Eingeborenen waren geblieben und traten uns wie im Frieden zutraulich entgegen. Auch mehrere alte Askari, die aus irgendwelchen Gründen von der Truppe abgekommen waren, meldeten sich wieder. Auch in dieser Gegend wurden einzelne Intelligence-Patrouillen angetroffen und verjagt. In dem viehreichen Lande der Wabena wurden die bis dahin recht geringen Viehbestände der Truppe vergrößert und so eine bewegliche Verpflegungsreserve geschaffen, die wesentlich zur Entlastung des Trosses beitrug. Nach dem Abmarsch von Pangire wurde eine in diesem Ort zurückgelassene Patrouille durch eine feindliche Abteilung beschossen. Bei Ubena wurde unsere Nachhut, Hauptmann Müller, durch mehrere feindliche Kompagnien angegriffen, die von Süden her kamen. Eine stärkere feindliche Kolonne folgte uns also auf der Spur. Die freien, ganz offenen Steppen von Ubena waren für unsere Kriegführung nicht günstig, da sie auf weite Entfernung durch Gewehr- und Artilleriefeuer beherrscht wurden. Verschiedentlich wurde zudem der Anmarsch stärkerer feindlicher Kräfte von Mwakete her auf Ubena gemeldet; diese Meldungen erwiesen sich teilweise als unrichtig und führten zu einem kurzen Gefecht zweier deutscher Patrouillen gegeneinander.
Der Schiffstransport feindlicher Truppen zum Nordende des Nyssasees und ihr Vormarsch auf Ubena oder weiter nördlich war recht wahrscheinlich und hat sich später auch als zutreffend erwiesen. Wollte ich die Marschrichtung auf Tabora abbrechen und zwischen dem Nyassa- und Rukwasee und später zwischen dem Nyassa- und Tanganjikasee hindurch nach Rhodesien marschieren, so rückte jetzt der Zeitpunkt zum Abbiegen heran, und ich durfte keinen Tag verlieren, um so mehr, als die schroffen Züge des Livingstonegebirges sowie die Berge um Mbeja die Bewegungsfreiheit sehr beschränkten. Bei der Festlegung der Marschroute war zu berücksichtigen, daß die Verpflegungsbestände der Kompagnien stark zusammengeschmolzen waren und ergänzt werden mußten. Die Möglichkeit hierzu bot, nach Eingeborenenaussagen, die Gegend von Kidugala und Gombowano, während in Ussangu, insbesondere bei Neu-Utengule, Hungersnot sein sollte.
[S. 282]
Am 17. Oktober marschierte ich mit dem Gros von Ubena ab, ließ dort den General Wahle, zwei andere Europäer und einige Askari krank oder verwundet zurück und erreichte Kidugala; Abteilung Koehl folgte am 18. Oktober. An diesem Tage wurde die Boma Ubena durch etwa 100 feindliche Askari besetzt, 200 bis 300 gingen nach Norden zur Iringastraße vor. Aus erbeuteten Zeitungen entnahmen wir, daß am 29. September Cambrai gefallen war und die Belgier bis 3 km westlich Roubaix gekommen waren. Wir lasen vom Aufhören der Feindseligkeiten in Bulgarien, vom Rücktritt des Grafen Hertling und der Einnahme von St. Quentin und Armentières. Aber die Aufgabe von Stellungen und Ortschaften konnte so verschiedenartige Gründe haben, daß ich diesen Nachrichten keine entscheidende Bedeutung beimaß.
Der Weitermarsch führte bei Gombowano und Brandt durch recht viehreiches Gebiet. Missionen und Schulen waren verlassen, aber die Gartenfrüchte, besonders Maulbeeren und Pfirsiche, waren uns hoch willkommen. Auch fanden wir im Pori große Massen wilder Feigen und anderer wohlschmeckender süßer Früchte. Kleinere Patrouillenzusammenstöße zeigten uns an, daß feindliche Truppen vom Nyassasee her direkt nach Norden in die Gegend von Brandt kamen. In Ruiwa fanden wir große englische Magazinanlagen vor; einen ganzen Schuppen mit Leder mußten wir vernichten. Dann ging es weiter zur Mission Alt-Utengule, die mir gleichfalls vom Frieden her wohlbekannt war; sie lag jetzt verlassen. Dann erreichten wir die Mission Mbozi. Dorthin hatten die Engländer die Männer aus der Landschaft bestellt, sie untersucht und nach Neu-Langenburg geschickt, wahrscheinlich, um dort Askari aus ihnen zu machen. In Mbozi war ein großes englisches Magazin, das unter anderem 75 Lasten Salz und 47 Lasten Kaffee enthielt.
Es war schwer, sich durch das Gebiet richtig hindurchzutasten. Meist war es uns wenig bekannt, und seit Jahren hatte es der Feind durch Anlage von Magazinen und Transportstraßen verändert. Zu vorherigen Erkundungen fehlten uns Zeit und Kräfte, und das Moment der Überraschung wäre weggefallen. Die Eingeborenen waren den Engländern recht feindlich gesonnen und leisteten uns gute Dienste, aber ihre Angaben waren doch oft wenig klar. Während wir in Mbozi einen Ruhetag machten und dort die Verpflegung ergänzten, waren[S. 283] unsere Patrouillen weithin unterwegs, die eine nach Galula (Mission Sankt Moritz), eine nach Itaka, eine in Richtung auf Neu-Langenburg und eine in Richtung auf Fife. Die Abwesenheit von einigen derselben würde Wochen dauern; ihre Meldungen konnten nicht abgewartet werden.
Immerhin wurde so viel klar, daß an Mbozi vorbei eine Hauptetappenstraße des Feindes von Fife über Rwiba nach Neu-Langenburg lief. Mehrere an dieser befindliche Magazine und auf ihr verkehrende Verpflegungskolonnen wurden erbeutet oder ihre Bestände zerstört. Das Vorhandensein dieser Straße bewies, daß in der Gegend von Fife ein größeres englisches Magazin liegen mußte. Wahrscheinlich war dies bei schnellem Zufassen zu nehmen, bevor stärkere Kräfte des Feindes dort eintrafen. Am 31. Oktober vormittags war eine Kampfpatrouille auf Fife abgesandt worden. Eingeborene und Patrouillen meldeten am gleichen Tage abends den Vormarsch stärkerer feindlicher Kräfte auf der Straße Neu-Langenburg-Rwiba. Am 1. November früh marschierte ich mit der gesamten Truppe zunächst zum Rwibaberge ab. Dort zeigten die Spuren, daß eine stärkere feindliche Kolonne den Rwibaberg in Richtung auf Fife kurz vor uns passiert hatte. Dieser Feind war von einer deutschen, zum Rwibaberg entsandten Kampfpatrouille nicht bemerkt worden.
Unsere am 31. Oktober nach Fife entsandte zweite Kampfpatrouille hatte sich am Rwibaberge aufgehalten. Ich mußte nun mit der ganzen Truppe sofort nach Fife weitermarschieren, um dieses vor dem Feinde zu erreichen oder, falls unsere erste Patrouille dort im Gefecht stehen sollte, einzugreifen. Der zehnstündige Marsch (reine Marschzeit) von Mbozi nach Fife war eine ganz gewaltige Anstrengung für die Truppe, aber die Meldungen unserer Patrouillen, die Spuren des Feindes und seine an Bäumen vorgefundenen Zettel bewiesen einwandfrei, daß der Feind alles daransetzte, Fife noch am gleichen Tage,[S. 284] am 1. November, zu erreichen. Bei der Größe auch seines Marsches war man zu der Annahme berechtigt, daß unsere Kampfpatrouille, die ich am 31. Oktober, spätestens am 1. November früh bei Fife vermutete, den Feind den 1. November über an der Besetzung des Magazins von Fife hindern würde. Im Laufe des Nachmittags beschossen wir einige Patrouillen, ohne unseren Marsch aufzuhalten. Am Spätnachmittag wurden schwächere Abteilungen des Feindes in den Bergen nahe bei Fife schnell zurückgeworfen. Ich selbst ging mit der Abteilung Spangenberg, die rechts von der Straße abgebogen war, auf einen Bergrücken, auf einen Punkt vor, wo wir das Lager von Fife vermuteten.
Das Gelände wurde offener und war in der Hauptsache mit kniehohem Buschwerk und Gras bedeckt, als wir auf wenige hundert Meter vor uns Leute herumgehen und dicht stehende Zelte sahen. Die Leute benahmen sich so harmlos, daß ich fast glaubte, es wäre unsere eigene Kampfpatrouille. Aus 200 m erhielten wir dann aber ein sehr heftiges und anfangs auch recht gut gezieltes Gewehr- und Maschinengewehrfeuer. Glücklicherweise wurde es von unseren Schützen nicht erwidert, da ich vor diese geraten war und zwischen beiden Parteien lag. Nach einiger Zeit fing der Feind, der sich augenscheinlich selbst wild gemacht hatte, an, hoch zu schießen. Es begann dunkler zu werden, so daß meine Patrouille sich zu unserer Schützenlinie zurückziehen konnte. So war wenigstens Klarheit über die Lage geschaffen: ein Feind von mehreren Kompagnien lag vor uns in verschanzten Stellungen mit gutem Schußfelde. Seine vorgeschobenen Abteilungen waren zurückgeworfen worden. Die Magazine lagen zum Teil außerhalb der Schanzen und fielen später in unsere Hand. Den verlustreichen Sturm auf diesen Feind wollte ich nicht ausführen, dagegen schien mir die Gelegenheit günstig, den Gegner in seinem eng zusammengedrängten Lager mit unserem Minenwerfer und von erhöhter Stelle aus mit unserem Geschütz und dann, wenn er sich zeigte, auch mit Gewehr- und Maschinengewehrfeuer zu beschießen. Unsere Maschinengewehre wurden in der Nacht dicht an seine Stellung herangeschoben und verschanzt. Die Erkundung für eine günstige Geschützstellung wurde auf den nächsten Vormittag verschoben.
Es war wahrscheinlich, daß die Eröffnung unseres Minenwerfer- und[S. 285] Geschützfeuers den von Neu-Langenburg kommenden Feind zum Angriff gegen uns veranlassen würde. Ein solcher Angriff gegen unsere Höhen wäre sehr schwer gewesen. Aber trotz der Beschießung am 2. November, bei der auch einige Verluste beobachtet wurden, zeigte sich kein neuer Gegner. Der erhoffte durchschlagende Erfolg gegen das Lager blieb aus, da unser Minenwerfer bei einem der ersten Schüsse durch eine zu früh krepierende Mine vernichtet wurde. Flachbahnwaffen allein gegen den gedeckten Feind konnten nichts ausrichten. Am Nachmittag marschierte unser Gros mit den mehr als 400 Stück starken Viehherden ab und zwischen Fife und der Mission Mwenzo hindurch nach Rhodesien hinein. Im Lager angekommen, sahen wir die starken Rauchsäulen der Magazine von Fife, die Abteilung Müller nach unserem Abmarsch in Brand gesteckt hatte. Aus Richtung von Mission Mwenzo wurde mehrfach kurzes Feuer gehört.
Allmählich trafen von dort Meldungen ein. Bei Mwenzo waren außer unserer von Mbozi entsandten Kampfpatrouille auch andere Patrouillen von uns eingetroffen und hatten sich mit englischen Patrouillen, manchmal auch untereinander, herumgeschossen. Eine Meldung besagte, daß eine feindliche Patrouille mit ganz dunklen, bisher unbekannten Uniformen aufgetreten sei; es müsse sich jedenfalls um einen neu erschienenen Truppenteil handeln. Nach vielen Nachforschungen stellte sich schließlich heraus, daß eine unserer eigenen Patrouillen infolge ihrer allerdings nicht mehr reglementsmäßigen Ausrüstung dauernd für Feind gehalten wurde. In der Mission Mwenzo selbst befand sich ein stehendes feindliches Lazarett, in dem unser Sanitätsmaterial ergänzt werden konnte. Die Chininvorräte wurden auf über 14 kg ergänzt, und die Chininversorgung damit bis Ende Juni 1919 sichergestellt.
Verschiedene Nachrichten und Gefangenenaussagen ließen erkennen, daß Transporte des Feindes aus der Gegend von Broken Hill nach Kasama und von dort weiter nach Fife gingen, und zwar mit Automobilen und Ochsenwagen. Kasama selbst schien eine größere Ortschaft und ein wichtiger Straßenknotenpunkt zu sein. Jedenfalls waren auf dem Wege von Fife bis Kasama Magazine des Feindes zu vermuten und Kasama selbst ein lohnendes Objekt. Zudem lag es, soweit man aus dem Atlas ersehen konnte, so, daß man sich dort entscheiden[S. 286] konnte, weiter nach Süden um den Bangweolosee herum die Wasserscheide Zambesi-Kongo zu erreichen oder nach Westen zwischen Bangweolosee und Moerosee hindurch weiter zu marschieren. Die Angaben waren allerdings äußerst schwankend und gründeten sich fast ausschließlich auf einige Askari, die als Knaben in der Gegend des Moerosees an Handelskarawanen teilgenommen hatten.
Die wichtige Frage, wie die Flüsse und besonders der aus dem Bangweolosee in den Moerosee fließende Luapala beschaffen waren, blieb zunächst unbeantwortet. Erst einige in diesen Tagen erbeutete Karten und Beschreibungen schafften hierüber Klarheit. Nach diesen ist der Luapala eine ganz gewaltige Barriere; tief und an vielen Stellen mehrere Kilometer breit, ist er von ausgedehnten Sümpfen eingefaßt. Bei der bevorstehenden Regenzeit würde ein Übersetzen über denselben auf Einbäumen auf Schwierigkeiten stoßen, da diese Einbäume bei unserer Annäherung sicherlich auf das andere Ufer geschafft oder versteckt werden würden. Ich habe damals jede Minute zum Studium von Karten und Reisebeschreibungen verwandt und auf jeder Marschpause vertiefte ich mich in diese. Die Gefahr, infolge mangelnder Orientierung sich in dem von gewaltigen Strömen und Seen durchsetzten Gebiet festzurennen, war groß.
Zunächst galt es, die Etappenstraße Fife-Mission Kajambi-Kasama schnell aufzurollen. Bewegliche Kampfpatrouillen wurden in Gewaltmärschen vorausgeschickt, erbeuteten mehrere kleinere Magazine, nahmen deren Verwalter gefangen und fingen auch einige Ochsenwagenbespannungen. Hauptmann Spangenberg folgte mit 3 Kompagnien unmittelbar, dann mit etwa Tagemarschabstand das Gros der Truppe.
Die gewaltigen Marschanforderungen und das Abbiegen in südwestlicher Richtung, in ganz neues, unbekanntes Land, wurde einer Anzahl Träger zu viel. An einem Tage allein entliefen beim Kommando 20 Wasipe, die in der Gegend von Bismarckburg beheimatet waren und 13 anderweitige Träger.
In Kajambi traf das Gros am 6. November ein; die katholische Missionsstation besteht aus wundervollen und geräumigen, massiven Gebäuden. Die Missionare waren unnötigerweise geflohen. Im Schwesternhaus lag für mich ein Brief einer katholischen Schwester.[S. 287] Sie stammte aus Westfalen und appellierte als Landsmännin an meine Menschlichkeit. Sie würde sich sicherlich manche Unbequemlichkeit erspart haben, wenn nicht nur sie, sondern auch die übrigen Angehörigen der Mission ruhig auf ihrem Posten geblieben wären. Wir hätten ihnen ebenso wenig getan wie früher dem alten englischen Missionar in Peramiho bei Ssongea. Das Land war außerordentlich reich; im Missionsgarten wuchsen prachtvolle Erdbeeren. Bei der 2 Stunden nordöstlich Kajambi lagernden Nachhut wurde mittags Gewehrfeuer gehört; Hauptmann Koehl war dort zum Ernten von Verpflegung geblieben, Europäer und Askari zum großen Teil in einzelne Erntepatrouillen auseinandergezogen. Da wurde er von einer feindlichen Patrouille angegriffen. Hauptmann Koehl zog sich aus der unerquicklichen Lage heraus und machte am nächsten Tage bei Mission Kajambi wieder Front, wobei der Feind gelegentlich mit Erfolg unter überraschendes Feuer genommen wurde. Der Weitermarsch unseres Gros auf Kasama wurde am 7. November fortgesetzt. Ein Nachrücken des Feindes wurde nicht beobachtet. Sollte er aber doch nachdrücken, so war anzunehmen, daß er dies aus Verpflegungsgründen nicht in allzu großer Stärke tun konnte. Es bot sich die Aussicht, nach schneller Wegnahme von Kasama und auf diesen Ort basiert Front zu machen und ein günstiges Gefecht zu liefern.
Aber das waren Zukunftshoffnungen; für das erste galt es, schnell Kasama selbst zu nehmen, das nach den vorliegenden Nachrichten zwar nicht sehr stark besetzt, aber gut befestigt war. Hauptmann Spangenberg mit der Vorhut vergrößerte seinen Tagesmarschvorsprung immer mehr durch gesteigerte Marschleistungen. Ich folgte mit dem Gros; Verpflegung wurde ausreichend gefunden, und auch die Schilderungen verschiedener Bücher, nach denen der Wald reich an schmackhaften Porifrüchten sein sollte, bestätigten sich.
Am 8. November hatte Abteilung Spangenberg mehrere Patrouillengefechte nördlich Kasama, am 9. November nahm sie Kasama, dessen aus einer halben Kompagnie bestehende Besatzung nach Süden abzog. Munition wurde nur wenig erbeutet und auch die anderen Bestände des Waffendepots hatten geringen Wert. Der Ort hatte eine große Reparaturwerkstätte für Automobile und andere Fahrzeuge; mehr als 20 Burenwagen wurden erbeutet. Recht erheblich war[S. 288] die Beute an Europäerverpflegung. Auffallend war, daß eine englische Gesellschaft in Kasama — ich glaube, es war die African Lakes Corporation — schriftliche Anweisung zur Zerstörung ihrer Bestände durch die Eingeborenen gegeben hatte. Diese kamen dann auch in größeren Mengen zum Plündern heran und Abteilung Spangenberg fand die Gebäude, Inventar und Bestände zum großen Teil durch plündernde Eingeborene zerstört vor. Seinem Eingreifen ist es zu danken, daß unter anderem das mit vielem Geschmack gebaute und eingerichtete Haus des britischen Commissionars erhalten blieb.
Während unseres Vormarsches von Fife hatte sich herausgestellt, daß, je weiter wir vorrückten, die feindlichen Magazine voller waren. Es machte den Eindruck, als ob wir eine Etappenlinie aufrollten, die, bei Broken Hill oder etwas nördlich davon anfangend, erst im Entstehen begriffen war. Wir durften hoffen, bei schnellem weiteren Vordringen auf noch reichere Bestände zu treffen, und die aufgefundenen Papiere und Eingeborenennachrichten schienen dies zu bestätigen. Drei Tagemärsche weiter, den Telephondraht entlang, sollten bei der Chambesi-Fähre große Bestände liegen, die zum Teil mit Booten herantransportiert waren. Ich selbst war mit Fahrrad am 11. November bei Hauptmann Spangenberg in Kasama eingetroffen, und dieser marschierte mit 2 Kompagnien sogleich weiter nach Süden auf die Chambesi-Fähre zu.
Das Gros selbst kam am 12. November nach Kasama. Gegen Abend hörte man aus unserer Anmarschrichtung Gewehr- und Maschinengewehrfeuer. Unsere Nachhut wurde 2 Stunden nördlich Kasama in ihrem Lager angegriffen. Der Feind, der bei Kajambi gefochten hatte, war nicht unmittelbar gefolgt, sondern hatte einen Parallelweg eingeschlagen. Nachts traf Abteilung Koehl bei Kasama ein. Mir schien jetzt das Unternehmen gegen das Chambesi-Magazin das aussichtsvollere und wichtigere zu sein, um so mehr, als der verfolgende Gegner nach der ganzen Lage immer weiter verfolgen und so von neuem für uns Gelegenheit zum Frontmachen bieten mußte.
[S. 289]
So blieb in Kasama nur die Abteilung Koehl zurück, um mit Tagesmarschabstand zu folgen. Mit dem Gros folgte ich der Abteilung Spangenberg am 13. November früh. Ich war mit dem Fahrrad vorausgefahren, hatte die Lagerplätze ausgesucht und erwartete die Truppe, als Hauptmann Müller gleichfalls mit Fahrrad zu mir kam und meldete, daß Waffenstillstand abgeschlossen sei. Ein englischer Motorfahrer, der die Nachricht zu den britischen Truppen hatte bringen sollen, war versehentlich nach Kasama hineingefahren und dort von der Abteilung Koehl gefangen genommen worden! Vermittelst der englischen Telefonleitung, die wir entlang marschierten, konnten wir uns meist leidlich schnell verständigen, und so haben wir die Nachricht vom Waffenstillstand erhalten.
Das Telegramm des Motorfahrers lautete:
12./11./18. To be fwded via M. B. Cable and despatch rider.
Send following to Colonel Von Lettow Vorbeck under white flag. The Prime Minister of England has announced that an armistice was signed at 5 hours on Nov. 11th and that hostilities on all fronts cease at 11 hours on Nov. 11th. I am ordering my troops to cease hostilities forthwith unless attacked and of course I conclude that you will do the same. Conditions of armistice will be forwarded you immediately I receive them. Meanwhile I suggest that you should remain in your present vicinity in order to facilitate communication. General Van Deventer.
As message is also being sent via Livingstone, it is important Karwunfor receives this same time as enemy; every effort must be made get message to him today.
Unsere Empfindungen waren sehr gemischt; ich persönlich, der ich von den wirklichen Verhältnissen in Deutschland keine Kenntnis hatte, glaubte an einen günstigen oder zum mindesten für Deutschland nicht ungünstigen Abschluß der Feindseligkeiten.
Die vorausgesandte Abteilung Spangenberg mußte schnell benachrichtigt werden, und ich setzte mich sogleich mit einem Begleiter, dem[S. 290] Landsturmmann Hauter, aufs Rad und fuhr ihr nach. Auf halbem Wege kam mir die Radfahrpatrouille Reißmann der Abteilung Spangenberg entgegen und meldete, daß Hauptmann Spangenberg bei der Chambezi-Fähre eingetroffen sei. Wenn ich auch die Richtigkeit der englischen Nachricht vom Waffenstillstand nicht bezweifelte, so war unsere Lage doch ziemlich heikel. Wir befanden uns in einem Gebiet mit wenig Verpflegung und waren darauf angewiesen, unseren Standort von Zeit zu Zeit zu wechseln. Schon aus diesem Grunde war es notwendig, Übergänge über den Chambezifluß zu erkunden und für uns zu sichern. Wurden die Feindseligkeiten wieder aufgenommen, so mußten wir erst recht einen gesicherten Uferwechsel haben. Diese Frage war brennend, da die Regenzeit und damit das Anschwellen der Flüsse unmittelbar bevorstand. Stärkere Gewitter setzten bereits ein. Es war also vieles mit Hauptmann Spangenberg an Ort und Stelle zu besprechen und mit dem englischen Offizier, der voraussichtlich jenseits des Chambezi stehen würde, zu regeln. Auf alle Fälle mußte der Aufkauf und die Beschaffung von Verpflegung energisch weiter betrieben werden. Zu diesem letzteren Zweck ließ ich meinen Begleiter zurück und radelte selbst mit der Patrouille Reißmann zur Abteilung Spangenberg.
Wir trafen gegen 8 Uhr abends, bei völliger Dunkelheit, ein; Hauptmann Spangenberg war noch unterwegs auf einer Erkundung, aber Unterzahlmeister Dohmen und andere Europäer versorgten mich, sobald sie von meiner Ankunft erfuhren, reichlich. Ich konnte mich überzeugen, daß das Magazin von Kasama auch Haferflocken, Jam und andere gute Dinge enthalten hatte, die mir bis dahin unbekannt geblieben waren.
Hauptmann Spangenberg meldete mir bei seiner Rückkehr, daß auch er inzwischen durch die Engländer Nachricht vom Waffenstillstand erhalten hatte. Als ich mich in seinem Zelt zur Ruhe gelegt hatte, brachte er mir gegen Mitternacht ein durch die Engländer übermitteltes Telegramm des Generals van Deventer, das über Salisbury gekommen war. Nach diesem hatte Deutschland die bedingungslose Übergabe aller in Ostafrika operierenden Truppen unterzeichnet; Deventer fügte hinzu, daß er die sofortige Befreiung der englischen Kriegsgefangenen und unseren Marsch nach Abercorn verlangte. In[S. 291] Abercorn wären alle Waffen und Munition abzuliefern, doch dürften die Europäer zunächst ihre Waffen behalten. Der vollständige Text dieses Telegramms lautete:
13. XI. 18. To Norforce. Karwunfor via Fife.
Send following to Col. Von Lettow Vorbeck under white flag. War office London telegraphes that clause seventeen of the armistice signed by the German Govt. provides for unconditional surrender of all German forces operating in East Africa within one month from Nov. 11th.
My conditions are. First, hand over all allied prisoners in your hands, Europeans and Natives to the nearest body of British troops forthwith. Second, that you bring your force to Abercorn without delay, as Abercorn is the nearest place at which I can supply you with food. Third, that you hand over all arms and ammunition to my representative at Abercorn. I will however allow you and your officers and European ranks to return their personal weapons for the present in consideration of the gallant fight you have made, provided that you bring your force to Abercorn without delay. Arrangements will be made at Abercorn to send all Germans to Morogoro and to repatriate German Askari. Kindly send an early answer giving probable date of arrival at Abercorn and numbers of German officers and men, Askari and followers.
General van Deventer.
Diese eine Nachricht besagte, wenn sie sich bestätigte, genug und zeigte die Notlage des Vaterlandes; niemals würde es sonst eine ehrenvoll und erfolgreich im Felde stehende Truppe preisgeben.
Ohne die Gründe im einzelnen nachprüfen zu können, mußte ich mir sagen, daß die von uns verlangten Bedingungen eben unvermeidlich seien und loyal erfüllt werden müßten. Bei einer mit dem britischen Commissionar, der von Kasama zur Chambezi Rubber Factory übergesiedelt war, am 14. November morgens 8 Uhr am Fluß vereinbarten Zusammenkunft übergab ich diesem ein Telegramm an Seine Majestät, in dem ich das Vorgefallene meldete und hinzufügte, daß ich entsprechend verfahren würde. Der Commissionar teilte mir mit, daß die deutsche Flotte revoltiert habe und auch sonst in Deutschland Revolution sei; nach einer ihm offiziell bisher nicht bestätigten Nachricht habe[S. 292] ferner der Kaiser am 10. November abgedankt. Alle diese Nachrichten schienen mir unwahrscheinlich, und ich habe sie nicht geglaubt, bis sie mir nach Monaten auf der Heimreise bestätigt wurden.
Unsere Truppe, Europäer und Farbige, hatten fest daran geglaubt, daß Deutschland in diesem Kriege nicht unterliegen würde, und alle waren entschlossen, bis zum Äußersten zu kämpfen. Gewiß war es fraglich, ob unsere Kraft reichen würde, wenn der Krieg noch mehrere Jahre dauerte, aber auf mindestens ein Jahr sahen wir allen Möglichkeiten mit Ruhe entgegen; die Truppe war gut bewaffnet, ausgerüstet und verpflegt, die augenblickliche Kriegslage so günstig für uns wie seit langem nicht. Zwar sahen die Askari, daß wir weniger und weniger wurden — wir waren noch 155 Europäer, davon 30 Offiziere, Sanitätsoffiziere und obere Beamte, 1168 Askari und rund 3000 andere Farbige stark — aber als ich gelegentlich mit einer meiner Ordonnanzen darüber sprach, da versicherte er mir: „Ich werde bei Euch bleiben und weiter fechten, bis ich falle“. Ähnliche Äußerungen sind von vielen anderen gemacht worden. Ich bin überzeugt, daß es nicht bloße Redensarten waren.
Am 14. November nachmittags traf ich mit dem Fahrrad wieder beim Gros der Truppe ein, teilte den Europäern das an der Chambezi-Fähre Erlebte sowie meine Absicht mit, die mir offiziell bekannt gegebenen Bedingungen, an deren Richtigkeit ich nicht zweifelte, auszuführen.
Bevor die Gefangenen entlassen wurden, suchte mich der älteste derselben, Colonel Dickinson, auf und verabschiedete sich von mir. Nach seiner Angabe hatte die mehr als dreimonatliche Gefangenschaft ihm einen interessanten Einblick in unser Lagerleben, in die Anlage unserer Märsche und die Führung unserer Gefechte gegeben. Über die Einfachheit unserer Anordnungen und das reibungslose Funktionieren war er des Lobes voll; zweifellos hatte er mit offenen Augen gesehen.
Auch unseren Askari wurde die Wendung der Dinge bekannt gegeben. Es war vorauszusehen, daß ihre Abfindung mit den seit Jahren rückständigen Gebührnissen Schwierigkeiten machen würde, und dasselbe galt für die Träger. Und doch war es für uns Ehrensache, diesen Leuten, die mit so großer Hingabe für uns gekämpft und gearbeitet hatten, zu ihrem Recht zu verhelfen. Die erforderliche Summe — es[S. 293] handelte sich etwa um 1½ Millionen Rupien (im Frieden eine Rupie = 1,33 Mark) war verhältnismäßig gering, und so wurde Leutnant d. Res. Kempner mit Rad vorausgeschickt, um diese Summe von den Engländern oder durch ihre Vermittlung auf dem schnellsten Wege zu beschaffen. Unsere wiederholten Bemühungen sind erfolglos geblieben. Es wurde uns zwar zu verschiedenen Malen mitgeteilt, daß die Frage seitens des War Office in Erwägung (under consideration) gezogen sei, aber dabei blieb es; auch auf meine Telegramme an die deutsche Regierung in Berlin habe ich keine Antwort bekommen. Es blieb schließlich nichts weiter übrig, als Listen über die rückständigen Gebührnisse zusammenzustellen und den einzelnen Trägern und Askari Gutscheine darüber mitzugeben.
Wir marschierten nun in kleinen Märschen über Kasama auf Abercorn zu. Britischerseits wurden uns Einzelheiten über die Waffenstillstandsbedingungen bekannt gegeben. Es stellte sich heraus, daß in diesen nicht „bedingungslose Übergabe“, wie General van Deventer ursprünglich mitgeteilt hatte, verlangt war, sondern „bedingungslose Räumung“ (evacuation). Gegen die Auslegung des englischen Kriegsamtes, daß das Wort evacuation die Übergabe und Entwaffnung einbegriffe, erhob ich mehrfach Einspruch, habe aber weder von den Regierungen der alliierten Länder und der Vereinigten Staaten noch von der deutschen Regierung Antwort erhalten. Ich habe mir überlegt, ob ich bei dieser zweifellosen Entstellung des Wortes evacuation mich auf nichts Weiteres einlassen und zu den Belgiern oder sonst wo anders hinmarschieren sollte. Aber schließlich war im Vergleich zu der Gesamtheit der Friedensbedingungen die die Schutztruppe betreffende Klausel ein so geringer Punkt, daß ich beschloß, nach Daressalam zu rücken, wie General van Deventer es verlangte, allerdings in der Erwartung, daß die Engländer uns von dort den Bedingungen des Waffenstillstandes entsprechend sogleich weiter in die Heimat transportieren würden. Diese Erwartung wurde, wie sich später herausstellte, nicht erfüllt.
Unweit nördlich von Kasama überholten wir den Gegner, gegen den die letzten Scharmützel stattgefunden hatten, das 1. Bataillon der VI. King’s African Rifles. Die Einladung des Colonel Hawkins, des kaum dreißigjährigen liebenswürdigen Führers, die er mir beim Durchmarsch[S. 294] durch Colonel Dickinson für die deutschen Offiziere für einen Imbiß übermitteln ließ, mußte ich ablehnen, so sehr ich mich auch über die hierdurch zum Ausdruck gebrachte Ritterlichkeit freute. Doch ließ es sich Colonel Hawkins nicht nehmen, an einem der folgenden Tage seinen Besuch zu machen und eine recht angeregte Stunde bei einer Tasse Kaffee bei mir zuzubringen. Es ist anzuerkennen, daß die Offiziere dieses Bataillons in der gewiß etwas schwierigen Lage mit großem Takt und mit der Achtung verfahren sind, auf die ein ehrenhafter Feind Anspruch hat. Hawkins teilte mir übrigens mit, daß er aus Verpflegungsgründen nicht hätte weiter folgen können, und wir mußten ihm mit Vieh aushelfen, das wir ja in ausreichender Zahl besaßen.
Nach Abercorn hatte sich Leutnant d. Res. Kempner mit dem Fahrrad vorausbegeben. Nach seiner Rückkehr fuhr ich selbst mit einem vom General Edwards geschickten Auto dorthin. Die Aufnahme bei General Edwards selbst sowie in der Messe seines Stabes war sehr entgegenkommend. Ich präzisierte meinen Standpunkt dem General Edwards gegenüber dahin, daß ich die Verpflichtung zur Abgabe unserer Waffen nicht anerkannte, aber zur Abgabe bereit wäre, wenn ich hierdurch Vorteile nicht für den einzelnen von uns, sondern für die deutsche Regierung erreichen könne. Es wurde mir zugestanden, daß die von uns abgegebenen Waffen und Munition auf die Bestände in Anrechnung kommen würden, welche Deutschland gemäß der Waffenstillstandsbedingungen an die alliierten Regierungen abzugeben hatte. Die Abgabe unserer Waffen sollte ferner auch äußerlich nicht den Charakter einer Waffenstreckung haben.
Über die Askari und Träger wurde mir mitgeteilt, daß die Engländer sie in Tabora in Internierungslagern unterbringen wollten, bis ihre Abfindung mit Gebührnissen geregelt und ihre Repatriierung durchgeführt sei. Die Europäer sollten bis zur Abfahrt des Schiffes, also voraussichtlich nur wenige Tage, in Daressalam interniert werden. Diese Bedingungen sind feindlicherseits nicht innegehalten worden. Sowohl die Askari in Tabora wie auch die Europäer in Daressalam sind 1½ Monate und länger in Gefangenenlagern hinter Stacheldraht eingeschlossen worden.
Am 25. November traf die Truppe in Abercorn ein. Dort war an[S. 295] dem Platze, an dem die Abgabe der Waffen erfolgte, die englische Fahne aufgepflanzt, und es läßt sich nicht leugnen, daß hierdurch der Charakter einer Waffenstreckung nicht ganz vermieden wurde. Es wurden übergeben: ein portugiesisches Geschütz, 37 Maschinengewehre (davon 7 deutsche, 16 schwere und 14 leichte englische), 1071 englische und portugiesische Gewehre, 208000 Patronen, 40 Schuß Artilleriemunition. Die Engländer waren sehr schnell dabei, die abgegebenen Gewehre fortzuräumen. Nicht ein einziges modernes deutsches Gewehr war darunter!!! Die Stärke der Truppe war: der Gouverneur, 20 Offiziere, 5 Sanitätsoffiziere, ein Arzt der freiwilligen Krankenpflege, ein Oberveterinär, ein Oberapotheker, ein Feldtelegraphensekretär, 125 Europäer anderer Dienstgrade, 1156 Askari und 1598 Truppenträger. Das Eintreffen der einzelnen Abteilungen zögerte sich infolge schwerer Regengüsse um Stunden hinaus. Der Lagerplatz für die Askari war mit einem hohen Dornverhau eingefaßt und infolge Ungeschicklichkeit übertrieben eng gewählt. Dies erregte bei vielen unserer Askari heftigen Unwillen, der sich manchmal in Tätlichkeiten gegen die englischen Askari entlud. Aber die Leute fanden sich schließlich mit der unangenehmen Lage ab, und auch General Edwards sah ein, daß hier unnötigerweise ein Anlaß zu Reibungen an den Haaren herbeigezogen worden war. Wir waren ja doch keine Kriegsgefangenen, deren Entlaufen er zu befürchten hatte, sondern wir hatten uns freiwillig in Erfüllung einer unangenehmen Pflicht in seine Hände begeben. Er nahm für den Weitermarsch nach Bismarckburg von ähnlichen Einrichtungen Abstand, und so sind wir mit dem Bataillon Hawkins gemeinsam und ohne die geringste gegenseitige Belästigung nach Bismarckburg marschiert. Am 28. November bezogen wir an dem gewaltigen Wasserfall des Kalamboflusses Lager, 3 Stunden von Bismarckburg entfernt. Hier blieben wir mehrere Tage liegen, da die Abfahrt mit den Dampfern von Bismarckburg aus sich immer wieder verzögerte. Verschiedene Offiziere bestürmten mich, ob wir nicht doch noch weiter fechten wollten. Solche Bestrebungen waren etwas unbequem, da es sowieso schon für mich einer Menge kühler Überlegung bedurfte, um aus unserer doch recht unangenehmen Lage herauszukommen. Aber mehr als diese Unbequemlichkeit empfand ich die Freude über solche Äußerungen gesunden kriegerischen Geistes, der selbst jetzt,[S. 296] nachdem wir alle Waffen abgegeben hatten, nicht davor zurückschreckte, ein feindliches Lager zu stürmen und uns von neuem die Grundlage für weitere Kriegführung zu verschaffen.
Am 3. Dezember empfing ich ein Telegramm des Generals van Deventer, datiert vom 2. Dezember. Es lautete folgendermaßen:
I beg to acknowledge receipt of your telegramm setting forth your formal protest against your troops being treated as prisoners of war. This will duly be forwarded to the War Office. Meanwhile I am sure you will recognise that pending the receipt through the War Office of a communication on the subject of the German Govt. I have had no choice but to act in accordance with the orders of the War Office, and treat your force as prisoners of war.
Am gleichen Tage ging der erste Transport der Truppen auf vier Schiffen an Bord. Auf einem derselben, dem St. George, waren außer der aus englischer Marine bestehenden Besatzung und einem Eskortoffizier nur der Gouverneur und die Offiziere des Kommandos mit ihren schwarzen Dienern untergebracht. An Verpflegung hatten wir Cornedbeef, Datteln und Biskuits von den Engländern erhalten, und Oberveterinär Dr. Huber sorgte auch hier an Bord, wie vorher schon so viele Jahre im Pori, ausgezeichnet für unser leibliches Wohl. Der britische Commander, der Eskortoffizier und die gesamte Besatzung waren außerordentlich entgegenkommend. Als nach kurzem Aufenthalt am Abend des 3. Dezember in der belgischen Station Vua während der Nacht ein heftiger Sturm ausbrach, der die Sonnensegel zerriß und unter anderem auch Dr. Hubers Rock wegführte, da waren die englischen Matrosen aufs sorgfältigste um die ganz durchnäßten Deutschen bemüht.
Am 5. Dezember langten wir in Kigoma an. Der Ort stand unter belgischem Befehl, und weit über alle Erwartungen hinaus haben uns hier die Belgier bewirtet und dabei doch die taktvolle Zurückhaltung bewahrt, die uns gegenüber nun einmal geboten war. Für alle Europäer waren in großen Schuppen gedeckte Tafeln aufgestellt, ein Anblick, dessen wir seit Jahren entwöhnt waren. Sogar etwas Rotwein tauchte auf. Der belgische Gouverneur hatte seinen Ordonnanzoffizier, der fließend Deutsch sprach, zu unserem offiziellen Empfang gesandt, und ich nahm gern Gelegenheit, mich vor Antritt der Eisenbahnfahrt[S. 297] bei dem belgischen Commandant de place für die uns erwiesene Kameradschaftlichkeit, die bei Soldaten ja auch zwischen Feinden bei gegenseitiger Achtung besteht, zu bedanken.
Auch bei den Engländern blieben gelegentliche Ungezogenheiten einzelner Offiziere, deren Kinderstube augenscheinlich nicht nach Süden gelegen hatte, durchaus auf Ausnahmefälle beschränkt. Ältere Herren griffen sogleich in taktvoller Weise ein, wenn einzelne jüngere Kameraden beispielsweise einen deutschen Kranken rücksichtslos aus dem Eisenbahnabteil entfernen wollten. Auf der Eisenbahn waren wir Europäer recht gut untergebracht und konnten uns wie im Frieden in der Nacht durch Ausziehen der Lederpolster und Einhaken der Gestelle gute Schlafgelegenheiten übereinander herstellen. In Tabora waren eine Menge Deutsche auf dem Bahnhof. Sie beklagten sich über viele Räubereien seitens der Belgier und der Engländer. Es ist auch wohl sicher, daß viele Ausschreitungen vorgekommen sind. In Dodoma blieben wir die Nacht über liegen und hatten am nächsten Morgen Gelegenheit, uns Wasser zu holen und gründlich zu reinigen.
Nach Morogoro war über das Eintreffen unseres Transportes Nachricht gegeben worden, und hier fanden wir nachmittags die deutschen Frauen wieder, die in Morogoro und Umgebung vor 2 Jahren zurückgelassen worden waren. Sie hatten Tee und Kaffee gekocht, Bufette mit Brötchen eingerichtet und Kuchen in Massen gebacken. Dazu gab es die schönsten Früchte. Fast ebenso interessiert wie die Deutschen waren die Engländer selbst. Außer einem sehr liebenswürdigen älteren Sanitätsoffizier ist mir besonders ein baumlanger Korporal in Erinnerung, der augenscheinlich schon vor Eintreffen unseres Zuges eine ganze Reihe von Gläsern auf unser Wohl getrunken hatte. Es gelang mir aber doch schließlich auch diesem zu entschlüpfen.
In Daressalam trafen wir am 8. Dezember um 7 Uhr vormittags ein. Die Europäer wurden in einem mit Stacheldraht umgebenen Lager in großen Zelten gut untergebracht. Die Verpflegung war gut und reichlich und in der englischen Kantine gab es Bedarfsartikel aller Art zu billigen Preisen zu kaufen. Gouverneur Schnee und ich wurden durch den Chef des Stabes des britischen Oberbefehlshabers, General Sheppard, empfangen und zu unserem außerhalb des Lagers[S. 298] recht hübsch gelegenen Hause geleitet. Dorthin hatte General van Deventer freundlicherweise einen Imbiß zur Begrüßung geschickt. Hier wurden Major Kraut, Hauptmann Spangenberg und Oberveterinär Dr. Huber einquartiert. General Wahle, der vor einigen Monaten in Ubene krank in Feindeshand zurückgelassen war, fanden wir hier recht erholt wieder. Wir machten wiederum gemeinsame Messe und unsere Bewegungsfreiheit außerhalb des Hauses war nur insofern etwas eingeschränkt, als wir stets einen britischen Eskortoffizier bei uns haben mußten. Anfänglich waren diese Herren recht unpünktlich, aber es bildete sich schließlich doch ein erträglicher Zustand heraus, und ich hatte Gelegenheit, in Daressalam die Bekannten aufzusuchen und meine persönlichen Angelegenheiten zu ordnen. Meist wurde mir hierzu auch ein Auto gestellt. Der Vorstand der Gefangenenlager, Major Hosken, der schon in Tanga für die gefangenen deutschen Frauen und Kinder große menschliche Fürsorge gezeigt hatte, war auch in Daressalam bemüht, unnötige Schikanen von uns fernzuhalten.
Wir waren schon auf der Eisenbahnfahrt überrascht gewesen, fast auf jeder Station mehr englische Europäer anzutreffen, als wir in der ganzen Schutztruppe hatten; hier in Daressalam aber wimmelte es von weißen Truppen. Ich schätzte ihre Zahl auf nicht unter 5000, und zu Hunderten und Aberhunderten standen die reparaturbedürftigen Automobile in den Wagenparks.
Die enge Zusammenhäufung der Menschen zeigte ihre Gefährlichkeit beim Auftreten der spanischen Influenza. Eskortenoffiziere erzählten mir, daß manchmal an einem Tage 5, manchmal 7 englische Offiziere in Daressalam an dieser Krankheit starben, und bald spürten wir sie auch selbst. Die Ansteckung ist wahrscheinlich während des Schiffstransportes auf dem Tanganjikasee und dann auf der Eisenbahnfahrt erfolgt. In den Konzentrationslagern in Daressalam ist sie von Mann zu Mann weitergegangen. Hauptmann Spangenberg begleitete mich kurz nach seiner Ankunft in Daressalam noch in die Stadt, dann fühlte er, dessen eiserne Natur alle Strapazen im Felde so gut überstanden hatte, sich elend und starb im Lazarett am 18. Dezember an Influenza und Lungenentzündung.
Fast alle Europäer unseres Lagers wurden von ihr befallen, und es war schmerzlich, daß außer Hauptmann Spangenberg noch neun weitere[S. 299] Europäer, im ganzen also fast 10% unserer Kopfzahl ihr erlagen. Auch von den in Tabora internierten Eingeborenen sind 150 Askari und 200 Träger gestorben.
In verschiedenen Gefangenenlagern in Daressalam waren auch mehrere hundert deutsche Askari untergebracht, die zu früheren Zeiten in die Hände der Engländer gefallen waren. Verschiedene von ihnen waren bereits Jahr und Tag in englischer Gefangenschaft und hatten sich standhaft geweigert, bei den Engländern als Askari einzutreten. Dies war ihnen nach ihrer Angabe wiederholt angeboten worden. Unsere Askari hatten das deutsche Kriegsgefangenenlager der weißen Soldaten unmittelbar vor Augen. Es war erfreulich, daß wir Europäer hierdurch in den Augen der Askari nicht im geringsten verloren. Genau wie früher bezeigten sie uns die größte Anhänglichkeit und Disziplin und zweifellos kam hierdurch die große innere Achtung, die sie vor uns Deutschen hatten, zum Ausdruck. Sie waren klug genug, einzusehen, daß die größere militärische Leistung doch auf deutscher Seite war, und sie waren von jeher gewohnt, daß wir auch in schweren Zeiten alle Beschwerlichkeiten redlich mit ihnen teilten und stets ein warmes Herz für ihre vielen kleinen Anliegen hatten.
Auch sonst zeigten uns die Eingeborenen gern ihre Anhänglichkeit und ihr Vertrauen. Die schwarzen Diener hielten ihren rückständigen Lohn in den Händen ihrer deutschen Herren, die im Augenblick kaum über Barmittel verfügten, für vollständig gesichert. Mit den Engländern war manche trübe Erfahrung gemacht worden. Jeder wußte, daß in den Gefangenenlagern die Gelder unserer Leute wiederholt und zwar in erheblichem Umfange durch englische Offiziere unterschlagen worden waren. Frühere Boys und auch andere Eingeborene kamen manchmal von weither angereist, um uns zu begrüßen, und ich habe den Eindruck gewonnen, daß die Eingeborenen im großen und ganzen die deutsche Herrschaft recht gern wiederhaben wollten. Sicherlich waren unter den englischen Europäern eine ganze Menge übler Elemente. Manche ließen sich sogar von Eingeborenen Bestechungsgelder geben, andere waren bei hellichtem Tage in deutsche Europäerhäuser eingedrungen, um dort zu rauben.
Ich hielt es unter diesen Umständen für geboten, das in Daressalam und an der Zentralbahn liegende Privateigentum von Deutschen, die[S. 300] abwesend waren und sich selbst um das Ihrige nicht kümmern konnten, nach Deutschland mitzunehmen. Ein Verbleiben desselben ohne deutsche Aufsicht in Afrika schien mir zu bedenklich. Es machte ziemlich viel Mühe, dieses Eigentum aufzufinden und zu sammeln. Schließlich ist es aber doch im allgemeinen durchgeführt worden. Beim Durchstöbern der verschiedenen Schuppen hatte ich auch die angenehme Überraschung, mehrere Kisten mit meinen eigenen Sachen, die ich bei Ausbruch des Krieges der Firma Devers in Daressalam zur Aufbewahrung übergeben hatte, wieder vorzufinden. Auch von meinen in Morogoro gelassenen Sachen wurde einiges gerettet. Verschiedene in Morogoro gelassene Stücke habe ich allerdings nicht wieder bekommen, und die Engländer fanden immer wieder einen Vorwand, um mir die erbetene Fahrt nach Morogoro zu verweigern. Ob dieses eine bloße Unhöflichkeit war oder ob irgendein tiefsinniger, mir unbekannter Grund vorlag, darüber habe ich keine Klarheit bekommen können. Nur allgemein war mir die Beobachtung interessant, wie die Gewohnheit, in freundlicher Weise halbe Versprechungen zu geben und nichts zu halten und dadurch eine Sache immer weiter und weiter hinauszuzögern, den Engländern allgemein in Fleisch und Blut übergegangen ist.
Mein Weg führte mich bei diesen Gelegenheiten auch manchmal zum Administration Staff (der etwa unserem Chef des Etappenwesens entspricht); nach manchem Hin- und Herfragen fand ich ihn in meiner alten Wohnung vor, die ich vor dem Kriege innegehabt hatte. Bei verständigen Engländern fand ich die Auffassung vertreten, daß Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen und auch für seinen Bevölkerungsüberschuß Kolonialbesitz haben müsse. England habe zu viele Kolonien, und es fehle ihm dafür im Augenblick sogar an ausreichendem geeignetem Personal.
Wenn die Engländer bei Bekanntgabe des Waffenstillstandes betont hatten, daß wir schnell nach Daressalam kommen müßten, um noch rechtzeitig, also bis zum 12. Dezember, abtransportiert werden zu können, so hatten sie es selbst mit der Erfüllung dieser Waffenstillstandsbedingung keinesfalls eilig. Unsere Einschiffung wurde weiter und immer weiter hinausgezögert, fand schließlich aber doch am 17. Januar 1919, also auf den Tag 5 Jahre nach meiner Landung in Daressalam statt.
[S. 301]
Die Heimreise im einzelnen zu schildern, würde Stoff für ein ganzes Buch liefern, das in bezug auf tragikomische Ereignisse wohl kaum zu übertreffen wäre. Außer uns 114 deutschen Soldaten waren 18 Zivilisten, 107 Frauen und 87 Kinder an Bord, dazu eine Eskorte von 200 britischen Soldaten. Man wird zugeben, daß Stoff zu endlosen Reibungen bei einer derartig aus Deutschen und Engländern, aus Militär und Zivil, aus Armee und Marine, aus Erwachsenen und Kindern zusammengewürfelten Reisegesellschaft sich auf einem eng belegten Schiff, dem von den Engländern weggenommenen „Feldmarschall“ der Deutsch-Ostafrika-Linie, reichlich einfand. Jedes Stück des Schiffes, vom Klavier bis zur Badewanne, weiß von der Menschen Hassen und Lieben zu berichten. Es ist aber gelungen, alle irgend ernsthaften Zusammenstöße zu vermeiden, und hierzu haben sowohl der menschenfreundliche Kommandant des Schiffes, Captain King, wie auch der junge Colonel Gregg, der Führer der englischen Eskorte, mit musterhaftem Takt das Menschenmögliche beigetragen.
Auf dem Wege über Kapstadt sind wir Ende Februar in Rotterdam eingetroffen. Die zahlreichen bei der Landung dort erschienenen Deutschen zeigten mir zu meiner Überraschung, daß unser Ostafrikanischer Krieg in der Heimat eine so große Beachtung gefunden hatte. Auch viele Holländer bewiesen uns ihre wohlwollende Gesinnung.
Tatsächlich hatte ja unsere kleine Schar, deren Höchstzahl rund 3000 Europäer und rund 11000 Askari betrug, einen gewaltig überlegenen Feind während der ganzen Kriegsdauer gefesselt. Wie ich einleitend (S. 18) bereits bemerkt habe, standen mit Tausenden von Automobilen und vielen Zehntausenden von Reit- und Tragetieren etwa 300000 Mann gegen uns, ausgerüstet mit allem, was die gegen Deutschland vereinigte Welt mit ihren unerschöpflichen Hilfsmitteln gewähren konnte, und trotz dieser für unsere Verhältnisse überwältigenden Zahlen auf feindlicher Seite hat unsere kleine Truppe, die bei Abschluß des Waffenstillstandes nur etwa 1400 Waffentragende betrug, voll kampfbereit und mit größter Unternehmungslust im Felde gestanden. Ich glaube, daß die Klarheit unserer Ziele, die Vaterlandsliebe, das starke Pflichtgefühl und die Opferfreudigkeit, die jeden der wenigen Europäer beseelten und die sich bewußt und unbewußt auch auf unsere braven schwarzen Soldaten übertrug, der kriegerischen Gesamthandlung jenen[S. 302] Schwung verliehen haben, der bis zum Ende durchhielt. Dazu kam ein Soldatenstolz, ein Gefühl des festen gegenseitigen Zusammenhaltens und eine Unternehmungslust, ohne welche kriegerische Erfolge auf die Dauer nicht möglich sind. Wir Ostafrikaner sind uns sicherlich bewußt, daß unsere Leistungen nicht auf gleiche Stufe zu stellen sind mit dem, was die Heimat an Kriegstaten und an Opferfreudigkeit vollbracht hat. Kein Volk hat in der Geschichte jemals Höheres geleistet. Und wenn wir Ostafrikaner in der Heimat einen so erhebenden Empfang gefunden haben, so liegt dies daran, daß bei unserem Eintreffen bei jedermann verwandte Seiten angeschlagen wurden, daß wir ein Stück deutschen Soldatentums bewahrt und unbeschmutzt in die Heimat zurückgeführt haben, und daß die uns Deutschen eigentümliche germanische Mannentreue auch unter den Verhältnissen eines Tropenkrieges aufrecht erhalten worden ist. Sicherlich sind unter dem Drucke der augenblicklichen Not unseres Vaterlandes diese Empfindungen bei manchen unserer Volksgenossen verdunkelt, vorhanden aber sind sie im Grunde der Seele bei jedem, und gerade die begeisterte Aufnahme, die uns von Hunderttausenden bereitet worden ist, stärkt auch in uns Ostafrikanern die Überzeugung, daß trotz der augenblicklichen Verwirrung der Gemüter der gesunde Sinn unseres deutschen Volkes sich emporringen und wieder den Weg finden wird zur Höhe.
Tirpitz
Erinnerungen
Ein stattlicher Band von 526 Seiten mit Bild des Verfassers
Preis geh. M. 20.—, in vornehmem Einband,
Titelzeichnung von Prof. Tiemann, M. 25.—
Die Lektüre dieses Buches wird für jeden folgerichtig denkenden Deutschen ein erschütterndes Ereignis bedeuten. Der gefürchtetste Gegner unserer Feinde spricht zu uns. Der Einzige, der mit genialem Blick den Weg zum Siege erkannte, enthüllt, wie man ihn kaltstellte. Tiefster Schmerz um alles Große, das uns verloren ging, spricht aus diesen Blättern, aber auch ein fester, stolzer Wille zum ehrenvollen Weiterleben.
„Vom Deutschtum zu retten, was noch zu retten ist, bleibt des Schweißes der Edlen wert. Unsere Hoffnung aber sei das kommende Geschlecht. Ein Sklavenvolk sind wir noch nie gewesen. Seit zweitausend Jahren hat unser Volk nach jähem Sturz immer wieder sich emporgehoben.“
Mögen diese Worte, in denen die „Erinnerungen“ ausklingen, im ganzen deutschen Volke Widerhall finden.
Stein
Generalquartiermeister und Kriegsminister a. D.
Erlebnisse und Betrachtungen aus der Zeit des Weltkrieges
Preis geh. M. 10.—, in vornehmem Einband,
Titelzeichnung von Prof. Tiemann, M. 14.50
Aus einer Zuschrift an den Verlag: Es wird Ihnen als Verleger eine Freude sein, zu hören, daß ich seit Jahren kein Buch mit solchem Genuß und solcher Ergriffenheit gelesen habe, als dieses. Zunächst rein äußerlich, dieser großartige Stil, diese kurzen Sätze, wie gehacktes Eisen. Das ist die echte deutsche Soldatensprache. Dann aber inhaltlich dieser Spiegel, der dem deutschen Volke vorgehalten wird.
Dieses Buch muß die Bibel des deutschen Volkes werden.
Die Kapitel „Reichstag“, „Regierung“, „Heer“ sind das Beste, was ich über diese Dinge je gelesen habe.
K. F. Koehler Verlag Leipzig
Generaloberst Freiherr von Hausen
Erinnerungen an den Marnefeldzug
Mit Bildnis des Verfassers, verschiedenen Karten und Gefechtsskizzen und einer einleitenden vortrefflichen historischen Studie von
Friedrich M. Kircheisen
Preis geheftet etwa M. 10.—, gebunden etwa M. 14.50
Generaloberst von Hausen war zu Beginn des Krieges Führer der 3. Armee, die dem Gegner an der Marne solche kraftvolle Schläge versetzte, daß Joffre und Foch jeden Augenblick glaubten, das französische Zentrum würde durchbrochen werden.
Hausen hat die Operationen seiner Armee musterhaft geleitet, trotzdem er an Typhus erkrankt war. Seine Erkrankung war tatsächlich der Grund, daß er vom Kaiser seines Kommandos enthoben wurde, während die Legende sich bildete, daß Hausen an der nichtgewonnenen Schlacht schuld sei. Hausens Erinnerungen bedeuten eine
Ehrenrettung der 3. Armee und ihres Führers.
Sie basieren auf den Unterlagen des Großen Generalstabes, die ihm zur Verfügung standen, und sind untermischt mit höchst lebenswarmen persönlichen Eindrücken, so daß nicht etwa ein militärtechnisches oder polemisches Buch entstanden ist, sondern äußerst spannende, fließend geschriebene Feldaufzeichnungen.
Die beiden weißen Völker!
(The two white nations!)
Deutsch-englische Erinnerungen eines deutschen Seeoffiziers
von
Georg von Hase
Korvettenkapitän a. D.
Preis geheftet etwa M. 10.—, gebunden etwa M. 14.50
Zwei historische Zusammentreffen mit Teilen der englischen Kriegsflotte bilden den Inhalt dieses Buches, das seine Titel einem Trinkspruch eines englischen Admirals verdankt. Die Begegnungen fanden zu ganz verschiedenen Zeiten und unter ganz veränderten Umständen statt: 1914 zur Kieler Woche und 1916, als die deutsche Flotte vor dem Skagerrak ihren gefährlichsten Gegner stellte und schlug. / Korvettenkapitän von Hase nahm an der Seeschlacht vor dem Skagerrak als Erster Artillerieoffizier unseres größten, stärksten und schönsten Großkampfschiffes, des Schlachtkreuzers „Derfflinger“ teil. Er ist in das heißeste Kampfgewühl hineingeraten, hat sämtliche Phasen der Schlacht miterlebt und dabei zu der Vernichtung der beiden englischen Schlachtkreuzer „Queen Mary“ und „Invincible“ entscheidend beigetragen. Es gibt zur Zeit noch keine Darstellung der Schlacht vor dem Skagerrak, in der ein Mitkämpfer in führender Stellung die Schlacht sowohl vom militärischen Standpunkt wie vom Standpunkt des persönlichen Miterlebens, frei von den Fesseln der Zensur, beschrieben und beurteilt hätte. Das vorliegende Buch berichtet als erstes vom tatsächlichen Geschehen und wird zu einem Heldensang deutschen Mutes und deutscher Kraft.
K. F. Koehler Verlag Leipzig