The Project Gutenberg eBook of Die evangelische Kirche im Jahrhundert der Reformation

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Title: Die evangelische Kirche im Jahrhundert der Reformation

Author: Georg Buchwald

Release date: December 10, 2025 [eBook #77435]

Language: German

Original publication: Leipzig: Bernhard Richter's Buchhandlung, 1901

Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE EVANGELISCHE KIRCHE IM JAHRHUNDERT DER REFORMATION ***

Anmerkungen zur Transkription.

Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler sind stillschweigend korrigiert worden.

Die Korrekturen nach dem Vorwort zur 2. Auflage wurden eingearbeitet.

Worte in Antiqua sind "kursiv" dargestellt.

D. Georg Buchwald,

Die evangelische Kirche
im Jahrhundert der Reformation

.
deko

Die
evangelische Kirche
im
Jahrhundert der Reformation.

deko

Dargestellt und herausgegeben
im Auftrage des
Evangelisch-Lutherischen Landeskonsistoriums
des
Königreichs Sachsen
von
D. Georg Buchwald
Pfarrer an der Nordkirche zu Leipzig.

Zweite Auflage.

(6.-10. Tausend.)

Leipzig 1901

Bernhard Richter's Buchhandlung.


Vorwort.

Durch das Hohe Evangelisch-Lutherische Landeskonsistorium des Königreichs Sachsen veranlaßt, hat der Verfasser versucht, in schlichter Form und unter vielfacher Beschränkung ein Bild der evangelischen Kirche im Jahrhundert der Reformation für Schule und Gemeinde zu geben. Das Leben und Wirken Luthers mußte in dieser Darstellung den größten Raum einnehmen. Möge das Büchlein dazu dienen, die Liebe und Treue zu unserer evangelischen Kirche zu stärken!

Dem Hohen Evangelisch-Lutherischen Landeskonsistorium sei auch an dieser Stelle für alle freundliche Förderung gedankt! Die Verlagshandlung hat sich durch die vorzügliche Ausstattung um das Büchlein außerordentlich verdient gemacht.

Leipzig,

am 26. Februar 1901.

Georg Buchwald.

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Vorwort zur zweiten Auflage.

Wenige Tage, nachdem die erste in der Höhe von 5000 Exemplaren gedruckte Auflage erschienen war, machte sich bereits der Neudruck des vorliegenden Buches nötig. Wir hoffen darin ein Zeichen zu erblicken, daß die Ausgabe des Buches einem Bedürfnis unseres evangelischen Volkes entgegenkam.

Besonders erfreulich erscheint es uns, daß eine Reihe von Lehrerseminaren das Buch für ihren gesamten Cötus bestellten.

Möge es weit hinausziehen und freundliche Aufnahme in Kirche, Schule und Haus finden.

Leipzig,

den 19. März 1901.

Georg Buchwald.


Man bittet zu verbessern: S. 9 Z. 3. wie der Hirsch schreiet nach — Z. 14: 1501. — S. 18 Abs. 1 Z. 2: 1512. — S. 102 Z. 6. wollten.


Inhalt.

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Seite
Einleitung 1
Erster Abschnitt.
Was Gott durch D. Martin Luther gethan hat.
1. Von Luthers Eltern und wie es unserm Reformator in seiner Kindheit ergangen ist 4
2. Der Student und der Klosterbruder oder: Wie Luther Frieden sucht 9
3. Der Wittenberger Professor oder: Wie Luther den Frieden fand 14
4. Kampf und Sieg.
a) Der Ablaßhandel
20
b) Luther schlägt die 95 Thesen an
23
c) Der Sieg des Gebannten
30
5. Was Luther dem deutschen Volke geschenkt hat.
a) Die deutsche Bibel
37
b) Das deutsche Gesangbuch
42
c) Der deutsche Katechismus
48
6. Luther gegen den Aufruhr 53
7. Das Augsburgische Glaubensbekenntnis und die »Apologie« 57
8. Einig und stark 66
9. Ein Tag im Hause Luthers 69
10. Luthers Freunde 74
11. Luthers seliger Heimgang 79
Zweiter Abschnitt.
Die Väter der reformierten Kirche.
1. Huldreich Zwingli 85
2. Johann Calvin 91
Dritter Abschnitt.
Der Siegeszug des Evangeliums im Jahrhundert
der Reformation.
1. Deutschland 94
2. Die habsburgischen Lande 97
3. Die Niederlande 99
4. Der Norden Europas 100
5. Großbritannien und Irland 101
6. Frankreich 102
7. Italien und Spanien 105
Vierter Abschnitt.
Aus der Geschichte der evangelischen Kirche bis zum Ende des Reformationsjahrhunderts.
1. Der schmalkaldische Krieg 106
2. Das Interim 110
3. Endlich Friede 112
4. Das »Eintrachtsbuch« 114
5. Berühmte Prediger, gläubige Dichter und fromme Künstler des Jahrhunderts der Reformation 116
Schlußwort 126

Nachdruck verboten!


Übersetzungsrecht vorbehalten!


[S. 1]

Gott Zebaoth, wende dich doch, schaue vom Himmel, und siehe an und suche heim diesen Weinstock und halte ihn im Bau, den deine Rechte gepflanzet hat und den du dir festiglich erwählet hast!

(Psalm 80, 15. 16.)


Einleitung.

Wenn zur Zeit vor der Reformation Christus einmal durch die Christengemeinden unseres großen Vaterlandes gewandelt wäre, hätten ihm gewiß oft die Thränen in den Augen gestanden wie damals, als er auf seine liebe Stadt Jerusalem schaute, die nicht bedenken wollte, was zu ihrem Frieden diente. Was war aus der Kirche, aus ihren Wächtern, Dienern und Hirten geworden? Was hatte man aus dem Gotteswort, wie es einst der Heiland verkündet, was hatte man aus der Predigt der Apostel gemacht?

Nicht als der treue Heiland, nicht als der gute Hirte, nicht als der Mittler, in dem allein unser Friede und Trost im Leben und im Sterben ruht, wurde Christus den Leuten gepredigt. Er war der strenge Richter. Wer von seinem harten Urteilsspruch verschont bleiben wollte, mußte seine Zuflucht zu Maria und anderen Heiligen nehmen.

Aber lehrte denn Gottes Wort nichts Anderes von Christus? Ja, wenn man nur auf den Kanzeln Gottes Wort verkündigt hätte! Aber statt das teure, lautere Evangelium zu predigen, erzählte man in der Kirche allerlei Heiligengeschichten und Legenden — »Lügenden« pflegt sie unser Luther zu nennen.

Und wie wenig stimmte des Papstes Herrlichkeit und Macht mit dem Bilde Christi und seiner Apostel überein! Zwar sagte der Papst, er sei der Nachfolger des Apostel Petrus, ja sogar der sichtbare Stellvertreter Christi auf Erden. Christus freilich hatte eine Dornenkrone getragen und gesagt: »Mein Reich ist nicht von[S. 2] dieser Welt« (Joh. 18, 36). Der Papst aber trug eine dreifache Krone, nicht von Dornen, sondern von purem Golde mit Edelsteinen besetzt. Damit wollte er andeuten, daß seine Macht nicht nur über die Erde, sondern auch bis in den Himmel und bis ins »Fegefeuer« reiche. Der Papst und seine Bischöfe waren reiche Leute, und Kirchen und Klöster strotzten von Gold und Silber. Des Menschen Sohn aber hatte nichts gehabt, wohin er sein Haupt legte, und seinen Jüngern befahl der Herr: »Ihr sollt nicht Gold noch Silber noch Erz in euern Gürteln haben« (Matth. 10, 9). Wer den Papst besuchte, mußte ihm zum Zeichen tiefster Ehrerbietung die Füße küssen. Christus aber hatte seinen Jüngern die Füße gewaschen und dann gesprochen: »Ein Beispiel habe ich euch gegeben, daß ihr thut, wie ich euch gethan habe« (Joh. 13, 15).

Unser Heiland sandte seine Jünger aus, das Evangelium zu predigen. Sie sollten den Menschen den höchsten und wichtigsten Dienst leisten: ihre Seelen dem Herrn zuführen. Wer ihn gefunden hat, der hat Frieden und einen Zugang zum Vater. Damals aber hatten sich die Priester zwischen Gott und die Christenseele gedrängt. Nur wer dem Priester oder der Kirche gehorchte, wer that, was diese ihm befahlen, der konnte zu Gott kommen und selig werden. Christus aber hatte gesagt: »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater, denn durch mich« (Joh. 14, 6).

Was müssen das für herrliche Stunden gewesen sein, wenn sich die Leute um den großen Prediger Jesus Christus sammelten und er erzählte von seinem himmlischen Vater und vom Reiche Gottes! Da blieb keine Seele ohne Speise von oben her, wenn sie sich nur nicht der köstlichen Rede des Heilands verschloß. Wie manches Auge strahlte da von Friede und Freude, weil das Herz es erfahren: Sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben! Und jetzt stand ein Priester in prächtigem Gewande vor dem Altar und redete in einer fremden Sprache, und, kam einer, wie der Zöllner im Tempel und hätte gern Frieden gefunden am Herzen Gottes, so wies der Beichtiger ihn nicht zum Kreuze, da Gottes Lamm der Welt Sünde getragen, sondern legte ihm allerlei Bußübungen auf. Es war vergessen, was der Apostel Paulus schreibt: »Der Gerechte wird seines Glaubens leben« (Gal. 3, 11) und: »So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde[S. 3] ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben« (Röm. 3, 28).

Christus ist selbst der fleißigste Arbeiter gewesen. Wie hat ein Paulus gearbeitet — bei Tage das Evangelium predigend und dann bis in die Nacht hinein durch seiner Hände Arbeit das tägliche Brot verdienend! Jetzt aber sagte man: Der Mönch, der mit dem Bettelsack auf der Schulter die Straße auf und ab zieht und Gaben für das Kloster zusammenträgt, ist ein viel trefflicherer Mann und gilt vor Gott mehr als ein Vater, der sich's für Weib und Kinder sauer werden läßt. Und die Nonne, die in ihrer Zelle sitzt oder in der Kirche fromme Lieder singt, kann stolz herabsehen auf die Mutter, die vom frühen Morgen bis zum späten Abend auf das Wohl ihrer Kinder bedacht ist und mit treuer Sorge ihr Haus in Ordnung hält.

Wohl hatte mancher fromme Mann darum getrauert, daß die Kirche nicht mehr das war, was sie einst in den Zeiten der Apostel gewesen. Wohl waren Stimmen laut geworden, die auf die Heilige Schrift wiesen und aufforderten, zur Schlichtheit der alten Kirche zurückzukehren. Aber immer war es dem Papst und seinen Bischöfen gelungen, solche Männer auf die Seite zu schieben und derartige Stimmen zum Schweigen zu bringen. Zu Tausenden haben die biederen Waldenser auf dem Scheiterhaufen das Leben für ihren Glauben gelassen und im Jahre 1415 erlitt Johann Huß den Feuertod.

Aber trotzdem schauten gläubige Herzen hoffnungsfreudig in die Zukunft. Der Herr hatte es ja selbst verheißen: »Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!« (Matth. 28, 20). Und was vermag der Feinde Macht und List, wenn der Herr auf dem Plan ist! »Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht!« (Luk. 21, 33). So mußte doch die Zeit kommen, wo der Herr sich seiner Kirche erbarmen und Gottes Wort, jetzt verfolgt und unterdrückt, wieder lauter und rein verkündet werden würde.

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[S. 4]

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Ich würdige vollauf den reichen Segen, welcher für unsere teure evangelische Kirche davon ausgehen kann, daß ihre Glieder aller Orten an das große Erbe und die edlen Güter erinnert werden, welche Gott der Herr durch die Reformation uns beschert hat.

Kaiser Wilhelm I.

Erster Abschnitt.
Was Gott durch D. Martin Luther gethan hat.

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1. Von Luthers Eltern und wie es unserm Reformator in seiner Kindheit ergangen ist.

Armer Leute Söhne müssen sich aus dem Staube arbeiten, müssen viel leiden. Und weil sie nichts haben, darauf sie können stolzieren und pochen, lernen sie Gott vertrauen, drücken sich und schweigen still.

Luther.

W

Wenn sich Gott für eine große Arbeit in seinem Reiche ein Rüstzeug erwählt, pflegt er nicht nach Reichtum oder Macht oder Ehre zu fragen. Wen er zu einer großen Aufgabe beruft, dem schenkt er auch die nötigen Gaben. Den König David hat er von den Herden weggeholt. Der Apostel Petrus legte sein Fischernetz beiseite, um dem Herrn zu folgen. Und der Mann, den Gott zum Reformator der Kirche ausersah, bekannte von sich: »Ich bin eines Bauern Sohn, mein Vater, Großvater und Ahn sind rechte Bauern gewesen.« Es mag ein gar kümmerliches Leben gewesen sein, das Vater Hans Luther[S. 5] mit seiner Ehefrau Margarethe in dem Dörfchen Möhra, zwischen Eisenach und Salzungen gelegen, geführt haben. Nach altem Landesbrauch war der väterliche Bauernhof dem jüngsten Bruder zugefallen. Die älteren hinterlassenen Söhne mußten sehen, wie sie durch fleißige Arbeit in fremder Leute Dienst sich ihr Brot verdienten. Da der blühende Bergbau guten Lohn verhieß, wandte sich Hans Luther diesem zu und zog nach Eisleben.

In der Langen Gasse zu Eisleben zeigt man noch heute das Haus, in dem am 10. November 1483 Nachts zwischen elf und zwölf Uhr Hans Luther und seiner Frau das erste Knäblein geboren wurde. Man wartete damals nicht lange mit der heiligen Taufe. Schon am nächsten Tag wurde das Kind in der nahen Peterskirche getauft. Weil aber für diesen Tag im Kalender der Name des heiligen Martinus steht, erhielt der kleine Luther den Namen Martin.

Luthers Geburtshaus
Luthers Geburtshaus.

Luther war sechs Monate alt, als die Eltern mit ihm nach Mansfeld zogen. Der Vater hoffte dort lohnendere Arbeit zu finden. Allezeit hat unser Luther mit herzlicher Dankbarkeit an Vater und Mutter zurückgedacht. »Meine Eltern,« sagt er einmal, »sind erstlich arm gewesen; mein Vater war ein armer Häuer und die Mutter hat ihr Holz auf dem Rücken getragen, damit sie uns Kinder erzogen haben. Sie haben sich's lassen blutsauer werden.« In diesem Hause ist kein Kind verzogen worden. Aber bei aller strengen Zucht herrschte herzliche Liebe. Recht wenig Freundlichkeit aber scheint in der Schule zu Mansfeld gewohnt[S. 6] zu haben. Der Lehrer hat den kleinen Martin einmal an einem Vormittag fünfzehnmal hinter einander »gestrichen«.

Luthers Vater
Luthers Vater.

Wie gern hätte Vater Luther etwas Ordentliches an sein Kind gewandt! Aber woher die Mittel dazu nehmen? Doch dachte er, sollte nicht Gott, der meinem Martin gute Geistesgaben verliehen hat, auch etwas Tüchtiges aus ihm machen können? Es gab manchen armen Schüler, der von Haus zu Haus zog, mit seinen Kameraden vor den Thüren ein Lied sang und dann eine milde Gabe empfing. Wollte Martin einmal ein Gelehrter werden, dann blieb ihm auch nichts anderes übrig. So hat er denn auch »das Brot vor den Häusern genommen«, erst, seit dem Jahre 1497 in Magdeburg, dann, vom folgenden Jahre ab, in Eisenach. In Eisenach aber hat Gott den jungen Luther in ein wohlhabendes Kaufmannshaus geführt. Das ist ihm zum zweiten Elternhaus geworden. Frau Ursula Cotta hatte schon öfters den Knaben beobachtet in seinem Singen und herzlichen Beten. Der arme Junge that ihr leid. In ihrem Hause war noch Platz genug. Darum nahm sie ihn wie ein eigenes Kind zu sich. »Als er eine Zeit lang in Eisenach,« so erzählt der Joachimsthaler Pfarrer und Freund Luthers, Johann Mathesius, »auch vor den Thüren sein Brot ersang, nahm ihn eine andächtige Matrone zu sich an ihren Tisch, dieweil sie um seines Singens und herzlichen Gebets[S. 7] willen in der Kirche eine sehnliche Zuneigung zu dem Knaben trug.« Das war eine Fügung Gottes. Nun lastete nicht mehr der Druck der Armut und Sorge ums tägliche Brot auf dem kindlichen Gemüt. Im freundlichen Hause der edlen Frau Cotta hat wohl Martin erst die Freude der Erholung nach gethaner Arbeit recht kennen gelernt. Hier konnte er nun auch mit ganzem Eifer lernen. Seinem braven Eisenacher Lehrer ist er zeitlebens dankbar gewesen. Der Magister Trebonius — so hieß er — war nicht nur ein grundgelehrter Mann, sondern auch ein freundlicher Lehrer. Kam er ins Schulzimmer, nahm er sein Barett ab und grüßte die Kinder; denn, sagte er, ich kann nicht wissen, ob unter ihnen ein zukünftiger Ratsherr, Bürgermeister oder Kardinal ist. Nach alledem verstehen wir, warum Luther Eisenach seine »liebe Stadt« nennt.

Luthers Mutter

Luthers Mutter.

Schule Luthers in Mansfeld

Schule Luthers in Mansfeld.

[S. 8]

Eisenach mit der Wartburg

Eisenach mit der Wartburg.

[S. 9]

2. Der Student und der Klosterbruder oder: Wie Luther Frieden sucht.

Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser, so schreiet meine Seele, Gott, zu dir.

Psalm 42, 2.

Lutherhaus in Eisenach

Lutherhaus in Eisenach.

N

Nicht ohne Wehmut ist Luther aus dem Cotta'schen Hause geschieden. Wie viel Liebe hatte er dort gefunden! Wollte er aber seinem Ziele weiter zustreben, so mußte er die Eisenacher Georgsschule mit der Universität vertauschen. Das benachbarte Erfurt hatte eine berühmte Hochschule. Im Jahre 1501 trat Luther in die Schar der Erfurter Studenten ein. Was aber die meisten Universitätslehrer trieben und lehrten, wollte dem jungen Studenten nicht sonderlich behagen. Seine Seele brauchte Speise. Solche reichte ihm niemand dar. Trotzdem studierte und lernte Luther fleißiger als die meisten seiner Kameraden und hielt sich getreulich an seinen Spruch »Fleißig gebetet ist über die Hälfte studiert.« Aber recht froh ist er dabei nicht geworden. Oft wurde seine Seele von einem tiefen Weh und einem schmerzlichen Sehnen ergriffen. Sein Herz suchte etwas und er konnte sich selbst nicht sagen, was dies wäre. Später ist's ihm immer deutlicher geworden: es war das Verlangen[S. 10] nach einem gnädigen Gott, die Sehnsucht nach Seelenfrieden. Er konnte ihn erst finden, als er in der Heiligen Schrift studiert und seinen Heiland gefunden hatte. Jenes ungestillte Sehnen und dazu die rastlose Arbeit warfen den Jüngling aufs Krankenlager. Damals hat ihn ein ehrwürdiger Greis mit den[S. 11] prophetischen Worten aufgerichtet: »Seid getrost! Ihr werdet dieses Lagers nicht sterben, sondern unser Herr Gott wird noch einen großen Mann aus euch machen, der viele Leute trösten wird. Denn wen Gott lieb hat, dem legt er zeitlich das heilige Kreuz auf, in welchem geduldige Leute viel lernen!«

Erfurt.
Erfurt.

Einen ganz besonderen Freudentag hat aber Gott in jener Zeit dem jungen Luther beschert. Das war der Tag, an dem er ihn in der Universitätsbibliothek eine ganze lateinische Bibel finden ließ. »Da vermerkt er mit großem Verwundern, daß viel mehr Texte, Episteln und Evangelien darin wären, denn man pflegt in den gewöhnlichen Predigtbüchern und auf den Kanzeln auszulegen. Wie er im Alten Testament sich umsieht, kommt er über Samuelis und seiner Mutter Hanna Geschichte. Die durchliest er eilend mit herzlicher Lust und Freude, und, weil ihm das alles neu war, fängt er an von Grund seines Herzens zu wünschen, unser getreuer Gott wolle ihm dermaleinst auch ein solch eigen Buch bescheren.«

Schon war Luther »Magister« geworden. Das war eine hohe Gelehrtenwürde, die die Universität nur fleißigen und tüchtigen Leuten verlieh. Der Vater Luther war so erfreut und so stolz auf seinen Sohn, daß er ihn jetzt nicht mehr »Du«, sondern »Ihr« nannte. Er sah schon seinen Martin in Amt und Würden, etwa als den hochangesehenen, rechtsgelehrten Rat des Landesherrn.

Es sollte aber ganz anders kommen, als der Vater dachte. Einst reiste Martin in Begleitung eines Freundes in die Heimat. Nicht weit von Erfurt stieß er sich bei einem Fehltritt die Waffe, die er nach Studentensitte an der Seite trug, tief in den Schenkel. Das Blut konnte kaum gestillt werden. Der Jüngling mußte ans Sterben denken. Wie, wenn er plötzlich vor Gottes Richterstuhl gerufen würde! Tiefe Wehmut und ernste Todesgedanken weckte in seiner Seele auch der plötzliche Tod eines seiner Freunde. Endlich — es war im Sommer 1505 — wurde er auf dem Wege von Mansfeld nach Erfurt von einem furchtbaren Gewitter überrascht. Es war ihm, als sähe er im Blitz den Schrecken des jüngsten Gerichts und hörte im Donner die Stimme des zornigen Weltenrichters. In der Todesangst rang sich von Luthers Lippen das Gebet und Gelübde: »Hilf, liebe heilige Anna, ich will ein Mönch werden!« Das Gelübde[S. 12] war gethan. Der Entschluß war gefaßt. Im Kloster hoffte Luther zu finden, wonach seine Seele hungerte und dürstete: Frieden mit seinem Gott!

Im Juli 1505 schlossen sich hinter dem jungen Magister die Pforten des Augustinerklosters zu Erfurt. Nicht nur die Freunde trauerten um ihn. Für den Vater war es ein schwerer Schlag. »Da ich ein Mönch ward,« erzählt Luther, »war mein Vater übel zufrieden und wollte mir's nicht gestatten und sagte mir alle Gunst und väterlichen Willen gar ab.« Freundliche Aufnahme fand Luther im Kloster nicht. Gerade weil er so ernst und gelehrt und mit dem Magistertitel geschmückt war, lud man ihm die allerniedrigsten Arbeiten auf. Wenn er gern still in seiner Zelle über den Büchern gesessen hätte, jagte man ihn hinaus. »Mit dem Sack durch die Stadt!« hieß es. »Mit Betteln und nicht mit Studieren macht man das Kloster reich!« Daß aber einer ihrer Magister im Mönchskittel mit dem Bettelsack auf der Schulter durch Erfurts Straßen zog, rechnete sich die Universität zur Schmach. Sie wandte sich deshalb an Johann Staupitz, der allen Augustinerklöstern in Thüringen und Meißen vorstand. Dessen Fürsprache hatte es Luther zu danken, daß man ihm hinfort alle niedrigen Arbeiten und das Bettelngehen abnahm. Nun konnte er ungestört in seiner Zelle studieren. Das liebste Buch aber war ihm die Heilige Schrift. »Da ward ich,« sagt er selbst, »darinnen also bekannt, daß ich wußte, wo ein jeglicher Spruch stand und zu finden war, wenn davon geredet wurde.«

Wie jeder anderer Mönch, so mußte auch Luther ein Probejahr durchmachen. Erst dann wurde er für immer Mönch und legte sein Gelübde ab. Man hat gewiß damals keinen zweiten gefunden, der es mit seinen Gelübden so genau nahm, wie unser Luther. »Wahr ist's,« bekennt er selbst, »ein frommer Mönch bin ich gewesen und habe so streng meinen Orden gehalten, daß ich's nicht sagen kann. Ist je ein Mönch gen Himmel gekommen durch Möncherei, so wollte ich hineingekommen sein.«

Ein großer Ehrentag war's für Luther, als man ihn zum Priester weihte. Da füllte sich das Kloster mit Gästen. Auch Vater Luther, dessen Arbeit Gott in den letzten Jahren reich gesegnet hatte, kam »mit zwanzig Pferden geritten«. Aber vergessen hatte er es doch nicht, daß sein Martin wider den väterlichen[S. 13] Willen ins Kloster gegangen war. Als an jenem Tage der Sohn frug: »Lieber Vater, warum habt ihr euch so hart dawidergesetzt und waret also zornig, daß ihr mich nicht gerne einen Mönch wolltet werden lassen?« antwortete Vater Luther mit vernehmlicher Stimme, daß es auch die Nachbarn hörten: »Ihr Gelehrten habt ihr nicht gelesen in der Heiligen Schrift, daß man Vater und Mutter ehren soll?« Später hat's Luther eingesehen, daß der Vater ganz recht hatte.

Johann Staupitz
Johann Staupitz.

Aber es ist doch auch Gottes Fügung gewesen, daß Luther das Klosterleben von Grund aus kennen lernte. Mitten im Mönchtum sollte er es erfahren, daß römische Werke nicht zum Frieden führen können. Im Kloster wollte Gott ihn von dem Wahn befreien, daß der Mensch durch seine guten Werke gerecht zu werden vermöge. Luther sollte in die tiefste Unzufriedenheit mit sich selbst geführt werden, sollte hungern und dürsten lernen nach Gerechtigkeit und den Seufzer verstehen: »Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?« (Röm. 7, 24). Nur einer, der das gelernt hatte, konnte mit solcher Freude seinen Heiland ergreifen, wie es Luther gethan hat.

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[S. 14]

3. Der Wittenberger Professor oder: Wie Luther den Frieden fand.

Ich habe nun den Grund gefunden, Der meinen Anker ewig hält. Wo anders als in Jesu Wunden? Da lag er vor der Zeit der Welt, Der Grund, der unbeweglich steht, Wenn Erd und Himmel untergeht.


J. A. Rothe.


I

I  m Jahre 1502 hatte Kurfürst Friedrich der Weise die Universität Wittenberg gegründet. Die Hochschule sollte ein Kleinod des Sachsenlandes werden. Dazu brauchte sie vor allem tüchtige und fromme Lehrer. Johann Staupitz hat bei der Berufung solcher Leute seinem Landesherrn manchen guten Rat gegeben, er beste Rat aber war der, daß er ihm empfahl, den jungen Magister Martin Luther von Erfurt nach Wittenberg zu holen. Im Herbst 1508 siedelte denn auch Luther aus dem Erfurter in das Wittenberger Augustinerkloster über.

Kurfürst Friedrich der Weise
Kurfürst Friedrich der Weise.

Gern hätte der neue Professor im Mönchsgewande gleich von Anfang an die Heilige Schrift seinen Vorlesungen zu Grunde gelegt. Aber weil er dazu nach der Ordnung der Universität noch kein Recht hatte, wurde er beauftragt, die Studenten in die mittelalterliche Weltweisheit einzuführen. Dabei ist er selbst in der wichtigen Erkenntnis bestärkt worden, daß auch die Weisheit der Welt nicht den Weg zur Seligkeit zeigen kann.

Schon das Jahr darauf ist Luther — wie das zuging, wissen wir nicht — wieder ins Erfurter Kloster versetzt worden. Er hat aber auch in Erfurt seine Lehrthätigkeit an der Hochschule fortgesetzt. Wie fleißig er in den Werken des alten Kirchenvaters Augustin und in den Schriften der Kirchenlehrer des Mittelalters studiert hat, kann man in den stattlichen Bänden sehen, die die Stadt Zwickau aufbewahrt. Da hat er mit seiner feinen, aber festen Schrift die eigenen Gedanken an den Rand geschrieben.

[S. 15]

Von Erfurt ist Luther aber wieder nach Wittenberg zurückgekehrt, freilich auf einem großen Umwege, nämlich über Rom. In seinem Lebensgang ist das aber kein Umweg gewesen. Im Kloster hatte ihn Gott gelehrt: »Die Werke helfen nimmermehr, sie mögen nicht behüten.« Die Weisheit der Welt hatte er als Finsternis erkannt. In Rom sollte er erfahren, daß auch am »allerheiligsten« Ort in der Nähe des »heiligen« Vaters die Seele keinen Frieden finden kann. Das waren die Wege, die Gott mit unserem Luther ging, um ihn zu der Erkenntnis zu führen: Die Heilige Schrift allein zeigt den Weg zur Seligkeit. Der einzige Weg zur Seligkeit ist Jesus Christus. Ihn ergreift allein der Glaube.

Älteste Handschrift Luthers

Älteste Handschrift Luthers (1509; aus einem Bande der Zwickauer Ratsschulbibliothek).

(Moritur beatus Augustinus Anno domini 433. Et nunc scilicet 1509. fuit mortuus ad 1076. annos d. h. Es stirbt der selige Augustinus im Jahre des Herrn 433 und ist jetzt, nämlich 1509 gegen 1076 Jahre tot).

Wie aber kam Luther nach Rom und was hat er in Rom erlebt? Johann Staupitz war der Meinung, daß in den Augustinerklöstern Deutschlands mancherlei anders werden mußte. Mit seinen Besserungsvorschlägen waren aber nicht alle Klöster einverstanden. Da sollte der Papst selbst die Entscheidung treffen und ein Machtwort sprechen. Ein Wittenberger Doktor der Theologie, der früher selbst einem Augustinerkloster vorgestanden hatte, wurde beauftragt, nach Rom zu reisen und dem Papst die Angelegenheit zu unterbreiten. Luther sollte sein Begleiter sein. Durch Thüringen, Bayern, Schwaben, Vorarlberg und Graubünden zogen die beiden im Spätherbst des Jahres 1511 nach Mailand, von da über Florenz nach Rom. Wenn heutzutage jemand nach Italien reist, bewundert er die schneebedeckten Bergriesen, welche die deutschen von den welschen Landen trennen, erquickt sich dann an der Lieblichkeit der fruchtbaren italienischen Ebene und bewundert Schritt für Schritt die Denkmäler des grauen Altertums, die prächtigen[S. 16] Kirchen

und die reichen Kunstschätze. Luther reiste mit anderen Gedanken. Sein ganzes Sinnen war auf das Seelenheil gerichtet. Ob er nicht dessen in der Hauptstadt der Christenheit würde gewiß werden können? Als Luther Rom zum ersten Male schaute, sank er in die Kniee, erhob die Hände und sprach: »Sei mir gegrüßt, du heiliges Rom, dreimal heilig von der Märtyrer Blut, das da vergossen ward!« Bei den Augustinern fand er mit seinem Gefährten Aufnahme. Diesem lag die Erledigung der geschäftlichen Angelegenheiten ob. Luther hatte Zeit, sich in der Stadt umzusehen. Da lief er, wie er selbst erzählt, durch alle Kirchen, betete, beichtete und las an manchem Altar die[S. 17] Messe. Er hatte gedacht, in Rom müßten alle Leute recht fromm, die Priester aber ganz besonders heilig sein. Zu seiner tiefen Betrübnis aber mußte er wahrnehmen, daß das in Italien gebräuchliche Sprichwort: »Je näher Rom, je ärger Christ!« die Wahrheit redete. Wenn nun Rom mit seinen reichen Gnadenschätzen wirklich einer Seele zur Frömmigkeit und zum Frieden sollte helfen können, mußte es da in der »heiligen« Stadt nicht ganz anders aussehen? So wurde gerade in Rom Luther von dem Gedanken gequält, daß alle von der Kirche angepriesenen Gnadenmittel ihm nicht geben konnten, was er mit der ganzen Inbrunst seiner nach Gott verlangenden Seele suchte.

In Rom zeigt man noch heute, wie damals die Treppe, die einst vor dem Richthause des Pilatus zu Jerusalem gestanden haben soll. Luther rutschte ihre 28 Stufen auf den Knien hinauf, weil solch »frommem« Werke reiche Ablaßgnade verhießen war. Während er's aber that, mußte er an ein Wort denken, daß ihm auf der ganzen Romreise durch die Seele klang: »Der Gerechte wird seines Glaubens leben« (Habakuk 2, 4). Stimmte zu diesem Worte der Heiligen Schrift, was die Kirche von dem Friede suchenden Christen forderte? War es nicht die Pflicht eines Jeden, der seine Kirche lieb hatte, ihre Lehre und ihr Leben wieder mit der Heiligen Schrift in Einklang zu bringen? Mit solchen Gedanken mag Luther heimgekehrt sein. Im Frühjahr 1512 finden wir ihn wieder in Wittenberg.

Luther als Mönch
Luther als Mönch.

Noch lag für ihn ein Schleier über der Heiligen Schrift. Wer Gottes Wort verstehen will, der muß die Eine große Wahrheit erfaßt haben: Gott ist die Liebe. Die Liebe Gottes in Jesu Christo geoffenbart, ist das Licht, das die Bibel durchflutet. Bisher hatte die Furcht vor Gottes Zorn und Christi strengem Gericht Luthers Herz erfüllt. Er hatte gemeint, alles thun zu müssen, was er nur thun konnte, um Gottes Zorn zu besänftigen und Christi Erbarmen zu verdienen. Da war es Johann Staupitz, der ihn Gott anders erkennen lehrte: Gott ist nicht ein Gott des Zorns, sondern Gott ist die Liebe. Christus ist nicht der zürnende Richter, sondern unser Heiland und Erlöser. Nicht unsere Werke vermögen etwas, sondern die Liebe Gottes, die in uns wohnt. Jetzt erst erschloß sich Luthers suchender Seele die Heilige Schrift in ihrer ganzen Herrlichkeit. Jetzt erquickte sich sein Herz[S. 18] an den köstlichen Sprüchen, wie: »Ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß er sich bekehre und lebe« (Hesek. 33, 11); »Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist; ein geängstetes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten« (Ps. 51, 19). Und als Luther die berühmte Stelle des Römerbriefes (3, 21. 22): »Nun aber ist ohne Zuthun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, geoffenbart und bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich sage aber von solcher Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesum Christ zu Allen und auf Alle, die da glauben« verstehen lernte, daß da »nicht die Gerechtigkeit des Menschen oder des eigenen Willens gemeint ist, sondern die Gerechtigkeit Gottes, aber nicht die, durch welche Gott gerecht ist, sondern die, mit der er den Menschen bekleidet, wenn er den Gottlosen rechtfertigt«, da war's ihm wie heller lichter Tag, da hatte er den Frieden gefunden und bekannte jubelnd: »Das Leben muß aus dem Glauben herkommen! Da wurde mir die ganze Heilige Schrift und der Himmel selbst aufgethan!«

»Gezwungen und getrieben ohne seinen Dank« wurde Luther im Oktober 1512 zum Doktor der Theologie ernannt. Der Kurfürst Friedrich der Weise hat die Kosten bezahlt. Nun galt Luthers ganze Thätigkeit der Heiligen Schrift. Nur ihr lebte er fortan. Was dem Tier die Weide, dem Menschen das Haus, dem Vogel das Nest, der Gemse der Fels, dem Fische der Strom ist, das ist die Heilige Schrift den gläubigen Seelen, lautete sein schönes Bekenntnis. Die Heilige Schrift legte er den Studenten aus. Ihr Verständnis erschloß er den Klosterbrüdern. Jede seiner Predigten wurde ein freudiges Zeugnis des Friedens, den er in Gottes Wort gefunden hatte, eine ernste Mahnung zu aufrichtiger Buße und eine freundliche Einladung: Kommt zu Jesu! Er sollte nun die Mauern niederreißen, die die Kirche des Mittelalters zwischen der Menschenseele und ihrem Gott aufgerichtet hatte. Er war dazu berufen, auf Grund der Heiligen Schrift der Christenheit den zu zeigen, der da spricht: »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, Niemand kommt zum Vater, denn durch mich« (Joh. 14, 6).

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[S. 19]

Wittenberg
Wittenberg.

[S. 20]

4. Kampf und Sieg.

a) Der Ablaßhandel.

Ihr habt den Weinberg verderbet, und der Raub von den Armen ist in eurem Hause.

Jes. 3, 14


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J  e glücklicher sich Luther fühlte, seit er innerlich frei geworden war im Glauben an seinen Heiland, um so schmerzlicher empfand er's, daß es die Kirche versäumte, gewissenhaft die Leute zu lehren: »Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein andrer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden« (Apostelg. 4, 12). Das hätte doch auf allen Kanzeln gepredigt werden müssen. Das hätten die Lehrer den Kindern ins Herz prägen sollen. Vor allem hätten die Priester den Leuten, die im Beichtstuhl ihre Sünden bekannten und Vergebung begehrten, sagen müssen: Glaubt an den Herrn Jesus, so habt ihr Vergebung der Sünden! Davon war nichts zu hören! Der Papst benutzte vielmehr das Verlangen der Christen nach dem Seelenheil, um seine Kassen zu füllen.

Johann Tetzel
Johann Tetzel.

Zu diesem Zwecke hatte man im Laufe der Zeit folgende Irrlehre ausgebildet: Nur der Priester kann dem Christen Vergebung der Sünden zusprechen. Er spricht sie dem zu, der Schmerz über seine Sünden empfindet und seine Sünden bekennt. Damit ist der Christ vom ewigen Tod befreit, aber die zeitlichen Strafen im irdischen Leben und im »Fegefeuer« bleiben noch bestehen. Diese Strafen behauptete nun die Kirche für diejenigen mildern zu können, die gewisse Büßungen oder Leistungen nach ihrer Anordnung auf sich nähmen. Diesen Erlaß oder Nachlaß der zeitlichen Sündenstrafen nannte man Ablaß. Man konnte ihn erlangen, wenn man gegen die Türken in den Krieg zog, wenn man eine Wallfahrt nach Palästina unternahm, wenn man die Pilatustreppe in Rom hinaufrutschte, wenn man eine bestimmte Anzahl Vaterunser betete und dergleichen mehr. Je mehr aber der Papst und seine Bischöfe Geld brauchten, um so mehr wurde den Leuten — angeblich »aus rücksichtsvoller Milde der Mutter Kirche« — die Möglichkeit gegeben, derartige Leistungen mit Geld abzulösen. Und um den Leuten solchen Ablaß als recht verlockend erscheinen[S. 21] zu lassen, pries man jetzt geradezu Vergebung der Sünden um Geld an. Frug aber jemand: Wer leistet denn nun jene Büßungen und »guten Werke« für mich? so antwortete man: Christus hat ja in seinem Leben viel mehr gute Werke gethan, als zur Tilgung der Sündenschuld der Menschheit nötig waren, und die Heiligen haben auch viel mehr gute Werke gethan, als Gottes Gesetz von ihnen forderte. So sind eine Menge überflüssiger guter Werke vorhanden. Das ist ein unermeßlicher[S. 22] Schatz der Kirche, aus dem sie ihren schwächeren Gliedern spenden und mitteilen kann. Wer Ablaß kauft, bekommt davon etwas. Ja, man kann auch zu Gunsten der armen Seelen im Fegefeuer Ablaß kaufen. Denn: »sobald der Groschen im Kasten klingt«, erklärte der Erzbischof von Mainz selbst, »fährt die Seele aus dem Fegefeuer zum Himmel auf.«

Welch' entsetzliche Verirrung ist das gewesen! Und wie frech priesen die Ablaßkrämer des Papstes reiche Gnade an! Luther sollte davon im eigenen Beichtstuhl zu hören bekommen. Als er den Beichtenden sagte, sie könnten Vergebung der Sünden nur erlangen, wenn sie dieselben ernstlich bereuten und Besserung gelobten, zeigten sie ihm ihren Ablaßzettel und sagten, da wäre ihnen schon Vergebung der Sünden schwarz auf weiß zugesichert, Buße und Besserung hätten sie also gar nicht nötig.

Schon seit einigen Jahren zog nämlich in Deutschland, auch in unserm Sachsen, der berüchtigte Ablaßkrämer Johann Tetzel umher. Er vertrieb den Ablaß für die Kasse des Kurfürsten Albrecht von Mainz, der zugleich Erzbischof von Magdeburg war und verstand das Geschäft des Ablaßhandels ganz vorzüglich.

Albrecht von Mainz brauchte viel Geld. Das Erzbistum hatte er teuer bezahlen und deshalb eine große Summe bei den reichen Fuggers in Augsburg borgen müssen. Zwar konnte der Papst sagen, daß er ihm nicht das Erzbistum verkauft hätte, sondern nur das erzbischöfliche Pallium. Das war ein schmaler, weißer, mit Kreuzen besetzter Kragen, dessen Wert Luther auf »etwa einen Groschen« schätzte. Der Papst ließ sich aber dafür 30000 Gulden bezahlen. Der Ablaßhandel sollte nun die Schuld decken. Die eine Hälfte des Ertrags bekam der Papst, der angeblich für den Neubau der Peterskirche das Geld verwenden wollte, die andere Hälfte steckten die Fuggers ein. Daß aber die Deutschen eifrig kauften und gut bezahlten, dafür sorgte Johann Tetzel.

Das war ein großer Festtag, wenn er mit seinem Kram in einer Stadt Einzug hielt. Rat und Bürgerschaft, Geistlichkeit und Schüler erwarteten den hohen »Himmelsgast« vor den Thoren, um ihn mit Fahnen und brennenden Kerzen unter Glockengeläute in die Stadt zu führen. Ein breites, rotes Kreuz mit des Papstes Wappen und ein sammetnes Kissen mit des Papstes pergamentenem Ablaßbriefe trug man Tetzel voran. So ging es bis zur[S. 23] Kirche. Am Hauptaltar wurde der Ablaßkasten niedergelegt und das Kreuz aufgerichtet. Da gab es ein Leben die kommenden Tage. Von weither zogen die Leute herbei, um Ablaß zu lösen, den Tetzel und seine Gehilfen beredten Mundes anzupreisen wußten: »Nie wird wieder Sündenvergebung und ewiges Leben zu einem so geringen Preise erlangt werden können. Auch ist keine Hoffnung vorhanden, daß, so lange die Welt steht, eine solche Freigebigkeit des römischen Stuhls für Deutschland wiederkehrt. Es mag jedermann des Heils seiner eigenen Seele und der Seelen seiner Verstorbenen wahrnehmen! Jetzt ist der Tag des Heils, jetzt ist die angenehme Zeit! Versäume niemand seiner Seele Seligkeit!« Da wanderte manch schönes Guldenstück in Tetzels Ablaßkasten. Friede in Herz und Gewissen war dem Volke mehr wert, als Gold und Silber. Niemals ist schändlicherer Betrug geübt worden, als in jenem Ablaßhandel.

Im Herbste des Jahres 1517 kam Tetzel in die Nähe von Wittenberg. Viele ernste Christen waren entsetzt über den schmählichen, Gottesfurcht, Frömmigkeit und Zucht untergrabenden Handel. Da ließ es Luther keine Ruhe mehr. Herz und Gewissen drängten ihn, dagegen seine Stimme zu erheben. Er that es in seinen berühmten »95 Thesen.«

b) Luther schlägt die 95 Thesen an.

Wir können nichts wider die Wahrheit sondern für die Wahrheit.

2. Cor. 13, 8.

Am 1. November, dem Allerheiligentage, feierte die Schloßkirche zu Wittenberg ihre Kirchweih. Das war ein großer Festtag, zu dem viel Volks, auch viele Priester und Mönche nach Wittenberg kamen. Die Universität wollte solchen Tag in ihrer Weise mitfeiern. Ein gelehrter Professor stellte Thesen, d. i. einzelne Sätze, auf und lud andere gelehrte Leute ein, über dieselben in feierlicher Versammlung mit ihm zu disputieren. Am Tag vor Allerheiligen — am 31. Oktober — 1517, einem Sonnabend — es soll Mittag 12 Uhr gewesen sein, schlug Luther 95 solche Thesen an die Thür der Schloßkirche zu Wittenberg an. Dort waren schon manchmal derartige Streitsätze angeschlagen worden, ohne[S. 24] daß man lange davon gesprochen hätte. Luthers 95 Thesen sind noch nicht vergessen. An jedem Reformationsfest wird ihrer gedacht. Die Thür, an die Luthers Hand sie einst geschlagen, ist nicht mehr vorhanden. Eine eherne Pforte steht an ihrer Stelle und darauf sind jene Streitsätze, in Erz gegossen, zu lesen.

Luther hat seine Thesen in lateinischer Sprache abgefaßt. Sie waren nicht für das Volk bestimmt. Die Gelehrten sollten sich aussprechen über das von Luther Gesagte. Die Überschrift und die wichtigsten jener 95 Sätze lauten auf Deutsch also:

»Aus Liebe zur Wahrheit und aus Verlangen, sie an den Tag zu bringen, soll über nachfolgende Sätze zu Wittenberg disputiert werden unter dem Vorsitz des ehrwürdigen Vaters Martin Luther, der freien Künste und der h. Theologie Magister, der letzteren auch ordentlichen Lehrers daselbst. Er bittet daher, daß die, welche nicht mündlich in persönlicher Anwesenheit mit uns sich unterreden können, es abwesend auf schriftlichem Wege thun wollen. Im Namen unseres Herrn Jesu Christi. Amen.«

1. These: »Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: »Thut Buße!« (Matth. 4, 17) hat er gewollt, daß das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.«

32. These: »Wer durch Ablaßbriefe meint seiner Seligkeit gewiß zu sein, der wird ewiglich verdammt sein samt seinen Lehrmeistern.«

33. These: »Nimm dich wohl in Acht vor denen, die da sagen, der Ablaß des Papstes sei jene unschätzbare Gabe Gottes, durch welche der Mensch Gott versöhnt werde.«

36. These: »Jeglicher Christ hat, wenn er in aufrichtiger Reue steht, vollkommenen Erlaß von Strafe und Schuld, die ihm auch ohne Ablaßbriefe gebührt.«

37. These: »Jeder wahre Christ, ob lebend oder tot, hat Anteil an allen geistlichen Gütern Christi und der Kirche. Gott hat ihm diesen auch ohne Ablaßbriefe gegeben.«

43. These: »Man lehre die Christen, daß, wer dem Armen giebt oder dem Bedürftigen leiht, besser thut, als wenn er Ablaß lösen wollte.«

45. These: »Man lehre die Christen, daß, wenn er einen Bedürftigen sieht und des ungeachtet sein Geld für Ablaß hingiebt, nicht Papstes Ablaß, wohl aber Gottes Zorn damit erwirbt.«

[S. 25]

46. These: »Man lehre die Christen, daß, wenn sie nicht überflüssiges Gut reichlich besitzen, sie verpflichtet sind, das, was zur Notdurft gehört, für ihr Haus zu behalten und mit nichten für Ablaß zu verschwenden.«

50. These: »Man lehre die Christen, daß, wenn der Papst den Schacher der Ablaßprediger wüßte, er lieber den Dom St. Petri werde zu Asche verbrennen lassen, als daß derselbe von Haut, Fleisch und Knochen seiner Schafe sollte erbaut werden.«

53. These: »Das sind Feinde Christi und des Papstes, die um der Ablaßpredigt willen das Wort Gottes in anderen Kirchen gänzlich verstummen machen.«

55. These: »Des Papstes Meinung ist selbstverständlich, daß, wenn man den Ablaß, als der nur geringen Wert hat, mit einer Glocke, mit einfachem Gepränge und Feierlichkeit begeht, man das Evangelium, als welches den höchsten Wert hat, mit hundert Glocken, hundertfachem Gepränge und Feierlichkeit rühmen soll.«

62. These: »Der wahre Schatz der Kirche ist das allerheiligste Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes.«

Da hört man den ganzen tiefen Ernst des Reformators heraus. Seine 95 Thesen »sind der Notschrei, der aus der Tiefe des erwachten deutschen Gewissens heraufdrang. Noch geht das Wort nicht gegen den Papst, der im Gegenteil verteidigt statt angegriffen wird; neuer und alter Wein, Gesetz und Evangelium gähren noch durcheinander. Wohl rollen schon von ferne die Donner drin und zucken die Blitze, die sich über dem ganzen Bau entladen werden; aber es scheint auch die warme Sonne des Evangeliums schon hindurch. Der das erste Wort hat, ist doch der Herr und Meister Christus. Die Sprache ist schon gewaltig und kühn, wuchtig die Worte, wie der Hammer, der sie anschlägt.«

Mit beispielloser Schnelligkeit verbreiteten sich Luthers 95 Thesen weit über Deutschland hinaus. »In vier Wochen hatten sie schier die ganze Christenheit durchlaufen, als wären die Engel selbst Botenläufer.« In Rom hatte man keine Ahnung von dem tiefen Ernst des deutschen Mönches und von der Tragweite jener Sätze. Was sollte das Mönchlein dem Haupte der Christenheit und dem gewaltigen, festgefügten Bau der Kirche anhaben können?[S. 26] Als unumstößliche Wahrheit galt, was die Kirche lehrt, mochte es in der Bibel begründet sein oder nicht. Wer anders als die Kirche lehrte, war ein Ketzer. Wie mancher war bereits beseitigt worden! Sollte es so schwer sein, auch mit diesem deutschen »Sohn der Bosheit« — so nannte damals Papst Leo X. unseren Luther — fertig zu werden?

Papst Leo X
Papst Leo X.

Hingebende, treue Liebe und fester Gehorsam banden auch jetzt noch Luther an die Kirche. Aus Liebe zur Kirche kämpfte er gegen eine Irrlehre und einen Mißbrauch, durch die, wie er meinte, Papst und Kirche betrogen seien. Papst und Kirche haben niemals[S. 27] einen besseren Freund gehabt als Luther. Er hat es ehrlich gemeint. Aber für ihn war kein Platz in einer Kirche, die keinen Widerspruch vertragen und den Satz nicht dulden konnte: Die Heilige Schrift allein ist die Quelle des Glaubens und die Richtschnur des Lebens. Man lud Luther nach Rom vor. Hatte man ihn nur erst dort, so war ihm leicht der Prozeß zu machen. Luther fürchtete sich gewiß nicht vor dem Papst, obgleich er wie bei der Löwenhöhle in der Fabel so auch in der Löwenhöhle (»Leo« heißt auf deutsch »Löwe«) Rom nur Fußstapfen sah, die hinein, aber keine, die hinaus führten. Aber Kurfürst Friedrich der Weise war in Sorge um seinen Professor und ließ ihn nicht in die gefährliche Löwenhöhle ziehen. Da mußte der Papst versuchen, auf deutschem Boden mit Luther fertig zu werden. Umsonst verhandelte Kardinal Kajetan zu Augsburg mit dem unbequemen, unbeugsamen Mönch, den weder Drohungen noch Versprechungen zum Widerruf bewegen konnten. »Geh! widerrufe oder komm mir nicht wieder vor die Augen!« war des Kardinals letztes Wort. Und die »Bestie mit den tiefen Augen und den wundersamen Spekulationen im Kopfe« — so titulierte der Kardinal unsern Luther — widerrief nicht und kam ihm nicht wieder vor die Augen. Geschickter als Kajetan wollte des Papstes Kammerherr, Karl von Miltitz, die Sache anfangen. Es gelang ihm auch, von Luther das Versprechen zu erhalten, er werde in Zukunft schweigen, wenn seine Gegner auch schwiegen. Aber lange dauerte es nicht, so riefen ihn diese von neuem auf den Kampfplatz.

Der Ingolstädter Professor Dr. Johann Eck meinte im Kampfe gegen Luther sich ohne Mühe besondere Lorbeeren verdienen zu können. Auf sein Anregen sollte im Sommer 1519 zu Leipzig eine Disputation gehalten werden. Da wollte er den Gegner öffentlich schlagen. Er hat sich freilich sehr geirrt. Was er erreichte, war nur dies, daß Luther unumwunden erklärte: Das Papsttum beruht nicht auf göttlicher Einsetzung. Daß sogar eine Kirchenversammlung (Concil) irren kann, hat das Kostnitzer Concil bewiesen, indem es ganz evangelische Sätze verdammte. Herzog Georg der Bärtige von Sachsen, der für die Schäden der Kirche nicht blind war, aber das, was Luther lehrte als Ketzerei ansah und haßte, rief, als er solches hörte, aus: »Das walt' die Sucht!« Immer deutlicher ward es Luther, daß man in Glaubenssachen[S. 28] sich weder auf ein Wort aus dem Munde des Papstes noch auf einen Beschluß der Kirche, sondern einzig und allein auf die Schrift gründen dürfe.

Johann Eck
Dr. Johann Eck.
Titelblatt der von Luther gehaltenen Predigt

Titelblatt der von Luther in Leipzig gehaltenen Predigt.

(Das auf diesem Titel befindliche Bild Luthers ist das älteste des Reformators. Die Umschrift ist im Spiegel zu lesen).

Ein Leipziger Professor, der der Disputation von Anfang bis zu Ende beigewohnt hat, hat uns den Eindruck geschildert, den Luthers Person und Auftreten machte. Seine Worte zeichnen uns ein anschauliches Bild des mutigen Gottesstreiters: »Luther ist zwar nur mittelgroß und schmächtig; denn Sorgen und Studien haben ihn gleichmäßig erschöpft, so daß, wer ihn nur näher ansieht, alle Knochen an ihm zählen kann. Aber er ist frisch und bei voller Jugendkraft, seine Stimme hell und klar, bewundernswert[S. 30] seine Gelehrsamkeit und Schriftkenntnis, so daß er alles bereit hat. Griechisch und Hebräisch hat er soweit inne, daß er über Auslegung der Heiligen Schrift urteilen kann. Auch fehlt es ihm nicht an Redegabe; denn es steht ihm ein großer Vorrat von Wörtern und Sachen zu Gebote. Vielleicht möchte man an ihm Urteilskraft und die rechte Anwendung derselben vermissen. Im täglichen Leben ist er höflich und freundlich, ohne alles Finstere und Strenge in seinem Wesen, ein launiger und angenehmer Gesellschafter, bald lebhaft, bald ruhig, je nachdem, aber immer freundlichen Angesichts, wie arg auch die Gegner ihn bedrohen, so daß es nicht glaublich ist, ein Mann unternehme so Schwieriges ohne den Willen Gottes. Aber freilich, was fast alle ihm zum Fehler machen: er ist im Tadeln rücksichtsloser und bissiger, als es für einen, der auf Neuerungen in der Religion denkt, sicher aber für einen Theologen anständig ist. Vielleicht hat er diesen Fehler mit allen denen gemein, die erst spät zur Gelehrsamkeit gelangen.«

Alt-Leipzig
Alt-Leipzig.

c) Der Sieg des Gebannten.

Viele schelten mich übel, daß jedermann sich vor mir scheuet; sie ratschlagen miteinander über mich und denken mir das Leben zu nehmen. Ich aber, Herr, hoffe auf dich und spreche: Du bist mein Gott!

Psalm 31, 14. 15.


Die Geschichte von David und dem Riesen Goliath hat sich oft wiederholt. Mancher christliche Held hat im Kampfe auf Gott geschaut und zu seinem Feind gesprochen: »Du kommst zu mir[S. 31] mit Schwert, Spieß und Schild; ich aber komme zu dir im Namen des Herrn Zebaoth« (1. Sam. 17, 45) — und hat gesiegt! Sieger waren die beiden Apostel, die als Gefangene vor dem Hohen Rat standen und das Bekenntnis ablegten: »Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein andrer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden. — Wir können es ja nicht lassen, daß wir nicht reden sollten, was wir gesehen und gehört haben« (Apostelgesch. 4, 12. 20). Verhöhnt von der Weisheit Griechenlands predigt Paulus auf dem Areopag — und doch stürzt sein Wort Götterbilder und Götzentempel. Als ein Gebundener zieht er in Rom ein — und doch muß der Kaiser, der der Welt gebietet, vom Throne steigen und Krone und Szepter dem Gekreuzigten zu Füßen legen.

Kaiser und Papst, die ganze Welt steht Luther gegenüber — und Luther siegt. Es mußte wahr werden:

»Es streit für uns der rechte Mann,
Den Gott hat selbst erkoren.
Fragst du, wer er ist?
Er heißt Jesus Christ,
Der Herr Zebaoth,
Und ist kein andrer Gott:
Das Feld muß er behalten!«

Luther wollte keinen andern Helfer im Kampfe als Gott und sein Wort. Edle deutsche Ritter, wie Franz von Sickingen, Ulrich von Hutten, Hartmut von Kronberg, boten ihm ihr Schwert und ihre Burgen an. Er aber wollte kämpfen nur mit dem Schwert des Geistes. Seine feste Burg sollte allein Gott der Herr bleiben. Und wie hat Luther das Schwert des Geistes geschwungen! Jeder evangelische Christ müßte auf seinem Bücherbrett stehen haben Luthers herrliche Hauptschriften vom Jahre 1520.

»Gott gebe uns der Posaunen eine, womit die Mauern Jerichos umgeworfen würden!« ruft er in seinem Büchlein: »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung.« Die drei »strohernen und papiernen Mauern« will er umstürzen, hinter denen sich die Römlinge verschanzen. Die erste dieser Mauern ist die Behauptung, weltliche Gewalt stehe unter der geistlichen. Diese Mauer, wie überhaupt den Unterschied von Geistlichen und Laien stürzt das Schriftwort 1. Petri 2, 9[S. 32] um: »Ihr seid das auserwählte Geschlecht, das Königliche Priestertum.« Jeder Christ ist ein Priester. Die zweite Mauer ist die Behauptung, nur der Papst könne die Heilige Schrift richtig auslegen. Sie fällt, weil von der Unfehlbarkeit des Papstes kein Wort in der Bibel steht. »Sie werden alle von Gott gelehret sein,« heißt es dort (Joh. 6, 45). Die dritte Mauer ist die Behauptung, nur der Papst könne eine Kirchenversammlung einberufen. Diese Mauer ist eigentlich schon beim ersten Posaunenstoß mit umgefallen. Bricht ein Feuer aus, so löschen alle mit, obgleich nicht alle die Macht des Bürgermeisters haben. »Wo die Not fordert und der Papst ärgerlich der Christenheit ist, soll dazu thun, wer am ersten kann!« Nun sind die Mauern niedergelegt. Rücksichtslos geht der Held jetzt gegen seinen Feind. Ohne Furcht deckt er die vielen Schäden der Kirche auf. Soll Hilfe gebracht werden können, so muß erst die Krankheit erforscht und festgestellt werden. »Ich achte wohl,« heißt's am Schlusse, »daß ich hoch gesungen hab, viel Dings fürgegeben, das für unmöglich werde angesehen, viel Stücke zu scharf gegriffen. Wie soll ich aber thun? ich bin es schuldig zu sagen ... Es ist mir lieber, die Welt zürne mir, denn Gott ... Wohlan, ich weiß noch ein Liedlein von Rom und von ihnen.«

Franz von Sickingen
Franz von Sickingen.

Dieses »Liedlein«, darin Luther »die Noten aufs Höchste stimmen« wollte, sang er in seiner herben Streitschrift »von der[S. 33] Babylonischen Gefangenschaft der Kirche«, darin er die Siebenzahl der Sakramente bekämpft.

Ist das schadhafte Alte beseitigt, so kann der Neubau beginnen. Herrliche Steine zum Neubau des evangelischen Lebens trägt Luther in der dritten jener großen Hauptschriften herbei. Sie führt den Titel: »Von der Freiheit eines Christenmenschen.« Am Anfang stehen die beiden Sätze, gleichsam als Thema des köstlichen Büchleins: »Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und Niemand unterthan; ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und Jedermann unterthan.« Was er in der Schrift auseinandergesetzt hat, faßt er am Schlusse in die Worte zusammen: »Ein Christenmensch lebt nicht ihm selber, sondern in Christo und seinem Nächsten: in Christo durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe. Durch den Glauben fährt er über sich in Gott, aus Gott fährt er wieder unter sich durch die Liebe, und bleibt doch immer in Gott und göttlicher Liebe. Siehe, das ist die rechte christliche Freiheit, die das Herz frei macht von allen Sünden, Gesetzen und Geboten: welche alle andere Freiheit übertrifft, wie der Himmel die Erde.«

Wie wenig mußten die Römlinge von der weltüberwindenden Kraft eines gläubigen Christenmenschen, der mit Gott im Bunde steht, ahnen, wenn sie meinten, solch ein Mann werde sich vor dem Bannstrahl fürchten. Im Oktober 1520 kam Luther das Schriftstück unter die Augen, das seine Lehre verdammte und binnen 60 Tagen den Widerruf forderte. Luther antwortete darauf dem Papst: »Daß ich sollte meine Lehre widerrufen, daraus wird nichts. Ich kann nicht leiden Regel oder Maß, die Schrift auszulegen dieweil das Wort Gottes, das alle Freiheit lehret, nicht soll gefangen sein. Wo mir diese zwei Stücke bleiben, soll mir sonst nichts aufgelegt werden, das ich nicht mit allem Willen thun und leiden will. Ich bin dem Hader feind, will Niemand reizen, will aber auch ungereizt sein.« Aber auch eine Antwort durch die That gab Luther. Am 10. Dezember 1520 zog eine große Schar vors Elsterthor zu Wittenberg. Bald war an der Stelle, wo man die Kleider der an der Pest Verstorbenen zu verbrennen pflegte, ein Scheiterhaufen errichtet. Luther legte sämtliche päpstliche Rechtsbücher darauf. Als das Feuer hoch aufloderte, warf er des Papstes Bulle in die Flammen mit den Worten: »Weil du den Heiligen des Herrn (gemeint ist Christus, vgl. Mark. 1, 24) betrübt hast, verzehre dich das ewige Feuer!«

[S. 34]

Titelblatt der Bannbulle
Titelblatt der Bannbulle.

[S. 35]

Hätte Luther nicht unter dem Schutze des Kurfürsten von Sachsen gestanden, so würde die weltliche Obrigkeit den Gebannten haben festnehmen und seine kühne That auf dem Scheiterhaufen haben büßen lassen. Friedrich der Weise setzte es aber beim Kaiser durch, daß Luther auf dem nächsten Reichstag zu Worms durch gelehrte und verständige Leute verhört werden sollte. Das paßte den Römlingen, die bereits triumphierend den verhaßten Ketzer den Scheiterhaufen besteigen sahen, gar nicht. Der päpstliche Abgesandte in Worms schrieb damals in seinem Zorne: »Wenn ihr Deutschen das römische Joch abwerft, so werden wir dafür sorgen, daß ihr euch untereinander mordet, bis daß ihr im eigenen Blute untergeht!« Im dreißigjährigen Krieg haben die Jesuiten versucht diese entsetzliche Drohung wahr zu machen.

Als Luther am dritten Osterfeiertag (2. April) 1521 von Wittenberg nach Worms abreiste, wurde manches Auge feucht. Ob man je den teuern Gottesmann wiedersehen, ob man je aus seinem Munde wieder das lautere Gotteswort vernehmen würde? Ein wahrer Triumphzug ist Luthers Reise gewesen. Wie drängte sich das Volk, den wunderbaren Mann zu sehen und zu hören, der es wagte, ohne Furcht dem Papst entgegenzutreten! »Christus lebt und ich werde nach Worms kommen, allen Pforten der Hölle und Fürsten der Welt zum Trotz,« lautete Luthers Bekenntnis. Wenige Stunden nur noch von Worms entfernt ward er durch einen treuen Freund gewarnt und an Johann Huß' Schicksal erinnert. »Wenn so viel Teufel in Worms wären als Ziegel auf den Dächern,« antwortete er, »dennoch wollte ich hinein.«

Am 17. April hat Luther zum ersten Male vor dem Reichstag gestanden. In lange Unterhandlungen wollte man sich nicht mit ihm einlassen. Er sollte nur erklären, ob er widerrufen wollte oder nicht. Luther bat um Bedenkzeit. Am nächsten Tag gab er die Erklärung ab, seine Bücher seien verschiedener Art: die einen handelten von Glaube und Sitte — sie widerrufen, hieße die Wahrheit verdammen; die andern kämpften gegen falsche Lehren des Papstes — sie könne er nicht widerrufen; die dritten richteten sich gegen seine einzelnen Widersacher — wohl könnten diese hier und da zu heftig abgefaßt sein, aber widerrufen könne er auch sie[S. 36] nicht. Soviel wollte man aber gar nicht im Reichstage hören. Eine »schlichte Antwort ohne Hörner und ohne Mantel« wurde von Luther gefordert. Da gab er denn die berühmte Antwort: »Weil denn Eure Kaiserliche Majestät und Eure Gnaden eine schlichte Antwort begehren, so will ich eine Antwort ohne Hörner und ohne Zähne geben diesermaßen: es sei denn, daß ich durch Zeugnisse der Schrift oder durch helle Gründe überwunden werde — denn ich glaube weder dem Papst noch den Concilien allein, dieweil am Tage liegt, daß sie öfters geirrt und sich selbst widersprochen haben, — so bin ich überwunden durch die von mir angeführten heiligen Schriften und mein Gewissen ist gefangen in Gottes Wort; widerrufen kann ich nichts und will ich nichts, dieweil wider das Gewissen zu handeln unsicher und gefährlich ist.«

Nochmals frug man Luther, ob er wirklich glaube, daß Concilien irren könnten. Er blieb dabei. Da erhob sich ein Tumult im Saale. Mitten in der aufs Höchste erregten Versammlung stand unser Luther. Bei der großen Unruhe werden nur Wenige seine letzten Worte verstanden haben: »Ich kann nicht anders, hier stehe ich, Gott helfe mir! Amen.«

Die deutsche Gewissenhaftigkeit und der deutsche Mannesmut haben im Reichstagssaale zu Worms Papst und Kaiser besiegt. Ein gebannter Mönch triumphiert über die Welt. »Ich bin hindurch, ich bin hindurch!« mit diesen Worten trat Luther wieder in seine Herberge.

Noch eine Woche blieb er in Worms. Unterhandlungen mit ihm führten zu keinem Ziele. Am Vormittag des 26. April verließ Luther die Reichsstadt, ausgerüstet mit freiem Geleit auf 21 Tage nach der Heimat. Er wußte, daß er sie nicht erreichen würde.

Am 25. Mai verhängte der Kaiser über den gebannten Luther die Reichsacht. Niemand sollte ihm Essen und Trinken und Herberge geben. Wer ihn fand, sollte ihn festnehmen und dem Kaiser überantworten. Die Acht war kraftlos. Luther hatte ein sicheres Gewahrsam gefunden. Der siegreiche Held weilte an friedlicher Stätte.

deko

[S. 37]

5. Was Luther dem deutschen Volke geschenkt hat.

a) Die deutsche Bibel.

O selig und aber selig und überselig ist der und nimmer genug zu loben, der diesen Schatz hat. Denn er hat einen Schatz, nicht von Gold noch Silber, sondern ein ander höher Gut und ist reich und voll von eitel großen Gütern.

Luther.


M

Mit Recht trägt Kurfürst Friedrich von Sachsen den Ehrennamen »der Weise«. Daß er ihn verdient, hat er schon durch die Art bewiesen, wie er für den geächteten und gebannten Luther sorgte. Auf alle Fälle mußte dieser jetzt in Sicherheit gebracht werden. Es mußte sich bald zeigen, ob seine Sache die Wahrheit sei — dann war der Jünger der christlichen Wahrheit geschützt —, oder, ob er im Irrtum sei — dann war der Führer der großen Bewegung unschädlich gemacht. Friedrich der Weise überließ es seinen Räten, alles Weitere vorzubereiten und zu bestimmen. Welcher Ort Luther aufnehmen sollte, mochte er gar nicht erfahren. Dann konnte er, falls der Kaiser ihn darnach fragen würde, mit gutem Gewissen sagen: Das weiß ich nicht.

In der Nacht vom 3. zum 4. Mai 1521 wurde Luther in der Nähe von Altenstein von bewaffneten Reitern überfallen, aus dem Wagen gerissen und auf die Wartburg geführt. Luther war darauf vorbereitet. Nur mit Widerstreben war er auf den Plan eingegangen. Viel lieber hätte er für seinen Herrn Christus und für die Wahrheit den Tod erlitten.

Für die Welt war Luther verschwunden. Die Feinde jubelten über seinen vermeintlichen Tod. Die Freunde trauerten um den Märtyrer der christlichen Wahrheit. Lange hat's freilich nicht gedauert, bis die Freunde zu ihrem Jubel, die Feinde zu ihrem Entsetzen es erfuhren: Luther lebt! Nur, wo er lebte, blieb ihnen ein Geheimnis.

Inzwischen saß Luther, dem Weltgeräusch entrückt, auf seiner einsamen Bergwarte, zu seinen Füßen die »liebe Stadt«, die der Schauplatz seiner freundlichen Jugendtage gewesen, in der sagenumwitterten »Region der Luft und der Vögel«, zu der er als Knabe ahnungsvoll emporgeschaut. Aus dem Mönch war jetzt ein Rittersmann geworden; rasch verwuchs ihm die Tonsur, um[S. 38] Mund und Kinn kräuselte sich ein stattlicher Bart, der »Junker Georg« trug jetzt ein höfisches Kleid, ein Schwert an der Seite, eine goldene Kette um den Hals, ein Barett auf dem dichten Haupthaar, und ein Edelknabe wartete ihm auf. In Sitte, Haltung, Kost und Lebensgewöhnung mußte er sich, so sehr er widerstreben mochte, nach der ritterlichen Weise schicken. Er wurde gehalten wie ein Edelmann, der zu einer leichten Haft verurteilt war; so war ihm eine mäßige Bewegung vergönnt: er durfte nach Belieben in die Stadt hinabsteigen oder in Begleitung eines Reiterbuben weithin die Gegend durchstreifen. Wie ist auch hier der Finger Gottes und die gnädige Führung des Höchsten sichtbar! Die Welt sollte erfahren, daß die große Bewegung die Sache Gottes sei, die bestehen müsse auch ohne Luther. Dieser aber brauchte stille Zeit nach den Jahren heißen Kämpfens. In der Stille der Wartburg ward er sich erst bewußt der weltgeschichtlichen Bedeutung der letzten Ereignisse, in deren Mittelpunkt seine Person stand. »Erschüttert begann er die inhaltsschwere Wirklichkeit jener Tage tiefer und tiefer zu begreifen: was hing nicht alles an jener großen Stunde, da er vor dem Angesicht Europas Zeugnis abzulegen hatte von seinem Gott!« Und vor seine Seele trat der ganze Ernst der großen Aufgaben, die seiner warteten. War er ihnen gewachsen? War er würdig, seinem Herrn Christus zu solch großen Dingen zu dienen?

Auch auf der Wartburg hat Luther manchen inneren Kampf zu bestehen gehabt. Er wußte aber, wo Trost und Kraft zu finden ist: im Gebet und in Gottes Wort.

Auf der Wartburg hat Luther die Stille gefunden, die er zu dem großen, wichtigen Werke der Bibelverdeutschung nötig hatte. Kein anderer als er war dazu berufen, die Heilige Schrift »deutsch reden zu lehren« und dem deutschen Volk die deutsche Bibel in die Hand zu geben. Versucht hatte es vor ihm schon mancher. Die Deutschen hat's doch immer wie mit geheimnisvoller Macht zur Bibel gezogen. Schon vor anderthalb tausend Jahren hat der Gothenapostel Ulfilas die Bibel in die Sprache seines Volkes übersetzt. In den Bibliotheken werden mehrere hundert alte geschriebene deutsche Bibeln aufbewahrt. Kaum war die Buchdruckerkunst erfunden, so stellte sie sich in den Dienst der Bibelverbreitung.[S. 39] Als Luther auf der Wartburg war, gab es schon achtzehn verschiedene deutsche gedruckte Bibeln.

War denn da Luthers Arbeit nicht überflüssig? Sie wäre es gewesen, wenn jene Bibeln in Wahrheit deutsch gewesen wären und das unverfälschte Gotteswort enthalten hätten. Aber ihre Sprache war nicht das echte Deutsch des Volkes. Man merkte ihr gleich an, daß sie mühsam auf deutsch sagen wollte, was in der Bibel lateinisch stand. Alle jene Übersetzer vor Luther hatten es sich nämlich bequem gemacht. Sie legten nicht das hebräische alte und das griechische Neue Testament, sondern die lateinische Bibel (Vulgata) zu Grunde. Was also dort falsch stand — und das war nicht wenig — ging nun mit in die deutsche Bibel über.

Philipp Melanchthon.
Philipp Melanchthon.

Luther verfuhr anders. Er besaß die nötigen Sprachkenntnisse, die Heilige Schrift aus dem Urtext übersetzen zu können, er besaß das »rechte fromme, treue, fleißige, furchtsame, christliche, gelehrte, erfahrene, geübte Herz«, das, wie er selbst sagt, »zum Dolmetschen gehört« und er war ein echt deutscher Mann, mitten aus dem deutschen Volke stammend, der wußte, wie die Deutschen reden und wie ein Buch geschrieben sein muß, wenn's das deutsche Volk verstehen soll. »Man muß die Mutter im Hause, die Kinder[S. 40] auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt fragen, wie man soll deutsch reden, und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden.«

Titelblatt der ersten Ausgabe des Neuen Testaments
Titelblatt der ersten Ausgabe des Neuen Testaments.

Mit dem Neuen Testament begann Luther seine Arbeit. Das war der leichtere Teil. Als Luther von der Wartburg kam, brachte er diesen Teil der Heiligen Schrift in deutscher Sprache mit. Mit seinem Freund Melanchthon, der wie kaum ein anderer Griechisch verstand, hat er's dann noch einmal durchgegangen. Auch ein anderer Freund Luthers, Georg Spalatin, gab ihm manchen guten Rat. Melchior Lotter in Wittenberg übernahm den Druck. Damit das Werk rasch fertig wurde, ließ er die vier Evangelien und die Apostelgeschichte einerseits und die Episteln andrerseits gleichzeitig neben einander setzen. Drei Pressen arbeiteten[S. 41] an der Vollendung des Buches. Im September konnte man die ersten Exemplare kaufen. Anderthalb Gulden betrug der Preis. Auf dem Titel standen die Worte: »Das Newe Testament Deutzsch. Vuittemberg.« Ob auch wohl alle erraten konnten, aus welcher Feder die Übersetzung geflossen war, so wollte doch der bescheidene Luther seinen Namen auf dem Buche verschweigen, das er in die Hand der deutschen Christenheit legte.

Viel längere Zeit und weit mehr Arbeit hat die Verdeutschung des Alten Testamentes gekostet. Sehnsüchtig wurde sie erwartet. Soll doch sogar Herzog Georg der Bärtige, der sonst nichts von Luther wissen wollte, gesagt haben: »Wenn doch der Mensch die Bibel vollends deutschte und ging darnach hin, wo er wollte.« Es waren damals tüchtige Kenner und Lehrer der hebräischen Sprache in Wittenberg, außer Melanchthon: Matthäus Aurogallus, Bernhard Ziegler und Johann Förster. Sie haben alle unserm Luther bei dem großen Werke wacker beigestanden. Er aber hat immer der Übersetzung das letzte Gepräge aufgedrückt.

Oft mag Luther angesichts der Schwierigkeit seiner Aufgabe geseufzt haben. Um so größer war dann seine Freude, wenn er sich sagen konnte: So muß es in rechtem Deutsch lauten! So soll es heißen! »Ach Gott!« klagt er einmal, »wie ein groß und verdrießlich Werk ist es, die hebräischen Schreiber zu zwingen deutsch zu reden! Wie sträuben sie sich und wollen ihre hebräische Art gar nicht lassen und dem groben Deutschen nachfolgen! Gleich als wenn eine Nachtigall sollte ihre liebliche Melodie verlassen und dem Kuckuck nachsingen!« — »Ich habe mich,« sagt er ein ander Mal, »dessen beflissen im Dolmetschen, daß ich rein und klar deutsch geben möchte. Und es ist uns wohl oft begegnet, daß wir vierzehn Tage, drei, vier Wochen haben nach einem Wort gesucht und gefragt, haben's dennoch zuweilen nicht gefunden. Lieber, nun es verdeutscht ist, läuft einer jetzt mit den Augen durch drei oder vier Blätter, und stößt nicht einmal an, wird aber nicht gewahr, welche Wacken und Klötze da gelegen haben, darüber er geht, wie über ein gehobelt Brett. Es ist gut pflügen, wenn der Acker gereinigt ist; aber die Stöcke ausroden und den Acker zurichten, daran will niemand.« — »Das kann ich mit gutem Gewissen bezeugen, daß ich meine höchste Treue und Fleiß darin erzeigt und nie eine falsche Absicht dabei gehabt habe.[S. 42] Denn ich habe keinen Heller dafür genommen noch gesucht und damit gewonnen; so habe ich meine Ehre darin nicht gemeint, das weiß Gott mein Herr; sondern habe es zu Dienst gethan den lieben Christen und zu Ehren Einem, der droben sitzt, der mir alle Stunden so viel Gutes thut, daß, wenn ich tausendmal so viel fleißig dolmetsche, ich solches doch nicht verdiente, auch nicht eine Stunde. Es ist alles Seiner Gnaden und Barmherzigkeit, was ich bin und habe; darum soll es auch alles Ihm zu Ehren dienen, mit Freuden und von Herzen. Ich bin allzu reich belohnt, wo mich nur ein einziger Christ für einen treuen Arbeiter erkennt.«

Im Jahre 1534 war die Bibelübersetzung vollendet. Luther hat stets bescheiden von seinem Werk gedacht und bis an sein Ende dran gebessert, wo er bessern konnte.

Die evangelische deutsche Christenheit aber soll's D. Martin Luther nie vergessen, welch köstliche Gabe der teure Gottesmann ihr mit der deutschen Bibel darreichte. »Wie einer lieset in der Bibel, so steht am Hause sein Giebel,« pflegte Luther zu sagen. Lasset auch uns fleißig Luthers Gabe benutzen, damit wir ihm nachsprechen können: »Die Heilige Schrift ist ein sehr großer, weiter Wald, darin viel und allerlei Bäume stehen, davon man kann mancherlei Obst und Früchte abbrechen. Denn man hat in der Biblia reichen Trost, Lehre, Unterricht, Vermahnung, Warnung, Verheißung und Drohung. Aber es ist kein Baum in diesem Walde, daran ich nicht geklopft und ein paar Äpfel oder Birnen abgeschüttelt hätte.«

b) Das deutsche Gesangbuch.

Lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen in aller Weisheit; lehret und vermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern und singet dem Herrn in eurem Herzen.

Coloss. 1, 16.


Während Luther auf der Wartburg war, ging zwischen der guten Saat des Evangeliums auch mancherlei Unkraut auf. Das Unkraut drohte die gute Saat zu unterdrücken. Manchem ging's[S. 43] mit der Beseitigung des Alten nicht schnell genug. Manche dachten, am Alten sei gar nichts Gutes, darum müsse es mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden. Da wurden auch allerlei unlautere Leidenschaften wach. In der Verwirrung aber meinte Erzbischof Albrecht es wieder einmal mit dem Ablaßhandel versuchen zu können. Schon im Dezember 1521 war Luther einmal ganz insgeheim bei seinen Wittenberger Freunden gewesen. Lukas Kranach, der berühmte Maler, hat den Reitersmann mit dem stattlichen Vollbart auf dem Bilde festgehalten. Im März 1522 kehrte Luther trotz des ernstlichen Widerspruchs Friedrichs des Weisen ganz nach Wittenberg zurück in Gottes Hand sich wissend, auf den Schutz des Höchsten vertrauend. Gleich bestieg er die Kanzel der Stadtkirche. Mit kräftigem Wort rottete er das Unkraut aus. Das Werk der Reformation war wieder in die rechte Bahn geleitet.

Unter den vielen Arbeiten der nächsten Zeit war eine der wichtigsten die Neugestaltung des Gottesdienstes. »Drei große Mißbräuche,« klagt Luther damals, »sind in den Gottesdienst gefallen. Der erste: daß man Gottes Wort geschwiegen hat und allein gelesen und gesungen in den Kirchen; das ist der ärgste Mißbrauch. Der andere: da Gottes Wort geschwiegen gewesen ist, sind nebeneingekommen so viel unchristlicher Fabeln und Lügen, beides, in Legenden, Gesängen und Predigten, daß es greulich zu sehen ist. Der dritte: daß man solchen Gottesdienst als ein Werk gethan hat, damit Gottes Gnade und Seligkeit zu erwerben. Da ist der Glaube untergegangen und hat jedermann zur Kirche geben, stiften, Pfaff, Mönch und Nonne werden wollen.«

Die katholische Kirche meint, daß sie mit ihren Gottesdiensten, in denen der Priester mit prächtigem Meßgewande am Altar in lateinischer Sprache redet oder singt und die Gemeinde stumm zuhört, Gott einen Dienst thue. Luther hat's dafür gehalten, daß im rechten Gottesdienst Gott uns dienen will mit seinem Wort und Sakrament. Darin steigt Gott zu uns hernieder. Die Sakramente, Taufe und Abendmahl, sind gemäß der Heiligen Schrift und der Einsetzung durch Christus zu verwalten. Gottes Wort ist reichlich sowie lauter und rein zu predigen. Es kann keinen rechten Gottesdienst ohne Gottes Wort geben. Darum schenkte Luther dem deutschen Volke die deutsche Bibel. Darum gab er dem Prediger, der nicht selbst aus Gottes Wort eine Predigt[S. 44] gestalten konnte, seine Kirchenpostille, d. i. eine Sammlung von Predigten für jeden Sonn- und Festtag über die Episteln, wie über die Evangelien in die Hand.

Wie aber Gott herabsteigt in Wort und Sakrament, so erheben wir uns zu ihm mit unsern Gebeten und unsern Gesängen. »Des Christen Handwerk ist das Beten,« sagte Luther. Er hat das Handwerk meisterhaft verstanden und hat Großen und Kleinen die Hände zum Gebet gefaltet. »Ach wie gar ein groß Ding,« so lauten seine Worte, »ists um ein rechtschaffen Gebet frommer Christen! Wie gar kräftig ist es bei Gott, daß ein armer Mensch mit der hohen Majestät im Himmel so reden soll und vor ihm nicht erschrecken, sondern wissen, daß ihn Gott freundlich anlache um Jesu Christi willen, seines lieben Sohnes, unseres Herrn und Heilands!«

Luther ist's aber auch gewesen, der uns das deutsche evangelische Gesangbuch gab. Die Deutschen haben von jeher gern gesungen und singen auch noch heute gern. Aber in deutschem Liede will der Deutsche hinaussingen, was sein Herz bewegt. Und wenn's die römischen Priester, die das deutsche Gemüt und deutsche Glaubensinnigkeit nie verstanden, auch nicht gern hörten, in deutscher Zunge klang doch schon in grauer Vorzeit durchs deutsche Gotteshaus das Osterlied:

Christ ist erstanden
Von der Marter alle;
Des solln wir alle froh sein,
Christ will unser Trost sein!
Hallelujah.

Und zu Pfingsten sang man:

Nun bitten wir den heiligen Geist
Um den rechten Glauben allermeist,
Daß er uns behüte an unserm Ende,
Wenn wir heimfahren aus diesem Elende.
Kyrieleis.

Viele Lieder waren's freilich nicht, die die deutsche Christenheit im Gotteshaus singen konnte. »Es fehlt uns an deutschen Poeten und Musikern, die christliche und geistliche Gesänge, wie sie Paulus nennt, machen können, die es wert wären, daß man sie täglich in der Kirche Gottes brauchen möge.«

[S. 45]

Als Luther so klagte, ahnte er wohl selbst nicht, daß er dazu berufen war der Schöpfer und Vater des deutschen Kirchenliedes zu werden. Unser Luther war ja eine durchaus dichterische Natur. Ist nicht sein köstlicher Brief vom Paradiesesgarten an sein Söhnlein Hänschen wie ein Gedicht? Und welch' herrliche Lieder voll von Glaubenskraft und Christenmut hat er uns gesungen!

Wunderbar, daß gerade »der Feinde Blutgier den Quell öffnen helfen mußte, aus dem der reiche evangelische Liederstrom entsprungen ist!«

Am 1. Juli 1523 hatten die Römlinge zwei junge Anhänger der Lehre Luthers, Heinrich Voes und Johann Esch auf dem Marktplatz zu Brüssel verbrannt. Das sollte die Bekenner des Evangeliums einschüchtern. Aber was geschah? Der Glaube der ersten Märtyrer stärkte den Glauben der Anderen. Je wütender die Welt Luthers Lehre verfolgte, um so deutlicher erwies es sich: Diese Lehre ist die Wahrheit! Damals hat Luther den Mund zu seinem ersten Liede geöffnet:

»Ein neues Lied wir heben an,
Das walt Gott unser Herre!
Zu singen, was Gott hat gethan
Zu seinem Lob und Ehre!«

Dann erzählt der Dichter die Leidens- und Siegesgeschichte jener evangelischen Glaubenszeugen. Siegesbewußt schaut er in die Zukunft:

Die Asche will nicht lassen ab,
Sie stäubt in allen Landen.
Hier hilft kein Bach, Loch, Grub noch Grab,
Sie macht den Feind zu Schanden.
Der Sommer ist hart vor der Thür,
Der Winter ist vergangen,
Die zarten Blumen gehn herfür:
Der das hat angefangen,
Der wird es wohl vollenden!

Der Liederstrom aus Luthers gläubigem, in Gott zufriedenen Herzen quoll weiter. »Die Wittenbergisch Nachtigall, die man jetzt höret überall,« wie der Nürnberger Schuhmacher und Meistersinger Hans Sachs unsern Luther nennt, sang uns noch manches[S. 46] Lied. Im Jahre 1524 erschien das erste evangelische Gesangbüchlein. Nur acht Lieder standen drin, unter ihnen vier von Luther. In demselben Jahre hat dann Luther zum ersten Male selbst ein »Geistliches Gesangbüchlein« herausgegeben.

Titelblatt des Zwickauer Gesangbuchs
Titelblatt des Zwickauer Gesangbuchs, des ältesten des jetzigen Königreichs Sachsen (1525).

Gegen 40 geistliche Lieder besitzen wir von Luther. Aus den Psalmen des Alten Testaments schuf er Gesänge für die evangelische Christenheit (»Aus tiefer Not schrei ich zu dir« nach Psalm 130; »Es wolle Gott uns gnädig sein« nach Psalm 67). An alte deutsche Lieder fügte er neue Verse (»Gelobet[S. 47] seist du, Jesu Christ, daß du Mensch geboren bist«; »Nun bitten wir den heiligen Geist«). Alte lateinische Gesänge wurden ins Deutsche umgedichtet (»Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen«). Den ganzen Katechismus, von dem wir im nächsten Abschnitt hören werden, brachte er ins Gesangbuch (»Dies sind die heil'gen zehn Gebot«; »Wir glauben all an Einen Gott«: »Vater unser im Himmelreich«; »Christ, unser Herr, zum Jordan kam« (über die Taufe); »Gott sei gelobet und gebenedeiet« (über das heilige Abendmahl). In aller Kinder Herzen sang sich Luther hinein mit seinem »Kinderlied auf die Weihnachten zu singen vom Kindlein Jesu«: »Vom Himmel hoch da komm ich her«. Wo aber deutsche evangelische Männer und Frauen sich versammeln, um miteinander in ihrem teuren Glauben Kraft und Trost zu suchen, da stimmen sie das Schutz- und Trutzlied der Reformation an, wie es Luther uns vorgesungen: »Ein' feste Burg ist unser Gott«.

Zum Lied aber gab Luther auch oft die Melodie, mochte er sie einer alten Volksweise abgelauscht oder aus der eigenen singenden Seele geschöpft haben. Vergessen sei aber nicht seines getreuen Gehilfen, des kurfürstlichen Hofkantors Johann Walther, der ihm treffliche Dienste geleistet hat!

Der Sang der »Wittenbergischen Nachtigall« weckte manche Stimme. Der freundliche Leser wolle in seinem Gesangbuch nur einmal aufschlagen die Namen Albrecht, Markgraf von Brandenburg, Nikolaus Decius, Paul Eber, Johann Gramann, Nikolaus Hermann, Johann Mathesius, Hans Sachs, Paul Speratus! Da wird er die Lieder finden, an denen die evangelische Gemeinde der Reformationszeit sich erquickt hat. Sie bleiben eine reiche Segensquelle für die evangelische Kirche aller Zeiten. Sie sind zu einem großen Teile in fremde Sprachen übersetzt. Und wie manche unter unseren katholischen Brüdern und Schwestern haben schon in ihnen Erholung der Seele gefunden!

[S. 48]

c) Der deutsche Katechismus.

Wenn D. Luther in seinem Lauf sonst nichts Gutes gestiftet und angerichtet hätte, denn daß er beide Katechismen in Häuser, Schulen und auf den Predigtstuhl gebracht, so könnte ihm die ganze Welt das nimmermehr genugsam danken und bezahlen.

Johann Mathesius.

Georg Spalatin
Georg Spalatin.

Wenn man hört und liest, wie D. Luther so fleißig arbeitete, wie es nun eine deutsche Bibel, eine Postille, ein Gesangbuch gab, und wenn man bedenkt, daß ihm tüchtige Männer in treuer Mitarbeit zur Seite standen, wie Philipp Melanchthon, der Stadtpfarrer[S. 49] Johann Bugenhagen, Friedrichs des Weisen Hofkaplan, Georg Spalatin — so möchte man wohl meinen: Es muß im lieben Sachsenlande ganz herrlich um Kirche und Schule gestanden haben! Dem war aber leider noch nicht so. Es dauerte lange, bis die Schäden, die Folgen römischer Verwahrlosung im Mittelalter, geheilt wurden. Vor allem fehlten die Männer, Gottes Wort auf den Kanzeln zu verkünden und es in der Schule den Kindern ins Herz zu pflanzen. Dazu mußte einer mehr verstehen als Messelesen.

Es war unbedingt nötig, daß man erforschte, wie es in den einzelnen Gemeinden stand, ob die Geistlichen auch zu predigen und die Schulmeister zu lehren fähig waren, und ob ihre Predigt und Lehre mit dem Evangelium übereinstimmte. Damit keine Gemeinde übersehen und dieses Prüfungswerk möglichst bald beendet würde, teilte man ganz Sachsen in Bezirke und wählte für jeden derselben mehrere Gottesgelehrte und rechtsverständige Räte des Kurfürsten, die ihn visitieren sollten. Melanchthon setzte die Fragen auf, die den Geistlichen vorzulegen waren. Aber er war auch der Erste, der sich selbst aufmachte, in seinem Bezirke Kirchen und Schulen zu besuchen. Ihm nebst zwei Pfarrern und drei adligen Räten war Thüringen zugewiesen worden. So schön dieses Land ist, so traurig stand es dort um manche Gemeinde in Kirche und Schule. Kaum glauben möchte man's, daß die Römischen es gewagt hatten, einen Mann als Geistlichen anzustellen, der nicht viel mehr wußte, als die zehn Gebote, die drei Artikel und das Vaterunser. Man kann auch heute noch in den Klöstern Leute finden, die nicht viel mehr als Lesen und Schreiben gelernt haben. Melanchthon fand aber einen früheren Mönch als Pfarrer, der antwortete, als er nach den zehn Geboten gefragt wurde: »Ich habe das Buch noch nicht!«

Das war traurig, sehr traurig. »Mein Herz blutet,« schrieb Melanchthon angesichts solchen Elends, das der Papst und die Bischöfe auf dem Gewissen hatten, »wenn ich diesen Jammer sehe. Ich gehe oft beiseite und weine meinen Schmerz aus, wenn wir mit der Untersuchung eines Ortes fertig sind. Und wer wollte nicht jammern, wenn man sieht, daß die Anlagen des Menschen so ganz vernachlässigt werden und die Seele desselben, die so[S. 50] viel lernen und fassen kann, nicht einmal von ihrem Schöpfer und Herrn etwas weiß.«

Auch Luther sollte bei der Visitation geistliches Elend genug sehen. So traurig aber die Erkenntnis der vorhandenen Übelstände war, so hocherfreulich war die Frucht, die aus der Trauer um das Elend des Volkes erwuchs. Diese Frucht waren die beiden Katechismen D. Martin Luthers. Ein »Katechismus«, das ist »eine Kinderlehre, so ein jeglicher Christ zur Not wissen soll«, war das Nötigste, was man jetzt in Kirche und Schule brauchte. Schon mancher hatte versucht, solch ein Büchlein zu schreiben. Aber der rechte Katechismus konnte nicht vom Schreibtisch aus verfaßt werden, sondern mußte herauswachsen aus der fleißigsten, hingebendsten Belehrung der Gemeinde. Den konnte auch nur einer schreiben, der mit inniger Liebe den Kindern zugethan war und selbst ein kindliches Gemüt besaß. Dieser eine war unser Luther.

Wie hat Luther die Kinder so lieb gehabt! Wie oft betrat er die Kanzel, um den »Einfältigen« zu predigen! Wie hat er es den Eltern und der Obrigkeit ans Herz gelegt: Sorgt für die Kinder! Erzieht sie zu Gottes Kindern! Gründet gute Schulen! An alle »Bürgermeister und Ratsherren der Städte in deutschen Landen« wendet er sich mit der herzlichen Bitte, »daß sie christliche Schulen aufrichten und erhalten sollen.« Wie redet er dem armen Vater, der nicht weiß, wovon er seinen Sohn studieren lassen soll, freundlich zu in seiner köstlichen »Predigt, daß man Kinder zur Schule halten soll«: »Laß deinen Sohn getrost studieren! Und sollte er auch dieweil nach Brot gehen, so giebst du unserm Herr-Gott ein feines Hölzlein, daraus er dir einen Herrn schnitzen kann.« Wie preist er das hohe Amt eines christlichen Lehrers: »Das sage ich kürzlich: einen fleißigen, frommen Schulmeister oder Magister oder, wer es ist, der Knaben treulich erzieht und lehrt, den kann man nimmermehr genug lohnen und mit keinem Gelde bezahlen!« — — »Und ich, wenn ich vom Predigtamt und anderen Sachen ablassen könnte oder müßte, so wollte ich kein ander Amt lieber haben, denn Schulmeister oder Knabenlehrer sein. Denn ich weiß, daß dies Werk nächst dem Predigtamt das allernützlichste, größte und beste ist, und weiß dazu noch nicht, welches unter beiden das beste ist.«

[S. 51]

Weil Luthers Katechismus jedes evangelische Kind durch die Schulzeit begleitet und weil kein Erwachsener dieses Büchlein je auslernen kann, soll hier auch kurz erzählt werden, wie dasselbe entstanden ist.

Stadtkirche zu Wittenberg
Stadtkirche zu Wittenberg.

Der Katechismus, d. h. die zehn Gebote, der Glaube, das Vaterunser und was jeder Christ von den beiden Sakramenten wissen soll, muß dem Volke gepredigt, muß den Kindern ins[S. 52] Herz hinein geschrieben werden, wenn's besser werden soll! meinte Luther, als er von der entsetzlichen geistlichen Verwahrlosung in Stadt und Land hörte. Darum trat er im Jahre 1528 auf die Kanzel der Wittenberger Stadtkirche und predigte über die genannten Katechismusstücke. Sein Freund Bugenhagen, der Stadtpfarrer, war nämlich verreist, und man war's längst gewöhnt, daß Luther trotz seiner vielen anderen Arbeiten die Stellvertretung des Abwesenden übernahm. Da hat denn Luther in drei Predigtreihen (im Mai, September und Dezember) je den ganzen Katechismus vor einer zahlreichen Gemeinde ausgelegt.

Was aber die Leute gehört hatten, das sollten sie auch in ganz kurzer Form schwarz auf weiß mit nach Hause nehmen können, und den Predigern mußte es höchst willkommen sein, an Luthers Katechismuspredigten ein Muster für die eigenen zu haben. Also in doppelter Gestalt sollten Luthers Predigten hinaus in die Welt ziehen. Ganz kurz ließ er die Summa derselben auf Tafeln drucken, damit man sie in Haus, Kirche und Schule an die Wand hängen könnte. Schon Mitte Januar 1529 war die erste Tafel fertig. Sie enthielt die drei ersten Hauptstücke mit ihren Auslegungen. Zur Osterzeit erschien die zweite Tafel, das vierte und fünfte Hauptstück. Diese beiden Tafeln sind dann in Buchform gedruckt worden. Das ist der »kleine« Katechismus.

Johann Bugenhagen
Johann Bugenhagen.

Inzwischen aber hatte Luther auch fleißig daran gearbeitet, die Katechismuspredigten vom Jahre 1528 unter Abstreifung des Predigtgewandes zu einem »Katechismus« umzugestalten. Die Arbeit zog sich in die Länge, so daß er nicht nur jene Katechismuspredigten,[S. 53] sondern auch noch die Predigten vom Palmsonntag und Gründonnerstag verwerten konnte. Gegen Mitte April wurden die ersten Exemplare des »großen« Katechismus verschickt.

Übrigens verrät Luther diese Entstehung seiner Katechismen selbst, wenn er in der Vorrede zum kleinen Katechismus von »Tafeln« spricht und wenn er die Vorrede zum »großen« mit den Worten beginnt: »Diese Predigt ist dazu geordnet und angefangen, daß es sei ein Unterricht für die Kinder und Einfältigen.«

Wer mag den Segen ermessen, der aus Luthers Katechismen erwachsen ist! Es sollte ihn niemand beiseite legen, wenn seine Schulzeit und seine Konfirmation vorüber ist! Wenn Luther von sich bekannte: »Ich muß ein Kind und Schüler des Katechismus bleiben und bleib's auch gerne!« so werden wir alle Zeit unseres Lebens an ihm zu lernen haben.

Wer kann es aufzählen, wie man im Laufe der Jahrhunderte Luthers Kinderlehre gepriesen! Eines Mannes Urteil sei nur genannt! Der große deutsche Geschichtsschreiber Leopold von Ranke sagt von Luthers kleinem Katechismus: »Er ist ebenso kindlich wie tiefsinnig, so faßlich wie unergründlich, einfach und erhaben. Glückselig, wer seine Seele damit nährte, wer daran festhält! Er besitzt einen unvergänglichen Trost in jedem Momente, hinter einer leichten Hülle den Kern der Wahrheit, der dem Weisesten der Weisen genugthut.«


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6. Luther gegen den Aufruhr.

Es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin Christus; und werden viele verführen.

Matth. 24, 5.

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Jeder Krieg hat etwas Furchtbares. Am erbittertsten aber sind immer die Kriege geführt worden, in denen man angeblich um Gottes und des Glaubens willen kämpfte. Die Bauern, die sich zu Luthers Zeit im »Bauernkrieg« erhoben, schrieben das »Evangelium« auf ihre Fahne und begründeten ihre Forderungen mit dem »Evangelium«. Die Feinde der Reformation waren sofort mit der Behauptung da: Nun seht ihr's,[S. 54] das Evangelium führt zur Revolution. Der Luther und seine Anhänger sind Empörer!

Noch heute kann man's im Lager unserer Feinde hören: Die Reformation ist die Mutter der Revolution. Das stimmt aber schon deshalb nicht, weil thatsächlich die katholischen Länder die Herde der Revolutionen sind. Und wenn jemandem revolutionäres Wesen fern gelegen hat, dann ist's sicher Luther gewesen. Sein Grundsatz war: Das Alte soll bleiben, soweit es nicht gegen Gottes Wort ist. Das Neue aber soll auf dem Grunde des Wortes Gottes aufgebaut werden.

Die Predigt des Evangeliums hatte die Gewissen vom Joche des Papsttums befreit. Aber nicht zu einer fleischlichen Freiheit, nicht zur Zügellosigkeit und Zuchtlosigkeit führte es die Leute. »Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemand unterthan (durch den Glauben); ein Christenmensch ist ein Knecht aller Dinge und jedermann unterthan (durch die Liebe).« Luther gerade ist es gewesen, der der weltlichen Obrigkeit ihre göttliche Ehre wiedergab auf Grund von Röm. 13, 1-2: »Jedermann sei unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Wer sich nun wider die Obrigkeit setzet, der widerstrebet Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden über sich ein Urteil empfangen.« Und im kleinen wie im großen Katechismus rechnet Luther die Obrigkeit zum »Vaterstand«: »Denn Gott giebt und erhält uns durch sie, als durch unsere Eltern, Nahrung, Haus und Hof, Schutz und Sicherheit. Darum, weil sie solchen Namen und Titel, als ihren höchsten Preis, mit allen Ehren führen, sind wir auch schuldig, daß wir sie ehren und groß achten für den teuersten Schatz und köstlichstes Kleinod auf Erden.« So spricht wahrlich kein Revolutionär.

Gewiß hat es der Bauer nicht leicht gehabt im Mittelalter. Wenn das Landvolk unter keiner anderen Last zu seufzen gehabt hätte, als unter der, die die Bibel mit dem Worte meint: »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen!« so hätten sie sich noch glücklich preisen können. Aber die Bauern wurden manchmal kaum als Menschen angesehen, und wie es ihnen erging, war ihren harten Herren zumeist ganz gleichgiltig, wenn sie nur arbeiteten, ihre Abgaben richtig bezahlten, sich alle Willkür[S. 55] gefallen ließen und dazu schwiegen. Nirgends erhielt der arme, leibeigene Bauer sein Recht. »Das edel Recht,« sagte das Sprichwort, »ist worden krank, dem Armen kurz, den Reichen lang.« Und wenn die Großen mit gepanzerter Faust ihr Recht suchten und sich befehdeten, war's wieder der Bauer, der das Meiste litt, dem man das Feld verwüstete, das Haus ansteckte und das Vieh wegtrieb. Da läßt sich wohl denken, daß er mit Freuden die Predigt von der »evangelischen Freiheit« vernahm und auf Erlösung aus dem verhaßten Joche hoffte.

Schon mehr als einmal hatten sich die Bauern erhoben. Aber das Schwert der Mächtigen hatte sie niedergeschlagen. Jetzt, wo alle Welt von Freiheit redete, wollten sie auch frei werden, allerdings nicht frei im Sinne des Evangeliums, frei von Sünde, Schuld und Tod auf Grund der Erlösung durch Jesum Christum, frei vom Papst und seinen Menschensatzungen, sondern frei von dem Drucke der Gewaltigen. Im Herbst 1524 thaten sich in Schwaben die Bauern zusammen und stellten in »zwölf Artikeln«, von denen sie jeden aus der Heiligen Schrift begründen wollten, ihre Forderungen auf. Eine Reihe Gottesgelehrter sollte ihre Sache prüfen. Was von ihren Forderungen gegen die Bibel wäre, wollten sie gern zurücknehmen.

Obenan unter den Gottesgelehrten waren Luther und Melanchthon genannt. In einer ernsten »Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben« zeigte Luther, daß das Evangelium mit solchen Dingen gar nichts zu thun habe. Daß die Bauern in vielen Stücken recht hatten, sah er wohl ein, gab's auch zu. Aber »mit Trotz und Streit werdet ihr nichts schaffen«, schrieb er und riet zu einem gütlichen Vergleich. Dazu war es zu spät. Die Leidenschaften waren schon zu sehr erregt, und was Luther, »Deutschlands Prophet«, vorausgesagt, war geschehen: man hatte zum Schwert gegriffen. Am schlimmsten geberdete sich Thomas Münzer. »Dran, dran, weil das Feuer heiß ist! Lasset euer Schwert nicht kalt werden vom Blut!« rief er Bauern und Bergleuten zu. Alles stand jetzt auf dem Spiele. Das war eine Revolution, wie sie schlimmer nicht gedacht werden konnte. In seiner Schrift »wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern« forderte jetzt Luther das entschiedene Einschreiten der Fürsten, ermahnte aber[S. 56] zugleich die ganze Christenheit zum Gebete, daß Gott die verblendeten und irregeführten Bauern erleuchten und bekehren möchte.

Auch Melanchthon war, wie wir hörten, unter jenen Gottesgelehrten mit genannt, die die Forderungen der Bauern prüfen sollten. Er hätte wohl am liebsten geschwiegen. Luther, der von sich bekennen konnte: »Ich bin eines Bauern Sohn, mein Vater und Ahn sind rechte Bauern gewesen,« wußte aus eigener Erfahrung, wo den Bauern der Schuh drückte. Melanchthon hatte in einem behäbigen städtischen Elternhause und dann von seiner Studierstube aus von den Nöten des Bauernstandes nichts gesehen. Trotzdem konnte auch er nicht leugnen, daß in den Forderungen der Bauern vieles berechtigt war. Aber, sagte er, zu den Tugenden der Christen gehört vor allem mit der Gehorsam gegen die Obrigkeit. Also keine eigenmächtige Hilfe! Vielmehr lasse man die Obrigkeit dafür sorgen, daß allerorten gute evangelische Prediger wirken, damit Glaube und Liebe im Volke gepflanzt, und gepflegt werden! Das sei der rechte Weg zu Einigkeit und Frieden.

Der Rat kam zu spät, und, wäre er früher gegeben worden, so hätte er wohl auch wenig genützt. Wie fast in ganz Deutschland, so hat der Bauernkrieg auch in Sachsen gewütet. Manches schöne Schloß, manches reiche Kloster wurde zur Ruine. Viel Blut wurde vergossen, viel Wohlstand begraben.

Ein furchtbares Gericht ist über die Aufständischen gehalten worden. Am 15. Mai 1525 wurde Thomas Münzer bei Frankenhausen besiegt und bald darauf gefangen genommen. Als einen falschen Propheten hatte er sich erwiesen, da er den Bauern Mut einsprach: »Gott ist mit uns! Wer von euch im vordern Treffen fällt, der steht hinten wieder auf. Fürchtet euch nicht! Die feindlichen Kugeln fange ich alle mit den weiten Ärmeln meines Priesterrockes auf!« Man hat ihn mehrmals gefoltert und dann in Mühlhausen hingerichtet. Viele mußten sein Schicksal teilen. Am furchtbarsten aber wurden die Aufrührer im Frankenland bestraft. Der Markgraf von Brandenburg ließ in der Stadt Kitzingen 47 Aufständischen die Augen ausstechen. Vielfach war's nur dem inständigen Bitten der Pfarrer zu danken, daß Gnade für Recht erging.

[S. 57]

In jenen Tagen starb Friedrich der Weise. »Ach, was soll ich doch länger hier auf Erden thun«, sagte er wenige Tage vor seinem Tode, »denn es ist doch hier auf Erden keine Liebe, Wahrheit und Treue mehr!« Auf seinem Sterbebette ließ er sich das heilige Abendmahl unter beiderlei Gestalt reichen, »der erste deutsche Fürst, der so im Tode zur evangelischen Lehre sich bekannt und ihr gemäß in Gottes Wort seinen letzten Trost gefunden hat.«

Friedrich der Weise verdiente die tiefe Trauer seines Volkes. Wohl am tiefsten trauerte Luther. Als man den edlen Kurfürsten in der Schloßkirche zu Wittenberg beisetzte, hielt Luther tiefbewegt die Leichenpredigt. »Unter seinem Schutz und Schirm,« rühmt er dankbar von diesem Fürsten, »ging das Evangelium glücklich von statten und nahm allenthalben überhand. Sein Leben lang hat er ein friedsam, still und ruhiges Regiment geführt und mit Recht Friedrich geheißen.«

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7. Das Augsburgische Glaubensbekenntnis und die »Apologie«.

Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.

Matth. 10, 32.

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Ein kluger Mann ist Kaiser Karl V. gewesen, ein mächtiger Mann war er auch, aber doch nicht so klug und so mächtig, daß er hätte das alte Wort zu Schanden machen können: »Ist der Rat oder das Werk aus den Menschen, so wird's untergehen; ist's aber aus Gott, so könnet ihr's nicht dämpfen« (Apostelgesch. 5, 38. 39). So lange der Kaiser mit seinen Feinden außerhalb des Reichs zu thun hatte, suchte er auch mit den Evangelischen im Reiche gute Freundschaft zu halten. Kaum aber hatte er seine Feinde überwunden, so meinte er, die Evangelischen nicht mehr zu brauchen und alles thun zu können, sie wieder unter des Papstes Joch zu zwingen. Das sollte, wie er hoffte, auf dem Reichstag geschehen, der im Frühjahr 1529 zu Speyer seinen Anfang nahm.

[S. 58]

Man konnte es gleich am ersten Tag merken, daß der Reichstag dazu berufen war, die Bekenner des Evangeliums zu unterdrücken. Zunächst wurde der Beschluß vom Jahre 1526, wonach es jeder Fürst in Sachen der Religion in seinem Lande halten sollte, wie er es vor Gott und kaiserlicher Majestät zu verantworten gedenke, für null und nichtig erklärt. Dann bildete man einen Ausschuß, der beraten sollte, wie es hinfort in Religionssachen zu halten wäre. In diesem Ausschuß waren mehr Katholiken als Evangelische. Darum konnte sich niemand wundern, daß derselbe vorschlug, bis zu einer allgemeinen Kirchenversammlung dürfe an den kirchlichen Verhältnissen nichts mehr geändert werden, wohl aber sei auch jetzt dort, wo die Evangelischen die Oberhand hätten, katholischer Gottesdienst nicht zu hindern. Da nun auch im Reichstag selbst mehr Katholiken als Evangelische saßen, nahm derselbe in der Mehrzahl jenen Vorschlag an. Das bedeutete nicht nur den Stillstand der Reformation, sondern die Wiederaufrichtung des Papsttums und damit die Unterdrückung des Evangeliums.

Die evangelischen Stände erklärten, daß über Dinge, die das Gewissen angehe, kein Reichstag abstimmen und beschließen könne. Sie protestierten gegen den Beschluß mit den Worten: »Wir gedenken mit der Hand und Hilfe Gottes bei dem zu bleiben, daß allein Gottes Wort und das heilige Evangelium, Altes und Neues Testament, in den biblischen Büchern verfaßt, rein gepredigt werde, und nichts, das dawider ist; denn daran als an der einzigen Wahrheit und dem rechten Richtscheit aller christlichen Lehre und Lebens kann niemand irren noch fehlen, und wer darauf baut und bleibt, der besteht wider alle Pforten der Hölle!« So ward der Evangelischen Protest oder Verwahrung und Einspruch zugleich ein schönes Bekenntnis. Die Katholischen spotteten der Minderzahl der Evangelischen, die »protestierten«, dachten, das Protestieren sei nichts als Worte, und nannten die Evangelischen »Protestanten«. Sie sahen aber den Glauben nicht, der zum Proteste trieb und der die Welt überwindet. Uns ist der Name »Protestanten« ein Ehrenname. Noch heute protestieren wir gegen alles, was »wider Gott, sein heiliges Wort und unser Gewissen« ist.

[S. 59]

Tief war's zu beklagen, daß nicht alle Evangelischen treu und fest zu einander standen. In Sachsen war man über die Lehre vom Abendmahl anderer Meinung als in Süddeutschland und in der Schweiz, und man hielt diesen Unterschied für so wichtig, daß man glaubte, sich darüber nicht die Bruderhand reichen zu können. Über solchen Zwiespalt war insbesondere der Landgraf Philipp von Hessen sehr betrübt. Vielleicht, meinte er, sei eine Vereinigung möglich, wenn die Führer der Evangelischen in Sachsen Luther und Melanchthon, in Süddeutschland und der Schweiz Ökolampadius und Zwingli, einmal zusammen kämen, sich in Liebe und Freundschaft zu besprechen. Das geschah denn auch im Herbste 1529 zu Marburg. Man einigte sich über die vornehmsten Stücke des evangelischen Glaubens, aber nicht über die Abendmahlslehre. »Wir haben sie in Frieden entlassen,« schrieb Luther; »Liebe und Frieden sind wir auch den Feinden schuldig; es ward ihnen bedeutet, daß wenn sie über das Abendmahl nicht besser denken lernen, sie zwar unserer Liebe gebrauchen können, daß es uns aber nicht möglich ist, sie als Brüder und Glieder Christi zu betrachten.« Ähnlich äußerte sich Melanchthon.

Zu gleicher Zeit beredeten sich der Kurfürst von Sachsen und der Markgraf Johann von Brandenburg, ob nicht ein Bund der Evangelischen anzustreben und zu erreichen wäre. Dazu brauchte man ein gemeinsames Bekenntnis. Luther sollte es ausarbeiten. Er legte ihm die Artikel, über die man sich in Marburg geeinigt hatte, zu Grunde und fügte einen Abschnitt über das heilige Abendmahl hinzu, der seine eigene Lehre enthielt. Es gelang aber weder zu Schwabach noch zu Schmalkalden, wo man dieserhalb zusammenkam, die Süddeutschen zur Unterschrift dieser Artikel und zum Anschluß an den Bund zu bewegen. Daß übrigens ein solcher Bund jemals gegen den Kaiser die Waffen erhöbe, widerrieten Luther und Melanchthon aufs entschiedenste.

Zu Anfang des Jahres 1530 sah es nicht gerade gut um die protestantische Sache aus. Noch waren die, die sich zur Reformation bekannten, zersplittert. Es fehlte ihnen die Fahne eines einmütigen Bekenntnisses. Drüben aber unter den Römischen war Einigkeit. Dazu hörte man allerlei Gerüchte von einem neuen Reichstag, zu dem der Kaiser selbst kommen würde und auf dem endlich die verhaßten Evangelischen, die aller Übel Ursache wären,[S. 60] für immer in die Schranken des Gehorsams gegen den Papst und die Kirche zurückgewiesen werden sollten. Um so überraschter war man, als das kaiserliche Schreiben, in dem ein Reichstag nach Augsburg eingerufen wurde, nichts als Güte und Milde atmete. Selbst Luther und Melanchthon glaubten jetzt, nur Gutes hoffen zu dürfen.

Anderer Meinung war der scharfsichtige Kanzler des sächsischen Kurfürsten Dr. Gregor Brück. In des Kaisers und der Katholiken Freundlichkeit erblickte er nur Fallstricke und das schlaue Bestreben, die Evangelischen sicher zu machen, damit sie dann desto leichter überrumpelt werden könnten. Darum sei es unbedingt nötig, daß die Lehre der Protestanten in einer besonderen Schrift zusammengestellt und sorgfältig mit Gründen der Bibel bewährt würde. Würde dann den evangelischen Gottesgelehrten auf dem Reichstage das Wort verwehrt, so könne man diese Schrift als Verteidigung der evangelischen Lehre Kaiser und Reich vorlegen. Das leuchtete dem Kurfürsten wohl ein. Er beauftragte Luther, Melanchthon, Bugenhagen und Jonas, sich über eine solche Schrift zu beraten. Das war keine geringe Arbeit; kam es doch darauf an, eine Schrift zu bieten, welche die Zustimmung womöglich aller Evangelischen fände. Sie berieten lange, zuerst in Wittenberg, dann in Torgau, bis sie schließlich auf Melanchthons Vorschlag eingingen, nur das in die Schrift aufzunehmen, was im Einklang mit der Kirche der ersten Jahrhunderte stand. Denn dann mußte jeder sehen, daß nicht die Evangelischen, sondern die Katholischen »Neuerer« waren. In einzelnen Artikeln übergaben die Männer ihrem Kurfürsten das Ergebnis ihrer Beratungen. Dieser war wohl damit zufrieden; nur war es nötig, die »Artikel« noch in zweckentsprechende Form zu bringen. Damit beauftragte der Kurfürst Melanchthon.

Anfang April verließ Johann der Beständige mit seinem Gefolge — darunter auch Luther, Melanchthon, Spalatin und anderen — Torgau. Daselbst verweilte man längere Zeit, so daß Melanchthon noch ausgiebig Gelegenheit hatte, sich mit Luther über die ihm übertragene Verteidigungsschrift zu besprechen, die nötigenfalls »als Bekenntnis und Rechtfertigung der Evangelischen« in Augsburg vorgetragen werden könnte. Denn Luther[S. 62] selbst sollte in Coburg zurückbleiben. Ein Mann wie er, in Acht und Bann, konnte unmöglich vor Kaiser und Reich erscheinen.

Coburg
Coburg.

Am 2. Mai langte als der Erste der Fürsten Kurfürst Johann in Augsburg an. Erst allmählich füllte sich die Stadt mit den übrigen Fürsten, geistlichen und weltlichen, Reichsständen und Gesandten. Kaiser Karl hatte seinen Einzug bis auf den 15. Juni verschoben. Den Tag darauf feierte man in öffentlicher Prozession und größtem Gepränge das Fronleichnamsfest. Bestimmt lehnten die evangelischen Fürsten jede Beteiligung daran ab. Charakterfest wahrten sie ihren evangelischen Standpunkt. Am 20. Juni wurde der Reichstag mit einem feierlichen, selbstverständlich katholischen Gottesdienst in der Stiftskirche eröffnet. Die Reden, die man darnach hielt, ließen deutlich erkennen, daß man bereit war, selbst mit dem Schwerte in der Hand den Protestantismus zu unterdrücken. Die Evangelischen aber setzten ihre Hoffnung auf Gott. Auch hatten sie die Zuversicht, daß der Kaiser sein Wort halten und ihr Bekenntnis anhören werde.

Fleißig hatte Melanchthon seit seiner Ankunft in Augsburg daran gearbeitet. Immer mehr ward aus der geplanten Verteidigungsschrift eine Bekenntnisschrift. Dem Kurfürsten lag viel daran, daß auch Luther Melanchthons Arbeit begutachtete. Am 15. Mai schickte er ihm die Schrift auf die Feste Coburg, indem er ihm dazu schrieb: »Nachdem ihr und andere unsere Gelehrten zu Wittenberg auf unser gnädiges Ansinnen und Begehren die Artikel, so der Religion halber streitig sind, in ein Verzeichnis gebracht, so wollen wir euch nicht bergen, daß jetzt allhier Magister Philippus dieselbigen weiter übersehen und in eine Form gezogen hat, welche wir euch hierbei übersenden. Und ist unser gnädiges Begehren, ihr wolltet dieselben weiter zu übersehen und zu bewegen unbeschweret sein. Und wo es euch dermaßen gefällig oder etwas davon oder dazu zu setzen bedächtet, das wollet also daneben verzeichnen, damit man alsdann auf Kaiserlicher Majestät Ankunft, der wir uns in Kürze versehen, gefaßt und geschickt sein möge, und uns dieselbige alsdann bei diesem Boten wohl verwahrt und verpetschaftet unverzüglich wiederum anher schicken.« Luther erfüllte des Kurfürsten Wunsch und gab über Melanchthons Schrift, die er als eine Verteidigungsschrift (Apologie) bezeichnet, folgendes Urteil ab: »Ich hab Magister Philippsen Apologie überlesen, die[S. 63] gefället mir fast (d. i. sehr) wohl, und weiß nichts dran zu bessern noch ändern, würde sich auch nicht schicken, denn ich so sanft und leise nicht treten kann.« Trotz dieses Urteils hörte Melanchthon nicht auf, an seiner Schrift zu feilen, zu ändern und zu bessern; auch Kanzler Brück und andere Räte und Gelehrte waren ihm dabei behilflich.

Schließlich berieten die evangelischen Stände die Schrift, die trotzdem sie durch viele Hände gegangen war, dennoch überall das Gepräge Melanchthon'schen Geistes trägt. Unterschrieben wurde sie zunächst vom Kurfürsten Johann von Sachsen samt seinem Sohne Johann Friedrich, von den Herzögen Ernst und Franz von Lüneburg, vom Markgrafen Georg von Brandenburg, dem Landgrafen von Hessen, dem Fürsten Wolfgang von Anhalt und den Städten Nürnberg und Reutlingen. Später, aber noch während des Reichstages, gaben auch die Städte Kempten, Windsheim, Heilbronn und Weißenburg ihre Unterschrift.

Am 25. Juni 1530, nachmittags 3 Uhr, begann in der Kapitelstube des bischöflichen Hofes der sächsische Kanzler Beyer vor Kaiser und Reich das Bekenntnis der evangelischen Stände in deutscher Sprache zu verlesen. Der Kaiser nahm dasselbe deutsch und lateinisch entgegen und versprach, die Sache in reifliche Erwägung zu ziehen. Er wünschte nicht, daß man die Schrift drucken ließe. Sie hätte ja leicht den Evangelischen neue Genossen gewinnen können. Trotzdem wurde in demselben Jahre allein der deutsche Text sechsmal gedruckt.

»An diesem Tage ist der allergrößten Werke eines geschehen, die je auf Erden geschehen sind,« sagte Spalatin am 25. Juni 1530. Aber nicht nur auf die Protestanten hatte die Verlesung ihres Glaubensbekenntnisses den tiefsten Eindruck gemacht. »So hör' ich nun wohl, die Lutherischen sitzen in der Schrift und wir Päpstlichen daneben,« bekannte Herzog Wilhelm von Bayern, und der Augsburger Bischof, Christoph von Stadion, mußte zugeben: »Was vorgelesen worden, ist reine Wahrheit, wir können es nicht leugnen.« Von der Tiefe aber evangelischen Bekenntnisses schien des Kaisers Beichtvater eine Ahnung erhalten zu haben; denn er sagte: »Ihr habt eine Theologie, die man nur begreift, wenn man viel betet.« Luther hatte recht, wenn er einmal sagte: »Der Reichstag zu Augsburg ist mit keinem Gelde[S. 64] zu bezahlen um des Bekenntnisses des Glaubens und des Wortes Gottes willen, so von den Unsern da gethan ist. Denn da haben die Widersacher bekennen müssen, daß unsere Konfession recht und wahr sei.«

Das Augsburgische Glaubensbekenntnis oder die »Augsburger Konfession«, wie man gewöhnlich sagt, enthält 28 Artikel. Die ersten 21 stellen die Glaubenslehre der Protestanten dar, die letzten sieben geben an, welche Änderungen in kirchlichen Gebräuchen sich als notwendig erwiesen. Die ersten 21 sind also die Hauptsache. Sie sind im Anhang unseres Gesangbuchs abgedruckt. In unserer Zeit, wo die römische Kirche überall den Kampf gegen uns Evangelische eröffnet hat, wo die »römisch-katholischen Widersacher unsern Glauben so heftig wie in den Zeiten des Augsburger Reichstags befeinden und lästern«, muß ein evangelischer Christ, der konfirmiert und reifer geworden ist, auch diese erste Bekenntnisschrift seiner Kirche kennen und verstehen lernen. »Für unsere Kirche, die hier den Gegnern gegenüber vor Kaiser und Reich zum ersten Mal ihrem Glauben einen förmlichen und gemeinsamen öffentlichen Ausdruck gegeben hatte, ist sie mit ihrem gedrängten, reichen Inhalt und festen, schlichten, feierlichen Ton ein bleibendes, teures Kleinod geworden. Es mahnt uns fort und fort, für was und gegen wen wir auch heute noch zu kämpfen haben. Es ruft jedem von uns zu: Halte, was du hast! (Offenb. Joh. 3, 11).«

Daß die Römischen auf solch' herrliches Bekenntnis nicht schweigen konnten, verstand sich von selbst. Nicht weniger als zwanzig Theologen beauftragte der Kaiser dasselbe — nicht zu prüfen — sondern zu widerlegen. Sie arbeiteten lange daran und hatten doch den Schmerz, ihre Schrift, weil sie viel zu schwerfällig, unklar und heftig war, vom Kaiser zurück zu erhalten. Als sie endlich am 3. August in deutscher Sprache dem Reichstage vorgelesen wurde, fühlten nicht nur die Evangelischen, auf wie schwachen Füßen die Lehre der Römischen stand. Sie hätten gern eine Abschrift jenes Machwerks in Händen gehabt. Der Kaiser wollte sie ihnen aber nur unter der Bedingung zustellen, daß sie keine Gegenschrift erscheinen ließen. Das war unannehmbar. Glücklicherweise hatte aber ein guter Freund Luthers und Melanchthons bei der Vorlesung der »Widerlegung« das[S. 65] meiste zu Papier bringen können. Auf Grund dieser Nachschrift hat dann Melanchthon seine »Apologie« (d. i. Verteidigungsschrift, nämlich des Augsburgischen Glaubensbekenntnisses) ausgearbeitet, die im April 1531 erschien.

Diese Schrift ist ein wahres Meisterwerk. Einige Sätze aus der Vorrede mögen hier mitgeteilt sein: »Ich habe die höchsten Gründe der Gegner zusammengefaßt, daß bei hohen und niedern Ständen, bei den Jetzigen und unsern Nachkommen, bei allen eingeborenen Deutschen, auch sonst aller Welt, allen fremden Völkern ein klar Zeugnis vor Augen sei und ewig stehen bleibe, daß wir rein, göttlich, recht von dem Evangelio Christi gelehrt haben; wir haben wahrlich nicht Lust oder Freude an Uneinigkeit, auch sind wir nicht so gar stock- oder steinhart, daß wir unsere Gefahr nicht bedenken. Denn wir sehen und merken, wie die Widersacher in dieser Sache uns mit so großer Bitterkeit suchen und bis hierher gesucht haben an Leib, Leben und Allem, was wir haben. Aber wir wissen die öffentliche göttliche Wahrheit, ohne welche die Kirche Christi nicht kann sein oder bleiben, und das ewig heilige Wort des Evangelii nicht zu verleugnen oder zu verwerfen.« — »Darum wollen wir, so die erkannte helle Wahrheit mit Füßen getreten wird, diese Sache hier Christo und Gott im Himmel befehlen, der der Waisen und Witwen Vater und aller Verlassenen Richter ist; der wird, das wissen wir ja fürwahr, die Sache urteilen und recht richten. Und du, Herr Jesu Christ, dein heiliges Evangelium, deine Sache ist es; wollest ansehen so manch betrübt Herz und Gewissen und deine Kirche und Häuflein, die vom Teufel Angst und Not leiden, erhalten und stärken deine Wahrheit; mache zu Schanden alle Heuchelei und Lügen, gieb also Friede und Einigkeit, daß deine Ehre fürgehe und dein Reich wider alle Pforten der Hölle kräftig ohne Unterlaß wachse und zunehme.«

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[S. 66]

8. Einig und stark.

Wir sind bereit, Friede zu halten und Liebe zu üben gegen alle, wofern sie uns die Lehre des Glaubens rein und unverletzt lassen.

Luther.

U

Uneinigkeit ist ein alter Erbfehler des deutschen Volkes. Es hat ihn oft schwer genug büßen müssen. Vielfach hat erst der vor den Thoren stehende Feind die deutschen Stämme veranlaßt, sich die Bruderhand zu reichen.

Angesichts der Feindschaft des Kaisers und der Römischen schlossen am 29. März 1531 die evangelischen Stände zu Schmalkalden einen Bund auf sechs Jahre. Der Kurfürst von Sachsen und der Landgraf Philipp von Hessen sollten die Oberhauptleute sein. Hätten sich damals nicht die Türken wieder gerührt, so wär's wohl zum Kriege gekommen. Statt dessen ward nun zwischen dem Kaiser und den Evangelischen im Sommer 1532 zu Nürnberg ein Religionsfriede geschlossen. Es sollte zunächst alles bleiben, wie es war. Auch durfte weder der Kaiser die Protestanten noch die Protestanten den Kaiser angreifen.

Bald nach diesem Friedensschluß erlitt der schmalkaldische Bund einen schmerzlichen Verlust. Am 15. August hatte Kurfürst Johann den Beständigen von Sachsen auf dem Schlosse Schweinitz ein Schlagfluß getroffen. Am nächsten Morgen früh 10 Uhr standen Luther und Melanchthon am Sterbebette des edlen Fürsten, der zu Speyer, Augsburg und Schmalkalden fest, entschieden und beständig für die evangelische Sache eingetreten war. Am Sonntag darauf bestattete man ihn neben seinem Bruder, Friedrich dem Weisen, in der Schloßkirche zu Wittenberg. Luther hielt die Leichenpredigt. Johann Friedrich, des Heimgegangenen Sohn, übernahm das Regiment.

Insbesondere Melanchthon und die süddeutschen Gottesgelehrten, allen voran Martin Butzer in Straßburg, hatten den dringenden Wunsch, alle Evangelischen Deutschlands und der Schweiz möchten sich aufs engste verbinden. Von solchen Einigungsplänen war Luther kein Freund. Er fürchtete, daß dabei die reine Lehre, insbesondere vom heiligen Abendmahl, leiden werde. Auf keinen Fall wollte er seine feste Gewißheit, daß im heiligen Abendmahle Christus selbst gegenwärtig sei und sich allen[S. 67] Abendmahlsgästen mitteile, preisgeben. Als Geistesverwandte aber der Süddeutschen und der Schweizer, insbesondere Zwinglis, erschienen ihm die Wiedertäufer, die gerade damals viel von sich reden machten. Die entsetzlichste Verzerrung evangelischer Freiheit und die abscheulichste Verkehrung derselben in fleischliche Zügellosigkeit hat im Jahre 1534 zu Münster stattgefunden. Man müsse an der Wand greifen, sagte Luther, daß der Teufel dort leibhaftig haushalte. Am 25. Juni 1535 ward die Stadt in blutigem Kampfe den »Heiligen« abgenommen. Erst als die Süddeutschen sich in ihrer Abendmahlslehre derjenigen Luthers eng näherten, ließ sich dieser zu weiteren Verhandlungen herbei. Im Mai 1536 war eine große Zahl Gottesgelehrter aus Straßburg, Augsburg, Ulm, Memmingen, Frankfurt, Konstanz und anderen Städten in Wittenberg versammelt. Da wurde die Einigkeit hergestellt. Es war ein großer Augenblick, und man begreift's, daß den Anwesenden die Thränen ins Auge traten, als Luther mit freudig bewegter Stimme erklärte: »Weil es denn so steht, so sind wir eins, erkennen und nehmen euch an als unsere lieben Brüder im Herrn.«

Im Nürnberger Religionsfrieden war Waffenstillstand beschlossen worden, bis einmal auf einer Kirchenversammlung die Streitigkeiten zwischen den Evangelischen und Römischen entschieden worden wären. Das wäre natürlich für einen Papst ein großer Triumph gewesen, wenn's ihm gelungen wäre, die abtrünnigen Protestanten in den Schoß der sogenannten »allein selig machenden« Kirche zurückzuführen. Papst Paul III., der seit dem Jahre 1534 auf dem römischen Stuhle saß, hoffte sich diesen Ruhm zu erwerben. Schlau sind die Päpste meistens gewesen, Paul III. aber war es besonders. Er plante eine Kirchenversammlung, bedauerte aber, dieselbe nicht, wie es die Evangelischen wollten, in Deutschland, sondern nur in Italien abhalten zu können. Mantua wurde dazu bestimmt. Die schmalkaldischen Bundesgenossen ließen jedoch dem päpstlichen Gesandten erklären: erstens würde hoffentlich der Kaiser nicht zugeben, daß das Konzil auf anderem als deutschem Gebiet gehalten würde, und zweitens könne nur die Heilige Schrift, aber nicht ein Konzil in Glaubenssachen entscheiden.

Der Papst kümmerte sich jetzt nicht weiter um die Protestanten,[S. 68] sondern schrieb einfach für das Jahr 1537 eine Kirchenversammlung nach Mantua aus. Man beriet auf protestantischer Seite viel hin und her, was zu thun sei. Schließlich einigten sich die Glieder des evangelischen Bundes dahin, im Februar 1537 in Schmalkalden zusammenzukommen. Dort sollte beschlossen werden, was auf dem Konzil »aufs äußerste zu verteidigen« sei. Von vornherein erstrebte man volle Einmütigkeit. Luther hatte den Auftrag aufzusetzen, was der Versammlung vorgelegt werden sollte. Er sollte aufzeichnen, »worauf er in allen Artikeln, die er bisher gelehrt, gepredigt und geschrieben, auf einem Konzil, auch in seinem letzten Abschied von dieser Welt vor Gottes allmächtigem Gericht gedächte zu beruhen und zu bleiben und darinnen ohne Verletzung göttlicher Majestät, es betreffe gleich Leib oder Gut, Frieden oder Unfrieden, nicht zu weichen.«

Das that Luther in den sogenannten »Schmalkaldischen Artikeln«, die ebenso wie die Augsburgische Konfession, die Apologie und die beiden Katechismen zu den Bekenntnisschriften unserer Kirche gehören. Die »Schmalkaldischen Artikel« zerfallen in drei Teile. Im ersten handelt Luther »von den hohen Artikeln der göttlichen Majestät«. Über dieselben bestand keine Meinungsverschiedenheit. Desto mehr aber über das, was der zweite Teil besagt. Hier stellt Luther den Satz von der Rechtfertigung allein aus dem Glauben in den Vordergrund. »Von diesem Artikel kann man nichts weichen oder nachgeben, es falle Himmel und Erde, oder was nicht bleiben will. Und auf diesem Artikel steht alles, das wir wider den Papst, Teufel und Welt lehren und leben. Darum müssen wir des gar gewiß sein und nicht zweifeln, sonst ist es alles verloren und behält Papst und Teufel und alles wider uns den Sieg und Recht.« Im zweiten Artikel wird die Schriftwidrigkeit der Messe nachgewiesen. Im dritten fordert Luther, die Klöster sollen dazu verwendet werden, »daß man Pfarrer, Prediger und andere Kirchendiener haben möge, auch sonst nötige Personen zu weltlichem Regiment in Städten und Ländern, auch wohlerzogene Jungfrauen zu Hausmüttern und Haushälterinnen.« Vielfach ist Luthers Rat befolgt worden, z. B. bei der Gründung der Fürstenschulen zu Meißen, Grimma und Schulpforta. Der vierte Artikel weist[S. 69] nach, daß der Papst nicht aus Gottes Wort und nach göttlicher Einsetzung das Haupt der Christenheit ist. »An diesen vier Artikeln,« meinte Luther, »werden sie genugsam zu verdammen haben im Konzil.« Er fügt deshalb noch einen dritten Teil hinzu mit einer Reihe von nicht gerade grundsätzlichen Artikeln, über die vielleicht eine Verständigung erzielt werden könnte. Eine Nachgiebigkeit auf dem Boden der reformatorischen Grundsätze hielt Luther bei den Römischen für ausgeschlossen. Er wußte genau: Entweder bleibt der Papst Papst — dann läßt er das Evangelium nicht zu — oder er läßt das Evangelium zu — dann hört er auf Papst zu sein. Darum betete Luther: »Ach lieber Herr Jesu Christe, halt du selber Konzil und erlöse die Deinen durch deine herrliche Zukunft. Es ist mit dem Papst und den Seinen verloren; sie wollen dein nicht. So hilf du uns Armen und Elenden, die wir zu dir seufzen und dich suchen mit Ernst, nach der Gnade, die du uns gegeben hast, durch deinen heiligen Geist, der mit dir und dem Vater lebet und regieret, ewiglich gelobet. Amen.«

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9. Ein Tag im Hause Luthers.

Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, ist eingeweiht.

Goethe.

W

Wer einmal nach Eisenach kommt, wird ganz gewiß nicht versäumen, auf die Wartburg zu wandern und sich das Zimmer zeigen zu lassen, in dem einst unser Luther als Junker Jörg gewohnt und das Neue Testament übersetzt hat. Und wer einmal nach Wittenberg kommt, der wird nicht versäumen, das Haus Luthers zu besuchen. Es ist das alte Augustinerkloster. Der Kurfürst hat es einst dem Reformator geschenkt. Man hat recht daran gethan, daß man in diesem Hause möglichst wenig geändert hat. Das sieht man vor allem an dem großen Wohnzimmer. Ganz wie es einst zu Luthers Lebzeiten war, ist's geblieben. Dort der mächtige Kachelofen — da mag manchmal Muhme Lene sich gewärmt haben! Dort der große Familientisch, da haben sie sich zu Mittag und Abend zu fröhlicher Mahlzeit versammelt. Dort die tiefe Fensternische mit dem[S. 70] Lehnstuhl — da hat Käthe Luther oft gearbeitet und mitunter durchs Fenster nach den spielenden Kindern geschaut. Ist's nicht, als müßte Luther selbst aus seiner Studierstube hereintreten?

Lutherhaus in Wittenberg
Lutherhaus in Wittenberg.

So versetzen wir uns denn einmal um Jahrhunderte zurück, kehren ein in Luthers Hause und wollen einen Tag lang stille Beobachter und Zuhörer sein! Es ist am frühen Morgen. Schon füllt sich das Wohnzimmer. Wer sind alle, die da kommen? Dort die ehrwürdige Muhme Lene, Frau Luthers Tante, die einst auch Nonne im Kloster zu Nimbschen gewesen war und nun hier eine freundliche Unterkunft gefunden hatte, und mit ihr die älteren Kinder des Hauses, Hans und Lenchen. Dort mehrere Studenten und ein vertriebener evangelischer Prediger, dem der gastfreie Hausherr Herberge gewährt hat. Dort die Dienstboten, die Luther immer zu seiner Familie rechnete, allerdings mit der Forderung, daß sie wie die Kinder des Hauses Zucht sich unterwürfen. Und nun treten mit freundlichem Gruße Hausvater und Hausmutter ein, mit ihnen die drei jüngsten Kinder, Martin, Paul und Margarethe. In früher Morgenstunde ist die Hausgemeinde zum Gottesdienst versammelt — wahrlich ein schönes Bild! Wenn's doch so in allen Häusern wäre! Dann erst geht's an die Arbeit: die Hausfrau mit den Dienstboten in die Zimmer und Küche und Keller, in den Garten und in den Stall! Es gab viel zu thun in diesem Hause! Der Hausvater und die Studenten nehmen ihre Bücher und eilen in die Vorlesungen.

[S. 71]

Lutherstube in Wittenberg
Lutherstube in Wittenberg.

[S. 72]

Es ist schon ein gut Stück Tagesarbeit gethan, als um zehn Uhr — so war es damals Brauch — zum Mittagessen gerufen wurde. Von seinen Vorlesungen war Luther in die Stadtkirche gegangen, um bei der feierlichen Weihe einiger junger Prediger gegenwärtig zu sein. Dann hat er fleißig an seinem Schreibtisch gearbeitet, — morgen soll er auf Wunsch des Kurfürsten vor dessen Gästen in der Schloßkirche predigen —, hat mehrere Briefe geschrieben und ist trotz seiner vielen Arbeiten nicht böse gewesen, als Freund Melanchthon kam, um etwas zu fragen, als einige Fremde vorsprachen, die ihn nur einmal sehen wollten, und als eins der jüngsten Kinder anfing, sich neben dem Schreibtisch eine Spielecke einzurichten und dem Vater etwas laut Gesellschaft zu leisten.

Luthers Familie
Luthers Familie.

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Nicht nur die Hausbewohner stellten sich an Luthers Tische ein. Mancher arme Student fand da ein Plätzchen. Fremde Gäste, die Luther besuchten, mußten auch an der Mittagsmahlzeit teilnehmen. Da war's ein großer Kreis, für den die wackere Hausfrau zu sorgen hatte, und es mag ihr sehr willkommen gewesen sein, wenn eine dankbare Stadt, der Luther einen wichtigen Dienst geleistet hatte, oder ein reicher Freund einmal ein Stück Wildbret in die Küche oder ein Faß Wein in den Keller schickte. Daß man sich in Luthers Hause nicht ohne Tischgebet zum Essen setzte, versteht sich von selbst. Eins der Kinder mußte es sprechen. Bald begann dann eine fröhliche Unterhaltung, wie sie Luther bei Tische liebte. War ein fremder Gast aus fernen Landen zugegen, der mußte von seiner Heimat erzählen. Auch manch ernstes Gespräch ist da geführt worden. Was unser Luther redete, war von Wichtigkeit. Drum haben's die »Tischgesellen« sich wohl gemerkt, auch manches gleich bei Tische aufgeschrieben. Wir haben ein paar Bände solcher »Tischreden« Luthers, in denen es auch an manchem heiteren Wort nicht fehlt.

Nach des Tages Arbeit fand man sich zum Abendbrot wieder zusammen. Dann geht es hinaus in den wohlgepflegten Garten, wo Luther sich an der Schönheit der Blumen und am Gesang der Vögel erfreut, Käthe aber mit Stolz das prächtig gedeihende Gemüse betrachtet. Statt zum Kegelschieben oder einem anderen Spiel im Freien, wie sonst oft, fordert Luther heute die jungen Leute auf, noch ein Stündchen in sein Studierzimmer zu kommen und mit ihm eine »Hausmusika« zu veranstalten. Ein Krug frisches Bier, von der tüchtigen und fleißigen Käthe selbst gebraut, erquickt die Sänger. Kaum aber ist die Sonne untergegangen, so sammelt man sich noch einmal im Wohnzimmer zur gemeinsamen Abendandacht. Die Kleinen und Kleinsten gehen zur Ruhe. In dem Turmzimmer aber, dessen Fenster nach der Elbe hinausblickt, ist noch lange Licht. Dort sitzt der fleißige Luther über der Bibel. Morgen wollen die Freunde Melanchthon, Bugenhagen, Cruciger, Rörer und andere kommen, um mit ihm an der Übersetzung einer besonders schwierigen Stelle des Alten Testaments zu arbeiten. Mitternacht ist's geworden. Von St. Marien[S. 74] und von der Schloßkirche bringen die Glocken dem neuen Tag den ersten Gruß. Luther tritt ans offene Fenster, schaut nach dem sternenbedeckten Himmel, faltet die Hände zum Gebet und spricht seinen Abendsegen.

So friedlich und freundlich wie heute ist's freilich nicht immer in Luthers Hause gewesen. Auch Kummer und Sorge, Krankheit und Tod haben dort ihren Einzug gehalten, und die beiden Eltern haben wie andere Christenleute ihr Kreuz zu tragen gehabt. Der trübste Tag in Luthers Hause ist wohl der gewesen, da das dreizehnjährige Lenchen starb. Aber Luther, der so manchen Trauernden zu trösten gewußt hat, trauerte auch selbst nicht ohne Trost. Bei den »Heiligen im Himmel« suchte er hinfort das tote Kind, dessen er auf Erden nach Gottes Rat nur kurze Zeit sich hatte freuen sollen.

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10. Luthers Freunde.

Ein treuer Freund ist ein Trost des Lebens; wer Gott fürchtet, der kriegt solchen Freund.

Sirach 6, 16.

W

Das wäre eine lange Reihe, wollte man sie alle aufzählen, die zu Luthers Freundeskreis gehörten — und wie viele treue Freunde mag er hin und her in Stadt und Land gehabt haben, deren Namen wir gar nicht kennen! Nur von solchen Freunden, die unserm Luther am nächsten standen und von denen der liebe Leser gewiß schon etwas gehört hat, soll hier kurz die Rede sein!

3 Personen
Friedrich der Weise, Johann der Beständige, Johann Friedrich der Großmütige.

Da nennen wir zuerst den wackeren Kurfürst Friedrich den Weisen von Sachsen. Ihm hatte Luther viel zu danken. Immer hielt er über seinem Wittenberger Professor seine schützende Hand. Er verhinderte es, daß man Luther nach Rom brachte. Er weigerte sich, gegen den gebannten Luther etwas zu thun. Statt dessen brachte er den Geächteten auf der Wartburg in Sicherheit. Und wie dankbar ist Luther für das alles seinem Kurfürsten gewesen! Er hat's ihm nicht nur in den Trauerpredigten gedankt, die er nach des Landesherrn Abscheiden hielt, sondern sein Leben lang hat er die besonderen Tugenden Friedrichs[S. 75] des Weisen gerühmt, »neben seiner Weisheit und Vorsicht namentlich seine Milde gegen seine Unterthanen, seine Liebe zur Gerechtigkeit, seinen Haß gegen alle Lüge«. Zu Luthers treuesten Freunden haben auch Friedrichs des Weisen Nachfolger gehört, Johann der Beständige, der sich oft in der Kirche Luthers Predigten nachschrieb, und Johann Friedrich der Großmütige, der selten nach Wittenberg kam, ohne sich von Luther in der Schloßkirche eine Predigt halten zu lassen.

Justus Jonas.
Justus Jonas.

Der liebe Leser kennt gewiß ein Bild, das Luther in seiner[S. 76] Familie zeigt. Da ist wohl auch ein Mann zu finden, der mit Luther so befreundet war, daß man ihn mit zur Familie rechnete: Philipp Melanchthon! Wer ein treues deutsches Freundespaar nennen soll, der wird wohl zuerst an die beiden denken, an Luther und Melanchthon. Verschiedene Leute sind die beiden freilich gewesen: Luther unbeugsam, rücksichtslos, wenn sich's um die Wahrheit handelte, geradezu in seiner Rede — Melanchthon friedesuchend, vermittelnd, fein und liebenswürdig; Luther mit Entschiedenheit den tiefen Graben zeigend, der die Evangelischen von der römischen Kirche trennt, — Melanchthon in Liebe und Versöhnlichkeit eine Brücke suchend, die über den Graben führt. Aber so verschieden die beiden Männer waren, eins sind sie doch gewesen im Glauben und in der Liebe, in der Zartheit ihres Gewissens und in der Treue. Es war auch eine Fügung Gottes, daß die beiden Freunde in ihrer Verschiedenheit sich ergänzten. Das haben sie selbst bald gefühlt, seit sie nebeneinander in Wittenberg wirkten. Im Sommer 1518 war Melanchthon als Lehrer des Griechischen dahin berufen worden, und schon nach wenigen Monaten schrieb Luther: »Ich habe an Melanchthon meinen vertrautesten Freund« und Melanchthon bekennt: »Ich möchte lieber sterben als von diesem Manne mich trennen müssen!« Und wie es nur rechte Freunde können, haben die beiden Freud' und Leid miteinander geteilt, miteinander gearbeitet und geduldet, gekämpft, gehofft und gebetet. Eine Geschichte aus dem Leben beider mag das noch besonders zeigen. Im Jahre 1540 war Melanchthon auf einer Reise schwer erkrankt. In Weimar brach er zusammen. Als Luther von der Krankheit hörte, suchte er den Freund durch einen herzlichen Trostbrief aufzurichten. Umsonst — die Krankheit nahm bedenklich zu, so daß der Kurfürst einen Arzt und mit ihm Luther und Justus Jonas nach Weimar schickte. »Behüt Gott! Wie hat mir der Teufel dies Werkzeug geschändet!« rief entsetzt Luther, als er den Freund fand, »die Augen wie gebrochen, das Gehör vergangen, die Sprache entfallen.« Dann ging er ans Fenster, sank in die Knie und unter heißen Thränen mit der ganzen Macht seines Glaubens betete er zu Gott, den Freund aus dem Tode zu erretten. Darauf tritt er ans Lager, faßt Melanchthon an beiden Händen und spricht: »Sei gutes Muts, Philipp, Du wirst nicht sterben[S. 77] — — vertraue dem Herrn, der töten und wieder lebendig machen, verletzen und verbinden, schlagen und heilen kann!« Im Gebete hatte Luther den Weg zum Herzen und zur Hilfe Gottes, in seinem Zuspruch den Weg zum Herzen des Freundes gefunden. Wohl war es Melanchthon, als wäre seine Seele schon auf der Heimfahrt begriffen. »Halte mich um Gotteswillen,« rief er, »nicht länger auf! Ich bin jetzt auf einer guten Fahrt, lasse mich hinziehen! Es kann mir nichts Besseres widerfahren.« Bestimmt erwiderte Luther: »Mit nichten! Du mußt unserm Herrn noch weiter dienen!« Dann holte er zu essen und zwang den Kranken, in dem der Wille zum Leben wieder zu erwachen begann: »Hörst du, Philipp! Kurzum, du mußt mir essen oder ich thue dich in den Bann!« Und Melanchthon aß und als er dann, wie verwundert darüber, daß er noch lebe, im Zimmer sich umschaute, sah er mit großen Buchstaben von treuer Freundeshand die Worte des 118. Psalm an der Wand geschrieben: »Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herren Werk verkündigen.« So hat Luther seinen Melanchthon aus dem Tode herausgebetet. Ja, die Heilige Schrift hat recht: »Das Gebet des Gerechten vermag viel, wenn es ernstlich ist!« (Jak. 5, 16).

Der Weinberg des Herrn
»Der Weinberg des Herrn« (von Lukas Kranach). — (Verlag d. Buchh. d. Diakonissen-Anst. Kaiserswert). Dieses Bild stellt Luther und seine Freunde bei ihrer Arbeit im Reiche Gottes dar.

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[S. 79]

Melanchthon hat seinen Freund Luther um vierzehn Jahre überlebt. Das sind, wie wir noch hören werden, schwere Jahre gewesen. Wie oft mag Melanchthon geseufzt haben: Stünde mir doch noch Luther zur Seite! Die im Leben eins waren, ruhen nun neben einander in der Schloßkirche zu Wittenberg. Manches Denkmal aber hat die beiden Freunde in lebendigem Bilde vereint. Sie stehen beide auf dem Wittenberger Marktplatz, über den sie wohl oft miteinander geschritten sind. Neben Luther steht Melanchthon auf dem Reformationsdenkmal zu Leipzig.

Von anderen guten Freunden unseres D. Martin Luther seien noch genannt der Altenburger Superintendent Georg Spalatin, der Wittenberger Stadtpfarrer Johann Bugenhagen, der berühmte Maler Lukas Kranach, der Nürnberger Dichter Hans Sachs, die Mitarbeiter an der Bibelübersetzung Nikolaus Amsdorf, Kaspar Cruciger und Justus Jonas, die Prediger Nikolaus Hausmann in Zwickau, Veit Dietrich und Wenceslaus Link in Nürnberg, Friedrich Mykonius in Gotha, der spätere Wittenberger Generalsuperintendent Paul Eber, endlich der kursächsische Kanzler Gregor Brück.

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11. Luthers seliger Heimgang.

Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.

Off. Joh. 2, 10.

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Wenn in des Jahres Lauf der Tag wiederkehrt, da einst Vater oder Mutter starb, legt es sich über das Haus wie stille Trauer. Die Kinder ziehen hinaus zum[S. 80] Grabe, es zu schmücken mit dem Kranze wehmütigen und dankbaren Gedenkens. Des Vaters treue Sorge und der Mutter hingebende Liebe steht an solchem Tage wieder lebendig vor der Seele und aus der Trauer um die Heimgegangenen erhebt sich das heilige Gelübte, in ihren Fußtapfen zu wandeln, ihrem Namen Ehre zu machen und treulich ihre Mahnungen zu erfüllen.

Luthers eigenhändige Unterschrift eines Briefes
(Luthers eigenhändige Unterschrift eines nach Zwickau gerichteten Briefes).

[S. 81]

Eisleben
Eisleben.

[S. 82]

Wie ein Vater ist D. Martin Luther der ganzen evangelischen Christenheit gewesen. Mit stiller Trauer und heiligen Gelübden soll sie immerdar den 18. Februar begehen. An diesem Tage im Jahre 1546 ist Luther geschieden. Es war Gottes Fügung, daß er einem Friedenswerke dienend — er sollte die Grafen von Mansfeld untereinander versöhnen — zum ewigen Frieden einging in derselben Stadt, in der er einst die Augen zu einem Leben in mutigem Kampfe aufgeschlagen hatte. Es war Luthers Freude, daß ihm sein Friedenswerk gelang und die Grafen sich die Hand zur Versöhnung reichten. Am 14. Februar — es war der 6. Sonntag nach Epiphaniä — hat er zum letzten Male in Eisleben gepredigt. Er, der so viele hundert Mal auf der Kanzel gestanden hatte, hielt seine letzte Predigt dort wo er einst die heilige Taufe empfangen hatte. Zwei Tage später begannen seine Kräfte sichtlich abzunehmen. In den ersten Morgenstunden des 18. Februar hat er seine Seele ausgehaucht. Sein letztes Gebet hat gelautet: »O mein himmlischer Vater, ein Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi, du Gott alles Trostes, ich danke dir, daß du mir deinen lieben Sohn Jesum Christum geoffenbaret hast, an den ich glaube, den ich gepredigt und bekannt habe, welchen der leidige Papst und alle Gottlosen schänden, verfolgen und lästern. Ich bitte dich, mein Herr Jesu Christe, laß dir mein Seelchen befohlen sein! O himmlischer Vater, ob ich schon diesen Leib lassen und aus diesem Leben hinweggerissen werden muß, so weiß ich doch gewiß, daß ich ewig bei dir bleiben und aus deinen Händen mich niemand reißen kann!« Luthers letztes Wort war ein freudig bekennendes »Ja!« auf die Frage der Freunde: »Ehrwürdiger Vater, wollet ihr auf Christum und die Lehre, wie ihr gepredigt, beständig bleiben?« Dann schlummerte er in Frieden ein.

Auf Wunsch des Kurfürsten wurde die Leiche nach Wittenberg gebracht. Es war am Montag darauf, am 22. Februar. Am Elsterthor zu Wittenberg hatte sich die Universität, der Rat und die Bürgerschaft versammelt. Gegen neun Uhr fingen die Glocken an zu läuten. Sie grüßten den ernsten Zug, der Luthers Leiche nach Wittenberg geleitete. Wer da hinter dem Sarge Luthers Witwe fahren und dahinter die drei Söhne schreiten[S. 83] sah, dem mußte die Thräne ins Auge treten. An Luthers und Melanchthons Wohnhaus vorbei ging's nach der Schloßkirche. Dort sprachen Bugenhagen und Melanchthon. Es war ihnen schwer, den Schmerz, der die Stimme erzittern machte, zu beherrschen. Nahe der Kanzel senkte man den Sarg ins Grab.

Schloßkirche zu Wittenberg
Schloßkirche zu Wittenberg.

Durch die ganze evangelische Welt ging ein tiefes Trauern und in die Trauer mischte sich die bange Sorge um die Zukunft. Viel Trübes und Schmerzliches sollte sie bringen. Aber der Glaube sah von jeher aus allen Stürmen und Kämpfen siegreich das Evangelium hervorgehen. Als Friedrich Mykonius in Gotha die Nachricht von Luthers Tode erhielt, schrieb er an den Kurfürsten von Sachsen: »Dieser D. Luther ist gar nicht gestorben, wird und kann nicht sterben, sondern wird nun allererst recht leben!«[S. 84] Luthers Wahlspruch lautete: »Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werk verkündigen« (Psalm 118, 17). Dieser Wahlspruch ist eine Weissagung geworden und die Weissagung hat sich erfüllt. Luther lebt fort in dem dankbaren Gedächtnis der evangelischen Kirche. Niemals soll es unter uns vergessen sein, was wir dem teuren Gottesmann zu verdanken haben! Wir wollen festhalten an dem lauteren Gotteswort, das durch Luther wieder ans Licht gebracht, uns befreit hat aus der Finsternis des Papsttums und Jesum Christum als unsern alleinigen Heiland und alleinigen Trost im Leben und im Sterben zeigt! Mag die Kirche des Papstes die erhabene Gestalt und die göttliche Lehre Luthers hassen, verunglimpfen und verfolgen, wie sie will, es wird dabei bleiben:

Gottes Wort, Lutheri Lehr
Vergehen nun und nimmermehr!


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[S. 85]

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Zweiter Abschnitt.
Die Väter der reformierten Kirche.

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Nicht nur von Wittenberg zogen die Gedanken des Evangeliums in die Welt hinaus. Fast gleichzeitig begann sein Licht in der Schweiz zu leuchten. Es ist Gottes Wille gewesen, daß neben die evangelisch-»lutherische« die evangelisch-»reformierte« Kirche trat. Man hat schon in der Reformationszeit versucht, die beiden zu vereinen. Vielleicht wäre Eine große evangelische Kirche mächtiger gewesen. Die beiden Kirchen sind wie zwei Schwestern. Jede hat ihre Eigentümlichkeiten. Aber es ist Ein Geist, der beide beseelt: der Geist des Glaubens, der allein auf Gottes Wort sich gründet, und der Liebe, die in der Kraft des göttlichen Wortes dient und wirkt. Sind Luther und Melanchthon die Väter unserer Kirche, so sind Zwingli und Calvin als die Väter der reformierten Kirche zu bezeichnen. Von beiden soll in diesem Abschnitt erzählt werden.

1. Huldreich Zwingli.

So euch der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei.

Joh. 8, 36.

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Wie mannigfaltig führt Gott die Menschen, auch die, die er zu Rüstzeugen für ein und dasselbe große Werk bestimmt hat. Auf ganz verschiedenem Boden sind Luther und Melanchthon erwachsen, verschieden war ihre Eigenart, und doch[S. 86] hat sie Gott nebeneinander gestellt und durch sie das Werk der Reformation hinausgeführt. Und wieder ganz verschieden von diesen beiden der Reformator der deutschen Schweiz, Huldreich (Ulrich) Zwingli. In den Bergen der Schweiz weht eine andre Luft als droben nach dem Norden zu. Der Sohn der Berge fühlt sich freier. Darum war es dort der römischen Kirche nicht gelungen, die Leute in so feste Bande zu schlagen, wie es bei uns geschehen war. So kam es auch, daß man sich in der Schweiz leichter und rascher aus dem festen Gefüge des Papsttums löste.

Huldreich Zwingli ist nur wenige Wochen jünger als unser Luther. Er wurde am 1. Januar 1484 zu Wildenhus, einem Bergorte zwischen dem Säntis und den Kuhfirsten geboren. Der Vater, der Ammann von Wildenhus, war wohlhabend genug, um seinem Sohne, dem dritten unter acht Kindern, eine tüchtige Erziehung und Schulbildung geben lassen zu können. In Basel, Bern und Wien hat Huldreich fleißig studiert. Einer seiner Lehrer in Basel sprach es schon damals offen aus, daß Ablaß weiter nichts als Lug und Trug sei. Frühzeitig fühlte sich Zwingli zur Heiligen Schrift hingezogen. Die Beschäftigung mit ihr war ihm die höchste Freude.

Huldreich Zwingli
Huldreich Zwingli.

Zu der Zeit, als Luther noch im Erfurter Kloster weilte, trat Zwingli, erst 22 Jahre alt, das Amt eines Pfarrers zu Glarus an. Die Pfarrei Glarus umfaßte etwa den dritten Teil des gesamten Kantons. Es war also ein großes Amt, das dem jungen Pfarrer anvertraut wurde. Dabei vergaß aber Zwingli auch das Wort des Herrn nicht: Weide meine Lämmer! Mit besonderer Hingabe nahm er sich der Jugend an. Fleißig studierte er mit den Jünglingen. Sein liebstes Buch aber blieb die Heilige Schrift. Während Luther in Erfurt mit unbeschreiblicher Freude und rastlosem Eifer das Buch der Bücher durchstudierte, saß Zwingli vor seiner Bibel, schrieb sich die Erklärungen der besten Ausleger an den Rand und lernte das Neue Testament von Anfang bis zu Ende fast auswendig. Auch ihm wurde es[S. 87] klar, daß die Heilige Schrift allein die Quelle des Glaubens und die Richtschnur des Lebens sein dürfe. »Du mußt die Meinung Gottes,« sprach er zu sich selbst, »lauter aus seinem eigenen, einfältigen Worte lernen.«

Wie Luther sein deutsches Volk, so hatte Zwingli sein Schweizervolk von Herzen lieb. Und es war gewiß recht von ihm, daß er es auch in Kriegszeiten nicht verließ, sondern als Feldprediger seine Männer von Glarus mit nach Italien begleitete. Luther hat den Finger auf manche Wunde im deutschen Volksleben gelegt. Auch bei den Schweizern war nicht alles, wie es sein sollte. Zwingli hat offen getadelt und mutig bekämpft, was zu tadeln und zu bekämpfen war. So vor allem das sogenannte Reislaufen. Die kräftigen Schweizer pflegten nämlich für Geld Kriegsdienste zu nehmen. Das nannte man Reislaufen. Das brachte allerdings viel Geld in das sonst arme Land. Auch ließen sich vornehme, einflußreiche Leute ein Jahrgeld dafür bezahlen, daß sie junge Leute für fremde Heere anwarben oder solche Werbungen im Lande duldeten. Da kam es aber vor, daß sich Schweizer Jünglinge und Männer in feindlichen Heeren einander gegenüber standen. Und mancher kam heim nicht nur mit ausländischem Gelde, sondern auch mit ausländischen Lastern. Dieses Unwesen hat Zwingli ernstlich bekämpft und sich nicht viel um die Feindschaft derer bekümmert, die vom Reislaufen ihren Vorteil hatten.

Gott hatte Zwingli zum Reformator der Kirche seines Vaterlandes bestimmt. Darum führte er ihn ganz ähnlich wie Luther so, daß er die Schäden der Kirche in ihrer Tiefe kennen lernte. Im Jahre 1516 folgte Zwingli zum Schmerz seiner Glarner Gemeinde einem Rufe als Prediger nach dem Wallfahrtsort Einsiedeln. Dort drängten sich die Leute vor einem wunderthätigen Marienbild. Zwingli predigte, daß Christus allein unser Mittler sei, und am Michaelisfeste 1517 — also wenige Wochen vor den 95 Thesen Luthers — haben in Einsiedeln viele Leute das Geld, das sie für den Ablaß mitgebracht hatten, den Armen gegeben.

Auch die Schweiz hat ihren Tetzel gehabt. Er hieß Samson. Mit ihm bekam es Zwingli in Zürich zu thun. Dort wirkte der Reformator seit Neujahr 1519. Seinem entschiedenen Widerspruch[S. 88] war es zu danken, daß dem frechen Samson, der gegen 120000 Dukaten den Schweizern abgenommen haben soll, Zürichs Thore verschlossen blieben. In seinen Thesen hat Luther »das allerheiligste Evangelium« für den »wahren Schatz der Kirche« erklärt. Zwingli ist derselben Meinung gewesen. Er begann seine Thätigkeit in Zürich mit Predigten über das Matthäus-Evangelium. Gottes Wort weckte ein neues Leben in Zürich. Tausende sammelten sich unter der Kanzel dieses »rechten Predigers der Wahrheit«, wie man Zwingli nannte. Dieser aber ging Schritt für Schritt vorwärts und verwarf einen römischen Mißbrauch nach dem andern als unevangelisch.

Mit einem Schlage ist freilich nirgends die Reformation durchgeführt worden, auch in der freien Schweiz nicht. Die römisch Gesinnten suchten sich so lange als möglich zu behaupten. So war es auch in Zürich. Insonderheit widersetzte sich der Bischof von Konstanz, zu dessen Sprengel Zürich gehörte, mit aller Macht den Neuerungen Zwinglis.

Eine Disputation sollte öffentlich an den Tag bringen, auf wessen Seite die Wahrheit war. Im Januar 1523 wurde eine solche in Zürich abgehalten. Zwingli siegte. Nun ging es freilich auch so zu wie in Wittenberg und anderen Städten Deutschlands. Man beseitigte gewaltsam alles, was an die römischen Gottesdienste erinnerte. Man riß die Heiligenbilder herunter und zerhackte die Crucifixe. Zwar wurden die Bilderstürmer auf zwei Jahre verbannt. Aber es blieb dabei: Bilder sollten als der Heiligen Schrift zuwider (2. Mos. 20, 4) nicht in den Kirchen geduldet werden.

Schon darin zeigt sich ein wichtiger Unterschied in der Lehre Zwinglis und Luthers. Was nicht wider die Schrift ist, sagte Luther, kann geduldet werden. Was nicht aus der Schrift bestätigt werden werden kann, muß beseitigt werden, sagte Zwingli. Aber ein tieferer und verhängnisvollerer Unterschied trat in der Abendmahlslehre beider zu Tage. Luther lehrte die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi in Brot und Wein beim Genusse des heiligen Abendmahls (vergl. das erste Fragstück des fünften Hauptstücks). Zwingli verstand unter Brot und Wein nur Sinnbilder des Leibes und Blutes Christi und lehrte nicht eine leibliche, sondern nur eine geistige Gegenwart[S. 89] des Herrn in seinem Mahle. Es brach darüber ein heftiger, nicht ohne Leidenschaft geführter Streit zwischen beiden Männern aus. Auch auf dem Religionsgespräch zu Marburg im Jahre 1519, an dem Zwingli teilnahm, kam es zu keiner Einigung. Es ist tief zu bedauern, daß gerade das Liebesmahl des Heilands der Gegenstand des Streites und der Entzweiung geworden ist. Welch eine Macht wäre das protestantische Deutschland, einig mit den Schweizern, gewesen!

Aber auch nicht alle Schweizer Kantone nahmen das Evangelium an. In den fünf Urkantonen Schwyz, Uri, Zug, Unterwalden und Luzern behielten die Römischen die Oberhand und unterdrückten alle evangelische Regungen mit Gewalt. Es kam schließlich zwischen den katholischen und evangelischen Kantonen zu blutigem Kriege. Zwingli zog selbst mit in den Kampf. »Ich will in Gottes Namen,« sprach er, »hin zu den biederen Leuten und mit ihnen sterben oder sie retten helfen.« In der Schlacht bei Kappel am 11. Oktober 1531 hat er den Tod gefunden. Über seinem Leichnam hielten die Feinde noch Gericht. Man mißhandelte, vierteilte und verbrannte ihn. Die Reformation haben sie aber damit aus der Schweiz nicht tilgen können, wenn sie auch hinfort vielfach ihre Stammesgenossen zwangen, zum alten Glauben zurückzukehren. Als Luther die Nachricht von Zwinglis Tode erhielt, hat er, wie er selbst erzählt, die ganze Nacht vor Weinen nicht schlafen können.

Zweier Männer soll hier noch gedacht werden, eines treuen Freundes und eines berühmten Schülers Zwinglis. Der treue Freund hieß Johann Ökolampadius, der Schüler, der zugleich Zwinglis Nachfolger in seinem Züricher Amte gewesen ist, Heinrich Bullinger.

Johann Ökolampadius stammte aus der schwäbischen Stadt Weinsberg, wo er im Jahre 1492 geboren wurde. In Heidelberg hat er fleißig studiert, auch andere Universitäten besucht. Daß der Kurfürst Philipp von der Pfalz ihm die Erziehung seiner Söhne anvertraute, war gewiß das beste Zeugnis für seine Tüchtigkeit. Eine Zeitlang ist er Pfarrer in seiner Vaterstadt Weinsberg, dann Domprediger in Basel gewesen. Im Jahre 1518 finden wir ihn als Prediger in Augsburg. Dann ging er in ein Kloster nicht weit von dieser Stadt. Da hat[S. 90] er in stiller Zurückgezogenheit eifrig sich mit Gottes Wort beschäftigt. Die Überzeugung, daß Klosterleben und evangelische Wahrheit sich nicht mit einander vertragen, nötigten ihn bald, die Mönchskutte wieder auszuziehen. Er trat als evangelischer Schloßprediger in den Dienst des bekannten Ritters Franz von Sickingen auf der Ebernburg bei Mainz. So ist der Mann viel umhergezogen, bis Gott ihn an die Stätte führte, wo er die wichtigste Aufgabe seines Lebens erfüllen sollte. Das war die Stadt Basel. Hier hat er als Prediger und Universitätslehrer treulich bis an seinen Tod gewirkt. Die Geschichte hat ihm den Ehrennamen des »Reformators von Basel« gegeben. Nur wenige Wochen überlebte er den Tod seines Freundes Zwingli. Er starb am 24. November 1531.

Johann Ökolampadius
Johann Ökolampadius.

Ein Sohn der Schweizer Berge wie Zwingli war Heinrich Bullinger, am 18. August 1504 in Bremgarten im Kanton Aargau geboren. Während seiner Studienjahre in Köln las der außerordentlich begabte Jüngling fleißig Luthers und Melanchthons Schriften, die ihn an die Bibel, als die alleinige Quelle der göttlichen Wahrheit wiesen. Von aufrichtiger Begeisterung für die reine Lehre des Evangeliums erfüllt, wurde der 21jährige Magister Bullinger Lehrer an der Klosterschule zu Kappel. Viele nahmen hier sein Wort mit Freuden auf, andere haßten ihn als einen Feind der römischen Kirche. Schon damals kam Bullinger mit Zwingli zusammen und sprach sich über das aus, was seine Seele bewegte. Bald aber durfte er auf einige Monate nach Zürich gehen, um andächtig zu Zwinglis Füßen zu sitzen. Seiner Vaterstadt Bremgarten, die ihn dann als ihren Pfarrer berief, hat er das Beste gebracht, das lautere Evangelium. Nach der Schlacht bei Kappel mußte er fliehen. Er wandte sich nach Zürich, wo er halb zum Nachfolger Zwinglis[S. 91] gewählt wurde. Aber seine segensreiche reformatorische Thätigkeit beschränkte sich nicht auf diese Stadt. Selbst Könige und Fürsten haben seinen weisen Rat geschätzt und gesucht. Nachdem er fast ein halbes Jahrhundert der Züricher Gemeinde gedient und »sich durch seinen eisernen Fleiß, seinen nüchternen, praktischen Sinn, durch seine tiefe Einsicht, seine Treue an der evangelischen Wahrheit um die Befestigung der Reformation hoch verdient gemacht hatte«, ging er am 17. September 1575 zur ewigen Ruhe ein.

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2. Johann Calvin.

Ich, auf mein Gewissen vertrauend, fürchte keinen Angriff; denn was können sie Schlimmeres bereiten als den Tod.

Calvin.

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Auch der französischen Schweiz sandte Gott ihren Reformator. Das war Johann Calvin, der Sohn eines französischen Vaters und einer deutschen Mutter, am 10. Juli 1509 zu Noyon in der Pikardie geboren. In dem ernsten Knaben sahen die Eltern frühzeitig den zukünftigen Gottesgelehrten. Aber auf mancherlei Umwegen führte Gott das erwählte Rüstzeug in die Arbeit in seinem Weinberge. Nach dem Wunsche des Vaters, dem die Laufbahn eines Rechtsgelehrten glänzender und vorteilhafter als die eines Dieners der Kirche erschien, widmete sich Calvin dem Studium der Rechtswissenschaft. Aber sein Geist fand in der juristischen Gelehrsamkeit keine Befriedigung und sein Herz in der Religion der Väter keinen Frieden. Calvin wandte sich nach dem Tode seines Vaters nach Paris und studierte dort mit rastlosem Fleiße die Heilige Schrift.

Heiße Kämpfe hatte er zu bestehen. In diese Zeit fiel seine innere Umwandlung. Sie erschien ihm selbst wie ein Wunder Gottes an seiner Seele. Rasch und gewaltig, wie Calvin selbst erzählt, vollzog sie sich. Seitdem stand er oft lehrend im Kreise seiner evangelischen Freunde zu Paris. Er pflegte seine Predigten zu schließen mit dem Spruche: Ist Gott mit uns, wer mag wider uns sein? (Röm. 8, 31).

[S. 92]

Bald sollte Calvin den Trost, den der Gläubige aus diesem Spruche gewinnt, recht nötig brauchen. Blutige Verfolgungen brachen über die Evangelischen Frankreichs herein. In Paris haben deren sechs die Treue zu ihrem Heiland mit dem Feuertod besiegelt. Calvin fand in Basel eine Zuflucht. Dort hat er sein berühmtestes Werk, eine Verteidigung seiner Lehre, geschrieben.

Gern hätte Calvin die Stille aufgesucht und sich für immer gelehrten Arbeiten gewidmet. Gott hatte aber mit ihm anderes vor. Im Jahre 1536 kam Calvin nach Genf. Hier hatte vor kurzem die Reformation ihren Einzug gehalten. Aber Volkssache war sie noch nicht. Die äußerlich angenommene Reformation nun auch in die Herzen zu pflanzen, das war die große Aufgabe, vor der Wilhelm Farel, Genfs Reformator, stand. In der Hoffnung, unerkannt zu bleiben, hatte Calvin nur eine Nacht in Genf zubringen wollen. Aber Farel erfuhr doch von seiner Ankunft. Es war ihm, als riefe eine Stimme von oben her: Dieser soll dein Gehilfe werden! Aber Calvin lehnte seine Bitte, in Genf zu bleiben, beharrlich ab, bis Farel ihn bedrohte: »Nun so verkündige ich dir im Namen des Allmächtigen, daß Gottes Fluch auf dir ruhen wird, da du nicht Christi, sondern deine eigene Ehre suchst!« Diese Worte machten einen solchen Eindruck auf Calvin, daß er seinen Widerstand aufgab und in Genf blieb. Er hat treulich gearbeitet, fleißig die Heilige Schrift im Dom zu St. Peter ausgelegt, aber auch Farel in Predigt und Seelsorge, wie in dem Werke der Befestigung der Reformation wacker unterstützt.

Johann Calvin
Johann Calvin.

Es sollte aber noch zu einem bitteren Kampfe kommen. Die Genfer wünschten nicht die Herrschaft der Kirche, während die Prediger die volle Unabhängigkeit von der Staatsgewalt forderten. Zu Ostern 1538 erklärten die Prediger, unter ihnen auch Calvin, sie würden hinfort den Genfern nicht mehr das Abendmahl reichen. Die Ausweisung der Prediger war die Antwort[S. 93] der Bürgerschaft. Calvin wandte sich nach Straßburg, wo ihn Straßburgs edler Reformator, Martin Butzer, festzuhalten wußte. Von hier aus trat Calvin in enge Beziehungen zu den deutschen Evangelischen, insbesondere auch zu Melanchthon. Gern hätte er eine Vereinigung der Lutherischen und Reformierten herbeigeführt. Seine Abendmahlslehre steht in der Mitte zwischen der Zwinglis und Luthers. Er lehrte: Der gläubige Kommunikant empfängt den verherrlichten Leib Christi.

Die Genfer hätten es wohl im Jahre 1538 nicht geglaubt, wenn ihnen jemand gesagt hätte: Nach ein paar Jahren werdet ihr eben diesen Johann Calvin, den ihr jetzt vertreibt, inständigst bitten zurückzukehren. Das geschah im Jahre 1541. Nach langem Bitten ließ sich Calvin zur Rückkehr bewegen. Mit Freuden wurde er in Genf wieder aufgenommen. Sofort ging er daran, die Kirche in feste Ordnungen zu kleiden. Sein Streben, strengste Sittenzucht zu üben, fand freilich bei allen denen lebhaften Widerstand, die weder von dem Ernst des christlichen Glaubens noch der Strenge des christlichen Lebens etwas wissen wollten. Mit strengsten Strafen ging man gegen offenbare Sünder vor. So wurde zum Beispiel ein Kind enthauptet, weil es Vater und Mutter geschlagen hatte. Da zeigt sich freilich mehr der Geist alttestamentlicher, verurteilender Gesetzesstrenge, als neutestamentlicher, erziehender Liebe. Das tritt insbesondere in dem Verfahren gegen den Gotteslästerer Servede hervor, der seinen Frevel auf dem Scheiterhaufen büßen mußte.

Die Stadt Genf wurde weithin gerühmt als eine Musterschule christlichen Lebens. Tausende, die um ihres evangelischen Glaubens willen vertrieben worden waren, fanden in Genf eine neue Heimat, Engländer, Italiener, Spanier, insbesondere Franzosen.

Calvin starb am 27. Mai 1564. Kein Grabstein zeigt die Stätte an, da man ihn begrub. Er hatte es ausdrücklich so gewünscht. Sein Name aber steht auf alle Zeiten im Buche der Geschichte als der eines selbstlosen und treuen Bekenners Christi und eines rastlosen, rührigen Arbeiters in seinem Weinberge.


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[S. 94]

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Die Asche will nicht lassen ab,
Sie stäubt in allen Landen.

Luther.

Dritter Abschnitt.
Der Siegeszug des Evangeliums im Jahrhundert
der Reformation.

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1. Deutschland.

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In der Nacht vor Allerheiligen (1. November) 1517, also in der Nacht, nachdem Luther seine Thesen angeschlagen hatte, soll Kurfürst Friedrich der Weise auf seinem Schlosse Schweinitz einen merkwürdigen Traum gehabt haben. Er sah, wie ein Mönch, den Gott im Geleite aller Heiligen zu ihm geschickt hatte, mit seiner Erlaubnis etwas an die Schloßkirche zu Wittenberg schrieb: »Der Mönch machte so große Schrift, daß ich sie hier zu Schweinitz erkennen konnte. Er führte auch so eine lange Feder, daß sie bis gen Rom reichte und einen Löwen, der zu Rom lag (der Papst hieß Leo d. h. auf deutsch: Löwe) mit dem Sturz in ein Ohr stach, daß der Sturz wieder zum andern Ohr herausging, und streckte sich die Feder ferner bis an der päpstlichen Heiligkeit dreifache Krone und stieß so stark daran, daß sie begann zu wackeln und wollte ihrer Heiligkeit vom Haupte fallen. — — Bald hernach kommt ein Geschrei aus, es wären aus der langen Mönchsfeder unzählig viel andere Schreibfedern hier zu Wittenberg gewachsen, und sei mit Lust[S. 95] anzusehen, wie sich viel gelehrte Leute darum reißen, und meinen einesteils, diese neuen, jungen Federn werden mit der Zeit auch so groß und lang werden, wie dieselbe Mönchsfeder, und es werde gewiß etwas Sonderliches auf diesen Mönch und seine Feder folgen.«

Herzog Georg
Herzog Georg.

Mag dieser Traum wahr sein oder nicht, jedenfalls ist das wahr, was er sagen will: Die gewaltigen Folgen der Thesen Luthers und seines gesamten Wirkens. Wie hatte sich doch der Papst geirrt, als er die Sache, die Luther angefangen hatte, für ein bloßes Mönchsgezänk erklärte! Erst zwei Jahrzehnte waren seit Luthers Thesenanschlag dahingegangen, als nur noch einige[S. 96] wenige deutsche Fürsten übrig waren, die meinten, dem Evangelium und der Wahrheit trotzen zu können. Die Herzöge von Bayern, Georg von Sachsen, Heinrich von Wolfenbüttel und die Erzbischöfe von Mainz und Salzburg schlossen im Jahre 1538 zu Nürnberg einen »heiligen Bund« »für die Herrschaft oder doch für die Rettung des Katholizismus in Deutschland.« Das war der Rest der katholischen Fürsten in deutschen Landen. So rasch war das Evangelium von Stadt zu Stadt, von Land zu Land gezogen, getragen von Luthers Schriften, von seiner deutschen[S. 97] Bibel, von seinem deutschen Katechismus und dem deutschen evangelischen Kirchenlied, verbreitet von den Studenten, die in Wittenberg zu den Füßen der Reformatoren gesessen, und von den Kaufleuten, die auf ihren Reisen Gelegenheit hatten, evangelische Predigten zu hören.

Herzog Heinrich
Herzog Heinrich.

Und noch ehe Luther starb, war auch im Herzogtum Sachsen und im Lande Heinrichs von Wolfenbüttel dem Evangelium eine freie Bahn geöffnet. Herzog Heinrich führte nach seines Bruders Georg Tode (1539) rasch die Reformation in dem ihm zugefallenen Landesteile ein. Der Herzog von Wolfenbüttel war auf seinem Zuge gegen Goslar von hessischen und sächsischen Truppen gefangen genommen worden (1542). Sein Land kam an seine Söhne und erfreute sich nunmehr gleichfalls der lauteren Predigt des Evangeliums.

So war ganz Norddeutschland evangelisch geworden. Nicht viel anders war es im Süden. Württemberg bekannte sich seit 1534 zur Reformation. In der Oberpfalz hatte schon frühzeitig das Evangelium den Sieg davongetragen und in der Kurpfalz wurde 1546 die Reformation eingeführt. Auch Bayern wäre seinen Nachbarn gefolgt, wenn nicht seine Herzöge, durch ihre Verbindung mit den Habsburgern genötigt, der Ausbreitung der Reformation nach Kräften gewehrt hätten. Es gelang ihnen zwar, äußerlich die Herrschaft der römischen Kirche aufrecht zu erhalten. Aber die Reichsstädte in Bayern bekannten sich zu dem Evangelium und wurden und blieben für weite Kreise Mittelpunkte der reformatorischen Bewegung. Selbst in den Bistümern Würzburg, Bamberg und Augsburg waren die Protestanten in der Mehrzahl.

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2. Die habsburgischen Lande.

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Wie in England der Geist Wiclefs, so war in Böhmen der Geist Huß' lebendig geblieben. Trotz vieler Bedrängnisse bestanden Anfang des 16. Jahrhunderts ungefähr 400 Gemeinden böhmischer und mährischer Brüder.

[S. 98]

Joh. Honterus
Joh. Honterus.

Der Boden für die Reformation war gut bereitet. Kein Wunder, wenn sie sich rasch ausbreitete. Dank der Duldung, die dem Protestantismus widerfuhr, und Dank der Freiheit, die auf religiösem Gebiete den Landständen gewährt wurde, bekannte sich im Erzherzogtum Oesterreich bald wohl der überwiegende Teil des Volkes zum Evangelium. Nach Ungarn hatten viele in Wittenberg studierende Landeskinder die Reformation mitgebracht. Obgleich vom Reichstag als Ketzerei gebrandmarkt und mit Feuer bedroht, dehnte sie sich rasch aus. Die Königin Maria selbst war ihr von Herzen zugethan. Nach der Schlacht bei Mohacz (1526) und dem Tode König Ludwigs errang sich Ferdinand von Oesterreich mit dem Schwerte in der Hand gegen eine Partei, die dem Luthertum den Tod geschworen hatte, die ungarische Königskrone. Er ließ dem Protestantismus Duldung widerfahren. Die Folge davon war, daß insonderheit der ungarische Adel sich bald zur Reformation bekannte. Während die Magyaren dem reformierten Bekenntnis anhingen, erklärten sich die Slaven und die Deutschen für das Luthertum. Auch im benachbarten[S. 99] Siebenbürgen erlangte der Protestantismus die Herrschaft. Einmütig mit ihren Pfarrern traten ganze Gemeinden aus der römischen Kirche aus. Johann Honterus, von dem Luther sagte: »Das ist wahrlich ein Apostel, den der Herr dem Ungarlande erweckt hat«, wurde der Reformator Siebenbürgens. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts waren Protestanten und Katholiken in den habsburgischen Landen ungefähr gleich an Zahl.

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3. Die Niederlande.

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In den Niederlanden hatten die frommen »Brüder des gemeinsamen Lebens«, die fleißig die Heilige Schrift lasen und den evangelischen Rest in der Lehre der katholischen Kirche hervorhoben und pflegten, der Reformation vorgearbeitet. Von Johann Wessel, der unter jenen Brüdern aufgewachsen war, bekannte Luther: »Wenn ich den Wessel zuvor gelesen, so ließen meine Widersacher sich dünken, Luther hätte alles von Wessel genommen, also stimmte unser beider Geist überein.« Luthers Schriften fanden rasch Verbreitung. Zahlreiche Beziehungen zu Frankreich und zur Schweiz führten aber später dazu, daß die reformierte Lehrauffassung die herrschende wurde.

Frühzeitig begann in den Niederlanden infolge ihrer Zugehörigkeit zu Spanien die blutige Verfolgung der Evangelischen. Hier haben die ersten Märtyrer (s. oben S. 45) den Scheiterhaufen bestiegen. Unter Karl V. und Philipp II. sind viele Hunderte evangelischer Niederländer im Kerker, auf dem Scheiterhaufen oder dem Blutgerüst gestorben.

Herzog Alba sollte mit Heeresgewalt die Niederlande dem Katholizismus zurückerobern (1567). Während seiner sechsjährigen Thätigkeit hat er 18000 Menschen hinrichten lassen. Endlich erhob sich das arme, geknechtete Volk einmütig unter Wilhelm von Oranien. Obgleich die südlichen katholischen Provinzen sich von den übrigen trennten, gelang es doch den nördlichen evangelischen Landesteilen sich endlich nach langem, heißen und blutigen Krieg die bürgerliche und religiöse Freiheit zu erobern (1609).

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[S. 100]

4. Der Norden Europas.

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Wie anderwärts, so setzten auch in Dänemark die Bischöfe der Einführung der Reformation nachhaltigen Widerstand entgegen. Es war ihnen gelungen, König Christian II., der dem Evangelium zugethan war, zu stürzen. An seiner Stelle ward Friedrich von Holstein zum König erhoben. Wenn aber die römische Partei gemeint hatte, an dem neuen Herrscher einen Schirmherrn des Papsttums zu haben, so war sie in großem Irrtum gewesen. Immer mehr breitete sich die Reformation im Volke aus. Der Reichstag zu Odense (1527) erkannte den Evangelischen gleiche Rechte mit den Katholischen zu. Als Christian III. im Jahre 1536 den Thron bestieg, war das Ende des Katholizismus in Dänemark gekommen. Bugenhagen wurde aus Wittenberg ins Land gerufen, den König zu krönen und die evangelische Kirche Dänemarks zu ordnen. In dem unter Dänemarks König stehenden Norwegen führte ein Beschluß der Volksgemeinde die Reformation ein. Auch Island nahm das lautere Evangelium an.

Merkwürdig ist es, wie Schweden zur Reformation kam. In dem Lande, das später so zäh am Evangelium festhielt, dessen König der Retter der Glaubensfreiheit für die Welt werden sollte, hat man zunächst aus äußeren Beweggründen den Katholizismus beseitigt. Gustav Wasa, der dem Meuchelmord in Stockholm entronnen war, hatte sich an die Spitze des Schwedenvolkes gestellt, um es von dem Joche der dänischen Herrschaft zu befreien. Zu dem Kampfe brauchte er Geld. Er gewann es, ohne dem Volke eine Last aufzulegen, indem er Kirchen und Klöstern ihre reichen Stiftungen abnahm. Mit dem äußeren Besitze waren aber auch Macht und Einfluß der römischen Kirche gebrochen und ungehindert hielt die Reformation ihren Einzug. Den Versuch, den Gustav Wasa's Sohn, Johann III., machte, dem Katholizismus wider zu seiner Macht zu verhelfen, vereitelte eine Volkserhebung. Johanns Nachfolger aber, Sigismund, mußte seine Neigung zur römischen Kirche mit der Krone bezahlen, die das Volk dem protestantischen Karl IX., dem Vater Gustav Adolfs, aufs Haupt setzte. Man sieht: rasch ist die Reformation eine Herzenssache geworden, die dem Schwedenvolke um keinen Preis feil ist.

[S. 101]

Zum Norden gehörte auch das Polenreich, das sich zwischen Deutschland und Rußland einschob. Die Anfänge der evangelischen Bewegung in Polen knüpften sich an den Namen des edlen Johann von Lasko, der sein Amt als Propst zu Gnesen um seiner evangelischen Überzeugung willen aufgab und infolge dessen Polen verlassen mußte (1536). Zahlreiche Polen studierten in Wittenberg und brachten das Evangelium und Begeisterung für die Reformation mit in die Heimat. Viele aus Österreich vertriebene Evangelische zogen nach Polen. So fand die Reformation ausgedehnte Verbreitung. Leider hat sie in Polen keine bleibende Stätte gehabt, während sie in Kurland, Livland und Estland bis auf die Gegenwart unter manchen heißen Kämpfen sich behauptet hat.

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5. Großbritannien und Irland.

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I  n England war der Geist Wiclefs lebendig geblieben. Zwei edle Männer reichten dem Volke die Heilige Schrift in der Muttersprache. Sie empfingen ihren Lohn durch den Henker. König Heinrich VIII. von England sagte sich vom Papste los und erklärte sich selbst zum Haupte der englischen Kirche, nicht etwa, weil sein Herz sich dem Evangelium zugeneigt hätte, sondern weil der Papst sich weigerte, des Königs Ehe mit Anna Boleyn für giltig zu erklären. Heinrich war weit davon entfernt, der Reformation Luthers sein Land zu öffnen, obgleich die Anhänger der lauteren evangelischen Lehre auch in England stetig an Zahl wuchsen. Nach Heinrichs Tode gewann der Protestantismus dort die Oberhand. Mit allen Mitteln suchte die Königin Maria die Reformation auszurotten und das Land dem Papste zurückzugewinnen. Da ist viel Blut vergossen worden und Tausende verließen um ihres Glaubens willen die Heimat. Aber gerade in der Verfolgung, den evangelischen Glauben verteidigend, Gut und Blut für die Überzeugung einsetzend, lernte Englands Volk das Gut der Reformation höher schätzen und schloß es tiefer in Herz und Gemüt. Ganz andere Zeiten kamen für England mit der Regierung Elisabeths, der Nachfolgerin Marias. Mit der Gewalt des Schwertes trat sie[S. 102] jedem entgegen, der England wieder katholisch machen wollte. Die Reformation siegte. Von mancherlei Äußerem aber in den prunkenden Formen des Katholizismus hat sich die englische Kirche, die »bischöflische Staatskirche« nicht getrennt. Die Folge davon war, daß gegen diese »Staatskirche« sich viele Stimmen erhoben, die auch jene Formen beseitigt wissen wollten. So ist die evangelische Kirche Englands zersplittert geblieben.

Die Habsucht der protestantischen Engländer, die die irischen Katholiken ihres Besitzes zu berauben suchten, machte den Irländern den Protestantismus verhaßt und verhinderte trotz der Gewalt den Einzug der Reformation in Irland.

Auch in Schottland hat der erste Prediger des Evangeliums, Patrik Hamilton, sein Leben für die Wahrheit gelassen. Aber nach blutigen Kämpfen trug doch der Protestantismus den Sieg davon. John Knox, der Freund und Anhänger Calvins, gab der schottischen Kirche das Gepräge. Alles, was an den katholischen Gottesdienst und das Papsttum erinnerte, wurde hier — ganz im Gegensatz gegen die Kirche Englands — beseitigt.

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6. Frankreich.

W

Wie anderwärts, so hat auch in Frankreich die Heilige Schrift in der Muttersprache neues Leben geweckt. Faber Stapulensis legte fast zu derselben Zeit, da Luther uns die deutsche Bibel schenkte, die französische Bibel in die Hand seines Volkes. Er stellte unumwunden die Heilige Schrift als die einzige Glaubensregel hin und räumte jedem Christen das Recht ein, seinen Glauben nach dieser Regel zu prüfen. Auch bekannte er sich zu dem reformatorischen Grundsatz der Rechtfertigung allein aus dem Glauben. Fabers Freund, Gerhard Roussel, predigte in echt evangelischer Weise auf Grund des göttlichen Wortes und wurde durch sein christliches Leben in opferwilliger Liebe für viele ein edles Vorbild. Äußerlich hat er sich nicht von der römischen Kirche getrennt. Diese aber sah ihn als Ketzer an. Katholische Fanatiker haben die Kanzel zerschlagen, auf der er predigte. Roussel starb bald darauf an den schweren Verletzungen (1550).

[S. 103]

König Franz I. erkannte wohl, daß die Wahrheit auf Seiten des Protestantismus war. Aber ihm fehlte der sittliche Ernst und der Mut des Glaubens, seiner Überzeugung Folge zu geben. Er ließ es zu, daß das Bekenntnis zum Protestantismus als bürgerliches Verbrechen und Hochverrat gebrandmarkt wurde, und konnte mit eigenen Augen der Verbrennung evangelischer Glaubenszeugen zuschauen. Das Evangelium hatte jedoch bereits zu weit und zu tief Boden gefunden, als daß es mit Feuer und Schwert hätte ausgerottet werden können. Eine katholische und eine protestantische Partei — man nannte im Süden des Landes die Protestanten Hugenotten — standen sich gegenüber. Im Jahre 1562 wurde den Hugenotten Religionsfreiheit gewährt. Vielleicht hätten nunmehr Katholiken und Protestanten im Frieden nebeneinander gewohnt, wenn nicht eines der Häupter der katholischen Partei durch den Meuchelmord einer zum feierlichen Gottesdienst versammelten, wehrlosen Gemeinde von neuem den Kampf heraufbeschworen hätte. Ein langer Religions- und Bürgerkrieg endete mit dem Frieden von St. Germain (1570), der von neuem den Hugenotten die Freiheit ihres Bekenntnisses gewährleistete. Aber die furchtbare Bartholomäusnacht (24./25. August 1572), die Pariser Bluthochzeit, entfachte von neuem den Krieg, bis endlich das Edikt von Nantes (1598) den standhaften Hugenotten unter mancherlei Beschränkungen die Freiheit ihrer Religionsübung zusicherte. Heinrich IV., der dieses Edikt unterzeichnet hatte, fiel im Jahre 1610 einem fanatischen Meuchelmörder zum Opfer. Es blieb ihm unvergessen, daß er die königliche Macht nicht zur gänzlichen Ausrottung des Protestantismus in Frankreich benutzt hatte.

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7. Italien und Spanien.

L

Luther ist selbst in Italien und in Rom gewesen. Als er zum ersten Male die Stadt schaute, sank er in die Knie und sprach: Sei gegrüßt, du heiliges Rom! In Rom hat er freilich Worte gehört, wie: Ist eine Hölle, so ist Rom darauf gebaut. Das das Wort viel Wahres enthielt, lernte er bald an dem sittenlosen Leben in Rom und an der Leichtfertigkeit der Priester in der Stadt des Papsttums kennen. Nirgends in der[S. 104] ganzen christlichen Welt herrschte solcher Unglaube und so finsterer, an das Heidentum grenzender Aberglaube. Kein Wunder, daß sich vielfach die Gebildeten von einer solchen Kirche abgestoßen fühlten. Frühzeitig fanden Schriften der Reformatoren, allerdings nicht unter ihrem Namen, in Italien Verbreitung. Ein italienischer Priester hat Luthers Auslegung des Vaterunsers gelesen und gesagt: »Selig sind die Hände, die dies Buch geschrieben, selig sind die Augen, die es lesen, und selig sind die Herzen, die es also beten werden.« Die Evangelischen im Venetianischen haben mit Luther im Briefwechsel gestanden.

Papst Paul III. war eine Zeit lang von evangelisch gesinnten Männern umgeben und scheint einst selbst an eine Reformation in Italien gedacht zu haben. Aber er ließ sich von den Feinden der Reformation dazu bewegen, mit aller Gewalt den Protestantismus in Italien auszurotten. Das ist in der furchtbarsten Weise geschehen. »In Venedig pflegte die Inquisition — diese stöberte die Evangelischen auf und verurteilte sie — die Beschuldigten um Mitternacht auszuschiffen. Draußen in den Lagunen wurden sie auf ein Brett zwischen zwei Gondeln gebunden; die fuhren auseinander und die See begrub schweigend ihr Opfer. In Calabrien wurden um diese Zeit Waldenser gejagt und geschlachtet wie wilde Tiere. In einem Hause wurden hier etwa 50 gefangen gehalten, der Henker holte einen nach dem andern heraus und schnitt ihm die Kehle ab. In Rom erfreute man sich am Schauspiel der feierlichen Verurteilung vor der Minervakirche und an der Verbrennung der insgeheim schon Erdrosselten.« Am Ende des 16. Jahrhunderts gab es keine Protestanten in Italien mehr.

Ähnlich ist es in Spanien gewesen. Viel mehr als in Italien ist hier auch das Volk vom Evangelium berührt gewesen. Das lag an der Verbindung Spaniens mit den evangelischen Niederlanden und mit Deutschland. Die Begleiter Karls V. hatten bei ihren Reisen in Deutschland reichlich Gelegenheit gehabt das Evangelium kennen und schätzen zu lernen. An vielen Orten hatten sich insgeheim evangelische Gemeinden gebildet, die in der Stille ihre Gottesdienste abhielten. Fleißig wurde die Heilige Schrift gelesen. Es schien um die Mitte des Jahrhunderts, als sollte[S. 105] der Protestantismus das Übergewicht erhalten. Aber auch in Spanien gelang es der unheimlichen Macht der Inquisition, den Protestantismus völlig auszurotten. Die »Autodafés« sind einer der furchtbarsten Schandflecke der Menschheit, insbesondere der christlichen Kirche. Da führte man »die Verurteilten im Sanbenito, der gelben Kutte, bemalt mit roten Flammen und schwarzen Teufeln einher; wo ein kühnes Wort zu fürchten war, trugen sie Maulkörbe.« 31912 Menschen sollen der Inquisition seit ihrem Anfange zum Opfer gefallen sein, bis Napoleon ihr im Jahre 1808 ein Ende machte. Schon im Jahre 1570 konnte sich Spanien rühmen, frei von der protestantischen Ketzerei zu sein. Papst Pius IX. aber hat eines der verruchtesten Scheusale unter den spanischen Inquisitoren, Peter Arbues, zum Danke für die der Reinheit der Kirche geleisteten Dienste im Jahre 1867 unter die Heiligen erhoben. Gott bewahre die Christenheit auf alle Zeit vor solchen teuflischen Männern!


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[S. 106]

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Vierter Abschnitt.
Aus der Geschichte der evangelischen Kirche bis zum Ende des Reformationsjahrhunderts.

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1. Der schmalkaldische Krieg.

Freue dich nicht, meine Feindin, daß ich darniederliege; ich werde wieder aufkommen.

Micha 7, 8.

D

Das »heilige römische Reich deutscher Nation« hat sich an unserm deutschen Volk und Vaterland vielfach und schwer versündigt. Römischer Geist und deutscher Geist haben nie zusammengepaßt. Deutschland war bis auf geringe Reste evangelisch geworden. Aber der »römische« Kaiser gab die Hoffnung nicht auf es zum Katholizismus zurückzuführen. So hat er einen Keil ins deutsche Volk getrieben. Bis in die Gegenwart hat es darunter zu leiden.

Auf mehreren Religionsgesprächen hatte man eine Einigung zwischen Katholiken und Protestanten herbeizuführen gesucht. Es stellte sich aber dabei immer heraus, daß die Katholiken unter Einigung nur die Unterwerfung unter den Papst verstanden. So war es geradezu ein Segen, daß sie sämtlich ergebnislos verlaufen sind. Auch auf der Kirchenversammlung, die der Papst im Dezember 1545 nach Trient berief, war von Verbesserungen der verderbten[S. 107] römischen Kirche gar nicht die Rede. Man bestritt den Protestanten das Recht, allein auf Grund der Heiligen Schrift Reformationen vorzunehmen; denn erstens seien die Beschlüsse der Päpste und der Kirchenversammlungen genau so viel wert wie die Bibel, und zweitens verstände auch die römische Kirche allein die Bibel richtig auszulegen.

Kaiser Karl V
Kaiser Karl V.

[S. 108]

An eine Unterwerfung der Protestanten auf gütlichem Wege war nicht zu denken. So hoffte denn Kaiser Karl V. sie mit Gewalt des Schwertes dazu zwingen zu können. Sobald er frei von seinen auswärtigen Feinden, insbesondere von Frankreich war, wollte er ans Werk gehen. Im Geheimen schloß er mit dem Papst einen Bund zur Niederwerfung der Evangelischen in Deutschland. Der Papst hat ihn selbst verraten. Er verhieß dem Kaiser »120000 Italiener Zuzug und 200000 Dukaten; dazu die Hälfte der jährlichen Einkünfte aller spanischen Klöster und die Erlaubnis, spanisches Kirchengut zu verkaufen bis zu 500000 Dukaten; ja wenn es nötig sei, werde er die Krone selbst verkaufen zur Unterstützung des Kaisers gegen die Ketzer.«

Herzog Moritz von Sachsen
Herzog Moritz von Sachsen.

Auch in Deutschland selbst suchte sich Karl Hilfe für sein Unternehmen. Außer zwei Verwandten des vertriebenen Wolfenbüttler Herzogs (s. S. 97 oben) gelang es ihm Herzog Moritz von Sachsen für sich zu gewinnen. Lange hatte dieser geschwankt, welcher Partei er sich anschließen sollte. Er wählte die, in deren Gefolge er sich den größten Vorteil versprechen durfte. Der Kaiser verhieß ihm als Lohn für seine Dienste die Stifter Halberstadt und Magdeburg, sowie Kursachsen. Im Anschluß an den Kaiser hat Herzog Moritz aber auch gelernt, daß dort der Grundsatz: »Der Zweck heiligt die Mittel« voll und ganz durchgeführt wurde. Er hat dann dem Kaiser Gleiches mit Gleichem vergolten.

Im Sommer 1546 sandten die evangelischen Verbündeten dem Kaiser ein Heer unter der Führung des wackeren Schärtlin nach dem Süden entgegen. Hätte man rasch gehandelt, so wäre[S. 109] es wohl gelungen, des Kaisers habhaft zu werden. Aber die Saumseligkeit der evangelischen Fürsten gewährte dem Kaiser Zeit, sein Heer zu sammeln. Auch jetzt noch hätten die Evangelischen den Sieg davontragen können, hätte es nicht ihrem Kriegsrat an Ernst und Entschiedenheit gefehlt. Inzwischen hatte Herzog Moritz fast ohne Schwertstreich Kursachsen besetzt. Der Mangel an Geldmitteln und die Besorgnisse, die die Nachrichten aus der Heimat weckten, nötigten die Verbündeten zum Rückzug nach Norden. Mitte Dezember erschien der Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen in Thüringen. Mit jubelnder Freude begrüßte man ihn. Bald hatte er sein Land wieder besetzt und auch den größten Teil des albertinischen Sachsens erobert. Noch einmal schien es, als sollte ihm der Sieg zufallen. Da rückte der Kaiser mit Ferdinand von Böhmen und Moritz von Sachsen heran und überraschte den Kurfürsten. In der unglücklichen Schlacht bei Mühlberg (24. April 1547) verlor dieser Land und Freiheit. Herzog Moritz wurde mit Kursachsen und der Kurwürde belehnt. Den Söhnen Johann Friedrichs wurde ein Jahrgehalt gewährt und zu dessen Sicherung einige Thüringische Ämter verpfändet. Der Kurfürst blieb Jahre lang des Kaisers Gefangener, nachdem Karls Gnade ihm, dem Geächteten, das Leben geschenkt hatte.

Damals ging ein tiefes Trauern durch Sachsenland. Man kann's an Philipp Melanchthon erkennen. Der war aufs Tiefste bekümmert; erst über den Abfall des Herzog Moritz — denn wenn dieser auch zehnmal beteuerte, daß keine Gewalt ihn zur Verleugnung seines evangelischen Glaubens zwingen könne, und daß es viel besser für Kursachsen wäre, wenn er, als wenn der Kaiser es besetze, so war es doch klar, daß sein Ehrgeiz nach Land und Kurhut des Vetters gestrebt hatte. Und wie groß war Melanchthons Schmerz um seinen gefangenen und entthronten Landesherrn! »Könnte ich auch so viel Thränen vergießen,« schrieb er, »als Wasser die Elbe herabfließt, so würde ich doch den Schmerz nicht ausweinen können, den ich über die Niederlage unseres Fürsten empfinde, welcher gewiß ein Freund der Kirche und der Gerechtigkeit war.«

Auch der Landgraf Philipp von Hessen geriet in die Gefangenschaft des Kaisers. Das Bündnis der Protestanten gesprengt, die fürstlichen Führer gefangen — das war das Ende des Schmalkaldischen[S. 110] Krieges. Jetzt war der Kaiser wieder unumschränkter Herr in Deutschland. Auf seine Gnade war der Protestantismus angewiesen.

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2. Das Interim.

Wir können nichts wider die Wahrheit, sondern für die Wahrheit.

2. Cor. 13, 8.

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Daß es unmöglich war, den Katholizismus wieder zu unumschränkter Herrschaft im ganzen Reich zu bringen, sah Karl V. wohl ein. Noch gab es mächtige protestantische Fürsten und Städte. Auch sagte er sich, daß es ein undankbares Geschäft sei, für den Papst in den Krieg zu ziehen. Dieser hatte seine Versprechungen schlecht gehalten. Auch hatte er bald die Kirchenversammlung von deutschem auf italienischen Boden verlegt. Karl verfolgte ein doppeltes Ziel: Erstens wollte er die stark erschütterte kaiserliche Macht wieder zur Anerkennung bringen. Zweitens sollte in seinem Reiche die Einheit der Kirche wieder hergestellt werden. Auf beiden Seiten, auf katholischer wie auf protestantischer mußte etwas nachgegeben werden, damit solche Einheit zu Stande käme. Entzog sich der Papst dem kaiserlichen Wunsche die Kirche zu verbessern, so wollte es nunmehr der Kaiser ohne den Papst thun.

Das geschah auf dem Reichstage zu Augsburg im Jahre 1548. Man faßte den Beschluß, daß den Priestern die Ehe zu gestatten und das heilige Abendmahl unter beiderlei Gestalt auszuteilen sei. Der Pomp der katholischen Prozessionen und Feste sollte beibehalten werden. Den Protestanten räumte man den Satz ein, daß der Mensch nicht durch seine guten Werke, sondern durch das Verdienst Jesu Christi aus Gottes Barmherzigkeit gerecht werde. Man nannte diese Beschlüsse das Augsburger Interim; denn sie sollten nur auf Zeit gelten, nämlich so lange, bis eine Kirchenversammlung eine endgiltige Entscheidung treffen würde. Nach des Kaisers Meinung sollte das Interim für Protestanten und Katholiken gelten. Aber mit Entschiedenheit lehnte es der Papst für seinen Teil ab, da es durchaus nicht Sache[S. 111] des Kaisers sei, Religionsgesetze zu erlassen. Selbstverständlich folgten dem Papst die katholischen Stände Deutschlands.

Wie stellten sich die deutschen Protestanten zum Interim? Standhaft weigerte sich der gefangene sächsische Kurfürst, dasselbe anzuerkennen, ebenso die Stadt Magdeburg. Die Kurfürsten von Brandenburg und von der Pfalz, der Landgraf von Hessen und der Herzog von Württemberg nahmen es an. Aber weithin setzten evangelische Prediger, die in der Annahme des Interims mit Recht eine Verleugnung der lauteren evangelischen Wahrheit erblickten, demselben entschiedenen Widerstand entgegen, unbekümmert darum, daß man sie aus Amt und Brot verstieß und aus der Heimat verjagte.

In einer schwierigen Lage befand sich Kurfürst Moritz von Sachsen. Dem Lande gegenüber hatte er zugesagt, die lautere Lehre des Evangeliums zu schützen — diese enthielt aber das Interim keineswegs — und der Kaiser forderte von ihm gehorsame Durchführung seines Willens. Moritz meinte beiden Verpflichtungen gegenüber gerecht werden zu können indem er einen Mittelweg einschlug. Diesen Weg sollte Philipp Melanchthon zeigen. Gern hätte der Kaiser Melanchthon in seiner Hand gehabt und unschädlich gemacht. Schon hatte er von Kurfürst Moritz dessen Auslieferung gefordert. Dieser aber antwortete dem Kaiser: »Euer Majestät möge sich besser erkundigen; sie wird sehen, daß sie unrecht über Magister Philipp berichtet ist, der, ein gottesfürchtiger, friedliebender und gelehrter Mensch, zu Wittenberg und in den Landen umher etliche gute Kirchengebräuche erhalten und viel Sekten und Uneinigkeit verhütet hat.« Melanchthon prüfte auf des Kurfürsten Befehl das Interim. Sein Urteil lautete: »Ich will überhaupt mein Gewissen nicht beladen mit diesem Buch; denn so die Regenten uns dringen würden, es also zu halten laut des Buchstabens, so würde eine große Verfolgung und viel Betrübnis und Ärgernis daraus kommen.« Die kurfürstlichen Räte thaten alles, Melanchthon zu bewegen in mancherlei Dingen, die zunächst die evangelische Lehre nicht betrafen, nachzugeben. Das Ergebnis ausgedehnter Verhandlungen der Wittenberger Theologen und des Leipziger Superintendenten Pfeffinger legte Kurfürst Moritz im Dezember 1548 dem Leipziger[S. 112] Landtag vor. Dieser nahm den ihm unterbreiteten Entwurf, das Leipziger Interim, nach mancherlei Widerspruch an.

Wie hat damals die Entschiedenheit, die Unbeugsamkeit und Standhaftigkeit Luthers gefehlt! Das Leipziger Interim mit seiner Unklarheit und seinem vorsichtigen Umgehen eines festen evangelischen Bekenntnisses war das traurige Zeugnis, daß es den Protestanten am Mute des Glaubens fehlte, der Luthers Stärke und Sieg gewesen war. Mit Gewalt suchte es Kurfürst Moritz in seinem Lande zur Anerkennung zu bringen. Daß es dauernden Frieden bringen könnte, hat wohl niemand ernstlich geglaubt.

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3. Endlich Friede!

Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr, nämlich Gedanken des Friedens und nicht des Leides, daß ich euch gebe das Ende, des ihr wartet.

Jer. 29, 11.

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Schmerzlich empfand es Kurfürst Moritz, daß die Evangelischen, insbesondere auch seine eigenen Unterthanen ihn für einen Verräter der protestantischen Sache ansahen. Es erschien ihm wohl nicht zweifelhaft, daß der Kaiser, wenn's ihm seine Macht und die Verhältnisse gestatten würden, auch gegen ihn Gewalt brauchen werde. Schon jetzt fühlte er sich gedrückt und in seiner Freiheit beeinträchtigt durch das Verlangen des Kaisers, in seinem Lande das Interim einzuführen und anzuerkennen, was die päpstliche Kirchenversammlung beschließen werde. Das alles führte ihn zu dem Entschluß, die Fahne des Kaisers zu verlassen und die Sache des Protestantismus zu retten.

Im Herbst 1551 lag Moritz mit seinen Truppen vor dem standhaften Magdeburg, um im Auftrag des Kaisers an der treuen Stadt die Reichsacht zu vollziehen. Zu ihrer Überraschung erhielt die Stadt bei ihrer Übergabe die mildesten Bedingungen. Die Festungswerke blieben unversehrt. Moritz hielt sein Heer auch weiter um sich versammelt. Im Geheimen hatte er sich mit Mecklenburg, dem Markgrafen von Brandenburg und den[S. 113] Söhnen Philipps von Hessen verbunden; auch mit Frankreich hatte er einen Vertrag geschlossen. Sorgsam mußte alles vor dem Kaiser verborgen werden. Und in der That ist diesmal der Sachse klüger gewesen, als der Kaiser mit seinen durchtriebenen Räten. Im Sturme drang Moritz nach Süden vor. Sein Ziel war Innsbruck. Hier weilte der Kaiser. »In seiner Spelunke« wollte Moritz »den Fuchs aufsuchen«. Öffentlich gab er eine Erklärung ab, in der er seinen Schritt rechtfertigte und begründete. Er wollte der Bedrückung des Evangeliums ein Ende machen und die deutsche Freiheit retten: »So haben wir einmal Herz und Mannheit geschöpft, daß wir das beschwerliche Joch von uns werfen und die alte löbliche Freiheit unseres geliebten Vaterlandes deutscher Nation erretten mögen.«

Leider wurde Moritz durch die Widersetzlichkeit seiner Truppen etwas aufgehalten. Sonst wäre es ihm gelungen »den Fuchs in seiner Spelunke« zu fassen. So aber gelang es dem Kaiser rechtzeitig aus Innsbruck zu entkommen. Im Vertrag zu Passau (Juli 1552) wurde den Evangelischen »bis zur endgiltigen Ausgleichung der zwiespältigen Religionen« der Friede zugesichert.

Das war zugleich das Ende des verhaßten Interims, aber auch das Ende der Gefangenschaft Philipps von Hessen. Johann Friedrich von Sachsen hatte bereits in der Nacht, als der Kaiser aus Innsbruck floh, die Freiheit wieder erlangt.

Was zu Passau vertragsmäßig festgesetzt war, sollte auf einem Reichstag zum Gesetz erhoben werden. Der Reichstag zu Augsburg (1555) erkannte den Zustand, wie er damals war, als zu Recht bestehend an. Leider gelang es den Evangelischen aber nicht, dem Protestantismus auch für seine weitere Entwicklung volle Freiheit zu erwirken. Die Katholiken setzten den sogenannten »Geistlichen Vorbehalt« durch. Darnach sollte es keinem Kirchenfürsten gestattet sein, mit seinem Lande die katholische Kirche zu verlassen und sein geistliches Fürstentum in ein weltliches zu verwandeln. Wollte er zur evangelischen Kirche übertreten, so sollte er seiner geistlichen Würde und seiner weltlichen Macht verlustig gehen. Das war das Mittel, wodurch die Römlinge verhinderten, daß das ganze Deutschland evangelisch wurde.

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[S. 114]

4. Das »Eintrachtsbuch«.

Seid allesamt gleich gesinnt!

1. Petri 3, 8.

A

An Einem hat's unserm deutschen Volke und unserer evangelischen Kirche oft gefehlt, an der rechten Einigkeit. Das hat Vaterland und Kirche mehr als einmal bitter büßen müssen. Uns ist es heute kaum verständlich, um welcher Fragen willen man sich im Jahrhundert der Reformation streiten konnte, und zwar nicht nur in den Kreisen der Gelehrten, sondern auch in den Gemeinden. Fast schien es, als sollte ein breiter, tiefer Graben zwischen zwei Parteien in der lutherischen Kirche gezogen werden. Die eine Partei wollte streng und unentwegt in Luthers Fußtapfen gehen und meinte das besonders dadurch zu thun, daß sie jede Annäherung an die Reformierten oder Katholiken sorgsam vermied. Die andere Partei trug das Gepräge Melanchthon'schen Geistes und suchte gerade das zu pflegen und zu erweitern, was man mit den Reformierten oder Katholiken Gemeinsames hatte und worüber man sich die Friedenshand reichen könnte. Daran nahmen jene strengen Lutheraner heftigen Anstoß. Als im Leipziger Interim die Philippisten — so nannte man die letztere Partei — den Katholiken mancherlei Zugeständnisse gemacht hatten, wurden sie für Verräter am wahren Luthertum erklärt. Die Söhne des gefangenen Kurfürsten von Sachsen gründeten im Jahre 1548 die Universität Jena. Diese sollte ein Hort der unverfälschten und unverwischten Lehre Luthers sein.

Die Verschiedenheit beider Richtungen zeigte sich vornehmlich in der Auffassung des heiligen Abendmahls. Melanchthon näherte sich darin der Lehre Calvins (s. oben S. 93). Man nannte deshalb seine Anhänger geradezu heimliche Calvinisten (Kryptocalvinisten). Eine Zeit lang hatten sie in Sachsen die Oberhand. Als aber von ihren Führern offen die Einigung der Lutheraner mit den Calvinisten empfohlen wurde, schritt Kurfürst August von Sachsen im Jahre 1574 zur gewaltsamen Unterdrückung der Melanchthon'schen Richtung. Ihre Anhänger wurden verjagt. Ihr Haupt, Dr. Kaspar Peucer, Melanchthons Schwiegersohn, wurde festgenommen. Zwölf Jahre hat er um seiner Überzeugung willen im Gefängnis gesessen. Das waren traurige[S. 115] Zeiten. Der blinde Fanatismus sah und schärfte nur den Unterschied in einer Lehre. Es fehlte völlig an dem milden Sinn, der in dem gemeinsamen Glauben an Jesum Christum, den Gekreuzigten und Auferstandenen, den genügenden Grund zur gegenseitigen Duldung findet.

Schon seit einer Reihe von Jahren erstrebte man ernstlich die Einheit der evangelischen Kirche Deutschlands. Edle, verständige Fürsten erkannten die Gefahr, die in der Zersplitterung liegt. Unermüdlich arbeitete der gelehrte Jakob Andrä in Tübingen an der Herstellung des Friedens. Die Frucht gemeinsamer Arbeit mehrerer Theologen war die sogenannte Concordien- oder Eintrachtsformel (1577), die alle Lehrstreitigkeiten innerhalb der lutherischen Kirche zu schlichten suchte. Kursachsen, Brandenburg, die Pfalz und über 80 Städte stimmten ihr zu. An 8000 Männer, Geistliche und Lehrer haben sie unterschrieben und anerkannt. Wer sich des weigerte, wurde seines Amtes entsetzt und des Landes verwiesen.

Kurfürst August von Sachsen ließ die Bekenntnisschriften der evangelischen Kirche samt der Concordienformel in ein Buch zusammenfassen. Das nannte man das Concordien- oder Eintrachtsbuch. Am Jubeltage der Augsburgischen Konfession, am 25. Juni 1580, wurde es feierlich veröffentlicht. Zum Zeichen dafür, daß auch die lutherische Kirche ein Glied der großen Einen Kirche Jesu Christi auf Erden ist, sind die drei alten Glaubensbekenntnisse (das apostolische, das Nicänische und das Athanasianische) vorangestellt. Dann folgen die Augsburgische Konfession, wie sie im Jahre 1530 dem Kaiser vorgelegt worden war (s. oben S. 63 ff.), die Schmalkaldischen Artikel (s. oben S. 68), die beiden Katechismen Luthers (s. oben S. 48 ff.) und die Concordienformel.

51 Fürsten und 35 Städte haben das »Eintrachtsbuch« unterzeichnet.

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[S. 116]

5. Berühmte Prediger, gläubige Dichter und fromme Künstler des Jahrhunderts der Reformation.

Es sind mancherlei Gaben, aber es ist
Ein Geist.

1. Cor. 12, 4.

D

Die Reformation stellte Gottes Wort in den Mittelpunkt des Gottesdienstes. »Der größte Gottesdienst«, sagte Luther, »ist die Predigt. Durch sie kommt Christus zu dir oder du wirst zu ihm gebracht.« Die Predigt schloß der Gemeinde den ganzen Reichtum des göttlichen Wortes auf.

Der Meister der Predigt der Reformationszeit ist Luther. Alle anderen Prediger sind seine Schüler gewesen. Er selbst aber kannte keinen anderen Lehrmeister als Gottes Wort und ging bei Christus in die Schule. Von ihm lernte er so predigen, daß »es die Leute verstehen, fassen und behalten können.« Es hat wohl keinen fleißigeren Prediger gegeben als Luther. Er hat oft zweimal an einem Tage gepredigt. Mit dem Lichte göttlichen Worts beleuchtete Luthers Predigt das ganze Leben, Zeitliches und Ewiges, Irdisches und Himmlisches. Gern teilt Luther seine Predigten in zwei Teile — der eine handelt vom Glauben, der andere von der Liebe. Da zeigt er erst, wie der Mensch durch den Glauben an Jesum Christum Gottes Gerechtigkeit erlangt. Dann predigt er, wie der Glaube sich in der Liebe bethätigen soll: im Familienleben, im Hausstand, im Gehorsam gegen die Obrigkeit, im Beruf, im Handel und Wandel. Luther begnügt sich nicht mit der Predigt über die gegebenen Sonntagstexte. Er wählt sich auch andere Bibelstellen oder predigt im Zusammenhange über ganze biblische Bücher. Weil ihn die geistliche Not des Volkes und der Jugend jammert, legt er auf der Kanzel den Katechismus von Anfang bis zu Ende aus. Im Jahre 1528 allein hat er es dreimal gethan(s. oben S. 52.

Und was ist Luther für ein volkstümlicher Prediger gewesen! Es war sein Grundsatz: »In der Kirche oder Gemeinde soll man reden, wie im Hause daheim, die einfältige Muttersprache, die jedermann versteht und bekannt ist. Wenn ich allhier predige, lasse ich mich aufs Tiefste herunter, sehe nicht an die Doktoren und Magister, deren in die Vierzig drin sind, sondern auf den Haufen junger Leute, Kinder und Gesinde, deren in die[S. 117] Hundert oder Tausend da sind; denen predige ich, nach denselbigen richte ich mich, die bedürfen's.« Es ist ganz köstlich zu lesen, wie Luther von Gott als einem »großen Gebhart« predigt, der »ein reicher, gewaltiger Herr und Schaffner, ja selbst ein reicher Müller und Bäcker ist, besser denn keiner auf Erden, der das Handwerk sehr wohl gelernt«, oder »ein reicher Küchenmeister und Kellner, der hat eine Küche, die so weit als die Welt ist.« Dem Heiland hat es Luther abgelauscht, die Predigt der Natur zu lesen und zu hören. Das Samenkorn, das in der Erde verdirbt und doch viel herrlicher wieder ersteht, predigt, »daß uns Gott läßt also in die Erde bescharren und verfaulen auf den Winter, auf daß wir auf den Sommer sollen wieder hervorfahren, viel schöner denn die Sonne, als sei das Grab nicht ein Grab, sondern ein schöner Würzgarten, darein schöne Nelken und Rosen gepflanzt, so auf den lieben Sommer daher blühen sollen.« Hat Luther nicht recht, wenn er sagt: »Das ist auf recht himmlisch deutsch von der Auferstehung geredet, wie Gott und seine Engel reden«? Vor dem Vöglein, das keine Sorge kennt, »möchten wir unsere Hütlein abthun und sagen: Mein lieber Herr Doktor, ich muß ja bekennen, daß ich die Kunst nicht kann, die du kannst. Du schläfst die Nacht über in deinem Nestlein ohne alle Sorge. Des Morgens stehst du wieder auf, bist fröhlich und guter Dinge, setzest dich auf ein Bäumlein und singst, lobst und dankst Gott; darnach suchst du deine Nahrung und findest sie.«

Ein Band Predigten Luthers gehört in jedes evangelische Christenhaus. In Luthers Haus- und Kirchenpostille steckt noch heute ein reicher Segen.

Wer mag alle die andern großen Prediger der Reformationszeit aufzählen! Johann Bugenhagen, Justus Jonas, Kaspar Kruciger, Paul Eber, Sebastian Fröschel in Wittenberg, Georg Spalatin in Altenburg, Johann Pfeffinger in Leipzig, Friedrich Mykonius in Gotha, Johann Spangenberg in Eisleben, Veit Dietrich und Wenzeslaus Linck in Nürnberg, Johann Brenz in Stuttgart und viele andere mehr! Manch Goldkörnlein ist in ihren Predigten zu finden, wenn man nur darnach sucht.

Kaspar Kruciger
Kaspar Kruciger.

Aber eines Mannes muß noch ganz besonders gedacht werden: des wackeren Bergpredigers Johann Mathesius in Joachimsthal.[S. 118] Dieser hat seinen frommen Bergleuten Luthers Leben in Predigten erzählt. Ein evangelischer Bergmann muß noch heute seine Freude dran haben. Aber für uns alle ist jenes Leben Luthers in Predigten ein köstliches Buch, das fleißig gelesen zu werden verdient. Denn Mathesius, der oft an Luthers Tisch gesessen hat, kann etwas erzählen und versteht es zu erzählen und anschaulich zu schildern.

[S. 119]

Friedrich Mykonius.
Friedrich Mykonius.

[S. 120]

Zum evangelischen Gottesdienst gehört aber auch das evangelische Kirchenlied. Darin bringt die Gemeinde ihr Loben und Danken, ihr Bitten und Flehen vor Gottes Thron. Darin legt sie das Bekenntnis ihres Glaubens ab. Und wer mag die frommen Christen alle zählen, die im Kämmerlein und auf dem Krankenbett im evangelischen Lied Trost und Erbauung suchen und finden.

Johann Pfeffinger
Johann Pfeffinger.

Luther hat zuerst das evangelische Kirchenlied angestimmt. Er hat uns auch das erste Gesangbuch gegeben. Davon ist oben[S. 121] erzählt worden (S. 44). Bald weckte seine Stimme eine ganze fröhliche, fromme Sängerschar. »Wohl waren nicht alle Nachtigallen, aber Lerche, Fink und Drossel sind auch liebliche Sänger. Der reiche Gott hat einer jeden Stimme ihren eigentümlichen Wohllaut, Schmelz und Klang gegeben.«

Hans Sachs.
Hans Sachs.
Paul Eber
Paul Eber.

Von einigen dieser Sänger, deren Lieder wir noch heute in unseren Gottesdiensten singen, mag hier etwas erzählt werden. Da ist der biedere ehrwürdige Hans Sachs, der Nürnberger »Schuhmacher und Poet«, der mit seinem Liede Luther, »die Wittenbergisch Nachtigall, die man jetzt höret überall«, grüßte. Vielleicht stammt von ihm das Kreuz- und Trostlied: »Warum betrübst du dich mein Herz, bekümmerst dich und trägest Schmerz«. Zu den ersten Liederdichtern unserer Kirche gehört auch Paul Speratus aus Rottweil in Schwaben. Frühzeitig war er dem Evangelium zugethan und verbreitete die Reformation. An Verfolgung hat es ihm nicht gefehlt, bis er in Wittenberg[S. 122] eine Zuflucht fand. Er ist dann der Reformator Preußens geworden. Sein Lied »Es ist das Heil uns kommen her aus Gnad und lauter Güte« wird ein herrliches Bekenntnis des evangelischen Glaubens, aus der Heiligen Schrift geschöpft, bleiben gegen römische Menschenlehre. Speratus' Mitarbeiter in Preußen war Johann Graumann oder, wie er sich nennt, Poliander, aus Neustadt in Bayern gebürtig. Als Rektor der Leipziger Thomasschule hatte er der Disputation zwischen Dr. Eck und den Wittenbergern (s. oben S. 28). beigewohnt. Wie die meisten Leipziger stand er erst auf Seite Ecks. Bald aber merkte er, daß die Wahrheit auf Seiten Luthers war.[S. 123] Da ist er denn diesem nach Wittenberg gefolgt. Bald folgte er einem Rufe nach Königsberg. Von ihm haben wir das schöne Loblied »Nun lob, mein' Seel, den Herrn«. Unser festliches »Allein Gott in der Höh' sei Ehr« und das ergreifende Passionslied »O Lamm Gottes unschuldig« hat uns Nikolaus Decius, der Stettiner Pastor, gesungen.

Johann Mathesius
Johann Mathesius.

Schlicht und herzlich sind die Lieder Paul Ebers aus Kitzingen, des treuen Freundes und Schülers Luthers und Melanchthons,[S. 124] des Nachfolgers Johann Bugenhagens im Wittenberger Pfarramt. Von ihm stammt das einfache, kindliche Neujahrslied, mit dem der Dichter zugleich seiner Gattin Helene — die Anfangsbuchstaben der einzelnen Verse ergeben ihren Namen — ein Denkmal gesetzt hat. Da ist er mit seiner Hausgemeinde versammelt und stimmt an: »Helft Gottes Güte preisen, ihr lieben Kinderlein«. Zu den besten Liedern der Reformationszeit gehört Ebers köstlicher Trostpsalm: »Wenn wir in höchsten Nöten sein, und wissen nicht, wo aus noch ein«. Und wie viel fromme Seelen haben's ihm nachgebetet:

Christi Blut und Gerechtigkeit,
Das ist mein Schmuck und Ehrenkleid;
Damit will ich vor Gott bestehn
Wenn ich zum Himmel werd' eingehn.

Sollte aber der liebe Leser einmal die heilige Priesterpflicht eines Christen erfüllen müssen, einen Sterbenden zu trösten, dann lese er ihm Paul Ebers »Herr Jesu Christ, wahr'r Mensch und Gott, der du littst Marter, Angst und Spott« langsam und andächtig vor. Unter dem Klange dieses Liedes ist schon manche Seele sanft und selig hinübergeschlummert.

Von dem Joachimsthaler Pfarrer Johann Mathesius ist schon oben erzählt worden, wie er seiner Gemeinde über Luthers Leben gepredigt hat. Der Prediger war aber auch ein wackerer Liederdichter. Von ihm haben wir in unserem Gesangbuch zwei Lieder, ein Morgenlied für die Gemeinde in der Kirche und die Kinder in der Schule: »Aus meines Herzens Grunde« und ein Abendlied für die Kleinen daheim: »Nun schlaf, mein liebes Kindelein«. Auch der Joachimsthaler Kantor, Niclas Hermann, des Pfarrers guter Freund, hat unserer Kirche eine Reihe Lieder geschenkt. Von ihm stammt der Weihnachtsgesang, den wir noch heute so gerne am Weihnachtsmorgen anstimmen: »Lobt Gott, ihr Christen, alle gleich«, das »Reiselied«, das auch unsere Bergleute bei ihrer Fahrt in die Tiefe singen sollten: »In Gottes Namen fahren wir« und das Trost- und Sterbelied für die Wanderung durch des Todes dunkles Thal: »Wenn mein Stündlein vorhanden ist«. Und wie viele beten noch heute ihren Morgen- und Abendsegen mit den Worten jenes[S. 125] Dichters »Die helle Sonn leucht jetzt herfür« und »Hinunter ist der Sonne Schein«.

Lukas Kranach
Lukas Kranach.

Wer mag sie alle nennen, die in jenem großen Jahrhundert dankbewegten, gläubigen Herzens in die Saiten griffen und ihre Lieder anstimmten zur Ehre Gottes! Wer mag all die Segensspuren aufweisen, die jene Lieder durch Freud und Leid, durch Kampf und Sieg unserer evangelischen Kirche hinterlassen haben!

Albrecht Dürer
Albrecht Dürer.

Endlich sei noch zweier frommen Maler gedacht, die durch ihre Bilder die Reformation verbreiten halfen und im Bilde darstellten, was Gott zum Heile der Menschheit gethan hat, Albrecht Dürers in Nürnberg und Lukas Kranachs in Wittenberg. Wen ergriffen nicht aufs Tiefste Dürers Bilder zur Offenbarung St. Johannis und zur Leidensgeschichte Jesu! Noch ehe Luther das lautere Evangelium predigte, gingen Dürers[S. 126] Bilder als »stille vorbereitende Prediger von Hand zu Hand«. Bekannter als Dürer ist dem evangelischen deutschen Volke Lukas Kranach, der treue Freund Luthers und der sächsischen Kurfürsten. Wie viele Kirchen sind geschmückt mit einem Bilde von Kranachs Hand! Aus seiner Werkstätte gingen die Bilder zu Luthers Bibel und Katechismus hervor, die selbst eine deutsche Auslegung des göttlichen Wortes sind.

So hat des Predigers Wort, des Dichters Lied, des Künstlers Hand gepriesen, was Gott einst in seinem Sohn der Welt geschenkt und von neuem durch Luther der Christenheit beschert hat.

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Schlußwort.

Es sind Bilder aus Deutschlands größtem Jahrhundert, die an unserer Seele vorübergezogen sind. Wir haben unsern D. Martin Luther geleitet durch sein Leben und Wirken. Wir haben einen Blick gethan auf die Väter der reformierten Kirche, die gleichzeitig mit unserm Reformator in andern Ländern das Licht des Evangeliums auf den Leuchter stellten. Wir haben gesehen, wie die Reformation in heißem Ringen sich zur Freiheit ihres Bekenntnisses in unserem Vaterland hindurchgekämpft hat, und wie endlich das evangelische Deutschland in Wort und Lied und Kunst anstimmte: »Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen: lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat!«

Gott sei ewiglich Dank dafür! Möge es ihm das deutsche evangelische Volk danken, nicht nur in Worten, sondern durch die That, festhaltend an dem lauteren Evangelium und Gott preisend durch unerschütterlichen Glauben und opferwillige Liebe!

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Bernhard Richter's Buchhandlung, Leipzig.

Nürnbergerstraße 11.


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»Lutherdenkmal«.

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des evangelischen Deutschlands.

In Verbindung mit

Professor D. Achelis-Marburg, Oberhofprediger D. Ackermann-Dresden,
Landrat von Deuster-Kitzingen, Domherrn D. Fricke-Leipzig,
Wirklichem Oberkonsistorialrat Propst D. Freiherrn von der Goltz-Berlin,
Generalsuperintendent D.Kretschmar-Gotha, k. k. o. Professor D. Lösche-Wien,
evangel. Bischof D.Müller-Hermannstadt, Dekan Müller-Kitzingen,
Geh. Kirchenrat D. Pank-Leipzig, Senior Ranke-Lübeck,
Generalsuperintendent Prälat D. von Weitbrecht-Ulm

herausgegeben von

D. Georg Buchwald und Dr. Fritz Jonas

   Pfarrer in Leipzig.        Schulrat in Berlin.

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Evangelischen Oberkirchenrat, Berlin,
Königlichen Konsistorium der Provinz Brandenburg, Berlin,
Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten, Berlin,
Königlich protestantischen Oberkonsistorium, München,
Königlich protestantischen Konsistorium, Speyer.



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Druck von Emil Stock, Zwenkau.