Title: Skizzen einer Fußreise durch Oesterreich, Steiermark, Kärnthen, Salzburg, Berchtesgaden, Tirol und Baiern nach Wien,
nebst einer romantisch pittoresken Darstellung mehrerer Ritterburgen und ihrer Volkssagen, Gebirgsgegenden und Eisglätscher auf dieser Wanderung, unternommen im Jahre 1825 von Joseph Kyselak. [part 1 of 2]
Author: Joseph Kyselak
Release date: December 14, 2025 [eBook #77458]
Language: German
Original publication: Wien: Anton Pichler, 1829
Credits: Raymond Papworth and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This book was produced from images made available by the HathiTrust Digital Library.)
nebst einer
romantisch pittoresken Darstellung mehrerer Ritterburgen und ihrer Volkssagen, Gebirgsgegenden und Eisglätscher auf dieser Wanderung,
unternommen im Jahre 1825
von
JOSEPH KYSELAK.
Erster Theil.
Mit Kupfern.
Wien 1829.
Gedruckt bei Anton Pichler.
Gott! es ist nur eine Welt!
Und wem diese nicht gefällt,
Dem soll wirklich hier auf Erden
Nichts als unser Mitleid werden.
Ein Funke ist’s, ein Trieb, der den Menschen in regeres Leben verwebt, sein Blut auf eine oder die andere Art besonders anzieht, zu verschiedenen, wenn auch insgesammt lohnenden Tempeln hinleitet. Frauenliebe reißt den Jüngling oft hin, für seine Auserwählte sich zum Helden, zum Dichter zu bilden; Liebe zur schönen Natur, zur ewig bewunderten, ein nicht minder hohes Motiv, beseelte mich schon lange, spornt zum Danke für sie, und heißt mich manches Gute schildern, dessen ich von ihr begünstigt mich erfreute.
Getreu, wie ich die Ansichten aufgefaßt, übergebe ich sie der Welt, diesen Erstlingen eine sichere Bahn zutrauend. Findet Jemand meine Ansichten hie und da zu bildlich, zu poetisch, so bedenke IVer: daß man von einem glücklichen Zufalle überrascht, gemeiniglich in Lobeserhebungen schönerer Form ausbricht.
Ich reiste, von einem meiner treuen Wolfshunde begleitet, allein, und nur mit dem nothwendigsten Gepäcke; denn einige Hemden, Tücheln, Fußsäckel etc., ein Paar Schuhe zum Wechsel der Stiefeln, ein gutes Fernrohr, blecherne Feldflasche, Steigeisen, Feuerzeuge, Windlichter und Wachskerzen, Papier, Bleistift, auf Leinwand gespannte topographische Karten zum Zusammenlegen in Bücherform, starke lange Schnur, Bürste etc., wird doch Niemand leicht entbehren. Etwas überflüssig, aber für mich sehr erfreulich, war mein Gewehr, das zu dem sechspfündigen Gewichte auch einen kleinen Vorrath von Pulver und Blei erforderte; und so betrug die ganze Bagage, welche ich aber selbst überall mitzutragen mir vornahm, 15 Pfunde. Den lästigen Mantel, oder sonstige Hindernisse einer Fußwanderung entbehrte ich, mit dem festen Willen, täglich wenigstens sechs Meilen zurückzulegen, und nur in Provinzialstädten Vzu verweilen; weil man sonst ohne ähnlichen bestimmten Vorsatz, von mancher schönen Gegend zu viel eingenommen, oftmals gar nicht vom Flecke kommt, und die karge Zeit mit Bewunderung von Kleinigkeiten verschwendet, ohne dann Meisterstücken Stunden weihen zu können. Daß diese Landschaftsänderungen den Reisenden immer in neue Genüsse verweben, und solche, die Gesundheit keineswegs angreifenden Wanderungen die Geistes- und Körperkraft vielfach verstärken, bedarf wohl erst keiner neuen Versicherung!
Uebrigens war ich bei Schilderung einer Alpenfußreise nicht gesonnen, mit theilweiser Beschreibung der Provinzialstädte die Naturfreunde einigermassen zu ermüden; da sie ohnedieß mit den ausführlichsten und sichersten Notaten von Grätz, Salzburg, Passau, Linz etc. durch die Schriften der Herren Schultes, Satori etc. hinlänglich bekannt, ihnen daher eine einseitige, in kurzer Zeit geschöpfte Betrachtung, schwerlich verläßlicher, noch weniger aber neu seyn könnte: darum beschrenkte ich mich vielmehr auf die entlegenen VIStationen, Alpen und Merkwürdigkeiten, welche noch nicht hinlänglich erläutert wurden, nebst einigen Gebräuchen, Sitten und Abenteuern, welche Manchen zur schätzbaren Unterhaltung dienen sollen, das Hauptaugenmerk zu richten. Wenn ich zu diesen mir ein Recht zu nehmen wagen konnte, so war es die Ueberzeugung: daß ich seit mehrjähriger Fußwanderung durch das ganze österreichische Erbkaiserthum, in so vielerlei Gegenden gekommen bin, die von einander so verschieden, so einladend oder abschreckend für den Besucher sind. Da ich nun jenen Unterschied auf dieser Exkursion ausschlüssig bemerkte, und dabei nachbenannte Gefilde wiederholt und in den verschiedensten Richtungen durchstrich; so glaube ich, wird man mir so viel Urtheilskraft zutrauen, keine falschen Ansichten oder Uebertreibungen auftischen zu wollen.
Möchte es mir doch gelingen, Nachsicht und Wohlwollen meiner geehrten Leser zu erringen, der ich mit ungekünstelter Feder Naturschönheiten zu schildern wagte, bei deren mühsamster Kopie mancher meisterhafte Pinsel nur getändelt zu haben scheinen VIIwürde! Doch das Vergnügen, mich über empfundene Wonne herzlich zu ergießen und dieselbe nach Möglichkeit zu schildern, erhob mich über das Gefühl meiner empfundenen Schwäche, und die zagende Feder siegte im Willen; wohl ihr, wenn sie am Ende nicht büßt, kühn unternommene That.
Wer also in diesen Blättern etwas Höheres, als Verkürzung etlicher Winterabende erwartet, den ersuche ich, solche lieber anfänglich bei Seite zu legen, damit er nicht in der Erwartung getäuscht, den Unwillen dem Erzähler durch Rezensionen entgelten lasse. Uebrigens, was ich geschrieben, habe ich selbst gesehen und erfahren, ohne geradezu einen Commentar für meine werthen Leser entwerfen, sondern nur Skizzen schildern zu wollen, wie sie einem von romantischen Ideen begeisterten Reisenden, theils geflissentlich aufgesucht, theils von Ungefähr sich darbiethend, vorkommen. Auch strebte ich nicht, (Jahreszahlen und Daten ausgenommen, welche aus den besten Urkunden und Topographien entlehnt wurden,) mich früherer Quellen zu bedienen, mehrere Bände zu bezwecken, VIIIund interessanter scheinen zu wollen; was mir minder merkwürdig deuchte, habe ich gänzlich übergangen, und Anderem, vielleicht meinen schätzbaren Lesern Unbedeutendem, meine ganze Aufmerksamkeit geweihet.
Wohl mir, wenn ich Empfindung und reine Gefühle verrathen, und dem edlen Herzen nicht ganz unbedeutend geschienen habe.
Wien, am 30. Juli 1828.
KYSELAK.
Es war ein herrlicher Abend am zwölften August; kein Wölkchen trübte den Horizont, nur leiser Westwind belebte die glänzenden Blätter und lüftete die verweilte Schwüle des Tages: als ich mit wonnetrunkenem Gemüthe wegen endlich befriedigter Sehnsucht, dem Wienerberge zufuhr. Ich wählte die anfängliche Wagenreise, weil Jeder der die langweilige Fläche bis Neunkirchen auch nur einmal zu Fusse überschritt, sich gewiß diese marternde Wanderung nicht zum zweitenmale wünscht. Meine Gesellschaft, ein alter Herr nebst Frau und ein Jude, hatte zu wenig Interessantes für mich, als daß ich dem freudig zu bringenden Lebewohl für Stadt und deren liebe Bewohner hätte widerstehen können. Ich stieg daher bei der Säule (Spinnerin am Kreuze) aus, und erblickte den ausgebreiteten Steinhaufen von Tausend Laternen beleuchtet, im silbernen Glanze des eben aufsteigenden Mondes. Freudig hoben meine Brust süß sich entbildende Gefühle beim Bewußtseyn, nun dem dunstigen Getümmel Wiens für längere Zeit entzogen zu seyn.
Bis ausser Ginselsdorf, wo wie gewöhnlich in heissen Sommerabenden rechts in dem Sumpfgraben 2neben dem Posthause häufige Irrlichter ihr äffendes Wesen trieben, war die Unterhaltung ziemlich einseitig; der alte Herr schlief, die Frau bethete, der Jude zitterte, unser Kutscher rauchte sein Pfeifchen, und ich schwebte in der Zukunft.
Bald passirten wir das dürre Theresienfeld[1], dessen langweiligen Sandboden der späteren Einwohner Fleiß und Kunst endlich zum Nutzen zwang.
[1] Dorf, wurde von der Kaiserin Maria Theresia Anno 1763 auf eigene Kosten angelegt, und Tiroler-Ackerleute dahin beschieden, die Steppen urbar zu machen, welches jedoch deren Nachfolgern, pensionirten Offizieren, ebensowenig gelang.
Neustadt’s wild vorbeirauschende Fischa[2], manchen Feinden brückenlos eine trotzige Gegnerin, und deren ehemalig strenge Thore gestatteten nun gutmüthig den Durchzug; fürchterlich rasselte der Wagen auf dem noch alten Pflaster; doch schliefen ruhig die Bürger, der Zeiten ihrer Vorfahren entwöhnt, wo manches Lärmen zur Nacht Arme und Herzen bewaffnet herbei rief. Neustadt, die in ihrem berühmten Leben so viel hinlänglich bekannte Merkwürdigkeiten aufzuweisen hat, wird kein Oesterreicher ungerührt verlassen. Der von hier nach Wien führende Kanal ist der vielen Krümmungen wegen noch um einige Stunden länger, als die Poststrasse. Vor dem Neunkirchnerthore und mitten am Steinfelde links an der 3Poststrasse, stehen zwei gleich gewölbte Säulen als Meridian Meßzeichen vom Jahre 1763, welche somit das Andenken des Jesuiten Liesganig erhalten.
[2] Von den Landleuten nur gemeinhin das Neustädter-Wasser genannt, entspringt bei Grünbach und Emmerberg in Nieder-Österreich aus mehreren Quellen.
Mit leichter Mühe verdoppeln rasche Pferde die Schnelle der Fahrt von Neustadt bis Neunkirchen; kein Hügel, kein Graben zeigt sich auf dieser weiten Fläche, das Steinfeld genannt. Magere Aecker mit Korn und Heide dürftig besetzt, und Striche von Föhrenwäldern, die der betriebsame Geist hier anlegte, um die hitzigen Sandfelder wenigstens etwas zu benützen, sind nebst vielem Hochwilde die ganze Ausbeute dieser österreichischen Wüste. Im höheren Föhrenwalde hinter dem einzigen Wirthshause (Einschicht genannt), welches wie eine Eremitage an der Strasse links trauert, sahen wir immer deutlicher Wachfeuer hervorleuchten. Es war allerdings ein imposanter Anblick, mitten aus dem schwarzen Haine die hellen Opferfeuer winken zu sehen: doch wußten wir, daß es die Schweinhändler unterhielten, welche aus Ungarn über Aspang ihre Transporte nach Wien bringend, in diesen Wäldern meistens übernachten. Demohngeachtet war der Israelit einem Fieber nahe; Schreck rüttelte seine marklosen Knochen, und er betheuerte unbefragt bei allen Söhnen Abrahams, keine Baarschaft bei sich zu haben. Plötzlich schlug mein Wolfshund, der schnellfüssig vor dem Wagen lief, auf etwas im Graben gewaltig an; der Kutscher hielt, und fand dem Anzuge nach, einen betrunkenen Viehhändler, welcher flehendlichst bat, ihn gegen gute Bezahlung mit auf den Wagen zu nehmen. Mit unserer Erlaubniß hob er denselben zu sich, welcher seiner 4Rolle vollkommen Genüge leistete, endlich entschlief.
Ausser dem bedeutenden, vom wüthenden Schwarzaflusse[3] bespühlten Markte Neunkirchen, endigt sich die lästige Fläche; die Berge rücken zusamm, und gewähren bei Tage die interessantesten Prospekte. Belebte Wälder mit dem dreigipfeligen Geisberg, und schwarzerdige Aecker zur Linken, die pittoreske Heyssensteiner-Felsenwand mit den Gebirgen um Stüchsenstein zur Rechten, schließt der majestätische Schneeberg und seine graue Familie den Hintergrund. Groß und erhaben wie keiner, beherrscht er die Umgebung, und fesselt des Wanderers Gemüth.
[3] Die Schwarza entspringt bei Rohr in Nieder-Österreich, durchfließt dann immer neue Gießbäche aufnehmend das Höllenthal, wird daselbst durch den Naßwalderbach, der fortwährend Holz triftet, mächtig verstärkt, treibt bei Reichenau und Glocknitz eine Menge Mühlen und Hammerwerke, und verbindet sich bei Katzelsdorf mit einem Theile des Trasenbaches. Ausser Neustadt vereint sich endlich diese viel wasserreichere Schwarza mit der minder mächtigen Leitha, und ungerecht den Namen der letzteren annehmend, gränzet sie eine bedeutende Strecke hindurch, Österreich und Ungarn, und ergießt sich sodann als bedeutender Fluß bei Ungarisch-Altenburg in einen Arm der Donau. Merkwürdig ist, daß dieser Fluß, Trotz seiner bedeutenden Strecke, durchaus fischarm ist; die beständige Holzschwemme im Gebirge, bannet die sonst häufigen Forellen, und in der Fläche soll der Boden ungünstig und das Wasser verdorben seyn. Wäre dieser Fluß wegen seinen ungeheueren Verheerungen zur Zeit eines Hochgewitters, wo von den sonst trockenen Rissen des Schneeberges und dessen Umgebung Ströme herabbrausen, leider nicht allzubekannt, so dürften davon die verwüsteten Uferbeete, breiten Sandfelder und abgespühlten Ackergründe hinlängliche Bürgen seyn.
5Ein Wald von Obstgärten, die süße Last kaum ertragend, führt zum thätigen Glocknitz und dessen Mühlen und Eisenhämmern; aber alles lag noch im Schlummer, und nur die glühenden Gipsöfen hauchten Feuer und Gluth; desto weniger von letzteren besitzen die rechts am Waldberge drohenden Weingärten, die hier zur Schau, aber nicht des Nutzens wegen zu frosten scheinen.
Herrlich durchblickte den lichten Morgenschleier rechts die schöne Probstei Glocknitz, und links das alte und gegenwärtig noch bewohnte Schloß Wartenstein von seinem erhabenen Sitze die schlummernde Heerstrasse. Weit reicht seine Uebersicht durch den Waldberg um Traiskirchen hinaus, und dieß möge ihm eine sorgsame Erhaltung versichern. Wilder und verworrener wurde bald das geengte Thal, man unterschied schon in deutlichen Konturen das in Trümmern sich auflösende verhängnißvolle Klam auf einer senkrechten, wunderbar drohenden Felsenwand, welcher Verwitterung und Alter weiß und braune Farben gaben.
Seit dem zwölften Jahrhunderte von mächtigen Geschlechtern bewohnt, die Vormauer Oesterreichs und Steiermarks, und allen Angriffen habsüchtiger Menschen und deren Zerstörungssucht muthig Trotz biethend, überwand es der Zorn des Himmels im Jahre 1801 durch einen zermalmenden Feuerblitz, und beugte das von Männern unbezwungene Schloß.
Wenn nur die Hälfte Begebenheiten jenes Schlosses sich bewähren, so verdient es mehr als einen Blick, mehr als blosse Bewunderung jedes biederen Herzens. 6Kühn ist sein Körper geformt, kühner der Bau seines Scheitels; jenen errichtete Gott, diesen die Menschen; doch wer mehr Bewunderung erzwingt, darüber verstummet mein Urtheil. Dahin ist nun sein Stolz, verschwunden seine Macht; Gram und Unglück bleichte seine Form, und sich mehrende Runzeln bezeugen das genahete Ende des Greisen. Zu spenden gewohnt, wer sich ihm vertraut, beschützt er zwar nimmer Heere von Kriegern, doch üppig nähren sich aus den Resten seines Körpers, Stärke beweisende Fichten.
Wem Zeit und Gelegenheit erlaubt, versäume ja nicht das Monument ehemaliger Baukunst zu bewundern. Ungeheuere Gewölber und Gemäuer, und ein mächtiger runder Thurm, dürften noch längere Zeit erboßten Blitz und Stürmen trotzen. Ich habe Klam voriges Frühjahr untersucht, und kann ihm füglich einen der ersten Plätze unter Deutschlands schönern Ruinen einräumen. Schade, daß man sich denen in Felsen gehauenen unterirdischen Gängen, welche von der Strasse zu sehen sind, nicht nahen kann. Gegenüber befindet sich ein Wartthurm, der früher dem Grabe zueilt.
Ich erlaube mir einer vaterländischen Begebenheit neuerer Zeit hier zu erwähnen. Oben, zwischen der Veste und der gegenwärtigen neuen Kirche und Schulhause, befinden sich die Ruinen des Anno 1809 verbrannten und zerstörten Pfarrhofes. Der damalige Seelsorger, ein von Patriotismus entflammter Oesterreicher, hätte bald durch seine militärische Vaterlandsliebe über die ganze Umgebung das verheerendste Unglück gebracht. Früher schon mit dreien Jägern, 7einem fremden Beamten und etlichen Bauern verabredet, wußte er sich mehrere Gewehre zu verschaffen, und feuerte auf die vorbeiziehenden französischen Truppen mit einigem Glücke. Doch die Feindeszahl wuchs, man erstieg und besetzte den Felsen, verbarg sich in der alten Feste, und beschoß den Pfarrhof. Der Pfarrer, welcher vielleicht Entsatz von zahlreichen Bauern hoffte, vertheilte einige seiner Patrioten im Kirchthurme, er selbst mit den andern aber verschanzte sich in Eile mit Tisch, Kästen etc. im Pfarrhofe. Nun begann von allen Seiten ein wüthendes Schiessen, wobei jedoch die Feinde öfter Allen, nur dem Pfarrer nicht, Pardon zusicherten; doch die männlichen Seelen verachteten dieß, und hielten Stand, bis der letzte Balken schon brannte. Wunderbar! gerade der Pfarrer entkam durch Rauch und Flammen, in Bauernkleidern, während ein Jäger und Bauer erschossen wurde, einer im Herabspringen den Fuß brach und verbrannte, die übrigen aber bis auf einen Bauer gefangen wurden. Weiber und Kinder retteten sich bei Zeiten in die Gebirge. Aus Gnade des damals kommandirenden Obristen verschonte man Schottwien und Glocknitz von dem schon beschlossenen Brande. Ich erkundigte mich voriges Frühjahr vergebens, wo nun der Aufenthalt des damals glücklich entronnenen und vielleicht noch lebenden energischen Geistlichen sey? — Daß so etwas sich verdunkeln kann!
Der Markt Schottwien bildet eigentlich nur eine lange Bergstrasse von einem Bache durchschnitten, ist aber wegen des nahen Semmerings, wo jeder geladene 8Wagen Vorspann benöthiget, sehr einträglich. Die Einwohner sind gutmüthig, und in ihrer Tracht und Handlungsweise schon ganze Steierer! Ober dem Markte auf einer schönen Wiesenhöhe steht der Gnadenort Maria Schutz.
Als wir ausser Schottwien mit Tagesanbruch uns befanden, erwachte plötzlich der am Bocke taumelnde Schlauch, rieb sich die Augen, sah in der Runde umher, und griff, kein Wörtchen sprechend, nach seiner um den Leib geflochtenen Riempeitsche; maß unserem Kutscher etwelche herab, ohne daß wir den Hergang enträthselten. Wart Spitzbube, stotterte er, ich will dich lehren ehrliche Leute zum Narren haben; will ich doch gerade nach Wien, und der Schurke führt mich nach Steiermark! Ich konnte mich des lauten Lachens nicht enthalten, weil ich wie Jeder sicher vermeinte, er wisse doch wenigstens die Strasse, und gehöre wirklich dahin. Indeß hatte sich der Kutscher von seinem ersten Schrecken erhohlt, packte den Händler mit Muth, und gab ihm jeden Streich mit Zinsen zurück; der Takt währte fort bis ich und mehrere herbei gekommene Leute Ruhe gebothen, und wir dann ohne weiteres Hinderniß, mit der durch den Kutscher erbeuteten parforce Peitsche, dem Semmering zufuhren.
Langsam winden sich die Wägen zur Höhe; wer nicht allzubequem ist, verläßt vor dem Mauthhause die Strasse, und geht vom Staube befreit, rechts 9über duftende Wiesen einen zwar steilen aber näher zum Bergbrunnen führenden Gangsteig. Hier erwartet man gewöhnlich den Wagen, indeß die kristallene Quelle für die Bemühung Ersatz biethet. Ein schwerer breiträdiger Güterwagen mit 160 Zentner Ladung, wälzte sich herauf durch die gesammte Kraft von 16 Pferden[4], welche trotz ihrer Anzahl jeden Augenblick der drückendsten Last nachgeben mußten; die Kiessteine vom Rade berührt, zersplitterten zu Mehl. Ich verfolgte die Höhe bis zum Gränzzeichen auf dem höchsten Punkte der Poststrasse. So freundlich deuchte mir dießmal dieser herrliche Waldberg von hochgestiegener Sonne vergoldet, im Vergleiche mit dessen vorigjähriger Bereisung im April. Bunte, in die Höhe sich ziehende Wiesen, schieden nun das hundertfache Grün der üppig sich umarmenden Buchen, Rusten und Ahorn, und jenes der ernsthaften Tannen und Fichten; indeß dazumal nur Schneefelder und schwarzgrüne hervorragende Föhrenspitzen, zur Trauer und Melancholie stimmten. Der melodische Gesang zahlreicher Vögel, die sich von ihrer schönen Wohnung durch die belebte Heerstrasse nicht bannen liessen, und das herrliche Echo, welches ich durch 10einen Schuß bewirkte, hätte bei mir das Bild eines glücklichen Wahnes vollendet: wäre nicht eben ein Transport gefesselter Räuber und Deserteurs durch zahlreiche Soldaten escortirt, herabgekommen; dieß erinnerte mich wieder, daß ich doch nur in der für Viele verhängnißvollen Welt mich befände. In einer finsteren Schlucht, wo die Strasse etwas eben fortläuft, stürzt der Waldbach über Felsen und abgerissene Bäume ungezügelt herab; tiefer Abgrund verschlingt den allzustürmischen, eine kühne Bogenbrücke, als hätten deren Quadern die Römer gelegt, überspannt dieses Hinderniß der Reisenden.
[4] Auf den Semmering wird bei guter Witterung eine gleiche Anzahl Vorspannpferde genommen, als die gewöhnliche Bespannung ausmacht; das Paar kostete Anno 1825 3 fl. 36 kr. W. W. bis zur Berghöhe. Die Erlaubniß, mit breiten Rädern Lasten nach Wunsch zu laden, und dabei die Hälfte Wegmauth zu bezahlen, verbessert zusehends die Hauptstrassen.
Bald kommt man zum Monument Kaiser Karl des VI., welcher diese Bergstrasse Anno 1728 zu seinem ewigen Ruhme anlegte; es ist zugleich das Gränzzeichen, kollossal aus Stein ausgeführt, mit allen Innschriften der damaligen hohen Baudirektoren etc. In einer hölzernen Hütte gegenüber können Fuhrleute die dursterzeugende Bergstrapatze bei Bier und Brandwein vergessen. Die Aussicht ist der vielen Berge wegen beschränkt.
Nun eilt man mit zwei gesperrten Rädern zum freundlichen Dörfchen Spital am Fusse des Semmerings, welches seinen Namen und Entstehung dem hier für die Wallfahrter nach Palästina von Ottokar den II. errichteten Spitale (Gasthause) verdankt. Dampfende Meiler und schwerer Hämmer schmetternde Töne wecken zum dürftigen Leben; schon herrscht steierischer Häuserbau; aus kleinen Fenstern der ganz hölzernen Wände betrachten neugierige Köpfe mit breitkrämpigen grünen Hüten geschmückt, die vorbeieilenden 11Wägen. Mädchen in verunstaltenden kurzen Leibestrachten, bringen schwere Lasten Futtergras auf dem Kopfe zur Heimath.
Rasch gings nun nach Mürzzuschlag, wo wir die Bespannung wechselten. Kirschen von schönster Gattung waren hier, wie bei Wien im Juny um Kleinigkeiten feil. Das
welches nun bis Bruck in einer Länge von 6 Meilen sich ausdehnt, wollte ich, wie selbes auch wirklich jeden Fremdling zum erstenmale anzieht, prachtvoll ja bezaubernd nennen; es gleicht einem englischen Garten, worin öfter wie zum Vergnügen, Hüttchen angebracht sind, die theils von Hügeln, theils durch Gebüsche versteckt, den Wanderer mit ihren halben Gestalten nur freundlich necken; jedoch ist diese gleichförmige lange Neckerei am Ende ermüdend, und überhaupt die Abwechslung der Gegenstände zu weich, zu wenig grotesk. Einige schärfere Krümmungen der Mirza, und die drei alten Ritterburgen, geben zwar etwas ernsthaftere Parthien; man vermißt aber die kahlen Felsen, welche sonst solchen Trümmern der Vorzeit gehörige Bewunderung erwerben. Wenn auch sanfte Lüfte den Duft der Wiesenkräuter wecken, und die mit bunten Gesträuche umflochtene Mirza aus ihren silbernen Wellen Kühlung haucht: so freut man sich dennoch zu Bruck, das heroische Murthal zu schauen. Uebrigens gedeiht hier die veredelste Art Hornvieh, besonders Kühe, deren gleichen ich später kaum in Tirol, und da nur im Zillerthale gefunden.
12Die erste der vorbenannten drei Burgruinen ist
links auf einer erhabenen Berghöhe von einem jungen Walde umsäumt, trauert das mürbe Skelet wegen der Strenge des letzten Jahrhunderts, das ihm so rachsüchtig Vernichtung und Vergessenheit bereitet. Stolz entwand es sich der grauen Vorzeit, wo man Gestalten wie Hohenwang zu schätzen wußte. Die Ritter von Gallenberg, von Schärfenberg und Auffensteiner, Namen — durch Geschichte und Thaten berühmt, ruhmkrönten diesen Stammsitz, der ihnen dankbar Sicherheit both zu heilen die Wunden! Lange ruhen diese Familien jeder Verstümmelung enthoben, indessen du nun ihr treuer Beschützer in deinen Narben zerfällst!
Vor zwei Jahren bestieg ich die Trümmer welche gutmüthig den letzten Reichthum — eine herrliche Uebersicht schenken. Der Thurm ist zerfallen, die Gemäuer wüste, nur ein unterirdischer Gang mehrere Klafter fortleitend, verspricht noch Schutz wider Regen und Schnee; allein eine Kolonie eckelhafter Bewohner der Finsterniß darin, wären zu abschreckend dem genügsamsten Menschen!
Ein Bauer welcher nächst der Ruine einen Baum fällte, zeigte mir eine Vertiefung vor dem Schloßgraben; dieß sagte er sey das Türkenloch, wo im Jahre 1683 die haidnischen Leichname hineingeworfen wurden, welche in der neuntagigen vergeblichen Bestürmung der Veste ihren Tod gefunden hätten. Es wäre ein tiefer Abgrund gewesen, der sich mit der Menge Leiber ebnete, und erst später nach deren Verwesung 13wieder etwas höhlte. Wenn auch die Anzahl der Todten übertrieben ist, so erregt doch so ein alter Krüppel, welcher in seiner Mannheit einem ganzen Geschwader wüthender Muselmänner widerstanden, doppelt wehmüthiges Mitleiden.
Bald darauf gelangt man beim Dorfe Wartberg zum Schlosse
kleiner an Umfang und minder erhalten als das vorige, verbirgt es seine Wenigkeit rechts auf mässiger Höhe im dienstfertigen Walddunkel. Statt der vertilgten Zugbrücke hat der rastlose Mensch, überall Nutzen suchend, einen Bretersteg in den Schloßhof geleitet, um die brauchbaren Bausteine vom Denkmale der einstigen Kraft und männlichen Entschlossenheit zu engbeschrenkten gemeinen Häusern in demüthiger Ebene zu benützen. — Der Römer Geist lebte in römischen Gebäuden, sie blieben groß selbst noch im Sinken, so lange sie muthbewußt an grosse Werke sich wagten!
Die Gewölber sind verschüttet, die Stufen zum lockeren Thurme weggeräumt, aber eine Altane erhielt sich noch auf der Hauptmauer im Burghofe, einige Schwalben sahen dazumal recht naiv herab! An die Ringmauer des Schlosses lehnt sich eine hölzerne Hütte; ein armer Mann vom Tagewerk lebend, und seine treue Lebensgefährtin eine muntere Ziege, waren ihre Bewohner und ganze Besatzung des Schlosses. Der Markt
den man bald darauf erreicht, ist groß und mit artigen Gebäuden besetzt, eine Menge Wirthshäuser, Metzger und Bäcker locken den Hunger und Durst. Ueberdieß gibt es noch durchaus an der Poststrasse von Spital bis Grätz eine grosse Menge hölzerner Hütten (Kaischen genannt) Wirthshäuser vorstellend, worin man aber selten etwas Besseres als sauren Wein, Bier, Gurkensallat, Käs und Brandwein antrifft, welche wohlfeile Erquickung aber von den zahlreichen Fuhrleuten nicht verschmäht wird.
Ausser Kindberg vergrössern sich die Scenen; die kleine forellenreiche Mirza hat sich bereits zum reissenden Waldflusse entwickelt; häufiger tönen schwarz umwölkte Eisenhämmer, Feuersäulen aushauchend; die früher hundertfältigen Hügel hervor und wieder zurück tretender Wiesen, Aecker und Wäldchen, deren buntes Grün dem Auge sanft schmeichelte, huldigen nunmehr den stolzer sie überblickenden Waldbergen, die im inneren Kampfe erhitzt mit Rauch und Flammen um sich speien. Leider betrüben solche Waldbrände Jeden nur den Besitzer nicht, welcher sie fleißig unterhält, um ein oder zwei Jahre etwas Korn zu ernten, und dann wenn Asche und besseres Erdreich von Regengüssen abgespühlt wurde, die Berge auf immer verwüstet zu lassen. Diese traurige Gewohnheit sich augenblicklichen Nutzen zu verschaffen, ohne des sicheren Nachtheils der Nachkommen zu gedenken, wird nicht gehoben werden, so lange man in holzreichen Gegenden die Meinung behauptet: Wälder wären dem Eigenthümer nur zum Schaden, da er ohne einigen 15Ertrag für sie noch Steuern bezahlen müsse. Zufrieden, überall im Hochwalde die Klafter Stammholz um 20 kr. W. W. zu bekommen, (wofür aber das Hacker- und Fuhrlohn bis Bruck auf 6 fl. W. W. sich belaufen soll) brennt also Jeder seine Wälder nach Wunsche und Gutbefinden. Wohl wenn nicht hier wie in mehreren Gebirgsgegenden bald bitterer Holzmangel die Strafruthe schwingt.
Schnellen Laufes ereilten wir
da aber zwangen mich doppelte Beweggründe der ferneren Wagenreise zu entsagen, um so mehr, da ich von Bruck zu Wasser nach Grätz zu kommen wußte. Erstlich hatten die riesenhaften Ruinen der alten noch nicht durchsuchten Veste zu viel Reitz für mich, um deren Besichtigung abermal aufzugeben, und zweitens konnte mein armer Hund, welcher im ununterbrochenen Laufe dem Wagen folgte, vor Anstrengung in der betäubenden Schwüle des erhitzten Thales seine Ermattung nicht mehr besiegen. Ich schied daher von den Reisekonsorten ohne besonderen Schmerz, nahm meine Reiserequisiten in einer Jagdtasche befindlich, nebst dem doppelläufigen Gewehr auf den Rücken, und wanderte im schwarzen Dunkel dicht gedrängter Föhren und Tannen den ziemlich erhaltenen steilen Schloßpfad zur Ruine hinan.
Gleich beim Eingange über eine 22 Schuh hohe ehemalige Zug- jetzt Pfostenbrücke über den breiten Burggraben, welcher nun zum Garten dient und vom herrlichsten Winterobste strotzet, fiel mir der seltsame 16Kontrast von Erhaltung und Verwesung, den ich an der Burg engverbunden wahrnahm, besonders auf. Einige Fenster prangten noch mit vielfältig gezierten Scheiben, indeß nebenan auch nichts mehr von Fenstersteinen übrig war. Den Eingang verschloß ein mit Eisenblech beschlagenes Thor, ohne daß man deßhalb verhindert würde, durch die Risse ausgebrochener Quadersteine bequem in den Vorhof und in sämmtliche Gemächer zu gelangen. Theile von Rittersätteln, Rüstungen, Pferdedecken und Geschirren, lagen in einer Ecke rechts unterm Thorbogen aufgehäuft. Als ich in den Schloßhof eintrat, staunte ich über die Grösse und ehemalige Pracht der Behausung von den einst so berühmten, später durch ihr Unwesen und Räubereien berüchtigten und im 11ten Jahrhunderte ausgestorbenen Herrn von Kapfenberg; deren Stammschloß dann an die Grafen von Stubenberg überging, deren Familie es bis heut zu Tage im Besitze erhielt.
Menschenhand, die Vertilgerin früh entwickelter Manneskraft, suchte hier die nachsichtsvollere Natur zu überwiegen, und zerstörte, was grauer Zeiten edle Sprossen erbauten. Die größtentheils erzwungene Ruine des Schlosses folgte aus der vor sieben Jahren freiwillig vom Herrn Grafen anbefohlenen Abdachung, und Verwendung der brauchbaren Materialien und besseren Quadersteine zum Baue des Brucker-Theaters. — Es ist doch sonderbar, wie dazumal die nah gelegenen Steinbrüche so hartherzig scheinen konnten, Materialien zu einem Musentempel zu versagen: daß die Großmuth sich entschließen mußte, einen Wohnsitz und 17Schutzmauer ruhmgekrönter Ahnen jenem nothwendigen Baue zu opfern. Die Veste welche noch lange, und mit geringen Kosten noch Jahrhunderte hätte trotzen können, wurde um den beiläufigen Werth von 350 fl. W. W. an zu benützenden Steinen etc. zertrümmert und vernichtet!
Kapfenberg ist eine herrliche Ruine, doch wünschte ich, sie einst im kräftigen Stande gesehen zu haben. Den ungeheueren Burghof, welcher noch jetzt zu militärischen Uebungen geeignet seyn dürfte, umgibt eine Reihe gothisch gestalteter Gänge im ersten und zweiten Stockwerke auf 4 Schuh hoch festenden steinernen Säulen, von denen einige beschädigte in neueren Zeiten durch eichene ersetzt, und grau angestrichen wurden. Ein schöner nach unten zu erweiterter ganz von Quadern und oben mit einem zierlich gemeisselten Kranze gemauerter Brunnen, an dem sich noch ein ungeheueres eisernes Rad nebst gleicher Spindel zum Wasser heraufziehen befindet, prangt in der Mitte des Hofes, und übertrifft alle ähnlichen an Zierde und Brauchbarkeit. Die Stallungen, Küchen, Gewölber und mehrere Zimmer schienen noch gut, und vor wenigen Jahren gebraucht. Mehrere Wappen, Malereien an Wänden eines größeren Gemaches, bezeigten den ehemaligen Prunksaal; das eichene Bodengetäfel lag mit Schütt und Stroh in bester Harmonie durcheinander. Der ehemahlige Schloßgarten (nicht Burgzwinger) welcher sich an südöstlicher Seite befindet, war reichlich mit Erdäpfeln befruchtet; in einem Winkel desselben sah ich zu meiner Verwunderung ein ziemlich großes Buchsbäumchen, welches 18nach seinem Alter zu schliessen, noch ein Denkmal entwichener Vorwelt seyn könnte, und dessen Ahnenzweige gewiß manchem holden Fräulein zum bescheidenen Fensterschmuck mögen gedienet haben. Schade, daß diesem alten Schloßbewohner nicht auch die Sprache gespendet ward, er könnte der Neugier mehr und verläßlichere Aufklärung in Hinsicht der Veste verschaffen, als das gesammte hierüber bestehende Archiv zu Bruck.
Von einem Burg- oder Wartthurme fand ich keine, von der Kapelle aber nur kleine Spur. Am meisten lockte es mich, die höchste Ringmauer an nördlicher Seite der schönen Aussicht wegen zu besteigen. Ich kletterte 42 Stufen theils über die gothischen Gänge, theils unter Trümmern des entstürzten Daches, das bis auf einen kleinen Theil durchaus zerrüttet war, zur erfreulichen Höhe. Hohes Gras und Gestripp bedeckte den länger verödeten Fußboden; mit Mühe kroch ich auf einem vermoderten Balken zur entlegenen Wand, als auf einmal mit fürchterlichem Gekrache sich ein von mir überschrittener Theil in die gräßlichste Tiefe hinabsenkte. Schauder ergriff mich bei dem Gedanken ähnlicher Fahrt, und ich setzte mit kühnem Sprunge auf die mich besser erhaltende Wand. Das Steingerölle erweckte die bereits der Ruhe befliessenen lüftigen Schloßbewohner, und mit schrecklichem Zorngekreische des verscheuchten Schlafes wegen, zogen einige dieser Unholden über mein staunendes Haupt, während andere in tiefer Kluft ihr dumpfes Todtenlied anstimmten.
Froh, die Gefahr überstanden zu haben, überließ 19ich mich nun dem Genusse des schwelgenden Auges, welchem jede Parthie, jeder Winkel des Thales neue unerwartete Schönheiten für Blicke und Herz freigebig darboth. Dieser Punkt ist vom Schlosse unbezweifelt der schönste, und wird nur von der weiter oben sich befindenden Wallfahrtskapelle St. Loretto, wo ich in der Folge sprechen werde, übertroffen; doch warne ich Jeden meiner allenfälligen Nachfolger, seine Neugierde hier zu unterdrücken, und diese Stelle zu vermeiden. Leicht dürfte Jemand ähnlichem Unglücke nicht entrinnen, oder sich vom hohen Grase getäuscht, durch eigene Unvorsichtigkeit in die Tiefe hinabstürzen. Ich bezeichnete diese merkwürdige Wand, an der ich mich nun fest anklebte, groß mit schwarzer Jahreszahl. Denselben Rückweg zu nehmen wagte ich selbst nimmer, sondern wählte lieber eine dem Ansehen nach gefahrvollere, doch in jeder Hinsicht verläßlichere Rückkehr; nemlich über den zwei Schuh breiten festen Rücken der Mauer, welche ich mit Händ und Füssen drei Klafter lang überkletterte, und mich endlich auf haltbaren Steinen nach der obersten Gallerie herabließ. Wohl und gestärkt empfand ich mich sogleich, da ich kaum nur den verläßlichen Boden betrat, und mit fröhlichem Gemüthe untersuchte ich zuerst die oberen wüsten Gemächer des zweiten, dann ein besser erhaltenes des ersten Stockwerkes. Die Thüre war nur angelehnt, ich trat hinein; am Boden im Winkel bewies ein Haufe dürrer Blätter mit etwas Stroh vermengt, und eine allzusehr gebrauchte Kotzendecke das genügsame Nachtlager; mehrere hölzerne Schuhe, wahrscheinlich eigene Fabrikation, ein alter Mantel, durchbrannter 20eisener Ofen, eine Bank, etwas Holz und Küchengeschirr, jedoch ohne Teller und Trinkglas, war der ganze Besitz dieses bedauerungswerthen Ritterburgbewohners; überdieß war Gesimse und Zimmerdecke zersprungen, ausgebrochen, und drohte jeden Augenblick den nothgedrungen hier Schutz Suchenden auf immer der Armuth zu entheben. Das Unglück muß tiefe Wurzel geschlagen haben, wenn man täglich seine theuerste Habe — das Leben, dem Tode sorglos unterzieht; entweder liegt hier Blödsinn zum Grunde, oder der Wunsch, jenen letzten Freund baldigst zu umarmen. Vom größten Elende dieses Erbarmungswürdigen überzeugt, wird gewiß jeder Fremdling zum Mitleid hingerissen.
Zu ebener Erde nächst dem Schloßthore werden ebenfalls zwei, aber gewölbte Zimmer bewohnt; die Thüre und Fenster waren verschlossen. Hier möge mehr Sicherheit und weniger Verzweiflung herrschen; denn wenn auch eine arme Tagwerker-Familie von fünf Personen daselbst ihr trauriges Asyl aufschlagen mußte: so zeigten doch Spate, Beil und Tragkörbe noch Willen und Kraft der Bewohner zur Arbeit, und ein lautes Schweinchen und Ziege darin wenigstens einen kleinen Besitz, und natürliche Sorge fürs Leben. In Reflexionen, wie Fleiß und Muth noch manches Gute erzwingt, schritt ich vergnügt zur weiteren Schloßuntersuchung.
Eine gähnende Oeffnung gegen Süden lud mich zur Reise in die Unterwelt. Ich band meinen weissen Cerberus bei dem Eingange fest, zündete zwei Windlichter an, und stieg 18 ausgebrochene Stufen 21hinab; nun ebnete sich der Boden und bildete rechts ein weites Kellergewölbe, mit guten Luftzuge; links leitete ein Gang zwei Fuß abwärts; eine feste Thüre aber zur Hälfte mit Eisengitter überflochten, verboth alles weitere Vordringen; ich ehrte das feste Schloß, und ging, unzufrieden über die behuthsame Verwahrung vielleicht eines heimlichen Ganges oder ehemaligen Kerkers, zum Burghof zurück. Die übrigen Gewölber waren meistens unbedeutend, und mit Schutt und Baumblättern angefüllt. Ich wollte eine menschliche Seele herbeilocken, um Aufklärung über das versperrte Behältniß zu erlangen; ein paar Schüsse donnerten demnach durch die zerrissenen Mauern, und brachten ein herrliches Echo aber keinen Bewohner zurück. Ich verließ also die finsteren Hallen, um von der Wallfahrtskapelle
auch Rehkogl genannt, die untergehende Sonne zu schauen. Eine kurze aber steile Höhe muß man noch erklettern, um dieses romantisch gelegene Kirchlein zu erreichen.
Bescheiden zwischen einer riesigen ungeheueren Linde und zwei ähnlichen Wunder-Eichen, die wahrscheinlich einst den stolzen Marsch römischer Krieger — sicher aber die veraltete Veste Kapfenberg entstehen und erwachsen sahen, und welche nun durch feindselige Blitze und eingetretene Schwäche sammt den nachgekommenen Greisenschlosse dem Grabe zueilen: verbirgt sich das nette Thürmchen mit seiner Kirche unter die Arme der bemoosten kollossalischen Gestalten, um dadurch 22nimmer seiner Schönheit und Zierde für jeden Fremdling zu entsagen.
Der Küster, welcher hier in einem anstossenden Häuschen wohnt, zeigte mir gutmüthig alle Schätze und Merkwürdigkeiten der Kapelle, die ich eben die entzückendste Aussicht vom Thurme genießend, schön fand.
Sämmtliche Gebirge, Dörfer, Flächen, Schlösser und Flüsse liegen wie in einem Panorama vor dem Auge des staunenden Fremdlings. Die rauchenden Sühnopfer des Wälder vertilgenden Brandes, ein im Nordost aufsteigendes Hochgewitter, welches sich durch schwarz und gelbe Wolken und feuchteren Wind mit Gewißheit anmeldete, das Schnalzen der Kutscher, und Rasseln zahlreicher Wägen, welche die tief liegende Heerstraße auf manigfaltige Weise belebten, das Brüllen der munteren Herden, die der verspätete Hirte zur Heimkehr zwingt, und das Rauschen mächtiger Mühlen, deren plätscherndes Getöse in reiner Höhe verhallet, bezaubern auf hundertfache Art das göttlich sich fühlende Auge, und versteinern den Fuß, um den Körper zur unbeweglich freudigen Büste zu machen.
Glückliche Menschen, die ihr dieses Eden bewohnt! möge euch ein bleibender Aufenthalt nicht jene Wonne verringern, die jeden ankommenden Fremden hier ergötzet, fühlet das Süße irrdischer Seligkeit!
Gerne glaubte ich dem Küster, daß alljährig viele Andächtige herauf reisen, und sich hier getröstet und gestärkt fühlen.
Unmuthig über den geschäftigen Abend, der sich 23mit besonderem Fleisse heute zu beflügeln strebte, stieg ich dem drohenden Wetter zu entgehen, dem Markte Kapfenberg zu. Ich fand ihn reichlich und groß, die Wirthshäuser von zahlreichen Fuhrleuten mit Güterwägen und Fremden belebt, die Einwohner selbst aber alle beschäftigt und arbeitsam.
Die kristallene Mirza welche im unerbittlichen Laufe alles zu verschlingen droht, was ihre gedrängten Wogen bespühlen, wird hier durch eine mächtige mit Ketten umschlungene Brücke bedeckt; eiligst überschritt ich des rollenden Donners wegen dieselbe, um noch im Trockenen nach Bruck zu gelangen. Doch es war vergebens; Blitze rötheten die Wälder, Wirbelwinde hoben Staubwolken in die Luft, und große Tropfen fielen, durchnäßten die Strasse, und endlich auch mich; so zwar daß ich halb in Schweiß und Regen gebadet, nächst dem Vermählungspunkte der Mirza und Mur, die ihr Fest durch tobendes Lärmen weit verkünden, zu Bruck ankam.
Mein erster Gang war natürlich — ins Wirthshaus, wo ich beim Adler gute Bewirthung fand. Bruck ist eine kleine niedliche Stadt mit einigen schön gebauten Häusern, Kirchen etc. demohngeachtet wenn man von Kapfenberg kommt, so sieht man selbe nicht eher, als bis, so zu sagen, die Nase an das Thor stößt. Selbst die Ringmauern der alten Veste Landskron, welche sich eng der Stadt anreihen, werden kaum etwas früher bemerkt; doch soll das Schloß, bevor es der Brand im Jahre 1809 sammt dem größten 24Theile der Stadt in Asche legte, eine gebietherische Miene gezeigt haben. Gegenwärtig füllen den weiten Schloßraum einige Gartenfleckchen und lockeres Gemäuer, nicht der Besichtigung werth. Die Stadt ist übrigens (das meistens geschloßene Theater ausgenommen) immer lebhaft; die drei hier zusammenstossenden Hauptpoststrassen ziehen die Reisenden aus ganz Innerösterreich, Küstenland, Tirol etc. herbei; von Bruck werden noch überdieß Gips, Holzwaren und Eisen nach Grätz, Ungarn und der Türkei zu Wasser versendet, wodurch sich die Stadt gleichfalls in finanzieller Hinsicht hebt.
Das Wetter verstummte, Wohlgerüche dampften aus dem verschwägerten Mirza- und Murthale empor, und durchdufteten mein Gemach; der versöhnte Mond kleidete sich in das silberne Gewand des Friedens, und half den Millionen Sternen Diamantenglanz verbreiten. Ich betrat mit frohem Gemüthe mein Lager, und wandte den dankbaren Blick dem freundlichen Gesichte zu, das so milde seinen Zorn vergaß.
Kaum daß sich der junge Tag dem neidischen Nebel entwunden, der vergebens in dem wässrigen Thale einen Sieg zu erringen bemüht war, ging ich an den mir gewiesenen Platz, um mit Neptuns Einwilligung noch Vormittags Grätz zu erreichen.
Zahlreiche Passagiers sah ich bereits in gleicher Absicht, ungeduldig des trüberen Morgens, welcher die Wasserfahrt für heute vielleicht verhindern könnte, die Ufer gemessenen Trittes überschreiten. Das Floß 25(Fahrzeug aus zusammengefügten Baumstämmen) war mit Bretern und einigen Gipsfässern geladen, und zum Abgange bereit; endlich verschwand auch der letzte Nebel, und der Schiffmeister geboth Aufbruch. Wie zum fröhlichen Tanze sprangen zwanzig Fremde auf den schaukelnden Boden; einige wie ich, hatten noch nie die Mur befahren, und dachten sich ebenso sicher als zu Lande; während die Schiffleute ihre Andacht mit ungekünstelter Ehrfurcht begingen.
Der gestrige Regen hatte die sonst dunklen Wogen noch mehr getrübt, und beflügelte den eilenden Lauf der ungezügelten Mur; dennoch waren wir ohne besondere Fata geschwommen, und nur die interessanten Ufer fesselten das immer geschäftige Auge.
Das von wohlthuender Nässe erfrischte Kolorit buntbeblumter Wiesen, glänzte wie Sammet mit reichster Stickerei durchkünstelt; Dörfer sah man, welche die willkommene Last aller Gattungen niedergebeugter Obstwälder mit ihren Dächern stützten; Hügeln wo reiche Gaben der Ceres in haushohen Garben sich reihten; und wieder Waldberge, die mit nakten Felsenspitzen um den Hoheitsrang stritten, und von entkräfteten Greisenschlössern dieser Eitelkeit wegen gewarnet wurden; endlich die reine Himmelsdecke, deren sanftes Blau alle diese Lieben überspannte, und zur sanftmüthigen Einigkeit bewog, während goldene Sonnenstrahlen einen Schützling nach dem andern in dem geengten Thale belohnten. Dieß schien den gewöhnlichen Schmuck der Natur zu überwiegen, und entweder ein Traumbild oder wirklichen Himmel zu zeigen.
Froh, auf der staublosen Eilfahrt allen diesen 26Zauber einzusaugen, bedauerte ich zugleich, nicht hineilen zu können auf die ehrwürdigen Reste des Schlosses Pernek, welches wie aus dem Schlummer geweckt, seine wenigen bemoosten Quadermauern von der riesigen Waldspitze links herabzeigte und bald wieder unmuthig verbarg. Mehr noch reitzte mich das Dorf Mixnitz am linken Murufer, dessen groteske Felsenhöhle im Drachentauern Dr. Sartori so Neugier erregend beschrieb, und die überthürmt von der mächtigen Thiernauer- und Theichalpe eine vielwerthe Lage versichert!
Außer dem Dorfe Röthelstein war man beschäftiget die Straße zu erweitern, die lästigen Gruben hie und da auszufüllen, und eichene Schranken zu ziehen. — Dank dem gnadenreichen[5] Besuche unseres allgeliebten Monarchen, der alle Hände in Bewegung setzt Gutes zu wirken! Der Weg war früher an einigen Orten so enge, daß zwei geladene Frachtwägen einander nicht ausweichen konnten; anderwärts fanden scheu gewordene Pferde kein Hinderniß, sich und die unglücklichen Passagiers in den Abgrund der gefrässigen Mur zu begraben. Unbefürchtet kann sich nun Jeder den Schönheiten des bewunderungswürdigen Thales hingeben!
[5] Auf der Rückreise Seiner Majestät von Mayland, Venedig etc. über Grätz nach Wien den 21. August 1825
Die malerischen Schlösser Pfannberg, Rabenstein, Peckau, Gösting, alle so herrlich! doch ich durchkletterte sie vor zwei Jahren, und erlaube mir deren nähere Schilderung.
27Unter dem Markte Frohnleiten, den am linken Ufer eine fränkische Allee aus Lärchen- und Kastanienbäumen, erstere in Pyramiden, letztere in Quadrate zugeschnitten, schmücken soll, windet sich ein enger Fußpfad neben einigen Häusern des Ortes Weiher zur wüsten Waldhöhe der Ruine
hinan; wildes Dorngestrippe rechts eine Wiese verwahrend, und ein sumpfiger Wassergraben links den Bergen ablaufend, sind die Gegner des ungeweihten Fremdlings. Diesen nach Möglichkeit Trotz biethend, lohnt ein trockener Fußsteig die weitere Wanderung. Des Hornviehes weit verhallend Gebrüll, und Springen munterer Geissen überraschen hier den Pilger, der gerne in den entlegendsten Winkeln Leben entdeckt. Einer Meierei lockeres Gemäuer, das vierfüssige Volk mehr bedrohend als verwahrend, wanket auf der Grundfläche des Schloßzwingers, welches jeder der Ruine entstürzende Stein noch mehr zu erschüttern strebt. Häufiger Schutt rings herum schon grüne Hügeln bildend, läßt kaum die ehemalige Ringmauer ahnden. Ungehindert durchwandert man sonach die hinfälligen Schloßgemäuer, welche allzusehr zerrüttet nichts Deutliches mehr darbiethen. Nur ein siebeneckiger Thurm hoch und mächtig wie ein Fels, scheint sich für die Nachwelt erhalten zu haben, den Ruhm seiner Urbewohner der Herrn von Pfannberg, welche im dreizehnten Jahrhunderte als Steiermarks edle Sprossen sich zeugten, zu verkünden. Seinen Werth würdigend hat der gegenwärtige Besitzer Fürst von 28Esterhazy 82 Pfosten-Stufen hinauf zimmern lassen. Die Aussicht in die Umgebungen des Murthales lohnt hinlänglich die Ausgaben so wie jede Mühe des Hinansteigens. Nebst diesem besteht noch ein zweiter viereckiger aber größtentheils zertrümmerter Thurm. Merkwürdig ist jedoch in diesem das Burgverließ, dessen Eingang zwar etwas verschüttet, aber tiefer unten geräumig und ziemlich erhalten ist; ein unterirdischer Gang, der von diesem zum siebeneckigen Thurme hinleitete, ist vor einigen Jahren mit Gewalt zugestampft worden; übrigens sind die Unken und Eulen auch mit dem übriggebliebenen Raume zufrieden, und freuen sich ihres Asyls. Einen besseren Rückweg zu erfragen, ging ich in die für den Meier und seine Genossen bestimmte Wohnung; kein Schloß versagte mir den Eingang in drei dürftige Zimmer, alles schien ausgestorben! endlich sprangen zwei Hunde herbei, und mühten sich, ihren kleinen Figürchen das gehörige Ansehen zu verschaffen. Mindestens bezweckten sie doch das Erwachen der einzigen anwesenden Bewohnerin, eines alten harthörigen Bauernweibes, welches hinter einem Tische auf einer Bank schlafend von mir übersehen wurde. Nachdem ich mich mühsam ihr verständlich machte, und Auskunft erhielt, fragte ich um den Namen des Gutsherrn: »Fürst Hassi« antwortete sie, und wunderte sich, daß ich ihn nicht ebenso gut kenne.
Der gewiesene Weg führte mich nun nördlich um den Berg zur Strasse hinab, und ich war trotz der langweiligen Erklärung darüber, mit ihm zufrieden.
29Dieser Ruine gegenüber am rechten Murufer liegt auf einem schroffen beflutheten Felsen das Schloß
halb Ruine, halb bewohnbar, verbindet das Schloß Gegenwart und Vergangenheit in herrlicher Eintracht. Ein Jäger — Bewohner von neun zum Theile sehr grossen Zimmern, hat Muße genug, bei schlechter Witterung in seiner Behausung Jagd auf unwillkommenes Wild anzustellen, das ihm jedoch bald den Sieg streitig machen wird, wenn die lockeren Fenster und mürbe mit Backsteinen geschwerte Bedachung nicht verbessert werden. Malerei und Fußgetäfel der Zimmer zeigen von einstiger Pracht und Vernachlässigung des Alters.
Einen schönen Anblick gewährt auch der senkrechte Fels rechts vor dem Postorte Peckau, Jungfernsprung genannt; die Mur bricht sich an demselben mit wüthender Gewalt und spielt mit dem in Schaum getauchten Fahrzeuge gleich einem Ei; mit Stangen und Hacken müssen die gewandten Schiffleute dem gähen Anprellen desselben zuvorkommem. Eng rücken die Felsen zusamm, brausend erkämpft sich der Fluß seine weitere Bahn! Ein zweispänniger Separat-Eilwagen jagte vor uns links auf der Strasse nach Grätz; bald war er eingeholt und zurückgedrängt. Ich hätte eine solche Schnelligkeit der Mur nie geahndet, und kaum der oberen Traun[6] die noch reissender ist, zugetraut.
[6] Begreift die Strecke aus dem Hallstädter-See bis nach Stadl; von Stadl bis zum Einflusse der Traun in die Donau bei Zizlau versiegt ihr ungemeiner Schnelllauf; demohngeachtet machen die Untiefen und Inseln auf der unteren Traun die Fahrt gefährlicher.
30Doch nach Peckau zurück; östlich vom Markte in einer beflurten Thalbucht ruht auf einem karg begrünten Steinhügel, die Schloßruine
ein Wald auf höheren Bergrücken im Norden und Osten scheint das dürre Skelet vor den es bedrohenden Gewitterstürmen zu schützen, weil nun ausser diesen ihm keine bewaffnete Faust noch feindlich das Banner schwingt. Der Weg hinauf über angenehme Wiesen ist ganz unbeschwerlich und unverfehlbar. Auf der Anhöhe vor dem Schlosse steht ein Bauernhäuschen, deren fleissige Bewohner den alten Schloßgarten verjüngen und künstlich benützen. Ober dem Thorbogen befindet sich noch das gemalte Wappen der ehemaligen Besitzer Ritter von Pfannberg, so wie im Burghofe eine grosse Sonnenuhr. Das Schloß selbst bildet ein Labyrinth von Ruinen, dorischen Säulen (aus neuerer Zeit herstammend), und Gewölbern, welche unter einander geworfen der Phantasie noch bedeutenden Spielraum zu Betrachtungen liefern. Weniges ist mehr deutlich zu entziffern, ausser das leider überall abschreckende Burgverließ links beim Eingange in den Säulenhof; dann noch die Küche, deren mit starken Eisenstangen durchzogene Wände noch 100 Jahren allen Flammen Trotz biethen könnten. Die einstigen Bewohner müssen geradezu wahre Schwelger gewesen seyn, denn so viele Keller und eine so grosse Küche 31wären auch zur Verpflegung eines Regiments Soldaten hinlänglich! — Den Thurm kann man nicht mehr besteigen, die Stufen sind ausgebrochen, und das verwitterte Mauerwerk stürzt bei der leisesten Berührung herab.
Die Aussicht ist weniger befriedigend als zu Pfannberg. Peckau gegenüber liegt der seiner silberhältigen Bleibergwerke wegen hinlänglich bekannte Markt Feistritz.
Eine Höhle links an der Strasse Gratwein gegenüber, dürfte noch die Aufmerksamkeit der Reisenden fesseln. Sie scheint obgleich bei 80 Fuß lang, 70 breit und 65 hoch, doch größtentheils mit dem Meissel gegraben worden zu seyn; eine Mühe deren Nutzen nicht einleuchtend ist. In dieser einer Kirche ähnlichen Halle befindet sich ein halb zerfallener Backofen, und neben diesem links ein massives, aus Baumstämmen gezimmertes Geländer; Schwarzdorn- und Holunder-Gebüsche drängt sich an die kalte Felsenwand beim Eingang, den einige Erlen bewachen. Still und ernst wie das Grab schlummert die Höhle, dumpf verhallet der Tritt und kein Lüftchen sanft lispelnd verweilt, die Töne des Lebens zu wecken. Das Abenddunkel ruft dann dem Wanderer die Zeiten der Druiden zurück, und zaubert ihm magische Bilder: So mögen die haidnischen Hallen ausgesehen haben, wo die blutgierigen Priester ihre entehrenden Menschenopfer begingen; dort in der Mitte drohte der Herd, dessen Rauch die verblendete Menschheit entzückte; hier herum die Umzäunung, welche nur geweihte Barbaren überschreiten durften, sich im Morden zu unterstützen; 32alles dieses dem Auge des ewigen Forschers zu entziehen, spannten greisige Stämme ihre weit reichenden Fittige aus.
Bald lag der Wallfahrtsort Maria Straßengel mit seinem gothischen Kirchthurme rechts im Hintergrund, und Göstings ernsthaftes Antlitz prüfte uns Fremdlinge, als die Schiffleute ermahnten, achtsam zu seyn, und nicht in Angst zu gerathen — die gefürchtete Weinzettelbrücke mit seinem Kreuze lag vor uns. Alle Männer entblößten das Haupt sich kreuzigend; ich wußte noch nicht was da kommen würde, doch mußte ich auf Ermahnen des Floßdirektors meine Jagdtasche um- und den Hund anhängen, beide nicht zu verlieren. Einige Mädchen zitterten und schrieen erbärmlich; umsonst, der Lauf war unerbittlich! und donnernd stürzten wir ohngefähr fünf Schuh über eine Wehre herab; durch und über das Floß drängten sich die Wogen fußhoch auf sämmtliche Passagiers. Es war wirklich kein Spaß, nicht erholt von erster Taufe, gleich darauf der zweiten ganz ähnlichen sich zu unterziehen. Diese zwei Abfälle sind geflissentlich zur Ableitung zweier Mühlbäche nach Grätz ganz widersinnig hier beisammen angebracht, um die ohnedieß gefährliche Schifffahrt noch zu erschweren. Eine besondere Kenntniß und Geistesgegenwart wird bei Schiffleuten daselbst erfordert, glücklich durchzukommen; zwei Stangen sind die Gränzzeichen dieses Passes, der aber leider schon Viele vernichtete.
Somit war auch die einzige Gefahr auf dieser sechsmeiligen Bahn überstanden; pfeilschnell flohen wir nun durch eine liebliche Aue, die nur der erhabene 33Schloßberg durchspähte, der versteckten Stadt zu. Nun hob sich der Vorhang, Leben und Frohsinn spielten die Rollen, Grätz war erreicht! — Unter der gedeckten Brücke durch, am rechten Ufer (Länd) betraten wir das Land. Die Mädchen, welche sich von ihrer Taufe noch nicht getrocknet und im possierlichen Aufzuge sahen, schämten sich nicht wenig bei dem Anblicke der in Anzahl herbeigekommenen wie überall neugierigen Städter.
Ich wählte, von dieser fünfstündigen Fahrt mich zu restauriren, den angerühmten wilden Mann in der Schmidtgasse. Wenn ein Gasthaus einer Provinzialstadt den meisten in der Residenz als Muster belobt zu werden verdient, so ists der wilde Mann zu Grätz. Lange Jahre glänzt dem braven Gastgeber und Hausbesitzer dieses Lob, und es wird fortwähren, solange diese Reinlichkeit, wohlzugerichtete Speisen, unverfälschte Getränke, muntere Bedienung und herrliche Tischgesellschaft, Magen und Gemüth des Gastes würzen; für welche auserwählte Erquickung noch überdies eine billige Zeche abverlangt wird.
Grätz zu beschreiben wäre von mir Uebermuth, da ich in sechs Tagen gewiß nicht dasjenige auffassen, noch weniger aber überbiethen kann, was vor mir würdige Schilderer durch mehrjährigen Aufenthalt dahier entdeckt und dargestellt haben. Nur was sich seit jenen wohlverfaßten Beschreibungen in einem Zeitraume von sechzehn Jahren wesentlich hier verändert, erlaube man mir anzuführen.
34Grätz ist ebenfalls eine von den Damen die sich im Alter zu schmücken anfangen, um noch neue Anbether zuzulocken. Ich beginne vom Fusse, weil das Pflaster eine Hauptbeziehung auf den gehenden Beobachter hat, der seine Beine auch noch für andere Exkursionen ganz behalten will. Dieses ist nun nach Versicherung der Einwohner gegen frühere Jahre merklich verbessert; und zum Theile zeigen auch die am Haupt- und Jakomini-Platze, so wie in der Herrn-, Rauber- und einigen anderen Gässen angebrachten Trottoire vor den Häusern, die Möglichkeit, wenn auch nicht guten Willen der übrigen Hauseigenthümer, geeignete Steine herbeizuschaffen. Man gewinnt bei dieser weisen Nachlässigkeit den Vortheil, daß man von einer Wohnung weg die Stadt in allen Gäßchen durchschreitend, sich ebenso ermüdet auf den Stuhl hinwirft, als nach einer Wanderung vom entlegenen Scheckel[7]; wo Sturm und Regen den Pilger leicht überfallen und seiner Gesundheit schaden können; was für herrlicher Vortheil! — Will man aber durchaus (besonders bei Regenwetter) ohne sich die Füsse auszutreten Besuche machen, oder in Geschäften herumgelangen: so sind zur Bequemlichkeit des Publikums wohlbespannte Fiakreswägen bereit, dem Befehle zu willfahren. Es sind deren 20, und wenn die Wege nicht so schlecht wären, so könnten sich (nach der Fußkraft der Grätzer zu urtheilen) bei 38,000 Einwohnern kaum diese erhalten.
[7] Berg, 4800 Fuß über der Meeresfläche erhaben, wird von Grätzern häufig der schönen Aussicht wegen bestiegen.
35Nun zum Körper: Die Stadt mit ihren schönen Kirchen, Rath- und ehrwürdigen Landhause, Burg, herrschaftlichen Palais, Säulen auf den Plätzen etc. ist noch, einige moderne Ziegeldächer ausgenommen, genau wie sie Dr. Sartori treffend beschrieb; nur Taliens Tempel (in der Hofgasse) hat sich verschönert dem vertilgenden Brande entwunden, er prangt im angenehmen Style, das Herz durch die Form schon einladend. Der Raum zur Zu- und Abfahrt ist ziemlich geengt, doch ist zu wünschen, daß er nie breit genug scheinen möge. Gegenwärtig war das Dach noch nicht vollendet; Seine Majestät beehrten aber dennoch den Musentempel mit höchst Dero Besichtigung. Ein höherer, ja unvergeßlicher Genuß, wird jedoch jedem gebildeten Reisenden die Prüfung und Durchwanderung des weit berühmten Johanneums seyn; welches Sonntags von 12 bis 3 Uhr für Jedermann, in Wochentagen aber Naturkundigen auf Ansuchen geöffnet wird. Groß ist die Erwartung, grösser wird sie bey Besichtigung des prächtigen, alle heimischen Merkwürdigkeiten einschliessenden Pallastes, (in der Raubergasse) doch übertroffen wird sie beim Eintritt. Ich fühlte an meinem Pulse das zehnfache Entzücken, welches einen Kenner beim Durchwandern dieser Heiligthümer ergreifen und fesseln muß, maß diese Wonne mit jener der Stifter — und meine Feder verstummt! Jedes Kunst- und Naturprodukt, jedes aufbewahrte Kleinod, sind eben so viele Trophäen zur Verewigung der Stände, und ihres würdigen Oberhauptes Erzherzogs Johann. Tage, Wochen, ja Monate könnte man verweilen, und Bruchstücke würde 36man nur vom Unermeßlichen bewundert haben. Mein zagender Fuß stritt mit dem hundertfach gefesselten Auge; vielfach wollte sich der Blick verschärfen, um Neues zu sehen, und doch nimmer das Gesehene verlassen.
Vier Zimmer sind für das Thierreich; als: Fische, Vögel, vierfüssige Thiere und Insekten bestimmt; dann andere vier Zimmer, worin die seltsamsten Mineralien, Versteinerungen, Kristallisationen, dann alle Holzgattungen in Bücherform, woran die Rinde den Ueberzug, das gehobelte Holz die Schatulle, und die Blätter, Blüthe, Samen und Wurzeltheile das Eingeweide ausmachen, aufbewahret werden. Das Herbarium, welches sämmtlichen kostbaren Schätzen würdig sich anreiht, läßt nichts zu wünschen übrig. Alle diese Naturerzeugnisse und eine ungeheuere Menge von aus Wachs kunstreich nachgemachten Obstgattungen jeder Art, sind innländischen Ursprungs. Das neunte Zimmer endlich oder vielmehr der Saal, enthält physikalische Instrumente und Apparate, nebst verschiedenen Modellen von Maschinen, u. d. gl.
Ich durchschritt zaudernd die herrlichen Gemächer, als ginge ich zum gezwungenen Grabe, und kam doch zu neuen und bezaubernden Schönheiten! Die Eisenblüthe, deren groteskeste Gebilde ich bewunderte, verdrängte der Anblick eines prächtigen Königsadlers, diesen ein sonderbarer Bergkristall aus dem Paltenthale, jenen ein ungeheuerer Bär u. s. w. man sieht umher, wohl überzeugt, zuviel für den Augenblick, zu wenig für die Zukunft gesehen zu haben; doch wird sich der Zoologe schwerlich eines lauten Ausrufs des 37Erstaunens entziehen können. Das Antiken- und Münzkabinet verdient nicht minder die Aufmerksamkeit des Besuchers, wenn er auch jenes zu Wien schon gesehen hätte. Der Garten, welcher in botanischer Hinsicht erst im Aufkeimen ist, läßt viel erwarten; die Bildergallerie aber, welche sich in der Neugasse befindet, wird gewiß Niemand unbefriediget verlassen. Neben dem Johanneum wird gegenwärtig ein neues großes Gebäude für die schöne Bibliothek eingerichtet.
Jeder wißbegierige Reisende wird sich überdieß durch die Gefälligkeit, Unterweisung, Humanität und tiefgewurzelte Kenntniß der dortigen Herrn Custoden auf das Angenehmste überrascht finden. — Wohl dem Schiffe, das mit solchen Leitern und Rudern ausgerüstet ist! was mangelt ihm noch, das Ziel zu erreichen? und es hat solches errungen, und zwar eher, als selbes erreicht zu seyn schien! — Doch wohin treibt mich meine Phantasie? ich will eine Reise, und keine psychologische Abhandlung entwerfen.
Das Haupt von Grätz, ich meine den Schloßberg, hat durch die bitteren Wunden des Jahres 1809 sein früheres Antlitz ganz verloren; doch gewinnt die Stadt durch dessen gemilderte Miene an Freundlichkeit ungemein.
Wenn ich auch annehme, daß es jammerschade ist, den Zeugen der Tapferkeit und Vaterlandsliebe treuer Unterthanen von übermüthigen Feinden rachlustig zerstören zu lassen; so wird mir doch Jeder beistimmen: daß es gewiß zur Seelenerheiterung dient, statt denen mit Unglücksmenschen, welche Erziehung 38und Schicksal zu Verbrechen geleitet, angefüllten Bastionen, nunmehr zierliche Gärten zu sehen, auf deren Höhe Grätz ihr Gutes und Angenehmes dem Besucher so gerne enthüllt. Kein Stöhnen und Kettengerassel der Arrestanten[8], bannet den sanfteren Menschen; Musik und muntere Ansprache bei erquickendem Getränke ladet auf der Höhe zum Frohsinn. Statt Palisaden reihen sich Obstbäume, statt Bajonetten — Blumenkohl. Schattige Rebengewölbe laden zur Kühle, wo einstens Batterien erhitzten. Kanonen sind zwar noch vorhanden, von der Bürgermilitz bewacht, zu besonderen Feierlichkeiten oder Anzeige eines Feuerausbruchs in der Umgebung bestimmt; aber keine Kugeln drohen über der friedliebenden Stadt, außer welche geübte Spieler mit kräftiger Faust dem Kegelbahn-Ziele hinsenden. Die Festung der Grätzer ist also dahin, aber die Einwohner haben sich jeder einzeln im Herzen eine Schanze erbaut, die kein Feind der Welt zu besiegen vermag. Der runde Glockenthurm, dessen Verschonung die Bürgerschaft denen Franzosen abkaufen mußte, und nun wie der Wiener Stephansthurm zur Feuerwache bestimmt ist, nebst einer geräumigen Zisterne, dem Häuschen für den Schanzwachmeister, und dem tiefer unten befindlichen viereckigen Uhrthurme, sind die einzigen Mauerwerke auf der breiten Berghöhe.
[8] Zucht- und Strafhaus befindet sich gegenwärtig in der Karlau, südlich von Grätz.
Gerne verweilt der Fuß, um dem Auge seinen schönen Tribut hier zu gönnen: Ringsherum an den Schloßberg Stadt und Vorstädte in holder Eintracht 39gedrängt; das frischgrüne Glacis durch gesunde Kastanienalleen in kleinere Felder zierlich getheilt, und westlich die dunkel hinströmende Mur, sind die Punkte, auf denen der Blick, von den bunten Ziegeldächern ermüdet, angenehm ausruht. Diesen nahen in paradiesischer Runde gutmüthige Dörfchen, bewinzerte Hügel und Meiereien mit Küchen und Obstgärten, dann schwere Kornfelder auf gedehnter Fläche bis zum Schloß Wildon im lachenden Süden, um ihren Reichthum der älter gebornen Freundin anzubiethen. Ueber alle diese Braven spricht die erhabene Wallfahrtskirche Maria Trost den Segen aus freundlichem Osten. Diesen zu sichern, Kraft und Würde zu verkünden, steht östlicher die kampflustige Heldin, Veste Riegersburg[9]. Vom Fuß bis zum hohen Scheitel wohl gepanzert, trägt sie die Waffen aus entwichenen Jahrhunderten, um noch die Feinde der Nachwelt zu erschüttern! — Weiterhin drängen sich bergige Wälder zusamm, frisch und mächtig, unwillkommenen Besuchern die Wege zu hemmen. Alles in der Ferne schon zu erspähen, erhebt nördlich sein Haupt zur Sonne der hochgeachtete Scheckel. Die Ruine Gösting hingegen, da Kraft und Jugend entschwand, 40will nun nimmer um irdische Reitze sich kümmern; wild über den Undank der Menschen, welche die alte Gränzhütherin nicht mehr benöthigen und zu vergessen scheinen, erhebt sie die Reste ihres zerstümmelten Körpers bleich aus waldigem Dunkel auf felsiger Spitze im Westen.
[9] Eine der festesten Bergschlösser des Alterthums und gewesene Schutzfestung gegen Ungarn, zwischen Feldbach und Fürstenfeld befindlich; wurde durch Katharina Galler Wittwe, geborne Wechsler und Freifrau zu Riegersburg 1597 im Baue angefangen, und in sechzehn Jahren vollendet. Sieben Thore, deren jedes einzelne eine Festung vorstellt, machte dieses Schloß in damaligen Zeiten unüberwindlich — Milde denken die Frauen, doch in männlicher Entschlossenheit gebähren sie Riesen!
Ich bin zu schwach, die Eindrücke alle zu entwerfen, welche auf dieser unbedeutenden Höhe so hochbegeisternd sich entwickeln, und überlasse es jedem Gefühlvollen, sich selbst eine Zaubergruppe davon auszuschmücken. Nur dem Kapuzinerberge bei Salzburg, der noch einen besonderen Vortheil besitzt, muß ich den Vorzug über diesen, und den ersten Platz unter Oesterreichs preiswürdigsten Hügeln einräumen; doch davon später.
Besonders erfreute mich zu Grätz der in Hauptstädten jetzt beinahe ganz vernachlässigte Unterschied der Trachten; wovon aber auch hier die Phrynen, welche auf das Allgemeine ohnedieß keinen Bezug haben, auszunehmen sind. Bescheiden hüllt sich das Bürgermädchen in die lieblich sie formende einfache Korsette, weißen Rock mit schwarz seidenem Vortuche, und eine sammtene Kappe oder gothische Haube deckt das geflochtene üppig sich hervordrängende Haar, ohne bei dieser einfachen Kleidung dem Anspruche auf den Rang einer Grazie gleich denen schimmernden Damen zu entsagen. Lieblich schweben sie daher die munteren frischwangigen blonden oder brünneten Mädchen, ohne von einer Städterin eine andere Spur, als die ihrer Bildung zu zeigen. Die Männer sind bei all ihrer Knochenstärke artig im Benehmen; bescheiden, Neuigkeiten 41zu erfahren, quälen sie Niemanden mit Fragen zu Tode, sondern überlassen es der Fremden Willkühr, zu sprechen, und dagegen — zu erfahren. Die feine und gebildete Welt mag sich wohl überall ziemlich gleich bleiben, nur fand ich hier weniger lächerliche Modesucht, und einen seltsamen Wunsch sich lästigen Höflichkeiten zu entziehen. Ein Beweis von letzteren mag der Befehl seyn, welchen eine Tafel auf der ständischen Allee (Glacis nächst dem eisernen Thore, von dem nun die Werke abgetragen und der Stadtgraben zugeschüttet wird), enthält, alles Hutabnehmen daselbst zu unterlassen. Ein anderer Promenadeort ist der Merscheingarten, ein flacher Platz mit großen Lindenalleen durchflochten, der mir jedoch keinen Beifall abgewinnen konnte. Besser gefiel mir der Rosenhain, dessen zunehmendes Alter ihn nun schöner kleidet, als da er zwanzig Jahre jünger gewesen, wo er von Reisebeschreibern sehr getadelt wurde.
Ungemein angenehm, besonders für Fremde, ist ein Spaziergang auf der gedeckten Murbrücke[10], welche auf drei hölzernen und einem steinernen Pfeiler (Joche) ruht. Bei Tage, und Abends mit guter Beleuchtung, passieren hier immer Menschen; viele kaufen etwas von den in eng angereihten Hüttchen hier feilgebothenen Waaren, andere gehen in Geschäften nach Stadt 42oder Vorstadt. Ich glaube, man könnte hier in einem Tage die Hälfte aller Einwohner von Grätz ersehen, was besonders bei regnerischem Wetter, wo der Fremde bloß auf Kaffeh- oder Wirthshäuser gebunden wäre, nicht unwillkommen ist. Mitten auf der Brücke sind zwei Altanen zum Ueberblick der reissenden Mur, an deren Ufern sich die thätigen Hände der Gärber, Färber und Schiffsleute, welche ein- und auspacken, recht lebhaft darstellen. Weiter unten befindet sich die ungedeckte oder sogenannte Neuebrücke, welche die Jakomini-Vorstadt mit dem Gries verbindet. Die Murvorstadt ist zwar die belebteste, aber gewiß nicht die solideste.
[10] Leider ist jene durch die im Frühjahre 1827 stattgehabte furchtbare Wasserfluth sammt den aus festen Quadern sie stützenden Ufersaume abgerissen, und nur einstweilen durch eine schlichte Nothbrücke ersetzt worden. Noch ist ungewiß, ob und was für eine andere Brücke für die Zukunft das Lob der vorigen erringen wird.
Nun wandere ich zum Kalvarienberg, westlich von Grätz auf einem pyramidenförmig isolirten Fels knapp an der Mur befindlich. Der Weg sowohl als der 125 Fuß hohe Berg sind herrlich, und geschaffen, das Gemüth des Wanderers zu sanften Gesinnungen zu stimmen.
Einstens soll dieser Fels einen Wartthurm getragen haben, 1606 aber errichtete Bernhard Walter, Oberststallmeister des Erzherzogs Maximilian Ernest, zuerst ein Kreuz darauf; 1764 warf es der Blitz herab; darauf bekam das wiedererrichtete, gegenwärtiges Cronographicum:
fVLMen DeIeCIt
CongregatIo reparaVIt.
Sonntags den 21. August war Feuerwerk im Pumperwaldel, (Prater, der aber mit jenem zu Wien gar keine Aehnlichkeit hat, außer daß einige Bierschenken 43und Kegelbahnen vorhanden sind); ich besah es, konnte mich aber nicht wie Tags vorher im Grätzer-Aushülfstheater (in der landständischen Reitschule) der aufgeopferten Zeit erfreuen.
Die Tage flohen wie herrliche Stunden; Freunde und Gefilde täuschten mich herzlich; deren Wonnegaben verkostend hätte ich bald jeder ferneren Reise entsagt: hätte nicht ein Blick auf die mitgenommene topographische Karte meinen schlummernden Willen erweckt, und schnell mich zur Abreise gerüstet. Ein herrlicher Morgen vergoldete mir die Hoffnung einer lieblichen Wanderung; Grätz schlummerte noch, schlummerte wie das edle unschuldige Mädchen — schmucklos in höchster Pracht, ohne Arglist von Feinden zu besorgen. Ausgebreitet lag es harmonisch auf herrlicher Flur, von den spähenden Thürmen und grünenden Bergen begrüßt; kein neidischer Nebel entzog etwas der reitzenden Gestalt, noch suchte schwelgerischer Rauch zu verbergen, was es so liebenswürdig macht. Gesunde Luft spielte sanft mit den Blättern der Bäume, als wären sie Locken der Schönen, damit dieser anmuthige Wirbeltanz höheren Schmuck noch verleihe. Die immer wachsame Mur durchlief die Stadt mit zunehmender Schnelligkeit, als wollte sie Versäumtes ereilen, oder den Weg verkürzen. Geschäftige Schwalben umzogen sie neugierig, um eigene Schönheit im wässrigen Morgenspiegel zu schauen; erfreut ob schmeichelnder Empfindung, zollten sie singend dem Schöpfer freudigen Dank. Es war ein Bild zum Entzücken, welches nur die Erinnerung von wahrer Seligkeit trennte: daß nicht alles Beglückende ewig dauere, 44und nur öfter so ein ähnlicher Augenblick mondenlange Schwermuth versüße, um bald wieder neues Mißgeschick erträglich zu machen. »Lebe wohl, geliebte Freistadt des Vergnügens und der Anmuth! lebe wohl, du neueres Eden! lebet wohl, ihr selbes bewohnenden Seelen!« sprach ich innigst gerührt dem stummen verlassenen Städtchen, und zwang den unwilligen Fuß,
Höh zu erreichen; denn es war mir unmöglich von Grätz zu scheiden, bevor ich nicht abermal die liebgewonnene Ruine gesehen. Schon stärkte sich hie und da in genügender Hütte der thätige Landmann zur erwartenden Arbeit; der Hahn vom Morgenrufe ermüdet, suchte ein Frühstück am Felde, der Karren polternd Getöse neckte den wachsamen Haushund; ein Tag war wieder geboren! Minder unbekannt mit dem Bergpfade schien dießmal die Höhe sich gemindert oder der Freundesbesuch die Mühe erleichtert zu haben; der Thau träufelte sein erquickend Naß, Blumen und Kräuter dufteten Aroma — frisch stand ich neben dem zerfallenen viereckigen Thurme, dessen Näherung so Manchen einst Tod bringend war. Traurig verbürgen die verstümmelten Gemäuer jedem Feinde zu unterliegen: doch kein Wurfspieß fliegt nach der Stürmer Brust, kein Steinkorb zerknackt die jugendlichen Glieder; aber ein Schuß rauschte durch die Mooswände, ein zweiter donnerte nach. Lustig sprang der Jäger herbei, weil es ihm gelungen, das Leben harmloser Thierchen, zweier Wildtauben! die kosend sich 45ihr Glück mittheilten, mit einem Rucke zu rauben. Ich sah diese liebegierigen Luftbewohner unten auf einer Fichte sich küssen, ohne deren Mörder zu ahnden. So in Liebe und Lust sind auf dieser Veste schwerlich Mehrere gestorben! Der Bursche kam mit seiner Beute zurück und erzählte mit vieler Geschwätzigkeit, wie der Besitzer Graf von Attems und seine geladenen Gäste sich hier zu restauriren pflegen, wenn sie rückkehren von der Jagd, die im Umkreise auf Federvieh und Hochwild sehr ergiebig seyn soll. In der That möge hier ganz im Geiste der Vorzeit, wenn der forstkluge Ritter heimkehrte von ermüdender Jagd, eine Bouteille Marwein und ein Stück Rehkeule nicht übel behagen. Erschöpft in der rüstigen Unterhaltung der Alten, geschützt vor Sonne und Wind durch deren Schloßtrümmer, muß man nothwendig auch ihrer Manen gedenken, und dann für die Edlen, welche nach 800 Jahren ihren Nachkommen noch den Nutzen beharrlicher Baukunst bewiesen, ein volles Gläschen anstossen. Leider konnte ich dem freudigen Wunsche nicht willfahren, ebenso wenig den blutgierigen Jagdgesellen zu längeren Waffenstillstand bewegen, der mit der Versicherung »seinem Gebiether noch eine erfreuliche Ausbeute zu verschaffen« im dichteren Walde verschwand. Ich war sonach allein und unterhielt mich mit den Besuchern, deren einstiges Daseyn hie und da die glatteren Wände verkündeten. In der That eine ganz artige Besatzung; Bekannte darunter, wovon einige schon seit Jahren Europas Gränzen überschritten, standen hier nun als Fremdlinge in der Heimath. Mein Gruß folgte denen Rastlosen, die in entfernten 46Zonen oft vergebens zu erstreben suchen, was sanftmüthiger der vaterländische Boden gewährt. Aber auch die berühmten Insassen wurden nicht vergessen, welche von Leuthard den ersten Ritter von Gösting im eilften, bis zu deren Aussterben mit Wülfing im vierzehnten Jahrhunderte, in ihren Familien so denkwürdige Männer aufzuweisen hatten. Da hauste Swiker von Gösting, welcher mit Ottokar den V. Steiermarks Waffenruhm hob; Arnold, dessen Blitze schleuderndem Schwerte der Hunnen tollkühne Raubsucht entfloh; Mogay, der das ritterliche Ansehen im wildesten Gaue zu höhen wußte; Ranald, Herwad, Erich und Andere die ihrer Ahnen würdig sich zeugten! — Kein Winkel des Schlosses blieb unberührt von ihren Eisenfüssen, deren fester Tritt mit der Festigkeit ihrer Gesinnungen sich einte. Kein flehender Widerspruch konnte den Mann erweichen, der Scharen von Feinden zu weichen verlernte. Dieses gleich stolze und heldige Gefühl hatte aber auch dem letzten Göstinger sein einzig Kind getödtet: Zornentglüht, daß die Tochter es wagte, einen Anderen, als den vom Vater ihr Bestimmten zu wählen, erlegt Wülfings schwerer Arm den unglücklich Geliebten im Zweikampf; Anna, über des Vaters gräßlichen Sieg rasend, springt in die Tiefe der Felsschlucht; dennoch war Wülfing nicht hart genug, den Tod der Tochter zu überleben — beide sanken, Anna durch die Grausamkeit des Vaters, dieser durch die Verzweiflung der Tochter ermordet, in die Grube.
Diese Tragödie hatte ganz natürlich zu damaliger 47Zeit die wunderlichsten Spuckgeschichten zur Folge, die sich noch bis zum vorigen Jahrhunderte fortpflanzten, und eine Menge Geisterbeschwörer und Schatzgräber herbeilockten, welche dann mit Fackeln Nachts die Ruinen durchwandernd, von den nahen Dorfbewohnern jedesmal wieder für Unholde erkannt wurden. Nun durchzieht die lockeren Hallen nur noch der zudringliche Wind, dessen wunderliche Töne bald einen muthigen Schlachtmarsch, bald einen düsteren Trauergesang anzustimmen scheinen: während einige Fichten und Birkenstämme dazu das Zeugniß gebend, bereitwillig das Haupt neigen.
Der südliche Theil der Veste, welcher mehr erhalten als der nördliche ist, besitzt noch einen unterirdischen Gang; verborgen in einem Thürmchen zwischen zwei Bogenwänden, gähnt der dunkle Schlund, den früher vermuthlich eine Fallthür bedeckte. Ich stieg hinab, mußte aber um weiter zu kommen eine Menge Steine wegräumen; der Gang ist im Felsen gehauen, und führt einige Klafter unter dem Schlosse hinweg, dann ist jede Spur seiner ferneren Richtung verschüttet; doch soll er einst das eine Stunde entlegene Schloß Thal mit diesem verbunden haben. Von dem wenigen Gemäuer des Schlosses läßt sich nichts sagen, weil es ohne alle Vorzüge anderen verfallenen Burgen gleichet: desto mehr dürfte die Aussicht eine Lobrede verdienen, wenn nicht der Grätzer-Schloßberg schon den Preiß davon getragen hätte, und Wiederholungen wenig geänderter Gegenstände ermüdeten. Etwas Besonderes gewährt jedoch der Hinabblick auf den doppelten Abfall der Mur unter der Weinzettelbrücke, 48welcher die Flösse unwiederbringlich zu verschlingen droht; ebenso die finstere Bergschlucht mit der Ruine
wie die Landleute sie zum Gegenstück des mit St. Anna betitelten Schlosses Gösting gemeiniglich zu nennen pflegen.
Begierig diese versteckte Ruine auch zu besehen, wanderte ich den Schloßberg waldeinwärts hinab. Die Thalfläche welche mich nun fortleitete, trug so ganz den Stempel der Melancholie. Von hohen Waldbergen eingeengt, zwischen denen nur ein elender Holzweg und rieselndes Bächelchen sich öfters durchkreuzend ihre Bahn verfolgen, kommt man endlich zu einer einschichtigen Mühle, deren düsterer Besitzer den Bach dürftig benützt. Tiefer Morast das Gebäude umzäunend, erschwert den Eingang in selbes, und bannt dem Müller noch vollends jeden erfreulichen Gruß und Willkomm; er scheint dieses zu wünschen, und verpestet darum sich Luft und Gesundheit. — Endlich lichtet sich die Schlucht, aber nur um das Wilde einer regen Phantasie zu erhöhen. Die Berge treten etwas zurück, aber keine lachenden Fluren — ein stinkender Sumpf vom Schilfe strotzend, in dessen Eingeweide sich Kröten und Ottern tumeln, breitet sich aus, ober ihm ein Teich, ersterem fast ähnlich, aber doch wenigstens von Wasserhühnern und Wildänten etwas belebt; einige Buchen umgürten seine Ufer, und rechts im Hintergrunde grinset aus waldigem Dunkel wie ein Todtengerippe, die Ruine 49St. Jakob oder Thalburg. Ehe man seinem Hügel naht, muß man den Erddamm überschreiten, der sich gleichfalls keines allzuguten Zustandes erfreut. Endlich gelangt man zu dieser von Menschen und Zeit gleich zernagten Veste; eine Ringmauer und wenige Steintrümmer, ohne Spuren von Gewölbern oder unterirdischem Gange, sind die ganzen Dokumente eines ehemaligen Rittersitzes, welchen überdieß noch zahlreiche Birken bald gänzlich unter ihren Schatten zu begraben versprechen: und dennoch wird ein einzelner halb verfallener runder Thurm an den noch eine eigennützige Hand etliche Breter opferte, von einer armen Familie bewohnt. Ich erstaunte über die Möglichkeit eines sicheren Obdaches; da wies mir das bleiche Weib auf einen nahen Mauerklumpen: »Freilich ists hier nicht gut wohnen, erst gestern während des Sturmes hat mir dieses herabgefallene Stück meine einzige Ziege erschlagen, ich bin nur froh, daß Nan’l (auf eines der fünf Kinder zeigend) nicht auch getödtet wurde, welche nahe dabei schlief.« Rührende Mutterliebe! welche gerne die letzte Habe verliert, wenn nur das Glück erübrigt, mit der ganzen Anzahl ihrer Theuren darben zu können. Ob durch Unglück oder Schuld diese Kummerfamilie hierher verbannt wurde, gleichviel! sie erregt Mitleid und macht den Besuch edelmüthiger Grätzer hierher wünschenswerth. Freundlicher ist nordwestlich die Aussicht in ein kleines Thal mit mehreren Häusern und einer Kirche, welche zusammen die Gemeinde St. Jakob ausmachen; die überblickenden Schneegipfel der Stub-, Rack- und Polsteralpen geben ihm etwas ungewöhnlich 50Erhabenes. Das schöne Försterhaus ist gegenwärtig unbewohnt, und ich glaube, der Weidmann wird sich im lieblichen Eggenberg dafür hinlänglich entschädigt fühlen.
Die ersten Erbauer dieses über ein Jahrtausend alten Schlosses sind gleich ihren Thaten der Geschichte entschwunden; doch — darf man einigen Klosterurkunden von späterer Zeit trauen, so starben schon um Karl des Grossen Zeiten einige Ritter von Thal den Heldentod. Ausdrücklich benannt werden im dreizehnten Jahrhunderte Friedrich Erich und Otto von Thal, von denen Letzterer entweder durch besondere Krieg- oder Jagdlust den Beinamen der Rauhe sich erwarb. Freundschaft und Blutsverwandschaft verband fortwährend die Ritter von Thal mit denen von Gösting. Im sechzehnten Jahrhunderte besaßen es die Ritter von Windischgrätz, dann Freiherrn von Waldstein, im siebenzehnten die Freiherrn von Eckenberg, und gegenwärtig Herr Graf von Herberstein. Tapfer widerstand diese Veste 1602 Kaiser Ferdinand des II. muthigen Kriegern, als die verwittwete Hipolita Freiin von Windischgrätz und Waldstein den lutherisch reformirten Prediger Paulus Odontius daselbst nicht ausliefern wollte. Die Veste sank, aber einem solchen Sieger zu unterliegen, hieß nicht unrühmlich kämpfen und fallen! — Seine Zerstörung soll es 1683 durch die Türken erlitten haben, die raublustig vertilgten, was hochherzige Sieger verschonten.
Ich wanderte den mir erklärten Fußsteig nach
anfänglich ebenfalls neben einem Sumpfteiche, dann führte mich bald der Pfad aufwärts in den jungen Wald. Fürchterliches Gekrache erschütterte den festen Boden, schwarzer Dampf zog in dichten Wolkengestalten über die Wipfel der Bäume — ich nahte dem Steinbruche, welchem durch Pulver die Grätzer-Pflastersteine abgezwungen werden; unwillkührlich dachte ich an das Sprichwort »viel Geschrei um geringe Wolle.«
Zu Eggenberg durchschritt ich den oft beschriebenen Graf Herbersteinischen Park; möge hier immerhin die Grätzer lebensfrohe Welt an Sonn- und Feiertagen Erholung finden; desto weniger scheint ein Wochentag dieselbe verschaffen zu können; Menschenmangel, und die Ueberzahl von jämmerlich zugeschnittenen Bäumen, welche kaum sich, vielweniger den Besucher vor drückender Sonnenhitze verwahren, bannen den Einzelnen nur zu schnell von dannen. Zweckmäßiger ist jedoch das Schloß gebaut und eingerichtet.
Eine schöne Kastanienallee führt nach Grätz zurück; doch nicht dieser sanften Einladung folgend, sandte ich nur noch dankbare Rückblicke dieser unvergeßlichen Stadt, und wanderte dann frohen Muthes auf ebener Fläche nach Straßgang, wo ein kleiner Hügel zur Rechten die Gnadenkirche St. Florian trägt. Früher sieht jedoch von der höchsten Waldspitze rechts die Wallfahrtskapelle St. Peter und Paul auf den Wanderer majestätisch herab. Auf 52diese Art von den heiligen Hallen sattsam besehen, darf man sich schon getrost in den dunklen Wald wagen, durch welchen eine gute Fahrtstrasse den Pilger in einer Stunde nach
leitet. Dieses aus neun Häusern bestehende Dörfchen, dem eine Badquelle Ursprung und Namen erwarb, so unansehnlich und verborgen es in einem Waldkessel liegt, soll doch eine besondere Einwirkung auf Kranke besitzen; ich konnte aber nicht erfahren, ob diese in wunderbarer Hebung des Krankheitsstoffes oder baldigem Tode bestehe? erstere möge wenigstens dem Gebrechlichen so lange Trost seyn, bis Schwermuth als natürliche Folge dieses quälenden Wohnortes, letzteren herbeizieht. Indessen soll den Frauen, welche sich der Unfruchtbarkeit beklagen, dieses Bad als Remedium dienen.
Eine Strecke noch dauert der Wald, dann treten ergibige Kornfelder hervor; malerisch erhebt sich über deren grüner wie sanfte Meereswogen schaukelnder Fläche, nach fünf Viertel Stunden das Dörfchen Lanach, gleich einem im gesegneten Ocean schwimmenden Schiffchen. Der Baron Mandl hat in seinem schönen Schlosse daselbst genug Gelegenheit, den Zauber seines Besitzes zu übersehen.
Die Gegend gewinnt an Wärme — abwechselnde Hügel und Berge machen die Wanderung noch heisser. Die Oertchen Heuholz, Teipl und Roßegg, aus wenigen Hütten bestehend, würde ich kaum nennen, wenn nicht ihre Lage sie zu Ehren brächte; Weinranken 53umwinden die Häuser, deren Most[11] zwar nicht unter den guten zu rechnen ist, aber demohngeachtet den ländlichen Schmuck vervielfacht.
[11] Sogenannter Schilcherwein, von blaß rother Farbe, läßt sich ein, kaum zwei Jahre erhalten, und wächst in der Umgebung bis Kreuzegg; die Maß kostete 1825 12 kr. W. W.
Beim Dörfchen Pichlin sah ich die ersten Maisfelder (Türkenwaiz), welche mit Kürbissen begränzt, nun wenig unterbrochen bis Völkermarkt fortwährend, und Menschen und Vieh die genügendste Nahrung sichern. Der Markt
dessen gleichnamiger Bach einige Müller und Lederer beschäftigt, besitzt rechts auf einer Anhöhe ein nun aufgehobenes ehemaliges Augustiner-Chorherrnstift, dem ein infulirter Probst vorstand, und das nun als Kaserne zum Theile benützt wird; Leutold von Wildon hat es 1229 gestiftet, Kaiser Joseph 1785 aufgelöst. Mehrere wohlhabende Fleischer sind hier zugleich Viehhändler und Gastwirthe; einer von ihnen erzählte mir, während ich mich etwas restaurirte, wunderliche Geniestreiche von den berüchtigten Gaunern (sogenannten Stratafiseln) welche die friedlichen Gebirgsdörfer mit ihren Besuchen seit einiger Zeit erschrecken, und obgleich schon mehrere von jenen eingefangen wurden, noch immer diesem Bezirke gewogen bleiben[12]. Ich konnte dem 54Erzähler etwas Glauben beimessen, weil ich vor einigen Tagen zu Grätz zwei dieser Schurken durch den Strang hinrichten sah; allein, mir deßhalb nach seinem Anrathen einen tüchtigen Führer mitzunehmen, schien, wenn nicht lächerlich, doch ganz unnöthig.
[12] Den lobenswerthen polizeilichen Vorkehrungen der Regierung ist es nunmehr gelungen, jene Unholde in der Wurzel auszurotten.
Ich verließ nun, ohne die gutmüthige Warnung ganz zu vergessen, die Fahrtstrasse; ein schlechter Feldweg über eine Sumpfwiese führte mich in drei Viertel Stunden zu einigen Häusern des weiten Bergthales, Graschuch genannt, und dann neben Mais- und Kürbisfeldern bald nach
einer aus 29 Häuschen bestehenden Gemeinde. Die Gegend war eben nicht schön, aber milde zu nennen; frischgrüne Hügel trugen auf ihrem lockeren Rücken Befriedigung der Sorgen vor quälenden Winter; ein Bach, unschädlich den Ufern und strotzenden Saaten, schleicht unter Schilfrohr und Weidenbäumen ruhig dahin; glänzend spielt hie und da bei Tage eine breitere Fläche desselben, doch kein Murmeln verräth ihn, sobald sich die Sonne ins Meer getaucht; einzelne Linden und Ahorn locken den Wanderer in ihren wohlthuenden Schatten, ohne ihm dafür die Irrwege eines Forstes zu bereiten; die Häuschen schon ganz aus Holz gebaut, zeigen deutlich, wie geringer Besitz zum stillen Glücke hinreiche.
Außer Lasselsdorf beginnt der Wald, bejahrt und düster wie des Menschen gewöhnliches Ende; ein tiefer Hohlweg macht den Anfang — so tritt man ungewiß ins Leben. Bald theilt sich der Pfad, ich wählte 55den verläßlichsten links, benöthigte aber anderthalb Stunden, bis ich dem Dunkel mich entwunden wieder das Freie erblickte. Schon sah ich einzelne Hütten im Thale glänzen, und hörte das Rasseln eines bergab holpernden Karrens; wohlgemuth wollte ich mir im Gebüsche ein Stündchen Ruhe gönnen; doch kaum etwas eingeschlummert, als mich das Gebell meines Hundes erweckte. Mit lästigen Gedanken schwanger, glaubte ich beim Anblick dreier mit derben Knitteln bewaffneter Bauern nichts sicherer, als einige der ungebethenen Gesellschafter zu erblicken; schnell aufspringend fragte ich nach ihrem Begehren; sie aber schenkten mir kein Gehör, traten zurück, und pfiffen, daß mir der Schall durch Mark und Blut wirbelte. Ich wollte mich aus dem Staube machen, nun kamen aber noch drei und verwehrten mir die Passage; diese Anzahl schien zwar für gewöhnliche Schelmen zu viel, demohngeachtet konnte ich aber noch immer nichts Gutes vermuthen, weil sie mir befehlend zuriefen, mich und die Büchse zu übergeben, und dabei meinen treuen Hund, der indessen einen tüchtig zu Boden warf, so in die Enge brachten, daß ich für sein Leben fürchtete. Die aufgehobenen Stöcke, die nun auf mich blitzten, zwangen mich zu der drohenden Betheuerung: daß ich denjenigen augenblicklich niederschiessen würde, welcher sich eine Gewaltthat gegen mich erlaube; dagegen wolle ich wissen, wer sie wären, und was sie mich so anzufallen berechtige? Der ernste Ton, ein Holzstoß der mir den Rücken deckte, und Duna zum neuen Angriffe bereitwillig, brachte die Tölpel zur Sprache: Sie seyen, antworteten sie, von der 56Gemeinde zur Aufbringung verdächtiger Leute in der Umgebung beauftragt, und ich müsse ohne Wiederrede meinen Paß ihnen vorweisen. Unter anderen Umständen hätte mich, der ich erst heute von Grätz abging, und weder in Kleidung noch Gewerbe einem gefährlichen Menschen ähnlich sah, solch ein Argwohn nicht wenig erbittert; nun aber belächelte ich dieses Mißverständniß, und froh, durch Willfahrung allen nachtheiligen Streit zu heben, übergab ich das Verlangte. Zum Glücke erkannte einer dieser Knittelritter Unterschrift und Siegel der Grätzer-Polizeibehörde, und erlaubte deßhalb, nachdem er mich noch mit einigen langen und breiten Blicken seiner Einsicht begnädigte, meine Reise ungehindert fortzusetzen. Die Ermahnung »mir ja keinen fremden Menschen zum Begleiter anschließen zu lassen« schien er als wohlthätiges Salz über das unzuverdauende Frühstück, welches mir zugedacht war, gratis zu ertheilen.
Zufrieden, dieser lästigen Sauvegarde enthoben zu seyn, wanderte ich nach
Bei diesem Dorfe hielt ich das neue Schloß mit seinen vier Thürmen nicht der Besichtigung werth; ebenso wenig Reitz hatten die Gemeinden Groschach, eine halbe Stunde davon Katzelsdorf, dann über einer Berghöhe Wies; schlechter Feldbau, Waldverwüstung und unbeträchtliche Viehzucht geben kein gutes Vorurtheil von den Besitzern. Die Gemeinden Pölsing, Brunn, Jägernegg, im Marburger-Kreise liegend, gehören zur Herrschaft Purgstall, und sind etwas mehr gepflegt.
57Zu Altenmarkt, einer kleinen Gemeinde auf einem Waldhügel zerstreut, überraschte mich der Schall mehrerer musikalischer Instrumente, deren wohlklingende Töne mehr als gewöhnliche Dorfstümpler verriethen. Meine Vermuthung ward realisirt, als ich bei einer hölzernen Weinkeusche neun böhmische Musikanten erblickte, die auf ihrer Brotreise nach Triest um mäßige Nahrung zu musiziren pflegen, und hier eben von einem Kornhändler aufgefordert, desto williger Folge leisteten. Der nahende Abend, die abgeschiedene Gegend, das sanft verhallende Echo in den sich kreuzenden Thälern, endlich die wohlgewählten Musikstücke, erweckten einen so süßen Zauber, den kaum der Genuß des saueren Weines und zähen Bockfleisches etwas mässigte.
Zu Eiberswald, einem ansehnlichen Markte mit vielen Wirthshäusern, beschloß ich meinen heutigen Marsch.
Von Eiberswald leitete mich folgenden Morgens ein schlechter Fahrtweg zum
Eine dreifache Bespannung konnte daselbst einen Weinwagen nicht zur Höhe befördern; Geschrei und Hiebe der Kutscher bezweckten nichts bei den armen Thieren. Ich verwünschte die Nachlässigkeit, welche auf Nebenstrassen meistentheils die Gebirgswege ganz verwahrlosen läßt, die doch um so mehr Pflege bedürfen, je mehr sie Gewitter und Radschuhe zernagen. Ein egoistischer Fußgeher darf sich zwar weniger darüber beklagen, da der untere Theil des Berges von schönen 58Buchen beschattet, ebenso leicht zurückzulegen ist, als den oberen ein angenehmer Fußsteig erträglicher macht. Auf dem Gipfel des Berges steht ein hölzernes Bauernhaus, worin man sich, wem das Quellwasser an der Straße nicht behagte, bei einem Glase Wein, Stück Schaffleisch und schwarzen aber gesunden Brote erquicken kann. Eine Gallerie welche aus dem Stockwerke herausführt und vom Dache zugleich bedeckt ist, gewährt die herrlichsten Uebersichten. Wälder und Berge schmücken sich im jungen Roth des heiteren Morgens; hie und da blicken Thürme und Häuschen hervor, wie einzelne Schildposten ihrer Gemeinden; links prangt auf waldiger Spitze nahe das Kirchlein St. Johann, ein Trost in den Stürmen des Winters, die öfter zu feindlich hier wüthen; in blauer Ferne erkennt man den Zauberkessel von Grätz, dessen Schloßberg kaum als Hügel erscheint. Ich wendete mein Fernrohr nach allen Richtungen, und immer schöner pries ich das neu gewonnene Bild; der biedere Aelpler freute sich mit, daß ich seinen Wohnsitz so schön fand, und rief die Familie herbei, damit ich derselben erlaube, durch das Zauberglas auch alles besser zu besehen; ich überließ es den Kleinen, welche es verkehrt und von beiden Seiten zugleich gebrauchten, nichts sahen, und sich höchlich freuten, daß alles so prächtig erscheine. — Was doch der Glaube für Wunder entbildet!
Mit dem frugalen Frühstück zufrieden, verließ ich den biederen Wirth, der nie in Städten rechnen lernte, und wanderte nun Thal ab; der Wald endet bald, Wiesen und Heidekornfelder reichen sonach bis
hinab. Weit dehnt sich der Markt in die Länge; die Ruinen eines Frauenklosters, dessen Thurm dem eines Ritterschlosses ähnelt, geben ihm etwas Ernstes. Mährenberg besaß einst eine alte Veste, in der Hartneid von Mermperch 1199 lebte; sein Enkel Seyfried stiftete 1221 das nun hier in Ruinen liegende Nonnenkloster des Dominikanerordens; dieses war 1251 vollendet, und dauerte bis 1780, wo es abbrannte, und dann nach zwei Jahren für immer aufgehoben wurde.
Außer Mährenberg erblickt man die Drau, deren lichtblaue Wogen rasch wie die Wünsche des Jünglings ihrem hohen Geburtsorte[13] enteilten, um als ermüdeter Greis trübe und langsam bei Almasch in der gewaltigen Donau den eigenen Lauf zu beschliessen. — Alles verschlingt jene Mächtige, um mit gehöriger Würde sich dem Meere zu vermählen.
[13] Tirol, bei Iniching im Pusterthale, aus zwei Seen und mehreren Bergbächen.
Rechts neben der Poststrasse, die nun von Mährenberg nach Klagenfurt führt, und durch an beiden Seiten fortwährende Heidekornfelder gewiß Jedermann langweilt, verlasse man das ermüdende Einerlei, und wandere beim Markte Hohenmauth in die Bergschlucht hinab. Ein Bach, mit der Last abgestockter Waldberge beladen, trägt daselbst mit wilden Gekrache die 60sich reibenden Baumstämme zu dem trotzenden Rechen. Hände und Karren sind dort geschäftig, die Hölzer aufs Trockene zu fördern; seitwärts dampfen Meiler, unergründbar durch schwärzesten Rauch, im Hintergrunde wirbeln Hämmer, und Feuersäulen steigen umwölkt zur Höhe, als hätten sich jüngstens Vulkane geöffnet!
Wer nicht schon in Vordernberg gewesen, müßte hier den Herrschersitz des Plutus und der Cyclopen ahnden. Man besieht daselbst die Hammerwerke und Blahhäuser, wo in letzteren das geronnene Erz Wasser-ähnlich fließet; der vernichtende Stahl, dessen Hauch itzt schon Tod zu bereiten scheint, dem aber ausgedörrte Arbeiter Trotz biethen, und fortwährend ihre langen mit Eisen beschlagenen Stangen zur Abstreifung der Schlacken vom reineren Erze benützen, ist hinsichtlich seiner Qualität nicht von dem anerkannten Werthe, als jener der Innerberger-Hauptgewerkschaft.
Nebst dem Halurgen findet auch Botaniker und Zoologe reiche Ausbeute für sein Studium, in den Klüften der ungeheueren Wälder und Gebirge, welche sich am Feising- und Wölikbach nordöstlich ausdehnen. Weniger bei der zunehmenden Träufe dazu gestimmt, wanderte ich auf der Straße zu einem dieselbe umspannenden Thorbogen (Klausen genannt).
Dieses aus rohen Steinen längst aufgeführte Mauerwerk, bildet die Gränze Steiermarks und Kärnthens. Rechts und links erheben sich nun die Vorläufer 61hoher Gebirge, zwischen denen nur für die enge Fahrtstrasse und tosende Drau die Pfade hinlaufen.
Das erste Häuschen Kärnthens, nächst dem Thorbogen, macht gleich für den Fremdling den widerlichsten Eindruck. Eine arme von Schmutz und Kröpfen ganz entstellte Familie darin fleht die Vorbeireisenden um Mitleid, man fürchtet, und erblickt dann wirklich bald darauf mehrere Aehnlichkeiten, Kinder laufen herbei und suchen mit halsbrecherischen Bockssprüngen dem Wanderer Vergnügen zu gewähren und Geld abzulocken.
Am jenseitigen rechten Ufer der Drau blickt das alte Schloß Puchenstein abentheuerlich herüber. Nicht allzugroß an Umfang, konnte es doch leicht in dieser Häuser-armen Gegend Glanz und Würde verbreiten. Weder Schiffer noch Kahn konnten meinem Wunsche verhülflich seyn, das Schloß zu besichtigen.
In halber Stunde erreichte ich
Ein Brand hatte kürzlich mehrere Häuser vernichtet, Manches lag noch wild und wüste durcheinander und entstellte den ohnedieß unansehnlichen nur eine lange Berggasse bildenden Markt. Rechts auf glatter Felsenhöhe trauern die Trümmer der alten Veste. Ihr Umfang muß noch kleiner, als jener von Puchenstein gewesen seyn. Von dem wenigen Gemäuer hat sich noch ein viereckiger Thurm erhalten, der von Laubholz schön begrünt dasteht. Die Seitenmauern, welche bei jedem Lüftchen den Einsturz drohen, sind 62durch Schatzgräber so Verderben-drohend geworden, weil vor 20 Jahren ein armer Handwerksbursche, durch Geldmangel zu einem Nachtquartier in denen damals noch einigermassen Schutz gewährenden Hallen gezwungen, einen Fund von bedeutendem Werthe soll gemacht haben. Ob, wenn ja ein Bursche plötzlich zu Gelde gekommen, diese Ausbeute eben nicht List von dem vorgeblichen Finder gewesen sey, sich strenger Untersuchung zu entziehen, kann ich nicht untersuchen; genug, den Mauern ließ man es entgelten, daß sie einem Fremden so leichtfertig Schätze überließen. Das Schloß Unterdrauburg sammt dem Markte hat einstens denen berühmten Rittern von Auffenstein gehört; als aber Friedrich, der letzte dieses Stammes sich wider den Landesfürsten empörte, nahm das Reich davon Besitz.
Leider mußte ich nun bei den schlüpfrigen Feldwegen, welche durch die zunehmende Nässe sich noch verschlimmerten, die lästige Fahrtstrasse fortwährend wählen. Es war auch eine der abgeschmaktesten Promenaden, im Kothe Berg auf und ab, durch einzelne Wälder, die nichts Sonderliches darbothen, immer fortzuwandern; auch kein Erholungspunkt an der links sich hinwälzenden Drau, kein Kahn darauf, kein Vogel in dem Nebel-umflorten Haine ließ reges Leben verspüren; selbst das heilige Dreifaltigkeits-Kirchlein, so passend es rechts einen Felsen krönt, konnte bei seinem düsteren Schweigen nichts weniger als Ermunterung spenden. Endlich hatte ich
erreicht; ich staunte, einen Markt zu sehen, welcher jedem Städter als Exil Furcht einjagen müßte. Wenn ich ihn mit einem Dorfe um Wien vergleichen wollte, so müßte ich mich, die österreichischen Dörfer so herabsetzend für rügewürdig fühlen. So schlecht die Hülle, so die Fülle würde ich sagen, wenn man in den Gasthäusern etwas mehr als sauren Wein bekommen könnte; da man aber — hier der Speisen vielleicht entwöhnt, gar nichts zu essen bekömmt, so läßt sich auch nichts kritisiren.
Ich versprach also meinem Magen alles Gute, betrachtete das preiswürdigste aller Thäler Kärnthens — das angerühmte Lavantthal, welches zur Rechten auf eine Strecke von sechs Stunden Länge und zweistündiger Breite gegen Steiermark nördlich hinreicht, und wanderte getrost nach Eis, einem Dörfchen aus fünf Häuschen bestehend, wo die Posthalterin zugleich Gastwirthin ist. Hier schienen auch alle Hausbewohner jüngst im Essen überladen, eine weise Diät zu halten; oder die Millionen Fliegen bereits alles weggeschnappt zu haben. Ich sollte einen Kampf mit diesen Wolken von Ungeziefern um den Sitzplatz beginnen, wollte aber nicht einem Tirannen ähnlich Tausende meiner Bequemlichkeit wegen ermorden, sondern ging abermal friedfertig von dannen. Ich mußte also in Hoffnung eines Imbisses nun auch die dritte Post zurücklegen, jedoch auf besserem Wege. Der Regen versiegte, der festere Sandboden gewährte sicheren Tritt, und da die lästigen Hügel- und Thalwege sich 64etwas minderten, so schien es, als hätte mich der Hunger zu grösserer Eile gestärkt. Rechts in einer Thalschlucht birgt sich das Dorf
ober ihm schlummert das ehemalig stolze Schloß gleiches Namens. Beide einer schönen Lage sich freuend, schienen für meinen Magen dießmal zu mager, und ich gelobte ihnen für die Zukunft mehr Zeit und Aufmerksamkeit; die Herrn von Haunstatt und später die Grafen von Dietrichstein sind als Besitzer dieses Gutes bekannt. Das Felsenschloß Griffen nördlicher von Ehrnegg sich thürmend, verdient gewiß noch mehr Aufmerksamkeit. Ueber eine hölzerne Brücke gelangt man nunmehr nach
Obgleich diese Stadt an Umfang und Zierde gegen ehedem soll verloren haben, so ist sie doch sehr lebhaft, reinlich und befriedigend für Lebensbedürfnisse. Ich war heute acht Meilen gewandert, es schien mir daher willkommen, in einem wohlbespannten Wagen nach Klagenfurt zu gelangen. Hätte ich Tage dahin zu verwenden gehabt, so wären mir die zahlreichen Ritterburgen, welche die Berghöhen rings im Gebirge behaupten, ein besonderer Gewinn gewesen. Ich wußte, daß einem Sterblichen nicht alles zu genießen vergönnt sey, und ließ mich getrost in dem schnell vorstrebenden Wagen auf der schlechten Strasse jämmerlich hin und her schleudern. Bemerkenswerth schien mir hier die Art, auf dem Felde Klee und Getreide 65zu dörren. Hohe dicke Löcher-durchstemmte Bäume werden drei bis vier Klafter von einander entfernt, perpendikulär in der Erde befestigt, und dann auf denen horizontal sie durchlaufenden dünnen Bäumchen die Ernte aufgehangen. Man nennt diese Gerüste nicht unpassend — Harfen, und sie erreichen oft eine Höhe von sechs Klaftern, und gleichen dann so mit der Frucht beschwert, ungeheueren Rohrwänden, die der leiseste Wind umzulegen vermögend wäre. In tiefen, Ueberschwemmungen unterliegenden Gegenden, wäre mir die Mühe, seine Ernte wohl zu bewahren, einleuchtend, warum man aber diesen Gebrauch selbst in höheren Bezirken beibehielt, und so dem Winde mehr Schaden zu üben vergönnt, ist unbegreiflich.
Immer mehr treten die Berge zurück, eine weite aber nicht ganz ebene Fläche, mit Dörfern hinlänglich besäet, läßt die zahlreiche Volksmenge vermuthen, die sich in dieser Gegend nicht stiefmütterlich geneckt fühlen muß. Auch sieht man es dem Boden an, daß er mit etwas Sorgfalt mehr als dürren Hafer und Heidekorn bringe; jedoch dürften Pferd und Rindvieh, das wirklich über allen Ausdruck schlecht ist, kaum die Nähe Salzburgs und Tirols vermuthen lassen.
Im Süden jenseits der Drau, glänzten bereits die bleichen Zinken des Zugthiere-Quälers Loibel mit seinen rauhen Geschwistern im röthlichten Dunkel des sinkenden Tages; Nacht lag über der tief sich hinwälzenden Drau, stille flossen die Gurg und Glan ihrer Verschwisterung zu, die früher so oft sich gesträubt, so oft andere Bahnen sich brechen wollten. Nur einzelne Flammen, bedeutungsvoll dem Fremdling, 66stiegen vereinzelt hie und da über ein Häuschen empor, und erleuchteten bisweilen die Umgebung. Es waren die Feuerbrände zu Bereitung des
des elendesten Getränkes, welches je auf der Welt gekünstelt werden kann. Nur Menschen, welche nie etwas besseres getrunken, und das in der That äusserst schlechte Wasser[14] nicht immer geniessen wollen, können es für etwas Besseres halten. Die Bereitung desselben geschieht folgendermassen. Auf grosse angezündete Holzhaufen werden was immer für Steine zum Glühen geworfen. In einer hölzernen Bodung darneben macht man Wasseraufguß über Gerste, mitunter auch Weizen, etwas Wachholderbeere, gewisse Kräuter und dgl., jedoch ohne Hopfen; wirft dann die glühenden Steine hinein, nimmt sie erkaltet heraus, um sie wieder wie zuvor zu gebrauchen, bis endlich das Wasser in Sud kommt, und Bier spottweise heißt. Dieses wird dann am zweiten Tage darauf getrunken, ohne geklärt zu seyn, noch je rein zu werden. Geruch von Rauch, Lehm oder sonstigen Süssigkeiten, ist immer die Zugabe jenes ekelhaften Getränkes, welches der Wirth selbst nie wagt seinen Gästen in einem Glase, sondern in eigenen dazu bestimmten 67schwarzen Krügen aufzusetzen. Die Maß solch edlen Getränkes, zum Essen und Trinken gleich ausgibig, das jeder Bauer terminweise zu brauen berechtiget ist, kostet vier Kreuzer W. W. und droht dem durstigen Wanderer auf eine Strecke von vier Meilen um Klagenfurt. Zum Glücke bekommt man hie und da, besonders in der Hauptstadt, auch Kesselbier, jedoch ist es entweder wegen Wasser oder Unkenntniß im Brauen von keinem besonderen Belange. Noch muß ich bemerken, daß ich zu Klagenfurt einige übrigens gebildete Männer traf, welche das Steinbier eben wegen dessen Widerwärtigkeit gewissermassen als Medizin seit Jahren tranken, und sich dabei wohl zu befinden versicherten. Ich gönnte ihnen gerne diese freiwillige Abtödtung alles guten Geschmackes, ohne je mir oder Anderen bei Krankheiten eine solche Kurart zu wünschen. In
gibt es so viele und gute Wirthshäuser, daß man einer Erholung in jedem derselben gewiß seyn kann.
[14] Es dürfte auffallen, wie im Gebirgslande, das sonst so hoch gepriesene Kristallgetränk hier als matt und trübe getadelt werde. Es ist aber dennoch so, die Gebirge sind zu weit, der Lauf der wenigen Bäche zu träge, die Beete zu schlammig und der Sonne zu viel ausgesetzt; nur die Stadt erfreut sich einiger ordentlicher Wasserleitungen.
Da die Stadt durch breite Gässen eine große Ausdehnung, aber kaum 10,000 Einwohner hat, so ist die Menschenleere auffallend; die meistens zwei Stock hohen Häuser mit ihren Schindeldächern biethen keine Merkwürdigkeiten dar; eben so wenig erfreuen die 1809 von den Franzosen gesprengten Stadtmauern, zwischen denen nur einzelne Kohlbeete grünen. Klagenfurt war nie eine Festung; dennoch mußte sogar das durch kleine Wohnungen itzt verunstaltete Thor des Fürstenplatzes, von dem verewigten 68Naturfreunde und Erzbischofe Fürst Salm um eine beträchtliche Summe denen feindlichen Maulwürfen abgekauft werden. Nebst dem mit einem marmornen Obeliske, der Residenz gegenüber, gezierten Fürstenplatz, besteht noch der Florian-, Benediktiner-, alte und neue Platz; dieser ist der größte von allen, besitzt in der Mitte ein Bassin mit einem riesigen Lindwurme, der aber von Unkunst und Verwitterung entstellt, eigentlich gar Niemanden ähnelt; nebenan ist die aufgestellte Büste der Kaiserin Maria Theresia, von Blei, ebenfalls ohne besondere Vorzüge.
Da man keine guten Steine zur Pflasterung herbeischaffen konnte, so war man klug genug, dieselben größtentheils ganz zu entbehren.
Der Charakter der Einwohner erweckt den Wunsch des Fremden, wenn auch nicht der Stadt, doch der Bewohner sich länger zu freuen. Mitten durch die Stadt fließt das Bächelchen Glan, es ist zu unbeträchtlich, um einen anderen Nutzen, als den der Reinigung zu bezwecken.
Die Uebersicht ausgenommen, welche sich vom Stadtpfarrthurme darbiethet, ist sonst Klagenfurt nichts weniger als interessant; in der Mitte einer weiten Fläche braucht man Stunden, um sich im waldigen Grün, oder mit klassischen Resten der Vorzeit, die verschwenderisch die Runde füllen, zu ergetzen. Die einzigen nahen Spaziergänge sind an den Ufern des nicht preiswürdigen Sees, der noch überdieß für Klagenfurt in Sanitäts-Hinsicht schädlich ist, weil besonders im Herbste die über dem grossen Gewässer sich sammelnden Dünste, öfter bis Mittag die Stadt verfinstern und die Luft 69verderben; die zweite Promenade nach dem eine halbe Stunde entlegenen Parke zu
dürfte angenehmer, allein zu oft wiederholt noch dürftiger scheinen. Hier ist der Sammelplatz der Honoratioren, die auf der prächtigen Fahrtstrasse im Schatten hundertjähriger Lindenbäume auf Wägen dahinrollen. Der großherzige Besitzer Graf von Goes überläßt den Park zum Genusse dem Publikum. Er besteht aus einem Obst-, Zier- und Küchengarten, und mag wohl in der Umgebung der schönste seyn, allein darum doch nicht lobenswerth. In Mitte sich kreuzender Alleen steht das marmorne Monument, welches der dankbare Sohn seinem verblichenen Vater 1801 setzen ließ, es ist der bestgewählte Punct des Parks.
Die drei Viertel Stunden von hier, östlich auf einem steilen Felsen durcheinander geworfenen Trümmer der uralten
deren Fall die Türken 1473 bezweckten, sind kaum der Besichtigung werth. — Bald wird von dem stolzen Familienschlosse der ruhmvollen Ritter von Auffenstein, deren letzter Friedrich, mit Ende des vierzehnten Jahrhunderts, erniedrigend seinen Stamm, als Empörer im Kerker verblich, alle Spur gewichen seyn, indeß ihre Thaten ewig der Nachwelt fortblühen! Vom Schlosse sieht man die Glan und Glanfurt, nachdem sie gutmüthig die Heimath bewässert, 70zum weiteren Laufe sich einen, bis sie die Gurk, und diese die habsüchtige Drau verschlingt.
Von den Lobpreisungen der sechs Stunden von Klagenfurt entfernten
eingenommen, beschloß ich einer dahin fahrenden Gesellschaft mich anzuschliessen. Auf einem herrlichen Wege des Zollfeldes, beiderseits mit den schönsten Konturen begränzt, die zu schnell dem brausenden Wagen entflohen, erholten wir eine große Menschenmasse, die nach der rechts von malerischer Berghöhe winkenden Gnadenkirche Maria Saal wallfahrteten. — St. Veith, die alte Hauptstadt Carniens, blickte düster uns entgegen; schwarz wie die Häuser, umschleiert die Vergangenheit deren Schicksale. Burgen, Wartthürme und alte Denkmähler — des Faustrechts sattsame Zeugen, bereiten den Pilger vor, das Antlitz der keuschen unbesiegten Jungfrau zu schauen. Rechts bog sich der Weg von der Hauptstrasse, mannhafte Vesten erheben das Haupt, kommenden Säculen trotzend, sie überblickte mit höhnender Miene das erprobte Osterwitz. Ueber bewaldeter Höhe gelangten wir zu Fuße nach St. Sebastian, einem Dörfchen, dessen paradisische Lage sanfte Ruhe erhöht; vor Jahren soll der hiesige Kirchenpatron der Pestverhüthung wegen viele Wallfahrter zugezogen haben. Nicht achtet man des friedfertigen, sich mit des Herrschers Namen freuenden Dörfchens Neuosterwitz, das demüthig den Wanderer einen Blick der Huld durch sein reines Antlitz abzulocken strebt. 71Jedoch kein Ausdruck kann schildern, welche Ueberraschung Hochosterwitz jedem Fremden abzwingt, auch bin ich zu weit entfernt, die Vorzüge der allbekanntesten und bestens erhaltenen Veste, die zu oft trefflich geschildert wurden, entweder nachzukauen, oder matter darzustellen. Bekannt ist, daß der kegelförmige, theilweis überhangende Schloßfelsen, welcher kahl nur am Fusse mit Nadelholz bewurzelt ist, 800′ mißt, daß man auf dem schneckenförmigen den Felsen umwindenden Fahrtwege zum Schloß hinauf, 14 Wachthäuser und Thürme, die in der Vorzeit eben so viele Schlösser bildeten, und drei Brücken über tiefe Klüfte überschreiten muß; daß die Veste, obgleich ein halbes Jahrtausend überlebend, noch immer rüstig der Zeiten Schläge erträgt, und nun der meisten Waffen gegen Feinde entblößt, doch nimmer dem Feinde erlag. Von den zwei oben Wasser sammelnden Zisternen ist eine zur Dunggrube verwendet, doch erhält der 50 Klafter in Felsen gehauene Brunnen rühmlichst seinen vorigen Werth. Die Kapelle, viele Wohn- und Waffenzimmer, Prunksäle und sämmtliche Gemächer werden als fideicommis-Gut von der gräflichen Familie Khevenhüller-Metsch ziemlich gut erhalten.
Stunden kann man verwenden mit Untersuchung der Schwerter, Schilde, Sturmhauben, Streitkolben etc., deren hinlängliche Anzahl sich wohl geordnet präsentirt; wenn man diese schweren Waffen ihrer einst rüstigen Führer schwingt, durchglüht stolzes Gefühl für die Vorzeit den Mann, der damals kraftvoll auch wußte, daß er zu wirken vermöge, ohne 72durch einen entnervten Weichling kaum des Blickes werth, Tod durch verrätherisches Pulver zu besorgen.
Die unterirdischen Gänge, Keller und Kerker, die bis über die Hälfte des Felsens hinabreichen, jedoch hie und da vermauert sind, wurden mehrentheils in Felsen gehauen, und gewähren im Sommer eine besondere Kühlung, mögen aber einstens manchen armen Gefangenen Schweißtropfen erpreßt haben. So sind jedem Jahrhunderte traurige Stürme beschieden, vor deren Spuren die Nachwelt erbleicht.
Von der Aussicht, welche stolz die Umgebung beherrscht, liessen sich Bogen anfüllen, wenn Wortkram Werth hätte; doch vergißt man nicht leicht, wie nördlich das gleichfalls erhaltene Schloß Mannsberg[15] vom bewaldeten Berge stolzen Willkomm entbiethet; wie an den Ufern der Gurk im Norden und Süden, und westlich gegen St. Veit von höheren Bergen umringt, Vesten den Feinden zu schwach, ihre mißhandelten Mauern enthüllten; wie südlich über Gebirge, Klagenfurts spitziger Thurm neckend die Hauptstadt verrathet; östlich küsset die Gurk für tapferen Schutz stiller Dörfer, dankbar des Felsens Fuß. Die Bewohner des Dörfchens St. Martin, an Osterwitzens Glocke gewohnt, erkennen die Töne genau, die ihnen Arbeit des Tages und Heimkehr zum Imbiß verkünden.
[15] War bis zum Jahre 1628 ebenfalls ein Eigenthum des Freiherrn von Khevenhüller’schen Hauses, wurde aber damals von Sigmund dem Domkapitel zu Gurk verkauft, welches bis jetzt Mannsberg besitzet.
Hat man die Nähe durchirrt, und sucht dann der 73Ferne Ziel, so endigt es, wie der schmeichelhafte Wunsch des Menschen, groß und ausgezeichnet. Westlich erheben die Villacher-Alpen ihre 1000 Klafter hohen Häupter, im Süden die 20 Meilen fortlaufenden Caravancas, welche mit ihren befrosteten Himmelsspitzen Kärnthen und Illirien unabänderlich trennen; im Norden über die mit heldigem Blute der Deutschen ruhmgekrönten Felder[16] hinaus, blicken Steiermarks Alpen herüber, und gönnen kaum etwas im Westen — auf ebneren Wegen die Feinde des Landes schneller zu bannen!
[16] Zoll- und Krapffeld, welche sich von Klagenfurt über St. Veit gegen Althofen ausbreiten, waren seit undenklichen Zeiten immer die Schlachtbänke der kärnthnerischen Kriege. Gegenwärtig, wo jeder Fleiß sich des Besitzes freuen kann, sind es wogende Aecker und Wiesen, die um den Vorzug dort sich streiten. Am Zollfelde geschah auch die Huldigung der alten Herzoge von Kärnthen. Auf einem noch vorfindigen grossen Steine (Herzogsstuhl genannt) sitzend, wurden sie nach einigen Ceremonien zu Herzogen ausgerufen, hier wurden dann vom neuen Landesherrn Ritter geschlagen, und Lehen ausgetheilt.
Im Schlosse werden zum Theile sehr alte Denkbücher gezeigt; eine ungeheuere Menge Namen und passende Vota bestätigen den zahlreichen Besuch. Man sieht, daß nebst hohen Herrschaften und durchlauchtigsten Prinzen, auch unser geliebter Monarch diese Veste 1810 mit seinem Besuche beehrte.
Ich wollte nun den Rückweg antreten, allein meine galanten Gefährten, Kaufleute aus Klagenfurt, die mit dem Schloßinspector befreundet waren, nöthigten mich, hier zu übernachten. Nichts Erwünschteres hätte man mir anbiethen können; mir war die 74Veste zu lieb, längeres Verweilen schien doppelt Gewinn.
Um einen runden Tisch im Prunkgemache sassen wir aufgeräumt durch mässigen Genuß edlen Luttenbergers, betrachteten die in gleichzeitiger Tracht mit und ohne Knebelbart stolzierenden Bildnisse der Ritter, welche diese Burg besassen, oder im Lande sich Ruhm erwarben; Freunde und Feinde zierten in holder Eintracht die Wände, wie im besseren Jenseits, wo Neid und Kriege verstummen. Jeder von uns erzählte nun etwas, und opferte ein Gläschen den Manen seiner Helden. Lächelnd oder finster, je nachdem sie die Sage schilderte, schienen die Köpfe auf uns nieder zu blicken. Da waren nebst den Ahnen der im Reiche immer ausgezeichneten Fürst Khevenhüller’schen Familie, Conrad der II. von Kraig, der 1395 Friedrichen von Auffenstein, Burkharden von Schärfenberg, Ruprechten von Gradenegg, und Ulrich von Weissenegg, am Krapffelde schlug und gefangen nahm; zwei Grafen von Cilly, die Kärnthens Schrecken gewesen, Dietrichsteine und Welzer, Ritter in Kärnthen gleich rühmlich und zahlreich; Rudolph von Habsburg und sein gedemüthigter Rivale, der stolze Ottokar, beide für Kärnthen unvergeßlich; dort das kriegerische Weib Margaretha Maultasche im ritterlichen Harnisch, wie sie 1334 nach ihrem verstorbenen Vater Herzog Heinrich, Kärnthen gewaltsam in Besitz zu nehmen, mit einem Tiroler-Heere Dörfer und Burgen verwüstete, bis am Felsen von Osterwitz derer Glück und Kräfte sich brachen; ihr 75tapferer und fintenreicher Gegner Adalbert von Schenk schien auch itzt als Herr der Veste zu gebiethen; Leonhard Lohner zu Liebenfels, läugnet im dreihundertjährigen Harren nicht den Feuerblick, mit dem er 1529 zweihundert gepanzerte Reiter nach Wien gegen die gewaltigen Feinde der Christenheit kampflustig leitete. Von denen, welche mit ihrem Leben das Merkwürdigste verloren, kein Wort! diese Portraite entstellen die nachbarlichen!
So von Kärnthens Helden, dessen klassischen Boden und wunderlichen Mährchen noch manches erzählend, hatten wir uns in die Vorwelt dermassen verstrickt, daß man uns wiederholt zur Ruhe mahnen mußte. Wir folgten endlich dem klugen Rathe; dumpf tönten die Schritte durch den langen Gang, worin Jedem ein Zimmer angewiesen wurde; ohne mich vorher viel umzusehen, genoß ich der Ruhe.
Wie die lebhaftesten Eindrücke des Tages auf unsere Phantasie wirken, so haben sie sonder Zweifel ihren Einfluß auf den Schlaf. Ein was immer für lebhafter Traum hatte mich zu einem Schlage auf die Mauer erbittert. Ich erwachte, mein Hund (vielleicht wegen des Schlages) winselte und murrte unterm Bette; ich wollte ihn besänftigen, da rollte mit fürchterlichem Getöse das Bett gegen die Mitte des Zimmers, mein Duna stürzte hervor, sein donnerndes Gebell und das Schmettern einer ganzen Scherbenfabrik hätte selbst die Todten erschreckt, ich sprang auf! — Vor mir einige Schritte stand, vom matten Sternenlicht kaum beleuchtet, eine weisse Gestalt; bedächtig hin und her schwebend, schien sie doch weder näher 76noch weiter zu kommen. Ich dachte, es gelte einen Spaß, und geboth unwillig, anderswo die lästigen Künste zu produziren; — keine Antwort! es war zu finster, um Stock oder Stiefel zu finden, die verdiente Bezahlung zu leisten; da entbrannte mein Zorn, Herr und Hund eilten zu der Gestalt, und ich packte — einen Kleiderstock! Beschämt ließ ich ihn verschont, und überließ dem Tage die Aufklärung. Diese kam auch bald und natürlich; das Bett, welches nach alter Art mit Rädern in den Füssen versehen war, wurde sowohl durch einen Ruck von mir, als auch von dem deßhalb hervorspringenden starken Hunde in Bewegung gebracht, der dann zum Unglück ein Tischchen umwarf, worauf nebst dem nöthigen Geschirr zum Reinigen, auch einige Gläser und Flaschen mit Wasser standen. Die Gestalt endlich war ein langes Handtuch, welches Jemand über den Kleiderstock zum Gebrauche hing, und das durch den Luftzug der aus Versehen offen gelassenen oberen Fenstertäfelchen fortwährend bewegt wurde.
Meine Reisegefährten, die wie natürlich, dieser tumultuarische Kampf erwecket hatte, frugen scherzend, ob mich die Geister von Osterwitz geplagt, oder die wilden Jäger aus dem verzauberten Forste zum Balle laden wollten? — Ich konnte in der Verlegenheit nur die Wahrheit sagen, und sie würzte bei Lachen das Frühstück.
Mit einem kleinen Umwege über St. Georgen am Lengsee, wo das schöne Schloß der Grafen von Egger im reinen Wasser sich spiegelt, und viel lustiger die Gegend kleidet, als da es vorher noch ein 77herbes Nonnenkloster war, kehrten wir nach St. Danat zurück, von wo uns der Wagen leider auf der nemlichen Strasse wieder nach Klagenfurt brachte; ich wollte zwar das westlich eine Berghöhe beherrschende Schloß Tanzenberg, den alten Besitz der Keutschacher, nun der Freiherrn von Schluga, besichtigen; allein ich glaubte der Versicherung meiner Gefährten, daß man eben von Osterwitz kommend, ohnmöglich den Weg hinauf belohnt finden kann.
Ich verließ Klagenfurt und wanderte am Ufer des der Stadt sich anschliessenden Kanals, welchem aus dem Werder- oder
leider nur bis hierher ein Beet zur Holzzufuhr gegraben wurde, welches weiter fortgeleitet, in kommerzieller Hinsicht der Stadt so nutzbringend hätte seyn können. In einer halben Stunde gelangt man zum See. Trotz seiner zwei Meilen langen und größtentheils eine halbe Meile breiten Ausdehnung, gewährt er nichts weniger, als anmuthig abwechselnde Parthien. Der ungeheuere viereckige Schrotthurm, gleich zu Anfange des Sees rechts an der Strasse, erregt Aufmerksamkeit; von oben herab schließt sich an eine der Mauerwände, bis zu deren Fuß, ein ganz aus Bretern zusammengefügter Verschlag. Wie das Blei oben geschmolzen und durch siebähnliche grosse Trichter geworfen werde, deren Löcheln die Grösse der Schröte bestimmen, wie das Herabrollen die gewöhnliche Runde derselben bezwecke, endlich wie die Schröte sich schnell in dem unten sie aufnehmenden Wasserbehältnisse brausend abkühlen, 78ihre Form zu behalten, wird gewiß Jeden der diese Manipulation nicht schon irgendwo früher gesehen, angenehm unterhalten.
Eine gleichförmige Fläche langweilet den Wanderer über die Gemeinden Gurling und Krumpendorf hinaus. Schöner macht sich der Weg nach dem Dorfe Pötschach; oben rechts auf der Berghöhe drängt sich einiges Gemäuer aus dem Nadelholze hervor. Es sind die
ich wollte ihnen eine Stunde widmen, und folgte dem leitenden Hohlwege; gleich Anfangs am Fusse des Felsens befindet sich links eine tiefe Felsenhöhle, aus der Wasser entquillt; diese soll das Ende des nun verschütteten heimlichen Ganges seyn, der ehemals durch den Schloßbrunnen in die Familiengruft führte.
Von beiden ist nun die Spur gewichen, und bald wird auch von den wenigen Mauerresten nichts mehr erübrigen. Eben mühte man sich mit Ausrottung der schlüßlichen Habe des Schlosses. Ein dickstämmiger Wald — Beweis der letzten Zeugungskraft der Veste, lag getrennt durch die würgende Axt von seinen Wurzeln, ein grünes Bollwerk bildend in den öden Räumen. Gerne wünschte ich einigen sich kümmerlich auf dem Thurme und Ringmauern ernährenden Birken längeres Leben; doch gewandt kletterten zwei rüstige Burschen auf die gefährlichsten Stellen, und raubten denselben den Schmuck. Das Schloß, welches einst beträchtlich seyn mochte, möge im grauesten Alterthume erbaut worden seyn, denn ich bemerkte in dem 79aus Schiefer und Kalksteinen bestehenden Gemäuer nicht ein Stückchen gebrannter Ziegeln, welche jedoch im dreizehnten Jahrhunderte schon häufig gebraucht wurden!
Mißmuthig verließ ich die Veste, welche meine Erwartung täuschte, und mit Widerwillen gegen den Eigennutz der Menschen, denen nichts zu versteckt, nichts zu mühsam ist, geringen Nutzen zu ziehen. — Wie viele Jahre, dachte ich, mußten hingehen, bis auf dem Mauerschutt des längst zerstörten Schlosses sich Erdreich sammelte, und darin Samen keimte, der diese hundertjährigen Stämme gezeugt? — Der Zeiten — seltsames Wirken, der Jahre kräftige Zeugen, zerstört ein einzelner Mensch in einem einzigen Tag!
Immer am Ufer fortschlendernd, gelangte ich über das Dörfchen Tuppitsch nach dem Postorte
hier endigt der See. Nahrungsbedürfniß nöthigte mich bei einem Fleischer, der zugleich Gastwirth ist, einzukehren. Ungern fühlte ich bewährt, was einige Reisende von der schlechten und unbilligen Bewirthung gewisser Gastgeber in Kärnthen zu erzählen wissen. Für unreinliches schlechtes Essen und ungenießbaren Trunk mußte ich mehr entrichten, als für das beste Mahl in Klagenfurt! Ich wünsche nicht, daß Jemand sich davon selbst zu überzeugen so lüstern wäre; nebst dem Magen könnten durch die Grobheiten des Wirths auch die Gliedmassen des Gastes unangenehm gereitzt werden, welches dann zum bedeutenderen Nachtheil sich endigen dürfte.
80Von Velten angefangen, gewinnt die Gegend an Schmuck; Wiesen und Aecker paaren sich malerisch am Saume herrischer Wälder, bald empfängt einer den Wanderer und kühlt ihm die Pfade nach Villach. Lind, Wernsberg und Zauchen, drei Dörfchen, ruhen vom Zauber der vielen melodischen Singvögel eingewiegt, still harrend unter Bäumen, rasselnder Wägen nicht achtend. Etliche Häuschen drängen sich an eine Brücke, tobend braust unter derselben ein Waldbach hindurch, in der nun wieder genahten Drau den Ungestüm abzukühlen, klappernde Mühlen tumelt sein Lauf, man ist in Seebach. Rechts davon leitet ein Pfad zum gepriesenen
Dieses liebliche von Segen überfliessende Thal, mit friedlichen Häuschen bepflanzt, die stummen geheimnißvollen Tableau’s, welche mit Anmuth und Ruhe in der auffallendsten Wildheit und Grösse sich erhalten, das Getöse des herbeieilenden Waldbachs, das Rauschen der sich bekriegenden Baumäste durch stärkeren Lufthauch ermächtigt, die ausgebreitete, einen schönen Waldberg schmückende Ruine der Veste Landskron mit all ihren Fenstern und Thürmen, müssen den Menschen bezaubern!
Es muß Jeden reuen, der nach Villach oder Klagenfurt reiset, wenn er sich diesen kleinen Abstecher hierher nicht erlaubt. Im Dorfe Landskron besah ich die herrliche Raçe der vom Herrschaftsbesitzer, Herrn Grafen von Dietrichstein, eingerichteten Stutterei; ingleichen überzeugt sich der Oekonom, 81daß dieser geachtete Chevalier der Schaf- und Rindviehzucht nicht wenig opfere. Die wohleingerichteten Ställe, Wirthschaftsgebäude etc. lassen auf ein thätiges und einsichtsvolles Individuum schliessen, welches als Leiter das Vertrauen des hohen Besitzers zu verdienen weiß.
Vom Dorfe weg windet sich der Pfad schlangenförmig zur hochprangenden Schloßruine empor. Einige ungeheuere Nußbäume begrüssen als nächste und älteste Verwandte der Veste den Ankömmling beim prächtigen, aus glatt gehauenen Granit-Quadern gewölbten Einfahrtsthore; die ehemalige Zugbrücke liegt unter Schutt und Erde begraben; man gelangt zum zweiten vielleicht noch schönerem Portale, aus Marmor-Quadern zusammgefügt; hohe gemauerte Bögen verbinden das Schloß unter einander. Ringmauern mit wehrhaften Schußscharten sorglich ausgestattet, umzingeln den weiten Vor- noch größeren Schloßhof und beträchtlichen Garten; fünf große und 16 kleinere Thürme verschafften der ohnedieß drei Schuh dicken Mauer noch mehr Ansehen und beharrlichere Festigkeit. Man staunt über den riesigen und stolzen Bau des Mittelalters, wodurch man sich das Eigenthum und kurze Leben zu sichern strebte. Dieß Schloß mag wahrscheinlich auf die Stelle eines älteren hier gestandenen im fünfzehnten Jahrhundert erbaut worden seyn, welches sich aus dem Style der damaligen Bauten und häufigen Ziegel-Verwendung leicht ersehen läßt. Die zwei und drei Stockwerke der Veste, die Thürme und Gewölber, beirren den Forscher, er weiß nicht, wo anzufangen und wo zu verweilen? Das Schloß, 82welches vor 30 Jahren noch gut erhalten und der Sitz des Landgerichtes war, wurde durch einen Blitz größtentheils eingeäschert, die übrige Schiefer-Dachung aber gefliessentlich abgenommen; noch liegen häufig die mit einem Loche zum Annageln versehenen Blättchen am Schutte zerstreut umher. Sonne und Himmelsgestirn durchspähen nun ungehindert die offenen Zimmer, in denen bereits hie und da schmarozerisch Gesträuche sich lagert, darin durch Regen und Staub für lange sich seßhaft zu machen. In der Kapelle stehen schon ernst gereiht schlanke Eschen und Fichten, und muntere Rothkehlchen, hier ausser Gefahr sich bewußt, stimmen im Chore vereint das melodische Abendlied an. Ein runder Thurm gegen Osten steht noch unversehrt da; starke Fenstergitter und seine eiserne Thür verwahren dem Fremden trotzig den Eintritt. Es sollen darin einige Antiquarien des Schlosses sich befinden, denen man einen besseren Verwahrungsort hätte anweisen können.
Der nördliche Theil ist viel beschädigt, Thürme und Ringmauern lösen sich in grossen Stücken und springen über den Schloßberg herab; die Fenstersteine hängen drohend über des Kletternden Haupt; man ist froh, wieder den geräumigen Schloßhof zu betreten, wo eine aus schönen Steinen gebildete Einfassung den Aufgang in die etwas höher liegende ältere Schloßabtheilung anzeigt. Hier befindet sich die Zisterne und kleine Oeffnung eines tiefen unterirdischen Kerkers.
Im ersten Stocke konnte ich den Saal und mehrere Zimmer passiren, welche theils weiß, theils unbedeutend 83bemalt waren, doch das zweite Stockwerk, so wie der runde Hauptthurm, versagten mir ihre Zuneigung. Den südlichen etwas kleineren konnte ich nur auf ausgebrochenen Steinen ersteigen; ich thats der Uebersicht wegen, die zwar nicht allzuweitreichend, aber in jeder Hinsicht lohnend ist. Dem grünenden Kesselthale, dessen ich beim Eintritt erwähnt, gegenüber, kühlen sich die rothen Fluthen von Apollos Feuerwagen in dem Spiegel des weiten Ossiacher-Sees. Leichtfertige Kähne durchschneiden seinen Rücken, und geübte Hände sammeln köstliche Beute auf selben. Weder Neid noch Bosheit scheinen hier ihre Fahnen zu schwingen; jeder arbeitet der Erhaltung wegen, und kein Schadenfroh überlistet des Anderen Erwerb.
Ich durchstieg nun das Labyrinth der unteren Gemächer, deren fünfzehn noch mit Plafonds oder Gewölbern versehen dem Gewitter trotzen, und bei etwas Säuberung vom Schutte, auf einige Zeit dürftige Wohnungen biethen könnten. Hölzerne Schränke in den Mauern, Fensterläden, Fußböden, zerbrochene Bänke und große Dippelbäume sind hie und da dem Moder überlassen, und zeigen hinlänglich von dem nahen Holzüberflusse. Ein schöner Stall, und Gewölber auf drei und vier Säulen ruhend, sind etwas tiefer anzutreffen.
Von den Kellern sind die wenigsten weit zu verfolgen, Schutt, Staub und zu enger Raum verbiethen das Unternehmen; dennoch konnte ich nicht umhin, in der Gegend des Burgverliesses die Gewölber sorgsamer zu untersuchen, besonders weil mich ein herrschaftlicher Meierknecht im Dorfe treuherzig 84von unterirdischen Gängen und Schätzen, die, weiß Gott worin bestehen mögen, versicherte. Ich zündete doppelte Windlichter an, suchte, warf den Schutt durch einander — vergebens, ich konnte nichts als einige verschimmelte Faßkanter entdecken. Ich ging unmuthig zurück, und wollte schon alle weitere Untersuchung beschliessen, als ich mich Außen auf einige Thürme erinnerte, die nicht zusammengestürzt, dennoch wie gefliessentlich mit Schutt und Erde angeworfen waren. Ich wandte mich an den ersten nach Norden; er war bloß ein Vertheidigungsthurm, der zweite deßgleichen; der dritte hatte nebst Kalk und Steine ein Stück Dach inwendig am Boden, es war zu schwer wegzuschaffen, ich ging und hieb mit dem Stocke wie zur Strafe in die mich brennenden, ungemein hoch rankenden Nesseln an der Aussenseite des Thurmes. Unverhofft hörte ich ein von mir getroffenes Steinchen in gähe Tiefe hinabkollern; es mußte ein Brunnen oder andere Schlucht in der Nähe seyn. Behuthsam hieb ich sämmtliches Unkraut unbarmherzig nieder, und sieh! ich fand auf der Grundfläche des Thurmes eine kleine fensterähnliche Oeffnung. Ein Stück Eisengitter hing noch darin, ich berührte es, und vom Roste zernagt fiel es in die Grube. Ich warf angezundenes Papier und dürres Reisig hinab — es war wirklich ein heimlicher Gang! Nun ergriff ich ein Stück Holz, hob inwendig das morsche Hüttendach, räumte Schutt und Kalk aus einander, vergebens! der Eingang mußte versunken oder gar nicht vorhanden seyn! Ich band einen Stein auf meine bei mir führende Schnur, und hörte ihn deutlich in mässiger Tiefe von 85einer Stufe zur andern abwärts holpern. Nun wars beschlossen, ich mußte hinab! Die Oeffnung wurde mit einer Latte erweitert, in den Strick Hölzchen hineingeflochten, derselbe oben an einem Baumstamm befestigt, und ich kroch, zwei Lichter im Munde haltend, durch die Oeffnung in die Gruft. Kaum zwei Klafter tief, so stand ich auf morschen Pfosten-Stufen, die einzeln sich beim festen Tritt entlösten; ich überzeugte mich auch, daß es unmöglich gewesen wäre, den gewesenen Eingang im Thurme zu erzwingen, der durch tief herabreichenden Schutt gefliessentlich verstampft schien. Froh, ihn durch das Luftloch gefunden zu haben, stieg ich nun 22 schlüpfrige Stufen in dem theils durch herabwachsende Felsen, theils durch lockere Ziegel den Niedersturz drohendem Gange, sehr behuthsam herab. Feuchte Luft, die kaum den Lichtern zu brennen gönnte, der üble mephitische Geruch des Mauerschimmels, den ich abwechselnd den engen Wänden mit Haupt und Armen abstreifte, und das beständige Plätschern des abtropfenden Felsenwassers, waren der unangenehme Willkomm meines Besuchs. Nun ebnete sich der Boden, dumpf tönte es unter meinen Füssen, ich sprang erschrocken zurück, eine morsche Fallthür vermuthend, durch die ich sinkend Hals und Beine hätte brechen können. Ich beleuchtete die Stelle, sah zwar nur die den Gang ehemals verwahrende nunmehr ihren Angeln entfallene Thür am Boden verwesen, zu gleichem Entsetzen aber das ekelhafteste Ungeziefer, insbesondere plumpe Kröten, den Boden bestreichen, und zischende Fledermäuse, welche herumflatternd mir unhöflich ein Licht auslöschten. Mein 86natürlicher Abscheu vor diesen Unholden hätte mich beinahe aller weitern Untersuchung überhoben. Gerne hätte ich mir einen menschlichen Gefährten gewünscht, als ich bald darauf zu einer zweiten vielleicht 50 Jahre nicht geöffneten Thüre gelangte. Sie war vom harten Holze und entweder verkeilt oder zugesperrt; mit einem festen Tritt hinein lag Thür und Einfassung im Schutte am Boden.
Ich mußte zurück eilen, mich vor Ersticken zu bewahren, und kletterte zur Höhe, wo Duna den Eingang und mein Eigenthum bewachend, sich höchlich freute, von dannen zu kommen. Ich war es minder gesonnen, sondern nahm eine tüchtige Portion Pulver und meinen Stock, und begab mich wieder in den Tartarus, parthienweise selbes dort anzuzünden. Dadurch die Luft einigermassen erträglich gemacht, verfolgte ich 17 Schritte den abwärts führenden Gang, der sich nun erweiterte, und ich schaudernd vier grosse, zu Sitzen dienende bekrustete Steine mit eisernen Ringen wahrnahm — »Schrecklichster Ort für menschliche Qualen!« rief ich unwillig über Erbauer und einstigen Besitzer dieses Schlosses, »mehr als zehnfache Hölle konntet ihr erkünsteln, ohne in dem gefolterten Menschen den armen Bruder zu erkennen!« Mit Wuth stieß ich in den bewachsenen Stein, als könnte ich diesem entgelten lassen, was sein Gebiether beschloß; doch erinnerte ich mich der Gegenwart, und fand lindernden Trost. Kühner schritt ich nun voran, und kam zu einem Saale-ähnlichen Gewölbe, auf drei Säulen ruhend. Zusammengestürzte Bausteine liessen mich ein ehemaliges Monument oder Tribune muthmassen, 87einige Nischen waren von glatt geschliffenen Steinen, der Boden weich und geebnet, und von oben reichten eiserne Stangen mit Ringen bis auf Manneshöhe herab, ich glaubte, hier möge der Begräbnißort der ältesten Besitzer gewesen seyn. — Herrliche Nachbarschaft! lebendige und vollendete Leichen, welche waren wohl glücklicher zu nennen?
Rechts wollte ich den Gang verfolgen, doch er war eingestürzt und verbat sich in dieser Welt ferneren Besuch; daher schlug ich den ganz in Stein gehauenen links ein, welcher abwärts führte, und mich bald bei eisernen Hacken auf die ehemalige Existenz einer dritten Thüre urtheilen ließ, rechts in einer geräumigen, aber mit Schutt angefüllten Vertiefung waren wieder zwei den vorigen ähnliche Martersteine; wie erstaunte ich, als ich sie besehend Tageslicht von oben herab einbrechen sah. — Hierher in die ewige Nacht blickt nun, wie des Schöpfers Allmacht, der heitere Tag, winkt die liebliche Sonne, und tröstet der freundliche Stern. Wie viele Jahre mußten fliessen, bis ihr Gepriesenen diese Klüfte wieder durchspähen konntet! wie viele Schuldige und Unschuldige hier qualvoll verzweifeln, ohne das Licht des Trostes herab winken zu sehen! Möge Ritterzeit und Faustrecht loben, der Lust hat, hierher stelle man ihn, und erforsche nachher seine Meinung. Mich reute es, daß ich zuvor in die am Schloßhofe gähnende Oeffnung, welche vormals sicher überbaut war, kein Papier oder anderes Merkzeichen hinabwarf, ich hätte daraus ersehen, ob sie in diesen schrecklichen Kerker hinableite oder nicht. Einige Stufen, die wegen ihrer Verwesung nicht gezählt 88werden konnten, führten mich dann abwärts in ein noch geräumigeres Gewölbe. Die Wände waren ungeregelt gehackt, und daher kein heimlicher Ausgang verborgen; ich schloß also bei dem gesammten sorgsamen Bau des Schlosses auf eine untere Fallthür, und suchte mit zagendem Schritte dieselbe. Wirklich fand ich meine Mühe in einer zugespitzten Höhlung des Bodens belohnt; ein morsches mit Erde sparsam bedecktes Bret machte mich aufmerksam, darneben ein Loch u. s. w. Das Schloß konnte ich nicht finden, wohl aber hätten die drei morschen Breter mit meinem eisenbeschlagenen Reisestocke zertrümmert werden können; ich begnügte mich aber mit angezundenem Papier die Tiefe zu ergründen, um dann einen verläßlichen Mann und nöthige Requisiten zur gefährlicheren Untersuchung aus dem Dorfe mit mir zu nehmen. Wider alle Erwartung fand ich aber unter den zahlreichen Meier- und Pferdeknechten der hiesigen Wirthschaftsgebäude, trotz ziemlicher Belohnung, dazu keinen bereitwillig; »es sey ihnen von der Herrschaft verbothen« sagten sie; und die Bauern fürchteten sich verschüttet zu werden, gleich jenem Schatzgräber, der, wie sie sagten, vor wenig Jahren dem bösen Geiste seinen Reichthum nehmen wollte, und nicht mehr zurückfand. Ich mußte lachen, wünschte aber, daß mancher Gutsbesitzer, dessen Vermögen eigennützige Menschen barbarisch plündern, statt Kassen, solch einen ausgeschrienen Satan zum Schutz hätte, die Hälse würden weniger oder die Blutsauger ehrlicher werden.
Uebrigens wagte ich nicht, die Untersuchung allein weiter fortzusetzen, sondern beurlaubte mich von der 89schönsten und größten aller Ruinen des österreichischen Erbkaiserthums, mit Wehmuth, indem vielleicht einige Jahre die hier noch merkwürdigen Reste vollends zerknicken, und dann alles fernere Forschen vergeblich machen.
Oefter zurückblickend, als sollte ich Landskron anderswo wieder erkennen, überschritt ich nach anderthalb Stunden auf hölzerner Brücke die nun jüngere Drau; ich war in
Hier hört die W. W. auf zu kursiren. So klein das Städtchen im Vergleiche mit Klagenfurt ist, so machen seine 5,000 Einwohner, anmuthige Lage, und grosser Handels-Verkehr die bergigen Strassen sehr lebhaft. Die Häuser, denen man es ansieht, daß sie mehrere Säcula zählen, sind reinlich und meistens drei Stock hoch. Auffallend war mir hier der besondere Gebrauch des Bleies; ich sah allenthalben grosse den Tabakbüchsen ähnliche Gefässe umhertragen, und frug, was sich darin befände? Der Befragte wunderte sich und meinte, ich müsse aus einem sonderbaren Lande kommen, daß Bier- und Weinflaschen mir unbekannt wären! Abgerechnet den sanitären Nutzen oder Schaden, kann ich mir dennoch die freiwillige Busse, den nothwendigen Hausbedarf in so schweren Gefässen herbeizuschaffen, nicht anders erklären, als ungeschickte Hände zu verhindern, Gläser zu zerschlagen.
Wie ich zu Villach erfuhr, war in dem nahen höchst interessanten Bleibergwerke zu Bleiberg eben 90Kehrwoche, zu welcher Zeit der Bergbau-Betrieb für einige Tage aufgehoben wird.
Ein heiterer Sonntagsmorgen leitete mich aus dem versteckten Villach, dessen Thürme mir noch bedeutend auf St. Leonhards Anhöhe nachschimmerten, dem Seebache entgegen, durch ein breites wohl kultivirtes Thal in zwei Stunden nach Treffen. Hier überboth die bescheidenen Häuschen stolz des Herrn Grafen von Goes Lustschloß — Neutreffen, vom Parke sanft umwunden. Schuß auf Schuß donnerte aus dem Dörfchen ins Freie, ich glaubte eine belagerte Festung zu passiren. Es war Uebung zum nahen Festschüssen, dessen mehrere in jedem Orte alljährlich Statt finden, wobei man sich besonders müht, den Ruhm seines Hauses mit einer Bestscheibe zu heben. Diese bemerkt man von hier aus durch Salzburg und Tirol ununterbrochen die Häuser schmücken. Die Scheiben, auf welchen Vater oder Urgroßältern das Beste errungen, hängen auswendig an den Hauswänden, und kein Nachkomme wird es wagen, eine dieser Zierden, wenn sie auch verwittert ist, herabzunehmen, sondern läßt, wie ich öfter gesehen, vielmehr ein Dach darüber machen. Das seltenste Quodlibet bilden solche mit Ebern, Bäumen, Gemsen, feindlichen Soldaten, Stieren etc. bemalte Scheiben, an den ganz bedeckten Wänden.
Bald engt sich außer Winklern das Thal, kärglich durchblicken es kaum im hohen Sommer der goldenen Königin glühende Strahlen; finster wird der Tag um die Mittagszeit; der Welten-Baumeister hat 91zwei Felsenwände aufgestellt, so steil, daß man zittert, an ihren Schatten-wahrenden Fuß einige Häuschen mit dem passenden Namen Einöd, angeklebt zu sehen; aber sie stürzen nicht die senkrecht gestellten Massen, ruhig stehen sie in ihren Grundfesten, denn die Hand der Barmherzigkeit hat sie gemessen!
Der Ariabach, sein Daseyn zwei Seen verdankend, murmelt schnell hindurch, eine lustigere Gegend zu erreichen.
Dieser Bezirk bis Liseregg aufwärts, ist der unglückseligste an Hervorbringung von Fexen (Drotteln oder Cretins); selten daß man einige Häuser vorbei wandert, ohne diesen Stiefkindern der Natur zu begegnen, die Herz und Augen zum Mitleid stimmen. Ich sah Kinder sich neckend mit Kothe beschmieren, und Erwachsene, welche lachend große Steine auf Vorübergehende warfen. Eine gleichfalls blöde Weibsperson keuchte mir geraume Strecke mühsam nach, und als ich ihren Willen erfragen wollte, stürzte sie auf den zum Glücke von mir besänftigten Hund, und riß ihm einen Knäul seiner langen weissen Haare aus, sich damit den Kopf zu bestreuen. Diese Unglücklichen, welche gemeiniglich zwergartig, mit dicken Köpfen, kleinen Augen und großen herabhängenden Kröpfen gebaut sind, besitzen nicht selten die froheste Laune und Muthwillen.
In einer Stunde kommt man in das 34 Haus zählende Dorf Afriß; gemildert, ohne eben freundlich zu seyn, winkt das Thal, bis man in einer Stunde Erlach und Feld, zwei Oertchen an zwei Seen gelagert, erreicht; ein Thalkessel mit aufsteigenden Ackergründen 92zieht sich ringsherum zur Höhe, auf ihnen schweben bis zu Hochgebirgen hölzerne Bauernhäuschen, und unansehnliches Horn- und Rindvieh klettert dazwischen von Busche zu Busche. Radentheim liegt ebenfalls in einem breiten Thale mit steilen Bergabhängen. Viele Obstbäume, in der Umgebung eine Seltenheit, beschatten allenthalben die Häuser. Hier durchaus muß der Winter bei vielen Schnee gräßlich wüthen. Von Einöd angefangen, möge mässiger Wind schon Lavinen über die Berge herabsenden, ein Sturm aber Häuser und Bäume zudecken; der gedämmte Bergbach und die überfüllten Seen ihre Ufer überschreitend, dann vollends vernichten, was Winde und Schneelehne verschonten. Dasselbe gilt von den in noch wilderer Gegend sich bergenden Dörfchen Döllach und Döbriach an dem rauschenden Radenbache, welcher rechts vom Berge in die Thalschlucht einen schönen Wasserfall bildet. Einzelne Bäume haben rechts auf den Höhen, wohlthätig dem Wanderer, abstürzende Felsentrümmer mit ihren rüstigen Körpern aufgehalten; gleich großmüthig zerstäuben sie zur Winterszeit die andringenden Schneemassen, oder zwingen sie weniger zu schaden; man sollte den Arm strafen, der einen dieser Stämme fällte.
Von Döbriach über Hochdöllach, eine Strecke von zwei Stunden, ist eine der pittoreskesten Strecken. Rechts riesige Granitfelsen, theils bewaldet, theils aus losen Trümmern bestehend, die erst vor Kurzem sich einer Erdrevolution entschlagen zu haben scheinen, und aufs Neue nur eines Lüftchens warten, um abermals weiter zu rollen. Links breiten sich die mannigfaltigen 93Ufer des drei Stunden langen, und sehr tiefen Mühlstädter-Sees aus. Schön umwaldet sind seine jenseitigen Begränzungen; ohne Dorf, ohne Haus, sondert nur hie und da ein schmaler Wiesenstreif das hochstämmige Grün der Berge, welche sich weit hinein in den Seespiegel schattiren, ohne daß ein schaukelnder Kahn die Flächen zu wirbeln oft pflegt. Ich erfuhr, daß dieser See schon bei mässigem Winde wüthender tobe, als andere bei heftigem Sturme, daher nur selten und bisweilen gar nicht befahren werde.
Nun kommt man zu einigen Hütten von Oberdöllach (oder auch Matzelsdorf), ein Wasserfall, schön wie ihn nur die Natur bilden kann, stürzt über thurmhohe Felsenwand stufenartig herab, bald darauf braust ein zweiter nieder. Diesen in seinem ganzen Werthe zu sehen, muß man 200 Schritte emporsteigen, und — man dankt sich die Mühe! An diesem Bache besitzen einige Bauern kleine Handmühlen, die ihrem Hausbedarf genügen und sie empfindlicher Ausgaben überheben.
Markt Mühlstadt entschädigt nicht in seinen schlechten Häusern für die verlorne Pracht, die wie manches Glück nur einen Augenblick gedauert! weniger aber vergißt man die dumme Art und Weise, fremder Reisenden Geschäfte und Pässe hier zu erforschen. Ich hatte im Wirthshause die tollen Fragen des mir gegenüber sitzenden Gerichtsdieners satt; er darüber erboßt, frug pathetisch nach Herkunft, Namen, Lebensweise etc., welche ich, mich gar nicht dazu verpflichtet fühlend, nach Gutbefinden scherzhaft 94beantwortete. Etwas gestärkt will ich nun meine Wanderung fortsetzen; wie ich den näheren Weg durch das alte Verwalteramtsgebäude hinab gehe, tritt der unvernünftige Mensch in Begleitung eines wirklichen Herrn Amtsschreibers! hervor, und bringen mich durch ihre grobe Neugierde um frohe Laune und Zeit, die ich leider auf unangenehme Art zubrachte, bis Beide für die Zukunft eines Besseren belehrt wurden.
Eine Stunde schleuderte ich noch an dem fischreichen See durch die elenden Dörfer Gritschach, und Lerchendorf fort, bis er bei Wirlsdorf endete. Sumpfige Wiesen, die hölzernen Hütten der Schmutz liebenden Einwohner kaum ertragend, sind der beständige Anblick des abwechselnd auf Gangsteigen versinkenden Wanderers.
Es wurde Abend, Nebel senkte sich in schwarzen Wolken von Gebirgen herab, und verbarg die Zeichen, die den Pilger sicherer zu leiten pflegen; doch war die Wanderung darum nicht unangenehm, da der werthlose Bezirk, sich nur bisweilen enthüllend, den Beobachter mit verborgenen Reizen zu täuschen schien, gleich einem Frauenzimmergesichte, welches die unangenehme Form durch einen Schleier interessanter zu machen sucht.
Ueber der sich früher verkündenden Liser, die ihre Geburt mehreren Alpenseen verdankt, und Scheiter tragend den Uferbewohnern eben so furchtbar als nützlich ist, erreicht man das mit Waldbäumen durchflochtene
Das Dörfchen ist ziemlich ausgebreitet, es war bereits Nacht, ich mußte also in irgend einer Wohnung das Wirthshaus erfragen. Mühlen-Geklapper lockte mich links über Felder hinüber, einige Hütten waren bereits geschlossen, doch hörte ich nebenan Stimmen, — die Thüre zu öffnen und wieder zu schliessen war Eins; Rauch, Dampf und Brand qualmten im Häuschen empor, ein Mann rief mir zu, ich nahm einen Rand und ging noch einmal in diesen Höllenpfuhl. In Mitte der schwarzen Stube um einen mit Geschirren bepflanzten Lehmherd, worauf das Feuer emporloderte, standen sieben Personen, die Männer Taback schmauchend, die Weiber Reisig nachschürend, und ein Schweinchen in der Ecke grunzte ihnen Beifall zu. Der Rauch, welchem beim kleinen Dachloch sein Ausgang angewiesen war, sich nicht damit begnügend, wirbelte etwa drei Fuß hoch vom Boden im Gemache umher. Die zahlreichen Luftlöcher aber in der zerrissenen Breterwand, und die nur schlecht mit Papier und Glasscherben verwahrten Fensteröffnungen, dienten als eben so viele Rauchfänge, denen die um einige Zoll gegen ihre Oeffnung zu kleine Thür, gehörigen Luftzug gab. Auf dem holperig lehmigen Fußboden standen einige Verschläge mit Stroh, die muthmaßlichen Bettstellen des Pallastes.
Solche Wohnungen, die der Bauer seinem Hausgesinde anweiset, oder ärmere Familien gemeiniglich besitzen, sind in Kärnthen keine Seltenheit. Was Wunder! wenn sie auf den phisischen Charakter der 96minderen Klassen oft traurigen Einfluß haben! Diese Hütten, die für den Sommer nichts taugen, was mögen sie im Winter seyn?
Mühsam konnte ich nun das über dem Flusse liegende einsame Wirthshaus erfragen; wenn Jedermann seiner Anstrengung gemäß auch Lohn erwarten wollte, so müßte er hier sich höchst bestraft fühlen. Allein ich war schon allzu gewohnt, auf Nebenstrassen Hungerthürme von Wirthshäusern, und Strohbindel statt Federbetten anzutreffen. Wenigstens läuft man nie Gefahr, sich zu überessen, oder am weichen Nachtlager den Sonnenaufgang zu verschlafen. Dießmal hätte man immerhin den halben Tag verschlummern können, ohne sich deßhalb Vorwürfe zu machen.
Der lästige Regen, mir Nachts schon durch das alte Schindeldach seine entzückende Ankunft mittheilend, tumelte sich Morgens mit dem fürchterlichsten Sturmwinde; Wolken flohen in schrecklichen Gestalten wie zu einer wilden Schlacht brausend herbei, und der entfesselte Orkan lieferte den Donner des Geschützes; nur die Ueberzeugung, hier nichts zu gewinnen, trieb mich fort. Durch die Dörfchen Karlsdorf, Rauten, Feichtendorf, welche eng beisammen vom geringen Ertrage der Wiesen und Heidekornfelder leben, und nebenbei um sich besser zu befinden, die Wälder barbarisch vertilgen, gelangt man über Feicht und Lehndorf auf die Fahrstrasse. Alle diese, und noch mehrere folgende Oertchen, sind auf Lichtensterns topographischer Karte nicht angemerkt; Beweis genug von der bisherigen Unkenntniß dieser Gegend, die aber zum Glücke durch die nun allenthalben 97stattgehabte Landesvermessung hinlänglich aufgeklärt werden wird.
In einer halben Stunde erreicht man auf der Fahrstrasse Möllbrucken — nur einige Häuser, wo etwas unterhalb die Möll in die Drau sich ergießt. Ueber die Brücke durch Altenmarkt, führt die Strasse nach Tirol, dießseits am linken Ufer der brausenden Möll, nach Salzburg.
An der Brücke zeigen Denktafeln einige Unglücksfälle, welche diese unbändige Nymphe im Zorne oft auszuüben pflegt. Da wurden Häuser weggeschwemmt, Lastwägen sammt Kutscher in den Fluthen begraben etc., man soll wider Willen dieser gewaltigen Alpentochter Feind werden, und doch ist man froh, in ihrer Beschauung derer immer pittoreskeres Granitthal hinauf zu wandern. Das aus 39 Haus bestehende Mühldorf könnte in der That die Wohnung Neptuns und der Tritonen vorstellen. So viele Mühlen und Wasserfälle habe ich sobald nicht in einem Dorfe beisammen gefunden; der Wind peitschte die abstürzenden Gewässer vollends zu einem Gußregen über die Häuser.
Das Dörfchen Kollinz, überschattet von dem schwarzen Danielsberge mit seiner Wallfahrtskapelle und römischen Denkmälern, kann dem Wanderer, nachdem er von der mühsamen Bergersteigung zurückgekehrt ist, im Wirthshause einige Erholung verschaffen.
Zu Napplach, einem Dorfe, findet man viele Hammerwerke, Hammerschmieden und Köhlereien; einem 98schlechten Gangsteige folgend, erreicht man dann abermal bei einer Brücke über die Möll, das Dörfchen Beng. Rechts übersieht es von der Berghöhe ein alter viereckiger Thurm, der Rest des ehemaligen Ritterschlosses, dessen Besitzer und Geschichte ebenfalls Ruinen bilden. Dieses Dörfchen scheint einigen Wohlstand an Viehzucht zu besitzen, wenigstens sah ich nirgends mehr Schweine als hier auf Höfen und Gassen umherlaufen. Schon ausser Grätz wunderte ich mich, meistens schwarzes Borstenvieh mit etwas längerer Schnauze und dünneren Beinen zu erblicken, im Drau- und Möllthale war gar kein anderes mehr zu sehen. Ich frug um die Ursache, und es hieß, die schwarzen Schweine seyen weit leichter mit schlechterer Nahrung zu erhalten, als die weissen, und Wolf und Bär müssen sich noch überdies vor ihnen fürchten. Ersteres möge freilich nur Vorurtheil seyn, doch von ihrem Muthe überzeugten mich bald die verläßlichsten Beweise. Einige Schweine hatten meinen Wolfshund im Dorfe angeschnurrt; ich war kaum hinausgetreten, so folgte ihm ein kleiner Trupp nach; mein Hund, der zum Fang dressirt und muthig ist, wollte sie zurücktreiben; es gelang ihm Anfangs, doch nun kamen ungefähr dreissig, groß und klein, mit Gebrumm und Lärm herbei, und stürzten wüthend mit ihren Hauern auf Duna los; er bekam eine Wunde, aber wehrte sich dennoch tapfer; vergebens! sie würden ihn zerrissen haben, hätte ich nicht mit Stock und Steinen darein schlagend, dem geängstigten Thiere Luft gemacht, auf die steile Anhöhe zu entrinnen; mir riß einer dieser mordsüchtigen Vierfüßler das Beinkleid entzwei, 99ich war froh, um keinen höheren Preis meinem treuen Reisegefährten das Leben gerettet zu wissen.
So sonderbar mir dieses Scharmützel vorkam, und so lästige Wiederholung es vermuthen ließ, tröstete mich dennoch die Ueberzeugung: daß es erfreulicher in dem Lande zu wandern sey, wo Thiere ihre Feinde und Wegelauerer haben, als wo solche den friedfertigen Wanderer einer Börse wegen überfallen.
Ober dem Dorfe Gratschach erhebt sich rechts auf waldiger Anhöhe die
Sein grosser Thurm gibt ihm von weiten die Miene eines Gebiethers, welche sich aber nur allzubald in die eines Erbarmen flehenden Krüppels auflöst. Früher noch, als die würgende Zeit, scheint die ober ihm wankende Felsenwand, Schloß und Berg zu begraben, wenn die lockeren Granitflötze heftiger durch den abstürzenden Zweenbergerbach erschüttert werden.
Ich stieg hinauf, weniger, um die bunt durcheinander geworfenen Steintrümmer, derer ehemalige Gebiether und Schicksale längst der Zeiten Strom unlesbar gemacht, als das wohl angelegte Bienenhaus darin, das erste, welches ich in Kärnthen sah, zu prüfen. Wer das Kirchlein mit dem hölzernen Thurme dabei erbaute, konnte ich nicht erfahren, sicher aber war es ein Mann, der Wunsch und Herz genug besaß, diesen Ort auch für die Zukunft der Aufmerksamkeit anzuempfehlen.
Wenn Aussichten auf sanfte Empfindungen und süsse Schwärmereien meistens Bezug haben, so erzeugt 100gerade diese, einen ernsten kriegerischen Humor; Kraft und Trotz für ermüdende Anstrengung erwirbt sie dem Manne; Muth wenn auch die Welt in Trümmern zerfallen sollte, haucht die Umgebung. Einzelne an 1000 Klafter hohe Felsen hingelehnte Hütten, die um Schonung zu den riesigen Beherrschern flehen; sparsam sich hin und wieder hinaufziehende Streife von Wiesen, die eine Handvoll Gras für Lebensgefahr verkaufen; schwarze, bemooste Tannen und Fichten, an denen schon manche Blitze die Festigkeit erprobt, und deren Wurzeln sich zum Hohn der Elemente über Felsen winden, um nur mit einer Erdrevolution zugleich zu zerstäuben; zahlreiche Wasserfälle, die in bezaubernden Catarakten von Klippe auf Klippe stürzend, einen ewigen Staubregen gebären, und die abgelösten Granitsteinchen zur Erhöhung des Thales versenden; Felsen, welche die Leitern des Himmels zu seyn scheinen, während doch Niemand vermag, das riesige Haupt zu betreten; Toben des erzürnten Möllflusses, der kühner es wagt, die geheiligte Stille zu stören, und doch ohnmächtig sich müht, die beharrlichen Felsen aus tiefer Schlucht zu verdrängen; dieß sind die getreuen Bilder des ruhmwürdigen Möllthales. So mußte das Land aussehen, auf deren Bergen der stolze Römer und deutsche Kampfheld sich gefielen, und zur Verewigung darauf Tempel oder Heldenschlösser erbauten; so ist das Land, welches nach Jahrhunderten noch den Wanderer ergreift, ihm Achtung für die Vorwelt und Wünsche für die Zeitgenossen abzwingt, und so wird sein Anblick auch künftiger Generationen Blut und Adern durchwirbeln.
101Nachdem man sich von dieser merkwürdigen Stelle beurlaubt, erreicht man bald das minder wichtige Dorf Stollhof, welches nichts, als des Wanderers Wunsch erzeugt, bald davon entfernt, das zuwinkende
zu erreichen. Dieser 61 Häuser zählende Markt, obgleich gegen seinen einstigen Werth bedeutend verringert, ist das Asyl der Reisenden und Stolz der Umgebung. Hier trifft man nicht nur Häuser mit Stockwerken, sondern auch Keller, die genußbaren Wein, und Wirthe, die wohlzubereitete Speisen liefern. Die Einwohner sind gutmüthig, und was in einem solchen Eiswinkel am meisten auffällt — nicht neugierig! Ihr mässiger Feldbau, Bearbeitung des dasigen Kuferbergwerkes, so wie die Viehzucht, welche auf den zahlreichen Alpen den besten Gewinn biethet, fesseln sie zu sehr, um nicht Anderer Thun und Lassen zu bekritteln. Rechts, auf frischer Wiesenhöhe, steht ein alter Wartthurm, gleich dem hinfälligen Greise auf geschmücktem Tanzboden — der sich grell unterscheidet, und belächelt wird.
Meinem Wunsche gemäß weckte mich der grauende Morgen zur Tauernreise. Ich eilte von frostelnder Morgenluft gestählt, durch Dürenwellach, einer etwas höher liegenden quasi Vorstadt, zum Kalvarienberge hinauf. Einzelne Baumgruppen scheinen daselbst durch Kunst ihr Daseyn bekommen zu haben. Der Rückblick von hier genießt zuletzt das wilde Möllthal. Bald wird die Gegend verworrener; der abstürzende Malnitzerbach, 102noch frei und unabhängig, will seine Kraft der ihn verstossenden Heimath fühlbar machen; tief gräbt er seine Beete, reißt die Felsen auseinander, und wirft zentnerschwere Steine wie Saaten der Zerstörung spielend um sich. Ein hochstämmiger Nadelwald strebt milde, unter seinem Schatten diese Bosheiten dem spähenden Tage zu verhüllen; einzelne Hüttchen und Mühlen, furchtsam aufblickend, suchen von diesem Gewaltigen Nutzen zu ziehen. Nachdem man so dritthalb Stunden geklettert, stürzt plötzlich ein dünner Wasserstrahl — der Stäudenbach, von mehr als 200 klafteriger Höhe über schwarze Felsenwand, gegen die der weisse Schaum des Falles wunderlich absticht, auf gerundete Klippen herab, sein Daseyn in felsiger Kluft zu begraben. Kaum daß man sich dieser angenehmen Ueberraschung entzieht, erwartet den Fremdling die zweite. Der Wald hörte bereits auf, nun öffnet sich eine weite Ebene, von schneeumschürzten Alpen schroff und steil, gleich Himmelsmauern umschlossen; Roggen und Weizen reift auf den Aeckern; abgelöste Felsenstücke wie mit den Saaten gebaut, heben sich hie und dort aus dem Grünen; im Hintergrunde scheint ein Kirchlein und wenige Hütten aus der ebenen Flur den Reigen zu tanzen — man ist im
Klee hing zur Dörre auf Harfen geschlichtet, Roggen und Weizen war mit Ende August noch unreif am Felde! Mais bildete kleine Einfassungen an diesen; doch von Heidekorn, Bohnen oder Erdäpfeln hatte ich nichts bemerkt. — Wie viele Schicksale mußte der 103Mensch erleben, wie so manches versuchen, bis ihn die Noth zwang, aus lachenden Fluren in die riesigen Winkel der Alpen zu ziehen, und Samen, in Asiens Zonen nur heimisch, zu seinem Unterhalt in Sibirien’s Klima zu bauen! Hier ist sieben Monate Winter, und die anderen fünf theilen sich in Thauwetter und drückende Hitze. Man zeigte mir drei Klafter hoch am Kirchthurme einen Strich, so hoch war vor einigen Jahren der Schnee; es mußte dann nothwendigerweise das ganze Oertchen unsichtbar, und die Bewohner dem Ersticken, Erfrieren oder Erhungern nahe seyn.
Die Kinder liefen, wie ich mich den Häuschen näherte, scharenweise vor mir, andere krochen auf Händen und Füssen hinter Bindeln von Reisig, und schrien erbärmlich, statt das dargebothene Geschenk anzunehmen. Diese Anachoretenfamilie bildet unter sich eine Art Republik, abgesondert und unbekümmert um die fröhlichere Welt, säen, ernten und verzehren sie untereinander, was Boden oder Viehzucht spendet. Fremde Müller, Fleischer und Handwerker entbehren sie leicht bei eigenem Besitze, nur etwa Wein muß mühsam heraufgeschleppt werden; er dient zu ihrer Aufheiterung in den Tagen des Schreckens, und zur Labung der Reisenden, die über den Tauern wandernd hier gerne verweilen. Der Wirth, so wie die anderen Bewohner, sind gutmüthig; Luxus, Heuchelei und Eigennutz, diese Pestbeulen verderbter Menschen, sind noch nicht über die Berge hier zugereiset; leider hat aber auch Erziehung, Gelehrigkeit und Bildung den Weg hierher verfehlt.
104Mehrere Stunden von jedem Dörfchen, und Tagreisen von kleineren Städten geschieden, leben sie zwischen ihren bekannten Felsen und leuchtenden Schneefeldern. Den Genossen entsprechend ist ihre Lebensweise hart, ihre Habe dürftig wie der Alpenbach, ihr Vergnügen und Hoffnung — bessere Zukunft! Und so gräbt sich unverdrossen alljährlich der Bauer die Wege zum Leben durch Schnee; bewohnt die Hütte, dessen schneebeschwertes Dach die Mutter einstens erdrückte; stürzt mit dem Spaten den Acker, worauf der Vater erfror; oder holet das Holz von der Klippe, wo lockere Steine den Bruder erschlugen. »Warum nicht einen Freund in der Natur suchen? warum sich mit feindlichen Elementen um Bissen Brot, um Handvoll Gras herumbalgen?« könnte mancher Prasser im Prunkgemache sich wundern!
Der hierortige Pfarrer ist meines Erachtens am meisten zu bedauern. Er hat Niemanden, von dem er erheitert werden könnte; an seinen Bezirk gebunden, muß ihm nur Lektüre, die zu oft gesehene Wildniß versüssen; unglücklich, wenn er auch diese entbehrt!
Im Wirthshause genoß ich etwas von dem Bocksfleische, das zwar nicht wohlschmeckend, jedoch durch die Alpenkräuter besser, als in flachen Ländern ist. Der Wanderer wird in Gebirgsgegenden zur Sommerszeit durchgehends damit geplagt; weil man es später des stärkeren Geruches wegen nicht gerne benützt, und Geisse und Böcke weit leichter auf Alpen sich vermehren, als Schafe, die dann für den Winter aufbewahrt werden; Rindfleisch ist übrigens eine höchst seltene Speise. Der Wein hätte in diesem Dörfchen 105viel sauerer seyn können, ohne verschmäht zu werden. Indeß ich mir auch meine Reiseflasche damit anfüllte, kamen einige Bauern, mir gutmüthig ihre Dienste als Wegweiser anzubiethen. Um angenehmer, und nicht im Sturmmarsche den Tauern zu überspringen, glaubte ich keinen zu bedürfen, weil der Weg, wo auch bisweilen geübte Saumrosse empor klettern, ohnedieß zu ersehen sei; und so hatten auch ihre Schilderungen von mancherlei Gefahren keinen Erfolg.
Lederne, mit Stroh gefüllte Pölster, welche auf den Bänken herum lagen, sollen nach meiner Anfrage zu Ruhebetten dienen, worauf die Bauern, welche zu gewissen Zeiten über den Tauern nach Salzburg reisen, ihre Gefährten erwarten, um mitsammen die Reise zu vollführen; gewöhnlich nehmen sie dann kleine Bretchen mit, auf selben über die Schneefelder streckenweis hinabzurutschen. Einige der Kühnsten wagten schon zur Winterszeit diese lebensgefährliche Reise; Mehrere wurden dadurch ein Opfer ihres unüberlegten Unternehmens, ein plötzlicher Wind, Nebel, Schneegestöber, oder erschlaffende Kraft in den nassen Gliedern — und das hohe Grab umschloß sie mit frostigen Armen: dennoch schreckt andere Wagehälse weder Beispiel noch Gefahr, sie spielen mit ihr, weil sie nicht des möglichen Verlustes gedenken.
»Glück zu übern Tauern!« riefen mir die ehrlichen Wirthsleute nach, als ich das Dörfchen verließ; Sumpf umgab es hier, der eben so, wie bald darauf die, aus lockeren Steinen gebildete Fläche, von dem 106oft gräßlich wüthenden Malnitzer-Bache unterhalten wird. Ruhig spielte sich nun das niederstrebende Schneegewässer mit den durcheinander geworfenen Zeugen seiner Rache. Durch Gässen grosser Granitblöcke und entwurzelter Lärchenstämme, muß man entweder springend oder durchwatend, den Bach eine Strecke aufwärts verfolgen. Hie und da hatte sich zwischen diesen Verschanzungen etwas Erdreich gesammelt, magere Pferde schnell diese Plätzchen findend, verzehren den üppigen Graswuchs darauf.
Ueber Sandbänke von Gneis und Glimmerschiefer, durch die Sonne erglüht, gelangt man sonach in hohen Wald, man muß aber desto steiler klettern, und also erleichtert sich nichts. Rechts und links sind die Bäume, dem Wanderer den Pfad zu zeigen, etwas angepicht, man steigt eine halbe Stunde über ihre hohltönenden Wurzeln, dann werden die Stämme niedriger, durch Moose bartiger, und hören plötzlich auf. Nun betritt man eine grosse Alpenwiese (Mahde genannt), so steil und glatt wie Eisdach; einige Burschen auf Steigeisen sind eben mit Abmähen des kurzen Grummets beschäftiget, muntere Dirnen, Triller wirbelnd, welche nur die Natur sie lehrte, sammeln die getrockneten Kräuter mit Rechen, und häufen sie zu Ballen, gleich der ersten Heuernte, die ebenfalls zum Wintergebrauche, mit Steinen und Holz vor Absturz gesichert, herumsteht.
Ein duftendes Aroma sind diese abgemähten Herbarien, man kann sich nicht trennen von der Kraft hauchenden Ernte, die in einer Scheune den Menschen leicht tödten könnte. Die gutmüthigen Aelpler wollten 107mir rathen, mich von dem Heuschober, der auch zugleich Schatten both, zu entfernen, widrigenfalls Kopfweh und Schwindel bevorstehe; zugleich erzählten sie von der Gefahr, bei einem Winde zu mähen, und von der weit grösseren, den Besitz im Winter nach Hause zu fördern. Da müssen die rüstigen Nachbarn sich versammeln, Schneereife auf den Füssen, und lange Stangen in der Hand, schleppen sie kleine Schlitten nach. Bis sie zu dem Heuballe, der meistens verschneit ist, gelangen; bis sie einen Theil davon mit Stricken fest auf den Schlitten gebunden, ist schon manche Gefahr zu bestehen; nun erst müssen sie über Abgründe und Lavinen herab die Last sichern. Oft stürzt der Schlitten, und rollt für ewige Zeit begraben, in die Kluft, glücklich, wenn er nur Keinen mit sich riß; oft versinken Last und Menschen in tiefen Schnee, die Rüstigsten retten sich, die Uebrigen leider befreit das Frühjahr aus gräßlicher Behausung. Hat aber kein Unglück einen Genossen getroffen, hat nicht tobender Sturm den dürftigen Reichthum geplündert, oder eine Lavine die Habe und Schlitten verschlungen: so drücken die Hände sich bieder, freudige Tropfen füllen die Augen, und der Hüttler bedauert nur des Dankes zu fühlbare Schwäche!
Ich verließ diese wohlschmeckende Gegend, die so vielerlei Unglück nach sich zieht, und verglich sie mit der freundlichen Miene manch schadenfrohen Städters, die weniger erkannt noch weit listiger täuscht, ohne dabei etwas Gutes zu bringen!
Eine Stunde lang stieg ich empor, mehrere morsche Baumwurzeln, die über den Boden hinliefen, bestätigten 108meine anfängliche Muthmassung, daß diese üppigen Mahden einem ehemaligen Walde, der vielleicht vor 100 Jahren durch unbegreiflichen Vandalismus ganz ausgehauen wurde, den guten Boden zu danken haben. So konnten die Vorfahren bei all ihrem Holzüberflusse handeln, so Verwüstungen anrichten, ohne zu bedenken, daß sie dadurch den Gießbächen, Schneelavinen etc. die vertilgenden Wege zu ihren Wohnungen herab erleichterten.
Stangen im Boden befestigt, zeigten nun die fernere Bahn, welche über lockeres Gestein und glatte Schieferplatten uncultivirt führte; bald waren einige Felsen stufenartig steiler empor zu steigen, bald mußte man sich wieder in eine Kluft hinab bequemen. Man entbehrt zwar leicht Steigeisen, aber unglaublich scheint es, wie hier erbarmungswürdige Pferde, zumal mit einiger Last hinauf, und noch sonderbarer abwärts klettern. Es verunglücken zwar alljährig mehrere, brechen sich die Füsse, oder stürzen in Abgründe, aber demohngeachtet glückt es meistens, und das ist genug!
Sowohl durch Klettern als Abpflücken einiger Alpenblumen vertieft, bemerkte ich die aufsteigenden Gebirgsnebel nicht eher, als bis ich etwas Erholung suchend, mich auf einen Stein setzte. Dünne, durchsichtige Flocken durchwehten den Himmel, der sie anfänglich wie zum Scherz, kräuselndem Haare ähnlich, um die Sonne hing, diese der Welt anschaulicher zu machen, doch Phöbus seine Majestät entweihender Neugier zu entziehen, sammelte bald dichtere Schleier um sich.
109Es war mir unerfreulich, nunmehr, wenn ich auch den Weg finden sollte, doch die Uebersicht verloren zu haben, die bisher wegen höheren schneeumflorten Alpengebirgen ohnedieß von keinem Belange war. Verdrießlich kletterte ich eine Stunde fort, vielleicht neben fürchterlichen Abgründen, die ich nicht gesehen, auch nicht scheute; todte Stille umgab mich ringsum; kein Vogel, keines Hornes schallender Ton durchzog die Luft, welche durch dichte Nebel geschwängert, wie Taffet über die Felsen rauschte, die Steinplatten schlüpfriger, und meinen verschwitzten Anzug nässer machte. Vertrauend folgte ich meinem klug mich leitenden Hunde, welcher die Spuren der letzten Wanderer auch noch dann auffaßte, wenn ich selbe bereits verloren glaubte; die etlichen Stangen waren ohnedieß auf zwei Schritte nicht zu sehen. Endlich blieb Duna stehen — es war ein Schneefeld, ich befahl ihm zu suchen; das rastlose Thier lief herum, zögerte lange, endlich kam es traurig zurück. Nun ging ich selbst, mit meinem Stocke einen Streif in den Schnee nachziehend, den Weg wieder zurück zu finden, auf dem bleichen Felde umher; vergebens! entweder hatte ein gestriger Schnee die Tritte verdeckt, oder die heutige Sonnenhitze dieselben unkenntlich gemacht. Im Nebel auf Alpen, wo man keinen Schritt, oft seinen Fuß nicht sieht, weiter zu gehen, wäre Unsinn, den dreistündigen Weg nach Malnitz wieder zurück zu wandern, konnte ich im schlimmsten Falle auch noch bis Abend versparen, hier aber war es zu kalt und windig, um den vielleicht baldigen Abzug des Nebels zu erwarten. Ich wanderte also einen kleinen 110Felsenabhang zurück, legte mich zwischen schützende Granitflötze auf elastisches Moos, um daselbst mein Mittagsmahl etwas früher mit dem treuen Begleiter zu theilen.
Unterdessen vernahm ich in stiller Ruhe, Glockengeläute aus tiefem Thale sich anmelden; froh, in meiner Umgebung lebendige Wesen zu wissen, wollte ich meine Freude durch etliche Schüsse darthun. Die Berge schienen darüber herzurollen im wilden Echo, oder mich in ihren Schlund aufzunehmen; aus dem Thale tönte Jubel und kräftiger Peitschenknall. Nun hatten sich aus Langweile, die oft Länder in Kriege stürzt, zwei Menschen über weite Räume einander verständlich gemacht; jeder als Herr einer Alpe sich täuschend, wollte dem Andern seine unerwartete Anwesenheit mit so viel Lärm als möglich verkünden, die mit des Nebels Verschwinden auch ihr Merkwürdiges verlor. Ich war wieder einer der gewöhnlichen Tauernbereiser, jener nichts weniger als auffallender Alpenhirt. Beide erkannten somit ihre Unwichtigkeit, und schienen über den kurzen Traum der mit dem Nebel verflog, sich lächelnd Verweis zu ertheilen.
Wünschend, daß jede Schwärmerei so unschädlich ende, hatte ich noch überdies die Freude, die angenehmste Metamorphose des Firmaments zu ersehen. Kräftigere Windstösse von Osten, welche die Finsterniß brütenden Nebel zerrissen, brachen der Sonne die Bahn, ihre kochenden Freudenfeuer auf den frostigen Zinnen der Alpen aufzuzünden. Wolkenrauch stieg über die Altäre der Blitze, und zog in dichten Massen von den Opfer-Tempeln auf tiefe Flächen hinab, den 111Boden kühlend zu tränken. Inseln ähnlich entwanden sich nun auch die niedrigeren Gebirge dem Nebelmeere, höher und höher entwuchsen sie der Finsterniß; wie die Wogen des dunstigen Oceans wichen, besetzten unten rüstige Wälder die Plätze; über 100 Wasserfälle entstürzten aus ewigem Schnee den Gürteln der Riesen, die Flüsse des Landes zu schaffen — des Chaos einstiges Bild hatte ich erneuert gesehen! Ich verfolgte nun meinen vorigen Weg zum Schneefeld, und sieh — ich hatte eine Viertelstunde zum Kreuze, der höchsten Stelle des Tauernwegs, und Gränze von Salzburg und Kärnthen! Mir wäre also beinahe gleiches Schicksal bestimmt gewesen, wie Manchen, der auf der Laufbahn sein Glück oder Rettung zu erringen, die Endstufe verfehlt, und seine Mühe bedauernd zurücksinkt.
Ich wollte nun aber mein heutiges Ziel gefliessentlich hinausdehnen, um von dem höchsten Punkte des Malnitzer-Tauern, welcher sich rechts von dem Pfade bei 100 Klafter emporhebt, und mit einem Haufen zusammengelegter Steine, vermuthlich durch die Landesvermessung angemerkt ist, auf kärnthnerischem Boden die Runde zu prüfen. Diese pyramidenförmig aufstrebende Spitze bestand aus verwitterten Thonschiefer, der bei jedem Tritte sich losmachte, und ein äusserst beschwerliches Hinaufklettern verursachte. Oben war nicht lange zu verweilen, die rings umher gebetteten Schneefelder hauchten zu frostige Lüfte. Auch die Uebersicht entsprach nicht der Erwartung; zu groß 112waren die angränzenden Riesen mit ihren vielfärbigen Wänden, um sich vor diesem zu demüthigen. Selbst kein Dorf, kein Haus, stumme Sennhütten ausgenommen, war zu sehen, die Gebirge hatten sie zu eng eingeschlossen, zu weit verschoben; es war eine Gegend, wie ich sie nie sah, groß und stolz erhaben, aber nur von Wasserfällen belebt!
Das Kreuz, zu dem ich sonach gelangte, war mit einer Menge Heiligen-Bilder und Alpenblumen, welch letztere dem Botaniker einen kleinen Index der heimischen Umgebung augenblicklich liefern könnten, behangen.
Einige 100 Schritte unter dem Kreuze sah ich jene von gutmüthigen Pilgern in Form eines Sarges zusammengelegten Steine, welche den Unglücksplatz des letzthin hier erfrornen Menschen anzeigen. Man erzählte mir die traurige Geschichte in Malnitz, die ich kurz mittheilen will.
Ein junger Lederergeselle aus Obervellach schloß sich heuriges Frühjahr (1825) an zwei über den Tauern reisende wendische Bauern an. Diese rüstigeren Alpenkletterer sollen leider im Malnitzer-Tauernwirthshause demselben noch Muth zugesprochen haben, und dann, als er auf der Höhe ermattet niedersank, zu ihrer ewigen Schande, eigene Gefahr befürchtend, allein weggegangen seyn, und den Armen, der bei fürchterlichster Kälte in dürftiger Kleidung sich selbst überlassen war, mit baldiger Hülfe getröstet haben. Wirklich benachrichtigten sie auch den nächsten Tauernwirth auf salzburgischer Seite, von der Lebensgefahr jenes unglücklichen Menschen. Der Wirth sendet augenblicklich 113drei Männer zur Höhe; doch die Strecke ist zu weit. Mit Anstrengung haben sie die Hälfte Weges in zwei Stunden zurückgelegt; nun hebt sich der Sturm, mit ihm bäumen sich Lavinen, und Schneemassen donnern herab. Die Miethlinge verzagen und eilen zurück zur Behausung, das muthlose Leben zu sichern! Nun aber wagt der edle Wirth selbst, mit noch fünf herzhaften Männern, zu retten, was noch nicht verblichen. Mit Stangen und Schaufeln Wege erkämpfend, die boshaft sich gleich wieder schliessen, erringen sie nach drei schrecklichen Stunden die Höhe, suchen umher, und finden darauf — eine Leiche. Der Unglückliche war trotz angewandter Mühe nicht mehr ins Leben zu bringen, man schenkte ihm im friedlichen Thale das sorgenbefreiende Grab.
Solcher Unglücksfälle an einzelnen Reisenden, ereignen sich alljährig viele in Alpengegenden, indem übrigens zur Ehre der Menschheit es höchst selten der Fall ist, daß ein Wanderer den andern in der Stunde der Noth hülflos zurück läßt, — dieß hätten auch nimmermehr biedere Deutsche vermocht!
Vom Kreuze angefangen ins Salzburgische hinüber, heißt der bisherige Malnitzer- nun
Er scheint diesen Namen seiner Eigenschaft wegen zu verdienen; denn Anfangs decket ihn mehr Schnee als jenseits seinen südlichen Rücken, und später sind Sumpf und Moräste die deutlichsten Beweise der Nässe. Die Stangen hören auf, der Pfad ist aber dennoch 114leichter zu finden; in schlangenförmigen Krümmungen führt er sehr gäh hinab.
Nach einer Stunde, die man wider Willen mehr durch Springen und Laufen als mit behutsamen Klettern zubrachte, kommt man in ein enges aber lang fortlaufendes Wiesenthal; fünf Alpenhütten und eine Herde munterer Kühe verkünden im Sommer hier Leben; aus den kühlen Schneeriesen umher hat sich schon ein Bach gesammelt, und eilt über die Wiese hinweg, begierig, bald grösser zu werden. Ich suchte den besten Weg, um zu einer der Sennhütten zu kommen, und fiel doch etliche Mal bis zum Knie in Morast, der weislich! jede Hütte vor schnellen Anlauf sichert; ein Graben oder Steine könnten doch wenigstens das Versinken verhüten!
Fürchterliches Lärmen brachte alle menschlichen Gestalten aus den Hütten; ich glaubte Schlachtgeschrei zu hören, und erstaunte — wirklich Melker und Dirnen mit Knitteln herbeieilen zu sehen! »Ein Wolf, ein Wolf, nieder mit ihm!« schrieen die Geängstigten, und stürzten auf den vorschreitenden Duna los, ihn diese unverdiente Ehre theuer büssen zu lassen! Ich hatte Mühe, mich ihnen bemerkbar zu machen, und den Irrthum zu benehmen. Gutmüthig gab man mir sodann die verlangte Butter, Milch und Käse zur Erquickung in einer der Hütten, und sammelte sich mit ländlicher Neugierde um dieselbe, den fürchterlichen Stiefsohn des Erzfeindes aller Alpen in der Nähe zu betrachten. Mich erlustigten ihre Bemerkungen, besonders aber ihr freiwilliger Anboth, als ich sie versicherte, daß solche Hunde vielmehr die Gegner und 115Bezwinger der Wölfe seien: mir für Ueberlassung dieses Thieres, eine prächtige Summe pr. 5 fl. mittels einer Sammlung von den Dorfgemeinden zu verschaffen. Beneidenswerthe Menschen! die ohne geringstes Vermögen doch von keinen Geldsorgen gequält werden, und glücklich sind, weil sie bei Zufriedenheit nie Entbehrung fühlen. Ihrer Angabe nach mußten sie bald von dieser Alpe abziehen, weil die Kühe schon zu wenig Futter, sie selbst aber kein Holz zu hinlänglichem Feuer hätten, und der 8 September ohnedieß die Hochalpenweide verbiethe. Eine Gegend, die vor 50 Jahren noch von Wäldern strotzte, nun des Holzmangels wegen zu verlassen, möge manchen Gutsbesitzer und Forstmann Behutsamkeit lehren.
Je tiefer ich hinabkam, je nässer wurde das geengte Thal; mehrere Sennhütten standen leer auf duftendem Grün, um bald die herabkommenden Gäste aufzunehmen, und einige Wochen zu beherbergen, bis der Spätherbst ihnen die Dörfer zum Wohnorte öffnet. Die Nachzügler der Forste standen hie und da, wo sie die Axt nicht leicht erreichte, kümmerlich herum.
Stolzer wölbte sich die
durch angeworbene Schwestern ermächtigt, im ganz geengten Felsenthale nieder; kein Ufer war ihr zu hoch, keine Klippe zu hart, ihre Kraft sie fühlen zu lassen. Bald gönnte sie dem friedlicheren Wanderer keinen Weg mehr im überhängenden Steinthale; den ganzen Raum raubten die geitzigen Fluthen. Der erfinderische Mensch konnte ihnen keine gleiche Gewalt entgegen 116biethen, aber List hieß ihn die Felsen zu seinem Zwecke verwenden; eingestemmte Fugen in dieselben, eiserne Klammern, Baumstämme dazwischen und hie und dort Spreitzen in die lärmende Ache, und der an der Felswand schwebende Bretelweg war vollendet! — Bald besehen diese Erfindung höhere Nymphen, der Bandel- und Schleierbach, welche sich vom linken Ufer über die 190 Fuß hohe Felsenwand in die Ache ergiessen, ihr den Sieg der Menschen zu melden.
Wenn man nicht schon so viele Cascaden auf dieser Wanderung bewundert hätte, so müßte man von hier bis Gastein mehrere Tage bloß denenselben widmen. Der Bandel- und Schleierbach verdient übrigens den Namen, indem ersterer in mehreren neben einander fortlaufenden Wasserfäden, letzterer aber in einem einzigen durchsichtigen Wasserbogen herabstürzt. Durch den bunten Schmuck der farbigen Iris an diesen Cascaden findet sich das Auge eben so geschmeichelt, als bald darauf die Cataracten der Ache den Wanderer zittern machen, besonders dort, wo sich der kriegerische Alpenbach in dem Granitfelsen unter den Füssen des Pilgers eine weite Höhle gegraben; immer tiefer meisseln die schäumenden Wogen das schwer zu polierende Gestein, welches zwar noch tapfer ringt, aber durch heftiges Zittern sein baldig Erliegen verbürgt; dann dürfte hier ebenfalls eintreffen, was weiter unten die Reisenden in Erstaunen setzt; wo nemlich die wasserreiche Ache ganz im Beete versiegt, 28 Klafter ungesehen im Felsenbauche fortströmt, und dann wieder zu Tage kommt. Ein Wolkenbruch, abstürzende Schneelavinen, wenigere Sorgsamkeit auf 117die Reinigung des Achen-Beetes: so wäre hier der Geburtsort ausgehender Gräul und Verwüstungen über ganz Salzburg.
Besser wurde der Weg, als ich dem goldschwangeren Rathhausberge mich nahte, dessen schwarz bewaldeter Rücken so angenehm mit den bleichen Gestalten seiner ärmeren Gefährten kontrastirt. Bald darauf erreichte ich
ein Dörfchen von 17 Häusern, dem man es gewiß nicht ansieht, daß es einst, als noch die Ausbeute des nahen Goldbergwerkes ergiebig war, eine der wichtigsten Rollen in Salzburg spielte. Demohngeachtet verdienen auch itzt seine wohleingerichteten Waschherde volle Aufmerksamkeit, wenn auch nur mehr die Prozente der ehemaligen Ausbeute darauf gewonnen werden. Das Geklapper der Wasserwerke, Rauschen einiger Cascaden und freundliche Antlitz des einen Hügel einnehmenden im italienischen Style erbauten Kirchleins, machen das Dörfchen munter und lebhaft, so wie der fette Weizen und Roggen des erweiterten Thales nahrhaften Boden bekräftigt.
Einzelne Hütten und Scheunen mit dem Segen des Jahres gefüllt, mehrere Wasserfälle den Bergen enteilend, und die nimmer ruhende Ache, begleitete den Wanderer ein Stündchen zum
hinab. Wie Maler, Tonkünstler und Dichter den höchsten Effekt zu bezwecken, oft von einem Extrem 118zum andern übersetzen: so meisterte sich hier selbst die Schöpfung in der Zeugungskraft!
Ich will nicht Gastein beschreiben, das künstlichere Federn bereits versuchten, aber ewig bleibt mir der Eindruck merkwürdig, den der Uebergang aus lachendem Tage, in finstere Nacht, aus beglückendem Frieden, in kriegerische Elemente bezwecket.
Es war Abend als ich ankam, noch schaukelten sich der Sonne goldene Wogen auf Pöcksteins willkommener Runde; ich betrat die Brücke, welche sondert das gepriesene Thal von Gasteins wässriger Kluft; Felsen, hoch und schwarz — die Bothen der Finsterniß, umfaßten mich eng, den Schall der unter mir niederstrebenden Ache zurückbringend. Siedend, brüllend, mit zerreissenden Donner überspringt die rasende Ache dreimal zwanzig klaftrige Stufen, wäscht sich im harten Gestein die Kessel zum Höllenpfuhl, und wälzt dann, Vulkane im Toben verhöhnend, abwärts die ermüdeten Wogen. Das Zittern der zackigen Klippen, das Schlagen der erhitzten Wellen, die den Schaum in dichte Regentropfen formen, und naturwidrig aus der Tiefe über die Hütten hinweg zu den Wolken senden; die Finsterniß der sonnentwöhnten Schlucht, welche die aufsteigenden Dünste des siedenden Badwassers vollends umschleiern; endlich die wie Mühlen schwankenden Häuschen, welche auf einzelnen Felsen wie durch Balanze sich halten, ohne für kommenden Tag des Standpunkts versichert zu seyn: alles dieß kann wohl den neugierigen Fremdling entzücken, schwerlich aber dem Ruhe und Linderung suchenden Kranken willkommen oder trostbringend seyn.
119Ich glaube die bekannten Merkwürdigkeiten dieses Badeortes übergehen, und nur einige erfreuliche Aenderungen neuester Zeit anführen zu müssen. Unter diese gehören vorzüglich, daß Straubinger, der erste und wesentlichste Wirth und Badinhaber, nebst seiner hölzernen von Wind und Wogen erbebenden Barake, nun ein sehr bequemes ganz aus Stein erbautes Haus für seine Gäste besitze, das er mit einem Kostenaufwand von 20,000 fl. Konv. Münze, eben so heldensinnig auf den dem Felsen abgewonnenen Raum hinzauberte: als das weiter oben befindliche neue Stall- und Wagenremise-Gebäude dem Wunsche und Bedürfnisse der Zureisenden entspricht. Sollte aber zum Glück oder respect. Unglücke die Anzahl der Kurgäste so zunehmen, daß sie in dieser zweckmässigen Wohnung nicht Unterkommen fänden, so müßte man freilich die traurige Zuflucht auch zum Mitter- und Grabenwirth nehmen, die sich, wie ihre Bäder, seit 30 Jahren gleich blieben.
Für alle Gäste gleich angenehm wären unbezweifelt die neu angelegten Spaziergänge zum Dianentempel am rechten, und zur Einsiedelei am linken Ufer der Ache. Die Pfade sind gut, mit Geländern und Stufen versehen, einem Gesunden überaus willkommen; ob aber diese ermüdenden Hügel den Kraftlosen hinauflocken und entschädigen können, möchte ich bezweifeln.
Man war so klug, bei dem dritten untersten Wasserfalle am rechten Ufer eine hohe Breterwand zum Schutz wider den sich hinüber ziehenden beständigen Staubregen zu errichten, wodurch zwar einigermassen 120der kleine Steg und die engen Strassen vor heftigerer Nässe gesichert werden, nichts desto weniger aber die Luft trockner wird; deßhalb auch immer gefährliche Kranke vor 10 und nach 4 Uhr das Zimmer zu verlassen gewarnet werden. Also sechs Mittagsstunden sollen dem leidenden Menschen zu geniessen vergönnt seyn, in einer Gebirgsgegend, wo jede Minute neues Leben haucht. Ich bedauere jene unglücklichen Patienten doppelt, die vor dem sicheren Hinscheiden noch früher das Grab erforschen; wünsche aber, daß der Antrag, die Badquellen eine viertel Stunde weit nach Badbrucken hinabzuleiten, wo mehr Raum und freiere Plätze sich befinden, baldigst realisirt werde.
Des andern Tags wies man mir bei Besichtigung der Badplätze, wie sich bereits verwelkte Blumen im Dunstkreise des heissen Wassers bald erfrischen und neu beleben; selbst meine Gentianer, die ich gestern am Malnitzer-Tauern pflügte, bekamen den vorigen Glanz. Dem profanen Kranken mögen immer diese Zeichen tröstende Vorbedeutung zur Genesung seyn, ich möchte den Grausamen nicht loben, der prahlerisch ihm die Ursache enthüllte.
Welche Krankheiten hier meistens glückliche Kuren erwarten dürfen, ist zu bekannt, demohngeachtet wird sich Niemand wundern, wenn er die Zauberkraft dieses Wassers wider alle Uebel von Aerzten und Chirurgen zu Gastein anrühmen hört.
Ich hatte mich satt gesehen und gehört, an dem stürmischen Heilorte, und wanderte mit dem frommen Wunsche, daß allen Anwesenden so rüstig fortzuschreiten vergönnt wäre, nach
hinab. Dieses Dörfchen mit seinen Mühlen und Bäckereien biethet wenig Reitz; desto mehr Nahrung spendet die Umgebung. Fette Wiesen, Ackergründe, forellenreiche Bäche durchziehen das weite Thal bis zu dem anderthalb Stunde entlegenen Hofgastein. Pferde, wie ich sie nur beim Schiffzuge sah, zogen hier mit der Kraft von Elephanten den kreischenden Pflug; das Hornvieh glänzte vor Pflege und Wohlstand; nur die Menschen schienen den glücklichen Wechsel minder zu fühlen; stille und in sich gekehrt verrichteten sie die Feldarbeit, und wollten für sich und Andere keine Aufmerksamkeit erregen.
Die kleinen Oertchen Remsach, Gadaumern, dann Heilfing und Felding, welche die Strasse besäumen, fand ich auf keiner Karte, sie dürften also neuesten Ursprungs seyn. Endlich erreicht man
Dieser finstere Markt, der nebst sehr alten Häusern auch einen grossen Kirchhof besitzt, dessen zahlreiche Trophäen zum Theile im neuesten Style glänzen, könnte füglich als Ursache der Traurigkeit der Umbewohner gelten, so wie die Zuflucht der Kranken nach Gastein weniger erfreulich machen. Ich erfuhr auch wirklich vom Grabwärter, daß mehrere der schönen Monumente ihre Existenz den hier Genesung suchenden Fremden zu danken hätten. Natürlich können unter vielen Kranken nicht alle gesunden!
Bis hierher soll vor Zeiten das Badwasser geleitet 122worden, und dieß zu erneuern, nun abermals der Antrag seyn; die Häuser und Menschen würden dadurch bald ein lustigeres Ansehen gewinnen.
Die prächtige Fahrstrasse währet fort über die Dörfchen Laderdig, Haarbach und Dorf. Hier beginnen die ganz hölzernen Häuser, deren höhere, mit breternen zierlich ausgeschnittenen Gängen beim ersten und zweiten Geschoß umfangen werden. Bisweilen bilden diese Gallerien die Vorrathskammern für Mais, Klee, Flachs, Holz u. d. gl. man sieht dadurch gar kein Fenster, und fürchtet, die Häuschen müßten umstürzen vor dieser überhängenden Last, die man hier am bequemsten aufzubewahren glaubt. Das beinahe flache Dach besteht aus neben einander gelegten mit schweren Steinen belegten Bretchen; man erspart dadurch kostspieliges Eisen, und sichert, daß der Wind weniger die Dachung enthebe. Freilich durchdrückt oft solch ein schwerer Stein das mürbe Dach, oder rollt hinab auf Menschen und Vieh, und erregt grösseres Unheil, als hätte der Sturm das ganze Dach geraubt; allein das Unglück findet überall seine Wege, und wer es am meisten fürchtet, ist zuerst sein Gefangener. Im Wildbade Gastein mögen jedoch einige dieser Dächer die Hipochondristen nicht wenig ängstigen, ich finde sie daher dort mehr, als im ganzen Salzburgischen und Theilen von Tirol anstössig.
Ausser Dorf rücken schon die wilden Kalkfelsen der finsteren
entgegen, man blickt zurück, um Abschied zu nehmen von dem freundlichen Thale, das eine so abschreckende Pforte besitzt; kaum bemerkt man das Oertchen Mayerhof, welches schon im Felsenkessel gelagert, von der Ache, Klippen und Schneelavinen nur geduldet zu werden scheint. Die Clam ist bekannt, sie war bis vor drei Monaten die schrecklichste Passage, welche Deutschland aufzuweisen hatte; die Kluft ist noch fürchterlich, wird ewig merkwürdig bleiben: so lange die 300 Klafter hohen Felsenwände sich hinbiegen über den Wanderer; so lange die Ache donnernd und brausend herauf schäumt aus dem tiefen Beet auf die Strasse, den Staub ihr abzuspühlen; so lange die Sonne stiefmütterlich das Thal übersetzt, es fortwährend der Dämmerung zu überlassen. Keine Macht kann hier Aenderung treffen, in den wilden Formen dieses sonderbaren Felsenlabyrinths, nur Rütteln des Erdballs kann die Wände wieder schließen, die über ihr voriges Nichts — das Chaos zusammenstürzen, die Welt mit ihren Trümmern zu begraben. Die Reste des alten Schlosses Clamstein — der Thurm und Wohnort des ehemaligen Wachpostens, alles, alles wurde durch die Fluthen verschlungen und Schneelavinen begraben, kaum beweist eine einzelne Thorsäule beim Eingange in die Clam, deren ehemalig unnütze Existenz! — Aber schönere Werke sind hier seit Wochen ins Leben getreten; eine Strasse, werth daß sie ein gütiger Kaiser begnehmigte, wurde den Felsen und der Ache abgezwungen! Statt den über Abgründe 124schaukelnden Bretelwegen, die vormals den Reisenden mehr, als die lockeren Bäume und Felsen, welche über seinem Haupte balanzirten, erschütterten: wölben sich nun mächtige Quaderbögen aus der Ache empor, Geländer darauf von Stein oder festem Holze, sichern die größtentheils für zwei Wägen breite Strasse; wo der Fluß nichts hergeben konnte, mußte sich der Felsen zum Weichen bequemen; den Gießbächen und Wasserfällen, welche den Höhen entstürzen, und sonst den elenden Weg stückweis verschlangen, wurden nun unter der Strasse gemauerte Kanäle zur Ache hinab angewiesen; die niedrigeren überhängenden Klippen, die täglich hundertmal den Tod drohen, sind durch Meissel und Pulver von ihrem Punkte verbannt. Auf alles wurde gedacht, die Festigkeit des Willens, und Sicherheit der Strasse zu bekräftigen; nur läßt sich nicht wiederbringen, was die Vorfahren unsinnig verdarben: Die Bäume, deren Wurzeln noch an den Steinwänden ihre ehemalige Kraft und Anzahl versichern, wurden aus Unverstand und blöder Gewinnsucht gefällt, sie waren Schutz im Winter gegen andringende Lavinen, wenn nicht ganz, doch gegen gefährlichere Explosionen. Nun vergeht kein Winter, wo nicht diese zerstörenden Gäste die Bahn einige Zeit hemmen, Steine entlösen und Menschen zu Grunde richten.
In Reflexionen, wie jeder Stein von diesen ewigen Schanzen, die für Gemsen unersteiglich scheinen, Tod und Verderben dem Wanderer bereite, wurde ich durch Glocken-Geläute gestört; ich glaubte meinen Augen nicht trauen zu dürfen! Jenseits der Ache, 125hoch auf den zackigen Vorsprüngen, sah ich Senner hinter Hornvieh niederschweben; klein, wie Kaninchen, schienen die Kühe mit Fittigen herabzugleiten, immer grösser wurden sie und die Gefahr ihrer Wanderung. Ich frug einen Wegmacher, wer diese Thiere dort hingezaubert hatte? Mit Lachen erwiederte er: es wäre ein Steigel von einer Alm, auf dem die, welche hinauf kletterten, nun wieder hinab müßten; es sey freilich unham (unsicher) zu gehen, aber für gewöhnte Füsse nicht tödtlich. Ich wollte hier kein wahrscheinliches Unglück abwarten, sondern zog eiligst davon, Jedem herzlich wünschend, der Welt verhängnißvolle Pfade glücklich zu überschreiten. Minder furchtbar schienen mir nun die donnernden Cataracten, die sich tief unter meinen Füssen in finsterer Kluft tumelten und nicht verstummten, bis sich die Clam nach einer Stunde im anmuthigen Salzathale endigt. Den letzten Versuch wagt hier noch die niederstürzende Ache, die Unabhängigkeit zu erringen, wie der Feind, welcher alles zu gewinnen oder zu verlieren bereit ist; er überbiethet seine Kraft, erschöpft sich, und erliegt in plötzlicher Unkraft!
Dort wo die mächtigere Salza die wildere Ache besiegt, in dem ewigen Staubregen preiswürdiger Cascaden, zwischen Felsen, gleich den Grotten Neptuns, möge jeder Wanderer sich hinstellen, und ein halbes Stündchen widmen. Krieg und Frieden zeigen hier so treffend ihre Bilder, daß man sich geschmeichelt fühlt, die Gränzen von beiden so genau angeben, so vortheilhaft 126einsehen zu können. Den Gräuel der Verwüstung um sich und im Rücken, lagert sich vorwärts das sanfte Thal mit dem Postörtchen Lind, an beiden Seiten der hölzernen Brücke über den mächtigsten Fluß des Salzburgerlandes. Heiter winket im Westen das niedliche Schlößchen des Amtes. Mühlen, Hammerwerke, Kohlenmeiler und rege Hände am Flusse und im Grünen, verkünden Fleiß und Thätigkeit, welche die Salzathalbewohner allbekannt zieren. Kein Gaul zeigt hier müssig seinen riesigen Bau, oder verschrumpft bei kärglicher Nahrung auf elenden Wiesen. Die Berge, so hart sie das Dörfchen bedrängen, entschädigen mit reichlichem Holze und üppigen Klee; wärmer kräuselt der Osthauch die Blätter im offenen Thale. Weniger passen sonach die trägen Gemäuer des aufgehobenen Benediktiner-Klosters Schwarzach, in das lebendige Tableau.
Die Strasse, welche ich nun an der Salza nach St. Johann fortwanderte, ist ebenfalls neu angelegt, und für Wägen eingerichtet, kein engbrüstiger Reisender darf ferner sein baldiges Ende in der Salza vermuthen. Geländer und glänzende Erlen wahren vor Unglück und verhüllen die Tiefe. Hie und da gibt es zwar steilere Plätzchen, die aber durch ihr Pitoreskes den Fußreisenden für seine Mühe nur einigermassen entschädigen.
St. Johann ist ein schöner Markt, die 200 meistentheils hölzernen Häuser, haben Thürmchen am Dache, in dessen jedem eine Glocke (natürlich von verschiedener Grösse und Erzbestandtheilen) sich befindet. Diese Ohren-quälenden und disharmonischen Glocken, 127welche ein uralter Hausbedarf im Salzburgischen sind, werden Morgens und Abends zu gewissen Stunden geläutet, dann aber von jedem Hausbesitzer zur Eß- und Gebethzeit etc. noch einige Male unter Tags einzeln angestimmt. Da die Wohnungen weniger beisammen, sondern zerstreut im Gebirge herumstehen, so ereignet es sich bisweilen, daß man einen ganzen Tag fortwandert, und diese unwillkommenen Töne beständig anhören muß.
In drei Viertel Stunden erreicht man das, aus 50 größtentheils gemauerten Häuschen bestehende Dörfchen Bischofshofen, welches sich auf mässiger Steinhöhe von weiten als etwas Besonderes darbiethet; hier wird das Thal gegen Werfen hinab breiter, aber nicht langweiliger. Schießscheiben sind wieder zunehmend grössere Zierde der Häuser, die Männer müssen entweder Jagdfreiheit geniessen, oder sich hier herum mehr als anderswo erlauben; dieß bewiesen mir mehrere Burschen, welche stolz mit ihrem Rohre dem Forste zueilten.
Die Stunde, welche ich von hier nach Werfen benöthigte, schien mir kaum halb so lang. Von der hohen Strasse sieht man hinab auf die kristallene Fläche der gekrümmten Salza. Hunderte von grünenden Inseln steigen aus ihr, wie Felder eines Schachbrets hervor, auf denen die Laune und Anmuth im Wettkampfe spielen; weiter dehnen sich an den Ufern frische Wiesen, zwischen denen der knarrende Pflug schwarze Streife zur Saat fürs kommende Jahr in die geachteten Aecker zieht; dort stehen Hütten am Saume der Bergabhänge, wo die wollige Herde und 128haarigen Ziegen den lästigen Winter vertrauern, reichliche Nahrung häufen dazu lustig die alles betrillernden Melker. Nördlich erheben sich höher und höher die eisigen Alpen des würzigen Landes, stolzer als irgendwo droht das hohe Tänengebirge auf das gesegnete Thal; Nebelwolken sammeln sich auf ihren ewigen Schneefeldern und bringen dem Tage die Nacht, dumpfer Glockenschlag scheint dieß zu bestätigen. Ich biege um eine Ecke — da entbreitet sich das ansehnliche
mit seinem Bergschlosse, welches der Erzbischof Gebhard 1076 erbaute. Markt und Festung, in Jahrhunderten ergraut, fesseln das Herz. Wohlgefällig betrachtet man die Häuser, welche so manche biedere Familie beherbergt zu haben verbürgen. Rastlos bemühte sich der Vater, seines Fleisses errungene Habe seinen wackeren Söhnen zu überlassen. Andere Schatten gaukeln dagegen um der Festung finsteres Haupt. Es sind die Geister der daselbst Gemißhandelten, Verschmachteten! —
Der Felsenberg des Schlosses, meistens vom Salzaflusse umwunden, schien ausgeschlossen zu seyn von den anderen Genossen, allein sollte er sich behaupten, wenn nicht durch Grösse, (80 Klafter über dem Markte) doch durch Merkwürdigkeiten seiner Existenz. Er entsprach diesem Ansinnen durch Jahrhunderte. Die Zeit hat nun seine Schloßmauern gemürbet, seine Kerker unbrauchbar gemacht; es naht die Zeit, wo 129sein Skelet zerfallen würde, wie alle einstige Herrlichkeit — in unbedeutendes Nichts; man ist daher bedacht — Dank der besseren Empfindung! das Schloß als merkwürdiges Alterthum noch für einige Jahre zu erhalten. Alles soll und kann nicht renovirt werden, es bleibt daher immer mangelhaft gegen sein früheres Aussehen, besonders als Festung, die es bei itziger Taktik ohnehin nur spottweise vorstellen könnte.
Zwei Invaliden und ein Schliesser empfingen mich freundlich beim wohlverschlossenen Thorzwinger; letzterer both sich mir sogleich zum Führer; sein ungeheuerer Bund Schlüsseln rasselte mit allen Schreck der Vergangenheit durch meine Adern; die Menge eisener Thüren zu ebener Erde und in den Geschossen möge ebenfalls einst keine Besucher der Neugierde erlebt haben. Einige Zimmer des ersten Stockwerkes werden gegenwärtig zu Magazinen verwendet; die erzbischöflichen Gemächer, denen sogar das Fußgetäfel fehlt, sollen wieder schön und zum Bewohnen eingerichtet werden, welche Ehre sie hauptsächlich der schönen Aussicht wegen verdienen. Hat man die langen Gänge hin und her durchgewandert, die Kapelle und düsteren Zimmer betrachtet, welche mehr durch die Phantasie, als durch Ansehen interessiren, so steigt man endlich zu dem höheren der zwei Thürme über breite Leitern, auf das Verdeck der runden Schindel-Kuppel. Nur bei Windstille darf es der Besucher wagen, hierher zu treten, wo man über die drei Stockwerke hinein sieht, in jeden Winkel des Schlosses, und hinaus über die dunklen Waldbäume des Berges, in die freundliche Umgebung.
130Ich äusserte, daß dieser schöne Platz doch ein Geländer verdiene, um minder Schwindellosen erfreulich zu seyn, und frug ob noch nie Unglück hier zutraf? »Meines Wissens keines« antwortete der Mann, »vor zwei Jahren aber fiel einem Herrn, der die Umgebung mit dem Fernrohr betrachtete, sein Stock herab; flux springt sein Pudel nach in den Abgrund, kein Bein möge ganz geblieben seyn!«
Unwillkührlich drang sich mir der Gedanke auf, daß im Mittelalter so mancher Gemißhandelte, seiner Marterkammer los zu werden, den treuen Pudel um seine schreckliche Befreiung beneidet haben würde.
Eine der vier Glocken wiegt 75 Zentner, und soll vor Zeiten zum Allarmgeläute gebraucht worden seyn; o wäre sie doch lieber verstummt! Die unterirdischen Gewölber wollte ich nicht besehen, weil die wegen ihres schrecklichen Aussehens vorzüglich merkwürdigen, als für die Menschheit unpassende Kerker, 1790 verschüttet, oder zugemauert wurden.
Auch hier ist gebräuchlich, daß jeder Fremde, bevor er das Schloß verläßt, seinen Namen und Charakter in ein dazu bestimmtes Buch eigenhändig einschreibt, und dadurch die Anzahl der Besucher, oder allenfällig Bekannte, welche durch Länder geschieden werden, auf einem Blatt Papier sich darstellen.
Ich schritt vom bewaldeten Schloßberge dem Passe
zu. Auf der breiten Fahrstrasse sollen viele Unglückstafeln, welche mehr das Unglück des Malers als des 131zu entwerfenden Ereignisses bezeigen, den Wanderer warnen.
Bald verlor sich das herrliche Werfenthal aus meinem Gesichtskreise; enger rückten die Felsenwände des Göllinger- und Tänengebirges zusammen, himmelhoch, kahl und schroff; ich sah die Clam, welche mich jüngstens so ergriff, erneuert, hörte das donnernde Getöse des zehnfach vermehrten Gewässers, und maß den engen Raum des blauen Streifes, der von Oben durch die finstere Kluft herabblickte. Auch hier an der wildesten Stelle stand ehedem ein Blockhaus für einen Wachposten, welches aber die Salza und abstürzenden Felsentrümmer nicht länger dulden wollten, und vor einigen Jahren bis auf die kleinste Spur wegspühlten. Eine Marmortafel im Felsen, verkündet, daß Erzbischof Hanns Jakob Kuen 1560 diesen Paß fahrbar machte. Wenn man sich so ziemlich der Schlucht herausgewunden hat, ersteigt man eine kleine Anhöhe, und wendet sich zur Linken, neben einem Felsenstück. Eine Säule mit hölzerner Hand, worauf die Worte stehen: »Zu den Oefen der Salza,« ziehet den Reisenden von der Fahrstrasse, und heisset ihn dem angewiesenen Gangpfade folgen. Geländer und hie und da Treppen (welche Ernest Fürst von Schwarzenberg hochherzig anlegen ließ,) leiten ihn Anfangs zur Höhe und dann wieder abwärts in eine Felsenschlucht, die noch alles bisher Gesehene überwiegt. Man hört Donnern und Brausen unter seinen Füssen, fühlt das Beben der Felsen, und getraut sich nicht zu errathen, was Wirklichkeit ist; links gähnt eine enge Felsenkluft, man übersetzt sie, 132und sprang — über den mächtigen Salzafluß, welcher sich ober- und unterhalb viertelstundenweit ausbreitet! Wer sich diesen gefahrlosen Schwung nicht erlauben will, der kann etwas weiter rechts auf einem Brügelweg, mit zwei Schritten die Salza übergehen, welche im tiefen Abgrunde sich zwischen Felsen durchdrängt, und hie und da durch beständiges Andringen, Höhlen (Oefen) im Kalkfelsen ausgegraben hat. In solche Abgründe haben sich vor Zeiten fromme Gläubige mit Lebensgefahr auf Stricken herabgelassen, um daselbst Kruzifixe oder Opfer für die Mutter Gottes und andere Heilige aufzuhängen. Dieser sonderbare Gebrauch, den Hochwasser, Holzschwemme oder lockere Steine feindselig verfolgten, hat sich seit Jahren aufgelöst, und beschränkt sich nur mehr auf die armen Holzknechte, welche, wenn sich die Bäume in der engen Kluft unten häufen, mit Hacken hinablassen müssen, den Lauf des Schwemmholzes nach Hallein zu lüften. Eben war man beschäftigt mit Abstockung des gegenüber stehenden Föhrenwaldes; die Stämme wurden zum leichteren Fortgleiten der Rinde entlöset, welche dann gesammelt und zum Gebrauch der Gärber in Mühlen gepulvert wird. Wenn so einige Stämme hinab holperten gegen die Steine mit fürchterlicher Gewalt, so brausten die Wände wie vom Kanonendonner; die Knechte aber Eisen an den Füssen, kletterten umher, mit einer Kaltblütigkeit, welche sie alle Gefahr verhöhnen hieß.
Einer von ihnen führte mich in Wald hinauf zu einer Felsengrotte, in der man jeden Schlag der Bäume, und das schäumende Anprellen der tief hinwogenden 133Salza, wie in der Höhle kämpfend, vernimmt. Er versicherte mich auch, daß die Salza sich durch die einzige besehbare Kluft nicht durchzwängen könne, sondern Seitenadern durch die Felsen entlang habe, welche das Wasser weiter unten dem Hauptarme wieder zuführen. Ich mußte ihm dieses glauben, weil er, und nicht ich, die unteren Labyrinthe dieses Chaos bereits gesehen.
Man verläßt ungern diesen ewig merkwürdigen Punkt; besonders, da bald ein weites Thal, für Ackerbau und Viehzucht sehr ergibig, den Wanderer umfängt, aber im Salzburgischen ist nichts langweilig!
Die Lammer, ein Gebirgsflüßchen, welches nach etwas Regen auch Flösse trägt, und sein Gewässer unter Lueg der Salza zuführt, ist sehr fischreich. Ferne winkt der angenehme Markt
sein Schloß hat sich den schönsten Platz — die Mitte gewählt, wie der Familienvater unter seinen Enkeln. Der viele Marmor, welcher dazu verwendet wurde, möge weniger von Prachtliebe der ersten unbekannten Erbauer, als Nothwendigkeit zeigen, diese Gattung edlerer Bausteine vor anderen, in der Umgebung seltener vorkommenden, zu benützen.
Die ohngefähr 90 Häuser zeigen von Wohlstand und Nettigkeit. Das muntere Wesen der Einwohner, die Artigkeit, und das lobenswerthe Gefühl von ihrem schönen Lande, mit dem sie Fremden mehrere seiner Herrlichkeiten aufzählen, sind von Reisenden schon angerühmt worden. Ich beeilte mich, den lang gepriesenen
zu besehen. Auf einem sehr langen Stege überschreitet man das breite Beet der Salza. Duftende Wiesen, auf welchen einige Häuschen, von Obstbäumen umrankt, geräuschlos ruhen, hölzerne Scheunen, und die einen Felsen mit der Miene eines Schlosses beherrschende Kirche, präsentiren sich mannigfaltig dem Fremden als Gemeinde Hofer.
Man verfolgt den Bach aufwärts, passirt zwei halb verfallene Mühlen, die unter Bäumen sich gerne dem prüfenden Auge entziehen, und kommt endlich in ein Gewirre von losen Steinen, Gebüsch und verwundeten Bäumen. Ein schmaler Pfad führt zu dem heftiger sich anmeldenden Wassersturz. Ein Obelisk, von dem Naturfreunde Ernest Fürst von Schwarzenberg errichtet, lobt die edle Begierde zureisender Fremden, der Schöpfung Meisterstücke zu erspähen. Mehr als jener Denkstein preisen diesen großherzigen Chevalier die Pfade, welche er anlegen ließ, die Cascaden in allen reitzenden Situationen zu studieren.
Man kommt zuerst in eine Felsenschlucht, in welche sich der Gulinger- oder Schwarzabach zum letzten Male über grosse Felsentrümmer, die der Zahn der Zeit glatt geschliffen, und mit grünen Schlamme oder Moose ganz überzogen hat, herabstürzt. Kühle Luft und Staubregen kräuselt dem Bewunderer das Haar, welcher der Nässe nicht achtend, staunend verharrt. Bäume und Felsen haben ein Bollwerk errichtet, welches weiter zu dringen verbiethet. 135Man muß zurück, und eine steile bewaldete Höhe, mit Geländern versehen, erklimmen, bald biegt sich der Pfad zur Rechten, eine Brücke überspannt die gräßliche Felsschlucht, auf ihr erblickt man die zweite höhere Cascade, einem breiten Schleier ähnlich, wie er zwischen den Felsen in gerader Richtung und durchsichtig, donnernd herabschießt. Geweidet an diesem herrlichen Naturschauspiel strebt man nun abermal höher zu kommen. Einige Bänke und Tische biethen Erholung unter Fichtenstämmen und prächtige Uebersichtspunkte, endlich gelangt man zu der Wohnung Neptuns; es ist die dritte und höchste Cascade. Aus einer Felsenhöhle, wie mit einem Thorbogen überwölbt, stürzt sich die Fluth hinab über holperig Gestein, ohne sonderlich Brausen, nur mit dumpfen Getön. Eisig streichet die Luft heraus, frostig wirbeln die Wellen darin; man kann einige Klafter weit hinein klettern, über vorragende Steine und seichtere Wasserplätzchen; doch sorge man, sich vorher wohl abzukühlen, Mancher möchte sonst nicht ganz glücklich nur mit einem Husten davon kommen! Zur Rechten hin, dehnt sich die Höhle, immer niedriger wird der Raum, bis es unmöglich ist, weiter zu dringen. An dem Kalkgestein sieht man das öftere Steigen und Fallen des Wassers, die Felsen sind glatter gegen unten zu. Man hat viel gegen und für den Ursprung dieses Gewässers behauptet, bis vor wenig Jahren erst einige verdienstvolle Naturforscher die wahre Quelle des Falles ausmittelten. Nach heftigen Winden und Sonnenhitze wird die Wassermasse stets zunehmender, dagegen bei Schnee oder Regenwetter merklich kleiner, es 136mußte also diese Cascade von einem hohen See ihr Daseyn entlehnen, dem die Winde einen schnelleren Abfluß oder die Sonne mehr geschmolzene Schneemassen von Alpenhöhen brachten. Nach mehreren Versuchen ward man auf eine Wasserhöhle links in der Felsenwand des Königssees, dem Schlößchen St. Bartholomä gegenüber, aufmerksam. Gestein und Lage entsprach dem Vermuthen, einige Säcke Sägespäne, welche man dort hineinließ, kamen als bewährte Dokumente der gelungenen Wassererforschung, nach Stunden mit den Gulinger-Cascaden zu Tage. Man mußte sich mit dieser Gewißheit begnügen, und die frühere Idee von einem grossen unterirdischen See im Göllengebirge aufgeben. Ob eine Erdrevolution, oder der Drang des Wassers, seit Jahrtausenden sich diese Kanäle gegraben, mag der entscheiden, welcher es wagt, vom einstigen Chaos bestimmte Nachrichten zu schildern.
Ich verließ diese herrlichen Cataracten, ungewiß, ob ich diesen, oder den zuvor bewunderten Oefen der Salza den Preis der Merkwürdigkeit zusprechen sollte?
Angenehme Wiesenpfade, neben denen sich einige Leinwandbleichen befinden, leiten nun gegen Hallein hinab. Ausser dem Markte Kuchel empfängt noch ein Wäldchen den Wanderer in seinem kühlenden Dunkel; muntere Pferde und Hornvieh tumeln darin die gesunden Glieder, und freuen den Oekonomen, obgleich sie der obersalzburgischen Race an Grösse und Kraft nachstehen.
Nun verkündet sich des schwarzen Halleins Existenz; das Pfleghaus und die Rotunde scheinen die 350 Häuser des Städtchens aus der Tiefe erheben zu wollen, nach welcher Ehrenbezeugung aber die 5000 Einwohner nicht stolz zu streben suchen; wenigstens zeigt der Schmutz ihrer Häuser und Strassen (wovon nur wenige auszunehmen sind), keine sonderliche Glanzsucht.
Einige Tausend Klafter Holzes drückten eben den ungeheueren Rechen Halleins, hunderte derselben waren bereits auf dem weiten Anger zur Abfuhr geschlichtet. Hände und Karren mühten sich, ihr nöthiges Daseyn zu beweisen. In Dampf und Gluth lösen sich über den Dächern der Pfannhäuser die abgestockten Wälder. Westlich überblickt diese schwarzen Opfersäulen mit wohlgefälliger Miene der zerklüftete Dürenberg, gern gegen diesen Tribut seinen Reichthum ausspendend.
Auch das alte Hallein wollte man hie und da einigermassen verjüngen; ein unglückliches Unternehmen, wie wenn Jemand durch neuen Hut und Stiefel, die übrige hundertjährige Kleidung modernisiren wollte. An dem Gasthause zum Freischützen mag immerhin der gutgemalte Schild das Einladendste seyn.
Uebrigens hat man Hallein in einem halben Tage genug, und begreift nur nicht, wie die Einwohner so geduldig ihre Lebenszeit den holperigen Strassen, und engen, übel riechenden Gäßchen widmen mögen.
Wer kein Schwelger ist, wozu die vielen Wirthshäuser 138Gelegenheit genug biethen, wird sich mühen, nach erhaltener Erlaubniß den Dürenberg sobald als möglich zu befahren.
Man steiget links neben der Rotunde den Bergpfad empor; weniger beschwerlich als langwährend wäre die Höhe des Dörfchens
zu gewinnen, entschädigten nicht die prächtigen Prospekte auf das Salzathal und dessen Umgebungen, besonders aber die Strassen und Höfe Halleins, in die man, ihre Geheimnisse erspähend, wie von einem Thurme hinabblickt. Einzelne Baumgruppen ernähret hier und da ein Fleckchen Erdreich auf dem mageren Kalk- und Marmorgrund des Dürenberges, desto schöner wuchern dagegen Subalpinen für den Botaniker. Dem Kothbache, welcher durch die Kluft dem Wanderer in kleinen Fällen entgegen eilt, aufwärts folgend, erreicht man endlich nach drei Viertel Stunden die steilste Höhe, wo auf grünender Fläche das 1060′ über Hallein messende Dörfchen Dürenberg mit seiner aus rothen Marmor gebauten Kirche sanft ruhet. Die Bewohner der 32 Häuschen werden zum Salzbergbau verwendet, sie sind gutmüthig und besonders gegen Fremde zuvorkommend.
In das Gasthaus brachte mir ein Bergknappe den gewöhnlichen weissen Oberrock, eine Kappe, Rutschleder, Handschuhe und weichen viereckig gehobelten Stab, eine halbe Berglachter lang, worauf die Stürfe und Punkte eingebrannt waren.
Nachdem ich mich mit diesen Insignien eines Bergmannes 139weidlich ausgestattet hatte, kletterten wir, weil im Freudenberger-Hauptstollen[17] eben wesentliche Verbesserungen in der Auszimmerung[18] Statt fanden, dem höher liegenden Leonhartsberger-Stollen zu.
[17] Haben meistentheils gleichen Raum, nemlich 6′ Höhe, am Boden 4′ Breite, 2′ an der Mitte, und 1½′ am Himmel; die Zimmerung macht natürlich den Stollen verschiedentlich kleiner.
[18] Ist von dreierlei Art, denn je lockerer die Lehm- oder Erdmasse ist, desto stärker muß die Auszimmerung seyn. Die erste Gattung derselben, wo nur wenig Senkung von festerer Gebirgsart oder Einwirkung der Tagesluft (Wetter) zu besorgen ist, besteht aus neben einander gereihten Thürstock-ähnlichen Schwartlingen von 3¼″ Dicke; wo diese einfache Zimmerung nicht zureicht, wird die zweite Gattung — fünfzollige Baumstämme, oder die einfache Zimmerung mit sie unterstützenden Pfosten, am Firste und denen Seitenwänden als stärkste Schützerin angewendet. Sind diese Pfosten nach Monaten oder Jahren gebrochen, so werden sie durch neue ersetzt, nachdem vom vorstrebenden Berge so viel abgegraben wurde, daß das Ebenmaß wieder hergestellt worden ist.
Solche Reparaturen gehen periodisch vor sich, weil man sonst Gefahr läuft, daß entweder das Werk ausgetränkt werde, oder die weichere Erdmasse sich senke, und so der Stollen zusammenwachse.
Mit einem Grubenlichte in der Hand, dem ebenfalls leuchtenden Knappen folgend, muß man dennoch sehr behuthsam seyn, wegen Ungeschicklichkeit nicht ausgelacht zu werden; denn sich an den Ulmen (so heissen die Seitenwände), und am Firste (Himmel oder Decke, kaum 5½′ hoch), anstossen, oder die drei an der Sohle (Boden) neben einander liegenden Gestänge (Pfosten), zum Gehen und Fahrkleise für die zweirädrigen 140Truhen, (oder Hunde wie man diese Karren hier nennt), verfehlen, und darneben hinab in das sich sammelnde süsse Wasser oder in die sumpfige Lehmerde treten u. d. gl., werden als Hauptfehler angesehen und bescherzt; eben so unpassend ist es, eine der Sulzströhne (Röhren) zu berühren, worin die Salzsohle aus den Wehren in die Sulzstuben, und von da aus die entlegenen Pfannhäuser geleitet wird, so wie die, welche das in den Bergwerken sich sammelnde und entweder als überflüssig, oder für die Sinkwerke nicht anwendbare süsse Wasser aus dem Stollen schaffen.
Ich hatte das Unglück, mich immer tief bücken zu müssen, und willigte daher gerne in den Vorschlag, im Karren die Wanderung zu versuchen. Ein Knappe leuchtend, schritt vor, ein Anderer schob nach, und so ging die Fahrt durch den engen Stollen im Galoppe von Statten. Kommen Andere mit ähnlichen Karren, worin der Schlamm oder Unberg herausbefördert und in den Kothbach zum Fortschlemmen geworfen wird, entgegen gefahren, so sind abwechselnd entweder in der Thonerde ausgegrabene und vertäfelte, oder nachdem der Bergstoff ist[19], in Marmor gemeisselte Vertiefungen wie Nischen, in die der Eine mit seiner Equipage sich bequemen muß, bis die Anderen vorbei passirten. Einige hundert Klafter mag man so beinahe horizontal hinein gedrungen seyn, als es nun aussteigen und dem Huthmanne folgen heißt. 141Nunmehr werden die Schachte[20], Schüttpütten[21], Probieröfen[22], Ankehrschürfe[23], Wehrkästen und Sinkwerke erklärt und gewiesen, welche Priester und Laien der Bergkunde höchst interessiren.
[19] Die wesentlichsten Stein- und Erdarten des Salzberges bestehen in Marmor, gelb und graulich-weissen Kalkstein, Gips, grau und lettenartigen — bisweilen Schieferthon u. d. gl.
[20] Schachte sind kleinere ausgezimmerte Stollen im salzreichen Berge, worin man von einem Sinkwerke zum anderen gelangt.
[21] Schüttpütten sind den vorigen an Grösse und Zimmerung gleich, jedoch mit einer perpendikulären Richtung, befinden sich im tauben Gebirge, und gehören nur zur Beseitigung des im Berge vorfindigen Lettens, welcher im Stollen nicht füglich hinausgeschafft werden kann.
[22] Probieröfen sind eingetriebene schachtförmige Erweiterungen im Berge, Salzlagen zu erforschen, aus deren salzreicheren in der Folge Sinkwerke entstehen.
[23] Sind die künstlichen Vorrichtungen, womit die Probieröfen und Sinkwerke mit Letten und Zimmerung verschlagen, die Salzsohle gesichert und sodann abgelassen wird.
Die Anlassung der Sinkwerke, entweder durch Selbstwasser (welches sich im Berge sammelt), oder durch äussere Bächelchen (Tagwässer) mittels Tagschürfen, (schiefe Stollen, welche ausgedielt mit Bretern bewändet, an der Sohle zu beiden Seiten Röhren, um Wasser zuzuführen, und Leitern zum Auf- und Abklettern der Knappen besitzen), hat man weniger Gelegenheit selbst zu sehen, sondern muß sich mit gründlicher Erklärung begnügen; desto sicherer wird man von dem seltsamen Eindrucke überwiesen, den solch ein aufgelassenes Sinkwerk bei gehöriger Beleuchtung auf den Fremdling macht. Sollte eine 50° lange, 30° breite und kaum 6′ hohe Höhle, welche mit den herabhängenden und am Boden liegenden schon niedergestürzten Bergklumpen, wie der zahnreiche Rachen 142eines wunderbaren Ungeheuers mit feurigem Hauche den Fremdling umfaßt und zu zermalmen droht, der dumpfe Ton der ferne befliessenen Häuer, welcher den Berg zu werfen scheint, die verhallenden Worte der Sprecher, wie hohle Stimmen erstandener Geister, endlich die schlechte, jeden Ungeweihten ängstigende Luft, nicht auf den Fremden ausserordentlich wirken? Diese Sinkwerke sind die unmittelbaren Fundgruben der Salzausbeute, wenn sie mit süssem Wasser angefüllt, nach 30 oder 40 Tagen (nachdem der Salzstoff reicher und leichter zum Auflösen ist), eine 25½ Grad wiegende Sohle abgeben; 325 Eimer Sohle liefern dann bei gutem Sude 100 Zentner Kochsalz. Daß diese Sinkwerke eine ungleiche Quantität Sulz erzeugen, versteht sich von selbst; die kleinsten welche 14,000 bis 60,000 Eimer fassen, können jährlich zwei bis dreimal angelassen werden; die größten von 208,000 bis 500,000 Eimer, höchstens alle drei Jahre einmal.
Nach jedesmaligem Ablassen der Sohle erweitert sich das Sinkwerk, theils durch das aufgelöste Salz, theils durch den sich mitauswaschenden Lehm oder Unberg, der als Schlamm den Boden bedeckend, mit den Truhen (Hunden) zu Tage befördert werden muß. Sind die Sinkwerke endlich zu groß, daß entweder die Ausräumung (Säuberung) zu viel kostet, oder der Salzstock hie und da zu erschöpft ist, so wird es aufgelassen (nimmer betrieben), und anderswo Probieröfen und Sinkwerke angelegt.
Vom Sinkwerke wieder umzukehren, oder weiter die Wanderung in des Plutus labyrinthisches Reich 143fortzusetzen, überläßt man dem Gaste, der gerne letzteres wählt. Nun heißt es Klettern oder Rutschen, wozu die Rollen (ausgezimmerte 3′ breite Schächte, mit einer ungefähr 40 gradigen Neigung) Gelegenheit biethen. Strebt man abwärts, so muß man sich bequemen, darin auf zwei, schuhweit neben einander hinablaufenden glatten Bäumen, rechts mit einem Stricke versehen, der mit Hand und Fuß zu umfassen ist, nieder zu rutschen, aufwärts aber, die zwischen diesen Bäumen fortlaufenden steilen Stufen, mühsam zu ersteigen. Beides scheint den Fremdling beim ersten Anblick ängstigend und gefahrvoll, die Probe erst zernichtet den Wahn. Mich ergetzte diese Flugfahrt wie jedes Besondere, zündete das verloschene Grubenlicht immer geduldig wieder an, besah noch mehrere Wehren, Sinkwerke, Probieröfen etc., und kam so mit Vogels Schnelle in den untersten Wolf-Dietrich-Stollen, welcher gegen den zuerst besuchten Leonhartsberger-Stollen, eine Senkung von 1000′ haben mag. Hier wird man aufmerksam gemacht auf die ungemeine Dauer der Stollenauszimmerung im salzreichen Berge, die vor zehn Jahren verfertigt, besser erhalten ist, als jene, welche im tauben Gebirge kaum so viel Monate zählt. Am vortheilhaftesten rentirt sich der Stollenbau, wenn er durch festes Gebirge, wie öfter im Dürenberge, auf weite Strecken durch Marmor leitet; denn obgleich die erste Ausgabe des Durchbruches ungemein mehr beträgt, so währt sie dagegen, ohne Zimmerung und Reparaturen, für die Ewigkeit.
Ein Karren nahm mich sodann wieder auf, und rollte, durch die Behendigkeit zweier Knappen beflügelt, 144dem Mundloche (Eingangsstollen) zu. Das Tageslicht blitzte entgegen, grösser und weiter wurde die Lücke, reinere Luft wirbelte die Locken der Eilenden, ich tauschte den Tag um die Nacht!
Meine wohlbenützte Maske abgelegt, betrachtete ich noch einmal mit Ehrfurcht den Salzberg, der so viel Grosses, Wohlthätiges in seinem Innern verschließt, und in dem die sinnenden Männer so manche Preisdenkmähler ihrer Wissenschaft und Geschicklichkeit sich bauten, und wanderte befriedigt hinab.
seltener Art hielt mich ab, vom schnelleren Besuche Berchtesgadens. Ich hatte zwar mehreren in Ungarn und Oesterreich schon beigewohnt, wo mit entsprechenden leichtfüssigen Rennern dieses Spiel ausgeführt wurde; hier aber war vorzüglich eine Schwere der riesigen Gaule von wenigstens neun Zentnern erforderlich, um zum Wettkampfe zugelassen zu werden; auf das Alter der Pferde und deren Lenker nahm man weniger Rücksicht. Die Rennbahn war unter Hallein eine Fläche gegen Salzburg; weder Schranken noch Wache gab dem Spiele grösseres Ansehen, man bedurfte ihrer nicht, weil kein Andrang der Volksmenge Beirrungen entspann.
Drei seidene Tüchel, mit ungleicher Anzahl Thalern beschwert, waren der Preis für eben so viele Bestrenner. Diese Elephantengaule, keineswegs zum Schnelllaufen, vortrefflich aber zum schweren oder Schiffzuge dienlich, standen ohne Sattel und Zaum, nur mit strickenen Halftern versehen, in Reihe aufgestellt. 145Muthig massen auf diesen Kolossen die winzig scheinenden Reiter ihrer Gefährten sprechendes Antlitz.
Der Knall einer Halderpeitsche gab das Signal zum Aufbruch; mit langen Gerten ergeisselten die rocklosen Lenker die Schnelle der schwerfüssigen Thiere; einige sich immer umdrehend, gingen gar nicht vom Fleck, andere sprangen und bäumten sich, und warfen entweder des Reiters Hut oder ihn selbst mit zu Boden; schallendes Gelächter der Menge frohlockte dann über des Unbehülflichen Mißgeschick. Nur Wenige sprengten im schweren Galoppe von dannen, daß der Boden erbebte, und die Staubwolken wie durch Besen gewirbelt, sich hoben. Reiter und Pferde verschwanden, bis Stillstand beim Ziele sie wieder erschuf.
Von den ersteren Dreien waren Zwei zugleich angekommen, diese mußten noch einmal rennen; nun hatten sich aber die Gaule auf der kaum viertelmeiligen Bahn bereits müde gelaufen, sie wollten also von neuer Schnelle durchaus nichts wissen. Schritt für Schritt, mit etwas Trapp, den ungewöhnliche Ruthenstreiche erzwangen, wurde nun zum wiederholten Male das — Wettrennen ausgeführt! Kaum war der eine Reiter beim Ziele angekommen, als der Andere hinter ihm abstieg, und sein Pferd bei der Halfterschnur nachzog, um schneller den dritten Preis zu erhalten. Daß dieses zweite Rennen, dessen Schneckeneile mancher Zuseher vorging, Vielen etwas Neues, Allen aber gewiß Stoff zum lautesten Lachen wurde, unterliegt keinem Zweifel.
Einige Tage früher soll noch ein interessanterer
von ledigen Dirnen aus der Umgebung Statt gefunden haben; den Preis machten unverarbeitete Kleidungsstoffe.
Eben so wurde für kommende Woche ein Wettgehen junger Burschen, welche bis an den Hals im Sacke eingemacht werden, bekannt gegeben. Diese Wanderung wird nur mittelst kleiner Sprünge bezweckt, welche öfteres Umfallen nach sich ziehen, wovon sich dann der Sackläufer nicht sobald ohne Mitwirkung der Hände erholen kann, sondern sich am Boden herumwälzend die lächerlichsten Situationen liefert.
Diese und noch andere Wettkämpfe, wozu die Streitfahrten der Fischer auf Seen von Oberösterreich, Salzburg und Berchtesgaden gehören, werden alljährig mitunter in anderen Bezirken begangen, und bleiben von der neugierigen Nachbarschaft ja nie unbesucht. Der anwesende Fremde gewinnt dabei ein doppeltes Interesse, am Feste sowohl, als auch an Kenntniß der Umbewohner, deren Wuchs, Wohlstand und Kleiderschnitt sich vorzüglich darstellen.
Von Hallein führt ein steiler Bergpfad nächst dem Kalvarienberge durch eine Schlucht nach dem Gränzposten
der vor Zeiten als Mauth, so oft Gelegenheit zu Zwist und Rachsucht den Berchtesgadnern und Salzburgern unter einander gab.
147In einem Häuschen, unter dessen Zwinger-ähnlichem Thorbogen die Strasse fortführt, befindet sich das österr. Zoll- und Aufsichtspersonale, und etwas tiefer unten zu
jenes der königl. bair. Regierung. Waaren und rohe Stoffe müssen hier verzollt werden, Reisende aber, die von Salzburg nur einen Abstecher nach Berchtesgaden des herrlichen Königssees wegen machen wollen, können es immerhin wagen, ohne Besorgnisse um königl. bair. Paß.
Die krumme Fahrstrasse führt nun Anfangs neben duftenden Wiesen, von lebendigen Zäunen begränzt, welche man öfter anzutreffen wünscht, statt den holzfressenden Breteinfriedungen, welche undauerhaft überdieß noch in waldarmen Ländern häufiger bestehen.
Der herrliche Waldweg, welcher nun bisweilen neben der entgegen brausenden Ache, die nur durch ihr Geräusche dem Wanderer sich verräth, fortleitet, wurde durch die väterliche Sorgfalt des verstorbenen Königs Maximilian Joseph zum Wohle seiner dankbaren Unterthanen hergestellt.
Lustig pilgert der Fremdling in das Ländchen, dessen Pforte schon so schöne Spuren von Kultur und Anmuth trägt. Bald grüssen ihn freiere Bilder der sinnreichen Natur in
Hügelthale, das besäet mit Hütten und Häusern, durchflochten von Wäldchen und Wiesen, beschimmert 148durch der abstürzenden Bäche murmelnden Streif, und umwunden von den Stachelgürteln der Alpen mit ihren beschneiten Spitzen, ein zauberisches Blendwerk magischer Kunst schiene: wären nicht Gegenbeweis, rüstige Arme, die allenthalben ihr thätiges Daseyn verkünden. So eilen über der Fluren gemähtes Grün die munteren Dirnen zur Heimath, nicht fühlend die wiegende Last der duftenden Kräuter, nur des Lobes gewärtig der emsigen Herrin. Dort über die steinige Höhe schleppen wohlgenährte Rinder die astlosen Lindenstämme zu mancherlei Arbeit bestimmt, in die entlegene Scheune; die Brust kracht im krummen Joche, ihre Gewalt erstickt, Meister und Gesellen müssen sich mühen, mit schwächerer Kraft die gedämpfte Stärke zu unterstützen, die Axen knarren empört, doch menschlicher Wille vollbringt.
Von des schwarzen Domes zugespitzten Marmorthurme schallet vielglockiger Ton echovermehret herüber, er scheinet ein Fest zu verkünden, ob Trauer, ob Lust zur Sprache ihn rief? — es sammeln sich Bewohner des Marktes!
Friedlich umschliessen desselben 142 zerstreute Wohnhäuser, die nach den Vermögensumständen der 1000 Einwohner, theils von Holz, theils von Stein aufgeführt sind, ihre drei längst erbauten Kirchen; was den ärmlichen Wohnungen und krummen holperigen Gässen an Anmuth fehlt, das ist den meisten Gesichtern der freundlichen Bewohner aufgeprägt, die gerne den Fremden unterweisen, in die Werkstätten der Künstler und Professionisten ihn führen, und den Dank seiner Willkühr überlassen.
149Ferne über des Marktes Bereiche wirbeln sich schwarze Dünste in Wolken zusammen; höher breitet sich unter ihnen die Finsterniß, von jenem Winkel scheint die Nacht ihre Bothen zu senden; ein Windstoß — und zerrissen ist der täuschende Schleier; das schöne Pfannhaus zu Fronreit zeigt sich dem Fremden mit all dem Glanz und Grossen, wie sich der Stolz dem geringeren Anblicke nur zeitweis zur Bewunderung überläßt.
Ich wanderte durchs Unthal, die Gasse des Vormarktes; Lärmen und Jubel beim Wirthe Springler um die zehnte Vormittagsstunde, schien etwas mehr als gewöhnliches Sonntagsfest zu verkünden, auf meine Frage bekam ich mehrstimmiges Hozet
zur Antwort. Unglaublich! kaum zwei Stunden vom Salzburgischen entfernt, und einen Rasttag! ohne früher den preiswürdigen Königssee zu bewundern? Dieß hätte ich nimmer gedacht; aber auch eben so wenig, Zeuge einer Hochzeitfeier zu seyn, wo mitten im Gebirgslande die kräftigsten Burschen und hübschesten Dirnen bei Tanz und Jubel sich ergetzen; dieser Seltenheit kann man wohl einen halben Tag widmen.
Bei meinem Eintritt überzeugte ich mich alsobald, daß des Bachus siegend Panier auch in die entfernteste Gebirgsschlucht gedrungen; denn schon hatte die Freude oder der Wirth manchen der männlichen Gäste zu freigebig mit Wein überladen; die Macht des Geistes, oder die Schwäche der Füsse warf dann den 150zu stark Durstigen röchelnd in einen Winkel des Zimmers, während die Anderen diesem bald zu folgen, mit vollen Gläsern ein Spottlied über den Gesunkenen anstimmten. Nun kommt der Bräutigam am Arme seiner Auserwählten. Ein ausgelassenes Zurufen tönte aus allen Kehlen dem Brautpaare entgegen, wofür sich beide durch zwei geleerte volle Gläser bedankten. Alle die nicht zur Hochzeit geladen waren, mußten nun den Saal räumen, jedoch gönnte man mir als Fremden freundlich mein einsames Plätzchen, was mich einigermassen die Trunkenheit dieser Leute wieder vergessen machte.
Nach dem Mahle, wo wirklich Ueberfluß herrschte, und ich so ziemlich die ungezwungenen Naturmenschen zu erkennen Gelegenheit hatte, gab Jeder seiner Dirne, welche während des Essens schon hinlänglich abgeküßt wurde, seinen Arm, und man tanzte, daß der Boden durchzusinken schien; mir wurde des Klatschens und Singens wegen für mein Gehör bange, und schwerlich hätte man einen Büchsenschuß wahrgenommen; ich fand aber an der Behendigkeit einiger nicht mißgestalteter Dirnen, sich um den Finger ihres Tänzers etliche zehnmal zu drehen, Behagen, und duldete dieses Allarmgeschrei ein paar Stunden; nun wurden mir aber diese Zeremonien lästig, und ich eilte von dannen.
Was den unmässigen, ja ausserordentlichen Hang zur Schwelgerei im Essen und Trinken bei ähnlichen Feierlichkeiten anbelangt, muß ich freilich nur die Vergebung des nüchternen Beurtheilers ansprechen, und zwar um so mehr, als diese ohnedieß sehr dürftigen 151Bewohner nicht selten einige ihrer Möbeln oder Werkzeuge veräussern, um einen Tag (wie sie sagen,) recht aufhauen zu können. Doch auch hier wage ich, zwar nicht um sie ganz zu entschuldigen, anzuführen: daß gerade darin der Grund ihrer sonstigen Nüchternheit und steten Fleisses beruht.
Als minder gebildete Menschen kennen sie die Wohlthat der Enthaltsamkeit nicht; würden sie aber täglich, wie anderwärts wohlhabendere Männer, nur etwas schwelgen, so wäre ihr Verdienst und Arbeitslust verschwunden, und Berchtesgaden hätte eben so viele Bettler, als es Bewohner zählt; so aber fand ich nicht Einen! Man zecht einmal, denkt jahrelang an das Gute und Nachtheilige dieses seltenen Tages, arbeitet, um das Verschwendete hereinzubringen, und sich vor ähnlichen Ausschweifungen möglichst zu hüthen. Wer wenig hat, und sich auf Weniges beschränkt, spart meines Erachtens mehr, als der viel hat, und sich im Mehreren beschränkt.
Nachmittags benutzte ich die erhaltene Erlaubniß, sowohl den
als auch das zu selben gehörige Pfannhaus in Fronreit zu besehen.
Wenn man einen Salzberg bereits befahren, und ein Pfannhaus gesehen, so wird man, ohne Halurge zu seyn, im Allgemeinen wenig Unterschied finden; es müßte denn nur, wie hier der ungemein reichere Salzstock, welcher sogar in grossen Stücken mit Pulver entsprengt wird, und das neue schön gebaut und 152eingerichtete Pfannhaus, dessen Aussenseite gegen jene zu Hallein schon so empfehlend sich darstellt, etwas mehr Interesse erregen.
Der Abend kleidete sich trübe und wolkicht, schwühl hauchte die Luft, welche zeitweis ein Windstoß, aus den nahen Eisgebirgen entsprossen, etwas kühlte; es war auf angenehmes Weiterwandern nicht zu denken; ich begnügte mich demnach, auf etwas längerem Wege um den romantischen Markt, obigem Gasthause wieder zuzuschreiten. Da führt mich der Zufall zum
Ich gestehe, weder unter die empfindsame Klasse der Melancholiker, noch unter jene der gewöhnlichen Besucher von Kirchhöfen zu gehören, welche allsogleich bei jeder Grabstätte zu Betrachtungen hingerissen werden; doch über diesem Ruheorte scheint ein besonderer Genius zu schweben. Schönere, kostbarere Monumente mag man wohl auf tausend Gottesäckern finden, schwerlich aber einfach zierlichere, und ein schöneres Plätzchen! Wie im Blumengarten ruhen die Sorge-befreiten Hüllen, gleich im Leben und Tode mit einander verwandt; keine Gruftmauer, kein Alabaster mit Golde sich paarend, will da Ausnahmen machen, bewundernde Blicke des Fremdlings sich zuziehen; man sieht hier, wie nach dem Tode die Körper sich gleichen, wie Haß und Stolz zerstäuben, und die Luft der Ewigkeit sie verzehrt. Kreuze schmücken die Hügel, zwar nur von Holz, aber zierlich gearbeitet und bemalt sind sie alle; man sieht hier nicht, wie Verwandte, aus Freude wegen der übergrossen 153Erbschaft, dem Verblichenen ein prächtiges Denkmal setzen, und so wie der Nachlaß bei den schwelgerisch Traurenden sich schmälert, auch das Andenken an den großmüthigen Sparer und sein Monument schwindet; bis endlich der Spender ganz vergessen, dem beschädigten, überflüssig gewordenen Denksteine aber vom Grabwärter ein Plätzchen zur Ausfüllung einer Lücke in der Kirchhofmauer angewiesen wird. Hier sucht Jeder, Andenken und Dankbarkeit an seinem lieben Verblichenen so neu als möglich zu erhalten, bis einst das Plätzchen einen Anderen aufnehmend, die Reste des Vorigen zurückgibt, oder ihr Achter selbst entschwunden, und die gleiche Liebe von seinen Nachkommen erwartet.
Hie und da hat natürliches Talent seinen gesicherten Theuren eine Grabschrift gespendet; kein Schwulst verübter Großthaten, ausgezeichneter Geisteskraft — hier unbekannt! ruhmkrönen des Verblichenen Leben. Einfach, dem Wirken gleich, lautet ihr Lob. Hier folgen zwei der Epitaphien, welche ich wegen ihrer Nationalität der Notirung werth fand, zur Beurtheilung:
Ruhe lieber Vater, ruhe sanft,
Du hast im Leben dich viel
geplagt;
Dafür danken bei dir knieend,
deine dir
schuldenden Kinder.
Ein treues Weib, so wie sie war,
Gibt mir die Welt nun nimmerdar,
Ich wart, bis mir der liebe Gott
Sie wieder bringt nach meinem Tod.
154Er schläft;
höherer Beruf rief ihn zu sich von der
launigen Welt,
er findet dort die Blume der Ewigkeit,
die hier nur Minuten uns blüht,
und für die
er sein junges Leben gebüßt.
Diese letzte Aufschrift hatte mich besonders ergriffen, sie war höher gegeben, und ließ auf ungewöhnliches Ende des Ruhenden folgern. Ich fragte den Schliesser, welcher eben aus der Kirche trat, und erhielt mit der Antwort Befriedigung: Diese Grabstätte verwahre einen jungen Pharmaceuten aus Salzburg, der des Botanisirens wegen schon mehrere Alpen bestiegen, und ohnlängst sich am Königsberge erfallen habe; dessen Freunde hätten sonach diese Zeilen seiner Erinnerung geweiht.
Blumen und gute Nachrede! was kann man Schöneres über dem Grabhügel des braven Mannes säen?
In Reflexionen über das gewürfelte Loos, dem der Mensch von der Wiege an schon zueilt, umstieg ich noch mehrere Grabhügel; es wurde finsterer, tief neigten sich im Friedhofe die Aeste der Trauerweiden, indeß die frische Birke und kräftige Linde mehr Männlichkeit vor dem hochtrabenden Winde behaupteten. »Wieder ein Bild des menschlichen Lebens,« dachte ich; und es sprach der Luft klagender Ton so sonderbar durch die Gewölber der Kirche herauf, und durch die Risse der Mauer und dichte Verzweigung der Bäume pfiff sein wildes Gespotte herüber.
155Schwärzer kleideten sich die Gürtel der Alpen, nebelschwangere Wolken umtanzten deren rothgeschmückte Schneegipfel, und entzogen der Gestirne wohlthuenden Schimmer — das Willkommene der Nacht. So schließt sich die Sanduhr, so Titan’s willkommenes Reich wohl Manchen noch heute, der Schimmer des Lebens sinkt unter der Krankheit erschöpfenden Qual; itzt schlug neun Uhr der nahen Glocke dumpfer Ton, unwillkührlich zitterte durch mein Inneres der Gedanke — »bis auch dich die Stunde ruft zum Abzuge. Möge sie immerhin nur von Wolken des Firmaments beschattet werden, welche der kommende Morgen wieder zerstreut!«
Zunehmender Regen jagte mich schneller als gewöhnlich ins Wirthshaus; die noch immer lustige Gesellschaft darin, schien dessen nicht zu achten; ich ließ sie toben, und wünschte lieber einen schönen kommenden Tag, verzehrte den wohlschmeckenden Imbiß, und pflog im entlegenen Stübchen der Ruhe.
Kein grösseres Mißgeschick foltert den Reisenden, das mag die Erfahrung versichern, als in einer schönen Gegend, im Kreise noch zu durchwandelnder Paradiese, durch Ungewitter an das Wirthshaus gefesselt zu werden, wie hier durch zwei Tage! Ich ging mitunter in die Werkstätten der Tischler, Drechsler etc., kaufte einige Kleinigkeiten, konnte aber die lange Weile nicht verscheuchen. Endlich am Morgen des dritten Tages schien das Gewitter versöhnt, doch nur oben versiegte die Fluth; der Gebirge Klüfte öffneten ihre Schleussen, und es stürzten allenthalben Bäche und Ströme hervor; die Fluren waren überschwemmt, 156die Ache schwoll zum riesigen Fluß, und ihre Wellen schlugen an die zagenden Füsse des Wanderers; von jedem Baume fielen schwere Tropfen, wie aus Becken herab, die Luftbewohner drängten sich ängstlich in ihr Nest, und der hungernde Adler krächzte vergebens in der neblichten Höhe, durch Raub seine Gierde zu stillen.
Wie lieblich möge der romantische Pfad durch Schönau und Hofreit an schönen Sommertagen zurückzulegen seyn! wie beglückt die gutmüthigen Bewohner in ihren an Felsen und Waldbergen gelehnten Hüttchen scheinen! So aber zittert man für die zu viel Wagenden, wenn der Winter seine Schrecken vermehrt, Lavinen oder Gießbäche herabsendet von den Himmelszinnen, und vertilgt, ehe man noch Vernichtung geahndet. Den Bach aufwärts verfolgend, kommt man bald zum steinernen Holzrechen, und somit auch zum Hafen des
Viele niedliche Kähne ruhten unter hölzernen, auf Pfählen in See hineingebauten Scheunen; freundliche Fischerhütten lagerten sich in frischgrüner Fläche, und ausgespannte Netze zeigten von der Thätigkeit der hiesigen Bewohner; einige grasende Kühe und muntere Geissen, welche die bewaldeten Wiesenstreife hinauf wanderten, dann der wellenlose Spiegel des finsteren Sees, worin sich die bunten Konturen der Gebirgsmassen malten, vollendeten das seltsame Landschaftsbild der einzigen Schweiz.
Durch die Gewalt von drei Rudern flog der kleine 157Kahn aus der Bucht; zuerst steuerten wir der nahgelegenen Insel St. Johannes, der Berchtesgadner Bürgerschaft gehörig, vorbei, welche mit allem Schmucke des Schönen nur zu klein ist, um einen zauberischen Wohnort zu biethen. Tiefer und grüner wird der See, sobald man dem gebüschreichen Inselchen entschwunden. Jetzt erst sieht man des riesigen Watzmanns drohendes Antlitz enthüllt, nun lassen sich des Königsberges-Felsenwände prüfen, und man glaubt in die Geheimnisse des Mittelpunktes der Erde zu dringen. Aufgethürmte Felsen bis über den Gesichtskreis, umgürten in perpentikulärer Linie den tief eindringenden See; kein handbreites Ufer gönnt dem Fusse ein Plätzchen, weder vermag eine Insel vor Stürmen und Gefahren zu retten. Dennoch, so glatt die Wände sich zeigen, besitzen sie hoch oben einen kleinen Gangsteig, auf welchem das Horn- und Klauenvieh im Frühjahre auf die Alpenweide, und im Herbste von da zurück nach Berchtesgaden getrieben wird; Gewohnheit mag diesen halsbrecherischen Weg mildern, und ihn der Wasserüberfahrt vorziehen, um so mehr, als man vom mühsam zu überfahrenden See aus, mit den Herden nicht viel besser bepfadete Bergwände zu ersteigen hat.
Die beiden Schiffer ersuchten mich, nun nicht zu rudern, und ein paar Schüsse zu versuchen. Ich habe an verschiedenen Oertern und vielmal das Echo schon erprobt, konnte mich dessen grösserer oder minderer Wirkung überzeugen, aber ich versichere: daß Jeder, der diesen See ohne ein paar Probeschüsse überfährt, den seltensten und interessantesten Genuß versäumt. 158Es ist hier kein gewöhnlicher, öfter sich wiederholender Nachhall, sondern ein Rollen des Donners, Knarren, ja ein harmonisches Kanonen- und Musketen-Konzert, die Felsenwände drohen sich zu lösen, und der See aus den Ufern zu steigen!
Bald dehnt, bald engt sich die Breite des zwei Stunden langen Sees; dahin gleitet der leichtfertige Kahn über täuschende Ruinen der Welt, welche aus dem See heraufsteigen, eigentlich aber nur der Abdruck der sich darin spiegelnden Alpenwände sind. Oben, unten, ringsherum Felsen und Klüfte! zwischen diesen und dem geengten Streife der herabblickenden Himmelsdecke und der hundert klaftrigen Seetiefe, schwebet der gebrechliche Mensch sorglos dahin, auf einige Breter sein Leben und Vergnügen bauend! Nicht weiß Jeder, daß einstens 40 Personen vergebens diesen Bürgen getraut, und bei den Wänden des Falkensteins ihr nasses Grab gefunden, als sie durch fromme Wallfahrt Glück und langes Leben zu erbitten hofften. Immerhin! dunkel sind die Pfade durchs Leben, welche nur der Bildner zu ergründen und lenken vermag; Ihm unterliegen Ströme und Blitze, und die Menge der Wellen!
Nun glaubt man, die Felsenwände stürzen über einander zusammen, — es rauschet, welch herrlicher Anblick! Zur Linken fliegt der mächtige Königsbach eine Höhe von dritthalbtausend Schuh über schroffe Felsen in die Spiegelfläche herab; weit hinaus macht sich der Tiefgefallene die Bahn, tumelt die Wellen im See und rastet nicht, bis ihn der Mächtigere verschlinget! Hier wird bisweilen Holz getriftet, 159diesen Genuß kann jedoch nur der Zufall dem Fremden spenden.
Gegenwärtig wurde oben Stammholz aufgeschlichtet, welches beim Vorüberfahren Wailand Sr. Majestät des seligen Königs Max Joseph zur Gemsenjagd nach St. Bartholomä, hinabgelassen werden sollte, das Imposante solch einer seltenen Holzschwemme dem hohen Gaste darzustellen. Ueberdieß häufte man rings umher auf den Alpen und Felsspitzen, Scheiter, dürres Laub und Nadeläste, zu mächtigen Freudenfeuern während der Anwesenheit der höchsten Herrschaften im Schlößchen der vorbenannten Halbinsel.
Unvergeßlich möge der Anblick dieser pitoresken Nachtillumination wirken: wo die zahlreichen Brandfunken, sich im hundertfältigen Wiederschein auf der Seefläche und den Felswänden reflecktiren, Echo der heiteren Jagdmusik, mehrend den Jubel des Alpenlandes, von der hohen Gäste Wohnung auf St. Bartholomä herüber tönt, und das Lob verkündet von Diana’s Verehrern in dieser Göttin stattlich Revier.
Noch mehrere Wasserfälle an beiden Seiten fesseln die Aufmerksamkeit, doch hat man den schönsten zuerst gesehen, und würdiget selbe nur minder.
Auch für ein Gärtchen hat sich hier der erfinderische Geist ein Plätzchen gefunden. Links auf einem kleinen Ufersaume zwischen grotesken Felsentrümmern, bewillkommt diese niedliche mit einem Lusthäuschen versehene Anlage den Zufahrenden, um allenfalls auch vor Ungewitter zu schützen. Weder groß noch reich ausgestattet, wäre hier eine zeitweilige Wohnung doch 160der herrlichste Lohn kühnster Wünsche. Ein unermeßliches Bauwerk von Felsenmassen auf Felsen, wie sie nur die schwärmerische Phantasie bilden kann, stehet realisirt im gedrängten Kreise; Cascaden, denen man auf Bretelwegen nahen kann, brausen gegenüber und stürzen zur Seite im Gärtchen herab; sie geben das Bild der Jugend, welche nichts achtet, von nichts sich aufhalten läßt, und mit Gewalt die klippenvolle Bahn durchbricht, schneller das Ziel zu erreichen. Zürnt der Himmel, so sieht man ihn hier in seiner furchtbarsten Macht und Wirkung, und kann eigenen Muth und Standhaftigkeit erproben; ist das Firmament rein, rein wie die durchsichtigen Gletscher des Watzmann, o so ist man auch alles Trüben entledigt, fühlt die Seligkeit des reinen Naturgenusses, durchschneidet die Wellen, weidet sich an der wundervoll geschaffenen Welt, und lebet den Musen und stillem Glücke, welches wenig bedarf, und das Wenige sich redlich zu verschaffen weiß! Heil dem glücklichen Wallner, der im zauberischen Berchtesgaden noch diesem Plätzchen gehuldigt!
In der Entfernung blickt rechts unter Ruinen-ähnlichen Felsen, das St. Bartholomä-Schlößchen zwischen Bäumen hervor, dem Geräusche der Welt und der Begierde zu glänzen ewig sich lossagend; und doch beherrscht es diese Tiefe mit einer Anmuth und Hoheit, welche der Ruhe und Einsamkeit suchende Stifter schwerlich bezwecken wollte. Freilich darf die Bescheidenheit anführen, daß, wenn dieses Gebäude in Salzburg stände, es kaum bemerkt würde, doch in einer Wüste wird auch die Hütte ein Pallast!
161Eh wir noch diesem lockenden Asyle zufuhren, zeigten mir meine gesprächigen Berchtesgadner-Matrosen links den neu entdeckten Abflußkanal zum jüngst gesehenen Gulinger-Wasserfall. Ich beschloß, diese Kluft genauer zu würdigen, und fuhr nahe an die kalksteinige Felsenwand, in der eine Grotte sich zeigt, worin Lärmen, Schäumen und Wasserwirbel ihr tobendes Spiel treiben. Wenn man den Nachen seiner Willkühr überläßt, so fühlt man das Nahen desselben zur Höhle. Ein Stück weggeworfenes Holz, welches durch Zufall im Schiffe lag, wurde augenblicklich von der Strömung hinabgezogen.
An der paradisischen, mit Wiesen und Ahornbäumen üppigst geschmückten Halbinsel, erwarteten uns schon freundlich einige Fischer und ihre Weiber; mein Schiessen möge sie herbeigerufen haben; das zweimal überthürmte Wallfahrtskirchlein, die Schloßzimmer in einem langen Gange beiderseits auslaufend, von denen mehrere bereits zum Empfange für die höchsten Jagdgäste eingerichtet waren, der kleine Garten und sonstige Seltenheiten wurden besehen, welche, obgleich unbedeutend, doch bei dem Glücke hier zu wohnen, für einen Sultan allzu hinreichend wären. Der Fischer selbst, gezwungen durch seinen Erwerb an diesen Ort, versicherte zu meiner innigsten Freude, daß er sich nirgends anderswo zu leben wünsche; ein seltenes Beispiel mit dem ganz zufrieden zu seyn, was das Schicksal beschert; doch würde ich selbst als Gefangener mich hier noch nicht unglücklich klagen!
Gleichsam zum Dank für dieses Gefühl, klärte sich itzt gänzlich der Himmel, die Sonnenstrahlen glühten 162an den frostigen Alpenspitzen, der Vorhang melancholischer Trauer fiel, und lächelnd enthüllte sich der Güte willkommenes Bild. Die Schneemassen, einsaugend das sie erweichende Feuer, wechselten hie und da mit anmuthigen Grün, und sandten wohlriechende Zephire von den unbesuchten Höhen.
Leider durfte ich aber die schädlichen Spuren der vergangenen Tage nicht vermissen, denn die merkwürdigste Naturschönheit vielleicht in der ganzen Welt — die Eiskapelle, konnte nicht betreten werden. Wo man sonst über einzelne vorragende Steine im kaum rieselnden Bache mit Fackeln hinschreiten konnte, unter der über dem Haupte schwebenden Eisdecke, welche sich einst aus einer, vermuthlich dem Watzmann ablösenden ungeheueren Lavine bildete, und bei dem ewigen Nachstürzen von Schnee, in dieser sonnlosen Kluft nie oben, nur unten durch das niederziehende Flüßchen sich auflöset: zogen nun die aufgeschwollenen stromgleichen Fluthen, Felsenstücke mitführend, herbei, den Raum ausfüllend der Eiswölbung, und verbothen dem Forscher sogar die Näherung.
Von diesen Gefahren der menschlichen Neugierde schienen die leichtfüssigen Gemsen wohl unterrichtet zu seyn, weil sie ringsherum an der Eisdecke und den Felsenabsätzen ihre behenden Sprünge übten. Ich freute mich, diese seltenen Gäste so tief unter ihrem gewöhnlichen Bereiche den menschlichen Wohnungen genähert zu sehen, erfuhr aber: die Ursache liege in dem ihnen an diesem Orte gestreuten Salze, welches zu lecken sie in grosser Anzahl herbeilocke, bis die baldige Jagd ihre Näscherei und Besuche beende. Einen 163wehmüthigen Blick sandte ich diesen munteren Luftspringern, deren gefahrvolles Leben um ein Bischen Salz, welches die Schöpfung zur Würze aller Geschöpfe diesem Ländchen so reichhaltig gespendet, erwuchert wird. Die übergrosse Anzahl von 100 Stück Gemsen, welche wie alljährig, auch dießmal abgeschossen werden sollte, liefert bei all dem, daß sie die frostigen Wohnspitzen der Umgebung mit der Zeit aller ihrer Bewohner entvölkern würde, dennoch nichts weniger als eine schöne, Kraft erfordernde Alpenjagd. Denn die Gemsen, welche früher von Jägern in Schluchten gejagt, und daselbst bewacht werden, treibt man abwärts gegen St. Bartholomä, wo die Schußstände für die höchsten Herrschaften bestehen, bei welchen sie vorbeistreifend gleich Schöpsen oder Schweinen niedergeschossen werden. Ein eben so unrühmliches Ende nehmen einige Hirsche, welche von der Halbinsel-Fläche in den weiten See gejagt, und da, beraubt ihrer beflügelten Schnelle, meistens von Damen erlegt werden.
Mehrere Fremde und eine Anzahl der königl. baier. Hofjäger, warteten bereits im Schlößchen auf die Ankunft Sr. Majestät, wo sodann die Jagd beginnen sollte, welche ich nimmer zu sehen wünschte.
Nach der mässigen Stärkung verfolgte ich meine Fahrt über die kleinere Hälfte des Königssees, an dessen flacherem Ufersaume hier einige leere Sennhütten herumstehen, um die von Ungewitter und Schnee im Herbste von Hochalpen verjagten Flüchtlinge, auf einige Zeit noch zu beherbergen, so lange die kargen 164Wiesenstreife zur Sättigung der Kräuter-suchenden Herde hinreichen.
Durch grosse Krümmungen abgestürzter Felsen und Bäume, muß man sich von da nächst dem, zwei Seen verbindenden Flüßchen, eine halbe Stunde lang durchwinden, dann erreicht man die Bucht des nicht minder interessanten, aber fünfmal kleineren
Ein schöner Wasserfall, der Schreibach, sich hoch über die Felsen herab die Bahn wählend, und noch ein anderer südlich, der Retten- oder Fischlbach, beleben hier ebenfalls die todte Stille; ein Paar unbewohnte Hütten scheinen sich dessen nicht zu kümmern, und harren mit zweien halbvermoderten Kähnen der baldigen Auflösung. Felsumgürtet, aber bewaldeter wie beim Königssee, sind hier die Begränzungen; schauerlich spricht das Echo aus den Klüften und vom Himmel herab, kalte Melancholie zeigt ihren heimischen Wohnort, und die Klumpen geborstener Alpen im schwarzgrünen See, und an die Ufer geschleudert, grinsen verworren, als Bilder für die sorglose Zukunft. Fürchterlich wild ist diese Ansicht, und doch so schön, daß man sich kaum zu trennen vermag. Ich mußte wieder zurück, zu den vorbenannten Sennhütten des Königssees, um meine Wanderung auf ungewöhnlichen Gangsteigen über die romantischen Schneehöhen des Alpenlandes, die ich so ganz und genau zu prüfen gesonnen war, nach Salzburg und Tirol auszuführen. Auf den meisten Karten, so wie in Berchtesgaden, erfährt man nichts weniger als eine Weg-Angabe, um neben 165Fundersee nach Saalfelden zu kommen: »übern Hirschbühl« heißt es »nach Reichenhall auf der Fahrstrasse,« wer um einige Tagreisen und minder pitoreske Gegend nichts frägt. Die Karte des General-Quartier-Meister-Stabs, Holzknechte und Gemsenjäger wissen bessere Auskunft. Steil führt Anfangs der vom häufigen Viehtrieb ausgetretene Pfad zwischen dicht verwachsenem Laubholze empor; Schweiß und Athem können nur in voller Wirkung dem holperigen Feinde etwas abgewinnen; aber zusehends wächst der Gewinn für seiner Füsse Bemühung. Schon übersieht das forschende Auge die Wasserfälle des Königs- und Obersees, die es jüngst aus der Tiefe bewunderte, mehr und mehr entkleiden sich die finsteren Winkel der sonderbaren Runde, und die Nachen im sich verkleinernden See, scheinen nur Bretchen nunmehr. Jetzt umfängt eine Bergschlucht den Kletterer und raubt ihm die vorigen Bilder. Eine Alpenhütte erwartet hier mit allen Nöthigen zur Bewohnung, und Geschirren zur Butter- und Käse-Erzeugung reichlich versehen, die baldigen Ankömmlinge.
Seltener wird schon das Laubholz, Lärchen und Föhren treten an seine Stelle; Bäche, im Frühjahre vielleicht zur Holzschwemme dienlich, zwängen sich links und rechts aus den Klüften hervor; ihr schäumender Lauf tränkt fortwährend der Ufer begraseten Saum, welcher höher und üppiger der anderen Pflanzenwelt spottet. Oft sind Bretelwege, den schlüpfrigen Tritt zu sichern, neben der Berglehne angebracht, bisweilen Bäume gelegt, die abgespühlten Erd- und Sandtheilchen zu dämmen; mürbe und alt drohen sie gewisseren 166Bruch mit schädlichen Folgen, je grösseren Widerstand sie biethen. Nun, nachdem anderthalb stündiges Klettern bereits das Felsenlabyrinth, welches mir in Berchtesgaden angerühmt wurde, errang, suchte ich den Eingang zu der neu entdeckten
Ich fand zwar die ungeheuere überhängende Kalkwand, unter welcher fromme Alpler das Bild des Heilands aus Holz geschnitzt aufhingen, sah die Bollwerke von Zuckerhüten, Predigtstühlen und Bethenden, die sich rege Phantasie aus den durch einander geworfenen Steinen leicht formen kann: aber sonst auch nichts, was mich auf die Spur der unterirdischen Merkwürdigkeit leiten konnte. Die mich vorher begleitenden zwei Militärjäger, waren als Wächter wider Raubschützen, welche sich derlei Hofjagden zu ihrem Vortheile immer zu Nutzen machen wollen, in der letzten Sennhütte zurückgeblieben. Umzukehren und sie um Rath zu fragen, wäre unnütz gewesen, weil sie schwerlich in der Umgebung bewandert schienen; ich wartete also auf die Alpler, welche Butter und Käse von den Sennhütten heute herabbringen sollten, wie mir zu St. Bartholomä versichert wurde.
Eher als diese behenden Schmalzträger, kamen fünf Burschen mit ungeheuren Ballen Pippenholzes, welches sie in einem Leinentuch eingewickelt am Kopfe trugen[24], während sie mit langer eisenbeschlagener Stange ihre Schritte sicherten.
[24] Man müßte staunen, in dem waldreichsten Lande Holz zu gemeinen Arbeiten mit äusserster Anstrengung von solchen Höhen herabschleppen zu sehen; wüßte man nicht, daß die Pippen nur vom Zirben-Holze (Pinus cembra), welches auf den höchsten Punkten der Nadelholz-Vegetation nächst den ewigen Schneeregionen gedeiht, brauchbar seyn können. Zu dem Ende wird das gefällte Holz in Grössen der zu drechselnden Pippen zugehackt, ausgetrocknet, und dann erst nach Hause befördert. Ehemals, als noch häufiger diese edlere Baumgattung bestand, verwendete man dieß unzerstörbare Holz zu Bauten, wie bei den alten Ritterschlössern die Dippelbäume und Dachstühle beweisen; nunmehr aber hat sie der Eigennutz ausgerottet, und man muß höhere Plätze erklimmen, um noch einzelne Sprößlinge jener gewaltigen Vorältern, seiner Gewinnsucht zu fällen. Ihre Frucht, die Zirbelnuß, besteht in einem genau den Fichtenzapfen ähnlichem Kerngewächs, welches in heisser Asche gebraten, ein besonderer Leckerbissen der Alpler wird.
167Auf meine Frage, ob ihnen der Weg zur Windhöhle bekannt sei? erboth sich der Letztere mich dahin zu führen; er habe, sagte er, vor zwei Jahren einige Stämme daselbst gefällt, und sein Gefährte, ein Schafhirte, hätte ihm dieselbe gewiesen. Die Last den Kameraden zur Theilung unter einander überlassend, nahm er nun seinen Stock, und schwang sich mit einer Schnelligkeit von einem Felsenstück zum andern, daß ich kaum zu folgen vermochte. Die Wanderung ging rechts von dem vorbenannten Kreuzsteine über pfadlose Klippen hinüber; endlich nach einer halben Stunde, betraten wir eine Felsenrinne, auf deren Kalksteingerölle das ermüdende Springen aufhörte; seitwärts zur Rechten hörte man einen Schneebach hinabbrausen, ohne ihn zu sehen. Felsen trugen hier wieder erfreuliche Spuren des wechselnden Grüns; Lärchenbäume, ja selbst Buchen und Ahorn, die als Zwerge auf diesen dürren Höhen sich gefielen, wollten als Seltlinge 168Bewunderung erzielen. Itzt hieß es steil hinan und zwar mit Händ und Füssen sich anstrengen, um nicht wieder hinabzurollen in die spitzigen Felsenzacken, welche wie Zähne heraufgrinsten.
Mein Führer bog sich nun zwischen zwei Felsen und verschwand in einem Loche; ich wollte nach, er rief mir aber zu, Licht und Gewehr mitzunehmen. Dieß befolgend gingen wir nun mit brennenden Wachskerzen tiefer in die sich erweiternde Höhle, welche bei den 40 Schritten Länge, einen Fall von sechs Fuß haben mag. Haltet euren Hund an! rief er sich besinnend, und ich erschrack zu gleicher Zeit über ein ungemeines Zischen und Brausen der Höhle. Jedes Wort tönte dumpf aus allen Winkeln zurück, und die Luft war so beängstigend und übelriechend, daß ich zu ersticken glaubte. »Schießt los!« sprach er; ich unterließ es. »Schießt los, ich bitte euch, es ist nichts zu fürchten!« —
Es knallte, und ich taumelte an die nasse Felsenwand. Dieser Schuß hatte mir den kalten Schweiß über Stirne und Rücken gejagt; die Lichter verloschen, alle Elemente glaubte ich, müßten insgesammt zugleich niederstürzen. Ich vernahm kaum das Winseln meines sich losreissenden Hundes, der pfeilschnell hinausjagte, sah nur die ganze Weite wie durch Blitze durchzucket, in Flammen, fühlte mehr als Kanonengekrach der gerüttelten Felsen, und dann mein verschlagenes Gehör!
Meinem gefaßten Führer mochte selbst nicht wohl geschehen seyn, denn der muthlose Ausdruck — »das war zu stark!« bewieß mir eben nicht sein gestilltes 169Vergnügen; später gestand er auch, nur von der herrlichen Wirkung eines Schusses hier gehört zu haben, ohne sich je wieder eine ähnliche Explosion zu wünschen.
Wir ermunterten uns allmählich, aber welche Vorsicht! ich hatte zwei Lichter mitgenommen, und — kein Feuerzeug! Finsternis umspannte uns so schwarz, so dicht, daß jeder Schritt ein Wagestück war, zumal die Felsenkluft, welche zum Ausgang der Höhle führt, eine mondförmige Krümmung macht, und dadurch vollends das sonst einbrechende Tageslicht entzieht. Endlich entschlossen wir uns, einander mit den entlösten und zusammengeknüpften Hals- und Sacktücheln zu leiten. Mein Führer, um nicht mit Kopf und Nase Unfälle zu erleben, warf sich auf den holperigen Felsengrund, und suchte am Bauche fortkriechend den Ausgang. Um den einen Fuß hatte er ein Tuch gebunden, dessen angeknüpft letzteres, ich fest in der Hand hielt, ihn bei Absturz fest zu erhalten, oder ihm zum Ausgange zu folgen. Abgerechnet, das er zuerst unbedeutend ins Wasser gerieth, kamen wir glücklich zu Tage. Nun wurden Feuerzeug und Strick aus der Jagdtasche genommen, die Wachskerzen zum fackelartigen Gebrauch mit Werg (Hanf-Gespunst) umwunden, und die Höhle noch einmal bei ausgibiger Erleuchtung besehen. Sie ist (die ungleich niedrigere und kaum zwei Schuh breite Eingangskluft ausgenommen) sieben bis zwölf Schuh hoch, und im Durchmesser wohl zehnmal weiter. Diese Ausdehnung läßt sich um so weniger mit Bestimmtheit angeben, als die größere Hälfte der Höhle, deren Grundfläche gegen ihre jenseitige Felsenwand, bei vierzig gradiger 170Senkung, mit Wasser geebnet ist, weder ganz übersehen, noch durchwatet werden kann. Auf die zunehmende Wassertiefe konnte ich aber dadurch schliessen, weil der hineingeworfene Endtheil meiner mit einem Steine beschwerten sechs Klafter langen Schnur, bis auf zwanzig Fuß Nähe bodenlos zurückkam.
Uebrigens ist das Wasser sehr rein, so, daß man ohne es zu bemerken, in selbes tritt. Beständiges Geplätscher deutet zwar auf Zu- und Abfluß, der sich vielleicht durch den Fundersee oder geschmolzene Schneefelder, mittelst Felsenrissen im Gange erhält; woher aber das Klagetönen-ähnliche Sumsen sich herschreibe, welches bisweilen mit wirklichen Windstössen die Höhle durchstreift, ohne daß sie darum an frischer Luft gewinnt, ist mir unbegreiflich. Die Steinart, so viel ich sie prüfen konnte, schien Kalk; die noch rings herum zerklüfteten Wände waren mit Mergeltuff bekrustet, der angekratzt wie Mehl zu Boden stäubte.
Diese Höhle soll erst 1818 von einem Bauer entdeckt worden seyn, der auf den Gedanken gerieth, hier Gold zu suchen, statt dessen (unbegreiflich wie) einen Fisch fing, und von mondenlanger Gelbsucht genas.
Zufrieden verließ ich diesen Höllenschlund, der an passenderen Oertern eben so gut ein sicherer Räuberschlupfwinkel seyn könnte, als er hier in Verborgenheit vielleicht wieder entschlummert. Denselben mit weniger erfahrenen Führern leichter zu erkennen, glaubte ich allenfällig Nachkommenden damit einen Dienst zu erweisen, daß ich sowohl die zwei, den Eingang 171der Höhle umfassenden Felsensteine, als, auch im Zurückwege einen besonders kegelförmig vorragenden Steinklumpen, mit grossen schwarzen Pfeilen markirte, deren Spitze die Richtung der Höhle andeutet.
Wir beschleunigten nun, so viel man auf diesem barbarischen Unpfade sich beeilen kann, unsere Rückkehr. Mein Führer wanderte ohne Bürde zur Tiefe; ich aber stieg von dem vorbenannten Kreuzsteine, durch eine ungeheuere, vom Erdbeben entstandene Felsenscharte, (weil die überhängenden Steinklumpen genau in die eingebogene Wand gegenüber zu passen schienen,) den ungemein steilen Weg empor. Bei jedem Tritte rollten unter meinen Füssen die lockeren Kalksteine hinab, welche wieder mehrere auf ihrem Fluge mitnahmen, und somit einen beständigen Steinregen-Accord zu meiner Wanderung lieferten. Oben ist diese Felsenkluft mit grossen Steinen und Holzwerk zwei Klafter hoch verschlagen, so, daß nur ein kleines Pförtchen den Durchgang erlaubt. Diese Verwahrung ist gegen Entrinnen des beim Fundersee weidenden Alpenviehes, und wider die ungalanten Besuche der in den Wäldern umher ansässigen Raubthiere errichtet worden. Wie man sich dieser drohenden Scharte entwunden, grüssen zwei Sennhütten — die Beherrscher des mit Alpenkräutern hochumflorten Grün, in mässiger Hügelfläche den Fremdling. Buntfärbige Kühe, denen die trillernde Dirne den reichlichen Segen des Hochlandes abnimmt, während die lustige Gefährtin Käse und Butter bereitet, und mit froher Miene 172den hungrigen Gast zum Mitessen einladet, locken den Wanderer zum Dableiben. Aber ein Blick auf die ringsum gigantischen Mauern, welche als der Schöpfung älteste Gränzsteine, drei Länder[25] ewig trennen, spornt ihn aufwärts, hin auf ihr Eishaupt, dort zu ruhen! An der Möglichkeit zweifelnd, mit gebrechlicher Kraft dieß zu bezwecken, weilet der Schritt; doch das Auge hatte sie schon erstiegen, hatte schon den Lohn der himmlischen Mühe empfunden, und straft den schwächeren Fuß, der dieß zu bezwecken verzagt. Feierlich und rein wie der Gott, der sie schuf, stehen diese Himmelspiramiden in vielfach sie schmückenden Formen, als Muster erhabener Bilder, ohne nach Würde zu geitzen. Ihrer Größe bewußt, verschmähen sie den Einfluß auf kleinliche Welt, heben das Haupt zu den Sternen, den Willen des Schöpfers zu lesen, und glorreich den jüngeren Brüdern zu spenden.
[25] Salzburg, Berchtesgaden und Baiern.
Die schönsten Subalpinen schmückten mir nun allenthalben jede neue Höhe, über die ich in nördlicher Richtung dem Fundertauern zusteigen mußte. Schon bargen sich die jüngst erreichten Kasern (wie man sie gemeiniglich hier statt Sennhütten nennt) abermal ins tiefe Thal, als mir die heute Morgens vorher verkündigten Käseträger begegneten. Grosse Steine, welche sich oben unter ihren belasteten Füssen lösten, polterten als Vorläufer auf mich herab. Ich suchte diesem gefährlichen Steinregen auszuweichen, und trat voreilig auf eine seitwärts begraste Felsenkante, 173welche allzuglatt, mich einige Klafter zurückschleuderte. Bei diesem Fall entlud sich mein Gewehr, pfeiffend flogen die Kugeln übers Haupt; Geschrei der niederkletternden Alpler ließ mich mehr für ihr Unglück, als für die fühlbaren Contusionen meines Rücken- und Gehwerks befürchten. Doch wollte die Vorsehung hieher keine blutigen Trauerspuren ziehen, mitleidsvoll eilten die Burschen, wäre mir allenfalls bedeutenderer Unfall begegnet, beizustehen.
Sie erzählten, wie es unter ihnen auf so Steingeröll-Pfaden üblich sey, einander zuzurufen, und bedauerten, es dießmal unterlassen zu haben, weil sie wegen vorragenden Felsensteinen keinen Ankömmling vermutheten. Es geschehe nicht selten, bemerkten sie weiter, daß beim Auf- oder Abtriebe, wenn das Vieh nicht eng bei einander bleibe, ein tiefer unten schreitendes Stück, von den abkollernden Steinen entweder erschreckt oder beschädigt, fortspringe, und sich erfalle; die armen Dienstleute, Knecht oder Sennerin, müßten dann ihrer Unvorsichtigkeit wegen den großen Schaden büssen.
Ich erkundigte mich, ob sie den zu solchem fühlbaren Ersatze einen grossen Lohn bezögen? »Der Lohn 8 fl. oder 10 fl. R. W. wäre eben nicht hinreichend, aber der Entgang desselben für jährliche Bemühung immer allzufühlbar, vorausgesetzt, daß man nicht selbst einiges Vieh eigenthümlich besitze, von selben das verlorene Fremde zu ersetzen.«
Die Butter und Käse, welche auf diesen halsbrecherischen Wegen den einzelnen Rücken drückten, sollten 120 Pfunde betragen; ich erstaunte über den dazu 174erforderlichen Kraftaufwand, welchen sie ohne Steigeisen, nur mit einer 10 Schuh langen, unten mit breitem eisernen Ring und Spitze beschlagenen Stange stützen, mehr aber noch über den unbedeutenden Werth dieser vortrefflichen Ausbeute, welche sie auf ohngefähr 10 fl. R. W. angaben. Beim Hinaufsteigen alle 14 oder 20 Tage, müssen sie immer vom Bauern (ihrem Herrn) Brot, schwarzes Mehl und Aepfel (zu dem beliebten Rahm-Aepfelkoch) für die Hirtenbuben und Sennerinnen mitnehmen, wenn anders nicht Regen oder Wind ihnen das Emporklettern verbiethet, wo dann die Alpler bloß auf ihre Erzeugnisse in der Nahrung sich unterdessen beschrenken müssen.
Fröhlich zogen sie hinab, und fühlten vermuthlich den Lohn eines besseren Abendmahles, nach der heutigen Anstrengung; ihr Reichthum und froher Muth war mit ihnen, Hoffnung beseelte sie, was braucht man noch mehr, um auch auf Eisbergen zu jubeln?
Ich raffte ebenfalls meine zerschundene Wenigkeit zusammen, und kroch, so beschwerlich mir es auch vorkam, über die letzte steile Höhe zum
Schön und erhaben kleidet sich hier ein Thalkessel zwischen höchsten Gebirgen, die zum ersten Male ihre beschneiten Felsenwände als die nächsten Gränzpuncte herumstellen. Aromatische Teppiche breiten daselbst zwischen bleichen Gestein ihr vielfaches Grün auf dem sparsamen Erdfleckchen zur Schau; ein Kranz von seltenen Blumen flechtet sich darüber zum Danke für die allgütige Schöpfung, die keinen Winkel der Welt 175ohne besondere Zierde gebaut. Dort und da hat noch die strenge Axt einen stolzen Zirbelnußbaum verschont, er schmückt, dieser verfolgte Seltling, mit seinen breiten Nadelästen, eine nackte Felseninsel, die aus dem frostigen Schnee oder durchweideten Gras höher herausstrebt, indeß um seine Früchte, welche menschliche Begierde übersah, der näschige Schildhahn und dessen verwandtes Alpengeflügel sich streiten.
Ruhig das Gute zu preisen, was in dieser ätherischen Höhe zum Nutzen der Dürftigen sich entwickelt, und geduldig der Elemente Geiselhiebe hier muthvoller zu ertragen, biethen da sechs Kasern dem abgeschiedenen Alpenvolke hinlängliche Gelegenheit. Schlechte, von rohen Steinen bloß zusammengesetzte Hütten, wodurch Wind und Regen überall seine Kanäle findet, mürbe steinbeschwerte Dächer, in welchen die breiten Fugen Fensterstelle vertreten, und eine um den Vorsprung des Daches errichtete Umzäunung aus dünnen Bäumchen, sind die erfreuliche Residenz dieser Alpenbeherrscher, und der Zufluchtsort ihrer vierfüssigen Unterthanen in den Tagen der Noth.
Herab stürzt ein silberner Gießbach von den Kalkwänden des Fundertauern, und nährt fortwährend die Wasserhöhe des blauen Fundersees, der eben groß genug ist, zwischen den Kasern bemerkt[26] zu werden; übrigens möge er, obgleich man vom flachen Ufer auf einige Klafter weit hineinwaten kann, gegen die Mitte zu sehr tief seyn, was ohne Kahn, zu erproben 176unmöglich ist; eben so konnte ich nicht beurtheilen, ob Fischerei dem Fleisse entspreche, da man ihn noch nie anzuwenden schien. Da dieser See keinen sichtbaren Abfluß hat, so möge er seinen durch geschmolzenen Schnee u. dgl. bisweilen reichlicheren Wasservorrath, mittelst unterirdischen Kanälen absetzen. Das merkwürdigste deuchte mir jedoch, an ihm einen der höchst gelegenen Seen in Europa zu betrachten, wenn auch sein Wasser sogar als ungesund, für das Vieh verschmäht, und selbes aus dem Funderbache getränkt wird.
[26] Desto größer, oder bisweilen gar nicht angegeben ist er auf den Landkarten.
Wohlgenährt, von des Stieres kräftigen Gebrülle begleitet, durchziehen die Kühe das Thal, kein Platz ist ihnen unbekannt, der bessere Leckerbissen bringt, hie und da wagt eine zuviel; schnell siehts der sorgsame Hirte, und sein warnender Ruf bringt die Kühne zurück.
Vier Kasern waren bereits unbewohnt, die Nachtfroste, nicht Mangel an Futter hieß auch die übrigen zwei, morgen (den 16. Sept.) verlassen. Ich war froh, für heute wenigstens noch Unterkunft und Nahrung zu finden, da mich der nahe Abend und die erlittenen Quetschungen zur Ruhe zwangen.
Man war eben mit Zusammenpacken beschäftigt, als ich zu jenem Endzwecke eine der Kasern betrat. Ohne Umstände bekam ich einige Schalen Milch, Butter, Käse und steinhartes Brot. Zum Nachtessen versprach die Brentlerin (Sennerin) etwas Uebergutes zu bereiten; jedoch müßten Alle (ich mitgerechnet) 177brav zusammenhelfen, die Kasern und hier bleibenden Geräthe für zukünftigen Sommer wohl zu versorgen. Nun wurden Troge und Becken, Brennholz und Bänke in die leeren Hütten geschleppt, die trockenen, im Sommer hindurch gesammelten Futterkräuter, zur Hälfte unterm Dache für kommenden Frühling verwahrt, zur Hälfte in kleine Bündel zum Mitnehmen fest zusammengebunden; endlich nachdem die Thüren und Fensterchen geschlossen, wurden sie überdies noch mit Holzwerk und Steinen umlegt. Dieß sey nöthig, sagte der Hirt, um die Kasern von den fürchterlichsten Winterstürmen und abstürzenden Schneelavinen nicht wegrücken zu lassen. Nachdem auf diese Weise gesammter Wille diese Aufgabe beendigt hatte, traten wir zum Pallaste unserer Regentin, die während dessen ihre anvertrauten Kühe in die Einfriedung um die Hütte versammelte, und eine Rede zu halten schien, eigentlich aber sie einzeln untersuchend, ihnen Danksprüche über das gute Aussehen ertheilte. Darauf bekam jede der Belobten eine Handvoll Kleefutter und wurde gemolken.
Mich wunderte die geringe Ausbeute solch schöner vielversprechender Kühe: »Ja sonst,« erhielt ich zur Antwort »lieferte freilich eine acht bis zehn Maß guter Milch, nun aber muß man froh seyn, drei bis vier Maß täglich zu bekommen, die Kälte raubt ihnen die Milchsäfte!«
Nun lagerten wir uns in die Hütte, die, wenn sie auch hier Kasern genannt wird, doch mit allen Sennhütten, Schwaigen etc. in Form und Einrichtung genau übereinstimmt, nur daß sie anderswo meistens 178aus Holz, statt, wie die hiesigen, zur Hälfte aus Steinen bestehen. Vielleicht interessirt deren nachfolgende Beschreibung.
Man denke sich eine vier Klafter lange, 2° breite 1° hohe, durch Breterwand in zwei Hälften getheilte Barake, wovon jene mit der Eingangsthür, ohne Fenster und Dachboden, nur mit Sitzbänken und einem kleinen, im Winkel errichteten sechs Zoll hohen Feuerherd versehen ist, über dem auf fester Kette oder Baumaste der höchst wichtige Eisenkessel hängt; ein lückenähnliches Pförtchen führt durch vorbenannte Breterwand in die andere Hälfte, welche ebenfalls den Fußboden von gestampften Tigel oder Erde, zwei Fensterchen hat, zum besseren Luftzuge für die daselbst auf Breter-Gestellen herumgereihten Käse, angefüllten Milchbecken und irdenen Geschirre mit Butter; nebstdem ist hier die Vorrathskammer für etwas Mehl, Brot, Obst und sonstigen Besitz der Sennerin und ihrer Gehülfinnen. Dieses Proviantmagazin ist durch eine Breterdecke vom Dache geschieden, auf welcher das sparsam gewonnene Futter bereits getrocknet aufbewahret wird, und nebst einigen Kotzen die Lagerstätte für die Dirnen ausmacht. Die Hirten schlafen entweder in einer besondern Hütte, oder in der ersten Abtheilung auf einer Bank.
Innerhalb der Umzäunung, rings um die Hütte, wird das Vieh nur gegen die Abtriebszeit bei Nacht eingeschlossen, weil es auf solche Art zusammengedrängt, und einigermassen vom Dache beschützt, die schon kälteren Nächte leichter erträgt; zu anderer 179Zeit können die Kühe ruhen oder nächtlich herumwandeln, wie es ihnen beliebt.
Die Sennerin, welcher als Haupt der Kasern, Hirte und mindere Dirnen untergeordnet sind, hat (für den Sommerlohn pr. 5 fl. R. W. und einige Kleidungsstücke) nebst der Obliegenheit für das Vieh, Butter- und Käse-Bereitung, auch noch die Kochkunst auszuüben. Obgleich nun diese sehr einfach ist, so weiß doch Eine vor den Uebrigen bisweilen ihren Lieblingsspeisen besondere Würze zu geben.
Ich, zwei Dirnen und ein Hirtenjunge saßen, manches besprechend, auf Bänken um den Herd, letztere lösten einander zeitweis ab beim Butterrühren, während die thätige Sennerin zuerst in den grossen Kessel Stücke Butter warf, darauf Mehl, und dieses röstend, immer etwas Milch nachgoß, bis das Ganze eine braune brockenartige Masse bildete; nun wurden geschälte Aepfel stückweise hineingeschnitten, etwas zerrührt, dann dieses Quodlibet in eine hölzerne Schüssel entleert, mit tüchtiger Portion Rahm übergossen und insgesammt verzehrt; einige Maß Milch vertraten dabei den Tafelwein, und das dürre Brot konnte somit leichter hinunter gewürgt werden.
Das lästigste bei diesem — schwelgerischen Preismahle! war der unselige Rauch, welcher die Hütte dermassen anfüllte, daß ich kein Auge öffnen konnte. Den einzigen Ausgang gewährten ihm die Lücken zwischen den Steinen und Dachbretern, weil die niedrige Thür, der zunehmenden Kälte wegen, geschlossen 180wurde, und die Alpler sich lieber mit gewohnten Rauch, als mit frostelnder Nachtluft herumbalgen.
Nachdem wir gesättiget, wurden die vierfüssigen Zöglinge betreut; der 20 Maß fassende Kessel, mit abgegossener Käsemilch etliche Male angefüllt, gab den Kühen, besonders aber den Kalbinen einen warmen Abendtrank. Nun wurde abermal Holz aufgeschürt, Wasser im Kessel erhitzt, und damit alle Eisen- und Holzgefässe, das Butterfaß mitbegriffen, auf das blankeste gesäubert. Manch großthuende Gasthausköchin in Städten müßte vor solcher Reinlichkeitsliebe auf Alpen, in ihrer Küche erröthen; wenn nur damit derer Besserung bezweckt würde!
Die Nacht schien mir ewig zu dauern. Auf der ebenen Bank hingestreckt, nur meine Jagdtasche unterm Kopf und zerrissene Kotzendecke über den Anzug, lag ich Anfangs durch Rauch und Flamme beinahe geselcht, und doppelt schmerzlich wegen der jüngst erhaltenen Contusionen. Später als die Flamme erlosch, tumelte sich Schneekälte in der Hütte herum. Das Schnarchen des neben mir liegenden Hirten, und beständige Geläute der um die Hütte herum eingeschlossenen Herde, war in beständiger Bewegung! Endlich brachte mir die Ermattung doch den willkommenen Schlummer.
Der erste Lichtstrahl mußte Wecker zum Aufbruche seyn; denn noch herrschte Dunkel in der Hütte, als schon die Sennerinnen auf kleiner Leiter herabstiegen vom Dachboden, die Kienspähne statt den Kerzen wieder anzündeten, Feuer machten, Kühe 181melkten, und die gewöhnlichen Arbeiten verrichteten, welche ich nimmer wieder anzusehen begierig war.
Wunsch und Bestimmung trieb mich weiter, obgleich die gutmüthigen Anachoreten mir durchaus erst ein Frühstück von warmer Milch und geröstetem Brot machen wollten.
Der Hirtenbursche begleitete mich eine geraume Strecke, und zeigte mir dann einige Merkstellen, über welche der halsbrecherische Gangsteig zum
empor führt. Durch den heftigen Morgenfrost wurde das mühsame Klettern erträglicher, obgleich ich öfter die kalte Lehmerde oder Kalksteine mit Händen anfassen mußte, um nicht herabzusinken auf den glatten Stiefelsohlen, die ich zuvor überflüssig mit Eisen erst zu beriemen gedacht hatte. Auf diesem Wege könnte schwerlich Hornvieh hinauf, noch weniger herab gelangen, wenn auch oben gute Weideplätze wären.
Ueberdieß finde ich an dieser Alpe vorzüglich bemerkenswerth, daß hier nicht, wie anderwärts, auf solcher Höhe die Holzvegetation sich mit dem gewöhnlichen Krummholze schließe. Nicht nur, daß von diesen Mißgeburten des Nadelholzes ringsherum gar keine Spur ist, sondern die letzten Holzspuren sind acht riesige, mit Moos und Flechten umkleidete Zirbelnußbäume: so endet sich des Waldes Daseyn, wie der endliche Wunsch des Stolzen — mit den größten Zeugen seines Ruhmes! — Freudigste Ueberraschung brachte mir auf dem nun erklommenen Wellenmeere beschneiter Felsklumpen, der Gruß eines schlanken 182Mannes; nicht widerlich wird der Mensch durch die Kleidung, wo er so willkommen erscheint; ich fürchtete vorher für meine Unkunde des Weges: Ein Mann konnte mich darüber beruhigen, mit breiten Krempenhute, woraus sich das lange struppige Haar mit dem des Messers mondenlang entwöhnten Barte ungeregelt verflocht, über die dürftige Kleidung eine abgenützte Kotzendecke geworfen, die Stiefel mit Filz umwunden, die Hand mit langer eisenbeschlagener Knotenstange bewaffnet — und so kam er entgegen, ohne von mir etwas anderes, als biederen Handschlag zu erwarten. Zufrieden, das Herz dieses Mannes nicht wie seine Aussenseite verwildert zu sehen, folgte ich ihm über einige Schneewölbungen, welche das vorgestrige Gewitter hierher gebettet, zu seiner höchst dürftigen Alpenhütte. Zwei Ziegen und mehrere Duzend Schafe flohen von diesem Asyl bei Anblick meines Hundes mit gemsengleicher Schnelle über die schroffen Felsenspitzen, zwischen denen man nur selten ein Grashälmchen hie und da zittern sah. »Den[27] verdammten Wolf von voriger Woche können die Schafe noch nicht vergessen, er hat mir zwei schöne Stücke erwürgt!« sprach er, und pfiff ihnen nach um Stillstand. Ich wunderte mich, auf dieser Höhe Schafe halten zu sehen, wo nebst solchen Gefahren, auch noch der Hungertod ihnen drohe.
[27] Ich will der Deutlichkeit wegen seine unkorrecte Mundart nicht nachschreiben.
»Itzt — mögt ihr Recht haben,« erwiederte er, »aber bis Anfangs September gibt es zwischen den 183Felsklüften Nahrung genug für die Schafe; wenn auch bisweilen gäher Schnee dieselbe für einen Tag raubt, so bringt doch die Sonne im nächsten weit reichlicheres Grün zum Vorschein; den größten Schaden aber machen, da, Luchsen ausgenommen, nur selten Raubthiere vorkommen, die Steinklüfte, in welche die Schafe, ihre Beute herauszulangen, häufig stürzen, und ein Raub der sie unten einzwängenden Falle sind. Bisweilen geschieht es freilich, daß ich zufällig einige durch Herausziehen errette; öfters find ich sie aber erst dann, wenn sie bereits verhungert, mir die traurige Gelegenheit biethen, für deren fühlbaren Ersatz ein Stück Fleisch zu geniessen; oft aber verzehren sie von mir unentdeckt, die Steinadler und Geier, die sich um ihre Verwesung nicht kümmern. Mit 8. Sept. kommen die Bauern aus Saalfelden herauf, um mir beim Abtriebe ihrer Herden beizustehen. Allein da treffen nicht alle Schafe zusammen, die in den weiten Gebirgsklüften sich zerstreuten, deßhalb muß ich hier verweilen, sie einzeln sammeln, und an meine Hütte gewöhnen, bis in etlichen Tagen wieder Bauern heraufkommen, und sie hinabfördern. Dieß geschieht so lange, bis ich nichts mehr finde, und die Paar, die alljährig fehlen, in den entlegendsten Schluchten sich verirrten und daselbst endlich erfrieren, oder erhungern. Die zwei Ziegen sind mein Eigenthum, von deren Milch ich mich größtentheils nähre, da mir nur einige Male im Sommer etwas Brot heraufgebracht wird, welches nebst 12 fl. R. W. den ganzen Lohn für die fünfthalbmonatliche Schafobsorge beträgt.«
Ich fragte ihn um Namen, Geburtsort, Alter 184und Gegenmittel sich hier in dieser ewigen Schneewüste vor Verzweiflung zu bewahren? Nachlässig, ohne das Bedauern in meinem Antlitze zu lesen, gab er darüber Aufklärung. »Ich heisse Ignaz Romoser, bin vor 26 Jahren zu Saalfelden geboren, war lange Zeit Knecht daselbst, nun aber seit einigen Jahren Sommer-Schafhirte am Fundertauern; langweilig wäre es freilich, wenn ich nicht alle Tage den Schafen nachklettern müßte, sie vor Unglück zu wahren. Einer meiner Vorgänger starb vorlängst in dieser Hütte, kein Mensch kam herauf, kein Mensch wußte davon, bis endlich die Bauern ihr Vieh abzuholen hier eintrafen, und den noch kennbaren Leichnam begruben, er war alt und schwach, mir möchte solch Unglück wohl so bald nicht zutreffen!« — Armer Mann, der du dich mit dem Troste des Verzweifelten begnügst, ohne zu erwägen, daß dir so gleiche Ansprüche auf milderes Geschick gleich Hunderttausenden zustehen? Armuth zwingt dich vom geselligen Leben hinweg in eine Wildniß zu bannen, worin man Missethäter allzuhart bestraft dächte, und doch wiesest du, abgesehen von Kunst und Wissenschaften, an Edelsinn und Herzensgüte vorzüglichen Rang unter günstig Erzogenen.
Romoser machte Feuer, und wollte gutmüthig den Vorrath seiner dürftigen Nahrung — eine Maß Ziegenmilch wärmen, selbe mit mir zu theilen; ich hätte keinen Tropfen hinunter gebracht, wünschte aber in meinem Leben nie sehnlicher ein wohlschmeckendes Mahl, um seine werthvolle Aufopferung zu lohnen. Leider entstiegen die Gnomen nicht ihren Höhlen, und selbst die blecherne Liqueurflasche sprang bei meinem gestrigen 185Falle. Später bat er mich um etwas Tabak, aber auch diesen mußt ich ihm, da nie diese Pflanze mir Werth hatte, äusserst ungern versagen. Die Kasern bestand ganz aus Holz; statt der gewöhnlichen Vorrathskammer war ein kleiner Schafstall für das junge Vieh, ober dem Romoser seine Lagerstätte hatte. Zwei etwas abwärts gelegene Hütten, die noch mehr verödet und zerfallen aussahen, waren ebenfalls zur Unterbringung zarterer Wollträger bestimmt. »Wenn einmal« meinte er, »diese Wohnungen ganz zusammengestürzt wären,« so hätte sich wohl dadurch die fernere Schafhalde hier geendet, indem die acht Zirbelnußbäume zur Feuerung bestimmt, nimmermehr zu Erbauung einer neuen Kasern hinreichen würden, noch weniger aber Holz zu solcher Bauung heraufgebracht werden könnte.
Man mußte fürchterlich wirthschaften, bis man, wie die Wurzelstöcke zeigen, diese weite Alpengegend ihrer ungeheuren Baumstämme berauben konnte; doch die Holzvertilgungskriege dieses Ländchens sind zu geschichtlich bekannt, um als neu betrauert zu werden. Itzt wäre es vergebens, selbst mit größter Anstrengung hier wieder Wälder bezwecken zu wollen, weil der herabdringende Schnee und Windsturm jedes Fleckchen Erdreich zum Samenempfang längst wegspühlte.
Etwas ausgeruht, dachte ich nun den Weg nach Saalfelden anzutreten, aber es war mir unmöglich! Der Morgennebel hatte sich hinausgeschwungen von den zackigen Alpenschanzen, um tiefer sein Blendwerk zu treiben. Aus dem Schneekessel der höchsten Alpen schweift die Phantasie ins Unendliche, und will den 186Raum der Zeit und Möglichkeit ergründen. Groß deucht südlich die Stuhl- oder Tauernwand mit der Weisbachalpe, und der wie ein Obelisk über’n Fundersee emporstrebende Schoppmoll. Die Gamskarlhöhe und der Viehkogel weichen nicht minder den Gefährten. Aber nördlich überhöhen sie des hohen Hundskopftods dreifache Spitzen, so wie des Watzmanns zweipyramidiges Haupt. Der Schindelkopf, die hohe Schneiter- und Hechelwand erheben zum Sieg unnütz die schneeigen Körper. Höher noch, als alle diese Riesen, will sich das stolze Verlangen hinaufzaubern, selbst diese Massen zu gering achtend, den kühnen Geist demüthigen zu können.
Beseelt von Empfindungen, die sich nicht beschreiben, noch von Jenen, welche in solcher Lage nie gewesen, jemals fühlen lassen, frug ich Romosern, ob er wohl mit diesen Höhen bewandert und mich auf eine derselben zu leiten bereitwillig sey?
Bejahend war seine Antwort, doch müsse er vorerst auf einige Plätze um die Hütte etwas Salz ausstreuen, sowohl die Schafe herbeizulocken als auch sie in der Nähe zu erhalten. Ich wollte mir unterdessen die Eisen anlegen, er widerrieth’s, indem man hier am sichersten mit langer Stange durch Sprünge von Stein zu Stein gelange, wobei die Eisen unbehülflich und schwer den Kletterer eher ermüden; eben so sollte ich mein Gepäcke verstecken, da für dessen Verlust nichts zu besorgen wäre.
Seine Geschwindigkeit bald abzulernen, sah ich ihm nach, wie er, ein Virtuose im Klettern, von Stein zu Stein, gleich einer Gemse, mittels der zehnschuhigen 187Stange sich fortschwang; obgleich nur mit einem Auge beglückt, machte er doch nie Fehlsprünge, und rief aus der Entfernung die Zöglinge, welche ich nur mit dem Sehrohr erkannte. Nach seiner Zurückkunft gab er mir ebenfalls ein ähnliches Zepter, stärkte sich mit hinlänglicher Portion Schneewasser, welchem Beispiele ich folgte, und dann ging die komische Passage an.
Itzt erst konnte ich begreifen, wie die Schafe in den Klüften des sogenannten
umkommen. Die ganze ungeheuere Ausdehnung, besonders im flächeren Grunde, besteht aus einzelnen wie Meereswellen aufsteigenden Kalkfelsen, die von einander an ihrer Oberfläche schuh- oder klafterweit geschieden, unten in einen scharfen oft aber spitzigen Winkel zusammenlaufen. Obgleich nun diese kaum Klafter hohen, meistens noch seichteren Klüfte die hinabrutschenden Schafe keineswegs zerschmettern, so zwängen sie doch deren Füsse so zusammen, daß sie nicht mehr heraus können, sondern erhungern müssen. Hie und da hat Schnee die Klüfte mit den Steinen geebnet, man betritt ihn sorglos, aber es ist eine Fallbrücke, welche einstürzend selbst dem einzelnen Menschen Tod bringen könnte. Wir passirten das Felsenthal Schönbüchl um den
zu ersteigen; so unästhetisch dessen Name, so wild droht er herab auf das verödete Thal, als hätte sein 188Blick es verwüstet. Botaniker und Mineraloge würden hier vergebens Ruhepunkte für ihre Wißbegierde suchen; nur ein behender Nimrod hätte vollauf zu thun, von den Fährten der Luchsen, Dachsen und Murmelthiere Nutzen zu ziehen, die Gemsen vorzüglich gerechnet, welche ihre kleinen Gestalten durch grössere Anzahl auf den Hochspitzen bemerkbar machen.
[28] Namensberüchtigt, weil daselbst kein Hund zum Jagen soll verwendet werden können.
Mein Führer machte mich besonders auf wiederholten, dem gewöhnlichen Halder-Fingerpfiffe ähnlichen Ton aufmerksam: »Es melden sich Gefahr witternd die ausgestellten Wachen der häufig hier vorfindigen Mankl, sie nähren sich wohl, diese katzenähnlichen Thierchen, und lassen sich selten überraschen, daß man sonach mit ihrem Fett Wunderkuren machen könnte.«
Buffon bezeichnet keine Thiere mit dieser Benennung, sie möge ein provinzieller Ausdruck, nach den Eigenheiten und Schneefährten zu schließen, den Murmelthieren gelten.
Wir hatten nun die zerklüftete Fläche ohne anderen Unfall zurückgelegt, als daß ich dem durch Hunger und Strapatzen ermatteten Duna zweimal heraushelfen mußte.
Sicherer ging sonach die Wanderung auf die schroffe Alpe hinan, welche mit ihren vorragenden Felszacken beinahe Stufen zum Hinanklettern bildet. Wer vom Schwindel — diesem eingebildeten Uebel, nichts weiß, der wird den hohen Hundskopftod gefahrlos besteigbar nennen; am leichtesten erklimmt man selben in schiefer Richtung von Osten nach Westen.
In einer Stunde war, von der Hirtenhütte gerechnet,
die mittere höchste Spitze dieser Alpe erklommen;
189mißvergnügt sieht man erst itzt, daß der gegenüber
trotzende Watzmann weit höher seinen Scheitel erhebe,
was vorhero kaum geglaubt wurde[29]. Leicht überzeugt
man sich, daß es thöricht wäre, auf dieser Alpe,
wo die drei Spitzen kaum eben so viele
Klafter
Fläche biethen, und bloß durch gedehnte Felsrücken
mit einander zusammenhängen, Hunde den gewandten
Gemsen, deren vier bei unserer Ankunft ihre geübten
Sätze hinabproduzirten, nachzujagen.
[29] Die Aussicht, obgleich hier von einem höheren Punkte, wird doch von der auf der hohen Tauerwand folgenden Tags übertroffen. Ich verspare deren Schilderung demnach bis dahin.
Noch war ich erstaunt über jener Alpenwächter beflügelten Fuß, als mein Führer mit lautem: »Ich habs, ich habs!« mir freudig die Hand drückte, und bat zu gedulden, bis er wieder zurück komme. Ich glaubte er sey plötzlich verrückt, und wolle eine Gemse erhaschen; denn wirklich eilte er die nemlichen Pfade ins Watzmannthal mit halsbrecherischer Schnelle herab. Ich strebte so viel wie möglich ihm nach; vergebens, er hatte zu viele Vortheile! Unwillig über den komischen Menschen, und mich, der so planlos eine mit Schweiß errungene Höhe verließ, stand ich zögernd und sah in die tiefe Schlucht, worin Romoser sich bereits verlor. Da gewahrte ich etwas schwarz und weißes undeutlich, das Leben verrieth; mein Fernrohr ließ mich fünf Schafe zählen, denen bereits der arme Hirte auf Händ und Füssen zukletterte, und sie langsam auf besseren Weg brachte.
Gerne verzieh ich nun dem Guten seine Treue für 190das ihm anvertraute Vieh, war aber eben so wenig entschlossen, wieder umzukehren auf die Hundskopf-Spitze, als mich vielmehr der Entschluß beseelte, den Watzmann zu ersteigen.
Dieses strebte ich Romosern zu eröffnen, damit er mich durch Anweisungen dazu erfreue. Mein Wille scheiterte, eine Schlucht entzog mir ihn, oder er mußte anderweitigen Pfad eingeschlagen haben; ich tröstete mich darüber, und wollte seine mir versprochene Rückkehr auf einem Steine ruhend erwarten: da vergingen mir plötzlich die Augen; der Watzmann schien seine Schneedecke über mich zu breiten — ich war einer Ohnmacht nahe. An Kraft erstorben, fiel ich der Länge nach auf den frostelnden Stein; mein letztes Stündchen drohte zu nahen. Die Nerven waren überspannt, das beinahe zweitagige Fasten, die schädlichen Folgen des gestrigen Falles und der schlaflosen Nacht, das viele Wassertrinken, und endlich beständiges Waten im Schnee, welches meine Füsse bis über die Knie in fortwährender Kaltnässe erhielt, mußte schädliche Folgen herbeiführen. Alles dieses hätte ich eher bedenken sollen, bevor sich mein Wunsch auf den Watzmann hinpflanzte. Ich bekenne diese Unvorsichtigkeit, um allenfällig Fußreisenden eine Warnung zu liefern, ihren Körpern nicht allzuviel aufzubürden, besonders wenn man nicht Gelegenheit hat, mit guter hinlänglicher Nahrung den Entgang der Kräfte zu ersetzen. Ich erholte mich endlich aus der Betäubung, die mehr Kolik war, und bemerkte, wie mein vierfüssiger Freund ängstlich und zugleich liebvoll mir Wangen und schneeige Hände küßte. Nichts hatte ich dem Treuen zu erwidern, 191und doch umsprang mich Duna freudig, als er nur mein Aufstehen sah. Ich fühlte die Mattigkeit zu sehr, um noch auf mögliche Ersteigung des Watzmanns zu denken, betrachtete mit wahrer Wehmuth das von der kleinen Spitze niederblickende Kreuz, und wünschte zum erstenmale meines Lebens, recht tief von den Eisfelsen entfernt zu seyn.
Glücklich fand ich die Spuren des Herwanderns, sie waren höchst nothwendig! da sich nach meinem öfteren Rasten bereits Abendnebel um die Alpengipfel schlugen, und tiefer und dichter sich lagerten auf das zerklüftete Bett. Itzt sollte ich den Bergrücken erklimmen, welcher sondert vom grossen den kleineren Hundskopftod. Ich mußte, obgleich es schon dunkel zu werden begann, abermal ruhen: da hör ich poltern und Steine rollen; Duna wird von mir zurückgehalten. Sechs Gemsen, ein alter Bock an ihrer Spitze, wollen vermuthlich im Abendwechsel ihrer Lagerstätte zueilen, sie muß irgendwo auf dieser Spitze bestehen. Klug wittert der Bock die Gefahr, ein Pfiff von ihm, dem eines Menschen ähnlich, warnet die Nachfolgenden, welche stillstehend ihren Weiser allein vorschreiten lassen. Hoch streckt er den Hals und späht, bis er mich ersieht, wornach dann ein zweiter stärkerer Pfiff seine Gefährten augenblicklich in Sicherheit jagt, er aber ebenfalls doch langsamer ihnen folgt.
Wer möge diesen Thierchen, in den Regionen zu Hause, wo nie des Frühlings-Blüthenzeit wärmt, wo kein Sommer die Hände mit Ernten füllt, wo ewig der Winter und frostelnde Herbst die stürmischen Wohnsitze bestreichen, diese Behutsamkeit vor Feinden, 192dieses Selbsterhaltungsgefühl eingeimpft haben? Menschen? O die lehren nicht immer das Gute! Aber du herrliche Natur, du bist es! welche die Gesammtzahl des lebenden Quodlibets mit gleich milden Blicke bewachst, jedem deiner natürlichen Unterthanen Kraft oder List genug schenkest, sich der Feinde zu erwehren und dankbar deiner zu freun!
»Wer so hold für Alle gesorgt, wird auch mich nicht sobald umkommen lassen.« Muth und Kraft durchfloß nach diesem Schlusse, meine Adern; rüstig sprang ich auf, als bekäm ich abermal Lust den Watzmann zu besiegen! Nicht achtete ich der Gedärme, die zu verschrumpfen oder aus dem Leibe zu fallen drohten; mich selbst tröstend versprach ich ihnen alle mögliche Pflege für die Zukunft und kletterte fort. Schon sah ich von der Höhe Romosers Hütte im Thale, es ward mir freudiger ums Herz; aber ich mochte noch eine Stunde hinbrauchen, und zwar über die fatalen Steinklüfte! Den widerlichen Tanz verwünschend, hörte ich plötzlich hinter mir rufen und schrein. »Etwa gar verzauberte Gemsen mit Menschenstimmen?« krittelte ich, und sah auf der Höhe den wackeren Romoser, der voll Freuden mich gefunden zu haben, mit »Gottlob endlich!« seine Worte begann. Werther noch als heute Morgens war mir dessen Erscheinen; ich bat ihn seine Lunge zu sparen, und lieber soviel möglich den besten Weg zur Hütte einzuschlagen. Das nützte aber nichts! Mit gutmüthiger Geschwätzigkeit versicherte er, mich auch dann noch aufgefunden zu haben, wenn ich in den Mittelpunkt der Erde gefallen wäre. Ich dankte für das nicht erwünschte Glück und 193lobte sein Talent; aber er war unermüdet im freudigen Geschwätz! Die gefundenen Schafe oder meine Wenigkeit mußten seinen ernsten Humor so lustig umstimmen; kurz er sang und trillerte, und brachte es am Ende so weit, daß ich selbst meine Plagen vergaß und wie betrunken einstimmte.
Nun erzählte er im konfusen Gemisch, wie er bald zwei Monate jene fünf Schafe vermißt, wie er meine Fußtritte erkannt, auf die Spuren von noch einigen Flüchtlingen, welche er morgen zu finden hoffe, gerathen, endlich wie gefährlich es für mich Abends auf den Gemsenwechseln hätte werden können, sowohl der unsicheren Tritte daselbst, als auch der um diese Zeit sich einfindenden Raubschützen wegen, welche verzweiflungsvoll jede Gelegenheit ergreifen, unerkannt zu bleiben oder Rache zu üben.
Wir hatten unterdeß die Hütte erreicht, ich mußte vorher, ihm Freude zu machen, zu den wohl verwahrten fünf Deserteurs mich begeben, wo er mir ihre konservirten Körper mit zufriedenen Lächeln anfühlen ließ. Darauf trugen wir Jeder einige Stücke der morschen Schafstallhütten zur Feuerung in unsere Behausung. Das Mahl war und blieb auch dießmal äusserst frugal: schwarzes durch Kleie und Schimmel beinahe ungenießbares Brot in einer Maß Ziegenmilch aufgesotten. So weh es mir that, von seinem kleinen Besitz noch zu rauben, so konnte ich doch unmöglich widerstehen. Ich hatte durch die Strapatzen etwas an Appetit verloren, er schien aus Gutherzigkeit dasselbe mir vorzulügen, um — auch meinem Hunde etwas abzugeben; erst bis er sich überzeugte, daß diese Wolfsrace 194trotz mehrtagigen Hungern nichts von Vegetabilien annehme, glaubte er mir: daß Duna bei sonstig roher Fleischnahrung, auch mitunter, gleich den wilden Thieren, vier Tage fasten könne, und verzehrte dann wohlgemuth den Rest seiner Milchsuppe.
Manche Eigenschaft, Romosers Schafe betreffend, mußte ich noch anhören, um sie in nächster Minute zu vergessen, bis wir uns zur Ruhe begaben; doch nein, es war keine Ruhe! Fürchterlicher Nordost rollte aus des Aeolus geöffneten Schlünden; die Brandfunken flohen in der Hütte um den Herd, und suchten vergebens sich ruhigere Plätze. Mächtig wehrte sich die kleine Thüre gegen den ungeheuern sie bestürmenden Feind; Knarren und Tönen machte ihre Noth uns kund; Romoser, der unterm Dache mit mir sein Kotzenlager theilte, stand auf, sie fester zu binden. »O weh, ein gewaltiger Schnee! werde heuer nicht glücklich mit der Herde hinüber nach Saalfelden kommen,« prophezeihete er, und kroch zurück, unter der Decke sich Wärme zu suchen. Ich war ganz kleinlaut; »schläft ihr?« begann er weiter. Ich verneinte es. »Nun, so müßt ihr wohl auch das Winseln vom Hundskopftod hören?« Schauder, mehr wegen der morgigen Wanderung, als des wirklich tollen Gebrülles, überlief mir den Rücken; ich hatte noch nie solch Wetter erlebt! Gewaltiger rüttelten die paar Zermbäume ihre riesigen Gestalten, sie kreischten und tobten! Jetzt mußte einer gesunken seyn dieser alten Streiter, denn das Echo dröhnte wundersam klagend nach dem gesunkenen Helden. 195Mehrere Steine warf der Sturm rasselnd vom beschwerten Hüttendache, sie erbebte, daß ich in ihr mich davon getragen wähnte; Duna bellte, die Geissen unter uns mekten, und donnernd überlärmten sie Felsenstücke, welche sich ablösend, die Bahn brachen über zackige Wände herab, und durch ihre Schwere den gräßlichen Musikton der Alpen erzwangen. Selbst der abgehärtete Nomade konnte nicht schlafen, er frug mich immer um etwas, und ich war froh, daß er fragte, weil somit die Idee vom jüngsten Tage, der alle Menschen ihrer Bestimmung zuführt, noch nicht realisirt schien. Endlich begann er mich mit seinem Wissen zu quälen. Er erzählte nemlich, wie alljährig übern Winter die Hütte ganz verschneit werde, so zwar, daß man bisweilen im Frühlinge noch den Schnee ringsherum wegschaufeln müsse, und dieses sich auch schon einige Male während ihrer Bewohnung im Herbste ereignete; jedoch kämen die Bauern nach einigen Tagen um so gewisser auf Schneereifen zu Hülfe, als sie die zunehmende Gefahr ahnden. Ich versicherte geradezu, dieß könne gegenwärtig durchaus nicht eintreffen; er glaubte mir und schien beruhigt. Hundertmal hätte ich ihn noch angesprochen, aber ich fürchtete wieder sein Todten-Lamento; und so vermied ich jeden Laut und stellte mich schlafend. Endlich aber hatte ich genug; der Schnee drang, vom Winde gejagt, durch die zahlreichen Fugen der Dachbreter auf Decken und Haupt. Dieß zu ertragen, schien mir bei dieser elenden Lagerstätte nicht nothwendig; ich stieg herab und machte wieder Feuer.
Mich halb bratend an demselben, brachte ich bei Kerzen 196und Kienspähnen, die Ereignisse der letzteren Tage zu Papier, bis der Morgen erschien. Es war weniger Schnee als ich fürchtete, aber immer noch der gräßliche Sturm, welcher bald hier bald dort aus selben Schanzen baute, und sie abbrechend wieder auf andere Bergwände hinpflanzte.
Interessant müßte hier, bei gehöriger Nahrung und sicherem Obdache, das Studium über Entstehung und Wachsen der Lavinen seyn; wenn ja solche Momente Kaltblütigkeit genug zu faßlichen Bemerkungen biethen.
Der größte Zermbaum und nächste an der Hütte, hatte sich wirklich in dieser Nacht zur ewigen Ruhe begeben, bleiern lag der herrliche Stamm, während in seine abgesprungenen Aeste die Winde sich theilten; es fiel der Hohe, nicht durch Schwäche, sondern durch die Zeugen seiner Macht, welche ihn zu Boden drückten und dann werthlos entflohen. Mehrere Stunden hatte ich keine Hoffnung, meinen Fortmarsch zu beginnen; endlich legte sich der Sturm, und Romoser, mich eine Strecke begleitend, wies mir mitten im Felsenthale den schwarz markirten, zwischen Kalkgerölle eingesenkten Gränzstein, der kaum einen Schuh vorragend, doch so wesentliche Rolle spielt. Ich war nun auf salzburgischen Boden. Der gutmüthige Hirte bat mich, ihm zur Beruhigung, daß ich glücklich die
erstiegen, oben einige Schüsse als Signal zu opfern; geschähe dieses innerhalb längeren Zeitraumes von ohngefähr zwei Stunden nicht: so würde er, für mich Unglück befürchtend, soviel es die kritischen Umstände 197erlauben, bald nachzukommen trachten, wenn auch darüber seine Schafe Schaden litten! Wer sollte diesem Menschen, wenn er wie er hier aussieht, einer Stadt sich nahete, so viel inneren Werth, so viel Seelengrösse zutrauen? Mit Rührung nahm ich Abschied von Romoser, wie von einem Freunde, den mich jahrelanger Umgang schätzen lehrte.
Nicht ausser Acht ließ ich die aufgerichteten Steinhäufchen, neben denen man leichter zur Höhe gelangt; obgleich mich öfteres Einsinken in Schnee bis an die Brust, auf Gedanken von Irrwegen brachte. Das Kreuz über der hohen Wand, und die darneben wie ein Männchen errichtete Steinfigur, waren meine Aufmunterer, wenn ich halb verzagt und unwillig, mich in Schnee nicht niedersetzen zu können, diese romantische Plage verwünschte. Dieß ging noch hin; als ich aber zwischen dem trugvollen Schneeweg der steilen Wand, von der Linken zur Rechten, mehrere Gruben fand, in denen hinabrutschend mir die lockeren Pflaumen kein Anhaltspunkt wurden, sondern mich beinahe erstickt hätten, wollte ich einige Male die Last, welche meine Brust preßte, und vorzügliches Hinderniß des schlechten Fortkommens schien, wegwerfen; aber das Gewehr ausgenommen, (welches überdieß ein werthvolles Angedenken war,) konnte ich ohne der andern Pagage meine Reise nimmer fortsetzen; alles mußte erhalten werden, um alles zu gewinnen. Dem Duna ging es noch schlechter, obgleich von der größten Gattung, sah ich ihn doch nie, ausser herabpurzeln in Schnee, um wieder die Höh zu erklettern. Ich begreife nicht, wie Schafe, bei ähnlichen Hindernissen 198über diese Tauerwand gelangen können! Das beständige Durcharbeiten im Schnee, die ängstliche Sorge, in demselben abglitschend zu erfallen oder auf immer begraben zu werden, brachte mich dermassen in Schweiß, daß ich bei geringstem Stillstande todt umzusinken fürchtete. Aber der beste Wille fruchtet nichts, wo die Kraft mangelt; ich mußte mich zeitweis erholen! Da sah ich, wie mit wildem Gekrächze von des Teufelshorns düsterem Felsenthale, ein Rabenschwarm sich hinschwang über die mageren Winterspitzen, wo nichts mehr für ihren Scharfblick zu finden, in die Gegend meiner Wünsche, weit von der Tauernwand, dort die Tafel zu finden! Neidvoll um ihre Schnelle, die sie überall in Sicherheit bringt, blickte ich ihnen nach, bis sich deren fittige Zahl mit einem schwarzen Streife entzog. Zum ersten Male hatte ich mir eines Thieres Gabe gewünscht; aber der Augenblick und die Veranlassung dazu, werden mir ewig merkwürdig bleiben. Unterdeß war ich doch der schroffen Wandspitze genahet. Sonderbar grinset zur Rechten eine kleine Felsenhöhle mit zwei holzbemalten Bildern; Eiszapfen kristallisiren deren zerklüftetes Gestein, und hartgedrückter Schnee könnte dem Wanderer einen Sitz biethen, wenn er hier Muse zur Ruhe fände. Das ältere Bild zeigt, wie vier Männer auf dieser Alpe vom Schnee verschüttet, und zwei derselben in die Ewigkeit befördert wurden. Das andere jünger und besser gemalte, beweiset die Rachelust eines Gemsenjägers, wodurch er seinen Rivalen (der Abbildung gemäß, wahrscheinlich auf dem Schoppmol,) durch einen Meuchelmörderschuß auf immer des 199Jagens enthob, und sich zum Herrscher dieser Höhen frevelte. Nirgends mögen dergleichen Scenen in unpassenderen Oertern verewiget werden, als wo die Umgebung schon so sehr dem Unglücke zuspricht. Einige Klafter höher endet die lästige Tauernwand mit scharfer Schneide, so zwar, daß sie dachartig, aber steiler, allsogleich wieder hinabführt nach Saalfelden. Die Ueberraschung, welche sich hier aus dem grellen Unterschiede der Landschaftskleidung entwickelt, könnte man Zauberwerk nennen; wenigstens weiß ich ihr keinen andern Ausdruck zu geben. Sommer und Winter, enge sich paarend, und geschieden bloß durch diese Felsenkante, locken und drohen dem staunenden Wanderer in gleichem Grade. Zwar besitzt auch der obere Theil der Salzburger-Tauern-Höhe in seinen Rissen oder Vertiefungen hinlängliche Schnee-Vorrathskammern, zur Speisung kristallener Flüsse; aber etwas tiefer und ringsherum, entsteiget der besser gewordenen Erde Versöhnungsopfer. Nächst dem balsamischen Kräutergrün und Alpengebüschen, ringen höher und stolzer um den Preis, pyramidige Lärchen und Tannen; manche Sennerei, manch freundliches Hüttendach hat sich dazwischen auf blumigtem Streif ein Plätzchen gewählt; sanft sprichts den Willkommsgruß dem Fremden. Sprudelnd eilen die Wässerchen, in Minuten zu Bächen gereift, die kürzesten Wege hinab, den ferne glänzenden Zellersee mit kalten Wellen zu erfrischen; die Lüfte ziehen wärmer, Schatten schmücket die Pfade, vielfach theilt sich das Grün der wonnigen Flur, über welche hier eine Herde Ziegen ihre Sprünge versucht, dort wohlgenährte Kühe im Scherzkampf mit einander 200sich tumeln. Sanft wiegen sich schon wieder auf elastischen Laubzweigen die munteren Sänger des Forstes, dessen heiliges Dunkel sie schützt vor des Raubgefieders tödtendem Blick. Saalfelden tief im Thale versenkt, von silbernen Bächen und ähnlichen Weiden geziert, glänzt von Azur und goldigem Schmuck, den die Natur so zu mischen nur weiß! Noch kleiner, Punkt ähnlich werden die Häuschen der ferneren Ortschaften; kaum hinreichend scheinen sie das Glück braver Familien zu umschliessen — wenn dasselbe nur immer groß und stolzirend aussehen müßte!
Flächer lagern sich die Wolken auf die verbrämten Alpengipfel; sie entziehen dem Blicke nicht das Freie, sondern begünstigen die Uebersicht, weil die glühenden Sonnenstrahlen auf den Gletscherspitzen sich reflecktirend, durch jenen Schleier das Auge weniger blenden.
Somit prüft man im halben Abenddunkel die Spitzen und Tauern, Kogeln und Hörner und alle jene Riesen, welche in Kolonnen aufgestellt von Anbeginn der Welt bei allen Revolutionen und Feindseligkeiten der Erde ihren Rang und ihre Würde behaupteten. Froh weihet der Pilger diesen Helden die erzwungene Ehrfurcht, indem er so glücklich war, über sie die Musterung zu passiren!
Nun wendet er das Antlitz, um seiner Eigenliebe mit der Menge von Hügeln und Bergen zu schmeicheln, welche seine Kraft bei der Herreise besiegte. Aber fort! — denn hier kann sich die Phantasie nimmer gefallen! Nichts als ein Thal, wüst und schneeig, der Hundskopftod, Watzmann, Königsberg und alle die Bekannten von gestern sind darum aufgethürmt, 201für Ewigkeit den Sommer einen Durchgang zu versagen; pfadlos grinsen die Felsen, dichter die Lavinen, breiter und unruhiger die Glätscherbäche, man widerspricht sich, darüber je hergewandert zu seyn! Aber unten fleht aus schneeigem Beet Romosers Hüttchen um Erinnerung; dann erkenne ich den ehrlichen Hirten, wie er der Tauernwand genaht das Losungszeichen erwartet, und nach meinem ersten Schusse ein blaues Tuch auf seinem Stabe schwingt; später erst bringt mir die säuselnde Luft einige Töne seines Freudenrufes herauf. Rechts auf den Wänden der Weisbachalpe, wo gleichfalls die grüne Farbe ein Fremdling, überraschen mich die Uebungsspiele der Gemsen. Meine Schüsse mögen sie aus der Nähe verscheucht haben, zufällig sah ich mit dem Fernrohre, wie sie auf einer Felsenspitze sich sammelten, von da über die Schneewand auf den Hintertheilen pfeilschnell hinabruschten, und die Höhe abermal erklimmend, dieselbe Fahrt wiederholten. Deutlich konnte ich unterscheiden, wie einige dieser Gymnastiker, entweder zu jung oder ungeschickt, sich überwarfen, Zwei aber oben herumspringend, sich gar nicht hinabwagten. Wäre ich mit den Eigenschaften und Naturkünsten dieser Thiere nicht schon etwas bewandert, so hätte ich seltsam zu träumen vermuthet! Nun riefen mich Tantalus Qualen von dannen; aber die Hoffnung, sie die herrliche Göttin! sprach Trost im nährenden Thale! Ich konnte so kalt von der Stelle nicht scheiden, wie der Schnee, welcher unter meinen Füssen schwand. Am Malnitzer-, Heiligenbluter-, Radstädter-, und auf den übrigen Tauern können Pferde dem Wanderer nützen, 202hier vermag er nur sich selbst zu helfen, wenn ihm die Kraft nicht erstirbt, oder der Muth ihn nicht verläßt. Ach wie Viele (beschloß ich mein Selbstgespräch) gingen von hier dem schnellen Tode entgegen, und du bist geborgen, und gewarnt zugleich! Schnell nahm ich mehrere lose Kalksteintrümmer, erhöhte damit die kleine Signalsäule, welche mich leitete vom schneeigem Thale herauf, legte mit aller Anstrengung eine breite schieferähnliche Platte dazwischen, und schrieb auf deren Fläche mit schwarzer Oehlfarbe:
„Frisch o Pilger! unverzagt
Sey der Weg zum Ziel gewagt!
Leicht errungen ist der Preis,
Wenn man ihn zu schätzen weiß.“
Dieser Zeiger, nun bei sechs Schuhe hoch, dachte ich könne eher dem Wanderer in der Ferne sich kennbar machen, als das kleine aus Lattenholz aufgestellte Kreuz daneben, welches etwas mehr Schnee ohnedieß ganz zudeckt. Die Worte, wenn sie ein Vorbeikommender zu lesen vermag, sollen seinen Geist ermuthigen, ganz Profane mögen in diesen Hieroglyphen Bibelsprüche vermuthen, und sich bekreuzigend ebenfalls Beruhigung fühlen.
Langsam konnte ich nur abwärts gelangen, denn wie ich einen Schritt machte, gleitete ich mehrere nach, so glatt oder so steingeröllig ist der schroffe Pfad. In der Ueberzeugung, Niemanden mit dem Fernrohr gesehen zu haben, der heraufzuklettern strebte, machte ich mir das seltene Vergnügen, ein Paar grosse Steine geflissentlich von ihren lockeren Plätzen zu rücken. Knirschend, prasselnd donnerten sie herab, auf ihrem 203fürchterlichen Fluge Hunderte von schwereren Steinklumpen entlösend, die kleineren gar nicht zu zählen, welche wie ein Schlachtgeheul ihr Gepolter trieben, während die größten mit Kanonenstimme das Gewehrfeuer übertönten, und die Alpenmassen rüttelten. In weiten Zügen folgte ihnen der aufgerissene Schnee aus den Klüften, und das Erdreich, wo sie es fanden, wirbelte zu Staub sich in die Luft, bis eine tiefe Grube oder feste Wand sie bezähmte; minutenlang rollte sonach das Echo in den Gebirgsthälern umher, wie das drohende Murren der Völker zum Aufruhr.
Nun hatte ich die gefährlichste Passage zurückgelegt, ich befand mich bei einer Sennhütte auf kleiner Wiesenfläche; schon hatten sich deren Bewohner in die wärmere Tiefe geflüchtet; sie both nun nichts als Schutz wider Regen, und dessen bedurfte ich nicht. Bald darauf ergetzte mich klares Trinkwasser — ein geringer Fund, aber von grossem Werthe, wenn man es sucht!
Die übernassen Stiefel wechselte ich mit Schuhen, um wieder ein trockenes Fleckchen an mir zu fühlen, und leichter den besseren Weg fortzuschreiten. Dieser bog sich nun in finsteres Nadelholz, das zum Theile durch die Axt viel Unfug erlitt. Wohlwissend, daß, wenn ich dieser ungeheueren Baumschule der Natur mich endlich entwunden, auch die bekannten Gränznachbarn meiner Alpe sich längst von mir getrennt haben würden, suchte ich sie mit wehmüthigen Blicken mir erinnerlich zu erhalten, für die tiefe Fremde, wohin sie stolzer niederspötteln würden. Eben schmückte sie 204des Mittags feuriges Roth, der Abglanz ihres Scheitels wirkte auf deren hohe Figur, sie schienen nicht was sie waren. — Wo Rosen und Lilien der holden Braut so schön am Antlitze wechseln, und heiter der Blick zum Erkohrnen spricht; da suchet wohl Niemand den häßlichen Fleck, wo mancher Gattin Mißlaune einst wurzelt!
Wärme schienen sie zu lügen die frostigen Alpen, leicht erspringbar ihre Gipfel — es war die falsche Lock, mehrere der Ueberwundenen zu ihren Füssen oder Gürteln zu zählen!
Die Schatten der Wolken zogen itzt dichter über die Erde und ihre Geheimnisse, und kümmerten sich nicht um deren Gräben und Klippen; ich aber belächelte meine Resultate, die sich aus milzsüchtigen Vergleichungen, Nebel ähnlich entspannen, und dennoch geraume Strecke in Wald mich begleiteten. So wie ich tiefer gerieth, wurde kleiner die Welt, traurig sah ich mir von einen Hügel um den anderen die Alpen schneller entziehen, bis der frechste mir des Tages goldene Scheibe höhnend verbarg. Diese Zwergberge hatte ich von der Tauernwand sicher nicht beachtet, sie schienen darüber erboßt, gleich dem gemeinen Pöbel, der unerkannt von schöneren Stellen, seine Wenigkeit in der Nähe desto fühlbarer macht.
Zwei thätige Holzhacker waren die ersten, welchen ich bald Stoff zu lächerlichen Bemerkungen gab. Sie bestätigten die Richtigkeit des Weges, meinten aber es wäre vergebens gewesen, sich auf so gefährliche Art zu ranzioniren, indem die Ueberreiter (Gränzaufseher) zu wachsam, mich sicher finden und ausliefern 205würden. Ein herrliches Kompliment! Ich fragte nicht für wen sie mich hielten, und ging, meine etwas invalid gewordene Kleidung betrachtend, unwillig weiter. Endlich übersah ich einen grossen Wiesenabhang; rechts brüllte aus demselben prächtiges Hornvieh seinen Baß, in den sich der Tenor einiger 100 Schafe ober mir mischte; links auf einem isolirten Wasenhügel ruht das
mit zwei Thürmen. Von seinem einstigen Wohlstande, worin sich die Ritter von Lichtenberg gefielen, ist es dermassen herabgekommen, daß kaum einige schlechte Zimmer zur Wohnung für den Jäger und seine Angehörigen erübrigen. Die weisse Uebertünchung, die man ihm statt nothwendigerer Reparaturen schenkte, entstellte es vollends zum armseligen Zwitter; das geachtete Alterthum schwand dadurch, ohne von der neueren Bauart das Zierliche zu haben. Ober diesem Schlosse, hoch aus belaubter Felsenkluft blickt eine wohleingerichtete Einsiedelei auf das Thal.
Vorwärts, an der forellenreichen Ache, dehnen sich die reinlichen Häuschen
in das Klappern der Mühlen und Bretersägen stimmet der muthigen Rosse Gewieher, aus Garten und Ställen. Angenehmer als der gesammte Tumult des ansehnlichen Marktes, war mir der stille Rauch, welcher sich in ernsten Formen über die Schornsteine wölbte. 206Der größte schien mir als werthvollster, das Wirthshaus zu verrathen; doch mußte ich vorher den sich krumm gelaufenen Duna versorgen.
Schon meine Nachfrage um einen Metzger (Schlächter), sammelte viele Neugierige; als sie aber dort einige Pfunde rohes Fleisch von dem verhungerten Hunde verzehren sahen, und ich auffallend unbarbirt, um die mögliche schnelle Beischaffung eines neuen Beinkleides, wenn auch zu höherem Preise mich erkundigte: folgte mir der immer stärker werdende Trupp bis zum Gasthause. Neugierde ward mir auf Wanderungen nicht fremd geworden, ich überging sie daher als etwas Gewöhnliches. Als mich aber im Zimmer die Bauern mit beständigen Fragen zunehmend heftiger quälten, und ich mehr für sie als meine Restaurirung da seyn sollte, antwortete ich gar nicht, oder was mir beliebte. Die gebietherische Aufforderung eines Marktschreibers, oder wer er sonst seyn mochte, mich vom Imbiß weg augenblicklich sammt Sack und Pack zum Amte zu verfügen, glaubte ich kaltblütig überhören zu müssen, und allenfalls meinen Paß durch einen Diener des Wirths hinzusenden. Aber dieß genügte dem ruhmrednerischen Schreihalse nicht; ich both ihm gleiche Münze für seine Grobheiten, und somit entspannen sich unangenehme Auftritte und komische Verfügungen. Jeder Fußreisende ist übrigens solchen Lästigkeiten immer mehr ausgesetzt, als der Fahrende, und am häufigsten in wenig besuchten Gegenden, obgleich man dort die Insassen gutmüthiger denken sollte.
Ich verließ folgenden Tags Saalfelden, das mich 207freundlicher gegrüßt, als aufgenommen hatte. Ueber der Ache betrat ich eine lange Wiese, die zu naß ist, als daß sie je etwas Gutes hervorbringen könnte. Wie mag im Winter bei diesem saueren Heue das Vieh den Verlust des wohlschmeckenden Kräuterfutters der Alpenweide fühlen! Vielleicht daß die Bauern sinnreich den gleichen Grundsatz einiger Doktoren »nach Schwelgen seye die Fasten sehr zuträglich« auf ihre wohlgenährten Herden in Anwendung zu bringen suchen, und darum diesen schwarzen Fruchtboden als Medizin betrachten, und der Auswässerung überlassen.
Um eine Krümmung zur Rechten, bog sich nun der Pfad zum
Gerne hätte ich von meiner lieben Weisbachalpe schlüßlich Abschied genommen; allein sie war zu stolz dieß zu gestatten! Wolken und Nebel machten ihr den Hof, sie wollte erst später dem Volke sich zeigen. Aus Unkenntniß des Weges ließ ich den See rechts, und umging so die Fahrstrasse und den Markt Zell. Ich hatte dabei wenig verloren; denn der schönere Gangsteig und die höhere Uebersicht der malerischen Ufer, entschädigte mich vollgütig für Zells alte Häuser und sonderbar gothischen Kirchthurm, welche im Wasserspiegel sich schattirend, dem Markte ein grösseres Ansehen geben.
Lästiger war der Umstand, daß ich von Schütt (einem kleinen Dörfchen am See) überfahren mußte, um nicht in pfadloser Schlucht (oder Einöde, wie man es nannte) nach kurzer Zeit eingeschlossen zu werden: 208aber Niemanden fand, der weder durch Geld, noch Bitten mein Fährmann seyn konnte. Die Fischer, deren Ansiedelung hier viele Kähne beweisen, waren abwesend; die Bauern aber beim Frühstücke thätig, wollten sich durch Strapatzen den reichlichen Imbiß ja nicht verbittern; und so blieb mir, da die Schiffe angeschlossen waren, kein Machtspruch übrig, als — Geduld!
Endlich erbarmte sich ein armer Greis meiner heiser geschrieenen Kehle. Der abgelöste Kahn, aus einem einzigen Lärchenbaume gezimmert, schien älter und gebrechlicher noch als sein Fährmann. Die Länge des unbehülflichen Schiffchens, verglichen mit seiner ungemeinen Schmäle, gibt den Fahrenden nicht die geringste Sicherheit auch nur bei mässigem Winde. Sein Hauch ruhte dießmal, und dennoch mußte ich mit meinem Körper balanziren, damit der Kahn nicht umstürze: anstatt daß ich dem schwachen Greise, den jeder Ruderstoß um eine Stunde seiner Auflösung näher zu bringen drohte, nach meinem Wunsche helfen konnte. Wie ganz anders fährt man über den St. Bartholomäus-See, wo die Kraft des Armes auf die Sicherheit des Kahnes (wenigstens bei Windstille) pochen kann.
In 25 Minuten hatten wir die Seebreite, dessen Länge zwei Mal soviel Ausdehnung haben mag, zurückgelegt. Die größte Tiefe desselben beträgt 42 Klafter; gegen die ringsherum flachen Ufer ist der See feucht, und endigt mit Schilf- und Moorgrunde. Ich sah noch keinen See von so viel Fischen belebt wie diesen; doch sollen sie in edler Sorte und 209Vortrefflichkeit denen der anderen Gebirgsseen nachstehen. Eben so möge die Luft bis Mittersill hinauf durch die Sümpfe, welche links an der Strasse vom Zellerbache und der Salza reichlich genährt, ihre Dünste im Thale giftig verbreiten, nicht sonderlich gesund seyn. Auf den Sumpfwiesen wird allenthalben der Heuvorrath in kleinen Stadeln (Kaischen) aufbewahrt, welche von weiten das Bild eines immer fortreichenden Chinesischen Dorfes biethen.
Ausser Zell, beim Dörfchen Limberg, befindet sich ein Kupferbergwerk. Gar nichts Merkwürdiges ausser ihren Namen, haben die Oertchen Fürth und Pisendorf; man müßte nur die Kaltblütigkeit der Bewohner als etwas Wesentliches anführen, womit sie bei dem Mangel an Feldern, einige 100 Joche Wiesengründe von Sümpfen ersticken lassen, ohne durch vernünftige Ableitungen sich daraus fette Fruchtäcker erzielen zu wollen.
Früher schon blickten aus Süden in die idyllische Landschaft, die mächtigsten
das Wisbachhorn, die hohe Kammer, und von einer Wiesenhöhe zur Linken erkennt man den Greisenvater Glockner, die Gränze mit dem Himmel und Ländern[30] bildend. Vom Haupte bis unter ihren Gürtel ganz in Schnee gehüllt, entstellt kein vorragender Stein, kein Flecken die glatte Form ihres schlanken 210Wuchses. »Wie oft,« dachte ich, »muß Phöbus auf seiner Eilfahrt diesen Kindbetterinnen der Flüsse schmeicheln, bis deren Eisgeburten zu Wasser geschmolzen, hinabsinken in die flachen Beete der guten Erde; um zu Boreas Triumphe dort wieder Brücken zu bauen in der Ströme würgenden Wogen, und dem tiefen Meere sonach die Geschenke der Alpen zu bringen.« — Gibt dieses alljährig sich erneuernde Elemententheater nicht ein Bild des Lebens? Der Mensch, flüchtig wie Schnee, spielt auf der holperigen Lebensbahn mit Wünschen und Erfahrungen, gleich den Sonnenstrahlen mit der Eisdecke, unterliegt dem Zufall, wie sie der Wärme, wird oft wieder, was er war — ein Kind, sinkt in das Grab, wenn er glaubt etwas errungen zu haben, und läßt, vom ewigen Jenseits verschlungen, nichts übrig, als den Nachruf seines einstigen Daseyns! — Die Nachkömmlinge spielen über ihm die vorige Rolle.
[30] Kärnthen, Salzburg und Tirol; er mißt nach Schultes 12,000′ über dem mittelländischen Meere.
Diese ungeheueren Körper stünden, angestaunt von der lebenden Welt, todt und nutzlos da; hätte noch nie ein kühner Sterblicher sich auf ihre Zinnen gewagt, und erkannt, wie der Schöpfer seines Reichthums höchsten Schmuck dort ergründbar umbreite, während deren kleinere Brüder mit ihren Schätzen bunte Bewohner nähren, und hochstämmige Trophäen tragen, welche in die Ferne versendet, noch der Erzeuger Kraft verkünden. — Gunstbezeugungen sind dem Grossen ein Tribut, den er nicht achtet; indeß der Kleine sie kärglich sammelt, und als Flitter triumphirend zur Schau trägt.
Beim Dorfe
kommt man wieder zur Salza. Im Widerspruche mit der Sanduhr des Lebens, ist sie jünger geworden seit dem letzten Abschiede; der schnellere Lauf und die Sprünge dieser kleinen Nymphe, lassen zu sehr auf den Muth der stärkeren Jungfrau schliessen, mit dem sie als solche bei Lueg die Felsen sich brach, und dann die Ufer majestätisch ausdehnte. Ich gab diesen Wellen Grüsse mit nach Hallein, und — allen Lieben zu Wien!
Häufige Vogelbeerbäume sind hier, so wie bei Niedersill, das links bleibt, und um die Ortschaft Lengdorf gepflanzt. Sie sollen für das Vieh sehr zuträglich seyn, und vor Ueberschreiung desselben bewahren! Einige Saatfelder und Kleeäcker erschienen mir bei Uttendorf als besondere Seltenheit; desto bekannter dunsteten wieder die Sümpfe zu Dorf Uggl und Dobersbach. Schöne Waldberge umsäumen fortwährend auch die Dörfer Uettendorf und Stuhlfelden. Im Markte
wo rechts auf der Anhöhe im ehemaligen Schlosse das Pflegamt sich befindet, genoß ich vollkommene Mittags-Erholung. Die bereits heute zurückgelegten fünf Meilen hatten mir das mässige Mahl herrlich gewürzt, und den minder guten Wein erträglich gemacht. Die Dienstfertigkeit des braven Wirthes verschaffte mir für nicht übertriebene Kosten das zu Saalfelden vergebens zum Kaufe gesuchte neue Beinkleid. 212Es erheiterte mich ungemein, jenes mit einigen Blessuren der Alpenreise behaftete, weggeben zu können, weil ich mit dergleichen Anzuge mich zu behelfen noch nie das Mißgeschick hatte. Von Mittersill führt der gewöhnliche Weg nach Tirol über den grossen Kettenstein und Trattenberg nach Kützbüchl, und dann ins Innthal nördlich nach Kufstein, südwestlich über Rattenberg nach Innsbruck. Das Innthal sollte mir zum Rückwege dienen; daher wählte ich itzt den über die wilde Gerloshöhe in das durch sein Hornvieh berühmte Zillerthal.
Ich schritt also abermal der Salza aufwärts, sie links lassend auf der Strasse, welche eigentlich ein Fahrweg, alljährig hundert Verwüstungen Preis gegeben, alle Unbilden einer viae malae dem Wanderer empfinden läßt. Die häufigen Gießbäche, welche allenthalben der Salza zueilen, und ihre Geburt in de Gebirgen entlehnen, wandern nicht selten auf der Fahrstrasse umher, und nehmen mit, was ihnen gefällt, und lassen zurück, was sie nicht brauchen. Diese Rudera eines Wagen- und Wasserpfades ermüdeten schon weit unter Mittersill, und dauern mit zeitweiliger Verbesserung bis zum Dorfe Wald. Mit den hölzernen Häuschen des Dorfes Hollersbach geben schöne Waldberge und Saatfelder ein reitzendes Tableau an der Salza; desto widerwärtiger erbittern den Oekonomen die allenthalben Holzvertilgung drohenden Umzäunungen, welche das Vieh vor Eindringen zu bewahren, hie und da doppelt eine elende Wiese oder versandeten 213Brachacker umstricken. Wenn man annimmt, daß diese aus dünnen Tannen und Föhrenbäumchen bestehenden Einfriedungen den jungen Nachwuchs der Wälder ausmachen, und bei solcher Verwendung nach etlichen Jahren verfault, nicht einmal zur Feuerung benützt werden, sondern der Verwesung überlassen, frische Stämme an ihre Stelle treten: so wird man nicht einstimmen in die Behauptung der albernen Bauern, welche ihre Wälder für zu groß, und im Vergleiche mit der geringen Nutzziehung daraus, in gar keinem Vergleiche halten. Müßten sie nur wenige Jahre um geringen Preis Holz kaufen, die Lücken im Forste würden weniger, die Aecker aber fleissiger mit Steinen und lebendigen Zäunen verwahrt werden.
Beim Dorfe Mühlbach kann der Reisende, wenn er Zeit und Lust hat, das schöne Kupferbergwerk besehen. Eine halbe Stunde bringt ihn dann nach Dorf
bei dem sich auf gleiche Entfernung, rechts in der Bergschlucht, eine der schönsten Cascaden tumelt. Ich habe über hundert Wasserfälle betrachtet, und glaube so ziemlich ihren Werth aus deren Wassermenge, Steinformen, Sturzhöhen u. dgl. abnehmen zu können; demnach wage ich diesen in beiden ersten Eigenschaften vorzüglich, und in letzteren bedeutend auszuzeichnen. Am Bache fortwandernd, wachsen bald höher und enger die Thalwände; im Sturmmarsche dringen die Wogen heraus, und wälzen sich Steine im Felsenbeete zum Vertilgungskampfe mit der Salza; 214kühler athmet die Luft beim hitzigen Krieg der Tritonen, den man lange schon mit Erstaunen vernahm, und endlich übertäubet ersieht. Hoch vom chaostischen Felsengebäude entstürzt der schneeige Fluß, bald in ganzer Masse, bald in Arme getheilt, die Kluft stärker zu rütteln. Bäume, die er der Heimath entriß, ihnen die Fremde zeigen, hat sein zu rasches Toben in die Risse der Felsentreppe verschlagen, aus der sie ewig zum Spiel seiner Laune, doch nimmer entfliehn! Moos hat sich hie und da um die zitternden Stämme geschlungen, es sind die grünen Flecken, welche herrlich die silbernen Wasserbögen durchsticken und zeitweilig vom Sonnengott einen Huldblick zu erflehen scheinen. Aber sprühend überziehet die Fluth ihren Fall; kein Auge, kein Blick vom Himmel soll spotten über die tief Gesunkene; Staubregen von oben herab sie begleitend, und von unten empor sich wirbelnd, decket den donnernden Kampf und nässet reichlich die Runde, um selbst in der Ferne die Neugier zu bannen. Jedoch entzückt durch der Natur zauberische Seltenheit, weichet der Mensch nicht bei Gefahren, und Traufe sollte ihm diesen Neptunstempel schließen?
Auf einem Felsenstücke gelagert, dem zartes Moos und duftende Blumen holdern Schmuck bringen, als dem goldverbrämten Ruhebeete seine elastischen Stahlfedern, schöpft man hier aus der Brunnenquelle der ewig schönen Natur frische Labung! Mit der Städte lästig Geräusch vergleicht man dieses Anmuthige der Natur, mit der Dekoration prunkvoller Säle, diese des Orkus — Seelengefühl schildert 215den Preis! Ein Windstoß zerriß itzt die Wasserkunstdünste und wehte den Himmel blau, unter dem sich die Schnellsegler der Erde — einzelne Wolken hinzogen, als Plänkler zum beginnenden Treffen, der Sonnendiamant aber blitzte zwischen dem beweglichen Triumphbogen der Najaden, und sah mit abgehärteten Alpen eine Zeitlang als Sieger in die erboßte Kluft, bis sie neue Kraft gesammelt, die vorige Uebermacht errang. Von Gefühlen bestrickt, sinnet der Mensch und staunet der Geist, wie die Wunder sich häufen, wo man Zauber nicht wähnte! —
Taub vom Gebrülle der Wogen verläßt man das felsige Beet, die Schlacht ist vorbei, es lachet der Friede in Salza’s grünerem Thale. Höher rücken darin beiderseits hölzerne Häuschen auf die mit Wäldern besäumten Berge; man fürchtet, daß sie heruntergleiten müßten im Winter, wenn zunehmender Schnee sich neben ihnen die Bahn ins Thal wälzt. Ueber dem Dörfchen
ragt der schwarze Kirchthurm mit seinem spitzigen Schindeldache wie ein Zahnstocher für Giganten. Er ist in die Ruinen eines alten Schlosses gebaut, von dem nur noch ein mit Birken bewachsener Thurm erübrigt. Weniger konnte ich den einstigen Namen, (Weiher, Wieher, oder Wildschloß wie man es verschiedentlich angab,) als eine Volkssage darüber erfahren: Einst sollte hier ein gar arger Raubritter hausen, dem nebst Wildjagd, Menschenpein seine angenehmste Erlustigung gewesen. Die Bauern, welche 216dazumal im Walde zerstreut ihre Hütten besassen, konnten ihm nie genug arbeiten, und dennoch war er niemals zufrieden; er schwur endlich, sie statt der bereits ziemlich ausgerotteten Bären und Wölfe hetzlustig zu erlegen. Zu diesem himmelschreienden Vorhaben lud er einige seiner Zechbrüder und Lastergenossen.
Es fügte sich vorher, daß, wie er eines frommen Burschen Braut verführen wollte, dieser und ihr Bruder ihm zu hart auf den Leib gingen, und den Ritter zur Flucht zwangen, deßhalb befahl er nun das Mädchen und die beiden Bursche in den Burgzwinger zu bringen, selbe in Häute von Bären zu nähen, und dazu zwei wirkliche Bären, welche im Forste einst jung gefunden, und zur Kurzweil des Ritters auf dem Schlosse ernährt wurden, einige Tage abgehungert, dann gegen die Unglücklichen auszulassen.
Das Schreckensfest begann mit der Ankunft der gräßlichen Zuseher. Wüthend fielen die zwei großgezogenen Schloßbären über die drei Fremdlinge her; der Kampf blieb eine Zeitlang zum Erstaunen der Anwesenden unentschieden. Endlich stürzte einer, und dann der zweite der genährten Raubzöglinge mit fürchterlichem Gebrülle an die Einfriedung des Burgzwingers, daß ihre Rippen brachen und Mauerschutt die todten Riesenkämpfer überdeckte. Rachentflammt über das unglaubliche Glück und Kraftzeichen der vermeinten drei Delinquenten, eilte der wohlbewaffnete Satansritter, unerhörte Flüche wider sein Daseyn und den Schöpfer ausstossend, wenn er nicht diese Masken erlege, mit zweien seiner verdorbensten Spießgesellen in 217den Kampfplatz. Wuth und Blutgier schwang höher ihren blitzenden Stahl, jeder Streich hätte eine Eiche überwunden, und doch drang er nicht durch bei den blutenden Vierfüßlern; sie rangen und schwiegen, wenn auch schon die Stimme der Ritter erstarb! Jetzt aber hoben sie sich, fürchterlich brüllend wie der Nordsturm, wenn er die Bäume ihren Wurzeln entreißt, und die Felsen sammt deren Lavinen hinabschleudert, in die tiefen Gräber der Alpen, um über die Menschheit Gräber zu bauen!
Mit Zettergeschrei flohen die barbarischen Zuseher von ihren gefälligen Plätzen. Die Ritter wollten auch das Weite suchen; Todesangst hatte ihnen bereits das Mark zerronnen und die Haare steif empor gestreift: jedoch näher drangen die zottigen Ungeheuer auf die um Hülfe rufenden Schlachtbolden. Einer um den Andern wurde besiegt; man sah die Panzer zersprungen, das Eingeweide aus dem Leibe gerissen, den Kopf vom Genick gedreht, und die Gliedmassen einzeln auf dem Kampfplatz zerstreut. Hierauf erbrachen sich die Waldheroen den Ausgang, und blutige Spuren bewiesen noch mondenlang ihr jüngst schreckliches Daseyn. Aus der vernachlässigten Schloßkapelle aber traten bleichen Antlitzes, Hand in Hand die zwei Freunde mit dem ehrbaren Mädchen; unbewußt des Herganges, benützten sie den Augenblick als das Pförtchen sich aufthat, zu ihrer Rettung. Nun erkannten sie die gräßlichen Spuren des Mordes, sahen die zwei Bären erlegt, gegen die sie hätten kämpfen sollen, und vor welch sicherem Verderben sie eine verschleierte Jungfrau entzog. Das Mädchen aber wiederholte knieend ihr früheres Gelobniß: 218»wenn sie von diesem schrecklichen Untergange die heil. Jungfrau bewahre, in einem Kloster ihre Tage zuzubringen.« Traurig, aber ehrend diesen Entschluß, knieten die Jünglinge neben ihr, und versprachen, im gelobten Lande in den Reihen der Knappen, für die Ehre des Heilandes zu bluten.
So geschah es; das Schloß blieb geschieen von menschlicher Welt, nur der willkommne Sammlungsort wilder Raubvögel, Eulen und Nattern, die sich hier im bunten Vereine Feste gaben. Wagte auch bisweilen ein kühnerer Wanderer, durch Ungewitter oder Hoffnung zum Gewinn geleitet, in den öden Hallen eine Nacht zuzubringen; so wurde er bei fürchterlichem Lärm, mit Gold und Silbergefässen, herrlichen Speisen u. d. gl. schadenfroh gefoppt, und wenn er von etwas Gebrauch machen wollte, mit tüchtigen Schlägen zum Schlosse hinausgejagt. Nach vielen Jahren kam der einstige Bräutigam zurück; der Nonne Bruder hatte den Heldentod unter den Säbeln der Sarazenen empfangen. Dem Ankömmling war der gleiche Wunsch nicht vergönnt; er stürzte sich in der Schlachten blutigste Reihen, eroberte Trophäen, rettete seine mit Gefahren umdrohten Anführer, ward nie gefangen und that Wunder der Tapferkeit! Auf dem Schlachtfelde wurde er von dem fürstlichen Heeresführer zum Ritter geschlagen, besiegelte diese Auszeichnung durch spätere Kampfwunder, und kehrte endlich zurück, um im heimischen Pinzgau die asiatischen Wunden zu heilen. Doch auch hier bluteten sie, und zwar im Herzen — durch Erinnerung! Die Veste, welche ihm von Kaiser und Reich zugesprochen wurde, gab ihm keinen Ersatz 219für sein verlorenes Glück, er bezog sie nicht, schenkte aber die Umgebung armen Ansiedlern, mit dem Wunsche: wenn sie oder ihre Nachkommen einst zu Vermögen kommen sollten, in die Nähe des Schlosses eine Kirche zu bauen; er selbst zog sich in die Wildniß und lebte als Einsiedler, von Jedermann verehrt. Kurze Zeit nach seinem Tode stürzte die Veste, welche wie vor und eh unbewohnt, aber noch im ziemlich guten Zustande sich befand, in einer Gewitternacht zusammen. Weniges Gemäuer und der Thurm erübrigten; in den Schutt theilten sich die Umbewohner, und sieh — es fand sich ein Kästchen mit Gold- und Silbermünzen, zum herrlichsten Baue einer Kirche hinreichend. Man baute und baute, aber das Werk wollte nicht von der Stelle gehen; endlich strebte er, wölbte sich und stand da voll Ansehen und Pracht der Gott geweihte Tempel, von dem Volke angestaunt! Auf Maria Geburt sollte darin das erste Hochamt gefeiert werden; schon war alles vorbereitet! aber Tags vorher, den 7. September lag die Kirche durch unergründliche Macht — im Schutt. »Der Herr läßt nicht durch Sündengeld sich Tempel bauen,« sprach ein frommer Greis, »erworbene Baarschaft durch unserer Hände wackern Fleiß, sollen Ihm die Kirche gründen!« und mit der Jahre späten Frist stand durch der Kreuzer karg erworbne Zahl, das Kirchlein zu Weiherhof.
Häufiger dringen sich bei
dem Wanderer die lästigen Spuren der vertilgenden Gießbäche auf. In diesem Dörfchen befindet sich ein 220Zoll- und Aufsichtsamt, als beinahiger Schlußwächter des salzburgischen Pinzgaues nach Tirol; ich mußte also meinen Paß daselbst vidimiren lassen. Das Merkwürdigste nebst jener Kleinigkeit schien mir die grelle Malerei der Kirche, welche nur hier, aber schwerlich anderwärts, vor Lächeln wahrt. Würde das treffliche Trinkwasser, welches am Platze einem hölzernen Springbrunnen entquillt, in Wien rieseln, so hätte man es längst mit Granit überbaut, und um hohen Preis zur Abnahme gebracht.
Ausser Neunkirchen gewinnt die Gegend an romantischen Ansehen. Ein junger Laub- und Nadelwald nimmt den Fremdling auf von der erschöpfenden Tageshitze in freundlichen Abendschatten, wie den müden Lebenspilger die endliche Ruhe. Man hört erfreut wieder den melodischen Fink und zarteren Hänfling ihr vielstimmiges Dankliedchen wiederholen; sieht, wie das besorgte Rothkelchen sein leichtsinniges Weibchen zur Ruhe treibt, und die näschige Meise noch für den Nachtimbiß besorgt, von einem Zweige zum andern die Fliegen sich sammelt. Ich glaubte die lieben Luftbewohner zu erkennen, welche vor wenig Tagen noch vielleicht das Gärtchen meiner lieben Eltern belebten, die mir Willkomme brachten von ihnen und von meinen Freunden, welche im Geiste so gerne mit mir gewandert wären!
Ja gewiß, man mag Empfindler seyn oder nicht, ein schöner Abend nach stark durchschwitztem Tage leitet doch so natürlich zur sanften Schwärmerei!
Mitten im Bereiche der Najaden und Hamadriaden befindet sich die kleine Gemeinde
sie mag den schönen Namen als Trost führen, weil sie an dessen Realisirung so Mangel leidet. Rechts dabei auf der felsigen Waldanhöhe stehen die Ruinen des alten Schlosses
Ich beschloß, ein halbes Stündchen zu dessen Besichtigung zu verwenden. Mit Befremden sah ich oben die öden Ringmauern von Kadavern aufgehangener Fledermäuse, Nachteulen und Falken besudelt. Auf einem der häufig herumwuchernden Bäume war ein todter Marder angebunden; übrigens fand ich ausser sehr häufiger Mauerraute (ruta murrana) an den Schloßwänden, nichts, was meine Aufmerksamkeit hätte anziehen oder fesseln können.
Enger und finsterer wird nun das Thal, kühner arbeiten darin die Bergbäche; die hohen Schneealpen blicken wohlgefällig auf diese — ihre munteren Kinder herab, und sichern deren fortwährende Thätigkeit. Das winzig kleine
mit seiner Branntweinbrennerei, könnte als herrliche Staffage zu einer amerikanischen Wildniß-Ansiedelung dienen. Nahe dabei erscheint eben so schön, als jenes abschreckend war, das aus 16 Häuschen bestehende Dörfchen
Sein Kirchlein, welches den Trost spendet über die sich von hier theilenden Alpenpfade ins Ziller- und Pusterthal, rief eben zum Abendgebeth. Rein und silbern, wie das Alpenland, verklang die Glocke im Thale; und inner den Thüren der hölzernen Häuschen, neben der bemoosten Ringmauer der Kirche, tönte der fromme Spruch, welchen die dankbaren Eltern den Kindern gelehrt, um ihn auch auf die Nachwelt zu bringen.
Glücklich, wem sich sein Leben so schließt, wie der Abend den heutigen Tag! sein Wirkungskreis muß heiter gewesen seyn, und in den trüben Tagen des Schicksals muß nie Ungewitter Platz gegriffen, und den Nutzen der frohen Periode zerschmettert haben. — Im unansehnlichen Wirthshause wollte ich meine heutige achtmeilige Wanderung beschliessen; allein trotz dem guten Willen, mußte weiter gewandert werden. Wirth, Weib und Dienstleute waren vor einigen Stunden zu den morgigen gebirgsberühmten Zeller-Kirchweihfeste (im Ziller-Thale) abmarschirt. Sie machten sich schon heute auf den Weg, um dort zu übernachten, und ja nichts von diesem Feste zu versäumen. Drei kleine Kinder und eine alte Wärterin übten dagegen zu Hause ihr Mordio, daß die Ohren gellten, und ich nach einem Schlucke sauren Weins lieber fortwanderte, als auf dem Bund Stroh bei solchem Konzerte die Nacht zu verwünschen. »Zu Ranach,« kreischte die Hekuba, bekäme ich gute Unterkunft und Nachtessen; auf der Karte fand ich diesen 223Namen als Dorf angeführt, und so konnte auch die Prophezeiung erfüllt werden. Die herrliche Lage von Wald will den Wanderer nicht von sich lassen; begrüßt sie mit allem Zauber den Ankömmling, so ist’s magnetische Kraft, die den Abreisenden zurückhält. Ich stand geraume Zeit auf dem Endpunkte einer Bergwiese ober dem Dörfchen, und zählte die Hütten, und maß die Wälder und Felsen, welche hoch sie umgeben, und beneidete die Salza, welche herumhüpfend zwischen grünen Voralpen von ewigem Schnee überglänzt, den schönsten Gebirgstheil ihren Geburtsort nennt. Und des Himmels Sternenaugen erwachten itzt häufiger und schneller zur Sorge für die schlummernde Welt; sie überblitzten das schwindende Roth der spätesten Abendgluth auf den Gipfeln der Schneealpen, und bis an die Flüsse hinab reichte ihr forschender Blick, und schwamm darauf wie der Nachen der Hoffnung als diamantener Schimmer. Nun brach sich der Mond zwischen Wäldern die Bahn, höher schwang er sich als König der Nacht über seine Huldiger zu dem grossen Erzeuger. Die Erde schmückt also wieder festlicher Glanz; neue Gefühle entstehen, das Silberhaupt muntert zum Frohsinn. Muthvoller eilet der Pilger zum Ziel, lieblicher wird dem Müden die Rast, sanfter schlägt das Herz in der spröden Schönen, beseligender finden die Geliebten ihre zarte Umarmung.
Mich umfaßte bald die Waldhöhe; links ins Thal stürzte sich
im weiten Bogen von schroffer Felsenwand, rechts aus finsterer Schlucht eilte eine andere Cascade der ersteren nach; sie waren die einzigen, welche fortwährend die heilige Stille zu stören wagten. Eine verfallene Sägemühle, welche vom Unglücke oder Nachlässigkeit des Eigenthümers sprach, kämpfte zu meinen Füssen mit der gewaltig sie bekriegenden Fluth. Das durch die Zweige ungewiß eindringende Mondlicht, das schäumende Getöse, welches jeden Ruf übertönte, die zerfallene Mühle mit 100 Winkeln und Fallen, endlich der nahe Forst und die zerklüftete Umgebung, dürften so ein treues Bild eines Räuberschlupfwinkels liefern. Des Nadelwaldes harzige Wurzeln, welche schlangenförmig über dem Boden fortzogen, erschwerten mir die Wanderung, je dichter die Stämme sich reihten.
Ich hatte den Trost auf diesem Wege nicht fehlen zu können, und stolperte also geduldig fort, bis der Pfad sich theilte; da wählte ich aber natürlich den bequemeren rechts. Jedoch was besser scheint, ist nicht immer das wahre, probatum; ich kam statt nach Ranach, auf eine Bergwiese, die mit vogelhausähnlicher Heuschupfe ausgestattet war. Verdrießlich über meinen Irrthum hielt ich es nicht der Mühe werth, denselben durch Rückweg zu verbessern, und fühlte mich überhaupt zu ermüdet, weitere Pläne zu ergrübeln. Oft schon hatte ich auf diese Art eine Nacht herrlich verschlafen; »der Morgen wird schon zeigen, wo hinaus,« dachte ich und kletterte zum Luftthürchen hinein; 225Duna folgte nach paarmaligem Fehlsprunge. Das Bergsteigen hatte mich erhitzet; ich wollte mir diese Wärme erhalten, und kroch so tief als möglich ins duftende Heu. Aber nach geraumer Zeit fühlte ich zu sehr eindringende Nässe durch meine Kleidung. Das Gras mußte entweder nicht gehörig ausgetrocknet erst hier zur Auslüftung aufbewahrt werden, oder der vorgestrige Regen hatte durch das schlechte Dach zu viel Einfluß auf meine Lagerstätte; kurz, ich fand das Heu nur auf der Oberfläche seinem Namen entsprechend, und in dem nassen Grase konnte kein Mensch bei der nächtlichen Gebirgskälte übernachten. Demohngeachtet entsprang ich diesem unfreundlichen Asyle erst, bis mich Fieberfrost mahnte; ich wußte nicht wohin, oder was zu beginnen? Vergebens suchte ich in der Nähe ein ähnliches Hüttchen, vielleicht mit gehaltvollerem Vorrath; Wald und Wiesen zeigte der karge Mond, und mit diesen mußte ich mich begnügen. Den Rückweg und eigentlichen Pfad fand ich leicht, und bald auch das auf der Karte großthuende
welches aber zu meinem Erstaunen, nichts mehr, als eine elende Holzkneipe mit zwei halbzerfallenen Scheunen enthielt. Dieß also die Trostherberge, welche den Gebirgskundigen nach wenigstens zweistündiger Anstrengung von Wald lächelt? Mein Vorgefühl von Labung ward ganz kleinlaut, besonders, da mir die Uhr die eilfte Stunde zeigte, welche nicht die gewöhnliche für hierortige Besuche seyn mag; jedoch 226wollte ich ja nichts als ein Strohlager, und dieß dürfte immer bereit seyn.
Zwei wilde Bestien von Hunden sprangen auf mich Nahenden; kaum daß ich ihrer mich erwehren konnte, kam ein schwerer Bullenbeisser der Avantgarde zum Succurs. Duna, welcher meine Gefahr ersah, befreite mich durch seinen muthigen Anfall auf den geübten Fänger; doch er konnte diesem nichts abgewinnen. Beide balgten sich jämmerlich, indeß ich den Kampf mit denen vom frischen Muthe begünstigten Bastard-Pudeln aufs Neue beginnen mußte. Mein Rufen half nichts; das Lärmen der Hunde hatte die Berge zum Leben erweckt; dennoch schien das Echo zu schwach für die tauben Ohren der hiesigen Bewohner. Die Geduld riß endlich, als mich einer der bissigen Stänkerer seine Zähne im Waden fühlen ließ; ich erstach ihn mit meinem Stockdegen ungern aber nothgedrungen. Nun war Ruhe, aber nur von den Hunden, welche mit fürchterlichem Gebelle forteilten, indeß der Bauer ein Fenster öffnend, diesen Moment abzuwarten schien, um sein Sprachrohr ertönen zu lassen: »Hanschl, Dommel (Thomas), Kosper etc. gebts d’ Büchs, daß i zomschois den sacker Sch—« noch einige Titeln folgten; ich wußte, daß es hier nunmehr Obdach zu erhalten unmöglich wäre, und wenn ja diese genannten Namen verkörpert sich dort befänden, für gegenwärtigen Augenblick nichts anders als Mißhandlung zu besorgen wäre. Ich wanderte fort, und konnte nur nicht begreifen, warum der Wirth, welcher, wie es gewiß schien, lange den Lärmen vernommen, nicht früher 227ins Mittel trat, und dadurch sich meinen Dank erwarb, und seine Hauswache vollzählig erhielt? In Gerlos eröffnete man mir deßhalb, daß dieser Alpler, bei dem nichts als Branntwein und Brot zu bekommen wäre, trotz seines sonst leutseligen und guten Gemüths, wegen mässigen Besitzes, bei Nacht äusserst mißtrauisch sey, und um solche Zeit am wenigsten Fremde bewillkomme.
Ende des ersten Theiles.
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| ── | 30 | ── | 6 | v. u. | ── | Jahren | ── | Jahre |
| ── | 53 | ── | 6 | v. o. | ── | fortwährend | ── | fortwähren |
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Anmerkungen zur Transkription.
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Eindeutige Druckfehler sind kommentarlos korrigiert worden.
Die Druckfehler, die in einer Liste am Ende des Textes erscheinen, sind nicht korrigiert worden.
Die folgenden Fehler wurden wie hier aufgeführt korrigiert (vorher/nachher):
[Seite 49]:
... opferte, von eine armen Familie bewohnt. ...
... opferte, von einer armen Familie bewohnt. ...
[Seite 89]:
... Abgerechnet den sanitäten Nutzen oder Schaden, ...
... Abgerechnet den sanitären Nutzen oder Schaden, ...
[Seite 104]:
... dem Bocksfleische, daß zwar nicht wohlschmeckend, ...
... dem Bocksfleische, das zwar nicht wohlschmeckend, ...
[Seite 124]:
... Meissel und Pulper von ihrem Punkte verbannt. ...
... Meissel und Pulver von ihrem Punkte verbannt. ...
[Seite 139]:
... denn je lockerer die Lehm oder Erdmasse ist, ...
... denn je lockerer die Lehm- oder Erdmasse ist, ...
[Seite 141]:
... grau und lettenartigen - bisweilen Schieferthon ...
... grau und lettenartigen — bisweilen Schieferthon ...
[Seite 186]:
... Aber nördlich überhöhnen sie des hohen Hundskopftods ...
... Aber nördlich überhöhen sie des hohen Hundskopftods ...
[Seite 187]:
... ihrer Oberfläche schuh oder klafterweit geschieden, ...
... ihrer Oberfläche schuh- oder klafterweit geschieden, ...
[Seite 194]:
... nach Saalfelden komen,« prophezeihete er, ...
... nach Saalfelden kommen,« prophezeihete er, ...
[Seite 208]:
... schien älter uud gebrechlicher noch als ...
... schien älter und gebrechlicher noch als ...