Title: Imaginäre Brücken: Studien und Aufsätze
Author: Jakob Wassermann
Release date: November 5, 2005 [eBook #17007]
Most recently updated: December 12, 2020
Language: German
Credits: Produced by Markus Brenner and the Online Distributed
Proofreading Team at https://www.pgdp.net
Copyright 1921 by Kurt Wolff Verlag A.-G., München
Druck von Dietsch & Brückner, Weimar
Herbst 1921
Die Zeit erschüttert die Begriffe und wühlt den Boden auf, dem sie entwachsen sind.
Es hebt eine Geschichtsepoche an, in der es sich vor allem darum zu handeln scheint, den Wert, das Ausmaß und die Rechtsgrundlagen von dem, was bisher Eigentum hieß, zu revidieren und umzuformen.
Der Anspruch des einzelnen auf sein Gut, den er bisher mit unwiderlegbaren Argumenten verteidigen konnte, ja der geradezu ein Gesellschaftsgesetz war, wird ihm plötzlich streitig gemacht mit Gründen, denen, wollte man sie auch nicht gelten lassen, Nachdruck verliehen wird durch Drohung von Gewalt. Gewalt ist nicht zu widerlegen.
So tief hat kein Vorgang der Geschichte in die private Existenz gegriffen, daß der Bürger, das Mitglied einer Gemeinschaft, die nur zum Schutz ihrer selbst besteht, von einem andern Teil dieser Gemeinschaft in seinen durch Gewohnheit, Brauch und Gesetz geheiligten Lebensbedingungen entrechtet werden soll, und daß ihm zugemutet wird, die anscheinende Willkür und Unbill nicht bloß geduldig zu ertragen, sondern auch eine Notwendigkeit, eine neue, bessere Ordnung darin zu erblicken.
Hier ist nicht die Absicht, diese neue Ordnung gegen die alte wissenschaftlich zum Vergleich zu stellen; dazu fehlt mir die Befugnis und die Kompetenz. Es soll auch nicht von Schlagworten des Tages die Rede sein: Imperialismus, Sozialismus, Kapitalismus, Kommunismus; sie haben die Köpfe genug verwirrt, die Leidenschaften genug erregt. Ich möchte das Wesen des Besitzes untersuchen, seine Wirkungen nach verschiedenen Seiten, auf das innere und auf das äußere Leben, das soziale und das individuelle, seine Legitimität und seine Schädlichkeit, seine Fruchtbarkeit und seine Unnatur.
Wer darbt, dessen Seele wird von Bitterkeit erfüllt gegen den, der Überfluß hat. Es gibt Verstoßene, die durch keine Anstrengung dahin gelangen können, wo die Lieblinge des Glückes sich am ersten Tage befinden. So entsteht in Hunderttausenden, Millionen Gemütern Bitterkeit, Haß, Neid und Auflehnung.
Für den, der darbt, ist das geringste Mehr, das der andere hat, schon Überfluß. Wer nur ein einziges Hemd besitzt, für den ist der Besitzer von zwei Hemden ein mit Glücksgütern Gesegneter. Wer sich nicht sattessen kann, für den ist der sorgenvollste Satte ein Krösus. Wer kein Bett sein eigen nennt, in dem er schlafen kann, für den ist der auf dem Strohsack Ruhende beneidenswert.
Die gegenwärtige Gesellschaftsordnung hat so unendlich viele Abstufungen der Armut, wie sie Abstufungen des Besitzes hat. Zwischen dem in einer Tonne oder Kiste verborgenen blinden Passagier im Frachtraum eines Luxusdampfers und dem amerikanischen Nabob in der ersten Kajüte mit Bade- und Speisesalon dehnt sich eine Skala aus, auf der alle Leidenschaften, Begierden, Niedrigkeiten, Verbrechen, alle Sehnsucht und Verzweiflung und fast alle ausdenkbaren Schicksale der modernen Welt spielen.
Irgendwo in der Mitte dieser Skala ist eine scharf trennende Linie. Sie scheidet diejenigen, die ihre Lebensnotdurft nicht stillen können, von denen, die in der Befriedigung ihrer natürlichen Bedürfnisse eine selbstverständliche Voraussetzung erblicken. An dieser Linie teilt sich die moderne Welt in zwei Lager. An ihr wütet der soziale Kampf in seiner ganzen Furchtbarkeit.
Da aber die Gesellschaftsordnung, wie sie heute besteht, ein Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende altes Gefüge ist, so muß man sich fragen, weshalb das eine Lager der Menschheit in seinem Jammer, seiner Bedrückung, seinem Leiden die bevorzugte Situation des andern so lange erduldet hat, ohne einen nachhaltigen, allgemeinen, gewaltsamen Eingriff vorzunehmen. Ein Zustand, der so offensichtlich den Charakter der Ungerechtigkeit an sich trägt, mußte doch umsomehr zum Umsturz herausfordern, als die zahlenmäßige Übermacht zu allen Zeiten auf Seite der Entrechteten lag. Waren sie nicht genug durchdrungen von ihrem Recht, dem Recht auf Brot und Wärme, auf Luft und Licht? Hat man ihnen Schaustellungen des Prunkes erspart? Wußten sie nicht, was erreichbar war? Kannten sie nicht die Bevorzugten in ihrem Übermut und ihrer Härte? Warum also die Geduld?
Einige werden antworten: darum, weil die Gewalt auf Seite der Reichen war; sie konnten die Gewalt bezahlen, und unter denen, die bezahlt wurden, befanden sich die aus dem feindlichen Lager, die ihre Brüder verrieten, eben weil sie bezahlt wurden.
Andere werden sagen: darum, weil ein tiefbedachtes, raffiniertes und uraltes System von Einschüchterung, Betäubung und Verdummung die Masse der Unterdrückten in Bann gehalten hat, und weil zudem die Sorge für den Tag, die dringende Notwendigkeit, Obdach, Nahrung und Kleidung zu beschaffen, den größten Teil der verfügbaren Kräfte absorbierte.
Es ist ein Stück der Wahrheit, aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Es ist die äußerliche Wahrheit, aber nicht die innere.
Nehmen wir an, es fände heute eine vollkommen gerechte und gleichmäßige Verteilung aller vorhandenen Güter statt, beweglichen und unbeweglichen; jedem wäre so die Unabhängigkeit gesichert, die Arbeitsfreiwilligkeit, die Möglichkeit, seinen Anteil nach seinen Gaben und Kräften nutzbar zu machen. Dieser paradiesische Zustand würde genau so lange dauern wie ein Tüchtiger braucht, um einen Trägen aus dem Feld zu schlagen, ein Listiger, um einen Dummkopf zu betrügen, ein Glückspilz, um über einen Pechvogel zu triumphieren, eine talentvolle und feurige Persönlichkeit, um Anhänger für eine Sache oder Idee zu gewinnen, der sie sich versprochen hat.
Daß in der von Menschen (so wie Menschen einmal sind) bevölkerten Welt eine Besitznivellierung stattfinden kann, halte ich für denkbar, obgleich ich fürchte, daß sie ohne Raub, Bedrückung, Gewalt und Ungerechtigkeit nicht durchzuführen ist. Daß sie aber auch nur auf kurze Dauer rechnen kann, halte ich bei einer Gemeinschaft, die nicht ausschließlich aus Ackerbauern, Fischern, Jägern und Viehzüchtern besteht, für undenkbar. Und auch hier würden sich die Schlauen, die Tätigen, die Erfinderischen bald absondern, und Herren würden Sklaven finden. Eine Binsenweisheit im übrigen.
Freilich, die Forderung, die eine verzweifelte Kaste von allzulange hörig Gewesenen erhebt, ist auf den katastrophalen Moment dieser Epoche gestellt; sie lautet: Anrecht auf das Lebensmindeste. Die Ungleichheit hat den Charakter krankhafter, ja verbrecherischer Hypertrophie erreicht. Das über und über gehäufte Mehr auf jener Seite soll abgetragen werden zu gunsten derer, die das Mindeste entbehren. Ich weiß nicht, wie das geschehen soll, ich weiß nicht, ob es geschehen kann, auf eine vernünftige, ersprießliche, rettungversprechende Art nämlich. Daß es wichtig, daß es würdig und menschlich wäre, wenn es geschähe, weiß ich, auch wenn mir die Sachverständigen mit klugen und wahrscheinlichen Berechnungen vor Augen führen, daß es den Zusammenbruch der gegenwärtigen Gesellschaft bedeute, und sich dieser in Rußland ja bereits vollzogen habe. Kein Bestand irgendeiner Ordnung vermag dafür zu entschädigen, daß lebendige Seelen dadurch zugrunde gehen, daß sie besteht.
Es fragt sich nur, ob sie gerade dadurch zugrunde gehen. Eine Wut der Materie hat sich des Zeitalters bemächtigt, die gegen alle Einflüsse des Geistes, der Seele, des Schicksals blind macht. Kurzfristige Nutzanwendung wirft überall die Logik der Dinge und der Geschehnisse aus der Bahn. Forderung überschreit Entwicklung und Gesetz. Ein Hexentanz der Zahl ist im Schwange, der Praktiken und der Theorien, beide gleich seicht und unfruchtbar. Jeder steht beziehungslos zu sich selbst, in einer durch die Materie getrübten Beziehung zum andern und zur Welt, abgetrennt vom sittlichen Verlauf, weil völlig geblendet oder erschreckt vom sinnlichen. Niemand will zu einer Sache geboren sein, alle wollen sich ihrer bemächtigen.
Jede Tätigkeit, wie jede Errungenschaft, hat ihre unverbrüchliche Legitimität. Diese Legitimität ruht nicht in der Materie, sondern im Geiste.
Die Drohnen seien preisgegeben. Fluch dem Leben und Andenken der gierigen und unempfindlichen Raffer und Wächter toten Eigentums, die das Blut schaffender Geschlechter vergiftet haben. Die denkfaul und achselzuckend sich auf die gottgewollte Institution beriefen, wenn die Lohnsklaven im Dunst der Schwefelgruben erstickten, wenn schlagende Wetter ihre Leichname zerfetzten, wenn der Hunger sie zur Selbsterniedrigung zwang; die sich in ihren gesicherten Asylen verschanzten, beschützt von Polizei und Militär, wenn die Not zu ihnen schrie, das tausendfältige Elend der Städte sich verzweifelnd erhob, der tausendfältige Schmerz seine fahlen Züge zeigte. Wehe den Aktienparasiten, den gelangweilten Müßiggängern, den Spielern mit Menschenseelen und Wucherern mit Menschenkräften, den Petrefakten und dem schillernden Geschmeiß einer untergehenden Welt!
Aber diese Schädlichen und Hinderlichen haben und hatten von jeher im Lager der Armen und Geknechteten ein unabsehbares Heer von Lakaien, Agenten, Anwälten, Profitmachern, Kulis, bestochenen und ergebenen Kreaturen, die, gefällig jedem Wink, auf das Erträgnis ihrer Dienste angewiesen, in Schranken gehalten durch die Stimme des Eigennutzes, zitternd vor der Macht- und Rachebefugnis ihrer Auftraggeber, durch die Zwangsmittel des Staates zum Gehorsam, die nach wirkende Zucht der Kirche und der Schule zur Indolenz und Scheinüberzeugung gebracht, stützendes Element auf der einen, hemmendes auf der andern Seite der Linie waren.
Daraus jedoch schließen zu wollen, als hätte die Stabilität der bisherigen Gesellschaftsverfassung nur in unreinen Gesinnungen und niedrigen Interessen, in der Trägheit und Knechtseligkeit der Massen ihre Ursache, hieße der billigen Demagogie das Wort reden, die heute die Straße und die politische Schaubühne beherrscht und die die menschliche Natur und das Wissen von ihr entweder berechnend ausschaltet oder sie überhaupt nicht in den Bereich der Argumente zu ziehen vermag. Was ebenfalls ein Merkmal geistigen Abstiegs ist.
Dem Menschen, sei er, wer er sei und wie er sei, gut oder böse, ist Achtung vor dem Besitz des andern Menschen angeboren.
Am Recht des fremden Besitzes zu zweifeln, ist bereits eine anarchische Seelenstimmung, die unmittelbar in die Verzweiflung mündet. Ehe solcher Zweifel Wurzel faßt, muß der Glaube an die eigene Kraft verschwunden sein; es kann keine Idee mehr vorhanden sein, die der Brutalität der Wirklichkeit entgegentritt und sie unter sich läßt; das persönliche Wertgefühl ist ertötet.
Fremder Besitz: das ist in diesem Zusammenhang Idee. Nicht das, was mir vorenthalten wird, ist der fremde Besitz, sondern das, was mir unerreichbar ist; nicht das, worum ich durch Fügung oder Tücke betrogen worden bin, sondern das, was außerhalb meiner Sphäre liegt.
Recht und Unrecht kommt gar nicht in Frage. Die Norm der sittlichen Verfassung vorausgesetzt, kommt es nicht in Frage, ob der Nachbar, der Freund, der beliebige Andere Vorrat und Anhäufung von Dingen hat, an denen ich Mangel leide. Auch seine Würdigkeit kommt nicht in Frage, sein Wagnis nicht, seine Leistung nicht. Nichts, was ihn betrifft, den Andern, sondern nur, was mich betrifft.
Dein und Mein ist so verschieden wie Welt und Ich. Was ich von der Welt erringe, um meinen leiblichen oder geistigen Bezirk zu erweitern, ist Besitz. Besitz ist Ware, Gegenstand, Anschaubares, Faßbares, Brauchbares; Besitz ist Ding, das durch das Medium meiner Person und innerhalb ihres Wirkungskreises irgend Leben erhält.
Geld ist nicht Besitz. Geld ist Symbol, Fiktion von Besitz, ein Unschaubares, Unfaßbares, Unbrauchbares, das Unding schlechthin. Deshalb entsteht Täuschung und Lüge, wo es für Besitz genommen wird, Haß und Gier, Leere und Stagnation. Verwandelt es sich nicht in das Ding, gibt es seinen Charakter als Vorwand nicht auf, bleibt es als häßliche Illusion, als Irrbild bestehen, lediglich Begriff, ganz und gar Gespenst von Besitz, so ist es verzeihlich und logisch, daß unter denen, die von seinem widrig-geheimnisvollen Zauberring ausgeschlossen sind, die in Not verkommen, weil sie sich eines Wesenlosen, eines Schattens, einer Formel nicht bemächtigen können, eine Gereiztheit und Unruhe entsteht, eine finstere Erbitterung, schließlich ein Wahnsinn, Massenwahnsinn, der genau das Bild unserer Tage malt.
Es ist der am Unding entfesselte Wahnsinn. Und das Unding ist eines mit dem Ungeist.
Das Ding hat stets eine Art von Heiligkeit, mindestens die Würde seines Seins. Am Ding kann ich mich messen, ich kann mich ihm stellen, ich kann es mir inkarnieren, es kann mich nähren, kleiden, schützen, tragen, fördern; es ist, je nachdem, Schmuck oder Lehre, Lohn oder Geschenk, Waffe oder Trophäe, Beute oder Erwerb.
Die ursprüngliche, unverbildete Haltung jedes Menschen dem Ding gegenüber ist die Ehrfurcht vor seiner Bestimmung. Und davon ging ich aus. Es knüpft sich hieran von selbst der Glaube an die persönliche Leistung des Besitzers und die Bejahung dieser Leistung. Das quälende Mißverhältnis in der sozialen Wirtschaft, die unüberbrückbare Kluft zwischen den aufs äußerste gesteigerten Extremen fällt allein dem Dämon zur Last, dem Unding, das Scheinwerte aufstapelt, denen trotzdem Tauschgeltung eignet, das den Sinn des Besitzes verdunkelt, die Leistung entwertet und infolgedessen Verwirrung, Verzweiflung und Zersetzung der sozialen Kräfte herbeiführt.
Besitz in seiner reinen Form ist etwas zugleich Einmaliges und Individuelles. Wie es ein Grad- und Artmesser ist für den, der besitzt, kennzeichnet es auch die Beschaffenheit dessen, der darnach strebt. Es sind dies, tiefer betrachtet, zwei völlig verschiedene Gattungen von Menschen und demgemäß zwei völlig verschiedene Eigenschaftsgruppen, die zu betrachten sind.
Es ist ein seltsames und oft wahrzunehmendes Phänomen, daß zwischen dem Verlangenden und dem verlangten Gegenstand eine ganz bestimmte Beziehung herrscht, eine mehr oder minder heftige Affinität, die auf die Schnelligkeit der Erfüllung Einfluß hat, ein seelisches Fluidum, das mit größerer oder geringerer Gewalt das Zueinandergehörige zueinander bringt. Wie vom Schicksal zwischen Mensch und Mensch, kann man auch vom Schicksal zwischen Mensch und Ding sprechen.
Ob im Ding ein hinstrebender Wille vorhanden ist, das zu entscheiden, ist nicht einfach. Das Erwägen solcher Möglichkeit freilich fordert bereits die Entrüstung der Rationalisten heraus, und ich möchte in diesem Punkt nicht weiter gehen. Die Existenz und Wirkung eines Magnetismus dürfte auch von Grobnervigen nicht geleugnet werden; er kommt ja in alltäglichen und trivialen Vorgängen oft genug zur Erscheinung. Bemerkbar ist natürlich das Verhalten des Menschen, der zum Ding steht.
Um zum Besitz zu gelangen, hat er Kraft einzusetzen, Fähigkeit, Überlegung, Ausdauer, Arbeit. Der vorgestellte Wert, der Wert im Bewußtsein der andern und die Weite des trennenden Wegs bringen die Summe des Müheaufwandes hervor und ergeben die moralische Schätzung für ihn. Ehrgeiz entfaltet sich; Pläne werden erdacht; Anstrengungen wiederholen sich beständig; der Geist wird gebunden und auf ein Ziel gerichtet; Wetteifernde tauchen auf, die besiegt werden müssen; Hindernisse erheben sich außen, Zweifel innen: die Geduld erlahmt, der Wunsch trübt sich, erglüht wieder; alles dies in niedriger wie in hoher Form, bei der Jagd nach einem Wild wie bei dem Ringen um ein kostbares Gut. Das Bild dessen, was errungen werden soll, ist das fortwährend verjüngende und erneuernde Movens, der Kräftespeicher, der Feuerspender; es diktiert den Rhythmus, die Flughöhe, schafft die Züge und die Gestalt des Lebens, es ist das Leben geradezu.
Alle mit uns Lebenden, sofern sie unter dem gleichen Lebensgesetz stehen, sind hiervon in gleicher Weise umschlossen. Wo das Unding nicht die Herzen und Hirne gemordet, das sich selbst bestimmende Geschöpf einerseits zur Maschine oder gar zum Teil einer Maschine erniedrigt hat, andererseits die, die sich ihm ergaben, indem es sich ihnen ergab, in feige, stumme, stumm-bebende, gespenstisch-vegetierende, nur menschenähnliche Hüter und Zuchtmeister verwandelte, überall dort ist Spiel freier Kräfte, Spannung und Ausgleich, Begehren und Befriedigung, Verlust, Wechsel und neues Ergreifen, von unteren Stufen auf obere, von oberen auf untere, Aufstieg und Fall, edle Sucht und gemeine, eigennütziger Trieb und weltfreundlicher, Sturz im Wettlauf, Hoffnung in der Niederlage, und immer ist Besitz und Art des Besitzes die Deutung und der Inbegriff der vitalen Bewegung.
Sogar jene Unglücklichen, die Hingewürgten und ihre Würger, kennen sie auch nicht den Besitz als schöpferisch treibendes Element, so kennen sie ihn doch als Fetisch und Stimulans; dies eben ist das Verhängnis des Zeitalters: bei den entseelt Besitzenden der Fetischismus, bei den entseelt Besitzlosen die Rauschillusion und Aufpeitschung durch das Stimulans.
Die opfervolle Bemühung, das engverstrickte Maschenwerk von Interessen und Leidenschaften, das erschütternde Theater des Empor und Hinab der Existenzen nennt man sozialen Kampf. Es ist, näher besehen, der Kampf des einzelnen um sich, um das, was er liebt, um den Boden, um die Luft, um das, was er braucht, damit er sein kann, was er ist.
Geprüft wird die Leistung; Leistung wird anerkannt durch die Prämie. Je spezifischer, persönlicher, einmaliger, einzigartiger die Leistung, desto höher die Prämie, sei sie nun von materieller, moralischer oder geistiger Beschaffenheit. Manchmal bleibt sie lange vorenthalten, auf lange Sicht gebucht, und wird, in ihrer letzten Entmaterialisation als Ruhm, als Kult bezahlt; völlig unterschlagen kann sie nur in seltenen, tragischen Fällen werden.
Darum löst die Prämie, wenn sie im harmonischen oder wenigstens annähernd harmonischen Verhältnis zur Leistung steht, das Gefühl vollzogener Gerechtigkeit aus. Da jeder in seinem Sinn und nach seiner Betätigung Anspruch auf sie erhebt, da der Blutkreislauf des ganzen Gesellschaftsorganismus in ihr seinen Herzpunkt hat, ist auch jeder irgendwie für sie in Haftung. Im besonderen mag anarchischer Eifer das System befehden, mögen List, Betrug, Verbrechen die Prämie verdrängen, verkleinern, abwendig machen, den natürlichen Gang beeinflußt es nicht.
Der Fähige fordert und wird bezahlt. Im Unfähigen schlummert neben der Traurigkeit des Unbelohnten auch ein heimliches Bewußtsein von Schuld.
Das Buch, das ich erworben habe, ist mein Eigentum. Derjenige Teil meiner Arbeit, der den Kaufpreis repräsentiert, ist die Leistung.
Somit wäre der Prozeß ein- für allemal erledigt: ich kaufe ein Buch, stelle es ins Regal und bin Besitzer. Ob ich es gelesen oder nicht gelesen, benützt oder nicht benützt, verwertet oder nicht verwertet habe, das ändert an meinem Besitzrecht nichts.
In der Tat ist dies der Vorgang bei allem bürgerlichen Besitz: die Leistung ist erledigt und bewiesen durch den Kauf, wobei ich nach dem bisher Gesagten unerörtert lassen kann, ob sie legitim oder illegitim ist. Es kommt das weiter nicht in Betracht.
Nun leuchtet es ein, daß es keineswegs dasselbe ist, ob ich einen Sack Mehl kaufe, um ihn zum Kochen und Backen zu verwenden, oder ob ich Bücher kaufe, um sie ins Regal zu stellen. In dem einen Fall ist meine Leistung zweckhaft, im andern anscheinend zwecklos.
Man nehme jedoch an, ich sei Sammler von Büchern, es sei meine Passion und mein Entzücken, seltene Ausgaben, kostbare Exemplare oder eine möglichst vollständige Reihe der über eine Wissenschaft erschienenen Werke zu besitzen, so tritt bereits eine Zweckhaftigkeit hervor, auch dann, wenn ich mich niemals mit einem von ihnen beschäftige, ihren Inhalt nicht kenne, nicht verstehe, nicht schätze.
Oder man nehme an, ich hätte eine umfangreiche Bibliothek ererbt und obwohl ich lieber faulenze oder Forellen fische oder Blumen züchte, sei ich durch Pflicht der Pietät, stille Abmachung von Geschlechtern her verbunden, sie unangetastet, unverwertet in meinem Hause zu verwahren, selbst auf die Gefahr hin, daß sie mir zur Last falle.
Und schließlich nehme man an, die Bücher seien mir unentbehrlich, weil ich mir eine bestimmte Einsicht, eine Erkenntnis verschaffen will, weil sie Hilfsmittel zu meiner Arbeit sind, weil ich zu jedem einzelnen in einer besonderen Beziehung stehe, die beständig wechselt, beständig fluktuiert und infolgedessen sich beständig erneut, meine Persönlichkeitsgrenze erweitert und die Fähigkeit zur Leistung erhöht, so liegt der Zweck offensichtlich am Tage.
Demgemäß sind vier Kategorien des Besitzes zu unterscheiden: Verbrauchsbesitz, Schmuckbesitz, Erb- und Anhäufungsbesitz und Produktionsbesitz.
Das Merkmal des Verbrauchsbesitzes ist der Abbruch der Leistung mit dem Nutzgenuß; des Schmuckbesitzes: die Leistung zum Phantasiegenuß; des Erb- und Anhäufungsbesitzes: die brachliegende Leistung; des Produktionsbesitzes: die Verwandlung der Leistung in höherer Sphäre zu höherer Gestalt.
In Bernard Shaws »Candida« sagt der Pastor Morell: Wir haben so wenig das Recht, Glück zu verbrauchen, ohne es zu erzeugen, wie Reichtum zu verbrauchen, ohne ihn zu erwerben.
Dies trifft das Wesentliche. Ich lege den stärksten Nachdruck auf die Begriffe: Glück erzeugen und Glück verbrauchen. Einen um so stärkeren Nachdruck, als diese scheusälig entwürdigte und besudelte Welt um uns so glücklos geworden ist, so zerfetzt und entstellt und in den Morast geschleift, daß sie in unserm beleidigten Bewußtsein nicht mehr froh gemacht werden kann, und wenn Gott die Heerscharen seiner Engel als Gärtner und Baumeister schickte.
Wer sind die, die mehr Glück erzeugen, als sie verbrauchen? Seltene Menschen, die seltenen Weisen, seltenen Dichter, seltenen Lehrer und Versöhner, Former der Herzen, die Ausjäter, Wahrheitskünder, Gestaltenbildner, die oft im verborgenen stehen, ins verlorene gehen, in der Tiefe hinschwinden, der sie entstammen. Und je mehr Glück sie erzeugen, je weniger sind gerade sie begabt oder gesonnen, es zu verbrauchen. Sie produzieren den Überschuß, der der Menge der zur Produktion minder Befähigten zugute kommt.
Es ist nicht einfach, zu beurteilen, ob und wieviel Glück der Sammler von Büchern, Münzen, Teppichen, Gläsern, Waffen oder sonstigen Dingen erzeugt. Zumeist ist er ja mehr ein Besessener als ein Besitzer. Tiefes Wort der Sprache: Der Besessene; der, dem die Freiheit fehlt, den Besitz hörig macht. Alles Segensreiche liegt aber in der Freiheit, in der Mitteilung, in der schenkenden Kraft.
Wie sich die Triebfedern der menschlichen Handlungen der Rechenschaft entziehen, so auch die letzten Ziele. Selbst bei den primitivsten fließt das Endliche an irgendeinem Punkt ins Unendliche; wer sich seiner Motive und Absichten klar zu sein dünkt, wäre sonderbar getäuscht, wenn er alle Folge im Schicksalsverlauf überblicken könnte. Wie das endlich Gedachte unendlich, so wird das eigensüchtig Getane allgemein; in irgendeiner Weise, auf irgendeinem Weg, zu irgendeiner Zeit.
Die egoistisch beschränkte Leidenschaft eines Sammlers, die gesellschaftsfeindliche Gier eines Güteranhäufers ruft Bewegung weit über den Kreis dieser Individuen hervor. Die Energien wirken produktiv auf andere Individuen und verdichten sich außerdem im Objekt. Von da aus schaffen sie neues: sie schaffen Werke, Anschauungen, Spannungen, Wetteifer, Erkenntnis, Freude und Schönheit. Das Individuum und seine Motive sind überwunden. Die Dinge und die in ihnen verdichtete, von ihnen wieder ausströmende Bewegung überwinden die Niedrigkeit und die Endlichkeit des Individuums.
Die begeistert und ergriffen vor den Kunstwerken stehen, welche einst Eigentum der Borgias waren, haben keine Erinnerung daran und brauchen sich nicht an der Tatsache zu stoßen, daß diese Leute infame Giftmörder und Banditen waren, die nebstbei die modische Herrenlaune hatten, Bilder und Statuen zu sammeln.
Ich kann aber auf pathetische Beispiele verzichten, auch auf den Sammler, der als Figur erklärt hat, was zu erklären war. Wichtig ist die Erzeugung von Glück, von Freude, von Schönheit. Sie ist keineswegs nur von Kunst und gesteigerter Geisteswelt abhängig; sie umfaßt das ganze Gebiet des realen Lebens, das Angenehme, das nutzlos, das Spielhafte, das brotlos, das Glänzende, das zwecklos ist, den Überschwang und Überfluß, die heitere Fülle, Fest und Illumination, den Perlenschmuck am Hals einer Frau, den Pomp des Fürsten, den Luxus des Millionärs, die Puppe in der Hand des Kindes, die Fahne, die vom Turm weht, die Marmorsäule des Tempels, die bunte Tracht des Wilden, den goldenen Rahmen eines Spiegels, die Blumen auf einem Grab.
Dies alles ist Frucht des Besitzes, und würde nach der unmittelbaren Nützlichkeit gefragt, so müßte geantwortet werden: es ist verschwendeter Besitz. Die Frage nach Nützlichkeit und Notdurft steht der nach Glück und Schönheit schroff gegenüber. Wäre es den Menschen versagt, für ein anderes Ziel zu arbeiten als für die Befriedigung ihrer leiblichen Bedürfnisse, mehr anzustreben als höchstenfalls das persönliche Behagen auf Grund der Erfüllung der gemeinen Sinnengelüste; wären diese gewährleistet und der Pakt würde geschlossen um den Preis der Abkehr von Schmuck und Zierrat, von Unnotwendigem und Überflüssigem, so verwandelte sich die Erde in ein düsteres Gefängnis, wo zweckbeladene, vom Zweck kastrierte Sklaven langsam zu Idioten würden, in einen Stall satter, verdauender Tiere, von denen eine Anzahl von Zeit zu Zeit die übrigen in geheimnisvoller Tollwut überfallen und zerfleischen würde. Diese Tollwut wäre die Rache der verstörten, vergifteten, medusisch gewordenen Phantasie; denn Phantasie kann nicht ausgerottet, aber sie kann ins mörderische verkehrt werden.
Leben wir denn nicht in einer Welt, ähnlich der? Nur daß der Pakt unzulänglich ist, daß die gemarterten Tiere, weit entfernt, satt zu sein und zu verdauen, hungern und frieren. Das hat der Zweck zustande gebracht, diese Furie, unter dessen Stachelpeitsche die Kreatur winselt. Nutzzweck heißt der Tiger, der uns in den Klauen hält, daß das edelste Blut der Menschheit ausrinnt und sie sich nur noch müht um das, was ihre Blöße bedeckt und ihren Magen füllt. O angstvoll starre Blicke, auf den Trog geheftete Blicke, ihr kennt kein geläutertes Verlangen mehr; o Freunde, zusammengeduckt wie vom Sturm unter ein Dach gejagte Vögel, ihr wißt nichts mehr von Aufschwung und Jubel, der Enthusiasmus ist gestorben in euern Seelen, alt und kalt und verdorrt seid ihr, vor dem Büttel Zitternde, von der Zahl, vom Apparat, von der Maschine, von der Materie, vom Zweck Besiegte und Entherzte!
Ich war zu dem Satz gelangt: Mein und Dein ist so verschieden wie Ich und Welt. Wer ein Ding besitzt, unternimmt es, ein Stück Welt seinem Ich einzuverleiben. Das eigentliche Problem des Besitzes gipfelt im Problem der Identität.
Formaler Besitz, Gewohnheitsbesitz, Rechtsbesitz sind äußerliche Regelungen und Festsetzungen, soziale Dringlichkeiten. In Wahrheit erringe ich den Besitz einer Sache, wenn ich sie mir einverleibt habe. Es gibt kein anderes Mittel zur Einverleibung als die Liebe.
So wäre also auch die Liebe ein Problem der Identität? In der Tat scheint es mir so zu sein. Setze ich an die Stelle des Begriffes »Welt« den Begriff »Du«, so habe ich das Problem der Liebe, das Problem alles Eros: aus einem Du ein Ich, aus einem Ich ein Du machen. Es ist die höchste erreichbare Stufe des Besitzes, und deshalb hat auch die Dichtung kein anderes Wort dafür als: einander besitzen.
Um aber das Alltägliche des Gegenstandes nicht zu früh aus dem Auge zu verlieren, so wird man einwenden, es heiße doch viel gefordert von der Spannweite und dem Liebesvermögen der menschlichen Psyche, wenn man ihr zumutet, daß sie sich mit allen den Dingen erotisch verschmelzen soll, die unentbehrlich sind zum Aufbau und zur Entwicklung der Existenz, all den Krücken und Behelfen, den Bindungen und Füllseln, deren Bestimmung es ist, aufgenommen und wieder weggeworfen, erprobt und wieder beseitigt zu werden, auch dem Seltenen und Kostbaren schließlich, das bei besserer Einsicht und vermehrter Freiheit dem noch Selteneren und Kostbareren weichen oder bei herabgedrückten Umständen abermals dem Geringeren Raum geben muß.
Darauf ist zu erwidern, daß das durchaus eine Angelegenheit des subjektiven Kräfteverhältnisses und der individuellen Phantasiefähigkeit ist. Ich kenne Leute, denen es, bei offenbarer Wohlhäbigkeit, eine gewisse Überwindung kostet, sich von einem Paar abgetragener Stiefel zu trennen, wie es andere Leute gibt, die ohne den mindesten Skrupel einen teuern Menschen von sich stoßen, wenn es ihr Vorteil erheischt. Es kann sogar ein und dieselbe Person sein, die beides zu tun imstande ist. An Dingen Haftende sind gewöhnlich nicht solche, die für Menschen glühen oder für Menschliches sich einsetzen, und andererseits hat die Hingegebenheit an den Geist oft eine wunderbare Liebe für das Ding zur Folge. Die universalen Seelen, wie Goethe eine war, vermögen mit ihrer Liebe ein ganzes Universum zu umschließen, den Stein, die Blume, die Sterne, die Werke der Künstler, die Menschheit, den Teufel und Gott; die engen Herzen müssen mit ihrem beschränkten Platz wirtschaften, und wenn es dann noch an Harmonie und Gabe der Sublimierung fehlt, geht alles drunter und drüber, und das Wesenlose rangiert neben dem Wesenhaften, zum Beispiel Rententitres neben Philosophie und Musik. Man ist geneigt, darin Lüge und Verlogenheit zu sehen, es ist aber meist nur Enge und wegen der Enge Verwechslung und Verwirrung.
In meiner Jugend war ich sehr arm, aber ich liebte alle Dinge, die mir in sinnvoller Beziehung zu denen zu stehen schienen, welche sie besaßen. Ich liebte sie fast ebenso, als hätte ich selbst sie besessen. In dem Maß, als mir Besitz zuwuchs, so kärglich dieses Maß auch war, erlahmte die Fähigkeit zu solcher Phantasieliebe, denn die von mir besessenen Dinge standen fordernd auf den Wegen zu den freien Dingen, sie entkräfteten die Flügel, die im Fluge alles bedecken, sie ernüchterten die Augen, die im Traum alles an sich reißen konnten, im Traum der Identität.
Keiner der besitzt, ist begierdelos und wunschlos. Nur der ist es, der wissend auf Besitz verzichtet. Aber es ist dies kein gesellschaftliches Ideal, sondern ein religiöses, kein europäisches, sondern ein orientalisches, kein sentimental-humanitäres, sondern ein unerbittlich-orthodoxes. Zu seiner Verwirklichung, sofern man überhaupt von der Verwirklichung eines Ideals reden kann, führt nicht das modern-kommunistische Diktat der Enteignung, sondern das mythisch-buddhistische der Entäußerung.
»Entdeckt habe ich diesen Weg zur Erwachung, und zwar: durch Auflösung von Bild und Begriff wird Bewußtsein aufgelöst, durch Auflösung des Bewußtseins wird Bild und Begriff aufgelöst, durch Auflösung von Bild und Begriff wird sechsfaches Reich aufgelöst, durch Auflösung des sechsfachen Reiches wird Berührung aufgelöst, durch Auflösung der Berührung wird Gefühl aufgelöst, durch Auflösung des Gefühls wird Durst aufgelöst, durch Auflösung des Durstes wird Anhangen aufgelöst, durch Auflösung des Anhangens wird Werden aufgelöst, durch Auflösen des Werdens wird Geburt aufgelöst, durch Auflösung der Geburt wird Alter und Tod aufgelöst, Schmerz und Jammer, Leiden, Trübsal und Verzweiflung gehn zugrunde, also kommt dieses gesamten Leidensstückes Auflösung zustande. Auflösung, Auflösung!«[1]
[1] Reden Gotamo Buddhos, übersetzt von Neumann.
Vor Jahren hatte in einem geselligen Kreis, in dem ich damals verkehrte, die junge C. viel Aufsehen gemacht. Abkömmling einer alten Adelsfamilie, hatte sie sich, kaum zwanzig Jahre alt, von dem Zwang und Drill ihrer Welt befreit, um, wie sie sich ausdrückte, »selbst« zu leben. Die Ungebundenheit ihrer Lebensführung war in der Tat erstaunlich. Eine Zeitlang kämpfte sie im größten Elend; plötzlich ging sie zum Theater, dort heiratete sie einen Schauspieler, von dem sie sich nach dreimonatlicher Ehe wieder trennte. Um Geld zu verdienen, übersetzte sie mittelmäßige Romane aus dem Französischen. Eines Tages hieß es, sie sei mit einem reichen Brasilianer verlobt und mit ihm in seine Heimat gereist. Aber schon nach Jahresfrist kam sie zurück, – ohne Brasilianer, leider genau so arm wie zuvor.
In dieser Zeit näherte ich mich ihr. Wir hatten uns ziemlich viel zu sagen. Faustina, so wurde sie meist kurzweg genannt, war geistreich, und, was mehr ist, ihr Geist hatte Fundamente. Sie war schön und sie war exzentrisch; nimmt man aber dies Wort in genauem Sinn, so hatte sie mehr Mittelpunkt als diejenigen, in deren Bezirk sie sich fremd erschien. Ob sie auch immer anziehend war, lasse ich dahingestellt; eine Fremde war sie durchaus, stets fremd, nie bürgerlich vertraut, höchstens seelisch verwandt. Zur Abenteuerin fehlte ihr die Skrupellosigkeit, und um eine große Dame zu sein, war sie zu ruhelos und zu voll von Opposition.
Wieder eines Tages war Faustina verschwunden. Sie verabschiedete sich nicht einmal von mir. Niemand wußte, wohin sie gegangen war, und sie blieb verschollen. Man vergaß sie, auch ich verlor sie beinahe aus dem Gedächtnis. Da, wiederum nach Jahren, begegne ich ihr plötzlich auf der Straße. Sie gewahrt mich, sie zögert, ich mache Miene, sie anzureden, sie grüßt und geht weiter. Kurz darauf erhielt ich ein Billett von ihr mit der Aufforderung, sie zu einer bestimmten Abendstunde zu besuchen.
Sie wohnte in einer Vorstadtpension. Ich trat in ein Zimmer, das die übliche Halbeleganz fliegender Quartiere aufwies. Faustina war noch immer schön, aber wie von einem sich entlaubenden Baum kann man auch von dem Herbst eines menschlichen Gesichts sprechen. Ohne Zweifel las sie in meinem Gebaren, daß ihre lakonische Einladung eher geeignet war, Neugier zu erregen als an freundliche Beziehungen zu erinnern. »Die Sache ist die, daß ich ganz ausgehungert darnach bin, mit einem vernünftigen Menschen zu reden«, sagte sie. »Ich habe berechnet, daß ich seit siebzehn Monaten bloß mit Kellnern, Kutschern, Zimmervermieterinnen, Hausmeistern und Ladenmamsellen gesprochen habe. Das heißt doch leben, wie? Daß ich so viel Talent zur wandelnden Mumie besitze, wer hätte das gedacht.«
»Sie haben immer zu überraschen verstanden, Faustina«, versetzte ich ablenkend.
»Als ich Sie auf der Straße sah,« fuhr sie fort, »hatte ich ein Gefühl just wie Robinson, als er das erste Schiff vor seiner Insel gewahrte.«
»Und doch sind Sie davongelaufen, gar nicht wie Robinson, sondern wie Freitag, der scheue Wilde.«
»Ja; scheu bin ich geworden. Wenn ich wenigstens schreiben oder musizieren könnte! Den Kunstdilettanten bietet die Welt immer noch Lockungen, und von allem, was im Menschen abzutöten ist, stirbt die Eitelkeit zuletzt. Aber leider, ich bin stumm geboren, und der bloße Kunstgenuß quält den Stummen manchmal mehr, als er ihn beruhigt.«
»Ich wundre mich, Faustina. Sie waren doch stets obenauf. Eine richtige, tüchtige Schwimmerin waren Sie. Haben Sie denn keine Arbeit, keine Betätigung mehr?«
»Ich finde es langweilig, zu arbeiten. Was kommt dabei heraus? Eine Art von Trunkenheit und Selbstbetrug bestenfalls. Arbeiten, wie das klingt! Dem Leben mit Gewalt ein Versprechen abnötigen! Ich brauche keine Versprechungen mehr, ich glaube an keine mehr. Vorläufig hab ich noch ein bißchen Kapital, meine Eltern sind nämlich gestorben, und man hat mir den Pflichtteil ausbezahlt. Aber von den Zinsen könnt ich nicht leben, das würde höchstens für eine Büchse Kaviar im Monat reichen.«
»Also ist am Ende Ihre Einsamkeit ein ökonomisches Prinzip?«
»Um Gottes willen, wer wird so philisterhaft denken!«
»Und da treiben Sie sich nun mutterseelenallein herum, ohne Genossin, ohne Freundin –?«
»Ach was, Freundin! Ich habe keine Freundin, habe nie eine gehabt. Eine Frau hat niemals eine Freundin.«
»Aber die Freunde, Faustina! Sie ließen mich einmal glauben, daß ich Ihr Freund sei.«
»So? Wirklich? Mag sein, doch ich ärgerte mich, daß Ihnen keinen Augenblick lang der Einfall kam, etwas anderes sein zu wollen.«
Sie lachte über mein verdutztes Gesicht und fuhr fort: »Spricht man hingegen nicht vom Freund, sondern von den Freunden, so muß ich gestehen, daß ich für solche Beziehungen nicht viel übrig habe. Die Freunde, das sind Wesen von einer geradezu lächerlichen Gefräßigkeit. Sie verdauen schneller als die Hühner, und sie bleiben immer mager, ihr Herz bleibt immer mager.«
»Dennoch, Faustina, mit Menschen verbunden zu sein, bleibt der schönste Vorzug des Menschen. Einen isolierten Zustand schadlos zu ertragen, dazu gehört schon eine ungewöhnliche Seelenstärke.«
»Mag sein, mag sein«, erwiderte Faustina, und sie lächelte unbestimmt vor sich hin.
»Offen gestanden, hätte ich nicht erwartet, Sie so zu finden«, fuhr ich fort. »Ich dachte Sie mir in großen Erlebnissen. Eine Gestrandete, oder wie Sie sagen, einen Robinson, nein, das hatte ich nicht erwartet. Faustina unentflammt, Faustina ohne Liebe, ohne Verliebtheit, Faustina einsam, was hat das zu bedeuten?«
Sie sah mich lange schweigend an, bevor sie antwortete. »Was kann es andres zu bedeuten haben, bester Freund, als daß für Faustina keine Liebe mehr da ist? Fertig, Freund, fertig! Abgewirtschaftet! Die Rahel Varnhagen, die ja eine grundgescheite Person war, hat es einmal als besondere Genialität Goethes gepriesen, daß er im Wilhelm Meister die drei Frauen, die lieben können, Marianne, Aurelie und Mignon, sterben läßt; denn, sagte sie, es ist noch keine Anstalt für solche da. Sehr tiefsinnig: es ist noch keine Anstalt für solche da! Sie schweigen? Sie meinen, ich lebe ja. Gewiß, ich lebe, aber wie, das sehen Sie doch. Ehemals, da spürte ich nur mein eigenes Feuer, jetzt empfinde ich die ganze Kälte des Zeitalters. Vielleicht ist es mein Mißgeschick, für eine Epoche geboren zu sein, in der die Liebe nur ein artistischer Begriff ist.«
»Verallgemeinerungen sind töricht. Man muß sich, Faustina, vor der Manier der Malkontenten hüten. Der Malkontente nämlich, das ist ein Mensch, der aus seiner persönlichen Unfähigkeit eine Weltanschauung macht.«
»Sie sind sehr deutlich, mein Lieber. Ich bin aber keine Malkontente. Malkontente opfern sich nicht.«
»Haben Sie sich denn geopfert?«
»Wenn es opfern heißt, zu lieben, wahrhaft zu lieben, sich wegzuwerfen –«
»Sich wegzuwerfen, das heißt nicht lieben und das heißt nicht sich opfern. Doch wir verstimmen uns im Wesenlosen. Erzählen Sie mir. Erzählen Sie mir von Ihrem bisherigen Leben. Es gibt nichts Überzeugenderes als das Erlebnis, Faustina, nichts Unbedingteres als die Art, wie ein Mensch von Erlebnissen sie vorzutragen weiß.«
»Um keinen Preis. Ich kann nicht von mir sprechen, solang Sie argwöhnen, daß ich meine persönlichen Enttäuschungen gewissermaßen an der Zeit rächen möchte.«
»Es ist schwer, liebe Freundin, und nicht einmal dem Glücklichen gelingt es, Zeit und Schicksal auseinanderzuhalten.«
»Was wäre auch zu erzählen«, versetzte Faustina. »Eine Geschichte wie hundert andere. Wenn ich Ihre Erwartungen in bezug auf meine Person betrüge, so ist das Ihre Schuld.«
»Sie sagen, Sie hätten geliebt und sich weggeworfen. Darin liegt mehr Schuld, als Sie glauben.«
»Ich habe keine Schuld. Oder sind übertriebene Hoffnungen eine Schuld? Bin ich dafür verantwortlich, daß eure Gesellschaft, wie sie nun einmal ist, Liebe nicht mehr gewährt, daß für die Liebe kein Platz mehr in ihr ist? Sie schütteln den Kopf, und doch ist es so. Gibt es heutzutage noch eine Gestalt, in der Dichtung oder im Leben, deren Existenz in der Liebe wurzelt? Der Politiker, der Staatsmann, der Forscher, der Erfinder, der Soldat, der Fabrikant, der Börseaner, im Notfall sogar der Künstler, sie alle können ein modernes Lebensideal bilden, der Liebende nicht. Man bewundert eine Figur wie die des Casanova, man findet eine Frau wie Julie de Lespinasse äußerst rührend, man erstaunt über Ninon de l’Enclos, aber sie sind im Grunde nichts weiter als Legenden und Raritäten, man hat für sie das Interesse des Orientalisten, der babylonische Ruinen ausgräbt. Wenn Casanova heute erschiene, würde er wahrscheinlich als Hochstapler ins Gefängnis gesteckt werden, und auch bei Don Juan würde schließlich anstatt des steinernen Gastes ein Polizeiagent vorsprechen. Der Staatsmann, der Soldat, der Forscher, der Künstler, sie sind heute nichts weiter; Staatsmann, Soldat, Forscher und Künstler, basta; darauf sind sie gestellt, darin sind sie spezialisiert. Liest man jedoch die Briefe Diderots an Sophie Voland oder die Briefe Mirabeaus an Mademoiselle de Monnier, so zeigt sich, daß da über den Geist hinaus, über ein allgemeines, ja welthistorisches Wirken hinaus noch Leidenschaften blühten, zwecklos wie die Blumen in einem Garten. Heutzutage ist die Liebe das Geschäft der Poeten, ob sie nun schreiben oder bloß träumen, und nicht einmal der berufensten, denn die stellen sich würdigere Aufgaben, sie müssen Probleme lösen. So sagt man doch: Probleme lösen. Nußknacker der Zeit, die sie sind.«
»Zu viel Bitterkeit, Faustina. Sie vergessen, daß die menschliche Natur immer dieselbe bleibt. Die Wandlungen der Zeit bringen nur eine oberflächliche Häutung mit sich. Es sind Wandlungen des Geschmacks, der Mode, der Manier, der Gebärde. Herz und Blut verwandeln sich nicht. Die Leute des achtzehnten Jahrhunderts gefielen sich in schwungvollen Episteln; das war eben der Geist der Epoche. Sie mögen uns überlegen gewesen sein in der Fähigkeit, über ihre Empfindungen zu reden und sich darin zu spiegeln, darum aber waren die Empfindungen selbst nicht tiefer. Sie hatten auch die Gabe, alltägliche wie besondere Ereignisse ihres Daseins in der Konversation auf das anmutigste zu behandeln. Ich gebe zu, daß damit eine Kunst der Geselligkeit verbunden war, deren Verlust wir beklagen müssen –«
»Ja, sehr, sehr! Das ist es eben, was ich behaupte. Unsere Form der Geselligkeit macht das Entstehen der Liebe fast unmöglich. Bringen Sie einmal ein Dutzend Menschen aus derselben Bildungssphäre zusammen, die einander halbwegs fremd sind. Abgesehen davon, daß Sie Gespräche hören werden, bei denen Ihnen die Haut schaudert, wird auch der einzelne mit dem Wunsch nach Annäherung die größten Schwierigkeiten finden.«
»Wir sind eben schweigsam geworden.«
»Nur schweigsam? nicht auch zerstreut, nicht auch müde? nicht auch faul?«
»Nur schweigsam. Unsere Altvordern, die hatten viele Heimlichkeiten, aber Geheimnisse hatten sie eigentlich keine. Für uns spielen Heimlichkeiten keine Rolle mehr, dagegen sind wir voll von Geheimnis. Ehemals kannte man in der Chemie nur vier Elemente, heute hat sich alles Elementare in Atome gelöst. Ähnlich ist es der Gesellschaft ergangen. Wir haben keine Gesellschaft mehr, weil jedes Individuum als eine Welt für sich und mit dem ganzen Geheimnis seiner Welt auftritt.«
»Auch mit der ganzen Anmaßung seiner Welt.«
»Gut. Natürlich war es bei geschlossenen Gesellschaftskomplexen, wo jeder gleichsam das Abzeichen seiner Kaste trug, viel leichter, gewisse Kulturideale, oder besser gesagt, modische Ideale durchzuführen und als gang und gäbe festzuhalten. Modische Ideale haben wir nicht mehr, weil wir von vornherein entschlossen sind, in nichts, was mit dem Ideal zusammenhängt, Konzessionen zu machen. Deswegen kann die Liebe keine gesellschaftliche Übereinkunft mehr sein, deswegen auch hat sie keine gesellschaftliche Abgrenzung mehr. Es haben sich die Grenzen verschoben, nach außen und nach innen. Nach außen und nach innen ist alles komplizierter geworden; oder sagen wir: verfeinerter, oder: verschwiegener. Ehemals begehrte man in einem Liebesverhältnis die Person des Liebenden oder Geliebten, jetzt begehrt man mehr, nämlich die Persönlichkeit.«
»Modische Ideale oder andere Ideale, darnach frag ich nicht«, entgegnete Faustina lebhaft. »Ideale aufzustellen, in dieser Beschäftigung habt ihr es freilich zu einer gewissen Handfertigkeit gebracht. Aber die Sache scheint mir die, daß zwischen Ideal und Wirklichkeit eine so ungeheure Entfernung ist, daß die beiden schon gar nichts mehr miteinander gemein haben. Da ist kein Weg, keine Brücke. Es ist, als riefe man mir zu: geh nach dem Mond. Es war der Vorzug vergangener Zeiten, daß sie realisierbare Ideale hatten.«
»Heißt denn das schon ein Ideal realisieren, wenn man imstande ist, sich gesellschaftlich mitzuteilen oder selbst hinzugeben?« erwiderte ich. »Konversation fordert Leichtigkeit; die allerdings fehlt uns. Sie setzt ein Interesse für vieles voraus, wofür Teilnahme zu heucheln uns gar nicht mehr einfällt. Wir würden es abgeschmackt finden, über die Liebe und ihre verschiedenen Arten zu philosophieren. Unsere Zeit ist nach jeder Richtung hin monologisch gestimmt. Gesteigerte Anschauung und ein erhöhter Respekt verhindern uns durchaus, über das Bedeutungsvolle gewisser Lebensfragen zu sprechen. Wo wir uns sympathisch erfaßt sehen, glauben wir eine Erörterung darüber entbehren zu können; ganz mit Recht. Ich möchte sagen, wir verkehren unter tieferen Voraussetzungen miteinander. Ist Ihnen denn nicht auch im Grunde jede Ankündigung eines Gefühls ein Greuel? Finden Sie denn nicht auch die ganze Phraseologie der Liebe von Anno dazumal lächerlich und aufdringlich? Kribbelt es Ihnen nicht in den Fingern, wenn der Liebhaber auf dem Theater seine Liebeserklärung vom Stapel läßt?«
»Ach ja, das sind Geschmackssachen«, versetzte Faustina. »Geschmack, das lasse ich gelten, Verfeinerung ist mir zuwider. Die Scham seiner Gefühle haben, schön. Aber noch schöner ist es, dünkt mich, den Mut seiner Gefühle haben. Wenn Sie mir den Punkt angeben können, wo eines aufhört und das andere anfängt, ich meine, wo die Feigheit aufhört und die Verantwortlichkeit anfängt, dann will ich mich zufrieden geben. Aber dazu werden alle Waffen Ihrer Rabulistik nicht ausreichen.«
»Möglich. Man kann ja überhaupt nicht streiten, wenn man nicht derselben Meinung ist.«
»Wie? kann man nur streiten, wenn man derselben Meinung ist?«
»Gewiß; im Grunde gewiß.«
»Großartig! Ein wildes Paradox!« Faustina lachte, was ihrem Gesicht einen entzückenden Reiz verlieh. »Aber wir verstehen uns am Ende doch«, fuhr sie fort. »Sie kennen sicherlich die arabische Erzählung vom Sklaven der Liebe; ist es nicht ergreifend, wie der schöne Jüngling unter der Gewalt seiner Sehnsucht hinsinkt, als ob ihn eine tödliche Krankheit erfaßt hätte? Oder da las ich neulich die Geschichte von Raimundus Lullus, der am Hof des Königs von Arragon ein ausschweifendes Leben führte, bis ihn plötzlich eine glühende Leidenschaft zu der schönen Ambrosia de Castello packte. Eines Tages läßt ihn die Dame in ihr Gemach kommen, enthüllt sich ihm, und es zeigt sich, daß sie durch einen furchtbaren Brustkrebs dem Tod verfallen ist. Raimundus, bis ins Innerste erschüttert, weiht sich einem Leben völliger Keuschheit. Doch wozu Beispiele; vielleicht beweisen Beispiele nichts. Ich sehe freilich darin Kundgebungen edler Leidenschaft. Dieser Raimundus Lullus etwa, ich nenne gerade ihn, obwohl es auf Namen hier nicht ankommt, er lebte in seiner Liebe wie die atmende Kreatur in der Luft. Es gab für ihn nicht anderes außer seiner Liebe. Er war in der Liebe, er war von Liebe besessen, ein Besessener war er. Ich habe niemals einen von Liebe Besessenen gefunden. Viele besaßen die Liebe, das wohl, aber von ihr besessen waren sie nicht. Solche fand ich, die vom Spiel besessen waren, vom Geld, vom Ehrgeiz, von Wollust, aber von Liebe Besessene fand ich nicht.«
»Wenn Sie Umschau halten, Faustina«, fiel ich ihr ins Wort, »können Sie zu jeder Zeit und wo immer es auch wäre, Handlungen von der gleichen Bedeutung und Intensität gewahren. Wir führen eine zu abgeschlossene Existenz, als daß Sinn und Motiv ihrer einzelnen Vorgänge zu jeder Stunde offenbar oder handgreiflich zu nehmen wären. Es ist nichts einfältig genug, es ist alles zu vielfältig, zu weitschichtig, als daß man durch anekdotische Belege imponieren könnte. Selten hat ein Ereignis Anfang und Ende für uns, selten läßt es sich als Anekdote fassen, noch seltener ein ganzes Leben. Ja, es ist alles unfaßbar, unendlich, alles auch scheinbar ohne Stichhältigkeit oder ohne Konsequenz, und doch, wenn man hinfühlt, wenn man im Nerv der Dinge lebt, von tiefstem Belang.«
»Aha, Sie spielen schon wieder auf das Geheimnis an. Es läßt mich kalt, Ihr Geheimnis, es ist mir zu pomphaft. Ich lobe mir dafür die Heimlichkeit; sie ist heiter und beweglich.«
»Lassen wir das Geheimnis. Ich sage nur: die Leidenschaften waren und sind zu jeder Zeit und in jedem Jahrhundert dieselben. Ich will gar nicht an die Tragödien erinnern, die sich in stillen Stuben ereignen, es wird davon wenig Aufhebens gemacht und drei Zeilen in einer Zeitung sind alles, was bisweilen ans Licht kommt. In meiner Heimat gab es ein junges Paar, und sie liebten einander. Die Eltern des Mädchens setzten der Verbindung hartnäckigen Widerstand entgegen. Als man sah, daß die Liebe der beiden nur um desto größer wurde, je mehr Hindernisse man ihnen bereitete, wurde dem jungen Mann gesagt, er solle das Mädchen haben, doch müsse er sich zuvor drei Jahre lang nach Amerika begeben und während dieser Zeit dürfe weder er der Geliebten schreiben, noch sie ihm. Wenn er nach abgelaufener Frist seine Neigung unbesiegbar finde, werde man gegen die Heirat nichts mehr einwenden. Und so geschah es, der Jüngling reiste übers Meer. Etwa ein Jahr lang ging alles gut, das Mädchen lebte in schöner Gewißheit. Auf einmal fing sie an zu kränkeln, verlor ihre Munterkeit, und ohne daß ein Arzt den Sitz des Übels zu entdecken vermochte, siechte sie hin. Die Eltern wurden besorgt, man begann nach dem jungen Mann zu forschen, aber da er keine Angehörigen in der Stadt hatte, verursachte dies viele Umstände, und das junge Mädchen starb, ihr Leben erlosch wie ein Feuer, das keine Nahrung hat. Gleich darauf stellte es sich heraus, daß der junge Mann dort drüben im fremden Land ebenfalls den Tod erlitten hatte, und zwar beinahe an demselben Tag, an welchem die Krankheit des Mädchens begonnen hatte.«
»Eine hübsche Geschichte zwischen Menschen ohne Elan«, sagte Faustina. »Warum waren sie gar so still und subaltern, die armen Liebesleutchen? Ach, täuschen wir uns nicht darüber hinweg; man hat aufgehört, die Liebe als eine herrschende Gewalt zu betrachten. Es ist deswegen auch ihr Ritus und Zeremoniell, wenn ich mich so ausdrücken darf, verloren gegangen. Und was ist schuld daran? Wer weiß es! Vielleicht der Beruf, vielleicht die Bildung, vielleicht beides. Der eine Moloch verschlingt die Zeit, die schöne Muse zweckloser Träume, der andere vernichtet die Ursprünglichkeit der Gefühle. Es gibt zu wenig Leute, die sich langweilen, oder besser gesagt, die das Talent haben, sich zu langweilen. Man ist rationalistisch bis auf die alltäglichen Launen. Man will immer einen Grund und immer einen Zweck. Man geht nicht mehr spazieren, sondern man macht Touren. Wenn man das Leben aufs Spiel setzt, geschieht es für Dinge, die dessen nicht wert sind. Was mich betrifft, ich sah Männer, ernsthafte Männer erschrecken bei dem bloßen Gedanken an tieferes Attachement. Ich kannte andere, die auf Abenteuer ausgingen und die schleunigst, wie vom Donner gejagt, die Flucht ergriffen, wenn sie in Gefahr waren, einer Leidenschaft zu unterliegen, deren Meister sie nicht sein konnten. Da ist ein Mann, fähig zur Hingebung, ja, zur Aufopferung, der jeden Keim großer Empfindung durch unablässiges Frage- und Antwortspiel mit sich selbst zerstört, wie wenn ein verrückt gewordener Gärtner jeden Morgen die schönsten Knospen abrisse und zwischen den Fingern zerriebe, und da sind andere die aus purer Herrschsucht, aus purem Mutwillen, aus purer Eitelkeit, aus purem Unverstand das Kostbarste, was sich ihnen anbietet, zu niedrig einschätzen, nur weil es sich ihnen anbietet, und verwesen lassen, was sie hegen sollten. Ich spreche jetzt nicht von dem, was mir widerfahren ist, denn mit uns Frauen ist es ja nicht viel besser. Da sind solche, die ihr halbes Leben darnach versehnen, sich in einem großen Gefühl verlieren zu dürfen; wenn dann das wunderbare Ereignis kommt, sind sie plötzlich voller Ausflüchte, voller Ausreden, voller Angst, den Geist ihrer Kaste zu beleidigen. Sie haben jede Entschlossenheit in der Idee und in der Sehnsucht verausgabt. Das, sehen Sie, ist Empfindsamkeit, und diese Art Empfindsamkeit, sich in der Idee und in der Sehnsucht zu verschwenden, ist uns so verderblich. Da stürzt man sich dann in den Pfuhl einer charakterlosen Ehe, die Frauen, um ein Asyl zu gewinnen, oder um den Zustand einer allgemeinen sinnlichen Unruhe zu beenden, oder um Konflikten zu entgehen, denen sie nicht gewachsen sind, oder um gewisser sozialer Vorrechte teilhaftig zu werden oder aus frivoler Gedankenlosigkeit schlechthin; die Männer, um ein Heim zu gründen, wie sie mit heuchlerischer Poesie behaupten, in Wirklichkeit, um sich zur Ruhe zu setzen, um sich von ihren Jugendsünden, Sünden des Geistes und des Herzens, des Körpers und der Seele zu erholen. Wäre dabei die Ehe bloß eine soziale Konvenienz, die wie im Zeitalter der Galanterie gewisse Freiheiten eher fördert als verbietet, oder wie im Altertum ein ungleiches Verhältnis von Tyrannei und Sklaverei zum Gesetz erhebt, so wäre es noch gut; aber nein, sie ist sakrosankt, und damit schützt sich die Gesellschaft vor dem schlechten Gewissen, das ihr die Phrasenhaftigkeit der ganzen Institution sonst erwecken müßte. Großer Gott, was für ein Rattenkönig von Verlogenheiten! Alles muß herhalten, um den Mangel wahrhafter Liebe, uneigennütziger und edler Gefühle zu vertuschen: Wissenschaft und Kunst, Staatsinteresse und Humanität, Christentum und Freigeisterei, lauter schöne Kulissen für ein nichtswürdiges Schauspiel!«
Faustina war außerordentlich bewegt. Ich hatte Mitleid, ihr zerstörtes Wesen rührte mich. Ich erkannte, wie das Schicksal in ihr gehaust, und ein halb entschuldigendes, halb selbstverspottendes Lächeln, das alsbald auf ihre Lippen trat, konnte mich nicht täuschen. Ich schwieg; mein langes Schweigen gab ihr wieder einige Haltung. Sie erhob sich und ging mit verschränkten Armen auf und ab, wobei sie fortfuhr: »Es gibt eine Novelle von Tschechow, sie handelt von einem alternden Mann, der ein Liebesverhältnis mit einer verheirateten Frau hat. Sie treffen sich heimlich, und einmal, gerade während er sie begrüßend umarmt, wird er traurig und fragt sich, warum ihn diese so liebt. Er denkt an die andern, er denkt daran, wie viele ihn geliebt haben, und daß keine von ihnen, keine einzige mit ihm glücklich gewesen sei. Die Zeit verging, so heißt es ungefähr, er machte Bekanntschaften, schloß Verhältnisse, trennte sich wieder, aber niemals liebte er; es war alles, was man nur wollte, gewesen, aber keine Liebe. Das Wort ist in mir haften geblieben. Alles, was man nur wollte, war es gewesen, aber keine Liebe. Der Mann war, wie viele sind, und die Frau liebt ihn, ja, sie liebt ihn, aber nicht ihn selbst, sondern den Menschen, den ihre Phantasie geschaffen hat, und wenn sie ihren Irrtum bemerkt, liebt sie ihn dennoch weiter. Was sollte sie sonst tun? Darf ich Ihnen etwas verraten? Etwas recht Lächerliches? Ich habe eine kleine Einteilung gemacht. Ich habe die Frauen eingeteilt in Katzennaturen und in Hundenaturen, und die Männer in Streber und Faulpelze. Katzen sind an den Ort gebunden, Hunde an den Herrn, Katzen sind treulos, Hunde sind treu, Katzen haben Charakter, Hunde nicht; wenn Sie den Finger ausstrecken, wird die Katze auf Ihre Hand, der Hund aber gegen das Ziel blicken; und so weiter. Sie wissen schon, was ich meine. Oder ist die Analogie nicht plausibel? Streber und Faulpelze, darüber lassen sich amüsante Beobachtungen machen. Was dem einen die Karriere, ist dem andern die Behaglichkeit. Der Streber ist skrupellos, der Faulpelz satt; der Streber ist ein Glücksjäger, der Faulpelz ein heimlicher Dieb, der seine Beute in Sicherheit gebracht hat, denn der Faulpelz ist immer ein heimlicher Dieb. Der Streber ist konservativ aus Grundsatz, der Faulpelz aus Stumpfsinn, der Streber ist revolutionär aus Opportunismus, der Faulpelz aus Eigennutz; der eine ist ein Wucherer, der andere ein Kuppler, und Philister sind alle beide. Ja, es ist eine herrliche Welt, eine herrliche Zeit! Wenn man dieses ganze Geschlecht in einen großen Sarg legen und auf einmal beerdigen könnte, so wüßt’ ich eine wunderbare Grabschrift.«
»Und die wäre?«
»Verstorben an der weitverbreiteten schleichenden Seuche: Trägheit des Herzens.«
»Na, daran stirbt man nicht.«
»Gewiß nicht, weil man ganz bequem davon leben kann.«
»Verrannt, verrannt, Faustina, rettungslos verrannt.«
»Freilich,« murmelte Faustina, »verrannt wie Theseus. Aber aus diesem Labyrinth gibt’s kein Entkommen.«
»Packen wir doch den Stier bei den Hörnern, Faustina. Was ist Liebe? Wer hat Liebe? Wer ist der Liebe fähig? Wer darf sich vermessen zu reden: Liebe ist so und so und nicht anders. Wer darf es wagen, über die Relationen des Begriffs hinauszufliegen und seine Einheit, seine pragmatische Gültigkeit, seine reinste Inkarnation zu verkündigen? Liebe ist etwas ungeheuer Seltenes, Faustina. Machen wir uns das klar! Die Liebe, die wirkliche Liebe, nicht die aus aller Leute Mund, ist ein Phänomen, genau so selten, genau so großartig, genau so bewunderungswürdig wie das Genie. Ihre niedrigen oder minder niedrigen Erscheinungsformen durch die Rangstufen der Kreaturen sind allerdings so reich und wechselnd wie die Kreaturen selbst. Nehmen Sie aber ein Individuum heraus, um es nach Ihrer Weise kurzerhand vor den Imperativ der Liebe zu stellen, so ist das ungefähr so, wie wenn Sie ihm die fünfundzwanzig Buchstaben des Alphabets vorsagen und ihm dann befehlen: da hast du alles Notwendige, nun schaffe mir ein schönes Dichtwerk. Man ist gewohnt, mit dem Wort Liebe umzuspringen wie mit einem Hausgerät. Es hat gar keine Unberührtheit mehr, dies unglückselige Wort, es ist wie eine Dirne zu jedermanns Diensten, und mir scheint, man müßte ein neues erfinden, um das auszudrücken, was es ausdrücken sollte. Da ist eine gewisse mittlere Literatur, die vorzugsweise von Liebe handelt, und zwar von einer Liebe, die Distinktion haben soll, Bedeutung haben soll, edelherzig und selbstlos sein soll, und ach, nichts von alledem besitzt sie, eine Wachspuppe ist sie. Wollte man sich, was ja nahe liegt, durch diese Produkte verführen lassen, an die Häufigkeit der Liebe zu glauben, so ginge man sehr fehl. Unsere besten Dichter, denen eine untrügliche Vision die Realität ihrer spezifischen Welt gibt, beziehen auch nur mit einer höchst belehrenden Vorsicht die Liebe in das Bereich ihrer Erfindungen.«
»Weil sie nichts davon wissen und weil sie sich davor fürchten, genau wie im Leben.«
»O nein, Faustina, das wäre ein gar zu billiger Schluß. Weil sie ihre Seltenheit erkannt haben. Halten wir uns an das Gleichnis mit dem Genie. Das Genie tritt erst in Funktion, wenn es in eine Zeit geboren ist, die für sein Wirken schon vorbereitet ist. Es ist zwischen dem Genie und der Zeit sozusagen eine elektrische Spannung aufgespeichert. Mit der Liebe ist es nicht anders. Der zur Liebe geborene Mann muß den für ihn bestimmten höchsten Typus gewinnen und umgekehrt. Es genügt nicht, daß in einem Einzelwesen die Fähigkeit und Möglichkeit der Liebe vorhanden ist, sondern sie muß durch ein besonderes Walten günstiger Umstände einen würdigen Gegenstand finden. Wer zur Liebe bestimmt ist, der muß zugleich etwas vom Helden und etwas vom Märtyrer haben. Nehmen wir also an, es entsteht in zwei bevorzugten Individuen die Liebe. Gehen wir ein wenig anatomisch zu Werke. Zerlegen wir eine solche Liebe in ihre Bestandteile. Da haben wir in erster Linie die Leidenschaft, die als eine Art Entflammung des Blutes und des Geistes gelten muß; ferner: vergöttlichende Kraft; durch sie wird das geliebte Wesen herausgehoben aus der Schar der Mitlebenden und in ein Idol verwandelt. Ferner: sinnliches und übersinnliches Verlangen; das sinnliche entspringt der Leidenschaft, das übersinnliche der Vergöttlichung; sodann: unbegrenzte Hingebung; ihr Merkmal ist jedoch, daß sie auch bei höchster Großmut des Gewährens nie zu befriedigen vermag; ferner: eine Zartheit der Empfindung, die abhängig ist von jedem Traum, von der leisesten Ahnung, und endlich eine Ruhelosigkeit, die gleichwohl ein ganz bestimmtes Ziel hat, so wie die zitternde Magnetnadel. Sie mokieren sich über meinen professoralen Ton, wie ich sehe. Ich wähle ihn mit Absicht, da ich zwischen Schwärmerei und Sachlichkeit keine Wahl habe, und wenn ich nicht schwärmerisch erscheinen will, muß ich trocken sein.«
»Ich mokiere mich nicht. Fahren Sie nur fort.«
»Man braucht nur geringen Scharfblick, um daraus zu erkennen, daß die Liebe zwei Hauptquellen hat; eine elementare und eine ethische, eine sinnliche und eine sittliche. Betrachtet man nun die trivialeren Formen der Liebe, so zeigt es sich, daß sie fast immer nur auf eine einzige jener Eigenschaften gegründet ist. Wir haben dann die Liebe aus Leidenschaft; oder die Liebe aus Sinnlichkeit; oder die selbstentäußernde Liebe; oder die empfindsame Liebe; oder die ruhelos unbefriedigte Liebe. Die Variationsmöglichkeiten sind natürlich zahllos; zum Beispiel, wenn der Mann eine sinnliche und das Weib eine vergöttlichende Liebe hegt oder umgekehrt; oder wenn der Mann ruhelos unbefriedigt und das Weib selbstentäußernd liebt, und so weiter. Meist wird es so sein, daß gerade die schroffsten Gegensätze zusammentreffen. Mit der Variation beginnt auch schon der Konflikt, und wo Konflikte sind, ist keine Beständigkeit. Die große Liebe kennt keine Konflikte; bei ihr findet ein vollkommener Ausgleich statt. Alles Differenzierte vereinigt sich zur Harmonie und zur Schönheit. Ein auszeichnender Vorzug wird nie isoliert sein und nie ohne Widerspiel wirken; erst das Widerspiel, in einem bejahenden Sinn, bringt eine Tugend zur Entwicklung: Anmut wird zum Beispiel den Geist bedingen, Güte die Kraft, Vornehmheit die Tapferkeit. In der großen Liebe und nur in ihr, verwandelt sich der Mensch; er wird sozusagen nach seinen idealen Grenzen erweitert. Er ist in einem Zustand von Dämonie, oder um Ihren Ausdruck zu gebrauchen, von Besessenheit. Alles Sichtbare und alles Fühlbare hat nur einen einzigen Bezug, er findet überall und in allen Dingen das Gleichnis mit dem Objekt seiner Liebe, in der Musik und im Gedicht, im Ziehen der Wolken, im Rauschen der Bäume, im Anschauen eines Bildes, einer Flamme, eines Steines; Vogelflug und Menschenwege haben für ihn dieselbe nebelhafte Ferne, und doch hat er alles in sich und nichts außer sich, er ist nach allen Seiten gegen die Welt geöffnet und doch von ihr nicht mehr berührbar, er ist der freundlichste Freund, der teilnehmendste Gefährte und trotzdem mit der Geliebten im ganzen Universum allein. Was ihn zuerst an ihr hingerissen hat, sagen wir eine besondere Wölbung der Stirne, eine besondere Art, die Lider zu heben oder die Hand zu reichen, ein Ton der Stimme, ein Rhythmus des Schrittes, ein Lächeln, eine Gebärde, das alles wird Weltgesetz, das heißt: so gehen ein für allemal die Menschen, so sprechen sie, so blicken sie, so reichen sie die Hand, das ganze Bild des Daseins wird zu einem fixierten Bild der Schönheit. In der großen Liebe nämlich ist alles Positivität, und es ist alles in ihr unendlich und ewig. Sie kann deshalb niemals aufhören, weder auf der einen, noch auf der andern Seite. Nur der Tod kann ihr ein Ende bereiten, ein Ende, das freilich dem tiefsten Sinne nach ein scheinbares ist und sein muß. Glück oder Unglück kommen für sie nicht in Frage, ihre Tragik liegt anderswo, ja sie ist die einzige Lebensform, die eine mitgeborene Tragik besitzt, und diese Tragik ist für sie nicht nur in der Möglichkeit, sondern auch in der Notwendigkeit des Untergangs, des Todes beschlossen. Die Liebe weiß keine andere Gefahr und Bedrohung als den Tod. Vom ersten Augenblick der Liebe steht der Tod als stummer Wächter förmlich sichtbar daneben. Sehr schön ist das in Shakespeares Liebestrauerspiel zur Anschauung gebracht: alles strebt von Beginn an dem Tode zu, die Unabweisbarkeit, mit der er auftritt, regiert heimlich jedes Geschehen. Und um den Unterschied der Gattungen zu bezeichnen, ist Romeo, bevor das große Entetement eintritt, in eine Liebe von gewöhnlicher Beschaffenheit verstrickt.«
»Wohin führen Sie mich da, mein Teurer«, seufzte Faustina. »Das gelobte Land dieser Liebe ist für unsereinen nicht erreichbar. Dazu müßte man unter einem besonderen Stern zur Welt kommen.«
»Ja, wie zu allem Großen«, versetzte ich.
»Glauben Sie denn im Ernst, daß es eine solche Liebe wirklich gibt?«
Ich mußte lächeln, denn ihre Frage hatte etwas von der Naivität eines Kindes.
»Glauben Sie auch,« fuhr sie fort, »daß die Bestimmung dazu nur auf der einen Seite, auf der Seite des Mannes oder des Weibes liegen kann, daß der eine Teil vergeblich nach dem andern schmachtet und die ganze Erde durchsucht, ohne ihn zu finden?«
Faustina sah mich ängstlich an, sie wollte offenbar eine Beruhigung gewinnen, sie merkte nicht, daß ich die Antwort auf diese Frage schon gegeben hatte. »Ohne Zweifel«, erwiderte ich. »Jeder denkbare Zustand der Seele und des Gefühls kann und wird irgendwie und irgendwo zur Erscheinung gelangen, sonst wären wir nicht imstande ihn uns vorzustellen. Der Fall, den Sie fiktieren, hat aber mit der großen Liebe nichts mehr gemein, vielleicht überhaupt nicht mit der Liebe.«
»Sondern?«
»Sondern mit der Sehnsucht. Sehnsucht kann produktiv sein, sie kann aber auch unfruchtbar sein. Das hängt von dem ab, der sie nährt.«
»Mich dünkt, Sehnsucht ist das erhabenste Gefühl in der menschlichen Brust.«
»Wenn sie produktiv ist, ja.«
»Was nennen Sie produktive Sehnsucht?«
»Produktive Sehnsucht nenn ich diejenige, die imstande ist, einer Vorstellung Wirklichkeit, einem geträumten oder erwünschten Zustand Gegenwart zu verleihen.«
»Da setzen Sie ja, und wie ist das möglich bei der Sehnsucht, einen Willensakt voraus?«
»Ja, das tue ich allerdings; einen Willensakt, der vielleicht durch geheimnisvolle telepathische Mächte begünstigt und unterstützt wird.«
»Hm, ich sehe schon, Sie decken sich. Wenn man zum Unerforschlichen seine Zuflucht nimmt, hören die Argumente auf. Dem Unerforschlichen gegenüber gibt es ja keine Schuld und keinen Irrtum mehr.«
»Warum auch von Schuld reden, Faustina? Aber Sie mögen recht haben, vielleicht ist es wirklich eine Art von Schuld, wenn das Gefühl nicht bis zum geliebten Gegenstand trägt, sondern unterwegs durch fremde Einflüsse gebrochen wird. Nie beirrbaren Instinkt zu besitzen, das ist schon eine große Sache; und eine seltene Sache. So wie unser Leben sich heute abspielt, nicht wahr, wie jeder einzelne verwoben ist in ein maschinenhaft bewegtes Ganzes, wie er gezwungen ist, sich an vieles hinzugeben, was seinem Wesen fremd ist, wie sein geringster Fehltritt ihn unrettbar hinunterreißt von dem Weg seines Willens, wie er unverborgen dasteht, immer Kettenglied, wie all sein Tun und Handeln eine weitaus nähere und schnellere Folge hat als er es wünscht, wie das Elementare beständig in ihm ankämpfen muß gegen die Forderungen des Tages und der Welt, wie er Ruhe und Selbstbestimmung hingeben muß, nur um nicht erdrückt zu werden von den Gewalten, die um ihn toben, so wird es natürlich immer schwerer, einer inneren Stimme zu gehorchen, ja bloß überhaupt sie zu hören. Was vor wenigen Generationen noch einer Zahl von fünfzig beschieden war, das wird heute infolge der strengeren Wahl und härteren Erprobung nur an zwölfen oder fünfen oder dreien erfüllt. Wer wird um des Ideals in der Liebe willen sein Leben aufs Spiel setzen? Glücklicherweise ist das menschliche Herz immer zu Verträgen bereit. Würde die Liebe plötzlich Gemeingut aller, so wäre in vierzig Jahren die Erde ausgestorben. Wer nicht zur Liebe erwählt ist, dem hat das Schicksal auch Stärke und Geduld versagt. Er bescheidet sich, weil er sich bescheiden muß. Er liebt, was ihm Liebe entgegenbringt; sein Regent ist der Zufall. Er erobert oder er läßt sich erobern, ein Anschein von Schwierigkeit und Ferne erzeugt die ihm notwendige Poesie. Der eine liebt einen Körper, der zweite ein Gesicht, der dritte einen Blick, ein Hand. Ich meine das nicht gerade wörtlich, ich will damit nur sagen, daß er den Teil für das Ganze nimmt. Den Teil für das Ganze zu nehmen, das ist so Menschenart, und nicht einmal die schlechteste, sie bildet sogar Charaktere. Der Liebende ist Augenmensch; seine Leiden sind wirklich, seine Freuden sind dionysisch; der andere, der die Liebe nur ahnt wie ein Nachtgänger das Morgenrot, ist ein tastender Mensch, seine Glut ist ein Fieber, seine Leiden und Freuden sind imaginär, er sättigt sich von Brot, indes seine Phantasie Himmelsspeise verzehrt, er sieht nicht, er versteht gar nicht zu sehen, er will nur eingelullt sein, er will nur träumen, er ist stets philosophisch aufgelegt oder ist argwöhnisch, eifersüchtig, traurig, unersättlich, rasch übersättigt; er kann sich nicht in der Liebe verlieren, so gern er es möchte, denn der Strom, der ihn erfaßt hat, ist nicht tief genug. Manche lieben nur die Liebe oder die Sehnsucht nach der Liebe oder die Maske der Liebe oder die Unruhe der Liebe oder den Triumph der Liebe, und so können wir immer tiefer heruntersteigen, bis von der Liebe nichts mehr übrig bleibt als der Name. Unvermögen hat vielerlei Gestalten. Kannten Sie nicht damals auch den jungen Baron B., der bei der deutschen Gesandtschaft war?«
»Den großen Frauenverführer –?«
»Jawohl. Nichts ist heute leichter als den Titel eines Verführers zu erwerben, man braucht bloß ein wenig Methode in die Art zu bringen, wie man sich amüsiert. Dieser Baron B. also war immer mit einem Dutzend Frauen gleichzeitig intim. In jede einzelne war er eines bestimmten Vorzugs wegen verliebt, und er setzte mir einmal allen Ernstes auseinander, seine Vorstellung von Liebe sei eine so ungeheure, daß er niemals hoffen könne, das was er suche, in der Totalität einer Person anzutreffen.«
»Ein Freibeuter«, erwiderte Faustina verächtlich. »Vor fünf Jahren hat er eine ältliche Millionärin geheiratet.«
»Ja, so enden unsere Verführer in der Regel.«
»Von hundert sogenannten Frauenhelden wissen neunundneunzig überhaupt nicht, wie eine Frau beschaffen ist«, sagte Faustina.
»Nun ja, wo Sinnlichkeit den Blick verwirrt, kann von Liebe nicht mehr die Rede sein. Es ist ein Unterschied wie zwischen dem Rauch und der Flamme.«
»Ist es so? Ist es wirklich so?« versetzte Faustina hastig. »Sinnliche Leidenschaft trägt nicht, das gebe ich zu. Aber wenn wir die Liebe nur in ihrer Vollkommenheit anerkennen wollen, was bleibt dann noch bestehen? was darf dann noch Liebe heißen? Lassen Sie mir doch die Dinge ein wenig einfacher. Der Mensch, so wie er eben ist, vermag sich nicht auf der Höhe seines Gefühls zu halten. Der Gütigste, der Edelste hat einen Teufel in der Brust, der ihn zwingt, sich am göttlichen Teil seines Wesens zu vergreifen. Vielleicht ist in der Liebe die Sinnlichkeit so ein Teufel, vielleicht ist sie ein boshaftes Tier, wie die Heiligen sagen. Vielleicht ist sie aber die Erhalterin der Welt? Und wenn sie die Erhalterin der Welt ist, warum ihr Übles nachreden? Läßt sie sich denn von der Liebe trennen? Sie sagen: Liebe will den Tod. Ich wage nicht daran zu rütteln, obwohl ein solcher Satz alle meine Gedanken durcheinanderwirbelt. Aber angenommen, Sie haben recht, wie läßt sich das mit der Absicht der Natur vereinigen, die doch durch Liebe die Gattung fortpflanzen will?«
»Das ist ein Irrtum, Faustina. Durch Liebe wird die Gattung eben nicht fortgepflanzt, zum mindesten ist sie nicht darauf gestellt. Sie ist sich selber Zweck.«
»Oho! Wenn Sie das vor versammeltem Volk sagen, wird man Sie steinigen. Ich dachte, ein heutiger Mensch dürfe gar nicht an Liebe denken, ohne zugleich an das Kind zu denken. Mein Gott, sehen Sie nur unsere gebildeten jungen Mädchen an! Welche Sachlichkeit! Welche Wissenschaftlichkeit! Sie tun, als ob sie in der Liebe zugleich ein Hebammenexamen bestehen müßten. Na gut, werde jeder selig wie er will. Aber das muß ich schon sagen, ein Symptom liegt darin. Man ist nicht ehrlich in diesen Dingen. Und weil man nicht ehrlich genug ist, der Liebe oder der Sinnlichkeit ihre selbstverständlichen Rechte zuzugestehen, nimmt man das Kind als Vorwand, sich zu decken. Man gibt der Prüderie und der Entschleierung ein Pseudonym, das sie mehr entwürdigt als beschönigt.«
»Nicht so wild, Faustina! Sie haben eine Art mir beizupflichten, die mich fast an meiner Meinung irre macht. Die Geschöpfe, von denen Sie sprechen, sind ja nur Mißleitete. Und der Geist der Zeit selber ist es, der sie betrügt. Aufklärung heißt heute das große Wort. Nur ist allerdings diese Aufklärung etwas anderes als man sie vor hundert Jahren verstand. Vor hundert Jahren wollte man einfach alles aufklären: Himmel und Hölle, Märchen und Wunder, Kunst und Religion. Eine verhängnisvolle Strömung, der das noch lange nicht genug, nicht dankbar genug gewürdigte Emporwachsen der deutschen Romantik sich hilfreich entgegendämmte. Unsere Aufklärung hat sich verinnerlicht. Man will allem, was in der Seele des Menschen vor sich geht, nicht so sehr verstandesmäßig als auf Wegen des Gefühls, der Deutung, der Ahnung beikommen. Die Schriftsteller haben sich in Seelenforscher verwandelt, die Erzieher in mehr oder weniger eigensinnige Deterministen. Man legt dem Unbestimmtesten eine Bestimmung unter, uralte Traditionen verlieren ihr Gewicht, bedeutungsvoll Gestaltetes seine Kontur, Rangunterschiede werden verwischt, Autorität erweckt Mißtrauen, und ich leugne es nicht, ich kann es leider nicht leugnen, die allgemeine Demokratisierung, dem kleinen Geist eine Wohltat, dem großen ein Horror, erstreckt sich bis in die verborgensten Winkel des Herzens. Aber mein Trost ist, daß dies alles ja nur ein Übergang ist. Mir ist oft zumut, als ob ein unsichtbarer Riese unsere Welt in Stücke zerfetzte, um aus den Bestandteilen eine neue, bessere, schönere zu machen, und als ob diese Zerstückelung notwendig sei, um unser Dasein auf eine höhere Fläche zu heben.«
»Hirngespinste«, sagte Faustina kopfschüttelnd. »Was soll ich mit Hirngespinsten? Um mich mit einem Gegebenen abzufinden, dazu bin ich. Ist mir der gegebene Zustand unerträglich, nun, so empöre ich mich. Demokratisierung, ja, ja, das ist es! Was heißt denn: Demokrat sein? Demokrat sein heißt, etwas bedeuten wollen außerhalb einer organischen Sozietät. Nicht wahr?«
»Jawohl, oder als Persönlichkeit auftreten außerhalb der Sozietät und sich ihr entziehen auf Grund singulärer Rechte oder selbstgeschaffener Befugnisse.«
»Ausgezeichnet. Was kann nun dabei zustande kommen? Da ist der Adel. Was hat ihn zu allen Zeiten so mächtig werden lassen? Doch wohl nur der eherne Zusammenhang seiner Mitglieder auf Grund einer ehernen Überlieferung. Heute aber, heute ist jeder Ladendiener schon mit einer Individualität versehen, und jede aufgeputzte Kuh faselt von ihrem Selbstbestimmungsrecht. Was ist die Folge? Ehe noch die ärmlichsten Menschenpflichten erfüllt sind, werden der Menschheit schon Glücksforderungen gestellt, wie man einen Wechsel auf Sicht präsentiert. Alle, die so im glücklichen Besitz einer Persönlichkeit sind, was eben Persönlichkeit nach ihrer Ansicht ist, gleichen den schlechten Kaufleuten, die sich bei einem großen Unternehmen mit einem kleinen Kapital beteiligen und über Nacht Millionäre werden wollen. Diese Persönlichkeitsritter üben ein neues Faustrecht aus und die Gesetzlosigkeit, die sie begünstigt, erscheint ihnen als der Gipfel der Freiheit und Kultur. Meine Überzeugung ist aber die, daß ein demokratisches Zeitalter nun und nimmermehr ein Zeitalter der Liebe sein kann. Gerade in der Liebe wird ja die Aufopferung der Persönlichkeit verlangt. Hingabe! Ein herrliches Wort! Der Demokrat, der individuelle Demokrat, er gibt sich nicht hin, er gibt sich nur auf. Und liebt er, so muß er zweckvoll lieben. Und außerhalb der Sinnlichkeit, wo wäre da für ihn noch Zweck? Also muß er sinnlich lieben.«
»Man kann das formulieren, wie man will, Faustina, und ich streite nicht dagegen, nur wundre ich mich, weil Sie vorhin doch selbst für die Sinnlichkeit plädiert haben.«
»Hab ich das? So wollt ich eben damit sagen, daß die Sinnlichkeit ihren eigenen Thron aufgerichtet und die andern Kräfte der Liebe unterjocht hat. Wenn das organische Ineinanderwirken der Kräfte aufhört, so entstehen, medizinisch gesprochen, Neugebilde, die sich auf Kosten des übrigen Körpers nähren und ihn langsam vernichten.«
»Dieser medizinische Vergleich ist mir zu – moralisch, liebe Freundin. Wir dürfen hier um keinen Preis moralisch sein, wir untergraben uns sonst die Möglichkeit der Verständigung. Es gibt eine Art von Sinnlichkeit, die wirkt nicht viel anders als das Licht, wenn es in klares Wasser fällt und das Wasser bis auf den Grund durchleuchtet, es entmaterialisiert. Welche Sinnlichkeit wollen Sie der individuellen Sinnlichkeit entgegenstellen? Etwa die naive? Das gäbe ein Schema. Jedes Schema bleibt hinter der Erfahrung zurück, von der Synthese ganz zu schweigen. Statuieren wir also, beispielsweise, einen Unterschied zwischen elementarer und differenzierter Sinnlichkeit. Wo ist die Grenze? Ist der Wilde elementar, weil er nur das Weibchen schlechthin begehrt? Ist Werther differenziert, weil er sich um Lotte erschießt? Sie sehen, man hat bei solchen Unterscheidungen keinen Halt.«
»Ach, unterscheiden Sie nach Herzenslust, aber Sie werden mir doch nicht ausreden, daß es eine Sinnlichkeit gibt, die eine Ursache und eine Sinnlichkeit, die eine Folge ist. Die eine ist eine Wallung, die andere eine Kraft, die eine regiert den Willen, die andere kommt aus der Seele ...«
»Gut, gut, das mag seine Richtigkeit haben, aber damit kommen wir zu keinem Ergebnis. Wir gewinnen nur dann Einsicht, wenn wir von der Phantasie ausgehen, wenn wir sagen: es gibt eine Sinnlichkeit ohne Phantasie, und es gibt eine Sinnlichkeit mit Phantasie. Ja, ich gehe so weit zu behaupten: Phantasie und Sinnlichkeit sind gleichsam die beiden Flügel desselben Wesens, des Liebewesens nämlich, die beiden Flügel, ohne welche es sich nimmermehr vom Chaos lösen und von der Erde erheben kann. Und das eine ist mir klar: daß das moderne Ideal von Liebe oder von Sinnlichkeit viel mehr unter dem Zeichen der Phantasie steht, als es jemals der Fall war.«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Mein vollkommener Ernst. Ich sage ausdrücklich: das Ideal. Ich will die Erscheinungen selbst nicht betrachten; ich will gern zugeben, daß wir vom Ideal weiter als je entfernt sind. Der Grund liegt aber nicht in der Inferiorität des Lebens, sondern in der Superiorität des Ideals. Gerade durch die Persönlichwerdung unserer Existenz wird ja der Reichtum der Formen und der Reichtum der Daseinsresultate unendlich gesteigert. Was auf der einen Seite die Vereinzelung der Guten, die Vereinsamung der Tüchtigen bewirkt, macht auf der andern Seite den Zwang und das Gesetz aus, unter dem sie überhaupt zur Geltung, zur Entfaltung ihrer Kräfte gelangen. Es findet dadurch ein Zusammenfluß von vielen isolierten Idealen, ein Ineinandergreifen erhöhter Lebensstimmungen der heterogensten Art statt, deren Gesamtheit und deren organische Verschmelzung, wenn es einmal so weit gekommen sein wird, sich gar sehr von den primitiven und deswegen von vornherein harmonischen Idealen früherer Epochen unterscheiden wird. Und außerdem, was könnte ein stärkerer Ansporn für die Phantasie sein als gerade die Distanz zwischen Ideal und Wirklichkeit?«
»Ach so,« sagte Faustina stirnrunzelnd, »es soll also die Phantasie ein Mittel des Verzichtes werden? Da sieht mans, mit Logik kommt man herrlich weit!«
»Zu einem Mittel des Verzichtes, – ja. Aber nicht im Geist der Askese, sondern im Geist der Vollkommenheit und Vervollkommnung. Ein Liebender, Faustina, was ist er denn anders als einer der gewählt hat, einer dessen drängendes Gefühl sich für die intensivste ihm mögliche Lustquelle entschieden hat. Denken wir uns die sinnlichste Natur; denken wir sie zugleich liebefähig und zur Liebe bestimmt in der edelsten Art. Indem sie wählt, vollzieht sie unwiderruflich ihr Schicksal; das weiß sie, und weil sie es weiß, folgt sie einem hohen sittlichen Gebot, wenn sie den Gegenstand der Liebe in die höchste Region der Vollkommenheit erhebt. Je mehr Phantasie nun dabei im Spiel ist, je mehr kann die Realität vergessen werden, und nicht in einer selbstsüchtigen Täuschung, sondern in einer schönen, selbstlosen, idealen Täuschung, ja, schlankweg gesagt, in einer Täuschung zugunsten des Vollkommenen. Oder nehmen wir ein negatives Beispiel: nehmen wir unglücklich Liebende; ich meine natürlich nicht solche, die aus äußerlichen Gründen, sondern solche, die aus innerlichen Gründen verhindert sind, eins zu werden. Unglücklich Liebende sind Wesen, die nicht die Geduld, das heißt, nicht die Kraft, im letzten Grund nicht die Bestimmung hatten zu wählen. Nun was heißt aber das: geduldig sein und dabei leidenschaftlichen Gemüts? Es will nichts anderes sagen als schöpferische Phantasie besitzen. Und daß der wahrhaft Liebende schöpferische Phantasie besitzt, das zeigt sich eben in demselben Augenblick, wo er zu lieben beginnt.«
»Noch immer nicht, lieber Freund, noch immer nicht sehe ich ein, inwiefern wir, wir Auserlesenen des zwanzigsten Jahrhunderts, darin einen Vorzug haben. Ihre Argumente genügen mir nicht; ach, in Argumenten bin ich so ungenügsam wie in allem andern. Es gab eine Zeit, da war die Liebe ein Ereignis, ein Abenteuer, ein Wunder, ja, ein Wunder war sie, und heute? Ist für Sie oder für Ihre Altersgenossen, ist für Mann oder Weib die Liebe noch ein Wunder? Dies große Unbegreifliche, dies ... nun dies Wunderbare –? Nein, nein, nein! Oder kenne ich uns nicht? Kenn ich nicht meine Zeit? Sind die Augen einer Frau befangen? Verwandeln sich die Erlebnisse einer Frau nicht in ein Erkennen? In diesem Punkt ist eure Gerechtigkeit, eure berühmte Männergerechtigkeit nichts wie aufgeschmückte Philosophie und Ausrede. Wo das Wunder nicht ist, was soll da die Phantasie? Was sollen Flügel, wo keine Luft ist, die sie trägt? Vom Adler erzählt man, daß er sterben muß, wenn er nicht mehr fliegen kann; zu gehn vermag er nicht, also muß er sterben. Ihr gleicht nicht den Adlern, ihr Männer, ihr könnt auch gehn und macht euch vor jedem Jäger aus dem Staub.«
»Das Wunder! Das Wunder der Liebe! Wie das klingt, Faustina! Wie aus einem Roman der George Sand. Die Sache ist wirklich die, daß uns die Liebe gar kein Wunder mehr bedeutet.«
»So? Und warum, wenn man fragen darf? Lassen Sie mich den Grund hören; ich bin neugierig und im voraus voller Widerspruch, denn daran hängt mir ein Stück Herz.«
»Nein, die Liebe als Phänomen ist für uns kein Wunder im Sinn von 1750 oder 1820, wo der Liebende sich in der Erlesenheit seines Gefühls spiegelte, an seinem Gefühl fast zum Narziß wurde. Der Grund, weshalb dem nicht mehr so ist, besteht darin, daß wir einerseits zu wissenschaftlich, andrerseits zu historisch dazu empfinden. So trocken herausgesagt, schmeckt das nach Pedanterie, aber wir sind uns ja der Ursachen nicht bewußt. Zu wissenschaftlich: nicht nur, weil wir es in Büchern lesen oder weil wir es in der Natur beobachten oder weil uns jeder Vorgang des Lebens darüber belehrt, sondern weil uns die Überzeugung oder besser ausgedrückt die Anschauung in Mark und Knochen sitzt, daß alles, was da atmet, wird und wächst, ein und demselben Gesetz gehorcht, daß ein Band der Liebe sich um alle Wesen schlingt, ein Trieb der Zeugung, ein Wille, Schöpfer zu sein, den Tod zu besiegen, alle und alles bis ins Innerste durchdringt. Zu historisch darum, weil unser Geist in keinem Fall berauscht und egoistisch am Augenblick hängt, weil wir voll sind von Vergangenheit, von immanenter Erfahrung, weil das Geschick einzelner sowohl wie ganzer Geschlechter, ja der ganzen Gattung beständig und ohne daß wir dessen gewahr werden, zu uns redet und unsere eigenen Wege deutet. So wenig uns ein Gewitter in abergläubische Furcht versetzt, so wenig also wird uns das Ereignis großer Liebe wunderbar dünken; beides kommt ja aus der Natur, beides ist im Entstehen und Vergehen gegründet. Nun jedoch tritt das Seltsame ein: Im Großen, in allem Katastrophalen der Existenz haben wir aufgehört, Wunder und Begünstigung, Geheimnis und persönliche Verschuldung zu erblicken; im Kleinen aber, im Alltäglichen des Tuns und Betrachtens wird uns ein jedes Ding verwunderlich. Höchst bezeichnend ist es, dies Wort: sich wundern. Wir verwundern uns eigentlich unaufhörlich. Es erstaunt uns der Wurm, es erstaunt uns der Sternenhimmel, es erstaunt uns der Apfel, es erstaunen uns Berg, Strom und Wasser. Es erstaunt uns der Bettler und es erstaunt uns der reiche Mann, es erstaunt uns der Mörder und es erstaunt uns der Dichter, es erstaunt uns der Tapfere und erstaunt uns der Feigling. Das macht, weil wir in allen diesen die Notwendigkeit entdeckt haben, das Gefühl für die Unbedingtheit ihres Seins und damit in letzter Linie die Schönheit, die ihnen eigene Form der Schönheit. Wie ehedem von einem Pantheismus könnten wir von einem Panhumanismus sprechen oder besser von einer Allwesenheit. Es ist uns alles menschlich geworden, kreatürlich geworden, – zugehörig. Daß sich dadurch die Quellen der Freude um ein Unermeßliches vermehrt haben, ist klar, und das Reich der Schönheit ist, wie Christus vom Reich Gottes sagte, in uns. Das Reich der Liebe auch. Und wenn wir nun die ganze Welt dermaßen in uns haben, wenn unsere Sinne sie unaufhörlich besitzen, so folgt daraus doch für die Sinne selbst, daß sie auf ein Begrenztes, auf ein Gehaltvolles, auf ein Zweck- und Zielvolles gewiesen sind, daß sie mutiger, sicherer und stolzer geworden sind und daß ihr unentbehrlichster Verbündeter, weil sie von Anschauung, von Ahnung, von Begreifen, von Andacht, von Weltgefühl genährt werden, die Phantasie ist. So ist es auch in der Liebe. Die Sinnlichkeit ist darum nicht mehr auf den Körper beschränkt, sie will nicht erobern und nicht verführen; von galanten Künsten braucht sie überhaupt nichts zu verstehen, denn sie sucht nichts weiter als Übereinkunft. Sie überlistet nicht, weil sie wertet; sie enthüllt nicht den Leib, sondern die Seele, ja, sie ist ganz und gar auf solche innere Enthüllungen angewiesen, und eine Form gibt ihr nichts, wenn der Form nicht ein Inhalt entspricht. Eifersucht ist ihr deshalb ein unfaßbarer Begriff, denn gerade die Einmaligkeit, die unwandelbare Gesetzmäßigkeit, darauf beruht sie. Es ist keine Regung in ihr, die nicht, mit einem Wort gesagt, auf Verständigung beruhte. Damit sind wir wiederum bei der Phantasie angelangt, denn Verständigung hat ja keine andere Wurzel als die geistige Macht des Menschen, die Phantasie.«
»Sie springen etwas willkürlich mit der Phantasie um, mein Bester«, bemerkte Faustina kühl.
»Tu ich das? In der Tat, ich schreibe der Phantasie eine weitaus größere Rolle zu als es sonst geschieht. Erst mit ihrer Hilfe sind wir fähig, die Seelen anderer Menschen zu erfassen. Viele Eigenschaften, die man nur zu leicht als Laster anzusprechen geneigt ist, sind lediglich in einem Mangel an Einbildungskraft begründet. Der Geizhals, der Hoffärtige, der Grausame, der Nörgler, der Denunziant, der Selbstzufriedene, der Gottesleugner usw. was sind sie anders als Phantasielose oder – Phantasten, was beinahe das selbe ist. Gewisse Worte müßten uns töten, wenn nicht die Einbildungskraft wäre, die sie zu Luft und Schall zerstieben läßt. Haben Sie das nie erfahren, Faustina?«
»Ich hab’s erfahren, wahrlich.«
»Und gäbe es Verzeihung für erlittene Beleidigungen ohne die Phantasie? Nein. Der Mensch ist rachsüchtig, die Phantasie veredelt diesen Impuls. Ein solcher Mensch ist nun nicht mehr lasterhaft. Man kann getrost sagen: wer echte Phantasie besitzt, der ist tugendhaft. Wenn Sie nun der Sinnlichkeit die Phantasie nehmen, was bleibt dann übrig? Wenn ich liebe, und mein sinnliches Verlangen ist ohne Phantasie, so bin ich wie einer, der in absoluter Finsternis gefangen ist, ja, es ist möglich, daß ich dadurch dem Wahnsinn verfalle. Erst durch die Phantasie erhält meine Begierde die Weihe, die Süßigkeit, die Schönheit, den Mondglanz der Bezauberung und jenen Tropfen von Melancholie, ohne den eine Leidenschaft nicht beseelt erscheint. Sinnlichkeit ohne Phantasie ist nichts als der traurige Zweikampf zweier Wesen, die einander unbewußt zu vernichten trachten. Freilich, es gibt im Leben nicht bloß das eine oder das andere; die Leiden und Irrungen, die ein unvollkommener Zustand mit sich bringt, bleiben schließlich wenigen erspart. Wie oft sieht man Eheleute oder Liebesleute im Streit! Wie manche Ehe, die durch die Liebe getragen schien und nur noch durch Gewohnheit und bürgerliche Rücksichten befestigt ist, schleppt sich mühselig hin unter Hader, Zank und Mißverständnissen! Männer, sonst gerecht und vornehm, Frauen, sonst zärtlich und nachsichtig, vergessen sich; sie werden zu Tieren, die auf einander Jagd machen, sich einander Wunden zufügen, harte Worte wählen, Worte wie geschliffene Messer, mit übertriebenen Beschuldigungen die Achtung untergraben, die jeder vom andern billig verlangen muß, und ohne die Haltung sind, die sie auch dem Gleichgültigen gegenüber zu wahren wissen. Es sind das häßliche Szenen, und häßlich sind sie, weil solche Menschen aller Phantasie bar sind, weil sie nicht vermögen, die Armseligen, über den Augenblick hinauszudenken, weil der Augenblick in ihnen stärker ist als das Herz, als das Schicksal, als Tod und Ewigkeit. Ja, so sind die Phantasielosen, sie leben nur von Augenblick zu Augenblick, sie schwingen nur in den Intervallen, der Augenblick selbst ist ihnen nichts.«
»Das alles ist mir zu allgemein«, sagte Faustina. »Teils zu allgemein, teils zu kategorisch. Ich kenne Verhältnisse, deren Beschaffenheit mit der Phantasie gar nichts zu tun hat, oder ich müßte den Begriff der Phantasie zu weit ausdehnen. Nehmen Sie an, eine geistig bedeutende Frau liebt einen Gimpel; oder ein Mann von Genie liebt eine gewöhnliche Gans. Das kommt doch häufig genug vor, sollt ich denken. Und wie einfach sind diese Beziehungen, mein Gott, wie einfach. Ihr A und O ist eine natürliche Sinnlichkeit, und bieten sie nicht meist größere Gewähr für ein dauerndes Glück als jene feinnervigen Bündnisse, in denen doch alles auf Eigenschaften gestellt ist, und nicht auf das Ganze der Kreatur? Man muß einander nicht gar zu gut verstehen in der Liebe; ein wenig Fremdheit tut not. Wir Leute, wie wir da sind, wir verstehen einander zu gut und mißverstehen uns deshalb so oft. Den Leibern, finde ich, ist die allzugroße Vertrautheit der Seelen von Übel. Sie verletzt die Schamhaftigkeit.«
»Die Schamhaftigkeit? Inwiefern?«
»Das leidet gar keinen Zweifel. Je größer die seelische Verfeinerung wird, je größer wird auch die Schamhaftigkeit. Es ist ein heikles Thema, und irgendein Schriftsteller meint mit Recht, daß es schon schamlos sei, über die Schamhaftigkeit zu sprechen oder was jemand darüber sagt, anzuhören. Je tiefer man in den andern hineinschaut, je mehr ist man geneigt, das, was in ihm vorgeht, zu überschätzen, je mehr fürchtet man den andern oder fürchtet sich selbst, je mehr versteckt man sich, ja ich habe es erlebt, daß solche Menschen aus lauter Zartfühligkeit und Hellseherei sich die Möglichkeit harmlosen Daseinsgenusses untergruben.«
»Aber was hat das mit der Schamhaftigkeit zu tun?«
»Sehr viel! Wenn die dunklen Zustände und Vorgänge in der Brust dermaßen ans Licht gezerrt werden, daß der Mensch sozusagen in sich selber kein Heim mehr hat, wo er sich mit seinem Verschwiegensten bergen kann, so muß ihm doch allmählich dabei zumute werden, als ob man ihn entblöße und an den Pranger stelle. Ich, ich für meinen Teil, fühle mich durch das beständige, wachsame Verständnis eines andern, und sei er das geliebteste Wesen, ganz und gar an den Pranger gestellt, und ich sage Ihnen auch, daß mir jene Frauen, die man unverstandene zu nennen beliebt, mir, mir für meinen Teil, immer nur schamlos erschienen sind. Das wären die einen. Dann sind jene, bei welchen die Schamhaftigkeit sich ins Krankhafte steigert und die in einer so dünnen Luft leben, daß ihnen das gesund Sinnliche zum Ekel wird. Ich hatte einst eine solche Unglückliche zur Freundin; sie war die schamhafteste Natur, wurde aber bisweilen von einem förmlichen Enthüllungswahn verfolgt, und indem sie sich preisgab, unterlag sie einem Zwang, der sie etwas ausüben hieß, was ihrem wahren Wesen gerade entgegengesetzt war. Da war kein Halt, keine Haltung, und als sie eines Tages liebte, versagte sie sich dem betreffenden Mann, weil sie überzeugt war, daß er nur ihren Körper liebte und nicht die Seele. Ist das nicht schauerlich? Ein einziges, grobes Mißverständnis des Lebens?«
»Freilich; es gibt Frauen genug, die in dieser Hinsicht einem unheilvollen Irrtum und Unbegreifen verfallen sind«, erwiderte ich. »Der unheilvollste Irrtum, den sie begehen können, ist aber, wenn sie aus ihrer Art der Schamhaftigkeit und deren Überwindung einen Begriff der Treue folgern, der für sie Gesetz und Notwendigkeit, für den Mann aber eine Freiwilligkeit ist. Diese Freiwilligkeit wieder einer höheren Notwendigkeit unterzuordnen, das ist die Tat des liebenden Mannes, eine Handlung, die von seiner Kultur, von seiner Selbstbeherrschung, von seinem Schönheitsempfinden abhängt. Die Frauen besitzen nur die Scham des Geschlechts; die Keuschheit einer Nonne und die Verderbtheit einer Dirne sind nur verschiedene Wirkungen ein und derselben Kraft, ähnliche Zustände mit verschiedenen Hemmungen. Dem Mann ist eine andere Schamhaftigkeit eigen, eine übersinnliche, ich möchte sie die Scham vor Gott nennen, und er kann sie nur verlieren, wenn er sich selber vor Gott verliert. Wir haben demnach das Schauspiel eines beständigen Krieges zweier dem Grund und der Beschaffenheit nach völlig unähnlicher Arten der Schamhaftigkeit, und während eine Frau die ihre sozusagen wörtlich nimmt, sie trägt oder abwirft wie man ein Kleid trägt oder abwirft, verheimlicht der Mann die seine, denn ihm ist sie nur ein Symbol. Niemals darf die Frau sich einfallen lassen, das Symbol in die Wirklichkeit zu zerren, etwa eine Forderung daraus zu machen.«
»Das sagt – ein Mann!« rief Faustina. »Ich muß Sie schon sehr hoch einschätzen, lieber Freund, wenn ich das nicht anmaßend finden soll. Klipp und klar gesprochen heißt das doch: die Liebe des Weibes ist eine Realität, die des Mannes ein Symbol. Oder nicht?«
»Ausgezeichnet formuliert, Faustina.«
»Na, schön. Ich will dagegen nicht streiten, weil es ins Grenzenlose führt. Ich sehe nur so viel, die tägliche Erfahrung beweist es mir, daß diese Realität keinen Bestand und dieses Symbol keine Bedeutung hat. Flausen, Flausen, nichts als Flausen! Bester Freund, sperren Sie mich doch nicht ein für allemale in die Rumpelkammer der ›Realität‹! Denken Sie daran, daß auch ich geliebt habe! Ja, wirklich, wirklich geliebt! Beweisen kann ich nicht, daß es mehr war als ein Irdisches, Erdgebundenes, an Zweck und Zeit und Augenschein Gebundenes, aber dafür kann ich beweisen, daß der andere, der Partner im Spiel, keinen Einsatz wagte, der die Mühe verlohnte zu kämpfen, beweisen kann ich, daß seine Liebe – und er liebte – nur unzulänglich war, also nicht bis zu dem Punkt reichte, wo eine symbolische Kraft das Flüchtige des Lebens festhält. Aber weshalb so hohe Worte? Napoleon tat auf Sankt Helena den ungeheuerlichen Ausspruch: Ein solcher Schurke kann kein Mann sein als ich von ihm glaube, daß er einer ist. Fast jede Frau kann dasselbe von ihren Erfahrungen in der Liebe sagen, vorausgesetzt, daß sie nicht ein blindes Tierchen ist. Ihrer Methode gemäß werden Sie mir wahrscheinlich entgegenhalten: du hast eben nicht zu wählen verstanden. Ja, um Gottes willen, wenn der sich nicht bewährt, den ich als den besten erkenne, wozu schlägt dann mein Herz, warum denke und fühle ich dann? Entweder muß ich demnach mein Leben in der Wurzel verneinen oder Ihre ganze Weisheit wird mir zum Sophisma. Da ist ein Mann, der mich anbetet; es erscheint mir zweifellos, daß ich ihm viel, daß ich ihm alles bin, ich ergebe mich, verbünde mich ihm, und da muß ich entdecken, daß er nur zu werben versteht, zu besitzen, den Besitz zu verteidigen, zu bilden, zu erhöhen, dazu ist er nicht fähig. Oder ein anderer Fall: da ist ein Mann von Geist, Gemüt, Talent, aber er lebt in tiefem Elend. Das Mitleid nähert mich ihm, es gelingt mir einen wahren Sturm der Energie in ihm zu entfesseln, die Liebe zu mir trägt ihn empor, das Schicksal begünstigt ihn, aber er kann es nie verwinden, daß diejenige, die er liebt, auch seine Helferin war, er selbst gesteht mir seine Scham und alles scheitert an einer Grille.«
»Und was taten Sie?«
»Was sollt ich tun? Ich ließ ihn seiner Wege gehen. Ist es etwa diese Scham, die Scham, nicht mehr der Mächtige zu sein, die Sie symbolisch nennen?«
»Der Mann hatte vielleicht nicht viel zuzusetzen, deshalb raubte diese Scham seiner Liebe die Kraft«, antwortete ich. »Es kommt nur darauf an, was einer zuzusetzen hat, und für den Mann ist in der Liebe tatsächlich alles nur eine Frage der Macht. Mitleid ist ein Feind der Liebe, Mitleid zerstört die Gleichberechtigung, geradeso wie ein ausschließliches ästhetisches Wohlgefallen; jenes schafft eine zu große Nähe, dieses eine zu große Ferne. Der Bemitleidete und der Bewunderte atmen nicht dieselbe Atmosphäre mit demjenigen, der Mitleid oder Bewunderung hegt, und sie sprechen nicht in derselben Sprache zueinander. Aber es gibt Mittel, den Zwiespalt zu überbrücken, und die Frau ist es, die in dem einen wie im andern Fall ausgleichend zu wirken vermag, und zwar durch die göttliche Eigenschaft der Sanftmut. Sie, Faustina, sind nicht sanft genug.«
»Nicht sanft genug! Das wurde mir schon einmal gesagt. Wenn ich sanft wäre, wurde gesagt, hätte ich weniger Anlaß, mich über das Leben zu beklagen.«
»Oder über die Liebe. Das ist meine Meinung.«
»Sanftmut! Die schätzbare Gabe, stumm zu bleiben, wenn man getreten wird, und nur zu seufzen, wenn das Herz bricht, die nennt man Sanftmut, die nennen die Männer Sanftmut. Und weil sie ihnen die bequemste Eigenschaft am Weibe ist, darum wird sie gepriesen. Wer aber Augen hat und sieht, und vieles sieht, und Blut, das sich erhitzt, und eine Faust, die sich ballen muß, der kann nicht sanft sein.«
»Gemach, Faustina. Sie erinnern mich ein wenig an den Knaben, den man fragte, wer tapfer zu heißen sei, und der darauf entgegnete, tapfer sei, wer nicht davonlaufe. Sanftmut ist nicht Nachgiebigkeit, nicht Unterwürfigkeit, nicht Schweigsamkeit. Sanftmut ist der Ruhe des Feldherrn zu vergleichen, oder der Besonnenheit des Künstlers. Sie ist nicht eine Schwäche, sondern eine Kraft. Sie ist in der Liebe die eigentliche Kraft des Weibes, ihre Waffe wie ihr Schutz. Sie ist nicht an ein bestimmtes Temperament gebunden, dem cholerischen kann sie gegeben, dem melancholischen kann sie versagt sein. In jedem Tun und Lassen drückt sie sich aus: in der Freude, in der Angst, in der Trauer und im Schmerz, im Blick und im Schritt. Sie ist geradezu ein Rhythmus des Lebens. Das Lächeln der sanften Frau ist unwiderstehlich, die sanfte Frau ist niemals häßlich. Nun ist freilich die echte Sanftmut beinahe ebenso selten wie die Liebe, und leider muß man konstatieren, daß sie immer seltener wird, je mehr die Erregbarkeit der Nerven wächst, je mehr auch die Frauen von Liebe und über die Liebe wissen, und je weniger sie Liebe fühlen. Denn die Liebe der Frau ist hauptsächlich auf ein Elementares, auf ein Unbewußtes gestellt. Da gibt es Frauenrechte und Frauenberufe, man bildet Körperschaften und veranstaltet Versammlungen. Dabei mag viel Nützliches entstehen, aber für die Sanftmut ist alles zu fürchten. Haben Sie nie den Unterschied bemerkt zwischen dem Geschmack einer Birne, die frisch vom Baume kommt, und einer solchen, die schon unter vielen andern Birnen auf dem Speicher gelegen war? Ein solcher Unterschied herrscht zwischen der Frau als Einzelwesen und der Frau, die sich sozial betätigt.«
»Sie mögen ja recht haben«, antwortete Faustina. »Aber am Birnenbaum hängen viele Birnen. Sollen die Birnen also warten, bis die Leckermäuler anspazieren, um die schönsten zu verspeisen? Die übrigen können warten; sie müssen verfaulen und ins Gras fallen, wie? Um der Sanftmut willen. Danke schön. Wir haben nicht Konsumenten genug, wir armen Birnen, wir müssen unterzukommen trachten. Ihr wollt uns rein, ihr wollt uns engelhaft, ihr wollt, daß jede sich für einen Messias aufspare, aber ihr, ihr wollt nichts entbehren, keinem Gelüst die Befriedigung vorenthalten, keinem Appetit die Stillung. Und der Messias, der sich schließlich bei uns einstellt, ist entweder ein alberner Fant, der nicht weiß, was er in Händen hält und seinen blinden Jünglingsrausch austobt, oder ein kritischer Herr, der sich wieder trollt, wenn das Birnchen einen Flecken hat.«
»Das ist wohl wahr, Faustina, praktisch genommen ist es wahr, und daß ihr Grund habt, euch selbst zu schützen, kann nur einem Dummkopf verborgen bleiben. Jedoch von einer höheren Zinne betrachtet, liegen die Dinge anders. Die Natur will nicht, daß man ihr zuvorkomme. Sie will nicht, daß ihr heiligstes Gesetz, das Gesetz der Auslese, umgestoßen wird, und wenn es trotzdem geschieht, rächt sie sich durch die Hervorbringung lebensuntüchtiger Geschöpfe. Ist Ihnen bekannt, daß zum Beispiel unsere Jagdvorschriften der Rassigkeit und Widerstandsfähigkeit des Wildes, besonders des Edelwildes, erheblichen Abbruch tun? Wir haben Frauen, die gezwungen sind, einen Beruf zu ergreifen; ohne Pathos tun sie es, verdienen ihr Brot; andere sind mit Intelligenz und Scharfsinn am Werk, um soziales Elend zu mildern. Wer hätte dagegen etwas einzuwenden? Das Schicksal des Individuums wird mir immer Teilnahme einflößen, ob es eine Nähmamsell oder eine Fürstin ist; Massenbestrebungen aber, wenn sie der unmittelbaren Leidenschaft des Erlebnisses entbehren, lassen mich natürlich kalt. Das Wesen der Frau deutet mehr als das des Mannes auf Vereinzelung; ich habe immer gefunden, daß die edlere Art der Frau sich nur kraft dieser Vereinzelung bewahrte, und daß sie sich zur Vervollkommnung der Rasse gar nicht teuer genug bezahlen läßt.«
»Und wenn dem so wäre,« versetzte Faustina, »was hülfe es? Ist denn die Frau nicht immer willfährig zum Besten, wo der Mann das Beispiel edler Initiative gibt? Was frommt aber der Natur, was hilft selbst Gott das Gesetz der Auslese, wenn ihm das Gesetz der Trägheit entgegensteht?«
»Der Trägheit ... Schon vorhin haben Sie das Wort gebraucht. Sie sagten Trägheit des Herzens.«
»Ja. Trägheit des Herzens.«
»Trägheit des Herzens ist eine von den sieben Todsünden, soviel ich weiß.«
»Sie ist die einzige Todsünde, die es gibt.«
»Sie verbergen also einen großen Sinn dahinter, so etwas wie eine Idee.«
»Einen großen Sinn, da haben Sie recht, einen schmerzlichen Sinn. Das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich, heißt es in einem Brief des Paulus an die Römer. Da ist ein Erkennen: das Gefühl trotzt dem Erkennen, beharrt auf dem falschen Weg; oder da ist ein Gefühl, ein großes, ein wahres; und doch, es läßt sich betrügen, es läßt sich verwirren durch Rede und durch Denken. So entsteht Trägheit des Herzens, und ist selber noch ein Tieferes, Schwereres, Dunkleres, Schuldigeres. Es gab Zeitläufte, wo die Menschen mehr ihren Trieben untertan waren, barbarische, kriegerische, im großen und ganzen auf eine Sache, auf ein Ziel gestellte Zeiten. Da konnte Trägheit des Herzens für eine Sünde gleich andern gelten, gleich Geiz oder Neid oder Habsucht. Heute ist der Mensch zur Rechenschaft gezogen, heute ist jeder sich selbst verantwortlich. Sie sagen es selbst, nicht die Religion, nicht Himmel und Hölle darf er zur Ausrede und Ausflucht machen, in seiner Brust muß er sein Schicksal suchen. Da wird Trägheit des Herzens zur Kardinalsünde, und wie es nun ist, diese Sünde liegt auf uns allen wie Gewitterlast. Fordern Sie Beispiele? Wo soll ich anfangen? wo enden? Vorübergehen, wenn die Stimme des Gemüts zum Bleiben mahnt, bleiben, wenn sie verlangt, daß ich weitergehe; die Augen schließen, wenn es gilt zu sehen, und schweigen, wenn es gilt, Partei zu nehmen; urteilen und verdammen, wenn vieles davon abhängt, zu schweigen und Milde zu üben; den reinen Sinn betäuben, den unreinen zu falscher Tat stacheln; Zwecke wollen, wo keine sind; nach Gerechtigkeit streben und der Liebe vergessen; Liebe beanspruchen, ohne sie zu geben; genießen wollen und nicht bezahlen; von Gott reden und den Teufel im Innern füttern; Ideale aufrichten und einen armen Schuldner vor Gericht zitieren; in Musik und Dichtung schwelgen und vor den kleinen Menschenpflichten die Flucht ergreifen; Freundschaft preisen und den Freund verleugnen; Philosoph sein und den Dienenden mißhandeln; den Genius herbeiwünschen und, wenn er sich zeigt, ihn schmähen und in den Kot zerren, alles dies, all dies Vergessen, all dies Wissen und Nicht-Tun ist Trägheit des Herzens. Ach, wie schön ist das Herz! zu wie vielem fähig! wie viel vermag es! Und Liebe, das Herz des Herzens, wie wird sie mißachtet, mißbraucht, vergewaltigt und zertreten! Wie ummauert sind alle Herzen, wie wenig mag ein jedes sich verraten, und wie schnell und bereitwillig das des anderen! Wir reden da von Liebe, von Liebe, und wo ist sie, die Liebe? Ein Symbol soll sie sein, ein seltenes Phänomen, ich aber möchte sie haben, sehen möchte ich sie! Zeigen Sie mir einen Liebesbegeisterten, zeigen Sie mir einen Verschwender der Liebe! Die Liebe, von der ich weiß, war immer nur ein zartes Pflänzchen, es ertrug die Lebensstürme nicht, versteckte sich vor der Sonne und kroch in labyrinthisch verschlungene Tiefen, weltabgewandt, der Nacht zugewandt. Ich fragte einmal einen Mann, ob seine Geliebte schön sei. Schön, das könne er nicht behaupten, sagte er, aber alles an ihr sei charakteristisch. Ei, erwiderte ich ihm, Sie sind ein ganz famoser Zeitgenosse. Charakteristisch! Ein niedliches Wort! Man müßte es in eiserne Lettern gießen und auf den Schandpfahl des Jahrhunderts nageln. Alles ist so charakteristisch, so individuell, so besonders, so künstlich, so ins Kleine zerspalten, ins Geistige verdünnt, so scheu, so furchtsam, so wissend und so unsicher in jeglichem Gefühl. Was ist da um Gottes willen noch zu hoffen, Freund! Was kann ein volles Herz noch für sich hoffen? Es gibt nur eines; nur eines gibt es: sich bescheiden.«
»Es gibt noch ein zweites, Faustina, ein größeres.«
»Und das wäre?«
»Die Freude an der Erscheinung. Beklagenswert ist allerdings der Druck, unter dem wir leben, das seltsam fatalistische Dahinrasen. Das Dasein wird immer scheinhafter, seine kurze Dauer wird uns immer schmerzlicher bewußt, und wer Sinn und Liebe sucht, kann wohl in ungemessene Verzweiflung stürzen, wenn ihn dies eine nicht rettet: zu schauen. Dem Schauenden enträtselt sich die Welt; ihm entwirrt sich jedes Dunkel; er legt seine Hand auf Gräber und sie werden zu Altären, er wandelt durch Schneegestöber und er spürt den Frühling, er ist verlassen von den Freunden und er lebt mit der Menschheit. Daß die Dinge da sind, daß ich sie besitze, daß Schöpfer und Geschaffenes mein sind, daß das Leben, soweit es denk- und fühlbar ist, in mir steckt, daß es nichts gibt, nicht das kleinste Denk- und Fühlbare außerhalb des Lebenskreises, und daß mir das Ungeheure wie das Unscheinbare, Hohes und Niedriges, der Festzug des Kaisers und das Vorüberflattern eines Schmetterlings, daß mir Schönheit und Häßlichkeit, Liebe und Haß, Selbstentäußerung und Trägheit des Herzens, daß mir alles dies zur Erscheinung wird, das kann mich retten.«
»Mit einem solchen Quietismus will ich mich nicht beruhigen«, antwortete Faustina düster.
»Wenn das Quietismus wäre, dann wäre der Erdball nicht mehr imstande, seine Bahn um die Sonne zu laufen. Glauben Sie doch nicht, Faustina, daß ich mich damit freispreche von menschlichem Tun oder mich des mitstrebenden Herzens entledigen wollte. Es ist kein künstlerisches, kein ästhetisches Prinzip, sondern durchaus ein religiöses, durchaus ein göttliches. Wie in der Liebe durch ein höchst instinktives und beseligtes Erkennen Vorzüge und Fehler des andern zu einem anbetungswürdigen Bild vereinigt werden, so und nicht anders ergeht es dem Schauenden mit der Welt. Er hat alles innen; alles was außen ist, hat er innen; ihm ist nichts verloren, ihm ist alles gegenwärtig. Er gibt sich hin, er gibt sich aus, aber er wirft sich niemals weg, denn wie er das Leben besitzt und wie er Gott besitzt, so besitzt er sich selbst. Und das, Faustina, ist das Große: sich selber besitzen. Dann besitzt man auch die Welt, dann besitzt man auch die Menschheit; die andern, die sich zu jeder Stunde wegwerfen, die besitzen nichts und niemanden. Nur die Erwartung der Liebe täuscht sie mit der Hoffnung auf Besitz.«
Faustina hatte den Kopf abgewandt und schwieg. Eine lange Zeit verging im Schweigen und die Freundin hielt beständig den Kopf abgewandt. Die gesprochenen Worte erzeugten eine doppelte Stille. Es war weit über Mitternacht, als ich mich zu gehen anschickte. Mit starrer Miene reichte mir Faustina die Hand. Sie sah mich an, und wundersam, ihr Auge war voll Frage wie das eines kleinen Mädchens.
Sehr gern hätte ich Faustina wiedergesehen, aber als ich zwei Tage später in die Wohnung kam, wurde mir gesagt, daß sie abgereist sei.
Der Literat, ein geheimnisvoll beschlossenes Wesen, hat der Kultur unserer Zeit seinen unverwischbaren Stempel aufgeprägt. Ja, man könnte sagen, daß alles, was sich heute gemeinhin unter dem Titel Kultur begreift, ein Werk des Literaten ist.
Was ist ein Literat? Die nachfolgenden Untersuchungen wollen diese Frage beantworten; sie wollen die Art und die Wirkung des Literaten, die Bedingungen seines Lebens, die Fundamente und Ziele seines Geistes mit Hilfe einiger typisierter Charaktere erforschen.
Die damit aufgestellten repräsentativen Figuren werden sich natürlich in der Wirklichkeit kaum so unterschieden und formelhaft finden lassen; das Leben gibt Mischungen. Man wird im Psychologen viel vom Tribun, im Dilettanten viel vom Psychologen, im Apostel viel vom Schöngeist nachweisen können. Auch ist es möglich, daß in einer einzigen Person die Elemente von mehreren jener Typen stecken, daß Schöngeist und Psycholog, oder Dilettant, Tribun und Apostel vereinigt sind. Sogar im schöpferischen Menschen sind Züge des Literaten vorhanden, vielleicht hat die moderne Zeit überhaupt keinen schöpferischen Menschen hervorgebracht, der davon ganz frei wäre. Beim Literaten werden aber die bezeichneten Eigenschaften von einem jener Repräsentanten immer in bestimmter und auffallender Art zur Erscheinung gelangen, und die Besonderheit und das wechselnde Ausmaß der Mischung sind dazu angetan, ihm in seiner menschlichen und künstlerischen Wirkung das Interessante, reizvoll Problematische und Unergründliche zu verleihen.
Eine Kunst aus Liebe zur Sache üben, das macht den Dilettanten in der edlen Bedeutung des Wortes. Der Dilettant und der Künstler unterscheiden sich vielleicht nur durch die Konsequenz eines leidenden Zustandes, welcher den Künstler im Bereich seiner Kunst gefesselt hält, während der Dilettant frei bleibt. Der Künstler ist gefesselt, nur seine Sehnsucht, das Vermögen seines Geistes, sich mit allen Dingen dieser Welt zu identifizieren, macht ihn scheinbar frei. Beim Dilettanten ist es umgekehrt. Der Dilettant identifiziert sich wirklich mit den Dingen dieser Welt, indes sein Geist gebunden ist. Seine Sehnsucht richtet sich daher nicht gegen die Welt als gegen etwas, das erobert, begriffen, gedeutet werden soll, sondern gegen die Kunst, deren er sich bemächtigen will. Der Künstler hat die Kunst innen und möchte sich gleichsam ihrer entledigen im Austausch gegen Göttliches und gegen ein Stück Welt; der Dilettant hat sie draußen und wünscht sie zu gewinnen, indem er Welt und Gott in seinem Innern dadurch zu beruhigen und in Harmonie zu bringen sucht.
Der Literat als Dilettant hat aber weder Welt noch Gott noch Kunst in sich selbst. Ihm ist nicht nur die Kunst ein Äußeres, zu Erraffendes, sondern auch Welt und Gott. Er tritt leer auf den Plan. Wahrscheinlich ist er ermüdet von Erlebnissen. Er ist nicht von stark organisierter Seele, sonst würden geringe Kämpfe nicht imstande sein, ihn zu ermüden. Er hat einer Schlacht beigewohnt; in den hintersten Reihen hat er den Kanonendonner gehört und zugesehen, wie man Verwundete und Tote vorübertrug. Das hat genügt, ihn mit Abscheu gegen den Krieg zu erfüllen, ja, er ist der gründlichste Hasser alles Kriegswesens geworden, ein Quietist aus Philosophie, da ihn die Beschaffenheit seines Geistes zwingt, seine Schwäche wie eine Stärke zu behandeln.
Schon daraus läßt sich schließen, daß er nicht aus innerer Notwendigkeit am Kampf teilgenommen hat, sozusagen aus Vaterlandsliebe oder aus Lust am Soldatenleben oder aus Begierde nach Auszeichnung. Man hat ihn einfach wie so viele andere Rekruten dazu ausgehoben, und er war von vornherein ein skeptischer Soldat, also der schlechteste Soldat, der zu denken ist. Da man etwas treiben muß in der Welt, ist er Soldat geworden; nimmt er den Abschied, so ist er, mit Ausnahme des gewonnenen Ekels und Abscheus, wieder so leer wie er vorher war, und er weiß nicht recht, was jetzt beginnen. Er tritt daher nicht nur leer, sondern auch unentschieden auf den Plan, und weil ihn kein Muß befehligt, ist er nicht hungrig. Nur Leute, die unter einem tyrannischen Muß knirschen, sind hungrig, alle andern sind mehr oder weniger satt.
Er merkt es wohl, daß Hunger dazu gehört, um sich zu entscheiden: Hunger, Spannung, Sehnsucht, eine ideelle Begierde. Die Welt, die Menschen, die Erscheinungen des Lebens erregen seine Teilnahme kaum oder nur insoweit, als seine Person dadurch berührt wird. Auf einmal richtet sich seine Begierde, seine ganze Spannung und Sehnsucht gegen die eigene Person. Er entscheidet sich ganz und gar für seine eigene Person, deren er sich bisher, in den hintersten Reihen der Kämpfenden, nur dumpf bewußt geworden war. Seine eigene Person enthüllt sich ihm plötzlich als ein Gegenstand von ungeahnter Wichtigkeit, als ein unentdeckter Bezirk, von dessen Schönheit und Vorzügen die übrigen Menschen zu unterrichten jetzt sein gebieterischster Trieb ist. Alles was er tut, denkt und empfindet, erscheint ihm erstaunlich, besonders und in hohem Grade mitteilenswert. Je unbeachteter und dunkler sein Dasein bis nun gewesen, je mehr drängt es ihn, sich in einen Mittelpunkt zu stellen. Wie aber fängt er dieses an?
Er geht mit instinktiver Pfiffigkeit ans Werk. Er schmückt sich; und zwar schmückt er sich mit seinen Leiden, mit seinen Erfahrungen, mit einer in auffallender Weise zugespitzten, verschärften und nachdrücklichen Meinung über Menschen und Schicksale. Damit reizt er die Neugierde, und sein Instinkt hat ihn trefflich geführt, denn Neugierde, in einem gemeinen wie in einem höheren Sinn, ist der hervorstechendste Zug der Gesellschaft, aus der er kommt und deren Mittelpunkt er sein möchte, deren Mittelpunkt der schöpferische Mensch wirklich ist. Auch der schöpferische Mensch übertreibt das Bild der Welt, aber dadurch, indem er es vergrößert, dadurch allein schon, indem er die eigene Person aus seinem Werk ausschaltet und an dessen Stelle etwas setzt, was ich fiktive Persönlichkeit nenne. Dem schöpferischen Menschen ist seine Person nur ein Vorwand, ein Ausgangspunkt, der Literat als Dilettant sieht in ihr die Essenz und das Ziel. Der schöpferische Mensch ist einsam, von Natur und durch Bestimmung; dennoch lebt er unter den Menschen, weil die Menschheit ihm ein unentbehrliches Element ist, durch welches er leidet, weil er geboren ist, um zu leiden, weil das Leiden derjenige Seelenzustand ist, der ihn befähigt zu schaffen. Der Literat als Dilettant ist niemals einsam; je weniger, je mehr er bei sich und in sich selber steckt. Er stellt sich abseits, um in der künstlichen Einsamkeit einen Ersatz für die natürliche des schöpferischen Menschen zu gewinnen; er schmückt sich mit Einsamkeit, und auch dies ist ein Mittel, um Neugierde zu erwecken. Die Menschen sind ihm entbehrlich, obgleich er sie sucht; er ist der Menschen überdrüssig und satt, nur seiner eigenen Person wird er niemals satt, sie erscheint ihm stets interessant, begehrenswert, wichtig und ausgezeichnet. Nicht durch die Menschen leidet er, sondern durch sich selbst, und je nach Rang und Art seines Geistes und Charakters in allen Graden und Möglichkeiten; angefangen von unerfüllten Ansprüchen niedriger Sorte bis zum Durst nach Stillung eines bedeutenden Ehrgeizes.
Dieser Ehrgeiz ist sorgfältig zu trennen von dem, was die Griechen Ruhmsucht genannt haben, als welche ein übersinnliches Verlangen und in ihren Wurzeln mit dem Unsterblichkeitsgedanken identisch ist. Der Ehrgeiz hat nichts mit Anonymität zu tun, der Ehrgeizige gibt sich nicht grenzenlos und unbedingt hin wie der Ruhmsüchtige, er löst sich nicht auf in der Idee; er leitet seine Sache, er steht vor seinem Werk, er ist immer der Herr, immer sichtbar, und sein Name umflammt seine Tat wie ein Programm. Die antik-heroische Eigenschaft der Ruhmsucht ist den modernen Zeiten und Menschen fast abhanden gekommen. Vielleicht ist darum unsere Kultur, oder was wir mit diesem Namen bezeichnen, so zerstückt, brüchig und disharmonisch, weil sie völlig auf einzelnen, auf »namhaften« Trägern ruht. Jede wahre Kultur setzt Anonymität voraus.
Der Literat als Dilettant verabscheut die Anonymität, denn tritt er ohne seinen Namen auf, so ist es, als wenn ein General ohne Uniform zu Hof ginge. Durch seinen Willen getragen, von seinen Zwecken befehligt, abhängig von der Gunst der Menschen und der Umstände und somit von dem, was die Gesellschaft den Erfolg nennt, kann er in keinem Fall auf äußere Bestätigungen verzichten, und die edle Selbstvergessenheit des lediglich von der Sache erfüllten schöpferischen Menschen ist ihm fremd bis zum Unbegreiflichen.
Doch sehen wir von jener höchsten Selbstvergessenheit vorläufig ab, die nur eine ideale Annahme sein mag. Der Ehrgeiz des Künstlers würde auch dann in Kraft treten, wenn dieser Künstler auf einer einsamen Insel lebte, denn sein Ehrgeiz ist der Ruhmbegierde insofern verwandt, als er von dem Bestreben, das Werk zu möglichster Vollkommenheit zu führen, nicht zu trennen ist. Der Literat als Dilettant hingegen ist besessen von der Sucht nach der Prämie. Eines seiner untrüglichsten Kennzeichen ist, daß er der Selbstkritik ermangelt. Selbstkritik ist das Vermögen zu vergleichen. Der Literat als Dilettant kann sich nur mit sich vergleichen, aus diesem Grunde erscheint er sich bald überklein, bald übergroß, da sein einziger Spiegel nur das eigene, beständig schwankende, beständig wechselnde, niemals ruhende, losgelöste und isolierte Ich ist. Er kann seine Arbeit nicht allgemein an Arbeit und Leistung messen; nur an sich selber kann er sie messen, an den verbrachten Stunden, gefühlten Anstrengungen; seine Intensität zu sein und zu schaffen dünkt ihm die stärkste überhaupt erreichbare, und ein solches Bewußtsein genügt ihm, um alle Erinnerungen an Qualität auszulöschen oder zu trüben. Im Grunde seiner Seele hält er die höhere Geltung, welche die Meisterwerke genießen, für einen Zufall, wenn nicht für Schlimmeres; auch jedes Gelingen hält er für einen Zufall, da ihm entweder das Talent zu inspirieren oder das Talent zu administrieren im Gegensatz zum elementaren Künstler fehlt. Wer ohne Selbstkritik ist, hat zu keinem Ding eine wahrhafte Distanz; so betrachtet er alle Künstler als seine Kollegen, und das unterscheidende Merkmal zwischen ihm und ihnen besteht nur in der Tatsache der größeren oder geringeren Prämie. Wohl vermag er zu bewundern, aber seine Bewunderung ist von persönlichen Vorbehalten niemals frei; er gibt sich nicht hin, er will insgeheim profitieren, er will denen, die die höhere Prämie erhalten haben, den Handgriff absehen, und das scheint ihm ausführbar, weil er die Distanz nicht kennt. Die Prämie, nach der er strebt, kann er nie erhalten – ein Kater zeugt nicht Löwen. Er aber, der da wähnt, alles Vierbeinige sei letztlich von gleichem Rang, dem die Art und die Natur der Löwen völlig fremd sind, weil er in einem ganz anderen Klima lebt, muß notwendigerweise zu der Überzeugung gelangen, daß er das Opfer einer Ungerechtigkeit sei; die Vergeblichkeit seiner Forderungen erfüllt ihn nach und nach mit Eifersucht und Neid, so daß er alle Menschen gegen sich verschworen glaubt, vom niedrigsten Skribenten an, um dessen Ermunterung er buhlt, bis hinauf zu Homer, der eine allzu reichliche Menge des in der Welt vorhandenen Beifalls verzehrt hat.
Eifersucht und Neid vermögen am Ende seine Fähigkeiten ungeahnt zu steigern; fast allein durch Eifersucht und Neid ist er zuweilen imstande, die Gebärde, die Rhythmik, die Melodik des Künstlers zu treffen und wenn er sich auch nicht hingeben kann, so verliert er sich doch manchmal, verliert sich in einer seltsamen Form übertragener Nachahmung, in welcher die großen Werke wie abgeblaßt und wiederempfunden, schattenhaft, stimmungshaft ein zweites, unwirkliches Leben führen. Er übertreibt das schon Vergrößerte, verwickelt das schon Vereinfachte, und die Welt, die ihr Bild in einer immer auffälligeren egoistischen Verzerrung erblickt, wendet sich beleidigt und gequält ab, auch wenn sie dem Urheber vorübergehend gehuldigt hat.
Die Psychologie des schöpferischen Menschen ist, mit einem Gleichnis aus der Chemie gesprochen, ein Nebenprodukt. Dem Literaten wird die Psychologie zur Idee, was ungefähr so viel sagen will, als ließe sich jemand nur darum ein Schiff bauen, weil er einen Kompaß besitzt.
Der Psycholog hält alles für erlaubt, denn er kann alles erklären. Er hat für jede Tat ein Für und Wider, für keine ein Entweder – Oder.
Der schöpferische Mensch ist Wahrheitszeuge, Blutzeuge, indes der Psycholog die Menschheit und sich selbst verrät. Dieser Prozeß des Verrats ist wichtig genug, um näher betrachtet zu werden.
Ebenso wie der Literat als Dilettant ist der Literat als Psycholog ein isolierter Mensch. Aber er ist die ungleich reichere und tiefere Natur. Er ist auch die kompliziertere Natur, ja, im Gegensatz zum schöpferischen, der kompliziert geborene Mensch, das will sagen, daß seine Eigenschaften, Triebe und Instinkte nicht aus einem einheitlichen Gefühl, nicht aus einem elementaren Sein und Betrachten erwachsen, sondern daß sie vielfache Wurzeln haben, daß kein reiner einfacher Strom des Lebens ihn trägt, sondern daß er ein Spiel vieler, verschiedener, oft einander entgegengesetzter Strömungen ist, wider die er sich zu behaupten hat, woraus sich ergibt, daß er sich fortwährend im Zustand der Abwehr, der Verteidigung und des Kampfes befindet. Er ist ein wirklich Kämpfender, nicht bloß wie der Literat als Dilettant einer der in den hintersten Reihen zuschaut.
Der Wilde und das Kind sind schlechthin unkomplizierte Menschen; sie sind unkompliziert geboren. Der schöpferische Mensch ist ebenfalls unkompliziert, aber dort, wo sich der Ring wieder schließt, auf der anderen Seite der Erscheinungen, ist er der einfach gewordene, derjenige, der seine Einheit gefunden hat, nicht nur durch eigenes Streben und eigene Bestimmung, sondern auch durch unbewußte Mitwirkung der Geschlechter, die ihn hervorgebracht haben und deren Aufgabe es war, ihn hervorzubringen. Der Psycholog hat nun gleichsam diese Kette stummer Vorbereitung selbstherrlich verlassen, er hat sich losgelöst und tritt mit dem ganzen Willen der »Kette«, mit Belastungen von rückwärts und vorwärts, mit unerledigten Verantwortungen, eigentlich als ein Deserteur, allein auf den Plan. Schon dies setzt schwere und nachhaltige Erlebnisse voraus, innerhalb des eigenen Gemüts wie gegen den Kreis der Welt und des Lebens. Sein Los ist: sich zu verantworten, ununterbrochen sich zu verantworten, gegen Gott, gegen die Menschen und gegen sich selbst. Der schöpferische Mensch hat nicht nötig, sich zu verantworten, er ist eben da, er empfindet sich als notwendig und gesetzmäßig, seine ganze Existenz heißt: Ja; seine Anschauung des Lebens ist daher eine innerlich fundierte Hell- und Lichtheit. Jenem andern aber ist immer zumute, als ob er verneint würde, er fühlt sich als zufällig, er spürt keine Sicherheit, in ihm selbst steckt eine glühende Verneinung, und deshalb ist sein Tun und Wesen, ob er will oder nicht, Schatten- und Dunkelheit. Will er, so ist er ehrlich, und es gelingen ihm bisweilen Werke dämonischer Art; will er nicht, so verstellt er sich nur, und was er zutage fördert, trägt den Fluch einer geheimen Lüge.
So wie er nur ein Teil ist, Glied aus der Kette, vermag er nur eine Teilwelt zu geben; er sieht nicht mehr als den Teil, er lebt nicht mehr als den Teil, das ist sein Schicksal. Nun ist es aber im Wesen des Menschen und im Wesen der Kunst begründet, daß sein Werk ein Ganzes, ein Gebilde von allgemeiner Gültigkeit und Glaubhaftigkeit vorzustellen strebt. Da klafft nun der Abgrund. Je mehr er sich bescheidet, desto enger und bedingter, desto mehr persönlich gebunden stellt sich sein Geschaffenes dar; je weniger er sich bescheidet, desto auffälliger und schmerzlicher tritt die Kluft zwischen dem Persönlichen und dem objektiven Gebilde hervor. Es gibt keine Rettung, keinen Ausgleich. Je stärker Talent und Potenz sind, desto mehr verführt ihn die Sprache, das Erlebnis, die Leidenschaft, die Intensität der Vision, sich auf sich selbst zu stellen und sich selbst gegen Welt und Gott auszuspielen, desto mehr verführt er die Menschen, an ihn zu glauben statt an seine Welt und an Gott. Er ist immer zugleich Verführer und Verführter, während der schöpferische Mensch Führer ist; er ist stets der Sklave seiner Eingebungen, Ideen, Worte und Gestalten, indes der schöpferische Mensch immer Herr ist. Und je mehr er seinem Werk Notwendigkeit, Freiheit und Gültigkeit verleihen will, desto mehr muß er seine Fähigkeit überspannen, die Empfänglichkeit seiner Sinne dem Krampfhaften, also dem der Natur Feindlichen nähern, und niemals das Göttliche, höchstens das Titanische ist sein Gipfel.
Dieser unausgesetzte Kampf ist ohne die äußerste Wachsamkeit kaum zu denken; in der Tat ist der Psycholog das wachsamste Geschöpf der Welt. Wo der Dichter träumt, ist er wachsam. Eine solche Wachsamkeit hat zur Folge, daß er über alle Vorgänge seines Innern und zuletzt über die Art und Wirkung des Zwiespalts, in dem er sich befindet, aufs genaueste unterrichtet ist. Jener Kampf führt nie zu dauernder Entscheidung; in jedem Augenblick fällt die Entscheidung anders, und er selbst darf die Waffen nicht ablegen. Niemals sieht er ruhend die Welt. Und nun: im Zustand der Unruhe und der Bewegung alles von sich selbst zu wissen; sich von sich selbst loslösen wollen und doch einsehen müssen, daß man unlösbar mit und in sich selbst verstrickt ist; sich ununterbrochen rechtfertigen zu müssen, gegen das Werk, gegen die Menschheit, gegen Gott und gegen die eigene Seele; in einem derartigen Zustand ist das dringendste Verlangen das nach einem Heilmittel oder einem Betäubungsmittel, nach einem Stimulans; dieses Stimulans ist eben die Psychologie.
Die Psychologie entspringt der Wachsamkeit. Sie kann sich bis zu halluzinatorischer Kraft steigern. Sie ist beim schöpferischen Menschen in den Phasen vor der Entscheidung, beim Literaten ist sie die Entscheidung selbst, und zwar in jeder Bewegung. Jede Bewegung bringt eine Wandlung hervor, jedoch diese Fülle von Wandlungen führt keineswegs zu einer Verwandlung; die Mittel sind auf dem Wege verausgabt worden, so daß es ein Ziel darüber hinaus nicht mehr gibt. Der Literat hat den Weg, der schöpferische Mensch hat das Ziel. Der Literat wandelt sich, – auf dem Weg, und das beständig; der schöpferische Mensch verwandelt sich, – am Ziel. Ein Mann, der nicht an das jenseitige Leben glaubt, wird aus dem diesseitigen die ganze Summe von Genüssen hervorpressen, die nach seiner Ansicht darin enthalten sind. Dermaßen ist das Verhältnis des Literaten zur Psychologie beschaffen, und so kommt es auch, daß die Psychologie ein fortgesetzter Verrat am Ziel, an Gott ist.
Man verfolge dies im einzelnen, und man wird stets bemerken, daß das schlechthin, das Nur-Psychologische immer den Verrat in sich birgt. Es mag so erstaunlich wie möglich beobachtet sein, nie wird man es ohne die Überwindung einer geheimen und tiefen Scham hinnehmen, als ob sich ein Mensch vor uns entblößte. Der Psycholog verrät die Welt, indem er sich selbst in seinen geheimsten und tiefsten Regungen verrät. Dies ist ihm die Brücke zur Welt, denn eine andere hat er nicht in seiner Isolierung. Der Psycholog kennt keine Scham; das ist sein Rausch, ja, seine Ekstase. Er trifft dich mit den Entdeckungen, die er in seiner Seele gemacht hat, er reißt dich in seine Abgründe, begräbt dich in seinen Finsternissen, schleift dich durch seine Zweifel und seine Qualen, und am Ausgang und am Eingang steht er, nur er, Pförtner und Totengräber. Der schöpferische, der handelnde Mensch übernimmt die Leiden der Welt und reinigt die Menschheit davon, der Psycholog gießt seine Leiden über die Welt, und die Psychologie ist ihm der Schlüssel zur Welt, das Mittel, um dir zu sagen: Du bist wie ich! Ein umgekehrtes tat-twam asi. Dieses »du bist wie ich«, mit Hilfe der Psychologie, des fortwährenden Belauerns konstatiert, bringt etwas wie eine künstliche Sozialität bei ihm hervor, indes ihm die natürliche von Anfang an fehlt. Wo er haßt, ist sein Verrat ohne Hemmung, gewissermaßen sachlich; wo er liebt, glaubt er sich zu opfern durch den Verrat, und er muß verraten, weil die einzige Form seiner Produktivität darin besteht, das Ganze der Welt in Stücke zu reißen und in dem Schmerz über die Zerstörung und Zertrümmerung die Unvollkommenheit der Dinge zu gestalten. Während der schöpferische Mensch in einem göttlichen Sinne grausam ist, ist der Psycholog in einem menschlichen Sinne grausam, da er durch ein tragisch widerspruchsvolles Gesetz trotz seiner Einsamkeit immer an die Menschheit gefesselt bleibt und sich so wenig wie von sich selbst richtend von ihr lösen kann. Er richtet nicht, er klagt an; es geht bei ihm um Recht oder Unrecht, doch nie um Gerechtigkeit.
Psychologie ist Naturalismus. Wie sie sich auch gebärden mag, ist sie der Feind und der Gegensatz der Schonung, der Scham, der Abbreviatur, der Andeutung, der Deutung, der Ahnung, der Sehnsucht, der Religion. Sie ist immer ein irdisch Erfülltes, rationalistisch Fertiges; sie ist das Wörtliche, nicht das Bildliche, das Allegorische, nicht das Symbolische, der Weg und nicht das Ziel.
Nun entsteht die Frage: Wie verhält sich die Welt, die Gesellschaft hiezu, wie nehmen die Verratenen den Verrat auf? Sie werden ja beständig in Anklagezustand versetzt, beständig ihrer Geheimnisse beraubt, beständig in ihrer Scham beleidigt, wie können sie das ertragen?
Die Antwort ist: Der Psycholog bedient sich des Kniffs, daß er alles Einzelne, Vereinzelte und Sonderliche zum Typus verdichtet (während der schöpferische Mensch umgekehrt den Typus individualisiert). Dadurch wird allem Widerspruch die Spitze gebrochen, und es entsteht ein Werk von großer Leidenschaftlichkeit, gegründeter Bewegtheit und seelischer Durchführung, ein Werk von je stärkerer persönlicher Einheit zumeist, je geringer eben die Objektivierung der Welt darinnen ist. Obwohl jene Eigenschaften nur mittelst der Kunst, und zwar einer bedeutenden Kunst zur Erscheinung gelangen können, nenne ich doch das Verfahren des Psychologen – in höherem Betracht – einen Kniff, denn er deckt sich damit nach zwei Seiten: nach der einen gegen die Menschen, denen er einen Zerrspiegel vorhält und sie dabei durch seine Leidenschaft, sein Gefühl, seine Kunst, seine Persönlichkeit verhindert, die Willkür in den Zerrbildern zu erkennen; nach der andern Seite gegen Gott, oder, wenn man will, gegen das schöpferische Prinzip, indem er sich als einen leidenden, leidenschaftlich ergriffenen Menschen preisgibt, aufgibt und zugleich darauf pocht, daß er in unabhängigen Gestaltungen zur Gerechtigkeit und zur Wahrheit strebt.
Ich spreche selbstverständlich nicht von der Psychologie als Wissenschaft; diese ist eine gerade Sache und hat mit der Psychologie in der Kunst wenig oder nichts gemein. In der Kunst ist sie nicht nur eine analytische Methode, sondern eine Empirie höherer Ordnung, nicht mehr eine Disziplin, die von Realitäten ausgeht, sondern eine Realität an sich. Sie verpflichtet und verbindet das künstlerische Gebilde der Erde, verleiht der Vision, dem Gleichnis, dem Schwebenden, dem schon Zusammengefaßten, Verdichteten sein unverrückbares Gesetz, seelische Anwendung, wechselvolles Leben und die Glaubhaftigkeit, die sich auf die Erfahrung beruft. Der Literat als Psycholog will aber durch die Psychologie die Vision, das Gleichnis, das Verdichtete, das Gedicht erst erzeugen. Ihm ist der Teil mehr als das Ganze, das Kleinspiel wichtiger als die Zusammenfassung, und bevor er zur Idee gelangt ist, erlahmt er in den Wirklichkeiten. Die Wirklichkeit vermag er zu erschöpfen, er weiß sie immer neu, anziehend, seltsam und treffend zu gestalten, denn sie ist ja sein Persönliches, sein Erbe, während die Idee das Göttliche vorstellt, von dem er abgeschnitten ist.
Durch das außerordentliche, zauberhafte, verführerische Talent, die in sich selbst beschlossene Realität zu gestalten, wird nun die Menschheit, die Gesellschaft oder das, was man Publikum nennt, über den begangenen Verrat hinweggetäuscht. Und zwar nicht erst seit gestern.
Mit dem Eintritt des Christentums in die Welt hat die geistige und sittliche Individualisierung der Menschheit begonnen. Der christliche Kerngedanke ist eigentlich die vollständige und freiwillige Selbstisolierung des Individuums unter jedem Verzicht auf soziale Mission. Im Geist des Evangeliums Christ sein heißt: allein dastehen gegen Gott; im Einzelnen, der sich erlöst, wird die Menschheit erlöst. Es konnte bei der Sublimität einer derart aufs äußerste getriebenen Idee nicht ausbleiben, daß sie, um eine Wirkung zu üben, mißverstanden werden mußte und das Christsein schließlich nur hieß: erlöst werden durch das Leiden eines andern, dessen nämlich, der seiner Lehre das welthistorische Beispiel gegeben. Dadurch wurde das Christentum nach der sozialen Seite hin nutzbar gemacht.
Die christliche, den Leib leugnende, die Form zerstörende Idee ist die der Kunst entgegengesetzte Idee schlechthin. Der christliche Mythos konnte der Kunst nur dort Nahrung zuführen, wo entweder gläubige Gemüter den gläubig Schaffenden umgaben, oder wo sein menschlicher Gehalt die Strenge der Überlieferung sprengte und Motive und gewisse Freiheiten der Darstellung bekam, die eher alttestamentarisch oder, im ganzen Marienkult, antikisierend und dem Erlösergedanken fremd waren. Es konnte also nur das leidende, inbrünstige, ekstatische, lebenverzichtende Gefühl zum Ausdruck gelangen, wozu die volle naive Frömmigkeit erforderlich war, oder es mußten übernommene Vorstellungskomplexe eine immer wiederholte Darstellung finden, deren persönliche Beseelung aber unmöglich wurde, als die Tradition ermattet und die Zahl ihrer Motive verbraucht war. Die bildende Kunst und die Musik, deren Gehalt ausschließlich in der Empfindung wurzelt, die ihre geistigen Werte in Form und Rhythmus verlegen, konnten einen, wenn auch meist nur scheinbaren Zusammenhang mit dem Christentum am längsten bewahren; die Literatur hingegen, Drama, Epos und Gedicht, sind schon durch das Wesen der Sprache und des Wortes auf eine stärkere geistige Existenz gestellt. Dies bedingt einerseits eine größere Kälte, größere Ferne und geringere Unmittelbarkeit der Gefühlswerte, andererseits wird aber dadurch jede Verschleierung und Verdunkelung der Idee erschwert, da die Auflösung der unerläßlichen Harmonie zwischen Idee und Ausdruck zur Wirkungslosigkeit führen würde.
Der Dichter mußte sich also um so eher und nachhaltiger vom Religiösen befreien, je mehr dies Religiöse seines national-mythischen Gehalts entkleidet und, was dem Geist des Christentums widerspricht, zu einer staatlichen und sozialen Einrichtung wurde. Das christliche Gebot der Absonderung, der leben-, form- und freudezerstörenden Individualisierung zwang ihn, sozusagen wider seinen Willen, zu einer Individualisierung auf geistigem Weg, vor allem zu einer losgelösten, vom Volk abgesonderten Existenz. Das Christentum hatte ihn des lebendigen, aus dem Volk ihm zuströmenden, im seelischen Leben des Volks gewachsenen Mythos beraubt, und dies bedeutet: daß er seinen Mythos selbst erschaffen mußte, aus seiner eigenen Brust heraus. Die antiken Dichter befanden sich im Kreise des religiösen Mythos ihres Volkes, der stets identisch war mit dem nationalen Mythos. Das Christentum zerbrach diese Einheit nicht nur, sondern sein lebensfeindlicher und alles Schöpferische verneinender Mythos entzog den Dichtern auch die wesentlichste Nahrung, entzog ihrem Dasein die wunderbar tiefe Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit, die jene Genien besaßen, die von einem ununterbrochenen Strom mythisch vorhandener Gestalten schon getragen wurden, bevor sie ans Werk gingen. Wie wäre denn sonst das christliche Mittelalter, insonderheit das deutsche, so arm an großen Dichterpersönlichkeiten? Die wenigen von Rang führten nur ein privates Dasein, waren einsam, waren geduldet, oder auch wohlgelitten, »Sänger«, Kostgänger, Mitläufer, nicht Führer, nicht Propheten.
Der Dichter mußte seinen Mythos selbst erschaffen. Dabei ist es geblieben. Die Entwickelung der Gesellschaft, der Staaten, der Völker, der geistigen und sozialen Revolutionen, die ungeheuere, durch die fortschreitende Dezentralisation und die beständige Verschiebung der Kasten und Klassen beständig wachsende Fülle von Schicksalsmöglichkeiten, alle diese Umstände haben die Tendenz zur Vereinzelung verstärkt. Kaum daß noch Familien ein natürliches, auf dem Herkommen beruhendes Ganzes bilden; die Gemeinde, die Polis, der Staat, die Nation sind schon künstliche und zufällige Zusammensetzungen. Das seelische Erwachen von Millionen Einzelnen bietet freilich ein großes Schauspiel; es ist nur die Frage, ob es durch die gegebene Freiheit im Grenzenlosen nicht eben ins Grenzenlose und Verhängnisvolle gesteigert wird.
Da dem Dichter also die geglaubte und gesicherte Grundlage des nationalen Mythos fehlt, muß er ihn aus seinem Innern ersetzen. An die Stelle der lebendigen Überlieferung tritt diejenige des Schrifttums, und statt der natürlichen Sprache, die der Mythos hat und in der er zu allen spricht, ergibt sich der Stil. Sein Gedachtes, sein Geschautes, sein Geträumtes, sein Werden, sein persönliches Erleben, seine Anschauung der Welt, sein Kampf gegen die Gesellschaft, sein Verhältnis zur Natur, dies alles verdichtet, vereinfacht, verbildlicht und zur Schönheit verwandelt, wird nun für den Dichter zum Mythos, wird es erst dann, wenn er zugleich Künstler ist, wenn er alle Lebenselemente zu Kunstelementen umgeschmolzen und das Persönliche in ein Göttliches verwandelt hat.
Dies setzt nicht nur eine gewaltige Arbeit, einen heiligen Ernst voraus, eine Kraft zur Entsagung und einen Willen zur Einsamkeit und Selbstvertiefung, die den Dichter vollkommen zum Sklaven seiner Aufgabe machen müssen, damit er Herr des Werkes werde, sondern es fordert auch bei den Empfangenden eine Eigenschaft, die fast Kongenialität zu nennen ist und die sich natürlich nur bei erwählten Geistern findet, zunächst wenigstens; später greift dann die Tradition von Bildung, Stil und Kultur ein, dieselbe Tradition, deren sich der Nachfahr bedienen und die er zugleich bekämpfen muß, um sich selbst zu finden. So vollzieht sich nie ein harmonisches Kräftespiel; alles ist Kampf und Absonderung, und das Mißverständnis zeugt, nicht das Einverständnis.
In Kürze: der schöpferische Mensch ersetzt das Real-Mythische durch das Fiktiv-Mythische, das um so bedeutender und großartiger ist, je größer eben sein Geist, sein Blick, seine innere Welt, sein Genie sind. Es gelingt ihm durch unermüdlichen Fleiß, durch glühendes Welt-Erraffen, selbstvergessenes Welt-Erschauen, sein Egoistisch-Persönliches gleichsam auszutilgen und dafür das Fiktiv-Persönliche zu geben. Dies ist dem Literaten versagt; also auch dem Psychologen. Wohl schöpft er ebenfalls alle Nahrung aus sich selbst, gräbt eine Welt aus seiner Brust, erlebt tief und wahrhaftig, aber da er nicht die Gabe der Verwandlung besitzt, bleibt er immer, der er war, wandelt sich nur von einem Werk in das andere, von einer Gestalt in die andere, nie in das Göttliche empor, und er ist fern von den Menschen – wie der schöpferische Mensch, und fern von Gott – wie die Menschen. Er verwandelt sich nicht in das Herrlich-Fiktive; auch seine Gestalten nicht; sie treten nicht in die ewige Region, in die Sphäre der höheren Wahrheit, des vereinfachten Lebens, sie bleiben ihm zugeschmiedet, bleiben Suchende, Irrende, Leidende, Unbefreite, und sie sollen Boten sein von ihm zur Welt, von ihm zu Gott, Boten, die er dingt, um sich selbst, seine Schmerzen, seine Scham, seinen Ehrgeiz, seine Einsamkeit (die ihm doch ein errungenes Gut, nicht ein erzwungenes Joch sein müßte) zu bezeugen, zu verraten. Die Menschen aber, in ihrer Neugierde, ihrer Eitelkeit, ihrer Lust an Spiegelbildern, an Enthüllungen, entschleierten Geheimnissen, zerstörten Vorbehalten und unter dem Druck ihrer Not gewahren in ihm nicht ein Gleichnis für Göttliches nicht eine Idee, sondern für Menschliches, eine Wirklichkeit. Das danken sie ihm, das bewundern sie an ihm, das zieht sie zu ihm. Seine Wachsamkeit hält sie wach, seine Bewegtheit zerstreut sie, seine Treffsicherheit trifft sie, seine Gespanntheit ergötzt sie, seine Einsamkeit verstehen und betrauern sie, in allem finden sie ein Gleichnis für sich selbst, und das ist etwas anderes, viel Lustigeres, Glaubhafteres und Reizenderes als beim schöpferischen Menschen, wo sie ein Gleichnis für das Göttliche finden, die Synthese.
Freilich, so wenig der schöpferische Mensch heute das Volk für sich hat, die belebte, organische Gesamtheit einer Kulturperiode, so wenig der Literat als Psycholog. Jener hat eine Gemeinde, eine geistige Polis, die an Macht zunimmt; der Psycholog hat ein Publikum. Und was ist ein Publikum? Es sind die »Getroffenen«, die Neugierigen, die Gelangweilten, eine ungeordnete Horde von Freischärlern der Bildung, die Wahllosen, Gesetzlosen, Zusammenhanglosen und völlig Gottlosen. Darin beruht der tiefste Schmerz des Psychologen, und deshalb wird ihm Erfolg, Beifall und Echo niemals zur reinen Freude. Was kann es ihm auch bedeuten, die Gottlosen für sich zu haben? Ihm, der doch daran leidet, daß er gottlos ist?
Mit der Genugtuung, die nicht frei von dem Glück des Darüberstehens ist, mag er auf den blicken, der geradeswegs für das »Publikum« erschaffen wurde und der nicht mehr daran leidet, daß er gottlos ist.
Das ist:
Er stammt zumeist aus kleinen Verhältnissen und kennt die Not, die leibliche wie die geistige. Zwei Dinge haben ihn emporgehoben: sein Ehrgeiz und das Wort. Sein Ehrgeiz war anfangs nur äußerlich, er zielte auf die Verbesserung der sozialen Stellung, wurde aber später durch geistige Zuströme sowohl veredelt wie von der Richtung abgelenkt, denn der Dienst am Wort ist ein Frondienst, der jeden Lebensgenuß zerstört. So spielt dieser Ehrgeiz mit dem, der ihn hegt, wie ein Irrlicht mit dem Wanderer.
Die an die Zwecke gebundene Seele kann den Geist nicht beschwingen, aber sie gibt ihm die vehemente Stoßkraft des von eingepreßtem Dampf getriebenen Hebels.
Der Literat als Tribun ist der Psycholog des Tatsächlichen; er ist Erklärer und Propagandist; Bannerträger alles Neuen; Beobachter, der unfehlbare Schlüsse zieht; Alchimist der Überraschungen und Moralist der Nutzanwendung; Übertreiber des Absurden, Verzerrer des Trivialen, Widersacher des Selbstverständlichen; Leugner des Seltenen, wo Seltenes anerkannt, und Verkündiger des Genius bis zu der Stunde, wo der Genius sich ganz entfaltet. Er ist der Meister der Anpassung, der Aufwiegler der Stumpfen, die Polizei der Rebellen, Brandstifter und Arzt; er ist vieles in vielem, alles in allem. Er steht, auf den Augenblick angewiesen, zwischen zwei Tagen, ohne des vorhergehenden zu denken, ohne den gegenwärtigen halten zu können, ohne vom folgenden zu wissen. Er ist wie der Kapitän eines Passagierdampfers; bei jeder Fahrt sind andere Menschen um ihn, niemals gleichgestimmte, nie vorbereitete, nie solche, die sich seiner Leistung von der letzten Fahrt her erinnern; er muß alle Voraussetzungen seines Tuns und seiner Kräfte jedesmal von neuem exponieren. Der Wechsel der Passagiere vollzieht sich unter beständigem Bruch geschaffener Bündnisse und Übereinkünfte, beständiger Veränderung der Formen und Normen.
Was er mitbringt, ist seine Person; dieser erinnert man sich wohl. Im Grund ist es der Name, der Gewicht und Klang hat, der eine Luft des Schreckens, des Befehls, der Autorität, der Leidenschaft um sich trägt. Die Leistung wird dem Namen zugewogen, die Person schreitet über die Leistung hinweg.
Wer ist unglücklicher als er? Vertrauen erzwingen, Anerkennung, Billigung und Freundschaft mit Aufwand aller Mittel des Geistes erobern, um alles wieder zu verlieren, wenn der Tag sich wendet. Immer wie am Anfang muß er seine Person einsetzen und bloßstellen, immer mit dem ganzen Elan oder, was nicht minder aufreibend ist, mit der Gebärde des ganzen Elans. Hätte er nicht die Gebärde, so würde er ausgeplündert, ausgeschlürft und ausgeleert, da die Vielfältigkeit der Aufgaben, die ihm gestellt werden, und die Zerstreutheit der Interessen, die zu sammeln, zu befriedigen, zu beschäftigen seine wichtigste Mission ist, ihn nötigen, alles was er empfängt, sogleich wieder zu veräußern. Der schöpferische Mensch verarmt nicht, ihn nähren tiefe Wurzeln; seine wirkliche Persönlichkeit wird genährt von seiner mythisch-fiktiven. Auch seine Einsamkeit ist nur fiktiv, denn er hat die Gestalt, die ihm verbunden ist, auch wenn kein Ohr ihn hörte, kein Auge ihn sähe. Die Realität ist nur ein Gleichnis für ihn; er schafft ja die Welt zum zweitenmal.
Demgegenüber ist der Literat als Tribun der einsamste von allen Menschen, ganz an sich geschmiedet, ganz gelöst von der Welt. Was ihn schützt und tröstet, ihn unermüdlich, gewissermaßen verblendet macht, was seinen Ehrgeiz in Glut erhält, ist das Wort. Er hat eine angeborene Liebe zum Wort, und es wäre verwunderlich, wenn er sich bisweilen nicht für einen Dichter hielte. Das Wort ist sein Gefährte, er geht mit ihm um wie mit einem Freund, er tändelt mit ihm wie mit einem Kind, er betreut es wie eine Geliebte und ist von der Macht des Wortes bis ins Innerste durchdrungen. Ist er von Natur feige, so wird er durch das Wort tapfer, ja tollkühn; hinter dem Wort verschanzt er sich, verbirgt er seine Armut, seine Zweifel, seinen Neid, seine Unsicherheit. Das Wort gibt ihm Charakter, steigert seinen Willen, korrigiert und verdeckt seine Irrtümer und verleiht ihm genau die Gestalt, die er vorzustellen wünscht. So wird er undurchdringlich mit Hilfe des Worts, als ob das Wort ein Panzer wäre; unsichtbar und unauffindbar hinter dem Wort, ein wunderliches Widerspiel zum schöpferischen Menschen, der unsichtbar ist hinter der Gestalt. Aber Worte schaffen nicht die Gestalt, nur Handlungen, Bewegungen (des Körpers oder der Seele). Dann sind Worte von ganz anderem Valeur, ja, ganz andere Organismen, Gedeutetes, nicht Gesagtes. Das Wort als solches verhüllt die Gestalt und macht sie unsichtbar.
In einer Zeit wie der gegenwärtigen, in der ungeheuren Fülle der Dinge, der Gesichte, der Vorgänge, der Meinungen, des Wissenswürdigen, des Neuen, des schnellen Austausches der Werte, der enormen Vergrößerung geistigen Bestandes bei erschreckender Haltlosigkeit des Besitzes ist der Literat als Tribun unentbehrlich. Er ist es, der wägt, der urteilt, der vermittelt, der die Großmünze der geistigen Regierungen in die Kleinmünze des Verkehrs umsetzt, der Bildung verbreitet, Kenntnisse weckt, Einsichten fördert und in allen Angelegenheiten des öffentlichen Lebens höchste und letzte Instanz ist.
Das wäre nun eine sehr segensreiche Tätigkeit mit heilsamen Wirkungen, müßte man glauben. Man müßte glauben, daß eine so stetige und heftige Teilnahme am allgemeinen Wohl, an Kunst und Kultur, an seelischem Wachstum und geistigem Fortschritt ohne Selbstlosigkeit, ohne Opfersinn und ohne wahre Sachlichkeit nicht denkbar sei. Sehen wir näher zu.
Kann von Opfersinn die Rede sein, wo ein Lohn, auch nur der allergeringste Lohn in Aussicht steht? Kann von Selbstlosigkeit die Rede sein, wo eine Handlung dazu dient, den Glanz eines Namens zu erhöhen? Es mag einer mit wahrer Leidenschaft eine Sache führen, und er besitzt doch nicht die wahre Sachlichkeit, sobald es unter dem Schutz seiner Person und unter dem Schild seines Namens geschieht. Opfersinn und Selbstlosigkeit, das wäre Auflösung der Anonymität, – rein betrachtet, meine ich, denn ich will ja keine Kompromisse mit den Begriffen und mit den Erscheinungen schließen. Daß die Anonymität des Tribuns ja zuweilen sogar seiner Ehre schaden kann und muß, gehört auf ein anderes Feld; es ist dies ein bedeutsames Kulturzeichen, welches die Kultur, nicht das anklagt, was ich unter Anonymität verstehe.
Was aber verlangst du? hält man mir dawider. Ist der Opfersinn, die Selbstlosigkeit, die Sachlichkeit unzureichend, die der Literat als Tribun in seinem edelsten Typus darstellt, was wäre dann zureichend? Was geschähe ohne ihn? Wer würde seine Arbeit verrichten, die, wie gesagt, unentbehrlich ist, schon weil sie der Gewohnheit und den eingefleischten Neigungen entspricht? Vielleicht diejenigen, die der Auflösung und der Anonymität fähig sind? Die wirken durch die Tat, durch die Gestalt, nicht durch das Wort. Ist jedoch der schöpferische Mensch anonym? Er erreicht einen gleichwertigen Zustand durch den Mythos, in dem er entschwindet wie Zeus in der Wolke. Wo läge aber der Mythos für den Literaten als Tribun? Er kann ihn nicht haben, denn das Wort ist das dem Mythos schlankweg Entgegengesetzte.
Dafür wäre also abermals die Zeit zu beschuldigen, die eine Kultur geschaffen hat aus einer Summe von Einzelkulturen, die auf den Individualismus schwört und in ihren subtilsten Regungen, in ihren ahnungsvollsten Stunden noch, sie weiß kaum wie sehr, der Materie huldigt. Die Person, das ist eben die Materie in nuce. Man fragt, was ohne die segensreiche Tätigkeit geschehen würde, die der Literat als Tribun entfaltet. Die Wege der Bildung würden veröden; gewiß. Aber ist es nicht schon genug der Bildung, die nur auf eine Vervollkommnung des Persönlichen, persönlicher Macht, persönlicher Ausdrucksmöglichkeit, persönlicher Steigerung zielt? Sollten nicht alle Federn einmal ruhen, um eine wohltuende Geistesdämmerung eintreten zu lassen, in der die Seelen einander finden würden, der Streit der Meinungen, die Schlacht der Worte zum Austrag gelangen könnte? Ich behaupte nicht, daß diese Bildung nur ein Äußeres sei, sie kann auch ein Inneres sein, Kräftigerin des Gemüts, Reinigerin des Herzens; aber ein Religiöses ist sie nicht, niemals wird sie den Menschen zum Mythos führen, ihm die große Fülle, die große Stille, die große Bescheidung, den großen Zusammenhang schenken und sein Herz der Trägheit entledigen, die eine Folge der individuellen Isolierung ist; immer wird sie ihn verpersönlichen, zum Knecht des Wortes machen, zum Wörtlichen, zum Einzelnen.
Dafür eben ist das Wort ein Merkmal, das Merkmal geradezu. Es hat alle Gebiete des Denkens und des Gefühls, die Geisteswelt und die Sinnenwelt erobert. Es ist der nützliche Kolonisator jeder Wildnis und der voreilige Zerstörer des Geheimnisvollen. Es hat nur kurzen Atem, eine flüchtige Existenz, aber es hat die Kraft, sich immer wieder aus sich selbst zu erneuen. Was es berührt, bezeichnet hat, tritt unveräußerlich in den Bezirk des Gewußten und Bewußten, in den Bannkreis der Meinungen und Urteile, wird studiert und klassifiziert, ist da und ist fertig wie Raritäten in einem Museum, wie Naturalien in einer Sammlung, wo sie aufhören, ein freies, organisches und anonymes Dasein zu führen. Was gestern noch Ahnung war, heute ist es Gewißheit, morgen ist es ein Schall. Der Weg vom lebendigen Wort zum Schlagwort entscheidet die Kürze des Wegs vom Glauben zur Entgötterung, von der Gebundenheit zur Anarchie. In der Mitte des Wegs schwebt ein Scheinbild von Glauben und Gesetz; es ist nicht Glauben, es ist Angst, Fatalismus; es ist nicht Gesetz, es ist Trägheit, Rationalismus – Schranken vor dem Chaos.
Will der Literat als Tribun über das Wort hinaus, so gelangt er in die Sphäre des Dilettanten oder in die des Psychologen, wobei er Schatten beschwört, die er für Gestalten nimmt. Aber innerhalb seines Bereichs ist er unnachahmlich und wird seine Gaben zur Vollendung entwickeln. Da er in der Luft der Worte lebt, atmet er alle Worte ein, die über den Dingen schweben, über den Menschen, über der Kunst und über der Natur. Er vermag sie so zu binden, so zu schleifen, daß sie unter allen Umständen seinen Charakter und die Farbe seiner Persönlichkeit annehmen. Dies ist noch nicht Stil; zum Stil gehört Distanz und Ruhe, Bild und Rhythmus; es ist das Wort in seiner Sinnlichkeit und Nähe, seiner Einschichtigkeit und Einzelligkeit, das naive, parteinehmende, werbende und symbollose. Damit es an seinem Platze sei, fehlt ihm die Rede. Dies enthüllt sein Zwittertum wie auch den Zwiespalt des Literaten als Tribun. Die Rede fordert Hörende, nicht Neugierige, Wißbegierige, nicht Gelangweilte, die flüchtig aufhorchen und wieder vergessen, wenn der Tag sich wendet, deren Teilnahme für Gelesenes nur eine Maske der Müdigkeit und der Überfütterung, deren Enthusiasmus sogar, weil sie sich dadurch von einer Verpflichtung loskaufen, nur eine künstliche Form von Gleichgültigkeit oder sagen wir Objektivität ist; sondern die Rede fordert eine von gemeinsamem Band vitaler Interessen umschlungene Gemeinde. Der Literat als Tribun sitzt also, trivial gesagt, zwischen zwei Stühlen. Zur Rede mangelt ihm die soziale Grundlage, eine einheitlich beteiligte Gesellschaft; das geschriebene Wort hat ganz andere Resonnanzen und Ansprüche; an die Stelle des Willens zur Tat tritt der Ehrgeiz am Wort; er ist zum Schriftsteller geworden, ohne zu spüren oder zuzugeben, daß dies nur ein Surrogat ist, und über die Unmöglichkeit einer allgemeinen, politischen, besser: verwandelnden Wirkung tröstet er sich mit der Anerkennung der Einzelnen, mit dem Enthusiasmus der Gleichgültigen, mit der Zustimmung der Fachgenossen und einem Ruhm, der aus Papier besteht.
Eine unausbleibliche Folge des Mangels an Hörenden ist die zunehmende Zahl derer, die selbst etwas sagen wollen. Es beruht dies auf dem seltsamen Irrtum der menschlichen Natur, daß sie das geben zu müssen glaubt, was sie nicht empfängt. Die fortschreitende Individualisierung wirkt auf den einzelnen verlockend, ein Phantom der Freiheit äfft ihn, und er tritt selbsttätig aus der Kette, bevor zur Reife gelangt ist, was durch die stumme Arbeit der Geschlechter vollendet werden muß. Jeder solche einzelne ist ein »Talent«. Das Talent ist ein Losgelöstes, vom Mythos Getrenntes, auf eigene Faust Wirkendes. Die Talente sind Zauberer, nicht Priester in der modernen Welt, Sektierer, nicht Apostel, und was ihnen die Zeit verdankt, Unterhaltung, Zerstreuung, Spannung, Anspannung (der die Abspannung wie eine Rache nachgeht), dafür machen sie sich bezahlt durch eine geistige Tyrannei und eine Vorherrschaft ihrer spezifischen Art, welche den innerlich Unsichern, zufällig Erhobenen nicht verleugnen. Das Talent ist wie der Mond; es zeigt immer nur eine Seite: die literarische; die menschliche ist unsichtbar, – eine Entzweiung von verhängnisvoller Beschaffenheit, die irgendwo und -wann zum Bankerott führen muß.
Wie oft sehen wir, daß zugunsten des »Literarischen« das Menschliche geopfert wird. Wir müssen auf ein Antlitz verzichten, um uns an Verkleidungen zu ergötzen. Die Kunst trennt sich vom Leben. Nun gibt es Fälle, wo ein Mann so von einem Erlebnis erfüllt ist, daß er sich gedrängt fühlt, es darzustellen. Es handelnd auszulösen, ist ihm aus vielen Gründen versagt, unter welchen der Mangel eines echten gesellschaftlichen Zusammenschlusses am schwersten wiegt; er greift zur schriftlichen Mitteilung – als Beichte; zur übertragenen Form des gestalteten Bildes – als Spiegelung. Mag es Klarheit für ihn, Aufklärung, Bereicherung für die Freunde, für Gleichfühlende bringen, Werbung oder Verteidigung sein, es reinigt und entlastet ihn. Anstatt es aber dabei zu lassen, das Ungewöhnliche, Seltene, jedenfalls Einmalige als solches zu bekräftigen, indem man die Einmaligkeit nicht zerstört, anstatt dessen wird der Geist zur Krippe getrieben, und was zuerst Berufung war, wird Handwerk, dann Routine, dann ekler Absud und Selbstplagiat. Man ist Schriftsteller, denn man schreibt. Es wird immer weiter geschrieben, ein Name wird ausgenutzt, eine Tat wird verleugnet, Freunde werden zu Kostgängern, ehedem Ergriffene zu höflichen Jasagern, die Seele verarmt in der Gebärde, der Geist stellt sich im Wort bloß, Erlebnis wird sogleich als Stoff einkassiert, der Stoff hinwiederum lähmt das Erlebnis, dem Schaffenden wird die Bahn verlegt, den Genießenden die Unschuld und Freudigkeit getrübt, und es entsteht – Literatur.
Das Notwendige sinngemäß vollbringen, kennzeichnet den Menschen von Berufung. Infolge jener Entzweiung wird entweder das Notwendige nicht sinngemäß, d. h. stilgemäß, angeborener Form entsprechend zum Ausdruck gelangen, wenn das Menschliche prävaliert, oder das Sinngemäße wird nicht immer das Notwendige, ganz Legitime, ganz Triebhafte sein, wenn das Literarische prävaliert. Entweder wird also das Literarische als dem edleren Dilettantismus verwandt, oder das Menschliche, Sittliche wird nur wie ein zufälliges Anhängsel erscheinen.
Letzterem Schicksal ist der Literat als Tribun zumeist unterworfen. Von Anbeginn an ist er der geschworene Feind des Dilettanten, da er sozusagen auf Vorposten steht, niemals Zeit hat, nach vielen Seiten sich verkettet findet und, der Öffentlichkeit preisgegeben, eine öffentliche Person ist, von der man bestimmte Leistungen zu erwarten sich mehr bemüßigt als gezwungen fühlt. Schon die stete Verantwortung nötigt ihn zur Gebärde, wenn der Elan verraucht ist, um wieviel mehr erst die Gewohnheit, das Metier. Das Wort umpanzert ihn, kommandiert ihn, und wollte er sich auf sein Sittlich-Menschliches beziehen, wo das Wort gesündigt hat, so fände er die Brücken abgebrochen und den Weg zu weit. Er muß antworten, beständig antworten, als ob die Welt und das Leben voll von Fragen wären; sie sind auch voll von Fragen, nur werden sie nicht an ihn gerichtet, sondern an die Welt und das Leben, und die Antwort geschieht um der Antwort, nicht um der Fragen willen, das Wort muß ihm Maske bleiben. Er darf sich nicht verraten, niemals und unter keinen Umständen. Er ist nur treu, solange das Wort ihm treu ist. Er geht um die Ecke und sieht dich nicht mehr. Dein Gesicht ist ihm nur ein Wort, und Worte werden vergessen (oder auch behalten), gesehen werden sie nicht. Er kann nicht träumen, das Wort hängt mit Bleigewicht an den Flügeln des Traums; er kann nicht genießen, das Wort verpflichtet ihn, dem Genuß auszuweichen. Er fühlt nicht mit dir, außer mit seinem Ehrgeiz für deinen Beifall, mit seiner Leistung für deine Schwäche, mit seiner Virtuosität für deinen Dank. Dahinter steht ein Mensch, gleichsam kränklich, sehr argwöhnisch, oft sentimental, ohne Vertrauen, ohne Traditionen, Emporkömmling, Autodidakt, überaus einsam und in unruhvoller, ja atemloser Tätigkeit.
Er ist ein Kind des Reichtums, oder wenn nicht dies, so versteht er es doch, sich die gemeinen Sorgen vom Leibe zu halten. Nicht als ob er ein bequemer Herr wäre; er ist im Gegenteil gar nicht bequem, er hat nur einen leidenschaftlichen Hang zur Bequemlichkeit, der ihm oft das Leben so unbequem wie möglich macht. Schon das bloße Nachdenken, geschweige denn die Beflissenheit, Bedürfnisse und Ansprüche zu befriedigen, die einem gewöhnlichen Menschen keinerlei Kopfzerbrechen verursachen, stürzt ihn in Qualen und aufreibende Arbeit. Bis er dazukommt, den eigentlichen Zwecken zu dienen, ist die Hälfte seiner Seelenkraft schon aufgebraucht.
Seine Neigungen sind luxuriös in jedem Sinn. Er liebt die Fülle, die Seltenheit, die Kostbarkeit; er liebt die Dinge dinglich, mit wahrer Freude am Gegenstand, doch nur seltene und kostbare Dinge, oder solche, die schon gleichsam eine Metapher bilden oder enthalten. Am Häufigen und Niedrigen das Charakteristische zu schätzen, dazu fehlt ihm die Lust, ja die Möglichkeit, weil er sich zu weit nach der andern Seite entfernt hat. Da aber das Leben mehr aus Häufigem und Niedrigem besteht als aus Seltenem und Kostbarem, so ist er kein Beobachter des Lebens, sondern ein Beschauer. Trotzdem hat er keine Beschaulichkeit, denn er hat keine Naivität.
Man muß seine Bildung als profund bezeichnen und seinen Geschmack als über jeden Zweifel erhaben. Dies läßt auf große Ausdauer schließen, auf einen sicheren Blick und ein präzis abwägendes Urteil. Eine derartige Vereinigung von Bildung und Geschmack kann ferner nicht ohne ernsthafte Selbstzucht erreicht werden; ist sie noch dazu einem Temperament abgerungen, das zu Exzessen veranlagt ist, so entsteht eine geistige Kultur edelster Kategorie, in welcher der Begriff Vornehmheit zu tiefer Bedeutung gelangt.
Warum ist aber der schöpferische Mensch nicht in derselben Bedeutung vornehm? Weil er mit dem Niedrigen und Häufigen des Lebens ebenso verbunden ist wie mit dem Seltenen und Kostbaren; weil sein Wesen nicht darauf gerichtet ist, sich zu distanzieren, sondern sich zu identifizieren; weil er nicht Beschauer ist, sondern Mitlebender, nein, im Innern der Dinge und der Kreaturen Lebender.
Wenn der schöpferische Mensch in sich selbst sein Werk objektiviert, so distanziert es der Literat als Schöngeist. Das Mittel zur Distanz verleiht ihm die Form, der Stil. So ausnahmshaft seine Person ist, so ausnahmshaft ist sein Stil, durchaus das Niedrige und Häufige meidend, durchaus das Unterscheidende suchend und unterschieden bis zum Gesuchten. Keine Figur, keine Bewegung, keine Schilderung, kein Gefühl besteht durch sich selbst, schmucklos, sachlich, eigenkräftig, sondern sie werden durch den Stil hervorgebracht, anscheinend geläutert, in Wirklichkeit getrübt. Denn dieser »Stil« ist nicht von der Hand und vom Willen gelöst; er zwingt immer zur Aufnahme und Betrachtung eines persönlichen Elements und verhindert, daß man sich hingibt und daß man glaubt. Man glaubt nicht an den Schauspieler, der verstehen läßt, daß er eine exquisite Rolle spielt, und der Literat als Schöngeist ist ein solcher Schauspieler, ein Schauspieler, der sich nicht opfern und vergessen kann, weil er vor dem Spiegel spielt statt vor Gott, der Schauspieler seiner selbst.
Er kann ohne den Stil nicht denken, nicht träumen, nicht gestalten. Seine Phantasie ist nicht wortgebunden. Im Wort ist er frei, durch Bildung und Wissen sowohl wie durch einen imperatorischen Zug seines Geistes, vermöge dessen er alles Detail der Erscheinung sammelt und sublimiert. Aber rhythmisch gebunden ist seine Phantasie, in Schwingung, Ton, Melodik, Absetzung und Steigerung so gebunden, daß die Beschäftigung damit, die vorbereitende wie die ausführende, die ganze Atmosphäre des Lebens füllt und das Leben selbst gewissermaßen zu einem prädestinierten Verlauf zwingt. Das Formhafte wird ein Gesetzmäßiges, und die Folge davon ist, daß das Ethische ein Zufälliges wird, zumindest in Abhängigkeit gerät. Äußerlich wie innerlich findet beständig eine Verdrängung der Hauptwerte, eine Verschiebung des Substantivischen hinter das Attributivische statt, woraus sich ein ungesundes und unklares Verhältnis zwischen der Anschauung und dem Bild, der sinnlichen Wahrheit und der Metapher ergibt. Bild und Gleichnis werden isolierte Faktoren, die sich eigenwillig aufdrängen; der Weg von der Anschauung zum Bild ist oft so weit, daß der natürliche Wärmezufluß versickert und an dessen Stelle eine künstliche Glut tritt, Überhitzung des Ausdrucks, Überladung des Gehalts, Verzerrung der Form. Die beleidigte Ökonomie läßt keine echte Schönheit mehr aufkommen; wir gewahren entweder ein kaltes Gebilde, Ohr- oder Augenweide, aber im Grunde entseelt, oder eines, das uns wie in willenlosem Trotz gegen die Überwucherung der Metapher durch einen vergewaltigenden Subjektivismus ernüchtert und zweckbewußt macht.
Denn es ist nicht die Leidenschaft, die mich verwandelt, sondern die Verwandlungen der Leidenschaft verwandeln mich mit, also letzten Endes ein Moralisches. Auf dieses Moralische muß der Literat als Schöngeist verzichten. Er scheint es zu verschmähen, aber er muß darauf verzichten, weil er sich nicht verwandeln kann, weil er, wie der Psycholog und wie der Tribun, an seine Person geschmiedet ist, weil auch er nur den Weg hat, obschon es ein anderer Weg ist, und weil er am Ziel stets bei sich selbst anlangt. Er kann sich nicht verraten; er steht zu fern. Das Moralische beschwert sein Gewissen nicht mehr, er leidet nicht darunter, es kommt nicht mehr in Frage für ihn. Er spielt. Seine Gebilde können leicht und schwebend sein wie Seifenblasen, sie können schwer oder flammend sein, aber sie werden niemals jene unbedingte Eigenlebigkeit zeigen, die dem Werke des schöpferischen Menschen innewohnt, sie bleiben an seine Person gebunden und haben gleichwohl nicht das Höchst-Persönliche, das erst aus dem Mythischen strömt und das daher identisch mit höchster Sachlichkeit ist. Insofern ist sein Schaffen Spiel: weil es nicht höchste Sachlichkeit ist. Da gibt es nur ein Entweder – Oder.
Er mag Gemüt besitzen, doch ist es wie ein Fluch: während er seine Werke hervorbringt, vielleicht schon in der Konzeption, verzehrt der Rhythmus einen Teil der ursprünglichen Empfindung. Der Rhythmus herrscht; die Einfachheit läßt ihn erlahmen, erst im Komplizierten und Beziehungsvollen kann er sich entfalten, es sei denn, daß er das Einfache so weit distanziert, daß es schon wieder metaphorisch wird, als Stilisierung verblaßt, als Arabeske sich verkrümmt. Niemand kennt besser denn der Literat als Schöngeist die ewig gültigen Werte schöpferischer Kunst. Daß er sich an ihnen mißt, daß er immer wieder wähnt, nicht nur mit ihnen wetteifern, sondern, wenn günstige Zufälle zusammentreffen, sie auch erzeugen zu können, daß er sich darüber täuscht und doch wieder, vermöge seines präzisen Urteils, die Täuschung nicht aufrecht erhalten kann, das ist sein tiefstes Leiden. Schon dieses Leidens wegen ist er kein Epigone zu heißen; er ist weit mehr, er ist Prätendent, der niemals gekrönt wird, der zweitgeborene Bruder, und er versteht oft mehr vom Regieren und von der Verwaltung als der Regent, der Erstgeborene.
Möglich, daß er aus diesem Grund etwas von einem unruhigen Diplomaten hat. Er muß immer ein wenig Politik treiben, um Proselyten zu machen. Denn man wehrt sich gegen ihn; die Wahrheit ist in den Menschen wie das Herz, sie wird nur verschleiert durch die Geschäfte des Lebens und durch unreine Zwecke abgelenkt. Aber auch aus Liebe zur Schönheit wird er zum Politiker, da er den Rhythmus, von dem er beseelt ist, in seiner täglichen Existenz gleichfalls nicht missen will. Er meidet dich heute, wie er dich gestern gesucht hat, denn heute störst du seinen Rhythmus, wie du ihn gestern beschwingt hast. Der Rhythmus macht ihn treulos und tyrannisch, liebenswürdig oder widerspenstig. Je unfruchtbarer er als Künstler ist, je mehr Kunst verwendet er auf sein Leben, d. h. darauf, den Rhythmus in seine tägliche Existenz zu bringen, wobei dann ein ganz verwickelter Umweg zum Leiden entsteht, über die Kunst und über das Leben hin, fern von Gott und fern von den Menschen, so daß die Schönheit als Surrogat des Göttlichen zum Wahn- und Schattenbild wird und das Leben eine von falschen Zwecken erfüllte kalte und unglückselige Einsamkeit. In solcher Einsamkeit gestalten wollen heißt im luftleeren Raum Lieder singen wollen.
So wird der Literat als Schöngeist zum Sklaven der Zeit, indem er ihren Rhythmus packt und ihre Seele nicht findet und zerrieben wird im Gefühl einer ihm unbegreiflichen Ohnmacht; oder er ist ein Verbannter der mit unlebendigen und eigenwilligen Formen sich für sozial und seelisch fördernde scheinbar tröstet.
Es ist das Wesen des Apostels, völlig hingegeben einer Idee zu dienen. Das Wesen des Literaten ist es, sich selbst unterworfen zu sein. Der Literat als Apostel: das wäre also der Widerspruch kat exochen, das Paradox an sich, denn wie könnte man einer Idee dienen, wenn man nur der eigenen Person dient? Wie könnte einer, dessen Schicksal es ist, vom Mythos getrennt zu sein, sich berufen glauben, den Mythos zu erzeugen?
Dieser Widerspruch löst sich nur in einer einzigen Weise: indem er seine eigene Person zur Idee erhebt, in der er darauf ausgeht, aus sich selbst einen Mythos zu machen, aus seinem stabilierten Ich; nicht aus Anschauung und Erlebnis der Welt, nicht hingegeben, sondern verlangend, wollend und in der Bezauberung des Willens.
Der Literat als Apostel ist der fanatisch auf das Künstlertum gerichtete Mensch. Genuß des Lebens, verweilende Ruhe sind ihm unbekannt. Man könnte glauben, es sei der Ehrgeiz, der ihn befeuert, der Erfolg, der ihn lockt, die Macht, die ihn reizt, und es ist wahr, etwas von alledem gibt seinem Streben den Flug und die Ausdauer, seinem Geist die Elastizität. Doch laßt seiner Ruhmsucht so viel Genüge geschehen, als sie überhaupt begehrt, laßt seinen Namen an der Spitze von allen stehen, laßt ihn den Einfluß eines Herrschers und den Reichtum eines Großbankiers haben, – es ist ihm zu wenig; er kann es wünschen, glühend darnach eifern, doch den Besitz solcher Güter spürt er kaum. Er ist ein Besessener, ein von der Kunst Behexter. Es ist ihm nicht darum zu tun, das Leben zu genießen. Sich selbst will er genießen, sich selbst ausschöpfen, sich selbst in allen Menschen und Dingen erkennen, und das ganze All, Gott und die Kreaturen, ist ihm eigentlich nur sein vielfach zerteiltes Ich, gesehen durch das Medium Kunst, zu sammeln und zu gestalten ihm anbefohlen durch das Idol Kunst.
Der schöpferische Mensch ist von einer wunderbaren Bescheidenheit durchdrungen. Immer bleibt er gleichsam Bürger der Welt; er findet sich eingeordnet, nie bevorrechtet; gesteht man ihm höhere Rechte zu, so wird er schon an sich zu zweifeln beginnen. Er hat das feinste Ohr für die Musik des Lobes und setzt dem geringsten Zuviel seine Verachtung entgegen. Er ist gelassenen Gemüts, weise und gehorsam, sich selbst gehörig und der Welt und der Gottheit dienstbar, sein Künstlertum wahrend, keineswegs aber es als Schild benutzend oder gar als Postament. Vielleicht ist es der Mythos, der ihn so bescheiden macht, so stolz-bescheiden, ähnlich wie der Abkömmling eines alten Geschlechts stolz-bescheiden ist, indem er seine Fähigkeiten und das Vermögen zu repräsentieren nicht allein seiner losgelösten Person zuschreibt, sondern es der Kette der Ahnen mitverdanken will. So auch der schöpferische Mensch. Es wirken in ihm Kräfte von oben, von den Toten her, von der Erde, vom Volke her.
Ganz anders der Literat als Apostel. Er ist der Rebell wider alle Ordnung, es sei denn, die Ordnung habe keinen andern Bezug als auf ihn. Ihm ist alles erlaubt, nicht weil er wie der Psycholog alles erklären kann, sondern weil er es ist, durch den die Dinge und Einrichtungen sind. Insoferne verhält er sich zum Psychologen wie ein Gesetzgeber zu einem Winkeladvokaten. Ihm ist Lobes nie genug, obwohl er Lob verachtet; es gibt keinen Beifall, der ihn beschämte, keinen Tadel, der ihm anderes wäre als die Frechheit des Neides oder der Dünkel des Unverstands. Er ist ausschweifenden Gemüts; seine Nerven sind der höchsten Schwingungen, der tiefsten Ermattungen fähig, und die Menschen sind ihm nichts als Futter; Futter für seinen Ruhm, seine Zwecke, seine Kunst. Er ist ein Menschenjäger, ein Menschenfresser, keines Freundes Freund, kein Geliebter, kein Gatte, kein Vater, nur Künstler. Ist der Literat als Schöngeist der Schauspieler seiner selbst, so ist der Literat als Apostel der Priester seiner selbst.
Beachten wir jedoch, daß er ein großer Künstler ist und sein Werk von hohem Belang, daß er unter Umständen ganzen Zeitabschnitten die geistige Prägung verleiht, und es wäre zu fragen, ob dies nicht Entschädigung genug sei für das Übermaß und die Selbstintronisation.
Da ist denn zu erwidern, daß unsere Zeit ohnehin geneigt ist, sich mehr an den Wirkenden als an das Werk zu wenden. Dem genialen Individuum ist eine unbegrenzte Machtbefugnis fast von vornherein zugestanden. Die Leistung, das ist die Person; der Effekt, das ist die Person; Glorie, Dankbarkeit und Enthusiasmus knüpfen sich an die Person. Die Person ist schon Partei, wo das Werk kaum noch die Geister erweckt hat; sie gebietet den Unschlüssigen, schüchtert die Zweifler ein und bricht den Widerstand der Stumpfen. Wohlgemerkt aber nicht die reale Person, nicht der handelnde Mensch an sich; dieser hat wenig Spielraum, ist eingezwängt in ein verwickeltes gesellschaftliches Gewebe, ein engmaschiges Netz von Pflichten und Gesetzen und führt meist ein privates, kleines Leben voller Hemmungen. Will er derjenige sein, als der er gilt, so muß er den Kreis seines Wirkens durch die Fackel seines Namens erleuchten, er muß das Zeugnis seiner Leistung vorweisen können. Dann allerdings wird ihm die Ehrfurcht gezollt, deren die Kunst, als Idee, sonst völlig verlustig geht.
Man kann also sagen: Die reale Person wirkt erst durch das Medium der Werke, die fiktive durch das Medium des Künstlers, was natürlich das Verkehrte ist. Es liegt darin nichts Religiöses und Verwandelndes mehr, sondern Aberglauben und Götzendienst. In einer religiösen, mythisch-bewegten, sachlich, nicht individuell fixierten Zeit trennen sich Schöpfer und Gestalt überhaupt nicht voneinander, führen nicht ein von der Gemeinschaft der Menschen losgelöstes Dasein, der Schöpfer als Literat, als »Schriftsteller«, die Gestalt im Buch oder höchstens als ästhetische Metapher im Leben; nein, der Schöpfer, in seiner Bescheidenheit, bleibt Teil der Gemeinschaft, und seine Gestalten umgeben ihn wie Glieder einer Familie den Patriarchen; sie allein sind die Träger seines Namens, nicht aber die literarische Idee, die er von ihnen abstrahiert.
Der große Künstler wird in seinem Persönlichkeitsbewußtsein leicht einem Übermaß verfallen, da er es immer dort gefährdet findet, wo er von seiner Gestaltenwelt gelöst auftritt, also in seiner privaten Existenz, oder in seiner öffentlichen, wenn er keine Harmonie spürt zwischen künstlerischer und persönlicher Wirkung, und die kann er nur selten spüren bei der Zerstücktheit, Unverläßlichkeit und Zufälligkeit aller Wirkungen. Es erscheint ihm notwendig, sich zu steigern, sich in Szene zu setzen, sich geheimnisvoll zu machen, sich zu kommentieren und sich selbst als Idee vor das Werk zu setzen.
Davon hat die Zeit sich mehr und mehr täuschen lassen und sich gewöhnt, Persönliches für Sachliches zu nehmen. Gierig greift sie nach Persönlichem, wo das Sachliche fremd oder spröde ist, und sie tut es schon deshalb mit instinktiver Vorliebe, weil das Sachliche stets in irgendeiner Weise menschlich verpflichtet. Von solcher Verpflichtung will man sich jedoch, wo es angeht, freihalten; man will reden und urteilen, nicht aber durch handelndes Gefühl anteilvoll verkettet sein. Nicht umsonst sind wir überschwemmt von Mitteilungen aus dem Privatleben der Künstler. Nicht umsonst werden Briefe, Tagebücher, Aufzeichnungen, Skizzen, Fragmente der Neugier verfrüht preisgegeben. Wird der Alkoven geöffnet und die Werkstatt ausgekehrt, so mag der Wissensdurstige sicher bisweilen befriedigt, der Forscher belehrt werden, doch vorzüglich wird nur dem Hang der Gesellschaft nach Sachverschleierung gedient. Das Göttliche wird beleidigt, indem man den Menschen vergöttert. So ist z. B. der Mythos Goethe eine Beute der Persönlichkeit Goethe geworden, und Goethe selbst hat durch einen Subjektivismus, der ihm anstand und einen Teil seiner Genialität ausmachte, einen Kult des Redens über die Dinge, der Meinungsäußerung, der persönlichen Ausholung und Zwecksetzung und damit eine Armee von Literaten in die Welt gerufen, die sehr wohl Bescheid wissen über alle Probleme des Lebens, die aber sehr wenig vermögen, wo es gilt sich einzusetzen, sich hinzugeben, sich, d. h. die Meinung zu vergessen, um einer Sache zu dienen.
Der Literat als Apostel ist bis zu einem Grad Eroberer, Mensch des Willens und der Sucht, daß er sogar seinem Werk einen Willen verleiht, eine Sucht über die Kunst hinaus. Er will es gültiger haben, als es der Kunst eigen ist zu gelten, und durch die Kraft seines Künstlertums vermag er es in ungeheurer Weise so zu steigern, daß es dieses Ziel wirklich zu erreichen scheint. Hier ist eine Schwäche, die mit erstaunlicher Täuschungsmacht das Schauspiel einer Stärke bietet, um später freilich, wenn die Gewalt der Persönlichkeit dem Walten des Schicksals gewichen ist, sich wieder als Schwäche, als Irrtum zu zeigen. Nur das Göttliche, das Schöpferische hat Bestand; das Menschliche ist flüchtig, auch Vergötterung ist nur Finsternis. Haben wir es nicht erlebt, wie die Idee des Gesamtkunstwerks als bizarre Laune eines Genies in sich zusammenstürzte? Es war etwas anderes und tieferes als bizarre Laune. Es war das Mißverständnis am Mythos.
Denn es ist klar, daß der Literat als Apostel, da er keine Selbstlosigkeit besitzt, keinen Mythos aus sich schaffen kann. Auch wo er äußerlich zum Mythos greift, zu einem Mythos, der mehr Sage ist als lebendig gebliebene Bildung, und ihn durch Kunst vergegenwärtigt, wird er nur Allegorie geben, privates Leiden, persönliche Kämpfe, seine egoistischen, wenn auch großartigen Entfaltungen und Wandlungen in Umrissen, die vom Mythos nur erborgt sind. So wird auch die Menschheit bloß den spezifizierten Schmerz darin erkennen; jeder einzelne wird in diesem Schmerz doppelt allein mit sich sein, aufgereizt zu sich, verlangend nach sich, behext, berauscht, aber nicht verwandelt, nicht erlöst.
Dieselbe Herrschsucht, die den modernen großen Künstler dazu verführt, sein Werk über die Grenzen der Kunst hinauszutreiben, ihm gleichsam, nach Hamlets Worten, die Bescheidenheit der Natur zu rauben, kann den Philosophen, sofern er Literat ist, dazu überreden, sich zum Märtyrer seiner Lehre zu machen. Daß diese Lehre eine lebenverneinende ist, versteht sich nach allem Dargelegten von selbst; der Literat ist ja wesensnotwendig ein Pessimist. Nun kann der Pessimismus allerdings in einem freien System als Gestaltung auftreten, die sternhaft oder kosmisch existent ist wie ein Kunstwerk; in diesem Fall stellt eben die schöpferische Kraft des Bildners oder Architekten als lebensbejahendes Element den Ausgleich her. Wenn aber der Pessimist den Beweisantrag auf das eigene Ich stellt und durchführt, ist aus dem Symbol ein Wörtliches geworden; da ist nicht mehr der Dualismus, der den schöpferischen Menschen in die Mitte von Irdischem und Himmlischem führt, da ist die Sackgasse, das Persönliche, persönlich Endliche, und das Prinzip und Gesetz des Schaffens selbst wird verneint.
Der Literat kommt aber nicht von der Psychologie los, von der theoretischen nicht und von der angewandten nicht. Man möchte sagen, er nimmt es mit der Wahrheit zu genau, – soweit er Künstler ist, und er hütet sich, als Mensch, zu wenig vor der Verzerrung. Seine Unabhängigkeit schenkt ihm keine Freiheit, sein Ichbewußtsein entfernt ihn von der Liebe; er ist die tragische Figur der modernen Welt und, zum Apostel berufen, bricht er auf dem höchsten Gipfel seiner Persönlichkeit, seiner Einsamkeit und seines vergeblichen Gottverlangens vor dem Unerreichbaren zusammen.
Dieses Kapitel ist eigentlich ein Einschiebsel, denn in bezug auf die Frau als Literat ist nach allem bisher Ausgeführten nur noch Selbstverständliches zu sagen. Immerhin gehört das Thema zur Geistesgeschichte der Zeit, denn nie zuvor haben Frauen in solcher Zahl und mit solcher Energie schriftstellerisch, künstlerisch produzierend sich bemerkbar gemacht.
Die Frau besitzt keine schöpferische Phantasie. Das ist kein Streitsatz, sondern ein Erfahrungssatz; eine Tatsache, die einem Naturgesetz entspricht. Es ist die Aufgabe der Frau, Mutter zu werden, Leben zu empfangen, Leben zu gebären. Als Weib, als Mutter ist sie gewissermaßen an sich selbst schon ein Stück Mythos, und Gott hat es deshalb für überflüssig erachtet, sie mit einer mythosschaffenden Kraft zu begaben. Ihr Künstlertum ruht in der Liebe, ihre Idee ist die Mutterschaft, ihr Werk ist das Kind. Wenn also die Frau sich künstlerisch hingibt, so entsagt sie dadurch ihrer wahren Bestimmung, verzichtet freiwillig auf das Schöpferische und wird zum Literaten, und zwar zum Literaten schlechthin, zum Literaten ohne schöpferische Phantasie, welche ja dem Psychologen, dem Schöngeist, dem Apostel durchaus nicht mangelt; ganz im Gegenteil, können diesen doch Werke gelingen, die den Werken des schöpferischen Menschen nahezu ebenbürtig sind.
Ich verkenne nicht die Arbeit der Frau; nicht den ehrlichen Willen, nicht die Tüchtigkeit und Geschicklichkeit, nicht die Fähigkeit zur Anpassung und Ausführung, nicht die oft zutage tretende Besonderheit des Schauens, nicht den sicheren Instinkt, nicht das vollgültige Empfinden, nicht die Gabe des Traums und des poetischen Ausdrucks. Ich weiß, was geleistet worden ist; ich erinnere mich zarter Gedichte, robuster Erzählungen, anmutiger und starker Bildnisse, überzeugender Schriften; einer Fülle von respektablen Hervorbringungen. Aber sie waren mir um so respektabler, je weniger objektiv sie scheinen wollten, je weniger sie zu Gestaltungen griffen, je mehr sie einem Gefühl, einem Erlebnis, einem Unmittelbaren Stimme verliehen. Nicht Gestalt also; Stimme, das ist es, Stimme oder Stimmung, etwas, das so fern vom Mythos liegt wie ein Quellchen vom Meer.
Das Vermögen, ein Weltbild zu objektivieren, ist nur der schöpferischen Phantasie gegeben. Mit Hilfe des Fleißes, bewußter oder unbewußter Nachahmung und der Aneignung erprobter Disziplinen gelangt die Frau bisweilen zu Gebilden von scheinbarer und äußerlicher Objektivation, und ihre Lust wie ihr Talent zur Beobachtung befähigt sie, eine niedere Realität von Zuständen und Geschehnissen darzustellen, welche unterhaltend, geistig und gesellschaftlich anziehend sein und, soweit sie auf Erlebtem und Gefühltem beruhen, der Wahrheit und Glaubhaftigkeit nicht ermangeln werden. Das Metaphorische, das Elementare, das Schöpferische, die Synthese ist ihr jedoch versagt, und je mehr sie darnach strebt, je unzulänglicher müssen sich ihre Produkte erweisen; sie stehen dann in der Luft, wurzellos, ziellos und wollen durch Unruhe, Leidenschaftlichkeit und Fieberhaftigkeit ersetzen, was ihnen an Natur und Legitimität, – durch Linie und Schnörkel, Seltsamkeit und Überhäufung, was ihnen an Antlitz und Naivität fehlt.
Bisweilen fragt man sich: warum werden die Frauen zu Literaten? Ein Buch, und noch ein Buch, und noch eine Meinung und noch ein Vers und noch eine bemalte Leinwand, – darum handelt sichs doch schließlich nicht. Ein Blick, ein echtes Wort, eine Wirkung von Mensch zu Mensch, menschliches Aufmerken, Bereitschaft des Herzens können mehr, weit mehr bedeuten. Das Übel ist auch hier in einer zerklüfteten, anarchisch-gelösten Gesellschaft zu suchen, die keine lebendige Organisation hat und in der deshalb jede Fülle zur Überfülle, jeder Überfluß zur Last, jede Hemmung zu falscher Betätigung und jede Abtrennung der einzelnen Mitglieder bei unzureichender individueller Kraft und Bestimmung zur Katastrophe wird. Die Literatur gilt als ein Gewerbe wie jedes andere; das sogenannte Talent genügt zum Vorwärtskommen. Der Einfall wird überschätzt; zum Einfall gehört auch das Detail; die Detailkrämerei beginnt schon, uns geistige Verdauungsbeschwerden zu erregen; die Mache, die Gebärde, der fast von selbst arbeitende sprachliche Mechanismus; die Gewohnheit, sich meinungsmäßig zu äußern, sich einer seelischen Spannung zu entäußern, indem man sie preisgibt und in einer quasi dichterischen Form, die meist zur Schamlosigkeit kalter Psychologie führt, versteinert zur Schau stellt; die Leichtigkeit und Schnelligkeit der Mitteilung, dies alles ermuntert den einzelnen immer wieder, sich literarisch zu isolieren und sich politisch, sozial und menschlich damit abzutöten. Wenn man zur Einsicht käme, daß das sogenannte Talent in den meisten Fällen nur ein Wesen ist, das in freiwilliger Verbannung von einer Gemeinschaft lebt, der es nicht nützlich sein kann, ein Parasit und Freibeuter, wäre schon viel gewonnen, und die dreißigtausend Bücher, die jährlich in Deutschland auf den Markt strömen, würden unter dem Druck eines weiseren Urteils und einer sachlicheren Wahl auf eine notwendigere Anzahl zusammenschrumpfen, die vielleicht mehr Gehalt in sich schlösse.
Die Frau als das zur Liebe und Empfängnis bestimmte Geschöpf menschlich und geistig isoliert, in sozialer Unfruchtbarkeit und egoistischer Verpersönlichung ihres tieferen Schicksals, ihrer schönen anonymen Wirkung (wie vieles verdankt doch ihrer Teilnahme der Ruhm unserer großen Künstler), ja, ihres Lebensmythos beraubt zu sehen, gewährt ein trauriges Bild weitgreifenden Mißverständnisses. Ich spreche natürlich nicht von der Schauspielerin, der Sängerin, von rezeptiven Künsten; diese harmonieren, solange nicht ein literarischer Einschlag durch übertreibenden Ehrgeiz und individuelle Zwecksetzung stattfindet, sehr wohl mit der weiblichen Seele, mit ihrer geistigen Wandlungsfähigkeit, Anschmiegung des Gefühls und Poetisierung der Realität. Die Tänzerin, die lediglich ihren Körper zur Kunstäußerung verwendet, bietet vielleicht das edelste Bild weiblicher Genialität. Nur wo das Schöpferische vorgetäuscht wird, zeigt sich die Frau (mit Ausnahme von zwei oder drei Fällen innerhalb der ganzen Geistesgeschichte) sogleich als Literat schlechthin. Die Natur läßt sich nicht betrügen; auch die Menschheit nicht; nur die Menschen lassen sich betrügen. Sie tun, als glaubten sie, auch wo ihr Inneres unbeteiligt ist; sie nehmen das Wunderliche für das Wunder, den Notbehelf für das Notwendige, das Phantom für das Phänomen. Die Frau als Literat braucht sich nicht mehr zu verraten; es ist nichts zu verraten; es ist alles von einfachster Aufrichtigkeit, Geradlinigkeit und Durchschaubarkeit. Wir erblicken einen tüchtigen, emsigen, klugen und nachdenklichen Arbeiter, dem weder Wort, noch Rhythmus, noch Idee zur Maske werden können und der den Schmerz der Einsamkeit nur gemütisch ahnt, nicht geistig steigert und auflöst; keine tragische, sondern nur eine charakterisierte und zufällige Gestalt.
Der Literat ist der vom Mythos losgelöste produktive Mensch.
Er ist auch der von der Gesellschaft losgelöste Mensch, der einzelne, innerhalb eines nur durch äußere Gesetze verkitteten Gemeinwesens.
So wie er aber ohne das Vorbild des schöpferischen Menschen nicht zu denken ist, bleibt er auch in seinem Tun und Lassen, durch sein Persönlichkeitsbestreben, durch die Notwendigkeit der Spiegelung, durch das Element des Ehrgeizes und durch das Element des Verrats der Gesellschaft verbunden.
Der Literat ist vergeßlich. Er ist lieblos, weil er allzusehr in sich selbst verstrickt ist. Er anerkennt keine Konvention, weil nur seine eigene Person ihm den Maßstab für die Welt und die Dinge gibt. Dieser Mangel an Konvention verführt ihn zu einer künstlichen Originalität mit Hilfe der seltenen Beobachtung, des seltenen Wortes, des seltenen Rhythmus.
Der Literat ist eitel und sehnsüchtig, eitel selbst, wo er sich bloßstellt, und sehnsüchtig am meisten dort, wo er sich verliert. Er ist friedlos, immer nach Veränderung begierig, versteht aber nicht zu wandern. Sein Verhältnis zu Menschen ist selten dauernd; er stellt die höchsten Ansprüche von seiner Seite, ohne die billigsten von der andern Seite zu befriedigen.
Er kontrolliert seine eigenen Handlungen, Gedanken und Gefühle sehr scharf, ja grausam. Es mangelt ihm an jener Ehrfurcht vor sich selbst, die den schöpferischen Menschen auszeichnet. Weil er so unbarmherzig und rücksichtslos gegen sich selbst ist, glaubt er es auch gegen andere sein zu dürfen, aber er vergißt, daß jenes Wüten gegen die eigene Seele nur ein Vorwand zum Verrat ist, nicht aber ein Mittel zur Reinigung, Steigerung und Befreiung. Selbstbeobachtung, Selbstzerfaserung ist ein Unglück, wie es größer kaum zu denken ist; alle ursprüngliche Kraft des Glaubens, alle Fähigkeit zur sittlichen Erhebung, zur Umwandlung, geht daran zugrunde. Auch der religiöse oder der schöpferische Mensch beobachtet sich selbst, aber er wird sich dabei zum Gleichnis; durch diese Gleichniswerdung kann er sich korrigieren und bescheiden.
Nicht ohne tiefen Grund findet sich eine so große Zahl von Literaten unter den Juden. In der Existenz des Juden gibt sich die schärfste Gegensätzlichkeit geistiger und seelischer Eigenschaften kund. Er ist entweder der gottloseste oder der gotterfüllteste aller Menschen; er ist entweder wahrhaft sozial, sei es in veralteten, leblosen Formen, sei es in neuen, utopischen, das Alte zerstörenden, oder er will in anarchischer Einsamkeit nur sich selber suchen. Entweder ist er ein Fanatiker oder ein Gleichgültiger, entweder ein Söldner oder ein Prophet. Das Schicksal der Nation, ihre Vereinzelung unter fremden Nationen, ihre ungeheuren wirtschaftlichen und geistigen Anstrengungen im Kampf gegen die widrigsten Umstände, der fortwährende Zustand der Abwehr, der Selbstbehauptung, das plötzliche Erwachen am Morgen eines Kulturtags, das leidenschaftliche Ergreifen der Hilfsmittel und Waffen dieser Kultur und die darauf erfolgte gewaltsame Unterdrückung und Zerschneidung der Tradition, all das hat die Juden als ganzes Volk zu einer Art von Literatenrolle vorbestimmt. Wo sich hingegen der einzelne wieder des großen Zusammenhangs bewußt wird, wo er im Schoß der Geschichte, der Überlieferung ruht, wo urewige Symbole ihn tragen, urewige Blutströme ihm Adelsbewußtsein verleihen und zugleich alles Errungene und Erworbene organisch damit verschmilzt, da mag er wohl den Weg zu Göttlichem leichter als andere finden. Der Jude als Europäer, als Kosmopolit ist ein Literat; der Jude als Orientale, nicht im ethnographischen, sondern im mythischen Sinne, als welcher die verwandelnde Kraft zur Gegenwart schon zur Bedingung macht, kann Schöpfer sein.
Alle Berufe und alle Stände haben ihre Literaten. Man kann den Satz aufstellen: Jeder Fachmann ist ein Literat, jeder Laie trägt noch etwas von Mythos in sich. Denn alles Fachwesen und Spezialistentum ist nur ein Merkmal des großen Individualisierungsprozesses der Zeit. Vertiefung zwingt zur Absonderung, die Fülle zur Arbeitsteilung. Das ist gut und unerläßlich. Nun ereignet sich aber das Seltsame, daß gerade bei dieser, die Selbstbescheidung gebieterisch fordernden Tätigkeit der einzelne die argwöhnische Wachsamkeit des Psychologen, die Herrschsucht des Tribuns bekundet, daß er sich von allem, was nicht sein Fach betrifft, in trotziger und gleichgültiger Entfernung hält und ein Leben außerhalb des Fachs oft kaum mehr kennt. Der Literat ist der geborene Zünftler.
Laien geben einem Literaten bisweilen den Rat, er möge, um in seinem Erwerb nicht ausschließlich auf die Kunst angewiesen zu sein, daneben ein Amt oder einen Brotberuf wählen. Das ist geradeso, als wollte man einen ärztlichen Spezialisten dazu überreden, nebenbei die Tischlerei zu betreiben, weil er zu wenig Patienten hat. Mit Recht würde er antworten: Mein Fach fordert den Menschen ganz und gar, meine ganze Zeit, meine ganze Anstrengung und alle Gedanken. Der Literat ist eben nur Literat, er kann nichts anderes sein. Der Vorschlag des Laien ist freilich in jedem Sinne töricht. Amt und Brotberuf taugen bloß dem Dilettanten; je innerlicher sein Verhältnis zur Kunst ist, je mehr muß er unter abziehender Beschäftigung leiden. Dem schöpferischen Menschen wird sie vollends zur Qual; auch ihn fordert seine Sache ganz, wenn schon in anderer Weise, nicht weil er Literat ist, der erobern will und muß, sondern weil er Mensch ist, weil Mythos und Menschheit von ihm verlangen, daß er sich unbedingt und ohne Vorbehalt hingebe. Erwerb oder Nichterwerb irdischer Güter kommt dabei in höherem Betracht nicht mehr in Frage; schlimm genug, wenn es in niederem Betracht zu erwägen ist.
Indessen gehört die nackte und aufrichtige Gegenüberstellung der ökonomischen und der geistigen Mächte zum Bild unserer Epoche. Kapital will Leistung; Leistung will Nutznießung, Arbeitskraft und Lebensgefühl steigern sich wechselseitig; Erfolg, Bestätigung und Lohn sind dem einzelnen rascher und reichlicher zugemessen als je, und wenn auch der Lockung oft nur gefolgt wird, weil eine Erfüllung so nahe scheint, der Ruf nur deshalb so viele Hörer findet, weil in ihm die Befriedigung ausschweifender Ansprüche verheißen wird, so kann doch kaum eine Prämie ausbezahlt werden ohne den vollen, ja leidenschaftlichen Einsatz von Tüchtigkeit und Intensität.
Diese Leidenschaft, dieser Schwung, der unermüdliche Wetteifer, sie sind vielleicht Zeichen für die Heraufkunft einer größeren Zeit; schüchterne Zeichen, weil sie noch ganz am Persönlichen und Egoistischen haften. Aber wie Eisenteile im Feuer des Hochofens zusammengeschmolzen werden, so kann die Zerstücktheit und die Zersplitterung einer individualistischen Gesellschaft durch einen alle Glieder ergreifenden, stetigen Strom von Leidenschaft, gleichviel wo er entspringt, zu organischer Einheit verwandelt werden. Leidenschaft ist ja die erste und letzte Lebensgewalt; in ihr vereinen sich Element und Wille; sie kann eine unproduktive Ordnung zum Chaos führen, aber aus dem Chaos wieder eine neue Welt erzeugen, Sammlung aus der Diaspora. Dann mag sich ein Weg auftun zum Mythos und zu Gott.
DER JUNGE:
Es ist wohl über ein Jahr her, daß wir uns nicht gesehen haben. Seit meine Freundin gestorben ist, bin ich kaum mehr unter Menschen gekommen, und ich verlasse mein Zimmer nur zu einsamen Spaziergängen. Mein einziges Vergnügen sind die Bücher und das Nachdenken über den Eindruck, den sie mir gemacht haben. Ich glaube, wenn ich jetzt wieder die Feder in die Hand nähme, so könnte ich etwas Tüchtiges leisten.
DER ALTE:
Und wozu treibt es dich denn? Ein Künstler darf nicht wie ein Jäger sein, der, unbekümmert was ihm vor den Schuß kommen mag, durchs Gelände streift, sondern er muß wie ein Seemann sein, der den inneren Sinn, das innere Auge unablässig auf ein vielleicht nicht sichtbares, doch tief bewußtes Ziel richtet. Also wozu treibt es dich? Wozu glaubst du dich geboren? Welche Insel des Geistes willst du dir entdecken?
DER JUNGE:
Ich fühle zu nichts anderem Lust und Freude als Geschichten zu erzählen. In den Stunden der Einsamkeit und der Sammlung ist es mir, als ob mein Inneres bis zum Rand angefüllt wäre mit Ereignissen und Schicksalen. Oft ist mir zu Mut, als müsse der ganze Lauf der Welt, von Adams Zeiten an, sich mir in einer besonderen Weise enthüllen, und ich spüre das unbezwingliche Verlangen, wie soll ich es nur sagen?... zu erzählen, zu erzählen.
DER ALTE:
Das ist schön, prächtig sogar. Wenn du dieses Verlangen wirklich hast und es nicht darin mißverstehst, wie du es befolgst, dann wärest du allerdings dazu geboren zu erzählen.
DER JUNGE:
Wie sollte ich es mißverstehen? Warum zweifelst du? Was gibt es denn Einfacheres?
DER ALTE:
Daß es keineswegs einfach ist, keineswegs selbstverständlich, könnte dich schon ein Blick auf die heutigen Erzeugnisse dieser Kunst lehren. Die Meisten wissen ja gar nicht mehr, was es heißt: eine Geschichte erzählen, und selbst die Begabtesten bringen lauter Zwitter- und Mißformen hervor.
DER JUNGE:
Du bist sehr streng wie immer. Ich glaube nicht, daß du recht hast. Niemals war so viel im Werk wie gerade jetzt. Auf allen Seiten wird es Tag.
DER ALTE:
Der ewige Irrtum der Jugend.
Dann muß ich fürchten, daß du auch, was ich selbst bisher geschaffen, verwerfen wirst.
DER ALTE:
Darauf könnte ich erst antworten, wenn ich wüßte, wie es mit dir steht und ob dich nichts anderes erfüllt als die Liebe zur Sache, ob dein Geist nichts anderes erstrebt als die Vollendung in ihr, ob dir vor der Wahrheit bangt oder ob leichtsinniges Lob dich nicht schon für immer geblendet hat. Wenn du Angst vor einer bitteren Stunde hast, dann verbirg es nicht, ich schweige gern. Du besinnst dich?
DER JUNGE:
Hältst du denn dein Urteil für unumstößlich, für das einzig mögliche? Kann es nicht auf Täuschung, auf Unmilde, auf Eigensinn beruhen?
DER ALTE:
Ich will es dir zu begründen suchen, und wenn du meine Argumente entkräften kannst, werde ich mich zufrieden geben.
DER JUNGE:
Also sprich.
DER ALTE:
Es gibt dreierlei Arten von Schriftstellern: solche, die einen eigenen Stil haben und ihn zur höchsten Vollkommenheit auszubilden vermögen; solche, die einen eigenen Stil suchen, und endlich solche, die einen Allerweltsstil vorfinden und sich zu ihm verhalten wie die Gäste eines Wirtshauses zu den Tischen und Krügen und Stühlen; sie können niemals zum Herrn ihres Wortes, ihrer Gedanken, ihrer Phrase werden, das glühendste Erlebnis muß ihnen erstarren, erhabene Stimmungen werden trivial, jede Inspiration wird Absicht, jede Beeinflussung von außen Nachahmung, alles, was kräftig ist, brutal, und was fein ist, schwächlich. Aber von diesen Schriftstellern, die die Marktware für den großen Haufen besorgen, wollen wir nicht sprechen. Du gehörst zur zweiten Art.
DER JUNGE:
Das wäre ja weiter nicht schlimm. Suchende sind wir alle. Ja, man kann sagen, daß der allergrößte Meister bis zu seinem Todestage nicht aufgehört hat zu suchen. Warum lächelst du?
DER ALTE:
Weil ich an dieser Bemerkung sehe, wie wenig du mich noch verstanden hast. Wenn die großen Meister suchen, so wollen sie den Einklang schaffen zwischen Stoff und Form. Sie wissen, daß es ohne solche Harmonie überhaupt kein Kunstwerk gibt. Und weil sie das wissen und auf diesem Wege zur Vollkommenheit streben und sich wohl hüten werden, die Fülle ihrer Mittel an den falschen Gegenstand oder am falschen Ort zu verschwenden, so wird immer etwas entstehen, was der Kunst und ihrer eigenen Schöpferpersönlichkeit gemäß ist. Sie suchen mit sehenden Augen, ihr aber sucht als Blinde; sie gehen den geraden Weg und kommen an ein Ziel, wenn auch nicht immer an das gewünschte; ihr aber taumelt im Kreise herum. Die Suchenden, die nicht um das Wesen wissen, sind zum Untergang verurteilt.
DER JUNGE:
Du machst mich wahrhaft unruhig. Ich könnte dich hassen, wenn ich nicht wüßte, wie ernst du es meinst. Ich ahne, wo du hinaus willst. So rede doch endlich von mir.
DER ALTE:
Gut. Zwei Dinge, ein scheinbar äußeres und ein scheinbar inneres, habe ich zunächst an deinen Arbeiten auszusetzen: nämlich daß sie den Leser nicht mit Behaglichkeit erfüllen und daß es dem Stoff selbst an Daseinsnotwendigkeit gebricht. Beides hängt aber inniger zusammen, als du glaubst; das werde ich dir bald beweisen.
DER JUNGE:
Was meinst du mit Behaglichkeit? Das Gegenteil bezwecken wir doch, wenn wir Dichtungen ersinnen: Erregung, Spannung, Teilnahme, Erschütterung. Ich glaube, du treibst deinen Spaß mit mir.
DER ALTE:
Geduld. Ich verstehe die Behaglichkeit hier in einem höheren, künstlerischen Sinn. Ich verstehe darunter das unbegrenzte Vertrauen des idealen Lesers zum Erzähler. Dieses Vertrauen entsteht durch Glaubwürdigkeit, und die Glaubwürdigkeit nun entsteht aus der Notwendigkeit des erzählten Gegenstandes. Du siehst nun, wie fest der Zusammenhang zwischen den beiden Dingen ist, und noch untrennbarer wird er für das Auge und für das Gefühl durch das, was der Laie, der Dilettant, der Durchschnittskritiker die Technik nennt: durch die Art des Erzählens; auch sie ist nur ein scheinbar Äußerliches, denn in Wirklichkeit ist sie die Seele der epischen Kunst.
DER JUNGE:
Das wird zu weit und breit. Du wolltest doch von meinen Arbeiten reden.
DER ALTE:
Ich sage nun, daß deinen Produkten die Behaglichkeit fehlt, weil du nicht die Mittel und das Wissen hast, sie hervorzubringen. Was du schreibst, trägt unverkennbar den Stempel des direkten und indirekten Erlebnisses, aber diese Erlebnisse sind nicht künstlerisch verklärt und erhöht und bleiben daher ohne poetische Wirkungen. Du hast eine starke und natürliche Empfindung, die aber nur selten in ihrer Reinheit wirkt, weil sich der Stoff nicht ganz in ihr aufzulösen vermag. Merkst du nun, wo es hinaus will, merkst du, wie alles Innerliche zugleich ein Äußerliches ist und umgekehrt?
DER JUNGE:
Ich merke nichts als Pedanterie und höre nichts als Worte. Wenn eine Kunstform nicht ausreicht für das, was ich zu sagen habe, nun dann erweitere man mir diese Form. Wo stehen diese gelehrten Gesetze geschrieben, denen ich mich fügen soll? Wer hat sie gemacht, und wie käme ich dazu, mich vor ihnen zu beugen?
DER ALTE:
Wo sie geschrieben stehen? Im menschlichen Gefühl. Wer sie gemacht hat? Das menschliche Gefühl. Warum du dich ihnen beugen sollst? Weil du sonst nicht wirken wirst, weil dein Wort und dein Werk sonst von flüchtigerem Bestand sind als ein Stück Eis in der Mittagssonne. Man hat nämlich im Lauf der Jahrhunderte, der Jahrtausende herausgefunden, was die Menschheit ergreift, tröstet und erfreut, was aus ihren Tiefen stammt und zu ihren Tiefen strebt. Die es befolgten und solche hohe Wirkungen erreichten, nicht blind, sondern durch klarstes Wissen, das waren die Meister. Wer der Belehrung trotzt, kann nicht einmal Schüler werden.
DER JUNGE:
Also belehre mich.
DER ALTE:
Ich sagte vorhin, daß die Elemente sich in dir nicht mischen wollen; Stoff und Empfindung bleiben feindlich und unaufgelöst einander gegenüber. Die Folge davon ist eine immerwährende und überall ersichtliche Dissonanz. Du erzählst eigentlich nicht Ereignisse, sondern du schilderst Situationen. Gerade das erscheint dir wichtig, was bei der Erzählung unwichtig ist und sein muß. Du hüpfest von Situation zu Situation, das Dazwischenliegende ist dir ein Notbehelf, wird zum gezwungenen Bericht und enttäuscht durch seine Nüchternheit. Da du dies Schwanken als Schaffender selbst sehr deutlich empfindest, drängt es dich, Ausgleiche zu bringen, und du mußt zu pathetisch-lyrischen Schilderungen greifen, in denen die Handlung um keinen Schritt weiter kommt. Denn daran liegt es, wohlgemerkt: Bewegung ist alles, alle Kunst entsteht durch Bewegung. Damit hängt nun aufs Engste die Gestaltung deiner Menschen zusammen. Deine Gestalten haben keine Ruhepunkte. Sie sind geschickt und glaubhaft gezeichnet, soweit und solange sie mit der Handlung verknüpft sind, aber davon losgelöst und als Eigenlebende betrachtet, werden sie matt und hölzern. Sie wissen zu genau, was sie sollen, nicht in ihrer Welt, sondern in deiner Welt. Es fehlt die höhere Täuschungsabsicht und Täuschungsmacht. Eine Figur muß leben trotz der Handlung, nicht durch die Handlung. Woher käme es sonst, daß bei allen mittelmäßigen Schriftstellern gerade die Figuren am glaubhaftesten sind, die am wenigsten mit der Handlung und ihren Spannungen verquickt sind, die sogenannten Episodenfiguren? Nur sie verbreiten Behaglichkeit, das heißt Glaubwürdigkeit, weil sie scheinbar keinen Zweck verfolgen. Wenn man also sagen kann, Kunst entstehe durch Bewegung, so muß man hinzufügen, sie wirke durch die scheinbare Zwecklosigkeit der Bewegung.
DER JUNGE:
Ich habe Zweifel über Zweifel. Hundert Fragen drängen sich mir auf, denn ich sehe schon, wie tief du greifst. Und mir dämmert manches, von dem ich früher nichts ahnen konnte. Aber laß mich fragen. Du sagtest, daß ich nicht Ereignisse erzähle, sondern Situationen schildere, und ich muß gestehen, dabei verwirren sich mir die Begriffe. Ist es nicht bloß ein Wortspiel? Welcher Unterschied scheint dir denn zwischen Erzählung und Schilderung zu bestehen? Ich meine, inwiefern die Wirkung eines Werkes dadurch beeinträchtigt wird. Sind das nicht schulmäßige Begrenzungen?
DER ALTE:
Nehmen wir einmal an, du habest eine schwierige und gefahrvolle Reise hinter dir, habest lebensgefährliche Abenteuer bestanden, habest jahrelang als verschollen und verloren gegolten und seiest nun doch zurückgekehrt. Alles ist gespannt zu hören, wie du das bewerkstelligt hast und wie es dir ergangen ist. Du setzest dich in den Kreis der Neugierigen und Teilnehmenden und erzählst, beginnst mit der Fahrt übers Meer, der Aufzählung deiner Gefährten und kurzer Andeutung ihrer Art und ihrer bisherigen Schicksale, fährst fort mit der Landung, dem Aufbruch in die unbekannten Gebiete usw., usw. Wäre es nun angebracht, das Interesse der Zuhörer durch Beschreibungen von Landschaften, von Tieren, von Pflanzen zu ermüden? Wenn du dies tätest, würde in ihnen ein leises Mißtrauen gegen den Ernst und die Schwere deiner überstandenen Schicksale entstehen. Sie wollen wissen, wie es dir ergangen ist, nichts weiter, und je einfacher und sachlicher du bist, je glaubhafter werden deine Erlebnisse klingen. Nicht mit einem Wort brauchst du zu schildern. Das Bild der Landschaft und des Landes wird ganz von selbst in der Phantasie entstehen; je weniger du davon sprichst, je stärker wird die Phantasie der Hörer es erblicken und zwar durch dein Erlebnis selbst. Unwillkürlich gehen sie deinen Weg mit und sehen sie mit deinen Augen. Es kommt ganz und gar nicht darauf an, daß das Bild der Wirklichkeit entspricht, das sie sich davon machen, es handelt sich nur darum, daß durch ihre seelische Bewegung ein Bild entsteht. Diese seelische Bewegung bildet sich nun wieder durch die Bewegung der künstlerischen Materie, und so siehst du abermals, wie Äußeres und Inneres verschmolzen sind und sich verschmelzen müssen.
DER JUNGE:
Das Beispiel leuchtet mir ein. Es leuchtet mir ein, daß das Abschweifen von einer Sache, die man sich vorgesetzt hat, in der Kunst ebenso unwahrhaftig wirkt wie im Leben, und ich verstehe auch, daß man das Vertrauen des Lesers auf diese Weise verlieren kann. Aber du sagtest etwas von Verklärung und Erhöhung und poetischer Wirkung des Stoffes. Das alles scheint mir nun überflüssig, sobald einmal die Wahrheit, die Wahrhaftigkeit außer Zweifel steht.
DER ALTE:
Gewiß, wenn es ein und dasselbe wäre, mündlich zu erzählen oder schriftlich. Dazwischen liegt ein so tiefer Abgrund, daß ihn nicht Geist, nicht Wissen, nicht Wahrhaftigkeit zu überbrücken vermögen, sondern lediglich künstlerische Genialität. Es ist der Abgrund zwischen Wesen und Schein, zwischen dem Spiegel und der Person, die davorsteht, zwischen Leben und Erinnerung, zwischen der Minute und der Ewigkeit. Deine lebendigen Zuhörer sehen dich, sie sehen dich ergriffen, begeistert, bedrückt, das lebendig gesprochene Wort hat eine ganz unabweisbare Zeugniskraft durch sich selbst. Wenn du dieselbe wahre und erschütternde Erzählung deiner Reise mit denselben Worten deines mündlichen Berichtes niederschreibst, kann sie abgeschmackt, verlogen und sozusagen grundlos klingen. Es ist also wieder das scheinbar Äußerlichste, das die Kunstwirkung hervorbringt: der Stil. Um dieselbe Einfachheit, die der Hörer ohne dein besonderes Hinzutun spürt, sofern du nur eine einfache und wahre Natur bist, dem Leser eines Buches glaubhaft zu machen, dazu gehört ein halbes Leben unablässiger Versuche, aufreibender Mühe, qualvollsten Ringens. Im Leben ist das Selbstverständliche, oder wenden wir ein Fachwort an, das Naive eine Voraussetzung, in der Kunst ist es eine letzte Konsequenz, ein Gipfel.
DER JUNGE:
Die Aufgabe besteht also darin, den Anschein des Selbstverständlichen zu erreichen, innerhalb der Kunst ein Gebilde zu schaffen, das die Züge der Natur trägt. Darüber bin ich mir klar. Doch hat jedes Individuum seine besondere Naivetät, jedes »Selbst« seine eigene Selbstverständlichkeit. Gäbe es dennoch gewisse Gesetze, an die unbewußt alle gebunden sind, Schöpfer wie Genießende?
DER ALTE:
Wollen wir einmal vom Engsten ausgehen, um ins Weite zu gelangen. Wer sprachliches Gefühl und ein aufmerksames Ohr besitzt, wird wissen oder unbewußt schon früh empfunden haben, daß die vorzüglichste Schönheit unserer Sprache in ihrem Vermögen liegt, eine organisch gegliederte, gleichsam lebende Periode zu bilden. Der Gedanke, die Vorstellung entsteht und kommt zur Erscheinung durch Hauptwort und Zeitwort; das Beiwort tritt heran, um zu verdeutlichen oder zu schmücken, eine zweite Vorstellung oder Handlung will die erste begründen und weiterführen, und der Nebensatz ist geboren, an dem sich dieselben Erscheinungen vollziehen wie im Hauptsatz, nur abgetönt, verkleinert, gemildert. Darin liegt der Rhythmus der Prosa: das An- und Abschwellen des Tones und der Betonung, die gegenseitige Beziehung von Sätzen und Satzteilen untereinander, die freie und eigenbewegliche Anpassung, die Fülle des Ausdrucks bei größter Sparsamkeit mit dem Wort. Die eigentümlichste Kraft der deutschen Sprache ruht im Zeitwort; dieses auszubilden, zu formen, gewissermaßen zu isolieren, kennzeichnet den guten Prosaisten, während der mittelmäßige sich mehr auf das schmückende Beiwort verlegt, – ganz natürlich. Prüfe doch den Stil unserer guten Erzähler auf diesen Umstand hin: wie das flutet und in majestätischer Ruhe hinfließt, immer bewegt und immer gegen ein erreichenswertes Ziel bewegt. Das Beiwort wirkt erstarrend und ist nur mit Vorsicht zu gebrauchen, und nur die anschauende Phantasie kann es an den rechten Platz stellen; das Verbum belebt und ist das eigentlich motorische Element im Satzbau. Es ist stets interessant, den guten Erzählerstil lediglich auf seinen sprachmelodischen Gehalt hin zu prüfen, sich zu überzeugen, wie die Periode der Atmung entspricht, wie sinnvoll gegliedert Satz und Nebensatz auftreten, und wie der Gesang abläuft, wenn der Absatz zu Ende ist. Eigentlich müßte man ein gutes Prosabuch schon an der typographischen Anordnung erkennen, die sozusagen seine Fassade vorstellt. Dazu kommt nun beim epischen Künstler das geistige Erlebnis des Bildes und die seltsame Empfindung für die plastische Nähe des Wortes, die ihn vor Verflachung seines Ausdrucks bewahrt. Denn wie könnte sonst eine Schriftsprache jahrhundertelang gesund und triebfähig bleiben? Die Auserlesenheit der Wendungen tut es nicht, Geschmack und Formensinn allein sind ebenfalls nicht zeugungskräftig, – nur das Mitleben mit dem Wort als einem Organismus bewahrt die Sprache der Epik vor dem Verwelken und Absterben. Das begreiflich zu machen, ist schwer, wenn du es nicht fühlst.
DER JUNGE:
Ich fühle es. Ich fühlte es oft, wenn ich Gottfried Keller las. Ein ganz gewöhnliches Wort, das in unserer Umgangssprache so platt klang und so tot aussah wie eine abgegriffene Münze, stand plötzlich da wie in einen Zaubermantel gehüllt, fremd und neu.
DER ALTE:
Und doch sind die meisten unter unsern jungen Dichtern Wortsucher, aber was schlimmer ist, sie verstehen auch nicht in großem Atem zu erzählen. Ich leugne nicht die Berechtigung des Schriftstellers, seine Sätze auseinander zu haken und sie im stürmischen Tempo aufmarschieren zu lassen, wenn ihn die Situation und seine Natur dazu auffordern. Aber so wenig ein Mensch lange Zeit hindurch im Zustand der Atemlosigkeit verweilen kann, so wenig verträgt dies ein Buch, ohne daß es Unbehagen und Widerwillen erregt. Ich habe Bücher in der Hand gehabt, in denen lauter enge und engbrüstige Sätzchen nebeneinander standen, stumpf und traurig wie Soldaten bei der Parade. Einzelne Satzglieder schwammen wie abgeschnittene Hände und Füße in einer Brühe überflüssiger Interpunktionen, und jeder Rhythmus war zerfetzt, weil eine anständige Mittelmäßigkeit des Schreibens weniger geachtet wird als ein gequälter Unsinn, oder weil das Gefühl erweckt werden sollte, der Verfasser sei tief ergriffen gewesen von dem, was er geschrieben. Von dem Verfasser wird gar keine Ergriffenheit verlangt; Gott hat nicht jedem Baum und jedem Berg einen Zettel umgehängt, auf dem zu lesen steht: wie schön, wie gewaltig, wie charakteristisch bin ich. Gott ist bescheiden, er ist unsichtbar in seiner Welt versteckt, und mit den großen Künstlern ist es ebenso. Vom Erzähler wird Unsichtbarkeit verlangt, von dem, was er erzählt, höchste Sichtbarkeit.
DER JUNGE:
Dagegen ist nichts einzuwenden. Es ist aber keineswegs zu leugnen, daß etwa in einem dickbändigen Roman die strenge Form der Erzählung schwer, wenn nicht unmöglich festzuhalten ist. Ein solches Buch müßte durch seine Eintönigkeit langweilen, glaube ich, und man kann dem Autor nicht Unrecht geben, wenn er dies Schicksal durch dramatische Gespräche und aufregende Schilderungen von seinem Buche abzuwenden sucht.
DER ALTE:
Das ist ein Thema für sich. Man kann von einem Kochbuch nicht verlangen, daß es wissenschaftliche Aufgaben löst. Wenn es einem Dichter zu schwer fällt, ein Kunstwerk zu schaffen, so begnüge er sich mit dem Machwerk, aber er soll dann nicht beanspruchen, ein Künstler genannt zu werden. Müssen denn die dickbändigen Ungeheuer geschrieben werden, von denen du sprichst? Und wenn sie geschrieben werden müssen, bin ich etwa verpflichtet, mich mit ihnen zu beschäftigen? Wollten wir unsere Erörterungen in diesen niedern Kreis stellen, was wäre da nicht alles zu sagen, worüber zu klagen: über die Frauenschreiberei, das Zeitungswesen, die elenden Übersetzungen aus andern Sprachen usw. Doch wir wollen das künstlerischste aller Gesetze auch auf unsere Unterhaltung anwenden und bei der Sache bleiben.
DER JUNGE:
Du hast recht. Dennoch gibt es Mischprodukte, die man nicht verwerfen darf und die eine tiefere Wirkung und ein gewaltigeres Entstehungsmotiv haben als die reinen Kunstwerke. Das darf man nicht vergessen.
DER ALTE:
Ich halte das für einen Irrtum. Diejenigen Werke der Kunst, die an Wirkung und Dauer hinter den Erzeugnissen zurückstehen, die du erwähnst, sind eben dann nicht wahrhaft lebendig, und ihr Untergang ist nur eine Frage der Zeit.
DER JUNGE:
Alles, alles ist dem Untergang geweiht. Selbst Homer und Shakespeare.
Eine törichte Phrase. Sie werden untergehen, wenn der Erdball versinkt und das Licht sich in Finsternis verwandelt. Sie gehören eben der Menschheit an, und von einer Unsterblichkeit über die Menschheit hinaus zu reden, hat keinen Sinn.
DER JUNGE:
Folgendes ist mir nicht ganz klar. Es handelt sich doch bei der Erzählung um das Darstellen eines Vorganges und innerhalb des Vorganges wieder um das Ausmalen einzelner Bilder oder Situationen, denn ohne solche Bilder würde ich doch mehr Geschichtsschreibung treiben als Kunst. Wie bringe ich nun die Situation, ohne gegen das Gesetz des epischen Weiterströmens zu verstoßen? Mit einem Wort, wie kann ich erzählerisch und plastisch zugleich sein?
DER ALTE:
Zur Beantwortung dieser Frage will ich dir eine Stelle aus Wilhelm Meisters Lehrjahren vorlesen. Es heißt da: »Zwei bis drei Häuser standen in vollen Flammen. In den Garten hatte sich niemand retten können wegen des Brandes im Gartengewölbe. Wilhelm war verlegen wegen seiner Freunde, weniger wegen seiner Sachen. Er getraute sich nicht, die Kinder zu verlassen, und sah das Unglück sich immer vergrößern. Er brachte einige Stunden in einer bänglichen Lage zu. Felix war auf seinem Schoße eingeschlafen, Mignon lag neben ihm und hielt seine Hand fest. Endlich hatten die getroffenen Anstalten dem Feuer Einhalt getan. Die ausgebrannten Gebäude stürzten zusammen, der Morgen kam herbei, die Kinder fingen an zu frieren, und ihm selbst ward in seiner leichten Kleidung der fallende Tau fast unerträglich. Er führte sie zu den Trümmern des zusammengestürzten Gebäudes, und sie fanden neben einem Kohlen- und Aschenhaufen eine sehr behagliche Wärme. Der anbrechende Tag brachte nun alle Freunde und Bekannte nach und nach zusammen, usw.« Du siehst hier deutlich, wie keusch und zurückhaltend das außerordentliche Ereignis in der allgemeinen erzählerischen Stimmung sich auflöst. Ruhig schließt sich an die sparsame Ausmalung der überaus schönen Situation von den am Aschenhaufen liegenden Personen der neue Vorgang, und im Satzgefüge herrscht nicht die mindeste Erregtheit. Vergleiche damit einmal die Darstellung einer Feuersbrunst bei Zola; Einzelheit drängt sich an Einzelheit. Die ungeheure Flut der Einzelheiten vernichtet das Bild und überschwemmt die Phantasie. Aus fünfzig Seiten eines Schilderers macht der Epiker zehn Zeilen. Der erzählende Stil beruht keineswegs auf der Ausmalung der Situationen, sondern er ruft die Situation nur zu höherem Zweck hervor, um sie in vollkommener Ruhe vorübergleiten zu lassen. Geradezu musterhaft ist darin Kleist, der vielleicht das größte erzählerische Genie ist, das wir besitzen. Wie im Volksmärchen, mit einer erhabenen Knappheit erzeugt er Bewegung um Bewegung. Nur dadurch entsteht zugleich die Lebendigkeit der Periode, es wird ihr das Papierene genommen, das sie auch beim vollendetsten Schilderer hat; sie besitzt plötzlich innere Kraft, das Blut des atmenden Geschöpfes, und wie das Werk im Ganzen, ist sie für sich allein ein Organismus mit Fleisch und Seele. Der Baum setzt sich aus winzigen Zellen zusammen; die Gesundheit seiner Früchte hängt ab von der Gesundheit jener unscheinbaren Gewebe. Die Breite und Fülle der Periode bedingt die Breite und Fülle des Ganzen; nicht Abenteuerlichkeit der Vorgänge, nicht Weitspurigkeit der Anlage, nicht die ausgesuchteste psychologische Tüftelei, keine Neuartigkeit des Themas, keine äußere Spannung, nicht Geist, nicht Witz, nicht philosophische Tiefe kann ein Werk, dem jene Eigenschaften wahrer epischer Breite und Ruhe mangeln, zum Rang eines Kunstwerkes erheben.
DER JUNGE:
Jetzt ist es auf einmal wieder die Ruhe. Wir haben doch festgestellt, daß es die Bewegung ist, die der Kunst das Leben gibt, wir haben es sehr schön gefunden, daß die Zwecklosigkeit der Bewegung den Kunsteindruck hervorbringt, nun soll auf einmal die Ruhe das Allesbedingende sein. Das ist sinnverwirrend. Ruhe? Das wäre ja gleichbedeutend mit Kälte, das hieße ja, das ganze Wesen des Dichters verkennen, dem Artistentum das Wort reden.
Beschwichtige deinen Eifer, du wirst gleich sehen, wie unbedacht er ist. Die erzählende Kunst stellt Vergangenes dar. Es handelt sich um ein Gelebt-Haben, Gesehen-Haben, Geschehen-Sein. Während das Drama auf der Gegenwärtigkeit der Geschehnisse, der Leidenschaften beruht, ist das Epos oder die Novelle ein Zurückgewandtes, Zurückschauendes, – ganz natürlich, und so ist es durch seine Form zu einer größeren Ruhe und Gemessenheit verurteilt, denn seine Wiedergabe setzt doch einen Betrachter voraus, einen Beobachter, einen Urteilenden, Zusammenfasser. Während das Drama ein scheinbar freistehendes, isoliertes Eigen-Produkt ist, weist die Erzählung beständig und auf jeder Zeile auf den Erzähler zurück, und von dessen Haltung hängt alles ab. Es handelt sich also nur um eine scheinbare Kälte und Ruhe, um ein Zurückhalten des Feuers. Der Schöpfer eines solchen Werkes ist umsomehr darauf angewiesen, seine eigene Persönlichkeit zu verbergen, da er es doch selbst ist, der die ganze Welt, die er hervorbringt, repräsentiert. Wenn er aufhört, unsichtbar zu bleiben, leidet unsere Illusion Schaden, und die scheinbare Ruhe enthält also für ihn alle Wirkungen seiner Kunst. Uns dennoch aufs innigste mit dem Werk zu verknüpfen, uns alles mit seinem eigenen Auge, seiner eigenen launigen oder tragischen Seelenstimmung erleben zu lassen, das hängt von seiner Person und seinem Dichterwert ab. Seine Weltanschauung und geistige Kraft einerseits und die Ruhe andrerseits, die ihn befähigt, Licht und Schatten zu verteilen, Bilder zu erzeugen, Zeitperspektiven zu bilden, können die beiden Pole genannt werden, zwischen denen sich seine Kunst bewegt. Deswegen verlangt die epische Kunst eine vollkommene Reife des Geistes.
DER JUNGE:
Es handelt sich also nicht um unterdrücktes Gefühl, sondern um gebändigtes Gefühl, um verteilte Wärme. Dann leidet auch das Werk Schaden, wenn zu viel Licht auf eine einzelne Gestalt fällt? Offenbar. Wie verhält es sich also mit den Gestalten? Wie weit dürfen sie sich aus der Fläche der Erzählung plastisch heben?
DER ALTE:
Das hängt von Stoff und Ton des Ganzen ab. Laß uns einmal den Gang verschiedener Werke epischer Prosa auf diesen Umstand hin vergleichen: Herodots Geschichten, den Don Quixote, den Wilhelm Meister und Tolstois Krieg und Frieden.
Herodot besitzt die natürliche, persönliche Naivität, die dem Zeitalter und einer jungen, aufsteigenden Kultur entsprechen. Er hat weder Vorbilder, noch bedarf er ihrer. Er ist nicht bemüht, eine Kunstform zu prägen. Er vermeidet Schmuckworte. Er hält sich von allen Abstraktionen fern. Er »erzählt«. Sein Ton ist der eines Mannes, der reich an Erfahrungen und an Wissen unter den Seinen sitzt und ebenso einfach wie wahrhaftig von allem Kunde gibt. Gleichwohl zeigt sein Werk eine feste Stileinheit und das nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich: Die Handlungen des Menschen stehen unter dem Walten der Nemesis. Von dieser Weltanschauung durchdrungen, erhält seine Schöpfung nicht nur sittliche Größe, sondern auch künstlerische Macht.
Cervantes fußt natürlich bereits auf Traditionen. Aber er vernichtet sie, indem er sich ihrer bedient. Die Sittenschilderung und die Aktion ordnen sich äußerlich einem Plan und geistig einer Idee unter. Indem er gegen den pathetischen Heros des Katholizismus zu Felde zieht, findet er jene hohe Form der Darstellung, welche wir Humor nennen und welche seinen Gestalten weitaus bedeutungsvollere Konturen gibt, als sie in der Realität ihrer Existenz zu haben scheinen. Auch Cervantes ist ein (im banalen Sinn) naiver Erzähler; aber an seiner Naivetät hat der Kunstverstand schon wesentlichen Anteil. Es ist klar: das ist nicht mehr der Berichterstatter wahrhafter Begebenheiten. Mit der Schöpfung einer Phantasiewelt hat die unbefangene Freude am Ereignis und seiner Wiedergabe ihr Ende erreicht. Dem Erzähler muß sich der Fabulist beigesellen, und Fragen technischer Natur entstehen wie von selbst. Hier ist alles schon Kunst: die Charaktere und ihre Gestaltung, die planvoll geschürzten Fäden der Handlung, der Dialog und seine motorische Bedeutung. Aber durch einen wunderbaren Instinkt hat all dies wieder die Farbe der Natur erhalten, das täuschende Gewand der Wahrheit.
Goethes Roman ist in erster Linie das Manifest einer großen Persönlichkeit. Wenn der spanische Dichter Bilder entrollte, hinter denen er wortlos verschwand, so bleibt der Deutsche vor dem Geschaffenen stehen und bringt es durch sein Wesen, durch seine Gebärde, durch seine begleitenden Worte erst ins rechte Licht und zur rechten Geltung. Seine Darstellung ist kühl und überlegen, philosophisch gemessen, und nie vergißt man über den Figuren den Zauberer, der sie in Bewegung zu setzen vermag. Cervantes ist groß durch Don Quixote; Wilhelm Meister ist groß durch Goethe.
In der Dichtung des russischen Dichters endlich sind Stoff und Darstellung in eine unauflösliche Verbindung getreten. Der Schöpfer selbst wird hier zu einem wesenlosen Etwas, ähnlich der Naturkraft, die einem Strom sein Bett anweist. Dieser Roman ist von homerischer Prägung. Die Menschen darin sind so stark individuell und andererseits so sehr von dem Schicksale ihres Temperaments getrieben, daß man die Illusion hat, sie müßten, auch aus Milieu und Handlung losgelöst, doch zu denjenigen Erlebnissen und Erfahrungen gelangen, zu denen sie in der Dichtung durch den Willen des Dichters kommen. Sittenschilderung, nationale Besonderheit, menschliche Bedeutsamkeit, künstlerische Ruhe, Einfachheit und Größe, alles verbindet sich zu klarster Wirkung. Der Dialog hat keine motorischen Zwecke mehr, auch nicht philosophische oder tendenziöse, sondern lediglich charakterisierende.
DER JUNGE:
»Stoff und Darstellung sind in eine unauflösliche Verbindung getreten,« sagst du. Ich möchte lieber sagen: Stoff und Künstler. Aber was ist der Stoff? Wann wird der Stoff »daseinsnotwendig«? Wann erhält er die Unleugbarkeit eines von der Natur selbst Geschaffenen? Wahrscheinlich muß der eine ihn erleben, der zweite erfinden, der dritte aus der Geschichte nehmen. Dieser braucht eine regelrechte Fabel, jener webt seine Gebilde wie aus einem Traum heraus, der die Bewegung und Stimmung des Lebens und doch die Gesammeltheit der Dichtung hat. Das Wichtige ist demnach nicht die Art des Stoffes selbst, sondern die Intensität der Vision, die er erzeugt und die nicht auf einem Bild zu beruhen braucht, sondern oft, dem Nebelball der Urwelten gleich, Feuer und Vegetation noch in sich verborgen tragen kann.
DER ALTE:
Ohne Zweifel. Die Kraft der Vision im Dichter bestimmt die Kraft des Werkes, ihre Dauer und Unvergeßlichkeit aber seine Harmonie. Alles andere hat mit inspiratorischen Dingen nichts mehr zu tun, sondern unterliegt den Gesetzen der Entwicklung. Wo die Vision aufhört, beginnt die geistige Arbeit, das Reich des Geschmackes, des Urteiles, der Wahl. Hier ist auch die Grenze zwischen dem Dichter und dem Schriftsteller. Der Dichter und seine Stoffe verhalten sich zu einander wie der Baum zu seinen Blättern, die Stoffe des Schriftstellers aber gleichen den beliebig ausgewählten, ärmlichen oder luxuriösen Möbeln eines Zimmers. Dort wird jeder Mangel die Kehrseite eines Vorzuges sein, hier wird selbst jeder Vorzug auf einen einzigen Mangel zurückdeuten. Dort ein lebendiger Organismus, gleichviel ob kränklich oder stark, hier eine Maschinerie, stümperhaft oder in ihrer Art vollkommen.
DER JUNGE:
Demnach müßte also eigentlich der Dichter seine Stoffe erleben, der Schriftsteller sie erfinden.
DER ALTE:
Das läßt sich nicht auseinanderhalten. Da müßten wir erst feststellen, was es heißt, erleben. Es wäre doch recht ärmlich gedacht, wenn man nur eine äußere Aktion darin sehen wollte, dann wäre es schlimm um jene bestellt, die der Zufall oder soziale Stellung oder persönliche Eigenart vom großen Getriebe fernhält. Das hieße dann: nur derjenige, der einen Mord begangen, kann die Seele eines Mörders enthüllen, und die Frau als eine Welt für sich wäre dem Dichter ein für immer verschlossenes Ding. Ich stelle nicht in Abrede, daß ein gewisses Maß allgemeiner Lebenserfahrung notwendig sei, aber dem, der nicht innerlich das Leiden der Welt und ihrer Geschöpfe erlebt, dem wird es wenig frommen, wenn er seine Tage mit Abenteuern füllt, wenn ihm auch hierdurch die seltsamsten und tiefsten Seiten der menschlichen Natur offenbar werden. Das ist ja eben die besondere Natur des Dichters, daß in ihm gleichsam die Erfahrungen aller andern sich sammeln und zu einem hohen Bewußtsein gelangen; es ist, als ob ihm Gott die Andeutungen und Stichworte gäbe, aus denen er das Gewebe einer zweiten zur knappsten Folgerichtigkeit verdichteten Welt formt. Er ist es, der im Mittelpunkt der Dinge wohnt, er stellt das lebendige Gewissen der Völker dar, er lebt nicht nur in der Gegenwart, nein, ihm ist alles Vergangene zugleich Gegenwart. Und nun der Stoff.
DER JUNGE:
Ich glaube, daß es gleichgültig ist, ob er die Geschichte eines Schneiders oder eines Welteroberers wählt. Und das Milieu kann immer nur ein Mittel sein, Charaktere zu entfalten und Schicksale zu motivieren.
DER ALTE:
Sehr wahr.
DER JUNGE:
Und doch haben wir von einer Daseinsnotwendigkeit des Stoffes gesprochen.
DER ALTE:
Es ist oft genug gesagt worden, daß der Dichter aus einem unbesiegbaren inneren Drang heraus schaffe. Oft im Kampf mit den äußeren Lebensumständen, oft, ja fast immer im Kampf mit sich selbst. Deswegen ist es eine abgegriffene Phrase, von dem Glück des Schaffens zu sprechen. Es gibt nur eine Verzweiflung des Schaffens und einen ganz kurzen Glücksrausch des Geschaffenhabens. Und dann erst muß der Dichter lernen, sein Werk zu hassen, damit er seine Gebrechen zu erkennen vermag, und je stärker er sein Werk hassen wird, je tiefer wird er die Kunst lieben. Es ist klar, daß das, was unter solchen Widerständen Dasein und Form gewinnt, innere Lebensmöglichkeit und -notwendigkeit haben muß, wenigstens für den Schöpfer. Die Frage ist nur, ob und in welchem Maße das Werk zu den anderen Menschen spricht, wie viele Lebenskreise es durch seine Existenz berührt, wie viel andern Wesen es ebenfalls notwendig wird. Das hängt nun von seinem Stoff ab. Ich möchte behaupten, ein Stoff ist um so größer und allgemeiner gültig, je mehr Mythos er in sich trägt, das heißt, je tiefer er in dem Geheimnisvollen, Unbewußten, Religiösen, Phantasiegemäßen eines Volkes und damit der Menschheit wurzelt. Der Dichter ist ja der Mund der Schweigenden. Je größer ein Dichter ist, je mehr Schweigende sprechen aus ihm. Nicht er wählt seinen Stoff, sondern der Stoff wählt ihn. Er trifft ihn, wie der Blitz zuckt er auf ihn herab. Deshalb wird man ebensowenig von Erfinden wie von Erleben eines Stoffes reden können, im höchsten Sinne nämlich. Dichter, die ihre Erlebnisse, sagen wir verwerten, sind immer in Gefahr, diese Erlebnisse sehr zu überschätzen, wenn nicht ein großes typisches Schicksal dahinter steht. Die Vision ist alles. Sie vermag einen tausendmal behandelten Gegenstand so zu verklären und zu erhöhen, daß er zum unerhörten Ereignis wird. Je mehr du durch dein enges kleines und in jedem Fall bescheidenes Schicksal dich ins Weite, Menschliche, Mythische hinausspürst und -lebst, je weniger brauchst du tatsächlich zu »erleben«, je freieren Spielraum gewinnst du für die Kunst.
DER JUNGE:
Frühere Ästhetiker haben das, was du den Mythos nennst, als Idee bezeichnet.
DER ALTE:
Nenn es, wie du willst. Man spricht immer davon, daß die Kunst keine Tendenzen habe, keine Nützlichkeitsziele verfolgen soll. Aber in einem anderen höheren Sinn muß doch mit jedem Kunstwerk etwas bewiesen werden, wenn es nicht dem Fluch des Spielerischen verfallen soll. Gewiß muß es um seiner selbst willen hervorgebracht werden. Aber es darf, wie das lebendige Geschöpf, nicht um seiner selbst willen existieren. Weiter können wir in unserer Erörterung kaum gelangen. Hier ist schon die Grenze des Traumes und der Träumerei.
DER ALTE:
Daß uns der Zufall auf einer Reise zusammenführt!
DER JUNGE:
Man könnte glauben, du habest mich während all dieser Zeit geflissentlich gemieden.
DER ALTE:
Wie könnte ich mich unterfangen! Du bist ein berühmter Mann geworden, ich sinke mehr und mehr ins Dunkel zurück.
DER JUNGE:
Hoffentlich hat mir dieser sogenannte Ruhm nicht deine gute Meinung geraubt.
DER ALTE:
Das wäre nur der Fall, wenn er dich zur Selbstgenügsamkeit verführte. Solche Leute stehen als Leichname inmitten ihrer Werke, und ihre Werke sind krankgeborene Kinder, zu frühem Tod bestimmt.
DER JUNGE:
Vor allem, es gibt doch zweierlei Arten von Ruhm. Der eine geht von dem Zeitlichen, Zufälligen, Augenblicklichen, Problematischen unserer Taten aus; er kann dem echten wie dem verlogenen Werk gleicherweise zu Teil werden und hat wenig zu schaffen mit dem andern Ruhm, der durch unser ganzes Wesen bedingt ist, sich an den Zusammenhang unsrer Werke knüpft. Jener ist wie der kurze Erfolg eines Witzboldes oder guten Plauderers in einem geselligen Kreis, dieser wie das tiefe, stille, langsame Wirken eines Priesters oder Menschenfreundes; jener wird von anderen hervorgebracht und entsteht oft zu unserer eigenen Überraschung, dieser aber strahlt von unserm Innern, von unserer Persönlichkeit aus und kann auf alle Fälle erst nach dem Tod eintreten oder nach dem Abschluß unseres Lebenswerkes; jener muß um den Beifall jedes Zeitungsschreibers besorgt sein, dieser hat keinen andern Richter als das eigene Herz.
DER ALTE:
Es freut mich, daß du so denkst. Aber hast du auch immer in solchem Sinn gelebt, gedichtet? Du meinst, ich sei dir in all den Jahren mit Absicht ferngeblieben; dein Gefühl trügt dich nicht ganz. Aufrichtig muß ich gestehen, daß mich dein Erfolg beunruhigt hat. Er war mir zu schnell, zu laut, er ging mir zu wenig von der Sache aus und konnte sich zu wenig auf die Kunst berufen. Ich wollte warten, und ich wartete dein nächstes Buch ab. Ich war enttäuscht. Nicht als ob du dir darin untreu geworden wärst, aber du warst unruhig in dir selbst. Die Vision deiner Phantasie war nicht rein, sondern du sahst darin gleichsam die neugierigen Gesichter deiner Leser, deiner Freunde. Du trachtetest sie zu befriedigen und nicht dich selbst.
Wahr, wahr. Doch ich habe gebüßt. Ich habe gebüßt, indem ich verachten lernte. Ich habe gebüßt, indem meine Seele immer schmerzlicher nach mir selber schrie. Kennst du diesen geheimnisvollen Zustand, der jedes Verweilen friedlos, jedes Nachdenken bitter macht? Es ist als ob man nach der Heimat reisen wolle und scheugewordene Pferde stürmten mit einem nach fernen wüsten Ländern. Was für ein rätselhaftes Ding ist es doch, das im Innern der Brust wohnt. Es hat eine Stimme, die den schrillsten Marktlärm übertönt, und bist du dann in der Einsamkeit, so schweigt es unvermutet, als wolle es sich rächen dafür, daß du ihm nicht früher gehorchtest. Immer aufmerksamer, immer stiller mußt du werden, um die Stimme nicht zu verlieren, nicht Weib und Kind und Geld und Gut darfst du festhalten, wenn sie es nicht will.
DER ALTE:
So viel Einsicht bei so viel Irren!
DER JUNGE:
Wie könnte man Einsicht gewinnen ohne geirrt zu haben? Erinnerst du dich unseres Gesprächs von damals über Wesen und Gesetze der Erzählungskunst? Ich habe viel, habe oft darüber nachgedacht. Ich habe daraus in den entscheidenden Punkten eine nicht mehr zu trübende Klarheit gewonnen. Und doch, so bald ich nur eins dieser Gesetze, und wenn es das lapidarste war, auf meine Arbeit anwenden wollte, so zerfloß es in eitel Dunst. Es geht wie mit den aufgeschriebenen Paragraphen-Sammlungen der Justiz gegenüber der lebendigen Menschenwelt. An sich betrachtet: wahr, gerecht und klar. Auf das Ereignis, auf die Tat, den Augenblick angewandt: nichtssagend, absurd, tot. Daraus schloß ich allmählich, daß es kein andres Gesetz gibt, als dasjenige, das wir selbst durch die Kraft unseres Werkes exemplifizieren. Jeder darf, was er kann.
DER ALTE:
Willst du aber leugnen, daß dir unser damaliges Gespräch förderlich und notwendig war?
DER JUNGE:
Durchaus nicht.
DER ALTE:
Es ist das Problem der Erziehung. Gut und Böse liegt im Menschen. Beispiel weckt Kräfte. Belehrung zeigt die Wege, zeigt die Schranken. Der Philister, der immer nur die Landstraße wählt und der Bohême, der im Gestrüpp stecken bleibt, keiner von ihnen kann Führer werden, jener ist überflüssig, dieser schädlich. So ist es auch mit der Kunst und ihren Gesetzgebern. Ich habe freilich gesehen, mit Kummer habe ich beobachtet, daß du alles was du damals so eifervoll, so leidenschaftlich zu ergreifen schienst, verächtlich beiseite geworfen hast. Nun, du bist oft genug im Gestrüpp stecken geblieben, und noch heute sehe ich weder Weg noch Ziel für dich; so hart es klingt, ich muß es sagen.
Es klingt mir nicht hart. Ich muß dir so erscheinen. Du schaust vom Ende eines Wegs auf mich zurück. Du weißt natürlich wie du gegangen bist, aber wie ich gehen muß, das glaubst du nur zu wissen. Jedem ist sein Schmerz notwendig, jedem seine Sehnsucht, sein Suchen, und wo ich nach deiner Meinung verderbe, da ist vielleicht mein Heil. Wollte man doch alles Kritisieren lassen, das sich nicht aufs Engste beschränkt, aufs Greifbare, Haltbare! Ein menschliches Dasein ist kein Brettergerüst, kann nicht mit dem Richtscheit ausgemessen werden, kann nicht mit Nägeln und Klammern vor dem Geschick in Schutz genommen werden. Wenn es doch keine Schulmeister mehr gäbe! In jedem Lehrer steckt so viel Härte und Verhärtetsein, und was soll man erst zu jenen sagen, die aus bloßer verwerflicher Lust an Überlegenheit einem Organismus, den die Natur geschaffen hat, die Berechtigung zur Existenz absprechen.
DER ALTE:
So redest du für dich. Wehrst du dich aber nicht selbst gegen die Stümper, gegen die frivolen Eindringlinge in den Tempelbezirk der Kunst? Und bist du immer gerecht in der Unterscheidung? Täuscht dich niemals ein Vorurteil, und das deiner Natur Fremde, suchst du es auch zu verstehen, oder verwirfst du es nicht oft, nur weil es eben fremd ist?
Du hast Recht. Aber der Verdruß gegen die Schwätzer und Windbeutel enthält oft das wünschenswerte Entgegenkommen den noch unerschlossenen und ringenden Kräften vor. Bei uns in Deutschland ist es besonders traurig. Unter hundert Betrachtern und Beurteilern eines Kunstwerks ist kaum einer, der imstande ist nur gerade, sagen wir: das Postament zu begreifen, auf dem es ruht. Eitelkeit und Nüchternheit diktieren ihnen ihr begeistertes oder verwerfendes Urteil. Überall guckt der Schulmeister heraus, und wenn sie wohlwollend sind, dann glauben sie schon weit zu gehen. Verzeih, daß ich jäh und bitter werde, aber sogar du ziehst es vor Diktator zu sein, anstatt Freund, Versteher, Billiger, Mitdeuter. Warum willst du nicht die Notwendigkeit hinnehmen, die mich erfüllt? Vielleicht ist das, was ich unter unbesieglichem Zwang schaffe, gar nicht so verschieden wie du meinst von dem, was die Formeln wollen. Und wer nie eine der anscheinend ehernen Regeln verletzt und selbst das erlauchteste Kritikerhaupt zum Schütteln zu bringen vermag, der ist kein Schöpfer, der bleibt stets ein Beckmesser.
DER ALTE:
An der hohen Meinung von dir selbst hat es dir nie so sehr gefehlt als an der von den andern. Aber ich bin dir keineswegs böse. Im Gegenteil muß ich gestehen, daß mich dein Feuer seltsam erwärmt und daß mir dabei der Gedanke aufsteigt, wie gleichgültig, fern und matt all dies eifervolle Mühen um Dinge ist, die doch, man könnte fast glauben mit einem spöttischen Lächeln, ihre eigenen Wege gehen. Der Mensch ist alles, das Lebendige ist alles, und eine Natur, mit Sehnsucht, Mut und Schöpferwillen begabt, wird, sei sie noch so eng, stets den Nörgler beschämen. Aber es würde mich nun interessieren, wie du dir die Zukunft deiner Kunst denkst, denn aus deinen Reden atmen mir Revolutionen entgegen.
DER JUNGE:
Liebster Freund, wie schnell werden wir uns verständigen, wenn du so spricht.
DER ALTE:
Und wie erstaunt werden wir sein zu bemerken, daß jeder nicht den andern bekämpft hat, sondern sein eigenes Mißverstehen, seine eigene Ungeduld, seine eigene Unsicherheit. Lassen wir also alles Allgemeine für diesmal beiseite und erzähle mir von dir selbst, von dir allein. Ich denke, daß ich so am meisten auch über deine Kunst erfahre.
DER JUNGE:
Meine Kunst! Ich gestehe dir, daß dieses Possesivpronomen für mich etwas Erstaunliches und Fremdes besitzt. Wenn ich mich ehrlich prüfe, so habe ich eigentlich keine Kunst. Was mich zur Arbeit treibt, ist nicht der Drang etwas zu vollenden, nicht der Wunsch von etwas außerhalb meiner Sphäre Liegendem Besitz zu ergreifen, nicht oder doch nicht in erster Linie die Sehnsucht nach farbigem Bild oder plastischer Gestalt oder Deutung eines Schicksals, sondern es ist etwas anderes, seltsames. Es ist eine tiefe, immer wachsende Unruhe in meinem Innern; es ist als ob in meiner Brust ein Wesen verborgen wäre, das sich selbst kennen zu lernen, über sich selbst Klarheit und Wahrheit zu erlangen wünscht und für das die Arbeit meiner Hand, das Geschaffene, nichts ist als ein Spiegel, in dem es sich betrachten kann und der es je mehr befriedigt und beglückt, je ruhiger und ungetrübter er das Bild seiner vorigen Verzweiflung um sich selbst wiedergibt.
DER ALTE:
Das haben viele Dichter von heute. Deshalb vermögen sie ihre innere Welt nicht mehr genügend zu objektivieren.
DER JUNGE:
Schon wieder der Schulmeister. Dein Tadel trifft nur jene, die noch nicht starke Menschen genug sind, oder starke Künstler (denn in meinem Sinn bedeutet das dasselbe), um dem Dämon, dem Zwerg, dem unruhigen Wesen genug zu tun. Ihr Spiegel ist nicht rein legiert. Dies ist eben das Neue: immer wichtiger, bedeutungsvoller, ich möchte sagen, göttlicher wird der Mensch und seine Seele. Alle Erlebnisse verdichten sich nach innen, alle Verwicklungen betreffen nur das Herz, oder sie sind wesenlos und für den Dichter unbrauchbar. Warum das alles so ist und wie es gekommen ist, das zu entwickeln fühle ich mich nicht kühl und begabt genug, aber daß es so ist beweisen tausend Zeichen. Den groben Augen und groben Sinnen scheint das in solcher Luft Gestaltete und Geschaffene noch schattenhaft, aber mit der Zeit werden sie schon sehen und fühlen lernen.
DER ALTE:
Das alles klingt mir gar nicht so neu und überrumpelt mich nicht so sehr wie du anzunehmen scheinst. Ich glaube sogar, deine etwas wortreiche Tirade ist völlig zu ersetzen, wenn wir sagen, du habest dich ganz den Forderungen der Gegenwart ergeben.
DER JUNGE:
Und damit glaubst du etwas gesagt zu haben? Gut. Ja. Meinetwegen. Wenn es dich befriedigt, ein Wort dafür zu wissen, – meinetwegen. Glaubst du denn, daß es Laune ist oder Trotz oder die eitle Lust zu verblüffen, was unsre Besten in ihren besten Stunden bewegt? Sie sind nicht Eigenwillige, sie sind Geschöpfe der Zeit, in ihnen kristallisiert sich die Sehnsucht und das geistige Bedürfnis der Menschheit.
DER ALTE:
Von dir wollte ich etwas wissen, von deiner Art etwas erfahren.
DER JUNGE:
Vielleicht bin ich dazu nicht imstande. Was nützte es, sofern du mein Vermögen in Zweifel ziehst, wenn ich dir sagen wollte: ich will Gestalten geben, deren Seele das reinste und empfindlichste Instrument ist für das unbegreifliche Spiel des Schicksals? Ich will meine eigene Furcht, mein eigenes Entzücken, meine eigenen Vorstellungen von Leben, Gott und Tod zum Bilde machend, Wesen darstellen, die unter dem Druck und Anhauch solcher Gefühle unvermittelter, vielfacher tönend reagieren; die das Erstaunen des Kindes noch in sich tragen vereint mit der Erfahrenheit des weisen Zuschauers und die unter dem Kleid des Alltags dennoch wandeln wie wir alle wandeln, unwissend woher, unwissend wohin. Ich will den einen zum Schatten machen, denn sein Dasein, seine Leidenschaften, seine Triebe, seine Taten sind ihm und andern unbewußt dunkel und nichtig wie Schatten, jenem aber, der zur Seite steht, nichts will, nichts gibt, nichts vermag, nichts bedeutet, zur charakteristischen Gestalt verhelfen. Ich will nicht die Verknüpfung äußerer Erlebnisse geben, sondern die Wirrnis der inneren, ich setze keinen Ehrgeiz darein, Fäden zu knüpfen und zu lösen. Ich möchte keine Gewitter geben, sondern die Entwicklung des Gewitters, die schwülen Lüfte des ahnungsvollen Tages, alles was vorher geht, was Verantwortung trägt. Ich will keine prahlerischen Ereignisse, sondern ich suche den kleinen Schmerz, der in tausendfachen Bildungen die Seele dem Verderben entgegenschleppt, und dies alles will ich wieder einer großen Harmonie zuführen, die mannigfach geteilten Motive dem Unendlichen vermählen.
DER ALTE:
Das geht weit, das hat Schwung, das klingt nicht übel.
DER JUNGE:
Wie es klingt, ist nicht so wichtig wie das wohin es zielt. Wir alle, Kleine und Große, sind Glieder eines einzigen Körpers. Jeder hat teil an jedem. Verworfen wird nur der Leugner. Lernen wir es, andächtig und ehrfürchtig zu sein.
DER ALTE:
Und wenn wir alt sind, laßt uns nicht vergessen, zur rechten Zeit zu sterben.
[Anmerkungen zur Transkription: Dieses elektronische Buch wurde auf Grundlage der Erstausgabe erstellt. Die nachfolgende Tabelle enthält eine Auflistung aller gegenüber dem Originaltext vorgenommenen Korrekturen. Das Inhaltsverzeichnis befand sich ursprünglich am Buchende.
p 009: auschließlich -> ausschließlich
p 058: fortgeflanzt -> fortgepflanzt
p 064: desssen drängendes Gefühl -> dessen
p 120: irgenwo und -wann -> irgendwo
p 141: Unmitttelbaren -> Unmittelbaren
p 146: Reinigung. Steigerung und Befreiung. -> Reinigung, Steigerung
p 172: Konturen gibt. als sie -> gibt, als
p 182: exemplifixieren -> exemplifizieren ]
[Transcriber's Note: This ebook has been prepared from scans of a first edition copy. The table below lists all corrections applied to the original text. The Table of Contents was moved from the back of the book to the front.
p 009: auschließlich -> ausschließlich
p 058: fortgeflanzt -> fortgepflanzt
p 064: desssen drängendes Gefühl -> dessen
p 120: irgenwo und -wann -> irgendwo
p 141: Unmitttelbaren -> Unmittelbaren
p 146: Reinigung. Steigerung und Befreiung. -> Reinigung, Steigerung
p 172: Konturen gibt. als sie -> gibt, als
p 182: exemplifixieren -> exemplifizieren ]