The Project Gutenberg eBook of Beobachtungen über Oesterreichs Aufklärung und Litteratur

This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook.

Title: Beobachtungen über Oesterreichs Aufklärung und Litteratur

Author: Aloys Blumauer

Release date: April 23, 2011 [eBook #35939]

Language: German

Credits: Produced by Jana Srna, Norbert H. Langkau and the Online
Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK BEOBACHTUNGEN ÜBER OESTERREICHS AUFKLÄRUNG UND LITTERATUR ***

Anmerkungen zur Transkription:

Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Änderungen sind im Text gekennzeichnet, der Originaltext erscheint beim Überfahren mit der Maus. Eine Liste der vorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes.

Beobachtungen
über
Oesterreichs Aufklärung
und
Litteratur.

Von
Blumauer.

Wien,
bey Joseph Edlen von Kurzbeck 1782.

In einem Staate, in dem von jeher Liebe zur Lektüre herrschte, in dem man von jeher die Schriften aller aufgeklärten Nationen las, um desto gieriger las, je mehr Schwierigkeiten die Neugierde der Leser reizten, in dessen aufgeklärterem Theile von jeher Grundsätze und Meinungen keimten, die jeder denkende Kopf wohl im Stillen hegen, aber nicht öffentlich ausbrechen lassen konnte, wo Wißbegierde dem starken Damm seit langer Zeit entgegen arbeitete, und dem Durchbrechen bereits nahe war; in so einem Staate mußte auf die Wegräumung der Hindernisse, und die Erweiterung der Preßfreyheit nothwendig eine Ueberschwemmung von Broschüren folgen.

Auf welchen hohen Grad schon vor dieser Epoche die Schreibbegierde der Schriftsteller des Landes gestiegen war, bewiesen die zahllosen Leichengedichte, Reden, Träume u. s. w. auf den Tod der seligen Kaiserinn, und der nicht zu bändigende Eifer, mit welchem viele derselben der Verstorbenen noch ins zweyte Jahr hinein nachleyerten. Der Werth dieser Gedichte, so verschieden er war, und so zweydeutig er allemal bey blossen Gelegenheitsgedichten seyn muß, eröffnete dennoch der inländischen Dichtkunst eine nicht zu verachtende Aussicht. Die Schreiblust war nun einmal rege, und sie schien nur eine kurze Zeit, wie in einer kurzen Sturm prophezeihenden Windstille zu lavieren, als ihr der Ruf der erweiterten Preßfreyheit auf einmal in die Segel blies. Die kleine Schrift: über die Begräbnisse, die am ersten von dieser grösseren Freyheit Gebrauch machte, war der Vorläufer, und gleichsam das Zeichen zum Angriff, das hundert Federn in Bewegung setzte. Man schrieb itzt, von allem, und über alles, man nahm den nächsten besten Gegenstand her, goß eine bald längere, bald kürzere, bald gesalzene, bald ungesalzene Brühe darüber, und tischte ihn dem damals noch sehr heißhungrigem Publikum zur Mahlzeit auf. Nichts war von nun an vor der rüstigen Feder der Autoren sicher: für 10. Kreuzer konnte man jeden Gegenstand, er mochte groß oder klein seyn, durchgebeutelt lesen, und ein vollständiges Verzeichniß all der Von und Ueber, die damals erschienen, würde ein Gemälde von der possierlichsten Komposition geben. Ich will zur Probe nur einige dieser Broschüren hersetzen:

Ueber die Stubenmädchen in Wien.

Ueber die Kammerjungfern.

Ueber die Bürgermädchen.

Ueber die Halbfräulein.

Ueber die Fräulein in Wien.

Das Lamentabel der gnädigen Frauen.

Ueber die Schwachheiten der gnädigen Frauen des leonischen Adels.

Ueber den hohen Adel in Wien.

Ueber Doktoren, Chirurgen und Apotheker.

Den Hausherren im Vertrauen etwas ins Ohr.

Ueber die Kaufleute in Wien.

Ueber die Dikasterianten.

Ueber die Stutzer in Wien.

Ueber die Kaufmannsdiener.

Ueber die Schneider.

Ueber die Bäcker.

Ueber die Peruckenmacher.

Ueber die Friseurs.

Der ehrliche Wastel mit dem Klingelbeutel.

An H. S*. Chef der Maulaffenloge auf dem Graben.

Ueber den Kleiderpracht im Prater.

Ueber die Unterhaltung bey der Tafel zu Schönbrunn.

Ueber den Schwimmer aus Tyrol beym Tabor.

Beurtheilung der Feuerwerke des Stuwer und Mellina.

Ueber die Hetze.

Kasperl, das Insekt unsers Zeitalters.

Ueber das Nationaltheater.

Ueber den Mißbrauch des Wörtchen Von und Euer Gnaden.

Ueber das Gratuliren.

Ueber die Kleidertracht.

Etwas für die schopfichten Wienerinnen.

Philosophie der Modeschnallen.

Ueber die Hochzeiten in Wien.

Das Gespenst auf dem Hofe.

Ueber den grossen Brand der Magdalenakirche.

Ueber den Selbstmord bey Gelegenheit des Friseurs, der sich erschoß.

Ist der Antichrist blau, oder grün?

Ueber die Bruderschaften.

Ueber die Kirchenmusik.

Ueber die Nonnen.

Ueber die Tracht der Ordensgeistlichen.

Ueber die Reliquien, Opfer und Mirakelbilder.

Von Abschaffung der Weihnachtsmetten.

Ueber die Universität in Wien.

Die Gelehrten im Nasenlande.

Der Glückshafen für gelehrte Maulaffen.

Ueber die zehn Kreuzer Autoren.

Kaufts allerhand! Kaufts allerhand! Kaufts lang und kurze Waar!

Alle diese Broschüren, davon die meisten in die Rubrik Makulatur gehören, und noch beyläufig dreymal so viel, erschienen voriges Jahr in einer Zeit von wenigen Monaten, wurden gekauft und gelesen. – Sie sind den Titeln nach ein ziemlich vollständiges Repertorium über Wien; aber wehe dem, der daraus Wien beurtheilen wollte. Die meisten erschienen blos des Geldes wegen, waren in einem Tage fertig, am zweyten gelesen, und am dritten vergessen. Man glaube indessen ja nicht, daß man es bey einer Broschüre über einen Gegenstand bewenden ließ. Es war beynahe keiner, über den man nicht wortwechselte. Die Schrift: Ueber die Begräbnisse, die allerdings viel bessere Nachfolger verdient hätte, zog 21 Streitschriften nach sich, bey welcher Gelegenheit der Ehrw. P. P. Fast, Curatus zu St. Stephan mit zweyen von Amtswegen verfaßten Gegenschriften seine rühmliche Schriftstellerlaufbahn eröffnete. Die Beyträge zur Schilderung Wiens, eine in vielem Betracht merkwürdige Schrift, der zur Empfehlung nichts, als ein den Gegenständen mehr angemessener Ton fehlte, veranlaßte über 10. Streitschriften, und ihr haben wir den katholischen Unterricht des oberwähnten P. P. Fast in 10. Theilen, das Stück zu 7 Kreuzer zu danken, durch welchen der eifrige Herr Verfasser dem christlichen Fragbüchelunterricht des 16ten Jahrhunderts, der durch die neuen Normalbücher schon beynahe in Vergessenheit gesunken war, wieder auf die Beine geholfen hat.(1) Die Schrift: über die Stubenmädchen in Wien, von Herrn Rautenstrauch war eine der glücklichsten Autorspekulationen für ihn, und die Herren, welche sich an ihn anhiengen. 25 Broschüren schlugen sich für und wider diesen Gegenstand, und bewiesen deutlich, was für einen wichtigen Theil des Publikums die Stubenmädchen ausmachen müssen. Von dieser Zeit an giengen die Manufakturen der Tagesprodukte unermüdet fort, und in jedem Monate durfte man auf 50 bis 60 Broschüren sicher Rechnung machen. Jeder Vorfall, jede Tagesneuigkeit ward zur Broschüre, und die alles regierende Göttin Gelegenheit, die sonst Juvenale und Buttlers zu unsterblichen Werken des Geistes aufrief, amusirte sich in Wien damit, zwey Bogen langen Broschüren das Daseyn zu geben. Die Schriftsteller schienen den Geschmack des Publikums wohl getroffen zu haben, sie verlegten sich auf Persönlichkeiten, Familienvorfälle, u. d. gl., und Dinge, die sonst nur in vertrauten Kreisen und freundschaftlichen Unterredungen abgehandelt wurden, giengen itzt durch die Hände eines ganzen Publikums. Aber auch dieser Speisen ward man in die Länge satt, und als man minder gierig zuzugreifen anfieng, so war es eine Freude zu sehen, wie mancherley Schilde die Herren aushiengen, wie einer des andern Küche verlästerte, wie einer den andern Schmierer schalt, und wie jeder gegen den Schwall von Broschüren loszog, den er mit den seinigen vermehren half. Allein der Käufer wurden demungeachtet weniger, die Verleger behutsamer und eckler, und vermuthlich würde die sichtbar zunehmende Lauigkeit des Publikums den Schreibern nach und nach das Handwerk gelegt haben, hätte nicht die Ankunft des Pabstes dem ganzen Schriftstellerwesen eine neue Schnellkraft und eine andere Wendung gegeben.

Diese zweyte Epoche eröffnete der inländischen Litteratur eine tröstlichere, hellere Aussicht. Männer von bessern Köpfen standen auf, und selbst viele von denjenigen, deren Schriften bisher eben so unbedeutend waren, als die Gegenstände, welche sie behandelten, schienen nun zu beweisen, daß es ihnen vorher nur an Materie zum Schreiben gefehlet habe, und daß ihre Schreibsucht ihnen nicht Zeit ließ, auf eine bessere Wahl der Gegenstände zu denken. Freylich sucht der Schriftsteller von Beruf nicht erst den Stoff, wenn er sich hinsetzt zu schreiben, sondern der Stoff sucht ihn, und drängt ihn, wenn er den Mann findet, an das Pult; er nöthigt ihn, sich der Ideen, die sich über den einmal gefaßten Gegenstand in ihm entwickeln, zu entledigen, das, was er gedacht, beobachtet, entdeckt hat, seinen Lesern mitzutheilen, und das ists, was seinen Beruf zum Schreiben ausmacht. Es giebt zwar, wie bekannt, einen noch dringenderen Schriftstellerberuf, als diesen, einen Beruf, den man im Magen fühlt, aber den kennt man leider aus seinen Früchten, und nie war er vielleicht kenntlicher, als an den unzeitigen Gewächsen, die er in der ersten Periode der Preßfreyheit, auf dem österreichischen Boden hervorbrachte. – Mit des Herrn Landraths Eybel Abhandlung: Was ist der Pabst? begann nun die neue bessere Periode der inländischen Schriftstellerey. Eine deutsche, selbst dem Volk verständliche Abhandlung über einen Gegenstand, der bisher entweder bloß lateinisch, oder nur von protestantischen Schriftstellern deutsch, aber immer nur für Sachkündige allein behandelt worden war, würde auch ohne die freymüthige Einschränkung der päbstlichen Rechte, die ihren Inhalt ausmachten, Aufmerksamkeit zu einer Zeit erregt haben, wo der Gedanke Pabst in den Köpfen einer halben Welt, und vor allen in denen des Wiener Publikums ein ausschließendes Recht zu walten hatte. Schon der Titel der Schrift war für das Volk, geistlichen und weltlichen, adelichen und bürgerlichen Standes, eine kühne vermessene Frage, unerhört in den älteren Katechismen, in welche man sich wohl jede andere Frage: nur niemals die: Was ist der Pabst? erlaubt hatte. Noch weit unverzeihlicher schien der Inhalt, und fast allgemein war die Empörung derjenigen, welche in ihren Klöstern eine freylich ganz andere Lehre über diesen Gegenstand eingesogen hatten. Aber was diese Zeloten am meisten wider den Verfasser empörte, waren dessen sieben Kapitel von Klosterleuten, die mit seiner Abhandlung über den Pabst zugleich erschienen, und gegen ihr unmittelbares Interesse gerichtet waren. Da sie nun gegen diese wenig oder nichts vorbringen konnten, so war es natürlich, daß ihnen die Schrift über den Pabst zum Ableiter ihrer Erbitterung dienen mußte. Sie donnerten von der Kanzel herab gegen den Verfasser, und P. Merz in Augsburg hielt in einer öffentlichen Kontroverspredigt Gericht über ihn. Nichts war bey dieser Gelegenheit lustiger anzusehen, als wie sich die Eiferer auf der Kanzel wandten, und krümmten, um dem Verfasser eins anzuhängen, ohne sich gegen die Grundsätze des Staats und der Censur, welche diese Schrift billigte, zu verstoßen. Aber noch eifriger, und folglich noch gröber waren sie mit der Feder. Ein jeder, der dagegen schrieb, nannte seine Lehre ächt und uralt, und bedachte unglücklicher Weise nicht, daß die Grundsätze des Mittelalters freylich, leider! uralt, aber die der ersten Kirche noch urälter, und folglich auch ächter seyen. Kurz über 70 Schriften zogen allein für und wider diesen Gegenstand zu Felde, und das Resultat aller Gegenschriften war, daß sie des Verfassers Abhandlung, statt sie zu widerlegen, bekannter, gesuchter, und folglich gemeinnütziger machten. Dieß bewies augenscheinlich der erstaunliche Absatz derselben, und die Eilfertigkeit, mit welcher sie ins lateinische und französische übersetzt ward. Sogar der Titel dieser Abhandlung schien Epoche zu machen; eine Menge Schriften erschienen von nun an in Gestalt von Fragen, und indeß der Verfasser selbst noch einige Gegenstände des Kirchenrechts auf diese Art behandelte, wimmelte es von fragenden Titeln. Man frug:

Was ist der Verfasser der Abhandlung: Was ist der Pabst?

Was ist der Kardinal?

Was soll der Pfarrer seyn?

Was ist die Religion?

Was ist die Kirche?

Was ist der Kaiser?

Was sind die Pflichten gegen Gott?

Was ist der Peter?

Was ist der Teufel?

Was sind die Wienerschriften überhaupt?

Und man würde vielleicht noch mehr gefragt haben, wenn das Antworten nicht so schwer wäre. Wenigstens machte ein Gegner dieser Herren Fragesteller die feine Bemerkung: daß ein Narr mehr fragen könne, als zehn Weise beantworten.

Noch eine Schrift, über welche bey Gelegenheit der Ankunft des Pabstes bis zum Eckel gestritten ward, war: Die Vorstellung an seine päbstliche Heiligkeit Pius VI. von Herrn Rautenstrauch. Der Ehrw. P. P. Fast, der sichs nun einmal zum Geschäft gemacht zu haben scheint auf der erzbischöflichen Warte die Aspekten der Aufklärung am Wienerhorizonte zu beobachten, konnte diesen Irrstern nicht unangehalten vorbeylassen. Er glaubte an demselben durch sein altes Sehrohr eine Menge Flecken wahrzunehmen, und, ohne erst zu untersuchen, ob diese Flecken nicht etwa an den Gläsern seines eigenen Tubus befindlich seyen, ereiferte er sich dagegen in einem Tone, der in den Zeiten, da man mit Fäusten schrieb, einem Weislinger Ehre gemacht haben würde. Herr Rautenstrauch, der keinem seiner Gegner gern das letzte Wort läßt, fieng an Episteln an ihn zu schreiben, deren keine unbeantwortet blieb; und hieraus entstand jener artige Briefwechsel, der, wenigstens von Seite des Ehrw. P. P. Fasts einen herrlichen Beytrag zu deutschen Epistolis obscurorum virorum abgeben würde. Unstreitig bleibt Herrn Rautenstrauch bey diesem ganzen Handel die Ehre einer ungleich grösseren Mässigung, und die noch grössere, der Verfasser einer Schrift zu seyn, wie seine Vorstellung ist.

Es erschienen in dieser zweyten Schriftstellerperiode, welche den Pabst zum Gegenstand hatte, noch mehrere sehr gut geschriebene Abhandlungen, deren Auseinandersetzung mich zu weit führen würde. Genug, aus allen zusammengenommen, ergiebt sich der Schluß, daß sich von dem jungen Nachwuchs der Autoren – derjenigen versteht sich, die nicht Pfuscher sind – wenn nicht Schreibbegierde allein sie leiten, und Ueberlegung die aufbrausende Hitze mässigen wird, noch viel Gutes hoffen läßt.

Mit dem Institute der Predigerkritiker begann für Wien eine neue Schriftstellerperiode, die sowohl wegen der Wichtigkeit des Gegenstandes, als ihrer unstreitigen Gemeinnützigkeit merkwürdig ist. Wie wichtig die Rolle eines Predigers, und wie groß der Einfluß eines öffentlichen Redners auf das Volk von jeher gewesen sey, beweiset die durch alle Nationen und Alter immer gleich fortlaufende Erfahrung von den Sophisten Griechenlands an, bis auf die herumziehenden Bußprediger unserer Zeiten. Unzählig sind die Beispiele, daß eine schwärmerische Rede feige Memmen zu Helden, und gutwillige Schaafe zu reissenden Wölfen machte. Nicht selten haben Prediger ihre Macht über das menschliche Herz bis auf einen unerklärbaren Punkt getrieben; und daher kam es, daß man das, was sie von der Kanzel herab wirkten, so oft Mirakel nannte. Noch mehr: ein nur mittelmässiger Redner läßt an unmittelbarem Einflusse auf sein Volk selbst den beßten Schriftsteller weit hinter sich zurück. Nie wird ein Raynal seinen Lesern das werden, was Ziska auf seiner Tonne den Hußiten ward. Der Grund hievon liegt in der Natur der Sache. Der Redner hat nicht nur alle Vortheile des Schriftstellers, sondern er hat noch weit mehr, um auf sein Volk zu wirken. Die Art, mit welcher beyde ihre Gedanken und Empfindungen mittheilen, ist unendlich verschieden. Das Mittel zur Wirkung ist bey dem Schriftsteller nur der todte Buchstabe, bey dem Prediger das lebendige Wort: der Prediger ist gegenwärtig, um jedes seiner Worte durch Ausdruck und Geberde zu unterstützen, und wirkt also auf zween Sinne zugleich, der Schriftsteller ist abwesend, bleibt ungesehen, und kann nur auf einen Sinn wirken. Der Redner wirkt auf Tausende zugleich, und hat da den wichtigen Vortheil, daß der gerührte Zuhörer den ungerührten bewegt, und das Beispiel des größeren Theiles den kleineren mitansteckt. Den Schriftsteller liest jeder allein, und der Leser sieht keine Mitgerührten um sich, die seine Empfindung unterstützen oder heben könnten. Der Redner kann fortreissen, wo er will, und zurückhalten, wo es ihm beliebt, den Lauf des Schriftstellers kann jede Kleinigkeit hemmen, und seine Ruhepunkte werden mit einem Blick übersprungen. Das Publikum des Redners ist gleichartiger, es ist ihm mehr bekannt, um auf selbes zu wirken. Das Publikum des Schriftstellers ist die Welt, unendlich mannigfaltig an Denkart und Empfindungsvermögen, er kennt seine Leser nur nach dem allgemeinen Begriffe der Menschen, und hat nur entfernte, unbestimmte Mittel, um auf sie wirken zu können. Aus dieser Vergleichung, die allerdings noch weiter geführet werden könnte, wird es einleuchtend klar, daß der Prediger von ungleich grösserem Einfluß seyn müsse, als der Schriftsteller, daß dieser nur nach und nach Proselyten machen, jener aber augenblickliche Empörungen veranlassen, und folglich gefährlicher werden könne, und daher in einem Staate eine noch weit strengere Aufsicht verdiene, als selbst der Schriftsteller.

Diese allgemeinen Betrachtungen, die, wie alles Allgemeine, ihre Ausnahme, und Einschränkungen wohl haben mögen, machen die bisherige gänzliche Censursfreyheit aller öffentlichen Predigten sehr auffallend, aber noch auffallender die Klagen derjenigen, die sich berechtigt glauben, gegen ein Institut zu murren, welches allein diesen Mangel einer öffentlichen Aufsicht einigermaßen ersetzen kann. Seit der Zeit, da die Pfarrer den Besitz der Kanzel mit den Mönchen zu theilen anfiengen, ist eine solche Aufsicht um so nöthiger, da man weiß, was für Aberglauben und Irrthümer diese Gattung Prediger nicht selten unter dem Volke verbreitet, und wie oft sie den Predigtstuhl zum Pranger der Pfarrer, der Obrigkeiten, und selbst ihrer Zunftgenossen, gemacht haben. Ist also das Institut der Predigerkritiker von dieser Seite ein unentbehrlicher Zaum, so dient selbes zugleich von der andern Seite den Predigern zum Sporn, mehr Fleiß auf ihre Predigten zu verwenden, und den Orden selbst zum Antrieb, ihre Subjekte besser zu wählen, und keinem eine Kanzel zu vertrauen, welcher unfähig ist, derselben Ehre zu machen. Diese strenge Auswahl ist um so nöthiger, da man leider! aus Erfahrung weiß, was für Subjekte nicht selten die Kandidaten der meisten Mönchsorden waren. Wenigstens hat mich selbst ein würdiger Professor einst versichert, und mit Vorweisung seiner Schullisten überzeugt, daß er seit vielen Jahren her, von zwey- bis dreyhundert seiner jährlichen Schüler um die Hälfte des Jahrs immer ein Drittel mit Attestaten der zweyten oder gar dritten Klasse ausgemustert, und in die Kapuziner- und Franziskanerklöster abgesetzt habe.

So einleuchtend nun die Nothwendigkeit irgend einer Art von öffentlicher Aufsicht über die Prediger jedem unbefangenem Kopfe seyn muß, so nichtig sind andererseits die Gründe, welche die Vertheidiger einer unbeschränkten Kanzelfreyheit diesem Institute entgegen stellen. Alle ihre Gründe, in so mancherley Formen sie dieselben auch einkleiden, laufen immer in den Punkt zusammen: daß eine öffentliche profane Kritik das Ansehen des Worts Gottes entkräfte, und der Ehrerbietung, die man den Verkündern desselben schuldig ist, zuwider sey. Zween Einwürfe, die kaum einer Widerlegung werth sind. Erstens, ist wohl das alles Gottes Wort, was ein Prediger spricht? ich traue jedem Prediger zu viel Ehrerbietung gegen seinen göttlichen Lehrer zu, als daß ich je glauben wollte, daß einer kühn genug sey, dem allerweisesten Wesen seine oft so unlogischen Schlüsse, seine Läppereyen, seine lieblosen Ausfälle, und seinen Legendenkram als eigen Wort unterzuschieben. Sind zweytens selbst ihre Auslegungen des göttlichen Wortes immer logischrichtig, und dem Menschenverstande gemäß? man lese die wöchentlichen Wahrheiten der Kritiker, und man wird fast in jedem Stücke Beyträge zur Verneinung dieser Frage finden. Man halte die Textverdrehungen eines Bruder Gerundio(2) ja nicht für übertrieben. So ungereimt selbe sind, so gewöhnlich sind sie nicht nur bey spanischen, sondern auch bey deutschen Predigern. Man höre zum Beweis ein Beyspiel aus einer Wienerpredigt, welches eine kaum fünf Jahr alte Thatsache ist. Es war eine Fastenpredigt, in welcher der Prediger seine Zuhörer zur Enthaltung von Fleischspeisen ermahnte, und ihnen den Abscheu vor den Fastenspeisen benehmen wollte. Unter andern Beweisen führte er das Beyspiel des jungen Tobias an: wie derselbe mit dem Engel in die Ferne gegangen sey, ein Mittel für das verlorne Augenlicht seines Vaters zu suchen, und wie er, als ihm der Engel einen grossen Fisch gezeigt, vor demselben aus Furcht zurück gebebt, von dem Engel aber ermuntert worden sey, ihn herzhaft anzugreifen. »Also,« fuhr der Prediger ohne zu lachen fort, »also auch ihr, meine Zuhörer, fürchtet euch nicht vor dem Fisch, ergreifet ihn herzhaft, er wird euch nicht beissen, u. s. w.«. Jede Textverdrehung ist kraftlos für den Verstand, und leitet zu Trugschlüssen, die den Mann, der sie einsieht, empören, statt ihn zu überzeugen, jedes Legendenmärchen macht den Prediger in den Augen des vernünftigen Zuhörers entweder zum Heuchler, den er verachten, oder zum leichtgläubigen Kinde, das er bemitleiden muß. Und dieß ist, womit Prediger selbst ihr Wort entkräften: die Kritik thut das Gegentheil, sie will, daß Gottes Wort in dem Munde der Prediger nicht kraftlos werden soll. Und wie kann endlich eine öffentliche Rüge der Kanzelgebrechen der Ehrerbietung zuwider seyn, die man den Predigern schuldig ist? Jede Ehrerbietung, die nicht persönliches Verdienst zum Grunde hat, wird Satyre für den, dem sie erwiesen wird; man ehret den Mann des Kleides wegen. Die Kritik will den Predigern nicht ihre Ehre nehmen, sie will ihnen Ehre geben: und giebt sie nicht dem Ehre, dem Ehre gebührt? – –

Genug zur Apologie eines Institutes, dessen bescheidener Tadel nur dann aufhören kann, wenn die Prediger aufhören werden, ihm Stoff zum Tadel zu geben. – Das Institut selbst war eigentlich eine bessere Nachahmung eines ähnlichen Institutes in Prag, die Geisel der Prediger genannt, das aber, weil es seinem Endzwecke in der Ausführung minder entsprach, aufhörte. Die blosse Ankündigung dieses Instituts in Wien erregte schon Aufstand. Der verjährte Besitz einer bisherigen gänzlichen Unfehlbarkeit auf der Kanzel sollte nun dem Urtheile weltlicher Richter ausgesetzt seyn? P. Pochlin, Lehrer der Beredsamkeit in dem erzbischöflichen Alumnate war der erste, der die blosse Ankündigung als eine Herausforderung ansah, und dem Feind, den er noch nicht kannte, beherzt vor die Stirne trat. Mit einem Feind anbinden wollen, den man noch nicht kennt, heißt nach der Regel der Kriegskunst – Tollkühnheit, bey P. Pochlin war es, wie man aus seinem Fehdebrief, den er im Wienerdiarium seinen Gegnern zusandte, schliessen konnte, Selbstgefühl seiner Stärke, und Bewußtseyn seiner Unfehlbarkeit. Er lud seine sämmtlichen Gegner nach Vösendorf ein, um sich da mit ihnen auf der Kanzel zu messen, und das ungefähr in den Ausdrücken, deren sich einst der grosse Goliath gegen den kleinen David bediente. Die Gegner erschienen, die Predigt begann, und der Riese fiel noch vor dem ersten Stein aus der Schleuder seiner Kritiker. Er raffte sich auf, und zog nun als Schriftsteller aus, und fiel wieder, schwerer als zuvor. Er kam nun in Person eines Fleischhackers, und that zum drittenmal einen Fall, der nun deutlich bewies, daß es den Kritikern weit weniger Ehre gemacht habe, über so einen Gegner zu siegen, als es ihnen gemacht haben würde, wenn sie nach dem Fehdehandschuh eines Mannes, der so wenig Ritter war, gar nie gegriffen hätten.

So verdächtig nun P. Pochlin selbst durch diese Art zu streiten seine eigene Sache gemacht hatte, so fand er doch bald an dem mehrgedachten P. P. Fast einen würdigen Gehilfen. Dieser eifrige Mann, der den bisherigen Papierverderbern getreulich geholfen hatte, das weisse Papier zu vertheuren, und das gedruckte wohlfeiler zu machen, fand die Wachsamkeit der Censur über die Predigerwahrheiten unzureichend, und hielt es für Pflicht, über dieselben eine Art von Superrevisionsgericht zu halten. Es that dieß, und thut es noch itzt in seiner katholischen Prüfung der Predigerwahrheiten, die bereits auf 9. Stücke gediehen, und in seiner bekannten Urmanier geschrieben ist.

Noch weit mehr ward dieses Institut von der Kanzel herab angegriffen. Es ward bald der allgemeine Gegenstand der öffentlichen Kanzelreden, und die meisten Prediger zeigten selbst bey dieser Gelegenheit deutlich, wie sehr es ihnen zur Gewohnheit geworden sey, die geheiligte Stätte zum Tummelplatz persönlicher Leidenschaften zu machen, und wie wenig die Heiligkeit des Ortes vor Entheiligung sichere. Kurz, sie bewiesen selbst, wie sehr sie einer öffentlichen Aufsicht vonnöthen haben. Das Auffallendste bey dieser Sache war, daß Männer, die im Predigeramte beynahe grau geworden, die ein Recht zu haben glauben, sich jüngern Predigern zu Lehrern und Mustern aufwerfen zu dürfen, gerade die lautesten Beweise von jugendlicher Hitze, und gereizter Leidenschaft gaben, und bey dem ersten Anlasse des kleinsten Tadels so ganz vergassen, daß Sanftmuth und Bescheidenheit die wesentlichsten Eigenschaften eines Verkünders der Lehre Christi seyen. Kurz, Männer, die von Amts wegen uns ermahnen, Unbilden mit Geduld zu leiden, konnten die Wahrheit nicht vertragen, und zeigten uns von Neuem die leidige, weite Kluft, welche die Worte von den Werken trennet.

Nun ein paar Worte von der Predigerkritik selbst! Der Endzweck dieses Institutes ist zweyfach. Es soll ein Zaum und ein Sporn für die Prediger, und ein Belehrungs- und Verwahrungsmittel für die Zuhörer seyn. Der erste Endzweck fordert freymüthigen, bescheidenen Tadel, ohne Ansehung der Person, wo was zu tadeln ist, und gerechtes unpartheyisches Lob dessen, was Lob verdient. Der zweyte Endzweck fordert Aufklärung über Dunkelheiten, Zurechtweisung irriger Meinungen, Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen, nützlichen und schädlichen, abergläubischen und erbaulichen Religionsgebräuchen, genaue Kenntniß der geistlichen und weltlichen Gewalt, und der Gränzlinie zwischen beyden, und endlich das Zutrauen der Leser, dazu nur aufrichtige Wahrheitsliebe, Mässigung und Bescheidenheit ein gegründetes Recht geben können. Daß die Predigerkritiker viele dieser Forderungen erfüllen, ist unläugbar, aber auch eben so unläugbar ist es, daß sie noch weit mehr leisten könnten, als sie wirklich leisten. Wenigstens weiß ich nicht, was oft ein ganzer Bogen voll Persönlichkeiten von sich und den Predigern zur Erreichung des doppelten Endzweckes beytragen soll. Wozu die ewigen Repliken auf jeden Ausfall eines Predigers? Das Publikum weiß ohnehin, daß Prediger Menschen sind, und das alte Sprichwort: Wie man in den Wald schreyt, so hallts wieder – so sehr es in der Schriftstellerwelt Mode ist – soll wenigstens hier nicht statt haben. Der Schriftsteller, der von der Güte seiner Absichten überzeugt ist, hält sich bloß an die Sache, geht festen Schritts seinen Weg fort, und sieht nicht um nach dem Gebelle, das sich von dieser oder jener Seite hören läßt. Nebst einer grösseren Mäßigung wäre den Verfassern auch oft mehr Klugheit in Ausrottung der Vorurtheile, und Betreibung des Aufklärungsgeschäftes zu empfehlen. Sie scheinen hierinn oft zu hastig, und schneiden einen Knoten mitten entzwey, den sie nach und nach auflösen sollten. Das Werk der Aufklärung ist seiner Natur nach allmähligen Ganges: das Verlernen von Dingen, die einmal fest in den Kopf gehämmert sind, fodert viel mehr Zeit, als das Lernen; und Aberglaube und Vorurtheil, die leisen Ganges geschlichen kamen, und nach und nach unvermerkt Platz griffen, lassen sich nicht auf einmal aus ihrer Veste jagen, sie müssen so fortgeführt werden, wie sie gekommen sind. – Diese Erinnerungen schienen mir nöthig zu seyn, für ein Institut, das alles erfüllen muß, was man seiner Natur nach davon erwarten kann.

Die übrigen kleineren Schriften dieser dritten Periode waren meist ein leidiges Durcheinander. Gegenstände der Religion fiengen wieder mit allerley Von und Ueber abzuwechseln an, und viele Schriften schienen nur der einmal in Gang gebrachten Schreibegewohnheit der Hände ihr Daseyn zu danken. Und da, wie natürlich, der Kopf den Händen nicht immer folgen kann, so paßten einige jede Gelegenheit ab, und suchten ihre Schreibmaterialien auf der Gasse. So bald der Pöbel was zu sprechen hatte, hatten sie was zu schreiben, und wie der Hunger gierig an einer harten Brodkruste nagt, so nagte ihre Schreibsucht heißhungrig an jedem Gassenspektakel. Die öffentliche Arbeit der geschornen Verbrecherinnen war ihnen ein willkommener Stoff. Sogar die Musen mußten sich von ihnen zu diesem Gegenstande brauchen lassen, aber die Lieder, welche sie zur Welt brachten, sahen leider eben so aus, wie die Musen, welche sie zu Gesängen begeistert hatten. Wobey sie noch die lächerliche Irrung begiengen, die Criminalverbrechen mit den Polizeybetretungen zu vermengen, und alle geschorne Verbrecherinnen für Gassenphrynen auszugeben, vermuthlich weil sie von ihren Gegenständen begeistert, es ihnen nicht ansahen, daß so eine Vermuthung die gröbste Satyre auf ihr eigenes männliches Geschlecht sey.

Dem unbefangenen Beobachter, der nun den gegenwärtigen Zustand des Schriftstellerwesens mit dem vorigen zusammenhält, und den Bezug desselben auf Religion, Staat, und Wissenschaften beobachtet, stellen sich von selbst folgende Beobachtungen dar.

Widerspruch war von jeher die Quelle neuer Entdeckungen in dem Reiche der Wissenschaften. Geschwindere Aufklärung, tiefere und gründlichere Kenntnisse, festere Ueberzeugung bey denen, auf deren Seite die Wahrheit ist, waren von jeher die unmittelbaren Folgen desselben. Der menschliche Geist gleicht einem Feuersteine, aus dem nur auf den Gegenschlag des Feuerstahles Licht fährt. Auf die nämliche Art, wie die Wilden in Amerika Feuer machen, erhielten die Europäer Aufklärung und Licht, sie rieben Geist auf Geist, wie jene Holz auf Holz. Widerspruche erzeugt Anstrengung des Geistes, öffnet neue Aussichten, treibt den Geist in unbekannte Gegenden, und verlängert und verstärkt die Kette des menschlichen Wissens. Die Geschichte aller Wissenschaften bestättiget diese Wahrheit. Wo man am meisten widersprach, rückte man am geschwindesten vorwärts, daher der in Vergleichung mit anderen Wissenschaften kaum glaubliche Vorsprung, den schon die Griechen in der Philosophie machten. Wie eine Sekte gegen die andere verlor, gewann die Philosophie. Eben so im Fache der Religion. Die beßten Schriften der Kirchenlehrer haben wir den Einwürfen ihrer Gegner zu danken; und daß in den finstern Zeiten des Christenthums der Widerspruch seine wohlthätige Wirkung verlor, das machten die römischen Censuren und Interdikte, die den menschlichen Verstand in Fesseln legten, und zur Unthätigkeit verdammten.

Wenn man nun diese Beobachtungen auf den Widersprechungsgeist unserer Zeloten, die sich gegen jeden neuen Vorschritt der Aufklärung, gegen jede zum Wohl der Menschheit gemachte Verordnung so sehr ereifern, anwendet, so ergiebt sich der Schluß, daß diese Herren Widersprecher selbst durch die Blössen, die sie in ihren Widersprüchen nothwendig geben müssen, und durch die tiefere Erörterung gewisser Dinge, die sie selbst veranlassen, sich ihren eigenen Fall bereiten, und an ihrer eigenen Grube arbeiten. Nichts ist lichtscheuer, als Aberglaube und Vorurtheil: sie bestanden von jeher nur durch den Schleyer von Ehrerbietung, der sie umgab, und der den Verstand des Layen immer in einer ehrfurchtsvollen Entfernung davon zurückhielt: ihre Vertheidiger selbst halfen den Schleyer wegziehen, und die Art, mit welcher sie für ihre Götzen sprachen, brachte dieselben vollends um das Bischen Ehrwürdigkeit, das ihnen der sonst tolerante Menschenverstand noch gelassen hatte. Indessen hat die Wahrheit Ursache, selbst ihren Gegnern zu danken, daß sie ihr durch ihre Widersprüche Gelegenheit verschaften, mit den Stralen ihres hellen Antlitzes die in heiligen Nebel gehüllten Popanzen, Aberglaube und Vorurtheil näher beleuchten zu dürfen.

Eine zweite Bemerkung, die sich jedem Beobachter des inländischen Schriftstellerwesens von selbst aufdringt, ist diese: daß die Schriftstellerschaft – zumal in Wien – von ihrer eigenthümlichen Würde sehr viel verloren, und zu einem beynahe verächtlichen Handwerk herabgesunken ist. So viel Officia sordida die Römer hatten, und so eine Menge Schrifterlinge auch die Klagen eines Juvenal und Horaz bey ihnen vermuthen lassen, so fiel es ihnen doch nie ein, diese Gattung Beschäftigung unter die Officia sordida zu zählen; bey uns aber ist das Barometer der öffentlichen Hochachtung für die Schriftstellerey bereits auf so einen Grad gefallen, daß dieselbe, wenn man eine Klassifikation aller Beschäftigungen, nach Grundsätzen des römischen Rechts festsetzen wollte, sehr wahrscheinlicher Weise unter die Officia Sordida zu stehen kommen würde. Die Ursache dieses auffallenden Unterschiedes scheint theils in dem Zahlverhältniß der schlechten Schriften gegen die guten, theils in der Beschaffenheit der Personen zu liegen, welche sich mit Schreiben abgeben.

Unstreitig überwiegt bey jeder schreibenden Nation die Anzahl der schlechten und mittelmässigen Schriften weit die Anzahl der guten; steigt aber die erstere so hoch, daß die letztere daneben zu verschwinden anfängt, so muß die Achtung für die kleinere Zahl in eben dem Grade abnehmen, wie das Uebergewicht der grösseren zunimmt. Der Grad des Verhältnisses zwischen beyden, ist immer der Maaßstaab des allgemeinen Urtheils, und das lesende Publikum gleicht einem Fischer, der, wenn er unter zehnmaligen Angelwerfen nicht einmal ein Fischchen fängt, diese Wasserstelle für fischlos hält, und weiter geht. Daß dieß der Fall der Wienerschriften sey, bedarf leider! keines Beweises. Von dem ersten April des vorigen Jahres an bis Ende September des gegenwärtigen, folglich in einer Zeit von 18 Monaten erschienen bloß allein in Wien 1170. Schriften, die Nachdrücke fremder Werke nicht mitgerechnet. Welch eine Zahl! und doch würde das Publikum noch um ein Paar hundert mehr zu sehen gekriegt haben, wenn es bloß auf den guten Willen der Autoren angekommen wäre. Angenommen nun, daß von diesen eilfhundert zwey und siebzig Schriften drey Viertheile – welches doch für jeden Kenner derselben das allerglimpflichste Postulatum seyn muß – mittelmäßiges, oder schlechtes Zeug waren, so entsteht daraus ein Verhältniß von 293 guten, gegen 879 entbehrlichen, oder gar schlechten Produkten. Wenn wir nun weiter annehmen wollen, daß eine Schrift in die andere gerechnet, nicht mehr, als 10 Kreutzer gekostet habe – welches man in Rücksicht so vieler periodischen Schriften, und so vieler größeren Werke leicht annehmen kann, und wenn wir ferner voraussetzen, daß von jeder Schrift im Durchschnitt nur 200 gekauft worden sind, – so geben uns die sämmtlichen bisher erschienenen Schriften eine Summe von baaren 39066 Gulden 40 Kreutzern. Wenn wir nun von dieser Summe drey Viertheile, welche auf Rechnung der entbehrlichen Schriften kommen, abziehen, so ergiebt sich daraus an unnütz verschwendetem Gelde eine Summe von 29299 Gulden 30 Kreutzern. Man rechne hiezu noch den mit Lesung dieser Schriften erlittenen Zeitverlust, und addire damit das Lucrum cessans von Ideen und Kenntnissen, mit welchen man während dieser Zeit den Verstand aus bessern Schriften hätten bereichern können, und urtheile dann, ob man dem Publikum die Verachtung und Geringschätzung so ganz und gar verargen könne, mit welcher dasselbe auf die heutigen Schriftstellerprodukte herabsieht. Indessen würde das Publikum sehr voreilig und ungerecht handeln, wenn es diese ganze unnütze Ausgabe bloß auf Rechnung der Autoren schreiben und glauben wollte, daß diese beträchtliche Summe von 29299 Gulden, nach Abzug der Druckkosten, ein reiner unverdienter Gewinn der Autoren gewesen sey. Nach dem hiesigen Verlegerfuß, der gerade für jene Autoren der schlechteste ist, die des Geldes am meisten bedürfen, fallen von jeder Schrift im Durchschnitt sicher zwey Drittheile reinen Gewinnstes in den Säckel derjenigen, die bey fremden Geistesgeburten Hebammendienste verrichten, das ist, die, um ein Geisteskind in die Welt zu setzen, ihre Hände, Maschinen und Windeln herleihen, oder sich wohl gar für den blossen Aufenthalt fremder Kinder in ihrem Gewölbe einen grössern Zins, als je in Wien für eine Wohnung gezahlt wird, abreichen lassen. Nach diesem Zweydrittelfuß also kömmt von den obenangeführten unnützverwendeten 29299 Gulden ein sicherer Betrag von 19533 Gulden auf Rechnung der Verleger. Eine Summe, die jene große Bereitwilligkeit allerdings begreiflich macht, mit welcher dieselben noch immer fortfahren, jeder unreifen Geburt ohne Rücksicht auf derselben künftiges Schicksal an das Tageslicht zu helfen, und sich der Schuld zu frühe entbundener Autoren theilhaftig zu machen.

Noch mehr als das bloße auffallende Verhältniß der schlechten Schriften gegen die guten schadet der Würde der Schriftstellerey die bekannte Beschaffenheit derjenigen, die sich mit Schreiben abgeben. Lesen und Schreiben können machte sonst die erforderlichen Eigenschaften des gemeinen Mannes aus, der bloß von Handarbeit lebt; itzt scheinen sie hinreichend, den Beruf des Schriftstellers zu machen, und so ist die Schriftstellerey zu einem Handwerk geworden, in dem jeder pfuscht, der gesunde und schreibfähige Hände hat. Pfuscherey veranlaßte von jeher den Verfall der Künste und Handwerke. Die wohlfeile, wiewohl schlechte Waare des Pfuschers, verschlägt die besser gearbeitete Waare des kunstgerechten Meisters, und dieser, weil ihm Niemand den grösseren Aufwand von Zeit und Mühe auf seine Arbeit bezahlen will, muß entweder darben, oder mit zum Pfuscher werden. Geschieht das, so nimmt mit der Güte der Arbeit ihr Werth ab, das Handwerk fällt, und mit selbem die Achtung, die man sonst dafür hatte. Der Einwohner des Landes sieht, daß er bey aller Wohlfeile der Waaren verliert, daß er nun alle Jahr neu anschaffen muß, was ihm sonst vier bis fünf Jahre gedauert hatte; er will wieder gute Waare, findet sie in seinem Lande nicht, kauft auswärts, und trägt das Geld aus dem Lande. Das ist beyläufig das Schicksal unserer inländischen Schriftstellerey. Es waren Zeiten, wo es bey uns wenig oder gar keine Schriftsteller gab, und der Lesebegierige mußte sich auswärts Nahrung seines Geistes suchen. Jetzt haben wir Schriftsteller die Menge, aber der Fall ist noch immer der nämliche, und wird es so lange bleiben, so lange zwey Drittheile der gesammten Schriftstellerzunft blosse Pfuscher sind. Bey den Handwerken hat man um den bösen Folgen der Pfuscherey vorzubeugen, die Zunft- und Innungsrechte eingeführt, welche den kunstgerechten Meister in dem ausschliessenden Besitz seiner Kunst handhabten, und den Pfuschern das Handwerk legten; die Schriftstellerey war in diesem Punkte von Anbeginn vogelfrey und ohne Schutz, und die Kritiker, die sich freylich manchmal des bedrängten Autorwesens annahmen, und sich den Eingriffen der Afterautoren entgegen stellten, waren von jeher eine viel zu schwache Schutzwehre, ein Volk von ihrem Gebiete hindan zu halten, welches nur zu gut wußte, daß die Waffen der Vertheidiger desselben nur Gänsespuhlen sind, und ihre Worte zwar den Ton, aber nicht das Vermögen einer gesetzgebenden Gewalt haben. Und dieser wehrlose Zustand der Schriftsteller ist es, der das Gebiet der Wissenschaften zum Tummelplatz jedes noch so unverschämten Federfechters macht, und der so viele litterarische Kleinhändler veranlaßte, ihre kurze Waare an allen Orten auszukramen. Der Name Schriftsteller hat durch die Leute, die ihn tragen, bereits so viel von seiner ursprünglichen Würde verloren, daß er anfängt entehrend zu werden, und wenns noch länger so fortgeht, Gefahr läuft, in Oesterreich eben so gut ein Schimpfname zu werden, als es der Name: Fur bey den Römern ward. Bald wird ein Autor, dem sein guter Name lieb ist, Anstand nehmen, mit Leuten dieses Gelichters einerley Kleid zu tragen, und in einer Gesellschaft zu erscheinen, die so übel berüchtigt ist. Er wird sich zurückziehen, und dem Pfuschergesindel ein Gebiet überlassen, von dem der gesittete Mann wie von einer Jedermannsschenke spricht. Das Publikum kann diesem Uebel allein zuvorkommen. Es ist der einzige Herr, den das Autorvolk als seinen Richter anerkennt, der einzige, dessen Gesetzen sich Schriftsteller und Pfuscher unterwerfen muß. Es herrschet unumschränkt über alle Werke des Geistes, und entscheidet über des Schriftstellers Leben und Tod. Wenn nun dieses Publikum, das im Schauspielhause seine Rechte so streng und unerbittlich ausübt, so leicht zum Mißfallen gereizt wird, und so geschwind fertig ist, ein langweiliges Stück, oder einen schlechten Schauspieler auf der Bühne auszuzischen; wenn dieses Publikum auf der grösseren Bühne der Litteratur eben so wenig seiner Rechte vergässe, die unberufenen Gauckler auf derselben nicht duldete, ihre Bockssprünge und Balgereyen nicht belachte, und das Possenspiel, das diese Schriftstellerbande wöchentlich zweymal im Wienerdiarium ankündiget, nicht theuer bezahlte, so würde die Pfuscherey von selbst aufhören, und die Schriftsteller würden ihr voriges Ansehen wieder erhalten.

Ueberhaupt trägt die hier eingerissene Mode alles, was man gedacht, beobachtet, oder entdeckt hat, flugs in Broschüren, oder kleinen fliegenden Blättern, in die Welt zu schicken, vieles zur Verkleinerung der Ehre unserer Litteratur bey. Diese Methode ist allerdings sehr nützlich, um richtige Begriffe und Meinungen von gewissen Gegenständen beym Volke in Umlauf zu bringen, aber von allen Sachen ohne Unterschied so was Summarisches auf einen, oder zween Bogen hinschreiben, heißt die Wissenschaften sehr geringfügig behandeln. Was ist leichter, als ein paar Bogen mit hundertmal gesagtem Zeuge vollzuschreiben, das Ding gedruckt unter einem Titel, der oft das Beste am ganzen Werk ist, am nächst besten Gewölbfenster eines Verlegers aushängen zu lassen: und dann auszurufen:

Anch'io son pittore!

Ich will damit, daß ich den Greul der Autorpfuscherey gerügt habe, nicht sagen, daß ein junger fähiger Kopf, der was gelernet hat, es aus eigenem Antrieb nie wagen soll, sein Glück auf dieser Bahne zu versuchen; es wäre lächerlich, wenn er um sein Talent gemeinnützig zu machen, auf eine dringende Sendung warten wollte, um sich, im Fall es ihm mißlänge, darauf berufen zu können. Ein Pfuscher ist nur der, der es nicht beym ersten verunglückten Versuche bewenden läßt. Denn leider! giebt es Versuche, die einen traurigen Beweiß von ihres Urhebers gänzlichem Mangel aller Autorfähigkeit abgeben, und denen man es auf den ersten Blick ansieht, daß aus den Begriffen, die in des Verfassers Kopf herumtreiben, nie was werden wird, und nie was werden kann;

licet nonum premantur in annum.

Und solche Versuche, zumal wenn sie wiederholt werden, kann weder Sendung noch irgend ein anderes Mittel vor dem verdienten Vorwurfe der Pfuscherey schützen.

Noch eine Bemerkung, die bey der Vergleichung unserer Litteratur mit der auswärtigen mancherley Aufschlüsse geben kann, ist diese, daß in Wien ein grosser Theil der besten Köpfe gar nicht schreibt; indessen auswärts fast kein Stand, kein Amt, keine öffentliche Bedienstung ist, die nicht den Namen Schriftsteller zum Nebencharakter hat. Diese Ungleichheit läßt sich theils aus der verschiedenen Grundverfassung der Stände, theils aus der Verschiedenheit des hier und dort herrschenden Tones erklären. Bey uns nährt fast jedes Amt seinen Mann hinreichend, und er hat nicht nöthig die Schriftstellerey zur Nebenquelle seiner Einkünfte zu machen; auswärts ist die Autorschaft bey den meisten – zumal geistlichen Aemtern – zu einer Art von nothwendiger Nebenindustrie geworden, die nicht wenigen helfen muß, ihr jährliches Einkommen mit ihren Bedürfnissen in das gehörige Verhältniß zu bringen. Im Ausland ist die Schriftstellerey der gewöhnlichste, sicherste Weg zu Beförderungen, bey uns war sie es wenigstens allgemein nicht. Auswärts ist Lesebegierde und Liebe zu den Wissenschaften ein herrschender Ton, bey uns sind beyde nichts weniger, als das, und scheinen leider! noch größtentheils als eine gelehrte Handwerkssache betrachtet zu werden. Auch scheint der Schriftstellername im Ausland ein viel ehrenvolleres Prädikat zu seyn, als er es bey uns – einst wegen Mangel an Schriftstellern war, und itzt – wegen Ueberfluß an selben ist. All dieses zusammengenommen mag hinreichend seyn jene – zwar für den Staat, nicht aber für die Litteratur – tröstliche Bemerkung aufzuklären, daß Wien eine weit grössere Anzahl vortreflicher Köpfe, als vortreflicher Schriftsteller habe, daß mancher Schriftsteller hier oft weit mehr solche Leser finde, zu denen er in die Schule gehen könnte, als solche, die von ihm lernen, und daß man also sehr weit irre gehen würde, wenn man den Grad der allgemeinen Aufklärung in Wien bloß nach den Schriften dieser Stadt bestimmen wollte, eine Bemerkung, welche – so wahr sie ist – meines Wissens noch jeder fremde Reisende, der von Wien schrieb, zu machen vergessen hat.

Ich will hier eben nicht untersuchen, ob es für jeden guten Kopf Pflicht sey, seine Talente so viel möglich gemeinnützig zu machen, ob bey einer so grossen Ungleichheit der Geistesgaben, bey deren Austheilung die Natur meist eben so willkührlich, als bey Vertheilung der Glücksgüter zu Werke zu gehen scheint, der Aermere an Geist nicht ein Recht auf die Geistesfreygebigkeit des andern habe, ob sich der Reichere, der mit Schätzen kargt, bey deren Vertheilung er nichts verliert, nicht einer noch grösseren Filzigkeit schuldig mache, als der Geitzhals, der nicht freygebig seyn kann, ohne selbst weniger zu haben, und ob der mit seinem Wissen kargende Geist sich der Gelegenheit nicht selbst beraube, eine Wohlthätigkeit der edelsten, höchsten Art auszuüben, eine Wohlthätigkeit, die, je mehr man sie verschwendet, desto mehr vervielfältiget wird, die sich über Millionen Menschen zugleich verbreitet, und von Jahrhundert zu Jahrhundert auf ganze Nationen und Menschenalter sich forterbt. Zugegeben, daß all dieß nur für sehr wenige Fälle entscheidend seyn könne, um die Schriftstellerey zur Pflicht zu machen, so ist doch gewiß, daß der Einwurf: es werde ohnehin genug geschrieben, im allgemeinen eben so wenig für das Gegentheil entscheide. Die vortreflichsten Werke der größten Geister erschienen zu einer Zeit, da man viel schrieb, und der menschliche Geist würde, im ganzen genommen, wenigstens um zwey Drittheile ärmer seyn, wenn die reichsten Geister aller Zeiten, während sie die minder Bemittelten unter sich kleine, oder gar falsche Münze mit vollen Händen auswerfen sahen, mit ihren Gold- und Silberstücken hätten zurückhalten wollen.

Ich weiß, wie leicht dergleichen allgemein gesagte Wahrheiten mißverstanden werden können, und was für Unheil sie anrichten würden, wenn selbe Leute auf sich anwenden wollten, denen sie nicht gesagt sind.

Ich ersuche daher alle und jede – die vielleicht eben itzt, trotz ihrer Geistesarmuth, im Begriff sind, die vorräthige kleine Münze in allen Winkeln ihres Verstandeskasten zusammenzusuchen, um uns dieselbe in papierenen Beuteln an die Köpfe zu werfen – sich ja in keinen Aufwand zu setzen, sondern zu bedenken, daß alle Gold- Silber- und Kupfermünzen, welche ihre Eigenthümer vorlängst in Umlauf gebracht haben, bereits vielmal bezahlt sind, und daß es unchristlich sey, eine fremde Waare, die schon mehr, als hundertmal bezahlt worden, sich wieder von neuem bezahlen zu lassen. Und da der Geister, welche Gold machen können, ohnehin so wenig, und der gelehrten Beutelmacher so viele sind, so gelanget in unsern goldarmen und beutelreichen Zeiten an die sämmtlichen Herren, in deren Köpfen kein eigenes Gold geprägt, wohl aber das fremde in Rauch aufgelöst wird, unsere flehentliche Bitte, daß dieselbe doch geruhen möchten, die ohnehin schreckliche Menge der goldleeren oder – wie der Landmann sich ausdrückt – lichten Beuteln zu beherzigen, und dieselben nicht ferner mit neuen zu vermehren, sintemalen sonst diese ihrer Bestimmung nach, so edle Ideenbehältnisse noch immerfort das klägliche Schicksal würden erfahren müssen, von unbarmherzigen Händen in Tabackbeutel, und Käs- und Gewürzfuterale verwandelt zu werden. Wovor sie der Himmel bewahren, und mit seiner Allmacht gnädigst beschützen wolle!

Noch ein Umstand, der unsere Litteratur in ihrem Fortgange zurückhält, ist die unter uns eingerissene Gewohnheit, fremde auswärtige Journale und Magazine mit inländischen eigenen Produkten und Beyträgen zu bereichern, und den ohnehin grossen Mangel unserer Litteratur an derley kleineren Arbeiten noch mehr zu vergrössern. Es war eine Zeit, wo die wenigen inländischen Gelehrten in den periodischen Blättern unsers Landes keine anständige Gesellschaft fanden, in der sie mit Ehren erscheinen konnten, und sich also eine bessere in auswärtigen Blättern suchen mußten, nicht selten nöthigte sie auch die grössere Strenge der Censur, Aufsätze, die hier bedenklich waren, auswärtigen Blättern zu überlassen, und einige unter ihnen suchten – was vormals kaum zu verdenken war – eine Ehre darinn, in den gelehrten Blättern einer Litteratur zu erscheinen, die der unsrigen, ihres grossen Vorsprungs wegen, von jeher den Ton angab. In wie weit diese Ursachen, die unsere Litteratur um so manches schätzbare Eigenthum brachten, noch itzt fortwähren, will ich nicht untersuchen, gewiß ist es indessen, daß wir sehr viel dabey verlieren, und so lang diese Gewohnheit währet, nie ein gutes periodisches Blatt werden aufweisen können. – Das Verhältniß, in welches wir uns selbst durch unsere Beyträge mit den Auswärtigen setzen, ist auffallend ungleich und gegen alle Regeln eines gesellschaftlichen Vertrags: wir geben ihnen Beyträge, sie geben uns keine, wir schenken ihnen unsere Arbeiten, um selbe wieder von ihnen um unser Geld kaufen zu können. Was Wunder also, daß wir ihnen damit willkommen sind? Würde dadurch unsere eigene Litteratur nicht zurückgesetzt, so möchte dieß alles noch hingehen, aber seinem Vaterlande den Rock ausziehen, um ihn andern, die so viele Röcke haben, zu schenken, ist der Ahndung jedes Patrioten werth. Nie wird unsere Litteratur vorwärts rücken, nie wird sie sich ihren Schwestern bemerkenswerth und nothwendig machen, wenn nicht Gemeingeist unter ihren Schriftstellern herrscht. – Und doch, wie leicht könnte sie das? Ist nicht Wien der Mittelpunkt, um den sich Deutschlands kleinere und größere Planeten drehen? Ist es nicht – zumal itzt – das Augenmerk von ganz Europa? Haben Philosophie und Wissenschaften daselbst nicht einen viel weiteren Wirkungskreis? Ist Aufklärung nicht in vollem Gange, und stehen nicht Männer, wie manches weit hellere Land sie nicht hat, an ihrer Spitze? Sieht nicht alles auf uns, und haben nicht selbst auswärtige Schriftsteller bekennet: wenn die deutsche Litteratur, wie sie itzt ist, noch weiter rücken soll, so müsse sie von Wien aus weiter geführt werden? – Aber wenn unsere besseren Schriftsteller nur für das Ausland arbeiten, wenn sie die kleineren Bäche ihres Mutterlandes in ausländische Flüsse leiten, wenn Dichter ihre auf mütterlichem Boden erzeugten Blumen in auswärtige Beete verpflanzen, wenn selbst der Inländer die Manufakturen und Staatsvorfälle seines Landes erst aus Schlözers Staatsanzeigen, und die Talente seiner Landesleute aus fremden Journalen kennen lernen muß, so läßt sich von der inländischen Litteratur nie ein wahres Fortkommen hoffen, und wenn sich auch im Ausland hundert allzeitfertige Verleger fänden, die – wie itzt erst unlängst einer – alle unsere Zehnkreuzerbroschüren nachdruckten.

Ueberhaupt stehen alle übrigen Verfassungen unsers Landes auf einer ungleich höheren Stuffe der Vollkommenheit, als der Zustand unserer Litteratur, und die in so manchem Betracht kolossalische Grösse unseres Staates macht mit der litterarischen Kleinheit desselben einen sehr auffallenden Kontrast. Der österreichische Staat, der sich sonst überall in männlicher Stärke darstellet, wird im Fache der Litteratur noch stets für unmündig angesehen, und muß sich noch immer gefallen lassen, von fremden ungebetenen Geistesvormündern, theuer bezahlte Leitung anzunehmen. Das Lesen ist einmal bey uns zum Bedürfniß geworden, fast jeder nur halb bemittelte Privatmann hält sich – wärs auch nur um ein paar Zimmerwände damit zu tapeziren – eine kleine Bibliothek, wer nur lesen kann, hat wenigstens ein halbes Duzend Bücher, und dieser Handlungsartikel, der nun bey uns so wichtig zu werden anfängt, ist gerade der einzige, der uns den Ausländern am meisten zinsbar macht. Für die mehresten Handlungszweige haben wir inländische Manufakturen, die das Geld im Land erhalten, und uns die Waaren der Ausländer entbehrlich machen sollten, unsere Büchermanufakturen aber, welche den edlen Zweck haben, für die Geistesbedürfnisse des Landes zu sorgen, sind leider! noch in sehr mißlichem Stande, und die beträchtlichen Summen, die wir jährlich den Niederdeutschen, den Engländern, Franzosen und Holländern, baar bezahlen müssen, beweisen deutlich, wie unentberlich uns ihre gelehrten Waaren sind, und wie wenig noch unsere Manufakturen zureichen, um uns mit ihnen durch Tauschhandel in ein Gleichgewicht setzen zu können. Ueberhaupt scheint mir, habe man die Litteratur selten oder gar nie von dieser Seite betrachtet, und doch liesse sich meines Erachtens arithmetisch beweisen, daß der Gegenstand wichtig genug ist, um in Betrachtung gezogen zu werden. Wenigstens lehrt uns die Erfahrung unseres eigenen Schadens, daß diejenigen Mächte, welche früher, als wir anfiengen, die Litteratur und Wissenschaften ihres Landes zu begünstigen, und zu heben, sich nicht verrechnet haben, wenn sie von ihrer Bemühung nebst dem unsichtbaren Zuwachs von Ruhm und Ansehen, auch einen sehr sichtbaren und handgreiflichen Zuwachs von fremdem Gelde erwarteten; und lag auch diese Absicht nicht in dem Plan ihrer zum Besten der Wissenschaften gemachten Einrichtungen, so mußte sie doch der Erfolg davon überzeugen, daß die Summen, welche sie dazu verwendet hatten, auf sehr gute sowohl unsichtbare als sichtbare Zinsen ausgelegt waren. Und wenn man das allgemeine Verhältniß der Staaten untereinander als eine immerwährende Ebbe und Flut betrachtet, in welcher eine Masse die andere drängt, und wie eine Macht abläuft, die andere vordringt, wo jede Blösse, jeder Abgang, jedes noch so unbeträchtliche minus das allgemeine Gleichgewicht stört; wenn man annimmt, daß diese Massen des Staates unaufhörlich gegen einander streiten und wirken, um sich ins Gleichgewicht zu setzen, so ist es gewiß, daß auch die Wissenschaften auf jene Waage gehören, auf welcher ein Staat sein Gewicht gegen den andern abwägt, und daß sie sowohl von Seite der Ehre als des Gewinns einen nicht unbeträchtlichen Theil davon ausmachen.

Es würde mich zu weit führen, wenn ich diese auf wahre Verhältnisse gegründete allgemeine Beobachtungen fortsetzen, dem Faden aller daraus möglichen Folgerungen nachgehen, und die Anwendung derselben auf jeden Zweig der Litteratur und alle damit verbundene Gegenstände und Einrichtungen auseinandersetzen wollte. Jeder Geist, der Licht genug in sich hat, aus einer allgemeinen Wahrheit, wie die Sonne aus ihrem Mittelpunkte den ganzen Umkreis der ihn umgebenden Gegenstände zu beleuchten, kann das von selbst. Genug, daß sich daraus der wahre Schluß ergiebt, daß zum Besten der Wissenschaften nie zu viel gethan werden kann, und daß ein Staat, der bereits auf einer gewissen Stuffe von Grösse und Vollkommenheit steht, den Gipfel derselben nur durch den höchstmöglichen Grad von Aufklärung erreichen könne.

So schwer es auch immer seyn mag, den allgemeinen Grad der Aufklärung eines grossen Staates zu bestimmen, so wird der aufmerksame Beobachter, der dem Wechsel der menschlichen Meinungen und herrschenden Begriffe nachspürt und die gegenwärtige Beschaffenheit derselben mit der vorhergegangenen zusammenhält, gleichwohl Data finden, aus denen sich, wo nicht die Stuffe der Aufklärung, doch sicher das Mehr oder Weniger derselben berechnen läßt. Gewiß ist es, daß die Toleranzedikte und kirchlichen Verordnungen unseres weisen Monarchen, die erweiterte Zensursfreyheit, und selbst die dadurch veranlaßte Menge von kleineren Gelegenheitsschriften vieles zur allgemeinen Aufklärung beytragen mußten.

Denn die Toleranzedikte hatten gleich diese Wirkung, daß sie einen grossen Theil unsers Volkes, wenn gleich nicht über alle, doch wenigstens über viele Gegenstände die althergebrachten Vorurtheile erkennen machten.

Die durch die Toleranzedikte veranlaßten Hirtenbriefe einiger – obschon weniger – wahrhaft eifriger Bischöfe waren ein näherer Schritt zur Verbannung dieser nämlichen Vorurtheile, die Jahrhunderte lang den Geist der Gläubigen eben so sehr, als die Religion selbst, abgewürdiget hatten. Freylich hatten diese Briefe den Klosterglauben – das ist, denjenigen Glauben, welchen der Mönchsgeist zur Beschäftigung seiner übervollen Musse, und zur Handhabung seiner Privatvortheile auszuhecken, und mit allen Auswüchsen einer gewaltsam verdrehten Phantasie zu durchweben für gut befunden hat – wider sich, und mußten ihn wider sich haben; allein was auch dieser Klosterglaube dagegen vorbringen mag, so ist doch gewiß, daß jeder nur halb gesunde Menschenverstand, wenn sich ihm am Scheideweg auf einer Seite die Religion, in dem vielfärbigen, mit Flitterwerk beladenen Gewande, womit sie der Mönch behänget, und diese Religion auf der andern Seite, wie der vortrefliche Salzburger Hirtenbrief sie schildert, in ihrem einfachen, weißen, makellosen Kleide zur Wahl darstellte, nicht einen Augenblick Anstand nehmen würde, von dem ersten Bild sich wegzuwenden, und das letzte mit Inbrunst zu umfangen. Ueberhaupt wäre nichts geschickter, um den Abstand gewisser mönchischer und leider! auch – nicht mönchischer – Lehren, jedem noch so trüben Blicke anschaulich zu machen, als wenn man die vortrefflichen Grundsätze dieses Hirtenbriefes jenen entgegensetzte, und es wäre zu wünschen, daß irgend ein aufgeklärter Theolog die Mühe auf sich nähme, den auffallenden Abstand beyder Lehren in einer ausführlichen Parallele zu zeigen.

Die kaiserlichen Verordnungen, welche die Bischöfe des Landes in ihre ursprünglichen Rechte wieder einsetzten, verschaften denselben alle nur mögliche Gelegenheit, sich um die allgemeine Aufklärung verdient zu machen. Sie haben nun Mittel, deren weiser Gebrauch sie an dem Geiste der Gläubigen ihres Kirchensprengels nothwendig zu Wohlthätern machen muß. Und wenn gleich viele Bedenken tragen, Gebrauch von Rechten zu machen, die ihren Vorfahren, einst so heilig, und mit ihrem Amte so wesentlich verflochten schienen, so läßt sich doch von dem Beyspiel der Wenigen, die bereits anfiengen, sich ihrer hergestellten Macht zum Wohl ihrer geistlichen Unterthanen zu bedienen, noch immer einige Wirksamkeit auf die Uebrigen hoffen, welche lieber Sachwalter einer fremden Gewalt, als Verwalter ihrer eigenen sind; und wird auch diese Erwartung vereitelt, so bleibt doch der tröstliche Gedanke zur Aussicht, daß jene Urkunden wiedererlangter Rechte, welche die gegenwärtigen Besitzer in ihren Archiven mit der Ueberschrift: ἀνέχου και ἀπέχου versiegelt und unberührt liegen liessen, ein zurückgelegter Schatz für ihre Nachfolger sind, welche nicht Anstand nehmen werden, mit diesen für das Wohl der Menschheit so wichtigen Geschenken zum Besten der Religion, des Staates und der allgemeinen Aufklärung zu wuchern.

Die Aufhebung einiger Ordensgemeinden, die Verminderung und Einschränkung der übrigen Mönche, die Verpflichtung derselben, ihre wissenschaftliche Ausbildung einer öffentlichen Aufsicht zu unterwerfen, sind eben so viele günstige Vorboten der Aufklärung, deren wohlthätigen Einfluß die kommenden Generationen mit Dankbarkeit segnen werden. Der Mönchsgeist war von jeher ein Melthau für die Blüthe der Wissenschaften, und der ungünstige Einfluß desselben benahm fast allen Zweigen der Gelehrsamkeit Saft, Fruchtbarkeit und Gedeihen. Unmöglich konnten auf einem so engumzäunten Boden die Sprößlinge der Wissenschaften zu Bäumen heranwachsen, und ihre Aeste in die Lüfte verbreiten, und wem ist nicht aus der Geschichte bekannt, zu was für verwachsenen, dornichten, und an der Erde hinkriechenden Gesträuchen Philosophie, Theologie und Kirchenrecht auf mönchischem Grund und Boden geworden sind? Es ist nicht nöthig die Ursache dieses allgemeinen Mißwachses in der bestimmten, kaum zu vermuthenden Absicht zu suchen, vermöge welcher die Mönche darum alle Keime der Aufklärung sollen erstickt haben, um die allgemeine Lichtmasse der Staaten in einer zu ihrem Vortheil verhältnißmässigen Dämmerung zu erhalten – eine Beschuldigung, die ihnen öfter gemacht, als erwiesen worden ist. – Genug, daß sich die Unmöglichkeit des Gedeihens der Wissenschaften aus der Natur der Klosterverfassungen ergiebt. Wie kann ein Mönch, dem gleich bey seinem Eintritt in den Orden das Selbstdenken zur Sünde, und die Verleugnung seines besseren Wissens zur Pflicht gemacht wird, der in dem größten Geisteszwang erzogen, und von strengen Asceten – seinen einzigen ersten Wegweisern – gelehrt wird, durch beständiges Abstumpfen seines Verstandes, und gänzliche Verachtung alles irdischen Wissens seine höchste Vollkommenheit zu erreichen, der in einer Lage lebt, die sich mit seinem Denk- und Empfindungsvermögen so wenig verträgt, der, wenn sein Geist was immer für eine Wahrheit verfolgt, alle Augenblicke Gefahr läuft, mit dem nächsten Schluß, den er daraus zieht, gegen ein Gelübd, eine Regel, oder eine Ordensmeinung anzustossen, der endlich, wenn er es auch wagt, sich aufzuklären, von seinen Mitbrüdern gehasset, verfolgt, und als ein Geistes-Apostat angesehen wird, wie kann so ein Mann Muth, und Thätigkeit genug behalten, das ganze weite Gebiet des menschlichen Wissens zu umfassen, und seinen Geist unaufgehalten über alle Zweige desselben zu verbreiten? All dieß zusammengenommen, ist meines Erachtens hinreichend, sich die Unbrauchbarkeit der Mönche zu vielen Zweigen der Gelehrsamkeit zu erklären, und den Grund anzugeben, warum die Sprossen der meisten Wissenschaften in ihren Händen entweder welken, oder verkrümmt und verbogen werden mußten, ohne daß man nöthig hat, zu einer Beschuldigung von vorsetzlicher Absicht seine Zuflucht zu nehmen, die vielleicht ihrem Herzen zu viel Schande, und ihrem Kopfe zu viel Ehre machen würde. Genug, daß weder die eine, noch ander Ursache in Zukunft mehr Statt haben wird, und daß die über das Mönchswesen ergangenen Verordnungen bereits ihre wohlthätigen Wirkungen äussern, und manchen fähigen Kopf, dem sonst vor allem irdischen Wissen graute, veranlassen, sich nun auch mit der in Klöstern sonst so sehr verabscheuten sapientia terrena, und prudentia carnis abzugeben, um sich auch durch solche Kenntnisse in Rücksicht seiner künftigen ungewissen Bestimmung sicher zu stellen.

Die erweiterte Censursfreyheit, und das dadurch dem Widerspruche, und den Meinungen der Schriftsteller eröffnete Feld versprach der allgemeinen Aufklärung eine nicht minder gesegnete Erndte, und vielleicht ist diese zum Besten des menschlichen Verstandes gemachte Verordnung die erste, die, so neu sie noch ist, schon wirkliche Früchte aufzuweisen hat. Denn ausser den sichtbaren, schon oben bemerkten heilsamen Folgen, welche die Kämpfe so vieler eifrigen Gegner zum Besten der Wahrheit mit sich brachten, giebt es noch manche tröstliche Beobachtung, die sich über den Fortgang der allgemeinen Aufklärung machen läßt. Allerdings geht es mit der Zurechtweisung des menschlichen Geistes sehr langsam, und eine durchaus aufgeklärtere Denkungsart läßt sich höchstens erst von der zweyten Generation, wenn unsere itzigen Kinder Väter seyn werden, erwarten. Auch ist es in Bestimmung dieser Sache viel leichter, die zum Fortgang der Aufklärung gegebenen Ursachen und Anläße herzurechnen, als die Wirkung derselben zu bestimmen. Die entscheidendsten Data, um wie viel heller das Volk über gewisse Gegenstände denke, liessen sich unstreitig aus den Verkauflisten der Rosenkranzkrämer, Bilderilluminierer und Skapulierhändler, aus den Rechnungen der Wirthe an größeren Wahlfahrtsorten, aus den neuesten Bruderschaftslisten, und dem täglichen Absatz der wächsernen Opfer und der sogenannten Kerzelweiber herhohlen. Indessen giebt es für den aufmerksamen Beobachter noch andere Data, aus welchen er den höheren Grad der Aufklärung so ziemlich richtig berechnen kann. Es giebt unter dem Volke bey besonderen Anlässen und Erscheinungen gewisse Aeußerungen von dem – was ich aura popularis nennen würde, wenn es die römischen Sprachgesetzgeber nicht in einem andern Verstande gebraucht hätten – in denen immer der Grad des allgemeinen Vorurtheiles für gewisse Gegenstände sichtbar wird. Man erinnere sich des Aufsehens und der fast allgemeinen Empörung, welche die Schrift: über die Begräbnisse in bürgerlichen und adelichen Gesellschaften, in Schenken und Koffeehäusern erregte, und halte den unbefremdeten Blick und die Gleichgültigkeit dagegen, mit welcher das Volk itzt ungleich stärkere Doses von Wahrheit als bewährte Hausmittel in sich schlürft, und man wird finden, daß das Volk durch die kleineren Schriften dieser Art zu einer Bekanntschaft mit gewissen Gegenständen gelanget ist, die durch eine Reihe von Jahren kaum zu erwarten war. Das Lesen so vieler Schriften, das vielfältige Raisonniren darüber, mußte dasselbe nach und nach mit Ideen vertraut machen, die es sonst gar nicht, oder nur im Vorbeygehen zu denken gewohnt war. Und hätten die Schriftsteller nicht selbst so oft ihr Ziel aus dem Gesichte verloren, hätten sie ihre Begriffe nicht selbst verwirrt, und einer des anderen Arbeit vernichtet, so würde die Aufklärung ihr Gebiet noch weiter ausgedehnt, und ihre Macht selbst bis auf Handlungen erstreckt haben. Das Volk würde eingesehen haben, daß man ihm wohl will, daß man ihm nur die Schlacken, nicht das Gold nehmen, und seine Begriffe läutern, nicht umstürzen wolle, daß man ihm nichts nehme, ohne dafür etwas besseres zu geben, und daß der Zweck einer wahren Aufklärung nur darin bestehe, das eigne Wohl des Bürgers mit seinen Pflichten gegen Gott und den Staat in das engste und genaueste Verhältniß zu bringen.

Möchten doch alle, die sich berufen glauben, an der allgemeinen Aufklärung zu arbeiten, dieß beherzigen, möchten doch die hartnäckigen Zeloten und die zu hitzigen Neuerer den Mittelweg nicht verkennen, auf welchem die Wahrheit einhergeht, möchten sie doch ihre Geisteskräfte nicht an unnützem Privatgezänke versplittern, möchten doch die Schriftsteller unseres Landes ihre Mitbürger die Vortheile kennen und benützen lehren, welche ihnen die weisen Verordnungen ihres Monarchen bereiten, möchten doch alle, denen die Natur ein höheres Erkenntnißvermögen gab, mit vereinigten Kräften an dem Werke einer wahren Aufklärung arbeiten, und bedenken, was für ein grosser, seelenerhebender Gedanke das sey, der Wohlthäter eines Volkes und ganzer Generationen von Menschenaltern zu werden!

(1) Der würdige Herr Probst Anton Witola hat in seinem zweyten Schreiben über die Toleranz diesen katholischen Unterricht nach Verdienst kommentirt.

(2) Franz Isla, ein spanischer Jesuit, auf dem der Geist des Cervantes ruhte, stellte im Jahr 1758. in seinem Kanzeldonquischotte, den er Bruder Gerundio nannte, den Predigern seiner Zeit ihr eigenes Ebenbild zum Spektakel dar. Dieses vortrefliche Buch, welches Bertuch unter dem Titel: Geschichte des berühmten Predigers Bruder Gerundio von Campazas. Leipzig 1773. 2 Bände gr. 3. ins Deutsche übersetzt hat, ist die angenehmste und lehrreichste Lektüre für Prediger aller Nationen und Zeiten.

Anmerkungen zur Transkription:

Im folgenden werden alle geänderten Textstellen angeführt, wobei jeweils zuerst die Stelle wie im Original, danach die geänderte Stelle steht.