Title: Die Reise zum Mars
Author: Hans Dominik
Release date: September 12, 2012 [eBook #40737]
Most recently updated: October 23, 2024
Language: German
Credits: Produced by Jens Sadowski
Erzählung von Hans Dominik.
Es war im Jahre 2108. Die Menschheit hatte während der letzten zweihundert Jahre auf allen Gebieten gewaltige Fortschritte gemacht. Dank einer bewunderungswürdigen Nahrungsmittelindustrie lebten zehn Milliarden einer durchgehends hochkultivierten Menschenrasse auf dem Erdball, welcher im Jahre 1908 kaum fünfzehnhundert Millionen ernähren konnte. Die Wissenschaften standen in hoher Blüte.
Die Ergebnisse einer verbesserten und erweiterten Spektralanalyse ließen mit untrüglicher Sicherheit erkennen, daß der Nachbarplanet der Erde, der Mars, Wasser, Luft und eine grüne Vegetation besaß. Man mußte mit vollem Recht annehmen, daß dort menschliches Leben gedeihen könne, daß der Mars, falls er selbst nicht bewohnt sei, eine Dependence, eine Kolonie der irdischen Menschheit werden könne. Das alles stand fest, aber auch diese Kenntnis blieb fruchtlose Theorie. Bot sich doch keine Möglichkeit, dem Bannkreis der Erde zu entrinnen, den Weg zu jenem Planeten zu finden.
In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hatte ein australischer Milliardär, wohl durch eine phantastische Schrift Jules Vernes angeregt, den Versuch unternommen, aus einem Riesengeschütz ein gewaltiges Geschoß zum Mars zu senden. Der Versuch war schmählich mißlungen. Noch bevor das Geschoß die Atmosphäre der Erde selber passiert hatte, war es durch die unendliche Reibung zerschmolzen und zu Dampf zerspritzt. Es hatte sich gezeigt, daß bei solchen Geschwindigkeiten die Luft wie ein starrer Störper wirkt. Ähnlich geht es ja bei sehr viel geringeren Geschwindigkeiten bereits mit dem Wasser. Wasser aus der Pistole geschossen wirkt fast schlimmer als Eisen und Blei. Bei der Riesengeschwindigkeit, welche das australische Geschoß beim Verlassen des Rohrmundes hatte, wirkte die Luft ebenso wie das Wasser, welches aus der Pistole kommt. Das Geschoß war, wie gesagt, beinahe im Augenblick verpufft. Der Versuch, ein Projektil auf den Mars zu feuern, mußte als gänzlich undurchführbar fallen gelassen werden.
Auf gewaltige Strahlungen mit elektrischen Wellen, die man in den Weltraum gesandt hatte, war nie eine Antwort gekommen. Man durfte daher annehmen, daß der Mars selbst unbewohnt sei oder doch zum wenigsten nicht von hochzivilisierten Menschen bewohnt, bei denen man elektrische Wellentelegraphen selbstverständlich voraussetzen mußte. Der berühmte Pariser Marspreis, der im Jahre 1894 für die erste zuverlässige Kommunikation zwischen Erde und Mars gestiftet wurde, war daher noch unbehoben. Sein Wert von hunderttausend Mark hatte zweihundertzwanzig Jahre auf Zins und Zinseszins gestanden, und man weiß ja, wie sich solche Summen im Laufe der Jahre vermehren. Ein Kapital zu etwa sieben Prozent auf Zins und Zinseszins angelegt verdoppelt sich in zehn Jahren, dies Kapital hatte demnach Gelegenheit gehabt, sich zweiundzwanzigmal zu verdoppeln. So war jener Marspreis auf die fabelhafte Höhe von nahezu zweihundertzehn Milliarden Franken angewachsen und drohte ins Ungemessene zu steigen, wenn nicht in absehbarer Zeit die Kommunikation zwischen beiden Planeten irgendwie hergestellt werden konnte. Hervorragende Volkswirtschaftler rechneten bereits heraus, daß in weiteren hundert Jahren annähernd das gesamte Nationalvermögen der Menschheit im Dienste des Marspreises stehen würde und schrieben lange Abhandlungen über das Für und Wider einer solchen Entwicklung. So standen die Dinge im Jahre 2108.
Es war an einem Januartage des Jahres 2109. Im Verwaltungsgebäude des Marspreises zu Paris saß der erste Direktor des Kuratoriums in seinem Arbeitszimmer. Die Arbeiten dieses Kuratoriums hatten im Laufe der vergangenen zweihundert Jahre auch manche Wandlung erfahren. Während der ersten hundert Jahre seines Bestehens war der Preis häufig von Leuten beansprucht worden, die allerlei mehr oder weniger unbrauchbare Projekte zur Erschließung des Marses vorbrachten. Gemäß den Statuten durfte der Preis jedoch nur verteilt werden, wenn die Verbindung wirklich hergestellt war, und so waren alle diese Projektenmacher abgeblitzt. Damals hatte das Kuratorium hauptsächlich solche Ablehnungsbriefe zu schreiben, während das Geld des Preises selbst in sicheren Staatspapieren angelegt war. In den folgenden hundert Jahren hatte sich das Bild geändert. Projektenmacher kamen kaum noch, weil sie ein für allemal wußten, daß ihre Bestrebungen aussichtslos waren. Dafür aber war das Kuratorium immer kaufmännischer geworden, denn ein Vermögen, welches in die Milliarden geht, kann man nicht mehr einfach in mündelsicheren Papieren festlegen, sondern muß es durch Handelsherren in größtem Stile verwalten lassen.
So saß denn auch jetzt Monsieur Charles Durand, der Vorsitzende des Kuratoriums, in seinem Bureau und überdachte soeben eine Hundertmillionenbeteiligung der Marsstiftung an einer chemischen Eiweißfabrik in Tiflis, als der Diener ihm einen Besucher meldete. Alfred Müller, Doctor rerum phys. et. chem., las Monsieur Durand auf der Karte und hatte nicht übel Lust, den Besucher abzuweisen. Mißmutig wollte er die Visitenkarte des Fremden auf den Tisch werfen. Dieser Versuch gelang ihm indessen nicht. Freilich flog die Karte bis auf die Tischplatte. Dort blieb sie jedoch nicht liegen, sondern stieg langsam im Raum empor. Einen Augenblick stand Monsieur Durand verdutzt da. Dann erhaschte er die Karte mit schnellem Griff und drückte sie abermals auf die Tischplatte nieder. Sowie er jedoch die Hand wieder zurückzog, begann die Karte von neuem zu steigen. Erst als er einen Briefbeschwerer darüber stellte, behielt sie ihren Platz auf der Schreibtischplatte.
Höchst verwundert, betrachtete Monsieur Durand dieses eigenartige Kartenblatt und sagte dann kurz entschlossen zum Diener: „Ich lasse Herrn Doktor Müller bitten.“ Nach wenigen Sekunden stand ein junger Gelehrter, der Typus des blonden blauäugigen Deutschen vor ihm und begann nach wenigen einleitenden Worten die folgenden Erklärungen und Ausführungen vorzubringen:
„Es ist mir bekannt, Monsieur Durand, daß der Marspreis statutenmäßig nicht für vorbereitende Arbeiten, sondern nur für die endgültige Herstellung einer Verbindung zwischen Erde und Mars verliehen werden darf. Mit Recht hat Ihr Kuratorium Jahrhunderte hindurch das große Heer der Projektenmacher abgewiesen und ich würde nicht zu Ihnen gekommen sein, wenn ich Ihnen nicht etwas Besonderes zu bieten hätte. Sie werden nun vielleicht bereits das eigentümliche Verhalten meiner Visitenkarte bemerkt haben. Während alle anderen Dinge in diesem Zimmer unter dem Einflusse der Schwerkraft stehen und dementsprechend ihren Platz auf der Erdoberfläche unveränderlich beibehalten, ist diese Karte der Schwerkraft zum allergrößten Teile entzogen. Sie steht lediglich unter dem Einfluß der allgemeinen Massenträgheit. Infolgedessen wird sie zu irgend einem Zeitpunkt sich selbst überlassen, nicht mehr den üblichen Kreis mitmachen, den jeder Punkt der Erdoberfläche beschreibt, sondern sich tangential von der Erdoberfläche entfernen. Wir werden sie praktisch in die Höhe steigen sehen.“
„Das habe ich bemerkt,“ unterbrach ihn Monsieur Durand.
„Ich will Sie, sehr verehrter Herr Durand, nun nicht weiter mit den bekannten wissenschaftlichen Tatsachen langweilen,“ fuhr Doktor Müller fort. „Ich möchte nur daran anknüpfen. Wir alle stehen wohl heute auf dem Standpunkt, daß die Schwerkraft ein rein mechanisches Druckphänomen ist und durch das fortwährende Bombardement des Lichtäthers zustande kommt, dessen Atome die Poren der Materie durchsetzen, wie Wasser die Poren eines Schwammes. Obwohl wir diese Tatsache für wahrscheinlich, ja für wahrscheinlich bis zur Sicherheit halten, ist irgend ein experimenteller Nachweis, der zur Bekräftigung dieser Theorie hätte dienen können, bis jetzt noch nicht gelungen.
Ich selbst bin nun im Verfolg langwieriger Forschung dazu gekommen, die Moleküle eines Körpers derart zu schichten, daß die Stöße des Lichtäthers zum allergrößten Teile glatt hindurchgehen und die Erscheinung der Schwerkraft infolgedessen nicht mehr oder doch nur in so geringem Maße zustande kommt, daß sie durch die Zentrifugalkraft bequem überwunden werden kann. Ich will das Geheimnis meiner Erfindung vorläufig noch nicht bekannt geben, überzeugende Experimente, die ich Ihnen vorführen kann, sprechen überdies deutlicher als alle Theorien. Ich habe hier einen goldenen Ring am Finger. Äußerlich mag Ihnen vielleicht ein gewisser opalisierender Glanz des Goldes auffallen. Dieser Ring nun ist polarisiert abarisch gemacht, das heißt er ist in einer bestimmten Richtung für die Schwerkraftstrahlen unfaßbar. Ich nehme den Ring jetzt vom Finger und stelle ihn hochkantig auf den Tisch. Sie sehen, er bleibt ruhig liegen. Die Schwerkraftstrahlen drücken ihn auf die Tischkante. Jetzt lege ich den Ring flach auf den Tisch und sofort beginnt er zu steigen. Im Gegensatz zu dieser polarisierten Abarie war meine Visitenkarte überhaupt und in jeder Richtung für die Schwerkraftstrahlen durchdringlich und daher in jedem Falle geneigt, emporzusteigen. Um es nun kurz zu machen. Ich kann eine große Anzahl irdischer Stoffe der Schwerkraft entziehen und damit bin ich ohne weiteres in der Lage, ein Fahrzeug zu bauen, mit dem sich der Mars erreichen läßt. Wenn ich in einem Augenblick mit einem derartigen abarischen Raumschiff die Erdoberfläche verlasse, in welchem die Tangente in diesem Punkte genau auf den Mars gerichtet ist, so muß ich diesem geradeswegs in die Arme laufen.“
Monsieur Durand hatte schweigend zugehört.
„Theoretisch haben Sie zweifelsohne recht,“ begann er jetzt, „aber überlegen wir uns einmal, wie lange die Reise dauern wird. Gesetzt den Fall, Sie nehmen den Augenblick großer Marsnähe zum Zeitpunkt der Abreise, so müssen Sie immerhin sieben Millionen Meilen durchfahren. Gesetzt weiter den Fall, Sie reisen vom Äquator ab, woselbst die Tangentialgeschwindigkeit der Erde etwa vier geographische Meilen in der Sekunde beträgt, so brauchen Sie immerhin noch rund eine Million achthunderttausend Sekunden oder zwanzig Tage und zwanzig Stunden. Das würde zeitlich nicht zu lange sein. Nicht länger, als noch vor zweihundert Jahren die Dampfschiffahrt über den Stillen Ozean dauerte. Aber weitere Einwände sind zu machen. Zunächst finden Sie keinen Punkt der Erdoberfläche, dessen Tangentialbewegung für die Zeit der Marsnähe genau auf den Mars gerichtet wäre. Dazu sind die Ebenen beider Planetenbahnen und die Achsen beider Planeten zu sehr gegeneinander geneigt. Die Punkte, welche für solche Abreise allenfalls in Betracht kommen würden, haben die drei- bis vierfache Entfernung der Marsnähe zur Voraussetzung. Ferner aber: wie wollen Sie mit Ihrem abarischen Fahrzeug, das nun in der Sekunde dreißig Kilometer zurücklegt, auf dem Mars landen, ohne zu Grunde zu gehen. Entweder Sie verfehlen die Marsscheibe und treiben dann verloren in die Unendlichkeit hinein, wenn Sie nicht vorher nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit in der Region der Planetoiden von irgend einem Boliden, oder irgendwelchem im Weltraum treibenden Felsgetrümmer zerschmettert werden. Diese Aussicht ist wenig erbaulich. Aber auch die zweite ist nicht schön. Treffen Sie wirklich die Marsscheibe, so muß Ihr Fahrzeug durch den Aufprall gleichfalls zerschmettert werden und Ihre Expedition findet ein ruhmloses Ende.“
„Ihre Auslassungen sind durchaus gerechtfertigt,“ warf jetzt Doktor Müller ein, „aber Sie wissen noch nicht alles. Darf ich Sie noch einmal um meine abarische Karte bitten. Ich habe hier in diesem Fläschchen eine ganz besondere Flüssigkeit, welche die Atomlagerung stark beeinflußt. Ich bestreiche die Karte damit, und Sie sehen, daß sie jetzt liegen bleibt. Sie steht wieder unter dem Einflusse der Schwerkraft. Ihre Atome haben sich so weit verlagert, daß die Schwerkraftstrahlen nicht mehr glatt hindurchgehen, aber auch nur ebenso weit. Sobald ich diese zweite Flüssigkeit, welche ich hier in einer anderen Flasche bei mir führe, darüber streiche, klappen die Äthergänge gewissermaßen wieder auf. Die Karte steigt wieder in die Höhe. Um es also kurz zu sagen: ich werde auch mein Marsschiff nach Belieben der Schwerkraft unterwerfen oder es ihrem Einflusse entziehen können. Damit aber bieten sich mir ungeahnte Möglichkeiten. Ich brauche keineswegs in einem Bummeltempo von dreißig Kilometern in der Sekunde zum Mars zu fahren. Eine Grenze ist mir ja hier nicht gesetzt. Fahren doch einzelne Sternschnuppen mit dreihundert und mehr Kilometern in der Sekunde durch den Raum. Ich kann einen Augenblick zur Abfahrt wählen, in dem unser Mond mir bequem im Wege liegt, und diesen kann ich dann als die große Stellweiche für die Einfahrt in das Geleise zum Mars betrachten. Von der Erde nehme ich zunächst die Richtung in die Nähe des Mondes. Sobald ich in den Bereich seiner Anziehungskraft gelangt bin, kann ich mein Fahrzeug wieder schwer machen und mit quadratisch gesteigerter Geschwindigkeit in seine Nähe stürzen. Sobald mein Fahrzeug dabei eine Geschwindigkeit von etwa zweihundert Kilometern und die genaue Richtung auf den Mars erlangt hat, werde ich die Schwerkraft wieder abstellen und in sausender Fahrt dem Mars zueilen. In wenigen Stunden kann ich ihn erreicht haben, dicht an ihm vorbeigehen und im Augenblicke des Vorbeiganges die Schwerkraft wieder anstellen. Sie wird jetzt bremsend auf meine Geschwindigkeit wirken, wobei mir die beiden Marsmonde noch besonders gute Dienste leisten werden. In dem Augenblick, da die Anziehungskraft des Mars überwiegt und ich langsam auf ihn zurückfalle, kann ich dann die Schwerkraft ganz abstellen und nun nach dem Gesetz der Trägheit allein sanft auf seiner Oberfläche landen.“
„Nicht schlecht gedacht,“ unterbrach ihn Monsieur Durand, „aber nun einmal geschäftlich gesprochen. Aus welchen Mitteln wollen Sie die Kosten der Expedition bestreiten? Das Marskuratorium darf statutenmäßig den Preis nur für die gelungene Kommunikation auszahlen und ganz im Vertrauen gesagt: das Marskuratorium hat gar kein Interesse daran, daß der Preis überhaupt jemals zur Auszahlung gelangt. Augenblicklich sind wir unabhängige Herren eines Riesenvermögens, beinahe die Herren der Welt. Gewinnt morgen irgend jemand den Preis, so sind wir entweder seine Untergebenen oder wir müssen an anderer Stelle von vorne anfangen. Ich denke, Sie verstehen.“
„Ich verstehe,“ erwiderte Doktor Müller, „und eben deswegen bin ich zu Ihnen gekommen. Sie werden ohne weiteres einsehen, daß ich auf Grund meiner Errungenschaften das Unternehmen einer Marsexpedition mit anderen Kapitalisten bewerkstelligen könnte. Natürlich würden diese ihre Bedingungen machen. Ich würde den Preis gewinnen, aber jene würden den allergrößten Teil davon beanspruchen. Sie wären ihn jedenfalls los. Also denke ich, wir einigen uns.“
„Und in welchem Sinne?“ fragte Monsieur Durand.
„Sie stellen mir alle Mittel zur Durchführung der Expedition zur Verfügung. Dafür machen wir einen besonderen Vertrag, demzufolge ich verpflichtet bin, von dem rechtmäßig gewonnenen Preise fünfundsiebzig Prozent an die juristische Person des Kuratoriums geschenkweise abzuführen.“
„Gemacht!“ rief Monsieur Durand und ließ den Syndikus des Kuratoriums kommen, um sofort alle darauf bezüglichen Verträge festzulegen.
In den nächsten Monaten herrschte in einem der großen Fabrikwerke des Marskuratoriums lebhafte Tätigkeit. Maschinen schnurrten, elektrische Ströme flossen und in einem Geheimlaboratorium saß Doktor Müller, braute, hantierte und mischte wie ein Apotheker von Profession.
Das Material, welches aus den Werkstätten hervorging, ein besonders zäher und fester Spezialstahl, unterschied sich äußerlich nur durch einen leichten Opalschimmer von dem gewöhnlichen Stahl. Aber er war in seiner Struktur verschieden von ihm. Bereits einmal abarisch gewesen, konnte er jeden Augenblick durch einfaches Besprengen mit der entsprechenden Flüssigkeit wiederum den Schwerestrahlen entzogen werden. Aus diesem Material nun wurde das Raumschiff gefügt. In der Hauptsache ein kugelförmiger Körper, der im Innern alle Bequemlichkeiten für die Reisenden enthielt. Selbstverständlich waren die erforderlichen Apparate für Lufterneuerung, Beheizung, Beleuchtung und so weiter reichlich vorhanden. Die Arbeiten gingen flott vonstatten und in wenigen Monaten war das Raumschiff vollendet.
Um diese Zeit trat Monsieur Durand mit neuen Plänen hervor. Einmal wollte er Doktor Müller nicht allein fahren lassen, sondern die Reise mitmachen. Wenn man sich erinnert, wie behaglich ihrerzeit die drei Freunde Jules Vernes, die Amerikaner Barbicane und Nicholl, sowie der Franzose Michel Ardan zum Monde reisten, so wird man eine derartige Vermehrung der Reisegesellschaft gewiß nur mit Freude begrüßen können. Aber Monsieur Durand ging noch weiter. Er hatte sich immer mehr und mit liebevollster Aufmerksamkeit in die Müllerschen Pläne versenkt und war jetzt in der Lage, einen wertvollen Verbesserungsvorschlag zu machen. Es war ihm die Idee eines Richtrohres gekommen. Ließ man das Fahrzeug frei abschweben, so mußte es ja durchaus tangential fliegen. Ließ man es dagegen aus einem Rohr auslaufen, so konnte man seine Richtung innerhalb ziemlich weiter Grenzen beeinflussen. Man konnte ihm sofort eine Richtung geben, welche es direkt ans Ziel führen mußte. Auch Doktor Müller mußte das Zutreffende dieses Vorschlages einsehen und so wurde denn jene Vorrichtung erbaut, welche unser farbiges Titelbild besser als alle Worte erklären können zur Darstellung bringt. Wir sehen auf ihm das gewaltige teleskopartige Rohr, aus welchem das Fahrzeug vor wenigen Sekunden ausgefahren ist.
Doch greifen wir den Ereignissen nicht vor. Der Bau von Richtrohr und Weltraumschiff wurde sachgemäß durchgeführt. Dann wurde das Richtrohr im Kongostaate am Kongoflusse selbst, gerade an der Stelle, an welcher dieser den Äquator schneidet, aufgestellt und dorthin auch das Raumschiff gebracht, über alle diese Vorarbeiten waren nahezu zwei Jahre verstrichen und im Herbst des Jahres 2110 war alles zur Abfahrt bereit und der Mars in günstiger Nähe. Der Tag der Abfahrt war herangekommen und bereits am hellen Vormittage war die Richtung des Rohres nach den Berechnungen der Astronomen erfolgt und die Abfahrtszeit auf die Minute und Sekunde festgelegt. Das Raumschiff selbst lag in dem riesigen Gleitrohr und war bereits völlig abarisch gemacht. Ein gewichtiger Verschlußriegel war vor dem Schiff quer durch das Rohr gezogen und eine geschäftige Mannschaft bereitete alles zum eigentlichen Stapellauf des Raumschiffes vor. Ein gewaltiger elektromagnetischer Apparat stand neben dem Rohre, genügend stark und geeignet, den Sperriegel im gegebenen Zeitpunkt blitzschnell herauszuziehen und dadurch dem Schiff freie Bahn zu bieten. Die elektrische Leitung führte zu einem eleganten Druckknopf. Hier sollte der Präsident des Kongostaates als der Landesherr der Abfahrtstation in der gegebenen Sekunde den Strom wirken lassen, das Schiff vom Stapel lassen.
Um die Mittagstunde erschienen die beiden Marsreisenden, Monsieur Durand und Doktor Müller, um in ihrem Raumschiff Platz zu nehmen. Es braucht nicht erst besonders erwähnt zu werden, daß das Innere dieses Schiffes alle die Einrichtungen und Bequemlichkeiten bot, auf welche Weltraumreisende nun einmal berechtigten Anspruch haben. Selbstverständlich sorgten Sauerstoff- und Ätznatronapparate, die sich ja bereits im zwanzigsten Jahrhundert auf einer großen Höhe der Ausbildung befanden, für dauernde vorzügliche Luft. Ebenso waren Schutzvorrichtungen gegen die Kälte des Weltraumes und Einrichtungen für die Beleuchtung getroffen. Proviant und Luftvorrat waren für ein halbes Jahr an Bord. Während dieser Zeit mußten die Reisenden irgendwo festen Fuß gefaßt haben oder wieder zurück sein. Jetzt saßen sie in ihrem Raumschiff und harrten des nahen Zeitpunktes der Abreise.
Um ein Uhr fünfzehn Minuten erschien der Präsident des Kongostaates mit seinen Begleitern und ließ sich im Fahrstuhl auf die Plattform eines turmartigen Gerüstes befördern. Während er mit seiner Umgebung, zu welcher auch der Direktor der Sternwarte vom Kilimandscharo gehörte, im Gespräch blieb, rückte der Zeiger an der Uhr allmählich weiter. Um ein Uhr zwanzig Minuten legte der Astronom sein Chronometer auf den Tisch neben den elektrischen Druckknopf. Um ein Uhr fünfundzwanzig Minuten blieben Minuten- und Sekundenzeiger auf der Uhr des deutschen Astronomen stillstehen und setzten sich erst nach etwa zehn Sekunden wieder in Bewegung.
„Soeben habe ich mit Hilfe der drahtlosen Telegraphie die Sternwartenzeit vom Kilimandscharo bekommen,“ bemerkte der Astronom. „Das Chronometer ist jetzt maßgebend für die Abfahrt des Raumschiffes.“ Um ein Uhr dreißig Minuten begann der Präsident den Sekundenzeiger dieses Chronometers zu beobachten. Als der Zeiger die zwanzigste Sekunde passierte, drückte er auf den Knopf. In demselben Augenblick vernahm man einen schrillen Klang. Ein gewaltiger Riegel flog zur Seite und schimmernd und opalisierend drang das Raumschiff einem riesigen Geschosse gleich aus dem Rohr. Etwa mit der Schnelligkeit einer Rakete stieg es schräg in die Höhe, um nach wenigen Sekunden der Reichweite des unbewaffneten Auges zu entschwinden.
Wiederum war ein Sendbote zum Mars entlassen, trieb ein Gebilde von Menschenhand in den Weltraum. Die Frage, ob es glücklicher sein würde als seine Vorgänger, beschäftigte alle Herzen und lag auf allen Lippen. Vorläufig indessen konnte man nichts anderes tun, als abwarten und man verkürzte sich die Zeit wirksam, indem man sich zu einem feierlichen Bankett begab, welches das Marskuratorium zu Ehren der Abgereisten veranstaltete. Man trank auf das Wohl der Herren Durand und Doktor Müller, ebenso wie auf das des Mars und seiner hypothetischen Bewohner. Während man noch beim Nachtisch saß und über die Vorzüge des Kapweines und der Reben vom Rhein praktische Untersuchungen anstellte, lief eine Depesche der Deutschen Sternwarte vom Kilimandscharo ein, der zufolge man das Raumschiff an der Mondscheibe vorüberziehen und hinter derselben verschwinden gesehen habe. Neue Toaste wurden darob ausgebracht und erst in später Abendstunde trennte man sich vom gemeinschaftlichen Mahle.
Unsere Reisenden hatten sich, wie bereits erzählt, in dem Raumschiff häuslich eingerichtet und den Augenblick der Abfahrt ohne nennenswerte Erschütterung überstanden.
„Da sehen Sie, wie vorteilhaft sich mein System von demjenigen der alten Mondartilleristen unterscheidet,“ begann Doktor Müller die Unterhaltung, als sich das Raumschiff unter leichtem Rucken und Schüttern in Bewegung setzte. „In früheren Zeiten gab es den furchtbaren Stoß einer gewaltigen plötzlichen Pulverexplosion unter derartigen interplanetarischen Geschossen. Nach meinem System setzt auch die Beschleunigung allmählich, wenn auch schnell steigend ein und praktisch spüren wir kaum etwas von der ganzen Abreise.“
„Ich bin überzeugt, daß Ihr System einen bedeutenden Fortschritt darstellt und uns hoffentlich zum erwünschten Ziele bringen wird,“ erwiderte Monsieur Durand und dann taten die beiden Reisenden das Gleiche, wie die Zurückgebliebenen auf der Erde, nämlich sie begannen lebhaft und mit liebevoller Hingabe an das Gebotene zu frühstücken. Das hinderte sie freilich nicht, gelegentlich Blicke durch die an zahlreichen Stellen des Raumschiffes angebrachten Fensterscheiben auf die entschwindende Erde und den herannahenden Mond zu richten. Noch waren keine zwei Stunden vergangen, als die Erde bereits in Form eines gewaltigen leuchtenden Mondes am schwarzen Himmel hing, während der Mond selbst sie an scheinbarer Größe bereits erheblich übertraf und an die rechte Seite des Raumschiffes trat.
„Wir hätten uns doch schwer machen sollen und aus der Anziehungskraft des Mondes beschleunigte Reisegeschwindigkeit holen,“ meinte jetzt Doktor Müller.
„Gewiß! und dabei die Richtung nach dem Mars endgültig verfehlen,“ unterbrach ihn Monsieur Durand. „Dann könnten wir bis in die Unendlichkeit im Weltraum umhertreiben und mit unserer Marsfahrt sähe es übel aus. Wir wollen vielmehr auf dieser ersten Reise lieber zu vorsichtig als zu kühn sein und solche Extrafahrten auf künftige Zeiten versparen.“ Mit diesen Worten schloß Monsieur Durand die Debatte über dieses Thema, und die Reisenden verbrachten die folgenden Tage und Stunden teils im Gespräch, teils in der Beobachtung des gestirnten Himmels, soweit sie nicht der Ruhe und der Einnahme der regelmäßigen Mahlzeiten gewidmet waren. Nach der Uhr konstatierten sie, wann ein Tag verflossen war. Eine andere Möglichkeit gab es nicht, da sie ja hier in ständigem Sonnenlichte reisten. Die Sonne durchflutete ihr Raumschiff und erleuchtete und erwärmte es mit ihren Strahlen. Auf der der Sonne abgewandten Seite indessen bemerkten sie den pechschwarzen gestirnten Himmel, und von Tag zu Tag wuchs an Größe und Leuchtkraft ein einzelner Stern, das Ziel ihrer Reise, der Mars. Bereits nach zehn Tagen stand er als blutroter Stern von Faustgröße am Himmel. Nach fünfzehn Tagen erinnerte er bereits an den Mond, und nach zwanzig Tagen sah man seine gewölbte Kugel mit allen ihren Einzelheiten im Weltraume schwimmen.
„Jetzt wird die Sache kritisch,“ begann nun Doktor Müller. „Unsere Astronomen mußten zwar mit dem großen Abfahrtsrohr nach Möglichkeit auf den Mars zielen, aber sie durften ihn unter keinen Umständen bis zum Treffen genau aufs Korn nehmen. Sollten Sie so genau gezielt haben, daß unser Raumschiff mitten auf die Marskugel trifft, so sind wir rettungslos verloren. Ich habe kein Mittel, um das Raumschiff alsdann in eine andere Richtung zu lenken. Während ich das Raumschiff wiederum schwer machen und dadurch recht eigentlich an das Ziel heranholen kann, wenn es etwa zu weit danebenging, habe ich keinerlei Möglichkeit, es von diesem Ziel zu entfernen. Haben wir also glatten Kurs auf die Marskugel, so müssen wir mit wenigstens dreißig Kilometer in der Sekunde auf seine Oberfläche stürzen und unser Untergang wäre damit sicher. Kommen wir dagegen schräg neben der Marskugel vorbei, so können wir uns im Augenblick des Vorbeifluges die Schwere wiedergeben und dadurch in eine Kreisbahn um den Mars herum einlenken. Weiter können wir die Geschwindigkeit unseres Raumschiffes während dieser Rundfahrt durch das Luftmeer so weit abbremsen, daß wir schließlich ohne jeden harten Stoß auf der Marsoberfläche landen. Nun, in wenigen Stunden werden wir ja wissen, ob wir zersplittern müssen oder ob wir von unseren Astronomen richtig bedient worden sind.“
„Sie sehen entschieden zu trübe,“ begann jetzt Monsieur Durand. „Wenn uns unsere Astronomen wirklich genau gegen das Zentrum der Marskugel losgelassen haben, so haben wir immer noch Gelegenheit, uns vom einen oder anderen der Marsmonde von diesem gefährlichen Kurse abziehen zu lassen. Beobachten wir also beizeiten und benutzen wir nötigenfalls die Marsmonde als Notweichen.“
Unter solchen Reden verging Stunde um Stunde, und die Marsscheibe begann einen immer größeren Teil des Himmelsraumes vor den Reisenden einzunehmen. Angestrengt beobachteten diese ihre Fahrtrichtung und behielten fortwährend den Marsrand im Auge.
„Hurra, wir kommen glücklich vorbei,“ rief endlich Doktor Müller nach mehrstündiger Beobachtung. „Wir brauchen vorläufig gar nichts zu tun. Unsere Astronomen haben erstaunlich gut gerechnet und gerichtet.“
In der Tat wurde der Lauf des Raumschiffes immer schräger zur Marsoberfläche, und man konnte deutlich wahrnehmen, wie sich die Wölbung der Kugel unter dem Raumschiffe in drehender Bewegung zu befinden schien.
„Ein gutes Zeichen!“ bemerkte Monsieur Durand. „Wenn wir gerade auf den Mars träfen, müßte er ohne solche scheinbare Drehung auf uns zukommen. Jetzt bemerken wir solche Drehung, wie sich die Felder vor unseren Augen drehen, wenn wir in der elektrischen Bahn mit fünfhundert Kilometern in der Stunde an ihnen vorbeifahren.“ In der Tat hatten die Reisenden immer noch nicht das Gefühl des Falles. Die gewaltige Marsfläche schien unter ihnen vorbeizuziehen, während ihr Auge auf wolkige Gebilde, grünlichen Schimmer und bläuliche, an Wasserspiegel erinnernde Blitze fiel.
„Er sieht nicht viel anders aus als unsere gute Erde, als wir sie verließen,“ bemerkte Doktor Müller. „Aber jetzt ist es Zeit, daß wir uns etwas schwer machen, um im Bereich der Marsanziehung zu bleiben und den großen Pufferstoß in seiner Atmosphäre zu unternehmen.“ Mit diesen Worten warf er einen Augenblick einen Hebel herum, und aus tausend feinen Röhrchen rieselte die schwermachende Flüssigkeit auf die Platten des Raumschiffes herab. Einen Augenblick nur war der Hebel geöffnet gewesen, aber man merkte deutlich die Wirkung. Die Marsfläche, welche sich bereits wieder ein wenig entfernt hatte, schien näher zu kommen, und die gerade Fahrt des Schiffes ging in eine kreisförmige über.
Stunde um Stunde verrann, und immer näher kam die schnell vorbeiziehende Oberfläche des Planeten ihren Blicken. Als sie jetzt wieder, in die Beobachtung des Planeten versunken, am Fenster standen, zog Doktor Müller plötzlich die Hand von der Wand des Schiffes zurück.
„Wir befinden uns bereits in der Marsatmosphäre,“ rief er gleichzeitig. „Die Reibung ist so stark, daß sich die Wände bei einer Geschwindigkeit von rund vier Meilen in der Sekunde, die wir gegen diese Atmosphäre haben, merklich erhitzen. Wir dürfen nicht zu schnell fallen, nicht zu schnell in dichtere Luftschichten kommen, sonst schmilzt unser ganzes Raumschiff. Unsere Geschwindigkeit muß langsam vermindert werden.“ Mit diesen Worten setzte er ein anderes Röhrensystem in Tätigkeit, durch welches ein beträchtlicher Teil des Raumschiffes wieder abarisch gemacht wurde, und gleichzeitig stellte er die Heizung des Schiffes ab, denn die Temperatur im Innern hatte bereits eine ungemütliche Höhe erreicht. Nur noch ganz langsam kam das Schiff der Marsoberfläche näher, aber während es Meile um Meile voranschoß, verlor es Kilometer um Kilometer seiner großen Eigengeschwindigkeit durch die Reibung in der Marsatmosphäre. Immer langsamer flog die Oberfläche unter ihm dahin, immer näher kam es ihr. „Wir müssen vorsichtig sein,“ meinte Doktor Müller. „Mit einer Geschwindigkeit von höchstens noch ein bis zwei Metern in der Sekunde und mit einem Niederfall von höchstens einem Millimeter in der Sekunde dürfen wir irgendwo auf der Marsoberfläche landen, wenn wir unser Raumschiff nicht ernstlich gefährden wollen.“
So begannen nun die Landungsmanöver. Nach Stunden war aus dem Weltraumschiff ein veritabler Luftballon geworden. Nur ein wenig schwerer als die ihn tragende Luft, senkte er sich ganz allmählich und mit leichtem Schwanken auf einen baumfreien Gebirgskamm hernieder, während seine Vorwärtsbewegung beinahe gänzlich aufgehört hatte. Zum Schluß noch ein leichtes Scharren und Schürfen. Dann hatte das erste Weltraumschiff der Erde auf dem Mars Anker geworfen.
„Arrivé!“ sagte Monsieur Durand, als das Kratzen und Scharren aufgehört hatte.
„In der Tat angekommen!“ meinte Doktor Müller. „Auf diesem hohen Gebirgskamm liegen wir ganz gut. Die Waldungen beginnen erst fünfhundert Meter tiefer, und selbst wenn der Mars bewohnt wäre, brauchten wir seine Bewohner hier nicht zu fürchten. Bevor wir aber versuchen, unser Raumschiff zu öffnen, schlage ich vor, daß wir erst einmal Außentemperatur und Luftdruck messen. Dann wollen wir eine Probe der Außenluft untersuchen und, wenn das alles stimmt, dann wollen wir aussteigen.“
Alsbald brachten die Reisenden ein Barometer und ein Thermometer aus dem Raumschiff ins Freie. Das Thermometer zeigte zehn Grad Celsius, das Barometer nur einen Druck von fünfhundert Millimetern.
„Die Temperatur geht, die Luft wird uns ein wenig dünn vorkommen, und ich fürchte, wir werden Sauerstoffapparate nötig haben,“ meinte Doktor Müller, während er die Zusammensetzung der Luft untersuchte. Aber schon nach wenigen Minuten richtete er sich befriedigt auf. „Die Luft hat vierzig Prozent Sauerstoff und sechzig Prozent Stickstoff, da geht es auch ohne Apparat, und nur mit dem verringerten Druck müssen wir vorsichtig sein. Wir dürfen nicht plötzlich hinaustreten, sondern müssen die Luftschleuse benutzen.“ Darnach traten die beiden Reisenden durch eine Tür in die Kammer der Luftschleuse und schlossen die Tür wieder luftdicht hinter sich.
„Nun also!“ sprach Doktor Müller und drehte einen Hahn in der Außenwand auf. Man vernahm ein Zischen. Die Luft in der Schleusenkammer, welche noch unter dem Druck der irdischen Atmosphäre stand, strömte in die leichtere Marsatmosphäre ab.
Da stieß Monsieur Durand einen lauten Schrei aus, während ihm einige Blutstropfen aus der Nase flossen. Der verminderte Luftdruck war die Ursache eines leichten Nasenblutens für ihn gewesen. „Es ging wohl etwas zu schnell,“ meinte Doktor Müller, „aber nun ist es wohl vorüber, und wir können die äußere Schleusentür öffnen.“ Ein Druck und die Tür schlug auf. Die beiden Reisenden standen zum ersten Male, seitdem sie irdischen Boden verlassen hatten, wiederum außerhalb ihres Raumschiffes, standen auf marsischem Boden. Sie schritten über steiniges Gebirgsland, wie es auch unsere Alpen zeigen, und sie sahen grüne Kräuter und Bäume, sahen die ihnen wohlbekannten Formen der Glockenblumen, der Lippenblütler und der Doldenblüten. Sie sahen Pilze, Moose und Farne, sahen die allbekannten Gestalten von Würmern, Käfern und Schmetterlingen, während ihre Lungen die Lebensluft des Mars einatmeten.
„Man könnte es für einen Nachmittag im Berner Oberland halten,“ meinte Doktor Müller.
„Ich mag gar nicht mehr in das Raumschiff hinein,“ sagte Monsieur Durand.
„Aber wir müssen,“ erwiderte Doktor Müller. „Wir müssen erst einen ausgedehnten Kriegsrat halten, bevor wir etwas Weiteres unternehmen können, also vorläufig noch einmal zurück in das Raumschiff.“
Als unsere beiden Reisenden wieder in ihrem Fahrzeuge Platz genommen hatten, setzte sich Doktor Müller in Positur und begann also: „Wir haben einen großartigen Erfolg zu verzeichnen gehabt, einen Erfolg, wie kein Irdischer vor uns. Unser Planetenschiff liegt fest verankert auf dem jungfräulichen Boden des Mars. Wir haben auf unserer ersten Reise zweifelsohne konstatiert, daß die physikalischen Verhältnisse des Mars hier eine Ansiedlung der Menschheit ganz sicherlich zulassen. Wir haben auch niedere Lebensformen, wie Würmer und Insekten, gefunden. Wirbeltiere haben wir einstweilen noch nicht zu Gesicht bekommen und über die etwaige menschenähnliche Bevölkerung des Mars wissen wir noch gar nichts. Mag sein, daß vernünftige menschenähnliche Wesen nahe bei uns in den Tälern dieses Gebirges leben, mag auch nicht sein. In keinem Falle können sie die Höhe unserer Entwicklung erreicht haben, denn sonst wäre es an ihnen gewesen, unserer Erde zuerst einen Besuch abzustatten. Selbstverständlich können wir nicht wissen, wie weit ihre Entwicklung fortgeschritten ist. Vielleicht stehen sie bereits auf der Höhe, die wir im Jahre 1896 kurz vor der Erfindung der elektrischen Wellentelegraphie erreicht hatten, vielleicht auch leben sie noch im Zustande der Griechen zur Zeit des trojanischen Krieges oder gar der uralten Höhlenmenschen des Neandertales. Vielleicht auch hat das Leben von Primaten, von hochorganisierten Wirbeltieren, auf diesem Planeten noch gar nicht begonnen und wir sind die ersten vernunftbegabten Geschöpfe auf einem neuen Stern. Sei dem nun aber, wie ihm wolle. In jedem Falle könnten wir das nur erspähen, wenn wir mit unserem Raumschiff eine Umfahrt um den Mars in sehr mäßiger Höhe vollführten. Wenn wir in etwa zweihundert Meter Höhe seine Oberfläche bestrichen, würde uns alles dieses klar werden. Dazu aber müßten wir das Fahrzeug wiederholt abarisch und dann wieder schwer machen. Unser Flüssigkeitsvorrat ist aber außergewöhnlich knapp geworden. Wir können nur noch eben unsere Erde wieder erreichen, während jeder Versuch, hier eine Kreuzfahrt zu vollführen, uns dieser letzteren Möglichkeit beraubt. Mein entschiedener Vorschlag geht daher dahin: wir errichten hier einen zuverlässigen Merkstein, daß wir im Namen der Erde auf dem Mars gelandet sind, und kehren dann sofort zur Erde zurück, um von dort aus mit neuen und reicheren Mitteln eine zweite Expedition zu unternehmen.“
„Wenn dem so ist, haben Sie unbedingt recht,“ erwiderte Monsieur Durand. „Dann müssen wir zurück, aber vorher wollen wir ein Denkmal unserer Anwesenheit errichten. Ich denke, wir machen es folgendermaßen: zunächst wollen wir die genaue geographische Breite und Länge unserer Landungsstelle ermitteln und auf unseren Marskarten eintragen. Das ist so wie so nötig, da unsere Astronomen mir eine genaue Tabelle mitgegeben haben, aus welcher ich für jeden Ort der Marsoberfläche die besten Abfahrtszeiten zur Erde entnehmen kann.“
Nach diesen Worten verließen die beiden Reisenden wiederum das Raumschiff, und Doktor Müller begann mit dem Sextanten zu arbeiten. Es folgte eine kurze Rechnung. Dann markierte er einen Punkt der vor ihm liegenden Marskarte und trug die genauen Längen- und Breitengrade in das auf der Karte bereits befindliche Gradnetz ein. Weiter begann er in einer umfangreichen Tabelle zu blättern und bemerkte nach einem Blick auf die Uhr: „Wir haben noch sechs Stunden achtzehn Minuten und zehn Sekunden Zeit. Wenn wir dann mit voller Abarie abfahren, erreichen wir die Erdscheibe in guter glatter Fahrt. Jetzt wollen wir an den Merkstein gehen. Zunächst eine kleine Steinpyramide vor dieser glatten Felswand und auf diese Pyramide die Flaggen unserer beiden Länder. Weiter aber irgend eine allgemein verständliche Zeichnung auf diese glatte Felswand.“ Nach diesen Worten begannen die beiden Feldsteine zusammenzuschleppen, und im Laufe einer Stunde war eine zwei Meter hohe Pyramide errichtet, von deren Spitze lustig die Fahnen Deutschlands und Frankreichs im Winde flatterten. Danach ging Doktor Müller in das Raumschiff zurück, um in Kürze mit verschiedenen Ölfarbentöpfen und Pinseln wiederzukehren.
„Ich denke,“ begann er, „zunächst einmal malen wir unser Sonnensystem mit seinen Planeten und Planetoiden an diese Felswand. Wenn wir dann den Erdplaneten mit den Fahnen Deutschlands und Frankreichs schmücken und eine schöne knallrote Routenlinie von der Erde zum Mars und wieder zurück ausmalen, werden auch weniger intelligente Martier begreifen, daß hier jemand von der Erde zu Besuch gewesen ist.“ Seinen Worten ließ der Doktor alsbald die Tat folgen.
„Nun könnten wir noch etwas Mathematisches dalassen,“ meinte jetzt Monsieur Durand. „Mein Landsmann Laplace hat bereits vor dreihundert Jahren vorgeschlagen, in den Steppen Sibiriens in ungeheuren Abmessungen aus starken Lampen die Figur des pythagoräischen Lehrsatzes zusammmenzusetzen. Jedes vernunftbegabte Wesen, so meinte er, muß den Sinn dieser Zeichnung verstehen.“
„Das können wir ja sofort machen,“ stimmte Doktor Müller bei, und unter seinen kunstfertigen Fingern entstand alsbald ein anschauliches Bild des Pythagoras.
„Geben wir ihnen noch etwas zu,“ fuhr er dann fort und malte weiter den Satz von den gleichen Scheitelwinkeln, die drei Kegelschnitte, den Satz des Apollonius und einige andere Dinge, welche auch unseren Lesern aus dem Mathematikunterricht her sattsam bekannt sein dürften.
„Nun wird es aber Zeit zum Einsteigen,“ mahnte schließlich Monsieur Durand. „Wir haben nur noch eine halbe Stunde Zeit. Außerdem haben wir auf dem Mars unsere Fahnen zurückgelassen. Da wollen wir der alten Mutter Erde von unserem Ausflug wenigstens einen Strauß frischer martischer Gebirgsblumen mitbringen.“ Dementsprechend wurde gehandelt, und nach zehn Minuten betraten die Reisenden, reiche Girlanden und Sträuße in den Händen, ihr Raumschiff, um alles zur Reise fertig zu machen. Rastlos schritt der Zeiger der Uhr vorwärts, und schon nahte die Sekunde der Abfahrt. In diesem Augenblick brach ein Lebewesen, etwa einem riesigen Urwaldbären vergleichbar, durch das Dickicht und trollte auf das Raumschiff zu.
„Es ist gut, daß uns das Tier nicht überraschte, als wir waffen- und wehrlos mit unserer Malerei beschäftigt waren,“ meinte Monsieur Durand.
„Hoffentlich leckt uns dieser unangenehme Zeitgenosse nicht die frische Farbe ab,“ sagte Doktor Müller und ließ im selben Augenblick, da die Abfahrtssekunde gekommen war, den abarischen Hebel spielen. Dicht vor der Nase des staunenden Meister Petz stieg das Raumschiff in die Höhe und nahm seinen Kurs mit einer Geschwindigkeit von etwa zwei geographischen Meilen in der Sekunde auf die Erde. Sorgfältig untersuchte Doktor Müller seine Vorräte. Man konnte es versuchen, die Geschwindigkeit unter Benutzung der Anziehungskraft der Marsmonde zu steigern. Dementsprechend verfuhr er und erzielte wiederum die alte Reisegeschwindigkeit von vier Sekundenmeilen.
Es folgten die ruhigen Zeiten der Heimfahrt, bis endlich die Erde wieder in ihre Rechte trat. Bereits bedeckte ihre strahlende Scheibe den größten Teil des Horizontes, und jetzt begann sich auch die irdische Atmosphäre durch die Reibung bemerklich zu machen. Wiederum setzten die Landungsmanöver mit wechselnder Abarie und Schwere ein, welche wir bereits von der ersten Landung auf dem Mars kennen. Immer langsamer wurde der Flug des Schiffes, immer mehr schwebte es wie ein Luftballon und schließlich ging es mit kaum fühlbarem Ruck in der nächsten Nähe von Berlin vor Anker. Bereits nach wenigen Sekunden öffneten die Reisenden die Luken und betraten mit Entzücken und in vollem Wohlbefinden wieder den Boden ihres Heimatplaneten, den sie verlassen hatten, um ein unerhörtes Abenteuer zu bestehen.
Die Ankunft des Raumschiffes war nicht unbemerkt geblieben. Bereits seit Tagen hatten die Astronomen es mit ihren Fernrohren verfolgt, und als es jetzt nach längerem Luftflug landete, stand eine zahllose Menge bereit, die kühnen Reisenden zu empfangen. Mit tausendstimmigem Hurra begrüßte man die Landung des Schiffes, begrüßte man ferner das Erscheinen der Reisenden selbst. Ein reich geschmückter Staatskraftwagen brachte die beiden zunächst nach der deutschen Hauptstadt. Dort erstatteten sie den ersten vorläufigen Bericht über ihre Fahrt, welcher noch am selben Abend durch Millionen von Extrablättern verbreitet wurde. Dann fuhren sie nach Paris, um dort alle Angelegenheiten bezüglich des Marspreises zu regeln. Doktor Müller gelangte in den Besitz einer Summe von fünfzig Milliarden Mark, in jedem Falle genug, um bei einiger Sparsamkeit auszukommen. Das Restkapital der Stiftung verblieb dem Kuratorium, und es wurde nicht übel angelegt. Diese Art der Anlage, welche vorzüglich dem tatkräftigen Eingreifen des Monsieur Durand zu verdanken ist, läßt sogar den ganzen, an sich nicht ganz einwandfreien Handel betreffend der Rückzedierung von fünfundsiebzig Prozent in einem milderen Lichte erscheinen. Unter der tatkräftigen Führung des ersten Direktors, Monsieur Durand, und des zweiten Direktors, Doktor Müller, ging das Marskuratorium alsbald an die Schaffung regelrechter Marsverbindungen nach Art der großen Ozeandampfergesellschaften, welche im neunzehnten Jahrhundert den Verkehr über den Atlantic vermittelten. Wer die Verkehrsgeschichte aus der ersten Hälfte des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts mit einigem Eifer verfolgt, wird immer und immer wieder auf die Namen Durand und Müller stoßen, sei es nun als die Leiter der großen internationalen Erde-Marslinie, sei es auch als die Namen der beiden ersten großen Marsschnellschiffe, welche die Überfahrtszeit zuerst auf einen Zeitraum von weniger als einer Woche herabdrückten. Doch das sind meistens Dinge, die man besser in den technischen Geschichtswerken jener Zeit selbst verfolgt.
Anmerkung zur Transkription
Quelle: Das Neue Universum, Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig, 1908, pp. 1-17.