Title: Jenseits der Schriftkultur — Band 1
Author: Mihai Nadin
Release date: August 1, 2003 [eBook #4371]
Most recently updated: August 22, 2012
Language: German
Credits: Produced by Michael Pullen
Produced by Michael Pullen
Jenseits der Schriftkultur
(C)1999 by Mihai Nadin
Das Zeitalter des Augenblicks
Aus dem Englischen von Norbert Greiner
Inhalt
VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE
EINLEITUNG: SCHRIFTKULTUR IN EINER SICH WANDELNDEN WELT
Alternativen
Jenseits der Schriftkultur
Kontrastfiguren
Taste wählen—drücken
Das Leben ist schneller geworden
Aufgeladene Schriftkultur
Der Mensch entwirft, der Mensch verwirft.
Jenseits der Schriftkultur
Ein bewegliches Ziel
Der weise Fuchs
"Und zwischen uns der Abgrund"
Wiedersehen mit Malthus
In den Fesseln der Schriftkultur
Dem Handel zuliebe
"Das Beste von dem, was nützlich ist und schön"
Das Rückspiegelsyndrom
Wiedersehen mit semeion
Erste Zeichenspuren
Skala und Schwelle
Zeichen und Werkzeuge
Individuelles und kollektives Gedächtnis
Kulturelles Gedächtnis
Existenzrahmen
Entfremdung von der Unmittelbarkeit
Bestätigung als Feedback
Mündlichkeit und die Anfänge der Schrift
Annahmen
Wie wichtig ist Literalität?
Was ist Verstehen?
Worte über Bilder
Ausdruck, Kommunikation, Bedeutung
Die Gedankenmaschine
Schrift und der Ausdruck von Gedanken
Zukunft und Vergangenheit
Wissen und Verstehen
Eindeutig, zweideutig, mehrdeutig
Die Visualisierung von Gedanken
Buchstabenkulturen und Aphasie
Logiken hinter der Logik
Die Pluralität intellektueller Strukturen
Die Logik von Handlungen
Sampling
Memetischer Optimismus
Vorbemerkungen
Products "R" Us
Die Sprache des Marktes
Die Sprache der Produkte
Handel und Schriftkultur
Wessen Markt? Wessen Freiheit?
Neue Märkte, Neue Sprachen
Alphabetismus und das Transiente
Markt, Werbung, Schriftlichkeit
Innerhalb und außerhalb der Welt
Wir sind, was wir tun
Maschine und Schriftkultur
Der Wegwerfmensch
Die Skala der Arbeit und die Skala der Sprache
Angeborene Heuristik
Alternativen
Vermittlung der Vermittlung
Das Höchste und das Beste
Das Ideal und das Leben
Relevanz
Tempel des Wissens
Kohärenz und Verbindung
Viele Fragen
Eine Kompromißformel
Kindheit
Welche Alternativen?
Wie viele Worte in einem Blick?
Das mechanische und das elektronische Auge
Wer hat Angst vor der Lokomotive?
Hier und dort gleichzeitig
Visualisierung
Sport und Selbstkonstituierung
Sprache und körperliche Leistung
Der illiterate Athlet
Ideeller und profaner Gewinn
Rationalität, Vernunft und die Skala der Dinge
Die verlorene Balance
Gedanken über das Denken
Quo vadis, Wissenschaft?
Raum und Zeit: befreite Geiseln
Kohärenz und Diversität
Computationale Wissenschaft
Wie wir uns selbst wegerklären
Die Effizienz der Wissenschaft
Die Erforschung des Virtuellen
Die Sprache der Weisheit
In wissenschaftlichem Gewand
Wer braucht Philosophie und wozu?
Die Zukunft zeichnen
Die Emanzipation
Konvergenz und Divergenz
Der neue Designer
Virtuelles Design
Die Permissivität der kommerziellen Demokratie
Wie ist es dazu gekommen?
Politische Sprachen
Kann Schriftlichkeit zum Scheitern der Politik führen?
Die Krabben haben pfeifen gelernt
Von Stammeshäuptlingen, Königen und Präsidenten
Rhetorik und Politik
Die Justiz beurteilen
Das programmierte Parlament
Eine Schlacht, die wir gewinnen müssen
Der erste Krieg jenseits der Schriftkultur
Krieg als praktische Erfahrung
Das Militär als Institution
Vom schriftgebundenen zum schriftlosen Krieg
Der Nintendo-Krieg
Blicke, die töten können
Das Überwinden der Schriftkultur
Das Sein in der Sprache
Die Mauer hinter der Mauer
Die Botschaft ist das Medium
Von der Demokratie zur Medio-kratie
Selbstorganisation
Die Lösung ist das Problem. Oder ist das Problem die Lösung?
Der Umgang mit den Wahlmöglichkeiten
Der richtige Umgang mit den Wahlmöglichkeiten
Abwägungen
Aus Schnittstellen lernen
Kognitive Energie
Falsche Vermutungen
Netzwerke kognitiver Energie
Unebenheiten und Schlaglöcher
Die Universität des Zweifels
Interaktives Lernen
Die Begleichung der Rechnung
Ein Weckruf
Konsum und Interaktion
Unerwartete Gelegenheiten
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Unsere Welt ist in Unordnung geraten. Die Arbeitslosigkeit ist eine große Belastung für alle. Sozialleistungen werden weiter drastisch gekürzt. Das Universitätssystem befindet sich im Umbruch. Politik, Wirtschaft und Arbeitswelt durchlaufen Veränderungen, die sich nicht nach dem gewohnten ordentlichen Muster des sogenannten Fortschritts richten. Gleichwohl verfolgen Politiker aller Couleur politische Programme, die mit den eigentlichen Problemen und Herausforderungen in Deutschland (und in Europa) nicht das Geringste zu tun haben. Das vorliegende Buch möchte sich diesen Herausforderungen widmen, aus einer Perspektive, die die Zwangsläufigkeit dieser Entwicklung betont.
Wenn man eine Hypothese vorstellt, benötigt man ein geeignetes Prüffeld. In meinen Augen ist Deutschland am besten dafür geeignet. In keinem anderen Land der Welt läßt sich die Dramatik des Umbruchs so unmittelbar verfolgen wie hier. In Deutschland treffen die Kräfte und Werte, die zu den großen historischen Errungenschaften und den katastrophalen historischen Fehlleistungen dieses Landes geführt haben, mit den neuen Kräften und Werten, die das Gesicht der Welt verändern, gewissermaßen in Reinform zusammen.
An Ordnung, Disziplin und Fortschritt gewöhnt, beklagen die Bürger heute eine allgegenwärtige lähmende Bürokratie, die von Regierung und Verwaltung ausgeht. Früher galt das, verbunden mit dem Namen Bismarcks, als gute deutsche Tugend, eine der vielen Qualitätsmaschinen Made in Germany. Im Verlauf der Zeit aber wurde der Bürger abhängig von ihr und konnte sich nicht vorstellen, jemals ohne sie auszukommen. Die Mehrheit schreckt vor Alternativen zurück und möchte nicht einmal über sie nachdenken. Geprägt von Technik und Qualitätsarbeit ist die Vorstellung, daß das Industriezeitalter seinem Ende entgegengeht, den meisten eine Schreckensvision. Sie würden eher ihre Schrebergärten hergeben als die digitale Autobahn zu akzeptieren, die doch die Staus auf ihren richtigen Autobahnen zu den Hauptverkehrszeiten abbauen könnte—ich betone das könnte. Noch immer lebt es sich gut durch den Export eines technischen und wissenschaftlichen Know-how, dessen Glanzzeit allerdings vorüber ist.
Als ein hochzivilisiertes Land ist Deutschland fest entschlossen, den barbarischen Teil seiner Vergangenheit hinter sich zu lassen. Der Klarheit halber sei gesagt, was ich unter barbarisch verstehe: Hitler-Deutschland verdient keinen anderen Namen, ebensowenig wie alle anderen Äußerungen von Aggression, Antisemitismus und Rassismus, die noch immer nicht der Vergangenheit angehören. Aber bis heute hat man nicht verstanden, daß eben jene pragmatische Struktur, die die industrielle Kraft Deutschlands begründete, auch die destruktiven Kräfte begünstigte. (Man denke nur an die Technologieexporte, die die wahnsinnigen Führer ölreicher Länder erst jüngst in die Hände bekommen haben.) Das wiedervereinigte Deutschland ist bereit, in einer Welt mit globalen Aufgaben und globalen Problemen Verantwortung zu übernehmen. Es setzt sich unter anderem für den Schutz des tropischen Regenwaldes ein und zahlt für Werte—den Schutz der Umwelt—statt für Produkte. Aber die politischen Führer Deutschlands und mit ihnen große Teile der Bevölkerung haben noch nicht begriffen, daß der Osten des Landes nicht unbedingt ein Duplikat des Westens werden muß, damit beide Teile zusammenpassen. Differenz, d. h. Andersartigkeit, ist eine Qualität, die sich in Deutschland keiner großen Wertschätzung erfreut. Verlorene Chancen sind der Preis, den Deutschland für diese preußische Tugend der Gleichmacherei bezahlen muß.
Die englische Originalfassung dieses Buches wurde 1997 auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt und in der Folge von der Kritik wohlwollend aufgenommen. Dank der großzügigen Unterstützung durch die Mittelsten-Scheid Stiftung Wuppertal und die Alfred und Cläre Pott Stiftung Essen, für die ich an dieser Stelle noch einmal Dank sage, konnte dann Anfang 1998 die Realisierung des von Beginn an bestehenden Plans einer deutschsprachigen Ausgabe konkret ins Auge gefaßt werden. Und nachdem Prof. Dr. Norbert Greiner, bei dem ich mich hier ebenfalls herzlich bedanken möchte, für die Übersetzung gewonnen war, konnte zügig an die Erarbeitung einer gegenüber der englischen Ausgabe deutlich komprimierten und stärker auf den deutschsprachigen Diskussionskontext zugeschnittenen deutschen Ausgabe gegangen werden. Einige Kapitel der Originalausgabe sind in der deutschsprachigen Edition entfallen, andere wurden stark überarbeitet. Entfallen sind vor allem solche Kapitel, die sich in ihren inhaltlichen Bezügen einem deutschen Leser nicht unmittelbar erschließen würden. Ein Nachwort, das sich ausschließlich an die deutschen Leser wendet, wurde ergänzt.
Die deutsche Fassung ist also eigentlich ein anderes Buch. Wer das Thema erweitern und vertiefen möchte, ist selbstverständich eingeladen, auf die englische Version zurückzugreifen, in die 15 Jahre intensiver Forschung, Beobachtung und Erfahrung mit der neuen Technologie und der amerikanischen Kultur eingegangen sind. Ein Vorzug der kompakten deutschen Version liegt darin, daß die jüngsten Entwicklungen—die so schnell vergessen sein werden wie alle anderen Tagesthemen—Fortsetzungen meiner Argumente darstellen und sie gewissermaßen kommentieren. Sie haben wenig miteinander zu tun und sind dennoch in den folgenden Kapiteln antizipiert: Guildos Auftritt beim Grand Prix dEurovision (liebt er uns eigentlich immer noch, und warum ist das so wichtig?), die enttäuschende Leistung der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft (standen sich im Endspiel Brasilien und Frankreich oder Nike und Adidas gegenüber?), die Asienkrise, das Ergebnis der Bundestagswahlen, der Euro, neue Entwicklungen in Wissenschaft und Technologie, die jüngsten Arbeitslosenzahlen, die Ökosteuer und vieles mehr. Wer sich der Mühe einer gründlichen Lektüre des vorliegenden Buches unterzieht, wird sich auf diese Entwicklungen einen eigenen Reim machen können, sehr viel besser als die Mediengurus, die uns das Denken abnehmen wollen. Zumindest wird er über die wortreichen Artikel halbgebildeter Akademiker und opportunistischer Journalisten schmunzeln, die allzeit bereit sind, anderen zu erklären, was sie selbst nicht verstehen.
Wie in der englischen Version möchte ich auch meine deutschen Leser einladen, mit mir in Kontakt zu treten und mir ihre kritischen Kommentare oder Fragen per e-mail zukommen zu lassen: nadin@acm.org. Im Einklang mit dem Ziel des Buches, für die Kommunikation jenseits der Schriftkultur das schriftkulturelle Eins-zu-Viele-Verhältnis (Autor:Leser) zu überwinden, wird für dieses Buch im World Wide Web ein Forum eingerichtet. Die Zukunft gehört der Interaktion zwischen Vielen.
Wuppertal, im November 1998
Mihai Nadin
Einleitung
Schriftkultur in einer sich wandelnden Welt
Alternativen
Wenn wir uns mit der Sprache befassen, befassen wir uns mit uns selbst, als Person und als Gattung. Wir sehen uns heute vielen Bedrohungen ausgesetzt—Terrorismus, AIDS, Armut, Rassismus, große Flüchtlingsströme—, aber eine dieser ernsthaften Bedrohungen scheint am leichtesten zu ertragen zu sein: Schriftlosigkeit und schriftkulturelle Unbildung. Dieses Buch verkündet das Ende der Schriftkultur und versucht, die unglaublichen Kräfte zu erklären, die die beunruhigenden Veränderungen in unserer Welt vorantreiben. Das Ende der Schriftkultur—also die Kluft zwischen einem noch gar nicht so weit zurückliegenden Gestern und einem aufregenden, aber auch verwirrenden Morgen—zu verstehen, ist offensichtlich schwerer, als mit ihm zu leben. Die Tatsache des Umbruchs nicht anerkennen zu wollen, erleichtert das Verstehen nicht gerade. Wir sehen alle, daß die schriftkulturelle Sprache nicht so funktioniert, wie sie nach Meinung unserer Lehrer eigentlich funktionieren sollte, und wir fragen uns, was wir dagegen tun können. Eltern glauben, daß bessere Schulen mit besseren Lehrern Abhilfe schaffen könnten. Die Lehrer schieben die Schuld auf die Familie und fordern höhere Ausgaben im Bildungssektor. Professoren klagen über schlechte Motivation und Vorbildung der Studienanfänger. Verleger suchen angesichts der neuen, miteinander konkurrierenden Ausdrucks- und Kommunikationsformen nach neuen Verlagsstrategien. Juristen, Journalisten, Berufssoldaten und Politiker zeigen sich über die Rolle und die Funktion der Sprache in der Gesellschaft besorgt. Vermutlich sind sie jedoch eher besorgt um ihre eigene Rolle und die Funktion der von ihnen repräsentierten Institutionen in der Gesellschaft und setzen alles daran, die Strukturen einer Lebenspraxis zu festigen, die nicht nur die Schriftkultur, sondern vor allem ihre eigene Machtposition und ihren Einfluß stärken. Die wenigen, die daran glauben, daß die Schriftkultur nicht nur Fertigkeiten, sondern auch Ideale und Werte vermittelt, sehen gar unsere Zivilisation auf dem Spiel stehen und fürchten angesichts der abnehmenden traditionellen Bildungsstandards das Schlimmste. Niemand redet von Zukunftschancen und ungeahnten Möglichkeiten.
Über das Beschreiben der Symptome kommt man dabei nicht hinaus: Abnahme der allgemeinen Lese- und Schreibfähigkeit (in den USA erreicht die sogenannte
functional illiteracy fast 50%); eine alarmierende Zunahme vorgefertigter Sprachhülsen (Sprachklischees, vorgefertigte Mitteilungen); die verbreitete Vorliebe für visuelle Medien anstelle der Sprache (besonders Fernsehen und Video). Neben der Forschung zu diesen Fragen gibt es massive öffentliche Kampagnen zur Stärkung aller möglichen schriftkulturellen Unternehmungen: Unterricht für Analphabeten, zusätzlicher Sprachunterricht auf allen Ebenen und Öffentlichkeitsarbeit, die für dieses Problem sensibilisieren soll. Was immer diese Aktionen bewirken mögen, sie helfen nicht zu verstehen, daß es sich bei alldem um eine zwangsläufige Entwicklung handelt. Die historischen und systematischen Aspekte der Schriftkultur und der zurückgehenden Sprachkenntnisse bleiben unbeachtet.
Mein Interesse an diesen Fragen ist durch zwei persönliche Umstände geweckt worden: Zum einen bin ich in einer osteuropäischen Kultur aufgewachsen, die trotzig an den strengen Strukturen der Schriftkultur festhielt. Zum andern habe ich den anderen Teil meines bisherigen Lebens dem Bereich gewidmet, den man heute die neuen Technologien nennt. Ich kam schließlich in die Vereinigten Staaten, in ein Land mit unstrukturierter und brüchiger Schriftkultur und unglaublicher, zukunftsgerichteter Dynamik. Ich lebte mit denen zusammen, die unter den Folgen eines schlechten Bildungssystems zu leiden hatten und denen gleichzeitig diese neuen Möglichkeiten offenstanden. Die meisten von ihnen hatten keinerlei Kontakt zu dem, was an Schulen und Universitäten vor sich ging. Das war der Anlaß für mich, wie für viele andere auch, über Alternativen nachzudenken.
Alles, was die Menschen in meiner neuen Lebensumgebung taten—Einkaufen, Arbeiten, Spiel und Sport, Reisen, Kirchgang und selbst die Liebe—, geschah mit einem Gefühl der Unmittelbarkeit. Als Anbeter des Augenblicks standen meine neuen Landsleute in scharfem Kontrast zu den Menschen des europäischen Kontinents, von denen ich kam und deren Ziel in der Dauerhaftigkeit liegt—ihrer Familie, ihrer Arbeit, ihrer Werte, ihrer Arbeitsmittel, ihres Zu Hauses, ihrer Heimat, ihrer Autos und ihrer Häuser. In den USA ist alles gegenwärtig. An Fernsehsendungen und Werbung ist das sofort zu erkennen. Aber auch die Lebensdauer von Büchern wird bestimmt von den Bestsellerlisten. Der Markt feiert heute den Erfolg eines Unternehmens, das es morgen nicht mehr gibt. Alle anderen, wichtigen und alltäglichen, Ereignisse des Lebens, alle Modetrends, die Produkte der Popkultur, überhaupt alle Produkte sind dieser Fixierung auf den Augenblick unterworfen. Sprache und Schriftkultur können sich diesem Prinzip des Wandels nicht entziehen. Als Universitätsprofessor stand ich an der Front, an der der Kampf um die Schriftkultur ausgetragen wurde. Hier begriff ich, daß bessere Studienpläne, besser bezahlte Dozenten und bessere und billigere Lehrbücher zwar einiges bewirken könnten, aber letztlich an der Misere nichts ändern würden.
Der Niedergang der Schriftkultur ist ein allumfassendes Phänomen, das sich nicht auf die Qualität des Bildungssystems, auf die Wirtschaftskraft eines Landes, auf den Status sozialer, ethnischer oder religiöser Gruppen, auf das politische System oder auf die Kulturgeschichte reduzieren läßt. Es gab menschliches Leben vor der Schriftkultur, und es wird es jenseits von ihr geben. Es hat im übrigen bereits begonnen. Wir sollten nicht vergessen, daß die Schriftkultur eine relativ junge Errungenschaft der Menschen ist. 99% der Menschheitsgeschichte liegen vor der Schriftkultur. Ich bezweifele, daß historische Kontinuität eine Voraussetzung der Schriftkultur ist. Wenn wir indessen begreifen, was das Ende der Schriftkultur in seinen praktischen Auswirkungen bedeutet, können wir die Klagen vergessen und uns aktiv auf eine Zukunft einrichten, von der alle nur profitieren können. Wenn wir etwas genauere Vorstellungen von dem entwickeln würden, was sich am Horizont abzuzeichnen beginnt, könnten wir vor allem ein besseres, effektiveres Bildungssystem entwerfen. Wir wüßten dann auch, was die einzelnen Menschen brauchen, um sich in ihrer Mannigfaltigkeit in dieser Welt erfolgreich zurechtzufinden. Verbesserte menschliche Interaktion, für die es mittlerweile ausreichende technologische Möglichkeiten gibt, sollte dabei im Mittelpunkt stehen.
Es liegt natürlich eine gewisse Ironie in dem Umstand, daß jede Veröffentlichung über die Möglichkeiten jenseits der Schriftkultur ausgerechnet denen, um die es uns dabei besonders geht, nicht zugänglich ist. Von den vielen Millionen derer, die im Internet aktiv sind, lesen die meisten höchstens einen aus drei Sätzen bestehenden Absatz. Die Aufmerksamkeitsspanne von Studierenden ist nicht wesentlich kürzer als die ihrer Dozenten: eine Druckseite. Gesetzgeber und Bürokraten verlassen sich bei längeren Texten auf die Zusammenfassungen ihrer Mitarbeiter. Ein halbminütiger Fernsehbericht übt größeren Einfluß aus als ein ausführlicher vierspaltiger Leitartikel. Eine weitere Ironie liegt natürlich darin, daß das vorliegende Buch Argumente vorstellt, die in ihrer logischen Abfolge von den Konventionen des Schreibens und Lesens abhängen. Als Medium der Konstituierung und Interpretation von Geschichte beeinflußt die Schrift natürlich Art und Inhalt unseres Denkens.
Ich will daher vorausschicken, gewissermaßen um mir selbst Mut zu machen, daß das Ende der Schriftkultur nicht gleichbedeutend mit ihrem völligen Verschwinden ist. Die Wissenschaft von der Schriftkultur wird eine neue Disziplin, so wie Sanskrit oder Klassische Philologie eine sind. Für andere wird sie ein Beruf bleiben, wie sie es jetzt schon für Herausgeber, Korrektoren und Schriftsteller ist. Für die Mehrheit wird sie fortbestehen als eine von vielen Spezialsprachen und Bildungsformen, als eine von vielen Literalitäten, die uns den Gebrauch und die Integration der neuen Medien und der neuen Kommunikations- und Interpretationsformen erleichtern. Der Utopist in mir sagt, daß wir die Schriftkultur neu erfinden und damit retten werden, denn sie hat eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung zur neuen Zivilisation gespielt. Der Realist in mir erkennt, daß neue Zeiten und neue Herausforderungen, um ihre Komplexität in den Griff zu bekommen, neue Mittel erfordern. Unser Widerwillen, den Umbruch zu akzeptieren, wird ihn nicht verhindern. Er wird uns nur daran hindern, ihn mit zu gestalten und das Beste daraus zu machen.
Das vorliegende Buch möchte keine Schöne Neue Welt verkünden, in der die Menschen zwar weniger wissen, aber doch alles das wissen, was sie im Bedarfsfall wissen müssen. Es handelt auch nicht von Menschen, die—oberflächlich, mittelmäßig und extrem wettbewerbsorientiert—sich leicht auf Veränderung einstellen. Es beschäftigt sich vielmehr mit der Sprache und mit Bereichen, die von ihr wesentlich erfaßt sind: Politik, Bildung, Markt, Krieg, Sport und vieles mehr. Es ist ein Buch über das Leben, das wir den Wörtern beim Sprechen, Schreiben und Lesen verleihen. Wir geben aber auch Bildern, Tönen, Zeichengebilden, Multimedien und virtuellen Realitäten Leben, wenn wir uns in neue Interaktionsformen einbinden. Die Grenzen der Schriftkultur in praktischen Tätigkeiten zu überschreiten, für deren Ausführung die Schriftkultur keine ausreichenden Mittel zur Verfügung stellen kann, heißt letztlich, in eine neue Zivilisationsphase hineinzuwachsen. Jenseits der Schriftkultur? Zunächst möchte ich meinen methodischen Ansatz darlegen. Die Sprache erfaßt den Menschen in allen seinen Aspekten: den biologischen Anlagen, seinem Raum- und Zeitverständnis, seinen kognitiven und manuellen Fähigkeiten, seinem Gefühlshaushalt, seiner Empfindungskraft, seiner Gesellschaftlichkeit und seinem Hang zur politischen Organisation des Lebens. Am deutlichsten aber tritt unser Verhältnis zur Sprache in der Lebenspraxis zutage. Unsere beständige Selbstkonstituierung durch das, was wir tun, warum wir es tun und wie wir es tun—unsere Lebenspraxis also—vollzieht sich mittels der Sprache, ist aber nicht darauf zu reduzieren. Die hier verwendete pragmatische Perspektive greift auf Charles Sanders Peirce zurück. Die semiotischen Implikationen meiner Überlegungen beziehen sich auf sein Werk. Er verfolgt die Frage, wie Wissen zu gemeinsamem Wissen wird: nur über die Träger unseres Wissens—alle von uns gebildeten Zeichenträger—können wir ermitteln, wie die Ergebnisse unseres Denkens in unsere Handlungen und Theorien eingehen.
Die Sprache und die Bildung und Formulierung von Gedanken ist allein dem Menschen eigen. Sie machen einen wesentlichen Teil der kognitiven Dimension seiner Lebenspraxis aus. Wir scheinen über die Sprache so zu verfügen wie über unsere Sinne. Aber hinter der Sprache steht ein langer Prozeß der menschlichen Selbstkonstituierung, der die Sprache erst möglich und schließlich notwendig machte. Dieser Prozeß bot letztendlich auch die Mittel, uns in dem Maße als schriftkulturell gebildet zu konstituieren, wie es die jeweiligen Lebensumstände erforderten. Es sieht nur so aus, als sei die Sprache ein nützliches Instrument; in Wirklichkeit ergibt sie sich aus unserem lebenspraktischen Zusammenhang. Wir können einen Hammer oder einen Computer benutzen, aber wir sind unsere Sprache. Und die Erfahrung der Sprache erstreckt sich auf die Erfahrung der ihr eigenen Logik und der von ihr und der Schriftkultur geschaffenen Institutionen. Diese wiederum beeinflussen rückwirkend unser Dasein—das, was wir denken, was wir tun und warum wir es tun; so wie auch alle Werkzeuge, Geräte und Maschinen und alle Menschen, zu denen wir in Beziehung treten, unser Dasein beeinflussen. Die Interaktion mit anderen Menschen, mit der Natur oder mit Gegenständen, die wir geschaffen haben, beeinflussen alle auf ihre Weise die praktische Selbstkonstituierung unserer Identität.
Die schriftkulturelle Verwendung von Sprache hat unsere kognitiven Fähigkeiten entscheidend erweitert. Vieles unterliegt dieser schriftkulturellen Praxis: Tradition, Kultur, Gedanken und Gefühle, Literatur, die Herausbildung politischer, wissenschaftlicher und künstlerischer Projekte, Moral und Ethik, Justiz. Ich verwende einen weiten Begriff von Schriftkultur, der ihre vielen über die Zeit herausgebildeten Facetten abdecken soll. Wer daran Anstoß nimmt, sollte sich die enormen Wirkungsbereiche der Schriftlichkeit in unserer Kultur vor Augen halten. Das Gegenteil dieses Begriffs ist fast immer mit negativen Konnotationen belastet—nicht schriftkulturell gebildet zu sein, gilt als schädlich oder peinlich. Wir können also, ohne unsere Werte und Denkweisen genauer zu verstehen, auch nicht nachvollziehen, wie sich der Weg in die "Schriftkulturlosigkeit" als Fortschritt begreifen läßt. Viele Menschen empfinden sich als Teil einer post-schriftkulturellen Gesellschaft, möchten sich aber nicht als ungebildet bezeichnen lassen. [Im übrigen ist hier mit Blick auf die deutsche Ausgabe ein klärendes Wort zur Begrifflichkeit angezeigt. Im Englischen ist zur Benennung der hier verhandelten Problemstellungen das Begriffspaar literacy und illiteracy (bzw. literate/illiterate) gebräuchlich, für das es im Deutschen kein Äquivalent gibt. literacy/literate kann deutsch "Schriftkultur/schriftkulturell", "Schriftlichkeit (Schrift)/schriftlich", "Bildung/gebildet", bzw. illiteracy neben "Unbildung" auch noch "Analphabetismus" bedeuten. Auch "Literalität/Illiteralität" ist keineswegs deckungsgleich. Je nach Kontext bezeichnet der englische Begriff einen dieser Aspekte oder den gesamten Bedeutungsumfang. In der deutschen Fassung mußte daher aus Gründen der Präzisierung auf Umschreibungen oder Wortkombinationen zurückgegriffen werden. Ein ähnliches Problem stellt sich bei der Übersetzung für den englischen Begriff mind, an dessen Bedeutungsumfang man sich je nach Kontext mit "Bewußtsein" oder "Geist" annähern kann, der nach Auffassung des Verfassers aber als deutsch "Mind" wiedergegeben werden sollte. Anm. d. Übers.]
Mit der Bezeichnung Jenseits der Schriftkultur beziehe ich mich auf ein Entwicklungsstadium, in dem die Grundstruktur unserer Lebenspraxis nicht mehr vornehmlich durch schriftkulturelle Merkmale gekennzeichnet ist. Darüber hinaus bezeichne ich damit einen Zustand, in dem nicht mehr eine einzige Sprache und Schriftkultur vorherrscht und allen Bereichen der Lebenspraxis ihre Strukturen und Regeln aufzwingt, so daß neue Formen der Selbstkonstituierung verhindert werden. Im übrigen geht es mir nicht um einen provokativen Begriff, sondern darum, daß wir unseren Blick zukunftsorientiert auf die gegenwärtigen Probleme richten und uns nicht aus Bequemlichkeit mit dem Gewohnten zufrieden geben.
Das neue Stadium kennt viele Sprachen und Schriftlichkeiten mit jeweils eigenen Merkmalen und Funktionsregeln. Bei diesen partiellen Sprachen kann es sich um andere Ausdrucksformen handeln, um visuelle oder um synästhetische Kommunikationsmittel. Andere beruhen auf Zahlen und damit einem Notationssystem, das mit Schriftlichkeit nichts zu tun hat. Jenseits der Schriftkultur etablieren sich nichtsprachliche Denk- und Arbeitsformen, die z. B. Mathematiker verschiedener Länder und Sprachen auf der Grundlage ihrer Formeln zusammenarbeiten lassen. Visuelle, digital verarbeitete Mittel erhöhen die Effizienz. Und selbst in der heutigen eher primitiven Ausstattung verkörpert das Internet die Richtungen und Möglichkeiten dieser Zivilisation. Das bringt uns zurück zur Frage, wie und warum Schriftkultur entstand, nämlich durch pragmatische Umstände, die nach höherer Effizienz hinsichtlich der verfolgten Ziele verlangten: bei der Auflistung von Handelsgütern oder bei Anweisungen für bestimmte Tätigkeiten; Beschreibungen von Orten und Wegen; Theater, Dichtung, Philosophie; die Aufzeichnung und Verbreitung von Geschichte und Ideen, von Mythen, Romanen, Gesetzen und Gebräuchen. Einige dieser Bedürfnisse haben sich erübrigt. Aber daß die neuen digitalen Methoden und Technologien eine leistungsfähige Alternative zur Schriftkultur darstellen, kann nicht deutlich genug hervorgehoben werden.
Als ich mit der Arbeit an diesem Buch begann, war ich davon überzeugt, daß wir für die dem Menschen eigene Tendenz zu immer höherer Effizienz—genauer: für unseren Drang, immer mehr für immer weniger Geld zu bekommen—einen Preis bezahlen müssen: die Aufgabe der Schriftkultur und der an sie geknüpften Werte wie Tradition, Bücher, Kunst, Familie, Philosophie, Ethik und vieles andere. Wir sehen uns schnelleren Lebensrhythmen und kürzeren Interaktionszeiten ausgesetzt. Zahlreiche und vielfältige Vermittlungselemente beeinflussen unser Verständnis von dem, was wir tun. Fragmentarisierung und gleichzeitige Vernetzung der Welt, neue Synchronisierungstechnologien und die Dynamik von Lebensformen oder künstlich geschaffenen Gebilden entziehen sich schriftkulturellem Zugriff und konstituieren einen neuen Rahmen für unsere Lebenspraxis. Besonders deutlich wird das, wenn wir die grundlegenden Merkmale der Schriftlichkeit mit denen der neuen Zeichensysteme vergleichen, die die Schriftlichkeit ergänzen oder ersetzen. Sprache ist sequentiell, zentralistisch, linear und entspricht dem linearen Wachstumsstadium der Menschheit. Mit den ebenfalls linear anwachsenden Mitteln des Lebensunterhalts und der Produktion, die für das Leben und die Fortentwicklung der Menschheit notwendig sind, hat dieses Stadium sein Potential realisiert und erschöpft. Das neue Stadium ist gekennzeichnet durch verteilte, nichtsequentielle Tätigkeit und nichtlineare Beziehungen. Es spiegelt das exponentielle Wachstum der Menschheit (hinsichtlich der Bevölkerungszahlen, der Erwartungen, Bedürfnisse und Sehnsüchte) und setzt auf andere, im wesentlichen kognitive Ressourcen. Dieses System weist eine andere, eine völlig neue Skala auf, die unter anderem durch Globalität und höhere Komplexitätsebenen gekennzeichnet ist. Aus diesen völlig neuen Formen der Lebenspraxis erwachsen die Alternativen, die unser Leben, unsere Arbeit und unsere sozialen Beziehungen verändern werden.
Die neuen Mittel sind nicht mehr so universell wie die Sprache, eröffnen aber aus den hier zunächst angedeuteten Gründen ein exponentielles Wachstum. Solange sich der Mensch in kleinen Einheiten organisiert hatte (in Stämmen, kleinen Siedlungsgemeinschaften, Städten und Grafschaften), nahm die Sprache eine zentrale Stellung ein. Sie erfüllte in diesen Organisationsformen vereinheitlichende Funktionen. Mittlerweile haben wir eine Entwicklungsphase erreicht, die von weltweiten Abhängigkeitsverhältnissen gekennzeichnet ist. Daraus erwachsen viele lokale Sprachen und Schriftlichkeiten mit nur relativer, begrenzter Bedeutung, die aber in ihrer Gesamtheit unsere Praxis optimieren. Aus Bürgern, Citizens, werden vernetzte Bürger, Netizens, und diese Identität bindet sie nicht nur an den jeweiligen Platz ihres Lebens und ihrer Arbeit, sondern an die ganze Welt.
Das allumfassende System der Kultur brach in viele Teilsysteme auf, und zwar keinesfalls nur in die von C. P. Snow beschriebenen zwei Kulturen der Naturwissenschaften und der Geisteswissenschaften. Die Marktmechanismen befreien sich zunehmend von den Konventionen der Schriftkultur. Wo immer schriftkulturelle Normen und Regelungen diese Emanzipation verhindern wollen—etwa durch Maßnahmen der Regierung, bürokratische Vorschriften von Behörden, durch Militär und Justiz—bezahlen wir dafür mit geringerer Effizienz. Wie sehr Europa auch immer vereint sein wird, wenn sich die Mitgliedsstaaten nicht von den ihre Lebensfähigkeit beeinträchtigenden schriftkulturellen Zwängen befreien, werden die anstehenden Konflikte nicht bewältigt, und die möglichen Lösungen rücken in weite Ferne.
Eine letzte Bemerkung: Die Publikationsindustrie der Wissenschaft kann noch immer nicht begreifen, daß jemand einen Gedanken findet, der nicht auf einem Zitat beruht. Im Einklang mit der Autoritätsfixierung der Schriftkultur habe ich all jene Werke angeführt, die sich in irgendeiner Weise auf den Inhalt dieses Buches ausgewirkt haben. Nur sehr wenige werden im Text selbst erwähnt. Ich habe mir erlaubt, der Entwicklung meines Gedankengangs Priorität vor den stereotypen Fußnotenverweisen einzuräumen. Das soll mich jedoch nicht daran hindern, neben Leibniz und Peirce den Einfluß zahlreicher weiterer Gelehrter anzuerkennen, insbesondere von Humberto Maturana, Terry Winograd, George Lakoff, Lotfi Zadeh, Hans Magnus Enzensberger, George Steiner, Marshall McLuhan, Ivan Illich, Jurij M. Lotman und sogar Jean Baudrillard, dem Essayisten des postindustriellen Zeitalters. Wenn ich irgend jemanden ungenau wiedergebe, geschieht dies nicht aus Mißachtung seines Werks. In der Verfolgung des eigenen Erkenntnisinteresses und der eigenen Argumentation habe ich von ihren Gedanken eingebaut, was mir ein brauchbarer Baustein in meinem Gedankengebäude zu sein schien. Für Entwurf und Bauweise trage allein ich die Verantwortung und stelle mich gern der Kritik. Das mindert nicht im geringsten meinen Dank an all jene, deren Fingerabdrücke auf manchen Bausteinen zu erkennen sind.
In den fünfzehn Jahren, in denen ich an diesem Buch gearbeitet habe, sind viele der von mir diskutierten Entwicklungen für jeden erkennbar eingetreten. Aber ich bin alles andere als unglücklich oder überrascht zu sehen, daß sich die Realität verändert hat, noch bevor dieses Buch erscheinen konnte. Als ich die Gedanken, die schließlich in dieses Buch eingingen, erstmals mit Studenten diskutierte, in Vorträgen vorstellte und vor politischen, administrativen oder wissenschaftlichen Kreisen veröffentlichte, hatte das Internet noch nicht die Börse bestimmt, waren die Bücher über den Zukunftsschock mit ihren schäumenden Prophezeiungen noch nicht erschienen und hatte noch kein Unternehmen das große Geld mit den Multimedien gemacht. Das Buch sollte indes nicht nur Vorgänge und Tendenzen beschreiben, sondern auch ein Programm für praktisches Handeln entwickeln. Deshalb widme ich mich nach den theoretischen Teilen angewandten Fragestellungen. (In der deutschen Fassung wurden die Teile, die dem neuen Status der Familie, der Sexualität, dem Kochen und Essen sowie der Kunst und Literatur gewidmet sind, nicht übernommen). Abschließend versuche ich praktische Maßnahmen vorzuschlagen, die sich als Alternativen zu den eingetretenen Pfaden verstehen. Ich würde es in der Tat gern sehen, wenn man meine Vorschläge prüfen und anwenden, übernehmen und weiterentwickeln würde (ob unter Würdigung meiner Urheberschaft oder nicht!). Und lieber würde ich eine kritische oder ablehnende Rezeption dieses Buches in Kauf nehmen, als die Tatsache, daß es unbemerkt bliebe.
Kapitel 1:
Die Kluft zwischen Gestern und Morgen Kontrastfiguren
Heutzutage wird an einem einzigen Tag mehr Information produziert als in den vergangenen 300 Jahren zusammen. Die Bedeutung dieser trockenen Zahlen aus dem Bereich der Datenverarbeitung wollen wir an einem Beispiel verdeutlichen.
Die Friseurin Zizi und ihre Freunde vertreten den heutigen Zeitgeist und die lesefähige Bevölkerung mit durchschnittlicher Schulbildung. Hans Magnus Enzensberger vergleicht sie in seinen "Gesammelten Zerstreuungen" mit Pascal, der seine Arbeit über die Kegelschnitte als 16jähriger veröffentlicht hatte, mit Hugo Grotius, der im Alter von 15 Jahren seinen Hochschulabschluß erwarb, und mit Melanchthon, der bereits mit zwölf Jahren an der berühmten Heidelberger Universität eingeschrieben war. Zizi weiß, wo es langgeht. Sie ist wie eine leibhaftige Internetadresse: mehr Verbindungen als Inhalte, ständig im Aufbau begriffen. Sie beschreitet viele neue Wege, keiner wird beendet. Öffentliche Mittel sichern ihr Wohlergehen, sie ist im Genuß aller Formen der Sozialhilfe, die die Gesellschaft zu bieten hat. Zizi parliert über Steuern, über Figuren aus Groschenheften und Fernsehserien oder über Personen aus ihrem letzten Urlaub. Ihre Rede besteht aus Klischees aus dem Mund der allseits bewunderten Alltagshelden. Ihr Freund, der 34jährige Bruno G., hat einen Universitätsabschluß in politischer Wissenschaft, verdient sein Geld als Taxifahrer und ist sich über seine weiteren Lebensziele völlig im unklaren. Er kann die deutschen Fußballmeister seit 1936 auswendig hersagen, kennt die namentliche Aufstellung jeder Mannschaft und jedes Spielergebnis auswendig und weiß genau, welcher Trainer wann gefeuert wurde. Melanchthon lernte Lesen, Schreiben, Latein, Griechisch und Theologie. Er kannte zahlreiche Stellen aus der Bibel und aus den Werken antiker Schriftsteller auswendig. Seine Welt war klein. Um sie zu erklären, brauchte man weder Mathematik noch Physik, sondern nur Philosophie. Da wir Melanchthon weder einer Multiple-choice-Prüfung noch einem Intelligenztest unterziehen können, wissen wir auch nicht, ob er heute eine Abitur- oder eine universitäre Aufnahmeprüfung bestehen würde. Damit sind wir bei der ebenso simplen wie entscheidenden Frage: Wer ist unwissender, Melanchthon oder Zizi?
Enzensbergers Beispiele beziehen sich auf Deutschland, aber die von ihm beschriebenen Phänomene überschreiten Ländergrenzen. Er selbst—Schriftsteller, Lyriker, Verleger—ist gewiß alles andere als ein blindwütiger Internetanhänger, obwohl er sich darin vermutlich genauso gut auskennt wie seine Figuren. Im Gegensatz zu vielen anderen, die sich mit Schriftkultur und Bildung befassen, sieht Enzensberger durchaus, daß die jenseits der Schriftkultur erreichte Effizienz das Alter des Heranwachsens weit in jene Zeit hinein ausdehnt, die im Leben vorausgegangener Generationen zu der produktiven Phase zählte. Heute genießt nahezu jeder irgendeine Form von weiterführender Bildung—in manchen Ländern gibt es darauf einen Rechtsanspruch. Mehr als die Hälfte aller jungen Menschen hat eine weiterführende Schule oder eine Hochschule besucht. Und nach dem Examen wissen viele von ihnen noch immer nicht, was sie eigentlich wollen. Schlimmer noch, sie müssen erfahren, daß ihnen ihre Kenntnisse oder das, was sie als ihre Kenntnisse bescheinigt bekommen haben, bei dem, was von ihnen im Leben erwartet wird, nicht sonderlich nützlich sind. Wie Zizi leben sie von Sozialfürsorge und reagieren zornig, wenn irgend jemand die Frage aufwirft, ob sich die Gesellschaft diese Art von Unterstützung überhaupt noch leisten kann. Der in ihrer Lebenserfahrung sich festsetzende Eindruck der Leistungsfähigkeit der Gesellschaft rechtfertigt in ihren Augen den Anspruch, sich darüber, ob sie selbst je zu dieser Leistungsfähigkeit beitragen werden, keine Gedanken machen zu müssen. Von ihrer Ausbildung erwarten sie, wohl zu recht, daß alles für ihr späteres Leben relevant ist. Das Problem liegt allerdings darin, daß weder sie noch ihre Lehrer genau wissen, was das heißt. Ihnen bietet sich eine immer größere Auswahl an Fächern, die immer weniger berufsrelevant sind. Ein Buch wird kaum noch zu Ende gelesen; Pflichtlektüre wird in kleinen Portionen vergeben, üblicherweise in Form von Fotokopien. Beigefügt ist ein Fragenkatalog in der Hoffnung, daß die Schüler die zu seiner Beantwortung nötigen Seiten auch wirklich lesen und nicht etwa die Antworten von ihren fleißigeren Freunden abschreiben.
Zizi verfügt vermutlich über einen Wortschatz, der im Umfang etwa dem eines Gelehrten aus dem 16. Jahrhundert entspricht. Daß sie davon weniger als 1000 Wörter aktiv verwendet, besagt lediglich, daß sie nur so viele benötigt, um erfolgreich im Leben zu bestehen. Melanchthon verwendete nahezu alle Wörter, die er kannte. Seine Arbeit erforderte eine Beherrschung der Schriftkultur, die ihm jeden neuen Gedanken zu formulieren erlaubte, der sich aus den relativ wenigen neuen Erfahrungen im Prozeß der menschlichen Identitätsfindung ergab, derer er gewahr wurde. Er beherrschte drei Sprachen, zwei davon sind heute nur noch Gegenstand wissenschaftlicher Beschäftigung in entsprechenden Fachdisziplinen. Zizi reichen für ihren nächsten Urlaub in Griechenland oder Italien einige Sätze aus dem Reiseführer oder vom Kassettenrecorder: Reisen gehört zu ihrem Alltag. Sie kennt zahllose Rockgruppen und kann alle Lieder mitsingen, die ihre Sorgen artikulieren: Sex, Drogen, Einsamkeit. Ihre Erinnerung an Rockkonzerte und Filme dürfte wesentlich umfangreicher sein als die Melanchthons, der vielleicht die Liturgie der katholischen Kirche auswendig kannte. Wie alle, die ihre Identität jenseits der Schriftkultur finden, weiß Zizi, was sie von den Steuern absetzen kann. Ihr Lebensrhythmus ist mehr durch wirtschaftliche als durch natürliche Zyklen bestimmt. Vor allem hält sie die Basis ihres praktischen Wissens stets auf dem neuesten Stand. In einer Zeit permanenter Veränderung ist dies ihre einzige Chance, dem System und allen davon ausgehenden Bildungsnormen und Einschränkungen die Stirn zu bieten.
Melanchthon hätte bei all seiner Bildung schon zwischen zwei aufeinanderfolgenden Steuergesetzen die Orientierung verloren, ganz zu schweigen von den rasch wechselnden Bekleidungs- und Musikmoden, der Entwicklung der Computersoftware oder gar der Computerchips. Sein Orientierungssystem entsprach einer stabilen Welt mit weitgehend unveränderlichen Erwartungen. Die Inhalte seiner Bildung behielten für den Rest seines Lebens ihre Gültigkeit. Zizi, Bruno und ihre Freundin Helga—die dritte Figur bei Enzensberger—leben dagegen in einer Welt, deren Wissensangebot heterogen und nicht festgelegt ist. Es gründet auf ad-hoc-Methoden, die sie in Zeitschriften finden oder im Internet, das man nur zu durchsurfen braucht, um an nützliche Informationen zu gelangen.
Wir müssen uns indes, schon um den Eindruck einer Karikierung des Internets zu vermeiden, den pragmatischen Kontext vergegenwärtigen, innerhalb dessen Zizi ihre Identität findet und in dem das Internet als weltweiter Erfahrungsfundus fungiert. Es ist gewiß nicht ganz fair, Melanchthon und die Friseurin Zizi zu vergleichen. Ebenso unfair wäre es, die Bibliothek von Alexandria mit dem Internet zu vergleichen. Die eine birgt eine unschätzbare Sammlung, die das gesamte menschliche Wissen repräsentiert (auch die Illusion von Wissen). Das andere bietet extrem effektive Methoden, mit denen wir die für die pragmatischen Lebenszusammenhänge benötigten Informationen erwerben, prüfen, benutzen und verwerfen können. Die Welt Melanchthons blieb auf Mitteleuropa und Rom beschränkt. Nachrichten wurden hauptsächlich mündlich übertragen. Wie alle, die mit Büchern aufwachsen und mit ihnen arbeiten, hatte Melanchthon viel weniger Informationen zu verarbeiten als wir heute. Für seine Zwecke brauchte er weder einen Intel-inside-Computer noch eine Suchmaschine. Er hätte auch nicht verstehen können, wie man Bedarf und Vergnügen am browsen—am Durchblättern—einer Maschine, eben dem Browser, überlassen kann. Seine geistige Welt bestand aus Assoziationen, nicht aus Suchergebnissen, so ertragreich diese auch sein mögen. Seine Erkenntniswelt wurde durch den menschlichen Verstand, nicht durch Maschinen aufgebaut.
Schriftlichkeit eröffnete einen Zugang zum Wissen, solange dieses Wissen mit den pragmatischen Strukturen kompatibel war, die es verkörperte und förderte. Das Ozonloch der Informationsüberflutung ließ diese Schutzhülle der Schriftlichkeit platzen. Im neuen pragmatischen Kontext sieht sich der datenhungrige Mensch auf Gedeih und Verderb einer Informationsumwelt ausgeliefert, die Arbeit, Unterhaltung und Freizeit, ja, das gesamte Leben formt. Zu Melanchthons ganz auf Exzellenz ausgerichteter Zeit war der Zugang zur Bildung nur wenigen offen und entsprach nicht im entferntesten unseren Maßstäben von Gleichheit und Fairneß. Jegliche Form von Wissen war sehr teuer. Um Friseurin zu werden—sofern dies vor 500 Jahren möglich und nötig gewesen wäre—hätte Zizi wie Millionen andere, die wie sie eine Berufsausbildung genossen haben, viel mehr bezahlen müssen als in unserer heutigen Zeit mit ihrem unbeschränkten Zugang zur Mittelmäßigkeit. Wissen wurde durch unterschiedliche Instanzen vermittelt—durch Familie, Schule und Kirche—und nur durch wenige Bücher verbreitet, oft nur mündlich oder durch Nachahmung.
Die Erwartungen, die ein Individuum zur Zeit Melanchthons hegte, und die von ihm verfolgten Ziele veränderten sich im Verlauf eines Lebens nur unwesentlich, da auch der pragmatische Lebenszusammenhang unverändert blieb. Das führte zur dynamischen, praktischen Erfahrung der Identitätsfindung, die schließlich den pragmatischen Kontext unserer Zeit entstehen ließ. Vorbei sind auch alle Formen von Kooperation und Solidarität, die, so unvollendet sie auch gewesen sein mögen, eine Lebensform und ein Wertesystem kennzeichneten, worin das Überleben des Einzelnen für das Überleben und das Wohlergehen der Gemeinschaft ausschlaggebend war. An ihre Stelle ist eine allseits verbreitete Konkurrenzmentalität getreten. Nicht selten nimmt sie den Charakter von Feindseligkeit an, die im Fall von auf die Schriftkultur verpflichteten, gebildeten Rechtsanwälten sozial akzeptiert, im Fall von jenseits dieser Kultiviertheit operierenden, illiteraten Terroristen unerwünscht ist.
Unser Szenario, in dem Zizi und Melanchthon die Hauptrollen spielen, kann die Kluft zwischen gestern und heute natürlich nur andeuten. Eine genauere Untersuchung der heutigen Lage ergäbe jedoch, daß die Schriftsprache nicht mehr ausschließlich, und nicht einmal vornehmlich, unser tägliches Leben bestimmt. Im Alltag der wirtschaftlich fortgeschrittenen Länder ist ein wesentlicher Teil der sprachlichen Kommunikation durch maschinelle Transaktionen ersetzt worden. Digitale Netzwerke verknüpfen Produktionsstätten, Verteilungskanäle und Verkaufsstellen und erhöhen Umfang und Vielfalt dieser Transaktionen. Auch die alltagspraktischen Abläufe wie Einkaufen, Transport, Banken- und Börsengeschäfte bedürfen immer weniger der Schriftlichkeit. Die Automatisierung hat in vielen Tätigkeitsbereichen die schriftliche Komponente wegrationalisiert, und weltweit machen—unabhängig vom jeweiligen wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungsstand—kommunikationsspezifische Erscheinungen wie Werbung, Politkampagnen oder vielfältige Formen des Zeremoniells (religiöse, militärische, sportliche) nur allzu deutlich, daß die Schriftsprache der Funktion und dem Zweck untergeordnet bleibt.
Derartige Entwicklungen haben nicht nur Auswirkungen auf schriftsprachliche Kulturen und solche, die diese Schriftsprachlichkeit bereits hinter sich gelassen haben, sondern auch auf Lebensgemeinschaften, die sich noch immer in einem Vorstadium der schriftsprachlichen Kultur befinden—auf die nomadische, animistische Bevölkerung des Sudan, die Indianerstämme in den Regenwäldern des Amazonas und auf die zurückgezogen lebenden Stämme in Afrika, Asien und Australien. Wir sollten uns klarmachen, daß die Güter und Waren dieser Kulturen einschließlich ihrer Arbeitskraft, aber auch ihre Bedürfnisse und Erwartungen, auf dem globalen Markt gehandelt werden. Im von lese- und schreibunkundigen Indianerstämmen bevölkerten Hochland Perus wird ebenso ferngesehen wie in der Sahara—mit Fernsehgeräten, die an Autobatterien angeschlossen sind. Als virtuelle Verkaufsobjekte werden die Länder mit vorzivilisatorischen Gesellschaften auf dem Futures-Markt als mögliche Urlaubsgebiete oder als Lieferanten für billige Arbeitskraft gehandelt. Auch bleibt ihre praktische Identitätserfahrung im Kontext eines nomadischen, animistischen Stammesdaseins nicht mehr länger auf die enge Grenze der jeweiligen Lebensgemeinschaft beschränkt. In der hocheffizienten Welt globaler Lebensplanung erscheinen ihr Hunger und ihr Elend in den Entwürfen von potentiellen Hilfs- und Kooperationsprogrammen. Wir sollten dies nicht nur als Gier und Zynismus auslegen, sondern auch als Ausdruck gegenseitiger Abhängigkeit. AIDS auf dem afrikanischen Kontinent und die Ebola-Epidemie sind nur zwei Beispiele für Gefahren, die die ganze Welt betreffen. Die Pflanzen des immer kleiner werdenden Regenwaldes des Amazonas, deren Heilwirkung wir nutzen, können auch die gemeinsamen Chancen symbolisieren. In einem solchen Zusammenhang, aus solchen Anlässen und an solchen Orten treffen die pragmatischen Lebensformen von Schriftkultur und diejenigen jenseits der Schriftkultur zusammen und finden zu gemeinsamen Aufgaben.
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Texte werden durch Bilder ersetzt; Geräusche fügen Rhythmus oder Nuancierungen hinzu; nichtsprachliche, visuelle Darstellungen dominieren; bewegte Bilder erzeugen eine Dynamik, die vom geschriebenen Wort nur angedeutet werden könnte. In technologisch fortschrittlichen Gesellschaften verbinden interaktive Multimedien (oder Hypermedien) visuelle, akustische, dynamische und strukturale Darstellungsformen. Kontexte für die persönliche Auswertung, Organisation und Bearbeitung von Informationen sprießen in CD-ROM-Formaten geradezu aus dem Boden, als interaktive Spiele, als Lehrprogramme. High-fidelity-Stereoklang, umfangreiche Videomöglichkeiten, Computergraphiken und eine Vielzahl von Mitteln zur individuellen menschlichen Interaktion bilden die technologische Grundlage für eine sich herausbildende allgegenwärtige computerisierte Umwelt.
Dieser Prozeß kann vorläufig folgendermaßen zusammengefaßt werden: Die Form von Kooperation und Interaktion, die der Komplexität unseres heutigen Zeitalters gerecht wird, muß die Maßstäbe höchster Effizienz erfüllen. Die relativ stabile und gut strukturierte Kommunikation auf der Basis der Schrift erweist sich heute als weniger effizient als ein schneller und eher fragmentarischer Kontakt durch Mittel, die nicht mehr auf Schriftlichkeit gründen oder durch sie gefördert werden. Stereotypisierte, repetitive oder klar definierte einmalige Aufgaben und die damit verbundene Schriftsprache sind zunehmend an Maschinen übertragen worden. Einmalige Aufgaben setzen Spezialisierungsstrategien voraus. Je begrenzter die Aufgabe ist, die dem einzelnen Kommunikationsteilnehmer zugewiesen wird, desto effektiver sind die Wege zu ihrer Lösung. Dies geschieht auf Kosten der Formenvielfalt und des Ausmaßes der direkten menschlichen Interaktion und natürlich auf Kosten der auf Schriftlichkeit gründenden Interaktion. Entsprechend greift die menschliche Suche nach Identität auf Ausdrucks- und Kommunikationsmittel zurück, die nicht mehr nur auf Schrift gründen oder auf sie zurückzuführen sind. Die der Schriftlichkeit eigenen Merkmale beeinflussen unsere Erkenntnisprozesse, Interaktionsformen und auch die Natur unserer Produktionsbemühungen in immer geringerem Ausmaß. Gleichwohl müssen wir erkennen, daß diese Umstrukturierung unseres praktischen Handelns weder allgemeine Zustimmung findet noch konfliktlos ist, wie wir im folgenden darlegen wollen.
Manch einem bleibt die eingeschränktere Rolle der Schriftlichkeit und der allgemeine Rückgang der Sprachlichkeit und Sprachfertigkeit im heutigen Leben verborgen, andere wiederum überlassen sich der zunehmenden Schriftlosigkeit, ohne sich dieser Tatsache überhaupt bewußt zu werden. Viele klagen heute über das niedrige Bildungsniveau, stimmen aber der Einführung von Methoden und der Einrichtung von Lebensbedürfnissen zu, die eine auf Schriftlichkeit basierenden Bildung immer bedeutungsloser machen. Wenn diese Menschen sich auf Bildung berufen, gefallen sie sich in einer Sehnsucht nach etwas, was ihr tägliches Leben längst nicht mehr beeinflußt. Ihre gesamte Lebensweise, ihr Denken, Fühlen, ihre zwischenmenschlichen Beziehungen, ihre Erwartungen bezüglich Familie, Religion, Ethik, Moral, Kunst, Essen, Kultur und Freizeit spiegeln längst diese neue Lebensform der Schriftlosigkeit wider. Und diese Entwicklung ist zwangsläufig, niemand hat wirklich eine Wahl. Viele Politiker, Lehrer und (Schrift-) Kulturschaffende (Schriftsteller, Verleger, Buchhändler) zeigen sich über den niedrigen Bildungsstand derer besorgt, die eine Ausbildung genossen haben, welche bislang als ausreichende Grundlage für durchschnittlich gebildete Erwachsene galt. Sie befürchten, möglicherweise aus den falschen Gründen, daß die Menschen ohne ein hohes Maß an Schreibund Lesefertigkeit nicht leben und gedeihen können. Worüber sie tatsächlich besorgt sind, ist nicht die Tatsache, daß man heutzutage weniger gut oder korrekt schreibt, weniger liest (sofern manche überhaupt noch lesen), sondern daß manch einer trotz dieses Umstandes durchaus im Leben bestehen kann. Die selbsternannten Helden der Schriftkultur verwenden Kraft, Energie und Gedanken nicht etwa auf die Frage, wie man aus diesem Umbruch Nutzen ziehen, sondern wie man einen unvermeidlichen Prozeß anhalten kann.
Dieser Umbruch trat keinesfalls über Nacht ein. Norbert Wieners vorausblickende Warnung, daß wir uns zu Sklaven intelligenter Maschinen machen, die viele unserer geistigen Fähigkeiten übernehmen, verdient in diesem Zusammenhang mehr als nur beiläufige Erwähnung. Andere führen das in den 60er Jahren weltweit zu verzeichnende Aufbrechen der traditionellen Bildungssysteme ins Feld. Diese Vorgänge und die von Wiener bezeichneten Maschinen sind ein weiteres Symptom, wenn auch nicht der Grund, für den Niedergang der Schriftkultur. Ich vertrete im Folgenden die These, daß sich Schriftlosigkeit, soweit sie sich bislang manifestiert hat, aus der veränderten praktischen Erfahrung des Menschen ergeben hat; das heißt aus einem praktischen Handeln, welches einem neuen Zivilisationsstand entspricht. (Wenn ich von Pragmatik und praktischem Handeln spreche, dann in der alten griechischen Bedeutung des Wortes: pragma Taten aus prattein machen, handeln.) Welchem Beruf wir auch nachgehen—als Angestellter einer großen Firma oder als selbständiger Geschäftsmann, als Bauer, Künstler, Sprachlehrer, Mathematiker, Programmierer oder auch als Mitglied des Verwaltungsrats einer Universität—wir alle haben längst, wenn auch etwas zögerlich, die Rationalisierung der Sprache akzeptiert. Wir haben uns in der unpersönlichen Welt aus stereotypisierten Diskursformen, Anwendungen, Passwords und aus in Textverarbeitungsprogrammen gespeicherten Standardbriefen eingerichtet. Höchst effektiv überwindet das Internet alle Einschränkungen, die uns die Sprache im Zusammenhang des praktischen Handelns auferlegt hatte—als World Wide Web, als e-mail-Medium, als Kanal für Datenaustausch oder auch nur als Forum eines globalen Gedankenaustausches. Zunehmend ist unsere Welt gekennzeichnet durch Effizienz und global vernetzte Tätigkeiten, die mit einer solchen Geschwindigkeit und auf unterschiedlichsten Ebenen vollzogen werden, wie es der Schriftlichkeit niemals möglich war.
Gleichwohl drücken sich Abhängigkeiten aus in unserem Verhältnis zur Sprache und in unserer Sprachverwendung. Sprache scheint ein Schlüssel zum Verstand zu sein—zumindest einer von vielen. Dies ist einer der Gründe, warum die künstliche Intelligenz so sehr an Sprache interessiert ist. Darüber hinaus ist sie offenkundig ein wesentliches soziales Merkmal. Also kommt es auch nicht überraschend, daß sich aus dem veränderten Status der Sprache weitere Veränderungen ergeben, die weit über das hinausgehen, was wir in einem naiven Sprachverständnis für die Natur eines Wortes, die Leistung eines Wortes oder einer Grammatikregel oder für einen Text halten. Ein Wort auf einem bedruckten Blatt Papier wie dem vorliegenden ist etwas ganz anderes als ein Wort im Hypertext einer multimedialen Anwendung oder im Web. Die Buchstaben erfüllen jeweils unterschiedliche Aufgaben. Fehlt einer auf dieser Seite, liegt ein Druckfehler vor. Berührt man einen, geschieht gar nichts. Wenn wir aber einen Buchstaben auf einer Webpage anklicken, werden wir unverzüglich mit anderen Zeichen, Bildern, Geräuschen und interaktiven, multimedialen Darstellungen verbunden. Solche Veränderungen sind Thema des vorliegenden Buches. Sie helfen uns zu verstehen, warum Schriftlosigkeit sich nicht zufällig ergeben, sondern zwangsläufig entwickelt hat.
Das Leben ist schneller geworden
Die heutige Welt ist durch Effizienz gekennzeichnet. Und obwohl dies zumindest auf den Computer-Bildschirmen, den Bedienungsknöpfen und Sensoren jener Maschinen offenkundig wird, von denen wir zunehmend abhängen, bemächtigen sich die Effizienzerwartungen des Geschäfts- und Finanzlebens zunehmend auch unserer Privatsphäre. Unsere Effizienzerwartungen haben auch unsere Häuslichkeit nachhaltig verändert—Küche, Arbeits- oder Badezimmer—und die entsprechenden sozialen und familiären Rollen neu definiert. Das, was uns früher andere abgenommen haben, erledigen wir heute fast ausschließlich selbst. Wir kochen (sofern wir das Aufwärmen von Fertiggerichten in der Mikrowelle noch kochen nennen dürfen), wir waschen unsere Wäsche (sofern wir das Sortieren unserer Schmutzwäsche nach Waschprogrammen und das Füllen der Waschmaschine waschen nennen dürfen), wir schreiben und drucken unsere Texte selber aus, wir fahren uns selbst und unsere Kinder. Der Mensch ist durch die Maschine ersetzt worden, wir haben uns zu ihrem Sklaven gemacht. Wir müssen die Sprache ihrer Bedienungsanleitungen lesen und die Konsequenzen aus ihrer Benutzung tragen: erhöhten Energieverbrauch, Umweltverschmutzung und erhöhte Müllmengen, vor allem aber Abhängigkeit. Unsere Beziehungen werden flüchtiger; "Wie geht es?" gibt nicht mehr unser aufrichtiges Interesse wieder und fordert vor allem keine wirkliche Antwort ein, sondern ist eine leere Begrüßungsformel. Was einst tatsächlich etwas bedeutet und ein Gespräch eingeleitet hat, ist heute eher dazu geeignet, zwischenmenschliche Begegnungen zu beenden oder doch im besten Falle ein Gespräch zu eröffnen, das nichts mit dieser einleitenden Frage zu tun hat. Solange das Modell der Sprachlichkeit und der Sprachkultur seine Gültigkeit besaß, lebten wir in einem homogenen Sprachraum, heute sehen wir uns einer fragmentarisierten Wirklichkeit gegenüber, die aus Spezialsprachen und Registern, Bildern, Geräuschen, Körpersprache und neuen Konventionen besteht.
Trotz des enormen finanziellen Aufwandes, den die Gesellschaft jahrhundertelang in Schriftsprachlichkeit und Bildung investiert hat, gelten diese heute nicht mehr als allseits erstrebenswertes Bildungsziel. Man hat sich offenbar sogar damit abgefunden, daß nicht einmal mehr die in der üblichen Schulausbildung vermittelte Schriftlichkeit benötigt wird. Für einige wenige ist Schriftlichkeit noch eine Kunst, mit der sie ihren Lebensunterhalt verdienen können—Redenschreiber, Texter und Verleger, vielleicht auch noch Romanschriftsteller und Lehrer. Sie kennen die Regeln des korrekten Sprachgebrauchs und wenden sie an. Die Methoden, mit denen man die Wirksamkeit einer Botschaft aus dem Munde von Politikern, Fernsehschauspielern, Geschäftsleuten, Aktivisten und manch einem anderen erhöht, der seinerseits einen Schreibkundigen (und manchmal sogar einen Denkkundigen) benötigt, gehören zu ihrem Geschäft. Wieder anderen ermöglichen diese Regeln, den Reichtum von Literatur und Dichtung, Geschichte und Philosophie zu erforschen. Für die große Mehrheit hingegen ist Schriftlichkeit lediglich eine Fertigkeit unter vielen, die man zwar auf weiterführenden Schulen und Hochschulen erwerben kann, die aber längst nicht mehr als notwendiger Bestandteil des gegenwärtigen und, wichtiger noch, zukünftigen Lebens angesehen wird. Die Mehrheit, vielleicht 75% der Gesamtbevölkerung, geht davon aus, daß alles lebensnotwendige Wissen gespeichert und allgemein zugänglich ist—Mathematik in den Kaufhauskassen oder im Taschenrechner, Chemie im Waschpulver, Physik im Toaster, Sprache auf den Glückwunschkarten für alle denkbaren Gelegenheiten, bzw. als Rechtschreibprogramm oder Formulierungshilfe in den Textverarbeitungsprogrammen.
Vier Gruppen zeichnen sich ab: diejenigen, für die Schriftlichkeit eine Kunst ist; diejenigen, die sich mit den auf Schriftlichkeit gründenden Werten näher beschäftigen; diejenigen, deren Leben in einer Welt vorgefertigter Sprachwerke abläuft; und diejenigen, die jenseits der Begrenzungen der Schriftlichkeit tätig sind, die Erkenntnisgrenzen ausdehnen, neue Mittel und Methoden der Kommunikation und Interaktion entwickeln und ihre Identität in einem praktischen Handeln finden, das durch höhere Effizienz gekennzeichnet ist. Diese vier Gruppen haben sich aus den Veränderungen der Lebensbedingungen in der allgemein (wohl etwas zu allgemein) als postindustriell bezeichneten Gesellschaft ergeben. Der für unsere Zeit des fundamentalen Umbruchs typische Konflikt vollzieht sich im Bereich der Schriftkultur; genauer: in der Veränderung, die auf ein Stadium jenseits der Schriftkultur hinausläuft.
Es ist auf den ersten Blick schwer zu sagen, ob die Sprache als Instrument von Kontinuität und Dauerhaftigkeit deshalb versagt, weil der Rhythmus unseres Daseins sich seit der Industriellen Revolution ständig beschleunigt hat, oder ob der Rhythmus unseres Daseins sich beschleunigt hat, weil menschliche Interaktion nicht mehr von Sprache abhängig war. Es ist also nicht genau zu sagen, ob die Beschleunigung des Lebensrhythmus auf Veränderungen der Sprache und Sprachbenutzung zurückzuführen ist, oder ob die Veränderungen der Sprache diese Beschleunigung einfach nur widerspiegeln. Offenkundig ist, daß Bilder, vor allem diejenigen der interaktiven Multimedien, und der vernetzte Austausch umfangreicher Datenkorpora einer schnellebigen Gesellschaft angemessener sind als Texte, deren Lektüre mehr Zeit und Konzentration erfordert. Weniger offenkundig ist, ob wir Sprachen und synästhetische Ausdrucksmittel verwenden, weil wir schneller und damit effizienter sein wollen, oder ob wir schneller und effizienter sein können, wenn wir solche Mittel verwenden. Die kürzeren Zeiträume der menschlichen Interaktion und z. B. der veränderte Status der Familie hängen zusammen: ebenso wie die neue politische Rolle des Individuums in der modernen Gesellschaft mit diesen Merkmalen der Interaktion zusammenhängt. Aber auch hier wissen wir nicht genau, ob die neue sozioökonomische Dynamik das Ergebnis unseres bewußten Wunsches nach beschleunigter Interaktion ist oder ob die beschleunigte Interaktion nur den Hintergrund (oder den Nebeneffekt) einer umfassenderen Veränderung unserer Lebensbedingungen darstellt. Ich glaube, daß eine dramatische Veränderung in der Skala der Menschheit und in der Beziehung zwischen den Menschen und ihrer natürlichen und kulturellen Umwelt diese neue sozioökonomische Dynamik erklären kann.
Aufgeladene Schriftkultur
Sprachen sind wie alle anderen Ausdrucks- und Kommunikationsformen nur bedeutungsvoll in dem Maß, in dem sie Teil unseres Daseins sind. Wenn man nicht weiß, wie die Wörter geschrieben werden, die sich auf unser Dasein beziehen, nehmen wir an, daß beim Schreibenlernen irgend etwas nicht mehr richtig funktioniert, normalerweise der Schüler. Natürlich ist Schriftlichkeit mehr als Rechtschreibung. Also sucht man nach Gründen: die Schule, die Familie, neue Lebensgewohnheiten wie ausgiebiger Fernsehgenuß, die Lektüre von Comics, die manische Besessenheit bei Computerspielen, das Surfen im Internet, um nur einige der offenkundigen Schuldzuweisungen zu nennen. Unsere Kultur, Vorurteile oder auch die Furcht vor dem Unbekannten lassen uns vor der Frage, ob Rechtschreibung wirklich noch notwendig ist, zurückschrecken. Und eine geradezu feige Konformität hält uns davon ab, die möglichen Defekte einer Sprache oder schriftsprachlicher Erwartungen zu hinterfragen, die wir hinter allen bekannten politischen Programmen festmachen können, die uns vor jeder Wahl ins Gesicht geschleudert werden. Wo Schreibweise und Aussprache z. B. so wenig zueinander im Einklang stehen wie etwa im Englischen, hat das dazu geführt, daß das Alphabet überprüft und alternative Alphabete bzw. alternative Kunstsprachen entwickelt wurden. Aber auch in Sprachen, die konsequentere Beziehungen zwischen Aussprache und Schriftsprache aufweisen, ist Rechtschreibung heute ein Problem.
Unsere ererbte Ehrfurcht vor der Sprache läßt aus stillschweigenden Vermutungen über und aus Erwartungen an die Leistung der Schriftkultur unveränderliche Wahrheiten werden. So setzen wir z. B. als selbstverständlich voraus, daß eine gute Sprachbeherrschung die Erkenntnisfähigkeit fördert, obwohl wir wissen, daß kognitive Abläufe nicht direkt auf Sprachlichkeit zurückzuführen sind. Auch geht man allgemein davon aus, daß gebildete Menschen eines jeden Landes besser miteinander kommunizieren und fremde Sprachen leichter erlernen können. Das ist keineswegs immer der Fall. In Wahrheit sind Sprachen aufgeladene Systeme von Konventionen, in denen in erheblichem Maße nationale Vorlieben und Vorurteile aufgehoben sind und durch Sprache, Schrift und Lektüre verbreitet werden. Solche an die Sprache herangetragenen Erwartungen führen zu wohlwollenden, wiewohl strittigen Feststellungen der Art "Man kann eine Sprache nur dann verstehen, wenn man wenigstens zwei versteht" (John Searle).
Des weiteren wird vorausgesetzt, daß schriftsprachlich gebildete Menschen leichter einen Zugang zu den Künsten und Wissenschaften finden. Der Grund dafür liegt darin, daß die Sprache als universelles Kommunikationsmittel folgerichtig das einzige Mittel ist, das wissenschaftliche Theorien erklärt. Ebenso ließen sich Kunstwerke, so eine weitere These, auf sprachliche Beschreibung reduzieren oder könnten doch besser verstanden werden mittels der Sprache, die sie durch Bezeichnungen, Klassifizierungen und Kategorien in den Kulturbestand einlagert. Und schließlich gilt allenthalben die Annahme (und das Vorurteil), daß das Niveau der sprachlichen und außersprachlichen Leistungsfähigkeit in direktem Verhältnis zu der in der Schriftkultur erreichten Kompetenz steht. Dieses Vorurteil wollen wir neben vielen anderen einer genaueren Prüfung unterziehen; denn es zeigt sich, daß bei allem Niedergang der Schriftkultur diejenige Sprachverwendung, die von der normierten Schriftlichkeit abweicht, erstaunliche Formen annimmt.
Der Mensch entwirft, der Mensch verwirft.
Um die Verlagerung von einer schriftsprachlich begründeten Kultur zu einer Kultur, die auf vielfältige Ausdrucks- und Kommunikationsformen zurückgreift, besser verstehen zu können, müssen wir uns das Verhältnis zwischen Sprachen—scheinbar Einheiten mit einem Eigenleben—und den Menschen, die diese konstituieren—und zwar mit scheinbar unbegrenzter Kontrolle über ihre Sprache—etwas genauer vor Augen führen. Wir könnten die vielfältigen Ausdrucks- und Kommunikationsmittel Sprachen nennen, wenn es eine angemessene Definition solcher Sprachen (und den dazugehörigen Schriftlichkeitsformen) gäbe. Wir haben gesagt, daß der praktische Handlungsrahmen unseres Daseins den allgemeinen Zusammenhang darstellt, innerhalb dessen sich der Status der Schriftkultur verändert hat. Das heißt nicht nur, daß die Sprachverwendung quantitativ oder qualitativ abnimmt. Das heißt auch, daß wir eine sehr komplexe Wirklichkeit anerkennen, innerhalb derer ein biologisch und kulturell modifiziertes menschliches Wesen die Wahl zwischen Entscheidungsmöglichkeiten hat, welche nur schwer, wenn überhaupt, miteinander in Einklang zu bringen sind. Das Leben ist nicht deshalb schneller geworden, weil sich unser biologischer Rhythmus abrupt verändert hat, sondern weil neue Rahmenbedingungen für unser praktisches Handeln, eine erhöhte Effizienz, möglich wurden.
Der Interaktionsradius geht heute weit über den unmittelbaren Kreis unserer Bekannten und der Familie hinaus. Gleichzeitig ist die Interaktion jedoch oberflächlicher geworden und in stärkerem Maße durch andere vermittelt. Unser Dasein scheint sich in einem Universum entfalten zu können, das so weit ist wie der Raum, den wir erforschen können. Gleichzeitig aber nimmt der Druck der uns unmittelbar umgebenden Wirklichkeit zu, der Druck einer zunehmend spezialisierten Arbeit, durch deren Ergebnisse sich individuelle und soziale Identifikation und Wertung vollzieht. Und auf einer anderen Ebene hat sich für den Einzelnen die hergebrachte Vermessung seines sozialen Lebensraumes (Familie, Freunde, Gemeinschaft) drastisch verändert. Im globalen Zusammenhang erweitert sich der zu vermessende gesellschaftliche Lebensraum auf die unbegrenzte Zahl derer, die an ihm teilhaben.
Charakteristisch für den Zusammenhang, in dem sich Status und Funktion von Schriftlichkeit (vor allem der Kommunikation) verändern, ist die Fragmentierung von allem, was wir in Angriff nehmen, und die daraus resultierende Notwendigkeit zur Koordination. Die Vielfalt der auf uns einströmenden Reize hat sich vermehrt, und die geläufigen Erklärungen ihres Ursprungs und ihrer möglichen Bedeutung erweisen sich als nicht mehr zufriedenstellend. Ein weiteres Merkmal für die Dynamik der Veränderung ist die Dezentralisierung von nahezu allen Aspekten unseres Daseins, die von starken integrativen Kräften begleitet wird. Die Gesellschaft wird nicht nur, wie manche glauben, durch Kommunikation geformt. Die sozialen Beziehungen werden von umfassenderen Wirkkräften bestimmt, die von Wörtern, Bildern, Geräuschen, Texturen und Gerüchen relativ unabhängig sind und beständig aus jeder Richtung und zu jedem denkbaren Zweck auf die Mitglieder der Gesellschaft einwirken. Auch die Ziele und Mittel der Kommunikation werden von ihnen bestimmt. Symptomatisch für die widersprüchliche Situation des zeitgenössischen Menschen ist die Kluft zwischen der Leistungsstärke der Kommunikationstechnologie und der tatsächlichen Effektivität der Kommunikation. Oft sieht es so aus, als hätten Botschaften ein Eigenleben und als würde die Kommunikation in dem Maße, in dem sie zunimmt, ihre Adressaten verfehlen. Weniger als 2% aller Informationen, die in die Kommunikationsmittel der Massenmedien eingegeben werden, erreichen ihr Publikum. Bei diesem Effizienzgrad würde kein Auto starten und kein Flugzeug abheben! Die Bindung der Kommunikation an die Schriftlichkeit war ihre Stärke. Sie garantiert ein potentielles Publikum. Sie erwies sich jedoch zugleich als ihre Schwäche. Die Annahme nämlich, daß zwischen gebildeten Menschen Kommunikation nicht nur stattfindet, sondern daß sie immer erfolgreich ist, erwies sich wiederholt als falsch. Kriege, Konflikte zwischen Nationen, Gemeinschaften und Berufsgruppen (der akademische Bereich als eine besonders hochgebildete soziale Gruppe stellt hier keinen Ausnahmefall dar, ganz im Gegenteil), Familien und Generationen erinnern uns nachdrücklich daran. Und dennoch interpretieren wir diesen Umstand falsch. Ein Beispiel hierfür ist die Sorge der Geschäftswelt über die mangelnden Kommunikationsfertigkeiten ihrer jüngeren Angestellten. Es bleibt offenbar unbemerkt, daß bei der massiven Umgestaltung der Unternehmen der Geschäftsbereich wegrationalisiert wird, der am stärksten auf Schriftkultur und schriftkultureller Bildung beruht.
Gern würden wir glauben, daß die Geschäftswelt um die grundlegenden Werte besorgt ist, wenn ihre Vertreter auf die Schwierigkeiten hinweisen, mit denen das mittlere Management die Geschäftsziele und die damit verbundenen Strategien in Wort und Schrift zu artikulieren hat. Die in der heutigen Wirtschaft erkennbaren Strukturen beweisen, daß Geschäftsleute ebenso wie Politiker und manch ein anderer, der sich öffentlich über den gegenwärtigen Stand der Bildung Gedanken macht, mit doppelter Zunge reden. Sie hätten gern beides: mehr Effizienz, die Bildung und Schriftkultur weder erfordert noch fordert, da diese den neuen sozioökonomischen Zusammenhängen nicht angemessen ist, und die Vorteile von Bildung und Schriftkultur, ohne allerdings dafür bezahlen zu müssen. In Wirklichkeit haben sie alle nur Wirtschaftszyklen, Produktivität, Effizienz und Profit im Kopf, wenn sie sich über den Bedarf einer globalen Wirtschaft Gedanken machen. Diese Umgestaltung, von vielen Unternehmen auch Umstrukturierung oder Verschlankung genannt, führt zu Effizienzerwartungen innerhalb einer extrem kompetitiven globalen Wirtschaft. Auf jeden Fall hat diese Umstrukturierung den Wasserkopf an Schriftlichkeit im Geschäftsleben getilgt. Die auf Bildung und Schriftkultur basierenden praktischen Abläufe von Management und Produktion sind durch automatisierte Verfahren der Datenverarbeitung und der computerunterstützten Produktion ersetzt worden. Und dieser Prozeß ist keineswegs beendet. Er hat gerade die ansonsten eher gelassene Arbeitswelt Japans erreicht, und er könnte in Europa die Bemühungen um eine verbesserte Konkurrenzfähigkeit unterstützen trotz aller hier gültigen Sozialverträge, die aus einer Vergangenheit stammen, welche niemals wiederkehren wird. Das alles verändert den Status der Sprache: Auch sie wird zu einem Wirtschaftsinstrument, einem Produktionsmittel, einer Technologie. Die Loslösung der Sprache von der Verschriftlichung und der sich daraus ergebende Qualitätsverlust ist nur ein Teil des allgemeinen Entwicklungsprozesses. Aber diejenigen, die sich diesem Prozeß widersetzen, sollten sich vergegenwärtigen, daß die Schriftkultur alles andere als perfekt war.
Die Pragmatik der Schriftkultur bildete einen Bezugsrahmen für Besitzverhältnisse, Handel, nationale Identität und politische Macht. Nun ist zwar Besitzverteilung kein völlig neues Phänomen, aber die Gründe und Modalitäten beruhen heute nicht mehr nur auf Vererbung, sondern eher auf Kreativität und einer sehr selbstsüchtigen Auslegung von geschäftlicher Loyalität. Man möge bloß nicht glauben, daß die vielen MicrosoftProgrammierer ihre Chancen, dem Club ihrer Millionärskollegen beizutreten, verstreichen lassen. Aber was sie tun, tun sie nicht für den Besitzer einer Firma, nicht für einen legendären und umstrittenen Unternehmer, und gewiß nicht aus Idealismus. Die vielen jungen und weniger jungen Leute, die ihre Chance in diesem relativ hierarchiefreien Umfeld nutzen, tun dies ausschließlich für sich selbst. Sie werden vorangetrieben vom Konkurrenzstreben, nicht von dem Glauben an die Nation, an eine politische Ideologie oder von Familienstolz. Solche und andere Strukturaspekte, die sich aus der Loslösung von den strukturalen Merkmalen eines durch Schriftlichkeit definierten Handlungszusammenhangs ergeben, machen die Gesellschaft nicht automatisch besser oder gerechter. Dennoch verzeichnen wir eine Umverteilung von Reichtum und Macht, und eine Neudefinition jener Ziele und Methoden, innerhalb derer wir unsere Demokratie ausüben.
Wir wissen auch, daß wir denen, die wir Minoritäten nennen, unsere Schriftkultur aufgezwungen haben. Da aber das Schreiben weniger natürlich als das Sprechen ist und vor allem kulturspezifische Werte vermittelt, hat es die Individualität verfremdet. Schriftlichkeit bedeutet für viele Minderheiten eine Form der Integration, die ihre Tätigkeit und ihre Kultur kurzerhand vereinnahmt und deren kulturelles Erbe durch die herrschende Schriftlichkeit ersetzt. "Wenn die Schrift auch vielleicht nicht ausreichte, um das Wissen zu verfestigen," bemerkte Claude Lévi-Strauss, "dann war sie möglicherweise zumindest nötig, um Herrschaft zu verfestigen." Der Kampf gegen Unbildung und Schriftlosigkeit ist daher gleichbedeutend mit der Verstärkung der Kontrolle, die die Autorität über den Bürger ausübt. Ich will nicht behaupten, die gegenwärtigen Versuche, Multiplizität zu würdigen und die unüberbrückbaren Unterschiede zwischen Rassen, Kulturen und praktischen Erfahrungen anzuerkennen, seien nicht auch das Ergebnis der traditionellen Bildung und Schriftkultur. Dennoch besteht für mich kein Zweifel, daß bestimmte Entwicklungen jenseits der Schriftkultur das Phänomen der Multiplizität in den Vordergrund gerückt haben: Denn erst dieses neue Stadium liefert den Hintergrund für heterogene menschliche Erfahrungen und konfligierende Wertsysteme und gründet auf dem Potential, das in dieser Multiplizität liegt.
Jenseits der Schriftkultur
Unser Gegenstand mit seinen vielfältigen Implikationen verdient eine genauere Untersuchung außerhalb, aber nicht ungeachtet der politischen Kontroverse, die er bereits hervorgerufen hat. Schreiben verkörpert eingegangene Verpflichtungen, die von den Handelsabkommen der Phönizier über die historischen Aufzeichnungen der Ägypter, religiöse und Gesetzestexte in Ton und Stein, die mittelalterlichen Eidformeln bis zu den späteren Verträgen reichen. Die geschriebene Sprache spiegelt auf vielen Ebenen (dem Alphabet, der Satzstruktur, ihrer Semantik usw.) die Natur der Beziehungen zwischen denen, an die sie sich richtet, wider. Eine Worttafel der Ägypter zur Identifikation von Handelsgütern richtete sich an nur wenige Leser. Ein begrenzter Bereich des Daseins, aus Arbeit und Handel, wurde in direkter Notierung wiedergegeben. Im gegebenen Kontext ermöglichten diese Tafeln die erwartete Effizienz. Im Rahmen des Römischen Imperiums erforderte die Bezeichnung von Baumaterialien—Dachziegel, Entwässerungsrohre, die innerhalb und außerhalb des Imperiums vertrieben wurden—differenziertere Notationselemente. Die Materialien erhielten im Verlauf der Produktion Stempelprägungen und ermöglichten es den Verwendern, nach ihrem Bedarf auszuwählen. Die Adressaten wurden zahlreicher, ihr Hintergrund vielfältiger: Verschiedene Sprachen und verschiedene kulturelle Zusammenhänge waren im Spiel. Die praktischen Erfahrungen der Baumeister waren komplexer als die der ägyptischen Getreidehändler mit ihrem vergleichsweise kleinen Aktionsradius. Die Bezeichnung des Baumaterials entsprach dem Bedürfnis und den Erwartungen der historischen Situation. Im Verlauf der Zeit wurden solche Bezeichnungsmaßnahmen immer vollkommener und lösten sich allmählich vom unmittelbaren Gegenstand. Mit dem Entstehen der Schrift entwickelten sie sich zu formalisierten Verträgen und deckten unterschiedliche pragmatische Kontexte ab. Sie alle tragen die Kennzeichen der Schriftlichkeit. Sie repräsentieren zugleich den Konflikt zwischen schriftkulturellen Möglichkeiten und solchen Mitteln, die den Effizienzerwartungen jenseits der Schriftkultur angemessener sind.
Ein Blick auf heutige Verträge verrät bereits, daß sie in einer eigenen Sprache abgefaßt sind, die selbst für eine durchschnittlich gebildete Person schwer zu verstehen ist. In ihnen werden wirtschaftliche Erwartungen, rechtliche Bedingungen und steuerliche Folgen quantifiziert. In englischer Sprache sind sie nach allgemeiner Auffassung auf der gesamten Welt verständlich. In der Europäischen Union erwartet jedes Mitgliedsland, daß ein Vertrag zusätzlich in seiner eigenen Sprache abgefaßt ist. Verzögerungen und zusätzliche Kosten können manch ein Geschäft bedeutungslos machen. Tatsächlich könnte der Vertrag, nicht nur die Verpackung, in der universellen Sprache einer maschinenlesbaren Strichkodierung abgefaßt werden. Unser heutiger pragmatischer Rahmen der Schriftlosigkeit bietet eine Palette von Sprachen an, die bestimmten Funktionen entsprechen und den sich rasch verändernden Umständen angemessen sind. In einer Welt, die durch starke Konkurrenz, schnellen Austausch und rasch wechselnde Erwartungen gekennzeichnet ist, müssen Vertrag und Ausführungsmechanismen effizient sein.
Die spezifischen Verhältnisse zur Macht, zum Besitz und zur nationalen Identität, die in der Sprache zum Ausdruck gebracht und durch die Mittel der Schriftlichkeit stabilisiert werden, sind in Mythen, Religionen, in Dichtung und Literatur festgeschrieben. Von den Epen der älteren Kulturen über die Balladen der Troubadoure und dem Minnesang bis zur Dichtung und Literatur der Neuzeit finden wir Besitz, Gefühle, auf Leben und Tod thematisiert. Die Ereignisse des Lebens wurden aufgezeichnet, Verpflichtungen und Bindungen immer wieder bestätigt. Heute fürchten viele Literati, daß diese Manifestationen durch eine leblose Lyrik oder Prosa aus dem Computer ersetzt werden könnten. Zweifellos hat die Speicherung von und der Zugang zu Informationen das Ausmaß unserer Verpflichtungen und das Ausmaß historischer Aufzeichnungen, ja sogar das Gedächtnis neu definiert.
Wie auch immer wir zum Problem der Sprache und der Schriftlichkeit stehen, entscheidend sind letztlich die Menschen, die sich in der Praxis ihrer Selbstkonstituierung artikulieren. Das Verhältnis der Menschen zur Sprache drückt ihre allgemeine Situation aus; und wenn wir verstehen, wie und warum sich dieses Verhältnis verändert, dann verstehen wir, wie und warum sich Menschen ändern. Mit dem Ideal der Schriftlichkeit haben wir zugleich die Illusion übernommen, daß ein Verständnis des Menschen auch zu einem Verständnis der menschlichen Sprache führt. Tatsächlich ist es aber genau umgekehrt—vorausgesetzt wir verstehen Sprache als eine dynamische, praktische Erfahrung eigenen Rechts. In diesem Zusammenhang müssen wir uns noch einer anderen Ebene zuwenden—der menschlichen Tätigkeit nämlich, durch die der Mensch sein Sein in die tatsächliche Wirklichkeit projiziert, es sinnvoll und für andere verstehbar macht. Das, was wir sind, werden wir dadurch, daß wir uns durch unsere Arbeit, durch unser Denken, durch unsere Freude und durch unsere Neugier ausdrücken. Unter den pragmatischen Umständen, die für die historische Entwicklung der Menschheit bis heute charakteristisch waren, war die Sprache hierfür eine notwendige Voraussetzung, woraus sich wiederum die Notwendigkeit der Schriftlichkeit ergab. So erweist sich Schriftlichkeit als eine Form der Verpflichtung, eine von vielen aufeinander folgenden Verpflichtungen, die das Individuum eingeht und auf die die Menschheit als Ganzes sich einläßt. Vor mehr als 2500 Jahren schien es, als seien diese Umstände ewig; sie bestimmten unsere Existenz. In dem Maße aber, in dem die Menschheit aus dem praktischen Lebenszusammenhang herauswächst, der auf der zugrundeliegenden Struktur der Schriftlichkeit gründet, werden Mittel erforderlich, die sich von der Sprache unterscheiden.
Ein bewegliches Ziel
Zum Thema der Veränderung gehört auch die mit ihm verbundene Terminologie. Die an die Begriffe Schriftkultur / Bildung und Schriftlosigkeit / Unbildung gebundenen Bedeutungen und Bedeutungsveränderungen kennzeichnen die verschiedenen Perspektiven, aus denen sie jeweils betrachtet wurden. Schriftlichkeit, bzw. literacy, wie es im angelsächsischen Bereich genannt wird, ist schon immer ein bewegliches Ziel gewesen. Die verschiedenen Bedeutungen dieses Wortes spiegeln die sich ändernden Kriterien für die Wertschätzung des Schreibens und der Schreibfähigkeit in den verschiedenen pragmatischen Handlungsrahmen des Menschen wider. Die Schrift ist vermutlich über 5000 Jahre alt. Die Herausbildung des Schreibens und Lesens war die Voraussetzung für Bildung und Schriftkultur; doch von einer allgemeinen Schriftlichkeit, bzw. Alphabetisierung kann wohl erst seit der Erfindung der beweglichen Druckschriften gesprochen werden (während des 11. Jahrhunderts in China, zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Europa), bzw. seit der Erfindung der Rotationsdruckmaschine im 19. Jahrhundert.
Im Verlauf der Zeit haben sich sehr unterschiedliche Auffassungen von Bildung und Schriftkultur ergeben. Für diejenigen, die die Welt durch die Autorität eines einzigen Buches betrachten (Thora, Bibel, Koran, Upanischaden, Wu Ching), bedeutet Bildung die Fähigkeit, das Buch, und damit die Welt, zu lesen und zu verstehen. Die in diesem Buch formulierten Verhaltensregeln schufen den Rahmen, der entweder in Form von Schriftlichkeit oder durch die mündliche Tradition zugänglich gemacht wurde. Im Mittelalter war Bildung gleichbedeutend mit der Kenntnis der lateinischen Sprache, die als Sprache der göttlichen Offenbarung angesehen wurde. Aber zu den religiösen bzw. religiös orientierten Auffassungen von Bildung kamen andere hinzu: die soziale—Schreiben und Lesen als Rahmen für soziale Interaktion; die wirtschaftliche—Lesen, Schreiben und andere Fertigkeiten zur Entzifferung von Landkarten, Tabellen und Symbolen, die die Teilhabe am ökonomischen Leben ermöglichen; die pädagogische—die Verbreitung von Bildung; die juristische—die schriftliche Festlegung von Gesetzen und Normen zur Regelung des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Die Wissenschaft hat sich den Fragen der Schriftkultur unter allen diesen Perspektiven gewidmet. Dies wiederum hat so viele Interpretationen und Theorien hervorgebracht, daß mehr Verwirrung als Ordnung herrscht. Dabei verdient eine Bemerkung von Will Rogers—"Wir sind alle ungebildet, nur in unterschiedlichen Gebieten"—unsere besondere Aufmerksamkeit, weil sie auf ein weiteres Merkmal hinweist, das uns die relative Unbildung unserer heutigen Zeit zu verstehen hilft. Das Maß an Unbildung ist nur schwer quantifizierbar, wiewohl das Ergebnis leicht erkennbar ist. Alles, was zur Selbstsetzung des Individuums führt—als Krieger, Liebhaber, Sportler, Familienmitglied, Lehrer oder Schüler—, ist allmählich aus einem auf Schriftkultur basierenden Handlungszusammenhang herausgelöst und durch Mittel der Schriftlosigkeit ersetzt worden. Sex Champions, Innovatoren in den neuen Technologien oder Olympiasieger sind in ihren jeweiligen Bereichen außerordentlich leistungsstark. Spitzenleistung nimmt heute in dem Maße zu, in dem der Durchschnittliche auf das Mittelmaß oder unterhalb des Mittelmaßes zurückfällt. Ich werde im Folgenden viele Aspekte der Schriftkultur untersuchen, und zwar sowohl mit Blick auf in unseren Augen typische Bereiche—Buchveröffentlichungen, individuelle und gesellschaftliche Kommunikation—als auch auf Bereiche, die wir nicht so ohne weiteres mit Schriftlichkeit verbinden—das Militär, den Sport, das Design—, die sich aber dennoch aus dem pragmatischen Handlungszusammenhang ergeben haben, der die Schriftkultur—zwangsläufig—hervorgebracht hat.
Als die Philosophie nicht mehr länger als Dachwissenschaft anerkannt war, begann die Fragmentarisierung des Wissens. Der Zweifel, daß es ein gemeinsames Instrument für den Zugang zu und die Verbreitung von Wissen geben könnte, ist ersetzt durch die Sicherheit, daß es dies nicht gibt. Eine sogenannte dritte Kultur—jedenfalls nach Ansicht dessen, der die öffentliche Aufmerksamkeit darauf lenkte—, "besteht darin, die tiefere Bedeutung unseres Lebens sichtbar zu machen", und zwar nicht so, wie dies literarisch gebildete Intellektuelle tun würden. Hierbei handelt es sich nicht um C. P. Snows Third Culture aus Wissenschaftlern, die sich mit nicht wissenschaftlich tätigen Intellektuellen verständigen, sondern um den populärwissenschaftlichen Diskurs, der faszinierende Themen ins Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit rückt. Daher werden wir auch die Beziehung zwischen Schriftkultur einerseits und Wissenschaft und Philosophie andererseits untersuchen und auf diese Weise den Ort von Philosophie und Wissenschaft jenseits der Schriftkultur näher zu umreißen versuchen.
Wie aber können wir diese weitreichende Veränderung untersuchen und angemessen evaluieren? Sind wir nicht in den Fesseln der Sprache und Bildung und damit den auf ihnen gründenden philosophischen und wissenschaftlichen Erklärungen gefangen? Natürlich ist das System, das sich in unserer Kultur festgesetzt hat, das Ergebnis einer logokratischen Sichtweise. Wenn wir Fertigkeiten und Leistungen mit Zensuren belegen, so beziehen sich diese meist auf eine Form des Verstehens, die für die Schriftkultur charakteristisch ist. Doch der neue pragmatische Handlungsrahmen erfordert Fertigkeiten, die sich nicht nur auf Sprache und Schriftlichkeit beziehen, sondern auf Bilder, Geräusche, Texturen, Bewegung, virtuellen Raum und Zeit. Wir müssen also die Beziehung zwischen einem relativ statischen Medium und dynamischen Medien genauer untersuchen und fragen, wie sich Schriftlichkeit zum Visuellen im allgemeinen verhält und im besonderen zur kontrovers bewerteten Wirklichkeit des Fernsehens, der interaktiven Multimedien, künstlicher Bilder, elektronischer Netzwerke und virtueller Wirklichkeiten. Diese wichtige Aufgabe erfordert einen breiten Ansatz und einen unvoreingenommenen Standpunkt.
Zunächst müssen wir die strukturalen Implikationen von Schriftlichkeit und Schriftkultur verstehen. Wenn wir uns die Rahmenbedingungen vergegenwärtigen, die zur Schriftkultur geführt haben, und die Folgen, die sich aus den neuen pragmatischen Rahmenbedingungen für alle Aspekte unseres Lebens ergeben, können wir verstehen, wie die Schriftkultur sie beeinflußt hat. Hier denke ich besonders an Religion, Familie, Staat und Ausbildung. In einer Welt, in der die Kategorie der Dauerhaftigkeit ihre Gültigkeit verloren hat, ist auch für eine große Zahl der Menschen jegliche Gottesvorstellung verloren gegangen. Dennoch gibt es heute mehr Kirchen, Glaubensgemeinschaften, Sekten oder andere religiöse Gruppierungen (atheistische und neoheidnische eingeschlossen) als zu jeder anderen Zeit unserer Geschichte. In den USA wechselt man durchschnittlich 2, 8 Mal im Leben seinen Lebensgefährten (sofern man je eine Familie gründet) und kalkuliert die finanziellen Aspekte der Familiengründung mit der gleichen Präzision, mit der man erwartete Investitionserträge kalkuliert. Der Staat ist zu einem Wirtschaftsunternehmen geworden, das die Geschäfte der Nation reguliert, und wird dementsprechend an seinen wirtschaftlichen Erfolgen gemessen. Staatspräsidenten sind zunehmend die Handlanger großer Industrieunternehmen, von deren Erfolg die Arbeitsplätze abhängen. Diese Staatsoberhäupter geben im Zweifelsfall die im gebildeten Diskurs der Schriftlichkeit verankerten Ideale preis (z. B. die Menschenrechte). Aber sie machen viel Lärm, wenn es um Fragen wie Einschränkung des Copyrights geht, besonders bei der Software. Ironischerweise ist gerade das Copyright bei digitalen Originalen nur schwer zu definieren. In dem von der Schriftkultur geschaffenen Modell hat sich der Staat zu einer bürokratischen Selbsterhaltungsmaschine entwickelt, die den vielfältigen Optionen kaum noch gerecht wird. Viel mehr Menschen, als die vorliegenden Berichte es ausweisen, werden oder bleiben nach Beendigung ihrer Schulausbildung und selbst nach einer weiterführenden Ausbildung ungebildet. Obwohl sie in der Regel lesen und schreiben gelernt haben, ziehen sie Fernsehen, Spiele, Sportveranstaltungen oder das Internet vor. Somit ist das Gegenteil von Schriftkultur nicht nur Unbildung, sondern bewußte Distanz zu Bildung und Schriftkultur. Die Entscheidung, auf Lesen und Schreiben zu verzichten, ist eine Entscheidung zugunsten anderer Ausdrucks- und Kommunikationsmittel. Die heutige Generation geht mit Videospielen sicherer um als mit der Rechtschreibung. Sie erwirbt auf diese Weise praktische Erfahrungen von allerhöchster Effizienz, die in ihrer Struktur dem interaktiven Spielzeug ähneln und von Rechtschreibung und Schreibfertigkeit weit entfernt sind. Wenn es darum geht, was die heutige Generation wissen will, wie, wann und zu welchem Zweck sie das Wissen erwerben will, hat das Internet Zeitungen, Bücher, Zeitschriften und selbst Radio und Fernsehen ersetzt. Und mittlerweile sogar die Schulen und weiterführenden Ausbildungsstätten. Mit seinen enormen und ausbaufähigen Mitteln und Angeboten verknüpft das Internet den Einzelnen mit dem Rest der Welt, statt nur über Globalität zu reden. Networking, das Arbeiten im Internet auf allen Ebenen und in vielerlei Formen, ist eines der wesentlichen Merkmale unseres neuen pragmatischen Handlungsrahmens. So rudimentär diese Arbeitsform auch noch ausgebildet ist, Schnelligkeit und Präzision sind ihre wesentlichen Kennzeichen.
Müssen wir in diesen Entwicklungen den Grund für den Niedergang der Schriftkultur sehen? Können wir also sagen, daß die Menschen in dem Maße, in dem sie über geringere Lese- und Schreibfertigkeiten verfügen oder sich gegen das Lesen und Schreiben entscheiden, auch weniger an Gott glauben und für eine gottlose Existenz optieren? Daß mit Zunahme der Scheidungsrate die Zahl der geschlossenen Ehen oder der Kinder sinkt? Daß die Überantwortung ihrer Probleme an eine bürokratische Maschine zu höherem Fernsehkonsum, mehr elektronischen Spielen und vermehrtem Surfen in der unbegrenzten Welt des Networks führt? Gewiß nicht, jedenfalls nicht in dieser eindimensionalen, linearen, vereinfachten Kausalität. Viele Faktoren und viele unterschiedliche Betrachtungsebenen gilt es zu berücksichtigen. Sie wurzeln allesamt im pragmatischen Rahmen unserer nichtendenden Selbstsetzung. Diese findet ihren Ausdruck in der Dynamik immer kürzerer und schnellerer Interaktionsformen. Sie sieht sich vor ständig neuen Wahlmöglichkeiten, die unsere Identität bestätigen. Verfügbarkeiten, Fragmentation, globale Integration und erhöhte Vermittlung sind ihre Kennzeichen. Die hier beschriebene Dynamik entspricht der höheren Effizienz, beides Voraussetzungen für die erweiterte Skala menschlicher Aktivität. Wir wollen in einem ersten Schritt die Aufmerksamkeit auf die Multidimensionalität dieses Vorgangs und auf die vielen Interdependenzen lenken, die wir mit Hilfe der neuen Technologien schließlich offenlegen können. Ein weiterer Schritt in meiner Argumentation wird es sein, ihre Nicht-Linearität darzulegen, die das Ineinandergreifen von deterministischen und vermutlich eher nicht-deterministischen Faktoren erhellt.
Wir müssen unsere Diskussion dabei auf das praktische menschliche Handeln richten. Anders wäre es nicht möglich zu erklären, warum trotz aller Bemühungen und trotz aller finanziellen Mittel, die die Gesellschaft in die Ausbildung investiert hat, und trotz aller Erforschung der auf Schriftkultur basierenden Erkenntnisprozesse der Mensch am Ende weniger gebildet, aber überraschenderweise keineswegs weniger leistungsfähig geworden ist. Manch einer wird dagegenhalten, daß der Mensch ohne Schriftkultur und Bildung als Mensch weniger leistungsfähig sein wird—wie es Alan Bloom in seinem Kreuzzug für Kultur und Bildung mit seinem brillanten Epilog auf die menschliche Kultur bereits getan hat. Eine unvoreingenommene Debatte über solche Fragen setzt allerdings voraus, daß wir die Veränderbarkeit und Veränderung im Status des Menschen und menschlicher Gesellschaften akzeptieren und daß wir verstehen, was solche Veränderungen unvermeidbar macht.
Der weise Fuchs
Die heutige Welt, besonders ihr industrialisierter Teil, ist fundamental anders als alles, was ihr vorausgegangen ist—vor einem Jahrzehnt, vor einem Jahrhundert, gar nicht zu reden von jener Zeit, die mehr in den Bereich von Geschichten und weniger in den Bereich der Geschichte gehört. Alan Bloom und mit ihm viele andere Intellektuelle gehen von dem tief verwurzelten Glauben aus, daß der Mensch nicht effektiv sein kann, wenn er sein Handeln nicht auf die Grundlage historisch gewachsener und erprobter Werte stellt. Aber der Weg unserer Entwicklung hat eine Gabelung erreicht, an der es keine bevorzugten Richtungen, sondern nur zahllose Optionen gibt. Wir leben nicht in einer Krisenzeit, obwohl manche das gern so darstellen und auch gleich mit Lösungsmodellen aufwarten: zurück zu irgend etwas (Autorität, Bücher, irgendein primitives Stadium des Non-Ego oder der Bewußtseinserweiterung durch Drogen, zurück zur Natur); oder Hals über Kopf in die technokratische Utopie, das Informationszeitalter, die Dienstleistungsgesellschaft, vielleicht sogar die virtuelle Wirklichkeit oder ein künstliches Leben.
Menschen sind heuristische Lebewesen. Unsere Gesellschaft zeichnet sich aus durch Kreativität und Vielfalt und hat zum Wirkungsbereich eine enorme Bandbreite menschlicher Interaktion, welcher wir beständig neue Bereiche hinzufügen: den Weltraum, dessen Dimensionen nur noch in Lichtjahren gemessen werden und dessen Beobachtung sich über mehrere Lebensperioden erstreckt; den Mikrokosmos, der diese Bandbreite in der entgegengesetzten Richtung der infinitesimalen Differenzierung widerspiegelt; die völlig neuen Bereiche der von Menschen erzeugten Materialien, neue Formen der Energie, genetisch manipulierte Pflanzen und Tiere, neue genetische Codes oder virtuelle Wirklichkeiten, die uns neue Räume, neue Zeiten und neue Formen der Vermittlung erfahren lassen. Networking, das uns in seinem gegenwärtigen Entwicklungsstand nur andeutet, was noch auf uns zukommt, kann in seinen Auswirkungen vermutlich nur mit der allgemeinen Verfügbarkeit der Elektrizität verglichen werden. Vor uns liegt eine kognitive Energie, die durch Netzwerke ausgetauscht und auf gemeinschaftliche Unternehmen gerichtet ist; all dies steht im Zusammenhang mit dem exponentiellen Wachstum digitaler Netzwerke und schnell steigender Lernkurven beim effizienten Umgang mit diesem Potential.
Der Vergangenheit entspricht ein pragmatischer Handlungsrahmen, der dem Überleben und der Fortentwicklung der Menschheit in einer begrenzten Welt angemessen ist, einer Welt, die aus unmittelbarer Begegnung und Zusammenarbeit und begrenzter Vermittlung bestand. Gemessen an den Maßstäben einer Kultur, die auf Schriftlichkeit und der entsprechenden Form von Bildung und Schriftkultur gründet, erweisen sich der abnehmende Bildungsstand und die geringere Bedeutung der Schriftkultur als Zeichen einer Krise, vielleicht sogar eines Zusammenbruchs. Der neue pragmatische Handlungszusammenhang ist jedoch gekennzeichnet durch die Verlagerung von diesem auf die Schriftkultur bezogenen Modell hin zu von der Schriftkultur abweichenden vielfältigen Formen von Bildung und Kultur, die miteinander verbunden, aufeinander bezogen und voneinander abhängig sind. Ein Teil der heutigen Menschheit stellt sich dieser Herausforderung, ohne sich um die damit verbundenen Implikationen zu sorgen. Man verzichtet darauf, die gegenwärtigen Vorgänge und Implikationen in vollem Umfang zu verstehen, solange man ausreichend Aufregung und Genugtuung aus ihnen beziehen kann. Hollywood lebt recht gut davon, ebenso die digitalen Illusionsindustrien. Die Adressen im Internet verschwinden ebenso schnell wieder, wie sie gekommen sind. Eine vielversprechende Verbindung von gestern kann schon heute nur noch mit einem "sorry" antworten, wie wichtig und bedeutungsvoll sie auch gewesen sein mag. Es ist noch niemals sinnvoll gewesen, sich dem Erfolg entgegenzustellen. Der Erfolg verdient es, in seinen authentischen Erscheinungsformen gepriesen zu werden, und diese bringen nachhaltige Veränderungen für den Menschen mit sich.
Das Bild der Zukunft, das sich hinter solchen Bezeichnungen wie Technokratie, Informationszeitalter und Dienstleistungsgesellschaft verbirgt, mag einige Charakteristika der heutigen Welt erfassen, aber es ist begrenzt und begrenzend. Es trägt der neuen Skala der menschlichen Handlungsmöglichkeiten nicht genügend Rechnung. Es behält als zugrundeliegende Struktur die gegenwärtige Form von Abhängigkeiten der an der menschlichen Aktivität teilhabenden vielen Teile bei, einschließlich der dazugehörigen vereinfachten deterministischen Perspektive. Eine gedankenlose Befürwortung der Technokratie muß mit der gleichen Zurückhaltung beurteilt werden wie deren Verteufelung. Die Rolle, die die Technologie derzeit für die menschliche Tätigkeit spielt, ist in der Tat beeindruckend. Gleiches gilt für das Ausmaß von Informationsvermittlung und für das Verhältnis von produktiven Leistungen und Dienstleistungen. Eine wichtige zukünftige Aufgabe wird darin liegen, die Unmenge von Daten sinnvoll zusammenzuführen und aus ihnen neue produktive Impulse zu entwickeln. Parallel hierzu hat die Wissenschaft neue provokative Theorien und entsprechend modifizierte Weltmodelle bereitgestellt.
Letztlich sind dies alles aber nur Einzelheiten einer sehr viel umfassenderen Entwicklung, an deren Ende ein völlig neuer pragmatischer Handlungsrahmen steht. Er ist gekennzeichnet durch extrem vermittelte Arbeit, verteilte Aufgaben, parallel verlaufende Arbeitsabläufe und eine allgemeine Vernetzung von ansonsten eher nur lose koordinierten individuellen Erfahrungen. In diesem Rahmen ist auch das Verhältnis von Input (der Arbeit) und Output (deren Ergebnis) quantitativ und qualitativ völlig neu zu definieren. Es ist nicht mehr zu vergleichen mit dem mechanischen Verhältnis zwischen aufgewendeter Energie (z. B. Druck auf einen Hebel) zu Resultat (Maschinelle Leistung). Der Unterschied zwischen Input und Output als solcher wird verschwommener. Der tragbare Computer ermöglicht neue und stets effektivere Formen der Koordinierung von Arbeitsabläufen und der gemeinsamen Vernetzung—der Anstieg der Taktfrequenz kann als Ergebnis einer erhöhten körperlichen Aktivität gedeutet werden oder aber auch zum Anlaß genommen werden, mit einer Arztpraxis oder einer Polizeistation (im Falle eines Unfalls) in Verbindung zu treten. Es ist durchaus denkbar, daß unser genetischer Kode Bestandteil zukünftiger Interaktion sein wird, nachdem heute schon Gedanken den Computer steuern können.
Unsere Sprachfähigkeit und die Fähigkeit, ihre verschiedenen Implikationen zu verstehen, sind nur bedingt voneinander abhängig und daher auch nur bedingt erforschbar und verstehbar. In dieser Feststellung liegt keine Resignation, eher Ungewißheit: Sie ist indes für die Integrität des vorliegenden Unternehmens von entscheidender Bedeutung. Solange wir uns innerhalb einer Sprache bewegen, betrachten wir die Welt aus ihrer Perspektive; sie ist das Medium unserer Selbstkonstituierung, Identitätsfindung und Evaluierung. Sie beeinflußt unsere Sichtweise und unsere Darstellungen. Sie beeinflußt darüber hinaus auch das, was wir nicht mehr selbst erkennen, was sich unserer Erkenntnis entzieht, mehr noch, sie filtert es bis zu einem Maße, daß man nur noch die eigenen Gedanken wahrnimmt. Diese doppelte Identität—als Beobachter und als integraler Bestandteil der beobachteten Phänomene—bringt kaum lösbare ethische, axiologische und epistemologische Probleme mit sich. Jede Sprache ist eine Projektion der Menschen, die sie sprechen, daher sehen wir weniger die Welt als uns selbst in Beziehung zu ihr, als diejenigen, die die Kultur hervorbringen, als diejenigen, die die uns umgebende Welt unterwerfen und uns anpassen. Der Fuchs in Saint-Exupérys Der Kleine Prinz kann dies viel besser ausdrücken: "Man versteht nur die Dinge, die man zähmt."
"Und zwischen uns der Abgrund"
Unser Bild von der Industriegesellschaft besteht aus riesigen Industriekomplexen, in denen eine große Schar von Arbeitern Güter produziert, und aus dichten Ballungszentren, die um diese Produktionsstätten herum angesiedelt wurden. Die neue Wirklichkeit, die aus nicht nur per Telecommuting miteinander verbundenen, aber dezentralisierten individuellen Handlungen besteht, bietet ein anders Bild. Verschiedene Vermittlungselemente tragen zu den zunehmend effizienteren Erfahrungen der menschlichen Selbstkonstituierung bei. Der Computer ist dabei nur einer von vielen Vermittlungsmechanismen. Seine Funktionen des Rechnens, der Wort-, Bild- und Informationsverarbeitung sowie der Produktionskontrolle schieben zahlreiche Vermittlungsebenen zwischen den Menschen und das, worauf er sein Handeln richtet. Die Vernetzungstechnologie ermöglicht neue Strategien der Arbeitsaufteilung und erleichtert parallel ablaufende Produktionstätigkeiten. Diese elektronisch vernetzte Welt ist durch zunehmende Dezentralisierung und neue interoperative Möglichkeiten gekennzeichnet. In ihr werden mancherlei Maschinen zu unseren direkten Adressaten, denen wir alle denkbaren Aufgaben vom Design bis zur computerunterstützten Produktion übertragen. Solche Arbeitsformen und die dafür notwendigen kognitiven Funktionen befördern eine Praxis, die sich von den mechanischen Arbeitsabläufen der industriellen Produktionsweise qualitativ unterscheidet. Diese Beschreibung paßt nicht in allen Einzelheiten auf große Teile von Afrika, Asien und Lateinamerika und auf einige Bereiche von Europa und Nordamerika. Weltweit ist die industrielle Produktionsweise noch vorherrschend. Und obwohl heute selbst die entlegensten Stämme Bestandteil unserer integrierten Welt sind, hat die industrielle Revolution noch längst nicht alle von ihnen erreicht. Manche von ihnen haben noch nicht einmal die Vorstufen der Landwirtschaft erreicht. Doch gerade mit Blick auf die globale Natur unserer heutigen Praxis halte ich es für denkbar, daß trotz der enormen ökonomischen und sozialen Unterschiede zwischen verschiedenen Teilen dieser Welt die für die industrialisierten Wirtschaften typische zentralistische Produktionsweise nicht für alle ein notwendiges Entwicklungsstadium sein muß. Die aus der globalen Skala heraus entstandenen Effizienzerwartungen können nur durch Entwicklungsstrategien verwirklicht werden, die sich von der industriellen Praxis unterscheiden. Daher ist es durchaus denkbar, daß Länder und Subkontinente im Vorstadium der industriellen Revolution diese nicht unbedingt durchlaufen müssen. In einem anderen Zusammenhang haben Ökologen und Politiker (H. Schmidt) im übrigen empfohlen, daß Entwicklungsländer gezielt eine andere Entwicklung einschlagen sollten: Die Industrielle Revolution hat zwar den Lebensstandard der Industrienationen gehoben, aber nur auf Kosten der Umwelt und der natürlichen Ressourcen. (Ein deutsches Manifest, 1992).
Die industrielle Produktion und die damit verbundenen Sozialstrukturen beruhen auf Schriftkultur. Edmund Carpenter hat das treffend formuliert: "In Gänge und Hebel übersetzt wurde das Buch zur Maschine. In Menschen übersetzt wurde es zur Armee, zur Befehlskette, zum Fließband…". Zu Beginn der industriellen Revolution waren Frauen und Kinder Teil des Arbeitsmarktes. Für ihre sehr begrenzten Arbeitsprozesse war eine Schriftkultur nicht unbedingt nötig. Dennoch konnte sich die weitere Entwicklung der Industriegesellschaft nur durch die allgemeine Verbreitung schriftkultureller Fertigkeiten vollziehen. Erst die Erfindung der Stahlfeder 1830 ermöglichte die Einführung der allgemeinen Grundschulpflicht. Die Stahlnadel veränderte zunächst scheinbar nur die häuslichen Tätigkeiten, in Wirklichkeit aber wurde sie zu den harten Bedingungen industrieller Massenproduktion. Gas und Elektrizität verlängerten die Zeiträume, in denen die Fertigkeiten der Schriftkultur vermittelt und verbreitet werden konnten. Die Verbesserung der Wohnbedingungen ermöglichte die Errichtung von Privatbibliotheken. Für George Steiner war dies ein entscheidender Schritt zur privaten Buchlektüre.
Die für die Industrielle Revolution charakteristischen Phänomene stehen im Zusammenhang mit der Herausbildung von Nationalstaaten. Die Erfahrung und Bestätigung der nationalen Identität ist unmittelbar an die Werte und Funktionen der Schriftkultur geknüpft. Die Produktionsprozesse des industriellen Zeitalters mit ihren mechanischen Maschinen und der Stromkraft setzten anstelle der Muskelkraft qualifizierte Kraft voraus. Verwaltungs- und Managementfunktionen erforderten mehr Schriftlichkeit als die Arbeit am Fließband. Aber die Charakteristika der Schriftlichkeit wirkten sich auf den gesamten Handlungszusammenhang aus und ließen eine allgemeingebildete Arbeiterschaft wünschenswert erscheinen. Der in dieser Entwicklung entstandene Markt projizierte die Bedingungen der Industrie auf die Strukturen des Marktes. Der Bedarf an qualifizierter Arbeit führte zu einem Bedarf an qualifiziertem Marktverhalten und schließlich zu den heutigen Formen von Marketing und Werbung. Der Markt war in der Regel definiert durch nationale Grenzen; diese Grenzen der Effizienz, der Autarkie und des zukünftigen Wachstums ermöglichten Märkte von einer Größe und Komplexität, die dem industriellen Output entsprachen. Die Nationalstaaten hoben in gewisser Weise die Fragmentarisierung der Welt auf. Nationalstaaten waren nicht mehr länger die theoretische Verkleidung von Stammesstrukturen, sondern ein politischer Raum für die allmähliche Einrichtung der Demokratie.
Dem Fortschritt von miteinander um das Überleben konkurrierenden Individuen in einem Umfeld, in dem nur der Stärkste überleben konnte, hin zu einem gemeinschaftlichen Leben in den Grenzen eines Stammes, einer Gemeinde, einer Region, einer Konföderation oder Nation entspricht die Weiterentwicklung menschlicher Integrationsformen und -methoden. Die globale Skala unserer heutigen Lebenspraxis ist nicht nur eine einfache Erweiterung der linearen deterministischen Beziehungen zwischen den Menschen und seinem lebenserhaltenden System, der Umwelt. Tiefe und Ausmaß der Veränderung zeigen sich in der Diskontinuität der Menge (an Menschen, Ressourcen, Erwartungen usw.), in der Natur der Beziehungen zwischen den Menschen untereinander und in den für die heutige Lebenspraxis symptomatischen Vermittlungsformen. Das Ende des Nationalstaats, vielleicht sogar der Demokratie, mag noch in weiter Zukunft liegen, aber es steht uns bevor. Die Vereinten Nationen, denen noch nicht die gesamte Welt beigetreten ist, bestehen derzeit aus mehr als 197 Nationen, die Zahl steigt. Einige davon sind kleine Inselstaaten oder solche, die erst vor kurzem durch soziale oder politische Bewegungen ihre Unabhängigkeit erreicht haben. Von den über 240 verschiedenen Territorialgebieten, Ländern und Protektoraten sind nur wenige wirklich autarke Einheiten (sofern es sie überhaupt gibt). Und trotz einer bislang unübertroffenen Integration ist die Welt heute weniger ein Haus der Nationen und diskreten Allianzen als vielmehr eine Zivilisation, in der eine Spezies eine starke Kontrolle (nach Meinung vieler eine zu starke) über andere Spezies ausübt.
In dieser Welt gibt es noch immer Bevölkerungsgruppen mit Lebensformen, die auf Jagd, Beutezug, Fischfang und einfachen Formen der Landwirtschaft basieren. Tauschhandel und eine rudimentär ausgebildete Sprache des Überlebens stellen an solchen Orten den einzigen Marktprozeß dar; und dennoch ist die gesamte Welt in die globalen Transaktionen eingebunden. Märkte in ihrer Ganzheit stehen zur Disposition, oft genug ohne das Wissen derer, aus denen dieser Markt besteht. Die Charta der Zukunft wird weniger die seit jeher leidenschaftlich verfochtene nationale Unabhängigkeit sein als das (authentische oder eingebildete) kulturelle Gedächtnis. Kaufen oder Verkaufen überträgt sich auf die gesamte Wirtschaft, welche, obwohl bis heute nicht in ihrem Gesamtzusammenhang vollkommen verstanden und erklärt, sich in einem Rhythmus verändern wird, dem diejenigen, die sie eigentlich kontrollieren sollen, nur schwer standhalten werden. Gleichwohl ist diese Entwicklung im Zusammenhang eines globalen Marktes unausweichlich. Es kann nicht überraschen, daß Bildung, Schriftkultur und nationale Identität von dieser Entwicklung ebenfalls erfaßt werden.
Wiedersehen mit Malthus
Das malthusianische Prinzip von 1798 setzte das Bevölkerungswachstum (geometrisch) in Beziehung zu einem erhöhten Nahrungsangebot (arithmetisch). Die Schwäche dieses Prinzips liegt vermutlich darin, daß die Gleichung für das Schicksal der Menschheit aus mehr als nur zwei Variablen, der Bevölkerung und dem Nahrungsangebot, besteht. Der ausgiebige Rückgriff auf natürliche Ressourcen besonders in der Landwirtschaft ist nur eine unter vielen Erfahrungen. Die Wirklichkeit des Menschen besteht nicht nur aus biologischen Bedürfnissen, sondern auch aus kulturellen Erwartungen, wachsender Nachfrage und Kreativität. Und diese wirken sich auf die sogenannten Primärbedürfnisse und Instinkte aus. Zahlreiche bislang bekannte Proteinquellen sind erschöpft. Aber gleichzeitig haben wir unzählige neue Ernährungsquellen erschlossen, nicht zuletzt die künstlich geschaffenen. Jagd und Sammlertätigkeit, auch die daraus weiterentwickelten Formen der Landwirtschaft und Viehzucht erwiesen sich als angemessen, solange das menschliche Verhalten durch lineare, sequentielle Lebensstrategien bestimmt war.
In Verbindung mit dieser linearen Lebenspraxis wurde die Sprache entwickelt und in der menschlichen Lebenspraxis etabliert. Linearität heißt hier nichts anderes, als daß ein Mensch weniger effektiv ist als zwei, und umgekehrt, daß die Bedürfnisse eines Menschen geringer sind als diejenigen von mehreren Menschen. Die Selbstkonstituierung des Menschen durch Sprache bewahrt diese Form der Linearität. Sie bewahrte und entwickelte ihre Funktion, solange Umfang, Bedürfnisse und Sehnsüchte der menschlichen Lebensgemeinschaft proportionale Formen der Interaktion zwischen den Individuen untereinander und den Individuen und ihrer Lebensumwelt möglich machte. Mit der Industriegesellschaft hat die Menschheit vermutlich den Höhepunkt ihrer Optimierungsbemühungen erreicht.
Heute geht es darum, geometrisch anwachsende Bevölkerungen und exponentiell (d. h. nicht-linear) auseinanderstrebende Erwartungen zu vereinbaren. Diese Erwartungen betreffen Menschen, die ein höheres Durchschnittsalter erreichen und deren aktives Berufsleben länger ist als früher. Auch anatomisch verändern wir uns, nicht zwangsläufig zum Guten: Insgesamt sehen und hören wir schlechter und verfügen über geringere physische Kräfte. Ebenso verändern sich unsere Denkfähigkeiten und Denkgewohnheiten und die Strukturen des sozialen Zusammenlebens. Letzere spiegeln u. a. den Übergang von unmittelbaren Formen der Interaktion und des Miteinanders zu indirekten, vermittelten Formen der menschlichen Selbstkonstituierung in der Lebenspraxis.
Der sequentielle Charakter der Sprache, wie er sich besonders in der Schriftlichkeit niederschlägt, dient nicht mehr länger als allgemein gültiger Maßstab dieser Lebenspraxis. Strategien der Linearisierung werden zunehmend ersetzt durch effizientere und im wesentlichen nicht-lineare Strategien, die durch solche Schriftlichkeiten ermöglicht wurden, die sich strukturell von denen der sogenannten natürlichen Sprachen unterscheiden. Demgemäß verliert Schriftlichkeit ihren ursprünglichen Rang. Neue Formen der Schriftlichkeit, neue Sprachen, entstehen. Und anstelle eines einzigen stabilen Zentrums und einer begrenzten Zahl von Optionen sehen wir uns einer aufgefächerten und variablen Konfiguration vieler Zentren und umfangreicher Optionsmöglichkeiten gegenüber, die gemeinsame oder unvereinbare Interessen verknüpfen oder auflösen. Noch immer gibt es nationalstaatliche Ambitionen, noch immer werden riesige Fabriken gebaut, Städte errichtet, Verkehrsnetze und Flughäfen erweitert, um den Verkehr zwischen den Ballungszentren zu optimieren. Und dennoch zeichnet sich schon heute eine integrierte und gleichzeitig dezentralisierte Arbeits- und Lebenswelt ab. Die durch die digitale Technologie ermöglichte allumfassende Verbindung und Vernetzung öffnet ungeahnte Möglichkeiten, unser soziales Leben, unsere politischen Institutionen und die Gestaltung und Produktion von Gütern neu zu strukturieren. Unsere aus der fortgeschrittenen Spezialisierung gewonnene Fähigkeit zur Vermittlung und zur Integration von Teilen und Dienstleistungen wird heute von Maschinen unterstützt, welche unsere kognitiven Eigenschaften erweitern.
In den Fesseln der Schriftkultur
Zu den beunruhigendsten Erfahrungen gehört vermutlich, in der
Konfrontation mit neuen Erfahrungen unser schriftkulturell geprägtes
Gedächtnis abschütteln und uns den in struktureller Hinsicht
amnesischen Zeichensystemen überlassen zu müssen, die auf unsere
Sinneserfahrung abzielen. Neuere Theorien der Welt, des Gehirns und
des Denkens sowie unsere biogenetischen Grundlagen haben uns zu neuen
Erfahrungen der Selbstkonstituierung verholfen, die sich von allem
unterscheiden, was vorausgegangen ist. Die Erkenntnis der
Relativität, der Lichtgeschwindigkeit, von Mikro- und Makrostrukturen,
von dynamischen Kräften und Nichtlinearität hat sich bereits in neue
Strukturen der Interaktion umgesetzt. Unsere heutigen
Verbindungssysteme—durch elektrische Energie, Telefon, Radio,
Fernsehen, Kommunikationstechnologien aller Art,
Computernetzwerke—arbeiten mit einer dem Licht vergleichbaren
Geschwindigkeit. Sie verknüpfen dynamische Mechanismen, die von
Genetik, Physik, Molekularbiologie und von unserer Kenntnis der
Mikro- und Makrostruktur angeregt werden.
Unser Lebenszyklus kann sich offenbar auf zwei unterschiedliche Synchronisationsmechanismen einstellen: Der eine entspricht unserer natürlichen Umwelt (Tage, Nächte, Jahreszeiten), der andere unseren Effizienzbestrebungen und den sich dafür öffnenden Möglichkeiten. Beide werden immer weniger voneinander abhängig, und es sieht so aus, als hätte die Effizienz Vorrang vor der Natur. Ehedem erforderte die Entdeckung immer weiterer geographischer Dimensionen der Erde Schiffe und Flugzeuge. Sie erforderte auch biologische Anstrengungen der Anpassung und intellektuelle Bemühungen, die auf diese Weise erfahrenen Unterschiede zu verstehen und zu verarbeiten. Im Weltraum erweist sich die nötige Anpassung als besonders schwierig. Daher haben in unserer Welt der permanenten Veränderung immer häufiger sich einstellende Differenzierungen die Menschen veranlaßt, an die Stelle der einen permanenten und allumfassenden Schriftlichkeit verschiedene Formen der Schriftlichkeit zu setzen, von denen keine den Status immerwährender Gültigkeit beanspruchen kann. Die Ausdifferenzierung und Vielfalt der menschlichen Erfahrung geht heute so weit, daß sie sich nicht mehr auf eine einzige Form der Schriftkultur reduzieren läßt.
In der Einrichtung eines gesicherten Wissenskanons, der überprüft und praktisch angewendet werden kann, und in der Entwicklung rationaler Interpretationsmethoden wurde oft verworfen, was nicht in die entwickelten Theorien passen wollte, was nicht den Gesetzen gehorchte, die diese Theorien formulierten. Dieses methodische Vorgehen war notwendig, es ermöglichte letztlich den Fortschritt, dessen Früchte wir heute genießen. Zugleich war es aber trügerisch, denn es mußte verwerfen, was nicht erklärt werden konnte. So wurden z. B. überall dort, wo sich die Schriftkultur durchsetzte, die nichtsprachlichen Aspekte—die auf nichts weiter zurückzuführende Welt der Magie, des Mysteriums, des Esoterischen (um nur einige zu nennen)—verworfen. Nun sind aber gerade in vielen Ländern die Folklore, wohl auch der Aberglaube und alle denkbaren Formen des Mysteriums, soweit sie zur Selbstkonstituierung des Menschen beitragen, wichtige Bereiche, aus denen wir Rückschlüsse über zurückliegende, gegenwärtige und zukünftige Lebensformen ziehen können. Sie sind Teil des gesamten Zusammenhangs und sollten nicht einfach abgetan werden, selbst wenn sie einer Entwicklungsphase zugehören, die der Schriftkultur vorausging. Gleichwohl war und ist die Sprache das umfassendste Zeugnis für unsere Erfahrungen als menschliche Wesen (und zugleich ein Teilhaber an dieser Erfahrung), so daß wir schon aus diesem Grunde untersuchen sollten, ob die Krise, in der sie sich befindet, etwas aussagt über unsere eigene Dauerhaftigkeit und über unsere Vorurteile, die wir über unsere eigene Spezies entwickelt haben. Und unabhängig davon stellt sich die Frage, warum und aufgrund welcher Argumente wir uns eigentlich als das einzige Phänomen von Dauerhaftigkeit im Universum und als das höchstmögliche Entwicklungsstadium der Evolution betrachten. Die Schriftkultur hat uns in mancherlei Hinsicht unsere Freiheit gegeben. Doch sie hielt uns gleichzeitig in einer ganzen Reihe von Vorurteilen gefangen, nicht zuletzt in einem Bewußtsein von uns selbst, das in direktem Widerspruch steht zu unserer Erfahrung der permanenten Veränderung in der Welt.
Kapitel 2:
Die USA—Sinnbild für die Kultur der Schriftlosigkeit
Amerika (unter diesem Namen schlägt man den Vereinigten Staaten gemeinhin den Rest der beiden Subkontinente zu) versinnbildlicht in den Augen von Freund und Feind vieles von dem, was die heutige Welt kennzeichnet: Marktorientierung, Technologiewahn, Leben auf Kredit (Kapital und natürliche Ressourcen), Konkurrenzkampf bis hin zur Propagierung offener Gegnerschaft und eine Einlassung auf Mittelmaß, Demagogie und Opportunismus im Namen von Demokratie und Toleranz. Vielen gelten die Amerikaner als prahlerisch, flegelhaft, unrealistisch, naiv, primitiv, heuchlerisch und geldbesessen. Und selbst in den Augen manch eines Patrioten gehören Opportunismus, Korruption und Bigotterie zu den Hauptantriebskräften dieses Landes. Anderen erscheint es anfällig für Militarismus und für das verführerische moralische Gift, das sich aus der selbsterklärten Vormachtstellung in der Welt ergibt. Und oft sieht es so aus, als erwarte es gerade dann Dankbarkeit und Lob, wenn seine Politik versagt hat.
Andererseits spricht man den Amerikanern außergewöhnliche Errungenschaften in Technologie, Wissenschaft, Medizin, in den Künsten, der Literatur, im Sport und in der Unterhaltung zu. Sie gelten auch als freundlich, offen und tolerant. Für andere Nationen geradezu beispielhaft ist ihre Bereitschaft, sich für altruistische Projekte zu engagieren (Programme gegen Armut und Unterstützung bedürftiger Kinder auf der ganzen Welt) und ihre Distanz zu jeglicher Form der Diskriminierung. Fast überall sieht man in Amerika das Modell einer funktionierenden liberalen Demokratie auf der Grundlage einer Staatenföderation, in dem sich lokale, staatliche und föderale Funktionen die Waage halten.
Und dennoch ist in vielen Teilen der Welt die Angst vor einer allgemeinen Amerikanisierung verbreitet. Disneyland vor den Toren von Paris, MacDonalds-Fast-food-Ketten, Coca Cola, Blue Jeans, Popmusik und Fernsehserien, Kaugummi und amerikanischer Sport symbolisieren allenthalben den Siegeszug der amerikanischen Popkultur und des amerikanischen Lebensstils. Doch dieser Eindruck könnte trügen.
Außerhalb ihres heimischen Kontextes sind diese Erscheinungen vielerorts noch exotische Phänomene, denen man leicht entgegenwirken kann und tatsächlich auch nationale Charakteristika entgegensetzt, ob in Italien, Rußland, Deutschland oder Japan. Auch mit Antworten ist man leicht zur Hand. Als es in Deutschland darum ging, Wirtschaftsprobleme unter Kürzung von Sozialleistungen für Arbeitnehmer zu lösen, drohte man umgehend, den sogenannten amerikanischen Lösungen mit einer französischen Antwort zu begegnen: Gemeint war ein Generalstreik, der das ganze Land lahmlegen sollte.
Bei näherer Betrachtung steht hinter der Amerikanisierung mehr als nur eine Übernahme von Gegenständen, Werten und Verhaltensweisen. Sie erfaßt in der globalen Gemeinschaft unserer heutigen Zeit alle Bereiche der Lebenspraxis. Es ist nachvollziehbar, warum Amerika jene Formen der Effizienz repräsentiert, die scheinbar auf Kosten vieler verlorener Werte gehen: der Achtung vor Autorität, vor der Umwelt, vor natürlichen oder sogar menschlichen Ressourcen, schließlich vor Menschenrechten. Amerikanische Identität ist genährt durch unbegrenzte Erwartungen bezüglich des gesellschaftlichen und materiellen Lebensstandards, des politischen und wirtschaftlichen Erfolges, auch der Religionsfreiheit. Freiheit, zumindest der Anschein von Freiheit, ist die allgemeine Richtschnur jeglichen Handelns. Was immer die Lebenspraxis als möglich und machbar erscheinen läßt, wird zu einer neuen Erwartung und alsbald zum allgemeinen Bedürfnis erhoben. Ein Recht auf Wohlstand und Überfluß, so relativ er in der amerikanischen Gesellschaft auch ausfällt, wird als selbstverständlich vorausgesetzt, nirgends wird dieser Anspruch überschattet von einer Ahnung davon, daß der eigene Reichtum auf Kosten der Lebenschancen eines anderen gehen könnte. Allenthalben dominiert ein Konkurrenzdenken. Und manch eine moralisch zweifelhafte Praxis des politischen und des Rechtssystems macht dieses Prinzip offenkundig. "To the victor go the spoils"—"Der Gewinner bekommt die Beute"—keine andere Formulierung könnte das amerikanische Lebensgefühl knapper und passender definieren.
Der "American Way of Life" hat bei vielen Menschen auf der Welt Hoffnungen und Erwartungen geweckt, trotz der gemischten Gefühle, mit denen man Amerika ansonsten begegnet. Mehr als von dem Zwang, den amerikanischen Lebensstil nachzuahmen (in Konsum, Lebensweise, Politik und Verhalten), ist der Rest der Welt vermutlich von dem Verlangen getrieben, jene Effizienz zu erreichen, die eben diesen Lebensstandard ermöglicht. Jedes Land sieht sich dem Konflikt zwischen Effizienz und Kultur ausgesetzt. Manch ein Land kann dabei auf eine Kultur zurückblicken, die mehrere tausend Jahre alt ist, im Gegensatz zu den USA, wo sich Kultur stets in einem status nascendi befunden hat. Wenn sich heute in den USA gelegentlich Sorge bezüglich des Niedergangs von Bildung und Schriftkultur einstellt, so ist sie offenkundig von einer Nostalgie für Tradition gespeist, die in den USA niemals wirklich wirksam war, und zugleich aus einer Furcht vor der Zukunft, die man niemals wirklich durchdacht hat. Insofern ist die Frage, inwiefern die USA eine Kultur versinnbildlichen, in der die Schriftkultur überflüssig geworden ist, von mehr als nur dokumentarischem Interesse.
Dem Handel zuliebe
Man könnte Amerika, jahrhundertelang von nicht enden wollenden Einwanderungswellen überrollt, etwas oberflächlich als eine Kultur mit mehreren nebeneinander existierenden Schriftkulturen bezeichnen. Noch heute gehören in sich geschlossene ethnisch definierte Wohngebiete zum Lebensalltag. Hier gibt es Geschäfte, in denen nur die Sprache dieser ethnischen Gemeinschaft gesprochen wird, und Zeitungen in dieser Sprache; das Kabelfernsehen versorgt diese Gruppen mit eigenen Programmen, und ein entsprechendes Warenangebot erinnert an authentische Küche und an Produkte, "die ewig halten". Natürlich sind alle diese mitgebrachten Schriftkulturen Mittel der Selbstkonstituierung, dienen dem Brückenschlag zwischen den Kulturen, die es in der dritten Generation nicht mehr geben wird. Indem sich die Menschen der Schriftkultur ihres Herkunftlandes verpflichtet fühlen, erfahren sie sich als gespaltene Persönlichkeiten zwischen zwei unterschiedlichen pragmatischen Kontexten. Der eine verkörpert die Erwartungen, die sich aus dem auf Schriftkultur gründenden Kontext ergaben—Homogenität, Hierarchie, Zentralismus, Tradition. Der neue Kontext der auserwählten neuen Heimat rückt indes Bedürfnisse in den Mittelpunkt, die den Übergang zu einer Kultur der Schriftlosigkeit kennzeichnen—Heterogenität, Horizontalität, Dezentralismus, Tradition als Option, nicht aber als Lebensstil.
Wir sollten indes Probleme der Immigration (wie überhaupt die der Migration) nicht unter der Perspektive von nebeneinander existierenden Schriftkulturen ansehen, sondern eher als Variationen innerhalb eines verbindenden pragmatischen Handlungsrahmens. Die Loslösung der Einwanderer von ihrer Heimatkultur gehört vielleicht zu den einmaligen Kennzeichen Amerikas. Sie ist bis heute eine Quelle für Vitalität und Kreativität, allerdings auch für Konflikte und Spannungen. Die Einwanderer kommen als in ihren Schriftkulturen gebildete an und müssen erfahren, daß ihre Schriftkultur relativ nutzlos ist. Dies war keineswegs immer so. Neil Postman hat gezeigt, daß die Siedler des 17. Jahrhunderts gemessen an den Maßstäben ihrer Zeit relativ gebildet waren. 95% der männlichen Einwanderer konnten die Bibel lesen; bei den weiblichen Einwanderern waren es immerhin 62%. Man las auch andere Texte, einige wurden aus England importiert. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich eine Druckindustrie mit erheblichem Einfluß auf das kulturelle Leben Amerikas.
Mit ihren Schriftkulturen brachten die englischen, französischen und holländischen Einwanderer alle Merkmale der Schriftkultur mit, welche schließlich die Grundlage des amerikanischen Regierungssystems bildeten. Die nachfolgenden Einwanderungswellen brachten gelernte und ungelernte Arbeiter, Intellektuelle und Bauern. Sie alle mußten sich der fremden Kultur anpassen, die sich zunächst am britischen Modell orientierte, später aber seine eigenen Merkmale herausbildete. Die unterschiedlichen nationalen und ethnischen Gruppierungen mit ihren jeweils unterschiedlichen Erfahrungen der Lebenspraxis ohne einen gemeinsamen Nenner mußten sich aufeinander und miteinander einrichten. Das Land wuchs schnell und mit ihm seine Industrie, das Verkehrssystem, die Landwirtschaft, ein Bankensystem und die vielen anderen Dienstleistungen, die durch die wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht und für deren Weiterentwicklung notwendig wurden. Bis zu einem gewissen Ausmaß war die Schriftkultur ein Teil dieser Errungenschaften. Das junge Land entwickelte recht bald eine eigene Literatur, in der sich die eigenen neuen Erfahrungen widerspiegelten. Diese Literatur orientierte sich aber weiterhin an der Schriftkultur des alten Mutterlandes. Wenn ich betone, daß dies nur zu einem gewissen Maß der Fall war, dann deshalb, weil die Geschichte einer jeden einzelnen Errungenschaft zeigt, daß die dieser Schriftkultur inhärenten Merkmale unter dem Banner von Völkerrecht, Demokratie, Individualität und Fortschritt zunehmend in Frage gestellt wurden.
Allerdings erklärt dieser Hintergrund, warum die Amerikaner sich nicht gern als eine kulturlose Nation bezeichnen lassen. Verständlich ist ebenfalls, daß sie sich aus diesem Grunde auch weiterhin der Schriftkultur verpflichtet fühlen und daß viele in ihr ein Allheilmittel für die heutigen Probleme sehen, die sich aus den schnellen technologischen Veränderungszyklen, aus den neuen Formen menschlicher Interaktion und aus der neuen Lebenspraxis ergeben. Ihr ererbtes Verhältnis zur Geschichte läßt sie keine Mühen und kein Geld in dem Versuch scheuen, die Entwicklung umzukehren und Amerika zu seiner alten Größe oder doch zumindest zu einer gewissen Form der Stabilität zurückzuführen. Möglicherweise unterliegt man dabei einem Irrtum oder einem Phantom; denn wenn wir uns die Errungenschaften der Vereinigten Staaten genauer betrachten, zeigt sich, daß es nicht sehr viel gibt, was dieses Land zu den kulturellen Riesen vergangener oder gegenwärtiger Kulturen zählen lassen könnte.
Amerika hat im Verlauf seiner Geschichte in einem gewissen Maß immer den Bruch mit den Werten der Alten Welt verkörpert. Die neuen Siedler der holländischen, französischen und englischen Kolonien hatten zumindest eines gemeinsam: Sie waren der Hierarchie der zentralen politischen und religiösen Herrschaft und den starren Regeln des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens entflohen, die gemeinsam eine Ordnung repräsentierten, die sie an ihrem Platz hielt. Die Maxime eines John Smith, daß die, die nicht arbeiten, auch nichts zu essen haben, stellte vielleicht die erste Erschütterung des europäischen Wertesystems dar, in dem Sprache und Kultur eng an Sozialstatus und Privileg geknüpft waren.
Mit ziemlicher Sicherheit kamen die Einwanderer gleich welchen Standes nicht mit dem Vorsatz, den damals vorherrschenden Sinnzusammenhang und die vorherrschenden Moralvorstellungen zu stürzen. Jede neue Entwicklung ist zunächst einmal durch eine Phase der Nachahmung des Alten gekennzeichnet, von den religiösen Bräuchen bis hin zu den Arbeits- und Unterhaltungsformen, zu Erziehung, Kleidung und dem Verhältnis zu Randgruppen (Eingeborenen, Sklaven, religiösen Sekten). In dieser Phase der Nachahmung etablierte sich im Süden der Vereinigten Staaten eine Art von Aristokratie, die dem englischen Modell nacheiferte. Als die neuen Kolonialherren der Oberschicht gegen die ihnen von König George III. auferlegten Steuern und Strafgesetze protestierten, forderten sie ihre Rechte als Engländer ein, mit allem, was diese Bezeichnung beinhaltete. Jeffersons Modell für die freien Vereinigten Staaten bedeutete nichts anderes, als daß der Agrarstaat die klassischen Ideale, die ihn motivierten, am besten verkörperte. Jefferson selbst, ein Landjunker, der in der Logik der griechischen und römischen Kultur ausgebildet war und Sklaven hielt, versinnbildlichte diese auf Schriftkultur gründende Lebenspraxis. Sein Wissen hat er aus Büchern bezogen. Seine unterschiedlichen Interessen für Architektur, Politik, Planungsaufgaben und Verwaltung konnte er nur in einem pragmatischen Handlungsrahmen zusammenführen, für den die Schriftkultur angemessen war. Und obwohl er selbst die von seinen Mitbürgern favorisierte Monarchie ablehnte, konnte er selbst eine königliche Macht ausüben, die im exekutiven Teil der Regierung angelegt war. Sein Lebenslauf zeigt, wie man monarchistisches Zentralitäts- und Hierarchiedenken in die neuen politischen Formen der sich herausbildenden Demokratien umsetzte. An dieser frühen Phase Amerikas können wir ablesen, wie die Schriftkultur das nicht-egalitäre Modell in ein neues Modell überführt und die neuen Ideale der Menschenrechte und der Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz sowie eine neue Vorstellung von Autorität entwickelt hat, die sich aus der Religion ableitet, im politischen Leben praktiziert wird und auf die Erwartungen der Mitmenschen ausgerichtet ist.
Neue Paradigmen entwickeln sich wie Schößlinge aus den alten heraus. Unter dem Zwang, für ihre neue Identität einen neuen Handlungsrahmen zu finden, entwickelten die Einwanderer einen alternativen Kontext für die Entfaltung der industriellen Revolution. In diesem Entwicklungsprozeß veränderten sie sich mehr, als sie es hatten voraussehen können. Politisch schufen sie die neuen Bedingungen, die ihnen letztlich die Emanzipation von den Zwängen des von ihnen zurückgelassenen politischen Systems brachten. Damit änderten sich ihr Lebensrhythmus, ihre Sprach-, Denk- und sozialen Gewohnheiten. Als de Toqueville in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts Amerika bereiste, waren einige Merkmale dieses neuen Paradigmas bereits zu erkennen. Spezielle Aufmerksamkeit widmete er dabei den sich abzeichnenden neuen Werten, die er aus der Tatsache heraus erklärte, daß dieses Land frei war von historischen Zwängen und den Fesseln gesellschaftlicher und kultureller Überlieferungen. Besonders die auf beruflichen und privaten Nutzen ausgerichtete Haltung gegenüber Bildung und Ausbildung konnten ihn beeindrucken sowie die Tatsache, daß Bildung und Kultur nicht Privilegien einer bestimmten Klasse waren. Seine Sichtweise war trotz seiner Gelehrsamkeit und seines Ansehens zwangsläufig begrenzt. Die französische Regierung hatte ihn nach Amerika geschickt, um die Gefängnisse und Strafanstalten der Neuen Welt zu untersuchen; für uns heute wurde die Untersuchung ein Dokument dafür, wie ein hochgebildeter Europäer die sozialen und politischen Institutionen jener Zeit aufnahm. Dabei zeichneten sich zur Zeit seines Aufenthaltes zahlreiche Merkmale einer Kultur jenseits der Schriftlichkeit bereits ab. Er hob die Kürze der Regierungszyklen hervor, den weitgehend mündlichen Charakter der öffentlichen Verwaltung, die Flüchtigkeit der eingegangenen Verpflichtungen. Er sah, daß Amerika in Ermangelung einer eigenen Geschichte würde "Rückgriff nehmen müssen auf die Geschichte anderer." In seiner Beschreibung drückt sich die Überraschung aus, die die in Amerika erfahrene Diskontinuität, der Wandel und eine in anderen Teilen der Welt weniger offenkundige Dynamik bei ihm hervorriefen.
Zweifellos formulierte die Neue Welt neue Themen, die von Amerikanern und Europäern unterschiedlich angegangen und interpretiert wurden. Die eher europäisch orientierten Städte des amerikanischen Nordostens—Boston, New York, Philadelphia—hielten über Universitäten und Wissenschaften, Dichtung, Essayismus und Künste ihre kulturelle Bindung an die Alte Welt aufrecht. Trotzdem klagte Washington Irving darüber, daß man in den Vereinigten Staaten nicht wie in Europa seinen Lebensunterhalt als Schriftsteller verdienen könnte. Tatsächlich arbeiteten viele Schriftsteller als Journalisten (was eine Form von Schriftstellerei ist) oder als Beamte. Doch das wirkliche Amerika gewann westlich des Hudson und jenseits der Appalachen Gestalt. Dort spielte die Vergangenheit tatsächlich so gut wie keine Rolle.
Als Teilergebnis des Bürgerkrieges wurde in Amerika die Sklaverei abgeschafft. Zur selben Zeit deutete sich aber auch eine Veränderung der Grundstrukturen der amerikanischen Gesellschaft an, die aus der Schriftkultur hervorgegangen war. Die industrielle Revolution vollzog sich in Amerika vor einem Hintergrund, der sich von dem in Europa ganz wesentlich unterschied—hier hatten wir eine riesengroße Insel, die für eine kurze Zeit lang relativ autark war. Und aus der Lebenspraxis des postindustriellen Zeitalters entwickelten sich neue Antriebskräfte mit dem Ziel, Amerika für die Welt und soviel wie möglich von der Welt für Amerika zu öffnen—ohne Rücksicht darauf, wie so etwas zu bewerkstelligen war. Dieser Entwicklungsprozeß wirkt sich unvermindert auf die wirtschaftliche Entwicklung, auf die Finanzmärkte, auf die kulturellen Beziehungen und auf das Bildungswesen aus.
"Das Beste von dem, was nützlich ist und schön"
Man könnte dem entgegenhalten, daß nunmehr weitere 150 Jahre verstrichen sind und daß die amerikanische Mentalität nicht nur durch den Geschäftsgeist geformt wurde. Man kann auf das literarische Erbe verweisen, das von Washington Irving, Mark Twain, Henry Wadsworth Longfellow, Ralph Waldo Emerson, Nathanael Hawthorne, Henry James geformt wurde. Die amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts fanden weltweite Wertschätzung und Nachahmung. Faulkner und Hemingway sind die bekanntesten Beispiele. Heute werden selbst weniger bedeutende amerikanische Schriftsteller in viele europäische Sprachen übersetzt, und zwar aus denselben Gründen, aus denen man Disneyland nach Frankreich holte. Die Amerikaner ihrerseits werden auf die Theater (mit europäischem Spielplan) und Opernhäuser hinweisen, dabei aber vergessen, daß diese erst relativ spät eingerichtet worden sind. Aber darin liegt kein Widerspruch: solche Einflüsse haben die Entwicklung in Amerika nur beschleunigt.
Das Bildungswesen ist hierfür ein gutes Beispiel. Die amerikanischen Colleges und Universitäten aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert waren ganz am traditionellen Modell der Bildung um der Bildung willen ausgerichtet, und das heißt an moralischer und geistiger Bildung durch das Studium der Klassiker. Dieses Prinzip konnte sich so lange halten, bis verschiedene Interessengruppen, vor allem Geschäftsleute, die Validität eines Bildungsprogramms in Frage stellten, das nur geringen oder gar keinen pragmatischen Wert besaß. Diese Institutionen lagen allesamt im Osten—Harvard, Brown, Yale, Columbia, William and Mary—die Curricula waren identisch mit jenen in der Alten Welt. Besucht wurden sie von der Elite Amerikas. Die Universitäten jüngeren Datums, die sogenannten Land Grant Colleges, die sich später zu den State Universities (wie Ohio State University, Texas A&M) weiterentwickelten, wurden im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts westlich des Alleghenys gegründet und verfolgten pragmatischere Bildungsziele—etwa Landwirtschaft und Maschinenbau, je nach regionalem, nicht nach nationalem Bedarf.
Mit Blick auf diesen Nutzen haben sich die amerikanischen Universitäten zunehmend zu Einrichtungen der Berufsausbildung auf (mehr oder weniger) hohem Niveau entwickelt, die das anbieten, was die weiterführenden Schulen in der Ausbildung versäumt haben. Das auf den alten Bildungsidealen beruhende Ausbildungsmodell kollidierte mit den pragmatischen Anforderungen der Berufswelt und mit antielitären politischen Erwartungen; daraus ergab sich eine merkwürdig hybride Situation. Die allmähliche Veränderung der Curricula zeigt, daß Logik, Rhetorik, Kultur, Ehrfurcht vor dem Wort und den Regeln der Grammatik und Syntax—allesamt Werte, die sich aus den alten Bildungsvorstellungen und einer allein vorherrschenden Schriftkultur ergaben—längst abgelöst worden sind durch spezialisierte Studien in Philosophie, Literatur und schriftlicher Kommunikation, genauer: durch ein verwirrendes Angebot an frei zu wählenden Spezialkursen. Seitdem die Literatur ihren romantischen Anspruch auf Dauerhaftigkeit und Allgemeingültigkeit aufgegeben hat, öffnet sie sich beständig wechselnden Betrachtungsweisen, die mit zunehmendem Opportunismus und zunehmender Geschwindigkeit auf die jeweils modifizierten Fragestellungen Rücksicht nehmen: Feminismus, Multikulturalität, Pazifismus. Wahrheit in der Form von literarischer Fiktion oder auch nur Hoffnung haben der Ungewißheit Platz gemacht. In diesem Zusammenhang verlieren Sprachwissenschaft und Philologie ihre Bedeutung oder verschwinden vollends aus den Curricula der Universitäten. Ebenso hat die Wirtschaftswissenschaft ihr philosophisches Rückgrat verloren und versteht sich zunehmend als Übung in Statistik und Mathematik.
Mit Blick auf die heutigen Studienpläne fragen die Studenten zunehmend nach dem Zweck des Lehrangebots. Diese Frage stellt sich vor allem bei Literatur, Mathematik, Philosophie und fast allem, was im Rahmen der herkömmlichen Bildung und Schriftkultur als Grundlagenfach angesehen wurde. Die Schuld dafür trifft nicht die jungen Leute, die das Universitätssystem durchlaufen. Sie versuchen lediglich, sich auf die Erwartungen einzustellen, die an sie herangetragen werden: erst der Erwerb des Führerscheins, dann ein Universitätsdiplom, schließlich Steuern zahlen. In Amerika braucht man ein Universitätsdiplom nicht, weil der spätere Beruf eine akademische Bildung voraussetzt, sondern weil es das Gleichheitsprinzip erfordert. In einem Land, das sich historisch aus dem Widerspruch zu Hierarchie und zu Ungleichheit entwickelt hat, wird nicht einmal der Anschein von individueller Überlegenheit toleriert. Das Privileg einer Universitätsausbildung, wie Amerika sie zunächst von Europa übernommen hat, gilt als Ungerechtigkeit. Daher ähneln die heutigen Universitäten eher einem Einkaufszentrum. Universitätsabschlüsse, vom B. A. bis zum Doktorgrad, gelten als Testat für den Besuch einer Universität, als Voraussetzung für eine berufliche Karriere, nicht notwendigerweise als Beleg für anstrengende geistige Tätigkeit und entsprechende wissenschaftliche Leistungsfähigkeit. Wer heute eine Universität besucht, erwartet danach einen besseren (d. h. höher bezahlten) Job.
Zunehmend bieten die Universitäten daher auch Studiengänge an, die nicht eigentlich auf Bildung, sondern auf Ausbildung abzielen. Im gleichen Maß ist der Wert eines Universitätsabschlusses (nicht der Preis, den man dafür bezahlen muß) gesunken. Manche meinen sogar, daß bald auch ein Straßenfeger (Hygienetechniker) einen Universitätsabschluß benötigt. Tatsächlich wird man wohl einen Universitätsabschluß so selbstverständlich haben wie heute einen Schulabschluß. Und der Lohn eines solchen Hygienearbeiters wird so hoch sein (dank der Inflation, die mit der Demagogie stets Schritt gehalten hat), daß ein Universitätsabsolvent seinen Anspruch gegenüber einem Bewerber ohne Gymnasialabschluß durchsetzen wird.
Amerika hat sich selten oder nie für Gedanken um der Gedanken selbst willen interessiert. Allgemeine schöngeistige Fähigkeiten oder intellektuelle Überhöhung sind Importe aus der Alten Welt. Gewiß haben in der Frühgeschichte der USA die Transzendentalisten eine starke geistige Rolle gespielt, aber auch sie haben lediglich die aus Europa eingeführte Saat sprießen lassen. Sie und andere—etwa die philosophische Schule, die wir mit Peirce, Dewey, James und Royce identifizieren—haben im amerikanischen Leben nie wirklich Wurzeln geschlagen und Blüten getrieben, die man mehr schätzte als die importierten. Amerikas Stolz liegt in seinen Produkten und in seiner Pragmatik, nicht in seinem Denken und in seinen Visionen.
Dennoch fordern die führenden Vertreter von Industrie und Wirtschaft immer noch Bildung ein und sagen Schulen und Universitäten ihre Unterstützung zu. Bei näherer Betrachtung erweist sich ihre Haltung jedoch als doppelzüngig. Die amerikanische Wirtschaft brauchte natürlich Menschen wie Cooper, Edison und Bell; auf ihren Entdeckungen und Erfindungen wurde die amerikanische Industrie aufgebaut. Als sie in Gang gekommen war, benötigte man Konsumenten mit ausreichend Geld, um die Produkte dieser Industrie zu kaufen. Wirtschaft förderte Bildung als ein allgemeines Recht und verwendete alle Steuersubventionen darauf, diese Bildung gemäß den Interessen von Wirtschaft und Industrie auszurichten. Als Folge zählen in der amerikanischen Gesellschaft Ideen und Gedanken nur auf einer materiellen Ebene, nur insofern als sie Nützlichkeit, Bequemlichkeit, Luxus und Unterhaltung fördern, bzw. den Profit erhöhen. "Je eher, desto besser" ist eine Maxime, die diesen Effizienzanspruch gut ausdrückt, eine Maxime, die sich für die Nebenwirkungen von Produktion und Handlungen nicht interessiert, solange der Hauptzweck der Profitmaximierung erfüllt ist. Als "smart fellow" gilt nicht der gebildete Bürger, sondern der, der reich geworden ist, ganz gleich mit welchen Mitteln. Eine derartige Wertschätzung des materiellen Erfolges ungeachtet der dafür aufgewendeten Mittel ist Teil der amerikanischen Teleologie (die sich bisweilen in trauter Eintracht mit der amerikanischen Theologie befindet).
Das Rückspiegelsyndrom
Warum also wenden sich die Amerikaner überhaupt noch einer Zeit zu, in der die Menschen "lesen und schreiben konnten", einer Zeit, in der "jede Stadt fünf verschiedene Zeitungen hatte"? Es liegt vermutlich daran, daß die großen Unternehmen, die allesamt ihre Marktposition vor der Einführung der neuen Kommunikations- und Mediationsmittel aufgebaut hatten, in diese Schriftkultur investiert haben: in Zeitungen, Verlagshäuser und vor allem in Universitäten. Aber für Universitätsabsolventen, die in ihren Studiengebieten keine Berufsanstellung finden, klingt das Versprechen auf Bildung und den daraus zu ziehenden Nutzen merkwürdig hohl.
Was aber hat der neue pragmatische Handlungsrahmen der Neuen Welt den Bildungsgrundlagen der Schriftkultur an Errungenschaften entgegenzusetzen? Zunächst einmal den wesentlichen Umstand, daß dem einen beherrschenden, auf Schriftlichkeit und Bildung gründenden Handlungsmodus neue Formen des Ausdrucks, der Mitteilung und der Kommunikation gleichgestellt wurden. Peter Cooper, der Gründer einer einflußreichen Stiftung zur Förderung der Wissenschaft und Kunst in New York, war im wahrsten Sinne des Wortes Analphabet. Er konnte nicht lesen. Er machte ein Vermögen in der Eisenbahn-, Klebstoff- und Gelatineindustrie. Ganz zweifellos war er nicht ohne Intelligenz. Das gilt für viele Pioniere, die ihre Werkzeuge besser beherrschten als ihre Füllfederhalter. Sie lasen in der Natur mit mehr Weltverständnis, als manche Universitätsstudenten in ihren Büchern lesen. Es gibt andere spektakuläre Beispiele für Erfolg jenseits von Bildung. Etwa der kalifornische Geschäftsmann, der als Analphabet 18 Jahre lang Mathematik und Sozialwissenschaften an einer Highschool unterrichtete und aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen als Musterbeispiel für die Vorzüge von Bildung zur Fernsehzelebrität avancierte. Menschen wie er greifen auf ein Erinnerungsvermögen oder auf Intelligenzformen zurück, die nicht an die Konventionen der Schriftlichkeit gebunden sind. Pädagogen, die heute noch immer bedingungslos an den Konventionen der Schriftkultur und der Schriftlichkeit festhalten, als wären sie die einzigen, die die Lebensfähigkeit und das Verständnis der Mitmenschen garantieren, ignorieren Howard Gardners Theorie der multiplen Intelligenzen (früher nannten wir sie Fähigkeiten). Nur wenige widersetzen sich der Alleinherrschaft der Schriftkultur. William Burroughs, der die "Sprache als einen Virus aus dem Weltraum" bezeichnet hat, ist einer von ihnen. Eine solche Bezeichnung erscheint nicht ganz grundlos, wenn wir uns die vielfältigen Formen des Sprachmißbrauchs vor Augen halten.
Die amerikanische Erfahrung lehrt, welche sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Folgen die Propagierung eines einzigen, auf Schriftlichkeit gründenden Modells der weiterführenden Bildung mit sich bringt. Sie ist sehr kostenaufwendig. Sie überdeckt Unterschiede, statt sich mit ihnen auseinanderzusetzen oder sie zu fördern. Sie weckt Erwartungen einer kulturellen Homogenität in einem Umfeld, dessen Stärke die Heterogenität ist. Damit aber negiert dieses Bildungsmodell, das von seiner Attraktivität noch immer nichts verloren zu haben scheint, eine der wesentlichen Quellen der amerikanischen Dynamik und Vitalität—die Offenheit für Alternativen, die sich historisch aus der Opposition zu Zentralismus und Hierarchie als treibende Kraft der amerikanischen Geschichte erwiesen hat. Eine auf praktische Zwecke ausgerichtete Bildung und die Vielfalt zahlreicher unterschiedlicher Bildungsformen, welche der Vielfalt der menschlichen Erfahrung entsprechen, ist eine amerikanische Entdeckung. Der Unterschied zwischen einer Bildung um der Bildung willen und einer Bildung, die sich an den pragmatischen Erfordernissen der Wirklichkeit orientiert, markiert den Punkt, an dem sich die Wege scheiden.
Auf der Suche nach neuen Werten oder in der Konfrontation mit unvereinbaren Antworten auf drängende Fragen orientiert man sich gern an einer im Rückblick oft problemlos erscheinenden Vergangenheit. Sodann fragt man sich, durch welche Merkmale diese scheinbar heile Vergangenheit gekennzeichnet war. So erklärt sich wohl auch heute die Nostalgie, die sich zur Schriftkultur und den Bildungsidealen einer vergangenen Zeit zurücksehnt. Und man schließt die Augen vor der Tatsache, daß Amerika diesem romantischen Bild von der Vergangenheit nie entsprochen hat. Im Süden war diese Art von Bildung niemals allgemein verbindlich. Sklaven und arme Weiße waren stets ausgeschlossen, Frauen zu dieser Art von Bildung nicht gerade ermuntert. Insgesamt hatte ein protestantisch geprägtes Weltverständnis die Bildungsthemen bestimmt.
Und während man insgesamt dazu neigt, die Leistungen und Errungenschaften jenseits von Bildung und Schriftkultur und die dynamische Lebenskraft eines nicht-gebildeten Amerikas unbeachtet zu lassen, verehrt man nach wie vor die vermeintlich wirklichen Kulturnationen, ohne zur Kenntnis zu nehmen, daß in vielen von ihnen die alten Werte und die als Vermittler dieser Werte fungierenden Bildungstraditionen in Frage gestellt werden. Der allgemeine Pragmatismus, der bei der Geburt Amerikas Pate stand und Amerikas Entwicklung seit jeher begleitet hat, galt indes immer als Wert, für den zu kämpfen sich lohnt. In Europa hingegen, wo die überwiegenden Länder weiterführende und universitäre Bildung nahezu kostenlos ermöglichen, ist die Zahl derer, die einen Universitätsabschluß vorweisen, ständig gestiegen. In der Folge überfluten nun Universitätsabsolventen den Arbeitsmarkt und müssen entdecken, daß sie auf dessen Erfordernisse nicht genügend vorbereitet sind, schon gar nicht auf die neuen Formen des Informationsaustausches, der sich überall auf der Welt durchsetzt. In Europa herrscht noch immer eine weitgehende Trennung zwischen Universitätsbildung und Berufsausbildung. Hier ist ein Universitätsabschluß noch immer Ausweis einer allgemeinen intellektuellen Fähigkeit, nicht einer hochqualifizierten Berufsausbildung. Damit setzen sich die Universitäten dem Vorwurf aus, Elfenbeintürme zu sein, in denen die Studenten auf das praktische Leben unzureichend vorbereitet werden. Nicht zufällig bezeichnet man in Deutschland die "klassischen Bildungsfächer" wie Literaturwissenschaft, Philosophie, Musikwissenschaft und Religion als brotlose Kunst.
Beim Vergleich mit anderen Kulturen haben die Amerikaner gern zum Konkurrenten Japan geblickt und die Forderung erhoben, das amerikanische Bildungssystem dem japanischen anzugleichen. Die Kritiker übersehen dabei, daß die hohe Produktionsrate in Japan weniger etwas mit dem Bildungsstand zu tun hat, sondern vielmehr auf die rigiden Erziehungsmethoden der dortigen Bildungseinrichtungen zurückzuführen ist. Grundlegende Verhaltensweisen wie Konformität, Teamgeist, Hierarchiebewußtsein und ein fast schon heiliges Traditionsbewußtsein sind wichtige Bestandteile dieser Bildung. Um unterschiedliche Arbeitsprozesse am Fließband miteinander zu verbinden oder bestimmte, von hochentwickelten Maschinen vorfabrizierte Modulkomponenten zusammenzufügen, bedarf es keiner vertieften Bildung. Viel wichtigere Voraussetzungen hierfür sind ein ausgeprägtes Pflichtbewußtsein und der Stolz auf eine gut verrichtete Arbeit—Denkweisen, die in einem Klima sozialer Sicherheit und Dauerhaftigkeit gedeihen. Das japanische Wirtschafts- und Bildungssystem hat keinen großen Spielraum für Abweichungen oder die Entwicklung neuer Modelle. In dem prekären Versuch, ihre Identität zu wahren und zugleich ihre wirtschaftliche Expansion voranzutreiben, betrieben die Japaner die Doppelstrategie von Abschottung und gleichzeitiger Öffnung. Diese Strategie zeigt sich vor allem darin, daß sie sich die in anderen Ländern ertragreichen Wirtschaftszweige aneignen und dann in einen Wettbewerb eintreten, der die spezifisch japanischen Eigenschaften (Qualitätsarbeit, Durchhaltevermögen, Kollusion) um die angemessenen fremden Komponenten ergänzt. Fast die gesamte Infrastruktur des Fernsehens, jedenfalls in der analogen Form, ist japanisch. Würde aus irgendeinem Grunde die Programmkomponente, d. h. die Inhalte der ausgestrahlten Programme, wegfallen, wäre die gesamte wundervolle Ausrüstung der Fernsehtechnologie mit einem Schlage unbrauchbar. Aus diesem Grunde ist Japan auch überhaupt nicht an einem Paradigmenwechsel in der Fernsehtechnik, etwa dem revolutionären Digitalfernsehen, interessiert, weil sich ein riesiger Industriezweig, dessen Produkte in fast jedem Haushalt dieser Welt präsent sind, völlig neu erfinden müßte. Die das gebildete Japan durchziehende Erwartung der Beständigkeit greift mithin von der Tradition der Schriftkultur auf ein Medium der Schriftlosigkeit über. Im amerikanischen Zusammenhang hingegen, in dem stabile Verbindlichkeiten eine sehr viel geringere Rolle spielen, stellt das Digitalfernsehen wie alle anderen Innovationen im Computerbereich eine Herausforderung, nicht etwa eine Bedrohung der wirtschaftlichen Infrastruktur dar. Das ist kein zufälliges Beispiel. In ihm zeichnet sich nämlich beispielhaft die Dynamik ab, die im Übergang von einer auf Schriftkultur und Bildung beruhenden Kultur zu einer Kultur mit mehreren miteinander konkurrierenden Formen der Schriftlichkeit und Bildung liegt. Diese ergeben sich vornehmlich aus den Veränderungen, die aus relativ kleinen autarken und homogenen Gemeinschaften eine einzige, global ausgerichtete, durch Fernsehen und andere digitale Medien effizient verbundene Welt machen. Als Illiterati haben die Amerikaner immerhin die Medizin, die Genforschung, die Entwicklung internationaler Netzwerke, interaktiver Multimedien und virtueller Realitäten revolutioniert und damit ihre Innovations- und Erfindungskraft bewiesen.
Natürlich ist es einfacher, Bildungspläne zu entwerfen, die unabhängig von den pragmatischen Erfordernissen der Lebenswelt auf Dauerhaftigkeit angelegt sind. Eine optimale, auf die pragmatischen Bedürfnisse der in hohem Maße vermittelten und durch Arbeitsteilung und weltweite Verknüpfung gekennzeichneten Arbeitswelt ausgerichtete Erziehung muß vor allem das Erlernen neuer kognitiver Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellen. Die zentralisierte, nicht sequentielle, nicht deterministische Erfahrung erfordert kognitive Fähigkeiten, die sich von den Merkmalen einer allgemeinen Bildung und Schriftkultur unterscheiden. Früher hatte man aufgrund seiner Schulausbildung noch vor dem Schulabschluß einen Platz in der Arbeitswelt gefunden. Heute produzieren Schulen die merkwürdige Version des allgemein gebildeten Schülers, der dann noch das College besuchen muß, das dadurch immer mehr zu einer Berufsschule (wenn auch längst nicht im erforderlichen Ausmaß) wird. Die Universitäten ihrerseits haben unter dem Alibi der Chancengleichheit und in der ausschließlichen Beschäftigung mit sich selbst der allgemeinen Erziehung und Bildung mehr Schaden zugefügt als Nutzen, indem sie den Bürgern ihre Bildungsvorstellungen als die einzig denkbaren zur Erreichung eines besseren Lebens aufoktroyiert haben. Das Ergebnis sind überfüllte Kurse, in denen passive Studenten wie am Fließband durch die Kurse geschleust werden. Allein das Wort Universität bezeichnet eine universelle Bildungsauffassung, die sich im Mittelalter entwickelt hat und in den USA schon vor über einem Jahrhundert ihre Gültigkeit verlor. Im Zeitalter einer globalen Wirklichkeit und vieler nebeneinander gültiger Paradigmen ist die Universität keineswegs mehr universell, sondern in hohem Maße spezialisiert.
Bei all diesen Veränderungen hat Amerika, dessen Identität auf Innovation und Selbstverantwortung gründet, seine ureigene Philosophie der Dezentralisierung und Hierarchiefreiheit offenbar vergessen. Bei der Dezentralisierung und Vernetzung der Arbeitsplätze, bei der Neustrukturierung von Unternehmen waren Firmen aus der Computertechnologiebranche führend. Die meisten Wirtschaftsvertreter, besonders jene in den etablierten großen Firmen, zeigen sich noch immer zurückhaltend, wenn es darum geht, Methoden des Matrixmanagements oder dezentralisierte Organisation und Betriebsstrukturen einzuführen. Nach einer Welle der Umstrukturierung und Verschlankung sehen sich die Präsidenten und Vorstandsvorsitzenden (im übrigen ganz ähnlich wie Universitätspräsidenten und Schuldirektoren) unverändert als Könige, während sich die Arbeiter, sofern sie nicht durch Maschinen ersetzt wurden, in einem sklavenähnlichen Zustand befinden. Formen der Dezentralisierung wie Heimarbeit oder andere Arbeits- und Verantwortungsteilung, allesamt effizienzerhöhend, setzen sich nur mühsam durch. Doch die Verhältnisse ändern sich! Wo immer es Mechanismen gibt, die die Welt von ihren auf klassischer Bildung und Schriftkultur basierenden Handlungsprinzipien hinführen in eine Zukunft erhöhter Effizienz und völlig neuer Tätigkeiten, tragen sie den Stempel der USA. Und ohne Zweifel sind alle diese Mechanismen digitaler Natur.
Die Abwendung von den ursprünglichen pluralistischen Grundlagen der amerikanischen Geschichte wirkt sich auch im politischen Bereich aus. Ehedem hatte Amerika eine ansehnliche Zahl von politischen Parteien aufzuweisen. Heute ist das politische System mehr oder weniger auf ein dualistisches Modell zweier miteinander wetteifernder Parteien reduziert, in dem sich das politische System jenes Weltreichs widerspiegelt, dem es ursprünglich angehörte. Andere europäische und zahlreiche afrikanische und asiatische Länder haben ein Vielparteiensystem, in dem sich die Vielfalt der Meinungen widerspiegelt und das entsprechend den Vorteil der Vielfalt nutzen kann. Solche Systeme bringen einen größeren Prozentsatz der Bürger zur Wahl als das Zweiparteiensystem in den Vereinigten Staaten. Alle vier Jahre fordern die Amerikaner bei den Wahlen ein breiteres Parteienangebot, aber nur ein einziger Staat, Alaska, kann mit mehr als zwei Parteien aufwarten; interessanterweise gehört der Gouverneur von Alaska weder der Republikanischen noch der Demokratischen Partei an.
Die USA haben einen derartigen Bildungskomplex entwickelt, daß nahezu alles als Bildung durchgeht—kulturelle Bildung, Computerbildung, visuelle Bildung usw. unabhängig davon, ob Bildung wirklich gefragt ist oder nicht. Bildung hat sich gewissermaßen selbst spezialisiert. Hinzu treten neue Bildungsformen, die sich von den Idealen und Erwartungen der klassischen Bildung deutlich unterscheiden und sich in solchen Bereichen der Lebenspraxis herausgebildet haben, in denen Schreiben und Lesen nicht mehr erforderlich sind. Die sich darin abzeichnende Ausdrucksvielfalt und Bandbreite der Kommunikationsmöglichkeiten lassen die neuen Errungenschaften des Menschen erkennen und öffnen neue Wege für Kreativität und Wirtschaftskraft. Der Zustand der Sprache, besonders der Niedergang der Schriftkultur, ist zugleich ein Symptom für diesen neuen Entwicklungsprozeß. In ihm spiegelt sich keineswegs ein Versagen der Landespolitik oder des politischen Willens. Dieses Entwicklungsstadium verrät lediglich einen neuen, sich ständig weiterentwickelnden Geist, der sich nicht einer einzigen Bildungsform unterwerfen läßt, welche zudem in mancherlei Hinsicht ihre Nützlichkeit verloren hat. Möglicherweise hat Amerika erst mit diesem neuen Stadium seine eigentliche Reife gefunden. Nicht wenige sehen in der Krise der Sprache die Krise des weißen Mannes (siehe Gottfried Benn) oder doch zumindest der westlichen Kultur.
Ist also die USA das Sinnbild einer Kultur der Schriftlosigkeit, der Illiteralität? Sie ist es zumindest in dem Maße, in dem sie eine Alternative zu einer Welt darstellt, die ausschließlich durch traditionelle Bildung und Schriftkultur gekennzeichnet ist. Als Verkörperung einer Kultur jenseits der Schriftkultur hat Amerika gezeigt, wie verschiedene Bildungsformen nebeneinander bestehen und sich gegenseitig ergänzen können. Wo immer die Grundprinzipien der Anpassung, der Offenheit, der Erprobung und Überprüfung neuer Modelle und neuer pragmatisch ausgerichteter Institutionen verfolgt werden, ist das Ergebnis eine erhöhte Effizienz. Der Preis, den die Menschen für diese erhöhte Effizienz bezahlen müssen, ist nicht gering: Personalabbau, Arbeitsplatzwechsel und Entwurzelung, Arbeitslosigkeit, ein Verlust des Gefühls der Beständigkeit, nach dem sich letztlich ein jeder sehnt. Ebenso aufgegeben werden muß die Fähigkeit oder der Anspruch, alle in einer bestimmten Situation relevanten Aspekte überblicken und bedenken zu können—die politischen, ökologischen, sozialen, legalen und religiösen. Solche Aspekte gehen über das unmittelbar Erfahrbare hinaus und setzen an Stelle des spezialisierten, auf die eigentliche Aufgabe konzentrierten, bisweilen aber auch kurzsichtigen und engstirnigen Blicks einen breiten Blickwinkel voraus, den die alten Bildungs- und Ausbildungsformen ermöglichten. Andererseits sieht es ganz so aus, als hätten wir gar keine Alternative mehr. Und im großen und ganzen wird sich vermutlich niemand zurücksehnen nach einem Zustand, wie er vor 2000 Jahren herrschte.
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Personenregister
Aristoteles Buch II, Kapitel 5
Barnard, F. R. Buch IV, Kapitel 1
Barthes, R. Buch II, Kapitel 4; Buch IV, Kapitel 6
Barzun, J. Buch III, Kapitel 3
Baudrillard, J. EINLEITUNG
Bayer, H. Buch III, Kapitel 1
Beethoven, L. van Buch V, Kapitel 1
Bell, A. G. Buch I, Kapitel 2; Buch IV, Kapitel 5; NACHWORT
Benn, G. Buch I, Kapitel 2
Berlin, I. Buch IV, Kapitel 5
Bloom, A. Buch I, Kapitel 1
Brown, J. C. Buch I, Kapitel 2
Burgess, A. Buch II, Kapitel 4
Carpenter, E. Buch I, Kapitel 1
Childe, G. V. Buch II, Kapitel 4
Chomsky, N. Buch II, Kapitel 3; Buch III, Kapitel 2; Buch V, Kapitel
1
Chruschtschow, N. Buch IV, Kapitel 5
Clausewitz, Carl von Buch IV, Kapitel 6
Conway, J. H. Buch V, Kapitel 2
Cooper, P. Buch I, Kapitel 2
Darius Buch IV, Kapitel 6
Dawkins, R. Buch II, Kapitel 5
Descartes, R. Buch IV, Kapitel 3
Dewey, J. Buch I, Kapitel 2
Dijkstra, E. Buch III, Kapitel 2
Durkheim, E. Buch IV, Kapitel 3
Edison, T. A. Buch I, Kapitel 2; Buch IV, Kapitel 5
Einstein, A. Buch IV, Kapitel 3; Buch V, Kapitel 2
Emerson, R. W. Buch I, Kapitel 2
Engels, F. Buch IV, Kapitel 5
Enzensberger, H. M. EINLEITUNG; Buch I, Kapitel 1
Epaminondas von Theben Buch IV, Kapitel 6
Fabergé, P. C. Buch IV, Kapitel 4
Faulkner, W. Buch I, Kapitel 2
Feyerabend, P. K. Buch IV, Kapitel 3
Galileo Galilei Buch IV, Kapitel 3
George III. (König v. England) Buch I, Kapitel 2
George, H. Buch III, Kapitel 2
Gestetner, S. Buch IV, Kapitel 4
Grotius, H. Buch I, Kapitel 1
Gutenberg, J. Buch II, Kapitel 4
Guttman, A. Buch IV, Kapitel 2
Hasan, B. Buch IV, Kapitel 2
Hauben, M. Buch V, Kapitel 1
Hausdorf, F. Buch III, Kapitel 1
Hawthorne, N. Buch I, Kapitel 2
Hegel, G. W. F. Buch IV, Kapitel 3
Heidegger, M. Buch II, Kapitel 4
Hemingway, E. Buch I, Kapitel 2
Heuss, T. Buch IV, Kapitel 6
Hildegard von Bingen Buch II, Kapitel 4
Homer Buch V, Kapitel 2
Huxley, A. Buch IV, Kapitel 5
Illich, I. EINLEITUNG
Irving, W. Buch I, Kapitel 2
James, H. Buch I, Kapitel 2
Jefferson, T. Buch I, Kapitel 2
Jewtuschenkos, J. A. Buch IV, Kapitel 5
Kant, I. Buch IV, Kapitel 3
Kerkhove, D. de Buch II, Kapitel 4
Kluge, J. NACHWORT
Korzybski, A. Buch II, Kapitel 3
Krause, K. NACHWORT
Lakatos, I. Buch IV, Kapitel 3
Lakoff, G. EINLEITUNG
Lanier, J. Buch IV, Kapitel 1
Le Corbusier Buch IV, Kapitel 4
Leibniz, G. W. EINLEITUNG; Buch II, Kapitel 5; Buch IV, Kapitel 1;
Buch IV, Kapitel 3
Lenin, V. I. Buch IV, Kapitel 5
Leo der Weise Buch IV, Kapitel 6
Leonardo da Vinci Buch IV, Kapitel 1
Leonidas Buch IV, Kapitel 6
Lindendorf, E. Buch IV, Kapitel 6
Llul, R. Buch II, Kapitel 4
Locke, J. Buch II, Kapitel 5
Longfellow, H. W. Buch I, Kapitel 2
Lotman, J. M. EINLEITUNG
Lukrez Buch IV, Kapitel 3
Malthus, T. R. Buch I, Kapitel 1; Buch III, Kapitel 2
Marx, K. Buch IV, Kapitel 3; Buch IV, Kapitel 5
Maturana, H. R. EINLEITUNG; Buch V, Kapitel 1
Maurice (byzant. Herrscher) Buch IV, Kapitel 6
McLuhan, M. EINLEITUNG; Buch II, Kapitel 4
Moltke, H. von Buch IV, Kapitel 6
Neumann, J. von Buch IV, Kapitel 6
Newton, I. Buch IV, Kapitel 3
Octavian Buch IV, Kapitel 6
Orwell, G. Buch V, Kapitel 2
Otto, N. O. Buch IV, Kapitel 5
Peirce, C. S. EINLEITUNG; Buch I, Kapitel 2; Buch II, Kapitel 5;
Buch IV, Kapitel 3
Platon Buch II, Kapitel 2; Buch II, Kapitel 4; Buch IV, Kapitel 3
Postman, N. Buch I, Kapitel 2
Proust, M. Buch V, Kapitel 2
Pythagoras Buch III, Kapitel 3
Ramses II Buch IV, Kapitel 6
Reich, R. B. Buch III, Kapitel 1
Remington, F. Buch IV, Kapitel 4
Remond, N. de Buch IV, Kapitel 1
Rogers, W. Buch I, Kapitel 1
Royce, J. Buch I, Kapitel 2
Sanders, B. EINLEITUNG; Buch II, Kapitel 5
Schwartzkopf, N. Buch IV, Kapitel 6
Searle, J. Buch I, Kapitel 1
Shakespeare, W. Buch IV, Kapitel 4; Buch V, Kapitel 2
Smith, J. Buch I, Kapitel 2
Snow, C. P. EINLEITUNG
Sokrates Buch I, Kapitel 2; Buch II, Kapitel 4; Buch IV, Kapitel 3
Spencer, H. Buch IV, Kapitel 3
Steiner, G. EINLEITUNG; Buch I, Kapitel 1; Buch V, Kapitel 2
Sterne, L. Buch IV, Kapitel 3
Tesla, N. Buch IV, Kapitel 5
Tiffany, L. C. Buch IV, Kapitel 4
Toqueville, A. de Buch I, Kapitel 2
Toulouse-Lautrec, H. Buch III, Kapitel 1
Turing, A. M. Buch IV, Kapitel 6
Twain, M. Buch I, Kapitel 1
Tzu, S. Buch IV, Kapitel 6
Van Gogh, V. Buch V, Kapitel 2
Vitruvius Buch IV, Kapitel 4; Buch V, Kapitel 2
Wiener, N. Buch I, Kapitel 1
Winograd, T. EINLEITUNG
Wittgenstein, L. Buch II, Kapitel 3; Buch II, Kapitel 5; Buch IV,
Kapitel 3
Zadeh, L. EINLEITUNG
Über den Autor
MIHAI NADIN, geboren 1938 in Brasov (Kronstadt), doppelt promoviert—in Ästhetik und Computerwissenschaften—und zweifach habilitiert—für Ästhetik in Bukarest, für Philosophie, Logik und Wissenschaftstheorie an der Universität München mit einer Arbeit über die Grundlagen der Semiotik—, lehrte seit 1977 u. a. in Braunschweig, München, Essen, Providence (RI), Rochester (NY), Columbus (OH) und New York. Seit 1994 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Computational Design an der Universität-Gesamthochschule Wuppertal. Seine 18 Buchveröffentlichungen und mehr als 140 Aufsätze, CD-ROM- und Internet-Publikationen weisen ihn als einen der weltweit führenden Autoren aus, die die gegenwärtige wissenschaftlich-technologische Revolution und die damit eröffneten Möglichkeiten von Kommunikation und Wissensproduktion sowohl theoretisch reflektieren als auch in der Praxis vorantreiben.
End of Jenseits der Schriftkultur
(C)1999 by Mihai Nadin
End of Project Gutenberg's Jenseits der Schriftkultur - Band 1, by Mihai Nadin