The Project Gutenberg eBook of Reise eines Erdbewohners in den Mars This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Reise eines Erdbewohners in den Mars Author: Carl Ignaz Geiger Release date: December 6, 2014 [eBook #47547] Language: German Credits: Produced by Jens Sadowski, based on page scans provided by The Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK REISE EINES ERDBEWOHNERS IN DEN MARS *** Produced by Jens Sadowski, based on page scans provided by The Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt Reise eines Erdbewohners in den Mars -- -- Pictoribus atque Poetis Quodlibet audendi semper fuit æqua potestas. HORAT. Philadelphia, 1790 Inspicere tamquam in speculum -- -- -- -- -- suadeo TERENT. Lange sah ich aus einem fremden Welttheile mit Aergerniß dem kindischen Spiele zu, das Europa, in unserem tändlenden Jahrhunderte, mit Luftballen und Luftschiffen trieb; und lachte über das wichtige Ansehn, das man sich dabei gab, und über das Zettergeschrei, das man als über eine nützliche und wichtige Erfindung erhob: ohngeachtet die Sache an sich nichts mehr und nichts weniger ist, als was uns die Kinder alle Tage mit ihren Saifenblasen und ihren papiernen Drachen sehen lassen, die hoch in der Luft fliegen, wohin sie der Wind treibt; nur mit dem Unterschiede, daß unsere Luftschiffe mit buntem Taffet überzogen, und mit zierlichen Fränzchen verbrämt sind, und darin ein französischer Windbeutel sitzt, luftig genug, um von der Luft getragen zu werden. Mehr noch lachte ich, als ich darüber in meinen Büchern nachschlug, und in ^Sturmii colleg. curios.^ fand, daß bereits im Jahre 1670 ein Jesuite in China, P. Lana, und ein gewisser P. Bartholomeo in Spanien, die Kunst in der Luft zu schiffen ans Licht gebracht, und daß ersterer sogar ein Werk unter dem Titel: ^Prodromo della arte maestra^, über diese Kunst, und über die Einrichtung dieser Maschinen herausgegeben habe, worin er bewieß, wie man ein Schiff in der Luft steuern und lenken könnte, wohin man wollte. Abermal -- sagt' ich -- eine Erfindung aus dem Alterthume, die unser pralerisches Jahrhundert als seine eigene ausgiebt, und auch diese noch dazu verstümmelt! Ich dachte indeß der Erfindung des P. Lana nach, und sann auf Mittel, sie ausführbar zu machen. Ich zog darüber andere Gelehrte zu Rathe, verschrieb sogar derer aus entfernten Ländern, und da mir das Glück beträchtliche Reichthümer beschert hatte: so sparte ich keine Kosten, meinen Zweck zu erreichen. Es gelang uns. Mein Muth wuchs dadurch. Ich verfiel nun darauf, daß es auch nicht unmöglich seye, eine Reise ausser unserm Planeten zu machen, und beschloß ein- für allemal, den Versuch zu wagen: denn in dem Unsrigen schien mir überdieß alles, durch die vielen Reisenden und Reisebeschreibungen zu Wasser und zu Lande, so ganz erschöpft, daß nicht ein Plätzchen handgros mehr übrig blieb, wovon sich noch was hätte sagen lassen, das nicht schon hundertmal satirisch, moralisch, politisch, geographisch, historisch, statistisch &c. &c. gesagt worden wäre. Da nun aber die größte Schwierigkeit, die, wie man bisher glaubte, die Reise nach einem fremden Planeten unmöglich macht, darin besteht, daß wir, aus Mangel an Luft, uns nicht ausser unserer Athmosphäre empor schwingen können: so hatt' ich, mit Hülfe meiner Gelehrten, Mittel erfunden, wodurch das Schiff mit einem solchen Vorrathe von Luft versehen werden konnte, daß wir damit gar leichtlich in den oberen Regionen auszureichen im Stande waren. Wie dieß geschah -- und wie überhaupt das Schiff, das ich dazu errichten ließ, gebaut war: hievon werd' ich noch einen besonderen Abriß, samt der weitläufigen Beschreibung, veranstalten; um nicht, wie irgend ein teutscher Reisebeschreiber, durch die Beschreibung meines Fahrzeuges, beinahe den halben Raum meines Buches auszufüllen. Da ich irgendwo gelesen hatte, daß ein gar gelehrter Mann in Preussen hinten an seinen Reisewagen einen Meilenmesser hatte anbringen lassen, so ließ ich nicht minder so ein Ding an den Schwanz meines Luftschiffes befestigen: und nachdem mir ein großer Astrologe die ^Videnda^ im Monde und in der Venus in meine Schreibtafel notirt hatte, so trat ich mit meinem ältesten Sohne, einem Paare geschickter Naturkundiger -- die hier die Luftsteuermänner waren -- und einigen Ruderknechten, im Zutrauen auf Gott, mutig und getrost meine Reise an; eine Reise, die dem Publikum vielleicht unglaublich scheinen dürfte, weil sie ihm noch unbekannt seyn wird; welches aber davon kömmt: daß wir in meinem Welttheile weniger öffentliche Neuigkeitstrompeter, als in Europa, haben, und ich nicht vor der Zeit ein Geschrei davon -- wie die Europäer von ihrem Luftballen -- mit vollen Pausbacken in die Welt erheben wollte. Wir waren, nach unserm Meilenmesser, etwa eine teutsche Meile weit über die Oberfläche der Erde empor gekommen, als unsere Steuermänner, von unserem Luftvorrathe Gebrauch zu machen, für nöthig fanden: welches sie auch mit so viel Vorsicht und Geschicklichkeit thaten, daß wir die Verschiedenheit der Sphäre, worin wir schwebten, kaum empfanden, und daß unser Schiff mit einer bewundernswürdigen Schnelligkeit stäts weiter und weiter sich himmelan hob. Zum Unglücke zerbrach durch das Versehen eines unserer Ruderknechte der Meilenmesser; und ich kann daher die geometrische Länge des Raumes, den wir durchschifften, unmöglich bestimmen. Nur so viel weis ich noch, daß unsern Steuermännern bereits wegen des Luftvorraths bange zu werden anfing: als wir bemerkten, daß sich uns ein neuer Luftkreis öfnete, der den Vorrath der Unsrigen unnöthig machte. Bald darauf schrien unsere Leute: Land! Land! und wir wurden mit Erstaunen eine Art von Terrain, wie dieses auf unserm Planeten gewahr, das sich immer weiter und weiter ausdehnte, und uns endlich rings umgab. Mit einem Worte: wir befanden uns -- im Mars! Wir sahen itzt Wälder und Flüsse und Berge und Städte. Aber die letzteren waren sehr verschieden von den Unsrigen. Die Häuser waren nicht von Stein, sondern von einer weit leichteren, aber eben so festen Masse erbaut, die der dasige Boden, wie der Unsrige die Steine, hervorbringt. Was uns dabei von ferne am meisten frappirte, war, daß wir verschiedene Häuser sich von der Stelle bewegen, und ziemlich geschwinde fortwandeln sahen. Es hat damit folgende Beschaffenheit: Die Häuser sind klein, niedrig, selten höher als ein Stockwerk, länger als breit, und alle auf einer Art von Walzen so künstlich gebaut, daß man sie besonders auf einem Boden, wie dieser, der gar nicht steinigt und sehr flach ist -- leichtlich von einem Orte zum andern bewegen kann. Daher dann die Vornehmern öfters in ihren Häusern nicht allein spatzieren fahren, sondern auch wohl gar kleine Reisen machen, wozu man dort eine Art von Thieren gebraucht, die unsern Kamelen viel gleichen, ausgenommen, daß sie nicht den hohen Rücken derselben haben. Diesen Thieren ist eine außerordentliche Stärke und Schnelligkeit eigen: ihrer zwei ziehen ein mittelmäßiges Haus gemächlich fort, und laufen damit des Tages 12, 15 Stunden. Nur die Ersten und Reichsten des Landes lassen derer vier, sechs oder acht vor ihre Häuser spannen; der Regent aber, oder, wie er in der Sprache des Landes heist, der #Hochgewaltige# allein fährt -- mit vier und zwanzigen! Geht er aus, so wird nach der Sitte des Landes der ganze Weg, den er wandelt, mit Menschen belegt, auf deren Rücken er einhertrit; ein Gebrauch, den aber der itzige Regent sich verbeten hatte. Die Beweglichkeit der Häuser verschaft den Inwohnern die Vortheile, daß sie ihren Wohnort nach Belieben sehr leicht verändern können. Manche Stadt wächst daher oft plötzlich zu der größten des Landes an, und ist dann wieder auf einmal die kleinste; und auf manchen Stellen, wo keine Hütte stand, sieht man itzt in einem Nu Städte hervorgehn. Allein auf einer anderen Seite ist die Sache auch nicht ohne Ungemach. Es wird nemlich für Schande gehalten, sich ohne sein Haus irgend wohin zu begeben, das ist, zu Fuße zu gehn; weil dieß gewöhnlich nur solche Leute thun, die keine eignen Häuser besitzen, welches in #Papaguan# -- so heist dies Land -- nicht wenig entehret. Bei unserer Ankunft hatte sich sogleich eine sehr große Menge von Menschen um uns her versammelt, welche das sichtbarlichste Erstaunen über eine so wunderbare Erscheinung an den Tag gaben. Bald sahen wir uns von einer ungeheuren Schaar umringt, wovon uns viele betasteten, befühlten, unser Schiff untersuchten, und durch Worte, die wir nicht verstanden, dann durch Zeichen und Gebärden, Aufklärung über uns und unsere Herkunft von uns zu erforschen bemüht waren. Der Ruf von der seltsamen Erscheinung drang bis zu dem Hochgewaltigen. Er schickte eine Gesandschaft an uns ab; und da ihm gesagt worden war, daß wir eine Sprache sprächen, die niemand verstünde, so hatte er die Vorsicht gebraucht, drei der gelehrtesten Priester zu diesem Amte zu wählen, die den Ruhm behaupteten, daß sie allein jede Sprache verstünden, die außer ihnen niemand verstehe -- Das Volk zertheilte sich ehrerbietig, als sie auf uns zukamen, und wir schlossen daraus auf ihre Würde und die Art ihres Geschäftes. Wir empfingen sie demnach mit aller Höflichkeit und Ehrerbietung, und nachdem sie uns in mehrern Sprachen angeredet hatten, die uns alle gleich unverständlich waren, glückte es einem, sich in einem Mischmasch verständlich zu machen, das meist aus korruptem Latein bestand, und auf diesem Planeten, wie wir nachher bemerkten, unter die galanten Sprachen gehörte. Er erklärte uns den Auftrag seines Fürsten, und ich sagte ihm dagegen, daß wir aus einem fremden Planeten kämen; und daß uns ganz allein die Begierde hieher geführt habe, unsere Kenntnisse zu erweitern. -- Wie? was? aus einem fremden Planeten -- schrien sie alle ganz erstaunt: -- giebt es denn auch noch eine Welt außer der Unsrigen? einen Planeten, der bewohnt wird, außer dem Unsrigen? -- Ich nahm meinen Beweiß davon her, weil wir selber Bewohner dieser fremden Planeten wären. Allein ich hatte Mühe, sie von der Wahrheit dessen und von der Art zu überreden, wie wir hieher gekommen waren. Waren sie erstaunt über einen fremden bewohnten Planeten: so waren sie es itzt nicht weniger über unsere Erfindungskraft, unsern Muth und unsere Wißbegierde, die uns zu diesem tiefgedachten, gefahrvollen Unternehmen veranlassen konnten. Der Vornehmste darunter führte uns in sein Haus, und bat uns hier zu verziehen: indeß er mit den übrigen hinging, dem Hochgewaltigen von dem, was er gehört hatte, Bericht zu geben. Er kam lange darnach wieder, und sagte uns, daß der Hochgewaltige morgen nach dem Aufstehen uns zu sprechen verlange. Hierauf war er so gefällig, und erbot sich, uns das Merkwürdigste des Ortes zu zeigen. Wir nahmen das Anerbieten mit Dank an, und er führte uns in den Tempel. Es war ein weites, längliches Rondel; rings umher waren Opferaltäre. Wir fragten, wem hier geopfert würde? #Der Priester.# Dem Herrn der Heerschaaren, dem Wesen aller Wesen, dem Schöpfer des Himmels und der Welt. #Wir.# Was opfern Sie ihm? #Priester.# Ihn selbst! Wir stutzten. »Sie müssen wissen -- sprach der Mann, mit Stolz und Feuer -- daß wir, die Priester dieses Gottes -- die Gewalt besitzen, unsern Gott, wann es uns beliebt, vom Himmel herab zu bannen.« Wir erschraken! #Ich.# Aber wie opfern Sie ihn dann? #Er.# Wir essen ihn Wir sahen uns an, und wußten nicht, ob wir über die Raserei lachen, oder über die Vermessenheit zürnen sollten. Ist dieß möglich? riefen wir alle voll Erstaunen: also ist Ihr Gott ein körperliches Wesen? #Er.# Er war es ehemals, als er auf unsere Welt kam, und wird es auf unser Gebot wieder, so oft wir ihn opfern. #Ich.# Folglich ist er auch sichtbar? und wie zeigt er sich denn? #Er.# Er ist weder sichtbar, noch zeigt er sich. #Ich.# Und doch essen Sie ihn? und doch ist er in dem Augenblick ein körperliches Wesen? Erlauben Sie uns, zu fragen: wie sich dieß vereinbaren läßt, und woher Sie wissen, daß Sie etwas essen, das nicht sichtbarlich ist, und sich keinem Ihrer Sinne zeigt? #Er, mit einem feierlichen Anstande.# Meine Herren! dieß sind heilige Geheimnisse unserer Religion, woran ein Mensch nicht zweifeln darf, wenn er nicht die Rache seines Gottes über sein Haupt laden will. Die Religion befiehlt, zu glauben -- und dieß ist der zureichende Grund, gegen den die Vernunft sich zu empören nicht wagen darf. #Ich.# Verrichten Sie dieß Opfer öfter im Jahre? und welche sind diese Feste? #Er.# Jeder von uns an jedem Orte, so weit unsere heil. Religion reicht, verrichtet es gewöhnlich alle Tage einmal. #Ich, ganz erstaunt.# Jeder alle Tage einmal! Ihr Gott muß also sein körperliches Wesen jeden Augenblick mehr als tausendmal vervielfältigen, um beständig Ihrem Gebote gehorsam, an mehr als tausend Orten, zu gleicher Zeit hernieder zu kommen? Wie ist dieß möglich? #Er.# Dieß ist eben das große Wunder, das unbegreifliche Geheimniß unserer heil. Religion. #Ich.# Man muß wenigstens gestehen, daß ihr Gott ausserordentlich gefällig und herablassend ist -- Aber Sie sagten auch vorhin, daß er ehemals auf Ihrer Welt körperlich herum gewandelt sei. Hat ihn jemand unter Ihnen gekannt? #Er.# Bewahre! Es sind seither schon mehr als fünfhundert Jahre[1] verflossen: so alt wird bei uns niemand. #Ich.# Woher wissen Sie's dann also? #Er.# Verschiedene seiner Freunde, die mit ihm zu gleicher Zeit lebten, haben uns die Zeugnisse davon in einem großen Buche hinterlassen, worin sie seine Thaten und Reden hienieden aufzeichneten, und wovon das geringste zu bezweiflen, Sünde wäre -- in einem Buche, dessen Ansehn und Glaubwürdigkeit göttlich, d. h. untrüglich ist, und welches wir, in zweifelhaften Fällen, auszulegen alleine Macht von Gott haben. [Fußnote 1: Ein Jahr im Mars macht 3½ Jahre der Unsrigen.] #Ich.# Allen Respekt vor diesem Buche, das Freunde schrieben -- und Priester auslegen -- Aber wie kam dann Ihr Gott auf Ihre Welt? #Er.# Er ward durch eine Jungfrau, gemeinen Standes, geboren, die versicherte: daß er nicht von einem Manne, sondern von der Kraft des Himmels in ihr gezeugt worden war, und daß ein Engel in der Abenddämmerung ihr es vorher verkündigt, worauf sie gleich empfangen habe; und zwar ohne Verletzung ihrer Jungferschaft: und eben so unverletzt gebar sie! #Ich.# Sonderbar! also nicht durch den natürlichen Weg? #Er.# Wie anders? Vielleicht, dacht' ich, ist hier das weibliche Geschlecht anders, als bei uns, beschaffen. Da ich aber meine Neugierde darüber nicht geradezu äußern wollte: so fragt' ich durch Umwege. #Ich.# Aber sagen Sie uns doch zur Güte, wie haben wir dies zu verstehen: durch Kraft des Himmels empfangen, und ohne Verletzung der Jungfrauschaft gebären? #Er, mit einer andächtigen Zuckung.# Das ist eben wieder das heilige, unerforschliche Geheimniß, vor dem wir unsere schwache Vernunft tief beugen müssen. #Ich.# Woher wußte man aber dann, daß alles, was diese gemeine Weibsperson sagte, so pünktlich wahr sei? War etwa die Erscheinung und die Verkündung des Engels von Zeugen gesehn und gehört -- war die Jungfrauschaft nach der Geburt untersucht worden?? #Er, hitzig mit rollendem Auge.# Gott bewahre! was denken Sie? Aber der Herr mag Ihrer Unwissenheit vergeben: sonst würden Sie schwere Verantwortung über das schändliche Mißtrauen und über die Unehrerbietigkeit zu geben haben, die Sie gegen seine göttliche Mutter bezeigen. Ich entschuldigte mich mit meiner unschuldigen Absicht und meiner Unwissenheit, und fuhr fort: Was machte dann Ihr Gott auf Ihrer Welt? und was bewog ihn, auf so sonderbare Weise sich einzustellen? #Er.# Das Selenheil aller Menschen! #Ich.# So verwundre ich mich, daß er nicht auch auf unsern Planeten kam: da wir doch auch Menschen sind. Aber ich bitte, mir dies etwas deutlicher zu machen. #Er, indem er die Augbraunen hoch aufzog, und einen frommen Blick daraus gen Himmel schoß.# Gott war wegen der Sünde eines Menschen, des Stammvaters, gegen das ganze Geschlecht aller Nachkommen so sehr ergrimmt: daß er sie alle ewig zu verderben drohte. #Ich.# Schröcklich! ist dann Ihr Gott nicht gerecht, nicht barmherzig? #Er.# Wer zweifelt? #Ich.# Und er konnte doch so rachgierig gegen eine ganze unschuldige Nachkommenschaft seyn, die für die Schwachheit ihres Stammvaters nicht das Geringste konnte? #Er, ernsthaft und mit verbissenem Zorne.# Die Rathschlüsse Gottes, mein Herr! sind unerforschlich; und es kömmt uns kurzsichtigen Menschen nicht zu, darüber zu richten. -- Kurz; der Sohn Gottes übernahm es daher -- #Ich.# Ihr habt also mehrere Götter? #Er.# Keineswegs; sie sind eins. #Ich.# Aber der Vater kann ja unmöglich der Sohn, und der Sohn unmöglich der Vater sein! #Er.# Das sind wieder Geheimnisse unserer heil. Religion, die der schwache Menschenverstand nicht ergründet. Der Sohn Gottes, sag ich, übernahm es daher, den Vater zu versöhnen. #Ich.# Das war schön von Eurem Sohne Gottes. Aber warum kam er deswegen auf Eure Welt? War dann der Vater, den er versöhnen wollte, nicht im Himmel? #Er.# Wohl, da war er. Aber die Versöhnung mußte hienieden vollbracht werden, und zwar -- so war es von Gott beschlossen -- durch den grausamsten Tod seines Sohnes! #Wir alle voll Entsetzen.# Wie? Was? #Er.# Nicht anders! Und dessen allen ohngeachtet -- so gros ist noch der Zorn des beleidigten Gottes -- würde Er uns doch alle ewig verderben; wenn man uns nicht nach unserer Geburt die Köpfe, unter gewissen Cärimonien, mit Wasser wüsche; wodurch die Schuld der Sünde vollends von uns abgespült wird. #Wir, ausser uns.# Wie? Euer Gott konnte den Tod seines Sohnes wollen -- um für ein unschuldiges Geschlecht versöhnt zu werden? wollte dies Geschlecht ewig verderben: wenn nicht sein Sohn den grausamsten Tod für selbes stärbe? wäre damit noch nicht zufrieden: wenn man nicht eines jeden Kopf nach der Geburt mit Wasser wüsche? -- Und Ihr könnt dieß sagen, und fühlt nicht, daß Ihr die plumpsten, abgeschmaktesten Lügen sprecht, und ihn zum eigensinnigsten, boshaftesten Tyrannen macht? Oder wer anders, als ein Tyrann, kann den Tod seines Sohnes, als ein Opfer verlangen, um seine Rache gegen arme unschuldige Menschen zu sättigen? Wer anders, als ein Tyrann kann mit solcher Rachsucht eine ganz unschuldige Nachkommenschaft für das Vergehen eines Einzigen verfolgen, woran sie keine Schuld haben?? -- Wir hatten in der Hitze, über die allzugroben Beleidigungen der gesunden Vernunft, nicht bemerkt, daß unser Mann, während unserer Rede, in eine Art von konvulsivischer Bewegung gerieth. Seine Muskeln schwollen, sein Gesicht war aufgetrieben, und seine Augen flammten, und rollten fürchterlich umher. Er schnaubte vor Wuth, eilte schnaubend nach der Thüre, und rief unter das Volk, das sich, um uns zu sehen, versammelt hatte: »Ketzer! Tempelschänder! Gotteslästerer! ergreift sie! werft sie heraus! steiniget sie!« Das Volk drang hierauf mit wildem Getöse, wie ein reissender Strom, in die Kirche, ergriff uns, und schleppte uns, auf Befehl des Priesters, mit sich fort. Der Zusammenlauf war erstaunlich. Wir wurden gemißhandelt, mit Steinen geworfen, und, unter dieser Begleitung, in einen Thurm gebracht, worinn man uns tief unter der Erde in stinkende, feuchte Gewölber sperrte. Hier hatten wir nun Zeit, Ueberlegungen anzustellen, über das, was vorgefallen war. Wir fanden in allem, was uns der Pfaffe gesagt hatte, nichts, als die gröbsten Widersprüche und den plumpsten Unsinn, den er allemal unter dem Namen: Religionsgeheimnisse, versteckte. Wir konnten daher nicht begreifen, wie man all dies Gespinnste eines verrückten Gehirns für so heilig und ehrwürdig halten konnte, daß man Fremden, die es nicht dafür hielten, mit dieser Raserei und Grausamkeit zu begegnen, fähig war; und unser Resultat war: daß wir im Lande der Verrückten wären. -- Die Nacht schien uns in unserem scheußlichen Aufenthalt eine Ewigkeit. Schlaflos brachten wir sie in banger Erwartung dahin. Hundertmal verfluchten wir den unglücklichen Gedanken, nach einem fremden Planeten zu reisen. Der Morgen kam endlich, und wir wurden abgeholt, und in die Residenz des Hochgewaltigen geführt, weil dieser ausdrücklich verlangt hatte, selbst bei der Untersuchung gegenwärtig zu sein. Hier wurden wir in einen großen Saal gebracht. Eine Schaar von Pfaffen war darinn um einen Tisch versammelt, an welchem der Hochgewaltige obenan saß. Der Pfaffe, der uns hatte ergreifen lassen, brachte seine Klage gegen uns in der Sprache an, die er mit uns gesprochen hatte. Er beschuldigte uns: daß wir Gott geläugnet, und ihn mit den abscheulichsten Ausdrücken gelästert hätten, die er zu wiederholen sich fürchte. Er sagte, wir wären Abgesandte des Teufels, die durch teuflische Gewalt hieher gekommen wären, um teuflisches Gift auszubreiten; und schloß mit dem Beweise, daß wir alle schuldig wären, ohne Barmherzigkeit lebendig verbrannt zu werden! dies sei das einzige Opfer, wodurch die erzürnte Gottheit für ihre gelästerte Majestät und ihren geschändeten Tempel besänftiget werden könne. Er drohte mit den fürchterlichsten Strafen: wenn dies nicht geschähe. Alle übrigen stimmten mit Hitze ihm bei, und schwuren, daß wir des Feuers schuldig wären! Ich zitterte bei diesen Worten am ganzen Leibe, und wenig hatte gefehlt, daß ich umgesunken wäre. Ich sah uns alle schon in den helllichten Flammen, als der Hochgewaltige anhub: »Es ist billig meine Herren! daß wir diese Fremdlinge hören, ehe wir sie verdammen.« Er gebot uns hierauf zu sagen, wer und woher wir wären, wie und warum wir hieher kämen? Ich bekam dadurch wieder etwas Muth, und begann meine Rede, worinn ich ihm sagte: daß wir angesehene Männer von gutem Stande aus einem fremden Planeten wären, den man Erde hieße, daß wir die Ersten auf unserer Welt die Erfindung gemacht, und ins Werk gesetzt hätten, in fremde Planeten zu reisen; ich gab ihm, so viel möglich, Begriffe von dieser Erfindung, und sagte, daß die Begierde, Entdeckungen zu machen, neue nützliche Kenntnisse für uns, unser Vaterland, und unsere Nachkommen zu sammeln, uns veranlaßt hätte, von dieser Erfindung Gebrauch zu machen. Ich kam nun auf den streitigen Punkt, und erzählte ihm, wie uns der Priester gesagt habe: daß Leute seines Standes Gott vom Himmel herab zu beschwören Macht haben, daß sie Gott selbst ihrem Gotte opfern, und -- ihn essen, ohne daß er sich ihnen auf irgend eine Art zeigt; daß er der Sohn einer Weibsperson sei, die mit ihm, ohne Zuthun eines Mannes, durch himmlische Kraft schwanger geworden; daß er darum auf diese Weise in die Welt gekommen sei, um seinen himmlischen Vater -- der doch mit dem Sohne eins wäre -- mit dem unschuldigen Menschengeschlechte hienieden, für die Sünde des Stammvaters auszusöhnen; daß der himmlische Vater sich nicht anders habe wollen besänftigen lassen, als dadurch, daß sein Sohn den grausamsten Tod für dieses Geschlecht starb; und dem ohngeachtet sei noch der Zorn des väterlichen Gottes so gros, daß auch dieser Tod das unschuldige Menschengeschlecht nicht retten würde, wofern nicht jedem nach seiner Geburt der Kopf, unter gewissen Cärimonien, mit Wasser abgewaschen würde; daß wir dies alles für unwahr und der Gottheit für nachtheilig, für gotteslästerlich gehalten und erklärt hätten; daß wir viel zu hohe, ehrerbietige Begriffe von Gott hätten, um zuzugeben, daß er solch eines boshaften Eigensinns und solcher Rache, wofür wirs in unserer Unwissenheit gehalten hätten, gegen ein ganzes unschuldiges Geschlecht und gegen seinen eigenen Sohn fähig seyn könne; daß wir aber sehr gerne bereit wären, unsere Meinung zurück zu nehmen, wenn dies, was uns der Priester gesagt, wirklich wahr sei; daß wir uns nicht für verbunden gehalten hätten, Dinge, die bei uns so ganz der Vernunft gerade entgegen liefen, auf das Zeugnis eines andern zu glauben; daß man uns übrigens unsre Unwissenheit, die dabei sei, als Fremden zu gute halten müsse; daß wir nie so etwas würden gesagt haben, wenn wir von der Warheit des Gegensatzes wären genugsam belehrt gewesen; weswegen ich den Hochgewaltigen und die Priester sehr beweglich um Vergebung bat. -- Itzt entstand unter den Pfaffen ein lautes Gemurmel, mit zürnenden Blicken auf uns begleitet. Aber der Hochgewaltige nahm das Wort, und sagte: »Diese Fremden sind unschuldig! Was sie gesagt haben, sagten sie aus Unwissenheit, und der Unwissende kann nicht sündigen. Ihr seid frei -- fuhr er zu uns fort -- aber hütet Euch, das Geringste von den Gegenständen unserer Religion ferner zu berühren.« Wie süß klang dies unsern Ohren! Aber der Fürst hatte es nicht sobald gesprochen, als alle Pfaffen zugleich auffuhren. Sie riefen ihren Gott zum Rächer unserer Frevelthaten, fluchten uns, und drohten die schröcklichsten Strafen Gottes dem Lande und dem Fürsten, der solche Bösewichte, wie wir, schütze. Und in dem Augenblicke verließen sie alle den Saal, liefen unter das versammelte Volk, streuten die Funken des Aufruhrs unter sie, und feuerten sie an, ihrem Gott und der heil. Religion an uns ein Opfer zu bringen, wenn sie nicht wollten, daß Gott das ganze Land züchtige, worinn solche Gottlosigkeit ungestraft verübt werden könne. Sogleich brannte unter dem schon gährenden Volke die helle Flamme des Aufruhrs. Mit wildem fürchterlichen Geschrei forderten sie, daß uns der Fürst ihrer Rache überliefern sollte. Dieser hatte nicht sobald den Lärmen gehört, als er uns sogleich einige sicher gelegene Zimmer in seinem Schlosse zu unserm Aufenthalt anzuweisen befahl, wo wir indeß unserer Gemächlichkeit pflegen, und mit allen Bedürfnissen sollten versehen werden. »Es ist eine Art von Vergütung,« setzte dieser vortrefliche Fürst hinzu: »die ich Ihnen für das in meinem Lande erlittene Unrecht und für Ihre große, rühmliche Erfindung schuldig zu sein glaube. Ich hoffe, daß Sie mir die Gelegenheit sobald nicht entziehen werden, Ihnen zu zeigen, daß ich auch fremdes Verdienst zu schätzen wisse.« Zugleich gab er einem seiner Hofschranzen Ordre, daß er die wahre Beschaffenheit der Sache dem Volke kund thun, und, wenn sich dasselbe nicht beruhigen würde, die Häupter des Aufruhrs ergreifen, und in die tiefsten Gefängnisse werfen lassen sollte. »Wollte Gott!« setzte er hinzu: »dies wäre der schlimmste und gefährlichste Handel, den mir meine Pfaffen in meinem Lande angerichtet haben.« Wir beurlaubten uns mit gerührtem Herzen, und mit den Ausdrücken der innigsten Dankbarkeit und Verehrung, indem wir zugleich baten, daß er doch auch für die Sicherheit unseres Luftschiffes und unserer Ruderknechte Masregeln treffen mögte, welches er uns auf die liebreichste Weise versicherte, und nachher auch hielt. Wir wurden indeß in unsern Zimmern auf das Prächtigste und Beste bewirthet. Der Wohlgeschmack der Speisen und die Köstlichkeit des Getränkes, womit wir bedient wurden, ist allem weit vorzuziehen[2], was ich auf Erden je genossen habe. Wir ließens uns den Rest des Tages hindurch so wohl schmäcken, daß wir der Gefahr, die uns drohte, gänzlich vergasen. Der Fürst ließ uns auch, zu unserer Beruhigung, sagen, daß wir nichts mehr fürchten mögten, und daß das Ungewitter sich bereits völlig vorbei gezogen habe. -- Ich sollte hier vielleicht Zimmer und Betten und jedes einzelne Stück von Möbeln und Moden und Putz beschreiben, und den Unterschied und die Aehnlichkeit von dem und jenem, zwischen diesem und unserm Planeten anführen; allein da ich nicht für unsere üppigen, modernen Dratpüppchen, weder männlichen noch weiblichen Geschlechts, sondern für Denker schreibe, und mir all dies Zeug von Herzen zuwider ist; so wird man hier dergleichen vergebens suchen; und sollte nun auch gleich ein Solcher, oder eine Solche, die hier so was zu finden glaubten, mein Büchlein voll Verdruß aus den Händen werfen, und schnarren: »^Voilà, qui manque de bon sens!^« -- [Fußnote 2: Man erinnere sich, daß ein Mann spricht, der seine ganze Lebenszeit entweder auf dem Meere, oder in einem entfernten, wenig kultivirten Welttheile, ausser dem Umgange mit den verfeinerten Menschen, zugebracht hat; der zwar ein gutes Herz, einen hellen Kopf und viele Liebe zu den Wissenschaften hat, aber bei all dem _roher Naturmensch_ ist, wie seine Herren Reisegefährten. Wäre der Mann in Frankreich gewesen, hätte ihre Ragouts, ihre Fricassees, ihre Saucen &c. gekostet, er würde diese Sprache gewiß nicht führen. Das ließen sich unsere französischen Köche nicht nachsagen. A. d. V.] Doch zur Sache zurücke. Des andern Morgens kam ein Bedienter, der uns im Namen des Hochgewaltigen zur Mittagstafel lud. Wir erschienen, und trafen daselbst eine große Gesellschaft von Adel, die theils von Neugierde aus der Gegend herbei geführt, theils von dem Hochgewaltigen gebeten worden waren. Die Tafel war niedlich und mit Geschmack, aber nicht üppig, noch überflüßig bestellt. Das Sonderbarste dabei schien uns, daß die Gerichte nicht aufgetragen wurden, sondern, daß die Tafel -- nach dasiger Gewohnheit -- mit allen Gerichten zumal durch Federkraft sich aus dem Boden hob, und eben so wieder versank, indem die zweite Tracht empor stieg, u. s. w. Man war dadurch von der oft lästigen Gegenwart der Bedienten befreit, die selten ab- und zu giengen. Die schönste Zierde der Tafel war eine gesegnete, liebenswürdige Familie -- zehn Kinder, Söhne und Töchter, alle blühend und schön und eine eben so schöne, vortrefliche Mutter! Die ganze Gesellschaft behandelte uns wie ihres Gleichen, und als ob wir schon lange unter ihnen wären, und ihnen angehörten. Jene frostige Steifigkeit, die an europäischen Höfen herrscht, schien hier gar nicht bekannt zu sein. Selbst die Bedienten wurden nicht, nach europäischer Sitte, wie die abgerichteten Hunde exerzirt. Man sprach zu ihnen mit Güte und Sanftmuth; sie sprachen selbst mit in die Gespräche der Gesellschaft, und was man von ihnen verlangte, geschah mehr im bittenden Tone, als im barschen befehlenden Tone der Europäer. Ich mußte viel von unseren Sitten und unsern Gewohnheiten erzählen, und sie belustigten sich nicht wenig über unsere sogenannte Hofetiquette und die steife Feierlichkeit unserer Höfe. Als wir von der Tafel aufgestanden waren, und sich die Gäste bereits entfernt hatten, bezeugten wir dem Fürsten unsern Dank für seine Gastfreiheit, und sagten, daß wir es für Misbrauch seiner Gnade hielten, länger zu bleiben, und daß wir uns etwas weiter auf dem Planeten umsehen wollten. »Daraus wird so geschwinde noch nichts,« fiel er ein: »Ich hoffe doch -- fuhr er lächelnd fort -- daß meine Pfaffen Ihnen nicht werden so bange gemacht haben, daß Sie nicht länger in meinem Lande bleiben wollen? Vergessen Sie das Vergangene. Ich selbst muß mir von dieser Race von Menschen in meinem Lande sehr vieles gefallen lassen. Sein Sie versichert, daß ich außerdem die grausame Gewalt, die man an Ihnen verübt hat, gewiß scharf würde bestraft haben. Ich bin Fürst, aber diese Menschen haben mehr Gewalt über meine Unterthanen, als ich. Sie schleichen überall in den Häusern umher, wissen die Herzen durch den Schein von Religion und Frömmigkeit, Demuth und Sanftmuth zu gewinnen, und niemand hat weniger Religion und Frömmigkeit, weniger Demuth und Sanftmuth, als sie. Sie lehren das Volk die Verachtung der Güter hienieden; machen es glauben, daß das Gebet allein Segen und Fülle bringe, und eignen sich besondere Kraft im Beten zu. Gott stellen sie als einen eigensinnigen Tyrannen dar, der mit ewigen grausamen Martern für zeitliche Vergehen strafe, und den sie allein zu zähmen Macht haben; geben vor, daß sie die Gewalt besitzen, dem Menschen seine Sünden zu erlassen, und versprechen ihm den Himmel, oder drohen ihm mit der Hölle, wies ihr Vortheil fodert. Sie lehren das Volk allerlei Aberglauben, und schreiben sich die Macht zu, allerlei Uebel durch übernatürliche Gewalt zu vertreiben. Für all ihre Betrügereien wissen sie Stellen aus einem Buche anzuführen, das sie für ein göttliches, untrügliches Buch ausgeben, und das sie alleine auszulegen, sich die Macht von Gott anmaßen. Das arme, getäuschte Volk setzt daher sein ganzes Zutrauen in sie; streitet mit Blut und Leben für ihr Ansehen und ihre Lehren; glaubt, alles durch die Gebete der Pfaffen zu erhalten, und giebt ihnen gerne den letzten Heller, damit sie dafür beten, und diesem oder jenem Uebel durch ihre übernatürliche Gewalt abhelfen mögen; denn Sie müssen wissen, meine Herren! daß diese Leute sich für ihr Gebet reichlich bezahlen lassen, und um Geld ihren Gott am Altare opfern und essen. So geschiehts dann, daß das Volk äußerst dumm und arm ist, während diese Betrüger von ehrwürdigem Ansehen, in Reichthum und Ueppigkeit schwelgen, sich wie Ungeziefer vermehren, und die Güter meines Landes im Müßiggange verzehren. Und wehe dem Manne, der ihre Betrügereien aufdecken wollte! Sie nennen ihn einen Ketzer, einen Unglaubigen, einen Gottesläugner; denn sie verweben ihr Ansehn stets mit dem Ansehn Gottes und der Religion, und wissen ihn durch ihren ausgebreiteten Einfluß beim Volke überall so anzuschwärzen, daß er bald der Gegenstand des allgemeinen Hasses und der Verfolgung wird, und nicht selten auf dem Eschaffote, oder im Kerker sein Leben endigt. Vom letztern hätten sie bald selbst eine leidige Probe abgegeben.« Kalter Schauer überlief mich, während dieser Schilderung, am ganzen Leibe, und mein Vorhaben ward dadurch nur befestigt, dies Land bald zu verlassen. Ich erklärte meinen Vorsatz dem Hochgewaltigen unter dem Vorwande: daß wir nicht lange von Hause sein könnten. Wenn Eure Hochgewalt -- setzt' ich hinzu -- uns noch eine Gnade erzeigen wollen, so bitten wir, daß Sie uns an andere Höfe Empfehlungsschreiben mitgeben möge. »Nun!« -- sagte der Fürst, mit einem Blick und einem Tone, der die ganze Güte seines Herzens ausdrückte -- »wenn Sie mich dann durchaus schon verlassen wollen; so rathe ich Ihnen nach Momoly zu reisen; es ist der merkwürdigste Theil unserer Welt -- und Sie werden auf dieser Reise noch ein Paar Königreiche, Plumplatsko und Biribi sehen, durch die Sie Ihr Weg führt, und wohin ich Ihnen Empfehlungen mitgeben werde. Aber,« fuhr er fort, »wie denken Sie Ihre Reise zu machen? Wenn Sie in Ihrem Luftschiffe fahren, könnten Sie leicht die Orte verfehlen, wo Sie sich niederlassen sollen.« Nun hatte man, ausser der oben beschriebenen Art zu reisen, noch eine andere, die darinn bestand, daß man in einer Gattung von besonders dazu gebauten Kästen, worinn ihrer mehrere sitzen konnten, von einem Paare der oben gemeldten Thiere getragen ward. Wir beschlossen daher mit unserem Luftschiffe so weit zu fahren, als es uns beliebig sein würde, das Schiff, unter der gewöhnlichen Aufsicht unserer Ruderknechte, dort zurück zu lassen, und unsere Reise auf obige Art zu Lande fortzusetzen. »Den morgenden Tag aber,« sagte der liebenswürdige Fürst, »müssen Sie mir noch schenken,« und wir bewilligten es mit Vergnügen. Unter diesen und dergleichen Gesprächen, die alle von dem sanften, edlen Herzen und dem hellen Kopfe dieses vortreflichen Fürsten zeugten, verging uns der Tag und der Abend so angenehm, als ich mich nicht erinnern kann, einen in meinem Leben zugebracht zu haben. O! es ist so was Großes, Herzerhebendes, eine fürstliche Sele sich öfnen zu sehen, die die wahre Würde und den wahren Adel eines Fürsten in sich trägt! Des folgenden Tages gieng der Fürst und seine Familie selbst mit uns an unser Schiff, um es in Augenschein zu nehmen, und erstaunten nicht wenig über die sonderbare Maschine und ihre Einrichtung. Sie freuten sich gar sehr darauf, es den künftigen Tag bei unserer Abreise aufsteigen zu sehen. Der Fürst und seine Söhne bezeugten sogar Lust, selbst mit aufzufahren, das aber die Fürstin dringend und beängstigt verbat. Denselbigen Mittag speißten wir wieder an der Tafel des Fürsten. Als wir kaum abgegessen hatten, beklagte sich der Fürst über ausserordentliche Ueblichkeit und schneidende Schmerzen im Unterleibe. Es dauerte nicht lange, als ich und meine drei Reisegefährten -- die Ruderknechte waren bei den Bedienten versorgt worden -- das nemliche, obschon minder empfanden. Die Schmerzen des Fürsten nahmen so plötzlich überhand, daß er aufs Bette gebracht werden mußte. Kaum lag er auf demselben, als er schon in starke Konvulsionen verfiel, die immer mehr und mehr zunahmen, und uns äußerst bange für sein Leben machten. Wir vergasen beinahe unserer eigenen Schmerzen über die Seinigen und über den erschütternden Anblick, wie Mutter und Kinder um das Bette standen, und weinten und jammerten! -- Der Arzt wurde indeß herbei geholt, und erklärte, daß wir -- Gift hätten! Die Fürstin fiel bei diesen Worten sinnlos in einen Armstuhl -- die Kinder rangen die Hände, und heulten! -- -- Es war ein Anblick, der Steine hätte bewegen können. Nur der Fürst war gelassen. Er befahl vor allem, seiner Gemahlin zu Hülfe zu eilen, und sprach seinen Kindern Muth und Trost zu. »Ich weiß, woher der Streich kömmt:« sagte er. Diese Worte und das, was er uns gestern von der Bosheit der Pfaffen gesagt hatte, waren für uns Blitze durch die Nacht, und der Gedanke, daß wir die wiewol unschuldige Ursache von dem Unglück des Fürsten seien, quälte uns mehr, als alle Schmerzen. Die Fürstin kam bald wieder zu sich, und der Arzt gab dem Fürsten Gegengift, wie ers nannte, wir aber nahmen von den Mitteln, die wir unter unserem einfachen Arzneivorrathe bei uns hatten, tranken brav warm Wasser nebenbei, und begaben uns, weil uns sehr übel war, zur Ruhe. Bald darauf mußten wir uns schröcklich erbrechen. Dies dauerte ohngefehr eine Stunde in einem fort, worauf wir uns ziemlich erleichtert, aber zugleich sehr entkräftet fühlten, weswegen wir einige Magenstärkungen nahmen, die uns bald wieder neue Kräfte gaben. Wir erkundigten uns nach dem Fürsten. Aber zu unserem größten Schrecken erfuhren wir, daß es mit ihm beständig schlimmer werde, und alle Rettung wahrscheinlich verlohren sei. Die Ursache der verschiedenen Wirkungen, die das Gift auf den Körper des Fürsten und den unsrigen machte, war, nebst der Quaksalberei des Arztes, vielleicht auch das verschiedene Verhältniß, worinn unsere Natur mit der Natur dieses Planeten stand. Da wir uns außer Gefahr und wieder stark genug fanden, giengen wir selbst, den Fürsten zu besuchen. Er erkannte uns kaum noch, dann reichte er uns die Hand: »Ich bestätige durch mein Ende,« sagte er, »die Wahrheit dessen, was ich Ihnen gestern von unsern Pfaffen sagte -- ich bin nicht der Einzige, der von ihnen hingerichtet worden ist. Gottlob nur! daß Sie der Gefahr entgangen sind. Lassen Sie sich das Beispiel zur Warnung dienen, und sein Sie vorsichtig gegen diese heiligen Bösewichte.« Wir waren allein: als er dies sprach. Die Fürstin und die Kinder hatten sich in ihre Gemächer zurückgezogen, um ihrem unbändigen Schmerzen freien Lauf zu lassen. Der älteste Prinz allein war zugegen. »Versprich mir,« sprach der Fürst zu ihm: »meinen Tod an niemanden zu rächen, noch zuzugeben, daß man ihn räche, und gieb mir deine Hand darauf.« Der Sohn stürzte sprachlos zu den Füßen seines Vaters, ergriff dessen Hände und vergoß Ströme von Thränen. »Meine Briefe,« fuhr er zu uns fort, »liegen für Sie an meine Freunde fertig in meinem Kabinette. Bringen Sie ihnen zugleich das letzte Lebewohl ihres sterbenden Freundes. Leben Sie wohl, und erinnern Sie sich auch noch auf Ihrem Planeten eines unglücklichen Fürsten hieroben, der ein besseres Schicksal verdient hätte.« Wir konnten vor Schmerzen nicht sprechen, küßten ihm die Hände und weinten. Ich versuchte einige Worte von Dank und Verehrung zu stammeln, aber sie erstickten mir in der Kehle. Der Fürst sah unsere Liebe zu ihm, und unsern innigen wahren Schmerz; er drückte uns die Hände -- »Gottlob!« sagte er, »daß ich noch vor meinem Ende Freunde fand. Die Fürsten unserer Welt haben keine Freunde!« -- Er hatte es kaum ausgesagt, als sein Mundschenk wild hereinstürzte, und sich vor ihm auf die Knie warf. »Verzeihung! Verzeihung! Fürst! Vater! Verzeihung dem Mörder -- und dann Strafe -- die grausamste Strafe -- aber Verzeihung!« So rief er schluchzend, und streckte bittend seine Hände empor. »Wem dann?« fragte der Fürst. »Mir! mir! ich bin der Verruchte, der Bösewicht, der Giftmischer! Wehe mir! die Pfaffen haben mich betrogen, haben mir gesagt, daß ich eine gute That thue, haben mir Nachlassung all meiner Sünden[3] und die ewige Seligkeit dafür versprochen, haben mir mit der Hölle gedroht, wenn ichs nicht thäte -- Weh mir! ich fühle, daß ich Böses gethan habe -- die Hölle brennt mich schon in meinem Busen!«-- Der ohnehin schon äusserst schwache Fürst ward dadurch heftig angegriffen. »Unglücklicher!« sprach er matt, »geh, lauf aus meinem Lande, sonst wird man dich ergreifen, und dich ums Leben bringen; und was würde es mich helfen, wenn nebst mir noch ein Mensch umkommen sollte.« Er nahm hierauf Geld, und gabs ihm mit den Worten: »Mach, daß du fortkömmst.« Der unglückliche raufte sich die Haare aus; »Nein,« rief er: »sterben, sterben will ich den grausamsten Tod, ich Bösewicht! O! ich habe den besten Fürsten gemordet! unsern Freund! unsern Vater! und er -- verzeiht mir, beschenkt mich!« Ein Schluchzen erstickte seine Sprache; er krümte sich an der Erde, wie ein Wurm, und raufte Hände voll Haare aus seinem Kopfe. Man mußte ihn wegbringen. Die schröckliche Scene wirkte zu heftig auf das gute Herz des ganz entkräfteten Fürsten. [Fußnote 3: Wem dies übertrieben scheint, der darf nur die Geschichte der Königsmörder auf unserm eignen Planeten sich erzählen lassen, die man sogar auch auf dieser abscheulichen That in der Kirche einsegnete, und ihnen das h. Abendmal zur Stärkung ihrer Sele reichte. A. d. Verl.] Er verlohr itzt alle Sprache; die Konvulsionen wurden stärker; die Augen brachen ihm; er streckte nochmal seine Hand aus, als wollte er noch den letzten Abschied nehmen, und -- verschied! Ich vermag es nicht, den Jammer der Fürstin und der Kinder zu schildern. Das Herz blutete uns. Wir konnten itzt nicht genug eilen, aus diesem Lande weg zu kommen, wo wir unser Leben und unsere Freiheit keinen Augenblick mehr sicher glaubten. Ganz in Geheim ließen wir demnach noch vor Tages Anbruch die Anstalten zu unserer Abreise machen, steckten unsere Empfehlungsbriefe zu uns, und nachdem wir uns mit Thränen der Wehmuth von der fürstlichen Familie -- die uns reichlich beschenkte -- beurlaubt, und dem Todten, ewig lebenswürdigen Fürsten die Hände geküßt hatten, gingen wir mit anbrechendem Tageslicht zu Schiffe, stiegen in die Höhe, und entflogen glücklich aus diesen grauenvollen Gegenden, wo die Priester ihren Gott fressen, und ihre Fürsten morden!! -- -- -- -- -- -- Wir hatten uns vorsichtiger Weise erkundigt, nach welcher Himmelsgegend wir los zu steuern hätten, und folgten genau dieser Route. Als wir ohngefehr einen halben Tag, mit ziemlich günstigem Winde, in der Luft gefahren waren, sahen wir eine große Stadt unter uns liegen. Wir ließen uns ohngefehr eine halbe teutsche Meile von derselben nieder, und gingen zu Fuße dahin. Gleich am Eingange der Stadt wurden wir von einem Manne, der dreierlei Farben an seinem Rocke trug, angehalten, und gefragt: woher wir kämen, und ob wir Pässe hätten. Als wir das letzte mit Nein beantworteten, fragte er weiter: wer wir wären. Erdenbürger, sagten wir. »Wo liegt dies Land?« fuhr er fort. Es liegt in einer andern Welt, antworteten wir, die man Erde heist: »Ich will Euch Euren Spaß vertreiben,« schrie der Mensch mit dreierlei Farben, »Wache raus!« In dem Augenblick erschienen mehrere seines Gleichen, alle bewafnet, und umringten uns. »In Arrest mit den Kerls,« rief er, »bis auf weitere Ordre! es sind verdächtige Schliffl (Halunken).« Man führte uns demnach, unter dem Zusammenlaufe vieler Menschen, in ein großes Gebäude, wo uns ein Mann empfing, der uns zugleich ein finsteres Loch zu unserer Wohnung anwieß. Ehe er uns aber verließ, durchsuchte er jedem seine Taschen, und nahm uns all unsere Papiere, worunter auch unsere Empfehlungsbriefe waren. Er sah sie an. »Was?« rief er, »die Kerls haben gar Briefe an unsern Hochgewaltigen bei sich.« Wir erkundigten uns hierauf, wo wir dann wären, und erfuhren, in #Wirra#, der Hauptstadt vom Königreiche Plumplatsko, welches eben diejenige war, wohin wir Empfehlungen hatten. Man nahm indeß unsere Briefe mit fort, und schloß uns hier ein. »Verflucht und verdammt,« schrie ich, »sei die Reise in den #Mars#! Zu #Papaguan# fielen wir unter die Hände der Pfaffen -- hier sind wir wahrscheinlich unter die Hände der Soldaten gefallen. Gott mag wissen, welches schlimmer ist! Beide Stände scheinen hier eine Art von Despotismus auszuüben.« Eine ganze Nacht hatten wir nun wieder fast eben so übel, als jene in Papaguan zubringen müssen; als wir des anderen Morgens abgeholt, und in ein besonderes Zimmer des Gebäudes geführt wurden, wo einige Offiziere zugegen waren, die uns andeuteten, daß wir, als verdächtige Leute, die keine Pässe bei sich hätten, entweder Kriegsdienste nehmen, oder fünfzig Stockschläge jeder auf öffentlicher Schandbühne bekommen sollten. Vergebens beriefen wir uns auf unsere Empfehlungen. Man hieß uns schweigen, und drohte uns mit Stockprügeln, wofern wir noch ein Wort sprechen würden.[4] Hiermit ließ man uns wieder in unseren Arrest zurück führen, indem man uns andeutete: daß morgen der Tag wäre, wo wir unsere Strafe erhalten würden, wenn wir nicht indeß Dienste nähmen. Bei unserer Zurückkunft ersuchten wir, um unsere Leiden zu vergessen, den Gefangenwärter, daß er uns einiges Getränk für unsere Bezahlung holen mögte, die wir ihm, nebst einem kleinen Geschenke, reichten. Er that es, und bracht uns ein Paar große Kannen voll köstlichen Trankes. Wir boten ihm ebenfalls davon zu trinken an. Er ließ sichs nicht zweimal sagen, und ward dadurch etwas zutraulich. [Fußnote 4: »^C'est tout comme chés Nous.^«] Ich merkte es, und fing an, ihm unser hartes Loos zu klagen. »Ja!« sagt er, »unser Herr braucht halt Leute.« Und nun erzählt er uns, daß sie in einen sehr blutigen Krieg verwickelt wären, der sie bereits schröcklich ausgezehrt habe, und der doch ihr Land im Grunde gar nichts anginge; denn eine fremde Königin habe ihn mit einem fremden König angezettelt, und ihr Hochgewaltiger habe sich drein gemischt, weil er die fremde Königin liebte, und sich zugleich seine Riemen aus der Haut des Feindes zu schneiden dachte; denn er sei eben so schwach gegen die Weiber, als habsüchtig -- Aber die Sache ging schief, und er hatte noch dazu das Heer seiner geliebten Bundesgenossin zu unterhalten oben drein -- denn die Leute waren kaum bedeckt, und es mangelte an Proviant und allem, und die Kerls starben zu Haufen, wie das Vieh, von Kälte und Hunger. Da sucht man dann Geld und Leute zu kriegen, wie und woher man kann. Kein Reisender ist sicher. Den Einwohnern des Landes reißt man ihre Kinder aus den Armen, und sie müssen noch neue schwere Auflagen bezahlen obendrein, unter denen sie fast erliegen. -- Wir hatten ihm indeß mit dem Trunke immer mehr zugesetzt, und als wir seine Unzufriedenheit merkten, priesen wir dagegen unser Vaterland, sagten ihm viel von der Macht, dem Ansehn und den Reichthümern, die wir darinn besäßen; von der Erfindung, die wir gemacht hätten, in der Luft zu fahren, und von dem Luftschiffe, das wir bei uns hätten. Er wollte es kaum glauben, so staunte er darüber; und bezeigte endlich sein Verlangen, auch so in der Luft zu fahren. Dieß könne er, sagten wir ihm, wenn er mit uns reisen wolle; und wir schwuren ihm, in unserm Vaterlande ihn zu einem reichen, angesehenen Mann zu machen. Er schien darüber ausser sich vor Freuden, und kurz, wir wurden einig, sobald es Nacht wäre, miteinander zu entfliehen. Indeß ließen wir noch ein Paar Kannen füllen, und tranken tapfer drauf los, während wir die Einbildung unseres neugeworbenen Reisegefährten mit Träumen seines künftigen Glückes beschäftigten. So rückte die Nacht heran. Der Gefangenwärter brachte uns andere Kleidung, die wir, um unerkannt zu sein, über die unserige zogen; und so schlich er mit uns aus dem Hause, und führte uns durch Abwege glücklich zum Thore hinaus. Nun eilten wir blitzschnell auf unser Luftschiff zu, fanden es mit unsern Ruderknechten, gottlob! noch wohlbehalten an seinem Orte; trieben es in die Höhe, und fuhren damit glücklich über alle Berge. So entkamen wir mit heiler Haut den fünfzig Stockschlägen, und waren schon in einem andern Königreiche, als man zu Wirra in Plumplatsko die fürchterlichen Zubereitungen machte, unsere Hintern zu bewillkommen. #Swirlu# -- so hieß unser neuer Reisegefährte -- konnte sich gar nicht von seinem Erstaunen erholen; und er würde vor Freuden über diese Luftfahrt toll geworden sein, wenn diese Freude nicht durch die Furcht von Zeit zu Zeit wäre gemäßiget worden. Als wir ihm sagten, daß wir nach der Hauptstadt #Sepolis# im Königreiche #Biribi# wollten, um von da nach #Momoly# zu kommen, so rieth er uns, dort gar nicht niederzusteigen, sondern oben drüber weg zu segeln; weil wir in diesem Lande -- wo der Militärdespotismus eben so wohl, als in #Plumplatsko# zu Hause sei -- gar leicht in eben dieselben Verdrüßlichkeiten gerathen könnten, besonders da wir nun keine Empfehlungen mehr hätten. »In Momoly,« sagt er, »hat es keine Noth, das ist ein gar besonderes Land; da ist ein Mensch wie der andere. Sie werden ohnehin nicht viel verlieren,« setzte er hinzu, »wenn Sie in der Höhe von #Biribi# bleiben. Das Land ist entnervt, wie das unsrige; der itzige Regent ist ein Schwachkopf, wie der unsrige; der aber noch überdies von Pfaffen gegängelt wird. Erst kürzlich hat er es wieder durch ein öffentliches Edikt bewiesen, das allen gesunden Menschensinn zu ersticken sucht, und puren Pfaffenunsinn schwatzt. Er sucht, wie Schwachköpfe pflegen, den Stein der Weisen; verliert aber, indem er ihn sucht, vollends den kleinen Rest seiner Vernunft, und hat immer einige Adepten um sich, die ihn durch ihre Betrügereien um große Summen prellen. Ein Glück für das Land ist es noch, daß ein fremder Fürst und ein Paar Minister, die Kopf und Herz besitzen, manchmal die Mentors dieses Schwachkopfes machen, und sich einmischen, wenn die Sache zu ernsthaft wird.« Wir befolgten diesen guten Rath, und steuerten gerade auf die Himmelsgegend von Momoly los; indem wir uns nur so hoch erhoben, daß wir mit unseren Sehrohren die unteren Gegenden und die Städte beobachten konnten. Und da #Swirlu# schon einmal in Momoly gewesen war, und das Land und die Hauptstadt desselben wohl kannte; so liefen wir um so weniger Gefahr, dasselbe zu verfehlen. Wir waren itzt, nach #Swirlu's# Zeugnisse, ohngefehr noch 200 Meilen von #Whashangau#, der Hauptstadt von #Momoly# entfernt. Wind und Wetter aber waren so günstig, daß wir in einem Tage, der hier etwas kürzer, als bei uns ist, den weiten Weg glücklich vollendet hatten. Um dem Zusammenlaufe des Volks nicht ausgesetzt zu sein, senkten wir uns abermal eine gute Strecke weit vor der Stadt herab, ließen die Ruderknechte beim Schiff zurück, und gingen nach der Stadt. Hier war weder Thor noch Wache; kein Mensch mit dreierlei Farben fragte uns, wer wir wären, noch ob wir Pässe hätten; und was noch weit sonderbarer war: alle Menschen gingen im bloßen Gewande der Natur, womit sie Gott gekleidet hatte. Ihre Wohnungen waren kleine niedrige Hüttchen, ohne Kunst und Pracht. Aber wie erstaunten wir erst, als wir auf offener Straße vor den Augen vieler Menschen, Bursche und Mädchen sahen, die sich hier öffentlich begatteten! Um der Ehrbarkeit meines Sohnes zu schonen, wollt' ich über Hals und Kopf eine Seitengasse einschlagen, allein es war so nahe keine; wir mußten an dem Specktakel vorbei, woran sich die Acteurs ihrer Seits gar nicht stören ließen, und die Vorbeigehenden nicht den geringsten Anstoß zu finden schienen. Ich ärgerte mich nicht wenig über dieß Verderbniß der Sitten, wofür ich es hielt, und wollte eben die beiden Sünder auseinander jagen, als mich #Swirlu# mit einem unbändigen Gelächter bei der Hand faßte: »Was wollen Sie machen?« sagte er, »denken Sie doch, daß wir in #Momoly# sind. Das, was Sie sehen, ist hier eben so wenig unerlaubt, als bei uns das Wasser lassen; und Sie werden es hier noch so gewohnt werden, daß Sie eben so gleichgültig daran vorübergehen, als die Leute, die Sie sahen.« Ich verbiß meinen Unwillen, und um nicht auf eine zweite Scene dieser Art zu stoßen, fragt' ich ihn um einen Gasthof. Er fing noch mehr an zu lachen. »Dieß sind lauter Gasthöfe,« sagte er, »Sie haben hier nur zu wählen; eines jeden Haus steht hier dem andern offen; und wo Sie nur eintreten, werden sie willkomm seyn. Was aber dabei das Bequemste ist -- die Bewirthung kostet nichts! Man weiß hier gar nichts vom Geld. Es lebe Whashangau! und die Momolyten! das heiß ich mir ein Land, das sich gewaschen hat!« Mit diesen Worten lief er auf ein blühendes, vollwüchsiges Mädchen zu, das er auf gut momolytisch salutiren wollte, die ihn aber mit einer derben Ohrfeige abfertigte, welches mir mit der Sitte dieses Volks einigen Kontrast zu machen schien. Wir sahen uns nunmehr nach der ansehnlichsten Wohnung um, die in unserem Gesichtskreise lag, und traten daselbst ein. Ein alter Mann, mit ehrwürdig grauem Haupte, reichte uns treuherzig die Hand, und bot uns freundlichen Willkomm. Aber was wir sahen, war reinlich und in seiner Art schön. Nirgends zeigte sich Luxus oder Reichthum; überall Einfalt und Wohlbehaglichkeit. Wir fragten durch Swirlu -- der uns hier bei jeder Gelegenheit zum Dollmetscher diente, weil er die Landessprache konnte -- ob wir auf einige Tage Herberge haben könnten, und mit freundlichem Lächeln antwortete der Greis: »Herzlich gerne!« Sogleich ließ er Früchte und Milch aufsetzen, die zwar aus einer andern Art von Thieren, als bei uns gemolken wird; aber nicht weniger kräftig und noch wohlschmeckender als jene ist. Er erkundigte sich itzt, woher wir dann kämen, weil unsere Tracht Fremde zu verkündigen schien. Wir sagtens ihm, und erzählten ihm unsere wunderbare Reise und alles. Der Mann war eben so erstaunt über unsere Erzählung, als erfreut, daß er solche Gäste zu beherbergen habe. Er konnte nicht satt werden, uns zuzuhören, und wir mußten ihm versprechen, ihn des andern Tages zu unserm Luftschiffe zu führen, und ihm alles daran genauer zu erklären. Wir hatten unvermerkt ziemlich tief in die Nacht geplaudert, als wir endlich unserm liebreichen Wirthe, mit freundlichem Händedruck, guten Schlaf wünschten, und uns zur Ruhe begaben. Kaum als des andern Tages die Sonne aufgegangen war, hörten wir auf den Gassen schon eben die Bewegung, die man bei uns erst gegen Mittag zu hören pflegt. Wir sahen hinaus, neugierig, was es wohl gebe: aber wir wurden nichts gewar. Da uns unser Wirth gehört hatte, so kam er auf unser Zimmer, um uns an unser Versprechen zu erinnern. Er bemerkte, daß wir, allem Anscheine nach, sehr gut geschlafen hätten, weil die Gottheit, seinem Ausdrucke nach, schon eine Stunde lang die Welt beleuchte. Wir fragten, ob man dann alle Tage hier so frühe aufstehe. »Alle Tage, sobald Gott erscheint;« war seine Antwort. »Wir versammeln uns um diese Zeit an gewissen Tagen unter Gottes freiem Himmel auf dem Felde -- denn welcher Tempel ist herrlicher und der Gottheit würdiger, als die Natur? -- sehen Gott in seiner Majestät zu uns heraufkommen, werfen uns vor ihm aufs Angesicht nieder, und beten ihn an!« Ihr betet also die Sonne an? fragten wir. »Allerdings,« erwiederte der Alte. »Strahlt nicht aus ihr Gottes Güte, Gottes Milde, Gottes allernährende Wohlthätigkeit, Gottes Größe, Herrlichkeit und Majestät? Giebts unverkennbarere, sichtbarlichere Zeichen der Gottheit?? Ich weiß zwar, es sind auf unserer Welt Völker, die sich ihren Gott selber schnitzen, ihm kostbare Steinhaufen errichten, ihr geschnitztes Bildchen darin einsperren, vor ihm hinknien, und es anbeten, wie wir die Sonne -- und sich darob weit klüger dünken, als wir. Aber sind wohl solche Thorheiten eines Einwurfs werth? Wir lachen darüber, und haben Mitleid mit dem verblendeten Volke, das das Spiel seiner Pfaffen ist, die den Gottesdienst als den wahren, gottgefälligen vorschreiben, der sie am Besten nährt. Ihr sollt einmal unserem Gottesdienste mit beiwohnen, um zu sehen, welcher Euch besser erbaut. Ihr dörft aber darum keineswegs die Gebräuche desselben mitmachen, wenn Ihr nicht wollt. Jeder hat bei uns freien Willen, zu glauben, und zu beten, was und wie er will, wenn er nur ein guter Mensch und ein rechtschaffener Bürger ist, der Ruhe und Ordnung nicht störet. Wir würden unsere Religion entehren, und ihre Gründe verdächtig machen, wenn wir jemand durch Zwang nöthigen wollten, die Wahrheit derselben zu glauben, und die Gebräuche derselben zu befolgen. Der Glaube muß die Folge von der Ueberzeugung sein. Ohne Ueberzeugung glauben müssen, ist thierisch und sklavisch, folglich des vernünftigen, freien Menschen unwürdig. Ueberzeugung aber erhält man nicht durch Zwang und Gesätze; sondern durch den freien Gebrauch unserer Vernunft, dieses edlen Geschenks der Gottheit, das uns allein über andere Thiere erhebt. Sünde ist es demnach bei uns, den Gebrauch der Vernunft im Geringsten einzuschränken.« Wir fragten: welches dann die Lehrsätze ihrer Religion wären. »Unsere Religion,« erwiederte der Alte, »hat keine besonderen Lehrsätze. Die Vernunft lehrt uns das Dasein eines Wesens, das wir Gott nennen; sie lehrt uns dies Wesen lieben und verehren, weil wir ihm Dasein und Erhaltung zu danken haben; und fürchten, weil es gerecht ist; sie lehrt uns, was übel und gut sei; lehrt uns jenes vermeiden und dieses thun. Natur und Vernunft sind demnach unsere Gesetztafeln, worinn Gott seinen Willen jedem Menschen mit deutlichen Zügen eingrub -- und darinn besteht unsere ganze Religion.« Wir erstaunten, so viel reine Simplicität, so viel schlichten Menschensinn unter einem, nach unserer Meinung, so rohen Volke zu finden. Aber ich konnte nicht umhin, ihm den Widerspruch entgegen zu setzen, den die scandalöse Scene vom gestrigen Abend mit seiner ebenerwähnten Gesetztafel, wie ich dafür hielt, machte. Er lächelte, als ich von der Sache, wie von Laster und Schande, sprach. »Allumstralende Gottheit!« rief er endlich mit Begeisterung, »verzeih Deinen Geschöpfen, die den heiligsten Trieb, den Du in ihren Busen legst, und durch Deinen Einfluß darinnen erhältst, den Trieb der Fortpflanzung für unerlaubt, das Werk der Menschenzeugung für lasterhaft halten können! Ist es dann auch Laster und Schande unter Euch, eine Pflanze zu stecken, ein Feld zu besäen, ein Blumenbett zu begiesen?« Wir verneinten es, weil es leblose Dinge wären. »Also wäre der Vorzug, den Ihr vor der Pflanze habt, gerade die Ursache, warum Ihr Euch zu schämen hättet? Oder sind etwa Eure Menschen so abscheuliche, böse Geschöpfe, daß es Sünde und Schande ist, derer zu zeugen?« Wir verneinten es abermal, und fügten hinzu: daß wir die Zeugung des Menschen keineswegs für sündlich hielten, vorausgesetzt nur, daß gewisse Cärimonien vorhergegangen wären, die man die Trauung heiße; daß aber auch dann die Begattung allemal in heimlichster Verborgenheit geschehen müsse. »Welche Widersprüche!« versetzte der Alte. »Ists möglich von vernünftigen Geschöpfen solchen Unsinn zu hören, der überdieß durch die Gesätze autorisirt wird? Ist eine Sache sündlich: wie kann sie durch alle Cärimonien der Welt nicht sündlich gemacht werden? Ist sie aber erlaubt: was brauchts der Cärimonien, um sie erst erlaubt zu machen? -- Und warum sich einer Handlung schämen, die mit, oder ohne Cärimonien erlaubt ist? warum heimliche Winkel suchen, um sie zu begehen?« Wir wandten ihm das Sittenverderbniß und die Unordnung ein, die daraus entstehen müßten, wenn man die Sache allgemein erlaubte, und öffentlich verübte. Die Menschen -- sagten wir -- würden sich dann durch allzufrühzeitigen und unmäßigen Genuß entnerven; die Ehen würden aufhören, und Entvölkerung würde einreißen; niemand würde wissen können, wer Vater eines Kindes sei, und keiner würde eben darum die Vaterpflichten an seinem Kinde erfüllen wollen. »All diese Folgen,« versetzte der Alte, »liegen nur in Eurer Einbildung, oder in Eurer üblen Statsverfassung. Wisset! indem Ihr den Genuß zum Laster und zu einer Heimlichkeit macht, reitzt Ihr nothwendig die Lüsternheit darnach; denn nichts macht lüsterner nach dem Genusse, als Verbottensein; nichts reitzt mehr den Vorwitz, als geheimnißvolles Wesen.[5] Warum entnervet sich dann das Vieh nicht durch allzufrühen und unmäßigen Genuß? Gleichwohl ist es noch niemanden eingefallen, dem Viehe Zwang darinn anzulegen. Glaubt mir, eben diese Freiheit, eben diese Unheimlichkeit im Genusse, die Euch bei uns befremdet, ist gerade das Mittel, den Misbrauch derselben zu verhindern. Die Leichtigkeit zu geniesen, und die Gewohnheit Scenen des Genusses täglich und stündlich zu sehen, macht, daß wir gegen diese Handlung nicht lüsterner als gegen jedes andere Bedürfniß der Natur sind: statt daß die Beschwerlichkeit und die Heimlichkeit, womit man bei Euch zum Genusse gelangt, der Sache, wie jeder andern, nothwendig neue Reitze giebt, die sie sonst nicht hat. Liebe Freunde! folget der Natur. Sie ist die sicherste Führerin, die gewiß keines ihrer Geschöpfe in sein eigenes Verderben leitet. Aber sie rächt sich dafür, sobald man ihr Bande anlegt, und durch jegliches derselben zieht sie den Menschen in sein Elend. Sie ist ein Strom; man lasse ihm seinen Lauf, und er wird keinen Schaden thun; aber man setze ihm Dämme entgegen, und er wird in wilden Fluten ausbrechen, und Felder und Wiesen verwüsten, die er vorher fruchtreich benetzte. O Menschen! Menschen! wie könnt Ihr doch blind genug sein, Euch von der Natur zu entfernen -- den Pfad aus dem Auge zu verlieren, den sie Euch so liebreich vorzeichnet? Wie könnt Ihr glauben, durch Zwang und Gesätze es besser zu machen, als es Gott machte, der diese Natur in Euch legte, und Euch durch ihre Stimme väterlich zuruft? Seht Ihr nicht, daß Ihr Euch Eurem Verderben immer mehr nahet, je weiter Ihr Euch von dem Pfade der Natur entfernet? Verzeiht mir, liebe Fremdlinge!« fuhr er mit feuchtem, glänzenden Auge fort: »verzeiht, wenn ich mit Hitze zu Euch spreche. Es ist nicht blinde Vorliebe für mein Vaterland, nicht Eigensinn für die Sache, die ich vertheidige; es ist wahrer Eifer für Menschenwohl, wahre Ueberzeugung, daß es ihnen so besser wäre, und warme, innige Theilnahme an dem unglücklichen Schicksale der Menschheit, die das traurige Opfer einer unnatürlichen Gesetzgebung ist.« [Fußnote 5: Man kann über diesen Gegenstand nichts Treffenders, däucht mich, sagen, als was ich ohnlängst in _Gustav Wolart_ S. 79. 80 und 81. las, einem Büchelchen, das sich unter den empfindsamen Schriften unseres Jahrhunderts vorzüglich dadurch erhebt, daß es Denkkraft mit Empfindung vereinigt. Auch die _Annalen der Menschheit_ haben im 2ten Hefte, _von den verborgensten Ursachen körperl. Gebrechen_, hierüber vieles gesagt, was der Aufmerksamkeit empfohlen zu werden verdient. A. d. Verl.] Er hielt hier vor Empfindung einige Augenblicke inne. »Glaubt Ihr mir noch nicht,« so sprach er weiter, »was ich Euch von den Vortheilen unserer Verfassung sagte, so seht unser glückliches Völkchen an! Ihr werdet keinen darunter finden, der durch Liebe entnervt ist; Jünglinge und Mädchen blühen voll Gesundheit; keinen, der durch Liebe unglücklich ward, denn der Genuß wird ihm nicht dadurch erschwert. Bei all dem werdet Ihr keinen ausschweifenden Kerl, noch eine lüderliche Buhldirne sehen; und der mögte übel wegkommen, der mit wildem Feuer auf die erste Beste losstürmen zu können glaubte.« -- #Swirlu# ward hier feuerroth -- »unsere Jünglinge und Mädchen haben darum nicht weniger ihre sanften, zärtlichen Gefühle, und werfen sich nicht jeglichem in die Arme. Die Ehen hören daher auch keineswegs bei uns auf, wie ihr fürchtet. Es ist gar nichts Seltnes, daß Mann und Weib sich miteinander unter der Bedingung verbinden: daß beide sich künftig alleine geniesen wollen. Dieser Vertrag wird dann vor Zeugen errichtet, und von dem Augenblick an ist den Verbundenen fremder Genuß aufs Strengste verboten. Ihr könnt daher in diesem Lande, das Ihr für barbarisch haltet, eben so viele und vielleicht weit mehrere Bilder häuslicher Glückseligkeit finden, als in dem Eurigen. Ich selbst habe mit meinem Weibe 15 Jahre[6] lang ein himmlisches Leben gelebt, habe 20 Kinder mit ihr gezeugt -- und ewig werd' ich ihren Tod beweinen!« Hier stockte seine Sprache; er wischte sich eine Thräne aus dem Auge, und fuhr fort: »Es ist noch übrig, daß ich Euch den Einwurf beantworte, den Ihr mir machtet: daß man bei unserer Verfassung nicht wissen könne, wer eines Kindes Vater sei, und daß eben darum keiner die Vaterpflichten an seinem Kinde würde erfüllen wollen.« [Fußnote 6: Man erinnere sich der oben angezeigten Jahrsrechnung.] »Wenn Ihr unsere ganze Einrichtung wüßtet, so würdet ihr diese Einwendung wohl schwerlich gemacht haben. Ich will Euch also davon unterrichten. Wir haben -- kein Eigenthum, denn die Natur hat keines; sie hat jedem gleiche Rechte, gleiche Bedürfnisse gegeben. Alles, was wir haben, das ist Feld und Frucht und Vieh, ist daher unter uns gemeinschaftlich. Niemanden fällt es ein, sich davon mehr zuzueignen, als er braucht. Und was sollte er damit thun? wozu würde es ihm helfen, als daß es ihm eine unnöthige Last machte? Denn wir haben ja keine Bedürfnisse, als jene der Natur; unsere Nahrung besteht aus dem, was unser Feld und unser Vieh giebt; unsere Wohnung ist eben so einfach, und unsere Kleidung noch einfacher; denn wir tragen, wie Ihr seht, das blose Gewand, das uns die Natur mit auf die Welt gab, und behängen uns, wenns sehr kalt ist, mit den Häuten unserer Thiere. Aber die weise Mutter Natur hat dafür gesorgt, daß die Menschen -- woferne sie den Gesätzen der Natur getreu bleiben -- so viel auch derer immer da sind, genug haben, und daß von den Menschen, wie von den Pflanzen, nicht mehrere hervorkommen, als der Erdstrich, worauf sie wachsen, ernähren kann. Keiner unter uns hat also jemals Mangel; denn keiner hat Ueberfluß. -- Sagt mir nun, meine Freunde! warum sollte der Vater sein Kind verläugnen? Warum die Mutter den Vater? Nehmt auch an, daß jener es nicht gewiß wisse -- welcher unter Euch weiß es dann gewiß, daß er Vater ist? -- so weiß es doch die Mutter; und da diese unter uns ganz und gar keine Ursache noch Vortheile hat, einen andern Vater anzugeben; so kann man sich auf ihre Aussage sicher verlassen, welches man, dünkt mich, bei Euch nicht immer kann. Aber gesetzt nun sogar, daß die Mutter es nicht wisse; gesetzt, daß der Vater sein Kind verläugne -- welches bei uns ein fast undenklicher Fall ist; so würde daraus hier weiter gar nichts folgen, als daß ihn das Kind nicht Vater, und dieser den Sohn nicht Sohn nennen würde: denn der junge Ankömmling hat nun sein Theil in unserer Gemeinschaft, wie jeder andere. Der Vater -- er mag das Kind als das Seinige erkennen, oder nicht -- braucht ihm nichts zu geben, nicht für ihn zu sorgen -- und der Mutter entgeht eben so wenig das Geringste dabei, ob der Vater sich als Vater bekenne oder nicht; denn sie macht deswegen an den Vater keine Ansprüche; kann, in jedem Falle, keine machen, und hält sich für die kleinen Mutterbeschwernisse, durch die Mutterfreuden reichlich entschädigt.« Wir standen verstummt und erstaunt über alle die praktische Weisheit, die uns der Greis hier vorgetragen hatte, und über die Wahrheit, der wir darinnen nicht zu widerstehen vermochten. Noch nie hatte ich die Sache in diesem Lichte betrachtet. Erziehung, Gewohnheit, Vorurtheile umzogen sie vor mir stäts mit Dämmerung. Jetzt fiels wie Schuppen von meinen Augen, und mir war plötzlich wie einem Menschen, der zum erstenmale in seinem Leben den Tag erblickt. Wer ist, fragt' ich mit Lebhaftigkeit, der weise Regent und Gesätzgeber Eures Landes? Und, zu meiner noch größeren Verwunderung, vernahm ich: daß hier keine Menschen, die man Könige heißt, noch andere Herrscher, sich vom Schweis und Blute eines ganzen Landes mästen, und für mehr tausend andere davon verzehren; sondern daß drei der Klügsten und Rechtschaffensten aus dem Volke, worauf die Uebrigen alle kompromittirten, jeden vorkommenden Streithandel entscheiden, und durch klugen Rath und väterliche Fürsorge dem Lande und jeglichem Innwohner in allen Fällen beistehen. »Zwar kommen hier nur äusserst selten Streitigkeiten vor;« setzte der Greis hinzu, »denn da wir kein Eigenthum haben, so hört unter uns die Hauptursache aller Zwietracht auf, und wir leben unbeneidet in glücklicher Ruhe und Eintracht.« Die Rede des Greisen hatte mich sehr unruhig und tiefsinnig gemacht. Wir gingen itzt mit ihm, das Luftschiff ihm zu zeigen; aber ich weiß nicht mehr, wie wir hin und her kamen. Das Bild, das mir der Alte von der Glückseligkeit seines Landes geschildert hatte, beschäftigte unaufhörlich meine ganze Sele. Ich betrachtete es von allen Seiten, und fand immer mehr, daß dieses Volk, das ich für roh und barbarisch gehalten hatte, das glücklichste und weiseste, das ich kenne, in der Schöpfung sei. Ich verglich damit unsere Statsverfassung, und fühlte den betrübten Abstand, den wir mit unserer eingebildeten Aufklärung und Verfeinerung dagegen machen; fühlte, wie glücklich auch wir, unter solch einer Einrichtung sein könnten -- und welche unglückliche Sklaven unnatürlicher Gesätze, des Betruges, der Habsucht und des Despotismus wir wirklich sind! Ich sah an uns -- die Barbaren, und in Momoly -- die aufgeklärte Nation! Je länger wir uns in #Whashangau# aufhielten, desto mehr ward ich in meiner Ueberzeugung bestärkt. Ich sah überall Güte, Menschenfreundlichkeit und Herzlichkeit; jedermann bestrebte sich, dem andern gefällig zu sein; nie hört' ich, oder sah Feindschaft, Streit oder Zänkerei. Allgemeine Eintracht und Freude herrschte unter dem Volke. Des Abends versammelten sie sich gewöhnlich, bei schönem Wetter, unter einem alten großen Baume. Die Aeltern saßen in einem Zirkel auf einer Bank, und die Jüngern tanzten, Jünglinge und Mädchen beim Tone einer Art von Schallmeien um sie her. Auf allen Gesichtern blühte Gesundheit, und Saft und Nervenkraft strotzte in ihren Muskeln und den vollen fleischichten Lenden. Hier sah ich kein von Kummer und Noth entstelltes Gesicht; keine von Ausschweifungen abgebleichte Wange. Man wußte hier von Krankheiten nur sehr wenig; die meisten starben aus Entkräftung des Alters: hingegen wußte man auch nichts von Aerzten und Arzneien; einige Kräuter ausgenommen, die das Land hervorbringt, und die gegen die gewöhnlichen Krankheiten fast immer ein sicheres Mittel sind. Eines Tages mit aufgehender Sonne, kam unser liebreiche Wirth zu uns, und trug uns an: ob wir nicht heute wollten ihrem Gottesdienste beiwohnen, weil eben einer der Tage sei, wo sie sich gewöhnlich alle dazu versammelten. Wir willigten sehr gerne ein, und gingen mit ihm. Er führte uns auf eine Anhöhe, von der man die schönste Aussicht, besonders gegen Aufgang hin, hatte. Als hier die ersten Stralen die kommende Gottheit verkündeten, erschallte ein feierlicher Hochgesang voll der rührendsten Empfindung und Einfalt. Indeß stieg die Sonne, im glänzenden Purpur, langsam und majestätisch herauf -- ihre Stralen vergoldeten den Erdkreis, und die ganze Natur schien milde und lächelnd sich der kommenden Sonne zu freuen. Immer begleitete sie Gesang voll Empfindung und Ausdruck. Nun stand Sie da! -- und alle schwiegen -- fielen aufs Angesicht nieder, und beteten in stiller Andacht. Dann stunden sie auf -- warfen sich noch einmal nieder vor der Gottheit; küßten die Erde, die sie beschien -- und gingen schweigend . . . . . . Nie war mir ein Gottesdienst rührender, nie ehrwürdiger vorgekommen, als dieser. Ha! in dem großen, offenen Tempel der Natur -- lauter lebende Bilder der wohlthätigen Schöpfung um uns her -- und das große würdige Bild der Gottheit im Angesichte -- ha! wie so anders empfindet, und betet man hier, als zwischen den Mauern, die wir Tempel nennen, vor einem grotesken Bilde der Gottheit und dem noch groteskeren eines vermumten Pfaffen! Ich kann nicht beschreiben, was ich hier empfand. Mein Herz schwoll von heiligen Empfindungen -- mir war, als säh' ich Gott -- im Ausbruche des Gefühls stimmten wir alle in das Lied ein -- warfen uns, von Empfindung hingerissen, mit den Uebrigen an die Erde -- und beteten mit Inbrunst. Mein Herz war noch lange nachher so voll, daß ich auf unserem ganzen Rückwege kein Wörtchen sprach; nur empfand, und dachte. Ich hatte nun wieder eine Ursache mehr gefunden, die mir die Momolyten beneidenswerth machte. O drei und viermal glückliches Land! rief ich endlich voll Begeisterung aus: das keine Pfaffen, keine Aerzte, keine Soldaten und -- keine Könige hat!!!! Gerne würde ich hier mein ganzes Leben zugebracht haben, wenn nicht der Gedanke an die Meinigen mich an meinen Planeten hingezogen hätte; wozu sich noch der fromme Wunsch gesellte: das, was ich hier gesehen und gehört hätte, zum Besten meines Vaterlandes zu benutzen. Vielleicht, dacht ich, wird einmal Warheit, durch Beispiele und Erfahrungen unterstützet, Eingang finden. Mein Entschluß ward dadurch beschleunigt, unmittelbar in mein Vaterland zurücke zu kehren, und die ^Videnda^ in der #Venus#, die mir mein Freund, der große Astrolog auf Erden in meine Schreibtafel notirt hatte, einem andern zu überlassen. Ich theilte dies Vorhaben meinen Reisegefährten mit; und wir machten die nöthigen Anstalten zu unserer Rückkehr. Unser Wirth und alle Whashangauer verloren uns sehr ungerne, und drangen in uns, noch länger zu bleiben. Allein wir traten, ohne ferneren Verzug, wiewohl mit schweren und gepreßten Herzen, unsere Rückreise, unter allgemeinem Zusammenlaufe und Erstaunen des Volks, an, und verliesen vom lauten Zurufe der Segenswünsche begleitet, dies Land, wo noch itzt meine Sele oft im Dämmerscheine wandelt. Ich will mich bei Beschreibung meiner Rückreise nicht aufhalten: sie liegt ausser meinem Plane. Genug: wir kamen nicht ohne Beschwernisse und Gefahren -- wobei die ganze Geschicklichkeit unserer Steuermänner nöthig war -- wieder zur Erde. Das Erste, was ich nun hienieden thue, ist, diese merkwürdige Erzählung ganz neu den Mitbürgern meines Planeten vorzulegen, um sie zu überzeugen, #daß nur Natur und Einfalt warhaft glücklich machen#. O! mögten sie, durch Beispiele klug, diese große Warheit doch einmal erkennen, und befolgen! Wie reichlich würde ich mich für meine Reise belohnt halten! Anmerkungen zur Transkription Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Hervorhebungen, die im Original g e s p e r r t sind, wurden mit Unterstrichen wie _hier_ gekennzeichnet. Fremdsprachige Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind, wurden ^so^ und Fettdruck #so# markiert. Einfache Anführungszeichen wurden durch ">" und "<" ersetzt. Die kräftig variierende Schreibweise, Grammatik und Interpunktion des Originales wurden unverändert beibehalten. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher): [S. 46]: ... eine gute That thue, haben mir Nachlaslassung ... ... eine gute That thue, haben mir Nachlassung ... *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK REISE EINES ERDBEWOHNERS IN DEN MARS *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. 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