The Project Gutenberg eBook of Der Tod des Cosimo This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Der Tod des Cosimo Author: Paul Ernst Release date: July 7, 2015 [eBook #49390] Language: German Credits: Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER TOD DES COSIMO *** Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Anmerkungen zur Transkription Im Original gesperrter Text ist +so ausgezeichnet+. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so ausgezeichnet~. Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am Ende des Buches. Der Tod des ~COSIMO~ von Paul Ernst [Illustration: 1913] Viertes bis sechstes Tausend Bei Meyer & Jessen / Berlin Der Tod des Cosimo Es war in den Tagen, da Cosimo de Medici starb, welcher der Vater des Vaterlandes genannt wurde, daß die Bürger von Florenz blindlings dem Willen Savonarolas gehorchten. Wie das alles so gekommen, war keinem recht klar; Savonarola hatte schon lange von der Buße gepredigt und von dem Tage des Gerichtes, und allmählich hatten ihm immer mehr Menschen geglaubt, zuerst die Frauen und endlich auch die Männer. Nun zitterten alle, wenn sie dachten, daß er predigen würde, und wiewohl sie eine heftige Furcht vor seinen Worten hatten, gingen sie doch zu jeder neuen Predigt, um jede neue Last aufzunehmen, die er ihnen aufladen wollte. Auf der Piazza Signoria hatte er einen großen Scheiterhaufen errichtet, zu dem brachte ein jeder, was ihm das Teuerste war, um es zu opfern. Der Scheiterhaufen schwelte, und nur ab und zu kamen kleine Flammen an ihm hochgezüngelt. Der Wind trieb den Rauch nach der Seite des Arno zu. Auf der anderen Seite stand auf einem Stuhl, der ihm als Rednertribüne gedient hatte, Savonarola. Er hatte die Arme vor dem Leib gekreuzt, die Hände in den Ärmeln der weißen Kutte und sah mit seinen scharfen Blicken über die Menschen, die sich lautlos drängten. Auf der Spitze des Scheiterhaufens war ein großes Bild: eine Venus von Botticelli, in breitem, geschnitztem Rahmen; aufrecht war es und wurde zufällig in seiner Lage gehalten durch die regellos übereinandergeworfenen Gegenstände: eingelegte Tischchen, gold- und purpurgewebte Kleider, Fläschchen aus Kristall, Bilder, schönbemalte Kästchen, welche Schmuck enthielten, eine große goldene Kette mit prächtiger Schaumünze, Bücher und, als Gabe eines ganz Armen, ein elendes Bett. So still war die Menge, daß man das Knistern, Knacken und Fauchen des Feuers hörte. Zuweilen teilte sie sich leise, und ein Mensch trat vor, der etwas zu dem Haufen warf. So trat ein vornehmes Weib vor, das in der Reife ihrer Schönheit stand mit etwa fünfunddreißig Jahren, mit stolzem Nacken und festem Gang. Sie löste sich eine Perlenkette vom Hals, küßte sie noch einmal und legte sie zu den Opfergaben. Ein Jüngling wendete sein Gesicht ab und weinte, der erste Flaum färbte ihm die Wangen dunkler. Eine spitze Flamme kam plötzlich aus der Mitte des Scheiterhaufens weit heraus, einiges geriet ins Gleiten, das Venusbild schwankte und schlug dann um, gerade auf die Flamme. Ein Mann seufzte tief auf, es war Botticelli selbst. Cosimos Sterbebett stand in dem großen Saal, dessen drei rundbogige Fenster auf den Platz hinausgingen, denn er hatte Beklemmungen des Herzens und mußte einen großen Raum um sich empfinden. Unheimlich drang Unverständliches von unten zu ihm und machte ihn unruhig; denn er hatte Savonarola geschont, um ihn gegen den Papst zu verwenden, aber fürchtete immer, daß er einen Aufruhr entfachen werde. So erhob er sich langsam vom Bett, ließ sich die Schuhe vom Diener anziehen und schlich an das Fenster. Schon begannen ihm die Augen zu versagen, und mehr der Verstand zeigte ihm, was unten geschah, als der Blick. Das fiel ihm auf, und wie zahnlose alte Leute tun, murmelte er etwas; es war darüber, daß das Innere länger lebte als das Äußere. Der alte Diener mußte ihm um die Hüften greifen, und er selbst legte seinen Arm über des Dieners Nacken. So schleppte er sich schlürfend zu einem Schrank. Schwerfällig zog er ein Schlüsselbund aus der Tasche und prüfte mit den Fingern, bis er den richtigen Schlüssel gefunden hatte, dann ließ er sich vom Diener die Finger führen, bis er das Schlüsselloch fand. Die Tür ging mit leisem Ächzen auf, und Häufchen Holzmehl lagen inwendig, und ein dumpfer Modergeruch kam aus dem Dunkeln. Dann suchte er mit den zitternden Fingern den zweiten Schlüssel und ließ sich die Hand zu dem Schlüsselloch des Schubkastens führen. Er zog ihn ganz heraus, dann tastete er im Auszug, suchte die Feder, die Feder sprang, und ein geheimes Kästchen zeigte sich. In dem lag ein kleiner Ring auf rotem Samt. Es war ein dünner Goldreif, der einen blauen, goldgetupften Stein hielt; in dem war ein Schmetterling eingeschnitten; es war ein antikes Stück aus den Zeiten des römischen Heidentums. Schon war Cosimos Hand schweißbedeckt durch die Anstrengung. Mit unsicherem Griff drückte er das Kästchen wieder zurück, daß die Feder einschnappte, dann paßte der Diener das Schubfach in den Auszug und schob es hinein. Cosimo drehte den Schlüssel um, der Diener schlug die Tür des Schrankes zu und führte wieder die Hand mit dem Schlüssel zum Schlüsselloch. Cosimo schloß, zog den Schlüssel ab und ließ das Bund wieder in die Tasche gleiten. Den Ring hielt er fest mit Daumen und Ringfinger der linken Hand. Nun ging er aus dem Saal, geführt und getragen von dem Diener, und stieg Stufe für Stufe die Treppe nieder, und ging über den Vorplatz, und trat aus der Tür. Die Menge wich schweigend auseinander und machte ihm einen Weg frei. Er schleppte sich zu dem Scheiterhaufen, erhob die linke Hand zu halber Höhe, und warf, mit ungeschickter Bewegung durch die Schwäche, den Ring zu dem Haufen. Dann wendete er sich und ging so zurück, wie er gekommen war. * * * * * Vor langen Jahren, als Cosimo noch ein unbärtiger Jüngling war, dessen Hände noch nicht zitterten und dessen Augen scharf sahen, ging er einst lustwandeln und disputieren mit Savonarola und einem anderen jungen Mönch, einem Maler, der später der Fra Beato oder Angelico genannt wurde. Die drei Freunde stiegen den Weg nach Fiesole in die Höhe zwischen hohen Gartenmauern, über welche sich gelbe Rosen hängten. Wie sie bei San Domenico angekommen waren, kam ihnen Lucrezia entgegen, die junge und schöne Frau eines entfernten Vetters der Medici, zu der Cosimo eine unerwiderte Liebe hegte. Sie trug mit zwei Fingern einen hohen Lilienstengel, auf dem die Blüten standen. Sie ging mit raschem Gang, daß ihr blaues Gewand hinter ihr in einem schönen Bogen schlug. Wie sie vor den Dreien angekommen war, zeigte sie ihnen ihren Fund: in der Erde hatte seit undenklichen Zeiten ein Ring gelegen; durch einen Zufall war die Lilie durch ihn hindurchgewachsen und hatte ihn gehoben, sodaß er nun in der Mitte des Stengels lag, auf einem der schmalen Blätter. Der Ring umschloß einen dunkelblauen Stein mit Goldflimmern, auf welchem ein Falter eingeschnitten war. Savonarola sagte: »Der Schmetterling entsteht am Morgen aus der toten Puppe, und einen Tag hat er zu flattern. Der Weg der Sonne ist für ihn das Maß seines Lebens. Er denkt, daß für ihn die Blumen gewachsen sind und der Berg sich hochzieht, und wenn er abends auf den kalten Erdboden fällt, so ist die Welt tot. Und wenn wir Menschen auch achtzig Jahre leben und denken, alles ist für uns da, und uns muß alles gehorchen, so leben wir doch nicht länger wie der Schmetterling. Deshalb war er unseren Vorfahren ein Sinnbild der Vergänglichkeit. Aber ruhiger kann er leben wie wir, denn er weiß seine Stunde, denn die ist, wenn die Sonne sinkt. Wir aber, wir leben, wie es geschrieben steht, und +wissen+ die Stunde nicht.« Und er betonte das: wissen. »Deshalb ist es ein Furchtbares um diesen geschnittenen Stein, der tausend Jahre in der Erde geruht hat und nun aufersteht, wie der Schmetterling aus der Hülse. So nimm ihn und vergrabe ihn wieder, damit er weiter ruht, mit allem Andenken an seinen alten Herrn und an dich, die ihn nun von neuem betrachtet hat.« Fra Beato sagte: »Der Schmetterling wird geboren am Morgen und muß sterben am Abend, ihm sind seine Stunden gezählt. Aber Menschen sah ich sterben, die zwanzig Jahre gelebt hatten und in der Zeit ihren Weg durcheilten, und Menschen, die achtzig Jahre brauchten, um an ihr Ziel zu kommen. Deshalb müssen wir glücklicher sein wie der Schmetterling, denn wir, wir wissen die +Stunde+ nicht«; und er betonte das: Stunde; »denn es wäre ein Unrecht gegen unsern gütigen Gott, wenn wir uns nicht jeder Blume gefreut hätten, weil wir etwa dachten: noch viele Jahre haben wir vor uns, in denen wir sie umflattern können. Deshalb ist der Schmetterling ein Sinnbild des Glückes, weil er unschuldig alles Glück genießt. So ist es etwas Wundervolles um diesen Trost und die Ermahnung, die nach tausend Jahren aus der toten Erde zu uns kommt. Gib mir den Ring, Lucrezia. Ich will dich auf meinem Bilde darstellen als den Engel der Verkündigung, der die Lilie in der Hand trägt; und unter dem Bild in einem Kästchen will ich den Ring aufbewahren, der so schön gesprochen hat: Freue dich.« Cosimo sagte: »Die Raupe starb, und es ward die Puppe, und als die Puppe starb, ward der Falter. Deshalb ist er ein Sinnbild der Auferstehung. Und wir wissen nur nicht, was sein wird, wenn der Falter stirbt. Aber alles das geschieht, weil es so geschehen muß, ohne unsern Willen, ohne Verdienen, ohne Verschulden. Auch wir werden sterben, und das ist alles ein ewiger Kreislauf, deshalb wollen wir gleichmütig sein; denn wir, wir wissen die Stunde +nicht+.« Und er betonte das: nicht. »Deshalb gib mir den Ring, Lucrezia.« Und er griff nach der Lilie und nahm sie und wollte Lucrezia küssen; sie aber schrie auf, riß sich los und eilte den Berg hinab. * * * * * Savonarola und Fra Beato waren zu dem sterbenden Cosimo gerufen. Sie standen vor seinem Bett. Savonarola sprach: »Du hast in Gewalttätigkeit, Trug und Hinterlist gelebt, denn du wolltest, dir soll alles gehorchen. Als du ein Jüngling warst, da waren die Florentiner freie Bürger, du hast sie zu deinen Sklaven gemacht. Viele Menschen hast du gemordet; aber schlimmer wie die Morde war es, daß du Freie zu Sklaven gemacht hast, denn du hast die Seelen erniedrigt. Laß von deinem Wahn der Herrschaft, gib dem Volk die Freiheit wieder, denn noch kannst du es und kannst vieles gut machen, denn noch bist du im Leben, und wir +wissen+ die Stunde nicht.« Und wieder betonte er das: wissen. Cosimo lag mit dem Gesicht zur Wand gekehrt; lange lag er so; dann drehte er sich langsam herum und sah Savonarola in das furchtbare Antlitz, und ein kluges Lächeln huschte über sein müdes Gesicht, und er sprach: »Savonarola, auch du hast in Gewalttätigkeit gelebt, auch du hast oft anders gesprochen, als du dachtest, denn du hattest immer im Auge, was du dein Ziel nanntest: nämlich, daß dir alle gehorchen sollen. Savonarola, Savonarola, du hast mehr Seelen erniedrigt wie ich, denn ich machte die Menschen unfrei gegen ihren Willen, du aber hast sie mit ihrem Willen zu deinen Sklaven gemacht. Aber ich will dich nicht vermahnen, denn du warst notwendig, wie ich notwendig war, und nur Gott weiß, weshalb wir so sein mußten, wir aber, wir wissen die Stunde +nicht+.« Und wieder betonte er das: nicht. Da sprach Fra Beato: »Mir hat Gott das höchste Glück verliehen, nämlich die Freiheit, und nicht nur für mich gab er sie, sondern er gab mir auch, daß ich alle Menschen frei machen kann, die zu mir kommen. Das aber tat er, indem er mich zu einem Knecht der Schönheit machte. Wie ein Schmetterling habe ich gelebt, und jeder Tag meines Lebens war mir so lang wie ein ganzes Menschenleben, und alles Glück habe ich in mir, denn Schönheit ist Glück. Mitleid habe ich stets für dich gehabt, Cosimo; denn ein Herrscher muß einen andern Menschen aus sich bilden neben sich selbst, der hält ihn in Gefängnis und Ketten. Und noch größeres Mitleid hatte ich mit dir, Savonarola; denn Cosimos wahrer Mensch lebte wenigstens noch, wenn auch in Banden, und er hatte die Erinnerung an Jugend, Liebe und Sonne; aber du hast einen solchen andern Menschen aus dir bilden müssen, der dich selbst, deinen wahren Menschen, ermordete. Ich aber bin noch, der ich war, und ich freue mich, daß ich der sein werde bis zu der Stunde, denn deshalb war ich ja immer freudig, weil ich Gottes Willen mit mir erfüllen wollte, der war: ich soll immer freudig sein, denn wir, wir wissen ja die +Stunde+ nicht.« Und wieder betonte er das: Stunde. Savonarola stand stolz da, dann ging er aus der Tür, ohne Abschied; Cosimo aber hielt seine Hände vor das Gesicht und weinte. Seine Hände waren sehr fest gewesen. Der Dichter und die Schauspielerin Eine Novelle in Briefen 1 Mlle. Eugenie Chabert an Herrn de Voisenon. Paris, April 1750. Lieber Freund: Darf ich Sie noch so anreden nach den harten Worten, die wir gewechselt haben, ehe Sie von Paris abreisten; noch mehr: darf ich die acht Tage gänzlich aus meinem Gedächtnis entfernen, in denen unser Verhältnis plötzlich so ganz anders erschien; und wäre es Ihnen möglich, auf den Vorschlag einzugehen: daß alles zwischen uns wieder so sein soll, wie es in den Monaten vor jener stürmischen Woche war? Ich verlange vielleicht viel. Aber Sie werden mir gewiß glauben, daß die Erfüllung meines Wunsches mich ebensoviel Überwindung der Scham kostet wie Sie -- vielleicht noch mehr, da ich Weib bin -- und daß ich ihn nur ausspreche, weil ich denke: auch Ihnen wird seine Erfüllung etwas sein. Wir sind ja beide einsam in der Welt: Sie auf Ihrem stillen Stübchen und ich inmitten der vielen Menschen, welche mich umdrängen. Sie haben sich wohl nie falsche Begriffe über das Leben gemacht; mir wurde erst klar durch Sie, daß ich immer allein gewesen, wie mir seit unserer Trennung klar wurde, welches Glück mir Ihre Freundschaft bereitete. Es war ein merkwürdiges Glück, denn es entstand nicht durch das, was Sie mir gaben, wiewohl das kostbar genug war, sondern dadurch, daß ich selbst mich plötzlich reich fühlte, daß ich geben konnte, und Dinge geben, von denen ich vorher nie gewußt hatte, daß ich sie besaß. Seit Sie mich verlassen haben, bin ich wieder arm geworden, so arm, daß selbst die Erinnerung an meinen vorigen Reichtum mir unglaublich wird, und daß ich mich oft frage: waren das Diamanten, was du damals besaßest, waren es nicht dieselben armseligen Kirschsteine, die du nun hast? Sie sagten mir in jener Zeit einmal, daß auch Sie neue Schätze in sich entdeckten, und Sie glaubten in jenen Tagen, daß der Dichter die Schauspielerin brauche wie die Schauspielerin den Dichter. Wir sprachen von dem Ausdruck von Empfindungen durch die Haltung des Nackens, und Sie erzählten mir, wie Ihnen lange gesuchte Worte gekommen seien durch eine plötzliche Wendung des Kopfes, die ich bei einer Ihrer Bemerkungen machte. Gewiß erinnern Sie sich noch. Sie erzählten noch manches, was ich nicht verstand -- ich verstehe es auch jetzt noch nicht -- aber es machte mir eine merkwürdige Freude: daß für den Dichter das Leben eine schwere Last sei durch den Kampf zwischen Schamlosigkeit und Stolz, und daß die Leichtigkeit meiner Füße Ihr Leben leichter mache. Sie sehen: wenn ich an diese Erinnerungen komme, so werde ich geschwätzig. Aber ich darf in diesem Briefe einen solchen Ton nicht anschlagen. Ich bitte Sie um eine Gunst: Sie sollen mein Vertrauter sein, vielleicht mein Ratgeber -- ich habe ja niemanden in der Welt, dem ich mich vertrauen kann, wie Sie, Sie, den ich so sehr gekränkt habe. Aber Sie müssen mich anhören, denn erst durch Sie habe ich die Notwendigkeit kennen gelernt, zu sprechen -- wissen Sie noch, was wir »sprechen« nannten, damals! -- und klar zu werden durch einen Wiederhall. Ein Wort von Ihnen läßt mich nicht mehr ruhen. Sie sagten: »Künstler sein heißt Lügner sein -- Sie sind glücklich, daß Sie das nicht begreifen.« Ich habe es begriffen, ganz ernst spreche ich, ich habe es begriffen; vielleicht verstehe ich heute manches mehr von Ihrem Betragen in der letzten Zeit, von meinem eigenen Betragen: weshalb empfand ich plötzliche Leere? Aber was sind denn die andern Menschen, wenn wir Lügner sind? -- Ich hatte bis hierher geschrieben; aus einem Gefühl der Unruhe las ich meine Sätze wieder durch, und ich finde, daß ich in einem Hauptpunkte mich falsch ausgedrückt habe: nicht ich habe Sie, sondern Sie haben mich gekränkt. Ich bot Ihnen ein Herz an -- was machten Sie mit meinem Herzen? Aber ich will Ihnen keine Vorwürfe machen, darf sie nicht machen; nur: schreiben Sie mir eine Zeile, daß ich Ihnen meine Mitteilung machen darf, daß Sie mein Vertrauen ehren und in Freundschaft aufnehmen wollen. 2 Herr de Voisenon an Mlle. Eugenie Chabert. Chateau Tournay, April 1750. Ich habe lange darüber nachgedacht: insoweit man von Schuld sprechen kann bei unserer Trennung, auf wessen Seite lag denn die Schuld? Aber ich bin zu dem Ende gekommen, daß das eine unlösbare Frage ist. Als wir zusammen waren, entstand ein Neues zwischen uns Beiden, das weder Sie waren noch ich -- das auch nicht einmal Züge von uns Beiden hatte, sondern es war ganz neu entstanden. Und wie das mit dem Glück war, so war das nachher auch mit dem Streit und mit dem Auseinandergehen: es war ein neues Wesen zwischen uns entstanden, das uns trennte. Von Herzen danke ich Ihnen für Ihren Brief. Er beweist, was er zwar mir nicht beweisen mußte, daß Sie groß denken: dafür danke ich Ihnen, daß Sie das vermögen, wie ich Ihnen immer dankbar bin dafür, daß Sie sind. Erzählen Sie mir, was Ihnen auf der Seele liegt; ich werde Ihre Worte treu aufnehmen. Vielleicht gibt Ihnen das eine gewisse Beruhigung in der Aufregung, in welcher Sie sich offenbar jetzt befinden, daß Sie zu einem Mann sprechen können wie zu einem Fremden, der ein Beichtvater ist: nicht wahr, Sie wissen, daß Sie nicht mehr von mir erwarten dürfen, wie einen Fremden, einen sehr gütigen Fremden, der ein Beichtvater ist? Als wir uns trennten, sagte ich Ihnen: »Ich werde immer Güte fühlen gegen Sie«; auch das haben Sie gewiß nicht vergessen, denn als ich es Ihnen sagte, wollte ich, daß Sie es in Ihrem Sinn behalten sollten. Ich schließe mit den Worten, mit denen Sie Ihren Brief beginnen: Liebe Freundin. 3 Mlle. Eugenie Chabert an Herrn de Voisenon. Paris, April 1750. Lieber Freund, hier ist meine Erzählung. Vor etwa vier Wochen erhielt ich einen seltsamen Brief von einem mir unbekannten Vicomte de Palafoy. Der Schreiber hatte mich am Abend in einer großen Rolle gesehen -- die Sie gewiß ahnen, die mir sehr teuer ist Ihretwegen -- und hatte, nach seiner Darstellung, einen sehr tiefen Eindruck gewonnen. Er erzählte, daß er noch sehr jung sei und eben den Nachmittag erst in Paris eingetroffen sei. Meine Darstellung der edlen und schönen Empfindungen, welche die Heldin des Stückes habe (merkwürdig, daß der junge Mann in seiner Begeisterung doch den Unterschied zwischen den Worten des Dichters und der Darstellung machte, den die meisten unserer Verehrer vergessen; ein Zeichen für seine Intelligenz) -- werde bestimmend für sein ganzes Leben sein. Der weitere Inhalt des Briefes kann Sie nicht interessieren. Ich empfand den Wunsch, den Briefschreiber selbst kennen zu lernen. Es stellte sich mir ein wirklich sehr junger Mann vor. Um die äußern Dinge gleich mitzuteilen: er treibt hier wissenschaftliche Studien, ist sehr reich und sehr vornehm und völlig sein eigener Herr, da beide Eltern tot sind. Lieber Freund, es soll zwischen uns die größte Offenheit herrschen, nicht wahr? Sie wissen, welchen Teil in meiner Seele Sie einnehmen: nie wird jemand Sie aus diesem Besitz verdrängen können. Aber dieser achtzehnjährige Vicomte hat noch ein neues Land in mir entdeckt. Ich glaube Ihr skeptisches Lächeln zu sehen, aber Sie haben unrecht: ich habe die Schönheit der Tugend empfunden. Mein Ausdruck ist schlecht. Er sagte einmal: er werde am nächsten Abend zu einer bestimmten Stunde einen Stern ansehen, den er mir zeigte; ich solle zu derselben Zeit meine Blicke fest auf den Stern heften und wir würden dann glücklich sein, indem wir empfinden, daß unser gereinigtes Ich sich auf jenem Stern treffe. Während ich diese Zeilen schreibe, fühle ich selbst, wie lächerlich ich mich Ihnen zeige. Könnte ich mich ausdrücken -- ach, gerade Ihnen gegenüber kann ich mich nicht ausdrücken! Ihnen habe ich einmal gesagt: Ehe ich Ihre Freundschaft hatte, habe ich mich selbst nicht gekannt. Und ich habe dasselbe dem jungen Vicomte gesagt, ich habe es ihm sagen müssen, indem ich dabei an Sie denken mußte; und wir saßen dabei in demselben Zimmer, das Ihnen so gut bekannt ist, an demselben Tischchen, und alles war dasselbe wie damals, nur auf Ihrem Stuhle saß der Vicomte. Ich muß mich fragen: Ist denn unser ganzes Leben nur ein Theaterspiel? Spiele ich nur eine Rolle, heute in einem Stück, das der Vicomte dichtet, wie gestern in einem, das Sie gedichtet hatten? Aber ich schwöre es Ihnen: ich bin gegen Sie die alte, und der Vicomte hat Ihnen nichts, nichts genommen: er hat sich eine neue Welt entdeckt und ein herrenloses Land erobert. Als ich meinen ersten Brief an Sie schrieb, ahnte ich, daß die Begegnung weitere Folgen für mich haben werde, und ich fühlte mich zu schwach, allein denen entgegenzutreten. Ich fühlte, daß ich Ihnen und Ihren Gefühlen ein Unrecht antun werde durch meine Mitteilungen, aber Sie sind ja der einzige Mensch, dem ich mich anvertrauen kann in meiner Lage, und Sie sind großmütig, Sie wissen, weshalb wir Frauen oft grausam sind -- schlecht sind. Ich bin schlecht gegen Sie, aber Sie sind ein guter Mensch. Gestern war der Vicomte bei mir und trug mir seine Hand an. Ich hatte seine Worte erwartet, aber als er sprach, war ich so überrascht, daß ich in Tränen ausbrach, aus dem Zimmer ging und mich einschloß. Er verließ das Haus, ohne mich nochmals gesprochen zu haben. Habe ich Ihnen einmal die Geschichte Emiliens und des Herrn de Saint-Cyr erzählt? Hätte ich Emilie noch hier! Aber ich weiß nicht, in welcher entlegenen Gegend Frankreichs sie sich verborgen halten mag. 4 Herr de Voisenon an Mlle. Eugenie Chabert. Chateau Tournay, April 1750. Liebe Freundin, der Vicomte de Palafoy ist achtzehn Jahre alt, Sie selbst zählen sechsundzwanzig. Sollte eine so kluge Frau, wie Sie sind, die so viel gesehen hat, nicht wissen, welcher Art die Liebe des jungen Mannes ist, welcher Art Ihre eigene Zuneigung sein kann? Lassen Sie uns sprechen als die zwei Erfahrenen der Liebe, die wir sind: der Jüngling ahnt in Ihnen das Weib, das ihn bilden kann, das den doppelten Reiz von Geliebter und Mutter auf ihn ausübt. Er ist gut, vornehm und unschuldig; er versteht den Zug der Natur nicht zu deuten; das ist die Sache der Erfahrung, ist Ihre Sache, liebe Freundin. Können Sie glauben, daß seine Beziehung zu Ihnen auch nur wenige Wochen das Angesicht behalten kann, das sie jetzt hat, das neue und ersehnte Angesicht, das sie in den ersten Tagen des Taumels erfüllter Liebessehnsucht haben wird? Ist seine Natur vornehm und gut, und ist seine jetzige Verfassung nicht durch bloße Zufälligkeiten eines behüteten und zurückgezogenen Lebens in der Provinz verursacht, so wird er durch Sie aus dem Jüngling ein Mann werden und muß dann seine Neigung einem unberührten Mädchen zuwenden, das in ihm den Geliebten und Vater sehen wird. Um Ihre neue Ausdrucksweise zu gebrauchen: so tugendhaft wie seine jetzige Liebe zu Ihnen wird dann seine neue Liebe sein, denn er folgt einem durch die Menschen veredelten Triebe der Natur. Möchten Sie wünschen, alsdann den heute noch Unerfahrenen durch ein unlösliches Band an sich gekettet zu haben, seine Vorwürfe zu hören, denn wenn er ein Mann wird, muß er die Ihnen machen; Ihre eigenen Vorwürfe zu übertäuben; unglücklich zu machen und unglücklich zu sein? Ich glaube, Sie sind zu klug, eine solche Tat zu begehen; und wenn Sie vielleicht auch nicht Güte des Herzens haben, so haben Sie doch die wertvollere Güte des Verstandes, die Ihnen eine solche Schlechtigkeit verbieten wird. Aber ich warne Sie auch vor anderem. Frauen sind in der Liebe immer klüger wie wir Männer, so lange es sich nur um Gefühl und Empfindung handelt; aber sie werden törichter wie der törichtste Mann, sobald die bürgerliche Ordnung der Liebesbeziehungen in Frage kommt. Sie haben alle recht in ihrer Klugheit: in ihrer Torheit haben die Geringeren noch mehr recht, denn die ist ihnen eine wichtige Waffe im Lebenskampf, der für die Kleinen ja nun einmal den Lebensinhalt bildet. Wenn ich von unserer Beider Beziehung sprechen darf: Sie begannen mich nicht mehr zu verstehen, als ich das von Ihnen verlangte, was Sie nannten »Ein Opfer bringen«. Ich habe mich beschieden, denn ich bin stolz und weiß, was meine Liebe wert ist, daß sie wirklich auch das aufwiegt, was Sie Opfer nannten; denn wenn ich liebe, so will und kann ich geben und brauche nicht zu nehmen; wo die Hand nicht ausgestreckt ist zum Nehmen, wo sie geballt ist zur Verteidigung, da ist freilich ein Geben nicht möglich. Dieselbe Torheit, die sie mir zeigten, zeigen Sie nun auch dem Vicomte. Liebste, Liebste, sind Sie denn so wenig, daß es erstrebenswert für Sie ist, mehr zu sein? Sie wollen Vicomtesse werden, Schloßherrin, reich, und den ganzen Traum einer kleinen Grisette zur Wirklichkeit machen. Es ist also nichts, eine in ihrer Art einheitliche Persönlichkeit zu sein? Der junge Mann stammt aus einer vornehmen Familie; er muß eine Frau vornehmer Abstammung haben, die von seinen Standesgenossen anerkannt wird, in ihre Lage hineingehört, ihm nachfolgeberechtigte Kinder gibt und die nach den Anschauungen und Bedürfnissen ihres Standes erzieht. Eine solche Frau wird auf Grund ihrer Eigenschaften und ihrer gesellschaftlichen Stellung geachtet. Werden Sie nicht geachtet auf Grund Ihrer Eigenschaften und Ihrer Stellung in der geistigen Gesellschaft? Würden Sie es nicht töricht finden, wenn eine Dame aus den vornehmen Kreisen, bloß, weil sie Ihre Stellung wünschenswerter findet wie die, zu welcher Natur und Gesellschaft sie bestimmt, das werden wollte, was Sie sind? Und Sie wollen werden, was jene ist? Jene könnte nicht unglücklicher werden wie Sie. Oder meinen Sie, daß die Schloßherrinnen glücklicher sind wie die Schauspielerinnen? Ich habe das Glück als Regel nur gefunden bei den körperlich schwer arbeitenden und sich den Tieren nähernden Menschen; als Ausnahme in den Kreisen, welchen Sie angehören, wo man die Kunst versteht, sich vorzulügen, was man will und für den Augenblick zu sein, wer man will; und nie fand ich es in der höheren Gesellschaft. Haben Sie sich das nie klar gemacht: Je höher einer steht, desto mehr sieht er, desto mehr muß er wünschen, desto mehr bleibt ihm unerfüllt -- desto weniger bedeutet ihm eine Erfüllung. Wenn meine Worte Sie überzeugt haben sollten, so werden Sie vielleicht auf einen neuen Weg für Ihre Wünsche kommen. Denn Sie lieben den Vicomte. Wollen Sie ein freies Herzensbündnis mit ihm schließen und wollen Sie ihm gewähren, was Sie mir versagten? Ich verstehe durchaus, daß Ihre neue Neigung stärker sein muß, wie die Neigung, die Sie zu mir haben konnten. Ich sprach zu Ihrem Verstand, zu Ihrer Phantasie, mit mir lebten Sie in jenem Kreis, der bis zu einem gewissen Grade -- nämlich soweit die schauspielerische Darstellung Kunst ist -- der Kreis ist, in welchem sich Ihre höchsten Empfindungen bewegen. Aber der Vicomte spricht zu ihrem Herzen, in seiner Gegenwart kann das tiefste Menschliche in Ihnen warm überströmen, das in meiner Gegenwart erstarren mußte. Er kann Ihnen Kind sein, ich war Ihnen immer Lehrer. Sie wissen, daß mich selbst nie ein Leiden abhalten würde, wenn ich meine Seele bereichern kann; und ich kann Ihnen nicht raten, was für Ihr kleines Wohlbefinden gut ist; dazu schätze ich Sie zu sehr, halte ich Sie zu sehr für meinesgleichen; ich kann Ihnen nur raten, was ich selbst tun würde. Das ist: Geben Sie sich ihm hin, machen Sie ihn ganz glücklich und suchen Sie jedes Glück, das Sie mit ihm haben können; indem Sie wissen, daß er in kurzem Sie unglücklicher machen wird, als jemals ein Mensch Sie gemacht hat; denn Sie können ihm mehr geben, als Sie sonst jemandem geben konnten, und deshalb wird nachher seine Undankbarkeit die größte sein, Ihre Leere die vollständigste. Aber mußte ich Ihnen das alles sagen? Haben Sie das nicht alles vorher gewußt, wollten Sie nicht nur, nach Frauenart, eine Bestätigung, oder -- einen Vorwand zur Blindheit? Wird Ihnen diesen Vorwand nicht mein Brief dennoch verschaffen, denn es ist doch der Brief eines Verschmähten? Was ist das für eine Geschichte von Herrn de Saint-Cyr und Emilie? Es lebt in meiner Nähe ein Ehepaar dieses Namens. Ich lernte den Herrn auf der Jagd kennen, als ich auf der Pirsch durch Unkenntnis in sein Revier geraten war. Die Beiden scheinen sehr liebenswürdig; nur ist die Frau wohl etwas gedrückt, vielleicht, weil die Ehe kinderlos ist. Der Mann gibt sich viele Mühe, sie zu erheitern. Sie haben ihr Gut vor etwa zwei Jahren gekauft, und es kennt sie sonst niemand von dem umwohnenden Adel. 5 Mlle. Eugenie Chabert an Herrn de Voisenon. Paris, Mai 1750. Lieber Freund, Sie haben mich freilich nicht geschont in Ihrem Brief, und vielleicht haben Sie nicht bedacht, daß Sie ihn an eine Frau schrieben. Gestehen Sie nur: wir Frauen mögen unsere große Torheit haben; aber ist es wirklich klug, den Schleier, den die Natur selbst uns treibt über manche Empfindungen zu decken, unbarmherzig zu zerreißen? Wäre es nicht möglich, daß diese Empfindungen dadurch etwas anderes würden als sie waren und in Wahrheit sein müssen? Sie nennen den Schleier vielleicht Lüge: üben Sie darin nicht Rache an der Liebe? Ich habe nicht gedacht, was Sie aussprechen; nachdem Sie es ausgesprochen, muß ich es denken. Die Natur gibt selbst den Tieren in der Zeit der Liebe irgend etwas, das nur ein schöner Schein ist, und merkwürdig, es ist meistens das Männchen, dem sie diese Sorgfalt zuwendet! Sollten nicht auch die Frauen deuten und überlegen, und wenn ein Mann zum Dichter wird in der Zeit, da er um ein Weib wirbt, wie das Männchen einer Vogelart neue und glänzende Federn erhält: könnte da nicht dem Weib der Gedanke kommen: das ist nur ein bedeutungsloses Prunken, ein Mittel, um dich für einen bestimmten Zweck gefügig zu machen? Sollten wir Frauen alle so unwissend sein, daß wir diesen Schönheiten die Bedeutung zuerteilten, welche sie beanspruchen: nämlich dauernd zu sein und wesentliche Eigenschaften des liebenden Mannes? O, viele von uns sind klug genug, um die Wahrheit zu wissen, welche sich hinter dem Schleier verbirgt, aber nur eine ganz Verworfene wäre so unedel, sie zu sagen. Ich will Ihnen keinen Vorwurf machen, denn ich weiß, daß die Männer schamlos sind, daß sie das sein müssen; aber ich dachte, daß auf den höchsten Stufen der Gesittung die Männer von uns Eigenschaften annehmen, wie wir von ihnen; und ich habe mich gefragt -- achten Sie ernsthaft darauf, was ich mich gefragt habe: ob Sie an Mlle. de Villars geschrieben hätten, wie Sie an mich schrieben. Ich bin nicht eifersüchtig, und ich habe kein Recht, auf Sie eifersüchtig zu sein; aber wenn Sie meinen Stand und meine Lage als nicht problematisch (wie sie meines Erachtens sind), sondern als in ihrer Art gleich vollendet und selbstgenügend hinstellen wie die einer Dame der Gesellschaft; so muß ich auch verlangen, daß Sie in entsprechender Weise Rücksichten nehmen, indem Sie das schonen, was Sie ja in Ihrem Innern meine Lebenslüge nennen mögen. Noch einmal: Stellen Sie sich recht lebhaft vor, wie Sie an Mlle. de Villars geschrieben haben würden, an das junge Mädchen von achtzehn Jahren aus vornehmer Familie, das eben aus dem Kloster gekommen ist, und das Sie zu Ihrer Gattin zu machen beabsichtigen. Sie würden nicht gedacht haben: ich will ihr schreiben, was ich selbst tun würde, nachdem ich ihr geschrieben, was ich selbst denke, sondern ich will mir vorstellen, was sie empfinden muß, was ein Mensch, der so empfindet, denken und tun muß; denn ein Mann muß Frauen schonen. Sie wollen Emiliens Geschichte wissen; ich will sie Ihnen erzählen; vielleicht, daß Sie aus ihr lernen, was einen Dichter hätte die Natur lehren sollen. Sie wurde als ganz junges Mädchen von ihrer Mutter dem Leiter unserer Truppe vorgestellt, und da sie eine vorzügliche Bühnenfigur besaß, nahm man sie sogleich mit einem kleinen Gehalt an. In der Folge stellte es sich heraus, daß sie keinerlei schauspielerische Begabung hatte; nicht, daß es ihr an Phantasie, Temperament und Verstand gemangelt hätte; aber sie war durch eine eigenartige Vornehmheit ihres Wesens gebunden und konnte nicht aus sich herausgehen; Sie sagten einmal selbst: jede Kunst steht in einem gewissen Gegensatz zur Vornehmheit; man konnte sie höchstens zu Anmelderollen verwenden. Von ihrem Herkommen sprach sie nie, es schien mir aber, daß sie von guter Familie sein müsse. Ein geringer Rest von Vermögen, der wohl noch vorhanden war, wurde im Laufe der Zeit ausgegeben, da sie mit ihrer Mutter von ihrem Verdienst beim Theater nicht leben konnte, und es stellte sich die Notwendigkeit heraus, daß sie den Bewerbungen eines reichen Verehrers nachgab. Über diese Dinge sprach sie nie mit mir, trotzdem ich die einzige unter uns war, zu der sie ein Zutrauen gefaßt hatte. Sie wissen, wie es am Theater hergeht, und daß selbst ein Mädchen ohne besondere Reize, wenn sie nur irgendwie mit der Bühne in Beziehung steht, auf das lebhafteste von unseren vornehmen jungen Herren umworben wird. Emilie scheint ihre Verehrer mehrfach gewechselt zu haben, aus welchen Gründen ist mir unbekannt; jedenfalls wußten wir alle, daß sie in einigen Jahren durch die Freigebigkeit der Herren und ihr einfaches Leben ein beträchtliches Vermögen erworben hatte. Ihre Mutter starb in dieser Zeit, und als ich sie bei dem Begräbnisse besuchte, sagte sie mir, daß sie sich ein Landgut in einer entfernten Gegend kaufen wolle, wo sie niemand kenne, um dort ihr Leben zu beschließen. Sie haben wohl nie von ihr gehört durch Ihr einsames und zurückgezogenes Leben; bei jedem andern Herrn Ihres Standes und Alters würde es mich wundern, daß Sie Emilie nicht gekannt haben sollen. Herr de Saint-Cyr kam um diese Zeit nach Paris. Durch einen Zufall nahm er seine Wohnung in dem Hause, wo Emilie wohnte, nur durch den Korridor von ihren Zimmern getrennt. Diese sah den vornehm aussehenden, aber sehr bescheiden gekleideten jungen Herrn täglich an ihrem Fenster vorbeigehen, und sein höflicher und achtungsvoller Gruß machte einen tiefen Eindruck auf das arme Mädchen, das sehr unter ihrer Stellung litt. Sie bemerkte, daß der Ausdruck seines Gesichtes täglich trauriger wurde. Da er sich um die Zeit des Mittagessens immer auf seinem Zimmer aufhielt und sie ihn nie mit irgend welchen Einkäufen zurückkehren sah, so wurde sie durch ihr Mitgefühl getrieben, ihn durch das Schlüsselloch zu beobachten; sie sah, daß er ein Stück Brot aus dem Schrank nahm, es sorgfältig abmaß, ein Stück abschnitt, und dieses dann ohne weitere Beigabe verzehrte. Für den nächsten Tag ließ sie ihre Köchin etwas reichlichere Einkäufe machen und ein für mehrere Personen genügendes Essen vorbereiten; dann erwartete sie ihn an ihrem geöffneten Fenster, indem sie sich an ihren Blumenstöcken zu schaffen machte. Er wollte mit seinem gewöhnlichen Gruß vorbeigehen, sie redete ihn aber an, indem sie ihm scherzend vorwarf, er sei unhöflich, daß er noch nie zu ihr gesprochen habe; und indem er erwiderte und sie antwortete, lud sie ihn am Ende zu ihrem Essen ein und drängte ihn so, daß er kommen mußte. Nach der Mahlzeit, als sie noch verschiedenes geredet hatten und vertrauter geworden waren, sagte sie zu ihm: »Ich sehe, mein Herr, daß Sie sehr unglücklich sind, und vermute wohl mit Recht, daß Sie hier keinen Freund oder Bekannten haben, dem Sie Ihre Sorgen erzählen können. Deshalb möchte ich mich Ihnen als Vertraute anbieten, ob ich vielleicht Sie trösten oder Ihnen sonst irgendwie helfen kann. Und damit Sie die Scham überwinden, welche ein Unglücklicher naturgemäß hat, wenn er einem Fremden sein Herz öffnen soll, so will ich selbst mit einem Geständnis beginnen, welches mir viel schwerer werden muß als alles, was Sie mir gestehen können, denn mein Leiden ist schwerer, wie es das Ihre sein kann: ich bin ein Mädchen, das seinen Unterhalt davon hat, daß es seine Ehre preisgegeben hat.« Herr de Saint-Cyr erzählte, daß er ohne Eltern sei und durch die Nachlässigkeit seines Vormundes sein gesamtes Vermögen verloren habe. Seine Verwandten, die denselben Namen trügen wie er, seien sehr einflußreich am Hofe, und er sei nach Paris gekommen, um durch ihre Verwendung eine bescheidene Stellung zu erhalten. Aber da es ihnen offenbar peinlich sei, einen verarmten Vetter anzuerkennen, so sei er bei allen entweder durch leere Versprechungen hingehalten oder mit peinlichen Worten entlassen; und gerade heute habe er seinen letzten Besuch gemacht, und es bleibe ihm keinerlei Aussicht oder Hoffnung mehr. Emilie dachte eine Weile nach, dann erwiderte sie ihm: »Ein anderes Betragen ist von Verwandten in solchen Fällen nicht zu erwarten, wenn man nicht ein Mittel besitzt, um sie auch gegen ihren Willen zur Hilfe zu zwingen.« Und als Herr de Saint-Cyr sie fragte, ob sie ein solches Mittel wisse, fuhr sie fort, indem sie noch mehr errötete, wie bei den Worten, durch welche sie ihm mitgeteilt hatte, wer sie war: »Sie müssen Ihren Verwandten drohen, daß Sie sich werden durch die Not, um Ihr Leben zu erhalten, zu einer ehrlosen Handlung treiben lassen; und da diese, weil Sie den gleichen Namen haben wie Ihre Verwandten, auch denen Unehre machen würde, so werden sie gewiß alsdann alles aufbieten, um Ihr gerechtes Verlangen zu erfüllen. Als eine solche Handlung schlage ich Ihnen folgendes vor. Ich habe mir ein Vermögen erworben, welches für den standesmäßigen Unterhalt einer Familie genügen würde; mein Name und meine Lebensweise sind in den Kreisen der vornehmen jungen Leute bekannt genug; es genügt, wenn Sie erzählen, daß Sie mich kennen gelernt haben und mich heiraten wollen, um nicht Hungers zu sterben.« Auf diese großmütige Rede Emiliens konnte de Saint-Cyr nicht mit Worten erwidern. Er küßte ihre Hand, die sie ihm schnell entzog, und ging. Gegen Abend kam er zurück und suchte Emilie in ihrem Zimmer auf. Mit traurigem Gesicht erzählte er, als einzige Antwort habe er von seinen Verwandten erhalten, daß man ihn alsdann als einen Betrüger, der sich seinen vornehmen Namen fälschlich beigelegt habe, werde verhaften und in die Bastille führen lassen. Dann fuhr er fort: »Ich habe meine Eltern nicht mehr gekannt und war stets unter fremden Leuten. Sie sind der erste Mensch gewesen, der mir eine Freundlichkeit erwiesen hat. Ich biete Ihnen in Wirklichkeit meine Hand an und verspreche Ihnen, daß ich Sie lieben und ehren werde, wie Sie es verdienen. Wir werden Paris verlassen und an einem entfernten Ort leben; und mit einer Güte, welche der gleich sein soll, die Sie mir erwiesen, will ich mich mühen, Sie Ihre bisherigen Leiden vergessen zu machen.« Emilie antwortete ihm, daß er ihr etwas Unmögliches vorschlage, denn kein Mann könne vergessen, was sie bis jetzt gewesen sei; und wenn er auch jetzt glaube, daß er mit ihr eine Ehe führen könne, wie sie sein müsse, nämlich mit Achtung und Liebe für seine Gattin, so werde doch eine Zeit kommen, wo er seinen Schritt bereuen müsse; sie aber würde es nie ertragen können, sich als Ursache seiner Erniedrigung zu fühlen, selbst wenn er ihr, wie sie glaube, nie ein Wort sagen würde. Sie erzählte mir alles, was ich Ihnen schreibe, mit häufigen Tränen noch an demselben Abend und sagte, daß sie am nächsten Tage an einen Ort gehen werde, wo sie niemand finden könne. Am nächsten Tage kam Herr de Saint-Cyr zu mir, die er als einzige Freundin Emiliens kannte, berichtete mir ihr Verschwinden und teilte mir mit, daß er von einem Notar die Nachricht bekommen habe, daß sie ein Landgut auf seinen Namen habe überschreiben lassen; er war in höchster Erregung und sagte, er werde nicht eher ruhen, als bis er sie wiedergetroffen habe. Nun haben sich also die Beiden doch noch gefunden -- und sind glücklich. 6 Herr de Voisenon an Mlle. Eugenie Chabert. Chateau Tournay, Mai 1750. Liebe Freundin, Ihre Erzählung finde ich erstaunlich. Gestatten Sie mir jedenfalls eine kleine Zurechtsetzung: ich habe nicht geschrieben, daß das Ehepaar glücklich ist. Ich habe immer gefunden, daß Schauspieler behaupten, gute Menschenkenner zu sein; und Menschenkenntnis nennt man wohl die Begabung zum Mißtrauen. Ich selbst bin Dichter, und Dichter sind gläubige Menschen -- für meine eigene Person mißtraue ich nicht, auch Mlle. Eugenie Chabert gegenüber war ich ja stets gläubig, ungläubig war ich immer nur gegen mich selbst. Aber wäre ich Schauspieler, so würde ich sagen: vermutlich hat Mlle. Emilie Herrn de Saint-Cyr das Suchen nicht allzu schwer gemacht. Ich habe selten einen so vornehm empfindenden Mann getroffen, wie ihn: er kann unmöglich in irgend einer Lage seines Lebens, auch wenn er sein Teuerstes suchte, eine hervorragende Intelligenz entwickelt haben. Gewöhnlich verbindet die gütige Natur -- auch das haben Sie ihr gewiß abgelauscht! -- Vornehmheit der Gesinnung mit einem Vermögen, das den Besitzer vor den Folgen schützt; da Herr de Saint-Cyr einen begabten Vormund hatte, der ihn seines natürlichen Schutzmittels beraubte, so war es wohl ganz natürlich, daß schon sein erster Schritt ihn in eine unmögliche Lage brachte. Aber man bewundere die nie versagende Weisheit der Natur: sie pflanzte den Lebenskünstlerinnen ein, daß sie einem solchen Mann rettungslos erliegen müssen; ich bin gewiß, daß Emilie ihren Mann liebt mit einer Leidenschaft und Aufopferung, wie -- nun, das »wie« sage ich Ihnen nicht, Sie wissen es nur zu gut, das zeigen Sie mir täglich. Aber bin ich ein Schauspieler? Ich bin ein Dichter: was ich eben sagte, war eine Verstandesplattheit. Nein, Emilie ist gegen ihren Saint-Cyr wahr gewesen; haben denn nicht die Frauen die Begabung, immer wahr zu sein? Alle ihre Lüge -- und sie lügen wohl immer -- ist ja nur Oberfläche, ihre Tiefe ist wahr: auch Sie sind wahr, Liebste, Allerliebste! -- Glauben Sie es auch? Ach, wir Dichter sind allzu schamhaft! Bekannte schreiben mir, Ihr junger Vicomte habe die Bekanntschaft von Mlle. de Villars gemacht. Sollten Sie nichts davon gehört haben? Ich finde eine allzu große Klugheit unanständig; wenn wir die Handlungen und Beweggründe der andern Menschen zu gut erraten, so müssen wir ihnen wohl sehr ähnlich sein und nahe stehen; ich für meine Person wünsche nicht solche Ähnlichkeit und Nähe. Deshalb möchte ich Ihnen nur schreiben, daß ich Mlle. de Villars sehr liebe -- wenn ich ein Ihnen nicht unbekanntes Bild gebrauche: sie besitzt einen Teil meiner Seele, der Ihnen unbekannt ist. Wenn ich das Glück hätte, sie zu meiner Gattin zu machen, so würde ich mit ihr in diesem alten ehrwürdigen Haus leben, das von tüchtigen Vorfahren gebaut ist; wir würden Kinder haben, welche die Züge meines Geschlechtes haben, und hoffentlich keine Erbschaft von ihrem Vater, dem Dichter, überkommen, sondern Krieger werden und gar nicht bedeutend, wie meine Vorfahren; ich würde täglich ihre Hand küssen, sie würde zu Tisch in großer Toilette erscheinen, und wir würden jeder unsere Mauer um uns ziehen; denn finden Sie nicht auch: man kann sich nicht mehr achten, wenn man zu vertraut miteinander wird; und seine Gattin muß man doch wohl achten? Ich fürchte, ich habe zu viel verachtet in meinem Leben. Ich glaube, besonders sind es die Menschen, die durch sich (ich sage nicht: an sich) leiden, die sich mit andern vertraut machen. Gott schuf vielleicht das Weib, daß sie zu dem Mann kommt und ihm sagt, was er ist. Er schuf es demnach als Schauspielerin. Sie lacht und sagt zu dem Mann: du bist ja nicht einsam, du hast ja mich. Aber verletzt es nicht die Scham, wenn sie mit dem Mann mit leidet, mehr noch: nur in ihrer Phantasie mit leidet? Denn ich glaube ihr ja nicht, daß sie mit leidet. Sie hat da ein gewisses Land in ihrer Seele, daß sie in solchen Fällen entdeckt. Für jede neue Rolle entdeckt sie ein solches Land. -- Nebenbei; es fällt mir ein: Haben Sie noch Ihre frühere Auffassung von der Rolle in meinem Lustspiel, Sie wissen, das an jenem Abend gegeben wurde, wo der Vicomte sie zum ersten Male sah? -- Sie sagen vielleicht wieder: ich bin herrschsüchtig? Ich werde Mlle. de Villars nach meinem Willen formen, wenn ich sie heiraten sollte, und ich werde auf ihre Persönlichkeit keine Rücksicht nehmen? Ja, ich möchte, daß sie vornehm wird, daß sie das Leben in Heiterkeit erträgt, daß ich sie immer achten kann; darum liebe ich dieses Kindchen: ich weiß, daß sie eine Frau zu werden vermag, die ich immer achten kann. Und ich sehne mich so danach, jemanden zu achten! Ich werde sie lieben mit aller meiner Kraft. Und liebe ich denn nicht Sie? Weshalb dürfen wir nicht ein Spiel aus unserm Leben machen, dem wir in Heiterkeit zuschauen! Ich sagte Ihnen einmal: ich möchte mein Gesicht in Ihrem Schoß bergen und weinen. Sie haben mich nicht verstanden. Ich bat Sie einmal um etwas, das Sie mir hätten geben müssen; und indem ich fühlte: ich dürfte nicht bitten, ich müßte nehmen; und ich würde nehmen, wenn ich Sie nicht so unendlich liebte, daß ich durch die Liebe schwach bin; -- indem ich das fühlte, schmerzlich und nicht ingrimmig, sagte ich: Ich habe vor Ihnen keine Scham. Auch das haben Sie nicht verstanden. Vielleicht verlangte ich zu viel von Ihnen; Sie sollten gleichzeitig ein Stern sein, den ich ersehne und eine Blume, die ich pflücke: unerreichbar und erreicht. Es scheint, daß Dichter leicht närrisch werden, wenn sie lieben. Fräulein de Villars liebt der Edelmann, Sie liebt der Dichter. Ich bin nicht stolz auf die Tatsache, daß ich ein Dichter bin, Sie hätten Grund stolz zu sein, daß ein Dichter Sie liebt. 7 Mlle. Eugenie Chabert an Herrn de Voisenon. Paris, Mai 1750. Geehrter Herr, Ihr Brief ist mir nicht verständlich geworden; nur weiß ich, daß er auf jeder Zeile eine Kränkung für mich enthält. Aber ich verstehe jetzt besser Ihr Leben: Sie hatten recht, sich von den Menschen abzuschließen; denn ein solcher selbstsüchtiger Hochmut muß jeden zurückstoßen, der sich Ihnen in Güte nahen will. Hoffentlich kennt Mlle. de Villars nicht Ihre Pläne; wenigstens wird sie vermutlich den Gesprächen des Vicomte de Palafoy mehr Geschmack abgewinnen. Über Emilie denken Sie vielleicht anders, wenn Sie den beigeschlossenen Brief gelesen haben; ich bitte Sie, ihn mir zurückzusenden. Frau de Saint-Cyr an Mlle. Eugenie Chabert. Chateau Anmey, Mai 1750. Verehrtes Fräulein, Ihre häufig mir bewiesene Güte ermutigt mich, nach langer Zeit mich Ihnen wieder zu nähern. Ich bin Emilie, das damals so unglückliche Mädchen, dem vielleicht nur Ihre Freundlichkeit und Großmut ein furchtbares Leben erträglich machte. Heute bin ich Gattin des Mannes, von dem ich Ihnen erzählte, des edelsten und besten Mannes, den ich je sah, dem ich vielleicht nur einen Fehler vorwerfen kann: daß er sich keine würdigere Lebensgefährtin gewählt hat. Sie haben meine Beichte entgegengenommen; Sie wissen, daß ich vor meinem Glück fliehen wollte -- nur zu laut rief freilich mein Herz nach diesem Glück; und in Stunden, wie diese ist, wo mein ganzes Leben wieder vor mir steht und die schöne Gegenwart verdeckt, klage ich oft meine Sehnsucht und Hoffnung an, die meinen Gatten zu mir riefen gegen meinen Willen, die ihn zu seinem Schritt führten, den ich nie billigen kann, auch wenn er mich namenlos glücklich machte. Seit zwei Jahren sind wir vermählt; und meine ehrfürchtige Liebe ist nur größer geworden. Aber nicht im Glück brauchen wir unsere Freunde, wir haben sie im Unglück nötig; und ich ahne ein nahendes Unglück. Mein Gatte hat seit einiger Zeit die Bekanntschaft eines Herrn de Voisenon gemacht, der in der Nachbarschaft begütert ist. Er erwähnte einmal, daß er auch Sie kennt; wissen Sie etwas von ihm? Ich fürchte von ihm, und diese Furcht ist die Ursache meines Schreibens. Er ist gewiß kein guter und einfacher Mann; nie sah ich eine so harte Selbstsucht, eine so rücksichtslose Verachtung aller andern Menschen und ihrer berechtigten Wünsche. Vielleicht ist er nicht eigentlich schlecht, aber auch der schlechteste und gemeinste Mensch, den ich bisher sah, schien mir nicht so unmenschlich wie er. Meinen Mann hat er wie bezaubert, sodaß der nur noch mit seinen Augen sieht -- und was sind das für Augen! Ich möchte sagen: er sucht überall sein Unglück, und in seinem Gesicht steht geschrieben, daß er es überall gefunden hat. Sicher hat er nie etwas geglaubt, nie einem Menschen vertraut, nie einen Menschen geliebt; bis jetzt wußte ich nicht, daß es möglich ist, der Liebe gänzlich unfähig zu sein. Aber ich weiß noch nicht einmal, ob das alles richtig ist, was ich sage, denn er scheint nur aus Widersprüchen zu bestehen. Er will Kriegsdienst nehmen, obgleich er stark lahmt; nur das Kriegswesen scheint ihn zu interessieren, und wiewohl bei seinem Körperfehler doch eine soldatische Laufbahn ausgeschlossen sein müßte, wiewohl er schon an die Dreißig zu sein scheint, erstrebt er sie doch mit aller Leidenschaft, die diesem phlegmatischen Menschen möglich ist. Für alles Geistige hat er eine tiefe Verachtung, und insbesondere die Dichtung scheint er geradezu zu hassen, obschon er ein sehr lebhaftes Interesse für sie zu besitzen scheint. Ich habe keine Kinder und wünsche nicht, welche zu haben. Ich weiß genau, daß mein Charakter unedler ist wie der meines Mannes, daß nur in meinem Gefühl zu ihm das Gute, dessen ich fähig bin, zutage kommt, vielleicht auch sogar erst gebildet wird; und ich würde unsagbar betrübt sein, wenn unsere Kinder Eigenschaften von mir hätten, nicht ganz Abbilder meines edlen Mannes wären. Durch einen unglücklichen Zufall kam das Gespräch auf Kinder, und statt mich zu schonen, statt auf eine Ablenkung einzugehen, die ich versuchte, stellte er die unerhörtesten Behauptungen auf: nur als Mutter werde das Weib liebenswert, nur gegen ihre Kinder zeige sie ihre Schönheit, und man müsse ein Weib hassen, das keine Kinder gebären könne. Als ich weinend aufstand und mein Mann einige verlegene Worte sprach, entschuldigte er sich und sagte, er habe nur mit Worten gespielt, und seine eigene Ansicht sei vielmehr: nur die kinderlose Frau könne die Freundin des Mannes sein und ihn in seinem Wesen ergänzen, und erst durch eine solche Beziehung entstehe ein vollkommener Mensch. Ich konnte mich nicht halten und rief ihm zu: »Wer nicht an das Gute glaubt, der wird es nie erleben.« Er verbeugte sich und sagte ironisch: »Sie haben recht.« Schreiben Sie mir, ich bitte Sie flehend: wer ist dieser Mensch, wie kann ich mich vor ihm schützen? Er macht mich selbst unsicher. Ja, ich wünschte, daß mein Gatte mich finden möge; ich betete zu Gott, daß er seine Schritte zu mir führen möge; aber ich schwöre es Ihnen: ich bin ihm nicht entgegengekommen. Seit dieser neuen Bekanntschaft muß ich immer über mein Leben nachdenken, und überall finde ich Grund, mir Vorwürfe zu machen. Ja bei seinem spöttischen Blick glaube ich nicht mehr an das Gute in mir selbst; das einzige, was er mir nicht rauben konnte, ist der Glaube an meinen Mann: aber ich fürchte, ihm wird er alles nehmen. 8 Herr de Voisenon an Mlle. Eugenie Chabert. Chateau Tournay, Mai 1750. Den Brief von Frau de Saint-Cyr sende ich Ihnen mit verbindlichstem Dank zurück. Ich habe in demselben freilich keine Veranlassung gefunden, meine Ansichten über die Dame zu ändern; indessen hat mir aber mein Porträt, das er enthielt, große Freude gemacht. Man erfährt doch zu selten, wie man eigentlich ist. Besonders interessierte mich der Bericht meines indiskreten Gespräches über Kinder, das ich, wie Sie sich wohl gedacht haben, aufbrachte, um zu erfahren, bei welchem Teil der Ehegatten der Wunsch nach Kinderlosigkeit vorhanden ist. Ihrem eigenen Brief habe ich natürlich nichts hinzuzufügen. Nur möchte ich doch noch einmal von der Beziehung Ihres jungen Vicomte zu Mlle. de Villars sprechen. Ich schreibe sehr ernst; hielten mich nicht zur Zeit ganz dringende Geschäfte hier fest, so würde ich nach Paris reisen: wenigstens diese Angelegenheit wird mir nicht zum Lustspiel in meiner Empfindung (Sie wissen, ich habe eine unüberwindliche Neigung, das Tragische komisch zu finden: möchten Sie nicht die Kolombine in meinem nächsten Lustspiel spielen? Es heißt »Der verliebte Dichter«). Also: Sie werden nicht verstehen, was ich schreibe, vielleicht werden Sie es wenigstens fühlen: Ich hasse die Unvernunft, ich hasse die Unsittlichkeit, und ich bin an beide gekettet durch meine dichterische Begabung; ich hasse diese dichterische Begabung, denn sie macht den Menschen zu ihrem Werkzeug, der sie besitzt, sie zwingt ihn zu Dingen, die er nicht will und nicht darf; ich hasse eine unvernünftige und unsittliche Leidenschaft, die dem Mann vorgaukelt, er werde ein vollkommenes Wesen erst durch eine notwendige Ergänzung. Ich will eine vernünftige und sittliche Leidenschaft, bei der ich frei bin, unabhängig von einem andern Menschen, von einer Mauer umgeben. Ist mein Wille weniger mein Selbst wie meine Begabung? Meine Begabung ist es weniger, denn mein Selbst ist nicht unvernünftig und nicht unsittlich, ist nicht unterjocht durch etwas Fremdes, sondern ist frei -- frei, hören Sie, Eugenie? Ich habe mich sehr töricht gegen Sie benommen -- Sie meinen, weil ich töricht bin? Glauben Sie, ich weiß nicht, wie man ein Weib nimmt? Glauben Sie, ich wußte nicht, wie ich Sie hätte nehmen können, daß Sie willenlos mir gegenüber wurden? Aber ich streife da an Dinge, die in Wahrheit verhüllt werden sollten; denn wer auch die beiden Menschen sein mögen, es ist etwas Heiliges um den Augenblick, wo das Weib, das so lange verweigert hatte, begehrt. Seien Sie nicht wieder klein, werden Sie nicht gekränkt darüber, daß ich den Augenblick empfand, ihn nicht benutzte, und Ihnen das jetzt sogar noch sage; es ging Furchtbares vor in mir; ich liebte Sie zu sehr, und ich haßte meine Leidenschaft; Sie hätten mich damals schonen müssen, schonen Sie mich wenigstens jetzt. 9 Mlle. Eugenie Chabert an Herrn de Voisenon. Paris, Juni 1750. Geehrter Herr, ich fand gestern bei mir Ihre Karte vor. Wenn Sie wünschen, wegen der mir zugewiesenen Rolle in Ihrem neuen Lustspiel mit mir Rücksprache zu nehmen, so erwarte ich die Ehre Ihres Besuches, zu dessen Annahme mich mein Beruf verpflichtet, morgen zu der Ihnen bekannten Stunde. Sollten Sie wegen der Verlobung von Mlle. de Villars mit Herrn Vicomte de Palafoy Näheres von mir zu erfahren wünschen, so muß ich Ihnen schon jetzt mitteilen, daß die Nachricht mir selbst eine völlige Überraschung war. 10 Herr de Voisenon an Mlle. Eugenie Chabert. Paris, Juni 1750. Liebe Freundin, ich liebe Sie mehr, wie ich Sie je geliebt, aber ich sage Ihnen Lebewohl. Wenn ich nur an Sie denke, so fühle ich Glück, aber ich muß mich von Ihnen trennen. Alles war ja Glück, was von Ihnen kam, auch das, daß Sie ein Glück für mich zerstörten. In Ihnen habe ich mich vergessen, und mein ganzes Leben habe ich mich danach gesehnt, einmal, nur ein einziges Mal mich zu vergessen, mich, diesen grausamen Tyrannen, der mich quält seit meiner frühesten Kindheit. Wissen Sie noch, im Vorfrühling, im Anfang des März, als das verwesende Gras noch auf dem Rain lag und noch keine jungen Spitzen waren, da sagte ich: »Ich habe keine Scham vor Ihnen«; ich weiß nicht, ob ich es damals nicht im Haß sagte, und sicher habe ich Sie später tief gehaßt darum, daß ich das einmal sagte; aber gestern, als wir uns trennten, als ich Ihre dunkle Treppe leise tastend hinabstieg, vorsichtig tastend Ihre Haustür aufschloß, um den Pförtner nicht zu wecken: da erinnerte ich mich plötzlich an diese Demütigung, diese tiefste Demütigung, die ich je erlitt; und ich war Ihnen dankbar dafür und empfand Glück; denn ich hatte mich verloren, selig verloren, wie eine Welle im wogenden Meer, mein Ich war weit geworden. Ich habe mein ganzes Leben dem Schicksal geflucht, das mich zum Dichter machte, denn mir war die Kunst eine Qual, eine Krankheit, an der ich litt, ein Alp, der mich bedrückte. Gestern empfand ich es, daß es ein Glück sein kann, ein Dichter sein -- das Glück, das höchste Glück. Ich wollte nicht mehr Welle sein, ich wollte das ganze Meer sein, alles spiegeln: den blauen Himmel, den Mond, die Sterne, Ufer mit Bäumen und den Zug der fliehenden Kraniche, alles spiegelnd in meiner Tiefe bergen, eine Insel schaffen und die schmeichelnd umspülen. Meine Brust hätte ich weit machen mögen, denn so viel Glück umschloß sie, daß sie nun alle Leiden umschließen wollte; alles wollte ich fühlen, fühlend alles genießen, die Leiden nicht weniger wie die Freuden. War ich einmal hart gegen Sie, war ich grausam? Gegen mich war ich es, und weil Sie schon in mir waren, war ich es gegen Sie. Habe ich gegen Sie gekämpft? Gegen mich habe ich gekämpft, die junge Saat des Glückes in mir ließ ich zertreten durch die rohen Hufe wilder Gedanken. Aber heute fliegen meine Gedanken wie Tauben blitzend im Sonnenschein um einen Kirchturm und ihre erstaunten Augen trinken die Weite, die sonnig ist. Wie ganz anders ist die Welt geworden! Ich wußte ja stets, daß sie ist, was ich sehe; aber ich wußte es nur, ich glaubte es nicht. Ich war ja steinern geworden; als Sie mir Emiliens Selbstmord erzählten, als Sie mir aus ihrem Brief vorlasen, daß sie sich töte, weil sie fürchte, ihr Mann könne beginnen, seine Liebe zu bereuen, da rief ich lachend: »Ich glaube nur dem Menschen, ich zweifle an seinen Taten, mißtraue seinen Worten, und traue nie seinen Empfindungen.« War das ich, der das sagte? Habe ich Emiliens Schönheit nicht empfunden? Erst mußte ich meinen Stolz vergessen, erst mich in meiner Liebe verlieren, erst mich des Dichters freuen, bis mein Herz mitschlagen konnte bei Emiliens Empfindungen. Früher hätte ich gesagt: ein Dichter darf nicht vornehm sein, er muß ein gemeiner Mensch sein; heute liebe ich den Buchenwald, in dem die Zweige sich oben vereinen und eine weite Halle decken, die getragen wird von befreundeten Stämmen; wie heiter ist diese leichte Halle, wie glücklich geht das Reh -- und ich hasse den Fichtenwald und die starren, himmelstrebenden Stämme; die jeder einzeln sein wollen und sich wehren mit Nadeln; die zu einer Spitze aufragen. Ja, ich weiß nun, was Glück ist, und ich bin zufrieden, daß ich es einmal erfahren habe; es wäre doch merkwürdig: älter werden und sterben, und wie ein Farbenblinder sterben kann ohne zu erfahren, daß er nie die höchste Trunkenheit des Auges erfahren hat; zu sterben, ohne wissen, was Glück ist. Ich liebe Sie, denn Sie sind großmütig; glücklich bin ich, daß ich Sie lieben darf. Wissen Sie noch, wie ich einmal weinen wollte in Ihrem Schoß? Damals hatte ich Kampf. Heute möchte ich weinen vor Glück in Ihrem Schoß; so glücklich bin ich, daß mir mein Herz weh tut -- eben tat es weh, nun aber schwebe ich wie fliegend in der Luft, und die Erde sinkt unter mir. Aber ich muß Ihnen Lebewohl sagen, für immer Lebewohl. Fühlen Sie, daß ich muß? Ach, Sie sind ein Weib und können es nicht fühlen: Sie dürfen es nicht fühlen, denn sonst könnte ich Sie nicht lieben. Käme ich nochmals zu Ihnen, öffnete Ihre Tür, Sie gingen mir entgegen mit Freude auf Ihrem schönen Gesicht und mit ausgebreiteten Armen -- dann müßte ich Sie hassen, denn ich würde mich als Unterjochter fühlen; ich würde wieder den Gedanken in mir aufsteigen fühlen, Sie zu töten. Spüren Sie, was ich meine? Ich kann mich nicht deutlicher ausdrücken; aber Sie spüren ja, denn Sie haben ja mit mir gelitten, und daß Ihre Seele wie eine gleichgestimmte Saite zart mitschwang bei meinen Tönen, das war ja mein höchstes Glück. War es Demütigung gewesen? Jeden andern Menschen müßte ich hassen, der mit mir litte, Sie liebe ich; aber ich muß mich hüten, daß mein Gefühl nicht umschlägt, denn ich will diese Liebe bewahren, und wenn ich einst weißhaarig bin und gebückt, dann will ich sie noch empfinden, wie heute. Lassen Sie mich nicht auf den Gedanken kommen, daß Sie, die ich empfinde, nur meine Empfindung sind; daß in Wirklichkeit ein triumphierend lächelndes Weib eine sklavische Huldigung annimmt; haben wir gegeneinander gekämpft, und bin ich besiegt? Ich will solche Gedanken nicht haben, denn ich will Sie lieben bis an das Ende meines Lebens. Es genügt ja für mich, daß ich einmal geliebt habe, ich bin zufrieden, und wie ein Geizhals will ich täglich meine Goldstücke zählen. Leben Sie wohl -- nicht um meinetwillen allein, um Ihretwillen. Ich will Sie behalten in meinem Geist, aber Sie sollen mich vergessen; Sie sollen wieder glücklich sein, wieder vergessen und wieder glücklich sein. Umarmen Sie einen neuen Vicomte de Palafoy; ich freue mich bei dem Gedanken, daß Sie neues Glück genießen: Sie, die Wirklichkeit, nicht meine Empfindung; denn Ihr wahres Ich ist gänzlich mein Werk; ich habe es gedichtet und behalte es für mich allein; auch Sie selbst sehen es nie mehr, Sie, die Wirklichkeit; in ewiger Jugend wird es bei mir leben. 11 Herr de Saint-Cyr an Mlle. Eugenie Chabert. Chateau Anmey, September 1750. Verehrtes Fräulein, ich bin glücklich, Ihnen endlich durch eine kleine Gefälligkeit ein Zeichen meines dankbaren Sinnes geben zu können; meine geliebte Gattin, der Sie in den schwersten Zeiten ihres Lebens mit solcher Güte zur Seite standen, dachte täglich an Sie; und seit ihrem frühzeitigen Tode durch jenen entsetzlichen Unfall hat sie mir ihre Gesinnungen fast wie eine Erbschaft hinterlassen; denn in Wahrheit, hätte ich nicht Ihre tröstenden Briefe empfangen, ich wüßte nicht, wie ich die ersten Zeiten meines Schmerzes überstanden hätte, eines Schmerzes, der nicht frei von Selbstvorwürfen war; denn ich hätte sie, die sonst so sanft und gefügig war, vielleicht durch inständigeres Bitten abgehalten, das unglückselige Pferd zu besteigen, dem ihre Reitkunst nicht gewachsen war. Heute hatte ich endlich eine Unterredung mit Herrn de Voisenon. Auf Ihren Wunsch faßte ich Mut zu der indiskreten Frage, was ihn, den ich sonst als spielenden Skeptiker kannte, als einen Philosophen, dessen freundlicher Gleichmut durch nichts zu erschüttern war und den gewiß nie ein Gefühl zu übermannen vermochte, dessen selbstlose Güte ihm gewiß nie erlaubt hat, irgendeinem Menschen Böses zuzufügen, der nicht einmal einem böswilligen Dienstboten ein hartes Wort sagen konnte -- was ihn, wenn es weder Frömmigkeit, noch Weltüberdruß, noch Reue war, denn veranlassen konnte, sich dergestalt von allen Menschen zurückzuziehen und wie ein Asket zwischen Büchern und Papieren in einem ärmlichen Stübchen zu leben. Er sah mich mit seinem gütigen und liebenswürdigen Lächeln an und erwiderte: »Wenn die Kämpfe, die wir gegen uns selbst führen, allzugefährlich werden, so ist es gut, unserer Kriegslust ein neues Ziel zu setzen.« Mehr vermochte ich nicht von ihm zu erfahren. Er schien an einem großen Werk zu arbeiten; ich sah Zeichnungen von Kriegsmaschinen auf seinem Tisch; er vermied es aber, von seiner Beschäftigung zu sprechen. Eine Weile dachte ich, daß vielleicht sein körperlicher Fehler, der ihn verhinderte, nach seinem Lieblingswunsch Soldat zu werden, die Ursache seiner eigentümlichen Lebensweise sei. Aber ich gab diesen Gedanken auf, als ich ihn sah, wie er mit einer sonderbaren Zärtlichkeit eine späte Rose berührte, die er in einem Blumenscherben im Fenster stehen hatte. Vielleicht war seine Seele zu weich geschaffen, und er hat allzujugendlich, trotz seiner bereits männlichen Jahre, irgendeine zufällige trübe Erfahrung mit Menschen verallgemeinert. Solche Verallgemeinerungen sind gewiß ein Unrecht, das wir an der Menschheit begehen, denn im Grunde sind doch alle Menschen gut, mögen sie auch oft anders scheinen; aber wer könnte einer so zarten und feinen Empfindung einen Vorwurf machen? Daß Sie solches Interesse für den Freund von Emiliens Gatten nehmen, ist mir ein neues Zeichen für die reine Güte Ihrer Seele; seien Sie versichert, daß Ihnen mein Herz immer erkenntlich sein wird. Aus den Aufzeichnungen des Musikers Ich lebte in Berlin in der Philippstraße bei derselben Wirtin mit einem etwa dreißigjährigen Arzt, der Assistent in einer der großen Kliniken war. Man kann jahrelang Wand an Wand mit jemandem wohnen, ohne ihn kennen zu lernen; unsere gemeinsame Wirtin, eine brave Berlinerin aus dem bessern Mittelstande, hatte uns aber eines Morgens, als sie uns beiden den Kaffee brachte, miteinander bekannt gemacht, indem sie uns in ihre Stube rief, das sogenannte Berliner Zimmer der Wohnung mit einem lederbezogenen Schlafsopha und einem bunten Velourteppich, der jeden Abend getreu zusammengerollt wurde; und unter dem merkwürdigen Lobe, daß sie so »anständige Herrn« noch nie gehabt habe, uns gegenseitig vorstellte. Wir lebten beide allein, fast ohne jeden Verkehr, wie das so in der Großstadt möglich ist, und wiewohl wir uns kaum viel zu erzählen hatten, sprachen wir doch oft miteinander bei gelegentlichem Begegnen auf der Treppe oder wenn einer den andern abends um irgend ein gefälliges Aushelfen bat. An einem Morgen teilte mir die Wirtin kopfschüttelnd mit, daß mein Nachbar krank sei. Ihr merkwürdiger Gesichtsausdruck fiel mir wohl auf, aber ich fragte nicht weiter; gegen Mittag klopfte ich bei ihm an, um ihm einen kurzen Besuch zu machen und ihn zu fragen, ob ich ihm vielleicht etwas besorgen dürfe. Er lag mit großen fiebrigen Augen im Bett. Als ich ihm die Hand bot, hielt er mich einen Augenblick lang fest; nur einen kurzen Augenblick lang; aber ich spürte, daß dieser verschlossene und einsame Mensch das Bedürfnis nach einem anderen Menschen hatte. So sagte ich ihm denn, nachdem wir die gewöhnlichen Redensarten gewechselt hatten und die bekannte Pause entstanden war, indem ich mich verabschiedete, ich werde am Nachmittag wiederkommen. Er nickte, indem er mich eigentümlich mit sehnsüchtigem Blick aus verzehrten Augen ansah, und hielt wieder meine Hand sonderbar fest. Sein Kopf mit dem dünnen, hellblonden Haar, blassen schmalen Lippen und spärlichem, blondem Schnurrbärtchen sah sehr krank aus auf dem weißen Kissen. Als ich die ausgetretene und schmutzige Treppe hinunterging, wurde mir klar: er wird sterben und will mir etwas anvertrauen, da er sonst keinen Menschen kennt. Wie ich ihm versprochen, ging ich am Nachmittag wieder zu ihm. Er ergriff meine Hand und lenkte mich ohne weiteres auf den Stuhl, der neben dem Bett stand; er zeigte mir ein Heft in blauem Umschlag, in dem er mit Bleistift geschrieben hatte und sagte mir: »das ist mein Krankheitsbericht, der ist sehr wichtig, denn ich mache ein Experiment mit mir.« Er bat mich, für den Fall seines Todes das Heft einem Gelehrten zu übergeben, den er mir nannte. Dann begann er unvermittelt zu erzählen. »Vor fünf Jahren hatte ich eine heftige Furcht vor der Einsamkeit. Ich ging abends in eine Kneipe, zuweilen auch in ein Tanzlokal. Sie können mir glauben, daß mir die Menschen dort zuwider waren, aber ich war krank durch das Alleinsein und mußte Menschen sehen. In einem Tanzlokal in Halensee lernte ich ein Mädchen kennen, eine Näherin in einem Wäschegeschäft. Ich hatte mich durch Zufall an den Tisch gesetzt, an dem sie saß; sie war allein gleich mir und machte den Eindruck, daß sie sich das erstemal hier befand. Sie war siebzehnjährig und trug ein verwachsenes schwarzes Kleid, das von der Beerdigung ihrer Mutter stammte. Ihr Vater war schon sehr lange tot, und sie lebte in Schlafstelle bei Leuten, vor denen sie Furcht hatte. Sie schien überhaupt in beständiger Furcht zu leben, sie hatte ein sanftes und schönes Gesicht und einen unentwickelten Körper. Hierher war sie gekommen, wie sie sagte, um ihr Leben zu genießen, weil sie jung sei, aber sie fürchtete sich vor den Männern und meinte, daß man sie schlagen werde. Sie konnte nicht tanzen und wußte selbst nicht, was sie eigentlich hier erwartet hatte, nur, daß sie unbestimmt hoffte, daß sie die Bekanntschaft eines »gebildeten Herrn« wie sie sich ausdrückte, machen könne. Ich empfand Mitgefühl und Zuneigung. Sie sprach ein ganz reines Deutsch, ohne den mir widerwärtigen Berliner Klang und Fall. Als wir aufbrachen, nahm sie meinen Arm, wie wenn das selbstverständlich wäre. Nachdem wir uns auf eine Verabredung am nächsten Tag noch einmal getroffen hatten, wurde sie meine Geliebte. Sie war zärtlich, sanft und gut. Einmal weinte sie und sagte: »Wenn du mich heiraten könntest, dann wollte ich dir eine gute Frau sein, und du solltest es immer ordentlich im Hause haben; aber das ist ja unmöglich, deshalb will ich ein paar Monate lang glücklich sein.« Sie empfand, daß ihre zerstochenen Finger mir mißfielen, deshalb entzog sie mir sie, soweit es nur möglich war, mit merkwürdig zartfühlenden Ausreden.« Hier schwieg mein Bekannter, und zwei runde volle Tränen rollten langsam über sein verarbeitetes und krankes Gesicht. Er sagte: »Ich schämte mich des Gefühls, das ich wegen der Finger hatte und wollte es bezwingen; aber sie merkte es doch; und ich hätte es ihr nicht übel nehmen können, wenn sie ungehalten gewesen wäre, denn sie gab mir alles, +ich+ aber nahm nur; aber sie demütigte sich. Das ist so einer von den Stacheln, die ich im Gewissen habe, den ich auch heute noch nicht entfernen kann. Es ist etwas Furchtbares um die Liebe; wenn sie uns nicht edler macht, so macht sie uns schlechter, auch gegen unsern Willen; und in den meisten Fällen wird es bei einem Liebesverhältnis so sein, daß der eine Teil besser wird und der andere schlechter; denn dieses Gemeine ist im Menschen verborgen, daß er Güte mißbrauchen muß.« Er wollte wohl Einzelheiten aus der Geschichte dieser Liebe erzählen, aber nach verschiedenen Ansätzen verstummte er immer wieder und sagte: »Ich muß mich schämen.« Nur eine Geschichte erzählte er: »Ich fuhr mit ihr an einem Sonntag aus der Stadt heraus, wir gingen durch den Wald und über eine Wiese. Vor einem Marienblümchen blieb sie stehen, breitete die Arme aus gegen den Himmel und rief: Ich habe noch nie eine Blume gesehen.« »Nach einigen Monaten veränderte sie ihr Wesen in auffälliger Weise. Ich verstand das nicht, wie denn Männer in solchen Fällen oft wenig einsichtsvoll sind, dachte, daß sie meiner überdrüssig sei oder eine andere Liebe im Sinne habe und sich von mir trennen wolle. Was wir in einem solchen Fall empfinden, ist wohl eine gereizte Eitelkeit, der wir irgend einen besseren Namen unterlegen; und Eitelkeit verführt uns mehr wie andere Leidenschaften zu Roheit. So kam es, daß ich mich oft häßlich gegen sie betragen habe. Was nun geschah, erfuhr ich erst später. Sie ging an einem Abend außerhalb der Stadt die Bahnlinie entlang, weinend und mit einem halb gefaßten Entschluß. Da begegnete ihr ein Streckenarbeiter, der nach Hause ging von seiner Arbeit. Er redete sie an, daß der Weg verboten sei wegen der Gefahr. Sie wickelte sich fester in ihr Kopftuch, weinte leise und ging weiter. Der Mann spürte, welches ihre Absicht war, kehrte um, faßte ihre Hand und fragte mit freundlicher Stimme, welchen Grund sie doch habe, daß sie sich töten wolle. Sie antwortete, daß sie eine Liebe habe mit einem Herrn und ein Kind erwarte und nicht wisse, was sie tun solle. Da ging er weiter mit ihr zusammen, und sie erzählte ihm alles und sagte ihm auch, daß sie mich lieb habe; aber sie habe ja von Anfang an gewußt, daß das alles keinen Bestand haben könne. Und früher habe sie geglaubt, sie wolle so lange glücklich sein, wie das Glück anhalte, und dann wolle sie so weiter leben; und auch, daß sie ein Kind bekommen könne, habe ihr keine weiteren Sorgen gemacht; denn das geschehe doch oft, daß ein Mädchen ein Kind habe, und sie habe gedacht, daß sie es zu einer Frau geben werde, und soviel verdiene sie schon, daß sie den Unterhalt bezahlen könne. Aber nun verspüre sie eine Liebe zu ihrem künftigen Kinde, und es tue ihr weh, daß das so schlecht aufwachsen solle. Deshalb wolle sie jetzt mit ihm sterben, solange es noch kein Mensch sei; denn wenn es erst geboren sei, dann würde sie nicht mehr die Kraft haben, sich selber und das Kind zu töten. Der Mann redete ihr aus gutem Herzen zu und brachte sie dahin, daß sie ihren Vorsatz aufgab. So ging er mit ihr zurück, bis sie zu den ersten Häusern der Stadt kamen, und dann in die Straßen. Und wie sie nun angefangen hatte, ihm zu erzählen, was das Allergeheimste bei ihr war, da hatte er das Gefühl, daß sie sich vor ihm schämen müsse, wenn er nicht auch ihr vertraue, was ihn bedrückte. Da ergab es sich, daß er ein einsamer und freudenloser Mann war, der die rohe Gesellschaft mied und Bücher und Schriften für sich las. Im ganzen waren sie kaum eine Stunde zusammen gewesen, aber sie waren so vertraut geworden, als kennten sie sich schon lange. Deshalb drang er in sie, daß er am nächsten Abend wieder mit ihr gehen konnte, und nicht eine Woche war vergangen, da sagte er zu ihr, er habe sie lieb gewonnen, und wenn sie möge, so wolle er sie heiraten, und ihr Kind wolle er auferziehen wie sein eigenes. Sie weinte und sagte, das dürfe er nicht tun. Aber er erwiderte, er brauche doch keinen Menschen zu fragen bei seinem Handeln, und er gehe nur nach seinem Gewissen. Das aber rede ihm zu, denn er spreche nicht zu ihr in Leichtsinn oder besinnungsloser Leidenschaft; er sei ein Dreißigjähriger und habe es immer schwer gehabt im Leben, da sei ein Mensch denn ernst und prüfe seine Absichten und Pläne. Sie hinwiederum gestand ihm, daß sie mich noch lieb habe. Aber er entgegnete, das wisse er wohl; aber sie wisse ja doch auch, daß diese Liebe zu keinem Ziel führen könne, und sie werde allmählich mich vergessen; aber sie müsse ihm versprechen, daß sie mir alles sagen wolle und Abschied nehmen und mich nie wiedersehen. Nun bat sie ihn, bei diesem Abschied solle er zugegen sein; und dann kamen beide an einem Sonntagvormittag zu mir. Sie vermochte nicht zu sprechen, sondern weinte beständig; aber der Mann nahm das Wort und erzählte mir alles. Da zog auch mir ein furchtbares Weh ins Herz, denn nun erst wurde mir klar, wie ich das liebe Kind geliebt hatte, über alle Unterschiede von Stand, Bildung und äußern Manieren hinweg; denn ich hatte bis dahin immer geglaubt, eine wahre, vollkommene Liebe sei nur da möglich, wo nichts Störendes im Wesen der Geliebten vorhanden ist. Da weinte auch ich, und der Mann zog sich anständig und bescheiden zurück, nahm die Türklinke in die Hand und sagte, er wolle auf die Straße gehen. Aber da kam es über mich, ich ergriff ihre tränennasse Hand und fragte sie: Bist du zufrieden mit seinen Worten? Sie nickte. Da trat ich ans Fenster, und wunderte mich, wie doch die Leute seelenlos die Straße entlangeilen mögen. Ich schrieb dem Mann, daß ich für das Kind sorgen wolle, wie ich könne, und ich wolle ihm monatlich ein Kostgeld schicken. Aber er kam zu mir und sprach, das wollte er nicht, denn er würde sich gedemütigt fühlen, wenn er das annähme; aber für meinen guten Willen danke er mir.« Mein Bekannter schwieg eine lange Zeit, indem er nachdenklich seine schmale Hand betrachtete, die auf der Bettdecke lag. Dann fuhr er fort. »Wir, die man so zu den höheren Ständen rechnet, und die doch von der Gesellschaft nur eben so hin verbraucht werden wie die Menschen aus den untern Klassen, wir führen doch ein furchtbares Leben. Wir haben nicht die Unbefangenheit und den sorglosen Sinn, die Freiheit und Freude des Volkes, und es fehlt uns eben so das sichere und versorgte Dasein der wirklich höheren Klassen; und wenn man so mit seinem Herzen bei der Arbeit ist wie wir, so müßte man doch nach außen versorgt sein; aber wir vertrocknen durch unser Leben. Ich stehe jetzt vor dem Angesicht des Todes, und es ist jämmerlich, daran zu denken, daß ich nur einhundertundfünfzig Mark Gehalt den Monat hatte und keine Hoffnung haben konnte, je viel mehr zu erwerben; denn mir fehlt jenes Besondere, das den Arzt zu einem guten Verdiener machen kann. Aber ich bin verkümmert und vertrocknet, ich wußte selbst nicht wie, ich war ja kein Mensch mehr mit einem Herzen und mit Mut, ich war nur noch eine Art Beamter, der seine Pflicht tat, wie die Uhr ihre Pflicht tut. Ich war kein Mensch mehr. Ich habe ja nichts Schlechtes getan, das ich bereuen mußte; nein, ich war ordentlich, häuslich, gut angezogen und machte keine Schulden. Ach, ich habe nichts Gutes getan, nein, nicht eine gute Tat; und schlimmer noch: ich habe auch nichts Gutes empfunden. Ein Mörder ist vielleicht ein besserer Mensch wie ich, denn er hat vielleicht einmal Reue empfunden; aber ich habe nichts empfunden.« Er schwieg eine Weile. Dann sah er mich mit einem Blick an, der mich auf das tiefste erschütterte, und sprach: »Lassen Sie sich die Worte eines Sterbenden zur Lehre dienen. Sie gehen denselben Weg wie ich. Und wie ich als junger Mensch einmal dachte, ein Arzt müsse alle Menschen lieben und allen helfen, und ein Mensch, dem man helfen könne, der könne nicht schlecht oder gemein sein; so haben auch Sie einmal gedacht, ein Künstler müsse die größte Güte haben und alle Menschen glücklich machen; und nun denken Sie nur an Gegner, an Durchdringen, an Geldverdienen. O, was hat Jesus gesagt von uns: Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz dumm wird, womit soll man's salzen?« Er faßte meine Hand. »Vergessen Sie alles Kleinliche und Gemeine, sonst können Sie nicht leben, sonst müssen Sie sterben wie ich.« Er fuhr fort. »Man brachte in die Klinik einen Eisenbahnarbeiter, dem ein Wagen über den Körper gefahren war. Ich kann die Verletzungen nicht beschreiben, es quält mich zu sehr; jahrelang habe ich nie an den Leidenden gedacht, immer nur an meine berufliche Pflicht. Jetzt kommt alles Leiden zurück zu mir, das ich nicht mitgelitten habe. Er war der Mann meiner früheren Geliebten. Ich sah, daß ihm unmöglich zu helfen war; er blickte mir ins Gesicht und nickte, als er meinen Ausdruck verstanden hatte. Er mußte unsagbare Schmerzen ausstehen. Seine Stirn war in Falten gezogen, welche zitterten, sein Mund war zusammengezogen und zitterte. Ich bereitete eine Morphiumspritze, um ihm die Schmerzen zu ersparen, er sollte in der Betäubung verscheiden. Er erfaßte meine Hand, winkte mit den Augen und sprach: »Ist es wahr, daß es Mittel gibt, welche das Leben um einige Stunden verlängern? Dieses ist es nicht!« Es war neun Uhr abends. Ich antwortete: »Eine Kampfereinspritzung regt die Herztätigkeit wieder an.« Er sprach: »Machen Sie, daß ich bis nach zwölf Uhr lebe.« Ich entleerte die Morphiumspritze und reinigte sie, dann bereitete ich die Kampferlösung vor. Seine Frau kam, meine frühere Geliebte. Sie hatte ihr Kind an der Hand, mein Kind. Still kniete sie an dem Bett nieder, der Knabe weinte still. Der Mann sah die beiden an. Nur selten, wenn er den Schmerz nicht mehr unterdrücken konnte, stöhnte er leise, dann ging ein Schütteln durch den Körper der Frau. Ich saß in einer Ecke des Saales, ging zuweilen zu dem Sterbenden und fühlte das Herz. Gegen halb elf machte ich ihm eine Kampfereinspritzung. Er dankte mir mit den Augen, kein Wort hatte er gesprochen, seit Frau und Kind bei ihm waren, das Sprechen war ihm zu schmerzhaft. Die Uhr im Saal schlug elf. Ich empfand, wie der Leidende die Schläge verfolgte, er ersehnte den Tod, mir war, als fühlte ich das Ringen seines Willens gegen den Schmerz mit dem Herzen. Die Frau konnte seine furchtbaren Verletzungen nicht sehen, nur sein Kopf war sichtbar auf den weißen Kissen. Gegen halb zwölf wurde der Herzschlag ganz matt, sein Blick verlor die Kraft und den Ausdruck des Willens, er war im Begriff, in den Tod zu gehen. Plötzlich schoß mir ein Strahl aus den eben umflorten Augen ins Gesicht. Ich verstand, machte ihm eine neue Einspritzung. Seine Lippen bewegten sich, aber sie formten keinen Laut. Die Uhr schlug zwölf. Er zählte die Schläge, seine Augen waren wieder voll Ausdruck, ich konnte seinen Gedanken wieder folgen. Dann sprach er zu mir: »Sie können bezeugen, daß ich den ersten Oktober noch erlebt habe; von heute an bin ich angestellter Weichenwärter, meine Frau bekommt die Beamtenpension, das Kind kann erzogen werden.« Er sprach mit großer Ruhe, manche Buchstaben konnte er nicht mehr bilden. Dann seufzte er, seine Augen brachen.« Mein Bekannter schwieg wieder eine lange Zeit. Dann fuhr er fort: »Was ich nun tat, war vor dem Verstand gänzlich unsinnig. Vernünftigerweise hätte ich nach meinen Kräften die Witwe und das Kind unterstützen sollen. Aber vor dem toten Mann hatte ich ein so heftiges Gefühl der Scham, daß ich einsah, ich könne nicht mehr leben. Nein, ich konnte nicht mehr leben. Ich bin ja kein schlechter Mensch. Ich habe ja nichts Schlechtes getan. War es denn ein Unrecht, daß ich jenes Mädchen liebte? Wir waren beide glücklich, einige Monate lang. Nie bin ich sonst glücklich gewesen, auch sie wird nie sonst glücklich gewesen sein. Und was sollte ich denn weiter tun? Auch jetzt noch könnte ich ja nicht anders handeln, wie ich gehandelt habe; nur ein törichter Mensch hätte von mir verlangen können, daß ich sie zu meiner Frau machte; wir hätten uns nur beide gequält. War es denn ein Unrecht, daß ich sie liebte? Ich hätte entsagen können; nun, ich wäre einige Jahre eher vertrocknet; auch sie hätte entsagen können; kann man denn von Menschen, die so leben wie wir, Entsagung verlangen? Entsagung müßte doch aus einem freudigen und stolzen Herzen kommen, nicht aus einem dürftigen und bettlerhaften. Und was denn wäre verhütet oder besser geworden? Ja wenn sie sich damals selbst getötet hätte, ich könnte keine Gewissensbisse haben über mein Handeln; denn wichtiger ist es, einmal im Leben ein Mensch sein und dann sterben, wie lange leben als dürftiges, elendes Tier, das seine Arbeit tut, um sich zu ernähren. Und doch sah ich ein: ich kann nicht leben, und meine Schuld ist es, daß ich nicht leben kann. Als der Arbeiter starb, da wußte ich es: ich trage Schuld an mir, daß ich so dürftig und elend und gemein bin, deshalb kann ich nicht leben. Damit mein Tod denn doch irgend einen Zweck habe, nehme ich ein Gift, dessen Wirkung erprobt werden sollte für einen wissenschaftlichen Zweck -- dieser wissenschaftliche Zweck kam mir ja selber albern vor, als ich nun so vor den Toren der Ewigkeit stand; aber die Albernheit war noch das einzige, wozu ich nütze war. Ich habe genau Buch geführt über die Fortschritte der Vergiftung und werde bis zuletzt alles genau beschreiben. Sie kennen das Heft bereits.« Er wendete sich zur Wand, und ich ging leise aus dem Sterbezimmer. Das Gespenst 1 Im letzten Jahre des Siebenjährigen Krieges wurden größere preußische Truppenmassen in der Umgebung von Breslau in Winterquartiere gelegt. Ein junger Rittmeister, wir wollen ihn v. K. nennen, kam mit seiner Schwadron auf das Rittergut O. Die Räumlichkeiten auf dem Gute waren sehr beengt; die Herrschaft, eine freiherrliche Familie von O., wohnte in einem uralten burgartigen Schloß, das noch mit einem tiefen Graben umgeben war und in seinen dicken Mauern nur einen Saal, eine Unzahl schmaler und hoher Gänge und wenige Zimmer barg, die alle, mit Ausnahme eines einzigen, von der Familie täglich benutzt wurden. So konnte man nur den Rittmeister selber im Schloß unterbringen; die drei jungen Offiziere wurden bei dem Pfarrer einquartiert und die Unteroffiziere und Mannschaften an die armseligen Büdner verteilt. Am ersten Abend, als Herr v. K. mit dem gichtbrüchigen alten Freiherrn, dessen Gemahlin und der einzigen Tochter das leidliche Abendessen einnahm, entschuldigte sich die Frau vom Hause, daß sie dem fremden Herrn das Spukzimmer habe anweisen müssen. Herr v. K., der ein starker Freigeist war, erkundigte sich lachend danach, welche Bewandtnis es mit dem Spukzimmer habe; der alte Freiherr und seine Gemahlin machten ernste Gesichter; sie waren ehrliche und einfache Landedelleute vom alten Schlage, die sich jeden Sonntag vormittags und nachmittags in zwei altväterischen Sänften in ihren Prunkkleidern in die Kirche tragen ließen und bei den Liedern der frommen Gemeinde der Tagelöhner vorsangen. Das achtzehnjährige Töchterchen blickte mit unbeweglichem Gesicht in den Schoß. Der alte Herr berichtete dann, daß jedem Besucher, welcher die erste Nacht in dem fremden Zimmer schlafe, ein Geist erscheine, welcher mit Ketten raßle, kläglich stöhne und zuweilen von innen heraus durch höllisches Feuer leuchte. Herr v. K. lachte noch mehr und behauptete, daß das Gespenst sich nicht an einen preußischen Offizier wagen werde, und daß er schon unbesorgt schlafen wolle. Es schien ihm, als ob in dem hübschen, kecken Gesicht des Fräuleins ein leichtes Lächeln aufblitzen wollte, das sie unterdrückte; und indem er sich den Unterschied zwischen den braven Leuten und dem zierlichen Figürchen der Tochter, ihrem silberhellen Lachen, ihren leichten Bewegungen und ihrer modischen Figur klar machte, kam ihm ein Verdacht, daß das anmutige Persönchen irgendwie an den Spukerscheinungen beteiligt sein könne. Man ging in dem ordentlichen Hause schon um neun Uhr schlafen. Herr v. K. leuchtete die Wände seines Zimmers ab und fand eine unscheinbare Tapetentür, die von seinem Bett aus nicht zu sehen war. Er verschob sein Bett, daß er sie sofort ins Auge fassen konnte, kleidete sich dann mit großer Seelenruhe aus, löschte das Licht und legte sich zu einem tiefen Schlaf, denn er hatte einen anstrengenden Ritt hinter sich. Etwa um Mitternacht erwachte er durch ein mörderliches Gepolter, Rasseln und Klirren. Er schlug Feuer, zündete sein Licht an, bekleidete sich notdürftig, und sah auf die Tür. Diese öffnete sich; ein gespenstisches Wesen von etwa sechs Fuß Länge, in ein weißes Tuch gewickelt, mit einem ungeheuren Kopf, aus dessen Augen, Nase und Mund Feuer strahlte, stutzte einen Augenblick, dann schritt es in das Zimmer unter Dröhnen und Klirren. Herr v. K. sah, daß der Kopf ein ausgehöhlter Kürbis war, in den ein Licht gestellt sein mochte; er ging zu der offenen Tür, zog den außen steckenden Schlüssel ab, schloß sie mit diesem zu, steckte den Schlüssel in die Tasche, und wendete sich um nach dem Gespenst. Dieses war in die entfernteste Ecke entwichen. Er ging hin, nahm den Kürbis mit leichter Mühe ab, stellte ihn auf den Tisch, umarmte das Gespenst, wickelte den wirklichen Kopf aus dem weißen Laken heraus und küßte das hübsche Fräulein tüchtig ab; denn es war wirklich die Tochter seiner Wirtsleute. Plötzlich erschrak er, denn große runde Tränen rollten ihr aus den Augen; es war ihm merkwürdig rührend, daß die Tränen rund blieben und sich nicht verteilten. Er sah sie bestürzt an; da lachte sie plötzlich und rief: »Ach, Sie sehen so dumm aus.« Diese unerwartete Ansprache machte ihn noch mehr verlegen; er ließ sie aus seinen Armen und fragte sie, aus welchem Grunde sie diesen Gespensterspuk aufführe. Sie wickelte sich gänzlich aus dem weißen Laken, warf es zu den Ketten, die auf der Erde lagen, setzte sich, und erzählte folgende Geschichte: Ihre Eltern lebten so gänzlich zurückgezogen von der Welt, daß sie außer ihren allernächsten Verwandten nur noch die Einwohner des Fleckens sah. Nun hatte der Pastor einen Sohn, der bereits Kandidat der Theologie war; dieser hatte von der Universität die Bücher der neuen Dichter mitgebracht, besonders die Schriften von Klopstock. Die hatten sie zusammen gelesen, und indem sie unter der Lektüre eine vollkommene Gleichheit ihrer Gedanken und Gefühle bemerkt hatten, wurden sie von gegenseitiger Liebe entflammt trotz der Verschiedenheit ihres Standes. Der Kandidat hatte dann sein theologisches Amtskleid angezogen und war auf das Schloß gegangen, um dem alten Freiherrn mitzuteilen, daß die Natur ihre beiden Herzen zusammengeführt habe, ihm die Nichtigkeit der gesellschaftlichen Unterschiede sowohl philosophisch wie auf Grund des Naturrechts nachzuweisen, und um ihre Hand anzuhalten. Der alte Freiherr aber war sehr erstaunt über seine Rede gewesen und hatte ihm nichts Bestimmtes geantwortet, sondern nur den Vater ihres Geliebten rufen lassen und dem anbefohlen, seinen Sohn fortzuschicken; was der alte Pastor auch getan hatte. Nun hatte aber das junge Fräulein sich eine List ausgedacht, wie sie ihre Eltern zwingen wolle, doch noch das Jawort zu ihrer Wahl zu sprechen. Wenn nämlich ein Besuch auf das Schloß kam, so verkleidete sie sich als Gespenst, machte sich, wenn sie konnte, einen hohlen Kürbis zurecht, nahm eine alte Kuhkette und vollführte den oben beschriebenen Lärm, und zeigte sich dann durch die Tapetentür dem Besucher. Bis jetzt nun hatte jeder Angst vor der Erscheinung gehabt, was ihr auch für ihren Zweck sehr lieb war; und so hatte sich denn bei den Eltern durch die verschiedenartigen Erzählungen, durch Hinzudichten und Übertreiben der Besuchten ein fester Glaube an ein umgehendes Gespenst gebildet. Nachdem sie nun glücklich in dem jungen Rittmeister einen beherzten und klugen Mann gefunden hatte, bat sie inständig um eine zweckmäßige Weiterführung ihrer List. Herr v. K. solle am andern Morgen den Eltern sagen, auch ihm sei das Gespenst erschienen; auf Anreden habe es erklärt, es sei der Ahnherr des Geschlechtes, und es werde nicht eher zur Ruhe kommen, bis die Tochter den Sohn des Pastors geheiratet habe; denn nur so könne ein Unrecht gesühnt werden, das er selber vor langen Jahrhunderten begangen habe. Der Rittmeister lachte über die lustige Zumutung und warf ein, daß der Scherz doch auch übel auslaufen könne, und wenn ihre Verabredung entdeckt werde, so könne er von seinem Vorgesetzten einen harten Verweis bekommen. Da weinte das Fräulein, setzte sich auf seinen Schoß und küßte ihn; und bei der dunkeln Nacht und dem unruhig flackernden Öllicht wurde ihm ganz wunderlich zumute, sodaß er ihr gegen seine erste Absicht zusagte. Wie sie seine Zusage hörte, sprang sie auf und tanzte fröhlich im Zimmer herum, indem sie immer wiederholend sein »Ja« unter Händeklatschen nach einer wunderlichen Melodie sang. Diese Lustigkeit wirkte auch auf ihn zurück. Er nahm ein angekohltes Stückchen Holz und malte an die Tür die rohen Umrisse einer Hand; dann hielt er die Lampe so nahe an die Zeichnung, daß einige verkohlte Stellen an der Tür entstanden, die man mit einiger Beihilfe wohl für den Abdruck einer feurigen Hand mochte halten können. Als er mit seiner Arbeit fertig war, sahen sich beide einen Augenblick an und lachten dann zugleich los; er umarmte und küßte sie wieder, aber sie nahm ihm geschickt den Schlüssel aus der Rocktasche, steckte ihn ins Schloß und entwischte ihm lachend; nach einer Weile öffnete sie nochmals, steckte den Kopf durch die Spalte und sagte, er küsse viel schöner wie ihr Bräutigam, aber den habe sie dennoch viel lieber. Der Rittmeister blieb mit dem Laken, der Kuhkette und dem Kürbis zurück. Er legte die Gegenstände in einen Wandschrank, verschloß ihn und ging dann vergnügt vor sich hin pfeifend wieder zu Bett. Am andern Morgen bat er mit einem sehr ernsten Gesicht die alten Herrschaften in sein Zimmer. Der Freiherr setzte sich verängstigt in den großen Lehnstuhl, und seine Gemahlin begann sich gegen ihn und den Rittmeister zu verteidigen, daß es wirklich ganz unmöglich gewesen sei, ein anderes Zimmer so schnell bereit zu machen, aber schon diese nächste Nacht werde sie ihn umquartieren. Der Rittmeister schnitt höflich die Entschuldigungen ab, indem er beteuerte, daß ihm selber durchaus nichts geschehen sei, wegen dessen seine Wirtsleute sich Sorge zu machen brauchten, und daß sein Erlebnis vielmehr sie, seine Wirtsleute, selber sehr nahe berühre. Er bedaure seine leichtfertigen Reden von gestern abend hinsichtlich der Gespenstererscheinungen, und sein Erlebnis werde ihm für die Vertiefung seiner Welt- und Lebensauffassung förderlich sein. Hierzu nickte der alte Freiherr beifällig. Der Rittmeister fuhr fort, indem er erzählte, daß das Gespenst auf sein Befragen sich ihm als den Ahnherrn des Geschlechtes zu erkennen gegeben habe. Derselbe sei in den Besitz der Güter durch ein Verschulden gegenüber seinem jüngeren Bruder gekommen; nach seinem Tode habe er dafür jahrhundertelang büßen müssen; als Zeichen für den Brand, der ihn inwendig verzehre, habe er seine Hand auf die Tür gedrückt. Mit schauderndem Gemüt erkannten die alten Herrschaften die verkohlte Handspur, und die Freifrau bemerkte mit Überraschung eine alte Familieneigentümlichkeit in einem etwas gekrümmten Goldfinger. Das Gespenst habe weiter erzählt, daß der Pastor des Ortes der letzte Nachkomme des jüngern Bruders sei, der damals einen bürgerlichen Namen angenommen habe; und nun sehe er eine Möglichkeit, aus seiner Pein erlöst zu werden durch eine leichte Rückerstattung der geraubten Güter, wenn nämlich das Freifräulein mit dem einzigen Sohn dieses Pastors verheiratet werde. So werde die jüngere Linie in ihren rechtmäßigen Besitz gesetzt, und vielleicht werde er selbst, der Ahnherr, so von seiner Qual befreit. Hier schüttelte der alte Freiherr bedenklich den Kopf, da der Rittmeister eine Pause machte. Er gab zu, daß der Pastorssohn von der Schwertseite her wohl ebenbürtig sei; seine Mutter aber sei früher Kammerjungfer bei seiner verstorbenen Mutter gewesen und wegen ihrer langjährigen treuen Dienste habe seinerzeit sein Vater die Verleihung der Pfarre an den Pastor an die Bedingung geknüpft, daß er sie heirate. Und wenn man auch gegen die treue und brave Person durchaus nichts einwenden könne, insofern vor Gott alle gleich sind, die einen rechten Wandel führen, so könne doch sein Ahnherr nicht verlangen, daß ihr Nachkomme sich mit einem im ehelichen Bett erzeugten Freifräulein von zweiunddreißig untadeligen Ahnen verbinde. So schwer es ihm falle, müsse er doch das Verlangen des Ahnherrn abweisen, als der Ritterehre zuwiderlaufend. Im übrigen sei er gern bereit, dem jungen Mann jede Förderung zuteil werden zu lassen, die er vor Gott und seinem adeligen Gewissen verantworten könne. Der Rittmeister nahm seine Erzählung wieder auf, indem er fortfuhr, daß der Ahnherr diesen Einwurf wohl bedacht habe, deshalb habe er hinzugefügt, wenn man seinem Wunsche nicht nachgebe, so werde er das Schloß mit allen seinen Insassen durch eine Feuersbrunst vernichten und die Felder im nächsten Frühjahr durch eine Überschwemmung gänzlich zerstören. Dieses sei die Botschaft, die er zu überbringen habe. Mit großer Höflichkeit setzte er noch hinzu, daß die Herrschaften natürlich durchaus Herren ihres Willens seien, und daß er sich in die nur sie angehenden Angelegenheiten nicht weiter mischen wolle, als er durch die Mitteilung des Geistes verpflichtet sei; immerhin aber müsse er um Entschuldigung bitten, wenn er sich heute noch ausquartiere; denn wenn er auch als Soldat die Gefahren seines Berufes bestehen müsse und sich ihnen nie entziehen werde, so sei er selber doch auch der einzige Sohn seiner Eltern und wolle sich derentwegen nicht in eine augenscheinliche Lebensgefahr gelegentlich der angedrohten Zerstörung des Schlosses begeben; er werde jedoch in unmittelbarer Nähe des Schlosses wohnen bleiben, um jedenfalls gleich mit seiner Hilfe zur Hand zu sein. Die alte Dame begann in ein lautes Wehklagen auszubrechen; der Freiherr aber geriet in eine große Erregung und rief mit zorniger Stimme seine Tochter; die kam schnell, da sie an der Tür gestanden hatte. Dann ging er und kehrte mit einer großen Pergamenttafel zurück, auf welcher der Stammbaum der Familie aufgezeichnet stand; den zeigte er der Tochter und fragte sie, ob das möglich sei, hier den Namen einer früheren Kammerjungfer zu verzeichnen. Die Tochter erwiderte schüchtern, man könne vielleicht an der Stelle einen Tintenfleck machen, der den Namen verdecke. Über diesen Vorschlag geriet der Freiherr in noch größeren Ärger. Herr v. K. bat, sich entschuldigen zu dürfen, da er seinen Auftrag ausgerichtet habe und bei den weiteren Verhandlungen nicht stören möge, verließ das Zimmer und ging auf den Gutshof, wo er seine versammelte Mannschaft zu inspizieren hatte. Im Laufe des Nachmittags teilte der alte Herr dem Rittmeister mit, daß er sich dazu entschlossen habe, dem Wunsch des Ahnherrn nachzugeben, und daß der Kandidat schon in den nächsten Tagen eintreffen werde, da man nunmehr die Heirat möglichst beschleunigen wolle. Der Kandidat erschien als ein schüchterner und schmaler junger Mann, mit einem würdigen schwarzen Rock bekleidet, der in einer größeren Versammlung nichts sprach, aber wenn er mit einem Menschen allein war, in ganz erstaunlicher Weise fortgesetzt reden konnte. Der Rittmeister war bei der ersten Begegnung der Verlobten anwesend; es schien ihm, als fliege ein leichter Schatten von Enttäuschung über das lustige Gesicht des Fräuleins; mit einem flüchtigen Blick streifte sie den Rittmeister, der ein Lächeln über die lange und linkische Gestalt des Kandidaten verbiß, und ein plötzliches Rot färbte ihr Gesicht. Es folgte nun eine eifrige Tätigkeit in Heraussuchen von Leinwandballen, Zerschneiden und Säumen und sonstigem Nähen und Schneidern. Der Kandidat machte regelmäßig jeden Tag von zwei bis vier Uhr einen Besuch auf dem Schloß. In der ersten Zeit brachte er Bücher mit, aber nachdem das Fräulein mehrmals erklärt hatte, die Bücher seien langweilig, saß er mit zusammengeschlagenen Händen stumm in der großen Stube, indem er mit den Bewegungen seiner runden Augen dem Fräulein folgte. Der Rittmeister wunderte sich, daß die Braut nach einiger Zeit plötzlich gegen ihn verlegen zu werden schien und ihn zu meiden suchte. An einem Abend sagte sie ihm, sie müsse ihn noch heute notwendig sprechen, er möge sie in seinem Zimmer erwarten. Sie kam mit dem Zeichen höchster Befangenheit und sagte ihm, daß sie ihm Vorwürfe machen müsse, weil er sie erst zu einem Briefe an ihn veranlaßt habe und den nun nicht beantworte. Gewiß habe er nur die Absicht gehabt, sich mit ihrem Brief vor seinen Kameraden zu rühmen. Nach diesen Worten begann sie heftig zu weinen und schluchzen. Der Rittmeister war ganz verwundert, denn er wußte weder von einem Briefe, den er erhalten, noch von einem, den er veranlaßt haben sollte; dazu rührten ihn sehr die Tränen und rührenden Klagen des Mädchens. Aber als er ihr nun zuerst sagte, daß er nichts verstehe, geriet sie in noch größere Aufregung. Nur mit großer Mühe vermochte er sie zu bewegen, ihm folgende Geschichte zu erzählen: Die Kammerjungfer sei heimlich zu ihr gekommen und habe ihr einen Brief des Rittmeisters gebracht; in diesem habe der Rittmeister ihr geschrieben, daß er sie liebe, und wohl wisse, daß sie nicht ihn, sondern den Kandidaten liebe; aber sie würde ihm eine Linderung verschaffen, wenn sie ihm eine Locke ihres Haares schicke; diese wolle er dann immer bei sich tragen und wolle sie häufig ansehen, wenn er allein sei, und wenn er einst sterbe, so solle diese Locke mit ihm begraben werden. Dieser Brief habe sie sehr gerührt, und besonders die Stelle, daß die Locke mit ihm begraben werden solle. Deshalb habe sie sich eine Locke abgeschnitten und einen Brief geschrieben, in welchem sie ihn getröstet habe und auf den Himmel verwiesen, und dann habe sie die Locke beigelegt und den Brief der Jungfer übergeben, damit sie ihn dem Rittmeister überbringe. Der Rittmeister war über diese Erzählung noch mehr erstaunt wie vorher und versicherte ihr treuherzig und der Wahrheit gemäß, er habe ihr nie einen solchen Brief geschrieben. Da vergrub sie ihr Gesicht in den Händen und sprach zu ihm, nun müsse sie sich erst recht vor ihm schämen; denn er werde nun gewiß sich allerlei von ihr denken; und sie könne sich gar nicht vorstellen, wie denn alles zusammenhänge. Der Rittmeister forderte ihr den Brief ab, und sie brachte ein zerknittertes Zettelchen zum Vorschein, auf welchem Spuren von Tränen bemerkbar waren. Er hielt sie zuerst für Wasserflecken, aber sie sagte ihm mit großer Verlegenheit, sie habe so sehr über seine Liebe und über seinen schönen Brief weinen müssen. Dann sagte er, der Brief sei ganz offenbar von einer Frau geschrieben und zeigte ihr seine eigene Handschrift, die denn auch keinerlei Ähnlichkeit mit den Zügen des Briefes aufwies. Hierüber erwies sie sich immer erstaunter. Er sagte am Ende, die Erklärung der wunderlichen Geschichte werde bei der Kammerjungfer zu suchen sein; diese habe wahrscheinlich den Brief und die Locke von ihr haben wollen, um dann Erpressungsversuche bei ihr zu machen, und ganz gewiß habe sie den ersten Brief, der von ihm sein solle, selber geschrieben. Das Fräulein zeigte eine große Verwunderung über die Schlechtigkeit und Schlauheit der Person. Der Rittmeister fuhr fort, immerhin sei sehr merkwürdig, daß die Fälscherin nicht die Entdeckung gefürchtet habe, da sie beide sich ja doch, wie sie wohl wußte, jeden Tag sprechen konnten. Dem stimmte das Fräulein zu und sagte, es sei doch gut, daß solche schlechte Pläne durch die eigene Nachlässigkeit und Gedankenlosigkeit der Böswilligen immer wieder ans Licht kämen. Aber wie nun am Ende der Rittmeister sagte, er wolle alles dem Freiherrn mitteilen, damit der die Person gehörig strafe, da bat sie ihn inständig, doch die Sache zu verschweigen; denn bestrafen könne man die Jungfer doch nicht mehr, da sie seit heute früh heimlich aus dem Dienst nach Breslau entwichen sei, wohin ein Liebhaber von ihr verzogen sei; und wenn der alte Herr die Geschichte erfahre, so werde er nur nutzlos aufgeregt und mache alsdann ihr die größten Vorwürfe wegen ihrer Unvorsichtigkeit, daß sie den Brief beantwortet habe; und sie sei ja auch wirklich sehr unvorsichtig gewesen, einen solchen Brief zu schreiben, der nun in der Hand einer solchen Person sei; denn wenn ein Fremder ihn lese und die Locke sehe, so werde ihr das sehr peinlich sein; denn er, der Rittmeister, wisse ja gar nicht, was sie in dem Brief geschrieben habe. Bei diesen letzten Worten sah sie den Rittmeister mit einem solchen Blick an, daß dieser plötzlich verspürte, das Fräulein liebe ihn; da nahm er sie in den Arm und wollte sie küssen, sie aber erwehrte sich seiner mit sanften Bewegungen und sagte, sie wolle am nächsten Abend wieder zu ihm kommen, wenn er es erlaube, denn es sei ihr eine große Freude, mit ihm ungestört zu plaudern, da er sich ihr doch als ein treuer Freund erwiesen habe. Mit diesen Worten entschlüpfte sie ihm leicht und war aus dem Zimmer, ehe er es sich versah. Der Rittmeister dachte lange über das Abenteuer nach, und es kam ihm der Gedanke, ob nicht das Fräulein, um sich ein Gewerbe bei ihm zu machen, selbst den gefälschten Brief geschrieben habe, den sie angeblich von der Jungfer empfangen. Schnell aber verwarf er diesen Gedanken wieder als unwürdig und sagte sich, ein windiger und geckenhafter Franzose möge wohl solche Vorstellungen von den Frauen haben, aber ein Deutscher müsse anders denken. 2. Am nächsten Abend kam das Fräulein wieder durch die bekannte Tür, aber sie war in einer wunderlichen Verfassung, denn ihr Gesicht war von Weinen ganz verstört, ihre Backen blaß, und die Augen geschwollen, und rot umrandet. Sie sagte, sie wisse, daß sie sehr häßlich aussehe, aber sie müsse trotzdem zu ihm kommen, weil sie ihm Wichtiges anzuvertrauen habe und um seinen Rat bitten wolle. Sie könne den Kandidaten nicht heiraten, denn es sei ihr klar geworden, daß ihre gemeinte Liebe zu ihm nur eine Phantasie gewesen sei, die sie aus den Büchern geschöpft; denn indem in diesen die Zeichen der Liebe ganz genau beschrieben seien und sie einen übermäßigen Fürwitz gehabt habe, sei ihr in den Sinn gekommen, ihre Gemütsstimmung mit der Stimmung der Personen zu vergleichen, welche in den Büchern beschrieben waren; und zwar habe sie zuerst keinerlei Ähnlichkeit bemerkt, nach einer Zeit aber sei es ihr gewesen, als empfinde sie in einigen Stücken so, wie sie gelesen, und da sie zuletzt einen englischen Roman gelesen habe, in welchem erzählt wurde, wie ein vornehmes weißes Mädchen in den Kolonien sich in einen edelgesinnten Neger verliebte, und der sich in sie, und wie die beiden Liebenden sich immer treu geblieben seien, bis dem Neger aus Sehnsucht das Herz brach und die weiße Dame aus Kummer darüber ins Kloster ging; so sei es ihr vorgekommen, als sei sie ganz genau so wie jene Dame und der Kandidat wie der Neger, und der Kandidat habe ihr gesagt, auch ihm sei so. Nun aber sehe sie wohl ein, wo es in einigen Wochen zum Ernst kommen solle und sie seine Frau werden müsse, daß sie lieber ins Wasser gehen wolle, wie einen solchen Kandidaten heiraten. Und sie habe das auch ihrem Bräutigam gesagt, und der sei nun ganz ratlos geworden, daß die Stimme des Herzens in ihr schweige, und wisse nicht, was er beginnen solle; und sie glaubte, daß auch er jetzt Angst bekommen habe, wenn auch nicht so große wie sie. Der Rittmeister lächelte sehr bei dieser Erzählung, und das Fräulein erschien ihm recht kindisch. Aber wie sie so verschüchtert in der Ecke des großen Lehnstuhls saß und sich mit den Handrücken die Augen wischte, da überkam ihn plötzlich eine Zärtlichkeit wie zu einem lieben, kleinen Vögelchen, und sein Herz rührte sich, daß sie ihm leid tat. Indessen durchkreuzten sich in diesem Augenblick in ihm eine Menge verschiedener anderer Gedanken, und er bedachte bei sich, daß er dieses reizende und quecksilberige kleine Wesen auf den Arm nehmen möchte und in sein Haus tragen, damit es als ein lustiger Kobold in dem herumwirbele. Aber er sah auch zugleich ein, daß er eine ganz bestimmte Art ihr gegenüber zeigen mußte, damit sie zugleich eine angemessene Frau wurde und ihm mit Würde gehorsam blieb. Deshalb gab er nicht seinem ersten Antrieb nach, sondern machte ein ernstes Gesicht und ging scheinbar nachdenklich im Zimmer auf und ab, indessen die Kleine ihn mit ängstlich gespanntem Gesichtsausdruck mit den Augen verfolgte. Zuletzt erzählte er ihr mit kurzen Worten: Er habe sie nicht in Angst versetzen wollen, deshalb habe er über einen Vorfall geschwiegen, den er ihr nunmehr, da sie ihre Gesinnungen und Wünsche so gänzlich geändert habe, doch mitteilen müsse. Er habe nämlich im Traum wirklich eine Erscheinung des Ahnherrn gehabt; dieser sei sehr zornig über ihrer beider Eulenspiegelei gewesen. Näheres könne er ihr nicht sagen. Das Fräulein schien zuerst nur halb gläubig; als sie aber des Rittmeisters ernstes Gesicht sah, wurde sie ganz bestürzt und ängstlich, und begann von neuem zu weinen, denn es überkam sie nun auch eine Furcht vor dem Gespenst, die sie vorher noch nie gehabt hatte. Der Rittmeister fuhr fort, daß es auch sehr schwierig sein werde, die Verlobung bei ihren Eltern rückgängig zu machen, denn es sei doch unmöglich, denen zu gestehen, daß die Erscheinung nur von ihnen erlogen gewesen sei. Das Fräulein antwortete schüchtern, sie habe sich gar nichts mehr überlegt, sondern habe nur immer fest auf ihn und seine Hilfe gebaut. Er tröstete sie, daß er einen Plan überlegen wolle. Dann ging sie in ihr Kämmerchen zurück, er mußte sie aber begleiten, da sie sich fürchtete. Am andern Tag bat der Rittmeister seinen General um einige Wochen Urlaub, indem er ihm den Grund erzählte. Dann sorgte er für Wagen und Pferde und beschaffte alles andre, das nötig war, um eine Entführung ins Werk zu setzen; und wie nun der Vorabend des Hochzeitstages gekommen war, verließ er gegen Mitternacht heimlich mit dem Fräulein das Schloß, fuhr einige Meilen weit in ein kleines Städtchen, ließ sich hier von einem Pfarrer seines Regimentes trauen und zog mit seiner jungen Frau in eine vorbereitete Mietwohnung. Die Eltern waren am andern Morgen früh aufgestanden, der alte Freiherr mit ärgerlichem Schelten und seine Gemahlin mit frommer Gottergebenheit. Der Bräutigam kam in einem neuen priesterlichen Kleide aus feinem schwarzen Tuch, in einiger Unruhe und Sorge. Wie die Braut immer nicht erscheinen wollte und auch auf Klopfen und Rufen nicht antwortete, öffnete man ihr Zimmer mit einem Nachschlüssel; da zeigte sich, daß das Bett unberührt war und ihre besten Kleider fehlten. Wie dem Bräutigam klar wurde, daß die Braut entflohen war, kniete er mitten im Zimmer hin, faltete die Hände und sendete ein Dankgebet zu Gott, daß er die Hochzeit vereitelt; der alte Freiherr aber geriet in einen so maßlosen Ärger auf den Kandidaten, daß er schrecklich fluchend seinen Degen zog und auf den betenden Kandidaten loshumpelte. Dieser schrie laut vor Schreck, sprang auf und verbarg sich hinter der Baronin, die eben erst ihre Krinoline umgeworfen hatte, um den Sitz zu probieren, und noch kein Kleid übergezogen hatte, sodaß man das geängstigte Gesicht des knieenden und sich mit beiden Händen an der Krinoline festhaltenden Theologen durch das stählerne Gitterwerk sehen konnte. Der Baron humpelte in seiner blinden Wut mit dem Degen auch auf die Krinoline los, um hindurchzuspießen; da erschrak auch die Baronin, stieß durchdringende Schreie aus und lief davon, der Kandidat sich immer festhaltend hinter ihr her. Dann zeigte sich, welchen Haß der alte Freiherr immer auf den Kandidaten gehabt hatte; denn wie sich auch das Entweichen des Rittmeisters herausstellte, sagte er ernsthaft: es sei ihm lieber, seine Tochter als Geliebte eines braven Offiziers und echten Edelmanns zu wissen, wie als Frau eines Pastors. Am Abend ließ er ein Paket Lichter in das Fremdenzimmer bringen, lud selbst seine Pistolen, nahm seinen Degen, und erwartete, in dem alten Lehnstuhl sitzend, das Gespenst. Denn er wollte dem auseinandersetzen, daß er für seine Person alles getan habe, was er konnte, um es zu befriedigen, und wollte ihm auch erklären, daß es nicht kavaliermäßig handeln würde, wenn es nun doch seine Drohung erfüllte. Aber da das Gespenst nicht kam, so schlief er endlich auf seinem Stuhle ein, denn er hatte sich auch einige Flaschen Rotwein mitgenommen. Am andern Tage kam ein Brief des Rittmeisters an, in welchem die vollzogene Eheschließung mitgeteilt war. Die junge Frau hatte noch einen rührenden Nachsatz geschrieben, durch den sie um Verzeihung bat, daß sie ihrer Liebe gefolgt sei; aber sie habe ihren Eltern nichts sagen dürfen, damit die nichts wußten und dem Gespenst gegenüber unschuldig waren. Der alte Freiherr antwortete, ihm sei die Ehe ganz recht, insofern er nun von dem theologischen Schwiegersohn befreit sei; und wenn auch der Rittmeister außer seinem Degen nichts habe, so sei seine Tochter einzige Erbin und besitze genug, um eine Familie zu unterhalten, besonders, wenn er sich der Wirtschaft annehmen wolle und die Betrügereien der Leute abstellen, welches ihm wegen seiner Gicht und sonstigen Gebrechlichkeit unmöglich sei. Hierauf fuhr das junge Paar zu den Eltern zurück; der Freiherr und seine Gemahlin erwarteten sie am Tore, umarmten und küßten sie, der Rittmeister mußte gleich vom ersten Abend an die Wirtschaftsbücher durcharbeiten, und es war alles gut. Da nun in dieser Zeit die Friedensunterhandlungen begannen, so hielt es der Rittmeister für erlaubt, um seinen Abschied einzukommen, der ihm auch in Gnaden bewilligt wurde. Er wandte sich nunmehr ganz auf die Bewirtschaftung des Gutes und lebte mit seinen braven Schwiegereltern und seiner jungen Frau recht fröhlich und zufrieden, indem er wohl wußte, daß er vor dem abenteuerlichen Sinn seiner Frau doch immer auf der Hut sein müsse. Nun kam noch mancherlei wechselnde Einquartierung und sonstiger Besuch, infolge des Friedens, der Rückmärsche und Verabschiedungen. So erschien eines Abends spät ein verabschiedeter preußischer Offizier und bat um Obdach. Er war ein geborener Franzose, stellte sich als Marquis vor und machte auf den Rittmeister einen sehr abenteuerlichen und stark abgerissenen Eindruck. Durch seine Lustigkeit und gewandtes Benehmen wußte er sich bei den alten Leuten und der jungen Frau so beliebt zu machen, daß er sich gänzlich einnisten konnte und auch nach Wochen nicht an eine Weiterreise dachte. Dem Rittmeister fiel wohl auf, daß seine junge Frau ihm immer mit den Augen folgte und mit großem Eifer seine Geschichten aufnahm, auch wenn sie offenkundige Lügen und Aufschneidereien waren. So beschloß er, dem Unwesen ein Ende zu machen, ehe es zu spät wurde. Er gab vor, daß er auf einen Tag nach Breslau reiten wolle und verbarg sich heimlich im Hause. Wie es gegen Mitternacht war, holte er die Kette und das Laken hervor, die seine Frau damals in seinem Zimmer gelassen hatte, wie sie zum ersten Male als Geist bei ihm war, kleidete sich an wie sie damals gekleidet war, und ging kettenrasselnd durch den Gang zu ihrem Schlafzimmer, öffnete es, trat vor ihr Bett, die sich grausend aufgerichtet hatte und ihn mit großen Augen sprachlos vor Angst anstarrte, und drohte ihr stumm mit dem Finger. Dann wandte er sich und verließ das Zimmer wieder, indem er klirrend den Gang langsam zurückschlürfte. Sobald er angeblich von der Reise zurückkam, zog ihn seine Frau zur Seite und klagte ihm, daß der Fremde so sehr lange bei ihnen bleibe und daß ihr seine Gegenwart wegen seines vielen Redens sehr unangenehm sei. Er antwortete ihr, daß er das wohl gemerkt habe, wie lästig ihr der Mensch werde; und da sie es wünsche, so wolle er ihm einen Wink geben. So sprach er denn mit ihm, sagte ihm, daß er ihm die Sehnsucht nach seinem Vaterlande wohl angemerkt habe, und wenn er sein Anerbieten nicht unfreundlich auffassen wolle, so wolle er ihm als Freund und alter Kriegskamerad, der wohl wisse, wie man in zeitweilige Not kommen könne, das Geld leihen, das er zur Rückreise brauche. Damit drückte er dem überraschten Franzosen ein Päckchen mit einigen Dukaten in die Hand und ließ ihn; und der Franzose reiste denn auch wirklich sofort ab, mit vielem Dank und Einladungen auf sein heimatliches Schloß in der Gascogne. Nach diesem Erlebnis war es lange Zeit ruhig bei den beiden; und es kamen Kinder, die Eltern starben, die Kinder wurden größer; und das Leben floß unaufhaltsam hin. Als der älteste Sohn zehn Jahre alt war, wurde ein fröhliches Fest gefeiert, zu dem auch alle Gutsnachbarn eingeladen waren. Der Tag war recht mühsam für die Mutter; aber sie fühlte sich glücklich und froh; und als ein ganz alter Herr von den Gästen ihr sagte, sie gleiche jetzt ganz ihrer seligen Mutter, als die noch jünger gewesen sei; und als sie im Spiegel gesehen hatte, daß sie in Wahrheit nicht mehr so schlank und biegsam war wie früher, sondern eine breite Taille hatte, da wurde sie in glücklicher Weise nachdenklich. Am späten Abend fuhren alle Gäste fort; die Kinder lagen längst in ihren Betten und schliefen; in der Küche klapperten und schwatzten noch die Mägde. Da stand sie mit ihrem Mann am Fenster und sah in die Mondnacht hinaus, und erzählte ihm, wie einst ihre Liebe zu ihm einmal wankend geworden sei durch den lustigen Franzosen, und wie sie damals eine Erscheinung des Ahnherrn gehabt, sie wisse nicht, ob im Traum oder im Wachen; er habe aber genau so ausgesehen, wie sie selbst vorher ihn gespielt hatte mit einem Mut, den sie heute nicht verstehen könne; der habe sie gewarnt; da sei ein Schrecken über sie gekommen und sie habe eingesehen, daß sie auf unrechten Wegen gehe und habe ihn gleich den andern Tag gebeten, den Franzosen zu entlassen. Da nickte ihr Mann und sagte, durch dieses Geständnis sei sie ihm doppelt lieb geworden; und wir Menschen können nicht alle Geheimnisse enträtseln und sollen uns in Ehrfurcht beugen vor dem Unbegreiflichen. Das hölzerne Becherlein Von einem alten König in Asien wird erzählt, daß er ein sehr barmherziger und mildtätiger Herr gewesen ist. Die Geschichtsschreiber berichten, daß er einst auf der Jagd ein unmündiges Kind weiblichen Geschlechtes fand. Dieses hatte gar schöne Augen und war auch sonst so wohlgestalt, daß man es gewiß lieben mußte, denn es lachte die Herren, welche es umstanden, auch recht freundlich an; aber es trug die Merkzeichen einer bösen und ansteckenden Krankheit, welche man die Miselsucht nannte, und deshalb mochte keiner der Herren sich des Kindes erbarmen, denn ein jeder fürchtete sich, daß er die schlimme Krankheit von dem Kind bekommen könne, wenn er es berührte. Da sprach der König: »Das soll uns niemand nachsagen, daß wir haben ein unmündiges Kind umsonst seine Ärmchen nach uns ausstrecken lassen«, nahm es vor sich auf sein Pferd und ritt mit ihm heimwärts. Und wie wir häufig sehen, daß einem Menschen, welcher Gutes tut mit Tapferkeit und Freude, nichts Böses geschieht, so blieb er unversehrt von der Ansteckung und schlechten Krankheit. Indem er nun seine Guttat zu Ende bringen wollte, fragte er seine Ärzte nach einem Mittel, um des Mägdleins Krankheit zu heilen. Da sagten die, es müsse ein anderes Kind, welches gesund ist und gutgeartet, ein Schüsselchen voll seines eigenen Blutes hergeben, damit man das kranke wasche, und hiervon werden seine Geschwüre trocken und sein Leib wird wieder so blank wie eine Silberstange. Wie das die vornehmen Herren am Hofe hörten, hatten sie Angst, daß der König einen von ihnen bitten möchte, er solle von seiner Kinder Blut hergeben, gingen zum König und sprachen: »Was willst du, daß diesem armseligen Findling so kostbares Opfer gebracht werde, denn vielleicht ist es von niedrigen und üblen Eltern und hat schlechte Sitten, wenn es erwachsen ist, unsere Kinder aber sind edler Abstammung und werden deshalb einst gut und edel werden, und deshalb bringe sie nicht in eine Gefahr um so geringen Nutzen.« Und die armen Leute im Lande, wie sie hörten, daß die vornehmen Herren so geredet hatten für ihre Kinder, kamen auch zum König, baten und sprachen: »Unsere Kinder sind uns ebenso lieb, wie den vornehmen Herren ihre Söhnchen und Töchterchen, und manchem vielleicht noch lieber, denn viele von uns haben keine andere Freude im Leben, als daß sie sich an den roten Bäcklein ihrer Kleinen ergötzen und sich Hoffnungen machen, daß sie in Zukunft brave und gute Menschen werden. Deshalb bitten wir dich, du wollest dich auch unser erbarmen und sie nicht in Gefahr versetzen um den schlechten Findling.« Es hatte aber der König selber ein einziges Kind, einen gar schönen, klugen und guten Knaben. Dieser sprach: »Vater, ich bitte dich, daß du von mir das Blut nehmest, mit welchem das fremde Mädchen geheilt werden soll. Denn da ich als dein Erbe und der spätere König dieses Landes an solcher Stelle bin, daß alle mich betrachten und meine Handlungen kennen, so sehe ich wohl, daß ich Schwereres tun muß wie alle andern. Und vielleicht überstehe ich die Entziehung des Blutes; wenn aber nicht, so will ich mich trösten, indem ich bedenke, daß doch alle Menschen sterben müssen, und daß es keinen bessern Tod geben kann, als einen solchen, für welchen ich von allen guten Leuten muß gelobt werden.« Als der König diese Worte gehört hatte, wurde er zwar traurig in seinem Herzen, denn er fürchtete sehr für den Knaben; aber sagte ihm nichts, sondern lobte ihn um seinen frohen Mut und befahl den Ärzten, daß sie nach ihrer Kunst verfahren sollten, dem Knaben Blut nehmen und das Mädchen damit heilen. Die Meister der Arzneikunde taten nun nach ihrer Kunst, und des Königs Kind lächelte unerschrocken, wie sie ihm eine Ader öffneten und sein hellrotes Blut in eine Schale laufen ließen. Aber da sie ängstlich waren, denn sie hatten nicht gedacht, daß ein so kostbares Wesen sich ihnen darbieten werde, so wurden sie ungeschickt bei ihrer Hantierung und verletzten das mutige Knäblein so, daß es sterben mußte. Dieses fühlte wohl, wie sich ihm der Tod nahte, nahm noch einen herzlichen Abschied von seinem Vater und verblich dann. Der Vater jammerte über dem blassen Gesichtchen des toten Kindes, und alle Herren und Damen am Hofe klagten, und auch alle armen Leute waren traurig; und alle schämten sich, und war ihnen, als sei durch ihre Schuld das hoffnungsreiche Kind getötet, und versprachen bei sich alle, daß sie besser werden wollten von nun an und nicht mehr geizig sein mit ihrem eigenen Glück, denn wie sie das lächelnde und friedvolle Antlitz des Gestorbenen sahen, wurde ihnen klar, daß alles Glück beschlossen ist in einem gütigen und edlen Herzen, aber nicht bestehen kann bei Habsucht und Gier; und ist es nicht genug, nur gute Taten zu tun, denn das können auch schlechte Menschen, und werden dadurch doch nicht glücklich und froh, sondern es ist nötig, einen guten Sinn zu haben; denn dann wachsen schöne Taten aus dem Herzen, wie Korn, Blumen und obsttragende Bäume aus der lieben Erde in die helle Luft, in welcher der Sonnenschein spielt. Der Findling aber wurde gewaschen mit dem Blute des tapfern Königskindes, und alsbald vertrockneten seine Geschwüre, und nach einer Zeit fielen sie ab, und das Mädchen wurde gesund und wacker an seinem ganzen Körper. Weil der gute König aber keine weiteren Kinder hatte, auch keine mehr erwarten konnte, denn er war schon hochbetagt, so wendete er seine ganze Liebe auf dieses Mägdlein, als wäre es sein eigen Kind geworden. Bestellte ihm daher gute Pfleger, Vormünder und Lehrer und ließ es erziehen mit aller Sorgfalt und Treue. Und so wuchs der Findling heran und kam zu seinen Jahren, als eine wunderschöne und kluge Jungfrau. Oftmals weinte der König im stillen, wenn er ihr wunderliebliches Gesicht ansah, denn er dachte an sein eigen Fleisch und Blut, daß sein Söhnchen jetzt ein frischer und stolzer Jüngling wäre, wenn er ihn nicht hingegeben hätte; aber dann hatte er seinen Trost, wenn er bedachte, daß wir Menschen nicht wissen, wohin unsere Wege gehen, und daß uns deshalb nichts bleibt, als das Rechte zu tun unbekümmert und in Fröhlichkeit. Durch solche Gedanken gewann er das gefundene Mädchen immer mehr lieb; deshalb suchte er unter den vornehmsten Edelleuten seines Reiches den schönsten und tapfersten und gab ihr den zum Mann; und wie sie ihre Hochzeit feierte, welches mit großer Pracht und Herrlichkeit geschah, sagte er ihr und ihrem Manne, wenn er einst sterbe, so wolle er ihnen sein Reich verlassen als seinen Erben, denn er sehe sie an wie seine leibliche Tochter. Nun hatte aber die junge Frau ganz die Geschichte ihrer ersten Kindheit vergessen und nicht anders gemeint zu allen Zeiten, als daß sie die leibliche Tochter des alten Königs sei. Denn sie war noch zu klein gewesen in der Zeit, wie sie gefunden wurde im Wald und nachher, wie sie mit dem Blut des Königsknaben gewaschen wurde; und später hatte ihr niemand etwas von diesen Geschichten gesagt, denn der König hatte verboten, daß an seinem Hofe davon gesprochen wurde, aus großem Kummer über seinen Sohn, denn er dachte, es lobte ihn vielleicht einmal einer vor seinen Ohren, der den Knaben nicht wahrhaft lieb gehabt hätte. Deshalb wurde die junge Frau erstaunt über die Rede des Königs und fragte heimlich ihren Mann, was das bedeute, und der erzählte ihr alles, nach der Reihe, und welche Guttaten ihr der König erwiesen, auch wie er seinen einzigen Sohn für sie gegeben. Hierüber schwieg sie und verriet nicht ihres Herzens Meinung. Nun geschah es, daß zu ihrer Zeit die Frau eines schönen und gesunden Knäbleins genas, über welches sich alles freute, besonders aber der alte König; und wie das Kind aus den Windeln gewachsen war und laufen konnte und etwas sprechen, war es immer viel bei dem Großvater. Da sah es einmal einen schlechten, hölzernen Trinkbecher und begehrte ihn, wie Kinder oft einen plötzlichen Wunsch haben; der alte König aber nahm den Becher und verschloß ihn. Hierüber weinte der Knabe, lief zu seiner Mutter und erzählte ihr die Geschichte. Die ging zum König und fragte ihn, da erzählte der, daß dieses hölzerne Becherchen seines toten Kindes Eigentum gewesen sei, aus dem es immer getrunken habe. Die Frau erwiderte nichts, sondern schalt ihren Sohn; in ihrem Herzen aber hatte sie einen Groll gegen den König. Deshalb begann sie ihren Mann aufzureizen mit allerlei Reden, indem sie ihm vorhielt, daß der alte Mann kindisch werde und ihr Erbteil schmälere, indem seine Diener sich neue Rechte anmaßten, und die Feinde an den Grenzen des Landes bereiteten einen Krieg vor, den er nicht mehr werde bestehen können; und wie sie viele derartige Reden häufte, bewegte sie endlich ihren Mann zu dem Glauben, es sei wahr, was sie ihm erzählte, und er müsse sich nach Freunden umtun, ihm zu helfen, daß der alte König ermordet werde, damit er und seine Frau früher die Herrschaft ergreifen könnten. So tat er auch und stiftete eine große Verschwörung an; seine Sache kam aber heraus, und er selbst nebst seiner Frau und seinen Freunden wurden gefangen gesetzt. Nun wurden die Verräter von den gewöhnlichen Gerichten zum Tode verurteilt. Wie der König aber dachte, daß auch seine Pflegetochter hingerichtet werden sollte, dachte er an alles, was er für sie getan, und an das Blut seines Sohnes, und hatte ein großes Erbarmen. Deshalb entzog er sie den ordentlichen Gerichten und rief die Weisesten seines Landes zusammen, ihm zu raten, was er mit ihr beginnen sollte; denn wenn es möglich wäre, dachte er, daß sie Reue empfinden sollte, dann wollte er sie vom Tode erretten. Die Weisen sahen wohl den Wunsch des Königs, und weil sie ihn liebten, so wollten sie den gern erfüllen; aber sie fürchteten sich, daß sie ein so großes Verbrechen und so unmenschlichen Undank sollten unbestraft lassen. Da kamen sie nach langem Besinnen auf einen ganz neuen und nie gehörten Beschluß. Sie trugen der Frau auf als Strafe für ihr Vergehen, daß sie solle vor den König gebracht werden und dem in die Augen sehen; und wenn sie ihm in die Augen gesehen hätte, so solle sie von aller weiteren Strafe der Buße frei sein. So wurde sie nun vor den König geführt, und stand vor ihm, und hatte die Augen auf den Boden gerichtet. Der König aber saß auf seinem Thron, tröstete und ermahnte sie. Er sagte, daß ihr Vergehen aus ihrem Blut komme, denn sie sei niederer Abkunft und deshalb mißtrauisch, und es sei ein großes Unglück, wenn jemand einen Sinn im Blut habe, der nicht zu seinem Stande passe, wie ja auch umgekehrt ein Mensch im niederen Stande leide, der ein hochherziges Gemüt hat. Aber uns sei gegeben, solche Neigungen zu überwinden durch unsern Willen, und deshalb müssen wir nur unser Vergehen einsehen und uns vornehmen, unser Herz zu ändern. Und das werde sie gewißlich tun, denn er bitte sie herzlich darum, weil er sie erkauft habe mit dem Blut seines geliebten Kindes. Als der König diese Rede beendet hatte, erhob die Frau ihr Haupt und sah ihm in die Augen; und da schrie sie plötzlich laut auf, und dann fiel sie zur Erde, denn eine heftige Scham hatte sie plötzlich getötet. Die Venus Zur Zeit Ludwigs des Vierzehnten lebte in Paris ein junger Bildhauer namens André, der von seinen Freunden wegen seiner Kunst wie um sein fröhliches Wesen sehr geschätzt war. Dieser ging an einem Morgen in der Frühe zu einer Arbeit, die ihm in einem vornehmen Hause aufgetragen war, und indem er einen anderen Weg nahm wie den gewöhnlichen, sah er in einer engen und armen Straße, etwa zwanzig Schritte vor sich, ein junges Mädchen aus einem bescheidenen Hause treten, sich flüchtig umblicken und dann mit schnellen und zierlichen Schritten vor ihm hergehen. Zwar hatte er ihr Gesicht nur flüchtig bemerken können, aber sie machte doch einen sehr tiefen Eindruck auf ihn, sodaß sein Herz plötzlich schneller schlug, durch ihre gerade und schöne Haltung und ihre ebenmäßige und schlanke Figur, und besonders durch die Art, wie sie die Arme hielt. Wie er sich von seiner ersten Bestürzung erholt hatte, beschloß er, alles zu versuchen, um ihre Bekanntschaft zu machen; deshalb beschleunigte er seinen Gang und verringerte schnell den Zwischenraum von ihm zu ihr; aber da die entlegene Straße in dieser frühen Stunde noch menschenleer war, so hörte sie sein eiligeres Gehen, wurde ängstlich und beschleunigte gleichfalls ihre Schritte. Als er das sah, ging er in eine noch schärfere Gangart über, sie aber begann fast zu laufen vor ihm her. So kamen sie aus der engen Straße und eilten quer über das Seineufer zu der Brücke Heinrichs des Vierten; auf deren Mitte holte der junge Mann das Mädchen ein. Er zog höflich seinen Hut, indem er sich etwas zu ihr beugte; und sie blickte ihn erst mit einem erschrockenen Lächeln an, indem sie die Hand auf ihr Herz legte, das von dem raschen Gang pochte; da vergingen ihm aber plötzlich die Worte, er wurde rot und stotterte, und sie lachte mit einem silberhellen Lachen auf, als sie seine Verlegenheit verspürte. Er fragte, ob er sie begleiten dürfe, und sie erwiderte, sie wolle es ihm gestatten, wenn er sie nicht belästigen wolle. So gingen denn die beiden mit nunmehr gemäßigten Schritten weiter. Das Mädchen erzählte, daß sie Nicolette heiße und bei einem großen Kaufmann die Geschäftsbücher führe. Sie bat ihn, daß er sie wegen des Geredes der Leute an der letzten Straßenecke verlassen möge; er dürfte sie indessen am Abend wieder erwarten, um sie heimwärts zu begleiten. Am Abend aber versäumte André die bestimmte Zeit, da er sich zu sehr in seine Arbeit vertieft hatte. Deshalb wartete er am andern Morgen auf sie an der Brücke Heinrichs des Vierten. Sie sah ihn schon von weitem, beachtete ihn aber nicht; als er grüßend zu ihr trat, erwiderte sie seinen Gruß stumm, und während er sie wie den vorigen Tag begleitete und zu ihr sprach, betrug sie sich zwar nicht ablehnend gegen ihn, aber antwortete ihm auf keine Frage und sprach auch sonst nicht ein Wort, bis sie an der bekannten Straßenecke ankamen; dort verabschiedete sie sich von ihm mit einem stummen Gruß. An diesem zweiten Abend versäumte André die Stunde nicht, sondern erwartete sie und gesellte sich grüßend zu ihr; aber auch jetzt wieder blieb sie gänzlich stumm. In dieser Weise begleitete André das schöne Mädchen jeden Morgen und Abend die ganze Woche hindurch, bis zum Sonnabend. In der allerersten Zeit hatte er ihr immer gleichgültige Dinge erzählt, wie man sie jedem Menschen sagen kann; dann war auch er schweigsam geworden, und an einem Abend hatten sie beide den Weg zurückgelegt, von Anfang bis zu Ende, ohne ein einziges Wort zu sprechen. Wie aber durch das gemeinsame Schweigen eine Vertraulichkeit und Sicherheit in sein Herz gezogen war, erzählte er ihr von seinen Absichten und Plänen und beschrieb, was er für Figuren zu arbeiten gedenke. Am Samstag Abend nun brach sie plötzlich ihr Schweigen und sagte zu ihm, wenn er möge, so solle er sie und ihre Eltern, bei denen sie wohne, zum Mittagessen besuchen; und nach dem Essen solle er einen Spaziergang mit ihr vor das Tor machen. Er dankte ihr vielmals und versprach ihr, zu kommen, und kam auch zu der bestimmten Stunde mit einem schönen Blumenstrauß zu der Tür, öffnete die, ging die Treppen hinauf und klopfte am Eingang der Mansardenwohnung. Nicolette schloß ihm auf, zog ihn in die Stube und stellte den Blumenstrauß in ein Glas. Da traten ihre Eltern herein, ehrbare und freundliche alte Leute, die ihn zutraulich begrüßten; sie sagten ihm, daß ihre Tochter ihnen von seinem Begleiten erzählt habe. Nicolette band eine große blaue Schürze mit Brustlatz vor ihr zierliches Kleid und ging mit der Mutter in die Küche; und André setzte sich mit dem weißhaarigen alten Mann in die Nische des Mansardenfensters, vor dem allerhand blühende Blumen in Töpfen standen, sauber gehalten und an weißlackierten Stäbchen aufgebunden. Der alte Mann plauderte von seiner Jugend, und wie er Diener bei einem großen Herrn gewesen sei, viele Reisen mit dem gemacht habe und nun in seinem Alter gern an diesem Fenster sitze und dem Zug der Wolken zuschaue, die vielleicht aus den fernen Gegenden hergeschwommen, die er ehedem bereist. Nicolette richtete indessen hurtig den Tisch zu, indem sie ein glänzendes Leinentuch aufdeckte mit scharfgebrochenen Falten, und altererbte Teller aufstellte, die mit bunten Farben bemalt waren, und Messer und Gabeln zur Seite legte, die geschnitzte Griffe aus Knochen hatten und von dem Gebrauch durch Menschenalter dünn geworden waren. In die Mitte stellte sie den Blumenstrauß. Dann trat die stattliche Mutter herein und trug mit beiden Händen auf einer großen zinnernen Schüssel einen wohlzubereiteten Schweinebraten, dessen zierlich eingekerbte Kruste golden schimmerte. Der Vater erhob sich mit einem listigen Gesicht und holte aus dem Winkel eine Flasche alten Wein, den er da zurechtgestellt hatte, und wie er sie öffnen wollte, nahm André sie ihm aus der Hand und zog sie auf. Dann setzten sich alle, und die Mutter schnitt gleiche Stücke von dem Braten und legte jedem vor auf seinen Teller, und sie nahmen Messer und Gabel, schnitten und aßen; der Vater aber erzählte, daß er den Wein vor Jahren geschenkt erhalten habe von seinem Herrn bei der Hochzeit der jüngsten Tochter, denn bei besondern Gelegenheiten mußte er immer noch bei der Familie zur Hand sein. Wie sie zu Ende gegessen hatten, erhoben sich alle, und Nicolette räumte flink den Tisch ab. Die Eltern machten keine Anstalten für einen Ausgang, und wie André fragte, ob sie nicht mit ihnen beiden vor das Tor gehen wollten, da sagten sie, daß ihre Tochter lieber den Nachmittag mit ihm allein verbringe, und daß sie keinerlei Besorgnis hätten, sie mit ihm ohne eine Begleitung gehen zu lassen, denn sie sei immer ein sehr besonnenes und gutes Kind gewesen, das ihnen stets nur Freude gemacht habe. Bei diesen Worten weinte die Mutter. Nicolette aber hatte in der Küche ihre Schürze abgelegt und sich eine gefällige kleine Haube aufgesetzt und kam, um ihn zum Ausgang abzuholen. Sie gaben den alten Leuten die Hand, und Nicolette nahm eine Blume aus dem Strauß, um sie in ihr Haar zu stecken, und das tat sie mit einem flinken Blick auf André und unter Erröten, und dann gingen sie. Sie begegneten vielen geputzten Menschen, und André erklärte ihr, wie die Gestalt des Menschen geschädigt wurde durch die Art der Kleidung, wie unwahr Haltung, Gang und übrige Bewegungen der meisten sind, und wie das Unwahre auch unschön werde; und dann erzählte er ihr, welchen besonderen Eindruck ihre ganze Gestalt sofort auf ihn gemacht habe, und wie er sich gleich ihren Körper in allen seinen Verhältnissen ohne die Kleider vorgestellt. Sie errötete bei diesen Erzählungen und wurde sehr verlegen, ohne daß er es verspürte; vielmehr fuhr er in seiner Erzählung fort, daß er für seine Arbeit notwendig ein lebendes Modell gebrauche und doch nie das finden könne, was ihm nötig sei, weil besonders die Frauen ihren Körper verschnüren und verkrüppeln. So liege ihm die Figur einer Venus im Sinn, und er habe sich in der Phantasie das Bild auch ganz ausgedacht; aber unter den Mädchen, die Modell stehen, finde er kein Vorbild; und auch sonst würde ihm die Arbeit unmöglich sein, denn er wolle sie nicht nur in Ton machen, sondern in Marmor; aber bei dem jetzt herrschenden Geschmack werde niemand, wenn er die Tonfigur gesehen habe, das Werk in Marmor bei ihm bestellen; und er sei zu arm, um für sich selbst einen Marmorblock zu kaufen. Nach diesen Gesprächen sagte Nicolette zu ihm, daß sie fröhlich sein müßten und alle schweren Gedanken vergessen, weil Sonntag sei, wo man sich erhole von der wöchentlichen Arbeit. Und so gingen die beiden zu einem Bauernhäuschen, dessen Bewohner an die Lustwandelnden Milch ausschenkten, setzten sich unter die weitschattende Linde vor dem Hause, unter der glattgehobelte Bänke und Tische in der Erde eingeschlagen waren, und ein rotwangiges Mädchen brachte ihnen auf einem weiß gescheuerten Holzbrett in sauberen Krügen kühle Milch. Sie tranken, und er scherzte viel mit ihr, weil auf den feinen und unsichtbaren Härchen ihrer Oberlippe zarte Perlen der Milch zurückgeblieben waren und einen leichten Rand bildeten. Sie nahm ein Tuch aus der Tasche und lachte leise in sich hinein. Als die Schatten begannen länger zu werden, brachen sie auf, und sie legte ihren Arm in seinen, als seien sie seit langem vertraut, und gingen zurück, und vor ihrer Haustür nahm er Abschied mit einem freundlichen Händedruck. Nun erwartete er sie wieder täglich und begleitete sie, wenn sie morgens zu ihrer Arbeitsstelle ging und abends nach Hause kehrte, und sie sprachen miteinander wie zwei vertraute Menschen. Da geschah es an einem Abend, daß sie ihn bat, sie noch eine Weile zu führen, denn es war eine schöne und frische Luft, und sie sagte, daß sie ihm etwas mitteilen wolle, aber sie wolle die Dunkelheit abwarten, und wie die Dunkelheit kam, da sagte sie ihm, daß sie wohl gemerkt habe, wie sehr ihm seine Arbeit an der Venus am Herzen liege, und sie wisse jetzt auch, daß er sie an jenem ersten Abend nur seiner Arbeit wegen versäumt habe; sie habe damals aber geglaubt, daß er irgend einer leichten Liebschaft wegen nicht gekommen sei; deshalb habe sie damals die ganze Woche hindurch nicht zu ihm gesprochen, um ihn auf die Probe zu stellen, aber ehe sie aus dem Hause gegangen sei, habe sie immer im stillen zu ihrer Heiligen gebetet, daß er sie erwarten möge, und wenn er damals fortgeblieben wäre, so wäre sie sehr traurig gewesen. Wenn einem jungen Mann aber seine Arbeit so am Herzen liege, das sei nicht verwerflich, vielmehr müsse man es auf das höchste loben. Deshalb habe sie sich auch seinen Plan mit der Venus sehr überlegt, und sie wolle ihm sagen, daß sie von einem verstorbenen Oheim ein kleines Vermögen geerbt habe und ihm gern das Geld geben wolle, um den Marmorblock zu kaufen. Und sie wolle auch zu ihm kommen in seine Werkstätte und ihm als Modell dienen, wenn er wenigstens ihren Vorschlag so auffassen wolle, wie er gemeint sei. Aber wenn sie sich auch überwinden könne, sich vor ihm nackt zu zeigen, so wolle sie doch nicht, daß irgend ein anderer Mensch die Figur sehe, welche nach ihrem Körper gemacht sei, denn dann müsse sie sich allzusehr schämen. Deshalb müsse er ihr fest versprechen, daß kein Mensch je die Figur sehen dürfe. Sie schloß aber ihre Rede, indem sie sagte, die Dunkelheit habe sie abgewartet, weil sie ihm das alles nicht habe im Hellen sagen können, aus Scham. Nun wurde André sehr froh, denn er wußte schon einen schönen Marmorblock, der für sein Bildwerk paßte. Er machte eine gute Ordnung in seiner Werkstätte, kehrte Staub und Schmutz fort, richtete einen Vorhang ein, hinter dem sich Nicolette entkleiden sollte, und erwartete mit Ungeduld die Stunde, wo er seine Arbeit beginnen konnte. Und wie Nicolette kam, mit sehr großer Scham in ihrem Gesicht und in allen ihren Bewegungen, da gab er ihr nur flüchtig die Hand, führte sie gleich hinter den Vorhang, und indessen sie sich entkleidete, rückte er nochmals an dem Fußgestell, das er für sie bereitet hatte und versuchte die Feuchtigkeit des Tons und den Halt des Drahtgerüstes, wie er aber eine Weile vergeblich gewartet hatte, daß Nicolette hinter dem Vorhang hervorkommen sollte, hörte er ein leises Weinen; da ging er hin, wo sie saß, und fand sie entkleidet, nahm sie bei der Hand, denn er war ganz hingenommen von dem Gedanken an seine Arbeit, und sie folgte ihm geduldig, wie er sie zog und an ihren Ort stellte und ihr angab durch Worte, Bewegungen und Richten, wie sie stehen müsse. Dann eilte er zu seinem Drahtgerüst und Ton und begann mit großem Eifer zu arbeiten, indem er sie mit scharfen Augen anblickte und ihr gelegentlich ein kurzes Wort zurief, wenn sie müde schien oder ratlos aussah. Und dann lachte er mit einem kurzem Lachen und sagte sich selbst, daß seine Arbeit gut werde, ging einige Schritte zurück, prüfte Nicolette und die Figur mit andern Blicken, wie er sonst sie ansah, und begann aus Freude an der Arbeit ein Lied zu singen, indem er Nicolette ganz vergaß. Nachdem er aber stundenlang gearbeitet hatte, sagte Nicolette mit leiser Stimme, daß sie ermüdet sei und nicht mehr ihre Haltung beibehalten könne; da erwiderte er, daß er heute seine Arbeit beschließen wolle; sie stieg herab und ging hinter den Vorhang, und er arbeitete immer weiter an seinem Ton; und als er nach einer ganz langen Zeit sich ihrer erinnerte, da hatte sie sich längst angezogen gehabt und war leise fortgegangen. So arbeitete er nun mit großem Fleiß an einem Tonmodell, dann machte er die Übertragung auf den Marmor und begann an seinem Marmorblock zu schlagen; und zuletzt wurde er fertig mit seiner Arbeit und freute sich über sie; da war Nicolette das letztemal in seiner Werkstatt und freute sich seiner Freude und bat ihn denn nochmals mit bekümmertem Herzen, daß er die Figur niemandem zeigen wolle; das versprach er ihr und gab ihr die Hand, sie aber nahm mit beiden Händen seinen Kopf, küßte ihn auf die Lippen und entfloh mit schnellen Schritten aus der Werkstatt, indessen er verwundert zurückblieb. Nun war am Hofe des Königs ein vornehmer Herr, der viel Liebe zur Kunst hatte und Bildhauer und Maler oft besuchte, ihre fertigen Werke betrachtete und den König dann von dem Gelungenen erzählte, damit er es für sich ankaufe. Dieser Herr kam auch zu André, und weil er unerwartet kam und eintrat ohne anzuklopfen, so hatte André keine Zeit gehabt, seine Venus zu verbergen, sondern das Werk stand gerade in der Mitte seiner Arbeitsstube und zeigte sich dem Eintretenden mit der allerbesten Verteilung von Licht und Schatten. Der geriet in eine lebhafte Begeisterung über die Arbeit und trotz aller verlegenen Ausreden Andrés versprach er, dem König einen Bericht zu geben; und weil er in diesem Bericht sehr große Lobeserhebungen machte, so befahl ihm der König, das Werk dem Bildhauer für eine große Summe abzukaufen und es dann in einem seiner Gärten aufzustellen, damit sich viele an ihm erfreuen könnten. Gegen diesen Befehl des Königs konnte André sich nicht sträuben; er mußte seine Venus abgeben, und aus großer Liebe zu ihr besorgte er alles selbst bis zu der Aufstellung im Garten. Aber als das nun alles beendet war, da geriet er in große Bedenken wegen seines Versprechens; und er wußte sich keinen Ausweg aus Schüchternheit, sondern wartete, bis Nicolette das Geschehene von selbst erfahren werde. Das geschah aber auf eine sehr schlimme Art. Denn es hatte sich das Gerücht verbreitet von der schönen Figur, die im Garten des Königs aufgestellt war, und da der Garten des Sonntags allen Einwohnern von Paris geöffnet wurde, so versammelte sich am ersten Sonntag eine sehr große Menschenmenge vor der Venus. Unter dieser befand sich auch Nicolette, denn durch ihre Freundschaft für André hatte sie Liebe zur Bildhauerkunst gefaßt, und indem sie nicht wußte, daß das neue Werk Andrés sei, war sie mit andern hingegangen, es anzusehen. Wie sie es erblickte, stieß sie einen lauten Schrei aus und fiel ohnmächtig hin, und ihre Freundinnen dachten, daß ihr durch die Menge der Menschen übel geworden sei und brachten sie nach Hause. Hier aber weinte sie und erwies sich als ganz untröstlich. Wie sie allein war, schrieb sie einen Brief an André, durch welchen sie ihm anbefahl, daß er sie besuchen solle; und indem André sich wohl dachte, welches der Grund ihres Briefes war, beschloß er, sich unbefangen zu stellen, nahm das viele Geld, das er vom König bekommen hatte und ging zu ihr, in der Meinung, daß er ihr sagen wolle, da ihr der Marmor gehöre und der Körper der Figur, so solle sie ganz ihr Eigentum sein, und deshalb bringe er ihr alles Geld, das er bekommen habe, weil es ja ihr gehöre. Sie aber ließ ihn gar nicht seine ausgedachte Rede vorbringen, sondern redete sogleich zu ihm, daß er sein Versprechen nicht gehalten habe, und daß sie sich sehr schäme; und noch mehr: er habe nicht gespürt, weshalb sie sich ihm als Modell gegeben, nämlich weil sie ihn über alle Maßen geliebt; und wohl habe sie während der Arbeit gesehen, daß er von ihren Gefühlen nichts wisse, aber sie habe sich gedacht, daß die Mädchen wohl zärtlicher sind wie die Männer; und wenn sie auch eine Weile eine Eifersucht gehabt habe auf die Figur, so habe sie sich doch nachher bezwungen und sie sogar geliebt, weil sie gemeint, er liebe sie. Nun sie aber gesehen, daß er das Werk fortgegeben und es sogar habe in der Öffentlichkeit ausstellen lassen, sodaß jeder es mit den Augen haben könne, da sei ihr klar geworden, daß er im Innern seiner Seele ein gemeiner und schamloser Mensch sei, wenngleich er äußerlich sogar schüchtern erscheine. Nun sei ihr jedoch das Leben in der Welt überhaupt eine Last geworden, denn alle Menschen seien anders, wie sie früher gemeint habe, und deshalb wolle sie in ein Kloster gehen, und heute sage sie ihm das letzte Lebewohl. André ging mit bestürztem Gemüt von ihr fort und erwog alle ihre Worte wochenlang; und durch dieses Denken und Überlegen kam eine immer größere Liebe zu Nicolette in sein Herz, daß er vor übergroßer Sehnsucht schwachen Herzens wurde, träumte und nachsann mit Kummer. Der König schickte zu ihm, sprach freundlich mit ihm und gab ihm eine schöne Stellung, sodaß er keinerlei Sorgen mehr hatte um sein Auskommen und hätte arbeiten können, wie er wollte; aber er saß nur traurig in seiner Werkstatt, und es war ihm, als seien alle Pläne und Gedanken davon geflogen in die Luft. So fand ihn nach Monaten jener vornehme Herr, der die Figur als Erster gesehen hatte, wie er gleichgültig vor einem Werk saß, das er früher gemacht hatte und mit Anstrengung und Willen etwas verändern wollte. Er sah ihm ins Gesicht und sprach zu ihm, er habe gewiß eine Liebe, die nicht erwidert werde; aber er müsse nicht verzagen, denn wenn jemand ernstlich liebe, so erwecke er auch bei dem andern eine Zuneigung, wenn dessen Herz nicht etwa vorher vergeben sei, nur müsse er heiter sein und suchen, daß er glücklich aussehe. Über diese Worte weinte André plötzlich, sodaß der Herr in Verlegenheit fortging. In der Nacht aber nahm André einen Becher, aus dem Nicolette einmal getrunken hatte, als sie noch bei ihm war, mischte ein Gift und tötete sich selbst. Ein Eid In den letzten Zeiten des Merowingerstaates in Frankreich lebte ein Graf Austregisil. Er hatte zwei Söhne, Landegisil und Fortunatus, mit denen er allein in seinem alten Hause wohnte. Seine Gattin war schon seit Jahren gestorben. Er selbst war ursprünglich gemeiner Soldat in der Leibwache des Königs gewesen und hatte sich durch Tüchtigkeit und Schmeichelei seine hohe Stellung errungen. Jetzt war er ein kräftiger Mann in der Mitte der Vierziger mit einer blutroten Narbe von einem Axthieb über die Stirn und mit schwarzem, dichtem und kurzgeschorenem Haupthaar und Bart. Der älteste Sohn, welcher seine Stelle erben sollte, wenn er dem König gefiel, schien sein verjüngtes Ebenbild; der jüngere, den er hatte zum Priester weihen lassen, war ein blasser Mensch mit unheimlichen, verzehrten Augen. Ein reicher Grundherr in der Nachbarschaft starb und ließ eine einzige Tochter zurück namens Pelagia. Der Vorsteher von Austregisils Schreibern brachte eine Klage ein, er habe vor Jahren dem Herrn seine Güter für eine bestimmte Summe abgekauft, mit der Bedingung, daß er erst nach seinem Tode den Besitz antreten solle. Der Rechtsfreund Pelagias erklärte das Dokument für gefälscht; Austregisil legte dem Schreiber auf, er solle in der Kapelle des Grafenhauses auf die Gebeine des heiligen Remigius schwören, daß seine Behauptung wahr sei; der Schreiber leistete den Schwur und trat den Besitz an; nach einigen Monaten verkaufte er die Güter an Austregisil. Fortunatus ging im Frühjahr auf das Land, trat in ein Bauernhaus und fand Pelagia, welche bei dem Bauern wohnte, wie sie kostbare Borten webte; der Bauer sagte, daß er die Borten in der Stadt teuer verkaufe, und daß er an Pelagia verdiene. Fortunatus fragte sie nach ihrem Namen; sie antwortete: »Ich bin Pelagia, die Herrin dieses Gebietes, welches dein Vater gestohlen hat.« Er sprach: »Du mußt nach deinem Stande leben, ziehe in das Haus meines Vaters.« Sie antwortete ihm nicht. Er erzählte alles seinem Vater, und der zwang sie, zu ihm zu ziehen; er gab ihr ein eigenes Zimmer in seinem Haus und eine Magd zur Bedienung. In einer Nacht pochte er an ihrer Tür. Sie fragte: »Wer ist draußen?« Er sprach: »Ich bin Austregisil, öffne mir.« Sie rief um Hilfe, er versuchte die Tür aus den Haspen zu heben. Auf das Rufen kam Landegisil, sein ältester Sohn; er sprach zu ihm: »Ich habe noch nicht gewagt, ein Wort mit ihr zu sprechen; du bist ein alter Mann; du darfst sie nicht zu meiner Mutter machen, sie soll mein Weib werden.« Austregisil lachte. »Heiraten will ich die Bettlerin nicht, mein Gut soll zusammenbleiben bei einem Erben.« Landegisil zog sein Schwert und schlug ihn über den Kopf, dann erschrak er, warf das Schwert fort, verbarg sein Gesicht in den Händen und weinte, indem er rief: »Du bist mein Vater.« Austregisil wischte sich das Blut aus dem Gesicht, damit es ihm nicht in die Augen lief und ging. Pelagia öffnete die Tür eine kleine Spalte, hing die Kette ein und flüsterte: »Hast du ihn erschlagen?« Er antwortete: »Nein, Gott und die Heiligen haben mich vor dem Vatermord behütet, er trägt einen starken Blechstreifen in seiner Mütze eingenäht.« Sie sprach: »Ich will beten, daß ihr euch gegenseitig mordet, ihr Räuber.« Er antwortete: »Ich bin kein Räuber.« Dann ging er fort. Fortunatus saß in der Kapelle auf den Stufen des Altars vor dem silbernen Sarkophag des heiligen Remigius. Er dachte: »Gott hat mich geführt; denn wenn ich mein Leben bedenke, so finde ich, daß alles notwendig war für mich, auch das, was mir als Zufall erschien damals, als es mir geschah. Wenig Freude habe ich gehabt in meinem Leben, aber ich durfte auch keine Freude haben, sonst wäre ich nicht der geworden, der ich bin. Aber nun, wohin gehe ich nun weiter? Ich weiß es nicht, aber Gott weiß es. Alles ist nötig für mich gewesen bis nun, so wird alles weitere auch nötig sein; und wenn ich das nicht jetzt mache, so werde ich es später machen, wenn alles andere geschehen ist und ich an meinem Ende bin. Aber vielleicht ist dieser ganze Gedanke falsch? Ich erscheine mir selbst heute notwendig, so, wie ich bin; deshalb muß mir auch alles notwendig scheinen, was mir geschehen ist, und was ich getan habe, denn durch das alles bin ich ja, was ich jetzt bin. Hätte ich nun anderes getan, und wäre mir anderes geschehen, so wäre ich heute der Mensch, der diesen anderen Geschehnissen entspräche, und also ein anderer; dann würde ich, der andere, mir jetzt ebenso notwendig vorkommen, und mein bisheriges Leben, das anders war, als ebenso von Gott geleitet.« Dann dachte er: »Vielleicht bin ich der andere?« Und er fürchtete sich. Pelagia wurde in ihrer Kammer ermordet gefunden. Sie lag mit dem süßen Gesicht auf dem Boden, erschlagen mit dem Schüreisen des Kamins. Der König in seinen langen Haaren, die von dem goldenen Reif zurückgehalten wurden, fuhr durch das Land, in seinem Wagen, gezogen von weißen Stieren, und überall strömten die Menschen ihm zu, damit sein Blick auf sie falle. Er saß in dem Saal im Hause des Grafen Austregisil, um selbst den Mörder zu erforschen. In einem Halbkreis, niedriger wie er, saßen die Vornehmen seines Palastes und die Großen der Grafschaft. Der König sprach: »Wer etwas zu sagen weiß über den Mord, der stehe auf und spreche«. Da erhob sich Landegisil und sprach: »Kein anderer kann die Tat vollbracht haben wie mein Vater, denn es hatte zu Pelagia niemand Zugang wie wir; und ich weiß, daß er sie mit unzüchtigen Anträgen verfolgte. Ich klage ihn des Mordes an und will mit meinem Schwert gegen ihn eintreten für meine Klage.« Austregisil erhob sich, und wie er dem Sohn gegenüberstand, fiel allen die wunderbare Ähnlichkeit der beiden auf, und einige flüsterten: »Er ist sein Vater.« Austregisil schwieg eine Weile, dann fragte er seinen zweiten Sohn Fortunatus, der in seinem Priestergewand dasaß, gesenkten Hauptes und die Hände in den weiten Ärmeln. Er fragte ihn: »Wenn dein Bruder stirbt, willst du dann die Kirche lassen, wieder in die Welt gehen, mein Gut und Amt erben, ein Weib nehmen und Kinder zeugen?« Fortunatus schüttelte das Haupt und sprach mit leiser Stimme: »Ich will Priester bleiben und ein frommes Leben führen, gleich dem heiligen Remigius, dessen Sarg ich bewache. Er war der Sohn eines Grafen wie ich, wurde Priester und ist nun ein Heiliger; und auf seine Gebeine legen wir die Hand, wenn wir schwören, und er hat solche Macht, daß er den tötet, der falsch schwört über seinen Gebeinen.« Austregisil sprach: »So willst du auch als Priester kein Weib nehmen, damit ich Enkel sehe aus meinem Blut, welche erben, was ich mir erworben?« Fortunatus schüttelte wieder den Kopf. Da sprach Austregisil: »Ich werde mir neue Söhne erzeugen. Ich bin unschuldig an dem Mord; aber aus demselben Grunde wie mein Sohn Landegisil mich, klage ich ihn an; denn außer mir und meinen beiden Söhnen hatte niemand Zutritt zu Pelagia; und ich weiß, daß mein Sohn eine Neigung zu ihr hatte. Und ich will meine Anschuldigung beweisen im Schwertkampf gegen diesen, der aus meinen Lenden entstammt.« Der Älteste der Beisitzer erhob sich und sprach: »Es ist nicht erhört bis heute, daß Vater und Sohn einander mit dem scharfen Schwert gegenüber gestanden haben. Und wenn das geschähe, so habe ich Furcht, daß Gott eine Strafe auf unsere Völker sendet, so groß wäre das Verbrechen. Deshalb ist mein Rat, lieber bleibe der Mörder unbekannt und die Tat ungesühnt, als daß ein so schändlicher Kampf von dem König angeordnet werde.« Die anderen Männer murmelten beistimmend. Es hatte sich ein schweres Gewitter am Himmel zusammengezogen, ein Frühlingsgewitter. Während der König ruhig überlegend verharrte und eine große Stille im Saal war, kam plötzlich ein heftiger Donnerschlag zugleich mit einem leuchtenden Blitz; die an der Wand aufgehängten Waffen klirrten. Erschrocken sprangen die Beisitzer auf, denn sie dachten, der Blitz habe im Raum eingeschlagen, dann flehten sie den König an, der Meinung des Alten beizustimmen. Der König sprach: »Der Blitz darf mich nicht erschrecken, und es wäre ebensolche Sünde, den Mord ungesühnt zu lassen, als wenn Vater und Sohn sich mit tödlichen Waffen schlügen. Aber ich habe einen andern Weg gefunden, die Wahrheit zu treffen. Dieser Priester sagte, daß die Reliquien eines Heiligen hier im Hause sind. Vater und Sohn sollen auf diese Reliquien schwören, daß sie unschuldig sind an dem vergossenen Blut. Ist der Heilige so mächtig wie der Priester sagte, so wird er denjenigen von den beiden bestrafen, welcher der Meineidige, Mörder und falsche Ankläger seines nächsten Verwandten ist.« Der König erhob sich langsam und schritt zur Kapelle. Die andern folgten. Der Vater gürtete sein langes Schwert ab, legte es zur Seite und stieg die Stufen des Altars empor. Auf dem Deckel des Sarges war in dem blanken Metall eingeritzt und mit Niello ausgelegt die Figur des Heiligen, ruhend, mit geschlossenen Augen, die Hände über die Brust gelegt. Der Graf erhob die Schwurfinger der linken Hand, legte die rechte Hand auf das Haupt des Heiligen und sprach mit lauter und fester Stimme die Worte des Schwurs nach, welche ihm Fortunatus, am Fußende des Sarges stehend, vorsagte. Alle schwiegen, als er geendet; und in der tiefen Stille ging er mit schweren Schritten die Stufen wieder herab. Nun machte sich Landegisil bereit, und in die Stille kam von außen ein leises Rollen des Donners, als ziehe das Gewitter ab. Die Stimme des Fortunatus war noch leiser wie vorhin, Landegisil sprach ruhig und laut nach. Als er die Worte fast beendet hatte, erfüllte plötzlich das Licht eines Blitzes die Kapelle, daß alle die Augen schließen mußten, und unmittelbar folgte ein entsetzlicher Donnerschlag. Als die Männer wieder aufblickten, stand nur noch Landegisil aufrecht, die Hand auf dem Haupt des Heiligen; Fortunatus lag tot am Fußende des Sarges. Der Tod des Dichters Fünf Frank habe ich. Schnaps ist Unsinn. Burgunder will ich trinken, guten alten Chablis, in einer verschimmelten Flasche, die in einem Körbchen auf den Tisch gestellt wird. Hier liegen ja auf allen Tischen Servietten. Vier Frank fünfzig, fünfzig Trinkgeld, das reicht gerade. Was? Das ist ein feines Restaurant? Man will mir nichts geben? Herr Kellner, ich bin ein Dichter, eine Berühmtheit. Das ist lächerlich, zu sagen Herr Kellner, man sagt nur Kellner; aber ich kann nicht anders, es ist gegen die Menschenwürde. Was? Hier verkehren nur feine Leute? Vorige Woche war ich fünfzig Jahre alt, da haben die Zeitungen Artikel über mich gebracht, nur die besseren natürlich; die Artikelschreiber gehen in Zylinder und Handschuhen, die dürfen hier wohl sitzen, aber ich nicht? Sie haben geschrieben, daß es eine Schande ist, wie man mich verkommen läßt, noch nicht einmal die erste Auflage ist verkauft von meinem Buch; aber Fagerolles, ja Fagerolles hat ein eigenes Auto. Ich nenne ihn Fagerolles, Herr Kellner. -- Ach, ich gehe schon. Sie sind ja nicht bösartig, Herr Kellner, Sie dürfen bloß nicht. Es ist kalt auf der Straße, aber wenn man fünf Frank hat in der Tasche, das wärmt einen. Soll ich essen? Ich habe wohl die ganzen drei Tage nichts gegessen, wo ich an dem Buch übersetzte. Unrecht ist es eigentlich doch, man verkauft seine Seele an den Schweinehund, und er gibt einem nur fünf Frank, fünf Frank für drei Tage Arbeit, meine Herren. Soll ich essen? Ich habe keinen Hunger. Wie ich damals mein Buch schrieb, ach, das war schön, das war der Höhepunkt. Da wohnte ich bei Fagerolles, er hatte mir eine schöne Dachkammer abgetreten, da war ich den ganzen Tag allein, nur am Abend, da mußte ich unten essen, und dann las ich vor. Seine Frau weinte vor Neid, er lief auf und ab im Zimmer, auf den Teppichen hörte man den Tritt nicht; ich aber lachte heimlich und dachte: Ihr seid ja reich, aber auf mich werden einmal die Menschen hören, die jungen Menschen, die noch nichts wissen, die lesen mein Buch, und da erfahren sie die Schönheit. -- Ach, die Schönheit, ich muß weinen, denn ich denke an den Waldrand und den Kuckucksruf, Vorfrühling auf brauner Wiese, Rieseln des Quellwassers, und dieser Vogelruf -- wie hieß nur der Vogel? Ich vergesse jetzt so viel. Vielleicht dieser große schwarze Vogel mit gelben Füßen. Da brennt eine rote Laterne, man wird so naß im Regen draußen, ich will hineingehen, aber Burgunder will ich, wie ich ihn damals zuerst bei Fagerolles getrunken habe. Ei, du Gauner, du Fagerolles, du hast mich untergekriegt. Jetzt sagen die Leute auch noch, du hast ein gutes Herz. So ein Halunke! Mich friert so, es ist auch nichts, wenn einem das Wasser durch die zerrissenen Sohlen an die Füße kommt. Die Füße sind empfindlich. Auch sollte man doch mehr essen. Die Miete kann man ja schuldig bleiben, aber das Essen ist doch eine Hauptsache. Aber heute Abend will ich Burgunder trinken, in einer verschimmelten Flasche, in einem Körbchen. Und wie sie es dem Fagerolles gegeben haben, die Artikelschreiber! Ja, das ist wahr; ohne mich, was wäre er? Ein Kuhfladen. Eigentlich ist er doch mein Bourgeois. Und wie gesund er ist, wie fleischig und rot! Ich habe ihn gestern gesehen, oder war es vorgestern? Er hat mich gut verdaut, es ist ihm angeschlagen. Bekomme es ihm weiter! Böse will ich ihm nicht sein. Nur, er hätte sich doch können einmal anpumpen lassen, einmal wenigstens, es brauchte ja gar nicht so viel zu sein, fünfzig Frank vielleicht. Ob ich ihm noch einmal schreibe? Wenn ich fünfzig Frank hätte, dann fütterte ich mich erst wieder einmal ordentlich auf, dann wäre auch ein anständiger Anzug nötig und ordentliche Stiefel, feste Stiefel, Stiefel, die nicht zerrissen sind, dann müßte ich eine Bude haben mit einem Ofen. Ein Ofen ist unbedingt nötig. Es ist ja alles fertig, ich brauche es bloß niederzuschreiben, aber sorglos muß man sein; wenn ich fünfzig Frank hätte, so ginge es. Was die sich von der Cäsur denken! Die Cäsur, da steckt die Seele des Verses. Das habe ich früher nicht so gewußt, da war es mehr Instinkt. Ach, Fagerolles, wenn das deine Verse wären, die ich morgen schreibe! Und jetzt wird ja auch besser bezahlt. Wir sind ja durchgedrungen, Fagerolles verdient ja Hunderttausende. Hunderttausende, das ist viel. Aber er braucht auch viel: Auto, Dienstmädchen, Kutscher, zwei Hunde, auch Steuern. Aber tausend Frank Honorar bekomme ich doch gewiß, vielleicht tausendundfünfzig, wenn der Verleger anständig ist. Tausendundfünfzig. Wieviel ist das doch? Man müßte auch Kontrakte machen, daß es einem nicht wieder in alle Sprachen übersetzt wird, und man kriegt keinen Heller dafür. Damit müßte man doch auch viel verdienen. Woher verdient denn Fagerolles so viel? Wie wunderschön ist die Welt, wie bin ich glücklich. Das ist eine schmutzige Kneipendiele, Zigarrenstummel liegen da, da sind nasse Flecke von der Feuchtigkeit, welche die Männer von außen hereingebracht haben, sie haben auch gespuckt. Die Bretter, aus denen diese Diele gemacht ist, sind einmal im Wald gewachsen und waren Bäume, welche im Winde leise schwankten, und Sand ist gestreut, der ist tief aus der Erde geholt hier unter uns, denn dieses alles war einst Meer, und der Wind wehte über die leichten Wellen hin, und Möven flogen, mit der Spitze des einen Flügels in die Wellen tauchend. Wie schön ist die Weite des Meeres, die grenzenlose, ich möchte meine Arme ausbreiten und tief atmen. Nun sind es dreißig Jahre her, da war ich ein Jüngling, und da war die erste Liebe. Wie wunderbar das ist, daß einen ein Mensch lieben kann! Sie sind wie die Kinder, die Mädchen, aber sie denken doch nachher auch daran, daß ein Mann genug verdienen muß, denn da muß Miete sein und Wirtschaftsgeld und Wäsche und allerlei. Es wäre unrecht von mir, wenn ich ihr böse wäre, daß sie einen Mann geheiratet hat, der eine Anstellung hatte; und jetzt ist das auch so lange her, vielleicht ist sie schon tot; ja, ich glaube, man hat mir einmal eine Todesanzeige geschickt, aber ich konnte nicht zum Begräbnis gehen, denn ich hatte keinen guten Anzug, und gerade diese kleinen Beamten halten am meisten auf solche Äußerlichkeiten. Und dann war da Apfelblüte, die habe ich wahrscheinlich viel mehr geliebt, denn da war ich älter und klüger. Fagerolles machte mir Vorwürfe, er sagte: Sie ist eine Dirne, was sollen meine bürgerlichen Bekannten sagen, wenn sie mich mit euch beiden sehen? Ich sagte ihm: Ja, sie ist eine Dirne, aber es ist so wunderbar, daß sie mich liebt! Ihr Vater war Tischler, da hat sie sich als Kind Hobelspäne vor die Schläfen gehängt wie Locken, damals kannte ich sie schon, denn ich wohnte bei ihren Eltern, und nannte sie Apfelblüte, so ein Gesicht hatte sie. Sie sang viel, wenn es heute wäre, so wären es meine Gedichte, die sie sänge, denn ich bin ja heute durchgedrungen, und vielleicht hätte sie dann etwas von der Schönheit verspürt. Sie lief ihren Eltern fort mit einem Liebhaber; und wie der sie nicht mehr wollte, da hatte sie Angst und kam zuerst zu mir, daß ich mit ihren Eltern sprechen sollte. Da sagte ich ihr: »Weshalb hast du das getan?« Sie antwortete: »Ich bin jung. Aber du warst es, der mich hätte nehmen sollen, ich habe dich geliebt, aber du hast es nicht gemerkt.« Ich sprach: »Wie hätte ich das tun können, ich bin arm, und ich hätte dich nur zur Dirne gemacht.« Da weinte sie und sprach: »Ich bin zur Dirne bestimmt, nun hat mich ein anderer dazu gemacht, den ich nicht lieb hatte, und auf den ich nicht stolz sein konnte, wenn ich mit ihm auf der Straße ging, trotzdem er feiner gekleidet war wie du.« Ich nahm sie auf den Schoß, küßte sie und sprach: »Nun wollen wir das vergessen.« Sie lachte. Ach, wie süß war ihr Lachen! Ja, auch damals war ich sehr glücklich, und am glücklichsten, wenn ich meine Gedichte an sie schrieb. Sie war gut und rein, und so heiter, alle Arbeiten machte sie singend, und selbst ihr Vater konnte sie nicht schlagen. Ja, der Wein macht uns frei, mir ist wie dem Vogel in der Luft. Wir sind schwermütig, wenn wir nicht trinken, und Schwermut ist etwas Gemeines. Er trat auf die Straße, in den Pfützen spiegelte sich das Laternenlicht. Er lachte und sang leise vor sich hin, ein Liebeslied, das er damals gedichtet hatte. Ein Freund hatte die Musik dazu geschrieben, der war nun schon lange tot, er war irrsinnig geworden, weil er sich überarbeitet hatte. Denn er konnte nur des Nachts arbeiten, weil er den Tag über Klavierstunden geben mußte, an Bäckerstöchter für fünfzig Centimes die Stunde. Aber heute, ja, da war er auch durchgedrungen. Sie hatten ihm sogar schon ein Denkmal gesetzt. Da begegnete ihm die, welche früher Apfelblüte gewesen war. Ihr Gesicht war verbunden, sie humpelte an einem Stock, in durchnäßten Filzschuhen, und ihre Lumpen hingen schlaff an ihr nieder. Er rief sie an. Sie sprach: »Schämst du dich denn nicht, daß du mich kennst?« Und dann rollten ihr Tränen aus den entzündeten Augen über den Verband ihres Gesichtes. Er antwortete: »Ich bin ja auch älter geworden, ganz kahl ist mein Schädel, alle Haare sind mir ausgegangen.« Er lehnte sich an eine Hauswand. Sie streckte die Hand aus und sprach: »Du könntest mir ein paar Sous geben, damit ich nicht im Freien schlafen muß.« Er antwortete: »Ich schlechter Mensch habe alles vertrunken, aber du kommst auf mein Zimmer, nur habe ich keinen Ofen.« Sie schüttelte den Kopf »das ist eine häßliche Krankheit, die ich habe, du kannst mich nicht mitnehmen.« »Du warst gut«, sprach er, »und hast allen Menschen nur Freude machen wollen, weshalb sind die Menschen so schlecht gegen dich gewesen? Aber sie wissen ja nicht, was sie tun, sonst wären sie anders.« Dann faßte er sie unter den Arm, und er sagte: »Ich habe einen Stoß alte Zeitungen und etwas schmutzige Wäsche, daraus machen wir noch ein Lager.« Sie weinte und sprach: »Seitdem ich von dir ging, vor zwanzig Jahren, hat nie wieder ein Mensch ein gutes Wort zu mir gesprochen. Aber ich ging nur fort, weil ich damals so jung war und gern tanzte.« Langsam gingen sie, denn sie hatten beide wenig Kräfte. Wie sie auf seinem Zimmer waren, setzte er sich und sprach: »Mir ist so sonderbar, ich habe den guten Wein zu schnell getrunken.« Sie dachte, er sei betrunken, und holte das Nachtgeschirr; es hatte keinen Henkel. Aber ihm war der Kopf auf die Brust gefallen, und die Zunge war zwischen die Zähne geklemmt. Da fühlte sie, daß er tot war, drückte ihm die Augen zu und legte ihn auf die Stubendiele, denn sie konnte ihn nicht in das Bett heben. Wie das nun am andern Tag in den Zeitungen stand, daß der große Dichter gestorben war, und wie groß sein Elend gewesen war, da kam der, den er Fagerolles nannte, ging in seinem feinen Pelz die schmutzige Treppe hinauf und fand die Prostituierte mit dem verbundenen Gesicht neben dem toten Dichter kauern. Er bezahlte Leute, die für das Begräbnis sorgten, und er folgte seiner Leiche zusammen mit der Prostituierten. Ihr Verband hatte sich verschoben durch das Weinen und Tränentrocknen, man sah, daß die Krankheit ihr die Nase fortgefressen hatte. Er war ein sehr berühmter Dichter, sah gesund und reich aus. Wie der berühmte Dichter am andern Tage in den Zeitungen die Artikel las, da las er auch, daß seine Werke nur von zeitlicher Dauer seien, aber das Buch des Toten werde ewig dauern. Da geriet er in Angst, daß die Menschen das schrieben, denn er dachte, daß er sehr viele Schulden hatte bei seinem kostspieligen Hausstand, und daß schon begannen die Einnahmen sich zu vermindern. Seine Frau kam zu ihm und zeigte ihm ein neues Kleid, und seine beiden in Reichtum erzogenen Kinder kamen; sie sahen vornehm und unschuldig aus; und er dachte, wie das sein werde, wenn man ihm seinen ganzen Hausrat verkaufte und er in einer armen Dachstube leben müßte mit der Frau und den Kindern, wie der Tote gelebt hatte, und er ängstigte sich vor seiner Lüge. Manto und Sextilius Zu der Zeit, als das Christentum die Herrschaft über die anderen Religionen erlangt hatte, waren in Alexandria häufige und schwere Unruhen; denn das untere Volk, nämlich die Arbeiter, die Armen und die Sklaven hingen der christlichen Lehre an, die Vornehmen aber und Reichen glaubten noch an die alten Götter, erwiesen ihnen Verehrung und beschäftigten sich mit der Philosophie. Und indem das Volk auch Neid und Haß zeigte gegen die anderen, wegen ihres Reichtums und ihrer Bildung, und zugleich stolz war auf seine bessere Religion, beruhigte es sich wohl die meiste Zeit, weil es ein Reich hoffte, welches nahe bevorstand, in welchem es selber alles Glück und Wohlleben haben würde, denn alsdann, dachten sie, trägt das Korn tausendfältig ohne Mühe des Landmanns, und der Weinstock bringt Trauben, so schwer, daß zwei Menschen sie tragen müssen, und eine Olive hat so viel Öl, wie eine ganze Familie braucht zu ihrer Mahlzeit, die Stadt ist aus Edelsteinen gebaut, und ihre Tore sind von lauterem Golde; die Reichen aber und Gebildeten werden dann in den tiefsten Abgrund geworfen zu dem alten Drachen, da ist Heulen und Zähneklappen, weil sie bis nun ein großes Wohlleben gehabt haben. Jedoch nur die meiste Zeit beruhigten sich durch solche Hoffnungen die armen und einfältigen Leute, und wenn große Krankheiten kamen und Teuerungen, welche denn damals häufig waren, so wurden sie ungeduldig, meinten, der große Umschwung stehe schon bevor, und zogen mit vielem Lärmen durch die Stadt, erbrachen die Häuser der Reichen, raubten und plünderten, zerrissen Schuldbriefe, und wenn sie einen vornehmen Reichen antrafen, so ermordeten sie ihn auch. Das taten sie aber in eigener Weise; denn da geschrieben steht: des Herrn Wort wird die Ungläubigen töten, so nahmen sie ihre heiligen Bücher, welche eben des Herren Wort enthielten, die waren in großen Büchsen aus Erz aufbewahrt, und mit denen schlugen sie auf die Reichen ein, welche sie fanden, Männer, Frauen und Kinder, bis die tot waren; die Leichname schleppten sie dann durch die Straßen und sangen fromme Lieder, und es wurde auch erzählt, daß sie einige von den Leichen gegessen haben, denn es steht geschrieben: des Herren Zorn wird sie fressen. Als Anführer hatten sie bei solchem Treiben Mönche, welche nackt gingen oder sich in große Decken hüllten und aus der Wüste kamen, wo sie sonst lebten und viele Erscheinungen hatten von Geistern, Engeln und Teufeln. Damals lebte eine vornehme Jungfrau in ihrem großen und vornehmen Hause allein mit einigen Dienerinnen. Ihr Name war Manto, und sie war eine Griechin aus einem uralten und stolzen Geschlechte in Elis, welches seine Vorfahren noch in der heroischen Zeit hatte. Schon seit mehreren Geschlechtern aber war die Familie nach Alexandria übergesiedelt und war auch hier immer vornehm, stolz und reich gewesen. Wie denn nun damals in rätselhafter Weise oft viele Menschen starben, als sei eine Krankheit gekommen, welche nur eine bestimmte Klasse, Stand, Schicht oder Familie befiel, daß viele an Brunnenvergiftungen durch die Christen, viele an heimliche Tücken der Verwandten der Erbschaften wegen dachten, und noch andere an Geheimbünde wollüstiger und frommer Art, so überfielen auch plötzliche und verschiedene Krankheiten die Familie der Manto, daß ihr alle Anverwandten in wenigen Tagen starben und sie allein zurückblieb in dem hallenden Palast. Nun hatte sie sich schon als Kind an der Kunde des Himmels und der Sterne erfreut, denn ihr Vater war ein stiller und schweigsamer Mann gewesen, welcher seine Nächte auf dem hohen Turm seines Hauses verbrachte mit Betrachtung der Sternbilder an dem blauen und klaren Himmel, und mit vielen Berechnungen und Voraussagen. Diese Freude hatte sie beibehalten; und wie sie nun ohne Eltern, Geschwister und selbst Vormund war, denn in jenen unruhigen Zeiten wurde von den Behörden wenig auf die Schicksale der Bürger geachtet, dachte sie nur noch daran, des Abends auf dem viereckigen, quadergemauerten Turm zu sitzen, der hoch über das flache Dach des Hauses in die dunkelblaue Nacht hinausstand, und durch allerlei Rohre die glitzernden Sterne zu betrachten, Beobachtetes aufzuschreiben und älterer Sternkundigen Niederschriften nachzulesen. Bei diesem Forschen gewann sie einen Freund, welcher jung war wie sie, und ein Gelehrter der Sternkunde, von jüdischer Abstammung, mit dem Namen Sextilius; denn er gehörte einem Judengeschlechte an, welches sich den Dingen anpaßte und nicht streng festhielt an allem, was es einst in Palästina geglaubt hatte, weil es wohlhabend war und gebildet. Mit diesem Freund verbrachte sie manche Nacht unter dem klaren Himmel bei dem blassen Sternlicht auf dem flachen Dache des alten Turmes; und auch Sextilius war der letzte und einzige seines Geschlechtes, denn seine gesamte Familie war umgekommen bei einem Aufstand des Pöbels gegen die Juden, wo viele vornehme Judenfamilien gänzlich ausgerottet waren. Nun geschah es an einem Abend, als die beiden in ihrer gewohnten Weise zusammen waren, daß sie ein ungewohntes Lärmen hörten in den Straßen. Es kam nämlich für gewöhnlich nur ein dumpfes und gleichmäßiges Dröhnen an ihr Ohr, welches herrührte von der Vermischung vieler verschiedenartiger Geräusche, die ihr Besonderes unter einander zu verlieren schienen, wie auch der Blick über die Stadt selbst ganz gleichmäßig schien durch die vielen Lichter, obschon doch die Straßen ganz verschieden waren und die Häuser. Es entstand aber das neue Lärmen durch die gleichmäßigen Fußtritte vieler, und durch einen allgemeinen Gesang, der einen wilden und wüsten Takt hatte, und dazwischen war das allgemeine Dröhnen der Stadt doch noch vernehmbar. Wie sie sich noch verwunderten, kam eine Sklavin in Eile die Enge des Turmes heraufgestiegen und erzählte, daß die Christen in große Unruhe geraten seien und sich zusammengerottet hätten, weil sie glaubten, daß Zauberkünste angewendet würden, um die alten Heidengötter zurückzurufen, welche durch die Heiligen und Märtyrer verbannt waren; denn es strömte da eine Quelle, welche früher der jungfräulichen Artemis geweiht war, wo Leute geheilt wurden von allerlei Gebrechen, indem sie badeten und tranken, nun aber war Artemis vertrieben, und an ihrer Stelle herrschte hier eine christliche Heilige, welche mehr Wunder tat wie die Göttin. Und an eben dem Tage waren zwei arme Männer, welche lahm waren, in das Wasser gestiegen, hatten sich bekreuzt und die Heilige angefleht: da war ein böser Geist gekommen, der hatte sie erwürgt, daß man sie tot herauszog aus dem Wasser; und nun meinten die Christen, das sei Artemis gewesen, welche durch Zauberkünste der Heiden zurückgerufen sei und die Heilige vertrieben habe. Deshalb zogen sie durch die Straßen und wollten sich an den Heiden rächen, und vornehmlich an solchen wie Manto, welche ihnen verdächtig schienen wegen ihrer Wissenschaft. Da sagte Manto, daß es zu dem Turme nur einen Eintritt gebe, nämlich durch eine eiserne Tür, welche vom ersten Stockwerk des Hauses in den Turm führte; und wenn die Christen wirklich ihr Haus angreifen würden, und würden eindringen, so wollten sie die Tür verschließen und Feuer in das Haus legen, daß das verbrennen müßte, der Turm aber unversehrt bliebe, denn alsdann werde der Pöbel keinen Zugang zu ihnen gewinnen, welche auf dem Turme blieben, und später müßten sie dann durch die Behörde gerettet werden. Sextilius wurde sehr traurig über diese Rede, denn er dachte an die vielen Kostbarkeiten, Bücher und Bilder, welche in dem großen und schönen Hause aufbewahrt waren. Aber indem erblickte Manto auch schon von oben die ersten der wütenden Schar, welche in die Straße liefen mit geschwungenen Fackeln und brüllend, und ihr Name wurde gerufen unter heftigen Verwünschungen. Da raffte sie ihr weites Gewand zusammen, schlüpfte durch die schmale Falltür die enge und gewundene Treppe hinunter und lief in das Haus, da brannten in leeren Zimmern Lichter, die riß sie herab und warf sie zwischen kostbare Decken und Teppiche, und in einem kleinen und dunkeln Zimmer traf sie eine ganz junge Sklavin, die verschüchtert in einem Winkel hockte, die trieb sie heraus; und wie schon die Schläge und Stöße der wüsten Menge gegen das eisenbeschlagene Tor hallten, warf sie noch Kleidungsstücke über die Geländer der großen Treppe in den Hausflur und warf eine Fackel hinterher, dann eilte sie zurück zu der eisernen Tür des Turmes, zog die nach sich und verschloß und verriegelte sie. So kam sie atemlos nach oben, fand da Sextilius und die Sklavin, welche schweigend saßen. Und wie sie sich in ihrem weißen Gewand über die Brüstung des Turmes beugte, um nach unten zu sehen, wo die Menge an dem starkbohligen Haustor arbeitete, ward sie gesehen von unten, und Johlen und Pfeifen drang nach oben, heftige Verwünschungen und verächtliche Namen auf die alten Götter. Aber indem sprang aus einem Fenster spitz die erste Flamme, wie ein Pfeil vom Bogen, und die Menge ward plötzlich still; dann folgte wirbelnder Rauch, und ein Sturmwind kam plötzlich; da johlte die Menge lauter und heulte vor Wut, und die Stöße und Schläge gegen das Haustor wurden heftiger, bis am Ende ein Krachen und Splittern gehört ward; aber wie der eine Flügel sich nach innen neigte, sprang auch aus dem Tor die spitzige Flamme und flog dem Vordersten ins Gesicht, daß der Pöbel heulend auseinanderstob; unterdessen klirrten noch andere Fenster, und die Flammen leckten hoch an dem schweren Gemäuer. Der Rauch zog wirbelnd in die Höhe und flog über den Turm hin; da legten sich die drei, welche oben standen, auf den Boden des Turmes hinter die Brüstung, denn sie fürchteten, daß sie ersticken möchten, und der Wind trieb den Rauch fort über ihnen, so daß sie nun atmen konnten. Und im Liegen sprach Sextilius und klagte über die Schätze, welche verbrannten; denn in dem Hause stand goldenes und silbernes Gerät, kunstvoll gearbeitet von berühmten Handwerkern der alten Zeit, das schmolz nun zu schlackigen Klumpen; und kostbare Gewebe waren da mit allerhand künstlichen Figuren, wie sie in früheren Zeiten von den Frauen in Alexandria gewebt wurden, und seltene Bücher standen in Rollen, viele Werke der Gelehrten und Dichter, welche in Alexandria ein friedliches Leben geführt hatten, und auch die Werke der alten Dichter des heimatlichen Griechenlands. Dann hingen an den Wänden Bilder, welche Götter und Göttinnen darstellten, und die Geschichte der alten Helden und merkwürdige und schöne Landschaften. Aber das Kostbarste war ein uraltes Holzbildnis der Aphrodite, welches in einem kleinen und dunklen Heiligtume des Hauses aufgestellt war. Das hatten die Vorfahren der Familie mit aus ihrer griechischen Heimat gebracht, wo es einen eigenen Tempel gehabt hatte und verehrt wurde, und es stammte noch aus der Zeit, da die Götterbilder mit geschlossenen Füßen gestaltet wurden und mit Armen, welche eng am Körper anlagen. Von allen diesen Schätzen und Heiligtümern sprach Sextilius, denn auch die Dichtwerke waren Heiligtümer und die schönen Bilder, weil sie Erhabenes darstellten, das die Menschenseele in die Höhe reißt. Nun verschwelte und verkohlte das alles, oder brannte auch mit lichter Flamme; und es war nicht anders, als sei da nur schlechtes Brennholz und alte Lumpen. Die alte Sklavin lag dem Sextilius gerade gegenüber, und in ihren Augen erglänzte merkwürdig das Weiße, indem die Pupille sich fast ganz in die Höhe geschoben hatte. Da stand sie plötzlich auf und trat auf die Brüstung, so daß die Schwaden des Rauches sie umzogen; ihr graues Haar war hinten in ein ärmliches und dünnes Zöpfchen geflochten, das stand wunderlich von ihrem Kopfe ab. Zuerst heulte sie in einem hellen und durchdringenden Ton, indem sie mit den Händen um sich schlug, und dann fing sie in abgebrochenen Worten an zu schreien und rief, daß eine Feuersbrunst das Herrlichste ist, und des Menschen Herz jauchzt vor Lust und Schmerz und voller Wohligkeit gegen die Flamme, und alles jagt in den rauchumzogenen Himmel, denn es gibt nur einen Gott, der macht, daß unsere Eingeweide sich umwenden; und wir suchen den Schmerz und die Schande, denn auch seine Heiligen jauchzten im Kot der Gefängnisse und indem Eiter und Blut von ihren gepeitschten Rücken rann, darum ist es süß, wenn wir unrecht leiden. Solche und ähnliche Worte schrie sie mit brüllender Stimme, dann sprang sie wieder herunter von der Brüstung, riß die Falltür auf, welche zu der schmalen und gewundenen Turmtreppe führte. Eine grausige Glut spie die schmale Treppe aus, sie aber eilte hinab, der eisernen Tür zu, welche den Turm mit dem Hause verband; Manto und Sextilius liefen ihr nach, aber die Sklavin glitt aus und ward wie eine Kugel und kollerte die steilen Stufen hinunter, die rund um die Spindel der Treppe liefen; ihr Kopf schlug dumpf auf den Steinen auf, aber sie schrie in einem fort ihre Worte, die sie vorher geschrieen hatte; da war am Ende die eiserne Tür, die war rotglühend geworden von dem Brande, gegen die rollte sie; da geschah ein Zischen und Fauchen und ein ganz lauter Schrei, und Brandgeruch drang nach oben, denn Manto und Sextilius hatten nicht weit folgen können wegen der Hitze; und wie ein paar gellende Schreie gewesen waren, ward alles still, nur ein ganz scheußlicher, stinkender Schwaden kam herauf. Da kletterten die beiden entsetzt zurück und schlossen wieder die Falltür und legten sich wieder dicht an die schützende Brüstung; aber es war nun sehr heiß oben geworden, und der Rauch beizend und scharf, und senkte sich nieder, und viele Asche senkte sich auch nieder und bedeckte hoch die Fläche des Turmes oben und die Brüstung, und quälte die beiden sehr. Und auch einen heftigen Durst bekamen sie, daß sie fast ihre Lage nicht mehr aushalten konnten. * * * * * Manto dachte daran, daß das alte Schnitzbild der Aphrodite verbrannt war, und dachte an die alte Sage in ihrer Familie, welche sich an das Schnitzbildnis knüpfte. Vor Urzeiten, als die Heroen noch lebten, noch vor dem trojanischen Kriege, waren zwei Schwestern, die lebten in einem Hause, das lag an dem Wege nach Elis. Diese gerieten untereinander in Streit, welche von ihnen die Schönere wäre, und nachdem sie alle ihre Gliedmaßen einzeln und auch ihre ganzen Personen insgesamt miteinander verglichen hatten, konnten sie doch zu keinem Ende kommen. Da beschlossen sie, ein Urteil Fremder anzurufen, gingen aus dem Hause und setzten sich an der Landstraße auf einen Stein. Wie sie eine Weile gewartet hatten, kam ein Wanderer, ein junger und schöner Mann, dem trugen sie ihren Streit vor und sagten ihm, er solle entscheiden, und so legten sie ihre Gewänder ab und traten nackt vor ihn, damit er urteile. Er prüfte sie, und ihm schien die Ältere schöner zu sein; das sagte er auch; und weil sie aber so sehr schön war, und er hatte alle ihre Glieder gesehen, so faßte er eine große Liebe zu ihr, fragte sie, ob sie ihn zu ihrem Ehegatten wolle, und wie sie ihm erwiderte, ja, nahm er sie und ging mit ihr, die Vermählung zu vollziehen. Die Jüngere wurde sehr traurig und blieb zurück, zog ihr Gewand wieder an, setzte sich auf den Stein und weinte sehr vor Kummer. Da kam ein zweiter Wanderer des Weges, der war ein jüngerer Bruder des vorigen. Wie der die weinende Jungfrau sah, hatte er Mitleiden und fragte sie, weshalb sie so traurig sei. Sie erwiderte ihm, indem sie alles erzählte und auch sagte, daß der andere ihrer Schwester Schönheit vorgezogen habe. Da sagte der Wanderer, daß es in diesen Dingen kein sicheres Urteil gibt, und daß die einen so urteilen über die Schönheit und die anderen so, und vielleicht, wenn er an Stelle des älteren Bruders hätte entscheiden sollen, so hätte er die Jüngere vorgezogen. Da trocknete die Jungfrau ihre Tränen und sagte, wenn das so sei, so wolle sie sich auch vor ihm entkleiden, und er solle ein Urteil fällen, ob es wohl möglich sei, daß ihre Schwester schöner sein könne. Damit war er auch einverstanden, und sie entkleidete sich. Aber wie er sie nun so gesehen hatte, da sagte er, sie habe recht gehabt in ihrem Urteil, und er wenigstens könne sich nicht denken, daß eine Jungfrau schöner sein könne wie sie. Deshalb habe er eine plötzliche und starke Zuneigung zu ihr gefaßt und frage sie, ob sie nicht seine Ehefrau werden wolle. Da sagte sie ja, und nun gingen auch diese beiden gleich nach Hause und vollzogen ihre Vermählung. Nun lebten die beiden Schwestern mit den beiden Brüdern zusammen und waren sehr froh und zufrieden, hatten ihre Kinder und wurden sehr alt, und keinerlei Unglück traf sie. Da sagten sie, daß Aphrodite ihres Glückes Ursache gewesen sei, welche ihnen den Streit um ihre Schönheit aufgeregt und ihnen dann auch aufgegeben hatte, daß sie an die Landstraße gehen sollten, wo sie ihre Männer getroffen hatten. Und weil sie sich nun für solches Glück der Urheberin dankbar erweisen wollten, so bauten sie der Aphrodite einen kleinen Tempel, und durch einen geschickten Arbeiter ließen sie das Standbild machen und beteten an, dankend und preisend. Solche Verehrung wurde dann auf die Kinder vererbt und auf die Kindeskinder, und indem die Familie viele hundert Jahre blühte, wurde das Standbild immer in der alten Weise verehrt durch die jungen Mädchen des Geschlechtes, welche vor ihm die Hände aufhoben und Blumen brachten. Am Ende zogen dann die letzten der Nachkommen von Elis fort und gingen nach Ägypten, da nahmen sie das alte Heiligtum mit, aus Frömmigkeit und in dankbarer Gesinnung, denn Aphrodite war der Familie immer günstig gewesen. An dieses alte Märchen dachte Manto und dachte, daß nun das alte Götterbild verbrannt war; und sie wunderte sich, daß man in der Urzeit sich nicht seines Körpers geschämt hatte, sondern man war seiner froh gewesen, heute aber hatte man Schamgefühl auch in bezug auf die Seele. Ganz schwarz und schmutzig waren die Gesichter und Hände der beiden geworden, welche oben auf dem Turm lagen, und ihre Kleidung war mit lauter Flugasche bedeckt; es durstete sie sehr, und sie fühlten sich sehr unglücklich und krank und dachten, daß sie sterben müßten; und so schwach und elend waren sie, daß der Tod ihnen gar nicht abscheulich und schreckenerregend schien, sondern als etwas ganz Leichtes. Sextilius dachte an eine Begegnung, die er vor wenigen Tagen gehabt. Seine Vorfahren, die strenge Juden gewesen, hatten einen Fluch auf die Unkeuschheit gelegt, und vornehmlich auf die, welche mit heidnischen Dirnen verübt wurde. Nun hing er zwar nicht mehr an dem strengen Glauben seiner Väter, aber doch lebte noch in ihm jenes Gebot. So geschah es ihm, daß er vor den Toren der Stadt lustwandeln ging und kam in eine Gegend, wo viele Gärten sind und kleine Häuser, welche sich die Reichen gebaut haben zu ihrem Vergnügen, an den Sommerabenden da die Frische und Kühle zu genießen. Diese Gärten waren so geordnet, daß Straßen zwischen ihnen liefen und Nebenstraßen, wie in einer Stadt; und wie in einer Stadt war da auch eine entlegene Gegend, wo die Dirnen wohnten. Dahin geriet er durch einen Zufall. Da war ein ganz kleines Häuschen, das war weinüberrankt, und gelbe Trauben leuchteten aus dem Laube, und Rosen blühten vor dem Eingang; die Tür war geöffnet und wies in ein dämmerndes grünes Dunkel, und in der Tür stand eine Dirne, ein ganz junges Mädchen, die hatte die leichte und durchsichtige Tracht des Landes, durch welche man jedes Glied sehen konnte, und mit einem heitern und unbekümmerten Lächeln winkte sie Sextilius zu, er solle kommen; ihre Zähne blitzten in dem sonnenbraunen und frischen Gesicht: ein Weintrieb war vor ihrem duftigen und weißen Kleid, mit den schönen Blättern und der fein geschwungenen Ranke. Ihm pochte das Herz vor Freude und Sehnsucht, aber etwas anderes machte, daß er sich abwendete mit einer verächtlichen Gebärde; da sah er, wie über das helle und offene Gesicht des Mädchens eine Enttäuschung flog. * * * * * Schmutzig und ganz erbarmungswürdig sahen die beiden aus, wie sie auf dem Turm lagen, ihre Augen waren gerötet. Sie mochten schon lange nichts mehr zu einander sprechen, denn der Gaumen war ihnen ganz ausgedörrt. Sie meinten, daß sie sterben müßten in der Hitze und durch den Rauch, und schon erwog Sextilius, ob es nicht ein besseres Ende sei, sich von dem Turme auf das Pflaster herabzustürzen. Noch lärmte und schrie der Pöbel unten, aber ein großer Teil des Volkes war abgezogen, um an einem anderen Orte zu rauben und zu töten. Da wendete sich plötzlich der Wind und machte den Turm von dem Rauch frei, und auch die Hitze schien minder arg zu sein. Bald darauf stürzte das Dach des Hauses nach innen, und obgleich eine kurze Weile dann eine hohe Flamme in die Höhe schlug, schien doch der Brand abzunehmen, als würde er durch die schweren und großen Dachsteine erstickt. Die beiden erhoben sich und traten an die Brüstung, um mehr von dem kühleren Windhauch zu genießen. Da johlte die Menge von unten und rief Schimpfworte nach oben, und rief, Manto habe einen Liebhaber bei sich. Wie sich die beiden aber anblickten, da erschraken sie, so entstellt sahen sie aus. Manto sprach: »Ich bin allein auf der Welt, denn alle meine Verwandten sind gestorben, und meine ganze Familie ist ausgestorben, und ich glaube auch, daß mein Volk tot ist, dem ich angehöre; denn diese da, welche heulen, sind anders wie ich und sind mir ganz gleichgültig. Nun will ich in die Gegend dieser Stadt ziehen, wo die Dirnen wohnen, und will mich preisgeben jedem, der mich kaufen will.« Sextilius sprach: »Ich will in die Wüste gehen, wo die Einsiedler und Heiligen der Christen wohnen. Sie fasten und kasteien sich, und die Teufel kommen in allerlei Gestalt, um sie zu verlocken, sie aber sind standhaft. Deshalb will ich ein Christ werden und leben als ein Heiliger und Einsiedler.« Manto sprach: »Wenn ich an uns denke wie an fremde Menschen, so meine ich, daß wir uns lieb haben könnten, heiraten und Kinder haben, und in Ehre und Freude leben, denn wir könnten ja auch in einer andern Gegend leben wie in Alexandria. Sehr wunderbar ist es, daß das nicht geschehen kann, und ich weiß dessen keinen verständigen Grund. Aber es kann nicht geschehen, sondern ich werde in die Dirnenvorstadt gehen und du in die Wüste.« Die beiden Maler Zu der Zeit, als das Mittelalter sich zu Ende neigte und neues Wollen in allen Künsten und Wissenschaften aufkam, lebte in einer nördlichen Stadt ein ganz alter Maler, welcher bei seinen Leuten als der kunstfertigste Maler galt. Er hatte nicht Weib und Kind und führte ein recht einsames Leben, indem er nur immer fleißig war, sich in seiner Kunst weiterzubilden und vollkommener zu werden; und wiewohl er zu jener Zeit, von welcher wir sprechen wollen, schon das neunzigste Jahr erreicht hatte, schienen seine neuen Bildnisse auch in Wahrheit immer schöner und lebendiger geworden zu sein wie seine früheren; so sagte er auch von sich: »Bis zu meinem fünfundachtzigsten Jahre bin ich nur ein Lehrjunge gewesen und gut genug, die Farben zu reiben, nun bin ich ein Geselle worden, aber so mir Gott das Leben gönnt, so werde ich mit hundertundzehn Jahren ein Meister sein.« Und solchen Glaubens fröhlich lebte er seine Tage dahin im Winter und Sommer. Nun geschah es, daß ein reicher Kaufmann, welcher viele Reisen machte, auch einmal eine Reise machte zu den großen Handelsstädten, die im Westen liegen, wo stolzes Tuch gewebt wird und schöne Leinwand. Der sah dort Bilder eines neuen Meisters, die ihm gar wohl gefielen, und besser wie die Bilder des alten Mannes, den sie daheim hatten; und indem diesem Meister viele Schüler zugeströmt waren, welche alle von ihm seine vollkommenere Art gelernt hatten, so kaufte er von einem solchen Schüler ein schönes Bildnis unserer Frauen um ein nicht allzu teures Geld, denn die Bilder des Meisters selber wurden allzu hoch gehalten im Preise, also, daß er nicht darankommen konnte. Solches Bild bewahrte er sorgfältig auf, nahm es mit nach seiner Stadt und schenkte es in die Kirche seines Viertels als einen besonderen Schmuck an der Wand des Chores. Wie der alte Meister das neue Bild gesehen hatte, kam über ihn ein tiefes Stillschweigen, und wiewohl die meisten Leute sagten, deren Art es ja immer ist, daß sie das Einheimische loben, aus Stolz, daß es geringer sei wie die Bilder, welche er selber gemalt hatte, so erwiderte er doch, daß sie das nicht verständen, und sei dieses Bild das herrlichste, welches er je gesehen; er glaube auch nicht, daß er je solche Kunst und Geschicklichkeit erreichen könne, ein dergestaltes Werk zu schaffen. Darauf ging er zu wichtigen Ratspersonen, stellte denen vor, wie bedeutsam es für eine Stadt sei, wenn berühmte Künstler in ihr leben, denn die ziehen viel Geld von außen herein, und sprach dann, daß er selber seines Lebens zur Genüge habe und nicht auf den Erwerb mehr angewiesen sei, und sollte der Rat den jungen Maler herziehen, welcher die Tafel gemalt habe, durch einen Auftrag eines großen Bildes mit vielen Figuren, das eigentlich er selbst, der Alte, hatte malen sollen. Die Ratspersonen wunderten sich wohl, daß der alte Mann gar keinen Neid gegen den Fremden aufwies, aber sie dachten, daß er doch wohl sein Handwerk aufgeben wolle seines hohen Alters wegen, und schien ihnen auch gut, was er gesagt, daß sie den jungen sollten herziehen. Also schrieben sie Briefe und schickten die fort, und es wollte auch das Glück, daß der Junge ja sagte, sich auf die Reise machte und angezogen kam. Der Alte hatte eine große Begier, ihn zu sehen, und wie denn von einem Bauern durch Zufall erzählt wurde, daß er einige Meilen vor der Stadt in einem Wirtshause dem Manne begegnet sei, der da gesessen habe und habe getrunken und viel Rühmens gehabt von seiner Kunst, da zog er sein gutes Kleid aus feinem Tuch an und seinen Pelzmantel, setzte sich auf ein Pferd, dem Fremden entgegenzureiten. Wie er ihn noch in der Wirtschaft antraf, wunderte er sich zwar sehr, daß der Mann gar nicht erschien nach ehrbarer Bürger Art, sondern hatte einen langen Raufdegen an der Seite und als Gewand trug er einen lumpichten Koller wie ein gartender Lanzknecht. So setzte er sich nun neben den Jungen mit einer zierlichen Anrede, welche der auch mit großer Höflichkeit und Geschwinde der Zunge erwiderte, erzählte von dem Bilde, wie er großen Gefallen an dem gefunden, und er sei selber auch Maler und habe viele Tafeln vollendet in seinem Leben. Der Fremde erwies sich als ein Mann von frohem Mute, der gern lachte, Späße erzählte und allerlei Scherz trieb mit den kichernden Mägden. Solches Wesen hatte der alte Meister bis dahin nicht gekannt; aber er dachte, daß die heutige Jugend wohl in allen Dingen fröhlicher ist wie die frühere. Während dem Reden und Spaßen zog dann der Junge ein Büchlein aus der Tasche und zeichnete mit flinken Strichen des Silberstifts die fliegenden Röcke einer Dirne, welche am Fenster vorbeijachterte zum Ziehbrunnen mit zwei Eimern in den Händen; hier erstaunte der Alte wieder über die Lebendigkeit und natürliche Schönheit der Zeichnung, freute sich des jungen Gesellen und ward gegen aller Erwarten mit einem Male selber ganz lustig, daß er Wein bestellte und eifrig mit dem andern becherte. Nun zeigte es sich, daß der Beiden Art zu arbeiten ganz verschieden war, denn der Alte setzte sich in die Einsamkeit, brütete über seiner Aufgabe und brachte es dahin, daß ihm endlich ein herrliches Bild vor der Seele stand, durch seinen Willen, welchen er auf seine Absicht gerichtet; das mühte er sich dann auf dem Holz festzuhalten durch fleißige und sorgfältige Arbeit. Der Junge aber lebte in der Welt, freute sich mit den Menschen, und die Frauen hatten ihn lieb, trotzdem er ein frecher Geselle war; da zeichnete er in sein Buch dann viel, das er sah, mit wenigen Strichen, und dachte: Dieses brauche ich für dieses Bild, und das für jenes, und auch was ich von solchen schnellen Zeichnungen nicht brauche, das gefällt mir doch, und macht mir solches Zeichnen Freude, wie einem jungen Mädchen das Tanzen. Hatte er dann aber einen Auftrag für ein großes Bild, so suchte er zuerst immer in seiner Erinnerung, wo er Menschen gesehen, die wohl so aussehen mochten, wie die Leute, welche auf seinem Bilde abgemalt sein sollten, Männer und Frauen, und dann ging er hin zu denen, bat freundlich, und sie gewährten es ihm meistens, daß sie sich vor ihm in der Stellung halten sollten, welche der Mensch auf dem Bild haben mußte, und danach malte er dann treu seine Figur, und aus vielen solchen Figuren setzte er sein Bild zusammen. An solche Möglichkeit des Arbeitens hatte der Alte noch nicht gedacht, und wie er erst eine Weile des Jungen Art beobachtet hatte, da sah er sehr wohl, daß die Jungfrauen, die er selbst malte, Arme hatten, die eng an die Seite gedrückt waren und das Jesuskindlein hielten mit steifer Haltung und ohne Lieblichkeit, und so war auch alles andere. Aber wie er das eingesehen hatte, da ward ihm, als sei er mit einem Male wieder ein ganz Junger geworden und fange in allem von vorn an, und fühlte eine Hoffnung und Zuversicht, daß er lachend zu dem andern sagte, nun werde er ihn noch übertreffen. Der aber, als ein fröhlicher und leichter Mann sonder Harm und Groll lachte desgleichen und antwortete, wenn er das vermöchte in seinem Hochalter, so wolle er ihn für den tüchtigsten Maler halten, den es je gegeben, bei den alten heidnischen Völkern wie bei den neueren. Und so wurden sie beide fröhlich, und ließ der Alte Wein holen, wie er denn nun gewohnt war, seit er des Jungen Gesellschaft hatte, und saßen lange zusammen in Kunstgesprächen. Nun geschah es, daß der junge Maler eine leichtsinnige Dirne annahm, welche hübsch gewachsen war von Körper und auch ein anmutiges Gesicht hatte; die gebrauchte er für seine Kunst, indem er sie in allen Stellungen, welche ihm nötig schienen, zeichnete und malte, und in viel verschiedenen Gewändern, wie auch ohne alle Kleider und gänzlich nackt. Dieses Mädchen blieb eines Abends noch in der Werkstatt, als der alte Mann zum Besuch kam, und wie nachher gesprochen und getrunken ward, da ergriff sie eine Laute, welche des Jungen war, und sang ein lustiges Lied, das damals von Allen gesungen wurde, und so wurden sie alle drei recht fröhlich, und der Alte betrachtete mit scharfen Augen alle ihre Bewegungen und prägte sie seinem Gedächtnis ein, am Ende aber ergriff er einen Stift und zeichnete auf den Tisch die merkwürdige und schnelle Wendung ihrer Füße, wie sie in kurzen Kleidern in der Werkstatt hin und herging, denn sie machte die Wirtin. Da sagte er zu dem andern: »Heute habe ich meinen Bart im Spiegel betrachtet, der war zwanzig Jahre lang schneeweiß, und nun finde ich ganz schwarze Haare in ihm; so will auch mein Körper sich verjüngen, wie sich mein Geist schon verjüngt hat.« Diese Freude wurde aber durch einen wunderlichen Zufall gestört. Denn wie das Mädchen wiederum ein Lied sang zur Laute, da ward der Alte plötzlich ganz still und sah das Mädchen mit großen Augen an, die waren so dunkel geworden, daß sie sich fürchtete, zu ihrem Herrn trat und mit Singen aufhörte. Da schlug der alte Mann mit der Faust auf den Tisch und wollte aufstehen; aber er fiel zurück, legte sein Haupt in seine Hände und fing heftig an zu weinen. Der Junge, in Gutmütigkeit, vermeinte ihn zu trösten; und weil er dachte, daß des Alten Kummer auf irgend welche Weise mit der Frauensperson zusammenhänge, sagte er ihm, ein Weib sei nur ein Ding wie ein Hund oder Pferd, aber nicht unseresgleichen; erzählte dann auch, er werde jetzt ein groß Geld kriegen für sein Bild, dann wollten sie zwei ein lustig Leben führen und alles vertun. Aber solche Reden halfen nichts, und am Ende gab sich der Alte von selbst, setzte sich aufrecht in seinen Stuhl, schickte die Dirne aus der Werkstatt, welche denn gar gern ging, denn vor dem Alten fürchtete sie sich und des Jungen Rede hatte sie verdrossen, und begann so zu reden: »Lieber, wenn ich mein Gemüt nicht bezwingen könnte, so möchte ich dich jetzt bitterlich hassen. Denn das Lied, welches die Dirne eben sang, das habe ich selber gemacht vor vielen Jahren, denn ich war damals ein Jüngling von zwanzig, und heute bin ich ein Neunziger. Das war für eine Jungfrau, die heiratete mein Freund, und seitdem ist sie selbst alt geworden und ist gestorben, und ihre Kinder sind alt geworden und sind gestorben, und ihre Enkelin ist nun schon ein altes Weib, so lange ist das nun her; aber gegen meinen Freund zog ich damals mein Messer und verwundete ihn hart, nachher bereute ich, tat Buße und habe ihn gepflegt in seiner Krankheit, damals war es, daß ich zuerst lenkte alle meine Inbrunst auf meine inwendigen Bilder und begann zu malen in der Weise, welche du kennst, und wurde ein froher Mann, auch ohne Weib und Kind; denn es sind ja Weib und Kind auch ein Hindernis.« Darauf schwieg er eine Weile. Dann fuhr er fort: »Nun scheint mir aber jetzt, daß ich verblendet gewesen bin, wie ich deine Bilder gesehen habe, denn deine ganze Art und Kunst ist törlicher und leichter Art und kann nicht bestehen vor einem ernsten Gemüt.« Der andere vermeinte ihn immer noch zu beruhigen, er aber nahm seine Mütze und ging aus dem Hause ohne Gruß und Abschied; und wie er in seiner eigenen Werkstätte angekommen war, steckte er einen Kienspan an und beleuchtete alle seine Bilder, welche er neulich gemacht, seufzte tief, nahm jedes von seinem Ort und zerspellte es mit einer Axt in der Küche auf dem Fleischklotz, da seine Haushälterin das Fleisch wiegte, denn er hatte keine Zähne mehr und konnte nichts Hartes genießen. Nach diesem hielt er sich Wochen zu Hause und zu seiner Arbeit, ohne sich um seinen Gesellen zu kümmern, machte dem auch nicht auf, wie er ihn besuchen wollte, sondern entsendete ihn mit harten Worten, welche endlich sich auch der in sein harmloses Gemüt nahm und ihn nun desgleichen mied. Es vermochte aber der Alte in diesen Wochen nichts zustande zu bringen, sondern saß nur immer und strengte sich an mit Mischen der Farbe, Zurichten der Tafeln und anderm handwerksmäßigen Tun. Hierüber faßte er einen Gram, der fraß ihm am Herzen, daß er krank wurde und im Bett liegen mußte. Nun hatte er wohl eine sehr starke Natur, aber das hohe Alter zwang ihn doch, also, daß er arg von Kräften kam; und am Ende genas er zwar und stand auf von seinem Bett, aber da war er gar klapperig und schwach geworden, mochte nicht viel mehr gehen, geschweige daß er hätte ein Pferd besteigen können, sondern saß gern und viel in der Sonne und wärmte sich. Weil er in dieser Verfassung nun wieder freundlicher schien und milder denn früher, lachte auch wohl einmal mit Kindern, die da auf der Straße spielten, so dachte sein Beichtiger, daß er ihn wollte wieder versöhnen mit dem jungen Maler, damit er nicht dereinst in einer Feindschaft mit einem Menschen abfahren müsse. So ging er zu ihm und sprach mit ihm, der seufzte und klagte, daß er nichts mehr arbeiten könne, aber auf des Pfaffen Vorhalten gab er zu, daß er an seines Lebens Grenze angelangt sei und müsse Gott nur danken für die Gnade eines solchen langen Lebens voller Kunst und Kraft. Durch diese Gespräche ward er erweichet, daß er am Ende beistimmte und sprach, er wolle sich versöhnen, und wolle auch mit dem Jungen zusammen das Abendmahl nehmen auf die neue Freundschaft. So ward nun alles abgemacht, und trafen sich die Beiden an der Kirchentür, und nahm der Alte mit einem freundlichen Lächeln die schwarze Mütze von seinem weißen Haar, drückte dem Jungen die Hand und sprach mit Herzlichkeit zu ihm, daß der in ganz besondere Fröhlichkeit kam und ihm die Hand küßte, welche zitterte; denn er hatte vor dem alten Mann eine sonderliche Hochachtung. Nun gingen sie zusammen durch die Tür; da faßte der Riemen, daran der Alte sein Messer am Gurt hängen hatte, in das Schloßblech, sodaß der schwache Mann ins Wanken geriet; der Junge griff ihn schnell unterm Arm und stützte ihn, und so schritten sie vorwärts in der Kirche miteinander, wie der Urahn mit seinem Enkel, so sehr schienen sie zusammengehörig. Darauf stellten sie sich zusammen hin, recht in die Mitte der Kirche, vor den Altar, daran der Priester zelebrierte. Aber auf dem Altar stand ein Bild des Alten, das er gemalt hatte vor nunmehr wohl fünfzig Jahren, das stellte den Schmerzensmann vor; wie er das wieder ansah, und er hatte genug Zeit zu solchem Ansehen, da zog wieder alles in sein Herz, das er einst gefühlt hatte, und das Herz hob sich ihm. Da zog er sein Messer aus der Scheide, mit Ungeschicklichkeit, und ehe sich einer solches versah, stieß er zu und traf den Jungen gerade an einer sichern Stelle, daß er umfiel ohne einen Laut, und so wenig Aufsehen hatte diese Schnelligkeit und Ruhe gemacht, daß der Priester noch fortfuhr im Amt, wie schon das Blut aus dem Toten sich auf den Fliesen verbreitete. Die Liebe des Flibustierführers Im Jahre Siebzehnhundert war an einem nebeligen und kalten Herbstabend in London in der niedrigen holzgetäfelten guten Stube des alten Wirtshauses zum Anker eine kleine Gesellschaft von Kapitänen und Reedern versammelt. Die Männer tranken einen schweren Südwein aus großen Gläsern, priemten und spuckten. Das Gespräch war nach manchen verschiedenartigen Erzählungen auf das damals in diesen Kreisen unerschöpfliche Thema der Flibustier gekommen, die im Golf von Mexiko die merkwürdigsten Taten gegen die Spanier vollführt hatten. Einer der älteren Kapitäne hatte in seinen jungen Jahren noch unter Monbars gedient. Er hatte erzählt, wie Monbars in einem kleinen offenen Ruderboot mit zwölf Mann sich an eine spanische Fregatte gehakt, an Bord geklettert war, und mit seinen Leuten sich durch die spanischen Soldaten mit dem Säbel durchgeschlagen, von vorn bis hinten und dann wieder zurück, und wie er immer ausrief, während die Spanier vor ihm fielen: »Und das muß ich tun, der ein so weiches Herz hat.« »Wie die Hammel vor dem Hund drängten sie sich«, erzählte er. Ein alter weißhaariger Reeder mit ausrasiertem Kinne sagte mit gespielter Gleichgültigkeit: »Ich habe gestern mit Morgan zusammen auf einer Bank gesessen und habe ihm Schwamm für seine Pfeife gegeben!« Die Männer lachten. Er wiederholte unerschüttert »ich habe ihm Schwamm gegeben.« Dann erzählte er. »Wie ein alter Affe sah er aus, dem man die Haut im Gesicht abgezogen hat und schwarze Pflaster auf die Augen geklebt.« Einige behaupteten, daß man als letztes von ihm gehört habe, vor langen Jahren, wie er nach England hatte zurückfahren wollen, daß die Matrosen ihn erkannt hatten, unter denen alte Flibustier waren und nachts in seine Kajütte gekommen waren; ob die Geschichte gelogen war, wußte man nicht; aber er sollte auf der Tonne gesessen haben mit den Edelsteinen und dem Gold, das er den Flibustiern nach der Einnahme von Panama gestohlen hatte, und um ihn standen sechs Tonnen mit Pulver, und in die eine klopfte er seine brennende Pfeife aus. Der alte Kasten war in die Luft geflogen, und so hatte wohl keiner Zeit gehabt, einem die Geschichte zu erzählen. Aber die Seeleute denken, ein starker Glaube gehört zu ihrem Geschäft. »Der Bart wird ihm wohl damals versengt sein«, meinte der alte Reeder. »Man konnte seine zweiunddreißig Zähne hübsch zählen, sie waren alle da, und weiß wie Elfenbein, und von der Nase waren ihm nur die Löcher geblieben, durch die konnte man ihm in den Rachen hineinsehen.« Ein junger Kerl meinte lachend, es gebe wohl so eine Art Liebe, die einen so zurichten könne. Der alte Flibustier sah ihn strafend an und sagte: »Wenn wir so etwas hatten, dann fraßen wir vier Wochen lang Schildkrötenfleisch, dann waren wir wieder wie eine Stange Silber.« Der Reeder fuhr fort: »Er hatte einen schmutzigen alten Juden als Führer, der trug keine Hosen unter dem Kaftan, die haarigen Beine staken ihm unten heraus. Aber er sorgte für ihn, wie die Amme für das Kind: Hier ist ein Steinchen, da ist ein Klötzchen, da kommt eine Herrschaft.« Die andern lachten. Im Hause des Reeders wohnte im Oberstock eine alte spanische Amerikanerin, aus Panama, die etwas wirr war im Kopf. Sie war gelb wie eine Zitrone und hatte einen Schnurrbart wie ein Ungar, aber zwei Augen rollten ihr im Gesicht wie zwei glühende Kohlen, und eine Stimme hatte sie wie eine Geige, wenn sie sang. Und sie sang sehr viel, daß man sich wundern mußte, wie sie das aushielt. Es wollte kein Dienstmädchen bei ihr bleiben, weil sie ihnen immer Stecknadeln in den Arm steckte, wenn sie ihre spanischen Worte nicht verstanden. Die kam zufällig an der Bank vorbei. Sie sang ein Liebeslied: ~Por un soto verde y ambroso Se salió Amor paseando, De los amentes quejoso, Porque su fuego amoroso Trataban los mas burlando.~ Der Blinde sprang auf und zitterte, die holländische Tonpfeife fiel aus seinen nackten Zähnen und zerbrach auf der Erde, und er sang den zweiten Vers krächzend und heulend, weil ihm die Nase und Lippen fehlten: ~Y como yo pude verle En parte do no me via, Determiné responderle A las quejas que traia, Solo por entretenerle.~ Die wahnsinnige Alte sah ihn an, dann hielt sie den Fächer vor das Gesicht und warf ihm über den Fächer hin kichernd einen schmachtenden Blick zu. Dann nahm sie ihr Mädchen am Arm und zog sie eilig fort, sah sich noch einmal lachend um und sang: ~Y una respuesta buscando, Que á la de Eco pareciese, A lo que iba preguntando Le respondí, procurando Que esto solo de mí oyese: Yo soy ese.~ Der Reeder fuhr fort, daß er dem Juden zwei Schilling gegeben habe, damit er ihm alles erzählte. Dieses ist nun die Erzählung des Juden. Ich bin in Czenstochau geboren und lebte bis zu meinem fünfzehnten Jahre bei meinem Vater, der einen großen Handel mit Lumpen und altem Eisen hatte. Damals hörte ich zum ersten Male über die Flibustier von einem deutschen Handwerksburschen, der bei uns auf dem Boden nächtigte, und es fiel mir gleich in den Sinn, daß sich mit denen ein Geschäft machen ließ. Denn auf ihren Raubzügen nehmen sie außer dem baren Geld nur Ware mit, die leicht zu versilbern ist, namentlich Edelsteine und Schmuck, und wenn sie von einer Fahrt zurückkommen, so ruhen sie nicht eher, bis sie alles verpraßt haben. Deshalb machte ich mich an einige hübsche Mädchen und versprach ihnen reiche Männer, wenn wir drüben wären, zog mit denen nach Amsterdam, unter großen Geldkosten, nahm in Amsterdam noch eine Anzahl Fässer mit feinen Likören und schweren Weinen mit und begab mich auf ein Schiff, das auf Kuba heimlich Kakao holen wollte. Meine Frauenzimmer machten auf dem Schiff einen greulichen Spektakel, wie sie merkten, worauf es abgesehen war, aber der Kapitän war ein anständiger Mann und stand auf meiner Seite, denn so einhundert Gulden hatte mich jedes Mädchen schon gekostet. Er sagte mir freilich gleich voraus, daß ich bei den Flibustiern mit der Ware nichts verdienen würde. Wie wir auf der Höhe der Schildkröteninsel waren, traf uns ein Flibustierboot. Der Kapitän zog die spanische Flagge nieder, unter der wir bis dahin in diesen Gewässern gesegelt waren und hißte die holländische, die Flibustier kamen aber doch an Bord. Sie hatten nichts an, wie Hose, Hemd und Hut und kletterten wie die Eichhörnchen an den glatten Planken hoch. Sie hatten ungeheuer große Büchsflinten in der Hand, und wie sie oben waren, nahm jeder gleich einen Mann aufs Korn. Wie sie sahen, daß wir wirklich Holländer waren, beruhigten sie sich. Mich warfen sie gleich in ihr Boot, wie ich gesagt hatte, daß ich zu ihnen wollte, ich dachte, ich hätte alle Rippen gebrochen. Dann warfen sie meine Fässer hinterher und brachten auch die drei Mädchen mit. Es schien, daß die drei stärksten sie sich genommen hatten, mich fragten sie gar nicht. Die drei stellten sich vor sie hin mit ihren Flinten und sagten: »Was ihr vorher getan habt, das geht uns nichts an, wenn jetzt etwas passiert, dann haben wir unsere Büchse. Nun seid ihr unsere Frauen und müßt unsere Hemden waschen.« Dann wurde fortgerudert und ich mußte mitrudern, und wie ich ohnmächtig wurde, da band einer seinen Gürtelriemen ab und schlug mich, daß mir das Blut den Rücken herunterlief. Da bin ich nicht wieder ohnmächtig geworden, aber ich habe mir beinahe die Zunge durchgebissen. Ich sagte ihnen, sie sollten mir wenigstens etwas für die Jungfernschaft der drei Mädchen geben, aber sie lachten und sagten, aus der Jungfernschaft machten sie sich nichts. Sie setzten uns auf der Schildkröteninsel ab, ich ging zu dem Gouverneur Seiner Majestät des Königs von England, er erlaubte mir meinen Handel. Ich bekam meistens Goldstaub, den ich in einer Schweinsblase hielt. Man konnte alles offen liegen lassen, es wurde nichts gestohlen. Es waren wenig Flibustier da, denn Morgan machte gerade seinen berühmten Zug, von dem ich nun erzählen will. Wie die Nachricht kam, daß er Karthagena geplündert hatte, wurden alle wütend, die auf der Schildkröteninsel waren, denn da hatte es große Beute gegeben, sie schoben ihre Boote in die See und wollten zu ihm rudern, denn es wurde auch schon von Panama gesprochen. Mir redeten sie zu, ich sollte auch mitkommen, und da war etwas zu holen, und damals war ich so mutig geworden, daß ich mir aus dem Leben gar nichts mehr machte, denn ich dachte: einmal muß ich doch sterben. Zwei in unserem Boot mußten immer schöpfen, denn das Wasser floß immer oben hinein, weil die Wogen hoch gingen, aber die Flibustier ruderten in ihrer Wut immerzu. Wir brauchten fünf Tage bis zu dem Fort San Lorenzo an der Mündung des Chagro, das Morgan erobert hatte. Zu der Zeit aßen wir nur Zwiebäcke, die vom Wasser aufgeweicht waren, denn es war nichts trocken zu halten im Boot, und ich hatte zwei Fässer guten Branntwein mit, dadurch kamen die Flibustier sehr in Schulden bei mir, denn sie mußten alle zusammen bürgen, damit ich keinen Schaden hatte an den Toten. Wie wir kamen, hielt Morgan gerade Musterung; er nahm dreizehnhundert Mann mit nach Panama; wie wir in unsere Boote stiegen, brachten wir ein Hoch auf den König von England aus und auf Morgan, aber bei Morgan schrien sie lauter. Wir mußten den Chagro aufwärts rudern, aber wir hatten so wenig Platz in den Fregatten, daß wir uns nicht einmal setzen konnten. Da wurden wir sehr müde. So kamen wir am ersten Tag bis Rio de los Braços, da wollten wir uns etwas zu essen holen, denn wir hatten nichts mitnehmen können. Aber die Spanier, die da wohnen, hatten alles Korn abgeschnitten und das Vieh fortgetrieben, und die Häuser waren ganz leer. Wir schliefen wenigstens in den Häusern auf dem Fußboden, aber zu essen gab es gar nichts, so stopfte sich jeder eine Pfeife Tabak. Ich hatte noch ein Fäßchen Branntwein, das verkaufte ich, das Gläschen für eine Unze Gold, auf Kredit; da wurde ich ein reicher Mann, denn die Flibustier bezahlten immer ehrlich, nur meine Mädchen hatten sie mir ohne Geld abgenommen, denn sie sagten: man darf mit rotem und schwarzem Menschenfleisch handeln, denn das ist von Gott dazu geschaffen, daß wir es brauchen, aber mit weißem Menschenfleisch zu handeln ist Sünde. Am zweiten Tage ließen wir unsere Fregatten liegen, denn der Fluß war nicht mehr tief genug und war auch ganz versperrt von Baumstämmen. Ein Teil der Leute mußte dableiben, damit uns die Spanier nicht hinter unserem Rücken die Schiffe wegnahmen. Wir wollten zu Fuß weiter, aber der Morast war so tief, daß viele nicht wieder heraus konnten und erstickten. Deshalb setzten wir uns in kleine Kähne. Aber weil wir zu wenig Kähne hatten, so fuhr ein Teil von uns immer flußaufwärts, dann stiegen wir an einer festen Stelle aus und warteten, und die Kähne fuhren zurück und holten andere. Da sah mich Morgan das erstemal und sagte den Flibustiern, sie sollten mich in den Fluß werfen, weil ich nichts nütze wäre. Aber die Flibustier antworteten ihm, daß sie mir schuldig wären, deshalb dürften sie das nicht. Den zweiten Tag mußten wir im Freien schlafen. Den dritten Tag ging es genau so wie den zweiten. Da schimpften die Flibustier, daß sie noch keinen Spanier gesehen hatten, denn sie waren ganz schwach vor Hunger und dachten, daß die Feinde etwas zu essen bei sich hätten; sie aßen aber Laub und Gras, und darunter war manches Ungesunde. Auch war es schlecht, daß wir im Freien schlafen mußten, denn die Nächte waren so kalt, daß es am Morgen reifte, und wir hatten nur Hose und Hemd an und weiter nichts. Am vierten Tag wurde es besser, da konnte man am Fluß entlang marschieren, weil wir höher kamen, und da ruderte die eine Hälfte in den Kähnen und die andere marschierte. Und zwei Flintenschüsse vor uns gingen immer zwanzig oder dreißig Mann mit dem Führer und waren ganz leise, denn wir hofften, daß die Spanier uns einen Hinterhalt gelegt hätten und hofften, sie zu überraschen, daß sie nicht vor uns flohen, denn wir dachten, daß sie etwas zu essen bei sich hätten. Am Mittag trafen unsere Leute auch auf einen Hinterhalt, da freuten wir uns, und jeder schüttete frisches Pulver auf die Pfanne, und dann schrien wir laut und stürzten auf die Verschanzung los, und ich war auch dabei, denn ich fürchtete mich nicht, ich hatte aber keine Flinte; aber da fielen wir beinahe um vor Schreck, denn sie hatten immer solche Angst vor den Flibustiern, daß ihrer zehn vor einem fortliefen. Und sie hatten alles Essen mitgenommen, nur leere Tornister lagen noch da. Da freuten wir uns zuletzt doch, schnitten das Leder ab und nahmen es mit. Und am Nachmittag hatten wir noch einmal eine vergebliche Freude, denn wir fanden wieder eine leere Verschanzung, aber die Spanier hatten wieder ihre Tornister zurückgelassen. Da hatten wir am Abend wenigstens etwas zu essen, denn wir schnitten das Leder in kleine Stücke, weichten sie in Wasser auf, schabten die Haare ab, klopften sie zwischen zwei Steinen und rösteten sie dann. Am fünften Tag hatten wir ein großes Glück, da war wieder eine Verschanzung, aber die Spanier hatten zwei Säcke Mehl vergraben, ehe sie flohen, die fanden wir und schleppten sie vor Morgan, und der verteilte sie an die, welche das Leder nicht vertragen konnten, da habe ich auch wohl ein viertel Pfund Mehl erwischt. Am sechsten Tage mußten wir uns oft ausruhen, denn wir waren sehr schwach, weil wir zu wenig gegessen hatten, da fanden wir aber eine Scheune, die war voll Mais, der noch im Kolben war, da stopfte sich jeder sein Hemd über dem Gürtel voll, daß er aussah wie eine Rübe mit zwei Wurzeln, und dann aßen wir den rohen Mais im Marschieren, denn wir dachten, wenn wir uns mit Kochen aufhielten, so würden wir immer schwächer und könnten nachher nicht mehr unseren Mann stehen, wenn es ans Arbeiten ging, denn schon beim Schießen ist es ja schlimm, wenn der Arm nicht ganz fest ist. Jetzt konnten auch die Kähne nicht mehr weiter, da mußten wir alle gehen. Am siebenten Tag morgens schoß jeder seine Büchse ab, putzte sie ordentlich und lud sie neu, aber wir kamen erst nach Cruz; da waren die Leute auch geflohen und hatten alles angesteckt; es brannte noch, wie wir kamen, und die Flibustier lachten und glaubten, sie könnten ihr Fleisch bei dem Feuer braten, aber es waren nur noch ein paar Hunde und Katzen da, die aßen wir. Am achten Tag hielt Morgan morgens Musterung, da waren wir noch elfhundert Mann, und nun wurde es gefährlich, denn von Cruz bis Panama, jenseits der Wasserscheide, ist der Weg so eng, daß oft nur zwei Mann nebeneinander gehen können. Wie wir in dem Engpaß waren, kamen plötzlich viele Pfeile von oben, und etwa zehn Mann wurden getroffen, aber man sah oben nur Sträucher und Bäume. Da schossen wir aufs Geratewohl nach der Richtung, und schossen zwei von den Indianern herunter, die andern flohen, und wir zogen weiter. Vor dieser Stelle hatten wir Furcht gehabt, denn wenn die Spanier nicht solche Angst hätten, so hätten hundert Mann uns hier alle zusammenschießen können. Aber nun wurde es sehr schlimm, denn es kam ein kalter Regen, und wir waren fast ganz nackt, weil die Dornen uns alles zerrissen hatten, und des Nachts deckten wir uns mit Gras und Laub zu, wenn das auch naß war, daß wir die Wärme im Körper behielten. Hier war es aber, wo mich Morgan zuerst in seine Macht bekam. Denn es war ihm ein Pfeil durch den Fuß gegangen, wir waren doch alle barfuß, und unten war die Spitze abgebrochen, und wie er ihn herausziehen wollte, da brach auch das obere Ende ab. Da mußte ich mich auf allen vieren niederknien, und er setzte mir den Fuß auf den Rücken, steckte einen Ladestock in die Wunde und schlug mit einem Stein darauf, daß das Stück von dem Pfeil, das in der Wunde steckte, herauskam. Dann wickelte er erst saubere Blätter um den Fuß und zerriß sein Hemd und verband ihn damit, und weil er nicht gehen durfte wegen der Entzündung, so hüpfte er auf einem Bein und stützte sich auf mich, das war sehr anstrengend für mich. Am neunten Tag schossen wir wieder die Büchsen ab und luden neu, wegen der Nässe, dann kamen wir in die Ebene. Da sahen wir Vieh und einige Spanier zu Pferde. Die Männer flohen, und wir machten uns an die Rinder, zogen sie ab und zerschnitten sie; aber Feuer durften wir nicht anzünden, denn einer war auf einen Baum gestiegen und hatte die Türme von Panama gesehen. Da schrien wir alle vor Freude, und die Spanier waren ausgerückt und schrien auch, und wir aßen unser Fleisch roh. Da wurden wir satt, und obwohl es noch zwei Stunden vor Sonnenuntergang war, so legten wir uns doch hin und schliefen, denn wir wollten frisch sein für den Kampf. Und die Spanier hatten die ganze Nacht durch Wachtfeuer. Am andern Morgen führte uns Morgan einen versteckten Weg; wir beide gingen immer voran, er war auf mich gestützt und hüpfte, und wir kamen auf einen Hügel und sahen unten die Spanier. Die schickten zuerst zweitausend wütende Stiere gegen uns und dann ihre Reiterei, und Morgan, der seinen Ort ausgesucht hatte, schickte ihnen nur zweihundert Flibustier entgegen. Die Stiere und Reiter gerieten in einen Sumpf, das hatte Morgan gewollt, und die Flibustier schossen, und jeder traf immer seinen Mann; da waren in einer halben Stunde nur noch etwa fünfzig Reiter übrig, die flohen; und gegen die Stiere liefen einige Mann, die ihre Lumpen in der Luft schwenkten und schrien, und so wendeten sie die Stiere zur Seite, daß sie immer weiter fortstürzten und zuletzt nicht mehr von ihren Leuten eingeholt werden konnten. Wie die Fußsoldaten das sahen, schossen sie ihre Gewehre in die Luft und liefen fort, und die Flibustier liefen hinter ihnen her und schossen viele tot, namentlich zielten sie auf die Mönche, die bei den Soldaten waren; Gefangene aber machten sie nicht, denn das hatte Morgan verboten, sondern wenn einer sich ergeben wollte, so wurde ihm der Hals abgeschnitten, um Pulver zu sparen. Die Spanier waren im ganzen dreitausend Mann stark gewesen, und wir hatten nur zwei Tote und zwei Verwundete, die Spanier aber ließen sechshundert Mann auf der Strecke. Das ist schwer zu glauben, aber die Flibustier hatten die Meinung, daß ihnen alles glückte, wenn sie Morgan anführte. Morgan aber spuckte seinen Priem aus und steckte seine Pfeife an, denn damals rauchte er nur, wenn Gefahr war, und das Priemen war er gewohnt von der Zeit her, wo er noch Matrose gewesen war. Jetzt raucht er, weil ihm das Pulver die Backen fortgerissen hat, aber er kann nicht ordentlich ziehen, deshalb ist die Pfeife immer kalt, aber er merkt es nicht. Er sagte, jetzt müßten wir gleich auf die Stadt losgehen, ehe sich die Feinde wieder sammelten; und auf allen Hauptstraßen hatten die Spanier Barrikaden von Mehlsäcken gemacht und hatten Kanonen dahinter, aber wir gingen durch eine Nebenstraße in die Stadt und fanden alles leer, bis wir auf den Marktplatz kamen, da standen Kanonen, und eine wurde losgeschossen und tötete fünfundzwanzig Mann; die andern aber wurden nicht mehr abgeschossen, denn wir schnitten der Bedienung gleich die Kehlen durch. Nun hatte Panama siebentausend Häuser und allein acht Klöster, und alles Gold und Silber aus Peru wurde nach Panama gebracht, ehe es nach Spanien ging, dazu waren allein zweitausend Maultiere da. Deshalb war die Stadt sehr reich, aber die Spanier hatten alle ihre Schätze in den Kellern und sonstwo vergraben. Deshalb war es die Hauptsache, daß wir die Spanier fingen. Zuerst streckten wir sie auf Heuwagen, wir banden sie mit den Füßen an der Schere fest, wickelten ihnen das Heuseil um die Handknöchel und zogen sie von hinten mit der Winde lang. Aber dabei starben viele, ehe sie gesagt hatten, wo sie ihre Schätze hatten, weil wir zu hastig waren, deshalb erfand Morgan, daß wir sie schnürten und mit den Füßen über Feuer legten, da gestanden sie, und wenn welche starben, so starben sie nachher, und das war uns ganz recht, denn wir konnten so viele überflüssige Esser nicht gebrauchen. Und damals geschah die Geschichte mit der Spanierin, die wir unvermutet wiedergetroffen haben. Sie war damals vierzehn Jahre alt und das schönste Mädchen, das ich gesehen habe, und ich verstehe mich darauf, denn mir sind nachher noch viele Mädchen durch die Hände gegangen, denn ich habe Morgan mit meiner Arbeit ernährt, wie er blind war. Sie war in einem versteckten Landhaus gefangen, das über zwei Stunden von Panama entfernt war, wo ihre Eltern sie sicher geglaubt hatten. Wie Morgan sie sah, ließ er sie gleich losbinden und gab ihr drei Negerweiber zur Bedienung und wies ihr ein schönes Haus an, dann mußte ich ihm das Haar schneiden und ihn rasieren, und er zog eine goldgestickte Uniform an und Stiefel. Sie lachte immer und sagte, ihre Leute erzählten immer, die Flibustier seien Teufel und keine Menschen, aber wir wären doch sehr gutmütig und ließen jedem seinen Willen, und wären eben solche Menschen wie die Spanier. Damals sang sie auch oft zur Gitarre das Lied, das sie hier sang, und Morgan saß stumm zu ihren Füßen und hörte zu, denn er scheute sich zu sprechen, weil seine Stimme durch das viele Trinken und Schreien und die vielen Erkältungen sehr häßlich war, denn auch sonst war er für ein Mädchen nicht schön, weil er kurz und breit war und lange Arme mit breiten Händen hatte und kurze Beine, und die Uniform paßte ihm gar nicht. Die Flibustier schimpften untereinander über ihn, daß er sie aus Verliebtheit in Panama zurückhalte, bis ihnen die Spanier auf den Hals kämen, aber es wagte ihm keiner etwas zu sagen. Morgan ließ ihr durch eine Negerin sagen, daß er sie heiraten wollte und mit ihr nach England gehen und vornehm leben, denn Morgan war ein Schlauer, der sein Geld vergrub. Wie er kam, sagte sie ihm, er sei ein Hund und solle nicht zu ihr kommen. Da schickte er die Negerweiber fort und war allein mit ihr und wollte sie küssen, sie aber zog einen Dolch und stach ihn, und wußte Bescheid und stach von unten nach oben, sodaß sie ihn beinahe getötet hätte. Da ging er fort, ließ an ihre Eltern schreiben und ließ sie auslösen für dreißigtausend Piaster. Und seit der Zeit hatte er keine Freude mehr am Flibustierleben. Denn dann machte er den Betrug und betrog uns alle, denn er sagte, es solle jeder seine Beute auf einen Haufen bringen, und er wolle abschätzen und teilen, und da behielt er heimlich das meiste. Viele sagten untereinander, sie wollten ihn totschlagen, aber ihm ins Gesicht machte keiner Vorwürfe; ich selber habe damals ganz gut verdient, denn es waren mir wohl hundert schuldig, die bezahlten und ich bekam fast alles, was auf ihr Teil gefallen war.« Wie der Reeder seinen Bericht geendet hatte, schwiegen die andern eine Weile. Dann sprachen einige ihren Zweifel aus, ob der Jude nicht für seine zwei Schillinge gelogen habe, denn viele behaupten auch, daß Morgan gehängt sei, wie er nach England kam. Zuletzt aber meinten sie alle, daß die Erzählung jedenfalls außerordentlich sei, was den Marsch von San Lorenzo nach Panama betreffe, auch wenn sie gelogen sei, und daß der Reeder zwei Schillinge ganz gut für sie habe bezahlen können. Inhalt Der Tod des Cosimo 1 Der Dichter und die Schauspielerin 14 Aus den Aufzeichnungen des Musikers 66 Das Gespenst 84 Das hölzerne Becherlein 116 Die Venus 127 Ein Eid 146 Der Tod des Dichters 156 Manto und Sextilius 168 Die beiden Maler 190 Die Liebe des Flibustierführers 204 Die Schriften von Paul Ernst sind jetzt sämtlich in dem Verlage von Meyer & Jessen in Berlin und Wien vereinigt worden. Da von einigen der Bücher nur noch sehr geringe Vorräte vorhanden sind, so seien Interessenten gebeten, bald zu bestellen. Ausführliche Verzeichnisse verlange man kostenfrei. Es sind erschienen: Theoretisches: Der Weg zur Form. Abhandlungen zur Technik des Dramas und der Novelle. Ein Credo. Dramatisches: Demetrios. Tragödie in fünf Akten. Eine Nacht in Florenz. Lustspiel in vier Aufzügen. Ritter Lanval. Lustspiel in drei Aufzügen. Canossa. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Über alle Narrheit Liebe. Lustspiel in drei Aufzügen. Brunhild. Trauerspiel in drei Aufzügen. Ninon de Lenclos. Trauerspiel in drei Aufzügen. Der Hulla. Lustspiel in vier Aufzügen. Das Gold. Tragödie in vier Aufzügen. Der heilige Crispin. Lustspiel in fünf Aufzügen. Erzählendes: Sechs Geschichten. Die Prinzessin des Ostens und andere Novellen. Der schmale Weg zum Glück. Roman. Die selige Insel. Roman. Der Tod des Cosimo und andere Novellen. Hochzeit. Ein neues Novellenbuch. Es sind noch Exemplare der älteren Schriften vorhanden: Wenn die Blätter fallen. -- Der Tod. Zwei Trauerspiele. Lumpenbagasch. -- Im ~Chambre Séparée~. Zwei Schauspiele. Polymeter. Gedruckt bei Emil Herrmann senior in Leipzig Titel und Einband zeichnete Lucian Bernhard Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert. Korrekturen (das korrigierte Wort ist in {} eingeschlossen): S. 16: gegekränkt → gekränkt den ich so sehr {gekränkt} habe S. 100: Ahnlichkeit → Ähnlichkeit keinerlei {Ähnlichkeit} mit den Zügen des Briefes aufwies S. 116: Armchen → Ärmchen seine {Ärmchen} nach uns ausstrecken lassen S. 119: Arzten → Ärzten befahl den {Ärzten}, daß sie nach ihrer Kunst S. 151: Ahnlichkeit → Ähnlichkeit die wunderbare {Ähnlichkeit} der beiden S. 151: Armeln → Ärmeln die Hände in den weiten {Ärmeln} *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER TOD DES COSIMO *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. 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Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. 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