The Project Gutenberg eBook of Briefe aus Frankfurt und Paris 1848-1849 (1/2)

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Title: Briefe aus Frankfurt und Paris 1848-1849 (1/2)

Author: Friedrich von Raumer

Release date: January 7, 2016 [eBook #50870]

Language: German

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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK BRIEFE AUS FRANKFURT UND PARIS 1848-1849 (1/2) ***


Briefe aus Frankfurt und Paris.

Erster Theil.


Briefe
aus
Frankfurt und Paris

1848–1849

von

Friedrich von Raumer.

Erster Theil.

Leipzig:

F. A. Brockhaus.

1849.


[S. v]

Vorrede.

Die Schwierigkeit eine Geschichte der Gegenwart unparteiisch und allseitig zu schreiben, ist mit Recht so oft hervorgehoben worden, daß auch der Kühnste und durch seine Verhältnisse am meisten Begünstigte, von solch einem Unternehmen abgeschreckt werden kann. Wer hingegen Gelegenheit hat, einzelne Steine zu dem künftigen Bau einer allgemeinen Geschichte darzubieten, ist behufs rascher Förderung der Wahrheit, hiezu gewissermaßen verpflichtet.

Als einen solchen, wenn auch unwichtigen Beitrag, betrachte ich die folgenden Briefe. Sehr Vieles ist als unanziehend aus denselben weggelassen,[S. vi] nichts aber (mit Ausnahme einzelner Ausdrücke) geändert, oder gar hintennach im Wesentlichen anders dargestellt worden. Denn diese wohlfeile Weisheit eines vom Rathhause Kommenden hat gar keinen Werth; wohl aber wird selbst der, unverhohlen mitgetheilte, Irrthum lehrreich zur Erklärung der jedesmaligen (aber nach Maßgabe der fortschreitenden Verhältnisse und Ereignisse natürlich wechselnden) Eindrücke, Stimmungen und Beschlüsse. Wenn ich, dieser Rücksicht halber, nicht alles scharf oder herbe Ausgedrückte milderte, oder ganz abschwächte, so hoffe ich (sofern sich Jemand dadurch irgendwie verletzt fühlen sollte) Entschuldigung zu finden.

Den Vorschlag: diese Briefsammlung erst nach vielen Jahren dem Publikum vorzulegen, wies ich zurück. Sie würde bis dahin wesentlich an Interesse verlieren und eine Berichtigung derselben, mit dem Ablaufe der Zeit immer schwieriger werden.

[S. vii]

Trotz aller Aufmerksamkeit sind manche Wiederholungen stehen geblieben; eine Folge des Umstandes, daß alle diese Mittheilungen eigentlich nur Variationen über dasselbe Thema sind.

Endlich hoffe ich, man werde es nicht als Eitelkeit bezeichnen, daß ein Briefschreiber seine (in anderer Beziehung unbedeutende) Person oft erwähnt und erwähnen muß.

Berlin, 15. August 1849.


[S. ix]

Inhalt des ersten Theils.

Erster Brief. Seite
Berlin, im März 1848. 1
Den 14. Mai. 14
Den 17. Mai. 19
Den 20. Mai. 20
Den 21. Mai. 21
Zweiter Brief.
Frankfurt a. M., den 25. Mai. 22
Den 26. Mai.
Den 27. Mai. 24
Den 28. Mai.
Dritter Brief.
Frankfurt a. M., den 30. Mai. 28
Vierter Brief.
Frankfurt a. M., den 31. Mai. 33
Den 1. Junius. 35
Fünfter Brief.
Frankfurt a. M., den 2. Junius. 40
Den 3. Junius. 48
Den 4. Junius. 53
Sechster Brief.
Frankfurt a. M., den 5. Junius. 57
Den 6. Junius. 60
[S. x] Siebenter Brief.
Frankfurt a. M., den 7. Junius. 62
Den 8. Junius. 65
Achter Brief.
Frankfurt a. M., den 9. Junius. 67
Den 10. Junius. 70
Neunter Brief.
Frankfurt a. M., den 11. Junius. 72
Den 12. Junius. 76
Zehnter Brief.
Frankfurt a. M., den 12. Junius. 77
Den 13. Junius. 79
Den 14. Junius. 83
Eilfter Brief.
Frankfurt a. M., den 14. Junius. 84
Den 15. Junius. 85
Zwölfter Brief.
Frankfurt a. M., den 15. Junius. 91
Den 16. Junius. 92
Dreizehnter Brief.
Frankfurt a. M., den 18. Junius. 96
Vierzehnter Brief.
Frankfurt a. M., den 18. Junius. 101
Den 19. Junius. 102
Funfzehnter Brief.
Frankfurt a. M., den 22. Junius. 110
Sechzehnter Brief.
Frankfurt a. M., den 23. Junius. 113
Siebzehnter Brief.
Frankfurt a. M., den 24. Junius. 118
[S. xi] Achtzehnter Brief.
Frankfurt a. M., den 25. Junius. 121
Den 26. Junius. 124
Den 27. Junius. 132
Den 28. Junius. 138
Neunzehnter Brief.
Frankfurt a. M., den 29. Junius. 144
Den 29. Junius Nachmittags. 148
Zwanzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 30. Junius. 151
Den 1. Julius. 153
Einundzwanzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 2. Julius. 156
Zweiundzwanzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 4. Julius. 163
Dreiundzwanzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 5. Julius. 168
Den 6. Julius. 170
Vierundzwanzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 6. Julius. 173
Den 7. Julius. 175
Den 8. Julius. 177
Fünfundzwanzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 8. Julius. 179
Den 9. Julius. 181
Sechsundzwanzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 10. Julius. 184
Den 11. Julius. 188
Siebenundzwanzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 12. Julius. 191
Achtundzwanzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 13. Julius. 197
Den 14. Julius. 202
[S. xii] Neunundzwanzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 15. Julius. 203
Dreißigster Brief.
Frankfurt a. M., den 15. Julius. 209
Den 16. Julius. 211
Einunddreißigster Brief.
Frankfurt a. M., den 17. Julius. 215
Zweiunddreißigster Brief.
Frankfurt a. M., den 20. Julius. 222
Dreiunddreißigster Brief.
Frankfurt a. M., den 21. Julius. 228
Den 22. Julius. 231
Vierunddreißigster Brief.
Frankfurt a. M., den 22. Julius. 233
Fünfunddreißigster Brief.
Frankfurt a. M., den 24. Julius. 235
Sechsunddreißigster Brief.
Frankfurt a. M., den 26. Julius. 239
Den 27. Julius. 242
Siebenunddreißigster Brief.
Frankfurt a. M., den 28. Julius. 246
Den 29. Julius. 247
Achtunddreißigster Brief.
Frankfurt a. M., den 30. Julius. 251
Neununddreißigster Brief.
Frankfurt a. M., den 31. Julius. 252
Vierzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 1. August. 254
[S. xiii] Einundvierzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 1. August. 256
Den 2. August. 257
Zweiundvierzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 4. August. 260
Den 5. August. 261
Dreiundvierzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 5. August. 264
Den 6. August. 265
Vierundvierzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 7. August. 266
Den 8. August. 269
Fünfundvierzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 9. August. 273
Sechsundvierzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 10. August. 275
Siebenundvierzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 11. August. 279
Den 12. August. 280
Achtundvierzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 13. August. 282
Den 14. August. 282
Den 15. August. 283
Neunundvierzigster Brief.
Frankfurt a. M., den 16. August. 284
Den 19. August. 285
Den 20. August. 287
Funfzigster Brief.
Brüssel, den 23. August. 288
[S. xiv] Einundfunfzigster Brief.
Paris, den 24. August. 290
Den 25. August. 292
Zweiundfunfzigster Brief.
Paris, den 26. August. 292
Den 27. August. 295
Den 27. August Mittags. 296
Den 27. August Abends. 297
Den 28. August. 300
Dreiundfunfzigster Brief.
Paris, den 29. August. 300
Den 29. August Nachmittags. 301
Den 30. August. 302
Vierundfunfzigster Brief.
Paris, den 31. August. 305
Fünfundfunfzigster Brief.
Paris, den 1. September. 310
Den 1. September Nachmittags. 311
Den 1. September Abends. 313
Sechsundfunfzigster Brief.
Paris, den 2. September. 314
Den 3. September. 316
Siebenundfunfzigster Brief.
Paris, den 4. September. 319
Den 5. September. 320
Den 6. September. 322
Den 7. September. 323
Achtundfunfzigster Brief.
Paris, den 8. September. 325
Den 8. September Nachmittags. 327
Den 9. September. 330
[S. xv] Neunundfunfzigster Brief.
Paris, den 10. September. 333
Den 11. September. 334
Sechzigster Brief.
Paris, den 12. September. 336
Den 13. September. 339
Einundsechzigster Brief.
Paris, den 14. September. 342
Zweiundsechzigster Brief.
Paris, den 15. September. 345
Den 15. September Mittags. 346
Dreiundsechzigster Brief.
Paris, den 16. September. 348
Den 16. September Nachmittags. 353
Den 17. September. 354
Vierundsechzigster Brief.
Paris, den 18. September. 356
Den 19. September. 359
Fünfundsechzigster Brief.
Paris, den 20. September. 360
Den 21. September. 361
Den 22. September. 363
Sechsundsechzigster Brief.
Paris, den 23. September. 367
Siebenundsechzigster Brief.
Paris, den 25. September. 373
Den 26. September. 377
Den 26. September Mittags. 379
Den 27. September. 380
[S. xvi] Achtundsechzigster Brief.
Paris, den 28. September. 385
Den 29. September. 385
Den 30. September. 388
Den 1. October. 389
Den 2. October. 390
Den 3. October. 392
Den 4. October. 396
Neunundsechzigster Brief.
Paris, den 5. October. 400
Den 6. October. 401
Den 7. October. 402
Den 8. October. 407
Siebzigster Brief.
Paris, den 9. October. 409
Den 10. October. 414
Den 11. October. 418
Einundsiebzigster Brief.
Paris, den 12. October. 422

[S. 1]

Erster Brief.

Berlin, im März 1848.

Aus den Zeitungen werdet Ihr vollständige Kunde von den furchtbaren Ereignissen dieser Tage bekommen. Ich will nur einige allgemeine Andeutungen geben, meist mich aber an Das halten was ich selbst sah, und was sich (Eurer Theilnahme bin ich gewiß) auf mich selbst bezieht.

Schon vor den pariser und den sich daran reihenden deutschen Ereignissen hatte sich hier die Mißstimmung sehr gesteigert, und Viele hegten die Überzeugung: „die Regierung könne mit den bisher wirksamen Personen und in der bisherigen Weise und Richtung, unmöglich mehr lange geführt werden. Die Behandlung der auswärtigen Angelegenheiten, die kirchliche (unter dem Namen neuer größerer Freiheit geübte) Willkür, die endlose Beaufsichtigung[S. 2] der Schulen und Universitäten, die Anstellung einseitiger, die Entlassung würdiger Männer u. s. w. u. s. w. regten täglich mehr auf, und die Berufung des Landtages ward täglich lauter und dringender gefordert. „Die Ausschüsse (das ergab sich immer deutlicher) konnten und sollten ihn nicht ersetzen. Wenn sich die Stadt (in Bezug auf Das, was der König bei Entlassung der Ausschüsse sagte) dankend ausspreche, so könne man (dies hoffte ich) Wünsche und Bitten am besten daran anreihen. Ich entwarf zu diesem Zwecke folgende Erklärung:

„Die königliche Bewilligung einer regelmäßigen Wiederkehr, oder Wiederberufung des allgemeinen Landtages, und die Bestätigung der sehr wichtigen Vorschläge zur Vervollkommnung des preußischen Staatsrechtes, ist ein höchst folgenreiches, beglückendes Ereigniß; — ein Ereigniß, welches finstere Besorgnisse verscheucht, Hoffnungen erfüllt, oder ihre Erfüllung bestimmt in Aussicht stellt, und die Einigkeit zwischen Herrscher und Volk (ohne welche jeder Staat zu Grunde geht) aufs Neue bekräftigt.

„Deshalb erlaube ich mir den Antrag: daß die Stadtbehörden Seiner königlichen Majestät durch eine Schrift, oder Botschaft, den innigen Dank darlegen, zu welchem uns gleichmäßig Kopf und Herz antreiben, und dabei nochmals mit Nachdruck aussprechen mögen: Berlin, die Hauptstadt des Reiches, werde[S. 3] in Unglück und Gefahr, (wie in Zeiten des Glücks und der Ruhe) mit unwandelbarer Treue und dem Aufwande aller Kräfte ihre ehrenvollen Pflichten erfüllen, von der Bahn des gesetzlichen Rechtes niemals abweichen, und die persönliche Anhänglichkeit an Seine Majestät den König und das königliche Haus, (ohne welche dem Staatsrechte einer Monarchie die höchste Verklärung fehlt) wie ein Heiligthum festhalten und bewahren.

Berlin, den 6. März 1848, Abends.

v. Raumer.“

Diese Erklärung hatte ich dem Vorsteher der Stadtverordneten bereits zum Vortrage übergeben, als ich mich überzeugte: die Mißstimmung über das angeblich Ungenügende der Bewilligungen sei bereits so gestiegen, daß der Antrag, Dank auszusprechen, nur Vorwürfe gegen den König hervorrufen würde. Ich nahm deshalb jenen Antrag zurück, schrieb jedoch dem — (mit Bezug auf frühere Gespräche): es sei zu befürchten, daß die Versammlung der Stadtverordneten zu mächtig werde; aber noch ungleich gefährlicher, wenn sie (sehr wahrscheinlich) ohnmächtig werde, und die Entscheidung in schlechtere Hände gerathe.

Die immer dringender werdenden Verhältnisse veranlaßten mich, (nach Abhaltung der ersten Ver[S. 4]sammlung in den Zelten) Folgendes an — zu schreiben:

„Den Vorschlag, heute in der Stadtverordnetenversammlung ein Dankschreiben an Se. Maj. den König zu beschließen, hat man aufgeben müssen, um nicht Widersprüche und unangenehme Erörterungen hervorzurufen. Nach Dem was sich hier und in andern Städten der Monarchie vorbereitet und in dem ganzen übrigen Deutschland bereits geschehen ist, hat es gar keinen Zweifel, daß eine ganze Reihe von Forderungen an die Stadtverordneten gelangen, und zu einer (vielleicht einstimmigen) Bitte um eilige Berufung des vereinigten Landtages führen wird. Dies ist der mildeste Ausweg um jene Forderungen in den Weg besonnener, gesetzlicher Berathung zu leiten.

„Wenn Se. Maj. der König sich hierüber aus eigener Macht ausspricht und dem Magistrate und den Stadtverordneten eine beim Anfange der Sitzung zu eröffnende Kabinetsordre zuschickt, so wird ihm unermeßlicher Dank zu Theil, es wird die Begeisterung im Innern und gegen das Ausland aufs Höchste steigen; er ist — wie es sein soll — der Leit- und Polarstern für Alle. Geschieht das Unvermeidliche auch nur um einige Stunden zu spät, so verwandelt sich der glänzende Sieg in eine unglückselige Niederlage, und ganz andere Personen[S. 5] werden die Lorberen für sich in Anspruch nehmen. Möchten nicht kleine, förmliche, die Wichtigkeit des Augenblicks verkennende Seelen, durch unentschlossenen Rath, Alles den Händen des Königs entschlüpfen lassen.

„Verzeihen Sie, wenn ich mich in dieser ungewöhnlichen und vielleicht ungebührlichen Weise ausspreche; meine Liebe zu König und Vaterland und meine Kenntniß vaterländischer Angelegenheiten, verbot mir da zu schweigen, wo Kopf und Herz zu reden befehlen.

Berlin, den 9. März 1848, Morgens 7 Uhr.“

An demselben Tage um 4 Uhr begann die Sitzung der Stadtverordneten, über welche die Zeitungshalle am genauesten Bericht erstattet. Die überlauten Zuhörer hatten ohne Zweifel die Absicht: die Stadtverordneten zu zwingen, alle ihre Forderungen auf der Stelle anzunehmen und zu den ihrigen zu machen. Dies Bestreben ward jedoch mit größtem Rechte vereitelt, und auch ich sprach (wie ihr in der Zeitungshalle lesen könnt) für gründliche und ruhige Berathung. Diese fand den 10. von 3–11 Uhr statt, und die Deputation, zu der ich gehörte, vereinigte sich endlich für die bekannt gewordene Eingabe. Sie ward den 11. in der Stadtverordnetenversammlung fast einstimmig angenommen. So weit ich sehen konnte blieben nur die HH. N. und B.[S. 6] verneinend sitzen, weil sie mehr, und minder höflich, fordern wollten. Die Zuhörer, einer bekannten Gattung, waren ebenfalls unzufrieden, und erhoben ein so gränzenloses, unanständiges Geschrei, daß die Sitzung leider mußte aufgehoben werden. Meine Furcht, die Stadtverordnetenversammlung dürfte zu ohnmächtig werden, war nur zu sehr gerechtfertigt.

Des Königs Antwort auf die Eingabe lautete zwar beruhigend, aber bei täglich, ja stündlich steigender Aufregung keineswegs zufriedenstellend.

Über die erste Versammlung in den Zelten erhielt ich einen umständlichen, anonymen Bericht; wenige Tage später kam der Verfasser zu mir, klagend daß die zweite Versammlung sich ungebührlich in falscher Richtung bewegt, und großentheils aus anderen Personen bestanden habe. Ich machte ihn darauf aufmerksam: wie schwer es sei solcher Bewegungen Meister zu bleiben, wie verantwortlich sie hervorzurufen.

Die Minister verloren die kostbarste Zeit, und behandelten das Eiligste in den Formen der alten Geschäftsführung, während aus ganz Deutschland, ja aus Wien Nachrichten von raschern Fortschritten einliefen. Preußen, Berlin müsse sich an die Spitze stellen und die Vorwürfe von Schläfrigkeit und Nichtigkeit widerlegen; — dies war die Ansicht Unzähliger. Planmäßig leiteten aber geschickt vertheilte,[S. 7] laute Demagogen das Ganze und bezweckten leider, daß die Aufregung sich zur Widersetzlichkeit steigere. Andererseits begingen die Kriegsführer Mißgriffe, und die unbedeutenden Unruhen des Montags, nahmen den bösesten Charakter an, als die ungebührlich gereizten und verhöhnten Soldaten, Dienstags an der Brüderstraße, ohne Ansehen der Person Gewalt übten. Man erließ zur Beruhigung eine Bekanntmachung, daß Militair- und Civilpersonen die Sache untersuchen und Schuldige bestrafen sollten. Magistrat und Stadtverordnete schrieben das Nöthige vor zur Bildung unbewaffneter Schutzcommissionen. Als ich in meinem Bezirke zur Vollziehung dieses Beschlusses aufforderte, schrien Mehre: ich wolle (ein alter Thor) Bürger verführen sich verstümmeln und erschießen zu lassen. — Ich rief: wer Muth hat folge mir; so schlossen sich endlich Viele meiner Führung an.

Donnerstag und Freitag (15., 16.) ward die Ruhe in der Stadt erhalten, womit aber viele Begeisterte und viele Böswillige gleich unzufrieden waren. Es verbreitete sich die sichere Kunde: man wolle Sonnabend um 2 Uhr dem Könige eine Bittschrift überreichen; viele Tausende wollten mitziehen zum Schlosse. Mit Bestimmtheit ließ sich voraussehen, daß dies nicht ohne Unordnung, ja Gefahr geschehen dürfte. Deshalb eilte ich Sonnabend früh[S. 8] zum — stellte ihm die üble Lage der Dinge vor, und daß es schlechterdings nothwendig sei, daß bis Mittag 12 Uhr beruhigende, unabweisliche und unausbleibliche Bewilligungen bekannt gemacht würden. — fand dies zweckmäßig und versprach sogleich zum Könige zu fahren und ihm das Nöthige vorzustellen.

Mit einigen Stadträthen und Stadtverordneten (wir fanden uns auf der Straße zusammen) ging ich zum Polizeipräsidenten, zum Kommandanten (wo wir den Minister Bodelschwingh fanden), deren wohlwollende Sorge und Theilnahme, ohne entscheidende Versprechungen nichts helfen konnte. Deshalb ward von den zusammeneilenden Stadtverordneten beschlossen, unverzüglich und gemeinsam mit dem Magistrate, eine Deputation an den König abzusenden. Ich ward mit zu derselben gewählt, und wir fanden im Vorzimmer die mit Orden überdeckten Stützen des Staates, gegen welche wir (einige der Eil halber in Überröcken) sehr gering und unanständig aussahen. Vorgelassen, ward dem Könige die volle, ungeschminkte Wahrheit, mit solcher Kraft und Rührung gesagt, daß Viele sich der Thränen nicht enthalten konnten.

Man bat um Preßfreiheit. — Ist schon bewilligt. — Um Berufung des Landtags. — Desgleichen. — Um Veränderung der Grundsätze über Wahlen und Abstimmungen. — Antwort, günstig, jedoch so be[S. 9]dingt, daß kein bestimmtes Ergebniß hervorging. — Gleichstellung aller Religionsbekenntnisse, ohne staatliche Bevorzugung. — Antwort: ich bin der größte Freund der Religionsduldung; die Leute dürfen sich ja nur aussprechen. — Zwischen E. M. und dem Volke stehen Räthe, welche das Vertrauen des Volkes nicht besitzen. — Antwort: diese Männer meinen es redlich mit dem Volke und der Krone.

Ich hatte mich aus vielen Gründen schweigend im Hintergrunde gehalten, sagte aber, als ich sah daß man zu keinem inhaltsreichen Ergebniß kam: wenn ich S. M. nicht mißverstanden, wollten Sie die von der Stadt Berlin vorgetragenen Wünsche, dem Landtage zur Berathung vorlegen und nach Empfange eines Gutachtens entscheiden. — Auf diesen Antrag ging der König indeß nicht einfach ein, weil ja zu prüfen sei: ob die Wünsche sich zu solch einer Vorlegung eigneten.

Der König sprach nach seiner Weise noch viel, verständig, gemüthlich; hierauf von seiner Macht, seinem Rechte, seinem göttlichen Berufe. — Sagen Sie laut, rief er, daß ich so wahr mir Gott helfe, Alles thun will was zum Wohle meines Volkes gereicht, daß ich aber niemals auch nur einen Fingerbreit von meinen Grundsätzen abweichen werde, daß mich keine Macht der Welt jemals dazu vermögen wird. — — —

[S. 10]

Mir vergingen, im hinteren Gliede stehend, von der unbeschreiblichen Gemüthsbewegung fast die Sinne, ich hörte nur, was der König über die Heilsamkeit der Mäßigung und allmäliger Entwickelung sagte, als er auf mich zu ging, mit der Hand auf meine Schulter schlug, und die meine ergreifend und schüttelnd, sagte: dies ist ein alter Professor der Geschichte; er wird bezeugen ob ich Recht habe. Das konnte ich, in Bezug auf seine zuletzt gesprochenen Worte, aus vollem Herzen; auch war mir jener Handschlag ein Zeichen, daß der Zorn des Königs über die akademische Rede ganz verschwunden, und er von meinem rechtlichen Benehmen in der Stadtverordnetenversammlung überzeugt sei. — Alle diese Betrachtungen kamen jedoch erst hintennach; in jenem schweren Augenblicke konnte Niemand an seine eigene unbedeutende Person denken.

Wir stellten endlich das Mildeste und Wesentlichste aus allen Reden des Königs zusammen, sodaß Bewilligungen, Versprechungen und Hoffnungen jeden Gemäßigten befriedigen konnten. Auch that diese von uns vorläufig auf dem Schloßplatze ausgesprochene Verkündigung die beste Wirkung, und die Berathung auf dem kölnischen Rathhause endete mit einem Vivat auf den König, dem selbst die, sonst zu Unruhe und Widerspruch nur zu geneigten Zuhörer, beistimmten. Ich habe bei dieser Gelegen[S. 11]heit auch gesprochen, aber in solcher Aufregung, daß mein Gedächtniß mir den Inhalt nicht vergegenwärtigt, und ich die Zeitungshalle darüber nachlesen muß. Voller Freuden vertheilten wir uns in der Stadt, das Erlangte zu allgemeiner Beruhigung mitzutheilen. Als ich heimkehrend über den Schloßplatz ging, hatte der König vom Balkone gesprochen, die Hüte in der Luft, Hurrahrufen, überall (so schien es) der glücklichste Ausgang. — Kaum aber hatte ich diese Kunde für — dem — mitgetheilt, kaum war ich zu Hause angelangt, als die furchtbare Botschaft von neuem Schießen und Einhauen anlangte. Sogleich legte ich meine Binde als Schutzbeamter um, und forderte mir bekannte, wohlgesinnte Bürger auf mir zu folgen, aber sie warfen mich buchstäblich in einen Laden und beschworen mich mein Leben nicht nutzlos aufzuopfern; es sei ganz unmöglich den Sturm zu beschwören. Gleichzeitig allgemeines Geschrei von Verrath und Errichtung unzähliger Barricaden.

Ueber die Gründe und den Hergang des neuen Angriffs auf dem Schloßplatze lauten die Aussagen, selbst der Augenzeugen, so verschieden, daß schon jetzt kaum die volle Wahrheit aufzufinden ist. Ich will nur das mir Wahrscheinliche zusammenstellen.

1) Die Generale, Officiere u. s. w. hielten es für eine Schmach, sich vor Leuten, welche Forderun[S. 12]gen in gesetzwidriger Weise geltend machen wollten, zurückzuziehen und ihnen nachzugeben. —

2) Die gemeinen Soldaten waren durch Spott und Hohn aufs Höchste gereizt.

3) Manche Soldaten und Führer hielten das Vivatgeschrei für ein pereat und fürchteten die Bestürmung des Schlosses.

4) Den revolutionairen Unruhstiftern war ein friedlicher Ausgang durchaus ungelegen; sie thaten alles Mögliche, Unzufriedenheit mit dem Bewilligten hervorzurufen, und bezweckten einen großen, gewaltigen Aufstand.

5) Zu lange glaubte man auf dem Schlosse: man habe nur mit wenigem Pöbel zu thun, den einige Schüsse verscheuchen würden.

Als der König später umherritt und vor dem kölnischen Rathhause still hielt, eilten die Stadtverordneten hinab, und seiner wohlwollenden Anrede folgte ein lautes, ununterbrochenes Hurrah des unzähligen Volkes.

Der an fünf Stunden dauernde Leichenzug ging mit höchster Ordnung und ohne die geringste Störung vor sich. König und Königin sahen vom Balkone herab; alle Hüte beim Vorbeigehen abgenommen, — und doch welche bittere Stellung für jene!

Der Prinz von Preußen ist der allgemeine Sündenbock und Blitzableiter — — — obwohl ganz un[S. 13]schuldig an dem ihm zur Last Gelegten. Es offenbart sich in vielen Gegenden Deutschlands der künstlich berechnete Plan, alle Thronfolger verhaßt zu machen.

Der Oberbürgermeister Krausnick ward auf eine Weise gezwungen, sein Amt niederzulegen, die nach Form und Inhalt gesetzwidrig ist. Insbesondere hatte er gar keinen Theil an Dem, was man ihm vorzugsweise zur Last legt. Er ward des eisernen Bärensprung Nachfolger, weil man seine Verträglichkeit und vermittelnde Milde laut pries; dieselben Eigenschaften unterliegen, bei veränderten Verhältnissen, jetzt dem bittersten Tadel.

„Am schuldigsten (so lauten die zahlreichsten und heftigsten Urtheile) sind die abgegangenen Minister. Hätten sie irgend Scharfsinn und Voraussicht besessen, hätten sie muthig und einstimmig dem Könige Vorstellungen gemacht, hätten sie nicht das Abgestorbene gehätschelt und gepflegt; wir wären in milderem Wege vorwärts gekommen. Die alte, überkluge Bureaukratie hat einen Stoß bekommen, von dem sie sich nicht erholen kann; und die jüngeren Männer werden und sollen sich, minder gefesselt denn zuvor, Bahn machen und einen besseren Wirkungskreis gewinnen.“ — So die Urtheile!

Große Stürme stehen uns noch bevor; geistige Ruhe wird sobald nicht wiederkehren und ein großer Theil des Vermögens geht verloren: wenn wir aber[S. 14] zuletzt doch ein wahres Staatsrecht gewinnen, den niederen Klassen (nicht das Unmögliche, was Louis Blanc verspricht) aber doch einige Hülfe zu Theil wird; wenn Deutschland, neu begeistert, mächtiger nach Ost und West aufzutreten fähig wird; — so ist Leiden und Verlust nur gering, im Verhältnisse zu dem Gewinn. Also: nil desperandum!

An — — — —

— März 1848.

Die Zukunft sahest Du mit Adlerblicke,
Und herzzerreißend waren Deine Schmerzen!
Wo find’ ich, riefst Du, wahrhaft treue Herzen,
Die mich verstehen und der Welt Geschicke?
Wer Dich gekannt, er war Dir treu ergeben,
Und bleibt es selbst in dunkler Nächte Grauen,
Du Bild der Anmuth, edelste der Frauen,
Die gern das Volk geführt zu neuem Leben!
So hoch gestellt, und dennoch fern vom Rathen;
Cassandra unserer Zeit, Dein heilig Glühen
Geopfert ward es unter Spott und Hohne!
Was kann Dich trösten, als wenn neue Saaten,
Die Du ersehnt, wie Keiner, jetzt erblühen
Zu ewigem Schmucke Deiner Dornenkrone!

Den 14. Mai.

Heute werde ich 67 Jahre alt, und bin nun so bejahrt wie der Vater, als er starb. Vor drei Monaten war mein Haus so gut bestellt, daß ich ruhig[S. 15] dahinfahren konnte; es ist nicht meine Schuld, daß es jetzt ganz anders steht. Ein Glück, daß Frau und Kinder darüber ruhiger und gefaßter sind, als viele Andere, die mit Seufzen und Wehklagen nicht das Geringste ändern können und sich und ihren Umgebungen nur das Leben sauer machen.

Heute schreibe ich meinen Mitbürgern, daß ich das Amt eines Stadtverordneten niederlege und nicht wieder gewählt sein will. Dafür sprechen viele — unerfreuliche — Gründe. Alter, Übermaß der Geschäfte, falsche Richtung der Verwaltung, welche die Stadt bankerott und die Besitzlosen zu Herren macht, Unmöglichkeit ohne Gewalt aus der Anarchie zur Ordnung zurückzukehren u. s. w. Wenn man mich endlich bei den Wahlen für die Reichstage als verbraucht (usé) betrachtet hat, und meine gemäßigten Grundsätze feige und ungenügend nennt, so will ich auch andern und jüngeren Kräften überlassen, mit größerer Weisheit den städtischen Augiasstall auszumisten.

Die Frage über die Rückkehr des Prinzen von Preußen hat zu zwei sehr unruhigen Nächten Veranlassung gegeben; die Unruhstifter wünschten die Gelegenheit zu benutzen, in die Republik hineinzuspringen. Siegt das Ministerium, so ist dies ein großer Gewinn; eine Niederlage wäre ein großes Unglück.

[S. 16]

Die Zeiten, wo Politik oder Theologie allein herrschen, sind allemal unglücklich; alles Andere wird vergessen und mit der ächten menschlichen Bildung geht es rückwärts. Auch die Studenten vernachlässigen ihre Wissenschaft und wollen Dinge anordnen und beherrschen, die sie nicht verstehen und die gar nicht ihres Amtes sind. Als ich vorgestern nachsehen wollte, ob ich wohl Zuhörer fände, hieß es: Heute sei keine Zeit, Vorlesungen zu hören; die Studenten rathschlagten über den Prinzen von Preußen und die Entlassung des Ministeriums!!!

Ich weiß noch nicht, welche literarische Arbeit ich vorzugsweise unternehmen und ob ich etwas niederschreiben soll. Die Zeit des französischen Terrorismus und Direktoriums erschreckt mich, oder widert mich an. — Vielleicht am besten, ich schreibe gar nichts mehr; dann mag das Büchlein, welches ich anonym und unter dem Titel Spreu ausgehen ließ, für eine Art von Testament gelten. Es würde mir wahrscheinlich einiges Lob und noch mehr Tadel verschaffen, wenn unsere Zeit Zeit hätte, sich um kleine Bücher zu bekümmern.

Bis etwa 14 Tage nach dem 18. März war überall (auch bei den Stadtverordneten) fast nur die Rede von den unsterblichen Barricadenhelden, die ihres Gleichen in der ganzen Weltgeschichte nicht hätten, gegen welche Leonidas und seine 300 Sparta[S. 17]ner nur jämmerliche Stümper wären, denen man in Marmor und Erz ewige Denkmale errichten müsse u. s. w. Seit 4–6 Wochen nimmt keiner mehr das Wort Barricade und Barricadenheld in den Mund, der 18. März wird zum noli me tangere; und in vertrauteren Gesprächen wünscht man die Helden, und die polnischen, französischen und deutschen Anordner der „glorreichen“ Nacht, zum Teufel. So ändern sich die Zeiten; und es ist für ein Glück zu achten, wenn die höchlich erzürnten Bürger nicht die Proletarier nächstens (wie in Rouen) niederschießen müssen um Ordnung herzustellen. Sehr natürlich fordern die vergötterten Helden den Lohn ihrer Heldenthaten. Wir, sagen sie, haben euch die Freiheit erkämpft, während ihr furchtsam hinter dem Ofen saßet u. s. w. — Und neben der Faulheit und dem Übermuthe, geht wahre, furchtbare Noth her, entstehend aus dem Stillstande des Verkehrs und der Fabriken. Früher haben die Fabrikherrn meist das Billigste verweigert; jetzt werden sie zum Unbilligsten gezwungen — und dadurch bankerott.

Ich fand soeben bei einem Gange durch die Stadt, Mauern und Pumpen mit Anschlägen gegen den Prinzen von Preußen bedeckt und bestimmte Zeugnisse daß Bürger, Proletarier und Klubs fraternisiren; während Die, welche sich gute Bürger nennen, nichts thun, die Hände in den Schoß legen und abwarten,[S. 18] ob durch sogenannte Volksversammlungen in den Zelten, das Ministerium gestürzt, oder ganz ohnmächtig wird! Es fällt den Verblendeten nicht ein, welchem Schicksale Berlin entgegengeht, das nur vom Hofe, Soldaten, Beamten und einigen Fremden lebte. Man braucht nicht melancholisch, oder hypochondrisch zu sein, um auf den Gedanken zu kommen: in den breiten Straßen könnte dereinst Gras wachsen.

Neben dem jetzt unentbehrlichen stehenden Heere, ist die Bürgerwehr entstanden, welche durch unzählige Übungen und stete Wachtdienste Zeit, und also Erwerb und Geld verliert. Die an sich heilsame Einrichtung strebt nicht der amerikanischen nach, sondern man ergötzt sich bereits im Nachäffen mancher Bocksbeuteleien der europäischen Soldaten. Bei den Stadtverordneten kam eine heftige Klage zur Sprache, daß Soldaten die (ganz unnütze) Wache bei Montbijou besetzt hätten, wodurch die Freiheit in Gefahr gerathe (!!), und die gehorsame Behörde unterstützte das lächerliche Gesuch; während gleichzeitig berichtet wurde: 10 zur Wache berufene Bürger hätten sämmtlich geantwortet: sie würden nicht kommen, denn sie hätten etwas Besseres zu thun, als dort Maulaffen feil zu bieten. — So die Disciplin und die sogenannten Volksansichten. Jeder Haufen von Tagedieben nennt sich Volk, und die lieben Bürger fürchten sich vor den Barricadenhelden!

[S. 19]

Den 17. Mai.

Die Stadt ist wieder mehre Tage in Aufregung gewesen, welche das Ministerium wohl hätte vermeiden können. Doch ist es beim Reden geblieben und bei Maueranschlägen. Zuletzt gewannen Gottlob die Besseren die Oberhand, und bis zur Eröffnung des Landtages werden die Böswilligen wenigstens nichts durchsetzen. Charakteristisch daß die Wahlmänner zweimal eine Mehrheit für den Republikaner B. erstritten, und die Bürger ihn bei der Stadtverordnetenwahl unter bittern Vorwürfen haben durchfallen lassen. — Ebenso merkwürdig daß Arbeiter, denen Mitglieder des (fast terroristischen) politischen Klubs vorgestellt hatten, sie möchten faul sein um länger beschäftigt zu werden, die Schändlichkeit des Rathschlags einsahen, in die Versammlung drangen und die Verführer (wie Einige behaupten) selbst mit Schlägen bedienten. All jener Gefahren würden wir gewiß Herr; daß Frankreich aber den edlen, friedliebenden Circourt abruft und Arago hersendet, der seines Terrorismus halber aus Lyon verjagt ward, daß man im Marsfelde die Bildsäule Deutschlands aufstellt, ist eine nur zu bestimmte Hinweisung auf Krieg und Zerrüttung unseres unglücklichen Vaterlandes. — Durch Mittel der ärgsten Art wirken die polnischen Edelleute überall zur angeblichen Herstellung ihres Vaterlandes. Beharren sie auf diesen Wegen, so ist[S. 20] nach 30 Jahren (wie Galizien zeigt) keiner mehr von ihnen übrig; haben sich doch schon im Posenschen die polnischen Führer zu den Preußen retten müssen, um nicht von ihren eigenen Landsleuten erschlagen zu werden.

Den 20. Mai.

Gestern war die Wahl des Abgeordneten für Frankfurt. Die Radikalen stellten den Vierfrager Jacobi mir gegenüber. Als die Wahlzettel verlesen wurden und es hieß: Geh. Rath v. Raumer, oder Professor v. Raumer, oder Friedrich v. Raumer, so erklärte ein Stimmzähler diese Zettel für nichtig; denn es gebe mehre Geh. Räthe, Professoren und Friedriche v. Raumer. Dennoch erhielt Jacobi nicht die Mehrheit; bei der zweiten Abstimmung waren etliche auf meine Seite getreten, und ich ward als Erwählter verkündigt. Jacobi dagegen ward nun zum Stellvertreter erwählt, und die Versammlung aufgehoben. Nachher haben einige Eiferer erklärt: sie protestirten, meine Wahl sei nichtig. Und ich erklärte: erst wenn meine Wahl unbedingt für gesetzmäßig erklärt werde, würde ich nach Frankfurt gehen, keineswegs aber mich der Gefahr aussetzen, durch irgend einen Spruch, mit Spott und Hohn zurückgeschickt zu werden. — Ich wollte mich nicht wieder zum Stadtverordneten wählen lassen. Da[S. 21] aber meine Mitbürger (die sich stets aufs Allerfreundlichste gegen mich benahmen) es dringend wünschten und von 219 Stimmen 205 für mich fielen (während mehre Radikale in anderen Bezirken durchgefallen sind), habe ich, um den Schein feigen Rückzugs in schweren Zeiten abzuwälzen, die Wahl zunächst für ein Jahr angenommen. Helfe Gott weiter!

Den 21. Mai.

In dem Augenblicke, wo ich gestern die Bestätigung meiner, als unantastbar bezeichneten Wahl für Frankfurt erhielt, bekam ich die Nachricht daß ich auch in Quedlinburg und im Ascherlebischen Kreise für den berliner Reichstag sei gewählt worden. Nach ernsten Überlegungen habe ich mich für Frankfurt entschieden und reise heute nach Dessau, dann über Köln nach Frankfurt.


[S. 22]

Zweiter Brief.

Frankfurt a. M., den 25. Mai 1848.

Spaziergang durch den sehr schönen Garten von Biberich. Auf der Eisenbahn nach Frankfurt. Ankunft im Weidenbusch, 10 Uhr Abends. Heut war ich zum ersten Mal in der Reichsversammlung. Sehr zahlreich, vom entfernten Platze sehr schlecht gehört. Viel unnütze Anträge, schnell und verständig genug beseitigt. Kein Lärm, Gagern guter Präsident. — Nicht abzusehn wo hinaus, wann und welch Ende! — Melancholisirt. —

Den 26. Mai.

Ich fahre fort in meinem lakonischen Tagebuche. — Gestern Nachmittag ordnete ich Alles in meiner sehr hübschen Wohnung, las die ganz verständige Geschäftsordnung für den Reichstag und ging dann zum pariser Hofe, wo (wie es hieß) die preußischen Abgeordneten sich versammelten. Hier fand ich solch Gedränge der Essenden, Trinkenden, Sprechenden, so unerträgliche Hitze und so verdorbene Luft, daß ich des Reiches Wohlfahrt daselbst nicht berathen konnte, sondern mich auf die Flucht begab.

7 Uhr Abends.

Heute waren, wie auch gestern, sehr viele Zuhörer in der Versammlung, darunter fast die Hälfte[S. 23] Damen, welche meist bis zum Schlusse beharrlich aushielten. Ich hatte mir einen näheren Platz ausgesucht und hörte, wenn auch nicht gut, doch besser wie gestern. Auch fehlte es nicht an Zurufen, lauter zu sprechen. Der Hauptvortrag betraf die mainzer Angelegenheit. Der Bericht der Commission war ruhig und unparteiisch gehalten; desto leidenschaftlicher und theatralischer eine, besonders gegen die Preußen gerichtete, Rede eines mainzer Abgeordneten Zitz. Die ultraliberale Partei, welche am meisten von Deutschlands Einheit spricht, gab Äußerungen den höchsten Beifall, welche es in Wahrheit zersplittern müßten. Lichnowski widerlegte geschickt genug mehre Punkte, nur war auch er zu heftig und überschrie sich so, daß man ihn kaum verstehen konnte. Robert Blum (Mitglied der Commission) sprach über sie, wie Antonius über Brutus. Sehr gut redete der österreichische Bundestagsgesandte. Welcker, der Badener sprach, mir unerwartet, durchaus conservativ. N., immer auf Allgemeinheiten hinsteuernd, ohne besonderen Anklang. Zum größten Verdrusse der radikalen Partei beschloß die große Mehrheit zur Tagesordnung überzugehn, d. h. die Sache in der Erwartung fallen zu lassen, die Regierungen würden von selbst das Erforderliche thun.

Die entgegengesetzte Absicht ging dahin: die Verwaltung und die vollziehende Gewalt, plötzlich oder[S. 24] allmälig an sich zu ziehen. Das wäre ein unbedingter Despotismus, welcher Widerstand und Auflösung, selbst der Versammlung, nach sich ziehen müßte. — Die ganze Verhandlung war sehr anziehend und der Beschluß beruhigend.

Den 27. Mai.

Gestern Abend bin ich bei schönem Wetter fast um die ganze Stadt gegangen. So viele enge, häßliche, winklige Gassen, die sie neben einigen großen und schönen Straßen innerhalb ihrer Mauern zählt; so schön sind die Spaziergänge ringsum, so mannigfaltig die Landhäuser und Gärten. An einigen Stellen (so zwischen dem eschenheimer und bockenheimer Thore) machen sie einen reizenden, man kann sagen poetischen Eindruck.

Den 28. Mai.

Der Anfang der gestrigen Sitzung bezog sich noch einmal auf die mainzer Angelegenheit, wo man (angemessen und England analog) beschloß, am Ende jeder längeren Berathung den Antragsteller und Berichterstatter noch einmal zu hören. Hierauf folgte der dringende Antrag einiger Österreicher, die Versammlung möge eine Erklärung erlassen, daß sie in keiner Weise irgend einer Nationalität (z. B. hinsichtlich der Sprache, Rechtspflege und dergl.) zu[S. 25] nahe treten wolle. Dies sei unumgänglich nöthig für die slavischen Bewohner der österreichischen Staaten, welche in böser Absicht unter obigem Vorwande von Panslavisten aufgeregt und zu Haß gegen die Deutschen verführt würden. Der Antrag ward genehmigt.

Die wichtigste Verhandlung der „constituirenden Nationalversammlung“ (so nennt sie sich) am 27. Mai, reihte sich an einen mit sehr vielen Verbesserungsvorschlägen umkränzten und allmälig geänderten Antrag des Hrn. Raveau. Der Mittelpunkt des Ganzen war die höchst wichtige Frage: über das Verhältniß der Gesammtverfassung Deutschlands zu den Verfassungen der einzelnen Staaten. Die eine Partei hob hervor: beides seien bis jetzt noch unbekannte Größen, über deren gegenseitige Stellung nichts könne festgestellt werden. Die ganze Berathung sei unnöthig und übereilt, und lasse sich erst mit Nutzen und Erfolg anstellen, wenn der Entwurf zur Verfassung Deutschlands fertig sei. Am Schlusse derselben möge man bestimmen, wie sich die besonderen Verfassungen dazu verhalten sollten. Aus diesen Gründen müsse jetzt die ganze Sache beseitigt und zur Tagesordnung übergegangen werden.

Die entgegengesetzte, zahlreichere (und nur über eine strengere oder mildere Fassung uneinige) Partei fürchtete dagegen, daß, wie traurige Erfahrungen[S. 26] vieler Jahre zeigten, auch jetzt wieder nichts für Einigung und Kräftigung Deutschlands zu Stande kommen werde, wenn die Versammlung den günstigen Augenblick versäume und, anstatt sich mächtig hinzustellen und kräftig auszusprechen, feige und thöricht warte, bis sich in den einzelnen Staaten Hindernisse und Widersprüche unüberwindlich erhöben. — Nach langen, schroff sich widersprechenden oder vermittelnden Reden, beschloß endlich die Versammlung, zu erklären: daß alle Bestimmungen in den Verfassungen einzelner deutscher Staaten, welche mit der Gesammtverfassung Deutschlands nicht übereinstimmen, nur nach Maßgabe der letzten gültig sind.

Da sich 90 Redner gemeldet hatten, und die Versammlung auf Abstimmung drang, bevor die Hälfte gesprochen, so werdet Ihr und meine Herren Wähler es sehr billigen, daß ich mich nicht als der 91. meldete; sonst hatte ich allerdings mancherlei auf dem Herzen, was Keiner hinreichend entwickelte. Man hielt sich nämlich immer nur an die förmliche Frage, über das Verhältniß eines Ganzen zu seinen Theilen, man bewegte sich in dem Kreise dieser noch inhaltlosen, allgemeinen Abstraction; während es mir durchaus nothwendig erscheint auf den Inhalt einzugehen, auf das Besondere, Concrete. Da ergiebt sich unwiderleglich: daß die allgemeine Verfassung gewisse Dinge unbedingt feststellen muß,[S. 27] gegen welche keine besondere Verfassung sich erklären darf. Umgekehrt aber giebt es andere Dinge, welche diese besonderen Verfassungen entscheiden, und in welche sich die allgemeine Verfassung oder die centrale Behörde eines Bundesstaates gar nicht einmischen darf. Beide, die allgemeine und die besonderen Verfassungen haben ihre eigenthümlichen Rechte, und ein Hinausgreifen über diese Kreise führt entweder zur Despotie, oder zur Auflösung und Zerbröckelung. Natürlich fürchtet man hier das Letzte mehr wie das Erste; wahre Staatsmänner müssen aber beide Abwege und Gefahren im Auge behalten und ihnen vorbeugen. In dieser Weise sind die Amerikaner vorgeschritten und haben die schwere Aufgabe glücklich gelöset.

Man macht den Einwand: die Nothwendigkeit besonderer Verfassungen verstehe sich von selbst. Dasselbe gilt aber auch von der allgemeinen, und ich will wünschen, daß jene Erklärung des Reichstages nicht als eine Neigung ausgelegt werde, um der Einheit willen, die Mannigfaltigkeit der Entwickelung allzu sehr zu beschränken. Ein anderer Einwand: „jede nähere Bestimmung hätte in unzeitige endlose Erörterungen geführt,“ beruht mehr auf der Voraussetzung, daß die Versammlung dazu geneigt sei, als auf innerer Nothwendigkeit. Eine halbe Zeile reicht hin zur Beruhigung, welche z. B. (wie ich[S. 28] höre) die Luxemburger zum Schutze ihrer Verfassung verlangen. Zuletzt kommt freilich Alles auf den Inhalt der zu entwerfenden allgemeinen deutschen Verfassung an. Sie ist ohne Zweifel schwieriger zu Stande zu bringen, wie jede besondere.


Dritter Brief.

Frankfurt a. M., den 30. Mai 1848.

Gegen Abend nahm ich eine Droschke und fuhr durch Sachsenhausen bis jenseit des nächsten Dorfes, durch zierliche Lustgärten, fleißig bebaute Gemüsegärten und reiche Felder. Alles fruchtbar, anmuthig, an die erfurtsche Gartencultur erinnernd, und wenn nicht erhaben oder hochpoetisch, doch reizend, und den Geist in so heitere Stimmung versetzend, daß man die Reichstagssorgen auf eine Zeit lang vergißt.

In der gestrigen Sitzung ergab sich was ich vorhergesehen: Abgeordnete von Luxemburg und Triest widersprachen dem, Euch mitgetheilten Beschlusse, welcher die Macht des Reichstages, auf Kosten der örtlichen Verhältnisse und Verfassungen, zu weit auszudehnen schien. Dies gab Veranlassung zu der Bemerkung, daß der Ausschuß für Entwerfung der Verfassung so übermäßig beschäftigt sei, daß man[S. 29] ihm Gegenstände, wie die erwähnten, nicht zuweisen möge. Deshalb beschloß man einen besondern Ausschuß für völkerrechtliche und sogenannte internationale Fragen und Aufgaben zu erwählen. Dies geschieht in der Weise, daß jede der funfzehn Abtheilungen, in welche alle Mitglieder des Reichstages verlooset werden, ein Ausschußmitglied erwählt. Die dritte Abtheilung, zu welcher ich verlooset bin, deren Mitglieder mir aber zeither persönlich ganz unbekannt waren, erzeigte mir unerwartet die Ehre, mich mit einer sehr großen Stimmenmehrheit zu erwählen. Meine verspätete Ankunft in Fr. schloß mich von allen bereits früher erwählten Ausschüssen aus und minderte die Arbeitslast wenigstens Nachmittags; jener völkerrechtliche Ausschuß ist aber fast der bedenklichste und eine Art von noli me tangere: denn Schleswig, Polen, Böhmen, Luxemburg, Limburg, Südtirol, Triest u. s. w. dürften daselbst zur Sprache kommen; ohne daß wir Macht haben, die Sprache in That zu verwandeln, ja, ohne die wahre Lage der Verhältnisse hinreichend genau zu kennen.

Hierauf folgte in der gestrigen Sitzung die Berathung über einen neuen (den zweiten) Entwurf einer Geschäftsordnung, und es ließ sich (zu meinem und vieler Andern Schrecken) so an, als werde über unzählige Einzelheiten eine endlose, unnütze Rederei eintreten. Gottlob, daß die Mehrheit dieses zeitver[S. 30]geudende Uebel dadurch abschnitt, daß sie die, von einer Commission genau geprüfte, Ordnung kurzweg im Ganzen annahm und Berathungen über Einzelnes nur dann zulassen wollte, wenn wenigstens 50 Mitglieder es verlangten. Ich wunderte mich, daß — sich zuerst zum Sprechen gemeldet hatte. Ihr kennt seine Redeweise. Sie machte um so weniger Eindruck, da man Vieles gar nicht verstand, und was ich verstand, bezog sich vorzugsweise auf Allgemeinheiten über die Größe und Schwierigkeiten unserer Aufgabe, wovon sich bei jeder einzelnen Sache etwas sagen ließ, ohne zur Sache zu gehören. Die einzige hervortretende Forderung: „Nichts durch Ausschüsse vorbereiten zu lassen, sondern Alles von Anfang bis Ende allein in der vollen Versammlung zu berathen“; war so unpassend und unpraktisch, daß sie zu Boden fiel, und bei der Mittagstafel in der Mainlust Mehre bemerkten, daß — Rede ihren Erwartungen gar nicht entsprochen habe. — Ich nahm mir das ad notam, schrieb es mir hinter die Ohren, dachte an Splitter und Balken, und zupfte mich an meiner eigenen Nase.

Ungeachtet dieser Fingerzeige sammelt sich der Redestoff, und ich werde mich über kurz oder lang der Gefahr aussetzen, mir die Finger zu verbrennen. Insbesondere wegen der ganz unbegründeten Anklagen oder Verläumdungen, welche unsinnige Eiferer[S. 31] aus Süddeutschland über Preußen aussprechen. Wir kennen unsere Fehler besser als sie; aber wer hat denn nicht gefehlt und gesündigt? Viel Gerede von Deutschlands Macht und Einigkeit, während kaum eine Million, sechzehn Millionen hochmüthig abweiset! Da soll kein preußischer Landtag berufen werden, bevor die frankfurter Versammlung Alles ins Reine und Feine gebracht hat. Dann soll Preußen seinen Handel, ohne Ersatz und Dank, für Schleswig opfern; oder um der Polen willen Rußland bekriegen u. s. w.

Nachdem ich Häring gestern zur Eisenbahn begleitet hatte, hörte ich den ersten Akt des Don Juan.

Wäre ich 20 Jahre jünger, würde ich Euch wohl umständlicher über die Aufführung einen Bericht erstatten, wie das Haus, die Erleuchtung, die Dekorationen, die Bänke beschaffen sind, wie jeder Herr und jede Dame gesungen und gespielt hat u. s. w. Ich konnte diesmal andere Nebengedanken nicht beseitigen. Diese Musik Mozart’s, unsterblich und in stets blühender Jugendkraft, wird die Jahrhunderte siegreich, entzückend und beglückend durchschreiten; — und dagegen das Werk unseres Reichstages (wenn anders eins wirklich zu Stande kommt)! welchen Schmähungen wird es unterliegen, nach wie kurzer Lebensdauer wird es hinsterben, wer wird dann all der Redner und der Reden[S. 32] noch gedenken? Wo bleiben die Barricadenhelden, im Vergleiche zu den Helden der Wissenschaft und Kunst!

Bald aber ging mein Melancholisiren noch viel weiter! Wo sind denn die Meisterwerke griechischer Tonkünstler? Wo die Athene des Phidias, die Aphrodite des Praxiteles, die Trauerspiele des Sophokles und Euripides, die Gemälde des Apelles, die Bücher des Livius und Tacitus? Es giebt auf Erden keine Dauer, selbst nicht für das Würdige, keine Bürgschaft für diese Dauer! Vanitas vanitatum, et omnia vanitas. Ich sah Deutschland in sich zerfallen, und während es von Herstellung des immerdar haltungslosen Polen träumt, eine Beute, getheilt zwischen östlichen und westlichen Feinden. Man wird dereinst streiten über die Lage Frankfurts, wie über die Trojas und Vejis, man wird, eine Hand aus dem Schutte hervorsuchend, streiten, ob sie zur Bildsäule Karl’s des Großen oder Goethe’s gehörte; man wird in Buchbinderpappdeckeln, sowie jetzt Bruchstücke des Livius oder der Nibelungen, so vielleicht ein Stücklein der Ouverture des Don Juan entdecken! Nicht Franzosen, nicht Russen, sondern Gott weiß, welches erdgeborne Volk wird dann den deutschen Boden beherrschen, und gegen Schicksale, wie sie Aegypter, Griechen und Römer erfuhren, schützt politisches Gerede, diese falsche Magie, in keiner Weise! Ich ward glücklicherweise unterbro[S. 33]chen, sonst hätte ich meine Jeremiade wohl noch viel länger ausgesponnen; und doch muß der längsten Nacht, auch die Tag- und Nachtgleiche, und der längste Tag folgen. Darum nach meinem Wahl- und Trostspruche: nil desperandum und zur heutigen Sitzung des Reichstages.


Vierter Brief.

Frankfurt a. M., den 31. Mai 1848.

Ich bezeuge wiederholt meine Freude über deinen Brief; denn so lange Arbeit und Aufregung dauert, hält man sich aufrecht; nochmals aber, wenn man sich wie ein altes Taschenmesser selbst zusammenklappen muß, fühlt man die Einsamkeit doppelt bitter, und daß alles Abgeordnetengerede, immer über dieselben Dinge, kein Wasser vom Brunnquelle des Lebens ist. Allerdings ist hier wenig rein Erfreuliches, man lebt von politischen omelettes soufflées, und merkt nicht daß, wenn Russen, oder Franzosen mit der Gabel hineinstechen, der ganze Rühreiolymp zusammenfällt. So giebts selbst Abgeordnete welche meinen, man müsse Krieg und Hader mit Rußland und England darüber anfangen, ob Hadersleben zu Deutschland gehöre. Und doch will kein Mittel[S. 34]- und Süddeutscher einen Groschen zahlen, oder einen Mann stellen und verba sesquipedalia sollen für Kanonen gelten. Indessen bleibt noch Hoffnung, daß die Vernünftigen und Gemäßigten oben auf bleiben.

Die berliner Straßenskandale sind unter aller Kritik, und werden erst ein Ende nehmen, wenn man Ernst gegen den Pöbel zeigt, und mit Strenge straft. Schneider’s Ausweg ist heiter und führte zum Ziele; aber eine solche Schwalbe, macht keinen Sommer.

Was du über deine Gefühle beim Anblicke der Bildsäule Friedrich’s II. schreibst, stimmt fast wörtlich mit meinen ähnlichen frankfurter Empfindungen.

In der heutigen Sitzung ward zuerst eine Erklärung vorgelesen und angenommen, worin den Einwohnern Deutschlands von anderen Volksstämmen, die Erhaltung aller ihrer volksthümlichen Rechte zugesichert wird. Die übrige Zeit verging mit neuen Wahlen, auf kürzere und längere Zeit. Präsident ward H. v. Gagern mit 434 Stimmen von 513. Erster Vicepräsident v. Soiron mit 408, zweiter v. Andrian aus Wien mit 310 Stimmen. Mittags aß ich in der Mainlust und saß zwischen Grimm und Veit. Nachmittags ordnete sich der schon erwähnte Ausschuß für völkerrechtliche Fragen, wobei ich wieder einem alten Gegner, Stenzel aus Breslau, freundlich und um so mehr die Hand reichte,[S. 35] da wir beide socii malorum waren, das heißt im Ablaufe der Zeit graue Haare bekommen hatten. Ein Versuch, nochmals über die schleswigsche Angelegenheit einen übereilten Beschluß zu fassen, ward für diesmal glücklich vereitelt. Doch drohen noch Gefahren dieser und anderer Art von allen Seiten. So der Plan hier eine vollziehende Gewalt zu begründen und provisorisch zu erwählen; wobei sich wohl nur Wenige etwas Deutliches und Bestimmtes denken. Insbesondere ist zu befürchten, daß dies Provisorium Zwiespalt zwischen der hiesigen Versammlung und den einzelnen Regierungen hervorbringen und später als Beweis für die Tauglichkeit rein republikanischer Formen angeführt werden dürfte.

Eine andere noch größere Gefahr liegt in dem Zerfallen Oesterreichs und den Berathungen aller slavischen Stämme, über eine neue Vereinigung zu einem großen Reiche. So wird Deutschland an allen Seiten durch den, bis zum Aberglauben vorherrschenden Begriff der Nationalität beschnitten, ohne daß Elsaß, Lothringen, Kurland, Liefland u. s. w. gewonnen werden könnte, ja der Verlust des linken Rheinufers, durch eigene Schuld und fremde Habgier, in Aussicht steht.

Den 1. Junius.

Es wird nicht mit Unrecht Klage geführt, daß die preußischen Abgeordneten zu zerstreut sind und[S. 36] ihre Wirksamkeit sich dadurch vermindert. Dem abzuhelfen war zu gestern Abend eine Versammlung im Hirschgraben Nr. 9 angesagt, aber nur schwach besucht, theils weil gleichzeitig Hrn. von Gagern ein Fackelzug und Vivat von den Frankfurtern gebracht ward, theils weil Mancher sich wohl Denen nicht zugesellen wollte, die man hier die äußerste Rechte zu nennen pflegt, und welche den Hauptbestandtheil der Erschienenen ausmachten. Ich läugne die Nothwendigkeit nicht, sich, wohlgeordneten Gegnern gegenüber, auch zu organisiren, habe aber eine Abneigung gegen alles Partei- und Klubwesen, wo man seine Freiheit und Beweglichkeit aufgeben, und einem festen Symbole und (politischen) Glaubensbekenntnisse unterordnen soll. Der Zweck und die Wirkung lebendiger Berathung wird hiedurch oft gestört, das Mögliche nicht vom Unmöglichen geschieden, und eine Niederlage schon dadurch herbeigeführt, daß man die Nothwendigkeit einen Schlachtplan zu ändern, nicht zur rechten Zeit anerkennt. Ich fand in jener Versammlung Lichnowsky, Wartensleben, Arnim, Auerswald, Schubert, Vincke u. A. Man hob zuvörderst hervor: wir müßten bestimmt wissen was wir wollten und bezweckten, wir müßten uns über ein festes „Programm“ (in Berlin „politisches Glaubensbekenntniß“ genannt) einigen. Ein solches lag nicht vor, und ein früher von Mittermaier ent[S. 37]worfenes ward zurückgewiesen, weil es viel zu unbestimmt laute; ja, gegen seinen (des Abwesenden) künftigen Vorsitz Widerspruch erhoben. Um nun aber einem anzunehmenden „Programme“ näher zu kommen, fand eine vorläufige Besprechung statt, wobei sich sogleich die größten Meinungsverschiedenheiten selbst unter diesem kleinen Bruchtheile angeblich gleichgesinnter Personen hervorthaten. Einer der ersten, welche ihre Ansichten entwickelten, war Herr v. Vincke, und, kaum weiß ich wie es geschah, daß ich unmittelbar nach ihm (das erste Mal in Frankfurt) sprechen — und ihm widersprechen mußte. Er verlangte nämlich, daß wir an der Spitze unseres Programms feststellen müßten: die Nothwendigkeit eines sogleich auf Preußen zu übertragenden erblichen Kaiserthums. Erst wenn dies durchgefochten sei, lasse sich mit Erfolg von allen anderen Dingen handeln. Hierauf beschrieb er die Zukunft schwärzer, als schwarz, Trennung Deutschlands, Bürgerkrieg, Verlust des linken Rheinufers u. s. w. — Ich ließ mich auf diese zweite Hälfte der Vinckeschen Rede nicht näher ein, sondern sagte im Wesentlichen etwa Folgendes: wenn Preußen sich von Süddeutschland trennt, so geräth es in Abhängigkeit von Rußland, Süddeutschland in die Knechtschaft Frankreichs. Jetzt aber ein erbliches Kaiserthum für Preußen schon erstreiten wollen, ist bei den unläugbar hier[S. 38]über in diesem Augenblicke noch vorherrschenden Ansichten ganz unmöglich. Wir würden uns dadurch in der Reichsversammlung völlig vereinzeln, ja diese vielleicht auseinandersprengen. Die Frage über das Kaiserthum und über Österreichs Stellung liegt noch so in Dunkel und Verwirrung, daß erst allmälig Einsicht und Verständigung eintreten kann. Deshalb bin ich bestimmt der Meinung, den Thurm nicht von oben zu bauen, sondern zunächst einen breiten festen Grund zu legen. Diese Grundlegung, welche ganz Deutschland zunächst von uns erwartet, besteht in Anerkenntniß, Bestätigung und Durchführung der großen Volksrechte und nationalen Einrichtungen, z. B. Zollverein, Heeresmacht, Münze, Rechtspflege &c. &c., wie sie bereits in dem Dahlmannschen Entwurfe aufgezählt sind. Hierüber wird wenig Streit eintreten, und in Folge so heilbringender, populairer Beschlüsse, mögen wir weiter aufwärts fortschreiten zur Bildung der zweiten, der ersten Kammer. Wie wir dann auch die Spitze aufsetzen und ausschmücken mögen, es ist leichter, als jetzt in der Luft zu bauen; und selbst ohne Spitze behält der Bau seine hohe Wichtigkeit und Bedeutung. — Es schien mir anfangs nicht als wenn meine Worte Eindruck machten, allmälig aber ergab sich daß Lichnowsky, Auerswald, Wartensleben, Schubert, der Vinckeschen eiligen Kaisermacherei nicht[S. 39] beitraten, sondern im Wesentlichen mit meiner Ansicht übereinstimmten.

Die Verfassungsentwürfe wachsen hier so rasch und zahlreich empor, wie Kresse auf einem warmen wollenen Lappen; oder mit denselben Stücklein bemalten Holzes, legt man unzählige Muster zusammen. Da aus der Vergangenheit fast nichts Ordnendes, oder Begränzendes beibehalten werden soll; so drängen sich sehr natürlich unzählige Möglichkeiten hervor, von rein republikanischen Formen, bis zu einem despotisirenden Kaiser. Um nicht Alles in anarchische Willkür auseinanderfallen zu lassen, findet der Gedanke von einem vollziehenden Triumvirat Beifall, wozu Österreich ein, Preußen ein Mitglied ernennen, und das dritte hier erwählt werden soll. Das klingt ganz einfach, wie weit aber der unmittelbare Wirkungskreis dieser Dreieinigkeit, oder Dreiuneinigkeit sich erstrecken soll, ist schwer zu bestimmen. Sollen z. B. Radetzki, Wrangel u. s. w. unmittelbar Befehle aus Frankfurt empfangen, oder theilen sich die Männer das Reich wie die römischen Triumvirn, oder treten sie nur an die Stelle der 17 Stimmen des Bundestages? Ihr seht man hat hier viel zu denken, zu überlegen, zu gestalten. Sind es nur Willkürwolken des Polonius, oder werden daraus Blitze herniederfahren und Deutschland auseinandersprengen, wie es Österreich bereits ist? Gott helfe weiter!


[S. 40]

Fünfter Brief.

Frankfurt a. M., den 2. Junius 1848.

An welchen Fäden hängen die Schicksale der Reiche!! Ohne den 18. März, sagt mir Herr v. L., wäre der König von Preußen ohne Zweifel zum Kaiser von Deutschland erhoben worden. Damals hätte Österreich aber wohl schwerlich eingewilligt; und hätte sich Preußen dadurch nicht in unzählige Händel verwickelt und (wie schon jetzt) Undank und Schmähung, statt des Dankes erfahren? Niemals sind die Deutschen ihrem Kaiser sehr unterthan gewesen, und auch heutiges Tages sehe ich dazu noch keine Neigung, obwohl die Nothwendigkeit einer einigen Leitung täglich mehr heraustritt.

Täglich ziehen die Wolken neuer Verfassungsentwürfe am Horizonte auf, und verwandeln ihre Umrisse auf die mannigfachste Weise. Laßt Euch die Zeit nicht lang werden, heut einmal mit mir diese fata morgana anzuschauen.

Gestern hat mir Herr v. L. seinen „Beitrag zu einer künftigen deutschen Reichsverfassung“ übergeben, aus welchem ich Folgendes entnehme. Die Gesammtregierung soll bestehen aus einem hohen Rathe (Oesterreich, Preußen, und ein Dritter aus allen Bundes[S. 41]gliedern auf Lebenszeit vom Parlamente zu erwählender Fürst) und aus zwei völlig gleichberechtigten und mit derselben Stimmenzahl versehenen Volkskammern. Die eine Kammer wird halb aus ländlichen, halb aus städtischen Bewohnern gewählt (wie, ist nicht gesagt); die andere dagegen zu ¼ aus ordentlichen und außerordentlichen Universitätsprofessoren, ¼ aus Sachwaltern, ¼ aus Geistlichen, ¼ aus Kaufleuten und Fabrikanten. (Grundbesitzer sind hier nicht wieder erwähnt.) Bei Meinungsverschiedenheiten beider Kammern entscheidet die aus der vereinigten Abstimmung sich ergebende Mehrzahl. Zu Zeiten des Krieges, oder sonstiger Gefahr, geht die ganze verfassungsmäßige Gewalt des Bundes, mittelst Wahl des deutschen Parlamentes, auf einen der drei, den hohen Rath bildenden Fürsten über, der dann persönlich in Frankfurt residiren muß. — Ueber die allgemeinen Rechte und Einrichtungen im Ganzen das Bekannte. — Ich habe nicht Zeit, mehr mitzutheilen, oder das Mitgetheilte zu beurtheilen, da ich auf die wichtigeren baierischen Vorschläge übergehen will.

Diese lauten im Wesentlichen: Der Zweck des neuen deutschen Bundesstaates ist die Vertheidigung und Vertretung Deutschlands als politischer Einheit nach Außen, und die Einigung Deutschlands in seinen gemeinsamen Interessen und Rechten nach Innen. Die[S. 42] Hauptorgane für Erreichung dieser Zwecke sind: 1) der Reichstag mit einem Direktorium an der Spitze. 2) Das in zwei Kammern getheilte Parlament. (Ueber die allgemeinen Volksrechte, nationale Einrichtungen und Maßregeln finden sich keine erheblichen Abweichungen von dem fast überall Gewünschten. Nachdruck wird indeß auch gelegt auf die gemeinsame Errichtung einer Flotte, das Auswanderungswesen, die Verbürgung der einzelnen Verfassungen und eine selbstständige Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten.) — Durch die allgemeinen Einrichtungen des Gesammtbundes soll das eigenthümliche Recht und die nothwendige Selbstregierung der einzelnen Staaten- und Volksstämme nicht erstickt und verwischt werden. Deshalb sollen diese ihre Vertretung und ihre Gewalt in den Centralorganen des deutschen Bundesstaates finden. (Aehnlicherweise habe ich immer dafür gesprochen, daß sich die Mannigfaltigkeit der Einheit zugesellen müsse, wie in Nordamerika; nicht unbedingte Centralisation wie in Frankreich.) Das Direktorium ist der Ausdruck und Repräsentant der Einheit der deutschen Fürsten und Völker gegen Außen, und der Vertreter und Förderer der Einigung der deutschen gemeinsamen Interessen und Rechte nach Innen. Es ernennt die Mitglieder des Ministeriums und sämmtlicher Centralbehörden aus der Candidatenliste der einzelnen Regierungen. Es eröffnet und schließt, ver[S. 43]tagt, beruft das deutsche Parlament nach zu erlassenden Vorschriften. Das Direktorium wird nicht erwählt, es ist nicht erblich, oder stets einer bestimmten Regierung angehörig; sondern es wechselt entweder nach einem festen Cyclus der Regierungen von Nord-, Ost- und Süddeutschland, oder drei Hauptstaaten Deutschlands nehmen gleichzeitig daran Theil. (Der Cyclus unter Vielen ist schwer zu ordnen, und schwerlich wären alle übrigen Staaten damit zufrieden, wenn Baiern allein, ohne Wahl, neben Österreich und Preußen einträte.) — Die eine Kammer des Parlamentes bildet sich aus den unmittelbaren Wahlen des deutschen Volkes, die andere aus denen der deutschen Ständekammern, oder vielmehr aus der ersten Ständekammer und den ihr analogen Bestandtheilen.

Den weiteren baierischen Erklärungen zu den Grundzügen der Verfassung entnehme ich Folgendes: In dem ersten Nationalparlamente ist den Regierungen der deutschen Staaten ihr nothwendiger Antheil an der zukünftigen Constituirung Deutschlands nicht zugesichert. (Sehr wahr! Die Versammlung schwärmt für ihre Allmacht und Souverainetät; so daß, wenn der Inhalt ihrer Beschlüsse nicht gemäßigt ausfällt, Widerspruch der einzelnen Staaten schwerlich ausbleiben wird.) Deshalb mögen alle Regierungen ihre Gesinnungen und Grundsätze durch[S. 44] Bevollmächtigte in Frankfurt darlegen, um zu gemeinsamen, annehmbaren Beschlüssen zu gelangen, und den Regierungen, wie den Volksstimmen ihre nothwendige Lebensfähigkeit neben den Organen des Centralstaates zu sichern. Sonst wird eine Despotie erschaffen, welche die Fürsten und Völker Deutschlands, in dem Keime ihrer Macht, ihrer freien Bewegung und ihres innersten Lebens vernichtet. (Es ist sehr natürlich, nach so bösem Zerfallen Deutschlands in einer mächtigen Centralmacht die beste, ja einzige Hülfe zu sehen. Der wahre Staatsmann muß aber die Verhältnisse nicht blos nach dem letzten Augenblicke beurtheilen, sondern von dem leicht eintretenden Zuviel zurückhalten, und das Unmögliche vom Möglichen unterscheiden.)

Der Entwurf der 17 (fährt Baiern fort) verdient den bestimmtesten Tadel; er bringt so umwälzende Vorschläge, daß (würden sie auch nur von einer Minorität der deutschen Staaten und Völker angenommen) dennoch eine totale Revolution aller bestehenden Verhältnisse, eine totale Verwirrung, ja in der jetzigen aufgeregten Zeit leicht der Bürgerkrieg die Folge derselben sein könnte. — Insbesondere wird eine vollkommene Despotie eines, noch nicht existirenden erblichen Kaisers, eine Vernichtung aller bestehenden constitutionellen Rechte und Freiheiten der einzelnen Volksstämme, eine Richtigkeitserklärung gegen alle constitutionelle Fürsten Deutsch[S. 45]lands vorgezeichnet. Ein Wahlkaiserthum ist eine Thorheit, ein erbliches eine Unmöglichkeit. Man schafft kein Kaiserthum, ebensowenig wie eine Republik, mit einigen Federstrichen, oder doctrinairen Phrasen. — Alle Restaurationen vergangener und verrosteter Zeiten tragen den Keim des Todes in sich. — Die nationale Einheit kann nur das Ergebniß freier und wahrhafter Einigung aller verschiedenen Interessen, Gegensätze und Rechte sein. Auf der Grundlage der neu errungenen und alten Freiheiten, wie Rechte, auf der Grundlage unserer bestehenden constitutionellen Staatsformen allein, kann das neue Gebäude des deutschen Bundesstaates auferbauet werden. Diese müssen das Fundament des Gebäudes bleiben; sie müssen den Völkern, wie den Fürsten garantirt werden. — Nicht dem Machtgebote, nicht dem insinuirenden Willen einer Großmacht, unterwirft sich ohne Despotie und Zwang, der freie Wille der deutschen Stämme und Fürsten. (Ihr seht, wie Recht ich hatte, früher schon Bedenken zu erheben und vorauszusetzen, gegen den Beschluß über das unbedingte Voranstellen hiesiger Beschlüsse; mit wie großem Rechte ich mich gegen den Vinckeschen Vorschlag erklärte.)

Die Art, wie der Siebzehner Entwurf eine erste Kammer bilden will, ist untauglich: sie wäre nur ein Zwischending zwischen Schatten und Wirklichkeit, das man eher mit Bedauern, als mit Achtung betrachten[S. 46] könnte. Die Fürsten selbst werden durch Regierungsgeschäfte zu Hause festgehalten; es wird also wieder in solchem Oberhause, der endlose Weg der Instruktionen und der todte Weg der Mandate, wie auch der deutschen Reichstage eingeschlagen, welche dann nur das wiederholen und wiederkäuen, was bereits als Ansicht der Regierungen ausgesprochen ist. Der Reichstag oder Senat besteht aus dem Inbegriffe aller Regierungsbevollmächtigten, und das Nationalparlament bildet den Inbegriff der Volksvertretung und ihrer Rechte. Von dem Reichstage und beziehungsweise von dem Direktorium, empfängt das Ministerium seine Instruktionen über die dem Parlamente vorzulegenden Gesetzentwürfe. Der Reichstag vermittelt die Verbindung der Centralregierung mit den Regierungen der einzelnen Staaten. Er übt das Recht der Sanktion aller Gesetze nach Stimmenmehrheit aus, und stellt in der Gesammtheit der Bevollmächtigten einzelner Staaten, als Vollmachtsträger derselben, mit dem Direktorium, die Collektivsouverainetät des deutschen Bundes dar.

So viel, und für Ungeduldige wohl zu viel, aus den baierischen Vorschlägen. Sie weichen in den wichtigsten Punkten von denen der Siebzehner ab. Das Kaiserthum verworfen, die erste Kammer ganz anders gestaltet, ein Reichstag oder Senat der Bevollmächtigten, mit größerem Gewichte für die einzelnen Staa[S. 47]ten aufgestellt, deren eigenthümlichen Rechte vertheidigt u. s. w. Es wäre sehr wünschenswerth, man hätte einen ähnlichen preußischen und österreichischen Entwurf; dann ließe sich besser auf eine Verständigung der Hauptstaaten mit der hiesigen Versammlung hinwirken. Am wenigsten deutlich und einleuchtend ist mir im baierischen Entwurfe das Verhältniß des Reichstages oder Senats, der mir etwas schwerfällig und eine Art Bundestag zu sein scheint. Denn auf einen bloßen Staatsrath oder privy council ist es doch nicht abgesehen.

Heute (2. Juni) erzählte mir Somaruga viel von Wien, wo die Auflösung viel größer und die Anarchie viel ärger ist, als bei uns. Das Ministerium hat nichts von der Flucht des Kaisers gewußt, und man sieht darin allerdings das Werk einer rückläufigen Partei. Für Wien sind die Aussichten noch viel schlimmer, als für Berlin. — Den Grafen D. machte ich darauf aufmerksam: wie übel es sei, daß Ausschuß und Versammlung nichts Sicheres und Amtliches über den Stand des Krieges und der Unterhandlungen in Schleswig wisse, während alle Heftigen auf schnelle und gewiß übereilte Beschlüsse drängen. Dasselbe gilt von der hiesigen Errichtung einer Centralregierung mit oder ohne Theilnahme der bisherigen Regierungen. Beide Sachen kommen in diesen Tagen gewiß zur Sprache, ohne daß man den Gang und Ausgang der Bera[S. 48]thung mit Sicherheit voraussehen kann. Wir segeln in unbekannten Gewässern ohne Compaß.

Nachdem ich vorgestern aus der Abendversammlung hinweggegangen war, hat man mir die Ehre angethan, vorzuschlagen: meinen Vortrag, als ein sogenanntes Programm, anzuerkennen. Da ich indessen nicht zur Hand war, es aufzusetzen, hat man den, ohne Zweifel weit bessern Vorschlag angenommen, gar kein allgemeines, bindendes Symbol aufzustellen, sondern sich allmälig immer weiter und weiter zu verständigen. — Das war für einen Tag (2. Junius), ein langer Bericht. Möget Ihr ihn nicht zu langweilig finden.

Den 3. Junius.

Quos deus vult perdere dementat: wen Gott verderben will, den verblendet er! Während Österreich anarchisch in kleine Stücke zerfällt, sagte mir gestern ein österreichischer Abgeordneter: die einzige Rettung Deutschlands sei ein Krieg mit Rußland, wozu Österreich 300,000 Mann stellen werde. Ihr könnt denken, was ich ihm antwortete. — Ebenso verblendet sind unsere Stammbrüder, die Dänen und Schweden, welche mit Rußland ein Schutz- und Trutzbündniß schließen, wie einst die Fürsten des Rheinbundes mit Napoleon. Doch zwang hier die Übermacht, während dort alle Staatsklugheit in Leiden[S. 49]schaft zu Grunde geht. — Heute wird ein neues Nothgeschrei der Schleswiger in der Versammlung erhoben, und ihr Gesuch wohl an den neuen völkerrechtlichen Ausschuß gewiesen werden, wo ich wahrscheinlich das wiederholen muß, was ich schon gestern Abend im Hirschgraben aussprach. Die dasige Gesellschaft hat keinen rechten Fortgang, theils weil man sie als äußerste Rechte bezeichnet, theils wohl, weil man daselbst nicht ißt, trinkt und raucht.

Neben diesen Ergötzlichkeiten geht die Rederei im Weidenbusche ununterbrochen her, wo unter Anderem A. R. vorgestern Abend gesagt hat (à la Marat), man müsse viele Tausend Köpfe abschlagen! Doch ist er darauf aufmerksam gemacht worden, daß der seinige zuerst mit an die Reihe kommen dürfte. — Ich habe mich schon in Berlin an sogenannter Beredtsamkeit dergestalt übernommen, daß ich hier hinter manchem Vielfraß zurückbleiben will und muß; — aber eben deshalb von Einigen wohl für einen untauglichen Abgeordneten gehalten werde. Auf meine Anregung wollen sich jedoch die Herren im Hirschgraben statt um ½9 um 7 Uhr versammeln, was meine Theilnahme hoffentlich erleichtert; — sofern nicht die stets lebendige Erinnerung an das Heupferd und den Heuwagen, störend dazwischentritt. Wiederum hat das Heupferd in seiner Theilnahme und[S. 50] seiner tröstenden Hoffnung auf nützliche Einwirkung, keineswegs so ganz Unrecht. Wo bliebe Begeisterung, Thätigkeit, Arbeitslust, Freundschaft, Liebe, wenn man immer die Goldwage zur Hand hätte, und sich immer zu leicht und unbedeutend fände!!

Als nicht politisches Zwischenspiel, erzähle ich, daß ich Goethe’s und Jacobi’s Briefe theils durchblättert, theils mit großer Theilnahme gelesen habe. Die süßliche Überschwänglichkeit des letzten, weicht oft sehr ab von der heutigen Briefkochkunst; wer weiß aber, welches Gewürz oder Nichtgewürz unserer Tage, den Nachkommen ebenfalls nicht recht schmecken wird! Da ich mit Goethe sage (S. 261): „Ich für mich kann, bei den mannigfaltigen Richtungen meines Lebens, nicht an einer Denkweise genug haben“; so verständige ich mich nach meiner Natur mit beiden Männern, ohne deshalb in Jeglichem mit ihnen übereinzustimmen. So nicht mit Goethe, wenn er (S. 162) behauptet: „Geschichte sei das undankbarste und gefährlichste Fach.“ — Und nicht mit Jacobi, welcher (245) fordert: „man solle Platon, oder Spinoza allein anhangen, ihn allein für den Geist der Wahrheit halten.“ — Ich habe mich in beide vertieft, mit Begeisterung hineingedacht, durch beide erhoben und glücklich gefühlt. Die Welt ist reicher als das allein seligmachende Credo irgend einer philosophischen, oder theologischen Schule; und[S. 51] die Wahrheit ist nicht das Monopol einer einzelnen Geistesrichtung.

In der heutigen Sitzung kam ein Widerspruch mehrer Polen zur Sprache, welche nicht im Reichstag erscheinen wollten. Er ward zuvörderst an den völkerrechtlichen Ausschuß gewiesen. Für die Frage über die Bildung einer hiesigen Centralgewalt, beschloß man einen neuen Ausschuß zu wählen. — Als in der dritten Abtheilung, zu der ich gehöre, Einer zum Ausschuß über die Bildung der Centralgewalt gewählt werden sollte, meldeten sich mehre Bewerber. Man verlangte: sie möchten sich über ihre Ansicht der Sache erklären, bei welcher Gelegenheit ein Oberst von Mayeren aus Wien verständig und gemäßigt sprach. Drauf manch Gerede hin und her, zu dem ich um so mehr schwieg, da ich (schon einem beschwerlichen Ausschusse zugesellt) mich nicht thöricht der Gefahr aussetzen wollte, mit neuen Arbeiten übermäßig belästigt zu werden. Doch wäre ich beinahe in diese Gefahr unabsichtlich hineingestürzt. Als nämlich ein mir unbekannter Mann, jene Bildung der Centralgewalt allein der Versammlung in Frankfurt zuweisen wollte, ohne irgend eine Rücksprache mit den Regierungen; als er auf die, aller Freiheit noch immer höchst gefährlichen Umtriebe der Fürsten schalt, oder schimpfte u. dgl., so bat ich (die Geduld ging mir aus) ums Wort und sprach lebhaft: daß man[S. 52] nicht immer auf Zwist, auf unbedingtes Befehlen und Gehorchen hinarbeiten müsse, sondern auf Versöhnung und Verständigung zwischen dem hiesigen Reichstage und allen Regierungen; deren Bevollmächtigte möge man hören, ehe man übereilt beschließe und dann vielleicht lauten Widerspruch finde. Von den behaupteten ganz neuen und verdammlichen Umtrieben der Fürsten sei mir nichts bekannt, oder nichts erwiesen; oder wenn Einzelne noch etwa die Sachen rückwärts schieben wollten, sei dies in diesem Augenblicke kein Gegenstand ernster Furcht. So würde hoffentlich der Verstand und gesunde Sinn der Deutschen ebenfalls des ultraradikalen Geschreis Herr werden. Unsere Aufgabe sei nicht Händel zu suchen, sondern für die Einheit und Mannigfaltigkeit Deutschlands gleichmäßig zu sorgen u. s. w.

Meine Worte fanden vielen Anklang und verschafften mir viele Stimmen, doch ward Mayeren (mir willkommen) gewählt.

Ich habe ein eigenes Schicksal: meine erste Quasirede war gegen ein Mitglied der äußersten Rechten, gegen Hrn. v. Vincke gerichtet; die zweite gegen ein Mitglied der äußersten Linken, gegen — wie ich nachher erfuhr — Hrn. Schlöffel!!

Vergleiche ich die hiesigen Verhandlungen, Alles zu Allem gerechnet, mit den Berlinern, so mögen Sorgen und Hoffnungen gleich groß sein; doch hält[S. 53] Gagern als ein tüchtiger Präsident die Sachen besser zusammen, allmälig wird das Unwichtige kürzer behandelt und immer nachdrücklicher auf die Hauptsachen hingewiesen. Auch lernt man hier mehr interessante Personen kennen, und die Berathungen verbreiten sich über die mannigfachsten und wichtigsten Gegenstände. So reut es mich, trotz der Kehrseiten, der Einsamkeit und der Sehnsucht nach Hause, doch nicht, daß ich hieher gegangen und nicht in die berliner Versammlung eingetreten bin; — so fern Agatho- oder Kakodämon mich nicht ganz in den Ruhestand versetzt. Noch ist meine Wahlangelegenheit indeß nicht zur Sprache gekommen.

Den 4. Junius.

Meine freundliche Wirthin hatte mich gestern Abend zu einem Damenthee eingeladen, den ich gern besucht hätte; aber ich mußte pflichtmäßig in den völkerrechtlichen Ausschuß wandern, um über „Schleswig-Holstein meerumschlungen,“ ein Paar Stunden lang, zu rathschlagen und zu politisiren. Zuvörderst ergab sich, daß, leider, Ausschuß und Versammlung über die kriegerische und diplomatische Lage amtlich gar nicht gehörig unterrichtet waren, mithin (bei aufgeregten Leidenschaften) in der größten Gefahr schwebten, etwas Unpassendes, Übertriebenes und Verletzendes zu beschließen. Es fehlt unglücklicherweise an[S. 54] einem Organ, einer Behörde, durch welche sich die Regierungen mit der Versammlung verständigen; denn der hinsterbende, unbeliebte Bundestag reicht dazu nicht hin, und die einzelnen Gesandten lassen ebenfalls nichts von sich hören. Mein Vorschlag: zu fragen und über die Lage der Dinge Belehrung und Auskunft einzuholen, erregte das Bedenken: es werde eine ablehnende Antwort Mißvergnügen erregen, und eine inhaltsvolle wahrscheinlich die, ihrer Allmacht frohe, Versammlung noch tiefer und gefährlicher in die Sache hineinlocken und verwickeln.

Zwei Sachen wurden vorgetragen: erstens, ein (gemäßigtes) Gesuch der holstein-schleswigschen Abgeordneten ihre Sache nicht aufzugeben, sondern für das zu wirken, was Recht und Ehre verlange. Zweitens, ein jammervoller Hülferuf der Hadersleber, sie, nach Wrangel’s Rückzug, gegen die schreckliche Rach- und Straflust der Dänen zu schützen. Gar viele Punkte kamen nunmehr zur Berathung, z. B. Holstein gehöre gewiß zu Deutschland, und wenn dies in Hinsicht auf Schleswig auch zweifelhaft sei, so gehöre es doch unbedenklich seit Jahrhunderten zu Holstein und könne davon nicht getrennt werden. Die Zerfällung in zwei Theile (Dänen und Deutsche) nach der Volksthümlichkeit, sei unrecht, unerwünscht; das Ganze müsse beisammen bleiben. Wiederum habe England die Frage über das Schicksal des nörd[S. 55]lichen Theils von Schleswig, als einen Gegenstand der Unterhandlungen hingestellt, und es würde um so verkehrter sein, sich wider Palmerston’s Vorschläge zu erklären, da Schweden und Rußland nur durch die Rücksicht auf Großbritannien von Gewaltschritten abgehalten würden. Deutschland sei unvorbereitet, aufgelöset, uneinig, ohnmächtig, und könne einen Krieg gegen Rußland um Schleswigs willen um so weniger übernehmen, da die Frage nicht der Art sei, das ganze deutsche Volk in Begeisterung zu versetzen. Insbesondere schwebe Preußen in Bezug auf Rußland in der höchsten Gefahr und dürfe (ohnehin abgeschwächt) sich für Schleswig nicht opfern. Es müsse für sich und zur Erhaltung seines Daseins handeln; es werde keinen Beschluß der frankfurter Versammlung achten, sobald es dadurch in eine Todesgefahr komme, gegen welche papierne Bundesverfügungen um so weniger schützten, da sie schon bei dem dänischen Kriege hinsichtlich der zehnten Heeresabtheilung wenig Gehorsam gefunden hätten. Ebensowenig könne es jemals Posen in die Hände der Polen geben und dadurch den Russen den Weg in das Herz der Monarchie öffnen. Der Gewinn Schleswigs sei ganz unbedeutend, wenn gegenüber die Gefahr eines großen europäischen Krieges und die Möglichkeit hervortrete, Ost- und Westpreußen, ja alles Land bis zur Oder in den Händen der Russen zu[S. 56] sehen. An Rußland sei nur zu verlieren, nichts zu gewinnen, Frankreich aber, trotz scheinbarer augenblicklicher Mäßigung, doch ein gefährlicher, den Rheinlanden nachtrachtender Bundesgenosse. Die Erhaltung und Herstellung des Friedens sei höchster Zweck, und die Frage nach dem schleswiger Rechte, verschwinde vor der höhern Politik und den unläugbaren Forderungen der Staatsklugheit. Dies als Andeutung des Inhalts der Berathungen. Das einstimmige Ergebniß war: der Versammlung zwei Erklärungen über Schleswig und über Hadersleben vorzulegen, welche trösten, die Ehre wahren, und doch so gemäßigt abgefaßt sind, daß sie die Mächte und die Vermittler nicht verletzen, nicht vorlaut und übereilt in die Sachen selbst eingreifen. Hoffentlich nimmt die Versammlung unsere Vorschläge an, ohne leidenschaftliche Erörterungen. Die ganze Berathung im Ausschusse war gemäßigt, verständig, anziehend, erfreulich, und mehrt meine Hoffnungen von seiner nützlichen Wirksamkeit für die Zukunft. — Nächstens kommt die Frage über die Bildung einer hiesigen Centralgewalt zur Sprache, wo die Regierungen (unbegreiflicher- und thörichterweise) wiederum versäumt haben, auf eine verständige und freundliche Weise die Initiative zu ergreifen, wodurch die Herrschlust der Versammlung sich nothwendig und natürlich verdoppelt.


[S. 57]

Sechster Brief.

Frankfurt a. M., den 5. Junius 1848.

So lange ich hier in Thätigkeit bin, hege ich keinen Zweifel darüber, daß ich hiezu noch tauglich und befähigt sei. Sobald ich aber zum Nichtsthun zurückkehre, scheint es mir verkehrt, nicht etwa selbst anmaßend eine Rolle spielen zu wollen, sondern Rollen auf mir und rings um mich spielen zu lassen. Doch muß ich mich mit dem sustine abfinden lassen, bis etwa Hr. Agathon sein abstine durchsetzt.

In der heutigen Sitzung ward (bei den dringenden Gefahren Deutschlands) beschlossen, einen Ausschuß für die Kriegs- und Wehrverfassung zu bilden, in welchen unter Anderen Teichert und Stavenhagen erwählt sind. Hierauf lange Verhandlungen über Böhmen und Mähren, wobei ein Abgeordneter Jeiteles aus Olmütz sagte: er wünsche, daß das Jahr so fruchtbar sei an Getreide und Kartoffeln — wie an Reden. Allerdings werden mit diesen, und mit Erklärungen und Proklamationen der Versammlung, die großen Gegensätze und Zwistigkeiten der Tschechen und Deutschen nicht ausgeglichen werden. Hofft man indessen davon Trost und Hülfe, so mag man sie (vorsichtig gefaßt) immerhin ergehen[S. 58] lassen. Weit heftigerer und ungebührlicher Streit und Lärm erhob sich über die Frage: ob die erwählten Abgeordneten für den deutschen Theil Polens sollten zugelassen werden. Die Linke, welche gern Händel für die Deutschen in Schleswig suchte, will (die Polen unverantwortlich und inconsequent mehr begünstigend) jene Abgeordneten ausschließen. Endlich wurden sie vorläufig zugelassen, die staats- oder völkerrechtliche Frage aber an den Ausschuß verwiesen, wo ich darüber mitsprechen und entscheiden muß. Gewiß ist bei dieser Thätigkeit und Mühe mehr Zusammenhang und Erfolg, als bei der Rederei in den verschiedenen Quasiklubs. Doch mag dies als Ableiter dienen, sonst würden sich noch Mehre in der Hauptversammlung vordrängen. Man sollte, da die Redelustigen jede ihrer Reden doch wohl auf 5 Thlr. Werth schätzen, diese Summe (etwa für die deutsche Flotte) abfordern, um diese flott zu machen oder den Andrang zu vermindern. — Merkwürdig, daß bei jener Polenfrage die Ansicht der Funfziger von der Linken als maßgebend hervorgehoben wurde, während kein Redner der Aufnahme Posens in den deutschen Bund durch die Bundesversammlung erwähnte.

Es war im Hirschgraben wieder, in meiner Abwesenheit, davon die Rede gewesen, daß ich ein Programm für die Gesellschaft entwerfe. Bei meiner Abneigung gegen bindende Glaubensbekenntnisse und[S. 59] gegen den Schein, als wolle ich mich der äußersten Rechten unbedingt anschließen, lehnte ich den Antrag ab. Ebenso den Vorschlag Lichnowsky’s: drei Männer (darunter ich) sollten zwei verschiedene Gesellschaften sogleich besuchen und bis morgen entscheiden, ob und welcher man beitreten, oder ob man fernerhin im Hirschgraben weiter beisammen bleiben wolle. Eine solche Diktatur dreier Männer, ohne Rückfrage und nähere, nochmalige Berathung, würde sich gewiß keiner langen und allgemeinen Beistimmung erfreut haben. Lichnowsky’s Weissagung: die Gesellschaft im Hirschgarten werde sich auflösen, hat indeß guten Grund. Denn die Leute wollen lieber Alles durcheinander durchplaudern, und die politische Weisheit gleichzeitig mit Wein, Bier, Punsch, Beafsteaks, Cotelettes, Kartoffeln und Cigarren hinunterschlucken. Mir ist (nachdem ich des Tages Last getragen) solch Pandämonium für Leib und Seele unbequem, wo Kellnergeschrei und Teller- und Gläsergeklapper, die Janitscharenmusik zu der eingebildeten demosthenischen Weisheit bildet.

Die Gesellschaft im Hirschgraben (um nochmals darauf zurückzukommen) gilt, obwohl mit Unrecht, für die äußerste Rechte, zu welcher sich die Meisten so wenig bekennen wollen, als zur äußersten Linken. Deshalb wird sie sterben, und jeder Gemäßigte sich anderwärts anschließen, wenn er überhaupt das Be[S. 60]dürfniß fühlt sich einzupferchen. Lichnowsky ist nicht ohne Geist und Rednertalent, aber viel zu ungeduldig und leidenschaftlich. Wäre Arnim kein Graf, so würde man seine Vorzüge mehr anerkennen. W. ist bereits verbraucht, weil er sich vordrängte; v. S. hatte kein Talent zu präsidiren und die Leute in Thätigkeit zu versetzen. — Allerdings wird die einigere, jedes Mittel anwendende äußerste Linke, sich länger halten, als die äußerste Rechte; wenn aber kein Krieg und kein einschüchternder Krawal eintritt, bleibt sie gewiß in der Minderzahl. Gestern machte — den Vorschlag, den Herzog von Limburg (d. h. den König der Niederlande) sofort über sein Benehmen gegen dies Land, gleichsam studentenmäßig zu coramiren und zu so vielen Händeln, noch eine Maulhelden-querelle d’Allemand anzufangen. Bei der Abstimmung erhob sich jedoch (die Versammlung ist bereits gewitzigt) außer — nur Einer für den Aberwitz.

Den 6. Junius.

Gestern Nachmittag erhielt ich zu großer Freude Euern den dritten Nachmittags zur Post gegebenen Brief. Wäre nur der Zustand Berlins erfreulicher. So lange man jeden Unruhstifter gewähren läßt, anstatt ihnen muthig entgegenzutreten und sie zu bestrafen, oder kurzweg auszuprügeln, werden die Verhältnisse nicht besser werden. Hoffentlich wächst den Stadt[S. 61]verordneten der Muth, und die akademischen Behörden schicken Die unerbittlich fort, welche die Gesetze übertreten.

Ich bin in einem Lebensalter, wo man eben nichts mehr zu hoffen und zu fürchten hat, und werde also über alles Das, was von Außen mir widerfährt, Haltung und Gemüthsruhe nicht verlieren; aber ebensowenig mich feige auf die Flucht legen. Ich werde mich nicht vordrängen und überschätzen, aber ebensowenig schweigen, oder Halbheiten auskramen, oder mich verblüffen lassen, wo es darauf ankommt rücksichtslos die Wahrheit zu sagen. Das ist, mit Verschmähung aller Heuchelei und Künstelei und Superklugheit, mein unbedingter Grundsatz gewesen, das ganze Leben hindurch. Und ich bin, vermöge desselben, auch besser hindurchgekommen, obenauf geblieben und selbst von Gegnern mehr geehrt worden, als wenn ich mich auf eine Art Diplomatik gelegt hätte, die meiner Natur zuwider ist.

Von Balan lieh ich mir ein Buch vom Grafen de la Garde über die Frivolitäten des wiener Congresses, geschrieben mit dem Glanze oberflächlicher Hofschranzerei und plattirter Nichtigkeit. Es thut eine furchtbare Wirkung, wenn man gleichzeitig an die jetzigen Zustände Wiens denkt.


[S. 62]

Siebenter Brief.

Frankfurt a. M., den 7. Junius 1848.

Der Antrag, welchen ich meinem letzten Briefe beilegte, über die Errichtung einer engern Regierungsgewalt, ist von großer Wichtigkeit und bedeutenden Folgen. Deshalb sagen Einige: man hätte ihn gar nicht machen sollen, da die bisherigen Mittel und Formen zu den angestrebten Zwecken hinreichten, die Entwerfung und Annahme einer neuen deutschen Verfassung abzuwarten ist, und die Gewalt der (ohnehin zu anmaßenden) Reichsversammlung dadurch übermäßig erhöht wird. Denn die drei Direktoren verwandeln sich gewiß bald in gehorsame Diener der Versammlung; was in letzter Stelle zum Widerspruch der einzelnen Staaten und zum Verfehlen der bezweckten Einigkeit führt. — Diese Ansichten und Gründe entbehren keineswegs aller Wahrheit; es ist aber bei der jetzigen Stimmung der Versammlung ganz unmöglich, dieselben durchzusetzen, und die Ernennung einer Regierungsbehörde ganz zu vermeiden. Man muß diese, als einen auf wenige Personen zusammengedrängten Bundestag betrachten, und die Wahl auf Männer allgemeinen Vertrauens richten, oder (da dies so häufig wechselt) auf Männer solcher[S. 63] Geistes- und Willensstärke, daß sie sich Ansehen erzwingen. Die Besorgniß, daß sich die zwei andern Direktoren, stets wider den preußischen vereinigen würden, ist bei der jetzigen Lage Österreichs wohl nicht zu befürchten. Eher dürfte Preußen oft in der Minderzahl bleiben, wenn man die Zahl der Direktoren auf fünf erhöhte. — Hoffentlich hält sich die Versammlung in den ihr (obwohl etwas zweideutig) gesetzten Schranken, und lähmt nicht die Wirksamkeit und nothwendige Unabhängigkeit durch stetes Einreden und die sonst so lebhaft getadelte Vielregiererei. Mehr hievon, wenn die Sache in der Versammlung zur Berathung kommt.

Für die schwierige und mit Worten nicht zu lösende Frage: „über die Verhältnisse der Slaven zu den Deutschen in den österreichischen Staaten“, ward heute ein besonderer Ausschuß ernannt, und dabei geltend gemacht, daß die bedrängte österreichische Regierung einer deutschen Unterstützung bedürftig sei und sie verdiene. N. wollte hierauf entwickeln, was sich, besonders hinsichtlich Italiens, gegen die österreichische Regierung sagen lasse, und sprach dabei von ihrer Thorheit. Dieser Ausdruck ward von Etlichen, selbst vom Präsidenten gerügt. Anstatt ihn sogleich zurückzunehmen oder höflich zu berichtigen, suchte er seine Angemessenheit zu erweisen; was jedoch zu lebhafterem Widerspruche, beson[S. 64]ders seitens mehrer Österreicher führte und seine Sache immer mehr verdarb. — So hat er durch ein der Wahrheit nachtrachtendes, aber zu schroffes, unvermittelndes Verfahren, sich Das zugezogen, was ich ihm vor drei Tagen buchstäblich weissagte.

Bei einem andern Zwischenspiel offenbarte sich wieder einmal die, anderes Böse bezweckende, Abneigung gegen Preußen. Robert Blum (und ähnlich gesinnt zeigen sich mehre sächsische Abgeordnete) behauptet von einem (nicht genannten) Minister gehört zu haben: daß Preußen mehren deutschen Staaten den Rath gegeben, durch landschaftliche Versammlungen, die Wirksamkeit der frankfurter zu vernichten oder sie gewissermaßen zu sprengen. — Wäre ein ähnlicher Rath gegeben, so könnte es nur den Sinn haben, die allgemeinen deutschen Rechte und die der einzelnen Staaten in ein richtiges Verhältniß zu bringen. Nun übergiebt aber ein preußischer Abgeordneter ein amtliches Schreiben unseres (verantwortlichen) Ministers der auswärtigen Angelegenheiten des Hrn. v. Arnim, worin dieser feierlich läugnet, daß jemals Schreiben in jener Beziehung erlassen worden. — Ueberdies behauptet R. Blum: sein ungenannter Minister (oder, wie jetzt die Sachen stehen, seine Klatscherei) verdiene ebenso viel Glauben. Man hat ihn aber hiemit nicht durchgelassen, sondern darauf gedrungen, daß er Beweise beibringe,[S. 65] damit man sehe, wo das Unrecht stecke, bei Arnim, dem Unbekannten, oder R. Blum.

Den 8. Junius.

Gestern war ein wunderschöner Abend; ich ging um einen Theil der mit Gärten und schönen Anlagen umgebenen Stadt. Blühende Rosen und Sträucher, Bäume noch im frischesten Grün, und eine Himmelspracht und Glut, die nicht glänzender sein konnte. Solche erheiternde und beruhigende Augenblicke thun hier wahrlich noth.

Viele preußische Abgeordnete sagen: Preußen ist überall (besonders in Sachsen und Süddeutschland) so unbeliebt, so verläumdet, so verhaßt, daß man schlechterdings schweigen muß, um das Uebel nicht noch zu erhöhen. Jedes bestimmtere Auftreten, jedes zur Vertheidigung gesprochene Wort hat gefährliche Wirkungen und kann Alles verderben. — Ich habe zeither dieser Schlußfolge widersprochen, mich aber dennoch ihr murrend gefügt. Das muß aber ein Ende nehmen. Täglich wird Preußen angegriffen und verdächtigt, täglich muß man sich von Maulhelden behandeln sehen, als wäre man angesteckt, verpestet, von Gewissensbissen geplagt, und wohl gar noch dankbar für die verdiente, gnädige Strafe. Seit 14 Tagen sitze ich überbescheiden da, wie ein stummer Hund, der nicht bellen kann. Meine Geduld ist zu Ende, und ich werde Gelegenheit suchen[S. 66] und finden, meinen Mund aufzuthun. Die Champagnerflasche ist nicht flattirt, sonder injuriirt und der Pfropfen muß heraus. Für das Ganze kann daraus nichts Böses folgen; mein Gewissen spricht mich frei, und Zischen und Trommeln soll mich nicht abhalten, nach Dr. Luther’s Spruch zu verfahren.

In der heutigen Sitzung wurden Berichte der Ausschüsse vorgetragen über Schleswig-Holstein, Luxemburg und die zu gründende deutsche Flotte. Hierauf Verhandlungen, ob die Reichsversammlung in Frankfurt sicher sei, zu ihrer Sicherung Vorkehrungen zu treffen, Commissionen zu ernennen, oder mit dem hiesigen Magistrate Verhandlungen zu eröffnen. Alle Vorschläge wurden zuletzt abgelehnt, weil die Gefahr nicht erwiesen, Furcht nicht zu zeigen und Verhandlungen mit dem (wohlgesinnten) Magistrate überflüssig, oder der Versammlung nicht würdig seien. Beiläufig kam zur Sprache daß man, nöthigen Falls, die Versammlung nach Erfurt, Nürnberg, Regensburg, Wien verlegen solle.

Nochmals Vorträge über R. Blum’s Anklagen. Er wiederholt, daß das Vorgebrachte, ihm und zwei namhaft gemachten Zeugen von einem Minister gesagt worden. Nachdem Auerswald und Lichnowsky gegen, Schaffrath für ihn gesprochen, nahm die widerwärtige Erörterung (über welche noch Unzählige sprechen wollten) ein unentscheidendes Ende.


[S. 67]

Achter Brief.

Frankfurt a. M., den 9. Junius 1848.

Ihr glaubt nicht, welche Anzahl von Anträgen und Gesuchen bei der Versammlung eingehen! Alles, vom Größten und Wichtigsten, bis zum Kleinsten und Unbedeutendsten, wird zur Sprache gebracht; die Abgeordneten hätten damit bis zum jüngsten Tage zu thun und würden dennoch nicht fertig! Indessen dient dies andererseits dazu, auf unsere Hauptaufgabe hinzuweisen, und die Thätigkeit des Verfassungsausschusses zu erhöhen. Die (deutsche) Breite, welche man mit Recht unseren alten Behörden zum Vorwurf machte, thut sich jedoch auch hier schon kund, und hindert regelmäßige schnelle Fortschritte. Wenige haben das Talent gut den Vorsitz zu führen; oder wer dasselbe geltend machen will, verletzt die breitspurigen Redner, oder Kohlmacher. Für die Klubs und die Rederei spät Abends, wird von Manchen noch fleißig geworben; während Andere allmälig den Geschmack und den Glauben daran verlieren. Man bedenke, Sitzung 5–6 Stunden, Ausschuß 2–3 Stunden, Lesen der Drucksachen eine Stunde;[S. 68] und nun soll nach 9–10 Stunden ernster Anstrengung und Berathung, ein abgeklatschtes Da Capo angeblich nützen, belehren, erfreuen. Credat Judaeus Apella. Mir genügt Abends das Gespräch mit wenigen Personen, und dann um 10 Uhr zu Bett. Deshalb entschuldigte ich mich gegen B., bei Herrn B. einer Gesellschaft von Herren und Damen beizuwohnen, welche um die Zeit beginnt wo ich mich zu Hause nicht festlich ankleide, sondern bequem auskleide, und welche um die Zeit am lebhaftesten ist, wo ich am festesten schlafe. — Ecce signum, den alten Mann! Und wenn er auch das Alles noch mitmachen könnte, so will er es aus Gründen nicht, die ihm vollkommen genügend erscheinen.

Gestern Abend ward ich im Schwane nochmals dringend aufgefordert, Preußen wie ein noli me tangere zu betrachten und zu behandeln. Nun, ich will den wohlgemeinten, wiederholten Rath nicht unberücksichtigt lassen, Niemand angreifen, Niemand verletzen, von den zu Gebote stehenden Kriegsmitteln wenig Gebrauch machen; obgleich dies heißt: mit halbem Winde segeln und mit Hemmschuhen fahren.

Das Liebäugeln der Franzosen mit Deutschland erinnert an das Timeo Danaos dona ferentes, und die republikanisch-polnische Partei würde Deutschland[S. 69] opfern, angeblich um Polen herzustellen. Diese Freundschaftsversicherungen aus Norden und Süden, erinnern 1848, an das Jahr 1648 wo Deutschland so heruntergekommen war, daß es sich seiner eigenen Zerstückelung fast freute. Nur noch ein Jahr europäischer Friede, dann wird (ich hoffe es) der gesunde Menschenverstand der Deutschen obenauf bleiben. Krieg zerstört alle unsere hiesigen, ja alle guten Bestrebungen, und führt nicht (wie Einige und die Eifrigsten leider wähnen) zu republikanischer Freiheit, sondern durch Anarchie hindurch zur Despotie, oder — zur entsetzlichen Theilung Deutschlands! — Unter so vielen, fieberhaft aufregenden Sorgen, habe ich die erste, große Freude darüber gehabt, daß der berliner Reichstag, Camphausen’s Rede über den Prinzen von Preußen so theilnehmend und beifällig aufgenommen. Auch die edle Prinzessin erblickt endlich an ihrem einsamen Strande, die tröstende Morgenröthe. — — — — Könnte man sich wundern daß hochgestellte Personen, wenn sie derlei Erscheinungen erleben, zu Menschenhaß aufgeregt, oder doch gegen Lob und Tadel gleichgültig würden?

Wie ich, in den Augen gewisser Leute, binnen Jahresfrist aus einem ultra-liberalen Rebellen, ein knechtischer Royalist geworden bin; so wird man mir vorwerfen aus einem Polenfreunde (siehe meine[S. 70] Schrift über den Untergang Polens und meine geschichtlichen Beiträge) ein Polenfeind geworden zu sein.

Ich höre mit Schrecken, daß Jemand einen Plan entworfen, wie die Paulskirche im Winter am besten zu heizen sei; doch hoffe ich es soll nur ein Schreckschuß sein, um auf die Nothwendigkeit raschen Fortschritts hinzuweisen. Mehre Abgeordnete lassen ihre Frauen nachkommen; gut für jene, während die Frauen viel allein sein werden.

Den 10. Junius.

Gestern war eine sehr wichtige und anziehende Sitzung, welche nur durch die eigensinnige Forderung der Linken, über eine Frage durch namentlichen Aufruf abzustimmen, einen höchst langen und langweiligen Anhang bekam. Sie dauerte von 9–4 Uhr, und betraf die schleswig-holsteinische Angelegenheit. J. und B. sprachen in revolutionair-heftiger Weise, z. B. es komme auf geschichtliche und bestehende Rechte gar nicht an; man habe sich (d. h. die 50 und das Vorparlament) Rechte genommen: was denn freilich die Rechtsfrage zur Seite wirft, und sich ganz auf den Boden der Macht und Gewalt hinstellt; welche praktisch geltend zu machen, es uns aber eben an genügenden Mitteln fehlt. G. hatte freilich ein Universalmittel in der Tasche, oder sprach es vielmehr mit erstaunlichem Glauben an seine Wirksamkeit laut[S. 71] aus: „die Versammlung möge beschließen, es solle sich niemals eine fremde Macht in die deutschen Angelegenheiten mischen!!!“ — Die Versammlung war aber doch zu praktisch, auf einen solchen unpraktischen und nutzlosen Antrag einzugehen. Ebensowenig wirkte seine angebliche Entdeckung, daß auch die Jütländer zum deutschen Stamme gehörten. — Dahlmann sprach gemäßigt; Waitz sehr verständig, besonders gegen jene Revolutionaire; Heckscher aus Hamburg scharfsinnig und muthig; mehre Schleswiger rhetorisirend um dadurch die, gewöhnlich bei schwachen Constitutionen durchschlagende, Wirkung hervorzubringen.

Endlich habe auch ich meine Jungfernrede (maiden speech) halten müssen! Da ich sie, nach meiner Weise vorher weder auswendig gelernt, noch niedergeschrieben hatte, so bleibt der anliegende stenographische Bericht (trotz seiner Mängel) die beste Quelle. Weil die Zeit beschränkt war, und so viele Redner herzudrängten, so habe ich kaum die Hälfte von Dem gesagt, was ich eigentlich sagen wollte, und dem „höre bald auf,“ Folge geleistet. Ich will, trotz der Bravos am Schlusse, nicht sagen daß meine Rede allgemeinen Beifall gefunden; die mitgetheilten Thatsachen erweckten aber allgemeines Interesse, und selbst Anführer der Linken bezeugten, ich hätte gesprochen mit Anstand und ohne zu verletzen. Viel[S. 72]leicht mißbilligen eher einige Mitglieder der äußersten Rechten, daß ich rücksichtslos Wahrheiten ausgesprochen, die sie lieber verheimlichten. Mir behagt aber weder der tölpelhafte Enthusiasmus der äußersten Linken, noch die rückhaltende Diplomatik mancher ihrer Gegner. Ich gehe, ungestört durch Beifall oder Mißfallen, den Gang, welchen ich für den rechten halte. Ich hoffe Ihr seid bereit mitzugehen.


Neunter Brief.

Frankfurt a. M., den 11. Junius 1848.

Ich muß noch einmal klagend auf die namentliche Abstimmung am neunten zurückkommen. Die Frage war: sollen die Friedensschlüsse zwischen Deutschland und Dänemark dem verfassenden Reichstage zur Bestätigung vorgelegt werden? Die eine Partei sagte Ja! weil dadurch die deutsche Ehre besser gewahrt und die Macht der Versammlung erhöht wird. — Die zweite Partei entgegnete: Nein! weil jenes Geschäft gar nicht zum Wirkungskreise der Versammlung gehört, und sie dadurch denselben ungebührlich, eigenmächtig und gefährlich erweitern würde. Wenn unsere Gegner ferner sagen, daß die Sache selbst hie[S. 73]durch gewinnen werde, so wollen wir nicht den Satz umkehren und sagen, daß ihr dadurch geschadet werde; wohl aber müssen wir darauf aufmerksam machen, daß die diplomatischen Verhandlungen hiedurch weitläufiger und erschwert werden; ja zu besorgen ist, daß das englische Ministerium (insbesondere der entschlossene Vermittler Lord Palmerston) nicht geneigt sein dürfte, sich in Frankfurt anmaßlich beurtheilen zu lassen und gleichsam auf den Moquirstuhl zu setzen. Ohnehin werden die befreundeten Mächte, vor allen Preußen, von selbst Das durchzusetzen suchen, was der Reichstag wünscht und bezweckt. — So in aller Kürze die Gründe und Gegengründe.

Sehr gescheit verlangte die Linke den namentlichen Aufruf; denn sie harrte muthig aus, während Viele der sogenannten Wohlgesinnten das Mittagsessen vorzogen und davongingen! Ferner (eine höchst jammervolle Erscheinung) stimmten beim Aufstehen nur etwa 70 höchstens 100 für Ja! während sich diese Zahl (und hierauf hatte die Linke gerechnet) beim namentlichen Aufrufe bis zu 200 erhöhte!! So die Wirkung erbärmlicher Furcht, und des Wunsches sich bei den unwissenden und aufgeregten Massen beliebt zu machen!

So schwierig auch die Lage Preußens erscheint, ist doch die Österreichs viel verwickelter und schwieriger. Allerdings macht uns schon der kleine polnische[S. 74] Bestandtheil viel Noth; wie soll aber Österreich seine Völkermusterkarte in einem Augenblicke beisammen erhalten, wo man bis zur Übertreibung auf Sonderung der Völkerstämme dringt. Die wiener Anarchie wird ein Ende nehmen, denn das Deutsche findet sich wieder zum Deutschen und verständigt sich. Wie aber den Haß der slavischen Stämme gegen Deutsche und Ungarn aussöhnen? Wie Böhmen und Mähren bei gemischter Bevölkerung behandeln und sondern? Ist es räthlich und möglich ein großes Slavenreich zu bilden und dem russischen entgegenzustellen? Oder wird dies Alles verschlingen? Reichen besondere Verfassungen und eigenthümliche Einrichtungen aus, um die Aufgeregten zu beruhigen, welche eine allgemeine Verfassung für unmöglich und unklug halten? Könnten drei österreichische Prinzen, Könige der Ungarn, Slaven und Deutschen, und doch eine Art von Mittelpunkt für Alle gefunden werden! — So drängen sich unzählige Fragen, deren Beantwortung aus der Ferne und auch wohl in der Nähe unendlich schwer ist, und deren Lösung Niemand vorhersehen kann. Gewiß wird die alte Mischung nicht fortdauern, oder nicht herzustellen sein.

Muthigere Österreicher erklären sich günstiger über Hergang, Zusammenhang und Zukunft. Österreich, sagen sie, war ein Conglomerat von Staaten, hauptsächlich zusammengehalten durch ein Netz von Beam[S. 75]ten und Soldaten. Nur diese nannten sich Österreicher; alle andern Personen nannten und fühlten sich dagegen nach ihrem Geburtslande, als Böhmen, Mähren u. s. w. Dies Gefühl, diese Richtung ward verstärkt, weil die österreichische Regierung (abweichend von Preußen) auch die geistige Bildung und Entwickelung hemmte und verknechtete. Nur innerhalb der Nationalitäten verstattete man eine etwas größere Freiheit, schon weil weniger Personen böhmisch, ungarisch u. s. w. lasen, als deutsch. Gutentheils daher der Eifer für jene volksthümliche Literaturen, und eine steigende Begeisterung für nationales Abschließen. Man darf sich nicht wundern, daß nach so lang getragenen, endlich gebrochenen Fesseln, das richtige Maß überschritten wird, und man über Weg und Ziel nicht im Klaren ist. Allmälig bessern sich diese Verhältnisse, den einzelnen Völkerstämmen wird und muß man einen großen Theil der Selbstregierung überlassen; dann kehren alle ihre Blicke wieder auf den alten Mittelpunkt, und Österreich wird (gereinigt von alten und neuen Hemmnissen und Irrthümern) sich mächtiger erheben, denn zuvor. Daß sich alle Slaven an Rußland anschließen würden, ist nicht zu befürchten, und die große Überzahl der Bewohner Galiziens ist mehr österreichisch, als polnisch gesinnt. Ein österreichischer Offizier fragte einen Haufen bewaffneter galizischer Landleute: was habt ihr vor? —[S. 76] Wir wollen die Polen todt schlagen. — Ihr seid ja selbst Polen. — Nein, die Edelleute sind Polen; wir sind österreichische Bauern. So die galizischen Vorübungen zur Herstellung der sogenannten polnischen Republik.

Den 12. Junius.

Nachdem ich bei einem langen Jammer- und Jeremiadenduett mit — willig die zweite Stimme gesungen, bin ich ihm wegen seiner bloßen Verneinungen zu Leibe gegangen. Niemand läugne die Krankheit; es handele sich aber für den angestellten Arzt nicht blos davon, gleichgültig oder verzweifelnd zu sagen: du mußt sterben! sondern Heilmittel aufzusuchen und anzuwenden. Der jüngste Tag sei doch noch nicht vor der Thür, und die Kinder und Kindeskinder würden dereinst mit großem Rechte die Väter und Großväter tadeln können, wenn diese nichts zum Vorschein gebracht, als ein endloses, fruchtloses, langweiliges OJe und OWeh! Hat man nicht 1813 sich auch aus einer dunkeln Nacht wieder zum Tage emporgearbeitet? Und kann man die Übel nicht vertilgen, so kann man sie doch mindern, oder mit der Beruhigung untergehen, seine Pflicht nach Kräften erfüllt zu haben.

Daß die Polen einen Krieg mit Rußland wünschen, ist natürlich genug; wie ihn aber ungerüstete Deutsche jetzt betreiben können, ist völlig unbegreif[S. 77]lich. Auch wissen sie dafür nicht den geringsten vernünftigen Grund anzugeben. Denn daß dereinst (bei wichtigeren Veranlassungen und in günstigerem Augenblicke) möglicherweise ein Krieg eintreten könne, ist kein vernünftiger Grund für einen jetzt unvernünftigen Beschluß. Erst bin ich Deutscher und Preuße, — und nicht polnischer Edelmann.


Zehnter Brief.

Frankfurt a. M., den 12. Junius 1848,
Nachmittags 5 Uhr.

Die Krawalls, welche alle Länder durchziehen und auch uns wie Gewitterwolken umringen, haben gestern Abend in Offenbach eingeschlagen. Hessische Soldaten verlangen Urlaub, und gehen (als er ihnen abgeschlagen wird) eigenmächtig davon. Nach ihrer Rückkehr werden sie, ganz von Rechts wegen, eingesperrt. Nicht blos ihre Kameraden, sondern auch andere Leute suchen sie mit Gewalt zu befreien. Man ist gezwungen nachzugeben; doch war die Zügellosigkeit oder die Übereilung der Art, daß geschossen ward und Etliche leichtere oder schwerere Wunden davontrugen. Gestorben ist noch Keiner; das Ereigniß wird man aber ohne Zweifel ausbeuten zur Erhöhung der Leidenschaften und als Vorübung zu größeren ge[S. 78]setzwidrigen Unternehmungen. Hat man doch Hecker zum Abgeordneten gewählt und es stehen uns hier Scenen bevor, denen ähnlich, welche in Berlin über die Barricadenhelden eintraten.

Die, man möchte sagen unmoralisch angetrunkene, Dummheit billigt leider jetzt Alles unbesehens, was gewisse Leute in einer bekannten Richtung vorbringen. Hr. B. erzählte: solchen Volksschwadronören werde stets ein lautes Bravo zugerufen, und wenn man frage: was hat er gesagt? erhalte man zur Antwort: wir haben nichts gehört.

Bei jener Auflösung aller kriegerischen Zucht, bei der Vernachlässigung aller deutschen Kriegsvorbereitungen (welche General Peuker nächstens öffentlich darlegen wird), schreien die Maulhelden nach Krieg. Gestern sagte mir Hr. v. —: Wir müssen einen Krieg mit Rußland haben. — Warum? — Wir müssen einen Krieg mit Rußland haben. — Geben Sie mir gefälligst Ihre Gründe an. — Wir müssen einen Krieg mit Rußland haben. — Weiter war aus dem Manne kein Wort herauszubringen. — Krieg führen und Fasanen verspeisen, scheint ihnen gleich leicht und erfreulich zu sein. Solche horntolle Leute mag es beim Anfange des 30jährigen Krieges auch gegeben haben. Und doch waren damals mehr Gründe zu Gegensätzen und Gewalt vorhanden. Absit omen!!

[S. 79]

Den 13. Junius.

Die Hitze erlaubte gestern nicht, Landvergnügungen in der Ferne aufzusuchen; deshalb ging ich mit L. in das, selbst am zweiten Pfingsttage nicht gefüllte, kühle Theater. Da es keine Zuschüsse erhält und jetzt wenig besucht ist, wird es Bankerott machen oder zu Herabsetzungen der Gehalte schreiten müssen. Wir sahen zuvörderst Wallensteins Lager gut in Scene gesetzt und ganz gut gespielt, so der Wachtmeister Hr. Reger, die Marketenderin Dem. Lindner, der Kapuziner Hr. Hassel. Eine ausgezeichnet schöne Stimme und natürliche Sprechweise hatte der wallonische Kürassier Hr. Breuer. Ich wundere mich jedesmal wieder, daß Schiller dies, von allen seinen anderen so abweichende, gelungene Werk zu Stande gebracht hat, im Wallenstein selbst aber keine Spur dieser einwirkenden Lebensverhältnisse hervortritt. Für unsere Zeit sollte dies Lager Lehre geben; denn wenn man noch länger die Freiheit auf dem Wege des Aufstandes sucht, und die Heereszucht befeindet oder untergräbt, wird die Tyrannei der Kriegsfürsten und Soldaten, sowie die Sklaverei der Bürger und Bauern nicht ausbleiben. — Dem Lager folgte die Schulstube, nach dem Französischen, mit vielen Anspielungen auf die jetzige Zeit, oft gut und treffend. Das Ganze sehr ergötzlich und zum Lachen.

Heute Vormittag besuchte ich zunächst den polni[S. 80]schen Grafen P., der mich verfehlt hatte. Er gehört zu den thätigsten Beförderern der Herstellung Polens, und ich habe mein Möglichstes gethan, ihn, in dreistündigem lebhaften Gespräche, von unausführbaren Phantasien zurückzubringen und auf den Standpunkt des praktischen Staatsmannes zu stellen. Er blieb lange dabei: die polnische Nation verlange, daß das ganze Herzogthum Posen lediglich von Polen regiert, und die Deutschen ihrer Botmäßigkeit unterworfen würden. Die alte Landesgränze entscheide, und auf eine eingedrungene, oder eingeschmuggelte deutsche Bevölkerung (meist Beamte) komme es gar nicht an. Die deutschen Abgeordneten Posens möge man nicht zulassen, sondern (wenigstens provisorisch) ausschließen, und die Angelegenheiten des Herzogthums durch drei hier erwählte Polenfreunde ordnen lassen. — Ich erinnerte zunächst an meine für Polen günstige Schrift, und dass ich nicht die Sünden seiner Bewohner, die wesentlich zur Theilung beigetragen, aufzählen wolle. Von 1756 bis 1763 habe Polen den Feinden Preußens allen Vorschub geleistet, sei nichts gewesen als eine russische Landschaft, und 1772 habe sich Friedrich II. gegen eine Wiederholung dieser Übelstände und Feindseligkeiten schützen wollen. Wenn (fuhr ich fort) Ihre Anträge im Ausschusse zur Berathung kommen, werde ich dagegen stimmen, als Freund der Deutschen und der Polen. Um einige[S. 81] Hunderttausend Deutsche unter polnische Gewalt zu bringen, verscherzen sie leichtsinnig und muthwillig die Theilnahme von Millionen; sie trachten verkehrterweise sich einen Bestandtheil anzueignen, der ihnen immer feindlich bleiben und ihre Entwickelung hemmen wird. Auf die alte Landesgränze kommt jetzt (wo überall und übertrieben die Nationalitäten hervorgerufen werden) gar nichts an, und die deutsche Bevölkerung ist da und muß anerkannt werden, und wäre sie auch vom Himmel ins Herzogthum Posen hineingeregnet. Sie hoffen auf den Beistand der hiesigen Linken; sie blamirt sich, wird unfolgerecht und richtet ihren eigenen Boden zu Grunde, wenn sie die Deutschen, um der Polen willen, feige oder fanatisch preisgiebt. Ordnen Sie das rein polnische Posen und Galizien; streiten Sie nicht um ein Paar Dörfer oder Quadratmeilen, hemmen Sie nicht durch Umtriebe aller Art die Entwickelung Deutschlands und Preußens, drängen Sie nicht zu einem Kriege, für den man keineswegs genügend gerüstet ist; lassen Sie uns Zeit, uns zu ordnen und zu stärken; wirken Sie durch Mäßigung, daß eine jetzt nicht mehr vorhandene Theilnahme für Polen zurückkehrt, und man (wie früher) die Gefahr wieder ins Auge faßt, welche von Rußland droht. Überwerfen Sie sich nicht ohne Noth mit den Regierungen und den Völkern Preußens und Österreichs, halten Sie nicht frankfurter De[S. 82]klamationen für allmächtig; hoffen Sie nicht zu viel von der unsichern Regierung Frankreichs, das zuerst an sich, und nur beiläufig (wie einst Napoleon) an Polen denkt.

Meine aufrichtigen Worte (ich sprach im Eifer fließender Französisch, als wenn bloße caquetage verlangt wird) schienen einigen Eindruck zu machen. — Auf dem Wege, den Sie betreten, schloß ich, wird Polen nicht hergestellt, vielleicht aber Deutschland zu Grunde gerichtet und getheilt.

Mein Vortrag über Schleswig, sagen Mehre, habe (durch die Kraft der Tatsachen) erheblich auf das Durchgehen eines gemäßigteren Beschlusses gewirkt. Nun so hätte ich den Tag nicht verloren und meine Diäten verdient. —

Die wichtigen Angelegenheiten treten immer wieder und immer mehr in den Vordergrund, lassen sich immer weniger nach allgemeinen Grundsätzen entscheiden, lassen kaum das Wahrscheinliche vom Unwahrscheinlichen, das Mögliche vom Unmöglichen unterscheiden. Wir segeln mit vielerlei Winden, und müssen zufrieden sein, wenn wir nur in irgend einen Hafen einlaufen.

[S. 83]

Den 14. Junius.

L. kehrt heute zu seinen Vorlesungen zurück. Mir liegt alles Universitätswesen jetzt so erstaunlich fern, als hätte ich nie mitgespielt und würde nie wieder mitspielen. — Welch ein Wechsel der Ansichten und Verhältnisse! Mit wie jugendlicher Begeisterung spricht Joh. Müller von seinen göttinger Lehrern; er nennt vertrauensvoll, selbst mittelmäßige Leute, groß. Und jetzt: kein Vertrauen, keine Anhänglichkeit, höchstens kalte, achselzuckende Kritik, und ein Hochmuth, dem jede Verehrung als Knechtssinn erscheint. Die Nachwehen äußerer Noth und innerer Leerheit können für allweise, weltregierende Studenten nicht ausbleiben, und die Begeisterung, welche 1813 auch einmal das Studiren unterbrach, war doch so gewiß eine edlere, als der damalige unvermeidliche Krieg über unnöthige und willkürliche Straßenkrawalls und Katzenmusiken hinausreicht.

Hoffentlich ist die, alle gesetzlichen Formen zerstörende Nachricht unwahr, daß Wahlmänner aus eigener Macht ihre Wahl zurücknehmen wollen, sobald der Erwählte einmal nicht ihren Wünschen und Vorurtheilen gemäß stimmt. Sydow und Jonas müssen (wie unter der alten Regierung) muthig ausharren. Das Mißfallen der Straßengesetzgeber bringt ihnen Ehre. — Auch hier ist täglich die Rede von Krawalls, Puffs, Putschs, — und sobald Wähler[S. 84]schaften Leute wie Hecker wählen: was steht uns bevor, wenn sie in die Versammlung aufgenommen und wenn sie hinausgeworfen werden? Ihr seht, ich gerathe ins Melancholisiren, obgleich es erst sechs Uhr Morgens ist. Heute beginnen unsere Sitzungen wieder, und obgleich wir noch lange nicht beim Kaiserschnitt sind, fühlen wir die Wehen schon allzustark.


Eilfter Brief.

Frankfurt a. M., den 14. Junius 1848.

Die Ehre, Mitglied des völkerrechtlichen Ausschusses zu sein, kostet viel Zeit. Denn neben dem Lesen der Akten und Flugschriften, muß man zahlreiche Besuche empfangen. Durch lange Gespräche mit unterrichteten (wenngleich oft leidenschaftlichen) Leuten lernt man indessen mehr und wirkt nützlicher, als wenn man große Reden in den Klubs anhört. Salomo sagt: Alles hat seine Zeit; ich sage dagegen: Manches hat keine Zeit. Oder breiter ausgedrückt: für manches Unvernünftige hat der Vernünftige keine Zeit.

So eben verläßt mich ein Pole, C., mit dem ich ein Paar Stunden lang Gespräche geführt habe, denen ähnlich, welche ich mit dem Grafen P. hatte.[S. 85] Zuletzt bleibt doch etwas hängen zur Beruhigung und unbefangeneren Würdigung der Verhältnisse. Ich will Euch indessen nicht mit Wiederholung der Gründe und Gegengründe ermüden. Hr. C. hob hervor: das ganze Herzogthum Posen müsse beisammen bleiben; das hieß ihm, „unter polnischer Herrschaft,“ welche Jahrhunderte lang für die Deutschen nützlich und bequem gewesen. Ich blieb ihm jedoch keine Antwort schuldig und nannte es thöricht, wenn die Polen, zu eigenem Verderben, den deutschen Bestandtheil mit Gewalt unter sich aufnehmen wollten u. s. w., u. s. w.

Den 15. Junius.

Beim Eintritte in die Paulskirche bemerkte ich gestern mit Vergnügen, daß auf den Grund eines von mir entworfenen und von Mehren unterschriebenen Antrags grüne Vorhänge vor den Fenstern angebracht waren. Die hereinscheinende Sonne oder die weißen Rouleaus blendeten vorher auf unerträgliche Weise.

Die ganze Sitzung handelte von Errichtung einer deutschen Flotte. Bei der allgemeinen und lebhaften Stimmung für eine solche Unternehmung kam die Frage: ob? eigentlich gar nicht zur Berathung, und ebensowenig, wie viel sie, den großen Seemächten gegenüber, dereinst wirken und nützen werde. Der[S. 86] Krieg mit Dänemark hatte zunächst den obwaltenden Mangel hinreichend erwiesen. Ich will Euch nicht mit Mittheilung dessen ermüden, was man über den Bau großer oder kleiner Schiffe, über Zielen, Schießen, Treffen u. s. w. beibrachte, über das amerikanische, englische, französische System des Schiffbaues u. s. w. Ich besorge, daß wenn ein rechter Sachverständiger zugehört hätte, er alle Redenden für Bönhasen und Dilettanten würde erklärt haben. Die Berathung hatte aber, neben dem Technischen, sehr wichtige Seiten. So fragte sich zuerst (oder vielmehr, man fragte nicht viel danach), ob denn die verfassende Versammlung berechtigt sei, Beschlüsse über den vorliegenden Gegenstand zu fassen, ob er überhaupt zu ihrem Geschäftskreise gehöre? Von der laut vertheidigten und anerkannten Volkssouverainetät aus hält man ihre Allmacht für unbestreitbar, und überlegt höchstens, in wie weit man dieselbe will geltend machen. Eine zweite Frage war: ob man vorgehen könne und solle, bevor eine vollziehende Gewalt ernannt und in Thätigkeit, ob die Versammlung derlei Verwaltungssachen zweckmäßig zu führen im Stande sei? Man vereinigte sich dahin: daß die jetzt ergriffenen oder zu ergreifenden Maßregeln nur vorbereitender Art seien, daß man dadurch Zeit erspare, Vertrauen erwecke u. s. w. — Der vollziehenden Gewalt wurde demnächst Alles zur weiteren[S. 87] Ausführung übergeben. Durch den Beschluß: jetzt drei Millionen und später wiederum drei Millionen, nach der zu berichtigenden Bundesmatrikel, aus ganz Deutschland aufzubringen, legte sich die Versammlung zum ersten Male das neue und wichtige Recht bei, Steuern zu bewilligen und auszuschreiben. Der Gedanke: sogleich hier die Besteuerungsweise für ganz Deutschland zu bestimmen, fiel indessen glücklicherweise zu Boden. Er würde zu den lautesten Widersprüchen geführt und sich als ganz unausführbar erwiesen haben. Man überläßt den einzelnen Regierungen hierüber in gesetzlicher Weise das Nöthige zu bestimmen; — und selbst dann wird das Einzahlen jetzt die größten Schwierigkeiten finden. Sehr wichtig ist endlich der Umstand, daß jetzt zum ersten Male für ganz Deutschland ein allgemeiner materieller Zweck vorgesteckt und darüber etwas beschlossen wird, und die Süddeutschen diesmal nicht blos reden, sondern auch zahlen sollen.

Die Linke ergriff wieder den Gegenstand, um zu rhetorisiren und zu frondiren. S., der (laut allen Nachrichten) seine Arbeiter am härtesten behandelt, sprach von ihrer vollständigen Armuth und ihrem Hungern, und zugleich, als wolle man ihnen die Aufbringung der Kosten für die Flotte auflegen. Nachdem ihm diese dumme Rederei das beabsichtigte erste Bravo der Galerie verschafft hatte, folgte (wie[S. 88] vorherzusehen war) eine Anklage der Wohlhabenden, der Reichen und der Fürsten. Deren Einnahmen mit Beschlag zu belegen ist die, gar nicht mehr verborgene, Absicht gewisser Leute. Bei den Fragen über die Fragstellung und die wörtliche Fassung des Beschlusses, bewegte sich der Präsident auf einer Bahn mit Hindernissen, und es gab sich die alte deutsche Schwerfälligkeit und Wortklauberei wieder einmal kund.

Gegen Abend ging ich zum holländischen Gesandten, Hrn. von Scherff, der mich verfehlt hatte. Der Gegenstand des langen Gespräches waren die Angelegenheiten Limburgs, worüber der völkerrechtliche Ausschuß berichten soll. Hievon (da das Verwickelte Euch nicht interessiren kann) für jetzt nur so viel. Der wiener Congreß hat, auf unverantwortliche Weise, Deutschland von der Maaß abgeschnitten, und es zeigt sich keine Möglichkeit in diesem Augenblicke, diese Sünde wieder gut zu machen. Die Einwohner Limburgs sehen umher, wo die Steuern am höchsten sind, in Holland, Belgien oder Deutschland, und möchten deshalb sich ganz diesem anschließen und die Verbindung mit Holland auflösen. Die letzte ist allerdings sehr unbequem, beruht aber auf Verträgen, die man nicht einseitig ändern kann. In wiefern dies, nach Entwerfung einer neuen deutschen Verfassung (z. B. hinsichtlich des Zollwesens) nöthig wird, läßt sich noch nicht übersehen. Man wird zu[S. 89]nächst dies Alles der zu gründenden vollziehenden Gewalt zuweisen müssen, damit sie diplomatische Verhandlungen anknüpfe.

Ich schrieb Euch, daß Hecker für Frankfurt erwählt ward, und lege sein anarchisches, fanatisches, zu Bürgerkrieg hinweisendes Manifest bei. Leider sind aber die so eben erst aus dem Schlafe erwachenden Deutschen zum großen Theile der Meinung: aus völligem Zerstören alles Bestehenden, aus dem anarchischen Chaos, gehe das Eldorado einer beglückenden Freiheit hervor. Sie sehen nicht, welchem Despotismus sie in die Hände arbeiten; die Verführer ahnen nicht, daß eine unerbittliche Nemesis sie erreichen muß, Niemand weiß, ob die hiesige Versammlung den Muth haben wird, H. zurückzuweisen; wahrscheinlicher, daß man den Zurückgewiesenen wieder wählt. — Wo sitzt nun die eigentliche Volkssouverainetät? In den von vielen Millionen („nach der breitesten Grundlage“) erwählten Abgeordneten, oder den von Hecker zusammengetrommelten Crethi und Plethi? — Gott bessere es! — Wir rollen den Stein des Sisyphus! Briefe schreiben ist eine Ableitung des kranken Stoffes; der Stein liegt dann nicht mehr auf der Brust und man kann sich einbilden, ihn eine Zeit lang mit Füßen zu treten.

Die Behandlung Sydow’s und Arnim’s ist skandalös! Wenn nicht Feigheit und böser Wille vor[S. 90]herrschte, müßte man doch einmal irgend einen der nichtsnutzigen Ruhestörer verhaften und strafen können. Man sollte glauben, Polizei, Magistrat, Stadtverordneten, Bürgerwehr wären gar nicht vorhanden. Wie ganz anders benahm man sich in London, und selbst in Paris.

Der zweite preußische Landtag, „auf die breiteste Grundlage gegründet,“ — nimmt sich viel schlechter aus, als der erste; und auf das frühere Lob fremder Völker wird bittere Kritik nicht ausbleiben. Alles zu Allem gerechnet, sind für Frankfurt tüchtigere Männer erwählt als für Berlin, und besonders in den minder zahlreichen Ausschüssen fehlt es nicht an Verstand, Haltung und Mäßigung. — So schön jetzt die nächsten Umgebungen Frankfurts sind, wäre ich doch lieber mit Euch in unserem kleinen Garten. Könnte man nur Auge und Ohr gegen tausend andere Dinge verschließen. Nun genug des Lamentirens, und zum Schlusse das alte Motto: nil desperandum.

Hier ist noch Alles ruhig; die Stimmung aber, besonders gen Baden hin, revolutionair. Vielleicht erhält Frankreich jedoch noch eher einen Herrn, als in Deutschland der republikanische Betteltanz losgeht. Wenn man (wie ich) die nordamerikanischen Freistaaten bewundert, möchte man verzweifeln, wenn man sieht, aus welchen Bestandtheilen man hier[S. 91] Freistaaten errichten will. Tugenden gehören dazu, welche unsere Raisonneure am wenigsten besitzen: Mäßigung und strenge Achtung vor den Gesetzen.


Zwölfter Brief.

Frankfurt a. M., den 15. Junius 1848.

Hierauf ein Besuch des Hrn. Bassermann, den ich verfehlt hatte. Der vernünftige Mann, welcher zuerst den kühnen Gedanken von einem allgemeinen deutschen Parlamente aussprach, wird jetzt auch schon verlästert und verketzert.

Jetzt erschien wiederum ein polnischer Abgeordneter, Graf P. Ich könnte mir einbilden, daß meine immer nachdrücklich wiederholten, dialogischen Vorstellungen Eindruck machten. Wenigstens ward er mit mir einig: die rein deutsche Bevölkerung müsse von der polnischen getrennt und zu Deutschland geschlagen werden. Die gemischte Bevölkerung müsse man nach gütlicher Übereinkunft durch unparteiische Beauftragte, der deutschen oder polnischen Seite zuweisen. Die Festung Posen müsse (selbst zum Besten der Polen) in preußischen Händen bleiben. — Ich will die Gründe für diese Vorschläge nicht wie[S. 92]derholen. Es folgt aber gar nicht daß, was Graf P. heute billigt, ihm nach genommener Rücksprache mit mehr fanatisirten Polen, noch morgen billig und nützlich erscheint. So lauten z. B. die Anträge des pariser polnischen Ausschusses hinsichtlich der deutschen Bevölkerung auf unbedingte Unterwerfung unter die zu errichtende polnische Regierung. Die Juden sollen ferner in keinem Falle der deutschen Bevölkerung hinzugerechnet werden u. s. w. Ich habe übrigens dem Grafen P. offen gesagt, was der Ausschuß wahrscheinlich annehmen und verwerfen dürfte, und für und gegen welche Anträge ich stimmen würde.

Den 16. Junius.

Ich erfuhr gestern, gewiß nicht zu Eurer Freude, daß die Abgeordneten vieler demokratischen Vereine so eben beschlossen haben, Berlin zum Mittelpunkte aller ihrer Bestrebungen zu erheben und Emissaire u. s. w. dahin zu senden, um wo möglich durch ihre anarchischen Bestrebungen den preußischen Staat (der allein noch einige Haltung hat) auseinander zu sprengen. Wenn, wie man erzählt, die berliner Bürgerwehr nur dann einschreiten will, wenn Eigenthum bedroht wird, nicht aber bei politischen Bewegungen (wie gegen Arnim und Sydow), so wäre dies ein höchst einfältiger oder höchst böswilliger Beschluß.[S. 93] Haben denn die politischen Bewegungen nicht schon die Hälfte alles Vermögens hinweggenommen, und ist dem Mißhandelten seine Haut nicht so nahe und noch mehr sein Eigenthum, wie andere entbehrlichere Dinge? Sollen Sydow und Arnim erst klagen, nicht wenn man ihnen den Hut vom Kopfe schlägt, sondern wenn man ihn stiehlt? Die 10 Gebote sind aber freilich auch nicht mehr à la hauteur du jour, wie in der hiesigen Versammlung gehaltene Reden zeigen. — Die Thätigkeit der Demokraten ist ungemein groß, sie haben ein festes Ziel, scheuen kein Mittel, verlocken durch die Aussicht jeden Wohlhabenden nach Belieben zu schatzen, die Fürsten wegzujagen und ihr Eigenthum zu vertheilen. Die matte, feige, wankelmüthige Defensive der Fürsten und Regierungen vertilgt alles Vertrauen, und erhebt noch weniger zu thätiger Begeisterung. Kann man doch in Berlin nicht einmal zu dem in Paris gefaßten, so nothwendigen als löblichen Beschlusse kommen, mit Nachdruck die Straßenunruhen zu beenden und die heillosen Maueranschläge zu verbieten.

Im Badenschen denkt man bestimmt daran, die regierende Familie wegzujagen. Täglich rückt die Gefahr näher. Ein allgemeiner deutscher Bund könnte gewiß monarchische und republikanische Staaten in sich begreifen (wie es ja auch früher der Fall und die Zusammensetzung viel mannigfaltiger war), allein[S. 94] wenn die letzten durch Gewalt entstehen, ist eine Beruhigung und Versöhnung unendlich schwer. Hat man sich nicht 30 Jahre lang bekämpft, bevor man begriff, daß Katholiken und Protestanten friedlich nebeneinander leben können? Gehen wir politisch einer ähnlichen Jammerzeit entgegen, oder werden die Ultramontanen auch die religiöse Duldung hier von Neuem angreifen? — Es ist mehr als wahrscheinlich, daß, während eine Partei nur an Republiken denkt, eine andere die großen unabhängigen Erzbisthümer mit Kirchenfürsten herstellen möchte. Diesen wäre auch wohl ein Schattenkaiser in Frankfurt und ein ihn gängelnder, mächtiger Papst in Rom willkommen. Gott weiß, was das Chaos gebären wird; etwas Neues muß nach dieser Schwängerung nothwendig in die Welt kommen; denn der jüngste Tag ist noch nicht vor der Thür.

In der heutigen Sitzung des völkerrechtlichen Ausschusses kamen die allerbuntesten, wunderlichsten, uns zugestellten, Anträge zu vorläufigem Vortrage. Sie betrafen alle Länder und Völker Europas und Amerikas, Krieg, Frieden, Zölle, Auswanderungen, Abtretungen, große Proklamationen, und abermals Proklamationen u. s. w. Man theilte die Schaaren ein in Unterabtheilungen, und für jede Abtheilung erwählte man durch Abstimmung einen vorläufigen Berichterstatter. Mir wurden zu Theil: Anträge auf eilige[S. 95] Beendung des österreichisch-italienischen Krieges, Schutz oder Aufgeben Triests, Abtreten oder Nichtabtreten Südtirols u. dgl. Ich erklärte: über gewisse geschichtliche Curiositäten, auf welche Einige Gewicht legten, sei ich nicht unterrichtet; indessen schienen mir jene Anträge im Ganzen durchaus unzeitig, und ich sei entschieden dagegen, mit thörichter Großmuth Landstrecken abzutreten, während Niemand ähnliche Großmuth gegen Deutschland übe. Diese und ähnliche Bemerkungen, befreiten mich aber nicht von jenem Auftrage, und so will ich denn zunächst eine, für mich belehrende Rücksprache, mit dem österreichischen Gesandten Herrn v. Schmerling nehmen.

— kommt so eben aus einer Versammlung der Abgeordneten demokratischer Vereine. Er sagt, die wilde Leidenschaft der Vorträge, die Gewaltsamkeit der vorgeschlagenen Mittel, und die Thorheit der Zwecke sei solcher Art gewesen, daß er geglaubt, er sei zu gleicher Zeit im Tollhause und in einer Mördergrube. Diese Leute ziehen von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf, Alle verlockend, verführend, verdutzend, verdummend, verwildernd. Berlin soll von jetzt an ihre Residenz, ihr Hauptquartier sein. Wahrt Euch, ehe es (wie beim gestürzten Ministerium) zu spät ist!!

Gestern, 16. Abends, hörte ich zu meiner größten Betrübniß, daß in Berlin schon wieder Skandal ge[S. 96]wesen. Wird denn Niemand der völligen Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft entgegentreten? Sind denn die Stadtverordneten nichts wie Knechte des Pöbels? Und der Reichstag! Will man es durchaus bis zu einem Bürgerkriege der Landschaften, gegen den Pöbel und die Feiglinge der Hauptstadt treiben? Gott helfe weiter, denn wir helfen uns leider nicht einmal in den Dingen, wo menschliche Hülfe nöthig ist und ausreicht.


Dreizehnter Brief.

Frankfurt a. M., den 18. Junius 1848.

Der alte Spruch findet hier volle Wahrheit, daß die Sorge den Menschen nie verläßt: sie geht mit zu Bett, tritt im Traume vor Augen, steht Morgens mit auf u. s. w. Und hat man sich mit den frankfurter Sorgen etwas abgefunden, so langt eine neue Last mit der berliner Zeitung an, des übrigen Europa nicht zu gedenken! Die Republikaner haben hier ganz öffentlich vielerlei tolle Dinge beschlossen, darunter die sogenannte Emancipation der Frauen. Wichtiger und folgenreicher ist es, daß sie einen Ausschuß von sieben Personen erwählten, um nach Berlin zu gehen und mit Hülfe von „60,000 bewaffneten[S. 97] Proletariern“ Stadt und Land zu revolutioniren. Alle Könige und Fürsten, sagen sie laut, sollen mit einem Schlage in Deutschland vernichtet werden. Und wenn Schwäche und Muthlosigkeit fortdauern wie bisher, ist dies nicht blos möglich, sondern wahrscheinlich. Wie unentschlossen hat sich der berliner Reichstag in Bezug auf die argen Frevel des 14. benommen, wie achselträgerisch, mit dem Gesindel liebäugelnd, sich fürchtend, Alles — glatt streichend. Keine Spur gerechten, großartigen Zornes, keine Maßregel die des Erwähnens werth wäre, keine Strafe, sondern unter Lächeln und Händedrücken ein vertrauensvolles Fraternisiren mit Denen, welche die Verbrechen begingen, oder doch ihre Schuldigkeit nicht thaten!!

Auch der censurfreien Presse scheint der Pöbel ein härteres Joch und einen schärferen Zügel aufgelegt zu haben. Doch genug über diese furchtbaren Miserabilitäten. Arg ist es hier auch, aber doch nicht so arg.

In der gestrigen (17.) Sitzung, ließ die Linke ihren Neigungen einmal wieder freien Lauf, während der übrige Theil der Versammlung mit Recht größtentheils schwieg. Zuvörderst vielerlei unnütze Einreden gegen die Fassung des Protokolls; hierauf große Klagen, daß der Präsident (weil nichts zum Vortrage reif war) die Freitagssitzung, durch Be[S. 98]kanntmachung ausgesetzt und auf den Sonnabend verlegt hatte. Daran reiheten sich die unnützesten Bedenken über einen möglichen Mißbrauch seiner Macht, wie z. B. wenn er nun gar keine Sitzungen berufe u. dgl. mehr; hauptsächlich aber war der Trödel angefangen, um den (gutentheils noch mit Demokraten gefüllten) Galerien ein Paradepferd vorzureiten und auf Kosten der angeklagten Versammlung, schlechten Beifall aus der Höhe zu erhalten. Ueberdies haben fast alle diese Demagogen beneidenswerthe Lungen, sie schreien ärger wie die Zahnbrecher, scheuen sich nicht unzählige Male dasselbe zu wiederholen, und stellen Mangel an Höflichkeit und Anstand, als Muth in Rechnung. Insbesondere ließ es Herr — an jenen guten Eigenschaften so fehlen, daß ihn der Präsident zur Ordnung rufen mußte. Dies rechnen sich aber manche Leute (des höheren Beifalls der Galerien gewiß) zur Ehre. Er klagte also Versammlung und Ausschüsse der Faulheit an: sie täusche alle Erwartungen des so lange gedrückten und mißhandelten Volkes, erwecke Unzufriedenheit, sei Schuld an allen Aufständen, rufe eine zweite, nothwendige, noch viel schrecklichere Revolution hervor, sei schuldig am Untergange alles Bestehenden. — So legte man die eigene Schuld auf die Schultern der Unschuldigen, gegen eigenes Wissen und Gewissen. Nachdem 6–8 Redner, alle[S. 99] von der Linken, sich immer wiederholend ausgetobt hatten, legte Herr Bassermann in einer einfachen, aber schlagenden Darstellung, die Wahrheit so vor Augen, daß Keiner etwas zu erwidern wußte. Hierauf rechtfertigten die Vorsteher der einzelnen Ausschüsse ihr Thun, und erwiesen den großen Fleiß und die Anstrengungen derselben in einer Weise, daß jeder Unbefangene das Geschrei der Linken mißbilligen mußte, und ihr mit Recht vorgeworfen wurde: sie sei hauptsächlich (wie am heutigen Tage) Schuld an der Zeitvergeudung. — Ungeschreckt bestieg Herr Schlöffel ein anderes Paradepferd und verlangte mit groben, aufgebauschten Floskeln: daß die Versammlung auf der Stelle die Unverletzlichkeit der Abgeordneten, gegen hochverrätherische Fürsten, Behörden und Beamten dekretire. Und zwar ging die Absicht dahin, alles und jedes Thun, auch außerhalb der Versammlung zu sanktioniren. Als vor Kurzem von den Gefahren durch Aufstände, Empörer u. dgl. die Rede war, hielt die Linke jede Schutzmaßregel für überflüssig; jetzt schlug sie die strengsten Maßregeln nach oben vor, während sie der dringenden Gefahr vom souverainen Pöbel her, gar nicht erwähnte. Zuletzt fielen alle unnützen Vorschläge mit großer Stimmenmehrheit durch. Überhaupt ist die hiesige Versammlung besser zusammengesetzt und hat mehr Talent und Haltung, als die[S. 100] berliner. Bleiben Revolutionen außerhalb derselben nur aus; durch die Versammlung selbst wird mancher Fehler begangen, aber nicht Anarchie vorsätzlich hervorgerufen werden.

Ich muß die Forderung der Wähler, daß Sydow und Bauer ihre Stellen niederlegen sollen, durchaus mißbilligen. Sie hebt Form und Wesen der Repräsentation ganz auf, macht die Gesetzgebung von dem leidenschaftlichen und windigen Belieben der Massen abhängig, verwandelt die Abgeordneten in bloße Boten und Knechte, vertilgt alle Festigkeit und Dauer gesetzlicher Bestimmungen und begründeter Überzeugungen. Wenn wider jene Forderung gar kein ernstlicher Widerspruch erhoben wird, so ist dies ein Beweis jämmerlicher Furchtsamkeit, oder völliger Unwissenheit über geschichtliches, sowie philosophisches Staatsrecht.

Unsere Sitzungen in Frankfurt werden von jetzt an immer wichtiger werden. Der Ausschuß für Bildung einer vollziehenden Gewalt, hat seine Vorschläge eingereicht (ich lege ein Exemplar bei) und der Verfassungsentwurf wird (so weit er die Volksrechte betrifft) auch schon in dieser Woche zur Berathung kommen. Über diese Berathungen künftig mehr.


[S. 101]

Vierzehnter Brief.

Frankfurt a. M., den 18. Junius 1848.

Es mag kindisch von mir sein, aber ich kann mich gar nicht trösten über den Sturz unserer schönen Linde! Mir ist als wäre mir ein treuer Freund gestorben, von dem ich überzeugt war, er würde mich lange überleben. Ist es aber, bei allem gerechten Schmerze, nicht zuletzt ein schöner Tod? Durch die mächtige Hand des Himmels abgerufen in der Pracht seiner Jugendblüthe, betrauert, beweint, bevor die Wurzeln nicht mehr den Boden festhalten konnten, bevor die in Blättern und Blüthenreichthume glänzende Krone vertrocknete, die kühnen Aeste zu Boden fielen, die Theilnahme erlosch, und ein Todesurtheil von frierenden Gesellen oder einem eigennützigen Bauherrn über ihn ausgesprochen ward. Ich möchte mir wünschen, statt in die kalte Erde gelegt zu werden, in den Flammen seines duftenden Scheiterhaufens gen Himmel zu steigen; denn hier — geht es ohnehin mit mir zu Ende. — Laßt nur bald ein Bäumchen an die Stelle des Baumes pflanzen; obwohl der nach meinem Tode auch bald von Baulustigen wird umgehauen werden. Auf dem jetzt betretenen Wege kann es indessen bald dahin kommen, daß in der Residenzstadt Berlin die Bäume wild wachsen und die Häuser einfallen.

[S. 102]

Doch wozu Euch und mich noch weicher stimmen; indessen wechselt Wehmuth und Zorn. Vielleicht stählt man sich auf diese Weise am besten. Ich lasse mir aber auch eine Zerstreuung gefallen. Hr. Andre, von dem ich das Fortepiano gemiethet, lud mich (wie anliegende Karte zeigt) zu einem musikalischen Morgenvergnügen. Während des wehmüthigen Adagio von Mozart dachte ich immer an unsere Linde. Sie war mir das Bild der Vergänglichkeit für Blumen, Bäume, Städte, Throne, Völker. Ich mußte mich zusammennehmen, um nicht (zu Ehren der Virtuosen) allzu gerührt zu erscheinen. — Hr. Jaell ist ein sehr fertiger Klavierspieler. Das Vorgetragene litt jedoch meist an den neumodischen Schwierigkeiten, Willküren und Kunststücken. Insbesondere war durchaus unbegreiflich, warum Hr. Willmers sein Werk „ein Sommertag in Norwegen“ betitelt hatte. Möglich, daß ein Paar norwegische Noten darin versteckt und verdeckt waren, giebt das aber eine Analogie zu einem Sommertage? — Im Ganzen ward Alles gut ausgeführt, und beim Herausgehen besah ich mir die frankfurter Damen. Gemischter Art, wie meist überall.

Den 19. Junius.

Gestern Abend sah ich zwei Akte der Jüdin von Halevy. Die Aufführung war besser wie die Musik selbst. Diesen Componisten liegt Alles zur Hand:[S. 103] mehr wie sechs Oktaven auf und ab, viele sonst unbekannte oder vervollkommnete Instrumente, große Vorbilder u. s. w.; und dennoch verstehen sie daraus nichts zu erbauen, was Haltung, Maß, Styl, Einheit hätte. Sie bringen es nicht über ein betäubendes Chaos der Quantität. Nach zwei Akten begab ich mich, matt und zerschlagen, mit dem Gymnasialdirektor Nizze auf die Flucht, um einen Spaziergang um die abendliche Seite der Stadt zu machen. Himmel und Erde prangten in gleicher, harmonischer Schönheit; wogegen das Treiben der Menschen sich jetzt in lauter unaufgelöseten Dissonanzen gewaltsam weiter, — oder in unfruchtbarem Kreise —, bewegt. Laß es Dich nicht gereuen, für vergängliche Blumen gesorgt und Dich daran erfreut zu haben. Nur das Vergängliche bedarf und verdient unsere Sorgfalt, und den Tagen des Sturmes und Hagels folgen in diesem und dem künftigen Jahre, auch Tage heiteren Sonnenscheins. Darum sorge, nach wie vor, für den Garten.

Die spikersche Zeitung vom 17. hat doch einigen Trost gebracht: Milde’s Erzählung, Sydow’s Erklärung, andere Stimmen für Ordnung und Recht, Blesson’s Abdankung u. s. w. Wenn aber nicht ein Mann von beherrschendem Muthe und großer Kraft an die Spitze der Bürgerwehr kommt, bleibt Alles schwankend und unsicher.

[S. 104]

Wenn es genügender Trost ist, Unglücksgefährten zu haben (socios malorum), so könnten wir fast zur Heiterkeit zurückkehren, so viel übler sieht es aus in Neapel, Prag, Paris. Im Fall die französische Republik an den heranrückenden Gefahren stirbt, schwindet manche Hoffnung deutscher Demokraten (welche z. B. in Maueranschlägen den hiesigen Reichstag auffordern, Hecker höflichst einzuladen); aber ob wir dann nicht noch schneller in Krieg verwickelt werden, läßt sich nicht voraussehen. Louis Napoleon ist, des bloßen Namens halber, weder ein Friedens- noch ein Kriegsheld; sondern ein Aushängeschild, eine Firma, für welche Andere handeln wollen.

Heute beginnt die Berathung über die einstweilige vollziehende Gewalt. Die Ansichten gehen weit aus einander, und die Bemühungen der Linken, durch Unterschriften (vor aller Berathung und Erörterung) eine Verpflichtung zu bestimmtem Abstimmen herbeizuführen, muß ich, mit vielen andern tüchtigen Männern bestimmt mißbilligen. Zu den Hauptfragen und Streitpunkten dürften folgende gehören:

1) Ist es nothwendig, oder nicht nothwendig, vor Entwerfung einer dauernden Verfassung, auf kurze Zeit eine vollziehende Gewalt vorläufig zu gründen?

2) Soll dieselbe anvertraut werden 1, 3, oder mehr Personen?

3) Wer soll dieselben ernennen? Die Regierun[S. 105]gen; oder in welchem Verhältniß sollen diese an der Ernennung Theil nehmen?

4) Welche Rechte soll die vollziehende Gewalt erhalten?

5) In welcher Weise soll sie ihre Beschlüsse zur Ausführung bringen?

6) Welche Minister sind nothwendig, und welche Stellung sollen sie zu den Direktoren und zum Reichstage erhalten? u. s. w. u. s. w.

Ihr seht, des Stoffes ist genug zu Streit und zu Versuchen. Die Woche wird wohl hingehen, bevor wir zu einer, hoffentlich nicht ganz thörichten, Entscheidung kommen.

Die Sitzung dauerte heute von 9–½3 Uhr. Zuerst ein Bericht über die böhmisch-tschechische Frage, wo man beschloß, eine große Proklamation zu erlassen, während man die Deutschen in Prag todtschlägt.

Zu den alten 17 Anträgen über die neue vollziehende Gewalt, waren 34 neue gekommen, und 113 Redner meldeten sich. Der Vorschlag, daß Alle vor dem Schlusse gehört werden müßten, fiel Gottlob durch, und eine allgemeine Untersuchung über die Nothwendigkeit der Maßregel, ward für entbehrlich erklärt.

Die Linke war heute in den Erörterungen gewiß nicht die stärkere, erfreute sich aber, wie natürlich, des Beifalls der Galerien. Ein Herr — ermüdete[S. 106] durch seine überlange und langweilige Rede, auch diese, und einer meiner Nachbarn (ein wiener Advokat) schlief während der Zeit wie eine Ratze. Nach einer verständigen Rede von Radowitz (an deren voller Aufrichtigkeit jedoch Einige zweifeln) ließ sich ein Pfeifen, oben, und vielleicht auch unten hören. Da verlor der Präsident Gagern die Geduld und sprach von Ungezogenheiten und Bubenstücken; was das Gesindel und die Schreivögel denn doch einschüchterte. Vortrefflich redete Bassermann, sehr gut Dunker aus Halle; beide haben das Verdienst, der Wahrheit und dem Rechte die Ehre gegeben zu haben. Der ächte Sieg war auf ihrer Seite. — Auf den Inhalt näher einzugehen, fehlt mir heute die Zeit. Es wird genügen, künftig etwas über die letzten Ergebnisse zu sagen.

Nach beendigter Sitzung hoffte ich ruhig bei Hrn. Jouy zu essen; zu dem Tische hatten sich aber einige Studenten oder studentenartige Kreaturen eingefunden, welche Deutschland durchzogen hatten und vom Sinne und der Stimmung seiner Bewohner Dinge verkündeten, über die man bittere Thränen hätte weinen können! In unseren Tagen (lehrten die neugebackenen Propheten) giebt die Macht allein das Recht. Die Fürsten müssen gerichtet und weggejagt werden, ein Bürgerkrieg ist nothwendig und nützlich u. s. w. Und in demselben Augen[S. 107]blicke, wo der Wahnsinnige mit eiskalter Gleichgültigkeit diese furchtbaren Behauptungen ausspricht und meint, die Ereignisse hätten immer und allein Recht, erzählt er achselzuckend: man habe einen Deutschen zu Prag im Wirthshause mit Biergläsern und seine Frau in ihrer Wohnung todt geschlagen, und einen Andern lebendig gekreuzigt!! — Mit solchen Leuten hilft kein Streiten, diese Pestbeulen lassen sich mit gewöhnlichen Arzneimitteln nicht heilen. Auch sind sie an den Gedanken terroristischen Guillotinirens vollkommen gewöhnt und untersuchen nur, wo und wie der Anfang zu machen sei. Ich eilte aus dieser, an die schlechtesten Zeiten der Revolution erinnernden Gesellschaft fortzukommen. Ja, die Franzosen hatten weit mehr Veranlassung zu ihrer Tollheit, und es war wenigstens Methode in derselben. Baboeuf und Consorten sind genial und großartig gegen diese fluchwürdigen, sich und Andere aushöhlenden, leeren Schwätzer, Phrasendrechsler und lächelnden Meuterer.

Die heutige Sitzung (20.) begann um 9 Uhr und endete ½3 Uhr. Zuvörderst große Begeisterung, vermöge welcher erklärt wurde: ein fremder Angriff auf Triest gelte für eine Kriegserklärung. Muth und Ehrgefühl genug, aber vor der Hand keine Mittel, den Beschluß geltend zu machen. Ich hoffe, Karl Albert wird deshalb die deutschen Handelsschiffe im mittelländischen Meere nicht aufbringen lassen. Am[S. 108] Schlusse der Sitzung war man drauf und dran, mit verkehrter Eil, ein Heer nach Prag zu senden, um die Deutschen zu schützen. Wohlgemeint; noch ist aber nach Zeugnissen von Böhmen die ganze tschechische Bevölkerung auf dem Lande ruhig, und ein solcher Heereszug der Deutschen könnte leicht einen neuen Hussitenkrieg entzünden. Endlich ging es durch, die Sache zu ruhiger Ueberlegung an den bereits hiefür bestehenden Ausschuß abzugeben.

Den Inhalt der mehrstündigen Berathung über die zu errichtende, vollziehende Gewalt kann ich nicht einmal im Auszuge hier wiedergeben. Nur einige unbedeutende Nebenbemerkungen können Platz finden. Doch ist es keine Nebenbemerkung, wenn ich behaupte, die Zögerungen und die Nichtigkeit der Regierungen habe jene wichtige Frage ganz in die Hände der Nationalversammlung gebracht, und diese werde gewiß durchsetzen, was ihr gefällt. Der wohlgemeinte Vorschlag des Hrn. Bürgermeister — —: die vollziehende Gewalt in die Hände Preußens zu legen, war bei der Stimmung der Versammlung unzeitig, und ward mit so schwacher Stimme und so ohne rednerisches Talent entwickelt, daß er völlig zu Boden fiel. Unter den Rednern der Linken ist Robert Blum bis jetzt der bedeutendste. Er benutzte die Schwächen seiner Gegner sehr geschickt, wußte mit sophistischer Gewandtheit seine Ansichten[S. 109] und Grundsätze für die leicht begeisterten Unwissenden glänzend vorüber zu führen, und erhielt natürlich den lauten Beifall seiner Freunde und der, noch immer nicht zu bändigenden, Galerie. Höchst langweilig war dagegen die im sächsischen Dialekte hersyllabirte Rede eines ähnlich Gesinnten. Jeder, sagte er, ist gleich bei der Geburt ein Souverain; welche erhabene Äußerung viel Heiterkeit erregte. Welker sprach mit großer Lebendigkeit für seine, im Verhältniß zur äußersten Linken, conservative Ansicht. Ähnlich ein Wiener, von Würth; — Beckerath ruhig, gemüthlich, überzeugend.

Ich begreife allmälig, daß König F. W. III. alle Abende ins Theater ging, um seine Regierungssorgen los zu werden; mir bleibt fast auch nur dies Mittel, meinen Gedanken eine andere Richtung zu geben. So sah ich (19.) gestern einige Akte eines dramatisirten Volksmärchens von Musäus, wo der verzauberte Barbier sich lustig genug ausnahm. Diese Posse des Abends war gewiß besser und ergötzlicher, als der wilde Ernst der veralteten, im Kopfe verwirrten, im Herzen angefrorenen Jugend, des Mittags. — Den 20. Nachmittags machte ich einen Spaziergang rings um einen großen Theil der Stadt. Die Umgebungen sind, ich wiederhole es, in ihrer Art höchst reizend; und ich kenne keine Stadt, welche in dieser Beziehung Frankfurt gleich zu stellen wäre.


[S. 110]

Funfzehnter Brief.

Frankfurt a. M., den 22. Junius 1848.

Die gestrige Sitzung dauerte von 9–½3, die Versammlung im völkerrechtlichen Ausschusse von 6–8; hiezu Lesen, Vorbereitungen, Geschäftsbesuche u.s.w. Es ist ein Wunder, daß man leiblich und geistig diese Anstrengungen aushält. Auch werden Manche schon matt wie die Herbstfliegen, und noch gestern bewunderte ein jüngerer Mann meine 67jährige Rüstigkeit. Dank sei dem Himmel, und daß ich immer der Natur gemäß gelebt habe: nirgends zu viel, oder zu wenig. Denn das letzte taugt auch nicht, und macht alt vor der Zeit.

Die Sitzung begann mit einem Berichte über die böhmischen Verhältnisse, der die argen Uebereilungen zurückwies, denen man sich vorgestern in falscher Begeisterung hingeben wollte. Erst wenn Österreich es verlangt, wird der Bund Mannschaft nach Böhmen senden.

Hierauf Fortsetzung der Berathung über die Bildung einer vollziehenden Gewalt. Es fehlt nicht an halbwahren Vergleichen, schiefen Bildern, rhetorischen Kunststücken und vor Allem an Grobheiten gegen Bundesversammlung, Fürsten und einzelne Gegner. — — —[S. 111] Ein anderer Hauptredner der Linken, Herr —, sagte: ihr seid allmächtig! Verkündet: es soll Niemand mehr Zoll bezahlen, und es bezahlt Niemand mehr; sagt den Bauern, ihre Abgaben sollen aufhören, und sie hören auf. Derlei demagogischer Unsinn fand nebenbei seine Widerlegung, als die Rede darauf kam: ob jene Allmacht sich auch bei neuen Forderungen zeigen würde? — Lächerlich war es, als er die Genügsamkeit der Linken rühmte; zur Ordnung rief man ihn, als er sagte: wenn hier die Mehrzahl nicht thut was wir wollen, so haben wir draußen mächtigere Hülfe u. s. w. — Sehr geschickt rief der Präsident Gagern nicht zur Ordnung, sondern sagte: man lasse den Redner ausreden, denn es ist gut, daß wir erfahren, welche Mittel jene Herren anwenden können und wollen. Den Schreiern folgten nun mehre Redner, welche auf die Sache selbst eingingen, und statt der Phrasen und flacher Rhetorik, ernste und oft witzige Gründe vorlegten. So Auerswald und Beisler. Endlich erwies Vincke sein altes Talent und sprach seine Ansichten mit Kühnheit und Geistesgegenwart aus, ohne sich durch das Ach und Oh seiner Gegner einschüchtern zu lassen.

Wie haben sich die Zeiten geändert! Im vergangenen Jahre, wollte ihn der König nicht sehen, er war im Verrufe bei allen Schwachköpfen, er sollte seiner Stelle entsetzt werden; und jetzt vertheidigt er[S. 112] Könige und Fürsten wider maßlose Angriffe! Ging und geht es mir aber nicht ebenso? — Wiederum erblickt man hinter allem Lobe der Demokratie, die Hinneigung zur Diktatur und zum Terrorismus.

Im Ausschusse führte ich und der Hamburger Herr Heckscher einen lebhaften Streit gegen das Ansinnen: der Berichterstatter in einer Sache solle Thatsachen, Gründe, Gegengründe u. s. w. u. s. w. buchstäblich niederschreiben und vorlesen. Es war auf ein Corrigiren wie der Quintanerexercitia abgesehen, würde unsäglich viel Mühe und Zeit kosten, ein unerträgliches, schriftliches Verfahren, an die Stelle mündlicher rascher Verhandlungen setzen und folgerecht auch ein Ablesen der Reden herbeiführen. — Beim Abstimmen fiel, in Folge unseres nachdrücklichen Widerspruchs, die, allweise sich anstellende, Pedanterie zu Boden.

Nachdem alle diese Kelche geleert waren, ging ich mit einem gescheiten Baier Hrn. Gombart, spazieren bis Bockenheim und hatte neue Veranlassung die Anmuth der Umgegend, die Schönheit der Gärten und die Mannigfaltigkeit der Landhäuser zu bewundern.

Ich freue mich über M—s muthige Äußerungen. Er hat ganz Recht, daß so große Umgestaltungen in der Weltgeschichte nicht ohne Wehen und Verlust abgehen können. Wenn man den Muth nicht ver[S. 113]liert, nicht verzweifelnd die Hände in den Schoß legt, so wird man im kleineren, wie im größeren Kreise nützlich wirken und zur Erhaltung oder Wiedergeburt nach Kräften beitragen. Das bloße Lamentiren (wie —) hilft zu gar nichts, auch üben gewöhnlich persönliche Vortheile, oder Nachtheile einen großen Einfluß. Bevor man sich nicht über diese Rücksichten erhoben hat, kann man gar nicht unbefangen einwirken.

Die Linke ist in B. so schwach, wie hier; wenn man nach ächter Erkenntniß und Politik fragt. Allein Vorurtheil, Fanatismus und Ehrgeiz überflügeln oft in ihrer gewaltsamen Bewegung, alle Wahrheit und Einsicht. Gut, daß Sydow und Bauer nicht ausgetreten sind. — Schutz des Volkes ist ein wohlklingendes, verständiges Wort; wenn aber der, Gesetze übertretende, Pöbel sich Volk nennt, soll man nicht schwatzen und liebäugeln; sondern mit Muth und Kraft entgegentreten und handeln.


Sechzehnter Brief.

Frankfurt a. M., den 23. Junius 1848.

Ich dachte Euch heute endlich einmal einen recht fröhlichen Brief zu schreiben, über den eingegangenen höchst wichtigen Bericht, die Volksrechte betreffend.[S. 114] Nachdem wir hier so manches leere Stroh gedroschen, handelt es sich von großen und wahren Fortschritten. — Da langt die Nachricht von dem Abtreten des Ministeriums Camphausen ein, welchem Ereignisse ich durchaus keine heitere, erfreuliche Seite abgewinnen kann. Es fällt nämlich entweder durch eigene Schwäche und Uneinigkeit, und das ist beklagenswerth. Oder es wird gestürzt durch die steigende Macht der Linken; dann werden wir ein Ministerium bekommen, wie das von Roland, Servan u. s. w. in Frankreich war, sich stützend auf anarchische Massen, bis es in der allgemeinen Auflösung mit hinweggeschwemmt wird. — Oder das Ministerium zieht sich zurück vor dem Könige, dem die Stellung eines constitutionellen Herrschers nicht zusagt und der doch in der letzten Zeit nichts Erhebliches gethan hat, seine wahren Freunde zu stützen und zu begeistern. Wer soll nun der demokratisch-revolutionairen Klubs Herr werden, die in Berlin ihr Nest aufschlagen wollen? Welch ein Mangel an wahren Männern, in Folge einer Verwaltung, die allen Beamten die Flügel lähmte und den für den besten hielt, der, wie ein begossenes Huhn, sich nicht über den Boden erheben wollte und konnte! — Suchen die Ultraroyalisten und der König Hülfe bei den Russen, so trennt sich das übrige Deutschland ohne Zweifel von[S. 115] den Preußen, und Vieles vom alten Sauerteige dürfte in den neuen Brotteig gebacken werden. Beginnt man ohne fremde Hülfe einen Bürgerkrieg, so ist der Ausgang sehr zweifelhaft: es könnte Reich und Thron zusammenstürzen. Mit wahrem Muthe wäre jedoch Alles noch zu retten. — — —

Es hatten verlangt über die vollziehende Gewalt zu sprechen, 189 Redner. Ein Zeichen parlamentarischer Ungeübtheit und Plauderhaftigkeit. Ich steckte übrigens auch in jener Zahl, wußte aber schon im Voraus, daß ich nicht an die Reihe kommen und der Versammlung schon früher die Geduld ausgehen würde. Nun beschloß man gestern: einigen vorhandenen, oder vorausgesetzten Parteien aufzugeben, in Privatzusammenkünften je zwei Redner zu erwählen, die da noch sprechen sollten. Ich schreibe deshalb heute dem Präsidenten: der gestern gefaßte Beschluß, daß gewisse Personen in Privatzusammenkünften eine Zahl Redner auswählen, alle übrigen aber schweigen sollen, mag für den vorliegenden einzelnen Fall, als Nothbehelf zweckmäßig erscheinen; sollte aber hierauf eine Regel gegründet werden, so müßte ich, mit gleichgesinnten Freunden, dem Verfahren widersprechen, da es allen parlamentarischen Gebräuchen zuwiderläuft. Denn alle Diejenigen würden auf diesem Wege zu stetem Schweigen verurtheilt werden, welche für den einzelnen Fall keiner bestimm[S. 116]ten Partei beitreten; oder bei keiner in Gunst stehen, oder (wie z. B. der edle Wilberforce und Andere in England) es für ein Recht und eine Pflicht halten, ihre Unabhängigkeit zu behaupten und die nicht blos scharfe Gegensätze erzeugen, sondern für feste, positive, erreichbare Zwecke vermitteln möchten. Dem Andrange einer Überzahl von Rednern, kann unseres Erachtens nur dadurch abgeholfen werden, daß Mehre nach freundlicher Verabredung ihre Namen ausstreichen lassen, wodurch die Erwünschteren (aber in anderer Form) an die Spitze kommen; oder daß die volle Versammlung unter den aufgeschriebenen Rednern aller verschiedenen Richtungen eine Wahl trifft; oder daß sie die Berathung schließt, was parlamentarisch allen Ansprüchen ein Ende macht.

Ich durfte so etwas sagen, da ich mich nie zum unnützen Reden vordrängte und das eine Mal nur um wichtige Thatsachen vorzulegen.

Trotz aller, zum Theil gerechten Vorurtheile, die man gegen das frühere Wirken von Radowitz hat, sprach er heute so verständig und würdig, daß er (selbst für Abweichendes) Gehör fand. Desto mehr phraseologirte Hr. Zitz, desto ungeschlachter und gröber ließ sich Hr. — vernehmen. Letzt soll er gesagt haben: damit es gut werden könne, müsse man Bassermänner und Biedermänner, und alle ähnlichen Männer köpfen. Mit ähnlichen Andeutungen,[S. 117] bedient er die Fürsten und ein anliegender Antrag von Mareck zeigt, was man amtlich zu fordern wagt! Als eine zweite Probe der Thorheit, lege ich die erstaunenswürdigen Vorschläge des Eisenacher Studentenparlamentes bei. Welche schöne Aussicht für die Professoren! Denn als Gegenstück der Freiheit, keine Vorlesungen mehr zu hören, wird man doch den Satz aufstellen: der Professor brauche keine mehr zu halten. Stoff zu heiteren Lustspielen, den Raupach benutzen und ausarbeiten sollte. — Bis jetzt glaubte ich, der Präsident Gagern stehe von Allen anerkannt, ruhig und sicher auf der Tageshöhe; gestern Abend haben ihm aber Souveraine von der Galerie und anderes Gesindel, eine Katzenmusik gebracht. Einen Antrag Venedey’s hierüber eine Discussion zu eröffnen, lehnte er mit Recht ab; da die Frankfurter sich nicht so nachtmützig benommen haben, wie die Berliner. Sie schlugen drein, verhafteten sogleich Mehre und einer der über eine Mauer entfliehen wollte, brach (wie man erzählt) ein Bein. Man munkelt von Einwirkungen höher gestellter Wühler. Ob derlei Leute mitschreien und mauzen, oder nicht, gilt gleich; gewiß erregen ihre heillosen Reden zu Thaten solcher Art. Hoffentlich schreckt der bewiesene Ernst der hiesigen Bürgerwehr von Wiederholungen ab, und hätte man in Berlin nicht Alles mit weißer Salbe bestrichen, hätte man den Spruch befolgt prin[S. 118]cipiis obsta, würde man nicht ungestört im Zeughause plündern und hernach — — —


Siebzehnter Brief.

Frankfurt a. M., den 24. Junius 1848.

Ich könnte mich allmälig für einen großen Diplomaten halten; denn ob ich gleich den Polen, und den Abgeordneten aus Trient und Roveredo (Pretis, Vettorazzi, Marsilli und Prato) mit gewohnter Aufrichtigkeit sagte, hinsichtlich welcher Hauptpunkte ich bestimmt gegen sie stimmen würde, sahen die Letzten doch, wie bereit ich war, in möglichen Dingen ihre Wünsche zu unterstützen. Und so schieden wir als die besten Freunde; auch versprachen sie mir die beste Aufnahme, wenn ich je wieder in ihre Gegend kommen sollte.

Soeben sehe ich, zu einigem Troste, aus der spikerschen Zeitung vom 22. d. M., daß sich endlich kräftige Stimmen für Recht und Ordnung in Berlin erhoben, damit die Schande des Benehmens nicht Alle treffe, und die Rückkehr zum Besseren angebahnt werde.

Die heutige Sitzung war sehr lang (9–3 Uhr), aber doch nicht langweilig, vielmehr ward über[S. 119]wiegend gut gesprochen, und man schien sich einem erfreulichen Ziel zu nähern. R. Blum begann in seiner gewöhnlichen, geschickten, aber allerdings mit Sophismen durchzogenen Weise. Doch versprach er ohne Bitterkeit und Persönlichkeit zu reden, und hielt auf löbliche Weise sein Wort. Ähnlich Lichnowsky, obgleich von ganz entgegengesetztem Standpunkte ausgehend und ihm vollgewichtig die Wage haltend. — Vogt aus Gießen schwächer, in Phraseologie verfallend, Zweifelhaftes als unläugbar, Vorausgesetztes als erwiesen hinstellend u. s. w. Raveaux brachte durch eine vorsätzliche Seitenwendung die Rede auf die bekannte freundliche Erklärung Frankreichs gegen Deutschland. Mit allgemeiner Begeisterung ward diese Freundlichkeit von allen Seiten erwidert, zu gleicher Zeit aber mit nicht geringerem Beifalle hinzugesetzt: jeder Verletzung deutscher Rechte und Gränzen werde man einig und mit aller Kraft entgegentreten. Beides war gut und löblich. — Ich übergehe Personen und Inhalt anderer Reden; erst die des Präsidenten Gagern war praktisch, erneute die Aufmerksamkeit und überraschte sehr in zweifacher Weise. Erstens durch die (von der Linken mit lautestem Beifall aufgenommene) Erklärung: die Versammlung solle den Reichsverweser, ohne weitere Theilnahme der Regierungen, ernennen; aber derselbe solle (der Rechten gelegen) kein Privatmann,[S. 120] sondern Fürst aus einem der ersten Häuser sein. Die Wahrscheinlichkeit ist hiedurch sehr gewachsen, a) die Versammlung werde allein wählen; b) der Erwählte werde ein Fürst, c) es werde der Erzherzog Johann von Österreich sein. — Nach vielem Hin- und Herüberlegen möchte dies, aus vielen Möglichkeiten, der beste Ausweg sein; oder wenigstens praktisch weniger Schwierigkeiten und Widersprüche herbeiführen, als irgend ein anderer Vorschlag. Jeden Falls ist es sehr wünschenswerth, daß sich für den zu fassenden Beschluß eine sehr große Mehrzahl ausspreche, und demselben dadurch ein unentbehrliches Gewicht gebe.

Mit wie erstaunlichem Nachdruck tritt das ganz für aufgelöset erachtete Österreich in Böhmen und Croatien auf. In Prag dieselben Schüsse (wie in Berlin, Paris u. s. w.), dasselbe Geschrei von Verrath; dann aber eine Entschlossenheit, welche nicht blos daraus hervorging, daß man des Fürsten W. Gemahlin mörderisch erschossen hatte.


[S. 121]

Achtzehnter Brief.

Frankfurt a. M., den 25. Junius 1848.

Ich freue mich jetzt auf den Sonntag, wie ein schwer belasteter Tagelöhner, und danke dem Himmel, daß der Vorschlag, auch an diesem Tage Sitzung zu halten, verworfen ward. Gestern dauerte diese von 9–3 Uhr, hierauf Ausschuß von 6–8, endlich im Weidenbusche (nach eiligem Abendbrote) Berathung von ½9–10 Uhr, Summa 9½ Stunde Berathungen, und in den kurzen Zwischenzeiten die Pflicht gar vielerlei zu lesen und zu hören.

Von der gestrigen Sitzung berichtete ich schon; im Ausschusse wurden deutsche und wälsche Abgeordnete Tirols, sowie Österreicher, gehört (davon künftig); zur Versammlung im Weidenbusch mußte ich diesmal, meiner Pflicht halber, hingehen. Ich setzte nämlich (gleich den Meisten) voraus: Hr. von Gagern werde seinen untrennlichen Vorschlag ungetrennt zur Abstimmung bringen; das heißt: a) Wahl eines Fürsten, b) durch die Versammlung. Denn wenn das letzte mit Stimmenmehrheit angenommen, das erste aber verworfen würde, so hätte man sich auf einen Weg verlocken lassen, den sehr Viele gar nicht betreten wollen. Nun will aber Hr.[S. 122] v. Gagern über seinen, spät eingebrachten Vorschlag, gar nicht abstimmen lassen; sodaß seine Rede nur die Wirkung haben dürfte, Manchen für die Wahl durch die Versammlung zu stimmen, ohne jene erste wichtige Hälfte irgend zu berücksichtigen. Hiedurch ward es doppelt nothwendig, sich über die bevorstehende Fragestellung zu einigen und den Forderungen der Linken, die des Centrums und der Rechten gegenüber zu stellen. Dies ist geschehen; der Ausfall der Abstimmung aber noch gar nicht mit Sicherheit vorherzusehen. Der Ausschuß hat seine frühern Vorschläge wesentlich verändert, und Viele hoffen auf ihre Annahme (weil sie die Theilnahme der Regierungen nicht ganz ausschließen), während die Linke die Entscheidung allein in die Hand der Versammlung legen, und die völlige Auflösung des Bundestages sogleich beschließen will. In so weit als dessen früherer Wirkungskreis durch die neuen Gesetze aufgehoben wird, nimmt er gewiß ein Ende; es ist aber gar viel nachzuweisen, zu überweisen, Rechnung abzulegen u. s. w.; auch wird der künftige Präsident, oder Reichsverweser und seine Minister immer Personen bedürfen, durch welche er sich mit den einzelnen Staaten in Verbindung setzt und auf sie wirkt. Jeden Falls ist dies nur möglich, wenn der unbekannte Eine (der Vorschlag 3 an die Spitze zu stellen wird schwerlich durchgehen) wirklich das allge[S. 123]meine Vertrauen genießt, wenn er zur Weisheit, Mäßigung gesellt, und die Einigkeit Deutschlands mehr ist als ein leeres Wort. Übel blieb es, daß man sich immer in abstracto über die Eins und die Drei stritt, über diese unbenannten Zahlen und bloßen Quantitäten; während noch mehr auf die Qualitäten ankommt, und jene Zahlen erst durch scharfe Benennung und Bezeichnung die rechte Bedeutung und das rechte Gewicht erlangen können. Aber selbst durch diese Bezeichnung der Person und ihres Wirkungskreises sind die Schwierigkeiten nicht gehoben, welche sich Jahrhunderte lang durch die deutsche Geschichte hindurchziehen, über das Verhältniß der Kaisergewalt zur Fürstengewalt, und des Reiches zu den einzelnen Staaten. Das eine deutsche Heer z. B., welches mehr oder weniger vom Reichsstatthalter abhängen soll, wird immer zu gleicher Zeit ein preußisches, österreichisches u. s. w. bleiben; und ein Befehl von Frankfurt aus schwerlich überall raschen Gehorsam finden, sofern er nicht mit Dem übereinstimmt, was man in Wien, Berlin, München u. s. w. will. Hätte hier die Versammlung (ihre Befugniß überschreitend) sich noch mehr Kriege auf den Hals geladen; soll der Ungehorsam für Hochverrath an Deutschland gelten? So hat schon der einseitige Beschluß, Schleswig in den deutschen Bund aufzunehmen, die übelsten Folgen gehabt; und man war un[S. 124]folgerecht drauf und dran, in thörichter Begeisterung ganz Posen umgekehrt den Polen zu opfern. Doch, ich will nicht blos verneinen; man muß auf dieser Bahn mit Hindernissen vorwärts, man kann das unglückliche Provisorische jetzt nicht mehr ganz vermeiden, man wird durch Feststellung der Volksrechte einen löblichen Grund zu einer neuen, wichtigen Entwickelung legen. Welche Anarchie, oder Despotie uns auch noch bevorstehen mag; gewisse große Wahrheiten und Grundsätze lassen sich (wenn sie einmal mächtig in die Weltgeschichte eingetreten sind), auf die Dauer nicht wieder ausrotten. Von solchen politischen Grundsätzen war beim Sinken des römischen Reiches nicht die Rede, und dogmatische Spitzfindigkeiten konnten ihren Mangel nicht ersetzen. Darum fehlt es der Behauptung an zureichenden und nothwendigen Gründen und Beweisen: wir gingen unausbleiblich einer byzantischen Auflösung entgegen. Geschieht es dennoch, so ist es Schuld der Einzelnen und der Völker; die natürlichen Verhältnisse stellen eine solche Krankheitsgeschichte und einen solchen Tod noch nicht als unausweichlich vor Augen.

Den 26. Junius.

Gestern waren zwei Versammlungen der Rechten und des Centrums im Sarazin’schen Hause und im[S. 125] Weidenbusche, um sich über den hinsichtlich der vollziehenden Gewalt einzuschlagenden Weg zu berathen. Dort fast lauter Preußen, hier Abgeordnete aus allen Theilen Deutschlands. Besonders in der letzten zeigte sich wieder ein großer Mangel an parlamentarischer Zucht, und wie die angeblich Gleichgesinnten eben nicht gleich gesinnt sind, es sei aus Mangel an Muth oder an Einsicht. Während sich die Linke und das linke Centrum klüglich zu einem Zwecke geeinigt haben und kleinere Verschiedenheiten fallen ließen, fanden sich in dieser Beziehung in unseren Versammlungen die größten Verschiedenheiten und Unbestimmtheiten. Ich gebe Beispiele: Man muß bei der Mangelhaftigkeit der bisherigen Beschlüsse und der vorgelegten Fragstellung, neue zweckmäßige Anträge machen (Tellkampf). — Man muß an den bisher vertheidigten Grundsätzen für wesentliche Theilnahme der Regierungen bei Ernennung der vollziehenden Gewalt festhalten, und sich selbst um so weniger aufgeben, da Herr von Gagern für die alleinige Wahl durch die Versammlung, keine neuen Gründe beigebracht hat, und eine solche auch keineswegs überall in Deutschland Beifall finden würde (Radowitz, Vincke). — Es genügt zu sagen: die Versammlung wählt, unter Voraussetzung der Beistimmung aller Regierungen (Beckerath). — Sie wählt im Vertrauen auf eine solche Beistimmung (Duncker). —[S. 126] Hrn. von Gagern’s Rede hat so viel Eindruck gemacht, daß es vergeblich ist, sich für eine Theilnahme der Regierungen auszusprechen. Man muß ein Princip aufgeben um der guten Sache willen, um eine große Mehrzahl für den zu fassenden Beschluß zu erhalten, und dadurch eine willige Anerkenntniß und kräftige Wirksamkeit für die neu zu schaffende Gewalt herbeizuführen (Saucken, Simson) u. s. w. u. s. w.

Ich that auch einmal (ausnahmsweise) den Mund auf, und mag im Wesentlichen Folgendes gesagt haben: Herr Tellkampf’s Antrag dürfte an sich der beste sein, da er aber den gefaßten Beschlüssen widerspricht, würde er gewiß, nach fruchtlosem Streite, verworfen werden. Doch kann ich nicht unbemerkt lassen, daß die Art und Weise, wie man die Redner gewisser Parteien wählen ließ und allein ihnen das Wort verstattete, ganz unparlamentarisch ist, und gutentheils die jetzige üble Lage herbeigeführt hat. (Siehe was ich hierüber bereits früher schrieb.) — Die Besserungsvorschläge der Herren Beckerath und Duncker sind ganz ungenügend und bloße Worte. Denn die äußerste Linke wird sehr gern voraussetzen oder das Vertrauen haben, daß die Regierungen sich ihren Vorschlägen und Wahlen unterwerfen. Jene Fassung läßt den Regierungen gar kein Recht der Bestätigung oder Verwerfung. Früher schlug der Ausschuß vor, die Regierungen sollten bezeichnen oder[S. 127] wählen, und die Versammlung bestätigen. Will man jetzt die Reihenfolge umkehren, so muß den Regierungen das Bestätigungsrecht bleiben. Will man sich (lang vertheidigte Ansichten aufgebend) den Vorschlägen des Hrn. von Gagern unterwerfen; nun so muß man sie wenigstens nicht halbiren, und sich dadurch eine vollständige Niederlage zuziehen. Will man die Wahl allein der Versammlung zugestehen, so soll vorher und als Ausgleichung, Gagern’s zweiter Vorschlag von den Gegnern ebenfalls angenommen werden: nämlich, daß die Wahl auf einen Fürsten und nicht auf einen Privatmann fallen müsse. Praktisch mögen die Formen unbedeutend sein: denn Versammlung und Regierungen können unter den gegenwärtigen Verhältnissen keinen Mann wählen oder vorschlagen, der nicht der allgemeinsten Achtung genösse. Wie aber, wenn dieser (etwa der Erzherzog Johann), der lästigen Bedingungen halber, ablehnte; wenn dies ein Zweiter, ein Dritter thäte, so könnte (beim Mangel aller gesetzlich regelnden Bestimmungen) Hr. Blum oder Hr. Zitz zum Reichsverweser erwählt werden. Man sagt: um ein gutes Ziel zu erreichen, muß man das Geringere, ein Princip, aufgeben. Ist dies falsch, so versteht es sich von selbst, daß eigensinnige Aufrechthaltung desselben nichts taugt; ist es aber richtig, so kann dessen Vertheidigung der guten Sache nichts schaden. Nur eine schlechte Sache[S. 128] verträgt sich nicht mit einem wahren Grundsatze. Auch handelt es sich gar nicht um einen einzelnen Fall, um eine einzelne, sogenannte gute Sache, sondern um einen folgereichen, allgemeinen Grundsatz. Eine starke Minderzahl für denselben wirkt heilsamer, als eine durch schwächliche Nachgiebigkeit erkaufte große Mehrzahl, hinter welcher sich Irrthümer und die künftigen bösen Folgen nur zu leicht verbergen. Geben wir zu: daß eine Kammer überall ausreiche, daß sie allmächtig sei, daß neben ihr in Deutschland gar keine gesetzliche Gewalt mehr bestehe, daß alle Regierungen sich ihr unbedingt unterwerfen müssen; so ist es unnütz und thöricht, über irgend einen einzelnen Punkt noch mit der Linken zu streiten. Sie hat obgesiegt, und wird uns aus allen unhaltbar gewordenen Stellungen vertreiben.

So ungefähr mein Stoßseufzer. Ich verließ, des Lärmens müde, die Versammlung im Weidenbusche vor dem Schlusse; hoffe jedoch, die größere Zahl wird sich dafür geeinigt haben: die Wahl müsse auf einen Fürsten fallen und die Bestätigung der Regierungen eingeholt werden. Darohne mag der Reichsverweser viel befehlen, aber er wird wenig Gehorsam finden, und seiner Stellung bald überdrüssig werden. Man hätte die Zeit der weitläufigen Verhandlungen über ein kurzes Provisorium lieber auf die eilige Ent[S. 129]werfung der Verfassung wenden, und wo möglich ein Definitivum zu Stande bringen sollen.

Es mag wahr sein, daß die Regierungen lieber bestätigen, als vorschlagen, um dadurch bevorstehenden Vorwürfen leichter zu entgehen; ja manche sagen: wählt nach den Wünschen der Linken, um diese zu beruhigen. Wird denn aber der Erwählte nebst seinen Gehülfen wirklich in Ruhe verbleiben? Wird nicht der Lärm, nebst den Uebergriffen, in höherem Wirkungskreise noch weit gefährlicher? Und zeigen nicht abschreckende Erfahrungen, daß erwählte Parteihäupter schnell Anhang und Einfluß verlieren, und denen Platz machen müssen, die sie wild überbieten? Uebergeben Einzelne nicht schon jetzt der Versammlung Vorschläge, alle Fürsten wegzujagen; das heißt, einen unabsehlichen, entsetzlichen Bürgerkrieg zu beginnen? Bei dem Systeme, überall feige Concessionen, Zugeständnisse zu machen, wird es auch dahin kommen, und bei einer Volksversammlung in Höchst haben Einzelne gestern gesagt: wenn die Reichsversammlung in der Paulskirche heute nicht so stimme, wie man es fordere, werde sie gar nicht mehr stimmen. Einem hierüber Erschrockenen und Furchtsamen entgegnete ich: es sei noch gar nicht davon die Rede, auf curulischen Stühlen zu sterben, sondern etwa Eindringende hinauszuwerfen und sie ledergar zu prügeln. Dazu seien 600 unverletzliche Reichstags[S. 130]abgeordnete stark genug; — die höchst entschlossene, muthige Bürgerschaft Frankfurts ungerechnet. So, um Muth zu machen!

Ich komme aus der Vormittagssitzung (9–2 Uhr), welche recht deutlich zeigte, wie üble Folgen scheinbar unbestrittene, aber verkehrte Beschlüsse haben. Die Art, wie man Vielen das Wort versagte, und nur einer willkürlichen Zahl von Parteimännern das Recht zu sprechen gab, schien übermäßige Weitläufigkeiten abzuschneiden und rasch zum Ziele zu führen. Aber es schien nur so; und es traten seitdem allmälig alle die Uebelstände ein, welche ich vielen Abgeordneten — vergebens — weissagte, und die ich in meinem Schreiben an den Präsidenten wenigstens zum Theil bezeichnete. Viele Punkte wurden nämlich gar nicht oder einseitig erörtert, und nachdem man darüber zur Besinnung kam, wuchsen Einwendungen hervor, welche (seitdem man sich einmal auf einen falschen Weg begeben hatte) keine gute Statt finden konnten. Heute kamen also (gegen meinen Rath) von einigen Gliedern der rechten Seite Verbesserungsvorschläge (Amendements) zum Vorschein, denen die Linke, wie vorherzusehen, mit der Einrede entgegentrat: daß dies, zufolge der Geschäftsordnung, nach dem Schlusse der Berathung, nicht mehr erlaubt sei. Man erwiderte: ein solcher Schluß sei noch nicht vorhanden, und nach einer Abweichung von der Geschäftsordnung sei es[S. 131] natürlich und nothwendig, deren mehre zu gestatten. Meine Behauptung: die Linke werde, wenn man sich auf diesen Boden begebe, Stimmen gewinnen und obsiegen, bestätigte sich so sehr, daß selbst Radowitz und Vincke ihren Einwendungen beistimmten!!! So die Einigkeit und Weisheit der Antirevolutionairen!! — Hiezu kam der innere Mangel der Verbesserungsvorschläge selbst. So schlugen Hr. Bassermann und von Auerswald vor: „Die provisorische Centralgewalt wird einem nicht regierenden Mitgliede eines deutschen Regentenhauses als Reichsverweser übertragen. Die Nationalversammlung wählt denselben im Vertrauen auf die Zustimmung der deutschen Regierungen.“ Hiegegen konnte man (selbst vom Centrum aus) fragen: warum sollen alle regierenden Fürsten ausgeschlossen werden? Man konnte (wie ich schon oben) behaupten: die Redensart von Vertrauen sei inhaltslos und führe zu gar nichts. Der Mangel an Entschlossenheit und Sicherheit hinsichtlich der Ansichten und Zwecke offenbarte sich überdies von Neuem, als Hr. Bassermann den Vorschlag zurücknahm, Hr. von Auerswald aber daran festhielt. So blieben nicht einmal die Urheber des Antrags eines und desselben Sinnes! Nun trat aber, nach ertheilter Erlaubniß, auch die Linke mit neuen Behauptungen und Anträgen hervor: „man habe keinen Grund, den Regierungen zu vertrauen,[S. 132] man müsse alle Fürsten bestimmt von der Wahl ausschließen u. s. w.“ So ward denn die fünfstündige Schlacht verloren, und in der auf heute Nachmittag 5 Uhr anberaumten Sitzung werden höchst wahrscheinlich alle Vorschläge der Rechten zurückgenommen, um wenigstens die neuen Batterien der Linken zu entwaffnen.

Den 27. Junius.

Das war ein Jammer! Hr. Heckscher hatte zu dem Verbesserungsvorschlage des Hrn. v. Auerswald einen anderen gestellt, des Inhalts: „Die provisorische Centralgewalt wird einem Reichsverweser übertragen, welchen die Nationalversammlung im Vertrauen auf die Zustimmung der deutschen Regierungen wählt.“ Man widersprach nun von der Linken dem Anbringen jedes neuen Vorschlags, und insbesondere den letzten Worten desselben. Mir schien es überhaupt unnöthig über diese nichtssagende Formel großen Streit zu erheben; wenn man die Hauptsachen (Vorschlags-, Ernennungs- oder Bestätigungsrecht der Regierungen) aufgab. Hr. Heckscher weigerte sich seinen Vorschlag zurückzunehmen (wonach man, der Billigkeit gemäß, auch der Linken das Recht einräumen mußte neue Vorschläge zu machen), und sagte bei dieser Gelegenheit und in Bezug auf eine Thatsache: die Galerie zolle den Vorschlägen der[S. 133] Linken schon Beifall, bevor der Inhalt derselben bekannt geworden. Die Linke sah hierin eine Verdächtigung, oder Beleidigung und verlangte daß der Vorsitzende, v. Soiron, den Redner zur Ordnung verweise. Als Soiron diese Forderung nicht begründet fand, erhob sich auf der Linken und den Galerien ein solcher Lärm, daß die Sitzung erst unterbrochen, dann aufgehoben werden mußte. Ich habe das Meer brausen, ich habe Ochsen brüllen hören, ich habe mich entsetzt vor dem Chore, das Löwen und Tiger in den Surreygardens im Wettgesange anstimmten; aber dies Alles ward weit überboten von dem Schreien und Wüthen der Linken und der Galerien, — zum Beweise der neuen Einigkeit Deutschlands!!

Mochte Heckscher und der Präsident Unrecht haben, so gab es doch ruhige, gesetzliche Mittel dasselbe abzustellen; jenes bestiale Verfahren läßt sich in gar keiner Weise rechtfertigen, und macht (bei Allen die nicht näher unterscheiden) die Versammlung verächtlich.

Ich tadele mich bisweilen, daß ich mich nicht hervordränge und mitspreche. Es reden aber ohnehin schon zu Viele, und wie wenig man damit ausrichtet, habe ich ja vorgestern selbst erfahren, wo meine warnenden Worte, selbst unter Gleichgesinnten, gar keine Wirkung hatten, und man den ganz[S. 134] dummen Angriffsplan annahm, welcher nothwendig zur Niederlage führen mußte. — Im Weidenbusche machte ich aufmerksam auf gefährliche Zweideutigkeiten, die Ernennung der Feldherrn und den Oberbefehl über alle Heere betreffend. Man nahm, als sei es unwichtig, darauf keine Rücksicht, hat aber bis 2 Uhr in der Nacht geredet über Worte und Redensarten wie: voraussetzen, Vertrauen haben u. dgl. mehr. Jetzt, nach der Niederlage, wundern sich Viele, daß das geschehen ist, was man ohne Weissagungsgabe vorhersehen konnte. Bei der Weise, wie man täglich, ja stündlich, Boden verloren, oder aufgegeben hat, wird höchst wahrscheinlich alle wirksame Theilnahme der Regierungen bei der Wahl des Reichsverwesers ausgeschlossen: sie müssen vorschlagen bis die Versammlung beistimmt, oder deren Wahl bestätigen, — oder sie werden gar nicht gefragt. Das mag, hinsichtlich des letzten Ergebnisses, für diesen einzelnen Fall wenig bedeuten (denn die Mehrzahl der Versammlung wird übereinstimmend mit den Wünschen der Regierungen wählen); aber die Allmacht der Versammlung zur Regel und zum Gesetz erhoben, kann (der Form nach) zu den großen Übeln führen, die in ähnlichen Verhältnissen fast nie ausgeblieben sind. Alle diese Betrachtungen und Klagen sind jedoch jetzt völlig unnütz. Wie die Sachen stehen und liegen, kommt[S. 135] es nicht mehr darauf an, sich auf völlig unhaltbar gewordenem Boden unnütz abzumühen.

Nochmals von der Gagernschen Katzenmusik. Sobald die Wachen und die Bürgerwehr Nachricht von dem Vorhaben erhielten, besetzten sie eiligst die Straße von beiden Seiten, rückten in voller Breite derselben und in geschlossenen Reihen vor, und nun gabs Prügel, blutige Köpfe und Verhaftungen, mehr als die ganze berliner Bürgerwehr jemals ausgetheilt oder zu Stande gebracht hat. Die Katzen sollen sich seitdem als heiser haben melden und entschuldigen lassen.

Erst heute habe ich eine freie Stunde gefunden, das hiesige Museum zu besuchen, und mich an seinen Schätzen zu erfreuen. Darunter manche alte Bekannte, Huß, Ezelin u. s. w. Wie unendlich verschieden die Auffassung des Schönen bei den Griechen war, lehrt jeder Blick auf die Werke ihrer Bildnerei. Die Form steht ihnen höher, als das, was wir wohl Bedeutung nennen. Je älter ich werde, desto mehr erbaue ich mich (trotz aller Splitterrichter) an der Form; und werde gleichgültiger gegen die angeblich tiefsinnigere Bedeutung; wenn sie nicht (wie bei Michel Angelo) durch die Erhabenheit, oder (wie bei Raphael) durch die Schönheit getragen und verklärt wird. So viel man auch über[S. 136] die mediceische Venus kritisiren mag, ihre Formen sind die reinsten.

Man muß, wie es heißt, die Revolution acceptiren, sich den neuen Verhältnissen anschließen, unter verschiedenen Übeln das kleinere wählen, und erforschen in welcher Richtung etwas Gutes erreichbar bleibt. In anderen Worten: man kann für kein Heer kämpfen, oder ihm vertrauen, sobald alle Disciplin aufhört, sobald es sich in bloße Tirailleurs auflöset, welche enfans perdus sind. Es paßt das Wort: wie Schafe gehn, gehn wir zerstreut, und es hilft nicht sich haupt- und willenlos von Wölfen fressen lassen. Was die sogenannte Rechte, nach wochenlangem Schwadroniren, ihren Gegnern gegenüberstellt, und in die Reihe der zu beantwortenden Fragen hat aufnehmen lassen, ist beispiellos unbestimmt, nicht kalt, nicht warm, oder (unter den unläugbar vorliegenden Verhältnissen) ganz unmöglich. Schon deshalb wird sie hinsichtlich aller Hauptpunkte in der Minderzahl bleiben, es werden Viele gegen diese Halbheiten stimmen, und sich dahin stellen müssen, wo der Boden unter den Füßen nicht völlig untergraben ist. Ja, es läßt sich (wenn nur Frevel außerhalb der Versammlung vermieden werden) eher etwas ausrichten mit Leuten die da wissen, was sie wollen, als mit solchen die hunderterlei, also eigentlich nichts wollen und deshalb auch nichts zu Stande[S. 137] bringen. Ich sehe immer mehr ein wie Recht ich hatte, mich keiner Partei, keinem sogenannten Programm zu verschreiben; werde aber dem gewöhnlichen Vorwurfe nicht entgehen: ich sei schwankend, charakter- und willenlos, abtrünnig an der guten Sache u. s. w. u. s. w. Gewiß aber werden viele ehrenwerthe Männer denken und handeln, wie ich heute denken und in den nächsten Tagen handeln muß.

—’s Gedanke, ich hätte nach Amerika gehen und mir dort (als ein beliebter Mann) ein bequemes, sorgenfreies Leben bereiten sollen, — versetzt mich in lebhaften Zorn! Wie, ich soll mein Vaterland, dem ich mit Leib und Seele angehöre, dem ich so viel verdanke, wie ein feiger, egoistischer Schuft, in dem Augenblicke verlassen, wo es an schwerer Krankheit daniederliegt? Ich soll mir schändlich einreden, ich könne irgendwo ein bequemes, sorgenfreies Leben führen, während meine Mitbürger furchtbar leiden? Der Kelch ist auch mir bereitet, und ich will einen Theil davon austrinken ohne Zagen. Ich überschätze meine Wirksamkeit gewiß nicht, sei sie aber auch so gewichtlos wie Spreu, so will ich lieber in Folge übergroßer Anstrengungen niedersinken und sterben, als erbärmlicherweise nur an mich denkend ein unwürdiges, und darum mit Recht unglückliches, Leben führen.

[S. 138]

Den 28. Junius.

Obgleich Ihr von der gestrigen wichtigen Sitzung (sie dauerte von 9 bis ½6 Uhr) in den Zeitungen umständliche Berichte lesen werdet, will ich doch (nach meiner Weise) auch davon erzählen und Randglossen beifügen. Alle schämten sich des gestrigen Herganges, Gagern ermahnte zum Frieden und selbst R. Blum erklärte sich mit Verstand und Nachdruck gegen das Benehmen, hauptsächlich seiner Partei. Und wenn man das Gestrige nicht ungeschehen machen könne, solle man doch eine Wiederholung ähnlicher Scenen vermeiden. So fehlte es dann zwar nicht an Geschrei; aber es kam doch nicht zum Äußersten, und man rückte in den Hauptsachen wesentlich vorwärts. In der Voraussetzung: man werde nochmals in lange Erörterungen über die Besserungsvorschläge gerathen, hatte auch ich um das Wort gebeten; gottlob zogen endlich alle Parteien ihre Neuheiten zurück; darunter einen, aus der Linken hervorgehenden Vorschlag: man solle (unter Zuziehung und Anhörung von Hofleuten) Lebensbeschreibungen aller deutschen Prinzen entwerfen lassen!

Der von Dahlmann entworfene und dann geänderte Bericht des Ausschusses, über die zu errichtende vollziehende Gewalt, schien hauptsächlich den Zweck zu haben, durch Zweideutigkeit und Unbestimmtheit der Ausdrücke, alle Abgeordneten und alle[S. 139] Parteien zu befriedigen; aber eben deshalb befriedigte er keine: täglich verlor er Anhänger, und ward endlich von den Urhebern selbst großentheils aufgegeben und zur Seite geworfen.

Zuerst kam, aus mehren Gründen, Vincke’s Vorschlag zur Abstimmung: „die Nationalversammlung beschließt, vorbehaltlich des Einverständnisses mit den deutschen Regierungen, daß eine vollziehende Regierungsgewalt &c. — bestellt werde. Der Reichsverweser soll von den deutschen Regierungen ernannt werden“ &c. — Für diesen Antrag stimmten 31, dagegen 577. Die nächste Frage war: soll der Reichsverweser (dieser Name ward später statt des Präsidenten angenommen) die Beschlüsse der Nationalversammlung verkündigen und vollziehen. Ja 261; Nein 277.

Hier offenbarte sich wieder die Unvollständigkeit der Berathung und Fassung. Wenn man dem Reichsverweser jenes Recht, jenes Geschäft nicht zuweiset, wer soll es denn übernehmen? Zwar hieß es: man sagt Nein, damit er nicht ein bloßer Beamter der Versammlung werde. — Aber dann hätte man ihm vielmehr die Befugniß zu Einreden, man hätte ihm irgend eine Art von aufschiebendem Veto zugestehen sollen. Dieses noli me tangere wagte aber Keiner ernstlich zu berühren. Diese Kohle wollte Keiner aus dem Feuer holen.

[S. 140]

Die übrigen Punkte, den Geschäftskreis der vollziehenden Gewalt betreffend, wurden durch Aufstehen mit großer Stimmenmehrheit entschieden. Großer Streit erhob sich dagegen, hinsichtlich folgender Fassung: „über Krieg und Frieden, und über Verträge mit auswärtigen Mächten, beschließt der Reichsverweser im Einverständniß mit der Nationalversammlung.“ — Nein 143; Ja 408. — Ich stimmte mit der Mehrzahl, denn was für einen festen, wohlbegründeten König paßt, paßt nicht für einen noch unbekannten, auf ein Paar Monate zu erwählenden Reichsverweser.

„Soll das Oberhaupt der vollziehenden Gewalt Präsident heißen?“ Ja 171; Nein 355. Ich stimmte mit der Mehrheit für Reichsverweser, weil mir das fremde Wort und der republikanische Hintergrund mißfiel.

Nun die Hauptfrage: „der Reichsverweser wird von der Nationalversammlung gewählt.“ — Nein 135; Ja 403. Als diese Entscheidung bekannt ward, entstand ein ungeheurer Jubel. Ich stimmte mit der Mehrzahl, scheinbar nicht folgerecht; allein es war ernstlich zu bedenken:

1) Daß (wie die tägliche Erfahrung zeigte) die große Gefahr obwaltete, daß, bei auch nur geringer Verzögerung der Wahl, die Versammlung sich zu[S. 141] großen Übereilungen, besonders hinsichtlich der fremden Mächte, werde fortreißen lassen.

2) Daß in diesem Augenblicke die Entscheidung der Wahl noch in den Händen der gemäßigten Mehrzahl ist; ein günstiger Umstand, der nach kurzer Frist vielleicht nicht mehr obwaltet.

3) Die Regierungen kämen in noch üblere Lage, wenn die Versammlung (schon um ihre Macht oder ihren Eigensinn zu zeigen) deren Vorschläge verwürfe, oder doch, wie bestimmt verlangt wird, einer sehr bittern, vielleicht skandalösen Kritik unterwürfe; wogegen die Versammlung durch eine schlechte Wahl sich an den Pranger stellen und allen Credit verlieren würde.

4) Lautete der Gegenvorschlag im Wesentlichen also: Es wird von den deutschen Regierungen ein Reichsverweser bezeichnet, und von der Versammlung genehmigt. — Dieser Vorschlag ist aber nur ein halber, unbestimmt, ungenügend, nicht zum Ziele führend. Was heißt z. B. bezeichnen? Ich kann Jemandem zehn Gerichte bezeichnen zum Essen, hundert Bücher vorschlagen zum Lesen; wenn er nun aber sagt: ich danke. Wie wenn die Versammlung nicht genehmigt. Solch schnöden Abweisungen vorzubeugen, erklärte sich selbst Gagern für die Wahl durch die Versammlung. Wie die Sachen nun einmal wirklich stehen, würde hier jeder von den Re[S. 142]gierungen ausgehende, durch den gehaßten Bundestag vermittelte Vorschlag, mit Mißtrauen und Widerwillen aufgenommen werden; er würde wahrscheinlich zu einem (vielleicht gesuchten) Bruche führen; während man (le meilleur l’ennemi du bien) so im Frieden über die nächsten gefährlichen Monate hinwegkommen dürfte.

Ich komme soeben aus der Sitzung und eile Euch zu melden, daß heute die Abstimmung über die vollziehende Gewalt &c. zu Ende gebracht ward. Was in der Anlage nicht ausgestrichen, oder geändert ist, ward angenommen. Ihr werdet Euch hoffentlich herausfinden, nächstens einen neuen, reinlichen Abdruck. Über den Hergang im Einzelnen, in Eil noch Folgendes: bei No. 11: „der Reichsverweser ist unverantwortlich“ erhob sich Streit, wobei die Rechte mehr unanständigen Lärm erhob als die Linke. Der Satz ward mit 373 gegen 175 Stimmen angenommen. Ich stimmte dafür, weil die Minister verantwortlich sind, und beiden, dem Reichsverweser und den Ministern, nicht dieselbe Stellung zu geben ist.

No. 18: wonach der Bundestag ein Ende nimmt, mit 510 Stimmen bejaht, und nur mit 35 verneint. Ich stimmte mit Ja: denn die gesetzgebende und richterliche Gewalt hat er nicht mehr, und die vollziehende wird ihm ja nun auch genommen. Dagegen weiset der nächste Absatz darauf hin, in welcher Weise[S. 143] er wieder kann ins Leben gerufen werden. Die Abstimmung zeigt, wie verhaßt die alte Einrichtung ist, und wie unmöglich es war sie in der alten Form zu erhalten. Auch entstand ein großer Jubel als das Ergebniß dieser Abstimmung verkündigt ward. Jetzt folgte die Abstimmung über den ganzen Entwurf: 450 dafür, 100 dagegen. Die Verneinenden gehören zur Hälfte etwa der äußersten Rechten, zur Hälfte der äußersten Linken. Jene wollen die ausdrückliche Beistimmung der Regierungen, diese die Verantwortlichkeit des Reichsverwesers. — Was sollte nun aber wohl werden, wenn die Nein überwogen und man das Neuwerk begonnen hätte? — Lichnowsky, Schmerling, Venedey gehörten zu den Bejahenden; Vincke, Ruge, Jordan, Blum, Nauwerk, Itzstein, Uhland zu den Verneinenden. Jene wollen die Souverainetät der Staaten, diese die des Volkes erhalten wissen. Die abstrakten Grundsätze stehen ihnen höher als das praktisch Rathsame. Morgen erfolgt die Wahl des Reichsverwesers. Bis jetzt hat der Erzherzog Johann weit die meisten Vermuthungen für sich. Es fragt sich aber ob er es annimmt. Ich kann nicht glauben, daß Preußen irgend widersprechen würde.


[S. 144]

Neunzehnter Brief.

Frankfurt a. M., den 29. Jun. 1848.

Wenn der Mensch scheinbar etwas zu Stande gebracht hat und es betrachtet, so möchte er gern sagen: „und es war gut.“ Wenn man es aber schon unserem Herr Gott verübelt, daß er ein so kühnes Wort ausgesprochen, und läugnet daß seine erschaffene Welt die beste sei; so erheben sich (trotz alles Widerstrebens) gegen Menschenwerk noch schärfere Einreden.

Haben wir mit Aufstellung einer deutschen Centralgewalt wirklich ein erhebliches Ziel erreicht? In gewissem Sinne ist zwar alles Menschliche provisorisch; doch setzt man das hoffentlich Dauernde, Definitive, darüber hinauf, und begnügt sich eben mit dem Vorläufigen, als einem Mangelhaften. Es finden manche Leute aber gerade an dem Mangelhaften Gefallen, schon weil sie glauben, damit willkürlich umgehen zu dürfen; und Andere verwechseln es mit dem Vollkommneren, legen die Hände in den Schoß, unbekümmert um das Dauerhaftere, welches sie anfangs bezweckten.

Für lange Zeit wird jenes „Vorläufige“ Deutschland nicht genügen; ja, bevor es sich gestalten[S. 145] und in wahre Thätigkeit kommen wird, könnte und sollte der Verfassungsentwurf fertig sein, den die hiesige Versammlung vorlegen soll. Das Provisorium, wie es jetzt gefaßt ist, wird aber, sobald es sich in Thätigkeit setzen will, Streit und Zweifel hervorrufen und sich zeigen, daß man nicht satt wird, wenn man, wie die Katze, um den heißen Brei blos herumgeht. Um die Freiheit und Unabhängigkeit des Reichsverwesers zu erhalten, streicht man den Satz: daß er die Beschlüsse der Versammlung verkünden und vollziehen solle. Wenn nun aber die Versammlung, ohne allen Zweifel, Beschlüsse fassen wird, wer soll sie denn verkünden und vollziehen? Muthet man dies dem Reichsverweser zu, so hat er (mit Bezug auf die gepflogenen Verhandlungen) ein doppeltes Recht zu widersprechen, und man müßte (sehr thöricht) eine zweite vollziehende Behörde für jene Beschlüsse erschaffen. Giebt er hingegen nach, so verfehlt man den Zweck, weshalb jener Satz verworfen wurde. Diese Verwirrung ist dann (wie ich vorhergesagt) die nothwendige Folge dessen, daß keiner der Redner, welchen man ein Monopol zu sprechen gab, auf die wichtige Frage von Einreden und Widersprüchen des Reichsverwesers eingehen wollte. Wäre ich zum Worte gekommen, würde ich den wichtigen Punkt von einem aufschiebenden oder schließlichen Veto ans Licht gezogen haben. Die Linke that es[S. 146] nicht, weil sie ein solches Recht läugnet, sobald es nicht ausdrücklich überwiesen wird; und die Rechte fürchtete sich in der Minderzahl zu bleiben. Oder sie hofft, man werde nachträglich das scheinbar Vergessene nachholen können. Ist der Reichsverweser stark, so wird er (ohne Gesetz) seinen Willen durchsetzen; ist er schwach, so wird sich ergeben, daß jene Unbestimmtheit und Zweideutigkeit ihn nicht auf die Füße stellt. Ich wiederhole: diese Eigenschaften des Ausschußentwurfes und das Drechseln an und mit leeren Worten (Vertrauen, voraussetzen und dergl.) mußte dahin führen, wohin wir gekommen sind. — Nun, ich will mich damit trösten, daß die große Mehrzahl Derer, welche das Gesetz annahmen, es auch künftig stützen will und stützen wird. Doch zeigen sich schon Hindernisse auf der, heute zu betretenden Bahn. In einer Nummer der Zeitung, welche die äußerste Linke herausgiebt, sind gestern sehr bittere Sachen wider den Erzherzog Johann, wider den Präsidenten Gagern und den General Radowitz ausgesprochen worden. Der erste sei ein unbedeutender Mann, der in seinem Leben nichts Erhebliches gethan, sich dem Metternich’schen Systeme nie widersetzt habe und noch jetzt den ungerechten Krieg gegen die Italiener befördere. Daran reihen sich Vorwürfe wider alle deutschen Prinzen, unter denen leider kaum einer sei, auf den man wegen seiner ausgezeichneten Persön[S. 147]lichkeit (abgesehen von Geburt und Macht) hinzeigen könnte (digito monstrarier). — Die Einreden wider Gagern’s Grundsätze und seine Unparteilichkeit deuten darauf hin, daß die Linke bei der in diesen Tagen zu erneuernden Präsidentenwahl einen Bewerber aus ihrer Mitte aufstellen und die frühere allgemeine Zustimmung für Gagern nicht mehr im ganzen Umfange stattfinden dürfte. Gegen Radowitz, der sich durch Annahme des Neuen, oder gemäßigte Vertheidigung des Alten, Bahn zu machen strebt, sind die früheren Lebensverhältnisse und verfehlten Zwecke in einem scharfen Sonette vorübergeführt.

Geheimrath C. sagt mir: in Berlin widersprächen Alle der Wahl eines österreichischen Prinzen zum Reichsverweser; sie forderten einen preußischen. Hier habe ich einen solchen Einwand, eine solche Forderung noch nicht gehört. Erlaubt man Candidaten aufzustellen und über ihre Eigenschaften zu sprechen, so wird eine Sitzung auf diesem Moquirstuhle hinreichen, jeden für immer zurückzuschrecken. Und doch hat eine Wahl ohne Vorschlag, Prüfung und Beglaubigung, auch ihre Schattenseiten.

Sehe ich von Frankfurt nach Berlin, so sind die Berathungen auf dem preußischen Reichstage oberflächlicher und schwächer als hier, und die bürgerliche Ordnung wird in dieser freien Stadt viel ernster vertreten, als in der Residenz des Königs von Preu[S. 148]ßen, wo die Klubs schrankenlos die Empörung hervorrufen, und das neue Ministerium schon in seiner Geburtsstunde chicanirenden Widerstand findet. Bleibt es so farblos und schwach, wie das abgetretene Ministerium (besonders seit der Plünderung des Zeughauses), so wird es auch nicht lange leben und zu den Blutmitteln führen, welche jetzt in Paris furchtbarer, länger und allgemeiner wüthen, als jemals während der Revolution seit 1789. — Über die Weisheit dieses Jahres scheint Hr. Waldeck, der Vorsteher des Verfassungsausschusses, nicht hinausgekommen zu sein, ja nicht einmal zu wissen, was Mirabeau z. B. über das Veto gesagt hat. Siegen seine Ansichten ob, so wird die neue Verfassung nicht länger dauern, als die französische von 1791. Wer jetzt drittehalb Gedanken in trivialen, abgedroschenen Phrasen überlaut und selbstgefällig ausschreit, wird von den Maulaufsperrern für einen großen Staatsmann gehalten. Die angeblich unwiderleglichen, augenscheinlichen, handgreiflichen Lehren jener falschen Propheten, sind ebenso tiefsinnig begründet, als wenn jetzt ein Astronom behaupten wollte, die Sonne laufe in 24 Stunden um die Erde.

Den 29. Junius, 3 Uhr.

Die Kanonen donnern, alle Glocken läuten, überall die größte Aufregung und Theilnahme! Vor einer[S. 149] Viertelstunde ist der Erzherzog Johann zum Reichsverweser erwählt und unter höchstem, sechs Mal wiederholten, Jubel und Lebehoch proklamirt worden. Er hatte 436 bejahende Stimmen, der Präsident von Gagern 52, von Itzstein 32; des Abstimmens enthielten sich 25. Über den nähern Hergang in größter Eile nur wenige Worte. Der Vorschlag, durch Stimmzettel schweigend abzustimmen, hatte wohl die Absicht, die Stimmen zu zersplittern, mehr Candidaten aufzustellen und keine Rücksicht auf den, sehr beachtenswerthen, Willen der Mehrzahl zu gestatten. Dieser Vorschlag fiel durch, und Jeder nannte bei namentlichem Aufrufe laut den Namen seines Candidaten. Der irrige Gedanke: man müsse ehrenhalber auch einen Preußen auf die Liste bringen (und mit wenigen Stimmen durchfallen lassen), ward glücklich ausgetrieben. Nirgends zeigte sich Eifersucht wider Österreich und die Hoffnung steht fest, Johann werde zu allgemeinem Wohle die Wahl annehmen und nicht die Nothwendigkeit einer zweiten, gefährlicheren Wahl herbeiführen. Des Abstimmens enthielten sich Die, welche keinen unverantwortlichen Reichsverweser wollten. Gagern nannten Etliche seiner tüchtigen Eigenschaften halber, Andere wohl, weil sie keinen Fürsten wollten. Für Itzstein stimmten nicht Alle, aber doch nur Leute von der Linken, z. B. Jordan, Meyer aus Liegnitz,[S. 150] Tschucke aus Meißen, Vogt aus Gießen, Wigard aus Dresden, Schaffrath, Nauwerk, Blum, Simon aus Breslau, Eisenstuck aus Chemnitz und Andere. Ich stimmte natürlich für den Erzherzog: denn seine Wahl beseitigt jede Besorgniß, mit den Regierungen in Streit zu gerathen, zeigt daß die Versammlung (trotz alles Geschreies der äußersten Linken und der Mißgriffe der Rechten) noch nicht die Achtung vor der Vergangenheit und der Stellung eines einflußreichen Fürsten ganz verloren hat. Auch Radowitz und Lichnowsky stimmten für den Erzherzog; Vincke war abwesend.

Der unendlich wichtige Augenblick, die erste große That des ersten deutschen Reichstages in dieser Form, die Nothwendigkeit und die Schwierigkeit erheblicher Veränderungen, die Hoffnung, unser theures, deutsches Vaterland werde feststehen wie ein Fels in Ungewittern und neue, ungekannte Blüthen und Früchte treiben; — dies und so vieles Andere bewegten und erregten mir Kopf und Herz so, daß ich zugleich Thränen der Freude und des Schmerzes vergießen mußte; — und dies waren keine Thränen dummer Sentimentalität oder lächerlicher Schwäche. Heute also wieder einmal: nil desperandum.

Gestern (28.) sah ich ¾ des Weltumseglers wider Willen. Hr. Hassel spielte den Purzel ganz ergötzlich, obwohl Räder ihn noch übertraf. Trotz[S. 151] aller Kunstmittel hatte er sich nicht dicker machen können, als sein Ludwig (Fräulein Q.) von Natur war. Der Witz ist wohl schon alt: es gäbe drei Zonen, die heiße, die kalte und die Amazone. Neu war ein anderer Einfall: als man Purzeln bange machen will, was seine Frau während seiner Abwesenheit daheim wohl thue? sagt er: o das weiß ich, sie läuft (wie jetzt alle Weiber) ins Parlament. Dies fand großen Beifall, und in der That wohnen viele Damen ausdauernd den Sitzungen bei.


Zwanzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 30. Junius 1848.

Die Linke hat in den letzten Tagen so viel Fehler begangen als zuvor die Rechte. Erstens nämlich, erscheint sie diesmal in ihren Abstimmungen uneinig und gespalten. Zweitens, mißfällt allgemein die Verwerfung des ganzen Gesetzentwurfes über die vollziehende Gewalt. Selbst die Galerie ist mit dem bloßen Verneinen unzufrieden und will sich mit keinem da capo langer Berathungen langweilen. Drittens, die Abstimmung für Itzstein zeigt die Schwäche dieser Partei in der Versammlung. Und dies um so mehr, da etwa eine Hälfte unpraktisch und höl[S. 152]zern an sogenannten Principien festhielt, unbekümmert, daß aus der Wahl jenes Mannes unausbleiblich der größte Zwiespalt hervorgegangen wäre. Die zweite Hälfte wünscht dagegen einen solchen Zwiespalt; er ist ihr Lebenselement. Beide Hälften sind in Irrthum und Unrecht, und das: „ich wähle nicht, ich will keinen Unverantwortlichen,“ — machte nicht (wie Manche wohl erwarteten) einen tiefen, erhabenen Eindruck, sondern ward, in verschiedenen Tonarten und Betonungen ausgesprochen, fast lächerlich.

Gott gebe nur, daß zwischen der neuen Centralgewalt und den einzelnen Regierungen kein Zwiespalt entstehe, jene weder zu mächtig noch zu ohnmächtig werde und eine festere Verfassung bald zu Stande komme. Mag auch das Ergebniß langer hiesiger Berathungen noch so viel gerechten Einwendungen unterliegen, es hat doch, Gottlob, nicht den furchtbaren, blutigen Boden, wie das französische pouvoir exécutif, welches vor der Hand die Republik wieder zur Seite geworfen hat. Hoffentlich wird man in Berlin Cavaignac’s Maßregeln gegen Wühler und Klubisten nicht unberücksichtigt lassen, und zu ihnen nicht nach, sondern vor dem Blutvergießen gerechte und heilsame Zuflucht nehmen.

Gagern ist wieder mit 399 Stimmen zum Präsidenten, Soiron mit 359 Stimmen zum Vicepräsi[S. 153]denten erwählt worden. Für die erste Stelle hatte der bekannte Simon 68, für die zweite Blum 104 Stimmen.

Als man (so höre ich) den Prof. V. darauf aufmerksam machte, daß das Bestreben der Linken durch die Anarchie hindurch zur Despotie führe, soll er geantwortet haben: und glaubt ihr denn, daß ich nicht Lust habe ein Despot zu sein? — Das paßt für alle über das Gesetz hinauswirkende, angebliche Helden der Freiheit.

Den 1. Julius.

Eine dreistündige Sitzung im völkerrechtlichen Ausschuß, die Abends bis 9 Uhr dauerte und von Posen und Tirol handelte, machte mich (da kaltes Regenwetter hinzutrat) körperlich todtmüde, und die Nachrichten aus Paris, sowie der Inhalt Eures und Waagen’s Brief vom 27. und 29. vermehrten meinen geistigen Kummer. Dort, in einer Zeit angeblich höchster Brüderlichkeit, Scenen wie sie seit Marius und Sylla kaum in der Weltgeschichte vorgekommen sind; im raschesten Wechsel, nach lautem Preisen der Freiheit und Gleichheit, die einzige Rettung durch militairischen Despotismus; die Nothwendigkeit langer Leiden, furchtbaren Hasses, schrecklicher Armuth, und der blutige Ausgang noch kein Zeugniß, keine Bürgschaft für zurückgekehrte Gesund[S. 154]heit. — Dann in Berlin: Regierung, Reichstag, Magistrat, Stadtverordnete, Bürger, Arbeiter, täglich dem Abgrunde näher kommend, muthlos mit Aufrührern capitulirend und liebäugelnd; Schwatzen und Schwadroniren ohne Ordnung, Zusammenhang, Fortschritt; kein ausgezeichnetes Talent, kein großer Charakter; das neue Ministerium ohne Vertrauen bei Andern oder zu sich selbst, von Hause als krank (bald als todeswürdig) bezeichnet; der König übermäßig zurücktretend, das Volk vom Königsthume immer mehr entwöhnend; Berlin entvölkert, verarmt, papierne Geldpflaster auf die Wunden legend; — und dabei noch immer eitelem Hochmuthe hingegeben, während man es von allen Seiten verächtlich behandelt!!

Muth und Unmuth wechseln ab, wie Tag und Nacht. Wenn ich mich durch die größten Anstrengungen geistiger und leiblicher Art bis zur Ohnmacht herabgedient habe, werfe ich mich auf den Boden des Vaterlandes nieder, und wenn ich auch nicht aufstehe wie ein Antäus, dann doch mit der Kraft, des Tages Last wieder zu tragen und mir, im Gefühle, daß ich Recht thue, muthig zu sagen: Vorwärts!

Heute beginnen die Verhandlungen über die Volksrechte. Ich hoffe, hier soll im Ganzen Heilsames beschlossen werden; so scharf, ja übereilt, auch wohl[S. 155] Manches in die noch bestehenden Verhältnisse eingreifen wird. — Alle Regierungen haben in die Wahl des Erzherzogs Johann gewilligt und ihn davon durch den Bundestag eiligst benachrichtigt. Er wird gewiß die Stelle annehmen; seine erste große Noth aber bei Ernennung der Minister finden, wo jede Partei Männer ihrer Farbe an die Spitze stellen und um jeden Preis durchbringen möchte. — Republikaner und Kriegslustige stören hier, wie in Berlin, und treiben zu Kriegen, ohne irgend Kriegsmittel und Kriegskenntniß zu besitzen. General Peuker hat hierüber eine sehr lehrreiche Schrift herausgegeben, welche nur zu deutlich erweiset, wie sehr schlecht wir gegen die (besser vorbereiteten) östlichen und westlichen Feinde gerüstet sind; wie man ein stehendes Heer, Übung, Kenntniß u. s. w. nicht entbehren kann und mit bloßen eilig zusammengebrachten, undisciplinirten Milizen und Freischaaren kein wohlgeordnetes russisches oder französisches Heer besiegen kann.


[S. 156]

Einundzwanzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 2. Julius 1848.

Gottlob, heute ist wieder Sonntag, obgleich kein Ruhetag; denn ich habe eben einen Bericht über Tirol und Randglossen zu dem Entwurfe über die Grundrechte des deutschen Volkes niedergeschrieben. Gestern war aber ein schwerer Arbeitstag: Sitzung von 9–3 Uhr, 3–4 Berathung in der vierten Abtheilung (zu welcher ich neu verlooset bin), 6–9 Sitzung des völkerrechtlichen Ausschusses; Summa 10 Stunden Arbeit, davon 6 in heißer, verdorbener Luft. Es ist ein Wunder, daß ich es in meinen alten Tagen aushalte, an jedem Tage bis 12 Stunden in steter Thätigkeit zu sein, — da Jüngere ausspannen, oder sich zu erleichtern wissen. Mit großem Rechte ist deshalb gestern beschlossen worden: wöchentlich nur vier große Sitzungen zu halten, Montags, Dienstags und Donnerstags über das Verfassungswerk, Freitags über andere Gegenstände. Dann würden die Sitzungen der Ausschüsse auf Mittwoch und Sonnabend fallen, und wenigstens Abends einige Ruhe und Erholung möglich sein. Hierdurch verlängert sich aber wahrscheinlich der hiesige Aufenthalt.

In jeder Abtheilung, deren 15 für alle Abge[S. 157]ordnete gebildet sind, ward gestern Einer zu einem Ausschusse gewählt, welcher die Gültigkeit der Wahlen Hecker’s und Peter’s untersuchen soll. Vor der Wahl des Ausschußmitgliedes kam es in Anregung: jeder möge aussprechen, wie er über Hecker denke. Professor L— erhob sich hierauf und sagte in sehr scharfer Weise: Hecker sei ein Hochverräther und verdiene den Tod. Dies Benehmen erregte (wie vorherzusehen war) Widerspruch und stimmte Manchen zur Milde. Ich bemerkte (und ebenso Gleichgesinnte), wir wären gar nicht berufen, von vorn herein abzuurtheilen. Der Ausschuß solle ja eben die Thatsachen untersuchen, die Akten lesen und Bericht erstatten; dann erst könne und solle Jeder, aus genügenden Gründen, nach seinem Gewissen entscheiden. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Hecker nicht aufgenommen (zweifelhafter steht es mit Peter), aber die namentliche Abstimmung verlangt werden, um die Verneinenden bei dem vornehmen und niedrigen Pöbel in Verruf zu bringen.

Im Ausschusse wurden zwei Polen (Graf P. und Prof. C.) über die posener Angelegenheiten befragt. Kommen diese Begeisterten erst in den Trab, dann geht es unaufhaltsam vorwärts, ihre Suade ist unerschöpflich und unversieglich, und mit jeder Minute steigern und erweitern sich Hoffnungen, Plane, Forderungen. Mich ermüdete das Alles gar sehr, da[S. 158] ich es meist schon oft gehört hatte, und ich leider wieder bestätigt sah, daß der einzelne Pole wohl Vernunft annimmt, daß sie sich aber untereinander hinaufschrauben, bis sie Unmögliches für möglich halten, durch das Unbegränzte ihrer Ansprüche sich selbst den größten Schaden thun, und für Thatsachen und unläugbare Wahrheit keinen Sinn behalten. Ein Beispiel statt vieler: der polnische Ausschuß behauptet: das ganze Herzogthum Posen müsse ganz polnisch organisirt werden, die Deutschen würden sich dabei sehr wohl befinden und, mit Ausnahme weniger Beamter, wünschten alle Deutsche unter polnische Herrschaft zu kommen!! — Und das glaubt die Mehrheit jener Eiferer, trotz der unläugbaren Gewißheit, daß die Begeisterung für die Polen sich binnen weniger Wochen in Haß und Bürgerkrieg verkehrte, und bei dem ersten Versuche die Deutschen unter polnische Herrschaft zu stellen, der blutige Streit sich erneuern würde.

Ich halte die Festsetzung der allgemeinen Grundrechte der Deutschen für einen äußerst wichtigen Theil unserer Arbeiten; auch wird er uns wohl mehre Wochen beschäftigen. Die Hauptgefahr dabei ist: daß man geneigt wird, aus Zorn über das frühere Zuwenig, jetzt ein Zuviel zu fordern und zu bewilligen; daß man im Andenken an zu viele Verschiedenheiten innerhalb Deutschlands, jetzt Alles unter ganz[S. 159] allgemeine Regeln bringen möchte, und die Schwierigkeiten und Hindernisse zu gering anschlägt, welche daraus in den so mannigfaltig eingerichteten, gebildeten oder ungebildeten deutschen Staaten entstehen dürften. Ein anderer Irrthum ist der: die Freiheit bedürfe gar keiner gesetzlichen Schranke, und könne (als ein reines, unbedingtes Gut) gar nicht mißbraucht werden. Daher springt man aus Preßzwang in Preßfrechheit, und die löblichen Vereine arten aus in verdammliche Klubs. Nähmen doch deren Mitglieder, sowie die Behörden, Das zu Herzen, was darüber der treffliche Jefferson sagt und, auf meine Anregung, in Spiker’s Zeitung wieder abgedruckt ist. Viele reden von Nordamerika und meinen, wenn sie nothdürftige Kenntniß einiger Formen jenes Freistaates kennen gelernt haben, sie und ihre Städte und Länder wären dann leicht in Republiken umzuwandeln. Wenn eine häßliche, schiefe und bucklige Familie in das Museum geht und den Apollo, den Antinous, die Artemis, die Aphrodite sehr genau, von hinten und von vorn besieht: wird sie denn hiedurch schön, kommt sie verwandelt nach Hause?

Unter Volkssouverainetät verstehen die Maul- und Fausthelden nichts weiter, als daß ihr Belieben das höchste, täglich aufzustellende, abzuändernde, wegzuwerfende Gesetz sei. Daher läugnen sie Schranke und Maß; obwohl das Schrankenlose ganz gestalt[S. 160]los, das Maßlose ungemäßigt, und das Chaos letztes Ergebniß dieser Richtung ist. In Amerika wird über die Abgeordneten viel raisonnirt und deraisonnirt; aber es fällt Wahlmännern oder Urwählern nicht ein (im Widerspruch mit den Gesetzen) neue Wahlen einzuleiten, weil ein Abgeordneter einmal nicht so gestimmt hat, wie es ihnen behagt. Die sogenannte französische Volkssouverainetät ist der vollkommene Gegensatz der amerikanischen; oder das Volk entschied dort gar nichts, sondern Paris war der leitende Hammel, oder der herrschende Tiger. Was bedeutet die Stürmung der Bastille, der 12. Vendemiaire und Ähnliches, gegen die letzten, Tage langen Schlachten mit ihren Grausamkeiten, Plünderungen, Minen &c. Und doch hatten die Besiegten nicht ganz Unrecht. Viele litten bittere Noth in Folge der Ereignisse des Februar, in Allen hatte man thörichte Hoffnungen erregt, Allen hatte man unsinnige Versprechungen gegeben. Leute wie Louis Blanc sind die sündigen und verrückten Urheber der Empörung. — Wie rasch wechseln Dinge und Personen: Lamartine, Rollin, Blanc u. A., wie verschieden! Darin aber Alle gleich, daß sie verbraucht, usé, sind und zur Seite geworfen werden. Welche Warnungen gegen Ehrgeiz und Eitelkeit! Wem man heute eine Lorberkrone aufsetzt, der kann mit Gewißheit darauf rechnen, daß sie ihm bald nachher abgerissen und er angespien wird! Vincke,[S. 161] Camphausen, Sydow u. A. geben selbst in unserem Vaterlande lehrreiche, bittere Beispiele, — Derer nicht zu gedenken, die sich selbst zu Grunde richteten, wie E. und S. Doch überleben die Edelsten jede Ungerechtigkeit ihrer Zeitgenossen, und gehen aus dem Fegefeuer der Geschichte unversehrt hervor. Wäre dies aber auch nicht der Fall, so kann auch der Kleinste und Geringste darüber ins Klare kommen, was zu thun seine Pflicht ist. Also (trotz aller Belästigung) für mich, nicht die Hände in den Schoß zu legen, nicht nach Amerika davonzulaufen, — sondern hoffend muthig auszuharren.

Die heutige Sitzung dauerte nur 4 Stunden; wir haben aber auch fast nichts zu Stande gebracht, da mit (oft beklagter, jedoch noch nicht abgestellter) deutscher Pedanterie eine Zahl von Fragen über die Form des Berathens und Abstimmens, mit ermüdender unnützer Weitläufigkeit, von einer langen Reihe von Rednern behandelt wurde. Und das geschieht unter lauten Behauptungen: das lang geknechtete deutsche Volk erwarte mit Schmerz seine Erlösung und wir dürften keinen Augenblick Zeit verlieren! Endlich ward (ich übergehe das minder Wichtige) entschieden: nach vollendeter Berathung über die Grundrechte, gehe Alles nochmals an den Verfassungsausschuß zur Prüfung und Redaktion. Dann erfolge eine zweite Berathung und Abstimmung über den berichtigten[S. 162] Gesetzentwurf. Die Linke sprach gegen eine zweimalige Berathung, hauptsächlich weil Jeder im Voraus wisse, wie er stimmen wolle, und (wie gesagt) keine Zeit zu verlieren sei. Man entgegnete: wenn Niemand erhebliche neue Gründe vorzubringen habe, werde er schweigen und die zweite Berathung fast nur eine zweite Vorlesung sein. Wenn Neues, Wichtiges hervortrete, sei der Gewinn für die Verbesserung eines so außerordentlich wichtigen Gesetzes größer, als der geringe Verlust an Zeit. Überhaupt wollte man, bei dem Mangel einer zweiten, wiederholt berathenden und beschließenden Kammer, wenigstens ein Analogon, eine Hemmung auffinden gegen das Überstürzen aus sogenannten unfehlbaren Grundsätzen, und das Vernachlässigen des Landschaftlichen und der persönlichen Rechte. Die Eiferer möchten, ungewarnt durch den Vorgang, einen Tag oder eine Nacht des 4. August herbeiführen. Sie vergessen unter Anderem, daß in solch einem Falle die Verwirrung in dem mannigfach gestalteten Deutschland noch größer werden würde, als in dem damals gleichartigeren Frankreich.


[S. 163]

Zweiundzwanzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 4. Julius 1848.

Der Ausschuß war gestern nicht so langweilig, wie ich voraussetzte. Abgeordnete aus dem deutschen Theile Posens ergingen sich nicht in Phantasien und Unmöglichkeiten, sondern hielten fest an Thatsachen und widerlegten ausgesprochene Zweifel durch Beweise. So ist über allen Zweifel hinaus erwiesen: daß die Deutschen sich um keinen Preis unter die Herrschaft der Polen stellen lassen, und lieber den Krieg auf ihre eigene Hand von Neuem beginnen. Wollte man jenes unfolgerecht und schwach bewilligen, anordnen; das Bewilligte käme gewiß nicht zur Vollziehung; und auf dem Wege übertriebener Forderungen, würden die Hoffnungen der Polen — wie schon so oft — scheitern. Sie sind tapfer, begeistert für ihr Vaterland, ermangeln aber aller Haltung, Einigkeit und politischer Klugheit, und ziehen Diejenigen welche ihnen nützen wollen oft mit ins Verderben. Die Ordnung, der Gehorsam und Zusammenhang, welcher den Russen mag aufgezwungen sein, giebt diesen eine solche Übermacht, daß Aufstände sie schwerlich aus Polen verdrängen werden. Oder wenn es geschähe, würde dies Land (ohne Umgestaltung des[S. 164] Nationalcharakters) schwerlich Festigkeit und Einigkeit gewinnen. Doch wozu weissagen, was immer ein dummes Geschäft ist; sofern die Ausleger nicht von vornherein entschlossen sind, Das zu finden, was ihnen behagt.

Von dem Ausschusse ging ich (dringend aufgefordert) in eine Gesellschaft wohlgesinnter Männer im Hirschgraben, welche sich untereinander vortrugen, was sie in der Hauptversammlung vortragen wollen. Es mag löblich sein, daß Mancher sich so vorbereitet, aber mir erscheinen alle Vorbeschlüsse und Weisungen bedenklich, sofern sie die Unabhängigkeit mindern und fertige Abstimmungen schon in die Sitzung mitbringen, anstatt daß diese erst das Ergebniß der beendigten Berathung sein sollen. Ich könnte mich allerdings daselbst breit machen, und oft das Wort ergreifen; müßte aber befürchten, daß man mir dann, (wie manchem „Vielgeschrei“ unter den Abgeordneten) ein neues hohes Reichsamt übertrüge. So hat man den Einen zum Reichsgeschäftsordnungsbewahrer erhoben, weil er fast jeden Tag von der Geschäftsordnung spricht; einen Zweiten zum Reichsantragsteller; einen Dritten (sit venia verbo) zum Reichszweifel—! Das sind die entremets oder hors d’oeuvres, unseres sehr ernsten Gastmahls.

Heute kommt der erste Absatz des Gesetzentwurfes über die Grundrechte zur Berathung. Unzählige[S. 165] Redner haben sich bereits angemeldet, und wir werden sehr viele unnütze Worte hören müssen. Indessen ist die jetzige Fassung allerdings ungenügend. Es heißt: „jeder Deutsche hat das allgemeine deutsche Staatsbürgerrecht.“ — Nun giebt es ja aber unzählige Deutsche außerhalb Deutschlands (in Siebenbürgen, Nordamerika u. s. w.) die es nicht haben und nicht haben können; während Franzosen, Polen, Böhmen, Slaven, die innerhalb Deutschlands angesiedelt sind, mit Recht die Zulassung verlangen werden. Der Thurm läßt sich nicht von oben bauen. Die wahren Stufen in Deutschland sind: Familie, Gemeine, einzelner deutscher Staat, deutsches Reich. Selbstständige Familienglieder sollen in eine Gemeine treten (nicht wie Schutzverwandte ganz daneben vegetiren, und doch schwadroniren); der Gemeinebürger hat Anspruch auf das Bürgerrecht des einzelnen deutschen Staates, und diesem soll auch das Reichsbürgerrecht gewährt werden. Nicht aber dürfen Reichsbürger, ohne Ansiedlung und Heimat, in Deutschland umher vagabondiren, und sich dann wie Heuschrecken da niederlassen, wo sie für sich reichen Fraß zu finden glauben. — Ebensowenig ist das Verhältniß des 3. Paragraphen zum zweiten klar; wie ich auch in den von mir entworfenen, von Schubert (nach einigen kleinen Zusätzen) angenommenen Vorschlägen, bemerkt habe. Man könnte über den Ge[S. 166]setzentwurf ein dickes Buch schreiben; hier durfte ich nur Einzelnes herausgreifen und kurz berühren, — sonst lieset es kein Mensch. Dixi et salvavi animam!

Die heutige Sitzung giebt Veranlassung eine schrecklich lange Berathung über die Grundrechte befürchten zu müssen; denn wir sind über die ersten zwei Absätze nicht hinausgekommen. Auch kostete eine sehr unnütze Frage (oder Interpellation) Blum’s leider viele Zeit. Da es lange vorher weltkundig war, man werde wohl den Erzherzog Johann zum Reichsverweser erwählen, hatten die Bundestagsgesandten (auf den Grund ihrer Berichte) die willige Zustimmung aller ihrer Regierungen erhalten, und nach der Wahl dies freudig dem Erzherzoge gemeldet, um ihm alle, nach dieser Seite hin, etwa obwaltende Zweifel zu benehmen. Dies natürliche, verständige, abkürzende Verfahren, stellten Blum und Consorten, als eine verrätherische heimliche Verabredung dar, als einen furchtbaren, allgemeines Mißtrauen erweckenden Eingriff der Fürsten in die Rechte der Reichsversammlung, als eine Quelle der allgemeinsten Unzufriedenheit im Volke u. s. w. — Noch nie hat Blum auf unhaltbarerem Boden gestanden und so schlecht gesprochen; auch ward er vom Bundespräsidenten von Schmerling gehörig zurecht gewiesen. Alle Anstrengungen seiner Freunde blieben umsonst (Einige entsagten sogar der Rede, was, ich glaube,[S. 167] noch nie geschehen); und anstatt die Bundesgesandten zurechtzuweisen und zur Verantwortung zu ziehen, ging man ganz einfach zur Tagesordnung über. — Lächerlich war es, daß ein Schreiben der nach Wien eilenden Abgeordneten, den über die Wahl Johann’s allgemein ausbrechenden Jubel (insbesondere zu Nürnberg und Fürth) begeistert verkündete; während Blum seine Schornsteinmalereien auftischte!

Am Anfange der Sitzung mußte ich Namens des völkerrechtlichen Ausschusses drei (sehr kurze, gewiß nicht zu lange) Berichte vorlesen, oder vielmehr mit größter Anstrengung herschreien: über Istrien, Trient und Roveredo, und den österreichisch-italienischen Krieg. Ich hoffe ein gedrucktes Exemplar beilegen zu können. So hätte ich mich einmal pflichtmäßig hören lassen, und (ein sehr seltener Fall) durch den zweiten Bericht zwei entgegengesetzte Parteien so befriedigt, daß sie mein Benehmen billigen und sich bei mir bedankten. Mit dem dritten wird es nicht so gehen, und — (von seinen kosmopolitischen Grillen ausgehend) wahrscheinlich heftig gegen Österreich Partei nehmen. Indeß schienen die Meisten mit meinen Anträgen einverstanden zu sein, wie denn auch der ganze Ausschuß, Inhalt und Fassung billigte.


[S. 168]

Dreiundzwanzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 5. Julius 1848.

Noch immer giebt es Leute, die nach Krieg schreien und den unsinnigen Glauben hegen: Freiheit und Ordnung würden am besten während eines Krieges gegründet. Hiezu kommt daß, wenn man Peuker’s Buch lieset und mit einem Berichte des Ausschusses für die Wehrverfassung vergleicht, ohne Zweifel Rußland und Frankreich besser gerüstet sind, als das zerstückte, zwischen beiden eingeklemmte Deutschland. Nur noch ein Jahr Friede, und ich hoffe, trotz aller Wühlereien, werden doch Recht und Ordnung sich wiederfinden; — denn auf die Dauer sind sie ganz unentbehrlich, und je ärger man sie verletzt, desto unausbleiblicher ist der Rückschlag, und wäre er auch so furchtbar und blutig wie in Paris.

Wenn die Unzahl eingegangener, zum Theil ganz unvernünftiger Anträge und Petitionen, hier zur Berathung und Entscheidung kommen müßte, so stürben die jüngsten Abgeordneten vor Beendigung der, meist ganz unnützen, Arbeit. Es ließe sich aus jenen ein Quodlibet ergötzlicher Narrheiten zusammensetzen; fehlte es unter den höchst ernsthaften Geschäften nicht an Humor und Muße.

[S. 169]

Ich benutzte die Muße des heutigen Feier- und Bummeltages um mich zu baden, und dann wieder das städelsche Museum zu besuchen. Wäre es meines Amtes, so könnte ich lange Kunstkritiken machen und z. B. zu beweisen suchen, ein dortiger Rafael sei kein Rafael. Das haben jedoch Andere wohl schon gründlicher gethan. In Overbeck’s großem allegorischen Bilde ist die Musik zu kurz gekommen; auch bin ich ein zu großer Verehrer der Frauen, um nicht zu rügen, daß sie ganz aus dem Tempel hinausgetrieben sind. Der große Moreto erinnerte mich an Bilder dieses Meisters in Verona. Das Manierirte und Unschöne so vieler Gemälde stört den Eindruck in jeder zahlreichern Sammlung; wogegen die Ausstellung der Rafaels im berliner Museum einen rein erfreulichen Genuß gewährte, und aus der schweren Luft politischer Werkstätten in reinere Regionen erhob.

Da ich so viel täglich muß deklamiren hören, nahm ich — mehr des ähnlichen Worts, als der inneren Aehnlichkeit halber —, Quintilian’s Deklamationen zur Hand. Erzeugnisse kalten, künstlichen Scharfsinns, ohne tiefere Wahrheit und Begeisterung. Wie viel anziehender und lehrreicher wäre die Sammlung, wenn sie wirkliche Fälle und namhafte Personen, mit scharfer Hinweisung und Erörterung römischer Gesetze enthielte; wenn es ein Pi[S. 170]taval der Wahrheit wäre. Freilich zeigen die Aufgaben eine krankhafte Zeit, aber viel zu unbestimmt und schwankend: ein wirklicher Fall im Tacitus giebt mehr Erleuchtung über die damalige Ausartung, als diese ganze Sammlung. Wie konnte ein Mann, der das geistreiche zehnte Buch seiner Institutionen schrieb, sich mit diesen Schulexercitien begnügen?

Den 6. Julius.

Die preußischen Wahlen, „hervorgegangen aus der breitesten Grundlage“, erweisen, daß der Kopf bei ihnen nicht mitgesprochen hat. So übel die Sachen auch standen, als das Wahlgesetz gegeben ward, hätten die Minister doch nicht mit Siebenmeilenstiefeln selbst über das amerikanische hinausschreiten, sondern wenigstens von jedem Wähler fordern sollen: Ansiedelung und Steuerzahlung.

Bei der Aussicht, allzu lange hier zu bleiben, möchten Etliche die Reichsversammlung unterbrechen und etwa im Herbste nach Hause gehen. Eine unvollendete Verfassung ist aber gar keine Verfassung, und für Uebereilungen erhält man vielleicht noch eher eine Lossprechung, als für lange Verschleppungen. Ein sehr zusammengedrängter, rasch handelnder Bundestag an der Spitze, wäre am wenigsten abweichend von dem Früheren; ein solcher Gedanke ist aber seiner Unbeliebtheit halber völlig unausführbar: obgleich[S. 171] ich für den, am entgegengesetzten Ende stehenden, Gedanken eines mächtigen Kaisers in diesem Augenblicke noch weniger Freunde sehe. Die französische assemblée constituante blieb so lange beisammen, daß daher keine Wahrscheinlichkeit für unser rasches Beenden zu holen ist. Möge das deutsche Kind nur länger leben als das französische, selbst von den Eltern verläugnete, halb todtgeborne, und dann mit Schmach und Hohn öffentlich ermordete! Ueberhaupt können, nach den Erfahrungen der letzten 60 Jahre, alle Verfassungsfabrikanten keineswegs auf Ruhm und Dank rechnen. Auch läßt man den alten Spruch: in magnis voluisse sat est, nicht gelten; wie er denn freilich kaum halbwahr ist.

Sehe ich nach diesen weitaussehenden und weithingreifenden, weltgeschichtlichen Betrachtungen, auf mich selbst, so bleibt fest stehen, daß ich ausharren muß und nicht übereilt meinen Platz abtreten darf, ohne Rücksicht darauf, ob und was zu Stande kommt, und ob man Dank oder Vorwürfe dafür einernten wird. Man thut eben seine Pflicht!

Wenn ich hier manche Weltverbesserer in ihren gesuchten, abweichenden Trachten, mit aufgedrückten, schiefgerichteten Mützen, in schmuzigem Putze, mit großen Knitteln bewaffnet, breitspurig wie Matrosen, Alles um sich verachtend einhergehen sehe, so werde ich unwillkürlich an die amerikanischen Wilden erin[S. 172]nert, und möchte eine wilde, aller Ordnung und ächten Bildung widersprechende Zeit befürchten. Gewiß ist in all diesen Leuten auch nicht eine Spur von christlicher Demuth, und ebensowenig von der Besonnenheit und dem schönen Maße, der Sophrosyne, der Griechen. — Das äußerliche Gegenstück zu jenen geputzten und zugleich ungewaschenen Helden des Tages, sind die eleganten Damen. Denn ihr Anzug ist von der Natur und Schönheit der Griechen so weit entfernt, wie eine eingeschnürte, schiefhüftige Frau von Lukas Kranach, von der Venus von Melos. Käme aber diese selbst hieher, und hielte Vorlesungen darüber, wie man sich kleiden müsse; es würde selbst auf die Schönsten keinen Eindruck machen, wenn irgend eine Modehändlerin widerspräche.

Hiebei die ganze Paulskirche, damit Ihr Euch in Gedanken herversetzen könnt, wie die 600 Weisen Deutschlands auf der breitesten Grundlage sitzen. — Ferner, meine drei, sehr kleinen Berichte, über sehr wichtige Gegenstände. Auf den Lakonismus im Schreiben und Sprechen sollte man hier große Belohnungen aussetzen!!


[S. 173]

Vierundzwanzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 6. Julius 1848.

Heute habe ich zum ersten Male den Muth eines Mitgliedes des britischen Unterhauses gehabt: das heißt, ich bin aus der Sitzung davongelaufen, weil sie gar zu weitläufig und langweilig war. Zu einem Satze werden 40–50 Verbesserungsvorschläge gestellt und über jeden soll man abstimmen; zu jedem Satze haben sich an 60 Redner gemeldet. Nach einer auf Thatsachen gegründeten und aus ihnen (wenn es nicht anders wird) fortschließenden Berechnung würden wir im April 1850 mit den Grundrechten fertig sein, und unsere Weisheit dem theuern Vaterlande theuer zu stehen kommen, da ihm jede Minute der Berathung angeblich sieben Thaler kostet. In dieser verzweifelten Lage geschah der Vorschlag: nur ein von 20 Abgeordneten gebilligter Antrag dürfe zur Sprache gebracht werden. So zweckdienlich dieser Vorschlag beim ersten Anblicke auch erscheint, ward er doch (und ich glaube mit Recht) verworfen: denn Parteileute finden leicht 20 ihres Gleichen, Unparteiliche kommen nie zum Worte. Auch haben wir die übelen Folgen einer ähnlichen Maßregel, schon bei der Berathung über die Centralgewalt erfahren. —[S. 174] Meine Herren (fragte ein Abgeordneter sehr persönlich und anzüglich), wer von ihnen hat denn den heutigen Rednern aufmerksam zugehört? — und Alle schwiegen. — Ich denke die Langeweile und Ungeduld wird am besten zur Beschleunigung, ja vielleicht so sehr wirken, daß man das Spätere übereilt. Schon jetzt wird Bravo gerufen, wenn Einer auf das Wort verzichtet; ein Gleiches geschah heute, weil Jemand sagte: ich nehme meinen Antrag zurück! Als er aber hinzufügte: „ich stelle jedoch einen neuen“; hörte man tiefe Seufzer!

Zum Beweise für die Trefflichkeit des deutschen Familienlebens, steigt mit jedem Tage der Ruf der Abgeordneten nach Frau und Kindern. Ich kann (sagte Hr. v. Auerswald) meine aus neun Personen bestehende Familie nicht aus eigenen Mitteln herschaffen, und Viele wollen (da sich der Aufenthalt ganz ins Unbestimmte verlängert) darauf antragen, daß der Staat ihnen Geldhülfe bewillige. Ich glaube nicht an eine Genehmigung dieser Bitte: es wird aber allerdings mit jedem Tage (so lange noch schöne Tage sind) nöthiger, daß die abwesenden Familienglieder mit sich selbst ins Klare kommen, was sie thun und lassen wollen und — können!

Heute hat man das Gerücht verbreitet, ja an den Straßenecken angeschrieben: der Erzherzog Johann habe die Stellung als Reichsverweser angenommen,[S. 175] jedoch nur unter der Bedingung, daß er nicht unverantwortlich sei. Der österreichische Gesandte weiß nichts davon, und die Lüge ist wahrscheinlich zu dem Zwecke erfunden, um anfangs sagen zu können: sehet, die Linke hat Recht; — und nachher: sehet, das Volk ist wieder getäuscht worden! — Der nächstbevorstehende Hauptlärm entsteht ohne Zweifel bei der Frage: ob Hecker soll in die Versammlung aufgenommen werden.

Den 7. Julius.

Die heutige Sitzung war (Gottlob!) nicht so langweilig, wie die gestrige. Es kam zuerst der Vorschlag in Berathung: ob für die Angelegenheiten der Kirche und Schule, ein Ausschuß, oder deren zwei erwählt werden sollten. Dafür ward gesagt: daß beide Gegenstände von der höchsten Wichtigkeit seien, und von der Reichsversammlung in genauere Betrachtung müßten gezogen werden. Die wenigen allgemeinen Sätze, welche man in die sogenannten Grundrechte aufgenommen habe, reichten nicht aus, und bedürften einer weiteren Bearbeitung. Wenigstens müßten schon jetzt die Materialien für die künftige genauere Gesetzgebung gesammelt und vorbereitet werden. — Gegen den Antrag ward behauptet: es gehöre durchaus nicht für den Geschäftskreis des verfassunggebenden Reichstages, Kirchen- und Schulordnungen zu entwerfen. Statt rasch dem Ziele ent[S. 176]gegenzugehen, belade man sich mit unzähligen, lästigen Nebengeschäften, erschöpfe die Kräfte und vergeude die Zeit. Wenige, allgemein anerkannte Grundsätze, möge man in den Grundrechten aussprechen, alles Uebrige aber der späteren, gesetzgebenden Reichsversammlung überweisen und sich nicht einbilden, es ließen sich (bei der größten Mannigfaltigkeit der ländlichen und örtlichen Verhältnisse) für alle deutschen Staaten passende Kirchen- und Schulgesetze in Frankfurt entwerfen. Insbesondere müsse man jeder einzelnen kirchlichen Genossenschaft überlassen, ihre eigenen Angelegenheiten zu ordnen; man müsse da nichts vorschreiben wollen, wo man durch Zwang noch nie zu einem Ziele gekommen sei. — So, in aller Kürze, die Hauptgründe dafür und dagegen. Man kam zu dem Beschlusse: es solle ein Ausschuß für die Schule, nicht aber für die kirchlichen Angelegenheiten erwählt werden.

Der zweite Hauptgegenstand der Berathung betraf die deutsche Wehrverfassung. Aus einem Berichte des dafür ernannten Ausschusses und einer sachverständigen Rede des Generals v. Radowitz ging hervor: daß Deutschland seinen beiden mächtigen Nachbarn gegenüber, verhältnißmäßig keineswegs genügend gerüstet und eine Vermehrung der schlagfertigen Macht (nach Maßgabe der sehr gestiegenen Bevölkerung) nothwendig sei. Mit sogenannter Volksbewaffnung könne[S. 177] man regelmäßig geordneten Heeren nicht widerstehen; und die Kosten würden bei zweckmäßiger Verbindung der Linie, der Landwehr und Bürgerwehr, nicht sehr steigen. — Hiegegen wurden (besonders von der Linken) die bekannten Klagen über stehende Heere wiederholt, und behauptet: eine Volksbewaffnung sei um so eher ausreichend, da kein Krieg drohe (obwohl sie immer wider Rußland aufreizt) und man nur die brüderlichen Anerbieten der Franzosen annehmen und entgegnen dürfe, um in tiefster Ruhe alle Kräfte nützlicher auf die innere Entwickelung zu verwenden. — Die Abstimmung ward auf nächsten Freitag angesetzt.

Niemand hob hervor, daß ein fortgesetztes, stetes Steigern der bewaffneten Macht, von Seiten aller Staaten, sie immer schneller dem (mindestens finanziellen) Abgrunde entgegenführt. Deutschland muß sich so rüsten, daß es vollgewichtig mitsprechen kann; dann aber darauf dringen, daß alle Landmächte verhältnißmäßig und Zug um Zug jenen auszehrenden Kriegszustand während des Friedens ermäßigen.

Den 8. Julius.

Gestern hatten wir hier (oder vielmehr in Sachsenhausen) auch einen Krawall ganz nach gewöhnlichem Zuschnitte, Pflasteraufreißen, den Bäckern (angeblich zu kleinen Brotes halber) die Fenster einwerfen, Ver[S. 178]haftungen, Versuche des souverainen Pöbels die Eingesperrten zu befreien, steigende Widersetzlichkeit bis zum Schießen. Die frankfurter Soldaten und Bürger waren sogleich zur Hand, ernsthaftes Eingreifen, Blöken und Brüllen der Lumpen, die Hecker leben ließen, Herstellung der Ordnung und heute früh um 5 Uhr zur Aufrechthaltung derselben alle Mannschaft schon wieder zur Hand: — hoffentlich mit gutem Erfolge. — Einem Kellner im Schwan, der das Gesindel auch gern zu Helden umgeschmort hätte, sagte ich: da einige Preise auf dem Speisezettel erhöht wären, würde ich Sorge tragen, daß die Fenster im Schwane auch eingeschlagen würden. Dies argumentum ad hominem machte ihn stutzig, und als ich eine Strafpredigt ohne Ironie folgen ließ, ging er eiligst seinen Geschäften nach. — Im Buchladen fand ich gestern eine Republikanerin aus Offenbach, welche klagte, daß sie die einzige dieses Glaubens in ihrer Familie sei. — Das Papier reicht nicht hin über unsere angenehmen Discurse Bericht zu erstatten, welche meinerseits zugleich höflich und grob waren. — Sie: Der Prinz von Preußen hat u. s. w. — Ich: Gelogen! — Sie: Der russische Kaiser hat die Plünderung des berliner Zeughauses durch Geldspenden herbeigeführt. — Ich: Er hat auch einigen Demoisellen, welche mitplünderten, auf seine Kosten Hosen machen lassen.


[S. 179]

Fünfundzwanzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 8. Julius 1848.

S. ein Ungar, von Paris kommend, erzählte, wie man daselbst allgemein von der Regierung strenge Maßregeln wider die Unordnung fordere. — Ungarn und benachbarte Slaven hätten seit Jahrhunderten friedlich nebeneinander gewohnt. Der ganz neue Zwist habe einen doppelten Grund: 1) Ränke und heimliche Umtriebe der Russen. 2) Bascule, Schaukelsystem des gestürzten österreichischen Ministeriums, welches den mächtiger auftretenden Ungarn gesucht habe, Slaven entgegenzustellen. Hoffentlich sei der jetzige Zustand ein vorübergehender. Erzherzog Stephan werde in Ungarn sehr geehrt und geliebt. — Ein starkes Ungarn sei durchaus nothwendig gegen die immer mehr hervortretenden Übergriffe der Russen; auch würden die siebenbürger Deutschen durch einen engern Anschluß an Ungarn besser wegkommen, als wenn sie von der Mehrzahl von Slaven und Walachen abhängig würden.

Gestern habe ich mir zur Gemüthsergötzung Bulwer’s Pelham aus der Lesebibliothek geholt; ergötze mich aber nicht daran und fühle mich außer Stande das Buch buchstäblich zu lesen. Geschicklichkeit der[S. 180] Auffassung und Darstellung — aber welcher Personen und Gegenstände. Die entschlossenen Teufelskerle und kräftigen Liederjans in Fielding’s Romanen interessiren, und strecken doch ab und zu die Hand aus nach poetischen Lebenselementen; aber Hr. Pelham ist ein inhaltsloser, kenntnißloser, gedankenloser, gemüthloser, blasirter Fat und Dandy. Sagt man: das soll er ja eben sein, so ist er dann wenigstens kein Gegenstand, oder keine Person für ein Kunstwerk. Oder kommt das Beste etwa hinten auf den letzten Seiten, zu denen ich wohl nicht vordringen werde? Die erbärmlichste, beleckte, mit Schminkpflästerchen belegte Frivolität des oberflächlichen Lebens; was soll ich mich in diese elendeste Gesellschaft begeben? Lieber lege ich mich entschlossen zu den Schweinen und rufe: mir ist so kannibalisch wohl u. s. w. Auch die unerschöpfliche Liederlichkeit des Chevalier Faublas ist noch anziehender; — aber freilich nicht, wenn er Prügel bekommt, oder in der Noth moralisch wird und ruft: o ma tendre Sophie! Moralische Schwanzperücken, die man Büchern der Art anhängt, wachsen damit nie zusammen und Feigenblätter helfen nicht gegen die Sünde. Zierereien, erstes Häufchen.

Pelham erinnerte mich an die Sybille der Gräfin Hahn. Beide lieben nicht, sie lieben vielleicht nichts; aber welch ein Unterschied. Jener ist und[S. 181] bleibt innerlichst und für jeden Boden eine taube Nuß; diese ist mir anziehender als ein ganzes Schock Mädchen und Frauen, welche singen: bei Männern welche Liebe fühlen! Die Meisten bringen es dabei nicht über eine physische, oder moralische Nothdurft hinaus; die Noth werden sie dabei nie los. Der Diamant brennt auch; aber ich kann ihn nicht mit einem Schwefelhölzchen, oder Lappenzunder entzünden. Das erfährt Sybille. Lessing sagt: das Streben nach Wahrheit stehe ihm höher als die Wahrheit. Alles ächte Leben beruht auf jener steten Thätigkeit, ununterbrochenen Bewegung. Die Erde wirbelt seit der Erschaffung und kommt nie an; ist ihr Streben, ihre Thätigkeit deshalb nichts? Welcher Mensch kann sagen: er sei am Ziele angelangt? Das sagt der Faule, oder der Erschöpfte. Beides ist freilich sehr menschlich und natürlich! — Übrigens widerrufe ich Alles, was ich gegen Pelham gesagt habe; schon um des vollgewichtigen Einwandes halber: Sie haben das Buch nicht durchgelesen!

Den 9. Julius.

Gestern Abend hatten wir eine lange, ziemlich fruchtlose Sitzung im völkerrechtlichen Ausschusse: Über die Noth deutscher Auswanderer in Havre, welche sich ohne Geld und Vorsicht dahin begeben hatten. Gewiß müssen künftig die deutschen Regierungen (oder die Bundesregierung) mehr thun, um die Auswan[S. 182]derer zu belehren, gegen Betrug zu schützen, ihnen eine sichere Aufnahme zu bereiten u. s. w.; wogegen ich erstens nicht glaube, daß jemals durch Auswanderungen die Überbevölkerung hinweggeschafft wird. Es werden (wie Irland zeigt) mehr Kinder neu in die Welt gesetzt, als Erwachsene davongehen. Zweitens: Auswanderungen auf Kosten des Staates zu betreiben, führt nicht zu übersehende Ausgaben herbei und wird eine höchst drückende Armensteuer. Selbst das reiche England hat sich nie darauf einlassen wollen. Drittens ist es sehr irrig, hiebei etwa nur die Kosten der Überfahrt in Rechnung zu stellen; die Kosten der Ansiedlung sind eben so nöthig und viel größer; weshalb die Amerikaner auch untersuchen, ob der Ankömmling Geld mitbringt, bevor sie ihn ans Land lassen.

Wie angeblich kluge Leute doch ganz thörichte Vorschläge machen können, erfuhren wir gestern im Ausschusse. Ein Mann behauptete: Preußen habe bei den Verhandlungen mit Dänemark die Interessen seiner eigenen Unterthanen leichtsinnig, oder pflichtwidrig vernachlässigt, und sei anzuweisen, sogleich Jütland zu besetzen und es zu behalten, bis die Dänen in Alles einwilligten, was man verlange. Auf Machtverhältnisse, auf die Einwirkung Schwedens, Englands und Rußlands, nahm der Mann nicht die geringste Rücksicht; er wollte mit einem frankfurter[S. 183] Maultrompetenstoß alle Hindernisse zu Boden stürzen und den Preußen beibringen, — was sie längst besser wissen.

Was heißt das: ich liebe König und Königin u. s. w., nenne aber das jetzige Preußen nicht mein Vaterland. Es ist keine Kunst, in guten Zeiten ein großes Gehalt zu beziehen, Diners geben und besuchen; wenn sich dies aber ändert, Klaglieder Jeremiä vorzubemmeln. Ein Mann in —s Jahren muß noch Hand anlegen, und je kränker ein Kind ist, desto größer Liebe und Sorgfalt des Vaters und der Mutter. Wie oft hätten die Preußen sonst verzweifeln müssen! Im Dreißigjährigen und Siebenjährigen Kriege, im Jahre 1813 und — jetzt! Dennoch: plus ultra, Vorwärts, Drauf!! — Ruhe, Ordnung und Gesetz wird nicht dadurch im Vaterlande hergestellt, daß man es verläßt. Beamte jener Art haben dem Sturze nicht vorbeugen können, und werden den Aufbau nicht zu Stande bringen. Ruhe, Ordnung und Gesetz geht mir auch über Alles; erst aber muß man Hand anlegen, ehe es erlaubt ist zu sagen: ich wasche meine Hände in Unschuld. — Ich bin freilich nur ein Heupferd, aber ich sitze doch auf dem Wagen, der da fährt, und komme mit vorwärts; wenigstens eher als wenn ich auf einem vertrockneten Grashalm säße und einen und denselben Singsang von Morgen bis zum Abend faullenzend ertönen ließe.

[S. 184]

Die Leichtgläubigkeit ist überall gleich groß: bei den berliner Bürgern und den Demoisellen in Offenbach. Zu gestern war hier wieder ein Krawall angesagt, weil man einen Haupträdelsführer verhaftet und nach Mainz geschickt hat. Es blieb jedoch Alles ruhig, vielleicht aus einem löblichen Rechtsgefühle, oder aus Besorgniß vor den muthigen Gegenanstalten.


Sechsundzwanzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 10. Julius 1848.

Gestern Nachmittag machte ich einen langen Spaziergang, nach einer mir noch ganz unbekannten Gegend. Auch hier fand ich eine Überzahl schöner Landhäuser, reich geschmückter Gärten, großer gesunder Bäume; dann fruchtbare, wohlangebaute Felder. Alles vereinte sich zum angenehmsten, heitersten Eindruck; obgleich mit der begonnenen Roggenernte und dem Verschwinden der Rosenblüthe sich der Spätsommer bereits ankündigt. Weiter und weiter gehend, kam ich unerwartet zu einem Orte, von dem man mir gesagt: er sei zu entfernt, als daß man ihn zu Fuße erreichen könne. Jeder erreicht ihn indeß zu Fuße, zu Pferde, zu Wagen; ja, selbst dann, wenn[S. 185] er zu Hause bleibt. Auch mir wird daselbst bald eine freie Wohnung angewiesen werden. Der Friedhof gehört zu den anmuthigern in Deutschland, obwohl er keine Kunstdenkmale zeigt. An der einen langen Seite des, mit Mauern umschlossenen Gartens läuft ein Bogengang, an dessen hinterer Wand die Namen der Familien und ihrer Begräbnisse verzeichnet sind. Im Freien stehen einzelne kleine Denksteine gleichsam in der Einsamkeit; an anderer Stelle drängen sich die weißen, mit Namen bezeichneten Kreuze. Diese hölzernen Kreuze verlängern das Andenken, wenigstens auf einige Zeit. Bald aber ergreift der Tod auch sie; etwas später die steinernen Denkmale; bis man dereinst an ausgegrabene Schädel die Vermuthung knüpft: hier sei ein Friedhof — oder ein Schlachtfeld gewesen! Beides zeugt für dasselbe, für die Hinfälligkeit und Veränderlichkeit alles Irdischen!

Es steht geschrieben: ihre Werke folgen ihnen nach. Heißt das: sie sind vorgeübt für ein neu beginnendes höheres Dasein, und kommen deshalb in eine höhere Klasse? Oder muß ein Schriftsteller den Spruch so deuten: seine gedruckten Werke werden sogleich, oder bald nachher auch begraben? Unzählige Blumen und Kränze bezeugten die herzliche Theilnahme der Überlebenden: aber die Blumen vertrocknen und die spätern Geschlechter wissen nichts mehr[S. 186] von früherer Liebe, Theilnahme, Schmerzen, Hoffnungen. — Mit ernsten, wehmüthigen Gedanken wanderte ich durch Seitenwege, über Felder und Gärten zurück, und ging (so schnell wechseln Handlungen und Stimmungen) ins Schauspiel.

Oberon war plötzlich heiser geworden, deshalb gab man Stadt und Land; nicht von der Birch-Pfeiffer, sondern ein wiener Stück, mit der dortigen Gutmüthigkeit, Heiterkeit und lustigen Witzen ausgestattet. Daß das Land den sittlichern Gegensatz zur verbildeten Stadt bietet, versteht sich von selbst. Der verschmähte Bruder Ochsenhändler fällt in die Kreise seines vornehm gewordenen Bruders nieder und verursacht Jammer und Noth, bis er diesen zuletzt aus der Noth rettet. Des Vornehmen kränkliche Tochter ist auf dem Lande bei ihrem Oheime leiblich und geistig gesund geworden; des Ochsenhändlers Tochter in der Stadt eitel und herzlos — und wie die Gegensätze weiter lauten. Keiner spielte schlecht; der Ochsenhändler (Hr. Merk) und ein, seinen Herrn (wegen der ihm bekannten Herkunft desselben) beherrschender, hochmüthiger, faul geldgieriger Bedienter (Hr. Hassel) zeichneten sich aus, sodaß ich mich sehr gut amusirte und Gottlob (Staat und Kirche vergessend) von Herzen lachte!

In der heutigen Sitzung ward ein Schreiben der nach Wien gesandten Abgeordneten verlesen, worin[S. 187] sie Bericht erstatten, mit welcher Theilnahme, mit welchem Jubel man sie, ihrer Botschaft halber, in allen Orten (besonders in Regensburg, Linz und Wien) empfangen habe, wie sie dem Erzherzog Johann vorgestellt worden, was er geantwortet u. s. w. Auch in der Paulskirche erhob sich theilnehmender Beifallsruf; nur die Linke blieb schweigend sitzen. Sehr überraschte die Nachricht, der Erzherzog werde bereits morgen hier anlangen, sodaß die großen Festlichkeiten, welche Frankfurt bezweckte, gutentheils wohl unterbleiben müssen.

Hierauf begann eine stundenlange, ganz unnütze Rederei über Zeitungsnachrichten, den in Holstein abgeschlossenen Waffenstillstand betreffend. Einige Redner der Linken spielten hiebei Grobheiten gegen den König von Dänemark und die Dänen aus, oder verläumdeten die Preußen. Das allgemein bezeigte Mißfallen und der Ruf zur Ordnung können Leute nicht einschüchtern, deren liebste Nahrung eben die Unordnung ist. Brachte doch V. den Aberwitz vor: die Preußen föchten in Holstein verrätherisch Krieg für den König von Dänemark und gegen Deutschland! Das Ende war der Beschluß: zur Tagesordnung überzugehen; das hieß: nachdem man die Zeit und den Tag verloren hatte, nicht zur Tagesordnung, sondern nach Hause zu gehen!

[S. 188]

Den 11. Julius.

Gestern Abend drei Stunden lang im Ausschusse; diesmal zwar nicht mit den Polen, aber doch über die Polen. Gemüthliche Schwäche, sentimentale Theilnahme, Rechtsgefühl sind weit häufigere Eigenschaften, als politischer Verstand und staatsmännische Weisheit. So kamen bei den gestrigen Erörterungen sonderbare Ansichten zu Tage, z. B. im Staatsrechte gebe es keine Verjährung, Abgezwungenes (etwa durch nachtheilige Friedensschlüsse) werde nie ein rechtlicher Besitz, sondern der rückfordernde Anspruch dauere bis in Ewigkeit; die von König F. W. III. den Polen freiwillig versprochene Erhaltung ihrer Nationalität, schließe die Errichtung einer selbstständigen polnischen Herrschaft in sich; eben so sei das Wort Organisation jetzt zu verstehen, und überlasse die posener Deutschen den Polen! Ansichten so einseitiger, wunderlicher Art werden jedoch in der hiesigen Versammlung schwerlich jemals das Übergewicht gewinnen.

Der heutige Tag ist kalt, dunkel und regnerisch, also sehr ungünstig zum Empfange des Erzherzogs im Freien. Doch brachte man schon gestern Abend ganze Fuhren von grünen Bäumen und Zweigen herbei, und befestigte Fahnen und Kränze an den Häusern.

Die Commission, welche dafür ernannt war, machte[S. 189] über den Empfang des Erzherzogs in seiner Wohnung, Einführung in die Reichsversammlung, Anrede des Präsidenten u. s. w. verständige Vorschläge, deren einfache Annahme, ohne Erörterung, man erwartete. Dennoch eilte Hr. Simon aus Trier auf die Rednerbühne und behauptete: Niemand solle den Erzherzog empfangen, er solle zu uns, den Vornehmern, kommen. Und Hr. Wesendonk aus Düsseldorf verlangte, daß des Präsidenten zu sprechende Worte vorher mitgetheilt und durchcorrigirt würden. Beide Anträge fanden aber fast gar keine Unterstützung; selbst die Galerie hatte Gefühl für Schicklichkeit und Anstand — —

Funfzig erloosete Mitglieder der Reichsversammlung werden den Reichsverweser empfangen. Fahnen, Kränze, mit Eichenlaub geschmückte Hüte, Soldaten, Bürgerwehr, Zünfte, Alles in höchstem Prunke, am Thore eine geschmackvolle Ehrenpforte, Volk auf und ab wogend, alle Fenster voll, meist von Frauen und Mädchen.

7 Uhr. So eben habe ich den Erzherzog und den ganzen Zug, von einem guten Straßenplatz auf der Zeile gesehen. Er hat den gutmüthigen Ausdruck des österreichischen Hauses, und der Empfang war so freundlich, die Theilnahme so groß und allgemein, als man zu seinem und des Vaterlandes Wohle nur wünschen kann. Nach einigen Tagen[S. 190] (so höre ich) und nach Errichtung der Ministerien will er Frankfurt verlassen, in Wien den Reichstag eröffnen und bald zurückkehren. Niemand kennt die Zukunft; doch muß ich es (wie ich wohl schon früher schrieb) für einen großen Gewinn halten, daß ein Mann gewählt ward, der in der Reichsversammlung eine so entscheidende Stimmenmehrheit hatte, und für den sich alle Regierungen aufrichtig erklären. Die Anarchisten sind dadurch sehr in ihren Planen gestört worden. Mögen sie nur in Berlin nicht die Oberhand wieder gewinnen. Die letzten Sitzungen des Landtages zeigen weder Inhalt, noch Haltung, noch Würde, und der beginnende Zank zwischen der zeither allzuzahmen Stadtbehörde, und der allzu anmaßenden Bürgerwehr, giebt schlechte Aussichten. Mit Recht weiset Sydow den hochmüthigen Brief einiger Wahlmänner muthvoll zurück. Eben so Schreckenstein die Einmischung einzelner Abgeordneten in die Kriegsverwaltung. Mögen ihn nur seine Kollegen nicht im Stich lassen.


[S. 191]

Siebenundzwanzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 12. Julius 1848.

Heute, so ist die Voraussetzung, wird der Erzherzog in der Reichsversammlung erscheinen. Der Andrang nach Eintrittskarten ist so groß, daß man sie für hohen Geldpreis, oder Frauengunst, hätte los werden können. Ich habe die meine, wie zeither immer, den lieben Töchtern meiner Frau Wirthin überlassen.

Man bezeichnet diesen Tag, als höchst wichtig für die weitere Entwickelung und Geschichte Deutschlands. Wer hätte vor Jahr und Tag vorausgesagt: daß ein so erwählter Reichstag, einen österreichischen Erzherzog erwählen und jede Regierung dankbar einwilligen würde! Die Wahl, die Form jenes Reichstags zeigt eine Erhöhung der Volksgewalt und eine Minderung der fürstlichen Macht, wie sie in der deutschen Geschichte so groß und rasch noch nicht vorgekommen. Jahrhunderte lang kämpften die Fürsten gegen den Kaiser, um die Landeshoheit zu erobern; jetzt bewegt sich der Streit (nach Beseitigung des Kaisers) zwischen Fürsten und Volk mit augenscheinlichem Übergewichte des Letzten; so lange es sich nicht zur Anarchie verlocken läßt, woraus die Fürstengewalt wieder auferstehen würde.[S. 192] Wenn gleich der hiesige Reichstag noch keine Geld- und Kriegsmacht besitzt, dann doch eine große moralische Kraft und eine sehr hohe Meinung von sich selbst. Die letzte kann (Feigeren gegenüber) zum Siege, oder (Gewandteren gegenüber) zum Sturze führen. Die Fürsten sind (schon ihrer Persönlichkeit wegen) jetzt meist unbedeutend; vereinzelt werden sie keinen Boden gewinnen. Wie aber, wenn der Reichstag (und dazu ist er sehr geneigt) für die angepriesene Einheit Deutschlands zu viel thäte, zu viel von hier aus vorschriebe, auf örtliche und landschaftliche Ansichten und Wünsche keine Rücksicht nähme und das Allgemeine über alle noch lebendigen Besonderheiten hinaufstellte? Dann könnte, ja würde sich Fehde erheben, zwischen den ihr eigenthümliches Dasein vertheidigenden, deutschen Volksstämmen und dem (nach französischer Weise) centralisirenden Reichstage, und Reichsoberhaupt und Fürsten würden die eine, oder die andere Richtung mit vertreten müssen. Die Gironde war außer Stande, Frankreich in einen Bundesstaat zu zerfällen; Gedanke und Gewohnheit der unbedingten Einheit war zu tief gewurzelt und der Wille von Paris zu vorherrschend, als daß man in Erneuerung landschaftlichen Lebens nicht mehr Verlust, als Gewinn gesehen hätte. Verfehlen Reichstag und Reichsverweser das rechte Maß ihrer, meist vom guten Willen der einzelnen Staaten abhängigen,[S. 193] Einwirkung; so könnte in Deutschland das Umgekehrte eintreten. Die Art, wie verläumdungssüchtige Schreier hier nur zu oft Preußen behandeln, schwächt selbst bei dessen Abgeordneten die Begeisterung für die, blos dem Namen nach vorhandene Einheit und Einigkeit Deutschlands, und erweckt den Zweifel: ob sie sich nicht bei dem alten, abgeschlossenen Preußenthum besser befunden hätten und auch künftig befinden würden? Wären unsere heimischen Zustände nicht so beklagenswerth, zeigte sich im Landtage mehr Geist und Charakter, hätten die Machthaber nur etwas von dem einfach verständigen Regierungstalente Friedrich’s II. — —, so — aber!!! Man könne, trübe gestimmt, ausrufen: quos Deus vult perdere, dementat!

Dem Einzelnen ist ein unvermeidliches Lebensziel gesetzt; alle Weisheit und Tugend, alle Mäßigung und Besonnenheit, können es niemals abwenden. Solch nothwendiger Tod ist Völkern nicht vorbestimmt; sie sind unsterblich, wenn sie das Rechte wollen und vollbringen. Ja, sie können aus Todesgefahren (wie 1813) verjüngt hervorgehen; sie büßen aber schnell die hergestellte Jugendkraft wieder ein, wenn sie dieselbe nicht üben, oder mißbrauchen.

Sollten denn die Deutschen weniger Kraft besitzen von ihren politischen und geselligen Krankheiten[S. 194] wieder zu erstehen, wie die Franzosen? Sind die unseren etzt wirklich so groß, wie die französischen? Freilich, wenn man sich zu den eigenen Krankheiten, die fremden thöricht einimpft, oder sie für Gesundheitsmittel hält; — dann ist die Herstellung und Heilung doppelt schwer. Communismus, Socialismus, Organisation der Arbeit, oder wie die Quacksalbereien politischer Tollhäusler sonst heißen, sind jedoch durch pariser Blut wohl auch für Deutschland fortgeschwemmt worden, und eine heilige Scheu eingetreten sich aus Louis Blanc’s Sudelapotheke Arznei gegen die Leiden der Menschheit zu holen. Der völlig mißlungene Versuch wird mit doppelter Bestimmtheit auf die rechte Bahn hinweisen.

Gestern begegnete ich — in Gesellschaft eines limburger Abgeordneten, der seine Ansicht über die Angelegenheiten dieser Landschaft für einleuchtend und unläugbar erklärte, den Widerspruch der niederländischen Regierung nirgends berücksichtigen wollte und, mit Zurücksetzung aller völkerrechtlichen Formen, vom Reichstage einen augenblicklichen Beschluß verlangte, der Deutschland in einen Krieg mit Holland (wie mit Dänemark) verwickeln müßte. Nachdem ich ohne Erfolg höfliche Gründe ausgesprochen hatte und der Unfehlbare immer schärfer auftrat, ließ ich meinen Gedanken und meiner Zunge auch freiern Lauf,[S. 195] habe aber den Beifall des Eiferers gewiß nicht gewonnen; — worauf es indeß auch gar nicht abgesehen war. Gegen derlei bergab stürzende Männer, wird der Reichsverweser und sein Ministerium doch als nützlicher Hemmschuh wirken.

Die heutige Sitzung begann mit einem Berichte Heckscher’s (eines der an den Reichsverweser geschickten Abgeordneten) über die Hinreise, Aufnahme in Wien und die Rückreise. Er war höchst anziehend und erfreulich. Ihr müßt ihn in den Zeitungen, oder den stenographischen Berichten lesen, die ich an S. schicke. Überall dieselbe Theilnahme für Deutschlands Wohl und Einigkeit, Jubel über die Wahl des Erzherzogs, nirgends eine Spur rückläufiger Bestrebungen, überall Sinken, oder Verschwinden der anarchischen Richtung, selbst in Breslau Vorherrschen, in Leipzig voller Sieg der Gemäßigten. Thut endlich auch Berlin seine Pflicht, so kann man sein Haupt ohne Scham wieder erheben; und nach den Thorheiten der Absolutisten und Anarchisten, auf Gründung von Maß und Ordnung hoffen.

Nach Anhörung des Heckscherschen Berichtes holten die 50 erlooseten Abgeordneten den Reichsverweser in seiner Wohnung ab. Der Präsident v. Gagern redete ihn in kurzer zweckmäßiger Weise an und das Gesetz über die Centralgewalt ward verlesen. Der Reichsverweser antwortete mit starker, fester Stimme,[S. 196] versprach das Gesetz zu halten und alle Kräfte seinem neuen Berufe zu weihen; auch habe ihn der Kaiser (sobald nur der Reichstag in Wien eröffnet worden) von allen weitern Pflichten entbunden. Der Rede folgte lauter, anhaltender, allgemeiner Beifall. Ob sich indeß Einige von der Linken ausgeschlossen haben, konnte ich nicht sehen. Gewiß waren mache ihrer Plätze leer, und so drängten denn die Damen in den, für die Abgeordneten bestimmten Raum und saßen in mancher Gegend mit diesen vermischt, — Folge ihrer Unwiderstehlichkeit, — — —. Der Erzherzog war in einfacher, schwarzer, bürgerlicher Kleidung, hat die Figur meines Vaters; auch erinnert sein Gesicht an diesen, wenn auch dessen Aehnlichkeit mit dem Vicekönige Rainer mir noch auffallender erschien.

Euren Brief vom 10. habe ich heute früh erhalten, und trotz des erhabenen Ernstes des heutigen Tages, mich an den mitgesandten berliner Witzen ergötzt. Wozu Witze? sagte mir ein Abgeordneter; allerdings, antwortete ich, ist ein Groschenbrot nöthiger und nützlicher. Ein anderer Abgeordneter hatte sein Schnupftuch vergessen, holte einen Haufen Papiere aus der Tasche und sagte: so muß ich mich in lauter Amendements schneuzen! — Für die meisten, der kürzeste Weg sie ihrer Bestimmung zuzuführen.

Daß S. abwarten und Berlin nicht verlassen[S. 197] will, muß ich billigen; soll aber das Briefschreiben eingestellt werden, bis es Rosen und Lilien regnet, oder der Himmel voll Geigen hängt; so kann man alles Briefpapier einstampfen und für die Straßenliteratur umarbeiten.


Achtundzwanzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 13. Julius 1848.

Der Himmel hellte sich gestern gegen Abend auf, sodaß die Erleuchtung der Stadt nicht durch Regen gestört ward. In den Hauptstraßen war kaum ein Haus unerleuchtet; sehr wenige Fenster zeigten nur 2–4 Lichter oder Lampen, viele 6–8, noch mehr 12 Lichter, oder ununterbrochene Reihen. Die Wache, einige Kirchen, Brunnen und Thore, der Römer und einzelne Privathäuser glänzten in heiterer Pracht. Hiezu ein solch Gedränge der Menschen, als wäre man in Paris, oder London. Auch hatte die ganze Nachbarschaft ihren Beitrag geliefert, und alle Gasthöfe waren so überfüllt, daß die unzähligen Fremden kaum ein Unterkommen fanden. Allgemeine Heiterkeit und Zufriedenheit, welche auch[S. 198] ich theilte. Und doch erschien mir Alles wie ein Traum, und ich konnte mir den Hergang und die lange Stufenfolge der Ereignisse, kaum im Gedächtnisse, bis zu dem letzten Augenblicke vergegenwärtigen: — von dem ersten Gedanken eines deutschen Volksreichstags, bis zur Einführung eines, durch denselben erwählten, Reichsverwesers. Selbst den Kühnern, schien jener Gedanke, dem bestehenden Bundestage der Fürsten gegenüber, für unausführbar; und nun hat gestern der Reichsverweser der letzten Sitzung des Bundestages beigewohnt, und der österreichische Bundestagsdirektorialgesandte Herr v. Schmerling, hat das vom Volksreichstage ausgesprochene Todesurtheil, er hat diesen Wechsel (auf Selbstvernichtung ausgestellt) — bestens acceptirt, und alle Mitglieder sind ohne Sang und Klang, und Leichenfeier ruhig nach Hause gegangen, um als eine Art von Departementsräthe beim Reichsverweser und dessen Ministerium wieder zu erstehen, oder fort zu vegetiren. — Und das Alles wäre kein Traum? Nicht wunderbarer und unglaublicher, als die meisten Träume?

Welche Stufen des Schauspiels in dieser politischen Laterna magica! Unbeschränkter Absolutismus, zum letzten Male angebetet von der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin; bis zu dem Götzendienste mit Hecker und Struve![S. 199] Das Unterste zu oberst gekehrt in wenig Wochen, und alles Mittlere so betäubt und verblüfft, daß nur Wenige den Versuch wagen, sich wieder auf ihre eigenen Beine zu stellen.

Erst: keine Centralgewalt; dann eine Centralgewalt gebildet aus drei von den Regierungen ernannten Häuptern; — ein Haupt von ihnen ernannt, vorgeschlagen oder bezeichnet. — Nicht von ihnen ernannt, vorgeschlagen, oder bezeichnet. — Erwählt im Vertrauen, oder der Voraussetzung ihrer Zustimmung, ihres Beifalls. Nichts von Vertrauen, Voraussetzungen, Zustimmung, oder Beifall; sondern völlig unabhängige Wahl durch den Volksreichstag! — Nach solchem Aufgeben aller irgend festen Stellungen, oder nach dem Herausjagen aus denselben, nach solchen Niederlagen der Regierungen, der einzelnen Staaten, des alten Monarchismus; die unerwartete siegreiche Wahl eines Reichsverwesers aus dem alten Kaiserhause, und daneben Hrn. v. Itzstein fast nur als Bajazzo genannt, oder aufgenommen.

Oft erschienen die Berathungen langsam und langweilig; spätere Zeiten (wo die Dinge sich perspektivisch zusammendrängen) werden finden, daß wir im Sturme vorgeschritten sind. Wiederum haben wir noch nicht einmal den Anfang des Endes erreicht: denn die Sphinx giebt unerschöpflich neue Räthsel auf, und ein Ödipus reicht nicht[S. 200] hin sie alle zu lösen. Wenn der Landtag in Berlin doch wenigstens hiebei zu Hülfe käme; sein babylonisches Kauderwelsch stört und verwirrt aber nur die hiesigen Lösungsversuche, und arbeitet Denen in die Hände, welche Preußen mediatisiren, und ihm seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft rauben möchten.

In den letzten Wochen haben sich allerdings die Verhältnisse in mancher Beziehung gebessert, und die Macht der Anarchisten hat abgenommen; aber sie ist noch keineswegs gebrochen, und eine große, unthätige Masse wird von einer kleinern, aber thätig bewegten, leicht überflügelt. Wo stände Preußen, wenn die Machthaber ihre Zeit verstanden und nicht jeden günstigen Zeitpunkt versäumt hätten; ganz Deutschland würde sie anbeten, während jetzt wohlgesinnte Preußen sich fast freuen müssen, daß ein Erzherzog von Österreich an die Spitze ihres großen, deutschen Vaterlandes gestellt ist!! — Welch ein unseliges Zögern bis zum 18. März! Und gleich nachher der Traum, wie aus Tausend und einer Nacht, von einem glanzreichen deutschen Königthume. Dann, nachdem man darüber ungerecht und grausam geschmäht, eine matte Erläuterung, — — —; — endlich seitdem tiefe Stille, kein Wort des Muthes, der Theilnahme, der Begeisterung; — —; König und[S. 201] Königthum leider immer mehr sich zurückziehend; Freude an unbedeutenden Kleinigkeiten als Hülfsmitteln für eine rückläufige Bewegung, Zorn ohne Wirkung über das Unvermeidliche! Besser als diese stete Qual, im Ardennerwalde (wie es euch gefällt) ein phantastisch-poetisches Leben führen.

Man schilt hier: daß der Graf Brandenburg in Breslau nur von der Einigkeit Preußens und Österreichs sprach, Deutschland aber gar nicht nannte, und Reichstag und Reichstagsabgeordnete (diese Geburtshelfer des Reichsverwesers) gleichsam als nicht vorhanden betrachtete. Der Erzherzog berichtigte auf der Stelle diesen Mangel. Man schilt, daß kein preußischer Prinz sich, etwa nach Halle, bemühte, um den Erzherzog zu begrüßen; während alle andere deutsche Fürsten sich überboten, im Bezeigen ihrer Theilnahme, ihrer Zustimmung und ihrer Hoffnungen. War es in Potsdam Lässigkeit, Versäumniß des rechten Augenblicks, üble Laune, Vorsatz oder was sonst? Während — —, werden die hiesigen preußischen Abgeordneten bitter getadelt, daß sie (von Allen verlassen, ringsum mit Recht oder Unrecht angegriffen) das Preußenthum nicht auf ihren schwachen Schultern zum Himmel emporhoben!

In der heutigen Sitzung ward verhandelt von[S. 202] Ansiedlung, Bürgerrecht, Zünften, Handelsfreiheit, Armenpflege u. s. w., — verständig und unverständig, lehrreich und trivial, in bunter Abwechslung.

Den 14. Julius.

Daß die Aufführung des Cäsar im Ganzen gelungen, freut mich sehr; ein Glück, wenn Kunst und Wissenschaft einmal aus dem Meere politischen Raisonnirens und Deraisonnirens auftaucht.

Wenn in der hiesigen Reichsversammlung täglich 10, wöchentlich 40 reden, so käme die Reihe zu sprechen binnen etwa 4 Monaten nur einmal an jeden Einzelnen. Ich habe also trotz des Scheins der Faulheit bereits bis zum November mein Pensum abgethan, mit einer Rede und drei Berichtserstattungen. In der That ist aber die Arbeit in den Ausschüssen nützlicher, als das viele Gerede in der Hauptversammlung. Eitelkeit treibt hier sehr Viele auf die Rednerbühne, und die Stichwörter von Volksrechten, Volkssouverainetät, Fürstenknechtschaft, Revolutionsboden u. s. w., werden, zur Langenweile der Vernünftigen, und zur theilnehmenden Bewunderung der Galerien, noch immer armsdick hervorgesprudelt. Ein Begeisterter, welcher, sowie er die Rednerbühne besteigt, Arm, Hand und Zeigefinger, so steif und weit als irgend möglich, gegen die Versammlung ausstreckt, hat dafür die Würde eines[S. 203] Reichsobermeilenzeigeraufsehers erhalten. — Da man aus den ersten Perioden in der Regel ganz richtig auf die Länge und Langeweile einer Rede schließen kann, so weiß man in der Regel, wenn es Zeit ist das Frühstück zu sich zu nehmen.


Neunundzwanzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 15. Julius 1848.

In der gestrigen Sitzung ward fast nichts von Dem verhandelt, was auf der Tagesordnung stand. Denn wie vor acht Tagen der Waffenstillstand mit Dänemark, fiel diesmal das anliegende Schreiben des hannöverschen Ministeriums und die Erklärung der hannöverschen Abgeordneten wie eine Bombe in die Versammlung, die allgemeinste Aufregung erzeugend. Ja, Hr. Zitz (der Ankläger der preußischen Soldaten in Mainz), Hr. Simon aus Trier und ähnliche Radikale, forderten: daß der König von Hannover sogleich abdanke, ganz Hannover der neuen Centralgewalt überwiesen, und das Volk aufgefordert werde, sich eine neue Regierung auszusuchen. — Dieser wilde Antrag fiel natürlich durch; doch zeigt er deutlich genug, was jene Partei bezweckt. Ein zweiter Antrag: der Kö[S. 204]nig von Hannover solle sogleich erklären: ob er die neue vollziehende Gewalt, mit allen ihr zugewiesenen Rechten, anerkennen wolle, ging dagegen durch: und ein dritter, milderer Vorschlag, für den ich mich erklären wollte, kam deshalb gar nicht zur Abstimmung. — Ich fürchte: jene bestimmte Herausforderung wird zu bestimmtern Antworten führen, und Streit erzeugen zwischen der hiesigen Versammlung und den einzelnen Regierungen. Denn es läßt sich nicht läugnen, daß jene (trotz einzelner schönen Worte) auf die letzten nicht die geringste Rücksicht nimmt und unbedingten Gehorsam fordert, ohne bestimmt auszusprechen, welche Rechte und Thätigkeiten den einzelnen Regierungen und Volksstämmen verbleiben sollen. Ob der König von Hannover in diesem oder jenem Falle abdanken will, geht uns nichts an, und ist eher als ein nachgiebiger Rückzug, denn als eine anmaßliche Drohung zu betrachten. Gar eigenthümlich ist die Schlußfolge: wenn der König das Fortregieren für unverträglich mit seiner Ehre hält, so verlieren sein Sohn und alle sonstigen Erbberechtigten ihre Ansprüche: — da sie nicht weniger auf ihre Ehre halten müssen, als der abdankende König!

Trotz des lauten Geschreies über jene hannöversche Erklärung, läßt sich ihr Inhalt, mit Rücksicht auf alles früher Bestehende, fast durchweg vertheidigen; sie wird nur verwerflich, wenn ich der Reichs[S. 205]versammlung ganz unbedingte Rechte beilege; dergestalt, daß Bedenken und Zweifel gegen ihre Ansichten und Beschlüsse schon als Verbrechen dargestellt werden. Allerdings aber behandelt man den König von Hannover jetzt gerade so, wie er früher die hannöversche Verfassung behandelte: die Nemesis ergreift auch ihn. — Sehr zweifelhaft bleibt es indeß, ob in seinem Lande, ob in Preußen, das Einigkeitsgefühl für Deutschland so stark ist, daß man alle eigenthümlichen Interessen, alle selbstständige Wirksamkeit aufgeben will, um sich von Frankfurt aus unbedingt regieren zu lassen. Die Österreicher werden, seitdem ein Erzherzog an die Spitze gestellt ist, weit geneigter sein, der Centralgewalt Rechte zuzuweisen, als wenn ein Anderer zum Reichsverweser erwählt wäre. Ich rechne aber darauf, daß er (schon aus Klugheitsgründen) sich gemäßigt benehmen, und z. B. nicht auf den Gedanken eingehen wird, die Reichsversammlung nach Wien zu verlegen. Umgekehrt werden die preußischen Abgeordneten besorglicher, und müssen sich jetzt schon von Denen schmähen lassen, welchen die hiesigen Verhältnisse unbekannt sind, und die das Mögliche nicht vom Unmöglichen unterscheiden. Es war nun einmal kein preußischer Prinz da, der die Stimmen mit Sicherheit gewonnen hätte, und der Prinz von Preußen, der ausgezeichnetste unter ihnen, welcher täglich mehr Boden gewinnen konnte, hat sich aus brüderlicher[S. 206] Liebe — — — zurückgezogen. Die Behauptung: man hätte gar keine vollziehende Gewalt aufstellen sollen, ist leicht ausgesprochen; hier aber war man fast ganz allgemein von ihrer Nothwendigkeit überzeugt; auch wird sie hoffentlich als Ableiter dienen gegen die selbstgefälligen Uebereilungen Derer, die da irrig meinen: nur Könige könnten ihre Allgewalt mißbrauchen, nicht aber Nationalversammlungen, Parlamente u. s. w.

Die Uebelstände, welche aus dem Mangel an Einheit für Deutschland hervorgehen, sind nicht etwa erst in unsern Tagen entdeckt worden; man kennt sie seit Jahrhunderten, und Friedrich I, Karl V, Ferdinand II. u. A. strebten dahin sie fortzuschaffen, und eine stärkere Centralgewalt zu begründen. Aber alle Bemühen scheiterten, die Mittel (bessere, wie schlechtere) führten nicht zum Ziele, die Mannigfaltigkeit überflügelte immer die Einheit, und die Landeshoheit besiegte die Kaisergewalt. Möge man jetzt eine glücklichere, richtige Mitte finden.

Wie übereilt und einseitig Manche hier gesetzgebern wollen, ohne Rücksicht auf Örtliches und Bestehendes, auf Einnahmen und Ausgaben, zeigt hinsichtlich des Zollwesens das anliegende Blatt (man möchte sagen der Wisch), welchen Eisenstuck u. Comp. der Versammlung vorlegten und augenblickliche Annahme verlangten. Diese ward zurückgewiesen und die Prüfung des Vorschlags dem Ausschusse für Volks[S. 207]wirthschaft überwiesen, wo man ihn schon mürbe machen wird. Theilt Dieterici das Blatt mit, damit er sehe, daß Vorsicht, Einsicht, Wissenschaft und Erfahrung überflüssige Dinge sind, und er seine Vorlesungen füglich (gleich wie ich) einstellen kann.

Gestern Abend brachte ich wieder an drei Stunden im völkerrechtlichen Ausschusse zu. Die posener Angelegenheit war der Hauptgegenstand einer letzten Berathung. In den Vorschlägen zu den Beschlüssen der Reichsversammlung war von einer völligen Herstellung Polens viel bestimmter die Rede, als im englischen Parlamente oder den französischen Kammern. Es war eine Art von Autorisation, sich gegen Rußland fort und fort aufzulehnen. Ich behauptete: der Berichterstatter, ja der Ausschuß, möge in Betrachtungen und Beweggründen sich theilnehmend über die Polen aussprechen; aber Aeußerungen jener Art gehörten nicht in einen staats- und völkerrechtlichen Beschluß. Im Fall wir nur die Hälfte von dem gegen Frankreich gethan hätten, was wir gegen Rußland uns erlaubten, würde es uns schon den Krieg erklärt haben. Wenn man diesen wolle, müßten andere Gründe vorliegen und andere Mittel zur Hand sein u. s. w. So ward denn das Sentimentale aus den Beschlüssen hinweg, in die redensartlichen Betrachtungen gewiesen. Zweifel, ob die Polen je ein geordnetes Volk und Reich werden könn[S. 208]ten, ob sie je eine befreundete Vormauer Deutschlands abgeben dürften, — blieben mit Recht unerwähnt. Die Organisation des polnischen Theils von Posen geht uns nicht an; für die Begränzung des gemischten Theils lassen sich blos billige Wünsche aussprechen; die Hauptsache bleibt der Antrag: die Abgeordneten des deutschen Theiles schließlich in unsere Versammlung aufzunehmen. Trotz aller polnischen Sympathien wird die Linke zwar sehr viel reden, aber doch nicht jenen Antrag zurückweisen können, ohne alle Theilnahme für die entschlossene, deutsche Bevölkerung aufzugeben.

Der zweite Gegenstand der gestrigen Berathung im völkerrechtlichen Ausschusse war das dänische Embargo und die Entschädigung für die großen Handelsverluste. Sehr natürlich fordert man diese zunächst von Dänemark; wenn sie aber, unüberwindlicher Gegengründe halber, nicht zu erlangen ist: so werden Schäden mancherlei Art, ausbleibender Gewinn u. s. w. natürlich von den Einzelnen, ohne Ersatz getragen. Aber es giebt auch gewisse Opfer und Verluste, welche in einem deutschen Kriege von Deutschland müssen übertragen und ausgeglichen werden. Ich habe mich nach Kräften für Preußen und unsere Mitbürger verwendet, die Thür für die Zukunft wenigstens offen gehalten.

Im Oberon hat gestern der Reichsverweser in[S. 209] seiner einfach natürlichen Weise unter großem Beifall gesprochen. Als er sagte: ich werde in Bälde wiederkehren und dann Frau und Kind mitbringen, hat sich die Begeisterung verdoppelt, sodaß Manche Thränen der Freude und Theilnahme vergossen.

Die Bildung eines Reichsministeriums ist hier noch schwieriger, als in Berlin: denn es fehlt an einem festen, sichern Boden, an früherem Herkommen, und unbestreitbaren Gesetzen. Die Männer werden wie in der Luft schweben und der Gegenstand unzähliger Einreden sein, bis sie verdrießlich und ermüdet abtreten. Nur große Charaktere können obsiegen oder doch das rechte Maß finden.


Dreißigster Brief.

Frankfurt a. M., den 15. Julius 1848.

Bei dunkelem Wetter beruhigt sich der Reisende nicht mit der allgemeinen Gewißheit, daß sich der Himmel zuletzt gewiß aufhellen werde; sondern er beobachtet theilnehmend, ob die Wolken irgendwo zerreißen, und sich ein Stücklein blauen Himmels zeigt. So beobachte ich aus der Ferne Euern berliner Horizont, und erfreute mich an der großen Mehrzahl, mit welcher Jacobi’s unnütz aufregender Antrag verworfen ward.[S. 210] Mag diese Mehrzahl auch daher entstehen, daß sich, sonst entgegenstehende, Parteien vereinigten (nämlich die Gegner einer demokratischen Verantwortlichkeit des Reichsverwesers, und einer unbegränzten Allmacht der hiesigen Reichsversammlung); immer geht daraus hervor, daß die Umtriebe der Linken noch nicht von Allen für den rechten politischen Weihrauch gehalten werden, daß sich noch nicht Alle bei der Nase herumführen lassen.

Lieb ist es mir ferner, daß die Stadtverordneten, hinsichtlich der Brottaxen nicht von ihrem alten, wohlüberlegten Beschlusse abgegangen sind. Endlich will ich gern in dem Steigen der Papiere eine Rückkehr des unentbehrlichen Vertrauens sehen. Sehr zweifelhaft bleibt es mir dagegen, ob die Minister muthig und staatsklug handelten, indem sie bei jenen wichtigen Verhandlungen ganz still schwiegen und den Ausgang unthätig erwarteten. Mochten sie dessen gewiß sein, so war es doch keine Windstille, wo der Steuermann schlafen durfte. Hiemit steht in Verbindung, daß die preußische Regierung sehr mit Unrecht keinem einzigen der hiesigen Abgeordneten vertraulich einen Fingerzeig über Zustände, Wünsche, Zwecke zukommen läßt, der Vielen zur Richtschnur, oder doch zur Aufklärung dienen könnte. Bei umgekehrtem, jedoch vorsichtigen Verfahren, würden weniger Zweifel, Spaltungen und Unsicherheiten eintreten.

[S. 211]

Es ist sehr natürlich, daß in dem Maße als die Dinge hier in Frankfurt eine gewisse Festigkeit zu gewinnen scheinen, auch Forderungen und Wünsche mancherlei Art hervortreten. So sind Gesuche und Beweise eingegangen: das Reichsgericht sei nicht in Nürnberg zu errichten, sondern wieder nach Wetzlar zu verlegen. Die Reichsversammlung müsse man nach dem sichern, besser und mehr in der Mitte Deutschlands liegenden Erfurt übersiedeln, und Stadt und Bezirk für unabhängiges Reichsgebiet erklären. Auch Leipzig, auch Regensburg regen sich; während Frankfurt allen Angriffen nachdrücklichst zu widerstehen sucht. Gewiß ist dessen Lage die schönste und der Aufenthalt am angenehmsten. Wenn einst diese Fragen entschieden werden, — bin ich wahrscheinlich auch schon versetzt, ohne mitzustimmen, — oder auch nur davon zu hören!

Den 16. Julius.

Die gestrige Sitzung war im Ganzen anziehend und wichtig; denn sie betraf die Kriegsverfassung Deutschlands, und neben flachen und langweiligen Reden wurden auch gründliche und zweckmäßige gehalten, z. B. von Lichnowsky und Radowitz. Der Letzte hält vorzugsweise an Dem fest, was er versteht, und stellt sich auf den Boden der Gegenwart,[S. 212] ohne viel zu untersuchen, wie sich derselbe zu dem Boden seiner Vergangenheit verhält.

Daß Deutschland verhältnißmäßig schlechter gerüstet sei, als Rußland und Frankreich, konnte Niemand bestreiten; dessenungeachtet sprachen Viele, aus verschiedenen Gründen, gegen den Antrag des Ausschusses. Dieser ging nämlich dahin: die Zahl der kriegerisch Eingeübten, bis zu zwei Procent der Bevölkerung zu vermehren, und hiebei nicht die Volkszählung von 1815, sondern die neueste zum Grunde zu legen.

Man entgegnete: 1) die stehenden Heere sollen vermindert, nicht vermehrt werden. — Antwort: Hievon ist nicht die Rede, sondern von einem schnellern Wechsel der Einzuübenden, wodurch die Zahl der Krieger mittelbar vermehrt wird. — 2) Die Kosten sind unerschwinglich und zur Hebung der Gewerbe, Beschäftigung der Arbeiter u. dgl. zu verwenden. — Antwort: In noch ungünstigern, ärmern Zeiten (z. B. 1813) hat man größere Anstrengungen nicht gescheut. Auch werden die Kosten, bei zweckmäßiger Beurlaubung, nicht sehr groß sein. Wenn aber manche, besonders kleinere Staaten hiebei hinter ihrer, bereits bestehenden, Pflicht zurückgeblieben sind, so ist dies ihre Schuld, und kein Grund vorhanden, eine solche Nachlässigkeit länger zu dulden. — 3) Volksbewaffnung und Bürgerwehr reichen aus, ohne die[S. 213] Zahl der stehenden Heere zu vermehren. — Antwort: Die gesammte Kriegsgeschichte widerlegt die Behauptung, und aus einzelnen, meist durch Oertlichkeit (z. B. in der Schweiz) bedingten Beispielen, läßt sich das Gegentheil nicht erweisen. In Spanien schlossen sich die Guerillas an das vortreffliche englische Heer an. Eine Volksbewaffnung verursacht endlich noch größere Ausgaben, als die von uns vorgeschlagene Maßregel. — 4) Von Rußland ist kein Krieg zu befürchten. — Antwort: Sonderbar daß Diejenigen, welche die Gefahr, ja die Nothwendigkeit eines russischen Krieges hervorhoben, jetzt plötzlich (wiederum ohne Beweis) das Gegentheil beweisen, und nicht berücksichtigen, was sich an der untern Donau vorbereitet. — 5) Frankreich reicht uns die Bruderhand, und von da hat Deutschland nichts mehr zu befürchten. — Antwort: Alle Parteien, unter allen Regierungsformen, trachten nach dem linken Rheinufer, und französischer Beistand ist nie ohne Eigennutz geleistet worden u. s. w. u. s. w.

Etwa zwei Drittel stimmten für, etwa ein Drittel gegen den Vorschlag des Ausschusses. Ich gehörte zu jenen, und die namentliche (von der Linken verlangte, von Allen ohne Widerspruch angenommene) Abstimmung scheint diesmal Keinen eingeschüchtert zu haben. Die Gegner des Vorschlages sprachen nicht alle Gründe rücksichtlos aus; so nicht den, daß sie[S. 214] sich dadurch bei den sorglosen, nur ihrer Bequemlichkeit nachtrachtenden, Massen beliebt machen wollten. Nebenbei Complimente über Bürgerwehr und Volksbewaffnung, Schelten auf die verknechteten Soldaten u. s. w. Vor Allen aber stimmten die Abgeordneten der kleinen Staaten wider einen Beschluß, der sie zur Erfüllung ihrer vernachlässigten Pflichten anhalten sollte. Für Preußen, welches zeither immer mehr gethan, als jener gesetzliche Buchstabe vorschreibt, entsteht durchaus keine neue Last. Aber die kleinen Kläffer, welche Preußen immer anbellen und verläumden, welche vorzugsweise immer herrschen wollen, ohne etwas zu thun, suchen Vorwände aller Art jetzt, nach wie vor, hinter ihrer Schuldigkeit zurückzubleiben.

Gestern Abend sah ich „Stadt und Land“ von der Birch-Pfeiffer zum ersten Male. Obgleich ich Auerbach’s Erzählung nicht kannte, fühlt man doch, daß die Grundlage epischer Art ist, und Vieles sich dramatisch nicht abrunden will. Auch giebt der Schluß keine rechte Beruhigung und Bürgschaft für die Zukunft. Ich ließ indeß, nach meiner Weise (bei dem Zwecke, meinen Abend angenehm zuzubringen), alle verdrießliche Kritik ganz zur Seite, und dies um so mehr, da in der That die Hauptpersonen ausgezeichnet spielten: z. B. die Lindner als Bärbele, Dem.[S. 215] Hausmann als Lorle, der Vater Hr. Meck; Ida Dem. Janauschek. —

Wie hat nur — so sinken können, daß selbst seine alten Freunde hier nichts mehr von ihm wissen wollen. Zuletzt hängt es mit dem Wahne zusammen, daß Kraft und Wahrheit allein im Aeußersten, in den Extremen zu finden sei, und doch hat schon Aristoteles erwiesen: die Tapferkeit sei die rechte, lebendige Mitte, zwischen Feigheit und Tollkühnheit u. s. w. — Ich wünsche, daß Hrn. Pultes poetische Begeisterung, nach 50 Jahren, anerkannte prosaisches Wahrheit sei, und man die Sorgen der jetzigen Tage völlig vergessen habe. Der Himmel fällt niemals auf die Erde; die Unterwelt kann sich aber auch nie dauernd da auferbauen, wo von Natur die Sonne herrscht.


Einunddreißigster Brief.

Frankfurt a. M., den 17. Julius 1848.

Die preußischen und österreichischen Abgeordneten haben sich zeither gut vertragen, und die letzten anerkennen müssen daß der Erzherzog (es war kein anderer Ausweg möglich) seine Wahl der uneigennützigen Beistimmung der ersten verdankt. Aus die[S. 216]sem Gelingen scheint den Österreichern die Hoffnung zu erwachsen, das, zeither fast allgemein zurückgewiesene, Kaiserthum in die Verfassungsurkunde hineinzubringen und dasselbe für Österreich zu erobern. Wenigstens zeigen sich Spuren, daß sie das Monarchische nunmehr in einer Weise überall zu verstärken suchen, welche (wenn ein preußischer Prinz erwählt wäre) ihren Beifall gewiß nicht gehabt hätte. Leicht könnte sich daran ein Zerwürfniß zwischen den österreichischen und preußischen Abgeordneten, oder (noch allgemeiner) zwischen dem Interesse des Gesammtreiches und der Staaten anknüpfen. So verlangen z. B. Mehre: es solle in Deutschland nicht blos ein gleicher Münzfuß herrschen, sondern nur eine Reichsmünzstätte und ein Gepräge sein. Werden es sich aber die Preußen und andere Staaten gefallen lassen, ihren Herrscher oder ihr Stadtzeichen nicht mehr auf den Münzen zu sehen? Andere wollen das Finanzwesen der einzelnen Staaten und auch das Heerwesen auseinandersprengen, die Regimenter durch ganz Deutschland fortzählen, ja wohl auch ein buntes Fortrücken durch das eine ganze Heer eintreten lassen. Die hiesige Versammlung könnte (wenn sie sich mit scheinbarer Allmacht in dieser Richtung zu weit verlocken läßt) leicht ihre moralische Hauptgrundlage und Theilnahme einbüßen; es könnten (was die Meisten mit zu großer Zuversicht für unmöglich[S. 217] halten) die Völkerstämme und die Regierungen sich einigen und dieser französirenden, charakter- und physiognomielosen Einerleiheit und Centralisation widersetzen. Schon spricht sich hier neben dem zahlreichern Chorus der Gleichmacher, manche einzelne Stimme gegen derlei Übereilungen aus, und wenn die Österreicher sich von den Preußen trennen sollten, werden zunächst die Baiern und dann wohl noch Andere abfallen und selbst in der Linken neue Parteiungen entstehen. Die Gefahr wird jedoch dadurch geringer, daß man sie von Weitem schon erkennt, und, das rechte Ziel ins Auge fassend, zwischen der Scylla und Charybdis hindurchzusegeln sucht. Sehr viel hängt davon ab, wie der preußische Landtag sich benimmt, und ob unser besonderes Vaterland bald sein altes materielles und geistiges Gewicht wieder gewinnt. Dann wird man mit Preußen nicht so von oben herab umspringen können, wie man es jetzt mit Hannover versucht. Zunächst ist wenigstens der Gedanke durchgefallen, von hier aus das preußische Ministerium zu hofmeistern.

Die heutige Sitzung begann mit Ankündigung mehrer Fragen (zu deutsch Interpellationen) an die kaum geborenen Minister, sodaß Jordan von Berlin (der sich jetzt überhaupt mäßigt) mit Recht sagte: nach dem Antragsfieber würden wir wohl das Interpellationsfieber bekommen. Der Ausschuß für die[S. 218] Geschäftsordnung soll ein Gutachten abgeben, wie dem drohenden Übel abzuhelfen sei.

Die Berathung über den ersten Abschnitt der Grundrechte dauert bereits mehre Sitzungen hindurch, und manches Langweilige und Verkehrte ist gesprochen worden; aber der Gegenstand ist auch von der höchsten Wichtigkeit, und die Ansichten und Grundsätze sind allmälig geläutert und berichtigt worden. Ich gebe, um Euch nicht zu ermüden, nur ein Paar ganz kurze Andeutungen. Es handelt sich von dem Rechte der Niederlassung, des Gewerbebetriebes, des Bürgerthums, des Armenrechtes; von dem Verhältnisse des Gemeine-, Staaten- und Reichsbürgerrechtes. Es fragt sich: ob man mit jenem ersten oder mit diesem beginne, und ob das mittlere noch eigenthümliche Bedeutung behalte? Die Einen dringen auf umfassende Begründung eines Reichsbürgerrechtes, welches dann schon das Staats- und Gemeinebürgerthum, oder doch ein Anrecht auf dasselbe gebe; sonst werde die Mannigfaltigkeit der Forderungen und Bedingungen kein allgemeines Deutschthum aufkommen lassen, und die gegenseitige Behandlung von Deutschen, als wären sie Ausländer, fortdauern. In Preußen z. B. genüge es, gesunde Arme und Beine zu haben, um sich anzusiedeln; in anderen deutschen Staaten mache man dagegen sehr schwere, ja oft unerfüllbare Anforderungen u. s. w. — Denen, welche eine allgemeine, be[S. 219]stimmte, gleich anzuwendende Regel wollen, stehen Andere gegenüber, welche die Erhaltung von Verschiedenheiten natürlich finden, und behaupten, eine plötzliche Aufhebung derselben verletze Herkommen und Eigenthum; so, wo zeither ein geschlossenes Bürgerthum, Geldansprüche, Gemeinegüter vorherrschten oder vorhanden wären. Wolle man auch dem sich meldenden Deutschen die Ansiedlung nicht verwehren, so folge doch daraus nicht die Theilnahme an allen Gemeinerechten u. s. w. — Man fühlt: daß hier jedes einzelne Verhältniß ins Auge zu fassen und mit dem im Allgemeinen unabweisbaren Fortschritt zu versöhnen; daß, um Mißdeutungen oder thätliche Widersprüche zu vermeiden, jedes Wort genau zu prüfen ist. Manches Einseitige, Übereilte, zu Allgemeine oder zu Specielle ward schon verworfen, und wir kommen einer zweckmäßigen Fassung täglich näher, — wenn sie gleich vielfachem Tadel nicht entgehen kann. Der Eine wird sagen, es sei zu viel, der Andere, es sei zu wenig geändert und geneuert worden. — Überall blickt die Hauptfrage, das Haupträthsel hindurch: wie das eine deutsche Reich in ein richtiges Verhältniß zu den vielen deutschen Staaten zu bringen sei. — Weit leichter sind die berliner Aufgaben, und doch bleibt man dort hinter unseren Versuchen und Beschlüssen zurück.

[S. 220]

Den 18. Julius.

Man kann so wenig einen Staat, als sich selbst plötzlich ganz neu machen. Es muß dem Veränderten etwas Beharrliches zu Grunde liegen, und das Beharrliche kann (so lange es Leben in sich trägt) von dem Verändern nicht ganz unberührt bleiben. Zwischen Sein und Nichtsein liegt das Werden. Trunken von Begeisterung für das noch nicht ins Dasein getretene, verschmähen jetzt Viele alles Frühere, sprechen mit Hohn und Verachtung von der tausendjährigen deutschen Geschichte, und vergeuden alle Errungenschaften um der künftig unausbleiblichen Schätze willen. Sie vergessen: daß, wenn sie ihre Vorfahren nicht achten, Kinder und Kindeskinder dereinst mit ihnen ähnlicherweise verfahren und ihre neue, unerprobte Weisheit zur Seite werfen. — Ists nöthig, die Gegenfüßler dieser Sturmschreiter, dieser Siebenmeilenspringer oder Radschläger näher zu bezeichnen? Es sind die zu Salzsäulen gewordenen Maulwürfe und Faulthiere, welche in der Vergangenheit keine Bewegung erkennen, denen die Gegenwart nur ein vereinzelter, götzendienerisch verehrter Augenblick ist, und die an keine Zukunft glauben, auf keine hoffen. — Zeigt sich denn (wie das gemeine Geschrei behauptet) die ächte Wahrheit und Kraft in diesen beiden Äußersten? Leben ihre Bekenner nicht in dem äußersten, verbrannten oder er[S. 221]frorenen Thule? Vegetiren oder zappeln und strampeln sie nicht in der Sonnenferne von dem belebenden Herzschlage der rechten Mitte?

Die heutige Sitzung begann mit dem ersten Anfalle des Interpellationsfiebers; hierauf Zweifel, ob die Versammlung bei Urlaubsgesuchen strenger verfahren solle; Berichte über thörichte Gesuche (z. B. eines alten Schullehrers über Wiederanstellung!!); Frage, ob namentliche Abstimmung abzuschaffen? (Nein! Damit, wenigstens in wichtigen Fällen, die Wähler erfahren, wie jeder Abgeordnete gestimmt habe; auch Keiner sich scheue, seine Überzeugung muthig darzulegen.) In der Voraussetzung, daß Viele sich für jene Abschaffung erklären würden, verlangten Einige diesmal namentlichen Aufruf, bis sich beim Aufstehen ergab, fast Alle seien einig für die Beibehaltung. — Antrag, wiederum wöchentlich sechs Sitzungen zu halten. Aus früheren Gründen (besonders der Arbeiten in den Ausschüssen halber) verworfen. — Antrag: die Sitzungen statt um 9 Uhr um 12 Uhr zu beginnen; von Lichnowsky unterstützt, von mir bestritten.

Da zu verwickelten Arbeiten und schwerer Leserei die Fassung und Gemüthsruhe fehlt, so werde ich mich in die Jugendzeit der Geschichte versetzen und die Ilias und Odyssee wieder einmal griechisch lesen. Es giebt wenig sogenannte Heldengedichte, oder Epo[S. 222]peen, denen man im Alter noch rechten Geschmack abgewinnen kann. Die Nibelungen? Ja! — Ariost und Tasso? Schwierig. — Milton, Klopstock, Henriade gar nicht, — und am wenigsten die endlosen indischen Gedichte. — Müßte ich indeß zur Ilias und Odyssee alle die bändestarken kritischen und ästhetischen Noten der Philologen lesen, oder gar die Sandhaufen unbedeutender Varianten durchmustern, — so würde ich schon bei den ersten funfzig Versen Lust und Liebe verlieren. Welch ein unermeßlicher Wust unnützer und geschmackloser Gelehrsamkeit in diesen philologischen Palästen des Augias! Daran ermüdet unsere Jugend und verekelt sich die Meisterwerke des Alterthums! — Wie sich diese philologischen Schulmeister auf dem Boden der Tagsgeschichte geberden, dafür haben wir nur zu viele, traurige Beispiele.


Zweiunddreißigster Brief.

Frankfurt a. M., den 20. Julius 1848.

In der gestrigen Sitzung kam zunächst die limburgsche Angelegenheit zur Berathung. Keine giebt so viel Veranlassung über den wiener Congreß und den Bundestag zu zürnen, als diese. Die wahren Interessen Deutschlands und Limburgs sind hiebei auf[S. 223] eine kaum zu begreifende, dumme und nichtswürdige Weise vernachlässigt, ja man möchte sagen verrathen; sodaß die Verwirrung kaum zu lösen ist und etwas Neues und Besseres — mit Güte oder Gewalt — an die Stelle des ganz Unhaltbaren gesetzt werden muß. Eine von Seiten der niederländischen Regierung herausgegebene Schrift sucht mit diplomatischer Kunst das Verwickelte, man möchte sagen als unlöslich darzustellen, und von den frühern Dummheiten und Zweideutigkeiten den vortheilhaftesten Gebrauch zu machen. Der Bericht unseres Ausschusses läugnet die Dummheiten u. s. w. nicht, widerlegt aber mancherlei Vorurtheile und Mißdeutungen, und erweiset die Nothwendigkeit anderweiter Bestimmungen, welche indeß von den zähen Holländern schwer zu erreichen sein werden. Für den bloßen Liebhaber giebt die anliegende Schrift von Steifensand genügende Auskunft. Ihr dürft nur die kleine, beigefügte Charte ansehen um Euch zu überzeugen, auf wie heillose Weise man Deutschland und die Uferbewohner, von ihrer Lebensader, der Maas ausgeschlossen, und Limburg zu gleicher Zeit mit Deutschland und Holland verbunden hat. Hiedurch entstehen doppelte, sich widersprechende Rechte, Pflichten und Ansprüche; es beruhen darauf sehr gerechte Klagen Limburgs, und der neu zu organisirende Bundesstaat ist mit den alten Einrichtungen gar nicht in Übereinstimmung[S. 224] zu bringen. Deshalb legt Holland die alten Verträge so aus, als wäre es nur dem ehemaligen deutschen Bunde beigetreten, welche Deutung (wenn man sie jedem Mitgliede desselben frei stellte) eine jede jetzt bezweckte Fortbildung unmöglich machen würde. — Die Anträge unseres Ausschusses sind fast einstimmig angenommen, hiemit die Sache aber freilich erst begonnen, und nicht schon zum Ziele gebracht.

Ihr habt gefürchtet ich würde hier zu viel reden, und findet nun ich sei allzu schweigsam und setze mein Licht zu sehr unter den Scheffel. Ich antworte: in diesen Tagen redete ein Redner darüber, daß das viele Reden, Deklamiren, Phrasen drechseln u. s. w. nichts nütze, vielmehr Zeit verderbe, und das Arbeiten in den Ausschüssen viel verdienstlicher sei. Hier habe ich es nicht an einwirkendem Fleiße fehlen lassen; und ebensowenig an Gesprächen mit Abgeordneten außerhalb der Versammlung und am Abstimmen für das Rechte. Ferner habe ich mich bereits einige Male zum Reden gemeldet, bin aber, da man in nicht unnatürlicher Ungeduld die Berathung schloß, nicht zu Worte gekommen. Ja, wollte Jeder nur so viel sprechen, als ich bereits gesprochen habe, würde frühstens im November wieder die Reihe an mich kommen. Ihr glaubt nicht wie abgeneigt die Meisten den Lang- und Oftrednern werden; so[S. 225] haben z. B. N— und Z— dadurch bereits allen Credit eingebüßt; sie fallen mit ihren Anträgen fast jedesmal durch.

Laut des stenographischen Berichtes (welchen vor dem Druck durchzusehen mir unnöthig erschien) habe ich gegen den Antrag die Sitzungen um 12 Uhr zu beginnen Folgendes gesagt: „Ich glaube, es liegt eine Täuschung zum Grunde, wenn wir meinen durch die Verlegung des Anfangs der Hauptsitzungen viel zu gewinnen. Zunächst gehen wir den Hundstagen entgegen, und werden also wenn wir von 12–6 hier in schlechter und heißer Luft zuhören sollen, sehr ermattet sein. Denn wenn Jemand von Morgen bis Mittag in einem Ausschusse gesessen hat, muß er wahrlich viel Kraft des Geistes und des Leibes besitzen, um dann noch von 12 bis etwa Abends 6 Uhr den Plenarversammlungen mit Aufmerksamkeit zuzuhören. Es ist, nachdem wir die Verhandlungen in der Paulskirche durchgemacht haben, viel leichter sich des Abends mit 15 oder höchstens 30 Männern zu verständigen, da dies mehr im Wege der Unterhaltung oder gesprächsweise geschieht. Dagegen gehört hier viel mehr Aufmerksamkeit dazu — falls man nicht selbst oft die Tribüne besteigen will — allen Rednern zu folgen; und es ist dies doppelt schwer, weil man an manchen Orten dieses Raumes nicht gut hört, und Diejenigen[S. 226] welche hinten sitzen, ihre Ohren ebenso anstrengen müssen, wie man beim Lesen kleiner Schrift seine Augen anstrengt. Ich sehe deshalb nicht ein, was damit gewonnen ist, wenn wir des Morgens Ausschußsitzungen halten. Für die Ausschußsitzungen haben wir eher Kraft am Abend, als für die Plenarsitzungen hier um 12 Uhr, wo man nicht weiß ob man vorher frühstücken, oder zu Mittag essen soll. Will man etwas ändern, so mag man die Hauptsitzungen statt um 9 um 8 Uhr anfangen, eine Stunde früher schließen, und nach einem, den gewöhnlichen Bedürfnissen angemessenen Mittagsessen, in den Ausschußsitzungen mit frischen Kräften erscheinen.“ — So mein Stoßseufzer. Die Langschläfer fürchteten sich vor 8, die Frühaufsteher vor 12 Uhr, und so blieb es (zu großer Zufriedenheit) bei der bisherigen Einrichtung.

Es ergab sich heute bei einer Abstimmung daß nur 397 Mitglieder gegenwärtig waren, also der dritte Theil fehlte. Dies lenkte die Aufmerksamkeit auf die zahlreichen Beurlaubungen, und es ward bemerkt daß noch Keiner von der Linken darum nachgesucht habe. Ich werde nächstens fragen: was hieraus folge, für Gesundheit, Beschäftigung, Eifer und Begeisterung der Abgeordneten?

Man beschloß heute fast einstimmig für eine Wohnung des Reichsverwesers zu sorgen; eine Geldentschädigung, oder Gehalt hat er abgelehnt.

[S. 227]

Der Hauptgegenstand der heutigen Verhandlung waren die Auswanderungen, wobei die Gegenwärtigen kaum hinreichende Geduld hatten sich über die Thatsachen belehren zu lassen; großen Redensarten und Stichworten aber den herkömmlichen Beifall nicht versagten. Endlich kam man mit dem ersten Abschnitte der Grundrechte so weit, daß morgen darüber kann abgestimmt werden. Eine ganze Reihe von Verbesserungsvorschlägen zu den Anträgen des Verfassungsausschusses ward (zur Warnung und Besserung) verworfen. Mein Nachbar hatte auch einen gestellt, schlief aber als er an die Reihe kam, worauf ein Anderer rief: wird zurückgenommen! und damit fiel er wirklich zu Boden.

Lebhafter Streit entstand: weil die Polen nochmals Vorwände suchen und aussprechen, um die posener Angelegenheit hinauszuschieben. Sie erwarten vortheilhafte Beschlüsse in Berlin, Bündniß mit Frankreich, Krieg mit Rußland. Diesmal wird man auch namentlich abstimmen müssen um zu sehen, ob die Deutschen, Polen über Deutschland hinaufsetzen. — Gewiß werden die Berathungen sehr leidenschaftlich werden, um so mehr da viele Katholiken sich haben aufreden lassen, es sei hier von der Religion die Rede. Radowitz wirkt mit Recht gegen diese Thorheit.


[S. 228]

Dreiunddreißigster Brief.

Frankfurt a. M., den 21. Julius 1848.

Die heutige Sitzung war lang und anstrengend, doch sind wir auch mit der Abstimmung über den ersten Abschnitt der wichtigen Grundrechte zu Stande gekommen. Mit Vorbehalt einer zweiten Berathung, nach Erörterung und Annahme des ganzen Gesetzes, lauten die vorläufigen Bestimmungen, wie folgt:

1) Jeder Deutsche hat das Reichsbürgerrecht. Die ihm kraft desselben zustehenden Rechte kann er in jedem deutschen Lande ausüben.

2) Jeder Deutsche hat das Recht an jedem Orte des Reichsgebiets seinen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, Liegenschaften jeder Art zu erwerben, und darüber zu verfügen, jeden Nahrungszweig zu betreiben und das Gemeindebürgerrecht zu gewinnen.

Die Bedingungen für den Aufenthalt und Wohnsitz werden durch ein Heimatsgesetz, jene für den Gewerbebetrieb durch eine Gewerbeordnung, für ganz Deutschland von der Reichsgewalt festgesetzt.

Bis zur Erlassung der betreffenden Reichsgesetze, steht die Ausübung der gedachten Rechte, jedem Deutschen in jedem einzelnen Staate Deutschlands unter denselben Bedingungen wie den Angehörigen dieses[S. 229] Staates zu. Kein deutscher Staat darf zwischen den ihm Angehörigen, und den Angehörigen eines andern deutschen Staates zum Nachtheile der letzten einen Unterschied machen hinsichtlich der bürgerlichen, peinlichen und Prozeß-Gesetze.

3) Die Aufnahme in das Staatsbürgerthum eines deutschen Staates, darf an keine anderen Bedingungen geknüpft werden, als welche sich auf die Unbescholtenheit, und den genügenden Unterhalt des Aufzunehmenden, für sich und seine Familie beziehen.

4) Die Strafe des bürgerlichen Todes soll nicht stattfinden, und da wo sie bereits ausgesprochen ist, soll sie in ihren Wirkungen aufhören, sofern nicht wohlerworbene Privatrechte dadurch verletzt werden.

5) Das Auswanderungsrecht ist von Staatswegen nicht beschränkt. Abzugsgelder dürfen nicht erhoben werden. Die Auswanderung selbst steht unter dem Schutze und der Fürsorge des Reiches.

Ihr seht wie viele große Schranken und Hemmungen innerhalb Deutschland durch diese Bestimmungen zu Boden fallen. Für Preußen werden sie jedoch insofern weniger neuern, als dasselbe auf dieser freisinnigen Bahn schon viel weiter vorgerückt ist, als viele andere deutsche Staaten. Dies wird noch weit mehr hervortreten, wenn bald (wie man beschlossen) ein neues Heimatsgesetz und eine neue Gewerbeordnung für ganz Deutschland entworfen wird. Nur[S. 230] fürchte ich große Unzufriedenheit, im Fall man örtliche und landschaftliche Gewohnheiten und Wünsche gar nicht, oder doch zu wenig berücksichtigen sollte. Schon jetzt zeigen sich oft Abstimmungen, wo die Rücksicht auf Staaten und Volksstämme vorherrscht.

Die Sitzung schloß heute mit einem tragi-komischen Schauspiele. Anstatt die Berathung über die Grundrechte nach der, innerlich in nothwendigem Zusammenhange stehenden Folge, fortzusetzen, geschah der Vorschlag ganz willkürlich diese und jene Sätze hervorzuheben und voranzustellen. Insbesondere sprach Hr. M. aus — gegen die neue Tyrannei der Regierungen, für Preßfreiheit, Vereinsrecht, Briefgeheimniß, welche Urrechte man jetzt schrecklicher Weise täglich verletze, obgleich sie Jeder schon bei der Geburt mit auf die Welt bringe. Darauf gegen die Centralgewalt, verrätherische Minister u. s. w.; — all das modige Wischi-Waschi des Tags. Er ward überlaut ausgelacht, bezog dies aber nicht auf sich und seine lächerlichen Reden; sondern beschuldigte die ihm nicht beifallende Versammlung: sie finde die heiligen Volksrechte lächerlich. — Der Präsident verwies ihn hierauf zur Ordnung und auf der Linken hat man laut geäußert: man müsse ihn von der Rednerbühne herunterziehen, denn sein Geschwätz blamire die Linke. Nun Geschrei nach namentlicher Abstimmung, und als man bei der gewöhnlichen[S. 231] Weise stehen blieb, erhoben sich nur ein Paar Abgeordnete für jenen bombastisch ausposaunten Vorschlag: das deutsche Volk von der dringenden Gefahr des Untergangs zu retten.

Den 22. Julius.

Der Absatz 44 des Gesetzentwurfs für die Grundrechte lautet: „jedes Grundstück muß einem Gemeineverbande angehören.“ Ich hatte vorgeschlagen ihn so zu fassen: „jedes Grundstück, und jede Person die einen bestimmten Wohnsitz hat, muß (jedoch nach Maßgabe der örtlichen Gesetzgebung) einem Gemeineverbande angehören.“ — Hr. Moritz Mohl machte den Antrag, zwischen dem Absatze 3 und 4 der obigen Bestimmungen, einen andern einzuschieben, welcher Ähnliches verlangte. — Ich sagte deshalb in der Sitzung vom 19. Juli: „da die Sache jetzt zur Sprache gekommen ist, so nehme ich mir die Erlaubniß (meinem Vorschlage) noch Folgendes hinzuzufügen. Es ist gesagt worden das Gesetz handele nur von Rechten, aber nicht von Pflichten. Meine Herren! ich halte es für ein großes Recht, Bürger einer Gemeine zu sein; obgleich damit auch Pflichten verbunden sind, denn beides geht ohne Zweifel in einander über. Wir haben offenbar in Deutschland vier Stufen. Jeder tüchtige Mensch soll nämlich Mitglied einer Familie, einer Gemeine, eines Staates,[S. 232] und hoffentlich nun auch des gesammten Reiches sein. Wie übel es geht, wo es viele Beisassen giebt, welche keinen Theil am Bürgerthum haben, das sehen wir bei der, sonst so trefflichen, Städteordnung in Preußen. Unsere Schutzverwandten schweben zwischen Himmel und Erde, ohne festen Boden zu haben. Die Folge ist: daß die ärmsten Leute, wenn sie nur irgend ein Gewerbe treiben das ihnen kaum das Leben fristet, die Lasten des Bürgerrechtes übernehmen müssen, welche in diesen Kreisen größer sind, als die hervortretenden Rechte. Hingegen werden die reichen Leute begünstigt. Diese Leute, unsere reichen Schutzverwandten in Berlin, sind so gleichgültig gegen die Gemeineangelegenheiten, als ob Berlin im Monde läge. Das Staatsbürgerrecht zu besitzen, ohne Gemeine- oder Stadtbürger zu sein, erscheint unzureichend; womit aber keineswegs gemeint ist, die Erlangung des Staats- und Reichsbürgerrechtes lediglich von der Willkür der einzelnen Gemeinen abhängig zu machen, wodurch der Partikularismus in schädlicher Weise befördert würde. Ich glaube daß Hr. Mohl die Sache so wie ich aufgefaßt hat, und schließe mich daher seinem Antrage vollkommen an“. — Es ward beliebt die Sache erst zu entscheiden wenn Absatz 44 in der gewöhnlichen Folge an die Reihe komme.

Die Behauptung: Preußen werde nach Annahme obiger Sätze der Grundrechte aus allen Theilen[S. 233] Deutschlands mit Bettelvolk überschwemmt werden, ist irrig. Denn abgesehen davon daß auch Wohlhabende (angezogen durch die freiere Gesetzgebung) einwanderten, ist diese Einwanderung zum Abweisen der Armen ja durch Absatz 3 erschwert, wonach Jeder nachweisen soll, er habe für sich und seine Familie genügenden Unterhalt. — Gesunde Arme und Beine galten bis jetzt als hinreichender Beweis; das neue Gesetz läßt sich hingegen strenger deuten.


Vierunddreißigster Brief.

Frankfurt a. M., den 22. Julius 1848.

Heute war der Bericht des völkerrechtlichen Ausschusses an der Tagesordnung, über das Verhältniß Deutschlands zu fremden Staaten, insbesondere zu Frankreich und Rußland. Im Ganzen ward die Berathung (selbst von Ruge und Vogt) gemäßigt geführt und zuletzt im Wesentlichen das vom Ausschusse Vorgeschlagene gebilligt. Also: Unsere auswärtige Politik setzt die Ehre und das Recht Deutschlands über jede andere Rücksicht. Deutschland wird keinen fremden Staat in der selbstständigen Entwickelung seiner inneren Angelegenheiten irgendwie hindern, oder je die Hand zu einem Kampfe um ver[S. 234]schiedene Principien bieten. (Der Gedanke, solche Principienfehden und Propaganden zu billigen, ward zurückgewiesen; ein Vorschlag hingegen angenommen, welcher eine künftige, allgemeine Verminderung der stehenden Heere zu bewirken wünscht.) — Die Centralgewalt soll die Verhältnisse Deutschlands zu Rußland ins Auge fassen, damit eine hinreichende Macht der russischen entgegengestellt werde. Die Nationalversammlung geht über die Anträge auf Schutz- und Trutzbündnisse mit anderen Staaten zur motivirten Tagesordnung über. Die Republik Frankreich wird anerkannt und ein deutscher Gesandter nach Paris geschickt.

Ihr seht, daß Übereilungen und Übertreibungen für Frankreich, und gegen Rußland zurückgewiesen sind, und man sich für eine friedliche, aber selbstständige, Politik Deutschlands erklärt hat. Das ist vor der Hand hinreichend. — Mit Recht wurden heftige Anklagen gegen England abgelehnt, und übermäßige Lobreden auf Frankreich zum rechten Maße zurückgeführt. Ich hatte gewünscht auch einmal meinen Mund aufzuthun, die Berathung ward aber wieder geschlossen ehe ich an die Reihe kam, und so habe ich wenigstens den Trost, mich gewiß mit meinem Reden nicht „blamirt“ zu haben!

Gestern sah ich ein Glas Wasser. Ich habe mich gefreut daß der Verfasser die mit 15 Kindern[S. 235] gesegnete Königin Anna so rasch in eine verliebte Jungfrau verwandelt, und die stolze Herzogin von Marlborough, sowie endlich die Abigail nicht minder verliebt gemacht hat in einen und denselben ganz unbedeutenden Lieutenant. Gott, und einem jetzigen dramatischen Schriftsteller, ist nichts unmöglich.


Fünfunddreißigster Brief.

Frankfurt a. M., den 24. Julius 1848.

Von 9 bis ½3 Uhr habe ich heute geduldig der Berathung über die posenschen, oder polnischen Angelegenheiten zugehört; dann ging ich nach Hause und entbehre so, was Hr. V. des Breiteren darüber noch beigebracht hat. Wenn ich bedenke wie viel Zeit ich in meinem Leben auf Polen verwandte, wie viel Vorwürfe es mir zugezogen, wie viel Geld es (das Rektorat) gekostet hat, wie viel Bücher und Handschriften ich habe lesen, wie viel Sitzungen beiwohnen, wie viel Gespräche anhören müssen; — so erscheine ich wie ein wahrer Kreuzträger, den man wohl entschuldigen kann, wenn er nach 5½ Stunde Amen ruft. Und nicht einmal die Genugthuung wird mir für meine Anstrengungen zu Theil, auch einmal ein Wort über[S. 236] eine Sache zu sagen, worüber ich fast die wichtigsten Nachrichten aus den Archiven zu Tage gefördert. Denn erst hieß es: ich sei der 13. der eingeschriebenen Redner, nun bin ich plötzlich der 37. unter 65 (!!) — das heißt — schweige still. Um nun nicht an Redesehnsucht zu sterben, werde ich ein kurzes Argumentum niederschreiben und Euch schicken.

Ernsthaft gesprochen, muß ich behaupten oder einräumen, daß die heutige Verhandlung im Vergleich zu den berlinern, bewundernswerth war, und ich gewiß nicht so gut gesprochen hätte, als es von einigen Rednern geschah. Weit das Übergewicht der Gründe, des Inhalts, der Beredtsamkeit, war auf Seiten Derjenigen, welche wider den falschen Polenenthusiasmus und für die Deutschen sprachen. So gehörte eine Rede des Abgeordneten Goeden aus Krotoszyn zu den besten die ich in der Versammlung gehört. Noch mehr überraschte eine zweite Jordan’s. Sonst zur äußersten Linken gehörig, hat er sie heute mit der größten Geschicklichkeit bekämpft, ja bis jetzt aus dem Felde geschlagen. Er legte alle Mißbräuche des alten Polenthums kühn zu Tage, wies nach wie die Theilung möglich, ja nothwendig geworden, ein herrschender Adel kein Volk bilde, sentimentale Träume keine Politik wären, und das deutsche Vaterland und die Deutschen nicht, um der Polen willen, preiszugeben und zu verrathen seien. — Die[S. 237] Linke war überrascht, ich möchte sagen verdutzt; und was Blum und Vogt beibrachten, waren dagegen nur Worte über das polnische Himmelblau ins Blaue hinein gesprochen. — Ich glaube nicht, daß wir morgen schon zur Abstimmung kommen, obwohl gewiß das Wichtigste bereits gesagt ist. — So zieht sich hier Alles in die Länge, während meine Lebensdauer sich immer mehr verkürzt, und meine hiesige Wirksamkeit mir täglich unbedeutender erscheint. Meine Spreu, so überleicht sie ist, hat doch noch mehr Gewicht und ist noch eher ein Zeichen eigenthümlichen Lebens, als all mein hiesiges Laufen und Sitzen, Lesen, Reden und Schreiben!

Der Reichsverweser hat nicht daran gedacht sich selbst zum Oberbefehlshaber der deutschen Heere zu ernennen; vielmehr glaubt man bis jetzt: es sei am besten diese Stelle im Frieden unbesetzt zu lassen. Erst beim Ausbruch eines Krieges könne man wissen, wer in dem Augenblicke der tauglichste sei. Doch wird die Art von anerkennender Huldigung, welche der Reichsverweser von allen deutschen Heeren verlangt, in vielen Staaten schon große Unzufriedenheit erregen, wenn Form, Inhalt und Bedeutung nicht sehr geschickt erwählt und erklärt wird. — Noch mehr, und gerechten Anstoß, würde ein neuer Abschnitt des Verfassungsentwurfes geben, wie ihn Theoretiker entworfen haben. General Peuker (wel[S. 238]cher jetzt nach seinem Wunsche den Berathungen des Verfassungsausschusses beiwohnt) hat das Verdienst darauf aufmerksam zu machen: Preußen werde sich in der bezweckten Weise nicht mediatisiren lassen, und das Ziel auf dem eingeschlagenen Wege nicht erreicht werden.

Gestern ward in der Reichsversammlung (trotz der langen und unnützen Vorberathungen) von den deutsch-posener Abgeordneten, eine große strategische Thorheit begangen. Die Meisten erklärten: sie wollten in dieser persönlichen Angelegenheit nicht mitstimmen; und doch war von ihren Personen gar nicht die Rede, sondern von dem Schicksale ihres Landes, welches zu vertreten sie doppelt verpflichtet waren. Sie gewannen durch diese falsche Großmuth auch nicht eine Stimme; sondern veranlaßten, daß sich die Mehrzahl der Versammlung gegen ihr Stimmrecht erklärte und vielleicht eine höchst unglückliche, folgenreiche Niederlage des deutschen Interesses herbeigeführt wird. Man wird dabei zu Muthe, als wenn ein Feldherr den Theil seines Heeres davonlaufen sieht, auf den er glaubte sich am meisten verlassen zu können!


[S. 239]

Sechsunddreißigster Brief.

Frankfurt a. M., den 26. Julius 1848.

Trotz früherer Beschlüsse haben wir heute, Mittwochs (gleich wie in voriger Woche), die dritte Polensitzung. Ihr glaubt nicht, wie matt und müde es Leib und Seele macht, 5–6 Stunden lang in der Paulskirchenatmosphäre hundertmal Gelesenes und Gehörtes, noch hundertmal wiederkäuen und wieder schreien zu hören. Man muß den Kelch bis zum letzten Tropfen, das heißt bis zur Abstimmung, austrinken, und weiß nicht einmal im Voraus, ob diese ihn zum zweiten Male anfüllen wird.

Nebenher die gerechte Furcht: daß die am Himmel umherziehenden „Schwärke“ sich zu einem furchtbaren Ungewitter zusammenziehen und unsere ganze Ernte zerstören werden. Geht die Versammlung ein auf die Vorschläge einiger unpraktischen Doktrinaire, so werden nicht blos die kleineren Fürsten mediatisirt, sondern vor Allen — Preußen. Es geräth nachgebend in die Knechtschaft eines unbekannten Obern; oder muß widersprechen und sich dazu ganz anders auf die eigenen Füße stellen, als das schwache Ministerium und der babylonische Landtag es vermögen. Die traurigsten Aussichten! weil[S. 240] so Viele die Einheit Deutschlands nur in ertödtender Centralisation sehen, und die Mannigfaltigkeit jedes höheren physischen und politischen Lebens nicht begreifen. Alle Zeichen dieser Lebenskraft werden unter dem Namen Sonderinteressen jetzt so in Verruf gethan, wie zuvor der Gedanke an ein einiges Deutschland in Krieg und Frieden, Handel und Wandel.

Ich bin heute (mit Ausnahme weniger Minuten) von ½9 bis 3¼ in der Paulskirche gewesen und rien que — Posen! Ruge begann mit aufgebauschten Redensarten (sesquipedalia verba) und einer aus halbverstandener Philosophie hervorgehenden, neuen Weltschöpfung. Hierauf sprach er unter Anderem den Wunsch aus: daß die Deutschen möchten in Italien geschlagen werden. — Deshalb erhob sich ein gewaltiger Lärm und als sich der Präsident endlich konnte verständlich machen, sagte er ungefähr: Die Äußerungen des Redners schließen einen halben Verrath in sich; doch bin ich außer Stande ihn wegen seiner bekannten Weltanschauung zur Ordnung zu rufen. Hierin sah der größte Theil der Versammlung eine Erklärung: Hr. Ruge sei unzurechnungsfähig. — Als man des endlosen Geredes überdrüßig: zum Schluß rief; sagte er: ich will so lange reden, bis sie sich zu meiner Überzeugung bekehren, — worüber große Heiterkeit entstand und sich Aussichten in die Ewigkeit eröffneten. — Spätere, mehr praktische Re[S. 241]den, brachten sehr schlagend ans Tageslicht, daß die Polen sich nicht scheuen, Unwahrheiten für ihre Wünsche auszusprechen, und Hrn. V—s stundenlange Drahtzieherei steigerte die Ungeduld so, daß die Berathung durch Stimmenmehrzahl geschlossen ward, und morgen abgestimmt wird. So bin ich der Gefahr entgangen schlecht zu sprechen, oder doch hinter den ausgezeichneten Rednern weit zurückzubleiben.

Als gestern ein polnisch Gesinnter anfing zu sprechen, verließ ein baierscher Abgeordneter den Saal, badete im Main, aß hierauf zu Mittag und mußte (in die Paulskirche zurückkehrend) hierauf den Redner noch 25 Minuten anhören. — Überhaupt werden die Reden nicht kürzer, sondern immer länger und Nestor ist ein Spartaner im Vergleiche mit dem jetzigen kürzesten Sprecher.

Diesmal ist von Seiten der Rechten auf namentliche Abstimmung angetragen worden. Man will wissen, wer von der Linken und von ultramontanen Katholiken, für die Aristokratie des polnischen Adels und für die Polen, gegen die Deutschen stimmt. Neben dem Beweise: Frankreich, das die Bruderhand darreiche, könne und werde die Deutschen nie bekriegen, geht ungestört der Beweis her: es werde sogleich Krieg erheben, wenn man die posener Deutschen (nach ihrem Wunsche und unter Zustimmung[S. 242] des Königs, des Bundestages und des Reichstages) in den deutschen Bund aufnehme, oder vielmehr die bereits erfolgte Aufnahme bestätige. Wie auf einer Schaukel wird Deutschland den Rednern einer Partei bald übermächtig, bald ohnmächtig, bald tollkühn, bald feige. Ich sehe täglich, wie viel leichter es ist, halbwahre allgemeine Grundsätze zuzustutzen, und durch leere bombastische Redensarten Eindruck zu machen, als eine Sache praktisch anzugreifen und einer Rede wahren, positiven Inhalt zu geben. Es ist eine wahre Wohlthat wenn man aus jener Dunst- und Wolkenregion, aus dieser Schaukelei und Bammelei zwischen Himmel und Erde, endlich einmal wieder festen Boden erreicht. Jeder Narreneinfall gilt den Narren mehr als die wahren Verhältnisse der Gegenwart und die ganze Geschichte der Vergangenheit. Jeder Schüler dieser Schule hält sich für einen begeisterten Propheten; und Wahres, Halbwahres, Irriges, Unmögliches, Gerechtes, Ungerechtes, Weises, Dummes wird so durcheinander gequirlt, daß Einem Hören und Sehen vergehen möchte: bis man den Muth faßt dreinzuschlagen und zu rufen: da liegt der Quark!

Den 27. Julius.

Über die Entstehung der gelben Reichscanarienwürde (dessen Inhaber ich in bildlicher Ähnlichkeit[S. 243] übersandte) sind mir zwei verschiedene, mythische oder geschichtliche, Berichte mitgetheilt worden. Nach dem ersten sahen sich die Wähler genöthigt ihrem Erwählten einen vollen Anzug machen zu lassen, und wählten dazu (der Ersparniß halber) ein Stück Zeug gleicher Farbe. Nach dem zweiten Berichte, muß von der Linken aus der Galerie ein Zeichen gegeben werden, wenn sie klatschen oder zischen soll. Dies Zeichen ward, von dunkeln Gestalten ausgehend, oft übersehen; deshalb gründete man die hellgelbe Reichscanarienwürde, und Mißverständnisse sind nicht mehr möglich.

Ich eile über die heutige, sehr wichtige sechsstündige Sitzung, kurzen Bericht zu erstatten. Zuvörderst erschrak ich als mir ein, von der äußersten Linken ausgehender Antrag in die Hände kam, wonach ein Ausschuß wegen Abschaffung des Cölibats sollte erwählt werden. In einem Augenblicke wo es von höchster Wichtigkeit ist, keine confessionelle Brandfackel zwischen die Parteien zu werfen, keine Sache in Anregung zu bringen zu deren Ausführung wir weder berufen, noch ermächtigt, noch im Stande sind, ließen sich selbst Männer zur Beistimmung verlocken, wie — u. s. w. Dieser Mißgriff ward auf der Stelle ausgebeutet um mehre Katholiken hinsichtlich der posener Angelegenheit umzustimmen, und Keiner konnte vorhersehen, daß die Gegner noch größere Feh[S. 244]ler begehen, und dadurch die Sache in integrum herstellen würden. Um nicht über die Hauptfrage: die schließliche Aufnahme der deutsch-posener Abgeordneten mitzustimmen, erklärte die Linke bescheiden: die Sache sei nicht hinreichend aufgeklärt. Jeder sah aber den letzten Zweck ein, die dringend nothwendige Entscheidung ad calendas graecas zu verschieben. Als nur 139 für, und 333 gegen den Antrag stimmten, erklärte die Linke mit vermeintlich großem Rechte und großer Würde, sie werde über jene Hauptfrage nicht mitstimmen, sondern sich entfernen. Dieser Donnerschlag war aber ein kalter, und verblüffte Niemand. Diese Escapade, dieser Hinterthürrückzug befriedigte weder Polen noch Deutsche. Die Abstimmung entschied mit 342 gegen 31 Stimmen für die Aufnahme des deutsch-posener Antheils in den deutschen Bund, und die Zulassung seiner Abgeordneten. Der Sieg war entscheidend und als die linken Abgeordneten zurückkehrten (über ihren großen Mißgriff wohl zur verdrießlichen Klarheit gekommen) erhoben sie, ohne alle weitere Veranlassung, ein bestiales Geschrei (ich möchte glauben sie hätten sich in der Zwischenzeit betrunken). Man verstand kein Wort in dem Tumulte, und erst nach langem Gebrüll, hörte man, daß der Präsident ihr Betragen mit größtem Rechte als unwürdig bezeichnete. — Glänzend wie ein Sieger, stürzte Schaffrath auf die[S. 245] Rednerbühne und forderte: daß die Nationalversammlung erkläre, Polens Theilung sei eine Schmach, und seine Herstellung die heiligste Pflicht Deutschlands. Einen Augenblick lang waren nicht Wenige bedenklich, wie sie stimmen sollten; rasch aber liefen Erklärungen umher des Inhaltes: die Versammlung sei nicht berufen, über längst vergangene geschichtliche Thatsachen kritische Urtheile abzugeben, und für eine ungewisse Zukunft Versprechungen und staatsrechtliche Erklärungen zu ertheilen. Die namentliche Abstimmung, welche die Linke verlangte, ward (da dem ganzen Angriff die Spitze abgebrochen war) unweigerlich angenommen. 331 sagten muthig: Nein, und 101 Ja. — Nunmehr, ruft die Linke, ist die Versammlung todt und vor ganz Europa an den Pranger gestellt. Unbefangene werden dagegen einsehen: daß sie unbekümmert um sentimentale Regungen und poetische Wünsche, lediglich an ihrem jetzigen, staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Berufe festgehalten hat. Es ist ein Sieg der guten Sache, über wohlwollende oder böswillige Thorheiten.


[S. 246]

Siebenunddreißigster Brief.

Frankfurt a. M., den 28. Julius 1848.

Je mehr ich an die gestrigen Ereignisse denke, desto unverständiger erscheint mir der schon erzählte Kriegsplan der Linken. Sie hat Niemand getäuscht, Keinen befriedigt, sich unanständig betragen und für ihre angeblichen Freunde, die Polen, eine Niederlage herbeigeführt, die so bald nicht wird zu verwinden sein. Die leidenschaftlich-kurzsichtige Berechnung: man wolle alle Gegner dadurch blamiren, daß sie die Theilung Polens billigten; oder sie dahin bringen, durch Verurtheilung derselben ihre Inconsequenz an den Tag zu legen; mußte sich als ganz irrig erweisen, sobald die Herausgeforderten sich nicht verblüffen ließen, und die Finte kühn durchhieben. Alles jetzt erhobene Geschrei wird nicht verbergen wer aus dem Felde geschlagen sei. Auch der von jener Partei ersehnte Krieg gegen Rußland, ist durch die Erklärung der Reichsversammlung weit hinausgeschoben worden, daß Deutschland eine Herstellung Polens nicht für seine erste, dringendste Pflicht halte. Es ist endlich gegen alle Pietät nur immer von dem schmachvollen Benehmen Preußens und Österreichs zu reden, die große Schuld der Polen selbst aber ganz in den Hintergrund zu stellen.

[S. 247]

Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, daß, nach der Aufnahme des deutschen Theils von Posen in den deutschen Bund, die Polen selbst Anträge machen das Ganze aufzunehmen. Doch will ich nicht über Möglichkeiten für und gegen sprechen. — Zum Vorwande wird vielleicht Frankreich dereinst Polen nehmen, Krieg aber gewiß nur im eigenen Interesse beginnen.

Hansemann’s Finanzplane finden zum Theil ihre Entschuldigung in der vorhandenen Noth; Anderes ist übereilt und wahrscheinlich unausführbar; so die neue Grundsteuer, welche als Kapitalsteuer nur den augenblicklichen Grundeigenthümer trifft, und in der Regel zu Grunde richtet. Pitt ordnete umgekehrt an: daß vorhandene Grundsteuern durch eine mäßige Kapitalzahlung abzulösen seien.

Den 29. Julius.

Gestern Nachmittag machte ich einen weiten Spaziergang, den Main aufwärts, dann (zum Theil auf ungebahnten Wegen) über Felder und Wiesen. Überall fruchtbar, gut bebaut, zum Theil schon abgeerntet. Daran knüpfte der einsam Wandelnde natürliche Betrachtungen über das rasche Dahinfließen der Zeit, und wie dem Rosenmonde bei meiner Ankunft in Frankfurt, nun schon die Herrschaft der Sichel gefolgt ist, und gelbe Blätter zwischen den[S. 248] grünen hervorleuchten. — Bei der Einsamkeit wird es hier für mich wohl verbleiben. Verabredungen mit Abgeordneten zu gemeinsamer Erholung haben ihre Schwierigkeiten, durch verschiedene Beschäftigungen, Ausschüsse, Eßzeit, entfernte Wohnungen u. s. w. Hiezu kommt, daß Manche ihr dolce far niente da suchen, wo ich es nicht finden kann, und wohin ich meiner Natur nach nicht mitwandern mag. Die Kneiperei, wo Kaffeetassen, Biergläser und Tabackspfeifen die Souverainetät des Volkes erweisen, behagte mir niemals, und jetzt um so weniger, da in der Gesellschaft von Abgeordneten das Wiederkäuen der Paulskirchenspeise niemals ausbleibt. Also sustine et abstine!

Heute ist Gottlob keine Sitzung, keine Qual der Beredtsamkeit, kein Stolz des Völkerbeglückens, kein Zanken und Schreien, keine neuen Weltanschauungen, kein Glockengebimmel und Gebrumme, von Bundestag, 30jähriger Knechtschaft, Revolutions- und Rechtsboden, keine Anträge, Berichte und Interpellationen, kein Gemetzel unter Privilegien; sondern das eine neue Privilegium, trotz der Abgeordnetenwürde nichts zu thun, nichts zu reden, nichts zu schreiben, — nichts zu denken, — und nur die Pflicht Montag 9 Uhr, die Uhr wieder aufzuziehen um die Grundrechte zu ergründen.

Die großen Sorgen über die künftige Stellung[S. 249] Preußens entstehen weniger aus den von hier ausgehenden Angriffen und Beschlüssen; als aus dem schwachen und schwankenden Benehmen der Regierung und der Sinnesverwirrung im Volke. Dies braucht immer Personen zu seiner Führung und Begeisterung; es wird durch abstracte, allgemeine Lehrsätze nur in Zweifel gestürzt, oder es vertraut abergläubig den Maulhelden, welche dieselben verkünden. Die hiesigen preußischen Abgeordneten befinden sich in der übelsten Lage. Sie werden von allen Seiten, und am lebhaftesten von Denen angegriffen, welche gar nichts davon wissen, wie sich die Dinge hier allmälig gestaltet haben; die nicht wissen, daß man den schweren Kampf gegen anarchische Republikaner kämpfen mußte, daß deren erfolgte Bezähmung ein großer Gewinn ist, und der Beschluß über Polen eine Bürgschaft (wenigstens nach einer Seite hin) für Frieden und Ordnung. Warum giebt die preußische Regierung auch nicht den geringsten Fingerzeig, oder vielmehr warum hat sie nicht den Muth sich in dem Sinne von 910 des Volkes auszusprechen? Was denkt, was will sie hinsichtlich der Centralgewalt, des dänischen Krieges, der Heere u. s. w.? War es nicht ganz thöricht, daß man sich hier auf den Grund zweideutiger und unwahrer Zeitungsartikel einen ganzen Tag lang über Sein und Nichtsein eines Waffenstillstandes mit Dänemark herum[S. 250]zankte und Preußen verlästerte, während ein muthiges amtliches (verkehrterweise aber nicht ausgesprochenes) Wort, alles Geschwätz und alle Einreden zu Boden geschlagen hätte. Und doch wird die Noth der Ostseeküste zwingen, das rechte Wort dann auszusprechen, wenn die Gegner sich gestärkt haben. Da bin ich an meinem Feiersamstage doch in den alten Butterfrauentrab verfallen. — Welch ein Sprung von der Paulskirche zur Ilias. Ist das dieselbe Erde, dasselbe Menschengeschlecht? Blum und Agamemnon, Zitz und Ajax, Schaffrath und Ulysses! Des herrlichen, beneidenswerthen Umgangs mit Athene und Aphrodite nicht zu gedenken! — Gut daß das Papier zu Ende geht; ich könnte sonst in Ketzereien für den Alles belebenden und vergötternden Polytheismus gerathen, und an Dryaden und Najaden, Musen und Grazien mehr Gefallen finden, als an theologischen Fakultäten, welche ja die allweisen Studenten auch aufheben wollen.

Am Grabe eines bekannten Abgeordneten Wirth, hat Blum eine so feindselige, empörerische Rede gehalten, daß Alle, die ich bis jetzt sprach, sie mit diesem Beinamen belegen. Es scheint, er will, nach kurzer Mäßigung, sich wieder an die Spitze der äußersten Linken stellen. Seine letzten Reden in der Kammer waren reich an Phrasen, arm an Inhalt.


[S. 251]

Achtunddreißigster Brief.

Frankfurt a. M., den 30. Julius 1848.

Heute Nacht habe ich vor Aufregung wenig geschlafen. Ihr wißt, daß ich seit meinem Hiersein den Prinzen und die Prinzessin von Preußen mit größtem Eifer überall gegen nichtswürdige Verläumdungen vertheidigt habe; anfangs mit nur mäßigem, dann mit größerem Erfolge.

Trotz dessen war ich gestern erstaunt zu hören, daß jetzt (mit Ausnahme der äußersten Linken) fast alle Parteien sich aufs Lebhafteste für die Ernennung des Prinzen zum Oberfeldherrn aussprechen. Ich habe behindern müssen, daß — — —. Stände die Wahl der hiesigen Versammlung zu, der Prinz erhielte zum Oberfeldherrn so viel Stimmen, wie der Erzherzog zum Reichsverweser.


[S. 252]

Neununddreißigster Brief.

Frankfurt a. M., den 31. Julius 1848.

So wie man sonst wohl Königen und Prinzen schmeichelte, so jetzt öfter den Demagogen und Volksrednern; Begeisterung und aufrichtige Theilnahme ist indeß keine Schmeichelei. Da Sie indeß nur eine ganz einfache Aufzählung von Thatsachen fordern, so schreibe ich Ihnen aus bester Quelle Folgendes.

Es wird vielerlei für und wider den Prinzen von Preußen in Wort, Schrift und That unternommen; vom Standpunkte der Wahrheit läßt sich nur Folgendes als richtig bezeichnen. Er hat in dem Winter von 1847 zu 1848 zu Maßregeln gerathen, welche, als zeitgemäß, wahrscheinlich viel Unglück würden abgewendet haben. Er war ferner Mitunterzeichner der wichtigen Proklamation vom 18. März, und zeigte sich stets bereit für das Wohl des Vaterlandes zu wirken; allerdings aber auch, als Vertreter der gesetzlichen Ordnung, dieselbe zu schützen.

Das Kommando am Rhein, welches ihm anvertraut worden war, veranlaßte schon in der Woche vor den Märztagen die Niederlegung seines Amtes als Chef des Gardecorps. Die Abreise nach Köln[S. 253] wurde, der unruhigen Auftritte in Berlin wegen, von Tag zu Tag verzögert: — und so fügte es sich, daß der Prinz Zeuge der verhängnißvollen Scenen werden mußte, deren gründliche Erörterung dem gerechten Urtheile einer späteren Zeit vorbehalten bleibt.

Am Spätabende des 19. März erhielt der Prinz auf dem königlichen Schlosse, wo er sich mit seiner Gemahlin befand, Nachricht von der sich gegen ihn kund gebenden Aufregung. Der König bat ihn Berlin auf einige Tage zu verlassen, um der Stimmung Zeit zu gewähren sich zu beruhigen.

Ungern fügte sich der Prinz diesem Wunsche und weilte in der Nähe Potsdams, bis ihm am 22. März der Auftrag ertheilt wurde, sofort nach England zu reisen. Dies erfolgte in der Voraussetzung dort dem Vaterlande nützlicher sein zu können, als während der Aufregung in Berlin oder anderswo.

Seine Aufnahme in England war geeignet die trüben Eindrücke der berliner Nachrichten zu mildern. Der Umschwung der öffentlichen Meinung, welcher sich in den zahlreichen Adressen und in seiner Wahl für die Nationalversammlung kund gab, verwischte bald die Erinnerung an die ungerechte Verfolgung innerhalb der eigenen Vaterstadt; und so kehrte der Prinz zurück um, der constitutionellen Sitte gemäß, unbetheiligt an Regierungsgeschäften, im Kreise der Seinen zu leben. Die Prinzessin von Preußen verließ[S. 254] ihren Gemahl erst im Augenblicke der Abreise nach England und blieb, während die Stürme tobten, mit ihren beiden Kindern in Potsdam, getreu ihren Pflichten als Gattin und Mutter.


Vierzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 1. August 1848.

Ich muß fürchten, daß Ihr findet, ich habe über dem to print or not to print, meiner nicht gehaltenen sechs Reden die Tramontane verloren; wer konnte aber auch auf die raschen Veränderungen und Umstellungen gefaßt sein? Lob Preußens, Namens der Süddeutschen, in der Paulskirche, Rückzug der Urheber des zweiten Abschnittes jenes beleidigenden Verfassungsentwurfes; hierauf, in der gestrigen Versammlung preußischer Abgeordneten, lebhafte Vertheidigung des preußischen Heeres durch einen Rheinländer! Endlich, in einer Zeitung, welche niemals Preußen freundlich behandelte, es nie lobte, steht unerwartet heute, am 1. August: „Am wenigsten hat das endlich geeinte Deutschland ein Interesse daran, das gerechte Hochgefühl des preußischen Heeres, das eben jetzt für die deutsche Sache glorreich gekämpft hat und wieder kämpfen wird, zu verletzen,[S. 255] sich den Geist dieses Heeres zu entfremden, welches, wie kein anderes in Deutschland, ein Volksheer ist; es wird zu stolz sein, um sich durch unwürdige Äußerungen, welche gewisse Personen in der Paulskirche zur eigenen Schande zu machen die Stirn haben, irgendwie beirren zu lassen; es wird wissen, daß wir mit ihm und es mit uns dieselbe Sache vertritt, dieselben Gegner bekämpft, dasselbe Ziel erstrebt: das der Freiheit, Einheit und Hoheit des deutschen Vaterlandes, dasselbe Ziel, für welches 1813 die Jugend Preußens die Waffen ergriff. Vor Allem sei Preußen eingedenk, wie eben jetzt in Wien das deutsche Österreich dem slavischen zu erliegen in Gefahr ist, und daß Deutschland in den Gefahren, die ihm drohen von Osten und Westen, sich auf die Kraft Preußens stützen muß; sei es gewiß, daß das dankbare Vaterland wissen wird, welche Stelle dem Staate von 16 Millionen, der unsere Marken im Osten und Westen zu hüten hat, in dem künftigen Reiche gebührt.“

Was will man mehr? So hat der ferne Donner die Böswilligen und Leichtsinnigen erschreckt und die Wetterfahnen umgestellt. Mögen die Preußen nun auch ihrerseits nicht zu weit gehen und den sich hervordrängenden Verdacht: man bezwecke eine Rückkehr zum alten Systeme, zurückweisen.


[S. 256]

Einundvierzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 1. August 1848.

Es war heute gar langweilig in der Sitzung. All das hundert Mal Gehörte wider Adel und Orden ward aufs Breiteste wiederholt und durcheinander gerührt. Das Wahre war nicht neu, und das Neue nicht wahr. In einer Minute kann man das stundenlang Auseinandergezogene aussprechen und niederschreiben: nämlich, des Adels unhaltbar gewordene Vorrechte hören auf; um alles Andere (in Wahrheit Unschädliche und Unerreichbare) hat man sich dagegen nicht zu bekümmern. Auch der Reichscanarienvogel hofirte zwitschernd in schlechtem Witze auf den Adel; G. belehrte uns: von sei eine Präposition, die den Dativ regiere, also — u.s.w. Mir erschien es ungebührliche Zeittödtung zuzuhören, wenn man bestimmt weiß, wie man stimmen soll und muß; so ging ich denn vor dem Schlusse ohne Gewissensbisse hinweg, um an Euch zu denken und an Euch zu schreiben.

Unterhaltender als die Reden sind die anliegenden Karikaturen, alle sprechend ähnlich, trotz der hieher gehörigen Übertreibungen. 1) Robert Blum, der Herausgeber der Reichstagszeitung, mit Bezug auf[S. 257] eine daselbst befindliche Äußerung. 2) L. (zubenannt das Wiesel, weil er geneigt ist, so rasch wie dies Thierchen auf die Rednerbühne hinaufzuschlüpfen). Diesmal fuhr Gagern aus seiner Höhe mit der glockenbewaffneten Riesenhand so ungeduldig und gewaltig dazwischen, daß sich das Wiesel, wie zu schauen, auf die Flucht begab. — 3) Ruge, der Allesverachtende, mit Hegel’schen Redensarten Genudelte, der Weltenschöpfer und Weltenanschauer, hängt seinem Berufe nach oder krümmt sich unter ihm, in einer noch nie gesehenen Michelangelo’schen Stellung.

Ich schrieb Euch, daß davon die Rede war, eine Deputation nach Berlin zu schicken, um gerechte Klagen zu mildern, Mißverständnisse zu beseitigen u. s. w. Bald aber traten Zweifel hervor; an wen denn eigentlich jene Abgesendeten sich wenden, in welcher Art sie wirken sollten. Vor Allem ward klar, daß nicht zugleich Schlöffel, Nauwerk, Vincke, Lichnowsky u. s. w. konnten vertreten werden; daß gar nicht Alle dasselbe wünschten und bezweckten.

Den 2. August.

Diejenigen preußischen Abgeordneten, welche von jeher der Meinung waren: man müsse den süddeutschen und anderen Angriffen nur Geduld und süße Redensarten entgegensetzen, schreien gewaltig über die Grobheit und aufregende Leidenschaftlichkeit der Schrift[S. 258] Griesheim’s. Nun ja! sie ist grob und leidenschaftlich; aber wie man in den Wald ruft, so tönt es zurück. Auch streitet Griesheim nur gegen grobe Personen, oder noch weit mehr gegen die Grobheit der Sachen; und daß er in dieser letzten Hinsicht Unrecht habe, ist noch von Keinem behauptet worden. Die Entrüstung der Preußen hat ihnen und ihrem Rechte in wenigen Tagen weiter geholfen, als die weichliche Schafsgeduld, gegen die ich mich seit meiner Ankunft erklärte und worüber ich mich immerdar ärgerte. Die wahre Einheit Deutschlands ist mit der festen Größe Preußens besser gefördert, als wenn ich mich hergebe seinen dummen oder böswilligen Feinden die Hände oder gar den H.— zu küssen.

In der heutigen Sitzung ward über den Adel weiter verhandelt und dann abgestimmt. Fast Alle erklärten sich für die Abschaffung der Adelsvorrechte; die Abschaffung des Adels bis auf Namen, Bezeichnung, Titel, Wappen (nach revolutionairer Weise) ward aber mit einer Stimmenmehrheit von 115 verworfen. Wozu solche polizeiliche, bedeutungslose, unausführbare Vorschriften unter die Grundrechte des deutschen Volkes aufnehmen? Auch der Sturm gegen alle Orden mißlang; wogegen es durchging, jeden nicht mit einem bestimmten Amte verbundenen Titel aufzuheben! Endlich stimmte die Linke[S. 259] dafür: daß jeder Mensch berechtigt sei, sich irgend einen Adelstitel beizulegen; — worüber große Heiterkeit entstand. Man rief: Graf Blum, Baron Canarienvogel u. s. w.

Die angenommenen Sätze lauten: Alle Deutsche sind gleich vor dem Gesetze. Standesprivilegien finden nicht statt. Titel, die nicht mit einem Amte verbunden sind, werden aufgehoben und dürfen nicht wieder eingeführt werden. Die öffentlichen Ämter sind für alle dazu Befähigten gleich zugänglich. Das Waffenrecht und die Wehrpflicht ist für Alle gleich; Stellvertretung bei letzterer findet nicht statt. — Vergeblich machte man darauf aufmerksam, daß man den Proletariern nicht Waffen in die Hände geben solle. Bei der Ausführung wird der Beschluß Übelstände in Menge herbeiführen, oder vielmehr nicht ausgeführt werden.

Die ganze Berathung hatte sehr wenig Erfreuliches. Insbesondere konnte der Präsident mit Worten und Klingeln die Leidenschaft und das Dreinreden der Linken kaum bändigen. Sie hofft, daß in Berlin und Wien ihre Ansichten obsiegen werden. Leicht möglich, wenn die Klubs ungestört ihre revolutionairen Umtriebe fortsetzen dürfen.

Ich holte aus der Lesebibliothek: Der Rechte von der Gräfin Hahn. Sie hat (eine seltene Eigenschaft bei schriftstellernden, meist rückläufigen Frauen)[S. 260] sehr große Fortschritte gemacht, und mir erscheint das Buch wie eine Vorstudie zu der ohne Zweifel vollkommneren Sybille.

Ich habe eine Abneigung gegen breitgetretene, kränkliche Liebesgeschichten, vor denen alle Gesundheit verschwindet oder als das Geringere verächtlich behandelt wird. Mattherziges, faules, unthätiges, unmännliches Gesindel, füttert und päppelt sich mit dem blähenden Kohle hohler Redensarten von unerhörter, ungesehener, überpoetischer Liebe; und wenn man das aufgeputzte, geschminkte, verhätschelte Götzenbild mit dem Zauberstabe ächter Wahrheit und Schönheit berührt, so stürzt es zusammen und es bleibt nichts übrig als ein wenig Unrath.


Zweiundvierzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 4. August 1848.

Gestern ist der Erzherzog unter ungeheurem Zulaufe des Volkes wieder eingezogen. Diesmal waren denn auch mehre Hundert weiße Mädchen mit Eichenkränzen zur Hand, von Kindern an bis zu sehr breiten Jungfrauen. Nach Berlin ist Johann wohl der eingetretenen Mißstimmung halber nicht gegangen. Heute[S. 261] erwartet man die Ernennung der übrigen Minister, wo die kleinen Staaten gewiß wieder stärker vertreten werden, als Preußen. Überhaupt muß sich dies selbst geltend machen, und nicht auf den Reichsverweser und die hiesigen preußischen Abgeordneten allzu viel bauen.

Den 5. August.

Bevor ich zu sachlichem Berichte komme, muß ich persönlich tiefe Seufzer ausstoßen, um dadurch mein Gemüth etwas zu erleichtern. Die gestrige sechsstündige Sitzung (in welcher sehr viele Reden über die Todesstrafe abgeschrien wurden und die Linke eine so starke Begleitung übernahm, daß der Präsident sie mit dem Glockenspiele zu übertönen suchte, aber die Glocke zerschlug, sodaß sie nur sehr heisere Töne von sich gab) griff mich so an, daß mir fast die Sinne vergingen. Beim Frühstück klagten Abgeordnete, daß von Tage zu Tage ihr Appetit abnehme. Ich aß, sagte einer, erst drei, dann zwei Portionen; jetzt ist mir eine fast zuwider. Ganz mein Fall.

Hierauf wandte sich (ganz in der Regel) meine Melancholie wider mich selbst und meinen hiesigen Aufenthalt. Ich erschien mir völlig unnütz, ein Tropfen im Meere. Es erschien mir verkehrt, in dieser Einsamkeit auszuharren (denn 500 Menschen[S. 262] in der Paulskirche geben keine Gesellschaft) und meine wenigen Lebenstage für etwas einzusetzen, was viele Andere besser vollbringen könnten. Keineswegs verzweifele ich an der Sache, keineswegs halte ich die großen Aufgaben für gering und unlösbar, keineswegs jammere ich wie ein Trauerweib über Alles, was mich in der Nähe umgiebt und was ich aus der Ferne höre. Ich sehe nur mich an, lege mich auf die Wage und finde mich allzu leicht. Ich sehe mich an und finde, daß ich in einem Tage hier an Seele und Leib um mindestens zwei Tage älter werde, und ganz decrepit (ich brauche ein fremdes Wort für eine üble Sache) zurückkommen, und dann zum Troste keineswegs auf Lorberen ruhen werde, sondern hart liegen auf dem Bewußtsein meiner Entbehrlichkeit und Nichtigkeit.

Auf einem Spaziergange mit einem Abgeordneten, Martens aus Danzig, suchte mich dieser von meiner hiesigen, nützlichen Einwirkung zu überzeugen; dies war aber wohlwollende Höflichkeit und führte nur zu der noch verdrießlicheren Untersuchung, ob meine Verzagtheit wirklich auf rechter Demuth beruhe. — Endlich schnitt die Müdigkeit alle, in der That ganz fruchtlosen Betrachtungen ab; und ein langer Schlaf stellte die Kräfte so weit her, daß ich Euch diese Jeremiade schreiben konnte. Jetzt zu den Sachen!

Der Hauptinhalt der gestrigen Berathung war[S. 263] also die Abschaffung der Todesstrafe. Viele sprachen dafür, Wenige dagegen; so bringt es die Stimmung des Tages mit sich. Mir scheint die Frage in unseren Tagen (wo nicht mehr, wie sonst, Unzählige, sondern zu Folge der veränderten Gesetze nur sehr Wenige zum Tode verurtheilt werden) ungemein an Wichtigkeit verloren zu haben. Neben der Betrachtung über eine wissenschaftliche Rechtfertigung der Todesstrafe, geht aber (obwohl mehr oder weniger verdeckt) die Neigung her, sich nach jetziger Humanität mehr der Schuldigen als der Unschuldigen anzunehmen, mehr für den Einzelnen als für die bürgerliche Gesellschaft zu sorgen. Ich hatte schon Lust den Vorschlag zu machen: man möge die Todesstrafe abschaffen, dem Verbrecher aber die Wahl freistellen, ob er sich lieber wolle köpfen lassen oder lebenslang in die angeblich philosophisch-humanen, in Wahrheit fürchterlich grausamen, einsamen Gefängnisse einsperren lassen. Diese sind eine Tortur neuer Art; wenigstens schminkte sich die alte nicht mit süßen, sentimentalen Reden, sondern anerkannte ihre Barbarei, — angeblich auch für das Beste der bürgerlichen Gesellschaft. Ihr erlaßt mir die Mittheilung der für und gegen die Todesstrafe aufgezählten Gründe. Nur ein Paar Curiositäten. M. behauptete: in den Vereinigten Staaten erfolge die Hinrichtung nicht öffentlich, weil die Regierung sich derselben schäme; und[S. 264] ein Anderer führte für die Todesstrafe an, daß ohne Christi Kreuzigung das Christenthum nicht in die Welt gekommen wäre!


Dreiundvierzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 5. August 1848.

Gestern Abend ging ich nach einsamem Spaziergange in das Theater, um „Brandmarkung, Pranger und Prügel aller Art“, wovon in der Paulskirche die Rede war, aus den Gliedern los zu werden. In dem Heirathsantrage auf Helgoland spielte Hr. Reger den alten Oberbootsmann vortrefflich, und Mozart’s Kapellmeister ließ die Paulskirche vergessen. Obgleich er selbst steif und hölzern dargestellt wurde, ergötzte ich mich an Hrn. Theaterdirektor Schikaneder; auch sangen die beiden Frauen recht brav. Indessen blieben wehmüthige Erinnerungen auch hier nicht aus. Es setzte sich nämlich ein etwa 16jähriges Mädchen neben mich, welche der Malvina Eimbeck (als sie ebenso alt) außerordentlich ähnlich war, und gar manche Fäden früherer Zeiten hervorrief, die ja (wie alles Vergangene) nicht den Charakter des Sonnenaufganges, sondern des Sonnenunterganges tragen und tragen müssen.

[S. 265]

Wenn mir auf den Spaziergängen schon Blätter vor die Füße fallen, ich den Mähern und Harkern zuschaue oder durch Stoppeln wandere, finden sich auch ganz natürlich andere Gedanken ein, als wenn ich im Mai unter Rosen und Blumen aller Art mich ergötzte und verjüngte. Von hier aus würde ich sogleich wieder in den Butterfrauentrab der Paulskirchenpolitik verfallen, wenn nicht jetzt eben alle Glocken so entsetzlich läuteten, daß mir alle Gedanken vergehen und ich deshalb lieber abbreche.

Den 6. August.

Das war heute eine so aufregende Sitzung, daß man ein Nervenfieber davontragen könnte.

Bei Erörterung der Berichte über die Amnestie politischer Verbrecher, und über Hecker’s Aufnahme, mußte man Reden anhören, die allen Grundsätzen der Sittlichkeit Hohn sprachen und dem Verbrechen Altäre bauten. Ich konnte diese Gräuel nicht länger aushalten, ging ins Freie; hörte aber bei der Rückkehr schon draußen einen fürchterlichen Lärm. Ein Abgeordneter, Brentano, hatte, dem Sinne nach, gesagt: wie man den badener Verfolgten eine Amnestie verweigern könne, da man sie dem Prinzen von Preußen bewilligt habe? Hecker und der Prinz wurden also gleichgestellt. Vor 6 Wochen befürchtete ich schon eine solche Explosion, und erbat mir für solch einen Fall das Wort.

[S. 266]

Den Preußen ging diesmal die Geduld aus, um so mehr, da die Galerien Beifall brüllten. — Es war nahe daran, den höhnisch fortlachenden Brentano von der Rednerbühne herabzuwerfen und mit einer großen Prügelei zu enden. Der Präsident außer Stande, Ruhe herzustellen, mußte die Sitzung aufheben; die preußischen Abgeordneten und viele Nichtpreußen begaben sich ins Casino, waren eines Sinnes über jene Unwürdigkeiten und versammelten sich um 5 Uhr im österreichischen Locale zu weiteren Beschlüssen. Niemand weiß, was geschehen wird; aber nochmals hat sich erwiesen, daß wir, wie ich immer behauptete, mit Lammessanftmuth nichts ausrichten, sondern à la Griesheim die Zähne weisen müssen.


Vierundvierzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 7. August 1848.

Heute um 5 Uhr versammelten sich etwa 250 Abgeordnete im Saale, wo die Österreicher in der Regel zusammenkommen; die Überzahl Preußen, dann Österreicher, Baiern, Hannoveraner u. s. w., aus allen Stämmen. Alle erklärten einstimmig: Brentano’s unwürdige Rede habe nicht blos die Preußen,[S. 267] sondern alle Deutsche beleidigt. Und so hat die Flegelei nur die Folge bestimmteren Anschließens. Die Frage war: was soll man beantragen, was thun? Der erste Vorschlag: Brentano’s Ausschließung zu verlangen, ward sogleich abgelehnt, weil hiezu keine genügenden, förmlichen und sachlichen Gründe vorlagen. Der zweite Antrag: ihn durch den Präsidenten zur Ordnung anweisen zu lassen, hatte den Vorzug, daß er alle weiteren Erörterungen abschnitt; allein er schien für das ungewöhnliche Vergehen zu gelinde. Und wenn er auch für die Versammlung genügte, so war mit Bestimmtheit vorauszusehen, daß man außerhalb derselben und in ganz Preußen sagen würde: die preußischen Abgeordneten hätten wieder wie Feiglinge und Nachtmützen geschwiegen, und nur der Präsident einige Theilnahme und Ehrgefühl gezeigt. Deshalb ward der dritte Vorschlag fast einstimmig angenommen: die Versammlung solle ihre Mißbilligung aussprechen, daß Brentano einen deutschen Volksstamm gröblich beleidigt habe. — Möglich, daß sich daran neuer Lärm anreihe, oder Viele nicht beistimmten: die Forderung sei indeß gerecht, der Lärm nicht zu fürchten und nöthigenfalls namentliche Abstimmung zu verlangen. Der Prinz ward nicht genannt, um jeden neuen Angriff nach dieser Seite hin zurückweisen zu können. Der Gedanke, dies Alles in geheimer Sitzung abzumachen[S. 268] und die Galerien heute zu schließen, ward verworfen; denn wie die Beleidigung öffentlich war, müsse es die Genugthuung sein und keine Furcht vor den Galerien gezeigt werden. Erhöben sie wieder Lärm, müsse man sie räumen lassen und für die Zukunft ein allgemeines, zügelndes Gesetz geben.

Diesmal war es mir, bei geringerem Andrange, in dieser Privatversammlung gelungen, mich als den zweiten Redner einschreiben zu lassen. Als ich meinen Spruch begann und der Vorsitzende (Graf S.) bemerkte, daß ich vom Prinzen von Preußen reden würde, stand er auf und gab mir zu verstehen: ich möge mich nur darüber erklären, was jetzt hinsichtlich Brentano’s zu thun sei? Ich ließ mich aber durch diesen Hemmschuh gar nicht aufhalten, sondern behauptete: nicht einmal die preußischen, viel weniger die gegenwärtigen österreichischen, baierischen und die anderen deutschen Abgeordneten wären von den Thatsachen, der Persönlichkeit, dem Benehmen des Prinzen und der Prinzessin von Preußen genügend unterrichtet, und es sei mein Recht und meine Pflicht, aus genauer Kenntniß der Verhältnisse, sie gegen schändliche Lügen und Verläumdungen zu rechtfertigen. — Jetzt erscholl von allen Seiten des Saales der laute Ruf: Reden, Reden!!

Ohnehin schon übermäßig aufgeregt, warf ich nun alle Präsidentenzügel zur Seite, stürmte darauf[S. 269] los und sagte, was ich nicht im Gedächtnisse zusammensuchen kann, aber doch weiß, weil ich es immer im Kopfe und Herzen getragen. Und auch Ihr wißt es, ohne da Capo.

Am Schlusse: das lauteste Bravo und unermeßliches Händeklatschen; — nicht für mich, — sondern für den Prinzen und die Prinzessin. Darum ist dieser Ausbruch der Theilnahme nicht ohne Wichtigkeit.

Den 8. August.

Ich schwebe in Sorgen über den Gang und Ausgang der heutigen Sitzung. Es blieb aber nichts übrig, als den Kampf zu wagen. Traurig, daß auch preußische Abgeordnete sogenannte politische Principien, über Vaterland und Vaterlandsliebe hinaufsetzen; — wie im Dreißigjährigen Kriege dogmatische Principien. — Der Weg zum Untergange Deutschlands!

Gestern Abend hat man Hrn. Brentano ein Vivat gebracht, wobei Itzstein und ähnlich Gesinnte betheiligt waren und Reden hielten an das Straßenvolk, wie man sagt, des Inhaltes: der Prinz von Preußen könne es sich zur Ehre rechnen, mit Hecker verglichen zu werden; zu neuen Barricaden würde man sich doch einfinden u.s.w.

Die heutige Sitzung (9–3½ Uhr) war nicht erfreulicher als die gestrige. Zwei Anträge über die[S. 270] Zurechtweisung Brentano’s lagen dem Präsidium vor, eine etwas milder abgefaßt, als die andere. Gagern hatte den Vorsitz an Soiron übergeben, weil sein Bruder in dem Hecker’schen Aufstande erschossen worden. Soiron glaubte, das Allermildeste zu thun, wenn er Brentano zur Ordnung rufe und dadurch härtere Vorschläge und längere Berathungen abschneide. Kaum aber hatte er die Weisung zur Ordnung ausgesprochen, so nahm die Linke dies nicht dankbar an; sondern erhob einen Lärm, daß man kein Wort verstehen konnte, und die Galerie stimmte in den Ton ein mit Brüllen und Trampeln. Alle Weisungen zur Ruhe, alle Drohungen, die Galerien räumen zu lassen, blieben ohne Wirkung, sodaß die Sitzung einstweilen nach 10 Uhr unterbrochen und der Wiederanfang auf 11 Uhr angesetzt wurde. Die meisten Abgeordneten verließen hierauf den Saal, die Galerien blieben überfüllt und jeder sah im Voraus, daß um 11 Uhr die Fortsetzung folgen werde. So geschah es. Das Präsidium befahl die Galerien zu räumen; neuer Lärm und Hohngelächter. Einzelne in Frankfurt sehr bekannte Abgeordnete gingen hinauf; ihre Vorstellungen blieben ohne Wirkung. Jetzt folgte ihnen der Präsident Gagern selbst; aber Kerle mit dem Hute auf dem Kopfe stellten sich vor ihm hin, und haben gewiß nicht höflich gesprochen. Erst als Bürgerwehr ankam,[S. 271] machten die Ungehorsamen Anstalt zum Abzug, und die frechen oder neugierigen Weiber fast zuletzt.

Nun sollte nach geleerten Galerien die Berathung über die Amnestie fortgesetzt werden. Ich füge ein: daß in vielen Eingaben zwar von Menschlichkeit, Leiden der Väter, Mütter, Geschwister u. s. w. die Rede war; aber auch nicht die geringste Spur von Reue und Besserung. Vielmehr (ebenso wie von mehren Rednern des gestrigen Tages) ein Läugnen aller sittlichen Grundsätze, und ein Verachten aller gesetzlichen und bürgerlichen Ordnung. Und alle diese Angeklagten sollte die Reichsversammlung ohne Rücksicht auf das Maß ihrer Verschuldung, ohne Rücksicht auf die Sicherheit der einzelnen Regierungen plötzlich frei sprechen und aus dem Auslande wieder in Deutschland hineinlassen, wo die Meisten eine Empörung als Recht, Pflicht und Ehre bezeichneten.

Jetzt behauptete die Linke (um Zeit zu gewinnen und morgen unter Begleitung der Galerien, das hieß ihnen: des souverainen Volkes, ihren Willen durchzusetzen), mit der Räumung der Galerien sei nothwendig die Sitzung geschlossen. Diese Behauptung ward verworfen. Sie verlangte nunmehr: daß man das, eben hinausgewiesene, draußen schreiende Volk wieder einlasse; sie forderte hierüber die, Zeit kostende, namentliche Abstimmung. Ihre Forderung[S. 272] ward mit 380 gegen 91 Stimmen abgewiesen. Nun erhielt (leider) Hr. Brentano wieder das Wort und behauptete: er habe nichts Beleidigendes gesagt, wohl aber hätten viele Mitglieder der Rechten wider ihn Lärm erhoben (das ist wahr), ihn thätlich angegriffen (wird, da er es nicht beweisen kann, als Lüge bezeichnet, und er auf Pistolen gefordert). Das letzte, sowie der ungebührliche Lärm läßt sich nicht läugnen, aber dies Alles ereignete sich im Wesentlichen erst nach Schließung der gestrigen Sitzung.

Endlich wird die Discussion über die Amnestiefrage geschlossen, und nur der Berichterstatter, Hr. Widemann bekam (nach gesetzlicher Weise) noch das Wort. Er widerlegte die Einreden, und erwies aus den Originalprotokollen, daß Itzstein und Brentano, welche gestern Hecker gern in einen Helden und Heiligen verwandeln wollten, damals ihn in der badenschen Kammer als Verbrecher bezeichnet hatten. — Nochmaliger Antrag: nicht abzustimmen, weil die Sitzung eine geheime und „das Volk“ nicht gegenwärtig sei. Abgeschlagen, worauf ein großer Theil der Linken die Kirche verläßt. — Deshalb, behaupten ihre bleibenden Genossen, müsse man die Sitzung schließen. — Abgeschlagen, sie möchten wiederkommen. — Unterdessen hatte die Bürgerwehr kurzen Prozeß mit dem Janhagel gemacht, den Platz geleert, die Straßen gesperrt. — In lächerlicher Nachahmung Mirabeaus’s[S. 273] rief Hr. Wigard aus Dresden: wir können nicht berathen und abstimmen unter dem Schutze der Bajonnette. — Der Präsident bemerkte, beruhigen Sie sich, sie sind nicht wider die Versammlung gerichtet. Diese bestand darauf, heute die Sache zu Ende zu bringen, und bei der namentlichen Abstimmung erklärten sich 90 für die Amnestie, 317 aber für den Antrag des Ausschusses: daß die Reichsversammlung nicht entscheiden, sondern der Weg Rechtens um so mehr betreten werden solle, weil die Regierungen ohne Zweifel da zur Milde geneigt wären, wo es mit der Sicherheit verträglich sei. — So der heutige Tag der neuen Brüderlichkeit, der gesetzlichen Ordnung, und der außerordentlichen Fähigkeit für republikanische Einrichtungen. Doch haben die Vernünftigen gesiegt, und gegen die Wiederkehr ähnlicher Ereignisse wird man Maßregeln ergreifen.


Fünfundvierzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 9. August 1848.

Nach der gestrigen, stürmischen, Leib und Seele angreifenden Sitzung ging ich zur Erholung ins Schauspiel, und sah: „eine Familie“, von der Birch-Pfeiffer. Trügt mich mein Gedächtniß nicht, so ziehe[S. 274] ich die hiesige Darstellung der berliner im Ganzen vor: löblich war unter Anderen Fräulein Janauschek, vor Allen aber spielte Fräulein Lindner, die alte Madame Braun, in jeder Beziehung meisterhaft. Jedes Wort, jede Bewegung war angemessen, charakteristisch, anziehend. Keine Uebertreibung, nichts auf bloßen Effekt berechnet, und doch Alles von heiterer, rührender, großer Wirkung. Man hätte ununterbrochen klatschen müssen (auch habe ich es in meiner theilnehmenden Bewunderung nicht daran fehlen lassen) und der Hervorruf nach dem einen Akte war mehr verdient als tausend andere.

Wenn ich von der Sorge und dem Aerger der letzten Tage absehe, so liegt in dem Tadelnswerthen, Erschreckenden, wiederum viel Gutes und Hoffnung Erweckendes. So z. B.

1) war (obwohl ohne Theilnahme der Regierungen) die Wahl des Erzherzogs zum Reichsverweser ein Glück und ein Sieg über die anarchischen Plane einer Partei.

2) Endete die gewaltige Aufregung über die Polen mit einem Siege der deutschen Sache, und einer einstweiligen Bestätigung des Friedens mit Rußland.

3) Haben Mißgriffe das sich auflösende Preußen aufgeweckt und zum Selbstbewußtsein gebracht.

4) Sieht man täglich mehr ein: der Gegensatz,[S. 275] Deutschland oder Preußen, sei ein thörichter. Eins kann nicht bestehen ohne das Andere.

5) Hat die Linke, trotz alles Skandals, in der Amnestiefrage eine völlige Niederlage erlitten, und wird sie bei der Frage über Hecker’s Wahl morgen wieder erleiden.

6) Hat das ungezogene Benehmen der Galerien endlich die meisten Abgeordneten überzeugt: man dürfe den souverainen Pöbel nicht länger hätscheln und mit dem Volke verwechseln. Zum geistigen und leiblichen Wohle der Versammlung werden, wie ich höre, schon morgen an 800 Menschen weniger eingelassen und die gewonnenen Räume zu nützlicheren Zwecken verwandt. Als gestern wohl 1500 bis 2000 Menschen hinausgetrieben waren, konnte man erst wieder bessere Luft einathmen. Vorher, zum Ohnmächtigwerden!


Sechsundvierzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 10. August 1848.

Die Zeit hat mir nicht erlaubt zu meinen sechs gedruckten „in der Paulskirche nicht gehaltenen Reden,“ noch andere hinzuzufügen. Ich hatte sonst Lust eine zu halten [S. 276]über die Abschaffung der deutschen Geschichte“, etwa folgenden Inhaltes: „Die pariser Tage des Februar haben nicht blos den Franzosen, sondern auch den Deutschen die Freiheit gebracht! Mit dem Jahre 1848 beginnt das Leben unseres Volkes; was dahinter liegt, war Tyrannei der Könige, der Fürsten, des Adels, der Patricier, der Zünfte, der Bischöfe, der Pfaffen; ein unwürdiger, erbärmlicher Zustand, den zu achten Verrath, den zu vergessen ein Glück, den zu verdammen eine Pflicht, mit welchem sich zu beschäftigen, ein widerwärtiges, ekelhaftes Geschäft ist.

So ertönen mancherlei Stimmen mit solcher Sicherheit und Anmaßung, daß ihnen zu widersprechen, Tollkühnheit und Thorheit zu sein scheint. Und warum auch widersprechen? Die neue Lehre ist ja so bequem, der Weg so kurz, das Ziel nahe und unfehlbar, und die neue Weisheit leicht zu behalten. Zwar findet sich der Anfangspunkt des Deutschen nicht in Deutschland, sondern in Paris; auch ist seine Lebensdauer noch nicht so lang wie die eines Kindes, und es hat noch weniger die Kinderkrankheiten überstanden. In seiner durch französische Gevatterschaft geheiligten Geburtsstunde, liegt jedoch eine Bürgschaft für die Ewigkeit und das Jahr 1848 wiegt tausend Jahre früherer Geschichte auf. Hiemit, meine Herren, wäre denn freilich von Etlichen die Abschaffung der deutschen Geschichte beschlossen,[S. 277] und diese Abschaffung scheint noch weniger Anstoß zu geben, als die des Adels und des Cölibats.

Soll ich, ein Lehrer der Geschichte, nun allein hierüber Klage erheben? Soll ich mich nicht vielmehr freuen, daß alle historischen Aufgaben so erleichtert und verkürzt, ja daß sie ganz bei Seite geworfen sind, weil jetzt von Manchen allein diejenige Geschichte für würdig erklärt wird, welche sie selbst machen.

Den größten Theil meines Lebens habe ich der Geschichte unseres Vaterlandes gewidmet, mich für jene Zeiten großer Kaiser, gewaltiger Päpste, edler Fürsten, kräftiger Städte begeistert! — „Das Alles (höre ich rufen) war Narrentheidung, lächerliche Verblendung, thörichter Wahnsinn! Ihr Leben war ein gänzlich verlorenes Leben.“

Wie ich leben wollte und gelebt habe, das ist meine Sache; davon handelt es sich nicht. Ich vertrete nicht meine Person, sondern Deutschlands Geschichte; und so hoch ich die Versammlung in der Paulskirche auch stelle, — wenn aus ihren Grüften auf die Galerie hinaufstiegen, Kaiser wie Friedrich I. und Friedrich II., Fürsten wie Heinrich der Löwe und Friedrich der Weise, Adlige wie Hutten und Götz von Berlichingen, Männer wie Luther und Melanchton; — sie würde bei aller Berufung auf ihre Allmacht nicht im Stande sein, die so besetzte Galerie räumen zu lassen!

[S. 278]

Wozu indeß mein Eifer? Es sind ja zuletzt nur Wenige (ich meine außerhalb dieser Mauern), welche die Geschichte so hochmüthig behandeln, Vorfahren lästern ohne zu erwägen, daß Nachkommen alsdann dasselbe thun werden, Wurzeln des Daseins und Verbindungsfäden mit der Vorzeit abschneiden, uneingedenk, daß alsdann auch das Werk des letzten Tages abreißt und vertrocknet.

So fern Sie auch, meine Herren, von diesen Ansichten und Lehren sind, liegt Ihnen doch die Gefahr keineswegs fern: viele durch alle Jahrhunderte hindurchgehende Eigenschaften und Neigungen, Leidenschaften und Vorurtheile, Vorzüge und Mängel unseres Volkes um deswillen nicht unbefangen zu würdigen, weil die drückenden Mängel der letzten Jahre sämmtlich nach einer Seite hin lagen.

Im Jahre 1648 glaubte man auch das Allerbeste für die Ewigkeit gegründet zu haben und rühmte sich dessen über Maß; — und doch war es nur ein Nothbehelf, erwachsend auf dem Boden, nicht der höchsten Wahrheit und Liebe, sondern auf dem zerrütteten Boden der endlich ermatteten Leidenschaften.

Soll Ihr Werk gesunder, dauernder, segensvoller sein, so gründen Sie es auf dem Inhalte tausendjähriger deutscher Geschichte, befreien Sie den Baum unseres Lebens von trockenen, oder unfruchtbaren Zweigen; aber hauen Sie ihn nicht nieder, um Steck[S. 279]linge in einen Boden zu pflanzen, in welchem sie nicht gedeihen können!


Siebenundvierzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 11. August 1848.

Die heutige Sitzung begann damit: daß die Linke 17 Beschwerdepunkte gegen den Vicepräsidenten von Soiron, in Bezug auf die letzten stürmischen Sitzungen aufstellte. Ohne Zweifel haben sich alle Theile und Parteien mancherlei zu Schulden kommen lassen; da es aber wenig Anklang fand, die Sachen mit dem Mantel der Liebe zuzudecken, die Thatsachen so wenig feststanden und die Aufregung noch so groß war, daß man wahrscheinlich neue Ungebühr erlebt hätte, so wurden alle Beschwerden und Anträge an den Ausschuß über die Geschäftsführung verwiesen, um den Unrath genau zu untersuchen, und ihn uns dann mit neuer Brühe versehen, aufzutischen.

Nun folgte die Berathung über Hecker’s Aufnahme, wobei viel Verkehrtes und Sophistisches vorgebracht, am besten aber von Simson aus Königsberg gesprochen wurde. Ihr kennt den Ausschuß[S. 280]bericht und damit den wesentlichen Inhalt der Sache. Von 466 stimmten 116 für, 350 gegen Hecker’s Aufnahme; und so ist denn die widerwärtige Sache (wenigstens innerhalb der Versammlung) abgethan; gebe der Himmel, daß sie sich nicht außerhalb wiederhole. N. und andere preußische Radikale stimmten für Hecker.

Den 12. August.

Gestern Abend saß ich mit mehren Personen an einem kleinen runden Tische im Schwan. Der Eine, neben ihm seine Frau, wunderte sich, daß die Preußen Brentano’s Schmähung auf den Prinzen von Preußen so übel genommen hätten. — Herr, erwiderte ich, wenn Jemand Ihre Frau schmähte, würden Sie es ruhig dulden und sagen, was geht es mich an? Wir sind in Preußen noch nicht auf der neuen modigen Höhe des Tages angelangt, den König und das königliche Haus, welches wir noch haben und noch haben wollen, ungerügt beleidigen zu lassen. Die Anarchisten sollen durch unsere Erklärung, „das preußische Volk sei beleidigt“, erfahren, daß sie es mit diesem, von seiner Regierung nicht gelöseten, zu thun bekommen. — —

— — — Doch billige ich sehr, daß der König nach Köln geht; es ist ein wesentlicher Schritt zu der, schlechterdings nothwendigen Versöhnung. Hier erklärt die[S. 281] Linke: die Preußen hätten solchen Lärm nur erhoben, weil sie den König absetzen und den Prinzen von Preußen auf den Thron erheben wollten. Dies Gewäsch ist zu dumm, als daß es Glauben finden könnte.

Gestern sah ich im Schauspiele: das Tagebuch und Hr. Hampelmann der eine Wohnung sucht. In jenem spielten Alle gut und Fräulein Hausmann ausgezeichnet; in diesem ruht das Ganze auf der Titelrolle des Hrn. Hassel. Es war ungemein ergötzlich, obgleich ich dem frankfurter Dialekte nicht überall folgen konnte.

Von der heutigen Sitzung ist nicht viel zu berichten. Bei der Frage: über das künftige Gehalt des Präsidenten der Reichsversammlung, stimmte die Linke (um sich als sparend beim Volke beliebt zu machen), für monatlich 1000 hiesige Gulden (zu etwa 14 Groschen Courant); die Übrigen bedachten 1) Posten und Gehalt sei nur auf Monate, nicht auf Lebenszeit; 2) man bedürfe eines mit Ausgaben verknüpften Aufwandes, als Bereinigungsmittels der Parteien, und stimmten daher für monatlich 2000 Gulden; dieser Antrag ward angenommen.

Hierauf die Frage über den dänischen Krieg, und insbesondere die Entschädigung für unverschuldeten Kriegsverlust. Die Mehrzahl wollte nicht aussprechen, daß ganz Deutschland dazu verpflichtet sei;[S. 282] was man an der Ostsee sehr übel aufnehmen, und was von Neuem gegen Frankfurt aufreizen wird. — Als R. anfing zu sprechen, verließ eine Schar von Abgeordneten den Saal, um frische Luft zu schöpfen, oder zu frühstücken. — Da kommt man natürlich auf den Gedanken: es sei besser zu schweigen und auch zu frühstücken. Hiebei wiederum eine Karikatur, bezüglich auf die stürmische Sitzung: Vincke, Rösler, Soiron und Herrmann.


Achtundvierzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 13. August 1848.

Ein höchst unerwartetes Intermezzo.

Der Reichsverweser und seine Räthe haben mich erwählt, um seine Wahl u.s.w. — zu notificiren — in Paris!

Obs dabei bleibt, entscheidet sich morgen Vormittag. Dann schreibe ich mehr. — Höchstens dürfte meine Abwesenheit 14 Tage dauern.

Den 14. August.

Ich fand gestern Hrn. P. noch voller Begeisterung. Er kannte zufällig meine Reden, war davon entzückt[S. 283] und sagte zuletzt: ich sei der Jefferson Deutschlands, oder müsse es eiligst werden. Da ich nun J. für einen der größten Männer halte, die je auf Erden lebten, und mich zusammengehutzeltes Gerstenkorn damit bonnement verglichen sah, stand mir der Verstand völlig still, über P—s beispiellos vergrößerndes Glas.

Der Antrag nach Paris zu gehen, ist ohne Zweifel und um so mehr eine Auszeichnung, da ich mich überall (wie ihr wißt) nirgends vorgedrängt, und noch weniger um ein Geschäft beworben habe, wo man sich so leicht blamiren kann. Indessen glaubte ich zuletzt im Stande zu sein, einen Brief zu übergeben und einige Gespräche über die hiesigen Verhältnisse zu führen.

Den 15. August.

Das Geschäft: ein Schreiben des Erzherzogs an den General Cavaignac zu übergeben und dabei eine sehr kurze Rede zu halten, wäre einfach und leicht genug. In der weiteren Instruktion kommen aber die allerwichtigsten Fragen zur Sprache, über welche zu unterhandeln mir eigentlich nicht obliegt, über welche zu — plaudern aber schon viele Vorsicht, Kenntniß und — viele Zeit kostet. Wenn ich darauf dringe, daß sehr bald ein Gesandter für Paris ernannt werden müsse, erhalte ich keine Antwort;[S. 284] wahrscheinlich, weil man nicht weiß, wen man senden soll. Ich habe aber gar keine Lust mir von Posttag zu Posttag Galgenfristen setzen zu lassen, und mich in Sorgen abzuquälen. Andererseits ist es lehrreich und vielleicht wichtiger in Paris für Deutschland zu sprechen, — als in der Paulskirche. So gehen mir die Gedanken auf und ab. — Nun, kommt Zeit, kommt Rath.


Neunundvierzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 16. August 1848.

Daß ich nach Paris gehe, um die Wiedergeburt des deutschen Reiches, Namens des von einem Volksparlamente erwählten Reichsverwesers, der französischen Republik anzumelden, diplomatische Verbindungen anzuknüpfen, deutsche Verhältnisse zu erläutern, deutsche Beschlüsse zu rechtfertigen und (wo möglich) das Auftreten Deutschlands als europäische Großmacht anzubahnen; — das wäre kein Traum!? —

Helfe Gott, daß Alles ohne Dummheiten und Vorwürfe ablaufe. Das heißt, sofern die Dinge mir können zugerechnet werden. Alles Andere steht in höherer Hand. Frieden ist das höchste Losungswort, das höchste Ziel, nicht blos meines ganz[S. 285] kleinen untergeordneten Auftrages, sondern aller Derer, die es mit ihrem Vaterlande und der Menschheit gut meinen.

Den 19. August.

Der Erzherzog sagte mir: es sei Schade, daß ich so lange meinen wissenschaftlichen Arbeiten entzogen werde. Hieraus folgte: daß er nicht der Meinung ist, mich auf längere Zeit in Paris festzuhalten; — woran vielleicht Andere für den Fall denken, daß ich auf der dortigen Eisbahn nicht zu Falle komme. Als ein Zeichen (freilich nur sehr geringes) diplomatischer Selbstbeherrschung kann ich anführen, daß ich dem Erzherzoge nicht sagte, was ich sagen wollte: „in meinem Alter bringe man überhaupt nichts mehr zu Stande.“ Er ist nämlich fast meines Alters. — Sonst befand ich homuncio, mich dem hohen Reichsverweser gegenüber so natürlich und bequem, daß es mir kaum auffiel, als er mich „mein Freund“ nannte. Sein ganzes Wesen ist einfach, verständig, bestimmt, und erinnerte mich lebhaft (auch sein Äußeres) an meinen Vater.

Meine neue hohe Würde bringt mir von Thürstehern und Boten den Titel Hr. Minister, auch wohl Excellenz. Nach einer Märchennacht bin ich wieder Reichstagsabgeordneter, nach einer zweiten, Stadtverordneter, nach einer dritten ein alter Pro[S. 286]fessor den Niemand mehr hören will. Und ist diese Sinecure nicht das beste Theil?

Gestern war ich wieder bei — um mancherlei mit ihm zu besprechen; damit insbesondere Preußisches und Deutsches nicht in Hader gerathe. Die Zusammenkunft in Köln hat nützlich gewirkt; ebenso das kraftvolle Benehmen der Preußen, nach dummem oder sentimentalem Dusel. Stände nur der berliner Landtag nicht so weit hinter der außerhalb desselben vorhandenen, höheren Bildung und Einsicht zurück, gäben nur Hansemann’s husarische Finanzplane und seine Organisationen nach französischer Weise, nicht so viel gerechten Anstoß.

Ich lese, daß in Preußen Viele noch immer zürnen, daß hier ein Reichsverweser erwählt worden. In meinen Briefen hoffe ich dafür hinreichende Gründe angegeben zu haben. Gewiß ist die demokratische Richtung und die Neigung der Versammlung zur Vielregiererei dadurch wesentlich gehemmt oder abgeleitet worden. Man muß derlei Dinge nicht im Allgemeinen, in abstracto betrachten und beurtheilen; sondern mit Rücksicht auf die vorliegenden Verhältnisse, das Mögliche oder Unmögliche, das größere oder kleinere Übel u.s.w. Zudem war es ein Glück, daß ein Mann wie der Erzherzog Johann vorhanden war, für den sich die Stimmen so allgemein vereinigten, daß Die, welche Itzstein vorzogen,[S. 287] sich und ihn lächerlich machten. Ob und wie dereinst eine zweite Wahl heilsam und beifällig zu treffen sei, — sind spätere Sorgen. Jeder Tag hat seine eigene Plage.

Den 20. August.

Herr von Biegeleben lieh mir Martens’ Handbuch für Diplomaten. Die ganze Weisheit läuft aber dergestalt auf Nichtssagen, Phrasendrechseln und Strohdreschen hinaus, daß ich das Buch sogleich zurückgab, in der Hoffnung, die neue Diplomatie, oder vielmehr Staatskunst, gehe auf die Sachen und einen wahren Inhalt hinaus. Zudem habe ich mehr Gesandtschaftsberichte gelesen, als vielleicht irgend ein Mensch in Europa; und lege dies, den vergessenen Formeln gegenüber in die Wagschale. Zuletzt: quel bruit pour une omelette; um einer Sendung willen, die, möglicherweise ganz unterbleibt oder 14 Tage dauert.


[S. 288]

Funfzigster Brief.

Brüssel, den 23. August 1848.

Die Frage, ob ich nach Paris gehe, ist nunmehr freilich entschieden; nicht aber die Frage nach dem Umfange und den Gränzen meiner Geschäfte. Sie können sehr einfach sein, aber auch sehr verwickelt werden, und ich habe deshalb ernste Sorge über das Gelingen oder Mißlingen meiner Sendung. Nur der Gedanke: daß ich nach besten Kräften meine Pflicht erfüllen werde, und mich nicht füglich zurückziehen konnte, hält mich aufrecht. In einer deutschen Zeitung stand mit Recht: mir sei die schwierigste Mission zu Theil geworden, und im Journal des débats sagt ein wohlmeinender Artikel: nach P. komme l’éminent Historien d. R.

Neben allem Ernste habe ich Gelegenheit genug mich selbst zu parodiren und meine 1001 Nachtstellung lächerlich zu finden: wenn Thürsteher und Kellner (meine Sendung war ausgeplaudert) mich Mr. le Ministre nennen, ein Kerl vor mir (mit dem Hute in der Hand) herläuft, ein anderer nachfolgt, ich im ersten Stock wohnen soll, und zwischen den Schlafkammern für mich und B. eine Stube, genannt Salon, liegen muß. Als ich gestern Abend[S. 289] hier ankam, bestellte ich Abendbrot (da ich in Aachen nur gefrühstückt hatte) und aß sehr preislich, während Engländer und Engländerinnen blos Thee tranken. Gleich nachher fiel ich aber sehr aus meiner neuen Rolle: denn als ich eine halbe Bouteille Wein forderte, erhielt ich die Antwort: on ne vend pas ici de demi bouteilles!

Ein Engländer fragte mich: ob ich mich nicht fürchte, nach Paris zu gehen? er und seine Dame trügen Bedenken. — Antwort: Man soll sich nie fürchten, auch habe ich in Paris schon einmal Barrikaden erlebt u. s. w.

Soviel als letztes Lebenszeichen aus Deutschland und dem ruhigen Belgien. Hoffentlich ist in Paris kein neuer großer Skandal im Anzuge. Wolken stehen freilich genug am babylonischen Himmel.

Lebt wohl und fleht den Himmel an, daß er mich auf rechtem Wege erhalte und ich nichts begehe, was man als sottise und bêtise bezeichnen könnte. Händel kann freilich Jeder an Jedem suchen. Nun, so werde ich mich wehren und auch die Zähne zeigen; — wie die Preußen nach Erschöpfung ihrer Geduld. Allen Grüße.


[S. 290]

Einundfunfzigster Brief.

Paris, den 24. August 1848.

Gestern früh 9½ Uhr fuhr ich aus Brüssel ab, war Abends 8½ in Paris, und saß 9½ in den Euch bekannten Zimmern im Hôtel d’Hollande. Willisen wohnt ebendaselbst, und O—s Bedenken: daß meine Feinde es übel auslegen würden, wenn ich mit einem preußischen Abgeordneten in demselben Hause wohne, wies ich muthig zurück. Ein Zufall habe dies herbeigeführt und es sei besser Einigkeit als Zwiespalt zwischen Deutschland und Preußen vorauszusetzen.

Nach glaubwürdigen Nachrichten hat man sich hier weder amtlich noch in geselligen Verhältnissen viel über die Stellung Deutschlands zu Italien geäußert, dagegen herrscht eine allgemeine Aufregung hinsichtlich des dänischen Krieges. Man tadelt das Benehmen der frankfurter Versammlung und behauptet, sie habe den Dänen, wenigstens in gewissen Punkten, Unrecht gethan. — — —

Dem ersten Anblick nach, ist Paris noch das alte; bei genauerer Betrachtung sieht und hört man jedoch, wie sehr Verkehr und Geldumlauf und Vertrauen abgenommen haben. So sind im Palais Royal[S. 291] viele Läden geschlossen, die Zahl der Eßgäste bei Hallevant sank auf ein Fünftel, die Preise der Miethen sind gefallen und viele Wohnungen stehen leer. So leiden wir nicht allein, und wohl nicht am meisten. Von mehren Seiten behauptet man: die Republik habe eigentlich fast gar keine Anhänger und befinde sich im Belagerungszustande. Cavaignac übt eine Macht wie seit Ludwig XIV sie kein König üben konnte, und auch keiner der bourbonidischen Thronbewerber im Fall seiner Herstellung üben dürfte; wie auszuüben man in Berlin hinsichtlich der Presse, der Klubs und des Straßenunfugs nicht den Muth hat.

Im Vergleiche mit Paris erscheint mir Frankfurt wie eine Heimat: es ist mir unbequem, mein kleinstes Thun oder Lassen geprüft und wohl mißliebig beurtheilt zu sehen; ich fühle, wie ich mich hüten muß, die seit so vielen Jahren gewahrte völlige Freiheit und Unabhängigkeit meiner Person, nicht preiszugeben. Das Wirken im Sinne eines Andern, würde mir in meinen alten Tagen am wenigsten zusagen. So lange also meine Überzeugung mit der des Andern stimmt, andiamo; sonst links um, und ausgespannt. Indessen nicht aus Faulheit, oder übler Laune halber, sondern nur, wenn Charakter, Pflicht und Gewissen es gebieten.

[S. 292]

Den 25. August.

Auf allen großen Plätzen sind Freiheitsbäume errichtet. Das heißt, man fand eine abgeschälte Fichtenstange (dies kahlste und trockenste aller Sinnbilder) doch zu unpassend, und pflanzte deshalb wirkliche Bäume. Aber diese langen, dünnen, fast zweig- und blattlosen, bereits zum Theil vertrockneten, lombardischen Pappeln, gewähren einen erbärmlichen Anblick. Im Frühjahr wird kaum eine am Leben bleiben, und so ist man fast gezwungen, an die Hinfälligkeit und Vergänglichkeit der neuen Freiheit zu denken.


Zweiundfunfzigster Brief.

Paris, den 26. August 1848.

Überlege ich, was mir seit meiner Abreise von Berlin eigentlich Freude gemacht hat, so ist es an Euch Briefe schreiben und von Euch Briefe empfangen. Da liegt denn aber die Frage nahe: ob man das nicht daheim bequemer haben könne? Wenn mir die Eitelkeit nicht auf die Füße hilft (weil mir das Organ dazu fehlt), so hänge ich mir den vorwurfsdichten Mantel der Pflichterfüllung um, und wende die Worte der — an, welche mir schreibt: „ich kann[S. 293] mir denken, daß Sie sich nur durch geistige Anstrengung aufrecht erhalten, und daß Sie es thun, freut mich“ u. s. w.

Jetzt ists vier Uhr. Was habe ich gethan? Besuche machen wollen, aber die Leute verfehlt; Besuche angenommen, etwas in einem Romane von Mery gelesen, und Überröcke von weitem angesehen, aber noch keinen gekauft. Muß ich nun nicht wie Kaiser Titus sagen: diesen Tag habe ich verloren? — Heute Abend kommt indessen vielleicht noch das Beste: ich soll bei Lamartine durch Willisen eingeführt werden! Lamartine wird allgemein betrachtet, wie ein politisch todter Mann. Besser freilich, als, wie le Blanc und Caussidière, durch die härtesten Anklagen noch länger dem Publikum zur Schau ausgestellt bleiben.

Im Jahre 1830 las ich Inschriften für die Helden des Julius, welche die ältere Linie der Bourboniden verjagten; heute für die Helden des Februar, welche die damals eingesetzten Orleaniden stürzten! Die da Helden des Junius werden wollten, sind hingegen erschossen, oder geschlossen aus Frankreich hinweggeführt. In St.-Cloud der alte Hof, Direktorium, Brumaire, Napoleon, Charles X., Louis Philipp u. s. w. Fast gehen mir die Gedanken aus, indem ich dies Alles durchdenken will! — Wende ich mich von Weltgeschicken zu meinem eigenen Schicksale, so erscheint mir das letzte Lebensjahr wie ein offen[S. 294]bares und doch unerklärtes Räthsel. Ich habe die Fäden nicht verflochten, nicht gelöset, sondern nur daran herumgespielt, oder mit mir spielen lassen.

Verhehlen darf ich nicht, daß Nachrichten, welche mir nur allzu glaublich erscheinen, mich sehr befürchten lassen: die Hoffnungen, welche man hinsichtlich meines hiesigen Empfanges erregte (und die auch wohl meine Absendung beschleunigten), dürften viel zu günstig und zu rosenfarben gewesen sein. Gewiß werden die persönlichen Formen, nach französischer Sitte, sehr höflich ausfallen; es scheint aber, Frankreich ist gesonnen, seine Verhältnisse zu Deutschland erst in Uebereinstimmung mit den übrigen Mächten aussprechen und feststellen zu wollen. Drängte man auf eine schnellere Entscheidung, so will man (wie ich höre) Zweifel erheben über Umfang und Gränzen des deutschen Reiches, über die Art, wie ältere Verträge mit den neuen deutschen Einrichtungen in Übereinstimmung zu bringen seien u. s. w.

Ich füge noch zwei Worte über hier umlaufende Ansichten hinzu. Manche sagen: „die frankfurter Versammlung, oder doch die Centralgewalt, geht darauf aus, ganz Deutschland für Österreich zu gewinnen und in Bewegung zu setzen. Zu einer solchen Richtung kann Preußen nie die Hand bieten, weshalb es zweifelhaft bleibt, ob Frankfurt übermächtig oder ohnmächtig wird.“ — Andere sprechen: „bei[S. 295] Österreich, Preußen, Baiern kann man sich etwas Bestimmtes denken; was man sich aber bei einer deutschen Centralgewalt denken könne oder solle — ist und bleibt unbegreiflich. Obgleich nun aber Frankfurt in der Luft schwebt, wie ein Chateau d’Espagne, greift es doch händelsüchtig nach allen Seiten über die rechten Gränzen hinaus und erregt Besorgnisse fremder Mächte, statt in stiller Bewegung für die heimatliche Entwickelung zu sorgen.“

Den 27. August.

Soirée bei Lamartine ½10–½11. Stereotyp ebenso, wie ich deren so viele besucht habe. Eine große Zahl Menschen, unter denen sich nur wenige kennen, Sitze fast nur für die Damen, Stehplätze zu 2–3 Fuß. Lamartine war freundlich und angenehm; Zeit und Sorgen haben ihn jedoch sehr altern lassen. Melancholisch machte die hier, mehr als irgendwo, immer wiederkehrende Betrachtung der schnellen Abnutzung und Vergänglichkeit alles Menschlichen. Denn ziemlich laut sprach man die Bemerkung aus: der Besuch des Salons sei unbedeutend im Vergleiche zu Dem, was er vor einigen Monaten gewesen! Das Sprichwort: „man wende sich zur aufgehenden Sonne,“ ist alt und wahr; hier aber wenden sich die Gesichter unzählige Male hin und her, nach jeder neu angesteckten Lampe oder Laterne.[S. 296] Denen, die da anstecken, folgen schnell Diejenigen, welche auslöschen oder zerschlagen. — Wäre ich hier nur erst angezündet, — an Auslöschen und Zurückziehen denke ich jetzt schon selbst. — Ich ward gestern einigen Herren (keiner Dame, dazu bin ich zu alt) vorgestellt, z. B. einem Legitimisten, einem alten Diplomaten, der mir erzählte: ich habe unter Hardenberg, Noten an ihn erlassen u. s. w. Er verwechselte Hardenberg mit Haugwitz, und mich mit dem alten Onkel. Ich ließ ihn aber, ohne Berichtigung, bei seinem wohlgemeinten Glauben. Die Namen einiger anderen Herren wurden nicht deutlich vorgesprochen, und so will ich sie nicht nachsprechen, um ähnliche Verwirrungen zu vermeiden.

Mittags.

So eben komme ich von der ersten Audienz bei dem Minister Bastide zurück. Man hatte ihn mir als einen rechtlichen, aber finstern und schweigsamen Mann beschrieben; er war aber sehr offen, zutraulich, mittheilend, höflich. So hoffe ich denn, die Dinge werden in eine gute Bahn kommen, sobald die Frankfurter nur nicht im irrigen Glauben an ihre Allmacht, Alles bruskiren wollen, anstatt die Zeit walten zu lassen. Formelle Schwierigkeiten lassen sich heben, sobald man über die Sachen selbst einig ist. Die Thürsteherexcellenz wird hinter der Thür stehen müssen, und der lange Gesandten[S. 297]titel sich vor der Hand, — oder vielmehr für mich auf immer —, in Friedrich v. Raumer verwandeln. Wo dieser Name nicht hilft — nun u.s.w. — — — Herr Bastide empfing mich übrigens in demselben Zimmer, wo ich früher Guizot gesprochen hatte. Sic transit gloria mundi.

Von allen Seiten höre ich, daß der Kampf im Junius dringend nöthig gewesen und das Land vor den größten Übeln geschützt habe. Des Langredens sei man, auch in den Kammern überdrüssig, freue sich der Kürze Cavaignac’s, der durch bestimmtes Handeln täglich an Ansehen gewinne. Doch sind sehr viele Wahlen für landschaftliche Behörden in antirepublikanischem Sinne ausgefallen und über die Lebensdauer der Republik äußert man sich überhaupt sehr skeptisch und skoptisch.

Abends.

— — Noch einige Worte über die erste Unterhaltung mit Hrn. Minister Bastide. Sie war wesentlich vertraulicher Art und eben dadurch belehrender, als wenn wir uns in den alten, strengen Formen der Diplomatie bewegt, oder vielmehr nicht bewegt hätten.

Hr. Bastide sagte im Wesentlichen: wir freuen uns über die neue Entwickelung in Deutschland, wir wünschen enge, für immer dauernde, freundliche Verbindungen; wir werden uns nie in die inneren Angelegenheiten des Nachbarlandes einmischen; wir über[S. 298]lassen ihm, seine Verfassung und Verwaltung nach Belieben einzurichten. — Da indessen die europäischen Staaten über ihr Verhältniß zu der neuen Centralgewalt noch zu keiner gleichartigen Ansicht gekommen, und wir durch mancherlei freundschaftliche Verträge mit den einzelnen deutschen Staaten seit Jahrhunderten verpflichtet und gebunden sind, so wünschen wir ein letztes, entscheidendes Wort erst dann auszusprechen, wenn wir hierüber nähere Kunde eingezogen und uns in den Stand gesetzt haben, desto unbefangener und bestimmter unsere theilnehmenden Ansichten an den Tag zu legen.

Hr. Bastide bemerkte ferner: das an ihn gerichtete Schreiben veranlasse einige Bedenken, über welche sich schriftlich zu verbreiten vielleicht Beiden unangenehm sein dürfte. Besser also, es in diesem Augenblicke zur Seite zu lassen und zunächst sich mündlich zu verständigen. Den eigentlichen Anstoß mochte der Ausdruck: l’empire germanique geben, welcher eine vollständige, augenblickliche Anerkennung in sich zu schließen schien.

Hr. Bastide las hierauf das Schreiben Sr. kais. Hoheit, des Reichsverwesers, fand es wohl abgefaßt und übernahm, dasselbe dem Hrn. General Cavaignac vorzulegen, mir aber so schnell als möglich dessen Entscheidung mitzutheilen. Als sich das Gespräch auf Schleswig wandte, bemerkte Hr. Bastide: Frank[S. 299]reich würde sich am liebsten von dem unglücklichen Streite fern gehalten haben. Eine dänische Aufforderung, die Bürgschaft von 1720 zu vertreten, habe sich aber, Ehren halber, nicht geradehin ablehnen lassen. Weitere Untersuchungen hierüber ständen offen; vor Allem aber müsse man suchen, aus Gründen der Gegenwart, den Krieg baldmöglichst zu beenden. Über die polnische Sache sagte Hr. Bastide nur wenige, keine erhebliche Theilnahme zeigende Worte; sowie er auch ein näheres Eingehen in die italienischen Angelegenheiten den nächsten Tagen vorbehielt.

Endlich erwähnte Hr. Bastide, zwar nicht als einen innerlich gewichtigen, aber doch unzeitigen und unangenehmen Umstand, daß in Deutschland Manche davon sprächen: Elsaß und Lothringen wieder zu nehmen. — Ich will nicht durch Niederschreiben meiner hierauf ausgesprochenen Bemerkungen lästig fallen. Die Äußerung: daß sich zahlreiche Versammlungen leicht zu weit fortreißen ließen, und dies noch jetzt in Paris der Fall sei, gab mir Gelegenheit, auch für Frankfurt einige Rücksicht zu verlangen.

Der Gesammteindruck des ganzen Gesprächs war durchaus angenehm. In der Hauptsache: Friede und Freundschaft, zeigte sich die vollkommenste Übereinstimmung mit Frankreich, und die Beseitigung einiger unausbleiblicher Zweifel ward in nahe Aussicht gestellt; habe doch die französische Republik auch[S. 300] Monate lang, ohne officielle Gesandte, ihre Geschäfte nur durch in officiösen Verhältnissen stehende Personen führen lassen. In Bezug auf meine Person drückte sich Hr. Bastide weit schmeichelhafter aus, als ich es verdiene.

Den 28. August.

In Frankfurt drückte das Übermaß der Arbeiten; hier wird die Faullenzerei und vielleicht die leere Geselligkeit lästig werden.


Dreiundfunfzigster Brief.

Paris, den 29. August 1848.

Gestern habe ich wieder viele Besuche abgestattet, oder doch Karten abgegeben. B. Rothschild empfing mich sehr artig, und seine Frau fand ich so einfach, liebenswürdig und verständig wie vor Jahren. Selbst ihr einnehmendes Äußere hatte sich nicht verändert.

Mittags aß ich bei Spontini’s, die sich freuten mich wieder zu sehen. Er ist sehr niedergeschlagen, da er, in Folge einer Erkältung, seit Monaten schwer hört. Eine Verwandte der Spontini, Madame Bonnemaison, welche mich früher sehr freundlich aufgenommen hatte, war gegenwärtig, — aber erblindet.[S. 301] So giebt es auch Leiden außerhalb der politischen Kreise. Diese wurden denn natürlich im Gespräche berührt, welches ein französischer Baron, ein wallonischer Abt und meine Wenigkeit lebhaft genug führten. Daß nicht alle Franzosen mit den neuesten Veränderungen zufrieden sind, wußte ich freilich schon vor pariser Mittagsmahlen.

Nachmittags.

Ich wollte heute, mit W., Arago besuchen. Er war unwohl. Drauf zum jardin des plantes, wo Hr. Prof. Valenciennes uns, mit größter Dienstfertigkeit, alles Sehenswerthe an Pflanzen und Thieren gezeigt hat. Ich sah Alles mit großem Interesse, habe nun aber einmal eine Vorliebe für die Menschen, und finde die Pflanzen poetischer als die Thiere. Viele der letzten erscheinen mir als Vorübungen, rudimenta, eines des Schaffens noch nicht recht kundigen Werkmeisters. Dann bleibt mir das große Geheimniß der Individualität, der durch Jahrtausende fortgepflanzten Natur u. s. w.

Auf dem Platze der Bastille Spuren der Kugeln (eine neben der anderen) aus den Junitagen. General C. hat zu W. gesagt: von Soldaten und Volkswache wären 4000 geblieben! Kaum ist jemals eine solche Schlacht in einer Stadt unter Stamm- und Bürgergenossen vorgefallen.

[S. 302]

Den 30. August.

Ich wiederhole, daß, allem Anscheine nach, Hr. Minister Bastide aus den bereits mitgetheilten Gründen wünscht, daß ihm einige Zeit verbleibe, bevor er über die bekannte Hauptsache eine bestimmte oder schriftliche Erklärung abgebe.

In einem Gespräche mit dem englischen Botschafter, Lord Normanby, erinnerte sich derselbe sehr freundlich, mich bei meinem früheren Aufenthalte in England gekannt zu haben. Er sagte ferner: ich weiß noch nicht, welchen schließlichen Entschluß meine Regierung in Bezug auf den Hrn. Reichsverweser u. s. w. gefaßt hat; doch ist man in den Sachen wesentlich einig, und es handelt sich nur um einige Formen. Ich habe hier bereits alles Mögliche für Sie gethan (beiläufig einige Höflichkeiten für meine Person) und werde fortfahren es zu thun, aber übereilen, bruskiren Sie nichts, haben Sie Geduld. Es giebt Schwierigkeiten, welche die Zeit am sichersten und leichtesten beseitigt; es giebt Rücksichten und herkömmliche Formen, welche sich nicht kurzweg vernichten lassen. Alle wollen ein Ziel und man wird es erreichen: am leichtesten und sichersten, wenn Sie meinem Rathe folgen. So das Wesentliche in der zutraulichsten und freundlichsten Weise.

Ich komme so eben von Hrn. Minister Bastide.[S. 303] Er wiederholte, unter den Versicherungen der größten Bereitwilligkeit, alles Das, was ich bereits schrieb. Von General Cavaignac wären die erhobenen kleinen Schwierigkeiten gar nicht ausgegangen, sondern von ihm, da ihm obliege, gewisse Formen zu wahren. Man möge ihm nur einige Zeit lassen, um die Sache zum Ziele zu führen; doch hoffe er, mich noch heute dem General Cavaignac vorzustellen. — — — Hr. Minister Bastide sagte ferner: den neuesten Nachrichten zu Folge werde der dänische Streit wahrscheinlich bald ein Ende nehmen; desto bedenklicher stehe es in Italien, weil die Österreicher (obwohl sehr höflich) die Mediation abgelehnt hätten. Frankreich habe einmal nun sich verpflichtet, die italienische Nationalität aufrecht zu halten, und wenn dies im Wege der Mediation nicht gelinge, solle eine bewaffnete Intervention eintreten, zu welcher England zwar keine Kriegshülfe bewilligen, wohl aber sich ruhig verhalten werde. — Auf meine Bemerkung: daß der Begriff einer Aufrechterhaltung der Nationalität mehre Auslegungen erlaube, fügte der Minister hinzu: die Bewilligung einer Verfassung und Verwaltung (etwa nach ungarischer Weise) und eine Verbürgung derselben unter österreichischer Souverainetät dürfte vielleicht am besten weiterer Zerwürfniß vorbeugen. Leicht würden die Franzosen die siegreichen Österreicher zurückdrängen, aber selbst nach dem Siege keine[S. 304] anderen Bedingungen stellen, als vor demselben. Österreich möge sich nicht in Italien schwächen, Frankreich wolle dessen Macht gar nicht verringern, sondern gerne erhöhen, aber nach dem Osten hin.

Meine dringende Bitte, in dieser hochwichtigen Sache sich nicht zu übereilen, nicht das Schwert zu ziehen, sondern einer friedlichen Lösung der Fragen zu vertrauen, schien aufrichtig geneigtes Gehör zu finden. — Alles zu Allem gerechnet, wage ich zu behaupten: daß die ganz allgemein gehaltenen Versprechungen der Österreicher, in Italien das Angemessene zu bewilligen, nicht ausreichen werden. Sie müssen eiligst inhaltsreiche Erklärungen abgeben, sonst dürften die Franzosen schwerlich länger zurückzuhalten sein. Hr. Bastide erkannte feierlichst Werth und Nothwendigkeit des Friedens an, erörterte aber nochmals die Schwierigkeit der Stellung, welche Frankreich nun einmal eingenommen habe. Er versprach ferner Mäßigung und blos schriftliches Verfahren, so lange es irgend möglich sei. Das große Interesse Deutschlands bei dieser Angelegenheit erkannte er willig an, sowie die Natürlichkeit der Forderung, daß man es nicht (wie zur Zeit des alten Bundestages) bei Seite lassen dürfe. — Über die Gränzen und einzelnen Bedingungen des italienischen Friedens scheint man noch nicht ganz entschieden zu sein. — Ohne mich ungebührlich vorzu[S. 305]wagen, machte ich darauf aufmerksam, daß jetzt für Frankreich der günstige Augenblick da sei, durch moralische Mittel die Gesinnung und Gefühle der Deutschen für sich zu gewinnen u. s. w.


Vierundfunfzigster Brief.

Paris, den 31. August 1848.

Ich war gestern so beschäftigt, daß ich nicht zum Schreiben kommen konnte. Heute versuche ich wenigstens Einiges nachzuholen. Bei einem zweiten Besuche fand ich den geistreichen Letronne, der unter Anderem erzählte, wie Guizot und Louis Philipp sich immer mehr in beschränkten Kreisen und Umgebungen festgerannt, keinen Rath angenommen und die täglich wachsenden Gefahren für unbedeutend gehalten hätten. Es sei Alles nur Kaffeegeschwätz und Geklätsch. — Über die spanische Heirath denken jetzt Alle, so wie ich am ersten Tage und im Widerspruch mit Eurer damaligen Sentimentalität. An das Aufgeben großer, sittlicher Grundsätze, habe sich die täglich immer mehr wachsende, furchtbare Verachtung des Königs angereiht. — Mignet verfehlte ich. Er schrieb der Gräfin Belgiojoso einen Brief über die italienischen Verhältnisse und diese, welche (wie[S. 306] mir Letronne sagte) täglich plus folle et plus maigre wird, läßt ihn in Mailand drucken. Der Inhalt stimmte nicht mit den neuen Regierungsgrundsätzen, und in pariser Journalen wird ein ungeheurer Lärm über den Direktor der Archive des auswärtigen Departements erhoben. Hieran reiht sich ein Briefwechsel mit Bastide, welcher damit endet, daß Mignet seine Entlassung einreicht.

Herrn Bastide übergeben den 31. Aug. 1848.

Considérations
d’un vieux professeur d’histoire.

Le développement actuel de l’Allemagne est sans doute de la plus haute importance non seulement pour ce pays même, mais pour l’Europe entière. Il n’est donc point étonnant, que les gouvernements européens pèsent mûrement leur position future vis-à-vis de l’Allemagne, tiennent compte du passé et ne préjugent pas l’avenir. On doit espérer que les délais inévitables qui peuvent s’en suivre, ne rencontreront pas trop de susceptibilité à Francfort. Quelque ingrat que soit le métier de prophète, on peut toutefois, sans crainte d’être démenti, prédire deux choses: d’abord, que l’idée d’une unité plus grande de l’Allemagne ne sera point abandonnée; puis, que tout en resserrant le lien fédé[S. 307]ratif, les états, qui composent l’Allemagne, ne seront point annullés, mais qu’il s’agira seulement de régler leurs rapports avec le pouvoir central. Ce double mouvement n’a rien d’incompatible. Ces intérêts, en apparence divergents, peuvent être conciliés.

Il n’en résulte aucun danger pour l’Etranger. — Au contraire l’étranger parait intéressé à contribuer en temps et lieu à la solution pacifique de ce problème. A l’heure qu’il est, le refus de l’Autriche d’accepter la médiation française et anglaise en Italie, donne lieu à des considérations particulières. D’un côté la France a proclamé le maintien de la nationalité italienne d’une manière si précise et si enthousiaste, qu’elle peut difficilement l’abandonner aux chances d’un tête-à-tête avec l’Autriche victorieuse; de l’autre côté une intervention armée de la France dans les affaires de l’Italie conduit indubitablement aux complications les plus regrettables non seulement pour la France, l’Italie et l’Allemagne, mais encore pour l’Europe entière.

Dans cet état des choses, il devient un devoir sacré de ne rien précipiter et de faire valoir, avant de recourir aux armes, tout le poids de conseils modérés, en demandant à l’Autriche des propositions positives sur les garanties à donner à la nationalité italienne — propositions propres à tranquilli[S. 308]ser et à satisfaire à la fois, la France, l’Italie et l’Allemagne.

La position de l’Allemagne vis-à-vis de l’Autriche offre certainement bien des difficultés. Ce n’est pas ici le lieu de les développer. Mais il importe de bien se pénétrer de la disposition des esprits en Allemagne.

Le mot d’ordre, qui, à notre époque, agit sur les masses, c’est l’indépendance des nations. Partant de ce point de vue, il y a bien des Allemands, qui eussent désiré que l’Italie, par sa propre force, et par l’influence morale de ses alliés se soit émancipée de l’Autriche. Mais il entrera dans les idées de bien peu de personnes en Allemagne, — et particulièrement dans l’assemblée de Francfort, — qu’une telle émancipation se fasse par les armes d’une nation étrangère, sans prendre le caractère d’une conquête. Chaque victoire des armes françaises en Italie réagira dans ce sens en Allemagne, et cimentera le besoin de la concentration nationale plus que tous les discours de l’assemblée de Francfort et tous les décrets du Ministère central.

On était convaincu à Francfort, que cette France, pour laquelle on éprouvait de si vives sympathies, reconnaîtrait le pouvoir central provisoire sans délai. On s’attendait plutôt a quelque difficulté de la part de l’Angleterre, et surtout de la Russie. La con[S. 309]fiance, avec laquelle on tournait les yeux vers Paris, reposait peut-être sur des suppositions erronées.

Toujours est-il, que les motifs d’une prolongation de rapports seulement officieux entre Paris et Francfort seront difficilement appréciés par l’opinion publique. Il est à prévoir que celle-ci subira de notables changements, sur tout si d’autres puissances européennes mettraient plus d’empressement à régler leurs relations internationales avec l’Allemagne. Ce retour de l’opinion publique influerait nécessairement la position de l’Allemagne et de son organe central au sujet des affaires d’Italie. Et pour prévenir ce retour, ne serait-il pas d’une bonne politique, d’écarter le plutôt possible les difficultés formelles, qui, en d’autres circonstances, certes, seraient d’un poids plus décisif? De cette manière les sympathies entre les deux pays seraient maintenues et augmentées, une grande garantie de plus pour un avenir pacifique serait consacrée, et les réserves exigées par les obligations internationales envers les différens pays de l’Allemagne ne seraient aucunement exclues.

Telle est l’opinion d’un vieux professeur d’histoire, qui de ses longues études s’est formé la conviction que des rapports de sincère amitié entre la France et l’Allemagne, sont le meilleur gage d’un heureux avenir pour les deux pays et pour l’Europe.


[S. 310]

Fünfundfunfzigster Brief.

Paris, den 1. September 1848.

Lord Normanby bedauerte gestern Österreichs Ablehnen der Mediation, gab indessen zu, daß sie höflich in den Formen und nur eine vorläufige sei. Sehr müsse man wünschen, daß Österreich nun bald genauer angebe, was es eigentlich in und für Italien zu thun gedenke. Hierauf folgten Erörterungen über die Nothwendigkeit des Friedens, die Gefahr jedes Krieges, die Ungewißheit des Ausganges, die Unsicherheit einer neutralen Stellung Englands. Ich hob hiebei die Interessen und die Stellung Deutschlands im Allgemeinen hervor, ohne über die Gränzen der Vorsicht hinauszugehen. Lord Normanby räumte ein: daß die neuen Ereignisse eine baldige Entscheidung über den deutschen Reichsverweser doppelt nothwendig machten. Auch habe er wiederholt in diesem Sinne zu Hrn. Minister Bastide gesprochen und werde es unverzüglich nochmals thun.

An die Bemerkung: daß die Getreide- und Kartoffelernte in England wahrscheinlich nicht günstig ausfalle, reihte Lord Normanby die Äußerung: man müsse schlechterdings den Frieden mit Dänemark sogleich abschließen und den freien Seehandel herstel[S. 311]len. Er hoffe, daß Frankfurt keine Hindernisse in den Weg legen werde. Ein anderes langes Gespräch hatte ich mit dem österreichischen Geschäftsträger, Hrn. von Thom, welcher mir sagte: er habe über Österreichs Absichten hinsichtlich der Organisation Italiens bereits eine bestimmtere Erklärung abgegeben, welche auf Hrn. Minister Bastide einen günstigen Eindruck gemacht zu haben scheine.

Nach den Äußerungen des Hrn. — wäre Lord Normanby (wenn das Wort mir erlaubt ist) unbequemer für Österreich, als Hr. Minister Bastide. Des Lords langer Aufenthalt in Italien möge ihn günstiger für dieses Land stimmen; es bleibe aber zweifelhaft, ob er ganz im Sinne Lord Palmerston’s und der englischen Regierung verfahre oder ein englisches Ministerium sich halten könne, das den Franzosen den Eingang in Italien verstatte.

Nachmittag 2 Uhr.

Ich komme so eben von Hrn. General Cavaignac, bei welchem mich Hr. Minister Bastide einführte. Jener sprach seine höchste Achtung vor der Person Sr. kaiserl. Hoheit des Erzherzogs Reichsverweser aus, und versicherte wiederholt aufs Nachdrücklichste die Absicht der französischen Regierung, mit Deutschland in Friede und Freundschaft zu leben. Wenn jetzt eine kleine Zögerung beim Anknüpfen[S. 312] officieller Verhältnisse einträte (während die officiösen angebahnt sind), so entstehe sie durchaus nicht wegen irgend einer Abneigung, ja nicht einmal aus Gleichgültigkeit (indifférence), sondern aus den und den Gründen. (Es waren dieselben, welche ich bereits zufolge der Gespräche mit Hrn. Bastide vorgetragen habe.) Er hege gar keinen Zweifel, daß jene Bedenken würden bald gehoben werden, und einstweilen möge man die, für diplomatische Einleitungen u. s. w. fast unentbehrliche, Zeit gönnen. Am Schlusse freute sich Hr. General Cavaignac meine persönliche Bekanntschaft zu machen, und bemerkte, daß ich in der Heimat den guten Ruf eines gemäßigten Mannes habe. Ich bat um Nachsicht sofern ich, als ein Neuling, gegen diplomatische Formen fehlen sollte. — Auch wir, antwortete der General, sind Neulinge; wir wollen gegeneinander abrechnen.

Hrn. Minister Bastide machte ich noch darauf aufmerksam, daß die sehr günstige Stimmung Deutschlands leiden dürfte, wenn die förmliche Anerkennung des Reichsverwesers lange hinausgeschoben werde; — und er fand diesen Umstand wahr und gewichtig.

Hinsichtlich Italiens legte Hr. Bastide nochmals großen Nachdruck auf nationale Einrichtungen. In der auch mir mitgetheilten Note verspricht Österreich[S. 313] diese auf die liberalste Weise. Die (wie Hr. Minister Bastide bemerkte) kriegerische Stimmung des Hrn. — entstand auf die Nachricht eines französischen Seezuges nach Venedig. Wenn Österreich jene nationalen Einrichtungen gewähre, so wolle Frankreich (laut Hrn. Bastide) sehr gern darauf eingehen. Aber ächte Verfassungen lassen sich freilich nicht aus dem Stegreife fertigen.

Die Stärkung Deutschlands durch eine Centralgewalt wird von der hiesigen Regierung gewünscht und gebilligt; eine Centralisirung mit Vernichtung der einzelnen Staaten hält man für ungerecht, unklug und gefährlich.

Abends.

Das Schreiben vom 26. August über die Protestation, welche Frankreich hinsichtlich Dänemarks an Preußen gerichtet hat, empfing ich den 31. und habe Hrn. Minister Bastide den Inhalt vorgetragen. Die Denkschrift konnte ich ihm indessen nicht übergeben, da sie bis jetzt noch nicht bei mir eingegangen ist.

Hr. Bastide erwiderte: er habe auf den gerügten Ausdruck: la violence qui a été faite u. s. w. gar kein Gewicht gelegt, sondern nur dem Könige von Preußen eine Art von Höflichkeit oder Genugthuung sagen wollen. Nachdem glücklicherweise der Waffen[S. 314]stillstand abgeschlossen worden, dürfte sich Zeit zu weiteren Untersuchungen und Erörterungen finden. Er setze keinen Zwiespalt zwischen der Centralgewalt und den einzelnen Staaten voraus, und sei weit entfernt ihn zu wünschen.


Sechsundfunfzigster Brief.

Paris, den 2. September 1848.

Eine Stunde lang freute ich mich gestern meiner pflichtmäßigen Thätigkeit; kaum aber ist ein „Schwark“ zertheilt, so steigt ein anderer drohend auf und die Tantalusarbeit beginnt von Neuem. Eigentlich jedoch nicht für mich; aber das Dabeistehen und Zusehen, ermüdet in gleicher Weise, und wo Kopf und Herz Theil nehmen, ist an gleichgültige Ruhe nicht zu denken. In Frankfurt war ich etwa 1480; hier kann Niemand sein richtiges Gewicht finden und angeben, denn ganz Europa legt sich in die eine oder die andere Wagschale, und je mehr Antheil an der Entscheidung, desto mehr Sorge und Verantwortlichkeit. Dieser wohlbegründete Stoßseufzer besagt aber keineswegs, daß mir Faulheit lieber sei als Thätigkeit, kleinlicher Egoismus höher stehe als edle Sorge, und ein Maulwurfsleben angemes[S. 315]sener als rastloses Streben. Wenn man sieht, wie selbst reichbegabte Männer sich fallen lassen, zusammentrocknen, aller Theilnahme an Welt und Menschen entsagen; so soll der Minderbegabte hieran ein warnendes Beispiel nehmen und die Flügel regen, wenn er sich auch nicht hoch über den Boden erheben kann.

Gestern sah ich den neuen Gutsherrn von Boyeldieu und die Hälfte der Gesandtin von Auber. Diese leichtsinnige Heiterkeit der Musik ist mir lieber als die dumme Überladung, welche maßlose Ansprüche macht, sie aber nie erfüllt.

Es ist sehr merkwürdig zu sehen, wie die allzu weit gehende humane, oder socialistische Gesetzgebung des März, jetzt schon Rückschritte macht. So z. B. hinsichtlich der Arbeitsstunden, der Verhaftung Schulden halber u. s. w. Die letzte war abgeschafft, ist aber (da Niemand mehr bezahlte) wieder eingeführt worden.

Die englische und französische Regierung haben vor zwei bis drei Tagen eine sehr dringende Note mit der Aufforderung nach Wien gesandt, Venedig nicht anzugreifen oder gar zu bombardiren. Man solle den Waffenstillstand auch für diese Stadt anerkennen.

Auf meine Bemerkung: man behaupte ja, daß bereits eine französische Flottille nach Venedig be[S. 316]stimmt oder unterwegs sei; — antwortete — nein, auf eine solche Weise beginnt und verfährt man nicht sogleich mit einem Freunde. Sollte aber Österreich auf jene Vorstellungen keine Rücksicht nehmen und Venedig mit Heeresmacht angreifen oder gar einen Theil der Stadt zerstören, so habe ich die persönliche Überzeugung, daß Hr. General Cavaignac, trotz seiner Friedensliebe, der öffentlichen Meinung wird nachgeben und bewaffnet einschreiten müssen. Es wäre daher sehr erwünscht, wenn man eiligst von Frankfurt aus jene Wünsche oder Forderungen Englands und Frankreichs in Wien unterstützte.

Den 3. September.

Bei M. lebhafte Gespräche, meist über die neuen Zustände Frankreichs. Das Sein oder Nichtsein der Republik hing an einem Haar; sie hat sehr wenige aufrichtige Freunde, aber die meisten Franzosen (so sagt man) sind von ihrer jetzigen Nothwendigkeit überzeugt. Ihr Sturz würde einen Bürgerkrieg, ja, nach Spaltung der Gesinnungen, mehre Bürgerkriege herbeiführen. In dieser Besorgniß liegt auch eine Bürgschaft des Friedens. Die Schlachtentage des Junius sah Jeder als unausbleiblich voraus. Die Aufrührer waren sehr gut organisirt und die Hoffnung sie mit mildern und halben Mitteln zu ver[S. 317]scheuchen, schlug fehl. Der Kampf war blutiger und kostete mehr Leben, als man gewöhnlich sagt; von einem Regimente wurden z. B. 18 Officiere getödtet. Ein Sieg der Aufrührer hätte (und zwar nicht blos für Paris) aller Civilisation und allem Eigenthum ein Ende gemacht. Man muß ähnliche Versuche fürchten, aber die Macht der Unzufriedenen und ihre Kriegsmittel sind sehr geschwächt. Ein Heer von mehr als 50,000 Mann steht in und um Paris. Über Louis Blanc und seine Gehülfen ist unter allen Verständigen nur eine, und zwar verdammende Stimme. Die berliner Stadtverordneten werden sich hoffentlich nun auch von der Heillosigkeit seiner Lehren überzeugt haben.

Eine Hauptstadt wie Paris ist ein natürliches, aber nicht zu bezweifelndes Unglück. Ich habe hier das Gefühl als könne sie zerfallen wie einst Rom. Stehen doch schon jetzt ganze Reihen angefangener Häuser verlassen da; und wenn sich auch gern Arbeiter fänden, so fehlt Credit und Kapital. Man sieht fast keine herrschaftlichen Equipagen; fast lauter Omnibus und Lohnwagen. — Ähnlich ists wohl in Berlin, und der neue Dom wird wohl so wenig fertig werden als der Kölner. Leider lernt man zu derlei Erscheinungen jetzt das Warum begreifen.

Der mit Dänemark abgeschlossene Waffenstillstand ist ein großes, hier allgemein herbeigewünschtes Glück.[S. 318] Wären die, viel gefährlicheren, italienischen Verhältnisse doch auch so weit gediehen! Sie lassen sich nicht so zur Seite schieben, wie die, durch die Schuld der Polen, wiederum ganz abgenutzte Polenfrage. Es fällt hier keinem Menschen ein (wie die Linke in Frankfurt behauptete) ihrethalben einen Krieg zu beginnen. Wenn vier Polen (sagte mir der Minister —), in einer Stube zusammenkommen, so beschuldigt jeder Einzelne die drei anderen des Hochverraths.

Es ist sehr bezeichnend, daß der Belagerungszustand für Paris, auch während der Berathungen über die neue Verfassung fortdauern soll. Wie einleuchtend muß das Bedürfniß sein, wenn sich 529 dafür und nur 140 Stimmen dagegen erklären. — Die Frage über eine oder zwei Kammern, wird von Neuem zur Sprache kommen. Die verlangten Gegensätze laufen jedoch nur auf Das hinaus, was die Direktorialverfassung in dem Rathe der Alten und der 500 darbot. Auf Gemeinen, Landschaften, Magisträte nimmt man bei den Wahlen keine Rücksicht. Im Journal des débats steht heute ein verständiger Artikel über Italien. Er erinnert mit Recht an die eigene Schuld der Italiener, ihre Uneinigkeit und Leidenschaften, und schließt ganz in meinem Sinne: Il n’est pas de puissance sur la terre capable de sauver malgré lui-même un peuple qui emploie les dons les plus précieux de la nature et du génie[S. 319] à se détruire par la main de ses enfans. — Leider erinnert Italien (trotz seiner großen Vorzüge und vieler Verschiedenheiten) doch in mancher Beziehung an Polen, — ob auch an Deutschland?


Siebenundfunfzigster Brief.

Paris, den 4. September 1848.

Abends ging ich mit W. in das Théâtre français, jetzt Theater der Republik genannt, und zwar (weil wir durch einen Zwirnsfaden mit Kaisern und Königen zusammenhängen und fortgezogen werden) — in stalles d’Orchestre, wo man gut sitzt, sieht und hört. Das letzte (so viel kommt auf die Aussprache an) jedoch nicht bei jedem Schauspieler gleich gut. Die femmes savantes von Moliere wurden recht brav gegeben, vom Bachelier sah ich indeß nur zwei Akte, — zusammen sieben; dann ging ich, um 10 Uhr, nach Hause. Auf die Dauer möchte jenes Theater, trotz der Verluste großer Künstler, immer noch mehr anziehen, als die kleineren; obwohl mich das nahe Wiederauftreten der Dem. Rachel nicht so übermäßig anzieht, als die rhetorisirenden Franzosen. Ihr Trauerspiel ist noch immer weit schwülstiger aufgebauscht, als das unsere; im Lustspiel wird dagegen hier rascher,[S. 320] einfacher und natürlicher gesprochen, als in Berlin. Selbst Frankfurt erschien mir in dieser Beziehung auf besserem Wege.

Ich benehme mich hier mit größter Vorsicht, höre mehr als ich spreche, oder spreche meistens nur wie ein alter Professor der Geschichte. — Ich darf jedoch nicht verhehlen, daß man auf diesem Wege keinen Einfluß übt und gewinnt, und daß allgemein erwartet wird: Deutschland werde bald und kräftig zum Besten Europas für den Frieden auftreten. Jede bewaffnete Einmischung Frankreichs, so sprechen alle Unterrichtete, führt zu einem allgemeinen Kriege. Deutschland kann und darf nicht Österreich fallen lassen, ohne die größten Gefahren für sich selbst herbeizuziehen; wohl aber kann und soll es in Wien dafür wirken, daß Italien (laut wiederholter Versprechungen) nationale Einrichtungen erhalte.

Den 5. September.

Ich war heute auf dem Louvre und ging zuerst nach den sogenannten assyrischen Denkmalen von Ninive. Sie erinnern so sehr an die persepolitanischen Bildwerke (auch die Keilschrift), daß ich sie nicht höher hinaufstellen möchte. Von griechischem Einflusse keine Spur; wahrscheinlich fallen sie in die Zeit zwischen Cyrus und Xerxes.

Dann zu den Bildsäulen, endlich zu den Ge[S. 321]mälden, die ganz umgehangen und nach Schulen geordnet sind. In manchen Dingen kann ich meine ketzerische Haut nicht mehr wandeln. So erkenne ich den lebendigen Reichthum von Rubens gewiß an, fühle aber keine rechte Anziehung für seine dicken Frauen, oder den Mischmasch der Marie Medici mit den alten Göttern: Reifröcke und nackte Kerle! Auch das unbestimmt Verschwimmende der Umrisse und der Farben im Morillo scheint mir eher ein Mangel zu sein, als ein Verdienst; in der französischen Schule endlich fühle ich Rhetorik vorherrschend, oder auch Langeweile, wie in den vielen grauen und weißen Mönchsgestalten le Sueur’s. Hätten wir ganze Werke der Griechen von Phidias, Apelles u. s. w., wie würden da ganze Massen unschöner Kunstwerke neuerer Zeit in Nacht versinken.

Gestern ist bei dem österreichischen Geschäftsträger ein neues Schreiben des Hrn. von Wessenberg eingelaufen, wonach nochmals versprochen wird: für die Nationalität der Italiener Sorge zu tragen. Hr. Minister Bastide hat sich hierüber sehr erfreut und hinzugefügt, ich habe heute viel größere Hoffnung für Erhaltung des Friedens als vor einigen Tagen.

In allen amtlichen und nichtamtlichen Gesprächen tritt Frankreichs Wunsch und Forderung, daß etwas für die Nationalität der Italiener geschehe, in den[S. 322] Vordergrund. Man hält sich für verpflichtet, Lamartine’s Worte als eine Erbschaft (obwohl ungern) anzunehmen; auf die geographischen Gränzen, die Souverainetät, die dynastischen Interessen (worüber nichts versprochen worden) scheint man weit weniger Nachdruck zu legen.

Der jüngere A. — klagt bitterlich daß Lamartine seinen Onkel mit lauter Unwahrheiten hingehalten und bedient habe: es sei vorsätzlich, oder aus Selbsttäuschung, oder weil er Vieles nicht gewußt habe.

Den 6. September.

Gestern Abend fuhr ich mit W. zum General Cavaignac. Die Zimmer waren so mit Menschen überfüllt, daß man sich nicht regen und bewegen konnte. So war es vor drei Monaten bei Lamartine, so — wird es sein —? —?

Man klagt über Mangel an Freiheit, Preßbeschränkung, Klubauflösung, militairische Tyrannei; — und muß doch anerkennen, daß dies Alles nothwendig, und die geringeren Uebel sind.

Uebrigens tragen die Leute, trotz des Republikanismus, gern Orden, wenn sie sie haben.

Gestern lief eine Fliege an der Decke meines Wagens gar eifrig hin und her; sie bildete sich wahrscheinlich ein, ihre Pflicht zu erfüllen und zum Fortkommen des Wagens viel beizutragen. Bin ich nicht[S. 323] auch eine Art diplomatischer, hin und herlaufender, redender, schreibender Fliegen? — Die Langeweile zieht schon langsam ein, und Mery’s schwache Romane, und Dumas’ Monte Christo werden die eintretende Leere nicht hinreichend ausfüllen. Zuletzt lese ich diese Bücher nur der Sprache halber. Andererseits bin ich hier weniger geschoren und mit Geschäften überhäuft, wie in Frankfurt, auch ist die Lebensart gesunder; endlich muß ich eingestehen, daß ich keine Sehnsucht nach Fakultätssitzungen und Hörsälen habe. So nützlich wie dort, bin ich hier und in Frankfurt alle Tage.

Den 7. September.

Ein Herr wunderte sich gestern allzu viel über Das, was man in Deutschland thue und bezwecke; worauf ich mir die Erlaubniß nahm, über manches Französische mein Erstaunen auszudrücken, und so das Gleichgewicht Europas herzustellen.

Viele gestehen: daß die Republik in Frankreich keineswegs allgemein Beifall finde, den letzten Wahlen durch übereilte Begeisterung, Einschüchterung, ja Gewalt, eine demokratische Richtung gegeben worden, und neue Wahlen in anderem Sinne ausfallen dürften. Daher werde die jetzige Versammlung ihre Auflösung so lange als möglich verhindern; wenn sie aber die Gesinnung des Landes nicht mehr ausdrücke,[S. 324] ihr Ansehen verlieren und gestürzt werden. — Gestern kam noch zur Sprache: daß Louis Philipp durch Ernennung unbedeutender und serviler Personen, Ansehen und Macht der Pairskammer untergraben und dadurch mittelbar eine Vorliebe für das Einkammersystem herbeigeführt habe.

Daß man nun doch die Vermittelung Frankreichs und Englands in Wien angenommen, erfreute Hrn. Bastide sehr; die Zeitungsnachricht: „man habe in Frankfurt den Waffenstillstand mit Dänemark verworfen,“ erzeugt dagegen überall den größten Unwillen. Man behauptet, dies sei schlechterdings thöricht und unverständig, und es werde Frankfurt in Mißcredit bringen, Streit und Unglück erzeugen — u. s. w. Ich hoffe, die ganze Nachricht ist unwahr. Gewiß würde Frankreich und England, — auch wohl Preußen —, die Sache dauerhaft übel aufnehmen. Ich schreibe dies in höchster Eile, um die Post nicht zu versäumen.


[S. 325]

Achtundfunfzigster Brief.

Paris, den 8. September 1848.

Ich stellte gestern Hrn. Bastide vor:

1) Die Einwendungen über den Ausdruck: Reich und die Neuheit der Centralgewalt seien jetzt vollständig widerlegt.

2) Verliere, nach dem Vorgange Englands, Belgiens, Sardiniens u. s. w., die Frage: „was andere Staaten thun würden“ alles Gewicht.

3) Desgleichen die, über Verträge u. s. w. mit deutschen Regierungen. Alle hätten den Reichsverweser längst anerkannt, die Geschäftsträger von Österreich, Preußen, Baiern wünschten die baldige Annahme des Schreibens Sr. kaiserl. Hoheit; kein kleinerer deutscher Staat werde oder dürfe widersprechen, oder doch Deutschland und Frankreich einen solchen unzeitigen und unbedeutenden Widerspruch unberücksichtigt lassen.

Wenn also bei diesen Verhältnissen da, wo man auf die freundlichste Annahme gerechnet habe, die größten Schwierigkeiten erhoben würden, wenn ich allein dem mir gewordenen ehrenvollen Auftrage nicht genüge, so würden das Publikum und die Behörden zunächst annehmen: der Fehler liege an mir;[S. 326] mein Benehmen und Das, was ich gesagt oder gethan, sei der eigentliche Grund des Mißlingens. Man werde sagen: ich sei zu zaghaft und feige, oder zu ungeschickt und unhöflich gewesen, man werde mich als Sündenträger verstoßen und opfern u. s. w. Da nun aber in Wahrheit große Angelegenheiten nicht durch die Persönlichkeit untergeordneter Personen entschieden würden, so dürfe man sich nicht wundern, wenn Besorgliche zu der Vermuthung kämen: es müßten noch andere, wichtigere Gründe mit im Spiele sein u. s. w.

Hr. Minister Bastide erklärte hierauf wiederholt: er sei mit mir und meinem Benehmen vollkommen zufrieden und werde gern fernerhin mit mir verhandeln. Er fragte ferner: ob ich nicht ein förmliches Beglaubigungsschreiben als Gesandter mitgebracht habe. Ich erwiderte: mein Auftrag sei ein besonderer und außerordentlicher, und erst wenn derselbe erledigt sei, werde man in Frankfurt entscheiden, wer tauglich sei, hier ferner die Geschäfte zu führen.

Aufs Feierlichste protestirte hierauf Hr. Minister Bastide: daß der eingetretenen Zögerung durchaus keine Abneigung, üble Absicht oder eine andere unbekannte, geheime Ursache zum Grunde liegt. Frankreich sei den Deutschen und der deutschen Entwickelung in keiner Weise zuwider. Er wolle sogleich von der jetzigen (veränderten) Lage der Dinge Hrn.[S. 327] General Cavaignac Vortrag halten und werde mir heute mündlich oder schriftlich dessen Entscheidung melden.

Mittags 2 Uhr.

Ich habe bis jetzt von Hrn. Minister Bastide noch keine weitere Nachricht erhalten und muß (gebe Gott mit Unrecht) fürchten, daß der in der Paulskirche gefaßte Beschluß über den dänischen Waffenstillstand der Angelegenheit eine neue, sehr ungünstige Wendung geben wird. — „Unter dem Scheine eines unwichtigen und doch ehrenvollen Amendements habe man verworfen, was ganz Europa dringend wünsche und fordere. Preußen sei bloßgestellt und auf neue Verluste hingewiesen, die gegebene Vollmacht mißgedeutet; der Glaube, es mit ganz Europa aufnehmen zu können, für eine eben erst entstehende Macht ein Aberglaube. Der Apfel der Zwietracht werde von Leichtsinnigen, schlecht Unterrichteten oder Böswilligen hingeworfen, zur Freude aller Feinde der Ordnung, der Ruhe und des Friedens. Dem Ministerium bleibe kein anderer Ausweg, als zu seiner Ehre und zum Besten der Sache selbst vom Schauplatze abzutreten. Bald werde sich alsdann ergeben, ob Andere im Stande wären, auf anderem entgegengesetzten Wege die Sachen zum Ziele zu führen.“ So in aller Kürze das Wesentliche Dessen,[S. 328] was ich leider von allen Seiten höre. Möchten doch bald beruhigende Nachrichten eintreffen!

Wenn —, wie der Dachs im Loche sitzt und sich um nichts bekümmert, was rings um ihn vorgeht, so ist dies mindestens unpassend und kaum für einen Dichter zu rechtfertigen. Ich würde im Käfig hin und herlaufen, wenn mir kein weiterer Spielraum verstattet wäre. — Du gehst, sagt man vielleicht, wie der Esel in die Mühle. — Nun, so gehe ich doch, und liege nicht auf der faulen Eselshaut; ich sehe doch näher hin, wie Geschichte gemacht wird, und Lamartine, Arago, Cavaignac, Bastide, Thiers, Mignet, Toqueville, Rothschild u. s. w. sind doch anziehender und merkwürdiger, als einige berliner, weltverbessernde Studenten, die mich für einen reaktionairen Dummkopf halten.

Es ist auffallend, daß man über die Einleitung zur neuen französischen Verfassung in ähnliche, weitläufige Berathungen geräth, wie 1789 über die Menschenrechte. Man möchte jetzt, wie damals, mathematisch sichere Grundsätze für das Staatsrecht auffinden, und einen Regulator hinstellen, an dem sich Alles und Jedes prüfen lasse, und der die Wahrheit und das Recht unbezweifelbar ausscheide und bestätige. Man könnte jetzt Mirabeau’s Rede über das Trügliche, oder doch Unnütze solcher Bemühungen nochmals halten, oder abdrucken lassen. So ist[S. 329] der Satz: la République reconnaît des droits et des dévoirs antérieurs et supérieurs aux lois positives, gewiß wohlgemeint und einer richtigen Auslegung fähig. Andererseits aber giebt er Gelegenheit zu den größten Mißdeutungen, und zu vielfacher Entschuldigung von Ungehorsam und Aufruhr. Die Widerlegung von solcherlei schwankenden, halbwahren Theorien und Praktiken ist dann l’état de siège: der Kanonendonner muß des Geschwätzes und der sich daran reihenden Thaten Herr zu werden suchen.

Gestern war Hr. A. bei mir. Sonst ein überkräftiger Mann, jetzt durch Anstrengungen aller Art sehr gealtert. Mit Lamartine’s neuester Schrift über die dreimonatliche Regierung war er keineswegs ganz zufrieden, und wird wahrscheinlich allerhand Berichtigungen ans Licht bringen. Lamartine’s phrasenreiche Rede hat in der Kammer entschieden, daß der Verfassung ein Präludium edler, ewiger Grundsätze vorangeschickt werde; man hält ihn aber weit mehr für einen Dichter (ich möchte sagen für einen einbildungsreichen Mann) als für einen Staatsmann. Preiswürdig erscheint seine Friedensliebe; A. behauptet aber, sie beruhe mit darauf, daß die neugeborene Republik nicht im Stande gewesen, mehr als 100,000 Mann ins Feld zu stellen. Auch habe Lamartine sich Gelüsten nach Belgien und Savoyen hingegeben; und die Versuche ausgewanderter Deutschen bewaff[S. 330]net in Deutschland einzubrechen, habe er, A., durch die schärfsten Befehle vereitelt. Gewehre dagegen, für die Volkswache in Lille bestimmt, wären (kaum könne man sagen wie) in die Hände der belgischen Aufrührer gekommen.

Den 9. September.

Als Hr. Minister Bastide mir gestern keine Nachricht oder Ladung zukommen ließ, ging ich in seine Abendgesellschaft. In dem Gespräche, welches er mit mir begann, legte er seine Mißbilligung der frankfurter Beschlüsse über den Waffenstillstand höflich, aber unverholen an den Tag. Ich ließ, unter Anführung von Gründen, die Hoffnung vorwalten, daß die Feindseligkeiten dennoch nicht wieder beginnen würden, und die Anerkennung des Reichsverwesers durch jenes Ereigniß nicht gestört oder aufgehalten werde. Hr. Bastide trat der letzten Bemerkung bei, fügte jedoch hinzu: Die Erklärung vom 31. August: eine Übertragung der Bundesgewalt auf die Centralgewalt betreffend, genüge vollkommen; allein die letzte werde in dem Schreiben des Reichsverwesers als eine neue bezeichnet, an welchen Ausdruck sich seine Zweifel anreihten. Ich bemerkte hierauf: die neue, authentische Erklärung hebe meines Erachtens jene Zweifel vollkommen. Hrn. Minister Bastide schien diese Auskunft und Wendung hinrei[S. 331]chend; er setzte jedoch, trotz meiner deutlich erklärten Wünsche, noch keinen Tag zum Empfang des erzherzoglichen Schreibens fest, und ich trug Bedenken, in diesem ungünstigen Augenblicke die Sache auf die Spitze und vielleicht zum Bruche zu treiben. Sowie beruhigende Nachrichten aus Frankfurt eingehen, dürfte vielleicht das Ziel erreicht werden. — Die Aufregung und Unzufriedenheit über den frankfurter Beschluß ist allgemein und unbeschreiblich. Gestern in der Abendgesellschaft bei Hrn. Minister Bastide richteten Gesandte und Nichtgesandte, Bekannte und Unbekannte (in einer sehr unerfreulichen Weise) ihre Aufmerksamkeit auf meine Person, und ich konnte den Sturm nur dadurch beschwichtigen, daß ich keineswegs den frankfurter Beschluß vertheidigte, wohl aber (als wisse ich es) mit Zuversicht behauptete: es werde nicht zu neuen Feindseligkeiten kommen. — Heute Abend, wo ich bei Lord N. esse, steht mir ohne Zweifel ein zweites Ungewitter bevor.

Ringsum höre ich unverholen sagen: wie kann Frankfurt im Widerspruche mit den Wünschen und Forderungen von Dänemark, Schweden, Rußland, England, Frankreich, Preußen, Händel beginnen, und anstatt mit Weisheit und Mäßigung den Frieden anzubahnen, die Kriegsfahne aufstecken? Wie, im Aberglauben an seine Allmacht, mit den Soldaten aus Nassau, Baden, Hessen, — Europa Gesetze[S. 332] vorschreiben wollen? Bildet es sich ein, der König von Preußen werde die Maulschelle (le soufflet) ruhig hinnehmen und sein halbes Reich den Grillen einer Majorität von 15 schlecht unterrichteten und leichtsinnigen Männern opfern? Wie unweise, jetzt (wo in Frankreich Alle den Frieden wollen, und selbst Thiers und seine sonst kriegslustige Partei lebhaft dafür sprechen) ohne alle Rücksicht auf die französische Protestation im Norden neue Fehden beginnen! Wie thöricht, in einem Augenblicke, wo selbst das siegende Österreich sich gemäßigt und nachgiebig zeigt, eine solche querelle d’Allemand beginnen u. s. w. —

So, und noch Härteres ertönt von allen Seiten, und das Härteste kommt nicht einmal zu meiner Kenntniß!!

Sie wissen: daß ich die pariser Sendung nicht aus Eitelkeit oder aus anderen schlechten Gründen, sondern nur darum angenommen habe, weil ich hoffte, meinem Vaterlande nützlich zu werden, und weil meine Überzeugung mit den erklärten Grundsätzen des Reichsministerii übereinstimmte. Hier fand ich leider die Ansichten und Verhältnisse keineswegs so günstig, wie man sie irrigerweise dargestellt hatte. Indessen gelang es mir allmälig viele Irrthümer und Vorurtheile über Frankfurt zu berichtigen. Jetzt ist das Alles, wie man sagt, in den Brunnen gefallen und meine Stellung sorgenvoller als je.

[S. 333]

Niemals in meinem Leben habe ich etwas gegen meine Überzeugungen vertheidigt; ich habe mich wohlbefunden bei diesem Grundsatze und bin nicht gesonnen, ihn in meinen alten Tagen zu verläugnen. Sollte also in Frankfurt ein neues Ministerium gebildet werden und andere gewaltsame Bahnen einschlagen wollen, so muß ich an einem europäischen Erfolge sehr zweifeln und mich für ein untaugliches Werkzeug erklären, in dieser Richtung mitzuwirken.


Neunundfunfzigster Brief.

Paris, den 10. September 1848.

Ihr Schreiben über die Abdankung des gesammten Reichsministerii erhalte ich in dem Augenblicke, wo alle gegen den Zweck meiner Sendung erhobenen Schwierigkeiten so gut wie beseitigt waren. Ich muß darin (so weit meine Kenntniß reicht) nicht blos einen Wechsel der Personen, sondern auch des Systems und der künftigen Handlungsweise erblicken. Da ich nun der Überzeugung lebe, daß die frankfurter Beschlüsse über den Waffenstillstand mit Dänemark die innere Einigkeit Deutschlands leider stören und die unangenehmsten Verwickelungen mit den[S. 334] übrigen europäischen Staaten herbeiführen, so kann und will ich in dieser Richtung nicht mitwirken, sondern lege hiemit das mir anvertraute Amt in die Hände Sr. kaiserl. Hoheit des Hrn. Reichsverwesers nieder. Ich werde jedoch (wie sich von selbst versteht) bis auf weitere Befehle in Paris verweilen, obgleich, bei der großen Unzufriedenheit der hiesigen Regierung über jene Beschlüsse, für jetzt wenig oder nichts wird zu Stande gebracht werden. Erst nach Rücknahme derselben kann von der so sehr gewünschten Verständigung und Einigung zwischen Frankreich und Deutschland wieder die Rede sein.

Den 11. September.

Gestern Nachmittag fuhr ich mit W. und dem wieder hergestellten B. zum Hippodrome. Reiterkünste auf schönen Pferden, Wettrennen von Affen auf kleinen Ponys, Wettrennen von vier Amazonen mit glänzender Kühnheit, Schule meisterhaft geritten vom alten Frankoni. Dies hatte ich ähnlicher Weise schon gesehen. Zum Schluß aber kam der Sonnenwagen, le char du soleil. Der Nacht folgend, stürzte eine Schar schöner, mannigfach gekleideter Mädchen auf muthigen Rossen in die Rennbahn, als Horen, Auroren, oder wie man sie sonst bezeichnen will. Hierauf der Sonnenwagen, hoch in der Mitte Apollon mit einem Fuße auf der sich dre[S. 335]henden Erdkugel stehend, die Arme ausgebreitet, auf den Seiten des Wagens andere Mädchen in den schönsten Stellungen, endlich hinter den Schultern Apollons zwei Mädchen wagerecht in der Luft schwebend, freundlich mit ihren Schleiern spielend und sich bewegend. Das Ganze wahrhaft zauberisch, wie ein Wunder aus der alten Fabelwelt in größter Schnelligkeit vorüberstürmend. Unerklärlich und noch ein Geheimniß ist es, wie dieses freie Schweben, diese Schönheit und Kühnheit möglich wird, ohne daß man einen Stützpunkt sieht, der doch ohne Zweifel da sein muß. — Nur ein Gedankenschatten fiel in diese Zauberwelt: was wird aus diesen schönen, heiteren, vorüberschwebenden Nymphen und Horen — wenn das Alter sie beschleicht? — Andere Freuden und Sorgen auf dem großen Mittagsmahle bei Lord N. General Changarnier, welcher neben mir saß (Alle in bürgerlicher Tracht), ist Befehlshaber der pariser Nationalgarde und gilt für einen der besten französischen Generale. Ich unterhielt mich mit ihm meist über Algier und Afrika. Nachdem die Beduinen besiegt sind, fehlt nur Holz und Wasser, um das Land emporzubringen. Trotz der Nähe bleiben neue Ansiedlungen kostspielig, auch ist das Klima für Europäer nicht günstig. Doch stehen wesentliche Fortschritte in Aussicht.

General Lamoricière, der jetzige Kriegsminister,[S. 336] erzählte von der großen Gefahr in den Junitagen, von der Furchtbarkeit des Kampfes, und daß an 250,000 Gewehre auf beiden Theilen in Bewegung gewesen wären!

Als ich Hrn. Bastide erzählte, was ich nach Frankfurt berichtet habe, billigte er, daß ich seine Mißbilligung über die gefaßten Beschlüsse ausgesprochen, und fügte in Bezug auf meine persönliche Stellung hinzu: ich bin bereit, Ihnen schriftlich zu bezeugen, daß wir mit Ihrem Benehmen durchaus zufrieden sind, daß kein Anderer mehr, ja nicht einmal so viel wie Sie ausgerichtet haben würde. Denn Sie haben unser Vertrauen gewonnen, und wir werden gewiß für die Sache und Sie thun was irgend möglich ist und in England vor den frankfurter Beschlüssen geschah u. s. w.


Sechzigster Brief.

Paris, den 12. September 1848.

Ich habe schon angezeigt: daß die gegen Annahme des Schreibens Sr. kaiserl. Hoheit des Hrn. Reichsverwesers ausgesprochenen Schwierigkeiten so gut wie gehoben waren, als die Nachricht von Verwerfung des dänischen Waffenstillstandes, der ge[S. 337]lungenen Unterhandlung eine neue, durchaus ungünstige Wendung gab. Die hiesige Regierung sah darin eine verletzende Geringschätzung ihrer Protestation, welche ihr um so unangenehmer ward, weil sie aus vielen Gründen abgeneigt und verhindert war, sich in die dänischen Angelegenheiten zu mischen. Sie wird es aber gewiß nicht unterlassen, so weit Ehre und Verträge sie dazu zwingen.

Hiezu kommt, daß man hier ganz allgemein die Aufnahme Schleswigs in den deutschen Bund als ein gegen Dänemark begangenes Unrecht und den Krieg (wenigstens in dieser Beziehung) als ungerecht betrachtet.

Auf Hrn. Minister Bastide’s ausgedrückten Wunsch: die Annahme des erzherzoglichen Schreibens wenigstens so lange auszusetzen, bis man aus Frankfurt neue Nachrichten erhalte, hätte ich eine bestimmte, schroffe Forderung aussprechen können, allein ich mußte voraussetzen, daß 1) hieraus (bei der augenblicklichen sehr großen Aufregung und Unzufriedenheit) sogleich ein völliges Abbrechen aller Unterhandlungen und auch wohl meine Abreise folgen würde. Einen solchen Ausgang hielt ich aber für so unangenehm und gefährlich, daß ich ihn ohne die allerbestimmtesten Befehle herbeizuführen für pflichtwidrig erachtete; 2) lebte ich der Hoffnung, daß man in Frankfurt (bei dem Widerspruche aller Mächte) einen vermit[S. 338]telnden Ausweg auffinden werde und auffinden müsse, — wo dann die hiesige Unterhandlung auf die frühere Stelle zurückkehren und vielleicht zum Ziele geführt werden wird.

Überhaupt aber darf man nicht glauben, daß Lamartine’s in der Paulskirche viel bewunderte Worte von „Brüderlichkeit und Nationalität“ auch das unbedingte Glaubensbekenntniß der jetzigen Machthaber in Frankreich sind. Sie betrachten den Stand und Gang der europäischen Angelegenheiten keineswegs allein nach bloßen Gefühlen und abstrakten Grundsätzen; sie halten hingegen fest an den einfachen Lehren des gesunden Menschenverstandes, sind weit mehr Praktiker als Theoretiker, unterscheiden das Mögliche vom Unmöglichen, das Nützliche vom Schädlichen, nennen Lamartine’s geflügelte Worte eine sehr unbequeme Erbschaft, und legen gar kein Gewicht auf die Akklamationen in der Paulskirche, sobald ebendaselbst der dänische Waffenstillstand verworfen wird. Diejenigen also, welche für diese Verwerfung gestimmt haben, legten dadurch der von ihnen gewünschten Einigung Frankreichs und Deutschlands das größte Hinderniß in den Weg, und geben leider nur zuviel Gelegenheit zu einer höchst gefährlichen Annäherung Rußlands an Frankreich.

[S. 339]

Den 13. September.

Gestern Abend aß ich beim —, wo von mehren Personen sehr harte Urtheile über Lamartine ausgesprochen wurden. Man läugnete nicht nur seine Fähigkeit, ein Staatsmann zu sein, sondern auch seine Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit. Ja, Einer behauptete: — — — Wie soll da der Geschichtschreiber die Wahrheit entdecken? Uebrigens haben während der provisorischen Regierung sich gewiß Viele eigennützig gezeigt. Daß der jetzige Zustand in Frankreich der einer freien, demokratischen Republik sei, wird Niemand behaupten; daß aber die Regierung mehr Muth und Kraft besitze, als irgend eine in Deutschland, hat keinen Zweifel. Auch zügelt die allgemeine Überzeugung von der Nothwendigkeit die Ordnung streng aufrecht zu erhalten, alle Parteien, und stellt um des höchsten allgemeinen Zweckes willen, die besonderen in den Hintergrund. Diese besonderen Ansichten und Grundsätze (z. B. Legitimität, Kriegsehre u. dergl.) werden ferner nicht von großen Persönlichkeiten gestützt und getragen: Heinrich V und die Bonapartiden sind an sich unbedeutende Leute, und mit bloßen Erinnerungen an Andere regiert man heut zu Tage kein Land. Die Herzogin von Orleans genießt großer Achtung, ist aber eine Fremde, ihre Kinder sind zu jung, und Allen fehlt die eiserne Faust, mit welcher afrikanische[S. 340] Generale die pariser Empörer erdrücken. Deren Sieg (man kann es nicht oft genug wiederholen, um sich mit dem Gegenwärtigen zu versöhnen, oder noch zu verständigen), deren Sieg hätte die bürgerliche Gesellschaft, Sicherheit und Eigenthum ganz vernichtet. Und in Deutschland würden diese Gräuel nur zu viel Anklang und Wiederhall gefunden haben!

Überall jedoch wird sich in Europa ergeben, daß in diesem Augenblicke neben einer ganz unbeschränkten Presse und unbeschränkten Klubs, keine Regierung bestehen kann. Wußte dies doch Jefferson selbst für Amerika; wenigstens ist das französische und deutsche Klubwesen des letzten Jahres dort gar nicht vorhanden. Wo eine wohlgeregelte Verfassung und Regierung besteht, wird das Klubwesen freiwillig (oder durch Gewalt) ein Ende nehmen. Die Einrichtungen für Staat, Landschaft, Städte und plattes Land können und sollen hinreichen, Jeden in eine angemessene, wahrhaft nützliche Thätigkeit zu setzen. Was daneben geht, oder darüber hinausgeht, ist fast immer vom Uebel.

Ich komme so eben von einem Sicilianer, A— den ich in Italien kennen lernte, und der mir sein Werk über sicilische Geschichte zusandte. Er ist im Auftrage der sicilianischen Regierung hier, um französischen Beistand in Anspruch zu nehmen. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß die Freiheit durch eigene Kraft gewonnen werden müsse. — Ehe[S. 341] sich die Sicilianer (erwiderte er) unter das neapolitanische Joch beugen, lassen sie sich sämmtlich todtschlagen. — Dies ist das alte Elend, fügte ich hinzu, italienische Uneinigkeit, trotz aller sonstigen Verschiedenheit an Polen erinnernd. — Der Haß gegen Neapel ist wohl begründet. — Gewiß, aber doch ein trennendes Unglück, obgleich ich an die Möglichkeit und den Nutzen einer centralisirten Einheit für Italien nicht glaube. Solch eine Einheit würde das Schönste in Italien ertödten; es bedarf, gleichwie Deutschland, der Mannigfaltigkeit und einer föderativen Einheit. Fremde Einmischung ändert blos die Herren, bringt aber keine Unabhängigkeit. Hüten Sie sich Franzosen oder Engländer herbeizurufen: nur was Sie selbst zu Stande bringen, wird Dauer gewinnen und gern von Europa anerkannt werden.

Sind wir Deutschen nicht in einer ähnlichen Lage wie die Italiener? Streiten wir nicht mit Stammgenossen in Dänemark und Holland? Schimpfen nicht die Deutschen, welche laut auf Deutschlands Einigkeit dringen, am lebhaftesten auf Preußen?


[S. 342]

Einundsechzigster Brief.

Paris, den 14. September 1848.

Ich hatte gestern mit Hrn. A— ein drittes Gespräch über die Angelegenheiten Siciliens und Neapels. Er behauptete: der Haß gegen den König und seine Familie sei so groß, und diese so untauglich, daß keine Aussöhnung oder Vermittelung möglich bleibe. Zwischen Sicilianern und Neapolitanern finde sich dagegen gar keine Mißstimmung und sie würden einig in einem größeren italienischen Bunde wirken. — Jene Mißstimmung ist aber in Wahrheit allerdings vorhanden, und die Einigkeit zwischen einem neuen König von Sicilien und dem alten Könige von Neapel kaum vorauszusetzen. Auch findet sich ja nicht allein dieser feindliche Gegensatz: das alte Elend der italienischen Uneinigkeit zeigt sich auch in Rom, Livorno, Genua, Turin u. s. w. — Abends traf A— bei Thiers mit Mignet zusammen, der ihm fast wörtlich wiederholte, was ich ihm schon des Morgens vorgehalten hatte, nur noch schärfer und schroffer. Insbesondere behauptete er (gegen A—), daß der König von Neapel unverständig und ungerecht von den Demokraten sei angegriffen worden, daß er sich nur vertheidigt und der Gesandte[S. 343] der französischen Republik die Hand mit im Spiele gehabt habe. A— berichtete: der Angriff auf Messina sei mißlungen, während die telegraphische Nachricht eintraf, die Stadt sei erobert; — obgleich allerdings der Krieg in Sicilien damit noch nicht entschieden ist. Beharren die Italiener auf diesen Wegen der Zerwürfniß, so wird die Begeisterung für ihre Sache so sinken und verschwinden, wie die Begeisterung für die Polen. Gleichwie diese, reden auch jene schon überall von Verrath, wo sie nur sich selbst anklagen sollten; so z. B. hinsichtlich der Unthätigkeit der Mailänder und ihrem Instichlassen der Piemontesen.

Thiers theilte gestern Abend sehr lehrreiche Dinge mit, über die Versuche eine sogenannte Organisation der Arbeit zu Stande zu bringen. Sie begannen mit einer erzwungenen Erhöhung des Tagelohnes und einem Verwerfen alles Arbeitens im Verdung (à tâche). Hierauf wurden Aufseher und Präsidenten erwählt, berathende Sitzungen ausgeschrieben u. s. w. Im Vertrauen auf den Mehrgewinn durch das erhöhte Lohn, setzten die Arbeiter sehr häufig das Arbeiten aus, lasen Zeitungen, gingen in die Klubs, hielten politische Berathungen und Aufzüge. Die Fleißigen (deren Anstrengungen man nicht höher bezahlt), wurden lässig, die Lässigen ganz faul, und am Ende war der tägliche Verdienst im Durchschnitt um ein[S. 344] Drittel geringer, als vor dem Beginne aller dieser närrischen Kunststücke. Die organisirte Association machte bankerott und fiel auseinander. — Thiers hielt gestern über „das Recht auf Arbeit“ in der Kammer eine verständige Rede, welche, Gottlob, großen Eindruck gemacht hat. Die verführten Massen kommen aber nur allmälig und mit Gewalt wieder zu Verstande. Es herrscht ungeheure Verwirrung in diesen Dingen. Wenn man blos bezweckt, die Hindernisse hinwegzuräumen, welche den Fleißigen (z. B. durch Zunftmonopole) von vorhandener und dargebotener Arbeit abhalten; so wird Jeder diesen Zweck billigen. Daß aber der Staat (mit einer Vielregiererei, die Alles überbietet, was zeither in dieser übeln Richtung dagewesen ist) alle Gewerbe übernehmen, leiten, einkaufen, fabriciren, verkaufen soll, daß alle Privatthätigkeit aufhören und die Gesammtheit für das Unmögliche eintreten und Bürgschaft leisten soll: das ist in der That der höchste Unsinn und die größte Tyrannei, welche jemals von Schwärmern und Thoren aufgestellt oder gefordert ward! — So einleuchtend dies auch ist, nimmt doch das Gerede in der Versammlung darüber kein Ende.

Zum Schlusse eine Anekdote von Voltaire. Er bekommt Lust endlich einmal einen vielgerühmten Sonnenaufgang zu sehen, wird mächtig ergriffen und ruft: Dieu, je crois, je crois en Dieu. — Dann[S. 345] aber setzt er sogleich hinzu: mais quant à Monsieur votre fils, et Madame sa mère, c’est autre chose!


Zweiundsechzigster Brief.

Paris, den 15. September 1848.

Die Nachricht: daß Hr. Dahlmann kein kriegslustiges Ministerium hat zu Stande bringen können, machte auf die hiesigen Machthaber den günstigsten Eindruck und gab meinen Vorstellungen ein neues Gewicht.

So habe ich denn heute das Schreiben Sr. kaiserl. Hoheit, des Hrn. Reichsverwesers, in der Art übergeben, wie dies, soviel ich weiß, in London geschehen ist. Nachdem ich Hrn. General Cavaignac mit einigen Worten angeredet, deren Inhalt Hr. Bastide vollkommen vorher gebilligt hatte, antwortete jener in so freundlicher als bestimmter Weise: er nehme das Schreiben, worin eine vollendete Thatsache angekündigt werde, in dieser Beziehung gern an, und wiederholte, daß die französische Republik sich in den inneren Entwickelungsgang Deutschlands nie einmischen werde. Wie groß ihre Friedensliebe sei, gehe augenscheinlich daraus hervor, daß sie ihre Gränzen nie überschritten; während dies von vielen[S. 346] anderen Mächten, so von Schweden, Rußland, Preußen und Österreich geschehen sei. Überall wirke sie für Aussöhnung und hoffe, nie gezwungen zu werden, ihre Ehre, Rechte und Pflichten nachdrücklich vertheidigen zu müssen.

Da die diplomatischen Verhältnisse der einzelnen deutschen Staaten und der Centralgewalt zum Auslande noch nicht vollständig geordnet wären, so dürfe Frankreich nicht voreilig entscheiden und etwa accreditirte Gesandte wegweisen, bevor deren Regierungen ihre Wünsche und Beschlüsse unmittelbar an den Tag gelegt hätten. Mit mir werde man indessen gern weiter verhandeln und wünsche, daß ich dazu länger hier verweilen möge. Es wäre unschicklich, auf das für mich schmeichelhaft Gesagte umständlicher einzugehen, doch bemerke ich noch, daß die Hrn. Cavaignac und Bastide äußerten: sie würden ihre Ansichten und Wünsche hierüber in Frankfurt aussprechen lassen.

Der Himmel gebe, daß keine neuen Kriegsbeschlüsse von der Reichsversammlung gefaßt werden, sie würden hier alle Zuneigung, ja — alle Achtung vor der politischen Weisheit der Abgeordneten gänzlich untergraben.

Mittags 12 Uhr.

Ich lese so eben im Journ. des débats einen strengen Tadel der Times über die frankfurter Be[S. 347]schlüsse. Er schließt mit den Worten: l’assemblée de Francfort n’est pas assez forte pour ébranler la paix de l’Europe; mais elle peut très bien ruiner l’union naissante de la Germanie, et, en s’attirant le mépris universel, amener sa dissolution. Nous attendions mieux d’une assemblée composée des meilleurs esprits de l’Allemagne; mais ses premiers pas dans une question pratique de la politique européenne, nous montre combien elle est au-dessous de la tâche qu’elle s’était imposé.

Raumer’s Ansprache an Hrn. General Cavaignac.

Monsieur le Général!

J’ai l’honneur de Vous présenter une lettre de son Altesse impériale, l’Archiduc Jean d’Autriche, Vicaire de l’Allemagne, qui annonce les dispositions les plus amicales de ce pays envers la France.

Cette France républicaine a déclaré que la conservation de la paix sera dorénavant le but principal de sa politique; l’assemblée de Francfort a applaudi a cette manifestation avec un enthousiasme général, et la nation allemande a répondu d’une voix unanime cet élan spontané de ses représentans.

Les difficultés qui pourront se présenter sur cette route aussi glorieuse que nouvelle, seront certainement vaincues par la conviction intime et[S. 348] la volonté puissante de deux gouvernements et de deux peuples, dont la vocation est de contribuer d’un commun accord au progrès de la civilisation.

Quant à moi, je considère ce jour comme le plus heureux de ma vie; puisque (à la fin d’une longue carrière vouée à l’histoire) il m’est accordé de voir naître pour deux grandes nations (malheureusement souvent ennemies) une ère nouvelle d’amitié, de fraternité et d’union pacifique!


Dreiundsechzigster Brief.

Paris, den 16. September 1848.

Ich füge meinem gestrigen eiligen Schreiben heute noch einige einzelne Bemerkungen hinzu.

1) Hr. General Cavaignac bemerkte tadelnd, daß Mehre in Deutschland den Grundsatz der Nationalität übertrieben und von Erwerbung des Elsaß und Lothringens sprächen, wozu die eine und untheilbare Republik Frankreich niemals die Hand bieten, sondern sich ernstlich widersetzen werde. — Ich erwiderte: es sei nicht zu hindern, daß Einzelne derlei Reden führten, politisch hätten sie gar keine Bedeutung. Jener Grundsatz der Nationalität werde thöricht, sobald man ihn unbedingt in Deutschland,[S. 349] Frankreich, Österreich oder Italien zur Anwendung bringen wolle.

2) Hr. Minister Bastide sagte: er wolle gern mit mir über Italien sprechen, um so mehr, da ich schon wisse, wie gemäßigt die Absichten Frankreichs wären. Das Gespräch ward hier unterbrochen; ich sehe aber voraus, daß die Rede nächstens auf denselben Gegenstand kommen wird. Mit Bezug auf Hrn. Bastide’s frühere Äußerungen und meine persönliche Überzeugung bemerke ich Folgendes:

a) Dem Wunsche Deutschlands, an den Verhandlungen über Italien friedliebenden Antheil zu nehmen, wird man hier schwerlich etwas in den Weg legen.

b) Frankreich wird sich wahrscheinlich hinsichtlich der Gränzen und der Souverainetät nachgiebiger zeigen, sobald nur (nach Lamartine’s Worten) ernstlich wahrhaft nationale Einrichtungen von Österreich bewilligt und eingeführt werden.

c) Die Zerwürfnisse und das bald feige, bald leidenschaftliche, anarchische Treiben der Italiener machen hier den unangenehmsten Eindruck, und wenn dasselbe noch lange ohne Besserung fortdauert, wird man ihrer so überdrüßig werden, wie der Polen. Sagte doch schon Hr. B— wie soll man einem Volke helfen, das gar nicht versteht sich selbst zu helfen.

[S. 350]

Wenn man in Frankfurt zu der Begeisterung nicht politische Klugheit und Mäßigung gesellt, wird die Versammlung in der europäischen Völkerfamilie bald ganz vereinzelt dastehen und nicht das Heil, sondern die Zerwürfniß Deutschlands herbeiführen. — So sprechen nicht blos die französischen, sondern auch die englischen Machthaber.

Ich will meinem gestrigen Briefe — — über meine Audienz beim Hrn. General Cavaignac heute noch Einiges zusetzen.

Hr. von Andrian schreibt mir in Bezug auf das ähnliche Ereigniß Folgendes aus London: „Lord Palmerston stellte mich der Königin vor, der Oberceremonienmeister begleitete mich bis an den Wagen und Alles erfolgte mit großer Würde und Feierlichkeit.“ —

Mich wollte Hr. Minister Bastide abholen. Da er aber bereits den ganzen Morgen bei Hrn. General Cavaignac beschäftigt war, bat er mich allein zu fahren, und das geschah dann nicht (wie ehemals) mit großem Gefolge und vielen sechsspännigen Wagen, sondern mit einem Zweispänner (sonst genügt mir ein Einspänner) und einem Bedienten, den ich (um 2 Fliegen mit einer Klappe zu schlagen) auch zu meinem Geheimen Sekretair und Kanzellisten erhoben habe.

Auf meinen Wunsch, Hrn. Bastide noch vor der[S. 351] Audienz zu sprechen, damit er meine Anrede an Hrn. General Cavaignac prüfe, kam er im Überrock und eine Cigarre rauchend, sodaß ich mit weißer Halsbinde und schönem Jabot fast wie ein allzu geputzter Pfau aussah. Jene Vernachlässigung des Äußern sagt übrigens meiner bequemen Natur sehr zu; sie wird durch offenes, ungezwungenes, vertrauensvolles Benehmen in eine höhere Region gehoben, und ich kann mir kaum einen Minister denken, mit dem angenehmer zu verhandeln wäre, als mit Hrn. Bastide. Wenn Andere anders urtheilen, so liegt dies an ihnen selbst; ihre veralteten, oberflächlichen, wahrheitslosen diplomatischen Kunststücke sind ihm zuwider, und machen ihn verdrießlich und wortkarg, was er gegen mich nie gewesen ist.

Ich erwartete, Hr. General Cavaignac werde mich doch mit einiger Feierlichkeit empfangen und ich ihm gegenüberstehend meinen Spruch herdeklamiren müssen. — Keineswegs, in Papieren kramend, sagte er: bon jour Mr. de Raumer, asseyez Vous. — Das geschah dann auch, und mein Spruch war (wie Ihr leset) für diesen Conversationston viel zu feierlich. Er ging indeß etwas abgeändert schnell vorüber, und das Gespräch ward nun zwischen dreien (Hr. Bastide saß am Tische neben mir) in ganz natürlicher einfacher Weise fortgeführt. — So war ich an diesem Tage (ganz gegen meine sonstige Natur)[S. 352] der Feierlichste und Aufgebauschteste. Doch kann ich mir darüber keine Vorwürfe machen: denn nach so zahllosen précédents, durfte ich Karnikel nicht in allzugeringem Volkstone beginnen. — Ähnliches könnten andere Gesandten erzählen über den Wegfall aller Feierlichkeiten.

Die Berathungen über das Recht zur Arbeit haben endlich ihr Ziel in einer vermittelnden Formel erreicht: la République doit, par une assistance fraternelle, assurer l’existence des citoyens nécessiteux. Hiedurch wird die unausführbare, unbedingte Rechtsfrage, meist in eine bedingte Liebesfrage verwandelt, und die Narrheit des Hrn. Louis Blanc muß der Weisheit Jesu Christi Platz machen.

Die Noth der unbeschäftigten und ungeduldigen Arbeiter drängt zur Abführung von Kolonisten nach Algier. Wäre die Unternehmung im Großen nur nicht so kostspielig, und hätten nicht Grillen von Association, Theilung des gemeinsamen Ertrags u. dgl. noch immer täuschenden Einfluß.

Sehr viele Soldaten stehen in und um Paris noch im Zeltlager, was bei einbrechendem Herbstwetter immer unbequemer wird. Noch mehr mißfällt ihnen, daß man die garde mobile besser bezahlt, unter welche Leute aufgenommen wurden, die im Junius zwar großen Muth zeigten, aber theils sehr jung, theils roh, ja selbst, wie man behauptet, Verbrecher sind. Die[S. 353] Soldaten wagt man noch nicht von Paris zu entfernen, und was die garde mobile thun wird, wenn man sie nicht mehr bezahlen kann, oder will, das ist schwer zu sagen. Wenn nur nicht die platzende Bombe einen großen Krieg herbeiführt. Die nächste Gefahr droht dann dem Könige von Sardinien. Die Österreicher hassen ihn aufs Äußerste und nennen ihn falsch, lügenhaft, wortbrüchig; als Sieger würden sie ihn aufs Härteste behandeln. Dringen umgekehrt die Franzosen in sein Land ein, so werden ihn seine Unterthanen wegjagen und eine Republik errichten; diese aber läuft an der französischen Leine, — bis (wie schon so oft) die französische Herrschaft durch irgend einen Umschwung ein Ende nimmt.

Den 16. September Nachmittags.

Ich erfahre so eben aus guter Quelle, daß das frankfurter Verwerfen des dänischen Waffenstillstandes und die dadurch angedrohte neue Unterbrechung des Handels, den ernsten Gedanken hervorgetrieben hat, sogleich einen Congreß von Abgeordneten zu berufen, um sowohl jenen Waffenstillstand aufrecht zu halten, als den Frieden vorzubereiten. Zuerst sollte London, dann (als dies Widerspruch fand) Hamburg zum Sitze des Congresses gewählt werden, und man rechnete auf das Erscheinen der Abgeordneten von England, Frankreich, Rußland, Schweden und Preu[S. 354]ßen. Da die deutsche Centralgewalt noch nicht von allen diesen Mächten anerkannt sei, werde sie nur officiös vertreten werden können. — So der wesentliche Inhalt der mir zugekommenen Nachrichten.

Den 17. September.

Als ich hier ankam, war Cavaignac’s Ansehen noch im Steigen; jetzt sagt man, es sinke bereits. Weil er und seine Freunde die Pariser retteten, von der Plünderung, von Mord und Brand, fühlten sie sich lebhaft zum Danke verpflichtet; jetzt vergessen Manche schon, welche Gefahr sie bedrohte und wie diese noch fortdauert. Sie denken blos an die Übel, nicht an die Nothwendigkeit des Belagerungszustandes, und jeder Raisonneur hält sich für fähig an Cavaignac’s Stelle zu treten. Man vergißt, welches Unheil jede plötzliche Umgestaltung der Regierung fast immer hat, und daß bei häufigem Wechsel der Personen und Grundsätze, Achtung und Vertrauen entweicht, und nichts wahrhaft Nützliches und Dauerndes zu Stande gebracht wird. Läugnen läßt sich nicht, daß mancher Andere eben so viel als Cavaignac gethan zu haben behauptet und in sofern mindestens gleiche Ansprüche macht, daß Cavaignac nicht auf frühere Thaten so hinweisen kann, wie Bonaparte am 18. Brumaire; allein Schickung, oder Zufall, oder die vollendete Thatsache, haben und be[S. 355]halten ihre große Bedeutung. Die verneinende Kritik, welche, wie in der Literatur, so auch in den öffentlichen Verhältnissen vorherrscht, bringt nichts zu Stande, sondern wirkt verletzend und zerstörend. Was man Begeisterung nennt, hat oft gar keinen positiven, belebenden Ursprung; sie wächst empor aus dem Hasse gegen alles Bestehende, aus Selbstgefälligkeit und Eitelkeit, und ist gar oft versetzt mit einem großen Bestandtheil ganz offenbarer Dummheit.

Oder wie soll man es nennen, wenn die Versammlung in Frankfurt (welche kaum geboren ist und die Kinderkrankheiten noch nicht überstanden hat) schon in der Wiege um sich schlägt, mit ganz Europa Händel anfängt, und so überall Liebe und Vertrauen und Achtung verliert? Politische Klugheit ist (wie ich in meiner Spreu sage) ganz abhanden und in Verruf gekommen, und Jeder, der in die Paulskirche, oder die Singakademie hingefallen ist, hält sich für einen neugebornen Staatsmann; — obwohl er in seinem ganzen Leben noch nicht an die hochwichtigen Aufgaben gedacht hatte, über welche er nunmehr übereilt und anmaßend abspricht und abstimmt.


[S. 356]

Vierundsechzigster Brief.

Paris, den 18. September 1848.

Gestern war ich, nach B. und W. Abreise, zum ersten Male ganz allein und fand den Tag sehr lang, und im Schauspiele Marion de Lorme sogar langweilig. Länger beschäftigt mich Monte Christo von Dumas; aber auch er ist viel zu lang, und man spürt, daß das bogenweise bezahlte Honorar manche Drahtzieherei und Abschweifung herbeigeführt hat. Gewiß besitzt Dumas ein Talent zu erfinden, Aufmerksamkeit und Theilnahme zu erwecken und lebendig darzustellen. Andererseits sind in Monte Christo viele Dinge ganz unglaublich, ohne uns auf den Boden des Wunderbaren zu versetzen, wo man gern Alles glaubt. Ferner wird fast lauter Lumpengesindel (trotz des Reichthums Vieler) auf den Schauplatz geführt, und trotz des Mitleids mit dem Helden, giebt doch ein einziger Gedanke (der, der Rache) keinen hinreichenden Inhalt, kein genügendes Lebensprincip für ein Kunstwerk. Während die Gesetzgeber die Todesstrafe abschaffen, führen die schönwissenschaftlichen Schriftsteller „Martern aller Arten,“ ein.

Paris war während der letzten Tage in lebhafter Aufregung über die Wahl einiger neuen Abgeordne[S. 357]ten. Die große Zahl der Bewerber läßt fürchten, daß (wie gewöhnlich) die sogenannten Guten sich eigensinnig spalten, und die Böswilligen sich besser einigen und verständigen werden. Wahrscheinlich wird Ludwig Bonaparte unter den Erwählten sein, und dann, wie man mit oder ohne Grund behauptet, seine Unfähigkeit bald an den Tag legen.

Der Plan des Ministeriums, Abgeordnete aus der Versammlung in die Landschaften zu schicken, um die Gesinnungen zu erforschen und zu berichtigen, hat so allgemeinen Widerspruch gefunden, daß er höchst wahrscheinlich nicht zur Ausführung kommen wird. Man sagt: hiezu sind die verwaltenden Beamten und die Belehrungen der Presse hinreichend; und Beauftragte jener Art (willkürlich aus der Versammlung gewählt) entweder übermächtig, oder ohnmächtig. Jeden Falls zeigt jener Plan, daß man nicht glaubt, ganz Frankreich sei mit der jetzigen Regierung oder Regierungsweise zufrieden. Wie wäre dies auch möglich bei einer, die so rasch, so unerwartet entstanden ist, und ihr größtes Verdienst in der rücksichtslos angewandten Gewalt findet und finden muß! Wenn lang begründete Herrschaft (die da Vorfahren hat, Ahnen, Verdienste), einzelner wahrhafter, oder vorausgesetzter Mängel halber, jetzt den Äquinoctialstürmen der Gleichmacherei unterliegt; wie soll eine, aufgeschossen in der Eile und Hitze des[S. 358] Tages (bitterer, auf Lappen gesäeter Kresse vergleichbar) tiefe Wurzeln treiben, und das tägliche Harken, Eggen, Graben und Wühlen überstehen?

Die Zeiten, wo die Person nichts gilt, sondern von der guten oder bösen Regel niedergestürzt wird, sind ohne Zweifel vom Übel; aber ebensowenig taugen die, wo der Einzelne sich nirgends unterordnen will; woraus dann nothwendig der Krieg Aller gegen Alle entsteht, und es keine Helden mehr giebt, als die auf Barrikaden einherreiten. Wie viel tiefsinniger ist des alten Aristoteles so oft geschmähte richtige Mitte, als diese Lehre des Tages, welche in fieberhaften Paroxysmen die rechte Gesundheit, in dem Zappeln der äußersten Glieder den Mittelpunkt des Lebens, in der Karikatur die wahre Schönheit und das richtige Maß erblickt.

Wie jeder Mensch, so hat auch jede Stadt, jedes Volk, jeder Staat einen höchsten Punkt des Daseins, wo er culminirt, und von wo ab er nicht mehr steigt, sondern sinkt. Ich will nicht ein Unglücksprophet sein, aber wer kann (umherblickend) sich der Sorge enthalten! Wiederum sind noch so viel Lebenselemente vorhanden, und es bedürfte z. B. für Preußen nur rechten Muthes, um der Thorheiten und Bosheiten des vergangenen und des jetzigen Jahres gleichmäßig Herr zu werden und wahre Fortschritte anzubahnen. Thäte nur Jeder das Seine, nicht mehr und nicht weniger!

[S. 359]

Die hiesige Nationalversammlung, minder eilig als die frankfurter, hat den Antrag auf Abschaffung der Todesstrafe verworfen. Was vor Zeiten, wo Hunderte zum Tode verurtheilt wurden, höchst wichtig war, verliert sein Gewicht, seitdem jene Strafe nur einzelne der ärgsten Verbrecher trifft. Robespierre war der größte Gegner der Todesstrafe, aber als mésure politique hielt er sie für natürlich und gerechtfertigt. Diese Ansicht wagt Gottlob Keiner mehr zu rechtfertigen. — In wie platter, anarchischer Weise hat B—s in Berlin den Begriff der Volkssouverainetät aufgefaßt; noch unausführbarer und atomistischer als die französische Verfassung von 1793. Eine Verfassung, im ächten Sinne, ist nach jener Lehre ganz unmöglich, da das augenblickliche Belieben des großen Haufens, für das höchste Gesetz gilt. — Ist Jeder nur ein Einer unter Millionen von Einern, wie läßt sich die Obrigkeit begründen, welche die augenblickliche Willkür der Einzelnen zügeln soll; wie kann etwas da Dauer gewinnen, wo man allen Werth des Dauerhaften läugnet, und ihn ausschließlich im Verändern und im Veränderlichen sucht? Eins gehört zum Andern, sowie zum Genießen das Entsagen, zur Thätigkeit die Ruhe.

Den 19. September.

Die gestern Nachmittag über Straßburg angekommene telegraphische Nachricht: daß die Reichs[S. 360]versammlung nunmehr den Waffenstillstand angenommen habe, erregt nicht blos in den diplomatischen Kreisen, sondern bei Allen, welche den Frieden wünschen, die größte Freude. Das entgegengesetzte Verfahren hätte hier das Ansehen der Versammlung ohne Zweifel ganz untergraben, und in den Versuchen deutscher Einigung nur Versuche für größere Zerwürfniß erblicken lassen.

Man nimmt hier an: das alte Ministerium werde hergestellt oder doch an den gemäßigten und friedlichen Grundsätzen nichts geändert werden.


Fünfundsechzigster Brief.

Paris, den 20. September 1848.

Die Wahlen für Paris werden heute bekannt gemacht. Man klagt, daß bei dem allgemeinen Stimmrechte, wenige Personen die Übrigen führen und verführen. Ludwig Bonaparte ist unter den Gewählten; ein Mittelpunkt und Werkzeug für Andere. Leider sieht man im Allgemeinen, daß es jetzt an großen Männern fehlt und überall die Mittelmäßigkeit sich breit macht und herrscht, obgleich sie noch nicht einmal das ABC des Staatsrechts und der Staatsklugheit versteht. — Ein anderer Erwählter soll Ras[S. 361]pail sein, der vorläufig seiner Großthaten halber im Gefängnisse sitzt. — Zwar entscheiden wenige Wahlen der Art noch nichts; sie sind aber den jetzigen Machthabern natürlich unwillkommen und zeigen an, in welcher Richtung Gefahren obwalten. Doch herrscht (Alles zu Allem gerechnet) jetzt in Frankreich eine mächtigere, gleichartigere Überzeugung von der Nothwendigkeit der Ordnung, als in Deutschland; wo die Hauptmaul- und Knüppelhelden meinen: aus dem Mistbeete der Fäulniß und Unordnung werde unser Vaterland erneut emporwachsen.

Den 21. September.

Gestern in einer Abendgesellschaft beim sardinischen Botschafter von Brignole nahm ich (als Privatmann und in vertraulicher Weise) Gelegenheit ihn zu fragen, was er und sein Hof wohl dazu sagen werde, wenn man von Frankfurt aus wünschen oder verlangen sollte, daß (aus den und den bekannten Gründen) Deutschland an den Verhandlungen über Italien Theil nehme. — Er erwiderte: eine amtliche Antwort (die ich auch gar nicht gefordert hatte) könne er hierauf allerdings nicht geben. Für seine Person finde er jedoch die für Deutschlands Theilnahme angeführten Gründe gewichtig und dessen Zulassung zu den Verhandlungen natürlich; — vorausgesetzt jedoch, daß es nicht als ein offener[S. 362] Gegner Italiens auftreten wolle. — Hierüber konnte ich ihm beruhigend antworten.

Ich komme soeben von Hrn. Minister Bastide, mit dem zu verhandeln eine Freude ist. Er spricht sich nämlich über alle Dinge (wenigstens gegen mich) so offen, einfach und klar aus, daß man ohne Halbheiten, Verschweigungen, Horchen und Verstecken sogleich weiß, wie man mit ihm daran ist und was er will. Das Wesentliche Dessen, was er mir sagte, ist Folgendes:

Wir sind bereit, bei der Centralgewalt einen Gesandten zu accreditiren und einen solchen hier accreditiren zu lassen; wir sind auch geneigt, die Mitwirkung Deutschlands eintreten zu lassen, vorausgesetzt, daß Deutschland nicht mit Österreich ganz gleichbedeutend sei, aber hiedurch zwei Stimmen für eine in diese Wagschale gelegt werden.

Vor Allem aber hängt unsere Stellung zu Deutschland davon ab, wie sich die Dinge weiter in Frankfurt gestalten. Eine kriegslustige Partei hat, im Widerspruche mit ganz Europa, und alle Klugheit bei Seite setzend, auf einige Tage obgesiegt. Es sind ferner, nach berichtigender Aufhebung des irrigen Beschlusses, große Ungebührlichkeiten in Frankfurt vorgefallen, welche eine Auflösung aller Ordnung und einen furchtsamen Rückfall in die alten Übel wenigstens als möglich erscheinen lassen. Da[S. 363]her muß Frankreich bestimmtere Erklärungen in diesem Augenblicke noch aussetzen. Sobald das alte Ministerium hergestellt oder ein neues gebildet und in sichere Thätigkeit gesetzt ist; sobald dies die Grundsätze anerkennt, welche uns als Glaubensbekenntniß und Leitfaden deutscher Politik durch Sie übergeben wurden, werden wir mit größerer Sicherheit und vollkommnerem Vertrauen die Hand bieten. Ohne zu wissen, welche Grundsätze dauernd in Frankfurt obsiegen, welche Personen als Minister angestellt, als Gesandte hieher geschickt werden, lassen sich Verhandlungen über wichtige Gegenstände nicht mit Erfolg zum Ziele führen. Ordnung aufrecht zu halten, muß in Deutschland wie Frankreich Hauptzweck sein; dafür muß man im Inlande und in Beziehung auf das Ausland hinwirken, und weder durch Kriegsmacht noch durch Propaganda die bürgerliche Gesellschaft aufzulösen trachten u. s. w.

So hängt also der weitere Erfolg ganz von den in Frankfurt zu fassenden Beschlüssen ab. —

Den 22. September.

Mit Bezug auf frühere Mittheilungen muß ich wiederholen, daß Hr. Bastide aufs Deutlichste erklärte: er wolle mit einem Ministerium „à la Dahlmann“ nichts zu thun haben, und überhaupt erst weiter in die Sachen ein[S. 364]gehen, wenn in Frankfurt ein festes und gemäßigtes Ministerium gebildet sei. — Ein Mann Ihres Sinnes (fügte er verbindlich hinzu) würde uns bei Behandlung der italienischen Angelegenheiten willkommen sein: — wie aber, wenn man Sie morgen abruft, und einen die Lehre von den Nationalitäten thöricht übertreibenden Mann aus der Linken herschickt? Welche Unannehmlichkeiten und Hindernisse würde uns ein solcher bereiten!

Daß nicht blos Hr. Dahlmann, sondern auch Hr. Hermann kein Ministerium zu Stande bringen konnte, fand bei der hiesigen Regierung großen Beifall; die blutigen Unruhen haben aber Theilnahme und Vertrauen zu Frankfurt und zur Centralgewalt für den Augenblick ganz vernichtet. Vergebens erinnert man an pariser Zustände. — „Wir haben (so lauten die Antworten) seitens der Regierung die Ansichten und Grundsätze der Anarchisten und Communisten aufs Nachdrücklichste mißbilligt, wir haben sie mit Waffen bekämpft und zu Boden geworfen.“ — Dies ist, fiel ich ein, so viel man weiß, auch in Frankfurt geschehen. — „Man hat (fahren jene Ankläger fort) geduldet, daß Mitglieder der Reichsversammlung vor zusammengelaufenen oder zusammengerufenen Volkshaufen ihre gemäßigten, verständigen, friedliebenden Collegen für Verräther erklärt haben; man hat jene nicht zur Untersuchung[S. 365] gezogen, nicht gestraft. Unter dem Vorwande, für die Einheit und Einigkeit Deutschlands zu wirken, geschehen in allen Landschaften und Städten ähnliche Frevel! — und die Centralgewalt, deren heiligste Pflicht wäre, aufs Lauteste und mit dem größten Nachdrucke dagegen aufzutreten (wie es ähnlicher Weise hier geschehen ist), legt die Hände in den Schoß, und die Reichsversammlung berathet in pedantischer Weise über Grundrechte, während sie Alles zu Grunde gehen läßt. So rathschlagte einst die französische Nationalversammlung über Artikel des peinlichen Rechtes und die Bekleidung des Heeres, während die Gironde den Thron und der Berg die Girondisten stürzte. Muß man nicht auf den Gedanken kommen: man freue sich in Frankfurt auf die anarchische Ungebühr, und die Auflösung und Untergrabung der gesetzlichen Regierungen in den einzelnen Staaten, weil man thöricht wähnt, auf diesem Wege die Centralgewalt zu stärken. Wenn der Ekel über die Thorheiten und die blutige Leidenschaft der rothen Republikaner ungestört überhand nimmt, so wird die Centralgewalt nebst der Reichsversammlung vom Boden Deutschlands verschwinden, und aus eurem zur erschreckenden Wüste gewordenen Vaterlande eine Tyrannei emporwachsen, furchtbarer als sie vielleicht je in einem Volke gewüthet hat. Trotz eurer gerühmten Weisheit und Philosophie seid[S. 366] ihr einem dreißigjährigen Kriege näher, als die Schwachen, Dummen und Feigen jetzt glauben. Wir können zur Centralgewalt und zu einem frankfurter Ministerium erst Vertrauen fassen und Achtung vor ihm haben, wenn es offen und muthig alle anarchischen Bestrebungen und Unternehmungen bekämpft und besiegt.

Leider geben die hiesigen Zustände auch zu traurigen Betrachtungen Veranlassung. Die sogenannten wohlgesinnten Leute haben sich über die Candidaten nicht geeinigt, sie haben die Hände in den Schoß gelegt, während ihre Gegner wohlorganisirt und thätig vorwärts gingen — und obsiegten. Bonaparte’s Wahl (sagte mir ein Franzose) erfolgte zur Schmach Cavaignac’s, Fould’s Wahl zur Schmach der Republik, Raspail’s zur Schmach der Nationalversammlung. Diese drückt nicht mehr die Gesinnung des Volkes aus, und wer sich auf sie stützt, wird bald zu Falle kommen. Noch mehr Fehler, als die Versammlung, läßt sich das Ministerium zu Schulden kommen, und Cavaignac geht dem allgemeinen Schicksale entgegen: — er wird bald verbraucht, usé, sein!

Sollte die jetzige Regierung, welche Ordnung und Frieden will, gestürzt werden und eine rothe Republik oder ein Kriegsfürst hervortreten, so müssen daraus auch für Deutschland die übelsten Folgen er[S. 367]wachsen. Wenn dagegen die Centralgewalt in diesem dringenden, letzten, entscheidenden Augenblicke (ehe es zu spät ist) den deutschen Anarchisten offene Fehde ankündigt, wird sie (hoffentlich!!) unser Vaterland noch erretten und auch auf Frankreich nützlich zurückwirken.


Sechsundsechzigster Brief.

Paris, den 23. September 1848.

Lord N. äußerte: es sei von Bildung eines europäischen Congresses über die italienischen Angelegenheiten eigentlich nicht die Rede, sondern nur, daß zwei befreundete Mächte, zwei sich bekriegende Mächte versöhnen wollten. Andere, hiezu nicht aufgeforderte Reiche (z. B. Rußland) würden dadurch nicht verletzt; — oder Alle würden sonst gleiche Rechte und Pflichten in Anspruch nehmen können. Ich setzte hierauf auseinander, in welcher näheren Beziehung Deutschland zu den obschwebenden Fragen stehe, und wie um so weniger Grund vorhanden sei, es auszuschließen, da Österreich und Sardinien nichts gegen seine Theilnahme einwendeten, ja sich damit einverstanden erklärten. Was würde man sagen (fragte Lord N.), wenn Preußen zugezogen würde?[S. 368] Ich erwiderte: für diesen Fall wäre eine Zurückweisung des Reichsverwesers und der Centralgewalt doppelt unbegründet und nicht zu rechtfertigen.

Zuletzt fand Lord N. die Forderung, als mitinteressirter Theil aufzutreten und mitzuwirken, billig und natürlich, kam aber, wie Hr. Minister Bastide, auf die unerläßliche Vorbedingung zurück: daß in Frankfurt ein gemäßigtes und zugleich kräftiges Reichsministerium gebildet werde, welches die Anarchisten zügele und nicht darauf ausgehe, die einzelnen deutschen Staaten zu vernichten. Ganz in ähnlichem Sinne sprach Hr. Bastide von der Nothwendigkeit, Preußen mächtig zu erhalten und die rebellischen Versuche dasselbe zu schwächen, mit Nachdruck zu vereiteln.

Die hier soeben eingegangenen Nachrichten, daß das Reichsministerium keineswegs schwächlich den Aufrührern in Frankfurt nachgegeben, sondern sie in höchst preiswürdiger Weise bekämpft und besiegt hat, macht hier bei allen Freunden der Ordnung und Gesetzlichkeit den größten und erfreulichsten Eindruck. Man hofft, daß sich dieselben auch in der Reichsversammlung fester einigen und für einen Mann stehen werden.

Was mein persönliches Verhältniß zu Hrn. General Cavaignac und zu Hrn. Minister Bastide anbetrifft, so kann es gar nicht angenehmer sein. Alles[S. 369] klar, offen, bestimmt, wohlbegründet; Alles hat (wie man sagt) Hand und Fuß. Meinerseits habe ich fast in Jeglichem das Gegentheil Dessen gethan, was sogenannte routinirte und überängstliche Diplomaten mir riethen; — und sie müssen jetzt eingestehen, meine ehrliche, aufrichtige, vertrauliche Weise habe — ihnen unerwartet — Vertrauen erworben und Beifall hervorgerufen. Die HH. Cavaignac und Bastide haben mir dies nicht blos mehre Male, sondern auch Anderen gesagt, ihre Zufriedenheit mit meinem Benehmen amtlich in Frankfurt zu erkennen gegeben und den Wunsch ausgesprochen, daß ich hier länger in Thätigkeit bleibe — Hr. v. Schmerling (welcher einstweilen in Frankfurt das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten übernommen) schreibt mir: „ich hoffe, daß Sie in dem jetzigen schwierigen Zeitpunkte, da Ihre Dienste unentbehrlich sind, es gut finden werden, wenn eine Verfügung auf Ihr Entlassungsgesuch unterbleibt, bis Sie sich zu einer späteren Wiederholung desselben an das künftige definitive Ministerium — wider Verhoffen — veranlaßt sehen sollten.“ — Ich antwortete gestern: „Eure Exc. Wiederübernahme der Geschäfte betrachte ich als eine Bürgschaft, daß bald ein zugleich gemäßigtes und kräftiges Ministerium zu Stande kommen werde. Und so will ich denn (bei dem mir hier und in Frankfurt gütigst geschenkten Vertrauen)[S. 370] gern mit meinen geringen Kräften für mein Vaterland fernerhin zu wirken versuchen.“

Mithin werde ich, nachdem ich so viele Jahre meines Lebens unzählige diplomatische Berichte gelesen habe, nun noch eine Zeit lang etwelche schreiben müssen!

Von Mittagsgesellschaften ist hier fast gar nicht mehr die Rede: ich ward vor Jahren, als bloßer Professor, viel öfter eingeladen als jetzt. Die Abendgesellschaften (welche ich zum Theil von Amtswegen besuchen muß) sind hinsichtlich des Kommens und Gehens bequem; aber bald überfüllt (so bei Cavaignac, Lamoricière u. A.), bald zu leer, wie bei Anderen. Dann stecken zwei und zwei die Köpfe zusammen und tuscheln, während man verlassen daneben steht und sich langweilt; oder es gerathen Mehre in Eifer und sprechen dann so schnell, und recht eigentlich in ihre großen Bärte hinein, daß ich oft nicht weiß, ob sie französisch, oder chinesisch reden. Auch viele Frauen befleißigen sich (vielleicht weil es zum guten Tone gehört) einer undeutlichen Aussprache. Allerdings trifft die Schuld des Nichtverstehens auch mich, des Hörens Ungeübten; aber keineswegs allein, denn Frau von Rothschild, Hr. Mignet und Andere sprechen so schön und deutlich, daß man, ohne alle Anstrengung und ohne ängstliches Rathen, jedes Wort versteht. —

[S. 371]

Wie schlecht durch Uneinigkeit und Nachlässigkeit der sogenannten Wohlgesinnten die neuesten Wahlen hier ausgefallen sind, und wie mangelhaft sich das allgemeine Stimmrecht noch immer erweiset, habe ich wohl schon bemerkt, obwohl das frühere Geldmonopol auch nichts taugte. Es regen sich rothe Republikaner (Plünderungslustige), Bonapartisten (Kriegslustige), Orleanisten (Mitleidige), Legitimisten (Rückläufige); was soll nun aus all diesen Mischungen hervorgehen, oder welche einzelne Partei wird obsiegen? — Schwerlich wird eine friedliebender, oder auch nur ebenso friedliebend sein, wie die jetzige Regierung. Freilich gewährt und bezeugt ein Belagerungszustand keine politische Freiheit; er ist aber hier, wie in Frankfurt, das Rettungsmittel gegen Mord und Brand.

Es macht einen sehr traurigen Eindruck überall zu bemerken, daß der Begriff und das Gefühl der Verehrung fast ganz abhanden gekommen ist. Überall tritt Verneinung, Tadel, Geringschätzung, Verachtung hervor, womit kein Einzelner ein rechtes Leben führen kann, und noch weniger ein Staat sich regieren läßt. — Fast wird es wie etwas Unausbleibliches, Unausweichbares, wie ein mathematischer Grundsatz bezeichnet und anerkannt, daß jeder Mensch (und deshalb zuletzt auch jede Lehre, jede Regierung) binnen sehr kurzer Frist verbraucht (usé) sein[S. 372] werde und sein müsse. Daher kein Widerstand, kein Muth, kein Glaube, kein Vertrauen. — So ist es aber auch in Deutschland, von den Straßenjungen und Studenten aufwärts, bis zu den berliner Reichstagsabgeordneten.

Überall werden jetzt die Minister durch unnütze Fragestellungen (zu deutsch, Interpellationen) geschoren; hier jedoch weniger wie in Berlin und Wien, und gestern hat eine solche in der Nationalversammlung dem Generale Cavaignac einen neuen Beweis ihres allgemeinen Zutrauens gebracht, dessen er zur Beruhigung der aufgeregten Gemüther sehr bedarf. Wie, trotz des übermäßigen politischen Schwatzens und Eiferns, doch bei Vielen eine verdammliche Gleichgültigkeit vorherrscht, ergiebt sich daraus, daß in dem Departement der Seine von 406,929 Wählern, bei den Wahlen 159,687 nicht erschienen sind. — In einem Artikel des Journ. d. débats vom 18. Sept. steht (ganz übereinstimmend mit meinen Ansichten) Folgendes über Deutschland. Nous continuerons à soutenir le sentiment de l’unité allemande, et nous continuerons aussi à en signaler les excès. — La tentative de centraliser l’Allemagne a l’instar de la France, est contraire à l’histoire et au génie l’Allemagne. — Si l’assemblée de Francfort ne tempère pas l’ardeur de centralisation dont elle s’est prise, elle échouera dans la constitution de l’unité alle[S. 373]mande. Cette constitution est possible, à condition de n’être point excessive. — On passe ordinairement par l’enthousiasme, pour arriver au bon sens etc.


Siebenundsechzigster Brief.

Paris, den 25. September 1848.

Obwohl ich gesonnen bin, Euch vorzugsweise über hiesige Verhältnisse Bericht zu erstatten, beherrscht mich Tag und Nacht die Sorge über die deutschen Angelegenheiten. Der alte Ruhm, oder das alte Eigenlob, von deutscher Bildung und Mäßigung, geht in dem angeblich ruhmvollsten aller Jahre, 1848, verloren. Dagegen ist 1648 vorzuziehen: denn in diesem Jahre kamen die Deutschen wieder zu Verstande; in jenem scheinen sie ihn verloren zu haben. Solche Gräuel, wie sie der Anfang des neuen Bürgerkrieges in Frankfurt zeigt, sind erst in der späteren Zeit des Dreißigjährigen Krieges vorgekommen, und die neuen Freiheitsproklamationen Struve’s beginnen mit der Einziehung des Vermögens Aller, die ihm nicht feige und knechtisch gehorchen wollen. Paris ist nicht mehr allein das große Babel: die deutsche, überall emporwachsende Brut stellt sich schon in der Wiege ihm gleich, oder wuchert darüber hinaus. —[S. 374] Als gute Folge der frankfurter (von den Anarchisten übereilt herbeigeführten) Ereignisse betrachte ich den daselbst gesteigerten Muth, sie zu bekämpfen, und eine Art Versöhnung zwischen den Freunden der Einheit und der Mannigfaltigkeit Deutschlands. Die Actien Frankfurts, welche hier äußerst gesunken waren, steigen durch den bewiesenen, bisher siegreichen Ernst. Gott gebe, daß die in Mittel- und Süddeutschland aufgestellte Heeresmacht fernerhin Frieden und Ordnung erhalte.

Die größte Gefahr ist in Berlin! Wenn die neuesten Versuche mißlingen, die Klubs und den Wahnsinn der Versammlung zu zügeln, so wird (wenigstens vor der Hand) die Monarchie zu Grabe getragen. Führt umgekehrt ein Sieg zu alten Mißbräuchen zurück, so bleibt ein zweiter 18. März nicht lange aus. Scylla und Charybdis, durch welche nur ein sehr geschickter Steuermann hindurchzusegeln fähig wäre. Wo ist ein großer Charakter, ein Mann von Muth und Kraft, an den man glaubt, der mit sich fortreißt? — und die noch vorhanden sind, sucht und will man nicht. Welche Männer, welche Einigkeit, welcher Lohn, welche Auferstehung im Jahre 1813; — und jetzt! Erst die volle Kenntniß der vorhandenen Übel und Gefahren läßt die Mittel zu Kampf und Heilung auffinden und anwenden. Wer zuletzt nur mit Seufzen und Händeringen ab[S. 375]schließt, ist ein gutes Klageweib, aber kein Arzt. Wäre ich in Frankfurt geblieben, würde ich meinen (wenn gleich homöopathisch kleinen) Antheil zu der Erkenntniß und den Heilmitteln abzuliefern versucht haben. Von hier aus käme Alles zu spät, und ich besitze Selbsterkenntniß und Bescheidenheit genug, mich auf den nächsten Kreis der Pflichten zu beschränken, welche der Himmel mir hier auferlegt hat, und die nicht unbedeutend sind.


Hr. Ledru-Rollin (terroristisches Mitglied des gouvernement provisoire) hat bei, oder vielmehr nach einem Gastmahl eine Rede gehalten, welche, wenn man sie von großen, Bravos hervorrufenden Redensarten entkleidet, als anzustrebenden Inhalt der Zukunft hinstellt: Steuern in stets wachsendem Verhältnisse, Papiergeld, Propaganda und allgemeinen Krieg!! Diesem Vertheidiger des Convents und seiner Maßregeln ruft das Journal de débats zu: Ce que le Roi Frédéric-Guillaume a voulu faire pour le moyen âge, Mr. Ledru-Rollin voudrait le faire pour la convention. On sait comme la chose a reussi au delà du Rhin! Bastiat, der Verfasser des geistreichen Büchleins wider die Hochschutzzöllner, hat die Frage: was ist der Staat? ähnlicherweise behandelt. Hiebei zählt er auf, was man jetzt vom Staate fordere, nämlich: Organisation der Arbeit und der Ar[S. 376]beiter, Ausrottung der Eigenliebe, Unterdrückung der Anmaßung und Tyrannei des Kapitals, Versuche über Mist und Eier, Gründung von Musterwirthschaften, Gründung harmonischer Werkstätten, Kolonisirung von Afrika, Ammen für neugeborne, Erziehung der anderen Kinder, Unterstützung für das Alter, Wegschicken der städtischen Bewohner auf das platte Land, Feststellung des Gewinnes von jedem Gewerbe, zinsfreie Darlehen an Alle welche sie verlangen, Befreiung von Italien, Polen und Ungarn, Erziehung und Vervollkommnung der Reitpferde, Begünstigung der Kunst, Bildung von Sängerinnen und Tänzerinnen, Handelsverbote, Handelsflotten, Entdeckung der Wahrheit. Der Staat soll die Seelen der Bürger aufklären, entwickeln, vergrößern, stärken, vergeistigen und heiligen!

Meine Herren! ruft der trübselig aussehende Staat, ein wenig Geduld: Uno a la volta, per carità! u. s. w. u. s. w.

Alle jene Forderungen (und wohl noch mehr) sind wirklich aufgestellt worden. Sie bezeichnen die babylonische Verwirrung und Unwissenheit heutiger Staatsweisen, und müßten einen alten Professor des Staatsrechtes in Verzweiflung bringen, hätte er nicht gerade Ferien und wären nicht die Studenten schon mit Siebenmeilenstiefeln über ihn hinwegspaziert. Dagegen sagt die Allgemeine Zeitung: Ich lebte hier in[S. 377] thatenloser Verzweiflung und wickele mir (da ich den Minotaurus nicht finden könne) den Faden um die Finger! — Meinethalben!

Ich mache Euch nochmals auf Jerome Paturot von Reybaud aufmerksam: es ist ein geistreiches, witziges, unterhaltendes Werk, aus dem man die hiesigen Zustände, Bestrebungen, Eitelkeiten, Thorheiten u. s. w. sehr gut kennen lernt.

Den 26. September.

Zweifelhaft liegt noch immer die italienische Frage. So wiederholte heute —: man habe keinen europäischen Congreß bezweckt und besorge, daß wenn Deutschland neben Österreich noch besonders vertreten werde, insbesondere Rußland laute Einrede erheben dürfte. Ich erwiderte: Deutschland sei bei den vorliegenden Fragen näher interessirt, als irgend eine europäische Macht, und wenn Österreich, Neapel und Sardinien nicht widersprächen, so schiene noch weniger Grund vorhanden zu sein, daß England und Frankreich Besorgnisse zeigten. Der Kaiser von Rußland habe seine feste mächtige Stellung in Europa; England und Frankreich wüßten sehr wohl, was er wolle und bezwecke, und seine Wünsche und Forderungen würden gewiß nicht unberücksichtigt bleiben. Die deutsche Centralgewalt hingegen sei eine neue, deren Macht, Werth und Einfluß noch keineswegs überall[S. 378] richtig gewürdigt und anerkannt werde. Das Beiseitesetzen derselben erscheine also nicht (wie bei Rußland) als eine bloße, fast gleichgültige Förmlichkeit, sondern als eine bedeutungsvolle Thatsache. Überdies sei die Stimmung von Deutschland hinsichtlich dieser Angelegenheit so, daß man sich leicht sehr verletzt fühlen dürfte, und es erscheine nicht rathsam die Form als Entschuldigung voranzustellen, wo es sich um einen Inhalt handele. Die Besorgniß endlich, daß man einen Störefried zum Congreß senden werde, habe nach Herstellung eines gemäßigten Ministeriums keine Bedeutung mehr u. s. w.

Ich hoffe, die gründliche frankfurter Darlegung der Verhältnisse in dem hier eingegangenen und mitgetheilten Schreiben wird endlich eine günstige Entscheidung herbeiführen. — bemerkte jedoch: es sei weder eine leichte noch erfreuliche Aufgabe, Schwierigkeiten lösen und Parteien versöhnen zu lassen, welche täglich schroffer entgegentreten. Nachrichten aus Turin zu Folge wären die Italiener gereizter als je (plus montés) und die Aussicht, daß Österreich in dem ruhigen Besitze der Lombardei bleiben könne, habe sich in den letzten 14 Tagen wiederum vermindert. Die Sieger hätten nicht verstanden die Gemüther zu gewinnen, Auswanderungen dauerten fort und auch das Landvolk werde unruhig und den Österreichern abgeneigt u. s. w. — Diese läugnen[S. 379] ihrerseits die Wahrheit dieser Anklagen und behaupten: sie beruhen auf leidenschaftlichen Berichten entflohener Aufrührer u. s. w.

Mittags.

Gestern Abend war ich bei dem Präfekten der Seine, Hrn. Trouvé-Chauvel. Das neue Gebäude der Mairie und die Wohnung des Präfekten ist höchst prachtvoll und sehenswerth. Die Erleuchtung glänzend, alle Säle und Stuben überfüllt von Nationalgardisten, unter denen einige schwarze Würmer einzeln und mühsam umherkrochen, oder sich durchwanden. Von Gesprächen oder Erfrischungen also natürlich nicht die Rede. Die Luft (obgleich einige Fenster geöffnet waren und die Zimmer sehr hoch sind) doch überhitzt und kaum athembar. — Hr. Trouvé stand an der Thür und war genöthigt, unzählige freundliche Bücklinge zu machen, und unzählige Hände aller Art zu drücken. Seine Frau (Leidens- und Freudensgefährtin) saß neben ihm allein, wie auf der Sellette. Macht das nun glücklich, ist das Geselligkeit? Geselligkeit der höchsten, ausgebildetsten, pariser Art? Ich kann mir wohl denken daß hungrige Proletarier, welche dies sehen, oder davon hören, Lust bekommen drein zu schlagen und zu plündern!

So lange Cavaignac und Bastide an der Spitze stehen, hat Deutschland von Frankreich nichts zu fürchten, unsere Wühler haben nichts zu hoffen. Da[S. 380]her verwandelt sich ihr früheres Lob der hiesigen Regierung bereits in bitteren Tadel, und sollten sie einst mich und meine Bestrebungen bemerken, werde auch ich ihren Schmähungen nicht entgehen.

Die eine finanzielle Hauptthorheit: „L’impôt progressif“, ist gestern, Gott Lob! in der Nationalversammlung mit 644 Stimmen gegen 96 durchgefallen. Möge es mit dem Vorschlage nur einer Kammer ebenso gehen. — Wie in Deutschland, ist man auch hier über die frankfurter Gräuel empört, und äußert sich bitter über die Unthätigkeit der dasigen Bürgerwehr. In Bezug auf Struve’s neue Schilderhebung heißt es heute in der „Presse“: Si l’Allemagne serait demain une république; tous ces chefs sans talens et sans idées, s’entretueraient, les uns les autres; ou pour échapper à la guerre civile, ils déclareraient la guerre extérieure à l’Europe entière. La plupart des Démocrates unitaires ne savent ce qu’ils veulent ni où ils tendent etc.

Den 27. September.

Endlich ist er mir nach mehrfachem vergeblichen Bemühen gelungen, den sehr beschäftigten und überlaufenen Hrn. Minister Bastide zu sprechen, und zwar

1) über die deutschen Schutzlager;

2) über die gesandtschaftlichen Verbindungen zwischen Frankreich und der deutschen Reichsgewalt;

[S. 381]

3) über die italienischen Angelegenheiten.

Obwohl Hr. Bastide die hierauf bezüglichen Schreiben aus Frankfurt kannte, und ich ihm Ähnliches wie dem — bereits gesagt hatte, nahm ich mir die Erlaubniß noch Folgendes hinzuzufügen:

Zu 1) Die Reichsgewalt hat zum Schutze der Ordnung und des Eigenthums den von der französischen Regierung bei ähnlichen Gefahren betretenen Weg ebenfalls eingeschlagen. Da nun Hr. Minister Bastide mir früher selbst sagte: „er halte es für ein Verbrechen, Aufrührer in einem fremden Staate mit Heeresmacht zu unterstützen oder auch nur durch eine Propaganda zu fördern“ — so zweifle ich nicht, daß er in diesem Augenblicke wird bestimmte Befehle ergehen lassen, daß aus Frankreich keine Mannschaft den Aufrührern zugewiesen und keine Kriegsmittel ihnen eingehändigt werden.

Zu 2) Die Annahme des erzherzoglichen Schreibens und die sehr freundliche Art, mit welcher der Hr. Minister mich behandelt, ist allerdings ein erwünschter Anfang zur Anknüpfung diplomatischer Verhältnisse; — aber es ist doch nur ein Anfang. Nachdem die Gründe der ersten Zögerung sämmtlich beseitigt sind, und in Frankfurt ein gemäßigtes und kräftiges Ministerium neu gebildet und befestigt ist; nachdem dessen ernste Maßregeln die Einigkeit mit den einzelnen Staaten verstärkt und das Vertrauen[S. 382] erhöht haben; nachdem die Nothwendigkeit einer Reichsgewalt ins hellste Licht gesetzt und ihre heilsame Wirksamkeit erwiesen ist; — möchte kein irgend haltbarer Grund vorhanden sein, auf jenem diplomatischen Wege nicht weiter vorzuschreiten und einige Gesandte in Frankfurt und Paris anzustellen oder zu accreditiren. Sobald die französische Regierung die Thatsache anerkennt, daß eine Reichsgewalt gegründet und ein Reichsverweser erwählt ist, so muß sie folgerecht auch auf Das eingehen, was damit unzertrennlich verbunden ist oder daraus entspringt. Wenn Gesandte kleiner deutscher Staaten von Neuem in Paris accreditirt werden und ihre Geschäfte (nach dem technischen Ausdrucke) officiell führen, so erscheint es auf die Dauer unpassend, daß ein Beauftragter der Reichsgewalt jenen nachsteht und nur in officiöser Weise gehört wird. Ich erlaube mir daher die Bitte: daß der Hr. Minister gütigst angebe, in welcher Weise diese Zweifel und Mißverständnisse am besten bald zu lösen sind.

Zu 3) Nach Wiederholung des bereits Geschriebenen und Gesagten, fügte ich hinzu: Seitens der Österreicher wird laut behauptet, daß ohne französische und englische Einmischung der italienische Friede längst würde geschlossen sein, und jedes Hinausschieben der Verhandlungen die Kriegsleiden, die Ausgaben, die Störungen des Verkehres u. s. w. ver[S. 383]längere und erhöhe. Deutschland hat das größte Interesse an einer baldigen Herstellung des Friedens, und seine Theilnahme kann und wird den edeln Zweck nur befördern. Wenn beide oder alle kriegführenden Staaten (Österreich, Sardinien, Neapel) dies einsehen und anerkennen; wie kommt England und Frankreich dazu mehr Besorgnisse zu hegen und gewissermaßen ein Monopol in diesen Angelegenheiten zu verlangen? Deutschland wünscht sehnlichst, immerdar mit Frankreich in den freundschaftlichsten Verhältnissen zu leben; es macht weder anmaßende, noch unbillige, noch unnatürliche Forderungen, es wünscht nur Zeichen wechselseitiger Anerkennung und gegenseitigen Vertrauens. Durch williges Eingehen in die heute besprochenen drei Punkte, legt Frankreich mühelos ein moralisches Gewicht in die Wagschale Deutschlands, und dies wird dankbar die gezeigte Freundschaft anerkennen und die für Frankreich günstige Stimmung verdoppeln. Ein entgegengesetztes Verfahren wird und muß auf dieselbe nachtheilig wirken u. s. w.

Auf diese und ähnliche Vorstellungen antwortete Hr. Minister Bastide:

Zu 1) Er freue sich sehr über die Kraft und den Muth, welchen die Reichsregierung in der letzten Zeit entwickelt habe, billige die Aufstellung der Schutzlager und sehe darin durchaus nichts, was[S. 384] seitens der französischer Republik Besorgnisse erregen könnte.

Zu 2) Er sei bereit, bei den jetzigen Verhältnissen einen französischen Gesandten förmlich in Frankfurt zu accreditiren und seitens der Reichsgewalt in Paris accreditiren zu lassen. In so weit, als jedoch die deutsche Reichsverfassung noch nicht in allen Theilen festgestellt und angenommen sei, geschehe dies natürlich ohne Präjudiz für künftige, vielleicht anders gestaltete Verhältnisse.

Zu 3) Er habe seinerseits jetzt (nach dem Obsiegen der Gemäßigten) gar nichts dagegen, daß ein deutscher Abgeordneter an den Verhandlungen über Italien Theil nehme. Da jedoch von Preußen ein ähnliches Gesuch gestellt worden, und Frankreich durchaus mit England in Übereinstimmung handeln wolle, so werde man eine gleichlautende, und wie er hoffe, genügende Antwort ertheilen. Es hat für mich keinen Zweifel, daß lediglich der in Frankfurt gezeigte Muth und die Festhaltung an den früher aufgestellten Grundsätzen die hiesige Regierung günstiger stimmte, und jedes heftigere Auftreten meinerseits früher keinen Erfolg, sondern nur ungünstige Antworten (mit Bezug auf die Verwerfung des Waffenstillstandes von Malmoe) würde herbeigeführt haben.


[S. 385]

Achtundsechzigster Brief.

Paris, den 28. September 1848.

Bei Cavaignac, Trouvé, Lamoricière ist Abends ein Gedränge, daß man sich nicht rühren kann; bei Thiers waren gestern vier bis sechs Herren! So wechselt Gunst und Andrang nach Maßgabe von Macht und Einfluß. O der Eitelkeiten!

Den 29. September.

Wenn Sie (und ähnlicher Weise mehre Zeitungen) bemerken und rügen, daß die Erklärung im Moniteur über die Annahme des Schreibens des Reichsverwesers nicht genügend und entsprechend sei, so bin ich ganz damit einverstanden, und Annahme wie Bekanntmachung sind zwischen Hrn. Bastide und mir umständlich besprochen worden. Ich habe Das, was Sie schonend rügen, hier viel nachdrücklicher gelten zu machen versucht. Wenn ich hierüber nicht zu meiner Rechtfertigung Genaueres schrieb, so hatte dies mehre Gründe. — Als ich hier ankam, war Hr. Bastide durch gewisse Vorübungen und Vorbereitungen des Hrn. — (auf die ich nicht wieder zurückkommen mag) so gereizt, daß schon ein Schreiben entworfen war, welches den Brief des Erzherzogs und meine Annahme ganz ablehnen sollte.[S. 386] Mein erstes Auftreten wirkte so beruhigend, daß es bei Seite gelegt wurde. Alle Hindernisse waren allmälig beseitigt, als man in Frankfurt den Waffenstillstand verwarf. Die Actien des Reichstages und der Reichsgewalt sanken hierdurch dergestalt, daß Hr. Minister Bastide erklärte: er wolle mit einem Ministerium Dahlmann oder Hermann gar nichts zu thun haben. Ich darf ohne Eitelkeit und Hochmuth behaupten, daß in diesem Augenblicke, wo irgend ein Zeichen des Zutrauens der französischen Regierung so erwünscht war, meine dringende Vorstellungen bei dem (gegen mich persönlich so außerordentlich freundlichen) Hrn. Minister Bastide es bewirkten, daß die Annahme des Schreibens nicht ganz ins Unbestimmte hinaus verschoben ward. Jede schärfere, bruskirende Forderung über die Art der Annahme und Bekanntmachung hätte in jener Zeit der kläglichen frankfurter Anarchie nicht zu günstigeren Ergebnissen, sondern zu den unangenehmsten schriftlichen Erklärungen geführt.

Selbst das Mündliche mochte ich (res scripta manet) nicht niederschreiben und lieber unausbleiblichen Vorwürfen entgegengehen, als mit Wahrung meiner Person mein Vaterland einer strengen und leider gerechten Censur unterwerfen. Chi va piano, va sano. Ich habe den bittern Kelch einer schwierigen, diplomatischen Stellung bis auf die Hefen ge[S. 387]leert, aber niemals die Hoffnung eines endlichen glücklichen Ausganges ganz aufgegeben. Der Vorwurf: ich habe mich schwach oder charakterlos benommen, ist für den entfernteren Beobachter so natürlich, daß ich mich darüber gar nicht beschweren kann. Vorstehende Andeutungen und Zeugnisse des Hrn. Ministers Bastide, sowie aller vom Gange der Dinge hier unterrichteten Gesandten, würden die Überzeugung hervorrufen, daß ich mich nicht anders benehmen und (trotz des besten Willens und der reiflichsten Überlegung) in höchst ungünstigen Verhältnissen nicht mehr und nichts schneller erreichen konnte.

Zu Dem, was ich am 21. d. M. über die italienischen Angelegenheiten schrieb, füge ich noch Folgendes hinzu: — In einer gestrigen Audienz klagte Hr. Minister Bastide sehr, daß die erneute Blokade Venedigs den Gang der Unterhandlungen erschwere, die Aussicht auf den nothwendigen Frieden vermindere und den Österreichern zuletzt keine bessere Bedingungen verschaffe, als sie ohnedies erhalten würden. Hr. Bastide wünscht, daß die Reichsgewalt diese Ansichten theile und unterstütze. Hr. von Thom hat dies in seinem gestrigen Berichte ebenfalls gethan, gegen Hrn. Bastide aber bemerkt, daß die Blokade wahrscheinlich mit Recht deshalb erneut sei, weil von Ankona aus Schiffe mit Mannschaft und Kriegsmitteln in Venedig eingelaufen seien.

[S. 388]

Hr. Bastide wünscht Beschleunigung der Vermittlung, stellt eine etwaige Gränzveränderung ganz in den Hintergrund, bezeugt aufs Feierlichste, bei einem Kriege würde kein Theil gewinnen, sondern Alle verlieren, verspricht alles Mögliche für Erhaltung des Friedens zu thun, klagt aber daß sich immer wieder neue und große Schwierigkeiten erzeugten.

Frankreich wünsche ernstlich, daß Österreich groß und mächtig bleibe, an der unteren Donau schützend auftrete und eine innige Annäherung und Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich stattfinde.

Die Verzögerung der italienischen Vermittlung und die Schwierigkeit, welche Deutschlands Theilnahme findet, scheint weit mehr von England als von Frankreich auszugehen.

Den 30. September.

Es ist merkwürdig, wie die Beschlüsse der hiesigen Nationalversammlung in Weisheit und Thorheit abwechseln, z. B. Verwerfen der steigenden Auflagen und Assignaten, Bewilligung von Ausfuhrprämien, eine Kammer statt zweier u. s. w. Lamartine hat in seiner breiten Empfehlung einer Kammer zuletzt nichts gesagt, als: Die Gefahren des Augenblicks machten die Diktatur oder Despotie nothwendig. Mit Recht hat Odilon-Barrot dies hervorgehoben, aber mit Unrecht hinzugefügt: verfassungsgebende Verfassungen[S. 389] müßten nur eine Kammer haben. Die englische Reformbill ward z. B. von beiden Häusern des Parlaments berathen und beschlossen, und in Frankfurt und Berlin geht es mangelhaft zu, weil die ermäßigende erste oder zweite Kammer fehlt. — Da die Wahl des zukünftigen Präsidenten der französischen Republik den allgemeinen Wahlen zugewiesen wird, hiebei aber aus Bequemlichkeit, Gleichgültigkeit oder anderen Gründen Hunderttausende ausblieben, so wird das Ergebniß doppelt ungewiß, und ist als eine Art von Glücksspiel zu bezeichnen. Cavaignac’s dreimonatliche Herrschaft dauert Vielen schon zu lange, die da herrschen, oder Herrscher erschaffen wollen.

Den 1. October.

Deutsche Zeitungen klagen fortwährend: daß ich hier nicht mehr ausgerichtet und Frankreich sich nicht zuvorkommender benommen hätte. Die Anklagenden vergessen, daß vorzugsweise die äußerste Linke in Frankfurt den Franzosen ihre Freundschaft anbot; diese Linke aber beim General Cavaignac gerade so beliebt ist, wie die rothen Republikaner, welche er im Junius todtschießen ließ. Ferner standen den frankfurter höflichen Redensarten feindliche Thaten gegenüber; sehr natürlich also, daß die Franzosen sich durch jene nicht bestechen ließen.

[S. 390]

Den 2. October.

Gestern fuhr ich nach St.-Cloud zu einem großen Feste. Das Schloß war geöffnet, und wir zogen mit Unzähligen durch die prächtigen, aber mit Gemälden und Zierathen überladenen Zimmer. Auch hätte ich mir nicht die Gemälde von Rubens über die Verheirathung Heinrich’s IV. mit der unangenehmen Marie von Medici (welche im Louvre hängen), als Gobelintapeten, noch einmal und immerdar vor die Augen bringen lassen. Die Springbrunnen belebten den Garten, und unzählige Menschen warteten auf den Augenblick, wo der größere Wasserfall mit vielen kleineren Springbrunnen in Thätigkeit gesetzt würde. Da kam plötzlich vom Himmel herab ein so starker Wasserfall, daß Alle die lang und sorgfältig verwahrten Plätze verließen und Schutz suchten. Doch nahm der Regen bald ein Ende, sodaß man das heitere Schauspiel ungestört ansehen konnte. Unzählige Buden bildeten einen großen Jahrmarkt; dazu Schießübungen, Glücksspiele, Schaukeln aller Art, Anstalten sich wiegen zu lassen, Marktschreier u. s. w. — hinreichende Mittel und Bestandtheile zu einem Volksfeste. Ich weiß nicht, ob ich mich irre, aber die Franzosen scheinen mir ernster und kälter, oder doch stiller als sonst bei Volksfesten, in den Straßen, in Omnibus- und Eisenbahnwagen. An Gründen des Ernstes und vorsichtigen Schweigens fehlt es freilich[S. 391] auch nicht, und wenn man gezwungen ist, viel an seine eigenen Verhältnisse zu denken, ist man ein schlechter Gesellschafter.

In dieser unsichern, bewegten Zeit hilft aber das Nachdenken oft zu gar nichts: so denke ich nach, ob, wann, wie lange ich hier, oder in Frankfurt bleiben, wenn eher ich wieder in den berliner Hafen einlaufen werde? Nun ist es zwar möglich, zur Verwirklichung des Einen oder des Andern wesentlich beizutragen: wenn sich aber die gegenseitigen Gründe ungefähr das Gleichgewicht halten, kommt man zu keinem Beschlusse, und wartet bis das Übergewicht von Außen herbeigeführt wird. Man möchte sich bisweilen mit dem Fanatismus der Muhamedaner beruhigen, oder die Vorherbestimmung Calvin’s schon aus Bequemlichkeit annehmen.

Seit 20 Jahren werden Berichte über die peinliche Rechtspflege in Frankreich bekannt gemacht. Die längeren Erfahrungen erlauben schon eher Schlüsse aus gewissen Thatsachen zu ziehen. Ich theile zunächst einige der letzteren mit. Von 100 Verbrechen sind etwa 27 gegen Personen, 73 gegen das Eigenthum gerichtet. Die Zahl der Verbrechen hat seit 20 Jahren, im Verhältniß zur Volksmenge, nicht zugenommen; wohl aber haben einzelne Verbrechen (betrügerische Bankrotte, Falschmünzerei) zugenommen, während andere sich minderten. Die Zahl der Ver[S. 392]gehen (délits) ist mehr gestiegen, als die der Verbrechen. Es scheint, als ob die Zahl der Rückfälligen (récidivistes) zunähme, was Folge der Art der Gefängnisse, oder genauerer Voruntersuchungen sein kann. — Landschaft und Sitten haben den größten Einfluß auf die Verbrechen, so von 100 im Departement der Seine 89 gegen das Eigenthum, in Korsika 81 gegen die Personen. Auf dem platten Lande finden keineswegs weniger Verbrechen statt, als in den Städten; auch sind sie öfter von der schwersten Art und gegen Personen gerichtet. Man soll also (sagt ein Berichterstatter) Unschuld und Tugend nicht vorzugsweise auf dem Lande suchen. Von 100 Angeklagten konnten, im Jahr 1846, 52 weder lesen, noch schreiben; also ist die Zahl der nicht unterrichteten Verbrecher verhältnißmäßig viel größer. Seitdem mehre, allzuharte Strafen gemildert sind, finden weniger Lossprechungen statt, denn zuvor.

Den 3. October.

Wenn man täglich Dasselbe sieht, hört und lieset, so ist es sehr natürlich, daß man auch Dasselbe schreibt. Dies unaufhörliche, unvermeidliche Andrängen derselben Gegenstände, Ereignisse und Urtheile hat seine große, eigenthümliche Bedeutung: es ergiebt sich daraus, was die Zeit beherrscht, was man wünscht, oder fürchtet, was mit Vorliebe behandelt, was unbillig[S. 393] und einseitig zurückgesetzt wird. Die sittliche und politische Cholera hat ihre Zeit, wie die körperliche: Niemand soll deshalb ganz verzweifeln oder nutzlos flüchten, sondern der Gefahr muthig entgegengehen, auf Heilmittel sinnen und sie anwenden. Der schrecklichste Wahnsinn ist: die Krankheit für Gesundheit zu halten, mit ihr zu hätscheln, das Gift mit Wohlgefallen zu erzeugen und zu verbreiten. Der Schrecken über die frankfurter Gräuel hat die Frechheit der äußersten Linken nicht vermindert, und ein Frevler und Tollhäusler, wie Struve, wird von ihr zum Märtyrer gestempelt werden. Selbstaufopferung allein giebt aber keinen Anspruch auf ächtes Märtyrerthum; sie ist eine doppelte Sünde, wenn sie für eine schlechte unedle Sache frech gewagt wird.

In Berlin beschließt ein Klub: die frankfurter Meuterer hätten sich ums Vaterland verdient gemacht, und ein Mann, dem Verbrechen halber das Bürgerrecht genommen worden, der Jahre lang im Zuchthause saß, der ehemalige weggejagte Mädchenlehrer und verdorbene Conditor Karbe, wird vom Pöbel im Triumphe umhergeführt als Vertheidiger der höchsten Freiheit. Und dies geschieht in einer Stadt, welche sich rühmt, an der Spitze der geistigen Bildung zu stehen, und die besten Schulanstalten zu haben! Die Geschichte Ber[S. 394]lins im Jahre 1848, das gerühmte Feuerwerk, ist in die dunkelste Nacht gesunken, und die Gräuel des alten Roms sind großartig und furchtbar im Vergleiche mit der Feigheit, Nichtigkeit, Albernheit und Misère, welche leider nur zu Viele an vielen Orten zeigen oder dulden. Auch meine Collegen, die Stadtverordneten, möchte man mit Siebenschläfern vergleichen, die nur von Zeit zu Zeit taktlos aufseufzen.

Wenn man dies Alles sieht und fühlt, darf man Frankreich (wie manche Deutsche es noch immer thun) nicht allein und vorzugsweise anklagen. Es fällt der hiesigen Regierung nicht ein, mit den frankfurter Meuterern zu liebäugeln, oder Struve und seine Rotte irgend zu beschützen. Sie hat sich hinsichtlich der diplomatischen Beziehungen zur Reichsgewalt nicht übereilen wollen, ist aber friedlicher gegen Deutschland gesinnt, als irgend eine französische Regierung seit dem Kardinal Richelieu. Ihr Sturz würde wahrscheinlich schlimmere und gefährlichere Verhältnisse zu unserm Vaterlande herbeiführen; — und doch, wer kann für ihre Dauer einstehen!

Man spricht und schreibt jetzt so viel davon, daß keine Regierung sich über verschiedene Völker erstrecken solle; auch hat dies den guten Sinn, daß jede Regierung den Eigenthümlichkeiten jedes einzelnen Volkes solle angepaßt werden, und die Vernachlässigung dieses Grundsatzes, Unzufriedenheit und Auf[S. 395]ruhr erzeuge. Andererseits haben sich Regierungen thatsächlich (und zuletzt auch aus natürlichen und zureichenden Gründen) über verschiedene Völker erstreckt, von den Assyrern, Medern und Persern, bis auf England und Österreich. In der That wird aber der Grundsatz über die vereinzelte Unabhängigkeit der Völker von den heutigen Weltverbesserern einem andern untergeordnet: dem der Übereinstimmung hinsichtlich gewisser Ansichten. Daher erklären Ruge und Consorten (oder Complicen) jede Vaterlandsliebe für Thorheit; das politische Glaubensbekenntniß trennt oder einigt jetzt so, wie das theologische im 17. Jahrhunderte, und Stammgenossen richten sich in wahnsinnigem Bürgerkriege zu Grunde, statt in Liebe und Treue auch in bösen Tagen miteinander auszuhalten. Deutschland, dessen wahre Staatsweisheit verlangt, sich mit der Schweiz, Holland, Schweden und Dänemark zu einem großen germanischen Bunde zu einigen, ist mit Allen (die Schuld theilt sich) in Händel gerathen, und es wird sehr viel Zeit und Mühe kosten, die wahrhaft natürlichen Verhältnisse herzustellen. Unterdessen werden die einzelnen Regierungen immer schwächer, nirgends ein Fürst von so überlegener Größe daß er für die Monarchie begeistern könnte, nirgends bei den Demokraten Achtung vor den Gesetzen, republikanische Träumereien, ohne republikanische Selbstbeherrschung und Aufopferung!

[S. 396]

— — Wir sind aus der weinigen Gährung in die saure, ja in die faulige gerathen. Freilich ist das in Deutschland schon öfters vorgekommen (Bauernkrieg, Thomas Münzer, Bockold, Dreißigjähriger Krieg), und ich will deshalb nicht verzweifeln. Um sich aber dazu Glück zu wünschen, dazu gehört ein starker Glaube, — oder Aberglaube. Ob die Krankheit nach Ausscheidung des Giftstoffes (mag er von Metternich dem Fürsten, oder Metternich dem Aufrührer herstammen) zu verstärkter Gesundheit, zu langem, langem Siechthume, oder zum Tode führen wird, das liegt nicht mehr in der Hand des Einzelnen, — er sei König oder Demagog.

Den 4. October.

Gestern Abend beim General Cavaignac, unzählige Officiere, wenig schwarze Civilisten, noch weniger Damen; beim sardinischen Gesandten Brignole das Umgekehrte. Dieser Mann macht das angenehmste Haus, während sein König in Gefahr schwebt, auf dreifache Weise gestürzt zu werden, durch Feinde, Verbündete oder Freunde: Österreicher, Franzosen, eigene Unterthanen. Die Lösung der italienischen Frage zieht sich unglücklicherweise sehr in die Länge, wobei Palmerston (der sich jetzt auf dem Lande erholt) nicht ohne Schuld sein soll. — Ebenso zögert Preußen in unentschlossener Weise mit Ernennung zweier Män[S. 397]ner für die provisorische Regierung in Holstein, und unterdessen begehen Dänen und Holsteiner neue Thorheiten. — Ich endlich, bin ich nicht auch in die verkehrte Welt gerathen? In den Stunden, wo ich sonst ruhig arbeitete, mache ich Besuche bei Gesandten und Nichtgesandten; Abends, wo ich sonst schon des Zubettegehens gedachte, fahre ich zierlich geputzt in die famosen Soireen; statt mich meines eigenen wohlgeordneten Hauses zu erfreuen, besehe ich Wohnungen nicht für mich, sondern für meinen künftigen, unbekannten Nachfolger; der ich am liebsten zu Hause Hausmannskost aß, muß täglich zum Restaurateur laufen und aus seiner Garküchenkarte mir mühsam meine Nahrung heraussuchen; der ich mir sonst die entferntere Bekanntschaft französischer Romane wünschte, studire sie jetzt eifrig — hauptsächlich um unbekannte neue Worte zu lernen. — Man möchte rufen: Beatus ille qui procul! Aber wo ist man denn fern von den Sorgen der Zeit, und am Ende einer Laufbahn, wo ich wissenschaftlich nichts mehr zu Stande bringen kann, darf ich es für ein Glück, oder doch für eine Schickung halten, in diese Bahn geworfen zu sein. Doch werde ich gewiß nicht lange darauf verharren, sondern bald wieder Nr. 67, Kochstraße, unterkriechen.

In unseren Tagen, wo auch das scheinbar Geheimste nach wenigen Tagen, ja Stunden zur Öffent[S. 398]lichkeit kommt, ist den Gesandten der meiste Stoff ihrer Berichte genommen. Seine eigene Meinung aber als gewichtig aussprechen zu wollen, läuft gegen die Gesetze der Wahrheit und der Bescheidenheit. Bisweilen fühlt man jedoch das Bedürfnis nicht sowohl einer amtlichen Berichterstattung, als einer vertraulichen Besprechung und Herzensergießung.

Der Beschluß, daß in Frankreich nur eine Kammer gebildet werden solle, macht eine gemäßigte und ermäßigte republikanische Regierung fast unmöglich. Die Kammer wird wahrscheinlich allmächtig oder ohnmächtig, und in beiden Fällen tritt Tyrannei abwechselnd mit Anarchie ein, welche beide sich am liebsten nach Außen hin Luft machen. Als die athenische Volksversammlung den Rath, die römische den Senat beseitigte, ging es mit republikanischen Formen und republikanischer Freiheit zu Ende. Dasselbe geschah in England während des 17. Jahrhunderts, nach Beseitigung des Königs und des Oberhauses. Die Assemblée constituante, législative und der Convent verfehlen das vorgesteckte Ziel, 30 amerikanische Staaten halten fest an zwei Kammern und Berlin und Frankfurt haben so viele entgegengesetzte Beispiele noch nicht widerlegt.

Zwei Hauptbewerber, L. Bonaparte und Henri V., hält man hier für persönlich ungeschickt, Frankreich zu regieren. Die Hauptstütze des Letzten ist der Be[S. 399]griff erblicher Legitimität, welcher Vielen ein Gräuel oder doch nicht die Mode des Tages ist. Der Erste beruft sich auf einen Namen, von dessen Gutem oder Bösem, man weiß noch nicht was, auf ihn übergegangen ist. Könnte Einer oder der Andere die Theorien und Praktiken, auf welche sie sich beziehen, geltend machen, in wie ganz entgegengesetzte Richtungen würde dadurch Frankreich geschleudert. Wie gefährlich ist die Unsicherheit, nicht zu wissen, wer durch das allgemeine Wahlrecht mehr oder weniger, kürzer oder länger Herr von Frankreich — oder doch auf die Tagesordnung gesetzt wird. Ja wohl auf die Tagesordnung: denn ein Wahlsieg mit nur relativer Stimmenmehrheit verbürgt keine Dauer!

Uns Deutschen aber thut Ordnung und Einigkeit mehr Noth als je; denn bei aller Friedensliebe der einzelnen Regierungen könnten die obwaltenden Mißverständnisse vielfacher Art leicht und unerwartet zu einem großen Kriege führen. Daher: si vis pacem, para bellum, — jedoch so wohlfeil als möglich. Die Franzosen sind jetzt weit besser gerüstet als die Deutschen und gegen das Ausland immer einig. Würde das jetzt in Deutschland der Fall sein und nicht vielmehr zu dem fremden Kriege sich ein nichtswürdiger Bürgerkrieg gesellen, wie im 17. Jahrhunderte?

Die Reichsgewalt kann und muß mit steigender Gefahr doppelten Muth zeigen und sich von Denen[S. 400] nicht einschüchtern lassen, welche frech auf der Bahn der frankfurter Meuterer beharren.


Neunundsechzigster Brief.

Paris, den 5. October 1848.

— — — Persönliche Freiheit und Unabhängigkeit ist mir zeitlebens das Wünschenswertheste und Erfreulichste gewesen, und nun sollte ich mir im Alter die Eitelkeiten dieses glänzenden Gesandten-Elends dummerweise selbst umhängen, Sklaverei der Freiheit vorziehen, mit allen Menschen verkehren, nur nicht mit meinen Freunden, statt in deutscher Zunge zu reden, in fremder radebrechen, wachen, wenn ich schlafen möchte, Steine des Sisyphus wälzen, tantalisch Wasser schöpfen, mich über Dinge belehren und zurechtweisen lassen, die ich zuletzt besser verstehe, nichts mehr lesen als Zeitungen, keine Geschäfte betreiben, als die des letzten Tages, oder der letzten Stunde u. s. w. u. s. w.

Ich bin hieher gegangen, weil ich es für Pflicht hielt, das unerwartet Dargebotene nicht zurückweisen, weil ich hoffte, meinem Vaterlande in diesem Augenblicke nützlich zu werden. Einmal Kohlen aus dem Feuer holen; — gut! — Immer Stroh dre[S. 401]schen! — Nein! Ich kenne die steten Klagelieder der Gesandten aus zahllosen Depeschen; ich will in diesem Chore keine obligate Stimme übernehmen. Ich werde aber auch nicht davonlaufen, bevor das angefangene Stück ausgespielt hat. — Schon einmal wollte ich (ich denke mit Ehren) davongehen, und so hoffe ich, wird sich ein zweites Mal der rechte Augenblick ergreifen lassen. — Das Alles unter uns: denn ich möchte nicht, daß daraus eine Klatschgeschichte, von thörichtem Hochmuthe oder falscher Demuth zusammengedrechselt würde.

Den 6. October.

Ganz Deutschland muß künftig dem Auslande gegenüber in einer andern und kräftigern Weise vertreten werden. Nur scheinbar verlieren die einzelnen kleinen Staaten; auf dem politischen Boden waren ihre Gesandten bloße Nullen, gebraucht zum Klatschen und Nacherzählen. Wer sich aber einmal an dieses angeblich wichtige, in Wahrheit nichtige Leben gewöhnt hat, kann darohne nicht leben, findet die Arbeit ächter Geschäftsmänner langweilig und bildet sich ein, derlei persönliche Ansichten und Wünsche hätten sachlichen, festen Boden. Pfiffiger sind die fremden Minister auswärtiger Angelegenheiten: sie vertheidigen derlei diplomatischen Krimskrams und Tand, stellen sich auf den sogenannten Rechtsboden der Gegen[S. 402]wart, preisen die (von Napoleon umgehangene) Theatersouverainetät jedes deutschen kleinen Fürsten, wünschen die fortdauernde Zerstückelung Deutschlands, ohne den Werth der rechten Mannigfaltigkeit zu begreifen, und fürchten über Alles, daß ein Volk von 45 Millionen Menschen einmal einstimmig denken und handeln könne.

Den 7. October.

Ich fragte einen französischen Abgeordneten: glauben Sie denn, daß Frankreich durch eine Kammer und einen vom Volke erwählten Präsidenten kann regiert werden? — Antwort: Nein! — Wird nicht die Kammer, oder der Präsident, allmächtig oder ohnmächtig werden? — Antwort: Ja! — Wie kommt es aber, daß sich nun so große Stimmenmehrheit für jene Einrichtung ausgesprochen hat? — Weil von 900 Abgeordneten wenigstens 700 ganz und gar nichts von der Sache verstehen.

Soeben ist erschienen: „Jerome Paturot à la recherche de la meilleure des républiques par Reybaud“, gleich der (schon von mir erwähnten) ersten Hälfte, ein anziehendes, lehrreiches, vortreffliches Buch, das man ins Deutsche übersetzen und verbreiten sollte. Alle französischen (und deutschen) Irrthümer, Thorheiten, Lächerlichkeiten, Verbrechen des letzten Jahres sind so geistreich und schlagend entwickelt und dar[S. 403]gestellt, wie die der früheren Jahre, in jener ersten Hälfte. Ich gebe einige kleine Proben. — „Die Erfinder neuer Thorheiten (sagt der Verfasser) haben einen so überschwänglichen Glauben, daß sie kein Mißlingen stört, daß sie außerhalb ihrer Meinungen nichts anerkennen, und Alles, was entgegentritt, rücksichtslos verdammen. — Meinungen sind meist Gewohnheiten, man nimmt sie an, ohne nähere Prüfung. — — Die Organisation der Arbeit ist (mit anderen Worten) die Organisation der Sorglosigkeit und Faulheit. — Es ist leicht, das Volk durch unzählige, wohlklingende Redensarten über seine Leiden aufzubringen und in den Gemüthern Zorn und Galle anzuhäufen. Es ist leicht, in der Ungleichheit menschlicher Verhältnisse einen Text zu finden für stete Deklamationen, und Grundlagen zu einem furchtbaren Aufruhr gegen Reichthum und Größe. Alles dies ist leicht, besonders für kräftige und leidenschaftliche Schriftsteller: — schwer aber ist es (wie man jetzt sieht), die aufgeregten Wogen zu beruhigen und die tiefen Wunden zu heilen. — Das viel besprochene Recht auf Arbeit ist eine Thorheit, oder eine Lüge. — Sonst fiel es Niemand ein, Arbeit und Almosen zu vermischen und zu verwechseln, Almosen mit dem Scheine einer (nutzlosen) Arbeit zu bedecken. Es ist ein furchtbares Spiel, auf den Grund eines bloßen Traumes, das gesammte Wesen der Arbeit, ihre natürliche[S. 404] Bewegung, ihren Werth für die Menge in Unordnung zu bringen. — Es ist eine schwere Verantwortlichkeit, das Daseiende umzustürzen, Gewohnheiten zu erschüttern und Gefühle zu beunruhigen, lediglich in der Aussicht auf gewisse Combinationen, welche weder Bestandtheile der Ordnung, noch Bürgschaft der Dauer in sich schließen. — In den meisten Klubs war Alles höchst mittelmäßig: kein Talent, keine Idee; Ungeheuerlichkeiten ohne Ende, Aermlichkeiten in Ueberzahl. Alle Gemeinplätze, welche seit einem halben Jahrhunderte die Bücher füllten, fanden jetzt ihre Stelle auf der Rednerbühne. Statt der Einfachheit und des gesunden Verstandes lauter Sophismen, leere Übertreibungen. Weder Natur, noch wahre Begeisterung, sondern ein Gemisch von Trivialitäten und Aufgeblasenheiten.“ — So viel Paturot für heute, vielleicht ein andermal noch einige Proben.

Die wichtigste Frage des Tages ist die, über die Wahl und Stellung des künftigen Präsidenten der französischen Republik. Eine Partei will gar keinen, irgend unabhängigen Präsidenten; denn das führe nur zu Gegensätzen, Streitigkeiten, Siegen oder Niederlagen. Die allein souveraine Nationalversammlung ernenne nach Belieben einen Bureauchef, mit allerhand Ministern oder Räthen. Sie entlasse Alle, sobald sie ihr nicht mehr behagten! Nur auf diesem Wege herrsche zwischen der Versammlung und ihren[S. 405] Beamten immerdar die größte Einigkeit, es zeige sich eine stets unbestrittene Allmacht. — Offenbar ist dies ein System des Despotismus und einer aller Haltung und Festigkeit ermangelnden Beweglichkeit. Folgerecht müßten alsdann auch die Wähler jeden Tag die Nationalversammlung umgestalten dürfen. — Die zweite Partei will den Präsidenten durch die Nationalversammlung wählen lassen; denn diese habe hiezu ein unläugbares Recht und die größte Geschicklichkeit. Nur auf diesem Wege würde Einigkeit zwischen der Nationalversammlung und dem Präsidenten möglich sein. — Die Nationalversammlung (wendet man ein) hat zu einer solchen Wahl kein Recht, und der Präsident wird von ihr allzu abhängig. Aus einer geringen Mehrheit hervorgegangen, fehlt ihm ohnehin das nöthige Ansehen; oder wenn eine andere Ansicht die Oberhand gewinnt, müßte er und die Minderzahl eigentlich herrschen. — Der Präsident (sagt die dritte Partei) muß durch das ganze Volk gewählt werden; dann sind Alle zufrieden, und er hat (der Nationalversammlung gegenüber) die nöthige Macht und Unabhängigkeit. Auf diesem Wege ist jede Wahl unantastbar, erfreut sich allgemeinen Beifalls, und erhebt den geehrtesten und beliebtesten Mann. — Für diese Ansicht hat Lamartine eine lange Rede gehalten, die man sehr bewundert; während ich darin nur ein verirrtes Hin- und Herreden finde, und einen[S. 406] neuen Beweis, daß Lamartine gar kein Staatsmann ersten Ranges ist. — Er sagt z. B.: er wolle alle wissenschaftlichen und geschichtlichen Gründe und Betrachtungen bei Seite setzen; was mir als ein sehr thörichtes Verfahren erscheint. — Die Beliebtheit (popularité) spricht er weiter, ist die ganze Macht (le pouvoir tout entier); und doch hat er selbst erfahren, daß sie bei ihm nicht hingereicht hat, drei Monate zu regieren, da war ihm bereits alle Macht entschlüpft. Bei einer Wahl des Präsidenten durch das Volk werde wenigstens er, oder die Nationalversammlung beliebt, und nicht beide gleichzeitig verbraucht sein. — (In diesem Gegensatze könnte man vielmehr eine Gefahr oder einen kläglichen Trost sehen.) — Es sei thöricht und lächerlich, zu glauben und zu fürchten, daß es einem ältern oder jüngern Bourboniden, oder einem Bonapartiden eingefallen sei, oder einfallen werde, nach Einfluß, Gewalt und Herstellung zu streben. Der einfache, gesunde Menschenverstand erkläre dies für unmöglich. — Es ist unbegreiflich, wie man gegen die Natur der Dinge und unzählige Thatsachen derlei leere Rederei anmaßlich hinstellen oder bewundern, und obenein wenige Zeilen später sogleich hinzusetzen kann: „wir befinden uns (in Beziehung auf die aus dem Stegreife erschaffene Republik) in der peinlichsten, traurigsten, gefährlichsten Lage. Die ersten Tage, die ersten Mo[S. 407]nate der Begeisterung, der Hoffnung, des Beifalls, der allgemeinen Zustimmung, haben sich in einem großen Theile Frankreichs verwandelt in Zweifel, Mißtrauen, Unglauben und Abfall von der Republik. — Aber der neue Präsident wird sein das Haupt, der Vermittler, der Anordner republikanischer Institutionen; er wird beschützen dein Eigenthum, deine Familie, deine Kinder! Wiederum hat er zwar keinen Antheil an der Souverainetät, aber er wird sich täglich stärken und erfrischen in der einzigen Quelle der wahren Macht, dem Gewissen der Bürger. Der Würfel ist gefallen! Ueberlassen wir etwas der Vorsehung! Möge sie das Volk aufklären. Was aber auch geschehe; es wird schön sein in der Geschichte, daß wir die Republik gedacht, ausgesprochen, in vier Monaten entworfen haben; dieselbe Republik der Begeisterung, der Mäßigung, der Brüderlichkeit, des Friedens, des Schutzes für Geselligkeit, Eigenthum, Religion, Familie; — diese Republik Washington’s!!“ — — Solch verwirrtes, thörichtes Wischi-Waschi gilt für Beredtsamkeit und Staatsweisheit!!!

Den 8. October.

Nur eins weiß man über die Zukunft Frankreichs mit Gewißheit, nämlich, daß sie völlig unbekannt und ungewiß ist. Denn wenn auch die Nationalversammlung höchst wahrscheinlich für die Wahl eines Prä[S. 408]sidenten durch das ganze Volk (ohne Abstufung) entscheiden wird, so steht doch gar nicht fest, wer die Mehrheit der Stimmen erhalten, und ob man sich dieser (vielleicht nur geringen) Mehrheit ruhig unterwerfen wird. Viele Legitimisten haben nichts gegen L. Bonaparte: denn er müsse erst völlig abgethan und verbraucht sein, bevor ihr Bewerber mit sicherem Erfolge an die Reihe komme. — Eine angenehme Aussicht auf mannigfaltige Umwälzungen!! — Die Hoffnung: man könne durch irgend eine förmliche Bestimmung der Verfassungsurkunde alle Wünsche unterwerfen und vereinigen, alle Ansprüche beseitigen, alle Leidenschaften bändigen, — ist durchaus täuschend. Nach so vielem Wechsel von Regierungsformen und regierenden Personen hält man jede neue Veränderung für leicht und erlaubt; ehe etwas Wurzel gefaßt hat, wird es ausgerissen und weggeworfen. Die Forderung: daß zwischen der Nationalversammlung und dem Präsidenten steter Friede sein soll, lautet gar schön, wird aber den ewigen Frieden nicht so mühelos herbeiführen, wie Lamartine und ähnliche Phantasten sich einbilden. Wer da, in der etwa ausbrechenden Fehde obsiegen wird, hängt zuletzt (wie die Erfahrung gezeigt hat) weit weniger von buchstäblichen Vorschriften und ängstlichen Auslegungen, als von den Personen ab, von ihrem Muthe und ihrer Kraft. Das beweisen z. B. der[S. 409] 18. Fructidor und der 18. Brumaire. — Wenn man die ganze Verfassungsurkunde ins Feuer wirft, so kommt gar nichts mehr darauf an, was in einem einzelnen Absatze steht. — Doch genug für heute von den Krankheiten Frankreichs. Stände es nur daheim besser! Ist es nicht ein Jammer, daß die Reichsminister der preußischen Regierung sagen und sagen müssen, sie möchten Preßfreiheit und Klubs zügeln, und daß sie dennoch nicht den Muth und die Geschicklichkeit haben, es zu thun! — — — —


Siebzigster Brief.

Paris, den 9. October 1848.

Die jetzige französische Regierung hat dafür gestimmt, daß der künftige Präsident durch die Nationalversammlung und nicht durch allgemeine Volkswahl ernannt werde. Sie konnte aber wohl kaum überrascht sein, daß sich die Mehrzahl der Abgeordneten für das letzte Verfahren erklärte, da man ja in unseren Tagen (ohne Rücksicht auf volksthümliche Verhältnisse) das am meisten Demokratische überall für das Beste hält. Merkwürdig, daß man zu gleicher Zeit unbedingte Einheit (unité) der Gewalt verlangt, hiebei vergessend, wie jene Einheit eben die[S. 410] Form der Despotie, der unbedingten Allmacht ist, mag nun ein Czar, ein Senat oder ein Convent an der Spitze stehen.

Nachdem gestern meine gesandtschaftlichen Arbeiten beendet waren, ging ich den Kays der Seine entlang, zur Kirche Notre-Dame. Jene Kays (die in London an der Themse leider fehlen) erhöhen die Schönheit von Paris gar sehr, und tragen gewiß auch zur Gesundheit einiger Stadttheile bei. Die Kirche unserer lieben Frauen ist groß und merkwürdig, steht jedoch den vollkommeneren Bauwerken dieser Art nach, sowohl hinsichtlich der Auffassung und der Verhältnisse des Ganzen, als in Rücksicht auf die Vollkommenheit der einzelnen Theile. — Nun zum Luxemburg.

Im Hofe war große militairische Parade. Die Soldaten lebendig, kühn, furchtbar; die Bewegungen gewandt, doch ohne ängstliche Pedanterie; die Ausführung der Musik gut, die Compositionen gesucht und manierirt. — Der Garten, bekanntlich ein würdiges Seitenstück zu den Tuilerien, eine Wohlthat für diesen Theil der großen Stadt; Gottlob noch gut erhalten. — Die Sammlung von Gemälden neuerer französischer Meister. Ich danke dem Himmel, daß ich nicht verpflichtet bin ein großer Kunstkenner zu sein, oder ihn zu spielen und mit aufgebauschten, schwülstigen, gestempelten Redensarten um mich zu[S. 411] werfen. Mir ist diese ganze Richtung der Kunst widerwärtig; ich halte sie für eine Ausartung die man bekämpfen, und der man nicht (um einzelner Vorzüge und einzelner Ausnahmen willen) schmeicheln und sie verhätscheln soll. Welche Technik! ruft man mir entgegen. Diese sogenannte Technik findet sich aber keineswegs überall; vielmehr sehe ich Nachlässigkeiten unmittelbar neben der Sorgfalt, Verzeichnungen, häßliche Farben, unnatürliche Verkürzungen u. s. w. Wenn der Zeus, oder die Athene des Phidias sich herabließen in den Tuilerien spazieren zu gehen, und sich daneben ein Seiltänzer auf dem Schleppseile sehen ließe, würden die privilegirten Kunstkenner diesen auch vorziehen und ausrufen: welche Technik!! — Die Wahl fast aller Gegenstände zeigt eine krankhafte, unschöne Leidenschaftlichkeit; eine Vorliebe für das Gewaltsame, Übertriebene, Unschöne. Oder, wo große Künstler durch Ermäßigung verschönerten, schlagen diese in einer Art von schlechter Branntweinbegeisterung den umgekehrten Weg ein. So z. B. ein Prometheus in der unnatürlichsten, widrigsten Stellung; Abel, ein lümmelhaftes Ungethüm, im Vergleiche mit dem vielbekrittelten, rührenden Werke von Begasse. Der Hund auf dessen Bilde ist mehr werth, als der ganze französische Skandal. — Fast kein Bild ohne Kranke und Leichen; ja, ohne Zweifel ist die Zahl der Leichen größer, als die der Bilder, und[S. 412] zwar Leichen blau, grün und gelb, der widrigsten Art. Sowie manche ekelhafte Schwelger stinkendes Fleisch und stinkende Fische allen frischen, gesunden Speisen vorziehen, scheinen diese französischen Künstler, Aas und Leichen den schönsten lebendigen Gestalten vorzuziehen und sich daran zu ergötzen. — Daß sie sehr selten religiöse Gegenstände behandeln, mag gut sein, es würde doch nur auf eine Profanation des Heiligen hinauslaufen: ein Christus erinnert sehr an die Schröder-Devrient. Ich könnte noch viel Einzelnes beibringen; dieser Stoßseufzer mag indeß genügen. — Auf dem Rückwege sahen wir noch die Kirche S. Sulpice und daneben einen neuen, reichlich fließenden Springbrunnen. In vier Nischen sitzen über den Wasserfällen: Flechier, Massillon, Fenelon, Bossuet; die letzten ruhig nebeneinander, obwohl sie sich den Rücken zukehren. Das nebenstehende College für Erziehung der Geistlichen, hat wohl Veranlassung zu dieser Ausschmückung des Springbrunnens gegeben.

Die französischen Zeitungen beschäftigen sich viel mit deutschen Angelegenheiten. In der Regel verstehen sie nichts davon, oder nehmen gern alle Lügen auf, die in ihren Kram dienen. Schlimmer, wenn ein Mann wie Ledru-Rollin darüber mit großer Anmaßung dummes Zeug vorbringt. Das Journal des débats hat ihn heute über mehre Punkte zu[S. 413]rechtgewiesen und auch die Frage über das deutsche Gesandtschaftswesen berührt und dessen Schwierigkeiten nachgewiesen. Diese zu beseitigen ist lediglich Sache der Deutschen; nicht unnatürlich wenn sie aber auch hier hervortreten und mir meine Bahn erschweren. Das Journal des débats thut mir indessen die Ehre an zu sagen: la personne de Mr. de Raumer est faite pour sauver bien des difficultés. — Erst störten mancherlei Thorheiten meine Kreise; jetzt die Raschheit mit welcher man von Frankfurt aus alle deutschen Gesandtschaften aufheben möchte. Ich wiederhole zwar: daß mit Anerkenntniß eines Reichsgesandten, neben allen anderen Gesandten, nichts über deren jetzige und künftige Stellung ausgemacht sei und ausgemacht werden solle; man wird dennoch hier scheu und möchte keinen Schritt thun, der von Einzelnen als verletzend könnte ausgelegt und aufgenommen werden. — Das frankfurter Schreiben an Preußen war in der That sehr unzart abgefaßt und konnte nicht: sauver bien des difficultés.

Die jetzigen Machthaber werden, zufolge des obigen Wahlbeschlusses, darauf dringen, daß der provisorische Zustand baldigst beendet und ein Präsident erwählt werde. Jene fühlen, sie seien schon im Sinken begriffen und suchen die Entscheidung schwieriger Sachen ihren Nachfolgern zuzuschieben.[S. 414] Auch meine Zwecke werden deshalb langsamer, oder jetzt gar nicht erreicht; und ein Tag nach dem anderen vergeht, ohne daß eine Macht der Welt im Stande ist, in dieser allgemeinen Bewegung etwas Dauerndes festzustellen, oder festzuhalten. Bastide ist seiner Stellung überdrüssig und sein Nachfolger wird für mich (sofern ich dann noch hier bin) gewiß minder bequem sein.

Den 10. October.

Wenn in Nordamerika (wo die Menschen an strenge Befolgung der Gesetze gewöhnt sind) die in zwei Abstufungen eintretende Wahl des Präsidenten dennoch eine lange und große Aufregung hervorbringt; wie viel mehr wird dies bei einer, ganz allgemeinen Wahl in Frankreich der Fall sein, wo man so unruhig und so geneigt ist, sein persönliches Meinen und Wünschen über die Gesetze hinaufzustellen. Hiezu kommt, daß in Amerika gewöhnlich 2, höchstens 3 Bewerber auftreten und von alten Ansprüchen oder Berechtigungen gar nicht die Rede ist. Lamartine läugnet zwar, gegen die offene Wahrheit, deren Dasein, Bedeutung und Einfluß; wenn jene Präsidenten aber auch sämmtlich zur Seite bleiben, oder zur Seite geworfen werden, so bessern sich die Verhältnisse dadurch keineswegs, sondern die Unbestimmtheit und Ungewißheit wird noch größer.[S. 415] Oder wo ist der Mann auf den ganz Frankreich mit Vertrauen und Ehrfurcht hinblickte, oder hinzublicken genügenden Grund hätte, wie auf einen Washington, Jefferson oder Napoleon. — Cavaignac hat zu wenig gethan um den Leuten auf die Dauer zu imponiren, und was man ihm im Augenblicke der Angst vor der rothen Republik zu Gute rechnete, wird bereits vergessen, oder als übertriebene Härte dargestellt und umgedeutet. Lamoricière steht mit Cavaignac ungefähr auf derselben Stufe; Ledru-Rollin ist ein neuer Abdruck des alten Terrorismus; und Lamartine ein Rhetor, dessen Verwirrung und Schwäche, Andere als Heuchelei bezeichnen. Und doch hat er vielleicht geglaubt mit seiner letzten Rede die Präsidentenwürde zu erobern. Sie Jahre lang zu behaupten, würde ihm so unmöglich werden, als auf die Vendomesäule hinaufspringen und sich auf die Schultern Napoleon’s setzen. Daß übrigens Lamartine keinen Blick für geschichtliche Wahrheit hat, erweiset seine Geschichte der Gironde jedem unbefangenen Kenner. Welch eine Thorheit für einen Staatsmann, das, hier ganz unpassende Wort Cäsars zu wiederholen: jacta est alea! aus dem Regieren vorsätzlich ein dummes Glückswürfelspiel machen, und es durch einseitige, unbedachtsame Beschlüsse darin verwandeln.

Anlagen zur Demokratie, ächte Lebenselemente[S. 416] derselben, sehe ich fast nirgends; überall nur demokratische Gelüste, beruhend auf Eitelkeit, Anmaßung und Verachtung alles Gesetzlichen. Wer sich nirgends unterordnen will, sondern Willkür des Einzelnen an die Spitze stellt, der hat das ABC einer rechten Demokratie noch nicht begriffen. Damit daß man Namen verändert, ist für die Sachen noch kein anderes Dasein begründet: rue royale oder rue de la révolution; théâtre français oder de la république! An allen Kirchen, öffentlichen Gebäuden, Ministerwohnungen: liberté, égalité, fraternité; ein gutes, einträgliches Geschäft für Die, welche es anschrieben und dereinst, für Bezahlung aus öffentlichen Kassen, vielleicht wieder auslöschen. Die Republik, sagen Manche, ist nicht improvisirt, nicht aus dem Stegreife hervorgegangen; Frankreich war dafür längst vorbereitet und reif. Dennoch wußte selbst Lamartine, als er in den Februartagen seine großen Reden begann, nicht was er am Schlusse sagen wollte, und nachdem er der Herzogin von Orleans Kußhändchen zugeworfen und Katzenpfötchen gezeigt, machte er linksum und lief einer Dulcinea nach, welche der neue Donquixote Republik nannte. Bis jetzt zeigt und giebt sie keine Erlösung vom Bösen, sondern ist die Scylla, in welche man gerathen ist, um die Charybdis loszuwerden. Der National beweiset: Frankreich sei die einzige Macht, welche hinreichende Quel[S. 417]len besitze, Jahre lang bequem einen großen Krieg zu führen; ich wünsche ihm Kräfte, Mittel und Weisheit, Jahre lang den Frieden zu erhalten, ohne welchen Europas Bildung zu Grunde geht und Barbarei hereinbricht. Trotz unzähliger Erfahrungen, will die eine Partei noch immer nicht glauben, daß die Form der Verfassung niemals gleichgültig ist; die andere nicht begreifen, daß sie nie entscheidend und allmächtig ist, sondern die Personen mit gleich großem Gewichte in die Wagschale hineinsteigen. Dieselbe Form, aber ein Ludwig XVI. oder Napoleon, welch ein unermeßlicher Unterschied!

Jetzt zur Abwechslung (oder auch nicht zur Abwechslung) wieder eine kleine Portion Paturot. „Eifer und Anstrengung sah man nur in den Parteien, welche mit den Leidenschaften auf der Straße verbündet waren. Die Anderen zweifelten an ihrer eigenen Überlegenheit. Sie sahen eine eingerichtete Gewalt vor sich, und waren geneigt sie zu hassen während ihnen die Kraft entwich, sie zu zerstören. — In Zeiten der Revolutionen erhebt und zerbricht man gar rasch die Götzenbilder. Kein Name, kein Ruf widersteht diesem Gesetze des Augenblicks, keine Größe bleibt unbesiegt. — Der gesunde Menschenverstand ist seltener als man glaubt, und nichts kann ihn ersetzen. — Vergleiche (transactions) mit der Unordnung helfen nicht; sie schieben das Übel hin[S. 418]aus und vermehren dasselbe. — Tausend Beispiele zeigen, was ein ausdauernder Wille vermag. Die offenbarsten Narrheiten, die sinnlosesten Träume haben sich durch Ausdauer einen Weg gebahnt. Jahre lang wiederholten die Sektirer dieselben Irrthümer und Sophismen, veränderten den Ausdruck unendliche Male, und verkleideten sie unter lügenhaften Formeln; und dies reichte hin um die bürgerliche Gesellschaft zu verführen, zu verderben und die Völker in den Abgrund zu stürzen. — Kunststücke, Auskunftsmittel (expédients) haben niemals ein Reich gerettet.“

Den 11. October.

Gewiß hat es Hr. Bastide mit jener ersten Erklärung aufrichtig gemeint, und ich kann sie in der That nicht mißverstanden haben. Doch darf ich Vermuthungen über die etwaigen Gründe neuer Zögerungen nicht unterdrücken. Nämlich: England scheint der officiellen Anknüpfung diplomatischer Verhältnisse mit der Reichsgewalt weit mehr entgegen zu sein, als Frankreich. Lord N. wiederholte mir gestern alle die alten, meines Erachtens hinreichend widerlegten Einwendungen. Ich nahm mir hierauf (als Privatmann) die Erlaubniß, etwas schärfer aufzutreten und ihm zu sagen: England weiß, wie abgeneigt viele Deutsche seiner Politik sind, wie sie darin nur Eigennutz zu sehen glauben oder vor[S. 419]geben. Und nun erhebt England unerwartet die meisten Schwierigkeiten und scheint durch sein Beispiel auch auf Frankreich störend einzuwirken. Ist das aber eine großartige Politik, um diplomatischer Kleinigkeiten willen die öffentliche Meinung Deutschlands zu verscherzen? Die Bemerkung: „mit Frankreich könne man eher officielle Verhältnisse anknüpfen, denn wie es auch seine Verfassung ändere, bleibe doch immer Frankreich übrig“ beweiset gar nichts; denn wie auch Deutschland seine Verfassung ändert, bleibt auch Deutschland übrig. Daß aber die großen Bewegungen in Deutschland auf lange Zeit mit einem leeren Nichts endigen werden, ist ein großer Irrthum. Wer kennt die Zukunft Frankreichs auch nur auf Monate hinaus. Dringen die Franzosen in Italien oder gen Deutschland vor, so bricht der Bund mit England und das englische Ministerium zusammen, und man wird zu spät bereuen, Deutschland vernachlässigt und verletzt zu haben.

L. Bonaparte hat in der Kammer kurz und patzig, oder doch so gesprochen daß es den meisten Zuhörern nicht behagte. Deshalb wollen ihn Mehre zu häufigeren Reden aufreizen, damit er verbraucht sei, ehe er gebraucht sei. An derlei dünnen Fäden hängt die Zukunft Frankreichs; oder es wird doch vermuthet und geglaubt, man könne sie daran aufhängen.

[S. 420]

Gestern Abend war es beim General Cavaignac noch überfüllt; trotz der Stürme oder der Ruhe, die ihm bevorstehen. Ich nahm Gelegenheit Hrn. Bastide über die dummen Klatschartikel zu sprechen, welche man in Frankfurt angeblich aus meinen Berichten über ihn zusammengedrechselt hat. Er (einst selbst Journalist) weiß sehr wohl, in welcher Weise Zeitungscorrespondenten hiebei oft verfahren, und mißt mir, Gottlob, nicht die geringste Schuld bei. Ich wiederholte die Hauptsachen die ich nach Frankfurt geschrieben habe, und er bestätigte, dies sei genau seine Meinung und seine Äußerung.

Beim sardinischen Gesandten traf ich gestern Hrn. Baruffi, der sich in Turin gegen mich äußerst freundlich gezeigt hatte. Wir sprachen viel über Italien. Ich nahm mir die Erlaubniß ihm zu sagen: es kommt weniger auf Landesgränzen und Wechsel der Dynastien, als auf eine gute Verfassung und Verwaltung an; aber die Italiener (immerdar uneinig) sind sich selbst die größten Feinde! — Es ergab sich, daß alle meine turiner Freunde und Bekannte, damals die Häupter der liberal Gesinnten (Balbo, Sclopis, Petitti, Villa Marina und Andere) jetzt von Leuten weit revolutionairerer Art überflügelt sind. Tout comme chez nous!

Es hat den Anschein, als werde es mit meinen Geschäften, aus vielen Gründen, sehr langsam, oder gar[S. 421] nicht, vorwärts gehen. Preußen wird (mit vollem Rechte) bei den provisorischen Zuständen in Frankfurt, sein Gesandtschaftsrecht als Großmacht nicht ausstreichen lassen; während (wie ich höre) beide Hessen schon darauf verzichteten.

Salbadereien à la Lamartine, Lobpreisungen des Convents à la Ledru-Rollin, Gebell aus der Ferne oder den Gefängnissen à la Louis Blanc und Raspail, sind gewiß widerwärtig und unsinnig; — aber die berliner politischen Ikeleye, die in ihrem Sandwasser Courbetten schneiden und sich dabei selbstgefällig besehen, sind noch erbärmlicher und katzenjämmerlicher. Gott bessere es! — Alle Humanität läuft bei diesen Leuten darauf hinaus: Verbrechen ungestraft zu lassen, ehrliche Leute zum Vortheil des Gesindels zu Grunde zu richten, und Canaillerien aller Art, unter die sinnlose Rubrik: unschuldiger, politischer Verbrechen unterzustecken.


[S. 422]

Einundsiebzigster Brief.

Paris, den 12. October 1848.

Ich höre, daß Beauftragte aus den Landschaften die Kunde zurückbringen: durch allgemeine Wahl (besonders des Landvolks) würde L. Bonaparte zum Präsidenten der französischen Republik ernannt werden. Seine Vertrauten versichern: er wolle nie eine höhere Würde annehmen und nie Krieg führen. Beides wäre (bei seiner Persönlichkeit) gewiß das Klügste; aber Gelegenheit macht Diebe und Niemand weiß, wer ihn zu anderen Beschlüssen verführen oder zwingen dürfte. Man erzählt: es seien schon vorläufige Unterhandlungen mit Molé und Thiers angeknüpft worden, ob sie an die Spitze seines Ministeriums treten wollten, aber noch nichts zu Stande gekommen. Einige meinen: wenn die Wahl des Präsidenten noch um einige Zeit hinausgeschoben würde, dürfte der bloße Name Bonaparte abgenutzt und seine Unfähigkeit so an den Tag gelegt sein, daß die Wähler ihre Ansichten ändern müßten; Andere zweifeln, daß pariser Überzeugungen (bei der Mißstimmung gegen Hauptstadt und Republik) so schnell die Ansichten in den Landschaften umgestalten dürften. Eine[S. 423] dritte Partei vermuthet: die Stimmenmehrheit werde bei den Urwahlen nicht entscheidend sein, sondern die Entscheidung unter den Höchstgenannten, der Nationalversammlung anheimfallen. Wer weiß denn aber, welches diese höchsten Bewerber sein und wie die Mitglieder der Nationalversammlung entscheiden werden? Überall also Ungewißheit, welche zu beseitigen Lamartine (mit Beiseitesetzung alles Verstandes und aller Thätigkeit) mit gekreuzten Armen der Vorsehung zuweiset — oder vielmehr der Dummheit und Leidenschaft.

Trotz der viertägigen Schlacht und Niederlage im Junius erheben die rothen Republikaner ihr Haupt an vielen Orten, bringen Cavaignac und der Regierung ein Pereat, und lassen Convent, Terrorismus, Assignate, Guillotine, Ledru-Rollin, Raspail und Complicen leben. — Nach Euch, sagen die Legitimisten, kommen wir: — Aussichten auf Umwälzungen ins Unendliche, — ohne Dauer, Sicherheit, Wahrheit, Glauben und Selbstverläugnung! — Daneben geht das tägliche Leben in Paris seinen Gang, aber nur scheinbar ungestört. Rom ist nicht in einem Tage erbaut, aber auch nicht zu Grunde gegangen. Andeutungen für künftige Ruinen finden sich jedoch in Paris schon in hinreichender Zahl, — und der neue Dom in Berlin wird vielleicht auch in diese sentimentale oder bejammernswerthe Reihe hin[S. 424]eingerathen. Kein Wunder, wie unter solchen Geburtswehen und Todeskämpfen die gewöhnliche Diplomatie ganz vernachlässigt wird und nichts von der Stelle rückt; obgleich Fragen, wie die über Schleswig und Italien, wichtiger sind als babylonische Reden über allerlei Verfassungskunststücke.

Man behauptet hier sehr laut, daß neue und enge Verbindungen zwischen den französischen, polnischen und deutschen Anarchisten eingetreten wären. Im Vertrauen auf die fortdauernde Schwäche und Muthlosigkeit der preußischen Regierung sollte ein Hauptschlag (besonders gegen die frankfurter Reichsversammlung) in Berlin versucht werden.

— — Friedrich’s II. Ausspruch ist in der letzten Hälfte vollkommen wahr, welche vorlauten Tadel der göttlichen Vorsehung zurückweiset; aber der Vers: dieu ne descend point jusqu’à l’individu, ist ein geringer Trost für den Leidenden und Preßhaften. Was hilft es diesem zu sagen: Gott sorgt nur dafür, daß sich die Erde binnen 24 Stunden um ihre Achse dreht, oder daß sie in Jahresfrist um die Sonne läuft; — wenn Gott sich um die Menschen nicht kümmert, die doch mehr sind, als der größte Erdenkloß. Allerdings begreife ich nicht (wie überhaupt Keiner) wie die menschliche Freiheit, Selbstbestimmung, Tugend, Sünde, Zurechnung sich mit der besondersten göttlichen Vorsehung und Allmacht verträgt; es ist aber auch gar[S. 425] nicht meine Aufgabe dies Räthsel zu lösen, dies Geheimniß zu entziffern. Mit vollkommener, genügender Gewißheit weiß ich, daß Gott mich mit Vernunft begabt hat, daß ich sie gebrauchen, Tugend üben, Laster meiden soll; — unbekümmert um theologische oder philosophische Sophismen. Der höchste Gedanke, der mir angeboren ist, oder den ich mir erwerbe, ist der eines allmächtigen, allgütigen Gottes; und wenn ich diesen Gedanken als eine Täuschung vernichten sollte, würde ich mich selbst oder das rechte Lebensprincip vernichten. Auch mag ich Gott (den Weltschöpfer, Welterhalter und Weltbeweger) nicht in eine unerreichbare Ferne hinausschieben; ich bedarf seiner zu täglichem Umgange und Verkehr; und auf diesem Wege kommt man zur Lehre von einem Mittler und von Heiligen. Auch die Vielgötterei der Griechen beruht auf dem Bedürfnisse einer harmonischen Annäherung des Göttlichen und Menschlichen, wo Dieu und l’individu in stetem, wechselseitigem Verkehre stehen. Allerdings wächst auf diesem Boden auch dummer Aberglaube; ich mag mich aber da nicht ansiedeln wo gar nichts wächst, und halte um so fester an dem Glauben an eine höhere, göttliche Leitung, als mir die der Menschen dümmer und sündhafter erscheint.

Die Verbreitung der lehrreichen Schrift Dieterici’s wird gewiß sehr heilsam wirken, und doch Man[S. 426]chen auf den rechten Weg zurückbringen. Auch hier herrscht Unwissenheit über diese Dinge, und Louis Blanc läßt sich (durch die bittersten Erfahrungen) nicht von seiner hochmüthigen Narrheit abbringen. Thiers hat eine lehrreiche Rede gegen Assignaten und Papiergeld gehalten, und der Vorschlag sich diese Pest nochmals einzuimpfen, ist Gottlob für jetzt durchgefallen.


Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.


Druckfehler.

Seite 125 Zeile 11 v. oben lies: in unseren
215 1 v. oben lies: Lorle
223 11 v. unten lies: Steifensand

Anmerkungen zur Transkription:

Der vorliegende Text wurde anhand der 1849 erschienenen Buchausgabe erstellt. Die Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert bzw. ergänzt. Französische Ausdrücke und Zitate wurden nur dann harmonisiert, bzw. korrigiert, wenn ansonsten der Wortsinn verfälscht würde. Vereinzelt wurden die Datumsangaben der Briefköpfe dem Inhaltsverzeichnis entsprechend angepasst.

Altertümliche und sonstige ungewöhnliche Schreibweisen wurden beibehalten, ebenso unterschiedliche Wortvarianten. Für Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) wurden auch deren Umschreibungen(Ae, Oe, Ue) verwendet; es wurde diesbezüglich keine Vereinheitlichung vorgenommen. Korrekturen anhand der obenstehenden Liste der Druckfehler wurden bereits in diese Version eingearbeitet. Die folgenden offensichtlichen Fehler wurden korrigiert:

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