Title: Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten
Author: Helene Böhlau
Release date: February 16, 2016 [eBook #51230]
Most recently updated: August 29, 2024
Language: German
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Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek.
Eine Auswahl der besten modernen Romane aller Völker.
Dreizehnter Jahrgang. Band 12.
Von
Helene Böhlau.
(Madame al Raschid Bey.)
Stuttgart.
Verlag von J. Engelhorn.
1897.
Alle Rechte, namentlich das Uebersetzungsrecht, vorbehalten.
Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.
Ich weiß noch so manches aus der Zeit, in der das kleine, nun längst wieder bescheidene Weimar ganz unvermutet anfing, mitten unter den tausend und abertausend europäischen Städten und Städtchen sich außerordentlich wichtig zu thun. Es mochte auch alles Recht dazu haben; denn es hatten sich in dem stillen Neste seltene Vögel eingenistet, Vögel, derengleichen vordem in Deutschland nicht gesehen worden waren, und die auch keine Jungen ihrer Art bekommen haben, so daß sie wirklich außerordentlich seltene Vögel geblieben sind, bis heutzutage.
Von dieser Zeit habe ich schon mancherlei geschrieben, und es hat den Leuten vielleicht gefallen, weil es so ruhig hinerzählt war, allem Feierlichen, Schweren aus dem Wege ging, alles Leichtlebige beim Zipfel nahm.
Ich will euch nun wieder aus den Gassen erzählen, aus den Bürgerstuben, aus den Gärten vor der Stadt, von jenen alten, gesegneten Gärten, und ich werde mich auch wieder vorsichtig, wie das erste Mal, an den großen Tieren vorbeidrücken und mich mit den Vergessenen, Verwehten abgeben.
Die werde ich aus ihren Gräbern noch einmal in ihre alte weimarische Sonne locken, von der sie so gerne sich wieder bescheinen lassen würden.
Es ist eine alte Frühlingsgeschichte, die ihr hören sollt, eine weiche, hingeschwundene Frühlingsgeschichte, in der es sproßt und keimt, in der ein lustiger, feuchter Wind weht, Nebel ziehen, in der Herzen schlagen, und in der allerlei behauptet wird, worüber man heutzutage vornehm die Achseln zucken müßte, wollte man auf der Höhe der Zeit stehen; damals aber glaubte und sprach man, was einem Vergnügen machte. So glaubte man in jenen Tagen und tuschelte es sich gegenseitig wie eine interessante Hofgeschichte zu, daß die verstorbene Hofdame der Herzogin Amalie, von der Karl August gesagt hatte: »Genie die Fülle, kann aber nichts machen!« ganz unvornehmerweise spuken gehe, und zwar in Tieffurth, im Park und im Schlößchen.
Man erzählte sich geheimnisvoll die unglaublichsten Dinge. Die bürgerliche Gesellschaft faßte die Sache ernsthaft, aber doch humoristisch auf. Sie hatte ihren Spaß daran, daß die kleine, bucklige, häßliche Dame solche Geschichten machte.
Der Adel aber zog ein sehr bedenkliches Gesicht, denn es war absolut nicht comme il faut von der Göchhausen. – Außerdem sprach die Hofgesellschaft mit einem tiefen Bedauern darüber, daß ihr so etwas »arrivieren« mußte – solch eine »Kalamität«! – Man fand, daß sich die Göchhausen noch nachträglich schwer »ridikulisierte« und unmöglich machte.
Verschiedene Personen waren ihr nachts begegnet, wie sie schimpfend und klagend die Parkwege auf und nieder gehuscht war.
Sie hatten sie ganz genau erkannt, – daran bestand kein Zweifel!
Einem weimarischen Fleischermeister, der ein Kalb von[5] Krommsdorf erst spät heimgetrieben, war sie im Park auch nachgehuscht, und er erzählte, daß sie ihm scheußlich weinerlich und wichtig gesagt habe: »Ich la–ngweil' mich so!« – Weiter nichts. Aber wie sie es gesagt hätte! Wie aus einer Flasche heraus! Der Fleischer konnte es den Mägden, die die Neuigkeit, samt dem Fleisch von dem armen Krommsdorfer Kalb, das die merkwürdige Geistererscheinung mit erlebt hatte, pfundweis nach Hause trugen, gar nicht haarsträubend genug vormachen.
Sie war, wie gesagt, allen möglichen Leuten erschienen, immer klagend, immer schimpfend und immer unzufrieden; – manchmal auch nur murmelnd und brummend; – aber wie murmelnd! – eben ganz wie eine arme Seele murmeln muß: durch die Zähne und wie aus einer Flasche. Es war überhaupt das Merkwürdige und Ueberzeugende an der Sache, daß sich die Göchhausen genau nach Vorschrift benahm, – nach Vorschrift der alten Kobold- und Geistergeschichten.
Die Weimaraner mußten immer etwas zu schwatzen haben und hatten auch gottlob immer etwas; sie waren an die merkwürdigsten Dinge gewöhnt, eine solche Fülle von gesegnetem Klatsch hatte sich seit 1775 auf das graue Rattennest niedergelassen. Seit geraumer Zeit aber schon floß diese Quelle spärlicher, und die verwöhnten Gaumen mußten mit allerhand fürlieb nehmen und thaten dies wohl oder übel.
Zu allererst tauchen aber in unsrer Geschichte ein paar lachende, blütenjunge Gesichter auf, ein paar feste, kindlich behende Körper, blonde, dicke Zöpfe, junge, weiche, noch etwas tollpatschige Hände, helle Kleider, die sich lebendig um diese jungen Körper schmiegen, die sich so jugendsicher auf leichten Füßen bewegen, so kernig, so wohlgebaut und unschuldig.
All diese schönen Dinge miteinander gestalten sich hie zu ein paar Mädchen, die in der alten Wünschengasse daheim sind.
Sie haben ihr Lebtag in der Wünschengasse gewohnt und sind mehr, als ihnen lieb ist, dort bekannt, bei Freund und Feind, Nachbar und Nachbarin.
»Die Ratsmädel« heißen sie bei alt und jung und sind die Töchter des Herrn Rat Kirsten, der, ehrsam und würdig, nie verstanden hat, weshalb gerade ihm das Schicksal diese blonden Hexen aufhalste, die ihm mehr Mühe und Kopfzerbrechen kosteten, als seine Buben. Ja, in der That, er und Frau Rat wären auch nie und nimmermehr mit dem hübschen Paare fertig geworden, wenn nicht die ganze Wünschengasse ihnen beigestanden hätte, die Rangen zu erziehen; und nicht nur die Wünschengasse fühlte sich dazu berufen, alle Freunde und Feinde haben an dem merkwürdigen Werke mitgeholfen. »Da gehen sie!« hieß es, wenn sie miteinander durch die dämmerige Gasse schlenderten. Und wer dies aussprach, schaute ihnen gewissermaßen gespannt nach.
Von Jugend auf hatten sie es verstanden, die würdige Wünschengasse in Aufregung zu erhalten.
Sehr früh war es angegangen, das Ausschauen nach den Ratsmädchen, das Schimpfen und Lachen, das Nörgeln und Hetzen, das Verhätscheln und Anraunzen. Nie, solange die Wünschengasse steht, sind aber zwei Schwestern von Kindesbeinen an trotz alledem so ungetrübt heiter gewesen wie diese zwei, so treu ihren Freunden ergeben.
Sie gehörten zu den glückseligen Menschen, die ihr Lebtag Freunde haben, – zu den Menschen, die nie einsam sind, – zu den sonnigen Kraftmenschen, die Wärme und Strahlen für andre übrig haben.
Von Jugend an waren sie stolz auf ihre Freunde, verstanden keinen Spaß, wenn irgend jemand diesen Freunden nahe treten wollte, waren ihnen dankbar, – und was die Hauptsache ist, unverbrüchlich treu. Und diese Freunde: der blondlockige, kleine, gescheite Heinrich Goullon, den sie auf[7] den weimarischen Straßen »den Pudding« nannten, seiner französischen Abstammung wegen; in den weimarischen Mäulern aber war »der Pudding« zu einem »Budang« geworden. – Und der schöne Franz Horny, der sich als Maler später einen Namen machte und in jungen Jahren in Amalfi starb; – sein Bild hängt dort in einer Kapelle, wo es von den Landleuten als ein heiliger Johannes oder Sebastian verehrt wird. – Und der dritte im Bunde: Ernst Schiller, Schillers Sohn.
Mit diesen dreien haben die Ratsmädchen sich so köstlich vergnügt, wie dies jetzt im lieben Deutschland nimmermehr geschieht.
Die Leute in unserm Zeitalter haben die schöne, heitere Urwüchsigkeit wie ein altmodisches Kleidungsstück abgelegt.
Die guten Freunde sind oftmals miteinander ausgegangen und haben sich oben im Ettersberg, im alten Gutshofe von Röses Paten Sperber, einquartiert. Sie sind ins Wasser gefallen, haben miteinander getanzt, wenn es ihnen paßte; sie haben getollt und gelacht, sie sind Schlitten gefahren, sie haben Räuber und Prinzeß in den Gassen gespielt, sie haben »Budang« als Mädchen verkleidet und sind mit ihm spazieren gegangen. Und die beiden schönen Mädchen sind recht eigentlich von den etwas älteren Kameraden erzogen und in die Lehre genommen worden, haben ihnen ihre Schularbeiten vorweisen müssen und sind von ihnen belobt und gestraft worden, wie das alles ausführlich schon einmal erzählt worden ist. Herr und Frau Rat wären ohne die Kameraden nie mit der Erziehung ihrer beiden Schelme zu Ende gekommen.
Ein feuchter Frühlingssturm fährt heut durch die Wünschengasse. Zerrissene dunkle Wolken jagen über den Himmel, und in die Dämmerung dröhnt die große Glocke im Schloßturm. Der Sturmwind fährt in das mächtige Geläute; er reißt die großen, vollen Töne wie Wolken auseinander und[8] nimmt diese Riesentöne mit sich fort, zerstreut sie, läßt sie hie und da aufdröhnen und plötzlich verhallen.
Die Glocke läutet die Osternacht ein.
Es ist ein wunderbares Getöse, erschütternd, wie überirdisch; so voll, so rein, so tief wie die tiefste Menschenwonne und das tiefste Menschenleid.
Die alte Glocke, die sie im dreißigjährigen Kriege, weiß Gott wo, erbeutet haben, ist das lebendige Herz des Städtchens Weimar geworden. Ein jeder versteht dies Herz da oben im grünen Turm. Es dröhnt mächtig aus, was die andern Eintagsherzen fühlen. Es erschüttert sie, es erweckt sie, es reißt sie im Gefühle mit sich fort, wie von jeher ein großes, mächtiges Herz die kleinen mit sich gerissen hat. –
Die Ratsmädel, Röse und Marie, schauen zum Fenster hinaus.
»Hörst du?« sagt Marie.
Sie sind bisher immer, wenn die große Glocke geläutet wurde, zum Schloß hinunter gelaufen und haben hinauf nach der grünen Turmspitze gesehen, die von der Wucht der Glockenschläge langsam, aber deutlich hin und her schwankte; oder sie haben das Ohr an die alte Turmmauer gehalten, und das Dröhnen ist ihnen schauervoll durch den Körper gezittert; oder die Kameraden nahmen sie bis hinauf in den Glockenstuhl, und sie haben da, schwankend und schwindelnd und ganz betäubt von den ungeheuren Schlägen, die den Turm zu zersprengen drohten, sich aneinander geklammert und an den riesigen Balken festgehalten.
Heute schauen sie aber, wie gesagt, nur gedankenvoll zum Fenster hinaus.
Es ist, als läge irgend etwas auf ihnen.
Röse hat auf das »Hörst du?« von Marie nicht einmal geantwortet.
Sie stecken beide feierlich in weißen Kleidern und tragen grüne Schärpen.
Grüne Schärpen sind für sie noch immer der Inbegriff von aller Schönheit und Eleganz.
»Röse! Marie! Schließt das Fenster! Gleich! – Was fällt euch ein! – Der Wind!« So ruft Frau Rat, die Mutter der Ratsmädchen, die eben ins Zimmer tritt.
Eine rührende Zartheit liegt über der schlanken Gestalt. Der Haushalt mit den wilden Mädchen und Buben, die Kriegsjahre, der überernste Gatte, die Geldsorgen, – das alles ist der fein organisierten Frau zu viel geworden.
Um sie her wachsen die Kinder urkräftig in die Höhe; sie aber hat etwas Müdes, Insichgekehrtes, als wenn sie nur bei sich selbst fände, was sie sucht.
Die beiden Mädchen schließen das Fenster, und das Glockengeläut dringt nur noch dumpf ins Zimmer.
Der Wind heult im Schornstein. Frau Rat zündet die Lichter an.
Das große Familienzimmer macht heute ein feierliches Gesicht.
Der runde Eßtisch ist blendendweiß gedeckt; statt des einen Talglichtes brennen zwei Wachskerzen auf einem Leuchter unter einem grünseidenen, ovalen Schirm.
»Oho,« sagt Marie, »den nimmst du?«
»Was denn sonst, Schatz? – Habt ihr euch die Hände gewaschen?«
»Jawohl, mit Schmierseife!« antwortet Röse.
»Röse, mein Kind!« Frau Rat ist heute bewegt und streicht ihr übers Haar. – »Gutes Kind!«
Röse ist von dieser Freundlichkeit so sonderbar berührt, daß sie ihrer Mutter um den Hals fällt und in Thränen ausbricht.
»Ruhig, ruhig!«
Der Vater tritt ein, mustert alles und sagt: »Ist Senf auf dem Tisch?«
Senf war eben das Neueste.
Und es ist Senf auf dem Tisch, es ist überhaupt alles[10] in schönster Ordnung; er findet nichts zu tadeln und geht feierlich im Zimmer auf und ab.
»Charmante Leute!« bemerkt er und wiederholt es noch einmal: »Charmante Leute!«
Niemand stört den Vater. Er liebt das »Anreden« nicht. Man hat zu warten, bis er fragt.
»Du könntest der Thon, dächt' ich, noch eine kleine Aufmerksamkeit erweisen,« wendet er sich zu seiner Frau.
»Ja was denn?« fragt diese. »Wie meinst du denn?«
»Ich dachte so etwa … etwa …«
Er schien sich über das, was er eine »kleine Aufmerksamkeit« nannte, nicht recht klar zu sein.
»Weißt du, Kirsten, ich dächte, wir erwiesen ihr schon eine recht große!« Das sagt sie leise und schaut mit einem Seitenblick auf die Mädchen.
Röse lehnt am Nähtisch, müßig den Fingerhut der Mutter auf der Platte tanzen lassend. Marie sieht ihr gespannt zu.
»Ist das eine Art, den Bräutigam zu erwarten?«
Herr Rat meint das ernst und rügend aus seiner hohen Halsbinde heraus, im Hintergrunde des großen Zimmers, zu seiner Frau.
»Bst!« macht Frau Rat. – »Mein Gott, so jung sollte sie nicht sein. So ein armes Ding!«
»I was!« sagt Herr Rat. – »Papperlapapp! Warst du etwa älter?«
Frau Rat lächelt schmerzlich. Alle Papperlapapps ihres Lebens zogen an ihrer Seele vorüber. – Sie lächelt, – alle heißen Thränen, alles Sehnen, alles Verstummen hatte sich bei ihr zu einem müden Lächeln herabgemildert, – oder in ein Lächeln zusammengefaßt, – wie man will.
Apothekers kamen.
Frau Apotheker in der schönsten Haube. Des Gatten rundes Bäuchlein war mit »selber gestickter« Seide überspannt[11] und glänzte wie ein heiteres Gestirn. Er kniff Röse in die Wange und war vortrefflich gelaunt.
Marie tuschelte Röse etwas zu, indem sie vorsichtig nach den Fenstern des gegenüberliegenden Hauses sah; da zeigte sich eben eine Dame in vollem Putz, in weißer Haube mit blauen Bändern und im weißen Kleide. Sie öffnete das Fenster und hakte die Fensterflügel ein, damit der Wind, der durch die Gasse fegte, es nicht wieder zuwerfen könnte.
»Jetzt kommen sie!« flüsterte Marie. Und es währte nicht lange, da empfing man bei Kirstens wieder Gäste: Frau Geheimderat Thon und deren Sohn Ottokar Thon, Adjutanten des Großherzogs Karl August.
Frau Geheimderat Thon begrüßte sich lebhaft mit den Eltern Kirsten, küßte dann zuerst Röse auf die Stirn, dann Marie.
Sie war die Dame, die aus dem Fenster geschaut hatte. Das weiße Kleid umschloß in langen Falten eine volle, stolze Gestalt. Das schöne Busentuch war aus kostbaren gelblichen Spitzen, und eine breite, hohe Haube mit himmelblauen Bändern beschattete ein energisches, wohlkonserviertes Gesicht.
Ottokar Thon reichte Röse die Hand und führte ihre rundliche Kinderhand dann an die Lippen.
Röse war befangen und schweigsam. Auf ihrem frischen Gesichte aber lag eine große, stille Wonne. Sie ließ indessen ihrer Schwester Hand nicht los, bis man sich zu Tische setzte.
Noch war das große Wort nicht gesprochen; aber sie ahnte, sie wußte alles! Ottokar Thon war erregt; er sprach mit ihr, als spräche er zu einem lebendigen Heiligtume, – so etwas scheu, – und doch … – Rösen überschauerte es.
Wie er schön und stolz in seiner schwarzen, verschnürten Uniform aussah!
Von dem Augenblick an, als sie ihn zuerst gesehen, war ihre Seele ganz erfüllt von seinen guten Eigenschaften, seiner[12] Gescheitheit und seiner Tapferkeit; er war Lützowscher Jäger gewesen, und sie hatte auch gehört, wie er sich in Wien ausgezeichnet.
Die Schopenhauerin erzählte, daß Karl August ihn unbändig gelobt habe, und daß Karl August eine Schrift über die Zukunft Deutschlands von ihm kenne, von wahrer staatsmännischer Bedeutung.
»Solch ein Mensch will mich!«
Das waren Röses Jubelgedanken. –
Röse saß bei Tisch neben dem lieben, herrlichen Menschen und hörte zu, wie alle sprachen.
Es war ihr so feierlich und still zu Mute. Und sie mußte träumerisch an einen Vogel denken, der in seinem Nest auf schwankem, grünem Zweige sitzt, das von einem weichen Winde hin und her geweht wird. Die Sonne glitzert durch die dichten Blätter, und schafft so ein wohliges, grünes Licht um ihn her. Kein Auge sieht ihn; er ist sich selbst genug. Sie fühlt eine Seligkeit, die ihr noch fremd und neu ist; deshalb macht sie sich unbewußt ein Bild von dieser großen, stillen Wonne, ein kindisches, süßes Bild.
Und es waren nicht nur die Gefühle festlich und heiter; nein, alles und jedes! Zu allererst die Suppe. Eine echte Festsuppe: Grünkern mit Kerbelrübchen. Das war Frau Rats Meisterwerk. Die Kerbelrübchen, wie Mandeln so fein und klein, zergingen auf der Zunge, und die Suppe duftete wie ein blühendes Aehrenfeld. Ganz sommerlich duftete es aus der Terrine und verbreitete sich im Familienzimmer. Warmer Sonnenschein, Lerchengesang vom blauen Himmel, der echte köstliche Kornduft, ein sanfter Wind, der über die Aehrenhäupter streicht, – Erdgeruch! Das alles kam, als der Deckel von der Suppenschüssel gehoben wurde, den Gästen bewußt oder unbewußt in Erinnerung.
Das war die Eigentümlichkeit dieser Suppe!
Frau Rat hatte den Mädchen gesagt: »Die Suppe muß[13] sein wie eine Musik oder wie ein Gedicht, die Leute sollen fröhlich davon werden.«
Ja, es war eine feierliche Suppe!
Draußen wirtschaftete der Sturm gewaltig. Die Fensterscheiben klirrten, und im Schornstein heulte und jammerte er.
Nach der Suppe gab es einen Karpfen, – einen Spiegelkarpfen mit großen, goldenen Schildern und Flecken, den besten Karpfen, den der Hoffischer gehabt hatte, einen Riesen! Röse und Marie hatten natürlich mitgeholfen, ihn aus dem Behälter herauszufischen, in dessen klarem Ilmwasser die festen Karpfenburschen sich im dichten, goldig flimmernden Gewimmel durcheinander drängten, und den allerherrlichsten hatten sie also erwischt.
Er war so schön, so unaussprechlich schön in seiner Strammheit, seiner Schlüpfrigkeit und in seinem Goldglanze gewesen.
Der Hoffischer hatte ihn selbst geschlachtet, hatte ihm den Kopf auf den festen Tisch geschlagen, dessen Füße im Rasen neben den Fischbehältern eingerammt waren, und der über und über von Fischschuppen flimmerte. Dann hatte er den Fisch in zwei Hälften geteilt und den Ratsmädchen in den Korb gepackt und ihnen die Fischblase extra verehrt. Marie war darauf getreten, um sie zerplatzen zu lassen; es hatte auch wie ein Schuß geknallt. Das war ein althergebrachter Spaß gewesen.
Als der Karpfen auf den Tisch im Familienzimmer kam, blau gesotten mit geriebenem Meerrettich, und ganz in Petersilie ruhend, da rief der Apotheker: »Donnerwetter, ist das ein Prachtkerl! Ist das ein einziger gewesen?«
Diese beiden Dinge, die Suppe und der Karpfen, waren aber nur die Vorläufer vom Propheten.
Die Gäste waren nicht zum Karpfenessen geladen, sondern zu einem wirklichen und wahrhaftigen Fasanenschmaus.
Die Fasanen hatte der junge Adjutant Thon von einer Hofjagd mitgebracht, denn er war ein großer Jäger vor dem[14] Herrn, und hatte sie Frau Rat Kirsten in die Küche geliefert, und nun sollten sie feierlich gemeinschaftlich verzehrt werden.
Als die Magd diese seltenen Geschöpfe hereinbrachte, waren alle erstaunt, auch der Herr Rat, daß diese merkwürdigen, nußbraun gebratenen Tiere silberne Füße und silberne Köpfe hatten.
»Ja,« rief der Apotheker, »Herr Adjutant, alle Achtung vor eurer Fasanenjagd! Das nenn' ich mir Silberfasanen! Silberne Köpfe und silberne Füße!«
Röse und Marie kniffen sich gegenseitig in die Finger und waren glückselig über das Erstaunen, und daß ihr Vater auch nichts davon gewußt hatte.
Die Schopenhauerin hatte Frau Rat, als sie von dem Geschenk gehört hatte, diesen herrlichen Ausputz für gebratene Vögel aus ihrem Silberschrank geliehen.
Dazu brachte Herr Rat auch eine Ueberraschung: zwei Flaschen alten Steinwein in Bocksbeuteln. Diese beiden Flaschen hatte er in dem Franzosenjahr vor den gierigen Langfingern versteckt. Er hatte sie im kleinen, dunklen Höfchen unter dem Regenfaß vergraben und, als die Luft wieder rein war, wieder hervorgeholt, und seitdem lagerten sie in einer Mauernische, hoch oben in Rat Kirstens Keller, ganz von Staub und Spinnweben bedeckt; und in solchem Zustande setzte er sie, als die Vögel mit den silbernen Füßen kamen, zum Entsetzen seiner Frau stolz auf den Tisch.
»Aber Kirsten!« sagte diese gekränkt.
»Papperlapapp!« – Herr Rat war schon dabei, eine zu entkorken. – »Gehört sich's nicht etwa so?«
Und der Apotheker unterrichtete Frau Rat Kirsten, daß ein alter, seltener Wein in so staubigen und schimmeligen Flaschen auf den Tisch kommen müsse; das sei für den Kenner das Feinste.
Die Fasanen hatten einen stattlichen Hofstaat von Salaten, Kompotts und Beilagen aller Art.
»Na, und wie steht's denn mit dem Fuchs, den Sie verspürt haben wollen?« fragte der Apotheker den jungen Thon. »Das wäre heute so eine Nacht für die Bestie, um den Fasanen im Webicht einen Besuch zu machen!«
»Freilich, freilich, das wird er wohl auch vorhaben!« antwortete der Adjutant lebhaft.
»Seinen Bau hat der freche Bursche übrigens an der Ilm an dem Abhang zwischen Krommsdorf und Tieffurth – so eigentlich mitten im Tieffurther Park. Verspürt ist er nun, der Lump … aber …!«
»Ja – aber!« lachte der Apotheker und stieß mit dem Adjutanten auf den Fuchs an.
Marie zupfte Röse am Kleid.
Röse saß zwischen Marie und Ottokar Thon.
»Röse,« tuschelte Marie besorgt, – »sie werden doch nicht gar zu lange bleiben?« –
Röse fuhr wie aus einem Traum auf.
»Was?« fragte sie.
»Na, wenn unsre Drei nun kämen?«
»Die kommen doch nicht eher, als bis alle hier fort sind; die werden unten schon lauern, bis der letzte hinaus ist!« flüsterte Röse.
Jetzt erhob sich Herr Rat Kirsten und ließ seinen lieben, verehrten Gast, die Frau Geheimderat Thon, hoch leben und bedauerte, daß sie Weimar so bald wieder verlassen müsse.
Die Dame war nur auf kurze Zeit aus Eisenach gekommen, um ihren Sohn zu besuchen.
Darauf erhob sich Frau Geheimderat, schlug mit dem Kompottlöffelchen an ihr Weinglas und dankte sehr wohlgesetzt und stattlich.
Es war ein wohlthuender Anblick, diese kräftige, hochgewachsene Frau in ihrem weißen Kleid so frei und vornehm stehen zu sehen.
Sie sprach davon, wie beruhigt und glücklich sie ihren[16] Sohn diesmal verlasse, wie beruhigend seine Zukunft, soweit menschliches Berechnen nicht trüge, vor ihren Augen läge, – und für diese Beruhigung, diese frohe Aussicht danke sie dem gütigen Elternpaare im Namen ihres Gatten.
Sie hob ihr Glas und stieß mit Herrn Rat und Frau Rat an, dann mit Apothekers, und mit Röse ganz besonders.
»Gott segne dich, mein liebes Kind!« sagte sie.
Ihr Sohn trat auf sie zu und küßte ihr die Hand; darauf küßte er Röses Hand wieder tief bewegt.
Frau Rat traten Thränen in die Augen. »Du wilder Schlingel!« flüsterte sie Röse zu.
Aber ausgesprochen wurde das große Wort nicht. Das war auf Vater Kirstens Befehl hin so eingerichtet.
Die jungen Leute sollten noch mit der Heirat warten, und er wollte in seinem Hause Ruhe haben, und vorderhand keinen »Verlobungstrafik«, wie er sich ausdrückte. Das Geküß und Gethu sollte möglichst eingeschränkt werden.
Das fehlte ihm jetzt: auf Schritt und Tritt über ein verliebtes Paar zu stolpern!
Er war Herr im Hause, damit basta!
Der Apotheker erstickte fast an einer Rede, und die Apothekerin mußte ihren Mann zweimal am Rockschoß zupfen, als sie bemerkte, daß ihm der schönste gewürzte Verlobungstrinkspruch auf der Lippe saß.
Einmal hatte er sich schon erhoben; da war aber der Wind mit solcher Gewalt gegen die Scheiben gefahren und hatte an den wackeligen, alten Fenstern gerüttelt, daß der Apotheker ordentlich zusammengefahren und wieder zur Besinnung gekommen war. Ihm war Wind greulich zuwider.
Röse vermißte das Aussprechen des großen Wortes durchaus nicht. Es war gut so. Sie wünschte sich's nicht anders. Nichts schreckte sie aus ihrem süßen Traume auf. Sie fühlte sich so unaussprechlich glücklich! Und es war[17] nichts Beängstigendes bei diesem Glück. Zugleich erschien es ihr aber auch noch fremd. Sie mußte sich erst daran gewöhnen.
Ja, wie es ihr Vater eingerichtet hatte, so war es gut!
Sie kannte auch Onkel Apothekers Verlobungs- und Hochzeitssprüchlein und gab ihrem Vater, als sie mit ihm anstieß, extra einen Kuß dafür, daß der in der schön gestickten, seidenen Weste nicht reden durfte.
Der junge Adjutant Thon sah das wundervolle, blonde, kindliche Geschöpf vor sich, wie es so süß träumte. Und sie gehörte ihm, war sein eigen, sie war ihm versprochen!
Er war wie verdurstet, wie verschmachtet. Ein Kuß auf diese junge Wange, auf den kecken, rätselhaft schweigenden Mund schien ihm Erlösung, – das seidenweiche Haar zu streicheln Erquickung!
Und daß sie an seiner Seite so bräutlich verschämt schwieg, erschütterte ihn.
Er empfand ihre junge Liebe wie den Duft einer Blume. Ein berauschender Duft! –
Marie flüsterte Rösen ins Ohr: »Du, Röse, sie wird doch heut auch wirklich spuken?«
»Wer?« fragte Röse.
»Ach geh!«
»Wenn das so werden soll, wenn du ewig nur vor dich hin gucken willst! – Na dann –!« Marie sprach sich nicht weiter aus, schien aber entrüstet zu sein.
»Jesses,« flüsterte Röse, »wenn ich nicht gleich aufpaß! Mich freut's grad so wie dich, wenn sie spukt; vielleicht noch mehr!«
Der noch nicht offizielle Bräutigam hörte die beiden zankend miteinander tuscheln.
»Ich denke, die Demoisellen sind immer ein Herz und eine Seele?«
»Sind wir auch!« sagte Röse.
Er lächelte und sprach eifrig mit seiner jungen, zukünftigen[18] Braut; etwas würdig, wie er es mit jedem jungen Mädchen that, aber jedes Wort bebte und zitterte und war beladen mit allem möglichen, und die Blicke beider hingen aneinander, – forschend, ergründend und scheu den Anblick genießend.
Draußen fauchte in langen Zügen unvermindert der Wind und trug jetzt, wie es schien, einen merkwürdig hellen, rhythmischen Pfiff auf seinen Flügeln.
Röse, die eben im lebhaftesten Gespräche mit ihrem Anbeter war, spitzte die Ohren, erhob sich wie im Traume, ging dem Fenster zu, blieb aber zögernd, wie unverrichteter Sache stehen und begab sich wieder auf ihren Platz.
Der junge Thon beobachtete sie.
»Schaf!« flüsterte Marie ihr zu. »Wenn sie's merken, lassen sie uns bei dem Wetter nicht fort!«
Es war etwas übermütig Glückseliges in Röses Gesicht gekommen.
Die Ratsmädel kniffen sich gegenseitig versteckt in die Arme.
Frau Rat aber hatte auch den Pfiff gehört und dachte bei sich: »Das war ja Budangs Pfiff; was lauert denn der?«
Jetzt schellte es unten.
Das sind sie! dachten Röse und Marie gleichzeitig erschreckt und sprangen beide auf, um die Hausthür zu öffnen. Was ihnen denn nur einfiele! Waren sie denn des Kuckucks!
Sie trafen aber ganz etwas andres, als sie vermuteten.
Die Schopenhauerin schickte als Dessert nach dem Fasanenschmaus für Röse ein weißsamtenes Ridikül mit Perlenstickerei und mit einem Veilchenbouquet daran gebunden, etwas unsagbar Schönes, Bräutliches. Sie hatte jedenfalls nicht anders gedacht, als daß die Verlobung doch bei einem Gläschen Wein trotz alledem feierlich abgesprochen worden sei.
Röse und Marie wußten nicht recht, was sie damit beginnen sollten; sie beratschlagten und hielten sich deshalb[19] ziemlich lange auf der Treppe auf. Marie kam auf den schlauen Gedanken, das wundervolle Ding mitsamt den Veilchen in ihr Schnupftuch zu wickeln; so wollten sie es aufheben, bis die Gäste fort wären, denn beide fürchteten, es möchte dem Vater nicht recht sein, wenn sie das Verlobungsgeschenk der Schopenhauerin jetzt mit hereinbrächten. Und es geschah so, wie sie sich vorgenommen.
»Was war denn?« fragte Frau Rat ernst, als die Mädchen wieder eintraten.
Röse errötete und flüsterte ihrer Mutter etwas ins Ohr.
Der junge Thon fand, daß die beiden Mädchen seit einiger Zeit von einer merkwürdigen Unruhe befallen waren. Es war ihm, als müsse er mit Röse ein feierliches, großes Wort reden.
Eine bange Unruhe überfiel ihn. Liebte sie ihn auch wirklich? War er ihrer sicher?
Die beiden Mädchen hielten sich, während sie ganz vernünftig und liebenswürdig sprachen, unter dem Tisch an den Händen fest.
»Heut wär' eine schöne Nacht für meinen Fuchs!« dachte der junge Thon mitten in seinem Herzensrausch. Er hat bereits gestern die halbe Nacht platt auf dem Bauche vergeblich vor dem Fuchsbau gelegen und sieht sich schon, wie er an der nur ihm bekannten Stelle abermals auf den Fuchs paßt. Er hört im Geiste die knospenden Bäume über sich rauschen, fühlt wohlthätig den kühlenden, weichen Sturm. Und das Lauern, das scharfe Hinhorchen, – das Spannen, – die Naturlaute, die nachts hie und da geheimnisvoll auftauchen, – da wird's ihm wohl werden!
Die Gäste empfehlen sich zur Bürgerstunde. Alle machen Frau Rat Kirsten Komplimente über das splendide Gastmahl, und Frau Geheimderat Thon drückt Röse mütterlich zärtlich an sich und flüstert ihr etwas ins Ohr. Röse errötet[20] tief und küßt ein wenig zaghaft und verlegen die Hand ihrer künftigen Frau Schwiegermutter.
Und wieder ist sie durchschauert von etwas Ungeahntem, Unbekanntem, als Ottokar Thon ihr zum Abschied die Hand drückt, so erregt und bewegt, als wäre dieser einfache Händedruck eine heilige Handlung.
Als alle fort waren, fällt sie ihrer Mutter in die Arme und küßt sie und lacht, und dabei glänzen ihr die Thränen in den Augen.
Die Mädchen müssen noch mit aufräumen, alles an Ort und Stelle bringen; sie sind zu diesem Behuf aus ihren weißen Kleidern in die grauen Ginghamalltagskleider geschlüpft und wirtschaften mit wahrem Feuer und so ordentlich und vernünftig, daß Frau Rat ihre Freude hat und bei sich denkt: »Was für ein paar flinke Mädchen sind sie doch, pflichttreu und brav!«
»Jesses, Röse,« flüstert Marie, »mach zu! Wenn du so trödelst, wann denkst du denn, daß wir fortkommen?«
»Erst müssen doch alle im Bett sein,« sagt Röse bang, »was hilft's denn sonst? – Poltere doch nicht so!« Marie ging darauf hin auf den Fußspitzen.
Drüben bei Thons war schon alles dunkel.
»Ach Gott!« brummte Marie, »weshalb dauert's denn bei uns so lang?«
Die Magd schlürfte noch draußen herum; der Vater sah nach diesem und jenem; die Mutter schloß das gespülte und geputzte Silberzeug in den Schrank.
Röse beguckte sich noch einmal nachdenklich die silbernen Füße und Hälse der Fasanen.
Nach und nach zog aber auch in das Kirstensche Haus Dunkelheit und Nachtruhe ein.
Die beiden Mädchen waren hinauf in die Kammer geschickt; die Magd, Vater und Mutter, jedes war schlafen gegangen, und keine Maus rührte sich.
Es schlug elf Uhr. – Da war es, als wenn auf der dunklen Treppe sich vorsichtig etwas bewege. Es knarrte eine Stufe; es huschte und schlich etwas. Zwei Stimmen wisperten vorsichtig. »Ach Gott im Himmel,« sagte Röse tief erregt, dicht am Ohr Maries, »mir ist's ordentlich angst, – so was haben wir noch nie gethan! Glaubst du, daß der Vater bös sein würde?«
»Röse,« erwiderte Marie mit Herzklopfen und verhaltenem Atem, »jetzt ist's zu spät! – Mach nur leise, – du trampelst ja!«
»Na,« murrte Röse, »wenn das Trampeln is! Gar nich!« Aber da krachte die alte Stufe so entsetzlich. Den beiden kam es wie ein Kanonenschuß vor. – Sie standen ganz starr und hatten nicht den Mut, sich wieder zu regen. – »Ach Gott!« klagte Marie.
Dann aber schlichen sie langsam und vorsichtig weiter.
»Ich höre da draußen wen,« brummte Herr Rat in seinen Kissen.
Frau Rat war schon am Einschlafen und entgegnete undeutlich: »Der Wind; auch wohl die Katze.«
Das leuchtete Herrn Rat ein, denn der Wind rasselte draußen an den Dachrinnen, klirrte mit den Fensterscheiben, sang und jodelte in den Schornsteinen. Es war eine wilde, stürmische Osternacht. Zerrissene Wolken fuhren über den Himmel.
Unten an der Hausthür fingerten jetzt ein paar ängstliche, zitternde Händchen vorsichtig, um den großen Hausthürschlüssel geräuschlos ins Schlüsselloch zu stecken.
Röse und Marie hatten diesen Schlüssel, pochenden Herzens, aus der Mutter Speisekammer stibitzt.
Nun standen sie draußen, im Sturm aufatmend, und schauten mit ängstlichem Blicke nach dem Fenster oben. Sie seufzten beide tief, denn es war ihnen nicht geheuer zu Mute. Sie hätten's nicht thun sollen! So heimlich fortzuschleichen[22] war das Rechte nicht, das fühlten sie. Und sie dachten beide mit einem Gefühl bangen Seelendruckes an Frau Geheimderat Thon, vor der sie den denkbar größten Respekt hatten. Was die wohl dazu meinen würde?
»Donnerstag!« rief Röse, »ist das ein Wetter! – Himmlisch!«
Sie faßten sich an den Händen und ließen sich von dem Winde treiben. »Glaubst du wirklich, daß es was gibt, wenn sie's oben merken?« fragte Röse.
Marie antwortete nicht. Der Wind hatte ihren wollenen Longshawl gefaßt und sich darin verfangen.
»Weißt du,« sagte sie nach einer Weile, »ich glaub' schon. Aber wenn alles gut ausgeht, und wir haben sie wirklich gesehen, und wir sagen's, dann – dann …«
Der Wind nahm ihr den Atem.
Sie wollten nicht quer über den Markt laufen, sondern lieber gedeckt, wie die Diebe an den Häusern hin; und so eilten sie Hand in Hand vorwärts. Ihre engen Kleiderröcke flatterten wild im Westwinde; die Stirnlöckchen, selbst die schweren hängenden Zöpfe wehten und peitschten um sie her. »Diese Scheusäler!« brummte Röse, als ihr Maries Zopf übers Gesicht gefahren war.
Jetzt mußten sie am »Elefanten« vorbei. Aus der Gaststube schimmerte Licht in die Dunkelheit; es trat jemand aus der hellerleuchteten Thorfahrt. Röse und Marie drückten sich atemlos, erschreckt in den Schatten an die Mauer. Dann liefen sie weiter, mit halb zugekniffenen Augen, weil der Sturm Sand und Staub aufrührte.
Das Wolkengeschiebe riß auseinander, und der Vollmond schaute auf einen Augenblick ungeheuer glänzend, als wäre er von den Wolken eben erst wieder blank gewischt worden, auf die dunkle, windgepeitschte Erde hinab.
»Gucke, der Mond!« bemerkte Röse im Rennen.
Als sie am Schlosse vorbei zur Burgmühle kamen und[23] die Ilm nächtlich an ihnen vorbeirauschte, blieben sie stehen und lauschten ins Dunkel hinaus.
Ihre Herzen hämmerten, ihre Wangen glühten; der Sturm hatte sie wie ein paar Rosenbüsche zerzaust.
»Die andern werden in der Fähre stecken,« flüsterte Marie, »wenn sie uns nur nicht erschrecken!«
Ja, sie fürchteten sich sehr! Das grelle, plötzlich hervorbrechende und wieder verschwindende Mondlicht, die schweren, schwarzen Wolken, der Sturm, der in den hohen Bäumen sauste, und dazwischen die unheimliche Stille, ohne menschlichen Laut, nur von entferntem Hundegebell unterbrochen, das Kreischen der uralten, verrosteten Wetterfahne auf der Mühle, – alles bedrückte sie!
Röse versuchte einen kleinen rhythmischen Pfiff, dem ähnlich, den der Wind vorhin durch die Wünschengasse getragen hatte; aber er kam so zaghaft zu stande, daß er wie ein Hauch verflog.
»Bis hierher wird sie doch nicht kommen?« fragte Marie kaum hörbar.
»Ach gar!« wehrte Röse mit geheucheltem Mute, und beide schmiegten sich fest aneinander.
»Sie sitzen gewiß in der Fähre und schaukeln sich,« meinte Marie. »Wir müssen ein bißchen näher. Ob der Müller ihnen wohl die Fähre los gemacht hat?«
Sie gingen vorwärts, aber sehr, sehr langsam.
»Wie die Ilm rauscht!« sagte Marie.
Jetzt pfiffen sie beide. Budang würde erklärt haben: »Scheußlich falsch.«
»Oho!« hörten sie laut rufen.
Und es kam wirklich aus der Fähre. Es dauerte nur ein paar Augenblicke, da standen ihre drei Freunde Budang, Horny und Ernst Schiller vor ihnen.
»Trödelbüchsen!« rief Budang.
»Gottlob, daß ihr da seid!« sagte Marie aufatmend.
Horny und Budang halfen den Mädchen auf die dunkle Fähre. Das Ilmwasser rauschte und gluckste um die groben Bretter und schien eine eisige Kälte zu verbreiten.
Budang und Ernst Schiller stießen vom Ufer, die Fähre zwischen den geteerten Tauen lenkend. Die vier Räder, woran die schweren Taue liefen, schnurrten; der Wind klappte und rasselte damit. Röse und Marie saßen aneinander gedrängt. Wie dünkte ihnen ihre alte gute Fähre heute sonderbar und bedrohlich, einem Riesenungetüm ähnelnd, dem man nicht trauen durfte. Wie sie über das klatschende Wasser schlich, wie sie schwankte, ruckte und zuckte! Der Sturm erschwerte die Ueberfahrt außerordentlich.
»Wie schaurig die Ilm sein kann!« wisperte Röse wieder, – »so schwarz!«
Budang rief: »Na, ihr fürchtet euch wohl?«
Keine Antwort.
Die jungen Burschen lachten nur kurz auf, denn sie waren gerade dabei, die Fähre am andern Ufer anzulegen, und mußten aufpassen.
Beim Aussteigen waren die Ratsmädchen noch immer schwer und bang gestimmt. Alle miteinander schritten in einer Reihe den aufwärts führenden Weg hinan. Den breit ausladenden Westwind hatten sie jetzt in der Seite. Man konnte sich ordentlich dagegen stemmen. Der Mond war einmal wieder hinter den Wolken verschwunden, die Dunkelheit pechschwarz.
Röse fragte Budang zaghaft bittend: »Einhäkeln?«
»Ja, aber so schwer mußt du dich nicht wieder machen!«
»Budang,« kam es schüchtern von Röses Lippen, »in der Osternacht da stehen die Toten aus ihren Gräbern auf.«
Marie, die sich an Röse hielt, fuhr zusammen.
»Nu ja,« meinte Budang kaltblütig, »deshalb gerade, denke ich, gehen wir doch!«
Tiefe Stille.
Marie ergänzte Röses Wissen: »Und die Tiere sprechen miteinander und die Sonne tanzt, wenn sie aufgeht!« Es durchrieselte sie selbst bei ihren Worten.
»Ach Budang,« begann Röse wieder, »es gibt so fürchterliche Dinge! Am Tage denkt man nicht daran, aber nachts, da sieht alles so wie in einer alten schrecklichen Geschichte aus. Weißt du von dem Fährmann, der die Toten über ein großes schwarzes Wasser setzte; – so wie wir vorhin, fuhren sie von allem fort, was sie kennen und was sie lieb haben. – So hat es gewiß gerauscht, – und so kalt wird's gewesen sein, und die Taue haben so geklappt, und die Räder geschnurrt; und alles pechschwarz, Sturm, nie wieder Sonnenschein! – Und da haben sie auch so auf der Bank gesessen und sich gefürchtet, – und sind auf Nimmerwiedersehen fortgefahren! – Budang, wie mir die Göchhausen leid thut! – Glaubst du denn wirklich, daß sie kommt? – Und wie ist's denn nur, daß sie gerade kommt, und die andern nicht? – – Ach, Budang, wer so was wissen könnte! Ob sie wohl recht unglücklich ist?«
Marie bemerkte zu Ernst Schiller: »Und daß sie wie aus einer Flasche spricht, – so fiept, – das ist gräßlich!«
Sie gingen jetzt durch die breite Allee von Kastanien, alle Hand in Hand.
Der Wind schlug die Zweige mit den dicken, glänzenden Blätterknospen aneinander; es klappte und sauste, und über die kahlen Felder kam es unheimlich angebraust.
Röse wisperte: »Kahle Bäume sind die Gerippe, und die Blätter werden erst das Fleisch daran.« Dabei hielt sie sich an Budang fest vor Grauen. Und Marie flüsterte bebend: »Pfui Röse!«
»Jetzt haben wir's,« sagte Budang, »jetzt fürchten die sich!«
Aber sonderbar, sie gingen alle etwas aneinander gedrängt; ganz geheuer war es keinem von der Gesellschaft zu Mute.
»Ich weiß noch gar nicht, wie das werden wird, wenn sie wirklich kommen sollte! Was machen wir denn da mit Röse und Marie –?« meinte Ernst Schiller.
Röse ließ ihn nicht aussprechen: »Da sei du nur ohne Sorge, wenn es darauf ankommt, fürchte ich mich gar nicht! – Ich rede sie an!«
»Oho,« rief Budang, »ihr wißt, daß ihr nicht prahlen sollt!«
»Budang,« zürnte Röse, »das geht jetzt nicht mehr, so darfst du uns nicht behandeln! – Weißt du, wir sind so gut wie verlobte Mädchen!«
»Jawohl,« antwortete Budang halb ironisch, halb ärgerlich, »laß die dummen Witze!«
Röse fuhr empört auf. »Nein, jetzt glaubt er's nicht! – Haben wir je gelogen?«
Die ganze Karawane stockte mit einem Ruck. Sie standen alle zusammengedrängt wie in einem Nest, und der Wind schnob um sie her und trieb sie noch näher zu einander.
»Beide?« fragte eine sonderbare Stimme, von der niemand sogleich wußte, wem sie angehörte. Sie klang so fremd, so unterdrückt, als wenn der Frühlingssturm selbst mit einemmal eine leise, ängstliche Frage gethan hätte.
Franz Horny sah beim grellen Mondlicht eine sonderbare Veränderung in dem Gesichte seines Freundes Ernst Schiller.
Ja, er und Ernst Schiller hatten mit den beiden Mädchen Götzendienst getrieben; für sie gab es nichts Schöneres, nichts Lieblicheres als diese Geschöpfe. Aber Horny war kühlen Herzens geblieben, sein ganzes erstes Jugendfeuer gehörte seiner Kunst. Und nun fragte er ruhig, wenn auch seines Freundes wegen innerlich erregt: »Beide?«
»Nein,« sagte Marie, »nur Röse; aber sie darf's ja noch nicht sagen!«
»Nun, – weshalb sagst du dann: beide?«
»Ich weiß nicht,« meinte Röse beschämt. Da hatten sie sie doch auf einer Lüge ertappt, die Bengel!
Es war ihr aber so entwischt, weil noch nie eine etwas gehabt hatte, was die andre nicht auch besaß. Es mochte ihr neu sein, daß sie Einzelwesen waren. Es verdutzte sie völlig. Beide gehörten so eng zusammen. Sie waren sogar merkwürdigerweise in ein und demselben Jahre geboren, als gute Kameraden so ganz nah aufeinander gefolgt; das wissen wir ja.
Im Webicht peitschte der Wind das Gestrüpp der Büsche durcheinander. Er sauste durch die Tausende schlanker Ruten und Zweige, wie durch ein Riesensieb.
Ein Schrei von einem Käuzchen! Fern brömselte ein andres schwatzend und klagend, frühlingshaft spitz und grell vor sich hin. Auch ein Liebespärchen, das sich lockte und schalt, koste und sich beklagte!
Wenn man genau hinhörte, fiepte und klatschte es da und dort: unbestimmbare Nachtlaute. Ganz fern ein Vogelaufkreischen!
»Guten Appetit!« sagte Horny, »da ist einer über eure Fasanen gekommen, – vielleicht ein Fuchs.«
»Wie waren sie denn?« fragte Budang, der an Röses Verlobungsgeschichte nicht glauben wollte und sich doch nicht recht zu fragen getraute.
»Gut,« sagte Röse. »Sie hatten auch silberne Köpfe und silberne Füße aufgesteckt bekommen. Sie sahen prachtvoll aus.«
Die Karawane setzte sich wieder in Bewegung, jetzt ganz still.
Röses Verlobung lag über allen wie etwas Unbegreifliches.
»Röse,« wagte Budang nach einer Weile sich zu erkundigen, »ist denn deine Verlobung wirklich wahr?«
»Ja, Budang.«
»Mit dem Thon, der euch die Fasanen geschickt hat?«
»Ja.«
»Herr Gott!« sagte Budang, »glaubt der, daß du eine vernünftige Person bist? Thust du's denn freiwillig? Verlobst du dich denn gern? Ich begreif's nicht! Wieviel jünger bist du denn als ich?«
»Anderthalb Jahr,« gab Röse wie im Examen Auskunft.
»Stell dir vor,« fuhr Budang fort, »wenn ich mich in anderthalb Jahren verheiraten wollte. – Lächerlich!«
»Ja,« bestätigte Röse aufrichtig.
»Und du weißt's, daß du verlobt bist, – seit heute erst, – und bist doch mitgerannt! – – Du bist aber gedankenlos! Da muß man doch, dächt' ich, ganz erschüttert sein?«
»Ach,« meinte Röse betreten, »ich bin ja auch noch nicht ganz verlobt! – Und glaubst du etwa, ich denk' nicht immer dran? – Immer! – – Nein, weißt du, mir ist's auch viel lieber, daß ich mit euch hier renne; zu Haus war mir's manchmal ganz angst und bange vor Glück.«
»Weiß denn der Thon, daß du hier mitläufst?«
»Nein.«
»Na, mir scheint, du denkst wirklich über gar nichts nach! Wie bist du nur!«
»Ach geh!« wehrte Röse ab.
Der Sturm hatte nachgelassen.
Sie bogen jetzt ins Dorf ein.
Die Kirchturmuhr schlug zwölf: die Geisterstunde!
»Da kommen wir ja gerade recht,« meinte Horny.
Marie that einen tiefen Seufzer. »Wenn ihr so sprecht, geh' ich wenigstens nicht mit,« protestierte sie leise, aber heftig.
»So seid ihr Mädchen: ›Wasch mich, mach mich aber nicht naß!‹« rief Budang. »Ich habe es immer gesagt, Röse und Marie denken nicht; sie thun's nur!«
»Nein,« sagte Röse, »da irrst du dich!«
Sie gingen jetzt auf einem schmalen Wege, der an der Ilm vorüberführt. Und die Ilm gluckste und rauschte auch hier geheimnisvoll nächtlich, und der Wind pfiff noch gespenstischer durch die riesig hohen Ulmen. »Wenn sie hier käme,« flüsterte Marie zitternd, »da könnten wir doch nirgends ausweichen, – so zwischen der Mauer und der Ilm. – – – Ich stürb' auf der Stelle, wenn sie mich anfaßte!«
»Fällt ihr nicht ein,« zürnte Budang; »wie soll sie darauf kommen, dich anzufassen? Schließlich war sie doch eine vornehme Dame, und die wird sich doch nicht im Grabe solche Handgreiflichkeiten angewöhnt haben!«
»Laß doch,« meinte Ernst Schiller, »sie mag das nicht hören!«
Marie war jetzt im Grund ihres Herzens tief erregt; das nächtliche Ausreißen von daheim, die dumpfe Sorge, daß sie doch etwas Unrechtes thäten, das schauerliche Ziel, die vermutliche Nähe des Entsetzlichen, – all das hatte sie überwältigt, und sie brach in Thränen aus.
Seele und Körper erschauerten ihr. Sie suchte eine Stütze; Röses Hals umklammernd, weinte sie bitterlich.
»Marie,« schalt Budang, »sei doch vernünftig!«
Die drei Freunde standen um die Ratsmädchen her und wußten nicht, was beginnen.
»Laßt sie nur!« sagte Röse. Und beide Mädchen steckten ihre blonden Köpfe ganz dicht zusammen, und die jungen Körper schmiegten sich fest einer an den andern.
Der Mond schien hell über sie hin.
»Röse,« bat Marie schluchzend, »nicht wahr du, wir verlassen uns doch nicht?«
»Nein,« sagte Röse, »gewiß nicht.«
»Die arme Göchhausen!« schluchzte Marie wieder, »wie muß der zu Mute sein! – Und wie schrecklich, daß sich die Leute so vor ihr fürchten!«
»Wir wollen sie anreden,« ermutigte Röse, »und wollen sie fragen. Vielleicht können wir ihr helfen. Komm, Marie!«
Die guten Herzen der beiden überwanden das Grauen.
Sie hielten sich noch eine Weile umschlungen, während Röse leicht beschwichtigend auf Maries Rücken klopfte. »Nun gehen wir weiter,« sagten sie dann, und sie hingen sich wieder ein in die Arme ihrer Freunde.
»Der Mond hat sich wieder versteckt,« meinte Marie bedenklich.
In der großen, tiefen Stille, die durch kein Geräusch gestört war, nur die Ilm plätscherte, und der Wind fuhr durch die Baumkronen, da hörten sie etwas! – Was war das?
Sie befanden sich noch auf dem schmalen Weg. – Von fern ein Scharren, – ein Laufen, – ein Huschen, – Schritte, – aber merkwürdige Schritte, – in Sätzen, – etwas ganz Unvermutetes, Unvernünftiges, Menschenunwürdiges!
Sie standen alle bewegungslos, lautlos.
Wenn sie das wäre, so wär's grauenhaft, so ein unwürdiges Hupfen und Huschen!
Ihre Herzen klopften zum Zerspringen. Es kam näher, – grad auf dem Wege kam es auf sie zu, – näher, – immer näher, auf dürren Blättern gehend, dann hopsend! Ja, wenn sie das wirklich wäre, dann überstiegen diese Laute alle Phantasie! Der entsetzlichste Kobold hätte nicht widersinniger rennen, hüpfen und stehen bleiben können, als es das that, was da ankam! – Und zu denken, daß diese arme Seele eine vornehme, geistreiche Hofdame war, wenn auch mit einem etwas boshaften Mundwerk gesegnet und mit einem Buckel! – Ein Mensch! Eine Hofdame!! – so heruntergekommen, so urweltlich sich aufführend, – so ungeheuerlich!
Die junge, starke Phantasie der fünf Nachtwandler wurde mächtig bestürmt. Sie standen wie Schatten an die Gartenmauer[31] angedrückt, – totenstill. Wie mußte erst das Aussehen des Spukes sein, nach solchen Lauten! – Sie hatten sich alle eine unbestimmte Vorstellung von der Begegnung mit der Göchhausen gemacht, etwas Geisterhaftes – Nebelhaftes – Huschendes – Fiependes, – und daß sie wie aus einer Flasche sprechen würde; aber nicht so – um Gottes willen nicht so!
Der Mond war hinter eine zerfetzte Wolke gekrochen, deren Ränder versilbernd.
Da sahen sie sich etwas bewegen, – etwas Ungestaltes, Niederes; – es glühten zwei Augen, da war gar kein Zweifel, – und zwei unbegreifliche, wackelnde Hörner zeigten sich und hoben sich gespenstig vom dunklen Hintergrund ab! Diese wackelnden Hörner, was sollten die? Was wollten die?
Röse und Marie waren gelähmt vor Entsetzen.
Da mit einemmal ein Zappeln, ein Strampfen, ein Bocken und Stampfen, und wie aus einer Trompete, ein urweltlicher, scheußlicher Ton, und – ein Gelächter! Budang war's, der lachte.
Der Mond hatte sich jetzt durch seine Wolken gearbeitet und beleuchtete – ein kleines, graues Ungetüm, das verdutzt auf vier hohen, sparrigen Beinen stand und seinen Riesenkopf mit seinen Riesenohren vor sich hin streckte und horchte.
»Jesses, ein Esel!« rief Röse erlöst.
Durch die Stimmen erschreckt, machte das kleine junge Scheusal hopsend und stolpernd Kehrt und jagte wieder mit vorgestrecktem Kopf in die Nacht und in den Park hinein.
»Weiß Gott,« sagte Budang, »das war der kleine ›Muffel‹, der ist dem Pächter entwischt!«
Sie blieben alle still und betreten, also müsse noch was kommen; zu einem wirklichen herzhaften Gelächter brachten sie es nicht. Es lag etwas in der Luft, so etwas Rauschendes, Werdendes, – so etwas Banges, Wehes. – Auf Windesflügeln fuhr es durch die hohen Bäume und sauste[32] schwer über die uralte Erde hin; es klopfte und pochte überall an, an die schwellenden Knospen, an die Herzen, an die Gräber, – denn es war heilige Osternacht, wo die Toten auferstehen!
Fern fiepte es wieder: Fledermäuschen, – Käuzchen, – verliebtes Nachtgetier.
Jetzt zogen sie über die großen, weiten Parkwiesen. Die Schritte waren unhörbar auf dem moosigen Rasenboden. Eine moderige Feuchtigkeit stieg auf.
Sie gingen immer noch in einer Reihe, Hand in Hand.
»Ist's wahr,« erkundigte sich Röse bang, »daß vor Goethes Gartenhaus alle Morgen gekehrt wurde? Daß ein wunderschönes Mädchen dort gekehrt hat? – Glaubt ihr das?«
Sie unterhielten sich alle mit halber Stimme. Die Wucht der stürmischen, feuchten Frühlingsnacht lag über ihnen.
Marie sagte leise: »Goethe hat das Mädchen selbst einmal gesehen; die Schopenhauern hat's erzählt, und die weiß auch, wer's gewesen ist. Beim ersten Morgenschimmer hat er das Mädchen getroffen, wie sie gekehrt hat, – und da hat sie aufgeschrieen wie eine arme Seele und ist zusammengesunken wie ein Wisch; und eine alte Frau, die wie ein Schatten war, hat sie mit sich genommen und hat etwas gemurmelt, wie: ›Ach, wenn ma auch immer alleinig is!‹ Dann sind sie nie wieder gekommen, und das Kehren war aus!«
Diese erschütternde Erzählung stieß auf einigen Unglauben. – »Ja, wißt ihr denn das nicht?« rief Marie unwillig, »Goethe hat der Schopenhauern gesagt, daß das nicht das einzige Mal gewesen ist, daß er das Mädchen gesehen hat. Wenn er in seinem Zimmer bei der Arbeit saß, hat es sich ihm manchmal so zart an die Seite gedrängt, – so wie ein Kätzchen, – oder wie ein Mädchen, das ihn lieb hatte und für ihn gestorben ist. Einmal hat er auch,[33] als es wieder so kam, einen ganz feinen Arm gesehen, der sich über seine Brust spannte, – nur einen Arm und eine Hand. Und wenn er in der Dämmerung in seinen Garten ging, da soll etwas neben ihm aufgetaucht sein, etwas Unbestimmtes. Es haben's auch andre Leute gesehen und sind davor erschrocken. Ja, es war oft jemand unsichtbar um ihn, der ihn übermenschlich liebte! Und der Schopenhauern hat er erzählt, daß kein Gefühl je dem gleichgekommen ist und ihn so übermannt hat, wie der Schauer, wenn das Wundersame bei ihm gewesen sei. Und an dem Morgen, an dem er das schöne Mädchen kehren gesehen hat, da soll er ganz verstört gewesen sein!«
Mit dem Kehren schien es also doch seine Richtigkeit zu haben; alle unterhielten sich weiter über geheimnisvolle Dinge. Jeder hatte etwas zu erzählen.
Röse wußte von einem Kobolde, der den Leuten beim Umzug als Feder nachfliegt und im neuen Hause wieder mit einzieht; die Beutlersleute, die über Kirstens wohnten, kannten einen in ihrer Familie, der auf Spinnenbeinen ging und eine Zipfelmütze trug. – Im alten Rattenneste Weimar spukte es zu jener Zeit eben noch recht kräftig. Da gab es keinen Kreuzweg und kaum eine Wegesbiegung, wo nicht irgend etwas nächtlich hockte und sein Wesen trieb, und kein altes Haus, in dem es ganz einfach geheuer war, und keine adelige Familie, die nicht gerade so wie ihr altes Familiensilber ihren alten Familienspuk besaß. Das heißt, auf den Familienspuk war bei weitem sicherer, als auf das Familiensilber zu rechnen.
Und so strichen unsre Fünf im nächtlichen Grauen auf den einsamen Parkwiesen hin und her und betraten nun mit abermals klopfendem Herzen die dunkelsten, geheimnisvollsten, überwachsenen, feuchten Wege an der Ilm, um trotz allem der gespenstischen Hofdame zu begegnen, denn gerade dort, hieß es allgemein, sollte sie spuken.
Die Kameraden sprachen zwar nach der Eselbegegnung ziemlich von oben herab von diesen Dingen, waren aber wiederum um nichts weniger eifrig und weniger erregt, als unsre Ratsmädchen. Jetzt gingen sie über die Borkenbrücke und versuchten ihr Glück und ihr Grauen am jenseitigen Ufer. Da führte der Weg an einem mit Bäumen und Büschen bestandenen Abhange hin, und kaum waren sie hier eine Strecke in tiefem Schweigen geschlichen, – denn es war eine so feuchte, monddurchschienene Einsamkeit, als wäre jahrhundertelang hier niemand gegangen, – da standen sie alle mit einem Schlage wie gebannt!
Nahe, – in ihrer allernächsten Nähe, hatte jemand aufgestöhnt, und sie hatten alle deutlich gehört, wie etwas, das in den Büschen steckte, so recht verbissen und verzweifelt zwischen den Zähnen »verdammt!« gezischt hatte. »Verdammt!« deutlich »verdammt!« nichts weiter, und dann wieder tiefe, tiefe Stille auf allen Seiten.
»Das is sie aber!« flüsterte Röse schaudernd.
Alle hielten den Atem an und horchten.
Das Einsame, Verlassene, Geheimnisvolle in den Büschen schien indessen auch zu horchen.
Totenstille!
Die Geistersucher warteten, ob sich's nicht wieder regen würde, – denn da war etwas, – das war sicher!
Sie fühlten die Nähe eines fremden Wesens; sie standen wie die Bildsäulen so starr, – ganz Erwartung! Dasjenige, das in den Büschen auf so sonderbare Weise »verdammt!« gesagt hatte, mußte sicherlich in Verwunderung geraten sein, was mit den vielen Schritten, die es doch kommen gehört hatte, geworden sei.
Jetzt aber, – was war das? – Ein Fiepen, ein jämmerliches, sonderbares Fiepen, als singe ein Wasserkessel, oder quietsche ein Wägelchen, oder auch als wimmere ein Hund unter ganz besonderen Umständen!
Es war ein ganz merkwürdiger Ton! Allen schien es durchaus nicht unmöglich, daß sie es wäre, denn daß sie fiepe, oder wie durch eine Flasche rede, hatten sie ja gewußt!
Das war das Entsetzliche!
Der Mond schien dämmernd hell; hell genug, um das, was im Gebüsch steckte, zu erkennen, falls es sich hervorwagte.
Dadurch merkwürdig ermutigt und wie von Jagdeifer gepackt, mahnte Röse: »So kommt doch!« Und sie war's, die sich wieder auf die Beine machte, ohne auf die andern zu achten, die ihr schleichend folgten.
So ging's den kleinen Abhang ein wenig hinan; einige Schritte, mit klopfendem Herzen und stockendem Atem. – Dann ein gewaltiges Rascheln im dichten Gebüsch, – ein furchtbarer Schrei, – ein Springen, – ein heiserer Laut, – und im Mondlichte sahen sie, wie Röse von einem großen, dunklen Mantel umfangen wurde. – Ein ungeheurer Schreck! – Etwas so Unbegreifliches! Schauervolles!
Marie schrie verzweifelt auf.
»Ruhig, – ruhig!« sagte eine erregte Stimme. »Was macht ihr denn hier? Röse, um Gottes willen, wie kommst du hierher?«
Von Röse hörte man kein Sterbenswort; aber sie schien zu flüstern und war immer noch in dem großen Mantel verschwunden. Und jetzt, – ein zarter, zarter Frühlingslaut, – so süß, so wunderlich, – ein Laut wie ein Kuß!
»Herr Gott, der Thon!« rief Marie ganz überwältigt. »Der lag hier auf der Fuchspasse!« Das nicht gerade jagdgemäße Wort hatte sich ihr im Schreck und in der Ueberraschung gebildet.
Da sprang auch schon Thons Hund, dem er im Aerger und in der Erregung über die geheimnisvollen nächtlichen Schritte, die ihm den Fuchs verscheuchten, die Schnauze zugehalten hatte, wedelnd an Marie in die Höhe.
»Ja, der Thon!« antwortete der Geheimnisvolle bewegt,[36] erschüttert, doch auch unwillig aus dem großen, dunklen Mantel heraus. – »Was fällt euch denn ein?«
»Ich hab's ihm schon erzählt,« sagte Röse betreten, »daß wir ausgerissen sind.«
»Ja aber,« meinte Budang in seiner offenen Weise, »sie sind ja mit uns; – und wenn wir dabei sind, dürfen sie alles! – Frau Rat hat es ihnen ein für allemal erlaubt.«
Der junge Adjutant mußte über die Ehrenwache, die die beiden Mädchen hatten, lächeln.
In den wenigen Worten Budangs lag jedoch so eine überzeugende Vortrefflichkeit, – so eine unantastbare Treuherzigkeit, – daß jedes weitere Wort, jeder Unwille und jedes Mißtrauen abgeschnitten war. Der Adjutant schüttelte Budang die Hand und begrüßte die beiden andern, währenddem er seine junge Braut nicht aus dem Arme ließ.
»Also die Göchhausen wolltest du sehen? – Für so etwas hattest du also doch noch Raum?«
»Und Sie,« flüsterte Röse bedrängt und zaghaft – »lagen da doch des Fuchses wegen?«
»Ja, mein Herz, – weil ich's daheim nicht aushalten konnte. – Was denkst du denn? Da ist die Welt zu enge!«
»Ja,« sagte Röse leise, »deshalb war ich eben auch hier.«
Und nun gingen sie alle miteinander und brachten die leichtsinnigen Dinger, die Ratsmädchen, heim in die Wünschengasse.
Unterwegs erzählte Röse ihrem Bräutigam von ihren Kameraden, – wie gut sie immer wären, wie lustig, wie treu, und was sie alles von ihnen gelernt hätte, besonders von Budang.
Sie schüttete ihrem Bräutigam ihr ganzes Herz aus, das voller Liebe und Freundschaft war, voller Anhänglichkeit, – und erzählte alle möglichen dummen und lustigen Streiche.
Er mußte in aller Eile alles wissen. Und sie bat ihn,[37] auch ihre Kameraden lieb zu haben. »Sie sind so gut, so klug! Solche gibt's nicht wieder!« rief sie.
Und er hörte ihr glücklich lächelnd zu.
Das war Frühlingsreinheit, – Frühlingszartheit, – Frühlingswonne!
Der Wind hatte sich gelegt, und der Mond schien hell.
Viele, viele Jahre sind vergangen. – Die Jugend vieler Millionen Menschen ist verweht. – Es ist alles anders geworden.
Röse ist nun eine alte Frau. – Was das Leben ihr gab, hat es ihr längst wieder genommen. Sie hat alle Freuden genossen und alle Freuden mit Leiden gezahlt – nach Menschenart. Sie ist unendlich geduldig geworden. Sie kennt alles und weiß alles. Sie hat alles sich wiederholen sehen, immer von neuem. – Sie ist gut, still und heiter und lebt in sich selbst. Hier, nur in sich selbst, findet sie die schöne, alte Welt, die ihr so lieb ist, so heimisch, – sonst nirgends!
Fremde Gesichter sind um sie, und man spricht von fremden Dingen, die sie nichts angehen.
Ein Sehnen wie nach einer verlorenen Heimat ergreift sie oft, – aber da ist nichts zu machen. Alles ist unerbittlich, was geschieht.
Geduldig werden, – geduldig werden, – geduldig werden! darauf läuft's hinaus.
Jetzt ist sie schwer krank. Von lieben Menschen wird sie gepflegt. Ihre Enkelin sitzt bei ihr am Bette.
Draußen Frühlingsdämmerung und wieder einmal weicher Sturm, der breit durch die Straßen fährt.
Die alte Frau träumt und spinnt an ihren Gedanken.
Da, – was ist das?
Der Sturm trägt wie auf Flügeln einen rhythmisch munteren Pfiff zu ihrem Fenster herauf; ganz wie damals in der Wünschengasse, als sie beim Fasanenessen saßen.
»Das ist er, wie vor sechzig Jahren!« sagt sie leise bewegt zu ihrer Enkelin, – »das ist Budang!« Und wie ein milder Glanz geht es über das Gesicht der Greisin. – »Das ist er!« nickte sie träumerisch.
»Siehst du, so pfiff er immer, der Budang, wenn er uns abholen wollte; so pfiff er, wenn er wissen wollte, ob der Vater nicht mehr daheim sei, und ob er mit den beiden andern heraufkommen dürfe!«
Da thut sich die Thür auf. Ein schöner, kleiner, alter Mann tritt ein, in tadellosem Anzuge, blütenweiß und rabenschwarz; so tadellos, daß es sofort wie etwas Besonderes auffällt. Er hat einen gescheiten Kopf mit lebendigen, geistvollen Augen, – und seine silberweißen, dichten Locken liegen ihm wie eine helle Wolke über der Stirn. – Er hat eine Art geistvoller Grazie in Blick und Bewegung.
»Wie geht's der Röse?« fragt er.
Röse streckt ihm die feine Hand entgegen.
»Goullon,« sagt sie bewegt mit hellen Thränen im Auge, »du kannst ja noch deinen Pfiff!«
»Gelt,« antwortet der Geheimrat, den sie sonst den »Budang« nannten, »das freut dich?«
Dann saßen die beiden Alten zusammen und plauderten und machten miteinander einen weiten, – weiten Ausflug in die gute alte Zeit.
Und das war die beste Medizin.
Es war das vierte Mal heute, daß er herauf zu seiner alten Freundin in Sorgen und Bangen kam; – aber zuletzt, da hatte er's gefunden, was ihr wohl that.
»Gott segne dich,« sagte Röse, »du lieber Mensch, – du treuer Mensch!«
Ja, treu waren sie ihr Lebtag einander gewesen, – treu in großer, wahrer, seltener, starker Freundschaft.
Die Ratsmädel hatten noch eine Schwester; eine Schwester, die sie wunderbarerweise gar nicht kannten. Sie hatten schon als Kinder oft in der Dämmerung sich von ihr unterhalten, wenn der Schnee fiel, und sie daheim still in der Familienstube stecken mußten. – So eine unbekannte Schwester zu haben, draußen in der weiten, unbekannten Welt, war doch etwas höchst Merkwürdiges!
Sie hatten von jeher sehr gern von dieser Schwester gesprochen; es war ihnen dabei zu Mute gewesen, als erzählten sie sich Märchen.
Ja, und draußen mußte der Wind gehen und Schnee fallen! – Sie mußten in der Dämmerung sitzen, und niemand durfte sie beachten; dann kam die Schwester dran, und sie unterhielten sich darüber, wie diese wohl aussehen könne.
Sie war um fünf Jahre älter als Röse und war die Tochter aus des Vaters erster Ehe, und nach ihrer Mutter Tode von ihrer Großmutter mit nach München genommen worden. Als darauf Herr Rat zum zweitenmal heiratete, hatte die Großmutter ihre Enkelin ganz bei sich behalten.
Dann vergingen viele Jahre, und als die Schwester Barbara schreiben gelernt hatte, schrieb sie pflichtschuldigst[40] aus dem fernen München alle Weihnachten an den Herrn Vater und die Frau Mutter nach Weimar.
Diesen Brief lasen die Ratsmädchen jedesmal mit wunderlichem Schauer.
Einmal schrieb auch die Großmutter.
»Hochverehrend liebenswertester Herr Sohn!
Ihr liebs Schreiben hat mich sehr glücklich gemacht, woraus ich sah, daß es Ihn und der Frau und den guten Kindern wohl und gut geht. Auch bei uns fehlt nix. Man wird ein alts Möbel, das heißt, um von mir zu reden. – Waberl wird groß. Sie tritt die Kindsschuh aus. – Kurios, was für ein ruhiges Mädel sie immer war. Grad als wenn meine geliebte Tochter in Gott sie für ihre alte Mutter in Voraussicht so geboren hätte.
Herr Sohn, ich hab' gar keine Not mit ihr g'habt, das müßt' ich lügen.
Hinter der großen Frauenkirche, da haben wir seit Jahresfrist jetzt unser Quartier.
So eine große Kirche habt ihr sicher nit in eurer Stadt.
Wabi sagt: ›Wie eine große, dunkle Wolke steht sie auf dem kleinen Platz und verfinstert die Häuser.‹
Sie wirft ihren Schatten auch über unser Haus. Aber es ißt doch gut wohnen. – Fünf Fenster in Front, drei Fenster die große Stub und zwei Fenster die Schlafstub, dazu Alkoven, ein kleines, schwarzes Küchl, Holzleg und Speicher. Kurz alles, was der Mensch braucht – und das Glockengeläute obendrein.
Das weckt uns schon um fünf Uhr des Morgens. Das ißt ein Geläut, Herr Sohn, wie zum jüngsten Gericht.
Mein Hausgeist ißt ein frommes Kind.
Herr Sohn mögen mir nit zürnen.
Die Großmutter meint, es wär' ein bisserl zu fromm geraten. Es thut's der Großmutter nit gleich an Lebenslust.[41] Die Großmutter hält das Leben vor eine recht hübsche Sach und wäre dabei allerhand noch mitzunehmen, was sich bietet, wie ißt Kommödi und Aufzüg, wenn zu sehen sind, und ein Gang zu guten Freunden, und ein gut Obst und ein gut Bier. Gottes Gaben sind verschiedenerlei.
Waberl hingegen scheint zu meinen: ›Nur das Himmelreich ißt gut.‹
Herr Sohn mögen mir nit zürnen, ich hab' sie allweil aufgemuntert, aber genutzt hat's nix, sie ißt wie sie ißt. Und eine alte Frau weiß, daß an einem Menschen nit viel zu schiegen und zu richten ißt. Sie laufen einher, wie der Herr Gott sie in seiner Laune gemacht hat.
Aber der Herr Sohn verspricht mir, sowie ich alte Frau daß Zeitliche gesegnet habe, das Kind zu sich zu nehmen, damit es ihm nit in das Kloster eschappiert. Sie trägt das Bildnis der heiligen Jungfrau an einem Schnürl um den Hals, was bedeutet, daß sie besonders dem Schutz der heiligen Jungfrau anvertraut ißt.
Das ißt so eine Sach bei den Schwestern, von denen sie unterrichtet ißt. Sie ißt halt brav und fleißig gewesen, aber ich mein' schon, das Bildl un die Schwestern haben sie den weltlichen Dingen entrückt.
Um noch etwas Besunders zu erwähnen: Sie hat eine Gabe an sich, die mir wohl und auch nit wohl gefällt. Sie hat eine gesegnete Hand. Und das ißt so gekommen: Ein Kindel in unserm Haus hatte die Fraisen und war gottserbärmlich geplagt. Zufällig hat die Waben das Kindel in die Arme bekommen und hat's umhertragen un gestreichelt un die Fraisen sind weggewesen wie weggeblasen und wenn's wieder kommen sind, da haben die Leut in ihrer Angst nach der Waben geschickt – dann hat's sich rumgeredet und es sind welche kommen mit einem Mäderl, das den Rotlauf hatte, und Waberl hat's gestrichen und geliebkost, und auch das Mäderl ißt gesund worden.
Und wenn wir jetzt bei einand sitzen und spinnen oder Wäsche flicken, da klopft's hin und wieder an die Thür und es kommt eins herein mit Zahnschmerz oder hat die Gichter und will sich von der Waben kurieren lassen.
Nun in Gottes Namen! Es kann ja wohl nit von Uebel sein?
Aber das Mädchen, mei Waben thut mir halt leid, – wenn's so still und brav dahinlebt.
Ich hab's ›mein Hausgeist‹ benamst: Herr Sohn, ich hab' Ihm von Ihrem Kind geschrieben, damit Sie wissen, wie's in die Höh gewachsen ißt, – und damit Sie, wenn ich das Zeitliche gesegnet hab', sich beeilen, das Madel zu sich zu rufen.
Indessen wünschen wir unter dem trostreichen Gesang des freudenreichen Alleluia! Leben Sie wohl und seyn Sie von uns alle beyde herzlich gegrüßt, der Herr Sohn, die liebe Frau und die Kinder. Zugleich daß ich Zeitlebens verbleib'
dero
Großmutter.«
Dieser Brief war es hauptsächlich, der auf die Ratsmädchen wie ein Märchen wirkte.
Sie waren stolz darauf, in einem düstern Haus, das von einer Riesenkirche beschattet wurde, eine Schwester zu haben, die eine Mutter Gottes am Halse trug, eine katholische Schwester! Sie sprachen von dem fürchterlich lauten Geläut, von dem die Schwester geweckt wurde, und daß sie mit ihren Händen die Kinder heilte und Leute mit Zahnschmerzen.
Daß gerade ihnen so etwas Merkwürdiges begegnen mußte!
Einmal stand bei Rats eine katholische Magd im Dienst, der waren sie auf Schritt und Tritt nachgeschlichen, denn sie erwarteten immer etwas Merkwürdiges von ihr. Den[43] Rosenkranz der Magd hatten sie befühlt, in ihr Gebetbuch geschaut, – und sie hatte ihnen einmal das »Heilig« vorgesungen, – etwas ganz Außerordentliches.
Das »Heilig« machte den Ratsmädeln tiefen Eindruck. – Häulig! – Häulig! – Häulig! kam es wie aus einem tiefen Keller herauf.
Heilig! Heilig! Heilig! Hell wie aus höchster Höhe.
Dann wieder: Häulig! Häulig! Häulig! aus dem tiefsten Keller – und so fort. So sang es die Magd ihnen vor, und sie selbst hatten es bei Spaziergängen oft zu singen versucht.
Auch von der Beichte war ihnen von der Magd erzählt worden.
Das war alles so unaussprechlich geheimnisvoll. Die Weimaraner zu jener Zeit hatten von »dem Katholischen« keine rechte Idee.
In Weimar gab es auch keine katholische Kirche, und die Magd mußte jährlich einmal nach Jena wandern zur großen Osterbeichte. Da kam sie ihnen vor, wie eine Person aus der biblischen Geschichte, so erhaben; und sie wären augenblicklich mit ihr gegangen, um zu beichten.
Sie beneideten sie.
Ihr eigener Gottesdienst kam ihnen, zu ihrer Schande sei's gesagt, dann ziemlich langweilig vor. Etwas Längeres als eine Predigt schienen ihnen auf der Welt nicht zu existieren.
Das war das Längste.
Aber Budang, Ernst von Schiller und Horny brachten ihnen zum Trost, wenn sie zur Kirche mußten, immer winzige Blumenbouquetchen zum Mitnehmen, oder Budang schnitt ihnen ihre Namen besonders kunstvoll aus, oder auch gaben sie ihnen Malzbonbons mit.
Die Kameraden selbst gingen nur dreimal des Jahres:[44] zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten; dann war es ein großes Fest neben dem Fest, denn da gingen sie alle miteinander.
Wenige Jahre, nachdem Rat Kirsten den langen Brief der Großmutter erhalten hatte, kam wieder einer. Und Röse und Marie lasen auch diesen. Das war auch ein sehr merkwürdiger Brief. Die Großmutter schrieb:
»Hochverehrend libswertester Herr Sohn!
Mein arm Waben hat einen netten Handel mit mir.
Sie ißt halt dazu ausersehen, ein Gott wohlgefälliges Engerl zu sein, das arme Mädel.
Herr Sohn, – 's ißt nun so weit mit mir, wie's sich's gehört, wenn der Herr Gott ein End machen will.
Vorhanden ißt, von allem was gewesen, nur ein zerlumpeter Leichnam noch, voller Gebresten und Jammer, der mir und dem Mädel ein bös Stückl ums andre ausführt. – Um meinet und Ihres Willen mög's nun genug sein. Sie pflegt mich wie eine heilige Nonn – Gott sei's geklagt.
Da gibt's nix. – Ungeduld kennt's scheint's nit – und wenn ich mich ungebärdig stehl vor Schmerz.
Herr Sohn, 's ißt eine schlimme Krankheit, die mir Gott geschigt hat, ein Gebresten vor ein Tier zu gräßlich, geschweige vor ein menschlich Wesen.
Mein Waben ist nun durch Gottes Gnaden einundzwanzig Jahr – und so mög' es dem Herrn gefallen, mich baldn zu erlösen, das wünsch' ich söhnlich, denn ich jammere und stehn ihr die Ohren voll Tag und Nacht.
Sowie ich die Augen geschlossen hab', was durch Gottes Barmherzigkeit recht bald geschehen möge, schick' ich Euch das Mädchen, Ihr Kind, Herr Sohn. Wollen es als solches halten im Angedenken an die Mutter, meine seelige Tochter. Das walte Gott.
Es grüßt Sie, mit vollkommster Ehrerbietung, Herr Sohn und die lieb Frau und die Kinder
In Todesnot und Jammer
Die Großmutter.«
Also die geheimnisvolle Schwester sollte nun kommen!
Und sie würden nun zu »drei« sein!
Diese einfachen Schlüsse erschienen den Ratsmädchen über alles Maß außerordentlich.
Röse schrieb einen langen Brief darüber an ihren Bräutigam Ottokar Thon, der seit geraumer Zeit in Eisenach mit dem Großherzog war und auch noch bleiben mußte, zu Herrn Rat Kirstens ganz besonderer Freude.
Liebesgeschichten im eigenen Hause waren ihm unbequem. Sein Hauswesen sollte wie am Schnürchen gehen.
Der neuen Tochter sah das ganze Haus Kirsten mit Bangen entgegen.
Die Brüder wollten am wenigsten von ihr wissen. »Ich mein',« sagte der älteste, »wir hätten Weibsleute genug. Röse und Marie zählen doppelt.«
Die Mutter verwies ihnen streng solche Reden. Aber auch sie sah dem fremden Mädchen bänglich entgegen. Würde es ihr bei ihnen gefallen? Würde sie mit ihren Kindern Freundschaft schließen? Sie wollte ihr eine gute Mutter sein, aber würde das ernste Mädchen zu ihr Vertrauen haben? Auch die katholische Religion machte sie besorgt. Es war alles gar zu fremd.
Herr Rat Kirsten war der einzige, der es für gut fand, keinerlei Aeußerung zu thun. Das war seine Art so. »Also du machst ja wohl alles und richtest es ein.« Das war das einzige, was er über diese Angelegenheit zu seiner Frau sagte.
Frau Rat Kirsten und die Ratsmädchen aber reinigten das ganze Haus, vom Keller bis zum Boden, und richteten[46] miteinander das Bett der neuen Schwester in der großen Dachstube, in der die Ratsmädel schliefen.
»Seid recht gut und freundlich mit ihr,« ermahnte die Mutter. »Sie muß bei euch schlafen, denn ihr müßt wissen, daß sie Schweres durchgemacht hat, und die traurigen Gedanken kommen über Nacht.«
Die Ratsmädel versprachen alles, was die Mutter von ihnen verlangte, und waren des besten Willens voll.
So kam der Tag heran, an dem sie die Schwester erwarten konnten. Ist sie groß oder klein, braun oder blond? Das waren die Fragen, die sie nicht beantworten konnten, denn die Großmutter hatte nie von Barbaras Aussehen ein Wörtchen geschrieben.
Aber beide waren der Meinung, daß sie groß sein müsse.
Der Vater war allein auf die Post gegangen, um sein Mädchen zu erwarten.
Er wollte es so.
Sie hatten im Familienzimmer einen feierlichen Kaffeetisch gedeckt, und ein Riesennapfkuchen stand mitten unter den Tassen, wie ein Berg.
Die Brüder waren da, die Mutter und die Mädchen.
Röse und Marie wollten zum Fenster hinausschauen, aber die Mutter verbot es ihnen.
»Das mag er nicht, das wißt ihr ja!«
Es war Oktober, ein sonniger Oktober mit bunten Bäumen, die sich ihrer Farben, ungestört von Regen und Nebel, freuen konnten.
In Weimar gehört so ein trockener, sonniger Oktober zur Seltenheit; gewöhnlich faulen die Blätter an den Bäumen, ehe sie abfallen. Dies Jahr aber war auch ein vortrefflicher Zwetschgenherbst. Die Zweige bogen sich unter der blauen Last, und bei Rat Kirstens auf der Hausflur standen heuer acht große Tragkörbe voll der reifsten Zwetschgen aufmarschiert[47] zum großen Zwetschgenmuskochen, à Mann ein Korb; auch die neue Schwester war schon im Besitz ihres Korbes, und die Magd und Herr und Frau Rat, und jedes der vier Ratskinder.
Uebermorgen sollte großes Zwetschgenspellen sein, und tags darauf das Rühren und Kochen im Waschkessel, von früh morgens bis spät in die Nacht. – Ein Hauptfest, an dem geschwelgt und geschleckt wurde.
In ihrem Erwartungseifer aber hatten sie die Schritte auf der Treppe überhört.
Da öffnete sich die Thür, und der Vater trat ein. »Ich bring' sie euch,« sagte er mit einem merkwürdigen Ausdruck im Gesicht.
Da stand die Schwester auf der Schwelle: klein, zierlich, aber reizend, – flachsblond. Sie steckte in einem schwarzen, engen Kleid und trug einen großen, schwarzen Holländerhut.
Röse und Marie waren ganz aus dem Gleichgewicht gekommen. – »So ein Geschöpfchen! So ein Püppchen!« dachten sie.
Jetzt lag das zarte Mädchen schon in Frau Rats Armen, und jetzt gab sie den Schwestern die Hand und bot ihnen den feinen Mund zum Kuß.
Röse hielt das fremde und doch so nahverwandte Händchen nachdenklich zaghaft in der ihren. »Was für Knöchelchen!« dachte sie. »Wie ein Rebhuhn.«
Sie banden ihr den Hut ab; drunter war feines Härchen, zierlich aufgesteckt.
»Mein Himmel, seid ihr Riesen dagegen!« rief die Mutter; und die beiden waren doch gar nicht übermäßig groß. Sie schaute lächelnd auf ihre Mädchen, die ziemlich verblüfft, aber voller Teilnahme jetzt neben der neuen Schwester standen. Sie sahen wie die Kraft selber aus, die Schelme, die sich auch jetzt, wie immer, zu einander neigten, weil sie gewohnt waren, sich alle Augenblicke etwas Wichtiges mitzuteilen.[48] Diese zwei Schelme mit den rosigen Gesichtern, den sternklaren, dunkel bewimperten Augen, mit den um Stirn und Nacken ganz fein geringelten Härchen, die das Haar selbst weich in die Haut vermittelten; mit den runden Wänglein, den kecken, aber feinen Näschen, den unruhigen Schwatzmäulchen und den anmutigen Gestalten; mit den festgefügten, aber feingebauten Beinchen, die unter den kindlichen Röcken so deutlich daherschritten.
Jetzt standen beide Mädchen ganz gerührt da.
Sie machten sich mit der älteren Schwester wieder zu thun, rückten ihr den Stuhl, und Marie führte sie an den Tisch. Die Schwester bat, ob sie sich erst die Hände waschen dürfe. Marie ging sogleich zur Mutter und fragte dringlich nach einem Stück Mandelseife.
Und die Mutter gab es ihr aus der Kommode.
»Der können wir doch nicht von unsrer Schmierseife geben!« sagte Marie leise.
Und mit einem Stück Mandelseife und der neuen Schwester wanderten sie beide hinauf in die Dachstube.
Dann ging's an das feierliche Kaffeetrinken.
Die Schwester aß wie ein Vögelchen, und Röse und Marie nötigten sie gewaltig. Sie saß zwischen beiden. Der Vater hielt auch mit.
»Siehst du,« sagte er zu seiner ältesten Tochter, »mit diesen beiden großen Bernhardinerhunden,« damit deutete er auf Marie und Röse, »mußt du nun auskommen.«
Da lächelte das fremde Mädchen zum erstenmal.
Und der Vater hatte recht!
Wie sie so dasaßen, vorgebeugt mit ihren blonden Mähnen und den guten Gesichtern, die Schwester nicht aus den Augen lassend, ließ sich gar nichts Treffenderes von ihnen sagen.
»Sag mal,« fragte der Vater, um nur etwas zu sagen, »von eurer Wohnung aus konnte man die Alpen doch wohl nicht sehen?«
»Nein, aber aus unsern Speicherfenstern sehr gut.«
»Die Alpen?« erkundigten sich Röse und Marie zu gleicher Zeit. »Wie sehen die denn aus?«
Waberl zögerte: »So halt, wie eine ganze Kette von zackigen Bergen; auch manchmal wie Wolken und manchmal schneeweiß, wie aus lauter Eis, und manchmal himmelblau. Aber nur bei schönem Wetter kann man sie sehen.«
»So? Warst du auch einmal wirklich dort?«
»Nein, das ist zu weit.«
Röse und Marie wollten noch viel wissen. Ihre Schwester hatte so eine sanfte Stimme und sagte »net« statt nicht, und manchmal »halt«, – das gefiel ihnen; aber sie sprach nur, wenn man sie fragte.
»Du kannst die Leute von Zahnschmerzen und so was heilen, das wissen wir,« sagte Röse.
Da antwortete sie gar nicht und wurde rot bis unter die flachsblonden Härchen.
»Bst!« machte die Mutter leise.
Den Abend, als die Schwester schon im Bette lag, um sich von der langen, beschwerlichen Reise auszuschlafen, kamen Budang, Ernst von Schiller und Horny voller Neugier und Teilnahme, und die Ratsmädchen lieferten ihnen eine Beschreibung der neuen Schwester.
»Zum Anfassen ist sie mal sicher nicht,« sagte Röse. »Ich sag' euch, so zart! Knöchelchen wie ein Wickelkind! Gehen hört sie kein Mensch; weißt du, ihre Großmutter hat sie ihren ›Hausgeist‹ genannt, und – komisch! – einmal hat sie ›Bärbel‹ geschrieben, dann ›Waberl‹, dann wieder ›Wabi‹, dann schließlich nur ›Waben‹, ganz wie's ihr einfiel. Ihre alte Großmutter machte nämlich Schreibfehler.«
»Na, na!« meinte Budang vielsagend; da schwieg Röse beschämt. Die Orthographie war auch ihre und Maries stärkste Seite nicht.
Als die beiden Mädchen abends hinauf in ihre Stube schlichen, schauten sie neugierig nach dem Bett, in dem ihre Schwester in tiefem Schlafe lag.
»Wie ein Madönnchen,« flüsterte Marie.
»Aber so ein trauriges, kleines Mäulchen hat sie,« meinte Röse.
Am frühen Morgen, als die beiden Schelme noch den Schlaf der Gerechten schliefen, wusch und kämmte sich die sanfte, fremde Schwester lautlos.
Sie hatte so vorsichtige, rücksichtsvolle Bewegungen wie eine Krankenwärterin, steckte sich das blonde Haar zierlich auf, betete ihr Morgengebet, schlüpfte unhörbar aus der Thür und begab sich geradenwegs in die Küche.
Und als Frau Rat nach dem Frühstück ausschauen wollte, fand sie die Magd und ihre neue Tochter schon in voller Arbeit.
»Mein liebes Kind, du solltest doch noch schlafen nach deiner Reise!«
»Ich brauche wenig Schlaf,« antwortete das Mädchen freundlich.
Sie war den ganzen Tag auf den Füßen und fand, ohne zu fragen, immer etwas zu thun.
Bei dem Zwetschgenspellen und Zwetschgenkochen nahm das stille Mädchen die erste Stelle ein. Röse und Marie aber sahen die ganze Muskocherei für einen ausbündigen Spaß an und benahmen sich danach; sie aßen während der Arbeit, soviel sie unterbringen konnten, warfen sich mit Kernen, wühlten die Früchte durcheinander und vergnügten sich auf ihre Art.
Die Schwester hingegen wußte nichts von Spiel und Zeitvertreib bei der Arbeit.
Die Großmutter hatte ganz recht, daß sie das Mädchen ihren Hausgeist »benamset« hatte. Es war auch, als wäre bei Rats wirklich so ein Seelchen eingezogen.
Eine ganz große Arbeitskraft hatten sie gewonnen, unheimlich groß, wenn man bedachte, daß die von dem zierlichen blonden Mädchen ausging.
Jeder begann sich wie verwöhnt zu fühlen. Es wurde viel weniger im ganzem Hause gerufen und verlangt.
Röse und Marie waren beschämt, alles schon meist sauber aufgeräumt zu finden, wenn sie nach dem Frühstück in ihre Stube kamen, um ihre Betten zu machen. Und nicht nur das! Sie hatten an der zarten Schwester die allersorgsamste Kammerjungfer bekommen. Sie half ihnen, wo und wie sie nur konnte, und immer mit einer so lieblichen Dienstbeflissenheit, gewiß nicht, als wäre sie die ältere Schwester.
Ja, das ganze Hauswesen bekam einen glatteren, geräuschloseren Gang.
Das »dritte Ratsmädel« war und blieb still, antwortete freundlich, wenn es gefragt wurde, war immer gleichmäßig liebenswürdig, hatte aber ein ganz undurchdringliches Wesen.
»Schade!« sagten Röse und Marie. Sie waren nach einigen Wochen kaum bekannter mit ihr, als am ersten Tag, und wurden doch von ihr verwöhnt, daß es eine Art hatte.
Sie kämmte den beiden großen Schlingeln das dicke, lange Haar, was bisher immer Frau Rat besorgt hatte, flickte ihnen die Kleider, half ihnen nähen und schneidern und saß bis an die Ohren und mit einem rührenden Eifer in Röses Ausstattungsarbeiten.
Eines Tages gingen alle drei Schwestern miteinander durch den Park.
Da fragte Röse: »Sag' einmal, du erzählst gar nichts von dir. – Wir haben dich doch lieb, – erzähl doch!«
Das zierliche Mädchen sah sie ganz verwundert an. »Wie denn? – Was denn?« fragte sie.
»Na,« sagte Marie, »zum Beispiel, du bist doch viel älter als wir; warst du denn nie verliebt?«
»Nein.«
»Na, und war denn nie wer in dich verliebt?«
»Nein.«
»Bist du denn nie in Gesellschaft gegangen, und hast du denn nie getanzt?«
»Nein, die Großmutter war zu alt. Sie wär' schon mitgegangen; aber ich wollt' halt net. Ich hatte Angst, daß die Großmutter sich verderben könnt'.«
»Aber sonst hättst du's gemocht?«
»O ja, warum net?«
»Gefällt es dir bei uns?« erkundigte sich Röse.
»Ja.«
Da war die Unterhaltung wieder aus.
»Wie lebtest du denn daheim in München?« fragten sie nach einer Weile.
»Wir arbeiteten, und Sonntags gingen wir spazieren, und jeden Tag durfte ich in die Messe gehen.«
Jetzt erzählte sie ihnen unaufgefordert von der großen Frauenkirche, den riesig hohen Gewölben, den vielen Säulen, dem wundervollen Gesang, der mächtigen Orgel, den vielen Menschen, dem Weihrauchduft und den vielen, vielen Grabkugeln am Karsamstag.
»Ja, das war wunderschön!« sagte sie.
»Sehnst du dich danach?«
»Manchmal.«
»Daß du das nun hier aber nicht hast, bist du denn nicht traurig darüber?«
»Man soll niemand beschwerlich fallen,« antwortete sie kurz.
»Ach nein!« rief Röse. »Wenn man traurig ist, sollen die Menschen einen trösten. Uns wenigstens kannst du alles sagen. Wir sagen auch alles.«
»Bist du nicht einmal in München in der Komödie gewesen?« forschte Marie.
»Ja, einmal.«
»Na, und?« fragten beide. »Wie war's denn da?«
»Passabel.«
»Und was sahst du denn?«
»Einmal ›Die Brüder‹, das andre Mal weiß ich's gar nimmer.«
»So? ›Die Brüder‹? Das kennen wir hier ja gar nicht!« meinten sie verwundert.
»Na, wart', nächstens gehen wir alle miteinander einmal in die Komödie, wir und Budang und die andern, da wirst du sehen, daß es hier nicht nur ›passabel‹ ist.«
Und nun erzählten sie ihrer Schwester von ihren Streichen: wie sie mit Budang, Ernst von Schiller und Horny aller Nasenlang durchs Hinterpförtchen ins Theater geschlüpft seien, – und wie herrlich das war. Sie berichteten ihr Abenteuer mit dem Großherzog Karl August, wie der sie beobachtet habe, und daß sie nun seit Jahren mit seiner Erlaubnis »unbezahlt« ins Theater gingen, fanden aber bei ihrer Schwester kein besonderes Verständnis.
Sie fühlten beide, daß die arme Schwester es kümmerlich gehabt habe, trotzdem ihre verstorbene Großmutter eine sehr gute Frau gewesen sein mußte. Die Schwester that ihnen leid.
Und als sie das nächste Mal mit Budang zusammenkamen, sagten sie ihm: »Weißt du, die ›Waben‹,« so nannten sie die Schwester, weil ihnen das gefiel, »ist eigentlich wie ein altes Weibchen aufgewachsen. Sie versteht uns gar nicht, das arme Ding. – Und so verschlossen wie sie ist! Weißt du, nichts als Pflicht und Bravheit.« Budang war auch sehr mitleidig gestimmt; sie beschlossen alle, ganz besonders »nett« mit ihr zu sein.
Merkwürdigerweise hatte Budang keinerlei bissige Bemerkungen gemacht, als sie Wabens Pflichttreue und Bravheit als etwas ganz extra Mitleiderregendes hingestellt hatten.
»Sie ist sehr niedlich,« sagte er, »und sieht nicht älter aus als wir.«
»Ja, aber ich glaube, aus jeder von uns gingen zwei Waben zu machen.«
»Aber nicht aus der Bravheit,« sagte Budang. Er konnte sich's doch nicht verbeißen.
Und sie ließen sich's von ihm ruhig gefallen, denn sie glaubten an ihn.
In die Komödie gingen sie denn auch bald und beeiferten sich alle, es der fremden Schwester recht ans Herz zu legen, was sie schön fanden. Sie hatten sie in die »Zauberflöte« geführt.
Aber sie bemerkten zu ihrem Erstaunen, daß Waben während der Vorstellung die Augen fest geschlossen hielt.
»Die schläft!« sagte Marie zu Budang. Und Röse stieß ihre Schwester leicht an.
»Du schläfst ja!«
»Nein,« sagte Waben, »ich höre auf die Musik.«
Jetzt aber schloß sie die Augen nicht mehr, sondern sah nur nieder.
Nach einer Weile fragte Röse wieder: »Weshalb siehst du denn nicht auf die Bühne? Das ist jetzt unser Allerbester, der da singt.«
»Mir gefällt's net; die Musik spielt ganz was andres, als die Schauspieler vorstellen. Die Musik ist aber wunderschön!«
Was die Schwester gesagt hatte, flüsterte Röse Budang zu, der hinter ihnen saß.
Und Budang nickte dazu.
Er sprach dann in der Pause mit Waben über die Musik. Sie sagte ihm: »Ich wollte, die Großmutter hätte die Musik bei ihrem Tode hören können, – das wär' eine Himmelfahrt geworden! Die arme Großmutter!«
Der Waben standen die dicken Thränen in den Augen.
»Sie hat sehr ausstehen müssen,« meinte Budang. »Röse und Marie haben's erzählt.«
»Ach, ausgestanden!« erwiderte das Mädchen erregt. – »Da gibt's kein Wort dafür! Wer das mit angesehen hat, den freut nichts mehr.«
Es war das erste Mal, daß sie ihren Thränen freien Lauf ließ, seit sie von daheim fort war.
Das hatte die Musik gethan.
»Wollen Sie lieber nach Hause gehen?« fragte Budang.
»Ach nein,« sagte das zarte Mädchen. »Sie hat's ausgehalten, und ich soll net mal dran denken können? Hier wird's einem, als wär's erst gestern geschehen, – und das ist gut. – Die armen Seelen brauchen unser Mitleid. Sie werden überall zu schnell vergessen.«
Mit den armen Seelen meinte sie natürlich die der Abgeschiedenen.
Röse, die zugehört hatte, überlief ein Schauer. »Die armen Seelen«, das kam ihr so geheimnisvoll vor, so wie aus einem uralten Märchen. Ueberhaupt, obwohl die Waben ein tüchtiges und zuverlässiges Hausmütterchen war, würden sich die Ratsmädel nicht gewundert haben, wenn es sich herausgestellt hätte, daß sie wirklich ein Hausgeist sei, ein armes Seelchen oder sonst so etwas. Sie erschien ihnen immer fremder.
Aber die beiden Schelme fühlten sich nicht durch sie bedrückt und kritisiert. Es war ihnen in ihrer Nähe wohl.
Sie klöppelte für beide Mädchen ganz wundervolle Klosterspitzen nach einem alten Spitzenrest, den sie mitgebracht hatte.
»Ja, weshalb machst du's denn nicht für dich selbst?« fragte Röse.
»Wär' net übel,« war die Antwort.
Die Waben wurde wöchentlich einmal zu Schopenhauers Adele eingeladen und kam so in den Kreis der geistreichen jungen Damen, die alle um einige Jahre älter als die Ratsmädchen waren, und denen die Ratsmädchen ihrer[56] Zeit Liebesbriefchen hin und her getragen hatten, die sie aber alle in ihrem Leichtsinn erst unten auf der dunklen Wittumstreppe indiskreterweise gelesen hatten. Das heißt, Liebesbriefe waren es auch im eigentlichen Sinne des Wortes nicht, sondern vielmehr sprachen die jungen Damen sich gegenseitig über den Zustand ihres Herzens in langen Episteln aus und machten den Ratsmädeln damit, ohne es zu wollen, das größte Gaudium; denn sie dachten nicht entfernt an die Treulosigkeit der beiden Schelme.
Bei Adele Schopenhauer waren wöchentliche Zusammenkünfte dieser jungen Damen und einiger schöngeistiger Jünglinge; die Waben war nur durch die größten Ueberredungskünste ihrer Schwestern dahin zu bringen, Adeles Kränzchen zu besuchen.
Nach einigen Wochen schien sie freilich recht gern zu gehen. Die langen Zuredereien und das Drängen hörte von selbst auf. Sie ging still und kam still, sprach über nichts, was sie dort in der Gesellschaft erfahren hatte, – aber es schien etwas Lebendigeres in ihr Wesen gekommen zu sein. In dieser Zeit war es zum erstenmal, daß sie bei Rats ein silberhelles, junges Lachen hörten. Und die Mutter meinte: »Laßt sie – fragt nicht!«
Sie war so reizend, so elfenhaft und so liebenswürdig diensteifrig.
Frau Rat sagte: »Was ist die Waben für ein süßes Kind; wie ein Sonnenstrahl, so still und gut!«
Frau Rat hatte sie ganz besonders ins Herz geschlossen.
Ja, die Waben war viel heiterer. Es schien, als wäre aus dem jungen, pflichttreuen Nönnchen ein junges Mädchen geworden. Sie blühte wahrhaft auf und wurde jeden Tag reizender. Man hörte sie die Treppen hinauf- und hinablaufen. Sie ging nicht mehr so krankenwärterinmäßig, und Röse und Marie hörten sie einmal singen, als sie sich das Haar machte.
Sie lauschten an der Thür; es klang ihnen beiden, wie dazumal, als ihre Lerche, die sie zu Weihnacht bekommen hatten, zum erstenmal im März ganz unvermutet im dunklen Bauer die ersten leisen Töne hören ließ.
Das Herz war ihnen bei diesen wunderbaren Lerchentrillern, die aus der dunklen Ecke kamen, erbebt.
Alle im Hause freuten sich, daß Waben auflebte.
So war sie auch einmal wieder ganz wohlgemut zu Schopenhauers gegangen, und spät abends bei Mondenschein und Winterkälte wandelte sie über hartgefrorenen Schnee am Arm eines jungen Mannes, der sie von Schopenhauers heimbegleitete, die alte Wittumstreppe hinab, die von der Esplanade zur inneren Stadt führt.
Der junge Mann hatte ihr den Arm geboten. Er hatte das schon öfter so gethan; es war ihm zu einer angenehmen Gewohnheit geworden, das liebliche Geschöpf heimzubegleiten. Sie hatten keinen besonders weiten Weg vor sich, aber sie verstanden ihn auszunützen. Die Waben hatte noch nie so viel hintereinander geplaudert, als auf der kurzen Strecke, die zwischen ihrem elterlichen Hause und dem Hause der Schopenhauern lag, – und der junge Mann war ein sehr aufmerksamer Zuhörer. Bei dem hellen Mondlichte war zu konstatieren, daß die Waben einen durchaus nicht ungefährlichen Begleiter hatte: hochgewachsen, schlank, mit einem prächtigen Kopf, groß geschnittenen Zügen, reichen, dunklen Locken; dabei vornehm in Gang und Haltung, liebenswürdig und galant in der Art, wie er mit dem kleinen Persönchen sprach, sich zu ihr neigte und ihr Geplauder anhörte.
Sie gefiel ihm, das war kein Zweifel.
»Demoiselle Barbara, wie kann man nur so ein Nixchen sein! Ich fühle Ihren Arm nicht mehr als eine Feder.«
»Ja, es ist dumm,« sagte Waben, »ich bin ein bisserl klein; aber da ist nun nichts zu machen.«
»Ein Mädchen kann gar nicht klein und zart und süß genug sein,« erwiderte er.
»Das find' ich net,« meinte sie. »Man soll vor einem Mädel doch Respekt haben, und sie soll ordentlich arbeiten können. Ich bin freilich viel stärker, als ich ausseh', gottlob! Sonst könnt' ich mir das Salz zum Brot net verdienen.«
»Nun, verdienen? Wer spricht denn von verdienen?«
»Glauben Sie,« fragte Waben, »ich möchte daheim schlafen und essen, wenn ich mir net sagen könnte, ich hab's verdient? Was denken Sie denn? Halten Sie uns Mädel für Tagediebe? Oder für was denn?«
»Sie sind so tapfer, – so tüchtig, – so anders, als die Mädchen gewöhnlich sind. Sind Sie denn auch ein wirkliches Menschenkind, Sie Elfchen?« sagte er zärtlich.
»Ach gar!« meinte die Waben. »Kennen Sie meine Schwestern nicht?«
»Nein, merkwürdigerweise! Ich bin nun schon seit vier Wochen hier, aber Ihre Schwestern hab' ich nun noch immer nicht kennen gelernt.«
»Die sollten Sie sehen! Röse und Marie sind beide so fleißig und tüchtig, aber dabei so lustig, daß es den ganzen Tag zu lachen gibt, – und so wunderschön! Wissen Sie, sie sind das Schönste und Beste, was es auf Erden gibt.«
»Die eine ist verlobt?« fragte er.
»Ja, die Röse. – Sie glauben nicht, wie gut sie mit mir waren, vom ersten Augenblick an, wie große Kinder. Sie sind so freundlich, wie halt eben nur Kinder sind.«
»Nun, ich werde ihnen ja wohl auch einmal begegnen. Sie erlauben mir, Demoiselle, daß ich bei Ihren Eltern meine Aufwartung mache?«
Die Wangen des Mädchens glühten.
»Gewiß!« sagte sie.
Sie war so selig. Sie wußte nicht, ging oder schwebte[59] sie. An seinem Arme wußte sie das nie. Er sprach so zärtlich. Das war wie himmlische Musik. Gott, daß es solches Glück auf Erden gab!
Jetzt standen sie an der Hausthür.
»Morgen seh' ich die Schwestern von der Galerie aus im Schlosse. Sie sind mit bei dem großen Aufzug.«
»Sie freundliches Seelchen!« sagte er. »Da müssen wir uns die Schwestern doch miteinander anschauen. Sie finden mich auch auf der Galerie; ich beschütze Sie, und ich verteidige einen Platz für Sie.«
Neue Wonne! Der Waben schlug das Herz.
»Weshalb aber machen Sie nie etwas mit?« fragte er.
»Ich bin ja in Trauer um meine arme Großmutter.«
»Wissen Sie, Sie sind ein so liebenswürdiges, gutes Mädchen! Sie sind so gleichmütig!«
»Ja, leider aber auch ein bisserl langweilig,« meinte sie lächelnd und schloß dabei die Thür auf.
Er wollte etwas darauf entgegnen.
»Nein, nein, lassen Sie's!« Sie gab ihm die Hand zum Abschiede. »Man muß der Wahrheit die Ehre geben. Ich bin schon ein bisserl langweilig.«
»Liebes, gutes Herzensdemoisellchen!« sagte er.
»Und empfehlen Sie mich Ihren Eltern.«
Die Waben stand noch eine ganze Weile im stillen, dunklen Hausflur und hörte ihr liebesseliges Herz schlagen.
Am andern Morgen war ein ganz gewaltiges Treiben im Kirstenschen Hause und in der ganzen Stadt Weimar, denn es war der große Tag, an dem abends im Schlosse der große Maskenzug zu Ehren Ihrer Majestät der Kaiserin-Mutter, Maria Feodorowna, vor sich gehen sollte.
Die Waben hatte bei Schopenhauers, wie daheim, nichts weiter gehört und gesehen, als Vorbereitungen zu diesem großen Feste. Allen schönen und weniger schönen[60] Mädchen und Frauen aus der weimarischen Gesellschaft war das große Ereignis, daß sie Goethes Verse vor einer Kaiserin sprechen sollten, zu Kopf gestiegen. Und die ganze weimarische Gesellschaft hatte seit Wochen etwas merkwürdig Papageienhaftes bekommen; es schnatterte oder deklamierte mit ängstlichem Pathos in jedem dritten Hause irgend wer irgend etwas, ohne Ende dasselbe, immer wieder von Anfang an; unermüdlich, zum Haarausraufen. Jeder und jede war wochenlang von dem Schreckgespenst, in dem bevorstehenden bedeutenden Unternehmen mit »Steckenbleiben« Unheil anzurichten, wie von einem Alpdruck besessen; nur das wütendste Deklamieren gab eine gewisse Beruhigung.
Jeder erzählte Wunderdinge von seinem Kostüm, von den Proben, die Goethe selbst überwachte.
Das Ganze sollte ein unerhört pomphaftes und vornehm gespreiztes Ansehen bekommen, wie noch nie etwas derartiges zu stande gekommen war. Die weimarische Glorienzeit sollte darüber liegen wie eine schwere, duftende Weihrauchwolke; die Weimaraner sollten in ihrer eigenen Herrlichkeit wahrhaft waten, aber mit graziösem Anstand.
Ja, was sollte sich nicht alles vor der Kaiserin des Riesenreiches produzieren!
Das winzige Nest wollte ihr zeigen, was es bedeutete, was für Ungeheures, gen Himmel Aufdampfendes in ihm ausgebrütet worden war.
Aber der graziöse Anstand war den guten, fidelen, ungeschickten Weimaranern mühselig und beschwerlich beizubringen.
Seine Excellenz mochte während der Proben oft genug daran gewesen sein, die Hoffnung und die Geduld zu verlieren; denn was die Weimaraner thaten, und wie sie sprachen, war natürlicherweise himmelweit von seinem Ideal entfernt.
Wer das echte »Weimarsch« kennt, der wird verstehen,[61] welche Riesengeduld Seine Excellenz haben mußte, den Weimaranern ihr geliebtes Deutsch in einigermaßen richtigen Lauten beizubringen.
Bei einigen ganz verzweifelten Fällen, natürlich mußte es sich um hübsche junge Weimaranerinnen handeln, soll Seine Excellenz sich in der Verzweiflung mit einem Kuß geholfen haben, von dem er wohl hoffen mochte, daß er begeisternd und reinigend zwischen die arg malträtierten O und A, T und D und G und K, u. s. w. fahren würde.
Ja, es war eine schwere Arbeit, den weimarischen Pomp auf die Beine zu bringen!
Er lag da wie ein wundervoller byzantinischer Kirchengoldbrokat; aber niemand verstand ihn zu tragen.
Einzig und allein Seine Excellenz selbst.
An dem zur Aufführung bestimmten Tage hieß es: »Nu, es wird schon gehen!« wie es schließlich dann immer heißt und heißen muß. –
Die Waben hatte im Kirstenschen Hause alle Hände voll zu thun, – und that alles mit so leichtem, glückseligem Herzen. Sie befand sich wohl, wie eine Amsel im April. Sie wußte zwar kein Wort ihres Anbeters, das direkt von Liebe gehandelt hätte, – aber wozu?
Der Klang seiner Stimme, – die Art, wie er alles sagte, wie er ihr die Hand gab, – das sprach so eine nie gekannte Sprache. Sie wußte sich geliebt! – Ja, sie wußte es!
Das war so überzeugend und wieder so verschwimmend, so unbestimmt, beängstigend.
War es? War es nicht? Täuschte sie sich doch? – Nein, – nein, – nein! Gewiß nicht!
So ging es immer auf und nieder in ihrem Herzen.
Und sie nähte dabei mit fliegender Eile.
Röses Bräutigam war gekommen, und es ging im Hause hoch her.
So eine festliche, leichte Luft war überall zu spüren; so etwas Erregendes und Erregtes. Es erschien Barbara, als wäre sie in eine andere Welt versetzt, zum erstenmal in den Sonnenschein.
Marie sollte bei dem Aufzug als Genius figurieren und hatte auch etwas zu sagen, große, getragene Worte, die sie feierlich und ruhig zu sprechen verstand.
Budang war ihr Meister gewesen und hatte nicht geruht, bis das Ganze tadellos gelang.
Als die Waben beim Gewandanprobieren half, war sie von der Schönheit ihrer Schwester wahrhaft erschreckt. Die jungen, weißen, vollen Glieder, das schneeweiße Gewand, das herrliche Gesichtchen, die lebendigen Augen, die schöngezeichneten Augenbrauen, die ihr so etwas Vornehmes, Geistiges gaben, und das blonde Riesenhaar, das in dicken Locken wie eine Flut über Arme und Hals bis über die Kniee fiel und sich reizend an den rosigen Ohren kräuselte und um die kindliche Stirn. Es war ein so anmutiges Haar!
Röse war zum erstenmal in ihrem Leben nicht mit ihrer Schwester gleich gekleidet; sie stellte ein Zigeunermädchen vor, war aber auch, wie Marie, eingewickelt in ihre bräunliche Haarflut.
Die kleine Waben wurde stolz auf ihre beiden Schwestern.
Und beide sagten immer wieder von neuem: »Ach, Waben, daß du nicht mitkannst! Wie jammerschade!«
In Waben begannen sich zum erstenmal die jungen, lustigen Wünsche zu regen.
Aber sie hatte ja das Köstlichste im Herzen!
Und mit ihrem Schopenhauerschen Freunde sollte sie alle Herrlichkeiten, die es zu sehen geben würde, zusammen genießen! –
Sie fand sich pünktlich auf der Galerie ein, von der aus man in den großen Schloßsaal hinabsehen konnte. Ihr Beschützer war schon da und hatte in der vordersten Reihe,[63] neben sich, ihr einen Platz gegen die andrängenden Neugierigen verteidigt.
Nun hieß es geduldig sein da oben auf der Galerie.
In dem dunklen Saal brannte noch keine einzige von den Hunderten von Wachskerzen, und sie sahen von ihren dämmerig beleuchteten Plätzen in einen schwarzen Abgrund hinab; aber die Waben und ihr Begleiter unterhielten sich vortrefflich miteinander, wie sich das leicht denken läßt. Die Zeit verstrich ihnen beiden im Umsehen.
Die Waben achtete kaum darauf, wie die Lämpchen der Kerzenanzünder gleich Glühwürmern in der großen Dunkelheit auftauchten, und wie die Flammen an den Zündschnürchen, was das Neueste war, von Licht zu Licht hüpften und im Nu die ganzen Kronleuchter im vollen Lichtgefunkel erstrahlen machten, und wie im Laufe von einer Viertelstunde alles glänzte und funkelte, ein ganzes Meer von Licht!
Personen schritten geschäftig hin und her durch den Saal, anordnend oder Umschau haltend.
Um das junge Paar her wurde geflüstert und getuschelt. »Der Oberhofmarschall!« hieß es, – »da, – – da, – – da! Da ging er eben!«
Die Leute waren von diesem Anblick schon erregt. Die Hälse wurden gereckt. – Jeder Lakai wurde angestarrt.
Die Waben plauderte wie noch nie in ihrem Leben. – Sie blühte neben ihrem Anbeter auf wie ein Rosenstock nach langem trüben Regenwetter, wenn ihn ein paar Stunden warme, volle Sonnenstrahlen treffen. Wie offen sie sprach! Ihr ganzes unschuldiges, gleichförmige Leben lag vor ihm ausgebreitet.
Sie wußte nicht, wie rührend sie war, und er wußte das auch nicht. Sie hatte nichts zu geben und mitzuteilen als ihre Vergangenheit, – gar nichts weiter, – und diese Vergangenheit gab sie bebend vor Wonne. – Er fragte,[64] und sie antwortete. Sie vertraute. – Jubelnd empfand sie zum erstenmal, daß sie wirklich lebe.
Er war auch ganz entzückt von seiner kleinen Freundin, dachte besonnen, daß sie eine gute, kommode Frau abgeben würde, und erwog dies hin und her, während sie eifrig schwatzte.
»Aus guter Familie ist sie, – mitbekommen thut sie sicher auch etwas. – Die Kleine ist wohlerzogen, lächerlich unschuldig, ein durchaus bequemer Charakter.«
So dachte er, wie ein junger Mann, der auf Freiersfüßen geht und Ausschau hält, zu jeder Zeit gedacht hat.
Er empfand alles sehr befriedigend. Seit Wochen war er erst in Weimar angelangt, war hier zu einer guten Stellung gekommen, und seine Absicht ging dahin, sich mit einer alteingesessenen, wohlgeachteten Familie zu verschwägern.
Jetzt spiegelten sich die brennenden Kerzen in dem blanken Parkett des riesigen Saales wie in einem stillen See.
Es war so friedlich, so eigentümlich; der große, leere, helle Saal hatte etwas Beruhigendes. Dann waren reichgeschmückte Gäste gekommen. Oben auf der Galerie reckten sich abermals die Hälse. Es wurde wieder eifrig getuschelt. Sie waren alle erregt, und die Erregung stieg, je mehr es sich da unten bewegte, je mehr es glänzte und flimmerte und farbig aufleuchtete. Sie sahen auf wohlfrisierte Köpfe mit griechisch aufgesteckten Lockenfrisuren, auf Toupets jeder Art, auf hohe, schneeweiße, batistene Halsbinden, auf bloße Hälse und Arme, enge Kleider mit langen Schleppen, Fräcke und Uniformen, Lakaien und hohe Würdenträger, – ein schillerndes, bewegliches Durcheinander.
Hin und wieder schlug so ein aristokratisches, undefinierbar parfümiertes Lüftchen nach oben.
Die Wachskerzen brannten still, das Licht im ganzen Saal war gelblich warm.
Es hatte etwas Schmeichelndes, Schmückendes, – etwas Berauschendes.
Die Waben konnte sich über die große Helligkeit in dem weißen Saal gar nicht genug wundern.
Und dann die Herrschaften, die russische Kaiserin, die fremden Uniformen, das ganze geheimnisvoll pomphafte Ceremoniell, – die große Feierlichkeit, die große Vornehmheit!
Der Waben kam es vor, als wenn sie in eine uralte Geschichte hineinschaue, in längst vergangene Dinge. Daß so etwas wirklich noch existierte! Ein bißchen komisch erschien es ihr, – ein bißchen ernsthaft, – ein bißchen schaurig, aber hauptsächlich sehr amüsant. Die einzelnen Personen interessierten sie gar nicht, nur das Ganze. Sie hörte kaum darauf hin, als ihr Begleiter die verschiedensten Leute bezeichnete.
Aber der Zug! Der große Maskenzug! Da war der weimarische Pomp wirklich auf die Beine gebracht! Da lag die weimarische Glorienzeit wirklich wie eine duftende Weihrauchwolke darüber. Da war die ganze ernsthaft feierliche Pracht vor aller Augen wie ein byzantinischer Prachtbrokat ausgebreitet. Herrliche Gestalten und Farben, rauschende Musik und große Worte, und ein Schimmern und Auftauchen und Ziehen und Kommen und Verweilen, – eine Pracht und Herrlichkeit sondergleichen.
Die braven, fidelen Weimaraner hatten sich von dem großen, feierlichen Pomp am Schlafittchen nehmen lassen. Sie gehörten sich nicht mehr selbst. Es war etwas in sie gefahren, was sie begeisterte.
Sie bewegten sich nicht mehr wie die Weimaraner, sie sprachen nicht mehr wie die Weimaraner. Es war etwas Außerordentliches.
Des Mädchens Begleiter fühlte ein Händchen auf seinem Aermel. »Meine Schwester! Meine Schwester!« sagte eine weiche, leise Stimme ganz erregt. »Sehen Sie, meine Schwester!«
Er hatte Marie schon längst gesehen. Sie stand jetzt gerade vor der Kaiserin Maria Feodorowna und sprach die Goetheschen Worte; das gute Ratsmädel leuchtete dabei wahrhaft von Schönheit und Glückseligkeit. Sie bewegte sich ohne jede Befangenheit, ganz natürlich. Es war, als wenn die blonde Haarflut funkelte, als wenn das schöne Gesicht und die Arme und der Hals und das weiße Gewand strahlten.
Sie war prachtvoll in ihrer stolzen, freien Jugendlichkeit, der Inbegriff eines herrlichen, blütenjungen Weibes. Es lag etwas Heiteres, etwas Frohlockendes über die Gestalt gebreitet. – Aller Augen sahen auf sie.
»Das ist Ihre Schwester?«
Die Waben lächelte.
»Die verlobte?« fragte er.
»Nein!«
»Herr Gott im Himmel!« kam es von den Lippen des jungen Mannes wie ein Seufzer.
Die Waben blickte auf ihn und sah, wie fest der Blick seiner Augen sich an ihre Schwester heftete.
Sie sah auch, was für einen prächtigen Kopf er hatte, so männlich und gescheit, mit so fest geschnittenen Zügen.
Und es senkte sich wie eine tiefe Traurigkeit auf sie nieder. Es war aber keine rechte Traurigkeit, es war etwas anderes, – etwas Schwereres.
Traurig war sie schon manchmal gewesen, aber so etwas Schreckliches schien noch nie über sie gekommen zu sein! Es war ihr, als wenn ihr Blut aufhörte zu fließen, als wenn eine Spange sich ihr fest um den Hals legte, als wenn das Herz es nicht mehr für der Mühe wert hielte, weiter zu schlagen.
Sie sah sich selbst! Ja, sie war so winzig, so langweilig, so arm. Wie hatte sie nur denken können, – daß …
Aber alle diese Gedanken waren gar keine eigentlichen Gedanken. Wie große, graue, schwere Steinplatten kamen sie ihr vor, die langsam auf sie drückten und sie tief in den Boden hineinpreßten, ganz langsam und schmerzlos, – aber entsetzlich.
Während sie so litt, wendete er kein Auge von ihrer Schwester. Sie wartete, daß er sie wieder anreden würde, und sie schaute alles im voraus.
Sie sah und hörte alles so genau, als wäre es schon geschehen.
Sie wußte, daß seine Stimme kalt und gleichgültig klingen würde. Sie sah und verstand das alles so tief, so klar, so anders, als sie sonst nie verstand und begriff.
Ja, – und so kam es denn auch, ganz so! –
Sie war nicht überrascht und nicht erschreckt, – aber wie ausgelöscht. Sie fühlte sich selbst nicht mehr. Alles so grau, so fahl, – alles so gleichgültig, – so erstickend, – so weh! – Sie wollte gehen. Sie hatte genug gesehen; aber er redete ihr zu, zu bleiben.
Gerade sprach der Großherzog Karl August mit ihren beiden Schwestern. Er war außerordentlich gnädig und schien an den beiden schönen Mädchen großes Gefallen zu finden. Es waren ja seine guten Freundinnen, und sie sprachen jedenfalls miteinander von früheren Erlebnissen, von ihrem gemeinschaftlichen Frühstück im römischen Hause; von der Schaukelei auf der schmiedeeisernen Thür an der Sternbrücke, von den ungesetzmäßigen Theaterbesuchen, von der lustigen Fahrt in Karl Augusts Kalesche auf dem Vogelschießen, was ich alles ausführlich berichtet habe.
Karl August und die Ratsmädel hatten eben von jeher großes Wohlgefallen aneinander gehabt.
»Serenissimus zeichnet die Fräulein Schwestern ja außerordentlich aus!« sagte der Anbeter der Waben sehr befriedigt[68] und ganz versunken, nur Augen für das wunderschöne Mädchen unten im Saale behaltend.
Das war nun ein trauriges Nachhausegehen.
Waben langte still und matt daheim an. Frau Rat war noch auf und sagte: »Warte, mein armes Bärbelchen, du sollst mir nicht immer Zuschauerin bleiben! Glaube das nicht.«
Die Waben hörte und fühlte nichts, ging zu Bett und schlief wie betäubt ein und wachte auf, als lägen noch immer die schweren Steine auf ihr.
Und so blieb es.
Tags darauf war große Nachfeier für die Teilnehmer und Teilnehmerinnen am Zug bei der Oberhofmeisterin.
Da gingen die Ratsmädel hin in gelbroten Kleidern aus indischer Seide, die sie von Röses künftiger Schwiegermutter bekommen hatten. Dazu trugen sie goldene Gürtel und gelbrosa Rosenkränze auf dem geflochtenen Haar.
Die schmiegsame Seide floß an den schönen Gestalten köstlich herab. Die Waben half ihren beiden Schwestern beim Anziehen.
Schweren Herzens sagte sie: »Nun seid ihr noch schöner als gestern.«
Und das waren sie auch.
Es war der Ehrentag ihrer Schönheit. Sie schienen selbst ganz feierlich gestimmt, wie die eine die andre so ansah.
Budang, Franz Horny und Ernst von Schiller, die den Zug nicht mitgemacht hatten, kamen, um sich die Kameradinnen anzuschauen. Die Lichter unter dem grünen Seidenschirm waren angesteckt, und die beiden Mädchen gingen im Zimmer umher in ihrer unschuldigen Herrlichkeit.
Die Kameraden verhielten sich einsilbig.
Da stand etwas so fremd Schönes vor ihnen, etwas[69] so Bekanntes, Vertrauliches, süß Freundschaftliches, – und doch so Entrücktes.
Die Schönheit ihrer Kameradinnen lag ihnen schwer beengend auf dem Herzen; es war ihnen dabei nicht wohl zu Mute.
Am andern Morgen, als die beiden schönen Geschöpfe spät zum Frühstück kamen, schenkte die Waben ihnen ihre Milch ein.
Die Pate Sperber hatte nach ihrer Gewohnheit, wenn bei Kirstens irgend etwas Besonderes los war, einen Kuchen geschickt, und in diesen Kuchen aßen Röse und Marie sich in ihrer Zufriedenheit und Glückseligkeit tief ein, wie ein paar Mäuse, und erzählten dabei der Mutter und der Waben ihre Erlebnisse.
Die alten Erlebnisse, die schöne Mädchen, so lange die Welt steht, zu jeder Zeit erzählt haben: berauschende Dinge, die das Geschöpf triumphieren lassen im glückseligen Machtgefühle.
Und dabei aßen die beiden ungeheuer viel Kuchen und fischten nach den Rosinen darin.
Und während sie im besten Plaudern waren, brachte die Magd einen vollblühenden Rosenstock herein, etwas ganz Unbegreifliches zu dieser Winterszeit, und sagte: »Eine schöne Empfehlung an Fräulein Marie.«
Und an dem Rosenstock hing auch noch ein Briefchen.
Marie wurde dunkelrot und nahm mit zaghaften Händen das Wunder in Empfang.
»Ach Marie!« jubelte Röse auf.
Ein süßes Gesichtchen wurde bleich, – ein paar Lippen zitterten wie in namenlosem Weh, und eine zarte Gestalt ging unhörbar zur Thür hinaus, ohne daß jemand darauf geachtet hätte.
Das war von ihm!
Daß er den Abend oft mit Marie getanzt habe, das hatten sie ja schon erzählt. Wie war er denn nur hingekommen? Er hatte es eben möglich gemacht, dachte die Waben dumpf.
Aber der Anblick des blühenden Rosenstockes, – das war es, – das erst hatte ihr schneidend weh gethan!
»Jede Imagination muß ihren Corpus haben,« sagt der alte Paracelsus.
Oben in der Schlafkammer lag das gebrochene Mädchen bei verschlossener Thür auf den Knieen und hielt den Rosenkranz zwischen den zitternden Fingern und hatte sich das Bild der heiligen Jungfrau auf den Stuhl gelehnt und hielt Gottesdienst, einen so schweren, herzbeklommenen Gottesdienst.
Und sie sehnte sich nach Weihrauch und dem tiefen Orgelbrausen in ihrem Schmerzensrausche, nach den Aufzügen der Geistlichen bei der großen Messe; sie sehnte sich nach den prachtvollen Meßgewändern, klangvollen Worten und starken Tönen, nach der großen Herrlichkeit und den gewaltigen Glocken, den hohen Säulen und den anstrebenden Gewölben.
Hätte sie dort jetzt auf den Knieen liegen dürfen! Auf Orgelbrausen und Weihrauchwolken wäre ihr Weh der Mutter Gottes zu Füßen gestürmt. Aber so, in dieser Kahlheit hier, da hob der Schmerz sich nicht zum Himmelsflug, sondern drückte und drückte und wurde wieder zur grauen, schweren Steinplatte, die sie ganz begrub.
Wie nach einer Heimat sehnte sie sich nach ihrer hohen, stillen, dämmerigen Kirche, und sie breitete die Arme aus und schluchzte laut. –
Mittlerweile war dem Rosenstocke der Mann auf Freiersfüßen selbst gefolgt und hatte sich nach dem Befinden der Schwestern erkundigt. Das Befinden war vortrefflich. Sie waren lustig und guter Dinge. Röses Bräutigam erschien[71] auch, und die beiden schönen Paare standen auf ihrer Lebenshöhe, denn auch Marie war ganz entzückt von dem begeisterten, wohlerzogenen jungen Menschen, der sich so plötzlich in sie verliebt hatte, wie in ein Wunder. So gab es in dem Kirstenschen Familienzimmer eine prächtige Harmonie. Schöne Menschen in voller Jugend, die nur von den besten, schönsten Dingen sprachen und dachten und träumten, die Feste beredeten und Ausflüge und allerhand Vergnügungen und Feierlichkeiten, um die herrliche Zeit zu genießen.
Als die Waben hereintrat, begrüßte ihr Schopenhauerscher Freund sie, leicht befangen, als alte Bekannte, – that es aber mit gutem Gewissen, denn das große Liebesfeuer, das jetzt in ihm brannte, hatte das kleine, bedächtige Flämmchen, das für die zarte Waben geglommen hatte, vollständig verschlungen.
Und was er im Schein des bedächtigen Flämmchens gesagt, gethan und geblickt hatte, davon wußte er wohl nichts mehr.
»Ihr kanntet euch schon?« fragte Röse ihre Schwester.
»Ja, von Schopenhauers her,« antwortete sie ruhig.
Und da stieg die Seligkeit im Kirstschen Familienzimmer schon wieder hell empor. –
Und über der Waben schlug es grau und erstickend zusammen, wie dunkles Wasser.
Sie wußte nicht, was sie mit sich selbst anfangen sollte.
Sie liebte ihn so sehr!
Wie ein trauriger Schatten kam sie sich mitten unter den glücklichen Menschen vor.
Das ging so ein paar Tage fort, – so hilflos, so über Bord geworfen fühlte sie sich! – Dann hatte sie einen Entschluß gefaßt, nahm sich ein Herz und bat: »Vater, erlaubst du mir, daß ich nach Jena zur Beichte fahre?«
Das war ein Ruf nach Rettung, den sie gethan hatte.[72] Es faßte sie wie die Sehnsucht nach einer alles verstehenden Mutter, die durch und durch sieht, alles weiß und voller Hilfe und Liebe ist.
Und so fuhr die Waben nach Jena, in der alten, rumpeligen Postkutsche, und der Postillon blies ein Stückchen, das zu Herzen ging; so ein echtes, rechtes Postillonstück, das die alte lederne Kutsche zu einem lebendigen Ding macht, das jubelnd oder klagend am frühen Morgen auszieht und nachts jubelnd oder klagend in langgezogenen Tönen durch die dunklen Straßen fährt – und die Schläfer weckt – und ihnen das Herz bewegt.
In Jena, in der grauen Stadt, die, von sonnigen, heitern Bergen umgeben, im weiten Kessel wie ein Pilznest hockt, mit spitzen grauen Giebeln und spitzen Dächern, da fand sie in der kleinen, uralten, geheimnisvollen Kirche, die zwischen Gräbern in der Sonne liegt, das Orgelbrausen, die Weihrauchwolken, die Säulen, die Priesterworte, – das Heimische, wonach es sie in ihrer Not verlangt hatte. Da durfte sie auf ihren Knieen liegen und schluchzend ihr Weh anvertrauen. Und die Weihrauchwolken und die Orgeltöne waren wie breite Flügel, auf die sie ihren Jammer niederlegte, und die mit ihm höher flogen, und höher und höher, immer höher.
Und in der Beichte demütigte sie sich vor Gott und einem alten, ärmlichen Priester, schüttete ihr Herz aus und beschuldigte sich.
Und ihre Schuld war: daß sie liebte und nicht zu Ende mit dieser Liebe kommen konnte, daß sie beneidete, verzagte und glücklich sein wollte.
Aber der alte, ärmliche Geistliche tröstete sie und ermahnte sie. Er sprach von der heiligen Wonne der Selbstverleugnung; er sprach von der Seligkeit des großen Ueberwindens, von der reinen Freiheit der freien, ruhigen Seele,[73] die nichts Irdisches will, mitten im Leide nicht beunruhigt, mitten in der Freude unbegehrlich, selbst arm alles anderen gönnend, – nichts wollend selig.
Er sprach in seiner Einfalt die großen unirdischen, ascetischen Worte zu ihrer Jugend, die sich aufgebäumt hatte gegen das »Ueber Bord Geworfensein«, die genießen und leben wollte.
Aber das gute Geschöpf hatte sich ganz und rückhaltslos gedemütigt. – Sie wollte nur Hilfe und streckte die Hände aus und nahm, was man ihr gab: die große, schwere, ernste Gabe.
Das zarte Gesicht leuchtete, die gebrochene Gestalt richtete sich auf, und sie empfing die Absolution ihrer Sünden.
Tief in der Nacht fuhr die rumpelige Postkutsche in Weimar wieder ein; der Postillon blies und weckte die Schläfer.
Im Posthof schlüpfte aus dem dunklen Wagen ein zartes Wesen und ging durch enge Gassen und Straßen.
Und als sie oben in der Schlafstube, im alten Haus in der Wünschengasse, vor den Betten der schönen, glückseligen Schwestern stand und die beiden Mädchen fest schlafen sah, kniete sie nieder und faltete die Hände, und es war ihr, als wenn sie mit geschlossenen Augen langsam in das tiefe, stille, sanfte Meer der Entsagung versänke. Wie weiche Wellen schlug ein großer Frieden ihr entgegen, etwas so unsagbar Besänftigendes, etwas so hinsterbend Süßes. Und es ward ihr weich und weit ums Herz, so frühlingshaft, so werdend, als wenn von einem großen, wunderbaren Geheimnis der Schleier gehoben würde. Man glaubt, das Beste auf Erden sei das Glück? Das glaubt man; aber es gibt noch etwas, etwas so geheimnisvoll Unergründliches, was größer als Glück und Unglück ist, was über allem steht, – etwas Unantastbares. Und dies Große wohnt einzig und allein im Herzen entsagender Menschen.
Die unbeachtetste, die geringste Seele kann es mit seiner Größe erfüllen, die mächtiger ist als alle Welten, als alle Glückseligkeiten.
So umschloß die, von der kleinen Oellampe dämmerig beleuchtete Stube drei Bräute: zwei glückselige, schlafende, irdische Bräute, – und eine süße, kleine Himmelsbraut, mit lichtem, klarem Herzen; eine Himmelsbraut, auch wenn sie nicht ins Kloster ziehen wollte, sondern hier zu bleiben gedachte, in diesem glücklichen Hause.
Mitten im Leiden nicht mehr beunruhigt, mitten in der Freude unbegehrlich, selbst arm alles andern gönnend, – nichts wollend selig.
Das ist das Große, das Lebendige! Das ist das Unantastbare!
Am Marktplatz, im Eckhaus, das dem jetzigen Rathaus gegenüber liegt, da lebte zur Zeit, als die Ratsmädel mit allerlei Schwänken in der Wünschengasse ihr Wesen trieben, und Apothekers von ihrem Erker, den ein buckliges steinernes Weibchen auf den Schultern trägt, nach den Herrschaften ausblickten, um rechtzeitig knicksen zu können, und das kleine Fräulein Muskulus mit ihrer dicken Perücke und mit dem Veilchenhut über den Platz scheegte und die Fabianen und die Kummerfelden und die Kameraden der Ratsmädchen, Budang, Horny und Schillers Aeltester vorüberwanderten, und es überhaupt von all den alten Weimaranern, von denen keine Feder und keine Faser mehr übrig ist, noch wimmelte, da wohnte im Eckhaus ein gelehrter und weiser Herr, Rat Tiburtsius. Er wohnte da mit seiner Gemahlin, einer kleinen statiösen Dame, und seiner Haushälterin.
Kinder gab es im Hause nicht, dafür war aber alles blitzblank, vom messingenen Thürknauf und dem Namenschildchen an der Flurthür, bis zu dem messingenen Vogelkäfig an dem Fenster über Madame Tiburtsius' Arbeitstischchen, und bis auf den letzten Messingnagelknopf in der Küche, bis auf die messingene Kuppellaterne, mit der Madame[76] Tiburtsius abends von den Whistpartieen abgeholt wurde, die der Reihe nach umgingen bei Apothekers, bei Madame Kirsten, der Mutter der Ratsmädchen, bei Madame Kummerfelden und auch bei Fräulein von Knebel im Schloß, der Erzieherin der Prinzeß Karolina, bei Tiburtsius' und noch einigen andern und auch bei Madame Schopenhauer. Es glänzte und glitzerte alles im Haus, auch die alte messingene Kohlenpfanne, die der Mutter selig, mit Gesangbuch und Lederkissen, winters in die Stadtkirche nachgetragen wurde und die jetzt im Flur hing. Die Kaffeekanne, aus der Herr und Frau Tiburtsius nachmittags ihr Schälchen tranken, blendete die Augen, und der Präsentierteller, auf dem sie stand, warf ihren Glanz und den seinigen zur Zimmerdecke hinauf und ließ grelle Lichtringel tanzen.
Und all dieses Feuer fachte ein einziges Frauenzimmer an, das, wenn man ihr nur Zeit gegeben hätte und einen gehörigen Putzlappen, die ganze liebe Erde reingefegt haben würde. Dieses Frauenzimmer war eine trockene, hagere Person, sauber und kerzengerade, und wenn sie mit ihren beiden strahlenden Eimern zum Brunnen ging, der unter Apothekers Erker sein Wasser in das große steinerne Becken laufen ließ, und hinwandelte, rein wie eben erst aus Gottes Hand mit samt ihren Eimern hervorgegangen, da schauten die Hausfrauen, die mit ihren Strickstrümpfen und in großen Hauben an den Fenstern saßen, verlänglich nach ihr aus und seufzten und übertraten regelmäßig den Katechismus, der da sagt: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Magd.
Aber das war ihre Sache, sie mochten es damit halten, wie sie wollten, sündigen oder nicht sündigen, es half ihnen doch nichts.
Tiburtsius' Kathrine war in dem blinkenden Hause festgewurzelt, eher hätte der Stadtkirchenturm ans Umziehen gedacht, als daß Kathrine von ihrem Dienst in einen andern getreten wäre.
Sie gehörte zu Tiburtsius', schon zur Zeit der Mutter von Madame Tiburtsius. Sie war es gewesen, die der alten Dame die messingene Kohlenpfanne, die jetzt unbenutzt, aber immer noch blinkend, im Flur hing, mit dem Feuerstörer, dem Gesangbuch, dem Lederkissen in die Stadtkirche nachgetragen hatte. Leid und Freud hatte sie mit ihren Leuten durchgemacht, hatte gewissermaßen Herrn Rat Tiburtsius mitgeheiratet und hätte es nahezu für eben einen solchen Treubruch gehalten, wenn sie ihn verlassen hätte, als wäre sie sein angetrautes Weib gewesen und nicht die Köchin und Haushälterin der Madame.
»Unser Herr,« sagte sie, wenn sie vom Rat sprach.
»Unser Herr,« sagte auch Madame Tiburtsius, wenn sie in Eifer kam über irgend etwas, was ihrer Meinung nach der Herr Gemahl hätte unterlassen können.
Tiburtsius' Kathrine war aber mit ihrem Herrn und mit der Madame, trotz aller Treue und trotz aller Unmöglichkeit, sich von ihnen und ihren Messingkäfigen, Messingknäufen, Messinghandhaben, Messingkesseln, Messingofenthüren, Gabeln und Zangen, Leuchtern, Klingeln und dem messingenen Namenschild jemals trennen zu können, durchaus nicht so ohne weiteres einverstanden. Sah man sie im Hause hantieren und auf den Markt gehen, so hätte man glauben sollen, solche unanfechtbare, bewährte Sauberkeit, die könnte nur in allertiefstem Frieden gedeihen, in einer Harmonie, von der man sich eigentlich keine rechte Vorstellung machen kann, sondern die man nur für möglich hält auf der Insel der Seligen oder an solch einem Orte, wo es weder Kaminfeger noch Heizung gibt, noch Straßenschmutz und Staub, noch etwas Versalzenes, Angebranntes, Gesäuertes, noch Mißverständnisse aller Art, Zank mit Handwerkern, Tauwetter, Rauch und üble Laune, Aerger über Freunde und Feinde, noch alte Damen, die mit ihrem Mops auf Nachmittagvisiten gehen, weder alte Herren mit Tabakspfeifen,[78] noch Kinder mit schmutzigen Schuhen und Musbröten.
Ja, und es war auch bei Tiburtsius' wie überall auf Erden. Es ging nämlich ganz natürlich zu, und der ungetrübte Glanz, der über allen Dingen lag, war nichts weiter als was sich eben mit unermüdlichen Fäusten erreichen ließ. Tiburtsius' Kathrine hatte so viel Aerger zu schlucken, so viel Leid, als irgend eine andre Sterbliche auch.
Sie umhüllte den Rat mit einer wahren Wolke von Reinlichkeit und Sauberkeit – aber im Kern dieser Wolke, da saß der Rat und paffte und steckte in einem schmierigen Schlafrock und in ausgeschlappten Filzschuhen und häufte Schmutz und Staub und Gelehrsamkeit auf seinen Schreibtisch und rührte all dieses untereinander und streute Schnupftabak darüber und spuckte auf die Dielen und wischte sich die Feder an den Kniehosen und warf sein weißes Perückchen auf die Akten, daß der Puder stäubte und sich mit dem Schnupftabak und Rauchtabak und der Asche und den Dochten, die er immer aus der Lichtputzschere fallen ließ, auf seinem Schreibtisch (dem Misthaufen, sagte Kathrine in ihren Selbstgesprächen) zu einem sehr bedenklichen Ueberzug vermengte.
Das war ein Kreuz und ein Elend – und dies vor den Augen der Welt zu verbergen, war Rats Kathrine ihre erste Sorge, da war kein Opfer und keine Mühe groß genug.
Nichts macht den Menschen mehr Spaß, scheint es, als eine Lüge zu verteidigen, eine Lüge groß zu ziehen, an eine Lüge zu glauben und glauben zu machen, eine Lüge am Leben zu erhalten, für eine Lüge zu leben und zu sterben.
Die Leute sollten nun einmal glauben, der Rat wäre ein Wunder von Sauberkeit, Pünktlichkeit, Ordnungsliebe und dergleichen löblichen Eigenschaften mehr. Das hatte sich Kathrine in den Kopf gesetzt, und nicht nur Kathrine, sondern das rechtmäßig angetraute Weib auch ebenso. Armer Rat,[79] wenn du die Treppe hinabwandertest, in aller Unschuld, wie war's dir dann, wenn die Küchenthür aufflog und hinter dir drein ein Weibsbild fuhr mit Bürsten bewaffnet, der Tuchbürste und der Samtkragenbürste und, ohne zu reden über dich herfuhr wie ein Hagelwetter, vom Kragen auf den Rock mit der sanften Bürste und der harten Bürste in blitzschneller Abwechslung – und wenn, von den Bürsten angelockt, sich noch eine Thüre öffnete und die Frau Rätin mit sanften Jammertönen und der Puderbüchse und der Quaste eilig ankam, um dir das Perückchen frisch zu stäuben und dein Zöpfchen zwischen den Fingern zu nudeln – und dann das Bürsten von neuem begann – wild und eifrig, damit um Gottes willen Herr Rat nicht aufgehalten würde; alles in allergrößter Devotion und ehelicher Liebe und Fürsorge!
»Und die Finger, Gustävchen – und die Finger und das Fazeterl?
»Die Finger –, Gustävchen, hast se doch erscht gewaschen?« –
Was hatte doch die Frau Rätin für eine behagliche Stimme – so ein bißchen eine fette Stimme und ein wenig schnarrend.
Und wenn du glücklich draußen warst, Herr Rat, da war es dir ein wenig schwindlig – da wackeltest du mit dem Kopfe ein ganz klein wenig über diese Weibsbilder; aber nicht etwa so stark, daß man es mit unbewaffneten Augen vom Fenster aus hätte wahrnehmen können. Beileibe nicht! Denn oben schaute die Rätin am Fenster dir nach und öffnete das Schiebfensterchen und rief einmal wie allemal: »Aber Gustävchen, pünktlich zum Essen – damit wir den Nachmittag vor uns haben – Gustävchen!«
Und dann gingst du in deine Sitzung – da warst du ein freier – ein großer Mensch.
In diese Sitzung sprangst du allemal wie der Frosch in den Teich, wenn du nur das Bild nicht übelnehmen willst![80] Da kam dir nichts nach – gar nichts, da mußte alles draußen bleiben, unwiderruflich – alles, alles. Ueber die Schwelle – ein Schritt, und du warst ein gefeiter Mann. Das war eine vortreffliche Einrichtung!
Manchmal aber in der Sitzung, da packte es dich ganz eigenartig, da war es dir zu Mute wie dem Schneck, der sein Haus irgendwo hat stehen lassen aus Vergeßlichkeit, wenn einem Schneck so etwas passieren könnte, und der sich nun absorgt, was derweilen wohl mit seinem Haus geschehen ist, was sie wohl damit machen, ob sie's ihm zertreten haben – oder ob was hineingekrochen ist.
Ganz so war es dir zu Mute, lieber Rat – das weiß ich, und du würdest mir recht geben. Ja, das wäre dir lieb gewesen, wenn du nicht gewissermaßen nackt und bloß in die Sitzung hättest gehen müssen, sondern wie der Schneck dein Haus, dein Eigentum hättest überall mitnehmen können; wenn du mit deinem Schreibtisch zusammen hättest in die Sitzung gehen können – das wäre schön gewesen! Der aber hat zu Hause bleiben müssen, dein Schreibtisch, der Misthaufen.
Und du mußt selbst gestehen, daß ein Misthaufen mitten in einem solchen blinkenden Hause, wie das deine eins ist, nicht hineinpaßt; daß ein Misthaufen entfernt werden muß, und daß es Hände gibt, die das unwiderruflich thun werden, wenn der Haufen gen Himmel stinkt, wie Kathrine sagt.
Und dann, wenn du nach Hause kamst, guter Rat, und es empfing dich so eine angenehme wohlbekannte Luft, eine eigentümliche Oede – fremd starrte dich dein Zimmer an, wie eine Wüste dein Schreibtisch, die Dielen naß, kalt, fleckenlos, der Tabaksduft mit Seife- und Sandgeruch vermischt, der seelenvolle Zustand ertötet, alles kalt zusammengerafft ohne Sinn und Verstand, die Verbindung von Gelehrsamkeit, Schnupftabak, Rauchtabak, Asche und Staub zerstört, das Behagen verscheucht – das hast du oft durchgemacht,[81] Herr Rat; anfangs gebrummt, geschimpft, gezankt, aber das nahmen deine Weiber so selbstverständlich hin wie eine Rechnung, verzogen die Gesichter nicht und strichen deine Aufregung, deine Verzweiflung, deinen Jammer, deine Wut einfach ein, quittierten darüber, und die Sache war abgemacht.
Du warst machtlos, Herr Rat, denn was wolltest du thun; du warst machtlos wie ein Verrückter zwischen seinen beiden Wärtern, die ihn seelenruhig toben, schreien, zappeln lassen, bis der Anfall vorüber ist, und sich sogar verständnisinnig in ihrer Roheit über das Gethu des armen Narren zulächeln.
Trotz aller deiner Gelehrsamkeit, Herr Rat, warst du ein armer Narr. – Glaub's nur, Herr Rat.
Von deiner Gelehrsamkeit sahen sie nichts, hörten sie nichts, und wie sie zu dem Wirtschaftsgeld kamen, das immerhin deine Gelehrsamkeit ihnen einbrachte, darüber zerbrachen sie sich auch den Kopf nicht.
Sie bemerkten nur die Asche, den Ruß, die rauchige Feuerstelle, die die Flamme deines Geistes erzeugte, und hielten das für einfache Schmutzerei.
Und Schmutzerei konnten sie beide nicht brauchen, die Kathrine nicht, weil sie Blankheit für wichtiger als Luft, Atemholen, Essen und Trinken ansah, und die Frau Rätin nicht, weil sie immer Besuch und Visiten erwartete – und die bekam sie von früh bis in die Nacht hinein.
Besuch mit Nachtessen und Visiten mit Kaffee, einem Gläschen Wein und Kringeln. So waren Besuch und Visiten voneinander zu unterscheiden bei Frau Rätin und Kathrine. Und dieses Besuch- und Visitenerwarten, das war der zweite schwere Stein, der auf Kathrinens Herzen lag, und nicht nur auf Kathrinens. Die Frau Rätin war eine lebenslustige Frau, die bei sich dachte: »Es ist, weiß Gott, genug, wenn eines im Hause sauertopft, das sollte mir fehlen, daß ich[82] mich über meinen Nähtisch setzte, wie mein Rat über seinen Schreibtisch, und Grillen finge und spindisierte. Gott bewahre.« Die rundliche Rätin mit den muntern blauen Augen, dem kleinen, von runden Wangen eingeengten Mund, der strammen, kugelrunden Gestalt, die Frau Rätin, die so lachen konnte, daß alles an ihr schwabberte und schwabbelte, die wollte das Leben genießen und genoß es.
Sie hatte so viele gute Freunde und Freundinnen, alte und junge, und war überall dabei und machte alles mit. Vormittags hielt sie sich, wie es einer guten Hausfrau geziemt, leidlich daheim, flickte, schaute der Kathrine nach, machte mit ihr Streifzüge in Herrn Rats Studierzimmer, sobald er selbst ihm den Rücken gewandt hatte; sie ging Mittwochs und Sonnabends hinunter auf den Markt und brachte die Morgenstunden herum, wie es ein kinderloses Weibchen mit einem grilligen Mann am Schreibtisch in Weimar und anderswo je hingebracht hat. – Aber am Nachmittag!
»Damit wir die Nachmittage vor uns haben, Gustävchen.« Das rief sie nicht umsonst täglich Herrn Rat aus dem Schiebfensterchen nach, wenn er sich in die Sitzung aufmachte.
Bei Tiburtsius' und bei Apothekers ging es am lustigsten her von allen, die rings um den Marktplatz wohnten.
Bei Apothekers nahm groß und klein an jeder Festlichkeit teil, da floß Familienseligkeit, Familiengenügsamkeit wie ein lustiges Bächlein. Bei Rat Tiburtsius' aber ging der Geselligkeitstrieb, der Trieb nach Festlichkeit und Lustbarkeit von einem einzigen fetten Weibchen aus, das sich breit und wichtig machte.
Kathrine haßte das ganze Gästewerk aus Grund ihres Herzens. Sie kamen zu jeder Zeit und hatten kein Einsehen. Ehe die Stiegen noch trocken waren, tappten kleine und[83] große Füße darauf herum und schleiften den Straßenschmutz wieder herein.
Die Kummerfelden, die alte Schauspielerin und jetzige Nählehrerin, die am Entenfang in ihrem winzigen Häuschen wohnte, kam angehatscht durch dick und dünn, bei jedem Wetter. In ihren Strickbeutel hatte sie zwar oftmals Steine auf ihrem Spaziergang eingesteckt, die ließ sie dann auf dem grundlosen Weg zum Entenfang, so hießen ein paar kleine Häuser am Lottenbach, fallen, hatte aber nicht viel genutzt, und so zierlich sie ging, die Alte, ein gehöriges Stück Entenfang brachte sie an ihren Kreuzbänderschuhen immer noch mit.
Bei Tiburtsius' fand sich alles mögliche zusammen: die Fabianen, die sie in Weimar Rabenmutter nannten, weil sie jeden Winter, den Gott schickte, zum Ettersberg hinauswanderte und die Raben fütterte mit allerlei, was sie bei den guten Freunden eingesammelt hatte, worauf sie mit ihren großen Filzschuhen und mit gutem Humor, wie ein Rieseneiszapfen, zur Kaffeestunde zu Tiburtsius' kam und ihren unzerreißbaren Christophorusmantel übers Treppengeländer hing, so daß beim Auftauen die Bäche davon herabrannen. Und ihre Freundin, die winzige Mamsell Muskulusen mit der dicken Perücke, und die wunderschöne Rätin Kirsten mit ihren beiden Ratsmädchen, und alle Apothekers, und der Kupferstecher Müller mit den Müllerschkindern, und nicht zu vergessen der Ratsmädchen Freunde, Budang, Ernst von Schiller und Horny und Herr und Frau Egidi, ein junges Ehepärchen, und zu feierlicheren Gelegenheiten Madame Schopenhauer und Fräulein Adele, die Pogwischs, die ganze schöngeistige heilige Klerisei aus Frau Johannas Salon, August von Goethe und junge Leute seiner Bekanntschaft. – Wer sie alle aufzählen könnte, die Leute aus dem immer lustigen Weimar, die fleißig bei der dicken kleinen Frau Tiburtsius aus und ein gingen und Kathrinens guten Kaffee[84] tranken und die guten Kuchen aßen, die sie buk, und die Pufferts und Wickelklöße und die appetitlichen Brotschnittchen – und bei besonderen Gelegenheiten ein Gläschen von Herrn Tiburtsius' gutem alten Malaga zu schlucken bekamen, so lange, bis er aufgeschleckt war und der Herr Rat das Nachsehen hatte.
Und wie sie alle mit einem schlechten Gewissen an der Thür von Herrn Rats Arbeitsstube vorbeischlüpften und auch an der blinkenden Küche von Kathrine. Sie wußten gar wohl die Sachlage zu beurteilen; aber das störte sie nicht, durchaus nicht. Im Gegenteil, es hatte etwas Anregendes. Und wenn der Herr Rat ein bißchen maulwurfsmäßig in die schon stundenlang versammelte Gesellschaft seiner Frau trat, da wurde er gescholten und liebenswürdig gehänselt und zwischen zwei schöne Damen gesetzt, und mußte den Sakramenter spielen. Und brauchte man sein Arbeitszimmer zu lebenden Bildern oder als Garderobe oder sonst zu irgend einem edlen Zweck: »Ausgeräuchert, alter Hamster,« sagte dann irgend ein Pfiffikus zu ihm, sein alter Freund, der Apotheker, oder Kupferstecher Müller oder sonst einer; irgend so eine Art Witz machten sie stets, gewöhnlich denselben.
Das ging so fort jahraus, jahrein.
Was half es dem armen Rat, daß er ein großes Licht der Wissenschaft war, daß man in Weimar allerlei Anekdoten von ihm erzählte, daß die Marktweiber ihn nicht nur in eine Reihe mit Schiller und Goethe stellten, sondern noch weit über diese hinaus, daß der Nachtwächter ihn ganz besonders ehrfurchtsvoll grüßte, daß er ein sehr geachteter Bürger war? Gar nichts. Er blieb eine armselige, waffenlose Kreatur, die nicht im stande war, ihr Nest zu verteidigen. Er wurde gebürstet, überstäubt und wieder gebürstet, sein Schreibtisch wie ein Stall gereinigt, sein Behagen durchkreuzt, verscheucht, seine Atmosphäre gelüftet, seine Gewohnheiten wurden mißachtet, seine Ruhe wurde gestört, seine Stube genäßt, versandet, sein[85] Wein verschenkt – der Boden ihm unter den Füßen weggenommen. Er wußte es selbst nicht, wie schlimm es war.
Kathrine aber ging hin und wieder ein trübes Licht über den Zustand ihres armen Herrn auf, einzig deshalb, weil auch sie dem Trieb nach Geselligkeit, der ihre Frau beherrschte, feindlich im Grunde ihrer Seele gegenüberstand. Sie kannte eine Geschichte, die hatte der Wirt vom Stadthaus ihr erzählt, eine Geschichte, auf die sie stolz war, die sich zugetragen hatte, als sie schon längst im Hause diente, von der sie aber nichts erfahren, bis eben der Wirt vom Stadthause sie ihr mitteilte, und die Geschichte hatte sich folgendermaßen zugetragen.
»Dein Rat ist doch ein verteufelt Gescheiter,« hatte der Wirt ihr gesagt, während sie sich das Seidel Braunbier von ihm einfüllen ließ. »Da schaut er einmal zum Fenster 'raus und gafft, und bei mir steht ein Bauersmann, so 'n Stoffel, der nich dreie zählen kann – der sollte in der Stadt einen Doktor holen, aber welchen – das hatte er dir vergessen. Und nun steht er da in seinen Lederhosen, wie die Kuh vor dem neuen Thor, und weiß nicht, was hinten und vorn is – und kratzt sich hinter den Ohren. Da sag' ich zu ihm: ›Guck, da sieht der Rat Tiburtsius zum Fenster 'naus – der weiß alles. Wenn einer, so kann der dir's sagen, den mußt du fragen.‹ Un richtig, der Schiebel geht auch und steht dir unterm Fenster und glotzt 'nauf – und thut 's Maul nich auf.
»Da mach' ich mich auf die Strümpfe und mach' dem Herrn Rat mein Kompliment und sag': ›Herr Rat, der Mann da soll schnell einen Doktor aufs Land holen un weiß nich mehr, welchen.‹
»Der Herr Rat, der hört's dir nur – un sagt gleich: ›Das ist ja wunderlich – das ist ja wunderlich.‹
»Un Doktor Wunderlich, der war dir'sch werklich, das hatte er gleich weg. – Der Doktor Wunderlich, der sollte[86] geholt werden. Es muß schonn so an recht Gelehrter sein, dein Rat.« –
Und Kathrine erwog diese Geschichte in ihrem Herzen und vergaß sie nicht, und wenn es die Gäste der Madame gar zu bunt trieben und den Frieden des Herrn Rat gar zu unverschämt störten und auch in ihrer Küche herumwirtschafteten, das Mehl selbst aus dem Fasse holten, um Mehlhäufchen zu spielen, oder die blanken Kasserollen herunterlangten, weil sie dieselben zu Helmen in irgend einem lebenden Bilde gebrauchten – da dachte Tiburtsius' Kathrine, daß man so einen gelehrten Mann doch mehr ästimieren sollte. Das dachte sie hin und wieder eine ganze Reihe von Jahren lang.
Nun war einmal um Fastnacht ein sehr milder Februar, der seine zehn Frühlingstage, die er füglich geben sollte, so verlangte man es damals in Weimar von ihm, auch wirklich gab; – es waren schon bald ihrer zehn beisammen, und der Herr Apotheker und der Herr Kupferstecher Müller und der Herr Rat Kirsten und der Herr Rat Tiburtsius und noch so und so viele sagten, wenn sie einander begegneten oder ein Gespräch anfingen: »Heuer ist's aber in schönster Ordnung« – oder »Ein kapitaler Februar« – oder »Ein Staatsfebruar« – oder »Heite ham mer en Februar, der sich gewaschen hat« – oder sonst dergleichen etwas, wie es die alten Herren von damals zu sagen liebten.
Die Jenenser Botenweiber brachten schon Schneeglöckchen und Weidenkätzchen mit und erzählten Wunderdinge, wie weit sie in Jena schon Weimar voraus wären.
Um diese Zeit war in den Rat Tiburtsius eine sonderbare Lustigkeit gefahren. Er trieb sich außer dem Haus umher. Die einen sahen ihn da, die andern begegneten ihm dort. Er machte weite Spaziergänge, man hatte ihn mit Leuten auf der Straße reden sehen; von denen man wußte, daß sie mit Tiburtsius' nicht bekannt waren. Er war zerstreuter denn[87] je, ließ sich von Kathrine auf der Treppe bürsten und von der Rätin bestäuben und dann wieder bürsten, ohne etwas davon zu bemerken. Er suchte die Dinge, die er in der Hand trug, in allen Ecken, jammerte nach der Brille, die ihm auf der Nase saß, bemerkte es scheinbar nicht, wenn sie seinen Schreibtisch abgekehrt und umgekehrt hatten, wurde von Kathrine ertappt, wie er ohne Hut ausgehen wollte, statt des Hutes aber seinen alten Filzschuh unterm Arm trug. So toll dies auch klingen mag, ist es doch wirklich und wahrhaftig wahr und in Weimar auch bei alt und jung gar wohl bekannt. Es hat sich so manche Geschichte von dem Herrn Rat fortgepflanzt, und ich kann eine feierliche Beteuerung abgeben, daß überhaupt alles, was ich von dem Herrn Rat erzähle, vollständig auf Wahrheit beruht, wie überhaupt alles, was ich in dieser Geschichte zum besten geben will.
Und wollte ich die Quelle verraten, aus der ich so manches Altweimarische schöpfen darf, so bin ich versichert, es würden sich so vielerlei Forscher und Wühler mit Eimern, Gelten und Schaffen aufmachen, um auch aus meiner Quelle zu schöpfen, daß ich wohlweislich schweigen werde. Sie würden mich fortdrängen. Sie würden behaupten, bei weitem wichtiger als meine Wenigkeit zu sein. – Sie würden sich mit wissenschaftlichem Eifer breit machen, würden mich anschnauzen oder höflich ersuchen, Platz zu machen, weil sie die Goethezeit mit allem Drumunddran gepachtet zu haben vorgeben. – Jawohl – daraus wird aber nichts.
Uebrigens, um gleich eine Ungenauigkeit, deren ich mich schuldig gemacht habe, selbst zu berichtigen, ehe es andre thun, gestehe ich, daß Herr Rat Tiburtsius keinen alten Filzschuh unterm Arm statt seines Hutes getragen hat, sondern etwas andres, was ich mir aber erlaubt habe, des guten Tons halber in einen alten Filzschuh umzuwandeln. Der Rat war eben mit seinen Gedanken ganz wo anders, als wo Kathrine und die Rätin meinten, daß er sein müßte.
So ging es eine ganze Weile fort.
Die Leute trugen der Frau Rätin zu, daß der Herr Rat einen Kauf müsse abgeschlossen haben; aber was er gekauft habe, das konnten sie ihr nicht sagen. Auf dem Stadtgericht war er auch gesehen worden. – Gott weiß, wo alles man ihn gesehen hatte! Auch hinter den Scheuern wollte man ihn gesehen haben.
Die Frau Rätin grübelte hin und her, ihre Gäste grübelten, Kathrine grübelte. Man fragte, man sprach allerlei Vermutungen aus. Die einen meinten, er habe sich ein Reitpferd gekauft – darüber mußte aber die Frau Rätin lachen. Die andern meinten Pferd und Kütschchen – da lachte die Frau Rätin schon weniger, das wäre ihr gerade recht gewesen. Einen Oxhoft Wein aus Frankfurt, glaubte der Apotheker. Andre wieder kamen darauf, er wolle der Stadt eine Schenkung machen. Man konnte nicht darüber einig werden, und der Rat schwieg beharrlich.
»Das ist meine Sache – meine Sache – meine Sache!« fuhr er seine Frau an; zum erstenmal seit Jahren fuhr er sie wahr und wahrhaftig an, als sie hinterlistig und energisch hinterlistig in ihn dringen wollte.
Das erschien ihr so sonderbar, daß ihr gut gewöhnter alter Gatte mit einemmal rebellisch wurde, daß sie etwas Unbestimmtes fühlte, was sie veranlaßte, nicht weiter in ihn zu dringen.
Und so blieb er so weit unbehelligt.
Eines schönen Abends, als die Rätin zu der Schopenhauern zur Whistpartie gebeten war, wanderte Herr Rat in seinem Zimmer auf und nieder und pfiff. – Er pfiff wirklich. – Wie sonderbar es klang, und wie sonderbar er es fühlte, dies Pfeifen! Seine Lippen waren ihm ordentlich steif geworden und juckten ihn. – Er hatte seit Jahrzehnten nicht gepfiffen, solang er Rat war, kein einziges Mal.
Aber heute! – Und er rieb sich die Hände ganz vergnügt[89] und schlürfte in seinen Pantoffeln sehr schnell und sehr eifrig auf und nieder.
Jetzt klappte er den Kleiderschrank auf, suchte und kramte unten und oben auf dem Brett, wo sein Schuhwerk stand, und auf dem, wo Hüte und Kappen lagen und wo ein Staatsperückchen auf seinem Stengelchen saß. Dem nickte er zu und sagte: »Du wirst was erleben!«
Dann wirtschaftete er zwischen Röcken und Kniehosen und den gestickten Westen herum, und ein paar weiße, mächtige Halsbinden fielen oben vom Brett, wo sie neben dem Perückchen gelegen hatten, und er trat darauf. Es knackte. Zuerst merkte er's nicht, denn er wühlte ganz zu hinterst im Schrank, aber jetzt steckte er mit dem einen Fuß in einer, und die hatte eine Mechanik und schnappte.
Da fuhr er mit dem Kopfe aus seinen Röcken, Hosen und den gestickten Westen – und sah nach, was angebissen hatte.
»Ei – ei – ei – ei!« sagte er betroffen und gedachte seiner Weibsleute. Dann legte er die Halsbinden vorsichtig, trotzdem er sie bös zugerichtet hatte, wieder neben das Staatsperückchen – und kramte weiter.
Endlich hatte er, was er suchte, und zog ein Ungetüm von einem alten Flausrock hervor, einen hellen Flausrock, der ihm von oben bis unten ging. Er schien, nach dem Zustand zu urteilen, in dem er sich befand, der Vater von dem jetzigen alten Flausrock zu sein, den der Rat gerade anhatte – oder auch der Großvater davon. Er war so eine Art Schlafrockheiligtum.
»Da ham m'ern,« murmelte der Rat, hielt ihn ausgebreitet vor sich hin und schaute den schäbigen Gesellen pfiffig an und schaute auf die Rutschpartieen von altbekannten Tintenflecken, auf ganze Wüsteneien, wo er die Feder jahrelang ausgewischt hatte, so daß glänzende Krusten entstanden waren, und schaute auf Tabak- und Bierflecken und unbestimmbare[90] Flecken, als blickte er auf lauter Gemälde seines vergangenen Lebens.
Der Rock gefiel ihm. Der Rat schmunzelte und wickelte ihn sorgfältig und fest in eine Rolle, und mit einem Bindfaden band er ein paar große Latschen darauf, schob dann das Paket in eine Ecke und stellte einen Lehnstuhl davor und ging wieder im Zimmer auf und nieder eine ganze Weile, schaute hin und wieder zum Fenster, und jetzt lugte er vorsichtig zur Thür hinaus. Es war still, ganz still – Kathrine mußte auch fort sein.
Ein Zug tiefen Friedens lagerte sich auf dem Gesicht des Rats. Er legte die Hände über sein spitzes Bäuchlein, das sich unvermittelt wie ein Schwalbennest an der hagern Figur angehängt hatte, und wandelte so weiter. Diesmal aber pfiff er nicht.
Er sang mit einer knarrenden, ungeschmierten Stimme, wie in der Kirche, wenn er seinen Choral absang – aber ein gutes, herzerfreuendes Lied war es, kein Choral. Und nur die erste Strophe davon – weiter nicht. Er sang so schüchtern, als wollte er einer schönen Dame eine Liebeserklärung singend vortragen, und es lag ein sonderbarer Ausdruck über seinem Gesicht, eine Erregung, etwas wie Reiselust; die aber kannte und verehrte der Herr Rat nicht. Es war etwas andres.
Die Sonne ging jetzt unter und warf ihre Frühlingsstrahlen auf die gelbgetünchten Mauern des Stadthauses, daß es golden glänzte, und die Strahlen, die in das große Becken des Marktbrunnens plätscherten, ließ sie wie lebendiges Silber glänzen.
Das sang der Herr Rat mit zitternder, gerührter Stimme.
Das mochte vielleicht eine Erinnerung sein, eine Jugenderinnerung, eine Frühlingserinnerung, die sich ins Herz schleicht, die das ganze Leben vergessen läßt und uns in die[91] liebe, gute Jugend versetzt, denn der Herr Rat hatte alles, nur keinen Garten, und er sang genau so, als hätte er einen, nicht sehnsüchtig und eigentlich auch nicht erinnerungsselig, sondern triumphierend – wirklich triumphierend. Und er schritt auf und nieder, stolz und unternehmend wie ein Hahn auf seinem Hof. Es war ihm wohl zu Mute, und damit wir's kurz sagen: er hatte wirklich einen Garten. Er hatte einen Garten gekauft – für sich selbst einen Garten, kein Pferd mit einem Kütschchen, und hatte auch der Stadt nichts vermacht. Gott bewahre!
Und jetzt war er dabei, sowie die Dämmerung ein wenig dichter wurde, mit seinem Flausrock unterm Arme in sein neu erworbenes Eigentum zu wandern.
Er hatte die sonderbare, eines weltfremden Gelehrten würdige Idee gefaßt, seinen Garten geheim zu halten. Es sollte so lang als möglich niemand etwas davon erfahren, und deshalb wartete er auf die Dämmerung und sang das Gartenlied erst, als er sich überzeugt hatte, daß auch die Kathrine ausgegangen war.
Und endlich – endlich war es so weit. Der Rat schlüpfte in seinen Rock, nahm Stock und Hut, legte über den Flausrock und über die alten Latschen ein zerknittertes Fetzchen blaues Papier, das er aus einem Fache seines Schreibtisches bedächtig hervorgesucht hatte, denn zu jener Zeit wurde eine solche Papierverschwendung wie jetzt, wo man einen ganzen Flausrock mitsamt alten Latschen bequem in ein einziges Zeitungsblatt wickeln könnte, nicht getrieben. Man dachte an eine solche papierne Flut, wie sie uns heute überschwemmt hat, noch nicht im Traume damals.
Dem Herrn Rat wäre aber so ein tüchtiger Fetzen Zeitung, wie die »Kölnische« etwa, gerade recht gekommen, denn er zupfte und reckte und strich an seinem blauen festen alten Papierchen, das gar nichts decken wollte, sondern nur wie ein Pflaster auf dem Flausrock lag. Schließlich nahm[92] er ihn aber unter den Arm, wie es gehen mochte, schlich die Treppe vorsichtig, vorsichtig hinab, trotzdem er, als er zaghaft in die Küche geschaut hatte, überzeugt sein konnte, daß das Frauenzimmer mit den Bürsten ebensowenig daheim war als die Gattin mit der Puderquaste und der Puderschachtel.
Er war jetzt ein freier Mann; aber das Schleichen hatte er sich nun einmal angewöhnt.
Auf der Straße lief er so hastig mit seinem Bündel, als es sich irgend mit seiner Würde als Rat vertrug, durch die Wünschengasse unter dem Wittumspalais hin, die alte ausgetretene Treppe, die zur Esplanade führt, hinauf; da, unter den alten Linden, war es schon recht dämmerig. Für den Flausrock war das gut, weniger für den Garten; aber diesmal kam es dem Rat mehr darauf an, sein Bündel in dem Garten glücklich unterzubringen. Er stellte sich vor, wie er den Flausrock dort aufhängen würde, damit er künftig alle Herrlichkeit in seinem Garten auch ganz kommod genießen könnte, denn im Staatsrock und in Lederstiefeln, das hätte ihm nicht gepaßt.
Bei der Schopenhauern mußte er vorüber, aber das schien ihm ungefährlich. Wie angepicht saßen sie bei ihrem Partiechen, hörten und sahen nichts, das kannte er. So ging er weiter und hinter dem Theater noch ein Stückchen Erfurterstraße, bis ans Erfurter Chausseehäuschen, dann ging die Herrlichkeit an. Ja, man war mitten schon darin – Garten an Garten, von dem alten Brauhaus an bis hinunter zur Wallendorfer Mühle.
Und nicht etwa so Staatsgärten, wie man sie jetzt liebt, mit zementierten, runden, glatten Bassins für ein einziges langweiliges Strählchen Wasser, mit langweiligen runden und dreieckigen Beeten, auf denen wohlgeordnete Blumen von gleicher Höhe und gleicher Farbe wachsen, mit dünnem Gebüsch und breiten sandigen Wegen, kurzgeschorenen winzigen Grasfleckchen – keine so blechernen Gärten, in denen die[93] Beete, Büsche und Rasenplätze wie ein Meublement aussehen, Gärten, wie vom Tapezier arrangiert. Gar nicht! Das waren urwüchsige Gärten, gesegnete Gärten.
Und solch einen alten, guten Garten, nicht allzu weit von der Stadt entfernt, den zweiten von der Lottenmühle aus, den hatte der Rat Tiburtsius erworben. Wie zu einem Liebchen schlich er an den Gartenzäunen hin. Die Hand hielt er in der Tasche und faßte den Schlüssel darin fest, mit dem er sich sein Paradies aufschließen wollte.
Jetzt waren die Leute schon meist daheim. Er begegnete zwischen den Zäunen keiner Menschenseele, die ihn irgend etwas anging – und jetzt stand er vor seiner Thür – seiner Thür, einer Thür aus zart silberglänzenden, verwitterten Latten, und durch den Bretterzaun steckten Himbeerbüsche ihre grünen Finger. Es war Mai geworden, bis der Garten wirklich Herrn Rat Tiburtsius gehörte. Und über den Zaun quoll der Duft aus dem vollen grünen Garten – und der Duft gehörte dem Herrn Rat. Ehe er wirklich aufschloß, schnaufte er ein paarmal tief.
So ein Duft aus dem eigenen Garten!
Den geraden Weg entlang, der auf ein Gartenhäuschen zuführte, standen die Sommerblumen schon in dicken Knospen, und die Pfingstrosen blühten in ganzen Ballen, und Irisblumen, blaue und gelbe. Die Aepfel- und Birnen- und Kirschbäume trugen dickes, frisches Laub.
Die alten Eschen und Birken, die das grünbemooste Dach der Lottenmühle beschatteten, schützten den Garten von Norden und hüllten ihn in einen dichten grünen Mantel. Wie geborgen lag er so in dem Dämmerlicht und quoll und blühte und knospte und duftete.
Ein Fledermäuschen schwirrte vom Mühlbach her, und die großen Bündel des gestreiften Bandgrases raschelten und wisperten ganz fein im Winde wie Schilf – nur weicher.
Und alles war so weich, so voll, so lebendig – Farben[94] lugten aus der Dämmerung. Die Laubmassen wurden immer dicker, flossen immer mehr zusammen, und es war feierlich im Garten des Herrn Tiburtsius.
Der stand immer noch mit dem zusammengerollten Flausrock mitten auf dem Weg, ohne sich zu regen.
Ihm war so wohl! Wahrhaftig, er traute sich nicht, sich zu rühren. Kein Mensch wußte von ihm, ahnte, wo er sich befand und wie er sich befand, und er kam sich vor wie ein Vogel in einem grünen versteckten Nest, den keines Menschen Auge treffen kann. Und wieder summte und brummte er das Gartenlied, aber jetzt zwischen den Zähnen:
Er hätte sich vor einer lauten Stimme, auch vor der eigenen, in dem weichen, vollen Garten erschreckt.
Der Flausrock wurde jetzt auseinandergerollt und im dumpfen dunklen Gartenhäuschen, in dem es nach Sämereien, trockenem Laub, alten Weidenkörben und etwas moderig roch, aufgehängt. Der Rat mußte mit den Händen nach einem Nagel suchen. Eine wilde Weinranke tippte währenddem ein paarmal an das Fensterchen. Es war so heimlich.
Jetzt ging er hinaus und tappte vorsichtig zwischen den Gemüsebeeten hin und her, bückte sich und befühlte die Salatpflanzen, die sich schon zu Köpfen ballten. So zart und elastisch waren sie und fühlten sich etwas fettig an. Dem Rat lief der Tau, der sich in den tausend Schlupfwinkeln so eines Salatkopfes eingenistet hatte, kühl über die Finger.
Ein Nachtfalter flog auf. Von den Feldern her hörte man die Grillen zirpen, und die Luft war voll Laubduft. Und manchmal trug ein Windchen den unaussprechlich zarten Duft der vielen blauen und gelben Irisblumen durch die Luft, und auch die Pfingstrosen, die eigentlich fast duftlos blühen, empfand man deutlich. Und von der Lottenmühle[95] her kamen ganze Wolken von Geißblattblütenduft, so gewürzig, so vielgestaltet; bald empfand der Rat diesen wundervollen Duft wie Vanille, bald wie alle schönen bekannten und unbekannten Düfte zusammengebraut.
Das Rauschen des Mühlbachs drang auch herüber und das Klappern und Dröhnen des Mühlwerkes, ganz dumpf, und die Birken und Eschen rauschten dazu. – Die Dunkelheit sank immer tiefer herab, und der Herr Rat tastete sich aus den Gemüsebeeten heraus, um nichts zu zertreten, und machte sich auf den Heimweg. Ehe er aber die Thür öffnete, blieb er noch lange ganz versunken stehen und atmete den schönen Gartenfrieden ein, und die Dunkelheit verbarg ihn mit allen seinen Schätzen vor aller Welt, ihn mit seinen Pfingstrosen, seinen Iris- und Bandgrasbüschen, seinen knospenden Sommerblumen, seinen Salatköpfen, Zwiebeln, Kohlrabiknollen und Krautköpfen, seinem Dill und seinem Gurkenkraut, seinen Stachelbeerbüschen, Himbeerbüschen, Bertramstauden und den hundertfach knospenden Centifolienbüschen.
Und als er endlich zwischen den Zäunen wieder der Stadt zuging, da kam er wirklich wie von seiner Liebsten – und zu Hause ließ er kein Wörtchen verlauten.
Die Rätin fragte auch nicht, als sie später von der Schopenhauern zurückkam. Sie nahm an, er wäre im »Elefanten« bei seinen alten Herren gewesen. – Und unter denen ging es das eine Mal so zu wie das andre Mal, da war nicht viel zu fragen und zu antworten zwischen einem alten Ehepaar.
Am andern Abend, aber bei weitem früher, machte er sich wieder auf. Bei ihm war das Haus voller Leute. Es schnatterte bis in sein Studierzimmer, und in der Küche wurde gebacken und geklappert. Es war großer Damenthee.
Wieder konnte er völlig unbemerkt davon kommen und arbeitete im Flausrock stundenlang und goß sein Gemüse[96] und saß vor dem Gartenhäuschen und paffte aus seiner Pfeife, schaute in den blauen Himmel, hörte auf eine Lerche, die draußen in den Feldern aufstieg, schnaufte tief den Duft seines vollen Gartens ein, und der Duft mischte sich mit den Tabakswölkchen aus seiner Pfeife.
Die Vorübergehenden konnten ihn nicht sehen, denn der alte Bretterzaun war hoch, und von den Nachbargärten war er auch nicht ohne weiteres zu belauschen. Dieser Umstand hatte viel dazu beigetragen, den Herrn Rat zum Ankauf dieses Grundstückes zu bestimmen.
Aus dem einen Garten hörte er Kinderstimmen. Sie sangen:
Es machte ihm Spaß, zuzuhören. Es machte ihm überhaupt alles Spaß.
Und er hatte so ein verschmitztes Lächeln, der Rat, ein Lächeln, wie es, solange er Rat und Gatte der Frau Rätin war, seine Muskeln niemals inkommodiert hatte.
Zum erstenmal fühlte er, was es heißt, Herr im Hause zu sein. Darüber mußte er nun wieder lächeln, denn so ganz geheuer kam es ihm doch nicht vor, und er dachte an den Mann, der unter dem Tische sitzt und schreit, als er die Frau mit dem Besen kommen sieht: »Nun will ich aber doch sehen, wer Herr im Hause ist!«
So etwas war bei ihnen natürlich nicht vorgekommen – aber – aber.
Daß sie es aber in Weimar mit dem Garten noch nicht heraus hatten, war doch sonderbar, ging es dem Rat wieder durch den Kopf. Wirklich, das war ein seltener Glücksfall. Eigentlich nicht zu glauben. Der Zinngießer Lange, mit[97] dem er den Handel abgeschlossen hatte, der mußte wirklich so weit reinen Mund gehalten haben.
Und es dauerte auch noch eine ganze Weile. Vier Wochen lang schlüpfte er nun schon wie der Fuchs in seinen Bau, und es war ihm, als stände er unter ganz besonderer göttlicher Fürsorge. Der Herr Rat wurde dadurch frech und unvorsichtig, war nicht zu blöde, seiner Gattin die ersten Salathäupter in die Küche mit heimzubringen und ein paar Porreestauden und Dill und Gurkenkraut, was zu einem ordentlichen Salat gehört.
Darüber schüttelten die Rätin und Kathrine die Köpfe, denn es war durchaus nicht seine Art, etwas heimzubringen. Der Salat aber war vortrefflich.
Es schien aber auch eine besonders günstige Zeit für die Heimlichkeiten des Herrn Rats zu sein, denn seine Gattin genoß mit ihren Bekanntinnen und Bekannten den Sommer mit einer erstaunlichen Energie.
Nach dem Essen, kaum daß sie ihr Schläfchen abgehalten, lief Kathrine mit dem Strickbeutel der Rätin zum Konditor Ortelli und brachte ihr den Beutel ganz appetitlich gefüllt wieder mit heim. Und die Frau Rätin nahm ihn dann, setzte sich den großen Hut auf und band den Longshawl um und trug den Beutel wieder aus. Der Herr Rat konnte darauf von seinem Fenster aus sehen, wie seine Gattin sich in der Nähe des »Elefanten«, der dem Hause des Herrn Rat gerade gegenüber lag, postierte und wie eine Schildwache auf und nieder ging. Zuerst mutterseelenallein, denn sie war eine pünktliche Frau – dann gesellten sich allerlei Personen zu ihr und gingen mit ihr auf und nieder. Aus der Wünschengasse kamen verschiedene, die allermeisten. Die Schopenhauer mit der Adele und den Pogwischs, die Kirstens, die Mutter und die Ratsmädchen; gewöhnlich auch die Begleiter der beiden Mädchen, die guten Freunde, und auch Bekannte von den Pogwischs. Es schwoll wie eine Lawine an. Aus der[98] Apotheke kam's dann auch und aus Müllersch ihrem Haus, und die kleine Muskulusen kam angerannt und manchmal auch die Kummerfelden mit einigen Schülerinnen, manchmal auch mit allen, wie es sich gerade traf.
Und diese Lawine aus lauter lebenslustigen jungen und alten Weimaranern und Weimaranerinnen lachte und schnatterte und setzte sich endlich in Bewegung. Entweder nach Tieffurth zu oder nach Belvedere oder Ettersburg oder Tröbsdorf, nach Buchfahrt, was sie aber »Buffert« nannten, nach Ehringsdorf oder Oberweimar, nach allen möglichen Dörfern und Nestern, die jetzt in Weimar aus der Mode gekommen sind, nach Süßenborn und Taubach, nach dem Rödchen und nach Nora.
So genoß man damals den Sommer, wo noch keine Menschenseele daran dachte, eine Badereise zu machen oder in die Sommerfrische zu gehen.
Oftmals ging es auch in einen Garten zu einem Bratwurstfest. Jeder alte Weimarsche Garten hatte seinen kleinen Herd im Freien, einen gemauerten Herd, auf dem ein Rost stehen konnte zum Wurstbraten. Das waren so recht Altäre der Geselligkeit.
Davon weiß jetzt keine Menschenseele mehr etwas, wie herrlich es war, wenn aus dem Garten die blauen Wölkchen aufstiegen, die Würste sich auf dem heißen Roste wanden, dann platzten und rauchig dufteten, und die Leute im Garten bei einander saßen mit Weißbroten und Bier, hauseingelegtem Bier, »Hausmuff« nannten sie's, und mit Guitarre und Gesang.
Da eben wurden die alten schönen Lieder gesungen:
und ähnliche Lieder.
In dem Garten des Herrn Rat Tiburtsius stand auch so ein Bratwurstherd, und es war ihm mehrmals schon das[99] Wasser im Munde zusammengelaufen, wenn er davor gestanden hatte. Aber lieber das Wasser im Munde haben, als so eine Wurst, wenn man den ganzen Lärm, der so eine Wurst begleitete, mit in den Kauf nehmen mußte.
Nein – nein – lieber keine Wurst!
Es war ihm auch schon einmal im Garten in einer müßigen Stunde das Gelüste gekommen, sich ganz allein ein Paar Würste zu braten – das wäre gegangen, aber der Rauch! Den hätten sie in allen Gärten geschnuppert. – Und so allein Würste braten wäre auch nicht recht gewesen; aber verlockt hatte es ihn – sehr verlockt.
Als eines schönen Nachmittags die ganze Lawine, deren Kern die Frau Rätin bildete, sich, wie es hieß, nach Tröbsdorf bewegt hatte, ging er wieder in den Garten. Es wurde ihm jetzt schon gar nicht leicht, sich mit Amtsgeschäften auszureden, wenn die Rätin ihn fragte: »Aber Gustävchen, heute kommst du doch nach – kommst uns wenigstens entgegen?« Das war doch sonst nicht so, dachte die Frau Rätin und schaute ihren Gatten immer verwundert an. Und wie er diesmal im Garten war, fiel es ihm auf die Seele, daß es eigentlich so nicht fortgehen könne, und das stimmte ihn schwer und schmerzlich. Es schien ihm, als wäre der schöne Friede seines Besitztums nicht mehr so rein. Er dachte aber wie ein Schleicher: »Ist's bisher gegangen, wird's auch weiter gehen. Hat es bisher niemand verraten, verrät's auch vielleicht noch lang niemand,« und beruhigte sich damit und goß seinen Salat und die Radieschen und alles, was der Zinngießer Lange gesäet hatte und der Herr Rat ernten sollte.
Es fuhr ihm durch den Kopf, wo er einmal mit all dem Gemüse hin sollte – und wenn das Obst reifte – die Kirschen glühten schon zwischen den grünen Zweigen: ja, was sollte er mit all den Dingen machen? – hm – das wußte er nicht recht.
Er war heute eben nicht so harmonisch gestimmt. Allerlei wollte sich eindrängen, was ihm nicht paßte. Es lag so in der Luft, war schwül und trüb heute. Der Garten war so dicht und grün und voll, so sommerlich und still, und der Bach rauschte, und das Mühlwerk klapperte dumpf und dröhnend.
Er machte sich heute früher als sonst auf den Heimweg, vor Dunkelwerden. Vorsichtig schloß er sein Thürchen auf und trat behutsam hinaus, schaute nach links: da war die Luft sauber, keine Menschenseele zu bemerken – schaute nach rechts – und stand wie vom Blitz gerührt. – Ja, wo hatte er denn seine Ohren gehabt? – Drei Gartenthüren von ihm da flimmerte es ihm vor den Augen, da kam es angerückt. – Ihm schien es wie Tausende von Menschen, Tausende von Hüten, schlenkernden Armen, Tausende von Strickbeuteln und Sonnenknickern, mit denen auch geschwenkt wurde. – Das war die Lawine, die doch heute in Tröbsdorf hätte sein sollen. Und mit welchem Lärm kam diese Lawine an! Dem armen Rat schwindelte.
»Ja – ja – ja – was ist denn das?« riefen aus dem Gewirre verschiedene Stimmen zugleich.
»Aber Gustävchen – Gustävchen!« – Das war die Stimme der Rätin. – Und jetzt kam es ihm zum Bewußtsein, daß er die Hand noch am Schlüssel hatte, um ihn abzuziehen – das hatte die ganze Lawine gesehen, da war nichts zu machen. Er ließ die Hand, wo sie lag, und blieb regungslos – und da waren sie schon alle um ihn.
»Na, Alter, was ist denn das?« schmunzelte der Apotheker.
Die alte Kummerfelden drängte sich vor und blickte den Herrn Rat mit ihren großen, runden Augen an.
»Aber Gustävchen! – Aber Gustävchen!« Das war wieder die knarrende Stimme der kleinen Rätin. »Was ist denn das? Aber Gustävchen! Wo kommst du denn her?[101] Hast du denn hier Amtsgeschäfte?« Das klang sehr ernst und als sollte noch viel danach kommen. Sie drängten sich alle um ihn wie bei dem Spiele Wickelklos, das bei den Kindern auf Weimars Gassen sehr beliebt war und noch ist, und wobei derjenige, welcher im Kern des Wickelkloses steckt, Gefahr läuft, von den andern erdrückt zu werden. Der Rat faßte sich aber, nahm alle Kraft zusammen und sagte: »Das ist mein Garten. – Ich komme – ich habe – ich komme aus meinem Garten – ich habe mir nämlich einen Garten gekauft.«
»Aber Gustävchen!« rief die Frau Rätin.
Das war gewiß das wenigste, was sie rufen konnte. Aber die Frau Rätin, die kleine, fette Frau, war Meisterin darin, in das einzige »Aber Gustävchen!« ganz unglaublich viel zu verpacken.
Sie hatte sich das sehr bequem eingerichtet, wie überhaupt ihren ganzen Haushalt. »Aber Gustävchen!« in hundert Variationen. Sie konnte auf dieser einen Violinsaite ganze Lieder und Musikstücke spielen.
Und der Herr Rat hatte ein gutes Gehör für diese verschiedenen Tonarten. Er ging im Takt danach wie ein alter Regimentsgaul.
»Aber Gustävchen!« rief die Rätin noch einmal, wie ein kleines vollgeladenes Gewitterchen.
Die Kummerfelden sagte, als stände sie noch auf der Bühne und spräche zum Publikum gewendet: »Einen Garten hat er also gekauft, und kein Pferd und kein Kütschchen.«
Und Mamsell Muskulus zwitscherte: »Ach du meine Gite! – Du meine Gite!«
»Sapperlot!« rief der Apotheker, und das junge Volk lachte. – Und sie riefen alle durcheinander alles mögliche in Weimarscher Ursprache.
»Ne aber!« – »Herr Jemine!« – »Herr Jes!« und machten ein arges Geschrei damit.
Die Kummerfelden aber sagte: »Na, Kinders, da woll'n mer uns doch aber auch einmal den Garten ansehen.« – Und gesagt gethan. Die Thür ging auf.
Alle machten der Rätin Platz, denn sie war die nächste dazu, und nun strömte es hinein und riß den armen Rat mit sich.
Im Garten war das erste, daß Frau Rätin den Herrn Rat ein wenig beiseite nahm. Sie hatte eine tiefgekränkte Miene aufgesetzt mit so viel Grandezza, als womit sie ihre Hüte und Hauben aufzusetzen pflegte. Und diejenigen, welche dem Paar am nächsten standen, hörten verschiedene scharf betonte »Aber Gustävchen!«
So zornig die kleine statiöse Rätin aber auch sein mochte und so viel Recht sie dazu hatte, so that es ihr der Garten mit den vielen lustigen Leuten und dem vielen Gemüse, dem Obst und den Sommerblumen und den pflückreifen Kirschen und dem Sommerhäuschen und dem Bratwurstherde und dem Beerenobst doch auch an.
Und alle waren in der besten Stimmung; der arme Rat mußte wahrhaft Spießruten laufen; sie kühlten alle ihr Mütchen an ihm und hänselten ihn und zeckten und neckten ohne Aufhören.
Was half es dem Rat, daß er ein so gelehrter Mann war und mehr wußte als die ganze Gesellschaft zusammengenommen, daß zu verschiedenen Malen sein Name in den Jenaer Horen rühmlichst erwähnt war? Gar nichts half es ihm, eben gar nichts!
Als sie im Sommerhäuschen seinen Flausrock und die alten Latschen und die große Pfeife entdeckten, brach ein Hallo aus. Sie drängten mit solcher Wucht in das Häuschen, alle auf einmal, um den Flausrock zu betrachten, daß es den Anschein hatte, als wollten sie die stille, winzige Bretterbude, in der es so heimlich nach Moder, Sämereien, Erde und alten Weidenkörben roch, auseinandersprengen.
Und mitten in diesem Gedränge, mitten im Häuschen, mitten unter lauter Stimmen, die nicht müde wurden, den Rat zu bearbeiten und zu ärgern, erhob sich plötzlich eine, die rief und alle andern wie mit einem Schlag verstummen ließ: »Kinder, wie wär's mit Bratwürsten?«
Das hatte eingeschlagen – und es zeigte sich, daß die alten Weimaraner wahren Feldherrnblick hatten, wenn es galt, ein Vergnügen beim Zipfel zu fassen; denn wer weiß, was alles dazu gehört, ein wirkliches und wahrhaftiges Bratwurstfest zu feiern, der würde gespannt sein, wie das so plötzlich und völlig unvorbereitet zu stande kommen sollte.
Aber es kam zu stande. Das junge Volk wurde in aller Eile nach allen Seiten hin ausgeschickt, um zu holen, was zu holen war. Die einen mußten in die »Armbrust« laufen und die Würste herbeischaffen. Der Apotheker wußte ganz genau, daß die »Armbrust« heute Würste hatte, und Holzkohlen, die würde der Armbrustwirt, wenn er ein schönes Kompliment vom Apotheker überbracht bekam, gewiß hergeben.
Hausmuff, den ließ Frau Rat Kirsten von ihren Ratsmädchen und Budang bei sich aus dem Keller holen, um ihn zum Feste zu stiften. Der Apotheker lieferte die Brote. Messer, Gabeln und Gläser, die mußten von dem gebracht werden, der am nächsten wohnte; aber es wohnte niemand am nächsten.
Sie wohnten zumeist alle in der Wünschengasse, auf dem Frauenplan oder am Markt, nur die Kummerfelden, die aber hatte nicht so viel Teller.
Da blieb die Schopenhauern, die war aber nicht mit zugegen. Zu der schickte die Frau Rätin und ließ sagen: »Eine schöne Empfehlung und ob die Frau Schopenhauern und die Fräulein Adele ihr die Ehre geben wollten, in der Frau Rätin ihren Garten zum Bratwurstfest zu kommen, und ob sie die Güte hätten, ein paar Teller, aber viele[104] Gläser und viele Gabeln und ein paar Messer dem Ueberbringer mitzugeben.«
Es war also von jetzt an der Garten der Frau Rätin – und das fiel niemand auf – nur dem Rat fiel es auf.
Und es gab an diesem Abend wirklich Bratwürste im Garten, dem Rat brauchte das Wasser nun nicht mehr im Munde zusammenzulaufen.
Ueber die Verwendung des Gemüses und des Obstes konnte er sich nun beruhigen. Darüber saßen sie an diesem selben Abend schon zu Gerichte; die Frau Rätin trieb einen wahren Handel. Zu einer gewissen Zeit sollten Apothekers beginnen, sich den Salat zu holen und die Mohrrüben, und zum Einmachen konnte die Schopenhauern bekommen, was es für sie gab; die Müllersch und die Kirstens und die Kummerfelden sollten alles, was die Rats nicht brauchten, seiner Zeit sich für ein billiges erstehen.
Und nun sangen sie an diesem Abend alle:
Nur der Herr Rat sang nicht mit.
Ein wunderschönes Fest, das so wie vom Himmel herabgefallen war.
Die Frau Rätin sagte: »Wahrhaftig, so ein Garten ist mir doch immer abgegangen.«
Der Apotheker und der Kupferstecher sprachen dem Hausmuff zu, als die Würste noch in der »Armbrust« nicht fertig gestopft waren – und der Apotheker brachte verfrühte Trinksprüche aus, die alle den geheimnisvollen Kauf des Herrn Rat in der Mache hatten.
Er hob sein Glas mehrmals mit immer neuen Variationen:
Solch dummes Zeug sang er, und sie fanden es herrlich.
Der Apotheker war ganz außer dem Häuschen und konnte es nicht satt bekommen, seinen alten Rat zu ärgern.
»Siehst du,« sagte er, »nun mach dir's aber auch bequem, mein Schatz, und zieh deinen schönen Flausrock an und die Latschen und stecke die Pfeife an, damit wir doch auch sehen, wie du schändlicher Kerl hier so kommod umeinander geschoben bist.«
Und es half dem armen Rat nichts, der Apotheker hatte so etwas an sich, daß er immer das aussprach, was in den andern noch unbewußt schlummerte.
Jetzt stürzten sie wieder in das gebrechliche Sommerhäuschen, so, als wollten sie's zum Platzen bringen, und holten den Flausrock, brachten ihn angeschleift und rissen sich um die Latschen und brachten die Pfeife, und der arme Rat mußte beim Schein eines Windlichtes wirklich in seinen Flausrock kriechen und in die Latschen, und der Apotheker hielt sich den Bauch vor Lachen. Und so saß der Rat und mußte den Behaglichen spielen wie auf einer Maskerade.
In dem armen Rat kochte und braute etwas. Es war ihm sein Lebtag noch nicht so miserabel zu Mute gewesen. Wenn er sich auch die Entdeckung seines Gartens manchmal vorgestellt hatte, so, in solcher Gestalt, hatte er sie sich nicht vorgestellt. Das sind ja lauter Teufel! Die Menschen sind ja Teufel! dachte er in aller Heimlichkeit, ohne einen Mucks zu thun.
Er war wirklich noch nie innerlich so zornig gewesen. Aeußerlich zornig zu sein hatte er ganz verlernt, und das war das Schlimme und Ungesunde.
Er ließ sich den Apotheker ungestraft in aller Frechheit vor den Augen herumzappeln, ließ sich von ihm höhnen und besingen und rührte sich nicht. Er ließ sich alles gefallen und machte den liebenswürdigen Wirt und ließ sich eben gar nichts davon merken, daß unter dem Flausrock nachgerade ein Hexenkessel braute.
Wie ein Verzweifelter dachte und dachte er: Wie werde ich sie nur wieder los, die Bestien? Und war ganz bereit, dazu Pläne zu schmieden – aber – aber –
Es war nun einmal geschehen, und die vielen Frauenzimmer, denen er zu Hause davongelaufen war, deretwegen einzig und allein, um ihnen entwischen zu können, er sich diesen Garten gekauft hatte, die würden nun tagtäglich, wenn es ihnen paßte, hereingequollen kommen. – Und diese unaufhaltsamen Thees und Damenkaffees, die Spielchen ohne Ende – denn was war natürlicher, als daß sie hier ihre Whistpartieen abhalten würden?
Was sah er nicht alles kommen!
Aber das sollte denn doch nicht alles ohne weiteres geschehen! Der Rat verlegte sich aufs Grübeln. Das Grübeln, das war ja sein eigenstes Element. Was hatte er an langen Winterabenden bei seinem Leuchter mit dem grünen Schirm nicht alles schon ertüftelt und ergrübelt!
Und jetzt! Das waren denn doch andre Dinge, diese wissenschaftlichen. Wer das kann, der wird doch auch ein paar Frauenzimmer loswerden können.
Während die Bratwürste brieten, spazierte er in seinem Garten im Dunklen umher und sah im Geiste Dinge, die ihm die Galle überlaufen ließen.
Seine Frau würde sich einen Schlüssel machen lassen, das wußte er im voraus, und der Kathrine auch einen; die Kathrine würde dann im Garten zu putzen und zu wirtschaften anfangen wie in ihrer Küche, unter den Büschen rascheln und kehren, das Sommerhäuschen scheuern und putzen und auf alle Weise Ordnung schaffen. Das erboste ihn. Und er erlebte im Geiste gallig weiter, wie sein alter Garten Feste auf Feste feierte, ein Kirschenfest, ein Beerenfest, Bratwurstfeste in schwerer Menge, auch ein Perlzwiebelfest – natürlich. Da sah er schon die ganze Gesellschaft um das lange, schmale Perlzwiebelbeet herumliegen und die Zwiebelchen[107] aus dem Erdreich herausklauben; damit wollten sie ihm jedenfalls einen Gefallen thun, die Unsinnigen – wie ihn das schon im voraus zur Wut reizte! Und seine Phantasie malte ihm weiter aus, wie Kathrine während der Arbeit allen Kuchen präsentierte, und wie dem mit einem vorsündflutlichen Appetit zugesprochen wurde.
Sein arg erboster Geist sah in wilden Vorstellungen alle Frauenzimmer auf den Knieen liegen, in der Erde wühlen und in große Flocken Mohnkuchen beißen, die Kummerfelden in ihrem geblümten Kleid und die Muskulus mit der großen Perücke, welche die Fabianen einen Fußsack nannte; über der Perücke hatte sie zum Ueberfluß noch den ewigen Veilchenhut auf. Das sah der Herr Rat in seiner Wut alles unheimlich genau vor sich.
Da lag auch noch die lange Adele Schopenhauer und Madame Schopenhauer und die Rätin Kirsten und die Ratsmädchen mit ihren Freundinnen und Freunden und die Apothekerin mit ihrer Schwägerin und die Müllersch Frauenzimmer und noch viele mehr – eben alle, die jetzt auch leibhaftig im Garten bei den Windlichtern, die schon hergebracht worden waren, herumwirtschafteten.
Und auf die Frauenzimmer hatte der Herr Rat einen Hauptärger, die waren damals und sind noch jetzt in Weimar stark vertreten.
Jetzt war das Maß voll, über und über voll – das Blut des geduldigen Mannes war endlich in Wallung geraten – in eine ganz wütende Wallung. Wie er so hellsehend und außer sich umherlief, kamen ihm die Ratsmädchen gerade in den Weg gelaufen. Diese Rackersmädchen hatten ein Leben wie zehn Katzen, das war seine Meinung. Sie würden an allen Enden des Gartens, wie schon jetzt, zu gleicher Zeit sein und unter allen Beerensträuchern hocken und immer mit einem Gefolge von so und so vielen. Sie waren damals so Mädchen von vierzehn, fünfzehn Jahren.[108] »Die reinen Räuberhauptleute!« brummte der Rat in seine große weiße Halsbinde mit der Mechanik hinein.
»Wie sind alle diese Frauenzimmer zu vertreiben – diese Bestien?« Das war und blieb es, worüber der Herr Rat rachsüchtig und leidenschaftlich grübelte. – Und mit einem Male, ganz plötzlich, wie so die guten Ideen kommen, da hatte er's – da rieb er sich die Hände in seiner Wut und flatterte im Flausrock wie ein großer, unheimlicher Nachtfalter die dunkelsten Wege auf und nieder.
Inzwischen war alles nun in Gang gekommen. Die Rätin hatte heute ihr karmesinrotes Kleid an, das ihre dicke kleine Gestalt wie eine Haut umspannte. Um den Nacken trug sie die goldene Hochzeitskette. Sie saßen jetzt vor dem Gartenhäuschen in einem Kreis und tranken Thee und stippten Kuchen, den hatte die Schopenhauern für das allgemeine Wohl geliefert.
Die Herren standen hinter den Stühlen der Damen und sprachen aufs ehrerbietigste. Sie machten andre Gesichter als kurz vorher, und es hatte den Anschein, als wäre die lustige plappernde Lawine im Handumdrehen zu einer Gesellschaft allerersten Ranges geworden, die sich nicht so ohne weiteres gehen lassen kann, wie es bei einem Bratwurstfest sich eigentlich gehört. Alle legten jetzt der Wirtin eine ganz gewaltige Portion Steifheit und Wohlanständigkeit zu Füßen.
Die Schopenhauern hatte nicht nur Adelen mitgebracht, auch den Arthur und mit ihnen die ganze erhabene Stimmung.
Arthur räkelte sich auf einem Stuhl vor der Gartenhausthür und verbreitete Schweigen um sich her. Wenn ein Stein ins Wasser fällt, zieht er Kreise, und Kreise zog auch Arthur Schopenhauer in den Gesellschaften, in die er fiel oder fallen mußte, Kreise des Schweigens und des Verstummens.
Und that er je einmal seinen großen Mund auf, dann[109] schaute seine Frau Mama mit angstvollen Augen auf ihn. Heute sprach er wieder einmal gar nicht. »Ein rechtes Kreuz für so eine gescheite, liebenswürdige Dame wie die Schopenhauern,« dachten die Frauen.
Und nicht genug, daß er schwieg. Er lag auch noch wie ein Alp auf allen andern. Er »glubschte«, wie die Weimaraner sagen, so von unten auf mit seinen großen blauen Augen, und um seinen Mund spielte der blanke Hohn, wenn eins etwa neben ihm sprach, wie ihm der Schnabel gewachsen war.
Ein ungemütlicher Bursche!
Der Herr Rat machte jetzt wieder den liebenswürdigen Wirt, dienerte nach allen Seiten, präsentierte seinen Nachbarinnen die Zuckerdose und die Tabaksdose. Es war ihm in den langen Jahren seiner Ehe so allerlei andressiert worden. Wenn einer von der Gesellschaft aber den Herrn Rat beobachtet hätte, würde er etwas Sonderbares an ihm wahrgenommen haben.
Er schaute sich ganz versunken bald das eine, bald das andre Frauenzimmer an, sinnend und prüfend, als wollte er eins davon kaufen, oder als hätte er irgendwie sonst eine Wahl zu treffen, oder als hätte er sich aufs Malen verlegt und wollte eins besonders studieren. Er war manchmal ganz versunken, so daß Frau Rätin sich einmal genötigt sah, ihn ein wenig anzustoßen und ganz leise: »Aber, Gustävchen,« zu sagen.
Während die Herrschaften vor dem Gartenhäuschen sich standesgemäß benahmen, brieten Kathrine und die Waschfrau unter den Kirschbäumen die Würste, setzten die Windlichter hin und trugen die dampfenden Herrlichkeiten haufenweise auf.
Das war für die am Gartenhäuschen verlockend genug, um mit der Grandezza jetzt einzupacken. Sie wußten es zwar alle, daß die Rätin es liebte, wenn man sich hin und[110] wieder etwas bei ihr bethat, wie sie in Weimar sagen; damit war es nun aber aus, denn die Schopenhauers hatten sie jetzt überwunden.
Höchst zierlich führten sich die Herrschaften noch zu guter Letzt zu den Wurstschüsseln, als wollten sie zu einem Menuett antreten, und setzten sich wieder mit viel Komplimenten, um nun endlich mit einem Wolfshunger über die Herrlichkeiten herzufallen.
Der Herr Rat war der einzige, der den Würsten nicht stark zusprach, aber dafür ganz gehörig, gegen seine sonstige Gewohnheit, dem Hausmuff, so daß ein leises, wohlmeinendes »Aber, Gustävchen« zu ihm angeschwirrt kam, mitten durch das Stimmengemurmel.
Nach dem Essen spazierten einige im Garten umher, andre spielten Rat- und Antwortspiele und benahmen sich, wie es sich für gesättigte Menschen geziemt. Den Rat sah man mit der Kummerfelden umherwandern. Das war sonst nicht seine Art, sich mit den Frauenzimmern so intim einzulassen.
Sie gingen den tiefen Garten entlang, der Lottenmühle zu, und die Kummerfelden wunderte sich über den galanten Rat.
Jetzt waren sie in der Nähe des Mühlbaches angelangt, der rauschte nächtlich, und über das Mühlrad stürzte das Wasser. Da, mit einem Male, war es der Kummerfelden ganz sonderbar zu Mute, ganz beängstigend und traumhaft. Es war ihr, als packte sie der Herr Rat um die Hüften – und dann – als führe er ihr mit dem Kopf in das Gesicht.
Ja, er fuhr ihr mit dem Kopf ins Gesicht und stieß sie an die Nase, und um die Hüfte hielt er sie wirklich gepackt. Und der Kummerfelden war es, als schöbe er sie dem Mühlbache zu.
»Herr, du meine Güte,« ging es ihr durch den Kopf,[111] »was hat denn der Mann? – Sollte er tobsüchtig geworden sein?«
»Teure, verehrte, geliebte Kummerfelden!« sagte der Rat wütend in seine große Halsbinde mit Mechanik hinein und würgte die erschreckte Kummerfelden wieder. Der wurde es angst und bang, sie hätte schreien mögen, verließ sich aber fürs erste auf die eigenen Kräfte, denn »Schreien«, das kam ihr doch zu unreputierlich vor. Wie ein Blitz fuhr ihr ihre ganze Nähschule durch den Kopf und der Skandal, wenn man sie schreien hören und sie und den Herrn Rat so miteinander finden würde, denn er war immer noch ganz ungebärdig und fuhr ihr beständig mit dem Kopf ins Gesicht.
Alle Scenen, in denen sie früher aufgetreten war in Leipzig, Hamburg und Weimar, gingen mit unbegreiflicher Geschwindigkeit durch ihre Seele, aber da war keine, die mit dieser einige Aehnlichkeit gehabt hätte, es müßte denn eine Liebesscene gewesen sein – ach du barmherziger Gott – so ein sträflicher Gedanke! Der alte, wohlverehelichte Rat und sie, die Kummerfelden? Die Bezeichnung »alt« ließ sie in diesem Falle der Geschwindigkeit wegen wohl aus, denn alles, was die Kummerfelden jetzt dachte und im Geiste durchlebte, das war in ein paar Sekunden hineingezwängt.
Jetzt aber alle Achtung und allen Respekt beiseite, den sie für Herrn Rat hegte! Jetzt, als er immer noch nicht aufhörte, sondern fortfuhr, sie mit seiner Person zu bedrängen, gab sie ihm einen ganz gehörigen Puff vor die Brust mit ihren kleinen festen Armen. Der Herr Rat stöhnte etwas auf, und die Kummerfelden nahm ihr geblümtes Kleid zusammen und sprang aus dem Gestrüpp am Mühlbach durch dick und dünn, durch Gemüsebeete und Blumenbeete mit schiefer Haube der Gesellschaft und den Windlichtern zu.
Und der Rat dachte: »Die kommt mir nicht wieder!«
»Ja, Kummerfelden,« rief der Apotheker lachend, »was ist mir denn das? Wie sitzt denn Ihre Haube und weshalb[112] sind Sie denn so umhergesprungen? – Ich habe Sie ja springen sehen.«
Die Kummerfelden fuhr mit beiden Armen nach ihrer Haube, die saß ganz miserabel; aber sie konnte nicht antworten, die arme Kummerfelden, denn sie war völlig außer Atem und wollte das nicht merken lassen. Ihr gutes, menschenfreundliches Herz schlug nach dem Dauerlauf zum Zerspringen.
»Na, Kummerfelden,« sagte der Apotheker wieder, »was ist mir denn das? Ist Ihnen denn ein Spuk begegnet – oder – oder wie wär's denn mit noch einem Gläschen?«
Da traf ihn aber ein entrüsteter und würdevoller Blick der alten, guten Dame.
»Ich verbitte mir das, ich verbitte mir das!« Das rang sich ihr mühselig aus der Brust. »Mich hat eine Katze erschreckt!«
»Aber so zu springen! – Ich habe Sie ja gesehen.« Der Apotheker bekräftigte ganz gewaltig, daß er sie gesehen, und stützte die beiden fetten Händchen auf die runden Beine.
»Nun, dann hat Er mich eben gesehen!« antwortete sie ärgerlich und nach Luft schnappend.
Jetzt kam die Rätin dazu, und die Kummerfelden legte die Hände ihr auf die Schulter und schaute sie an mit einem Paar so großer, mitleidvoller Augen, wie man die Frau möglicherweise in der Sterbestunde ihres Mannes ansehen würde.
Die Kummerfelden that es so ausdrucksvoll, denn ihr Mienenspiel war durch ihre schauspielerische Laufbahn gelenkiger geworden als andern Leuten ihres.
»Na, Kummerfelden, was haben Sie denn?« sagte die Rätin ganz betroffen.
Mittlerweile aber wanderte der Herr Rat wieder mit einem weiblichen Wesen im Garten auf und nieder, und[113] wieder kamen sie in die Nähe des Mühlbachs, in die tiefste Dunkelheit hinein, und wieder packte der Rat sein Opfer. Aber diesmal hatte er sich schon mehr gefaßt als bei der Kummerfelden, da war er nicht Herr seiner Bewegungen gewesen, hatte eine unsinnige Angst angestanden, so daß die doch gewiß erfahrene Kummerfelden über das, was sich zwischen ihr und dem Rat abgespielt hatte, im unklaren geblieben war. Diesmal war kein Zweifel. Er hatte die kleine Mamsell Muskulus regelrecht auf den Mund geküßt, war aber statt auf den Mund in den Mund geraten, denn sie hatte ihn vor Schreck weit aufgesperrt.
Er aber korrigierte eifrig diesen Zwischenfall und küßte sie ein paarmal tüchtig auf die Wangen, so daß ein Zweifel gar nicht mehr aufkommen konnte.
»Ach, Herr Rat – ach, Herr Rat –« lispelte die kleine Mamsell verschämt, und der Herr Rat fühlte einen Augenblick ihren Kopf und die große weiche Perücke an seiner Brust ruhen. Die kleine Mamsell war ganz überwältigt, fühlte vorderhand gar nichts weiter, als daß sie geküßt worden war, und dies Gefühl durchströmte sie wie eine neue Lebensquelle.
Der Herr Rat hatte gemeint, sie würde nun auch die Kleider zusammennehmen und davonstürzen wie die Kummerfelden, und es wurde ihm sonderbar, als dies nicht geschah. Die Muskulusen wandelte mit ihm auf und nieder in der tiefen Dunkelheit, und er fühlte, wie sie nach seiner Hand tastete, sie erfaßte und lispelte, daß man stark sein müsse, daß sie ihm von jeher sehr ergeben sei – aber ebenso seiner Gemahlin, und daß sie wisse, was sie dieser vortrefflichen Frau schuldig sei. Mamsell Muskulus sprach wohlgesetzt und tiefbewegt und wurde dem Herrn Rat sehr unbequem, so daß er sich beeilte, sie wieder in die Nähe der Leute zu führen.
Sie ließ sich auch von ihm führen, wohin er wollte. Und als sie in den Schein der Windlichter traten, bemerkte[114] der Rat, daß Mamsell Muskulusen einen ganz verklärten Ausdruck hatte.
Aber ohne zu denken, stürzte er sich wieder auf eine andre; diesmal jedoch war er an die Adele Schopenhauer geraten, da war's ihm angst und bange dabei; er beschränkte sich darauf, ihr am Mühlbach die Hand zu küssen und die Wange zu streicheln, und es war ihm zu Mute, als hätte er sich diese Freiheiten gegen Pallas Athene selbst herausgenommen. Die junge Adele donnerte ihn nieder mit einer Hoheit und schriftstellerischen Gewandtheit, die ihn verblüffte und erschreckte, und in wahrer sittlicher Empörung verließ sie den verblüfften Rat am Mühlbach und wandelte ruhig gemessen ihres Weges.
»Der Teufel auch,« dachte der Rat; aber er war nun einmal ein ganzer Mann, und wenn er eine gute Idee ausgeheckt hatte, so mußte die auch durchgeführt werden, und so stürzte er sich wie ein Tiger wieder auf ein Frauenzimmer – und wieder auf eins – und wieder auf eins – und wieder auf eins, wie rasend, und wurde ganz gelenkig dabei, spitzte die Lippen mit einer wahren Virtuosität und wütender Zärtlichkeit, denn seine Wut hatte sich gewissermaßen in Zärtlichkeit verwandelt.
Jetzt kam ihm eine junge, bescheidene Frau in die Arme gelaufen, die kleine Frau Egidi. Die stieß aber solche Jammertöne aus, daß es dem Rat erst recht angst wurde.
»Ach mei' Mann – mei' Mann! – Was wird mei' Mann sagen!« rief sie laut und ängstlich, so daß der Rat fürchtete, sie würden alle zusammenlaufen, und daß er von ihr fortstürzte und sie verblüfft stehen ließ.
Da liefen aber dem Mord- und Kußlustigen gerade noch die Ratsmädchen in die Quere. »Diese Krabaten!« dachte er, denen kann's nicht schaden, wenn ich sie ein bißchen erschrecke, die brächte ich mir gern vom Hals. Sie waren wie immer beide zusammen, und als sie dem Rat begegneten,[115] gingen sie mit ihm, und er machte kurzen Prozeß und gab jeder einen gehörigen Schmatz, der die Ratsmädchen aber durchaus nicht erschreckte; sondern sie hakten sich in seine Arme ein, äußerst vertrauensvoll, und Röse bog sich hinter dem Rücken des Rats zu ihrer Schwester Marie hinüber und flüsterte: »Du, der scheint uns ja doch gewogen, da können wir uns ja ganz gehörig über die Stachelbeeren hermachen. Ich habe doch immer gedacht, er kann uns nicht leiden.«
Inzwischen hatte sich aber in der Gesellschaft vor dem Gartenhäuschen etwas Sonderbares abgespielt: es war, als hätten die vortrefflichen Würste und der gute Hausmuff ihre Kraft verloren, als wäre nur alles eine Art Luftspiegelung gewesen und als hätten die Gäste der Frau Rat noch gar nichts im Magen. Es mußte mit den Leuten etwas geschehen sein. Der Frau Rätin war so etwas noch nie vorgekommen, die erschien sich wie verraten und verkauft unter ihren guten Freundinnen.
Mit der Kummerfelden hatte es angefangen, die hatte mit einem Male so ein Paar närrische Augen gemacht, als wäre der Geist der Verwirrung in sie gefahren, dann war mit einem Male die Muskulusen aufgetaucht wie eine Trauerweide. Die Schopenhauers hielten mitten in der Gesellschaft über irgend etwas geheimnisvoll Familienrat, und überhaupt tuschelte man überall miteinander.
»Was ist denn nur, was haben denn die?« sagte der Apotheker ganz verblüfft zur Rätin.
Die junge, bescheidene Frau Egidi saß da, als hätten ihr die Hühner das Brot gefressen. Wie schon gesagt, mit allen war es mit einem Male nicht richtig. Es lag eine drückende, schwüle Stimmung über der ganzen, sonst nach vollbrachter Mahlzeit so überaus heiteren Lawine, und auf die Rätin fielen manchmal unerklärliche Blicke, so etwa, als hätten in einem Kaufmannshaus die Gäste früher von dem[116] Bankerott des Mannes erfahren als die Hausfrau und betrachteten sie sich daraufhin.
Der armen Rätin wurde es wirklich ganz bänglich zu Mute – und wo steckte denn nur ihr Mann –?
»Aber Gustävchen!« rief sie in die Dunkelheit hinein, als es ihr immer unheimlicher wurde unter ihren Gästen. Und als der Rat endlich kam, da war der Höhepunkt der unerklärlichen peinlichen Stimmung erreicht, da erhoben sich die Schopenhauers, Mutter und Tochter, und verabschiedeten sich eisig und gingen, von dem Sohn begleitet, als wendeten sie gefallenen und verkommenen Menschen den Rücken, und mit Schopenhauers brachen alle plötzlich auf – und fort waren sie. Apothekers gingen auch mit, denn eins zieht nun einmal das andre nach sich.
Und im dunklen Garten befanden sich alsbald nur noch der Rat, die ganz verblüffte Rätin, Kathrine und die Waschfrau.
So aber blieb es nicht nur an diesem Abend und nicht nur im Garten. Der Rat, die Rätin und Kathrine lebten mit einem Mal im Haus am Markt wie auf einer einsamen Insel; keine Katze kam zu ihnen, denn die Weimaraner Damen waren, wie der Rat richtig berechnet hatte, sehr tugendhaft. Die Rätin und Kathrine wurden ganz tiefsinnig vor Grübeln. Der Rat aber ging jetzt unbehelligt in seinen Garten und wirtschaftete dort wieder im Flausrock. Den ersten und zweiten Tag kümmerte es ihn wenig, daß er bemerkte, wie ein paar Bekannte ihm ganz augenscheinlich aus dem Weg gingen.
Er wurde vom Hochgefühl getragen, wie es eine gelungene wissenschaftliche Arbeit ihm sonst einflößte. Diesmal aber hatte er auch auf einer Seite, wo er sonst immer Niederlagen erlitt, Triumphe gefeiert, und außerdem sah und hörte er nichts weiter.
Im Garten harkte er über die tiefen Fußspuren, die die[117] Kummerfelden in seine Beete gedrückt hatte, warf die zertretenen Salatköpfe auf den Komposthaufen und ordnete alles, was seine gute Idee angerichtet hatte.
Aber nach und nach wurde es ihm selbst ungemütlich. Das Haus am Markt wurde so stille wie ein Grab; seine Frau saß in sich gekehrt, war stumm und bedrückt zu jeder Tageszeit, und ihre großen, runden Augen schauten immer fragend die Wände an.
Eines schönen Abends begegnete er Mamsell Muskulus, die ihn ganz eigentümlich anblickte, gerade so, als wenn sie wieder Appetit hätte. Der Rat aber machte lange Schritte und schüttelte sich in der Erinnerung an die Strapazen, die er durchgemacht hatte.
Zu Hause wurde die Stimmung immer schwüler, immer bänger. Er fand jetzt seine Frau mit rotgeweinten Augen. Sie war ganz hilflos, ganz verwirrt. Im Herrn Rat regte sich etwas – er wußte selbst nicht recht was, etwas Unbequemes, Fatales. Das Essen schmeckte ihm nicht mehr. Er ertappte sich darauf, daß er die Einsamkeit seines schönen Gartens gar nicht so oft aufsuchte, als es das Opfer, mit dem er diese Einsamkeit erkauft hatte, verdient hätte; er saß mit etwas Aehnlichem, wie einem schlechten Gewissen, oben in der Studierstube, und wie ihn früher der Lärm gestört hatte, so störte ihn jetzt die Stille.
Auch von Apothekers ließ sich niemand blicken. Das Vertreibungsmittel hatte ganz niederträchtig gewirkt.
Eines schönen Nachmittags zur Kaffeestunde schellte es und Madame Kummerfelden kam. Die Rätin ging ihr ganz betreten entgegen. Und Madame Kummerfelden kam feierlich, setzte sich aufs Kanapee und fragte nach dem Ergehen und sprach auch vom Wetter, was sie sonst nicht zu thun pflegte, und schließlich legte sie wieder die beiden Hände auf Frau Rats Schultern und schaute sie wieder so verdächtig[118] mitleidig an, wie damals im Garten, daß es der Rätin eiskalt den Rücken hinunterlief – und dann kam die ganze Pastete von Anfang bis zu Ende – alles, was geschehen und nicht geschehen war, was gesagt und nicht gesagt war, mitsamt dem ganzen Klatsch von Beteiligten und Nichtbeteiligten – und daß die Schopenhauern keinen Schritt mehr ins Haus setze und daß die junge Frau Egidi gesagt habe, ihr Mann werde ihn fordern, und daß er selbst die harmlosen Ratsmädchen geküßt habe, was sie in aller Unschuld erzählt hätten – und daß er sie, die Kummerfelden, auch geküßt habe auf eine ganz wütende Weise, so daß sie es gar nicht für Küssen gehalten, sondern gemeint habe, daß er sie in den Mühlbach habe werfen wollen, und daß er tollwütig geworden sei – und daß die Rätin es sich nicht allzusehr zu Herzen nehmen solle, da es nun einmal geschehen und man im allgemeinen alles und jedes von jedem Mannsbild zu gewärtigen habe, daß ein Mannsbild immer eine Bestie sei, es möge sich stellen, wie es wolle – und daß sie, die Kummerfelden, von den Mannsbildern überhaupt nichts halte, was sie auch trieben.
Jedenfalls stehe der Scheidung wohl kaum mehr etwas im Wege, Zeugen haben sie die Hülle und Fülle, und das sei in solchem Fall von größtem Wert.
Von der Muskulus sagte die Kummerfelden kein Sterbenswörtchen, denn die Muskulusen hatte die ganze Zeit über niemand gesprochen, die hatte sich mit ihren Liebesgefühlen in ihre Dachkammer zurückgezogen und wußte davon noch gar nichts, daß sie ihre Küsse mit einem Dutzend Schwestern zu teilen hatte.
»Aber,« sagte die Kummerfelden, »der Herr Rat. – Mein Gott, für die Ehrbarkeit selbst hätte man ihn halten sollen, so ein gescheiter, gelehrter Mann! – Es ist wie ein böser Traum.«
Die Kummerfelden hatte immer allein gesprochen, und[119] die arme Rätin saß ganz bewegungslos da, starr und steif, und ihre großen runden Augen fragten die Wände um Aufklärung. Sie verstand nichts recht, sie war ganz auseinander – ganz wie zertreten. Ihre Gestalt fiel zusammen, als würden ihr die Knochen weich und könnten das langgewohnte Fleisch- und Fettpolster nicht mehr aufrecht tragen, – und in diese Situation trat völlig unvermutet, leidlich harmlos der Herr Rat – und wurde von der Kummerfelden wie ein Begrabener und Auferstandener angeblickt – und von seinem Weibe wurde er gar nicht angeblickt – und zum erstenmal in ihrem Leben kam jetzt kein »Aber Gustävchen!« über ihre Lippen. Sie war verstummt. Und so saßen und standen sich die drei gegenüber.
Dem Rat fiel es wie eine Zentnerlast auf die Seele, als er in die richtenden Augen der Kummerfelden gesehen hatte. – Das waren Augen, wie sie nur auf einem ganz Gesunkenen ruhen konnten – und da die Kummerfelden eine mutige Frau war, so prasselte von neuem alles Gesagte und Nichtgesagte, alles Geschehene und Nichtgeschehene, alles Beschworene und Beschlossene auf das unglückliche Paar los. –
»Ja, aber Madame Kummerfelden, so ist ja denn das aber doch gar nicht!« rang es sich protestierend aus der Kehle des Herrn Rats los – und nun fing der Rat an zu erklären – und predigte erst tauben Ohren – aber so nach und nach taute bei der Kummerfelden die sittliche Entrüstung auf und sie schaute den Rat an – und in ihren alten lustigen Augen blitzte es auf. Das waren wieder die Augen der Kummerfelden, die Kirchenfenster, mit denen sie den verworfenen Rat angeschaut hatte, mochten nur so eine Art Kraftleistung gewesen sein. –
»Also erschrecken haben Sie die Frauenzimmer gewollt – haben gemeint, mit Küssen lassen sich Frauenzimmer vertreiben – na ja – gewissermaßen in gewissen Fällen schon. Freilich, wenn Sie sie alle so geküßt haben wie mich – dann[120] glaub' ich's schon eher – dann schon. Aber wer küßt denn auch so! Großer Gott, nicht einmal küssen kann so ein gelehrtes Mannsbild! Wundert mich nur, daß es die andern schließlich für das genommen haben, was es hat sein sollen – wundert mich.«
Die Kummerfelden kam in allerbeste Laune.
»Aber daß ich auf so etwas nicht gekommen bin, ich alte Gans!« rief sie ein Mal über das andre Mal, »daß ich mit den andern Weibsbildern Ach und Weh geschrieen habe! Ei, ei, ei, ei, das ärgert mich aber!«
Und jetzt that sich die Thür auf, und Kathrine brachte die blinkende Kaffeekanne auf dem strahlenden Präsentierteller und Kuchen und Tassen und das Zuckerdöschen.
Und mit einem Schlag war es wieder, wie es immer gewesen, urgemütlich, und auch die Erstarrung der armen niedergedrückten Rätin löste sich – und das erste Zeichen eines normalen Zustandes war das, daß ein ganz unglaublich betontes »Aber Gustävchen!« ihr über die Lippen kam. – Und darüber lachte die Kummerfelden wieder so herzlich, wie nur sie lachen konnte.
Und wie es die Kummerfelden gesagt, die Geschichte, auf welche Weise der Herr Rat seine Gäste aus dem heimlich gekauften Garten hatte vertreiben wollen, kam ganz gehörig in Weimar herum und wurde bei Hof erzählt und bei Excellenz Goethe und bei den Bürgersleuten, überall. – Die Weimaraner von damals verstanden einen Spaß zu würdigen, der Herr Rat stieg in aller Achtung, die kleinen Leute hatten überhaupt Vertrauen zu ihm und ließen sich nun bei jeder Gelegenheit von ihm beraten, brachten ihm ihr Erspartes und fragten ihn, was sie ihre Söhne werden lassen sollten.
Und wer in den Tagen, als die Geschichte, wie und weshalb der Herr Rat die Frauenzimmer geküßt hatte, herumgekommen war, seinen Spaziergang machte, der ging[121] hinaus, um sich den Garten des Herrn Rat Tiburtsius wenigstens durch die Bretter genau anzusehen, und die guten Freunde und Bekannten, die strömten nur so ins Haus und in den Garten, um zu zeigen, daß sie in keiner Weise etwas gegen den Herrn Rat hätten, und in dem alten Garten, ganz wie es der Herr Rat an jenem Abend vorausgesehen hatte, fanden nun wirklich Feste über Feste ohne Ende statt – Versöhnungsfeste.
Und der Herr Rat dachte, daß man ein sehr gelehrter Mann sein und doch dem Leben gegenüber ein rechter Esel bleiben könne – und daß selbst dem gescheitesten Manne die Frauenzimmer immer über sind und über sein werden, denn es änderte sich trotz aller seiner Schlauheit gar nichts – nicht das Geringste im Leben des Herrn Rat Tiburtsius.
Das ist so zugegangen. Sie dachte weder an Gott und die Menschen, fühlte weder Unruh' noch Erregung, weder Hoffnung noch Verzagen, aber hatte eine Art Zuversicht und wußte wohl weshalb. Ein günstiges Schicksal umgab sie wie ein Zauber, und sie sah den Dingen, die da kommen sollten, mit einem köstlichen Herzensfrieden entgegen.
An nichts glaubte sie so fest wie an diesen Zauber, dessen Kern fürs erste auch nicht verraten wird, denn, wer weiß, vielleicht steht sie noch unter dessen Schutz – und Schweigen ist eben bei jedem Zauber die Hauptsache.
Mit welcher Harmlosigkeit, so erzählt die Enkelin selbst, ließ ich es zu, als junges Ding, daß meine ersten Arbeiten gedruckt wurden; hatte mich nicht darum bemüht, nichts deshalb versucht, ein Zufall brachte es zuwege, ein Zufall machte mich zum Blaustrumpf. Von der schwerwiegenden, wenig schmeichelhaften Bedeutung dieses Wortes ahnte ich nichts – nicht das Geringste.
Ich und Blaustrumpf! Zum Lachen!
Ich fühlte mich so froh – so unbedacht!
Was ich that, das war gethan – das stand mit dem, was andre thaten, in keiner Verbindung. Ich empfand mich[123] als Wesen für sich und verglich mich ein für allemal nicht mit andern.
Ich las über meine in die Welt geschickten Träume viel Gutes – und wunderte mich.
Unzufriedenes natürlich auch, – selbstverständlich.
Das Gute freute mich; man hört sich gern loben, das stärkt die Persönlichkeit.
Die Unzufriedenen hab' ich daraufhin betrachtet, ob sie mir in irgend etwas helfen könnten, ob sie belehren könnten; als ich aber sah, welcher Wirrwarr daraus entstehen würde, wenn ich auf alle hören wollte, da kein Urteil mit dem andern übereinstimmt, so ließ ich Gutes und Böses bald friedlich liegen und dachte: Auf wen soll man hören? Auf was soll man hören? Der eine hebt, was der andre sagt, gewöhnlich wieder auf mit dem Gegenteil, und der Dritte wieder, was der Zweite sagt. Und was ist nun das Rechte? Wer ist nun der Vortreffliche, von dem man sich überzeugen lassen soll?
In einem Hefte der »Kunst für Alle« sind reizvolle Wandgemälde eines eigenartigen Künstlers aufgenommen und entsprechend gewürdigt.
Auf dem einen dieser Bilder ist in Gestalt eines dunkelhaarigen Mädchens die Wissenschaft dargestellt, die auf einem Sessel zwischen ihren Emblemen sitzt und einer allerliebsten Gesellschaft einen Vortrag hält.
Hinter ihr steht gravitätisch auf langen Beinen ein Marabustorch, das Symbol der Weisheit.
Was aber haben seine langen Beine und der spitze Schnabel dem Marabu genutzt? Gar nichts.
Denn der Besprecher der Gemälde hat sich in die Seele des Künstlers vertieft und hat gefunden, daß der Künstler mit einem vortrefflichen, sachgemäßen Humor eine Löffelgans hinter diese weibliche Wissenschaft gesetzt hat.
Was konnte er Besseres tun?
Wie stimmt das alles!
Wie ist Idealität und Realität hier glücklich verbunden! Wissenschaft personifiziert als weibliche Figur! Lehrend! Was wird sie lehren? Die Löffelgans hinter ihr gibt die Würdigung dessen, was sie lehrt.
Der Kritiker ist entzückt und phantasiert sich weiter in die Intentionen des Künstlers hinein.
Er empfindet in der Tiefe seines eigenen Gemütes, wie der Künstler sich feinsinnig nicht mit einer einfachen Gans begnügt hat, die ja vollkommen genügt hätte, den Wert eines Frauenzimmers auszudrücken. Durch des Kritikers Hirn bewegen sich allerlei übereinstimmende Dinge. Er nimmt an, der Künstler habe etwas von Küche, Löffel, »Löffelgans«, Weib, Blaustrumpf, Wissenschaft sagen wollen. – Solches beweist, daß dem Marabu seine langen Beine und sein spitzer Schnabel nichts nutzen, wenn der Kritiker seine Augen und sein Verständnis schon auf die Löffelgans gespitzt hat.
Der Künstler ist in diesem Fall nicht schuld an der Täuschung, sein Marabu ist ein echter, guter Marabu, gegen den sich nichts sagen läßt, und der nichts zu wünschen übrig läßt.
Bekanntlich ist ein Marabu schlank und langbeinig, und eine Löffelgans dickgedrungen und kurzbeinig.
Das thut aber nichts, es bleibt dabei: der langbeinige Marabu ist eine kurzbeinige Löffelgans.
»Marabu,« sagt der Künstler.
»Löffelgans,« schreit der Herr Kritiker und behält natürlich in den Augen aller Einsichtigen recht.
»Also die Löffelgans,« so argumentiert der Kritiker weiter, »ist leider verzeichnet, die Beine sind zu lang geraten, der Schnabel zu spitz, so daß sie eine gewisse Aehnlichkeit mit einer Storchabart bekommen hat.«
»Aber lieber Herr, es ist ja keine Löffelgans!«
»Mein Bester,« erwidert jener, »das ist allerdings eine.«
Und so bleibt es und bliebe ein ewiger Kanon, wenn der Klügere nicht nachgäbe.
Und es geschehen noch ganz andere Dinge.
Davon soll ein Künstler sich das Leben schwer machen lassen? soll nach dem würdigen Schelten oder Loben seinem Marabu, den die Kritik zur Gans umzaubert, künftighin kürzere Beine machen, soll betroffen und zerknirscht sein und sich bessern?
Gottlob, daß man nicht so oft zerknirscht, so oft reuevoll, so oft überzeugt ist, wie weise Ratgeber, getreue Freunde, kluge Kritiker es wohl wünschen möchten!
Nun, da ich einige Worte über die weisen bösen Kritiker und Krittler verraten habe, sieht es aus, als wäre mir sehr übel mitgespielt worden; denn an nichts glaubt man so gern und so fest als an das Schlimme, das einer von sich selbst spricht. Im ganzen ist es mir aber unverdientermaßen gut ergangen. Das Beste, was ein Sterblicher von sich sagen kann, denn mit dem »Verdientermaßen« sieht es gewöhnlich windig aus; aber unverdient gut ergangen ist ein grenzenloser Spielraum für alles Wünschenswerte.
Welche Freundlichkeit hab' ich erfahren! Wie hat Verständnis oft wohlgethan! Welche liebenswürdigen Menschen hab' ich kennen gelernt!
Jetzt, da ich über meine eigene Person und das Leben dieser Person etwas sehr unnötigerweise berichten will, ist es mir, als säße ich in einem bequemen Wagen und führe leicht und behaglich dieselbe Strecke, die ich einst mühsam und beschwerlich zurücklegte.
Aus diesem bequemen Wagen grüße ich sie alle, die mir mit warmem Herzen wohlgethan, die es der Mühe wert hielten zu sagen: Sei unsres Mitgefühls sicher, wir halten zu dir! Wir haben dich verstanden.
Ich begegne auch Leuten, die mir ganz besonders nahe[126] bekannt sind, mit deren Schicksal ich mich mehr, als es gut ist, beschäftigte.
Man soll aber vor der eignen Thür kehren und andre Leute ungeschoren lassen.
Aber die Menschen sind ein thörichtes Geschlecht! Als ob die Welt nicht Mühsal, Schrecken, Tod, Verzweiflung und Unsinn, Krankheit, Thorheit, Lug und Trug, Lachen, Weinen, Spott, Härte, Freud und Leid, Liebe und Haß, solch alles im Uebermaß brächte! Nein, die Menschen finden es nicht genug!
Da sind welche, die, wie vom bösen Geist getrieben, glauben, es sei unumgänglich notwendig, es sei ein Verdienst, wenn sie sich zu den unzähligen Geschöpfen, die leibhaftig auf Erden sinnverwirrend durcheinander wimmeln, noch welche hinzuträumen, hinzuklügeln.
Das, was Haut und Knochen hat, tagtäglich in Massen zu Grunde geht, stirbt, neu entsteht im ewigen Wechsel, das genügt ihnen nicht; sie schaffen mit Mühe, Begeisterung, Qual und Glück, mit ihrem Herzblut Hirngespinste und sind entzückt, wenn diese den Gestalten gleichen, die sie zu sehen gewohnt sind, und freuen sich ihrer eigenen Käuze, die sie selbst geschaffen, ganz unbändig; sie erscheinen ihnen als außerordentlich wichtige Personen.
Wer diese ihre Käuze lobt, den halten sie für einen vernünftigen, weitherzigen Menschen.
Sie schaffen ihren Käuzen Schicksale, Ereignisse, lassen sie leiden, beglücken sie, und wehe dem, der findet, daß sie dies nicht gerecht, sachgemäß und vernünftig betreiben oder gar vergessen haben, über ihre Käuze ein vollgerüttelt Maß zeitgemäßer Moral auszuschütten.
Wie ernst und eifrig wird dies Spiel betrieben – tödlich ernst – das ganze Glück der wunderlichen Schöpfer hängt an dieser großen Thorheit.
Geraten die Käuze nicht, finden sie kein Gefallen, so ist[127] der Urheber dieser Käuze ein gelieferter Mann, verachtet, gebrochen, – und wenn es noch so ein gesunder, guter, braver Bursche wäre, mit tüchtigen Zähnen und Armen.
Es ist eine Art Verrücktheit, »holder Wahnsinn« – aber was auf Erden ist nicht Wahn? Was auf der Welt thun wir, wobei uns nicht die Sinne umnebelt und verwirrt sind von Vorurteilen, Gewohnheiten, Ueberkommenem?
Sehen wir in irgend einem Ding klar?
Können wir den eigentlichen Wert irgend eines Dinges beurteilen? Gewiß nicht. Also frisch darauf los im Nebel! Uns braucht es nicht zu kümmern. Wer einmal zu den Lebenden gehört, dem ist der Tod gewiß, und was zwischen Geburt und Tod liegt, das macht sich wie von selbst.
Alles, was geschehen ist, geschieht oder geschehen wird, mag es offenkundige Thorheit, oder scheinbare Weisheit sein, füllt das Leben der Generationen aus, führt sie ihren Weg bis zum Vergehen, und keine Thorheit ist Thorheit genug, daß sie nicht ein Menschenleben würdig beschäftigen könnte, eins oder das Leben von Millionen.
Gut ist es, wenn man während des tollen Reigens, der durch das Leben führt, zu dem Mode, Sitte, Vorurteil und Verwirrung den Takt geben, einen ruhigen, praktischen Gedanken in Hirn und Herz halten kann, den nämlich: »Es ist gut, einander zu helfen, es ist das einzige, was Wert hat.«
Herzen und Werke, in denen dieser Gedanke zu spüren ist, mögen gelten.
Mir gefällt es auch, wenn einer seinen Käuzen, mit denen er nun einmal, halsstarrig, wie er ist, die Welt bereichern möchte, wenn er diesen Käuzen Sack und Pack voll Menschenliebe steckt.
Mir gefällt es, wenn einer im heiligen Glauben, Gutes zu thun, seine Käuze ausschickt wie ein Meister seine Jünger. Ich bin jetzt scheinbar weit abgekommen.
Aus meinem behaglichen Wagen also schaue ich nach allen Seiten und sehe überall Leute, die mir sehr bekannt sind, was niemand nach dem eben Gesagten Wunder nehmen wird, denn diese Leute sind meine geliebten Käuze – meine selbstgeschaffenen Gestalten, würde ein ästhetisch Gebildeter sagen.
Da kommt ein armer Judenjunge und reicht mir die Patsche, ein gutes Kerlchen; er hat nicht die übliche krumme Nase, oder vielleicht hat er so eine. Er ist auch ein armes Bürschchen. Sein Herz kann das Böse auf der Welt nicht ertragen, er wird davon zu mächtig gepackt. Salin Kaliske habe ich ihn genannt.
Selbst ein sehr überzeugter Antisemit kann ihn ruhig seines Weges gehen lassen, denn er ist ein kleiner Christusjudenmensch – solch ein Kind, wie unser Erlöser eines war.
Weshalb hab' ich ihn wohl nicht mit einer besonders krummen Nase ausgestattet und mit der naturgeschichtlichen Geldgier? Weshalb bin ich sparsam verfahren mit der Zuteilung der allbekannten Attribute?
Vielleicht hat dies mir Spaß gemacht; vielleicht hab' ich die Ansicht, daß wir in dem lobenswerten Streben nach Wahrheit uns allzusehr mit dem gröbsten Aeußerlichen begnügen, und mehr als je das Beste und Wertvollste achtlos beiseite lassen.
Ich begegne weiter rechtem Gesindel, Leuten, die besorglich wenig Anlage zu Würde und Vortrefflichkeit haben. Ein kräftiger, lebensvoller, geprüfter Mensch geht dort, ein düsterer, grober Geselle, der in der Todesstunde sich mächtig verliebt und sterbend den guten Freund um die Braut bringt, der so kraftvoll und lebendig in den Tod einzieht, wie andere auf Lebenshöhen nicht gehen.
Da läuft ein schönes Pärchen, ein leichtsinniges Mädel und ein liebestrunkener Gesell, ein rechter Lump, der nicht begreifen kann, daß seine unbeglückte Leidenschaft verklingen muß, der über seine unglückliche Liebe tobt.
Kraft auf Kraft beginnt sich in ihm zu regen. Er möchte etwas leisten und schaffen, seiner unerwiderten Liebe ein Denkmal setzen; doch ist er unbegabt.
Er hat das mächtige Empfinden des Künstlers und nichts mehr. Aber er schafft etwas in heiliger Einfalt aus sich selbst, aus seiner eigenen Schönheit.
In dunkler Nacht im ernsten Klostergarten, im Mondschein am hohen Kreuz hängt die göttliche Gestalt des Erlösers, lebenatmend, geisterhaft. Davor in angstvollem Schauer das hübsche leichtsinnige Geschöpf, das zitternd und erbebend vor dem Eindruck gewaltiger Leidenschaften die dunklen verwachsenen Gartenwege zurückhuscht.
Dann begegne ich Leuten, verschiedenen Leuten, denen hab' ich auf die Stirn geschrieben: Der Liebe ist Gerechtigkeit Sünde. Mit diesem für diese Welt sehr thörichten Abzeichen müssen sie umherlaufen.
Dort wandern zwei lustige, schöne Mädchen, die Ratsmädel, die voller munteren Streiche stecken, die ihr Wesen in Weimar treiben, zu Goethes Zeit, und hinter ihnen her ziehen allerlei Personen aus Weimars goldenen Tagen, die Rabenmutter, die alte Kummerfelden, die Leute aus der Gassenmühle, Budang, der prächtige Bursch, das ehrbußliche Weiblein, der blonde mächtige Förster mit seinen armen Töchtern, die eine, die Anne, weiß, was es heißt, die Sünde der Welt auf sich nehmen, mit eigenem Leid fremdes heilen, diese stille, große Anne! Und ihr braver Bräutigam! Welche Menschengröße! Welche Menschenbeschränktheit! Das sind nicht die Adelsmenschen des Genusses, die Raffinierten, aber es sind die ganz Starken, die ganz Zuverlässigen.
Da kommt eine grenzenlos gemütliche Gesellschaft, schwachsinnig vor Behagen. Das sind die verspielten Leute!
Vor denen nehmt euch in acht, schrecklich sind sie in ihrer Gemütlichkeit, treten alles nieder, was hoch steht, flachen und wetzen ab, was ihnen nicht paßt, ersticken alles[130] mit ihrer wattenen Herzensgüte – das sind die rechten, schlimmer wie Raubtiere; wohlversorgt leben sie, essen gut, trinken gut, sind gesund und wohlgestellt – Ehrenmänner – Ehrenfrauen – aber aufgepaßt!
Hütet euch vor ihnen!
Da kommen noch manche Echte aus dem alten Weimar. Der alte Apotheker mit seiner gemütlichen Apotheke, der unheimliche Apothekergehilfe, der jeden Todesfall voraus weiß. Sperbers, die Gutsbesitzer in ihrer köstlichen Hülle und Fülle. Die zwölf Pastorskinder, die vom Nachtwächter schlafen gelegt werden, und bei denen allstündlich der Nachtwächter nachschaut, ob sie auch nächtliche Ruhe halten.
Wie gut haben es all diese Weimaraner, diese Alten, in ihren köstlichen Gärten! O, welches Behagen! Ich denke an den alten Doktor Tiburtsius in den Kußwirkungen, der sich hinter dem Rücken seiner vortrefflichen runden, kleinen Gattin einen Garten kauft, um ihr und ihren fidelen Gästen zu entwischen, und welche Abende er in diesem duftenden, Grün strotzenden Garten verbringt – und wie er dann später entdeckt wird! Und daß ich es nicht vergesse, Goethe und Karl August sind auch dabei unter diesen alten Echten, und Mamselle Muskulus im Veilchenhut auch, und der alte verrückte französische Colonel, der mit Madame Kummerfelden im verschneiten Entenfang, der Nähschule der Kummerfelden, ganz im geheimen Romeo und Julia aufführt.
Die Hemdenmätze der alten Kummerfelden kommen auch anmarschiert, und Franz Horny und Schillers Sohn, die Kameraden der wilden Ratsmädel, die der alten Jüdin alle weimarischen Esel über den Hals gejagt haben – und das dritte zarte, süße Ratsmädel, das Münchner Nönnchen, das katholische Kind, das in die Ratsmädelfamilie hineingeschneit kommt, das entsagende Geschöpfchen, das mitten im freudigsten Leben neidlos steht – und zu guter Letzt der Jenenser Bäckerlehrling, der seine schauervolle Johannisnacht mit seinem[131] süßen Bräutchen, dem würdigen katholischen Geistlichen, den glotzenden Hausleuten und dem Tod oben unter dem Dachraum des uralten Hauses zu Ende feiert.
Leute aus einer Geschichte, die »Der Rangierbahnhof« heißt, seh' ich dort – und ich rufe: O, du meine arme kleine Olly! Du weißt es, wie bitter schwer das Weib zu tragen hat, wenn es mit ganzer Seele die Kunst liebt – und jung ist und leben möchte – und aus einem Zärtlichkeitstraum, aus so einem weichen, weichen Traum in der Ehe erwacht.
Aus welchem Sumpf stammst du! Wie ging es bei dir daheim sonderbar zu! Mit welchem Lärm und Getöse rangierten die hyperästhetischen Naturen, die aus der Kunst doch eine gute Milchkuh machen wollten! Aus welchem Lügen- und Schwatznest stammst du! Und wie bist du rein und feurig geblieben! Wie rührend komisch bist du in deinem Haushalt!
Wie tragisch ist alles! Ach, und dein Sterben!
Welch eine Last liegt auf solch einer Weibesseele. Pflicht und Schaffenswonne. Wie wütet das in solchem armen Herzen!
Wie ist es euch schwer gemacht, ihr armen Weiberseelen, am Besten hier auf Erden teilzunehmen!
Und noch so eine arme Seele ganz andrer Art begegnet mir – Dorothea in »Reines Herzens schuldig«. Sie ist so ganz in Liebe erwacht, in heißer Liebe – und muß in einem Leben verschmachten, das ihr nichts bietet, kein Glück, auch nichts, was an Stelle des Glücks treten könnte.
Als ich diese Gestalt schuf, war ich sehr jung und hoffte, dies Buch würde von guten Menschen gelesen, die sich mit dem Gedanken trügen, wie man den Vernachlässigten, Unglückseligen auf Erden, von deren Dasein die arme Dorothea Zeugnis gibt, helfen könnte.
Und daß es solche gute Menschen gibt, hab' ich zu[132] meiner größten Freude erfahren – und ich sehe nicht ein, weshalb ich nicht ein wenig prahlen soll, weshalb ich nicht ein paar von jenen Briefen und Zeilen hier wiedergeben soll, die mir von bekannten, unbekannten, unberühmten und sehr berühmten Händen geschrieben wurden und wie Freudenboten ins Haus kamen, damit die Leute, die diesen kleinen Lebensabriß lesen, doch auch eine Ahnung bekommen, was für ein glückliches Menschenkind ich bin.
»Berlin … Reichstag.
Männer lesen selten Romane, Männer meines Berufes gar nicht. Ihr ›Reines Herzens schuldig‹ las ich zweimal hintereinander. Die Feder eines Dichters in Herzblut getaucht. Sie sprechen einmal: ›Wenn du den Dichter findest, dem es gelungen ist, das tiefste Leiden versöhnend darzustellen, den halte fest wie einen Freund.‹
Möge Ihnen – in Leben und Kunst – das hohe Ziel zu teil werden: die erhabene Heiterkeit eines Sophokles und eines Mozart!«
Ein andrer Brief:
»Ihre drei neuen Bücher schmücken meinen Weihnachtstisch. Ich habe sie mir selbst beschert, doch als eigenste Gabe von Ihnen. Jedes Wort eines Dichters, das mir seine Seele offenbart, nehme ich dankerfüllt als sein ganz unmittelbares Geschenk entgegen. Nicht viele geben so viel wie Sie. Eines Abends, wenige Tage vor dem Fest, las ich Ihren ›Herzenswahn‹. Ihr übermächtiges Empfinden riß mich fort, Ihr Mut, diese Gefühle auszusprechen, begeisterte mich. Zugleich dachte ich mit Bangen an das Schicksal dieser Bücher; mir war's, als sähe ich sie schutzlos in der Welt umherirren; ich wünschte innigst, daß sie zarte Finger und warme Herzen anträfen. Ich fürchte, auch Ihre Dorothea wird nicht oft verstanden werden; die freie Menschlichkeit hat so wenig Raum in dieser verschnörkelten Welt.«
Und noch ein dritter Brief von einem Arzt.
»An die Schriftstellerin Helene Böhlau.
Ich habe den ›Rangierbahnhof‹ gelesen und war zugegen, wie Köppert das Seelchen fand, ich durfte der dritte im Bunde sein; auf mich ist von dem Glücke übergegangen, das zwischen den beiden erstehen durfte. – Das will ich nicht vergessen und Ihnen lange dankbar sein, weil Sie mich zu den zwei Menschen führten, bei denen ich rein und gut sein konnte.«
So, nun habe ich glücklich meine Prahlerei zu Ende gebracht und könnte noch ein ganzes Weilchen fortfahren, doch möchte ich nicht, daß jemand meine Skizzen unmutig aus der Hand legte, und ich will mir meine Freunde erhalten.
Meine Geschichte der Dorothea gehört übrigens nicht zu den trübseligen. Ich habe sie ausgespickt mit allerlei lustigem, freundlichem und thörichtem Volk. Da ist ein Herr von Bublitz, ein fetter Schlingel, der dem Wohlthätigkeitssport obliegt, da ist ein prächtiger lustiger Onkel, schöne Mädchen die Hülle und Fülle, eine gräfliche Hochzeitsgesellschaft, die des Guten zu viel gethan hat.
Das mag noch alles gehen; aber da laufen welche aus Stambul, wunderliches Volk in wunderlicher, göttlich schöner Umgebung, alles wächst und blüht und duftet und leuchtet, und die Menschen wachsen und blühen mit und werden freudig und gesund. Es sind gar liebe Leute, die »im frischen Wasser«.
Ich begegne noch manchem Gesellen; dort, fern von den andern, dem guten Reichlin aus dem »Herzenswahn« mit seiner kleinen überspannten Käthe.
Ein altes Pärchen, »die alten Leutchen«, geht zufrieden miteinander. Die kleine zierliche Frau hat mit ihrem würdigen[134] Herrn ein Lebtag im dunklen Lädchen gesteckt und kommt im Alter zu einem Landhaus und köstlichen Garten, so daß das schwärmerische Persönchen in einer Glücksfülle steckt, die sich ganz wunderlich ausnimmt. Ein widerwärtiger, langbeiniger Ladenjunge schleicht hinter der kleinen Alten her, trägt ein Buch in der Hand, in dem eine Wurstschale als Buchzeichen steckt. Der lange Bengel ist dem Weibchen sehr fatal.
Zu guter Letzt Leute aus einem Roman, »Das Mutterrecht«, Leute, die mir wahrhaft ans Herz gewachsen sind. Laßt es euch sagen, vom alten Kutscher Jermak, wie er über seine Herrin denkt, über ihr Kindchen, wie er von den verlassenen Mädchen spricht, von Gott und der Welt, den Popen, den schwarzen Völkern, und alles zu seinem jungen Herrn im Schlitten, wie er von dem Schandfleck der Familie, der Schwester Jekatherina, spricht.
Dort geht sie, auf den schwarzen Ebenholzstock gestützt, diese herbe, vornehme Frau, diese ganz souveräne, eine Frau, in der der Geist mächtig wurde, eine Herrin des Lebens. – Und Christine, du Reine, auf dich kam die größte Schmach des Weibes, unter der noch keine in der gebildeten Welt frei dahergehen konnte. Diese schwere Schmach hat noch jede zu Boden gedrückt und zur Lügnerin gemacht. – Dich nicht!
Frei hältst du dein Kindchen im Arm.
Wie eine dunkle Wolke liegt die Verachtung der Menschen über dir; aber in deiner Seele ist es nach schwerem Kampf sonnig klar geworden. Auch du bist Herrin geworden, dein Kind ein Königskind – das Kind des freien, ungebeugten Weibes.
Wie geht es dem Rothsplätz, bei dem du Schutz gefunden hast? dem Manne aus dem Volk, dessen Gesicht immer zur Erde gekehrt ist, und doch so heiter blickt wie der liebe Abendhimmel. Er hat dir gezeigt, dir, dem armen gehetzten Geschöpf, wie weit das Volk, das arme Volk[135] den Reichen, den Hochgebildeten voraus ist. – Nicht wahr, er hat dich und dein Kind vor ihnen geschützt wie mit Mauern, in seinem Haus warst du frei und unbescholten?
Diese Armen hatten, was Reichen fehlt. Sie waren menschlicher. – Bei ihnen hatte das Weib schon gesiegt.
Diese Leute möchte ich nun in Wahrheit guten Menschen anempfehlen. Redet mit ihnen! Ich bitte euch, sucht sie zu verstehen. Sie sagen auch viel mehr, als es auf den ersten Blick scheinen möchte – viel mehr. –
All diese Gestalten, von denen ich euch hier sprach, sind der Ausdruck eines so überaus reichen, lebendigen Lebens, der Ausdruck einer Seele, die durch Schweres ging, die Schweres kannte und fühlte, die aber im tiefsten Grunde glückselig und dankbar ist, denn ihr wurde das höchste Glück zu teil, den Menschen zu finden, der sie ganz verstand, der in seiner großen Geistesreife und seinem Können und tiefem Wissen und seiner Güte hilfreich zu ihr stand, der aus einer wunderbaren Fülle sie belehrte, dem sie alles dankt – auch alles Glück auf Erden, Freund, Lehrer, Gemahl zugleich – und jede Stunde segnet sie, die sie beisammen sind.
Wie ist es mir aber in den Sinn gekommen bei so glücklichem Leben, mich mit solchem Volk zu befassen?
Ich begreife es heut noch nicht.
Die Arbeit allein, die Mühe, die Not, die Sorgen, ehe solch ein Kauz sich präsentieren kann, hätte mich abschrecken sollen, – denn ich war so faul, so wundervoll faul!
Noch denke ich mit einiger Sehnsucht daran zurück, denn sie war charaktervoll diese Faulheit – sie war etwas! – Da gab es nichts auf Erden, was mich hätte zu irgend einem Fleiß anspornen können.
Als ich mit dem ersten Verslein im Fibelbuch geplagt werden sollte, sagte ich einsichtsvoll: »Dazu bin ich noch viel zu klein,« und blieb bei dieser Meinung und lernte keine Verslein wie andre brave Kinder.
Ich kam in eins jener fürchterlichen Institute, in denen Kindern während ein paar Vormittagsstunden das Spielen gelehrt wird, auf Kommando in Reih und Glied; ich sollte alles genießen, was die Zeit einem jungen Menschlein bietet. Aber diese ernste Spielmaschine erschien mir abschreckend; ich empfand eine Scheu vor den schon abgerichteten Kindern, die es verstanden, sehr unnötige Lieder zu singen, die es verstanden, im Takte in die Hände zu klopfen und mit den Füßen zu strampfen, die wegen ganz unsinniger Dinge gelobt und getadelt wurden. Das alles geschah in einem dämmerigen, staubigen Raum, es war mir, als würden da schreckliche Dinge getrieben.
Ich schrie und jammerte, die Güte der Spiellehrerinnen, die mich beruhigen wollten, machte mir einen verdächtigen Eindruck. Sie drückten mir eine Puppe in die Arme, eine fremde, mir sehr widerliche Puppe in einem Ballkleid mit einer schwarzen Porzellanfrisur, eine Puppe, wie ich sie mir nicht dummer vorstellen konnte.
Ich legte dieses Geschöpf sehr verächtlich auf die Erde und sagte, daß man nur Kinder tragen könne, keine großen Leute, die Puppe wäre eine alte Frau.
Da lachten die Lehrerinnen und verlangten, ich solle in einen Kreis treten, den die Spielschüler bildeten, und solle so thun, als grübe ich im Sande und pflanzte eine Blume, dann solle ich mich anstellen, als nähme ich einen Rechen, damit der Sand wieder geglättet werden könnte. Die Kinder würden, während sie ein Liedchen sängen, dies alles ausführen, ich hätte es nur nachzumachen.
Ich stand im Kreis, war aber zornig und außer mir, die Kinder erschienen mir immer unheimlicher, das ganze Thun immer sinnloser, die Stube immer düsterer; da sah ich eine Thür offen, lief schreiend hinaus, die Treppe hinab, hinter mir her die Lehrerin; ich war aber flinker.
Mit aller Liebe, allen Bitten, allen Versprechungen[137] brachte niemand es dahin, mich zu einem zweiten Besuch dieses unheimlichen Instituts zu bewegen.
Es fand sich wohl auch, daß es ohne dieses ginge, ich war ein zufriedenes Kind, kannte keine Langeweile, steckte mit meinen zwei Schwestern den ganzen Tag in unserm hübschen Garten, hatte meine wundervolle dunkle Ecke unter einem Holundergebüsch, in die verkroch ich mich, und stundenlang harrte ich dort. Ich erinnere mich, daß es mir da unbeschreiblich wohl war. Ich bildete mir auf meine eigene Faust ein, irgend ein Tier zu sein, ein Vogel oder ein Hase, ein Löwe oder irgend etwas, und in dieser Vorstellung verging mir die Zeit aufs angenehmste.
Ich kam in die Schule, und man sagte mir vorher, daß es unmöglich sein würde, aus der Schule auszureißen. Das war mir schrecklich zu hören.
»Das mag etwas Schönes sein!« dachte ich mir. Der Kindergarten lebte mir in düsterster Erinnerung. Und ich kam in die Schule. Der Lehrer verkündete mir, daß ich ihn »Sie« zu nennen hätte.
Ich hatte noch niemand »Sie« genannt. Ich grübelte nach, weshalb ich dies thun sollte, und vergaß es darüber; ich konnte mich auch in die Schule nicht hineinfinden.
Das Lernen fiel mir schwer, es interessierte mich auch nicht im geringsten. Die Naturgeschichte, oder wie sie in den untersten Klassen benannt wurde, der »Anschauungsunterricht«, machte mir Spaß, da war ich dabei.
Das war aber auch das einzigste, das allereinzigste.
Die biblische Geschichte gefiel mir zwar. Ich liebte es, wenn der Lehrer erzählte; wenn dieselbe Geschichte aber ihren Weg durch die Klasse nahm, überkam mich eine jämmerliche Langeweile, ich hätte weinen mögen. Da kam ich auf einen glücklichen Gedanken: ich stellte mir vor, in unserm Garten in meiner grünen dunklen Ecke zu sitzen, statt auf der Schulbank, stellte mir weiter vor, ein Hase zu sein, der im Grünen[138] in seinem Neste hockt, die Ohren anlegt und in die blaue Luft blinzelt; wenn nun das Erzählen an den Hasen kam, wußte er natürlich nichts, wie es auch einem guten Hasen zukommt, und das erwies sich als sehr übel für seinen Ruf. Es geschahen auch wunderliche Dinge, der arme Hase sollte sagen, aus was der Mensch besteht – und blieb die Antwort schuldig. Da hoben sich die Fingerchen so frech und keck um ihn her in die Höh', ein ganzes Feld, und nickten und schnickten, und die Bravste sagte im schulgemäßen Ton: »Aus Leib und Seele.«
»Aus Leib und Seele,« mußte ich wiederholen und setzte hinzu: »aber die Wassernixen haben keine Seelen,« da lachten alle, und der Lehrer verwies mir solch dummes Zeug.
»Was in Märchenbüchern steht,« sagt er, »ist immer unwahr.«
Ich aber steckte voller Fragen und hätte gern mit dem Lehrer eine längere Unterhaltung angeknüpft. Ich wollte wissen, was die Seele ist, wollte erfahren, woher man weiß, daß man eine hat, wollte wissen, weshalb die Märchengeschichten unwahr und die biblischen wahr sind.
»Was ist denn mit der Seele?« frug ich meine Nachbarin.
»Na, was denn?« frug diese von oben herab. »Wer freilich so dumm ist, wie du, hat keine.«
Das war mir sehr lieb zu hören. Ich wußte zwar nicht weshalb; aber es war mir angenehmer, zu denken, daß ich keine Seele habe. Es schien mir einfacher und besser, und gerade weil die andern alle eine hatten, gefiel es mir, keine zu haben.
Nach diesem Gespräch beruhigte ich mich und verwandelte mich wieder in den Hasen.
Bei solchem Phantasiespiel aber, das zum Zweck hatte, mich über die Beschwerlichkeiten der Schule hinwegzutäuschen, erging es mir oft übel.
Ich weiß, einmal packte mich der Rechenlehrer ganz[139] desperat an den Schultern, um mich in die Ecke zu stellen. Ich aber, wild, bös und wütend, fahre mit beiden Händen in das Tintenfaß, das in die Bank eingelassen war, halte mich daran und schreie jämmerlich: »Rühr mich nicht an, rühr mich nicht an!«
Das war dem Rechenlehrer sehr einleuchtend. Er mochte nicht Lust haben, nähere Bekanntschaft mit meinen beiden schwarzen Tintenhänden zu machen – und ließ mich unangefochten sitzen. Die Mädchen aber flüsterten untereinander: »Die ist klug, die ist doch schlau.«
Das hörte ich und empfand, daß dies erste Lob aus dem Munde der Kameradinnen mir sehr wohl that.
»Führt sie hinaus und wascht ihr die Hände, damit sie nichts einschmiert,« rief der Rechenmeister, und ich fühlte, daß man mit Hochachtung mir behilflich war, die Spuren meines siegreichen Kampfes unschädlich zu machen.
Das aber blieb der einzige Lichtblick in meiner kurzen Schullaufbahn.
Die Lehrer straften mich beinahe nie, waren freundlich mit mir; in der Erinnerung ist es mir, als hätten sie eine sanftere Art mit mir zu sprechen angenommen, als mit den andern Mädchen; aber es war nicht das Rechte. Ich war und blieb bedrückt. Ich hatte keinen Erfolg aufzuweisen. Meine Hefte gab man mir gewöhnlich stumm, kopfschüttelnd zurück.
Wenn ich eins aufschlug, so klopfte mir das Herz; es sah so unbeschreiblich kraus aus, und die rote Tinte herrschte in erschreckender Weise vor.
Einmal begab es sich, daß die ganze Klasse nachsitzen mußte, und der Lehrer sagte zu mir: »Hör' einmal, ich kann dir's nicht erlassen, du mußt mit dableiben.« Ich beschwor ihn, ich bat ihn, ich küßte seine Hand.
Er sagte aber: »Sei verständig, ich kann nicht anders.« Und so blieb es.
Jede Hoffnung im Leben schien mir zu Ende, ich fühlte mich zerbrochen, fühlte mich nicht fähig, diese Schmach zu tragen, so tausendfach ich sie verdient hatte. Als ich nach Haus kam, stand meine Mutter an der Treppe und reichte mir einen Teller mit Himbeeren entgegen. Sie hatte mich kommen sehen.
Ich konnte nicht gestehen, es war mir unmöglich – ich zitterte; ich hatte noch nie gelogen, noch nie etwas verschwiegen; – aber es ging nicht, ich brachte mein Unglück nicht über die Lippen. Die Güte meiner Mutter rührte mich unbeschreiblich – und ich nahm die Himbeeren, mit denen sie mich so freundlich überraschte, und da ich sie genommen und verzehrt hatte, konnte ich nun erst recht nicht beichten. Ja, hätte ich den Mut vor den Beeren gehabt, aber jetzt, nachdem ich das Gute genossen – das erschien mir abscheulich, trotzdem alles in Angst und Verwirrung geschehen war, ohne daß ich recht wußte wie.
Ich beschloß also, so unmöglich es mir vorkam, die schlimmen Angelegenheiten für immer zu verschweigen.
Das wurde mir bitterschwer, ich litt Tag und Nacht darunter. Ich grämte mich – aber ich konnte nicht reden – ich wurde kränklich – krank und bekam nach einiger Zeit ein Nervenfieber.
Bevor die Krankheit bei mir ausbrach, hatte ich einen Eindruck, der sie beschleunigte und vielleicht herbeiführte. Ich sah einen kleinen Holzschnitt; durch Zufall kam er in meine Hände. Auf diesem Holzschnitt war der Tod als Gerippe abgebildet, wie er durch ein Krankenzimmer schritt. Niemand bemerkte ihn, nur ein kleiner Wachtelhund bellte ihn an.
Dies Bild entsetzte mich so, daß mir die Sinne schwanden; ich fiel bewußtlos zusammen.
Es war niemand zugegen, als mir dies geschah – und niemand, als ich wieder zu mir kam; ich konnte mich vor[141] Grauen, Furcht und Schwäche nicht erheben. Das schreckliche Bild war wie eingebrannt in meine Seele.
Ich fürchtete mich, konnte mich nicht regen und bewegen. Die ganze Welt erschien mir unheimlich und entsetzlich.
Wenn es so etwas Fürchterliches gab, wie konnte man da leben? Wie konnten die Leute noch lachen?
Ich hatte vom Tod gehört und mir wenig dabei gedacht. – Nun aber hatte ich ihn gesehen.
Mein ganzes Gemüt war in Trauer und Verzweiflung verwandelt.
Und wieder mußte ich schweigen – ich konnte nicht reden, fürchtete mich, etwas so Entsetzliches auszusprechen. Mir war, als müßte dann die abscheuliche Gestalt sogleich ins Zimmer treten.
So hatte mein armes Herz viel zu tragen.
Mein Schuldbewußtsein drückte mich noch immer nieder, und das Geheimnis, daß ich nun wußte, wer und was der Tod ist, vernichtete mich fast.
Von meinem Kranksein ist mir keine Erinnerung geblieben, nur weiß ich, daß, als ich wieder aufgestanden war und nicht mehr gehen konnte, ich mich darüber verwunderte und erfuhr, ich wäre sehr krank gewesen.
In die Schule bin ich nie wieder gegangen und ich bekam bei einem guten, freundlichen Manne Unterricht mit noch einem Mädchen. Unser Lehrer hieß Herr Bräunlich.
Ich hatte sein Gesicht gern und seine Stimme. Er war ein behaglicher Mensch, verstand es sogar, uns die Rechenexempel in Form kleiner, netter Geschichten vorzuführen; aber immer noch schlief mein Lerneifer und war auf keine Weise zu erwecken; auch fehlte mir jeder Ehrgeiz.
Nach und nach nahmen mehrere Mädchen an unsern Stunden teil, vortreffliche Schülerinnen, klug und weise. Ich blieb mit aller Gemütsruhe hinter ihnen zurück. Weshalb sollte ich es ihnen gleichthun? Ich sah den Zweck nicht ein.
Herr Bräunlich war mit mir sehr freundlich und nachsichtig. Die Mädchen wußten gar nicht, wie sie ihren Eifer am glänzendsten beweisen sollten. Wir hatten frei, uns die Gedichte, die deklamiert wurden, selbst zu wählen. Da überboten sich die Vortrefflichen in ellenlangen Balladen. Kein Gedicht war ihnen weitläufig genug. Schiller hatte wie für sie geschaffen – die Glocke, die Kraniche. Es konnte nichts lang genug sein.
Und ich liebte, es kurz zu machen, und wählte noch dazu traurige Lieder.
Die Mädchen sagten, dies geschähe aus Faulheit. Sie hatten nicht unrecht; aber es war noch etwas dabei. Ich liebte diese kurzen, traurigen Lieder. Seit ich das Bild vom Tode kannte und die schreckliche Gestalt so verzweiflungsvoll empfunden hatte, erschien mir das Leben nicht mehr harmlos und heiter. Ich liebte es nicht mehr, allein zu sein, ich fürchtete mich, wenn die Sonne unterging – die Träume brachten mir schlimme Erscheinungen – und das Bild des Todes stand unverwischbar in meiner Seele; das geschriebene oder gedruckte Wort »Tod« konnte mich zum Erzittern bringen.
»Armer, kleiner Narr,« sagte Herr Bräunlich, als ich wieder einmal ein recht trübseliges kurzes Gedicht glücklich gefunden und leidlich gelernt hatte.
Ich führte ein freies Leben – täglich nur eine Unterrichtsstunde und diese wurde zur Sommerszeit im Garten gehalten. Herr Bräunlich verschmähte es nicht, als wir zur Heuzeit ihm einen großen Haufen Heu aufgestapelt hatten, auf diesem Platz zu nehmen und so seinen Unterricht zu erteilen.
Vor und nach jeder Stunde führten wir grauenhafte Zigeuner- und Rittergeschichten aus, hatten dazu in einem Kasten das tollste Zeug zusammengetragen, Schnurrbärte, Säbel, Decken, Mützen mit wallenden Hahnenfedern; wir[143] besaßen prächtige Dinge. Wie in den Unterrichtsstunden, spielte ich auch bei den Spielen eine sehr untergeordnete Rolle. Gewöhnlich vergaßen meine Kameradinnen mich, und es hieß schließlich: sie kann die Kammerjungfer der Prinzessin sein, oder der Hund, oder das Bauernmädchen. Ich war es zufrieden und strebte nicht nach Höherem. Ich wußte auch, ich taugte zu nichts.
Die Aelteste und Vortrefflichste korrigierte meine Arbeiten, bevor der Lehrer sie in die Hand bekam, so war ich ihr dankbar und machte keine weiteren Ansprüche.
Unsre Spiele vergnügten mich außerordentlich, aber im Eifer drängte sich die Kammerjungfer oder der Hund vor, und that sich wichtig.
Im übrigen waren mir die Mädchen zu erhaben, zu vortrefflich, als daß ich mich ihnen hätte anschließen können. Sie kamen mir mehr oder weniger selbst wie Schulmeister vor, und ich wurde nie ein Angstgefühl vor ihnen los.
Die Gassenbuben und Gassenmädel vor unserm Hause machten mir einen vertrauenerweckenderen Eindruck und waren auch samt und sonders meine Freunde, mit denen ich mich bis zum Dunkelwerden vergnügte, winters und sommers. Schlittenfahren, Schneeballen, Lauscheck, schwarzer Mann, Verstecken, Schreien, Laufen, in Angst und Eile vor den Verfolgern um die Häuser huschen, das war etwas! Und wenn mich ein Mädel mit zu ihrer Mutter nahm und ich im niedern Stübchen mit den guten Leuten zu Abend essen durfte, wie behagte mir das, wie war das heimlich, so klein und warm!
Die glückliche Zeit, in der Herr Bräunlich uns nachsichtig lehrte, war zu Ende. Es sollte jetzt ein Vornehmer, ein Würdiger kommen, einer, der uns in die höheren Wissenschaften einzuführen hatte.
Wer aber hätte mir wohl den guten Herrn Bräunlich ersetzen können, der in mein Censurenbuch jedesmal zu[144] Weihnachten schrieb: Helene war gut; aber gar nicht fleißig, hat auch wenig aufgemerkt, aber da sie brav ist und im Betragen eine 1 erhielt, und zwar die 1 mit dem Stern, denke ich, der heilige Christ soll ihr so viel bescheren wie den Schwestern und ihr die schlechten Fortschritte nicht nachtragen.
Mit solchem freundlichen Begleitschreiben versah Herr Bräunlich meine schlechten Censuren zu Weihnachten Jahr für Jahr, wenn ich sie meinem guten Vater vorzeigen mußte.
Aber auch Herr Bräunlich fühlte einmal das Bedürfnis, mich exemplarisch zu strafen.
Wir hatten den Unterricht zum Teil im Hause Friedrich Prellers, und zwar wie immer gegen Abend; es war zur Winterszeit, also schon völlig dunkel.
Ich liebte diese Stunden zur Abendzeit, sie hatten etwas Anheimelndes – und ich glückseliges Geschöpf besaß eine kleine Laterne und eine große Anzahl Wachslichter.
Und mit dieser Laterne machte ich mich überaus gern auf den Weg. Ich zündete sie schon in der allerersten Dämmerung an, und es war mir wenig störend, wenn die Leute mir nachblickten und die Gassenjungen lachten. Ich fühlte mich glücklich, mein eigenes Licht zu haben, und außerdem war mir's ein behagliches Gefühl, daß keine Dunkelheit mich überraschen konnte.
Meine liebe Mutter hatte diese Laterne und die Kerzen, die sie immer erneuerte, mir geschenkt.
Sie wußte, daß ihre Tochter ein großer Furchthase war. Ich hatte es ihr vertraut, daß die Dunkelheit mir das Schrecklichste auf der Welt sei. Da hat sie mich ausgelacht; aber tags darauf hatte ich mein Laternchen.
So kam ich funkelnd wie ein Glühwurm zur Unterrichtsstunde.
Mein Herr Bräunlich war schlecht aufgelegt, und am Ende der Stunde sagte er mit einem Mal feierlich zu mir[145] gewendet: »Für deine jahrelange Faulheit und Unaufmerksamkeit muß einmal eine Strafe kommen. Du gehst heute abend mit mir und bleibst, bis ich dich nach Hause bringe. – Während der Zeit schreibst du an mich, wie auch an deinen Vater einen Zettel, auf dem du versprichst, dich zu bessern.« Das traf mich wieder wie ein Donnerschlag bis ins innerste Herz; aber ich verhielt mich vollkommen ruhig. Ich wollte den Mädchen nicht die Freude machen, daß sie mich unglücklich sähen.
Als wir beide, Herr Bräunlich und ich, uns auf den Weg machten, blieben die andern zurück. Ich zündete stumpf und verzweifelt mein Laternchen an.
Da hörte ich die Mädchen lachen und trat mit dem Fuß auf und murmelte: »Diese Dummhüte.«
»Was hast du denn?« sagte Herr Bräunlich.
»Die da drinnen lachen mich aus!« sagte ich.
»Nein, das thun sie nicht,« antwortete er, »es sind ganz gute Mädchen.«
»Die sind nicht gut,« sagte ich. »Ich weiß, daß sie mich auslachen!«
Wir hatten den Unterricht, wie ich schon sagte, im Hause Friedrich Prellers gehabt, des Malers der Odyssee. Und ehe wir noch aus der Thüre waren, kam er selbst, seine schwarzseidene gewirkte Kappe tief in die Stirn gezogen.
»Na Lenchen,« sagte er, »wo geht's denn hin?« Sein altes bedeutende Gesicht konnte vor Güte und Freundlichkeit strahlen.
»Ich nehme sie mit mir, sie muß einmal eine Strafe bei mir absitzen, Herr Professor!« sagte Herr Bräunlich würdevoll.
»Ja, in drei Teufels Namen!« – der alte Preller liebte solche kräftige Ausdrücke – »Lenchen, was ist dir denn eingefallen? Ja, es mag ein schweres Stück sein, mit solchen Mädels fertig zu werden. Machen Sie's nur gnädig, das Lenchen ist kein böses Mädchen.«
»Nein, das ist sie nicht,« sagte Herr Bräunlich, »aber das Abscheuliche an ihr ist, daß sie nichts lernt, daß sie faul ist. Dabei ist sie nicht so arg dumm und könnte alles besser machen; aber sie rührt sich nicht.«
»Lenchen! Lenchen!« sagte der alte Preller. »Fleißig muß man sein. Was denkst du denn – gottlob, daß du kein Junge bist!«
Ich war tief beschämt – an dem alten herrlichen Preller hing mein ganzes Herz. Er war so gut mit mir. Ich hatte das große Glück, wenn er abends still seine wundervollen Studien und Skizzenbücher und Zeichnungen durchblätterte, hin und wieder neben ihm sitzen zu dürfen, um mitzuschauen, und that dies mit Leidenschaft und Andacht.
Und er wußte nun so genau, wie es um mich stand! Verzweifelt ging ich neben Herrn Bräunlich die dunkle Belvedere-Allee entlang. Mein Laternchen leuchtete mir und ihm.
Das Herz schlug mir angstvoll. Ich wußte, daß ich es nie zu Hause gestehen würde, was mich getroffen, und noch einmal solch eine Schmach verschweigen, ging auch nicht. Es war beides unmöglich. Beides wollte ich nicht. Also blieb nur ein drittes übrig. Das war einfach und überstieg meine Rechenkunst nicht. Es durfte nie bis dahin kommen, daß Herr Bräunlich mich mit zu sich hinaufnahm. Ich hatte ja Beine – und was für flinke. Gottlob! dachte ich.
Als wir durch die Marienstraße gingen, war mein Entschluß gefaßt, und als wir an den Alexanderplatz kamen mit seiner herrlichen Wiese und dem großen Taxusbusch darauf, da sah mein Herr und Meister mit einmal, wie das Laternchen Sprünge machte, und wie es von seiner Seite gehuscht war. Wir hatten Mondschein, und ich lief, was ich konnte, die Wiese entlang; hörte meinen Lehrer rufen, hörte ihn laufen – und schnaufen.
Ich kam unter dem Taxusbusch an, und wir liefen um denselben herum.
Herr Bräunlich schien seine Ehre dareingesetzt zu haben, mich zu fangen; aber das Laternchen war flinker, als er glaubte.
Ich drohte ihm, außer Atem, als er sich einmal bedenklich genähert hatte.
Ich drohte ihm, mit tiefem Grauen im eigenen Herzen, wenn er mir noch weiter nachrenne, würde ich auf den Friedhof laufen.
»Herr meines Himmels, machst du Geschichten!« rief er pustend. »Mach, was du willst – aber schlecht ist's von dir!«
»Nein, sagen Sie, daß es nicht schlecht ist!« rief ich von weitem und stand still, als ich sah, daß auch er still stand – »und sagen Sie's Papa nicht.«
»Gut,« antwortete Herr Bräunlich immer noch pustend, »es sei dir geschenkt, ich sag's auch nicht.«
»Aber daß es nicht schlecht von mir ist, müssen Sie mir auch noch sagen!«
»Gut,« rief er ungeduldig; »aber mach, daß du nach Hause kommst.«
Wer war glückseliger als ich! Mein Herz schlug leicht und zufrieden, es hatte sich alles vortrefflich gemacht, und ich ging stolz im Gefühl meines Sieges durch die Straßen.
Bei Gelegenheit frug mich der alte Preller, wie die Strafe abgelaufen sei, und ich erzählte ihm alles wahrheitsgetreu; da sagte er mir, daß ich es nicht übel gemacht habe. »Es ist immer gut,« meinte er, »wenn man sich zu helfen weiß.«
Auch Herr Bräunlich und ich, wir blieben gute Freunde.
Aber wie schon gesagt, Herr Bräunlich tauchte unter, ein andrer auf.
Von der ersten Stunde an wurde dieser »Neue«, der ganz unzweifelhaft ein vortrefflicher Lehrer war, mein Feind[148] und wurde von mir gründlich und andauernd gehaßt. Er mochte in seiner Ehre gekränkt sein, daß man ihm, dem ausgezeichneten Manne, zugemutet, ein so dummes Mädchen wie mich zu unterrichten, und behandelte mich danach.
Jedes Wort, das er an mich verschwendete, war Mißachtung und Spott. Tiefer und tiefer sank ich in den Augen meiner Mitschülerinnen und erschien mir selbst wie ausgestoßen aus der menschlichen Gesellschaft. Mir fiel in einer der ersten Stunden das Wort »glimpflich« auf, und ich erkundigte mich nach dessen Bedeutung, da fuhr der Neue, der ein behender Mensch war und seine Glieder zu schleudern verstand, auf mich ein und schrie: »Bisher hat man glimpflich mit Ihnen verkehrt – das hat aber jetzt bei mir ein Ende« – und es war zu Ende.
Ich lebte geängstigt und wahrhaft gehetzt; kam ich zum Unterricht, so hatte ich die Empfindung, als befände ich mich die Zeit über vor der Mündung einer geladenen Kanone, die jeden Augenblick losgehen konnte.
Jedes Geschöpf des Tierreichs, das mir auf meinem Weg zu dem gefürchteten Meister begegnete, sah ich mit neidischen Augen an. Die Verantwortung, Mensch zu sein, war mir sehr drückend. – Wie gern hätte ich mit so einem munteren Pferdchen getauscht, oder mit einem lustigen Hunde oder mit jeder Katze.
Wenn ich ins Haus eintrat, legte ich einen kleinen Stein in einen Winkel mit dem Gelöbnis: komme ich leidlich mit heiler Haut wieder heraus, so will ich dankbar den Stein mit mir nehmen und zum Angedenken aufbewahren. Doch legte ich mir eine ganz gewaltige Steinsammlung an, denn es mochte gewesen sein, wie es wollte, ich nahm den Stein aus Dankbarkeit, daß die Sache überhaupt zu Ende gegangen war, jedesmal mit mir.
So nahm ich nicht zu an Weisheit und Verstand, an Gnade bei Gott und den Menschen, sondern sank tiefer und[149] tiefer in der Achtung aller derer, die über meine glänzenden Erfolge unterrichtet waren.
Das Unglück hatte es einmal gewollt, daß ich in der Angst und Verwirrung, in der ich mich vor dem Unterricht gewöhnlich befand, meinen ganzen Haufen trauriger Hefte bei einer unserm Haus befreundeten Familie hatte liegen lassen. Mit welchem Schreck bemerkte ich dies! Die Hefte, meine greulichen Hefte! – Wie mich das durchfuhr!
Wenn man nun einen Blick hineinthut! Und sie werden es thun. Das war mir ganz sicher.
Mit welchem Bangen machte ich mich auf den Weg, sie mir wieder zu holen, wie langsam schlich ich die Treppe hinauf, wie zaghaft zog ich die Schelle! – Und was stand mir bevor!
Sie hatten mich kommen sehen und öffneten mir selbst die Thüre, eine ganze Schar mir sehr würdig erscheinender Damen, Gott weiß, wer noch dabei war. Sie ließen mich nicht herein, sondern öffneten nur halb und reichten mir mit der Feuerzange meine Hefte einzeln heraus und riefen: »Bessere dich! Bessere dich!« und lachten, und die Hinteren stellten sich auf die Zehen, um über die Vorderen hinweg mich sehen und mir gute Lehren geben zu können. Ich war wie vernichtet, wütend zum Zerspringen; aber ich nahm die einzelnen Hefte von der Feuerzange ab, stumm und im Herzen zerrissen; schmachvoll erschien mir's, daß ich sie nahm. Als die Sache zu lange dauerte, riß mir die Geduld, und ich lief davon, und meine Peiniger kehrten mir mit dem Besen die übrigen Herrlichkeiten die Treppe hinab nach. Sie ahnten wohl nicht, was sie mir anthaten – fast sinnlos vor Verzweiflung, Wut und Schande, sammelte ich meine Habseligkeit ganz außer mir auf und lief bleich mit verweinten Augen nach Hause, zählte mein Geld nach, um mir neue Hefte zu kaufen und die alten zu verbrennen. Es reichte nicht; aber ich verbrannte sie dennoch.
In dieser Zeit kam es, daß der Gestrenge uns einen Aufsatz gab: Die Vorzüge des Menschen vor dem Tiere.
Dabei schien mir wenig Witz zu sein – und ich beschloß, das Gegenteil zu behandeln: die Vorzüge des Tieres vor dem Menschen. Das leuchtete mir weit mehr ein, und was hatte ich zu verlieren, ein Donnerwetter mehr oder weniger, darauf kam es mir nicht an.
Ich setzte mich daran und ließ mein Licht leuchten, machte meinem Herzen Luft und schrieb wahrhaft glückselig, stand vor lauter Wonne auf einem Bein während des Schreibens, pfiff und war der besten Dinge.
Noch nie hatte ich so viel in meinem Leben geschrieben, es kam mir immer Neues in die Finger. So war das Arbeiten ein Vergnügen. Ja, wenn es sich immer um Dinge handelte, bei denen man mit Leib und Seele dabei sein könnte! Aber dies langweilige Getreibe von Zahlen und Namen, Regeln und Ausnahmen, mit denen man Herz und Hirn beschweren mußte, da konnte man nicht verlangen, daß ein vernünftiges Geschöpf sich daran mitbeteiligen sollte!
Ich gab meinen feurig verfaßten Aufsatz ab mit aller Gemütsruhe und erhielt ihn zu seiner Zeit mit stummer Verachtung von dem Gestrengen zurück. Er durchbohrte mich mit majestätischen Blicken – sagte mir, daß sich derjenige, welcher diesen Aufsatz verfaßt habe, einen übeln Spaß mit mir erlaubt habe. Ich hätte beim Abschreiben nicht einmal bemerkt, daß das gestellte Thema verändert wurde – übrigens sei dieser Aufsatz vortrefflich, und er hätte ihn in seiner Ersten Klasse vorgelesen, habe dabei aber bemerkt, daß dies ein Aufsatz sei, den eine ungeschickte und faule Schülerin sich von fremder Hand habe arbeiten lassen, um damit einen Betrug auszuführen.
Ich erwiderte ruhig, daß diese Arbeit von mir sei, bekam aber wieder einen majestätisch verächtlichen Blick, der mir Schweigen gebot.
Und ich schwieg – ich war zufrieden, stolz und beglückt; was der Gestrenge von mir dachte, war mir vollkommen gleichgültig, er hatte sich bei mir durch Poltern und Ungerechtigkeit die Achtung verscherzt. Es kamen jetzt öfters Aufsätze, unter denen in Schriftzügen zu lesen war: Gut, aber nicht selbst verfaßt.
Alles Uebel aber hat sein Ende, so auch hier. –
Ich sollte konfirmiert werden, und da meine guten Eltern wohl meinten, daß mir ein religiöser Halt im Leben wohlthäte, sollte diese Zeit der Konfirmation mir besonders zu Herzen gehen.
Ich kam für den Sommer zu einem Pfarrer und Dichter.
Nachdem die mächtige Sehnsucht nach meinem reizenden Elternhaus und all der Wärme, Liebe und Güte, dem wundervoll »Heimischen« erträglich überwunden war, fand ich mich in einer wahrhaft beglückenden Umgebung. Alle waren unbeschreiblich gut mit mir. Die Frau Pastorin verwöhnte mich; sie war eine eigenartige, wie mir später bewußt wurde, eine Jean Paulsche Gestalt, zart im Empfinden, dem Uebersinnlichen zugeneigt, dem Humor zugänglich, lebhaft und schön.
Der Pfarrer war die Güte selbst, lebensprühend, dabei markig, kräftig und heiter.
Im Haushalt ging es frei und ländlich zu.
Der Religionsunterricht gestaltete sich vortrefflich, mein ganzes Herz ging mir auf. Denn der Ballast von alle dem Gelerne, Aufgesage fiel weg. – Mein Pastor plagte mich nicht mit Gesangbuchsliedern. Wir unterhielten uns, er hörte geduldig meine Fragen, meine Einwendungen, wir kamen auf dies und jenes zu sprechen. So kam es auch einmal, daß er aufstand, an den Bücherschrank ging und den Faust herausholte.
Noch nie hatte ich einen Blick hineingethan, und er begann zu lesen. Er las lebhaft und hinreißend.
Ich saß vor ihm, wahrhaft entrückt. Da öffnete sich die Thür, und die Frau Pastorin trat ein und blieb, als sie hörte, was hier vorging, mit offenem Munde in der Thür stehen.
»Ja, was fällt dir denn ein?« rief sie. »Du sollst ja Religionsstunde halten – das ist nicht recht von dir – das ist nichts für das Kind.«
»Nun, ich dächte, das könnte ihr nichts schaden,« sagte mein Pastor ganz kleinlaut, »stell' dir vor, dieses Mädchen kannte den Osterspaziergang noch nicht einmal!« rief er und schlug das Buch zu.
Die Frau Pastorin erklärte, daß sie dies für kein Unglück halte – »und du hast es nun ja auch nachgeholt,« sagte sie.
Noch denselben Nachmittag rief mich die Frau Pastorin und las mir, jedenfalls als Gegengewicht, aus einem Buche vor, das die Geschichte der Märtyrer poetisch behandelte. Zu diesen Vorlesungen fand sich eine alte nette Dame ein, und beide Frauen gaben sich den Schicksalen der Märtyrer mit außerordentlicher Begeisterung hin. Die Frau Pastorin saß manchmal wie verklärt da, und die alte Dame auch.
Die Dame fragte mich, ob dies nicht eine herrliche, gottbegnadete Zeit gewesen sei, und ob ich mir etwas Wundervolleres vorstellen könnte, als als Märtyrer zu leben und zu sterben.
Mir war es etwas beängstigt zu Mute, und ich wagte zu sagen, daß es jetzt doch wohl keine Märtyrer mehr gäbe.
»Leider, leider – nein!« rief die alte Dame schmerzlich aus.
Ich aber hatte ein tiefes Mitleid mit diesen guten Heiligen, dachte mir immer, wie schrecklich es sei, daß sie sich bis zu Tode quälen ließen mit der schönen Aussicht, dann in einen wundervollen Himmel zu kommen – und daß[153] sie sich damit vielleicht gar verrechnet hätten – so etwas fürchtete ich sehr, sprach dies aber nicht aus, da die Empfindung in mir lebte, daß man dies für sich behalten müsse.
Ich hatte noch nicht das Ewige, das Unsterbliche in mir gespürt, dasjenige, was wert sei, nie unterzugehen, was andre Leute mit solcher Bestimmtheit in sich vermuten und wissen und mit aller Energie verteidigen. Ich dachte damals nie darüber nach. Wenn ich mich abends niederlegte, sagte ich zu mir: Ob ich nun eine Nacht schlafe und nichts von mir weiß, oder eine Ewigkeit, das bleibt sich gleich.
Damals schrieb ich auf ein Blättchen, das ich mir aufbewahrte: Einen Augenblick bewußtlos – eine Ewigkeit bewußtlos!
Ich habe dies dann später meiner kleinen, überspannten Käthe im »Herzenswahn« in den Mund gelegt – hatte aber meine Lust zum Grübeln mit diesem Worte beruhigt und war völlig zufriedengestellt.
Das hinderte mich aber durchaus nicht, Freude an meinem Religionsunterricht zu finden.
Ich war zu dieser Zeit sehr glücklich, lief abends mit Holzpantoffeln durchs Dorf, die Kinder im Haus, die Mädels in der Nachbarschaft waren mir willkommene Kameraden. Sonntags fuhr ich mit dem Pastor jedesmal früh auf die Filiale, kehrte mit ihm bei Schulmeisters ein und ging mit ihm zur kleinen Kirche. Er hatte dann beim Schulmeister seinen schwarzen Talar schon angezogen und sah sehr würdig und stattlich aus.
Dann saß ich in der kleinen moderigen Kirche und sah die Bauern kommen, indes die Schwalben zwitscherten und an den Fenstern vorüberhuschten. Dann hörte ich meinen Pastor predigen. Die Bauern bekamen manchen kräftigen Brocken von der Kanzel aus zugeworfen, an dem sie, im Fall sie ihn aufhoben, eine Weile kauen sollten.
Wenn wir wieder nach Hause kamen, gab es Schokolade.
Der Tag meiner Konfirmation war sehr feierlich, die Eltern, die Schwestern, mein Großmütterchen und unsre junge, reizende Erzieherin kamen alle von Weimar.
Ich trug zur Feier ein weißes Kleid, und die alte Dame, die für die Märtyrer schwärmte, hatte meine Haare gelockt und sie mit einer Rose zusammengesteckt, versicherte mir auch nach der heiligen Handlung – sie hätte sich mit aller Gewalt in die Hinrichtung ihrer Lieblingsheiligen versetzt, während ich am Altar gestanden hätte, sei es ihr so gewesen, als wäre ich diese Heilige, und die Ceremonie eine Hinrichtung.
Das kam mir sehr übertrieben vor.
Uebrigens gefiel mir meine Konfirmation außerordentlich, es war mir so geheimnisvoll und gehoben zu Mute. Es wurde niemand mit mir konfirmiert, das gefiel mir auch, und ich hatte den Tag über bei jeder Gelegenheit die denkbar besten Vorsätze gefaßt. Alle waren so unbeschreiblich gütig mit mir, und das stimmte mich sehr dankbar.
Freilich, daß man mir sagte, ich wäre jetzt eine erwachsene Person, das erschien mir wenig erfreulich und auch wenig wahrscheinlich, war mir übrigens auch gleichgültig, ich war, was ich war, und damit gut.
Der Pastor las am Abend Droste-Hülshoffs Gespenstergedichte vor, den Grauen und die Doppelgängerin. Bis ins innerste Herz war ich davon erschüttert, so daß ich die ganze Nacht mit den tollsten Phantasieen zu thun hatte und mich fürchtete, wie noch nie in meinem Leben.
Die Pastorin hatte mir meine ganze Stube zur Feier dieses Tages mit Blumen und Guirlanden wahrhaft ausgefüttert, wie ein grünes Nest.
Es war alles hier so schön und beglückend gewesen, daß ich schweren Herzens Abschied nahm. Die Pastorin wußte nicht, was sie mir noch Gutes anthun sollte, und steckte mir alle Taschen voll herrlicher Aepfel. Zwei davon[155] brachte ich unter meinem Hut unter, und die rollten mir wieder hervor, als ich irgend jemand vom Wagen aus noch einen Abschiedskuß gab. Sie wurden mir wieder darunter gesteckt, und ich fuhr mit meinen Eltern davon.
Jetzt übergehe ich eine kleine Zeit; ich blieb nach wie vor Schulmädchen, hatte aber nur bei unsrer von mir sehr geliebten jungen Erzieherin Unterricht.
Ich besuchte das Theater hin und wieder, denn jetzt durfte ich von unsern abonnierten Plätzen Gebrauch machen, und so begab es sich, daß ich der Aufführung von Wagners »Tristan und Isolde« beiwohnte. Ich war überwältigt, hingerissen, betäubt, berauscht. – Die Gewalt in dieser Musik erfaßte mich völlig. Kurvenals Horn durchbebte meine ganze Seele, und ich glaubte hinsterben zu können in den gewaltigen Tönen der Erwartung, der Angst, des Zweifels. Wundervoll empfand ich zuletzt das Sichauflösen alles Leidens, alles Lebens.
Es war zu viel für mich gewesen, ich litt unter den mächtigen Eindrücken, war wie berauscht. Auf dem Heimweg erschien es mir unmöglich, jetzt das gewöhnliche Leben wieder zu beginnen. Es mußte etwas geschehen, etwas Außergewöhnliches – das Leben mußte sich anders gestalten, um mich und mein Empfinden wieder aufnehmen zu können. Aber wie, was sollte geschehen?
Ich stand vor unserm Hause im Dunkeln, voller Sehnsucht nach etwas, was die Wunder, die ich eben durchlebt hatte, und die Alltäglichkeit in Einklang bringen sollte, und ich dachte, daß ich zu meinem Pfarrer gehen wollte.
Als ich hinauf zu meiner Mutter kam, bat ich sie, mich schon den andern Morgen zu den guten Leuten reisen zu lassen. Sie erlaubte mir dies gern; ich teilte ihr auch den Grund meiner Reise mit, der sie einigermaßen zu wundern schien.
Am frühen Morgen fuhr ich glückselig ab. Ich war[156] mit mir durch meinen Entschluß wieder ins Gleichgewicht gekommen.
Als ich im stillen Dörfchen ankam, empfingen sie mich überrascht und freundlich. Es war an einem Frühlingsnachmittag. Die Pastorin führte mich sogleich ins Wohnzimmer, ließ Kaffee kochen, und ich traf eine muntere Gesellschaft. Pastors hatten schon seit einigen Wochen drei junge Mädchen zum Besuch. So ging's lustig wie immer im Hause zu.
Als ich der Pastorin während des Kaffees mein Anliegen vorbrachte und sagte, daß ich gekommen sei, um am Sonntag das Abendmahl hier zu nehmen, sah sie mich kopfschüttelnd an und schwieg.
»Ja, aber so etwas schreibt man doch vorher,« begann sie würdevoll. »Was fällt dir denn ein? Weshalb bist du denn nicht heut' morgen gekommen, um wenigstens zur allgemeinen Beichte da zu sein? So kannst du das Abendmahl gar nicht nehmen. Was stellst du dir vor – ohne Beichte!«
Die gute Pastorin war in Eifer gekommen, und ich fühlte mich sehr beschämt, weshalb, wußte ich eigentlich nicht.
»Das geht gar nicht,« sagte sie wieder entschlossen, »was sollen denn die Leute denken? Da muß wegen dir Privatbeichte gehalten werden, und den Leuten muß gesagt werden, daß du privatim vorbereitet worden seist.«
Denselben Nachmittag noch rief mich der gute Pastor in sein Studierzimmer.
»Geh nur,« sagte meine gute Freundin, »und wenn du etwas auf dem Herzen hast, sag es ihm – und wenn es das größte Unrecht wäre, verschweigen darfst du's nicht. – Ich möcht' wohl wissen,« setzte sie gedankenvoll und etwas neugierig hinzu, »weshalb du jetzt gerade das Abendmahl nehmen willst?«
In des Pastors Zimmer brannte schon die Studierlampe,[157] und er empfing mich ernst und wohlwollend und feierlich. Er fragte mich, ob ich irgend etwas auf dem Herzen hätte.
»Nein,« sagte ich.
Er fragte dieses und jenes mit sehr ernster Miene.
Ich sagte ihm aber, daß es mir sehr wohl ginge.
Er fragte mich, ob ich mit mir selbst zufrieden sei.
Ich sagte ihm, daß ich nie über mich selbst nachdächte.
Es kam nichts zu Tage, was ihn oder mich beunruhigt hätte, und da sich zu seiner großen Verwunderung durchaus nichts fand, so erteilte er mir nach den Worten der Bibel die Vergebung aller meiner Sünden. Da faßte ich seine beiden Hände, sah ihn an und sagte: »Ich habe ›Tristan und Isolde‹ gehört,« und ich sagte es wohl mit solch einem Ausdruck, daß auch er mir in die Augen sah.
Noch immer hielt ich seine Hände, und die ganze Erregung und Bewegung des vorigen Abends kam über mich.
»Ei du Glückspilz!« rief mein guter Pastor überrascht. »Nun setz dich einmal hin und erzähle.«
Und ich erzählte ihm, schüttete mein ganzes Herz vor ihm aus – und wie er zuhörte! Er fragte und fragte und wäre für sein Leben gern dabei gewesen; die Zeit verging uns im Umsehen. Er stand beim dritten Akte auf und holte die Pastorin, und ich mußte mit Erzählen wieder von vorn beginnen.
Als ich geendet hatte, sagte ich mit Thränen: »Lieber guter Pastor, ich möchte auch irgend etwas thun, was schön ist, ich möchte irgend ein großes Talent haben, dann erst würde ich glücklich sein.«
»Ja, mein Kind,« antwortete er, »da bitt' erst einmal um einen großen Fleiß, das ist die Hauptsache. Wenn du auf ein Ding deinen ganzen Fleiß verwendest, wird es dich auch interessieren, ganz gleich, was es ist.«
Ich erzählte ihm, daß ich bei Friedrich Preller zeichnete, daß es damit aber nichts wäre. Der alte Preller lache[158] über alles, was ich mit Müh' und Not zu stande brächte; und wenn er sich meine Arbeit angesehen habe, sage er gewöhnlich, ich solle es sein lassen, es wäre besser, wenn ich mit ihm zum Kaffeetrinken käme. Das ließe ich mir dann auch nicht zweimal sagen, und während die andern noch sich abmühten, säße ich schon und lauerte darauf, daß der alte Preller seine wundervollen Skizzenbücher zur Hand nehmen würde; aber selber zeichnen und bei aller Not und Mühe nur elendes Zeug zu Tage fördern, das hielte ich für eine Sünde.
»Ja, das ist's auch,« sage Preller selbst.
»Nun also!«
Die Feier des heiligen Abendmahls erfüllte wieder mein Herz mit wunderbaren Schauern.
Ich grübelte nicht und gab mich ganz dem weihevollen Augenblicke hin – den dumpfen Klängen der Orgel, dem mystischen Gesang, den geheimnisvollen Worten. –
Meine Seele verlangte danach, sich auf Lebenshöhen zu fühlen. Der Zwiespalt zwischen dem alltäglichen Dasein, seiner Ruhe, Gleichgültigkeit und leichten Befriedigung, und den tiefen Bewegungen und Gewalten einer mächtigen Kunst hatte mich verwirrt, beunruhigt – und ich wollte Beruhigung empfinden.
Nicht lange nach dieser Zeit begann ich in aller Unschuld das wunderliche Spiel mit den Käuzen, von denen ich schon erzählt habe – trieb es geheimnisvoll glückselig, hockte auf unsrer Bodentreppe und schrieb dort nach Herzenslust – Geschöpfe zauberte ich in mein blaues Heft, die mir ungemein sympathisch waren; sie sprachen und thaten, was ich wollte, was ich wünschte, und ich lebte mit ihnen im besten Einvernehmen.
Es war ein leidenschaftliches Spiel, das ich trieb, um die Welt hätte ich es nicht irgend jemand verraten mögen – und dennoch verriet ich es selbst und gewann durch diesen[159] Verrat das höchste Glück, das das Schicksal einer schaffensmutigen Seele zu teil werden lassen kann; ich gewann, wie ich schon sagte, einen Lehrer und Helfer, und zwar einen Lehrer und Helfer, wie er nicht besser zu denken war, der es verstand, mich unverbesserlichen Faulpelz zu Fleiß und Ausdauer anzuspornen; der mir als höchstes Ziel steckte: Wahrheit in jedem Empfinden, und eine freie Würdigung alles Menschlichen. So kam es, daß ich ein reiches und beglücktes Dasein kennen lernte, daß ich meinen festen, ruhigen Weg gehen konnte. – Meine Arbeit, meine Kunst wurde mir die stille Zuflucht, der nichts nahen durfte, wenn das alltägliche Leben zu stürmisch oder zu gleichgültig oder gar zu schwer werden wollte. Und ich selbst habe mich immer gewundert, wie gerade ich zu diesem großen Glück gekommen bin – gerade ich, die so wenig veranlagt schien, je etwas zu erstreben, geschweige zu erreichen.
Ich könnte manches aus meinem Leben erzählen, von guten Freunden, getreuen Nachbarn und dergleichen, von Ereignissen aller Art, von meiner Verheiratung, meinen Reisen, von allem Guten und Bösen, was ich auf Erden kennen lernte, mag es fürs erste aber damit genug sein, daß ich erzählt habe, wie ich zum Blaustrumpf wurde. Das alles ist nur Spaß. Wie der Ernst des Lebens an mich herantrat – der volle Ernst – und in seinem Gefolge Kummer und Not, wie ich die Arme nach Hilfe ausstreckte, wie ich verzweifelte, wie ich endlich nach langer Qual genas, davon will ich schweigen, das liegt im tiefsten Seelengrunde, für Worte kaum erreichbar.
Ende.
Werke von Helene Böhlau.
Das Recht der Mutter. Roman. M. 6.–, geb. M. 7.50. F. Fontane & Co., Berlin.
Der Rangierbahnhof. Roman. Zweite Auflage. M. 4.–, geb. M. 5.–. F. Fontane & Co., Berlin.
Rathsmädelgeschichten. Vierte Auflage. M. 3.60, geb. M. 4.60. J. C. C. Bruns, Minden i. W.
Herzenswahn. Roman. M. 3.60, geb. M. 4.60. J. C. C. Bruns, Minden i. W.
Im Trosse der Kunst. Novellen. M. 3.60, geb. M. 4.60. J. C. C. Bruns, Minden i. W.
Reines Herzens schuldig. Roman. M. 6.–, geb. M. 7.–. J. C. C. Bruns, Minden i. W.
Im frischen Wasser. Roman in zwei Bänden. M. 1.–, geb. M. 1.50. J. Engelhorn, Stuttgart.
Novellen: Der schöne Valentin, Die alten Leutchen. M. 5.–, geb. M. 6.50. Gebr. Pätel, Berlin.
Novellen: Im Banne des Todes, Salin Kaliske, Maleen. M. 5.–, geb. M. 6.20. W. Hertz, Berlin.
Engelhorns
Allgemeine
Romanbibliothek.
Eine Auswahl
der besten modernen Romane aller Völker.
Alle vierzehn Tage erscheint ein Band.
Preis pro Band 50 Pf. Elegant in Leinwand geb. 75 Pf.
(26 Bände jährlich. Gesamtpreis broschiert 13 Mark, gebunden 19 M. 50 Pf.)
»Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek«, die nun in ihren dreizehnten Jahrgang tritt, hat nicht nur von Jahr zu Jahr an Beliebtheit und Verbreitung zugenommen, sondern auch an litterarischer Bedeutung gewonnen, so daß es nicht zu viel gesagt ist, wenn man sie heute
einen Sammelpunkt der ersten lebenden Romandichter der Weltliteratur
nennt. – Die »Deutsche Dichtung« schreibt darüber:
Es ist auch in Deutschland möglich, dem Publikum gute Bücher zu billigem Preis zu bieten und dabei weder die Autoren noch die eigenen Interessen zu kurz kommen zu lassen, nur gehört Wagemut und geschäftliche Tüchtigkeit dazu – das ist die Lehre, die der deutsche Verlagsbuchhandel aus dem Erfolg von »Engelhorns Allgemeiner Romanbibliothek« ziehen kann, und hoffentlich auch, sofern er sich auf seinen Vorteil versteht, in immer größerer Auswahl ziehen wird. Als der rührige Stuttgarter Verleger vor zwölf Jahren zuerst die bekannten ziegelroten Bändchen – durchschnittlich zehn Bogen guter Ausstattung – zum Preise von 50 Pfennigen in die Welt sandte, begriff man gar nicht, wie der Mann dies leisten könne; schon die »Kollektion Spemann«, von welcher der Band eine Mark kostete, war dem Publikum, wie den Verlegern als unerhörtes Wagnis erschienen, und nun gar dasselbe – nur den Einband abgerechnet – für die Hälfte! Heute, nach zwölf Jahren, ist die »Allgemeine Romanbibliothek« so bekannt und verbreitet, daß eine Empfehlung des vortrefflichen Unternehmens fast überflüssig erscheint.
Die bisher erschienenen, in dem nachfolgenden Verzeichnis aufgeführten Romane können fortwährend durch jede Buchhandlung zum Preise von 50 Pf. für den broschierten und 75 Pf. für den gebundenen Band bezogen werden.
Erster Jahrgang.
Der Hüttenbesitzer. Von Georges Ohnet. Aus dem Französ. 2 Bände.
Aus Nacht zum Licht. Von Hugh Conway. Aus dem Englischen.
Zéro. Eine Geschichte aus Monte Carlo. Von Mrs. Praed. Aus dem Englischen.
Wassilissa. Von Henry Gréville. Aus dem Französischen. 2 Bände.
Vornehme Gesellschaft. Von H. Aïdé. Aus dem Englischen.
Gräfin Sarah. Von G. Ohnet. Aus dem Französischen. 2 Bände.
Unter der roten Fahne. Von Miß M. E. Braddon. Aus d. Englischen.
Abbé Constantin. Von L. Halévy. Aus dem Französischen.
Ihr Gatte. Von G. Verga. Aus dem Italienischen.
Ein gefährliches Geheimnis. Von Charles Reade. Aus d. Engl. 2 Bde.
Gérards Heirat. Von André Theuriet. Aus dem Französischen.
Dosia. Von Henry Gréville. Aus dem Französischen.
Ein heroisches Weib. Von J. J. Kraszewski. Aus dem Polnischen.
Eheglück. Von W. E. Norris. Aus dem Englischen. 2 Bände.
Schiffer Worse. Von Alex. Kielland. Aus dem Norwegischen.
Ein Ideal. Von Marchesa Colombi. Aus dem Italienischen.
Dunkle Tage. Von Hugh Conway. Aus dem Englischen.
Novellen von Hjalmar Hjorth Boyesen. Glitzer-Brita. – Einer, der seinen Namen verlor. Deutsch von Friedrich Spielhagen. – Ein Ritter vom Danebrog. Aus dem Englischen.
Die Heimkehr der Prinzessin. Von Jacques Vincent. Aus d. Französ.
Ein Mutterherz. Von A. Delpit. Aus dem Französischen. 2 Bände.
Zweiter Jahrgang.
Der Steinbruch. Von G. Ohnet. Aus dem Französischen. 2 Bände.
Helene Jung. Von Paul Lindau.
Maruja. Von Bret Harte. Aus dem Englischen.
Die Sozialisten. Aus dem Englischen.
Criquette. Von L. Halévy. Aus dem Französischen.
Der Wille zum Leben. – Untrennbar. Von Adolf Wilbrandt.
Die Illusionen des Doktor Faustino. Von Valera. Aus d. Span.
Zu fein gesponnen. Von B. L. Farjeon. Aus dem Englischen. 2 Bände.
Gift. Von Alexander Kielland. Aus dem Norwegischen.
Fortuna. Von Alexander Kielland. Aus dem Norwegischen.
Lise Fleuron. Von G. Ohnet. Aus dem Französischen. 2 Bände.
Aus des Meeres Schaum. – Aus den Saiten einer Baßgeige. Von Salvatore Farina. Aus dem Italienischen.
Auf der Woge des Glücks. Von Bernhard Frey. (M. Bernhard.)
Die hübsche Miß Neville. Von B. M. Croker. Aus dem Engl. 2 Bde.
Die Verstorbene. Von Octave Feuillet. Aus dem Französischen.
Mein erstes Abenteuer und andere Geschichten. Von Hans Hopfen.
Ihr ärgster Feind. Von Mrs. Alexander. Aus d. Englischen. 2 Bde.
Ein Fürstensohn. – Zerline. Von Claire von Glümer.
Von der Grenze. Novellen von Bret Harte. Aus dem Englischen.
Eine Familiengeschichte. Von Hugh Conway. Aus d. Englischen. 2 Bde.
Dritter Jahrgang.
Die Versaillerin. Von Ernst Remin. 2 Bände.
In Acht und Bann. Von Miß M. E. Braddon. Aus dem Englischen.
Die Tochter des Meeres. Von Johanne Schjörring. Aus dem Dänischen.
Lieutenant Bonnet. Von Hector Malot. Aus d. Französ. 2 Bände.
Pariser Ehen. Von E. About. Aus dem Französischen.
Hanna Warners Herz. Von Florence Marryat. Aus d. Englischen.
Eine Tochter der Philister. Von Hjalmar Hjorth Boyesen. Aus dem Englischen. 2 Bände.
Savelis Büßung. Von Henry Gréville. Aus dem Französischen.
Die Damen von Croix-Mort. Von Georges Ohnet. Aus d. Französ. 2 Bände.
Die Glocken von Plurs. Von Ernst Pasqué.
Fromont junior und Risler senior. Von Alphonse Daudet. Aus dem Französischen. 2 Bände.
Der Genius und sein Erbe. Von Hans Hopfen.
Ein einfach Herz. Von Charles Reade. Aus dem Englischen.
Baccarat. Von Hector Malot. Aus dem Französischen. 2 Bände.
Mein Freund Jim. Von W. E. Norris. Aus dem Englischen.
Hanna. Von Heinr. Sienkiewicz. Aus dem Polnischen.
Das beste Teil. Von Léon de Tinseau. Aus dem Französischen.
Lebend oder tot. Von Hugh Conway. Aus dem Englischen. 2 Bände.
Die Familie Monach. Von Robert de Bonnières. Aus dem Französ.
Vierter Jahrgang.
Eine neue Judith. Von H. Rider Haggard. Aus d. Englischen. 2 Bde.
Schwarz und Rosig. Von Georges Ohnet. Aus dem Französischen.
Das Tagebuch einer Frau. Von Octave Feuillet. Aus dem Französ.
Jahre des Gärens. Von Ernst Remin. 2 Bände.
Gute Kameraden. Von H. Lafontaine. Aus dem Französischen.
Die Töchter des Commandeurs. Von Jonas Lie. Aus dem Norweg.
Zita. Von Hector Malot. Aus dem Französischen. 2 Bände.
Die Erbschaft Xenias. Von Henry Gréville. Aus dem Französischen.
Kinder des Südens. Von Rich. Voß.
Daniele Cortis. Von A. Fogazzaro. Aus dem Italienischen. 2 Bände.
Die Herz-Neune. Von B. L. Farjeon. Aus dem Englischen.
Sie will. Von Georges Ohnet. Aus dem Französischen. 2 Bände.
Die Kinder der Excellenz. Von Ernst v. Wolzogen.
Um den Glanz des Ruhmes. Von Salvatore Farina. Aus dem Ital.
Der Nabob. Von Alphonse Daudet. Aus dem Französischen. 3 Bände.
Der kleine Lord. Von F. H. Burnett. Aus dem Englischen.
Der Prozeß Froideville. Von André Theuriet. Aus d. Französischen.
Stella. Von Miß M. E. Braddon. Aus dem Englischen. 2 Bände.
Fünfter Jahrgang.
Robert Leichtfuß. Von Hans Hopfen. 2 Bände.
Der Unsterbliche. Von Alphonse Daudet. Aus dem Französischen.
Lady Dorotheas Gäste. Von Ouida. Aus dem Englischen.
Marchesa d'Arcello. Von Memini. Aus dem Italienischen. 2 Bände.
Was der heilige Joseph vermag. Aus dem Französischen.
Alessa. – Keine Illusionen. Von Claire von Glümer.
Wie in einem Spiegel. Von F. C. Philips. Aus d. Englischen. 2 Bände.
Schnee. Von Alexander Kielland. Aus dem Norwegischen.
Jean Mornas. Von Jules Claretie. Aus dem Französischen.
Auf der Fährte. Von H. F. Wood. Aus dem Englischen. 2 Bände.
Satisfaction. – Das zersprungene Glück. – La Speranza. Von Alexander Baron von Roberts.
Die Scheinheilige. Von Karoline Gravière. Aus dem Französischen.
Doktor Rameau. Von Georges Ohnet. Aus dem Französ. 2 Bände.
Frau Regine. Von Emil Peschkau.
Zwei Brüder. Von Guy de Maupassant. Aus dem Französischen.
Mein Sohn. Von Salvatore Farina. Aus dem Italienischen. 2 Bände.
Dosias Tochter. Von Henry Gréville. Aus dem Französischen.
Der Lotse und sein Weib. Von Jonas Lie. Aus dem Norwegischen.
Numa Roumestan. Von Alphonse Daudet. Aus dem Französischen. 2 Bände.
Sechster Jahrgang.
Die tolle Komteß. Von Ernst v. Wolzogen. 2 Bände.
Eine Sirene. Von Léon de Tinseau. Aus dem Französischen.
Jack und seine drei Flammen. Von F. C. Philips. Aus dem Englischen.
Mr. Barnes von New-York. Von A. C. Gunter. Aus d. Engl. 2 Bde.
Gertruds Geheimnis. Von André Theuriet. Aus dem Französischen.
Wunderbare Gaben und andere Geschichten. Von Hugh Conway. Aus dem Englischen.
Letzte Liebe. Von Georges Ohnet. Aus dem Französischen. 2 Bände.
Die Sabinerin. – Felice Leste. – Die Mutter der Catonen. Von Richard Voß.
Mia. Von Memini. Aus dem Italienischen.
Diana Barrington. Von B. M. Croker. Aus d. Englischen. 2 Bände.
Der reine Thor. Von Karl v. Heigel.
Ein Kirchenraub. – Junge Liebe. Von H. Pontoppidan. Aus dem Dänischen.
Die Könige im Exil. Von Alphonse Daudet. Aus d. Französ. 2 Bände.
Die verhängnisvolle Phryne. Von F. C. Philips u. C. J. Wils. Aus dem Englischen.
Serguis Panin. Von Georges Ohnet. Aus d. Französischen. 2 Bände.
Achtung Schildwache! und andere Geschichten. Von Mathilde Serao. Aus dem Italienischen.
Salonidylle. Von H. Rabusson. Aus dem Französischen.
Mr. Potter aus Texas. Von A. C. Gunter. Aus dem Engl. 2 Bände.
Ein gefährliches Werkzeug. Von D. C. u. H. Murray. Aus d. Engl.
Siebenter Jahrgang.
Preisgekrönt. Von Alexander Baron von Roberts. 2 Bände.
Die Seele Pierres. Von Georges Ohnet. Aus dem Französischen.
Zum Kinderparadies. Von André Theuriet. Aus dem Französischen.
Imogen. Von Hamilton Aïdé. Aus dem Englischen. 2 Bände.
Port Tarascon. Von Alphonse Daudet. Aus dem Französischen.
Ein Mann von Bedeutung. Von Anthony Hope. Aus d. Englischen.
Ohne Liebe. Von Fürst Galitzin. Aus dem Russischen. 2 Bände.
Die Erbin. Von W. E. Norris. Aus dem Englischen.
Die kühle Blonde. Von Ernst v. Wolzogen. 2 Bände.
Mein Pfarrer u. mein Onkel. Von Jean de la Brète. Aus d. Französ.
Der Mönch von Berchtesgaden und andere Erzählungen. Von Rich. Voß.
Oberst Quaritch. Von H. Rider Haggard. Aus dem Engl. 2 Bände.
Noras Roman. Von Emil Peschkau.
Auf Vorposten und andere Geschichten. Von F. de Renzis. Aus dem Italienischen.
Versiegelte Lippen. Von Léon de Tinseau. Aus d. Französ. 2 Bände.
Aus den Papieren eines Wanderers. Von Jefferey C. Jeffery. Aus dem Englischen.
Mein Onkel Scipio. Von André Theuriet. Aus dem Französischen.
Wie's im Leben geht. Von A. Delpit. Aus dem Französischen. 2 Bde.
Verhängnis. Von F. de Renzis. Aus dem Italienischen.
Achter Jahrgang.
Irgend ein Anderer. Von B. M. Croker. Aus d. Englischen. 2 Bände.
Fräulein Reseda. – Ein Mann der Erfolge. Von Julien Gordon. Aus dem Englischen.
Künstlerehre. Von Octave Feuillet. Aus dem Französischen.
In frischem Wasser. Von Helene Böhlau. 2 Bände.
Die geprellten Verschwörer. Von W. E. Norris. Aus dem Englischen.
Daphne. Nach A Diplomat's Diary von Julien Gordon, deutsch bearb. von Friedrich Spielhagen.
Ein Genie der That. Von Ernst Remin. 2 Bände.
Mischa. Von Marguerite Poradowska. Aus dem Französischen.
Der Thronfolger. Von Ernst von Wolzogen. 2 Bände.
Im Reisfeld. – Ohne Liebe. Von Marchesa Colombi. Aus d. Ital.
Eine Künstlerin. Von Jeanne Mairet. Aus dem Französischen.
Miß Niemand. Von A. C. Gunter. Aus dem Englischen. 2 Bände.
Marienkind. Von Paul Heyse.
Schwarzwaldgeschichten. Von Hermine Villinger.
Jack. Von Alphonse Daudet. Aus dem Französischen. 3 Bände.
Der schwarze Koffer. Aus dem Engl.
Der Affenmaler. Von Jeanne Mairet. Aus dem Französischen.
Schwer geprüft. Von J. Masterman. Aus dem Englischen. 2 Bände.
Neunter Jahrgang.
Im Schuldbuch des Hasses. Von G. Ohnet. Aus d. Französ. 2 Bde.
Meine offizielle Frau. Von Col. Richard Henry Savage. Aus d. Engl.
Sein Genius. Von Claus Zehren.
Ein Zugvogel. Von B. M. Croker. Aus dem Englischen. 2 Bände.
Violette Merian. Von Augustin Filon. Aus dem Französischen.
Fräulein Kapitän. Eine Eismeergeschichte von Max Lay.
Ein puritanischer Heide. Von Julien Gordon. 2 Bände. Aus dem Englischen.
Das Stück Brot und andere Geschichten. Von François Coppée. Aus dem Französischen.
In der Prairie verlassen. Von Bret Harte. Aus dem Englischen.
Zwischen Lipp' und Kelchesrand. Von Charles de Berkeley. Aus dem Französischen. 2 Bände.
Mein erster Klient und andere Geschichten. Von Hugh Conway. Aus dem Englischen.
Auf steinigen Pfaden. Von Léon de Tinseau. Aus dem Französischen.
Heimatlos. Von Hector Malot. 3 Bände. Aus dem Französischen.
Baronin Müller. Von R. v. Heigel.
In guter Hut. Von Jeanne Mairet. Aus dem Französischen.
Das Kind. Von Ernst Eckstein.
Das Haus am Moor. Von Florence Warden. Aus d. Englischen. 2 Bde.
Giovannino oder den Tod! – Dreißig Prozent. Von Mathilde Serao. Aus dem Italienischen.
Des Seemanns Tagebuch. Von Gustave Toudouze. Aus dem Französ.
Zehnter Jahrgang.
Das Geheimnis des Hauslehrers. Von Victor Cherbuliez. Aus dem Französischen. 2 Bände.
Das wandernde Licht. Von Ernst von Wildenbruch.
Einer alten Jungfer Liebestraum. Von Alan St. Aubyn. Aus dem Englischen.
Schatten. Von Ossip Schubin.
Unerwartet. Von B. M. Croker. Aus dem Englischen. 2 Bände.
Ein Opfer. Von Karl E. Franzos.
Die Möwe. Von Zacharias Nielsen. Aus dem Dänischen. 2 Bände.
Geopfert. Von George Simmy. Aus dem Französischen.
Unheimliche Geschichten. Von Dick-May. Aus dem Französischen.
Margarete und Ludwig. Von Frieda Freiin von Bülow. 2 Bände.
Die Herzogstochter. Von Mrs. Oliphant. Aus dem Englischen.
Briefe aus meiner Mühle. Von Alphonse Daudet. Aus d. Französ.
Erinnerungen einer Schwiegermutter. Von George R. Sims. Aus dem Englischen. 2 Bände.
Lou. Von Alexander Baron von Roberts.
Hof Gilje. Von Jonas Lie. Aus dem Norwegischen.
Don Cirillos Hut. Von Emilio de Marchi. Aus d. Italienischen. 2 Bde.
Jean von Kerdren. Von Jeanne Schultz. Aus dem Französischen.
Unter Bauern. Von Hermine Villinger.
Prinz Schamyls Brautwerbung. Von R. H. Savage. Aus dem Engl. 2 Bände.
Elfter Jahrgang.
Das Recht des Kindes. Von Georges Ohnet. Aus dem Fränzös. 2 Bände.
Ein schlechter Mensch. Von A. von Gersdorff.
Mademoiselle. Von F. M. Peard. Aus dem Englischen.
Kosmopolis. Von Paul Bourget. Aus dem Französischen. 2 Bände.
Eine schnurrige Geschichte. Von Frank R. Stockton. Aus d. Engl.
Die wahren Reichen. Von François Coppée. Aus dem Französischen.
Simson und Delila. Von Annie Bock. 2 Bände.
Die gelbe Rose. Von Maurus Jókai. Aus dem Ungarischen.
Verloren. Von Henry Gréville. Aus dem Französischen.
Zwei Herren. Von B. M. Croker. Aus dem Englischen. 2 Bände.
Eine Schultragödie. Von Edmondo de Amicis. Aus dem Italienischen.
Schiffe, die nachts sich begegnen. Von Beatrice Harraden. Aus d. Engl.
Susi. Von Friedrich Spielhagen. 2 Bände.
Tim. Aus dem Englischen.
Frauen. Von Anna Munch. Aus dem Norwegischen.
Die alte Geschichte. Von Charles de Berkeley. Aus d. Französ. 2 Bde.
Der Sänger. Von Karl v. Heigel.
Möblierte Wohnungen. Von George R. Sims. Aus dem Englischen.
Tante Anna. Von W. R. Clifford. Aus dem Englischen. 2 Bände.
Zwölfter Jahrgang.
Die Erbschleicherinnen. Von Ernst v. Wolzogen. 2 Bände.
Der Kameenknopf. Von Rodrigues Ottolengui. Aus dem Englischen.
Die Cigarette und andre Geschichten. Von Jules Claretie. Aus dem Französischen.
Dodo. Von E. F. Benson. Aus dem Englischen. 2 Bände.
Die Brüder. Von Claus Zehren.
Pflichtgefühl. Von W. D. Howells. Aus dem Englischen.
Revanche! Von Alexander Baron von Roberts. 2 Bände.
Pinsel und Meißel. Von Teodoro Serrao. Aus dem Englischen.
Schwere Frage. Von A. v. Gersdorff.
Das Magdalenenhaar. Von Jean Rameau. Aus dem Französischen. 2 Bände.
Der Verkauf einer Seele. Von F. Frankfort Moore. Aus d. Englischen.
Wandelbilder. Von Richard Henry Savage. Aus dem Englischen.
Selbstgerecht. Von Friedrich Spielhagen. 2 Bände.
Roman-Studien. Von Jerome K. Jerome. Aus dem Englischen.
Jugendstürme. Von Karl Busse.
Eine Familienähnlichkeit. Von B. M. Croker. Aus dem Englischen. 2 Bände.
Verbotene Frucht. Von Henning van Horst.
Gold und Ehre. Von Otto M. Moeller. Aus dem Dänischen.
Eine gelbe Aster. Von Jota. Aus dem Englischen. 2 Bände.
Dreizehnter Jahrgang.
Villa Falconieri. Von R. Voß. 2 Bde.
Mit wahrhaft berauschender Glut der Schilderung zaubert uns der berühmte Dichter in seinem prächtigen Roman den Frühling der Campagna di Roma und des Albanergebirgs mit seiner märchenhaften Blumenfülle vor Augen, und mächtig ergreift uns das Schicksal der Menschen voll Leidenschaft, die er in dieser großartigen, stil- und stimmungsvollen Umgebung lieben und leiden läßt.
Die Tochter des Abgeordneten. Von Georges Ohnet.
In diesem glänzend geschriebenen Roman bietet Ohnets vielseitiges und fruchtbares Talent eine seiner reifsten Früchte. Die große Schar der Freunde und Verehrer des gefeierten Erzählers wird dieses Buch namentlich auch darum noch vermehren, weil es sich auch zur Lektüre für junge Mädchen eignet.
Die Siegerin. Von Hans Hopfen.
Einem neuen Buche von Hans Hopfen können wir keine bessere Empfehlung mit auf den Weg geben als die, daß es ein »echter Hopfen« ist.
Eine dritte Person. Von B. M. Croker. Aus dem Englischen. 2 Bände.
Ein Abglanz der Sonne Indiens, dem Schauplatze der meisten Crokerschen Romane, durchwärmt und verklärt gleichsam die Geschichten dieser mit Recht so beliebten Erzählerin und verleiht ihnen einen romantischen Schimmer, der den Leser unwiderstehlich gefangen nimmt.
Flederwischs Heirat. Von Gyp. Aus dem Französischen.
Die Heldin dieser Geschichte, der »Flederwisch«, ist ein entzückendes Geschöpfchen, dessen köstliche Naivetät und neckischer Humor wahrhaft herzerfrischend wirken.
Eine internationale Ehe. Von Madame Bigot. Aus dem Englischen.
Ein glücklich gewählter Stoff, ein interessantes, gut beobachtetes Milieu und eine reich bewegte Handlung vereinigen sich in diesem flott geschriebenen Roman zu einem wohlgelungenen, wirkungsvollen Ganzen.
Sich selber treu. Von M. Gerbrandt. 2 Bände.
Warmherzige Menschen von reich entwickeltem Gefühlsleben treten uns in diesem hochgestimmten Roman entgegen, in dem sich die begabte Verfasserin als eine Seelenkennerin von feiner poetischer Empfindung und abgeklärter Kunstanschauung erweist.
Islandfischer. Von Pierre Loti. Aus dem Französischen.
Mit der Einreihung von Lotis berühmten Roman, diesem Hohenlied der See und der Liebe, in unsere Sammlung erfüllen wir einen Wunsch vieler unserer Leser.
Ratsmädel- und altweimarische Geschichten. Von Helene Böhlau.
Wahre Kabinettstücke stimmungsvoller Kleinmalerei und gemütvollen, schalkhaften Humors sind auch diese neuen Böhlauschen Ratsmädelgeschichten, in denen wir einen Hauch aus Weimars großer Zeit verspüren.
Die nachstehenden Romane sind auch in einer zu Geschenken ganz besonders geeigneten
Salon-Ausgabe
auf feines, extra starkes Papier gedruckt und in elegantem Liebhaber-Einband zum Preise von M. 2.– für den einfachen und M. 3.– für den doppelten Band erschienen.
Einfache Bände:
Burnett, Der kleine Lord.
Feuilett, Das Tagebuch einer Frau.
Paul Lindau, Helene Jung.
Voß, Kinder des Südens.
Was der heilige Joseph vermag.
v. Wolzogen, Die Kinder der Excellenz.
v. Gersdorff, Ein schlechter Mensch.
Savage, Meine offizielle Frau.
Doppel-Bände:
Conway, Eine Familiengeschichte.
Croker, Die hübsche Miß Neville.
Hopfen, Robert Leichtfuß.
Ohnet, Der Hüttenbesitzer.
v. Wolzogen, Der Thronfolger.
– Die tolle Komteß.
Sims, Erinnerungen einer Schwiegermutter.
Weitere Anmerkungen zur Transkription
Die Werbeseiten wurden komplett an das Ende des Buches verschoben.
Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.
Korrekturen:
S. 7: alimodisches → altmodisches
wie ein altmodisches Kleidungsstück abgelegt
S. 11: Augenbiick → Augenblick
Von dem Augenblick an, als sie
S. 61: Weimararaner → Weimararnern
den Weimaranern ihr geliebtes Deutsch
S. 136: wir → mir
es war mir, als würden da
Buchkatalog, 6. Jahrgang: Muray → Murray
Von D. C. u. H. Murray