Title: Lustreise ins Morgenland, Zweiter Theil (von 2)
Author: Titus Tobler
Release date: April 20, 2017 [eBook #54574]
Language: German
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Anmerkungen zur Transkription
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Das gesamte Inhaltsverzeichnis beider Bände sowie die Liste der Verbesserungen befinden sich in der Originalausgabe lediglich am Ende des zweiten Buches. Der Übersichtlichkeit halber wurde das Verzeichnis des betreffenden Bandes an dessen Anfang gestellt, das Inhaltsverzeichnis des jeweils anderen Bandes dagegen an das Ende des Buches. Die Verbesserungen erscheinen am Ende des jeweiligen Bandes; diese sind, soweit sie vom Autor als relevant eingestuft wurden, bereits in das vorliegende Buch eingearbeitet worden.
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Lustreise ins Morgenland.
Unternommen und geschildert
von
Dr. Titus Tobler.
Zweiter Theil.
Zürich,
bei Orell, Füßli und Compagnie.
1839.
Inhalt des zweiten Bandes.
Seite | |
Reise nach Jerusalem | 1. |
Einige geographische Bemerkungen über Syrien | 13. |
Einige Bemerkungen über die verschiedenen Religionsbekenntnisse der Bewohner in Syrien | 15. |
Gaza | 28. |
Fortsetzung der Reise nach Jerusalem | 30. |
Ende der Reise dahin | 38. |
Jerusalem. | |
Oertliche und klimatische Verhältnisse | 46. |
Gesundheitszustand und Bevölkerung | 52. |
Bauart der Stadt | 53. |
Die Kirche des Christusgrabes | 56. |
Liegt das Grab Christi in oder außer der jetzigen Stadt Jerusalem? | 63. |
Die Gräber der Könige | 69. |
Die Grabhöhle der Maria | 71. |
Die Grabmale Absaloms, Josaphats und Zachariassen | 72. |
Der Brunnen Siloah | 73. |
Die Felsanhöhe Zion | 75. |
Der Oelberg | 79. |
Die übrigen Merkwürdigkeiten | 81. |
Physiologischer Karakter der Einwohner | 82. |
Sitten und Gebräuche | 83. |
Die Tracht | 84. |
Das Kriegsvolk | 87. |
Die Pilger | 94. |
Der Geist der Christen | 97. |
Der Ablaß der römisch-katholischen Kirche | 99. |
Der alte deutsche Pater und die große Apotheke | 102. |
Meine Zelle im Kloster des Erlösers | 104. |
Der Führer um und in Jerusalem | 106. |
Rückblick auf Jerusalem | 108. |
Ausflug nach Bethlehem | 110. |
Die Beschiffung des Lothssees | 115. |
Nach Jaffa am Mittelmeere | 116. |
Jaffa. | |
Lage, Gassen, Hafen, Bevölkerung | 121. |
Jaffa, wie es ehemals war | 123. |
Die Tageslänge | 125. |
Witterungsbeschaffenheit | 127. |
Der Meeressturm und der Schiffbruch | 128. |
Gesundheitszustand | 132. |
Auf dem Hospizdache | 136. |
Das Bauernhäuschen | 138. |
Das Quarantänegebäude oder Pestlazareth | 145. |
Die Jaffanerin kommunizirt, besprengt sich | 147. |
Der Jaffaner | 149. |
Die Pilger | 150. |
Die arabische Knabenschule der Lateiner | 152. |
Der Gruß | 156. |
Die Brautwerbung und die Hochzeit | 159. |
Die Wöchnerin und das Kind | 167. |
Wiegenlied und Kinderjucks | 170. |
Die Verehrung der Todten | 173. |
Die Rekruten oder die Konskribirten | 176. |
Das Weinen oder die Raserei am Neujahrstage 1836 | 179. |
Ibrahim-Pascha | 184. |
Kleine Petschaften oder Siegel | 186. |
Der Hakim | 187. |
Die Fleischbank | 189. |
Der Zuckerrohrmarkt | 191. |
Der Tabakschneider | 193. |
Der Nargilebediente; die Rauchvirtuosität | 196. |
Der Kaffeeröster und Kaffeezerstößer | 197. |
Der Baumwollereiniger und Schilfdeckenweber | 199. |
Der wandernde Schiffer und Kinderspiele | 201. |
Spiel der älteren Leute | 202. |
Meine Lebensart | 205. |
Ich lese die Bibel | 209. |
Ein Pater sagt, ich werde des Teufels | 210. |
Wie die Gleißnerei im Namen der heiligen Religion einen Unschuldigen prügelt; laue Konsulats- und Mönchspolizei | 212. |
Der Konsul Damiani; mein Besuch in seinem Hause | 217. |
Vorbereitung zur Abreise | 222. |
Nach Rhodos | 226. |
Rhodos. | |
Lage, Himmel, Volkszahl | 236. |
Die Stadt Rhodos | 238. |
Das Leichenfeld | 241. |
Die Bewohner; das lateinische Hospiz; Knabenspiel; große Hähne | 243. |
Der Abend im Schiffsraume | 247. |
Spaziergang gegen Trianda | 248. |
Nach Konstantinopel, Triest und heim | 251. |
Anleitung zu der Pilgerfahrt nach Jerusalem | 256. |
Schlußbetrachtungen | 267. |
Gepurzel; Gelage; Kameelschädel als Verzierungen; die angebaute Gegend entzückt; Grenzscheide zweier Welttheile; Raphia und Jenisus; Schattenriß des Reisegesellschafters.
Dinstags gegen Abend des 24. Wintermonates, als am zwölften so heiß ersehnten Kontumaztage, brachen wir fröhlich auf. Die wiedererlangte Freiheit schmeckte süßer, als Honigseim. Mein hochbuckeliger Kontumazist schien Eile zu haben. Kaum wollte ich auf ihn steigen, so stand er auf. Ich konnte mich nicht mehr halten und purzelte, das Rad schlagend, hinunter. Die Freude meines türkischen Nachbars, welcher dem Gepurzel zusah, dauerte jedoch nicht lange; gleich saß ich auf dem Dromedar fest und wir trabten von dannen. Echt morgenländisch bewirthete uns der Quarantänedirektor, dessen Einladung in seine Wohnung[S. 2] wir mit Geneigtheit entsprachen. Beim Anblicke der vielen Trachten, die sich am Abendmahle folgten, hätte man nicht glauben sollen, daß so viel Ueppigkeit an einem Orte anzutreffen wäre, wo uns an den ersten Tagen die Lebensmittel zum Theile mangelten. Da weder Messer, noch Gabel vorgelegt wurden, so mußten wir zum Gerichte die Finger orientalisiren. Dieser patriarchalische Gebrauch ist wirklich sehr bequem; nur wollte mir der Sitz auf dem Boden am kleinen, niedrigen, runden Tische nicht behagen.
Ich könnte die Wonne nicht beschreiben, welche im Hause des Pharmazisten mich, als Freigelassenen aus dem Zelte, beseelte. Ganz komfortable fand ich das Gebäude mit einem einzigen Zimmer, mit blinden Wänden, mit dem Boden von Erde, mit dem Dache von Palmstämmen, von Reisern und Laub. Wieder einmal ordentlich stehen und herumgehen zu können, ohne immer mit dem Kopfe karamboliren zu müssen, war ein unaussprechliches Vergnügen. Nicht mehr plagte die Furcht vor den Thränen des Himmels.
El-Arysch, das Dorf selbst, liegt etwa eine halbe Stunde südöstlich von der Quarantäne. Von Aloe, Datteln und indischen Feigen umkränzt, lacht es so traulich aus der Wüste entgegen. Eben blühten die Bohnen und Alles athmete den Frühling. Der Ort, obwohl nicht groß,[S. 3] hat einen Bassar. Ueber den Thüren der Häuser stehen als Verzierungen Kameelschädel. Die Bevölkerung besteht größtentheils aus Weißen, und gerne begegnet man dieser Menschenfarbe wieder, wenn man eine Zeitlang fast lauter Halbschwarze gesehen hat.
Am Abende zeigte ich dem Pharmazisten einen Theil meiner wenigen, aus Kairo mitgebrachten Alterthümer. Eine aus Stein gehauene Figur faßte eben ein Araber recht ins Auge, als er bemerkte, daß er auch schon Steine auf dem Wege gesehen, aber keine Lust gehabt hätte, sie mitzunehmen. Weil ich nicht arabisch konnte, so hielt mich ein arabischer Jüngling für erzdumm und verglich mich einem Kameele, welches auch nicht reden könne. Während wir schon in unsern Betten ruhten, wurden von arabischen Jünglingen einige Tänze aufgeführt.
Den 25.
Vor Tagesanbruch rief der Pharmazist seine jungen Burschen herein, um die Pfeifen anzünden und einen schwarzen Kaffee bereiten zu lassen. Sie brachten die glühende Kohle in der Zange auf die gestopfte Pfeife, und wir rauchten; sie trugen den heißen Kaffee herbei, und wir tranken. Unser Gastwirth hat die morgenländischen Sitten aufs gutherzigste eingeschlürft, und oft pries er sie als echter Lebemann.
Der Hauptmann und ich ritten mit drei Dromedaren weg. Auch dieser Theil der Wüste war hie und da mit Gewächsen bedeckt. Auf dem Wege erblickten wir dann und wann eine Kameel-, Schaf- oder Ziegenherde. Mittags gelangten wir zu einer Post, um welche ein zahlreiches Volk Hühner wimmelte. Vor derselben erinnerte eine Strecke Salzboden an die Gegend von Choanat. Bei der Post, wo wir nur kurz anhielten, begann angebautes Feld inmitten wüster Ländereien zu meinem Entzücken; es übersiedelte mich wieder nach Europa. Entbehrungen haben doch das Gute, daß sie meistens mit erhöhtem Genusse enden.
In Egypten streift keine Ackerfurche durch Hügelabhänge. Neu waren mir wieder die durchfurchten Abdachungen. Ein Kameel zog an zwei Stricken mit den Schulterblättern den Pflug, welcher nur kleine, etwa vier bis fünf Zoll von einander entfernte Gräben aufwühlte. Dem Ackerfelde folgten Triften, worauf viele Schafe und Ziegen unter der Hut von Mädchen weideten. Die Erde hatte ein anderes Kleid an. Die unermüdlichen Vögel sangen ohne Unterlaß.
Der Weg strich gegen Nordost. Als ich einmal das Meer wahrnahm, lag es gegen Abend. Es stieg in mir der Gedanke auf, daß ich nicht mehr in Egypten, nicht mehr in Afrika, sondern in Asien sei. Dieser Gedanke[S. 5] versetzte meine Seele in angenehme Schwingung. Ich durfte wohl die Grenze des asiatischen Bodens nicht überschreiten, ohne lebhafte Begeisterung für die folgenreichen Thaten seiner längst entschwundenen, ehrwürdigen Bewohner, welche jetzt noch bei uns zum Vorbilde genommen werden. Staunend senkte sich mein Blick auf den alten Welttheil, das Geburtsland von Christus aus Nazareth, das Stromgebiet religiöser Grundansichten, welche mir schon in früher Jugend am fernen Alpengebirge Europens eingeflößt wurden. Ich möchte meine Gedanken und meine Gefühle beim Betreten Asiens nicht näher bezeichnen, aus Besorgniß, daß man sie als unzeitige Ergüsse mißdeuten könnte. Statt alles Mehreren werfe ich bloß die schlichte Frage auf: Kann ein Unterrichteter ohne eine Regung des Geistes und ohne eine Bewegung des Gemüthes den Boden dieses Welttheils berühren? Ich erinnere mich noch der Kinderjahre, in denen ich mir das biblische Asien, die Gegend meiner Sehnsucht, als die Hälfte des Weges in die Ewigkeit vorstellte. Die Träumereien der Jugend verdienen keinesweges die Verachtung, die ihnen gemeiniglich widerfährt; sie haben allerdings nicht selten Bedeutung und Werth; sie sind ein trüber Waldbach, der nur durch die Seihe der reiferen Jahre fließen darf, um klar und genießbar zu werden.
Rafa, Raphia bei den Alten, ist fast ganz vergangen.[S. 6] Eine halb in die Erde gestürzte Säule trauert am Wege in Gesellschaft von zwei aufrecht stehenden. Jene soll die Grenzsäule zwischen Asien und Afrika sein.
Wir kamen diesen Nachmittag neuerdings in die Wüste und über mehrere Sandhügel. — Einmal verlor ich den Hauptmann und unsern neuen Führer, einen Mohren, völlig aus den Augen. Auf einem Scheidewege fiel die Wahl mir schwer. Ich schlug den linken Weg ein, ungeachtet ich dazu den Dromedar, der gerade vorwärts wollte, nur mit Mühe bewegen konnte. Kaum aber war eine Anhöhe erstiegen, so verschwand der Weg und ringsum verdüsterte die Wüste den Ausblick. Ich wendete mich wiederum rechts, der Dromedar fand richtig den Weg und bald verkündigte fleißigerer Bodenbau die Nähe einer Ortschaft. Wir waren schon im Städtchen Kan-Yunos.
Yunos, Jenisus der Alten, ist in Feigen-, Dattel- und Oelbäume gebettet. Im lebhaften Bassar lächelten den Wüsteentronnenen die Dinge an, welche so verschiedene Bedürfnisse beschwichtigen. Erinnerungen an mein Heimathland wurden beim Anblicke grüner Wiesen, des Viehes und der weißen Bevölkerung aufgefrischt; sogar die Breter, als eine Seltenheit in Egypten, erregten meine Aufmerksamkeit. Die große Moschee, von sarazenischem Geschmacke, erhielt sich in gutem Zustande.
Wir mußten diesmal in einem Kân oder Karawanserai einkehren. Es hatte ein Obdach, war aber von zwei Seiten offen. Auf der einen lag ein korinthischer Knauf. Man trifft in Jenisus überhaupt manche Trümmer, mehr oder minder versehrte Denkmäler des Alterthums. Im Karawanserai befand sich eben der Stadtgouverneur. Die Herankommenden küßten ihm den Saum des Kleides. Er ließ in gastfreundlicher Gesinnung durch seinen Bedienten vorzüglich gute Brote und eine dicke Kräutersuppe uns zureichen, die, von Farbe grün, Kaldaunenstücke und Fleischbröckchen enthielt und mir nicht sonderlich schmeckte. Es war indeß mein Appetit ein wenig verdorben; wir wollten den Rest der Butter in der Quarantäne noch zu Rathe ziehen und buken in derselben Brotkuchen, welche zwar dem Gaumen zusagten, allein dem Magen nicht wohl bekamen. Wir belohnten unsern Gastfreund, nach morgenländischer Sitte, mit Stillschweigen.
Ein Kerl versuchte eine seltsame Betrügerei. Mein Reisegesellschafter schickt ihn, ein Geldstück zu wechseln. Er bringt die Münze, aber nicht vollständig. Vor Zorn wie rasend schilt der Hauptmann den Jungen aus, und schon zuckt er die Peitsche gegen ihn. Er öffnet den Mund und das Fehlende tritt unter der Zunge zum Vorscheine.
Mit Sonnenuntergang legte ich mich und schlief zwar[S. 8] fest ein, aber nicht ruhig fort; denn einmal hörte ich undeutlich, daß ein Mann in einem Streite lärmte, ein anderes Mal beschnüffelte ein Hund mein Bein, und ein drittes Mal kam die Katze, sich einer Beute zu bemächtigen.
Den 26.
Gott sei Dank, die Wüste, die beschwerliche, die armselige, die langweilige, ist am Rücken. Von jetzt an leitet der Weg durch lauter besseres Land, bald gepflügtes, bald Weideland. Die Vögel schienen in ihrem unaufhörlichen Geschwätze über die Gegend so hoch erfreut, als ich. Selbst mein Reisegefährte sang in das Tutti, und gerne hätte ich ihn in einen der nächsten Singvögel verwandeln mögen, so lieblich klang seine Stimme. Das Gepräge des Winters auf ganz dürren, abgestorbenen Pflanzen konnte hin und wieder nicht verkannt werden; hingegen war dazwischen der frisch angeschossene, kurze, feine Grasteppich mit um so größerem Zauber des Lenzes gewoben. Der schönste Frühlingsmorgen bei uns kann den heutigen Wintermorgen gegen Gaza nicht übertreffen. Ueber fließendes Wasser setzten wir nie, nur zweimal über tiefere Bachbetten, wie über dasjenige des Besor, an dessen Mündung ins Mittelmeer das alte Anthedon sich ausbreitete. Von Bethagla,[S. 9] zwischen Anthedon und Jenisus, bemerkte ich nicht eine Spur.
Minarets glänzten gegen Norden in einem grünen Haine; es war Gaza, die Hauptstadt der Philister, die Stadt des Starken, des Samson, welcher, nach der Schrift, ein eisernes Thor auf den Berg getragen hat. Wir durften nicht mehr weit, und dann einzig noch an der Menge von stämmigen Kaktus vorbei, und wir ritten durch ein enges Thor in die Stadt. Der Hauptmann begab sich in seine Herberge, und jetzt war der Augenblick der Trennung da, nachdem wir mit einander drittehalb Wochen verlebt hatten.
Nun ein Wort über den Reisegefährten. Eine solche persönliche Seltsamkeit lernte ich noch niemals kennen, und darum lohnt es der Mühe, von ihm einen Umriß zu liefern. Er ist aus Galizien und von Adel. Ich weiß seinen Namen recht gut; ich will ihn aber verschweigen und vergessen. Zuerst Kämpfer als Hauptmann in den Reihen der polnischen Umwälzer, entfloh er dann nach Frankreich und schloß sich der Schaar Polen an, welche aus dem „neuen Vaterlande“ in die Schweiz einbrach. Er wußte sich später Mittel zu verschaffen, um von Marseille auf einem französischen Kriegsschiffe nach Egypten zu kommen.[S. 10] Hier trat er in Kriegsdienst unter dem Feldherrn Abraham (Ibrahim-Pascha) als Kavallerieinstruktor.
Ein Selbstling im wahrsten Sinne des Wortes, sucht er immer seine eigenen Zwecke. Er schmeichelt den Großen und verachtet die Kleinen, damit die einen ihn befördern, und weil die andern ihm nichts nützen. Er wählte sich überall das Beßte aus, so immer den beßten Dromedar, den bequemsten Sattel, die leichteste Ladung, die schmackhafteste Speise u. s. f., um das Uebrige mir zu überlassen. Wenn ich mich über das Reiten beklagte, so tadelte er mich, daß ich nicht reiten könne, und dennoch hielt ich, bei meinem kräftigern Körperbau, das Reiten besser aus, als dieser Rittmeister.
Dabei hegt der Hauptmann wenig Liebe für Wahrheit. Was er erzählte, mußte ich auf der Goldwage prüfen. Auf einer Lüge ertappt, hatte er natürlich Recht, und würde gern in Schimpfungen auf mich losgebrochen sein. Sonst besaß er eine Fülle von Lebensgewandtheit, und im Bezahlen war er redlich; nie belog er mich in Geldangelegenheiten.
Weil mir die Kenntniß der arabischen Sprache abging, so leistete er mir unläugbar wesentliche Dienste, und er übernahm in der Kontumazanstalt fast das ganze Geschäft der Küche, indeß ich ruhig unter Zelt schrieb, und am[S. 11] Ende lüstern in das gute Gericht biß. Mich tyrannisirte übrigens noch kein Mensch so eigentlich, wie dieser polnische Freiheitsmann. Meine Lage fing sich erst zu bessern an, als ich mit dem Oberaufseher der Quarantäne auf freundlicherem Fuße stand und dem Hauptmanne erklärte, daß ich nun sorgenlos sei; denn auch im Nothfalle könnte ich recht gut weiter kommen, weil jener für meine Kameele sorgen würde. Er sah seine Entbehrlichkeit jetzt selbst ein. Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, dieser Schwerpunkt des geistigen und sittlichen Menschen, hängt an einem dünnen Faden, dessen Riß uns, wo nicht augenblicklich, doch in seinen Folgen wehe thut.
Ich kann nicht umhin, noch zwei Dinge zu erwähnen. Zu Choanat wurde der Reisegefährte von einer Krankheit heftig überfallen. Ich stand ihm mit Rath und That bei, ich brachte ihm Reis u. dgl. Tags darauf befand er sich wieder wohl. Der Dank war, daß er für meinen schlechten Dromedar keine Geduld wußte. Einmal wollte ich absteigen, um ein Stückchen Natursalz aufzuheben und mitzunehmen. Da regnete es zentnerschwere Vorwürfe über Tändelwaare u. s. f. Es gibt Menschen, welche die Sterne am Himmel gleichgültiger beschauen, als messingene Knöpfe an einem Rocke.
Der Kapitän, mag er auch immer seiner sorgfältigen[S. 12] höhern Bildung und seinem Adel keinen geringen Werth beilegen, ist ein Auswurf des Menschengeschlechts. An der Spitze eines Volkes wäre er spröde, ohne Mitleiden, ein Wütherich. Er hatte indeß, wie andere Tyrannenseelen, bewegte Zeitpunkte, da das Herz aufthaute; er würde sich dann, der männlichen Würde uneingedenk, wie ein Kind hingegeben haben. Er wäre unzweifelhaft Muselmann; allein er muß es fühlen, daß der kindliche Schmelz seines Gemüthes, in gewissen Augenblicken, nach der Abschwörung des Glaubens ihm das Herz zum Bruche drängte.
Am Ende der Reise bat der Gefährte mich um Verzeihung, wenn er mich etwa beleidigt haben sollte. Ich achte einen solchen Zug, und doch empfand ich ein wahres Vergnügen bei der Scheidung von einem solchen Menschen, dessen Gesellschaft eine Qual und Pein war, und zwar eine um so größere in der Wüste und in einer spottschlechten Quarantäne.
Ehe ich Gaza näher beleuchte, schicke ich einige einleitende Bemerkungen über Syrien nach seinen topographischen Eigenthümlichkeiten, sowie über die Leute, die es bewohnen, nach den Verschiedenheiten ihrer religiösen Grundansichten voraus. Zuerst
Das eigentliche Syrien gränzt im Norden an Kleinasien, im Westen ans Mittelmeer, im Süden an Egypten und im Osten an Arabien, also, daß es mit letzterem umfangsreichen Lande gleichsam eine große Insel bildet, welche vom mittelländischen und rothen Meere, dem Ozean, dem persischen Meerbusen und dem Euphrat umspült wird.
Syrien sticht mehr oder minder schroff ab gegen das Egyptenland, nehme man die Einwohner, den Himmelsstrich oder das Erdreich in Anschlag. Egypten hat einen flachen Boden, der ein Thal mit einem der größten Ströme unseres Erdenrundes vorstellt; Syrien dagegen wird von einer Menge Thäler durchschnitten, woneben Hügel und Berge, am Maßstabe fünf Sechstheile, sich erheben. Eine Gebirgskette zieht durch ganz Syrien, Schritt für Schritt mit der Küste des Mittelmeeres, nur einige Wegstunden davon. Der Libanon (der Weiße) und ihm gegenüber der Antilibanon, der Thabor und der Karmel, der Oelberg und der Hebron, wem sind diese Kuppen des Gebirges nicht bekannt? Der Orontes und der Jordan (el-Arden), die Hauptflüsse Syriens, entspringen auf dem Antilibanon. Denn der und der Libanon schürzen den Knoten des ganzen Gebirges. Von da fließt der Orontes gegen Mitter[S. 14]nacht; ihm zur Linken Berg an Berg, zur Rechten theilweise Arabien. So wälzt er seine Gewässer über siebenzig Wegstunden fort und schüttet es in die See, nahe an der Bucht von Antiochien. Der Jordan entquillt keine zwanzig Wegstunden vom Orontes, richtet sich von Mitternacht gegen Mittag und verliert sich im todten Meere oder asphaltischen See (Birket-Luth), welcher von den Jordanquellen bei vierzig Wegstunden abliegt.
In manchen Gegenden von Syrien regnet es ungefähr wie in heißern Gegenden Europas. Das Klima ist im Ganzen sehr gesund. Viele Lagen des Landes sind reizend. In Menge gibt es Berge und Thäler mit zahlreichen Weiden, worauf große Viehherden sich nähren. Man sieht Bäume gar verschiedener Art, vor allem viel Oelbäume. Die christlichen Dorfbewohner, auch die Drusen bereiten vorzüglichen Wein.
Die ganze Statthalterei zerfällt in vier Paschalik: dasjenige von Tripolis und Akre, Aleppo und Damaskus. Zu letzterem gehört das alte heilige Land. Alle Paschalik wurden im Jahre 1833 von Ibrahim-Pascha, dem Stiefsohne des Vizekönigs von Egypten, erobert und demzufolge vom türkischen Kaiser demselben abgetreten.
Haleb und Damask übertreffen an Größe und Wichtigkeit weit alle übrigen Städte Syriens. Am Mittelmeere ist[S. 15] Beirut (Berytus) noch am wichtigsten mit seinem ziemlich sichern und geräumigen Hafen, in den europäische Kauffahrer nicht sehr selten einlaufen.
Beinahe von allen Kriegen des elften, zwölften und dreizehnten Jahrhunderts, als den blutigen Begleitern der Kreuzzüge, wurde Syrien heimgesucht; am drückendsten die drei Städte Jaffa und Akre und Damaskus. Bis auf den heutigen Tag sind die Spuren von den Waffen und dem Aufenthalte der alten Kreuzfahrer, welcher Jahrhunderte lang dauerte, nicht verwischt.
I. Der Mohammetanismus heißt auch Islamismus, nach dem arabischen Worte Islam, welches Ergebenheit in Gott bedeutet. Vom berühmten Mohammet gestiftet, begann er in Arabien gegen das Jahr 611 der christlichen Zeitrechnung. Wie damals das Juden- und Christenthum unter den Arabern große Fortschritte machte und der Stamm, dem Mohammet angehörte, der Abkunft von Abraham und Ismael sich rühmte, so glaubte der neue Prediger beiden Religionen einige Grundansichten abborgen zu dürfen, um sie in diejenige Religion[S. 16] überzutragen, welche er zu stiften im Begriffe war. Er nahm das alte und neue Testament großentheils an, indem er Moses, David und Jesus als Gesandte Gottes anerkannte. Er aber ging von der Ansicht aus, daß ihre Lehren mit der Zeit verderbt worden seien, und behielt sich darum vor, der wahren Verehrung des höchsten Wesens auf dem ganzen Erdkreise Bahn zu brechen.
Die Hauptglaubenslehren des Islams sind: Es ist nur ein Gott (Allah uhu) und außer Gott ist kein Gott, und Mohammet ist sein Prophet (Nabi). Es gibt böse und gute Engel. Jene verfolgen unablässig den Menschen, damit er Böses thue; diese sind von Gott beauftragt, ihn auf dem Wege der Versuchung im Guten zu unterstützen. Das Schicksal eines Jeglichen, das Gute, wie das Böse, ist vorausbestimmt und erfolgt unabänderlich, was man Fatalismus heißt. Die Seele ist unsterblich, und am jüngsten Gerichte wird Jeder den Lohn nach seinen Werken empfangen. Unter dem heißen Himmel gleichsam glühend, suchen die Moslim ihr größtes Gut in den sinnlichen Vergnügungen und glauben auch, daß die Auserwählten des Himmels inmitten frischer Gebüsche, am Gestade lauterer Bäche, am Rande reicher Brunnquellen ruhen, umgeben von den verführerischen Huris mit ihren schönen, immerdar jugendlichen Augen, umkoset von jenen[S. 17] Jungfrauen, welche nichts zu thun haben, als den Seligen Genuß zu verschaffen.
Die Hauptsittenlehren sind überhaupt Ehrerbietung, Vertrauen und Gehorsam gegen Gott, Gerechtigkeit, Versöhnlichkeit und Mildthätigkeit gegen die Menschen und Gehorsam der Kinder gegen die Aeltern. Insbesondere aber wird den Gläubigen vorgeschrieben: 1) Die Reinlichkeit, zumal durch die Waschungen. 2) Das Gebet. Es wird im Tage fünfmal verrichtet, allein oder mit Andern und wo? ist freigestellt; nur am Freitage muß es in der Moschee oder in Versammlung geschehen. Obgleich dieser Tag der eigentlich Gott geweihete Tag ist, so können dennoch die Gläubigen an demselben die Zeit vor und nach dem Gottesdienste mit Arbeiten zubringen, welche jeder Stand und Beruf erfordert. Lediglich zwei Feste verlangen gänzliche Ruhe der Arbeit, nämlich das große und kleine Bairam. 3) Das Fasten durch einen Monat (Ramasan), während dessen man die ganze Tageszeit hindurch weder Speisen, noch Getränke zu sich nehmen, selbst nicht Tabak rauchen darf. 4) Das Entrichten des Zehnten. 5) Die Wallfahrt nach dem Heiligthume zu Mekka, welche jeder freie Mohammetaner wenigstens einmal in seinem Leben unternehmen soll, insofern seine Gesundheit es zuläßt.
Das Beispiel der alten Araber und Ismaels, des[S. 18] Sohnes Abrahams, befolgend, verrichten die Mohammetaner die Beschneidung. Sie unterscheiden nach Moses die unreinen Thiere. Der Islam verbietet den Genuß des Weins und jedes andern berauschenden Getränkes. Hingegen gestattet er dem Manne zur nämlichen Zeit vier Weiber und daneben so viel Beischläferinnen (Sklavinnen), als er halten will oder kann.
Die Lehren und Vorschriften der Moslim stehen geschrieben in einem Buche, welches man nach dem Arabischen el-Koran nennt. Die Anhänger geben vor, daß die verschiedenen Abschnitte dieses Buches von Zeit zu Zeit Mohammet, ihrem Propheten, von dem Erzengel Gabriel geoffenbaret worden seien. Ausgenommen die Lehrsätze des Glaubens, handelt der Koran auch von der Sittenlehre, von der Ehe, von der Scheidung, der Nachfolge. Mit einem Worte, er vertritt, in dem religiösen Gewande, mehr oder minder ein Zivil- und Kriminalgesetzbuch. Da er arabisch abgefaßt ist, so wurde diese Sprache die heilige der Perser, Türken und anderer mohammetanischer Völker, welche sämmtlich darin übereinstimmen, daß sie ihre Zeitrechnung mit der im Jahre Christi 622 erfolgten Flucht Mohammets von Mekka nach Medina beginnen. Diese Zeitrechnung nennen sie Hedschra, was Auswanderung oder Flucht bedeutet. Das Jahr der Mohammetaner ist[S. 19] übrigens ein Mondenjahr, das heißt, es zählt elf Tage weniger, als das unsrige.
Unter den Mohammetanern gibt es ebenfalls Leute, welche ein frommes Leben in der Zurückgezogenheit wählen. Diese Art von Mönchen wird mit einem Namen belegt, welcher einen Dürftigen bezeichnet; im Arabischen Fakir, im Türkischen und Persischen Derwisch. Diejenigen, welche sich einem beschaulichen Leben überlassen, tragen den Namen Ssûfi. Die mohammetanischen Mönche bilden verschiedene Orden, deren Alter auf die ersten Khalife zurückreicht. Die meisten Brüder, wie sie sich gegenseitig nennen, haben ein strenges Noviziat und lange Prüfungen zu bestehen, bevor sie in den Orden aufgenommen werden. Viele leben gemeinsam in einem Kloster; Andere führen ein Einsiedlerleben; noch Andere lassen sich in einer Gegend nieder, oder ziehen Land auf Land ab. Allen steht es frei, ihren Stand zu ändern und das Leben so einzurichten, wie es ihnen am beßten gefällt. Die meisten Brüder, welche einem beschaulichen Leben sich ergeben, befleißen sich einer Weltüberwindung, die man nicht weiter treiben könnte, und beträchtlich ist die Anzahl Bücher, worin ihre Hirngespinste verzeichnet sind. Die anderen Brüder dagegen, welche die Welt lieben, leben zügellos, und man vermag nichts so Ausschweifendes auszusprechen, das von ihnen nicht be[S. 20]gangen würde. Solche heißen Kalendris und Santone.
Die mohammetanische Kirche war zu allen Zeiten in viele Sekten gespalten, welche, nicht besser, als die Christen gegen einander, sich grausam bekriegten. Der Krieg hob gleich nach dem Ableben Mohammets das Haupt empor. Der Prophet vergaß, seinen Neffen und den Gemahl seiner eigenen Tochter Fatima, mit Namen Ali, zu seinem Nachfolger zu erklären. Als daher die Anhänger Mohammets das Khalifat nach einander Abubeker, Omar und Othman übertrugen, gab es damals Rechtgläubige, welche wider die Ungerechtigkeit Lärm schlugen und sich weigerten, einen andern für einen gesetzlichen Fürsten anzuerkennen, als Ali. Wie dann später dieser zum Khalifen erhoben ward, warfen sich viele von den Widersachern gegen ihn auf, und der Bürgerkrieg tränkte mit Blut alle Gegenden, in welchen das neue Gesetz Eingang fand. Dies ist der Ursprung der beiden Hauptsekten, in welche heute noch die Anhänger Mohammets zerfallen, und welche von diesen durch die Namen Sunniten und Schiiten unterschieden werden.
II. Das Judenthum zählt eine große Anzahl von Gläubigen fast im ganzen Morgenlande, vorzüglich aber in Syrien, wo viele von ihnen heilig gehaltene Denkmäler[S. 21] angetroffen werden. Diese Religion nimmt keine andere Offenbarung an, als die Jehovas durch Moses und die Propheten für das auserwählte Volk. Die Juden, oder, wie man sie auch heißt, die Hebräer oder Israeliten betrachten in Gott nur eine Person. Ihre heiligen Bücher sind das alte Testament, zum größten Theile in hebräischer Sprache geschrieben. Sie erwarten die Ankunft eines Messias, welcher für die Gläubigen ein großes Reich gründen soll. Sie nehmen die Beschneidung vor, haben viel Zeremonien und heiligen den Sabbath. Als sie Judäa im Besitze hatten, standen ihnen Opferpriester vor, genannt Leviten nach dem Stamme Levi. Statt derselben lehren nun Meister in der Schrift, unter dem Namen Rabbiner, in den Synagogen oder in den jüdischen Tempeln das Gesetz. Auch diese Religion zählt ihre Spaltungsgläubigen. Am meisten geltend machten sich die Talmudisten und Rabbinisten, letztere so geheißen wegen ihrer Achtung für die Lehren der Rabbiner, erstere wegen ihrer Verehrung des Talmud, eines Buches, das viel gute, mitunter aber auch wenig gesunde Dinge enthält.
III. Mitten unter Mohammetanern und Maroniten leben die Drusen auf den Bergen Libanon und Antilibanon. Sie machen aus ihrem Glaubensbekenntnisse, einem[S. 22] bunten Gemische christlicher und mohammetanischer Religionsvorschriften, ein großes Geheimniß. Sie hassen die Mohammetaner, bekennen sich aber äußerlich doch zum Islam. Sie wollen die Nachkommen jener Christen sein, welche in den ersten Zeiten des Nazarenismus über den Jordan sich zurückgezogen hatten. Die Akal sind eine Art Priester; selbst Weiber werden in den Orden der Akal aufgenommen. Dieselben stehen dem Gottesdienste in den Kapellen oder Khalue vor. Die Kinder werden bei den Drusen nicht beschnitten. Gastfreundlichkeit wird an dieser Völkerschaft vor Allem gepriesen.
IV. Unter den eigentlichen Christen versteht man solche, welche, ohne an die Lehren Moses und der Propheten sich ausschließlich und streng zu binden, an die Offenbarung im neuen Testamente, an Christus, an die Vergebung der Sünden und an die Auferstehung des Fleisches glauben. Sie nehmen die Taufe vor und feiern den Sonntag. Von so vielen Glaubensbekenntnissen, in die sich die Christen theilen, nimmt man in Syrien neun wahr, welche sämmtlich einige Priester in Jerusalem und zum Theil im großen Tempel des Christus-Grabes unterhalten.
1. Die griechische oder morgenländische Kirche. Die Hauptunterschiede derselben von der römisch-katholischen[S. 23] Kirche betreffen die hierarchische Selbstständigkeit außer der Linie der päpstlichen Oberherrschaft, die Lehre, wonach der heilige Geist nur vom Vater ausgeht, das Abendmahl unter zwei Gestalten und die Priesterehe. Die Griechen haben sieben Sakramente, welche sie Geheimnisse nennen; allein sie verknüpfen damit nicht den gleichen Begriff, wie die Lateiner. Sie betrachten nur zwei als von Gott eingesetzt, nämlich die Taufe und das Abendmahl. Die übrigen fünf Sakramente halten sie für Anordnungen der Kirche. Sie verrichten die Firmelung zugleich mit der Taufe, welche letztere in einer dreimaligen Eintauchung des ganzen Körpers in Wasser besteht. Sie verwerfen die Unauflöslichkeit der Ehe, z. B. bei Ehebruch, und sie verbieten das Heirathen zum vierten Male. Sie unterwerfen sich den strengsten und den härtesten Bußübungen. Sie halten an den Beschlüssen der ersten und zweiten nizänischen, der ersten, zweiten und dritten konstantinopolitanischen, der ephesischen und chalcedonischen ökumenischen (allgemeinen) Kirchenversammlung. Der ökumenische Patriarch in Konstantinopel gilt als das Oberhaupt der nicht-russischen Kirche.
2. Die armenische Kirche, welcher beinahe alle Armenier angehören. Diese Christen begehen wenig Feste, und verwerfen die Verehrung der Heiligen. Sie haben etliche Patriarchen. Der erste unter ihnen führt den Titel:[S. 24] Katholikos, und hat seinen Sitz in Etschmiazim bei Eriwan. Ihre Abweichungen von der lateinischen Kirche stimmen mit denen der griechischen ungefähr überein. Viele Armenier traten in den Schooß der römischen Kirche.
3. Die Kopten, die auch unter dem Namen der Christen von Egypten, Nubien und Habesch bekannt sind. Diese Monophysiten haben die Verehrung der Bilder angenommen, und zwei Sonderbarkeiten zeichnete sie aus: Sie behielten, obschon sie die Taufe einführten, die Beschneidung bei, welche indeß mehr als angeerbte alte Volkssitte, denn als religiöse Zeremonie angesehen werden darf; sie heiligen den Sonntag und einen Theil des Sabbaths. Ihr Patriarch, ziemlich arm, hat seinen Sitz in Kairo, den Titel: Patriarch von Alexandrien und Jerusalem, und er bestellt für Habesch einen Generalverweser, welcher Abunak heißt.
4. Die Kirche der Maroniten, genannt nach Maron, ihrem Stifter, der im fünften Jahrhunderte lebte, und welcher der Kirche eine eigene Verfassung gab. Die meisten Maroniten halten sich am Berge Libanon und in Zypern auf. Sie unterwerfen sich den Beschlüssen der vier ersten ökumenischen Kirchenversammlungen, und erkennen in Christus eine Person und zwei Naturen. Allein als Monotheleten lassen sie diesen zwei Naturen nur[S. 25] einen Willen zu. Ein großer Theil dieser Glaubensbekenner schloß sich den Lateinern an, hielt jedoch beinahe an allen Gebräuchen der morgenländischen Kirche fest. Diesen Maroniten wird das Oberhaupt von Rom gegeben. Es führt den Titel: Patriarch von Antiochien, und wohnt im Kloster auf dem Libanon.
5. Die chaldäische (syrische) oder Nestorianische Kirche. Ihre Anhänger verwerfen die Beschlüsse der dritten, zu Ephesus gehaltenen ökumenischen Kirchenversammlung, wo ihre Lehre verdammt wurde. Sie nehmen in Christus zwei Personen an, und weigern sich, Marien, der Gattin Josefs, den Namen Gottesgebärerin zu verleihen. Sie verabscheuen die Verehrung der Bilder. Seit dem Jahr 1599 vereinigten sich viele Nestorianer mit den römischen Katholiken, unter Vorbehalt der Priesterehe und des Abendmahls in zwei Gestalten.
6. Die Kirche der Eutychianer oder Monophysiten heißt nur die drei ersten ökumenischen Kirchenversammlungen gut, und nimmt in Christus einzig die Mensch gewordene göttliche Natur an. Deswegen wird das Zeichen mit einem Finger gemacht.
7. Die Jakobiten. Sie nennen sich also nach Jakob Baradai, einem syrischen Mönche des sechsten Jahrhunderts, welcher in der Absicht Syrien und Mesopotamien[S. 26] durchzog, um die Monophysiten in eine Kirche zu vereinigen. Er brachte sie in der That unter eine kirchliche Oberherrschaft. Sie stehen unter zwei Patriarchen, unter dem syrischen zu Diarbeker oder Aleppo und unter dem mesopotamischen im Kloster Saphran bei Medin. Die Jakobiten haben mit den koptischen Christen die Gewohnheit der Beschneidung gemein, verehren die Bilder, und die meisten traten zur lateinischen Kirche über, indem sie jedoch einigen eigenthümlichen kirchlichen Gebräuchen forthuldigten.
8. Die alte abendländische, die lateinische oder römisch-katholische Kirche. Alle Welt weiß, daß sie den römischen Papst als Statthalter Jesu Christi und ihr Oberhaupt anerkennt, welchem die meisten Lateiner die Eigenschaft der Unfehlbarkeit in Glaubenssachen ausschließlich zutrauen. Die Römischen haben sieben von Gott eingesetzte Sakramente; sie verrichten die Taufe durch Begießung mit Wasser; sie nehmen beim Abendmahle die Verwandlung an; sie halten Ohrenbeichte, verehren Heilige, glauben an ein Fegfeuer, thun Werke der Buße, empfangen Ablaß der Sünden, die Mönche werden durch Gelübde gebunden, die Priester müssen im ledigen Stande leben. Die Kirchenversammlungen sind unfehlbar, nicht bloß die allgemeinen, welche vor der Trennung der morgenländischen und abendländischen Kirche gehalten wurden, mit Ausnahme des[S. 27] Concilium Trullanum oder Quinisextum, sondern auch viele andere. Die letzte Kirchenversammlung war in Trient vom Jahre 1545 bis 1563.
9. Man darf sich nicht wundern, daß die abendländischen Christen ohne ein sichtbares Oberhaupt der Kirche, nämlich die Protestanten, welche für die Bekehrung der Heiden eine rastlose Thätigkeit entwickeln, auch Geistliche aufweisen können, die, aus Religionsabsichten, in Jerusalem festen Sitz genommen haben.
Die Mannigfaltigkeit der Religionsbekenntnisse fordert zur ernstesten Betrachtung auf. Es ehren bis auf diesen Tag die Menschen Gott auf ihre verschiedenen Weisen, trotz des Glaubenszwanges, trotz der Bannflüche, trotz der Blutströme. Dem überstrengen Vater entläuft der Sohn im Augenblicke seiner Ermannung. Die Sadduzäer, die abendländischen Christen, die Protestanten waren nicht aus sich selbst erzeugt, sondern sie hatten ihre rechtmäßigen Erzeuger in dem Pharisäismus, in der morgenländischen Kirche, in dem römischen Papstthume. Wir feiern die Männer, welche Duldsamkeit predigen. Wie todt muß die Wahrheit der Geschichte sein. Die Duldsamkeit sollte sich wohl von selbst verstehen.
So viel als einleitende Bemerkungen.
Gaza, sprich Gâsa, liegt reizend auf einer kleinen Anhöhe, drei Viertelstunden vom Meere (vom alten Hafen Majumas). Gegen Aufgang stellt sich der Hebron. Bäume, Fruchtfelder und Wiesen wechseln in der Umgegend, um das Auge zu ergötzen. Eben sah ich die Kühe im Grünen friedlich weiden. Die Stadt ist nicht groß, und enthält, nach den Versicherungen des Militärarztes daselbst, Dr. Tarabra, eines durchaus kenntnißreichen und einsichtsvollen Mannes, sechs- bis siebentausend Einwohner. Die Gassen sind schmal, krumm, uneben, ungepflastert; die einen Häuser haben platte, andere dagegen kuppelförmige Dächer. Die Moschee, einst eine griechische Kirche, ist groß und schön. Man findet viele alte Ruinen, z. B. Säulen mit Knäufen, und Nachgrabungen müßten Schätze aufdecken.
Die Bevölkerung ist weiß; viele Männer zeichnen sich durch Schönheit aus; das verschleierte Antlitz der Frauenspersonen entzieht sich der Beurtheilung; die Kinder sind blaß oder gelblich. Die Bassar durchrauschet viel Leben. Unweit von denselben erblickte ich wieder die Zelte unsers Kontumaznachbars Mustafa-Bei und in ihren Sternen viel Freundlichkeit.
Ich hatte eine Empfehlung an den Dr. Tarabra, welcher mich sehr gastfreundlich aufnahm und behandelte. Ich verdanke ihm, außer den Mittheilungen über die Größe der Bevölkerung, noch andere, welchen ich hier zum Theile einen Platz anweisen werde. Die arabischen Weiber empfangen in Gaza sehr leicht; sie gebären ohne Hebammen, selten aber fünf bis sechs Male. Als die Pest ihre Verheerungen anrichtete, mußte Tarabra, in der Eigenschaft eines Physikus der Provinz, alle Todesfälle bewahrheiten, und da fand er das Verhältniß der gestorbenen Kinder zu den gestorbenen Erwachsenen wie 5 zu 1. Dieses Verhältniß beweiset eine schreckliche Sterblichkeit der Kinder, selbst wenn sich dasselbe wie 3 zu 1 umwendet. Am meisten klagte Tarabra über die griechischen Weiber. Durch ihr unsinnig strenges Fasten, welches sich beinahe einzig auf schlecht gekochte Linsen und Oliven beschränke, bedingen sie die Absonderung einer schlechten Milch, welche den Säugling bisweilen nicht zu ernähren vermöge. Er sah sich bewogen, den griechischen Bischof deshalb um Dispensen anzugehen. Die Bewohner von Gaza leiden vorzugsweise an Rheumatismen und Katarrh (nicht aber an Lungenkatarrh). Oft verschlimmern sie letztere Krankheit durch die landesüblichen Bäder. Auch kommt der Scharbock nicht selten vor. Die Araber werfen sich am liebsten in die Arme[S. 30] unwissender Menschen. Eine große Plage anderer Länder, nämlich die Lungenschwindsucht, geißelt die Einwohner von Gaza sehr selten, und hier dürfte vielleicht der Schwindsüchtige mehr Linderung hoffen, als in dem gepriesenen Nizza.
Allee; Um- und Unfall; Ebene Sephela; Aushaltigkeit der Thiere; verführerischer Weg; Nutzen des Hundegebells; Länge des Philisterlandes; Freude über eine fränkische Herberge in Ramle.
Den 27. Wintermonat.
Ich faßte ungerne den Entschluß, das anmuthige Gaza so bald zu verlassen.
In Egypten zauderte ich immer noch mit der Ausführung der Reise nach Asien. Wäre sie unterblieben, ich würde einen unverzeihlichen Unterlassungsfehler begangen haben.
Dr. Tarabra hatte die Güte, Alles für die Abreise zu veranstalten. Die Regierung raffte für den Bedarf der nach Arabien beorderten Truppen alle Kameele zusammen, und ohne die menschenfreundlichen Bemühungen meines Kunstgenossen für die Auswirkung eines Regierungsbefehles würde ich zuversichtlich keines sogleich bekommen haben.[S. 31] Ich nahm in dankbaren Ausdrücken Abschied von meinem Gastfreunde, und schwang mich auf das Kameel; mein ganzes Gepäcke lag neben und unter mir. Einen Schritt vor Gaza wurde ich angehalten. Die Sonne ging immer höher, ohne daß ich um die Ursache des Stillstandes wußte. Es sammelten sich immer mehr Zuschauer um mich herum. Endlich verlor ich — die Geduld. Ich krächzte in der Sprache der Kameeltreiber ch ch, das Kameel fiel auf die Kniee, und ich stieg ab, im Vorhaben, bei Tarabra meine Klage vorzubringen. Im Nu kam mein Treiber auf einem Esel dahergeritten. Wahrscheinlich wollte man durch die Verzögerung ein Geschenk erzwingen, oder der Treiber harrte auf der Lauer, um Zeit zu gewinnen, damit ich heute nicht mehr in Ramle anlange. Kurz, jetzt ging es.
Der Weg zog durch einen Wald alter, in Menge zerklüfteter, in regelmäßigen Reihen stehender Oelbäume. Gaza muß nach dem Zeugnisse unserer Tage ehedem von großer Bedeutung gewesen sein.
Wenn man die ausgetretenen Wege besieht, so träumt man sich hinter Jahrtausende zurück, da auf ihnen der Fuß der Menschen, um nur der alten Kananäer, Philister und Juden zu gedenken, schon wandeln mochte; überschaut man den Boden des Feldes, so wird man seine Güte lob[S. 32]preisen, daß er ohne Speisung fort und fort mit Ueppigkeit die Früchte hervorbringt.
Beinahe mitten auf dem Wege nach Ramle hatte mein Thier einen kerngesunden Einfall. Um den Reiter los zu werden, fiel es auf die Kniee und legte sich auf die Seite. Ich kroch vom Sattel hinweg. Mit bestaubten Kleidern setzte ich mich sogleich wieder auf das Kameel, welches dann ohne weitere Umfälle den Weg fortsetzte.
Der Kalkstein senkt sich von Südwest nach Nordost, und guckt mit seinen Höckern hie und da hervor. Die Erde ist fahl bis gegen Ramle, wo sie röthlich zu werden beginnt.
Etwa an acht Dörfern auf der Ebene Sephelah kam ich vorüber. Wie nahe ich an den alten Ortschaften Askolon, Astod, Gath, Jabueh und Ekron vorüberritt, vermag ich freilich nicht zu bestimmen. So viel ist gewiß, daß kein fließender Bach, weder der Eschkol (Traubenbach), noch der Jarkon, überschritten wurde, und die gerühmten Weinpflanzungen entgingen meinem Auge. Die Häuser Sephelahs stehen alle städteartig beisammen. Weil sie niedrig und die Dächer bauchig oder gewölbt sind, so erkennt man von der Ferne ein Dorf mit einiger Schwierigkeit; anders verhält es sich, wenn der Giebel hoch aufragt. Das palästinische Dorf sieht häßlich aus. Die Häuser sind von unbearbeiteten Steinen aufgeführt, die Dächer derselben sehr[S. 33] dick, mit einer feuerfesten Rinde von Erde, so daß sich darauf hie und da ein geschlossenes Grün ansetzt. Dieser Umstand vermehrt noch die Schwierigkeit, mit der man ein Dorf aus der Ferne erkennt.
Die Weiber auf dem Felde, deren Gesichter ich mit meinem Auge gleichsam erhaschen konnte, waren hübsch. Andern sah ich nur einen Streifen vom Antlitze, welches der Schleier in ein noch größeres Geheimniß verhüllte, als bei den Egypzierinnen.
Bis Ramle sind zwölf Kameelstunden. Das Thier mußte diesen Weg unaufhörlich gehen, ohne daß es Nahrung bekam. Selbst dem kleinen Esel ward kein besseres Loos zu Theil, und durch den größten Theil des Weges trug er den Führer. Die Thiere halten im Morgenlande mehr aus, als in Europa. Sind sie etwa in diesem Welttheile verwöhnt oder verzärtelt? Ich sah, erzählt Wesling, unter der heißen Sonne ziemlich locker angebundene Pferde der Beduinen mit zwei oder vier Loth Wasser für einen ganzen Tag und eine ganze Nacht hinlänglich gelabt werden.
Zwei Männer zu Esel schloßen sich nicht weit von Gaza als Reisegefährten an. Bei einem Dorfe wollte einer von ihnen links auf einen kleinen Weg mich leiten, der mir ein verführerischer Feldweg zu sein schien. Ich sagte: Nein, ritt rechts davon, und man folgte mir auf dem wirklich[S. 34] richtigen Wege. Etwa drei Stunden von Ramle verließen mich diese Leute, und lenkten in ein Dorf, wohin sie auch mich locken wollten. Uebrigens darf ich nicht verschweigen, daß dieser Reisegefährten einer mir eine Mütze einhändigte, die ich verloren hatte. Es scheint der gute Eindruck noch nachgewirkt zu haben, den er dadurch bekommen mochte, daß ihm ein wenig Speisen aus meinem Vorrathe dargereicht wurden. Ich gab sie zwar nicht ihm selbst, sondern dem Treiber; allein die Araber haben es im Brauche, die Speisen Andern mitzutheilen, und dem Geber in aufrichtiger Gefälligkeit erkenntlich zu sein.
Ich hätte wohl ein ganzes Register von Klagen über meinen Treiber. Er war ein junger, unbärtiger Kerl, und wußte nicht einmal den Weg nach Ramle. Darum fragte er oft darnach; darum wollte er das Uebernachten in einem Dorfe erpochen. Die Sonne war untergegangen, und ich ritt mit diesem unwissenden Jungen. Gegen acht Uhr hörte ich das Gebell eines Hundes. Dasselbe gab mir die Gewißheit, daß ich von Hunden und — folglich auch von Leuten nicht mehr ferne sei. So unwillkommen das Hundegebell sonst, so willkommen war es mir dieses Mal.
Schon zeugte der Boden von fleißigerem Anbaue; die indischen Feigen begleiteten wie ein Geländer die breiter werdende Straße; nun schon entdeckte ich Licht; das Minaret[S. 35] glänzte in der frei- und festtäglichen Beleuchtung; es erscholl ein Chor von Hundegebell. Völlig verschwanden meine Zweifel über die Nähe der Stadt. Unser Weg aber kreuzte sich, und der unwissende Bursche fragte deutend mich um Weisung. Ich war entschlossen, nach der Gegend, wo die Hunde bellten, zu reiten, und winkte sogleich mit der Hand.
Noch sollte mir ein kleiner Unfall begegnen. Nahe schon am Orte meiner Bestimmung trank ich gerade in vollen Zügen das süße Glück, als ein niedriger Baumzweig mir ins Auge fuhr, daß ich im Augenblicke nichts, als einige Funken sah, und daß ich wund und blau wurde. Endlich bin ich in der Stadt Ramle.
Um den Umfang des Philisterlandes zu würdigen, darf ich nur daran erinnern, daß ich es an einem Tage in seiner Länge durchritt; die Breite desselben ist nur unbedeutend. Die Erzählung von den Kriegen, welche die Juden mit den Philistern führten, ist geeignet, die Vorstellung von der Größe des Philisterlandes irre zu leiten.
Müde, aber sehr müde, gleichsam wie zerschlagen stieg ich am Stadtthore ab. Man versicherte mich, daß man beim Reiten auf einem Kameele oder Dromedare ähnlichen Beschwerden ausgesetzt sei, wie auf dem Schiffe. Dies war bei mir wenigstens nicht der Fall, ohne daß ich die Aussage eines Deutschen bezweifeln möchte, welcher dieses[S. 36] Reiten glatterdings nicht ertragen konnte, und daher mit dem Reitthiere zu Fuß ging. Als ein gutes Vorbauungsmittel gegen die Beschwerden, welche das Reiten etwa verursachen könnte, empfiehlt man allgemein das feste Gürten des Unterleibes. Auch ich bediente mich dieses Mittels, das mir in der That sehr behagte.
Ich hatte Empfehlungen an zwei im Dienste des Vizekönigs stehende Franken. Wie sollte ich sie bei Nacht in den menschenleeren Gassen aufsuchen? Ich ließ an einem Hause derb anklopfen. Die Stille in demselben verkündigte die Ruhe aller Hausgenossen. Doch man ließ vom Klopfen nicht ab. Zum Glücke endlich öffnete ein halb gekleideter Mann die Thüre. Er wußte die Wohnungen der bezeichneten Franken. Der Antheil nehmende, gute Mann war bald beredet, mir jene zu zeigen. Leider verfehlte ich die Franken, die sich in Akre befanden. Mir blieb nichts übrig, als in dem lateinischen Hospizium der Spanier, die man mir eben nicht zu ihrem Vortheile schilderte, Herberge zu nehmen.
Dieser Tag war ein unsriger Sommertag. Die Wolken, durch welche die Strahlen der Sonne in Strähnen brachen, arbeiteten an einem Schauer, und der Regen drohte bei der schwülen Witterung. Tags lärmten in großer Menge die Thiere der Luft, die Vögel, und Nachts die Thiere der[S. 37] Erde, die Insekten. Alles, was da lebt auf und über der Erde, singt Tag und Nacht das Hochzeitlied, zur Freude der Menschen.
Ach, wie war ich bei meiner Müdigkeit froh, in einer fränkischen Herberge ausruhen zu können. Von den Patres freundlich begrüßt, ward ich ins Refektorium eingeladen. Sie setzten mir Eier, Fische, Käse, Brot und Wein vor, und ich sättigte mich mit Wohlgefallen.
Den 28.
Ueber Nacht rollte Sommerdonner.
Ich wollte nach Jerusalem abreisen; allein da der Eseltreiber noch durch das Beladen der Esel mit Fischen (vom Hospizium, welches mir es verheimlichte) mich zum Warten nöthigte, und da ich unter solchen Umständen nicht glauben durfte, daß ich noch bei Tageszeit in Jerusalem anlangen würde, so blieb ich, obwohl sehr ungerne, zurück. Bereits nämlich verließ ich das Hospizium. Ich stand schon am Orte, wo die Esel beladen wurden; das Felleisen war schon aufgepackt. Ich drängte auf schnelle Abreise. Es half nichts, indem der Muchero (Eseltreiber) wähnen mochte, daß ich weder selbst das Felleisen forttragen, noch bei der schwachen Morgendämmerung das Hospiz finden werde. Der Mann aber thäte sich verrechnen. Ich hob das Felleisen auf die Schulter und trug es ins Hospiz.
Rama, Ramla oder Ramle, ungewiß das Arimathia der Bibel, ist weder hübsch, noch groß, aber in einer sehr fruchtbaren Gegend und unter einem milden Himmel. Auch hier liegen Ueberbleibsel von Alterthümern, z. B. Säulen, herum. Von der Stadt aus eröffnet sich eine köstliche Aussicht ins Gebirge Juda bis zum Ephraim.
Der Bassar ist unansehnlich. Ich konnte der Anlockung nicht widerstehen, Brot und einige Früchte zu kaufen, die ich mit Lust verzehrte.
Zum Zeitvertreibe besuchte ich das griechische Kloster, welches ebenfalls Pilger beherbergt. Der Erzpriester empfing mich mit vieler Freundlichkeit, verstand aber keine der fränkischen Sprachen, und so mußten wir uns begnügen, einander anzuschauen, was doch unstreitig viel bequemer ist, als eine auf Nadeln setzende Anrede von Komplimenten zu halten.
Uebereinkunft unter den Augen der reverendissimi patres; Abreise um vier Uhr Morgens; Trümmerchroniken; St. Jeremias und sein Brunnen; Terebinthenthal; Einförmigkeit des Judagebirges; si mira Gerusalemme; im Neuhause abgestiegen; vortrefflicher Wein; vor Freude fast Leid am Moriah.
Sonntags den 29. Wintermonat.
Ich habe mich einen Abend vorher mit dem asiatischen Eseltreiber des Hospiziums unter den Augen der Mönche[S. 39] abgefunden. Heute griff man der gestrigen Vergeßlichkeit damit unter die Arme, daß man mein Gepäcke ohne größere Bezahlung nicht mitnehmen wollte. Mit dem Hospizium war kein Streit anzufangen. Froh, von nicht sehr würdigen Vätern mich einmal entfernen zu können, gab ich nach, obgleich ich über das Vorgefallene ein wenig schmollte. Weit mehr ärgerte mich, daß der roth- und triefäugige Knecht des Hospiz mir die Flasche voll Rhum zerschlug oder zerbrechen ließ.
Etwa um vier Uhr in der Frühe reiste ich einzig in Begleit eines jungen Menschen ab. Ich durchritt eine Ebene, welche die Nacht mir verbarg. Beim Grauen des Tages erreichte ich den Anfang des Gebirges von Juda. Auf einem Hügel hart am Wege stand ein Dörfchen. Nun schlängelte sich der Weg gegen Morgen durch ein Thal, dessen Hügel allmälig zu Bergen sich aufthürmten. Der Paß ist nur eine kurze Strecke enge. Hie und da unterbrechen den Boden Bäume und der Pflug. Ueberdies wird die Gegend durch die lärmenden Hirten belebt. Bevor man den Scheitel des nächsten Berges gewinnt, wo eine schöne Fernsicht bis auf das Mittelmeer sich aufschließt, erblickt man rechter Hand, auf einem Hügel, vom Wege unfern ein Dorf inmitten von Oelbäumen. Dort mag die Hälfte des Weges von Ramle bis Jerusalem sein. Von dem[S. 40] Scheitel jenes Berges läuft der Weg zuerst ziemlich eben, dann hinunter und hinauf. Jetzt hinuntersteigend, kommt man an dem Dorfe St. Jeremias vorüber, welches an die nördliche Abdachung eines Berges gebaut ist. Den heitern Blick desselben erwiedern mit einem ernsten und finstern einige Ruinen daneben, welche wohl aus den Zeiten der Kreuzzüge stammen. Diese, wie andere Trümmer an verschiedenen Stellen im Gesichtskreise auf der Bergreise sprechen wie Chroniken. In Jeremias ist das jüdische Gebirge milde; der Feigenbaum trug noch die Blätter, während die Kälte sie in höhern Gegenden gepflückt hat.
Gelangt man von St. Jeremias ins Thal, so zieht rechterseits ein Brunnen die Aufmerksamkeit auf sich. Es liegen jetzt noch Stücke einer Marmorsäule herum. Sie war vielleicht ein Bestandtheil der Verzierung eines Brunnentempels. Weiter beginnt das Weinland. Die Rebe steht da stämmig wie ein Baum, ohne Stütze, ohne Band. Der Blätter gelbe Farbe feierte den Herbst. Auch anderwärts am Wege nach Jerusalem trifft man Weinfeld.
Ich bestieg dann eine Bergspitze mit malerischer Aussicht — auf den wenigstens anderthalb Stunden offen liegenden Weg. Darauf kam ich in eine tiefe Thalschlucht, ins Terebinthenthal, ehe ich aber sie erreichte, an einem Brunnen vorüber, auf dem eine arabische Inschrift steht.[S. 41] Die Sitte der alten Morgenländer befolgend, errichten die Mohammetaner über den Quellen kleine Tempel. In der Thalschlucht selbst, welche von dem Laub der Feigen- und Zitronenbäume beschattet wird, weilt das Auge des Wanderers auf einem ziemlich freundlichen kleinen Dorfe. Von dem Bollwerk einer Ruine herunter redete mich ein Mann an, der vielleicht mich gastlich einladen wollte.
Jetzt ging es auf die letzte Bergkuppe, fast oben neben einer langen Reihe von Kameelen langsamen Schrittes gegen Sonnenuntergang.
Der Weg auf dem Juda ist zwar ein wenig schmal, doch schwierig nirgends, vielmehr überall deutlich, fest ausgetreten, in Summa fürtrefflich für den, welcher die schweizerischen Berge bereiset hat. Neben diesem Wege erhebt sich das Land hier und da stufenförmig, gleich Weingärten, was unzweifelhaft läßt, daß der Anbau des Bodens einst weit mehr geblühet hatte. Gleich am Eingange ins Gebirge erkennt man ohne Mühe die Vierecke der Felder, nunmehr voll kleineren Steingerölles. Auf Geschiebe stößt man im Gebirge ungemein häufig, und der Hauptzug desselben ist Kahlheit. Zwischen den Steinen und Felsen gedeihen wohl gewürzhafte Kräuter, grüne Gebüsche, lachende Bäume; allein diese sind unvermögend, die Gegend im Ganzen lieblich und freundlich zu kleiden. Im Uebrigen verdient der[S. 42] Juda wirklich den Namen eines Gebirges, selbst nach dem Wörterbuche des Hochländers; nur mangeln höhere Berge, die einen majestätischen Eindruck machen. Meist sind die jüdischen abgerundet, und böschen sich gleichmäßig. Kein Bach wälzte sich rauschend bergab durch die Schluchten und Thäler; nirgends tosete der Berggeist in wildem Schaum über einen Felsabsturz; ich konnte im Terebinthenthale höchstens über eine Brücke setzen, welche über einen trockenen Bach sich wölbte.
Auf dem Wege über das Gebirge begegneten mir nicht selten Leute, darunter unverschleierte, aber eben nicht schöne Frauen und Mädchen, auch ein Weib auf einem Kameele. Mein Hut vor Allem schien sie zu befremden. Einigen las man auf ihren Gesichtern: Ach wäre nur die Polizei nicht so strenge, wie gerne wollte ich diesen Menschen ausplündern. Möchten die leidenschaftlichsten Gegner einen Mehemet-Ali und Ibrahim-Pascha nur als Urheber zahlloser Ungerechtigkeiten und Verbrechen auslästern, so viel Unparteilichkeit werden auch sie besitzen, um diesen Männern nachzurühmen, daß unter ihrem mächtigen Arme die Abendländer eines unschätzbaren Gutes, nämlich öffentlicher Sicherheit, sich erfreuen.
Wie ich auf dem letzten Bergscheitel stand, entschwebte mir der Gedanke, daß ich von der Tochter Zions nicht mehr[S. 43] ferne sein könne. Ich durfte eine kurze, nicht sehr merklich abschüssige Strecke fortrücken, bis ich weißgraue Thürme und Streifen von Mauern erblickte. Ich hielt sie für Jerusalem. Ich wurde in dieser Meinung bestärkt, weil Weiber, nach Art der Marktleute, mit beladenen Köpfen uns begegneten. Als ich zudem das Schmettern der Trompeten vernahm, gerieth meine Seele in den Zustand der größten Spannung. Noch ein wenig weiter, und der Führer, ein arabischer Jüngling, schlug auf einmal meine Ungewißheit aus dem Felde, mit den fränkischen Worten: Si mira Gerusalemme (Man sieht Jerusalem). Da ist denn die Schaubühne so verschiedenartiger Auftritte, so schroffer Zerwürfnisse, so blutiger Kriege, so mächtiger Umwälzungen, so harter Drangsale, so freudiger Begeisterungen. Das ist die vielgenannte Stadt, wie keine auf dem ganzen Erdballe so reich an Erinnerungen für den gläubigen Christen und den Staub von Israel.
Glaubst du Jerusalem in einem Thale, wo es von oben her einen köstlichen Anblick darbiete? Du lebst in der Täuschung. Es liegt nur wenig tiefer, als der letzte Bergscheitel und von diesem in der Entfernung etwa einer kleinen Stunde. Glaubst du Jerusalem in der Mitte anmuthiger Fluren? Du wirst dir der lieblichen Trugbilder aufs schmerzlichste[S. 44] bewußt. Der Weg leitete bloß durch steinigen Boden, wie ihn Strabo schon nannte, selbst bis zu den Mauern; das seltene Grün zwischen den Felsen und Geschieben leistet wenig oder keine Entschädigung. Als die Stadt ganz nahe vor mir lag, so erschien sie ohne eigentliche Bedeutung und ohne Pracht. Eben übte sich das egyptische Militär in den Waffen vor den Mauern am Berge Gihon, und die Einsilbigkeit der Stadt ließ mir Muße übrig, das Kriegsvolk zu durchmustern.
Ich kam etwa um zwei Uhr Nachmittags im Zickzack durch das Jaffathor, und wenn auf dem ganzen Wege mein Auge in keinem einzigen murmelnden Bächlein sich badete, so fiel mir gleich eine Pfütze auf, mitten in der äußerst schlecht gepflasterten Gasse. Diese Pfütze, dieses Straßenpflaster und elende Häuser, — das ist, was in Jerusalem zuerst meinen Blick fesselte. In die zweite Gasse links bogen wir ab. Bald erreichten wir das Neuhaus (casa nuova), ein Gebäude, welches dem Kloster der Franziskaner oder des Erlösers (S. Salvatore) angehört, wiewohl ein Gäßchen jenes von letzterem trennt.
Mein Gepäcke wurde in den Hof des Neuhauses gelegt und, nachdem mir von dem freundlichen Klosterverwalter der Aufenthalt bewilliget worden, in ein Zimmer geschafft. Ich schnitt ein saures Gesicht, als ich vergebens[S. 45] Fenster suchte. Auf meiner Wanderung über das Judengebirge war es kühl, jetzt fing es mich an den Füßen ordentlich zu frieren an, und später fror es mich so stark, daß ich Mühe hatte, mich zu erwärmen.
Da das Mittagessen schon vorüber war, so mußte ich mit übrig gebliebenen Speisen mich begnügen. Der reichlich vorgesetzte Wein schmeckte mir vortrefflich, und je mehr ich nippte, desto herrlicher mundete mir der edle Saft der Rebe. Auch genoß ich seit meiner Abreise von Kairo kein schöneres und besseres Brot.
Ich verspürte einige Müdigkeit, zwar nicht vom Gehen, obschon ich den weitaus größten Theil des Gebirgsweges zu Fuß zurücklegte, sondern vom Reiten wegen des unförmlich breiten Sattels. Darum unternahm ich diesen Tag nur noch einen kleinen Spaziergang durch etliche Gassen der Stadt. In meiner frohmüthigen Stimmung zu Jerusalem zwischen dem Gehinnon und Josaphat, dem Zion und Oelberg und Golgatha sang ich mitten durch den Bassar unter der Menge von Menschen. Mein Gesang aber hörte plötzlich auf. Warum? Das will ich erzählen. Bei meinem Mangel der nähern Kenntnisse von der Stadt schritt ich arglos durch das Thor an der Vormauer der Omarsmoschee, welche auf der Stelle des Salomonstempels erbaut sein soll. Die Mohammetaner liefen gegen mich drohend heran, ich[S. 46] merkte, den Tempel im Angesichte, daß ich mich verging, und unverzüglich kehrte ich um. Mein unsaumseliges Benehmen hatte jedoch keine andere Folge, als die, daß der Gesang sich in Pausen auflöste.
Jerusalem oder Soliman, bei den Arabern El-Kots (die Heilige), liegt an einem ziemlich steilen Bergabhange. Der Berg beginnt eben sich schroffer zu senken, und es erheben sich die Mauern der Stadt, auf drei Seiten von einem tiefen und schmalen Thale, wie von einem Festungsgraben, umgeben. Die Natur war so zuvorkommend, um die Stadt zu befestigen, daß die Kunst aus Dankbarkeit ihren Theil beitragen sollte. Beinahe in der Mitte der Abendseite der Stadtmauern steht das Jaffathor (Bab-el-Kalil). Hier beginnt das Thal Gihon, streicht, den Berg Gihon zur Rechten, eine kurze Strecke gegen Mittag, und läßt kaum einen zum Theil verschütteten, zur Zeit wasserleeren Teich, den Teich Berseba (nach Jonas Korte) oder Bethsabe (nach einem andern Schriftsteller), zurück, als es sich gegen Morgen wendet, unter dem Namen Gehinnon etwa eine halbe Viertelstunde weit, um links mit[S. 47] dem Thale Kidron oder Josaphat zusammenzustoßen. Das letztere Thal, von der Brücke an keine Viertelstunde lang, geht von Mitternacht gegen Mittag. In dem Thale Gihon fließt der Bach Gihon, und in dem Thale Kidron der Bach Kidron. Der Wasserüberfluß ergießt sich in den Lothssee (todte Meer). Also auf drei Seiten ist Jerusalem von einer Thalschlucht umfangen: auf der Bethlehem nähern Abendseite vom Gihon, auf der Mittagsseite vom Gehinnon und auf der Morgenseite vom Kidron. Indeß ist vom Jaffathor an gegen Mitternacht, wo die Stadtmauer gegen Sonnenaufgang umlenkt, gegen Emaus und vor dem Damaskusthore kein Thal, sondern ziemlich ebenes, aber rauhes Land.
Der Boden der Stadt ist uneben; im Allgemeinen neigt er sich nach der aufgehenden Sonne. Eine Felsanhöhe und zwei Hügel sind deutlich zu unterscheiden. Der Zion steigt von Mitternacht sehr sanft an. Desto schroffer stürzt er gegen die Bergthäler Gihon und Gehinnon. Zion nennen die heutigen Schriftsteller die Felsanhöhe im Winkel dieser Thäler. Das Thor, welches auf den Zion sich öffnet, heißt Zions- oder Davidsthor (Bab-el-Nabi-Daud), und man gelangt nicht geradenweges über die Schlucht Gehinnon zu der gegenüberstehenden Schluchtlehne Hinnon, über welche der Weg nach Bethlehem weiset, sondern man geht durch[S. 48] das Zionsthor und das Jaffathor, bis man auf langem Umwege dem Zion gegenüber sich befindet. — Das Franziskanerkloster liegt im Nordwest der Stadt. Beim Neuhause geht es steil hügelan. Wenn man durch die Thüre von Mitternacht her zu ebener Erde eingeht, so muß man mehrere Treppenstufen hinuntersteigen, bis man auf der Südseite zu ebener Erde herauskommt. Selbst die Gasse südlich am Kloster fällt gähe gegen Morgen. Ich will den Liebhabern alter Namen die Freude nicht mißgönnen, diesen Hügel im Nordwest der Stadt Akra zu benennen, ob er gleich, darf ich meinen Augen trauen, an Höhe den Zion übertrifft, welcher, wenn ich recht deute, einst die Oberstadt hieß. — Unter dem Akra, dem Josaphatsthale näher, im Nordwest der Stadt erhebt sich ein anderer Hügel. Der Bequemlichkeit willen in der Beschreibung und des geschichtlichen Anklanges wegen belege ich ihn mit dem Namen Bezetha. Der Anfang der sogenannten Schmerzensgasse (via dolorosa) richtet sich in ziemlicher Neigung von Morgen gegen Abend, und von dort zieht eine andere Gasse auf der entgegengesetzten Seite und in entgegengesetzter Neigung von Abend gegen Morgen, nämlich gegen das Josaphatsthal. Unter den Stadtmauern durchgängig hat dieses Thal besonders gähe Wände. — Die Moschee Omars soll auf der Felsnadel Moriah stehen, wo der weise König Salomo die Bau[S. 49]stelle für den Tempel kaum groß genug fand, weil sie, „überall gähe, gegen das Thal hing (Flavius Josephus)“. Die Felsnadel war längst abgetragen. Moriah steht von Mittag dem Bezetha gegenüber, wie der Zion dem Akra. Und die vier Anhöhen oder Hügel in Jerusalem heißen, nach den alten Urkunden, Moriah und Bezetha, Zion und Akra. Ich aber unterschied mehr nicht, als zwei Hügel; denn Zion ist eine Felsanhöhe, und der Name Berg verwirrt in der Sprache der Deutschen den Sinn.
Ich ermangelte nicht, Flavius Josephus, welcher nicht lange nach Christus lebte, so genau, als möglich zu vergleichen. Aufrichtiges Geständniß der Unzulänglichkeit im Verstehen fördert das Gedeihen der Wahrheit mehr, als unklare, anmaßende Vielwisserei. Wie man mich auch immer beurtheilen mag, ich gestehe frischweg, daß ich nicht im Stande war, das Dunkel völlig zu verdrängen, welches einige Stellen in der Lagebeschreibung des Jerusalemers Josephus umschwebt. Mich spornt keine Lust an, gesehen zu haben, was ich nicht gesehen hatte. Denjenigen, welche sich mit der Erklärung behelfen, daß durch gewaltige Naturereignisse der Boden Jerusalems eine andere Gestalt angenommen habe, erwiedere ich mit den Worten: Warum ragen noch so merkwürdige Ueberbleibsel des hohen Alterthums in unser Zeitalter herein, hier der Brunnen[S. 50] in der Tiefe zwischen Moriah und Zion, jenseits am Kidron die Grabmale, dort außer der Stadt gegen Mitternacht die Grabhöhlen? Ich will allerdings die außerordentliche Zerstörung und Umwandlung Jerusalems gerne zugeben, und in Kraft dessen selbst bemerken, daß ich keinen einzigen von jenen ganzen Steinen antraf, welche, nach der Geschichte, zwanzig Ellen lang und zehn breit waren. Man fragt mit Erstaunen: Wohin sind sie denn verschwunden? Wer hat sogar diese schweren Massen entführt oder zerstört? So wenig oder schwer ich Flavius Josephus verstehe, so treu und faßlich finde ich dagegen die Ortszeichnung des Pilgers Hans Jakob Ammann, welcher ihr mit den Schweizer-Wörtern „Halden“ und, dem „Tobel“ Josaphat gleichsam eine vaterländische Farbe auftrug.
Zur Zeit meines Aufenthaltes flossen in Jerusalem keine Bäche, weder der Kidron, noch der Gihon. Jener ist ein wildes Wasser bei stärkerem und anhaltenderem Regen.
Die Grundlage ist etwas röthlicher und so harter Kalkfelsen, daß er die Politur nicht versagt. An vielen Orten tritt er nackt hervor, und an andern überkleidet ihn eine dünne Schichte von Erde und vielen kleinen Geröllen. Der Boden ist demnach weder gut zur Weide, noch zum Anbaue. Mit Mühe sucht das Auge die Palmen, gleich wären sie aus Egypten hieher verbannt. Oel- und Feigenbäume, fast[S. 51] die einzigen Stammgewächse, verdichten sich nicht zu Wäldern wie bei Gaza und Ramle, sondern stehen ziemlich einzeln. Von unausdauernden, wildwachsenden Pflanzen verbreiten mehrere einen gar angenehmen Geruch. An wenigen Stellen wird das Grün der Wiesen von den Steinen nicht unterbrochen. Wo man es erblickt, wirkt seine Lebhaftigkeit wohlthuend, und wenn man die Kühe darauf grasen sieht, möchte man in patriarchalischem Entzücken die Steine und Gerölle der Wüste vergessen. Langsam gleitet der Pflug an den Abhängen des Kidrons und Gehinnons. Derselbe ist einfach genug, daß er die Steingeschiebe oder die Schuttsteine nicht scheuen darf. Ein Eisen, das in die Erde wühlt, ein dünner Baum, welcher dieses Eisen hält und den Zugstrick aufnimmt, noch eine Handhabe hinten für den Ackermann, — das ist der Pflug unter dem Moriah, auf welchem ehemals der reiche Tempel des israelitischen Volkes stolz emporstrebte. In den Thälern, worin einst so heilige Stimmen hinauf zum Throne Jehovas erhallten, zittert jetzt die Luft von dem rohen Geschrei des Pflügers. Nicht allein der Strich gegen Ramle, wohl aber die ganze Umgegend trägt überhaupt das Gepräge der Unebenheit, der Zerrissenheit, der Kahlheit, der Unergibigkeit. Was ist nachsichtiger, als die Vaterlandsliebem welche die Häßlichkeit einer Gegend läugnen kann?
Der Himmel ist weit minder heiß, als in Kairo. Der Ostwind wehte kalt. Während des Sommers regnet es äußerst selten, und die strengern Wintermonate sind die eigentliche Regenzeit. In der regenreichern Zeit herrscht nasse Kälte und fällt manchmal Schnee[1]. Mir dünkt, daß die Einwohner, vorzüglich die Weiber, zu wenig gegen die Kälte sich schützen. Auch sind die Fensterscheiben eine Seltenheit, während sie doch zu Kairo in Menge vorgefunden werden.
Jerusalems Lage und Himmelsstrich hält man für ungesund. Wechselfieber, Durchfälle und Ruhren kommen häufig vor. Der in dieser Stadt stazionirte egyptische Militärarzt, ein Italiener, machte mir die Mittheilung, daß es gegenwärtig mehrere Ruhrfälle unter den Truppen gebe. Selbst die Pest verschont die Stadt Davids keinesweges und im laufenden Jahre sah man sie übel haushalten. Die Egyp[S. 53]zier sollen in der Regel im ersten Monate ihres Aufenthaltes zu Jerusalem von einer Unpäßlichkeit befallen werden, nach und nach aber sich gut an die Gegend gewöhnen. Es gebrach mir an Zeit zur Einsicht in die Todtenbücher, um über die Sterblichkeit ein haltbareres Urtheil zu fällen. Ebenso wenig darf ich rühmen, etwas Zuverlässiges über die Bevölkerung vorführen zu können. Den bisherigen Angaben mangelt es an Gründlichkeit, und neue Vermuthungen, die meinige von 12,000 Seelen, würden sich gerade mit dem gleichen Vorwurfe strafen.
Die Stadt ist von zickzackigen, hohen, hin und wieder zu Thürmen emporragenden, massiven, festen Mauern umringt. Außerhalb läuft neben diesen ein Fußweg im ganzen Umfange. Die Stadt, immerhin nicht groß, ist von Südwest nach Nordost am längsten. Wäre eine gerade und gute Straße angelegt, so würde man sie in einer starken halben Viertelstunde gehen.
Die Gassen sind krumm, dabei zwar gepflastert, aber ungemein schlecht. Ein oder mehrere Pflastersteine fehlen häufig. Die Gasse hat zur Seite einen unebenen, erhabenen Weg für die Fußgänger und eine tiefere, hier und da sehr schmale Mitte für eine andere Art Fußgänger, — für die[S. 54] Thiere. Oft stockt hier übelriechendes Wasser, zum mindesten in der Regenzeit, und der große Schmutz macht das Gehen zu einem überaus lästigen Geschäfte. Die erhabenen Fußwege sind so schmal, daß zwei Personen, die einander begegnen, sich, oft nicht ohne Mühe, umdrehen müssen, um vorüberzuschreiten. Wie treffend wären Ammanns Worte: Jerusalem hat viele wüste, unsaubere Gassen, für das heutige Soliman. Man kann sich nicht verhehlen, Jerusalem eignet sich nicht am schlechtesten zum Sitze einer gewissen weltweisen Schule.
Die Bassar sehen aus, wie in andern Städten, sind aber an Unansehnlichkeit und Schmutzigkeit vielen überlegen. Einer ist gewölbt, und das Gewölbe von einer Entfernung zur andern mit einer viereckigen Oeffnung durchbrochen, wodurch das Licht der Sonne auf Gasse und Buden strömt.
Die Stadt besitzt viele unterirdische Gänge zur Ableitung der Unreinigkeiten und des Wassers. Eben grub man auf dem Hügel Bezetha, wo jetzt eine Kaserne steht, und wo einst der Palast des Herodes gestanden haben soll. Man stieß etwa zehn Fuß in der Tiefe der Gasse auf einen alten Gang, dessen Mauerwerk man von einander riß, um daraus einen neuen zu bauen.
Die Häuser haben entweder platte, oder kuppelförmige Dächer ohne Ziegel, sind nicht hoch und durchwegs von[S. 55] Stein; viele altern und weichen aus dem Senkel. Thüren und Läden scheinen zufällig durch den Wind hingeweht. Im Abendlande würde man über die meisten Häuser als Armseligkeiten die Achsel zucken und diejenigen bedauern, welche darin wohnen müßten. Eine große Zahl europäischer Beuchhütten verdiente im Vergleiche mit einer Menge Jerusalemer-Häuser den Namen schöner Gebäude. Neben und mit so manchen bewohnten Häusern im beßten Einvernehmen erhalten sich nicht selten Ruinen, wie: Gewölbe, umgestürzte Marmorsäulen oder aufrecht stehende Säulenstümpfe. Von Wehmuth ergriffen, wandelte ich unter diesen Siechen und Leichen, welche in unsern Tagen den Dienst erfüllen, daß sie das Andenken an die Größe und den Reichthum der Vorwelt auffrischen, während jetzt Kleinliches und Armseliges den Blick ermüden und verdüstern. Aus Jerusalem insbesondere ergeht der ernste Ruf, über den Wechsel der Dinge Betrachtungen anzustellen. Vor zwei Jahrtausenden würden es gewiß Wenige vom Volke Israel geglaubt haben, wenn man prophezeit hätte, daß die aramäische Sprache im Fortschritte der Zeit innerhalb der Markung Judäas die Herrschaft verlöre. Dafür wimmelt heute in der Stadt ein Babylon von Sprachen: das Arabische, Griechische, Lateinische, Italienische u. s. f., das Arabische selbst im Munde der Hebräer. Eroberungen von Ländern und Völkern folgt[S. 56] immer zuletzt und am zähesten die Eroberung des geistigen Volksschatzes, der Sprache.
Und da ich gerade von den Sprachen rede, so bemerke ich im Vorbeigehen, daß in dem Theile des Morgenlandes, welchen ich bereisete, unter den abendländischen Sprachen die italienische oder die sogenannte lingua franca überwiegt. Man würde zwar mit der französischen Sprache in Kairo recht gut, nicht aber an allen übrigen Frankenorten ausreichen.
Der Geist, in dem man die gefeierten Stellen besucht, darf weder zu zweiflerisch, noch allzu gläubig sein. Es unterliegt keiner Frage, daß mehrere große Ereignisse, deren die Schrift erwähnt, in Jerusalem und seinem Weichbilde sich aufgerollt haben; aber: Wo? — ob nun denn beim Fuß und Zoll hier und nicht dort, hüben und nicht drüben, oben und nicht unten, — das stelle man doch, bei der Fülle allwissender Ueberlieferungen und bei der Dürftigkeit an rein geschichtlichen Haltpunkten, in den heiligen Zufluchtsort der Menschenseele, ohne zu verunglimpfen oder — zu verketzern. Zur Annahme der Wunder selbst sich zu bekennen, gehört nicht einmal zur Recht- und Strenggläubigkeit im engern[S. 57] Verstande, damit auch nicht zur Ketzerei, so man anders dieses Wort hier gebrauchen darf.
Wenn der Anblick der Häuser für die Anstrengungen der Reise wenig Entschädigung verspricht, so überrascht hingegen aufs angenehmste die Kirche des Christusgrabes durch ihre Größe und den Adel ihres Baustyls. Der majestätische Dom rührt den Christen, zieht ihn an, ladet ihn ein. Die Kirche liegt unter dem Kloster des Erlösers und über der Omarsmoschee, ungefähr in der Mitte des Dreiecks, wenn man eine Linie vom Zion zum Bezetha, vom Bezetha zum Akra und vom Akra zum Zion zieht.
Es war an einem Montage, als ich den Tempel besuchen wollte. Ich ging mehr, denn einmal vergeblich zur Thüre. Indeß öffneten die Griechen dieselbe ebenso wenig ihren glaubensverwandten Pilgern, welche sich vor der Kirche in ziemlicher Anzahl versammelten. Tages darauf hatte ich die Freude, die Grabeskirche offen zu sehen. Ich trat hinein, und siehe, da hockten zur Linken zwei Türken in aller Bequemlichkeit auf dem Diwane, indem sie eine Pfeife rauchten und ihre lebhaften, schwarzen Augen sehr weltlich herumdrehten. Ehemals galt es als eine Art Begünstigung, wenn man gegen Erlegung eines Kopfgeldes das Christusgrab besuchen durfte. Ohne Anstand wird jetzt der Zutritt zu den Heiligthümern gestattet. Die Christen verdanken die[S. 58] Abschaffung der mannigfachen Scherereien dem Bezwinger Syriens, Ibrahim-Pascha.
Hier bin ich nun im Tempel, der, nach der Behauptung der Gläubigen, sich über Golgatha und das Grab Christi wölbt. Wer zählt die Andächtigen, welche in dem Gotteshause schon Labsal tranken? Wer möchte aber auch die abscheulichen Auftritte des Parteihasses unter den verschiedenen Bekennern der christlichen Religion schildern? Gleich beim Eintritt in die Kirche fallen marmorne Steinplatten, nahe in der Mitte zwischen Golgatha und dem Grabe, auf. Dort soll Christus gesalbet worden sein. Wendet man sich links, d. h., gegen Abend, so sieht man eine über den Boden der Kirche und des Kirchenplatzes sich erhebende kleine Kapelle, welcher die Merkzeichen des Felsens oder der Felsenhöhle abgehen. Sie heißt Grabeskapelle. Wenn sie äußerlich nicht dem Künstler genügt, so mag sie doch den Freund irdischen Glanzes befriedigen. Der Eingang in das Innere ist so enge, daß nicht zwei Menschen neben einander durchkommen könnten. Darin wird das heilige Grab oder das Grab Jesu Christi verehrt. Dem Eintretenden steht zur Rechten, als das Grabmal, ein platt gedeckter, etwa einen halben Fuß hoher, von Morgen gegen Abend gerichteter Sarg, aus weißem Marmor, worüber eine schwere Menge blendend funkelnder Goldleuchter hängt. Auf der an[S. 59]dern Seite der Kirche, gegen Morgen, führt, wie es heißt, unter dem Kalvarienfelsen eine Treppe in einen Keller, die Kapelle Adams. Was ich aber von Golgatha und dem Grabe im wahren Grunde halte, werde ich später mit Umständlichkeit erörtern.
An der Wandung der Kirche wechseln viele Altäre. Die Lateiner besitzen eine besondere Kapelle. Lateinische Pilger weilen wohl auch drei Tage und drei Nächte in dem Tempel. Man bringt dannzumal die Speisen aus dem Kloster in die Küche der Kirche, um sie hier aufzuwärmen und zu vertheilen.
Die Griechen können unmöglich verbergen, daß sie über das Christusgrab den Meister spielen. Sie betragen sich sehr hochmüthig, und schauen mit Verachtung auf die andersdenkenden Christen herab. Es ist in der That eine wohlthätige Maßregel, daß die Mohammetaner in der ersten Kirche der Christenheit Polizei halten. Unzweifelhaft wären sonst die Zänkereien und Balgereien unter den Nazarenern des verschiedenen Kirchengebrauches weit häufiger und ernster. — Einige Gläubige konnten sich nicht oft genug niederwerfen und bekreuzen.
Vor und in der Kirche schwärmen zudringliche Bettler herum, die wahrhaft Aergerniß erregen. Neben denselben werden von Andern an der Kirchenpforte Kreuze und andere[S. 60] sante cose (Heiligthümer), z. B. der ausgeschnitzte Christus am Kreuze, feil geboten. Die Christen in Jerusalem sorgen gar wohl dafür, daß der Pilger, ehe er die Schwelle der Grabeskirche überschreitet, das Einmaleins wiederhole, und sich der vergänglichen Güter, des Geldes, erinnere. Es verdient doch wohl die Beherzigung eines Jeglichen, daß um den Baum eines zwar unerschütterlichen, aber nicht verdauten Glaubens an die Lehren aus dem Munde der Priester und Gesetzkenner — die Wucherpflanzen der Weltbegierde gerne ihre Netze stricken, wenn diese Priester und diese Gesetzkenner in ihrem Eifer vergessen, auf den Stamm des Glaubens die Zweige der Tugend zu pfropfen.
Ich kann mich vom Grabe Christi nicht entfernen, ohne einer schaudervollen Begebenheit zu gedenken. Als um das Neujahr 1834 der Feldherr Ibrahim dasselbe besuchte, entstand ein solches Gedränge, daß in der Kirche zweihundert Menschen vom Leben abgerufen wurden, ohne diejenigen in Rechnung zu bringen, welche an der Pforte im Gedränge sogleich oder später in Folge desselben starben. Ein Pater erzählte mir, wie er über die Todten wandeln mußte, und einen andern erschütterte das gräuelvolle Schauspiel so tief, daß er seither an Schwermuth leidet.
Und nun halte ich stille, um auf die Schädel- und Grabstätte zurückzublicken. Habe ich denn viel Lohnendes[S. 61] wahrgenommen? Wurden meine Erwartungen erfüllt? Ich will meiner Antwort einige Worte vorausschicken, in Erinnerung der Menge, von welcher die Jetztzeit unbedenklich des Unglaubens beschuldiget wird. Ich will zuerst Männer reden lassen, welche, nach der Volksmeinung, in der guten Vorzeit des Glaubens lebten. Nachdem Salomo Schweigger, der Pilger des sechszehnten Jahrhunderts, die Heiligthümer Jerusalems angeführt, bricht er in das unumwundene Geständniß aus: Ich für meine Person habe all’ dergleichen Heiligthümer anders nicht gesehen, sind mir auch weniger zu Herzen gegangen, als das geringste Ding. Ich kann auch weniger davon sagen, als wenn ich nie wäre daselbst gewesen, ausgenommen das heilig Grab. So weit Schweigger, dem ich die Unparteilichkeit schuldig bin, seine Worte über dieses Heiligthum anzuführen. Das heilig Grab, spricht er, bedünkt mich aber kein erdichtet Heilthum, sondern in Wahrheit das Grab Christi zu sein, in Ansehung, daß dasselbige ohne Schrecken und ohn’ Entsetzen von Niemand, es seien Christen oder Türken, mag gesehen werden. Denn als ich’s gesehen, ging ich nicht dergestalt hinein, als hielt’ ich’s für das Grab Christi, sondern, wie alle anderen Heilthümer mir verdächtig waren, als wenn es nur erdichtete Heilthümer wären oder Geldnetze, also auch dies.[S. 62] Als ich aber hineinkam in das Gewölb, kam mich und auch die Herren aus der Gesellschaft solche Furcht und Schrecken an, daß uns alle Härlein gen Berg standen, und uns bedünkte, wir schwebten zwischen Himmel und Erden, ja als wären wir von der Erden verzuckt. Es erweckt auch eine solche herzliche Andacht und Eifer in uns gegen Christo zum Gebet und christlicher Danksagung, daß’s über alle Maßen ist. Wie man eben von Schweigger vernimmt, unterlag er am Christusgrabe einem so außerordentlichen Eindrucke, daß man seine Worte zwar nicht in Abrede stellt, aber doch kaum begreift, weil so Manche heutzutage dahin wallen, ohne über die Maßen ergriffen zu werden. Hans Jakob Ammann, der im Jahre 1613 das Christusgrab besuchte, drückt sich so aus: Auf jetzt beschriebene Weise wird das heilig Grab gezeigt, und siehet, der dahin reiset, von dem Orte des Felses, da Christus begraben, ebenso viel, als der, so gar nicht dahin kommt........ Ob man schon die Leute also bereden will, es sei das rechte in Felsen gehauene Grab, so hab ich doch das Widerspiel augenscheinlich gefunden, da ich mit einem Messer den Kalk zwischen den Fugen, da die marmelsteinernen Tafeln zusammengestoßen, herausgestochen, und keinen Felsen, sondern nur Mauern gefunden habe.
So sprachen vor Jahrhunderten Schweigger und Ammann, der eine gegen die Echtheit von Golgatha, der andere gegen die des Christusgrabes. Jetzt werde ich mich selbst bestreben, eine der wichtigsten Fragen aus der Ortsbeschreibung Jerusalems zu lösen.
Es schiene im hohen Grade befremdend, wenn eine so wichtige Stätte, wie das Christusgrab, von den Urchristen nicht genau ins Auge gefaßt, und diese Ortskunde nicht von Geschlecht auf Geschlecht mündlich überliefert worden wäre. Schenkt man, wird man entgegenhalten, so vielen weltlichen Stellen Aufmerksamkeit und Glauben, so fordert die Gerechtigkeit, daß man auch heiligen Stätten die Aufmerksamkeit nicht entreiße, und den Glauben an sie nicht tödte. Dazu kommt noch, was die Weltgeschichte erzählt. Hadrianus ließ nämlich, zum Aergernisse der Christen, am Orte, wo Christus hingerichtet und begraben worden, einen Götzentempel erbauen; allein schon im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung erhob sich unter Helena, der Mutter Konstantins des Großen, an der Stelle des im heiligen Eifer geschleiften Götzentempels die Grabeskirche.
Offen lege ich das Geständnis ab, daß die mündlichen und diese schriftlichen Ueberlieferungen für mich völlig genügend wären, um die Echtheit der Schädel- und Grabstätte anzunehmen. Man darf indeß nicht einseitig und nicht zu rasch vorgehen; es müssen nothwendig und vor Allem die biblischen Urkunden geprüft und verglichen werden. Schweigen sie über die Oertlichkeit, so ergänze ich die Lücke mit der Weltgeschichte und den mündlichen Ueberlieferungen; reden sie, so stelle ich auf ihren Entscheid ab.
Die vier Evangelisten Matthäus und Markus, Lukas und Johannes erzählen, daß Christus auf der Schädelstätte (mons calvariæ, hebräisch Golgatha) gekreuziget, und dann daneben in dem Felsengrabe eines Gartens beigesetzt worden sei.
Wo liegt Golgatha mit dem Grabe daneben? Nahe der Stadt Jerusalem war der Ort, wo Jesus gekreuziget worden, überliefert der Jünger Johannes (19, 20). Ist es von allem Zweifel ferne, daß Golgatha außer, doch nahe bei der Stadt lag, so bleibt man gleichwohl bei Ausmittelung der Stelle nahe um Jerusalem, d. h., in seinem ganzen Umkreise, im Ungewissen, und diejenigen, welche die fragliche Nähe bei der Stadt auf dem Gihon erblicken, haben, wenigstens meines Wissens, nichts für sich, als Schlußfolgerungen.
Wo Gihon und die Grabeskirche liegen, darüber wurde früher Aufschluß ertheilt, und es leuchtet aus Allem aufs gewisseste hervor, daß die jetzige Grabeskirche dem Gihon nicht angehört. Ich urtheile nicht bloß nach dem Augenmaße, sondern auch nach einem Grundrisse der Stadt, welchen ein Ingenieur, Failoni, gezeichnet hat, und welcher ganz besonders deutlich darlegt, daß das alte Jerusalem eine aller Wahrscheinlichkeit widersprechende, beinahe krüpplichte, gleichsam kerbthierförmige Lage oder Gestalt haben mußte, wenn man das heutige Christusgrab außer die alte Stadt versetzte. Man wird genöthiget, zwischen dem Zion und Akra von West einen tiefen Ausschnitt zu machen, von welchem auch bei Flavius Josephus überall nicht die Rede ist. Wer auch nie das Glück hatte, in Jerusalems Mauern zu leben, wem bloß vergönnt ist, eine treuere Abbildung von der Stadt zu sehen, der wird beim ersten Anblicke der Grabeskirche gleich über der Omarsmoschee, gleich über dem Moriah, die Bedenklichkeiten nicht unterdrücken können.
So lange mir nicht mehr Belege zu Gebote stehen, dürfte ich freilich nicht geradezu mit unbiegsamer Hartnäckigkeit behaupten, daß das von den christlichen Priestern gezeigte Golgatha und Christusgrab eine geschichtliche Täuschung seien; ich habe aber hinlänglichen Grund, zu neuem[S. 66] Denken und Forschen in dieser Sache aufzumuntern. Wollte man sich denn in Erläuterungen einlassen, so mochte eine solche Täuschung um so leichter Wurzel schlagen, je sehnlicher man die Baustelle für den Grabestempel dort wünschen mußte, wo man vor feindlichen oder räuberischen Ueberfällen sicherer sein konnte. Es kann Niemanden entgehen, daß eben die Mauern der Stadt diese größere Sicherheit gewähren. Schon die einzige Thatsache — um auf andere nicht zurückzukommen — daß ein christliches Kloster auf dem Zion, will heißen, außer den Stadtmauern, den Türken abgetreten werden mußte, nimmt entschieden Partei für solche, die eine Täuschung für wahrscheinlich halten, und hätte dieser Fall niemals sich ereignet, so würde man vernünftigerweise zwischen einem armseligen Kloster und einer Kirche mit ansehnlichen Schätzen eine Unterscheidungslinie durchführen.
Das Grab selbst oder die Kapelle desselben, welche die Grabeshöhle vorstellen soll, ist überdies, sie kann nicht besser, zu Erregung von Zweifeln geeignet. Nach der Erzählung der Evangelisten wickelte Josef von Arimathia den Leichnam Christi in Leinwand, legte ihn ins Grab (κατέθηκεν), welches in Felsen gehauen war, und wälzte einen Stein über die Grabesöffnung[S. 67] (ἐπὶ τὴν θύραν)[2]. Das ist ebenso einfach, als gegründet in den morgenländischen Sitten. Man wickelt in unsern Tagen den Leichnam in weiße Leinwand, und versenkt ihn uneingesargt ins Grab. Im Evangelium geschieht des Umstandes keine Erwähnung, daß Christus in einen Sarg gebracht wurde. Es meldet vielmehr, ohne ein Weiteres, daß derselbe eingewickelt ins Grab gelegt wurde, welches dann ein Stein deckte. Wenn man in der Grabeskirche, an der Stätte, da Christus gekreuziget ward, einen Garten, und im Garten ein neues Grab (Johannes 19, 41) sucht, so lacht heute kein Garten, und es thut sich kein Grab auf; aber das Auge überrascht ein Sarg, unzweifelhaft die fromme Zugabe von Priestern. Allerdings wüßten Zweifler, wenn man selbst die Todesgruft, selbst den Stein, selbst die Spezereien heute noch auf das klarste sähe, einen Ausweg dahin, daß Alles nachgekünstelt sei; allein die Einfalt hat vor ältern Zeiten viel zu wenig erwogen, daß[S. 68] der treueste Befund nach dem Wortlaute der biblischen Urkunden vor den Angriffen der Zweifelsucht weitaus am sichersten schützen würde.
Es war zwar die Grabeskapelle früherhin nicht ganz so, wie jetzt, aber doch im Wesentlichen gleich: stets enge, wenig zugänglich, mit brennenden Leuchtern. Vormals mußte man sogar, um zum Grabmale zu gelangen, durch eine kleine viereckige Oeffnung, als eine seltsame Grabesöffnung, schlüpfen, wovon Salomo Schweigger in seiner alten Treuherzigkeit eine Abbildung lieferte. Ich werde mich jedoch wohl hüten, die Abbildung von diesem Schlüpfen in Worten ausführlich auszudrücken, weil ich besorgen müßte, den Besuch des Grabes ins Lächerliche herabzuziehen. Man war, wie es scheint, schon beim Bau der Kapelle beflissen, die Wirkung hervorzubringen, daß das Gefühl vorherrsche, und der überall beengte Geist vor demselben erstumme.
Dem übertriebenen Eiferer widerfährt oft das Loos des Lügners, welchem man zuletzt die Wahrheit nicht mehr glaubt. Es bedarf keines Beweises, daß, zumal im Streite für die Religion, der überspannte Eiferer in seinen Seitensprüngen gerne die einfachsten Dinge mit Wundern vergoldet, und so kann er auch in der Regel auf den Beifall der Männer mit nüchterner Urtheilskraft wenig rechnen, wie[S. 69] willig und gerne sie immer die Wahrheit vernehmen und glauben. Die Menschen, in deren Brust die Flamme maßloser Leidenschaft auflodert, haben die Schuld offenbar sich selbst zuzumessen, wenn ihnen der unwissende oder wenig unterrichtete Haufe mehr glaubt und vertraut, als Leute, die mit einem größeren Vorrathe an Kenntnissen ausgerüstet sind. Es ist sehr wahrscheinlich, daß überhaupt der religiöse Glaube besser und fester stände, wenn nur nicht die Verkündiger und Verbreiter desselben über die Schale (die Form) den Kern (das Wesen) zu oft übersehen hätten.
Außerhalb des Thores von Damaskus (Bab-el-Scham) liegt gleich zur rechten Hand die gegen die Stadt schauende Felsenhöhle, in welcher Jeremias seine Klagelieder gesungen haben soll, und ungefähr in einer halben Viertelstunde davon erreicht man die sogenannten Gräber der Könige. Der Boden zwischen der Stadt und den Gräbern ist mit vielen Steinen übersäet. Darunter zeichnen sich hin und wieder Mosaiksteine aus, an welchen ich den festen Mörtel deutlich unterscheiden konnte. Will man die Gräber besehen, so tritt man durch ein mit Schutt mehr, als bis zur Hälfte gefülltes Thor in einen großen, unbedeckten Raum, welcher,[S. 70] wie dieses, aus dem Kalkfelsen gehauen ist. Der Grund war grün, und diente den Kühen zur Weidung. An der Abendseite dieses Raumes öffnet sich der Eingang zu den Grabhöhlen. Ihn zieren halb erhabene Arbeiten, welche von einem so einfachen, als edeln Geschmacke zeugen. Man kommt, nicht ohne Komplimente zu schneiden, durch den theilweise verwitterten Eingang in einen Vorsaal. Dieser führt in vier Kammern, die sich hinwieder in Nebenkammern verzweigen. Alle sind Hauwerke im Felsen ohne Schmuck und Inschrift. Dagegen tragen die Grabdeckel, hohle Halbwalzen von Stein, auf der einen Seite Verblümungen als Zierath. Die dicken Thüren der Todtenkammern von gleichem Felsen haben auf der einen Fläche einfache Zeichnungen von Vierecken, wie Täfelthüren. Man findet sowohl ganze Thüren, als auch Bruchstücke, keine aber eingehängt. Vor zwei Jahrhunderten liefen dieselben noch in ihren Angeln.
Die Aushöhlung des harten Felsens muß ein mühsames, kostspieliges Werk gewesen und jedenfalls von Vielvermögenden des Landes angeordnet worden sein. Man schreibt jetzt die Todtenkammern den Römern zu. In frühern Zeiten hielt man sie für die Gräber der Könige von Juda.
Hinweg durch das Stephansthor, vorbei am Stephansplatze, vorwärts über die kleine, steinerne Brücke des Kidrons, — und man sieht gleich linker Hand den Eingang in eine Höhle. Siebenundvierzig Stufen von glattem Marmor leiten in ihre Tiefe. Es ist die Grabhöhle unserer lieben Frau, ihres Gemahls und ihrer Mutter. Eine Menge Blendwerk, Goldleuchter, geschliffene Steine der Kapelle verkümmern den Gedanken an eine natürliche Höhle. Eben lasen die griechischen Priester ihre Messe. Das Näselnde der Stimme widerte mich in hohem Grade an. Noch am widerlichsten näselte ein Knabe das Kyrie (Herr). Ich habe am Gottesdienste wenig Ernst, wenig Würdigkeit zu rühmen.
Hart an Mariens Grabhöhle stößt eine Höhle der Lateiner, worin die Apostel geschlafen haben sollen. Sie bildet den schroffesten Gegensatz der erstern: einfach und glanzlos.
Ueber der Marienhöhle stand in ältern Zeiten eine Kirche, bekannt unter dem Namen Marienkirche.
Ueberschreitet man die Kidronbrücke, und hält man am Fuße des Oelberges stille, so wird man staunend den Blick gegen Morgen auf Denkmale heften, die sich aus der grauen Vorzeit so gut erhalten haben, als die Pyramiden und Obelisken Egyptens. Es sind die Grabmale Absaloms, Josaphats und Zachariassen.
Das Grabmal Absaloms ist zum Theil aus dem Felsen gehauen; der thurmähnliche Aufsatz dagegen besteht aus Mauerwerk. Im Widerspruche mit der Ueberlieferung aber wurde, nach Flavius Josephus, zwei Stadien von Jerusalem dem Absalom eine marmorene Säule errichtet. Das Grabmal Josaphats, ein einziger, aus dem Felsen gehauener Stein, stellt ein kleines Häuschen vor. Schutt füllt fast das ganze Innere, welcher mit einem so geringen Aufwande wegzuschaffen wäre, und der mehr ein Denkmal auf die Trägheit der Zeitgenossen, als das Denkmal eines Verstorbenen zu sein scheint. Unverantwortlicherweise hält man es nicht einmal der Mühe werth, dasjenige recht zu betrachten, was die Urväter mit Anstrengung und Sorgfalt ausgearbeitet hatten. Nahe dem Grabmale[S. 73] Josaphats liegt jenes des Zacharias und an der westlichen Abdachung des Oelberges überhaupt eine Menge gehauener Grabhöhlen und jüdischer Grabsteine. Diese sind unförmliche Grabdeckel, höchstens an ihrer Oberseite glatt gemeißelt und mit einer hebräischen Grabschrift versehen.
Kenner stimmen mit einander nicht überein, ob die Grabmale Absaloms, Josaphats und Zachariassen wirklich jüdische seien. So lange dieser Hauptstreit nicht geschlichtet ist, bleibt es unerheblich, das erste, zweite oder dritte Denkmal nach Absalom, Josaphat oder Zacharias zu nennen. Niemand aber bezweifelt ihr hohes Alterthum.
Geht man vom Zionsthore links hinunter, steigt man an der Südostseite Jerusalems, gegenüber dem Dorfe Siloah, nicht hoch über dem Kidron einige Stufen in die Tiefe, schreitet man vorüber an dem baufälligen, kleinen, steinernen, einst von Säulen überragten Wasserbehälter, die vielleicht den Siloahthurm getragen haben; so bemüht man sich dann noch eine Treppe hinunter, und wen gelüstet oder dürstet, der darf nur sich neigen, um aus dem unverschlossenen, gänzlich in den Kalkfelsen greifenden Brunnen Siloah zu schöpfen und zu trinken. Ein Gang von zwei[S. 74] Fuß Breite, durchläuft er eine Ebene von dreihundertundsiebenzehn Schritten. Anfangs ist er zwei Mann hoch; nach zweihundert Schritten aber nimmt die Höhe ab, bis man zuletzt nicht anders, als auf beschwerliche Weise, mit geducktem Leibe, sich vorwärts bewegen kann. Schutt verhindert das weitere Vordringen gegen den Moriah. Das Wasser hat überall die gleiche Höhe von etwas mehr als einem Fuß. Die auftretende Sohle fühlt Sand und unter diesem den Stein. Der Gang wendet sich rechts. So erzählte mir der sonst nicht sehr verläßliche Führer, welchen ich zu diesem unterirdischen Spaziergange bewog.
Der über fünfhundert Fuß in den Kalkfelsen eingehauene Brunnen ist unstreitig ein ungeheures Werk. Der Tiefe und Breite nach verdient er kaum Erwähnung; allein wegen seiner beträchtlichen Länge enthält er einen Reichthum an süßem Wasser, das wohl auch vor Alters zu Bewässerung naher Gartenanlagen benützt worden sein mag. Wäre von den Alten ein solcher Gang unter dem Felsenbette eines Stromes getrieben worden, so würde er ein denkwürdiger Vorgänger des Londoner-Tunnel sein.
Ammann gedachte des Siloah-Brunnens mit mehr Bestimmtheit, als andere, die nach ihm denselben beschrieben haben: Unten an dem Berg Zion fleußt ein ziemlicher Bach aus dem Felsen heraus. Der Wege oder Gang dieses Wassers[S. 75] ist in den Felsen künstlich gehauen, daß man weit dem Wasser nach in den Felsen schliefen kann. Und fleußt dieses Wasser in den Felsen vom Tempel und der Stadt Jerusalem hinab. Auf der Höhe dieses Felsens soll auch der Thurm Siloah gestanden sein. Und gleich vor diesem Felsen gibt es ein klein Teichlein. Darinnen soll sich der Blinde im Evangelio gewaschen haben, da Christus zu ihm gesagt: Gehe hin, und wasche dich im Teich Siloah. So weit Ammann.
Zwischen dem Stephansplatze und dem Siloahbrunnen zeigte man mir noch eine Quelle unter dem Namen Marienquelle, vielleicht den Drachenbrunnen Nehemias.
Am Jaffathore gegen Mittag erhebt sich ein großer, alter Thurm, ehemals das Pisaner-Schloß, jetzt aber von den Wegweisern Davidsthurm genannt. Man verdeutete mir sogar das Fenster, durch welches der König David seine Augenweide an der sich badenden Bath Seba fand, obschon der Verfasser der Bücher Samuels (2, 11, 2) erzählt: Von dem Dache des königlichen Palastes sah David ein schönes Weib sich baden.
Nähert man sich von da dem Zion, so liegt links an[S. 76] der Gasse das Kloster der Armenier. Es gibt beinahe nichts Glänzenderes, als die Kirche desselben. Niemand unterbrach darin die feierliche Stille, kein Sterblicher war da, meine Aufmerksamkeit abzulenken, und so konnte man um so ungestörter sich ergehen an dem morgenländischen Prunke, an den edeln Steinen und Metallen, die überall zur Schau gelegt sind, und das Auge schier blenden. Es mag für die Morgenländer tief berechnet sein, daß die Priester ihre heiligen Stellen mit Dingen ausschmücken, welche einen mächtigen Eindruck auf die Sinne erregen. Dem kalt forschenden Verstande des Abendländers ist damit freilich wenig gedient, welcher auf höherem Standpunkte die Beschaulichkeit gerade von der Sinnlichkeit unabhängig machen möchte. Die Kirche soll über dem Orte aufgeführt sein, wo der Apostel Jakob enthauptet worden war. Man öffnete sie mir ohne alle Schwierigkeit.
Außer dem Zionsthore, gegen den Brunnen Siloah, sieht man einen Theil der alten Wasserleitung von Bethlehem, welche die Stadtmauer durchdringt. Von dem Thore kommt man beinahe eben bis zur Moschee und zum Spitale auf dem Zion. Man wird vielleicht diesen Worten mit Mühe Glauben schenken, und ich möchte nicht zürnen. Der Wegweiser mußte mir selbst an Ort und Stelle mehrmal betheuern, daß Zion der Zion sei, weil meine Ein[S. 77]bildungskraft so ungerne von einem Berge lassen wollte. Auch der ehrliche Ammann, welcher aufs allernaiveste die Risse des Kalvarienfelsens beschreibt, ging „fast eben hinaus auf den Berg Zion.“
Man will auf der Felsanhöhe die Hausstelle des jüdischen Hohenpriesters Kaiphas gleich vor dem Zionsthore noch wissen. Beinahe blindes Mauerwerk, ein armenisches Bruderhaus, sichert ihr bei den Gläubigen ein bleibendes Andenken. Einige Schritte weiter vorne und links gegen den Blutacker, näher der Gehinnonschlucht, steht eine Moschee und ein Spital, nach der dragomanischen Sage, am Platze, welchen die Burg Davids eingenommen und auf welchem Jesus das Abendmahl eingesetzt habe. Andere verlegen die alte Burg in die Mitte oben auf der Felsanhöhe, wo der Finger einiger Mauertrümmer in die inhaltschwere Vergangenheit hinaufzeigt. Gewiß ist, daß die Moschee und das Spital ein Kloster der Barfüßermönche war, woraus sie vor zwei Jahrhunderten von den Türken verjagt wurden. Wenig erquicken Grabsteine den ziemlich kleinen und eher öden Scheitel des Zions.
Mit gerührter Seele begrüßte ich den Ort, wo, nach den Ueberlieferungen, jene Psalmen gesungen wurden, die, voll religiöser Wärme, durch Jahrtausende tönten bis auf heute, und fortwährend noch so viele Gemüther mit Be[S. 78]geisterung für die Gottheit erfüllen. Wie denn, dürfte man fragen, konnte man in einer Gegend, welche im ganzen Umkreise das felsichte Trauerkleid trägt, zum Dichten der erhabenen Psalmen bewegt, wie angefeuert werden? Das Geräusch und der Glanz der großen Stadt in der Nähe mochten das Herz des königlichen Sängers, in welchem die Eindrücke des frühern Hirtenlebens noch nicht erloschen waren, zur kindlichen Einfalt und Frömmigkeit stimmen. Gihon und Gehinnon und Josaphat ziehen das Auge in die Tiefe; auf den Oelberg und den Berg des bösen Rathes muß es aufwärts im Fluge; es schwebt in der Furche von Mitternacht gegen Mittag, um darin vergebens nach dem Jordan zu spähen; es ruht auf dem fernen, bläulichen Gebirge des ostjordanischen Landes; jetzt steigt es in den azurblauen Himmel, ins Unendliche empor. Empfängt das Auge denn in der That nicht ein großes und großartiges Bild, dessen ganze Farbenfrische in ein reicheres Gemüth zurückgeworfen werden muß? Wenn in der Nähe die vielen Steine dem düstern Gefühle rufen, so leiht ihnen die Ferne eine gefällige Gestalt und Farbe, und in der weitesten Ferne, welche an den Himmel streift, träumt man sich gar schon die Herrlichkeiten des Ueberirdischen.
In der Stadt, links am Wege zur Stephanspforte und in der Nähe der letztern bemerkte ich einen ausgemauerten Wasserbehälter. Man nennt ihn den Teich Bethesda. Er stand einsam, und es sind um ihn die Kranken verschwunden, welche in demselben einst ihr Heil suchten. Kein Engel durchfächelt mehr den Spiegel des Wassers. Es scheinen die Bethesdaengel ins Abendland, zu den Priestern Aeskulaps entflohen zu sein. Durch die Stephanspforte und über den Stephansplatz erreichte ich bald Mariens Grabhöhle. Von da an aber ging es ziemlich gähe hinan, auf einem breiten Fußwege, kaum eine Viertelstunde lang bis zum Gipfel des Oelberges, welcher über ganz Jerusalem emporragt. Nicht die günstigste Stimmung bewirkt auf der Höhe ein arabisches Dorf elender Häuser mit Kothdächern. Ich sah am Wege ein Weib, wie es Mist in die Hand nahm, um damit eine Einfriedigung von Steinen zu beklecksen oder, wie es meinte, zu bemörteln.
Auf dem Oelberge verwahrt der Moslim den Schlüssel zu der Stelle, welche der Christ verehrt, nämlich zu der kleinen Moschee, welche über jene sich wölbt. Man erblickt[S. 80] in der Mitte derselben das Stück eines nackten Felsens, von dem aus Jesus in den Himmel gefahren sein soll. Vertiefungen des Steines gibt man für Eindrücke der Fußtritte aus.
Ich bestieg den Thurm der Moschee, um die Aussicht freier zu genießen. Ich brannte vor Begierde, Jerusalem, in der Tiefe gegenüber, zu überschauen. Von hier aus gewährt die Stadt einen angenehmen, merkwürdigen Anblick. Der Prachttempel Omars, groß und buntfarbig, unten grün, daneben gegen Mittag der Tempel der Präsentazion, nunmehr eine Moschee, und die Dome des Grabes Christi zeichnen sich vortheilhaft aus. Nördlich thürmt sich das Gebirge Ephraim auf, so die Berge Garizim und Ebal in Samaria; östlich zunächst liegt Bethanien weiter weg die Ebene von Jericho, dann die Senkung, welche das Thal des Jordans andeutet, und selbst ein kurzer, glänzender Streif dieses Flusses, so wie auch das obere Ende des Lothssees, im fernen Hintergrunde Peräa, ein Theil des Gebirges Gilead; südlich erheben sich die Anhöhen von Bethlehem, südlich und westlich das Hochland Juda. Wären auch die Gegenstände, über die man in wenig Augenblicken dahineilt, nicht voll hehrer Erinnerungen, so würde man die Aussicht köstlich heißen, und man scheidet ungerne von dem wahrhaft fesselnden Standpunkte. Der Oelberg,[S. 81] wiewohl er nicht eigentlich hoch ist, übertraf weitaus meine Erwartungen.
Unten am Wege auf den Oelhügel stehen acht ungemein alt aussehende Oelbäume, wie man versichert, im Garten Gethsemane. Es wachsen übrigens am Oelberge auch andere Oelbäume und auch Feigenbäume, aber in dünner Zerstreutheit, und die Steine maßen sich daneben so viel an, daß der Hügel eher über Unfruchtbarkeit klagt.
welche in Jerusalem und seiner Nähe gezeigt werden, will ich hier, nach den Mittheilungen der Führer, bloß in Kürze berühren. Der eine Dragoman weiß wohl auch etwas mehr, als der andere, und der dritte und vierte zu viel oder zu wenig.
Das zugemauerte goldene Thor unter der Omarsmoschee in der Stadtmauer; der Palast des Pilatus; die Häuser der heiligen Frauen, des Markus, Thomas, Jakob; der Bogen des Ecce Homo, der verfluchte Feigenbaum, die Schweißhöhle, der Jeremiasbrunnen; die Stellen, wo Jesus das Unser Vater lehrte, sein Todesurtheil voraussagte, wo er gefangen genommen wurde, wo er seiner Mutter, wo er den heiligen Frauen begegnete, wo er das Schicksal Jerusalems beweinte, wo er fiel oder sich auflehnte,[S. 82] und dadurch Gepräge auf dem Steine zurückließ, wo Petrus seine Sünden beweinte, dem Malchus ein Ohr abschnitt, und wo er gegeißelt ward, wo Simon genöthiget, das Kreuz aufzunehmen, wo Judas sich erhängte, wo Stephan gesteiniget wurde (der Stephansplatz zwischen dem Damaskusthor und der Kidronbrücke); das Lager der römischen Armee, als Titus Jerusalem belagerte, das Lager des Grafen der Normandie, das Quartier des Grafen von Flandern, di Paolo, Eustach Tankred, des Gottfried von Bouillon und des Grafen von Toulouse, u. dgl.
Wenn ich mich befleißigen werde, den Jerusalemer nach seinen körperlichen Eigenschaften hervorzuheben, so verstehe ich unter demselben hauptsächlich die Bauersleute der Umgebung, weil sie wohl das Bild der Vorältern treuer bewahrt haben werden, als der städtische Mischmasch.
Die Haarfarbe ist schwarz, die Hautfarbe weiß oder bräunlich; insbesondere macht sich ein schöner Anflug eines zarten Wangenroths bemerkbar. Rothe, blauäugige und blonde Leute gibt es selten. Der Körper eher groß, dabei gut und fest gebaut; das Zellgewebe mit ziemlich viel Fett. Die Stirne nicht sehr hoch und mäßig breit. Die Nase[S. 83] lang, gebogen, mit herabstehender Spitze und dünnen Flügeln, im Ganzen ziemlich groß. Die Lippen eher dünn und der Mund groß. Die Zähne schön. Das Gesicht spitzt sich, nach dem Umrisse eines Eies, von der Stirne nach dem Kinne zu. Das Ohr von mittelmäßiger Größe schließt sich dem Haupte an. Der Gang und überhaupt die Bewegung ist lebhaft, die Haltung des Leibes gerade. Die Weiber stehen den Männern an Schönheit nach. Vielleicht waren aber die schönen weiblichen Schätzbarkeiten verschleiert oder zu Hause. Aus den Augen der Männer, worunter bildschöne, strahlt eine ruhige Gluth. Ich sah nicht leicht etwas Ausdruckloseres, als den Blick und namentlich den halboffenen Mund der Frauen und Mädchen, welche sich vor dem Denken ordentlich zu fürchten scheinen.
Sie herrschen im Allgemeinen ungefähr so, wie in Alexandrien, wo sie bei meiner Ankunft aus Europa mich beinahe betäubten. Wenn ich in Alexanders Pflanzstadt über die Gasse ging, so überraschte mein Ohr eine Art Gerassel. Ich trat näher; es war eine Mühle; ein Thier mit verbundenen Augen trieb im Zuge das Mühlerad. Also traf ich es auch in Jerusalem. Ein Mann, in den Gassen Großkairos herumziehend, bemüht sich, mit einem[S. 84] Kruge unter dem Arme, die Aufmerksamkeit der Menschen dadurch zu wecken, daß er, zwei Schüsselchen auf einander schlagend, ein hohes Geklingel verursacht. Es ist ein Meth- oder Sorbetverkäufer. Also sah ich es auch in Jerusalem. Auch hier hockt man bei Arbeiten. Lange Reihen von Kameelen, eines oder zwei mit einer Klingel, schreiten gleichsam als lebendige Alterthümer durch die Stadt.
Eine besondere Würdigung verdient
Ich will die Kleidung des Weibes voranschicken; denn da dieses überhaupt so viel Werth auf sie setzt, so gebührt ihm doch wohl der Vorrang.
Das Weib trägt ein blaues Hemde (Leibrock), das bis auf die Fersen flattert, und dessen Aermel in ein langes, spitzes, frei herumfliegendes Band enden. Dieser Leibrock, welcher durch einen Brustschlitz angezogen und mit einer Binde um die Lenden gegürtet wird, ist die einfachste Kleidung. Zu der zusammengesetztern gehört ein gestreiftes Ueberhemde (Ueberrock), welches bloß bis an die Knie und mit den Aermeln bis an die Ellbogen reicht, so daß der Leibrock die Vorderarme und Unterschenkel allein deckt. Vorne gespalten, kann das Ueberhemde wie eine Jacke angezogen werden. Die Leibkleidung wird der Morgenländer[S. 85] nicht als unzüchtig bezeichnen, welcher kaum beachtet, daß sie einen Theil des Busens den Blicken nicht entzieht. Den Kopf verhüllt ein weißer Schleier, ein lumpiger bei der armen Klasse, ein grober und schmutziger bei der mittlern, ein feiner und zierlicher bei der reichen. Die Schleier bei der letztern sind ungemein groß, fallen über die Schultern, die Brust und den Rücken, und verlaufen in Spitzen über den Fersen. Dieser Kopfschleier vertritt die Hauben und Hüte der Europäerinnen. Die Christinnen tragen im Durchschnitte keinen Gesichtsschleier. Die Mehrzahl der Weiber geht barfuß. Sogar an ziemlich kalten Tagen des Christmonats sah ich viele über die schmutzige Gasse barfuß ziehen. Die Uebrigen gehen in Schuhen von verschiedener Form, die meisten in rothen mit langem Ueberleder. Dabei fiel mir das Schuhgestelle außerordentlich auf. Um nämlich die Schuhe, die im Morgenlande auf die Dauer nicht wasserdicht sind, trocken zu erhalten, befestiget man auf jede Sohle querüber zwei etwa vier Zoll hohe Bretchen, und man wandelt mit einer solchen Vorrichtung trocken des Weges. Allein dieses Gehen kostet Mühe, zumal auf den glatten und nassen Steinen der unebenen Gasse. Ein Weib ging so langsam auf den Schuhbretchen einher, daß es mir verleidet und ich beinahe lieber bis auf die Haut durchnäßt worden wäre.
Ohren- und Fingerringe nahm ich nicht wahr, wohl aber silberne oder messingene Spangen am Vorderarme. Für jene Ringe tragen indeß die Frauensleute andere Zierden, die so recht in den wilden Kram noch taugen. Gleich unter den Nasenöffnungen wird ein Fleck des Gesichtes auf jeder Seite blau gefärbt, und, die Wahrheit gestanden, es würde sich dies ohne weitere Zugabe nicht einmal sehr übel ausnehmen. Dann sitzt ein solcher Fleck auf der Stirne zwischen den Augenbraunen; oder zur Seite des Kinns die Figur ÷÷ oder mitten im Kinne ⸬; oder zur Seite der Mundwinkel ⁛ Eines oder Mehreres, wo nicht Alles zusammen, befremdet den Abendländer bald bei dieser, bald bei jener Frauensperson. Andere Beobachter könnten, wie ich nicht zweifle, noch mehr erzählen. Mir schien schon das Gegebene zu viel, selbst wenn die Punktirung eine sinnige Schrift vorstellen sollte. Es wäre für die Abendländer ein neuer Quell des Gewerbefleißes geöffnet, geriethen sie je auf den Einfall, Bücher an sich abzutatowiren oder auf Menschen Büchersäle zu bauen.
Der Mann trägt ein langes, vorne in der Länge gespaltenes, um die Lenden zugegürtetes Hemde meist von blauer Farbe. Das kürzere Ueberhemde steht am Vordertheile der Länge nach offen, und hat, wie dasjenige der Weiber, ebenfalls breite Streifen, z. B. von rother Farbe. Ich[S. 87] durfte mich ordentlich zusammenfassen, um die Tracht der Jerusalemer festzuhalten; denn in einer Stadt, wo so viel Trachten durch einander wimmeln, wird die Aufmerksamkeit gar leicht zerstreut. Bald ein polnischer Jude, bald ein russischer Edelmann, bald ein Grieche, bald ein Franke etc. mischen sich in das dem Landeseingebornen Eigenthümliche. Die Tracht europäischer Juden hat viel Gemeinsames mit derjenigen der Eingebornen; sie gewinnt unstreitig geschichtliche Bedeutsamkeit, und keinen Augenblick schwebe ich im Zweifel, daß die Israeliten des alten Testamentes sich ähnlich kleideten, wie die neuen Rabbinisten oder Talmudisten. Der Bauer des Landes trägt seinen üppigen Bart ungeschoren; hingegen lassen die meisten Städter bloß den Schnurrbart stehen und scheren den übrigen Bart, alle aber den Kopf. Der morgenländische Christ bedeckt sein Haupt mit einem Turban gleich andern Morgenländern. Man sieht rothe, grüne, weiße, blaue, bunte Turbane. Viele Mohammetaner haben, wie in Egypten, eine rothe Mütze (Fes) auf ohne Bund.
Seit Syrien unter egyptische Botmäßigkeit gebracht ist, wird es von Kriegern überschwemmt. Einzig und allein mit einer zahlreichen, bewaffneten Mannschaft vermag der[S. 88] Statthalter Egyptens die Syrier zu zügeln, auf daß sie ihm nicht abtrünnig werden. Es ist eine ausgemachte Sache, daß das Land unter der Last Pflastertreter schwer leidet. Es drängt sich die beherzigenswerthe Frage auf: Würde der Vizekönig nicht mehr besitzen, wenn er mit Egypten sich begnügt hätte?
Man kann sich auch in Jerusalem nicht bergen, daß die neue Ordnung der Dinge in Bezug auf Polizei sich aufs herrlichste bewährt. Ob aber das Alles sich halten werde, wenn einmal die Menge achtunggebietender und furchteinflößender, fremder Wehrmänner das unterjochte Land räume, liegt unenthüllt im Schoße der Zukunft. Freilich verheißt die Art und Weise, wie die Verbesserungen eingeführt wurden, nicht die sicherste Gewähr. Denn der neue Verwalter begann sie nicht von Grund und Wurzel aus; er trachtete nicht, die Hauptsache, in der eigentlichen Volksschule die Landeskinder in Kenntnissen vom Guten und Nützlichen mehr unterrichten zu lassen. Nur durch eine Schreckenherrschaft, vor der jedwedes menschliche Gefühl zurückbebt, verscheuchte er die Weglagerer, die Räuber, die Mörder. Diese unterlassen Frevel, Raub und Mord nicht, weil sie von Gott und dem Fürsten verbotene Handlungen sind, sondern weil sie vor der unausbleiblichen strengen Strafe zittern. Beseelte die feigen Syrier ein Gran Muthes, so[S. 89] würde die schöne Polizei des neuen Gebieters wie eine Seifenblase zerplatzen.
Strabo nennt die Bewohner der Gegend, woher ich gebürtig bin, Räuber, Streifhorden, und schildert in Beziehung auf Geistesbildung die alten Syrier zu ihrem Vortheile. Ich wandere nun in Palästina, und kann hier erzählen, daß bei uns die Sicherheit der Person und des Eigenthums auf einer sittlichen Grundlage, dem gewissen Zeichen der Entwachsenheit aus dem barbarischen oder rohen Zustande, ruht. Was würde der Kappadozier heute dazu sagen?
Um zu den Verbesserungen Mehemet-Ali’s zurückzukehren, so will ich nicht verhehlen, daß er eine neue medizinische Schule in Damaskus gündete. Man müßte indessen eine Binde vor den Augen haben, wofern man nicht die blutige Richtung selbst in dieser so menschenfreundlich scheinenden Maßregel erblickte. Zum Kriegen braucht man Leute, und sobald man Leute braucht, so muß es Einem daran liegen, daß sie am Leben erhalten werden.
Die Regierung Mehemet-Ali’s reibt sich an so manchen Gegensätzen: Ernst neben Spiel, Geschäftigkeit neben Faulenzerei, Geizen neben Verschwenden. Es verdient Erwähnung, daß selten einer der europäischen Angestellten die Regierung aufrichtig lobt. Wenn einige unbe[S. 90]stritten vom edeln Triebe zu Vermehrung der Kenntnisse in Künsten und Wissenschaften geleitet werden, womit sie einmal ihrem Vaterlande zu nützen hoffen; so verrichten dagegen die meisten ihre Geschäfte nicht aus Liebe zum Fortschritte auf dem geistigen Gebiete, sondern aus Liebe zu einer guten Bezahlung, nicht aus Liebe zur Regierung, sondern aus Liebe zu Ehr und Ansehen, zu einem bequemen und üppigen Leben vor einer reich besetzten Tafel, bei Weibern und auf der Jagd. Hat einmal der Mensch seine sittliche Spannkraft verloren, so bleibt er bloß noch ein sieches Schattengewächs. Ich kann nicht aussprechen, wie sehr mein Herz beklommen ward, wenn ich dem kalten, lahmen, maschinenmäßigen, selbstsüchtigen Gange der Regierung zusah.
So viel als allgemeine Bemerkungen über die egyptische Regierung. Sie sind kurz, wie die Prüfungszeit selbst war.
Begeben wir uns wieder zu den Heerschaaren, so führt der Faden der Beschreibung zur Bemerkung, daß ebenfalls Jerusalem von der egyptischen Plage, dem Militär, heimgesucht wird.
Ich hätte schon an andern Orten, voraus in Kairo, Gelegenheit gefunden, über die egyptischen Truppen ein einläßlicheres Wort fallen zu lassen. Ich bin dem Militär von jeher fremde geblieben, und was man am wenigsten versteht, berührt man am ungernsten.
Ich schilderte früherhin, daß, bei meinem wenig feierlichen Einzuge in Jerusalem auf dem müden, fast kniefälligen Esel, vor den Mauern der Stadt Truppen meine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Die Gewandtheit und Regelmäßigkeit bei ihren Waffenübungen überstiegen alle Erwartung. Wie der Künstler seine Bildsäulen in einer geraden Reihe aufstellt, so stehen die Wehrmänner neben einander, nur darnach schauend, was sie ablernen sollen, und darnach horchend, was man ihnen befahl.
Die Bewaffnung des Soldaten besteht in einem wohlgeputzten Gewehre, wozu ein Säbel und eine kleine Patrontasche gehören. Letztere trägt der Soldat an einem gelbledernen Riemen über dem Rücken, auf welchem er zugleich in einem Habersacke die nöthigsten Bedürfnisse nachschleppt.
Die Kleidung ist bald von weißem, bald von rothem, bald von anderfarbigem Zeuge. Pumphosen umgeben enge die Unterschenkel, und enden innen und außen halbmondförmig, dergestalt, daß die Bogenlinie nach unten gekehrt ist. Den Oberleib und den Hals umschließt genau eine vorne zugeknüpfte Weste, und von den Aermeln derselben werden die Arme klamm umspannt. Eine Bauchbinde hält die Hosen und deckt ihre Verbindung mit der Weste. Die Kopfbedeckung ist eine rothe (Fẻs) und darunter eine weiße Mütze (Tarbusch), welche letztere gewaschen wird. Strümpfe[S. 92] fehlen. Der Schuh hat ein sehr langes Ueberleder. Der Soldat bewegt sich in der ganzen Kleidung mit Leichtigkeit, nur in den Schuhen nicht. Niemand wird abredig sein, daß man in der Montur die fränkische und morgenländische Tracht mit Klugheit zu vereinigen wußte. Die egyptische Soldatenkleidung von grünem oder blauem Tuche nimmt, etwas Plumpes abgerechnet, sich recht gut aus. Indeß vermochten die Europäer ihren Einfluß noch keinesweges in dem Grade geltend zu machen, daß das Pfeifen und Trommeln nicht etwas Wildes, Türkisches verriethe. Noch mehr aber fällt auf, wenn der wachhaltende Soldat mit dem Gewehre im Arme niederhockt u. dgl.
Zur Nahrung erhält der Soldat für zehn Tage das Quantum Reis, Bohnen, Linsen und Butter. Fleisch bekommt er zweimal in der Woche, im Fastenmonat aber alle Tage nach Untergang der Sonne. Die Speisen kocht der Soldat sich selbst, und das Getränke mag er holen, wo er will.
Was die Ausrüstung anbelangt, so gibt die Regierung dem Gemeinen alle sechs Monate ein Paar Schuhe und Hosen, eine Weste (Jacke) und ein Hemde, alle Jahre dagegen die rothe Mütze, einen Kaputrock und einen Teppich zum Lager oder als Bettung. Die weiße Mütze, die Bauchbinde und etwa Strümpfe schafft er sich selbst an. Beim[S. 93] Eintritte in den Dienst wird er sogleich vollständig bewaffnet; er ist jedoch gehalten, die Waffen auf eigene Kosten auszubessern.
Der monatliche Sold des Gemeinen beträgt 14½ Piaster; es fallen somit auf einen Tag nicht einmal 4 Kreuzer R. W. Ueberdies wird der Sold auch in Syrien sehr nachlässig ausbezahlt. Zur Zeit war er schon vierzehn Monate im Rückstande. Und wenn noch die Bezahlung erfolgt, so macht sie nicht reinen Tisch, sondern sie tilgt bloß einen Theil der Schulden. Ueber nachlässige Zahlung wird allgemein Klage geführt, und mit ihr vorzüglich ist der Leichtsinn oder vielleicht gar die Nothwendigkeit des Schuldenmachens eingerissen. Einmal über das andere langweilt man sich mit der Frage: Wann wird der rückständige Sold ausbezahlt? Ich hörte übrigens nie, daß die Zahlung, mag sie auch noch so spät geleistet werden, je ausblieb.
Je geringer der Lohn ist, welchen der gemeine Söldner empfängt, desto glänzender werden die Offiziere besoldet. Ohne den Taib (gut, Vergütung, Entschädigung) zu rechnen, steigt die monatliche Besoldung eines Obersten auf 16 Beutel (Seckel); den Beutel zu 500 Piaster. Er kann somit täglich etwa 34 Gulden R. W. verzehren. Der General erhält monatlich 24 Beutel. Die Verleihung des[S. 94] Generalstitels hatte für Clot auch besonders in Beziehung auf das Einkommen eine vortheilhafte Seite. Dem Bataillonsarzte (medico maggiore) sind für den Monat 750 Piaster Sold, 140 Piaster Taib und überdies jährlich 1000 Piaster für die Ausrüstung ausgesetzt. Die Anstellung gewährt wenigstens das Bequeme, daß sie nicht bindet, weil zu jeder beliebigen Zeit die Entlassung angenommen werden muß, sobald man sie einreicht.
Die griechische Kirche liefert am meisten Pilger, nicht nur viel Griechen, sondern auch viel Russen, und die verschiedenen Trachten vergönnen einen ergötzlichen Anblick. Wenn der russische Krieger sein Blut in den Schlachten nicht gespart hat, wenn er schon nicht mehr fähig ist, die Waffe zu tragen; er kehrt doch nicht zur Ruhe zurück, es erwacht in ihm, statt des weltlichen, der religiöse Kampf, und er wallfahrtet nach Jerusalem, um mit seinen Heiligthümern einen Frieden, nicht für das Hienieden, aber für die Ewigkeit abzuschließen. Die Griechen, sogar arme, verlassen ihren heimathlichen Herd, um Gott ihre Dienste anzubieten. Würden sie sonst das Leben mit Kargheit dahinbringen, so scheuen sie die Auslagen für die Wallfahrt und den Aufenthalt nicht. Ich sage ausdrücklich: den Auf[S. 95]enthalt; denn die griechischen Priester reichen ihren Pilgern die Nahrung nicht auf Kosten des Klosters. Die Pilgrime müssen, wie verlautet, vielmehr froh sein, wenn ihre Seelsorger sich nicht von ihnen bereichern.
Lateinische Christen unternehmen die Pilgerfahrt ungemein selten. Zu ihrer Beherbergung ist das Kloster des Erlösers bestimmt. Freie Bewirthung, selbst auch für Protestanten, ward großmüthig vom Papste geboten. Unter den abendländischen Pilgern gibt es nicht lauter fromme, sondern auch solche, die von Kloster zu Kloster herumstreifen, und darin gut essen und trinken, damit die auf solche Weise zurückgelegte Prachtreise ihnen am Ende daheim zur Fundgrube eines müßigen Glückes werde. Ich kannte einen solchen Pilger, der durch ganz Palästina ohne einen Reisegefährten zu Fuß herumwandelte. Einen Andern traf ich in Ramle, später auch in Jerusalem. Ein Schlesier, sprach er deutsch. Ich erinnere mich kaum einer schmutzigern Kleidung, als dieser deutsche Gärtner trug. Man muß die Beweggründe zu seiner Reise hören, um den Gehalt des Mannes zu prüfen. Zweimal sei er auf den Tod krank gewesen, und habe zuletzt das Gelübde gethan, das heilige Land einmal zu besuchen. Mit nichts, als mit dem schmutzigen Hemde am Leibe, mit Hosen, einem Rocke, Hute, Halstuch und mit schlechten Schuhen, mit wenigen[S. 96] in Tücher verpackten Habseligkeiten, die er an einem Stocke auf der Schulter trug, durchstrich er das jüdische Land bis auf den Libanon, und zwar ohne Kenntniß des Arabischen oder Türkischen, des Griechischen oder Lateinischen, des Französischen oder Italienischen. Drei Tage hielt er sich in Damaskus auf, ohne den Namen der Stadt zu wissen. Heuchlerisch suchte er mich zu überreden, daß er auf einer abenteuerlichen Nachtreise das Zeugniß vom Kloster des Erlösers verloren habe. Weil ihm die Sprache abging, um sich den Mönchen verständlich zu machen, konnte er mich bewegen, daß ich mich für ihn als Dolmetscher verwendete, und die Patres waren gutmüthig genug, ein zweites Zeugniß auszufertigen. Mich erfüllte ein seltsam Erstaunen, als er mir später erzählte, daß er Alles erlogen habe. Es ist der Nämliche, welcher, nach eigenem Geständnisse, einen österreichischen Reisepaß sich zu erschleichen wußte. Ein Franzose ohne Habe, aber mit einer reichen Lügenzunge, ebenfalls ein Pilger, verwendete all’ seinen Witz, um mich zu betrügen. Der Umstand, daß ich immer schußfertig auf dem Anstande war, machte ihn gegen mich unmuthig und bitter. Solches Gesindel betet unter Kniebeugungen und Bekreuzungen an den heiligen Stellen, wo, nach den biblischen Urkunden, Christus für die Menschen sein Blut vergoß, und wo sein Leichnam ins Grab gelegt wurde.
Es ist zudem merkwürdig, daß derlei geldentblößte Leute, die sich gegen den Gastfreund mit einem Geschenke nicht erkenntlich zeigen können, am lautesten aufbegehren und die Unverschämtheit am weitesten treiben.
Die Speisen und Getränke sollen in den Klöstern des jüdischen Landes durchgängig sehr gut sein. Vorzüglich rühmt man die Freundlichkeit der Klosterleute auf dem Libanon und ihren köstlichen Wein.
Die heilige Stadt — welcher Wortmißbrauch. Man tadelt allgemein den Geist der Christen zu Jerusalem. Hier, wo man zum reinsten Christussinne aufgefordert werden sollte, wächst so viel Unkraut unter so wenig Waizen. Schlaffheit vertritt lebendiges Streben nach Wahrheit, Formenwesen geläuterte Begriffe, Pharisäismus religiöse Wärme. Man räumt dem Mohammetaner den Vorzug ein, ich glaube, mit Recht. Viele der verschiedenen christlichen Glaubensbekenner benehmen sich so unwürdig, daß man sich beinahe schämen möchte, ein Christ zu heißen. Eine weite Kluft unauslöschlichen Hasses gähnt zwischen den vielfarbigen Bekennern des Christenthums.
Die Griechen verdienen zuerst den Tadel. Um zu einem Zwecke zu gelangen, lassen sie keine Mittel unversucht. Man[S. 98] weiß kaum, wie man von Leuten denken soll, welche, wie die griechischen Priester, ausdrücklich berufen sind, Heiligthümer zu verehren, und an ihrem eigenen Heile zu arbeiten, und welche gleichwohl so viele Heillosigkeiten begehen. Daß sie vom Glauben an einen vergeltenden Gott durchdrungen sind, hält zu begreifen schwer, und wenn sie diesen Glauben noch hegen, so ist er ein schlechter, weil er mit der Annahme gepaart sein muß, daß der Glaube ohne Tugend selig mache. Ich will zwar nicht behaupten, daß es unter den griechischen Priestern nicht auch wackere Männer gebe; nur sind diese, nach übereinstimmenden Aeußerungen, nicht häufig.
Die lateinischen Priester sehen im Allgemeinen ziemlich alltäglich aus. Wenige liebten das lateinische Gespräche, und doch lesen alle die Messe in lateinischer Zunge. Freilich begnügen sich manche Menschen dieses Schlages, in majorem Dei gloriam auf der Oberfläche herumzuschwimmen, ohne daß ihnen der Gedanke beifällt, in der Taucherglocke vom Grunde die Schätze heraufzuholen. Ich darf kaum bemerken, daß die lateinischen Mönche gemeiniglich alle Andersgläubige bemitleiden, weswegen man mir wohlmeinend rieth, ja nirgends den Protestantismus durchblicken zu lassen. Der rothbäckige Verwalter rühmte eines Abends die Gastfreundschaft des Klosters mit den Worten,[S. 99] daß es alle Franken beherberge, klopfe ein Katholik oder ein — — — an. Ich verzeihe dem guten Pater eine solche wenig würdige Sprache, für die ich Gedankenstriche, als die geeignetesten Schriftzeichen in unserer Zeit, wählte. Vom Pater Superior, unter dem Titel Reverendissimus, spricht Jedermann mit Achtung.
Es befinden sich jetzt, wie man mich versicherte, zwei protestantische Missionarien, ein englischer und amerikanischer, in Jerusalem. Man lobt sie, und die protestantischen Fremden, wenigstens die Engländer, ziehen größtentheils ins Missionariat. Ich besuchte weder den einen, noch den andern. Hätte ich mich aber in der Stadt länger aufgehalten, so würde ich ihre Bekanntschaft gerne gemacht haben. Sie stehen, meines Wissens, mit den übrigen Christen in kaltem, jedoch in keinem feindlichen Verhältnisse.
Ich glaubte irrig die Ablaßstellen, wovon ich mehrere besuchte, wenigstens durch Kreuze bezeichnet. Ohne einen Führer würde man, im Geiste des Ablasses, sehr wichtige Stellen unbeachtet überschreiten.
Im Kloster des Erlösers lebt ein grauer Achtziger aus Mähren, Pater Vital. Mich verlangte, den Greis zu[S. 103] sehen. Ein schöner Mann mit blauen Augen, rosigem Wangenschimmer und gebeugtem Körper begrüßte mich mit der einnehmendsten Herzlichkeit. Mir wollte Jerusalem und seine Umgebung nicht gefallen, und ich fragte ihn um seine Meinung über das Leben in diesem Lande. „Ja, was ist es?“ antwortete er. „Man ist nun einmal da. Es muß gut sein.“ Der Sinn der Worte war leicht zu deuten.
Ich traf den Pater gerade in der Werkstätte. Er treibt im Kloster das Geschäft eines Apothekers und Arztes. Dazu ist er also noch Pater. Alle gute Dinge sind drei. Von der Werkstätte gingen wir in die Apotheke. Wenn nur das Halbe wahr ist, was an den Büchsen und Gläsern geschrieben steht, so besitzt sie einen reichen Schatz von Arzneistoffen, daß man sich in der That verwundern muß, wenn man die Lage Jerusalems in einer bildungsarmen Gegend berücksichtigt.
Die herrschende widrige Witterung machte mich ein wenig unpäßlich. Ich ermangelte nicht, dies dem Pater Vital zu eröffnen, zugleich aber die Bemerkung beifügend, daß ich ein Arzt sei. Ohne irgend zu untersuchen, trug mir der Mann Gottes einen Schnapps Rosoli aus der Apotheke mit einer Schnelligkeit und Zuversicht an, daß ich unwillkürlich auf die Vermuthung geführt wurde, es mögen hin und wieder die Klagen eines Preßhaften mit diesem[S. 104] leckern Safte beschwichtiget werden. Ich verbat mir dieses Mittel darum, weil es mein Uebelbefinden nothwendig verschlimmern würde. So mag denn hier die Arzneigeberei beschaffen sein. Schnappskuren wären gar zu schmackhaft[3].
Ich hatte eben kein fürstliches Aussehen, und ich kann mir es wohl erklären, wenn man mir nicht aller Orten die beßten Zimmer anwies.
Ich habe früher die freundliche Aufnahme von Seite des Klosterverwalters erwähnt, und diesmal bloß nachzutragen, daß er dem Klosterbedienten Elias zu verstehen gab, er solle mir ein kleines, doch gutes Kämmerlein einräumen, weil man die andern Zimmer für die hohen Personen, die man eben erwarte, bereit halten müsse.
Mein Zimmer, mit einem Bette, Tisch und Sessel, war durchaus schlecht, ohne Fenster, nicht einmal mit gut schließenden Läden, und eine Oeffnung über der Thüre hatte gar keine Vorrichtung zum Sperren. Lustig pfiff der gefällige Wind, die zum Theil schlaflosen Nächte mir zu[S. 105] vertreiben. Es scheint allenthalben dafür gesorgt, daß die Welt zum Himmel hinauf lacht. Wäre es nur nicht ziemlich kalt gewesen, ich würde die Orgeltöne des Windes noch süßer gefunden haben. Beim Schreiben war ich in einen Mantel, die Füße in eine wollene Decke gewickelt, und dennoch konnte ich mich auf diese Art mit genauer Noth wärmen. Die Ueberzeugung wurzelte in mir fest, daß ich in einem solchen Zimmer von meiner Unpäßlichkeit nicht genesen könne, und daß ich daher auf die Abreise dringen müsse, wenn mir anders die Gesundheit am Herzen liege.
Die Schattenseite des Lebens bietet doch ungemein viel Abstufungen dar.
Auf dem Meere dachte ich: Wenn ich nur zu Lande wäre, ich wollte zufrieden sein.
Bei den Pyramiden von Memphis dachte ich: Wenn ich nur wieder unter Franken wäre, ich wollte zufrieden sein.
Und in Kairo dachte ich: Wenn ich nur wieder in einem kältern Himmelsstriche wäre, ich wollte zufrieden sein.
Und in der Wüste dachte ich: Wenn ich nur wieder auf bewohnten Boden meinen Fuß setzen könnte, ich wollte zufrieden sein.
Und in dem Gefängnisse unter dem Zelte dachte ich: Wenn ich nur wieder ein vor dem Regen schützendes Zimmer und die Freiheit hätte, ich wollte zufrieden sein.
Und beim beschwerlichen Ritte von Gaza dachte ich: Wenn ich nur einmal wieder Ramle erreichte, oder wenn mir nur wieder die Bequemlichkeiten des Schiffes auf der See vergönnt wären, ich wollte zufrieden sein.
Wie vielmal wollte ich zufrieden sein, und wie vielmal war ich es nicht? Das kann sich so fügen: Im Augenblicke, da man eine Widerwärtigkeit fühlt, erscheint sie am größten; die vergangene tritt in dem Grade kleiner vor die Seele, als ein Gegenstand vor das Auge, der sich immer weiter entfernt.
Billig stimme ich in das allgemeine Lob auf die gute Bewirthung des Klosters. Die Speisen waren alle schmackhaft. Mir that es wehe, daß ich die in einem zinnernen Becher mir zugereichte Porzion weißen Wein wegen meiner eine strengere Lebensweise gebietenden Unpäßlichkeit nicht ganz trinken durfte. Ich kostete noch keinen edlern Wein, und ich nahm davon sogar als Arznei auf die Reise mit. Nach der Versicherung des Klosterbedienten wächst er in Bethlehem.
Zu den Sehenswürdigkeiten ist ein Führer vonnöthen. Wendet man sich — das Vorzüglichste, das man thun kann — ans lateinische Kloster, so wird es für einen Dragoman sorgen.
Die Kirche des Christusgrabes ist nicht immer offen. Deswegen muß man im Kloster darnach fragen, wann sie aufgeschlossen werde, um nicht vergeblich sich hin- und herzutreiben. Diese Kirche zu sehen, soll das erste Augenmerk sein. Zu ihrer Aufsuchung wird kein Führer gerade nothwendig. Es weiß den Tempel Jedermann. Viele auf der Gasse verstehen italienisch. Doch in der Grabeskirche selbst bedarf man einiger Anleitung.
Man schlägt mit dem Führer folgende Wege ein:
1) Um die Stadt. Durch das Thor von Damaskus zur Jeremiasgrotte. Dann zu den Gräbern der Könige. Nun richtet man sich gegen das Josaphatsthal; man überschreitet die Kidronbrücke. Jetzt nach einander die Grabhöhle Mariens und der Apostel, sowie der Garten Gethsemane. Hernach auf den Oelberg. Herab zu den Gräbern Absaloms, Josaphats und Zachariassen. Zurück über den Kidron. Unter dem Moriah (Moschee Omars) die Brunnen, insbesondere derjenige Siloahs. Auf letzterem Wege lasse man sich das blinde Thor des, wie man vorgibt, ehemaligen Salomonstempels zeigen. Jetzt ersteige man den Zion; die Hausstelle des Kaiphas und die Stelle der Davidsburg. Das Alles wird man ohne Hinderniß besuchen können; einzig die Mariengruft ist meist gesperrt. Es genügt, daß der Führer sie einmal[S. 108] weise. Man fragt, wann sie offen sei, und man macht allein einen Spaziergang dahin, da sie sehr leicht zu finden ist. In das Dunkel der königlichen Gräber und des Siloahbrunnens muß man sich leuchten.
2) In der Stadt. Wir waren schon in der Kirche des Christusgrabes. Unweit von hier glaubt man den Palast des Pilatus; man gehe durch die sogenannte Schmerzensgasse bis zum vorgeblichen Palast des Herodes und zum sogeheißenen Kerker Christi. Von da begibt man sich in die Nähe der Omarskirche, die man doch von außen ein wenig besehen kann.
Der Führer wird nicht umhin können, mannigfaltige Erinnerungen und Erzählungen, z. B. von heiligen Eindrücken in Steinen, von Häusern heiliger Weiber und Männer, an die Wege zu knüpfen. Ich geleitete bloß zum Sehenswürdigsten.
Bei guter Witterung wird man in einem Tage, bei schlechter in zwei Tagen zuversichtlich allenthalben herumkommen.
So wenig der erste Anblick der Stadt meiner Erwartung entsprach, so tief, ich muß es laut gestehen, wurde sie beschämt, als ich anfing, die Denkwürdige mit Auf[S. 109]merksamkeit zu zergliedern. Wenn auch nicht der Buchstabengläubige und der ungestüme Zweifler, so kehrt doch der ruhige Prüfer aus der gefeierten Stadt zurück. Jerusalem verdient mit vollem Rechte von dem Alterthumsforscher, zumal aber von dem Israeliten und Christen, besucht zu werden. Es erscheint nicht wenig auffallend, daß hier die Nachgrabungen, um Alterthümer zu entdecken, nicht nach einem durchgreifenden Plane, wie an so manchen andern, geschichtlich vielleicht weniger wichtigen Orten veranstaltet werden. Es liegt über allen Zweifel hinaus, daß der Nachgrabende in Jerusalem mannigfaltige Schätze der Vorwelt hervorziehen würde, die zu Erklärung des alten und neuen Testamentes ungefähr so viel beitragen könnten, als das ganze Heer von Stuben- und Schriftgelehrten seit Jahrhunderten wirklich dazu beigetragen haben. Es versteht sich wohl von selbst, daß, um so zu sagen, keinerlei heilige oder unheilige Besorgnisse von den Nachgrabungen abhalten dürfen. Die Wahrheit ist in der That heiliger zu achten, als daß es erlaubt wäre, auf das Erforschen derselben zu verzichten, weder den Einen, weil sie etwa fürchten, daß der neue Fund den bisherigen Glauben schwäche, noch den Andern, weil sie besorgen, daß er ihn stärke.
Holperiger Weg; das unscheinbare Elias mit einer reizenden Aussicht nach Jerusalem und Bethlehem; Rahels Grab; in Bethlehem Pfützenreichthum, das Franziskanerkloster, der Stall und die Krippe; die Bethlehemiten und Bethlehemitinnen; zu Fuß nach Jerusalem zurück.
Durch die Erzählung der Unannehmlichkeiten mit einem Eseltreiber will ich Niemand belästigen; man hat manchmal mit solchen Leuten so viel Mißliches, daß man beinahe das alte Gebot zurückwünschen möchte, nach welchem den Christen untersagt war, in und um Jerusalem zu reiten.
Ich ging durch das Jaffathor, wendete mich links über das Thal Gihon, und bald war ich auf der Thallehne Hinnon, Jerusalem gegenüber und mit diesem ungefähr in gleicher Höhe. Der Anblick der Stadt verheißt von hier aus nicht viel; kaum zeichnet sich der Zion aus.
Der holperige Weg gleicht unsern Bergwegen. Die Leute lassen sich die Mühe reuen, ein kleines Sträßchen anzulegen, so leicht es wäre. Man hat nicht ganz Unrecht, vom Zustande der Straßen auf die Bildungsstufe der umwohnenden Menschen zu schließen.
Jetzt bekam ich über dem Hinnon einen Esel. Ich ritt durch eine Ebene in der Richtung gegen Mittag. Wo[S. 111] dieselbe zu einem langen, von Abend gegen Morgen oder gegen das uneigentlich sogenannte todte Meer streichenden Hügel aufschwillt, liegt in der Mitte und auf dem Rücken selbst das griechische Kloster des Elias: wenig vorstellende Mauern, welche schwerlich ein Abendländer für ein Gotteshaus ansähe. Das reizlose Aeußere mag der Lüsternheit des Beduinengesindels am beßten wehren. An dem Eliaskloster vorüber, und auf dem Scheitel des Hügels erweitert sich die Aussicht nach Mittag und Mitternacht. Rückwärts nimmt man Abschied von Jerusalem, und vorwärts gegen Mittag begrüßt man Bethlehem, welches wie an einen Abhang gekleibt ist. Im Glanze der Abendsonne fiel dasselbe vortheilhaft ins Auge. Es scheint hier sehr nahe, und doch haben wir erst die Hälfte des Weges am Rücken. Vom Lothssee erblickt man nur ein kleines Silberdreieck, welches von Gebirgen des ostjordanischen Landes majestätisch überragt wird. Zwischen dem Eliaskloster und Bethlehem steht an dem, von Elias aus, sehr unebenen Wege rechts, nach der Ueberlieferung, Rahels Grab unter einer mohammetanischen Kuppel.
Man kommt vor Bethlehem gerne aus der steinichten, mehr oder minder öden Gegend in eine gewächsreichere, worin wenigstens Rebe und Feige und Kohl gedeihen. Unter einem Gewölbe hindurch tritt man ins Dorf. Kaum weiß[S. 112] man vor Wasser und Schlamm, wo man den Fuß hinstellen darf.
Bethlehem, an der nördlichen Abdachung eines Hügels, gewährt keine erhebende Aussicht. Den zwar gut gemauerten Häusern mangeln Fenster.
Im Franziskanerkloster stieg ich ab. Der Pater Guardianus, ein einsichtiger und kenntnißreicher Mann, empfing mich mit Freundlichkeit, und es wurde mir ein gutes, großes Zimmer angewiesen. Abends ereilte mich das Mißgeschick, von der Prozession, mit brennender Kerze in der Hand, gleichsam fortgerissen zu werden. So gerne würde ich mit einem Führer allein und in der Stille den Ort, wo, der Ueberlieferung zufolge, Christus geboren ward, besucht haben. Es ist diese Stelle, unmittelbar unter der Kirche, von einer köstlich gezierten Kapelle überwölbt. Als die Patres in diese herabgestiegen waren, sanken sie in Demuth auf die Kniee, und erhoben die Stimmen des Gebetes. Der Guardian schenkte mir die Aufmerksamkeit, daß er mir ein gedrucktes lateinisches Büchlein mit den Gebeten einhändigte, welche vor jedem Altare verrichtet werden. Wer würde auf dieser Stätte sich nicht in ernste Betrachtungen vertiefen? Welche große Eröffnungen sind, nach dem Glauben der Christen, von dem Manne ausgegangen, dessen Geburtsstätte vor meinen Augen lag („hic de virgine Maria Jesus Christus[S. 113] natus est“). Aber auch welches Unheil erzeugte der Aberwitz, welcher mit Herrschsucht im Reiche der Meinungen sich in den Sinn der Worte unsers großen Meisters hinaufwagte? Wie lange noch bleibt es bloß frommer Wunsch, daß nur einen Hirten eine Heerde umgeben möchte? Man zeigt auch die Krippe, welche zum Lager des neugebornen Kindes gewählt worden sein soll. Außer der Geburtskapelle wallt man in mehrere Höhlen, worin die fromme Erinnerung Altäre und Grabmale gebaut hat, einen z. B. auf Hieronymus, einen hochwürdigen Mann. Es ist von einem Engländer behauptet worden, daß, im Widerspruche mit den Urkunden, die Geburtskapelle unterirdisch sei. Ich möchte dieser Behauptung aus guten Gründen nicht beipflichten. An der Baustelle des Klosters schießt der Boden der Erde gähe ab, und wenn der Boden der Kirche in ebener Linie durchgeführt wurde, so konnte der Stall den Raum zwischen dem Erd- und Kirchenboden einnehmen.
Das Kloster ist ziemlich groß; seine Mauern sind so dick und massiv, wie die einer Festung. Großen Schaden litt es letztes Jahr durch ein Erdbeben, und eben war man mit Verbessern des Gebäudes beschäftiget. Mehrere Mädchen gingen aus und ein, um die Maurer zu bedienen. Diese, wie andere Bethlehemitinnen gewannen in meinen Augen nicht den Preis der Schönheit, welchen Reisende ihnen zudachten.
Die Bethlehemiten sind lauter Christen, und zwar beinahe alle lateinische, nur in geringer Zahl griechische. Aus ihren Gesichtern sprechen die Züge von Schlaffheit, Schlauheit, von Niederträchtigkeit. Ich verdanke dem Pfarrer des Klosters, einem Spanier, die Mittheilung, daß im verwichenen Jahr 122 (lateinische) Kinder geboren wurden. Die ganze Gemeinde von Bethlehem nähert sich der Zahl von 4000. Im laufenden Jahre starben binnen fünfzehn Tagen über 40 Kinder an den wahren Menschenpocken und bloß eine erwachsene Person.
Es werden in Bethlehem sehr viel heilige Dinge, meist aus Perlmutter, gearbeitet. Kurz nach meiner Ankunft begab sich zu mir ins Zimmer ein Bethlehemit mit einer Menge Kruzifixe, Marienbilder, Rosenkränze u. s. f., wovon ich mehreres einkaufte.
Zu spät in Bethlehem, das zwei leichte Wegstunden von Jerusalem entfernt ist, eingetroffen, blieb ich daselbst über Nacht. Ich rühme billigermaßen die freundliche Bewirthung und den guten Wein; nur war es mir unangenehm, daß ich, in Berücksichtigung meiner Gesundheit, nicht nach allen aufgetragenen Speisen langen durfte.
Am folgenden Morgen wollte ich zu Fuß zurückkehren; allein man — — —. Ich wußte zum Glücke noch, daß ich nicht weit von meinem Kopfe Füße habe, und ohne[S. 115] Worte zu machen, trat ich den Rückweg an. Meine kurze Fußreise war ein Lustwandel, während dessen ich die Gegend mehr genoß, als es bei einem Ritte hätte der Fall sein können. Und Gewinn war schon der lebendigere Gedanke, daß Tausende und Tausende von Menschen vor längst verflossenen Jahrhunderten von Bethlehem nach Jerusalem zu Fuße einherwandelten, wie ich nun dahin ziehe. Verläßt man das Dorf Bethlehem, so schaut linker Hand oben das Kloster Johannes auf uns herab. Ungefähr auf der Hälfte Weges holte ich Gesellschaft ein, nämlich einige Marktweiber, welche auf dem Kopfe Holzreiser trugen. Nicht sehr lange aber hielten sie Schritt mit mir; es war eine Strecke über Elias, als ich sie verließ. In dem ungestörten Besitze meiner Gedankenwelt, in der frohen Vergegenwärtigung der Vorzeit, welche der alte Boden unter meinen Füßen heraufbeschwor, ging ich wieder meines Weges allein, wie vor Bethlehem, und ohne irgend ein unangenehmes Begebniß erreichte ich Jerusalem.
Obgleich ich den Lothssee, in den sich der Jordan ergießt, ohne daß er einen sichtbaren Ausfluß hat, nicht selbst besuchte, so scheint es mir doch am Platze, mitzutheilen, was ich zu wiederholten Malen erfuhr, daß dieses[S. 116] gefürchtete Wasser, in dessen Nähe Tacitus ein großes Naturereigniß (Kräuter der Wiesen und Saaten des Feldes verwandelten sich gleichsam in Asche) verlegte, im Sommer des Jahres 1834 von einem Engländer (vielleicht vom Irländer Carnagan) beschifft wurde. Er ließ von Jaffa einen Kahn hinüberschaffen, und mit einem Bedienten beschiffte er den See. Der Unternehmer starb nach der Seefahrt; der Bediente aber lebt noch. Die übrigen Mähren zu erzählen, will ich am liebsten schuldig bleiben.
Abermals allein gereist; der Regen des heiligen Landes behagt mir nicht; Beschwerden vom Reiten her; ein Araber, der ein Huhn verloren, redet mich auf italienisch an; Nachts in Ramle; Clausura per le donne, quoique und parceque; durch die Ebene Saron mit nassem Sack und Pack; bald in Jaffa.
Freitags den vierten Christmonat schied ich von Jerusalem. Den Rückweg bis Ramle kennen wir. Ich bemerke bloß ein paar Dinge:
Ich reiste abermals allein, nach der goldenen Regel: Lieber keine, als eine schlechte Gesellschaft. Ein Franzose, dem ich mich anheischig machte, die Reise nach Jaffa zu bezahlen, wenn er die Merkwürdigkeiten Jerusalems mir[S. 117] zeige[4], sollte zwar mitreisen; weil er aber ein Trunkenbold und ohnehin ein unzuverlässiger Mann war, so zog ich vor, ihn vorangehen zu lassen. Daher kam es, daß ich über das Gebirge bloß einen Araber, den Führer, zum Gefährten hatte.
Erst gegen eilf Uhr Mittags verließ ich das Neuhaus, nachdem ich den Führer lange umsonst erwartet hatte. Daraus erwuchs mir der Nachtheil, daß gerade schlimme Witterung sich einstellte, die sich während des ganzen Zuges über das Judengebirge wirklich sehr unordentlich aufführte. Der Regen goß in Strömen hernieder, indeß dann und wann der Nebel in seiner gespenstergrauen Farbe herumschlich. Einmal wollte ich mich gerade in einer tiefen Gebirgsschlucht trocken decken. Ich entfaltete den Polster, auf dem ich saß, um mich in denselben, wie in einen Mantel, zu hüllen. Naß, müde, ja halb krumm unter der Regentraufe und für den Augenblick der Besinnung gleichsam bar, legte ich den durchnäßten Deckmantel, den ich bisher trug, auf den Sattel. Nun wurde ich natürlich auch da, wo ich bis jetzt trocken blieb, benäßt. Um das Maß der Unannehmlichkeiten zu füllen, trat noch ein anderer übler Umstand hinzu. Der[S. 118] Sattel des Thieres war ungebührlich breit und überhaupt schlecht, so daß mein rechtes Bein roth und blau sich rieb[5].
Von der Bergreise will ich noch eine Begebenheit berühren. Es kamen Araber entgegen, welche mit Hühnern beladene Esel vor sich hin trieben. Einer derselben fragte mich auf italienisch, wie viel Uhr es sei. Ohne anzuhalten, antwortete ich: Non sò (ich weiß es nicht). Ich möchte mich für den Verdacht nicht bestimmt erklären, daß der Fragesteller gerne meine Uhr gesehen und als gelegene Beute mitgenommen hätte. Verdacht wäre sonst um so gegründeter, als die Uhren oder die Werkzeuge zur Zeitmessung unter den Arabern, insbesondere unter den Beduinen, als eine große Seltenheit gelten, weil sie das Bedürfniß künstlicher Zeitmessung in ihrem, dem Naturzustande nahe stehenden Leben bereits gar nicht fühlen. Schon waren die Araber wenige Schußweiten von uns entfernt, als ich ein Huhn, unzweifelhaft einen verlorenen Theil der Ladung, am Wege daliegen sah. Ich war im Begriffe, die Araber, als die höchst wahrscheinlichen Eigenthümer, zu rufen; allein der Grund überwog, den verdächtigen Burschen nicht gleich[S. 119]sam die Hand zur Rückkehr zu bieten, und mein Führer unterließ beides, zu rufen und das Huhn für sich aufzuheben.
Kaum recht aus dem Gebirge, kaum die Ebene von Ramle vor den Augen, und die Nacht ließ ihren dunkeln Vorhang vor mir, dem bis auf die Haut Durchnäßten, fallen. Mich fror es inzwischen nicht eigentlich; denn die Witterung, auf den Bergen und dem Niederlande so verschieden, wie dort Tag und hier Nacht, war jetzt lieblich, gleich dem milden Blicke unschuldiger Kinder. Ein Regenbogen beim Mondesscheine (erstes Viertel) entzückte mich zum ersten Male.
Ich langte wiederum Nachts in Ramle an. Ich nahm schon deswegen die Einkehr im lateinischen Hospiz, weil ein Theil meines Gepäckes dort zurückblieb. Es wäre ungerecht, wenn ich das Nachtessen tadeln wollte; aber zur Schmeichelei werde ich ebenso wenig hinunterkriechen, daß im Hospiz Reinlichkeit an der Tagesordnung sei. Bei uns speiset mancher Bettler mit einem saubern Löffel, mit einem reinern Messer und einer gefälligern Gabel, als der Reisende in diesem mönchischen Gasthause. Ueber einem Gange steht, wie im Erlöserkloster zu Jerusalem, in italienischer Sprache geschrieben (clausura per le donne), daß den Frauen der Eintritt verboten sei. Ganz wohl; denn die[S. 120] unreinlichen Männer müßten sich vor den Weibern schämen, die in der Küche nach einem bessern Geschmacke sich einzurichten wissen.
Den 5.
Mit nassen Hand- und Druckschriften im Felleisen und selber noch nicht in trockenen Kleidern, setzte ich, bei guter Witterung und in Gesellschaft eines Militärinstruktors, eines italienischen politischen Flüchtlings, den Weg fort nach Jaffa durch eine ausgedehnte Ebene, die Saron, welche mit dem Brautgewande des Lenzes geschmückt war. Man erblickt die Küstenstadt schon in einer Stunde Entfernung von einer sanften Anhöhe aus, wodurch die Saronebene beinahe nichts Nennenswerthes an ihrer Einförmigkeit verliert. Gleichsam zur Entschädigung dafür belebt vor den Mauern der Stadt den Ankömmling der angenehme Geruch üppiger Gärten, worin Goldäpfel die Bäume beschweren. Vor Mittag schon ritt ich durch das Thor von Jaffa.
Von Gaza bis Ramle sind zwölf Stunden zu Fuß, von Jerusalem bis Ramle ebenso neun Stunden und von hier bis Jaffa viertehalb Stunden.
Das heutige Jaffa, das Joppe der Bibel, ist größer, als eine Abbildung es mir vorstellte. Es liegt am Meere auf einem Hügel, den es vollständig umhüllt. Von Mitternacht aus, auf dem mohammetanischen Gottesacker, genießt man den günstigsten An- und Ueberblick, und die vielen Kugeldächer rufen Gaza ins Gedächtniß zurück. An die Stadtmauern sind inwendig die elendesten Hütten gebaut.
Die Mohammetaner haben zwei Moscheen. Die eine, mit einem niedrigen Thurme, steht unten am Meere, einige Schritte vom armenischen Kloster; die andere, größere oben im nördlichen Stadtviertel. Daneben in Mitte des Doppelthores, welches auf das Land führt, spendet ein prächtiger Brunnen sein erfrischend Wasser, wovon auch die christlichen Pilger fleißig holen. Die Gassen sind unregelmäßig, enge, löcherig, in der Regenzeit schmutzig. Die Hauptgasse streicht einerseits an dem griechischen, lateinischen und armenischen Hospizium, andererseits an dem Hafen als Kai vorbei, und gegen Mitternacht eben davon bis zur kleinen Moschee. Hier biegt sie sich um, und steigt neben Handwerks- und Kaufbuden ein wenig gähe hinan, um sich in[S. 122] einen kleinen, ziemlich ebenen Platz zu öffnen. Hier herrscht besonders viel Regsamkeit, schon der Fleischbänke willen. Von diesem Marktplatze ziehen gegen Morgen drei Gassen: die eine zu den Getreideläden, einem großen Kaffeehause und zur großen Moschee; die andere und mittlere zum Thore auf das Land; die dritte als Nebengäßchen zur Stadtmauer. Neben der Hauptgasse, deren Richtung dem lateinischen S am nächsten kommt, öffnet sich eine enge Gasse in den Marktplatz, welche erst gähe zu dem auf der Höhe der Stadt oder des Stadthügels liegenden Festungsschlosse hinauf-, von diesem aber herabsteigt. Die Gassen auf dem Gipfel und im südlichen Theile der Stadt sind, mit Ausnahme der letztern Gasse, ziemlich menschenleer, und verdienen auch keine nähere Würdigung.
Der Hafen, wenig Rührigkeit darbietend, ist eher eine Rhede, schlecht und klein, von Klippen umfangen, für größere Schiffe unzugänglich. In der Rhede lagen bei meiner Ankunft fünf Schiffe vor Anker; auf offener See in viertelstündiger Entfernung eine griechische Brigg[6].
Wie soll ich muthmaßen, daß die Stadt von 5000 Menschen bevölkert sei? Ich bin, wie in Jerusalem, so[S. 123] auch hier mit nackten Muthmaßungen über die Zahl der Bevölkerung, ohne über sichere Angaben gebieten zu können, selber vielleicht am meisten unzufrieden, und ich würde diese mit großem Vergnügen verzeichnen, wären sie nur erhältlich gewesen. Haben die ungefähren Ansichten von der Volkszahl weiter keinen Werth, so mögen sie doch als Wink dienen, andern Angaben nicht sicher zu vertrauen. Die Anzahl der Christen ist nicht geringe; die Lateiner und Maroniten zählen aber bloß 340 Seelen. Die Christen bewohnen den untern oder Hafentheil der Stadt, in welchem am Sonntage viele Läden geschlossen waren.
Ich will keine Geschichte von Jaffa liefern; nur kann ich mich nicht enthalten, drei Schriften aus der jüngern Vergangenheit Auszüge zu entheben.
„Jetziger Zeit“ (1581), sagt Salomo Schweigger, „ist keine Behausung mehr vorhanden, denn auf einem nicht gar hohen Berge zwei Gebäu, groß und weit, ziemlich stark. Darinnen eine türkische Besatzung etlicher Araber von wegen der Anlände aus Egypten. Sonst sieht man am Berge etliche alte Gewölbe. Die meiste Waare, so dahin gebracht wird aus Egypten, ist Salz und Reis. Dagegen ladet man Oel. Haben derhalb keine Herberg funden,[S. 124] sondern mußten unterm freien Himmel für gut nehmen im Sande zunächst am Meere.“
Vernehmen wir de la Mottraye: „Nach einer Fahrt von sechszehn Tagen und nach verschiedenem Ungemach kamen wir den 19. Merz 1697 auf der Rhede vor Jaffa an. Dieser Ort ist von so vielen Reisenden beschrieben, daß ich mich der Mühe überheben kann, eine neue Beschreibung davon zu geben, zumal da derselbe jetzt kaum mehr den Namen eines Dorfes verdient. Von dieser uralten Stadt ist nichts mehr übrig, als ein großer, halb eingefallener Thurm, und zwei kleinere, die noch ganz sind, auf dem Gipfel eines benachbarten Berges, und einige in den Berg gegrabene Höhlen; denn Häuser sind es wahrlich nicht. Nur eine Herberge für den Fremden, welche den Namen eines Hauses verdient, steht am Ufer des Meeres. Der Hafen ist nicht sonderlich, und wird, aus Mangel der Unterhaltung, von Tage zu Tage schlechter. Einige Spuren von dicken, wohl zämentirten Mauern, die nicht weit vom Ufer aus dem Wasser hervorragen, scheinen die Ueberbleibsel eines Dammes oder Molo zu sein, der noch heutzutage sehr nützlich sein würde, um den Nordostwind abzuhalten, welcher die Gebäude hier ziemlich in Gefahr setzt, wenn er heftig weht.“
Jonas Korte fand vor bald einem Jahrhunderte (1738)[S. 125] in Jaffa ein Haus, Hospiz genannt, worin beständig ein Pater und Frater vom Franziskanerorden sei, und sagt dann weiter: „Das Hospizium, darin ich war, gehört auch den Patribus de Terra Sancta. Es liegt just am Meere, und man steigt nur etliche Stufen dazu hinauf, und ist an einen Berg, worauf die Stadt meist liegt, angebauet. Die Kapelle und ein paar Kammern waren auch in den Felsen oder Berg hineingemacht und also schön kühl. Die Herren Patres behaupten, dieses Haus stehe an derselben Stätte, wo Simon, der Gerber, gewohnt, und wo Petrus das Gesicht oder Offenbarung gehabt, wiewohl man mit Augen sehen kann, daß die See viel von dem Berge abgerissen, und Stücke von den alten Stadtmauern und Thürmen über zwei Steinwurf in der See liegen.“
Wenn man einmal Reisender ist, so richtet man die Aufmerksamkeit auf alle Verschiedenheiten, notabene auf alle, die Einem nicht entschlüpfen. Außer den Temperatur- und Witterungsverschiedenheiten wird man in Syrien unter dem 32. Grade nördlicher Erdbreite einen bedeutenden Abstand in Bezug auf die Tageslänge wahrnehmen. Ich hielt mich während des kürzesten Tages in Jaffa auf, und sieben Uhr[S. 126] Morgens schon und noch fünf Uhr Abends konnte man an einem hellern Orte leicht lesen.
Für die Klöster im jüdischen Lande (Tabula secunda pro Conventibus Judaeæ sub elevato Polo per gradus 32) liegt eine gedruckte Tabelle vor mir, worauf in der Regel von sechs zu sechs Tagen die Zeit des Sonnenauf- und Untergangs durch das ganze Jahr angegeben ist. Ich will am liebsten die Tabelle selbst redend einführen, da sie, längst ansäßig in Syrien, mir aus einer Verlegenheit helfen und auch Auskunft ertheilen kann, wie weit der längste Tag seine Flügel von einander ausspanne. Am kürzesten Tage schläft die Sonne allerdings nicht so lange, wie bei uns; denn sie steht um sieben Uhr und drei Minuten auf, und sie legt sich um vier Uhr und siebenundfünfzig Minuten nieder. Dafür läßt sich die Sonne am längsten Tage zum Aufstehen mehr Zeit, indem sie um vier Uhr und siebenundfünfzig Minuten aufgeht; und als wenn sie durch ihren heißen Schein leichter sich erschöpfte, sie nimmt schon um sieben Uhr und drei Minuten Reiß — unter.
Und nun denn den ersten beßten Kalender zur Hand, ist eine Vergleichung der Tageslänge in dem jüdischen und dem Abendlande nicht ebenso belehrend, als die Betrachtung des Aderlaßmännchens, dem man wohl Blut, aber den Geist nicht, der auf dem Blute schwimmt, nämlich die Vorurtheile, opfert?
Während meines Aufenthaltes in Jaffa ließ sich die Witterung im Ganzen milde an. Viele Leute gingen barfuß; andere badeten sich im Meere. Das Bedürfniß des Heizens machte sich nicht fühlbar. Die Regentage waren, nach dem Gefühle zu urtheilen, nicht kälter, als bei uns manche des Sommers, und zudem nicht so eigentliche, wie die unserigen zu sein pflegen. Nach kurzem Regen oder Schauer blickte die Sonne zwischen den Wolkenklößen freundlich hervor. Bei dieser veränderlichen Witterung wechselte fast jeden Tag das Schauspiel des Sonnenscheins und Regens; bloß an einem einzigen Tage war die Sonne vom Gewölke allenthalben verhüllt. Zur Seltenheit sollen Schneeflocken fallen. Ich sah reichlich schloßen.
Die Regenzeit dieses Landes ist unsere Schneezeit, die Zeit der Regenlosigkeit unsere Regenzeit. Gott gab uns also zwei Dinge mehr, im Sommer den Regen und im Winter den Schnee.
Zur Zeit der Regenlosigkeit wird das Erdreich ungemein trocken, und klafft an vielen Stellen breit und tief von einander. Die Pflanzenwelt verliert dann das fröhliche Aussehen, welches ihr die Regenzeit, der eigentliche Frühling, verleiht. Diese Zeit beginnt Ende Wintermonats, dauert[S. 128] über den Christmonat und Jenner, und der Hornung mag etwa vier bis fünf Regentage zählen.
Nun aber hatte Joppe von Natur aus keinen Hafen und keine Anfurt; denn das Ufer war hoch und gähe, auch beiderseits mit krummen und rauhen Felsen, daran das Meer heftig schlägt und brauset, wohl verwahret.
Flavius Josephus.
Zu beiden Seiten der Stadt Joppe liegen große Steine und Felsen, die aus dem Meere hervorgucken. Die Lage des Ortes und die Gestalt der Sachen zeigen an, daß Andromeda hier gewesen und dem Wallfische sei vorgeworfen worden, wie die alten Fabeln glaubwürdig sagen. Wenn der Nordwind gegen das Ufer geht, so treibt er das Wasser über sich, und schlägt es an die Felsen, daß es ein groß Getöse gibt, und daß das Meer davon gar ungestüm wird, wenn die Wasserwellen zurückfallen. Daher ist es viel gefährlicher am selbigen Orte als in den Wüsten.
Egesippus.
Vor meinem Fenster tauchen Klippen aus dem Meere. Schäumend brechen sich die Wellen an den Felsen, selbst bei anscheinender Meeresstille.
In der Nacht des 28. Christmondes weckte mich so lauter Donner, daß der Blitz in der Nähe niedergezuckt sein muß. Den Donner begleitete ein Chor von Geheul der erzürnten See. Wenn die Wogen über die Wehrmauer platschten, bebte unser Gotteshaus. Ich konnte den Schlaf nicht leicht wieder finden.
Endlich leuchtete mir der Tag auf das furchtbar schöne Schauspiel. Der Nordwind wühlte in den Wassern. Wäre von dem Meere, wie von einem Kochkessel, Dampf emporgestiegen, so hätte man sich nicht täuschen können, daß es in Sud gerathen sei. Die Wogen spritzten ihren schaumigen Bogen über Mauer und Gasse, über Schiffe und Häuser. Ich wohnte im Hospiz durch Mauer und Gasse vom Ufer getrennt und über dem Erdgeschoße im zweiten Stockwerke, und selbst am Fenster ereilte mich der Sprengwisch des Meeres.
Auf der Gasse schaukelten die Fässer im Meerwasser. Die griechischen Pilger, sonst jederzeit ziemlich langfingerige Holzaufleser, rafften abgesprungene Reife im Vorbeigehen zusammen. Mußte doch den Christusdurstigen selbst der Sturm behilflich sein. Pflaster- und Mauersteine löseten sich vor der Gewalt. Die Gasse bildete ein Wassergerinne im Augenblicke, da die Woge überschlug. Wer vorüberging, war unsicherer, als unter dem Platzregen. Ehe er sich versah, stand er unter der Meerestraufe. Weiße Flocken flogen zierlich umher — etwa Schneeflocken? Es waren vom Winde zerzettelte Bäuschchen schneeichter Baumwolle. Von einem Hause am Hafen, über dessen Zinne die Wellen gleichsam scherzend hüpften, flüchtete man Waaren. Schon schwamm Wrack. Es war der Fingerzeig, daß es Ernst[S. 130] gelte. Richtig wälzten die Fluthen ein unbemanntes Schiff mit zerknicktem Fockmaste daher. Das Fahrzeug, gleichsam unwillig über die treulose Rhede, riß sich von den Tauen los. Dem Beherrscher der Meere, dem Sturme, zu wohlfeilem Preise überlassen, wippte es sich zuerst unsicher umher, bis es, gegen Mitternacht gleich an der Stadt, am halbmondigen Strande scheiterte. Im Ausfahren aus der Rhede riß indeß dieses Schiff das Tau eines andern ab, welches ohnehin mit genauer Noth sich hielt. Und so kam es, daß bald auch dieses Schiff flott war, nackt, gleich einem entblätterten Baume, doch noch mit einiger Bemannung. Grausig, wie der Anblick einer menschenleeren Brandstätte, war derjenige des erstern entvölkerten Schiffes; beängstigend ist der Anblick eines der Menschengewalt entzogenen und der Willkühr des Windes und Wassers dienstbar gewordenen, unstät umherwiegenden Fahrzeuges, wie der Anblick eines kleinen Kindes, das mit einem scharfen Messer spielt. Die Mannschaft, welche dem zweiten Schiffe vertraute, schien ihre Hoffnung auf den Nordwind zu bauen, welcher nur gegen das Land treiben werde. Wirklich rannte es sich bei der Stadtmauer fest, ohne den größten Schaden zu erleiden, und gerettet waren die Schiffleute.
Auf der Stelle bewegte sich eine Last Leute nach den losgerissenen Schiffen. Eilends mischte ich mich unter[S. 131] die Menge. Ich sah viel Augen und lauter trockene; die meisten drückten weit mehr Neugierde, als Theilnahme an dem Unglücke aus.
Abends und in der darauf folgenden Nacht wichen der Macht des Sturmes noch drei andere Schiffe. Eines ward mit Wuth ans Land geworfen, und in viele Stücke zerschmettert. Nur ein Schiff trotzte standhaft im sogenannten Hafen. Der Meeressturm soll seit einem Jahrzehn nie mehr so heftig geworden sein.
Vor einem Jahre ereigneten sich hier ähnliche Unfälle. Ich sprach in Jerusalem eine Deutsche, die, wie sie sagte, einzig durch Zufall ihr Leben davon brachte; manche Habseligkeiten gingen über dem Schiffbruche zu Grunde.
Es wäre vielleicht unschwer, in Jaffa einen Hafen anzulegen. Die Araber kennen freilich den Gemeinsinn, der solche nützliche Einrichtungen ins Dasein rufen würde, nicht mehr, und laufen lieber alle Jahre Gefahr, Schiffe und Leute zu verlieren. Die Reisenden erzählen einstimmig, daß die Menge gescheiterter Fahrzeuge an der phönizischen Küste in Erstaunen und Grausen setze. Wer aber gleichgültig genug ist, für die Gesundheit seines Beines keine Sorge zu tragen, klage denn auch nicht, wenn dasselbe, wegen der Unheilbarkeit, abgeschnitten und mit einem hölzernen vertauscht wird.
Die Witterung übt im Ganzen keinen ungünstigen Einfluß auf die Bewohner. Man sieht viele Graubärte und alte Weiber. Spaß bei Seite, je mehr es alte Weiber in einem Lande gibt, desto gesunder ist es.
Um in den Gesundheitszustand der Jaffaner einzutreten, so sah ich im Todtenbuche der Lateiner und Maroniten nach. Die Kopfzahl der Gemeinde beträgt, wie ich oben anführte, in runder Summe 340. Die Pfarrkinder, unter der Seelsorge des Hospiz, sind beinahe lauter Eingeborne mit all’ der morgenländischen Tracht, Sitten, Gebräuchen, Gewohnheiten, der geistigen und sittlichen Erschlaffung. Obschon das Todtenbuch Manches zu wünschen übrig ließ, indem, statt genauer Verzeichnung des Alters, meist nur eine runde Zahl mit den Worten „plus minusve, circiter“ (mehr oder minder, ungefähr) oder „plus“ (darüber) genannt war, so verdiente es in der Hauptsache doch Vertrauen. Aus der Gesammtzahl der Verstorbenen ließ ich, bei der Berechnung der wahrscheinlichen und durchschnittlichen Lebensdauer, zwei „peregrini“, Fremde oder Pilger, und ebenso einen Erwachsenen weg, dessen Alter nicht angemerkt war. In[S. 133] den 9 Jahren 1824 bis und mit 1827[7] und 1829 bis und mit 1833 starben 123 Personen, im jährlichen Durchschnitte 13, und im gleichen neunjährigen Zeitraum wurden 155, im jährlichen Durchschnitte 16 geboren. Das wahrscheinliche Leben fällt zwischen 5 und 6 Jahre, und wenn einige, vermuthlich übergangene, Todtgeburten hinzugerechnet werden, so müßte es noch niedriger stehen.
Unter 5 Jahren starben | 56 | |||||
Zwischen | 5 | und | 10 | Jahren | starben | 9 |
„ | 10 | „ | 20 | „ | „ | 5 |
„ | 20 | „ | 30 | „ | „ | 7 |
„ | 30 | „ | 40 | „ | „ | 3 |
„ | 40 | „ | 50 | „ | „ | 14 |
„ | 50 | „ | 60 | „ | „ | 14 |
„ | 60 | „ | 70 | „ | „ | 9 |
„ | 70 | „ | 80 | „ | „ | 3 |
„ | 80 | „ | 90 | „ | „ | 3 |
123 |
Das höchste Alter (einer Frau) ging auf 84 Jahre. Der lateinische Schullehrer, ein geborner Palästiner, der[S. 134] mich durch verschiedene Mittheilungen über die Sitten und Gebräuche des Landes zu steter Erkenntlichkeit verpflichtete, ist mein Gewährsmann für die Angabe, daß unlängst ein mehr denn hundertjähriger Grieche gestorben sei, und es sollen auch Mohammetaner 120 Jahre alt geworden sein. In diesem Punkte aber darf man nicht schlechthin glauben; denn Verzeichnisse der Todtenbücher gehen ab, und man knüpft die Geburtszeit etwa an eine merkwürdige Begebenheit. Ließ ich in Egypten nach dem Alter eines Kranken fragen, so erhielt ich meist zur Antwort, daß man es nicht wisse.
Die 123 Verstorbenen besaßen zusammen ein Alter von 2873 Jahren, 3 Monaten und 5 Tagen, was einen Durchschnitt von 23 Jahren gibt.
Folgendes ist das Verhältniß der Verstorbenen nach den Monaten:
a) in den 16 Jahren 1808 bis 1823:
Jenner 3; Hornung 14; Merz 2; April 8; Mai 9; Juni 8; Juli 7; August 5; September 11; Oktober 15; November 11; Dezember 7. Summa 100. Jährlicher Durchschnitt 6.
b) in den 10 Jahren 1824 bis 1833 (nebst den zwei Pilgern und dem Erwachsenen ohne Altersangabe):
Jahre. | Jan. | Febr. | Merz. | April. | Mai. | Juni. | Juli. | Augst. | Sept. | Okt. | Nov. | Dez. | Summa. |
1824 | 0 | 0 | 1 | 1 | 0 | 2 | 1 | 2 | 0 | 1 | 2 | 1 | 11 |
1825 | 0 | 0 | 1 | 0 | 1 | 2 | 0 | 0 | 2 | 0 | 1 | 0 | 7 |
1826 | 1 | 0 | 4 | 0 | 1 | 0 | 1 | 3 | 0 | 0 | 3 | 2 | 15 |
1827 | 3 | 0 | 1 | 1 | 4 | 3 | 1 | 1 | 0 | 0 | 2 | 0 | 16 |
1828 | 1 | 0 | 2 | 12 | 6 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 | 22 |
1829 | 1 | 0 | 1 | 1 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 | 1 | 3 | 2 | 10 |
1830 | 0 | 1 | 6 | 0 | 2 | 0 | 0 | 1 | 2 | 1 | 3 | 8 | 24 |
1831 | 2 | 0 | 0 | 0 | 1 | 3 | 1 | 3 | 5 | 3 | 0 | 0 | 18 |
1832 | 0 | 2 | 0 | 0 | 2 | 2 | 1 | 1 | 0 | 0 | 0 | 1 | 9 |
1833 | 3 | 0 | 1 | 1 | 2 | 1 | 1 | 2 | 0 | 0 | 1 | 4 | 16 |
Mit 1828 | 11 | 3 | 17 | 16 | 19 | 13 | 6 | 13 | 10 | 6 | 15 | 19 | 148 |
Ohne 1828 | 10 | 3 | 15 | 4 | 13 | 13 | 6 | 13 | 10 | 6 | 15 | 18 | 126 |
Und obige | 3 | 14 | 2 | 8 | 9 | 8 | 7 | 5 | 11 | 15 | 11 | 7 | 100 |
Zusammen | 13 | 17 | 17 | 12 | 22 | 21 | 13 | 18 | 21 | 21 | 26 | 25 | 226 |
Die heißesten Monate zeichnen sich in Jaffa durch die Menge der Todesfälle keineswegs aus. Der Jenner erscheint am unschuldigsten; nach ihm der April. Dagegen sind die vier letzten Monate des Jahres die reichsten an Todten; vor allen der Wintermonat, in welchem der Uebergang zu einer kältern Jahreszeit sich besonders merklich macht, und welcher der erste ganze Regenmonat ist.
Im verwichenen Weinmonate herrschte, wie in Gaza, auch hier die indische Cholera, doch richtete sie keine große Verheerungen an, indem ihr bloß 40 bis 50 Opfer fielen. Indeß aber die Pest Jerusalem heimsuchte, litt Joppe nichts von dieser Seuche.
In mehreren Stufen erheben sich die Plattdächer des lateinischen Hospiz. Sie sind mit einer Brustwehr versehen, und weißer, beinahe glänzender, sehr fester Mörtel überkleidet dieselben, auf daß der Regen nicht durchdringe. Die Fußböden der Häuser haben im Morgenlande nicht selten einen Ueberzug von Pflaster (pavimentum), welches mit kleinen Steinchen von verschiedener Farbe durchsprengt ist. Wenn es hart geworden, so werden diese Steinchen abgeschliffen und der Boden bekommt dann ein schön glattes, lebhaft marmorartiges Aussehen.
Die Plattdächer sind zugleich ein angenehmer Spazierplatz. Mit Entzücken betrachtete ich auf dem Hospizsöller in Ramle den Gebirgszug von Juda bis zum Ephraim, die fruchtbare Ebene im Umkreise und die Tempel und Wohnungen der Stadt. Oft weilte ich in Jaffa auf dem Söller des Hospiz, einmal in singender Gesellschaft, manchmal neben einem Ordensmanne in seiner röthlichen, groben Kutte und mit dem herunterbammelnden Kreuze, andere Male allein, bis ich den Ruf zum mangiare (Essen) vernahm; oft rollte ich mein Auge auf das Gebirge, insbesondere gegen Mitternacht auf den Ausläufer ins Meer, den man mir als den Karmel bezeichnete; oft sah ich dem Getriebe der griechischen Pilger und dem Spiele der Meereswellen zu; oft suchte ich mit vergebener Sehnsucht das Fahrzeug meines Hauptmannes, mit dem ich, man verzeihe mir die Wortwendung, das heilige Land verlassen könne. Ich möchte Niemand glauben machen, daß die Sonne schöner unterging, als in unserer Gegend während der Sommermonde; jedenfalls schloß ich mit herzlicher Freude den Tag vor den letzten Blicken der himmlischen Tochter. Wenn diese in die hohe See sank, so sank auch ich ins Meer — meiner Gedanken, Gefühle und Entschließungen. Vergäße ich Alles von Palästina, so bliebe mir der Lieblingsort auf dem Hospiz zu Jaffa in süßer Erinnerung.
Es wäre Undank, wenn ich die Wohlthätigkeit der Klöster und Hospizien in Judäa nicht anerkennen würde. Sie sind die willkommtnen Herbergen und Zufluchtsorte der Reisenden und Pilger, ohne behaupten zu wollen, daß das Leben in den arabischen Khan nicht leicht erträglich wäre. Die Hospizien aber und die Klöster sorgen für eine Menge Bequemlichkeiten, welche sonst der Europäer entbehren müßte. Ueberdies bringe ich noch die Sprache in Anschlag, die Gelegenheit, die Gedanken auszutauschen, weil den wenigsten fränkischen Reisenden das Arabische geläufig ist.
Nachdem ich meinen Mittagstisch zu mir genommen hatte, ergriff ich meine Peitsche, die gewöhnliche Waffe des fränkischen Fußgängers, um zu lustwandeln.
Wenn ich durch das lange Thor der Stadt ziehe, so sehe ich fast jedes Mal etwas Neues. Diesmal ergötzte mich die über meinem Wege grün emporrankende Rebe. Noch einen Tag, und es beginnt das Weihnachtsfest und für den Mann des Nordens war dieses grüne Ding etwas Einziges.
Die Blumen schillerten im Grün der Au; die Schwalben und andere Vögel des Himmels lobten in angenehmen Weisen den Herrn; ein weißer Schmetterling schwenkte im bebernden Fluge ab. Ach, dachte ich bei mir selber, so viel Herr[S. 139]lichkeiten der Natur, womit sie den Lenz ausschmückt, umgaukeln deine Sinne. Wie magst du in der Klosterzelle dich länger abhärmen? Gehe öfter hinaus in das Freie, und verschließe dich nicht vor dem köstlichen Genusse, welchen die gütige Natur so gerne einem Jeglichen darbietet.
Indem ich den Weg nach Gaza einschlug, erblickte ich links mehrere Schilfhütten. Ihre Gestalt glich einer Halbkugel, und sie waren nicht höher, als anderthalb Mann. Ich guckte nur ein wenig in eine der Hütten. Da hockte ein Weib inmitten der Hausgeräthe auf dem Boden in einem so engen Loche, daß für Jemand anders wenig Raum mehr gewesen wäre. Ich warf zuletzt der von Stroh geflochtenen Thüre einen flüchtigen Blick zu, und setzte meinen Spaziergang fort.
Am Wege nach Gaza, ungefähr eine kleine Viertelstunde von Jaffa, kommt man zu einem Weiler von gemauerten Bauernhütten. Das freundliche Dörfchen umringten Mandelbäume, die eben in Blüthe gingen. Zwischen den Häuschen arbeitete ein Bauer auf dem Felde. Er behieb mit einer Axt die blätterlosen Feigenbäume. Die Axt war wie die unsrige, nur schlanker gegen das Oehr. Diese Beilart fiel mir hier auf, weil ich eine solche auf meinen Wanderungen im Morgenlande nie wahrgenommen hatte. Das Schlichtbeil des Zimmermannes z. B. sieht aus wie unser Hammer,[S. 140] mit dem Unterschiede, daß der abgeplattete breite Theil scharf, und das ganze Werkzeug größer ist. Muß denn ein Baum geschlichtet werden, so darf man, wegen der vor dem Stiele queren Richtung der Schärfe, den Baum nicht aufheben, und ihn somit in einiger Höhe bearbeiten, sondern er kann mit diesem Werkzeuge aus dem Boden bequem behauen werden. Desgleichen braucht der Holzhacker kein anderes Werkzeug, als diesen Hauhammer, richtet aber viel minder aus, als ein abendländischer. Dabei ist freilich nicht zu vergessen, daß stämmiges Holz hier zwar weniger, wie in Egypten, doch immerhin zur Seltenheit gehört.
Ich wußte nicht recht, wie ich es anfangen solle, damit ich in eine Hütte gelassen werde. Die Frage nach Milch führte mich nicht zum Zwecke, weil keine zu erhalten war. Oft bringt das stumme Geld Rath, wenn man sich keinen mehr weiß. Ich zeigte dem Bauer, welcher die Bäume behieb, eine kleine Münze, und fügte in meiner Geberdensprache bei, daß ich in seine Wohnung eingehen möchte. Eine grüne Hecke verbot mir den geraden Weg dahin; derselbe aber deutete mir den Umweg, den ich unschwer fand.
Das Häuschen bildete ein Viereck. Die Mauern, theils von Stein und Mörtel, theils bloß von einer Art Mörtel und viel besser, als in San Pietro di Nembo, halten Wind und Regen ab, und ihre Höhe mochte etwa zehn Fuß[S. 141] messen. Der Eingang, oben abgerundet, öffnete sich gegen Südost und so hoch, daß er dem Eintretenden die Bücklinge ersparte. Das etwa einen Fuß dicke Dach gestaltete sich nur insofern zu einer Wölbung, als die obern Kanten der Dachdicke fehlten. Um zur Bauart des Daches überzugehen, so liefen Stützbalken und Sparren wagerecht von einer Mauer zur andern. Die Zwischenräume, welche das Balkengerippe übrig ließ, waren von kleinern Baumästen und von Heckengesträuche ausgekleidet. Darüber lag eine Schichte von Erde. Daher kommt es, daß die Dächer, wie die Wiesen, grünen, und so eben keimte das zarte Gras auf dem Hausdache. Ich nahm es sinnbildlich und las: „Mögen immer Friede und Freude in dem Hause grünen“, und mir schien es ungefähr so sinnig, als wenn darauf der alte Satz der aufrichtigen, guten Schwaben und Schweizer geschrieben gewesen wäre: „Dieses Haus steht in Gottes Hand.“ Eigentliche Dachrinnen sind an dem palästinischen Häuschen nicht angebracht, wohl aber gegen Morgen und Mittag etwa drei kurze, röhrenförmige Ziegel, welche dem Regen leichtern Abfluß verschaffen sollten. Die Wandung neben der Thüre war recht einladend. Auf rothem Grunde figurirten weißfarbige Händeabdrücke: eine Malerei, die an einem arabischen Bauernhäuschen etwas heißen will.
Ich betrat dann das Innere der Wohnung durch eine[S. 142] von Holz nicht übel gezimmerte Thüre, die mit einem hölzernen Riegel gesperrt wird, und nach innen sich aufschließt. Jene bestand aus einem einzigen Raume oder Gemache. Ungefähr drei Fuß von der Thüre erhob sich der Boden in einem Absatze etwa um einen halben Fuß. Der Boden war durchaus von Erde, aber fest gestampft. Weder Mauer, noch Dach hatten eine Oeffnung für Licht oder Rauch. Dazu hilft die Thüröffnung aus. Die Wand der Mauer war mit einer rothen Farbe überzogen, in der ebenfalls die weißen Flecken vom Andrücken der Handflächen, eines neumodischen Pinsels, spielten. Den Raum wollen wir, der Bequemlichkeit willen für abendländische Anschauung, in Stube, Kammer, Küche, Holzschuppen, Getreidehalle und Mühle eintheilen. Jeder übrige Platz wird benützt, um sich da aufzuhalten, da zu essen, da zu arbeiten.
An der einen Mauerwand ragte ein kleines, aufgemauertes, hohles Gestelle hervor. Darin saß als Lampe ein schalenförmiges Gefäß mit einer Schnauze für den Docht. Daneben stand, ebenfalls auf einem Mauergestelle, ein Oelkrug. An einer andern Wand war ein Gestelle gemauert, worin Nähzeug stak. Weder ein Tisch, noch Stühle oder Bänke, nichts dergleichen, versteht sich, fand sich vor.
Ich schaute nach der Stelle, wo die Leute sich schlafen legen. Sie war durch nichts angedeutet. Alte Kleider und[S. 143] diejenigen, welche die Leute tragen, dienen zur Bettung; der Boden in der Nähe einer Wand, wo am meisten Platz ist, ersetzt die Bettstelle. Jammern ja nicht die Verweichlichten über eine solche Armseligkeit. Von Kindheit an auf keinem andern Lager, würden diese Leute auf dem erhitzenden und kitzelnden Polster der Federn mit Schwierigkeit zum Schlafe gelangen.
Fast mitten in der Wohnung ist ein kleiner Raum auf drei Seiten, vom Boden an, nicht hoch ummauert, selbst etwas zierartig, indem die Ränder in Zähne sich endeten, — das war der Kochofen, rings die Küche.
In einem Winkel neben der Thüre lag dürres Buschwerk. Vor diesem bläheten sich ungeheure, faßartige Töpfe auf, zwei an der Zahl. Meine Neugierde wollte wissen, was der Inhalt derselben sein möchte. Der Hauswirth, ohne Mißtrauen gegen mich, nahm daraus gereinigtes, geschältes Getreide. Wenn die Bauern hier solche Vorräthe besitzen, so stehen sie nicht hinter manchen schweizerischen Webern zurück, welche vom Arbeitsherrn zum Voraus einen Theil des Lohnes beziehen, damit sie die Kosten für ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Dieser Bauer, welcher das schönste Häuschen im Dörfchen bewohnte, schien indessen einer der wohlhabendern. Meine Beschreibung darf daher nicht strenge als Maßstab zu Beurtheilung der Bauernhäuschen gelten.
Wir lassen ja nicht unberücksichtiget den letzten Bestandtheil der Wohnung, einen Theil, der auch in andern Häusern selten fehlen wird: die Mühle. Gleich wenn man zur Thüre eintritt, liegen die Mühlsteine, ähnlich jenen in Lossin piccolo, vor den Füßen und nur ein paar Ellen weit von dem Kochofen.
Ich traf in dem Häuschen bloß den Bauer, ein Weib und ein Kind. Der Gebieter machte eine etwas saure Miene, schien jedoch guten Gemüthes zu sein. Das Weib trug einen Schleier. Nach dem, was ich vom Gesichte erblicken konnte, und dafür zeugten auch die Hände und Arme, hielt ich die Frau für jung und für nicht häßlich. Ein Knabe, von etwa zehn Jahren, mit Schmutz bedeckt, der ihm vielleicht von Geburt an anhänglich blieb, überdies aufgedunsen wie ein geschlachtetes — Zicklein, stand neben der Mutter. Die Kinder fürchten in der Regel die Franken ärger, als Vögel die Scheuchen. Ging ich auf der Straße, so wichen sie oft auf die Seite, etwa hinter einen Baum, wie der Furchtsame, welcher unter das Laubwerk flieht, um nicht vom Blitze berührt zu werden. Sind denn aber unsere Kinder, obwohl unter dem steten Einflusse der Gesittung und Weltaufklärung, in diesem Stücke besser? Es sollte ein Türke in einem Bergdorfe sich herumtreiben, wie sehr würden sie von Furcht ergriffen. Mich wunderte, daß der Knabe im[S. 145] Bauernhäuschen seinen Mund noch nicht verzerrte. Ich liebkosete ihn an den Wangen, und der Himmel war immer noch heiter. Da zogen sich auf einmal Regenwolken über dem Antlitze zusammen, und ich merkte bald auch am Knaben, daß die Regenzeit herrscht. Die lang dauernde gute Witterung durfte ich wohl dem Schutzgeiste der daneben hockenden Mutter, welche Kräuter zur Nahrung zerschnitt, beimessen. Daß ich nirgends ein Kochfeuer, nirgends einen Geruch von Speisen wahrnahm, leitete mich auf die Vermuthung, daß die Leute das Fastengesetz Mohammets strenge beobachten; denn schon vor etlichen Tagen verkündigte der Donner der Kanonen den Anfang des Fastenmonates.
Der palästinische Bauer scheint mir wohler zu stehen, als der egyptische. In der Saronebene trägt der Boden unermüdlich Früchte, ohne gedüngt zu werden. Diese sind Eigenthum des Anbauers, welcher selbst sie an den Mann bringt.
So eben baut man über den Ruinen an der Küste und bei den Mauern von Jaffa, gegen Mittag, eine Kontumazanstalt. Sie zerfällt in zwei Abtheilungen. Die obere enthält vierzehn Zimmer oder Häuschen. Jedes Zimmer, ge[S. 146]räumig und hoch, hat Läden für das Licht und zwei Thüren, die eine gegen den Hof (Mitternacht) und die andere gegen die Einfangsmauern (Mittag). Es wäre nicht am Platze, die Anstalt weitläufig zu beschreiben. Ich bin überzeugt, daß sie, unter übrigens günstigen Umständen, ihren Zweck nicht verfehlen wird, obschon an ihr Mehreres ausgestellt werden dürfte. So wurde ein Theil des griechischen Leichenackers in den Umfang des Gebäudes gezogen, in welchem wirklich einige Leichensteine hervorragen. Für die Unreinigkeiten sind einige, aber ungenügende Einrichtungen getroffen. Unten besitzt die sonst ziemlich hohe Einfangsmauer Stufen, daß man sie leicht überklimmen kann, wenn man von innen aus Hilfe bekommt. Will man das Quarantänegebäude gleichsam vollpfropfen, so wird es 500 bis 600 Bewohner zählen.
Dir Anstalt soll vorzüglich für die christlichen Pilger bestimmt sein. Ich hörte aus mehr, als einem Munde, daß in Beirut, wohin dieselben sich begeben mußten, die Kontumazirenden sehr schlecht gehalten und himmelschreiend geprellt wurden, und man betheuerte sogar, daß mehrere Pilger in der dasigen Quarantäneanstalt wegen schlechter Verpflegung eine Beute des Todes wurden.
Gott behüte Jeden davor, daß er einen Lebensabschnitt in einem Pestlazareth vergähnen muß. Wirft aber Jemand das[S. 147] unerbittliche Schicksal in dieses Gefängniß, so genießt er doch die Aussicht auf die Stadt und das Meer, und er wird von frischer Luft angeweht. In El-Arysch wäre ich über eine Unterbringung, wie man sie hier erwarten darf, überaus froh gewesen. Das Lazareth wird vorzugsweise demjenigen willkommen sein, der von Egypten aus nach Jaffa zu reisen gedenkt; denn seit der Errichtung einer Quarantäne in Beirut mußte er sich den Umweg über diese Stadt gefallen lassen.
Die pfiffigen Egypzier wußten die noch nicht völlig ausgebaute Quarantäne schon zu einem Nebenzwecke zu benützen. Es rückte ein Bataillon Fußsoldaten, auf ihrem Zuge nach Egypten, in Jaffa ein, und man war nicht verlegen, so viel Mannschaft, als nur thunlich, in der Quarantäne Obdach anzuweisen.
Die Kirche des Hospizium steht im zweiten Stockwerke, und von Morgen dem Zimmer des Pater Superior gegenüber. Obwohl klein, ist sie doch ein artiger Bau mit einigen schönen Gemälden. Ich wohnte in derselben dem Gottesdienste mehrere Male bei, und ich mußte mich über die geringe Anzahl der Anwesenden, im Verhältnisse zur[S. 148] Bevölkerung der Gemeinde, verwundern. Wenig feierlich schien mir die gottesdienstliche Handlung wegen des Marktgeschreies einer Handorgel, wenn man mir diesen Ausdruck erlaubt. Der Araber, welcher zwischen den Tönen verschiedener Orgeln kaum unterscheidet, und die Gassenorgeln unserer Straßensänger nicht kennt, wird mit mir den übeln Eindruck schwerlich theilen. Lieber hörte ich das Klosterglöckchen, welches mit bescheiden hellem Klange die Gläubigen zur Andacht aufforderte.
Als ich einmal die Kirche besuchte, sah ich zwei Levantinerinnen kommuniziren. Sie waren in einen großen, weißen Schleier gehüllt. Der Priester reichte in seiner feierlichen Amtskleidung ihnen die Hostie. Wie sehr befremdete mich, unter dem großen Kopfschleier einen schwarzen Schleier vor dem Gesichte der Morgenländerinnen gewahr zu werden, den sie doch beim Kommuniziren lüften mußten. Mühsam langten andere in die Kirche tretende Frauen unter dem Schleier hervor, um sich mit Weihwasser zu besprengen.
Auf der Gasse begegnete ich ebenfalls weißen Damen, die in einen Schleier völlig verhüllt waren. An diese Maskerade war ich freilich gewöhnt, aber nicht daran, daß es an derselben rasselte. Ich spähte zuerst immer umher, und nichts gab Stoff, das Gerassel zu erklären. Endlich glückte mir der Aufschluß: Es rasselten die unsichtbaren[S. 149] Goldstücke, welche um das Haupt angelegt waren. Wird unsern Jaffanerinnen, unsern Araberinnen die belebende Hoffnung, mit den unverhüllten Gesichtchen die Männer zu bezaubern, so grausam geraubt, — billig läßt man ihnen doch den Geschmeidekram und den Ersatz, daß sie frei durch den Schleier sehen und schmarotzen, während umgekehrt die züchtige und ziererische Abendländerin mit dem offenen Auge im Freien nur spärliche Blickchen sich erlaubt. Hinwieder erdenken die Schönen Europas, wer möchte es leugnen? auch Manches, um sich bei den Männern einzuschmeicheln, und es erschließt sich ihnen ein um so weiteres Feld, als sie mit letztern die unschätzbare Freiheit und Gleichheit der Gesichts — öffentlichkeit genießen. Und nicht zufrieden, nur das Auge zu entzücken, sie suchen auch das Ohr zu fesseln, und geben sich gar viel Mühe, mit Wohlgerüchen zu berauschen.
Die morgenländischen Christenmänner, welche der Bauernklasse nicht angehören, sind durch Schönheit ausgezeichnet. Ruhig brennet das schwarze Auge; auf dem ganzen Antlitze liegt der Ausdruck der Ruhe, der Bedächtlichkeit, der Unterwürfigkeit, der Schlenderei. Groß von Leibe, haben sie etwas Stattliches in ihren faltigen Gewändern, und mir schien, als wären sie auf ihren hochwulstigen, schief um das Haupt gewundenen Turban stolz. Sogar während des[S. 150] Gottesdienstes tragen sie auf dem Boden hockend den Turban, und bloß bei der Wandelung heben die Wenigsten ihn ab, wodann man ihre häßlichen Schurköpfe erblickt. Dafür werfen sie sich gottesfürchtig nieder, indem sie selbst mit der Stirne den Boden berühren.
Auch in Jaffa hält man den morgenländischen Christen für schlimmer, wenigstens für unredlicher, als den Türken. Bei einem Schneider, einem morgenländischen Christen, ließ ich an einem Kleide umändern. Er entwendete von meinem Tuche so viel, als er nur konnte, was schwerlich ein Kleidermacher im Lande des Niederganges gethan haben würde. Dabei stellte jener für die äußerst schlechte Arbeit eine unverschämte Forderung, und ich darf versichern, daß ich selten einen verstocktern Schuft antraf. Andere Züge will ich auf einen andern Ort versparen.
Die Bombarda (eine Art Fahrzeug), worauf ich mich begeben sollte, brachte christliche Pilgrime. Auch auf andern Schiffen langten solche in Jaffa an, und eines Tages zählte ich zwölf Schiffe, theils in, theils außer dem sogenannten Hafen. Die Menge christlicher Pilger belebte den Kai. Man ergötzt sich an ihren verschiedenen Trachten, welche der französischen schon ein wenig ähneln. So nenne ich die[S. 151] häufigen Schürzen oder Halbröcke, welche diesen Gegenden fremde sind. Einige tragen Regenschirme, die ich in Egypten nie und zum ersten Male wieder in Jerusalem zu Gesichte bekam. Die Pilger schleppen ungemein viel Gepäcke, auch einen beträchtlichen Mundvorrath mit sich. Es wird dasselbe in dieser Hafenstadt, manchmal nicht ohne Zänkereien der Pilger sowohl unter sich, als mit dem Kameel- oder Eseltreiber, auf Kameele, Esel oder Maulthiere geladen, um es nach Jerusalem, dem Wallfahrtsorte, zu befördern. Die Pilger, der größten Zahl nach Christen aus der europäischen Türkei, werden bis auf 10,000 geschätzt, die alljährlich durch Jaffa ziehen, und hier im griechischen oder armenischen Kloster mehr oder minder lange beherbergt werden[8]. Das Wallfahrten der griechischen Christen dauert[S. 152] bis Ostern, nicht ohne Meeresgefahren[9]. Ein Mönch aus Krakau, welcher nach mir in Jaffa eintraf, erzählte mit Schrecken von seinen Erlebnissen, und freute sich mit kindlichem Herzen, daß er nun auf festem Boden fußen könne.
Oefter besuchte ich die Schule am Hospizium. Das Zimmer ist ziemlich dunkel und eher enge, aber ein hohes Gewölbe. Vorne, der Thüre gegenüber, hing an der Wand ein Frauenbild. Zur einen Seite desselben las man das mit großen lateinischen Buchstaben geschriebene ROMA und zur andern Carta GO (wahrscheinlich Landkarte). Den Raum schmälerte kein Tisch, außer dem für den Schulmeister; zu beiden Seiten des Zimmers war eine niedrige Wandbank angebracht, auf welcher die Schüler, beiläufig zwanzig, lauter Knaben, unordentlich saßen oder hockten. Sie hatten an der Hand oder auf den Knieen Blätter oder Bücher vor sich, aus denen sie mit schaukelndem Leibe nach einer eigenthümlichen morgenländischen Weise (Melodie) laut schreiend oder leiernd im Takte lasen. Das Geschrei oder Ge[S. 153]leier war so wild, daß man weiter nichts hörte, als bisweilen das Klopfen mit einem Stocke. Die Unterrichtsart wurde mir nicht ganz klar. Ich glaube, sie beschränke sich lediglich auf das Lesen und Auswendiglernen. Einmal las ein Schüler in Gegenwart des Lehrers und Meisters, welcher verbessernd nachhalf.
Bei meinem ersten Besuche war der Schulmeister nicht gegenwärtig. Ein älterer Knabe mit übergroßen Stiefeln leitete das Unterrichtsgeschäft. Eine kleine Ruthe schwang er so häufig über die Kinder, als wären sie Reitthiere. Am Schlusse des Unterrichtes stellten sich alle Schüler vor das Frauenbild und hoben einen wilden Gesang an. Ich ging und sagte den neben der Schulstubenthüre gelagerten Weibern einen Gruß, den sie wahrscheinlich nicht verstanden.
Die Schulzucht ist ziemlich roh. Wenn ein Knabe durch seine Fortschritte sich auszeichnet, so wird ihm eine steife Mütze aufgesetzt. Führt er sich schlimm auf, so wird er auf drei Hauptarten gezüchtiget. Man legt ihm das Zerrbild eines Esels um den Hals und nennt ihn Eselführer (muchero). Oder man ertheilt ihm Klappse auf die flache Hand mit einer hölzernen, gestielten, fein durchlöcherten, kleinen, doch derben Scheibe. Ein Knabe schien mir nicht übel und unfleißig in Gegenwart des Schulmeisters zu lesen. Nach hergelesener Aufgabe bekam der Schüler von dem Lehrer ohne weitere Umständlichkeit eine Anzahl[S. 154] Schläge, indem letzterer die Worte hinzusetzte: Così si impara (So lernt man). Oder auch man mißt Fußsohlenstreiche auf. Das Bändigungsmittel dazu war an einem Nagel des Schulzimmers aufgehängt. Es besteht aus einem Knüttel, durch dessen Mitte zwei Oeffnungen in gegenseitiger Entfernung von etwa zwei Handbreiten gebohrt sind. Die Bohrlöcher nehmen einen Strick auf, den aber Knoten hindern, damit er nicht durch dieselben ausschlüpfe. Dieses Mittel wendet man so an: Die Füße der Knaben werden zwischen den Knüttel und den Strick geschoben. Jenen ergreifen zwei Gehilfen, jeder ihn an einem Ende. Jetzt drehen sie den Knüttel um seine Achse, und wickeln den übrigen Theil des Strickes um ihn herum, so lange, bis der Knebel die Knöchel oder Beine zusammenklemmt. Nachdem die Knaben solchergestalt die Beine nicht mehr rühren können, erhalten sie die Tracht Schläge auf die Fußsohlen.
Das Essen wird in der Schule nicht geahndet. Ein Knabe brachte kleine Rettiche, wovon er auch verschenkte. Einem andern trug man etwas Gekochtes zu. Er aß es im Vorzimmer des Schulgewölbes, in welchem eben Schule gehalten wurde.
Die Vergleichung mit dem, was Salomo Schweigger von den Kinderschulen Konstantinopels aus dem sechszehnten Jahrhunderte überliefert, hat zu viel Prickelndes,[S. 155] als daß ich es nicht hier beifügen sollte: Die Kinder, sagt Schweigger, werden nicht in solcher harten Zucht und großen Furcht gehalten, wie die Deutschen, die mit Pochen, Poltern, Schlagen und Stoßen den Kindern alle Lust zum Lernen nehmen. Die Schulmeister strafen zwar die Kinder auch, aber mit Bescheidenheit, und können mit ihnen Geduld haben, welches denn die fürnehmste Tugend an einem Schulmeister ist. Wenn sie die Kinder schlagen, so schmeißen sie dieselben auf die bloßen Schuhsohlen mit einem Stäblein und brauchen die Ruthen nicht, wie bei den Christen bräuchig. Die Knaben haben eine feindselige Gewohnheit, daß sie durch einander das Lesen laut verrichten, davon sie sollten toll werden und einander irre machen. Dabei sitzen sie nicht still, sondern wanken von einer Seite stets auf die andere wie ein Schlafender oder Trunkener.
Damit stimmt aber nicht völlig überein, was die „Hoffhaltung Des Türckhischen Keysers“ (1596) von den Knaben des Serai erzählt: Die Meister und Lehrer haben einen Befelch von dem Türken, daß sie keinen Knaben mehr, als des Tages einmal schlagen und strafen dörfen, und mögen keinem mehr, als zehen Streich mit einer kleinen subtilen Ruthen geben, und wann sie die Jugend mit Ruthen stäupen, geht es also zu: Sie legen den Knaben nach der Länge auf die Erden nieder, stoßen ihm die Füß durch[S. 156] einen Stock oder Bret, welches durchgebohrt, und dazu gemacht, daß sie fest und still liegen müssen. Alsdann geben sie ihm mit der Ruthen unten auf der Sohlen des Fußes zehen Schläge über die Borzachinlein, das ist, kleine Stiefeln, die sie tragen. Nach dem lassen sie ihn wieder aus. Und wo der Meister oder Präzeptor einem mehr, dann zehen Streich gäbe, oder sie ohne des Kaisers Willen und Befelch stäupte oder schlüge, wird ihm alsbald die Hand abgelöst.
Im aufgeklärteren Theile der Welt waltet die Mode, daß man beim Gruße als Zeichen der Aufmerksamkeit oder Achtung den Hut oder die Mütze rückt oder, mit einem Worte, das Haupt entblößt. Im Lande der Turbane wäre diese Mode glücklicherweise eine wahre Pein. Es gäbe den Morgenländern, wenn sie ihren Turban oder den zusammengedrehten, in vielen Gängen quer um den Kopf gewundenen Schleier auflösen und wieder umbinden oder auch nur mit den unsteifen Mützen, die er unten umfängt, ab- und aufheben müßten, ebensoviel zu schaffen, als den abendländischen Frauenzimmern, bis ihre zarte Haube über Flechte und Kamm sich gehörig fügt. Es ist übrigens erstaunlich, daß die Frauenzimmer, die doch mit keiner Mütze und mit[S. 157] keinem Hute sich und Andere bekomplimentiren, noch existiren und bei den Männern Gnade finden.
Wenn hier zwei Männer im Freien zusammenkommen, so legen sie sich die rechte Hand auf Mund und Stirne. Sind sie einander nahe, so sagt der Eine, wenn er ein Christ ist: „Gott mit euch“, und der Andere erwiedert: „Gott erhalte euch.“ Des Mohammetaners Gruß aber lautet: „Friede sei mit euch,“ und der Gegengruß: „Mit euch sei Friede.“ So zu grüßen, war früher den Christen verboten. Der Mohammetaner nährte den Wahn, daß die Nazarener nicht würdig wären, über die Lippen die erhabenen Worte fallen zu lassen, welche vom Propheten Mohammet verkündiget worden seien. Wiewohl dieser Gruß unter Mehemet-Ali und Ibrahim geduldet ist, so hören ihn doch die Mohammetaner aus dem Munde der Christen noch jetzt mit Murren.
Stattet ein Christ dem innigen Freunde einen Besuch ab, so umarmen sich beide, und küssen einander einmal die Schultern. Ebenso umarmen sich die Mohammetaner, versetzen aber den Kuß auf die Wangen. Ist man nicht in vorzüglichem Grade befreundet, so bietet man einander schlichtweg die Hände, wobei man eine besondere Rücksicht beobachtet. Es behält nämlich die Person höhern Ranges die Hand oberhalb, so daß der Rücken derselben aufwärts schaut.[S. 158] Stehen beide auf der gleichen Stufe des Ranges, so nehmen die Hände eine senkrechte Stellung neben einander an, daß also weder die eine, noch die andere Hand nach oben kommt. Wenn anders der Gruß die verschiedene Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft ausdrücken soll, so gewinnt in der That die verschiedene Richtung der Hände, zumal die Oberhand und die Unterhand, ungleich mehr Sinnigkeit, als alle Abstufungen beim Entblößen des Kopfes unter den Abendländern.
Die bisher berührten Grußweisen der Palästiner umfassen bloß das alltägliche Leben.
Auf Sitzen zur Rechten oder Linken wird nicht geachtet.
Nach Empfang dargereichter Speisen und Getränke bezeugt man in der Regel keinen Dank. Nur nach dem Kaffee hallen die Worte des Dankes: „Möget ihr euch immer erhalten.“ Trinkt der Gast Wasser aus dem Kruge (Bardaka), was allezeit ohne Absetzen geschieht, so rufen sämmtliche Anwesende: „Wohl bekomme es“, und jener erwiedert: „Ich sage Dank.“ Also bei Mohammetanern und Christen. Beim Lebenswasser (Aquavit) verhält man sich stumm.
Begegnen sich die Frauen außer den Häusern, so sind sie still und rühren sich nicht. Macht eine Frau einen Besuch, so entschleiert sie sich beim Eintritte in das Zimmer,[S. 159] und eröffnet das Gespräche mit den Worten: „Ich komme, euch zu sehen.“ Die Frau, welche den Besuch annimmt, lüftet auch ihrerseits den weißen Gesichtsschleier und antwortet: „Willkommen.“ Da wird denn nach dem Befinden, nach den Kindern und nach Andrem gefragt, obendrein viel eitel Zeug geplaudert, etwas Süßes, etwa Konfekt, genascht oder auch eine Pfeife geraucht. Kürzer, als drei oder vier Stunden dauern die Frauenbesuche nicht. Die Mohammetanerinnen besuchen einander seltener, als die Christinnen.
Will der Jüngling oder Mann heirathen, so geht sein Vater, seine Mutter, sein Bruder, seine Schwester oder ein anderer Verwandter oder ein Freund zum Pfarrer, diesem das Vorhaben zu offenbaren, unter Bezeichnung des Mädchens, welches zu heirathen gewünscht wird.
Darauf begibt sich der Pfarrer zu den Aeltern des Mädchens, den Heirathsantrag zu hinterbringen, und Auskunft zu verlangen, ob man ihn annehmen wolle oder nicht, und sucht dann den Brautwerber in seinem Hause auf, um demselben die Antwort zu vermelden. Im bejahenden Falle schickt die Familie desjenigen, welcher den Heirathsantrag stellte, sich jetzt an, einen Gesichtsschleier (zu 30 bis 35[S. 160] Piaster) oder auch zwei Schleier nebst einem goldenen Fingerringe zu kaufen. Die weiblichen Mitglieder der Familie des Brautwerbers gehen, in Begleitung vieler Frauen, mit den eingekauften Kostbarkeiten zu der Familie des Mädchens, um sie diesem als Geschenk einzuhändigen. Bei dem Besuche benimmt sich die Holdselige ungemein schüchtern, sanftmüthig wie ein Lamm; keinen Laut läßt sie hören; sie ist rein wie ein Engel. Um so munterer sind die Frauen, welche auf Besuch kommen; sie lachen und scherzen und singen wohl auch.
Danach veranstalten die Aeltern des Mädchens einen Gegenbesuch in das Haus des Brautwerbers. Der Vater ladet Männer und die Mutter Frauen, nie aber unverheirathete Frauenzimmer ein. Im Hause des Brautwerbers treten die Männer in ein besonderes Gemach, und so die Frauen. Grüßend sagt man zu ihm: „Gesegnet,“ und diejenigen Frauen, welche sich nicht enthüllen, sagen es auch seiner Mutter. Das Mädchen bleibt eingezogen zu Hause. Die Gäste, wenigstens die Männer, vertreiben die Zeit mit Rauchen und Kaffeetrinken, mit Konfektnaschen und Plaudern.
Nach dem Gegenbesuche geschehen zwei Monate hindurch keine weitere Schritte, und zudem wartet man auf ein großes Fest, um der Braut ein Geschenk zu überbringen. Dieser Besuch, der dritte und letzte vor der Hochzeit, heißt auf arabisch schỏfe (die Sicht), und ist der Vorbote baldiger[S. 161] Vermählung. Das Geschenk hält an Werth von einigen hundert bis auf einige tausend Piaster. Es besteht aus ungeschnittenem und ungenähtem Kleidungsstoffe, so wie aus einem Kleinode zur Zierung der Stirne oder anderer Gebilde des Körpers. Die Reichsten ergreifen diesen Anlaß, um den Glanz ihrer Diamanten zu verbreiten. Es ist die Mutter des Bräutigams, welche, am erwarteten großen Feste selbst, das Geschenk der Braut überreicht und zwar so, daß sie unter spaßhaften Bemerkungen das Kleinod der Braut auf der gehörigen Stelle anlegt. Das schỏfe dauert etwa zwei Stunden.
Nun bereitet man sich zur Hochzeit vor. Die Aeltern des Bräutigams und der Braut besprechen den festlichen Tag. Vom Heirathsantrage bis zum Hochzeitstage verfließt gemeinhin ein Jahr, selten nur ein Vierteljahr. Dreimal kündigt der Pfarrer die Hochzeit ab. Am Sonnabende vor dem Vermählungstage wird die Reinigung durch die Bäder vorgenommen. Die Braut sendet, zum Zeichen der Einladung, an jede Frau ein Stück Seife. Bei Männern ist dieses Zeichen eine Kerze, umhüllt von einem Zettelchen, worauf der Karakter des Gastes (z. B. französischer Konsul, Schulmeister) geschrieben steht. Die Braut besucht mit den Frauen, der Bräutigam mit den Männern, die einen und die andern in gesönderten Schaaren, ein öffentliches[S. 162] Bad. An diesem glücklichen Orte bekommt die Mutter oder die Schwester des Bräutigams die Entschleierte zu sehen, und sie mögen dann zu Hause dem Sehnsuchtsvollen die Entdeckung der Schönheit oder Häßlichkeit mittheilen. Darauf am Sonntagsabende gehen die einen Männer in das Haus des Bräutigams, die andern und die Frauen in dasjenige der Braut, wo sie sich in das Frauenzimmer scheiden. Die Nacht wird in gespannter Erwartung hingebracht.
Um vier Uhr in der Frühe des Montag eröffnen Bräutigam und Braut, jener ein wenig voran, den großen hochzeitlichen Zug nach der Kirche unter dem Jubel von Schalmeien und Tambur und Pauken, selten von Geigen. Der Bräutigam sieht sich in dem Tempel zum ersten Male neben der künftigen Lebensgefährtin; noch aber ist ihr Antlitz dem forschenden Blicke ebenso unzugänglich, als von Anfang der Bekanntschaft oder, besser gesagt, der Unbekanntschaft an. Das ganze Gepränge der römisch-morgenländischen Kirche mag das Seinige beitragen, das Gefühl des Geheimnißvollen und des Ehrwürdigen zu steigern. Fragt der Priester am Altare die Braut um ihren Willen, so verbietet ihr die Schamhaftigkeit, ihn zu benicken. Wie gut ist, daß es in Fällen der Verzweiflung eine Erbarmung auf Erden gibt. Die Gevatterin, deren Wohlthätigkeit erst jetzt sich auf das[S. 163] glänzendste bewährt, leiht den unentbehrlichen Arm der Hilfe; sie steht hinter der Braut und stößt das bräutlich geschmückte Haupt nach vorne, — — nur ja, weil einmal genickt werden muß, sei es aus freien Stücken oder aus Zwang. Williger entschließt sich der Bräutigam zum Jaworte, aber für kein ordentliches Weib, sondern für eine vermummte Gestalt, für ein Larvengesicht. Er erschaut vor sich einen mit einem rothen Schleier bedeckten Kopf und einen in ein weißes Gewand gehüllten Leib; der Reichthum an Gold mag etwa sein Auge blenden: aber kein Auge der Liebe strahlt ihm entgegen, kein Mund der Freude lächelt ihm zu. Ich möchte indessen den bescheidenen Zweifel äußern, daß eine solche beharrliche Strenge der Vermummung oft beobachtet werde. Ich weiß selbst zu erzählen, daß ich, als ich ohne Anmeldung in das Haus des Konsuls Damiani trat, seine Tochter unverschleiert antraf, die sich dann freilich schnell entfernte. Wie ich einmal durch ein Gäßchen spazierte, begegnete ich einem verschleierten Frauenzimmer, welches im Augenblicke, da sie sich von Niemanden bemerkt glaubte, den Schleier auf die Seite schwenkte, um ihr schönes Gesichtchen zu zeigen.
Nach empfangenem Priestersegen ziehen die Neuverlobten ins Haus des Bräutigams, dieser zuerst. Sie und das Gefolge von Gästen genießen dort das Frühstück; reich[S. 164] wird das Hochzeitpaar von den Zeugen der Hochzeitlichkeit mit Worten gesegnet. Schon aber verläßt ein Theil der Gäste die Gesellschaft, es bleiben bloß noch die Verwandten, endlich nur die Frauen. Nun sitzt die Braut auf einem thronartigen Polster in einem besondern Zimmer, in welches die neugierigen Frauen treten. Derlei Dinge schmecken für sie viel zu süß, als daß sie nicht davon kosten sollten. Bis zum Throne der Unsichtbaren machen die Frauen eine Gasse. Schwere Augenblicke harren des Bräutigams. Man muß sich an ihm abmühen, daß er allen Muth zusammenfasse[10]. Da schreitet er mit kochendem Herzen durch die Gasse, und gleichsam in der Wuth streift er den Schleier von einer unschuldigen Jungfrau hinweg. Zum ersten Male erblickt der Ehemann das Antlitz eines jungfräulichen Weibes, dem er für die guten und bösen Tage des Lebens Treue geschworen hat. Mag ihn jetzt die Erwartung betrogen haben, es ist zu spät, er bekümmert sich nur umsonst; wurde seine Hoffnung erfüllt, desto glücklicher für ihn der Wurf des Spiels.
Wie der Schleier der Braut sich lüftet, fliegen alle[S. 165] Schleier der Zuschauerinnen auf die Seite. Es erhebt sich die enthüllte Braut, sie küßt eine Hand des Gemahls, beide lassen sich neben einander auf den Polster nieder und beobachten einige Minuten ein tiefes Stillschweigen, indeß der Bräutigam die Verheißene gleichsam ins Auge verschlingt. Damit endet das Fest für die neugierigen Frauen, welche sofort das Zimmer räumen. Die Verwandten dagegen bleiben bis Mittag, und erst nach dem Mittagsmahle kehren sie in ihre Wohnungen zurück. Jedermann gönnt dem Bräutigam und der Braut, daß sie sich von der schlaflosen Nacht erholen.
Nachdem der Mann seine Frau erkennt hat, thut er sich mit einem weißen und sie mit einem rosenrothen Gewande an.
Auf den siebenten Tag nach der Hochzeit wird der Schlußbesuch in das Haus des Ehegemahls veranstaltet. Die Frauen werden vom älterlichen Hause des neuverlobten Weibes eingeladen; die Männer gehen diesmal uneingeladen. Der Besuch ist den Geschenken für das neue Ehepaar gewidmet. Wenn z. B. die Frau A der Frau B das Geschenk P verehrt hat, und heirathet dann C, die Tochter der A, so gibt B das P zurück. Und kann man nicht mehr das Gleiche zurückerstatten, so zielt man auf ein solches Geschenk ab, welches dem Werthe eines der Familie früher verliehenen möglichst nahe kommt.
Die Schilderung trifft eigentlich die hiesigen eingebornen Christen, in den meisten Theilen aber überhaupt die christlichen Palästiner, in manchen sogar die Mohammetaner.
Das geheimnißreiche Vorgehen in der Heirath kann schwerlich auf den Beifall des Abendländers hoffen. Die Sitte der Verhüllung reihe ich unter die sonderbarsten Dinge, so fest sie eingewurzelt und so alt sie sein mag. Rebekka verhüllte sich zwar vor Isaak (1. Buch Moses 24, 65), doch nicht vor dem Liebhaber. Wenn der strengen Verhüllung, welcher das Mädchen vom reifern Alter bis zur Verheirathung wie einem Gesetze sich unterwirft, ein Lobesspruch gespendet werden soll, so kann man ihr oder doch der Vereinzelung der genau beaufsichtigten Jungfrau nachrühmen, daß Fehltritte beinahe bis zur Unmöglichkeit erschwert werden.
Noch besitzen die Aeltern in Palästina die erzväterliche Gewalt über ihre Kinder bei der Verlobung, wobei letztern der Athem des freien Willens fast gänzlich gehemmt ist. Doch mangelt es aus den Zeiten der Erzväter nicht an Beispielen, welche für eine gelindere Gesinnung sprechen. So fragten die Aeltern der Rebekka in milder Weise, ob sie mit dem Knechte Abrahams ziehen wolle (1. Buch Moses 24, 57 und 58). Zur Schließung des Ehevertrages gehört vor Allen dem Bräutigam und der Braut entscheidende Stimme.
Im zwölften Jahre verheirathen sich die Mädchen sehr selten, selten noch im dreizehnten, nicht mehr selten aber im vierzehnten Jahre. Es ist daher keine Seltenheit, daß das Weib im fünfzehnten Lebensjahre gebiert.
Nachdem die Frau geboren, ißt sie die ersten drei Tage nichts, als Hühnerbrühe ohne Salz und Schmalz. Zum Getränke erhält sie mit Zimmet versetztes Wasser oder auch ein wenig Wein, welchen jedoch die Mohammetanerinnen, in Gemäßheit ihrer Religionsbegriffe, nicht bekommen. Nach Verfluß der drei ersten Wochentage geht die Kindbetterin zu einer kräftigern Nahrung über. Sie genießt dann nicht bloß die Brühe, sondern auch das Fleisch vom Huhn; Andere essen wohl abwechselnd das Halsfleisch des Lammes.
In den ersten sieben Tagen wäscht die Wöchnerin ihre Hände nach dem Essen nie mit Wasser, aber mit Wein. Gehört sie der Mittelklasse, so steht sie am siebenten Tage vom Bette auf, die reiche nach vierzehn Tagen. Der Reichthum ist da nicht zu beneiden, wo er den Menschen länger in Fesseln schlägt. Allgemein herrscht die Sitte, daß die Wöchnerin nach dem Aufstehen das öffentliche Bad, und unter den Christen zugleich, daß sie die Kirche besucht.[S. 168] In jenem reibt man, zu Stärkung, in den Körper ein scharfes Mittel. Im vierzigsten Tage wird das Bad wiederholt.
Sobald das Kind ans Licht der Welt gelangt, wird seine Nabelschnur mit einem Faden unterbunden, abgeschnitten und die Schnittfläche auf der Kindesseite mit einer Wachskerze gebrennt. Darauf badet man es im lauen Wasser, um es zu reinigen. Hat das Kind drei Tage seines Lebens zurückgelegt, so wäscht man das Zahnfleisch und die allgemeinen Hautbedeckungen mit Salzwasser oder mit Wein, der mit Wasser verdünnt wurde, um einen guten Geruch mitzutheilen. Sonst wird bloß alle Wochen einmal das Gesicht und der Körper vom Nabel bis zu den Füßen gewaschen. Ja es gibt Mütter, welche ihr Kind ein halbes Jahr ungewaschen lassen.
Zur Bekleidung dient eine Binde, in welche der Körper so gewickelt wird, daß die Arme an der Seite des Körpers in ausgestreckter Richtung bleiben. Ein Schleier deckt das Gesicht. Die Einwickelung (Einfatschung) dauert vier Monate. Sodann flattern die Röckchen um das Kind, und manchen Knaben schmückt bei Zeiten über der kleinen, anschließenden Mütze der Turban. Als eine ausgezeichnete Zierde sah ich um den Fußknöcheln eines Kleinen rothe Bändchen mit mehreren Schellen.
Zur Nahrung erhalten die Kinder die Milch ihrer Mut[S. 169]ter, manche zwei bis drei Jahre hindurch. Es ist bemerkenswerth, daß die Jaffanerin das Schnüren des Oberleibes nicht kennt. Solches mögen die gepriesenen, geschnürten Zierfräulein Europens beherzigen, welche ihr besseres Gefühl nicht befragen, ob sie Hoffahrt mit demjenigen treiben dürfen, was Gott zu einem ganz andern Zwecke erschuf. Wenn die Jaffanerin außer Stande ist, Milch von der Mutterbrust darzureichen, so behilft man sich wohl auch mit einer Amme, oder man streicht das Honig- und Granatsüß in den Mund des Kindes. Sogenannte künstliche Nährung aber, wie mit Kuh- oder Ziegenmilch, findet nicht statt. Daraus allein schon ließe sich die große Sterblichkeit der Kinder erklären.
Zum Sauglappen, als Beschwichtigungsmittel, nimmt keine Mutter die Zuflucht; im beßten Falle flößt sie ein wenig Honig in den weinenden Mund. Hingegen scheint die Wiege im Ansehen von etwas Unentbehrlichem zu stehen. Die Reichen haben eine eigentliche Wiege, wie bei uns. Die Mittelklasse spannt zwei Schnüre unter der Zimmerdecke aus, welche ein Leintuch aufnehmen. Auf dieses wird das Kind, wie auf eine Hängmatte, gelegt, und will man es schaukeln, so setzt man die eine Schnur, die durch ein Zwischenstäbchen von der andern ferne gehalten wird, in Bewegung. Die arme Klasse bedient sich einer Vorrichtung,[S. 170] die einer großen, ebenen Wagschale gleicht. Sie wird, wie ein Käfich, an der Decke des Zimmers oder sonst in der Höhe aufgehängt.
Mit Säftchen führt man das Kind nicht ab, noch schneidet man dessen Zungenbändchen ein. Der Schulmeister am Hospiz stutzte gewaltig, als er inne wurde, daß wir gelöste Zungen hätten. Das Zahngeschäft geht nicht sehr leicht von statten. Zur Erleichterung desselben wird gar nichts vorgekehrt, und viele Kinder sterben während dieser Lebenszeit. Die fratt gewordenen Stellen wäscht man nicht ab, sondern man behandelt sie mit einem Stoffe, welcher im Arabischen serakûn heißt, mir aber nicht genauer bezeichnet wurde. Bei der hinkenden Reinlichkeit darf man sich wundern, daß diese Krankheit nicht viel hartnäckiger und qualvoller auftritt. Gegen die Mundschwämmchen gebraucht man die Asche von einem Knochen so, daß der mit Speichel benetzte Finger sie auffängt, und damit die kranken Stellen im Munde reibt.
Das Wiegenlied singt die Mutter nach einer ganz eigenthümlichen Weise, und ich bedaure nur, daß ich kein Tonsetzer bin, um sie beifügen zu können. Die Worte zum Einlullen lauten so: „O mein Kind, schlafe; mein Auge,[S. 171] ich hoffe, daß ich dich nie aus dem Auge verlieren werde.“ Zum schon schlafenden Kinde singt die Mutter: „Meine Taube, dein Auge ist verschlossen; aber das Auge Gottes ist aufgeschlossen, und daß kein Leid dir wiederfahren kann, hat Gott den Menschen nicht auf immer verhärtet.“ Die Worte sind gemüthlich und erhaben zugleich.
Bei aller meiner Unbekanntschaft mit der Sprache und dem Bücherthume der Araber genieße ich vielleicht das Vergnügen, den Abendländern einen ihnen unbekannten Lappen arabischer Dichtungen überbringen zu können. Es fiel mir in Jaffa nicht wenig auf, als ich beim Einbruche der Nacht eben heimgekehrte Kinder anredend und antwortend in geregelten Weisen lärmen hörte. Auf meine Nachfrage darüber wurde sogleich von der Gasse ein Kind geholt; es sagte in Anwesenheit mehrerer Eingebornen das Gespräche her; einer davon übersetzte es ins Italienische, und ich schrieb dieses deutsch nieder. So viel zur Rechtfertigung meines Botengeschäftes.
Das Zweigespräch, wovon die Rede ist, halten übrigens nicht bloß fünfjährige und ältere Kinder als Nachtgruß, wenn sie sich trennen, sondern auch türkische Knaben, indem sie von Hause zu Hause ziehen, um etwas zu verdienen.
A. O Gott.
B. O Gott.
A. Möge es uns hier wohl ergehen.
B. O Gott.
A. Was haben wir?
B. Maria (denn es muß immer Jemand genannt werden) —, eine Braut wie der Mond.
A. Gott gebe es.
B. Unter der Veste sahe ich sie in zierlichem Gewande.
A. Gott gebe es.
B. Ich erblickte sie abwärts vom Diwane, die in Seide Gehüllte.
A. Gott gebe es.
B. Ich sah sie abwärts vom Gemache ein Papier mit Zügen füllen, welche rühren das Herz.
A. Gott gebe es.
B. — — — abwärts von einer Urne.
A. Ach, wie schön.
Das Zweigespräch, wahrscheinlich nur ein Bruchstück, behandelt die Liebe auf eine nicht sehr schickliche Weise für Kinder. Bei diesen scheint jedoch Alles bloßes Lippenwerk geworden zu sein.
Stirbt eine Person, so hüllt man sie in ein gewöhnliches Gewand; nur muß es ein besseres und weißes sein. Bei Nacht stellt man zwei brennende Kerzen neben die Leiche. Reichere legen ihre Verstorbenen in einen viereckigen Sarg; die Armen oder die weniger Vermöglichen deckt die Erde unmittelbar. Der Sarg oder die Leiche wird auf einer Bahre in den Gottesacker getragen. Ihr folgen im Zuge Männer und Weiber, jene aber voran, diese ihr Klagegeschrei erhebend und ein Tuch drehend. Alle nahe Anverwandte sind mit einem schwarzen Trauerkleide angethan. Wenn ein Ehemann stirbt, so geht die Wittwe, welche sich in der Hoffnung glaubt, am Grabe einmal unter der Bahre des Todten durch, jetzt ausnahmsweise ohne Schleier. Sie will damit alle Anwesende zu Zeugen der Reinigkeit ihres Wandels auffordern. Ehe die Leiche noch im Grabe liegt, wird sie, zumal an der Hand, geküßt; der Ehemann küßt auch das Gesicht und das Kleid der verblichenen Geliebten; — sogar des Pestopfers?
Von der Todesstunde an bis zum Begräbnisse dauern meist nur zwei oder drei Stunden. Erfolgt indeß der Tod spät Abends oder vor Mitternacht, so wird mit der Beerdigung bis morgen in der Frühe zugewartet.
Ich sah die Beerdigung einer mohammetanischen Leiche bei Jaffa. Das Grab war etwa vier Fuß tief bis zur Stelle, wo es sich in zwei Absätzen verengerte, und von hier noch einen starken Fuß tief, aber gemauert. Nachdem auf den Grund des gemauerten Grabes ein Pulver gestreut war, wurden die in ein schönes und weißes Tuch gehüllten sterblichen Ueberreste seitlings, das Gesicht gegen Mekka gewendet, mit Schonung in die Tiefe versenkt, und dann darüber Steinplatten, die zur Seite auf den Maueransätzen ruhten, gelegt, so daß die Erde den Todten nicht drückte. Während des Beerdigens heulten die Weiber, das eine stehend, das andere hockend. Den Männern schien meine Gegenwart ein Dorn zu sein; indeß fügten sie mir nicht das mindeste Leid zu. Die ganze Beerdigungsweise verrieth nichts Rohes.
Zum Andenken des Gestorbenen werden in dessen Hause die ersten drei Abende nach einander gemeinschaftliche Gebete verrichtet. Am Ende dieser religiösen Handlung wird allen Beiwesenden, manchmal bis hundert an der Zahl, ein Todtenmahl gegeben. Die Reichsten sprechen dabei ungerne oder gar nicht zu, um so lieber aber die Armen. Desgleichen besuchen die Weiber drei Tage hinter einander in der Morgenstunde das Grab, und sie vergessen nicht, sich mit einem Mundbedarf zu versehen, auf daß sie im Felde der Leichen mit Kaffee sich laben können.
Dem Vater oder der Mutter, dem Bruder oder der Schwester, dem Manne oder der Männin wird ein Jahr hindurch Trauer getragen. Während dieser Zeit hüten sich die Trauernden vor Leckerbissen und dem Spiele, sie besuchen weder die öffentlichen Bäder, noch heirathen Wittwer und Wittwe.
Von den eben geschilderten Sitten der römisch-maronitischen Christen zu Jaffa weichen diejenigen der Nazarener und Bethlehemiten mehr oder minder ab. Im Hause des Leichnams und später in der Nähe des Grabes stellen sich zwei Weiber, wie Fechtkämpferinnen, und schlagen die klirrenden Degen an einander. Dann antwortet ein Chor Weiber singend und heulend, händeklatschend und tanzend. Darauf neues Degengeklirre der zwei Weiber; ihm nach der entsetzliche Lärm. Das ist die wilde, verwegene Todesjagd — in Nazareth und Bethlehem.
Zwei Dinge verdienen vor allen eine nähere Betrachtung: Das Durchgehen unter der Bahre und die frühe Beerdigung des Todten. Dem Falle vorzubeugen, daß für einen lebenden Lüstling der hingeschiedene Ehemann als Vater unterschoben werde, strengte sich in Europa die ganze Weisheit der Gesetzgeber, wie der Gerichtsärzte an, ohne daß es ihnen gelang, dem Betruge einen festen Riegel zu stoßen. Vielleicht versteige ich mich nicht, wenn ich behaupte, daß[S. 176] die Sitte der Jaffaner einem in diesen Punkt einschlagenden europäischen Gesetze den Vorrang ablaufe. Drücken wir die Sitte in Form eines Gesetzes aus: „Jede Wittwe ist gehalten, innerhalb drei Stunden vom Ableben ihres Ehemannes an (beim gehörigen Orte) anzuzeigen, ob sie sich von ihm schwanger glaube oder nicht.“ Einem so klar ausgesprochenen Gesetze müßte jede Erläuterung beschwerlich fallen. Doch Eines will ich berühren. Man kann dasselbe der Grausamkeit zeihen. Wie dem auch immer sei, nur beherzige man bei dieser Gelegenheit, daß die Sitten, die freiwilligen Gesetze (ohne förmlichen Vertrag), worüber die Wenigsten klagen, oft minder milde sind, als die Zwangsgesetze (laut förmlichen Vertrages), welche beinahe aus Aller Munde mit Klagen überschüttet werden.
Die frühen Leichenbestattungen verlieren sich unzweifelhaft in das graueste Alterthum. Sie gründen sich wohl auf die Ansicht, daß sie ein nothwendiges Gebot des heißen Himmelsstriches seien.
Eines Abends überraschte mich nicht wenig ein Schauspiel. Einem Vortrabe zu Pferde folgte eine geschlossene Menge Männer. Es waren für den Kriegsdienst eingeschriebene Leute, schwarze, halbschwarze und weiße, paar[S. 177]weise so an einander gebunden, daß allemal die Rechte des Einen und die Linke des Andern in einer Art Hamen staken. Eine hölzerne Spange nahm in Kerben die Handwurzeln auf und, so viel ich erblicken konnte, war jene seitlich mit eisernen Schrauben versehen, wodurch zwei Spangen, als Handklemmen, festgeschlossen wurden. Ueberdies war mit einem Stricke ein Mann hinter den andern, wie ein Kameel hinter das andere, gebunden. Einmal führte ein Soldat einen Bauer am Gürtel des Bauches in die Stadt. Hinter ihm ging ein wehklagend Weib. In einem Hause von Jaffa war ein anderes Mal eine bedeutende Anzahl Ausgehobener einquartirt, und etwa fünfzig Weiber heulten und schluchzten vor demselben, die einen mit dem Säugling an der Brust. Noch nie drangen so viel und so trübe Wehklagen in mein Ohr.
Die Regierung machte mir einen langen Strich durch die Rechnung. Um größere Schiffe hier zu laden, muß man, wegen des unsichern Hafens, Meeresstille oder leisen Wind abwarten, wodann sie auf offener See von Kähnen aus befrachtet werden. Eben trat günstige Witterung zum Laden ein. Da hieß es, daß die Regierung zwei Schiffe befrachte, und alle Kähne in Anspruch nehme. Mein Schiffshauptmann mochte sich verwenden, wie er wollte, er durfte am Ende nur müßig zuschauen, wie nach Alexan[S. 178]drette Rekruten eingeschifft wurden. Unvergeßlich bleibt mir dabei ein rührender Auftritt. Ein Weib, in einem blauen Hemde voll Löcher und Lappen, kauerte am Hafen in einem Winkel; es weinte bitterlich und schluchzte bitterlich; es deutete, daß ein ihr Theurer, vielleicht ihr Sohn, zu Wasser weggeschleppt werde. Und andere Weiber standen da und weinten bitterlich über das Schicksal einiger Eingeschifften, bis die Polizei sie unschonlich verjagte. Ich konnte bei diesem Auftritte den Gedanken nicht daniederhalten: Es muß unter den häßlichen Lumpen auch noch zartes Gefühl sich regen; ein Mutterherz bleibt Mutterherz — bei einer Christin oder Mohammetanerin; unter den unscheinbarsten Lumpen pocht manchmal ein wärmeres Mutterherz, als unter Atlas und Sammet. Diese Wahrnehmung freute mich um so mehr, da ich bei den arabischen Mannsleuten eine ungemeine Gefühllosigkeit, zumal gegen die Thiere, zu bemerken glaubte.
Ich möchte das Gesagte durch Thatsachen erhärten. Als ich auf meinem Ausfluge nach den Pyramiden am Wasser lange warten mußte, hatte der Esel mit angelegtem Zaume unter den Hufen gutes Gras, das, wie mir däuchte, keinem Einzelnen, sondern aller Welt gehörte. Dem Treiber fiel es nicht ein, das Gebiß abzunehmen, bis ich ihn dazu ermunterte. Als ich ein Kameel ritt, welches von einem In[S. 179]sekte am Bauche gequält wurde, wollte ich dem Führer zu verstehen geben, daß er jenes von der Plage befreie; allein ich konnte ihn glatterdings nicht dahin bewegen. Wie ich von Ramle nach Jerusalem wanderte, überließ ich am Fuße des Juda dem Treiber das Maulthier sammt dem belästigenden Felleisen, und ich ritt den Esel, welcher keine Ladung weiter trug. Theils um dem Thiere Erleichterung zu verschaffen, ging ich sehr oft zu Fuß, und kam schneller davon. Ich dachte immer, der Führer werde mein Beispiel nachahmen. Es mochte der Weg noch so steil sein, der Stumpfsinnige saß auf dem langsamen Läufer, und ließ mich eher aus den Augen. So gefühllos können Araber sein, während die gemüthreichen Türken mit der herzlichsten Freude einen Vogel in seinem Käfich kaufen, um ihn von der Gefangenschaft zu erlösen.
Das Weinen ist der Ausbruch der Freude oder Traurigkeit bei Gescheiden und — Narren.
Bei uns will die Züchtigkeit der Sitte oder der Anstand, daß man im Weinen sich mäßige, daß die Gefühle nicht ohne Rückhalt entströmen. Das eigentliche Choral[S. 180]weinen nach dem Laufe der Natur scheint man bei uns kaum zu kennen. Bei uns weint man piano oder pianissimo, in Jaffa forte oder fortissimo. In den Landen der Gesittung hält man es für besonders schön und rührend, wenn etwa eine Thränenperle aus dem unumwölkten Himmel herabfällt.
Als ich nach Tische die andere Hälfte des Neujahrstages von 1836 verlustwandeln wollte, da hörte ich von einer Gasse her ein wildes, klägliches Geschrei. Ich rückte näher. Vor der Thüre einer Truppenherberge harrte eine Menge Weiber, diesmal nur die wenigsten mit einem Schleier, und die entschleierten Gesichter verbreiteten einen solchen Zauber, daß Jedem die ungelegenen Heirathsgedanken verschwunden wären. Ich sah und hörte kaum jemals etwas Wilderes. Die Einen standen, die Andern kauerten. Die Einen konnten nicht genug ihre Hände um einander kreisen lassen, ohne daß diese sich berührten. Andere schlugen die Hand auf die Stirne oder auf die Brust, oder sie klatschten mit den Händen, indem abwechselnd bald die Rechte, bald die Linke die Oberhand war, und während der Oberleib vor- und rückwärts geschaukelt wurde. Die Meisten drehten unaufhörlich einen Zipfel des Kopftuches. Wieder Andere nahmen das kleine Kopftuch herunter, welches sonst den Kopf kronförmig umgibt, und das große Kopf[S. 181]tuch befestiget; mit jeder Hand faßten sie ein Ende des heruntergenommenen Tuches, drehten es, und hielten es bisweilen in die Höhe. Auch eine alte Frau mit zahnlosem Kiefer und vorspringendem Kinne und gebeugtem Leibe und wogenden Schultern hob ein solches Tuch empor, lärmend und herumtrippelnd; es mangelte der Rolle einer europäischen Tänzerin nichts, als die fröhliche Miene. Das schlug unverkennbar auf die erzkomische Seite. Ein Theil wimpelte mit den Händen, wie unsere Prediger auf den Kanzeln. Die meisten Augen schwammen in Thränen. Dabei war der Mund angelweit aufgesperrt. Die Einen begnügten sich fast einzig mit lautem Rufen. Andere gefielen sich darin, Empfindungslaute, manchmal quieksende, auszustoßen. Es gab auch solche Doppelsingspiele, indem unter schaukelnden Bewegungen die Eine der Andern auf die Schulter klopfte, oder ein Stück des Kleides packte. Nur die Kinder, von ihren Müttern getragen, waren alle — ohne Sauglappen ruhig und still. Sie schienen vielmehr an dem wilden Leben sich zu belustigen, und sie hätten, wie ich glaube, unfehlbar geweint, wenn die erwachsenen Leute in den Zustand der Beschwichtigung zurückgekehrt wären. Das ganze Schauspiel bot dem Europäer das Bild einer Raserei. Es war das Weinen in seiner Zügellosigkeit und unter allen Eingebungen der Traurigkeit.
Es ist nicht in Ferne meine Absicht, das Gefühl der Theilnahme mit meiner Schilderung zu beleidigen. In dem Rührenden fand ich, vom Hause aus mit andern Sitten, so viel Possirliches, daß ich mich hin und wieder des Lachens nicht erwehren konnte. Es verfehlt auch nicht die Feuersbrunst, ungeachtet ihrer betrübendsten Folgen, auf das Gemüth einige angenehme Eindrücke im Augenblicke hervorzubringen, da das Element in aller Pracht seiner Farbe und in seiner siegreichen Ungebundenheit gegen den Himmel emporlechzet.
Weiber, seid ihr nun die Erbinnen der uralten Sitten? fragte ich sie im Gedanken. Das Schauspiel dürfte vielleicht alterthümlicher sein, als der Sphinx, jener Riese bei Memphis. Die Verfasser der alten heiligen Urkunden mochten so oft Zeugen ähnlicher Auftritte gewesen sein.
Zuerst wußte ich das Klageschrei nicht zu deuten; später aber erfuhr ich, daß Mütter ihre Söhne, Weiber ihre Männer, Schwestern ihre Brüder beklagten, weil die dem Familienschooße Entrissenen sich auf die Laufbahn des Kriegers werfen mußten. Ich besorge inzwischen, langweilig zu werden, weil ich das alte Trauerlied auf die Kriegsknechte wieder anstimmte. Ich verspreche mir jedoch durch das Langeweilen den Nutzen, daß die wiederholten bösen Einschreibungen neuen Kriegsvolkes sich um so leb[S. 183]hafter vor die Seele stellen, und daß die nunmehrige peinliche Lage der Syrier um so ernster sich vergegenwärtige. Die Mannschaftsaushebungen befleckt eine Grausamkeit, die Ihresgleichen sucht. Manchmal werden alle Mehrjährigen männlichen Geschlechtes aus einem Hause weggeräumt. Wer wird hinter dem Pfluge gehen? Wer wird die Stütze einer alten Mutter sein? Was für eine Zukunft thut sich vor der militärischen Gewaltherrschaft auf? Die Mütter und Schwestern, denen die Anhänglichkeit an die Ihrigen zur Ehre gereicht, klagen nicht umsonst so laut, so rasend; denn ist der Ausgehobene einmal Soldat, so bleibt er es sein Lebenlang, wofern ihn nicht eine Laune des Gewalthabers entläßt. Auch die Weiber werden mit Recht klagen, wenn ihnen die Hoffnung abgeschnitten wird, den Mann begleiten zu können, mit welchem nicht mehr, als ein Weib ziehen darf. Das ist freilich nach christlichen Begriffen genug, und hierin erscheint die Unbarmherzigkeit wirklich in einer viel mildern Gestalt. Uebrigens gestattet der Herrscher offenbar nicht aus edeln Beweggründen dem Krieger sein Weib, sondern aus dem frostigen Grunde, damit aus altem Militär junges werde. Bereits schon bei einem andern Anlasse wurde darauf aufmerksam gemacht.
Er ist unstreitig der größte jetztlebende Feldherr unter den Osmanen. Das Schicksal verlieh mir die Gunst nicht, ihn zu sehen, obschon er sich in Syrien aufhielt. Ich beschränke mich darauf, Einiges aus ziemlich glaubwürdiger Quelle nachzuerzählen.
Ibrahim besitzt ein sehr fröhliches Gemüth. Er lacht beinahe an Einem fort. Die Franken hat er lieb; wenigstens überhäuft er sie mit Beweisen von Freundlichkeit. Gründliche Kenntnisse im Militärfache gehen ihm gänzlich ab, und Unterrichtetere schreiben das Kriegsglück hauptsächlich dem französischen Abtrünnigen Seve oder Soliman-Pascha zu, welcher selbst von Mehemet-Ali vorgezogen werden soll. Immerhin zeichnen Ibrahim Geistesgegenwart, kluge Benützung der Umstände und persönlicher Muth aus. Voran in Anführung der Schlachten, befeuert er durch seine Erscheinung den Soldaten, an den ihn das Band gegenseitiger Liebe knüpft. Indessen wußte der Feldherr dieses Band bisher nicht so fest zu schürzen, daß er dem Araber höhere Offiziersstellen anvertrauen dürfte, die hinfort von Türken oder Ausländern besetzt werden. Als auf einem Feldzuge eine ziemliche Anzahl Soldaten vor Durst starb, und als ihm dann der Fund jenes unent[S. 185]behrlichen Lebensmittels glückte, das man beim Mangel nicht minder hochschätzt, als beim Ueberflusse geringschätzt oder verwünscht, so reichte er persönlich den Uebriggebliebenen den Labungstrank.
Diesem milden Zuge reihe ich zwei grausame gegenüber. In Alexandrien erhob sich ein Sturm mit seltener Macht. Eine dort vor Anker liegende Fregatte litt Noth. Der Hauptmann, in der Voraussicht, daß sie auf der Rhede zu Grunde gehen würde, steuerte in den Hafen. Ibrahim beschied den Fregattenhauptmann vor sich. Erst wälzte er den Vorwurf auf ihn, daß er ohne Befehl von der angewiesenen Stelle sich entfernte, dann fügte er hinzu, daß er sich dem Schiffbruche und der Lebensgefahr hätte preisgeben sollen, und auf das hin schlug er sogleich dem Offiziere mit höchsteigener Hand den Kopf ab. Im Abendlande würde freilich Jemand wenig Herzen erobern, wenn man ihm nachsagen müßte, daß er oberster Feldherr und Henker zugleich sei.
Eine andere Handlung legt kein geringeres Gewicht auf den grausamen Karakter Ibrahims. Ein Engländer zeigte ihm in Syrien eine ausgezeichnet schöne Flinte. Ibrahim wollte ihre Güte erproben. Er ließ sie laden, und da eben ein Araber am Hause vorüberging, so trug er kein Bedenken, auf ihn zu zielen. Puff! der Unglückliche fiel todt[S. 186] nieder, und der Pascha ermangelte nicht, die Flinte zu preisen.
Kleine Männer haben gerne große Schriftzüge und große Petschaften oder Siegel. Sie wollen ihre Neigung, größer zu werden, auch darin nicht verleugnen, daß sie ein hohes I-Tüpfel auf den Kopf und eine lange Semikolonkurve unter die Füße hinmalen. Die Beobachtung ist mit nichten gesucht. Sie wird sogar ohne den Scharfsinn möglich, welchen ein Ornithologe, wie ich neulich las, im Ernste an diesem und jenem Vogel hervorhob. Und ich? — wußte noch niemals, daß ich Scharfsinn besitze. Jetzt freue ich mich natürlich der glücklichen Entdeckung, den Fall vorausgesetzt, daß die Herren Ornithologen einen Menschen den gefiederten Thieren nicht unterordnen.
Lasset uns aber die Beobachtung einmal näher würdigen. Wir drückten vielleicht das Petschaft oder Sigill zu stark auf. Quod valet de toto, valet quoque de singulo, sagt die Universitätsfibel. In Egypten und Palästina fand ich durchwegs auffallend kleine Petschaften oder Siegel, wovon zwei etwa ein abendländisches geben würden. Also gilt mein allgemein aufgestellter Satz nicht von diesen Ländern insbesondere. Wie ich zum ersten Male in Alexan[S. 187]drien den kleinen Fleck auf dem Amtspapiere erblickte, glaubte ich, es wäre ein Spaß, und ich schmunzelte bei mir selber, so viel man immer über etwas Amtliches schmunzeln darf. Bisher hielt ich, als guter Abendländer, das amtliche Ansehen für unzertrennlich mit einem großen Siegel oder einem grandiösen Stempel, und in der Erste schien mir die egyptische Regierung gerade um das minder werth, als das Siegel, gegen einem europäischen Amtssiegel, kleiner war. Auch mit solchen Begriffen verläßt man das gescheute Franken-Land.
Noch mehr. Sogar das kleine egyptische Regierungssiegel hatte eine unnütze Größe. Wie kann das sein? Ich bekam in Großkairo einen gestempelten Thorschein; allein keine Zunge bekümmerte sich darum, weder am Thore, noch in und über der Wüste, und, außer dem meinigen, sah kein Auge den Stempel. Sollten etwa die Europäer auch so unnütze stempeln, es ginge bei ihnen so gewiß, als zweimal zwei vier machen, mehr verlustig, und der Vortheil fiele offenbar auf die Seite der Egypzier; man versteht mich — der Vortheil oder Gewinn, weniger zu verlieren.
Mehrmals las ich, daß die Palästiner sich von den Europäern den Puls fühlen lassen, in der Meinung, alle[S. 188] Franken wären Hakim (Aerzte). Letzteres kann ich bestätigen, nicht aber ersteres; denn selten begehrte man in Palästina von mir ärztlichen Rath oder Beistand. Um aber doch ein Beispiel anzuführen, so traten einmal in Jerusalem drei bis vier verschleierte Frauenzimmer in meine Klosterzelle und verlangten den Arzt. Ich hatte eben Besuch, und sie wurden von meinem Gaste ziemlich derbe hinausgewiesen. Seit Syrien von egyptischen Truppen besetzt ist, zählt es mehr europäische Aerzte, und es bleiben, meines Wissens, die reisenden Franken so ziemlich ungeschoren.
In Jaffa weilte ein herumziehender Arzt, ein Grieche. Vergebens wollte ich mit ihm ein ärztliches Gespräche anbinden. Wahrscheinlich hat der Mann Arzneiwissenschaft gar nie studirt. Ich rühme an ihm, als etwas Ausgezeichnetes, einen goldenen Uhrschlüssel, den er mit Selbstgefälligkeit recht tüchtig auf dem Bauche bammeln ließ. Um die Höhe seiner wissenschaftlichen Bildung muthmaßlich und unmaßgeblich zu bezeichnen, will ich ihm den Glauben in das Herz legen, welchen das alte Wörterbuch Gemma gemmarum (Ausgabe von 1508) über das Nolimetangere, auf deutsch: Rühre mich nicht an oder Krebs, ausspricht: „Es ist eine gewisse Krankheit, welche am Gesicht ex mictura glirium entsteht.“ Das heißt, firm gesprochen. Damals wußte man also die Ursache vollkommen gut; jetzt[S. 189] zweifelt man. Oft werden wir weiser, wenn wir weniger wissen wollen. Unser griechischer Arzt verfügte sich, nach Verrichtung gelungener und mißlungener Kuren, sowie auch guter Geldgeschäfte, in die Stadt Jerusalem. Solche herumirrende Kurirer erinnern mich an die italienischen Zinngießer und die französischen Scherenschleifer, welche das Schweizer-Land durchkreuzen. Sind sie in einem Dorfe fertig, alsbald in einem andern zünden sie das Kohlenfeuer an und stellen den Schleifstuhl auf, um die Kunden zu befriedigen.
In der Absicht, meinen faden Reistisch zu verbessern, ging ich zur Fleischbank am Marktplatze. Ausgezogene Schafe hingen an Haken. Die herumstehende Menge war so groß, daß man sich, wie bei uns zu den Osterrindern, ordentlich durchdrängen mußte. Endlich öffnete sich eine Lücke am hölzernen Geländer, und ich füllte sie auf der Stelle, von allen Seiten gedrückt, nur von der Bank her nicht. Ein sauertöpfischer Fleischer konnte nicht genug abschneiden und abhauen, so sehr rissen sich die Leute um das Fleisch. Ein Wohlgenährter saß auf seinen Beinen und nahm die Zahlung an. Ein Anderer war damit beschäftigt, die sonderbar geformten Gewichte in die Wagschale zu[S. 190] werfen und daraus zu nehmen. Bereit lag ein Schreibzeug, eine lange metallene Büchse, welche sonst der Schriftgelehrte vor der Brust zwischen das Oberkleid schiebt, und nicht ohne einigen Stolz einen Theil davon hervorschauen läßt. Man sieht, daß der Fleischverkauf ja auf eine großartige Weise betrieben ward. Schon harrte ich längere Zeit; jetzt wurde ich aber des Wartens überdrüssig. Man hat mich als Fremden und Franken doch zu wenig beachtet. Ich verließ die Schlachtbank.
Um meiner Mißstimmung mit einem Balsam zu begegnen, spazirte ich die Stadt hinaus. Besser, als das saure Gesicht des Schlächters gefiel mir das üppige Grün im Mauergraben, welcher die Stadt in einen Halbzirkel sperrt. Indessen wollte es mir auf dem mohammetanischen Leichenacker auch nicht behagen. Meine Gedanken richteten sich noch immer nach dem übelriechenden Aas, welches in demselben eine Woche früher ein Rudel Hunde mit einer Begierde aufzehrte, daß der Fraß mit Raufhändeln gewürzt wurde. Heute war Alles aufgefressen bis an die größern Knochen; nicht mehr verpestete das Aas den lieblichen Ort, — Dank der einsichtigen, wohllöblichen Gesundheitspolizei — der Hunde.
Ich kehrte um. Vor mir schritt ein Offizier durch das Thor. Die Wache, ein alter Kerl mit einem magern Ge[S. 191]sichte, präsentirte unverzüglich das Gewehr. Kaum aber hatte er es zur Seite genommen, als er mit der rechten Hand buckelmachend die Lenden rieb, wahrscheinlich aus Ehrerbietigkeit gegen seine Leibwache.
Umsonst war ich Willens, im Rückwege gegen meinen Fleischer eine recht mürrische Miene aufzupflanzen. Es stand eine andere Fleischbank offen, und ich säumte nicht, mein Glück hier zu versuchen. Ich rief aus voller Kehle, und es half. Unter dem Nachrufe von haidi entfernte ich mich mit meinem Fleische in fröhlicher Stimmung.
Die Araber, diese klugen Leute, glauben, daß der Fremde ein Strohkopf sei, sofern er, in Beobachtung der Bescheidenheit und des Anstandes, nicht spreche oder, um es genauer auszudrücken, nicht maule. Wenn er nur den Mund spaltet, gleich viel, was er donnere, er wird sogleich ein Gegenstand der Ehrfurcht. Ich machte diese Erfahrung nicht nur dieses, sondern auch andere Male. Kurz und gut, im Nu ward, auf meinen Lärm, mir Fleisch zugewogen.
Niemand in Europa hat die absterbenden Zähne gerne; doch hätschelt man dort die Dinge, welche ihnen das frische Weiß rauben. Oder sind sie, mit Erlaubniß zu fragen, liebenswürdig, die Zähne von der Farbe — geräucherter[S. 192] Schinken und mit den Höhlen, worin die Schmerzen mit Vorliebe wüthen? Ach, wären nur die Zähne durch und durch Schinken, so könnte man sie anschneiden, und mit dem speckweißen Liebreize das ganze Menschengeschlecht entzücken. Allein selbst die Aeuglerin kann sich im dienstfertigsten Spiegel nicht ganz zurecht gucken die tintenen Zähne mit deren malerischen Schluchten, in welchen die balsamischen Quellen der Schmätze entspringen. Es thut mir leid; aber ich kann es nicht ändern.
Es ist zwar nicht der daumensdicke, manneshohe Pflanzenhalm, nicht die binsenartigen, langen Blätter, welche zu drei Fingerbreiten über einander um denselben sich ansetzen, nein, nicht dieses Gras, dieses Zuckergras, dieses Zuckerrohr ist es, welches den Zähnen so viel Verderben bringt, sondern der Saft dieses Gewächses, nachdem er durch Kochen eingedickt und dann geläutert oder raffinirt worden: der Zucker.
Sehnlichst verlangte mich, den Vater eines so raffinirten Kopfes und Verwüsters der schönen Welt näher kennen zu lernen. Außer dem Thore der Stadt ist eine Menge frisches Zuckerrohr an einer Reihe ausgebreitet, worum Verkäufer und Käufer wimmeln, unter welch’ letztern ich namentlich Soldaten mit ihren halbschwarzen Gesichtern bemerkte. Ich wollte mich zuerst satt sehen; allein das Sehen nur ver[S. 193]schafft nicht sehr viel Vergnügen, weil — es nichts kostet. Dachte ich doch, ich werde den Saft des Rohrs im Munde auch ausziehen können, wenn es Andere mit so vieler Lust thun. Ist man einmal draußen in der weiten Welt, so muß man etwas mitmachen, damit man daheim etwas erzählen kann, hört’ ich so oft schon sagen. Ich kaufte ein Zuckerrohr. Ich biß wohl oben; aber das Süßsalzige mundete mir nicht. Der Zuckerrohrhändler, meinen Fehler gewahrend, warf den obern Theil des Halmes gleich weg, und ich biß in den untern, der besser schmeckte. Ganz rein schmeckte das Süß hart über der Wurzel. Wie aber oben das Rohr weniger rein schmeckt, so schmeckt das unterste, zum Theil in der Erde steckende Glied nach Wurzeligem. Die grüne Pflanze enthält bedeutend viel Saft, welcher, wie im eingedickten und geläuterten, so auch im frischen Zustande, die angenehme, reine Zuckersüßigkeit besitzt. Das Rohr wird so genossen, daß man rohe Stücke in den Mund nimmt, und sie zerbeißt, um daraus den Saft zu verschlingen. Die faserigen Theile werden weggespieen.
Roman Pane, welcher die alte Welt mit dem Tabak bescherte, geschieht fürwahr in alle Zeiten Unrecht, daß er nicht wenigstens zur Linken Mohammets von den Mos[S. 194]lim verehrt wird; denn wer möchte in Abrede stellen, daß diese den Tabak minder leicht entübrigen könnten, als den Koran?
Hätte ein Bursche nicht so lächerlich gelacht, als er an der Hand einen türkischen Pfeifenkopf drechselte, nach den Gedanken der alten Zeit umwendend, schier gedankenlos modelte, durchstach und in wenig Zeit fertig hudelte, ich würde eher zum Tabakschneider geeilt sein.
Hinter dem Handwerksmanne jene drei Wände von Mauer mit der offenen Seite und dem Thürverschlusse gegen die Gasse, mit dem platten Dache von Holz müssen ja das Audienzzimmer sein, welches er nur zur Seltenheit betritt. Denn — er hockt mit diesem Raume zwar auf gleicher Höhe, aber auf einem Mauervorsprunge und unter einem Vordache, vielleicht auch damit er mit seinen Kunden leichter verkehren könne. Wie mag den Glücklichen ein Anderer beneiden, dem bloß von außen an einer Bude ein kleiner obdachloser Winkel zu Verrichtung seiner Kunst vergönnt ist. Zu einem buchstäblichen Winkelhandwerke verurtheilt, begrenzt sich die Handthierung des armen Teufels einzig auf Zerschneidung und Zerschnitzelung des kundschaftsweise anvertrauten Rauchtabaks, und für einen Piaster schneidet er ein ordentlich Schock.
Wenden wir uns wieder zu dem Tabakschneider in der[S. 195] Bude. Es sind bei ihm so wenig Artikel ausgekramt, daß er sein Gedächtniß damit nicht überladen darf. Haufen von unzerschnittenem und zerschnittenem Tabak liegen unordentlich herum. Eine Wage mit messingenen Schalen und einem hölzernen Balken lauert auf den Käufer. Damit aber den Verkäufer selbst das Warten nicht verdrieße, schneidet er für sich — und Andere Tabak in gar hübschen Nadeln. Ein der Länge nach gespaltenes, ziemlich großes Rohr oder Halbrohr dient zur Aufnahme des Tabaks. Jenes ist mit Eisen gerändert, wo das Schneidemesser hart vorbeifährt. Letzteres, auf einer Seite so befestiget, daß es mit geringer Mühe herab- und hinaufläuft, ähnelt in den wesentlichsten Beziehungen unserem Schneidemesser mit der Vorrichtung dazu, wie selbes die Apotheker zu Zerschneidung von Arzneien, z. B. von Wurzeln, und die Liebhaber des Tabaks zu anderem Behufe gebrauchen. Noch ähnlicher, als unserm Schneidemesser der Apotheker ist es dem Schneidestuhle, mittelst dessen der Häckerling bereitet wird. Drückt der morgenländische Tabakschneider mit der Hand das ungeschnittene Kraut im Halbstiefel wohl zusammen und ein wenig über den Rand, so schiert er mit dem herunterschwirrenden Messer gleichsam eine Scheibe ab, die, sogleich in viele Schnitzel zerzottelnd, auf eine Schilfdecke zu Boden fällt.
Von den vielen Handwerkern, welche dem Abendlande angehören, dagegen im Morgenlande vergebens gesucht werden, will ich bloß den Kunstgärtner (im strengeren Sinne des Wortes) nennen. Ein Deutscher, dessen erwähnt ward, that sich für einen Gärtner aus, und kannte wirklich einige Gewächse nach ihren lateinischen Namen. Hier aber beklagte er seinen Beruf, weil die Natur ohne Kunsthilfe Alles viel schöner hervortreibe, als es der erfahrungsreiche Gärtner Europas den dortigen Anlagen und Treibhäusern abdringe.
Dem abendländischen Kunstgärtner hält indessen der Morgenländer einen andern Berufsmann entgegen, welchen gerade das Abendland nicht aufzuweisen vermag; ich meine den Nargilebedienten, den Nargileträger. Argile oder Nargile heißt eine Tabakspfeife mit einer Tasche voll Wasser, durch welches der Rauch gesogen wird. Mit drei bis vier Nargilen geht der Gewinnlustige auf der Gasse umher, und erhascht er einen Liebhaber, so stopft er ihm die Pfeife mit Tabak und setzt überhaupt Alles so in Bereitschaft, daß der Rauchlüstling bloß das Mundstück der Pfeife zwischen die Lippen und die Hand in den Geldbeutel schieben darf.
Kaum sättiget man sich an diesem Auftritte, so schreitet ein wohlhabender Morgenländer stattlich daher; schweigsam und treu wie der Schatten folgt ihm ein schwarzer Sklave, welcher die lange, brennende Pfeife seines Herrn trägt. Nun mache ich einen Besuch. Alsbald füllt der Diener oder gar die Dame des Hauses die mit einem bernsteinernen Mundstücke versehene Pfeife und raucht sie an, um sie mir darzubieten. Ich wische das Mundstück hübsch fein ab, und rauche mit der größten Bequemlichkeit. So reicht auch der Diener seinem Herrn immer die angerauchte Pfeife.
Im Rauchen sind die abendländischen Christen, im Vergleiche mit den Morgenländern, gleichsam Stümper. Es ist übrigens für den Reisenden eben nicht unumgängliche Nothwendigkeit, daß er mitrauche. Ich lernte zwar das Rauchen erst auf der Reise, verzichtete darauf jedoch öfter längere Zeit.
Ich trete in ein großes Gewölbe. An der Wand brennt es in einer Höhle. Ueber dem Feuer steht schief ein irdenes, großbäuchiges und ziemlich enghälsiges Gefäß zur Röstung des Kaffees. Dieser wird von einem Manne mit einem Stäbchen fleißig umgerührt, bis er gar ist. In[S. 198] einer offenen Pfanne würden während des Röstens offenbar mehr kräftige Bestandtheile sich verflüchtigen.
Neben dem Herde nimmt der Mörser seine Stelle ein. Eine runde, tiefe Aushöhlung des Fußwerkes von einer alten Marmorsäule ist er — fest ummauert. Ein Mann beschäftigt sich eigens mit dem Zerstoßen oder Zermörsern des Kaffees. Er handhabt eine große, eiserne Mörserkeule, die durch ihren schweren Fall zermalmt. Dazu musizirt der Arbeiter stöhnend auf echt arabisch bei jedem Plumps. Hat der Kaffee eine mehlichte Beschaffenheit erreicht, so wird er durch ein Sieb gebeutelt. Das Seihsel fällt auf einen platten, großen, fein geflochtenen Strohteller; das Ueberbleibsel im Siebe wird in den Mörser geschüttet, um es aufs neue zu zermalmen. Den letzten Ueberrest betrachtet der Araber als Auswurf; allein leicht kann man hier übervortheilt werden. Der betrügerische Araber rechnet zu jenem gerne solchen Kaffee, den er noch gar wohl benützen kann.
Ein Italiener von meiner Bekanntschaft kauft, um Einiges zu ersparen, unzerstoßenen Mokkakaffee. Er bringt ihn in die Werkstätte. Er muß warten; denn so eben wird für einen andern schon Dastehenden Kaffee geröstet. Nun geht es an den seinigen. Es faßt das irdene Gefäß und bald der Mörser den Kaffee, und für die Röstung und[S. 199] Pülverung bezahlt er eine Kleinigkeit. Fein wie Mehl ist der zermörserte Kaffee.
Die Baumwolle wird in der Nähe von Jaffa, aber nicht auf einem Baume, wie das deutsche Wort zu allgemein sich ausdrückt, obschon es auch Baumwolle gibt, sondern an einem wenige Fuß hohen, strauchartigen Gewächse gewonnen. Genug, daß sie gedeiht, und zu den nützlichsten Erzeugnissen des Erdbodens gezählt werden darf.
Die Baumwolle beschäftigt manche Hände, bis sie gereiniget ist. In einer Werkstätte setzte Einer ein größeres Rad mittelst eines Tretschemels und ein kleineres mit der einen Hand an der Kurbel in Bewegung. Diese zwei Räder trieben zwei Walzen, die nahe über einander und in ungleicher Richtung liefen. Wird die durchsämte Baumwolle mit der noch freien Hand in die Walzenfuge gehalten, so erschnappt diese den wollenen Theil und läßt ihn auf der andern Seite fallen; auf der nähern Seite bleiben die Samenkörner zurück. Selbst auf der Neige des Wintermonates verrichteten in Ramle das Geschäft der Samenabklappsung beinahe nackte Männer.
Ich entfernte mich vom Baumwollereiniger, und wollte[S. 200] lieber dem Schilfdeckenweber zuschauen. Der Webstuhl ist sehr niedrig, kaum über einen halben Fuß hoch vom Boden, und von Baum zu Baum sind als Kette Schnüre angestreckt. Abwechselnd stehen zwei Schnüre sich nahe, um einen Zwischenraum von beiläufig drei Zoll offen zu lassen. Der hölzerne Kamm mit so viel Bohrlöchern, als Kettenschnüre sind, hängt nicht, sondern lastet auf den letztern, nachdem die Schnüre durch den Kamm gezogen worden. Da das Gewebe, nämlich die Decke, in der Breite etwa fünf Fuß mißt, so weben zwei Burschen einträchtig neben einander, ein jeder die Hälfte der Breite, während jedoch der eine allein den Eintrag mit dem Kamme zuschlägt. Beide hocken vor diesem Werkzeuge auf dem Gewebe, und in dem Maße, daß sie weiter weben, rutschen sie vorwärts, wie unsere Kinder, welche noch nicht gehen können. In der Nähe der Weber liegt der Schilf, bei dem einen unter den Füßen. Behende spalten sie ihn mit dem bereit gehaltenen Messer. Das Schilfband ziehen sie mit den drollig davon hüpfenden Händen abwechselnd über und unter zwei Schnüre des Aufzuges durch, auf gleiche Weise das nächste Band, nur gegenüber und schließend, u. s. f. Von den Schilfbändern werden die Schnüre ebenso umschlungen, wie beim Flechten der Körbe von den Weiden die Stäbchen. Die Burschen weben mit großer Fertigkeit, und haben sie[S. 201] zugewoben, so müssen die Schnüre durchschnitten, und allemal die zwei näher stehenden zusammengeknüpft werden, damit sie den Schilf da festhalten, wo er im Weben sich kreuzt.
Man macht von den Schilfdecken ungemein viel Gebrauch. Unter Zelten, in Häusern und Kirchen deckt er die Erde oder Steine. Der Betende zieht zuerst seine Schuhe aus, und dann wirft er sich in dem Tempel auf einer Schilf- oder Strohdecke nieder. Betet unter freiem Himmel der Mohammetaner, sein Antlitz gegen Mekka gewendet, und hat er gerade eine Schilf- oder Strohdecke bei der Hand, so breitet er sie, oft unter seinen nackten Füßen, aus.
Ich konnte zuerst nicht klug werden, als ich etwas erblickte, das aus Schwarzem herausragte und im Meere herumzappelte. Es war ein bis an die Lenden entblößter Schiffer. Er saß in einem so kleinen Kahne, daß dieser dem Manne mit ausgestreckten Beinen kümmerlich Platz gestattete. Er ruderte mit keinen eigentlichen Rudern, sondern mit kleinen Plattschaufeln. Er hielt diese in den Händen fest, je eine Schaufel in einer Hand, und platschte damit in das Wasser, wie, man wird mir die Vergleichung erlauben, der schwimmende Hund mit den Vorderpfoten.[S. 202] Das Schiffchen fuhr ziemlich schnell von einem größern Schiffe zum andern, von Riff zu Riff, und wenn es in den Grund lief, so trug der Schiffer es gleich weiter, bis er es wieder flott machen konnte.
Um ja Alles auszuplaudern: Ein noch kleineres Schiffchen ließen die Knaben vor dem lateinischen Hospize auf der Gassenpfütze herumfahren. Ich lobe an diesen Schiffchen, ich darf wohl sagen, die treffliche Eigenschaft, daß es keine Kameelfüße hatte; denn wenn die Buckeligen mit ihren schweren, breiten Füßen durch die große Pfütze trabeten, so entstieg dieser ein sehr unangenehmer Geruch bis in meine Zelle. Außer der kindischen Schifffahrt nahm ich bei den Kleinen sonst keine andere Spiele wahr, als eine Art Wettlauf und das Gleiten auf einer geneigten Fläche, z. B. indem ein Kind, Kopf voran, sich von einem andern an den Armen herunterschleifen ließ.
Die Araber überlassen sich nicht sehr häufig dem Spiele. Karten trifft man allerdings bei ihnen, allein ziemlich selten. In Kaffeehäusern zu Kairo spielten Araber Schach, aber mit possenhaft plumpen Figuren.
An der kleinen Meeresbucht bei Jaffa sah ich ebenfalls[S. 203] beim Spiele Morgenländer, welche das Schachbret in den Sand gezeichnet hatten.
Eines Tages bemerkte ich am Hafen von Jaffa zwei im Spiele begriffene Soldaten. Schnell trat ich näher. In ein Bret waren vierzehn schalenförmige Vertiefungen gearbeitet, wovon je sieben eine Reihe bildeten. Eine ziemliche Anzahl Ziegelbröckchen legten sie in die mittlern sechs Gruben. Mir wurde der Zusammenhang des Spieles nicht völlig deutlich; doch so viel nahm ich wahr, daß aus einer Grube die Steine gehoben und davon einer allemal in eine Vertiefung um die andere gesetzt wurde. Wenn dann der letzte Stein in eine leere Grube fällt oder nicht, so bringt es dem Spielenden Verlust oder Gewinn. Das Spiel ist wohl kein anderes, als das von Niebuhr und Burckhardt beschriebene Mangal.
Der eine der spielenden Soldaten war der am Hafenthore wachehaltende Soldat. Mit der linken Hand hielt er das Feuergewehr, und mit der rechten spielte er. Da gesellte sich ein dritter Soldat hinzu. Er hatte nichts Eiligeres vor, als seinen Mantel hart am Spielbrete niederzuwerfen und, nach Ablegung der Schuhe, sich aus denselben barfuß zu stellen; denn nach solcher Vorbereitung verrichten viele Mohammetaner das Gebet. Dieser Soldat mochte im Beten stehen oder hocken, oder auf das Gesicht[S. 204] niederfallen, die Spielenden ließen sich nicht im mindesten stören. Der Eine lachte unterdessen manchmal mit aller Herzlichkeit, andere Male kicherte er. Es ist eine bemerkenswerthe Sache, daß, so viele Sprachen auch in der Welt den Tausch der Gedanken und Gefühle vermitteln, dennoch das Lachen, welches vom leisen Schmunzeln bis zum schallenden Gelächter so viele Gemüthszustände ausdrückt, meines Wissens — allenthalben gleich ist sowohl in Beziehung auf die Beschaffenheit, als auf das Maß der Töne. Das gilt im Wesentlichen auch vom Weinen. Die afrikanischen und asiatischen Kinder können so unharmonisch weinen, wie die unserigen. Die Erscheinung erklärt sich dadurch, daß die Lach- und Weinlaute Naturlaute sind, welchen die Kunst weder Mark abbettelte, noch andichtete. Kehren wir zu den lachenden Spielern zurück. Der Neuangekommene näherte sich, nach vollendeter Andacht (Asser), alsogleich dem Spielbrete, und ohne Umständlichkeit schob er einen der Spielenden weg. Jetzt betrachtete ich erst mit mehr Aufmerksamkeit eine große Narbe am Vorderarme des neuen Spielers, und wirklich glaubte ich dieselbe als ein Ordenszeichen kriegerischer Tapferkeit mit seinem herrischen Benehmen in Einklang bringen zu sollen.
Meine Lebensart würde nicht jeder Europäer gepriesen haben. Ich kam in die römische Fastenzeit. Die lateinischen Mönche aßen nichts, als Brot, Kräutersuppen, Hülsenfrüchte, Gemüse, Fische, Oelbeeren u. dgl. Zudem dürfen diese Speisen nicht mit Butter oder Schmalz, sondern sie müssen mit Oel abgekocht werden. Das wäre allerdings eine engherzige und harte Vorschrift für Bewohner von Ländern, wo das Oel selten und theuer, die Butter hingegen im Ueberflusse und zu wohlfeilem Preise zu haben ist. Uebrigens wird von Kundigen die Thatsache nicht bestritten, daß das Pflanzenfett weniger reizende Eigenschaften besitzt, als das Thierfett, wie: die Butter.
Die magere oder Fastenkost (il magro) eignet sich, beim Lichte betrachtet, in der That, die sinnlichen, d. h., die thierischen Gelüste des Menschen abzutödten, mithin die Weltüberwindung eher in den Kreis der Möglichkeit hereinzuziehen. Wundern muß man aber sich, daß der gemeine Genuß des Weins, welchen die strengste Diät, wie die mohammetanische Rechtgläubigkeit verbietet, und welcher schon so manche Sünde veranlaßte, im römischen Fastenspeisezettel einen Platz behauptet. Gibt man nun auch zu, daß man mit dem Fasten[S. 206] den Zweck der Weltüberwindung näher oder minder nahe erstrebt, so darf man darum auf der andern Seite das Nachtheilige nicht verschweigen, daß es hier und da den Zunder zu Krankheiten legt, nicht bloß, wenn auch vorzüglich bei den Griechen, wie wir schon oben in Gaza vernommen haben, sondern auch bei den Lateinern.
Da ich von einer Unpäßlichkeit immer nicht hergestellt ward, so unterwarf ich meine Ernährungsweise der ernstesten Prüfung, deren Ergebniß war, daß ich anfing, die Ursache meiner Nichtwiedergenesung in der Fastenspeise zu suchen. Ich sann auf Abhilfe der magern Kost. Auf meine der Gesundheit geltenden Gründe erlaubte mir der Pater Superior mit aller Bereitwilligkeit, was ich wollte; bloß eine Kleinigkeit fehlte, nämlich der Koch vollführte nicht. Ich wünschte unter Anderem Milch. Ich wendete mich deswegen an den Pater Superior, an den Koch, an den Konsul Damiani, an den Schulmeister der Maroniten, an einen Italiener, dem ich empfohlen war, und der sie täglich trank, — ich goß nur Wasser ins Meer. Schienen die Einen vergeßlich zu sein, so war die Vergeßlichkeit in der That eine milde und tröstliche im Gegenhalte derjenigen des Kaisers Klaudius, der Viele dem Tode überlieferte und einen Tag nach der Hinrichtung sie wieder zu Tische und zum Spiele einlud.
Zwei Tage aß ich freiwillig nichts, als Brot und im Wasser gekochten Reiß, ohne Oel, ohne Butter, ohne Salz, kurz, ohne eine Zugabe; Wasser diente als Getränke. Besorgt endlich für meine bevorstehende Seereise bei dieser entkräftenden Nahrung, ging ich zu Markte, verschaffte mir ein Huhn, und so wurde mir nach Belieben gekocht. Ueberdies kaufte ich Butter und Honig, — und Brot, Butter und Honig auf einander schmeckten mir eben so köstlich, als einst auf den Kindsbeinen, wenn ich diesen Leckerbissen aus der freigebigen Hand meiner alten Großmutter empfing.
Indessen würde man sich um die jaffanische Butter, neben der vorarlbergischen und schweizerischen in der Gebirgsgegend, schwerlich reißen. Wer leicht Ekel empfindet, isset sie nicht. Sie sieht schmutzig aus, und die Haare sind in solcher Menge in sie geflochten, als wäre es mit Fleiß geschehen, damit sie nicht von einander falle. Dessen ungeachtet schmeckt die Butter nicht übel, einzig etwas säuerlich, keineswegs aber ranzicht. Sie wird auf dem Markte feil geboten. Ein Verkäufer hatte einen hohen, unordentlich gekneteten Haufen auf dem Teller. Zum Zeichen meiner Kauflust streckte ich ihm einen Piaster dar. Gleich ergriff er die kupferne Schalenwage, krabbelte mit den ausgebreiteten Fingern flink von der Butter, wog ab und ich be[S. 208]kam, nackt von Hand zu Hand, mehr, als ich erwartete. Ich vergesse nicht, beizufügen, daß der Verkäufer ein Mohammetaner war. Wäre er ein morgenländischer Christ gewesen, ich würde wahrscheinlich minder erhalten haben. Ich muß dieser Vermuthung an der Fackel einer neuen Thatsache leuchten. Beim Einkaufe des Mundvorraths sah ich mich um Zwieback um. Der käufliche aus Zypern ist sehr gut: kleine, runde, etwa zwei Daumen dicke Brote, oben mit fünf Punktirungen. In einer Bude, in die ich zufällig trat, machte man das Anerbieten, mir sogleich Zwieback zu holen. Die Leute in der Bude benahmen sich mit so vieler Artigkeit, daß sie mir Zutrauen einflößten; sie bezeugten auch Freude darüber, daß ich ein Christ, und zwar kein griechischer sei. Sie forderten für eine Ocke drei Piaster. Wirklich kaufte ich sieben Ocken. Nach dem Kaufe fragte ich gelegentlich vor den mohammetanischen Buden. Keiner verlangte mehr, als drittehalb Piaster. Der Abendländer erzählt mit Schmerz eine solche Thatsache, die einen so auffallenden Unterschied zwischen Christen und Moslim herausstellt.
Honig findet man in einigen Buden. Man bewahrt ihn in einem enghälsigen Kruge, schöpft ihn mit einem hölzernen Löffel, und wägt ihn auf der Schalenwage. Zuerst, um eines kleinen Versuches willen, legte ich ein Kohlblatt[S. 209] auf meine Hand, und begehrte für wenige Kreuzer. Ein Mohammetaner wies mich ab. Ein Anderer weigerte sich Anfangs, später aber deutete er mir, daß ich, weil ich mit keinem Gefäße versehen war, die Hand recht hohl machen solle. Als in der Folge für sieben bis acht Kreuzer (R. V.) eine Achtelsmaß (ein halber Schoppen) Honig in mein Trinkglas gewogen wurde, konnte ich mir leicht erklären, warum der erste Mohammetaner an mich keinen verkaufen wollte; denn für das Geldstück, das ich ihm zeigte, würde mir mehr gehört haben, als ich hätte versorgen können. Der Honig, wenn auch ein wenig trübe, schmeckt gut.
Was mir ein hohes Vergnügen gewährte, war das Lesen in der Bibel, während ich eben auf dem Schauplatze stand, worauf dieselbe so oft führt; denn Joppe ward zu Judäa gezählt. Die Patres gaben mir eine Vulgata ohne irgend einen Anstand. Ich würde zwar Luthers ausgezeichneter, kraftdeutschen Uebersetzung den Vorzug eingeräumt haben; allein eine solche war nicht aufzubringen, und unter den lateinischen Uebersetzungen verdient die Vulgata gewiß eine Ehrenstelle. Das Latein des ehrwürdigen Hieronymus erhebt sich weit über das Mittelmäßige.
Das alte Testament enthält einen so großen Reichthum[S. 210] an Eigenthümlichem aus dem Leben der Israeliten, daß es ein wahres jüdisches Volksbuch ist. Es überrascht insbesondere mit der Schilderung von Sitten und Gebräuchen. Hier, wo ich als Reisender die Aufgabe, diejenigen der heutigen Einwohner im alten Lande der Juden zu beobachten, nach Maßgabe meiner Zeit und Kräfte löste, fühlte ich in mir gleichsam einen Drang, zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart Vergleichungen anzustellen, wofür mir der süße Lohn zu Theil ward, in der Bibel so treuen Zeichnungen zu begegnen.
Der Umstand, daß ich nicht in die Messe ging, schien die sechs Mönche, welche das Hospiz bewohnen, unangenehm zu berühren. Die Stimmung derselben war mir bald nicht mehr zweifelhaft. Es fragte mich nämlich eines Mittags der Koch, Frater Emanuel, ob ich die Messe angehört hätte. Ich antwortete: Nein. Der Eifer wimmelte in seinen Händen, und ich merkte ihm an, daß er es darauf anlegen wollte, mich recht auszuholen. Ich fertigte ihn kurz mit den Worten ab, daß ich nur auf lateinisch in religiöse Gegenstände mich tiefer einlassen würde.
Im Nu schritt der Pfarrer (padre curato) mit zwei Mönchen daher. Der Meinungskampf begann in der Kir[S. 211]chensprache der Katholiken. Jener stolperte unglücklich genug über seine lateinischen Fehlbrocken. Um aber doch seinen Worten einen salbungsvollen Nachdruck zu verleihen, schlug er mit der Faust auf dem Tische den Takt, und glühender Eifer rollte seine Augen. Der ganze Rüstzeug von Verstand und Vernunft würde dem Menschen wahrlich wenig mehr nützen, wenn das Gepolter einer Faust Beweiskraft hätte. Der Pfarrer trieb sich auf dem Boden der faden Jesuitenlogik herum, und ich merkte, daß mit ihm kein Satz ordentlich durchzuführen sei. Ich erklärte geradezu, daß ich mich zum Protestantismus bekenne. Auf diese Erklärung suchte man mir den bekannten Satz ins Herz zu prägen, daß einzig und allein die römisch-katholische Kirche selig mache; ich sei verdammt, hieß es, und laut rief ein Mönch mit einem buntscheckigen Barte, daß ich in die Hölle fahren werde[11]. Ich sei mit meinem religiösen Schatze zufrieden, erwiederte ich; ich wolle den Frieden meiner Seele wahren; ich könne glatterdings nicht bekehrt werden. Sofort erloschen die Flammen der Patres, und ich wurde nimmermehr mit derlei Zwisten gequält.
Ich warne, aus dieser einzelnen Vorfallenheit allgemeine Sätze herauszufolgern. Die Patres haben höhern Auftrag, ihren Glauben zu verbreiten, und der Bekehrungsversuch darf wohl nicht befremden. Ich meine sogar, daß mein Tagebuch dadurch eher gewonnen, als verloren habe.
Der Franzose, einer meiner Wegweiser in Jerusalem, machte eines Abends in seiner Trunkenheit nicht wenig Spektakel in und vor meiner Zelle. Weil mit einem Berauschten nichts anzufangen war, so stieg ich hinunter zum Pater Superior. Mir nach eilte der Franzose bis zur Kirche, worin die Mönche beteten. Dies hinderte jedoch den Zornentbrannten nicht, vor der geweihten Stätte so ungestüm zu lärmen, daß jene die Kirchenthüre zuschlossen. Und sich nicht begnügend mit bloßem Lärmen, schlug er mich mit der Hand und versetzte mir mit seinen Reitstiefeln einen Fußtritt. Gegen die Ueberfälle vertheidigte ich mich mit genauer Noth, in der Ueberzeugung, daß eine ernste Gegenwehr mit Händen und eine kräftige Vertheidigung mit Worten Anlaß darböten, einer falschen Anklage Gewicht zu geben, und mich nicht minder zu beschuldigen, als den Angreifenden. Eben drohte der Fran[S. 213]zose mit dem Messer, als endlich die Patres herzutraten, denselben beschwichtigten und mir beistanden. Der Pater Superior mußte wohl einsehen, daß unser von den Mönchszellen ziemlich gesondertes Wohnen zur Seite hoch oben in den Pilgerkämmerlein den Unfrieden allzu sehr begünstigen würde. Er befahl Trennung; da ich aber mein Gepäcke holen wollte, spektakelte der Franzose von neuem auf dem Dache, und hob, unter Drohungen gegen mich, einen Stein. Indeß hatte das rohe Benehmen die gute Folge, daß ich neben den Patres eine weit bessere Zelle bekam.
Tages darauf war es mein erstes Geschäft, den Schutz des österreichischen Konsuls anzuflehen. Diesen Vorfall zuerst tief bedauernd, äußerte er sich dann, daß er nicht einschreiten könne, und daß ich mich mit den Worten zufrieden geben sollte: Questo è finito (die Sache ist abgethan), indem wir einander die Hand reichen und umarmen würden. Hiezu konnte ich mich deswegen um so weniger verstehen, weil der eben anwesende Franzose seine im Rausche ausgestoßenen Beschimpfungen jetzt im nüchternen Zustande wiederholte, und weil er noch aus dem Grunde Recht haben wollte, daß ich kein Christ sei. Mit dieser Gleißnerei hat er auch die Mönche zu berücken gesucht. Der Pater Superior bemerkte inzwischen ganz[S. 214] wohl, daß Schimpfen und Schlagen von seiner (des Franzosen) Seite nimmer angehe, welcher Religion ich auch zugethan sein möge. Ich verlangte beim Konsulate förmliche Genugthuung und Sicherheitserklärung, die ich denn auch mit Zähigkeit erhielt.
Der Konsul scheint dasjenige zu glauben, was der erste ihm vormalt. Die Dreieinigkeit theilte er ein in Gott, als Obersten, in unsere liebe Frau (Madonna) und in Jesus Christus. War der Konsul sich der Zeitfolge bewußt, so soll vor der Hand keine Einwendung geschehen, besonders dann, wenn er, ein öfterer Fall, in gewisser irdischer Begeisterung sprach. Der Konsul erregte erst meinen großen Unwillen gegen ihn, als hart neben seinen Ohren ein Mann mir erzählte, daß der Franzose den Vater desselben am gleichen Abende mit Stockschlägen mißhandeln wollte. Still, still, lispelte der etwas verlegene Konsul, welcher die Sache zu vertuschen suchte, und als er sie nicht mehr leugnen konnte, beschönigte er den Franzosen damit, daß dieser, in der Wuth über mich, auch einen andern Handel angesponnen habe. Es war erdichtet; denn das Hospiz wird gleich nach Einbruch der Nacht gesperrt, in welcher ich unter die unsanften Hände gerathen bin. Viel vermag fürwahr bei einem Morgenländer die glatte Zunge und die rothen, unten mit Leder überschlagenen Reitknechthosen ei[S. 215]nes Franzosen, solche mit einer weiter gediehenen Bildung natürlich unzertrennliche herrliche Erscheinungen des Abendlandes.
Doch die Sicherheitserklärung ist da nur Schein, wo man straflos schimpfen und schlagen darf. Mit persönlicher Sicherheit wanderte ich bisher unter der arabischen Polizei, aber nicht unter der fränkischen. Im Unwillen über die Lauheit oder Machtlosigkeit des Konsuls, welcher österreichischer und französischer zugleich ist, entschlüpften mir einige Worte, welche den Mann stachelten und in etwelche Bestürzung brachten. Vater und Sohn, welcher letztere eigentlich die Konsulatsgeschäfte besorgt, arbeiteten von nun an, in Verbindung mit dem Superior, angelegentlich an der Herstellung des Friedens. Im Zimmer des Paters bat der Franzose kniefällig ab, und, die Hand auf ein Buch haltend, schwor er bei einem Heiligenbilde und legte das Handgelübde ab, daß er mir nie etwas Leides zufügen wolle. Diese plötzliche Demuth des Kerls mußte mich neuerdings mißtrauisch machen.
In einer solchen Lage war kaum ein anderer, ehrenhafter Entschluß mehr möglich, als der, die Abreise nach Beirut in Gesellschaft des Franzosen auf das bestimmteste abzulehnen. Einem Menschen, der sich mehr, als viermal treulos zeigte, darf man nicht trauen. Mein Entschluß[S. 216] wurde noch dadurch befestigt, daß der Vater des Rais, mit welchem wir nach Beirut übersetzen sollten, und der kein fränkisches Wort verstand, in Gegenwart des Konsuls für die Ueberfahrt zweimal mehr forderte, als man gewöhnlich bezahlt. Ich glaubte die Falle zu erkennen. Wahrscheinlich war verabredet, die Ueberfahrtskosten für den Franzosen und Deutschen auf mich zu wälzen. Immer lebhafter überzeugte ich mich, daß es hohe Zeit sei, diese zwei besitzlosen Leute, die wahrsten Abenteurer auf Erden, vom Halse zu schütteln. Nach einem siebentägigen Aufenthalte in Jaffa begaben sie sich an Bord.
Wie sind doch die Verhältnisse so eigenartig, welche die Furchen der Stirne auszuebnen vermögen? Unter andern Umständen wäre das längere Warten auf eine Reisegelegenheit für mich eine Pein gewesen, während ich es unter diesen leicht erträglich fand. Ich miethete mich in eine Bombarda des Hauptmanns Kiriako Bagsîno, eines Hydrioten, bis in die Nähe (sechs Stunden) von Smyrna. Das Schiff war nach Konstantinopel bestimmt; ich glaubte aber den Weg nach Smyrna wählen zu müssen, weil ich eine kleine Geldanweisung für den Nothfall an das Haus Sturzenegger und Prélat in Smyrna bei mir hatte. Das größere Kreditschreiben lautete auf den österreichischen Konsul in Beirut, Herrn Lau[S. 217]rella, bei welchem das Geld wirklich bereit lag, ohne daß ich es der angeführten Verumständigungen wegen wirklich bezog.
Nach der Ankunft in Jaffa stieg ich beim Herrn Konsul Damiani ab. Heute noch trägt er im morgenländischen Gewande den Militärhut aus den Zeiten Napoleons. Der Hut geht zur morgenländischen Tracht gerade so gut, als zur europäischen; denn das häßlichste Kleidungsstück, das man erdenken konnte, steht nirgends gut.
Der ehrwürdig aussehende Greis nahm mich freundlich auf. Sein Sohn geleitete mich sogleich in eine Zelle des Gastgebäudes (ospizio della Terra Santa).
Ich sah den Konsul bisher nur in seinem Waarenlager am Kai, gleich neben dem armenischen Kloster. Ich wurde von Andern in sein Haus geführt, ohne daß ich den Besuch beabsichtigte. Täusche man sich nicht über die Wohnung des Konsuls. Sie ist sehr unansehnlich, so daß unsere Bauern in schönern Häusern wohnen. Der Konsul saß unten im Hofe. Den Hut vertrat diesmal eine abgeblichen rothe Mütze, und um den Kopf über die Ohren war ein Tuch gebunden; denn die Zähne litten Schmerzen. Man[S. 218] prangt immer mit der Weltweisheit, man verehrt die Seele als das Ewigwährende am Menschen, man schmäht auf den vergänglichen Staub des Körpers, man lehrt Verachtung der Kleiderpracht, und doch vermag man nur mit Mühe den widerlichen Eindruck zu besiegen, den man beim Anblick einer mit häßlichen Kleidern bedeckten, höher gestellten Person empfängt, selbst wenn noch so hoch deren Seelenadel emporflackerte. Hätte ich nicht schon gewußt, daß Damiani Konsul wäre, ich würde ihn schwerlich beachtet haben. Er pflegte sonst seinen langen, grauen Schnurrbart hinauszustreichen und zu zwirnen. Diesmal ließ er ihn fein in Ruhe, weil er überzeugt sein durfte, daß zwischen dem unreinen Tuche um dem Kopfe keine Hoffahrt mehr möglich sei.
Nicht die köstlichsten Treppen leiteten hinauf ins Gastzimmer. Darin hing eben die Wäsche an zwei Reihen von der Linne herab. Der Christ beging seinen Sonntag und die Wäsche deswillen doch keinen Fehler, weil — das Trockenwerden keine Hände erfordert. Zuerst wurde ich im Zimmer Niemand gewahr; bald dann erschien der Sohn des Konsuls hinter der Wäsche, so ganz theatermäßig, wie der Schauspieler hinter der Blendewand. Nach den theilweise erzählten Vorgängen durfte ich auf keine andere, als auf eine kalte Aufnahme rechnen. Nach der Begrüßung[S. 219] setzte sich der junge Mann wieder auf den Strohteppich, von Papier und Siebensachen umgeben, die alle kreuz und quer durch einander lagen, wie ein Nest voll junger Kaninchen. Es wurde durch einen schwarzen Sklaven mit Tabak und Kaffee aufgewartet. Mehr, als dies interessirte mich die Ausstattung des Zimmers mit Hausgeräthen. Fratzen aus Europa, z. B. Gipsfiguren, schämten sich vor reich gestickten morgenländischen Gewändern. Um das christliche Europa noch feierlicher herüberzubeschwören, stand an einem Orte der ans Kreuz genagelte Christus. Der Sohn war nicht wenig bemüht, mit den Schätzen des Hauses die Bewunderung des Zuschauers zu erwecken. Es wurde angeblich ein Gegengift in Form eines Steines, das Horn einer Schlange, Alterthümer, ein massiver Klumpen Silber u. s. f. vorgewiesen. Ich wurde dabei, zu meinem Leidwesen, nicht im mindesten gerührt.
Dem gutmüthigen und gesprächigen Konsul, der schon eine hohe Stufe des Alters erklommen hat, horchte ich mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Freilich sichern nicht gerade die Jahre, nicht die Silberlocken (die im Morgenlande dem Barbier und Turban gehören), nicht der höhere Rang, nicht die größere Macht als Familienhaupt dem Greise Aufmerksamkeit und Liebe, Ehrfurcht und Vertrauen, sondern die reichern und reifern Kenntnisse und Erfahrungen,[S. 220] die weisen Sprüche und Warnungen, ja die lebendige Geschichte eines Menschenalters, die er auf der Zunge herumträgt. Damiani erzählte eine breite Historia von einem Mylord, und als ich gelegentlich die Bemerkung einwob, daß im Abendlande Manche nicht rauchen, daß hier dagegen das Rauchen den Hauptgenuß verschaffe, so erwiederte er: In Jerusalem ist es wieder anders; dort schnupfen sie mehr; schon kleine Dingerchen (er deutete die Höhe mit der Hand) fangen das Schnupfen an. Es war ein Wunder, daß der Herr Sohn nicht immer in unser Gespräch einfiel. Sonst kann er sich des Plauderns mitten hinein so wenig enthalten, als hin und wieder eine mit seltenen Rednertalenten begabte Jungfer Köchin, wenn man mit dem geistlichen Herrn ein paar Worte reden möchte.
Mein Besuch währte länger, als dem Konsularschutze angemessen war, und wie ich mich vom Sitze erhob, im Begriffe, zur Thüre hinauszugehen, duckte ich mich recht höflich, um nicht an der Wäsche anzustreifen, die ich, den Spuren ihrer irdischen Vergänglichkeit zum Trotze, wegen der Schönnähtereien bereits angestaunt hatte.
Ich besuchte schon früher den griechischen Konsul. Der ist ganz nach europäischem Geschmacke gekleidet, dazu sehr gewandt und gefällig. Die abendländische Kleidung flößt[S. 221] dermalen hier zu Lande Achtung ein. Der Konsul kredenzte mir Punsch. Ich lächelte über mein gutes Europa, dem in manchen Dingen mehr Ehre widerfährt, als es verdient. Echte Bildung ist dort keineswegs so heimisch, wie man gemeiniglich glaubt. Bei Vielen beschränkt sie sich darauf, nach der Mode sich zu kleiden, die Komplimente gehörig zu schneiden, die Formeln der Begrüßung und Unterhaltung sich geläufig eingetrichtert zu haben, über Konzerte, Theater und Dichter ein wenig zu plaudern, wo nicht französisch zu sprechen, doch die Kinder oder Verwandten, das Möpschen, einige Geräthschaften, Kleidungsstücke, Speisen oder Getränke französisch zu nennen, wenn man nicht gerne einen Besuch annimmt, zu Hause zu sagen, daß man nicht zu Hause sei, oder auf dem Gipfel der Gesundheit zu erklären, daß man sich unwohl befinde, etwa zu einer Zither zu singen, niedlich zu spielen und zu tanzen u. dgl. Ich bitt’ um Vergebung. Diese Toilette — serviteur — souffleur — charade — Jeannette — nièce — joli — secrétaire — corsette — côtelette — liqueur — excuse — guittare — dames — écossaise — Bildung, wenigstens ein sehr honnetes Wort, klingt doch allerlieblichst ins Ohr.
Auch die Russen haben einen Konsul, in der Person eines Griechen. An den Festtagen wehen die Flaggen der verschiedenen Konsuln ganz zierlich über Jaffa, und so[S. 222] stolz, als wären hier die Christen Meister. — — Ich fand die Festtage üb er an diesen Flaggen doch Freude.
In Jaffa hatte ich zwei Stunden früher Tag, als die Leute in meiner Heimath. Ich saß oft am hellen Morgen mit der Feder am Tische, indeß sie im finstern Zimmer — zweifelsohne schliefen. Ungeachtet dieses heitern Glückes wollte ich nicht länger im alten Kanaan weilen; ich sehnte mich immer heißer nach — der Morgennacht meines Vaterlandes.
Es war nun meine Abreise gewiß. Man zimmerte, freilich erzlangsam, mehr und mehr sturmbeschädigte Kähne zurecht, um die Befrachtung unseres Schiffes zu fördern. O freudige Aussicht für mich, der ich länger denn fünf Wochen auf günstige Witterung für die Abfahrt hoffte und harrte. Wiewohl in Jaffa, Kaifa, Akre, Said und Beirut achtzehn Schiffe durch den letzten Sturm losgerissen oder zerschmettert wurden, so bemächtigte sich dennoch meiner nicht die mindeste Bedenklichkeit, dem Winde und Wasser mich anzuvertrauen. Mein Hauptmann hatte ja sein Schiff gerettet, und wie hätte ich zu ihm nicht Zuversicht fassen sollen. Auch rechnet heiße Sehnsucht nicht mit dem Griffel der Aengstlichkeit.
Ohne Zahlung zu leisten, konnte und wollte ich billigerweise nicht abreisen. Ich darf versichern, daß die Patres nichts weniger, als unfreundlich wurden, so oft sich mein Geldbeutel öffnete. Ich hielt für gerathener, kurze Zeit nach meiner Ankunft mich mit denselben zum Voraus über Kost und Wohnung förmlich einzuverstehen. Die Zahlung dafür war, nach der Versicherung Damianis, ziemlich stark; ich habe indeß keine Ursache zur Unzufriedenheit. Es mag aber vielleicht befremden, daß noch Keiner mit größerer Strenge meine Goldstücke untersuchte und erlas, als der Präsident (Pater Superior) Martin; fast alle von ihm ausgeworfene Stücke brachte ich an, die einen vollzählig, die wenigen mit sehr geringem Verlust. Mehr noch stutzte ich, als nach der Räumung meiner Zelle, gleich vor der Abreise, der Superior mit dem langfädenen Kohlenbarte sogleich spähend in dieselbe trat, vielleicht in Kraft des von ihm unter dem 11. Jenner mir ausgestellten Zeugnisses, „daß ich musterhaft gelebt habe.“ Ich erwähne solches nicht, um meinem Herzen gegen Ordensleute, als solche, Luft zu machen. Ich liefere nachgerade den schlagendsten Beweis dadurch, daß ich Alles nachtragen werde, was ich von den Patres Rühmliches weiß. Ich setze dabei voraus, daß man die Vorurtheile, welche die Spanier in ihrem Vaterlande einsaugen, kenne, und daß man Niemanden ein gewisses Mißtrauen gegen die[S. 224] Franken im Allgemeinen verübele, weil durchschnittlich lockere Abendländer vom Schlage der Glücksritter in Syrien sich herumtummeln. Der Deutsche, dessen ich oben gedachte, wurde weit schlimmer behandelt, als ich, ob er gleich sich für einen guten Katholiken ausgab, und die Messe alle Tage barfuß anhörte. Er bewohnte ein schlechtes Zimmer, welches dem Winde und Regen nicht ganz zu wehren vermochte. Seine Bettdecke war feucht und schmutzig. Es ist der Welt Brauch, die Leute so zu empfangen, wie sie entgegenkommen. Auch reichte man ihm schlechtere Nahrung, als mir. Diese Behandlung wirft zwar allerdings im Grunde kein vortheilhaftes Licht auf die Patres; allein es erhellt daraus doch das Günstige, daß dieselben hier gar keinen Unterschied der Glaubensbekenntnisse berücksichtigten. Ueberdies legte man mir seit dem oben berührten Strauße nicht das geringste Hinderniß in den Weg. Als ich mich, zum Zeichen, daß ich den Sonntag der Christen ehre, gegen den Pater Superior äußerte, ich wolle während der Messe mich in die Kirche begeben, erwiederte er: Thun Sie, was Sie wollen. Mit dem Frater Emanuel lustwandelte ich nach jenem Wortwechsel mehr, als einmal, und half ihm für unsere Küche Spargeln suchen, die in der Umgegend von Jaffa wild wachsen. Ich kann zum Ueberflusse beifügen, daß die Ordensmänner sehr viel Zeit mit Beten hinbringen[S. 225] und, so viel ich bemerkte, ein durchaus sittliches, eingezogenes Leben führen.
Den Reisepaß holte ich, ohne ihn unterschreiben zu lassen. Von einem Konsulate, das mich nicht schützen konnte, wollte ich keine Unterschrift.
Mit dem Schiffshauptmanne war die Uebereinkunft getroffen, daß ich die Lebensmittel selbst mir anschaffen müsse. Ich kaufte einen Vorrath von Aquavit, Kaffee, Zwieback, Reis, Zucker, Zitronen, Pomeranzen, Fleisch, Hühnern und Durra, letzteren zur Fütterung dieser Hausthiere. Schon aber im Hospiz aß ich wegen der schmalen Fastenbrocken oft vom Zwieback. Weil der Hauptmann auf Einschiffung drang, so übertrug ich den Ankauf von Hühnern einem fränkischen Knaben, welchen ich dazu mit dem nöthigen Gelde versah. Er kehrte nicht wieder, und ich mußte selber zu Markte gehen. Auf dem Rückwege erwischte ich den losen Jungen in der lateinisch-maronitischen Schule; meine Piaster waren unter den Aermeln verborgen. Fast zu oberst am Kai besitzt die Stadt das einzige Schenkhaus, wo man Aquavit, Wein und kalte Speisen bekommen kann.
Griechische Stille; das Meer raset; Reiseerfahrungen; das herrliche Zypern; der Taurus; der Spiegel meiner Reisegefährten; Wolken von Weihrauch; der griechische Fasttag war für mich ein Fetttag; der griechische Koch; im östlichen Hafen der Kolosser vor Anker gegangen.
Dinstags den 12. Jenner 1836.
Abends beim Einbruche der Nacht kam der Hauptmann Bagsino an Bord. Die Schaluppe wurde schnell eingehoben, die Anker gelichtet, die Segel ausgespannt — Alles mit so wenig Kommandiren und Geräusche, daß der italienische Lärm einen grellen Gegensatz zu dieser griechischen Stille bildete. Heftig brauste der Nordwind.
Den 13.
Seit vor San Pietro di Nembo das Meer mit mir Schmollis machte, könnte ich es dann und wann ordentlich liebherzen. Ich betrachtete die rauschenden Wogen als lauter scherzende Kinder, welche nur daseien, um den Griesgram des Alters zu verscheuchen. Die Natur meint es gar nicht so böse, wie man oft ihr wildes Aeußeres mißdeutet. Uebrigens tobte in der Nacht gewaltiger Sturm. Wäre man Rahm gewesen, man würde ohnfehlbar bis morgen Butter geworden sein.
Allerdings muß man auch das Reisen lernen. Anfangs war ich gar linkisch. Auf der Fahrt von Alexandrien nach Bulak verwahrte ich den Reis so schlecht, daß dieser, vielleicht aus langer Weile, zu dem darunter liegenden Holze hinabspazierte. Der Kaffee wußte aus dem Papiere Auswege zu finden. Auf der Reise von Kairo nach El-Arysch sorgte ich so nachlässig für den Zucker, daß ich ihn schaben mußte, bevor er zum Gebrauche sich eignete. Der Rhum floß zur Hälfte weg, weil ich die Flasche schlecht verstopft hatte. Durch Schaden gewitziget, verwahrte ich nun einmal meine Lebensmittel mit besonderer Sorgfalt. Ich mußte aber auch darüber wachen, daß nichts davon entwendet werde; denn man weiß, daß sich in manchen Menschen die wunderliche Begierde regt, mehr zu nehmen, als ihnen gehört. Ich stellte den Mundbedarf in meine Nähe. Da langte einmal in der Nacht ein knöpfiger Arm in meinen Brotkorb. Ich ergriff und erkannte ihn. Nur ein Reisegefährte, ein Maure, trug Aermel mit Knöpfen. Ich wurde gerade zur rechten Zeit erinnert, wie ich mich gegen ihn verhalten müsse. Kaum aber war der fremde Arm aus dem Brotkorbe entwichen, so wurde dieser von einer Welle geneckt, weswegen ich ihn alles Ernstes in die Sicherheit flüchtete.
Das Meer hat mir Ibrahim, Ali, Mansur,[S. 228] Mustafa und all’ die Namen der Moslim verrauscht, die ich auf Gassen und Wegen so oft hörte. Anders tönt es jetzt in meinen Ohren; im Schiffe gilt es dem Mitri oder Dimitri (Demetrius), Kiriako (Ciriacus) u. s. f. Ach, beurkundeten christliche Namen nur immer christlichen Sinn.
Mittags wurde mir eine Suppe mit rothem, lebendigem Gewürze vorgesetzt. Auf der Reise ißt man, und man murmelt höchstens mit saurer Miene einige für den Koch unvortheilhafte Bemerkungen.
Den 14.
Nie werde ich das herrliche Schauspiel vergessen. Wir lagen auf der Höhe der Insel Zypern. Hoch streckte der beschneite H. Kreuzberg (monte di Santa Croce, der Olymp der Alten) sein Haupt empor. Diese schweizerische Gebirgswelt wühlte in mir beinahe das Heimweh herauf. Den Tag über erfreute mich das beßte Befinden; bloß gestern fühlte ich ein wenig Unbehagen im Kopfe wegen der stark bewegten See.
Den 15.
Ich sah einen Küstenstrich von Karamanien. Veränderlicher Wind und Wetter trübten hin und wieder meine gute Laune.
Den 16.
Wir segelten einem Vorsprunge des Taurusgebirges, dem Kap Chelidonium, nahe, und verloren die Küste von Kleinasien nie aus den Augen. Die Fahrt ist von nun an mehr derjenigen auf einem Landsee zu vergleichen. Schon sind wir von Jaffa gegen den Nordpol vier Grade vorgerückt, und man konnte auch wirklich einige klimatische Verschiedenheit wahrnehmen.
Sonntags den 17.
Wir segelten vorüber an Castelori und andern Ortschaften von Natolien. Vor dem nahen, hohen Gebirge der alten Lykier träumte ich mich auf einige Stellen des Vierwaldstätter-Sees in der Schweiz, so ähnlich war der Ausblick. Die Fahrt gewährt in der That recht viel Unterhaltung. Die Umrisse der schweizerischen, wie dieser Berge sind mit ausnehmender Kühnheit gezeichnet. Wir bewundern einen solchen Zug auch an Kunstwerken, — wie einen vorhängenden Fels, so den Thurm von Pisa. Hingegen sind die Berge um Jerusalem träge Massen, Kegel oder Halbkugeln, gleichsam nur gut zum Faulenzen für das Auge.
Ein frischer Wind jagte uns so muthig vorwärts, daß wir schon vor der Mitte des Tages im pamphylischen Meere ein Korn, Rhodos, erblickten, und bis zum Eintritte[S. 230] der Nacht steuerten wir diesem Eilande ziemlich nahe. Ein Berg hatte eben einen Wolkenhut auf, als die Sonne unterging.
Ich halte nun einen Augenblick an, um meine Reisegesellschaft zu zergliedern. Ein Engländer und ein Grieche, ein Maure und ein Jude, so wie ein griechischer, schiffbrüchiger Hauptmann und seine Matrosen, das waren meine Reisegefährten.
Der Engländer, ein Geistlicher, besaß einen edeln, gutmüthigen Karakter. Ich schätzte mich glücklich, in Jaffa seine Bekanntschaft zu machen, wo er bei dem englischen Konsul, einem Morgenländer, einkehrte, allein die morgenländische Kräuter- und Hühnerküche nicht besonders rühmte. Das Französische sprach er als guter Englishman. Wenn er in der fremden Sprache redete, war mit ihm so schwer nachzukommen, als mit einer schlechten Tänzerin. Ich erzähle von ihm zwei echt britische Züge. Er wanderte durch die Wüste bis in die Nähe von El-Arysch. Jetzt vernahm er, daß er der Quarantäne sich unterwerfen müsse. Alsbald entschloß er sich zum Rückfluge nach Kairo, um über Alexandrien und Beirut nach Jerusalem zu reisen. Ein paar Male des Morgens rief ich den Geistlichen, wenn sich ein merkwürdiges Schauspiel darbot. Er hatte die Artigkeit, zu antworten, und seine Nichttheilnahme[S. 231] damit zu entschuldigen, daß es bei ihm Gesetz sei, in der Frühe so und so lange zu lesen oder zu schreiben. Die Gottheit hat dem Menschen ein bestimmt abgegrenztes Gebiet angewiesen, worüber er Herr und Meister ist. Man frage indessen nicht nach der geographischen Länge und Breite desselben; denn es erscheint sehr klein am Maßstabe. Es ist nun gut, wenn der Mensch in diesem seinem Gebiete, d. h., sich gewisse Gesetze vorschreibt; es ist aber nicht gut, wenn er solche in untergeordneten Dingen mit eigensinniger Strenge vollstreckt und so zum Sklaven seiner selbst hinabsinkt. Ich sah unsern Reisegenossen nicht sehr oft, weil er in das Zimmer des Schiffsherrn und ich in den Schiffsraum eingemiethet war. Letzteren Platz hatte ich einzig dem Pater Präsidenten des lateinischen Hospizium in Jaffa zu danken, weil er sich mit einem ungewöhnlichen Eifer in die Abschließung des Vertrages mischte, und jene so sehr beschleunigte, daß es mir an Zeit gebrach, zu fragen, wo ich wohl im Schiffe untergebracht würde. Doch, außer der Kehrseite, wendete die Sache auch diesmal ihre Lichtseite zu. Ich lernte so dem Schiffsraumleben auf den Puls fühlen. Hier liefere ich denn eine flüchtige Zeichnung meiner Gefährten im Schiffsraume.
Demetrius, aus Chios (Scio) und Handelsmann, hatte eine schöne Gesichtsbildung und sprach griechisch, ara[S. 232]bisch und türkisch. Seine Umgänglichkeit ließ mich wünschen, in einer seiner Sprachen meine Gedanken mit ihm auszutauschen.
Der Maure aus Algier, ein Hadschi (Mekkapilger), mit einem gemeinen Gesichtsausdrucke, einem langen Barte und einem Turban, ließ keinen edlern Zug seiner überaus lockeren Seele durchblicken. Er plauderte zum Arabischen das Wenige fränkisch, womit er zwischen Demetrius und mir kümmerlich den Dolmetscher spielte. Während unserer Fahrt von Jaffa nach Rhodos endete der mohammetanische Fastenmonat; allein dieser Anhänger des Islam nahm es nicht sehr genau, und er aß manchmal Kleinigkeiten bei Tage während der Fastenzeit. In Jaffa verletzten auch andere Mohammetaner vor meinen Augen das Fastengebot. Der Hadschi trank Wein und Branntewein. Dem Kleinhandel obliegend, kaufte er in Jerusalem Rosenkränze, um sie in Konstantinopel zu verkaufen. Es ist überhaupt bei den Morgenländern Sitte, die selbst von den protestantischen Franken nachgeahmt wurde, mit einem Rosenkranze müßige Stunden zu vertreiben, indem sie eine Perle nach der andern von ihrer Stelle verschieben. Wenn die Leute des Niederganges bei ihren Besuchen nicht selten kaum wissen, welche schickliche Haltung sie ihren Händen geben sollen, um so weniger verlegen ist der Morgenländer,[S. 233] welcher mit Bequemlichkeit auf dem Diwane hockt, und mit den Händen anständig den Rosenkranz durchtändelt. Der Algierer hatte, als französischer Unterthan, einen französischen Paß bei sich. Er schien die Franzosen zu hassen. In Alexandrien besuchte er seinen alten Fürsten, den Dei.
Der Jude, ein Konstantinopler und Rentner, begleitete seine Frau nach Jerusalem, um in der heiligen Gegend mit ihr die Tage des Lebens zu beschließen. Sie starb ihm weg, und darum war er auf der Rückreise nach Konstantinopel begriffen, um vielleicht für den schmerzlichen Verlust der alten Geliebten bei einer jungen — Trost zu schöpfen. Viele Israeliten folgen bekanntlich einem religiösen Berufe, sich in der alten Königsstadt anzusiedeln, wenn sie sich bis zu einem gewissen Grade von ökonomischer Unabhängigkeit emporgearbeitet haben. Der Mann war hochbetagt und grau. Ich gewahrte an ihm keine einzige Untugend; nur war er schmutzig und voll Ungeziefer, das selbst seinen ehrwürdigen Bart zu einem Parke für die komischen Jagden mit der Brille — auserkohr. Die schönen Gesichtszüge und das ganze Benehmen, mit Vorbehalt einiger seltsamen Liebhabereien, gewannen dem Greise Zuneigung und Vertrauen. Das Beten verstand er aus dem Fundamente. Während des Gebetes konnte er sich die Kaffeeporzion zutheilen und andere Arbeiten un[S. 234]ter fast krampfhaften Zuckungen der Lippen verrichten. Seine Augen strahlten hinauf zu Jehova demüthig aus den Lumpen, in die er sich genistet hatte, und aus den, irgendwo mit einem Tuchanschrote zugeschnürten Lumpensäcken, die ihn umschanzten. Das Schallah (wenn es Gott gefällt, so Gottes Wille) wiederholte er oft und kräftig im Flusse der Rede. Von fröhlichem Gemüthe, stimmte unser Konstantinopler bisweilen ein Lied oder gar die „Cara Cascatella“ an. Und siehe, da tanzte er einmal mit seinen krummen, vor Alter unwilligen Beinen, mit seinem gebogenen, steifen Rücken und mit seinen Eisschollen am Kinne. Man hätte dabei herzlich lachen müssen, wenn man selbst von keinem kleineren Unmuthe gebeugt gewesen wäre, als bei Hans Sachs die Bäurin wegen der saubern Wirthschaft ihres tölpischen Mannes:
Die Regungen der Freude sind verschieden und groß bei Jung und Alt. Tanzte doch David aus allen Kräften und jauchzend, als er die Bundeslade holte.
Nachdem ich einige Zeit in Mitte der Mohammetaner gelebt hatte, war die Gelegenheit mir recht erwünscht, die griechischen Christen in der Nähe ein wenig kennen zu[S. 235] lernen. Morgends und Abends zog der Schiffsjunge (Friandol) mit einem brennenden Weihrauchfasse von Mann zu Mann, und an dem emporwirbelnden, angenehmen Rauche bekreuzte man sich gar vielmal und schnell über einander, unter leisem und kurzem Gebete. Damit der Weihrauch ja nicht verfehle, wehte man ihn mit der Hand gegen das Gesicht. Der Koch war eine drollige Fettmasse auf Kosten Anderer, und ein Muster von kleiner Spitzbüberei. Das Fleisch kochte er gleichsam zu dürren Holzfasern aus, damit er die Brühe schlürfen könne. Glücklich trat ein griechischer Fasttag ein, da mir doch eine natürliche Suppe bereitet ward. Das erste Mal zwackte der Koch mir Reis. Beim zweiten Male, als er ein größeres Quantum wollte, erklärte ich ihm, ich kenne das Reiskochen zu gut, als daß er mehr benöthige. Wie er dann einsah, daß er mich nicht belugsen könne, meinte er: Etwas für die Herren in dem Zimmer des Hauptmanns. O nein, antwortete ich. Aber etwas für den Koch. Da war es ausgeplappert. Sogar Pappenstiele, wie diese, welche beinahe nicht die Tinte werth sind, können ins Innere des Menschen zeigen.
Montags den 18. Jenner.
Erwacht, aufgestanden, und die Stadt Rhodos[S. 236] schwebte im Schleier der Morgendämmerung vor den Blicken. Mit Ungeduld wollte ich denselben lüften; doch bald entschwand er von selbst, und deutlich erschienen die Umrisse der Stadt. Auf eine niedrige Anhöhe gepflanzt, fiel sie lieblich ins Auge. Neben dem freudigen Grün der Wiesen, welche die Stadt halb umkränzen, streben die düsteren Festungsthürme empor. Wir ließen die Quarantäneanstalt, ein schloßartiges Gebäude, rechter Hand, und legten im östlichen Hafen an; ein Tannicht von Masten deutete auf den westlichen.
Billig konnte ich nicht ans Land steigen — ohne Ehrfurcht und Dankbarkeit gegen die alten Hellenen, welche, der Ruhm des Menschengeschlechtes, Denkmäler eines so nützlichen und edeln Daseins aufrichteten; hier insbesondere pries ich die Kolosser.
Diese einst der Sonne geweihte Insel der Rosen, nach Kandia die größte des griechischen Archipels und die berühmteste der Sporaden, erstreckt sich von Nordwest nach Südost in die Länge, und erhebt den Atabyris (Artamit) zum höchsten Berge. Die Fruchtbarkeit des Eilandes auf[S. 237] dem glücklichen Erdstriche sucht Ihresgleichen. Der Himmel in Syrakus und Rhodos, rühmte schon Plinius, wird nie so bewölkt, daß die Sonne nicht an einer Stunde des Tages herabblicke. In die Sommerhitze fächeln unermüdliche Winde angenehme Kühlung, und milde fließt der Winter dahin. Der gegenwärtige aber war ein wenig strenger: selbst das Wasser wurde von Eis überschossen, was freilich mit außerordentlicher Seltenheit sich ereignet. Jedoch begrüßten mich auf einem Spaziergange im Freien die Auen im schweizerischen Maiengewande. In Jaffa, wo zwar die Blöker auch in der kältesten Zeit graseten, ward das Grün durch den Frost ein wenig erschreckt und bleich. Hier, vier Grade weiter gegen Norden, scheint es minder gelitten zu haben.
Die Bewohner des Eilandes theilen sich, wie der Sohn des österreichischen Konsuls in Rhodos, des Herrn Josef Anton Giulianich, mir bezeugte, in beiläufig 26,000 Griechen, 11,000 Türken und 2000 Juden. Gering sind an der Zahl die Lateiner, noch viel geringer die Protestanten. Man darf gar nicht zweifeln, daß die Insel eine weit größere Bevölkerung ertragen würde, wäre der Boden besser angebaut. Sie wird von einem türkischen Pascha regiert. Griechen beklagen den jetzigen als einen Wütherich.
Kaum war ich angelandet, als ich einen Scioten traf, der mir in einem Athem seine Schicksale, seine Leiden schilderte. Leidensgefährten leihen einander gerne das Ohr. Er erzählte, daß er, den 5. Christmonat des vergangenen Jahres von Beirut abgereist, wegen der entsetzlichen Stürme erst vor acht Tagen hier anlangte. So schlimm diese Nachricht an und für sich lautete, so sehr durfte ich nun froh sein, daß ich über das böse Wetter in Jaffa verblieb. Ich war doch auf festem Boden und unter trockenem Obdache, und, wenn man so sagen will, auch bei trockenen Mönchen.
Rhodos sprach mich sogleich freundlich an. Ich brachte Gott meinen Dank dar, daß ich den häßlichen Städten Palästinens entronnen war. Die Stadt nebst den einen Büchsenschuß abliegenden, städtisch gebauten Dörfern ist von nicht ganz unbedeutender Größe, und steht dem Umfange nach dem schweizerischen St. Gallen nicht nach.
Die Häuser, mit meistens platten Dächern, sind ziemlich hoch, ihre Mauern gerade, davon manche mit Kalk übertüncht. Die Vorderseite vieler Wohnungen, gleich über den Pforten, schmücken die Wappen der alten Johanniter. Man freut sich hier ordentlich wieder der Glasfenster, von denen Wohnlichkeit entgegenglänzt. Die Kamine ragen als kleine[S. 239] Thürmchen hinauf, die eine Pyramidenspitze und auf dieser etwas Spießartiges tragen. Mehr, als neun runde, dünne Moscheethürme steigen empor, und, Abends beleuchtet, goßen sie goldene Säulen über den schwarzen Wasserspiegel des Hafens bis zum — vergangenen Riesenbilde.
Anmerkung. Bekanntlich soll als eines von den sieben Wundern der alten Welt eine eherne Riesensäule des Helios Phöbus am Eingange des Hafens gestanden und als Leuchtthurm gedient haben. Dieser Koloß, woher die Rhodier Kolosser genannt wurden, war nach Plinius siebenzig, nach Andern achtzig Ellen hoch; allein sechsundfünfzig Jahre nach der Aufstellung des Riesen stürzte der Stolz menschlicher Unternehmungen durch ein Erdbeben zusammen. So baut der Mensch mit Zuversicht in die Gegenwart, damit die Nachwelt staune, doch weniger über seine größten Werke, als vielmehr über das Wunder, womit eine andere Hand, als die seinige die Zukunft leitet. Noch die Trümmer wurden bewundert. Wenige vermochten den Daumen des Riesenbildes mit den Armen zu umspannen. Die Trümmer blieben bis zum Jahre 656 n. Chr., da sie an einen jüdischen Handelsmann verkauft wurden, welcher damit neunhundert Kameele belud.
Die Gassen sind enge und krumm. Ueber denselben wölbt sich an manchen Stellen von einer Häuserreihe zur andern eine schmale Bogenbrücke, jene zu verbinden, und so eher den Schaden der Erdbeben zu verhüten, die, wie sie in den alten Zeiten, z. B. beim Sturze der Riesen[S. 240]säule, ihre Stärke durch Verheerungen ankündigten, so bis auf den heutigen Tag von den Rhodiern gefürchtet werden.
Der Kai ergötzte mich mit seinem feinen Straßenpflaster, das überhaupt in der Stadt sehr schön ist, selbst mit seinen wohlgemeinten Zierereien nicht überall in den Hauptstädten Europens Nebenbuhler findet. Es drängt sich das schneidende Gegentheil auf: In Syrien die elendesten Gassen, in Rhodos reine und zierliche. Die Pflaster sind wohl eine der Hauptzierden und ein Ehrenpunkt bei den Rhodiern. Man betritt sogar hübsch gepflasterte Landwege. Man hat Ursache, das Lob, das Salomo Schweigger vor drittehalb Jahrhunderten dem Pflaster spendete, vollkommen zu bestätigen. Die Bassar sind schön, gewiß schöner, als viele der unsrigen, aber nicht sehr belebt. In einigen Gassen frohlockt als ein Siegeszeichen der Christenfeinde eine Gruppe sehr großer Steinkugeln, die von den türkischen Erobern hereingeschleudert worden.
Die Stadt wird von einer mehrfachen Mauer und einem doppelten Wallgraben umzingelt. An den sehr starken Thoren, wie an andern Theilen des Festungswerkes, sind die Spuren der alten christlichen Machthaber, der Johanniter-Ritter, noch nicht ausgelöscht. So erblickt man über den Thoren Kreuze, welche den Verehrern des Halbmondes wenig Anstößiges darzubieten schienen. Wie bald wür[S. 241]den manche Christen Mond und Sterne zerstören, sobald sie ein Mond- und Sternland unter ihre Botmäßigkeit gebracht hätten. Ich sah über einem Thore, selbst in halb erhabener Arbeit, das Bild eines Mannes, wenn ich nicht irre, des Apostels Paulus. Ich verwunderte mich um so lebhafter darüber, als bekanntlich sonst der Islam die Erzeugnisse der bildenden Künste nicht duldet.
In und bei der Stadt bewegen sich mehrere Windmühlen; eine neben einer großen, in den Felsen geteuften uralten Zisterne.
Rings um die Stadt von Meer zu Meer streicht der Leichenacker. Den Leichen räumen die Mohammetaner ungemein viel Feld ein, weil sie ungerne ein altes Grab ruhestörerisch aufzubrechen scheinen. Das steppenartige Weichbild bewirkt daher wegen der vielen Steine einen unangenehmen Eindruck. Es würde dieser allenfalls leidlich gemildert, wenn die Grabsteine, wie die Gebäude, zu Rathe gehalten und vom Zerfalle gerettet würden; allein deswillen ladet man keine Sorge sich auf. Der eine Leichenstein steht gerade aufrecht und schön erhalten mit einem wohlausgehauenen und hohen Turbane, der andere ist halb, der[S. 242] dritte ganz umgestürzt, ein vierter zertrümmert, und zwischen den in frommer Erinnerung an die Verstorbenen gesetzten Zeichen lockt wucherndes Gras das Vieh zur Weidung daher. Soll in der wilden Zerfallenheit der Grabmäler etwa das Sinnbild sich abspiegeln, daß eben noch hinfälliger und vergänglicher die Hülle des Menschen sei, als der fallende und zerbrechliche Stein? Eine solche Betrachtung dürfte indessen über dem Gesichtskreise des gemeinen Muselmannes hinausliegen. Auch die Kinder, mehr oder minder der Wiederhall der Erwachsenen, beweisen, wie wenig man sich um die Leichensteine bekümmere. Zwei Buben warfen nach einem Ziele, und dieses war ein Turban auf dem Grabe. Es wäre schade, wenn die Menschen nicht stürben; sonst könnten die Rosse nicht nach Lust in den Todtenkammern zu Alexandrien ein Freudenlied wiehern, noch die Rhodier-Buben die Turbane der Gräber zur Zielscheibe der Vergnügungen nehmen.
Im Uebrigen wird in Rhodos für die Stiftung von Grabmälern weit mehr gethan, als in Jaffa, von dessen Leichenacker man das Auge am liebsten wegwendet, weil es darin vergebens sich erbauen würde; in Joppe sogar zerschneidet die Grabhügel ein Weg, als ein gepflasterter da, wo Denksteine mit Füßen getreten werden. In Rhodos gibt es auch, mitten im großen Leichenfelde, mehrere[S. 243] kleinere Leichenhöfe, in deren Einfangsmauer an der Außenseite dreieckige Ziegelbröckchen eingesprengt sind.
Das heilige Feld (Campo Santo) erhält das Andenken der einst für den Schiffsbau im Dienste des Großherrn gestandenen Schweden.
Die Bewohner zeichnen sich durch Schönheit aus. Ich begegnete auffallend hübschen Frauenzimmern. Die Griechinnen verschleierten sich vor mir nicht; sie sollen sich jedoch vor dem Mohammetaner verhüllen. Es mag ersprießlich sein, daß die Schwärmerei den Gesichtsschleier befängt. Hinwieder sind die Türkinnen um kein Haar besser. Ich ging durch eine Gasse, worin mohammetanische Weiber einen kleinen Kreis, wie es schien, zu Disputirübungen bildeten; ein großer Knabe daneben ergriff ängstlich und lärmend sogleich den Schleier eines Weibes, um dessen Gesicht vor mir zu verbergen. Ich brach in Lachen aus, und kehrte den närrischen Leuten den Rücken. In der höflichern Manier ist der Rücken der abendländische Schleier des Gesichtes.
Nunmehr in dem Lande, wo der Sultan unmittelbarer herrscht, durchmusterte ich mit Verwunderung die Kleidung des Militärs. Sieht man einen Theil desselben, so glaubt[S. 244] man sich kaum mehr unter den Türken. Auch gibt es, außer den Kriegsleuten, nicht wenig fränkisch gekleidete Personen, und da ich in Syrien von den Weltneuigkeiten beinahe ganz abgeschieden war, so lebte ich gleichsam neu auf, als ich wieder so Manches erfuhr; denn Rhodos zählt immer eine beträchtliche Anzahl Schiffe in seinen Häfen, weil es die Straße von Konstantinopel und Smyrna nach Alexandrien und aufwärts nach der ganzen Küste bis hin zu dem gegenüber Himmel und Meer trennenden Streifen Natoliens berührt, und weil viele Schiffe vor der Insel sich mit frischem Mundvorrathe versehen, letzteres um so gewisser, als die Lebensmittel in sehr billigem Preise stehen. Ich bekam für zwei Kreuzer so viel Pomeranzen, daß ich geflissentlich kleinere auslas, um sie in den Taschen bequem tragen zu können. Eine kleine Maß (Ocke) vortrefflicher Wein kostet sechs Kreuzer R. W. Leute, wie die Bewohner dieses Landes, die sich besser ausfinden, wissen ihn noch um die Hälfte wohlfeiler zu kaufen. Eine Ocke Honig kostet sechszig bis achtzig Para (12 bis 16 Kreuzer). Nur das Brot ist theuer und schlecht; denn der Pascha, welcher sich mit Alleinhandel befaßt, zog die Bäckereien an sich. Sollte man etwa bedauern, daß nicht auch die höhern und edlern Güter des Menschen in den Bereich des Handels, des Alleinhandels fallen? Gewaltige der Erde fänden doch eine viel mächtigere[S. 245] Quelle zu Vermehrung ihrer Schätze, und ohne Widerrede wäre es für einzelne Begüterte ein herrlicher Gewinn, wenn sie auf dem Ruhepolster das, worüber sie noch nicht verfügten, nämlich einen hellern Verstand und ein lautereres Gemüth, durch Geld sich aneignen könnten.
Die Konsuln wohnen in einem griechischen Dorfe gegen West außerhalb der Stadt. In demselben besitzen die Lateiner auch ein Hospiz, welches von zwei Patres bedient wird. Die lateinische Gemeinde ist etwa 120 Seelen stark. Der eine Pater, ein gar freundlicher und gefälliger Mann, zeigte mir in der Kirche ein Frauenbild von gehauenem und gemaltem Marmor, welches sehr alt sein soll. Der Pater erzählte: In einem Grundstücke des Eilandes ward von einem Sklaven umgegraben. Da vernahm dieser eine Stimme: „Laß mich gehen.“ Als er tiefer drang, stieß er auf etwas Hartes, und siehe, es war ein Frauenbild, ein sehr wunderthätiges (molto miracolosa).
Griechische Knaben belustigten sich, indem sie unter scherzenden Bewegungen über den Weg sangen, und türkische —, indem sie spielten. Diese übten sich in einem Spiele, welches einem in der Schweiz unter verschiedenen Namen bekannten durchaus ähnelt. Ein Knabe stellt sich vorne, der andere hinten. Der vordere setzt ein Pflöckchen vor eine Grube, in welche er ein kleines Stäbchen steckt.[S. 246] Treibt er dieses nach vornen und aufwärts, so fliegt das von ihm getroffene Pflöckchen gegen den hintern Knaben. Wenn der letztere mit der Hand das noch fliegende Pflöckchen erhaschen kann, so ist der vordere besiegt, und beide wechseln ihre Rollen; wo nicht, so wirft der hintere nach der Grube. Bleibt das Pflöckchen in einer gewissen Nähe von derselben liegen, so ist es Gewinn; kommt es nicht nahe genug, so schlägt der vordere Knabe mit einem Stäbchen darauf, damit es aufhüpfe, und damit er es sodann im Fluge — fortschlage. Fliegt das Pflöckchen jetzt nur so weit, daß der hintere Knabe die Grube von jenem an erspringen kann, so ist er verloren, sonst aber nicht. Gleichermaßen darf der vordere Knabe nur bestimmte Male auf das Pflöckchen schlagen, um es flügge zu machen. Schlägt er diese Male erfolglos, so ist er überwunden. Ich möchte den Alterthumsforscher mit nichten tadeln, wenn er sogar Staub und Moder ausbeutet; er darf aber auch mir nicht verargen, wenn ich in manchen Kinderspielen nichts minder, als Kinderspiele für den Freund der alten Welt erblicke. Ueberlieferungen von Munde zu Munde können sich so rein bewahren, als Ueberbleibsel von Werken der Menschenhand.
Es würde der, im Vergleiche selbst mit palästinischen, auffallend großen Hähne keine Erwähnung geschehen, wenn[S. 247] nicht schon die Alten die großen und streithaften Hähne von Rhodos gepriesen hätten.
Man führte mich in ein jüdisches Haus, wo ein ausnehmend guter Wein ausgeschenkt werde. Ich kaufte einen großen Krug mit herrlichem rothen Rhodier.
Der Rhodier-Wein, zu meinen Füßen gestellt, schwänkt mir den Zwieback. Der Krug mahnt mich an die Weinkrüge, welche untreue Weiber oder Mägde in irgend einen Winkel verbergen, um daraus gelegentlich Muth zu Verblendung der Männer oder Meister zu schöpfen. Ich sitze auf Wrack, einer niedrigen Windenscheibe, die mit einem großen Damenbrete ausgemalt war. Unter mir breitet sich ein Strohteppich aus, neben mir das Bett mit einer Pomeranze darauf, damit sie den Wein mir kühle, — dann meine Habseligkeiten, vor allen der Spender des Segens, der Brotkorb. Gegenüber lagert der unsäuberliche Jude mit einem Graubarte, der schmutzig auf die Brust herunterkräuselt. Nahe über ihm steht eine Katze, deren Augen von der Begierde nach Beute glänzen. Würde der lauernde Vierfüßer ein wenig abwärts gerückt sein, — der Judenkopf wäre das segelnde Schiff unter der ehernen Riesensäule der — Katze gewesen. Der Mann des Hebrons[S. 248] schläft fest und schnarcht, daß die Nasenflügel zittern wie Espenlaub. Vielleicht hörte das hebräische Schnarchen selbst der Maure, welcher, voll Freude über das eingetretene mohammetanische Jubelfest (das große Beiram), in der Stadt sich gütlich that, und einmal eine ganze Nacht im Kaffeehause zubrachte. So hängt man gemeinhin an die Fasten ein Gegengewicht: Man enthält sich kürzer oder länger, mehr oder minder der Speisen und Getränke, man sammelt die Eßlust, und man leert nach der Hand um so leckerer größere Schüsseln und Becher. Bloß drei Fuß über der Schiffsladung von Sesam hängt vom Verdecke ein Laternchen herunter, welches die Höhle erleuchtet.
All’ diese Armseligkeiten betrachtend, bin ich doch zufrieden, und nun blicke ich durch die Oeffnung des Verdeckes gen Himmel zu Gott empor, dem ich mit gerührter Seele meinen Dank für die goldene Gabe der Gesundheit darbringe. Sie war mehrmals auf der Neige, und ich lernte sie schätzen, die mich von so manchem Joche befreite; unbesorgt genieße ich jetzt die frische Luft der Nacht, die grünen Früchte des Südens und seine glühenden Weine.
Mich gelüstete, eine griechische Dorfschaft in einiger Entfernung von der Stadt zu besehen. Ich erstieg zuerst[S. 249] den Hügel gleich über Rhodos; der Weg durchstach einmal einen Felsen. Jener soll heute Smiths Höhe heißen, weil der englische Admiral Sidney Smith auf demselben wohnte, ehe seine Flotte nach Egypten absegelte. Auf der Höhe eröffnet sich die köstliche Aussicht über die Stadt und einen Theil der Insel, auf andere Eiländer und an die Küste des alten Karien. Von den schneebedeckten, kühn in den blauen Aether tauchenden Ausläufern des Taurus schwang sich mein Gedanke beinahe unwillkührlich in die Gegend des Bodensees; denn das Meer, in engen Schranken zwischen Kleinasien und den Eiländern, glich einem See. Ich ging sofort eine Strecke weit auf dem Scheitel des Hügels, und lenkte dann rechts hinunter zum Meeresstrande, wo mir mehrere Marktleute mit Eseln und Maulthieren begegneten; Kameele traf ich nicht. Vor dem Siechenhause (casa dei leprosi) saßen einige Menschen, die bettelnd ihre Hand schüsselförmig hervorstreckten; eben ruhte auf ihren Gesichtern die erwärmende Sonne, von dem kalten Nordwinde sich erholend. Eine starke Stunde im Westen von Rhodos liegt eine sehr weitläufig gebaute Dorfschaft mit fest gemauerten Häusern, die in Höfe eingesperrt sind. Eine Menge Oelbäume trägt dazu bei, daß die Häuser noch mehr in der Verborgenheit erscheinen. Die alte Stadt Rhodos soll in der bedeutenden[S. 250] Länge vom Vorgebirge Bovo, dem gleich nördlich die neue Stadt Rhodos sich anschließt, die nach Trianda sich ausgedehnt haben.
Die Männer auf dem Lande waren mit einem Turbane bedeckt. Die meisten von denjenigen, welche an mir vorübergingen, hatten eine wilde, unfreundliche Miene. Ein Mann, der viele Jahre auf der Insel verlebte, versicherte mich, daß die rhodischen Griechen durchaus wackere Leute seien, und daß man unter ihnen völlig sicher reise, bei Tag und Nacht, über Berg und Thal. Nach dem Aeussern würde ich in der That ein ungünstiges Urtheil gefällt haben. Damit nicht dem Irrthume der Fang gelinge, soll Niemand verkündigen, daß er Fische gefangen habe, sobald er die Schwere des Netzes in der Tiefe des trüben Wassers verspürt, sondern erst dann, wenn er die Fische fühlt oder sieht.
Auf dem Rückwege, immer am Meere vorbei, hörte ich, seit ich Triest verlassen habe, wieder zum ersten Male einen Brunnen plätschern, zum ersten Male sah ich wieder den lautern Wasserstrahl mit den Perlen scherzen. Man nennt die Insel sehr reich an Brunnquellen, welche auf wohlthätige Weise in der wolkenlosen oder wolkenarmen Jahreszeit die Stelle des Regens übernehmen, um, durch[S. 251] die Hand des berechnenden Landmannes geleitet, das Feld zu berieseln und zu befruchten.
Wir gingen am 20. Jenner schon unter Segel; allein ein heftiger Gegenwind jagte uns gegen die nun öden Feuerschlünde zurück, die zu Ehren des Beiram so laut gedonnert haben, er verbannte uns in den Hafen von Rhodos. Ich benützte diesmal die Zeit, meinen Reisepaß bei dem österreichischen Konsul, Herrn Giulianich, unterschreiben zu lassen. Die Hausfrau ist eine Deutsche, und mit einem innigen Vergnügen sprach ich wieder einmal mit deutscher Zunge. Die freundliche Aufnahme im Schoße einer europäisch gebildeten Familie erquickte mich wie ein Frühlingslüftchen.
Die Rückreise über Konstantinopel werde ich nicht ausführlich schildern. Die Sehnsucht nach dem Abendlande, wirkliche Reisesattheit, ungewöhnlich ungünstige Umstände machten mich nachlässiger im Beobachten und im Aufzeichnen des Beobachteten, obschon ich mein Tagebuch fortsetzte.
Am 24. Jenner steuerten wir endlich von Rhodos weg. Links erhoben sich die Sporaden, rechts bald das Vorgebirge Krio (Knidus der Alten) und linker Hand vorwärts[S. 252] die Insel Kos. Mit ehrfurchtsvollen Erinnerungen heftete ich auf dieselbe meinen Blick; denn Kos ist das Geburtsland von Hippokrates. An der Morgenseite spielte das Halbgrün der Weiden bis an den Gipfel des Berges in der Sonne, welche von Karien lieblich herüberleuchtete. Wie vor Jahrtausenden kreiset noch die gleiche Sonne, noch umschweben das gleiche Land die Lüfte, noch bespülen das gleiche die Fluthen des Meeres, ach, muß es denn unabänderlicher Wille sein, daß der gleiche Sterbliche dort nicht umherwandle, und lehre, wie Andere, gleich ihm, die Krone der Unsterblichkeit verdienen? Der Theil der Morgenseite, welcher, gegen Mitternacht, völlig in die Nähe trat, war unbewohnt. Als wir umbogen, kam die Stadt Kos zum Vorscheine, großartig in der Schminke der Ferne. Die Thürme trugen sich schlank über den Moscheedom, und die vielen weißen Landhäuser verliehen dem schönen Landschaftsbilde einen besondern Reiz. Nahe der Stadt belebten die Küste mehrere Windmühlen, auf welche das Schloß Putrun (das alte Halikarnaß) von Kleinasien herabschaute. Eben trieb ein Kahn die Meerstraße querein, schief in den Wind, gegen Kos. Ich beneidete die Leute in dem Fahrzeuge, in das ich hätte hinüberhüpfen mögen, um in die gefeierte Stadt der Aerzte zu wallfahrten; ich zürnte dem Winde, vor dem unsere Segel so bereitwillig[S. 253] sich blähten, damit mein Auge an dem Lande der Koer um so minder sich weiden könne. Es ist wohl verzeihlich, wenn ein Arzt, vor der Insel Kos vom Strome seiner Gefühle hingerissen, die Fesseln der Kürze in der Beschreibung ausnahmsweise abwirft.
Wir segelten vorüber an den Inseln Kalmino (Kalymna), Leros und Pathmos, Samos und Ikaria (Nikarie) nach Tschesme, wo ich mich mit dem Hauptmanne Bagsîno über die Mitfahrt nach Konstantinopel verständigte. Chios lag herrlich vor den Blicken und nahe; ringsum Ionier-Land. In Tschesme wechselte ich ein freundlich Wort mit dem wackern österreichischen Konsul. Ipsara, Metelino, (das alte Lesbos); das sigrische Vorgebirge doublirt; Blitz und Donner begleitete den Regen auf dem ägäischen Meere vor Tenedos (Bogdscha), gegenüber von Troas. Ich setzte meinen Fuß auf den Boden dieses Eilandes. Der thrazische Chersonesus gewährte wieder den ersten Anblick Europens; die Dardanellen (Hellespont), ihre Schlösser; die Flüsse Simois und Rhodius; Abydos und Gallipolis; wir ankerten vor dem asiatischen Dorfe Kamares, dem Lande der Mysier; dann schwamm unser Fahrzeug im Marmarameere (Propontis) an der Marmarainsel (Prokonnesus) vorüber. Donnerstags den 4. Hornung Morgens liefen wir beim Mondesscheine in den Bospor[S. 254] und, vorbei an Skutari, mit Tagesanbruch in den Hafen von Konstantinopel (Stambul). Einzig war das Schauspiel. In der großen Kaiserstadt, welche meine nicht geringen Erwartungen sogar überbot, weilte ich bis zum 17. Hornung. Auf dem Dampfschiffe reiste ich ab; der Olympus thronte vor den Augen; es entzückte mich die Fahrt längs des trojischen Feldes, vor dem Kap Baba (promontorium Lectum), neben dem Ida, zwischen Lesbos und Äolien; und deutlich sah ich die Stadt Metelino (Mitylene). Spät Abends den 18. Hornung erreichten wir den Hafen von Smyrna (Ismir). Mich durchströmte die seltene Freude, einen Landsmann, Herrn Sturzenegger von Trogen, so wie früher in Konstantinopel einen andern Schweizer-Bürger, Herrn Morelli, Handelsmann aus Bern, zu treffen.
Am 23. Hornung reisete ich am Bord der Brigg Macacco, Kapitän Radonicich, mit dem Sohne des österreichischen Konsuls in Rhodos von Smyrna ab. Das Ankertau hielt uns später im Meerbusen, dessen Hafen wir verlassen haben; wir fuhren durch die Seestraße von Chios; zwischen den Inseln Tino (Tenos) und Mykone, zwischen Syra (Syros) und Delos, zwischen Paros und Thermia (Cythnus), zwischen Serfo (Seriphus) und Sifanto (Siphnus); ein Sturm zwang uns zurück gegen[S. 255] Hydrea vor Argolis; vorwärts segelten wir dann gegen Cerigo — rechts das Gebiet der alten Spartaner, links die Cykladen — und vorüber am Kap St. Angelo (Vorgebirge Malea der alten Lakedemonier). Statt die Meerenge nach der Bucht von Kolokythia (Laconicus sinus) zwischen Lakonien und dem englischen Cerigo (Cythera) zu wählen, umsteuerten wir diese Insel; dort das Kap Matapan (tänarische Vorgebirge) und das Mainagebirge (Taygetus); die Küste von Messene (Navarin sehr deutlich); weiter Zante, Cephalonia, Santa Maura, Antipaxos und Paxos; durch die Straße der Insel Korfu und nahe der freundlichen Stadt gleichen Namens; zum letzten Male erblickte ich einen Moscheethurm im Epirus; wegen eines stürmischen Windes warfen wir die Anker aus im Hafen von Arcangelo der Dalmazier.
Dinstags den 15. Merz langte ich mit einem Herzen voll Wonne zu Triest an. Schon waren die Bäume auf dem Felde mit ihrem Blüthenstrauße geschmückt. Der jugendliche Lenz erwies mir die Gefälligkeit, das harte, vierzigtägige Gefängniß im Theresienlazarethe wenigstens einigermaßen zu lindern. Unbeschreibliche Freude athmete meine Brust, als ich mit dem neubesiegelten Freibriefe am 23. April aus der Quarantäneanstalt trat. Ich berührte einige Städte Oberitaliens, in denen die indische[S. 256] Cholera wüthete; in Tirol, von Meran bis Mals ging ich zu Fuß; am 1. und 2. Mai fuhr ich über Schnee, selbst am 3. noch im Schlitten, und am 4. schüttelte ich, im vollen Besitze der Gesundheit, zu Hause die Hand der Meinigen.
Es würden vielleicht mehr Abendländer nach Palästina pilgern, wenn ihnen eine umfassende Anleitung zur Reise bekannt wäre. Ich will trachten, dieselbe so zu geben, daß ich eine Antwort auf Fragen über wesentliche Dinge nicht schuldig bleibe.
Was für polizeiliche Schriften werden erfordert? Um in der Türkei, in Syrien und Egypten zu reisen, bedarf man keines Passes der herrschenden Landesbehörde. Ein Reisepaß aus der Heimath genügt, sofern er von der Gesandtschaft desjenigen Staates beglaubigt ist, durch den man zu wandern vorhat. In der Türkei, in Syrien und Egypten wendet der Pilgrim sich an den Konsul, unter dessen Schutz er sich stellen will.
Wie versieht man sich am beßten in Beziehung auf die Geldangelegenheiten? Außer dem Reisescheine ist denn freilich der Nerv der Unternehmungen[S. 257] nöthig. Den Vorzug verdient ein Kreditschreiben oder auch, an dessen Statt, mehrere Wechsel an Handelshäuser der Hauptstädte, durch die man reiset. Es wäre aus einleuchtenden Gründen unrathsam, viel Geld mitzuschleppen. Bis an den Ort, wo man sich einschifft, weiß ein Jeder den Kurs des Geldes. Hier aber räth am beßten das Handelshaus, an welches man addressirt ist. Zu meiner Zeit kursirten in der Türkei, in Syrien und Egypten z. B. die levantischen Thaler (tallero, österreichische Münze am Werthe von beiläufig 2 Gl. 24 Kr. R. W.). Auch Goldmünzen gehen, als: die österreichischen und holländischen Dukaten, die venezianische Zechine. Das ist zuverlässig. Für Syrien nehme man bares Geld mit sich wegen der wenig häufigen Geldgeschäfte mit diesem Lande und wegen vorauszusehender Unannehmlichkeiten oder Schwierigkeiten, welche ein an ein syrisches Haus addressirtes Kreditschreiben oder Wechsel verursachen könnte. Bezieht man in Alexandrien oder sonst wo egyptische Münze, so läuft sie in Syrien; von Konstantinopel gehen dort wenigstens die Silbermünzen, z. B. die Beschlik (Fünfpiasterstücke). Faßt man die Sache fest und klar auf, so wird man nicht leicht in Geldverlegenheit gerathen. Ich, für meinen Theil, wählte am liebsten Goldmünzen, und verwahrte sie in einem Papiere so, daß sie weder bemerkt,[S. 258] noch bei einiger Vorsicht verloren werden konnten, noch auch im mindesten mich belästigten.
Mit welcher Sprache kommt man am beßten aus? Ich wiederhole, daß die italienische schon seit Jahrhunderten die herrschende unter den Franken im Morgenlande ist.
Welches ist der kürzeste und beßte Weg nach Jerusalem und wieder nach Hause zurück? Ich rathe, zuerst nach Marseille, Livorno oder Triest zu reisen. Letzterer Hafen dürfte der beachtenswertheste sein, weil die Gelegenheiten zur Abfahrt sich häufiger darbieten, wenigstens öfter, als in demjenigen von Livorno[12]. In Triest kann man manchmal schon am Tage der Ankunft auf einem Segelschiffe abreisen, und selten muß man nur eine Woche lang auf ein solches warten. Der gerade Weg führte allerdings nach Jaffa; allein hieher findet man, meines Wissens, keine, nach Beirut selten eine Gelegenheit, welche übrigens schon deswillen vorzüglicher wäre, weil man eine Quarantäne ersparen würde. Von Beirut nach Jaffa und umgekehrt sind in der regenfreien Zeit, nach[S. 259] Versicherung des Konsuls Damiani, die Gelegenheiten, wenigstens auf arabischen Fahrzeugen, häufig. Sonst schiffe man sich nach Alexandrien in Egypten ein. Es mag auch dem Umstande, daß man meist nur auf Umwegen zum Ziele gelangt, der seltene Besuch Jerusalems durch die Abendländer zugeschrieben werden. Der römische Hof, in manchen andern Dingen doch wohl über das Maß eifrig, thut nichts oder wenig zu stärkerer Bevölkerung der Hospizien im verheißenen Lande und zu Belebung der Wallfahrt nach dem wichtigsten Wallfahrtsorte, und sie könnte nur so leicht, zum mindesten alle Jahre einmal, auf eigene Rechnung ein Dampfschiff nach Jaffa ausrüsten, nachdem die Gläubigen vom Orte und von der Zeit der Abreise gehörig in Kenntniß gesetzt worden wären. Oder warum sorgt in unserm unternehmenden Zeitalter nicht eine Dampfschiffahrtsgesellschaft, wie diejenige in Triest, einmal für eine direkte Fahrt nach Jaffa? Wie angenehm müßte es für Manche sein, wenn sie, selbst in der Mitte Deutschlands, voraussagen könnten: In drei Wochen werde ich die Ostern in Jerusalem feiern. Von Alexandrien nach Jaffa legte ich den Seeweg zwar nicht zurück; allein nach einem Gewährsmanne, Failoni, segeln täglich arabische, zwar nicht reinliche, aber sichere Küstenfahrer dahin ab. Ich glaube[S. 260] auf das Wort; ich denke bloß hinzu: außer der Regenzeit, da der Himmel heller ist, und sollte noch ein heftiger Wind die Sicherheit bedrohen, so ersteuert der Küstenfahrer bald das Land. Als ich Failonis Angabe las, wurmten in mir zuerst manche Bedenklichkeiten; die Worte arabisch, Barke, Meer waren mir anstößig, und ich würde mich einem arabischen Seemanne mit Widerwillen und Besorgniß anvertraut haben: seit ich aber den nachgibigen Araber, die bedachtsame Küstenfahrt und die stillere, bessere Jahreszeit, theilweise aus eigener Erfahrung, kenne, so wollte ich mit einem arabischen Küstenfahrer unbedenklich reisen. — Von Jaffa erreicht man bald Jerusalem. Dann kehre man nach Jaffa zurück. Hier miethe man sich an Bord eines griechischen, nach Konstantinopel laufenden Schiffes. Von Stambul bis Wien wird das Boot vom Dampfe getrieben. Ich überlasse nun einem Jeglichen selbst, den Weg nach Hause zu suchen. An der türkisch-österreichischen Grenze währt die Quarantäne kürzere Zeit, als in Triest; auch soll sie nicht so theuer sein. Von Alexandrien nach Jaffa fährt man mit und ohne Dragoman, mit einem solchen schon darum angenehmer und bequemer, weil ihm zugleich auch das Geschäft eines Koches übertragen wird.
Wann soll man die Reise antreten? Der Pilger will in Jerusalem ein bedeutendes Fest feiern. An[S. 261] Ostern mögen bei 10,000 griechische und armenische Pilgrime die Stadt besuchen, und wegen dieses Festes warten Schiffe auf der Rhede von Jaffa, welche ihre Bestimmung nach Konstantinopel haben. Darauf muß man durchaus das Augenmerk richten, wenn man nicht gleichsam an Jaffa gefesselt sein will, wie Andromeda an die Felsen. Im Hornung oder Merz in die See zu stechen, darf Niemanden bangen. Vor Korfu schon koset ein blauer Himmel, und der Merz und April Palästinas, noch mehr des Egyptenlandes gehören zu der warmen, regenfreien Jahreszeit, in welcher die Küstenfahrt gewöhnlich mit keinen, selten mit einigen Gefahren kämpft. Ich ertheile den Rath, die Reise, wo möglich, so zu veranstalten, daß man inmitten des Monates Hornung die Seefahrt beginnt.
Wie lange dauert die Reise? Ich will nun die Dauer annähernd berechnen, und lieber zu lang, als zu kurz.
Von Triest nach Alexandrien | 20 | Tage. |
Aufenthalt in Alexandrien | 3 | „ |
Seefahrt von Alexandrien nach Jaffa | 4 | „ |
Quarantäne in Jaffa | 19 | „ |
Wanderung von Jaffa nach Jerusalem | 2 | „ |
[S. 262] Aufenthalt in Jerusalem, den Ausflug nach Bethlehem inbegriffen | 8 | „ |
Nb. Kürze oder Länge des Aufenthalts würde hauptsächlich vom Erwarten des Festes bestimmt. | ||
Zurück nach Jaffa | 1 | „ |
Nb. Die Rückreise, auf der man sich nicht, wie auf der Hinreise nach Jerusalem, in Arimathia aufhält, wird deswegen einen Tag kürzer angegeben, als letztere. | ||
Abwarten eines Schiffes | 4 | „ |
Reise nach Konstantinopel | 20 | „ |
Aufenthalt in Konstantinopel | 14 | „ |
Wasserreise nach Wien mit Einschluß der Quarantäne (kürzestens 30 Tage) | 41 | „ |
Zusammen | 136 | Tage. |
Man könnte bis Ende Brachmonates wieder zu Hause eintreffen, nach einer Abwesenheit von etwa fünftehalb Monaten.
Wie lebt man? Man kauft in Triest zwei Leintücher, eine Wollendecke, eine Matratze und ein Kissen: die Schiffsbettung, deren man, wenn auch nicht auf dem Dampf[S. 263]schiffe, doch auf der Küstenfahrt nach Joppe und später bedarf. In jenem Schiffe kann man auf eine Beköstigung zählen, wie in einem Gasthofe. Alexandrien besitzt Wirthshäuser nach fränkischer Einrichtung. Hier versehe man sich für die Fahrt nach Jaffa mit Nahrungsmitteln, z. B. mit gewöhnlichem Brote (Zwieback ist für die kleine Reise kaum nöthig), das acht Tage gut bleibt, mit frischem Fleische, mit Hühnern, mit Reis, Kartoffeln, Zucker, Kaffee, mit Zitronen und einer Flasche Aquavit, und man schaue vor der Abfahrt besonders nach, ob der Rais süßes Wasser in gehöriger Menge gefaßt habe. Ohnehin wird man nicht vergessen, eine kleine Kaffeekanne von Weißblech, eine eiserne Kasserole (zum Kochen des Fleisches u. dgl.) mit einem schüsselförmigen, als Teller dienenden Deckel, so wie Messer, Gabel und Löffel, einen Becher und Holzkohlen zu kaufen. Es gibt Araber, die sich so gerne auf Andere stützen, daß man wohl thut, selbst an Salz und Feuerzeug sich nicht mangeln zu lassen. Nimmt man gleich von Hause aus etwas mit, um wenigstens den Zucker, Kaffee und Reis gehörig aufzubewahren, so wird man es nicht bereuen. Für den Mundbedarf schafft man sich zugleich einen Korb nach egyptischer Art an[13]. Im jüdischen[S. 264] Lande spricht man bei den Bewohnern der Klöster oder Hospizien zu. In Jaffa trifft man zweifelsohne einen grie[S. 265]chischen Schiffshauptmann; seine Kost ist eher schlecht. Beköstiget man sich selbst, so lebt man besser und freier, während man zugleich um ein Bedeutendes wohlfeiler durchkommt. Man kaufe also einen Vorrath an Lebensmitteln etwa auf zwanzig Tage, Zwieback aber etwa auf dreißig Tage, auf längere Zeit ja nicht, da die Griechen bei schlimmer Witterung gerne in einen Hafen steuern, wo man wieder frischen Mundbedarf aufkaufen kann. Beim Abschlusse der Uebereinkunft mit dem Schiffshauptmanne muß das Kochen und das hiezu nöthige Holz wohl bedungen werden. Wenn man sich recht deutlich erklärt, so ist vom griechischen Hauptmanne, welcher wenig zu schreiben pflegt, ein schriftlicher Aufsatz nicht geradezu erforderlich. Meine Uebereinkunft mit dem Hydrioten geschah mündlich; ich schrieb sie bloß in meine Brieftasche, worauf ich sie noch dem griechischen Konsul anzeigte. Zu Konstantinopel, nämlich in Galata und Pera, laden den Reisenden, neben einem ospizio della Terra Santa, fränkische Wirthshäuser ein. Auf allen Dampfschiffen sorgt die Küche für ein üppiges[S. 266] Leben. Ich müßte eine recht saure Mühe mir aufbürden, wenn ich, nach dem Beispiele der abendländischen Reisehandbücher, angeben sollte, welches das beßte Wirthshaus in Wien sei. Der Ankömmling aus dem Lande des Aufganges kennt mehr Genügsamkeit.
Wie viel kostet die Reise? Es wäre leicht, zu antworten, würden nur die Preise zu verschiedenen Zeiten nicht schwanken. So waren die Lebensmittel zu meiner Zeit in Jaffa mindestens um ein Drittel kostspieliger, als vor der Besetzung Palästinas mit egyptischen Truppen. Und davon abgesehen, läßt sich der Voranschlag der Kosten nur beiläufig bestimmen. Wer gesonnen ist, den Reiseplan geradenweges zu verfolgen, und nirgends sich längere Zeit aufzuhalten, wer weder wissenschaftliche Forschungen anstellen, noch durch großen Aufwand Aufsehen erregen will, immer und überall aber für die Gesundheit, als eine unschätzbare Juwele, Sorge trägt, und in steter Rücksicht auf dieselbe die verschiedenartigen Vergnügungen der Reise genießt: der wird diese mit 600 Gl. R. W. bestreiten können. Es fiele nicht schwer, in die Einzelnheiten einzugehen. Jeder, welcher die Reise zu unternehmen Willens ist, wird übrigens leichter durch Erfahrung das Nähere finden, als durch die Uebung des Gedächtnisses in Angaben aus dem todten Munde eines Buches.
Hier an meinem Ziele, wo ein weites Feld von Rückerinnerungen sich schließt, kann ich nicht umhin, darüber Rechenschaft abzulegen, wie ich die Reise in den gegenwärtigen Blättern erzählte.
Alles Wesentliche schrieb ich auf der Reise zwischen Triest und Afrika, in Alexandrien und in Kairo, in El-Arysch und in Ramle, in Jerusalem und in Jaffa, in Rhodos und Tschesme (auf dem Meere zwischen Ionien und dem thrazischen Bospor, in Konstantinopel und in Smyrna, auf dem Seewege nach Triest) und im Theresienlazarethe, am meisten jedoch in Kairo, El-Arysch, Jaffa und Triest, und selten blieb ich in bedeutendem Rückstande.[S. 268] Mit dieser Arbeit, ich gestehe es, raubte ich mir manchen ruhigen Genuß; hingegen auch würzte ich damit, zu reichlicher Vergeltung, viele Stunden, zumal von denjenigen, welche in den Quarantäneanstalten vergingen. Im Garten bereitet man dem Rosenstrauche ein Beetchen, und er treibt Blätter und Dornen; aber man pflanzt ihn nicht wegen der Blätter und Dornen, sondern in der Hoffnung, daß mit der Zeit noch duftende Blumen aufquellen, womit die Freude sich einen Kranz winde.
Ich fühle wohl, daß ich hätte zwei Dinge thun können: erstens das Geschichtliche einweben, und zweitens mit Auszügen neuerer Reisebeschreibungen meine ergänzen. Ich wollte weder das Eine, noch das Andere; das Eine nicht, weil auf der Reise zur Seltenheit eine kleine Garbe geerntet wird, sondern weil jeder Unterrichtete die Hauptsache am Schreibpulte ausbeuten kann; das Andere nicht, weil ich die Rolle eines Plünderers verabscheue, und weil ich vermuthe, daß Manche ebenso gerne einen Rundreisenden begleiten, als den Zusammenstoppeler und Erklärer inmitten eines Bücherhaufens. Ich behaupte zwar nicht, daß ich die eben bezeichnete Bahn aufs allerstrengste verfolgte, ohne ausnahmsweise in einen Seitenweg abzuweichen, indem ich glaubte, wenigstens einige, vielleicht nicht mit Gebühr gewürdigte Männer des sechszehnten und sie[S. 269]benzehnten Jahrhundertes, wie sie mir gerade in meiner literarischen Einsamkeit begegneten, in diesen Sprechsaal einladen zu dürfen[14].
Als Lustreisender hätte ich denn auch nicht dem Schulzwange gehorchen mögen, um ein Ebenmaß zu beobachten. Bald ernst, bald scherzhaft, jetzt ausführlich und vielleicht gar gedehnt, dann kurz und abgebrochen, — so schrieb ich je nach meinen Lagen und Launen. Das Wanderbuch ist ein Spiegel verschiedener Gemüthsstimmungen. Wie sollte ich nun am Ende meiner Fahrten, etwa zu Gunsten untergeordneter Rücksichten, das Tagebuch anders zuschneiden, damit das Bild meines Reiselebens erbleiche? Es wäre ein wenig zu hart, wenn man stets nach den Geboten der Schule leben müßte, wie der Karthäuser nach seiner Klosterregel.
Nicht die Städte der Welt sind das Ziel einer Reise, sondern die Wahrheit. Mit Andern will ich in nichts wetteifern, als in dem aufrichtigen Streben, der Wahrheit zu dienen. Das letzte Reiseziel aber ist viel schwieriger zu erreichen, als Alexandrien und Kairo, Jerusalem und Beth[S. 270]lehem. Man gibt wieder, was ein Eingeborener oder ein schon längere Zeit im Morgenlande weilender Franke erzählte; allein es hält nicht immer leicht, den rechten Mann zu finden. Man ist das Werkzeug der öffentlichen Meinung unter den Franken; allein man kann die Ansichten Einzelner mit derselben verwechseln. Man verfaßt es in Schrift, was man selbst durch die Sinne wahrnahm; allein diese werden gerne von Täuschungen getrübt. Mehrmals stellte ich mich vom Schreibpulte aufmerksam auf die Gasse, auf daß ich dann wieder an jenem die Feder sicherer handhabe. Um die körperlichen Eigenthümlichkeiten, so wie die Tracht der Jerusalemer mit möglichster Genauigkeit zu schildern, setzte ich mich im Bassar auf eine steinerne Bank, und schrieb, von den Leuten ungestört, gleich nieder, was mein Auge erspähte. Wenn ich auch nicht die leiseste Neigung hege, den Zweifel deshalb mundtodt zu erklären, so brachte ich nun einmal, was ich vermochte, treulich und ohne Gefährde.
Nützt meine Reisebeschreibung Niemanden, so nützte sie doch mir, mehr aber noch die Reise selbst. Als Wanderer lernte ich Welt und Menschen an einem größeren Maßstabe kennen.
Oft beschmollte ich unsern Schnee, und träumte mich mit Wonnegefühl unter einen lindern, lachenden Himmel.[S. 271] Ich konnte im Egyptenlande während des Wintermonats ahnen, welche Gluth die Sonne des Sommers auf dasselbe aussprühe. Uebrigens frieren die Leute im Winter auch an andern Orten, wie in dem gar sommerheißen Konstantinopel, obschon kürzere Zeit, ohne daß sie durchgängig die bequemen Heizeinrichtungen besitzen, die uns, den von Eis Umringten, jenen lieblichen künstlichen Sommer in die Stube zaubern. Wahrlich, wir stehen nicht schlimmer.
Ich sah jenseit des Mittelmeeres fruchtbarere Gegenden, als in der Schweiz und in Teutschland, als selbst in Frankreich und Italien. Was frommt jedoch dem Bauer die Ergibigkeit der Fluren, wenn er die Bodenerzeugnisse zusammt dem daran klebenden Schweiße dem Machthaber unter die Füße legen muß? Ich sah aber auch viel unfruchtbarere Gegenden, wie in der Nähe von Jerusalem, wo die Menschen Zähne haben müßten, um die Steine zu zermalmen, einen Magen, um sie zu verdauen, eine Werkstätte, um sie in Blut zu verwandeln, falls jene in der Nacktheit ihnen viel nützlicher werden sollten. Wir stehen nicht schlimmer mit unsern grünen Hochweiden, vor denen viele Berge Syriens und Kleinasiens, Thraziens und des peloponnesischen Archipels ihre Häupter ehrerbietig senken würden.
Ich traf tugendsame Menschen, aber auch den schlim[S. 272]men, den feigen Araber, den schlauen, den treulosen Griechen. Bei uns versüßen mein Leben viel wackere Leute, die zugleich die Träger einer umfassenderen Bildung und Weltaufklärung sind, nicht zu gedenken, daß ich durch die Bande der Sprache, wie der Sitten, der Religion, wie des Vaterlandes und, ich will noch beifügen, der Vorurtheile an sie geknüpft bin. Und wer möchte vom Bande der Familie schweigen? Wir stehen einmal nicht schlimmer.
Ich reisete durch gesunde Gegenden, so Jaffa und Gaza in der pestfreien Zeit, aber auch durch solche, welche, außer der Pest, noch von andern schrecklichen Geißeln der Menschheit geplagt werden. Bei uns fallen wohl zahlreiche Opfer der langsam tödtenden Schwindsucht, aber seit Menschenaltern nimmermehr jenem Ungeheuer. Wir stehen in der That nicht schlimmer.
Nein, wir stehen nicht schlimmer, aber besser. Nichts trug zur Aussöhnung mit den heimathlichen Verhältnissen williger bei, als meine Reise und gerade diese mittlerweile gewonnene Wahrheit. Der Gedanke, daß das Schicksal gegen uns mehr Milde erzeigt, als gegen die Einen, hat jederzeit etwas Tröstliches, mag auch sonst ein herberes Schicksal uns beugen, als Andere. Ich darf die volleste Zufriedenheit mit der Entwerfung und Ausführung meines Reiseplanes ausdrücken.
Soll ich nun Andern die gleiche Reise, insonderheit die Pilgerfahrt nach Jerusalem, wie ich sie angab, rathen? Wem die Wanderlust beinahe im gebieterischen Tone zuspricht, und wem gleichzeitig es nicht an Mitteln ermangelt, dieselbe zu befriedigen, der trete die Reise an mit heiterer Entschlossenheit. Wenn er einerseits freilich einen Kelch voll Bitterkeiten an die Lippen setzt, wenn er vielleicht der Gefahr sich in die offenen Arme stürzt; so werden ihm andererseits der angenehmsten Augenblicke manche vergönnt, und mit einem güldenen Schatze neuer Kenntnisse und Erfahrungen wird er sich bereichern. Geht auch ein kleiner Weltschatz verlustig, dieser wird von den Kleinoden, welche man für Kopf und Herz sammelt, weit aufgewogen.
Ich bin kein Schwärmer. Ich möchte die Erneuerung der Kreuzzüge nach dem jüdischen Lande nicht herbeiwünschen. Es taucht inzwischen aus dem Meere der Weltereignisse die merkwürdige Erscheinung, daß die meisten Gemüther der abendländischen Christen für Jerusalem in seiner örtlichen Bedeutung gleichsam erstorben sind, und daß seit länger, denn einem halben Jahrtausende kein zweiter Petrus von Amiens sich erhob, die Abendwelt für das gelobte Land zu entflammen. Der Mensch liebt bisweilen die Hindernisse, um sich im Kampfe gegen sie zu messen. Je zahlreicher dieselben aus dem Wege geräumt[S. 274] wurden, desto mehr lenkten in der Folge die Abendländer ihre Aufmerksamkeit von Palästina ab. Man möchte bereits beklagen, daß, nach Beseitigung aller Hindernisse, nunmehr der Entschuldigung oder Beschönigung jede Ausflucht abgeschnitten ist.
Immerhin glaube ich, daß die Pilgerfahrt nicht nutzlos wäre für einen Schriftgelehrten. Derjenige, welcher daheim in seinem Stübchen sich an einer Beschreibung von Jerusalem schier preßhaft zerarbeitet, indem er staubbedeckte Schriften gleichsam hungerig durchwühlt, und mit mühsam erborgten Stellen das magere Buch kaum genug ausspicken kann, würde doch nicht übel thun, wenn er hinginge, die Brust in Jerusalem zu durchlüften, und das Auge auf der Wache Zions im Buche der Natur zu erfrischen.
Ich glaube nicht, daß die Pilgerfahrt nutzlos wäre für den Bibelfreund. Sogar der beßte denkgläubige Christ kann die Bibel, zum wenigsten ihren Einschlag örtlicher Beziehungen, weder mit der Klarheit und Lebendigkeit der Vorstellungen, noch mit der Fülle und Tiefe der Gefühle erfassen, wie der Pilgrim, welchem insbesondere das Lesen der Urkunden einen Vollgenuß verheißen muß. Die unübertreffliche Schilderung, wie jener fromme und treue Knecht zu Rebekka kam, wie die holdselige Jungfrau, mit ihrem Wassergefäße auf den Schultern, heranschreitet, wie sie dem[S. 275] Ankömmlinge einen Trunk Wassers anbietet, wie sie für seine Kameele aus dem Brunnen schöpft u. dgl. —, solche Züge mögen Jedermann anmuthen; allein sie erregen wohl einen ganz eigenthümlichen Eindruck im schauenden Pilger, welcher in der seelenvollen Schilderung die heutigen Sitten des Morgenländers als eine Verjüngung der alten bewundert.
Auch glaube ich nicht, daß die Pilgerfahrt nutzlos wäre für manche Mühselige und Beladene, Leichtsinnige und Welttrunkene. In Gaza weht gesunde, eine milde, die herrlichste Luft. Dort und in Jaffa fühlte ich mich, so zu sagen, noch einmal so leicht auf der Brust. Beide Städte befällt die Lungenschwindsucht als eine große Seltenheit. Man darf ebenfalls von der Seereise Heil erwarten, bei gehöriger Behutsamkeit, z. B. vor dem Zuge des Windes. Nach der Rückkehr ins Vaterland stand meine Gesundheit auf besserem Fuße, als vor dem Anbeginne der Reise. Beleuchten wir jetzt die andere Seite. Unsere gnädigen Frauen und Fräulein, so wie ihre ergebenen Herren und Jünkerlein unternehmen im Laufe der günstigeren Jahreszeit glänzende Badereisen zu Wiederherstellung der Gesundheit, viele aber aus Lust zu einem üppigeren Leben, zu Liebe und Spiel, zu Tafel und Tanz, und mehrere von den üppig lebenden,[S. 276] liebenden und spielenden, tafel- und tanzfreudigen Kurgästen wallfahrten vielleicht später reumüthig und bußfertig nach einem winzigen Gnadenorte; nur wollen sie diesen Glanz ihres Ueberflusses an irdischen Gütern und diesen Schatten ihrer Hoffnung auf himmlische Schätze nicht nach ihrem Gnadenorte aller Gnadenorte, nach Golgatha, tragen. Sei es, daß die gewöhnlichen Wallfahrten des Abendländers, selbst im Schoße der Kirche, die sie anordnet, einen übeln Klang haben, es will die Pilgerreise in ein so entferntes Land, wie diejenige nach Jerusalem, wenigstens zum Theile von einem ganz andern Standpunkte aus beurtheilt werden. Große Luftveränderungen sind ein kräftiger Balsam für verzärtelte oder siechende Geschlechter; große Wanderungen sind ein starker Hebel der Kultur und Zivilisazion.
Verbesserungen im zweiten Bande.
S. | 50 | Z. | 1 | von | oben | lies | in der Tiefe zwischen Moriah und Zion ; jenseits am. |
„ | 64 | „ | 3 | „ | „ | „ | wären für waren. |
„ | 80 | „ | 11 | „ | unten | lösche das ; vor weiter. | |
„ | 125 | statt 152. | |||||
„ | 156 | Z. | 4 | von | unten | lies | heben für haben. |
„ | 159 | „ | 8 | „ | „ | „ | heirathen für heitathen. |
„ | 161 | „ | 10 | „ | oben | „ | schỏfe für schṓfe. |
Nicht sinnstörende Druckfehler (z. B. 1, 19 Schemmel st. Schemel, 1, 103 Letze st. Letzte, 1, 123 faullenzt st. faulenzt, 1, 181 schlossen st. schloßen, 1, 211 pauckte st. paukte, 1, 303 Regen st. Regnen, 2, 162 Montag st. Montags), insbesondere der Interpunkzion, wenigstens im ersten Bande (z. B. S. 8, 26, 28), so wie auch die Ungleichheit in der Rechtschreibung (z. B. Kroazien neben Kroatien, lange Weile neben Langeweile, Pfennige neben Pfenninge, Bogen neben Bögen, Reiß neben Reis) wolle der Leser selbst verbessern.
Inhalt des ersten Bandes.
Seite | |
Reise nach Triest | 1. |
Mein Aufenthalt auf dem Eilande Lossin oder Ossero | 10. |
Fahrt nach Alexandrien | 25. |
Alexandrien. | |
Lage | 58. |
Gebäude | 59. |
Krankenhäuser | 67. |
Auch das Observazionsspital oder die Observazionshütten | 70. |
Die Katakomben und der Pferdestall | 78. |
Die Nadeln der Kleopatra und der Flohfänger | 80. |
Die Pompejussäule und die Schandsäule | 82. |
Die Nachgrabungen | 85. |
Leute. Bevölkerung | 88. |
Der Ritt zur Beschneidung | 91. |
Primarschule | 92. |
Die Zeichenschule | 93. |
Weiberhändel | 95. |
Geld und Geldnoth | 97. |
Das Schiff der Wüste | 99. |
Anleitung für den Reisenden | 100. |
Die Nilfahrt nach Kairo | 104. |
Kairo. | |
Lage der Stadt, Strich des Himmels und Gesundheitszustand der Menschen | 134. |
Die Stadt nach ihrer Bauart | 140. |
Das Schloß, der Jussufsbrunnen und die Grabmale von Kâyd-Bei | 148. |
Das Militärkrankenhaus | 155. |
Die Narrenmenagerie | 157. |
Die Stadt der Einäugigen und der Blinden | 162. |
Das öffentliche Bad | 163. |
Wie die Egypzier im sechszehnten Jahrhundert die Bäder gebrauchten | 168. |
Der Sklavenmarkt | 173. |
Das Katzenstift | 177. |
Gärten | 181. |
Die Esbekieh | 183. |
Physiologischer und psychologischer Karakter der Einwohner | 184. |
Tracht | 194. |
Speisen und Getränke | 198. |
Kaffeehäuser | 204. |
Schneller Justizgang | 208. |
Der egyptische Tanz | 210. |
Der Brautzug | 213. |
Der Leichenzug | 216. |
Der Straßensänger | 218. |
Der Versteigerer | 219. |
Der Barbier | 220. |
Der Lagerstellenmacher | 221. |
Der Glaser | 222. |
Der Schuhmacher | 223. |
Der Töpferwaarenflicker | 224. |
Die Missionarien | 226. |
Die Renegaten | 228. |
Müsterchen von Europäern in Egypten, oder ein Porträt über Kairo aus Europa | 230. |
Undank für treue Liebe | 233. |
Unter österreichischer Protekzion | 235. |
Meine Wohnung | 236. |
Meine Nahrung und Getränke | 238. |
Umgebung von Kairo: | |
Todtenstadt el-Seydeh Omm Kâsim | 242. |
Die Wasserleitung | 244. |
Altkairo und das armenische Kloster | 246. |
Das griechische Kloster und der Altar der h. Frau im koptischen Kloster | 247. |
Der Tempel A’mrus | 250. |
Der Garten Ibrahim-Paschas und der Nilometer auf der Insel Ruda | 253. |
Ausflug nach Heliopolis und Abusabel | 258. |
Geschichtlicher Rückflug nach Mattarieh | 280. |
Abenteuerlicher Ritt nach den Pyramiden von Gizeh | 281. |
Wegweiser in und um Kairo | 295. |
Rückblick auf Kairo | 297. |
Reise durch die Wüste nach El-Arysch | 297. |
Die Quarantäne in El-Arysch | 321. |
Nützlichstes und wohlfeiles Geschenk für die Jugend.
Hand- und Hausbuch
für jeden Schweizer
und
zweckmäßigste Anleitung,
die Schweiz zu bereisen.
Bei Orell, Füßli und Comp. ist erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
Die zweite, umgearbeitete Ausgabe
der
Erdkunde
der
Schweizerischen Eidgenossenschaft.
Von
Gerold Meyer von Knonau.
1ster Band. gr. 8. 872 Seiten, in Umschlag.
1 Rthlr. 16 Gr. — 2 fl. 30 kr.
Der 2te Band, Schluß des Werkes, erscheint Ende Juni 1839.
Herr v. Meyer hat sich schon als Leiter der ausgezeichneten „Gemälde der Schweiz“, die in 22 Bänden die Schweiz schildern sollen, und als Verfasser der Schilderungen der Kantone Zürich und Schwyz einen bleibenden Ruf gesichert.
Fußnoten:
[1] Es kam später ein Engländer von Jerusalem über die reißenden Waldströme des Gebirges Juda mit Lebensgefahr nach Jaffa, und er erzählte mir, daß in jener Stadt ein knietiefer Schnee sich legte, welcher ihm den Besuch mancher Stellen erschwerte.
[2] Markus 15 K. 46 V. Es scheint diese Stelle für ein senkrecht eingehauenes Felsengrab zu sprechen, während andere Stellen und die drei übrigen Evangelisten nicht eigentlich dagegen aussagen. Man bückte sich, um genauer nachzusehen, und man ging ins Grab. Man würde heute noch in ein gewöhnliches Grab steigen, wenn ein Leichnam fehlte, um sich der erstaunlichen Erscheinung recht zu vergewissern.
[3] Es macht mir Mühe, alles Obige stehen zu lassen. Nicht lange nach meiner Abreise, nämlich am Vorabende der Weihnachten, starb der liebens- und ehrwürdige Greis.
[4] Zu einem Theile davon führte er mich in Begleitung eines eingebornen Ortskundigen.
[5] Das Wadengeschwür, welches in Folge dieses Rittes über das Gebirge entstand, heilte erst nach Verlauf von zwei oder drei Wochen.
[6] Ich besprach schon vorläufig den Vertrag mit dem Schiffshauptmanne. Er wäre unerfüllt geblieben, weil das Schiff in Kaifa Bruch litt.
[7] Ich übersprang das Jahr 1828, in welchem die Pest herrschte. Sie allein raffte vom 24. Merz bis zum 30. Mai 19 Menschen hinweg.
[8] Neben dem lateinischen Hospiz gegen Mittag steht, nur durch eine schmale Stiegengasse getrennt, das griechische Kloster. Von unserm Dache sah ich auf dasjenige dieses Klosters hinunter. Ich konnte die Pilger täglich beobachten, wollte sie aber zuerst nicht für Mitchristen halten, weil sie auch des Sonntags arbeiteten. Die Pilgerinnen putzten sich auf dem Dache, als sähe sie Niemand, und als hätten sie einem Lustanlasse beizuwohnen. Eine junge Griechin wollte nicht einmal so viel Rücksicht nehmen, wie die halbschwarze Egypzierin.
[9] Viele wurden ehedem auf dem Landwege nach Jerusalem meuchelmörderisch überfallen. Eine Menge fand schon in dem Abgrunde des Meeres den Tod. In der letzten Sturmeszeit sollen in einem Nachbarhafen 140 Pilger um das Leben gekommen sein.
[10] Es gibt benachbarte Gegenden, wo der schüchterne Jüngling mit Stockprügeln zur Lüftung des Schleiers getrieben werden muß. Risum teneatis, amici. Wie weit weg vom ritterlichen Heldenmuthe.
[11] Diese Männer Gottes verdammen wahrscheinlich nach der Lehre der Schrift: Nolite judicare, ut non judicemini (Urtheilet nicht, damit ihr nicht beurtheilet werdet.)
[12] Wenn man nicht lieber auf dem Dampfboote des österreichischen Lloyd reisen will, welches allemal im Anfange und in der Mitte eines Monats von Triest abfährt (1839).
[13] Wer bequemer reisen will, dem kann ich nicht nachdrücklich genug empfehlen, daß er auf irgend eine Vorrichtung zum Schutze vor den Stechfliegen, den Schlafräubern, denke. Ich verbrachte die erste Nacht in Alexandrien wegen der Stechfliegen sehr unangenehm. Ich betrachtete den Bettvorhang mit nordischen Augen, und glaubte, er sollte das Bett umhüllen. Ich erzählte meine Widerwärtigkeit, und da vernahm ich, daß er ein Fliegenvorhang (Mosquetière) sei. Ich solle, hieß es, vor dem Schlafengehen nur alle Fliegen hinausjagen, und dann das Bett mit dem Vorhang umschließen. Ich that es, und schlief ungestört. In meinem Zimmer brumsete eine solche Menge Fliegen, daß sie meinen Zucker buchstäblich schwärzte. Eine Limonade zu bereiten, kostete viel Mühe, und bei aller Vorsicht konnte ich nicht hindern, daß nicht einige Fliegen in das Getränke fielen. In Abusabel bettete man mir vortrefflich auf dem Diwane; es fehlte aber ein Fliegenvorhang; ich deckte das Gesicht mit einem Tuche; dieses hielt zu warm, und ich mußte es entfernen. Die Fliegenqual gestattete mir wenig Schlaf. Ehe ich bei meinem Freunde in Kairo einzog, machte ich darum auch Schwierigkeiten, weil er keinen Fliegenvorhang besitze. In seinem Hause seien wenig Fliegen, erwiederte er. In der That beunruhigte mich nur selten eine Fliege. Man unterscheidet in Kairo die Häuser in solche, worin es viel, und in andere, worin es wenig oder keine Fliegen gibt, je nachdem ohne Zweifel die Häuser von der Sonne mehr oder minder beschienen werden, und für jene mehr oder minder Köder enthalten. Die letzten, doch nicht viele, Stechfliegen plagten mich in Ramle. In Jaffa sollen sie selbst in der Mitte des Sommers sehr selten schwärmen. Die Bücher englischer Reisender sind überaus erbaulich, wenn sie über die Stechfliegen so gewaltig Lärm schlagen. Von Leuten, die auf eine Reise viel verwenden, sich aber wegen der wichtigen Kleinigkeit nicht vorsehen, wie leicht man sich auch vor den Fliegen schützen könnte, muß man beinahe glauben, daß sie Stoff zu Klagen lieben und suchen.
[14] Die Bemerkungen über die verschiedenen Religionsbekenntnisse der Bewohner in Syrien übersetzte ich während meiner Wanderung größtentheils aus der vorne [S. 5 des 1. Bandes] genannten italienischen Schrift von Failoni.