The Project Gutenberg eBook of Komet und Weltuntergang This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Komet und Weltuntergang Author: Wilhelm Bölsche Release date: April 25, 2020 [eBook #61928] Language: German Credits: Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This book was produced from images made available by the HathiTrust Digital Library.) *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK KOMET UND WELTUNTERGANG *** Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This book was produced from images made available by the HathiTrust Digital Library.) Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist _so ausgezeichnet_. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. Wilhelm Bölsche Komet und Weltuntergang [Illustration] Erstes bis siebentes Tausend Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1910 Vorwort Es besteht das Bedürfnis, in diesem Frühjahr den Weltuntergang infolge eines Zusammenstoßes der Erde mit dem Halleyschen Kometen zu proklamieren. Mehrere Menschen empfinden daraufhin den Wunsch, durchaus ethisch zu werden; andere meinen, daß nunmehr aller gute Wein, den die Menschheit auf Reserve angesammelt hat, ausgetrunken und alle schönen Mädchen abgeküßt werden müßten. Für diese an sich löblichen Bestrebungen können streng wissenschaftliche Grundlagen aus Anlaß vorliegender Kometentheorien zurzeit noch nicht in ausreichendem Maße gegeben werden. Das zu untersuchen und zu klären ist der Zweck des vorliegenden Büchleins, das übrigens auch _nach_ dem Weltuntergang noch mit Nutzen gelesen werden kann. _Wilhelm Bölsche_ _Friedrichshagen_ Ostern 1910 Der Himmel rötet sich von einer nordlichtartigen Glut. In sprachloser Erstarrung stehen die Menschen. Es ist kein Nordlicht: es ist der Weltbrand. Walhalla brennt, und nun muß alles mit. Wir alle kennen die Gewalt dieses Schlußbildes in Wagners Dichtung. Es ist der höchste Abschluß, den die Tragödie erreichen kann. Das Schicksal siegt, und mit dem Vorhang fällt die Welt. Die Götter haben Schuld begangen, sie haben die heiligen Verträge gebrochen. Nun zieht der unerbittliche Urgrund der Dinge den logischen Schluß. Die Schuld muß gesühnt werden, also muß Walhalla brennen. Da unten aber steht das arme Häuflein Menschen und weiß: die da droben fallen, so müssen auch wir kleinen Kerle nach in den Weltenbrand. Die Walküre hat ihnen noch von der Seligkeit der Liebe gesungen. Aber das galt schon einem späteren, einem vielleicht einmal bleibenden Geschlecht. Was heute Mensch heißt, das muß mit in den schauerlichen Hochofen, der da oben zu glühen beginnt. Götterdämmerung! Die Menschendämmerung ist dann nur noch ein Anhängsel. Immer, wenn ich das sah, haben mir diese Menschen leid getan, die mit als Opfer fallen, weil das Schicksal den Schluß zieht aus der Schuld derer da oben. Schon in der Ilias hat das so ergreifenden Ausdruck gefunden. Die da oben wirtschaften ins Tolle; sie haben einen ungeheuren Krieg inszeniert; die hier unten müssen bluten, und all ihr Heldenmut erreicht zuletzt doch nur, daß Patroklus sinkt und Hektor und schließlich auch Achilles. Es ist aber ein eigentümliches Ding in der Welt: die Namen wechseln, aber die Mächte und die Nöte bleiben immer wieder die gleichen. Im alten Babylon sind einst aus den Sternen Götter geworden. Für uns heute sind die antiken Götter wieder in Sterne eingegangen. Und doch hat sich die Situation wenig geändert. Auch für uns, naturwissenschaftlich geschulte Menschen, Bewohner des fern im Sonnenraum mit dreißig Kilometer Geschwindigkeit in der Sekunde dahinsausenden Planeten Erde, moderne Menschen von heute, auch für uns bewegen sich auf der Weltenbühne immer wieder die drei Mitspielenden. In der Tiefe das unergründliche Geheimnis der Natur. Diese dunkle Macht hinter Leben und Tod, der wir verdanken, daß überhaupt etwas ist; aus der wir aufblühen, in der wir versinken, wir, Sterne wie Menschen; die nicht lobt und nicht anklagt, die überhaupt nicht redet, die, wie Angelus Silesius singt, »ein ew'ge Stille« ist; aber die aus dem Unnahbaren dieser ewigen Stille vollzieht, und deren unerbittliche Waffe die ewige Logik ist, das ewige Kausalgesetz. Was getan ist, das zieht seine Folgen nach, unabänderlich. Vor diesem absoluten Naturgrunde aber spielen sich zwei engere Szenen ab. Im Raume schweben Gestirne. Sonnen um die Planeten kreisen. Unfaßbar lange Zeiten hindurch halten sie sich in geregelten Bahnen ohne Zusammenstöße. Auf uralten Verträgen scheint ihr Dasein über Äonen fort aufgebaut. Will man es weniger vermenschlicht ausdrücken, so mag man es Balancen nennen. Vielleicht sind sie in ganz grauen Tagen erst selber mühsam erworben worden, die Balanceverhältnisse etwa unseres Planetensystems. Als Ergebnisse unendlicher Kämpfe. Bis alles sich in natürlicher Auslese des Passendsten, des Harmonischsten endlich so zurechtgesetzt hatte, daß es nun auf lange Zeiträume hin wirklich hielt wie in einem ehernen Garantievertrag. Erst jenseits dieser kosmischen Garantien tauchen dann die Menschen auf. Entwickelt in der Ruhe eines solchen Planeten, der jahrmilliardenlang ohne Stoß, ohne Katastrophe um seinen Sonnenschwerpunkt, seinen Vertragsmittelpunkt, jahraus jahrein friedlich kreiste. In gewissem Sinne selbständig, sind diese Menschen doch unlösbar gekettet an diesen oberen Zusammenhang. Mit ihrem Stern hängen sie in der großen Sternenbalance. Unablässig rollt die Erde sich mit ihnen um sich selbst, um die Sonne, mit dieser Sonne auf das Sternbild des Herkules los. Von überall her starren die Augen der anderen Oberwelten sie leuchtend an, wenn ihr Blick zum Himmel geht. Sie mögen für sich treiben, was sie wollen, diese Menschen da unten, kleine Götter spielen, gut sein oder schlecht; immer ist all ihr Spiel nur garantiert durch die Vertragstreue, die Harmonie, die Balancesicherheit derer da oben. Und nun die alte Angst: wenn die dort einmal ihre Verträge brächen. Wenn Sterne gegeneinander liefen. Wenn unserer Erde kosmische Katastrophen drohten. Wenn diese heilige Himmelsruhe sich lockerte, sich löste. Das unerbittliche Schicksal der Logik, der Naturgesetzlichkeit würde auch hier den Schluß ziehen, ohne mit der Wimper seines schwarzen Rätselauges zu zucken. Seht ihr, wie der Himmel sich rötet. Ein Weltensturz kommt, eine Sternen-, eine Planetendämmerung. Ein kosmischer Störenfried bricht den uralten Erdvertrag. Weltbrand, und was seid ihr Menschen plötzlich da unten, mit müßt ihr in die Hölle, in den planetarischen Hochofen. Der Krieg der Götter ist entbrannt, und ihr müßt mit, der Held bei euch wie der Feigling, unerbittlich. Andere Zeiten, andere Worte. Aber das gleiche Spiel, die gleiche Angst, das gleiche Mitleid bleibt mit den armen Menschen. Die Himmlischen inszenieren Troja und wir müssen brennen. Eines ist aber doch nicht mehr gleich heute. Seit den Tagen Homers oder der Edda sind wir Menschen hier auf unserm irdischen Posten der großen Mysterienbühne unvergleichlich viel kühner, viel stolzer, viel selbstbewußter geworden. In der Zwischenzeit liegt unsere eigentliche große Mündigerklärung zur technischen Erdherrschaft. Eine ganze Masse Dinge, die hier unten damals noch kleine Götter spielten, haben wir selber in die Hand genommen als gereifte, diesen Gewalten endgültig gewachsene Titanen. Poseidon wird in unserer Kultur ein derber Arbeiter, der Blitz muß unsere Apparate treiben. Wenn die Pest wütet, so zittern wir nicht mehr vor den Pfeilen Apollons, sondern wir wenden mit Erfolg Bakteriologie und Antiseptik an. Es ist auf dem Punkt, daß wir wirklich hier auf dieser Erdoberfläche mit dem, was hier noch an »Oberen« spukte, endgültig fertig werden. Prometheus siegt hier, wer kann daran nach den letzten Jahrhunderten der Technik noch zweifeln. Es ist eine heillose Arbeit gewesen und fordert noch eine heillose. Aber die entscheidende Wende ist überschritten. Es hat doch etwas wie ein Symbol (wenn es auch, das gehört zu den Resignationen des Lebens, im Moment der Lächerlichkeit ausgeliefert ist), daß der Fuß des Menschen sich jetzt auf den Pol setzt. Wenn das lenkbare Luftschiff darüber weg steuert, so wird auch die letzte Lächerlichkeit des »Objektteufels« vor der heiligen Stunde kapitulieren, wie immer. Kleine Schlappen, die wir auf diesen Gebieten noch erleiden, zählen nicht. Gewiß: wir machen noch Dummheiten; wir bauen eine Stadt auf die Zuglinie sich verschiebender Landmassen und sie stürzt im Erdbeben ein; wir regulieren einen Strom nicht ausreichend und Paris steht unter Wasser. Das sind aber keine Weltuntergänge, sondern wir wissen eigentlich schon selber recht genau, worin wir es dabei versehen haben und wie es künftig besser zu machen wäre. Es ist alles eher als eine Utopie, daß wir zuletzt alle Ströme, die an Kulturstädten vorbeifließen, wirklich ausreichend regulieren werden, daß wir die besonders durch Erdbeben bedrohten Erdstellen abschätzen lernen und eventuell Häuser konstruieren werden, die auch einen derben Stoß aushalten. Und noch um ein Schwereres ringen wir: das Raubtier Mensch zu zähmen in uns selber, Mensch mit Mensch uns zu vertragen (wir sind doch nun einmal die Brüder von der gleichen Schicht des großen Mysteriendramas), den heillos simpeln Gedanken uns endlich einzuprägen, den uns schon die ganze niedere Lebensentwicklung zuschreit, daß man sich besser liebt als frißt. Auch das geht noch durch seine Momente der Müdigkeit (die ethische Resignation kommt sooft wie die technische), aber durch bricht es doch zuletzt. Was wir in all dieser heißen, inbrünstigen Arbeit brauchen, das ist bloß noch Zeit, noch Fortsetzung der Dinge bei uns, noch Folgen von Generationen, die weiter schaffen, wo wir die Axt sinken lassen. Der Einzelne: ja da muß auch manches resignieren; mindestens müssen wir ihn dem Geheimnis zuletzt überlassen. Aber das ist doch das immer wieder Befreiende, Erhebende, daß auch dieser Einzelne in seinen paar Lebensjahren immerzu in seinen besten Momenten in größeren Zusammenhängen der Menschheit wirken und gestalten darf, auf Dinge hin, die ihn überleben sollen, die fortleben sollen bei wieder jungen, wieder frischen, wieder neu blühenden Menschen. Ein Rächer soll aus unsern Knochen auferstehen, lautete das alte Wort; uns ist Rache nicht mehr so wichtig; wir erwarten einen Fortsetzer, einen Vollender, einen Benutzer unserer Arbeit. Und doch sind wir Titanen der Erde machtlos gegen die da oben! Wir haben ja angefangen, auch sie zu studieren, wie der kluge Odysseus anfängt, seine Götter etwas mit Schläue zu sondieren, zu diplomatisieren. Wir haben begonnen, die Sternverträge selber zu prüfen, die Balancen ängstlich durchzurechnen. Wir haben die Erde gewogen, ihre Schwungkraft gemessen, Sonnen- und Siriusweiten festgestellt, das himmlische Billardspiel der ganzen Planetenbahnen durchgeprobt auf seine Garantien. Aber eine unermeßliche Kluft trennt uns von jeder Möglichkeit, deshalb nun da oben selber mitzuspielen, selber einzugreifen. Wenn sich da oben etwas verschiebt, das alle planetarischen Sicherheitsverträge zu bedrohen beginnt, so können wir's gerade zur Not kommen sehen: ändern aber können wir's nicht. Wenn die Erde in ihr Verderben rennt: _wir_ haben keine Macht, sie zu hemmen. Es gibt eine höchst amüsante, wenn auch wissenschaftlich nicht gerade sehr tiefe Geschichte von Jules Verne, in der drei Menschen in einer Bombe aus Aluminium zum Mond sausen; aus Langeweile gehen sie während der Fahrt die Rechnungen vom Observatorium zu Cambridge noch einmal durch, die ihnen die Ankunft auf dem Mond garantieren sollen, und dabei stellen sie einen Fehler fest, der alles umschmeißt und ihnen Rücksturz und Verderben bedeutet; angenehme Entdeckung, während sie schon fliegen! Aber ganz genau so fliegen wir alle längst durch den Raum, und wenn irgendeine schauerliche Rechnung uns heute beweisen sollte, daß ein fremder Weltkörper sich geradlinig auf uns los bewegt mit einer Bahnlage, die absolut notwendig zu einer entsetzlichen Katastrophe führen muß, so sitzen wir zugleich genau so hilflos eingeschlossen in unserem Gehäuse wie die Helden Jules Vernes und müssen wahllos in unser Verderben fliegen. Unsere wissenschaftliche Phantasie kann sich dabei heute schon recht reinlich vorstellen, was geschehen müßte, wenn ein einigermaßen großer und schwerer Weltkörper auch nur ganz nahe an uns herankommen würde. Durch die Anziehung müßte eine unglaublich hohe Springflut bei uns entstehen, deren doppelter Wasserberg mit der Erddrehung rasch um unsern ganzen Planeten wanderte, alles in einer katastrophalen Sintflut ersäufend. Gleichzeitig würden alle unsere Vulkane in tobenden Eruptionen ausbrechen, da die vom Druck jäh entlasteten Lavaherde und Dämpfe der Tiefe alle zugleich hochquellen müßten. Das Einströmen der Flutwasser in diese Feueressen aber müßte Explosionen erzeugen, bei denen weite Landgebiete wie Trümmer eines platzenden Dampfkessels in die Luft flögen; die berühmte Explosion des Krakatau von 1883 an der Sundastraße, bei der auch der Ozean in den ausbrechenden Krater geflossen zu sein scheint und eine Dampfsäule von fünfzig Kilometer Höhe entstand, in deren Gefolge längere Zeit Änderungen der gesamten Erdatmosphäre (abnorme Dämmerungsfarben durch Beimischung feiner Vulkanasche) eintraten, wäre ein harmloses Kinderspiel dagegen. Bei noch weiter fortschreitender Entlastung würden aber allmählich auch die tieferen Massen des Erdinnern unruhig werden. Man nimmt heute ziemlich allgemein an, daß der eigentliche Sitz des Magmas, das in unseren Vulkanen aufquillt, noch nicht in sehr großer Tiefe der Erdrinde sei. Was noch tiefer liegt, das wird durch den wachsenden ungeheuerlichen Druck der auflastenden Massen normalerweise so gebändigt, daß es gar nicht mehr bis zu uns aufbegehren kann. Nach gangbarer Hypothese liegen der Temperatur nach eigentlich gasförmige Stoffe gegen den Erdkern zu infolge des Drucks in einem Stadium, das sehr nahe der äußeren Erscheinungsform des Flüssigen oder gar Festen kommt. Eine plötzliche Erregung dieser sonst heilsam gedeckten Innensubstanzen würde erst das wirklich Grauenhafteste auslösen. Man kennt ja die Geschichte jener kleinen Fische, die in der Tiefsee unter einem beständigen Wasserdruck bis zu tausend Atmosphären leben; in ihrer Tiefe sind sie hübsch körperlich auf diesen Druck eingestellt; wenn man sie aber plötzlich im Netz an die Oberfläche bringt, platzen sie jämmerlich auseinander. Jener Inhalt des Erdkerns würde entlastet sich ebenfalls als titanischer Explosivstoff bewähren müssen. Mit unhemmbarer Gewalt würde er losbrechen, die Erde würde statt einfacher Vulkanausbrüche Protuberanzen entwickeln nach Art jener fürchterlichen roten Eruptionen von glühendem Wasserstoff und Calcium, die viele Tausende von Kilometern hoch über die Oberfläche der Sonne emporzuspritzen pflegen. Eine wirkliche Berührung der Erde mit jenem zweiten Weltkörper würde, abgesehen von der dabei entstehenden mechanischen Umsatzwärme, durch direktes Zertrümmern der schützenden Deckschale der Erde endlich eine Gesamtexplosion dieser Kernsubstanz mit ihrer so lange verhaltenen Energie hervorrufen, die für unsere irdischen Verhältnisse geradezu als Götterdämmerung bezeichnet werden könnte. Schon ein geringer Teil dieser Ereignisse würde aber genügt haben, das dünne schillernde Schleimhäutchen von der Erdrinde fortzusterilisieren, das wir (mit Einschluß des Menschendaseins) Leben nennen. Dieses Häutchen, in mancherlei Gestalt von Schleimtröpfchen protoplasmatischer Art über eine geringe Schicht der Erdoberfläche lose verteilt, ist seinem innersten Wesen nach zwar seit alters ein wahrer Ahasver und Proteus zugleich an Zähigkeit, wenn man ihm Zeit läßt, sich gegen äußere Bedingungen langsam einzustellen und raffinierteste Anpassungen fertigzubekommen. Es ist aber ebenso schwach, wehrlos, hinschmelzend wie eine Qualle in der grellen Sonne, hinsprühend wie eine Hand voll Spreu in der Flamme gegenüber jeder katastrophalen Bedrohung. Ein paar Stichflammen, wie jene schauerliche von Martinique, die in einem Moment über dreißigtausend Menschen vernichtete, durch die Kontinente rasend, würden das Land sofort veröden, eine auch nur momentane Erhöhung der Meerestemperatur auf Siedehitze die Ozeane. Als letzte Überlebende dürften noch Sporen von Milzbrandbakterien, die hundert Grad trockener Hitze aushalten, und gewisse Algenpflanzen der heißen Quellen des Yellowstoneparks in Nordamerika eine Weile ausdauern, binnen kurzem aber natürlich auch ohne Erfolg. Der Mensch mit heutiger Technik wäre jedenfalls längst vorausgegangen im Tode. Unwillkürlich verweilt der Gedanke auf dem Antlitz dieser Menschheit bei sich nähernder Gewißheit eines solchen Endes. Es wäre eine letzte, furchtbar ernste Probe auf unsere geistige Kraft, auf den letzten Stärkeschatz, der sich angesammelt im Verlauf dieses wunderbaren, unwahrscheinlichen Märchens, das wir als Entwickelung der Menschheit und Menschenintelligenz auf dieser Erde haben. Noch einmal würden sie wohl beide in letzter Kraft erscheinen, die beiden Gestalten, die um diesen Menschen immer wieder gerungen haben in all den Jahrtausenden seiner Geschichte: das alte Raubtier, das mit allen Mitteln die Erdherrschaft an sich riß, das von dem alten Kannibalenhügel von Krapina, wo sie noch Neandertalmenschen geschlachtet haben, bis auf unsere Zeiten immer auf einer roten Spur von Blut durch diese Geschichte gewandelt ist; und das ewige Sonnenkind, das aus der anderen Tiefe der Natur, aus der schon der Paradiesvogel den Sinn nahm, spielend seine Hochzeitslaube mit bunten Federn und Beeren zu schmücken, die Kunst zog, das auf Denken und hingebende Forschung, auf Weltanschauung, auf Liebe und Ethik loswanderte, als die großen Neuländer, die mehr waren als alle noch so hoch gesteigerte Raubtierkraft. Die Energie brutaler Rücksichtslosigkeit würde sich noch einmal ausleben wollen, fast glücklich, daß sie endlich noch einmal alle Fesseln brechen kann, mit denen sie wenigstens die Kritik des verfeinerten Menschentums heute überall eingeengt hat; wie eine kleine Explosion notdürftig gebändigter, unter den Kulturdruck gestellter Innengewalten und Urgewalten des Menschen selber würde das schon bei dem Gedanken an den Untergang entlastet vorbrechen, ehe noch jene zerstörende Entlastung des Planetenkerns der Erde begönne. Aus einer andern wieder entlasteten Schicht würde über Tausende und Tausende von uns die Gedankenwelt sich noch einmal als zäher Lavastrom ausbreiten, wie sie in ihrem typischsten noch lebenden Beispiel Sven Hedin kürzlich so anschaulich aus den Klosterstädten Tibets geschildert hat: jene absolute Einstellung des ganzen wirklichen Lebens auf die Welt eines geglaubten anderen, nachkommenden. Der Glaube, der Menschen veranlaßt, viele Jahre ihres Lebens in einer bis auf einen schmalen Spalt zugemauerten Zelle freiwillig zu verbringen und tagaus tagein, ob nun die Sonne draußen scheint oder Wolken die Dinge verfinstern, den ganzen Inhalt dieses Lebens auf das ewig gleiche mechanische Drehen einer Gebetmühle zu verwenden, im felsenfesten Vertrauen, daß so eine bestimmte Suggestion auf dieses Jenseits ausgeübt werde! Umgekehrt würde für diesen fieberhaften letzten Moment aber zweifellos auch noch einmal das wie eine wirkliche Lösung, ein wirklicher Trost hervorblühen, was dem armen, ringenden, blutenden Einzelmenschen so unzählige Male immer wieder schon in diesem Leben geholfen hat: der göttliche Leichtsinn des Menschen mit all seiner Grazie und Liebenswürdigkeit; der heilige Leichtsinn, der sich, wenn unten die Pest als Schnitter durch die Garben geht und uns alle mähen wird, in eine lustige Halle setzt und Boccacciosche Märchen erzählt, dem Tode einen goldenen Becher zutrinkt aus dem Wein, den sonst erst die Enkel haben sollten, und von der heißen Lippe des schönen Mädchens geküßt wird, von dem ihn sonst alle heiligen und profanen Wasser dieser Erde auf ewig hätten trennen müssen. Schließlich glaube ich aber doch auch noch an ein letztes kleines Häufchen von Menschen (Fazit des reinsten Entwicklungsgoldes der Menschheit heute schon, wenn es auch nur eine kleine Schar ist), die im Anblick des rot aufstrahlenden Himmels der Götterdämmerung das Beste aus all diesen wechselnden Zügen der Kraft nach bewähren würden ohne die Schlacken; die aus der eisernen Stärke des wilden Kämpfers, aus dem tiefsten Sehnen und Resignieren des echten religiösen Kerngehalts, wie aus dem sprühenden Trotz, der dem Tode zutrinkt, endlich den Heldenmut der freien Seele in diesem letzten Scheidefeuer sich schmieden würden, von dem des Dichters Wort gilt: »Wenn etwas ist, gewalt'ger als das Schicksal, So ist's der Mut, der's unerschüttert trägt.« ... Auch ein solcher Mensch würde aber doch die ganze Trauer empfinden, die uns beim Tode eines Jünglings ergreift. Die Mummelgreise des blasierten Denkens lügen ja: die Menschheit ist noch nicht alt. Sie ist noch jung bis zur grünsten Dummheit. Sie wollte erst anfangen, wollte erst beginnen, etwas zu leisten. Erst eben fing eine endlose dunkle Naturarbeit an, in ihr einen Sinn zu bekommen. Nun ein glühender Hauch, und das alles soll wieder umsonst gewesen sein. Vielleicht registrieren sie das Aufflammen der Erde auf einem andern Stern. Einmal wieder eine kleine kosmische Veränderung. Wer weiß, nach wieviel Zeit erst. Das Licht nimmt ja vierzigtausend Meilen in der Sekunde und braucht doch Jahrtausende bis zu den entfernteren Sternen unseres Milchstraßensystems. Dort schieben sich die Geschehnisse durch die verspätete Lichtpost immer weiter und weiter zurück. Wenn die Welt wirklich, wie der Kalender will, erst um 3761 v. Chr. erschaffen worden wäre, so müßte dieses merkwürdige Ereignis für unsere Gegend schon auf Sternen von mittlerer Entfernung jetzt noch unmittelbar beobachtet werden. Nehmen wir an, es sei nicht zu einer vollkommenen Explosion des Erdinnern gekommen, sondern es hätten bloß die Springfluten und Basaltergüsse beim nahen Vorbeipassieren eines himmlischen Störenfriedes die Menschheit vernichtet, so wäre es denkbar, daß nach Äonen andere, mit weit erhöhter Technik wandernde Intelligenzwesen diesen toten Ball besuchten. Vielleicht, daß sie bei künstlichem Licht durch Schachte in die rätselhafte ungeheure Erstarrungsdecke des ehemals glühend ausgeströmten Basalts eindrängen, wie wir heute uns mit Fackeln hinableuchten lassen in die gespenstischen Räume des Theaters von Herkulaneum, über das einst die heißen Schlammströme des neu explodierenden Vesuv geflossen sind. Wie in jenem verschütteten Theater würde da und dort eine Stufe, ein Säulenrest, eine geköpfte Statue, eine Inschrift von der toten Menschheit zeugen und staunende Neugier, gemischt mit einem Gefühl des Grauens, wecken. Ein verklungenes Märchen, in der Nacht, der Tiefe versunken. Wie Atlantis, wie Vineta der Sage. Nicht einmal seine Glocken klingen mehr. Lava hält energischer im Bann als Wasser. Das ausgeträumte Märchen der Menschheit ... * * * * * Lassen wir die Grauen und nehmen ein ganz aktuelles, überaus anmutiges Naturbild. Die meisten von uns haben es in den letzten Tagen des Januar dieses Jahres genossen. Nicht als Götterdämmerung, sondern in ihren gewohnten roten Abendfeuern ging die Sonne zur Rüste. In dem zauberhaften Farbenbogen, der aus duftigstem, durchsichtigstem Orangegelb, Mattgrün und ganz oben Violettblau sich noch eine Weile leise abklingend im Westen hielt, trat plötzlich hineinblitzend und dann rasch im eigenen Weißfeuer wachsend, bis sie als neuer Mittelpunkt das Ganze beherrschte, die Venus vor. Dieser schöne schneeweiße Planet, der uns so nahe ist und von dem wir doch so rein gar nichts wissen, weil ein ewiger dichter Wolkenschleier zäh das Geheimnis seiner Oberflächengestalt hütet. Dann aber, rechts von dem strahlenden Auge des Abendsterns, jetzt ein zweites, ganz feines Himmelsgebilde. Wie ein phosphoreszierendes Federchen eben hingehaucht vor den blassen Kristall des abdunkelnden Himmels. Ein schwaches Sternchen, das aussah, als sei es an der freien Wölbung da oben ein Stückchen weit auf die Sonne zugekrochen und habe dabei eine feine Silberspur auf dem Untergrunde hinterlassen. Im Fernrohr erschien ein goldener Kern in einer weißlich verwaschenen Nebelhülle, nicht unähnlich einem ausgeschütteten rohen Ei; von dem floß jene Silberspur dann als langer Schweif aus, mit der starren Geradlinigkeit nicht eines Körpers, sondern viel eher eines breiten weißlichen Lichtstrahls. Nahm man den Kern als ein gelbes Schiffchen, das in einer Nebelwolke fuhr, so ergab sich mit großer Anschaulichkeit auch das Bild eines Scheinwerfers, mit dessen langem schleppenden Lichtbande die Gegend jenseits der Sonne von Bord aus abgesucht wurde. Dieses höchst eigenartige Gebilde, das ein paar klare Abende lang die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich zog, um dann still wieder zu verschwinden, wie es gekommen, war der sogenannte Komet von Johannesburg. Bahnschaffner im fernen Kapland, wo Johannesburg mit Kapstadt durch eine Schienenlinie verknüpft ist, hatten von einem andern kommenden Kometen gehört und zuerst die Kunde verbreitet, daß jetzt wirklich ein Komet am Westhimmel glänze; es war aber nicht der erwartete, sondern ein ganz neuer. Aus den ungeheuren Raumesfernen zwischen der Sonne und den nächsten Fixsternen kam dieser Komet herangewandert, wie ein Zugvogel in den Schleiern der Nacht kommt. Wie solchen Vogel wohl die jäh auftauchende Flamme eines Leuchtturms auf einer einsamen Klippe über den nachtverhangenen Wassern ablenkt, daß er sich wie gebannt vom Licht ihr nähern muß, so wirkte bei einer gewissen Nähe mit bestimmtem Zuge auch unsere Sonne auf den kosmischen Wanderer. Er stürzte nicht mehr geradlinig fort wie ein Stein, der in den unendlichen Brunnen der Raumesewigkeit geworfen war. Er bog aus, beschrieb eine Kurve um den Sonnenleuchtturm. Im Ganzen war es nur eine kurze Episode. Eine Verbeugung ohne Verweilen. Sehr bald sollte ihn wieder die alte ungestüme Kraft des freifallenden Körpers in der offenen Raumesöde packen und davonstürzen lassen in den Brunnengrund des Alls. Aber in der kurzen Spanne, da der kosmische Zugvogel in einem raschen Bogen an der strahlenden Leuchtturmkuppel näher hinglitt, als wolle er sie wirklich einmal ganz umkreisen: in diesem flüchtigen Moment geschah es, daß von einer kleineren einsamen Klippe in der Nähe der großen der vorbeischwebende Vogel _gesehen_ wurde. Diese Klippe empfing ihr Licht ganz von dem Leuchtturm. Auf ihr aber standen Hütten; Menschen wohnten dort. Und diese Menschen beobachteten vorübergehend den seltsamen Wanderer. Die Gelehrten erkannten in ihm etwas wieder, was man schon öfter beobachtet hatte, eine besondere Spezies kosmischer »Vögel«. Komet nannte man solche Gebilde seit alters; das Wort heißt Haarstern; also ein Stern, der hinter sich her ein langes silbernes Gelocke wallen läßt: den Schweif. Es ist aber ein recht sonderbares Ding gerade um dieses Sternenhaar. Wenn der Komet einsam da draußen, sonnenfern durch den unermeßlichen Brunnen des Raumes einfach fällt und fällt, besitzt er keinen Schweif. Er gleicht dann wirklich einem kleinen Sternchen gewöhnlicher Art, nur blasser, verwaschener. Etwas von einem Wölkchen hat er wohl immer, nur daß es jetzt noch ein rundes punkthaftes Wölkchen in kompaktester Zusammenziehung ist. Aber indem die engere Kurve an der Sonne vorbei beginnt, ändert sich da etwas. Das Kernköpfchen hat sich im Bann dieser Sonne, wie gesagt, bequemt, eine kleine Reverenz zu machen. Aber dabei ist es jetzt vielfach wirklich, als werde etwas in seiner Frisur unruhig. Wie Haar, das sich sträubt, wogt seine Nebelhülle von dem eigentlichen Sternkopf empor. Erst ist es, als fasse die Magie der nahen Sonne sie stärker. Auf wallt sie gegen die Sonne hin. Aber alsbald auch scheint die Sonnenhand wieder abzuwinken. In der gesträubten Masse über dem Kometenhaupt entsteht ein Scheitel: rechts, links fließen für unsern Anblick die Nebelhaare des wunderlichen kosmischen Gesellen rückwärts gegen sein Hinterhaupt, entgegengesetzt zur Sonne, ab. Dort aber entfalten sie jetzt, als löse sich nochmals ein engeres Gewebe, erst ihre ganze Länge. Wie mit einem unsichtbaren Kamm strähnt die Sonne sie weit, immer weiter von dem Kometenkopf fort, bis sie als endloser Nebelschweif hinauswallen in den Raum, der die Sonnenklippe von den andern Klippen des Systems trennt. Immer aber weht dieser Schweif fort von der Sonne, so lange der Komet im ganzen seine Sonnenreverenz macht. So entsteht jenes famose Bild eines kolossalen Scheinwerfers, der nach zähestem Gesetz nie auf die Sonne selber, sondern immer entgegengesetzt gerichtet werden muß. Und das eigentlich ist es, was für uns auf der fernen Erdenklippe die größeren Kometen zu einem so wunderbaren Schauspiel macht: dieser erst sich entwickelnde Schweif in der Sonnennähe, dieses plötzlich erst losgebundene und wie in einem magischen Sturm von der Sonne weggewehte Lockenhaar gerade in der Zeit, da doch im ganzen die anziehende Kraft dieser Sonne diesen Gesamtkometen so gepackt hat, daß er in kühnster Schwenkung ganz nahe an ihr vorbei muß; so nahe, daß dem Rechner bangt, ob es dem Kopf nicht gehen werde wie so manchem Zugvogel auf unserem Helgoland, der direkt auf Tod und Verderben bei zu kurzer Kurve wider die Kuppel des Leuchtturms selber prallt. Der Komet von Johannesburg trat erst in unsere Schau, als er bereits in voller Pracht seines weithin wallenden Schweifes florierte. Wir hatten von unserm Klippenstande aus sein Herankommen zur Sonne und die Schweifentwickelung also selbst nicht beobachten können. Erst als die ganze Locke längst majestätisch dahinwogte, glänzte er plötzlich vor uns auf. Schon aber ging auch sein ganzes Sonnengastspiel damit zu Ende. Keinerlei wirkliche engere Gemeinschaft fesselte diesen Wanderer dauernd an unsern Leuchtturm. Frei sollte er jetzt wieder hinausfallen in den Brunnen der Unendlichkeit. Mit der Sonnennähe muß aber zugleich auch sein »Haarsträuben« wieder abnehmen, die erregten Nebellocken werden wie ermattet wieder sinken, der geheimnisvolle Zug, der die langen Strähnen von der Sonne fortjagte, muß im gleichen Verhältnis schwächer werden, wie der ganze Kometenkopf die Sonnenanziehung verläßt und selber wieder auf eigene Faust in die dunkle Weite strebt. Als wieder beruhigtes, gleichsam wieder ganz eingerolltes, ringsum geglättetes Sternköpfchen würden wir das seltsame Gebilde endlich verschwinden sehen, wenn wir ihm so lange mit unserm freien Blick folgen könnten. Das Erlebnis dieses Johannesburger Kometen ist, wie gesagt, nur eines unter vielen. Wenn noch einmal das Gleichnis des Zugvogels gelten soll, so muß aus den Tiefen des Raumes zu unserer Sonne herauf ein unablässiger Wanderstrom solcher Vögel erfolgen. In dichtem Zuge kommen sie, schweben an, umkreisen die Leuchtklippe unseres Systems halb und entschweben wieder, einer nicht endenden Kette himmlischer Wildgänse gleich, in deren beständigem Zuge durch die Äonen der Zeit das momentane Abbiegen, die kleine Halbkurve vor dem Hemmnis der Sonnenklippe durchweg nur ein winzigstes Intermezzo ist. Durchweg; doch nicht immer. Es gibt Fälle, wo der Wanderer dauernd gefesselt wird. Denken wir uns im Bilde der Wildgans einen Vogel, der bei zu tiefem Fluge nicht einer einzelnen Klippe begegnet, der er in einer Kurve ausweichen kann. Er soll in ein Gewirre himmelhoher Schären geraten; wo er hin will, sperren ihm neue Klippenzacken den geraden Weg; ratlos beginnt er um die Hauptklippe zu kreisen. Das ist nach Lebensanalogie gedacht. Streng bloß auf Schwereverhältnisse umgesehen, bedeutet es für den Kometen, daß er bei seiner Kurve zu eng in die gesamten Anziehungslinien eines Systems, wie es unser Sonnensystem darstellt, sich hineinverheddert hat. Dieses System ist ja ein unendlich verwickelter Zugapparat. Von allen Seiten zerrt und drängelt es da. Eine gewisse zu kühne Kurvenwendung zur Sonne: und der Komet rollt nicht mehr über sie hinaus, sondern muß auch auf der andern Seite in eine Kurvenbiegung hinein. Die Halbkurven schließen sich aneinander zum gestreckten Kreis: der Komet ist gefangen von der Sonne. Nun muß er dauernd gleich den schon vorhandenen Planeten um die große Leuchtklippe kreisen. Die alten Planeten selber helfen ihn dabei gründlich abfangen. Speziell unser System ist darin bedenklich für solche Eindringlinge, daß es eine leise Neigung zu dem hat, was bei andern am Fixsternhimmel sichtbaren vielfach offen proklamiert ist, nämlich zur Bildung eines Doppelstern-Systems. Der Planet Jupiter vor allem ist so groß, daß er neben der Sonne wirklich schon fast eine Art Nebensonne spielt, mit der zusammen im Kräftespiel die Zugverhältnisse eines Doppelsterns beginnen. Der Jupiter wird, sobald ihm ein Komet zu nahe kommt, auch schon zum gefährlichsten Beuger und Ablenker. Im Engeren wie als Gesamtaddition wirken aber auch alle andern Planeten schon mit. Kurz: in so und so viel Fällen wird es dem Kometen unmöglich, wieder loszukommen. Aus der flüchtigen Reverenz wird eine Vasallenschaft. Mag er noch so regellos, ohne allen Anschluß an die alten Verträge der Glieder gerade dieses Systems hineingeplatzt sein; mag er rückwärts laufen in der Richtung, wo alle Planeten vorwärts gehen; mag er mit seiner Bahn sozusagen auf dem Kopf der andern stehen; mag er in der Not einen Kreis zur Sonne als Bahn bekommen haben, der das schier unmöglichste an Kreisstreckung duldet; mag er bei jedem Sonnenumlauf alle Planetenbahnen schneiden mit einer Kühnheit, die alle Urverträge hier geradezu zum Spott macht: mitlaufen muß er zunächst auf gut Glück um die Sonne, wie die Planeten es allgemein vertragsmäßig tun. In geschlossener Bahn, die nach gewisser Zeit allemal wieder in sich selbst zurückführt. Ein solcher Komet, den die Sonne zu irgendeiner Zeit einmal aus dem großen Brunnenabgrund des freien Raumes eingefangen hat, ist nicht der Johannesburger; wohl aber ist es der andere, der seit kurzem in aller Welt Munde ist, der berühmteste, denkwürdigste Haarstern unserer ganzen menschlichen Kultur überhaupt: _der Halleysche Komet_; benannt nach dem großen englischen Mathematiker und Astronomen Edmund Halley, geboren zu Haggerston bei London 1656, nach einem Leben voll intensivster Arbeit und glänzendstem Erfolge als Beobachter, als Rechner, als Weltreisender im Dienste astronomischer und magnetischer Spezialuntersuchungen, zuletzt als Direktor der weltberühmten Sternwarte zu Greenwich gestorben 1742. Als jene schlichten Entdecker im Januar den Johannesburger Kometen auffanden, meinten sie, er sei selber der Halleysche. Bis dorthin also war bereits die große Sensation gedrungen, die gegenwärtig bei uns die breitesten Wellen schlägt. Etwas ganz Ungeheuerliches, so hören wir, soll sich nämlich in diesem Jahre (1910) mit dem Halleyschen Kometen zutragen. Der Separatvertrag, zu dem dieser Halleysche Komet seit seiner Aufnahme in unser System vom Gesetz der Schwere gezwungen wurde, lautete auf eine Umkreisung der Sonne in (rund gerechnet) je 76 Jahren. Umkreisung ist dabei aber nicht so zu verstehen, daß der Komet in einem echten mathematischen Kreise laufen müßte. Er verfolgt nur eine Bahn, die nach Art des Kreises wieder in sich selbst zuletzt zurückläuft. Im übrigen hat sie die Gestalt eines langgestreckten Eies. Ihre eine Ecke ragt bis über die Bahn des äußersten uns bekannten Planeten, des Neptun, vor, ihre andere biegt dagegen noch weit innerhalb unserer Erdbahn ganz nahe um die Sonne herum. Alle 76 Jahre muß der Komet also einmal bis über die Neptunbahn hinaus und einmal zwischen dem Abstande der Erdbahn und der Sonne durchschweifen. Da er immer langsamer bummelt, je mehr er sich in dieser Zeit von der Sonne entfernt, bleibt er aber den größten Teil der 76 Jahre in den entlegeneren Regionen, so fern von uns, daß wir ihn von der Erde aus gar nicht wahrnehmen können. Wie ein Rennpferd in einer ungeheuer ausgedehnten Arena entzieht er sich selbst dem mit Ferngläsern bewaffneten Blick der Insassen unserer Erdenloge, die so relativ nahe dem einen Ende des Zirkus, der Sonne, liegt. Und erst ganz dicht vor dem Termin, da für die Sonnenecke die 76 Jahre wieder einmal abgelaufen sind, sehen wir ihn jedesmal plötzlich auftauchen. In rasendem Tempo stürmt er dann daher, um in vollem Galopp die Sonnensäule zu nehmen. Seit man die Ziffer seines Umlaufs im Ganzen kennt, ist es diese kurze Spanne je im 76. Sonnenjahre, wo man die Ferngläser nach der Gegend, von wo er kommen kann, zu richten beginnt. Und man wußte nun längst schon, daß mit der Wende von 1909 zu 1910 dieser Termin wieder einmal eingetreten sei. Das wilde Roß mußte auftauchen. Und es ist aufgetaucht, programmäßig wie je. Zuerst nur im stärksten Fernrohr; dann bereits im schwächeren; endlich an der Grenze des bloßen Auges; binnen kurzem wird es jeder mit freiem Blick genießen können, obwohl innerhalb gewisser Grenzen der Pracht; denn gerade der Halleysche Komet ist zwar, wie gesagt, der denkwürdigste aller Kometen, aber er hat deshalb nie zu denen allerersten Ranges an Schönheit der himmlischen Entfaltung gehört. Aber eine andere Kunde sichert ihm dafür gerade diesmal das allergrößte Interesse in der ganzen Kulturbreite des Menschenvolkes, das die Erdenloge füllt. Bleiben wir einmal einen Moment bei dem Bilde des Zirkus. Hier sitzen wir in der Loge. Nahe vor uns steigt in strahlender Pracht die eine goldene Meta auf, die ragende Säule des diesseitigen Eckziels, um das der Renner oder das Gespann, was es nun sei, herumsausen müssen. Lange harren wir. Da endlich dampft eine dicke Staubwolke auf, es kommt, es kommt. Aber auf der goldenen Metasäule wird gleichzeitig etwas Besonderes inszeniert. Ein großer Ventilator ist dort in Kraft gesetzt, dessen schwirrende Drehräder den Staub des Wettrenners beständig von der blanken Meta selber wegblasen, daß er jenseits in weitem Zipfel in die Arena hinausschatten muß. Jetzt der höchste Moment: der Renner umsaust die Metaecke. Im Moment aber, da er unter brausendem Jubel genau zwischen der Goldsäule und unserer Loge durchpassiert, geht über uns die äußerste Ecke des senkrecht von der Meta fortgetriebenen Staubzipfels als flüchtiger Schleier weg. Der Renner, der sich in rasendem Laufe heranstürzt, ist der Halleysche Komet. Die goldene Meta, die er nehmen muß, ist (nach Ablauf wiederum von 76 Jahren) die Sonne. Die Loge voll gespannter Beobachter nahe dieser Meta ist die Erde. Dicht gedrängt stehen sie in höchster Erwartung, viele mit Gläsern vor den Augen. Der Komet ist aufgetaucht, in eine geheimnisvolle Nebelwolke gehüllt. Je mehr er sich der strahlenden Sonne nähert, desto deutlicher ist es aber, als blase von dieser Sonne irgendwie etwas in den Dunst hinein und jage ihn in langem staubartigem Schweif beständig senkrecht von der Sonne selber fort weit in die Planetenarena hinaus. Und nun ein höchster Moment auch hier: der Komet passiert für eine kurze Spanne genau zwischen der umbogenen Sonnensäule und unserer Erdenloge hindurch. Jenes Etwas, das den Schweif des Kometen senkrecht von der Sonne abpustet, richtet seine Kraft für einen flüchtigen Moment genau auf uns. Und der Schweif ist so lang, daß er durch die ganze Arenabreite von dem dampfenden Renner aus bis zu uns tatsächlich herüberschleift: seine äußerste Spitze erreicht uns, streift uns, fegt über uns fort ... Im Zirkus gibt es etwas Staubschlucken, Knirschen auf den Zähnen, Streichen mit dem Taschentuch. Die allgemeine Begeisterung über das große Schauspiel reißt rasch darüber fort. Wie aber wird das Bild hier weiter passen? Wie wird es werden, wenn der Schweif des Kometen wirklich über unsere Erde fegt? Als Datum, an dem der Halleysche Komet eine Stunde lang zwischen Sonne und Erde durchpassiert, ist (falls nicht noch unberechnete Störungen der Bahn eintreten) die Nacht vom 18. zum 19. Mai dieses Jahres angesetzt. Kurz vorher, um den 1. Mai, fegt der Kometenschweif aus viel größerer Nähe über die Venus. Falls den planetarischen Logen durch den kometarischen Staubwirbel ernsthaft ein Schaden geschehen sollte, würden wir also schon zu diesem früheren Termin den Effekt an der Venus studieren können. Wenn die Loge dort in äußerlich sehr grober Weise unter einem Sandsturm einstürzen oder durch sprühende Funken in Brand gesetzt werden sollte, so werden wir das auf jeden Fall mit ansehen, ehe es uns selber noch entsprechend geht. Feinere Wirkungen, die speziell nur das zarte planetarische Häutchen des Lebens betreffen würden (ob es ein solches auch auf der Venus gibt, wissen wir unmittelbar überhaupt noch nicht), ließen sich allerdings auch so nicht ablesen. Zum Beispiel, wenn der Staub so dick wäre, daß die Logeninsassen rein an ihm erstickten, ohne daß die Loge im Ganzen zusammenstürzte. Oder gar, wenn es sich um eine Art kosmischen Auto-Wettrennens handelte, bei dem die Schweifwolke, die über die Loge fortginge, aus derartig konzentrierten Giftgasen im Sinne hochgesteigerten Benzingestanks bestände, daß sie alle Zuschauer vergiftete. Durch den realen Schweif eines fremden Weltkörpers, eines Kometen, soll die Erde gehen! Stoff eines weithin sichtbaren, offenbar riesengroßen kosmischen Gebildes soll von außen unsere Erde berühren. Es liegt doch eine seltsame Stimmung über diesem Moment. Wer hat das Gefühl nicht einmal gehabt: man geht in der vollkommenen Dunkelheit und zuckt plötzlich zusammen, aus dem Unsichtbaren scheint einen etwas zu berühren, eine Hand. Eine solche dunkle Hand aus dem All rührt an uns mit dem Kometenschweif. Wenn in der Nacht der Himmel sich rötete! Götterdämmerung ... Wenn man die Garantien sich vergegenwärtigt, die sonst unsere Menschenloge im All schützen, so liegt die stärkste in den gewaltigen Entfernungen, die im allgemeinen die großen Weltkörper voneinander trennen. In rascher Bewegung, mit explosibeln Substanzen innerlich geladen wie Bomben, bildete jeder für den andern eine beständig brennende Gefahr, wenn eben nicht diese starken Abstände wären. Scheiner, der ausgezeichnete Astrophysiker, hat das gelegentlich in ein anschauliches Bild gebracht. Denken wir uns die Sonne in den Größenverhältnissen der Domkuppel zu Berlin. Dann liefe der nächste Planet durch das Berliner Reichstagsgebäude. Die Venus schnitte durch Tiergarten und Humboldthain. Die Erde berührte den Bahnhof Tiergarten. Die Bahn des Mars läge bei Tempelhof, die des Jupiter über Spandau und jenseits Erkner. Saturn kreuzte Liebenwalde und Nauen, Uranus schon Wittenberg und Frankfurt a. O. Für den Neptun reichte Preußen nicht mehr überall. Er kreiste dicht vor Leipzig und schnitte Stettin und Magdeburg. Nehmen wir in diesen Abständen Eisenbahn- oder Hochbahnlinien, so wird keiner an Zusammenstöße denken; es gibt keine Weichen, keine bedrohlichen Gleisdreiecke. Nun aber gar in dem gleichen Bilde die Entfernung der Sonne und dieses ganzen Systems bis zum nächsten Fixstern. Wenn der Blick das Firmament sucht mit seinem Sterngewimmel und man hört, daß der einheitliche bleiche Schein der Milchstraße bloß für unser Auge entstehe durch die Zusammendrängung unendlicher Sternmassen auf diesem Fleck, so kann die Frage kommen, ob in diesem rinnenden Silbersande nicht beständig Sternenstäubchen gegeneinander prallen müssen. Aber was für Räume liegen in Wahrheit zwischen diesen Punkten, die für uns wie wehender Silberstaub durch die Himmelsweite regnen! Wenn die Domkuppel die Sonne ist und der Neptun durch Magdeburg passiert, so ist der schöne Doppelstern Alpha im Sternbild des Centauren, unser nächster Fixstern, nahezu um das Doppelte der wahren Entfernung des Mondes von der Erde von dieser Domkuppel entfernt, also fast zweimal 51000 Meilen. Es hat etwas Schauriges, sich die lieben Lichtpünktchen da oben, die so dicht gereiht glänzen und vereint die hübschesten Sternbilder formen, gesondert zu denken durch solche kalten Abgründe des Raumes, in denen den Wanderer das entsetzlichste Gefühl der absoluten Öde ergreifen müßte. Und doch liegt eben in dieser Öde die große Garantie für uns. Sie ist der heilige Grenzrain, der die Karambolagen verhütet, sie schützt den Frieden der Gestirne. Keine der Bahnen unserer großen Planeten kreuzt eine andere. Nur bei den kleinsten Körpern des Systems, wie den durchweg winzigen Planetoiden, kommen Schnittpunkte der Bahnen vor; der eine oder andere solcher Zwerge durchbricht die Jupiterbahn, einer, der Eros, schneidet weit in die Marsbahn hinein. Aber gerade dieses unruhige Kleinvolk liegt doch wie im Ganzen gebändigt und in eine ungefährliche Ecke zusammengestrudelt an einer bestimmten Stelle des Systems aufgehäuft, anstatt frei zu schwärmen; speziell unsere Erde wandelt ihm schon sehr fern im wieder gereinigten Feld. Eine überaus günstige Stellung für die Balance des ganzen Riesenapparats nehmen umgekehrt die beiden Kolosse darin ein, Saturn und vor allem der Jupiter, der, wie gesagt, dem Ganzen fast den Charakter eines Doppelstern-Systems gibt. Man kann das ohne direkte Teleologie so ausdrücken, daß man sagt: die Balance des Ganzen war eben nur möglich bei solcher Einstellung, und nur als diese Lage sich endlich fand, erhielt das System endlich Dauer; das entspricht dem Darwinschen Gedanken von der Erhaltung des Passendsten aus vielen durchgeprobten Möglichkeiten; so lange sind die Dinge in Urzeiten vielleicht immer wieder zusammengebrochen, bis sich die einzig mögliche Dauerform endlich in dieser Anordnung herausgelesen hatte. Gegen die geschichtliche Deutung in diesem Sinne ist gar nichts zu sagen, aber das Resultat, das uns heute die glücklichste Stabilität der ganzen Flugmaschine unseres Systems garantiert, bleibt das gleiche für uns. Alfred Russel Wallace, der alte Mitstreiter Darwins, hat gelegentlich ein dickes Buch darüber geschrieben, wie ausgesucht sicher für eine lange ungestörte Fortexistenz intelligenter Wesen doch gerade unsere Erde inmitten all dieser kosmischen Garantien sei. Mit den sinnreichsten astronomischen Einfällen und Aussichten hat er das durchgeführt. Herr Wallace ist, obwohl er selber seinerzeit der Mitbegründer jener Theorie der natürlichen Zuchtwahl war, heute der wunderlichen Ansicht, in uns Menschen steckten nicht nur höchstentwickelte Intelligenztiere unseres Planeten selbst, entwickelt hier in der jahrmillionenlangen ungestörten Ruhe dieses Planeten. Ihm sind die menschlichen Gehirne vielmehr Wohnstätten fernher gewanderter kosmischer Geister; aber diese Geister sollen sich eben die Erde ausgesucht haben als gesichertste Wohnstätte im All. Eine spaßhafte Idee an sich, die aber doch in der Phantasie eines kenntnisreichen und geistvollen Forscherkopfes dafür zeugt, _wie_ sehr sich die glückliche Raumlage der _Erde_ aufdrängt, von wo immer man an sie herangehe. Auch wer in die Zukunft spekulieren will, sich denkt, daß dort einmal die Planetenbahnen sich änderten, daß die Sonne erkalten könnte, daß nach Tausenden vielleicht von Billionen von Jahren die Eigenbewegung der Sonne und der nächsten Fixsterne doch einmal zu einer uns mitreißenden Fixstern-Karambolage führen könnte (Dinge, die notabene alle heute nicht etwa bewiesen werden können, sondern im breitesten Spielraum des reinen Spekulationsvergnügens liegen), wird aus dieser bestehenden Lage doch mindestens noch eine Zukunftsgarantie für Frieden ohne Katastrophe auf viele Jahrmillionen hinaus zugeben müssen. Auch daß der Raum, durch den wir alljährlich einmal mit der Erde wandern, normalerweise niemals absolut leer ist, liegt aller bisherigen Erfahrung nach nicht in der Linie ernsthafter Gefahr. Feine, unsere Bahn kreuzende Stoffteilchen verpuffen schon an den obersten Schichten des großen Deck- und Puffermantels, den unsere Atmosphäre bildet, allnächtlich zu völlig harmlosen Sternschnuppen. Mikroskopischer kosmischer Staub, der sich da und dort auch aus solcher Quelle bei uns anhäuft (z. B. in der Tiefsee), geniert niemand. Einzelne größere meteorische Metall- oder Steinbrocken, die gelegentlich doch noch in einer gewissen derben Greifbarkeit zu uns herunterkommen, haben eine eigentlich verderbliche Rolle auch noch nie gespielt. An sich sind sie so selten und meist so unauffällig, daß lange genug wissenschaftlicher Streit sein konnte, ob sie überhaupt vorkämen. Das ist nun zwar heute erledigt, aber die Wahrscheinlichkeit, daß auch nur ein Einzelmensch gerade von einem Meteorstein vernichtet werden solle, liegt weit unter der, daß der Betreffende zweimal hintereinander das große Los gewinnen solle. Selbst einzelne größere Blöcke, die man nachträglich gefunden und mit mehr oder weniger Sicherheit als meteorisch bestimmt hat, können nur so minimalen Schaden auf winzigem Fleck getan haben, daß die geringste irdische Vulkaneruption als wahre Riesenkatastrophe dagegen erscheint. Alle diese normalen Verträge aber, darüber ist nun wirklich kein Zweifel, bricht der Komet. Er rennt unter Umständen nicht nur senkrecht in die Planetenkreise hinein, sondern er entwickelt auch aus sich heraus körperliche Größenverhältnisse, die jene planetarischen Zwischenräume belanglos machen. Es gibt Kometen, die in der Sonnennähe Schwänze von zwanzig Millionen Meilen Länge entwickelt haben. Das ist nahezu das Dreifache unserer kleinsten Erdentfernung vom Mars und fast das Vierfache von der Venus. Wenn ein solcher Komet beinahe viermal so weit wie die Venus von uns entfernt stände und seinen Schweif auf uns eingestellt hätte, müßte dieser Schweif uns noch energisch über den Kopf schlagen, angenommen, daß er die Beschaffenheit einer harten Pritsche hätte. Er könnte dabei auf der Sonne sitzen und uns doch über den ganzen Zwischenraum hindurch, quer durch Merkurbahn und Venusbahn, einen Stüber versetzen. Wenn der Komet wirklich mit einer Pritsche hauen kann oder wenn er uns in seinem Schweif mit etwas anpustet, das uns versengen oder vergiften muß, so sind wir bei solcher Sachlage einfach verloren. Das Damoklesschwert hängt bei der notorischen Menge der Kometen immerfort über uns. Das Unheil, das uns jetzt in der Nacht vom 18. zum 19. Mai drohen soll, ist nur die Krisis eines chronischen Leidens, das auch außerhalb des angesagten Termins jeden Tag ausbrechen kann. Der Halleysche Komet ist ja einer der wenigen in ihrem Lauf sicher berechneten. Andere kommen beständig unverhofft; so eben der Johannesburger. Wenn ihre Pritsche zufällig so liegt, daß sie zu uns heranlangt, kann täglich, stündlich die große Katastrophe eintreten. Die offene kosmische Garantielosigkeit ist hier proklamiert. Wenn ... ja, wenn der Komet eine Pritsche oder sonst irgend etwas Gefährliches hat. Das ist die entscheidende Frage. Was ist ein Komet? Von den Planeten wissen wir, daß sie Lokomotiven sind. Ein Zusammenprall bedeutete eine entsetzliche Katastrophe. Aber wenn von der Lokomotive eine lange Dampfwolke in die grüne Wiese hinein verloren wird und dieser Dampfschwaden einen Spaziergänger für einen Moment einhüllt, so ist das keine Katastrophe. Wenn auf dieser Wiese im Herbstabend Erlkönig seine Nebelschleier spinnt und die Lokomotive durch diese Schleier saust, so ist das keine Katastrophe. Ist der Komet eine kraftzitternde ungeheure Lokomotive ... oder ist er eine harmlose Rauchsäule, ein Nebelstreif aus den Wiesen des Alls? Sein oder Nichtsein für uns, das ist hier die Frage. * * * * * Still glänzt das silberne Wölkchen da oben, das jetzt nachweisbar seit rund zwei Jahrtausenden alle sechsundsiebzig Jahre immer einmal wieder in unser Menschenwesen hineingeschaut hat. Immer wieder hat es uns dabei in neuen Stadien dieser Frage gefunden. Wenn der Halleysche Komet ein Geschöpf wäre wie wir, das Erinnerungen sammeln und wiedererzählen könnte, so würde er uns ein merkwürdiges Buch schreiben können von Wahn und Hoffnung der Menschen, wie sie in diesen Abständen auch gravitiert haben um das dunkle Zentrum jener Frage. Zweimal tausend Jahre hat er uns Zeit gelassen, endlich Stellung zu ihm zu nehmen. Das Jahr 11 vor Christi Geburt ist das älteste Datum, bis zu dem man ihn ziemlich sicher verfolgen kann. Wenn man die je 76 Jahre nur als runden Wert nimmt, bedeutet das für heute also gerade das Jubiläum seiner fünfundzwanzigsten Wiederkehr. In Bezug auf Störungen wie Zerstörungen (wir haben von diesem Begriff bei Kometen gleich noch zu reden) muß er in dieser langen Zeit eine relativ recht glückliche Lage gehabt haben, es steht also nichts im Wege, sich zu denken, er komme in Wahrheit sogar schon viel länger. So mag er schon in die Zeiten der alten Babylonier hineingeleuchtet haben, in jenen ersten Frühling astronomischer Forschung, aus dem uns gerade über Kometen schon eine Meinung und zwar eine gleich zu Anfang überraschend treffende überliefert ist. Wie Fische, hieß es, tauchten sie ab und zu in die Tiefen ihres Meeres, der fernen Himmelsräume, so daß man sie nicht mehr sehen könne; zu ihrer Zeit kehrten sie aber wieder aufsteigend in unsere Nähe zurück. Der Begriff des wandernden Weltkörpers, der gleich den Planeten in einer Bahn lief, war damit zum erstenmal gefaßt. Und diese Ansicht sollte in der ganzen Antike bis zu ihrem Schluß nie mehr ganz verloren gehen. Als der Komet in die Glanztage von Hellas hineinleuchtete, war sie die Lehrmeinung der Pythagoreer, die sogar direkt annahmen, im Kometen stecke eine Art Planet. Als er aber wiederkam kurz nach dem Tode des Aristoteles, hatte sich eine zweite Deutung entgegengestellt, die nun auch ein zähes Leben haben sollte, obwohl sie den verhängnisvollsten Irrtum enthielt. Aristoteles lehrte, ein solcher Komet sei alles andere eher als ein frei kreisender Weltkörper. Eine flüchtige Erscheinung unseres engeren Luftkreises sei er nur; ein vom Erdboden aufgedunstetes leuchtendes Wölkchen also, das sich bildete und zerfloß; wir heute würden sagen: etwa wie ein Nordlicht, das man damals auch für brennenden Nebel hielt. In dieser Zeit war zwar noch nicht abzusehen, was Aristoteles für eine Macht werden sollte weit über die ganze Antike hinaus. Aber zwei Meinungen gingen fortan durch diese Antike selbst, die sich gegenseitig grell ausschlossen. Die erste historisch bezeugte Wiederkehr des Kometen nach Christi Geburt, um das Jahr 65, fiel in das Todesjahr des geistvollen Römers Seneca. In einem liebenswürdigen kleinen Plauderbuche über naturwissenschaftliche Fragen, das man vielleicht als die früheste erhaltene populärwissenschaftliche Feuilletonsammlung bezeichnen kann, bekannte sich Seneca durchaus noch zu der pythagoreischen Idee. Die Kometen sind ihm Gestirne wie Sonne und Mond, in festen Bahnen laufend; eine Zeit werde kommen, da man diese Bahnen sicher berechnen werde; eine erste gute Prophezeiung, die von einem feinen Kopf vor Kometen gewagt wurde. Aber eben in diesen Tagen lebte auch der dicke Admiral Plinius, der eine Art Konversationslexikon des damaligen Wissens zusammenstoppelte, in seiner Art ein grandioses Werk, das uns unendlich viel gerettet hat. Herr Plinius, der »große Meyer« also jener Zeit, urteilt selten, meist kompiliert er verschiedene Ansichten. Auch von den Kometen weiß er, daß die einen sie für echte Gestirne halten, die andern für brennenden Qualm, der aus Feuchtigkeit und Feuerstoff entsteht und sich bald wieder auflöst. Aber dazu bringt er nun einen aparten Qualm, aus dem plötzlich deutlich wird, was für eine dritte Meinung sich allmählich im Volk und speziell bei den Kulturrömern durchgekämpft hatte und zur Stunde unabhängig von aller Wissenschaft sozusagen auch offizielle Hof- und Staatsräson des römischen Cäsarenhauses war. Die Kometen hatten nicht nur allerhand seltsame Gestalten; Plinius unterscheidet Bartsterne, Schießsterne, Schwertsterne, Scheibensterne, Tonnensterne, Hornsterne und Lampensterne. Sie erschienen auch nicht nur ab und zu ganz plötzlich. Sondern sie _bedeuteten_ etwas. Sie selber taten uns nichts, aber sie verkündeten, daß etwas geschehen werde. Sie hatten sozusagen einen moralischen Sinn außerhalb aller unmittelbaren Naturerklärung. Diese Vorstellung führte aus allem naturwissenschaftlichen Denken heraus, sie war der einfache Bankerott jeglicher Wissenschaft überhaupt. Aber in der breiten Volksmasse jener Zeit war sie offenbar damals bereits längst die beliebteste, und es war bloß charakteristisch, daß sie jetzt auch nach oben zu sich anschickte, das Denken zu erobern und die dort gefundene Logik wieder zu entthronen. Charakteristisch ist aber zugleich, wie der menschliche Pessimismus sich mit ihr der Sache bemächtigte. An sich ist eine moralische Vorbedeutung doch indifferent, sie könnte auch Gutes bedeuten. Plinius selbst erzählt von Augustus, dem schlauen Herrschaftskünstler, der sich alles mit Geschick zurechtzulegen wußte, wie er einen herrlichen Kometen seiner Zeit, der »in allen Ländern gesehen wurde«, als Glückszeichen seines Regimentsantritts nahm und ihm sogar einen besonderen Tempelkultus weihte. Aber dieser Optimismus hielt nicht stand. Von allen andern Kometen weiß der große Kompilator nur Schauderhaftes an Vorbedeutung zu berichten, Bürgerkrieg und Blut und Gift. Mit einem Kometen kommt der böse Nero zur Regierung, und mitten in seinen Greueln taucht schon wieder einer auf, der »lange sichtbar und von sehr schlimmem Einfluß war«. Über den letzteren kann kaum ein Zweifel sein: es ist eben unser Halleyscher von Senecas Todesjahr. Also er selber jetzt Unglücksprophet! Alles an den Kometen dient nun dieser amtlichen Magie, selbst das Sternbild, vor dem sie erscheinen; geschieht es im Gestirn der Schlange, so bedeutet das nach Plinius Vergiftung; trifft es auf gewisse Leibesstellen der imaginären Sternbilderhelden, so kommen skandalöse Sittenzustände. Zu diesen Dingen hatte das finsterste Mittelalter und Nachmittelalter wenig hinzuzufügen: das ganze Rezept ist schon bei Plinius fertig. Viermal hat der Halleysche Komet darum doch noch in den großen Abendglanz der echten freien Antike hineinleuchten dürfen. Als er 373 n. Chr. wieder in seine Sonnennähe kam, lehrte zu Alexandria noch der Mathematiker Theon (ein Zeitgenosse des bekannten Pappus), und er lehrte, wohl im letzten verglühenden Rot des Pythagoreertums, daß die Kometen reisende Lichtwolken seien. Dieses liebenswürdigen Mannes geniale Tochter Hypatia bestieg selber einen Lehrstuhl der Astronomie und Mathematik. Sie aber wurde, zum vollgültigen Beweise, daß die große Weihezeit des antiken Gedankens nun wirklich zu Ende sei, folgerichtig von fanatischen Mönchen auf offener Straße zu Tode mißhandelt; der Halleysche Komet befand sich zu dieser Zeit in der Gegend der Neptunbahn. Mehr als ein dutzendmal mochte er aber jetzt wiederkehren, ohne daß die endgültig festgefahrene Sache sich rückte und regte. Für die Wissenschaftler des Abendlandes wurde Aristoteles zur naturgeschichtlichen Bibel, im besten Falle blieben die Kometen also für mehr als tausend Jahre Kulturdenken jetzt durchaus nur brennende atmosphärische Dünste; kein Araber ist zum Beispiel darüber mehr hinausgegangen. An Stelle der Kausalerklärung für diese Qualmphänomene, wie sie Aristoteles selber noch gefordert hätte, trat aber in ganzer Breite, im Volk, bei Hof und amtlich und schließlich auch auf weitaus den meisten Professorenstühlen die einfache rohe Moraldeutung: der Brandqualm war von Gott als Fackel entzündet, damit wir aufmerksam wurden, es kam etwas, und zwar natürlich etwas Unangenehmes. Auf der katholischen wie später der reformierten Kanzel sah man im Kometen ein Bußzeichen. Fatales hatten die Zeiten ja genug, Pest, Hungersnot, Wasserfluten, Hunnen und Türken, böses Regiment und streitenden Glauben. In der Menge gingen Verschen um, daß ein Komet am Himmel acht Hauptstücke bedeute: »Wind, Teurung, Pest, Krieg, Wassersnot, Erdbeben, Ändrung, eines Herren Tod.« Die armen Menschenkinder hatten sozusagen zum Schaden den Spott. Nach ließ das Schicksal ihnen nichts, und aus eigener Kraft konnten sie's so rasch auch nicht andern; so stand die Kometenprophezeiung am Himmel wie ein Tort, bloß damit man sich auch schon vorher ängstige. Mit mehr Haß sind die »Lichtwolken« Theons wohl nie angeschaut worden als damals, wie denn sogar eine launige Sage einen resoluten Papst, Calixtus III., gegen unsern Halleyschen Kometen bei seiner Wiederkehr von 1456 den Kirchenbann schleudern läßt wegen ungehöriger Beunruhigung der Christenheit. Der Komet wanderte nach diesem luftigen Intermezzo abermals auf seine Neptunsecke zu, als zu Thorn Kopernikus geboren wurde. Kopernikus lebte noch, als er 1531 wiederkam. Die größte Tat der Astronomie war aber bereits geschehen, die neue Ansicht vom Bau unseres Sonnensystems handschriftlich niedergelegt und im engsten Freundeskreise bekanntgegeben. Sie bedeutete auch für die alte babylonisch-pythagoreische Lehre, nach der die Kometen in planetenhaften Bahnen liefen, den großen Fortschritt, daß jetzt Planet wie Komet ausschließlich um die Sonne statt um die Erde gingen; eine Ahnung dieses Sachverhalts hatte freilich in ihrer besten Zeit auch die Antike selber schon einmal gehabt. Gerade die Kometentheorie war aber inzwischen so verbaut worden, daß die Halleysche Lichtwolke noch gut zweimal wandern konnte, ehe man nur so weit war, den antiken Obergedanken für sie aus all dem Wust wieder zurückzufinden. Verlangte man doch lange nach Kopernikus noch vielfach bei der Zulassung eines Professors das ausdrückliche Zeugnis, daß er nicht nur überhaupt mit Aristoteles, sondern auch speziell mit seiner Kometenerklärung als brennendem Luftqualm einverstanden sei. Rücken mußten die Dinge indessen endlich doch. Die Hochflut astronomischer Ketzerei, die der sanfte Domherr zu Frauenburg angeregt, ließ sich dauernd nicht mehr eindämmen. Als der Komet 1607 wiederkam, bereitete sich gerade der Hauptschlag bei Galilei vor: das Fernrohr war erfunden worden, und wenig später kamen jene heiligen Entdeckernächte, da zum erstenmal ein brennendes Menschenauge die Monde des Jupiter, die Bergschatten auf dem Monde, die Sichelgestalt der Venus, den Saturnring und die Sternmyriaden in der Milchstraße sah. In diesen Nächten tagte es für den Geist unaufhaltsam. Der Halleysche Komet war noch nicht zwanzig Jahre wieder auf der Neptunfahrt, da sprach Kepler aus (was schon Tycho de Brahe vermutet hatte): die Kometen könnten nicht Gebilde unseres Luftkreises sein, denn sie ständen laut simpler Messung von zwei verschiedenen Beobachterposten aus mindestens höher am Himmel als der Mond. Damit war die Natur als »Gestirne« wenigstens wiederhergestellt, der Komet aus Moralqualm und aristotelischem Luftqualm neu für die Astronomie gerettet. Kepler selbst glaubte dabei noch an lauter fast geradlinige Bahnen neben der Sonne hin, so daß also niemals der gleiche Komet wieder zu uns zurückkehren könnte. Die Kugel begann aber zu rollen. Das ungeheuer beschleunigte Tempo erneut freien wissenschaftlichen Forschens, das sich bis heute hält, hatte eingesetzt, und vor ihm bedeuteten 76 Jahre, die man früher hatte verzehnfachen müssen, um über das einförmige Denken einer Epoche zu kommen, auf einmal einzeln sehr viel. Nur noch viermal ist der Halleysche Wanderer seitdem wiedergekommen, jede Rückkehr gab aber jetzt einen geradezu kolossalen Einschlag. Als er 1682 seine goldene Sonnenmeta nahm und dabei neu auch in Menschenaugen glänzte, schrieben zwar eifrige Theologen noch Traktätchen über die Zauberkraft des Gestirns, aus Rom berichtete man von einem wunderbaren, mit dem Bilde eines Kometen versehenen Ei, das eine Henne in solcher Kometenstunde gelegt haben sollte, und in Glarus exemplifizierte jemand eben an Halleys Komet noch einmal mustergültig hübsch in einer besonderen Schrift die vorsätzliche Zuchtruten-Natur aller Kometen, womit Gott den Menschen zu verstehen geben wolle, »daß sie sich des Rutenschlagens öfters sollten erinnern«. Aber in der ernsten Gelehrtenzelle gingen Dörfel und Bernoulli zur gleichen Stunde schon unbeirrt an die Bahnberechnung dieser Eierzauberer und Gottesruten. Dörfel erfaßte das Gesetz der großen Bahnbiegung, die auch ein ursprünglich geradlinig wandernder Komet in der Sonnennähe erleiden müsse, er faßte also endgültig etwa das, was uns heute der Johannesburger Komet, den die Sonne zwar zu sich heranbiegt, aber nicht dauernd fangen kann, vormacht. Bernoulli träumte (im Kern auch mit einem richtigen Ansatz) von der engeren Vasallenschaft der Kometen zu unbekannten Planeten jenseits der Saturnbahn; wenn aber irgendwo eine solche Vasallenschaft »gefangener« Kometen schon existierte, so mußte sich auch für sie eine dauernd zurückführende Bahn berechnen lassen: ihre periodische Wiederkehr zur Sonne mußte sich vorher verkündigen lassen. Aus allem Wust und Nebel blödsinniger Prophezeiungen, die der Komet selber tun sollte, hob sich endlich wieder die alte Form wissenschaftlicher Prophezeiung vom Menschenstandpunkt aus gegenüber dem Kometen, wie sie Seneca schon verkündet hatte, indem er prophezeite, man werde noch einmal in dieser Form prophezeien können. Es war das Problem des Halleyschen Kometen jetzt selber, das erste Gestalt annahm, obwohl noch niemand direkt an ihn dabei dachte. 1759 war nach seinem kosmischen Vertrage das nächste Jahr seiner Wiederkehr. Als diesmal der Termin kam, schauten vollkommen neue Augen auf ihn. Das Größte war inzwischen wirklich getan. Menschengeist hatte diesen Vertrag begriffen. Und auf Grund dieses Vertrages war die Wiederkehr des Kometen zu diesem Jahr auf Grund wissenschaftlicher Rechnungen tatsächlich prophezeit worden. Halley hatte die Tat getan. Noch einmal stand ein überragender Genius, einer der ganz Großen, zwischen der letzten und dieser Kometennähe: Newton. Seine Methode himmlischer Rechnung war für Halley schon maßgebend, als er 1705 eine der scheinbar einfachsten und doch damals noch kühnsten Vergleichungsarbeiten der ganzen Astronomie unternahm. Er verglich die von ihm errechneten Bahnen von drei Kometen der letzten beiden Jahrhunderte, von 1531, 1607 und 1682. Und aus den gleichmäßigen Ziffern zog er den Schluß, daß es sich um ein und denselben Kometen handeln müsse, der in rund gerechnet 76 Jahren je einmal in geschlossener Bahn die Sonne umkreise, also alle 76 Jahre auch einmal so in unsere Erdnähe kommen müsse, daß wir ihn sehen könnten. Damit war der Vertrag dieses Kometen in Halleys Hand. Er konnte nach drei sicheren Vergangenheitsziffern wagen, auch eine Zukunftsziffer aus ihm herauszulesen. Auf der Wende von 1758 zu 1759 mußte der Komet wiederum sichtbar werden. Menschengeist dringt über Äonen der Zeit, über unermeßliche Weiten des Raumes. Aber die enge Schale, aus der diese wunderbare Flamme lodert, verzehrt sich rasch selbst. Hier gilt es resignieren. Als Halley seine grandiose Prophezeiung wagte, stand er bereits dicht vor dem fünfzigsten eigenen Lebensjahr. Mehr als fünfzig Jahre sollten noch einmal darüber hingehen, ehe sein Komet wiederkam. Er hat ihn selber nicht mehr erlebt. Aber als er wirklich kam, unter höchster Spannung aller Wissenden genau zu dem Termin erschien: da erinnerte man sich, daß es »sein Komet« für alle Zeiten bleiben müßte. Statt einer Jahresziffer erhielt zum erstenmal ein Komet einen Menschennamen: Halleys Komet nannte man ihn. Einer jener glücklichen Autodidakten, wie sie in der Geschichte der Wissenschaft immer wiederkehren, ein Bauersmann bei Dresden, der hinter seinem Pfluge ging, dabei aber Botanik und Trigonometrie, Physik und Philosophie auf eigene Faust bis zu gründlichster Tiefe studierte, Johann Georg Palitzsch, hatte um Weihnachten 1758 den großen Fund gemacht und als erster im Fernrohr den _erwarteten_ Kometen gesehen. Das Symbol der unberechenbaren Weltordnung, die mit dem Wunder des Kometen das Wunder irdischer Schrecken ansagte, besiegt durch die Ziffern wissenschaftlicher Rechnung! Diese Wiederkehr von 1758/59, die in das Zeitalter Friedrichs des Großen und Voltaires fiel, zehn Jahre nach Goethes Geburt, ist ein Weltanschauungswert für unsere ganze Kultur geworden weit über alle engere Kometentheorie hinaus. Mit unerwartet andersartigen Zinsen zahlte sich jetzt der kühne Streich aus, der aus solchem himmlischen Lichtwölkchen einen _moralischen_ Wert gemacht hatte. Inzwischen ging der Komet selber, der jetzt an einer Stelle seines Systems, dem er angehörte, einen Namen besaß, wieder ungestört auf seine Neptunswanderung. Er überschlug die ganze Epoche Goethes und fand sich erst, übrigens durchaus programmäßig, im August 1835 bei uns wieder ein. Im ganzen war die Luft jetzt gereinigt; wir wollen milde sagen, noch nicht auf der ganzen Linie der Weltanschauung, aber doch zweifellos in der Kometentheorie. Die Kometen gehörten selbst im weiteren Kreise nicht mehr der überweltlichen Pädagogik, sondern dem Gravitationsgesetz an. Im Jahre 1770 hatte Herr Semmler, Mathematikprofessor zu Halle, schon als Friedensweg vorgeschlagen, es könne nichts schaden, beim Anblick der Kometen jedesmal an die sittliche Besserung zu denken, aber einen wirklichen Einfluß »in die sichtbare Körperwelt, in die Reiche, Republiken und Regierungen der Menschen, könne man den Kometen nicht zuschreiben, weil sie so weit von der Erde entfernt bleiben, daß sie nicht das Geringste in derselben wirken können«. Die Welt war aber infolge von Spinoza, Voltaire, Goethe und andern inzwischen so verderbt geworden, daß sie sogar über Herrn Semmler eine stille Heiterkeit nicht ganz unterdrücken konnte. Indessen, seltsam genug, der Halleysche Komet fand eine neue Stimmung vor, die doch in einem Punkte wiederum gegen die offene und helle Entdeckerfreude von 1759 bedenklich abstach. Gerade die damals so wundervoll bestätigte Idee, daß also wirklich Kometen wie echte planetarische Vasallen regelmäßig um die Sonne laufen könnten, hatte sich in der Zwischenzeit so fest eingebürgert, daß sie auch die phantasiefrohen, zu weitesten Spekulationen aufgelegten Elemente der Denkerwelt notwendig umfassen und anregen mußte. Nachdem in der jäh eingetretenen Sintflut neuer und freier Ideen die alte biblische Schöpfungslegende arg verschwemmt worden war, hatten sich alle möglichen kühnen Weltbau-Spekulationen vorgewagt. Buffon, Kant, Laplace hatten das Sternsystem nach natürlichen Prinzipien entstehen lassen. Dabei konnten zumeist doch auch die Kometen jetzt nicht aus dem Spiel gelassen werden. Buffon besonders baute eine grandiose Spekulation auf, wie ansausende Kometen in Urtagen die Sonne geradezu angerempelt, wie sie glühende Brocken von ihr abgerissen und in weiter Schwungbahn hinausgeschleudert hätten; aus solchen Sonnenbrocken seien die Planeten geworden. Der Komet erschien in solchem Falle wenigstens in seinem Kern als ein wahres Ungetüm, das über alle Planeten selber ging, ein rasender Stoßwidder, vor dem selbst die Sonne Fetzen lassen mußte. Die kosmogonischen Ideen von Kant und Laplace haben später diesen kühnen Weltentraum des genialen Mannes in den Hintergrund gedrängt; längere Zeit aber galt er als wahre »natürliche Schöpfungsgeschichte«, und wer sich heute die Mühe macht, ihn zu lesen, staunt noch immer über die Schärfe der Gedanken (mit damaligem Wissensmaterial natürlich) und die Herrlichkeit der Schilderung. Die Kehrseite aber war, daß die Leute den wirklich sehr nahe liegenden Schluß zogen, so etwas könne »rein natürlich« doch auch heute noch geschehen. Die Kometen passierten nicht nur heute noch höchst bedenklich dicht die Sonne, sondern sie durchschnitten, wenn sie selber periodische Sonnenvasallen geworden waren, wie der Halleysche, fortgesetzt Planetenbahnen. Warum also nicht auch aktuelle Gefahr der fürchterlichsten Karambolagen mit den Planeten? Die Erde war nur ein Planet ... warum nicht auch mit ihr? Kein besonderer Zorn Gottes ... aber eine ganz reale astronomische und eben deshalb auch dem Nüchternsten äußerst fatal plausible Möglichkeit! Und ganz still, aber treffsicher kroch von hier das Gespenst einer neuen Angst in die breite Masse hinein. Nicht weil man den rechnenden Astronomen diesmal ablehnte, sondern gerade weil man ihm glaubte, aus diesem Glauben aber dann gewisse Schlüsse zog, die wieder einmal nichts weniger als angenehm sein konnten. Das Jahr 1835 bedeutete in dem Punkte eine wahre erste Krisis. Einmal, 1773, war die Sache schon in Frankreich etwas akut geworden. Es hieß, die Fachastronomie habe bestimmt _ausgerechnet_, daß die Erde am 12. Mai durch einen Kometenstoß untergehen werde. Sie halte es nur geheim auf Wunsch der hochwohllöblichen Polizei. Ausgerechnet! Das Wort hatte auf einmal einen scheußlichen Klang. Kometen ließen sich errechnen. Kometen »bedeuteten« nicht mehr das Eintreten anderer Übel. Sie »waren« selber etwas. Aber dieses Etwas war nun selbst am Ende gefährlich. Und so stand schließlich gerade in der Rechnung diesmal der Weltuntergang! Der angesetzte Termin war indessen ohne Krach verlaufen und das hatte zunächst genügt; es scheint sogar nicht, daß kometarisch viel überflüssiger Wein vorher ausgetrunken und viel überflüssig geküßt worden ist; ein sehr realer Krach, nämlich die große französische Revolution, lag schon zu sehr in der Luft, und wer reserveküßte, tat es auf diesen »Weltuntergang«. Dagegen soll die Geistlichkeit großen Zuspruch gehabt haben. Gerade im Anfang der Dreißiger des neuen Jahrhunderts war aber nun die Sensationsbombe bei uns in Deutschland erst recht eigentlich geplatzt. Einige Jahre vorher hatte ein österreichischer Hauptmann, Wilhelm von Biela, festgestellt, daß ein schon mehrfach früher beobachteter Komet periodisch sei und zu bestimmten, diesmal sehr kurzen Terminen wiederkehre. Als dieser nach ihm benannte Bielasche Komet für 1832 wieder fällig war, hieß es (ganz korrekt) aus astronomischen Kreisen, er habe eine so eigentümliche Bahn, daß er am 29. Oktober des Jahres mit seinem Kopf die Erdbahn streifen werde. Wohlverstanden: die Erdbahn. Das große Publikum mit Einschluß der Zeitungsredaktionen verstand aber nicht wohl, sondern las: die Erde. In Wahrheit war die Erde selbst damals gerade 11 Millionen Meilen von der kritischen Schnittstelle ihrer Bahn entfernt. Der bekannte Astronom Littrow mußte mit einer wahren Proklamation eingreifen, um eine allgemeine Panik zu verhüten. Aber die Angst war nun einmal eingeimpft und wollte nicht mehr zu Ruhe kommen. Und im Grunde hatten auch die Fachastronomen kein so ganz reines Gewissen beim Beruhigen. Gewiß: es lag zurzeit keine bekannte Kometenbahn so, daß ein Zusammenstoß unvermeidlich war. Aber eine Garantie gab das noch lange nicht. Entscheiden konnte nur, wenn einer nachwies, ein solcher Zusammenstoß sei für die Erde ungefährlich. Würde man das aber einmal beweisen können? Nicht seine Bahn, sondern seine Beschaffenheit war in diesem Sinne das eigentliche Wissens- wie Angstproblem, als der Halleysche Komet auch 1835 pünktlich erschien. Bessel nahm ihn besonders aufs Korn, ein Mann, gleich stark als Theoretiker wie als Beobachter. Zum erstenmal wurde jenes erwähnte Phänomen sehr im Detail gesehen: wie der Komet in der Sonnennähe seine Hülle erst gegen die Sonne wolkenhaft hebt, dann aber ebenso energisch rückwärts als Schweif von der Sonne fortfließen läßt. Daß die Entstehung dieses Schweifs den Angelpunkt aller Theorien über die innere Natur der Kometenkörper bilden müsse, hatte man früh begriffen. Schon Kepler hatte sich daran versucht. So setzte auch Bessel hier ein und wagte Vermutungen. Aber noch blieb alles in der Schwebe, als der Halleysche Komet schon wieder in seinem entfernteren Bahnabschnitt verschwand. Zunächst schien er diesmal nur neue und zum Teil bange Rätselfragen hinterlassen zu haben. Es war sein letztes Verschwinden vor dem heutigen Termin. Noch einmal waren 76 Jahre Frist gegeben, um sich durch Nachdenken und Vergleichen mit andern inzwischen auftauchenden Kometen in der Beschaffenheitsfrage schlüssig zu werden. Die Rechnung selbst war allerdings nicht mehr rückgängig zu machen. Sie lief und läuft, und sie läuft heute auf das wirkliche und wahrhaftige Zusammentreffen von Erde und Kometenschweif. Diesmal ist es keine Verwechslung und keine Zeitungsente. Es fragt sich also doppelt brennend, was die letzten 76 Jahre noch hinzugetan haben, uns zu wappnen; denn der Streich wird diesmal (falls die Bahn sich nicht noch ändert) vollführt, das bleibt fest. Und da ist es denn doch noch einmal sehr viel, was wir hinzubekommen haben. Ja es ist das wirklich Entscheidende erst. * * * * * Zunächst haben wir einen geradezu durchschlagenden Indizienbeweis in diesen letzten siebeneinhalb Jahrzehnten bekommen, einen Indizienbeweis: daß die Begegnung mit Kometen unmöglich so gefährlich sein kann, wie die nächste Phantasie sie sich ausgemalt hatte. Folgendes der einfache Gedankengang, dessen Logik auch jeder Laie nachprüfen kann. Man kennt gegenwärtig etwa achthundert ungefähr beglaubigte Kometenerscheinungen. Dabei haben wir erst seit dreihundert Jahren Fernrohre und kaum viel länger ernsthafte astronomische Aufzeichnungen zum Zweck. Wie rasch sich bei systematischem Suchen mit dem Rohr die Zahl vermehren läßt, zeigen einzelne fleißige Beobachter, die als professionierte »Kometenjäger« allein ein bis drei Dutzend aufgefunden haben. Dabei kann es sich aber stets und auch bei emsigster Jagd nur um die Kometen des Systems handeln, die uns überhaupt so nahe kommen, daß man sie von der Erde sehen kann. Eine sehr mäßige Wahrscheinlichkeitsschätzung würde für unser ganzes Planetenbereich jederzeit etwa rund 6000 als vorhanden aus jener Sichtbarkeitsziffer für unsere zufällige Erdlage ableiten. Die Wahrscheinlichkeitsziffer der fremden Passanten, die in unser System hineinsausen, um es bloß einmal zu schneiden und gleich wieder zu verlassen, kommt schon bei noch nicht zehntausend Jahren auf eine volle Million. Bei solcher Sachlage ist es nicht mehr nur eine Möglichkeit, sondern es ist einfach eine Forderung, daß im Laufe auch nur kurzer Zeiträume Planeten mit Kometen zusammentreffen _müssen_. Bei den inneren Planeten muß das Durchpassieren durch die ungeheuren Schwänze schlechterdings etwas Gewöhnliches sein, sobald wir den Dingen auch nur etwas Geschichtsperspektive geben. Und auch die Erde kann sich dieser schlichten Ziffernotwendigkeit nicht entziehen. Wie sie heute eine Schwanzberührung erlebt, so muß sie es historisch schon soundso oft erlebt haben. Schon für die letzten hundert Jahre ist es bei der Bahnlage einzelner Kometen und der Riesigkeit ihrer um die Sonne geschleiften Schwänze fast nicht zu glauben, daß die Sache selbst da schon ohne Schwanzkarambolage abgegangen sein solle. Was sind aber hundert und tausend, was sind selbst zehntausend Jahre in der Erdgeschichte! Man ist noch nicht einmal aus der zusammenhängenden orientalischen Kultur damit. Dahinter aber kommen erst die eigentlichen Geschichtsziffern, die imponieren. Ein mehrfaches jener zehn führt erst etwa auf die prähistorischen Magdalenier im Vezère-Tal in Südfrankreich, die schon eine hohe Kunstblüte hatten. Jahrhunderttausende kommen mindestens auf die Eiszeit, die damals schon zu Ende ging. Wenn der Mensch, wie gewisse bearbeitete Steine (Eolithen) noch zu beweisen scheinen, mit Anfängen der Kultur bis in die mittlere Tertiärzeit reicht, so gibt das mehr als eine Million Jahre gesamtes Kulturalter. Das wahre Entstehungsalter des Menschen wird dann bei zwei Millionen liegen. Die geringste Schätzung für das Gesamtalter der geologischen Schichten unserer Erdrinde, aus denen wir noch erhaltene Lebensspuren entnehmen können, ergibt aber hundert Millionen Jahre. An ihrem Ausgangspunkt, in den algonkisch-kambrischen Schichten, tauchen jedoch schon so hohe Lebensformen auf, daß wir noch einen vielleicht ebenso langen Zeitraum davor annehmen müssen. In diesen ganzen ungeheuren Geschichtsräumen fehlt uns nun aber _jede_ Andeutung einer _Katastrophe_ der früher geschilderten Art, wie sie aus dem Zusammenstoß der Erde mit einem umfangreichen anderen Weltkörper notwendig hervorgehen müßte. Niemals ist die Erdoberfläche darin ganz von Wassern überflutet, niemals mit kompaktem Basalt übergossen, niemals durch plötzliche Gluthitze sterilisiert worden, und niemals ist die Atmosphäre vergiftet worden, so daß das zarte Häutchen des Lebens eingehen mußte. Kontinuierlich vielmehr ist dieses Leben in all jenen Jahrmillionen! Unablässig hat es sich durch die Geschlechterfolgen weitergegeben, ohne Riß im ganzen. Ein ununterbrochener Stammbaum der Entwicklung verknüpft die Tier- und Pflanzenformen. Gewisse ältere Formen sind gelegentlich ausgestorben, aber niemals durch allgemein vernichtende Katastrophen, sondern langsam durch besondere irdische Einzelursachen. Einzelne unserer bekanntesten Tiergattungen, zum Beispiel der Igel, leben heute schon mindestens zwei Millionen Jahre lang unverändert auf der Erde fort, in ungezählten gleichzeitigen Exemplaren und unfaßbar vielen einander folgenden Generationen, auf Riesengebieten dieser Erde. Der Mensch selber ist offenbar eine solche zähe Gattung. Auf einigen Klippen der neuseeländischen Küste haust aber gegenwärtig sogar noch einer der alten Saurier der Triaszeit, die sogenannte Brückeneidechse; sein Alter muß nach Dutzenden von Millionen eingeschätzt werden. Ebenso alt ist der australische Molchfisch Ceratodus. Das wurmähnliche Schaltier Lingula aber lebte in gleicher Gattung schon in jener algonkisch-kambrischen Urepoche, die hundert Millionen Jahre hinter uns zurückliegt. In der ungestörten Ruhe dieser geologischen Epochen von schier endloser Ausdehnung haben jene Steinkohlenwälder und später jene Braunkohlenwälder in unendlicher Generationenfolge gegrünt, deren Reste wir heute als Brennmaterial verwerten: sie alle sind nicht durch Kometen verbrannt worden, sondern am Fleck selbst vertorft und versteint in reinen Friedensprozessen. Korallentiere und Kalkalgen haben in absoluter Friedensarbeit Riffe aufgehäuft, die wir jetzt als die Dolomitalpen bestaunen. Hundert und mehr Millionen Jahre! Eine so ungeheure, erdrückende Wahrscheinlichkeit von Kometen-Karambolagen in solcher Zeit! Und dann doch keine leiseste Spur einer störenden, katastrophenhaften Wirkung im feinsten, zartesten Erdleben in all diesen Zeiträumen!! Dieser Indizienbeweis ist erst unser heutiger Besitz. In jenem letzten Halley-Jahre 1835 glaubten noch fast alle Geologen tatsächlich an eine ganze Reihe periodisch wiederholter, entsetzlicher Katastrophen in der Erdgeschichte. Immer einmal wieder alle paar tausend Jahre sollte die gesamte Erdoberfläche einen entsetzlichen Chok durchgemacht haben. Alle Lebewesen waren dabei vertilgt worden. Auf dem durch und durch gereinigten, sterilisierten Plan hatte dann eine unbegreifliche Neuschöpfung stattgefunden. Nie hatte eine Tier- oder Pflanzenform sich lebend über eine solche Katastrophe fort in die nächste geologische Epoche gerettet. Das letzte große Reinmachen dieser Art hatte die Mammute vernichtet. Menschen konnte es mit denen zugleich also noch nicht gegeben haben, denn der Mensch lebte ja noch. Er war ein erst einige Jahrtausende altes fix und fertiges Neuprodukt des nachdiluvialen Schöpfungstages. Wie nahe lag es bei solchen Annahmen (die, wie gesagt, um 1835 noch von fast allen Fachautoritäten auf allen Lehrstühlen der Geologie vertreten wurden) an wirkliche Kometenstöße zu denken. Was konnte billiger die lebentötenden Sintfluten, Feuerschrecken, Giftgase hergeben, die der Geolog so verschwenderisch brauchte! Heute klingt uns das alles aber nur noch wie ein amüsantes Märchen. Die neuerwachende Geologie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat mit all dem Spuk mehr als gründlich aufgeräumt. Die Entwicklungslehre Darwins hat sich mit ihr verbündet, die Gespenster jener Katastrophen auszuräuchern bis zum letzten Schatten. Von hier ist kein Material mehr zu holen, nie mehr. Geschweige, daß Kometen dem Leben auf den Kopf gefallen sind und etwa die Mammute totgeschlagen haben (die der Mensch selber in Masse gejagt, gegessen, abgezeichnet hat, die Bilder besitzen wir noch von seiner Hand), läßt sich nicht einmal geologisch in all den Zeiten auch nur ein verstärktes Fallen jener kleinen gelegentlichen Meteorsteine irgendwo nachweisen. Einmal hat es in junger geologischer Epoche an mehreren Orten kleine meteorische Glassplitter geregnet, die wir als sogenannte Moldavite dort finden. Vielleicht ist ein größerer Glasmeteorit damals an unserer Erdatmosphäre zerplatzt. Aber er ist eben zerplatzt ohne irgendeinen Stoßschaden zu tun; mit ein paar Glasscherben schlägt man das irdische Leben nicht entzwei, das so viel Vulkanausbrüchen unserer Erde selber ruhig getrotzt hat in den Jahrmillionen seiner Existenz. Für mein Gefühl ist dieser Indizienbeweis gegen die Gefährlichkeit der Kometen _allein genügend_, um das ganze Spiel im wesentlichsten für _gewonnen_ zu erklären. Wenn von diesen reisenden Lichtwolken wirklich harte Pritschen uns über den Kopf schlagen könnten, wenn glühende oder vergiftende Dämpfe uns bei ihrer Berührung einhüllen müßten, so wären wir dem längst alle erlegen. Wir wären ihm erlegen schon in Urweltstagen, als der Mensch noch im Tier steckte. Es gäbe keine organische Entwicklung auf Erden, keinen Menschen, keine Kultur. Das Schwert des Damokles, das an einem Haar hing, ist eine sehr nette Geschichte. Aber wenn wir hören, daß es hundert Millionen Jahre lang über etwas geschwebt haben soll, ohne Schaden zu tun: so werden wir uns zuletzt doch wohl sagen, daß kein Haar so lange hält, daß aber, wenn wirklich kein Schaden geschehen ist, das Schwert wohl nur ein Strohwisch war. Auf jeden Fall steht die himmlische Schachpartie längst nicht mehr gleich für Optimismus und Pessimismus. Der Optimismus ist mit der Logik dieses Indizienbeweises ein geradezu ungeheueres Stück voraus. Von diesem Boden aus lassen sich jetzt aber auch eine ganze Reihe wirklicher Beweisstücke, die nicht bloß auf Indizien gehen, aus dem _Tatsachen_-Arsenal der besagten letzten 76 Jahre heranholen. * * * * * Zunächst hat in der Zwischenzeit jene Geschichte vom Bielaschen Kometen, dem Angstkometen von 1832, noch ein bedeutsames Nachspiel bekommen. Dieser Komet lief in einer ganz kurzen Bahn (noch nicht sieben Jahre lang hin und zurück), und diese Bahn kreuzte dabei nicht nur die Bahn eines anderen Kometen, sondern jedesmal ausgespart auch gerade unsere Erdbahn. Damals, 1832, hatte es damit, wie gesagt, nichts Schlimmes auf sich gehabt, denn der Komet ging durch den kritischen Punkt einen ganzen Monat früher als wir. Aber mit Behagen konnte doch kein Astronom die weitere Entwicklung dieser kuriosen Sachlage ansehen. Ein solches Ungeheuer alle paar Jahre so dicht vor oder hinter uns und das bei den bekannten Schwankungen solcher Bahnen: was für Eventualitäten! Das Ungeheuer wurde ganz besonders genau aufs Korn genommen, es war aber auch, als wenn es sich dafür erkenntlich erweisen wollte. Als es 1845 wiederkehrte, bekam es sozusagen vor den Augen der Astronomen Junge. Wie jene einzelligen Urtiere, deren Fortpflanzung einfach darin besteht, daß sie sich in zwei Stücke teilen, von denen jedes selbständig weiterlebt, so sonderte sich auch das rätselhafte Kometenwesen in zwei Teile auseinander. Aus dem Kern wurden in ganz ruhiger Lösung zwei Kerne, die sich zunehmend voneinander entfernten. Jeder Teilkern entsandte sein Schwänzchen. Statt des einen Ungeheuers hatte man jetzt in paralleler Bewegung zwei. Da das etwas kleinere Kind eine Weile an Helligkeit zunahm, durfte man der Vermutung Raum geben, jedes der Stücke werde sich wieder zur ganzen Vatersgröße auswachsen, womit dann die Gefahr also gründlich verdoppelt war. Doch zeigte die Wiederkehr 1852 davon nichts; nur der Abstand der Zwillinge war immer größer geworden; über dreihunderttausend geographische Meilen lagen nun schon zwischen ihnen. Das Publikum kümmerte sich jetzt wenig um diese interne Sache, und doch wäre, wenn je, vor dieser unberechenbaren Entwickelung der Dinge ein leiser Schauder am Platze gewesen. 1859 konnte man den Kometen wegen zu ungünstiger Lage von der Erde aus nicht fassen. Dagegen war er 1866 mit Glanz fällig. Man wußte genau, wo seine Stücke zu stehen hatten. Verlorene Liebesmühe. Sie kamen nicht wieder! In den sieben Jahren war ihnen irgend etwas so Gründliches weiter passiert, daß man aus unserer Entfernung überhaupt nichts mehr sah. Waren weitere Teilungen erfolgt, ohne daß die Teilkinder wuchsen? Dann mußten die Einzelstücke natürlich bald wirklich so klein werden, daß wir sie aus unserer Ferne überhaupt nicht mehr erblicken konnten. Ein ganzer Haufen solcher kleinen Wölkchen trieb sich dann in der Nähe der unangenehmen alten Bahnstelle herum. Gelöst war das Fatale so für uns jedenfalls noch lange nicht. Wir liefen jetzt aufs ungewisse einer Kreuzungsstelle, wo, allerdings zunächst unsichtbar, eventuell ein ganzer Kometenschwarm sich, Gott wußte wie verzettelt und die Karambolagengefahr durch breite Schlachtlinie vermehrend, herumtrieb. Und nur eins war allerdings merkwürdig. Ein Haufen Wölkchen, sagte ich. Ja, wie eine Art Wolke, wenn auch eine kosmische und nicht eine atmosphärische, hatte sich dieses Bielaungeheuer wirklich benommen bei dem Ganzen. Nicht im Schweif, sondern gerade im Kernteil, im Kopf. Nicht das mindeste hatte darauf hingewiesen, daß eine Stoßkatastrophe, irgendein Zusammenprall, es auseinander gespalten hätte. Ganz genau so hatte die Geschichte ausgesehen, als sei, entweder durch die äußeren planetarischen Zugkräfte von fern her oder durch geheimnisvolle innere Abstoßungskräfte, ganz, ganz gemächlich eine eigentlich und ursprünglich schon wolkenhaft lose Masse bloß auseinandergetrieben worden. Wie voneinander schwimmend waren die Kinderstücke dahingeflossen. Es ging wirklich nicht gut an, man mochte die Sache drehen und wenden so viel man wollte: daß ein in sich solider, etwa bloß mit einer eigenen Dunstatmosphäre umhüllter, aber in Herz und Kern planetenhaft steinharter kosmischer Klotz gerade dieses Spiel vollführt haben sollte, nicht aufzustoßen, zu platzen, zu explodieren, sondern wirklich im Bilde wie eine weiche lebendige Amöbe bei uns, die mit ihrem Zell-Leibe in Selbstteilung tritt, ganz sanft, langsam, aber unaufhaltsam auseinander zu fließen, also daß zuletzt zwei Kerne, jeder nach außen nebelig verschwimmend und hinten geschwänzt, vorhanden waren. Der Kometenkopf mußte ernstlich eine Art Wolkennatur besitzen. Fragte sich nur, was der Begriff »Wolke« bei einem Gebilde, fern einsam zwischen die Planetenbahnen hinausgestreut, selber besagen sollte. Aus was für Stoff sollte diese leuchtende Wolke, die zerfließen, sich auflösen konnte, wie eine irdische, und sicherlich doch keine Luftwolke in unserm Erdensinne war, bestehen? Der Bielasche Komet, den man nach 1866 bereits aufgegeben hatte, war so freundlich, uns auf diese Frage noch zu antworten. Nach der alten Rechnung hätte er 1872 wiederkehren sollen, es geschah aber für unsere Augen konsequent so wenig mehr wie 1866. Dagegen schnitten wir mit der Erde am 27. November auch dieses Jahres seine alte Bahn, und zwar an einer Stelle, die er nach dem Brauch vor seiner Zerstückelung schon einige Zeit vorher passiert haben müßte. Wenn man sich dachte, daß in dieser Bahn am alten Fleck jetzt nicht mehr ein einzelner Komet lief, sondern möglicherweise ein ganzer Trupp kometarischen Kleinzeugs mit eigenen Köpfen herumbummelte, und wenn man sich vergegenwärtigte, daß schon die Zwillinge von 1852 sich Hunderttausende von Meilen voneinander entfernt hatten, so war immerhin eins von neuem bedenklich. Es konnte sich irgendeiner der kleinen Bummler auf der Hauptbahn so verspätet und über Monate zurück verzettelt haben, daß wir (blind wie wir jetzt auch im Sinne unserer Astronomen vor dem Ganzen standen) doch an dem Tage ihm begegneten. Und nun in der Tat ging in dieser kritischen Novembernacht ein ungeheures Ereignis los. Der Himmel erstrahlte aus einer ganz bestimmten Richtung (vom Sternbild der Andromeda her) im Feuerwerk eines märchenhaft schönen Sternschnuppenregens. In Göttingen beispielsweise gab es in noch nicht drei Stunden 7651 Sternschnuppen, also rund eine pro Sekunde. Sternschnuppen gehören zu den himmlischen Gebilden, vor denen die große Menge von je am wenigsten Angst gehabt hat, und das aller Erfahrung nach mit Recht. Ältere Ansicht sah auch in ihnen nur atmosphärische Fünkchen, die man mit den Irrlichtern verglich, aber nicht mit so bösen Sagen zu umgeben pflegte. Heute ist man sich sicher, daß zu jeder Sternschnuppe ein kleines, sehr rasch bewegtes kosmisches Staubteilchen gehört, das bei der Reibung an dem dicken Erdenpolster unserer Atmosphäre aufglimmt und verpufft. In der Regel ist damit auch schon alles zu Ende. Ist die Masse etwas größer, so daß sie nicht bloß auf diesem Wege verflüchtigt werden kann, so kommen, durchweg nach sichtbarlich heftiger Explosion, auch wohl einzelne Bruchstücke in Gestalt sogenannter Meteorsteine herunter. Wie selten dieser letztere Fall gerade auf menschliche Beobachter stößt und relativ überhaupt sein muß, erhellt am besten aus der Seltenheit und Kostbarkeit solcher Himmelsgeschenke in unsern Museen. In der Regel wird man bei der echten Sternschnuppe durchaus nur von einem ganz flüchtigen Aufglühen meteorischen Staubes reden können. Von Zeit zu Zeit gibt es nun auch sonst einmal eine Nacht, in der Sternschnuppen zahlreicher fallen als gewöhnlich. Gewisse Augustnächte sind zum Beispiel dafür berühmt. Die Leuchtfunken pflegen auch dann von ein und der gleichen Stelle am Himmel auszustrahlen, die irgendein Sternbild für uns markiert. Natürlich kommen sie aber nicht von diesen Sternen selbst, sondern es handelt sich nur um ein kleines kosmisches Staubwölkchen, das unsere Erdbahn gerade so schneidet, daß die Schnittstelle sich auf jene Gegend projiziert. Ab und zu geht das aber nochmals ins Große. Dann kommt mit dem einen oder andern Jahr ein Lichtregen, bei dem die Schnuppen fallen wie Hagel. Das heißt: auch dann nur fürs Auge. Echter Hagel wäre schon mißlicher. Denn gerade aus solchem Schnuppengewimmel heraus ist noch nie etwa ein wirklicher Meteoritenregen herunter gekommen: gerade diese dichteren kosmischen Staubwirbel scheinen ganz besonders energisch schon in den oberen Atmosphäreschichten zu verpuffen ohne derberen Rückstand. Wiederholt hatte man aber schon beobachtet, daß solcher Schnuppenregen in periodischen Abständen sich mehrfach wiederholte. Die Idee lag nahe, daß unsere Erde gelegentlich immer wieder da ein größeres kosmisches Staubgewölk passiere, das sich selber um die Sonne bewege und bei jeder Kreuzung den luftigen Feuerzauber erneue. Lose wie solche Wolke sein mußte und selber bei jedem Durchgang um ein gut Teil ihrer Staubpartikelchen geschmälert, konnte man natürlich hier keine so sichere Gewähr erwarten, wie bei anderen Himmelsgebilden; wie denn wirklich eine Wolke der Art, die im 19. Jahrhundert dreimal in ziemlich genauen Abständen von je 33 Jahren die Himmelsfreunde ergötzt hat, zuletzt, beim vierten Mal, so gut wie ganz wieder ausgeblieben ist. Die Wölkchen von fern schon im ganzen zu sehen und so etwas schärfer zu kontrollieren, dazu waren sie offenbar auch durchweg zu dünn; es ging uns eben wie dem einzelnen mit einem Mückenschwarm, den man zumeist auch erst summen hört, wenn man mit dem Kopf durchgeht. Kein Zweifel jetzt: eine solche ebenso amüsante, wie harmlose Staubwolke hatte uns auch in dem Moment eingehüllt, da wir die alte Bahn des Bielaschen Ungeheuers schnitten und die Gefahr bestand, daß wir eines der »Jungen«, in die sich sein Kern aufgelöst, in der Schnittstelle anrempeln könnten. Ein Beobachter glaubte sogar die in der Kometenbahn weiterziehende Wolke noch auf einen Moment als Ganzes in direkter Kometengestalt gesehen zu haben, doch ist das strittig geblieben. Daß aber eine kosmische Wolke, die sich als Sternschnuppenregen äußerte, im Moment in der Kometenbahn gestanden hatte, konnte nicht strittig sein. Die Sache war wirklich sehr eindeutig. Der Kopf des Bielaschen Kometen hatte sich vor uns wolkenhaft aufgelöst. Im Moment, da wir hinter ihm durchschnitten, gerieten wir in eine kosmische Sternschnuppen-Wolke. Wir hatten einfach einen der Fetzen des Biela-Kerns passiert! Ganz dem Bilde entsprechend, das die Auflösung früher geboten hatte, war dieser Fetzen loses Material. Da es sich bei jener Auflösung um echte Kerntrennung gehandelt hatte und nicht etwa bloß um Verlieren von Hüllnebeln oder Schwanzmaterial, mußte es Kernmaterial sein. Kometenschwänze liefen ja auch nicht in der Bahnlinie von Kometen selber, sondern nur Kernköpfe; in der Bahnlinie aber hatten wir die Wolke getroffen. Wir hatten also Kometen-Kernmasse erlebt, einen »Zusammenstoß« mit ihr erlebt, und es war ein absolut harmloser Sternschnuppenregen geworden! Es gibt wenige astronomische Wahrscheinlichkeitsschlüsse, bei denen alle Teile so glatt ineinander passen, wie hier. Die Sache hat aber noch eine Probe auf ihr Exempel erfahren. Am 27. November 1885 berührte die Erde abermals die alte Biela-Bahn an einer Stelle, die der Komet im alten Sinne diesmal einige Zeit nachher hätte durchsausen müssen. Und wiederum ging eine ungeheure Sternschnuppenwolke gerade über den Fleck. Wieder regnete es stundenlang in pompösestem Schauspiel bei uns Sternschnuppen. Aus dem Scheitelpunkt der Andromedagegend flammten den Berichten nach ganze »Raketengarben« nieder. An einzelnen Orten zählte man über 40000 Schnuppen in einer knappen Stunde, zeitweise fünf pro Sekunde und mehr. Feuerkugeln in allen Farben waren dabei, die Lichtstreifen blieben vielfach längere Zeit hell stehen, sich wirbelnd windende und zerreißende Schnuppen wurden beobachtet. Es war eine Pracht über alle Maßen. Und wieder »passierte« dabei nichts; auch nicht ein Stück Meteorstoff ist nachweislich dabei bis zu uns heruntergestürzt, alles flammte auf und starb zugleich wieder im Feuerwerk. Zum zweitenmal hatten wir ein Stück Kometenkern erlebt und wieder gefahrlos. Das Ungeheuer, das uns fressen sollte, war ein brillanter Feuerwerker, sonst nichts. Seither scheint es, als habe selbst diese größere Wolkenbildung in der Bielabahn ganz aufgehört, das Sternschnuppenmaterial scheint sich mehr oder minder regellos verzettelt zu haben. Damit standen wir möglicherweise jetzt wirklich auch bei einem realen Kometentod. Das gibt aber bei diesem wunderbaren »Fall Biela« noch wieder für sich zu denken. Kometenkerne sind also nichts Ewiges. Eben weil sie wolkenhaft lose Gebilde sind, können sie nicht nur in ihrem wilden Lauf zwischen den Planeten im ganzen bald so, bald so abgelenkt, sondern sie können auch bei dieser Gelegenheit (zum Beispiel durch Macht des Riesen Jupiter oder auch sonst) in sich selbst angebrochen, zerstückelt, ja endlich völlig verpulvert werden. Je verwickelter ihre Bahn besonders in die engeren Planetenbahnen hinein verknotet ist, desto wahrscheinlicher muß solches Los (Biela ist redendes Exempel) werden. Je größer das Stadium der Materieverzettelung, desto harmloser müssen sie aber für diese Planeten selbst werden. Es erscheint da etwas wie der Schatten einer am Ende seit alters fortgesetzt tätigen Regulierungsmaschine. Die Planeten machen immerzu frisch eintretende Kometen ungefährlich, um sie endlich ganz aufzureiben, zu töten, und diese Selbstregulierung wächst im gleichen Maße rein mechanisch, je enger ein solcher Komet ihnen auf den Hals rückt und mit verhedderten, gekreuzten Bahnen droht. Die Sache sieht wie eine doppelte Versicherung aus, wobei aber die überhaupt und zu Beginn doch schon lose Wolkennatur der Kometenköpfe allgemeine Voraussetzung auf beiden Seiten bleibt. Die Idee, daß alle Kometen sich zuletzt auflösen müßten, hatte übrigens schon Kepler zu einer Zeit, da er noch gar nicht an wirkliche geschlossene Kometenbahnen zwischen den Planeten dachte. Er ging dabei vom Schweif aus, den die Kometenkerne in der Sonnennähe entwickelten. Auch hier schon schien ihm durch jene eigenartige Sonnenkraft, die abstoßend wirkte, fortgesetzt Materie des Kerns auf Niemehrwiederkommen in den offenen Raum hinausgeblasen zu werden, und das mußte doch endlich die Quelle erschöpfen. »Ich halte dafür,« sagt der immer vorahnend scharfsinnige Mann wörtlich, »daß der Kometenkörper sich verwasche, verändere, auseinandergezogen und zuletzt vernichtet werde, und daß, wie die Seidenwürmer durch das Herausspinnen ihres Fadens, so auch die Kometen durch das Ausströmen ihres Schweifes aufgezehrt und endlich dem Tode überliefert werden.« Der Gedanke ist an sich ein durchaus folgerichtiger und würde erst recht gut gerade zu dem passen, was der »Fall Biela« lehrt. Dabei mag er uns aber überhaupt auf das Problem des Schwanzes zurückführen. Wenn der Kometenkern wirklich nur aus mehr oder minder losem Meteoritenstoff in wolkenhafter Anhäufung besteht: was ist dann der Kometenschwanz? Tatsächlich läßt ihn die Nähe der Sonne erst aus dieser Wolke herauswirbeln, wie Staub unter einem blasenden Luftzug wirbelt. Der nächstliegende Gedanke wäre also gewiß, wenn man von der Bielawolke kommt: auch er ist bloß feinstes Sternschnuppenmaterial, das irgend eine Sonnenkraft noch einmal besonders aus der Kernwolke fortpafft. Natürlich, wenn es so ist, muß diese Wolke sich in Keplers Sinn auch davon schon bei jedem Sonnenumlauf etwas mehr verzetteln und verlieren, diesmal meist direkt abseits von ihrer Bahn, also wohl gänzlich auf Niemehrwiederfinden. Für uns heute wäre aber aktuell gerade diese Erklärung das allerwichtigste. Denn wir hängen für die kritische Nacht vom 18. zum 19. Mai ja nicht an Biela, sondern an Halley. Und das bedeutet: nicht Kopf, sondern Schwanz. Der Halleysche Komet liegt ganz offenbar seit langer Zeit so, daß er mit seinem Kopf gerade _nicht_ allzu eng ins Gedränge der mittleren Planetenbahnen kommt. Deshalb würden sie ihn in jenem Sinne auch seit mindestens zweitausend Jahren noch nicht in diesem Kopfteil auseinandergerissen haben. Was an ihm aber, eben wegen dieser dauernden Kopfstärke, nun für uns momentan bedenklich wird, das ist die Produktivität dieses Kopfes in der Schwanzbildung. Dieser Schwanz und nicht der Kopf soll zum Termin über uns wegfegen. Nach dem Fall Biela erscheint es aber so gut wie unmöglich, daß der Kopf eine kompakte harte Stoßmasse ist, wie viel weniger also der Schweif. Was wir auch hier erwarten müßten, wäre fortgewirbelte Sternschnuppenmaterie, die, in unsere Erdbahn übertretend und uns umwirbelnd, tatsächlich auch eine Art »Fall Biela« schüfe: einen mehr oder minder starken Sternschnuppenregen ohne alle Gefahr. Unsere Erfahrungen seit 1835 widersprechen aber selbst dem bei dem Schweif noch als »zuviel«. Dazu sind allerdings wieder weitere Tatsachen auch über den Fall Biela hinaus nötig, Tatsachen, die zuallernächst noch einmal mitten in den großen Chok und Schreck vor jeglicher Kometenbegegnung gerade hineinführen. In die letzten sechsundsiebzig Halley-Jahre fällt die Entdeckung der Spektralanalyse. Wir haben mit ihr bekanntlich eine Methode gewonnen, die uns unter Umständen aus dem Licht direkt ablesen läßt, was für ein Stoff in der Lichtquelle brennt. Das Licht wird mit Hilfe eines mehrseitig geschliffenen Glases, eines Prisma, zerlegt und in dem entstehenden Farbenbande (Spektrum) zeigen sich gewisse charakteristische Unterschiede je nach den verschiedenen leuchtenden Substanzen, die ein solches Urteil in sehr vielen Fällen ermöglichen. Auf diesem Wege haben wir Aufschluß gewonnen über die Gase, die in der äußeren Hülle der Sonne und der anderen Fixsterne glühen, wie über den leuchtenden Stoffinhalt ferner Nebelflecke. Wir können aus dem Spektrum entnehmen, ob auf solchem entlegenen Weltkörper glühende Gase leuchten oder festere Stoffe in Weißglut. Die Gase sind dann infolge ihrer in allen Einzelfällen höchst charakteristisch angeordneten bunten Linien im Spektrum meist aufs treffsicherste mit irdischen, uns direkt zum Vergleich zugänglichen zu identifizieren. Diese sinnreiche Methode wurde nun auch auf die Kometen angewandt, soweit solche in der Zeit disponibel waren. Das erste feste Resultat war, daß vom Kometen bei seiner Sonnenannäherung nicht bloß einfaches Sonnenlicht zu uns herüberglänzt, das er zurückwirft wie unsere Erde oder die Venus oder der Mars, ohne selber etwas dazu zu tun. Außer solchem reflektierten Licht leuchtet der Komet durchweg noch mit etwas Besonderem, etwas Eigenem. Aus diesem Eigenlicht würde sich also eventuell etwas über seine stoffliche Beschaffenheit ablesen lassen, und in der Tat glückt das. Im Kometen leuchten Gase, und zwar in immer verstärktem Maße, je näher er der Sonne kommt. Und zwar sind es Gase, deren Spektrum eine Identifizierung mit bestimmten, uns auf der Erde gut bekannten Stoffen ebenfalls möglich macht. In erster Linie kommt der Stoff in Betracht, der in unserm irdischen Petroleum brennt, nämlich Kohlenwasserstoff. Ferner konnten Kohlenoxyd, Cyan und reiner Wasserstoff nachgewiesen werden. Endlich zeigten einige Kometenköpfe in den Momenten, da sie außerordentlich nah an der Glutoberfläche der Sonne vorüberglitten, unverkennbar deutlich das gelbe Licht des Natriums, also des verdampfenden Kochsalzes, und merkbar zuletzt auch Eisendämpfe. An sich können diese Befunde nicht überraschen. Wenn der Kometenkopf eine Wolke aus Meteorsubstanz ist, so muß diese Substanz unter der Einwirkung der Sonnenglut notwendig anfangen, Gase auszuhauchen, ja in nächster Sonnenbegegnung geradezu bis auf ihren schwersten Metallgehalt (Eisen) zu verdampfen. Die Stoffe, die sich dabei zeigen, vor allem Kohlenwasserstoff und Natrium, treten mit ihrem charakteristischen Spektrum genau so hervor, wenn man einen zu uns herabgefallenen Meteorstein künstlich erhitzt. Auch wenn man den spektroskopischen Apparat auf unsere allnächtlichen Sternschnuppen richtet, kann man öfter die unverkennbare gelbe Linie des Natriums aufleuchten sehen, die vorblitzt im Moment, da der feine Meteorstaub in solcher Schnuppe völlig verdampft. Die engere Art allerdings, wie in der Sonnennähe des Kometenkopfes das Kohlenwasserstofflicht gelegentlich von dem Natriumlicht ausgelöscht wird, kann man nur nachmachen, wenn man in geschlossener erhitzter Glasröhre durch ein Gemisch von Kohlenwasserstoff und verdampfendem Natrium einen elektrischen Strom leitet. Man muß also noch die Hilfserklärung machen, daß auch in dem Kometen elektrische Prozesse tätig sind. Und das gibt sogar wieder eine sehr gute Ergänzung ab zur Erklärung des sonst seltsamen Umstandes, daß Kometen sich schon bei einer Entfernung von der Sonne wenigstens schwach selbstleuchtend zeigen, wo eine wirkliche Erhitzung ihrer Substanz bis zum eigentlichen Glühen von seiten der Sonne höchst unwahrscheinlich wird; hier wirken in ihnen eben rein elektrische Entladungen, die als solche schon Licht erzeugen. So zwanglos nun alle diese Dinge sich in jenes andere Bild fügen, so steckt in ihnen doch plötzlich auch ein neues Angstmotiv. Wenn aus dem Kometenkern Kohlenwasserstoff, Kohlenoxyd, Wasserstoff, Natrium, Cyan, Eisen verdampfen, so würden wohl auch im Schweif ganz besonders solche Dämpfe abqualmen müssen. Unter den genannten Stoffen sind aber böse Sachen für den Fall, daß dadurch eine derbe Erdberührung statthätte. Kohlenoxyd und Cyan sind hochgradig giftig und würden, in größeren Massen plötzlich in unsere Erdatmosphäre hineingedampft, schlechterdings alles organische Leben vernichten. Ein Petroleumregen würde sich augenblicklich an der ersten Flamme hier unten zur fürchterlichsten Explosion entzünden und auch die Erde veröden; eine Feuerwelle wie im kleinen eine der brennenden Erdgasquellen von Baku müßte um unsern ganzen Planeten schlagen. Eine hochgradige Erdversalzung würde ebenfalls ein schlechter Spaß sein. Eine Weile hielten vielleicht noch gewisse salzfestere Steppenpflanzen und jene Artemia-Krebschen, die in eingedickter Salzsohle leben können, stand; aber zuletzt würden auch sie in der allgemeinen Pökelrinde der armen Erde eingehen. Dazu noch zwei weitere Möglichkeiten. Entweder kämen im Kometenschweif noch direkt heißglühende Dämpfe zu uns, zum Beispiel ein konzentrierter Strahl Eisendampf aus dem in der Sonnennähe geschmolzenen und verdampften Meteoritenmaterial. Oder es schlügen entsetzliche elektrische Entladungen mit allverheerenden Blitzen aus dem Schweif zu uns nieder, die der Menschheit im ganzen das Los eines jener Opfer auf den bekannten elektrischen Hinrichtungsstühlen der Nordamerikaner schüfen. In allen Formen laufen gerade diese bösen Hypothesen heute wieder herum. Der Halleyschweif soll uns in der kritischen Stunde mit Cyan vergiften oder versengen oder zerblitzen, auch wenn sonst nur ein Sternschnuppenregen durch seine eigentliche Stoßsubstanz entstände. Wir hätten die Wahl wie die Leute in Pompeji und Martinique. Der dicke Plinius selber erstickte bekanntlich bei jenem schrecklichen Vesuvausbruch, auch ohne einen Stein dabei an den Kopf zu bekommen; in Martinique gab es eine versengende Stichflamme alle Häuser entlang, die schnell wie ein Blitz zuckte; auch echte Blitze schlagen aber aus jeder Vulkanwolke. Eine angenehme Wahl um den gleichen Preis! So hübsch auch das aber wieder einmal ausgedacht ist, um uns durchaus kometarisch tot zu kriegen: es hapert auch hier. Jene Funde der Spektralanalyse sind an sich auf jeden Fall wichtig. In ihnen selbst steckt aber bereits ein merkwürdiger Fingerzeig nach ganz bestimmter Seite. Der spektroskopische Nachweis gewisser Substanzen, wie Kohlenoxyd oder Natrium, in einer solchen fernen Lichtwolke gibt für sich noch keinen direkten Anhalt, wie _dicht_ der betreffende Stoff in der gesamten, doch offenbar so ungeheuerlich weit ausgedehnten kometarischen Wolke enthalten sei; er kann enorm verdünnt sein. Wenn der Stoff, wie zum Beispiel das Natrium, sich im Kometenkern bei dessen Sonnennähe erst sichtbarlich entwickelt und dann in einem Schweif von da abdampft, der mehrere Millionen Meilen lang und entsprechend als breites Lichtband ungeheuerlich dick in die Weite geht, so wird die stärkste Verdünnung, zumal gegen das Ende des Schweifs (also das, was uns bei dem Halleyschen Ungeheuer allein packen kann), die wahrscheinlichere werden. Wie weit wir das aber treiben wollen, dafür wird zunächst jene elektrische Erwägung schon bedeutsam. Elektrische Leuchtprozesse der bezeichneten Art werden wir uns im allgemeinen nur bei einem Gebilde vorstellen können, dessen Substanz sich mindestens in den hierfür in Betracht kommenden Partikelchen in einem Stadium höchst beträchtlicher Verdünnung befindet. Gerade solche feinsten und allerfeinsten Partikelchen werden wir uns aber bei der allgemeinen Sachlage doch am liebsten im Schweif ausströmend denken. Schon sehr frühen Beobachtern und späteren, kritischeren immer mehr ist nämlich aufgefallen, wie dünn doch dem reinen Anblick nach schon die Schweifmaterie aussehe. Seneca wußte schon (und es werden es also wahrscheinlich schon die Pythagoreer und die alten Babylonier gewußt haben), daß man durch diese ungeheuren Leuchtbänder durch und durch sehen könne bis auf die dahinter schimmernden Sterne. Bessel und Struve haben das mit den feinsten Messungen dahin präzisiert, daß man faktisch auch nicht die geringste Ablenkung des Lichts bei solchen durchscheinenden Sternen im Kometenschweif nachweisen könne. Das ist gewiß eine ganz außerordentlich frappante Sache. Bei unserem Erdmond vermißt man, wenn ein Stern seinem Rand nahe kommt, ebenfalls jede Spur einer solchen Lichtbrechung, und man zieht den Schluß daraus, daß der Mond noch keine Atmosphäre haben könne, die auch nur ein Tausendstel von der Dichtigkeit unserer irdischen besitze. Die allgemein auch in Laienkreisen verbreitete Annahme, daß der Mond absolut »luftlos« sei, gründet sich auf diesen Schluß. Ein Mensch würde also, in solchen Kometenschweif versetzt, zunächst überhaupt wegen kompletten Luftmangels für seine Lunge _ersticken_. Dabei sieht man aber in den dickeren Kometenschweifen ganz bestimmt durch eine Lichtwolke von vielen tausenden (bis zwanzigtausend) Meilen Tiefe. Zwanzigtausend Meilen tief ein dauerndes Lichtglimmen, durch das für uns der Anblick der Schweifdicke entsteht: und doch auf dieser ganzen Strecke kein Stoff, der auch nur dem Tausendstel unserer Erdluft entspräche! Man ahnt, um was für homöopathische Verdünnungen der Stoffe es sich hier handeln muß, einerlei, ob das nun gefährliche oder ungefährliche Stoffe für unsere Lebensprozesse sein sollen. Schon der französische Akademiker Babinet hat also auch das Wort geprägt vom »sichtbaren Nichts«, als das solcher Kometenschweif sich allen gröberen chemischen Sondierungen gegenüberstellen müsse. Olbers dachte sich die einzelnen Schweifteilchen so weit und einzeln zerstreut im allgemeinen Äther der Planetenräume herumschwirrend, wie auf unserer Erde unendlich feine Wasserteilchen in gewissen von fern glänzenden Nebeln weit getrennt schweben, Nebeln, die doch in Hinsicht der Strahlenbrechung des Lichts und anderer Wirkungen sich nicht im mindesten anders verhalten als pure Luft. Als eine Art Äthernebel ginge der Kometenschwanz vor uns dahin, nur von weitem wie ein neckendes Phantom dem Auge sichtbar, beim Versuch des Ergreifens aber (und wäre die greifende Hand auch nur der Lichtstrahl) völlig unfaßbar gleich den Gespenstern des Märchens. Hier aber muß sich jetzt noch ein Gedanke einmischen, der von einer dritten Seite in die gleiche Richtung lenkt. Was treibt denn überhaupt die Schweifmaterie von der Sonne fort? Was bewirkt eben das, was uns heute mit dem Halleyschen Kometen in Berührung bringen soll, wenn sein Kopf zwischen uns und der Sonne steht? Der Kometenkopf, mag er selber auch ein noch so leichtes Meteoritenwölkchen sein, dessen Stoff auch bereits in sehr weiter Zerstreuung schwebt, folgt als Ganzes doch unabänderlich noch dem allwaltenden Gesetz der Schwere, der Riesin Gravitation. Jedes beliebige meteorische Einzelstäubchen, das als Sternschnuppe bei uns verpufft, tut das ja noch, warum nicht er? Wäre es nicht der Fall, so hätte die Sonne ja nie über ihn Macht gewinnen, seine Bahn zu sich heranbeugen, ja ihn unter Umständen (wie bei dem Halleyschen Gebilde) in die Verträge ihrer festen Vasallen mit hinein schmieden können. Als absoluter Gravitationssklave stürzt solch ein gefangener Kern wie der Halleysche allemal wieder in seinem 76. Jahr an uns vorbei zur Sonne hin und in wirbelnder Jagd ganz nahe um sie herum. Aber gleichzeitig macht sich mit dieser seiner Sonnenannäherung auch etwas von hier aus schlechterdings Rätselhaftes geltend, nämlich eben das Abströmen des Schweifes vom Kern direkt von der Sonne fort. Die Schweifmaterie _widersteht_ der Gravitation! Auf sie wirkt die Sonne nicht ziehend, wie auf den Kern, sondern umgekehrt abstoßend. Treibt den Kern die Gravitation wie ein unhemmbarer Sturm so nah wie seine Eigenbewegung nur irgend zuläßt an die Sonne heran, so wirkt diese gleiche Sonne auf den Schweif wie ein Gegenwind, der ihn senkrecht fortwirbelt! Schon eine ganze Weile, ehe der Kometenkopf seine größte Sonnenannäherung erreicht hat, macht sich dieser Gegenwind, wie bereits erzählt ist, geltend, der Schweif beginnt von ihm abzuwehen, wie Korn aus einem undichten Sack, der als Ganzes senkrecht nach der Schwere fällt, dessen ausfliegende Frucht aber zugleich ein Konträrwind lang hinter ihm fortwirbelt. Dieses Abströmen ist auch mit der Hitze, die in Sonnennähe auf die Meteoritenwolke des Kerns wirkt, nicht erklärt. Mag diese Hitze Kohlenwasserstoffe aus den einzelnen Meteorteilchen vorlocken, mag sie auch allmählich einen Teil ihres Salzinhalts verflüchtigen und in gelben Flammen verbrennen, mag sie endlich gar Eisenteile dort so verdampfen, daß wir es dicht an der Verdampfungsstelle spektroskopisch wahrnehmen können, obwohl der Kern in solchem höchsten Moment selber stets weit, weit von uns entfernt ist und Sonnennähen erlebt, die wir niemals mitmachen können: das alles kann bei ihm jedenfalls nur aufsteigende Wolken auf seiner Sonnenseite erzeugen, wie wir sie ja auch tatsächlich dann sehen. Daß aber schon ganz früh eine gewisse Kernmaterie sich sonnenabgekehrt einem phosphoreszierenden Schatten gleich von diesem Kern hinterwärts über Millionen von Meilen auszugießen beginnt; daß selbst jene Hitzewolken immerfort eine Tendenz zeigen, fontänenhaft rückwärts mit gewissen ihrer Teile auch in diesen Ausguß wieder abzufließen: das erklärt an sich die Hitze so wenig wie die Gravitation. Auf diese »gewissen Teile«, diese »gewisse Kernmaterie« muß noch ein aparter Bann für sich wirken. Ein Bann, der der Gravitation entkommt: es liegt wahrlich schon für die allgemeinste theoretische Erwägung nahe, auch hier nur an _allerfeinste_ Teilchen zu denken, Teilchen, für die das Bild auch nur eines meteorischen Staubkorns, das einzeln an unserer Atmosphäre bei der Berührung als helle Sternschnuppe aufglänzen könnte, _außerordentlich viel zu derb_ wird. Eine erste Theorie hat auch hier an elektrische Wirkungen gedacht. Bessel, als er 1835 eben bei dem vorletzten Erscheinen des Halleyschen Kometen das Wunder der Wolkenbildung und Schweifablenkung dort zum erstenmal genau studierte, war schon darauf gekommen. Er sowohl wie sein Freund Olbers und ihr gemeinsamer großer mathematischer Berater Gauß sahen klärlich ein, daß es sich um eine Abstoßungskraft zwischen gewissen feinsten Kometenteilchen und der Sonne handeln müsse, und man hatte für solche Abstoßung zunächst nur eine einzige Naturwirkung zur Verfügung, nämlich die bekannten Abstoßungserscheinungen gleichartiger Elektrizitäten. Wenn der Komet der Schauplatz eigener intensiver elektrischer Prozesse war; wenn in der Sonnennähe außer der wachsenden Sonnengravitation auch die eigenen elektrischen Wirkungen der Sonne sich immer mehr merkbar machten; wenn die Kometenelektrizität und die Sonnenelektrizität gleichartig waren und somit dem Gesetz unterlagen, daß gleichartige Elektrizitäten sich abstoßen: so erhielt man zunächst als Basis überhaupt eine abstoßende Macht. Nahm man nun Kometenteilchen von einer Feinheit der Stoffzerstreuung an, daß diese elektrische Abstoßung die Gravitation in ihnen überbieten mußte, so ließ sich eine abstoßende Fortbewegung im Gegensatz zur Schwererichtung konstruieren, die diese Teilchen als »Schweif« senkrecht von der Sonne aus dem Kern und seinen Wolken in die Planetenräume hinausjagte. Zöllner hat ähnliche Gedanken später zu einer großen Theorie ausgebaut. Heute kann man sie in der veränderten Symbolsprache moderner Elektrizitätsanschauungen ausdrücken, ohne daß doch das Grundbild, scheint es, dabei ein wesentlich anderes würde. Gewisse leise Schwierigkeiten sind stets in der Art geblieben, wie man sich die volle Übermacht der elektrischen Abstoßung über die Gravitation denken sollte. Inzwischen ist in neuester Zeit aber noch eine andere sinnreiche Erklärung aufgetaucht, wie man sich bei Annahme ungemein winziger und zerstreuter Teilchen eine solche Abstoßung auch in größter Sonnennähe vorstellen könnte. Die Schweifmaterie, sagte ich, erscheint so fein und so weitmaschig verpulvert, daß sie durchströmendes Sternenlicht für uns nicht ablenken kann. Aber es fragt sich, ob sie selber gerade in solchem Zustande nicht durch das Licht, das Sonnenlicht in ihrer Sonnennähe, dahingetrieben werden müßte. Ein ganz alter Kometengedanke kommt hier noch einmal zu Ehren, den fast drei Jahrhunderte Physik verschüttet hatten. Der Satz, den Seneca schon schreibt: »Die Kometenschweife fliehen vor den Sonnenstrahlen«, hatte dem großen Kepler zu denken gegeben. Konnten es nicht die Lichtstrahlen der Sonne selber sein, die den Schweif vor sich herjagten? Nach der Physik jener Zeit war das »Licht« etwas Körperliches in dem Sinne, daß von der Lichtquelle aus dabei beständig wirkliche winzige Körperchen in den Raum hinausgeschleudert wurden. Jede Kerzenflamme bombardierte uns so mit ihren Lichtkörperchen. Die große Sonne aber entsandte fortgesetzt einen wahren Hagel dieser Art um sich her. Wo diese Körperchen auf einen Widerstand, auf andere, entgegenstehende Körper stießen, da mußten sie prallend einen Stoß, einen Druck ausüben. Nun, sie waren winzig. Bei irgendwie größeren Dingen im Raum konnte dieses liliputanische Lichthändchen nicht viel wollen. Wenn ich meine Hand einer Kerzenflamme näherte, so fühlte ich den Lichtgegendruck gar nicht, geschweige denn, daß er meine Hand beiseite drücken könnte. Aber wenn man sich entsprechend winzige Einzelkörperchen, etwa ganz, ganz feinen Staub, dachte, auf die einzeln grade so ein Lichtteilchen anprallen konnte, so war doch recht gut denkbar, daß diesmal das Stäubchen vor dem Stäubchen wirklich etwas rückwärts wich. Nun hielt Kepler zwar den Kometen schon für ein kosmisches Gebilde, aber doch für eine recht lose Wolke. Und wenn nun von dieser Wolke ein Teil im Schweif wirklich gerade vor den Sonnenlichtstrahlen zu fliehen begann: warum sollte es sich da nicht um allerfeinste Teilchen dieser Kometenwolke handeln, die wirklich und wahrhaftig von dem feinen Hagel der Lichtkörperchen dieser Sonne in die Flucht geschlagen wurden? Klein, sehr klein müßten die Kometenteilchen ja dann wohl sein; aber sonst ging die Sache unverkennbar nett, vorausgesetzt, die Lichttheorie mit ihren Körperchen war richtig. Allerdings war die Gravitationslehre damals noch nicht wissenschaftlich scharf entwickelt, man übersah die Macht selbst noch nicht genügend, der diese Wirkung die Stange halten sollte. Das sollte erst Newton nachholen. Newton selbst aber war wieder der Keplerschen Idee nicht hold, obwohl er an der Lichttheorie in dieser Form noch festhielt. Wenig später fiel aber dann auch diese ganze Lichttheorie dahin: man faßte das Licht jetzt überhaupt nicht mehr als ein Aussprudeln eigener Lichtkörperchen, sondern entschied sich für eine Wellenbewegung im Äther. Und damit schien der alte Gedanke völlig antiquiert. Ein solches Wellenschaukeln konnte wohl nichts von der Stelle rücken, auch das kleinste Stäubchen nicht. Euler war der einzige, der im 18. Jahrhundert warnte. _Irgend_einen Druck, meinte er, müßten doch auch solche Lichtwellen ausüben. Es sollte aber noch weit über hundert Jahre dauern, bis einer auch nur darauf wieder zurückkam. Maxwell tat es tief im 19. Jahrhundert, bei Gelegenheit seiner Revision der ganzen Wellenlehre. Auch ihm schien die Annahme eines solchen »Strahlungsdrucks« wieder unvermeidlich, doch hielt er ihn noch für unmeßbar winzig, so daß auch jetzt die alten Fragen noch nicht wieder eigentlich akut wurden. Wider Erwarten ließ sich die Messung indessen nachher bewerkstelligen. Für entgegenstehende Stäubchen oder Tröpfchen von gewisser Größe konnte der Strahlungsdruck (der des Lichtes, wie der jeder andern Strahlung) wirklich nicht belanglos sein. Der bekannte schwedische Physiker Svante Arrhenius legte sich in diesem Punkte dann endlich auf genaues Rechnen. Er kam zu dem Resultat, daß ein solches Stoffteilchen in der Nähe der Sonne bei dem Gewicht etwa von Wasser einen Durchmesser von rund dem Sechshundertstel eines Millimeters haben müsse, um vom reinen Strahlungsdruck so in seinem Fall nach der Schwere (also auf die Sonne los) gehemmt zu werden, daß es frei und einsam schwebend still stand. Das kleine Händchen der Strahlung hielt in dem Falle der Riesenfaust der Gravitation, die sonst alles zur Sonne riß, mitten im offenen Raum die Wage! Ging man von da ab dann bei solchem Gegenstäubchen noch im Durchmesser herunter, so begann der Strahlungsdruck allen Ernstes das Stäubchen der Gravitation zum Trotz von der Sonne fortzutreiben. Bei dem Sechstausendstel eines Millimeters war dieser Gegendruck unter Umständen schon zehnmal so stark wie die Gravitation. Unaufhaltsam wurde das winzige Stäubchen in die Planetenräume hineingetrieben. Arrhenius hat sehr hübsch ausgemalt, wie das weitere Schicksal eines solchen Schiffleins, das der Lichtdruck dahinbewegt, bei ungestörten Verhältnissen verlaufen müßte. Das Licht fließt und fließt und drängelt sein Schifflein unaufhaltsam weiter. Wenn ein solches Stäubchen die Erdbahn passierte, so würde es durch den Lichtdruck der Sonne noch immer so bewegt werden, daß es schon nach 20 Tagen den Zwischenraum, der die Erdbahn von der Bahn des Mars trennt, durchschwommen hätte. Nach 80 Tagen überschritte es die Jupiterbahn, nach 14 Monaten die des Neptun. Wenn fremder Strahlungsdruck es nicht in Windstillen und Gegenwind seiner Richtkraft brächte, müßte es nach 9000 Jahren das nächste Fixsternsystem bei jenem Doppelstern Alpha im Sternbilde des Zentauren erreichen. Der Gedanke hat an sich seine Größe. Er lehrt, wie Materie in stäubchenhaft winzigster Zerstreuung beständig von unserer Sonne zu allen ihren Planeten, ja in ferne Fixsternsysteme getrieben werden könnte. Wenn ein Planet wie unsere Erde feinsten Staub irgendeiner Art gelegentlich selber aus seiner Atmosphäre verlöre, so müßte auch er an solchen Weltfahrten teilnehmen, einfach, weil das Sonnenlicht auf ihn scheint. Mancherlei Perspektiven könnten hier auftauchen, die trotz der grenzenlosen Raumesöden, die Sonne und Planeten, Sonnen und andere Sonnen trennen, ein beständiges geheimes Hin- und Herfluten kleinster Stoffteilchen denkbar machen. Immer freilich gilt die Transportmöglichkeit nur von _sehr_ kleinen Stäubchen. Durch Verminderung des Gewichts (z. B. für allerzarteste Rußflöckchen) könnte man sie noch beweglicher machen. Aber der minimale Durchmesser müßte bleiben. An Körperchen vom Durchmesser eines solchen Sechstausendstels eines Millimeters wären 470 Billionen nötig, um auch nur ein Kubikzentimeter Wasser zu bilden. Immerhin wäre man noch nicht auf der Grenze der Moleküle. So weit dürfte man aber auch gar nicht gehen. Denn ein Molekül ist _so_ winzig, daß das Händchen des Lichtes (bildlich gesprochen) es gar nicht mehr umfassen kann. Dort versagt also der Strahlungsdruck von neuem: reine Moleküle fallen nach der Gravitation genau so wie schwerere Staubteilchen. Von hier ist nun bloß ein einfacher Schritt (und Arrhenius hat ihn sofort selbst getan), um auf die alte Grundidee Keplers vor den Kometenschweifen zurückzukommen. Die meteorische Kernwolke des Kometen folgt der Gravitation, stürzt also gegen die Sonne. Eine gewisse Auslese ihrer losen Stoffteilchen aber, die gerade jener kritischen Größe entspricht, wird, je näher das Ganze der Sonne kommt, immer energischer vom Strahlungsdruck dieser Sonne erfaßt und als Schweif umgekehrt aus der Hauptmasse fortgetrieben werden müssen. Arrhenius denkt in der größeren Kernnähe und bei den kürzeren Schweifen besonders an vereinzelt schwebende Kohlenwasserstofftröpfchen der angesetzten Größe. Bei ihrer Kondensierung sollen elektrische Prozesse, die als solche wieder die Sonne in der Kometenwolke erzeugt, mitwirken, also die gleichen Vorgänge, in deren Gefolge dann auch die abwirbelnde Schweifmaterie noch auf weite, weite Strecken hin wie phosphoreszierend aufglimmt. Für die ganz langen, schier endlosen Schweife dagegen nimmt er nur noch feinste Rußteilchen als eigentliches Objekt des Strahlungsdruckes an, die durch Verkohlung solcher Kohlenwasserstofftröpfchen entstanden sind und bei einem überaus geringen Gewicht mit einer Abstoßungskraft dahinbewegt werden können, die die Schwerewirkung der Sonne um das Vierzigfache übertrifft. Vor Jahren schon und ohne jede Rücksicht auf die Idee des Strahlungsdrucks hatte nämlich der Astronom Bredichin aus den verschiedenen Schweiflängen der einzelnen Kometen verschiedene Grade der dabei wirkenden Abstoßungskraft zu errechnen gesucht und war dabei für die längsten, am geradlinigsten von der Sonne abgekehrten Schweife auf weit höhere Ziffern als für die kurzen, dicken und sozusagen nur widerwillig gekrümmten gekommen. Ganz folgerichtig riet auch er dabei schon auf verschiedene Substanzen in diesen Abstoßungsklassen, und wenn (wie es wiederholt beobachtet worden ist) ein und derselbe Komet (z. B. der herrliche Donatische von 1858) mehrere ungleich lange und ungleich gerade Schwänze in der Sonnennähe von sich abwirbeln ließ, so schloß er, daß hier verschiedene disponible Kernmaterien sich je nach ihrer verschiedenen Schwere bald mehr, bald weniger dem Abstoßungsdruck entsprechend angeordnet hätten. Das fügte sich jetzt sehr hübsch in Arrhenius' Erklärung ein. Für unsern praktischen Fall mit dem Halleyschen Kometenschwanz im Mai aber würde es gerade das Entscheidende werden; geht doch hier nicht ein kurzer Kernschweif, sondern gerade recht das fernste Ende eines langen Millionenmeilenschwanzes über uns fort; im Sinne von Arrhenius bekämen wir also wohl nur noch solche allerfeinsten Rußpartikelchen wie vom Schlotqualm eines endlos fern an uns vorbeifahrenden Dampfschiffs ab. Wie Arrhenius sich die Sache denkt, kann man sich direkt im Experiment vormachen. In einer nach unsern Kräften luftleer gepumpten Sanduhr (einem alten Stundenglase) läßt man etwas Schmirgelpulver, vermischt mit in Rotglut vorher verkohlten Sporen eines Bovistpilzes von oben nach unten durchlaufen. Gegen den niederrieselnden feinen Staubstrahl richtet man jetzt von der Seite her das durch eine Linse konzentrierte Licht einer elektrischen Bogenlampe. Das schwerere Schmirgelpulver fällt einfach der Gravitation nach abwärts, ohne sich um den Lichtdruck zu kümmern. Die absinkenden Kohlestäubchen dagegen werden eben von diesem Lichtdruck abgelenkt und in langem Schweif zur Seite getrieben. Im engen Bilde erscheint, was der Komet als _ungeheures kosmisches Experiment_ in seinem luftleeren Weltraum uns nach Arrhenius auch nur vormacht! Dem Schmirgel gleich fällt die meteorische Staubmasse des Kernes nach dem Gravitationsgesetz zur Sonne. Die feinen Rußpartikelchen fliehen dagegen unter dem Lichtdruck dieser Sonne als Millionen Meilen langer Schweif dahin. Auf jeden Fall führen die verschiedensten Wege, wie man sich die Abstoßung denken mag, alle unerläßlich auf eine Schweifmaterie von ganz außerordentlicher Winzigkeit und Zerstreuung des Inhalts. Keine leiseste Theorie existiert, die solche Abstoßung, sei sie nun elektrischer Natur oder Strahlungsdruck, auch nur noch auf solchen feinen Meteorstaub, wie er in unsern Sternschnuppen verpufft, anwendbar dächte. Es muß sich um eine noch viel, viel minutiösere Stoffauslese handeln. Kein Gedanke, daß sich etwa ein einheitlicher dicker Giftqualm einschmuggeln könnte, der unsere ungeheure, rasend schnell vorbeibewegte und in ihren tieferen, dichteren Schichten, in denen wir atmen, wie eine Art hygienischen Watteschutzes um die Erde gewundene Atmosphäre völlig durchsetzen könnte. Keine entfernteste Möglichkeit heißer Dampfstrahlen etwa aus glühendem Wasserstoff oder Eisendämpfen, die der Komet nach Art der Sonnenprotuberanzen zu uns herüberschleudern könnte. Der ungeheure Sonnenball selbst hat wahrlich andere Explosivmittel und Stoffmaterialien als solches Kometenwölkchen zur Verfügung, er wirft unter Umständen wirklich glühende (wenn auch stofflich sehr dünne) Wasserstoffgarben in die Höhe, die siebzigtausend Meilen ansteigen können; keine dieser Sonnenprotuberanzen könnte aber auch nur die Bahn des innersten Planeten, des Merkur, bedrohen, der immer noch rund sieben Millionen Meilen über der höchsten Protuberanz dahinzieht. Um aus einem Kometenschweif eine glühende Wasserstoffprotuberanz zu machen, müßte man den zur Sonne so schwachen Kometenkern aber Garben werfen lassen bis zu zwanzig Millionen Meilen. Das Unsinnige liegt schon so zutage, abgesehen von all den andern Gegengründen. Das elektrische Glühen der unendlich feinen Schweifmaterie wird man sich auch nur als einen beständigen schwachen Ausgleich zwischen den winzigen Einzelteilchen denken müssen im Sinne des Aufleuchtens der außerordentlich verdünnten Materie in unsern Geißlerschen Röhren. Es ist ja erstaunlich, in was für Stadien der Verdünnung sich kosmische Körper offenbar befinden können, ohne doch die Fähigkeit des Leuchtens und die Wirksamkeit für unsere Spektralapparate zu verlieren. Jeder hat von den echten Nebelflecken gehört, ungeheuren Gebilden, in denen leuchtende Gasmassen sich über unfaßbar riesige Gebiete des Raumes ausdehnen. Diese Nebelflecken geben trotz ihrer enormen Entfernung so viel Licht, daß wir sie photographieren können; einzelne, wie der Orionnebel, erscheinen schon in kleinen Fernrohren als imposantes Objekt. Im Spektroskop erkennt man sehr gut auch noch die hellen Linien der Gassubstanzen, die da glühen, und man darf daraus mit Sicherheit auf Wasserstoff, Stickstoff und Helium schließen. Die ältere Annahme hielt nun auch solchen Nebelfleck für ein echtes höllenhaftes Glutmeer, in dem unsere Erde augenblicklich verpuffen würde wie eine Sternschnuppe. Neuere Astronomen denken dagegen genau umgekehrt an Gase, die leuchten, weil sie so außerordentlich _verdünnt_ sind und bei sehr _niedrigen_ Temperaturen im kalten Raume schweben. Auch hier mag man irgendein elektrisches Glühen vermuten, für das Gase gerade in diesem Zustande besonders geeignet erscheinen. Über die wirklich kolossale Verdünnung kann aber bei den Raumverhältnissen in diesem Falle kein Zweifel sein. Arrhenius berechnet in einem Nebelfleck, dessen Gas den vielfachen Raum der Neptunbahn einnähme, die Dichte des Gases nur auf ein Billionstel der Dichte unserer Luft. Und doch erscheint der Nebel, in fernen Fixsternräumen schwebend, noch als Lichtgebilde für uns und gibt Stofflinien im Spektralapparat ganz wie ein Komet, der relativ dicht neben uns um unsere Sonne geht! Dem Laien pflegt durch die allgemein verbreitete Kant-Laplacesche Bildungstheorie die Vorstellung ganz besonders geläufig zu sein, daß unser eigenes Sonnensystem mit all seinen Planeten und Monden einst auch eine einheitliche gashafte Nebelmasse dieser Art gebildet habe, wobei die jetzt zur Sonne und ihren Planeten und Monden geballte Materie sich bis über die Neptunsbahn einheitlich lose ausgedehnt hätte. Scheiner hat gerade das aber gelegentlich auch einmal exakt durchgerechnet, und er hat als Resultat bekommen, daß unsere Atemluft an der Erdoberfläche 240000 Millionen mal so dicht sei, als diese anfängliche Nebelmaterie höchstens gewesen sein könne. Das sogenannte Vakuum unter unsern Luftpumpen, das wir gern stolz als »leeren Raum« bezeichnen, stellt im guten Falle erst ein Hunderttausendstel unserer Luftdichte dar. Man bekommt hier einen Begriff, was wirklich leerer Raum hieße. Bei jenem 240000 Millionstel unserer Luft stehen wir tatsächlich noch bei realen Körpern, die selbständig leuchten und ein Lichtspektrum geben, das ihre Elemente verrät! Erst weit jenseits dieser Werte würde aber die Welt des Lichtäthers selbst beginnen, auf deren Wellendruck Arrhenius seine Kometenteilchen in den Schweifen dahinsegeln läßt. Man muß diese Vergleichsbilder kennen, wenn auf der einen Seite ein Forscher sagt, ein Kometenschweif erscheine ihm wie ein »leuchtendes Nichts« ... und auf der anderen Weltuntergangsängste umlaufen, die unter dem gleichen Gebilde sich ein Ding etwa wie eine weißglühende Stange vorstellen, die mit zerschmetternder Vehemenz gegen unsere Erde schlagen wird ... * * * * * Resümieren wir also noch einmal unser Los in der kritischen Nacht vom 18. zum 19. Mai. Nach der vorläufig besten und neuesten Berechnung liegt die eigentlich bedeutsame Nachtstunde für uns in Deutschland _genau zwischen morgens 3 Uhr 22 Minuten und 4 Uhr 22 Minuten_. Sie gehört also nach unserer bürgerlichen Datierung bereits dem 19. Mai an, während der Astronom sie nach seiner Berechnungsart noch zum 18. Mai zählt. Über eventuelle Verschiebungen des engeren Termins werden im letzten Momente ja noch alle Zeitungen wie bei einer wichtigen Theaterpremiere berichten. In dieser Stunde also geht der Komet genau zwischen der Sonne und unserer Erde durch. In Australien, in der Südsee und in Ostasien wird man direkt beobachten können, wie der Kometenkopf scheinbar in die Sonnenscheibe eintritt, um sie erst nach einer ganzen Stunde des Vorbeipassierens wieder zu verlassen. Während dieser Stunde aber wird die Erde selbst durch den Kometenschweif gehen, und wenn dieser Schweif angetan wäre, wirklich unsere Atmosphäre mit irgend etwas Schrecklichem zu versetzen, so würde sich dieses Schreckliche dann alsbald unaufhaltsam durch unsern gesamten Luftkreis verbreiten müssen. Was ist nun in Wahrheit zu erwarten? Da uns nicht ein Kometenkopf berührt, sondern nur der Ausläufer eines Kometenschweifs, ist es nicht wahrscheinlich, daß wir direkt noch meteorischen Staub von der Stärke in unseren obersten Atmosphäreschichten erhalten, daß ein Sternschnuppenregen auftritt; schade, denn dieses Schauspiel wäre ebenso ungefährlich wie schön, und es lohnte, daß man eine Nacht darum aufbliebe. Ausgeschlossen sind nach aller bestehenden Theorie sowohl katastrophenhafte Stoßerscheinungen, wie Gefahren durch explosible oder giftige Stoffe. Denkbar wäre dagegen zu dem kritischen Termin eine bestimmte Sorte irdischer Feinwirkung, die wir diesmal zum erstenmal genau feststellen könnten, weil wir zum erstenmal die nötigen Apparate dafür zur Verfügung haben. Auch ihr geht jeder katastrophenhafte, uns und unsere Technik gefährdende Charakter ab, dagegen handelt es sich um die Möglichkeit von sowohl wissenschaftlich wie technisch wertvollen Feststellungen. Es wäre nämlich immerhin möglich, daß der Kometenschweif gewisse feine _elektromagnetische Störungen_ auf unserer Erde hervorriefe. Bekanntlich gibt es auf unserm Planeten höchst eigentümliche zeitweise Störungen und Stürme innerhalb der geheimnisvollen Kraftbetätigungen, die wir elektromagnetische nennen und deren Wirksamkeit wir erst in neuerer Zeit genauer zu erforschen und zu verwerten begonnen haben. Unsere Magnetnadeln geraten dabei in mehr oder minder lebhafte Unruhe. In stärkeren Fällen durchsausen gewaltige elektrische Erdströme die Oberflächenschicht des Planeten und bringen alle unsere Telegraphenleitungen für eine kurze Weile in heillose Unordnung, ja außer jeglicher brauchbaren Funktion. Zugleich wird bis in Gegenden, wo man an dergleichen nicht gewöhnt ist, eine völlig ungefährliche, aber sehr auffällige Lichterscheinung unserer Atmosphäre merkbar, die sich sonst auf eine gewisse Nähe der magnetischen Pole unserer Erde beschränkt: nämlich das sogenannte Polarlicht oder (für unsere Nordhalbkugel) Nordlicht. Obwohl diese oft plötzlichen und für unsere modernen Verkehrsapparate mindestens momentan lästigen elektromagnetischen »Unwetter« zunächst durchaus irdische Phänomene sind (auch mit Einschluß des Nordlichts), so hat man doch allmählich gelernt, daß bei ihnen irgendein weiterer kosmischer Zusammenhang zweifellos auch noch besteht. Sie fallen nämlich durchweg zeitlich genau zusammen mit bestimmten Erscheinungen auf der Sonne. Die Sonne zeigt an ihrer Oberfläche gelegentlich gewisse Anzeichen, die auf eine lebhaftere eruptive Tätigkeit schließen lassen. Als sichtbarlichstes Gebilde gehören (in irgendeinem Zusammenhang, der an sich noch nicht völlig geklärt ist) hierher die Sonnenflecken. Diese Sonnenflecken treten in bestimmten Perioden stärker und dann wieder schwächer auf; bald ist die Sonnenscheibe von ihnen fast bedrohlich besetzt, bald wieder scheinen sie so gut wie ganz zu verschwinden. Mit großer Sicherheit hat man nun eine elfjährige Periode dieser Art feststellen können, in der einmal eine Steigerung bis zu einem Maximum eintritt, dann aber wieder ein ebenso konsequentes Sinken folgt. Ganz genau die gleiche elfjährige Periode beobachtet man aber auch in einem bestimmten Schwanken unserer Magnetnadeln. Hier _muß_ ein Zusammenhang bestehen. Bei bestimmter Häufung und Größe einzelner Sonnenflecken wird dann auch eine unmittelbare Wirkung deutlich. Mit dem Auftreten des Fleckenfeldes auf der Sonne, ja noch enger genau mit dem Moment, da es sich innerhalb der Sonnenrotation gerade unserer Erde senkrecht gegenüberstellt, pflegt bei uns ein erhöhtes elektromagnetisches Gewitter (mit wilden Magnetnadel-Ausschlägen, abnormen elektrischen Erdströmen und starken Nordlichtern) einzutreten. Die Sonne ist von uns rund 20 Millionen Meilen entfernt. Trotzdem ist es, als greife von ihr in solchem Moment etwas Unsichtbares wie ein Scheinwerferstrahl bis zu uns herüber und störe unsere Apparate. Man hat wirklich an solche Wurfstrahlen gedacht. Bei den Sonnenfinsternissen sieht man einen sonst unsichtbaren Kranz ungeheurer Stoffstrahlen, die leuchtend weithin von der Sonne auszufließen scheinen, die sogenannte Korona. Es könnte sein, daß bei großen Eruptionen dort solche Strahlen stärker aufschießen und bei bestimmter Einstellung bis zu uns kommen. Unendlich feine Materie jedenfalls, haben sie nichts zu tun mit jenen erwähnten wirklichen glühenden Wasserstoff-Protuberanzen der Sonne, die nie entfernt so weit reichen könnten. Ihre einzige Wirkung, die sie bei uns tun können, ist offenbar nur eben jene ganz feine elektromagnetische, die sich in Magnetnadelschwankungen, Nordlichtern und (nur in unsern feinen Apparaten merkbaren) Erdströmen andeutet. Arrhenius denkt auch hier an feinste Stoffteilchen jener kritischen Größe, die, durch engere Sonneneruptionen zunächst hochgeschleudert und verstreut, dann zum Teil vom Strahlungsdruck bis in die Planetenräume hinausgetrieben und so auch bis zu uns gebracht würden. Die elektrische Ladung dieser Teilchen würde dann die Erdphänomene erklären. Wie man sich das nun im einzelnen ausmalen mag: jedenfalls gibt diese Kette offensichtlicher elektromagnetischer Zusammenhänge zwischen Sonne und Erde und ihre Wirkung bei uns einen _vagen_ Anhalt, was auch ein Kometenschweif als irgendwie elektrisch tätiger »Scheinwerfer« bei uns erzeugen _könnte_. Nehmen wir an, auch er enthält elektrisch erregte Teilchen, so wäre es immerhin denkbar, daß auch sie bei ihrer Mischung mit unserer Erdatmosphäre, wenn denn sonst bei ihrer Winzigkeit absolut nichts, so doch einen gewissen »elektromagnetischen Sturm« erregten, also unsere Magnetnadeln ausschlagen ließen, unsern elektrischen Betrieb momentan durch unkontrollierbare Erdströme störten und (als sinnfälligsten Effekt) vielleicht bis in unsere dichtesten Kulturbreiten hinein brillante bunte Nordlichter aufflammen ließen. Wenn ein besonders großer Sonnenfleck das kann, indem er uns vielleicht über zwanzig Millionen Meilen fort einen besonders langen elektromagnetisch geladenen, aber sonst für uns ganz unsichtbaren Koronastreifen zuschickt, bei dessen Berührung hier unten alles dieser Kraft speziell Untertane zittert, wie toll verkehrt klingelt und endlich den Himmel mit zuckenden magnetischen Strahlen rötet: warum soll _das_ nicht der Komet auch vielleicht vollbringen? Vielleicht! Bewiesen ist es natürlich nicht. Möglich ist ja, daß solcher Komet in seiner Sonnennähe wie eine Art Konzentrierer und Kondensator der ausfließenden Sonnenkraft selber wirkt. Nach Arrhenius würde er massenhaft in nächster Sonnennähe elektrisch geladenen Koronastaub der Sonne direkt an sich ziehen und nachher im Strahlungsdruck konzentriert wieder auspulvern gegen die Planeten hin: hier wirkte er also tatsächlich wie eine Art Scheinwerfer für Sonnenenergie. Es ist auch bereits behauptet worden, daß die Kometenschweife sich stärker entwickelten in Jahren der Sonnenflecken-Maxima, sei es, daß sie dann mehr direkten Eruptionsstaub der Sonne zu ihrem Eigenmaterial noch hinzuerhielten, sei es, daß die dann ohnehin stärker ausströmende elektrische Wirkung sie bloß auf stärkere Strecken hin zum elektrischen Leuchten brächte und so den Schweif größer erscheinen ließe. Ein Grund aber, sich diese problematische elektromagnetische Wirkung abnorm groß vorzustellen, liegt jedenfalls wieder nicht in dem ganzen Sachverhalt. Wenn es im höchsten Grade wahrscheinlich, ja so gut wie gewiß ist, daß wir früher schon so und so oft durch Kometenschweife hindurchgegangen sind (_jeder_ Komet, der für uns _vor_ der Sonne herging und einen _langen_ Schweif hatte, kommt ja historisch dafür in Betracht), so haben wir damals eben überhaupt nie etwas gemerkt (es sei denn Nordlichter, die man früher aber nirgendwo einzuregistrieren wußte und deshalb durchweg überhaupt nicht registrierte), einfach, weil unsere Technik noch nicht mit elektromagnetischen Feinapparaten arbeitete. Wie jung diese Arbeit ist, lehrt klärlich wohl die kleine Reminiszenz, daß bei der vorigen Wiederkehr des Halley-Kometen, 1835, eben zwei Jahre verflossen waren, seit zum erstenmal und zunächst rein als Privatexperiment zwei Göttinger Gelehrte, Gauß und Weber, zwischen der Sternwarte und dem physikalischen Kabinett ihres Göttingen eine elektrische Telegraphenverbindung primitivsten Stils hergestellt hatten. Wichtig ist aber auf _jeden_ Fall, daß auf diese Symptome, und seien sie noch so geringfügig, _geachtet_ werde. Nicht als Angstobjekt, sondern als willkommenes kosmisches Experiment sollen wir diese Kometennacht verstehen und werten. Von der schönen Treptower Volkssternwarte, die gewiß zu den edelsten Errungenschaften kulturell ersprießlicher Wissenschaft gehört, die wir in den 76 Jahren seit dem letzten Halley-Termin gewonnen haben, wird dabei besonders aufgefordert, es möchten doch in der Nacht vom 18. zum 19. Mai und tunlichst schon etwas vorher auf der Erde alle Versuche mit den Apparaten der elektrischen Wellentelegraphie unterbleiben, damit sich eventuelle elektrische Wirkungen des Kometen als solche von den fein gestimmten Empfangsapparaten ablesen ließen. Und so gibt es noch mehrere andere Punkte, auf die auch gerade von dort her besonders aufmerksam gemacht worden ist als auf Dinge, die sorgsam zu beachten wären. Ob eine abnorme Aufhellung des Himmels einträte. Ob sich besondere bunte Dämmerungserscheinungen hinterher geltend machten, die auf das Eindringen allerfeinster Staubteilchen in unsere oberen Luftschichten deuten könnten. Ob Änderungen an dem sogenannten Zodiakallicht, einem für gewöhnlich schon recht rätselhaften Lichtkegel, der sich gelegentlich am Abend- oder Morgenhimmel zeigt, merkbar würden. Ob »leuchtende Nachtwolken«, d. h. ungewöhnlich silberglänzendes Cirrusgewölk, das in außerordentlichen Höhen schwebt und mit dem es auch irgend eine ganz aparte Bewandtnis zu haben scheint, sich gerade jetzt wieder sehen ließen. Bei fast allen diesen Dingen kann auch jeder Laie registrieren helfen. Auch wenn es nicht wahrscheinlich ist, daß der Kometenschweif selber diesmal vermehrtes Sternschnuppenmaterial liefert, so sollten doch auch Sternschnuppen und größere meteorische Feuerkugeln mit größter Sorgfalt nach Zeit und Ort aufgezeichnet werden, und es sollte das Material, auch wenn es wirklich noch so geringfügig erscheint, einer Sternwarte zugesandt werden. Arbeit, kleine Arbeit gilt es da mitzutun. Aber aus solcher Arbeit, Stein um Stein und seien sie klein wie Meteorstäubchen, baut sich die Forschung, -- nicht aus vergänglichen Sensationen. Ob ein vielleicht zu erwartender elektromagnetischer Kleinsturm auch auf unsere Witterung einen bescheidenen Einfluß haben könnte? Ob eine bestimmte jähe barometrische Luftdrucksänderung wenigstens ein _schwacher_ Hilfsanlaß zu dem einen oder andern etwas intensiveren lokalen Vulkanausbruch oder Erdbeben werden könnte? Anhalt haben wir gerade dafür _nicht_. Ein Einfluß jener elfjährigen Sonnenfleckenperiode auf unsere irdischen Witterungsverhältnisse ist _bisher_ nicht sicher nachgewiesen. Daß wir im ganzen heute auf eine Epoche stärkeren Vulkanismus wie (im Zusammenhang mit vielleicht wieder einsetzender Gebirgsbildung) stärkerer Erdbeben losgehen, ist an sich wahrscheinlich (daher Martinique, Messina und so weiter), es fragt sich aber durchaus, ob da der Barometerstand des Augenblicks wirklich im größeren Sinne mitspielen kann, und abermals fragt sich, ob elektromagnetische Erdstörungen nun wieder diesen Barometerstand beeinflussen. Schließlich: hier überall könnten wir nur lernen, und wir _wollen_ lernen. Gibt die Kometenkrisis einen besonders heftigen Wettersturz, so wäre das eine lehrreiche Tatsache. Wahrscheinlich nach dem bisher Vorliegenden ist sie nicht, aber dieses »Vorliegende« ist stets nur ein »Vorbericht«. Unfehlbar ist sein Votum nie. Ja: unfehlbar! Hier wollen wir natürlich nicht ins Übertriebene fallen. Alle Forschungsergebnisse bis heute sind nur ein Annäherungswert. Es kann schlechterdings Unbekanntes geben, das die Erde, das Sonnensystem, die ganze Fixsternwelt in diesem Moment, da diese Zeile gelesen wird, in unfaßbaren Hitzegraden zu Gas verflüchtigt. Es kann. Die Forschung gibt ihre Argumente, zu mehr ist sie nicht verpflichtet. Der Arzt kann einen Menschen untersuchen und für kerngesund erklären und er kann im nächsten Moment am Herzschlag sterben. Die Erde kann im Moment, da wir auf den Kometen warten, durch eine unzusammenhängende Katastrophe, die von Alpha Zentauri über acht oder zehn Billionen Meilen zu uns herübergreift, vernichtet werden. Jeder von uns kann in Monte Carlo die Bank sprengen; damit zu rechnen ist aber nicht empfehlenswert, obwohl diese Wahrscheinlichkeit sicherlich sehr viel geringer ist, als daß eine Welt, die seit hundert und mehr Jahrmillionen ohne kosmische Katastrophe sich glatt weiterentwickelt hat, gerade uns Eintagsfliegen dieser lebenden Menschengeneration den Gefallen tun sollte, unterzugehen. * * * * * Herr Professor Semmler zu Halle um 1770 betonte (es ist erzählt), daß Kometen keinen direkten physischen Einfluß auf unsere Reiche, Republiken und Regierungen hätten, daß es hingegen dem beschaulichen Menschen frei stehe, sich bei ihnen das eine oder andere Erbauliche auch ohne besonderen Zusammenhang ins Gedächtnis zu rufen. Der Mann hat in einem Punkte recht. Wenn wir heute beinah etwas betrübt hinzufügen müssen, daß es auch mit der neueren Sensation des Versengens, Vergiftens, Versalzens und Bombardierens seitens des Kometenschweifs aller menschlichen Voraussetzung nach nichts ist, so muß uns doch unbenommen bleiben, in der kommenden Kometenstunde das eine oder andere zu denken, das zwar keinerlei Zusammenhang mit dem Kometen da oben hat, aber an sich hübsch und nützlich zu denken ist in allen ernsten und guten Stunden. Mögen wir ein Glas weihen in jenem Moment eben der rastlosen Arbeit, wie sie auch in diesem Ringen des Forschergeistes um die Kometenfrage so denkwürdig zum Ausdruck kommt. Schließlich ist es doch diese Arbeit selbst, die auch in die dunkelsten Träume eines physikalischen Weltuntergangs den letzten Trost bringen würde. Denken wir uns, daß ein solcher Untergang in unendlichen Fernen der Zeit, in Billionen oder Trillionen von Jahren, einmal eintreten könnte; nicht durch einen Kometen; aber vielleicht weil die Sonne in ihrem Lauf endlich den ungeheuren Raum doch durchmessen hätte, der sie heute von den nächsten Fixsternen trennt, und einen Zusammenstoß dort erlebte. Wenn wir sehen, was menschliche Geistesarbeit heute schon geleistet hat, so ließe sich, bei gleicher Weiterarbeit, wohl die Frage aufwerfen, was für Intelligenzwesen in jener fernen Zeit unsern Planeten oder unser ganzes System bewohnen würden, Wesen, die aus uns geworden wären, wie wir einst aus Amöben des Urstrandes uns heraufentwickelt haben, aber Wesen, deren Intelligenz und Technik so hoch über unserer heutigen ständen, wie ein Mensch heute über der Amöbe steht. Und es ließe sich fragen, ob diesen fernen Wesen ein solcher Zusammenstoß noch gefährlich werden könnte; ob sie nicht wirklich längst in realer Erfüllung jenes Wallaceschen Märchens vorher Mittel und Wege gefunden hätten, sich, wie vor der Erkaltung dieser Sonne, so auch vor ihrem berechneten Zusammenstoß irgend sonst wohin im All in Sicherheit zu bringen. Der Gedanke läßt sich aber noch steigern. Sollte solche Möglichkeit nicht gegeben sein oder sollte lange vorher schon die Schicksalsparze den Sonnenfaden oder Erdenfaden abschneiden: auch dann hat die Idee der rastlosen Arbeit etwas Befreiendes. Wohl wäre _unsere_ Arbeit zunächst zu Ende. Aber nicht die Arbeit der Entwicklung. Aus dem eingestampften, vielleicht wieder zum Nebelfleck verflüchtigten System würde neue rastlos wühlende Naturarbeit sich von neuem stufenweise emporringen, wieder bis zu Leben, bis zu Intelligenz. Und vielleicht würde dieses neue System auf sichereren Verträgen inmitten einer abermals gereinigteren Auslese des Harmonischeren, Passenderen, Angepaßteren beruhen und so eine längere Entwicklungsdauer haben als unseres. Auch der wildeste Götterdämmerungstraum der Sage schloß immer wieder mit diesem ganz fernen, ganz blassen, aber doch wieder lichteren Bilde. Aus der Asche des Weltenbrandes stieg endlich, endlich doch wieder eine grüne Wiese, wo neue Götter, neue Menschen, gereinigt von der alten Schuld, die goldenen Kugeln wieder fanden und weiterspielten. Auch dem Blick des Naturforschers müßten sich die goldenen Kugeln im All immer wieder fügen aus jedem Zusammenbruch. Denn das Naturgesetz und die Logik der Werdearbeit stürben in keinem dieser Brände mit. Und auch ihm bleibt der große Gedanke Darwins, auf alles Kosmische erhöht, daß jeder Einsturz nur eine Stufe der Unvollkommenheit beseitigt, herausreinigt aus der unablässig wachsenden Allgemeinbalance, Allgemeinanpassung, Allgemeinharmonie. Sie werden aber nichts mehr von uns wissen, diese Kommenden, diese Besseren, diese Geklärteren: so raunt der trübe Gedanke. Die jungen Götter der Sage, die wieder mit neuen goldenen Kugeln spielen, erzählen sich die Geschichte der alten Schuld, die im Weltenbrande gesühnt wurde, als ein wunderbares Märchen. Von uns wird nie wieder einer erzählen; von den eingestampften Opfern eines kosmischen Fortschrittsexperiments. Vielleicht gibt es aber doch All-Träume, die selbst dem standhalten, wenn auch wir zu träumen wagen. Im All geht in Wahrheit nichts verloren. Auch keine Form. Nichts, was einmal war. Unser Bild wandert noch nach Äonen mit Lichtpost zu fernen Sternen. Aber es lebt auch verborgen in allem folgenden fort. Wer die Formel weiß, kann es ewig aus seinen Wirkungen wieder zusammensetzen. Nur darum ist ja schon bei uns eigentlich Geschichte möglich. Darum beleben sich die alten Ichthyosaurier wieder vor unserm Blick. Geschichte ist der Triumph der geheimen Allgegenwart aller Dinge. Auch Sehnsucht nach Geschichte, nach Aufdecken, Wiederfinden der Vergangenheit liegt aber von gewisser Stufe ab in aller Arbeit der Natur. Intelligenz muß immer wieder hierher lenken. Nun denken wir uns Intelligenz unendlich über unserer, die aus wenigen Formeln das ganze Farbenbild der Vergangenheit wieder ablesen, wieder erwecken könnte. Unendliche Zukunftsarbeit würde in diesem Sinne auch eine unendliche Rückwärtsarbeit werden. Ein unendliches Wiederfinden aller abgerissenen Fäden über noch so viel Weltenbrände hinaus. Was haben aber auch wir eigentlich schon mehr als das in unserm individuellen Leben, jeder von uns, innerhalb unserer eigenen Kultur: als ein rastloses Arbeiten im Augenblick, in dem gerade bei uns die große Naturflamme lodert; und ein Hörensagen von andern vor uns, die keiner mehr direkt sieht, eine Geschichtstradition von früheren, toten Generationen, denen die Fackel aus der müden Hand gesunken ist; das muß uns genügen und genügt uns doch zu frohem Tagesschaffen. Ob die Nacht zwischen dir und diesem oder jenem alten Forscher und Denker nun nicht bloß durch Menschengräber und Kinderlachen, sondern wirklich durch Weltenstürze und neue goldene Weltkugeln geht: was würde es ändern? Hinter allem aber (darauf weihe auch dein Glas, sei es nun wirklicher Goldwein oder bloß Geistestrank) muß zuletzt doch das große Naturgeheimnis bleiben, mit seinem dunkeln Auge, das immer gleichmäßig auf uns weilt, das nie zuckt, was sich auch vollziehe. Es muß jeden einzelnen von uns über kurz oder lang aufnehmen. Stellen wir ihm auch die Menschheit anheim. _Wenn_ einer es je einmal zur Antwort bringt, kann das auch nur in der Linie unendlicher rastloser Arbeit geschehen. Dann löst diese Arbeit es aber rückwärts für uns alle mit. In diesem dunkeln Auge des Geheimnisses finden wir uns alle wieder ... Das sind Gedanken, die jetzt mit dem Kometen wirklich nicht mehr zu tun haben, als daß auch sie etwas durch Neptunsweiten schweifen. Bleiben wir näher. Sagen wir uns, daß dieses silberne Wölkchen da oben nun abermals seine 76 Jahre von uns fern weilen wird, uns so lange aus dem Gesichtskreise verlieren wird. Nehmen wir ihn als alten Menschenfreund und alten Menschenkenner, diesen einsamen Weltenwanderer da droben, der schon so viel mit uns durchgemacht hat, so viel Menschenglauben und Menschentand hat zerschellen und immer doch (wir hoffen es) etwas saure Menschenarbeit hat triumphieren sehen. Was wird er finden, wenn er nach seinen 76 Jahren wiederkehrt? Ein Glas dem Problematischen, das doch noch in all unserer Wissenschaft steckt. Ein Klang der einen großen Wahrheit, daß noch niemand ganz recht hat; daß noch keine unserer Weltanschauungen ganz recht haben _kann_; und daß zum _Glück_ noch keine ganz recht hat. Was wird er finden? Wird unsere Naturforschung in 76 Jahren ganz zur äußerlichen Technik geworden sein, die sich von allen _tiefsten_ Denkwerten abgelöst hat? Oder wird sie den Anschluß gefunden haben, der für ihren höheren Menschheitswert der entscheidende sein muß: an eine echte idealistische Weltansicht? Oder ist das noch zu früh? Werden wir einen neuen Humanismus erhalten, in dem auch die Naturforschung, die einst vergessen worden war, ihre Stätte findet, nicht als verrohende Macht, sondern veredelt, geläutert vom humanistischen Gedanken? Und wird dieser erweiterte, verklärte Humanismus nicht beschränkt bleiben auf die Gelehrtenzelle, sondern eine wärmende Sonne werden für das ganze Volk? Wird in 76 Jahren die Sternwarte, zu der wir jetzt wandern, um dieses kleine unheimliche Silberfederchen, das da im eisigen Raum treibt, anzustarren, eine ethische Erziehungsstätte sein? Es ist die letzte Strandwelle des alten Glaubens, daß der Komet etwas prophezeien könne, was in solchen Fragen lebt. Er prophezeit aber nichts. Nur die Kraft und die Tat und die Arbeit prophezeien. Als die Menschheit _seine_ Wiederkehr prophezeite, da war sie bei der Arbeit, da taten die Dinge einen Ruck, da wurden sie größer. Weltuntergang! Wir wollten trinken und küssen, alle Reserven auftrinken und aufküssen. Es braucht keine Reserven mehr, morgen ist Weltfeiertag. Und nun soll das alles wieder nichts sein. Ja wäre es nicht eigentlich doch eine Wohltat gewesen, diese Stimmung in der scheußlichen Langeweile unserer Zeit? Wir arbeiten so heillos viel, wir haben das Recht, das Arbeiten auch einmal für einen Greuel zu erklären, zwischendurch. Nun will uns die grämliche Wissenschaft auch das wieder nicht erlauben. Im elenden Trott sollen wir wieder weiterschuften, immer mit kleinen Sparrationen, wie Südpolfahrer; Vorsicht, morgen ist noch ein Tag und die Woche hat noch fünf, hebt Reserven auf, Reserven für die Enkel und Urenkel. Gewiß, auch das läßt sich sagen. Aber zuletzt ist es auch nur der uralte Kometen-Pessimismus, der selbst damit nicht zufrieden ist, daß die Welt _nicht_ untergeht ... Und schließlich glauben wir doch alle nicht daran, wir Menschen von 1910, mit unserer Kraft und unserer Sehnsucht. Nein. Laßt uns die heilige Kometenstunde (um denn endlich das darin zu finden, was von je wirklich das Grundgegenteil aller Kometengedanken gewesen ist) mit einem stillen Glas und vielleicht einem stillen Kuß auf schöne Lippen dem ewigen Wunder des Gedankens, der Liebe und der Schönheit weihen, dem unbesiegbaren Sonnenzauber dieser alten Welt, den keine kalten Sterne jemals haben bedrohen können. Und dann ...? »Worauf«, spricht ein alter Chronikschreiber, der das letzte Wort haben mag, (nachdem sie nämlich wieder einmal vergebens auf den Weltuntergang gewartet hatten) »Worauf alle wieder an ihre Arbeit gingen, als wenn garnichts geschehen wäre.« Von _Wilhelm Bölsche_ erschien im gleichen Verlage W. Bölsche, Das Liebesleben in der Natur. Eine Entwickelungsgeschichte der Liebe. Stark vermehrte und umgearbeitete Ausgabe. 2 Bde. 30.-35. Tausend. br. à M. 6.--, geb. à M. 7.50 _Neue Weltanschauung_: Das bekannteste Werk Bölsches erscheint jetzt in einer neuen zweibändigen Ausgabe und zu einem wesentlich _ermäßigten_ Preise, so daß es auch Kreisen zugänglich wird, denen die dreibändige Ausgabe zu teuer war. Daß der Verfasser bei der Neuausgabe alle Fortschritte der Wissenschaft berücksichtigt hat, braucht kaum bemerkt zu werden. Im Mittelpunkt der ganzen Darstellung steht der Grundgedanke, daß der Mensch mit seinem ganzen Wesen im Tierreich wurzelt, daß er ein Teil desselben ist, sich aus ihm im Laufe ungezählter Millionen Jahre historisch entwickelt hat. Der eigentliche Gegenstand des Buches ist eine allgemeinverständliche Darstellung der Zeugungs- und Entwickelungsverhältnisse im Tierreich mit Einschluß des Menschen. Bölsche beschränkt sich dabei nicht darauf, aus der umfangreichen Fachliteratur die einschlägigen Tatsachen herauszusuchen und zusammenzustellen, sondern er betrachtet diese Tatsachen lediglich als ein Gerüst, das seine oft weit ausgreifenden naturphilosophischen, künstlerischen und ästhetischen Ausführungen stützen soll. Da, wo mitunter -- nach Ansicht gewisser Leute -- sogar heikle Dinge berührt werden mußten, läßt der Verfasser auch den Humor zur Geltung kommen. Es ist gewiß keine leichte Aufgabe, für ein Laienpublikum eine solche Entwicklungsgeschichte der Fortpflanzung zu schreiben, und gar ohne Abbildungen. W. Bölsche, Die Mittagsgöttin. Roman. 2 Bände. 4. Aufl. br. M. 7.--, geb. M. 9.-- _Velhagen & Klasings Monatshefte_: Ein Werk, reich wie das Leben selbst, vom frischesten Wirklichkeitshauch durchweht und doch zugleich von hoher Idealität erfüllt, eine Weltanschauungsdichtung im großen Stil. Humor und Tragik, Pathos und Pikanterie, Realistik und Romantik, Zartes und Derbes in buntem Gemenge, in sprießender Fülle. Charakterzeichnungen von einer Schärfe und Deutlichkeit in jeder Linie und psychologisch so vertieft, daß sie den Vergleich mit keinen anderen Gebilden der neueren Literatur zu scheuen haben. Und als Untergrund ein Mosaik von Großstadt- und Landschaftsschilderungen, in denen sich ebenso glänzend die Akribie des Naturforschers wie die Stimmungsgewalt des Lyrikers offenbart. Die Farbenpracht dieser Schilderungen hat etwas Berauschendes; nur hier und da wirkt die Überfülle des Details ermüdend und verwirrend. Berlin und der Spreewald bilden den Schauplatz des Romans; was diese packenden Gegensätze an Reiz und Inhalt bieten, das hat der Dichter so gut wie ausgeschöpft. Inhaltlich führt der Roman mitten in die Geisteskämpfe der Gegenwart. Seinen Stoff entnimmt er dem spiritistischen Treiben unserer Tage, aber Bölsche erfaßt den Gegenstand tief genug, um in dem Werke die gesamten Gegensätze des heutigen Weltanschauungskampfes widerzuspiegeln. Und dieser Kampf vollzieht sich nicht in einem Für und Wider von abstrakten Deduktionen, sondern in der Seele einer bedeutenden Persönlichkeit, die ein leidenschaftliches Streben nach Wahrheit erfüllt. Essaybände von Wilhelm Bölsche W. Bölsche, Naturgeheimnis. 8. Tausend. br. M. 5.--, geb. M. 6.50 _Weserzeitung_: Goethe und Haeckel -- wie oft hat Bölsche diese beiden großen Pioniere schon in seiner eigenartigen geistreichen Weise behandelt und auch im »Naturgeheimnis« bringt er sie wieder zusammen und läßt uns den Gleichklang vernehmen, der durch das Leben und Streben der beiden Forscher gegangen. Diesen volltönenden harmonischen Gleichklang, der aus einer großen Wahrheit hervorschauerte und ständig das Streben der beiden in wundervollen Rhythmen durchklang -- aus der »Grundwahrheit Goethes von der Einheit der Natur«. »Und in dieser Einheit liegt alles, auch das Schöne«. Zu neuen Welten sucht Bölsche neue Wege. In jenem selten gefundenen Gleichbesitz von naturwissenschaftlicher und dichterischer Befähigung erschließen sich ihm unendliche Weiten zu jenen fernen Weihnachtsinseln einer glücklicheren Zukunft, wie in den »Visionen auf dem Palatin«, oder in dem grandiosen »Gespräch mit der Peterskuppel«. Wie die Geheimnisse ihn dort umstellen, dort »wo so unsagbar viel Menschensehnsucht sich verblutet« und er sich dann durch alle die Weltirrungen und Wirrungen hindurchfindet an der Hand der großen Weltlogik und der Naturgesetzlichkeit. So weiht er schließlich die schönste Kuppel der Erde »einer lichteren Zeit, freieren Menschen mit reinerem Sinn«, einer ferneren Zeit, da die Forschung eine religiöse Tat und jeder echte Forscher ein Priester sein wird. W. Bölsche, Vom Bazillus zum Affenmenschen. 10. Tausend. br. M. 5.--, geb. M. 6.-- _Aus dem Inhalt_: Bazillus-Gedanken -- Wenn der Komet kommt -- Das Geheimnis des Südpols -- Die Urgeschichte des Magens -- Ein lebendes Tier aus der Urwelt -- Der Affenmensch von Java -- Das Märchen des Mars. _Deutsche Rundschau_: Gleicht die wissenschaftliche Forschung dem Abbau eines Bergwerkes mit edlen Metallen, so entspricht die Arbeit der Popularisierung derjenigen der Hüttenwerke, in denen man das Metall befreit von den umgebenden Gestein. Da ist es denn sehr erfreulich, in Wilhelm Bölsche bei jener vermittelnden Arbeit einen Mann tätig zu wissen, der als der Freund solcher Gelehrter wie Haeckel nicht nur des Vertrauens, sondern als Publizist von seltenen Fähigkeiten auch der Liebe seines Publikums jeder Zeit sicher ist. Der Titel deutet an, in welcher Richtung sich die Ausführungen bewegen. Den Gedanken einer natürlichen Entwicklung, die in ununterbrochener Arbeit die höheren Arten langsam aus den niederen entstehen ließ, jenen großen Gedanken, auf dem unsere gesamte moderne Naturwissenschaft basiert, möchte auch das vorliegende Buch Wilhelm Bölsches einem weiteren Kreise verständlich machen. Hier soll gezeigt werden, daß die ewigen Gesetze des Werdens sich an kleinen und kleinsten Fällen ebensogut beobachten lassen wie an den gewaltigsten. Essaybände von Wilhelm Bölsche. Wille. Emerson W. Bölsche, Hinter der Weltstadt. Friedrichshagener Gedanken zur ästhetischen Kultur. 4. Taus. br. M. 5.--, geb. M. 6.-- _Deutsche Rundschau_: Dieser Band gesammelter Aufsätze und Betrachtungen beschäftigt sich mit bedeutenden Männern und Erscheinungen des 19. Jahrhunderts, in dem sichtlichen Bestreben, aus der gesamten Natur- und Geisteswissenschaft dasjenige herauszustellen, was für das 20. Jahrhundert noch fortwirkende und vielleicht neu begründende Kraft haben dürfte. Das, worauf der Autor über ähnliche Bestrebungen weg hinaus will, bezeichnet er als ästhetische Kultur. Ein Zug von Nichtbefriedigtsein mit der Gegenwart, aber auch von Unverzagtsein der Zukunft gegenüber geht durch die aus diesem Buche zu uns sprechende Weltanschauung. Der Autor hat sich, wie er im Vorwort erzählt, aus dem Lärm der Hauptstadt Berlin in die Ruhe des weit draußen gelegenen Vorortes Friedrichshagen geflüchtet und überschaut nun von da aus auf seine Weise die Erträge des abgelaufenen Jahrhunderts. Er beginnt mit Novalis und endet die Reihe mit Fechner, den er gleichsam als naturwissenschaftliche und naturphilosophische Ergänzung des Dichters Novalis betrachtet. Dazwischen erscheinen Fontane, Heine, die Gebrüder Hart, Gerhart Hauptmann, Herman Grimm und die Ebner-Eschenbach. Seine März-Träumerei und der, wie mir scheint, sehr bemerkenswerte Aufsatz über die Freien Universitäten zeigen Bölsche in Ideen lebend, die weit verschieden von denen waren, welche ein Teil der von ihm behandelten Männer vertrat. Reicher Inhalt und anregende Kraft wohnen den »Friedrichshagener Gedanken« inne. Bruno Wille, Offenbarungen des Wacholderbaums. Roman eines Allsehers. 5. Tausend. 2 Bände. br. M. 8.--, geb. M. 10.-- _Friedr. Paulsen_: In Goethe waren Philosophie und Poesie eins, ihn verehrt darum auch unser Verfasser als seinen Schutzpatron. Ich erblicke in dieser Dichtung ein Anzeichen, daß die neue Fechnersche Naturphilosophie, wie sie mit der mathematischen Naturwissenschaft in enger Beziehung steht, so auch mehr ein dauerndes Bündnis zwischen Philosophie und Poesie bedeutet, als die alte, dem Namen nach spekulative, dem Wesen nach logisch-schematische Naturphilosophie. Ralph Waldo Emerson, Natur und Geist. 2. Tausend. br. M. 3.--, geb. M. 4.-- _Pädagogisches Jahrbuch_: Emerson will, daß wir »uns die Freuden eines ursprünglichen Verkehrs mit dem Universum sichern«, er möchte uns zum inneren Schauen verhelfen, und das innere Auge für die Natur öffnen. Überall wird hinter der Natur und durch die Natur der Geist, das eigentlich Schöpferische, sichtbar. Mit reichem Tatsachenmaterial sucht er die Zusammenhänge zwischen realen Dingen und menschlichen Gedanken, die unmittelbare Abhängigkeit der urwüchsigen Sprache von der Natur, die Umbildung der Lebenserscheinungen draußen zu Typen des inneren Erlebens nachzuweisen. Neue naturwissenschaftlich-philosophische Anschauungen Georg Rothe, Die Wünschelrute. Historisch-theoretische Studie. br. M. 2.--, geb. M. 2.80 Georg Rothe zeigt auf Grund historischer und wissenschaftlicher Forschungen, daß das Phänomen der Wünschelrute nichts Übernatürliches an sich hat, sondern lediglich ein Stück Natur ist, dessen Gebiet infolge der ablehnenden Haltung der Schulwissenschaft noch nicht genügend erforscht ist. Gleichwie der Hypnotismus heute wissenschaftlich anerkannt und zu Heilzwecken verwendet wird, so sollte auch die Wünschelrute den Physikern, Physiologen und Psychologen als Untersuchungsobjekt geeignet erscheinen, um ihre sehr wesentlichen Erfolge zu erklären und weiter ausnutzen zu können. Rothe gibt die erste wissenschaftliche Erklärung. Wilhelm Fließ, Vom Leben und vom Tod. Biologische Vorträge. br. M. 2.--, geb. M. 3.-- Hans Schlieper, Der Rhythmus des Lebendigen. br. M. 2.50, geb. M. 3.50 Wilhelm Fließ hat auf rein wissenschaftlicher Grundlage zwei neue Naturgesetze entdeckt, nämlich das Gesetz der zweifachen Periodizität, sowie das der Doppelgeschlechtigkeit aller Menschen. Sie erklären überzeugend, woher z. B. das konstante Verhältnis der Überzahl männlicher Geburten kommt, sie weisen nach, warum Krankheitsbazillen plötzlich erlöschen, z. B. bei Pest und Cholera. Fast klingt es wie ein Märchen, die neue Entdeckung führt den Nachweis, daß die Geburten innerhalb einer Familie in engem Zusammenhange mit den Todestagen der Vorfahren stehen. Schlieper führt die Untersuchungen im Tierreich weiter. Maurice Maeterlinck, Die Intelligenz der Blumen. 3. Taus. br. M. 4.50, geb. M. 5.50 _Über Land und Meer_: Der tief in die Geheimnisse der Natur eingeweihte Dichter legt uns hier mit ebensoviel Liebe und Innigkeit wie Geist und scharfer Beobachtungsgabe an einer Reihe der merkwürdigsten, erst in unserer Zeit recht gewürdigten Tatsachen dar, welch ungeheures Maß von Klugheit, Erfindungsgabe, List, Mut und andern seelischen Eigenschaften in der ganzen Pflanzenwelt fortwährend gegen die zahlreichen feindlichen Mächte aufgeboten und betätigt wird, um die Erhaltung der einzelnen Arten durchzusetzen. Er zeigt uns, daß jede Blume »ihre Idee, ihr System, ihre erworbene Erfahrung« hat und daß sie zuweilen irre geht in ihren Bestrebungen, genau wie der menschliche Geist. Maurice Maeterlinck, Das Leben der Bienen. 13. Tausend. br. M. 4.50, geb. M. 5.50 Gedruckt in der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Korrekturen: S. 21: Menschenlage → Menschenloge sonst unsere {Menschenloge} im All schützen End of Project Gutenberg's Komet und Weltuntergang, by Wilhelm Bölsche *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK KOMET UND WELTUNTERGANG *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. 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START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. 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