The Project Gutenberg eBook of Katastrophen: Neue Novellen This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Katastrophen: Neue Novellen Author: Juliane Déry Release date: February 28, 2021 [eBook #64652] Language: German Credits: a volunteer. (This book was produced from images made available by the HathiTrust Digital Library.) *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK KATASTROPHEN: NEUE NOVELLEN *** Katastrophen. Neue Novellen von Juliane Déry. [Illustration: Decoration] Stuttgart. Verlag von Adolf Bonz & Comp. 1895. Druck von A. Bonz' Erben in Stuttgart. Inhalt. Seite Der angekündigte Tod 1 Die Erbschaft 43 Rußland in Paris 87 Der erste Hirsch 133 Der angekündigte Tod. [Illustration: Decoration] I. Zur hundertjährigen Jubelfeier der französischen Revolution rüstete auch Karl Faber, ein junger österreichischer Dichter, zur Reise nach Paris. Die unverstandene erste Jugendzeit war gottlob vorbei; als ein weiser Genußmensch wollte er sich an das üppige Mahl des Lebens setzen. Er hatte einen gewaltigen Appetit, einen wahren Heißhunger -- Tischlein deck dich! Tischlein deck dich! Doch da fuhr der Teufel in ihn: nicht bloß daß er es mit seinem ehrlichsten Freund, einem einflußreichen Mann, gründlich verdarb, er zerschlug sich auch mit seinen Angehörigen. Einerseits beschämt, andererseits gekränkt, wollte er sich endlich auf die Reise machen, als der Wagen, der ihn zu Bahn fuhr, mit den Rädern in der Luft auf den Pflasterstein zu liegen kam. Karl, der mit einem Beinbruch davon gekommen war, mußte seine Abfahrt von Tag zu Tag verschieben, sich vom Frühling allerlei Verlockungen ins Ohr flüstern lassen und bei offenen Thüren wie ein Gefangener brüten: Leben, bist du so? Ziehst mit der einen Hand zurück, was du mit der andern reichst, willst nur Herzweh machen, narren? Mürrisch verzichtete er auf die Freuden der Seinestadt, und sobald er wieder auf den Beinen war, machte er sich nach dem bretagnischen Küstendorf Loctudy auf, wo ein weitläufiger Schwager von ihm auf einsamer Scholle saß. Das Meer sollte den Lustreisenden schadlos halten. Paris wollte er nicht mehr sehen. Zum Glück mußte die Fahrt dort gar nicht unterbrochen werden. Hurtig, Kutscher, zum Anschluß! Allein der Zug brauste Karl vor der Nase ab. Dieser fluchte, kratzte sich hinterm Ohr, suchte aber dann, um die Zeit bis zum Abgang des nächsten Zuges tot zu schlagen, den Gelehrten Laland auf, der ihn schon längst mit offenen Armen erwartete. Er fand ihn bei Tisch im Kreis fröhlicher Gäste. »Ein Glück,« rief der väterliche Freund, »daß Sie sich das Bein und nicht den Hals gebrochen haben!« »Keine Furcht. Ich stehe in Teufels Schutz!« »Der Teufel ist die Jugend!« lachte der Gelehrte; doch als Karl vom Weiterreisen sprach, verging ihm die gute Laune. »Der Lebensdrang stürmt in Ihnen, weiß nicht, wo hinaus, und macht Sie toll!« schalt er, denn er kannte ihn nur allzu gut vom Vaterhause her. »Was suchen Sie im Mai am Meeresstrand? Hier ist Ihr Platz! Der muß kein Herz im Leibe und keinen Verstand im Kopfe haben, der es über sich bringt, Paris links liegen zu lassen!« Alle empörten sich gegen den jungen Barbaren, alle wollten ihn in ihrer Mitte behalten. Frau Espinas, eine Schwägerin des Hausherrn, rief in ihrem Groll: »Ich wollte, Sie wären mein Sohn, dann würde ich Ihnen die Grillen schon austreiben!« Auch Fräulein Andrée, die jugendliche Tochter der Dame, eine feine Brünette von gleichsam geheiligtem Liebreiz, suchte mit ihren aufstrahlenden, ahnungsvollen Augen dem Ausreißer ins Gewissen zu reden. Weiß Gott, dir zu Liebe bliebe ich gern, dachte Karl -- doch nein! »Der Zufall hat mir bereits einen Streich gespielt, ich darf ihn mir nicht über den Kopf wachsen lassen,« entschied er und fuhr richtig weiter. Unterwegs riß ihn ein höllisches Gerüttel aus dem Schlaf, und zugleich fühlte er sich wie von wuchtiger Hand zu Boden geschleudert. Stockfinstere Nacht umgab ihn, der Nachhall von Donner und Brausen dröhnte in seinem Hirne, und aus einer Ecke stöhnte sein Reisegefährte, ein hochstämmiger Abbé aus Guimper: »Ich sterbe, so 'was ist mir noch nicht vorgekommen!« Karl lauschte, ob es Rettung galt oder Verderben, gleichviel, er war nicht verzweifelt, nur aufgeregt, besonders aber ungeduldig. Endlich blitzte ein Licht auf, ein Bahnbeamter trat mit einer Laterne an das zertrümmerte Fenster und sagte in unwirschem Ton: »Bitte, sich zu beruhigen, es ist bloß eine Zugsentgleisung.« Sollt' ich mir diese Reise vielleicht doch aus dem Kopf schlagen? überlegte Karl. Unsinn! widersprach er sich sofort: das wäre, als wenn man nicht einmal seinen Willen haben könnte; und war nicht eher froh, bis er in einem neu herbeigeschafften Zug seines Weges weiter fuhr. Auf der Endstation erwartete ihn das Gefährte des Gastfreundes. Eine alterslahme Stute von kleiner Rasse bildete des Gespann; Guillot, der Knecht, ein untersetzter Bursche mit den Zügen eines Helden und dem Blick eines zahmen Tiers, nannte sie Carabine, »mein Engel, mein Liebchen!« und zerbrach auf der kurzen Fahrt den Peitschenstiel auf ihrem Rücken. Fichten mit gekrümmten Stämmen und buschigen Kronen umgeben Herrn Briacs Haus, zwischen ihrem Laub schimmerte das Meer, und die Luft war voll würzigen Salzes. Da kam auch schon der Hausherr zum Vorschein, ein herrlicher Greis, muskelstark, sturmfest, nur etwas schwach auf den Füßen. Gyp, sein weißer Hühnerhund, hinterdrein. »Willkommen!« rief der Alte erst höflich wie einer, der sich in sein Schicksal fügt; doch der ins Haus geschneite Verwandte mit seinem kühnen, fröhlichen Gesicht, als könnte er die ganze Welt in seine Tasche stecken, gefiel ihm, und aufatmend wiederholte er: »Willkommen!« Statt Einkehr zu halten, zog ihn Karl nach der nahen Bucht, die, von Fichten umrandet, wie ein tiefblauer See in der Sonne lag. Kleine und große Schlösser, darunter ein flammrotes mit Türmen und Zinnen, schmückten das Ufer. Er hatte sich das Meer in allen seinen Gestalten ausgemalt, nur nicht so anmutig, und hatte im Geiste alle seine Stimmen vernommen; aber Aug' in Aug' mit ihm schwieg es. Enttäuscht, voll Ungeduld starrte er es an und wollte alle Eindrücke auf einmal empfangen. Vor ihm lagen mehrere Boote vor Anker von geschmeidigem Bau, mit dünnen Masten, ähnlich den Segelbooten, auf denen er die heimatlichen Seen oft befahren. Da sah man die »Caprice«, den »Druid«, die »rote Fliege«, eine stattliche kleine Flotte, der Stolz des Hausherrn. »Nun, wie geht's daheim?« erkundigte sich dieser. »So, so!« sagte Karl. Ihn verlangte, schnell eine Fahrt zu wagen. Zu seinen Füßen schwamm ein kleines Floß, er sprang darauf, stemmte das Ruder auf den seichten Grund und lenkte gegen die Boote. »Ich will nur sehen, ob ich etwas tauge!« rief er, indem er sich an Bord des »Druid« schwang. Guillot sprang zu seinen Diensten herbei, der aufs Angenehmste überraschte Alte klatschte ihm Beifall zu, und so löste er die Stricke, lüftete die Segel, zog den Anker ein und stach in See. Ein guter Wind war gleich zur Stelle, halb schwimmend, halb fliegend ging es vorwärts an der Insel Tudy vorbei in den Ozean hinaus. Das Fahrzeug begann zu schwanken, Delphine schlugen in der Ferne Räder, und unter den buhlerischen Wellen lag die unbekannte Welt. Entzückt atmete er die Luft, die noch nicht geatmet worden war, und jauchzte: »Wie schön bist du, Ozean! Der harte Rücken der Erde behagt mir nimmer. Du bist gewaltig und hingebend, ich liebe solche Naturen. Selbst in deinen Armen noch sehn' ich mich nach dir!« Um ein Glücksgefühl reicher, setzte er sich an jenem Strande fest und blickte mit trunkenen Augen in die Welt. Vor ihm lag England, Amerika, und als wäre er in aller Herren Ländern erwartet, um königlich empfangen zu werden, rief er der Ferne zu: »Auch dir werde ich die Ehre erweisen, doch erst will ich hier schalten und walten!« Gleich einer dienenden Gottheit schien ihn das Meer einzuladen: Komm, du sollst meine Wunder sehn! Demütig bat das Ufer: Bleib! Und in andachtsvollen Momenten hörte er den Himmel fragen: Soll ich meine Thore öffnen? Er schien nur noch der Begeisterung fähig. Wie bewunderte er den Alten, der geduldig seine Jahre zählte, sich von früh bis Abend abmühte, seine Schiffe in guten Stand zu setzen, Netze und Stiefel für den eigenen Gebrauch zu verfertigen, und der auch seinen Sarg schon zurechtgezimmert hatte. Wie köstlich mundeten ihm die frischgebackenen Sardinen, zubereitet von Guillot, dem Knecht, Kammerdiener und Koch in einer Person. Still und herrlich lebte es sich in dem alten Haus ohne Hausfrau mit seinem Drunter und Drüber. Stand auch im Gewächshaus alter Trödel, und stieß auch der Pferdestall an die Gemächer, so war doch selbst der Stall von Rosen umblüht, und unter dem morschen Balkon girrten Tauben. Das kniehohe Farrenkraut auf den steinigen Feldern sah er für einen üppigen Garten an, und die Kohlmeise, die im Feigenbusch unter seinen Fenstern sang, für einen Künstler, ein Genie. Von Zufriedenheit überwältigt, wollte er hier sein bestes Buch schreiben, eine philosophische Abhandlung über das Glück der Kreaturen, und weil er sich in Geldverlegenheit befand, kündigte er das kaum begonnene Werk auch schon seinem Verleger an. Mit Papier und Stift versehen, schiffte er in der Bucht umher, durchstreifte die bald felsigen, bald sanften, muschelbestreuten Ufer oder harrte dort, den Himmel über seinem Haupt und zu seinen Füßen, im Sand ruhend, der Flut. Bereitwillig stürzten die Wellen herbei: Wir kommen! warte! weich nicht von der Stelle! Allein er dachte: So ist's nicht gemeint, schöne Nixe, damit hat's noch gute Weile, und brachte sich in Sicherheit. Nur die Arbeit wollte ihm nicht gelingen, die Gegenwart erfüllte sein Herz, die Einbildungskraft erschlaffte, und mit den inneren Stürmen verstummte auch das Talent. Das Glück macht mich dumm. Kann man dem Glück etwas verargen? dachte er. Doch als der Verleger zur Antwort gab, er müßte sein neues Buch ablehnen, weil sein altes keinen geschäftlichen Erfolg erzielt, bekam er vom Glück eine andere Meinung: Freund, Familie, Erwerb -- alles war dahin! Ihm blieb nichts als das nackte Leben und der tolle Mut. Warum sich eine Laune versagen? Und über Hals und Kopf stürzte er sich in ein wildes Seemannsleben. Er zählte nicht auf den Morgen, sein Treiben gefiel ihm, drum nur zu! nur zu! Auf dem schnellsten, unsichersten Fahrzeug versuchte er Wind und Wetter. Wenn die Wogen aufwärts strebten, die Wolken herabsanken und der Sturm beide vereinte, that er die Sinne auf, als gälte es, zu genießen. Im Kampfe gegen die Elemente stand er allein, ein Individuum, selbst ein Element. Wüte, Ozean, erhitz' mir das Blut! Welch ein Ozean! Welch ein Himmel! War das ihr wahres Gesicht? Oben zuckte der Feuertod, unten harrte der nasse Tod, ein ganzes Heer von Toden erstand auf zur Feier der herrlichsten Naturerscheinung. Lachend schlug er sein Leben in die Schanze, kämpfte darum wie um seine Ehre, und selbst ein jähzorniger Patron, sah er der Verwüstung achtungsvoll zu. Die Klippen bei Lesconil waren vollends gefahrvoll. Wohlan, auf nach der Felsenküste Lesconils! Die Fischer von L'ile Tudy wurden seine Genossen, Tage und Nächte verbrachte er mit ihnen auf dem Fischfang und schlief nie getroster, als am Bord ihrer Barke. Nur daß nachts einmal der Sturm losbrach und trotz seiner und seiner Kameraden mannhaften Verteidigung das Boot umschlug. Karl hatte einen Schiffsjungen erfaßt, dessen erste Seefahrt das war, und hielt ihn mit sich über Wasser, indem er sich gleich den anderen am Schiffsbein festklammerte -- stunden- und stundenlang. Das Meer hatte sich ausgetobt, der Morgen brach an. Hoffnungslos, doch erwartungsvoll starrten die Schiffbrüchigen in den öden Raum. Ihre Hände zitterten nicht, sie tauschten mit einander kein Wort, keinen Blick, und selbst der Knabe in Karls Armen zeigte Mannesmut. Wie erschien diesem plötzlich das träge, genußsüchtige Treiben seiner Landsleute daheim nichtssagend und närrisch! Endlich hatten die Lootsen von Beg-Mell Hilfe herbeigeschafft. Doch war das nicht sein einziges Abenteuer. Als er von Benodet, wohin er auf der »roten Fliege«, einem morschen Boot, gesegelt war, wieder aufbrechen wollte, machte ihn ein dortiger Schiffskapitän auf das aufsteigende Gewölk aufmerksam. Soeben hatte dieser beim heißen Grog den Untergang dreier stark bemannter Fischerboote bei St. Malo berichtet und riet ihm eindringlich, über Nacht zu bleiben. Doch redete er tauben Ohren. »Ich liebe die Bequemlichkeit!« rief Karl und stieß wohlgemut ab. Doch bevor er die Bucht verließ, blieb sein Boot an einer Klippe hängen. Umsonst versuchte er, es flott zu machen. Der Felsen schien ihn mit aller Gewalt zurückhalten zu wollen. Warum nicht gar! Er warf den Anker aus, kletterte über die von der Ebbe bloßgelegten Felsen ans Ufer und holte einen Matrosen herbei, mit dessen Hilfe es ihm endlich gelang, ins Fahrwasser zu kommen. Es hätte ihm können teuer zu stehen kommen! Auf hoher See ereilte ihn das Wetter. Das Boot tanzte, der Mast bog sich und krachte. Karl verlor die Steuerung, und der Sturm entriß die durchtränkten Taue seinen unsicheren Händen. Zum erstenmal verließ ihn seine Seemannsweisheit, und der betrunkene Matrose bot ihm schlechten Beistand. Bei einem Haar wären sie umgekommen, als plötzlich der Wind das Schiff erfaßte und, gutmütig keifend, es nach Benodet zurücktrieb. Schon strahlte der Leuchtturm in die Finsternis. Auf der Landungsbrücke stand der Schiffskapitän. »Ich hab' schon das Kreuz über Sie gemacht!« lautete sein Gruß. »Sie hatten zu viel Segel. Was wagen Sie sich auf die See, wenn Sie nichts vom Handwerk verstehen?« Doch Karl kannte keine Gewissensbisse. Eine junge englische Malerin, deren Bekanntschaft er beim Schein des St. Petrifeuers im Kreise einer Bauersfamilie gemacht hatte, bat er um ein Stelldichein in Pen-Mark auf der »Felsenplatte der Opfer«, wo laut Inschrift Frau Goëllec mit ihren beiden Töchtern von einer Welle lautlos, spurlos weggeschwemmt worden war vor den Augen des Gatten und Vaters, des Präfekten von Finistère. Selbst unter diesem bleiernen Himmel, wo die Felsenriffe in Gestalt von reißenden Tigern und Löwen in die Höhe ragten, angesichts dieses bösen Meeres und des steinigen, mit faulem Tang bedeckten Strandes, wo Geister zerschellter Schiffe und ertrunkener Seelen zu wehklagen schienen, und wo selbst die Rettungsboje und der Leuchtturm, wahre Sehenswürdigkeiten in ihrer Art, den Eindruck drohender Verwüstung erhöhten, verlor Karl seinen Humor nicht. Er war ein Naturanbeter; sorglos sein hieß bei ihm fromm sein, und da seine hübsche Begleiterin etwas eingeschüchtert schien, predigte er ihr Moral: »Seien wir zärtlich, seien wir tapfer! Es gilt, das Leben zu nützen und sterben zu wissen. Alles zu seiner Zeit!« II. Eines Abends saß Karl, um auch seiner Pflicht als Gast zu genügen, mit dem Alten daheim beim Kartenspiel. Aus der Bucht strahlte der rote Mond zu den offenen Fenstern empor, hier und da zog eine Barbe glänzende Streifen in die sprühenden Wellen, und zwischen dem bläulichen Himmel und der bläulichen Erde schien alle Luft zu glühen. Raben kreisten wie am helllichten Tag krächzend in den Fichtenkronen. Bravo, Natur, bravo! dachte Karl. Indessen erzählte der Alte von seiner früheren Laufbahn als Zolleinnehmer und Züge aus seinem Einsiedlerleben. Neidisch streifte sein Blick die blühende Gestalt des Gastes, als wollte er sagen: Dir gehört die Welt! In einer Anwandlung frohen Selbstgefühls warf dieser die Karten hin und rief: »Sie sind ein Hexenmeister, heißt es weit und breit und können wahrsagen. Frisch, lassen Sie mich die Zukunft wissen!« »Verlangen Sie das nicht. Ich bin ein Unglücksprophet, und meine Prophezeiungen pflegen sich zu erfüllen,« warnte der Alte. Doch als Karl unter stürmischem Lachen auf seinem Einfall bestand, mischte er die Karten, ließ abheben, zählte, ordnete, verglich sie und versank in tiefes Nachsinnen, wie in Geisterbeschwörung. Mit seinem silberweißen Bart und dem frischen Antlitz sah er aus wie der liebe Gott. »Ich sag' ja, das heißt die Hölle versuchen!« rief er zusammenschauernd. »Nichts mehr davon! Gehen Sie schlafen und träumen Sie süß, heute ist ja Vollmond, da träumt man die Wahrheit.« Ein lustiges Lied aus der Heimat summend, ging Karl zur Ruhe, um bald in einen kräftigen Schlaf zu fallen. Plötzlich vernahm er einen ohrzerreißenden Schrei. Ein Käuzchen, groß wie ein Mensch, kam herangetrippelt, nach Art alter Mütterchen mit einem Umhängtuch bekleidet, bewegte wie diese rührig seine dünnen Beine, wackelte mit dem hohläugigen Kopf und ließ noch einmal seinen abscheulichen Lockruf ertönen und noch einmal. Karl fuhr auf. In den grauenden Tag erscholl der laute Ruf seines Namens. »Was giebt's? wer ruft?« fragte er. »Wenn Sie den Sardinenfang mitmachen wollen,« rief Guillot von unten, »die Fischer auf der Insel schiffen sich ein, es ist die höchste Zeit.« »Ich komme!« rief Karl, fuhr rasch in die Kleider und ruderte zu den Harrenden. Nach zwei Tagen kehrte er wieder, um einem ländlichen Fest beizuwohnen, das Herr Coëtlogon, der Besitzer des roten Schlosses, seinen Nachbarn gab. Karl, der alles, nur kein Grillenfänger war und sich besonders aus Träumen nichts machte, tanzte mit den Bauerndirnen die Gavotte, als wäre er dabei aufgewachsen. Die pausbackigen Schönen mit den stillen Duldermienen waren keine leichte Bürde. Bei Tafel, wo man zufällig zu Dreizehn saß, und wo dieselben Gerichte aufgetragen wurden wie kürzlich beim Diner des Herrn Quinot, des Nachbars und Wetteiferers Herrn Coëtlogons, unterhielt man sich lebhaft über die Fragen: Wie teuer der Hausherr seine Kredenz bezahlt? Ob Frau Cosmao ihre Baumschule verkaufen wollte? Und über die Beschaffenheit eines Seegelbootes, das jüngst in Guimper versteigert worden war. Doch Karl brachte das Gespräch in würzigeren Fluß, machte dem Fräulein Coëtlogon auf Tod und Leben den Hof, desgleichen Fräulein Quinot, ließ sich von Frau Cosmao auszeichnen und ging in lauter Scherz und Freude auf. Tags darauf war Sonntag, und auf dem Kirchplatz gab's einen großen Preiswettlauf in Säcken. So oft die Bauernburschen, Prachtgestalten mit ihren spanischen Beinkleidern und dem goldgestickten Brustlatze, in Säcke krochen und wie lebende Säcke mit Menschenköpfen fortkollerten, bis sie sich überschlugen und der Länge nach hinfielen, lachte er wie ein Riese; der Strand hatte noch nie ein so inniges Lachen vernommen. Doch ein trüber Morgen folgte jenem Sonntag, und während er mit dem Frühesten ins Meer hinausfuhr, um die am Abend ausgeworfenen Netze einzuziehen, besann er sich, daß ihm nachts von den Seinen geträumt, von Zwist und Hader, und daß er feierlich ausgerufen habe: Ich werde Eure Schwelle nie mehr übertreten! Und wie an etwas Zusammenhängendes dachte er plötzlich an das entsetzte Gesicht, das der Alte beim Kartenaufschlagen gemacht, und wie diesem vor Schrecken das Wort auf den Lippen erstarrt war. Warum? Dichter Nebel deckte das Meer. Zum erstenmal wollte er den Fischfang allein einheimsen. Lange suchte er nach dem Ankerflott. Den Fuß auf die Spitze des schaukelnden Kahns gestellt, beugte er sich vor, den schweren Stein emporzuziehen. Ein Ausgleiten, die leiseste Bewegung, und er stürzte in die Tiefe. Was hatte in den Karten gestanden? Der Nachen füllte sich mit triefenden Tauen, Tang und Moos, daß er sich beugte, und das Brett, worauf sein Fuß stand, wurde naß und glatt. So zog er Netz für Netz ein, die außer einem roten Knurrfisch nichts als Meerspinnen und Krabben enthielten, und kehrte heim mit seinem armseligen Fang. Besorgt harrte der Alte am Ufer. »Was Sie aus den Karten gelesen, war mein baldiger Tod?« fragte Karl. »Ja,« lautete die Antwort. »Ausgezeichnet!« lachte Karl. Die liebenswürdigste Stimmung überkam ihn scheinbar, und als hätte er jenen vollends ins Herz geschlossen, wich er ihm nicht von der Seite und wurde nicht satt, von der Zukunft zu reden. Nächstes Jahr wolle er ins Gebirge, aber im zweitnächsten Sommer wiederkommen, vielleicht in Begleitung seiner jungen Frau, wenn er das Heiraten nicht lieber werde sein lassen, um mit freien Schwingen seinem Ziele zuzustreben, das er bestimmt erreichen werde kraft des Gesetzes, laut dessen die Alten den Jungen weichen mußten. Gespannt beobachtete er dabei die Miene des Alten und war ihm in tiefster Seele gram. Kürzlich war ihm der Einfall gekommen, die »rote Fliege« frisch zu überstreichen, er war eigens zu Wagen nach Pont l'Abbé gefahren, um Zinnober zu kaufen, und die Arbeit hatte ihn sehr interessiert. Doch nun wollte er nichts mehr davon wissen, indem er dachte: Ich seh' nicht ein, warum ich dieses Gerümpel vor meinem Ende noch in neuen Stand setzen soll. Als der junge Coëtlogon ihn zu einer Segelpartie für den nächsten Tag einzuladen kam, antwortete er überlegend: »Ja, ich weiß nicht, ob ich morgen noch am Leben sein werde, aber ich will trachten. --« Das Meer lockte ihn nicht mehr. Was hör' ich? Du willst mich verschlingen? So! so! dachte er. Lebhaft stellte er sich vor, wie ihn Carabine auf der nächsten Fahrt auf einen Steinhaufen hinschleudern, oder wie ihm die schwarze Zwergkuh, die im Farrenkraut vor dem Hause graste, einen Stoß in den Leib versetzen würde, machte sich mit dem Gedanken vertraut, daß sein Leben von der Laune einer elenden Schindmähre oder einer zahmen Kuh abhing, wunderte sich nur, daß die Bäume so ruhig dastanden, statt über ihn zu fallen und ihm den Kopf zu zerschmettern, und wenn er bei Tisch den Zweifel hegte, daß Guillot, der Schmutzfink, die kupfernen Töpfe vor dem Gebrauch gereinigt hatte, beeinträchtigte die Aussicht, vergiftet zu werden, seinen Appetit durchaus nicht. »Daß der Teufel einem doch immer ein Ei in die Wirtschaft legt!« klagte einmal der Alte. »Louis Carjou liegt im Sterben. Es nützt nichts, ich muß ins Dorf zu ihm, eh' er den Geist aufgiebt, sonst nimmt er's mir übel!« »Da halt' ich mit!« rief Karl. Trotz der Mittagsglut drang er darauf, aufzubrechen. »Ich will mir das ansehn!« murmelte er unterwegs. Schon hörte er im Geiste Louis Carjou ein Wehgeschrei erheben, die Nachbarn umringten ihn, nun fuhr er im Bette auf, ihn erfaßte die Verzweiflung: »Der Tod! Zu Hilfe, zu Hilfe!« Die Weiber beteten und weinten, den Männern war feierlich zu Mute, und ein Schulknabe rief gelehrt: »Du mußt atmen, Vater Carjou, atmen, atmen!« ... Karl hatte aus den Trümmern eines abgebrannten Theaters Hunderte von Leichen hinaustragen sehen, er war erschüttert, nicht erstaunt gewesen, Verwandte und Bekannte von ihm waren gestorben, warum nicht? Hatte er sich doch selbst dem Tod, einem Abenteuer so gut wie einem andern, willig in die Arme werfen wollen, aber jetzt hatte er über ihn nachgedacht, ihn gewissermaßen entdeckt: er bäumte sich auf, es ging ihm nicht in den Kopf, und er verachtete sich und alle, die da sterben mußten. Der Alte erriet seine Gedanken und bemerkte schuldbewußt: »Carjou ist ein hoher Siebziger. So ein Bauer, der jahraus jahrein kein Fleisch sieht, stirbt hin wie eine Fliege. Wenn man alt und schwach ist, soll Gott einen vor Krankheiten bewahren.« Endlich erreichten sie Carjous Haus. Kinder spielten vor der Thür, ein paar junge Schweine mit rosigen Mäulern und Ohren sprangen im Flur auf und davon, allein die Stube mit den messingbeschlagenen Eichschränken und den schrankartigen Betten war leer. »He, Carjou! Carjou!« rief der Alte und fragte die herbeigeeilte Bäuerin, wo der Sterbende denn steckte. »Nicht zu Hause,« sagte das Weib. »Der Großvater arbeitet auf dem Kartoffelfeld.« Und um mich sollte es geschehen sein! dachte Karl. Ihn floh der Schlaf. Zum Teufel mit den Gedanken! dachte er eines Nachts, und um die Geister zu bannen, suchte er, so wie er aus dem Bette stieg, den Alten in seiner Stube auf. Der erschrak nicht wenig. »Bei Gott, ich glaubte ein Phantom zu sehen,« stammelte er. Man hält mich schon für ein Gespenst, die Sache macht sich! meinte Karl und ballte die Fäuste. Also von der Bretagne ging es ins Totenreich? Jener Bahnunfall wäre nichts als die Mahnung gewesen: Geh nicht ans Meer, dort gähnt dein Grab! Da erblickte er sich im Spiegel. Das Licht in seiner Hand beschien seine Züge. Sie waren bleich und fahl. Ich zieh' einen Wahnsinn in mir groß, bring' mich selbst ins Grab, und da beklag' ich mich noch! brauste er im stillen auf und sagte selbstbespöttelnd und um den Alten zu versuchen: »Ich will mein Testament machen. Wer weiß, was einem zustoßen kann! Nicht wahr?« Ein Wort des Tadels, des Zuspruchs hätte ihn wieder aufgerichtet, allein so recht als ein abgespannter, im Schlummer gestörter Greis sagte jener, sich und alle Welt beklagend: »Gewiß sollte man sich bereit halten. Die Alten müssen, die Jungen können. Glauben Sie mir, je eher desto besser!« und solche Redensarten mehr, die für Karl ebenso viele Behauptungen waren: Du mußt aus der Welt! Friede deiner Asche! In seinem Hirn sauste es, und er hatte nicht übel Lust, sich an dem Alten zu rächen. Ich muß doch noch bei Kräften sein, ich kann ja noch morden! beruhigte er sich. Dieses Eulennest in Brand stecken, mir eine Kugel durch den Kopf jagen! Was alles könnt' ich nicht? Ängstlich horchte er auf, als müßte es eine Stimme von außen bekräftigen, daß er allerdings sein eigener Herr und Gebieter war, sich keineswegs ein solch jähes, unwürdiges Ende mußte gefallen lassen und in Erbitterung gegen seine Angehörigen, schuldbeladen gegen den Freund, in der Fremde umkommen wie ein Hund. Auf dem Nachttisch lag staubbedeckt eine alte Bibel. Seine Schwester pflegte die Bibel um ihr Schicksal zu befragen. Was hatte sie stets für ein drollig banges Gesicht gemacht bei der Frage: Werd' ich bald heiraten? bis die Antwort auf Ja gelautet hatte, und sie unter die Haube gekommen war. Glühend vor Erregung griff er nach dem Buch, schlug es auf und las die Stelle, wo es heißt: »Laßt uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot.« »Ich will nicht!« schrie er und warf das heilige Buch zu Boden. Er war zu markig, zu willensstark, um den Atem auszuhauchen. Was war der Tod? Wenn man im Meer ertrank, oder wenn einen der Blitz erschlug. Wohlan, er wollte das Meer meiden, sich nicht ins Gewitter begeben und sterben, wann's ihm beliebte! Mit wüstem Kopf streifte er andern Morgens am Strand umher. Er sah den brennenden Felsengrund der Insel, den englischen Dreimaster, der zum Einkauf von Hummern nachts eingelaufen war, die schöne, in Luft und Meer getauchte Landschaft, indem er sich zweifelnd fragte: Ist das Schauspiel vor meinen Augen nicht bloß Einbildung? Ich war nicht und werde nicht sein, bin ich denn? Unweit vom Ufer stieg Guillot am Bord des »Druid« umher, bemüht, das Regenwasser aus dem Schiffsraum zu entfernen. Heute noch sollte Karl mit ihm nach Concarnot fahren, um dort bei der großen Wettsegelfahrt den ersten Preis davonzutragen. »Ich will mich waschen,« versprach Guillot freudig, »und mein Matrosengewand anziehen. Sie sollen mit mir Staat machen!« »Ich fahre nicht!« rief Karl. Jener warf den Kübel hin, sprang mit seinen nackten Beinen in das niedrig stehende Meer und watete zu Karl, um ihm den Bauernspruch ins Gesicht zu sagen: »Es scheint, Sie wollen sterben? Nur im Tod verändert der Mensch seinen Charakter.« »Hunde!« knirschte Karl, der sich von der ganzen Menschheit angegriffen sah, und packte den Vorwitzigen beim Kragen. Der kannte derlei schlechte Späße; er hatte früher beim Herrn Coëtlogon gedient. »Na, Sie profitieren ja bei uns!« meinte er. »Hast recht,« meinte Karl. Ich muß das Gift los und wieder der Alte werden! dachte er verzweiflungsvoll. Instinktgemäß verlangte er nach Frauengesellschaft, nach müßigem Geplauder, und so spannte er denn Carabine vor das Gefährte, um Frau Cosmao einen Besuch abzustatten. Sein Weg führte an der »großen Mühle« vorbei. Der Müller und sein Sohn hatten vor Jahr und Tag mit ihren Nachbarinnen, Mutter und Tochter, Hochzeit gemacht und führten in der einzigen Stube der Mühle gemeinsamen Haushalt. Das Mühlrad ruhte jetzt, und vor der Thür lag der junge Müller, das aufgedunsene Gesicht der Sonne zugekehrt, starr und leblos im Staub. Karl hielt ihn für tot. Ihn schauderte. Gab es etwas Widerwärtigeres, als eine Leiche? Wilder Schmerz erfaßte ihn, die schöne Erde so geschändet zu sehen, er hätte sich niederwerfen und bitterlich weinen mögen. Da trat die junge Müllerin aus dem Haus, ein blühendes Geschöpf von kaum sechzehn Jahren mit gerader Nase und strahlenden, weitgeschlitzten Augen. Sie drückte ihren Säugling an sich, und als ob sich ihr Elend von selbst verstünde, sagte sie einfach, fast würdevoll: »Das ist mein Mann, er ist betrunken, der schlechte, schlechte Geselle!« »Ha, ha, ha!« Karl lachte auf, und in der Überzeugung, daß der Mensch nicht wert war, daß er lebte, nahm er für den Tod Partei und lobte ihn in gönnerhafter Weise: Du hältst die Jugend heilig, Meister aller Meister! Ja, der bist du, Tod, doch ich bin auch etwas: ein Mann, ein leichtes Blut, ein Unkraut, das nicht verdirbt! In heiterster Laune kam er bei Frau Cosmao an. Vor nicht langer Zeit hatte diese ein kleines Bauerngut um einen Spottpreis gekauft, drauf ein Schlößchen bauen lassen und Haus und Garten mit dem schönen Namen Kergazon bedacht, dem Land und Leute, ja selbst die Post, Rechnung tragen mußten. In ihrem Salon hing eine Sparbüchse mit der Inschrift: »Heiliger Joseph, zahle meine Schulden.« Sie war schrecklich angezogen, aber noch frisch, eine gesunde Brünette und Witwe war sie auch. Gern ging Karl auf ihre mutwilligen Scherze ein, er allein sei der Mann, ihr Sohn und Gatten zu ersetzen. »Sie haben viel von meinem Sohn,« versicherte sie lebhaft, »er war in Ihrem Alter und das Leben selbst, wie Sie.« »Und ob er mir ähnlich war!« rief er, als er das Bild des stattlichen Schiffsfähnrichs zu sehen bekam. »Sogar die zusammengewachsenen Brauen hatte er mit mir gemein.« »Was ein Zeichen frühen Todes sein soll,« fiel sie ein. »Sollten Sie glauben: Wie gestern schrieb er mir um Geld, ich antwortete ihm wie heute: Aber mein Sohn, man muß doch auch an die Zukunft denken! Und wie morgen war er tot. Er durchtanzte die Nacht, that einen Trunk, und aus war's.« Da stand der Teufel wieder an die Wand gemalt! Vollends die Besorgnisse der liebenswürdigen Frau, mit denen sie ihm in den Ohren lag: »Was ist Ihnen? Sie müssen krank sein! Schicken Sie doch nach dem Arzt. Wir haben hier miserable Ärzte. -- Wollen Sie nicht unseren Friedhof sehen?« Auf ihren Wanderungen durch das Dorf waren sie hingeraten. Feierlich trat sie an ein reichbepflanztes Grab und die Palmenblätter liebkosend, flüsterte sie zärtlich: »Mein Sohn! mein Sohn!« Er faßte sich am Kopf. Starr lagen die Gräber da. Voll Schauder gewahrte er die Ruhe über ihnen. Wie geht's, Herr Schiffsfähnrich? höhnte er. Sieh, deine Mutter weint gerührt und hat ein hohes Kreuz aufrichten lassen, damit die Leute schon von weitem sehen, wo ihr Herzblatt fault! ... »Sie können recht haben, Madame,« sagte er gepreßt. »Auch unser Freund prophezeit mir ein baldiges Ende.« »Der Unglückliche!« rief sie schreckensbleich, »er hat es auch meinem Sohn geweissagt!« Dummes Geschöpf, alte Närrin! dachte er und machte, daß er fortkam. Jugendneider! Verruchter Hellseher! fluchte er. Ihm war heiß und kalt, und als hätte der Himmel ein Loch bekommen, verspürte er einen scharfen Luftzug auf Erden. Wie waren in ihm alle Lebensgeister aufgeschreckt, als er wieder die Mühle passierte. Der junge Müller hatte seinen Rausch ausgeschlafen und lud nun schwere Säcke auf einen hochrädrigen Karren. »Was würdest du dazu sagen,« redete ihn Karl an, »wenn du in einer Stunde sterben müßtest?« »Ich werde nicht in einer Stunde sterben.« »Wie kannst du das wissen, du Narr?« Schmunzelnd zeigte der Bursche seine flache Hand. »Ist Ihnen eine längere Lebenslinie schon vorgekommen?« »Seid ihr doch kundige Leute hier zu Lande!« spottete Karl, doch hochklopfenden Herzens beugte er sich herab und hielt die offene Rechte hin. Ein Blick darauf genügte dem Kenner. »Mitten in der ersten Hälfte durchschnitten,« sagte dieser. »Das stimmt!« rief Karl, dankte für die Auskunft und hieb auf Carabine los, daß das alte Rößlein junge Beine bekam. Sein einziges Gefühl war: mich bringt Ihr nicht in Verzweiflung! Euer Gefasel geht mir bei einem Ohr herein, beim andern hinaus. Die Natur weiß nichts von eurer Hexenweisheit! Jener Felsen bei Benodet, an dem mein Boot hängen blieb, wollte mich vor Gefahr bewahren, und obwohl ich ihr doch in die Arme rannte, wurde mir kein Haar gekrümmt! ... In der Ferne sah er das Meer erglänzen. Ihm schlug das Herz vor trotziger Freude. Seine Pulse flogen. Der Wille zu leben erfaßte ihn wie Fieber. Wie das Meer lockte! Wie der Himmel strahlte und die Luft berauschte! Er war wieder ganz Vertrauen, Sehnsucht. Endlich daheim, eilte er an den Strand, hißte auf dem ersten besten Boot die Segel auf und fuhr ins Meer hinaus. Was war das wieder für ein Meer! Was waren das wieder für Farben! Wie schweres Gold rollte die Sonne nieder, netzte sich und tauchte in die Wellen. Je tiefer sie versank, umsomehr wuchs und glühte sie. In der Ferne bewegte ein Segelboot anmutig seine weißen Wipfel, hüllte damit die Sonne ein und schwamm dann sieghaft weiter. Noch einmal erhob sie ihr strahlendes Haupt. Bleib! verweile! bat Karl. Allein die Sonne schied. Da erfaßte ihn die Angst. Zum erstenmal in seinem Leben. Ja, der Waghals zitterte vor dem Meer jetzt, da es wie ein schlafendes Kind sanft zu seinen Füßen lag. Kein Lufthauch regte sich, wie angewurzelt stand das Schiff, dem Sinnverwirrten war es aber, als ob ihn tausend Wasserarme emporhielten, schaukelten, mit ihm ihr Spiel trieben, um Rache an ihm zu nehmen. Jetzt unterzugehen war sein Schicksal, er fühlte es; doch wollte er seinem Schicksal entrinnen. Fort! Fort! Er pfiff nach Seemannsart, den Wind herbeizulocken, vergebens. Ihm war zum Ersticken, einem Schwindel nahe, ergriff er die Ruder, um uferwärts zu streben. Mit schweißbedeckter Stirne erreichte er die Insel, die näher als die Küste lag, und drängte sich dort durch alle die Männer, Weiber, Kinder und Gänse nach dem Gäßchen, an dessen Ende das Kirchlein mit dem sternförmigen First sich erhob. Aufgebracht, rechthaberisch trat er ein. Weihrauchduft und Fischgeruch strömten ihm entgegen. Eine Öllampe glimmte am Altar. Wie gebannt näherte er sich der Flamme. »Erbarme Dich, Gott, ich will nicht sterben!« betete er. »Bin ja gesund wie ein Stein, gemacht wie für hundert Jahre, und das Leben gefällt mir. Ich kann es nicht im besten Zuge lassen, ich will es auskosten bis zum letzten Tropfen!« Doch vergebens harrte er auf ein Zeichen der Gnade, vergebens rang er nach dem Gefühl der Berechtigung, zu sein. Da vernahm er ein Geräusch. Eine alte Nonne mit großer, weißer Flügelhaube hantierte da mit Besen und Federwisch. Die umgestürzten Betstühle steckten die Beine von sich, Staubwolken flogen auf, und wie in einer Stube bei gründlicher Reinigung, so irdisch und hausbacken sah es in dem Kirchlein aus. Den Tod im Herzen, floh er. Fort! dachte er: Fort aus diesem verfluchten Land, wo es zu sterben gilt! »Ich muß fort!« erklärte er dem Alten daheim. »Augenblicklich muß ich fort!« »Weil Sie sich einen Wahnsinn in den Kopf gesetzt haben!« zürnte dieser, »weil Sie eine Höllenangst vor dem Sterben haben!« »Warum nicht gar!« leugnete Karl, »ich habe Gott geschaut,« sagte er bitter, »mit ihm gesprochen, wie ich jetzt mit Ihnen spreche und mich den Teufel um den Tod geschert. Warum denn einem ins Gesicht sagen: Ihre Stunden sind gezählt. Ich vertrage so 'was nicht!« Da riß dem Alten die Geduld. So rasch ihn die Füße trugen, hinkte er ins Nebenzimmer, die Karten herbeizuholen, zog nach langem Suchen drei hervor und hielt dieselben eine nach der anderen Karl vor die Nase, indem er in grobem Ton zu verstehen gab, daß diese und keine anderen den Tod bedeuteten. Hoch und teuer schwor er, sie seien ihm damals gar nicht in die Hand geraten und er habe ihn nur zum besten gehabt: »Schimpf und Schande für einen Mann!« knirschte er und warf schließlich die Karten auf den Tisch, daß sie bunt durcheinander flogen. Voll Scham und Widerwillen, in höchster Ratlosigkeit, wühlte Karl in denselben und behielt drei in der Hand: jene, welche den Tod bedeuteten. Da stand er nun wie ein Gerichteter, für den es keine Begnadigung gab. Zerknirscht sah der Alte drein, als wollte er sagen: Vergieb, daß der Ruf dir gilt und nicht mir! »Da ist nichts zu machen,« meinte Karl, nur noch von der Sorge erfaßt, mit Anstand aus der Welt zu gehen. Vor allem wollte er an seine Leute daheim und an den gekränkten Freund ein Wort des Abschieds richten; doch zerriß er seinen Brief an jene und unterließ auch diesem zu schreiben, indem er meinte: Ich war undankbar, du verdenkst es mir, so sind wir quitt! Hingegen beeilte er sich, seinen letzten Willen aufzusetzen, besann sich aber, daß er ein armer Teufel war, und machte nur ein Verzeichnis seiner Schulden. Er war ganz Ordnungssinn, die Wichtigkeit des Moments hielt ihn außer Atem, er wäre einer Heldenthat fähig gewesen. Doch wie demütigte ihn der Gedanke, man könnte seinem frühen Grab übliches Mitleid weihen. Ein Grab haben! er glaubte rasend zu werden. Wie er weinte und tobte! Er hätte die Welt zerreißen mögen. Doch erfaßte ihn ein heftiges Verlangen, schnell noch jemand zu lieben. Da fiel ihm Herr Laland in Paris ein. Den Gelehrten wiedersehen und geborgen sein erschien ihm eins. So schnürte er denn sein Ränzchen und machte sich bei Tagesanbruch auf. Ohne Abschied, das Herz voll bitterem Groll. Atemlos erreichte er die Station, den Zug und dankte Gott. Ihm war, als erwachte er aus einem Wahnsinn. Er schlug die Hände zusammen über seine Thorheit. Still jubelnd fuhr er durch das sonnige Land, wie durch sein rechtmäßiges Erbe, daraus ihn keine Macht der Erde verdrängen konnte. Er mußte an sich halten, um den guten Bretagnern, die mit ihm im Coupé saßen, nicht lachend um den Hals zu fallen. Erst als an allen Stationen hunderte und hunderte von Passanten herbeigeströmt kamen, bemerkte er, in einen Vergnügungszug geraten zu sein, was weiter? Doch es erschreckte ihn. Er zitterte. Was war aus ihm geworden? Überzeugt, mit diesem Vergnügungszug schnurstracks in den Himmel zu fahren, dachte er: Schon beim ersten Schritt ereilt mich das Verhängnis! Tausendmal wäre er ausgestiegen, doch schämte er sich und war auch kampfesmüde. Es mußte ja sein. Es gab kein Entrinnen! Da half kein Gott! Das Rollen der Räder tönte ihm gleich Choralgesang in den Ohren. An Leib und Seele zerschlagen traf er bei Herrn Laland ein. »Nun kann ich Sie nicht brauchen! Ich arbeite!« lautete der Empfang. »Wie, im Hochsommer kehren Sie zurück und mit solchen hohlen Wangen? Zurück ans Meer mit Ihnen, nach Berck, dort finden Sie meine Schwägerin mit Familie. Sie kennen sie doch? Und meine Nichte Andrée kennen Sie doch auch? Ich stecke bis über den Hals in einer Abhandlung über die Lebenskraft der Menschen und Wirbeltiere -- stören Sie mich nicht!« Sofort kündigte er der Schwägerin an, daß sein Schützling einige Zeit in Berck verbringen werde, worauf ein freundliches Willkommen als Antwort erfolgt war. Ich werde im Meer bei Berck umkommen, sagte sich Karl und fragte den berühmten Mann: »Also handelt Ihr neues Werk von der Lebensstärke bei Mensch und Tier, offenbar wie sich diese in Krankheitsfällen, Hungersnot und in Gefahren bekundet. Wohlan, was halten Sie von jemand, dem von Freunden, Traumbildern und allerlei Zeichen sein nahes Ende verkündet worden ist?« »Lassen Sie mich mit solchen Narrenspossen!« rief der Gelehrte entrüstet. »Hirnverbranntes Zeug! Altweibergefasel!« »Vielleicht doch nicht!« sagte Karl feierlich, und es klang fast wie ein Wunsch. Gebrochen und gefaßt zugleich sagte er sich: Umso besser! Mag denn alles zum Teufel fahren! Auf jener kurzen Fahrt nach Berck besann er sich erst, daß er jede Stunde seines Lebens bemitleidenswert gewesen. Gleich einer fürchterlichen Anklage rief er im Geiste den Seinen zu: Ich liebe euch nicht! Er verdammte den Freund, weil er sich keine ungebührliche Behandlung hatte gefallen lassen, machte es den Frauen zum Vorwurf, aus ihm keinen Mustermenschen gemacht zu haben, und verzweifelte bei dem Gedanken, daß ihm das wunderthätige Feuerbad einer großen Liebe versagt geblieben war. Dazu seine Aussichtslosigkeit nach jeder Richtung! Am liebsten hätte er sich aus dem Waggon gestürzt, um Tod und Leben los zu werden. III. Das Meer ergoß sich in den Himmel. Himmel und Meer waren eins, und das Fischerboot am Horizont bewegte selig seine Schwingen, als wäre es im Himmel drin. »Sie sind nicht intelligent,« sagte Andrée zu Karl, der vor ihr im Sande lag. »Wieso?« »Weil Sie Gott nicht fassen. Sie haben ja keinen Gott.« »Wie kann ein junger, unerfahrener Mensch einen Gott haben?« meinte er. Vorläufig glaubte er nur an Engel. Den schönsten hatte er vor sich. Ihr dunkles Auge verführte, ihr frischer Mund plauderte unschuldig, und ihre feine Nase schien zu sagen: Gieb acht, denn ich bin klug! Er war berauscht, ganz Bewunderung und Mitleid. Was wird dereinst aus dir werden? dachte er voll Angst und Schrecken, aus deinem Lächeln? deiner Stimme? deiner süßen Natur? Sie aber meinte: »Kommen Sie, Croquet spielen« und lief zu Toto und Bébé, ihren Brüdern. Frau Espinas spielte mit. Sie schien die Schwester ihrer Kinder zu sein. Hart am Ufer stand ihr Haus, im norwegischen Stile erbaut. Dort wurde gemalt, musiziert, gedichtet. Der Vater war tot. »Ein Glück für mich, daß er mein Vater war,« sagte von ihm Andrée, »denn sonst hätt' ich ihn tödlich geliebt!« Sie waren wohlhabend, fromm, genußsüchtig, und alles bot ihnen Genuß. Beim geringfügigsten Gespräch gaben sie sich zärtliche, drollige Namen. Wie liebte Karl seine neuen Freunde! Schon seit einem Monat weilte er in ihrer Nähe. Ihm war, als wäre er ewig dagewesen. Er war wie im Paradies, er war unter glücklichen Menschen. Hätte ihm nur der Schrei des Totenvogels nicht in die Ohren gegällt! Ach, nichts vermochte ihn zu übertäuben, keine Belustigung, keine Freude, so viele es deren auch gab. Was waren das für Zeiten! Wenn man z. B. auf Krabbenfang ging -- wie war das schön! Meilenweit lag nichts als verlassener Meeresgrund, fern schweifte das Meer. Wo hörte es auf? Wo fing der Himmel an? Es gab weder Himmel noch Meer, nichts als Luft, lichtdurchtränkte, goldige Luft, es regnete Sonnenstrahlen. Oder man wandelte nach dem nahen Hain, um im Schatten dürftiger Bäumchen Urwäldler zu spielen. Man nannte sich wie die Wilden. Toto, ein prächtiger Knabe, machte den Häuptling und sagte zu Karl und Andrée: »Ihr seid Bruder und Schwester und müßt zusammen hausen.« Und Abends konstatierte Karl: heute bin ich wieder nicht gestorben. Gottlob! Das Leben war doch schön! Es gab nichts Schöneres als das Leben und nichts Lustigeres als ihre Ausflüge auf Eselsrücken in großen Kavalkaden: die Mäntel flogen im Winde, doch kam man nicht vorwärts vor Lachen, und weil die Tiere nicht fortzubewegen waren. Dann der Abend, wo es so pechschwarz auf dem Strande war. Im Grab ist's noch dunkler, dachte Karl, und von fern Stimmen vernehmend, rief er fröhlich: »Hoho!« Und eine weibliche Stimme hallte zurück: »Hoho!« Worauf sich das Gespräch entspann: »Guten Abend, Madame, ich hab' doch die Ehre, mit Frau Durand zu sprechen?« »Ganz recht, mein Herr.« »Ich bin entzückt, Sie nicht zu sehen.« »Das Vergnügen ist ganz meinerseits« u. s. w. und am anderen Tag stellte sich heraus, daß die nächtliche Schöne keine andere als Andrée gewesen. Wie er da lachte! Er lachte und dachte: Lange währt's ja doch nicht! Ja, er konnte noch lachen. Am Jahrmarktstag bei der großen Vorstellung im Zirkus kugelte er sich. Es war aber auch zum Totlachen. Die Öllampen rochen so schlecht, und der Zirkusdirektor ersuchte die Herrschaften, tüchtig zu applaudieren. Eine Ziege war das einzige Pferd, das sich produzierte, doch damit hatte es auch seine Schwierigkeiten, und ungehalten rief der Direktor: »Applaudieren! applaudieren! Ohne Applaus giebt's keine Kunst!« Und unter losbrechendem Beifallssturm produzierte sich das Zieglein, produzierte sich in jeder Beziehung! Und ihre wilde Jagd über die Dünen! Hügelauf gings, hügelab. Ein Zug Möwen folgte ihnen, und Blanche, Andrées prüdes Cousinchen, fiel, den Kopf nach unten, die Beine nach oben, wo die übrige Gesellschaft sich befand. Allein Karl dachte: Alles Lüge, es giebt einen unfreiwilligen Tod. An hellen Abenden, wenn die Dünen gleich Schneehügeln traumhaft dalagen, Strand und Meer silberweiß erglänzte, und Frau Espinas in seliger Verzweiflung ausrief: »Das ist zu schön! das kann kein Mensch aushalten!« oder wenn die Schwärmerin ihn sonst auch zu Hilfe rief, um in Bewunderung zu schwelgen, indem sie zum Beispiel sagte: »Sehen Sie nur das Hälmchen im Sand, ich bitte Sie! Und dort die Dünenkette, sehen Sie doch!« Wie drehte sie ihm das Messer in der Wunde! Die Natur, vor der sein Herz im Staube gelegen hatte, erschien ihm verächtlich, doch wie man an einer Verlorenen hängt, hing er an ihr voll Gram über die eigene Treue. Einmal auf dürrer Heide um sich blickend, geriet er selbst in Ekstase: Ein Stück Land und ein Stück Himmel darüber, es gab nichts Schöneres auf der Welt! Doch Schmerz und Bitterkeit übermannten ihn: Bin ich verurteilt? Muß ich ins Grab steigen? Seine heimatlose Seele klammerte sich an die Erde, um als ihr Richter und Märtyrer im Pfuhl ihrer Schande zu wühlen. Am Namensfest der Mutter gab es ein Feuerwerk im Garten. Die Raketen blitzten auf und rieselten hernieder in blauen, grünen und roten Feuertropfen. Andrée hielt ihr Brüderchen empor, ihr Gesicht strahlte lichtübergossen, und sie fragte ihren Liebling: »Ist das nicht schön? Ist das nicht wunderbar?« Was wird aus dir werden, was wird aus dir werden? dachte Karl gemartert. Morgens beim Erwachen betastete er sich, um zu sehen, ob er noch am Leben war. Ja, er war noch warm, er glühte! ... Auf dem Marktplatz raste unter Musikgebraus ein Riesenringelspiel im Kreise dahin. Zum Spaß bestiegen sie manchmal die hölzernen Rosse. Wie im Winde ritt Karl, sein Roß schien Flügel zu haben, er jagte durch die Lüfte, doch im fliegenden Gewand schwebte vor ihm Andrée wie das Glück, wie ein Traum, wie etwas Unerreichbares! ... Zur Flutzeit badete Alt und Jung. In ihrem roten Schwimmkleid entstieg sie, eine kleine Schaumgeborene, den Fluten. Er sah die Muttergottesbrüstchen, die herrliche Rückenlinie, den zarten, rosigen Fuß, ihre zierliche, himmlische Schönheit -- Dem Gott, der dich schuf, glaube ich alles! dachte er überwältigt, es muß ein Jenseits geben! Deinetwillen! Ich glaube es, glaub' es wenigstens, zu glauben! Gott, ich glaub' an Dich! Was willst Du noch mehr? Und es war eine glühende Mondscheinnacht. Wie in lichten Rauch gehüllt lag der Himmel, unter jeder Wolke glimmte es, das Meer war entzündet, die Wellen hatten Feuerränder. Andrée, Karl und die anderen ergingen sich am Strand. Wohin sie den Fuß setzten, schlugen Funken empor, ein jedes Sandkörnchen erglänzte, als wäre die Welt in Brand gesteckt, stand alles in Feuer und Flammen. In Karl brannte es lichterloh. Da fragte ihn Andrée, was sein Herz bedrückte. »Es ist die Furcht,« rief er kühn, »sterben zu müssen, eh' ich Sie zur Frau gewann!« »Davor bewahr' uns Gott!« entfuhr es ihren Lippen. Ein Jubelschrei war sein Dankgebet. In später Nachteinsamkeit irrte er noch berauscht am Ufer umher. Erbebe, Erde, ein Liebender schreitet über dich hin! Glühe, Himmel, Meer erschauere, ein großes Glück kehrt ein in die Welt! Reuig, gerührt hätte er sich Gott, wie einem Vater, in die Arme werfen mögen, als ein Klagelaut die Luft durchschwirrte. Es wird wohl eine Möwe sein, dachte er: Hier giebt's keine Totenvögel. Tausend neue Kräfte überkamen ihn, die ihn zum Leben bestimmten und drängten, seiner Bestimmung zu leben. Er dünkte sich ein gar gewaltiger Herr, es war keine Ader in ihm, die nicht königlich gewesen wäre ... Da plötzlich durchzuckte es ihn: Vielleicht sterbe ich an meinem Hochzeitstag! ... Doch mußte er lachen. Der Tod hatte kein Recht mehr über ihn. Die Seele war ja unverwüstlich, und jede Faser in ihm war Seele, Liebe, jauchzendes Verlangen! Glitzernd rauschte die Flut heran, purpurn brannte es in der Höhe. In ihm, um ihn Leben, Feuer, Erdenglut. Nur sein Schattenbild zitterte häßlich wie ein dunkler Fleck auf all der Pracht. Kann man nie allein sein, Tod? dachte er; kann man nicht einmal in Ruhe an sein Mädchen denken? ... Umsonst, sein Herz war angefressen; was Gram und Angst begonnen, das Glück vollendete es. Im Glück ereilte ihn die Wut. Denn wie bald konnte seine Stunde schlagen! Hilfeflehend klammerte er sich an das Lichtbild der Geliebten: »Rette mich! Ist das deine ganze Liebe?« ... Schon sah er sich verloren. Ja, ihm war, als erhöbe sich das Meer und wollte ihm ans Leben. Also jetzt? jetzt? ... Es packte ihn wie Wahnsinn. »Mörder!« schrie er und stürzte dem Feinde entgegen ... Zurück! Zurück! warnten die Wellen. Doch der Rasende stürmte vorwärts, seinen Angreifer zu fassen. Sie schleuderten ihn ans Land: Wir kämpfen nur mit Männern, Wahnsinnige sind vor uns gefeit! Er brauchte nur Grund zu fassen, und Luft und Leben waren wieder sein. Doch um sich seiner Haut zu wehren, warf er sich wieder ins Wellengewühl. Ein fürchterlicher Kampf begann. Er glaubte mit Gott zu ringen. »Wer ist der Stärkere, das wollen wir sehen!« Wild schlug er drein, als wollte er das Meer zermalmen. »Ich will nicht sterben, nie und nimmer!« schrie er und ertrank. [Illustration: Decoration] Die Erbschaft. [Illustration: Decoration] Als junger Bursch ging Johann Muck nach Wien, sein Glück zu suchen. Auf Schusters Rappen und in der Glühhitze des Sommers. Wie lechzte er danach, im Schatten auszuruhen, als sich ein Wald vor ihm auftürmte, Baum an Baum, ein Riesendickicht. »Wo gehts da in den Wald hinein?« fragte er einen Bauer, der des Weges kam. »Dumme Frage«, war die Antwort, »der Wald steht einem überall offen.« »Ach ja,« seufzte Johann Muck, »auch die Welt steht mir offen, aber ich weiß doch nicht aus, nicht ein.« Und er warf sich am Waldrand nieder, halbtot vor Müdigkeit. Zwei Tage war er unterwegs gewesen, ohne nur einen Wanderstab zu haben. Nun hob er einen gebrochenen Ast auf und begann ihn zuzuschnitzen, wobei er nicht aufhörte zu seufzen. Der arme Teufel stand da ohne Arbeit, ohne Geld. Nichts hatte er als ein rechtschaffenes Herz. Zwar einen reichen Onkel hatte er auch, der aber von ihm nichts wollte, der Geizhals! Auf seinem schönen Gute hausend beklagte sich der Knauser und that, als ob man ihm noch etwas schenken sollte. Es galt denn ohne den filzigen Alten fertig zu werden, aber wie? Von Kindesbeinen auf hatte er sich allein durchbringen müssen, denn seine Mutter war eine böhmische Köchin gewesen, und seinen Vater kannte man nicht. Arbeiten und nichts lernen! hatte seine Schicksalsparole gelautet. Wenn er wenigstens eine Profession gehabt hätte! Aber nichts konnte er, als höchstens Stöcke machen. Da schwang er sein Fabrikat, einen festen, elastischen Stock. Gut, so will ich Stöcke machen, dachte er, aber dich, meinen ersten, behalte ich zum eigenen Gebrauch! Zehn Jahre später war er Inhaber einer Stockfabrik. Am Diamantengrund hatte er sich etabliert, das Geschäft florierte. Nicht umsonst hatte er sich abgerackert. Gestützt auf seine Stöcke sah er dem Leben froh ins Gesicht. Wer hätte gedacht, daß er so groß dastehen würde ohne einen Kreuzer Schulden. Der Zündhölzchenfabrikant Mayer, ein Hausbesitzer, war sein Freund. So weit hatte er es gebracht. Und aus eigener Kraft! Kein Wunder, daß er in die Breite ging. Ja, er konnte sich sehen lassen mit seinem stattlichen Bauch, je einen Büschel Bart auf den glänzenden Wangen und den bewußten Stock stets in der Hand. Der war sein stiller Kompagnon. Es war eine Passion zu leben! Nur das verflixte Herz! Frau Bradl hatte es ihm angethan, die blühende Witwe eines reichen Cafetiers. Es gab keine feschere, herzigere Frau! Also eine Hoffnung mehr im Leben, ein Grund mehr, Gott zu danken. Das konnte er in jeder Beziehung, denn wenn man so dastand, wie er -- Nun brauchte er nicht mehr den Schmuzian vom reichen Onkel, und zum Beweis, daß er ihm nichts nachtrug, machte er ihm einen prächtigen Stock zum Geschenk. Doch da kam er gut an bei dem alten Griesgram. Der empfindliche Herr betrachtete den Stock als Symbol und schrieb dem Spender einen Brief voll Gift und Galle. Dieser bekam Dinge zu lesen, daß ihm Hören und Sehen verging, aber auch die Geduld. O der Giftzahn! Aber alles brauchte sich der Mensch nicht gefallen zu lassen. Na warte! Er mußte ihm seine Meinung sagen. Übrigens schrieb er ganz höflich: »Verzeihen Sie, lieber Onkel, ich bitte Sie tausendmal um Entschuldigung, aber Sie sind ein Esel.« Das war zu viel für den Wüterich. Er barst schier vor Zorn. Die Todfeindschaft war besiegelt. Das bleibt dir nicht geschenkt, Herr Neffe! dachte er. Alles Böse hätte er ihm anthun mögen. Darin war er groß. Ja, er sollte an ihn denken! Denn als er bald darauf als ein verhältnismäßig armer Mann starb, hieß es in seinem Testament: »Mein Gut vermach' ich meinem lieben Neffen Johann Muck.« Dieser verkaufte Stöcke und tauschte mit keinem König, als man ihm die Trauer- resp. Freudenbotschaft überbrachte: »Ihr Onkel ist tot, und Sie sind Gutsbesitzer.« Fast wäre er vor Freude gestorben, doch hielt er sich zurück. »Mein armer Onkel!« klagte er vielmehr. »Das Gut gehört mir? Ist er sanft entschlafen? Welch' ein Glück! Wann wird er denn begraben? Das freut mich herzlich! Wie viel Joch beträgt es?« Langsam faßte er sich. Sein Glück konnte er noch immer nicht fassen. Er freute sich, als hätte er sich sein Leben lang zu freuen. Umsonst versuchte er an der Bahre zu jammern: »Hab' Dank! O daß du gestorben bist!« es klang wie ein Jubelruf: »O hab' Dank, daß du gestorben bist!« Ist denn die Freude eine gar so anstrengende geistige Arbeit? Fast wäre er närrisch geworden. Aber es war auch keine Kleinigkeit. Er war froh gewesen, daß er lebte, und nun das Glück! Er war froh und zufrieden gewesen und nun das großmächtige Glück, das Glück aus heiterem Himmel! Kein Wunder, wenn man da gefühlvoll wird. »Begraben Sie ihn gut, Hochwürden,« bat er gerührt den Geistlichen. Wie weinte er! Vollends am Grabe -- wie weinte der lachende Erbe: »Mein armer, armer Onkel!« Zu seinen Lebzeiten hatte er nie anders von ihm gesprochen, als: »mein reicher Onkel« und kein gutes Haar an ihm gelassen. Aber die Toten haben es gut. Nun sagte er: »Mein armer Onkel« und hob ihn in den Himmel. »Mein armer Onkel! Gott, gieb ihm a Ruh'!« eine Redensart, die er offenbar von seiner Mutter hatte, die, wie gesagt, eine böhmische Köchin gewesen. Nun aber kaltes Blut bewahrt! Und Courage! Und sich ins Glück gestürzt über Hals und Kopf! Sein Geschäft hatte für ihn ausgelebt. Man bricht mit der Vergangenheit beim Erstehen eines neuen Glücks, da giebts keinen Pardon, nicht mit der schönsten Vergangenheit. Das Gut war seine Hoffnung, ihm galt seine Pietät. Verschleudern wollte er sein blühendes Geschäft. Zum Glück fand sich kein Abnehmer sogleich. Wie würde es ihm vollends ergangen sein mitsamt seinem Gut! »Schade, daß es verwahrlost ist,« hieß es bei der Erbschaftsübergabe. »Verwahrlost?« staunte er, »aber das steht ja nicht im Testament!« Aber als er an einem Maitag an Ort und Stelle fuhr, um Besitz von seinem Besitz zu ergreifen, und nachdem er an der Bahnstation gefragt hatte, wo Himmelshof lag, sein Gut, seine Welt, und auf dem Weg dahin immer wieder gefragt hatte: »Wo liegt Himmelshof?« bis man ihm die Auskunft gegeben: »Na, vor Ihrer Nase!« wäre er vor Entzücken fast in die Kniee gesunken. Das wollte ein verwahrlostes Stück Erde sein, dieses Paradies? Mit dem Blumenmeer von Feldern, den Blumensträußen von Bäumen, der kristallnen Luft voll Duft und Schmetterlingen? Luftig, gewaltig erhoben sich die Berge, ihr Atem berührte das Thal. Und was war das für ein Himmel! Wie schien dort oben die Sonne und streute Strahlen hernieder wie Gold. Auf goldiger Erde, unter goldigem Himmel stand das Haus. Das Thor war aufgethan. Juchhe! Ihm war, als hätte er eine Welt, als hätte er die Welt entdeckt. Was hatte er gewußt, daß es eine Erde gab, einen Himmel und einen Himmel auf Erden? Und diesen schönen Fleck Erde hatte der Onkel wie die Pest geflohen, davon schließlich nichts hören wollen, so daß die Felder in schlechten Pächtershänden waren und die Waldungen verwildert. Aber man richtet sich eben ein, daß man alles selbst bewirtschaftet; hat man aber keinen blauen Dunst davon, so nimmt man sich einen tüchtigen Verwalter. Muck nahm sich einen Verwalter, einen zu Grunde gegangenen Gutsbesitzer. Der mußte doch zu wirtschaften verstehen. Es war ein gar unternehmender Herr mit hochfliegenden Plänen, die vorläufig freilich nur in Anschaffungen bestanden. »In eine ordentliche Wirtschaft gehört dies, in eine ordentliche Wirtschaft gehört das --« und dabei hatte er eine Art, sich den langen Bart zu streichen, daß ihm Muck recht gab und Geld -- Geld ohne Ende. Entweder man hat ein Gut oder man hat keins, rechtfertigte er sich vor sich selbst. Wagte er aber doch zu seufzen, so hieß es: »Das ist bloß der Anfang!« Doch der Anfang nahm kein Ende, hingegen seine Barschaft, denn Steuern mußten ja auch entrichtet werden. Gleich stellte sich der Staat ein mit der Rechnung: Ein Gut erben kostet so und so viel. Was nur das Bauen verschlang! Vom Viehkauf gar nicht zu reden. O mit deiner ordentlichen Wirtschaft! dachte Muck, bin ich denn ein Millionär? Hätte er wenigstens mehr davon verstanden! Schade, daß das Gut kein Zinshaus ist! bedauerte er oft, freute sich aber doch, daß das Gut ein Gut war. Machte es ihm auch Kummer und Sorgen, so war es doch sein Glück! Seine Sparkasse, dahin sein letzter Kreuzer spazierte, sein Stolz, für das er sich gern zu Grund richtete, von dessen Gnaden er nicht leben wollte. In der That stand im nächsten Frühjahr ein schönes Haus da -- er hatte sich kein neues gebaut, weil das zu hoch gekommen wäre, nur das alte umbauen lassen, was freilich so hoch gekommen war, wie ein neues -- und Ställe und Scheunen lagen daneben. Wohl waren diese noch leer, doch auf den Feldern blühte die Saat. Ja, nun hieß es ernten, die Zinsen einheimsen. Was setzte er für Hoffnungen auf sein Gut, wie hatte er seine Freude dran! Sonntags wenn er vor seinem Hause stand -- wie dufteten die Nelken und Rosen! So schön hatten sie die ganze Woche nicht geduftet. Auf den Dächern girrten die Tauben, und im Hof trieben sich still die Hühner umher, der Hahn hochbeinig, den Schnabel in der Luft, die Henne gesetzt und bekümmert. Zwischen ihnen stolzierte der Verwalter mit einer Miene so sicher und gelangweilt und strich sich den wehenden Bart. Der Hahn hatte etwas Männliches und der Verwalter etwas Hahnenartiges -- eigentlich konnte ihn Muck nicht recht leiden. Er war eine militärisch vornehme Erscheinung und stand mit der Mutter Natur auf Du und Du -- man kam sich neben ihm vor wie Parvenü. Kinder liefen einem zwischen den Beinen, lauter Sprößlinge von ihm. All die Mäuler mußte er füttern. Ja, hier war er Herr, das fühlte selbst Schnapsl. Wie er ihm schön that, wie er ihn verwöhnte! Es gab keinen spaßigeren Dackel. Dick wie eine Walze, mit geringeltem Schweif -- es war kein echter, nur ein »imitierter«, wie sein Herr ihn neckte. Der Kopf war groß wie von einem Flußpferd, dabei war er munter und verspielt wie ein Kind. Der liebte ihn auch nicht wenig. Endlich ein Hund, den er liebte. Er hatte noch nie einen besessen. Wie kann man Hunde fremder Leute lieben? Ihm war, als hätte er auch die Welt noch nie geliebt. Wie kann man die Welt fremder Leute lieben? Doch sich sagen können: Das ist mein Haus, mein Hund, das sind meine Schweine, meine Kühe! Auch bei ihnen kehrte er ein und fand sie bei ihrem Tagewerk. Selbst an einem Sonntag rasteten sie nicht. Für die Kuh hatte er eine ganz spezielle Verehrung. Wie prächtig sie das frische Gras zum Dünger verarbeitete! An dem starren Körper hob und senkte sich der dünne, rege Schweif, es war wie eine Riesenmaschine. Hie und da gingen Leute vorbei und grüßten mit trägem Respekt. Der neue Gutsherr erfreute sich keiner Beliebtheit. Dafür sorgten schon die gekündigten Pächter, die ihn ausrichteten. Ach ja, die Bauern! Bellend lief Schnapsl auf die Straße und bellte noch, wenn die Leute schon längst vorbei passiert waren. »Kusch dich, Schnapsl!« Aber er bellte beim bloßen Gedanken dran, daß es jemand gewagt. Er war ganz nervös und wollte seinen Spaß haben auch an einem Sonntag. Wie gern hätte er Händel angefangen! Doch mit wem? Heute durften die Kinder ihre Hosen nicht zerreißen. So lange zu ruhen! Man war ganz erschöpft, und der Tag nahm kein Ende. Wie wurde es eintönig im Hof! Man sah nichts als Hühner, Gänse und Tauben. Wer bemerkte sie an Wochentagen? Der Knecht lag vor der Stallthüre wie krank. Sechs Tage arbeiten und am siebenten vor Langeweile sterben -- war das nicht zu viel verlangt vom lieben Gott und christlich? Das Haus stand noch am selben Fleck, und der Garten wurde immer kleiner. Man hatte die Rosenstöcke gezählt und man hatte die Hühner gezählt. Man wußte alles auswendig, und der Sonntag schien hundert Jahre alt mit seinen Rosen, Hühnern und Tauben, als man einen hohen Flügelschlag vernahm. Ein Laut aus höheren Regionen. Die Luft erbebte, ein Adler kreiste über Haus und Hof. Alles schauerte zusammen, fühlte sich geschmeichelt -- welch ein Sonntag! Und welch ein Sonntag war das für Muck, als die schöne Witwe, seine alte Flamme, ihn in die Versuchung brachte, oder vielmehr ihr Schwager, der pensionierte Hauptmann Bradl. -- Das war so: Muck stand wieder vor seinem Haus. Wenn er drin war, sah er es nicht und er wollte es immer vor Augen haben. Wie sich eine Frau unter Rosen schön ausnimmt! dachte er, die Verwalterin im Garten erblickend. In ihrem Sonntagsnachmittagsausgehkleid sah sie gar sanft und vornehm aus und putzte ihren Kindern die Nasen. Die ganze Naturgeschichte spielte sich ab vor seinen Augen, nur er hatte gar keine Rolle drin. Plötzlich hätte er auch Weib und Kinder haben mögen. Sein Hof war eine Arche Noah, darin alles gepaart war bis auf ihn. Daß ihm Frau Bradl einen Korb gegeben! Er hatte ihr nämlich einmal durch die Blume einen Heiratsantrag gemacht, aber sie war halt zu reich gewesen für ihn. Leider! Alleinsein ist doch kein Geschäft! dachte er, wo nimmt man schnell Weib und Kinder her? als der Hauptmann in den Hof trat. »Meiner Seel und Gott, der Herr Hauptmann!« Er war's mit seinem Kaiserbart und der eleganten Tournüre. »Der Herr Hauptmann! Welche Ehre!« Der aber rief mit dröhnender Stimme: »Gratuliere! gratuliere! Na, hören Sie, Sie haben ein Glück, Herr Muck, daß es schon nimmer schön ist.« Muck erschrak nicht wenig. »Ja, denken Sie sich nur, was Ihnen passiert ist,« lachte der joviale Herr, »ein Schatz ist gefunden worden auf Ihrem Grund und Boden. Natürlich gehört er Ihnen. Wollen Sie ihn nicht beheben?« »Ein Schatz?« »Da ist er!« Und lachend zeigte der Spaßvogel auf seine Schwägerin, die errötend und siegesbewußt hinter dem Zaun stand, ganz erhitzt von der Sonnenglut. Wie war sie hübsch, zum Dreinbeißen! An jeder Hand führte sie einen Buben, ja, Familie hatte sie auch, und man wäre gleich zum Fertigen gekommen. Doch statt das Glück beim Schopf zu fassen und mit tausend Händen danach zu greifen, dachte Muck abgeschreckt: Jetzt bin ich ihr gut genug, weil ich ein Gut hab', natürlich! und lachte nur bescheiden über den freundlichen Scherz. Doch that sie, als wüßte sie von nichts, und wollte gleich um ein Häuschen weiter. Verwandte von ihr wohnten in der Nähe. Sie war aus der Gegend -- dieser Zufall! Nein, nicht um alle Welt wäre sie eingekehrt. Erst nach vielem Zureden ließ sie sich herbei, den Hof zu besichtigen. Sie schien etwas von der Landwirtschaft zu verstehen und machte Bemerkungen, wie: »Recht schön, aber -- Schade nur --« so daß Muck beleidigt auffuhr: »Was aber? Was schade nur?« »Gehen Sie!« lachte sie. »Haben Sie vielleicht kein Kreuz mit Ihrem Gut?« »Freilich!« gab er zu. Freilich gehört es nicht zu den Annehmlichkeiten des Lebens, beim Jahresabschluß eine Ziffer zu sehen, daß es einem schwindelte, aber nicht bei den Einnahmen, nein, bei den Ausgaben. Einnahmen! Das existierte überhaupt nicht. Ein Gut ist keine Melkkuh, sondern ein Säugling, der trinken will aus tausend Brüsten. Freilich gehört es nicht zu den Annehmlichkeiten des Lebens, mit offenem Säckel dazustehen. Das Stockgeschäft konnte nicht alles bestreiten. Es versagte einfach: Bis hieher und nicht weiter! Aber das Gut wollte leben. Ein kostspieliges Vergnügen das, ein Gut zu besitzen. »Gott, wie hab' ich das verdient?« seufzte er und konnte vor Sorgen nicht mehr schlafen, vor blutigen Sorgen! Der vielfachste Familienvater hatte es besser. Woher nur das viele Geld nehmen? Alles eins, wenn er es nur auftrieb, galt es auch, es aus der Erde zu kratzen. Na, ich leg' mein Geld gut an, dachte er, so gut, daß ich es nimmer angreifen kann. Freilich hatte er die Butter umsonst. Umsonst? Du lieber Gott! »Was kostet Sie die Butter?« fragte er seine Kunden. »Neunzig Kreuzer das Pfund«, hieß es. Weiß Gott, dachte er, mich kostet es die Tausende und die Tausende! Sein Gut war eben ein Land, wo Milch und Honig nur in geringer Quantität floß. Eine Kuh gäbe täglich nur vier Liter Milch, berichtete ihm erst neulich der Verwalter. Verdammtes Vieh! Es wurde gewartet wie eine Prinzessin und gab doch nicht mehr wie vier Liter pro Tag! Ach ja, die Berichte! Schöne Neuigkeiten das! Der Ochsenstall müsse vergrößert werden, hieß es z. B., der Jäger habe gekündigt und sich bei den Leuten beklagt, zu wenig zu essen zu bekommen, die Dachrinne sei beschädigt, und Schnapsl hingeworden am Gift, das man den Füchsen gestreut -- sein Schnapsl! Und da staunten noch die Leute und fragten: »Was treiben Sie? Sie werden ja ganz grau?« Sogar Hypothek hatte er aufnehmen müssen, sein Gut verpfänden! Doch die Ernte sollte alles wieder einbringen. Ei jawohl! Tags vorher -- die Lerche badete zum letztenmal in der goldigen Kornflut -- zogen Wolken heran, ein ganzes Regiment. Auf dunklen Rossen kamen sie durch die Luft geflogen. Sie umschlangen sich mit rabenschwarzen Armen, und nun begann das Bombardement. Der Gutsherr zitterte, doch nicht für sein Leben. Das war ihm früher erlaubt gewesen. »Mein Haus!« jammerte er, »meine Ställe, meine Bäume!« Wie hätte er sie mit dem Leibe schützen mögen! Die Blitze zuckten wie tanzende Feuerstrahlen -- welch herrliches Schauspiel! Doch hatte er andere Sorgen: Wenn es einschlüge! Es donnerte und dröhnte, als bräche der Himmel in Scherben. Krach! es hatte eingeschlagen! Großer Gott! Nun prasselte es hernieder, ein Wasserfall aus Himmelshöhe, der fürchterlichste Niagara. Hätte er doch einen Schirm halten können über Wald und Feld! Allmächtiger Gott! Er schmeichelte Gott, kam ihm grob, als ein kalter Kugelregen herabrieselte, das schwere Geschütz. Barmherziger Gott, und die Felder! Und der Assekuranztermin, der neulich abgelaufen und noch nicht erneuert worden war! Es war um wahnsinnig zu werden! Aber da lachte der Himmel, als sei nur alles Spaß gewesen. Dem Gutsherrn war nicht zum Lachen. Rasend vor Angst stürzte er hinaus: »Wo, wo hat es eingeschlagen?« »Auf dem Nachbargut.« »Welch ein Glück!« Aber man kam nicht aus der Aufregung heraus und hatte keine Ruhe. Weder vor dem lieben Gott, der die Ernte zerstörte, noch vor den bösen Buben, die die jungen Bäume beschädigten. Die Kerle fraßen ihm alles grüne Obst weg. Hätten sie nicht warten können, bis es reif geworden? Aber das war noch gar nichts. Ärger als die Obstdiebe waren die Holzdiebe, die Wilddiebe und die Tagediebe! Die Frau fehlte an allen Ecken und Enden. Wie hätte er sich den Kopf abreißen mögen, Frau Bradl verschmäht zu haben, eine so tüchtige Frau, die abgesehen davon, daß er bis über die Ohren verliebt in sie war, für eine Gutsfrau wie geschaffen schien. Die würde Ordnung gehalten, den Knechten und Mägden auf die Finger gesehen haben, und das Vieh wäre nicht ewig krank geworden. Jeden Moment gab es einen Patienten. Wenn er den Verwalter zur Verantwortung zog, indem er ihm zaghaft vorhielt: »Aber lieber Herr Stephani« -- dann strich sich dieser den Bart so unschuldig und sanguinisch -- es war um aus der Haut zu fahren! Welch eine Mißwirtschaft! In Geschäft und Werkstatt wußte er schon Ordnung zu machen, da nahm er sich kein Blatt vor den Mund, doch hier traute er sich nichts zu sagen aus Furcht, daß ihn jener anfuhr: Was verstehst du Stockfabrikant! Er konnte doch nicht überall sein, mußte ja beim Geschäft bleiben und arbeiten, arbeiten, daß ihm der Buckel krachte. Für wen? Für den Herrn Verwalter, die Knechte und Mägde, das Gesindel -- Wie verwünschte er sein Gut in den tiefsten Grund der Hölle! Es schied ihn auch von seinen Freunden. »Ein Gut erben, auch eine Idee!« spottete der Galanteriewarenhändler Fuchs, und der Hotelier Nagel erklärte ihn einfach für übergeschnappt. Freund Mayer konnte ihm nur das eine raten: »Verkauf dein Gut!« Um den kleinsten Haupttreffer hätten sie ihn eher beneidet. Er wurde lächerlich in ihren Augen. Armer Muck! Nein, mit dem Gute wollte es durchaus nicht gehen. Zwar verlor er noch nicht alle Hoffnung, und die Zukunft erschien trostreich, aber bis dahin -- Eine Freude oder ich vergehe! dachte er eines Tags und fuhr zu sich hinaus. Es war gerade Kirchtag. Heissa! Es ging her wie im ewigen Leben. Bis vor der Wirtshausthür stand das Volk, so überfüllt war der Tanzsaal. Der Dudelsack brummte so rührend gemütvoll wie ein lebendiger Bauch, und die Burschen waren so fröhlich und die Dirnen so schön. So schön kann man nur einmal im Jahre sein, so fröhlich nie mehr wieder. Selbst der Dorftrottel freute sich, so viel Verstand hatte er noch. »O ihr Glücklichen!« rief Muck laut aus. Doch ein Betrunkener meinte: »Glücklich? Geh weiter! Lustig sind wir, das ist mehr wert! Gescheit sein, Kinder!« Sie trieben's wie toll. Was hieß lustig sein? Wenn man sich die Köpfe einschlug. Die Fäuste begannen ihr Werk, die Messer wurden gezückt. Wie das anheimelte! Nur scheinbar trennte man die Kampfhähne. »Loslassen! loslassen!« was so viel hieß, als: Nur zu! faßt euch! Bravo! Zumal als man Blut rinnen sah -- wie die Alten die Hälse reckten -- o Jugenderinnerung! -- wie die Jugend gierige Mienen machte und etwas wie von einem großen Moment verspürte, ja, wie selbst die so arg Zugerichteten Stolz empfanden, die Helden des Tages! Allerseits Freude und Zufriedenheit, als man plötzlich des Gutsherrn gewahr wurde. Man schämte, ärgerte sich -- was wollte der Störenfried? Konnte man sich nicht einmal friedlich unterhalten? »Hier ist kein Platz für Herrenleute!« riefen die Frechsten, und Muck machte, daß er fortkam. So hab' ich mich denn unmöglich gemacht bei allen Menschenklassen? dachte er bitter. Soll ich unter Schweine gehen? ... Auf dem Stoppelfeld grasten sie, und wie man plötzlich ein Kunstwerk entdeckt, daran man stets achtlos vorbeigegangen, sah er sie und sah, wie die alten Schweine etwas Tyrannisches an sich hatten, aber wie den Jungen die Unschuld aus den Äuglein blickte, gleich Idealisten, die im Sumpfe waten, weil dem Reinen alles rein ist. So sahen also die Schweine aus? Wie eine Wurst mit Augen und Ohren, mit Schnauze und Schweif. Das Tier in seiner einfachsten Form. Ein zweijähriges Kind konnte sie zeichnen. Und diese blasse Farblosigkeit, die roten Äuglein! Die reinen Albinos. Wie sie nur grunzten! Was giebts? Was beliebt? dachte Muck, aber die Chinesen würde ich ja auch nicht verstehen, sind die Chinesen trotzdem nicht Menschen? und blieb bei den Schweinen. Er kam sich so verlassen vor! Sein Herz war voll tausend Ängsten. Wehmütig dachte er an die schöne Zeit, da er noch kein Gut besessen ... Herbstzeitlosen bedeckten das Feld mit stillen, lauen Farben. Ein kühler Hauch entstieg der Erde. Er schlürfte ihn ein mit tierischer Gier, mit der Gier von Menschen, die den Kalk von den Mauern kratzen, weil ihr Körper weiß: das brauche ich! Wollüstig wühlte er im Erdreich, daß die schwarze, feuchte Erde sich ihm in die Poren drang, als wollte der Staub zum Fleische werden. Doch der Wurm, der über seine Hand kroch, nahm schnell Reißaus wie aus Ekel vor allem Lebendigen. Wer sich in Erde einhüllen dürfte! dachte Muck. Doch dazu wirds auch noch kommen. Schade, daß ich dann tot sein muß! Ihn erfaßte Müdigkeit und Sehnsucht, und eine Stimme tönte aus der Tiefe -- was war dagegen Nixengesang? --: Komm in meinen Schoß, armer Mann, bist du nicht mein Kind? Kopfüber hätte er sich ins Grab stürzen mögen, aber da kam ein Platzregen herniedergeprasselt. Heute war ja Kirchtag, da mußte er dabei sein. Das brachte Muck auf andere Gedanken: Mein neuer Hut! Und die Schweine! Schöne Geschichte das! Mit seinem Stock trieb er sie heim. Die alten Schweine brummten in würdigem Baß: »Würd' ich das geahnet haben, Mantel hätt' ich umgenommen.« Und die Jungen grunzten fein und hell: »Auch ich! auch ich! auch ich!« Aus war's mit der Lustbarkeit. Die Tanzenden stoben auseinander. Man rannte in den Regen hinaus. Die Buben mit Freudengejohle, die ausgezogenen Stiefel schwenkend, die Weiber mit über den Kopf geschlagenen Röcken. Sie lachten, kreischten und liefen, was sie laufen konnten. Der Regen war ihnen in die Beine gefahren, alles wollte naß werden. Als man heimkam, hatte es richtig aufgehört. Doch wurde es Abend, und die Natur lag noch in Thränen aufgelöst. Muck aber wollte sich die Kleider am Leibe trocknen. In der Küche ging alles aus und ein. Dort setzte er sich hinter den Herd. Man brauchte nicht erst zu sterben, um ein warmes Plätzchen zu haben. So gemütlich war's in dieser Allerweltsküche, dem Bereich der Verwalterin. Das Feuer prasselte, Kaninchen huschten über die Fliesen, es duftete nach frischem Holz und Rauch, das Hühnervolk verlief sich her, und die Kinder machten Spektakel. Doch währte die Freude nicht lang. »Fort mit euch!« schrie die Verwalterin. Vorbei war's mit dem Sonntag, vorbei auch mit der Vornehmheit, sie war wie eine Wetterhexe. »Hinaus!« und jagte die ganze Gesellschaft auseinander. Die Hühner flogen auf, die Kinder weinten, und sie schrie: »Still, still, der Herr ist da!« Umsonst versuchte dieser, der Scene ein Ende zu machen: »Aber Frau Stephani« -- Sie that sich noch etwas zu gute drauf, als wäre es eine Huldigung für ihn. Nun, er bedankte sich. Das Trommelfell sprang ihm schier entzwei vor all dem Gekreische, Geweine und Gekrächze -- es war ein Hochgenuß! Im Hof kommandierte der Verwalter und schrie mit den Leuten herum. Er nannte die Kuhmagd »Kuh«, den Ochsenknecht »Ochs« und nicht etwa aus Verwechslung. Dachte sich auch Muck im Stillen: Ich jage dich ja doch zum Teufel, er imponierte ihm. Wer so anschaffen könnte! dachte er. Es war eine Freude, ihm zuzuhören, wie er z. B. dem Jäger Ordre gab: »Sepp! Anstalten treffen für die Pirsch!« Daß der Wald mir gehört und nicht dir, was weiter? dachte Muck, ich hab' die Sorgen, du das Vergnügen. Ja, er hatte einen großen Herrn in seinem Dienst, und das war das Malheur. Zwar ihm gegenüber war er der Respekt selber, wahrscheinlich um ihm weiß zu machen: Wenn ich auch befehle, drum bleibst du doch der Herr! So kam er wieder mit der Frage, ob für das Gesinde ein Ochs geschlagen werden sollte. »Schon wieder ein Ochs?« platzte Muck heraus. »Alles in euren Magen?« und vor lauter Ärger ging er hungrig zu Bett. Sie schlachten mein Vieh und stellen mein Wild! dachte er voll Empörung. Ihm war, als sollte er den Ochsen von Knecht aus dem Ochsenstall, die Kuh von Magd aus dem Kuhstall, den Hund von Verwalter vom Hofe jagen, um sein eigener Knecht, sein eigener Herr zu sein. »Heda, Stephani!« Er wollte nicht nur Gutsherr heißen, sondern auch den Gutsherrn spielen. War denn das eine gar so große Kunst? »Sie, Stephani!« befahl er und zitterte nur so vor Anstrengung, »diesmal geh' ich mit auf die Pirsch!« Es wurde ihm sauer, um 3 Uhr früh aufzustehen, aber er wollte auch einmal ein Vergnügen haben. In gelber Dämmerung lag das Thal. Die Pirschgesellschaft begann schon den Aufstieg zu nehmen, als Sepp plötzlich ausrief: »O Salami! Der Herr hat sein G'wirr vergessen!« Mit dem Stock in der Hand wollte Johann Muck auf die Pirsch. Als man eine Büchse herbeigeschafft und sie ihm umgehängt hatte, verging ihm alle Jagdlust. Er konnte keiner Fliege etwas zu Leide thun, und nun galt es, Hirsche über den Haufen zu schießen, wie er sich das nämlich so vorstellte. Aber entweder hat der Mensch Waldungen oder er hat keine, räsonnierte er und kletterte drauf los, daß ihm der Atem ausging. Jeden Moment blieb er keuchend stehen und wäre am liebsten umgekehrt. Wie schreckte er zurück! Ihm wurde angst und bange. Er fühlte: nun geht's in eine neue Welt! Vom Himmel umgeben stand er an einem Abhang. Hie und da blinkte ein Stern wie ein Licht aus einem fremden, nächtlichen Dorf, von dem der Wanderer nicht wußte, woher es kam, wohin es führte, nur daß es ein Licht war, und das war genug. In Schweiß gebadet erreichte er die Höhe. Es war seine größte Reise. So weit vom Leben war er noch nie gewesen. War sein Besitz so groß, daß er bis ans Zauberland stieß? Wo bin ich? dachte er, als er sich vom Hochwald umgeben sah mit seiner Stille, die melodischer war wie Musik, mit seinem Atem, der ihn wie eine unsichtbare Kraft umrauschte, und mit seiner Dunkelheit, die mit ihren weichen Fittigen alles umhüllte wie ein guter Geist. Er bebte. Die Angst vor dem Schönen, die Furcht vor der Freiheit erfaßte seine Seele, die bisher in Gefangenschaft gelebt. Nur kein Erlebnis, um Gotteswillen! dachte er. Gieb dem Verhungernden Speise, und er stirbt am ersten Bissen. Als ihn der Verwalter am Wechsel ansetzte mit der Versicherung: »Der Hirsch kommt Ihnen, verlassen Sie sich drauf!« rief er zitternd: »Jesus, Maria und Joseph!« Bewußtlos fand ihn dann jener, wie zermalmt von einem großen, großen Eindrucke, viel zu groß für einen Menschen. »Was ist passiert?« fragte er. In einer Art Furcht vor dem Erwachen faßte ihn Muck am Arm. Jede Fiber in ihm redete, sein Mund kam gar nicht zu Worte. »Der Hirsch!« stammelte er endlich, »der Hirsch!« und erzählte, wie er vor Kälte und Müdigkeit eingeschlafen sei und sich dann, jäh erwachend, ihm gegenüber gesehen habe, einem Riesen von Anmut und Majestät. Welche Überraschung! Welche Lage! Wie habe er am ganzen Leibe gezittert! Die Büchse habe er fortgeworfen. »Ich hab' mich gefürchtet,« gestand er, als sei seine Furcht eine Furcht gewesen, derer sich kein Mann zu schämen brauchte. Sein Gesicht strahlte. Wie war ihm beim bloßen Gedanken daran, wie ihm gewesen! »So 'was hab' ich noch nicht erlebt!« versicherte er. »Nein! nein ...« Seine Seele wuchs und wuchs. Nun hatte das Schönste, Größte darin Platz. Aber mit dieser Seele im Leibe zurückzumüssen in das kleine Getriebe der Großstadt, in den engen Laden, wo es keinen Hochwald gab, keinen Sturm, keinen Sonnenstrahl. Wie er anfangs in der neuen Welt der Alte geblieben, so wurde er in der alten Welt ein Neuer. »Gott«, seufzte er, »ich bin aus meiner Sphäre herausgekommen. Gott, wie komm' ich in meine Sphäre wieder hinein? ...« »Verkauf das Gut!« riet ihm Mayer, und der wußte, was er sprach. Dem redete niemand 'was ein oder aus. Man brauchte nur seinen Kopf zu sehen, diesen Koloß. Die glänzende Haut spannte nur über der massiven Schläfe. Sein Hirn war eine feste Burg, gar schwer zu erstürmen, doch drang ein Gedanke einmal hinein, saß er auch für ewig fest -- es gab keinen größeren Dickkopf. »Verkauf das Gut! Verkauf das Gut!« Als wären die Käufer vor der Thür gestanden! Auch wollte Muck ausharren. Nur abwarten, es wird schon gehen! vertröstete er sich. In der That schrieb ihm der Verwalter, die neue Kuh sei ein Prachtexemplar, das Schwein habe Junge geworfen und sonstige freudige Familiennachrichten noch mehr. Der Himmel war wieder voller Baßgeigen, und der Freund kam ihm gerade recht mit seinem: »Verkauf dein Gut!« »Aus dir spricht der Neid!« rief er. Aber er wollte ja beneidet werden, er hatte das nötig wie einen Bissen Brot. »Komm!« sagte er. »Schau dir mein Gut an und dann rede!« Und er führte ihn hinaus. Wie wollte er mit seiner Habe paradieren! Daß doch alles schief gehen mußte! Er hatte hinaustelegraphiert: »Wagen zur Bahn schicken, gutes Nachtmahl bereiten, seltener Gast.« Doch statt der Kalesche stand ein schweres Fuhrwerk vor der Station. Muck war wüthend. »Aber Flurl,« schrie er den Knecht an, »mit was für einem Kraxen kommst du denn daher?« »Ja, gnä' Herr, der Wagen ist gebrochen.« Wie zwei Ballons saßen die beiden auf dem Leiterwagen. Der beutelte sie so zusammen, daß Mayer schließlich vorzog, zu Fuß zu gehen. »Das ist ja 'was für uns korpulente Leute,« meinte er. »Freilich, du hast das nicht nötig. Ein Gut haben ist die beste Abmagerungskur.« Unterwegs fragte er: »Wem gehört das schöne Schloß?« »Dem Ritter von Klein.« »Und die Eisenwerke?« »Dem Grafen Hardenberg.« Aber die Auskunft lautete so verstimmt. »Auf deine Nachbarn bist du nicht gut zu sprechen,« meinte Mayer. Nach dem Grund fragte er gar nicht. Das lag ja auf der Hand. »Sind wir schon da?« »Freilich!« rief Muck. Wie der Bach zu rauschen begann, wie die Berge sich reckten! Man mochte glauben, das seien Berge und Bäume wie andere Berge und Bäume -- warum nicht gar! Das war seine Scholle! Zwar hafteten Lasten drauf, gleichviel, vierhundert Joch Erdboden waren sein, und ebensoviel Joch Himmel waren gratis. Am liebsten hätte er die Welt assekuriert. Nur jetzt sollte sie nicht untergehen! »Nun, Mayer, machst Augen, was?« Er hätte es ihm auch nicht anders geraten. War er ja doch selbst überrascht. Herbst lag wieder auf der Gegend, so farbenprächtig hatte er sie noch nie gesehen. Das war ein Rot, ein Gelb und ein Braun wie Gold und Purpur. »Mayer, ist das nicht schön, sag'! Du verstehst ja nichts, ich weiß es, aber ein jeder Dummkopf muß doch sagen: Das ist schön!« Die Sonne saß auf einer Bergspitze, um jählings zu versinken hinter roten Flammen. Dieser Sonnenuntergang war sein! Glückstrahlend rief er: »Grüß' dich Gott auf meinem Grund und Boden!« Ja, ich will dich auf Händen tragen, dachte er, dir das Beste vorsetzen, was ich hab', nur beneide mich! Aber nicht einmal das kann man von seinen Freunden haben. Wenn er z. B., auf die Felder zeigend, rief: »Das sind meine Felder!« fragte Mayer: »Wie war denn die Ernte?« Oder wenn er frohlockte: »Schau meine Obstbäume!« bemerkte jener: »Heuer war kein Obstjahr, was? -- Gehört der schöne Wald da dir?« »Nein, der daneben.« »Aber der ist ja ganz abgeforstet.« »Wird schon anwachsen!« »Jawohl, in hundert Jahren!« Und als Muck diese Worte überhörend, rief: »Eine prachtvolle Gegend, was?« wollte jener vollends wissen: »Wie hoch kommt dich jährlich die Bestreitung des Guts?« Aber Muck wollte an nichts denken. Es gab ja soviel Dinge, um sich daran zu betäuben. »Hörst du den Bach?« rief er. »Das musiziert dir wie ein aufgezogenes Spielalbum.« Doch Mayer erkundigte sich wieder: »Ist die Mühle einträglich?« Der Müller schuldete den Pacht. »Schau, das Wirtshaus!« sagte Muck ablenkend. Es war ein Neubau, ein Heidengeld steckte drin, wenn er aber trotzdem schimpfte, so geschah es nur aus einer Art Bescheidenheit. »Richtig, es soll ja einen guten Apfelwein bei euch geben,« sagte Mayer. »Also das ist das Wirtshaus? Gar nicht übel!« Ja, das Wirtshaus gefiel ihm. Gottlob, daß ihm doch etwas gefiel. »Saperlot!« rief er. Muck wußte ihm dafür Dank. »Du mein einziger Freund!« sagte er gerührt. »Bist mir treu geblieben im Unglück, will sagen im Glück« -- manchmal wußte er selbst nicht recht, war er unglücklich oder glücklich -- »Aber wir wollen auch zusammenhalten!« Er mußte stolz sein können, um glücklich zu sein und indem er einerseits sagte: »Das ist mein Wald, mein Bach, meine Mühle,« dachte er andererseits: Und das ist mein Freund, der Hausbesitzer Mayer. »Ah!« rief dieser überrascht. Da lag ein Haus mit grünen Fensterläden, mit Hof und Garten davor, hart an der Straße, nah am Bach, ein buntes Beieinander -- »Das also ist dein Haus?« »Freilich! Das heißt -- es ist doch?« Muck schien sein Haus nicht mehr zu erkennen. Ihm fehlte etwas. Hatte nicht ein Baum davor gestanden? »Ja, sagen Sie mir, Stephani,« fragte er den Verwalter, der, sein Jüngstes auf dem Arm, aus der Thüre trat: »Wo ist denn nur der Apfelbaum?« Dieser deutete auf den Rain jenseits des Baches. »Aber wie in aller Welt kommt der Baum dorthin?« Er hatte ihn umsetzen lassen, ganz einfach. So etwas! Gleich gab es Ärger, kaum daß man die Schwelle betrat. Hundskerl von Verwalter! Wie er nur die Honneurs machte, ihn umherführte in seinem Eigentum. Und schöne Dinge mußte er erfahren. Die jungen Schweine waren in den Mutterleib zurückgekehrt, das Mutterschwein hatte sie gefressen, die neue Kuh war krank, das Heu mißraten. So geh' ich langsam zu Grunde und muß dafür noch Steuer entrichten! dachte er. Doch verschluckte er seinen Ärger, damit der Gast nichts merke, das hätte er nicht um alles wollen aus purer Eitelkeit, Gott bewahre! Aber wo steckte nur der Gast? Vor dem Haus saß er auf der Bank, um sich auszuschnaufen. Warum nicht gar! Und Hof und Ställe? Er hatte ja Hof und Ställe noch nicht gesehen. Es half nichts, er mußte das edle Mutterschwein bewundern, die kranke Kuh und die Perlhühner. Aber wo waren diese nur? »Sie, Stephani, wo sind unsere Perlhühner?« fragte Muck. »Die Perlhühner? He, Poldl, Lini, Hansl!« wandte sich dieser an die Kinder, die sich da herumtrieben. »Wo sind die Perlhühner?« »Mutter!« riefen die Kinder ins Haus hinein. »Wo sind die Perlhühner? Der Vater fragt, wo die Perlhühner sind.« »Wo sollen denn die Perlhühner sein?« gab die Verwalterin zurück, indem sie mit dem Kochlöffel in der Thür erschien. »Stasi! Wo sind die Perlhühner?« schrie sie die Magd an, die, am Brunnen stehend, ihre breite Rückansicht darbot. »Ich frag', wo die Perlhühner sind.« »Die Perlhühner?« brummte Stasi, »die Perlhühner?« Da sollte der Blitz dreinschlagen! Muck mußte an sich halten, der Stock in seiner Hand schien unruhig zu werden, zumal als die Verwalterin aufschrie: »Jesus! Jetzt ist mir der Braten verbrannt!« Schöne Aussichten für den Gast! Muck war außer sich. So gern hätte er ihm imponiert mit seinen Gottesgaben! Wieder mußte er an seine Witwe denken, d. h. an die von ihm verschmähte Witwe, der das gewiß nicht passiert wäre. Ganz bitter schmeckte der Schweinsbraten. Nein, die Verwalterin hatte sich nicht ausgezeichnet. Aber mit Rücksicht auf ihren Mann, der am Mahle teilnahm, ließ Muck nichts verlauten. Hingegen fühlte sich dieser verpflichtet, aufzubegehren, so daß es den Anschein hatte, als wäre man bei ihm zu Gast. Wenn wenigstens der Apfelwein besser geraten wäre! Aber Mayer hatte recht, es war der reine Essig. Diese Blamage! Nun dafür schmeckten die Kartoffeln. Sie waren aus eigener Ernte. Ausgezeichnet schmeckten sie; als sich Stephani auch schon beeilte, mitzuteilen, daß die Knollen aufgezehrt waren und neue beschafft werden mußten. Der Mensch gönnte einem keinen ruhigen Moment! Auch gingen Muck die Perlhühner im Kopf herum. -- »Warum machst du so ein trübseliges Gesicht?« fragte Mayer und auf ein Bild zeigend, das über dem Sofa hing: »Wer ist der lächelnde Patron?« »Mein seliger Onkel,« sagte Muck, »Gott, gieb ihm a Ruh'!« Er selbst hatte das nötiger. Zum letztenmal hatte er sich aufgerafft zur Freude. Er war zu Ende mit seinen Kräften. Das Gut wuchs ihm schon zum Halse heraus. Und doch als ihn Mayer wieder beschwor: »Verkauf's! Schau, daß du's los wirst!« fuhr er wild auf, als ginge es ihm ans Leben. Er konnte das Wort nicht hören, es machte ihn rabiat. »Das werdet Ihr nicht erleben!« brach er los. »Mein Gut geb' ich nicht her! Schneidet es aus der Erde heraus, wenn Ihr könnt!« »Aber ich will ja nur dein Gutes, Kreuzdonnerwetter!« schrie Mayer, »dein Onkel ist zu Grund gegangen, und du wirst zu Grunde gehen wie noch viele andere nach dir, denn auf einem Gut müssen erst so und soviele zu Grunde gehen, wenn es Segen bringen soll!« »Du wirst zu Grunde gehen! Du wirst zu Grunde gehen!« ahmte ihn Muck wütend nach. Umsonst versicherte ihm Mayer: »Aber ich will dich ja nicht beleidigen!« »Was hab' ich gethan, daß du mich nicht beleidigen willst?« rief Muck schmerzlich und zu guter letzt wurde er noch grob. Aber Mayer sagte nichts. »Was sagst du?« rief Muck. Mayer hatte, wie gesagt, nichts gesagt, Muck aber schrie: »Was? ich bin ein Dummkopf? Das ist eine Infamie! Das brauchst du mir doch nicht zu sagen!« Soviel Verstand hatte er noch, um zu wissen, daß er ein Dummkopf war. Wozu einem noch vorhalten: »Willst du ganz an den Bettelstab kommen?« Da mußte man doch zornig werden. »Freilich möchtest du das, mein lieber Freund, ich weiß es!« »Ich sollte das wünschen, ich?« rief Mayer weinend. »Siehst du denn nicht, wie leid du mir thust?« Das war zu viel! Muck geriet außer Rand und Band. »Geh,« schrie er. »Geh!« Und als Mayer gehen wollte: »Du gehst? Du gehst?« »Ja, ich gehe,« sagte Mayer und ging. Wie verfluchte Muck alle Freunde, alle Menschen, die ganze Welt! Und wie ihm das allen Lebensmut wiedergab! Ich werde nicht zu Grunde gehen, nein, meine lieben Freunde, dachte er, daraus wird nichts! und schrie: »Die Wirtschaftsbücher her!« Aber die Haare standen ihm zu Berge, als er Einblick genommen. Der Schweiß rann ihm von der Stirne. Und doch war alles in schönster Ordnung. Ja, es war klar: er _war_ zu Grund gegangen! Um Mitternacht saß er noch über die Bücher gebeugt, als sich die Gespenster einfanden: die Schulden. Er war der Verzweiflung nah. Das hätte er doch nicht gedacht. O die Schande! Er wußte, der Morgen würde kommen, aber die Gespenster würden bleiben und sich gleich Furien an seine Fersen heften. Händeringend betete er: »Gott, bin ich denn ein Schuft? Gott, sag' Nein!« Allein Gott sagte nicht Nein. Wie um vor sich selbst zu fliehen, floh er in die Nacht hinaus. Leuchtende Wolken beschienen das Thal. Der Mond glich einer matten Feuerwolke. Still schwebte er über den Bergen. Wie durchgeistigt standen sie da, ein jeder für sich eine Größe und zum Himmel gehörig, wie der Himmel zur Erde, da lag sie, wie ein Stück von ihm. Muck faßte sich am Kopf. Wie eine Erscheinung lag vor ihm die Gegend. Ein großes Schweigen sprach aus ihr. Sie wußte nichts von Schweinezucht und Wirtschaftsnöten. Wie fühlte er sich vollends als ein armer Teufel, dem die Erde so wenig gehörte, wie das Leben. Wo war sein Gut hin? Es war wie versunken. Vor ihm lag nur ein Stück überirdisch schöne Erde. Im Grase liegend fand ihn der Morgen. Die Gicht steckte ihm in allen Gliedern. Ja, auch die Gicht hatte er sich auf seinem Gut geholt. Unter Glockengeläute erhob er sich. Es läutete zur Frühmesse. Der Mensch muß eine Zuflucht haben, und so ging er in die Kirche, in dieses Spital für kranke Herzen. Es war ein nüchternes Kirchlein. Ein Bauerssohn von Priester stand am Altar. Wie der Diener, so der Herr. Hier wohnte nicht der ehrwürdige, großartige Gott, der in mittelalterlichen Palästen wohnt, dessen Geist unter Ornamenten und Spitzbögen schwebt, der einen Hofstaat hält von Bischöfen und Prälaten, nein, ein bäuerischer Gott, ein armer Mann von einem Gott, der Gott aus seiner Kindheit. Es war lange her, daß sie sich gesehen. Er glaubte eine Stimme zu hören: »Wie du dich verändert hast, Johann!« Und du dich erst, lieber Gott! dachte er. »Wie groß du geworden bist!« -- Und du so klein! -- -- Eigentlich hatte er große Momente auf seinem Gut erlebt: den Freund verloren und seinen Gott. Aber alles holt der Teufel! Nur eins war ihm geblieben: sein Stock. Und den brauchte er! Heimkehrend sah er ein Wägelein daherrattern. Flurl saß auf dem Kutschbock. Er hatte einen Kropf, das war seinem Herrn nichts Neues mehr, dennoch mußte er sich bei seinem Anblick stets sagen: Er hat einen Kropf. »Wohin? wohin?« hielt er ihn an. »Zur Bahn.« Nun erst bemerkte er den toten Rehbock, der steif im Wagen lag. »Und der Rehbock?« »Wird an den Wildprethändler expediert,« und Flurl ratterte davon, um den Zug nicht zu versäumen. Muck sah ihm nach. Famos! dachte er, und ich beklag' mich noch, daß der Wald nichts einträgt! Es war ganz früh. So früh hatte er noch nie den Hof betreten. Reges Treiben herrschte dort. Schon von ferne sah er Milch aufladen und die in nasse Tücher eingewickelte Butter. Gar so schlechte Leute hab' ich doch nicht! meinte er, und der Verwalter scheint auch nicht so untüchtig zu sein. Eigenhändig hob er einen Korb auf den Wagen, der, wie Muck entnehmen konnte, mit Eier gefüllt war. Er bekam ordentlich Respekt vor sich. Eierhandel treib' ich auch! Das wußte ich gar nicht, dachte er, aber wie kommt es, daß im Wirtschaftsbuch nichts von alledem steht, oder nur in kleinen, ganz selten auftretenden Posten? Er lief ins Haus, schlug die Bücher auf, um sich zu überzeugen. Dann rief er nach dem Verwalter. »Sie, Stephani,« sagte er, »wissen Sie, daß Sie ein Dieb sind?« »Das nehmen Sie zurück!« rief dieser entrüstet. »Was?« schrie Muck. »Na, warte!« Knüttel aus dem Sack! Er haute ihn durch, daß es eine Freude war. Das Stöcklein, froh, seinem Berufe leben zu können, machte lustige Sprünge. »Mich bestehlen! ruinieren!« tobte Muck, »aber ich will auch 'was davon haben!« Er traktierte ihn so, daß er sich zu wehren vergaß und, sich nur die schmerzenden Stellen haltend, rief: »Das nehmen Sie zurück! Das nehmen Sie zurück!« Aber einmal im Zug wollte Muck alles krumm- und kleinschlagen. »Ich war ein Dummkopf, und das sollt Ihr mir büßen!« schrie er, indem er mit dem Stock zwischen die Knechte fuhr. »Glaubt Ihr, ich lass' mich von hinten und von vorn betrügen? Von hinten meinetwegen, doch von vorn nicht!« Wo es einen Rücken gab, gab's Schläge. Nun erst erschien ihm das Leben wieder schön. Klips klaps! Klips klaps! Das Stöcklein schrie vor Freude, seine Stunde war gekommen -- höchste Zeit! Sogar die Kühe und Schweine bekamen ihren Teil. Er behandelte sie wie Menschen. »Ich will auch 'was davon haben! ich will auch 'was davon haben!« Ein Huhn schlug er tot, mit einem Hieb. Ja, das Leben war schön, eine Pracht. Dennoch seufzte er: »Ich möcht' ein bißchen sterben!« Sofort wollte er sich im Teich ertränken. Im eigenen Teich sich ertränken können! Es ging nichts darüber, wohlhabend zu sein. Um sich aber vollends einen guten Tag zu machen, wollte er sich lieber aufhängen. Aber wo? Im Garten, im Wald oder am Rain an seinem geliebten Apfelbaum? Die Wahl that ihm weh, als ein Brief eintraf mit einer Neuigkeit, die ihm alle Lust zum Leben wiedergab. Wenn er seinen Verpflichtungen bis dann und dann nicht nachkomme, schrieb der Advokat, käme sein Gut unter den Hammer. Das Gut, das er mit seinem Blut gedüngt! »Da muß ich dabei sein!« rief er. Und er war dabei. Es war Winter. Über die Felder strich der Wind. Die Bäume waren die reinen Skelette. Krähen saßen auf den Telegraphendrähten, und diese glänzten in der Sonne wie Stricke aus Brillanten. Hie und da guckte aus dem Schnee ein Stück nackte Erde hervor, es sah aus, als trüge sie zerrissene Kleider. Im Haus war die Versteigerung. Es prasselte im Kachelofen, doch war die Stube nicht zu durchheizen. Man behielt die Pelze an, der Auktionator hatte sogar die Mütze auf. Er stieß mit dem Kopf an das Bild des Onkels, daß der Nagel sich lockerte, an dem dasselbe hing. Unter den Kauflustigen befand sich auch Frau Bradl in einer mit Bisam verbrämten Jacke. Doch Muck sah sie kaum. Alle Liebe war beim Teufel. Sein großer Kummer kurierte ihn von allen andern Kummern dieser Welt. Die Freunde bildeten das Publikum. Der Hotelier Mayer, der Schuhwarenfabrikant Horak, der Galanteriewarenhändler Fuchs -- sie hatten die Landpartie trotz Schnee und Kälte nicht gescheut und schienen sich für die Prozedur sehr zu interessieren. Letzterer fragte Muck, ob er auch das Stockgeschäft zu verkaufen gedenke, er wolle das Geld dafür bar niederlegen, als der Versteigerungskommissär den Schätzungspreis ausrief für das zu versteigernde Gut: »Zwanzigtausend Gulden!« Muck sprang in die Höhe. »Nichts da!« rief er, »für mich ist es eine Million wert! So viel kann ich nicht verlieren!« »Zwanzigtausendfünfhundert!« bot einer an. »Einundzwanzigtausend!« ein anderer. »Einundzwanzigtausendfünfhundert!« rief Frau Bradl. »Zweiundzwanzigtausend!« hieß es. »Dreiundzwanzigtausend!« rief Frau Bradl wieder. Muck stand zitternd da. Er war nur noch Haut und Knochen, kaum zu erkennen, so alt und grau hatte ihn sein Gut gemacht. Nun aber sollte es in fremde Hände gehen! Nie und nimmer! Lieber geb' ich das Geschäft her, diese Goldgrube! Was mir noch fehlt, werden mir meine Freunde leihen. Nicht umsonst sind sie hergekommen. Gott wird ja auch helfen, er muß! Und schließlich bin ich auch noch da! dachte er und rief: »Vierundzwanzigtausend!« als das Bild des Onkels schmetternd zu Boden fiel und in tausend Stücke brach. Zugleich ertönte es aus allen Kehlen, daß es klang wie ein Ausruf der Enttäuschung aus dem Mund des Toten: »Er will es wieder haben!« Doch bekam er es nicht wieder. Frau Bradl wußte es zu erschwingen. Aber hatte er nicht immer gesagt, sie habe es auf das Gut abgesehen? Vernichtet stand er da und wie tot vor Schmerz. Er glaubte, nun sei alles aus. Doch irrte er sich. Denn nun fing das Glück für ihn erst an. Auf dem gutmütigen Gesicht der Frau Bradl stand es verkündigt. Vor Mitleid weinend begann sie, als sie mit ihm allein blieb: »Ja, ja, Herr von Muck, so geht's, wenn man einen Schatz fahren läßt. Da bin ich ganz anders,« meinte sie resolut. »Wenn ich einen Schatz finde auf meinem Grund und Boden, so behalt' ich ihn!« Er sah sie mit offenem Munde an, sie aber lachte und rief: »Mit Ihnen muß man deutlicher reden!« und umarmte und küßte ihn. Drei Wochen drauf war Hochzeit. Das Glück hielt Einzug auf dem alten Gut. Das war nun eine andere Wirtschaft! Muck erlebte Freude über Freude. Nun wußte er, was die schönste Erbschaft ist: man nimmt sich eine brave, reiche Frau, ganz einfach. [Illustration: Decoration] [Illustration: Decoration] Rußland in Paris. [Illustration: Decoration] I. Alle Welt war sich einig, Jacques Laurent sei ein wahres Schriftstellergenie, würde es aber doch nie zu etwas bringen. Von Zeit zu Zeit besaß er einen guten Freund, dem er das Haus einlief, ohne den er keinen Moment leben konnte, bis er ihm eines Tages den Rücken kehrte und ihn wie die Sünde mied. Verliebte er sich unversehens, so legte er seinen Gefühlen keinen Zwang an und selbst in Gegenwart des Gatten kompromittierte er seine Flamme. Nur mochte er das Pulver nicht riechen. Er ohrfeigte seine Beleidiger, schlug sich aber nicht. Dazu hatte er sein Leben viel zu lieb, einen Greuel vor der Polizei und die grimmigste Verachtung für die Sache selbst. Ob als Gegner oder Zeuge, nicht um die Welt hätte er sich in eine Duellaffaire eingelassen. Nun war er mit Iwan Wocykow, dem Pariser Korrespondenten russischer Blätter, ein Herz und eine Seele. »Führen Sie mich doch zu Ihren Landsleuten!« bat er ihn eines Abends, »mich interessiert der Schmerz der Slaven, und ich möchte wissen, wie das ist, wenn die Seele eines Franzosen ein russischer Hauch berührt.« »Wenn Sie keinen andern Wunsch haben,« meinte jener, »so kommen Sie auf den Ball, den wir heute zur Feier des 13. März*) geben. Der Eintritt beträgt einen Franken, und Sie können hin, wie Sie stehen und gehen.« *) 13. März 1881, Attentat auf Kaiser Alexander II. und dessen Tod. Sofort machten sie sich nach der Ballstätte auf, unterwegs bemerkte Wocykow: »Es leben in Paris zwei Arten von Russen: solche, welche mit der Botschaft gut Freund, und solche, welche ihr ein Greuel sind. Zu letzteren gehen wir.« Zwanzig bis dreißig Paare drehten sich tanzend im Saale, am Büffet kredenzten Studenten Thee und Glühwein für wenige Sous, an kleinen runden Tischen saßen rauchend einzelne Gruppen, die meisten der Ballgäste standen oder gingen umher. Laurent fiel die muskulöse Gestalt eines etwa sechzigjährigen Mannes auf mit starken Backenknochen, einem grauen Wald von Bart und Haar. Er sah aus wie ein Wilder, ein geistsprühender, in edlem Weltschmerz entflammter Wilder, mit dem sich ein gelehrter Wortstreit gelohnt haben würde. Es war Oberst Pokuroff, Chef der revolutionären Partei im Ausland. Die leidenschaftlichen Worte, die er an ein junges Mädchen richtete, malten sich ihm nervös und gewaltig in die großen Züge, als redete er geschliffene Beile oder blutige Thränen. Seine Zuhörerin schien hingerissen. Ihr gelbliches Gesicht mit der flachen Nase der Kalmückin lächelte entzückt, während ihre wunderbaren Augen den Redner anstrahlten voll Inbrunst und Schwärmerei, als müßte sie vor ihm in den Staub sinken. Die mongolische Maria Magdalena, dachte Laurent und lud sie später zum Tanz. Madja -- so hieß sie -- schien kaum siebzehn Jahre alt, so zart und biegsam war ihre Kindesgestalt. Nicht minder unentwickelt war Olga, eine Blondine mit goldgepudertem Haar, und all diese schmächtigen Mädchen mit mächtigen Augen, die lächelten wie vielumworbene Frauen, deren matte Grazie zu frohlocken schien: Bin ich nicht bezaubernd? So schmal und eckig sie in ihren ärmlichen Kleidern erschienen, wollüstig wiegten sie sich in den Hüften wie unter der süßen Last üppiger Reize. Die Tänzer in reichen Nationalkostümen sahen weit weniger russisch aus als die bleichen Bettelstudenten, wie Goltschmann, ein junger Mediziner von feiner Gestalt, die Blut und Rasse, und einem ideal schönen Gesicht, das tiefste Hoffnungslosigkeit verriet. Seine beste Kraft schien er in der Sehnsucht zu verprassen. Er tanzte, ging und stand umher, alles wie im Traum, und sah einen an, als hätte ihn jedermann auf dem Gewissen. Ein bitterer Denker schien Klein, ein engbrüstiges Männchen mit zarten, verzwickten Zügen. So kränklich und unsauber sein ganzes Wesen auch war, verklärte dasselbe eine Art schmerzliche Intelligenz. Er lächelte, als lächle er zum erstenmal im Leben. Der scheinbar am wenigsten hierher gehörte und sich doch am besten hier ausnahm, war Adler, ein gesunder Bursche mit blanken Zähnen. Seine Augen blitzten, wie Sammetstreifen lagen die Brauen unter der schneeweißen Stirne, die Nase strebte in die Weite, die dunklen Haare lockten sich, die vollen Wangen glühten -- ein üppiger Orientale mit dem leichtwallenden Blut des Abendländers. Er war ein flotter Tänzer, Hofmacher und Witzbold, und beim Absingen der Chöre, was eine Nummer des Ballprogramms bildete, übertönte sein schmetternder Tenor das ganze Stimmengewühl. Diese üppigweichen Klagelaute berauschten Laurent. Sie höhnten einander und wimmerten gemeinsam. Ihr Jammer klang wie Liebesrasererei, so leidenschaftlich hoffnungsvoll und krankhaft verzückt, wie angesichts himmlischer Visionen. »Wirf ab das Leid, das Schmerzenskreuz!« war ihr Schlachtruf, triumphierend erhoben sich die Klänge in ein phantastisches Schmerzensreich, und die weichsten Herzen mußten jauchzend einstimmen in dies Halleluja eines unglücklichen Volkes. Sieh da, Raskolnikow! dachte Laurent beim Anblick eines jungen Mannes, der spöttisch in einer Ecke lehnte. Hunger und Hochmut blickten aus seinem Gesicht, das selbst auf die eigenen Leidensbrüder zornig herniedersah. Major Abaza, der Säufer, saß melancholisch da und trank Absinth. Sein rundes, alle Farben spielendes =Plein-air=-Gesicht sah aufopfernd drein, als leere er jedes Glas auf das Wohl des Vaterlandes. Mit kalter, kritischer Miene blickte Wocykow ins Balltreiben, als Berichterstatter sah er sich zu keinem persönlichen Gefühl verpflichtet. Der dicke Slave Zedekoff hockte schläfrig in einer Ecke. »Auf, Zedekoff, auf zur Mazurka!« rief Adler, der rührige Ballarrangeur, und tanzte die Mazurka mit derselben Verve, wie er soeben den Walzer getanzt hatte. Goltschmann und Madja, die ein Paar bildeten, schienen weniger bei der Sache zu sein. Klein führte eine stattliche Brünette mit großem, blassem, männlichem Gesicht. Ihre schwarzen Augen glühten. Ein Typus! eine Individualität! frohlockte Laurent und konnte kaum erwarten, ihre Bekanntschaft zu machen, doch sah er sich getäuscht. Die interessante Fremde war nur ein gutes, lebensfrohes Mädchen. Doch Madja hatte es ihm angethan. Sie an einem, Olga am andern Arm betrat er die Straße. Der erste Morgenstrahl ging auf, in leisem Halbschlaf lag Paris. Unterwegs schloß sich ihnen Adler an, Mascha, seine Braut, führend; Sascha, deren Zwillingsschwester, hing am Arm des Mediziners Federscher, mit dem sie ihrerseits verlobt war. Ein bedeutsames Wortgefecht auf den Boulevards zwischen 3--4 Uhr morgens gehörte zu Laurents Lieblingsgewohnheiten, doch mit Adler war nichts anzufangen. Fortwährend witzelte er. Sein Lachen klang keck und kraftvoll wie ein energischer Naturlaut. Oberflächlicher Patron! dachte Laurent, mußte ihm aber doch gut sein. »Sie interessieren mich, es ist großartig, wie Sie mich interessieren,« murmelte er, ihn, Madja und die andern mit Blicken verschlingend. »Weil Sie zu uns gehören,« sagte Olga kokett. Nun aber war Laurent nichts weniger als revolutionär. »Warum nicht gar! da muß ich bitten! Ich bin liberal, streng liberal!« wehrte er sich. Schließlich rühmte ihm Adler die schmackhafte Küche seines künftigen Schwiegervaters, des Restaurateurs Trebatsch in der Rue Pont Royal. »Sie müssen kommen!« bat er, »kommen Sie bald, noch im Laufe des Tages!« »Ich schau' schon einmal hin,« versprach Laurent. Im Laufe des Tages ging er zu Madja. Sie wohnte und schlief mit ihrer Freundin zusammen. Die Hände im Schoße, saß sie träumend da in ihrer ganzen eigenartigen Schönheit. Fast wäre er vor ihr niedergesunken. »Olga, wo ist unser zweiter Sessel?« fragte sie und war aus ihren Träumen erwacht. Da wärst du nun, schien ihr Blick zu sagen, mit dem sie die knabenhafte Gestalt des Franzosen maß, sein kühnes Gesicht voll ewiggährendem Verlangen nach etwas, um es zu bewundern oder zu verhöhnen. Was willst du? Ich fiebere, erwiderte seine heiße Miene, fieberst du doch auch. Aber wir haben nicht dieselbe Krankheit, sagte ihr Blick. Er war verliebt, wahnsinnig verliebt wie immer, wahnsinnig verliebt wie noch nie. Ein Bild der Jugend und der Freiheit, der Schönheit und des Elends erschien sie ihm. Wenn ihm nur ihr mysteriöses Lächeln, dieses Lächeln der Schönen Leonardo da Vincis nicht Angst eingeflößt hätte! Die Qual war nur auf seiner Seite. Das war ihm noch nicht vorgekommen! Du spielst die Spröde, freudloses Bettelkind, hergelaufene Studentin! rief es in ihm, doch vollends verzweiflungsvoll hätte er ausrufen mögen: Du bist das achtbarste Wesen, das mir je begegnet, vornehmer als alle großen Damen, reiner als alle Himmelsbräute, gefährlicher als die gefährlichsten Koketten! ... Allein ihr Lächeln sagte: Was willst du? Rußlands ganzer Jammer liegt auf mir! Marx' Theorieen waren ihre Richtschnur. Die Politik war ihr gleichgültig, der ökonomische Krieg ihr Ideal. Keiner politischen Partei, einer religiösen Sekte schien sie anzugehören, so tiefgläubig egoistisch war ihr Streben und so recht um des eigenen Seelenheils willen. »Fräulein Madja!« rief er mitleidsvoll. »Sie wollten Freiheit und haben Freiheit in Hülle und Fülle! Was kümmert Sie Rußland?« »Ich sehne mich dahin zurück,« sagte sie einfach. Eine Erinnerung blitzte in ihr auf, und sie erzählte, um sich über sich selbst lustig zu machen. »In Sebastopol war einmal Judenverfolgung. Ich bin aus Sebastopol und Jüdin. Wie alt war ich damals? Dreizehn Jahre. Mein Vater war ein kreuzbraver Mensch, und ich hatte ihn natürlich sehr lieb, und meine Mutter -- ach, meine schöne Mutter war mir die ganze Welt! Nun aber waren sie in Gefahr, meine süße Mutter und mein Vater. Sie rangen die Hände, rauften das Haar, und ich starb fast vor Mitleid. Aber Stenko, der kleine Nachbarsohn, sagte: »Deine Eltern müssen sterben, denn sie sind Rußlands Ruin.« Ich war in Verzweiflung! Weh mir, meine angebeteten Eltern, weinte ich. Ich kann euch nicht helfen, ihr mein Glück und Leben! Denn seht, wenn ihr Rußlands Ruin seid ... Vater und Mutter hätt' ich hingeopfert für Rußland!« Mit glühender Bestimmtheit rief sie: »Der Patriotismus muß aufhören! Der Patriotismus ist mit das faulste Gift, daran wir elend zu Grunde gehen!« Über Jahrhunderte schien ihr Geist zu jagen, das Himmelsziel erreicht zu haben, und in gedämpftem Siegeston phantasierte sie: »Die Grenzen werden fallen, und die Altäre stürzen. Es wird weder Russen noch Franzosen geben, weder Christen noch Juden -- keine Juden, man denke! -- weder König noch Unterthan. Alles wird gleich sein, alles wird reich sein, frei sein und keinen Gott brauchen und keinen Himmel brauchen und nicht sterben wollen. Kein Vaterland und keinen Krieg wird es geben, nur ein Riesenreich: die Welt, und der Weltgeist wird das Steuerruder sein!« »Niemals! Frankreich darf nicht aufgehn in der Allgemeinheit!« protestierte der Franzose. Ahasvers Enkelkind lachte aber und rief, indem sie sich in dem Stübchen umsah, das so winzig klein war und doch so ungeheuer öde, das so wenig Möbel aufwies und doch so viel Unordnung: »Kann man diesen Kerker lieben? Aber meine Tante, die hier ein Juweliergeschäft hat, bewohnt ein reizendes Appartement. Welch ein köstliches Gefühl, zu denken: hinter jener Thür ist noch ein Zimmer, das deiner harrt, eine ganze Flucht von Zimmern -- ja, und sich sagen zu können: hinter jener Grenze blüht dir eine zweite Heimat, und hast du sie passiert, gelangst du in eine dritte -- und so fort und fort! Durchstreifst du die Welt die Kreuz und die Quere, dein Fuß betritt nicht die Fremde! ... Vor zwei Jahren war ich verlobt,« schwatzte sie, »mit einem Kaufmann aus Odessa. Er war wohlhabend, eine wundervolle Partie, und ich war furchtbar verliebt in ihn. Schließlich wollte ich doch nicht heiraten aus Angst, Kinder zu bekommen. Nur das nicht! Denn stellen Sie sich vor, mein Kind käme zur Welt, blickte um sich weit und breit und fragte: Mutter, wo ist meine Heimat? ...« Doch das Leben ist kurz, und ein ewiger Gesinnungsaustausch mit einem reizenden Mädchen, für das man glüht, kein Hochgenuß, zumal in einem ungeheizten Zimmer. -- Fahr wohl, dachte Laurent, bist für die Liebe verloren, dich plagt ein anderer Dämon. Behalte dein Rußland! Aber das russische Gasthaus besuchte er und wurde dort Stammgast. Trebatsch, der Wirt, ein Rotbart mit wahrhaft königlichen Händen, war ein zu Grunde gegangener Wechsler aus Odessa. Aus seinem Pharisäergesicht, von dessen markiger Schönheit er keine Ahnung hatte, guckten tausend schlaue Teufelchen, doch war er die Demut und der Geschäftseifer selbst. Sein Kindersegen war groß. Sascha und Mascha, die Zwillingstöchter, bedienten. Sascha oder Mascha? -- das war hier die Frage. Gleichrunde, schwerfällige Gestalten, gleichrunde Wangen wie Milch und Blut, gleichrunde Kirschenaugen -- nur Adler und Federscher, die beiden Auserwählten, konnten sie kraft ihrer Liebe unterscheiden, was nicht einmal das Vaterauge vermochte. Wie oft hörte man z. B. den Alten draufloswettern. »Mascha, nimm dich in acht! Was sind denn das für Sachen, Mascha? Mascha, ich sag' dir ins Gesicht« u. s. w., bis ihm der Ausruf das Wort abschnitt: »Aber ich bin ja gar nicht die Mascha!« Das Lokal war eng, trüb und dumpfig, dafür wurden aber die Gäste, die Ernährer der Familie, auf Händen getragen. Gerstensuppe, haschiertes Beefsteak, Thee samt Citronenschnitte -- alles kostete nur einen Franken. Lustig ging's gerade nicht zu. Man unterhielt sich im Murmelton, als läse man Gebete. Slaven kehrten wenig ein, zumeist Juden wie Adler, Goltschmann, Klein und Federscher, aber dem Herzen nach waren sie Russen und liebten Rußland wie ihre Muttererde. Wie sie existieren konnten, war ihnen selbst ein Rätsel, trotz der Stipendien, die ihnen von reichen Glaubensgenossen zuflossen. Adler besorgte Abschriften für die russische Botschaft, die ihm sein Gönner, der Botschaftskanzler, verschaffte. Die meisten lagen auf der faulen Haut und darbten. Nicht immer hatten sie eine ständige Wohnung, manchmal überhaupt keine, bei Kameraden flogen sie wie Tauben aus und ein. Fragte man z. B. den Concierge neben der Kirche St. Etienne du Mont, wo Goltschmann zur Zeit eine Mansarde inne hatte: »Wohnt Herr Adler hier?« so hieß es etwa: »Nein, aber er ist soeben fortgegangen.« Oder erkundigte man sich nach Klein: »Heute war er noch nicht hier, muß aber jeden Augenblick kommen.« Sie steckten die Köpfe zusammen und klatschten -- wer dachte an Dynamit und Sturz der Tyrannen! -- richteten die Freunde aus und sprachen -- sie gehörten zur südlichen Kolonie -- von Odessa und wiederum von Odessa. Sie waren hilflos, ohne Halt, lächerlich, aber sympathisch. So ordinär sie von Manieren auch waren, ihr Freiheitsdurst bürgte für ihre Seelengröße. Sie spielten nicht die Freiheitskämpfer. Sie schrieen nicht Feuer und Mordio, sie schwiegen und verbrannten. Gleich einer geheimen Sekte schlossen sie sich ab. Es war ein verzagtes Traumleben, das sie führten, ein Lagerleben, darin man zu keiner neuen Schlacht rüstete, der Ruhe geweiht, einer Ruhe, die entnervt und tötet. Diese Unglücklichen, die mit ihrem Gott und nicht mit der Menschheit rechteten, konnten Rußlands Mißstände unmöglich gefährden. Nihilist sein galt bei ihnen nicht als Gesinnungssache, sondern als ein Stand, ein Fluch. Der dumpfe Drang nach geordneten Verhältnissen war ihre Triebfeder, und wie Wohlthätige die Bettler aus der Welt schaffen möchten, so trachteten diese Menschenfreunde sich selbst auszurotten. »Wir sind schlechte Rebellen,« klagte oft Klein. »Der Russe macht in uns den Juden mutig, doch dieser den ganzen Menschen zu schanden.« Das Gnadenbrot Europa zu Füßen werfend, wollte er sich später als Arzt in Palästina ansiedeln. Dahin gehen und sich den Bauch aufschlitzen, galt ihm eins -- sein Heldenmut der Selbstvernichtung war mitleiderregend; ein Streber von Haus aus, betrachtete er seine Leidensgenossen als seine Verderber, und der Gedanke, Proselyt zu werden, umgaukelte ihn wie ein verführerischer Traum. »Desertier, aber bleib im Land!« riet ihm Adler, der als ein glühender Verehrer Frankreichs die stolze Hoffnung hegte -- und das kennzeichnete wiederum den Standpunkt dieser Aufständischen -- als russischer Botschaftsarzt in Paris Karrière zu machen. »Mein Vater war Jude, ich bin Russe, und mein Sohn wird Franzose sein,« spottete der Tausendsassa, der immer bei guter Laune und bei Geld war. Wie oft half er seinem Schwiegervater mit 5--10 Franken aus der Verlegenheit. Mochten alle zusammenknicken, er trug das Haupt hoch und frei, nicht aus Selbstüberhebung -- es fiel ihm nicht ein, über sich nachzudenken -- Frohsinn war seine ganze Frechheit. Laurent blieb es unbegreiflich, daß der geckenhafte Geselle, den Eigensinn der Lebensfreudigkeit in jeder Fiber, sich in die Kutte des Nihilisten zwängen und mit einem Goltschmann in dicker Freundschaft leben konnte. Wie im Opiumrausch taumelte dieser durchs Leben. Glühende Augen und ein mattes Lächeln -- welch ein feuriges, todkrankes Gesicht, welch eine gesegnete, klägliche Natur! Stolz und schwach, hochtrabend und feige -- ein Halbgott, der unter Menschen eine jämmerliche Rolle spielte. Vergebens beschwor ihn Laurent, der in ihm einen mächtigen Poeten erkannte, ja, einen gottbegnadeten, bizarren Poeten: »Schreiben Sie! Erleichtern Sie ihre Seele!« Vergebens wollte er ihm zu einer Existenz verhelfen und ihn berühmten Kollegen als Übersetzer empfehlen. »Die Goltschmanns thun nichts,« hätte Turgenjew sagen können. »Ich weiß es, das sind ja meine Helden!« Bald verschwand er aus Paris, um in Wien aufzutauchen, oder kehrte plötzlich dahin zurück, geradewegs aus Madrid kommend. Stipendien waren sein Zehrgeld. Als einmal die Rede auf seine Wanderungen kam, und Laurent den Ausruf that: »Sind Sie aber beneidenswert! Ein Stück Welt gesehen zu haben, das lass' ich mir gefallen!« sagte er urplötzlich in einem Ton so grenzenlosen Kummers, daß selbst Laurent, dem harten Mann, Thränen in die Augen traten: »Ist das auch 'was? Bin ja doch nur ein Fremdling im Leben. Trotz meiner achtundzwanzig Jahre hab' ich noch nie geliebt!« II. Als Laurent an einem Winterabend wieder einmal im russischen Restaurant einkehrte, fand er alles auf den Kopf gestellt. Düster in sich gekehrt aßen die Gäste drauf los. Trebatsch schien den Kopf verloren zu haben und schrie seine Töchter an. Die eine -- Sascha oder Mascha? -- hatte rotgeweinte Augen, und Adler saß abseits, gleichsam am Katzentisch, sein haschiertes Beefsteak mühsam hernnterwürgend. »=Diable=, Sie schauen heut nicht lustig drein,« bemerkte Laurent. »Ich hab' Ihnen etwas zu sagen,« flüsterte Adler. »Gut, machen Sie, daß Sie fertig essen. Bei mir brennt ein gutes Feuer, da sollen Sie mir Ihr Herz ausschütten.« Eine halbe Stunde später saßen die beiden am Kamin in einem wahren Schmuckkästchen von Stube. Die zarte Anthracitflamme beschien ihre Gesichter, das von einem Erlebnis zermalmte des einen und das nach einem Erlebnis gierige des andern. »=Eh bien=, was giebt's?« Ein Stück brennende Kohle fiel aus dem Feuerhaufen auf die steinerne Fliese nieder, brannte aus letzter Kraft und erlosch. Adler betrachtete die Glutleiche und nickte dem Frager zu: »Ja, ich bin verloren.« »=Tiens=, weshalb?« fragte Laurent. »Wollen Sie eine Cigarre rauchen?« Adler sprang empor. Vorbei war alle Wehmut, sein Zorn jauchzte auf. Mit einer Miene, als wollte er all die hübschen Möbel in Trümmer hauen und die ganze Welt dazu, rief er mit dem höllischen Wohlbehagen der Verzweiflung: »Ich bin der Spionage angeklagt und des Unterschleifs von Stipendien. Federscher ist mein Angreifer. Ein Gericht von meinesgleichen wird zusammentreten und mich der Ehre verlustig erklären. Trebatschs Gasthaus wird für mich verschlossen, meine Braut verloren sein. Bald wird die ganze Pariser Studentenschaft meine Schmach erfahren, ein jeder sich scheuen, mit mir umzugehen und nicht eher ruhen, bis ich abseits verrecke wie ein räudiger Hund!« »Aber das ist ja hochinteressant!« rief Laurent und ergriff Adlers Rechte, wie um ihm zu gratulieren. Dieser wuchs in seinen Augen. »Welch ein Fall! Nicht rühren sollte man daran, um ja den Effekt zu wahren.« Nur pflichtschuldigst fragte er, was an der Sache eigentlich sei. »Nichts!« knirschte Adler und beschwor seine Unschuld. Er habe für die Botschaft kopiert, das sei alles. Und wenn er mehr Stipendien erhielte, als die andern, so sei das gerecht, und wenn er ein besserer Student wäre als jene, nicht seine Schuld u. s. w. »So brauchen Sie ja das Gericht nicht zu fürchten!« »Aber ich fürchte es! Richten heißt bei ihnen vernichten! Dies Gericht bedeutet meine Hinrichtung!« Merkwürdig, wie schlecht er plötzlich auf die Seinen zu sprechen war. All seinen Ekel gegen sie, welcher ihm ein so bitteres Weh zu bereiten schien, wollte er in die Brust des andern pflanzen, in ihm einen Widersacher werben gegen seine Widersacher. Ordentlich, als ob er auflebe: endlich ein Andersgläubiger, der Mann einer fremden Nation! Entweder ist er unschuldig, und ich muß ihn retten, oder er ist schuldig, und ich muß ihn gleichfalls retten, dachte Laurent und rief auf alle Fälle: »Ich glaube Ihnen und stehe für Sie ein!« Er wußte nur soviel, daß man auftreten mußte, aber auftreten! Lärm schlagen, einen Höllenlärm! Er liebte Schwung in allen Dingen. Fein sollte es bei diesem Rettungswerke hergehen und vor allem korrekt. Und der polizeischeue, friedliebende Laurent, der, wie gesagt, seine tausend Gründe hatte, Duellsachen wie die Pest zu hassen, rief: »Sie müssen sich mit Federscher schlagen!« Aber Sie werden sich nicht mit ihm schlagen! Das wäre! =Je connais mes braves!= fügte er im stillen hinzu und, seiner Sache gewiß, wiederholte er ganz Feuer und Flamme: »Sie müssen sich mit ihm schlagen!« Es galt eine Komödie, nichts weiter, nur eine heilsame Herausforderung. Ein Blick auf Adler, der ihn unschuldig anstarrte, überzeugte ihn, daß der Coup zu wagen sei. »Aber, Herr Adler, ich weiß ja, daß Sie sich noch nie duelliert haben und sich nie duellieren werden!« suchte er ihn und sich selbst zu beruhigen. »Gerade wie Sie es wissen, daß ich noch nie Zeuge gestanden habe und auch nie und nimmer Zeuge stehen werde. Davon ist gar keine Rede!« Wie mußte er über seinen Einfall lachen, diese beiden treuherzigen Hasenfüße zum Duell verleiten zu wollen, sei's auch nur zum Schein. Doch wußte er, daß das ritterliche Auftreten seines Schützlings eine ungeheure Wirkung bei seinen Gegnern hervorrufen, sie einschüchtern und entwaffnen würde, und daß es nur eines einzigen Krakehlers bedurfte, ein tausendköpfiges Heer von Feiglingen in die Flucht zu jagen. Auf die Feigheit baute er, drum hatte er Mut. »Kennen Sie außer mir noch jemand, der bereit wäre, Ihnen Zeuge zu stehen?« »Jawohl, Klein.« »Wohlan, so bringen Sie Herrn Klein zu mir. Wir gehen in Ihrem Namen zu Federscher!« Als er erfuhr, daß dieser und Adler vor den Thoren der =École de médecine= sich bereits geohrfeigt hatten, schrie er vor Vergnügen: »Ich werde ihn fordern, und er wird sich weigern. Er wird sagen: »Ich weigere mich, weil --« »Wenn Sie sich weigern, dann --« werd' ich sagen. »Das Ehrengericht!« wird er schreien. »Kein Ehrengericht!« werd' ich schreien. »Ja! ja!« -- »Nein, nein!« »Das werd' ich sehen!« »Das wollen wir sehen!« -- Das weitere würde sich selbst ergeben, wenn erst nur die Präliminarien eines Duells Wunder thaten, und letzteres nie zustande kam. Mit feierlicher Miene lauschte Adler, als erneuerte sich in ihm der ganze Mensch. Wie er für sein Leben zittert! dachte Laurent. »Mut!« lachte er, »nur zum Spaß gilt's tapfer, ungestraft gilt's heldenmütig zu sein!« Noch nie hatte es ihm solches Vergnügen gemacht, jemanden beizustehen. Die Ehrenkomödie aufführen zum Experiment! Flausen machen zum Beweis, daß alles Flause war! »Eine Welt ist gegen Sie, damit wollen wir schon fertig werden. =Sapristi!=« Adler fiel ihm um den Hals und wollte gar nicht fortgehen vor lauter Dankbarkeit. Laurent mußte ihn förmlich hinauswerfen. Morgens lag er noch in den Federn, als jener in Begleitung Kleins wieder erschien. Doch hatte man sich nichts mehr zu sagen und konnte ans Frühstück gehen. Adler in der Stimmung des Geretteten und ganz Beflissenheit holte für Laurents Geld Wurstzeug herbei, während dieser über dem Kaminfeuer kernweiche Eier zu kochen bemüht war. Nur ließ der Unglückliche die schönen Eier in die Flammen sinken. Natürlich gabs ein furchtbares Gelächter. Die Russen lachten! Man hatte es aber auch gut unter den Fittichen dieses Franzosen, der alle Nichtfranzosen glaubte in die Tasche stecken zu können, mit ihnen aber so interessiert liebenswürdig verfuhr, wie mit seltenen Tierarten. Endlich machte er Toilette, steckte sich -- man höre! -- das blaue Bändchen des Palmenordens*) ins Knopfloch und begab sich Arm in Arm mit Klein zu Federscher. *) =Les palmes d'officier de l'Académie=, eine Auszeichnung, leicht zu erringen, selbst von Schullehrern. Die Wohnungspracht desselben war verblüffend. Die zusammengeklaubten Möbel sahen ordentlich glücklich aus, wie von zärtlicher Hand gestreichelt; das Schlafzimmer mit seinem Himmelbett aus lichtblauem Kattun war wie das eines Mädchens. Inmitten dieser Herrlichkeiten befand sich Adlers Gegner, ein brustkranker Mensch. Laurent hatte aus seiner Feder eine Übersetzung Tolstois mit wahrem Vergnügen gelesen. Sie alle waren ja begabte, vortreffliche Leute, und was sich unter ihnen abspielte, war nur eine Hetzjagd, der wahnsinnig wollüstige Durst nach Blut, nach Bruderblut, der wunderbar grauenvolle Genuß, sich ins eigene Fleisch zu schneiden. Oder waren sie im Rechte und übten eine Strafgewalt aus in der persönlichen Rache? Federscher empfing die beiden sehr verblüfft. Man sah ihm an, daß er aufgestachelt worden war, nur aus Rücksicht für seine künftigen Verwandten als Kläger auftrat und um nicht selbst der Schwager eines verdächtigen Menschen zu werden, daß ihm die Sache längst keinen Spaß mehr machte, doch daß er entschlossen war, sie als seine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit zu Ende zu führen. Übrigens geschah, was Laurent vorausgesagt: Mit einem Mann, dessen Ehre in Frage stand, wolle er sich nie und nimmer schlagen. »Mein Herr!« rief Laurent großartig, »so lang Herr Adler nicht gerichtet ist, bleibt er ein Ehrenmann, und ich bin sein Zeuge!« »Ich schlage mich nicht mit ihm.« Wenn schon, denn schon! dachte jener, über seinen Scharfblick selig und von dem guten Gang der Dinge kühn gemacht, und fuhr mit so gewaltig edler Energie fort, daß ihm selbst feierlich zu Mute wurde, und daß Klein immer nachdenklicher dreinsah und Federscher immer betroffener. »Noch ist Herr Adler ein Ehrenmann! Ist er gerichtet, will ich ihm selbst ausweichen schon tausend Schritte weit!« rief er, indem er sich den Kopf zerbrach, wem Federscher mit seiner flachen Stirne, der langgezogenen Nasenpartie und dem zurücktretenden Kinn nur so frappant ähnlich sähe. »Mein Herr! wenn Sie sich weigern, die Waffen reden zu lassen, wird Ihnen Herr Adler, in dessen Namen ich zu sprechen die Ehre habe, ins Gesicht schlagen und ins Gesicht speien, wo und wann er Ihnen begegnet!« »Bedaure, aber ich muß auf dem Gericht bestehen!« »Sei's!« rief Laurent auf einen Einfall hin, für den er Adlers Dank allerdings verdiente. »Warten wir das Gericht ab! Allein wir verwerfen den Urteilsspruch abtrünniger Kameraden! Nur Männer wie Pokuroff sollen hier Richter sein!« So wurde der kameradschaftliche Streit zu einem Rechtsfall im großen Stile und die öffentliche Stimme Richterin darüber. Allein während Laurent mit diesem Ansinnen seinen Schützling vor dem dichten Haufen der Feinde deckte und ihn vorderhand ihrer Wut entriß, hatte er ihn nicht mehr im Auge als die andern. Verfolgter und Verfolger standen plötzlich seinem Herzen gleich nah, das höhere menschliche Interesse trieb ihn an, ihm war nur noch um die Wahrheit zu thun: Ich will wissen, was in euch steckt, meinetwillen geschehe strengste Untersuchung! Tags darauf stellten sich Federschers Zeugen bei ihm ein: Zedekoff, ein verschlafener, unglücklicher Patriot, und Goltschmann, der aus einem Turgenjew'schen Roman entsprungene Held. Laurent war aufs freudigste überrascht, zu sehen, wie das schöne Wachsbild plötzlich Leben bekam. Das blaue Ordensband wiederum und mehr als je im Knopfloch, begab er sich mit den beiden und mit Klein, den sie in einem Gasthaus aufgespürt hatten, zum Oberst Pokuroff. Eine alte Dame öffnete und ließ sie mit mißtrauischer Miene ein. Nur Laurent gab seine Karte ab: =Jacques Laurent, Directeur de la Revue Rose=. Vor vierzehn Tagen war diese Zeitschrift ins Leben getreten. Ökonomische Schriften in allen Sprachen füllten Pokuroffs kleinen Salon. Ein Werk, »Zivilisation« betitelt, das den Oberst zum Autor hatte, deckte in vielen unaufgeschnittenen Exemplaren Kanapee und Armstühle. Auf dem Kamin, darin kein Feuer brannte, stand eine schön eingerahmte Photographie des Fürsten Krapotkin. Pokuroff mit seinem ehrwürdig struppigen Bart und dem schußgeraden Blick sah halb wie ein Pope, halb wie ein Krieger aus, der orthodoxe Russe, wie er leibte und lebte. Selbst in der Verbannung schien er ein Stück Heimat mit sich zu tragen. Bescheiden nahm Laurent das Wort, den überlegenen Fremden als Weltmann und Franzosen behandelnd. Er fühlte, dieser Mann war ernst zu nehmen, »=discutable=« und besserer Streiter wert. Als wäre er nie vor dem Antlitz eines Größeren gestanden, jubelte es in ihm: Welch ein gottgesalbter Richter! Was ihm das Herz abquält und zur Verzweiflung treibt, ist einzig und allein sein Gerechtigkeitsgefühl! Jener ließ ihn ausreden. Der Fall war ihm schon bekannt, man hatte ihm darüber eingehend berichtet. »Ich habe sehr schlechte Auskünfte über Herrn Adler,« sagte er. »Er ist bei seinen Landsleuten übel angeschrieben. Seine Sache kann nicht schlechter stehen. Trotzdem bin ich bereit, die Angelegenheit zu prüfen und im Verein mit anderen darüber ein Urteil zu fällen.« Ganz Zuvorkommenheit erging sich nun Laurent in Lobsprüchen über die russische Litteratur, ihre Meisterwerke als fremdartig preisend, eigentümlich und bizarr. Voll Begeisterung hauchte er: »=C'est étonnant! c'est étonnant!=« »Wieso eigentümlich, fremdartig und bizarr?« fragte der Russe. Auch an der Politik wurde gerührt. »Wir sind nicht Nihilisten, wir sind Sozialisten,« sagte er und hätte die Welt zerreißen mögen, die ihr Glück mit Füßen trat. Daß er besser war als sie, sie aber stärker als er, schien beider Unglück. Diese Weltunordnung muß ein Ende nehmen! rief es in ihm. Er brauchte kein Vaterland und keinen Gott. Sein Herz war groß wie die ganze Welt. Er nannte sich keinen Heiland, er nannte sich einen Aufgeklärten. Er dünkte sich ein König und schrie nach Gleichheit, um lauter Könige um sich zu sehen, damit jede Erdscholle, darauf ein Mensch lebte und strebte, zum Throne würde. Riese im Ameisenstaat! dachte Laurent. Mit Seufzen und Klagen erobert man nicht die Welt. Genie muß man haben und, um ihr Befreier zu werden, die Verschlagenheit von tausend Tyrannen! Ihm selbst waren die Menschen der geringste Kummer, doch wenn er jetzt etwas wie Antipathie gegen sie empfand, so hatten das seine russischen Freunde auf dem Gewissen. Was zu viel war, war zu viel. Sie fielen über seinen Schützling her und fraßen ihn auf. Erst hieß es: »Es ist unmöglich, daß Adler ein Schurke ist!« Dann: »Kann sein, daß er einer ist.« Bis schließlich nur eine Stimme herrschte: »Er muß es sein! wir wollen es! Das ist er uns schuldig!« Klein machte der Handel alt und grau. Er sah seine Brüder mit den Augen der Welt -- sein Herz verblutete schier. Sie richtig zu beurteilen und so sinnlos zu lieben -- wie konnte das einer auch aushalten? »Seinen Glauben abschwören ist für die Katze,« jammerte er. »Seine Juden abschütteln gilt's -- wer das könnte!« Die lammherzigen Bursche hatten Mut gegen ihresgleichen -- was kümmerten sie fremde Rassen? -- und waren erbarmungslos wie blutgierige Wölfe. »Schweigt! schweigt!« bat Klein. »Wir wissen, was wir reden!« brüllten sie. »Eben darum!« flehte jener. So oder so, überspannte Köpfe waren sie alle, und die Sucht, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen, schien Familienzug bei ihnen. Das gehetzte Wild hatte nichts zu hoffen, als auf ein Gericht, darin alle, alle gegen ihn zeugen würden. Dennoch verzehrte ihn die Ungeduld. »Haben Sie Nachricht von Pokuroff?« war seine erste Frage, wenn er bei Laurent Zuflucht zu suchen kam. Er konnte es nicht erwarten. »Noch immer keine Nachricht!« und er verzweifelte. Der reckenhafte Mann brach zusammen unter der Wucht der Verachtung. Die Gratismahlzeiten bei seinem künftigen Schwiegervater hatten auch aufgehört. Um mit den Seinen nicht brotlos zu werden, mußte ihm dieser seine Thür verschließen, machte aber dadurch brillante Geschäfte. Es wimmelte von Gästen bei ihm. Die Russen krochen aus ihren Löchern. Es ging in den Kampf, zwar nur gegen einen armseligen Kameraden, gleichviel, es war ein ewiges Fest oder vielmehr ein Rüsten zum Fest -- alle gegen einen! Daß sich Adler nicht erhängte, blieb Laurent unbegreiflich. War's nicht genug für ihn, aus Rußland vertrieben zu sein? Doch was ist dir Rußland gegen Trebatschs Restaurant? dachte dieser, das ist dein Mekka, eine Klatschstunde bei Goltschmann für dich Lebenszweck, die Schar deiner Kläger die ganze Welt. Und drücken dir diese hergelaufenen Bursche das Kainszeichen auf, vergebens machen dich dann alle Nationen der Welt zum Ehrenbürger, die Selbstachtung lernst du nimmermehr! Als ob einer, den man mit Kot bewirft, sich nicht mehr zu waschen brauchte, verwahrloste er sich auf die rücksichtsloseste Art, sprach in weinerlichem Tone, warf die herzgewinnende Jugendlichkeit ab wie lästiges Zeug, bekam plumpe, verschlagene Züge -- der arme Teufel und der unedle Mensch waren fertig. Aber das Herz seiner Braut blieb ihm doch treu. »Da sieht man, was Liebe ist. Mascha stand wieder am Fenster und nickte mir zu. Sie sieht elend aus,« sagte er oft wehmütig. »Nun erkennen Sie sie auf den ersten Blick. O, meine Braut ist zu erkennen!« III. Im Café Koch in der Rue de la Glacière fand das Gericht statt, in dieser schmutzigen Spelunke, deren Spezialität es war, schmutzig zu sein, wo man aber für fünf Sous etwas Warmes zu essen bekam. Wo käme ein armer Student hin ohne solche Spelunken? Die Versammlung war auf drei Uhr anberaumt. Kopf an Kopf saßen die Kläger, sie erdrückten einander schier. Hier ballte sich eine Faust, dort grinste hämisch eine Fratze, hier blitzte ein finsterer Blick auf, dort erscholl Hohngelächter. Selbst der stumpfste Geselle hatte das Mordfieber und war schon erhitzt und freudetrunken -- alle gegen einen! Adler war wie verwandelt. Er sah blühend aus. Mit lauter Stimme gab er Laurent über die fremden Gesichter Bescheid, in nachsichtsvoller, anerkennender Laune -- o er ließ auf seine Feinde nichts kommen! »Wen meinen Sie? Ja so! Aha!« und er erhob sich, sah in die Runde, starrte ihnen wohlgefällig ins Gesicht, mit hochwogender Brust -- ihn erfaßte das Glücksgefühl des Tollkopfs in Lebensgefahr. Das heiße Leben in jedem Blutstropfen und mit dem einen Fuß im Jenseits -- so groß ist also die Welt! Er war von Sinnen und hatte tausend Sinne und zu allem Kraft, nur nicht für die Angst und für die Reue. Schlag drei Uhr erschien Pokuroff in Begleitung eines Mitgliedes der =Société secrète=. Alles erhob sich. Wie Schulknaben standen sie da. An einem bereitgehaltenen Kaffeetisch nahm der Oberst Platz neben dem mitgebrachten Herrn, einem ungemütlichen Glatzkopf. Als machte er eine unliebsame Bekanntschaft, mit der er lieber verschont geblieben wäre, verzog er sein abgelecktes Gesicht -- er machte kein Hehl aus seinen Gefühlen und schien ein gar vorurteilsfroher, strenger Richter zu sein. Ein dritter Richter hatte sich verspätet, ein blonder junger Mann, der sehr geziert that, bald geniert, bald amüsiert und mit der Miene eines wißbegierigen Kindes die beiden andern immer etwas zu fragen hatte. Obenan saßen die Richter, rechts von ihnen Laurent, Klein und ein dritter Zeuge des Angeklagten, ein aus Irkutsk hergereister junger Mann, den dieser, Gott weiß wo, aufgetrieben hatte. Links saß Federscher mit seinen Zeugen. Adler, der mit einem wacklichen Rohrstuhl als Anklagebank vorlieb nehmen mußte, schloß den Kreis. Halbwüchsige Bursche und Familienväter, die wie halbwüchsige Bursche aussahen, füllten den Saal. Hagere Rotbärte und dicke Krausköpfe saßen rauchend da und spuckten wie aus Ekel vor ihrem schlechten Tabak. Ein kleiner Kerl mit der Physiognomie eines zu hohen Ehren gekommenen Gassenjungen machte die Honneurs. Auch einige Studentinnen waren erschienen, sehr häßliche Mädchen, die man wieder fortschickte, woher sie gekommen waren. Ein lichtes Jesusgesicht wandelte im Gewühl. Ein korpulenter Bursche mit Tieraugen lauerte auf den Moment des Überfalls. Ein flachnasiger Russe, in jedem Zug ein Charakter, stand ungeduldig auf seinem Posten. Pokuroff ergriff das Wort. Es klang wie ein Kommando. »Man muß wissen, mit wem man lebt,« sagte er. »Drum wollen wir untersuchen, ob die schweren Anklagen gegen Herrn Adler begründet, und wir berechtigt sind, über ihn den Stab zu brechen.« Hierauf erhob sich der Irkutsker, ein reiches Muttersöhnchen, dem man ansah, daß er diesen Kreisen fern stand und fern stehen wollte, daß er mit seiner Bürgschaft nur ein gegebenes Versprechen einlöste und daß er überhaupt nur zu seinem Vergnügen nach Paris gekommen war. Adler sei sein Schulkamerad gewesen, begann er, er habe ihn immer für einen anständigen Menschen gehalten, seine Ehrenhaftigkeit genugsam erprobt und könne den Beschuldigungen nie und nimmer Glauben schenken. Mehr tot als lebendig stammelte Klein: »Adler ist nicht besser und nicht schlechter als alle andern --« doch ließ man ihn nicht ausreden, Laurent gar nicht zu Wort kommen, der Russe mit dem Charakterkopf trat vor die Schranken. Seine grobe Kleidung, sein bäuerisches Wesen, alles an ihm zeugte von schadenfrohem Mut, und selbst seine starken Backenknochen schienen ein Abzeichen des müde gehetzten Rebellen. Nach einer kurzen Erklärung an Pokuroff wandte er sich zornglühend an Adler. Schmerz und Wut zersprengten ihm schier die Brust. Sein Freund sei bei seiner Rückkehr in die Heimat verhaftet worden infolge einer Denunziation Adlers. Der Name Sedlin -- so hieß dessen Gönner, der Botschaftskanzler -- kehrte immer in seinen Klagen wieder. Er tobte nicht, er weinte und schrie, als müßte ihm das Herz brechen: »Verräter!« Adler sprang auf. Wie ihm das Herz aufzuckte in Verzweiflung und Bosheit! Die ihn ausgehungert hatten und zum äußersten getrieben, um sich an seiner Wut zu weiden, kamen auf ihre Kosten. Wie ein befreiter Riese stand er da. Mit erhobener Faust schien er jenem das Wort buchstäblich ins Gesicht zu schleudern, und gleich einem wilden Triumphgeschrei entrang es sich seiner Brust: »Lüge! Lüge! Lüge!« Erschrocken brachte Federscher seine Klage vor. Seine Katzenaugen blickten scheu, sein Schnauzbart sträubte sich -- nun wußte Laurent, wem er so sprechend ähnlich sah, einem Löwen, einem sanften, entarteten, verächtlichen Löwen. Ein schmieriges Individuum, das Adler um Stipendien sollte betrogen haben, ergriff das Wort. Lichtblond, blauäugig, mit erfrorener Nase und krummen Beinen -- seine Erscheinung war so jämmerlich als belustigend, zumal aber seine Art, das Russische zu radebrechen, wobei er weder die Richter noch den Angeklagten, sondern die anderen anblickte, sie als seine Zeugen und Aufstachler anzurufen. Adlers Antwort war ein Leugnen. Er selbst sprach ein vortreffliches Russisch. Jedes Wort aus seinem Munde klang einleuchtend und verblüffend, wie eben die Rede eines gescheiten Menschen. In diesem Moment war er Russe, Russe mit Leib und Seele. Sein scharfgeschnittenes Gesicht schien zwar mit der slavischen Mundart in Widerspruch zu stehen, woran er sich aber blutwenig kehrte. Er wuchs mit jeder patriotischen Phrase, mit jeder volkstümlichen Wendung und freute sich am Scheine dessen, wonach sein Innerstes sehnsuchtsvoll drängte: Europäer zu sein, sei's Russe, was immer, zur Gegenwart zu gehören, nur nicht zu einem toten Volke. Als brauchte er nur ein Wort zu sagen, um sie alle zu vernichten, stand er lächelnd da und hielt an sich. Von gekränkter Ehre war nicht die Spur an ihm, sein Gewissen schien unantastbar wie ein gesalbter König. Seine massive Schönheit, sein geschmeidiges Temperament, die spöttische Art, wie er seine Lumpen trug, alles an ihm schien zu frohlocken: Ich bin der Stärkere! Edle Wehmut im Antlitz gestand er, welch ein phänomenaler Mensch er sei, brach jedoch ab, als spräche er eine unliebsame Prophezeiung. Immer vertraulicher, immer vorwurfsvoller klangen seine Worte, ganz in der Art, wie gute Kameraden einander herunterkanzeln, und allen auf einmal ins Gesicht blickend, schloß er mit dem Fragezeichen: »Seid ihr ein Volk -- was?« Ein Schrei der Entrüstung gellte durch den Saal. Selbst die Richter fuhren auf. Man war zu starr gewesen, um ihn nicht ausreden zu lassen, nun aber hatte man bloß den einen Gedanken, den Frechling niederzustrecken. Man sah nichts als Teufelsgesichter. Das Jesusgesicht wirkte geradezu schaudererregend mit seinem Aufwand von Gift und Galle. Der mit den Tieraugen that einen Satz auf Adler, als könnte er sich von dem tödlichen Streich nicht enthalten. »Was wollen Sie?« herrschte ihn Pokuroff an, und um der Sache ein Ende zu machen, hieß er ihn mit seiner Klage hervorrücken. Er schrie um Geld, um Verkürzung und Schaden mit einem Blick voll Haß, voll Haß! Er hätte Adler zerfleischen mögen. Seine unglaublich dichten, unglaublich schwarzen Haare sträubten sich. Wütend klagte er über Hunger, und sein dicker Körper erbebte, sprach von Weib und Kindern, und sein Zorn steigerte sich bis zur Raserei. »Brot oder Blut!« stand auf seiner Stirne. Er machte einen widerlichen Eindruck, aber den Eindruck, daß er recht habe, daß der Hunger recht habe. Adler zahlte Schimpf mit Schimpf, Pokuroff mußte ihn zurechtweisen. Mehrere Stimmen wurden zugleich laut, die Hälse reckten sich, die Augen blitzten, man steckte die Köpfe zusammen oder schrie von einer Ecke in die andere. Die Richter waren vergessen, man fühlte sich ganz unter sich. Die Anklagen regneten, der Name Sedlin ertönte aus heiseren Kehlen. Der mit den Tieraugen sprach in alles drein und kam, wovon auch die Rede war, mit Ziffern und Zahlen. In einem Moment unwillkürlicher Stille stieß das Jesusgesicht einen Fluch aus. »Spion! Dieb!« erscholl es von allen Seiten, und wiederum der Name Sedlin. Es war kein Tribunal mehr, sondern ein Zanken, Streiten, Sich-in-den-Haaren-liegen. Das Tiergesicht, Kleins gramvolle Züge, das Mondgesicht Zedekoffs, Federschers unlöwenhaftes Löwengesicht, Goltschmanns ideale Züge -- ihre Gesichter hatten eine große Familienähnlichkeit. Wie leibliche Brüder erschienen diese Bettler, indem sie, in glühendem Patriotismus nach Brot schreiend, über einen Bettler herfielen, weil er mehr erbettelt hatte als sie. Der jugendliche Richter lächelte verlegen, der Strenge triumphierend. Der Rächer seines Freundes, der auf Spionage klagte, drängte auf die Verurteilung. Pokuroff forderte neue Beweise. Der Kleine mit dem Gassenbubengesicht hielt eine Ansprache. Adler schwankte, ob er ihm nicht einen Sessel an den Kopf werfen sollte. Ein schmerzlicher Ausdruck legte sich auf seine Züge, als Goltschmann sich erhob, um wider ihn zu zeugen. Der mit der erfrorenen Nase bekam Mut und schrie immer unverschämter. Das Jesusgesicht hatte eine Schar um sich und hetzte. Die Schwüle, der Dunst im Saale wurde unerträglich. Der junge Richter fächelte sich mit dem Taschentuch, der Strenge flüsterte Pokuroff etwas ins Ohr. Einige Hungrige hatten sich fortgeschlichen. Soeben that Zedekoff den gähnenden Mund auf, um auch als Kläger seine Pflicht zu thun, als Pokuroff sich erhob und erklärte, daß es Essenszeit sei, und die Beratung nach Tisch wieder aufgenommen werde. Adler ging mit dem Irkutsker. Die Schreier zerstreuten sich nicht sobald. Laurent, der sich Pokuroff und dessen Assistenz angeschlossen hatte, sah wie betäubt um sich auf der tosenden Straße, sich fragend, ob Paris wohl eine Ahnung hätte von den Völkerschaften, die es beherbergte, und von den Revolutionen, die sich in seinen Spelunken abspielten. Im russischen Gasthaus, wohin sie sich begeben hatten, lief Trebatsch wie ein Wahnsinniger hin und her. Nun hatte er eine dicke, rosige und eine blasse, magere Tochter, da ließ es sich auch besser kommandieren. Bei der berühmten Gerstensuppe unterhielten sich Pokuroff und Laurent von Dostojewski und dessen Stellung zum Nihilismus. Von dem Zwiespalt, in dem der Dichter die letzten Jahre seines Lebens verbracht hatte, sprach dieser in traurig vorwurfsfreiem Tone, wie man etwa von einer Gehirnentzündung spricht, seinen Abfall bestritt er als Lüge. »Er konnte uns nicht aus seinem Herzen reißen,« behauptete er, »wir haben ihn als den Unsrigen begraben.« Am Tisch nebenan dinierten die beiden andern Richter. Der Strenge mit Würde und Appetit, der Jugendliche mit zimperlicher Neugierde, indem er nicht müde wurde von einer russischen Fürstin zu sprechen. =La princesse= her, =la princesse= hin, und das Wort wurde zum Begriff des Erhabensten, wenn er es mit sehnsüchtigen Lippen aussprach, voll Feuer und Ehrfurcht. »Sie giebt Lektionen?« fragte der andere. »Nicht doch,« war die Antwort. »=Elle fait la lecture.=« Um neun Uhr wurde das Gericht wieder aufgenommen. Nun herrschte eine matte Stimmung. Einer verließ sich auf den andern und alles auf die Verurteilung. Auch Adler war es satt, seine Unschuld zu beteuern. Der Ausgang seines Prozesses, daran er nicht hatte denken können, ohne zu fürchten, den Verstand zu verlieren, dünkte ihm plötzlich eine Lappalie. Mit der Abspannung kehrte auch Kälte ein. Der Irkutsker ging ungeduldig auf und ab. Auch andere verließen ihre Plätze und hauchten sich auf die erstarrten Finger. Mitternacht rückte heran. Die Richter zogen sich in das Wohnzimmer des Cafetiers zur Beratung zurück. Adler ging hinaus auf die Straße. Man war schon halb eingenickt, als jene wieder erschienen, das Urteil zu verkünden. Es fand ein gleichgültiges Auditorium. »Haben wir positive Beweise für die Schuld des Angeklagten?« begann Pokuroff. »Nein, nein und nein! Dennoch müssen wir Herrn Adler tadeln,« und diese Worte waren ein Beweis für die mutige, gewandte Selbstverteidigung Adlers, da ihn ja der Redner von früher her nicht kannte, »daß ein so hochbegabter junger Mann, wie er, die Unvorsichtigkeit beging, mit einem Sedlin Umgang zu pflegen, dessen Name nicht nur im revolutionären Lager, sondern auch bei der Gegenpartei verpönt und verachtet ist.« Laurent lief zu Adler hinaus, der frierend an der Straßenecke stand und die Kunde seiner Freisprechung mit gekränktem Lächeln hinnahm. Kaum konnte er sich aufrecht halten. Laurent und den gleichfalls herbeigeeilten Klein unter den Arm nehmend, führte er sie in ein nahes Caféhaus. Er war bei Geld und bewirtete sie mit Grog. So saßen sie beim heißen Trunk guter Dinge beisammen. Zärtlich blickte Adler bald den einen, bald den andern an oder starrte träumerisch ins Blaue. In seiner Freude sah man erst, wie vergrämt der Arme war. Entzückt über sein Abenteuer, das gottlob einen Abschluß gefunden, machte Laurent Klein Komplimente, sich in der Affaire tadellos benommen zu haben, als mitten in die herrliche Stimmung Adler wie ein Donner hineinfuhr: »Aber jetzt muß Federscher das Duell annehmen! Das bleibt ihm nicht geschenkt! =Je vais le battre comme une canaille!= Sie sind mein Zeuge, Herr Laurent!« IV. »Ich will nichts mit Duellen zu schaffen haben!« wehrte sich Laurent. Er hatte ein Buch geschrieben gegen den Zweikampf, ein gutes Buch sogar, einen wahren Herzensschrei, mit frechem Mut die Feigheit begangen, einem Beleidigten Genugthuung zu versagen, in seiner öffentlichen Rechtfertigung die Frage aufwerfend: »Was ist tapferer, sich mit geladenem Revolver zu verteidigen oder mit ungeladenem?« und Caillé, dem gefürchteten Publizisten, den Freundschaftsdienst, sein Zeuge zu sein, rundweg abgeschlagen. Dieser Duellhaß war sozusagen die einzige Empfindung seines Lebens. »Was wollen Sie denn noch?« fuhr er Adler an. Wie verwünschte er ihn mitsamt seiner ganzen Sippe! »Sind Sie nicht ein frischgewaschener Ehrenmann? Haben Sie es nicht aus Pokuroffs Munde? Und verbietet dem Russen sein junges Evangelium nicht aufs strengste den Zweikampf?« Nie und nimmer! dachte er und rief schließlich, um die Sache ein für allemal abzuthun: »Daß ich Ihr Zeuge bin mit dem größten Vergnügen, versteht sich von selbst. Aber nicht hier! Die Polizei, drei Monate Gefängnis -- ich danke! Es muß also in Belgien sein! Warum sollte es nicht in Belgien sein? Zwar die Reise für Sie selbst, Ihre beiden Zeugen und den Arzt, dann die Anschaffung der Pistolen -- eine verteufelt kostspielige Sache solch ein Duell! Wenn ich wenigstens in der Lage wäre, Ihnen auszuhelfen -- verfluchtes Geld!« Ein neuer Tanz begann. In Lumpen gehüllt, keinen Sou in der Tasche, dachte Adler Tag und Nacht an das Duell. Er aß nicht, er schlief nicht, er wusch sich nicht, es war ihm zur fixen Idee geworden, er war tausendmal unglücklicher wie vor seiner Freisprechung. Die Rachsucht verlieh seinen Zügen einen edlen, leidenden Ausdruck. Wiederum lief er Laurent das Haus ein, lehrte ihn Thee auf russische Manier zubereiten, nützte seinen Parfümvorrat oder saß da, den Kopf auf beide Hände gestützt, und knirschte in seinem improvisierten Französisch mit einem Gesichtsausdruck, daß es einen Stein erbarmt hätte: »=Je veux le battre comme une canaille!=« Laurent wußte nicht, wo ihm der Kopf stand. Die »=Revue rose=« machte Miene einzugehen. Nachts heimkehrend hörte er einmal die Hausbesorgerin aus ihrer Loge rufen: »Der Herr Russe war wieder da,« sagte sie höhnisch -- Hunde und Hausmeister können schlechtgekleidete Leute nun einmal nicht leiden -- »Sechsmal hat er nach Ihnen gefragt.« »Sagen Sie ihm morgen, ich sei verreist,« beauftragte sie Laurent. »Und wenn ein Herr Ponthier nach mir fragt: ich sei daheim und harre seiner.« Er steckte in einer fürchterlichen Haut. Die »=Revue rose=« war eingegangen. Herr Ponthier allein, der reiche Spekulant, konnte sie von den Toten erwecken. Von Laurents Unterredung mit ihm, die morgen stattfinden sollte, hing alles ab. Bis übermorgen konnte der vorsichtige Philister sich die Sache überlegen. Wie sagte er? »Wenn ich mich zu dem Unternehmen entschließe, was noch lange keine abgemachte Sache ist --« ach nein, leider Gottes! -- »so geschieht es nur aus speziellem Vertrauen zu Ihnen. Denn daß Sie z. B. von Thorheiten, wie Duellen, ein entschiedener Gegner sind --« Diese gute Meinung sollte Laurent zugute kommen. Gegen Morgen schlief er endlich ein, als ihn ein lautes Pochen an der Thür erweckte. Adler stürzte mit dem Freudenruf ins Zimmer: »Auf nach Erquelin! Um 7 Uhr fährt der Zug! Heute wird duelliert!« Erscheint mir der Mensch sogar im Traum. Will mir's verbitten! dachte Laurent und drehte sich auf die andere Seite. Zerschlagen und übernächtig, wie er war, und ein Langschläfer, der er sein lebenlang gewesen, wollte er schlafen. »Auf! auf!« drängte jener. »Es ist höchste Zeit! Klein wartet unten.« -- »Gleich!« rief er ihm hinunter, indem er das Fenster aufriß, daß ein eisiger Luftstrom durchs Zimmer strich. »Hol' einen Wagen! Gleich macht sich Herr Laurent fertig!« Laurent erwachte. Welch ein Erwachen! Es war der schrecklichste Moment seines Lebens. Doch eine letzte Hoffnung zuckte in ihm auf. »Unsinn!« rief er. »Sie haben ja kein Geld!« »Warum nicht gar!« rief Adler. Er und kein Geld! Der Irkutsker hatte ihm Kredit eröffnet. Und im Ton eines Gentlemans von Metier rief er ungeduldig, als wäre er dabei aufgewachsen: »Sind Sie mein Zeuge, ja oder nein?« »Schlafen will ich!« »Sind wir Männer, ja oder nein?« »Es ist zu kalt! Es ist zu früh!« »Entweder thun Sie Ihre Pflicht als Zeuge oder -- bei Gott, wenn ich Sie fordere, müssen Sie mir vor die Klinge!« Immer besser! »Ich will Ihr Zeuge sein!« stöhnte der Unglückliche. »Ihr Gegner, alles, was Sie wollen, aber aufstehen -- nie und nimmer!« Da riß Adler die Decke von ihm. Der Wütende hatte gut schreien: »Mörder! Elender!« Jener half ihm in die Beinkleider. »Daß Sie sich nur nicht erkälten!« rief er besorgt. »Schlüpfen Sie schnell in die Pantoffel -- so! Diese Hundekälte! Bei Gott, das Wasser im Waschbecken ist eingefroren! So verflucht kalt war's nicht seit Menschengedenken!« Und er begoß ihn mit eiskaltem Wasser, rieb ihm das Gesicht mit dem Handtuch wund und zwang ihn in Weste und Rock. »Herrgott! -- und Ponthier! Meine Unterredung mit Ponthier!« rief Laurent verzweiflungsvoll. »Sie schreiben ihm einfach ab!« »Meine Existenz steht auf dem Spiele! Tod und Leben der ›=Revue rose=‹!« Aber schon hing ihm Adler den Winterrock um, drückte ihm den Hut auf den Kopf und zog ihn gegen die Thür. »Wenn Sie glauben,« rief Laurent, »daß ich in Pantoffeln bis nach Belgien reise, irren Sie sich gewaltig!« Richtig, die Stiefel! sie mußten vor der Thüre stehen. Doch statt der Stiefel stand Klein vor der Thür mit einer grünkarrierten Reisedecke und drängte zum Aufbruch. »Wo sind schnell ein paar andere Stiefel?« rief Adler. »Sie müssen ja ein zweites Paar haben!« »Aber ich hab' kein zweites Paar!« rief Laurent froh und ohne zu übertreiben. Was thun? Flugs holte Adler ein paar funkelnagelneue Lackschuhe aus dem Schrank. Laurent weinte vor Wut. Seine reizenden Soiréeschuhe, die ein Heidengeld kosteten und ihn so furchtbar drückten! Es half nichts, sie zogen sie ihm an und schleppten ihn die Treppe hinunter. Unten stand der Wagen und vor ihrer Loge die Concierge in unbeschreiblichem Morgenkleid, ein Bild des Ingrimms. »Madame,« hauchte Laurent. »Sagen Sie Herrn Ponthier --« »Nichts da! Sie telegraphieren ihm aus Erquelin!« rief Adler, hob ihn in den Wagen und hielt ihn auf der ganzen Fahrt nach dem Nordbahnhof am Rockschoß, damit er nicht Reißaus nähme. Laurent, der bemerkte, kein Flanellleibchen anzuhaben, ballte die Fäuste. Ein letztesmal fragte er, der Mensch hofft ja im Tode noch: »Haben Sie auch wirklich Geld?« »Und ob!« jauchzte Adler, als hätte ihm der Irkutsker alles Gold Sibiriens geliehen. Vor dem Bahnhof standen schon Federscher, Zedekoff und Goltschmann mit roten Nasen, sie mit Rufen und Gesten zur Eile antreibend. »Schnell! schnell! Erstes Läuten!« Adler rannte an den Schalter, die Billette zu lösen, kam aber ohne dieselben zurück, wankend, schreckensbleich. »Das Geld -- reicht -- nicht,« stammelte er. Zugleich erscholl die Glocke -- zweites Läuten! Laurent und Zedekoff mußten in der Zugluft stehen, während die vier Familienrat hielten. Wer hätte sie für Gegner und Zeugen gehalten? Sie schienen ganz brüderliche Sorge für einander. Doch unwillkürlich veränderte sich ihre Miene, als sie an jene herantraten, um ihnen für ihre Freundlichkeit zu danken. Sie wollten mit je einem Zeugen vorlieb nehmen. Damit sprengten sie an den Schalter und mit emporgehaltenen Billetten zur Perronthür hinaus, Adler voran, Klein mit seiner grünkarrierten Reisedecke als Hinterster. Soeben ertönte das dritte Läuten. Laurent sah sie abdampfen. -- Tags darauf kam Adler zu ihm gerannt, um ihm brühheiß zu erzählen, wie sie einen Tag und eine Nacht im Eisenbahnwagen gerüttelt worden, wie sie unter dem Gejohle der Bauern, die ihnen mit Heugabeln gefolgt waren, unter kniehohen Schnee nach dem Kampfplatz waten mußten, und wie die Schüsse glücklich fehlgegangen, und die Gegner einander versöhnt in die Arme gesunken waren, halbtot vor Hunger und Strapazen. Er lachte, war wieder der Alte -- ein neues Leben konnte beginnen. [Illustration: Decoration] Der erste Hirsch. [Illustration: Decoration] Lieber Rudolf! Gratuliere zum Avancement! Also hat die Vermehrung der Armee die Sache doch beschleunigt? Freut mich herzlich! Wir wollen eins drauf trinken. Drum schau, daß du herkommst und deinen Urlaub diesmal im Oktober nimmst. Aussichten auf das Geröhr sehr günstig. Garantiere, dich zum Schuß zu bringen. Sollst auch endlich erfahren, was Waidmannsfreuden sind. Opfere also Gasbeleuchtung, Tanzmusik und schöne Weiber und komm zu mir in die Berge! Mit treuem Gruß   Dein Bruder.« Die Antwort war eine Zusage gewesen. Soeben brauste der Zug, mit dem R. eintreffen sollte, auf der kleinen Bahnstation heran. »Da bin ich!« rief es, und ein etwas hagerer Oberlieutenant mit tadellosem Schnurrbart und eleganter Taille stürzte aus dem Coupé in die Arme des älteren Bruders. Dieser war ein wetterfester Landwirt. Kleine Ohren, dicker Hals, geschorener Kopf, mächtiger Bart -- eine joviale Erscheinung. »Grüß dich Gott! Das ist schön, daß du kommst! Das will ich dir hoch anrechnen. Ich weiß, du bringst ein Opfer!« »Unsinn!« schnarrte der Offizier. »Manöver waren anstrengend heuer, bin froh, bei dir auszulenzen.« »Es soll dich nicht gereuen!« rief jener verheißungsvoll. Der Kutscher besorgte das Gepäck. Nackte Kniee, Gemsbart am Hut waren seine Livree. Man bestieg das Steirerwägelchen. »Vorwärts, Loisl!« befahl sein Herr. »Wir fahren in unseren Graben.« Thaleinwärts lag sein kleines Gut, das er vor Jahr und Tag gekauft, sein Bruder aber nun erst betreten sollte. Es war ein Prachttag, der da zur Neige ging. Ein glühender Himmel lag über dem herbstlichen Thal. Bunte Bäume, wehendes Laub und hoch droben der Wald -- dem Auge bot sich eine schöne Landschaft in ihrem schönsten Moment. Doch Rudolf schien das Gespann mehr zu interessieren. »Diese kleinen, gedrungenen Gebirgspferde! Das sind Haflinger, nicht wahr?« »Freilich! Die Kerle klettern wie Gemsen, laufen wie Hunde und sind genügsam wie Esel.« Bei jeder Biegung wechselte das Bild, eines folgte dem anderen, eines schöner wie das andere. »Schau den lichten Riesen dort,« sagte der Gutsherr, »das ist der Hochschwab.« »So, so!« Das war der ganze Enthusiasmus des jungen Offiziers, doch um so lebhafter erkundigte er sich: »Hast du Nachbarschaft? Junge Damen? Verkehrst du viel? Oder hausest du nur mit deinen Hirschen?« »Wir haben reizende Almerinnen,« lautete die Auskunft, »in der Regel zwischen vierzig und sechzig und appetitlich wie das Alpenvieh.« Rudolf dankte schönstens. »Mit Eroberungen schaut es also schlecht aus,« meinte er. »Ach was!« tröstete der Bruder. »Schau dich lieber um!« Doch Berge, Fabriken, Köhlereien, Bach und Mühlen existierten nun einmal nicht für den Offizier. »Wenig guter Wald,« bemerkte er. »Leider Gottes!« seufzte der Gutsherr. »Aber die Bauern wirtschaften nicht anders, bis der letzte Baum weg ist. Bei mir schaut es schon besser aus. Ich lass' den Wald schön anwachsen und habe meine Freude dran, und das Wild hat seinen Einstand.« »Apropos,« unterbrach ihn Rudolf, »hast du einen guten Tropfen im Keller?« »Außer Sorge! Du trinkst mich nicht trocken. Schau die Sägemühle!« Wie sie sich im Abendrot schön ausnahm! Auf dünnen Pfosten stand das Dach, Baumstämme und Bretter lagen durcheinander, und zwischen ihnen hob und senkte sich die eintönig rastlose Säge. Eine Hühnerschar schwadronierte zwischen den Bretterhaufen. »Ja, selbst ein unwohnlich Holzgerüst kann entzücken, wenn es eine Sägemühle ist inmitten dunkler Berge!« meinte der Gutsherr. Nun kam das Dorf, die Dorfkirche mit dem Wetterhahn, das Pfarrhaus, die Schule. »Vierklassig,« bemerkte er. Hunde bellten, Kinder liefen auseinander, das Hühnervolk machte sich aus dem Staub. Der Gast wurde ungeduldig. »Sind wir bald am Ziel?« »Sobald wir um die Ecke biegen. So, da siehst du schon meine Keusche.« Wilder Wein deckte die Mauer, die Fenster blinkten. Es gab auch eine Seitenfaçade. Das Gitterthor stand weit auf. »Aber das ist ja ein wahres Schloß!« »Nein!« rief der Gutsherr, »nur eine Jagdhütte!« Seine Hunde kamen auf ihn zugesprungen; er präsentierte sie: »Dieser Dackel -- kusch dich, Bergmann! -- ist ein famoser Brakirer und hier der Lux --« »Schweißhund, was?« »Ja, ausgezeichneter Kerl. Verbellt tot -- ein ganzer Professor. Guten Abend, Pachmayer, da bring' ich unseren Jagdgast!« Pachmayer war Förster und Verwalter zugleich, ein treuer Diener, wohlgenährt, mit rotem Gesicht, rötlichem Bart, ein braver Kerl Rot in Rot. Er sah ganz dumm aus vor Freude. »Also, wie steht's, Herr Verwalter? Gute Aussichten?« fragte Rudolf. »Alles in schönster Ordnung, Herr Oberlieutenant!« lautete der Rapport. »Die Hirsche röhren, daß es hallt, sind in der größten Hitze. Wetter prachtvoll. Vollmond. Barometer steht ausgezeichnet.« »Famos! famos! Aber komm' ich auch zum Schuß?« »Mehr als einmal. Wir haben sechs sichere.« Doch der Hausherr drängte zur Einkehr. »Halten wir uns nicht auf. Komm jetzt, komm! Das alles wird bei Tisch erledigt. Sie, Pachmayer, sind unser Gast!« In der Wohnstube bot er dem Bruder ein Gläschen Cognac als Willkommtrunk. »Prost!« Nun aber wünschte dieser in sein Quartier geführt zu werden. »Aha, du willst dich schön machen!« lachte der Landwirt. In der That, geschniegelt und gebügelt erschien Rudolf wieder, mit =Eau de Cologne= besprengt und in behaglichster Stimmung. »Wie geschmackvoll du eingerichtet bist!« staunte er. »Was ist denn das für ein Holz mit den schwarzen Asteln?« »Zirbel, mein Lieber,« explicierte der Hausherr, nicht minder vergnügt. Es sah aber auch traulich aus in seinen vier Wänden: Die Büchsen im Glasschrank, der mächtige Tisch, der Kachelofen und der mit Fuchsfellen bedeckte, großmächtige Divan. »Kolossal schneidig!« versicherte der Gast. »Wenn Küche ebenso gut, dann freut es mich, denn ich habe einen Höllenhunger! -- Wie, schon geheizt?« Das war ihm recht. Er warf sich auf die Ofenbank und besah sich die Jagdtrophäen. »Ach, der schöne Auerhahn! Prachtexemplar! Selbst geschossen?« »Natürlich, wie alles, was du siehst.« »Wunderbare Exemplare! Und alles auf deinem Revier erlegt? Alle Achtung! Nun aber zu Tisch!« »Gleich, gleich,« hieß es vom Büchsenschrank her. »Willst du dir nicht eine Kugelbüchse aussuchen?« »Nachher, nachher.« »Frau Pachmayer, ist das Essen schon fertig?« fragte laut rufend der Hausherr, doch dann wieder zu dem Gast gewendet: »Doppelbüchse oder einfachen Stutzen?« Es klopfte. »Herein, Pachmayer!« Die Gesellschaft war vollzählig, man setzte sich zu Tisch. Rudolf hatte schon auf einem der Korbsessel Platz genommen. »Das ist ja der reine heizbare Badestuhl,« lachte er. »Aber komod, mein Lieber,« versicherte der Hausherr. »Wir brauchen das. Nach unseren Strapazen --« »Sei so gut!« wehrte sich Rudolf. »Mute nur meinen Gliedern nicht zu viel zu. Ich bin noch nicht trainiert.« Frau Pachmayer brachte das Essen. »Wie, Forellen!« freute er sich. »Ausgezeichnet! Glaubte immer, du lebst wie ein Spartaner.« Auch der Wein mundete ihm. »Dieser Südsteirer schmeckt wie Mosel,« versicherte er. Die Kartoffeln konnten nicht besser sein. Das Perlhuhn war delikat. Pachmayer aß bescheiden, doch mit großer Geschicklichkeit. Die Hunde nahmen teil am Mahl. Es war ein gemütliches kleines Souper. Im Ofen prasselte das Feuer, ein Nachtfalter umschwirrte die Lampe, und draußen lag träumend die blaue Nacht. »Richtig, Rudolf,« begann der Hausherr, »du hast angenehme Reise gehabt?« »Ausgezeichnete! Erst allein gewesen und tüchtig geschlafen, dann Gesellschaft gehabt: alte Dame mit junger Begleiterin. Sehr gut amüsiert.« »So bist du also gar nicht müde? Das ist schön!« Pachmayer schien etwas auf dem Herzen zu haben. »Es ist eine starke Zumutung,« meinte er, »aber wenn der Herr Oberlieutenant wirklich nicht müde ist --« »Was haben Sie vor, Pachmayer?« fragten die Herren. »Ich meine nur,« fuhr er fort, »das Wetter ist so prachtvoll, es wäre schade, es zu verschlafen, und wir könnten morgen zeitlich früh aufstehen.« Doch Rudolf war auf der Hut. »Was heißen Sie zeitlich früh?« fragte er mißtrauisch und hielt sich an seinen Schnurrbartenden wie an einer Stütze. »Um zwei Uhr müssen wir aufbrechen,« sagte Pachmayer. »Oho! Erlauben Sie --!« fuhr Rudolf auf. Doch der Hausherr war gleich dabei. Die Sterne blickten zum Fenster herein. Es war eine leuchtende Nacht. Der Mond schien wie eine bleiche Sonne. »Das ist eine Idee, Pachmayer!« rief er. »Solche Nächte giebt's nicht alle Tage!« »Nein, nein, was fällt dir ein?« protestierte Rudolf. »Warum nicht gar! Wenn ich um elf Uhr schlafen geh', weckt mich keine Kanone auf um zwei.« Die Uhr meldete elf. »So gehen wir gar nicht schlafen!« rief der Jagdherr entschlossen. »Es wird nicht das erstemal sein, daß du eine Nacht dem Vergnügen opferst. Treffen Sie Anstalten, Pachmayer!« Die Hunde auf den Dielen waren eingeschlafen. Bergmann stieß abgehackte Laute aus im Traum. Die Brüder saßen bei einer Flasche Wein. Seine kurze Pfeife schmauchend, erzählte der Jagdherr von Wald und Wild. Jede Pürsch war für ihn ein neues Abenteuer, jeder Schuß eine schöne Erinnerung. Waldluft schien plötzlich die Stube zu erfüllen. Doch der Offizier kannte dieses Parfüm noch nicht. »Nun, ich bin neugierig, ich bin neugierig,« murmelte er ohne allzugroße Erwartungen. »Du wirst schon sehen,« meinte der andere. »Ich weiß nicht, ob du Sinn für so 'was hast,« bemerkte er auch mitunter, indem er manches lustige Jägerstücklein zum besten gab. Wie sich der Fuchs im Eisen fing, der Rehbock auf den Ruf sprang, der Marder in die Holzfalle ging, fremde jagende Hunde in das jenseitige Jagdgefild befördert wurden -- und so fort. Sein verwittertes Gesicht blühte auf bei dem Geständnis: »Der Wald ist meine Welt! Der Wald ist auch eine Welt! Eine Welt ist mein!« Wie gern hätte er dem Bruder ein Stück davon zustecken mögen. Ihn dauerte plötzlich der flotte Offizier. Das Leben besteht nicht aus Liebhabereien, das Leben ist eine große Leidenschaft! dachte er, und wie er ihn vor sich sah, so sehnig und blühend, konnte er sich nicht enthalten, auszurufen: »Schad' um dich!« »Es ist gar nicht schad' um mich!« behauptete Rudolf. »Kann sein!« gab jener zu. »Hast umsonst gerade Glieder, bist doch nur ein Krüppel, kennst nicht die Begeisterung!« Es giebt Momente, wo man mehr fühlt, denkt und spricht, als man verantworten kann, und es lag so etwas in der Luft. Man ist selbst wie verwandelt und geneigt, auch seinen Nächsten zu ersuchen: Verwandle dich, ich bitte dich darum! Er hatte an einer Wunde gerührt. »Begeisterung!« lachte Rudolf bitter. »Da verlangst du zu viel!« Und nun brach er los mit Klagen und Selbstanklagen. Wie der lange Frieden einen jungen Offizier, wie ihn, schlaff mache. Könne da von einem großen Gedanken, von höherem Streben die Rede sein? Dürfe sich die Thatkraft rühren? Ginge sie nicht vielmehr zu Grunde? »Was bedarf es auch der Thatkraft? Höchstens so vieler Schneidigkeit, als bei Paraden nötig ist! Glaubst du, daß ich kein Bedürfnis fühle nach etwas Mehr?« rief er zornig. »Aber ich bitte dich! Wie käme man dazu bei der knappen Gage, dem bißchen Revenue, gerade genug, um ohne große Schulden standesgemäß zu existieren.« »Nun, mehr kann kein vernünftiger Mensch verlangen!« tröstete der Bruder, der es gar nicht so gemeint hatte. »Bist ja noch ledig. An was brauchst du zu denken?« »Das ist's ja eben! Man darf an nichts denken!« rief Rudolf klagend und sah tiefunglücklich drein, wie zum Beweis, daß ein Offizier auch nur ein Mensch sei. »Also daher bläst der Wind! Verliebt also und ohne Aussichten! Das ist bös!« »Es ist eine aufrichtige Neigung,« beichtete Rudolf, »ich spreche nur ungern davon. Lassen wir das! Keine Sentimentalitäten!« Doch jener ließ nicht ab. »Laß hören, wer ist die Glückliche?« Schließlich gestand er: »Dir kann ich's ja sagen. Es ist die reizende, vielumworbene Nichte von Excellenz Steinhausen.« »So, so! Nun und sie?« »Sie!« Es war nur ein Laut, doch deutlich genug, um den Bruder zu überzeugen, daß es mit der Aufrichtigkeit der Liebe seine Richtigkeit habe. »Ich glaube, ihr nicht gleichgiltig zu sein. Das einzige Hindernis sind die Eltern, vielleicht auch nicht. Aber ich will mich keinem Refüs aussetzen, drum schlag' ich mir die Sache lieber aus dem Kopf.« »Dir ist nicht zu helfen!« rief jener aufgebracht. »Wie kann man nur so wenig Selbstbewußtsein haben! Lieber verzichten, nur nicht wagen. Bist du nicht ein tüchtiger Kerl, der Carriere machen wird? Und wo bleibt denn die alles besiegende Liebe?« Doch Rudolf schien sich nicht aufraffen zu können. »Mich macht man nicht anders. Kein Wort mehr davon! Gehen wir! Ich höre schon deinen Verwalter Allarm blasen!« »Ja, mach' dich fertig, schnell, schnell!« rief der Jagdherr wie elektrisiert. »Doch um die Braut mußt du freien, dafür steh' ich dir!« »Gut, gut. Leih' mir lieber ein paar feste Stiefel. Mit meinem Schuhwerk wird's kaum gehen.« »Für alles gesorgt! So 'was! Aber du mußt mir anders werden, mein Lieber! Teufel, du wirst mir ein ganzer Kerl oder -- Wo ist mein Triton? Fast hätt' ich meinen Triton vergessen.« »Was ist denn das für ein Instrument?« »Hirschruf, mein Lieber. Ich markiere einen schwachen Hirsch und der starke soll mir kommen.« Trotz allen Herzenskummers mußte Rudolf lachen. »Famose Einrichtung! Sollte Verbreitung finden! Ha! ha! ha!« Noch ein Glas starken Thee geschlürft, Lodenrock, Bergstiefel angelegt, die Kugelbüchse umgehängt, den Bergstock ergriffen und hinaus ging's ins Freie. Die Nacht umgab sie wie ein Traum. Gleich finsteren Mächten blickten sie auf die kristallhelle Welt. Auf den Feldern lag weißes Licht wie Nebel. So herrlich war's, daß sie verstummten und nicht einmal sagen konnten: »Es ist herrlich!« Etwa zwei Stunden ging's bergauf, bald durch kahle Schläge, bald durch Wald. Die Bäume trugen silberne Gewänder, rauschten und sangen feine Mondscheinlieder. Von Ferne hörte man einzelne Hirsche orgeln. Es war eine weihevolle Brunftnacht. Aus bläulichen Schatten brachen Mondstrahlen gleich Hochzeitsfackeln hervor, oder ein Strauch stand lichtübergossen wie ein brennender Busch. »Hörst du da drüben unter der Mauer?« fragte der Jagdherr flüsternd seinen Gast. »Das ist ein alter Herr. Da auch einer.« Der Wald belebte sich. Man glaubte in einem Urwald zu sein, hoch, hoch über der Erde, weit, weit von der Welt. Das Fremdartige war anheimelnd, das Unbestimmte beruhigend. Unten war das Leben geblieben; in voller Freiheit, sehnsuchtsvoll harrte man des kommenden Momentes. Rudolf atmete tief. Sein Fuß versank in Goldgras wie in weiche Schleierfäden. Tief aus der Mulde erhob sich eine Fichte in Bergeshöhe. Dann wieder wogte ein Meer von Baumkronen zu seinen Füßen. Mitunter hörte er ein Bächlein rieseln. Überall rann und rauschte es. »Meiner Seel', ich bin so aufgeregt,« flüsterte er. »Die Geschichte wird spannend.« Der weiche Alpenboden, die dünne, würzige Luft, die gespensterhaften Wetterlärchen, vom Sturm zerzaust und zerrissen, und der immer lauter werdende Brunftruf des Hirsches ergriffen ihn. »Das ist ein Kampfruf!« rief er. Es packte ihn wie Fieber. So muß es dem Soldaten beim ersten Schlachtruf sein. »Sind wir schon da, Pachmayer?« hieß es. »Wir müssen ja schon da sein.« »Verschnaufen wir uns,« meinte dieser, »indessen wird besseres Schußlicht. Da unten rechts melden sich zwei. Der eine muß ein starker sein. Hat der einen Baß!« »Also _den_, Pachmayer,« befahl der Jagdherr, »den werden Sie mit Jörg vom Hundschupfen aus riegeln. Am besten, ich setze dich am Mangankogel an,« wandte er sich an den Pirschgenossen, »und ich stelle mich zweihundert Schritte tiefer an den Wechsel.« Die nötigen Direktionen waren somit gegeben; er wartete nur noch mit seiner Flasche auf: »Da hast du Cognac! Mach' einen tüchtigen Schluck! Es wird kalt, sobald der Morgen anbricht. Wettermantel hast du? Jörg, die Wettermäntel her!« »Herrgott, wenn er mir nur kommt!« flüsterte Rudolf angstvoll. »Und wenn ich nur nicht zu sehr aufgeregt sein werde!« »Beherrsche dich! Nur Ruhe! Ruhe! Wenn er dir kommt, kommt er dir vertraut. Laß dir Zeit! Der Wind ist gut. Waidmannsheil!« »Waidmannsheil!« Der Offizier stand auf seinem Posten. Dämmerungsschatten legten sich auf den Wald. Tiefe Stille herrschte. Dort bewegte sich ein Zweig, hier fiel ein Blatt. Noch war nicht volles Schußlicht. Horch, ein Laut! Nein, es war Täuschung. Ihm schlug das Herz im Leibe. Wird er mir kommen? Werde ich nicht zu sehr aufgeregt sein? ängstigte er sich, als hinge von dieser Frage Tod und Leben ab. Er zitterte und bebte, hätte sein Leben hingegeben für einen schönen Schuß. Noch nie hatte er so mit Leib und Seele gelebt. Da vernahm er ein Geräusch, wie wenn dürre Äste brechen. Nun kam etwas, diesmal gewiß; bei Gott, die Loser eines Tieres wurden sichtbar! Mit leisem Tritt, vorsichtig nach allen Richtungen sichernd, trat es in die freieren Stauden. Noch ein Stück, ein zweites Tier, sie fingen Wind, ob es auch geheuer, und im Hintergrund -- o heiliger Hubertus! -- der Hirsch, das Haupt hoch in fortwährender Bewegung. Nur jetzt Ruhe! dachte der Schütze. Seine Pulse flogen, die Kniee schlotterten ihm, mit zitternder Hand drückte er die Büchse an die Wange. Die Gesellschaft trat näher. Alles stand auf dem Spiel. Ruhe, Ruhe, ums Himmels willen! Zwischen den Stauden erblickte er die große rote Flanke des Hirsches. Gleich einer Scheibe stand er vor ihm -- da drückte er los. Bum! In wilder Flucht, krachend durch die Büsche thalwärts war das Wild verschwunden. Es war eine gewaltige Flucht. Welch ein gutes Schußzeichen! Dennoch begann nun erst die Qual: War ich auch ruhig genug? Er zitterte noch an allen Gliedern. Reue und Ungeduld verzehrten ihn. Eine Art Verzweiflung erfaßte ihn und ein jäher, glühender Ehrgeiz. Wenn er nur diesen Hirsch, diesen seinen ersten gut hinaufgeschossen hätte! »Hup! hup! Darf man gratulieren, Herr Oberlieutenant?« fragte, herbeieilend, der Förster. »Starker Hirsch! Zwölfender! Kapital! War gut drauf, ein wenig aufgeregt, doch gut gezeichnet.« Ihn schüttelte es noch am ganzen Körper. »Hier ist der Anschuß. Ausreißer damisch gut. Der hat 'was kriegt! Doch keine Nadel, kein Schweiß -- macht nichts!« Auch der Jäger war zur Stelle, den Schweißhund auf die Fährte zu legen. Lux fiel sie gut an, stand förmlich auf den Hinterpfoten. Wie er sich in die Riemen legte! »Geht sehr gut, ausgezeichnet, Herr Oberlieutenant!« versicherte Pachmayer, doch vollends sieghaft ertönte sein Ruf: »Schweiß! Lichter! Lungenschuß! Gratuliere!« »Wirklich, wir kriegen den Hirsch?« jauchzte der Glückspilz und Held. »Das macht mich kolossal glücklich!« Toll vor Glück und Seligkeit flog er dem herbeieilenden Bruder an den Hals. Er war ganz Dankbarkeit, ganz Rührung, wie über ein großes, unverdientes Glück, das ausreichte fürs ganze Leben. Siegesbewußtsein durchströmte seine Brust. Erst in seiner Freude sah man, was für ein ganzer Mann er war. Hurra! Er war wie verrückt. Es war der größte Moment seines Lebens, als Pachmayer aus der Entfernung von etwa hundert Schritten ein Triumphgeschrei erhob: »Juch huh! Juch huh! Der Hirsch liegt! Kernschuß mitten aufs Blatt!« Die Brüder eilten zur Stelle. Da lag der König der Wälder, alle Vier von sich gestreckt. Die Krone schmückte sein Haupt, so lag er sterbend zu Füßen des Schützen. Dem war, als sollte er das Haupt entblößen. Jubelnden Herzens hielt er im stillen eine Leichenrede. Da liegst du, Gott sei Lob und Dank! Herrlicher Riese, ich brauch' mich nicht zu schämen vor dir, ich machte dir den Garaus. Es kostete mich meine ganze Selbstbeherrschung. Wie mußte ich mich zusammennehmen! Herrgott, was war das für ein Moment! Er stählte meine Sehnen und gab meinen Knochen Mark. Nun fühle ich Selbstvertrauen genug für hundert Jahre. Stirb ruhig, du hast meine ganze Schneid entfacht! Er war wie herausgerissen aus sich selber. Mut, Kraft und Ehrgeiz waren in ihm zum Leben erwacht und wollten sich ihres Daseins freuen. Plötzlich war er gereift. Er hatte sich entdeckt. Wie brannte er, um es mit dem Leben aufzunehmen! »Mein Waidmannsheil soll mir auch Glück in der Liebe bringen!« sagte er zum Bruder, als er schied. Und vier Wochen später meldete ein Telegramm: »Habe mich mit Ida Steinhausen verlobt.   Dein glücklicher Rudolf.« [Illustration: Decoration] Von _Juliane Déry_ sind ferner erschienen im Verlag von #Adolf Bonz & Comp.# in #Stuttgart#: Hoch oben. Novellen. _Inhalt_: Meine Braut. -- =Variatio delectat.= Oktav. Geheftet ~M.~ 3.--, eleg. gebd. ~M.~ 4.--. Ohne Führer. Zwei Novellen. _Inhalt_: Die Einwilligung. -- Am Kreuzweg. Oktav. Geheftet ~M.~ 3.--, eleg. gebd. ~M.~ 4.--. Im Verlag von =Dr.= #E. Albert & Co.# in #München#: D'Schand'. Volksstück in sechs Bildern. Oktav. Geheftet ~M.~ 1.50. [Illustration] Im Verlag von Adolf Bonz & Comp. in Stuttgart sind erschienen: Werke von Karl Emil Franzos. #Aus Halb-Asien.# Kulturbilder aus Galizien, der Bukowina, Süd-Rußland und Rumänien. 2 Bände. 3. Aufl. Gr. 8°. Geh. M. 10.--, eleg. geb. M. 12.60. #Vom Don zur Donau.# Neue Kulturbilder aus Halb-Asien. 2 Bände. 2. Aufl. Gr. 8°. Geh. M. 10.--, eleg. geb. M. 12.60. #Aus der großen Ebene.# Neue Kulturbilder aus Halb-Asien. 2 Bände. Gr. 8°. Geh. M. 10.--, eleg. geb. M. 12.60. #Ein Kampf ums Recht.# Roman. 2 Bde. 3. Aufl. Gr. 8°. Geh. M. 10.--, eleg. geb. M. 12.--. #Die Schatten.# Erzählung. 2. Aufl. Gr. 8°. Geh. M. 6.--, eleg. geb. M. 7.20. #Die Reise nach dem Schicksal.# Erzählung. 2. Aufl. Gr. 8°. Geh. M. 5.--, eleg. geb. M. 6.40. #Moschko von Parma.# Erzählung. 2. Aufl. Gr. 8°. Geh. M. 5.--, eleg. geb. M. 6.40. #Tragische Novellen.# _Inhalt_: Melpomene. Der Stumme. Gr. 8°. Geh. M. 6.--, eleg. geb. M. 7.20. #Die Juden von Barnow.# Geschichten. 5. stark verm. Aufl. _Inhalt_: Der Sylock von Barnow. Nach dem höheren Gesetz. Zwei Retter. Das Kind der Sühne. Esterka Regina. Der wilde Starost und die schöne Jütta. Baron Schmule. Das Christusbild. Ohne Inschrift. Gr. 8°. Geh. M. 5.--, eleg. geb. M. 6.40. #Stille Geschichten.# _Inhalt_: Die Locke der heiligen Agathe. »Sophie!« Friedrich von Schiller. Der Hiob von Unterach. Es liegt in der Luft! Unser Hans. Gr. 8°. 2. Aufl. Geh. M. 5.--. Miniatur-Ausgabe. 3. Aufl. Geh. M. 5.50, eleg. geb. M. 7.50. #Mein Franz.# Novelle in Versen. 8°. Geh. M. 1.50, eleg. geb. M. 2.50. [ Hinweise zur Transkription Eine Seite mit Verlagswerbung am Buchanfang wurde zu der übrigen Verlagswerbung am Buchende gestellt. Der Schmutztitel wurde entfernt. Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. Darstellung abweichender Schriftarten (römische Zahlen wurden nicht markiert): _gesperrt_, ~kursiv~, =Antiqua=, #fett#. Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden Ausnahmen, Seite 30: "," eingefügt (»Warum nicht gar!« leugnete Karl, »ich habe Gott) Seite 32: "," eingefügt (Überzeugt, mit diesem Vergnügungszug schnurstracks) Seite 35: "sie" geändert in "Sie" (Weil Sie Gott nicht fassen.) Seite 70: "«" eingefügt (»Freilich!« rief Muck.) Seite 90: "entflammmter" geändert in "entflammter" (in edlem Weltschmerz entflammter Wilder) Seite 98: "sie" geändert in "Sie" (Denn stellen Sie sich vor, mein Kind käme zur Welt) Seite 105: "fürchen" geändert in "fürchten" (»So brauchen Sie ja das Gericht nicht zu fürchten!«) Seite 119: "Stipen-pendien" geändert in "Stipendien" (das Adler um Stipendien sollte betrogen haben) Seite 130: "»=Revue rose=«" geändert in "›=Revue rose=‹" (Tod und Leben der ›=Revue rose=‹!«) Seite 142: "«" eingefügt (weckt mich keine Kanone auf um zwei.«) Seite 145: "," eingefügt (»Nun, mehr kann kein vernünftiger Mensch verlangen!«) Seite 151: "»" eingefügt (»Juch huh! Juch huh! Der Hirsch liegt!) ] *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK KATASTROPHEN: NEUE NOVELLEN *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. Project Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away—you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™ electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is unprotected by copyright law in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™ works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg™ License when you share it without charge with others. 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country other than the United States. 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed: This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. 1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase “Project Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™ trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work. 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™ License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg™. 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg™ License. 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg™ website (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1. 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works provided that: • You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has agreed to donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days following each date on which you prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation.” • You provide a full refund of any money paid by a user who notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™ License. You must require such a user to return or destroy all copies of the works possessed in a physical medium and discontinue all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™ works. • You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is discovered and reported to you within 90 days of receipt of the work. • You comply with all other terms of this agreement for free distribution of Project Gutenberg™ works. 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. 1.F. 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread works not protected by U.S. copyright law in creating the Project Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™ electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE. 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem. 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg™ electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™ Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate. Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our website which has the main PG search facility: www.gutenberg.org. This website includes information about Project Gutenberg™, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.