Title: Die Dynamitpatrone
Author: B. Traven
Release date: November 3, 2021 [eBook #66657]
Language: German
Credits: Jens Sadowski. This book was produced from images made available by Klassik Stiftung Weimar.
Von B. Traven
In: Jugend. Münchner illustr. Wochenschrift für Kunst und Leben. München 1925, H. 48, S. 1157.
Eine Anzahl indianischer Arbeiter, die in den Bergwerken von Chihuahua gearbeitet hatten und sich jetzt in dem Vorort der Stadt herumtrieben, stritten sich eines Tages über die Wirksamkeit der Dynamitpatronen, die beim Sprengen der Gesteinsmassen verwendet werden. Die Mehrzahl stimmte darin überein, daß die Wirkung auf den menschlichen Körper unbeschreiblich vernichtend sei; einige wenige dagegen behaupteten, die Wirkung komme nur Gesteinsmassen gegenüber zum vollen Ausdruck, während sie gegenüber dem menschlichen Körper beinahe harmlos zu nennen sei.
Als eine Einigung darüber nicht erzielt werden konnte, erbot sich der Vertreter der „harmlosen Wirkung“ an seiner eigenen Person die Richtigkeit seiner Meinung zu beweisen.
Es dauerte nicht lange, da war eine Patrone besorgt, das Hütchen wurde aufgesteckt und die Zündschnur angehängt. Der mutige Kämpfer für seine Überzeugung ließ sich aber doch von der Gegenpartei überreden, daß er Vorsicht üben möge, denn es wäre ja immerhin möglich, daß die Majorität recht habe und es wäre doch jammerschade, wenn er sich nicht davon überzeugen könne, daß er unrecht habe, um für sein ferneres Leben daraus eine Lehre zu ziehen.
Er sah das schließlich auch ein und er begab sich mit der Schaar streitsüchtiger Genossen zu einem großen steinernen Eckhause. Nachdem die „Wirkungsgläubigen“ sich in respektvolle Entfernung zurückgezogen hatten, ging der Mann bin, entzündete die Zündschnur und hielt die Patrone mit seiner rechten Hand um die Hausecke.
Wenige Augenblicke später erzitterte die ganze Stadt. Die Bevölkerung, ein Erdbeben oder eine Minenexplosion befürchtend, eilte auf die Straße. Als sie sah, daß es sich nur um zwei Eckwände eines Hauses handelte, die auf unerklärliche Weise eingestürzt waren, zog sich jeder wieder in seine ruhige Häuslichkeit zurück.
Die Freunde des Opfers gingen tüchtig an die Arbeit. Sie räumten den Schutt der beiden Wände fort, um festzustellen, welche Partei recht habe, denn bis jetzt war das noch nicht entschieden. Die Wirkung auf Gesteinsmassen war ja von keiner Seite bestritten worden. Und richtig, nachdem sie eine Weile gebuddelt hatten, kroch der Ungläubige ganz ruhig und mit der Miene eines Mannes, der das Recht auf seiner Seite hat, hervor und schüttelte sich den Schutt aus den Kleidern.
Ganz vollständig war er allerdings nicht mehr, das hatte er ja auch garnicht behauptet, daß dies der Fall sein würde. Jedenfalls war ihm die rechte Hand bis zum halben Unterarm fortgerissen. Daraus machte er sich aber nicht viel. Er bestand darauf, daß man nun die Hand auch noch suche, damit man sehen könne, daß sie nicht allzu sehr beschädigt sei. Aber von der Hand war nichts zu finden.
„Und ich sage euch ganz bestimmt,“ so begann sofort wieder der Streit, „es war nicht die Patrone, die meine Hand abgerissen hat. Die Patronen sind ganz und gar harmlos. Es war das Hütchen, denn was da die nichtswürdigen Fabrikanten hineinstecken, das weiß man nie. Das sind alles Schwindler und Betrüger.“
Der Indianer bedauerte später nie, daß er seine Hand hergegeben hatte. An Stelle der Hand bekam er einen eisernen Haken, einen Arbeitshaken. Er arbeitete aber nie damit, sondern wurde mit diesem Haken einer der gefürchtetsten Raufbolde unter der Arbeiterschaft, die ihm mit an Ehrfurcht grenzender Scheu begegnete und sich geschmeichelt fühlte seine Wünsche erfüllen zu dürfen.
Anmerkungen zur Transkription
Quelle: Jugend. Münchner illustr. Wochenschrift für Kunst und Leben. München 1925, H. 48, S. 1157. Dies ist die Erstveröffentlichung dieser Erzählung. Sie wurde später in den Erzählungsband Im Busch aufgenommen.
Die ursprüngliche Rechtschreibung und Zeichensetzung wurden beibehalten.