Title: Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band X, Heft 7-9
Monatsschrift für Heimatschutz und Denkmalpflege
Author: Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Release date: January 16, 2022 [eBook #67178]
Language: German
Original publication: Germany: Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
Anmerkungen zur Transkription
Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so markiert.
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Landesverein Sächsischer
Heimatschutz
Dresden
Monatsschrift für Heimatschutz und Denkmalpflege
Band X
Inhalt: Das alte Land im jungen Lenz – Wehrkirchen im Leipziger Land – Es braucht nicht Stein zu sein – Der »Steinerne Frosch« bei Miltitz – In eigener Sache ein letztes Wort – Der betende Berg – Der unzufriedene Papierkorb – Die Haustreiberei, eine aussterbende Heimarbeit in der südlichen Oberlausitz – Die Schellente im Moritzburger Teichgebiet – Das Triebelbachtal – In Guteborn – Löns als Jäger – Bücherbesprechungen – Verschiedenes
Einzelpreis dieses Heftes M. 5.–, Bezugspreis für einen Band (aus 12 Nummern bestehend) M. 15.–, für Behörden und Büchereien M. 10.–. Mitglieder erhalten die Mitteilungen kostenlos, Mindestjahresbeitrag M. 10.–
Geschäftsstelle: Dresden-A., Schießgasse 24
Dresden 1921
Wir legen diesem Hefte die Zahlkarte zur Begleichung des Mitgliedsbeitrages für 1921 bei, sofern dies noch nicht geschehen ist. Der Mindestbeitrag ist auf M. 10.– für Einzelmitglieder, auf M. 40.– für körperschaftliche Mitglieder festgesetzt. Diese Beträge decken noch nicht unsere Unkosten für unsere Veröffentlichungen und sind nur um deswillen so unzeitgemäß niedrig festgesetzt, um allen unseren Volksgenossen, auch den Minderbemittelten, sowie Schülern, die nur ein geringes Taschengeld haben, den Eintritt in die sächsische Heimatschutzbewegung zu ermöglichen.
Wir geben jährlich zwölf Nummern unserer »Mitteilungen« in vier Heften heraus, die zusammen 270 Seiten mit weit über 100 Abbildungen aufweisen. Diese Veröffentlichungen einschließlich der zwanglos erscheinenden »Heimatschutz-Nachrichten« kosten uns heute unter Berücksichtigung der neuen Teuerungswelle selbst jährlich M. 20.– Dennoch kann keine sächsische Heimatzeitschrift in gleichem Umfange und in gleicher Ausstattung für einen solchen Preis bei freier Postzustellung geschaffen werden.
An alle unsere Mitglieder richten wir die herzliche Bitte, in Berücksichtigung des oben Gesagten
den Jahresbeitrag freiwillig zu erhöhen
und dadurch unserem Verein weiterhin das Dasein in der wirtschaftlich schweren Zeit zu erleichtern und unsere Kasse vor Fehlbeträgen zu schützen.
Auch an alle diejenigen, die ihre Beiträge bereits gezahlt haben, richten wir die Bitte, unsere Mittel durch einen weiteren freiwilligen Beitrag zu stärken.
Wir werden weiter für den Schutz der mit unserem Vaterlande unzertrennlich verbundenen Heimat und Natur eintreten; denn ohne unsere Flüsse und Seen, ohne unsere Täler und Berge, ohne unsere Ebenen, Wiesen und Felder, ohne unsere Tier- und Pflanzenwelt wäre unser Vaterland eben nicht unser geliebtes Sachsenland. Wir haben alle Ursache, gerade in der jetzigen Zeit alles zu tun, um unserem Vaterlande durch Erhaltung seiner Schönheiten, seiner Sitten und Gebräuche und seiner Lebewesen seine geschichtlich gewordene Eigenart zu bewahren und es damit als unsere wahre teure Heimat zu erhalten.
Wir bitten alle unsere Mitglieder und Freunde herzlich, auch in dieser Zeit, die durch die neue Teuerungswelle für uns verschärft wird, treu zu uns zu stehen und uns nach Kräften zu helfen. Wir werden dieser Hilfe dankbar sein und den Landesverein Sächsischer Heimatschutz weiter ausbauen zu einer Volksbewegung, die alle Kreise umfassen und das köstlichste Gut, das wir besitzen: Unsere Heimat schützen soll.
Dresden, im September 1921
Landesverein Sächsischer Heimatschutz
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Die Mitteilungen des Vereins werden in Bänden zu 12 Nummern durch den Vorstand herausgegeben
Abgeschlossen am 1. Juli 1921
Eine Osterfahrt in die Bergstädte des westlichen Erzgebirges
Von Gerhard Platz, Weißer Hirsch
Gerade blick’ ich mich ein wenig ratlos um in der Gegend, da springt hinterm Dornbusch ein Handweiser hervor, so ein guter alter weiß und grüner, mit fünf feierlich gespreizten Fingern. »Nach Schneeberg,« sagt er, »eine Wegstunde.«
»Sei mir bedankt, alter Gesell, und laß dir die dürren Knöchel drücken, du kamst mir zupass! – – Ach so, kannst nicht herablangen zu mir und ich nicht hinauf zu dir – nun, meinen Dank nimmst du auch so!« Und damit wandre ich fürbaß, bis auf der Kuppe droben die St. Wolfgangskirche emporragt über sonnenblitzenden Schieferdächern, gelehnt an den bewaldeten Gleesberg.
Wie tut mir die Einsamkeit wohl. Stundenlang im Bahnwagen nichts gehört als Politik – und was für welche! Du lieber Gott, wann wird einmal der Frieden einziehen in die deutschen Herzen? Und dabei ist heute Karfreitag – die Stunde schon da, da der Herr ans Kreuz geschlagen ward. Leid tat mir’s nur um das Knäblein, das der hitzigste von den Politikern bei sich hatte. Immer wieder machte das den Versuch, dem Vater die Enten im Bach, die Narzissen im Garten, das Fohlen auf der Wiese zu zeigen. Nichts half’s ihm! Wie eine trübe Flut quoll der Haß aus dem Manne heraus. – Ängstlich und verständnislos hingen[134] des Kindes Augen an seinen Lippen, bis ich mich des Kleinen erbarmte und mich mit ihm um die Wette freute am jubelnden Lenzmorgen draußen. –
Nun bin ich allein mit Lerche und Bergwind und freue mich dankbar jedes der ersten kleinen Frühlingsboten. Der Zitronenfalter, die Dotterblume, die grünen Grasspitzen dort – jedes einzelne ein Bote der Liebe an unsre haßerfüllte Welt.
Kuppe auf geht’s, Kuppe ab; über die Mulde und dann wieder eine Lehne hinan. Auf der letzten Höhe aber mache ich erst einmal Halt am sonnigen Feldrain. Der Rucksack tut sich auf und gibt die guten Dinge heraus, die daheim ihm anvertraut wurden. Brot, Wurst, die zwei Ostereier, eines rot, gelb das andere, liegen lieblich vereint auf dem Wettermantel, und dann kommt das Weidmesser heraus, das mich getreulich auch auf diese gänzlich unweidmännische Fahrt begleitet, und fährt hinein in all diese Pracht. – Stark und sicher thront vor mir die Stadt Schneeberg auf ihrer Höhe; mit Freude versenkt sich der Blick in das kraftvolle Bild. – Jetzt noch ein Trunk aus dem Bächlein, und vergnügt beschließe ich das Mahl, für das mir das deutsche Gärungsgewerbe freilich keine Anerkennungsurkunde ausstellen wird. Dann stehe ich am Fuße des Schneebergs, dessen Kirche immer riesenhafter herauskommt. Direkt in den weißblauen Himmel hinauf scheint der Turm mit seiner überraschend zierlichen Krönung zu wachsen. Schon beim Betreten der Stadt springen mir allerhand Spuren ihrer bergmännischen Vergangenheit ins Auge, und als ich nun sonnedurchglüht am Rande des weiten Wasserbeckens auf dem Fürstenplatz unterm Kastanienring raste, da macht sich der Geist der Vergangenheit auf, und ich muß ihm nachgehen, denn dann erst spricht die Heimat mit mir von Herzen zu Herz.
Schneeberg – wie weit erscholl einst dein Ruhm hinaus in das deutsche Land! Wie warst du der Augapfel deiner Landesherren, der Stolz des sächsischen Volkes. Wer in deine Geschichte sich versenkt, vor dem steigt es abenteuerlich und wild empor. Ein Bergwall von fast unüberschreitbarer Wildnis; ein Urwald, drin Bär, Wolf und Luchs hausen, drin am vermorschten Eichstumpf der Jungbaum[135] emporsteigt ans Licht, drin faulenden Holzes fahler Schimmer und des Irrlichtes tückisches Lämpchen den Wandrer erschrecken, düstert vor seinem Auge hinan. Mitten aber in dieser Wildnis schießt plötzlich ein Gemeinwesen empor mit einer Wucht und Schnelligkeit, die wir Menschen der Neuzeit nur mit der Entwicklung eines amerikanischen Goldgräberlagers vergleichen können.
Ja, mit »reißender Gewalt« hebt sich der Bergbau im Jahre 1472, seitdem man zwei Jahre vorher fündig geworden. Zwickauer sind die ersten Gewerken, aber auch aus allen anderen Gegenden des Reiches strömen die Bergbaulustigen herbei, mancher Abenteurer darunter. Reich werden um jeden Preis ist die Parole. Genug solche sind auch dabei, denen das gewonnene Silber zwischen den Fingern zerrinnt; ein Prasserleben hebt an im Gefolge der Arbeit. Für Schwächlinge und Muttersöhnchen ist’s freilich nichts, das Leben im Berglager. Wen hier der graue Wächter, die scharfe Seitenwehr, nicht bewacht, um den ist’s übel bestellt. Überfälle auf Schmelzhütten und Zechen sind an der Tagesordnung. Vor jeder Grube stehen Geharnischte auf Posten.
Aber bald beginnt das zuchtlose Toben und Treiben sich zu legen, gelenkt und gebändigt durch Obrigkeit und Bergrecht. Auch im Äußeren zeigt sich nun Ordnung und Norm. Die Zechen werden mit einer Einfriedigung versehen in Form eines hölzernen Schrankens um den ganzen Berg herum. Ist so ein Schutz vor Räubern in menschlicher und tierischer Gestalt geschaffen, so droht doch noch andauernd eine andere furchtbare Gefahr in Gestalt der rasenden Waldbrände. Einmal lodert der böhmische Wald vierzehn Tage lang ohne Aufhören gen Himmel. Aus den Holzschranken wird bald ein fester Wall von der Gestalt, »wie man ein Hertze pfleget zu mahlen«. Sechsundfünfzig Zechen allein liegen anno 1474 innerhalb der Umzäunung; mit denen, die draußen sind, hundertsechsundsiebzig an Zahl! Und all’ diese ungeheure Entfaltung im Laufe von fünf Jahren.
Rückschläge bleiben nicht aus. Das Wasser vor allem macht den Bergleuten zu schaffen, denn die Gruben gehen gar bald sehr in die Tiefe. Aber schon 1477 blüht der Bergbau wieder empor. In diesem Jahre gibt der St. Georgschacht 4000 rheinische Gülden als Ausbeute auf einen Kux. Auf dieser Zeche ist’s, wo Albrecht der Beherzte am 23. April gleichen Jahres an einer Erzstufe von 400 Zentnern Gewicht, die fast ganz aus gediegenem Silber besteht, einen Imbiß einnimmt. Dieser Fürst besonders hält alle Hände über den Schneeberg. Woher sollt’ er die Mittel zu seinen zahlreichen Kriegszügen nehmen, wenn nicht aus den Gruben hier oben? Da kommt das Jahr 1490; eine Schreckenszeit für die junge Stadt. Fast alle Zechen müssen Schicht machen wegen des Wassers. Das Elend ist groß. In Scharen wandern die Knappen ab nach dem Schreckenberg, wo man eben fündig geworden ist, und wo St. Annenberg emporblüht. Die zurückbleibenden Häuer werden unzufrieden und schwierig. Gewalttaten gegen Bergmeister und Geschworene fallen vor, und 1496 ist er da, der erste Streik! Noch gelingt es, den friedlich zu schlichten, aber zwei Jahre darauf erfolgt der zweite Ausstand. Sogar die Häupter und die Jungen müssen mit ins verschanzte Lager der Bergleute auf dem Wolfsberg. In Kochstücke will man sie zerhauen, wenn sie nicht mittun.
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Aber von neuem bietet der Berg schier unerschöpfliche Schätze dar. Die Unzufriedenheit schwindet, der Häuerlohn berechtigt wieder zu Lebensgenuß und reichlichem Haushalt. »Ausbeut hat man auch geben – Auff St. Jörgen in Schneebergk zwahr – Mehr denn dreißigtausend Gülden – Auff einen Kux fürwahr« rühmt der Bergreihen. Da fängt die Kunst an, sich dem Wohlstand zu verschwistern. Zunächst in unbeholfener Form, in der Gestalt von Volksfesten mit geistlichen Schauspielen, die alle sieben Jahre mit großer Pracht aufgeführt werden. Freiberg, die alte, die reiche, geht schon lange darin mit gutem Beispiel voran. Einmal führen dort die Knappen auf offnem Markt an den drei Pfingsttagen die biblische Urgeschichte auf, den Fall der Engel und die Schöpfung der Welt bis zur Austreibung aus dem Paradies. Gott Vater, Gabriel, Michael, Satan, Adam und Eva, sechs gutgeratene, sechs mißratene Söhne Adams sind die handelnden Personen. Herzog Georg mit seinem ganzen Hofstaat ist andächtiger Zuschauer. – In Zwickau findet ein paar Jahre darauf eine Belustigung statt vor Johann dem Beständigen, deren Verlauf folgender ist:
Zunächst wird aufgeführt die Komödie des Terenz »Der Eunuch«. In den Zwischenakten dieses Stückes gibt man zur Erheiterung des Publikums: »Wie sich sieben Weiber um einen Mann zanken und schlagen«; und darauf: »Wie sieben Bauernknechte um eine Magd gefreiet haben.« All das geht zierlich und wohl[137] vonstatten. – Hierauf prellen zweiundzwanzig Fleischhauer einen vermummten Menschen auf einer Kuhhaut. Dann halten vierundzwanzig Knappen den Schwertertanz ab, der von den Hallstädter Salzknappen auch ins Erzgebirge gekommen ist. Als dies vorüber, erscheinen achtzehn Männer, wunderlich gekleidet, »daß sie als Störche anzusehen«, und lesen mit den Schnäbeln Nüsse auf, die ihnen ausgestreut werden. – Glückliche Kinderzeit unsres Volkes!
Doch weiter schreitet das Sehnen nach etwas, das den Menschen in höherem Sinne freimacht und loslöst von des Alltages Schaffen und Sorgen auch in den Kreisen der Schneeberger. Der Bergsegen drängt die reichen Fundgrübner dazu, etwas wirklich Großes zu schaffen. Glaubensinnigkeit und die dem gefahrvollen Bergmannsberuf eigene Frömmigkeit tun das weitere. Eine Kirche wollen sie bauen zu Ruhm und Ehr der heiligsten Mutter und zum Preise St. Wolfgangs. Im Jahre 1515 wird auf den Grundmauern der ersten abgebrannten Kirche der Bau des neuen Gotteshauses begonnen. Der in Kursachsen hochberühmte Hans von Torgau wird der Meister des Baues, derselbe, der schon an der Albrechtsburg sich die Sporen verdient hat in der Reihe der Gesellen.
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Langsam nur schreitet das Werk vorwärts. Erst 1540 kann Fabian Lobwasser den Bau vollenden. Aber was dann zum glücklichen Ende gebracht, das ist etwas, das zu dem wirklich Großen, nicht nur im äußeren Maßstab, gehört.
Zu der St. Wolfgangskirche ist jetzt nach der Rast auch mein erster Gang. Im köstlichsten Sonnenschein liegt der gewaltige Bruchsteinbau vor mir. Zur Seite des Turmes, der, noch vom ersten Kirchenbau übernommen, sich unregelmäßig vor das Langhaus legt, blüht ein Kornelkirschbaum in voller Pracht. Ungehindert kann das liebe Sonnenlicht auch in das Innere der Kirche dringen. St. Wolfgang ist eins von den bei uns nicht seltenen Gotteshäusern, die noch in den Formen später Gotik, nicht mehr aber in ihrem Geiste erstanden sind. Ganz auf den Gemeindegottesdienst ist der weite, dreischiffige Bau zugeschnitten. Groß muß die Teilnahme am Werk im ganzen Lande gewesen sein. Man darf namentlich wohl annehmen, daß Luther und Melanchthon um ihren Rat angegangen worden sind, als es galt, das neue Haus mit auserlesenen Werken der Malerei zu schmücken. – Wo hätten die Zeitgenossen wohl besser ihre Blicke hinlenken können, als nach Wittenberg, des frommen Lukas Cranach Heimstätte? Was uns der Meister hier in St. Wolfgang hinterlassen hat in seinem berühmten Altarwerk, das gehört zu dem Schönsten mit, was er je geschaffen. Nicht mehr als ein einheitliches Ganze freilich stellt sich heute das Altarwerk dar. Die Kaiserlichen haben die Tafeln im Jahre 1632 geraubt und nach Prag entführt. Erst siebzehn Jahre später gelang es den unermüdlichen Bemühungen der Bürgerschaft, sie wieder zurückzubekommen. Heute prangt die große Kreuzigungsgruppe in einem Barockaltar[140] für sich allein. Aber sie ist auch nicht das Schönste – bei weitem nicht! Der Ruhm gebührt unstreitig der herrlichen Tafel mit der Darstellung des Abendmahls, der Predella! Lange kann ich den Blick nicht wenden von den herrlichen deutschen Männerköpfen, die der Meister seinen Aposteln verliehen; sicherlich Bildnissen von Schneeberger Bürgern, wohl auch seiner selbst. Zart und morgenländisch fremd hebt sich der Heiland heraus aus der Schar der Tischgenossen. Eben reicht er mit der edelgeformten Hand dem Judas den Bissen. Der sitzt da als ein roter, derber Rüpel, dem Beschauer den Rücken kehrend; schon im Äußern gekennzeichnet als der Erzbösewicht. Befremdlich, und doch auch wieder so verständlich im Wesen der Entstehungszeit des Bildes wirkt der aus der Weinkanne trinkende Jünger am Fuße der Tafel im Gegensatz zur ehrbaren Würde der Mitapostel. Mit seinem starken fleischigen Doppelkinn, in seiner alles vergessenden Hingabe an den Genuß des Tischtrunks fällt er beträchtlich aus ihrem Kreise heraus. Ist’s wohl eine der Klerikergestalten, mit denen Reformation und Kirchenvisitationen damals rasch und gründlich aufräumten? – Im herrlichen Akkord rollt von oben her das Geläut der Glocken durch den Raum, wie ich aus dem Halbdunkel bei den wunderbar schönen Grüften hervortrete und dem Ausgang mich zuwende, um noch ein wenig das Stadtbild auf mich wirken zu lassen.
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Von Häusern aus der ältesten Zeit finde ich nichts mehr, dafür aber erfreuen mich viele wunderschöne Bauten aus dem 18. Jahrhundert. Sie vor allem geben der Stadt das Bild der Vornehmheit, der Wohlhabenheit, das sie unstreitig entfaltet. Eine Erinnerung übrigens aus dem genannten Jahrhundert bewahrt Schneeberg in sich, voll wehmutsreich inniger Bedeutung für alle, die mit unseres Volkes geistiger Vergangenheit vertraut sind. Im August des Jahres 1786 standen sich hier zwei Menschen auf Jahre hinaus das letztemal gegenüber, aus deren Herzensbund die reinsten, zartesten Blüten entsprossen sind – Goethe und Charlotte von Stein! Von Karlsbad aus, wo er mit seinem Herzog und Steins zur Kur weilte, hatte Goethe die Freundin, die nach Weimar zurückkehrte, bis Schneeberg geleitet. Nach einigen Tagen des Verweilens in der alten Bergstadt ging der Dichter nach Karlsbad zurück, um am 3. September frühmorgens um 3 Uhr sich von dort »fortzustehlen«, – südwärts, dem Land seiner Sehnsucht entgegen. –
Was diesem letzten Beisammensein der Freunde den ihm eigenen, wehmütigen Schimmer verleiht, ist das wohl in beider Herzen damals zur Gewißheit gewordene Gefühl, daß Glück und Leid der letzten elf Jahre sich unaufhaltsam ihrem Ende näherten. Müde war die Sehnsucht geworden, die doch nur in völliger Verbindung hätte Erfüllung finden können – und als Goethe 1788 wieder in Weimar eintraf, da war der edlen Rose Zauber verblichen. An seinem Wege aber sah der Dichter das Blümchen stehn – wie Sterne leuchtend, wie Äuglein schön – – Christiane Vulpius trat in sein Leben.
In der dritten Stunde des Nachmittags dann sitze ich auf einsam alter Halde hoch über Neustädtel, der älteren Schwesterstadt Schneebergs und blicke hinaus in[143] das weite Gefilde, das noch von unzähligen Spuren des Bergbaus bedeckt ist. Lautlos liegt die Natur – ein wehmütig Bergglöckchen nur klingt hier und da leise herauf. Groß und finster schiebt sich ein Wolkenschatten über die eben noch lachende Flur – einen fremden, fast krassen Ausdruck zeigt auf einmal das haldenzerrissene Land. Da greift auch mir der furchtbare Ernst der Stunde ans Herz, der letzten, da unser Heiland am Kreuze rang. Schwer atmend liegt das Gefilde zu meinen Füßen. – Ja, es ist finster. Schon ist er verklungen, der furchtbare Schrei der Gottverlassenheit; nun Stille – Stille. Da endlich, gestärkt durch den Essigtrank, die hallende Stimme vom Kreuze: »Es ist vollbracht.« Von St. Wolfgang herüber schlägt’s drei. – – –
Dann ist ein Tönen über das Land um den Schneeberg! Die Glocken alle rollen zusammen im starken, siegreichen Takt. Kindlich lallend fällt in den gewaltigen Baß der Hauptkirche das Glöckchen von Neustädtel, und jetzt ein Lerchenlied! Nicht eins nur; zwei, drei jubelnde Sänger steigen empor. Der Schatten ist vorübergezogen, fröhlich springt auf dem leuchtenden Saatfeld ein Häslein dahin – ist’s nicht, als wollt’ auch die Kreatur jubilieren über den Sieg, der eben geschah? Zu meiner Linken flimmert’s im Grase. Mechanisch greif ich dorthin und hab’ eines jener Steingebilde in der Hand, das eine kleine Welt für sich darstellt, mit Kristalltürmen und Grotten und Tropfsteinhöhlen – ein Stücklein Gestein, wie es[144] der alte Eigenlöhner vor hunderten von Jahren hier auf die Halde gestürzt. Dann greif’ ich zum Stabe und ziehe die Höhe hinan, an Weißer-Hirsch-Fundgrube, an Siebenschlehn und Sauschwart vorbei und wie die alten treuherzigen Bergnamen alle heißen. Ganz oben, dort wo dereinst die Knappschaftskapelle der heiligen Anna gestanden und wo 1830 das edle Denkmal zur Erinnerung an die dritte Wiederkehr der Augsburgischen Konfession errichtet ward im Geiste des Berghauptmanns von Herder, dreh’ ich mich um, und wie ich das prachtvolle Bild von Schneeberg und Neustädtel zu meinen Füßen erblicke, da muß ich im Geiste mit einstimmen in den alten Bergreihen, der so stolz anhebt:
Nur ein paar Schritte ist’s noch von hier aus zum Filzteich. Das ist ein gewaltiger Stausee, der schon 1485 zum Segen des Bergbaus entstand. Eine innig verklärte Abendstunde ist mir hier noch beschieden auf breiter Dammkrone und weiter hinten, wo der Boden unterm Fuße zu federn anhebt, wo niedrige Kiefern und üppiges Preiselbeerkraut wachsen, wo lange hellgrüne Pflanzensträhne übers Wasser sich hinziehen, wo der »Filz« anhebt, das Hochmoor mit seinem regen Vogelleben jetzt zur Entenreihzeit. Noch unterm Halbschlaf im Gasthaus zu Aue hör’ ich die Enten über mich wegklingeln, der purpurnen Abendsonne entgegen. – –
Donnernd poltert die Mulde in Aue unter der Brücke dahin, und weißbereift sind die Wiesen ringsum, wie ich in der Frühe des Ostersonnabends meinen Weg wieder unter die Füße nehme. Viel besser gefällt mir in der fröhlichen Morgensonne die betriebsame Stadt, als am Abend vorher. Freilich, Idyllisches aus alter Zeit bietet sich hier, dem flüchtigen Besucher wenigstens, nicht mehr dar. Und doch wird mir gerade in Aue ein besonders schönes Stündchen der Erquickung. Wie ich am Rathaus vorbeikomme, da fällt es mir ein, daß dort oben ein Freund aus der[145] Jugendzeit als Stadtoberhaupt haust. Trotz der frühen Stunde zieh’ ich die Klingel und lasse mich melden. »Hie mag nit sein ein böser Mut – wo da singen Gesellen gut« geht mir’s durch den Kopf, als ich im Musikzimmer den aufgeschlagenen Flügel und die Laute an der Wand betrachte. Und richtig, er ist der Alte geblieben, der Freund aus fernen Jugendtagen. Trotz Amtesbürde und -würde noch dasselbe begeisterungsfähige, jung gebliebene Herz; und ihm zur Seite die Hausfrau, eine reichbegabte Malerin, deren Kunst sich jetzt zu unsrer Freude von der oberlausitzer Heimatschilderung immer mehr zur Verherrlichung der erzgebirgischen Landschaft wendet. Wunderbar gut tut das Stündchen Gegenwartskultur dem Wandrer auf der Vergangenheit Spuren, der nun hinausschreitet, neuem Erleben entgegen. – Nahe bei der Stadt Aue ward früher die kostbare weiße Erde gegraben, auf der die Güte des Meißner Porzellans beruhte. Veit Hans Schnorr begann 1700 die bergmännische Gewinnung des Stoffes, der bis dahin nicht weiter verwendet ward; der höchstens dem Grundherrn der Gegend, einem von Rechenberg, zum Pudern der Perücke gedient hatte. Erst als Böttger die rote Porzellanerde von Okrilla zur Herstellung seines Steinzeugs verwendete, kam man hinter den Wert der weißen Erde von Aue. Jeder private Porzellanerdeabbau, sowie die Ausfuhr derselben, ward nun bei hoher Geldstrafe, später gar bei Strafe des Stranges, verboten. Noch ein anderes Geschenk des heimischen Bergbaus ist der Landschaft zum Nutzen geraten. Der einst so verachtete Kobalt, der »Silberräuber«, wie ihn die alten Gewerken nannten, wenn sie ihn als wertlos auf die Halden warfen, ist der Vater der seit[146] Jahrhunderten blühenden Blaufarbenindustrie. In alter Zeit betete man in den Kirchen, Gott möge die Bergleute vor Kobalt und bösen Geistern behüten, bis zur Zeit Kurfürst Augusts sein Wert erkannt war. –
Hinauf nach Oberpfannenstiel hebt sich mein Weg. Ein gottesweltweiter Blick tut sich vor mir auf, wie ich den prachtvollen Wald hinter mir habe. Nie hätte ich so Schönes hier zu sehen erwartet. Verschwenderisch wird die Mühe des Kletterns gelohnt. Freilich, dreihundertfünfzig Meter Steigung in einer Stunde etwa, mit der Märzensonne auf der Winterjoppe, wollen verdient sein. Aber nicht lange, und schon überfröstelt es mich bei aller Sonnenglut. Kurz vor Grünhain bin ich nun doch richtig in die Schneeregion eingetreten. Allenthalben liegt der graukörnige alte Feind an den Rändern und in den Hölzern. Von Süden winkt gar der Fichtelberg mit großen weißen Lehnen.
Grünhain, zwischen weiten sanften Matten, tut sich jetzt vor mir auf; ein paar Wasserspiegel beleben das Bild. Von der ehemaligen reichen Zisterzienserabtei ist zwar nicht viel mehr vorhanden an Baulichkeiten, aber einen Rastort voll herrlichen Friedens umschließt die weite Klostermauer – das Wäldchen, drin noch die Spuren der Klosterkirche zu sehen. Das Gotteshaus ist dahingesunken, aber ein ebenbürtiger Dom von ragenden Buchen, Erlen und Tannen baut sich jetzt in den Himmel hinauf. Keine Axt läßt der Herr Forstmeister, dem die Verwaltung hier obliegt, an diesen Hain legen; nur was morsch ist und krank wird genutzt. Eine Vogelwelt von seltener Reichhaltigkeit ist hier zu Hause; von allen Zweigen singt es und klingt’s. Und noch eine Schar kleiner Geschöpfe, die auch nicht säen noch ernten, hat hier ein schützendes Obdach gefunden vor den rauhen Winden dort draußen: schwachsinnige Kinder sind in den Wirtschaftsgebäuden untergebracht. Allenthalben sitzen sie im warmen Sonnenschein – auf der Mauer ein Mädel, in dessen Schoß ein gleichaltriger Knabe den Kopf gebettet hat; selig und tief schläft er hier im süßesten Frieden. Der freundliche Oberpfleger, nach seinen Schützlingen befragt, schmunzelt behaglich. »Nicht wahr, Karle,« meint er zu einem gut genährt aussehenden Burschen von etwa fünfzehn Jahren, »ganz brav sind wir alleweil, bloß die Finger, o weh, die Finger; die sind immer gleich gar zu lang.« Übers ganze Gesicht lachend bestätigt der Zögling dies Zeugnis.
Das Kloster gehörte dereinst zu den reichsten im Lande. Eisen- und Kohlengruben, die letzteren schon um 1450 ausgebeutet, waren sein eigen. Einen großen Tag erlebte das Stift am 9. Juli 1455. Da waren die Sturmglocken über die Berge gerauscht, denn auf dem Schloß zu Altenburg war eine unerhörte Tat geschehen. Die beiden jungen Herren, Ernst und Albert, waren geraubt worden vom verwegenen Ritter Kunz von Kauffungen. »Lieben getrewen, uns ist Cuntz und syne Helffers in unser Schloß Altenburgk gestiegen und haben unsere beyden Söne, das Gott geklaget sey, wegbracht.« Dieser Notruf des geängsteten Vaters fand im treuen Volk allenthalben teilnahmsvollen Widerhall. Nach dem Gebirge hatten sich die Räuber gewandt – und schon am Tage nach der Tat hatte man den von Kauffungen fest. Noch steht im Klostergarten der Turm, darin er in des Abtes von Grünhain Gewahrsam eine kurze Zeit gesessen haben soll. Am 14. Juli aber stand er bereits vor den Geschworenen von Freiberg, wohin der Hochverratsfall gehörte, seit im[147] Jahre 1294 Friedrich der Gebissene den dortigen Schöffen zugesichert hatte, daß sie gewaltig sein sollten, sein Recht zu rügen und zu setzen. »Was blast dich Cuntz für Unlust an, Daß du in’s Schloß nein steigest« sangen bald drauf die Bergleute rundum. – Von 1536 ab stand das Kloster verlassen. Die Mönche wanderten mit Urkunden und Schätzen ab nach Kaaden. Ein herrliches Stück aber ist von dem ehemaligen Reichtum noch auf uns gekommen; der wundervolle Taufstein, der 1536 nach Annaberg kam und dort in der großen Kirche aufgestellt ward (siehe O. E. Schmidt »Annaberg«, Band IX, Heft 1–3 dieser Zeitschrift). –
Und nun geht es wieder hinaus auf die Landstraße und das geheimnisvolle, frohe Harren hebt wieder an, was einem die nächste Wegbiegung, was einem die nächste Höhe bescheren wird. Daß ich’s gleich sage, die stille Freude an schönen alten Gehöften, an stattlichen Gasthäusern aus guter alter Fuhrmannszeit, wie sie im östlichen Erzgebirge und besonders am Fuße des Bergwalls noch zahlreich vorhanden sind, ist dem Wandrer hier oben nicht mehr häufig beschieden. Zu sehr hat die Industrie am Bilde der uralten Siedlungen genagt. Aber die Natur macht alles wieder gut; sie ist so stark und groß gerade in diesem Teil des Gebirges, daß sie sich einfach nicht tot machen läßt. Immer wieder versöhnt den Wandrer der unsagbare Zauber des Fernblicks, das stille Raunen der Wälder, das Murmeln der Bäche. Wie ein Silberband springt hier gerade der Oswaldbach unter meiner[148] Straße hindurch in ein Wiesental von seliger Schönheit. Und was alle die Gasthäuser heut morgen nicht vermocht haben, er läßt mich nicht vorbei, ich muß einkehren bei diesem Wirte wundermild! – Hab’ Dank, heiliger Oswald, für den Trunk, damit du den Pilger auch heut’ noch erquickst. –
Gleich gibt es wieder etwas zur Freude. Da stehen im Moose verstreut in gemessenen Zwischenräumen die Grenzsteine der Forstverwaltung. Aber hier sind sie nicht nüchtern aus weißgekalktem Stein mit Ziffer und Krone gefertigt – vom Alter grün gewordene Glimmerschieferplatten mit schön geschwungenen, rot nachgezogenen Kurschwertern und altertümlichen Jahreszahlen aus dem achtzehnten Jahrhundert stecken hier wie aus dem Waldboden selber entsprossen im Gras. Auf der Höhe kommen jetzt die drei vulkanischen Tafelberge, der Pöhlberg, der Bärenstein, der Scheibenberg mit seinem zerklüfteten Rande heraus; alle noch mit silberverbrämtem Mantel über den Schultern.
In Elterlein, wo ich am Wirtstisch mein Brot mit der Wurst würfle, kann ich mich nicht enthalten, einem Mitgast mein Befremden über das ziemlich nüchterne Bild des Marktes auszudrücken. »Ja, das is nu immer schon so gewesen,« entgegnete der Wackre, was mich aber doch zu der Bemerkung veranlaßt, ich könne nicht glauben, daß man zur Zeit, da sich die alten Nürnberger Elterleins hier des Bergsegens erfreuten, schon derartig gebaut habe. Er gibt das denn schließlich auch zu.
Das nun kommende Wegstück zählt zu den eigenartigsten des ganzen Tagmarsches. Die Landschaft schreit es nicht aus, was sie erlebt hat in der Jahrhunderte Lauf. Starker, wohlgepflegter Fichtenwald geht stundenlang neben der Straße her; aber hier und da gleitet der Blick über eine freie Fläche von so ausgesprochenem Hochmoorcharakter, daß es dem aufmerksamen Beschauer klar werden muß, welch ein Riesenwerk die Urbarmachung des Miriquidi darstellt. Sumpf und Urwald – das war das Gebirge, ehe der Bergknappe hierher kam mit Axt und Eisen, und in seinem Gefolge der Köhler mit Feuer und Schürbaum. »Es grüne die Tanne, es wachse das Erz«, schon in dem alten Spruch ist die Untrennbarkeit beider Berufe bescheinigt.
Nicht eine Seele begegnet mir jetzt, nur der Specht kichert über mich hin, und die Krähe ruft mir den rauhen Gruß zu. O Gottesgnade, wandern zu können, stark und allein. Denn nur das ist die richtige Freude. Willst du so recht im Buche der Natur lesen, dann ist leicht auch der vertraute Gefährte schon zu viel. Im tiefsten Innern bleibt der Mensch allein; aber aus diesem tiefsten Innern kommen dann auch die Stimmen, die nach dem Ewigen rufen in sehnender Stille.
Auch Geyer, das mit seiner zerklüfteten Binge nun vor mir auftaucht, kann auf bald ein halbes Jahrtausend Bergmannsdasein zurückblicken. Silber, Kupfer und Zinn ward früh hier gefördert; aber 1476 wanderten viele der Knappen nach dem Schneeberg ab und nach St. Annenberg. Geyersche Häuer sollen die ersten Häuser von Annaberg gebaut haben.
Die Stadt ist mir wert der Erinnerung halber an einen Mann, den ich um seines Werks willen liebe; den jeder lieben muß, der sich nur einmal mit Verständnis in das herrliche alte Leipziger Rathaus versenkt hat. Hieronymus Lotter,[149] der große Baumeister der sächsischen Renaissance, erwarb den Edelhof Geyersberg im Jahre 1560. Sechs Jahre später errichtete er das neue Herrenhaus, den einzigen nachweisbaren Privatbau von seiner Hand. Damals war der ruhmgekrönte Schöpfer der Pleißenburg ein begüterter Mann. Als Hauptgewerke des Geyerschen Zinnwerkes hielt er dreihundert Knappen in Lohn und Brot. 1567 schrieb er an die Kurfürstin Anna, er habe ein ansehnlich Wohnhaus auf dem Geyersberg, und lud die Herrschaft ein, das Jagdlager allhier zu halten. Offenbar kam der Kurfürst von da an öfters zu seinem vertrauten Berater in baulichen Kunstfragen. Als 1568 die Pest übers Gebirge zog, verlangte er vom Rate zu Geyer, man solle den Gottesacker aus der Nähe des Lotterhofes verlegen, da er dort zur Herberge sein werde. – Mit dem Gefühl der Ehrfurcht, die einen an der Stätte ergreift, da ein großer und guter Mensch einst gehaust hat, schau ich mich um in dem alten Hause, das mir willig aufgetan wird. Reich und behaglich mag es gewesen sein zur Zeit, da sein Erbauer hier weilte. Die schön kassettierte Decke im Erdgeschoß gibt davon noch Zeugnis. Hier im kleinen Schreibstüblein war es, wo die Kurfürstin den Meister zur Übernahme der Bauleitung auf dem Schellenberg überredete. Es ist bekannt, daß der Bau der Augustusburg dem neunundsechzigjährigen Mann kein Glück brachte. Kummer und Sorge erwuchs ihm aus dem neuen Amt. Er starb, nicht mehr im frühern Wohlstand lebend, im Jahre 1581. In der St. Lorenzkirche[150] zu Geyer vor dem Altar ward er begraben. – Diese ehemalige Kirchenfestung, die noch heute ein Stück ihrer starken Schutzmauer und den gewaltigen Wachturm als Erinnerung an drangvoll fährliche Zeiten aufweisen kann, enthält in der Vorhalle ein herrliches Werk aus dem beginnenden sechzehnten Jahrhundert, eine Ölberggruppe mit Christus und den schlafenden Jüngern von ergreifendem Kunstwert.
So viele Bauwerke von Menschenhand habe ich nun auf meiner Reise gesehen, daß ich mir’s nicht versagen kann, zum guten Ende noch nach einem Gemäuer zu wandern, das nicht von Sterblichen erschaffen ward, das mit unwiderstehlicher Urkraft aus dem Glimmerschiefer herausbrach in sieben gewaltigen Granitpfeilern. Wie eine Zyklopenmauer leuchten die Greifensteine bei Ehrenfriedersdorf im späten Nachmittagsschein in das Land hinaus. Tausende und aber tausende von Jahren saust schon der Bergwind um die mächtigen Türme. Immer noch stehen sie trotzig erhaben; was ist die lächerliche Spanne eines Menschenlebens für diese Zeugen der Urzeit!
Ein wenig ängstlich sehe ich nun doch nach der Uhr. In Thum unten wartet meiner die Eisenbahn; den letzten Zug möcht’ ich nicht gern verpassen. Aber sieh da, es bleibt mir nach hastigem Abstieg noch hinreichend Zeit, das freundliche Städtchen ein wenig kennen zu lernen, bei dem am 15. Januar 1648 das letzte Treffen im Dreißigjährigen Krieg auf sächsischem Boden vorfiel. Ein paar Monate[151] später, als endlich die Friedensboten aus Osnabrück ins verwüstete deutsche Land hinaustrabten, hielt ein Thumer Stadtkind den hochfeierlichen Dankgottesdienst im schwedischen Lager. Tobias Clausnitzer war es, eines Kärrners Sohn, der als Feldprediger im Heer Gustav Wrangels ritt und der uns eines der meistgesungenen Lieder in unserm Landesgesangbuch geschenkt hat: »Wir glauben all an einen Gott.«
Im stillen Frieden des Ostersamstags liegen die Täler, als ich im Bahnzug der Welt wieder zueile. Die Vöglein schweigen im Walde – aber wartet nur, ihr kleinen Sänger, morgen am hochheiligen Ostertage, sehr frühe ehe die Sonne aufgeht, da werdet ihr geweckt werden vom jubelnden Tönen der Glocken auf allen Türmen rundum, die die frohe Botschaft hinaustragen in alle Lande: »Christ ist erstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden.«
Von Dr.-Ing. Hubert Ermisch, Leipzig
[1] Vgl. hierzu auch: Dr. Paul Zinck, Dorfkirchen im Leipziger Land im Kalender f. d. Erzgebirge u. d. übrige Sachsen. 1919. – O. Gruner, Die Dorfkirche im Königreich Sachsen und Beschr. Darstell. v. ält. Bau- und Kunstwerken i. Kgrch. Sa. Heft 16. Leipzig-Land. 1894.
Wanderfahrten durch das Leipziger Land haben ihre eigenen Reize. Dem sehenden Auge wird aus dem »öden Einerlei«, wie man es zu nennen pflegt, bald eine charakteristische Landschaft. Überall offenbaren sich Naturschönheiten. Allerdings Naturschönheiten anderer Art als wir sie im Gebirge finden oder an den schönen Hängen der Elbe. Man darf keine Vergleiche aufstellen und muß die Naturschönheiten der Ebene vielfach erst recht würdigen lernen. Daß wir auf welthistorischem Boden stehen, daß wir auf Schritt und Tritt erinnert werden an die Stätten der Völkerkämpfe vieler Jahrhunderte, das erhöht noch die Bedeutung der Leipziger Ebene. Wir stehen und wandern auf dem Schlachtfelde Mitteleuropas.
Man wird meinen, auf einem Schlachtfelde sind bauliche Altertümer wenig zu finden. Um so überraschter ist man über die Tatsache, daß in der Leipziger Ebene eine reiche Fülle von baulich hochinteressanten Dorfkirchen zu finden ist.
Wie kommt es, daß der zerstörende Fuß des Krieges an diesen Bauten vorüberging ohne sie vom Erdboden verschwinden zu lassen? Einmal verdanken wir das der massiven Bauart der Kirchen. Sie sind aus Feldsteinen oder aus verputzten Ziegeln gebaut. Dann haben aber auch die Kriege der Vergangenheit Halt gemacht vor der Heiligkeit der Kirche im Gegensatz zu den modernen Kriegen. Die Kirchtürme wurden nicht als wichtige Beobachtungspunkte in die Luft gesprengt. So hat die alte ehrwürdige Dorfkirche wohl oft ihr Dorf in Flammen aufgehen sehen, sie selbst blieb aber erhalten. Ich möchte die Buschnaukirche bei Rackwitz erwähnen. Sie liegt einsam auf ihrer Höhe zwischen den Kornfeldern. Das Dorf, das zur Kirche gehörte, verschwand vom Erdboden, das Kirchlein überdauerte die Jahrhunderte bis heute. Die Buschnaukirche ist allerdings eine Ausnahme, im allgemeinen wurden die Dörfer wieder aufgebaut, wenn sich die Kirche erhielt. Oft brannten die Kirchen aus, aber das Gehäuse erhielt sich. So sehen wir im[153] Gegensatz zu andern deutschen Landschaften nur wenige Kirchen mit barockem Äußeren, aber viele, die in ihrem Inneren barocken Ausbau erhielten. Der äußere Bau ist meist noch der alte, schlichte, romanische, der in der gotischen Stilepoche vielfach ausgebaut oder durch Anbauten erweitert wurde.
Die meisten Dorfkirchen im Leipziger Land liegen auf einem Hügel, an seinem Hange das Dorf. Kirche und Dorf werden in verschiedenartigste Beziehung zueinander gebracht. Bald beherrscht die Kirche den Dorfeingang wie in Althen, bald überragt sie inmitten der Gehöfte liegend, das Dorf, wie in Panitzsch. Die Lage der Kirche auf einem Hügel erklärt sich dadurch, daß die ersten Kirchen gleichzeitig mit den ersten Kolonistendörfern in der von Slawen bewohnten Ebene entstanden. Man war in Feindesland. Die Kirche mit ihrem von Mauern umfriedeten Kirchhof war eine dörfliche Burg, der letzte Zufluchtsort der Ansiedler im Kampfe um ihr Dorf, und der Turm der Ausguck in unruhigen Zeiten. Die Kirchenglocke wurde zur Sturmglocke, wenn Gefahr im Verzuge, so wie noch heute die Glocke bei Feuersnot ihren Ruf erschallen läßt. Wir haben es also mit Wehrkirchen zu tun, aber anders geformten als die bekannten von Großrückerswalde und Lauterbach. Ich möchte sagen, daß die Wehrkirchen im Leipziger Land noch ausgesprocheneren Defensivcharakter haben, als die genannten beiden. Wie bei der Burg der Burgfried, so ragt hier der Kirchturm gedrungen, trotzig und fest über Kirche und Friedhof. Betrachtet man die Türme, so sieht man, daß die Öffnungen auf das allernotwendigste beschränkt wurden. Mauerschlitze, durch die die Armbrust ihre Geschosse senden konnte. Spätere Toreinbauten, zum Teil erst aus dem neunzehnten Jahrhundert, haben leider dieses burgartige des Kirchturmes vielfach[154] zerstört. Zumeist liegt der Turm an der Westseite der Kirche, seltener an der Ostseite über dem alten romanischen Chor. Man wird sich die Entwickelung dieser Kirchen wohl vielfach so zu denken haben, daß zunächst eine Kapelle erbaut war und getrennt davon ein Glockenturm. Zwischen beide schob sich dann das Langhaus als Laienhaus. Aus dieser Entstehungsart wäre auch die eigenartige Tatsache zu erklären, daß so manche der Kirchen schiefwinklig ist, die Längsaxe zeigt einen Knick. Da der Chor stets nach Osten gerichtet ist, so ergibt sich, daß die beiden Langseiten nach Süd und Nord zu liegen. Sie wurden nicht einheitlich mit Öffnungen durchbrochen. Der praktische Sinn unserer Altvordern ordnete an, daß die kalte, dem Wetter ausgesetzte Nordseite nur kleine Fensteröffnungen bekam, während man nach der Südseite durch hohe Fenster und das Eingangstor der wärmenden Sonne möglichst viel Einblick gewährte. Denn eine andere Heizung als die Sonne gibt es meist heute noch nicht in der Dorfkirche. Die modernen[155] Kirchenneubauten nehmen natürlich hierauf keine Rücksicht, die Zentralheizung ersetzt ja, so meint man, die Sonnenheizung. Ja hätte man geahnt, daß die Zeiten einmal so schwer werden könnten, daß man für die Heizung der Kirchen so gar keine Kohle zur Verfügung hat! Heute hält man es für eine architektonische Notwendigkeit, das Hauptportal gegenüber dem Chor zu setzen.
Die Grundrißformen sind sehr verschiedenartig, von der alten Rundkirche, wie in Knautnaundorf zu sehen – allerdings nur in Resten – bis zur langgestreckten gotischen Hallenkirche. Das Übliche ist ein romanischer Kern. Der Chor vielfach mit Koncha davor, ein rechteckiges Langhaus und Westturm, wie wir ihn schon in seiner Entwicklung beschrieben haben. Dieser Kern wurde in der Zeit der Gotik meist verändert. An den rechteckigen Chor baute man einen im halben Achteck oder Sechseck geschlossenen wesentlich tieferen, der mit reichem Netzgewölbe auf Rippen überdeckt wurde. Der im Spitzbogen geformte Triumphbogen trennt den neuen Chor vom alten romanischen Langhaus. Der romanische quadratische Chor wurde dann gleichfalls mit in das neue Gewölbe einbezogen. In andern Fällen, wo, wie in Großpösna, über dem quadratischen Chor, an den sich die Koncha anschließt, der Wehrturm sich erhob, fügte man in den Turmteil ein Netzgewölbe ein und erhöhte so die Wirkung des Chores. Im allgemeinen ist das Langhaus flach gedeckt. Die Decke war mit reichbemaltem Holzwerk und Felderteilungen, mit Bildern und bunten Kanten ausgebildet, meist in Formen aus der Zeit nach dem Dreißigjährigen Kriege uns überliefert. Dieser Zeit gehören auch die oft noch erhaltenen ein- oder auch zweifachen Emporen an. Leider hat eine Zeit, in der[157] man es für Pflicht hielt, alle Stilwidrigkeiten aus den Kirchen zu verbannen, diese schönen echt bäuerlichen Malereien zerstört und an ihre Stelle die glatte Putzdecke oder einen farbenarmen Ölanstrich gesetzt. Man bedachte nicht, daß meist die Farbe allein die Stimmung in diesen einfachen Kirchen ausmacht. Heute sind uns die wenigen Dorfkirchen, in denen sich die alten Malereien erhielten, weil die Gemeinde kein Geld zu einem »stilreinen« Umbau hatte, die schönsten Farbenbeispiele für die moderne Ausmalung einer Dorfkirche. Und die Dorfkirche war von jeher auf Farbigkeit gestimmt. Das beweisen am besten die vielen erhaltenen Reste der bunten geschnitzten Altarschreine, die in der Hauptsache aus der Zeit um 1500 stammen. Daß uns so viele noch erhalten sind, verdanken wir der Denkmalpflegetätigkeit des Sächsischen Altertumsvereins, in dessen Museum in Dresden (Palais im Großen Garten) die besten Stücke verwahrt werden. Wieviel mag wohl an den Kunsthandel verkauft und in alle Welt verstreut worden sein, ehe die Denkmalpflege eingriff? Die Kirchgemeinde wird erst dann die Tätigkeit des Altertumsvereins recht würdigen lernen, wenn einmal die Zeit kommt, wo die Kirche im Sinne der modernen Denkmalpflege erneuert wird und dann in den[158] neu hergestellten Raum der alte Altar in aller seiner Schönheit an seinem Ursprungsplatz zur vollen Geltung gebracht wird. Damit soll aber nicht gesagt werden, daß man die reizvollen barocken Altaraufbauten verschwinden lassen soll, daß man die typische Anordnung der Kanzel über dem Altar, ein Charakteristikum der Dorfkirchen im Leipziger Land, aufgebe. Das wäre zweifellos falsch. Aber dort, wo ein Altaraufbau des neunzehnten Jahrhunderts in mehr oder weniger mißverstandener Gotik sich erhebt, soll man ihn zugunsten der alten Altarschreine beseitigen, wenn eine Erneuerung des Kircheninnern vorgenommen wird. Der Altarschrein oder seine Trümmer, denn solche sind es ja leider vielfach nur noch, werden sich oft auch als vorzüglicher Schmuck der Wände im Chor oder Schiff verwenden lassen. Auch Betpulte und Taufbeckenhalter in Gestalt von barockgeformten Engeln oder Adlern wird man oft auf den Kirchböden finden und mit Erfolg im erneuten Inneren wieder verwenden können. Alles wird dazu beitragen in unsere durch die Stilreinigungswut des neunzehnten Jahrhunderts verödeten Kirchenräume wieder Leben und Farbe zu bringen. Wie die Altarschreine auf den Kirchböden, so sind die alten romanischen Taufsteine auf den Friedhöfen oder in Pfarrgärten in der Verbannung. Schwere, wuchtige, granitne Becken, denen man ansieht, daß sie viel erlebten. Erlöst sie aus ihrer Verbannung. Wie vielen von unsern Altvordern mögen sie das Taufwasser gespendet haben! Hat man bessere, künstlerisch wertvollere Taufbecken an ihre Stelle gesetzt? Geht hin und urteilt selbst!
Die beigefügten Skizzen und Bilder sollen nur kleine Proben aus der Fülle der schönen alten Dorfkirchen des Leipziger Landes geben. Die Mehrzahl der Türme hatte wohl während der Gotik noch Aufbauten erhalten, die aber in den Stürmen der Kriege wieder verloren gingen. Erhalten haben sie sich vor allem an der Podelwitzer Kirche, auf die ich ganz besonders aufmerksam machen möchte. Ihre Formenwelt entstammt der Gotik. Sie ist deshalb zu einem Kleinod unter den Dorfkirchen der Leipziger Ebene geworden, weil kein Restaurator des neunzehnten Jahrhunderts ihr zu nahe kam.
[159]
Vorüber sind für Deutschland die Stürme des großen Krieges, und überall sind Bestrebungen im Gange, unseren gefallenen Helden eine letzte, bleibende Ehrung zum Gedächtnis zu bereiten. Zwei Jahre sind seit dem »Frieden« dahingegangen, und wer Gelegenheit hat, viel im Lande herumzukommen, hat auch Gelegenheit hier und dort schon ausgeführte Kriegerehrungen politischer und kirchlicher Gemeinden zu sehen. Daß bei deren Erschaffung guter Wille, Liebe und tiefes Empfinden nicht überall verhindern konnten, daß Unschönes, ja schlimmer Kitsch entstand, ist nicht Schuld der berufenen Wächter in Fragen der Ausdruckskunst. Nur zu oft klammern sich die Stifter an die bequemen Eselsbrücken der Musterbücher »einschlägiger Firmen«, allzugerne will man andern Ortes das »überflüssige« Künstlerhonorar sparen, vertrauend auf den eigenen guten Geschmack und vielfach lokalen, politischen und anderen Rücksichten folgend.
Im allgemeinen ist das Bestreben vorherrschend, eine monumentale, ins Auge fallende Ehrung zu schaffen, und teuerstes Material, massige Häufung von Stein sind überaus beliebt. Mit Schaudern nur sieht dann der feinfühlige Freund der Heimat solche monstra in nächster Umgebung traulich stiller Landschaftsbilder, in der Nachbarschaft reizvoller kleiner Dorfkirchen und intimer Dorf- und Städtebilder aufragen: »und er fragt, wie das geschehen und warum ihm das geschah!«
Muß es denn sein, daß wir unsere in fremder Erde ruhenden stillen Helden in möglichst aufdringlicher, marktschreierischer Protzerei ehren, mit Monumenten, die zwar deutlich vom vollen Geldbeutel, aber noch deutlicher von der Gemütskälte ihrer Stifter reden?
Muß es denn immer ein künstlich hergerichteter Findling, eine Marmorpyramide mit überlebensgroßem Stahlhelm, eine Massenanhäufung langweiliger, steinerner Adreßbuchtafeln sein?
Es war im Laufe der langen Kriegsjahre zur schönen Sitte in vielen Gemeinden geworden, die toten Krieger durch einen Gedächtniskranz zu ehren, der an den Wänden oder den Emporenbrüstungen der Kirche, in den Andachts- und Schulsälen aufgehängt wurde. Manch sonst kahler Raum fand so auf einmal und ohne besondere Absicht einen stimmungsvollen, neuen Reiz. Doch die Jahre vergehen, die Kränze verstauben und vertrocknen und immer weniger werden es deren im Laufe der Zeit sein, die liebevolles Gedenken erneuert.
Da lag der Gedanke nahe, das Motiv der kranzgeschmückten Kirche oder Gedächtnishalle künstlerisch zu verwerten und zu bleibender Schmuckform werden zu lassen. Die beistehenden Bilder mögen zeigen, was so mit verhältnismäßig einfachen Mitteln zu erreichen ist, und trefflich hat es der Künstler verstanden, den Traditionen der alten gemalten Dorfkirchen, an denen Sachsen so reich ist, sich anzupassen. Wie viele Kirchen aber gibt es im Lande, deren Wand- und Emporenflächen eine geschmacklose Zeit in langweiliger Monotonie übertünchte, und die in gleicher Weise zu einer Kriegerehrung in Farben in glücklichster Weise Verwendung finden könnten. Freilich ein tüchtiger Künstler nur möchte der Führer sein, der es versteht, sich dem jeweiligen Stil und Stimmungscharakter im Sinne des Ganzen[162] und unaufdringlich anzupassen, damit nicht wertvolles Altes durch schlechtes Neues zerstört werde.
Ein anderer, auffallend selten begangener Weg ist der der Verwendung farbiger Glasfenster für die Kriegerehrung. Im Vitztum-Gymnasium zu Dresden ist neuerdings im Treppenhaus in dieser Form eine solche von prachtvoll eindringlicher Wirkung durch den Dresdner Künstler Professor Roeßler geschaffen worden. Bedenken wegen der guten Erhaltung solcher Anlagen sind gegenstandslos, da böswillige Schäden, vor denen auch kein steinernes Monument sicher ist, hier leicht durch Schutzgitter an der Außenseite abgehalten werden können, andererseits ja auch die große Menge der erhaltenen mittelalterlichen Glasfenster deren lange Lebensdauer und stimmungsvolle Wirkung beweist.
So sind es der Wege viele, die den nach Ausdruck suchenden Stiftern der Kriegerehrungen offen stehen und oft fehlt nur die richtige Führung zum Ziel. Hier helfend einzugreifen ist die Landesberatungsstelle für Kriegerehrungen in Dresden (Schießgasse 24) geschaffen worden, die unentgeltlich allen Ratsuchenden mit Auskunft zur Seite steht.
Dr. Bn.
Von stud. phil. Gerhard Stephan
Im Wendenlande, unweit des Klosters St. Marienstern bei Kamenz liegt ein Dorf namens Miltitz. Kaum hundertfünfzig Meter nordwestlich davon am Feldpfad nach dem Pfarrdorf Nebelschütz steht ein Busch, und in diesem ein Granitblock »ungefähr acht oder neun Ellen hoch«. Man nennt ihn, weil er sich auf Gemeindegrund befindet, den »Gemeindestein«, gewöhnlich aber nach seiner Gestalt, der der eines sitzenden Frosches gleicht, den »Frosch«.
Eine Sage knüpft sich an den Ursprung dieses Namens. In den Zeiten, als Christentum und Heidentum in der Lausitz noch sich gegenseitig die Vorherrschaft streitig machten, wohnte an dem Platze ein heidnischer Zauberer, der die Christen aufs erbittertste verfolgte. Jedes Mittel dazu war ihm recht. – In einer stürmischen, regnerischen Nacht klopfte in später Stunde ein Wanderer an seine Hütte und bat mit dem Gruße: »Gelobt sei Jesus Christus« um Nachtherberge. Der Zauberer aber rief: »Verflucht sei Jesus Christus!« und wollte den Fremden mit Stockschlägen davonjagen. Doch dieser sprach: »Du sollst ein Zeichen sein, wie Gott die Sünder straft!« und berührte ihn mit seinem Wanderstabe. Da verschwand die Hütte samt dem Zauberer, an ihrer Stelle stand jenes froschähnliche Steingebilde. (Nach Haupt, Sagenbuch der Lausitz.)
Eine andere Sage, die freilich den Ursprung des Namens »Frosch« unerklärt läßt, findet sich in Meiches Sagenbuch von Sachsen. Danach wohnte dort bei Miltitz in alten Zeiten der Wassermann, der jedesmal für zwei Dreier einen trunkliebenden Bauern von Nebelschütz heimgeleitete. Allmählich aber konnte der Mann, der ein Säufer geworden war und Hab und Gut durch die Gurgel goß, seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen und blieb dem Wassermann seinen Lohn[163] schuldig. Als er ihn einst noch in der Trunkenheit geschmäht hatte, und am andern Morgen aufwachte, sah er, wie dieser ihm mit einem großen Steine sein Hoftor verrammeln wollte. Er redete ihm gütlich zu, der Wassermann gab nach und sagte: »Wenn innerhalb von neun Minuten Euer Hahn kräht, trage ich ihn fort, sonst müßt Ihr mir neun Laibe Brot geben.« Der Hahn krähte, der Wassermann trug den Stein fort und warf ihn in die Gemeindebüsche. –
Noch steht der sagenumwobene Stein, aber man weiß nicht, ob er nicht, ähnlich dem »Zwieback« im Kamenzer »Forst«, dereinst einer unverständigen Hand zum Opfer fällt. Möge der »Heimatschutz« dafür sorgen, daß er der Nachwelt erhalten bleibt!
Vorstehender Sagenbericht veranlaßte den Heimatschutz über die wissenschaftliche Bedeutung des Steines sowie über die Frage der Gefährdung desselben Erörterungen anzustellen, über deren Ergebnis hier kurz berichtet sei:
Der sagenumwobene »Steinerne Frosch« im Gemeindebusch des Dorfes Miltitz bei Nebelschütz wird von der Geologischen Landesuntersuchung (Blatt 37, Sektion Kloster Marienstern, Erläuterung Seite 26) als »Rundhöcker« bezeichnet, der durch das in der diluvialen Eiszeit darüber hinziehende nordische Inlandeis aus dem Granituntergrunde gestaltet wurde. Landesgeologe O. Herrmann sagt darüber a. a. O.: »Fast sämtliche Granitbuckel zwischen Jauer und Wendischbaselitz, wie auch diejenigen im Norden von Schmeckwitz und im Nordosten von Crostwitz ragen mit einer gewölbten, glattgeschliffenen Gipfelfläche durch das Diluvium hindurch. Glazialschrammen[164] sind jedoch auf denselben nirgends erhalten, vielmehr zeigen alle diese Flächen eine infolge der verschiedengradigen Widerstandsfähigkeit der Granitbestandteile narbige Anwitterung. Ein solcher durch Eiswirkung abgerundeter Felskopf ist z. B. der sogenannte »Frosch« im Westen von Miltitz. Weit vollkommnere Rundhöcker weist das im Westen an Sektion Marienstern anstoßende Areal auf (vgl. Erläuterungen zu Sektion Kamenz, Seite 33).«
Inzwischen vom Herrn Professor Dr. Muhle, Kamenz, auf unsere Bitte angestellte Erörterungen ergaben, daß dem »Frosch« keinerlei Gefahr droht, da maßgebende Herren der Gemeinde Miltitz versicherten: »Der Stein bleibt!«
Die Freunde des Naturschutzes freuen sich gewiß mit uns, daß Besitzer und Gemeindevertretung in Miltitz Verständnis für die Erhaltung des interessanten Rundhöckers aus der Eiszeit bekundeten.
Wir wünschen von Herzen, es möchten alle Einsichtigen für den Schutz der heimatlichen Natur eintreten, damit unser Geschlecht die wenigen noch in ursprünglichem Zustande vorhandenen Naturdenkmäler unverkürzt und unverletzt auf unsere Nachkommenschaft vererben kann.
F. H. Döring.
[2] Zu vergleichen »Auftakt zur Maulwurfsdämmerung«, Bd. IX, Heft 1–3, Seite 11.
Dieser Aufsatz befaßt sich mit der Sitzung des Landtages am 4. März 1921, in der ein von der Regierung eingebrachtes Schutzgesetz für den Maulwurf mit seltener Einmütigkeit abgelehnt wurde.
Sehr geehrter Herr Schriftleiter!
Kürzlich wurde ich durch einen Herrn Lucas aus Meißen aufgefordert, mich als Vertreter meines Standes zu der Behandlung einer Standesangelegenheit zu äußern, die diese in einer gewichtigen Versammlung erfahren hat. Ich hätte gern mit Ihnen persönlich verhandelt. Aber durch den Steingrund Dresdens durchzukommen, ist für meine Beine und meine Nase ein Ding der Unmöglichkeit. Schreiben ist in meinem dunklen Erdbezirke auch nicht leicht. Was soll ich dazu sagen? Am liebsten nichts. Aber das könnte als Zustimmung ausgelegt werden. Darum herunter von der Leber, was sie drückt.
Ich finde, daß die Kronen oder Herren der Schöpfung seit ihren Urtagen äußerlich manche tiefgehende Änderung durchgemacht haben, innerlich sind sie dieselben geblieben, die sie ehedem waren. An Selbstsucht und Beutegier übertreffen sie sogar unsere deswegen vielgeschmähte Sippschaft. In unseren Reihen sind die Taten der Menschen gegen Edelreiher, Paradiesvögel, Kolibris, Dronten, Wale, Biber usw. nicht unbekannt. Wir lasen in unserem Nachrichtendienst als Fortsetzung, nicht als Schluß der Tragödienreihe: Jetzt sind Marder, Iltisse, Füchse daran. Als ganz gefährdeten Posten stellte man uns hin. Aus unseren Reihen sollten schon Millionen gefallen sein.
Wir haben uns darum gefreut, daß der Heimatschutz, mit dem wir sonst keinen Verkehr pflegen, sich unserer Sache energisch angenommen, sie sogar bis vor eine wichtige Versammlung gebracht hat. Aber das, was dort gesprochen worden ist, muß doch berichtigt werden. Der alte ehrliche Brehm hat ganz zuverlässige Gewährsmänner für seine Berichte gehabt und bringt lange nicht soviel Märchen zur Verbreitung wie manche Redner von heute. Ich kenne Engerlinge,[165] Mai- und Junikäfer sehr genau, kann sie sogar dem Geschmacke nach sehr gut unterscheiden. Ich muß zugeben, daß ich bisher auf keinem Kirschbaume gesessen habe, auch meine Vorfahren nicht. Für meine Nachfahren kann ich nicht reden. Wer weiß, wie die Entwicklung einmal gehen wird? Aber Maikäfer, Junikäfer, Walker usw. habe ich schon genug mit Wonne verspeist. Jedoch ich sehe, ich muß deutlicher werden. Es ist nämlich gesagt worden: »Solange der Maikäfer in der Erde lebt, ist er ein Engerling. Wenn er ein Maikäfer ist, fliegt er auf Kirschbäume. Nun werden Sie doch nicht etwa sagen wollen, daß der Maulwurf auf die Kirschbäume steigt und die Maikäfer frißt. Das ist vollständig ausgeschlossen.« Jeder Knecht, jede Krähe, jeder Insektensammler weiß, daß die Puppenruhe der Engerlinge nicht lange dauert, daß vielmehr die fertigen Insekten vom Herbst bis zum Frühjahr in der Erde zu finden sind. Im Herbst fliegt aber kein fertiger Maikäfer auf Kirschbäume. So dumm ist er nicht. Das müßten sie aber tun, wenn wir sie nicht erwischen sollen. Die Versammlung, in der die Rede gehalten wurde, hat diese auf ganz besonders reiche Erfahrungen gegründeten Ausführungen mit großer Heiterkeit – hört, hört – Bravo und Heiterkeit wiederholt quittiert und Zustimmung zur Ablehnung unseres Schutzgesetzes gegeben. Um es nicht zu vergessen: Werren sollen recht selten sein. Ich glaube gern, daß mancher Herr der Schöpfung von seinen Werrenuntertanen noch nicht einen gesehen hat. Wir von unserer Zunft haben jeder mehr gesehen und auch verspeist. Sogar über unser zu großes Maul, vielmehr über unser zu kleines Maul ist geredet worden. Es wäre so klein, daß wir nicht einmal einen Engerling fressen könnten. Es geht nichts über eine gute Erfahrung. Ich habe immer geglaubt, der Mund der Zweifüßler sei auch nicht groß genug, einen Apfel, eine Stange Spargel, ein Rind zu verspeisen, daß das aber doch nach gewissen Vorbereitungen von ihnen fertig gebracht würde. Ich scheine mich aber darin zu irren.
Verkannt zu werden, ist das Los so mancher schönen Seele. Gerade wir sind gewöhnt, andauernd zwischen nützlich und schädlich hin- und hergeworfen zu werden. Daß aber aus der ganzen Versammlung sich niemand berichtigend über unser Leben ausgesprochen hat, daß alle Teilnehmer die Angaben widerspruchslos hingenommen haben, das ist mir rätselhaft. Vielleicht hat man noch nie über uns Sammetkittel so harmlos gelacht wie an diesem Tage, am Freitag, den 4. März 1921. Nur uns war nicht spaßig zu Mute.
Ihr Menschenkinder! Konntet Ihr nicht das Schutzgesetz soweit genehmigen, daß es hieß: Verboten ist in öffentlichen Ankündigungen sich zur Abnahme von Maulwürfen oder Maulwurfsfellen zu erbieten oder zu ihrem Angebote aufzufordern? Damit wäre uns viel geholfen gewesen. Da hättet Ihr gezeigt, daß Ihr ein Herz habt für das Geschöpf,
daß Ihr ihm ein Recht auf sein Dasein gewährt,
daß Ihr freie Geschöpfe verteidigt gegen Geldgier und Eitelkeit,
daß Ihr dem Pelzhandel nicht gestatten wollt, vernichtend und ausrottend zu wirken,
daß Euch das Recht der Allgemeinheit an der Natur höher steht, als der Vorteil naturfremder Kriegs- und Schieberkapitalisten.
[166]
Nicht uns allein neben Amseln und Eichhörnchen usw. solltet Ihr schützen, nein, ein ganz allgemeines Gesetz gegen Ausrottung und Vernichtung jedweden bei uns beheimateten Geschöpfes solltet Ihr fordern.
Aber, mein lieber Herr Schriftleiter, uns ist unbeabsichtigt Hilfe von anderer Seite gekommen. Frau Mode, das wetterwendische Weib, hat uns ihre Gunst wieder entzogen. Das ist unser Glück. Frau Mode hat Euch Menschen alle am Bändel. Hoffentlich beehrt sie uns recht lange mit ihrer Geringschätzung. Dann werden wir auch Ruhe haben. Wen sie unter uns freien Geschöpfen mit ihrer Gunst beglückte, dem brachte sie den Untergang.
Herr Schriftleiter! Wir danken Ihnen Ihr Bemühen um unsere Sache. Es ist nicht umsonst geschehen. Einst wird der Gedanke siegen, daß jedes Geschöpf ein Recht aufs Dasein hat ohne Rücksicht auf den sogenannten Nutzen oder Schaden. Dann wird kommen der Tag, an dem die Göttin Mode zurückweicht vor dem freien Geschöpf, ihre Priester selbst und die Menge der naturfremden Menschen. Mit dieser Hoffnung wollen wir uns trösten.
Für mich »Glück ab« zur kühlen Erde, für Sie »Glück auf« zu neuer Tat.
Damit empfehle ich mich Ihnen und verbleibe Ihr
Erdmut Sammetwühler, Obermullrich.
Von Edgar Hahnewald
Blickt man von den Dresdner Elbhöhen aus auf das Bergpanorama, das an klaren Tagen über der linkselbeschen Hügelterrasse aufsteigt, so erhebt sich zwischen dem langhingestreckten Schneeberg und dem energisch aufgebauten Geising ein kleinerer, aber auffällig geformter Berg in der Gestalt eines Reitsattels.
Auf der Karte steht er als Spitzberg verzeichnet – diese Benennung stimmt für die Nähe. Allgemein aber trägt er den Namen Sattelberg – und dieser umschreibt sein Bild aus der Ferne.
Er erhebt sich auf tschechoslowakischem Gebiet dicht hinter der sächsischen Grenze, die fast noch seinen Fuß berührt. Seine Höhe verzeichnet die Karte mit 719 Metern. Über das ihn umgebende Bergland ragt er jedoch nur als zackige Kuppe hinaus, sodaß, wenn man vom Städtchen Gottleuba aus zu ihm aufsteigt, er erst aus nächster Nähe wieder sichtbar wird.
Daher mag es geschehen, daß der Berg auch sonst ein wenig aus der Sicht tritt. Er ist Ziel und Gipfel des Tages, aber man weiß: der Weg dahin ist bequem und nicht weit. Und Gottleuba lohnt einen kleinen Aufenthalt, der ohnehin unumgänglich ist, da man sich in diesen Zeiten schärfer gezogener Grenzen im Rathause einen Grenzausweis ausstellen lassen muß.
So verweilt man und frischt Erinnerungen an frühere Besuche auf.
[167]
Gottleuba liegt im Tale des gleichnamigen Flüßchens. Die bewaldeten Berge betten das Städtchen tief in schwellende Kissen ein.
Es ruht als Sommeridyll im Grünen. Begeisterte Lokalpatrioten haben das Städtchen verfänglich »Klein-Tirol« getauft. In der Mundart der Gegend aber heißt es Guttlewe – und wenn man das von einem alten Bauernweiblein gemütlich breit aussprechen hört, klingt es wie eine Bestätigung des Eindrucks, daß es zwischen diesen grünen Bergen gut zu leben sein mag.
Über Tal und Dächer hinweg guckt die kleine schmucke Kirche. Sie steht am Berghang inmitten eines alten Friedhöfels. Steinerne Stufen, von einem Torhäuschen überbaut, führen hinauf. Hohe Lärchen beschirmen den Eingang mit hellgrünen Zweigfittichen.
Der schräg an die Giebelecke gestellte viereckige Turm trägt über malerischem Gewinkel ein lustiges Laternendach.
Das Innere des gotischen Kirchleins ist von ländlich anheimelnder Schlichtheit. Aus der Sakristei blickt man durch das helle Fenster auf schräg ansteigenden Rasen, auf gelbe und weiße Blumen, die auf schwanken Stielen vor der zerbrochenen Mauer wehen, auf grüne Waldberge.
Unter der Orgelempore hat man alte Grabsteine aufwändig eingemauert. In den Inschriften betrauern nun selbst längst, längst Gestorbene ihre Toten in rührenden Worten. Ein Pfarrer setzt seiner Hertzgeliebtesten Hausfrawe, der Wol Erbarn Viel Ehren undt Tugendreichen Frawen Anna Marien ein Ehren und Liebes Mal. Und auf den Denkstein seiner eintzigen Tochter ließ er den Steinmetz die Worte meißeln, daß die Weyl. Wohl erbarr an Sitt Ehr und Tugend Edle allhier der frölichen Zukunfft Ihres Jesu erwartet. Ein anderer Stein erzählt von dieses Pfarrers zweiter Frau, die am 4. Dezember 1640 gebohren und den 3ten Tag darauf in das Buch des lebens eingeschrieben wurde, Ao 1662 aber als in den 22 Jahr ihres Alters vereheligt worden an Hrn. Gottfried Schreibern Pfarrern alhier zu Gottleube und Bergkgießhübel, mit welchem Sie nechst Gott gezeuget hat 8 Kinder als 2 Söhne und 6 Töchter.
Immer wieder und allerorten steht der Wanderer vor solchen steingegrabenen Dokumenten und immer wieder liest er sie und spürt den Hauch einer Liebe, die über Gräber und Jahrhunderte hinaus zu Menschen spricht.
Unterhalb der Kirche führt der Weg hinauf nach Ölsen, ins Bergland. Anfangs steigt er sacht durch eine von Fichtenwäldern eingeschlossene talartige Einsenkung, die weiter hinauf immer flacher wird und in den Bergwiesen endet.
Und während man steigt, vollzieht sich eine doppelte Bewegung der Landschaft. Wie auf einer schräggleitenden Versenkungsbühne sinken die Waldberge um Gottleuba zurück und hinab. Und darüber hinaus schwebt ebenso sacht eine ferne, große Landschaft herauf: das ganze Hügelland vor und um Dresden mit seinen Tälern, Hochebenen, Bergkuppen steigt über den sinkenden Wäldern auf. Fernsichten ins Gebirge erschließen sich feierlich.
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An diesem Tage war es mitten im Juni herbstlich kühl und klar. Nach wochenlangem Regen trieb ein herber Wind ein leidenschaftliches Spiel mit Sonne und Wolken. Er jagte graues und weißes und taubenblaues Gewölk über die Sonne hin, als sei es sein Vorhaben, das Gestirn mit diesen Wolkenfetzen zu putzen. Die Sonne glänzte metallisch blank. Und verschwand wieder hinter heranjagenden Wolken, die von Zeit zu Zeit minutenlange, feine, kalte Regenschauer über die Landschaft zerstäubten – rauschende Brausebäder von Licht sprühten zur Erde. An allen Gräsern zitterten und blitzten Millionen perlfeiner Regentropfen, Millionen funkelnder Prismen im Grünen.
In diesem prickelnden Lichte blühen die Bergwiesen in Farbenjubelchören. Die reine Bergluft macht den Wuchs der Pflanzen schlanker, lichtstrebender, die Farben der Blumen leuchtender. Kornblumen und Glockenblumen blühen da oben in tieferem, satterem Blau. Der kleine rasenbildende Ginster strahlt goldener. Die Margariten schwenken ihre großsternigen Blüten auf schwankeren Stielen. Die blauroten Blütenruten des Natterkopfes strotzen hoch aufgerichtet im Klee, und die Orchideen strecken ihre violettgescheckten Blumenähren noch über das hohe Gras hinaus. Und überall prangen die orangenen Ordenssterne der Arnika, mit der die Gebirgler Kräuterschnäpse würzen und die den schönen Namen Berg-Wohlverleih führt.
Botanische Kenner wissen in diesem Bergrevier die verborgenen Standorte der stachellosen Alpenrose und der sibirischen Iris zu finden – ganze Wiesen, überblüht von blaßblauen, violett geäderten Schwertlilien. Die buttergelbe Trollblume, die der Volksmund Butterkugel nennt, die Ferkelblume und das Blutauge blühen in diesem farbenfrohen Sommerfest der Blumengöttin Flora – ein reicher botanischer Garten wird dem Freunde der »liebenswürdigen Wissenschaft«, der Botanik, geschenkt.
Lagert er sich in die blühende Wiese, so umstickt schleierfeines Labkraut, violett und gelb leuchtender Wachtelweizen, purpurner Erdrauch das köstliche Kissen von hyazinthenblauen Kreuzblumen, in das er sein Haupt legen darf. Prunkende stachellose Alantdisteln umstehen sein Lager in dichten Lanzenschwadronen und tragen ihre Purpurköpfe hoch über dem Blumengrund. Und durch diesen stolzen Distelwald schimmern, wenn man liegt, die Berge fern, forstgrün, schieferblau, duftblau, immer ferner, immer wunderblauer – man kann nicht liegenbleiben, man springt auf, schreitet durch den blumenbesteckten Speerwald der Disteln wieder dem Wege zu und wandert den Bergen entgegen, die im rieselnden Lichte wie hinter irisierenden Gläsern wallen.
Hinter Ölsen, einem wurzelechten Erzgebirgsdorf mit einem Ludwig-Richter-Kirchlein, schiebt sich unvermerkt eine spitze, dunkle Zacke über Wiesen, über umbuschte Gneisraine, über den Anstieg eines Waldes herauf. Und dann mit einem Male steht eine breitgezackte Bergkuppe da – ein dunkler Fichtenmantel hängt um eine nackte Bergschulter – das ist der Sattelberg.
Der Wiesenweg läuft in den Wald hinein und steigt. Und überrascht steht man vor dunkelfeuchten, zyklopisch getürmten Sandsteinschroffen. Ein Steintreppchen zwängt sich zwischen Felsblöcken durch. Man steht auf einer waldumschlossenen[169] Bergwiese, vor einer Baude. Darüber kuppelt sich spitz und energisch ein Basaltgetürm auf.
Diesen Aufbau des Berges begreift man in seiner Merkwürdigkeit richtig erst da: auf dem Gneisplateau des Erzgebirges, über dessen blühende Wiesen man eben noch dahinschritt, setzt sich dieser Berg auf als Rest einer Quadersandsteindecke, die einstmals das östliche Erzgebirge überzog und von der vergangene Jahrtausende es entblößten, nur dieses eine Denkmal zurücklassend. Darüber aber baut der in der Tertiärzeit durch die Quaderdecke durchgebrochene Basalt seine Säulen zur schroffen Spitze auf.
Es sind redende Steine, die den Berg formen.
Und es ist ein betender Berg.
Oben, über den eisenfarbenen Geröllhängen, schließen sich die Basaltsäulen zu einer gipfelstürmenden Gebärde zusammen. Sie drängen empor, schräg hinaufwachsend, einander überdrängend, in der Ekstase des plutonischen Aufbruchs erstarrt.
Als Reinhardt das Sophokles-Drama König Ödipus inszenierte, ballte er in den Massenszenen die Scharen seiner Statisten zu einem Wesen zusammen, zu einem Wesen mit hundert Händen, hundert Hände, gereckt zu einer Pyramide von Händen, zu einer ekstatischen Gebärde.
Daran erinnert dieses Hinanstürmen der basaltenen Säulen.
Nach einem Punkte zu streben sie, nach einem letzten schließenden Gipfel der Pyramide, der nicht da ist. Er liegt über dem Ansturm der Säulen und wird nicht erreicht. Das gibt diesem Aufdrängen die stete, unaufhörliche Bewegung, die trotz der erzenen Starre immerfort von unten auf den Gipfel zu zu drängen, zu streben scheint. Es lebt verborgen ein Wille in diesen Steinen: aufwärts – sich in einem Punkte zusammenfassen.
Über diesem einen, nur denkbaren Punkt erhebt sich ein Kreuz. Ein katholisches Steinkreuz. Ein Christus neigt das Haupt und sieht mit sterbenden Augen auf den Drang der Steine herab.
Menschenhände, vielleicht schlicht-ländliche Katholiken aus dem Dorfe im Tale haben das Kreuz da errichtet – was sie taten, war eine künstlerische Tat, ohne daß sie es wußten. An diesem Punkte muß das Kreuz stehen – oder ein andres Symbol menschlicher Sehnsucht – im katholischen Böhmen ist es ein Christuskreuz. Da steht es.
Und zu ihm empor drängen, streben die Steinsäulen in leidenschaftlicher Gebärde, in pathetischer Eindringlichkeit der Bewegung.
Der Berg betet – betet nach Menschenwillen empor zu diesem Kreuz.
Man tritt hinauf – die Bruchflächen der Säulen geben Stufen her für den Fuß. Und dann steht man über dieser aufdrängenden Pyramide, die nun dem freisausenden Sturme entgegenwächst, steht, an das Steinkreuz gelehnt und blickt hinaus – in das rundum gelagerte Land, auf auf- und absteigende Wiesen, schimmernd wie grüner Seidensamt, auf schwarzgrüne Wälder, die schwer, üppig von Bergen[170] herab in tiefe Täler hängen und aus Tälern bergauf steigen als geballtes, tiefgrünes Gewölk. Grasige Hänge herab gleiten andere Wälder, breiten, schiebenden Gletschern ähnlich, stemmen sich mit tausend Stammfüßen gegen den fallenden grünen Grund und werfen ihre Schatten schräg über abgleitende Triften.
Über Berg und Tal gebreitet, in Wiesen und Wälder und Felder eingestrickt, liegt das hellschimmernde Maschenwerk der Straßen und Wege, in Dörfern verknotet, von Hecken gesäumt, von Baumpilgerzügen still begangen.
Darüber hinaus lagern, ragen, schweben immer fernere Berge. Berge mit runden, blauen Waldkuppen, Berge mit besonnten Steilwänden, Berge noch in weitester Ferne, gläserne Gebilde – nein, Glas ist noch zu körperlich, es gibt keinen Vergleich für dieses duftige Schweben, dieses der Erde Entrücktsein fernster Gebirge in zarten grünen, blauen, violetten, rauchfarbenen Schimmerfarben.
Und drüberhin schwenken jagende Wolken ihre Schattenfahnen, lassen Berge schieferblau ins Irdische zurücksinken und wieder in märchenhafte Lichtgefilde aufschweben. Wiesen, wallende, graugrün wogende Junifelder ermatten unter ihren Schattenflügen und leuchten wieder goldgrün auf.
Man blickt hinaus und da, plötzlich in einer Sekunde des Schauens scheint der Wolkenflug stillzustehen und die grüne, blaue, leuchtende Erde saust darunter hin durch Licht, durch Schatten, durch Licht, durch Schatten – eine stummjauchzende Fahrt mit allem, mit dir, dem Berg, dem Steinkreuz, das sich im Sturmdrange dieses Fluges zu neigen scheint.
Vom Himmel herab rollen wehende, über die Berge schleifende Regengardinen. Sie rauschen heran, lösen sich auf in Myriaden sprühender Tropfen, ziehen weiter, hüllen andere Fernen ein und lassen eine glitzernde Welt zurück.
Manchmal scheint die Sonne durch die nassen Schauer. Dann ist es, als sprühe das Licht in blitzenden Tropfen regenbogenfarben zur Erde nieder.
Und du stehst, an das Kreuz gelehnt, vom Sturme herb umdrängt, und weißt: jetzt faßt sich in dir das anbetende Empordrängen des erzenen Berges zusammen. Deine Lust, deine Freude, dein Lebensgefühl dieser Stunde ist Zusammenschluß und Vollendung der Geste, in der der Berg sich gipfeln will, zu der er in steter Bewegung anhebt. Und du fühlst dich, den Menschen, fühlst den Drang des Blutes in deinen Adern, den Atem in deiner Brust – unter deinen Füßen betet der stumme Berg und du weißt die Worte, die dem erzenen Stein nicht gegeben sind, und sprichst sie nicht aus. Du blickst schweigend hinaus in die strahlende Sommerwelt – in deine Welt, die für dich mit dir versinkt, die für dich ist, so lange du bist.
Eine Stunde lang saßen wir auf der zackigen Kuppe des betenden Berges.
Der Himmel schwenkte seine Fahnen über uns.
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Von W. Otto Ullmann, Dresden
Man kann es schließlich auch einem Papierkorb nicht übelnehmen, wenn er unzufrieden ist. Die Menschen machen es ja auch nicht anders und haben dabei zuweilen nicht einmal Grund dazu. Aber wenn ein Papierkorb unzufrieden ist, ist das allemal berechtigt. Das liegt an seiner Konstitution. Ein Papierkorb läßt sich viel gefallen, aber wenn er zuviel Schlechtes erfährt, wird seine Verstimmung papierkorbtief.
Der unzufriedene Papierkorb hieß »Marke Tatra.« Gewiß war er sich bewußt, daß auf den Namen viel ankommt, deshalb trug er ihn jedermann zur Ansicht auf einem Blechschild, das an seiner Brust angeheftet war. Marke Tatra war nicht auffällig groß, aber kernfest, hatte Eisenfüße, einen Eisenboden und einen Eisendrahtmantel, wie es sich für jemanden mit dem kernfesten Namen Marke Tatra gehört. Zudem war sein Eisenkörper mit einer grauweißen Ölfarbenhaut überzogen, damit ihm kein Rost irgend etwas antun konnte. Er hatte damit sogar vor dem kernfesten Helden Siegfried etwas voraus, der doch immerhin eine Stelle an sich hatte, wo ihm der böse Feind an Leben und Gesundheit konnte. Nein, wirklich: um solche Dinge brauchte sich Marke Tatra keine Sorge zu machen. Und das war es natürlich auch nicht, was ihn unzufrieden machte.
Als der Papierkorb Marke Tatra eines Tages da war (genau wie die Menschen eines Tages da sind), wurde er auf einen Wagen geladen und stand bald in einem langen dämmrigen Verkaufsraum. Marke Tatra sah sich um und wunderte sich; denn alles was da in seiner Nähe herumstand, waren auch Papierkörbe wie er. Natürlich hießen sie anders, denn sie sahen auch anders aus. Es gab recht schwächliche aus Rohr und kräftigere aus Holz, aber keiner glich an Kernfestigkeit ihm, dem grauweißhäutigen Eisendrahtpapierkorb Marke Tatra.
Wenn es auch dämmrig im Verkaufsraum war, so war es doch ganz unterhaltsam. Sie alle, die Papierkörbe, hatten einen Herrn, der oft Besuch bekam. Und dieser Besuch prüfte, suchte und nahm schließlich einen Papierkorb mit oder ließ sich einen zuschicken in eine dunkle Zukunft. Und bei einer solchen Verhandlung hörte Marke Tatra, daß er ein »Muster« sei. Nun, das war doch selbstverständlich. Darüber dachte er auch kein bißchen mehr nach. Aber die dunkle Zukunft, in die es durch jene Tür hinausging, gab ihm zu denken.
Na, schlimm konnte es ja nicht werden. Da vorn am Schreibpult hatte sein Herr so einen Papierkorbschwächling aus Rohr stehen, mit dem er sich öfter beschäftigte. Alle Morgen, wenn er die Post durchsah, verschwanden Briefhüllen und was sonst überflüssig war, im Leibe dieses Kleinen. Er hatte tatsächlich nichts auszustehen. Und wenn Marke Tatra seinen Herrn die Käufer Herr Doktor, Herr Professor oder gar Herr Rat anreden hörte, wurde er immer sichrer, daß die dunkle Zukunft ganz angenehm sein würde. Marke Tatra träumte sich schon in das Arbeitszimmer eines großen Gelehrten, neben den Schreibtisch eines heimlichen Dichters oder gar in die Redaktionsstube einer großen Zeitung. Es müßte herrlich werden. Marke Tatra sehnte sich nach der dunkeln Zukunft. Da hatte man doch endlich seine Aufgabe, eine Lebensaufgabe von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Wo Marke Tatra stehen würde, sollte es nie liederlich aussehen, alles überflüssige, verbrauchte Papierwerk wollte Marke Tatra mit seinem Eisendrahtmantel festhalten. Ein Erzieher zum Geschmack wollte Marke Tatra werden. Wer ihn besaß, konnte kein überflüssiges Papier umherliegen lassen, das war klar. Marke Tatra träumte wunderschön von seinem hohen, idealen Daseinszweck.
Aber wie hatte sich der gute Marke Tatra geirrt!
Eines schönen Tages hatte sein Herr wieder Besuch. Der Herr Balduin Lehmann, Vorsitzender des Verschönerungsvereins zu Lieblichwaldau war da. Alles, was die beiden redeten, konnte zwar Marke Tatra nicht verstehen, aber als sie nun ganz in seiner Nähe waren, hörte er doch.
»Ich habe nur diesen einen da,« sagte sein Herr, »es ist ein Muster!«
»Ist er haltbar?« fragte Balduin Lehmann.
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»Es ist Marke Tatra, ein hervorragendes Erzeugnis, Eisenfüße, Eisenboden, Eisendrahtmantel mit bestem Ölfarbenüberzug. Sie werden mit Marke Tatra zufrieden sein, er ist wirklich kernfest und auf die Dauer!«
Der fremde Herr befühlte und untersuchte Marke Tatra genau. Er nickte mit dem Kopfe. Und Marke Tatra fühlte ganz deutlich, daß die dunkle Zukunft heller wurde. Herr Lehmann kaufte ihn.
Marke Tatra reiste mit der Eisenbahn nach Lieblichwaldau. Dort erwartete man ihn mit einem Handwagen und fuhr ihn fort. Es ging durch ein nettes Städtchen, bergan in den Wald. Auf sauberen Wegen immer durch Grün und Grün ging es. Es war eine lustige Fahrt. So schön hatte sich Marke Tatra den Wald gar nicht gedacht. Endlich hielten sie auf einem wundervollen Plätzchen an. Da stand ein riesiger alter Steintisch und am Rande schon unter den Zweigen wieder eine alte Steinbank und da noch eine. Herr Lehmann setzte sich dahin. »Wunderschön zum Ausruhn!« dachte Marke Tatra. »Wie die Vögel singen! Ich freue mich sehr über diese Reise durch den Wald. Man erlebt doch etwas!«
Die beiden jungen Menschen, die den Wagen gezogen hatten, störten ihn, nachdem sie sich kurz verschnauft hatten.
»Also hierher, Herr Lehmann!« sagten sie, hoben Marke Tatra vom Wagen, setzten ihn auf zwei Steine, die in den Boden eingelassen waren und nieteten ihn mit Eisenbändern an diesen Steinen fest. Das dauerte gar nicht lange; denn alles war schon bestens vorbereitet.
Und als Marke Tatra festgenietet war, stand Herr Lehmann auf, versuchte, ob Marke Tatra auch feststand, sagte: »Gut so!« und verschwand mit den beiden Schlossergesellen und dem Wagen.
Da stand nun Marke Tatra allein im Walde. Er war wie vor den Kopf geschlagen. Endlich konnte er wieder einen gescheiten Gedanken fassen:
»Die Vögel singen,« sagte er, »und der Wald duftet. Es ist wunderbar hier! Aber ich? Was soll ich im Walde? Bin ich denn kein Papierkorb? Hierher gehört doch kein Papierkorb! Ein Papierkorb gehört doch dahin, wo viel Papier überflüssig wird, gehört doch in ein Arbeitszimmer. Ja, ich lasse mir auch noch einen Kinderspielplatz gefallen! Aber hier im Walde? Das ist doch geschmacklos! Ich passe doch gar nicht hierher!«
Und weil es gerade anfing zu regnen, weinte Marke Tatra lange Tränen an seinen ölfarbeüberzogenen Eisenbeinen hinunter.
Es sollte noch besser werden. Am nächsten Tage kamen zwei Männer, rammten hinter Marke Tatra einen Pfahl in die Erde. Und dieser Pfahl trug eine Tafel. Wenn nun jemand bei Marke Tatra vorbeigehen wollte, hielt er an und las:
Dann suchte er pflichtschuldigst in allen seinen Taschen nach Straßenbahnfahrscheinen und allen möglichen Papierresten und ließ sie in Marke Tatras Drahtleib fallen. Marke Tatra war unglücklich:
»Ich verstehe zwar nicht viel von Literatur,« dachte er. »Aber so ein Vers gehört in den Papierkorb. Ich schäme mich, daß ich hier stehe. Eigentlich sollten sich die Menschen schämen, daß auf dem Ruheplatz im Wald ein Papierkorb nötig ist. Sie haben doch einen Papierkorb zu Hause! Und wenn sie wirklich hier ihr Frühstück auspacken. So ein bißchen Papier ist doch keine Last, daß man es nicht nach Hause tragen könnte! Hier müßte ich doch tatsächlich überflüssig sein. Wenn die Menschen so vernünftig wären, wie sie immer tun, müßten sie das doch einsehen. Ich stehe hier – ein Papierkorb im Walde – als eine Geschmacklosigkeit. Und sie sind schuld daran, weil ihresgleichen so geschmacklos ist, Papier liegen zu lassen hier im Walde, wo es nun auch gar nicht hingehört.«
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Und nun brüllt das Schild noch dazu: »Ich weiß, daß Ihr keinen Sinn habt für die Reinheit des Waldes. Ich sehe es Euch an, Ihr wollt Papier wegwerfen, legt es wenigstens in den Papierkorb.«
Marke Tatra erging sich immer wieder in Erwägungen über seine verfehlte Lebensaufgabe. Er war überzeugt, daß er nicht am rechten Platze war, er mußte hier überflüssig sein. Wie gern wollte er im dunkelsten Büro, in der Ecke im Schulhofe stehen, aber hier im Walde? Es war wirklich zu viel verlangt.
Marke Tatra regte sich wahnsinnig auf. Seine Ölfarbenhaut zerriß. Er fing an zu rosten.
»Ich will gern sterben,« sagte er, »aber wenn ich zusammenbreche, muß auch der schreckliche Vers im Papierkorb enden. Wenn er noch stünde und ich wär nicht mehr da, wäre das Unheil nicht abzusehen!«
Das Schicksal tat ihm seinen Willen. Ein Sturmwind kam. Die Holztafel mit dem Verse stürzte in Marke Tatras angerosteten Eisendrahtleib und riß ihn mitten durch. »Ratsch,« sagte Marke Tatra und war tot …
Das ist nun dreißig Jahre her. Gott sei Dank, heute kann so etwas nicht mehr passieren. Die Menschen sind eben doch vernünftiger geworden und geschmackvoller. Heute denkt auch gar niemand mehr daran, im Walde Papier wegzuwerfen. Alle Menschen achten die Reinheit des Waldes. Und da braucht sich auch kein armer Papierkorb mehr zu Tode zu quälen. Es wäre aber auch noch schöner.
Ja, wenn alles wahr wäre! …
Von Alfred Eichhorn, Glashütte
Am Treiberade sitzt die alte Lausitzerin und treibt Pfeifen, mit der Rechten die Kurbel fassend, mit der Linken den Wollefaden haltend. Die Winde, mit Wollezaspeln bespannt, läuft im Windestock. Auf der Spille, die in die Seitenteile des Pfeifenkastens eingestemmt ist, steckt die Pfeife. Sie wird mit Welle betrieben. Auf der Spille steckt auch der Wirtel mit mehreren Einschnitten für die »Bieste« (Treibschnur).
Am Vormittage hat sich die alte Haustreiberin beim Fabrikanten drei Gebündel Wolle geholt. »Se gitt gutt,« meint sie beim Treiben der ersten Pfeife am Nachmittag, denn die Wolle »reßt ne und is o ne verhost.« Da können nach einer Stunde schon vier betriebene Pfeifen unterm Windestock liegen. Damit ist sie recht zufrieden. Für eine betriebene Pfeife bekommt sie zehn Pfennige, ergibt einen Stundenlohn von vierzig Pfennig. Du liest noch einmal den Stundenlohn? Ja, wahrhaftig! In dieser Tatsache offenbart sich wieder das Hauptkennzeichen unserer Zeit – Gegensätzlichkeit; denn der Maschinentreiber in der Fabrik nennt dir sechs Mark als Stundenlohn. Und welche Leute sind Haustreiber? Kränkelnde alte Männer und Frauen, deren Rentenpfennige kaum zum Kauf eines Brotes reichen, die Menschen, denen in ihrer Jugend die Ärmlichkeit der Lausitzer Hausweber Weggenosse war. So greifen sie denn an ihrem Lebensabende noch einmal zum wohlvertrauten Treiberade, weil die Not wieder dazu zwingt. Der Krieg ließ die Haustreiberei wieder etwas aufleben, da die wenigen Aufträge und der Wollemangel[174] den Betrieb großer Maschinen nicht lohnte. Wer kann’s den alten Haustreibern verdenken, wenn in mancher Stunde Verbitterung ihr Herz erfüllt? Die Jugend schwelgt, das Alter darbt.
Was erfahren wir aus der Kinder- und Jugendzeit der alten Haustreiber? Wenn die Spannweite der Arme kaum ausreichte, um das Rad zu drehen und den Faden zu halten, begann die erste Unterweisung im Treiben. Ein volles Jahr fehlte mitunter noch bis zum ersten Schulgange. Gar bald wurden die kleinen Finger mit dem schneidenden Faden bekannt. Daumen und Zeigefinger, auch der Mittelfinger der linken Hand hatten tiefe Einschnitte bekommen. Dann mußte der Faden zwischen den Fingern nahe der Handfläche gleiten. Mit zunehmendem Alter war täglich eine größere Anzahl Pfeifen zu treiben. Da wurde die freie Zeit gar knapp, und wenn »de Wulle schlajchte ging,« dann gab’s nur Stubenluft zu atmen, denn die vom Vater festgesetzte Pfeifenzahl mußte fertig werden. Wie mühsam war das Treiben an trüben und kurzen Wintertagen, wenn schwarze Wolle zu treiben war, der Faden oft riß und sein verschwundenes Ende minutenlanges Suchen erforderte! Wie flackerte das kleine Rüböllämpchen am Pfeifenkasten vom Winde des Treiberades! Kalt wurde es in der Stube, da ja die Geschwister auch trieben oder für Vaters Webstuhl spulten. So saßen die Familienglieder in Pelzen und dicken Jacken bei spärlichstem Lichte am Treiberad, Spulrad und Webstuhl. Und wie wurde damals ihre Arbeit bezahlt? Beim »Heimtragen« erhielt die Mutter für eine betriebene Pfeife einen Pfennig, machte vier Pfennig Stundenlohn, auch für jene Zeiten ein Hungerlohn! Vierzehn bis sechzehn Stunden drehte sich[175] täglich Treiberad, Spille und Winde. Von vierzehn Jahren an war diese Arbeitszeit Selbstverständlichkeit. Mehr Stunden wurde auch getrieben.
So sind die Haustreiber vom Lebensmorgen bis zum Lebensabend nur auf steinichtem Wege gewandert. Da wurden sie wortkarg und verschlossen.
Von Paul Bernhardt
Eine schöne Bereicherung hat der unheilvolle Krieg unserer heimischen Vogelwelt gebracht: Die Schellente, dieser Prachtvogel, hat Heimatrecht im Moritzburger Teichgebiet erworben, sie ist hier in den Kriegsjahren zur Brut geschritten. Schon vor dem Kriege stellten sich im Oktober einige Paare als Durchzügler ein und erfreuten bis zum April den Beobachter.
Am sonnigen Herbsttage oder im zeitigen Frühjahr treibt es den Vogelkundler hinaus ins Teichgebiet; hohe Zeiten sind es für ihn, denn reich ist die Fülle der Beobachtungen. Forscherfreude im Herzen steht er vor der blauen Wasserfläche und sucht sich in der schwimmenden, tauchenden, schwirrenden und kreischenden Schar zurechtzufinden. Weit draußen leuchtet im Sonnenschein viel Weiß. Eben ist es verschwunden, schon taucht der weiße Fleck wieder auf. Ein Schellentenerpel im Hochzeitskleide. Das Glas zeigt die ganze Schönheit. Metallisch grün schillert der dunkle, dicke Kopf, geschmückt durch zwei auffällige weiße Flecken dicht an der Schnabelwurzel und durch feuergelb leuchtende Augen. Sonst überall viel Weiß, das noch durch das tiefe Schwarz des Oberrückens und Schwanzes gehoben wird. Immer größer wird der weiße Fleck auf dem Wasser. Der Erpel legt sich putzend zur Seite, und die korallenroten Füße vollenden das herrliche Farbenspiel. Kurze Zeit weidet sich das Auge am Anblick, schon ist die Herrlichkeit wieder unter Wasser. Doch gleich nebenan erscheint einem auftreibenden Korke gleich eine zweite, dritte ja vierte dieser zierlichen Tauchenten. Einige weniger auffallend gefärbte Weibchen beteiligen sich am Treiben. Fleißig taucht die kleine Schar, um bald wieder an der Oberfläche zu erscheinen. Schwer machen sie es mir, die Stückzahl festzustellen. Trägheit liegt ihnen fern. Sie gehören zu den vorsichtigsten und lebhaftesten Enten. Klirrend saust ein Pärchen reißenden Fluges über den Wasserspiegel hin; hell leuchten die weißen Spiegel im schwarzen Felde auf, und klingendes Getön vernimmt beim Nähern das Ohr. Daher die Bezeichnung Schellente. Fast alle Teiche unseres Gebietes waren im vergangenen Frühjahr mit einigen Schellenten besetzt, so daß gegen dreißig Paare gezählt werden konnten.
Ganz toll wird das Treiben zur Paarungszeit. Die einzelnen Pärchen sondern sich ab und sind von jetzt ab immer an gleicher Stelle in ihrem Brutgebiete anzutreffen. Eine aufgeregte, kampfesreiche Zeit hebt an; Liebe und Eifersucht beherrschen die kommenden Tage. Das muntere Treiben und Tauchen in Gesellschaft ist vorbei. Jetzt gilt es, das Weibchen vor Anremplungen zu schützen. Und der Schellentenerpel ist ein eifersüchtiger Gatte. Mit gesenktem Kopfe wird der sich nähernde Nebenbuhler angenommen, durch Unterwasserangriff an den Ständern gepackt und[176] eine Strecke im Fluge verfolgt. Oft wird der Kampf zur Rauferei. Wütend stürzen die Erpel aufeinander zu, packen sich am Kopfe, ziehen sich balgend unter heftigen Flügelschlägen bald über, bald unter Wasser hin und her; lassen voneinander ab, packen sich wieder und treiben einer den andern im niedrigen Fluge plätschernd über die Wasserfläche hin. Stolz umschwimmt der zurückgekehrte Gatte die Auserwählte, bringt das Gefieder in Ordnung, legt den Hals weit nach hinten auf den Rücken, schnellt ihn plötzlich hervor und läßt bei dieser Bewegung einen eigenartigen hellen Ton hören, der sich mit »knirrr« wiedergeben läßt. Oefters wiederholt sich dieses gleichmäßige Kopfrucken und Vorschnellen und nach langem Werben findet der liebestolle Erpel Erhörung. Der Beschauer am Ufer ist verwundert über das närrische Liebesspiel; für ihn war die Beobachtung Neuland. Denn selbst sein »Naumann« berichtet nichts von der eigenartigen Schellentenbalz. Wir haben hier eine der wunderlichsten Balzgebärden in der Vogelwelt vor uns, die der des Spielhahnes gleichkommt und ganz wenig bekannt ist. Die Balz währt von Februar bis hinein in den Wonnemonat. Aus alledem wird der Leser den Wunsch des Verfassers verstehen, diesen Prachtvogel nicht nur als Durchzügler, sondern als bodenständigen Brutvogel in unserer Heimat zu haben. Die Kriegsjahre brachten für das Moritzburger Teichgebiet die Erfüllung des Wunsches. 1916 wurden von dem verstorbenen Ornithologen Mayhoff Dunenjunge der Schellente auf dem Schwanenteich beobachtet. Ich selbst fand die ersten infolge des Kriegsdienstes erst im Jahre 1918. Seit dieser Zeit konnte ich jedes Jahr mehrere Bruten feststellen. In diesem Jahre brüteten wenigstens gegen sechzehn Paare im Gebiete. Schon Mitte Mai traf ich das erste ausgeschlüpfte Gelege auf dem Schwanenteiche. Neun allerliebste Federbällchen sitzen in früher Morgenstunde dicht aneinandergedrängt auf der offenen Stelle des Teiches, seltsamerweise ohne Mutter. Die ersten Sonnenstrahlen bringen Leben in die kleine Schar. Geschickt taucht eins unter die Wasserfläche, ein zweites rennt eilig auf dem Wasser hin, ein Insekt verfolgend, ein drittes wieder schnellt plötzlich in die Höhe, um im Luftsprung eine vorüberfliegende Mücke zu erschnappen. Ein anmutiges Bild! Der Vergleich mit dem Treiben der flinken Wassermäuse drängt sich dem Beobachter auf. Bald ist die kleine Gesellschaft im Schilfe verschwunden, wo die sichernde Mutter ihrer wartet. Die Jungen bleiben lange Zeit beisammen. Noch im August traf ich die festgestellten Gelege auf dem Schloß-, Schwanen-, Frauen- und Großteiche beisammen. Sie sind im Fluge sofort an den weithin leuchtenden weißen Flügelflecken zu erkennen. Das Aussehen der Dunenjungen ist außerordentlich drollig. Die Hauptfarbe ist ein Samtschwarz am Kopfe und auf dem Rücken, während die Unterseite weiß aussieht. Ein keckes Aussehen verleiht ihnen aber der gedrungene kurze Schnabel und der große weiße Fleck vom Kinn bis zum Hinterkopf. Auch die weißen Flügelflecke sind schon angedeutet. Die Angaben im Naumann, der sie mit den Dunenjungen der Märzente vergleicht, stimmen auf keinen Fall.
Besonders schwierig war die Feststellung eines Nestes. Bekanntlich brüten die Schellenten seit neuerer Zeit in Baumhöhlen, ja sogar in den verlassenen Nistplätzen des Schwarzspechtes. Die älteren Ornithologen führen als Brutort nur[177] Schilf- und Rohrbestände an. Am 20. Mai 1920 fand ich die erste Nisthöhle durch Zufall am Schloßteiche. Ein Weibchen flog auf die Kastanie zu, unter der ich lagerte, schwenkte aber bei meinem Anblick im großen Bogen um; kehrte bald zurück, durchflog taubenähnlich das dichte Geäst und verschwand in einer Baumhöhle. Im vergangenen Frühjahre konnte ich drei Nisthöhlen feststellen. Besonders bieten den Schellenten die höhlenreichen Kastanien der beiden Schloßteiche reichlich Nistgelegenheiten. Deshalb ist auch ihr Treiben an diesen Teichen vor allem gut zu beobachten. Doch auch auf den Teichen, deren Ränder fast keine alten Baumbestände aufweisen, dafür aber größere Schilfbestände, sind Bruten aufgekommen. Diese Tatsache läßt vermuten, daß die Schellente nicht nur in Höhlen, sondern vielleicht wie andere Tauchenten im Schilfwalde brütet.
Ganz vereinzelt muß die Schellente schon vor dem Kriege in unserem Gebiete gebrütet haben. Ein Belegstück dafür befindet sich in meinem Besitz: ein 1913 am Schloßteich vom Forstwart Herrn Eckart tot aufgefundenes Dunenjunges.
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So sei am Schlusse nochmals der Freude Ausdruck gegeben, daß die herrliche Schellente im Moritzburger Teichgebiet nicht mehr Naturdenkmal ist, sondern sie sich Heimatrecht hier erworben hat und mit zu den häufigen Enten gehört. Möge auch vom Landesverein gegen alles angekämpft werden, was diesem prächtigen Vogel den Aufenthalt so nahe der Großstadt vergrämen könnte. Hierher gehört sinnlose Schießerei, Umfällen alter Bäume und der Eierdiebstahl. Besonders schädlich für unsere Wasservogelwelt ist das frühzeitige Schneiden des Schilfes und Rohres durch die Teichverwaltung, das dieses Jahr schon Anfang Juli erfolgte. Auch das »wilde Baden« an allen Moritzburger Teichen wird von unseren gefiederten Freunden nicht besonders begrüßt.
Von Paul Apitzsch, Ölsnitz i. Vogtl.
Unweit der Dreikönigreichsecke, jener politisch bedeutsamen Stelle, da die Grenzen der drei ehemaligen Königreiche Sachsen, Bayern und Böhmen in einem Punkte zusammenstoßen, da jetzt die Gemarkungen der drei Republiken Sachsen, Bayern und Tschechoslowakei sich berühren, ist auch die dreiteilige Wasserscheide zwischen Elster, Saale und Eger. Gegen Süden fließen die Wässer dem Egerlande zu. Nach Westen enteilt die Regnitz dem Waldlande und ergießt sich bei Hof in die Saale. Und nordwärts gehört alles Fließende dem Stromgebiet der Weißen Elster. Der bedeutendste linksseitige Elsterzufluß ist hier der fünfzehn Kilometer lange Triebelbach. Zwischen Eichigt und Ebmath, rechts der Zollstraße Ölsnitz-Roßbach, liegt ein Berg, der den merkwürdigen Namen »Bubenstock« führt. Auf älteren Karten wird er »Pumpenstock« genannt. Trotz seiner absoluten Höhe von 630,8 Meter bietet er nicht die geringste Fernsicht; denn erstlich erhebt er sich nur unbeträchtlich über die durchschnittlich sechshundert Meter hoch gelegene Hochfläche, und überdies ist er bis zur Kuppe mit Fichtenwald bestanden. Die einzige Bedeutung des Bubenstockes in geographischer Beziehung besteht darin, daß an seiner westlichen Abdachung der Triebelbach entspringt. Durch Heidegesträuch, Ginstergebüsch und niedrigen Mischwald eilt das muntere Waldkind rasch abwärts. Es ist, als wolle es der unheimlichen Gegend entfliehen. Führt doch das südwestwärts gegen Tiefenbrunn zu gelegene einsame Waldstück den grausigen Namen: Der gespaltene Schädel. Ob eine geheimnisvolle Untat dieser Benennung zugrunde liegt oder ob eine bloße Wortentstellung anzunehmen ist, ist nicht mehr festzustellen. Der düstre Wald tritt beiderseitig zurück und macht dem ersten Dorfe, Obertriebel, Platz. Da die Bachsohle beim oberen kleinen Dorfteiche genau fünfhundert Meter hoch liegt, so beträgt der Fall von der Quelle bis hierher auf der kaum 2,5 Kilometer langen Strecke bereits einhundertunddreißig Meter. Bei einer kleinen Häusergruppe zwischen Ober- und Untertriebel, den sogenannten Hutherleithenhäusern, empfängt der Triebelbach von links her starke Zuflüsse aus dem waldreichen Platzerberggebiet und von Neubrambach.[179] Erheblich verstärkt kommt der hier außerordentlich krebsreiche Bach nach dem Kirchdorfe Untertriebel. Von lärchenbestandener Höhe klingt Glockenklang hernieder. Droben bringt man sie zu Grabe, die sich freuten in dem Tal. Denn der Kirchhof liegt hier noch, altem schönen Brauche gemäß, rund ums Kirchlein. Das Gotteshaus von Untertriebel gehört zu den wenigen vogtländischen Dorfkirchen, bei deren Anlage an Verteidigungszwecke gedacht worden ist und an deren Umfassungsmauern noch Spuren ehemaliger Befestigung zu erkennen sind. Vor der turmartigen Friedhofspforte ragen zwei mächtige Linden. Links vom Eingange, an der Nordseite der starken Kirchhofsmauer, sind ganz deutlich drei Schießscharten zu sehen. Rechts vom Tore, an der Westseite also, sind weitere sechs Schießscharten, so daß die ganze Mauer noch neun derartige Zeugen ehemaliger Befestigung aufzuweisen hat. Gelegentlich einer Erweiterung des Friedhofes nach Süden zu mußte die südliche und östliche Ummauerung abgetragen werden. Auch diese Teile der ursprünglichen Anlage waren, wie mir der über vierzig Jahre in Untertriebel im Amte befindliche alte Kantor Häntzschel versicherte, mit Schießlöchern versehen. Die Schießscharten sind von annähernd gleicher Größe und Gestalt. Von außen gesehen sind sie schmal, nur zehn Zentimeter breit und fünfzig Zentimeter hoch. Nach innen werden sie weiter, und an der Innenseite der achtzig bis neunzig Zentimeter starken Mauer sind sie beinahe quadratisch mit fünfzig Zentimeter Seitenlänge. Eine Häufung der Schießscharten ist vermieden; in beinahe gleichen Abständen[180] voneinander sind sie in das starke Mauerwerk getrieben. Als im Jahre 1901 bei der Erneuerung des Gotteshauses auch die Friedhofsmauer abgeputzt wurde, hatten übereifrige Handwerker unaufgefordert die Schießscharten teilweise schon zugemauert. Sie waren höchlichst erstaunt, als durch ein Machtwort des Herrn Pfarrers Kramer die »alten Löcher« wieder in den vorherigen Zustand zurückversetzt werden mußten. Vor der Nordseite der Mauer sind grabenartige Vertiefungen, die möglicherweise in Beziehung zu einer ehemaligen Befestigung stehen. Doch ist in der historischen Deutung derartiger Vorkommnisse größte Vorsicht geboten. Übereifer in der Auffassung und Behandlung »alter Löcher« kann nicht nur einen simplen Mauergesellen, sondern auch den hochgelahrtesten Altertumsforscher zu Dummheiten verleiten.
Es gibt im Vogtlande nur noch zwei Dorfkirchen, die Spuren einstiger Befestigung tragen: Thierbach bei Pausa und Schwand. Bei Überfällen und Plünderungen durch rohe mittelalterliche Landsknechte war gewöhnlich der das Dorf beherrschende Rittersitz die Zufluchtsstätte der Dorfbewohner. Dieser Rittersitz war entweder ausgezeichnet durch hohe Lage, oder durch Ringwallanlagen und Teichinseln geschützt. Professor Johnson, Plauen, weist schon im Jahre 1900 darauf hin, daß sowohl Thierbach, als auch Schwand und Untertriebel im Mittelalter keine Rittersitze besaßen – das Rittergut Schwand ist später entstanden –, so daß die schutzlosen Dorfbewohner auf den Gedanken kamen, Kirche und Friedhof zu einem Verteidigungsplatze zu gestalten. Diese Erwägungen mögen wohl auch das altvogtländische Adelsgeschlecht der Säcke auf Geilsdorf bestimmt haben, die Kirche zu Untertriebel auf einem das Dorf überragenden Höhenrücken erbauen zu lassen, und zwar schwankt das Erbauungsjahr nach urkundlich sicheren Angaben zwischen 1342 und 1380. Das Gotteshaus in seiner jetzigen Gestalt stammt aus dem Jahre 1535, so daß der ältere Bau nur etwa zwei Jahrhunderte stand.
Für Freunde der Vergangenheit bietet auch das Innere der Untertriebler Dorfkirche mancherlei Bemerkenswertes. Bei der obenerwähnten Erneuerung des Gotteshauses fand man auf dem Kirchboden zwei verstaubte und stark beschädigte Holzschnitzereien: einen Kruzifixus und einen Taufengel. Beide Gegenstände wurden der »Kommission zur Erhaltung von Kunstdenkmälern« zur Begutachtung vorgelegt. Über den Kruzifixus kam von Dresden folgendes Gutachten: »Ist eine Holzschnitzerei aus dem fünfzehnten Jahrhundert; es fehlen beide Arme und sämtliche Zehen; an der Nase, Operlippe und am Lendenschurz starke Beschädigungen. Das Holz selbst ist gesund; auch die Bemalung braucht nur gereinigt und an den neuen Stücken ergänzt zu werden. Eine Wiederherstellung ist unbedingt zu empfehlen. Professor Spieler ist bereit, die Erneuerung vorzunehmen.« Der Taufengel ist ein kräftiges, eigenartiges Barockwerk etwa von 1730. Auf dem Deckel des von dem Engel gehaltenen Taufbeckens sind Christus und Johannes der Täufer in kleinen Figuren angebracht. Die Wiederherstellung des beschädigten Taufengels übernahm Holzbildhauer Wünschmann in Dresden. Seit 1902 bilden die auf diese Weise geretteten altertümlichen Holzschnitzereien einen wertvollen Schmuck des Altarplatzes der Untertriebler Kirche. Künstlerisch bewertet sind die beiden Schnitzereien sehr verschieden. Ich halte den Taufengel für die Arbeit eines Handwerkers, den[181] Kruzifixus für das Werk eines Künstlers. Der schablonenhaft steife Faltenwurf des hemdartigen Kleidungsstückes, sowie die wenig ausdrucksvollen Gesichtszüge des Taufengels deuten auf eine nur mittelmäßige Befähigung des Holzschnitzers, während die Darstellung des schmerzverzerrten Antlitzes, sowie die Ausarbeitung der Rippen an dem abgezehrten Oberkörper des gekreuzigten Heilandes auf eine genauere Kenntnis des anatomischen Baues eines Menschenleibes, sowie auf eine technisch weit höher zu bewertende Beherrschung des Schnitzmessers schließen lassen.
Einige andre Altertümer der Kirche zu Untertriebel sind auf Veranlassung des Professors Steche ins Sächsische Altertumsmuseum nach Dresden gewandert. Auch sie lagen verlassen und vergessen in einem Winkel des Kirchbodens. Das kostbarste Stück ist eine aus Holz geschnitzte Truhe, die zur Aufbewahrung von kirchlichen Geräten oder Meßgewändern verwendet wurde. Diese Truhe ist in dem von Schmidt und Sponsel herausgegebenen »Bilderatlas zur Sächsischen Geschichte« in der Abteilung für bäuerliche Kunst beschrieben und bildlich dargestellt.
Doch nun genug der Namen und Zahlen. Wir treten heraus und steigen hinunter ins Dorf. Der prächtige Lärchenhang des Kirchberges war im März 1919 stark gefährdet. Ein Teil der Mitglieder des Gemeinderates, verbittert durch die überaus hohen Anforderungen der Erwerbslosenunterstützung an die Gemeindekasse, hatte tatsächlich die Absicht, die großen Lärchen des Kirchpöhls[182] fällen zu lassen. Ich hatte alle Mühe, das drohende Verhängnis abzuwenden. Ich verhandelte schriftlich und mündlich mit Pfarrer und Gemeindevorstand und disputierte mit den Bauern im Wirtshause. Den Ausschlag gab schließlich ein äußerst geschickt abgefaßtes und warmherzig gehaltenes Schreiben des »Landesvereins Sächsischer Heimatschutz«, das auf meine Anregung hin der Gemeinde zuging. Der Baumbestand des Kirchpöhls war gerettet. Der Naturschutzabteilung des Landesvereins ist es zu danken, daß das Kirchlein zu Untertriebel noch heute im Schmucke eines selten schönen Lärchenbestandes herab ins Tal grüßt. –
In breitem Wiesentale schlängelt der Triebelbach weiter. Und nun ein Glanzstück: die idyllisch gelegene Fuchsmühle. Aus dichtem Grün leuchtet der schlohweiße Giebel mit seinem dunklen Fachwerk freundlich hervor. Hier bei der Fuchsmühle lag eine der vorzüglichsten Kupferzechen des Vogtlandes: »Hoff auf Gott«. Von 1705 bis 1721 wurden 1980 Zentner Kupfer im Werte von 47 993 Taler 16 Groschen 2¼ Pfennige und außerdem 2853/8 Zentner Kupfervitriol im Werte von 2570 Taler 18 Groschen 0 Pfennige zutage gefördert. Der Reingewinn betrug nach den jetzt noch vorhandenen Grubenrechnungen 28 172 Taler 10 Groschen 2¼ Pfennige. Der Bergsegen ließ indes bald nach. Dazu kam, daß infolge der Weichheit des Gesteins die Stollen mit Holz verzimmert werden mußten und daß man fortwährend mit dem Grundwasser des nahen Triebelbaches zu kämpfen hatte. 1735 kam die Grube zum Erliegen. Unweit der Mühle stand ein Pochwerk. Interessant ist, daß dieses Pochwerk die Ursache einer Beschwerde des staatlich konzessionierten Perlenfischers wurde. Am 3. Juli 1710 erstattet der Ölsnitzer Perlenfischer Johann Gottfried Schmirler im Amt Voigtsberg folgende Anzeige: »Er wäre vorige Woche in dem Tribler Bach gewesen und hätte Perlen suchen wollen. Da habe er[183] gefunden, wie solcher Bach gänzlich aussterbe. Sonsten hätten die Muscheln wie ein Pflaster darinnen gestanden. Vorjetzo fände er fast gar keine. Die ursach dieses Aussterbens schreibe er dem an solchem Bach gebauten Pochwerke zu. Er hätte dahero unterschiedlichmahlen bey denen Bergbeamten Erinnerung gethan, man hätte es aber nicht attentiret; itzo könnte man nun den Schaden spühren. Man solle Teiche machen, worinnen der Schlamm und die materie, welche denen Muscheln schädlich, vielleicht sitzen bliebe. Er müsse gestehen, daß er in dieser Refier jederzeit die hellsten und klahrsten Perlen gefunden.« (Dr. J. G. Jahn, Die Perlenfischerei im Voigtlande, Ölsnitz 1854.)
Außer Kupfer wurde in der Nähe der Fuchsmühle auch Zinn (Zinnzeche St. Johannes) und Eisen (Ludwig-Fundgrube) bergmännisch gewonnen. Zahlreiche Halden, Pingen, Berglöcher, Stollenausgänge und Reste alter Grubengebäude zeugen noch heute von dem Bergbau vergangener Zeiten.
Wir wandern weiter mit den wandernden Wellen und erreichen das dritte und letzte Dorf des Tales: Bösenbrunn. Auf allen Höhen rings herum lugt aus dem Dunkelgrün des Fichten- und Föhrenwaldes weißschaftig die Birke, deren Besonderheit darin besteht, daß sie zu jeder Jahreszeit andre Farbenstimmung aufweist; im Vorfrühlinge zartduftiges Hellviolett, im Spätlenz Smaragdgrün, im[184] Sommer kraftvolles Allerweltsgrün, im Herbst strahlendes Gelb und vor Beginn des Winters wieder jenes eigenartige tote, stumpfe Violett, welches kein Pinsel wiederzugeben vermag. Am linken Talhange das winzige Dorfkirchlein, erbaut in demselben Jahre, da der Dreißigjährige Krieg begann. Droben Gotteshaus und Gottesacker, drunten das Rittergut, drüben die Mühle und draußen gegen den Talausgang, an den rechtsseitigen Waldhängen, zwei einsame Einschichten: das Streithaus und das Otterhaus. Zwischen Rittergut und Mühle liegen am Wege die Überreste alter »Griebensteine«. Es sind dies viereckige, mit einer gerundeten Aushöhlung versehene Granitbottiche, in denen zur Zeit der Pechsieder die Abfallprodukte des Peches nochmals geröstet wurden. Man gewann aus diesen »Griefen« oder Grieben eine Art minderwertiges Pech, nützte also das Naturprodukt wirtschaftlich aus. Das gewonnene Abfallpech floß durch ein an der tiefsten Stelle angebrachtes rundes Loch ab. Die Granitpfannen müssen also ehedem auf einer Unterlage gestanden haben. Jetzt liegen sie im Erdreich eingedrückt und im Grase vergraben schon seit Jahrzehnten ungenützt. Solche alte Pechpfannen gibt es auch anderswo im Vogtlande, so bei Brotenfeld, bei Planschwitz und bei Raun.
Das Triebelbachtal wird nun eng und tiefeingerissen. Die Abhänge sind von der Talsohle bis zur Höhe bewaldet. Einige große Kahlschläge flammen in buntester Blütenpracht. Ein Meer purpurner Weidenröschen (Epilobium angustifolium). Dazwischen gelbe Fingerhüte (Digitalis ambigua), stachelige blaue Natterköpfe (Echium vulgare), stolze Königskerzen (Verbascum), großblumige enzianblaue Pfirsichglockenblumen (Campanula persicifolia), lohende Pechnelken und leuchtende Margeriten. Und inmitten all dieser Farbenfülle wandert der Erlen- und Perlenbach geruhsam seines Weges, der Weißen Elster entgegen. Bei Pirk, zwischen Ölsnitz und Plauen, mündet er in den Hauptflußlauf des Vogtlandes.
[185]
Fernab allem Weltgetriebe, ein stilles, einsames Waldland, urkräftig und unberührt, lieblich im Birkenschmucke des Lenzes, farbenfreudig im Glast und Glanz des Hochsommers, versonnen und verträumt im Sterbekleid des Herbstes, erstarrt und erstorben im Rauhreifgeschmeide des Winters – so lieb ich dich, du mein märchenschönes Vogtlandtal.
[186]
Von A. Klengel, Meißen
(Aufnahmen von J. Ostermaier, Blasewitz)
Goethe, Faust II
Ein Brief aus Guteborn wird mir gebracht; Seine Durchlaucht Ulrich Prinz Schönburg lädt mich in herzlicher Weise zu einem Besuche auf seine Besitzung ein. Da er gern Störche in Guteborn ansiedeln möchte, soll ich ihm mit einem guten Rate zu Hilfe kommen.
Rasch die Landkarte zur Hand genommen! – Guteborn ist der waldreiche Großgrundbesitz in der preußischen Niederlausitz, dicht an Sachsens Grenze, den etwa die Bahnlinien Ortrand–Ruhland–Hohenbocka–Kamenz umrahmen, also von hier aus leicht und schnell zu erreichen. Und dann noch einen Blick in die Genealogie des Schönburgischen Hauskalenders, der mir als sächsischem Geschichtsforscher zur Hand liegt. Der freundliche Gastgeber ist ein Glied der Fürstlichen Linie Schönburg-Waldenburg und ein Vetter des jüngst verstorbenen Prinzen Ernst, der mit seiner schon früher heimgegangenen Gemahlin Helene auf der prächtigen Besitzung Gauernitz bei Meißen den Natur- und Vogelschutz in vorbildlicher Weise pflegte, so daß ich und die Freunde der Heimat alle Ursache haben, ihm ein dankbares und ehrendes[187] Gedächtnis zu bewahren. Die Liebe zur Natur scheint eine schöne Familieneigentümlichkeit des uralten edlen Fürstengeschlechtes zu sein. Die Reise verspricht also außerordentlich lohnend zu werden und hocherfreut sage ich zu.
In der Morgenfrühe eines kalten Oktobertages breche ich denn auf, voll von Erwartungen, und früh nach acht Uhr schon lande ich auf dem Bahnhofe Ruhland. In ein Reich der Arbeit bin ich gekommen, ist doch Ruhland ein Mittelpunkt des Niederlausitzer Kohlenbergbaues und der Preßkohlenherstellung. Der große neuzeitliche Bahnhof, der zugleich ein wichtiger Knotenpunkt ist, legt Zeugnis ab von dem ins Riesenhafte gewachsenen Verkehr; das Städtlein freilich ist klein und unscheinbar geblieben, die Häuser scharen sich verträumt um die Kirche und bieten ein Bild, wie wir es in vielen kleinen Landstädten zu schauen gewöhnt sind.
Lange Zeit bleibt mir nicht zu diesen Betrachtungen, bin ich doch aus ganz anderen Gründen nach Ruhland gekommen und das prinzliche Geschirr wartet vor dem Tore.
Im Trabe gehts zur Stadt hinaus dem Walde zu. Bald zeigt der Grenzgraben an, daß ich mich auf Guteborner Besitz befinde. Der Kutscher hat Auftrag,[188] mich zunächst nach den weiten Waldwiesen und an die baumbestandenen Teichufer zu fahren, damit ich aus der Beschaffenheit des Bodens und der landschaftlichen Lage erkennen soll, ob wohl Guteborn noch dazu geeignet ist, dem Storche eine Heimat zu bieten. Der Versuch, den Storch anzusiedeln, kann immerhin gemacht werden, wenn auch die Gegend nicht gerade als ideale Storchheimat zu bezeichnen ist. Die weiten, zum Teil anmoorigen und sumpfigen, von Gräben durchzogenen Wiesen und die verlandeten Teichufer würden dem langbeinigen Froschliebhaber gewiß Nahrung in Fülle bieten; auch würde er sich des besten Schutzes durch den prinzlichen Gönner erfreuen. Wie ich bald erfuhr, darf in Guteborn nicht einmal auf einen Reiher, geschweige denn auf einen Storch geschossen werden. Freilich sind die für den Storch in Frage kommenden Nahrungsgründe von weiten Wäldern umgeben und diese liebt der Storch nach meinen Erfahrungen nicht allzusehr, wenn er sich auch als ungepaarter Vogel gern an den Waldrändern aufhält. Und hinter den Wäldern wohnt die Industrie mit hohen Schornsteinen, Lärm und Ruß und Rauch. Fast immer hält er eine Gegend, in welcher die Industrie die Oberhand gewinnt, für ungastlich[189] und kehrt ihr darum den Rücken. Als günstig für die Ansiedelung des Storches ist wieder der Umstand anzusprechen, daß der Guteborner Besitz eine außerordentliche Größe hat und dadurch allein schon in seinen Grenzen dem Storche ein friedliches und stilles Wohnen ermöglicht. Mag darum auf einer der alten strohgedeckten Bauernscheunen im Dorfe Guteborn, das mir jetzt zu Gesicht kommt, durch Aufbringen einer Nestunterlage dem Storche die Möglichkeit zur Ansiedelung geboten werden. Der prinzliche Storchfreund hat zwar auf den Nebengebäuden des Schlosses bereits zwei einladende Storchnester herrichten lassen, die von den Störchen wohl beachtet, aber bis jetzt nicht bezogen worden sind. Anscheinend nehmen sie doch Anstoß an dem regen Leben im Schloßhofe und in der Umgebung. Sollte die Ansiedelung auf einer der abseits gelegenen Scheunen gelingen, so ist es vielleicht möglich, den Storch auch an den regeren Verkehr zu gewöhnen und zum Beziehen eines Nestes am Schlosse zu veranlassen.
Die Rappen halten im Hofe des hohen und stattlichen, von vier Ecktürmen flankierten Schlosses Guteborn. Mit seinen zahlreichen schmucken Nebengebäuden, von welchen die Schloßkapelle und der neu erbaute Marstall besonders hervorgehoben sein mögen, bietet es das Bild eines vornehmen Fürstensitzes, wie ihn nur das hohe künstlerische und schöngeistige Empfinden eines uralten Hochadelsgeschlechtes erbauen und pflegen konnte.
Seine Durchlaucht empfängt mich selbst am Wagen, begrüßt mich auf das herzlichste und führt mich zum Frühstück in das Schloß. Wie nicht anders zu erwarten, bieten die Innenräume Bilder des vornehmsten und vollendetsten Geschmacks. Die hohe Schloßhalle birgt zahlreiche Jagdtrophäen, darunter auch einen prächtigen Braunbären, den der Prinz auf dem Besitz seines Vetters in Krain erlegt hat. Oft schon sind mir Jagdtrophäen von glücklichen Weidmännern gezeigt worden, noch nie habe ich aber das Empfinden gehabt, das mich hier in Guteborn beschlich, als mir der hohe Gastgeber Erläuterungen zu seinen weidmännischen Schätzen gab. Ein Bedauern klang aus seinen Worten; mir schien es fast, als hätte es ihm schwere seelische Kämpfe gekostet, ehe er das tödliche Blei auf das Tier sandte, als sei ihm das Tier im Leben unendlich viel lieber gewesen, als jetzt als präparierte Trophäe. Wie himmelweit erhaben erschien mir in diesem Augenblicke die hohe vornehme Gestalt des Prinzen über so manchen anderen Jäger unserer Zeit. Ich hatte das Richtige vermutet. Wie ich später erfuhr, findet der Prinz wenig Gefallen am Weidwerk; er empfindet aber hohen Genuß am Beobachten der freien Tierwelt, die in ihm einen vorbildlichen Schützer und Hüter besitzt.
Der Prinz führte mich dann in den Park, der sich in einer Größe von etwa zweihundert Morgen an das Schloß anschließt. Ich war erstaunt, auf dem Sandboden der Herrschaft Guteborn einen derartigen prächtigen und frohwüchsigen Naturpark mit gewaltigen Baumriesen zu finden; er dürfte schwerlich seinesgleichen haben. Mit Recht ist er denn auch der Stolz des Besitzers; mit Liebe wird er geschützt und gehegt und mit größter Sorgfalt gepflegt, doch immer in einer Weise, daß Spuren menschlicher Tätigkeit nicht zu bemerken sind. Der Park läßt nichts erkennen von der zwingenden Hand des Menschen, vom Werkzeug des Gärtners oder Forstmannes. Hier ist der Gedanke, daß die Natur durch Menschenhand wohl[190] gepflegt, aber nicht verschönert und verbessert werden kann, auf das trefflichste durchgeführt. Als ein prächtiges Stück unberührter Natur erscheint der Guteborner Parkwald, urwüchsig und herrlich wie am ersten Tag. Wie kläglich nimmt sich doch dagegen ein im französischen Geschmack gestutzter Park mit seinen gemarterten und geschundenen Bäumen aus, den wir sonst meist neben den Schlössern zu schauen gewöhnt sind.
Dieses Prunkstück heimischer Naturschönheit ist des Prinzen ureigenstes Reich. Wohl schwerlich gibt es wieder einen Schloßherrn, der mit den Bäumen seines Parkes so vertraut ist, wie der Herr auf Guteborn. Auf die Bäume, welche sich durch besondere Größe, prächtigen oder eigenartigen Wuchs auszeichnen, macht er mich aufmerksam, auf besonders schöne Baumgruppen, auf herrliche Durchblicke weist er mich hin, von den Vögeln erzählt er mir, die in den Baumkronen wohnen und von dem Hochwilde, das in seltener Vertrautheit durch den Park wechselt. Es macht ihm Freude, wenn sich andere, für die Schönheit der Natur empfängliche Menschen mitfreuen an seinem prächtigen Besitz, den er nicht ängstlich abschließt gegen die Außenwelt, sondern für Spaziergänger und Naturfreunde offen hält. – Ein bunter Mischwald ist der Park; Fichten, Kiefern, Weymutskiefern und Lärchen wechselten ab mit Eichen, Linden und anderen Laubhölzern. Einige besonders prächtige Stücke mögen herausgegriffen sein. Der Prinz maß mit mir den Umfang mehrerer Bäume, die sich sowohl durch prächtigen gesunden Wuchs als auch durch stattliche Größe auszeichneten. Wir fanden Fichten von 325 und 375 Zentimeter[191] Umfang bei einem schätzungsweise gewonnenen Höhenmaße von 45 bis 50 Meter und eine Kiefer von 272 Zentimeter Umfang. Unter Berücksichtigung des mageren Sandbodens, worauf der Baum steht, schätze ich das Alter der stärksten Fichte auf weit über dreihundert Jahre; sie stand also jedenfalls damals schon, als die Herrschaft vor drei Jahrhunderten in das Eigentum der Familie des jetzigen Besitzers kam.
Bald kommen wir an eine weitere Sehenswürdigkeit. Inmitten einer Gruppe alter Fichten und von Rhododendronbüschen umgeben liegt nahe einer Waldwiese ein kleiner stiller Weiher, der von einem unsichtbaren Quell gebildet wird. Die Wasserzuführung ist so stark, daß ein stattlicher Bach aus dem Weiher abfließen kann, der verschiedene Teiche in der Umgebung des Schlosses speist. Große grüne und braune Algen wachsen im Becken des Weihers; ein Sonnenstrahl, der durch die Bäume bricht, läßt sie aufleuchten im herrlichsten Samtgrün. Ein Böcklinsches Gemälde, ein Heiligtum liegt vor unsern Augen. »Guteborn« hat der Prinz den Weiher mit seiner verborgenen Quelle genannt.
Im Schloßparke wird natürlich nie ein Kahlhieb geführt, auch in den übrigen, zweitausend Morgen großen Waldungen der Herrschaft Guteborn wird mit Vorliebe zum Plänterbetrieb gegriffen. Die Eigenart der Waldlandschaft bleibt dadurch erhalten, dabei sind niemals größere Ungezieferschäden beobachtet worden.
Der Prinz stellte mir auch des Parkes treuen Hüter und fleißigen Pfleger vor, einen Mann mit grauem Haar. Gar eigen wurde mir ums Herz, als ich seine Geschichte hörte. In der Nähe geboren, war er später jahrzehntelang Schutzmann[192] in der Reichshauptstadt; dann zog’s ihn wieder zurück nach der Heimat; Berlin hat nicht vermocht, die Heimatliebe im Herzen dieses schlichten Mannes zu ertöten. Er fühlt sich glücklich unter den Bäumen des ihm anvertrauten Parkes, er hat nun erst gefunden, was ihm das Leben bisher versagte. Gäbe es doch noch viele Menschenkinder, die auch in der Fremde die Fühlung mit der Heimat nicht verlieren, die auch im Trubel der Großstadt nicht wurzellocker werden in der Heimaterde. Es würde besser um uns stehen.
Mehrere Stunden noch brachte ich in Guteborn zu; es gab noch Vieles und Schönes zu schauen; denn überall zeigt sich der Schönheitssinn und die Naturliebe des Prinzen. Ich bin durch die Wälder gestreift und habe mich darüber gefreut, daß hier trotz aller forstmännischen Sorgfalt der Schönheitsgedanke noch Raum zur[193] Betätigung gefunden hat. Auch die Felder werden in dieser Weise gepflegt. Dafür nur ein Beispiel. Um eine einförmige junge Obstbaumpflanzung zwischen den Feldern stimmungsvoll zu beleben, ist sie durch eine Ginsterhecke verbunden; die Hecke dient nicht nur zur Hebung der landschaftlichen Schönheit, sondern bietet auch den Vögeln Unterschlupf und Nistgelegenheit.
Im Dorf Guteborn wird man Zeichen vom Schönheitssinn und den Wohlfahrtsbestrebungen nicht vergeblich suchen, davon sprechen die schmucken Häuser der herrschaftlichen Beamten und der prinzliche Gasthof, dessen Innenausstattung eine Fundgrube für den Freund der Volkskunde darstellt. Die Einwohner schätzen ihren Prinzen außerordentlich hoch, hat er doch ein fühlendes Herz für ihre Nöte und Sorgen. Das ist wohl selbstverständlich; wie könnte auch ein derartiger Natur- und Tierfreund, ein so vorbildlicher Schützer der stummen Kreatur gefühllos gegen seine Mitmenschen sein!
Den Höhepunkt meines Besuches bildete die prinzliche Familientafel, zu der mich Seine Durchlaucht geladen hatte und eine Stunde anregendster Unterhaltung, die sich daran anschloß. Ich erfuhr dabei auch, daß der Prinz den Natur- und Heimatschutz nicht nur selbst in vorbildlicher Weise pflegt, sondern auch die Natur- und Heimatschutzvereine unterstützt und ihre Bestrebungen fördert.
Die Dämmerung brach herein als mich das prinzliche Geschirr wieder hinaus fuhr in das geschäftige Leben und Treiben des Alltages. Vom Waldrande warf ich noch einen Blick zurück auf das Naturparadies Guteborn und das stolze Schloß, in dem der Mann wohnt, der im Gespräch von sich sagte:
»Ich bin nur der Hüter, der oberste Beamte meiner Güter; ich habe nur zu hüten, zu pflegen und zu erhalten für kommende Geschlechter!« –
Und wäre man noch so demokratisch gesinnt in heutiger Zeit, der einen Wahrheit kann sich der ehrliche Mensch nicht verschließen: der hohe und edle Sinn und das Verständnis für die Schönheiten der Heimat, für den Schutz der heimischen Natur und der sie belebenden Geschöpfe haben an unseren deutschen Fürstenhöfen immer die beste Pflegstätte gefunden. Die meisten Glieder unserer deutschen Fürstengeschlechter fühlten sich von jeher als berufene Hüter und Pfleger der Heimat- und Naturschönheiten; sie haben gezeigt und zeigen es heute noch, daß sie den Sinn des Wortes »Besitz verpflichtet« recht zu deuten verstehen!
[194]
Von Edmund Scharein
Binnen kurzem wird in der Lüneburger Heide unter voraussichtlich großer Beteiligung zahlreicher Jäger und Naturfreunde das Hermann-Löns-Denkmal, ein schmuckloser, gewaltiger Findling, der das Bildnis des Dichters trägt, enthüllt. Dem Wunsch des Dichters und wackeren deutschen Weidmannes ist damit nicht entsprochen. Denn er bestimmt selbst:
Wüßte er aber, daß lediglich die Dankbarkeit deutsche Jäger zwingt, ihn in dieser Weise zu ehren, und könnte er sehen, daß der Stein mitten in der Lüneburger Heide, in der von ihm über alles geliebten Heide, stünde, oben auf dem Wietzer-Berg, in einem Revier, in welchem er so oft weidwerkend geweilt hat, ich glaube, er würde uns verzeihen.
Nicht nur die deutsche Literatur hat durch Löns’ frühen Tod einen unersetzlichen Verlust erlitten, sondern auch die deutsche Jägerwelt. Und gerade diese hätte seiner Anregungen heute mehr bedurft denn je.
Bei der gewaltigen Liebe zur Natur, die den Meister auszeichnete, bei dem großen Interesse, das er den scheinbar nichtigsten Dingen in Feld und Wald entgegenbrachte, ist es kaum zu verwundern, daß er nicht Sportjäger geworden ist. Sportjäger weder im engeren, noch im weiteren Sinne. Es kam Löns nicht auf reichliche Beute und Trophäen an. Er liebte die Jagd nicht, weil sie die Möglichkeit bietet, alle möglichen Kreaturen zu erlegen, sondern er liebte sie, weil er die Natur in Feld und Wald beobachten, das Verhalten des Wildes studieren, weil er allen Geschöpfen, die sich in der freien Gottesnatur aufhalten – vom größten Säugetier bis zum kleinsten Käfer – ihre Geheimnisse ablauschen konnte.
Nur das Stück Wild, dessen Überlistung ihm nach vielen Mühen gelang, machte ihm Freude. Ein Täuber, zu dessen Erlegung er viel Mühe aufwenden mußte, konnte ihn mehr erfreuen, als ein mühelos erbeuteter »Brunfthirsch«.
Löns, der in seiner langen Jägerlaufbahn viel geweidwerkt hat und der sich mit bestem Erfolg den verschiedensten Wildarten gegenüber versucht hat, hatte selbstverständlich[195] große Strecken zu verzeichnen. Diese waren aber lediglich bedingt durch seine hervorragenden jagdlichen Fähigkeiten – in der Handhabung der Waffe wie im Anschleichen war er Meister; in der Kenntnis der Gewohnheiten und Eigentümlichkeiten des Wildes war er nicht zu übertreffen – und die Regelmäßigkeit, mit welcher er der Jagd oblag.
Wie oft wird ihm die Freude vergällt beim Anblick des gestreckten Wildes. Und nicht ohne Wehmut zieht er den grünen Bruch durch den frischen Schweiß und steckt ihn an den verwitterten Jagdhut. So ist denn der Abschluß der erfolgreichen Jagd, der die meisten Jäger befriedigt, weil er sie an das Ziel ihrer Wünsche brachte, für Löns oft eine Qual. Als er auf dem Abendstrich die tote Schnepfe – die erste des Jahres –, welche im dürren Farnlaub vor ihm liegt, aufhebt, ist seine Freude hin, und der Lärm der Kraniche, welche seine Schüsse im Bruch aus dem Schlaf gejagt haben, kommt ihm vor wie eine Klage und – Anklage. Und in Erinnerung an den Abend während der Heimfahrt ist ihm, »als hätte der rohe Schlußreim den Zauber dieses Tages verdorben«. Und oft kommt diese Wehmut zum Ausdruck. Ob er den langersehnten stolzen Auerhahn mitten im Minnegesang gefällt oder den roten Bock mit gutem Blattschuß gestreckt hat, er stiehlt sich davon …
Aber auch anderen Empfindungen begegnen wir bei dem Meister. Wie oft wünscht er sich vor dem toten Bock, vor dem gestreckten Hahn einen ähnlichen Tod! Ob er ahnte, daß ihm ein solcher beschieden sei? Viel ist über diese Frage hin und her gestritten. Von vielen wird sie verneinend beantwortet, während andere, die dem Dichter nahestanden, sie bejahen zu müssen glauben. Wer will das entscheiden …
Während Löns oft zögerte, den Finger krumm zu machen, dem stolzen Wild gegenüber, konnte ihn nichts davon abhalten, die Nachsuche mit der größten Gewissenhaftigkeit durchzuführen, und mochte sie noch so beschwerlich sein. Aus Liebe zum Wild. Wie viel liegt ihm an einem krankgeschossenen Stück. Der kranken Ricke, die den kranken Vorderlauf schonend, sich mühsam vorwärts bewegt, trägt er nicht die Kugel an, sondern stellt den Drilling auf Schrot um: »Sie soll den Knall nicht vernehmen, die Kugel nicht spüren; sie hat genug ausgestanden drei Tage lang«.
Mit diesen hervorragenden jagdlichen Tugenden, mit außerordentlich ausgeprägtem weidmännischen Empfinden, verband Löns Fähigkeiten, wie sie nur einige wenige, die in der Natur und mit ihr leben, aufzuweisen haben. Der Winterkälte trotzte er so gut wie der Sonnenglut; Nässe und Sturm konnten ihm die frohe Jägerlaune nicht nehmen. »Mir ist so, als hörte ich hinter mir im fernen Moore die Nebelhexe lustig kichern, und ich schwenke den schäbigen Hut und rufe ihr zu: Weidmannsdank, altes Mädchen, hoioh!«
(Aus der »Ostpreußischen Zeitung«.)
[196]
Oskar Schwär: Ahnengalerie, Görlitz, Verlagsanstalt Görlitzer Nachrichten und Anzeiger. Preis gebunden M. 18.–, broschürt M. 15.–.
Unser Lausitzer Erzähler hat diesmal die Straße ernster, seelischer Probleme verlassen, und sich auf den blumigen Weg des Humors begeben, wohin wir ihm in dieser sonst so leiderfüllten Zeit gern folgen. Wir haben es nicht zu bereuen, ein guter Engel hat ihn diesen Weg geführt. Unser herzliches Lachen dankt dem Dichter für die feinen lustigen Geschichten und Charakterbildchen. Wir würden das Buch nach der heiteren Stunde, die es uns geschenkt, nicht so befriedigt aus der Hand legen, wenn uns hier nicht echter Humor in gesunden Dosen verabreicht würde, Humor, der sich nicht in oberflächlichen Schnaken und Schnurren erschöpft, sondern mancherlei Blicke in Seelentiefen gewährt. Auch ein gefälliges kleines Lustspiel »Der Friedensstifter« enthält dieser Blütenstrauß Lausitzer Humors. Dazu haben Autor und Verleger den ganz ausgezeichneten Dresdener Künstler Kurt Rübner gewonnen, der mit trefflichem Stifte die lustigen Typen aufs Papier gezaubert hat.
Prof. Dr. Curt Müller, Löbau.
Auf dem Wege zur Steppe? Aus unserm Leserkreis wird uns geschrieben: Eine Anfrage an die Herren Meteorologen! Allenthalben ist man jetzt dabei, die noch in Deutschland vorhandenen Moore abzutorfen und zum Zwecke der Gewinnung von Kulturland trocken zu legen. Liegt hierin nicht eine ungeheure Gefahr für die zukünftige Gestaltung unseres Klimas? Gehen wir dadurch nicht einer Periode entgegen, in der ein reines Steppenklima bei uns herrschen wird? Schon ist der Grundwasserstand allenthalben erheblich zurückgegangen. Einerseits durch die Fassung von Quellen und Wasserläufen für die Trinkwasserversorgung größerer Gemeinwesen, anderseits durch die Regulierung aller Flußläufe, Beseitigung der Altwässer, Sümpfe, Entwässerung nasser Wiesen und Felder, Beseitigung der Ufergebüsche, dann auch durch die umfangreichen Abholzungen der Wälder, wie sie jetzt stattfinden, überhaupt durch unsere ganze derzeitige Bodenkultur, dazu nun jetzt auch noch die Entwässerung der Moore, die die letzte Reserve an Bodenfeuchtigkeit in Trockenperioden noch darstellten! Gerade die jetzige Hitze- und Trockenperiode drängt dazu, diese Frage eingehend zu prüfen und die Herren »Wettermacher« zu Worte kommen zu lassen, ob und wieweit eine Beeinflussung unseres Klimas – insbesondere die Bildung örtlicher Gewitter und Niederschläge – durch die geschilderten Vorgänge verhindert oder beeinflußt werden dürfte. Es wäre ein furchtbarer Irrtum, die Gewinnung von ein paar tausend Hektaren kulturfähigen Landes als Gewinn zu buchen, wenn anderseits Ernteverluste, wie sie uns jetzt bevorstehen, als Folge der oben geschilderten Vorgänge angesehen werden müßten. Es wäre dann allerdings höchste Zeit, diesem Vorgehen Einhalt zu tun.
Altes Spielzeug. Im Landesmuseum für Sächsische Volkskunst, Dresden-N., Asterstraße 1, befindet sich eine Sammlung von Spielwaren aus alter und neuer Zeit, die nicht nur den Besuchern der Sammlung viel Freude macht, sondern auch wertvolle Anregung zu neuem Schaffen gegeben hat. Die Museumsleitung (Hofrat Professor O. Seyffert) bittet nun alle, die im Besitz von alten, handwerklich hergestellten Spielsachen sind, die nicht mehr von Kindern benutzt werden, sie dem Landesmuseum zu stiften. Auch die kleinste Gabe ist willkommen, fügt sie sich doch oft einem Ganzen ein. In Frage kommen allerhand Figuren, Soldaten, Püppchen und Puppen, aber auch größere Stücke, Unterhaltungsspiele, Schaukelpferde, Puppenstuben, Küchen usw. Ein Nachsuchen führt oft zu großen Erfolgen, und was jetzt verstaubt und ohne Wert herumliegt, kann im Museum Freude und vielfachen Nutzen bringen. Die Portokosten werden vom Museum zurückerstattet.
Für die Schriftleitung des Textes verantwortlich: Werner Schmidt;
Druck: Lehmannsche Buchdruckerei, beide in Dresden.
Der Landesverein Sächsischer Heimatschutz, Dresden-A., Schießgasse 24, hat sich das Ziel gesetzt, die heimatliche Natur und die Kulturdenkmäler nicht nur durch Verbote und Ankäufe zu schützen, sondern in dem Herzen des Volkes diejenige Heimatliebe zu wecken, die den besten Heimatschutz bildet. Er wendet sich deshalb an die gesamte sächsische Schuljugend, an die Schüler und Schülerinnen aller öffentlichen Volks- und Fortbildungs- und Fachschulen, aller höheren Schulen mit einem Preisausschreiben.
Es sollen folgende Aufgaben in Aufsatzform behandelt werden:
1. von Schülern unter 14 Jahren (gleichviel welcher Schulgattung!)
»Jugendwanderungen und Naturschutz«.
2. von Schülern über 14 Jahren:
»Was kann die Jugend für den Heimatschutz tun?«
1. Die Arbeit ist selbständig und möglichst auf Grund eigener Erlebnisse und der heimatlichen Verhältnisse zu fertigen. Wer Bücher benutzt, hat die Titel am Schlusse der Arbeit anzugeben.
2. Die Arbeit ist auf geheftete Quartblätter zu schreiben. Weißen Rand lassen.
3. Am Anfang der Arbeit sollen folgende Angaben stehen:
1. Schulort. 2. Genauer Name der Schule. 3. Klasse. 4. Vor- und Zuname des Schülers. 5. Lebensalter des Schülers.
4. Die Arbeit ist bis zum 31. Oktober d. Js. an die Geschäftsstelle des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz, Dresden-A., Schießgasse 24, einzusenden.
5. Preisgekrönte Arbeiten gehen in den Besitz des Heimatschutzes über.
Nichtpreisgekrönte Arbeiten werden vernichtet, sofern der Verfasser bei Einsendung nicht ausdrücklich Rückgabe gewünscht hat.
für Schüler und Schülerinnen unter 14 Jahren:
1 Germania-Fahrrad (Fabrikat Aktiengesellschaft vorm. Seidel & Naumann, Dresden),
1 photographischer Apparat und 1 Projektions-Apparat (Fabrikat Ica Akt.-Ges., Dresden);
für Schüler und Schülerinnen über 14 Jahren:
1 photographischer Apparat mit Ernemann-Optik (Fabrikat Ernemann-Werke Akt.-Ges., Dresden),
1 Wanderer-Fahrrad (Fabrikat Wanderer-Werke Akt.-Ges., Schönau-Chemnitz);
ferner: Sport- und Touristenkleidung, Rodelschlitten, Schneeschuhe, Rucksäcke, Aluminium-Geschirr, Bücher naturwissenschaftlichen Inhalts, sowie Veröffentlichungen des Heimatschutzes.
Preisrichter sind die Mitglieder der Naturschutz-Abteilung des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz in Dresden
Die Namen der Preisträger und Preisträgerinnen werden in den »Mitteilungen des Heimatschutzes« bekanntgegeben, auch behält sich der Landesverein vor, einige der besten Arbeiten gegen Bezahlung zu veröffentlichen.
Dresden-A. im Juli 1921
Schießgasse 24.
Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Abteilung C Naturschutz
Vom Wandern und Weilen im Heimatland
Von Gerhard Platz
Dresden 1920
des Landesvereins Sächsischer
Heimatschutz Heimatbücherei
Band I
320 Seiten – Großoktav
Vorzugspreis für Mitglieder des Landesvereins Sächs. Heimatschutz M. 12.–
Seit vielen Jahren ist Gerhard Platz unser treuer Mitarbeiter. Fast in keinem Mitteilungshefte fehlte sein Name. Zahlreiche Zuschriften aus unserem Mitgliederkreise zeugen von der Liebe und Verehrung, die er sich in unserem Kreise erworben hat. Oft hören wir: Mit Platz möchten wir wandern. So ist es verständlich, daß wir in dem ersten Band unserer Heimatbücherei ihn zu Worte kommen lassen. Seine besten Heimatschilderungen sind hier vereinigt. Das Buch ist nur noch in wenigen Stücken vorhanden.
Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Dresden-A., Schießgasse 24.
Lehmannsche Buchdruckerei, Dresden-A.
Weitere Anmerkungen zur Transkription
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.
Korrekturen:
S. 182 Tirbler → Tribler
in dem Tribler Bach gewesen