Title: Aberglauben, Sitten und Gebräuche des sächsischen Obererzgebirges: Ein Beitrag zur Kenntnis des Volksglaubens und Volkslebens im Königreich Sachsen
Author: Moritz Spiess
Release date: January 28, 2022 [eBook #67261]
Language: German
Original publication: Germany: Königl. Hofbuchhandlung von Hermann Burdach
Credits: the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This transcription was produced from images generously made available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State Library.)
Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der 1862 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen sowie Schreibvarianten bleiben gegenüber dem Original unverändert, sofern der Sinn des Texts dadurch nicht beeinträchtigt wird. Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) werden durch deren Umschreibungen (Ae, Oe, Ue) dargestellt.
Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter der Übersichtlichkeit halber an den Anfang des Texts versetzt. Die Fußnoten wurden an das Ende des jeweiligen Abschnitts verschoben.
Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; Passagen in Antiquaschrift werden im vorliegenden Text kursiv dargestellt. Abhängig von der im jeweiligen Lesegerät installierten Schriftart können die im Original gesperrt gedruckten Passagen gesperrt, in serifenloser Schrift, oder aber sowohl serifenlos als auch gesperrt erscheinen.
Ein Beitrag
zur Kenntnis des Volksglaubens und Volkslebens
im Königreich Sachsen.
(Abhandlung, zum Programm der Realschule zu Annaberg für 1862 gehörig.)
Von
Dr. Moritz Spieß.
Dresden,
Königl. Hofbuchhandlung von Hermann Burdach.
1862.
|
Seite
|
Vorrede
|
|
§ 1. Begriff
|
|
§ 2. 3. Tageszeiten, Wochentage
|
|
§ 4. Bestimmte Schicksalstage
|
|
§ 5. 6. Weihnachtszeit
|
|
§ 7–9. Fastnacht
|
|
§ 10. 11. Osterzeit
|
|
§ 12. Walpurgis
|
|
§ 13. Himmelfahrt und Pfingsten
|
|
§ 14. Johannistag
|
|
§ 15. Die zweite Hälfte des Jahres
|
|
§ 16. Andreas
|
|
§ 17. Die Himmelszeichen
|
|
§ 18. Der Mond
|
|
§ 19. Begriff und Eintheilung
|
|
§ 20. Naturerscheinungen
|
|
§ 21–23. Thiere und Pflanzen
|
|
§ 24. Zeichen von Menschen
|
|
§ 25. Zeichen aus dem Familien- und Geschäftsleben
|
|
§ 26. Zeichen von kirchlichen Dingen
|
|
§ 27. 28. Zeichen bei dem Menschen selbst, dem die
Zeichen gelten
|
|
§ 29. Träume
|
|
§ 30. 31. Die Wahrsagekunst des Zufalls oder des
Looses
|
|
§ 32. Die Zauberwahrsagerkunst
|
|
§ 33. 34. Einleitung
|
|
§ 35. Zauberei durch Worte
|
|
§ 36. Geschriebene Zauberformeln
|
|
§ 37. Zaubernde Handlungen
|
|
§ 38. Zauberdinge
|
|
§ 39. Zweck und Arten
|
|
§ 40. 41. Zauber gegen mögliche Uebel
|
|
§ 42. Zauber gegen vorhandene Uebel
|
|
§ 43. Zauber zur Erwerbung von Glücksgütern
|
|
§ 44–46. Zauber in Bezug auf den einzelnen
Menschen (Geburt bis Tod)
|
|
§ 47. Gespenster, Geister etc. Sagen
|
|
§ 48. Die Adventszeit
|
|
§ 49. 50. Weihnachten
|
|
§ 51. Sylvester und Neujahr
|
|
§ 52. Epiphanias
|
|
§ 53. Fastnacht und Aschermittwoch
|
|
§ 54. Ostern
|
|
§ 55. Trinitatisfest
|
|
§ 56. Reformationsfest
|
|
§ 57. Martini
|
|
§ 58. Andreas
|
|
§ 59. Nikolaus
|
|
§ 60. Winter und Frühling
|
|
§ 61–64. Sommer
|
|
§ 61. Knabenspiele zu Anfang dieses Jahrhunderts
|
|
§ 62. Knabenspiele der Gegenwart
|
|
§ 63. Das Gregoriusfest
|
|
§ 64. Das Schulfest
|
|
§ 65. Der Herbst
|
|
§ 66. Tanz, Burkard, Heimblasen
|
|
§ 67. Klöppelabende
|
|
§ 68. Wettspiele
|
|
§ 69. Gebräuche der Gesellen
|
|
§ 70. Die Gruppen der Bevölkerung
|
|
§ 71. Reihschank
|
|
§ 72. 73. Die Schützenfeste
|
|
§ 74. 75. Andere Feste (der Bäckerumzug, Kantoreischmaus,
Thurmbrüderschaft)
|
|
§ 76. Vereine u. s. w.
|
|
§ 77. Jahrmärkte
|
|
§ 78. Das Leben des Bergmanns
|
|
§ 79. 80. Bergfeste
|
|
§ 81. Allgemeines
|
|
§ 82. Kleidung
|
|
§ 83. 84. Wohnung
|
|
§ 85. Garten, Beschäftigung etc.
|
|
§ 86. Die Feste, Laubtanz etc.
|
|
§ 87. Erntefeste
|
|
§ 88. Kirmeß
|
|
§ 89–96. Bauerregeln
|
|
§ 97. Hausbau und Hochzeit
|
|
§ 98. Taufe und Begräbnis
|
|
§ 99. Lieder und Reime im Volksdialekt
|
[S. 3]
Die Kenntnis von dem Aberglauben, den Sitten und Gebräuchen des deutschen Volkes ist von mehrfacher Bedeutung. Einestheils ruhen darin, zumal in dem Aberglauben, mehr als tausend Jahre alte Reste der heidnischen Religion unserer Väter. Dieselben sind aber bei den spärlichen Quellen, die es für die deutsche Götterlehre giebt, von nicht geringem Werthe, da sie manchen wichtigen Beitrag dazu liefern. Daher spüren die deutschen Mythologen mit regem Eifer diesen Reliquien nach und schöpfen aus ihnen wesentlichen Gewinn für ihre Wissenschaft. Anderentheils ist es für Alle, welche für das Volksleben sich interessiren, sei es von Berufswegen, wie es bei Beamten, Geistlichen, Lehrern u. s. w. der Fall ist, sei es aus einem anderen Grunde, von entschiedenem Nutzen, abergläubische und nicht abergläubische Sitten und Gebräuche zu kennen, theils um jene zu bekämpfen, diese zu veredeln, theils aber auch um überhaupt das Volk richtig zu verstehen und zu beurtheilen. Wie wichtig z. B. die Kenntniß des Aberglaubens für Kirche und Schule sei, geht schon daraus hervor, daß der „evangelische Kirchentag“, als er im Jahre 1858 in Hamburg versammelt war, eingehend sich damit beschäftigte und in Folge dessen die bekannte Schrift von Dr. Wuttke, Professor der Theologie zu Berlin: „der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart“, erschien. Endlich weht uns aus vielen dieser Satzungen und Bräuche, sie mögen nun dem Gebiete des Aberglaubens oder der gewöhnlichen Sitte angehören, ein poetischer Hauch entgegen. Sind sie doch in ihrem letzten Grunde das Ergebnis und der Ausdruck des Volksgemüthes. Darum fließen da die Quellen am reichsten, wo das Volksleben weniger von „dem modernen Aufkläricht und der ausgleichenden Verflachung der Gegenwart“ berührt worden ist.
Aus diesen und anderen Gründen hat man in neuerer Zeit angefangen, derartige Beiträge zur „Naturgeschichte des Volkes“ zu sammeln und bereits besitzen wir in dieser Beziehung werthvolle Monographien über einzelne Gauen und Volksstämme, namentlich Süd- und Westdeutschlands. Unter den wenigen Ländern, welche noch nicht vertreten sind, befindet sich auch unser liebes Sachsenland (und zwar nur das Königreich Sachsen, denn die sächsischen Herzogthümer oder Thüringen und die Provinz Sachsen haben bereits Bearbeiter gefunden), welches doch sonst eine so reiche Literatur über seine Geschichte, Geographie u. s. w. aufzuweisen vermag. Es wird daher gerechtfertigt erscheinen, wenn der Verfasser den Versuch gewagt hat, Material zu einer Ethnographie des sächsischen Volkes in dieser Richtung aus dem Kreise zu sammeln, welchem derselbe durch mehrjährigen Aufenthalt angehörte. Was die geographische Ausdehnung dieses Bezirkes anbelangt, so liegt er etwa von einer Linie, die man von Zwickau im Westen und Saida im Osten zieht, südlich bis zur sächsisch-böhmischen Grenze. Der größte Theil des Stoffes ging dem Verfasser in seiner damaligen Stellung, als Oberlehrer an der Realschule zu Annaberg, von den Schülern der oberen Klassen der Anstalt auf seinerseits geschehene Aufforderung zu und er sagt dafür den bereitwilligen und fleißigen Sammlern nochmals seinen aufrichtigsten Dank. Die den einzelnen Nummern beigefügten Ortsangaben nennen zunächst die Stadt oder das Dorf, welches die Heimat des Mittheilenden war, ohne damit behaupten zu wollen, daß sich das Gesagte nur daselbst finde. Die Sätze, welche gleichlautend von mehreren Seiten eingingen, wurden als „allgemein“ bezeichnet, womit jedoch nicht ausgesprochen sein soll, daß sie in dem ganzen Bezirk ausnahmslos herrschen.
[S. 4]
Auf Vollständigkeit, selbst nur für die bezeichnete Gegend, kann die vorliegende Sammlung um so weniger Anspruch machen, da der Verfasser, ehe er noch zu einer Sichtung und Ordnung der im Laufe von drei Jahren ziemlich zahlreich eingegangenen Beiträge gekommen war, zu Anfang des vorigen Jahres (Januar 1861) in seine gegenwärtige Stellung, als Diakonus nach Pirna, versetzt wurde, in Folge dessen jede noch wünschenswerthe Ergänzung und Erweiterung äußerst umständlich wurde. Es ist daher die vorliegende Arbeit nur als ein Anfang zu betrachten, der zu weiterer Beschaffung von Material aus dem Umfang des Königreichs Sachsen einladen und dessen leichtere Einordnung ermöglichen soll. Wir richten daher an Alle, die ein Interesse an derartigen Forschungen haben oder durch ihre Stellung in vielfache Berührung mit dem Volke kommen, wie Beamte, Aerzte, Geistliche, Lehrer u. s. w., die Bitte, uns mit Beiträgen zu einer umfassenderen Schrift in dieser Richtung unterstützen zu wollen. Außer den aus vorliegender Abhandlung von selbst sich ergebenden Gegenständen bezeichnen wir noch als werthvoll für unsern Zweck: Volkssagen, Volks- und Kinderlieder, Sprüchwörter und sprüchwörtliche Redensarten, Wörter des Volksdialektes, kirchliche und religiöse Sitten und Gebräuche (vergl. S. 45 Anm.) u. dergl. Auch die Angabe, daß dieser oder jener Aberglaube, Sitte und Gebrauch, den wir anführen, hier oder dort ebenfalls verbreitet ist, sowie Mittheilungen behufs der Berichtigung und Vervollständigung des Vorliegenden würden erwünscht sein. Die königliche Hofbuchhandlung von Hermann Burdach in Dresden und die Buchhandlung von Ludwig Nonne in Annaberg sind bereit, etwaige Eingänge an den Unterzeichneten zu übermitteln, wie er denn auch selbst Beiträge gern in Empfang nehmen wird. Entsprechende Honorarzahlung würde seiner Zeit erfolgen.
Schließlich verwahren wir noch das sächsische Obergebirge und insbesondere die häufig angeführten Ortschaften, bezüglich der ersten Abtheilung unserer Abhandlung, gegen die Folgerung, als ob dort der Aberglaube heimischer sei wie anderwärts. Er ist überall zu Hause: man muß ihn nur in der rechten Weise und bei den rechten Leuten zu suchen wissen. Damit ist aber nicht, so wenig wie durch vorliegende Abhandlung bezüglich des Gebirges, behauptet, daß, wo ein Aberglaube vorhanden ist, derselbe auch wirklich überall geglaubt werde, sondern er wird vielfach nur als alte Gewohnheit bewahrt, wohl auch in Erwägung gezogen, ohne ihm in den meisten Fällen große Tragweite beizumessen. Es ist daher aber auch hohe Zeit, diese Nachklänge aus dem Heidenthum unserer Urväter zu sammeln, so lange sie noch ihr Scheinleben fristen.
Bei der zweiten Abtheilung hat uns nebenbei die Absicht geleitet, dem oder jenem Vorurtheil, das, in Bezug auf das Obergebirge, noch verbreitet ist, durch die selbst redende Anführung der bestehenden Verhältnisse und Gewohnheiten entgegenzutreten. Mögen hierin, wie in der ganzen Arbeit, die Leser, welche der in Rede stehenden Gegend angehören, ein Zeugniß erkennen, daß der Verfasser dem Obergebirge fort und fort ein treues Gedächtniß bewahrt.
Pirna, den 31. März 1862.
[S. 5]
Bei Anordnung dieser Abtheilung sind wir meist der Schrift von Dr. Adolf Wuttke, Professor der Theologie zu Berlin: „der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart“ (Hamburg, 1860) gefolgt, weil dieselbe auf diesem Gebiet der Literatur vor der Hand als maßgebend gilt und wir unsere Arbeit nur als einen kleinen Beitrag zur Vervollständigung des bereits dort angesammelten reichen Materials halten. Nur bei den Festzeiten (siehe unter „Schicksalszeiten“) haben wir, um Alles das, was dieselben in abergläubischer Beziehung charakterisirt, nicht zu sehr zu zersplittern, Vieles vorausgenommen, was nach logischer Ordnung unter das Kapitel der Zauberei gehören würde. Abgesehen von dieser, wie wir glauben, gerechtfertigten Inconsequenz liegt vorliegender Abtheilung folgender logischer Plan zu Grunde. Im ersten Kapitel ist zusammengestellt, wann und woraus der Aberglaube das künftige Schicksal zu erkennen sucht. Hier kommen die Schicksalszeiten und Schicksalszeichen zur Sprache. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit dem, was der Aberglaube thut, um Unglück von sich ab- oder Glück sich zuzuwenden, behandelt also die Zauberei und zwar deren Mittel und deren Zweck. Im Uebrigen müssen wir sowohl, was die Rechtfertigung dieser Eintheilung, als die weitere Ausführung und Begründung des Einzelnen anbelangt, auf das Wuttke’sche Buch selbst verweisen.
Bemerkung. Die bei einzelnen Paragraphen in Parenthese beigefügten Zahlen sind die Paragraphenziffern von Wuttke, der deutsche Volksaberglaube. Die mit Sternchen *) bezeichneten Sätze finden sich bei Wuttke nicht, die mit Kreuz †) weichen von dem von ihm Mitgetheilten mehr oder weniger ab.
§ 1 (6 ff.). Schicksalszeiten nennen wir solche, die nach dem Volksaberglauben an und für sich einen glücklichen oder unglücklichen Einfluß auf Schicksal und Thun des Menschen ausüben und die ihm daher im Voraus einen Blick in den Ausgang eines in solch eine Zeit fallenden Ereignisses gestatten, sowie durch klügliche Benutzung solcher Weisheit es ihm ermöglichen, Glück sich zuzuwenden oder Unglück von sich abzuwehren.
§ 2. Bezüglich des einzelnen Tages hat der Vormittag den Vorzug vor dem Nachmittag.
[S. 6]
1. Es ist besser, Vormittag zu säen, als Nachmittag (Frohnau), vgl. 468. — * 2. Wenn man einen Tag lang Kartoffeln legt, so werden diejenigen, welche Vormittag gelegt sind, besser gedeihen, als die vom Nachmittag (Sosa), vgl. 5, 178 u. 468.
§ 3. Unter den einzelnen Wochentagen giebt es Glücks- und Unglückstage, doch scheint keine volle Uebereinstimmung darüber zu herrschen, welche Tage heil- oder unheilbringend auf das an ihnen Unternommene einwirken. Glückstage sind insbesondere der Sonntag und Dienstag, Unglückstage der Donnerstag (als Tag des Donnergottes Thor) und der Sonnabend. Montag ist vorbedeutend für die ganze Woche. Freitag gilt, je nachdem die heidnische (Tag der Liebesgöttin Freya) oder die christliche (Todestag des Herrn) Anschauung zu Grunde liegt, als Glücks- oder als Unglückstag.
* 3. Das Vieh soll an einem Sonntag, Dienstag, Donnerstag oder Sonnabend zum ersten Mal ausgetrieben werden (Saida), vgl. 464. — * 4. Mittwoch und Sonnabend sind die besten Tage zum Waizensäen (Ehrenfriedersdorf, Frohnau), vgl. 468. — * 5. Nimmt man Montag Vormittag kein Geld ein, so nimmt man die ganze Woche hindurch wenig ein (Ehrenfriedersdorf), vgl. 229 ff. — * 6. Montags soll man nichts wegborgen (Geiersdorf). — † 7. Guckt Jemand Montags früh bei seinem Nachbar zum Fenster herein, so bringt dies für die ganze Woche Unglück (Grünstädtel). Mehr Sinn hat das, was Wuttke § 46 anführt: „Betritt Montags ein Jude als der erste das Haus, so giebt es einen Proceß“ (Franken). — 8. Nur Freitags soll man die Nägel abschneiden (allgemein), vgl. 121 u. 399. — * 9. Wenn man Freitags Brod in den Ofen legt, so entsteht Zank (Raschau), vgl. 178 u. 397.
§ 4 (12). Durch das ganze Jahr zieht sich außerdem eine Reihe bestimmter Tage, die von besonderem Einfluß und Bedeutung sind und deren abergläubische Wichtigkeit ihren letzten Grund nicht in christlicher Sitte, sondern in dem Heidenthum unserer Urväter hat.
§ 5 (13 ff.). Weihnachtszeit. Unter solchen Schicksalstagen stehen die Tage vom Weihnachtsheiligenabend bis zum hohen Neujahr voran. Da feierten die alten Deutschen das Fest der Wintersonnenwende und meinten, die Götter hielten ihren Umzug über die Erde. Diese Tage heißen zusammen die Zwölfnächte, die zwölf heiligen Nächte, die Zwölften, die Unternächte, die Internächte, die Innernächte, die Loostage. Man rüstet sich zu denselben durch Reinlichkeit in Stall, Haus und an eigner Person und verrichtet während derselben keine Arbeit, namentlich keine landwirthschaftliche. Bestimmte Speisen sind zu genießen, andere zu meiden und auch die Hausthiere und die Obstbäume des Gartens werden in die Festfreude hereingezogen. Diese Tage sind, weil die Götter zur Erde niedersteigen, in ihrer Witterung und in den gewöhnlichsten Erlebnissen vorbedeutend für das ganze Jahr und Träume, sowie andere Schicksalszeichen öffnen einen Blick in die Zukunft. Je mehr man aber im Laufe der Zeit den Ursprung dieser Gebräuche vergaß, desto mehr hat man, den aus dem heidnischen Alterthum stammenden Aberglauben im christlichen Sinne umdeutend, ihn auf einzelne Tage unter den Zwölften beschränkt, namentlich auf die den drei hohen Festen der Weihnachtszeit, dem ersten Feiertag, dem Neujahr und hohen Neujahr (vgl. 325) vorangehenden Tage, die sogenannten drei heiligen Abende und unter diesen nehmen wieder der Weihnachtsheiligeabend (24. December) und der Neujahrsheiligeabend oder Sylvester (31. December) die hervorragendste Stelle ein. Vgl. § 48–52 und 99.
§ 6 a. Ordnung und Reinlichkeit in Stall und Haus (vgl. § 8 d, aa). * 10. Der Dünger wird am Tage vor dem heiligen Abend zierlich mit der Mistgabel geflochten (vgl. 13, 414 u. 670) und die Asche aus dem Ofen genommen (Grünstädtel). — Man streut Stroh in die frisch gescheuerten Stuben, um den Stall darzustellen (Lauter, Sehma). Die mit dem Stroh zusammenhängenden Gebräuche in der Weihnachtszeit (vgl. 19) scheinen aus den heidnischen Opfern, die unsere Vorfahren zu dieser Zeit[S. 7] darbrachten, um ein fruchtbares Jahr von den Göttern zu erlangen, entstanden zu sein. Vgl. 672 und „die Zwölften in Thüringen“, Aufsatz in der illustrirten Zeitung 1861, Nr. 965.
b. Reinlichkeit in Kleidung etc. * 11. Man zieht am heiligen Abend neuwaschene Strümpfe an (Grünstädtel) oder man bekleidet sich am Neujahrsmorgen mit etwas Neuem (Marienberg), vgl. 71, 398 u. 445. In Hessen ist, nach Wuttke § 15, letzteres dagegen verboten.
c. Heilige Ruhezeit. † 12. Während der Zwölfnächte wird nicht gedroschen (Marienberg); auch darf man nicht klöppeln, denn die Klöpplerinnen würden ihre Spitzen beschmutzen (Grünstädtel). Es ist dies moderne Umdeutung des heidnischen Aberglaubens, daß während der Zwölfnächte nicht gesponnen werden dürfe, sonst kommt Wodan oder die Frigga und zerzaust oder beschmutzt das Gespinnst. — * 13. Man hüte sich am Weihnachtsheiligenabend mit dem Dünger in Berührung zu kommen, dies bedeutet Miswachs (Marienberg), vgl. 10, 104 u. 397.
d. Bestimmte Speisen (vgl. 72 ff. u. § 49, i). † 14. Es werden neunerlei oder siebenerlei (beides heilige Zahlen) Speisen gegessen; doch begnügt man sich auch mit wenigeren. Dennoch aber hält man an bestimmten Gerichten fest (vgl. 398 u. 445), namentlich am Christabend. Die gewöhnlichsten sind: 1. Bratwurst oder Schweinebraten (vgl. § 21, e) mit Linsen, letztere, damit man viel Geld einnimmt, sowie 2. Häring mit Aepfelsalat. Die übrigen gebräuchlichsten sind etwa: 3. Grütze- oder Hirsebrei (vgl. § 23, q), damit das Geld nicht ausgeht; 4. Buttermilch, damit man keine Kopfschmerzen bekommt, oder Semmelmilch, damit die Spitzen weiß bleiben (Raschau); 5. Rothrübensalat, damit man rothe Backen behält, oder Krautsalat oder Erdäpfelsalat; 6. Süßkraut, damit die Arbeit leicht werde, oder Sauerkraut mit Braten oder Wurst, auch Karpfen, Schöpsenfleisch und Weißkraut; 7. Klöse, damit viel Thaler einkommen; 8. getrocknete Pilze oder Schwämme, sauer oder gedämpft; 9. gebackene Pflaumen, vgl. Wuttke § 14. — † 15. Ueber die Speisen, die zu meiden sind, ist man ebenfalls nicht ganz einig. Während unter den vorgeschriebenen Gerichten sich hie und da auch Suppe, namentlich Biersuppe mit Mandeln und Erdäpfeln (als Klöse, Salat, Brei) finden, behaupten Andere: Man genieße keine Suppe, sonst tropft die Nase das Jahr hindurch (Ehrenfriedersdorf) und man esse keine Kartoffeln, sonst bekommt man Schwäre (Sosa). Letztere Wirkung wird auch den Erbsen zugeschrieben (Annaberg, auch Wuttke § 13). Zum Weihnachtsheiligenabend ist Saures, z. B. Salat (s. o.), erlaubt, dagegen Sylvester und Neujahr verboten (Marienberg), vgl. 397.
e. Hausthiere. * 16. Auch das Vieh muß seinen Antheil bekommen. — Die Kühe werden mit vielerlei Futter reichlich gefüttert und zwar mit dreierlei Fleisch, allerlei Gewürz, Wurzeln und Kräutern. Außerdem bekommen sie an jedem heiligen Abend etwas Nußkern auf Brod gesteckt mit Salz. Den Ziegen giebt man Häringsköpfe und Häringsmilch. Auch Pfeffer und Räucherkerzenasche oder ein Kräuterpulver, das in Bockau bei Schwarzenberg bereitet wird, streut man den Thieren unter das Futter. Befolgt man diese Regeln, so giebt das Vieh gute und reichliche Milch und bleibt vor Krankheit und Hexerei verschont (allg.), vgl. 76, 96, 426 u. 462 ff. — * 17. Man lasse (am Sylvester) die Pferde in die Röhre sehen, dann geräth der Hafer (Zöblitz), vgl. 428 u. 470. — 18. Man füttere die Hühner mit Hirse (§ 23, q) oder innerhalb eines Reifens, dann legen sie die Eier nicht weiter (allg.), vgl. 50, 78 u. 432.
f. Obstbäume. † 19. Die Obstbäume werden, damit sie reichlich tragen, beschenkt, d. h. der Hausherr umbindet sie in der Mitternachts- oder wenigstens in einer Abendstunde mit einem Strohseile (vgl. 10), wobei er den Spruch: „Wachse immer fort, Gott segne deine Frucht“ oder einen ähnlichen betet und dann den Baum dreimal im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes bekreuzt (allg.); oder man bindet den Obstbäumen etwas mittelst eines Tuches um. Das Tuch läßt man am Baume verfaulen (Geier), vgl. 81, 421 u. 465.
g. Witterung. 20. Wie die Witterung in jeder der Zwölften ist, so ist sie in dem entsprechenden Monat des Jahres (allg.). — 21. „Ist auf Weihnachten viel Wind, im nächsten Jahr voll Obst die Bäume sind“ (Annaberg). Wodan, der wilde Jäger, schüttelt die Bäume. — * 22. Wenn die Obstbäume während der Innernächte viel Schnee tragen, wird viel Obst (Frohnau, Raschau). — * 23. Wenn es in den zwölf Nächten nicht von den Dächern tropft (d. h. thaut oder regnet), so geben die Kühe wenig Milch (Marienberg). — * 24. Geht starker Wind, so wird Krieg (Raschau) oder viel Schadenfeuer (Saida). Vgl. auch 791–793.
[S. 8]
h. Träume (vgl. § 29): 25. Was man je in diesen Nächten träumt, geht in den entsprechenden Monaten in Erfüllung (allg.), doch darf man die Träume Niemandem erzählen (Schneeberg), vgl. 281.
i. Andere Anzeichen und Vorbedeutungen: * 26. Werden zufällig drei Lichter auf den Tisch gesetzt, so ist eine Braut im Hause (Raschau); gilt auch zu anderer Zeit, vgl. 240 u. 499. — * 27. Wer das Licht aus Versehen auslöscht oder ausputzt, stirbt (Johann-Georgenstadt) oder es stirbt Jemand aus der Familie (Geier), vgl. 276 u. 530. — † 28. Hat (am Sylvester) Jemandes Schatten an der Wand einen großen Kopf, so bedeutet es Glück (Marienberg); erscheint dagegen Jemandes Schatten ohne Kopf, so stirbt der betreffende im neuen Jahre (Annaberg, Raschau). Letzteres scheint mit dem von Wuttke § 63 angeführten Aberglauben Tirols zusammenzuhängen, daß gewisse Leute in der Sylvester-Mitternacht die, welche im neuen Jahre sterben, um den Altar der Kirche zum Opfer gehen sehen; erblicken sie ihre eigne Gestalt ohne Kopf, so sterben sie selbst. — 29. Es ist nicht gut, wenn etwas von der Wand fällt (Marienberg); gilt auch zu anderer Zeit, vgl. 247; oder wenn man etwas zerbricht (Marienberg, Annaberg) oder sich ärgert oder eine taube Nuß bekommt (allg.), vgl. 291. — * 30. Wird (zum Sylvester) am letzten Brode gegessen, so wird das ganze Jahr nur Ein Brod im Hause sein (Elterlein), vgl. 397. — * 31. Auch soll man nicht mangeln (mandeln), sonst hat man Mangel (Annaberg); bloßer Wortwitz. — * 32. Wer beim Ankleiden zufällig etwas (z. B. die Weste) verkehrt anzieht, dem geht es im neuen Jahre verkehrt (Elterlein), vgl. 276. — * 33. Läßt man das Feuer im Ofen ausgehen, so geht das Geld im Laufe des Jahres aus (Geier), vgl. 276. — * 34. Wer sich beim Gebete verspricht, stirbt in dem Jahre (Raschau), vgl. 276, 397 u. 530. — * 35. Wer (am Sylvester) recht arbeitet, ist das ganze Jahr fleißig (Sosa), vgl. 455. — * 36. Fällt in der Weihnachts- oder Sylvestermette (vgl. § 49 und § 51) während der Predigt ein Sitzbret in der Kirche um, so stirbt bald Jemand (Ehrenfriedersdorf), vgl. 254 u. 530. — * 37. Neigt sich während dieser Mette ein Licht auf dem Kronleuchter seitwärts, so bricht in dem nach dieser Richtung zunächst gelegenen Orte im folgenden Jahre ein großes Feuer aus (Elterlein), vgl. 256 u. 257.
k. Erforschen der Zukunft: 38. Man gießt Blei, setzt Korn- oder Salzhäufchen, wirft den Pantoffel, Aepfelschalen, guckt in die Esse, horcht auf das Geräusch, welches der Ofentopf macht oder draußen an einem Fensterladen, läßt Nußschalen schwimmen u. s. w. (allg.). Vgl. 227, 216, 288–294, 296–307, 309–315, 318–322.
l. Andere Maßregeln: * 39. Man koche reichlich (Grünstädtel), vgl. 446. — * 40. Man brenne keine ungerade Zahl Lichter auf dem Christbaum (Zwickau), vgl. 397. — * 41. Man esse auf dem Säetuch (Grumbach, Mauersberg, Lauta bei Marienberg). — † 42. Es darf nicht eine ungerade Zahl von Personen, namentlich nicht dreizehn, zu Tische sitzen, sonst stirbt Eines davon im Laufe des Jahres (allg.); gilt auch überhaupt, vgl. 234, 397 u. 530. — * 43. Man schneide an jedem der drei heiligen Abende ein neues Brod an (Elterlein), vgl. 446. — * 44. Wer viel Suppe ißt, lebt lange (allg.); gilt auch überhaupt, vgl. 242 u. 451. — * 45. Man esse von den verschiedenen Speisen mindestens je drei Löffel voll (Elterlein), vgl. 446 u. 484. — * 46. Wer am längsten ißt, lebt am längsten (Ehrenfriedersdorf), vgl. 451. — * 47. Man esse sich recht satt, dann hungert man das ganze Jahr nicht (Zwickau). — * 48. Man trinke viel Bier, damit man stark werde (Marienberg), vgl. 74 u. 454. — * 49. Kein Gericht werde ganz aufgegessen, dann hat man immer gefüllte Küche (Elterlein), vgl. 376 u. 447. — * 50. Während des Essens darf Niemand vom Tische aufstehen (Ehrenfriedersdorf), vgl. 397; oder wenn man eher aufsteht, als die Anderen, verlegen die Hühner (Voigtsdorf), vgl. 18, 78 u. 432. — 51. Man verborge, verkaufe oder verschenke nichts, sonst giebt man den Segen weg oder wird verhext (allg.), vgl. 118, 132, 171, 386 u. 389. — * 52. Wenn man sich das Licht bei einem Andern anzündet, so bedanke man sich nicht (Ehrenfriedersdorf), vgl. 393 u. 397. — * 53. Man gebe (am Neujahrstage) kein Geld aus (Marienberg), vgl. 397 u. 457. — † 54. Man halte den Ofentopf immer voll Wasser (Annaberg, Geier), vgl. 446. — * 55. Man verschneide sich weder Nägel noch Haare, sonst bekommt man böse Gliedmaßen (Schwarzenberg), vgl. 397. — * 56. Wenn man zur Metten (vgl. 36 u. 37) geht, nehme man das heilige Abendlicht (vgl. 58) nicht vom Tische weg, sonst stirbt man in dem neuen Jahre (Raschau), vgl. 397 u. 530.
m. Als Erinnerung an den Umzug der Götter in dieser Zeit kann Folgendes gelten, was namentlich am Christabend beobachtet wird. — 57. Die Reste der Speisen läßt man die Nacht über auf dem Tische stehen oder wenigstens das in das Tischtuch eingeschlagene Brod daselbst liegen (allg.),[S. 9] damit die Abgeschiedenen — oder vielmehr die auf Erden weilenden Götter — davon genießen können (Sehma), oder damit es das ganze Jahr nicht an Brod fehle (Elterlein). — * 58. Man brennt das sogenannte Heiligabendlicht, ein starkes Inseltlicht, welches während des Abendessens auf dem Tische bleibt und nicht hinweggenommen werden darf. Der Rest des Lichtes wird aufgehoben und bewahrt das Haus vor Blitzschlag (allg.), vgl. 334 u. 420. — * 59. Man reinige die Tenne in der Scheune sorgfältig, weil die Abgeschiedenen — die Götter, vgl. 57 — um Mitternacht dort tanzen (Annaberg) oder ihre Metten halten (Raschau). — 60. Alles Wasser verwandelt sich Nachts zwölf Uhr in Wein (allg.), vgl. 100. — 60 b. Am zweiten Weihnachtsfeiertag gehen die Burschen zu den Jungfrauen: „Frischgrün-Peitschen,“ d. h. sie schlagen dieselben mit ausgeschlagenen Birkenruthen, die mit einem rothen Bande zusammengebunden sind. Dafür werden sie mit Stollen bewirthet. Am dritten Weihnachtsfeiertag thun die Jungfrauen den Burschen desgl. (Zwickau), vgl. 93 und „die Zwölften in Thüringen,“ Aufsatz in der illustrirten Zeitung, 1861, Nr. 965.
Aus den Tagen des Januar genießt noch der sogenannte „Knotentag“ Beachtung.
* 61. Am Knotentage, d. i. am Tage Fabian Sebastian (20. Januar) darf man keine Pflanzen stecken (Mittweida), vgl. 397 und auch 698–705.
§ 7 (27). Fastnacht. Im Laufe des Februar begingen die alten Deutschen eine Vorfeier des Frühlings, die entweder je nach der nördlicheren oder südlicheren Lage in die erste oder in die zweite Hälfte des Monats fiel und deren Festlichkeiten später meist zu Fastnacht vereinigt wurden. Es fand nach altdeutscher Mythologie der Götterumzug der Hertha statt, der im Umzug der Priester und des Volkes nachgeahmt und jetzt noch in den Fastnachtsmummereien und den um „Kräppel“ bettelnden Kindern einen schwachen, entstellten Nachhall findet. Mancher Aberglaube der Weihnachtszeit, wo Wodan mit den Göttern dahinbrauste (vgl. 21), wiederholte sich daher hier, nur daß die Beziehung auf Hertha, als der Beschützerin häuslicher Geschäfte und namentlich des Flachsbaues, deutlicher hervortritt. Pfannkuchen und Fastenbretzeln, Gebäcke, die insbesondere zu Fastnacht gebacken und verspeist werden, sind wohl als Ueberreste heidnischer Opfer- und Festgerichte, jene als Abbilder der Sonnenscheibe, diese des Sonnenrades mit den Radspeichen oder von Thor’s Hammer (Wuttke § 27) zu betrachten, die man christlich in Erinnerungszeichen an den Schwamm, mit dem Christus getränkt und in die Fessel, mit der er gebunden wurde, umdeutete. Daß auch die Fastnacht vorbedeutend für die Zukunft sei, lag nach der heidnischen Auffassung unserer Urväter nahe. Vgl. § 53 u. Friedrich, norddeutsche Fastnachtsgebräuche, Aufsatz in den Hausblättern von Hackländer und Höfer (Stuttgart), 1860. 5. Heft.
§ 8 (27). a. Frühlingsfest oder Festfeier der Sonne (?): * 62. Man baut Schneehütten, die man Abends mit inwendig aufgestellten Lichtern erleuchtet, die durch die hie und da dünngeschabten Wände hindurchschimmern (Marienberg).
b. Mummereien: 63. Abgesehen von etwaigen Maskenbällen und andern Lustbarkeiten, kleiden sich Kinder in altmodische oder sonst entstellende Tracht (Tiroler, Soldat, Handwerksbursche, Handelsmann und dergl. sind die gewöhnlichsten Verkleidungen) und überraschen am Nachmittag als „Fastnachtsnarren“ (vgl. § 53) bekannte und befreundete Familien; ärmere ziehen wohl auch von dem Lärm der Gassenjugend begleitet von Haus zu Haus, um ein paar Pfennige zu verdienen. — * 64. Auf Dörfern (Raschau, Pöhla) kommt zuweilen noch ein sonderbarer Umzug vor, zwei Bursche, der eine auf dem anderen, der auf allen Vieren geht und in Form eines Thieres ausgestopft ist, reitend, stellen zusammen Reiter und Roß vor und so wandert man in Begleitung der Genossen von Haus zu Haus. — * 65. Der Bretzeljunge erscheint am Fastnachtsdienstag abenteuerlich ausstaffirt, z. B. mit geschminktem Gesicht und angeklebtem Schnurrbart, auf dem Kopf ein dreieckiger Hut mit einem großen Busch rother Papierstreifen als Federstutz, schwarze Jacke, auf der Brust mit weißer Schleife, weite Kniehosen, weiße Strümpfe und Schnallenschuhe. — Hin und wieder sieht man auch ein mit Pfann[S. 10]kuchen hausirendes Mädchen mit einem schief auf dem Kopf sitzenden Tyrolerhut, unter dem die langen künstlich geflochtenen Haarzöpfe herunterhängen, mit einem grünen Jäckchen, schwarzem mit bunten Streifen besetzten Rock, weißen Strümpfen und Schnürstiefeln (vgl. 589).
c. „Kräppelschießen.“ * 66. Aermere Kinder, die sich meist auch verkleidet haben, gehen mit vorn gespitzten Stöckchen zu den Bauern, um Pfannkuchen, auch Krapfen oder „Kräppel“ geheißen, zu erbetteln. Man nennt dieses Ansprechen „Kräppel schießen“ oder „Spießeinrecken,“ weil, was den letzteren Ausdruck anbelangt, dabei die Bittenden ihre Stäbchen oder „Spieße“ durch die halbgeöffnete Stubenthüre hereinhalten. Dabei werden gewisse Liedchen gesungen oder gesprochen, vgl. § 99.
d. Aehnliche Gebräuche wie Weihnachten: aa) Reinlichkeit vergl. § 6 a. b.: * 67. Man kehre den Schmutz aus allen vier Ecken der Stube, dann bleibt man vor Ungeziefer bewahrt (Marienberg). — * 68. Tags vorher (Montag) werden alle Stuben, der Boden und den Hausflur gewaschen, sowie der Stall gereinigt (Sehma), vgl. 446. — * 69. Die Fenster werden von innen und außen gewaschen, dann werden sie im Sommer nicht so sehr von den Fliegen beschmutzt (Sehma), vgl. 410. — * 70. Man wasche Wäsche, dann wird sie recht weiß (Schwarzenberg), vgl. 447. — * 71. Man ziehe, wenn man Abends zu Tanze geht, ein neues Kleidungsstück, mindestens weiße Wäsche an (Sehma), vgl. 11, 398 u. 445.
bb. Bestimmte Speisen, vgl. 14 ff. 72. Allgemein ißt man (vgl. 398, 445 u. 589) besonders an diesem Tage Pfannkuchen und Bretzeln. In den Familien werden außer Pfannkuchen, wohl auch Hefenklöse oder Haferstollen als Zukost zum Kaffee gebacken. — † 73. Hie und da sind Mittag neunerlei oder siebenerlei Gerichte gebräuchlich oder wenigstens bestimmte Speisen, namentlich (vgl. § 21, e) Schweinefleisch mit Sauerkraut, geräuchertes Schweinefleisch mit Erbsen, Bratwurst mit Kartoffelbrei, Blutwurst mit Linsen, Häring mit Kartoffelsalat, Graupen, Grütze oder Hirsebrei (§ 23, q.), Klöse, gebackene Pflaumen. — * 74. Auch soll man viel Bier (vgl. 48) oder Warmbier trinken, sonst nehmen die Kräfte ab und man stirbt in dem Jahre, vgl. 530. — * 75. Man esse nicht viel Butter, sonst stoßen einen die Kühe, vgl. 397.
cc. Hausthiere: * 76. Die Kühe, Ochsen und Pferde bekommen Abends jedes ein Stück Brod, auf welches sogenanntes Bockauer Gesundheitspulver, mit Salz vermengt, gestreut ist, damit dieselben stark und gesund bleiben (Raschau), vgl. 16, 96, 397, 426 u. 462 ff. — * 77. Man führe das Vieh nicht aus dem Stall, weil man sonst keinen glücklichen Kauf thut (Annaberg, Raschau). — † 78. Vor Sonnenaufgang füttere man die Hühner innerhalb eines Reifens, oder flechte aus Stroh ein Hühnernest und stecke es dreimal, indem man sagt: „Bleib beim Haus, wie’s Bein beim Leib,“ durch die Beine, dann verlegen die Hennen die Eier nicht (Frohnau, Marienberg), vgl. 18 u. 432. — * 79. Nach dem Abendessen oder um Mitternacht verstutzt man den Hühnern Flügel und Schwanz (Sehma, Raschau), vgl. 464.
dd. Obstbäume und Feldfrüchte, namentlich Flachs: * 80. Man beschneide die Obstbäume, dann kommen die Raupen nicht hinauf (Annaberg), vgl. 422 u. 465. — † 81. Man behänge die Obstbäume mit Strohkränzen, dann tragen sie reichlich (Jöhstadt, Marienberg), vgl. 19, 421, 465 und Wuttke § 320. — * 82. Vor Sonnenaufgang binde man Strohbänder, dann kommen keine Mäuse in das Getreide (Frohnau), vgl. 412. — † 83. Damit der Flachs gerathe, binde man zu den Arbeiten am Tage eine blaue Leinwandschürze um (Raschau, Lauter), verstecke am Abend die Spinnräder und tanze daheim (Zöblitz) oder gehe zu Tanze in die Schänke (vgl. § 53), wozu die Hausfrau eine weiße Leinwandschürze umbinde. Dabei springe man recht hoch, d. h. man mache den sogenannten „Fosentsprung“ (Fastnachtssprung). Oder die Tänzer heben die Tänzerinnen in die Höhe und rufen dabei: „nätt wahr, su lank muß der Flachs wär’n“ (allg.), vgl. 471. — 84. Fastnacht — oder auch Sylvester — Mitternachts 12 Uhr mit dem ersten Schlage springe die älteste Jungfrau des Hauses in ihrer Kammer auf den Tisch und mit dem letzten Schlage rückwärts herunter; so hoch wächst der Flachs (Annaberg, Raschau, Sehma), vgl. 471.
ee. Witterung: * 85. Wenn Fastnacht die Sonne scheint, gedeiht der Flachs (Ehrenfriedersdorf, Mildenau), oder genauer: ist am Tage Sonnenschein, Abends aber Regen oder Thauwetter („tropft es vom Zaune“), so gedeiht der Flachs (Sehma, Raschau), vgl. 723.
§ 9 (27). An Fastnacht schließt sich unmittelbar die Aschermittwoch und daher hat man auch diese in den Kreis des Aberglaubens gezogen, vgl. 593 ff.
[S. 11]
86. Man zerstöre die Maulwurfshaufen, damit die Saat gedeihe (Marienberg), vgl. 422 u. 467. — * 87. Man wasche die Stube nicht, sonst wird sie grau (Geier), vgl. 397.
§ 10 (20). Osterzeit. Die eigentliche Frühlingsfeier fiel bei den alten Deutschen in den Monat April und die Erinnerungen daran finden sich noch vielfach an dem in diese Zeit verlegten Osterfeste mit dem ihm vorangehenden Gründonnerstag und Charfreitag. Vgl.: „Deutsche Volksgebräuche der Osterzeit,“ Aufsatz in der illustrirten Zeitung, 1860, Nr. 875.
Dies heidnische Osterfest (der Name von Ostara, der deutschen Erd- oder Frühlingsgöttin) galt hauptsächlich als Fest der Keime, die beim Beginn des Frühlings der Erde anvertraut werden, und Reste dieser Feier des wiedererwachten Naturlebens finden sich noch in dem bis auf den heutigen Tag gebräuchlichen Osterfeuer, den Ostereiern, dem Osterwasser u. s. w.
a. Osterfeuer: 88. Es werden Freudenfeuer angezündet. Dies ist jedoch nur vereinzelt der Fall; zahlreicher geschieht es zu Walpurgis (vgl. 129) und hie und da auch zum Johannisabend. Als moderne Zugabe wird auch zu Ostern mit Böllern, Pistolen etc. geschossen.
b. Ostereier, vgl. Gründonnerstag 110 u. 598.
c. Osterwasser: 89. Man holt früh am ersten Osterfeiertage fließendes Wasser, ohne auf dem Hin- und Herwege mit Jemandem zu sprechen (allg.). Ehe man das Wasser schöpft, bete man mit entblößtem Haupte ein stilles Vaterunser, dann schöpfe man das Wasser und bekreuze sich (Marienberg). — † 90. Man wäscht sich mit diesem Wasser, wodurch man vor Krankheiten, namentlich Hautkrankheiten, bewahrt bleibt (allg.), und von Krankheiten, mit denen man behaftet ist, befreit wird (Geier); kranke Kinder werden darin gebadet (Lauter); das Brod damit bestrichen (Lößnitz), vgl. 398, 399, 440, 445, 498. — 91. Das Osterwasser kann man viele Jahre aufheben, ohne daß es verdirbt (Sehma, Lößnitz). — 92. Das Wasserholen kann auch am Gründonnerstag, Charfreitag geschehen, und am zweiten Feiertage wiederholt werden (Lößnitz), vgl. 112, 113 u. § 38 A a.
d. Andere Gebräuche: * 93. Knechte, Mägde und Kinder treiben frühzeitig die Langschläfer mit „Gerten“ von Birkenreisern aus dem Bett (allg.), vgl. 455. Dieser Gebrauch findet sich anderwärts zu Weihnachten oder Fastnacht, vgl. 60 b. — * 94. Am zweiten Feiertag soll man sich peitschen oder peitschen lassen, dann thuen im ganzen Jahre die Beine nicht weh (Sosa), vgl. 399. — † 95. Am Ostermorgen steckt man in den Ställen grüne Tannenzweige (vgl. § 38 A g.) auf, um das Vieh vor den Hexen zu sichern (Saida), vgl. 413 u. 427. Nach Wuttke (§ 223) legt man in Schlesien zu diesem Zweck Fichtenreiser vor die Ställe. — * 96. Die Kühe bekommen vor Sonnenaufgang Bockaer Kräuterpulver, damit sie nicht behext werden (Sehma), vgl. 16, 76 u. 426. — * 97. Man fährt vor Sonnenaufgang Asche auf das Feld, dessen Fruchtbarkeit dadurch befördert wird (Lauter), vgl. 466.
e. Speisen: * 98. Mittags ißt man „Ostersuppe“, d. i. Biersuppe, aus Bier oder Kovent, Eiern, Milch, Rosinen und Brod bestehend (allg.). — * 99. Zum Frühstück hat man vom Gründonnerstag an „Osterbrödchen“, ein Semmelgebäck mit Anis und Fenchel (Lauter, Lößnitz), vgl. 398 u. 445.
f. * 100. Das Wasser hat sich bis früh vor drei Uhr in Wein verwandelt (Raschau), vgl. 60. Dasselbe führt auch Montanus, die deutschen Volksfeste etc. (Iserlohn und Elberfeld 1854), 1. Bdchen. S. 26, an: „Auch geht eine alte Sage, daß in der Osternacht alle Wasser zu Wein würden, ähnlich der Christnacht.“ — Ueber die Witterung vgl. 736–738.
§ 11 (21). Gründonnerstag und Charfreitag haben viele Gebräuche, die ebenfalls an die altdeutsche Frühlingsfeier, und überhaupt an heidnische Ursprünge, vermischt mit christlichen Elementen, erinnern. Der abergläubischen Bedeutung der Charwoche dagegen liegt deren Feier im christlichen Sinne zu Grunde.
a. Die Charwoche (Char vom altdeutschen kara d. i. Trauer) empfing den Begriff der Sühnung oder des vorbedeutenden Unglücks.
* 101. Stirbt Jemand in der Marterwoche, so machen die Gewitter im Laufe des Jahres keinen Schaden (Mildenau), vgl. 125, 420 u. 532. — * 102. Die in dieser Woche getauften Kinder sind unglücklich (Mildenau), vgl. 397 u. 480. — * 103. Man nehme keinen Aus- oder Einzug vor[S. 12] (Lauter), vgl. 397. — † 104. Man fahre keinen Dünger (Raschau), vgl. 13 u. 397. Nach Wuttke, § 27, gilt dasselbe in Hessen zur Fastnacht. — † 105. Man wasche keine Wäsche; geschieht es mit der Wäsche eines Bergmanns, so verunglückt derselbe (Sosa); auch hänge man kein gewaschenes Bettzeug in’s Freie (Lauter), vgl. 397 u. 530. Aehnlich nach Wuttke, § 17, in Mecklenburg am Johannistage: „man lasse keine Wäsche im Freien, weil der, welcher sie dann auf dem Leibe trägt, den Krebsschaden bekommt.“
b. Gründonnerstag. Der Name rührt von der altdeutschen Sitte her, an diesem Tage einen Muß aus neunerlei frischen Kräutern (Bachbungen veronica beccabunga, Brunnenkresse sisymbrium nasturtium, Schlüsselblumen primula veris, Hollundersprossen sambucus nigra, Gierenblätter sium sisarum, Frauenmantel alchemilla, Lauch allium, Nessel urtica, Kukuksmus oxalis) zu essen. Als Sinnbilder der Fruchtbarkeit opferte und aß man Eier mit den Farben der Sonne gelb und roth bemalt. — † 106. Man sammle Kräuter, diese helfen gegen dicke Hälse; gilt auch vom Charfreitag, vgl. 122 u. 435. — † 107. Wenn man Weizen vor Sonnenaufgang säet, so gedeiht er gut (Raschau), vgl. 468. — † 108. Die ersten Kartoffeln muß man am Gründonnerstag legen (Frohnau, Raschau), vgl. 468. — * 109. Wenn es am Gründonnerstag während der Nacht gefroren hat, so friert es vierzig Nächte hindurch. Friert es aber auch am Charfreitag (128), so gehen von den vierzig Nächten zwanzig zurück und die anderen sind für das Feld nicht gefährlich (Raschau).
110. Ostereier (vgl. § 10): Es werden hart gesottene Eier, meist bunt gefärbt, gegessen (allg.), vgl. 398 u. 445. Man versteckt dieselben und läßt sie von den Kindern suchen (Marienberg). — † 111. Die Männer müssen vor Sonnenaufgang ein gestoßenes Gänseei essen, so nehmen sie bei schweren Arbeiten keinen Schaden (vgl. 123), bekommen keine Kreuzschmerzen (Raschau, vgl. 399), es sticht sie kein giftiger Wurm (Zschopau), es begegnet ihnen überhaupt kein Unfall (Lauter). Letztere Wirkung hat auch das Ei einer schwarzen Henne (Annaberg).
112. Osterwasser wird geholt (vgl. 92), sowie Osterbrödchen (Raschau) gegessen, vgl. 99.
c. Charfreitag: † 113. Charfreitag, Nachts 12 Uhr, soll man sich mit Bachwasser waschen, dann bekommt man keinen Ausschlag (Sosa), vgl. 90, 92 u. 399. — † 114. Fingerringe aus Eisen geschmiedet, welches man am Charfreitag, Nachts 12 Uhr von Särgen geholt hat, schützen gegen Gespenster (Sosa), vgl. 407. Aehnliches berichtet die illustrirte Zeitung, 1860, Nr. 875 aus Schwaben: „Am Charfreitag muß der Zauberschlüssel aus den Nägeln eines Todtensarges geschmiedet werden, mit dem man den Teufel bannen kann.“ Vgl. auch Wuttke § 156. — * 115. Man fange vor Sonnenaufgang eine Kröte (vgl. § 38 s.), schlachte und dörre sie. Das daraus gestoßene Pulver sichert vor allen Nachstellungen und Ertapptwerden (Annaberg), vgl. 407. — * 116. Man fange einen Raben, schlachte ihn und dörre das Herz. Das daraus gestoßene Pulver unter das Schießpulver gemischt, macht, daß man sicher trifft (Marienberg), vgl. § 38 r. 407 und 474. — * 117. Der Rahmtopf muß leer sein, dann kommen keine Hexen hinein (Sosa), vgl. 408. — * 118. Man verkaufe nach 6 Uhr Abends keine Milch, sonst kommen Hexen in den Stall (Raschau, Sosa). Gilt auch Walpurgis und Andreas; ähnlich in den zwölf Nächten, vgl. 51, 132, 171, 389 u. 397. Wuttke führt dasselbe § 17 für Lausitz und Schlesien vom Johannistage an. — † 119. Wenn man am Charfreitag an Stellen kommt, wo Schätze liegen, so thuen sich dieselben auf (Sosa), vgl. 460. Nach Wuttke § 18 gilt dieser Aberglauben in der Mark Brandenburg und Tirol am Johannistage. — † 120. Man schneide früh ein Stück Rasen aus der Erde, hauche in das Loch und decke es schnell mit dem Rasen wieder zu; hilft gegen Zahnschmerzen (Markneukirchen), vgl. 328, § 42 und 434, Wuttke § 266. — † 121. Man schneide die Nägel an Händen und Füßen kreuzweiß, d. h. erst die Nägel der rechten Hand, dann die des linken Fußes u. s. w.; die Abschnitte werden in Papier gewickelt und in fließendes Wasser geworfen; schützt vor Zahnschmerzen (Mildenau), vgl. 8 u. 399. — * 122. Kräuter am Charfreitag gesammelt, helfen gegen dicke Hälse (Geier), vgl. 106 u. 435. — * 123. Ein Gänseei vor Sonnenaufgang gegessen, schützt gegen Bruchschaden, vgl. 111 u. 399. — * 124. Ein Eschenzweig vor Sonnenaufgang von sich abgewendet geschnitten, hilft, wenn man sich damit im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes streicht, gegen das Reißen (Lengefeld), vgl. § 38 A. f. § 42 und 434. — * 125. Ist Charfreitag ein Begräbniß, so schlägt in dem Jahre in dem betreffenden Ort der Blitz nicht ein (Geier), vgl. 101, 420 u. 532; gilt auch Sylvester (Ehrenfriedersdorf). — * 126. Vor Sonnenaufgang kann man Erlen- und Eschenzweige, sowie andere spröde Holzarten, drehen wie Weidenholz; sie[S. 13] bleiben das ganze Jahr hindurch gedreht (Sayda). — * 127. Wenn man am Charfreitag Asche auf das Feld streut, so wächst viel Klee (Raschau, Geier), vgl. § 38 A. e. u. 466. — 128. Wenn es Charfreitag friert, so müssen noch vierzig Fröste heraus, die aber den Feldfrüchten nicht schaden (Annaberg, Raschau), vgl. 109 u. 736 ff.
§ 12 (23). Walpurgis: Die erste Mainacht begingen die alten Deutschen als Fest des aufblühenden Frühlings, dessen Feier aber, als das Christenthum Platz griff und hier kein einfallendes christliches Fest zur Uebertragung sich darbot, als Teufelswerk und Hexenunfug dargestellt und verpönt wurde. — Gerade die Feier des Walpurgisabends (30. April) ist im oberen Erzgebirge noch sehr lebendig.
a. Hexenschutz: 129. Knaben und junge Leute begeben sich mit wergumwickelten und pech- oder harzgetränkten Besen auf die benachbarten Höhen und am Abend leuchten und tanzen ringsumher die kunstlosen Fackeln. Dazu werden Pistolen, Schlüsselbüchsen etc. losgeschossen und Zündhütchen zerschlagen, Feuerräder und Pulverfrösche angebrannt, mit Peitschen geknallt und Breter („Schwarten“) zusammengeschlagen, es wird geschrieen und getobt, kurz ein möglichst großer Lärm gemacht, um, wie Einige sagen, den Hexentanz darzustellen oder, wie allgemeiner behauptet wird, um die zum Blocksberg ziehenden Hexen zu vertreiben. Vgl. 333 u. 407.
130. Um den Hexen den Eingang in die Ställe und Häuser zu wehren, werden vor Sonnenuntergang mit Kreide drei Kreuze an die Stall- und Hausthüren, häufig auch an die Fensterladen gemacht (allg.), vgl. § 38 D. b., 409, 413, 427 u. 464. — 131. Hie und da legt man auch noch einen alten Besen oder ein Stück frischen Rasen vor die Thürschwellen, damit die Hexen nicht herein- oder eine etwa darin schon befindliche Unholdin nicht wieder heraus kann, vgl. 341, 413 u. 427. — * 132. Ebenfalls um das Vieh vor dem Behexen zu behüten, wird kein Stück am Abend aus dem Stall gezogen (Raschau) und nach 6 Uhr Abends keine Milch mehr verkauft (Geier), vgl. 51, 118, 171, 389 u. 397. — * 133. Auch werden aus demselben Grunde die Düngerhaufen mit Hollunder- (sambucus nigra), mit Ahlert- (prunus padus) oder mit Weidenruthen besteckt (Annaberg, Geiersdorf, Grünstädtel), oder in jede Ecke des Düngerhaufens ein aus Weichselkirschbaumzweigen zusammengebundenes Kreuz befestigt (Annaberg), vgl. § 38, A. h. und 414. — † 134. Auch auf die Klöppelsäcke steckt man Weidenruthen (Grünstädtel), vgl. 409, Wuttke § 231.
b. Zauberhilfe: Auch finden sich noch Spuren, daß man die an diesem Tage der Erde nahen Zaubermächte sich nutzbar machen kann: † 135. Um eine in’s Feld gesteckte Stange binde man Werg, dann geräth der Flachs (Sehma). Nach Wuttke, § 322, steckt man in Mecklenburg beim Säen des Flachses den Rechen senkrecht in die Erde, dann wird der Flachs so hoch wie der Rechen, vgl. 153 u. 471. — * 136. Man buttere Nachts 12 Uhr, dann erhält man viel Butter (Zöblitz), vgl. 462.
c. Viehaustreiben: Am 1. Mai ist es auch im Obergebirge, wie anderwärts, Sitte, das Vieh zum erstenmal auf die Weide zu treiben (vgl. 618). † 137. Man legt dann als Schutz gegen das Beschreien innerhalb des Stalles vor die Thürschwellen einen Schlüssel, vgl. 340 u. 464 (nach Wuttke, § 24, ist in der Altmark statt dessen ein Beil, d. i. Thor’s Hammer, gebräuchlich), und ein Ei, bedeckt beides mit frischem Rasen und läßt das Vieh darüber schreiten (allg.). — * 138. An der Stallthüre steht der „Kühjunge“ und bespritzt jedes Thier mit Wasser (Annaberg, Elterlein). — * 139. Man läßt eine Katze vorangehen, damit nicht die Kühe, sondern die Katze behext werde (Sehma), vgl. 397 u. 427. — * 140. Man vermeidet, eine schwarze Kuh voranzutreiben, denn dies bedeutet Unglück, mindestens schlechtes Wetter (Marienberg). — * 141. Dem Hirt wird ein gekochtes Ei mitgegeben, das er auf dem Felde verzehrt und die Schalen vergräbt, damit die Heerde hübsch beisammen bleibe (Sehma). Oder: der Hirt hat mitgegebene hartgesottene Eier unter den Kühen herum zu „kaulern“ (kollern), bis sie von diesen zertreten werden. Die Schalen sind dann ebenfalls zu vergraben (Saida), vgl. 328 u. 427. — * 142. Der Hirt darf sich während des ersten Austreibens nicht niedersetzen (Saida), vgl. 397. — * 143. Kehren die Leute Abends vom Felde zurück, so werden sie mit Eiern gespeist, und namentlich der Kühjunge dabei reichlich bedacht (Annaberg), vgl. 427.
§ 13 (25). Himmelfahrt und Pfingsten: In die Frühlingsmonate fallen die Himmelfahrt und das Pfingstfest.
[S. 14]
144. Am Himmelfahrtstage kommt ein Gewitter oder es regnet wenigstens (Lauter). — † 145. Wenn das Brod in der Woche vor Pfingsten aufschlägt, so bleibt es theuer (Raschau). — Am Sonnabend vor Pfingsten wird die Hausflur oder Stube mit Maien oder Maibäumchen geschmückt, indem man Birkenreiser oder Zweige in Gefäße mit Wasser steckt (allg.). — Das Stück Spitzen, welches gerade geklöppelt wird, muß vollendet sein, so daß es abgeschnitten werden kann (Lauter). — Der Hirt, welcher am Pfingstmorgen als der erste mit seinem Vieh auf das Feld kommt, ist „Pfingstkönig“ und hat das Recht, eine Pfingststange, d. h. einen mit Kränzen verzierten langen Stab, zu setzen (Voigtsdorf). — Wer am ersten Pfingstfeiertag spät aufsteht, steht im ganzen Jahre spät auf und wer in einer Familie zuletzt aus dem Bette sich erhebt, heißt der Pfingstlümmel (allg.). — Ueber Witterung vgl. 741.
§ 14 (17 ff.). Der Johannistag: Dem Feste der Wintersonnenwende bei den alten Deutschen in den Zwölfnächten, entsprach das Fest der Sommersonnenwende am Johannistage (24. Juni; in seiner kirchlichen und daher zum Theil auch in seiner volksthümlichen Feier auf den nachfolgenden Sonntag verlegt). Zu Ehren der in ihrem Höhepunkte angelangten Sonne brannte man die sogenannten Johannisfeuer an, die noch bis auf die Gegenwart über ganz Deutschland gebräuchlich sind, und die reiche Entwicklung der blühenden Natur feierte man durch Blumen und Kränze. Man glaubte, die überirdischen Mächte seien auch zu dieser Zeit der Erde näher und wirkten theils heilsam, theils verderblich.
a. Johannisfeuer: 146. „Jungen“ brennen Feuer im Freien an (Annaberg; es geschieht dies jedoch nur vereinzelt, vgl. 88 u. 129).
b. Blumenfest: 147. Am Morgen des Johannisfestes winden arme Kinder einen Kranz von Feldblumen, der auf einen Teller gelegt wird. Damit stellen sie sich auf die Straße und bitten die Vorübergehenden um einen „Johannispfennig“, den man innerhalb des Kranzes hinlegt. Oder: Kinder halten mit einer Schnur, die mit Blumen umwunden ist oder an der ein Kranz hängt, die Vorübergehenden auf (allg.). Für das empfangene Geld machen sie sich Abends eine Semmelmilch (Lauter). — † 148. Es wird um den Johannisbaum getanzt. Derselbe ist eine aus vier Stäben bestehende, mit Kränzen und Blumen verzierte Pyramide, welche in der Stube oder auf der Straße auf ein Tischchen gestellt wird. Abends wird dieselbe mit Lichtern geziert. Die Tänzer sind dabei weiß gekleidet und singen verschiedene Liedchen (Zwickau), vgl. § 99. — * 149. Ein großer Topf, der Johannistopf, wird mit Kränzen geschmückt und ein Preis darunter gelegt. Wer mit verbundenen Augen den Topf mit einem Stecken trifft, erhält den Preis. Zum Schluß wird gewöhnlich eine Semmelmilch gegessen und getanzt (Saida). — * 150. Die „Kühjungen“ bekränzen einen Ochsen und führen ihn zu ihrem Herrn, der sie mit einem Geldstücke beschenkt (Annaberg).
c. Witterung: „Ungewitter am Johannistage ist ungünstig, denn es werden dann gleichsam die Festfeuer der Menschen von den Göttern zurückgewiesen“ (Wuttke, § 39): 151. Wenn es am Johannistage regnet, so bekommen wir theures Brod (Raschau). — 152. Wenn am Johannistage das Wasser steigt, so steigen die Getreidepreise, fällt das Wasser, so fallen die Preise (Ehrenfriedersdorf), vgl. 189 ff. u. 749.
d. Zauberhilfe: † 153. Man steckt Kränze in den Flachs; so hoch der Kranz ist, so hoch wächst der Flachs (Marienberg, Zöblitz), vgl. 135 und 471. Nach Wuttke, § 322, „steckt man in Thüringen beim Säen des Flachses große Zweige von Hollunder in die Erde und ißt, damit der Flachs gut gerathe, am Himmelfahrtstage Milch mit Semmel.“ Vielleicht hat das oben 147 und 149 erwähnte Semmelmilchessen denselben Grund. — † 154. Mittags in der zwölften Stunde sammelt man schweigend Kräuter zu Thee, der gegen alle Krankheiten hilft (allg.). Die gewöhnlichsten Kräuter, die man sucht, sind: Kamille, Stiefmütterchen, Quendel (thymus serpyllum) etc.; auch trägt man Johannisblumen (arnica montana) ein und setzt sie auf Spiritus, der dann alle Wunden heilt (vgl. 398).
e. Der Getreideschneider. † 155. Am Johannisabend in der sechsten Stunde kommt der sogenannte Getreideschneider, der über die Ecke eines Stückes Getreide durchschneidet, von welchem er dann, wenn der Bauer drischt, den halben Nutzen hat, vgl. 461. Um diesem vorzubeugen, nimmt[S. 15] der Bauer Liebstöckelöl (d. i. Oel aus levisticum officinale, wächst im Gebirge nicht wild, sondern nur in Gärten, vgl. 337) und macht, nachdem er den Finger in das Oel getaucht, ebenfalls in der sechsten Abendstunde des Johannistages, drei Kreuze an jede Ecke des Feldes auf die Erde. Ist aber der Getreideschneider bereits dagewesen, so hängt der Bauer, bevor er das Getreide einführt, ein Büschel Reißigspitzen (frischgrünende Tannenzweige) über dem Scheunthor auf, drischt sobald als möglich und macht dabei mit dem Reißigbüschel den Anfang. Dann ist der Bann gelöst und der Getreideschneider zieht keinen Nutzen (Sehma), vgl. 422. — Wuttke gedenkt § 414 nach Berichten aus Thüringen und Franken ebenfalls des Getreideschneiders, den er Binsenschnitter nennt und unter die bösartigen Geister rechnet. Er sagt von ihm: „Derselbe macht fußbreite Wege durch die Getreidefelder, indem er kleine Sicheln an den Füßen hat; und die Leute, bei denen er geschnitten, kommen nie zu Vorrath. Man schützt sich vor ihm durch kreuzweises Säen der ersten Handvoll Samen.“ Im baierischen Voigtlande heißt er Billmetschneider und wird als Mann gedacht, der in Folge eines Bundes mit dem Bösen die Frucht des Feldes, das er umschreitet, in seine Scheune zaubert, vgl.: „Aus dem baierischen Voigtlande“, Aufsatz im Morgenblatt 1860, Nr. 31.
§ 15 (28 ff.). An der zweiten Hälfte des Jahres (vgl. § 92) haften, außer dem Andreasabend (§ 16), nur noch an wenigen Tagen gewisse Aberglauben in geringem Maaße (vgl. § 56 ff.).
a. Siebenschläfer: † 156. Wer am Siebenschläfer (27. Juni) bis um 7 Uhr schläft, thut es das ganze Jahr hindurch (Zwickau), vgl. 145, 276 u. 751. Aehnlich Wuttke, S. 23, aber an einem andern Tage: „Am Tage der sieben Brüder (10. Juli) muß man früh aufstehen, weil man sonst das ganze Jahr ein Langschläfer wird.“ — Ueber den Oswaldstag vgl. 342.
b. Michaelis: * 157. Man säe am Michaelistage (29. September) kein Korn, sonst wird mehr Stroh als Körner (Mittweida), vgl. 397 u. 777.
c. Burkardi: * 158. Am Burkarditage (11. October) soll man nicht säen (Zwickau).
d. Martini: * 159. Der Martinstag (11. November) wird hier und da (Sehma) ebenfalls für geeignet zum Erforschen der Zukunft gehalten (vgl. § 57).
§ 16 (30). Der Andreastag. Der Andreastag (30. November), namentlich die späteren Abendstunden, sind die für Wahrsagung, besonders in Beziehung auf künftige Ehe, günstige Zeit. — Vielleicht feierten an diesem Tage oder überhaupt um diese Zeit unsere Altvordern ein der Frigga, der Gemahlin Odin’s, der Göttin der Ehe und des häuslichen Lebens, geweihtes Fest, dessen Gebräuche und Aberglauben man auf den christlichen Heiligen und seinen Namen übertrug. Ob das dabei vorkommende Horchen auf Hundegebell oder das Schütteln an Obstbäumen (namentlich Birnbäumen) oder an Gartenzäunen, sowie das Eintragen von Zweigen fruchttragender Bäume oder Sträucher in irgend welcher Erinnerung an heidnischen Glauben, der mit Frigga in Zusammenhang stand, seinen Grund hat, wagen wir nicht zu entscheiden. Nicht unwahrscheinlich ist es, daß der Hund, den die alten Deutschen den Thieren beizählten, welche die Gabe der Weissagung besitzen, der Göttin der Ehe, als Bild der Häuslichkeit, beigegeben war (vgl. § 21 a) und Bäume und Sträuche, welche in Gärten, also innerhalb der das Haus umgebenden Einfriedigung gepflanzt waren, sammt dem Zaune selbst, unter dem Schutze der Göttin des häuslichen Lebens standen. — Anderwärts hat der Valentinstag (14. Februar) eine ähnliche Bedeutung, wie bei uns der Andreastag, vgl. v. Reinsberg-Düringsfeld, „der St. Valentinstag“, Aufsatz in der illustrirten Zeitung, 1862, Nr. 972.
a. Der Andreasvers: † 160. Dieser Vers wird von heiratslustigen Mädchen gebetet. Entweder geschieht es vor dem Zubettegehen oder im Bett selbst, nachdem man dreimal mit der großen Fußzehe an die Bettstelle gepocht hat. Die geeignetste Zeit ist Mitternacht 12 Uhr (allg.). Besondere Maßregeln dabei sind noch: man esse vorher schweigend einen Häring, steige rücklings in das Bett und unterlasse für diesmal das gewöhnliche Abendgebet. Der Vers selbst lautet (vgl. Wuttke § 80):
„Deus meus, Heiliger St. Andreas, Ich bitt’ dich, laß mir erscheinen Den Herzallerliebsten, meinen, In seiner Gestalt, Mit seiner Gewalt, In seinem Habit, Wie er mit mir vor den Altar tritt.“[S. 16] (Der Anfang lautet auch: „Deas meas,“ „Ehes mies,“ „Eos meos,“ „Eos theos,“ was blos aus Unkenntniß hervorgegangene Verstümmelungen der lateinischen oder der statt deren gebrauchten griechischen Worte, theos emos, sind.)
Außer diesem Vers darf man nichts sprechen, muß sich auch vor dem Versprechen hüten, sonst bekommt man von unsichtbarer Hand eine Ohrfeige oder erfährt sonst einen Schabernack (Annaberg). — Der künftige Ehemann erscheint dann im Traume, vgl. § 29. Mitunter meint man wohl, die Herausforderung soweit steigern zu können, daß die Gestalt des künftigen Gatten den wachenden Augen erscheint, vgl. 161, § 32 u. Wuttke § 88 b. Zu diesem Behufe schließt sich die betreffende Jungfrau in der zwölften Nachtstunde in ihre Kammer, kehrt dieselbe aus, deckt dann den Tisch, trägt verschiedene Speisen (Einige verlangen neun), als Brod, Wasser, Wein, Bier u. s. w. auf und stellt dann einen Stuhl an den Tisch. Schlag 12 Uhr spricht sie folgenden Vers:
„Deus meus, Heiliger Andreas, Ich bitt dich, laß mir erscheinen Den Herzallerliebsten, meinen, In seiner Gestalt, In meiner Gewalt, Wie er stieht, Wie er mit mir vor’n Altar kniet. Soll er mit mir in Freuden sein, So laß ihn erscheinen bei Bier und Wein. Soll er mit mir leiden Noth, So laß ihn erscheinen bei Wasser und Brod. Soll er mit mir ziehen über Land, So gieb ihm den Stab in die rechte Hand“ (Zwickau). — Oder: „Hat er ein Pferd, so reit er, Hat er keins, so schreit er. Schenkt er Bier und Wein, So schenk er mir ein Gläschen ein“ (Marienberg). — Oder: „Hat er Vieh, so treib er, Hat er Eseln oder Schwein, So komm’ er vor das Bett allein“ (Geier). Vgl. hierzu und zu den folgenden Nummern unten 499.
b) Das Rütteln von Bäumen, an Zäunen etc.: † 161. Ebenfalls Nachts 12 Uhr rüttle man an einem Baum — nach Einigen muß es ein Obstbaum im Garten, bestimmter ein Birnbaum sein, nach Andern muß derselbe auf einem Kreuzwege stehen — und spreche:
„Bäumlein, ich rüttle dich, Feines Liebchen melde dich, Willst du aber dich nicht melden, So laß doch dein Hündlein bellten“ (Zöblitz). — Oder: „Liebes Bäumchen, ich schüttle dich, Sende den, der liebet mich. Und will er nicht sich stellen, So mag doch nur sein Hündlein bellen“ (Annaberg, Marienberg).
Es erscheint nun entweder der künftige Gatte oder man hört Hundegebell. Woher letzteres schallt, in jene Gegend heiratet man. Vgl. Wuttke § 89.
† 162. Statt des Baumes kann man auch an einem Gartenzaun rütteln, wobei der Zaun eines Gartens, der durch Erbschaft an den gegenwärtigen Besitzer übergegangen, wirksamer als jeder andere ist, vgl. § 32 und Wuttke § 92. Der Vers lautet dann: „Erbzaun, ich rüttle dich, Feines Lieb, ich bitte dich. Beil, beil Hündelein, Wo mein feines Lieb wird sein“ (Marienberg). * 163. Den Wohnort des Geliebten kann man auch erfahren, wenn man unter einen Birnbaum kniet (Schneeberg) oder durch das Astloch einer Breterwand horcht (Annaberg) bis man Hundegebell hört; wo es her schallt, dort ist die Heimat des Zukünftigen. — Das Horchen an einem Astloch beruht auf dem Glauben, daß durch diese Oeffnungen die Elfen und andere Geisterwesen ihren Durchgang nehmen. Insofern gehen sie den Kreuzwegen parallel. Wuttke § 270. Simrock, Mythologie S. 545.
* 164. Statt Mitternacht kann man sowohl für das Beten des Andreasverses, als bei dem Baumrütteln u. s. w. in Annaberg 7 Uhr Abends wählen und zwar die Zeit während des daselbst gebräuchlichen Läutens. Die erste hierauf begegnende Mannsperson ist der gewünschte Bräutigam.
c) Eintragen von Zweigen: † 165. Mittag 12 Uhr oder Abends in der 6. Stunde pflückt man Zweige von sieben oder neun verschiedenen Bäumen und Sträuchern, bindet sie in einen Strauß und stellt sie in ein Gefäß mit Wasser. Blühen dieselben dann am ersten Weihnachtsfeiertag, so ist es ein gutes Zeichen für baldige Verheiratung (allg.), vgl. Wuttke § 82. — * 166. Man soll folgende Baum- und Straucharten wählen: Kirschbaum, Apfelbaum, Birnbaum, Pflaumenbaum, Kastanie (aesculus hippocastanum), Himbeere, Johannisbeere, Stachelbeere und Hollunder (vgl. § 23, n.) d. i. sambucus nigra (Raschau).
d) Andere Gebräuche: * 167. Man nehme Mittags 12 Uhr einen Löffel Hirsebrei (vgl. § 23, q.) und stelle sich damit vor die Hausthüre, wo man den Brei, sobald es 12 schlägt, essen muß. Die nächste vorübergehende Mannsperson ist der Bräutigam (Annaberg, Marienberg). — † 168. Man lege einen Apfel unter das Kopfkissen und lasse ihn bis Weihnachten daselbst liegen. Am ersten Weihnachtsfeiertag, wenn zur Kirche eingelauten wird, stelle man sich damit unter die Hausthüre. Aus[S. 17] der Verwandtschaft des Mannes, den man zuerst sieht, wird man heiraten (Marienberg), vgl. Wuttke § 80. — 169. Außerdem kann man alle die Mittel, welche man überhaupt gebraucht, um das künftige Geschick zu erforschen, z. B. Bleigießen, Pantoffel werfen etc. anwenden und daraus etwaige Heiratshoffnungen ableiten, vgl. 228, 288–290, 294, 295, 303, 305, 308 u. 312. — 170. Auch das männliche Geschlecht befragt mitunter die angeführten Liebesorakel, um über die künftige Braut Fingerzeige zu empfangen (allg.).
e.) Anderweiter Aberglaube. * 171. Nach 6 Uhr Abends darf keine Milch verkauft werden, sonst wird das Vieh verhext. Vgl. 51, 118, 132 u. 389.
§ 17 (31 ff.). Außer den § 5–16 angeführten Festzeiten giebt es noch andere Schicksalszeiten, deren Bedeutung auf astrologischem Aberglauben beruht. Die sogenannten „Planeten“ werden noch vielfach auf Jahrmärkten (§ 77) verkauft und man hört es wohl auch aussprechen, daß es von Wichtigkeit sei, unter welchem Sternbilde ein Kind geboren oder getauft werde. Im Einzelnen wird Folgendes angeführt:
172. Im Krebse geboren, kommt der Mensch schwer zu etwas und besitzt er, so geht es mit ihm rückwärts (Frohnau), vgl. 476. — * 173. In den Fischen geboren, geht es mit dem Menschen vorwärts und er kommt zu etwas (Frohnau), vgl. 476. — † 174. Erdäpfel im Zeichen der Fische gelegt, werden wässerig (Raschau), vgl. 397. Anderwärts (Geier) schreibt man diesen Einfluß überhaupt allen sogenannten „Wasserzeichen“ zu, d. h. außer den Fischen, auch dem Krebs und Wassermann. Die rechte Zeit ist im Zeichen des Steinbocks und der Zwillinge (Raschau). Nach Wuttke § 323 meint man dagegen in Mecklenburg, daß Kartoffeln, an einem Tage, der im Kalender mit dem Zeichen des Steinbocks bezeichnet ist, gesteckt, hart werden. — 175. Ist ein Kind im Zeichen des Wassermanns geboren, so muß man ein getragenes Kleid desselben ins Wasser werfen, sonst läuft es Gefahr früher oder später zu ertrinken (Frohnau), vgl. 476.
§ 18 (34 ff.). Für einflußreich unter den Gestirnen wird besonders der Mond gehalten, wobei jedoch theilweise eine an sich nicht falsche Naturbeobachtung zu Grunde liegen kann. Seine Wechsel gelten für wichtige Bestimmungszeichen bei der Landwirthschaft, bei Kuren, beim Haareschneiden, bei Familienereignissen. Im Allgemeinen gilt der zunehmende Mond als eine günstige, der abnehmende als eine ungünstige Zeit. Vgl. auch § 94.
* 176. Rüben sind bei abnehmendem Monde zu stecken (Frohnau), ebenso ist das Säen des Getreides zu vollziehen (Raschau), vgl. 468. — * 177. Im Neumond darf man keine Erdäpfel legen und keine Erbsen säen, sonst blühen sie immerfort und setzen keine Früchte an, vgl. 397 und Wuttke § 323. — * 178. Wenn man am letzten Freitag im Monde Asche Vormittags streut, so wird viel Klee, streut man sie aber Nachmittags, so werden viel Wicken (Raschau), vgl. 466. — * 179. Wenn die Bäume im Vollmonde blühen, so wird viel Obst, blühen sie im abnehmenden Monde, so tragen sie keine Früchte (Raschau). — 180. Die Kälber sind bei zunehmendem Monde abzunehmen (Frohnau), vgl. 464 u. Wuttke § 316. — 181. Der Eintritt in eine neue Stellung, ein Umzug, die Hochzeit u. s. w. geschehe bei zunehmendem Monde (allg.), vgl. 450. — * 182. Wenn man vor dem am Himmel stehenden Vollmonde drei Verbeugungen macht, bekommt man etwas geschenkt (Marienberg), vgl. 449. — * 183. Wird eine Leiche im Vollmonde begraben, so nimmt sie den Segen mit aus dem Hause (Saida), vgl. 532. — * 184. Stirbt Jemand im abnehmenden Monde, so geht es mit seiner Familie rückwärts (Schneeberg). — * 185. Manche Leute geben bei abnehmendem Monde der Leiche Geld und Brod mit in den Sarg, vgl. 409.
§ 19 (36 ff.). Schicksalszeichen sind Zeichen oder Anzeichen, aus denen man das künftige Geschick vorauserkennen kann. Sie bieten sich entweder von selbst dar in dem Natur- und Menschenleben und bedürfen nur der Ausdeutung, oder sie sind durch Anwendung geheimer, angeblich überlieferter Weisheit zu erkennen und auszulegen (Wahrsagekunst).
[S. 18]
§ 20 (38 ff.). „Die Schicksalszeichen sind entweder an und für sich bedeutsam, also auch überall und jederzeit, wo und wann sie erscheinen, wie etwa die Kometen, oder sie sind es nur zu bestimmten Zeiten, also in den eigentlichen Schicksalszeiten (vgl. I.) oder unter bestimmten Umständen bei Geburten, Hochzeiten, Todesfällen u. s. w.“
a. Kometen: 186. Ein Komet bedeutet Krieg, Theuerung, überhaupt Unglück (allg.).
b. Nordlichter: 187. Ein Nordlicht bedeutet Krieg (Zwickau).
c. Sternschnuppen: * 188. Wenn eine Sternschnuppe fällt, wird eine Seele aus der Hölle erlöst (Annaberg), vgl. 449. Bei diesem aus der katholischen Zeit stammenden Aberglauben ist wohl die Hölle für das Fegefeuer substituirt.
d. Regen: 189. Wenn es der Braut in den Kranz regnet, ist die Ehe gesegnet (allg.), denn der Regen ist eine Gabe Donar’s. Vgl. 508. — † 190. Andere halten es für ersprießlich, wenn es am Tage vor der Hochzeit (Lößnitz), oder beim Gang in die Kirche, während die Sonne scheint, regnet (Schneeberg). — * 191. Wenn es bei einem Umzuge regnet, werden die Leute reich (Lauter), vgl. 23, 144, 151 u. 152.
e. Nebel: 192. Ist am Trauungstage nebeliges Wetter, so folgt Krankheit in der Ehe (Saida), vgl. 508. Nach Wuttke § 39 hält man es in Lauenburg dagegen für ein glückliches Zeichen, wenn es in den Brautkranz nebelt oder schneit.
f. Wind: * 193. Kommt beim Säen der Wind von Morgen, so entsteht Unkraut, von Mittag Disteln, von Mitternacht gute Ernte (Schneeberg), vgl. 468. — † 194. Wenn der Wind recht summt, so hat sich Jemand erhängt (Raschau), vgl. Wuttke § 391: „Der Teufel fährt mit der Seele des Erhängten im Sturme davon (Schlesien, Lausitz, Mark, Schwaben).“ — * 195. Wenn am Trauungstage der Wind stark weht, so wird das Paar arm (Saida), vgl. 21, 24 u. 508.
Vgl. noch: Witterung 20, 85. Schnee und Frost 22, 109, 128. Sternbilder 172 ff. Mond 179.
§ 21 (40 ff.). a. Der Hund, der Frigga beigegeben als Sinnbild der Häuslichkeit (§ 16), besitzt daher als in Göttergemeinschaft stehend, die Gabe des Blickes in die Zukunft und sieht namentlich die leichenwählenden Nornen oder Walkyren nahen. Vgl. 244 u. 812. — 196. Heult ein Hund mit erhobenem Kopfe, so bricht Feuer aus, senkt er den Kopf dabei, so stirbt Jemand (allg.), vgl. 530. * Ruft man ihn aber beim Namen, so wird dem Unglück, welches er anzeigt, vorgebeugt (Zwickau), vgl. 407. — 197. Begegnet man beim Ausgehen einem Hunde, so ist es ein gutes Anzeichen (Annaberg), vgl. 161 ff.
b. Das Pferd. 198. Das Pferd gilt ebenfalls als ein weissagendes Thier, vgl. 250.
c. Der Hase. 199. Der Hase wird wegen seiner oft koboldartig erscheinenden Gestalt für eine verkappte Hexe gehalten (vgl. 351 u. 353), daher bedeutet ein über den Weg laufender Hase Unglück (allg.). Vgl. „Die Symbolik in der deutschen Mythologie“ Aufsatz in den Grenzboten 1862. I. S. 104 ff.
d. Die Katze, wie der Hund der Frigga heilig, ist als Begleiterin oder auch als angenommene Hülle der Hexen (vgl. 351) dem Aberglauben ebenfalls ein vorbedeutendes Thier. — 200. Eine über den Weg laufende Katze, besonders eine schwarze, bedeutet Unglück (allg.). — 201. Wenn die Katze sich putzt (Marienberg), oder einen krummen Rücken macht (Schwarzenberg), kommt Besuch. Vgl. 813 u. 814.
e. Das Schwein war das gewöhnliche Opferthier bei den alten Deutschen und daher dürfen aus diesem Thiere bereitete Speisen Weihnachten und Fastnachten nicht fehlen, vgl. 14, 73 u. 452. — 202. Der Aberglaube, daß begegnende Schweine Unglück, wenigstens Prügel, bedeuten, Schafe dagegen Glück oder daß man gern gesehen werde (allg.), stammt wohl aus der alttestamentlichen Bedeutung dieser Thiere. — * 203. Wenn das Schwein beim Schlachten nicht schreit, so ist es nicht fett (Mildenau). — Die Kuh vgl. 140 u. 815.
[S. 19]
§ 22 (42 ff.). f. Die Krähe und Dohle vertreten die Stelle des im Gebirge nicht vorkommenden Raben, der, als Wodan’s Vogel, Unglück verkündend ist. — † 204. Setzt sich eine Krähe auf ein Haus, so stirbt Jemand in diesem (Annaberg) oder in dem gegenüberstehenden Hause oder überhaupt in der Nachbarschaft (Raschau). Dasselbe gilt von der Dohle (Annaberg). — * 205. In Annaberg ist namentlich Eine von gewissen klugen Leuten gekannte Dohle, aus der Zahl derer, welche in der Nähe des Gottesackers sich aufhalten, die, wenn ein Todesfall im Hause eintreten wird, sich auf das betreffende Haus setzt und jämmerlich zu schreien anfängt. Vgl. 530, 825 u. 826.
g. Das ganze Geschlecht der Eulen steht nach altem Aberglauben mit den finstern Mächten im Bunde. — † 206. Wenn das Käuzchen schreit, so stirbt innerhalb dreier Nächte ein Verwandter oder Freund dessen, der es hört (Zwickau), vgl. 412 u. 530.
h. Die Henne. 207. Wenn eine Henne kräht, bedeutet es Unglück (Geiersdorf, Marienberg), vgl. 818 ff.
i. Die Schwalbe ist ein glückbringender Vogel. Ebenso die Wachtel, vgl. 423. — † 208. „Jag’ die Schwalben nicht ’naus, denn sie bringen Segen in’s Haus“ (Annaberg, Raschau). — † 209. In dem Hause, wo Schwalben nisten, kommt kein Feuer heraus (allg.), vgl. 366, 420, 672 u. 824.
k. Der Kukuk gehört ebenfalls zu den Göttervögeln des deutschen Heidenthums und gilt allgemein als weissagend. — 210. Wenn man den Kukuk im Frühjahr zum erstenmal rufen hört, frage man: „Kukuk, schrei mir meine Jahre aus, wie lange ich noch leben soll.“ So viel mal sein Ruf ertönt, so viele Jahre lebt man noch (allg.). — 211. Bei dem ersten Kukuksruf greife man an den Geldbeutel, dann geht einem das Geld im ganzen Jahre nicht aus. Wer dabei aber kein Geld bei sich hat, dem fehlt es das ganze Jahr hindurch (allg.), vgl. 457. — 212. Den Burschen und Mädchen giebt er auf ihre Frage an, wieviele Jahre sie noch ledig bleiben (Schwarzbach).
l. Die Spinnen gehören als Mitbewohner des Hauses zum Gefolge der Freya, vgl. 367, 420, 830 und Wuttke, § 202. — 213. Wenn früh eine Spinne auf Jemanden zuläuft, so bedeutet dies Glück (allg.). * Oder: wenn die am Vormittag auf Jemanden zulaufende Spinne bei dem Zuruf: „Spinne, bringst du Glück, bleib’ steh’n, bringst du keins, lauf’ fort“ sitzen bleibt, ist es ein glückbringendes Anzeichen (Raschau). Neueren Ursprungs scheint der entgegengesetzte Aberglaube: „Die Spinne am Morgen bringt Kummer und Sorgen“, vgl. das Französische: araignée au matin grand chagrin, araignée du soir grand espoir. Eine Vereinigung beider Aberglauben findet sich in folgender Ansicht: * Spinnen, namentlich Kreuzspinnen, früh in der siebenten Stunde bedeuten Glück, in der zehnten Vormittagsstunde zeigen sie Unglück, wenigstens Verdruß an (Zwickau). — * 214. Läuft die Spinne an Jemanden hinauf, so bedeutet es Glück, läuft sie abwärts aber Unglück (Zöblitz), vgl. 367.
m. Der Holzwurm, die Todtenuhr, auch die Holzmühle genannt. 215. Dieser Käfer zeigt durch sein Picken den nahe bevorstehenden Tod eines der Hausbewohner an (allg.), vgl. 530 und Wuttke, § 50.
§ 23 (45). n. Der Hollunderstrauch (vgl. 133 u. 166) war im deutschen Heidenthum von hoher Bedeutung und stand namentlich auch in Beziehung zu den Todten (Montanus, die deutschen Volksfeste etc. 2. Bdchen., S. 149), daher sein häufiges Vorkommen auf Gottesäckern. — * 216. Wenn im Herbste ein Hollunderbaum wieder blüht, so stirbt bald Jemand aus der Familie, der der Baum gehört (Schneeberg), vgl. 530.
o. Die Haselstaude (corylus avellana) ist ebenfalls dem deutschen Heidenthum bekannt, woher noch ihre Verwendung zur Wünschelruthe rührt, vgl. 459. — * 217. Jedes Zäpfchen am Haselstrauch nach Michaelis, wo zwei und zwei zusammengewachsen sind, bedeutet einen Groschen Aufschlag am Brode (Ehrenfriedersdorf). — * 218. Wenn viele Haselnüsse werden, entstehen viele uneheliche Kinder (Geier), vgl. 475. Wuttke sagt § 366: „Die Nüsse, besonders die Haselnüsse, haben durch ganz Deutschland eine besondere Beziehung zur Liebe und zur Ehe.“
p. Der Hagerosenstrauch (rosa canina), „Hanebuttenstrauch“, diente wahrscheinlich zum Einzäunen der heiligen Hainstätten und war ein Gegenstand abergläubischer Verehrung. — * 219. Wenn der Hagebuttenstrauch viel Früchte trägt, so kommt viel Sturm und Regen (Raschau), vgl. 832 ff.
[S. 20]
q. Außer den angeführten Gewächsen giebt es noch mehrere, denen ebenfalls eine besondere Bedeutung, deren Ursprung bis in das deutsche Heidenthum zurückreicht, beigelegt wird. Z. B.: der Hirse war eine in den frühsten Zeiten unsers Volkes sehr verbreitete Getreideart und gewöhnliche Festspeise, daher noch jetzt seine abergläubische Anwendung, vgl. 14, 18, 73, 167 u. 365.
r. Neueren Ursprungs sind Anzeichen an folgenden Gewächsen: * 220. Wenn das Korn abgehauen wird und es schlägt das Brod auf, so wird das Brod billig (Raschau). — * 221. Wenn der Brei von neuen Erdäpfeln recht quillt, so bleiben dieselben billig (Geier). — * 222. Je mehr Brode in dem „Brodkörbchen“, einem kleinen schwammartigen Gewächs, desto wohlfeiler wird das Brod und umgekehrt (Ehrenfriedersdorf). — Vgl. die Botanik des Aberglaubens, Aufsatz in der Illustrirten Zeitung 1860, Nr. 879.
§ 24 (46). † 223. Wenn zwei Menschen zusammen in demselben Augenblick dasselbe sagen, so erfahren sie an diesem Tage etwas Neues (Raschau), oder es kommt ein Schneider in den Himmel (Zwickau). — 224. „Kinder gelten als besonders wichtige Weissagungsorgane“ (vgl. 507): Wenn Kinder beim Spielen feierliche Weisen auf der Gasse singen, so stirbt Jemand in der Nachbarschaft (Raschau, Lengefeld).
225. Begegnet man früh beim ersten Ausgang oder wenn man ein wichtiges Unternehmen vorhat, einer alten Frau, so bedeutet dies Unglück (allg.). — * 226. Kommt die Leichenfrau ungerufen in ein Haus, so stirbt bald Jemand aus demselben (Zwickau), vgl. 255 u. 530.
† 227. Am heiligen Abend oder am Sylvesterabend horcht man an einem fremden Fensterladen; hört man zuerst Ja sprechen, so geht das, was man sich denkt, in Erfüllung, hört man aber Nein, so geschieht es nicht (Marienberg). Hört man Lärm, so wird ein unruhiges Jahr (Annaberg), vgl. 38. — † 228. Am Andreasabend, namentlich während des Siebenuhrlautens (vgl. 164, 169), deutet das Ja auf baldige Heirat. Oder: man horcht auf einen Namen, der gehörte ist dann der des künftigen Gatten (Annaberg). Vgl. 7, 101, 125, 183, 184 u. 499.
§ 25 (47 ff.). † 229. Wenn beim Heben des Hauses das heruntergeworfene Glas nicht zerbricht, so ist es ein übles Zeichen (allg.), vgl. 836. — 230. Wenn ein Unternehmen übel anfängt, so hat es einen schlimmen Verlauf (allg.), vgl. 5. — * 231. Begegnet man beim Antritt einer Reise zuerst Jemandem mit einem leeren Korbe, so hat man Unglück (Marienberg). — * 232. Begegnet einem Fuhrwerk eine Frau mit einem leeren Topfe, so wirft entweder der Wagen um, oder es stürzt eins der Thiere (Raschau). — * 233. Wenn Verkäufer an Markttagen bald Handgeld bekommen (d. h. bald etwas verkaufen), namentlich von jungen Personen, so machen sie glückliche Geschäfte (Zwickau).
234. Wenn dreizehn Personen bei Tische sitzen, stirbt eine davon in demselben Jahre (allg.); gilt namentlich am Weihnachts-Heiligenabend, vgl. 42 u. 530. — 235. Wenn es in einer Gesellschaft plötzlich ganz still wird, so fliegt ein Engel durch die Stube (allg.). — 236. Wenn man etwas Spitziges (Messer, Gabel, Scheere etc.) fallen läßt und es spießt in den Boden ein, so kommt Besuch (allg.). * Dasselbe wird angezeigt, wenn an einem vom Feuer genommenen Topfe Kohlen hängen bleiben (Annaberg). — 237. Wenn bei Tische Alles rein aufgegessen wird, so bedeutet dies schönes Wetter (allg.), vgl. 472. — 238. Wenn bei Tische ein Teller mehr als nöthig hingesetzt wird, so kommt noch ein hungriger Gast (Raschau). — 239. Wer das Salz verschüttet, wird an dem Tage noch ausgezankt (allg.), vgl. 397. — * 240. Werden zufällig drei Lichter auf den Tisch gesetzt, so ist eine Braut im Hause (allg.); gilt namentlich am Weihnachts-Heiligenabend, vgl. 26 u. 499. — * 241. Wenn man Brod abschneidet und es entsteht eine Kerbe, so hat man vorher eine Lüge gesagt (Raschau), vgl 397. — * 242. Wer viel Suppe ißt, lebt lange (Marienberg); gilt namentlich am Weihnachts-Heiligenabend, vgl. 44 u. 451. — * 243. Beim Abschiede mehrerer Personen dürfen sich die verschiedenen Paare die Hände nicht über’s Kreuz reichen, sonst stirbt Jemand davon oder die Freundschaft wird getrennt (Annaberg). Vgl. noch 30, 31, 397, 512, 524, 525 u. 530.
244. Wenn bei einer Feuersbrunst der Kettenhund (§ 21 a) mit verbrennt, so brennt es auf[S. 21] diesem Gehöfte bald — nach Einigen binnen sieben Jahren — wieder (Annaberg, Grünstädtel). — * 245. Wenn die in Folge eines ausgekommenen Feuers herausgefahrene Spritze kein Feuer sieht, so brennt es bald wieder (Grünstädtel). Vgl. 415. — 246. Man horcht am Weihnachts Heiligenabend oder am Sylvester auf das Geräusch, welches der kochende Ofentopf macht. Hört man einen winselnden Ton, so stirbt Jemand aus der Familie (Marienberg, Lauter), vgl. 38 u. 530.
247. Wenn etwas von der Wand fällt, so stirbt Jemand aus der Freundschaft (Schwarzenberg); gilt namentlich am Weihnachts Heiligenabend und Sylvester, vgl. 29. — Vgl. noch 215.
248. Wenn die Leiche welk ist, so holt sie noch dieses Jahr eine Person aus der Freundschaft (Schwarzbach); † ebenso wenn der Mund aufsteht (Ehrenfriedersdorf), † wenn sie sich noch sehr ähnlich sieht (Lauter), * oder wenn sie rothe Lippen hat (Raschau). Vgl. auch 543. — 249. Wenn dem Leichenzuge zuerst ein Mann begegnet, so ist die nächste Leiche ein Mann u. s. w. (Scheibenberg), vgl. 546. — † 250. Begegnet dem Leichenzug ein Fuhrwerk mit zwei Pferden (vgl. 198), so stirbt in dem Orte, wo die Leiche her ist, bald ein Ehepaar (Raschau). — † 251. Begegnet der Leichenzug einem Hochzeitszug, so stirbt bald eins von dem Paar (Raschau), vgl. 513 u. 528. — * 252. Wenn der Leichenzug weit auseinander geht, so stirbt bald wieder Jemand (Raschau), vgl. 397. — 253. Wenn ein Kranker gerüchtweise todt gesagt wird, so lebt er desto länger (allg.).
§ 26 (53 ff.). * 254. Fällt während der Predigt (Einige beschränken es auf die Predigt zur Weihnachtsmesse, vgl. 36) ein in die Höhe geschlagenes Sitzbret in einem Männerstuhl nieder, so ist die nächste Leiche ein Mann u. s. w. (Ehrenfriedersdorf, Elterlein). — * 255. Wenn die Chorknaben, die mit dem Crucifix zu einer Leiche gehen, zufällig vor einem Hause stehen bleiben, so stirbt bald Jemand aus diesem Hause (Lauter), vgl. 226 u. 530.
256. Wenn es auf zwei Thürmen zugleich schlägt, so bricht Feuer aus (Raschau). — † 257. Wenn die Glocken von selbst sich bewegen und klingen, so bricht Feuer aus (Raschau), vgl. 37.
* 258. Wenn das Kind vor der Taufe niest, so wird es klug (Scheibenberg), vgl. 482. — * 259. Schreit das Kind bei der Taufe, so stirbt es im ersten Jahre (Marienberg) oder sein Schicksal ist wenigstens kein gutes (Stollberg), schreit es dagegen während der Zeit, wo es der Pfarrer auf dem Arme hält, so wird es reich (Marienberg). — 260. Wenn es während der Taufe auf dem Thurme schlägt, so stirbt das Kind bald (Lauter).
261. Wenn bei der Trauung der Ring herunterfällt, so giebt es eine unglückliche Ehe (Elterlein), vgl. 280, 397 u. 515. — † 262. Wenn bei der Trauung, sowie überhaupt während der Hochzeit etwas verloren geht oder zerbricht, so hat das Paar kein Glück (Raschau, Schneeberg). — * 263. Wenn die Braut das Schnupftuch verliert, so bedeutet dies Unglück (Lauter).
264. Ein Kommunikant, bei welchem der Kelch von neuem gefüllt wird, steht bald Gevatter (Zwickau). — * 265. Wenn es Sonntags unter die Kirchleute regnet, regnet es die ganze Woche (Schneeberg).
a. Leibliche Zeichen.
§ 27 (57 ff.). † 266. Wenn das Auge juckt, so bekommt man Besuch (Raschau). — * 267. Wenn das Ohr klingt, so denkt Jemand an einen (Zwickau). Oder: Wenn das rechte Ohr klingt, bedeutet es gute Nachrede, wenn das linke, das Gegentheil (allg.); denkt man dabei: „der oder der redet Schlimmes von mir“, so hört das Klingen sofort auf, wenn man richtig gerathen (Annaberg).
† 268. Wenn man des Morgens nüchtern dreimal niest, so bekommt man den Tag über ein Geschenk (Annaberg, Sosa) oder erfährt eine Neuigkeit (Zwickau). — † 269. „Nüchterne Nieß, setzt Geld oder Stieß“, d. i. Stöße (Zwickau). — 270. Schlucken bedeutet, daß man in demselben Augenblick verlästert werde (Raschau).
271. Wenn einem die Zähne weit auseinander stehen, so kommt man weit fort (Marienberg).
272. Wenn sich ein Mädchen beim Waschen die Schürze naß macht, so bekommt sie einen versoffenen Mann (Marienberg), vgl. 499. — * 273. Wenn eines der Brautleute bei der Trauung niest,[S. 22] so wird die Ehe unglücklich (Marienberg), vgl. 517. — * 274. Wenn die Kinder Mitesser (kleine Schwäre) haben, werden sie nicht über zwölf Jahre alt (Zwickau), vgl. 475 u. 530.
b. Andere Zeichen von mehr geistiger Art.
§ 28 (60 ff.). 275. Das Vergessen ist ein sehr häufiges Schicksalszeichen; ganz allgemein gilt es als ein Unglückszeichen, wenn man beim Ausgehen etwas vergessen hat und daher wieder umkehren muß, vgl. 397. Doch kann man das Unglück abwenden, wenn man in das Zimmer zurückkehrt und vor dem Wiederfortgehen kurze Zeit sich niedersetzt (allg.). — 276. Vergißt Jemand, was er sagen wollte, so war es eine Lüge (allg.). — Vgl. noch 27, 32, 33, 34 u. 156. — 277. Wenn die Köchin die Suppe versalzt, ist sie verliebt (allg.), vgl. 499. — * 278. Wer den Hausschlüssel verliert, wird bald sterben (Breitenbrunn), vgl. 397 u. 530.
† 279. Wenn eins der Brautleute auf dem Wege zur Kirche oder in der Kirche sich umsieht, so löst sich die Ehe bald wieder (Grünstädtel), oder die betreffende Person lebt nicht mehr lange (Geier), oder die zu hoffenden Kinder bekommen, wenn es die Braut thut, schiefe Hälse (Zwickau), vgl. 483. — 280. Wenn eines der Brautleute auf dem Wege zur Kirche den Trauring verliert, so wird die Ehe unglücklich (Marienberg), vgl. 261, 397 u. 513.
§ 29 (64 ff.). † 281. Man erzähle die Träume nicht nüchtern, denn ist es ein guter Traum, so geht er dann nicht in Erfüllung, während dagegen der schlechte seine Kraft behält (Marienberg), vgl. 25 u. 397. — Oder: hat man einen unheilvollen Traum gehabt, so darf man ihn vor Mittag Niemandem erzählen, dann wird seine Erfüllung abgewendet (Zöblitz), vgl. Wuttke § 97.
* 282. Wenn man träumt, Kuchen zu essen, so widerfährt Einem etwas Uebles (Zwickau). — * 283. Wenn man im Traume helles Feuer sieht, so bekommt man am folgenden Tage etwas geschenkt (Grünstädtel), oder ist überhaupt glücklich (Marienberg), oder erhält einen Gevatterbrief (Raschau, Sosa). Sieht man blos Rauch, so bedeutet dies Unglück (Zwickau). — 284. Ausfallen eines Zahns bedeutet Tod eines Verwandten (Raschau), vgl. 530. — * 285. Träumt man von Fischen, so erhält man Geld (Sosa). — * 286. Träumt man von Geld, so bekommt man Schläge (Sosa). — * 287. Wenn man von einem Ort träumt, an welchem etwas liegt, so stehe man gleich auf und gehe, ohne sich anzukleiden, an diese Stelle. Dort hebe man, was da liegt, sei es, was es wolle, auf. Ein Jahr darauf verwandelt es sich in lauter Gold (Sosa), vgl. 457.
Die Träume während der Zwölfnächte sind bereits § 6 h. erwähnt, sowie auch das Träumen in der Andreasnacht § 16 a.
§ 30 (71 ff.). Das einfache Loos, welches nur bejahend oder verneinend antwortet.
288. Am Andreasabend, Nachts 12 Uhr, werfen heiratslustige Mädchen, indem sie sich mit dem Kopf gegen die Thüre gekehrt in die Stube legen, den Pantoffel über sich nach der Thüre, und sprechen dazu: „Schühkel (d. i. Schühchel, kleiner Schuh) aus, Schühkel ein, wo werd’ ich heut’ übers Jahr sein.“ Fällt der Pantoffel mit der Spitze nach der Thüre zu, so hoffen sie, daß sie im nächsten Jahre heiraten (Annaberg). Auch am Weihnachtsheiligenabend und am Sylvester wird dies Spiel getrieben. Vgl. 499. — † 289. Man kann durch denselben Versuch auch erfahren, ob man überhaupt im nächsten Jahre noch in dem Hause bleibt oder es verlassen muß. Vgl. 25, 38 u. 169.
290. In der Christnacht oder Sylvester, auch zu Andreas, am erfolgreichsten Mitternachts, klopfen die Mädchen dreimal an den „Hühnerhort“ (Hühnerstall) mit den Worten: „Gackert der Hahn, so krieg ich en Mann, gackert die Henn’, so krieg’ ich noch kenn’.“ Meldet sich nun zuerst der Hahn, so macht die Betreffende in dem Jahre Hochzeit, wenn aber eine Henne, so bleibt sie noch ledig (allg.), vgl. 499. — 291. Am Christabend oder am Sylvester werden Nüsse aufgemacht; der, welcher dabei zuerst eine taube oder schwarze trifft, stirbt in dem kommenden Jahre (Marienberg), vgl. 29 u. 530. —[S. 23] 292. Oder man klebt Wachsstocklichtchen in Nußschalen und setzt diese kleinen Schiffchen, nachdem man sie je mit Namen von Anwesenden benannt, auf ein Becken mit Wasser. Die Nußschalenpaare, die sich zuerst berühren, heiraten zuerst. Oder man sucht sonst aus dem Schicksal eines Schiffchens die Zukunft dessen, nach dem es benannt ist, zu erforschen (Annaberg, Marienberg). Vgl. 38 u. 499. — 293. Oder man nimmt drei Stückchen Kork, bezeichnet das eine als Mann, das andere als Frau, das dritte stellt den Pastor vor. Stoßen nun die ersten beiden zusammen, so heiratet sich das Paar bald (Raschau). — 294. Am Sylvester- oder am Andreasabend, wo möglich Mitternacht, rafft man auf dem Holzboden so viel Holzscheite, als man fassen kann, zusammen. Unten angekommen, zählt man dieselben. Paaren sich dabei die Stücke, d. h. ist es eine gerade Zahl Scheite, so heiratet man noch in dem Jahre (Marienberg, Raschau). — † 295. Am Andreasabend zieht man, während des Siebenuhrlautens, aus einem Holzhaufen (am liebsten nicht aus einem eigenen, sondern aus einem fremden) ein Scheit; je nachdem dieses gerade oder krumm ist, deutet es die Gestalt des künftigen Gatten an (Annaberg), vgl. 326. — 296. Am Christabend oder am Sylvester, besonders Mitternacht, setzt man mittelst eines Fingerhutes oder eines Näpfchens Häufchen von Salz, hie und da auch von Sand (Annaberg), und giebt jedem den Namen einer Person. Wessen Häufchen am folgenden Morgen eingefallen ist, stirbt in dem Jahre (Raschau), vgl. 530. Andere fügen noch hinzu, Tropfen an einem Häufchen bedeuten Thränen (Zschopau). Vgl. 38. — * 297. Am Sylvester sticht man tief in ein noch frisches Brod mit dem Messer. Ist das Messer, wenn man es nach einer Weile herauszieht, feucht, so wird ein nasses Jahr, ist es trocken, ein fruchtbares (Annaberg). — * 298. Oder man nimmt das „Wassermessen“ vor, indem man ein Gefäß bis zu einer bezeichneten Stelle mit Wasser füllt; steigt das Wasser während der Nacht über diesen Strich, so hofft man ein gesegnetes Jahr (Stollberg). — * 299. Aehnlich ist das „Getreidemessen“. Man füllt am Christabend ein kleines Gefäß, z. B. ein halbes Maaß, eine Untertasse, einen Fingerhut etc. mit Getreide oder Salz und schütte je ein Häufchen auf jede Tischecke. Am folgenden Morgen mißt man wieder und je nachdem es reichlich oder knapp ist, wird das Getreide in den vier Vierteljahren ab- oder aufschlagen (Ehrenfriedersdorf) oder man bezieht es auch im Allgemeinen auf die Getreidepreise des folgenden Jahres überhaupt (Annaberg, Marienberg). — * 300. Oder man setzt auf die vier Tischecken je ein Salzhäufchen; welches am Morgen eingefallen ist, deutet in dem entsprechenden Vierteljahre auf schlechte Zeit (Zwönitz). — † 301. Oder man nimmt zwölf Zwiebelschalen, thut in jede etwas Salz: je nachdem das Salz am Morgen trocken oder feucht ist, wird der entsprechende Monat sein (Grünhain). Vgl. 165.
§ 31 (77 ff.) Enthüllungen der Zukunft mit speciellerem Inhalt.
302. Das Kartenlegen, jedenfalls aus dem Loosen mit Runenstäben entstanden, ist noch vielfach gebräuchlich, während das Wahrsagen aus dem Kaffeesatz nur vereinzelt oder gar nicht mehr vorzukommen scheint.
303. Das Blei- oder Zinngießen wird an den drei Weihnachtsheiligenabenden, sowie am Andreasabend, noch häufig geübt. Vgl. 38 u. 169. Man gießt das Metall am erfolgreichsten durch einen Erbschlüssel (vgl. 32 u. 38) in eine mit Wasser gefüllte Schüssel, indem man spricht: „Ich gieß’ mei Zinn und mei Blei, was wird mei Handwerk sei.“ Aus den entstehenden Figuren deutet man die Zukunft oder speciell den Stand des zu hoffenden Gatten. Viele spitzige, kleine Theile zeigen Krieg an und dergl. Vgl. 499. — 304. Man nimmt ein am Christabend gelegtes Ei und schlägt es Nachts 12 Uhr in ein Glas Wasser, das man unter das Bett stellt. Aus den bis zum Morgen entstandenen Figuren sucht man zu wahrsagen (Annaberg, aber nur vereinzelt). — * 305 a. Man läßt den Erbring schlagen. Ein Ring, den man ererbt hat, wird an das Haar desjenigen, der den Versuch machen will, gebunden. Man hält dann den Ring am Haare ruhig in ein Glas und so oft der Ring an die Innenfläche des Glases anschlägt, so viele Jahre dauert es noch, bis man heiratet (Voigtsdorf). — † 305 b. Am Andreas- oder am Christabend (während des Siebenuhrlautens) werfen die Mädchen ein Stück Holz (Raschau) oder einen Strohwisch (Geier) auf einen Baum, bis er liegen bleibt; so oft sie werfen müssen, so viele Jahre bleiben sie noch ledig, vgl. 499. — * 306. Am Sylvester, Mitternacht, raffen Unverheiratete mit der Hand klein gespaltene Stücke Holz auf, deren Zahl die zu hoffende Kinderzahl angiebt (Zschopau), vgl. 475.
† 307. Am Sylvester verdeckt man ein Häufchen Salz, ein Stück Brod und ein Leinwand[S. 24]läppchen mit einem Tuche und läßt wählen. Das Salz bedeutet Glück, das Brod gutes Auskommen, die Leinwand Krankheit (Annaberg). — * 308. Am Andreasabend legen die Mägde ein Stück Brod, ein Messer, ein Glas, einen Nagel, einen Riemen u. s. w. auf den Tisch. Hierauf werden einer Magd die Augen verbunden und die verschiedenen Gegenstände verschoben. Ergreift dann die Magd das Stück Brod, so heiratet sie im nächsten Jahre einen Bäcker, bei dem Messer einen Schmied und so fort (Schneeberg), vgl. 499. — * 309. Am Christabend setzt man neunerlei auf den Tisch: helles Wasser, trübes Wasser, eine Trauerschleife, Brod, Geld, einen Ring, ein hölzernes Kind (eine Puppe), einen Blumenstrauß und einen Gevatterbrief. Dann muß man dreimal mit verbundenen Augen um den Tisch gehen und nach einem dieser Gegenstände greifen. Was man ergreift, deutet an, was im nächsten Jahre geschieht (Zwickau), vgl. 530. — * 310. Oder man nimmt neun Tassen und thut in acht je folgende Sinnbilder: klares Wasser (Freude), trübes Wasser (Verdruß oder Krankheit), ein Kränzchen (Gevatterschaft), ein größeres Spähnchen (Mann oder Frau), ein kleineres Spähnchen (Kind), ein Geldstück (Reichthum), Brod (kein Mangel), schwarzes Band (Trauer). Eine Tasse bleibt leer und bedeutet, daß nichts Hauptsächliches vorfällt. Hierauf werden Einem die Augen verbunden und je nach dem er wählt, wird im nächsten Jahre sein Schicksal sein (Zwönitz).
311. Am Weihnachtsheiligenabend werfen die Mädchen eine schmal geschälte Aepfelschale rückwärts über den Kopf und ersehen dann aus der Figur den Anfangsbuchstaben des künftigen Geliebten (Marienberg). Vgl. 38. — 312. Am Sylvester-, Andreas- oder Martiniabend schreiben die Mädchen die Buchstaben auf einzelne Blättchen und legen sie unter das Kopfkissen. Dasjenige, welches sie beim Erwachen in der Nacht oder am Morgen hervorziehen, bezeichnet den Anfangsbuchstaben des künftigen Bräutigams (Marienberg, Sehma). — * 313. Wenn man in einen Brunnen guckt, erblickt man den künftigen Gatten (Schneeberg).
* 314. Um zu sehen, welche Art des Getreides im neuen Jahre am besten gerathen werde, nimmt man am Sylvesterabend eine Schüssel mit Wasser, legt vier Stäbchen, zwei der Länge und zwei der Quere, über das Wasser und schüttet nun in die dadurch entstandenen neun Fächer verschiedene Getreidearten. Diejenige derselben, welche bis zum Morgen am meisten gequollen ist, wird am besten gedeihen (Lengefeld).
315. Eine verbreitete Art der Wahrsagerei ist das Aufschlagen von Büchern. Man schlägt am Sylvester das Gesangbuch (oder auch die Bibel) nach Zufall auf und sucht aus dem ersten Liede der aufgeschlagenen Seite die Zukunft zu deuten. — 316. Hierher gehören auch das Erforschen der Zukunft durch Punktiren mit Hilfe der sogenannten „Punktirbüchlein“, sowie die am Andreasabend gebräuchlichen Arten des Wahrsagens, vgl. 159–170.
§ 32 (86 ff.). Hierbei sucht man durch gewisse den Schein des Geheimnißvollen und Magischen an sich tragende Mittel und Wege die Zukunft zu enthüllen. — Die folgenden Anführungen machen auf Vollständigkeit um so weniger Anspruch, als gerade derartige Dinge von den sogenannten Wissenden möglichst verborgen gehalten werden.
317. Die Zauberspiegel, die hie und da bei Jahrmärkten aufgestellt sind, finden immer noch Gläubige. Vgl. 499.
† 318. Am Weihnachtsabend oder am Sylvester sieht man in die Esse; erblickt man dort einen Sarg, so stirbt im folgenden Jahre Jemand aus der Familie (allg.), vgl. 530.
An das Gebiet der Zauberei streift die Wahrsagerei, zu deren Ausführung man sich auf das geheimnißvolle Gebiet der Kreuzwege begiebt, deren Bedeutung wohl aus dem unheimlichen Gefühl der Rathlosigkeit stammt, welches den der Gegend unkundigen Wanderer, besonders in der Nacht, an einem Kreuzwege befällt (Wuttke § 102). Dort halten Abends die Hexen ihre Sitzungen (Annaberg), man tritt also damit unter den Einfluß dieser Dienerinnen des Teufels, ähnlich wie bei dem Horchen an einem Astloch, vgl. 163.
[S. 25]
319. Am Sylvester, Nachts 12 Uhr, stelle man sich auf einen Kreuzweg, um aus irgend einem Zeichen, z. B. einem vorüberfliegenden Vogel, die Zukunft zu errathen (Dittersdorf); sieht man aus einem Hause Lichter herausfahren, so wird dort im Laufe des Jahres Jemand sterben (Lauter), oder nach der Gegend zu, wo Leuchtkugeln (?) fallen, wird Feuer ausbrechen (Zwönitz). — * 320. Oder man beschreibt auf dem Kreuzweg einen Kreis, murmelt Zauberformeln und ruft einen Verstorbenen beim Namen. Der Geist erscheint und sagt auf Verlangen Alles, was in dem neuen Jahre vorfällt. Steht der Geist nicht, so stirbt der Beschwörer (Grünstädtel, Schwarzbach). — * 321. Minder gefährlich, aber auch weniger zuverlässig ist, wenn man sich blos horchend aufstellt, ohne einen besonderen Geist zu citiren. Zuweilen hört man dann auch (wahrscheinlich, wenn einer der Geister gerade Zeit oder Lust hat), was im neuen Jahre geschieht. In Ermangelung eines Kreuzweges thut ein Kreuzbalken, an dem man horcht, dieselben Dienste (Zwickau).
* 322. Hierher gehört auch das geheimnißvolle „Kornhorchengehen.“ Man lege sich am Sylvester Mitternachts an einen Feldrand, namentlich wo Winterkorn gesäet ist, dann hört man, was in dem neuen Jahre sich zutragen wird (Raschau). Vgl. auch 160 ff.
Zu den Zauberwahrsagereien gehören auch alle, die mit Erbsachen — vom Vater und Großvater ererbt — vorgenommen werden. Es liegt diesem Aberglauben der ächt deutsche Sinn zu Grunde, daß solch ein Erbstück Liebe und Interesse für das Haus habe, gleichsam Träger oder Organ der das Haus schützenden Ahnengeister sei. Der Erbschlüssel vertritt das Recht des Hausbesitzes, der Erbzaun den Besitz des ganzen Gehöftes. Daher das erfolgreichere Bleigießen durch einen Erbschlüssel und das Rütteln eines Erbzaunes am Andreasabend, vgl. 162, 303, 305 a, 326, 430 u. 442.
Der Wahrsagereien durch klopfende Tische und durch vermeintliche Somnambulen (vgl. 458) gedenken wir nur beiläufig. Jene spielten namentlich 1853 und folgende Jahre eine nicht unwichtige Rolle auch im Gebirge und diese tauchen von Zeit zu Zeit mit mehr oder weniger Zulauf je nach ihrer Geschicklichkeit hie und da auf.
§ 33 (98 ff.). Die Zauberei ist nicht allezeit gleich wirksam, sondern hat ihre besonderen Zeiten. Die verhängnißvollen Schicksalszeiten, wie die Zwölfnächte, Ostern, Walpurgis, Johannis, Andreas u. s. w. (vgl. § 4–16) sind auch zum Zaubern die geeignetsten. Der Mondwechsel (§ 18) kommt auch hier in Betracht und von den Tageszeiten ist die Morgen- oder Abenddämmerung (z. B. jene zu Ostern, diese zu Weihnachten; in Annaberg namentlich auch die Zeit während des Siebenuhrlautens, vgl. 164 u. 295), am Johannistage die Mittagsstunde, sonst aber allgemein die Mitternachtsstunde (von 11 bis 12 Uhr), die eigentliche Geisterstunde, die wichtigste.
Die Zauberei ist nicht überall gleich wirksam, sondern hat oft auch ihre besonderen Orte, namentlich die Kreuzwege (vgl. 319 ff., 362) und die Kirchhöfe oder sie weiht sich ihre Orte durch besondere Zauberkünste.
[S. 26]
Die meisten Zaubereien müssen schweigend geschehen und auch da, wo Worte nöthig sind, wie bei Besprechungen und dergl., sollen sie mit leisem Murmeln gesprochen werden.
Auch die Zahlen sind zu beachten. Die geeignetsten sind drei, sieben, neun, überhaupt alle ungeraden Zahlen.
Endlich gilt die linke Seite, sowohl an dem Menschen selbst, wie außer ihm, für zauberkräftiger, als die rechte.
§ 34 (105 ff.). Die Zaubermittel theilen sich in vier Klassen (vgl. § 35 ff.). Man zaubert durch gesprochene oder vielmehr gemurmelte Worte (vgl. § 33), durch niedergeschriebene Formeln, durch gewisse Thätigkeiten oder Handlungen und durch sogenannte Zauberdinge.
Die Anweisung zum Zaubern muß man sich entweder durch mündliche Belehrung seitens der „Wissenden“ zu verschaffen suchen oder man kann sich aus den mehr oder minder geheim gehaltenen Zauberschriften unterrichten. Das Nähere über diese Literatur s. bei Wuttke, § 108.
323. Zauberschriften sind auch im oberen Erzgebirge mehr, als man glaubt, unter dem Volke verbreitet. Man findet Faust’s Höllenzwang, Scheible, Kloster (Stuttgart, 1847), den feurigen Drachen (Ilmenau, 4. Aufl., 1850) u. s. w.; auch handschriftliche Bücher, theils als Abschriften aus gedruckten Büchern, theils wohl auch noch ungedruckte Manuscripte. Mit Hilfe dieser Literatur, die geheim gehalten und nur mit einer gewissen Scheu gezeigt wird, sucht man namentlich unterirdische Schätze zu heben und trägt sich dabei mit den abenteuerlichsten Hoffnungen. — Leichtgläubige lassen sich auch zuweilen Bücher u. s. w., die durchaus nichts mit Zauberei zu thun haben, als derartige aufschwatzen. So wurde dem Schreiber dieses einst ein altes Buch, das arme Leute unter dem Vorgehen, es sei das 6. und 7. Buch Mosis, für 13 Gulden erschwungen, gezeigt, welches bei näherer Betrachtung als eine Ausgabe des Cäsar von Sincerus sich ergab. Ein andermal brachte ihm ein Mann mit geheimnißvoller Miene sogenannte „Zaubertafeln“, die sich als Blätter aus dem Himmelsatlas von Homann erwiesen.
§ 35 (109 ff.). Die Zauberei durch Worte, durch sogenannte Beschwörungsformeln, geschieht in leisem, murmelndem Ton (§ 33). Die Formeln sind oft gereimt und nicht selten mit christlichen Redensarten verziert.
* 324. Man schützt sich mit den Worten: Ist Jemand stärker als Jesus, der greife mich an (Lauter). Vgl. 19, 327, 338 u. 404.
§ 36 (113 ff.). Geschriebene Zauberformeln, Amulette schützen gegen feindliche Mächte. Man schreibt sie entweder auf den bedrohten Gegenstand oder hängt sie diesem oder sich selbst um, nachdem man dieselben auf einen Zettel geschrieben.
325. Am Dreikönigsfeste (vgl. § 5 u. § 52) schreibt man die drei bekreuzten Buchstaben C † M † B † (bekanntlich die Anfangsbuchstaben von den traditionellen Namen der drei Könige Kaspar, Melchior, Balthasar) mit Kreide über die Thüre, damit keine ansteckende Krankheit entstehe (Marienberg), vgl. 398 u. 409.
§ 37 (120 ff.). Zu der Zauberei durch gewisse Thätigkeiten der Sinneswerkzeuge oder durch Handlungen rechnen wir den sogenannten „bösen Blick“ (Wuttke, § 120) mit[S. 27] verderblicher, das Anhauchen und Anspucken (vgl. 443) mit heilsamer Wirkung; ferner gehört das dreimalige Herumgehen oder Herumreiten um einen Gegenstand dazu.
Oft kommt auch das Stehlen als eine den Zauber mit bedingende Handlung vor, indem manche Dinge nur dann den Zauber ausüben, wenn sie gestohlen sind. Das ist der Gegensatz zu dem Aberglauben, der sich auf Erbsachen gründet (§ 32) und zu der Sitte, nichts ganz umsonst weg zu geben (vgl. 386).
* 326. Man stiehlt ein Stück Holz und verbrennt es am Andreasabend. Wer während dieser Zeit in die Stube tritt, führt den Namen des künftigen Gatten (Annaberg). Besonders wirksam ist Holz von einem Erbzaun abgebrochen (Marienberg). Auch nimmt man wohl neunerlei verschiedene Holzarten und verbrennt sie Mittags zwischen 11 und 12 Uhr oder Abends während des Siebenuhrläutens (Annaberg), vgl. 295 u. 499. — * 327. Man stiehlt ein Stück Fleisch und reibe bei zunehmendem Monde die Warzen oder sonst ein Gebrechen, das man los werden will, indem man sagt: „Was ich seh’, nimmt zu, was ich streich’, nehm’ ab. So gut wie dies Stücklein Fleisch verdorrt, soll auch mein Gebrechen verdorren“ (Lauter), vgl. 433.
Andererseits wird wieder vorgeschrieben, daß gewisse Dinge zauberkräftig sind, wenn man dieselben erbettelt oder ohne abzuhandeln gekauft hat.
Den Handlungen sind auch beizuzählen die als „Sympathie“ (vgl. § 42) bezeichneten Zaubermittel, wobei die Krankheit auf einen anderen Gegenstand über- und abgeleitet wird, dieser also in die „Mitleidenheit“ gezogen wird.
328. Hat man Warzen oder sonst etwas Böses am Körper, so bestreicht man das Krankhafte mit etwas Leinwand und legt diese mit in den Sarg. Mit dem Verwesen der Leiche vergeht auch das Uebel (Zschopau). Vgl. 120, 141, 327, 433, 443 und Wuttke § 266. — * 329. Trägt man Salpeter, Kampfer und Schwefel acht Tage lang auf der Brust in einem Säckchen verwahrt und wirft dann dieses rücklings in einen Bach, so vergeht der Zahnschmerz, vgl. 434.
Spuren von Opfern, die ebenfalls unter den Begriff einer Handlung fallen, finden sich vereinzelt.
† 330. Wenn man Aepfel oder Birnen schüttelt, läßt man einen Apfel oder eine Birne hängen, damit der Baum wieder trage (Sosa), vgl. 465. — Dieser Gebrauch beruht wohl auf einem dem Wodan geweihten Dank.
§ 38 (132 ff.). Zauberdinge sind Gegenstände, mit denen man übernatürliche Wirkungen hervorzubringen meint. Sie haben diese Bedeutung meist noch aus dem deutschen Heidenthum, hie und da im Laufe der Zeit mit christlichen Elementen durchsetzt. Die wenigsten derselben haben an und für sich eine Zauberkraft, sondern erst unter gewissen örtlichen und zeitlichen Bedingungen, vgl. § 33. Wir theilen diese Zauberdinge, ähnlich wie die Schicksalszeichen (vgl. § 19 ff.) in Natur- und Kunstprodukte, sowie in vom menschlichen Körper oder aus dem Kreis der kirchlich-religiösen Gegenstände genommene Mittel.
a. Das Wasser am Gründonnerstag, Charfreitag und zu Ostern, vgl. 89 ff. u. 498.
b. Der Schnee. * 331. Der erste Märzschnee wird in die Kammern getragen und damit ausgekehrt; befreit von Ungeziefer (Raschau), vgl. 410.
c. Der Regen. 332. Mairegen befördert das Wachsthum der Kinder, wenn sie mit unbedecktem Kopfe sich demselben aussetzen (allg.), vgl. 453.
[S. 28]
d. Das Feuer. 333. Die Feuer zu Walpurgis vertreiben die Hexen, vgl. 129 u. 407. — * 334. Ein Feuerzeug als Hochzeitsgeschenk bringt Segen (Markneukirchen), vgl. 507. Vgl. auch 58 das Heiligabendlicht. — e. Asche, vgl. 127.
f. Die Esche (fraxinus) wurde im deutschen Alterthum besonders zu Speerschaften benutzt. — * 335. Ein Wagen mit Deichsel und Gabel von Eschenholz erschwert einen vorausfahrenden Wagen um 5 Centner (Marienberg); vgl. 124, 126 u. 473.
g. Die Tanne (pinus silvestris). Beim Wintersonnenwendefest verwendete man namentlich die immergrünen Zweige der Tanne, daher noch unsere Christbäume. Vgl. auch 95, 155, 573 u. Rochholz, Weihnachten, Aufsatz in der illustrirten Zeitung, 1860 Nr. 912.
h. Hollunderzweige (vgl. § 23 n) und Weidenruthen schützen am Walpurgis vor Hexen, vgl. 133. Die Weide (salix) galt den alten Deutschen ebenfalls als ein geweihter Baum (vgl. Montanus, 2. Bdchen, S. 152). Haselstrauch, vgl. § 23 o.
i. Kräuter, vgl. 106 u. 154. — k. * 336. Gutheinrichwurzel oder Gundermann heilt das Behextsein (Sehma), vgl. 361 u. 440. — l. * 337. Liebstöckelöl (vgl. 155) macht, wenn es dem Rindvieh an die Hörner gestrichen wird, daß es nicht stößt (Sehma), vgl. 426.
m. Hirse, vgl. § 23 q. — n. Kornblüthe. 338. Wenn man das Korn zum erstenmal im Jahre blühen sieht, soll man die Blüthe von drei Aehren und zwar im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes essen, so sticht Einem keine Otter und man nimmt überhaupt keinen Schaden (allg.), 398, 436 u. 445.
o. Frischer Rasen, vgl. 137. — p. Nußkern, Safran, Weihrauch, Salz, Kreide u. s. w. sind dem Vieh heilsam und befördern den Milchertrag, namentlich an Weihnachten und wenn die Thiere Junge bekommen haben, vgl. 16, 76 u. 96.
q. Das Salz ist ein Schutzmittel gegen Behexen und ein Heilmittel bei sympathetischen Kuren — * 339. Wenn die Leute Milch bei den Bauern holen, thuen letztere etwas Salz in den Milchkrug, damit die Milch nicht behext werde (Annaberg), vgl. 408.
r. Der Rabe, vgl. § 22 f. u. 116. — s. Die Kröte, von den Hexen zu Gifttränken verwendet, galt wohl auch als Maske des Teufels, vgl. 115, 351 u. 354. — t. Eier, vgl. 110, 141, 143 u. 487.
a. Der Schlüssel. † 340. Ein Schlüssel, über den man Walpurgis das Vieh hinwegtreibt, schützt gegen Behexung desselben (vgl. 137 u. 427).
b. Der Besen spielt im Zauber- und Hexenwesen eine große Rolle; wahrscheinlich stand derselbe in irgend einer noch nicht hinreichend nachgewiesenen Beziehung zu Thor, sei es als ein Sinnbild der auseinanderfahrenden Blitze, sei es, weil vielleicht das sogenannte Besenkraut (Sarothamnus) dem Gotte geweiht war. — 341. Die Hexen reiten auf Besen durch die Luft, respectiren aber auch ihr eigenes Wahrzeichen. Daher legt man Besen zu Walpurgis vor die Stallthüre. — Vermuthet man eine Hexe im Stalle, so stelle man zwei neue Besen kreuzweis vor die Thüre. Ist wirklich eine Hexe im Stall, so geräth sie ganz außer sich und befiehlt, die Besen wegzuschaffen, vgl. 131, 413 u. 427. — * 342. Ist das Kraut gepflanzt, so steckt man in eine Ecke des Feldes einen Stallbesen, damit die Raupen nicht in das Kraut kommen. Am Oswaldstage (5. August) nimmt man ihn wieder weg (allg.). Man umsteckt denselben auch mit Nesseln (Grünstädtel), vgl. 425. — * 343. Menschen oder Vieh mit Besen geschlagen, werden dürr (Raschau), vgl. 397. — Vgl. 41: Das Essen auf dem Säetuch am Weihnachtsabend.
Einen besonderen Kreis von Zaubermitteln bilden Theile des menschlichen Körpers, wie Blut, Nägel, Haare u. s. w., namentlich auch von Hingerichteten. Ebenso knüpft sich mancherlei Aberglaube an Leichen an und was mit ihnen in Zusammenhang steht, vgl. 101 u. 114.
a. Das Taufwasser: * 344. Man wasche sich mit Taufwasser, so kommt man Gott näher (Markneukirchen), vgl. 456.
[S. 29]
b. Das Kreuzeszeichen: † 345. Wenn ein Fuhrmann von zu Hause wegfährt, macht er drei Kreuze hinter den Wagen (Zöblitz), vgl. 406. — * 346. Die Bauerfrau näht in ihr Seihtuch drei Kreuze (Frohnau). — * 347. Ehe man zu buttern anfängt, macht man drei Kreuze über das Butterfaß (Frohnau), vgl. 408. — † 348. Wenn ein kleines Kind gähnt (vgl. 405, 488 u. Wuttke § 219) mache man ihm drei Kreuze über den Mund (Marienberg). Vgl. auch 130 u. 362.
§ 39 (171 ff.). Der Zweck dieser Zauberei ist zunächst Anstiften des Bösen aus Lust am Bösen und sie beruht in ihrem letzten Grunde auf der Ansicht eines Bündnisses mit dem Teufel.
Auf solchem Bündniß mit dem Satan beruht die vermeintliche Macht der Hexen.
349. Zwar kann man annehmen, daß der Verdacht, eine bestimmte Person sei eine Hexe, unter dem Volke des Erzgebirges sich nicht mehr finde, dennoch ist der mit dem Hexenwesen in Zusammenhang stehende Aberglaube noch ziemlich lebendig, vgl. § 12: Walpurgis.
350. Eine Hexe erkennt man daran, daß sie rothe Haare, rothe, triefende Augen, und große, buschige Augenbrauen hat, die über der Nase zusammengewachsen sind. Außerdem hat sie Platt- oder Drudenfüße (Annaberg). — 351. Die Hexen können andere Gestalten annehmen und verwandeln sich namentlich in Katzen, Hasen und Kröten (vgl. § 21 c. d. u. § 38 A s.). — 352. Daher hat, wer Katzen ersäuft, kein Glück (Lengefeld) oder bestimmter, sieben Jahre Unglück (Ehrenfriedersdorf), vgl. 397. — 353. Die Hexen laufen in Hasengestalt (vgl. § 21 c.) unter die weidenden Viehheerden und richten allerlei Unheil an (Saida). — 354. Wenn ein Bauer auf seinem Felde eine Kröte sieht, so fügt er ihr irgend einen Schaden zu, indem er glaubt, daß er einer in der Kröte steckenden Hexe Schaden zufügt (Raschau). — * 355. Auch die Maus ist verdächtig, z. B. wenn man ein trächtiges Stück Vieh mit einer Maus wirft, so kommt das Junge todt zur Welt (Raschau), vgl. 397.
Die gewöhnlichste und einfachste Weise des Behexens bei Menschen und Vieh ist das „Beschreien.“
356. Das Beschreien geschieht, indem man Jemanden oder etwas wegen seiner Gesundheit, Schönheit, Kraft oder sonstiger guter Eigenschaften lobt. Dadurch bewirkt man alsbald das Entgegengesetzte des Ausgesprochenen, Krankheit und dergl. Ja dieses Beschreien gilt und wirkt selbst dann, wenn gar nicht einmal eine böse Absicht dabei ist, sondern das Lob aus guter Meinung geschieht. Daher haben die Leute sehr allgemein, bis weit in die höher gebildeten Stände hinauf, eine solche Angst vor dem Loben ihrer oder ihrer Angehörigen Gesundheit etc. und suchen sich dagegen zu schützen, vgl. 368 u. 400.
357. Wenn man Jemanden, der auf die Jagd geht, Glück wünscht, so trifft er nichts oder es begegnet ihm sonst ein Unglück (allg.). — 358. Um die kleinen Kinder vor dem Beschreien zu schützen, binde man ihnen ein rothes Bändchen um das Handgelenk (allg.), vgl. 488. — 359. Damit die jungen Kühe nicht beschrieen werden, binde man ihnen ein rothes Bändchen um die Stirn (Schneeberg). Oder: Spricht man sich über eine Kuh lobend aus und sagt nicht: „Gott behüt’s,“ so ist sie verschrieen und es passirt derselben irgend ein Unheil (Annaberg), vgl. 426. — 360. Wenn das Vieh keine Milch giebt, so ist es beschrieen (Marienberg). — * 361. Sind die Kühe behext, so hole man „Gutheinrichwurzel“ und sage während des Ausziehens: „Gut Heinrich, du bist mein Knecht, mit meiner Kuh ist’s nicht recht; geh’ das Dorf auf und nieder, bring mir meinen Nutzen wieder“ (Sehma), vgl. 336 u. 441. — Andere Schutzmittel gegen Hexen und Hexerei s. § 38 u. § 42.
Die Hexen richten auch sonst, wie und wo sie können, Schaden an. Doch fehlt es auch anderer Seits nicht an Schutzmitteln dagegen.
* 362. Man vermeide Abends Kreuzwege, denn die Hexen, die dort ihre Sitzungen halten, führen einen sonst in die Irre. Nimmt man aber die Mütze ab und macht mit Kreide ein Kreuz[S. 30] (§ 38 D b.) hinein, so haben sie keine Macht (Annaberg), vgl. 404 u. 440. — † 363. Wenn Heu gemacht wird und es erhebt sich ein Wind (Wuttke, § 191 u. 301), so daß er das Heu fortjagt, so schreibt man dies auch den Hexen oder direkt dem Teufel zu. Die Leute schlagen dann mit ihren Rechen auf das Heu oder werfen mit Messern in die Luft, um den Teufel zu verjagen (Raschau), vgl. 444.
Eine besondere Art des Behexens ist das sogenannte Alpdrücken:
† 364. Wenn man den Alp zum Kaffee für den andern Morgen einladet, so geht er fort (Zwickau), vgl. 440 u. § 47. — Aehnlich bei Wuttke, § 193, der noch hinzufügt: „er kommt dann, um das Versprochene zu empfangen, meist in der Gestalt eines Bettlers oder eines Bettelweibes.“
Auf dem Glauben an ein Satansbündniß beruht auch das Gerede von dem Drachen, den manche Leute haben sollen (Wuttke, § 179) und der ihnen Geld und andere Gegenstände zuträgt, die er anders wo geraubt hat.
† 365. Der Teufel fährt bei solchen Leuten von Zeit zu Zeit in Gestalt eines Drachen zur Feueresse herein. Man muß ihm dann eine Schüssel Hirsebrei (vgl. § 23 q) auf den Oberboden setzen. Er verzehrt den Brei und legt statt dessen Geld in die Schüssel (vgl. 461). Ein solches Geldstück, welches der Drache gebracht hat, kommt stets wieder, wenn es ausgegeben worden ist. Thut es dagegen der Empfänger in ein Glas, das er mit einem Deckel, auf den er einen Kreis mit Kreide beschreibt und innerhalb desselben die Kreide liegen läßt, verwahrt hat, so muß es bleiben (Marienberg), vgl. 444 u. § 47.
Ebenfalls Boten des Teufels sind der sogenannte Getreideschneider sammt den übrigen gespenstischen Thieren und Geschöpfen, vgl. 155 u. § 47.
Auf der Ansicht eines Bündnisses mit dem „Bösen“ beruht auch der schauerlichere Theil der Zauberwahrsagekunst, vgl. § 32.
§ 40 (197 ff.). Der Zweck dieser Zauberei ist Abwenden von möglichen oder schon vorhandenen Uebeln und Zuwenden von irdischem Glück.
Das schützende Zaubern gegen mögliche Uebel besteht theils in dem Unterlassen bestimmter, sonst erlaubter Handlungen, theils in dem Thun gewisser Handlungen.
a. Das Unterlassen bestimmter Handlungen.
„Der Aberglaube hat eine sehr genaue, ins Einzelne gehende Gesetzgebung und überall tritt dem Menschen ein drohendes: „Du darfst nicht“ entgegen. Manche dieser Verbote haben allerdings einen tieferen sittlichen oder auch praktischen Grund, sind aber in ihrer Weise dennoch Aberglauben, weil nicht dieser vernünftige Grund, sondern eine Zauber-Bewahrung als Zweck in das Bewußtsein tritt.“
† 366. Wer eine Schwalbe (§ 22 i.) tödtet, dessen Haus brennt ab, denn die übrigen Schwalben speien Feuer auf dasselbe (Sosa). — 367. Wer eine Spinne (§ 22 l.) tödtet, hat kein Glück (allg.).
368. Man rühme sich weder seines Glückes noch seiner Gesundheit oder sonstiger günstiger Umstände seines Familien- und wirthschaftlichen Lebens (allg.), vgl. 356 u. 357. — * 369. Man lasse sich nicht malen, sonst muß man sterben (Zwickau).
† 370. Man lasse die Wäsche nicht über Nacht draußen, sonst kommt der Nachtschatten hinein und wer sie anzieht, wird mondsüchtig (Sosa). — 371. Des Morgens darf man nicht mit dem linken Fuß zuerst aus dem Bette steigen, weil man sonst den ganzen Tag verdrießlich ist oder von einem Unfall[S. 31] betroffen wird (Marienberg). — 372. Wenn Jemand zu Besuch kommt und sich nicht niedersetzt, so nimmt er die Ruhe mit (allg.). — * 373. Wenn man sein Geld immer zählt, wird es weniger (Sosa).
† 374. Man soll bei einem Gewitter nicht sagen: „Der Himmel ist schwarz,“ sonst wird Gott zornig (Raschau), vgl. 419.
375. Das Brod darf man nicht verkehrt auf den Tisch legen, sonst giebt man den bösen Leuten Macht über das Haus (Marienberg); auch nicht mit der angeschnittenen Seite nach der Stubenthüre, sonst geht der Segen aus dem Hause (Zwickau). — 376. Bei der Mittagsmahlzeit darf man nichts übrig lassen, sonst wird schlechtes Wetter (allg.), vgl. 49. — 377. Ein halb ausgetrunkenes Glas darf man nicht wieder vollschenken, sonst bekommt der daraus Trinkende die Gicht (Buchholz). — 378. Das Messer darf man nicht mit der Schneide nach oben hinlegen, sonst schneiden sich die Engel (allg.); * ebenso wenig lege man den Rechen mit nach oben gekehrten Zinken hin (Sehma).
* 379. Ein Fuhrmann soll kein Brod anschneiden, sonst fällt der Wagen um (Raschau).
† 380. Man werfe die beim Kämmen ausgehenden Haare nicht zum Fenster hinaus, denn kommen die Spinnen darüber, so verliert man noch mehr Haare (Raschau).
* 381. Wenn man etwas Eingewickeltes findet, soll man es nicht aufheben, es könnte etwas darin „verthan sein,“ d. h. eine Krankheit hineingebannt sein, welche, sobald man es angreift, auf Einen übergeht (Zwickau). — * 382. Man krieche durch nichts, ohne daß man wieder auf demselben Wege zurückkriecht, sonst wächst man nicht mehr (Geier), vgl. 493. — 383. Wenn man über Jemanden springt, ohne wieder rückwärts über ihn zu springen oder zu schreiten, so wächst dieser nicht mehr (Raschau).
384. Den Kehricht werfe man nicht auf den Dünger, man wirft sonst das Glück mit hinaus (Annaberg). — * 385. Man gehe nicht über den Kehricht, sonst bekommt man Verdruß (allg.).
386. Man darf nichts, namentlich Erzeugnisse des Feldes, des Gartens und des Viehstandes, z. B. Sämereien, Milch etc. ganz umsonst weggeben, sonst giebt man das Glück mit weg; man nehme daher wenigstens eine Kleinigkeit, sei es auch nur eine Stecknadel, als Bezahlung (allg.); gilt namentlich während der sogenannten Schicksalszeiten, vgl. 6, 51 u. § 37. — 387. Man gebe nicht das erste Stück eines Brodes, den Anschnitt, aus dem Hause, sonst trägt der Empfänger den Segen fort (Raschau). — 388. Nadeln darf man nicht verschenken, sonst zersticht man die Freundschaft (allg.).
389. Nach Sonnenuntergang darf man nichts, namentlich nicht Milch, Butter, Eier etc., aus dem Hause verkaufen, weil sonst der Segen aus dem Hause gegeben wird (allg.); gilt namentlich während der sogenannten Schicksalszeiten, vgl. 51, 118, 132 u. 171.
† 390. Wenn Jemand mit dem Löffel, womit schon ein Anderer gegessen, ißt, ohne ihn vorher abzuwischen, so werden beide einander gram (Sosa). — * 391. Wenn zwei zugleich sich an dasselbe Handtuch trocknen, so werden sie Feinde (Raschau). — * 392. Wenn man eine Cigarre raucht und giebt sie einem Anderen, ohne vorher den Speichel abzuwischen, so werden sie Feinde (Schwarzbach). — * 393. Man darf die Lampe oder das Licht nicht bei einem Andern anbrennen, sonst kommt Feuer aus (Ehrenfriedersdorf), vgl. 52.
† 394. An dem Tage, wo eine Kuh kalbt, darf keine Milch weggegeben werden, sonst stirbt das Kalb bald (Raschau).
395. Wenn man das Vieh beim Schlachten bedauert, kann es nicht sterben (allg.).
* 396. Wenn man im Walde, während des Sommers Butter auf dem Brode hat, so ziehen Einem die Ottern nach (Raschau).
397. Vieles, was man unterlassen oder wovor man sich hüten muß, ist außerdem schon bei den Schicksalszeiten erwähnt worden, und zwar vgl. zum Schutz gegen Unglück überhaupt: 15, 31 ff., 40, 50, 52, 102–105, 243, 275, 281 u. 352; vgl. auch 448; gegen Unglück im häuslichen Leben und in der Ehe: 9, 30, 53, 87, 239, 241, 261 ff., 272, 279 u. 280; gegen Leibesschaden und Tod: 15, 34, 42, 55, 56, 75, 243, 252 u. 278; gegen Miswachs: 13, 61, 157, 158, 174 u. 177 und gegen Unglück im Viehstand: 77, 118, 132, 139, 142, 343 u. 355. Aus den folgenden Paragraphen ist hierher zu ziehen: in Bezug auf Geburt etc.: 475, 478, 480, 481, 483, 485, 486, 489, 490, 492–495; in Bezug auf Brautstand etc.: 500–503, 506, 507, 509, 511, 517, 520, 523, 526 u. 528; in Bezug auf Tod und Begräbniß: 533, 539, 540, 542 u. 547.
[S. 32]
b. Das Thun bestimmter Handlungen.
§ 41 (214 ff.). Es sind dies entweder bestimmte einmalige Handlungen oder bleibende zauberkräftige Schutzmittel.
398. Vor Krankheit und Schaden überhaupt schützt das Waschen mit Osterwasser (90 u. 498), das Anziehen frischer Wäsche am heiligen Abend, Neujahr und Fastnacht (11 u. 71), das Genießen bestimmter Speisen zu Weihnacht, Fastnacht und Ostern (14, 15, 72, 73, 98 u. 99), das Essen von Ostereiern (110), das Verschlucken der Blüthe von den ersten drei Kornähren, die man im Sommer sieht (vgl. 338; schützt namentlich auch gegen den Stich der Ottern, vgl. 111), das Trinken des am Johannistag gesammelten Thees (vgl. 154; bewahrt insbesondere auch vor allen Wunden) und das Anschreiben der Anfangsbuchstaben der heiligen drei Könige (325) über die Thüre. Vgl. überhaupt 445.
† 399. Vor dem Ausschlag und überhaupt vor Hautkrankheiten schützt man sich, wenn man sich mit Osterwasser (90) oder am Charfreitag mit Bachwasser wäscht (113), vor Bruchschaden durch Essen eines Gänseeies am Charfreitag (123), vor Zahnschmerzen, wenn man sich die Nägel allemal Freitags, namentlich am Charfreitag, schneidet (8 u. 121), vor Rückenschmerzen durch Essen von Ostereiern (111), sowie dadurch, daß man sich beim ersten Donner, den man im Frühling hört, mit dem Rücken auf die Erde legt (Raschau), vor Schmerzen im Bein durch Peitschen oder Peitschenlassen zu Ostern (94). Vgl. auch 497.
400. Da man es durchaus vermeiden muß, sich seiner Gesundheit zu rühmen (356), so muß man, wenn man von derselben spricht, ein „Gott sei Dank“ hinzusetzen und wenn ein Anderer sie lobt, füge man selbst oder der Lobende ein „Gott behüt’s“ hinzu (allg.). — 401. In gleicher Weise müssen auch Mütter ihre Kinder, überhaupt Jeder das, was er liebt, gegen eigenes oder fremdes Lob schützen (allg.). — 402. Als Schutzmittel gegen das Beschreien gilt namentlich die rothe Farbe, vgl. 358, 359 u. 488.
* 403. Wenn ein Paar zusammen auf der Straße geht, so sollen sie Niemanden zwischen sich hindurch lassen, sonst nimmt diese Person den Anderen das Glück (Raschau). Vgl. auch 491.
404. Vor Behexung schützt man sich durch das Kreuzeszeichen und durch Anrufung Jesu (324 u. 362). — 405. Wenn man gähnt, muß man sich im Namen der Dreieinigkeit bekreuzen, damit nichts Böses in den Mund kommt (348). — † 406. Wenn der Wagen aus dem Bauerhofe abfährt, so knallt der Fuhrmann dreimal, der Tisch wird abgeräumt und (wie schon 345 erwähnt) drei Kreuze werden dem Wagen nach gemacht, dann geht die Fahrt glücklich von statten (Zöblitz). — 407. Schutz gegen Hexen vgl. 129 u. 333, gegen Gespenster 114, gegen Ertapptwerden 115, gegen Fehlschießen 116, gegen Todesanzeichen 196. Gegen Unglück in der Kindererziehung vgl. 477, in der Ehe 506, 508, 515, 516, 519 u. 529, in Folge eines Todesfalles 535–538, 541 u. 544. — 408. Gegen das Behexen der Milch und der Butter hilft Salz oder das Kreuzeszeichen vgl. 339, 346 u. 347; dem leeren Rahmtopf können die Hexen nichts anhaben vgl. 117. — † 409. Das Haus im Allgemeinen, sowie das Hauswesen bis herab auf die Klöppelsäcke werden vor bösem Zauber und anderem Unheil geschützt durch Kreuzeszeichen zu Walpurgis (130 u. 134), oder durch die Anfangsbuchstaben der heiligen drei Könige zu Epiphanias (325) oder durch andere Maßnahmen (185).
† 410. Vor Ungeziefer schützt man das Haus, außer den bei Fastnacht (67–69) gegebenen Regeln dadurch, daß man mit dem ersten Märzenschnee (Wuttke, § 223, sagt: mit Osterwasser) auskehrt, vgl. 331. — * 411. Die Betten müssen früh gemacht werden, damit man keine Flöhe bekommt (Sehma).
412. Eine Eule (vgl. § 22 g), an das Scheunenthor genagelt, schützt das Getreide vor Bezauberung (Marienberg), vgl. 82 u. 680. — 413. Den Stall schützt man durch Tannenreiser zu Ostern, sowie durch Kreuz und Besen an Walpurgis, vgl. 95, 130, 131, 341 u. 427. — 414. Ebenso wird auch der Düngerstätte ihr Schutz (vgl. 10 u. 133) zu Theil.
415. Vor Feuersgefahr schützt man das Haus durch „Besprechen“ (vgl. § 42) oder durch den Feuersegen: So soll eine alte Zigeunerin die Stadt Zwickau durch ihren Feuersegen geschützt haben, daß nie ein größerer Brand daselbst entsteht. Vgl. 244 u. 245.
416. Steht ein Gewitter am Himmel, so muß man singen (wohl geistliche Lieder?), um es zu vertreiben (Markneukirchen). — * 417. Man öffne die Stubenthür, dann schlägt der Blitz nicht[S. 33] ein (Raschau); beruht wohl auf einfacher Naturbeobachtung. — * 418. Ist man bei einem Gewitter im freien Felde, so laufe man nicht, sonst zieht man den Blitz nach (Raschau); hat ebenfalls seinen natürlichen Grund. — 419. Von dem Gewitter spreche man nur in lobenden Ausdrücken (vgl. 374); das stammt jedenfalls aus dem Donarkultus (Wuttke, § 226). — 420. Hierher gehört auch der Glaube an den Schutz, welchen im Hause nistende Schwalben und daselbst sich aufhaltende Spinnen demselben gewähren, (vgl. § 22 i. u. l.), sowie der Aberglaube bezüglich des Heiligabendlichtes und die Meinung, daß, wenn eine Leiche am Charfreitage oder überhaupt in der Charwoche in einem Hause ist, dieses für das folgende Jahr vor Blitzschlag gesichert ist, vgl. 58, 101 u. 125.
421. Feld und Garten schützt man vor Behexung durch Strohseile, welche man in der Christnacht um die Baumstämme bindet (19), oder durch Strohkränze, womit man Fastnacht die Bäume behängt (81). Vgl. auch 535. — 422. Die Saat wird vor Maulwürfen durch Zerstören der Maulwurfshaufen am Aschermittwoch (86), die Bäume werden vor Raupen durch Beschneiden an Fastnacht behütet (80). Vgl. auch 155 den „Getreideschneider“. — 423. Auf ein Feld, auf welchem Wachteln (§ 22 i.) nisten, fällt kein Hagelschlag (Sosa). — † 424. Den Weizen beschützt man vor Ruß, indem man ihn vor dem Säen mit Kalkwasser wäscht (Schwarzbach), oder, wenn man säen will, stürze man den Sack um, so daß der Kopf nach unten zu stehen kommt und spreche dann, indem man drei Kreuze darüber macht: „Herr dies Land behüt’ vor Ruß und Brand“ (Marienberg). — 425. Der Schutz des Krautes gegen Behexung, d. h. gegen Raupen, ist bereits 342 erwähnt.
426. Das Vieh wird vor Schaden behütet durch mancherlei Futter und durch besondere Bissen, die man ihm in der Christnacht, zu Fastnacht und Ostern giebt (16, 76 u. 96), desgleichen vor Stößigwerden durch Liebstöckelöl und vor dem Beschreien durch rothe Bändchen und schützende Worte (337 u. 359). — 427. Hierher ist auch der Schutz zu rechnen, den man (wie schon 413 erwähnt) dem Stall zu Ostern und zu Walpurgis angedeihen läßt, (vgl. auch 408), sowie die Vorsichtsmaßregeln, die man beim ersten Austreiben der Heerden im Frühlinge anwendet (137 ff., 141, 143 u. 340). Vgl. auch 535. — * 428. Wenn man ein Stück Vieh gekauft hat, so muß man dasselbe in das Ofenloch sehen lassen, dann läuft es nicht davon (Sosa), vgl. 17. — * 429. Wenn ein Kalb verkauft wird, so muß man demselben Haare abschneiden und der Mutterkuh zu fressen geben oder ihr den Strick, mit dem das Kalb angebunden war, um die Hörner binden, dann blökt sie nicht mehr (Sosa). — * 430. Wenn ein Kalb abgenommen wird, so führe man es dreimal um einen Erbschlüssel herum und sage dabei die Worte: „Vergiß deine Mutter und friß ihr Futter“ (Ehrenfriedersdorf), oder man gebe ihm gekautes Brod, indem man spricht: „Hier Kalb ist dein Futter, vergiß deine Mutter“ (Marienberg). — * 431. Wenn ein Stück Vieh zum erstenmal eingespannt wird, führe man dasselbe an einem Handtuche aus dem Stall und die zuerst hinzukommende Frauensperson muß mit einspannen helfen (Ehrenfriedersdorf).
432. Damit die Hühner die Eier nicht verlegen, füttere man sie Weihnacht oder Fastnacht mit Hirse oder innerhalb eines Reifens (18 u. 78).
§ 42 (238 ff.). Dergleichen durch zauberhaften Einfluß erregte Uebel sind Krankheiten und andere Behexungen und Schäden, sowie Feuersbrunst und überhaupt Gefährdungen von Haus und Hof durch Diebstahl u. dergl.
In Betreff der Krankheiten ist hier das weite Gebiet der sympathetischen Kuren (vgl. § 37) anzuführen, die durch „Besprechen“ (vgl. 124 u. 415), durch „Abbinden“, durch „Abgraben“ (vgl. 120), durch „Vergraben“ (vgl. 328), durch „Abschreiben“ u. s. w. vollzogen werden. Das Nähere bei Wuttke, § 239 bis 274. — Wir führen aus diesem reichen Felde des Aberglaubens nur noch folgende Einzelheiten an.
† 433. Um Warzen zu vertreiben, reibt man diese mit Fleisch und rohen Kartoffeln und legt dieses sodann in eine Rinne (Markneukirchen); ähnlich 327. Vgl. auch 328 u. Wuttke, § 264.
* 434. Gegen Zahnschmerz: 120 u. 329. Gegen Reißen: 124. — 435. Gegen dicken Hals helfen Kräuter, am Gründonnerstag oder Charfreitag gesammelt: 106 u. 122. — 436. Gegen das Fieber hilft das auch sonst (338) empfohlene Essen der ersten Kornblüthe. — * 437. Wenn Jemand die Krämpfe (Epilepsie) bekommt, so werden die Spiegel umgewendet (Raschau). — * 438.[S. 34] Wenn Jemand den Schlucken hat, so denke man an einen Schimmel (?), so hört er auf (Zwickau). — * 439. Gegen Furcht vor Gewitter hilft, wenn man sich, sobald man es zum erstenmal wieder donnern hört, auf die Erde niederwirft (Sosa). — 440. Auch das Osterwasser (90) wird als Heilmittel in Krankheiten angewendet. Gegen das Behextsein im Allgemeinen hilft Gutheinrichwurzel (336) und gegen die Hexen schützt man sich durch das Kreuzeszeichen (362). Gegen den Alp vgl. 364.
441. Gegen die Krankheiten des Viehes, insofern man dieselben hexenhaften Einflüssen zuschreibt, helfen ebenfalls sympathetische Mittel, z. B. Gutheinrichwurzel, vgl. 336 u. 361.
442. Um bei einem Feuer die Flamme von dem Nachbarhause abzuhalten, lege man in einiger Entfernung einen Erbbacktrog (§ 32) mit der Höhlung gegen das Feuer gewendet auf die Erde hin, alsbald wird sich nach dieser Seite zu die Gluth mindern (Zschopau), vgl. Wuttke, § 301. — * 443. Wenn ein Regen nachtheilig auf Feld und Flur einwirkt, so spucke man dreimal aus (vgl. § 37), dann hört der Regen auf (Zwickau). Es liegt auch hierbei die Anschauung zu Grunde, daß solcher Regen durch böse Mächte erregt sei, deren Kraft durch dreimaliges Ausspucken gebrochen werde. — 444. Hierher gehört auch die Hilfe gegen Schaden bei der Heuernte und gegen Benachtheiligung an Geld und Besitz durch den Einfluß höllischer Mächte, vgl. 363 u. 365. — Ferner kann Mehreres, was bereits § 40 und namentlich§ 41 angeführt ist, hierher gezogen werden, dort als Vorsichtsmaßregel, hier als wirkliches Hilfsmittel.
§ 43 (304 ff.). Das Gebiet derselben ist das der einfachsten irdischen (vgl. dagegen 456) Glücksgüter: Wohlsein im Allgemeinen, besonders für den Hausstand, Geld, Reichthum des Viehstandes und in Garten und Feld, Glück in Handel und Wandel u. s. w.
445. Wohlsein im Allgemeinen schafft das Waschen mit Osterwasser (90), das Anziehen frischer Wäsche am heiligen Abend, Neujahr und Fastnacht (11 u. 71), das Genießen bestimmter Speisen zu Weihnacht, Fastnacht und Ostern (14, 72 ff., 98 u. 99), das Essen von Ostereiern (110), das Verschlucken der Blüthe von den ersten drei Kornähren, die man im Sommer sieht (338) u. dergl. Vgl. überhaupt 398. — 446. Beförderung des Hausstandes überhaupt wird erreicht dadurch, daß man zu Weihnacht reichlich kocht, an jedem der drei heiligen Abende ein frisches Brod anschneidet, von den verschiedenen Gerichten mindestens je drei Löffel voll ißt und den Ofentopf immer gefüllt erhält (39, 43, 45 u. 54), sowie daß man zu Fastnacht das ganze Haus reinigt und säubert (68). In Bezug auf Glück an den Kindern vgl. 479, 482, 484, 487 u. 496, und in der Ehe: 504, 505, 508, 510, 521 u. 522. Das Regiment im Hause kann man durch mancherlei Mittel erlangen vgl. 514, 518 u. 527. — 447. Gefüllte Küche erlangt man dadurch, daß man zu Weihnachten kein Gericht ganz aufißt (49), weiße Wäsche, wenn Fastnacht gewaschen wird (70). — * 448. „Schneide das Brod gleich, dann wirst du reich“ (allg.). Anderwärts (Ehrenfriedersdorf) wird noch hinzugefügt: „Schneidet ihr’s aber der Quer, so geht euch Alles der Quer“, vgl. 397.
449. Wenn man, während man eine Sternschnuppe (vgl. 188) fallen sieht, einen Wunsch thut, so geht er in Erfüllung (Marienberg). Vgl. 182. — 450. Wenn man seine Wohnung wechselt (vgl. 181), soll man zuerst in die neue Wohnung Brod, Butter und Holz tragen, so wird es einem nie daran fehlen (allg.). Andere geben specieller folgende Gegenstände an: Salz, Brod, Butter, Fleisch, einen neuen Besen, einen Hader, eine Scheuerbürste und ein Waschfaß (Marienberg). Vgl. 522.
451. Langes Leben verschafft man sich durch viel Suppe essen, überhaupt durch langes Essen, namentlich zu Weihnachten (44, 46 u. 242).
452. Wachsthum: Wenn ein Schwein (§ 21 e) geschlachtet wird, so muß der Kleinste aus der Familie den Schwanz essen, dann wächst er im Jahre soviel, als der Schwanz lang ist (Schwarzbach). — 453. Wer wachsen will, gehe baarhaupt im Regen (Zwickau), vgl. 332. — 454. Wer stark werden will, trinke viel Bier, insbesondere zu Weihnacht (48).
455. Wenn man früh aufstehen will, so stoße man vor dem Einschlafen so viel mal mit der großen Zehe des rechten Fußes an das Bettende, als die Uhr beim Erwachen zeigen soll (allg.). Will man eine halbe Stunde andeuten, so macht man einen Strich mit der Zehe (Zwickau). Andere (Sosa) rathen, dreimal drei auf die angegebene Weise zu pochen. Vgl. auch 35 u. 93.
[S. 35]
456. Ein auch geistiger Segen ist angedeutet in dem Rath, sich mit Taufwasser zu waschen, wodurch man Gott näher komme (344).
457. Für Geldvorrath sorgt man, wenn man beim ersten Kukuksruf an den Beutel greift (211). Vgl. 33, 53, 287 u. 510.
458. Der Glaube an verborgene Schätze, die man durch Zauberei heben könne, ist im Gebirge nicht selten, und bis auf die neueste Zeit ist derselbe von schlauen Betrügern vielfach ausgebeutet worden. Wir erinnern nur an die Gerichtsverhandlungen vor dem Bezirksgericht zu Annaberg gegen die Somnambule Friederike Lahl aus Königswalde im Februar 1860. — 459. Hierher gehört auch der Aberglaube mit der Wünschelruthe (vgl. § 23 o). Bei deren Erwähnung berichtet Wuttke selbst § 312 folgenden Fall, der wenigstens mittelbar in Bezug auf das Erzgebirge steht: „Ein Rittergutsbesitzer aus der Umgegend von Leipzig kam hier (Schwarzwasserthal bei Schwarzenberg) vor einigen Tagen (im Sommer 1859) an, um einen im Rufe des Schätzehebens und des Besitzes einer Wünschelruthe stehenden Bergmann zu holen, der die vermeintlich auf jenem Gute von den Franzosen 1813 vergrabene Kriegskasse mittelst seiner Wünschelruthe aufsuchen soll; der Bergmann wurde angeworben und erhält außer dem Reisegeld drei Thaler für den Tag und das Versprechen einer angemessenen Belohnung bei dem Gelingen seiner Kunstübung.“
460. Wenn ein Regenbogen am Himmel steht, so gehe man ohne Ausruhen nach dem Orte, wo er aufzutreffen scheint, dort liegt ein Schatz (Sosa), vgl. 119.
461. Die Vorstellung, sich durch Hilfe des Teufels Geld und Reichthum verschaffen zu können, liegt dem Glauben an den Drachen (365) und an den Getreideschneider zu Grunde (155).
462. Reichen Ertrag an Butter und Milch empfängt man, wenn man die Kühe Weihnacht und Fastnacht mit besonderem Futter füttert (16 u. 76) oder in der Fastnacht buttert (136). — † 463. Wenn eine Kuh gekalbt hat, so gebe man ihr Butterbrod, mit Kreide und Safran bestrichen (Raschau), oder süße Mandeln (Sosa), dann giebt sie gute Milch. Den Ziegen gebe man zu demselben Zweck Rosinen und Mandeln (Raschau). — 464. Das Vieh überhaupt erhält man durch die erwähnten Fütterungen an Weihnacht und Fastnacht stark und kräftig, ferner durch Austreiben an bestimmten Tagen (3), sowie durch Befolgung der bei Walpurgis und bei dem erstmaligen Austreiben (130 ff. u. 137 ff.) angegebenen Vorsichtsmaßregeln. Bezüglich der Kälber ist 180, bezüglich der Hühner 79 zu vergleichen. Ueberhaupt vgl. § 40 und 41 und was daselbst in Hinsicht auf Hausthiere gesagt ist, denn, wenn dem Schaden vorgebeugt wird, so befördert man den Nutzen.
465. Die Obstbäume tragen reichlich, wenn man sie zu Weihnachten mit Strohbändern oder Tüchern umwindet (19), oder zu Fastnacht mit Strohkränzen behängt (81). Vgl. auch 330.
466. Die Fruchtbarkeit des Feldes wird erhöht, wenn man zu Ostern vor Sonnenaufgang Asche darauf fährt (97), namentlich gedeiht Klee, wenn es am Charfreitag (127) oder am letzten Freitag im Monde Vormittags geschieht; thut man es Nachmittags, so wachsen viel Wicken (178). — * 467. Wenn man das zum Säen bestimmte Getreide mißt, so messe man gehauft, man bekommt es in der Ernte reichlich wieder (Raschau, Geier). Vgl. auch 86: Aschermittwoch. — 468. Das Säen ist erfolgreicher Vormittags, als Nachmittags, ebenso das Kartoffellegen (1, 2 u. 193). Das Getreide säe und die Rüben stecke man bei abnehmendem Monde (176), zum Weizensäen wähle man Mittwoch oder Sonnabend (4), besonders die Zeit vor Sonnenaufgang zu Ostern (107), zum Kartoffellegen den Gründonnerstag (108). — 469. Wenn man Erdäpfel gelegt hat, so setze man sich erst ein wenig an den Rand des Ackers nieder, damit die Kartoffeln mit ausruhen, dann tragen sie reichlicher (Raschau, Geier). — 470. Der Hafer gedeiht, wenn man die Pferde am Weihnachts-Heiligenabend in die Röhre sehen läßt (17). — 471. Das Gedeihen des Flachses hat man namentlich Fastnacht, Walpurgis und am Johannistage durch mancherlei Maßregeln (83, 84, 135 u. 153) zu befördern.
472. Schönes Wetter bekommt man, wenn bei Tische Alles rein aufgegessen wird (237). — 473. Den Vorsprung vor anderem Fuhrwerk ermöglicht man durch Deichsel und Gabel von Eschenholz (335). — 474. Ein sicherer Schütze wird man durch besonders zubereitetes Schießpulver (116).
§ 44 (337 ff.). Wir fassen unter dieser Ueberschrift das zusammen, was der Aberglaube namentlich in Bezug auf Geburt, Ehe und Tod aufgestellt hat.
[S. 36]
a. Geburt, Taufe, Erziehung.
Die Geburt und Alles, was damit in Zusammenhang steht, ist vielfach mit abergläubischen Anzeichen, mit allerlei Verhütungsmaßregeln und mit Glück bringendem Zauber ausgestattet worden. Vgl. § 98.
Vor der Geburt. * 475. Eine schwangere Frau soll nicht essend vor dem Brodschrank stehen, sonst bekommt ihr Kind Mitesser (Zwickau), vgl. 274 u. 397. Vgl. auch 218 u. 306.
Geburt. 476. Die Zukunft des Kindes wird durch das Himmelszeichen, unter dem es geboren, bestimmt, vgl. 172, 173 u. 175.
Taufe. * 477. Die Pathen müssen mit frischer Wäsche gekleidet erscheinen, sonst wird das Kind schmutzig und liederlich (Marienberg), vgl. 407. — * 478. Man soll, wenn man den Pathenbrief bei sich führt, nicht auf den Abtritt gehen, sonst wird das Kind verwahrlost (Marienberg) oder verunreinigt stets das Bett (Geier); ebenso führe man kein Messer bei sich, sonst wird das Kind ein Selbstmörder (Marienberg); trägt man einen Schlüssel bei sich, so bekommt es ein verschlossenes Herz (Marienberg), vgl. 397. — * 479. Vor der Taufe, ehe man in die Kirche geht, lege man die Handschuhe auf das Bett des Kindes, dann steht ihm Alles gut; auch esse man ein Bischen Kuchen, damit es denselben ebenfalls essen lerne (Zwickau), vgl. 446. — 480. Man lasse nicht in der Charwoche taufen (102). — * 481. Man gehe nicht zur Taufe, wenn ein Grab auf dem Kirchhofe offen ist (vgl. 509); das Kind würde bald sterben (Lauter), vgl. 397 u. 531. — * 482. Wird zur Taufe recht lange geläutet, so wird das Kind klug (Zschopau), vgl. 446. Vgl. auch 258 ff. — * 483. Sehen sich die Pathen bei der Taufe um, so wird das Kind neugierig (Voigtsdorf), vgl. 279 u. 397. — * 484. Bei der Taufmahlzeit müssen die Pathen von jedem Gerichte essen (Grünstädtel), vgl. 45 u. 446.
Wochenzeit. * 485. Die Mutter soll als Wöchnerin kein schwarzes Mieder tragen, sonst wird das Kind furchtsam; auch soll sie im Garten nicht über die Beete gehen, sonst wächst nichts mehr darauf (Zwickau) und soll keinem Leichenzug nachsehen, sonst stirbt im nächsten Jahre ihr Mann (Lauter), vgl. 397 u. 531.
Das erste Lebensjahr. * 486. Das Kind soll nicht unter sechs Wochen „über den Wechsel getragen werden“ (d. h. wohl, bald auf dem rechten, bald auf dem linken Arme), sonst holt es der Wechselbalg (Marienberg), vgl. 397 u. § 47. Ist wohl also zu verstehen: Man meint, die Zwerge oder andere neckende Geister holen das Kind weg und legen statt dessen einen Wechselbalg hin, d. h. ein widerwärtiges, dickes, geistig und leiblich verkümmertes Wesen, das sich nie zu voller menschlicher Ausbildung entwickelt, vgl. Wuttke, § 343. — 487. Dem Säugling, der auf dem Arme seiner Mutter bei den Nachbarn und Gefreundeten den ersten Besuch macht, werden drei frische Eier geschenkt, damit er leicht sprechen lerne (allg.), vgl. 446. — * 488. Beim Entwöhnen wird das Kind mit einem langen, rothseidenen Bande beschenkt. Man nennt dies „den Zitz verkaufen“ (Grünstädtel). Es scheint dies eine Vorsichtsmaßregel gegen das Beschreien. In dieser Beziehung vgl. noch 348, 358, 401 u. 204. — * 489. Der erste Brei soll dem Kinde nicht geblasen werden, damit es nicht einst den Mund mit heißer Suppe sich verbrenne (Zwickau), vgl. 397. — 490. Man soll die leere Wiege nicht bewegen, sonst raubt man dem Kinde die Ruhe (allg.). — 491. Wenn man in ein Haus kommt, in welchem kleine Kinder sind, muß man sich niedersetzen, sonst nimmt man den Kindern die Ruhe (allg.).
† 492. Unter einem Jahre soll man das Kind nicht in den Spiegel sehen lassen, sonst wird es eitel (Marienberg), ihm die Nägel nicht verschneiden, sonst schneidet man ihm das Glück weg (Raschau), es nicht an Blumen riechen lassen, sonst verliert es den Geruch (Lauter), vgl. 397. — * 493. Reicht man ein Kind unter einem Jahre durch ein Fenster und nimmt es nicht wieder rückwärts herein, so wächst es nicht mehr (Raschau), vgl. 382. — * 494. Zwei Kinder unter einem Jahre sollen sich nicht küssen, sonst wachsen sie nicht mehr (Raschau). — 495. Kinder dürfen nicht mit Feuer spielen („gokeln“), sonst nässen sie das Bett (allg). — * 496. Wenn ein Kind noch kein Jahr alt ist, soll man es zu einem Fleischer tragen, der ihm mit dem in das Blut eines frischgeschlachteten Kalbes getauchten Finger in den Mund fährt, dann zahnt es leichter (Geier), vgl. 446. — * 497. Man lege dem Kinde ein Gesangbuch und ein schwarzseidenes Tuch unter das Kopfkissen, dann bekommt es keine Krämpfe (Geiersdorf), vgl. 399. — 498. Kranke Kinder bade man in Osterwasser, vgl. 90. Vgl. auch 274 u. § 38 a.
[S. 37]
b. Brautstand, Hochzeit, Ehe.
§ 45 (360 ff.). Die Liebe der Geschlechter ist von jeher eines der angebautesten Gebiete des Aberglaubens gewesen. Vgl. § 97.
499. Bereits erwähnt sind die Anzeichen, die auf eine Braut im Hause (26 u. 240) oder auf die Gefühle der hoffenden Jungfrau (277) oder auf die Beschaffenheit des künftigen Gatten schließen lassen (272). Hierher gehören auch die Fragen, die man an das Schicksal stellt, bezüglich einer etwaigen Heirat und wodurch man sonstige nähere Umstände über Zeit und Ort, sowie über Stand und Aussehen des Gehofften zu erkunden sucht, vgl. 160–170, 228, 288, 290, 292–295, 303, 305, 308–314, 317 u. 326. Zu diesem bereits besprochenen Aberglauben führen wir noch Folgendes an:
* 500. Schneidet Jemand, der noch unverheiratet ist, ein Stück Butter an, so wird er innerhalb der nächsten sieben Jahre nicht heiraten (allg.), vgl. 397. — * 501. Setzt sich eine Ledige an eine Tischecke, so bekommt sie keinen Mann (Annaberg). — * 502. Wenn man die Cigarren an der Lampe anbrennt, bekommt man eine schwarze Frau (Annaberg, Raschau). — * 503. Brautleute schneiden, wenn sie zusammen sind, nicht gern Brod oder Butter an, weil sie sonst Zank fürchten (Zwickau). — * 504. Vor der Trauung müssen Braut und Bräutigam einmal aus einer Schüssel essen, das befördert die Einigkeit in der Ehe (Lauter), vgl. 446. — * 505. Am Tage vor der Hochzeit wird das Brautbett — am liebsten von Jungfrauen oder jungen Frauen, dann wird das Paar glücklich (Raschau) — unter mancherlei Sprüchen hoch aufgebaut. Das Stroh, das dabei in die Stube fällt, wird zuletzt mit einem neuen Besen zusammengekehrt und dieser dann unter das Bett geworfen. Bisweilen wird am Schluß der Vers: „Was Gott thut, das ist wohlgethan“ mit Begleitung der Musik gesungen (Lößnitz). — * 506. Die Betten und Tücher dürfen bei Herrichtung des Brautbettes nicht ausgeklopft, sondern nur ausgestrichen werden, sonst kommt die Frau unter die Herrschaft des Mannes (Markneukirchen), vgl. 397, 407, 514, 518 u. 527. — * 507. Vor der Trauung kommen die Freundinnen der Braut zur „Brautschau“, d. h. zur Besichtigung des angeschafften oder geschenkt erhaltenen Hausgeräthes etc. (vgl. 334). Lärmen dabei die begleitenden Kinder (vgl. 224), so entsteht Unfriede im Ehestande (Zschopau), vgl. 397.
508. Das übliche Zerschlagen von Töpfen und dergl. an der Hausthüre der Braut am Polterabend hat ursprünglich jedenfalls den Sinn, die bösen Geister zu verscheuchen. * Je mehr Scherben, desto glücklicher wird das Paar (Marienberg), vgl. 407 u. 446. Bezüglich der Vorbedeutung des Wetters vgl. 189, 190, 192 u. 195.
509. Wenn ein Grab auf dem Kirchhofe offen steht (vgl. 481), darf man nicht zur Trauung in die Kirche gehen, sonst stirbt bald eines aus dem Paare (allg.), vgl. 397 u. 531. — 510. Zum Gang in die Kirche sollen sich die Brautleute Geld in die Schuhe legen, dann wird es ihnen nie an Geld fehlen (Zwickau), vgl. 446 u. 457. — * 511. Man soll nicht mit Schimmeln zur Trauung fahren, sonst wird das Paar unglücklich (Marienberg). — * 512. Bei dem Wege zur Trauung dürfen dem Paare keine Verwandten begegnen, sonst wird die Ehe unglücklich (Lauter), vgl. 243. — * 513. Begegnet dem Brautpaare ein geladener Wagen, so werden sie reich (Geier); dasselbe bedeutet auch ein Düngerwagen (Raschau), während ein solcher anderwärts (Geier) für Unglück bedeutend gehalten wird, vgl. 251, 279 u. 280. — † 514. Wenn bei der Trauung die Braut zuerst in die Kirche tritt, bekommt sie den Mann unter den Pantoffel (Zschopau), vgl. 506, 518 u. 527. In Franken erreicht sie dies, wenn sie bei der Rückkehr von der Trauung zuerst den Fuß auf die Thürschwelle setzt, vgl. Wuttke § 365.
† 515. Bei der Trauung selbst müssen alle Ceremonien streng beobachtet werden, sonst löst sich die Ehe bald wieder (Grünstädtel), vgl. 261 ff. u. 407. — 516. Braut und Bräutigam müssen sich möglichst eng aneinander stellen, damit der Böse nicht hindurch kann (Lauter), die Ehe wird sonst unglücklich (Zwickau), indem die Gatten sich scheiden lassen (Marienberg), oder der Tod sie trennt (Elterlein), vgl. 531. — † 517. Die Braut darf bei der Trauung nicht weinen, sonst muß sie die Thränen im Ehestande doppelt vergießen (Lauter), vgl. 273 u. 397. Anders Wuttke, § 365: „Wenn die Braut nicht weint vor dem Altar, so weint sie in der Ehe“ (Wetterau, Tirol, Schlesien). — † 518. Am Altare soll die Braut den Fuß ein Bischen weiter vorsetzen als der Bräutigam, dann wird sie Herrin im Hause sein (Zwickau), vgl. 506, 514 u. 527. — † 519. Beide Verlobte sollen vom[S. 38] Altar gleichzeitig aufstehen, wer aber von Beiden früher aufsteht, stirbt zuerst (Markneukirchen), vgl. 407 u. 531.
520. Zwei Paare sollen nicht zugleich getraut werden, sonst ist das eine unglücklich (Lauter), vgl. 397. — † 521. Die junge Frau wirft auf dem Heimwege ein Stück Geld weg, dann ist der Ehestand glücklich (Marienberg), vgl. 446. — † 522. Wenn die junge Frau zum erstenmal in das Haus geht, so soll sie ein Gesangbuch und Essen mitbringen (Marienberg), vgl. 450.
523. Wenn zwei Geschwister in demselben Jahre heiraten, wird eine von beiden Ehen unglücklich (allg.), vgl. 397. — * 524. Wenn es auf der Hochzeit friedlich zugeht, so hat das Paar auf eine friedliche Ehe zu hoffen (Stollberg), vgl. 243. — 525. Wenn bei dem Hochzeitsessen das erste Brod angeschnitten wird, so hebt sich entweder der Bräutigam oder die Braut den Abschnitt, „das Ränftchen,“ auf; zerbröckelt es nach einiger Zeit, so stirbt die betreffende Person bald (Schneeberg), vgl. 531. — * 526. Braut und Bräutigam dürfen am Hochzeitstage kein Geld wechseln, sonst kommt ihnen in der Ehe Geld weg (Ehrenfriedersdorf), vgl. 397. — * 527. Hängt der Bräutigam am Trautage seinen Rock auf den der Braut, so behält er die Herrschaft im Hause, geschieht es umgekehrt, so kommt er unter den Pantoffel (Lauter), vgl. 506, 514 u. 518. —528. Wer von beiden am Hochzeitstage zuerst einschläft, stirbt zuerst (Markneukirchen), vgl. 251, 397 u. 531. — * 529. Die ersten Schuhe, welche eine junge Frau abreißt, dürfen weder verschenkt noch verkauft werden, sondern müssen weggeworfen werden, sonst kommt Unglück über die Eheleute (Markneukirchen).
c. Tod und Begräbniß.
§ 46 (370 ff.). Tod und Begräbniß hat der Aberglaube mit einer Fülle von Anzeichen und behütenden Maßregeln umsponnen. Vgl. § 98.
530. Die Wahrsagung in Beziehung auf den Tod ist die reichste und mannichfaltigste von allen: vgl. zu Weihnachten 27 ff., 34, 36, 42 u. 56, zu Fastnacht 74, in der Charwoche 105. Dazu kommen die Orakel aus der Thier- und Pflanzenwelt: Hund 196, Krähen und Dohlen 204 u. 205, Eulen 206, Holzwurm 215, Hollunder 216, sowie aus dem täglichen Leben u. s. w.: 226, 234, 243, 246–252, 254, 255, 274, 278, 284, 291, 296, 309, 310 u. 318 ff. — 531. Diese Zeichen beginnen mit der Geburt und ziehen sich durch das ganze Leben: 481, 485, 509, 516, 519, 525 u. 528.
532. Segen bringt eine Leiche in der Charwoche oder am Charfreitag (101 u. 125), dagegen Nachtheil, wenn Jemand bei Vollmond oder abnehmendem Monde begraben wird (183 ff.).
* 533. Begehrt ein Kranker das heilige Abendmahl, so frage man ihn nicht, welchen Geistlichen er haben wolle (Elterlein), vgl. 397. — * 534. Liegt Jemand im Sterben, so wird die Uhr angehalten (Schwarzbach, Lauter).
535. Ist Jemand im Hause gestorben, so muß es den Thieren des Hauses gemeldet werden, damit sie nicht nachsterben. Insbesondere muß der Tod des Hausherrn den Pferden und Bienen, auch den Bäumen des Gartens „angesagt“ werden (allg.), vgl. 407, 421 u. 427. — † 536. Ist Jemand verschieden, so öffne man die Fenster und wedle mit Tüchern, damit die Seele hinauskönne. Hierauf verhülle man alles Glänzende und alles Rothe, z. B. Spiegel, Fenster, Bilder, Uhren etc. mit weißen Tüchern. Diese Ueberhänge bleiben bis nach dem Begräbniß (allg.).
* 537. Zieht man eine Leiche bei der großen Fußzehe und ruft zugleich ihren Taufnamen, so fürchtet man sich nicht vor ihr und die Trauer wird gemindert (Marienberg), vgl. 407.
538. Bei dem Aufbahren der Leiche legt man Alles, womit dieselbe gewaschen, gekämmt, barbiert u. s. w. wurde, mit in den Sarg. Auch ein Licht wird hinzugefügt, damit, wenn der Todte ja wieder erwachen sollte, es hell wäre (Grünstädtel). — 539. Auf die Leiche lasse man keine Thräne fallen, sonst stirbt man bald nach (Zwickau), vgl. 397. — † 540. Man lege dem Todten keine Blume an den Mund, sonst holt sie bald ein anderes Familienglied nach (Marienberg). — 541. Alle Bänder, die bei einer weiblichen Todten um den Kopf herum sich befinden, müssen angesteckt werden, damit sie dieselben nicht in den Mund bekommt; sie würde dann daran kauen („kätschen“) und dadurch Jemanden aus der Familie nachholen (Lauter), vgl. 407. — † 542. So lange die Leiche aufgebahrt ist, darf Niemand im Hause Brod essen, sonst fallen ihm die Zähne aus (Raschau), vgl. 397 u. Wuttke,[S. 39] § 382. — * 543. Stirbt in einem Hause die Frau, so heiratet der Wittwer diejenige, welche zum Begräbnisse zuerst in die Stube tritt; ebenso, wenn der Mann u. s. w. (Zwickau). Vgl. auch 248.
544. Ist der Leichenzug aus dem Hause, so wird die Hausthüre sogleich verschlossen, damit die Leiche nicht wieder komme. Das Gestelle, worauf der Sarg gestanden, wird umgestürzt * und das Haus gekehrt. Der dabei gebrauchte Besen wird weggeworfen. Die Thüre bleibt so lange verschlossen und es wird Niemand herein, noch heraus gelassen, bis das Trauergefolge von dem Begräbniß zurückgekehrt ist. Durch diese Vorsichtsmaßregeln verhütet man, daß die Leiche Jemanden aus dem Hause nachhole (allg.), vgl. 407. — * 545. Unterläßt man bei einem Leichenbegängniß die Thüre zu schließen, so stirbt, wer zuerst nach dem Forttragen der Leiche in das Haus tritt (Geier).
546. Ueber die Wahrsagungszeichen bei dem Begräbniß vgl. 249–253.
547. An die Blumen auf den Gräbern darf man nicht riechen, sonst verliert man den Geruch (Lauter), vgl. 397.
§ 47 (386 ff.). Der Glaube an Gespenster, die man meist als ruhelos umherirrende Seelen auffaßt, ist im Gebirge weit verbreitet und Spuckgeschichten sind noch in den letzten Jahren vielfach hie und da (z. B. in Annaberg) aufgetaucht. Dem Gespensterglauben ist der Glaube an Geister nahe verwandt, und es sind namentlich „Berggeister,“ von denen Bergleute dies und jenes zu erzählen wissen. Die gespenstigen Thiere, wie der Drache, der Getreideschneider, der Alp u. s. w., sind bereits durch das früher Angeführte erledigt (vgl. 114, 155, 364, 365 u. 486).
Hier führt uns der Aberglaube in das Gebiet der Sagen, von denen sich im Gebirge ein nicht unbedeutender Schatz findet. Viele derselben sind bereits gesammelt (vgl. Gräße, Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Dresden 1855, S. 313–412. Segnitz, Sagen, Legenden etc. aus der Geschichte des sächsischen Volkes, 2 Bde., Meißen 1839/41. Ziehnert, Sachsen’s Volksagen, 1. Aufl., 3 Bde., Annaberg 1838 ff., neue Ausgabe in Einem Bande, ebenda 1851). Viele derselben aber sind nur mündlich verbreitet. Von letzteren wollen wir die wenigen Mittheilungen, die uns in dieser Beziehung zugegangen sind, anschließen.
548. Es spuckt bei den Sandgruben, welche zwischen Buchholz und Schlettau an der sogenannten alten Straße liegen. — 549. Desgleichen ist es nicht geheuer bei der letzten Vertiefung, welche die Chaussee zwischen Schlettau und Scheibenberg macht, bei dem sogenannten Saubade, das seinen Namen von den wilden Schweinen hat, die sich lange vor Anlegung der Chaussee in dem sumpfigen Moorboden daselbst abkühlten.
550. Zwischen Geiersdorf und Königswalde, am linken Ufer der Pöhla, liegt eine Wiese (nach ihrem Besitzer die Reicheltwiese genannt), die, da dieselbe sumpfigen Untergrund hat, sehr weich und „papprich“ ist. In derselben soll ein Fuhrmann, der Salz geladen hatte, mit Wagen und Pferden versunken sein. Abends 9 Uhr erscheine derselbe mit seinem Fuhrwerk wieder, knalle mit der Peitsche und rufe: „Hüoh!“ — 551. Bei der Grube „Dorothea“ auf Geiersdorfer Gebiet und bei der Grube „Stern“ auf Mildenauer Revier läßt sich zu gewissen Zeiten ein Lichtchen sehen. — 552. In der Zschopau giebt es einen Nix, der jährlich sein Opfer fordert.
553. Auf dem Greifenstein bei Geier läßt sich der Kaspar sehen. Er erscheint in weißen Hosen, rothem Fräckel, großen Kanonenstiefeln und Bonaparthut. Man erzählt z. B.: eines Tages, Nachmittags 4 Uhr, als die Arbeiter eines Steinbruches, welcher dem Greifenstein sehr nahe liegt, ihr Brod verzehrten, ruft aus Unmuth einer von den Arbeitern gegen die Höhe des Felsens: „komm,[S. 40] Kaspar, iß mit.“ In demselben Augenblick kommt ein großer Stein vom Fels herab und fällt gerade neben dem Arbeiter hin. — 554. Als der früher in Ehrenfriedersdorf angestellte Förster Töpel eines Tages bei dem Greifenstein vorbeiritt, hingen soviel Gras- und Strohhalme von den nahen Bäumen herab, daß er kaum hindurchreiten konnte. Dabei bleiben einige Halme auf seinem Hute liegen. Als er daheim seinen Hut abnimmt, hat er um denselben eine goldne Kette. Es soll noch ein Stück von dieser Kette vorhanden sein.
555. „Of dem Schladenberg (Schlettenberg bei Marienberg) da lössen sich immer ä paar Lichtle sahn. Da drinn stackt nämlich e goldnes Kinn (Kind). Un an en gewissen Tog wächst do druff eene schüne Blum. Wär nu die nimmt, dar kan in den Barg nei gihn. Do liegt ä goldnes Gungel (Junge) in eener gold’n Pfann. Doas Zeig (Zeug) bewacht ä grußer Hund. Där nu die Blume hoat, darf se nur den grußen Hund hinweißen. Nu ko er die Pfann mit dem Gungel nahm. Nu ober muß er ausreißen. Iß er über’n Hammergraben, do kan der Hund nischt mer thun. Wenn er aber noch nich d’rüber ist, un der Hund hat’n eigehult, do muß er d’s Gungel un d’s annere Zeig her goben un der Hund trogt’s wieder nuff.“
[S. 41]
Bei dieser Abtheilung machte es besondere Schwierigkeiten, den ziemlich umfangreichen, aber andererseits durchaus nicht vollständigen Stoff in eine leidliche logische Ordnung zu bringen. Es wurde vor Allem der Gesichtspunkt der Feste in das Auge gefaßt und zunächst diejenigen Sitten und Gebräuche erörtert, welche sich an noch gegenwärtige oder frühere kirchliche Feiertage anschließen. Dann folgen die Feste, deren Feier aus dem alltäglichen Leben und dem Bedürfnisse nach religiöser Weihe oder nach leiblicher Erholung hervorgegangen ist. Die Feste endlich, welche die einzelne Familie bei besonderen Ereignissen ihres häuslichen Kreises begeht, bilden den Schluß. Es lag nahe, namentlich „bei den Festen des bürgerlichen Jahres,“ an die feiernden Personen das oder jenes anzuschließen, was ebenfalls in das Gebiet der Sitten und Gebräuche gehört. Es werden daher bei der Kinderwelt außer dem Schulfeste auch Spiele und andere Erholungen besprochen und bei den Festen der Erwachsenen ist insbesondere auf die Eigenthümlichkeiten des Bergmannes und des Bauers näher eingegangen. Diese gesammte Anordnung kann vielfach angefochten werden, doch erschien sie immer noch als die übersichtlichste und ist deshalb gewählt worden. — Ein anderer Mangel liegt weniger in der Form, als in dem Inhalt. Manches, was vielleicht ausführlich behandelt ist, wird der oder jener für unwichtig halten, während er Anderes, was gar nicht erwähnt ist, vermißt. Wir gestehen dies gern zu; doch rechnen wir aus den in der Vorrede angeführten Gründen auf nachsichtige Beurtheilung.
Das Jahr mit seinen Festen.
§ 48. 1. Die Adventzeit. Als Vorläufer des Christkindes erscheint der Knecht Ruprecht (vgl. 613) mit dem Brunnenkind, Gestalten, die in ihrem Ursprung auf das deutsche Heidenthum zurückzuführen sind. Daneben fehlt es, abgesehen von der rein kirchlichen Feier dieser Zeit, hie und da nicht an Veranstaltungen, das fromme Gemüth in eine gehobenere Stimmung zu versetzen. Vgl. § 5 u. 6.
556. Es erscheinen der „Hans Ruprecht,“ ein verkleideter Knecht, der einen vollen Nußsack auf dem Rücken trägt, mit dem „Bornkinnel,“ einer in Weiß gekleideten Magd, als Vorboten des Weihnachtsfestes. Wenn das Paar eintritt, fallen die Kinder auf die Kniee, sprechen ein Gebet, z. B. das Vaterunser, und bitten, nachdem sie das Versprechen gegeben, recht fleißige und artige Kinder zu sein,[S. 42] zu Weihnachten wiederzukommen (Grünstädtel). — 557. Oder: In Pelz eingehüllt mit langen, gerollten Werglocken, großer Pudelmütze, knotigem Prügel und schwerem Sack eilt „Hans Ruprecht“ von Haus zu Haus, murmelnd, fluchend und drohend. In seiner Anwesenheit müssen die ängstlich hinter der Mutter sich versteckenden Kinder ihre gelernten Gebetchen und Sprüche hersagen. Bei seinem Fortgange verkündigt er, daß er am Weihnachtsabend wiederkommen werde und räth den Kindern, daß sie nur recht folgen sollen. Kaum ist er zur Thüre hinaus, so kehrt er wieder um, und wirft einige Aepfel und Nüsse in die Stube, die die nun kecker werdenden Kinder mit Freuden aufsuchen und verzehren (allg.).
558. Vom 1. Advent bis zum Weihnachts Heiligen-Abend blasen in Ehrenfriedersdorf die Stadtmusici vom Thurme, und zwar „nach dem dreimaligen Feldgeschrei“ (einem dreimaligen Signal mit den Trompeten) den Choral: „Sehet auf! der Herr wird bald kommen und alle seine Heiligen mit ihm und wird an demselbigen Tage ein groß Gericht sein. Halleluja!“ Am heiligen Abend selbst wird der Thurm illuminirt und daselbst das Transparent: „Gott segne unsere Stadt“ aufgestellt, d. i. die sogenannte Mette. — 559. Der Stadtmusikus, der zugleich Thürmer ist, giebt den Musicis ein Mahl, wobei man das Lied: „da Christus geboren ward“ singt und der Stadtmusikus eine kurze Ansprache an seine Musici hält.
§ 49. 2. Weihnachten. Vor Allem hat das Weihnachtsfest, wie überall, so namentlich auch im Obergebirge, eine reiche Ausstattung mit allerlei Sitten und Gebräuchen. Vgl. § 5 u. 6.
560. Das Haus rüstet sich auf die kommenden Festtage. Es wird ein Schwein geschlachtet, gebacken und gescheuert (vgl.§ 6 a. b.). — 561. Entweder bäckt man selbst, d. h. der Teig wird von der Mutter zu Hause vorgerichtet und dann bei dem Bäcker gebacken oder man kauft die fertige Waare bei dem Bäcker. — 562. Das Hauptbackwerk sind Stollen und Kuchen, daneben auch Bretzeln und Hörnchen (allg.). — 563. In Ehrenfriedersdorf darf ein Gebäck, „das Christkind“, ähnlich einem Niklaszopfe, nicht fehlen (vgl. § 6 d.).
564. Die Volksschulen schließen den Unterricht vor dem Feste mit der sogenannten „letzten Schule,“ auch „Schulmette“ genannt. Dieselbe wird entweder Abends gegen 5 oder früh um 6 Uhr unter Theilnahme der Eltern, anderer Verwandter und Angehöriger der Kinder gehalten. Jedes Kind bringt ein Licht mit, das es brennend vor sich auf die Tafel stellt. Es werden kindliche Weihnachtslieder gesungen, der Lehrer hält eine Ansprache oder bezügliche Katechisation und die Schüler oder Schülerinnen deklamiren geeignete Gedichte. Dem Lehrer wird entweder dabei oder nachher seitens der Kinder entweder durch eine gemeinsame Gabe oder durch Einzelgeschenke bescheert.
565. Die Kaufleute und andere Gewerbtreibende zeigen sich auch erkenntlich gegen ihre Kunden, indem sie dieselben mit einer Kleinigkeit, sei es auch nur ein Hering oder eine kleine Chocoladentafel, beschenken (Ehrenfriedersdorf).
566. In vielen Häusern herrscht an den drei heiligen Abenden noch die löbliche Sitte, nach Einbrechen der Dunkelheit um den beleuchteten Familientisch versammelt einige Weihnachtslieder zu singen. — 567. Arme, Kinder oder Erwachsene, ziehen von Haus zu Haus, und singen Weihnachtslieder, um dadurch sich etwas zu erwerben.
568. Die kirchliche Feier durch sogenannte Christmetten (vgl. 36 u. 37) findet sich noch mehrfach. Dieselben werden entweder am heiligen Abend (Lößnitz, Schneeberg) oder am ersten Feiertag früh 6 Uhr (Buchholz) gehalten; sie sind aber auch an einigen Orten durch einen Abendgottesdienst am Sylvester (vgl. 585) verdrängt worden. — 569. In den Bergstädten feierte man sonst — in Schneeberg bis 1860 — am Abend vor dem ersten Weihnachtsfeiertag „Bergmetten,“ zu denen die Bergleute von ihrer Wohnung aus mit brennenden Grubenlichtern gingen.
570. Die Bescheerung ist der Mittelpunkt des Festes für das Haus. — 571. Dabei darf es nicht an Lichterglanz, auch nach außen — die Bergleute z. B. setzen am heiligen Abend Lämpchen an die Fenster und illuminiren so (Schneeberg) — fehlen und die behagliche, hellerleuchtete und wohl durchwärmte Stube muß von Weihrauchduft — man zündet Räucherkerzchen an — erfüllt sein. — 572. Die Zeit der Bescheerung ist entweder am Abend vor dem Feste oder am Morgen desselben. Dieses scheint alte, jenes neuere Sitte zu sein.
[S. 43]
§ 50. Außer den verschiedenen Gaben bei der Bescheerung finden wir im Obergebirge in den meisten Familien neben dem Christbaum auch die sonst mehr nur in katholischen Ländern gebräuchliche Christgeburt. Vgl. v. Reinsberg-Düringsfeld, Festkalender aus Böhmen, Wien und Prag 1861 u. L. Frank, „etwas von Glauben und Bräuchen in Sachsen“ (d. i. in der Provinz Sachsen), Aufsatz in den Hausblättern, 1861, 3. Bd. S. 374 ff.
573. Der Christbaum, ein Tannenbaum (vgl. § 38 g.), ist, wie überall in dem evangelischen Deutschland, mit Lichtern oder kleinen Oellämpchen besteckt, mit vergoldeten Aepfeln und Nüssen sammt allerlei kleinem Zucker- und Backwerk behängt.
574. Die Christgeburt, auch Christgarten, Paradiesgarten, Krippe, Bethlehem genannt, befindet sich entweder als Zubehör des Christbaumes am Fuße desselben oder ist als besonderes Schaustück in einer Ecke des Zimmers auf einem Tisch oder dergl. aufgestellt. — 575. Im ersteren Falle ist es ein mit einem Zaun umgebenes Bret, das mit Moos belegt ist. Ein mit Sand bestreuter Weg führt vom Eingang zu dem an der Seite stehenden Stall, in welchem sich Maria und Joseph, dabei das Christkind in der Krippe befinden. Die heiligen drei Könige, der eine von weißer, der andere von brauner, der dritte von schwarzer Gesichtsfarbe, stehen davor. Dem Stall gegenüber befinden sich die Hirten mit den Heerden. Der Engel, mit Draht an einen Baum befestigt, schwebt in der Luft und verkündigt die Geburt Christi. — 576. Ist die Christgeburt als besonderer Theil aufgestellt, so ist dieselbe gewöhnlich 1½ Ellen über dem Fußboden anfangend an die Wand gebaut und mit Moos, glänzenden Steinen, Erzen und dergl. ausgeschmückt. Unten ist der Stall, in dem, außer den heiligen Personen, sich noch Ochs und Esel befinden, „die dem Christkinde den ausgehenden Odem wieder eingeblasen haben sollen.“ Seitwärts erblickt man die Hirten mit ihren Heerden, denen der Engel erscheint. Im Hintergrunde ist Sand gestreut und auf dieser künstlichen Wüste kommen die heiligen drei Könige gezogen. Die Terasse enthält verschiedene Gruppen meist aus der biblischen Geschichte, theils Darstellungen der messianischen Weissagungen z. B. die Schlange im Paradiese, theils der Ereignisse aus dem Leben, besonders aus der Kindheitsgeschichte Jesu. Die Höhe bildet die Stadt Bethlehem, durch mehr oder weniger Häuser angedeutet. Ueber der Stadt ist ein großer Stern an der Wand befestigt. — 577. Oder: In einer künstlich angelegten Nische, die mit Tannenzweigen, zwischen denen vergoldete Aepfel und Nüsse prangen, ausgekleidet ist, erblickt man die Stadt Bethlehem, durch mehrere Straßen aus hölzernen Häuschen aufgebaut, vertreten, die sich terassenförmig in sieben bis acht Stufen nach oben verjüngen. Auf den Gassen stehen kleine Figuren, theils Männer, theils Frauen. Zu unterst ist ein größeres, offenes Haus, darin man das Christkind, die Eltern, die drei Weisen u. s. w. erblickt. Im Vordergrunde schließt sich an dieses Haus eine Wiese, wo die Hirten ihre Heerden hüten. — 578. Außerdem findet man auch häufig die sogenannten Pyramiden, im Volksdialekt „Perametten“ genannt. Dieselben sind entweder einfach, d. h. vier mit buntem Papier überzogene Stäbe, unten durch Querleisten verbunden und oben in eine Spitze vereinigt, sind mit Lichtern und anderem Christschmuck geziert, oder man trifft auch sehr kunstvoll zusammengesetzte an. — 579. Eine solche besteht gewöhnlich aus vier Stockwerken („Platten“), die an einem in der Mitte stehenden senkrechten Stab befestigt sind. An dem oberen Ende des letzteren sind zwei Flügel angebracht, welche sich durch die Wärme der auf die eigentliche Pyramide gesteckten Lichter drehen und dadurch das Ganze in Bewegung setzen. Auf den Platten stehen verschiedene Figuren, die gewöhnlich die Entwicklung der christlichen Kirche von Christus bis auf die Gegenwart darstellen. Auf der unteren Platte die Gründung der Kirche, dargestellt durch die Geburt Christi, die in der bereits beschriebenen Weise dem Auge vorgeführt ist. Auf der zweiten Platte sind die ersten Jahrhunderte angedeutet, z. B. aus flimmerigen Steinen gebaute Höhlen, darin Holzfigürchen, sollen an die Christenverfolgungen erinnern; auf der dritten Platte folgt das Mittelalter: Ritter, Bischöfe, die Reformation, Luther etc. bis endlich die vierte Platte mit der Neuzeit (geistliche und weltliche Beamte, Soldaten und dergl.) den Beschluß macht. — 580. Schon aus dem zuletzt Angeführten erkennt man, daß hierbei der Phantasie ziemlich freier Spielraum gelassen ist, wie überhaupt die oben gegebenen Beschreibungen durchaus nicht feststehende Typen der Ausführung sind, sondern nur die große Mannichfaltigkeit dieser Weihnachtsaufstellungen andeuten.
[S. 44]
581. Der Hausvater baut meist selbst, in Gemeinschaft mit den Kindern, die Krippen und Pyramiden, die von Jahr zu Jahr aufgehoben werden, in den Vorabenden des Festes auf und nach Lust, Geschmack und Vermögen wird das oder jenes alljährlich hinzugefügt, was in der Darstellung eines Gartens, einer Stadt u. s. w. sich anbringen läßt. So findet man Springbrunnen, Jagden, selbst Bergwerke und andere Staffage aufgestellt, oft ist ein Theil der Gruppen durch Maschinerie beweglich. Die Figuren und Häuser sind meist im modernen Styl gehalten und den bekannten Spielwaarenfabriken des oberen Gebirges entnommen, aber mitunter findet man auch wahre Kunstwerke. Immer aber giebt dies Alles der Feier des Weihnachtsfestes im Obergebirge einen eigenthümlichen Reiz und erhöht die gemüthlichen Freuden des Familienkreises.
582. Zu einem rechten Weihnachtsfest gehört auch der brennende Leuchter. Fast in allen Familien nämlich wird ein Kronleuchter an der Decke aufgehängt. In den wohlhabenderen Familien ist derselbe oft sehr kostbar und geschmackvoll von Metall- oder Holzbronce, von geschliffenem Glas oder dergleichen, oft auch künstlich geschnitzt; so sahen wir z. B. einen mit zwölf Armen, deren jeder die buntgemalte Statuette eines Apostels trug, in der Mitte stand in gleicher Ausführung Christus. — 583. Vielfach sieht man statt des Kronleuchters, namentlich in den mittleren und unteren Ständen, einen aus Holz geschnitzten, mittelgroßen, buntbemalten Engel an der Decke schweben. Derselbe trägt an Drähten, welche in dem Holzleib befestigt sind, vergoldete Früchte (meist kleine, mit Rauschgold überzogene Holzkugeln), sowie Lichterteller oder Oellämpchen.
584. Die gemüthvolle Auffassung des Weihnachtsfestes seitens des Gebirgers ist auch der Grund, daß bei ihm die sogenannten Weihnachtsspiele, dramatische Darstellungen der Begebenheiten bei der Geburt des Heilandes, in der „Engelschaar“ und dem „Dreikönigsspiel“ bestehend, bis 1847 wenigstens vereinzelt sich erhalten hatten. Zum Weihnachtsfeste 1861 sind sie, namentlich auf Veranlassung des von dem Verein zur Verbreitung guter und wohlfeiler Volksschriften in Zwickau herausgegebenen Buches von dem Gymnasiallehrer Gustav Mosen: „Die Weihnachtsspiele im sächsischen Erzgebirge (Zwickau 1861)“ in Kranzahl und Neudorf bei Annaberg erneuert worden. Vgl. § 99.
§ 51. 3. Sylvester und Neujahr. Der Schluß des alten und der Beginn des neuen Jahres bietet im Obergebirge nicht mehr und nicht weniger Charakteristisches als anderwärts. Wir begnügen uns mit folgenden Anführungen.
585. Am Sylvester wird Nachmittags 5 Uhr in Annaberg und einigen anderen Städten Gottesdienst gehalten (vgl. 36, 37 u. 568). — In Schneeberg wird Nachts 12 Uhr mit allen Glocken gelauten. Auch ist hie und da gebräuchlich, daß vom Thurme geblasen, auf dem Markte gesungen, von den benachbarten Bergen geschossen wird und dergl.
586. Das Glückwünschen zum Neujahr ist noch sehr in Gebrauch. Zunächst im Kreise der Familie; die Kinder überreichen ihren Eltern geschriebene Neujahrwünsche. Durch Freundschaft oder Amt Verbundene machen sich Neujahrsbesuche oder schicken Gratulationskarten und dergl. (vgl. 680). — 587. Die Stadtmusici und die Kurrendaner halten ihren Umgang in Annaberg, Schneeberg und anderwärts. — 588. Früher (bis 1834) hielten in Annaberg außer diesen noch folgende ihren Neujahrsumgang: der Kantor, der Kirchner, der Rathsdiener, der Marktmeister, der Gerichtsdiener, der Beifrohn, der Bettelvoigt, der Röhrmeister, die Wasserleute, der Nachtwächter und der Schornsteinfeger; zusammen elf Personen.
§ 52. 4. Epiphanias. Das Hoheneujahr (vgl. 325 u. § 5) bringt anstatt der Weihnachtsstollen Bretzeln und Pfannkuchen.
589. Von Hohneujahr (früher von Fastnacht) bis Gründonnerstag werden Bretzeln gebacken. Das Backen derselben hatte bis Ende 1861 Ein bestimmter Bäcker (seit Anfang 1862, mit Eintreten der Gewerbefreiheit, ist auch das Bretzelbacken freigegeben). Die Herumträger (die vom Thaler verkaufter Waare 3 Neugroschen erhalten) machen die Leute durch das Schnarren der sogenannten Bretzelschnarren auf das Kaufen aufmerksam. In Annaberg sind seit Neujahr 1859 statt dieser unangenehm tönenden Instrumente sogenannte Papagenopfeifen eingeführt. Zu Fastnacht (vgl. § 8 b) und Gründonnerstag verkleiden sich die „Bretzeljungen.“ Auch das Backen der Pfannkuchen beginnt am Tage der drei Könige; Palmsonntag ist gebräuchlich damit abzuschließen.
[S. 45]
§ 53. 5. Fastnacht und Aschermittwoch. Fastnacht wird, wenn auch nicht kirchlich, doch durch das sogenannte Fastenbeten, durch Aussetzen der Schulen, durch Bälle und andere Lustbarkeiten ausgezeichnet. Hier und an Aschermittwoch ist vielfacher Schabernak gebräuchlich, vgl. § 7–9.
590. Fastenbeten. An vielen Orten ist es Sitte, daß gewöhnlich am Fastnachtsdienstag die Schulkinder der obern Klasse, sowie die erwachsene Jugend bis zum 18. oder 20. Jahre in der Kirche oder in der Schule sich versammeln, woselbst der Geistliche eine Katechese hält und einen vorher aufgegebenen Psalmen und Gesangbuchslied überhört. — Nach dieser Feier, der auch Eltern und andere Gemeindeglieder beiwohnen, werden die Kinder mit Bretzeln beschenkt.[1]
591. Aus dem Besuche der Schenke seitens der Bauern zu Fastnacht (vgl. 83) hat sich die Sitte entwickelt, daß auch die, welche mit der Landwirthschaft nichts zu thun haben, nicht gern leer ausgehen. Daher geben auch Fabrikherren ihren Arbeitern Geld, damit sie sich einen vergnügten Tag machen. Es wird getanzt, gespielt, Bier und Branntwein getrunken (Geiersdorf). — 592. Man hat sich zum Besten; der Gefoppte heißt der „Fastnachtsnarr“, vgl. 63 u. 616.
593. Aschermittwoch gehen die Knaben und junge Bursche früh in die Kammern und beschütten die Schlafenden mit Asche oder auch mit Wasser (Marienberg).
594. Das Aschtopftragen, ebenfalls ein Schabernak der jungen Leute, ist gebräuchlich: ein alter Topf mit Asche, Topfscherben und anderen Unrath gefüllt, wird fest zugebunden und damit schleicht sich ein Einzelner an ein Haus. In dem Augenblicke, wo Niemand in der Hausflur ist, schleudert er den Topf an die Stubenthüre oder wagt sich wohl in das Haus und wirft ihn durch die geöffnete Thüre in die Stube. Schleunigst muß er nun sein Heil in der Flucht suchen, denn alle Hausbewohner jagen dem Thäter alsbald nach. Wird er erwischt, so bekommt er tüchtige Prügel oder man setzt ihn in den nächsten Wassertrog, wenn er sich nicht mit einer Quantität Schnaps löst. Entkommt er, ist aber erkannt worden, so sucht man ihm denselben Possen zu spielen (Geier, Frohnau, Sehma, Raschau), vgl. 647. — 595. Oder: Man setzt einen großen Topf mit Wasser leise an die Stubenthür, so daß, wenn letztere geöffnet wird, der Topf umfällt und die Fluth sich in die Hausflur ergießt (Raschau).
596. Auch ist es Sitte, Aschensäckchen zu machen und den Vorübergehenden auf den Rücken zu streuen (Marienberg). — 597. Oefters gehen Kinder oder Kuhhirten, von den Knechten oder Bauern selbst geschickt, zu den Nachbarn, um noch einmal „Spieß einzurecken“ (vgl. 66). Hier aber werden sie mit einem Topf Wasser, der oft mit Asche schmutzig gemacht worden ist, beschüttet und mit Schimpf und Schande müssen die zum Narren gehabten abziehen (Dittersdorf).
§ 54. 6. Ostern. Das obere Voigtland hat einen alten, eigenthümlichen, an die Ostereier (vgl. § 10 b) sich anschließenden Gebrauch, das „Eierhärten.“
598. Schon vier Wochen vor Ostern sehen sich die Bub’n nach harten Eiern um und bezahlen ein solches, das eine recht feste, starke Schale hat, mit einem Neugroschen und noch theurer. Erscheint nun Ostern, so versammelt sich die ganze Jugend auf dem Markte und das Härten beginnt. Ehe jedoch der Eine mit dem Andern härtet, nimmt er das Ei des Gegners und pocht damit gegen die Zähne, indem er dabei mit der einen Hand das Ohr zuhält, um die Stärke der Schale zu prüfen. Glaubt er nun, sein Ei sei härter, so härtet er mit dem Gegner entweder „auf Rück’ und Spitz’“ oder blos „auf Rück’ oder Spitz’“ (d. h. sie schlagen entweder sowohl mit der Spitze als mit der unteren Seite der Eier oder nur mit der oberen und unteren Spitze zusammen). Der, dessen Ei zerbricht, hat verloren. Zuweilen kommt es vor, daß Einzelne mit Pech ausgegossene Eier haben. Wird es entdeckt, so werden ihnen unter allgemeinem Jubel schlechte Eier auf den Rücken geworfen und sie mit großem Hallo vom Platze getrieben. — In neuerer Zeit hat dieses Eierhärten sehr abgenommen, weil die Polizei nicht duldet, daß am 1. und 2. Osterfeiertag solch ein Lärm auf einem öffentlichen Platze gemacht werde (Markneukirchen).
[S. 46]
§ 55. 7. Trinitatisfest (Pfingsten, s. § 13). Das Trinitatisfest wird in Annaberg und Buchholz als Todtenfest, ähnlich wie anderwärts das Johannisfest, gefeiert.
599. Die Hospitalkirche oder Gottesackerkirche zu Annaberg ist im Jahre 1517 der heiligen Dreieinigkeit geweiht worden und daher feiert am Trinitatisfest das Hospital seine Kirchweih. An diesem Tag war daher bis zur Einführung der Reformation der Gottesacker, in Folge einer Bulle Papst Leo X., ein vielbesuchter Wallfahrtsort, woran sich eine Art Jahrmarkt anschloß. Letzterer hat sich auch nach der Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen (1539) erhalten. Es werden Buden auf dem Platze neben dem Gottesacker erbaut, in denen Eßwaaren, namentlich die sogenannten Fesselkuchen, eine Art Pfefferkuchen, verkauft werden. Auch Schaubuden befinden sich daselbst. — Die Gräber werden zu diesem Tage von den Angehörigen geschmückt und Mittag 12 Uhr die sogenannte Gottesackerpredigt gehalten. Es herrscht daher an diesen Tagen (mit Einschluß des Montags) ein reges Leben auf und um den Friedhof Annabergs. Näheres hierüber in dem Buche: „Der Gottesacker zu Annaberg“ (Annaberg 1860), S. 128 ff. Vgl. auch: Des Annaberger Naturdichters Gottlieb Grund Gedicht in erzgebirgischer Mundart: „das Trinitatisfest zu Annaberg“ in dessen vermischten Gedichten (Annaberg 1816), S. 194 ff. — 600. In Buchholz wird das Trinitatisfest ebenfalls mit Schmückung der Gräber und mit Predigt in der dasigen Gottesackerkirche begangen.
§ 56. 8. Das Reformationsfest. Das Reformationsfest, am 31. October, wird im ganzen Obergebirge mit großer, allgemeiner Betheiligung, namentlich durch zahlreichen Besuch der Kirche, gefeiert.
601. In Annaberg durchziehen am Vorabend des Festes, 6 Uhr, die Zöglinge des Seminars die Hauptstraßen der Stadt unter dem Gesang des Liedes: „Ein’ feste Burg ist unser Gott.“ — 602. In Johanngeorgenstadt wird Nachts 12 Uhr die Melodie dieses Schutz- und Trutzliedes der evangelischen Kirche vom Thurme geblasen. — 603. In Zwickau halten die Gymnasiasten einen solennen Fackelzug. — 604. Die Bäcker fast in allen Städten des Obergebirges backen sogenannte „Reformationsbrodchen.“
§ 57. 9. Martini. Des Martinstages, des 11. Novembers, wird wenigstens bezüglich leiblicher Genüsse auch im Gebirge gedacht (vgl. § 15 d).
605. Zu Martini, auch „Märtens“ genannt, wird gewöhnlich eine Gans, die „Martinsgans“ geschlachtet. Dieselbe ist von der Familie an diesem Tage ganz aufzuessen (Annaberg). — 606. Es werden die sogenannten „Martinshörner“ gebacken, welche hufeisenartige Gestalt haben und in allen Größen zu bekommen sind (allg.). In Marienberg bäckt man statt dessen sogenannte „Winterzecken“. — 607. Die Familienglieder beschenken einander mit solchen Hörnchen (Dittersdorf). — 608. Dem Lehrer an Elementarklassen wird von seinen Schülern ein großes Martinshorn, oft auch unter Hinzufügung anderer Gaben bescheert (Lößnitz, Zwickau, Plauen), vgl. 612.
§ 58. 10. Andreas. Der Tag des heiligen Andreas (30. November) wird hie und da durch weltliche Vergnügungen ausgezeichnet (vgl. § 16).
609. Die Gesellen bekommen Abends ein Essen oder es wird ihnen eine sonstige Lustbarkeit bereitet (Geier).
§ 59. 11. Nikolaus. Der heilige Nikolaus (6. Dezember), gewöhnlich „Nikels“ genannt, ist sehr populär, namentlich im östlichen Obergebirge.
610. Man bäckt in verschiedener Größe, Güte und Preis (von drei Pfennigen bis ein Thaler und darüber das Stück) sogenannte „Nikelszöpfe“, ein zopfartig gewundenes Gebäck, das nach unten sich zuspitzt (allg.). — 611. Die Kinder werden namentlich mit solchen Zöpfen beglückt. — 612. Die Schulkinder sammeln Geld und kaufen dafür einen großen Niklaszopf nebst einigen anderen Kleinigkeiten, die sie dem Lehrer in der Schule bescheeren. Gewöhnlich werden auch seine Kinder dabei bedacht. Oder das Geschenk wird gegen Abend dem Lehrer in seine Wohnung getragen, wo dann der Lehrer die Schenkenden durch Erzählen kleiner Geschichten, durch angestellte Spiele u. s. w. erfreut (Annaberg), vgl. 608. — 613. Mit dem auf Nikolaus folgenden Sonnabend beginnt in Annaberg der Christ[S. 47]markt. Daher erfolgt oft schon an diesem Tage eine kleine Vorbescheerung, der Ruprecht (vgl. § 48) fängt an sich einzustellen und Haus und Familie beginnen die Zurüstungen auf das Weihnachtsfest.
[1] Weitere Beiträge zur Sammlung der kirchlichen und religiösen Gebräuche und Sitten des Erzgebirges und des übrigen Sachsens wären sehr erwünscht. Für Preußen vgl. Pröhle, kirchliche Sitten, Berlin 1858.
§ 60. 1. Feste und Vergnügungen der unerwachsenen Jugend. Jede Jahreszeit bringt der Kinderwelt bis zu ihrem Austritt aus der Schule und darüber hinaus besondere Vergnügungen, die nach der verschiedenen Gegend ihr Charakteristisches haben und weil sie den Gesichtskreis des heranwachsenden Geschlechtes mit bedingen helfen, nicht ohne kulturhistorische Bedeutung sind.
a. Der Winter: 614. Das hauptsächlichste Wintervergnügen ist das sogenannte „Ruscheln“, d. h. Herabfahren von Anhöhen auf kleinen Schlitten. Es wird mit seltener Ausdauer und Kühnheit schon von vierjährigen Knaben und Mädchen getrieben und hat selbst unter den Erwachsenen entschiedene Anhänger. Allerdings wird es auch durch die bergige Gegend wesentlich begünstigt. — 615. Daß daneben das sogenannte „Zschinnern“, Schlittschuhfahren, Schneebataillen und Anderes nicht fehlen, ist selbstverständlich.
b. Frühling. 616. Am 1. April hat man sich gegenseitig zum Besten. Wer sich anführen läßt, wird „Aprilnarr“ genannt (allg.), vgl. 592. — 617. Sobald die ersten Frühlingsblumen zum Vorschein kommen, wandern die Kinder hinaus in Wald und Flur, um Blumensträuße zu pflücken; namentlich haben die Himmelschlüssel (primula veris) zahlreiche Freunde. — 618. Die erwachsenen Knaben betheiligen sich bei dem Viehaustreiben, das gewöhnlich am ersten Mai (vgl. § 12 c) seinen Anfang nimmt. Die Hirten entwickeln ein gemüthliches Naturleben: Eine Hauptunterhaltung ist das Knallen mit ihren großen Peitschen, worin jeder den anderen zu übertreffen sucht. Oder sie rufen sich gegenseitig von entfernten Höhen mit lauter Stimme zu: „I nu aha, welle Zeit is deh? aha!“ Die Gegenantwort lautet: „Uem die gestrige Zeit“ (Geiersdorf), vgl. 642. — 619. Das Anschlagen, ein Kinderspiel, das etwa seit 1840 aufgekommen ist, wird gespielt, sobald die Straßen vom Winterschnee trocken sind. Man wirft einen Spielpfennig mit der Breitseite an eine Häuserwand und sucht dadurch denselben möglichst weit abzuprellen. Wessen Pfennig am weitesten fällt, hat gewonnen. — 620. Wenn die Frühlingswinde wehen, lassen die Knaben Drachen steigen, ein Vergnügen, das etwa seit 1810 auf unseren Bergen heimisch geworden ist. — 621. Aelter ist das Schießen mit sogenannten Himmelsbolzen. Ein solcher Bolzen ist ein von weichem Holz geschnitzter Pfeil, etwa eine halbe Elle lang, in der Mitte mit einer Kerbe. Dazu gehört ein biegsames Stäbchen mit einer Schnur, an deren Spitze ein kleines Hölzchen befestigt ist. Letzteres legt man in die Kerbe, nimmt den Pfeil mit der Spitze zwischen Daumen und Zeigenfinger der linken Hand und schnellt ihn nun mittelst des peitschenartigen Stäbchens durch die rechte Hand in die Höhe. — 622. Auch das Stelzenlaufen ist sehr gebräuchlich und wird mit großer Virtuosität betrieben.
c. Sommer: Im Zusammenhange mit den zuletzt erwähnten Unterhaltungen des Knabenalters schließen wir eine kurze Uebersicht der gebräuchlichsten Spiele der Sommerzeit an, insofern sie etwas Charakteristisches an sich tragen:
§ 61. aa. Spiele der Knaben dieses Jahrhunderts in Annaberg waren: 623. Das „Hödern.“ Die Spielenden bilden einen Kreis. Einer zählt aus und wen das letzte Wort trifft, muß „hödern,“ d. h. Einen aus der Zahl der Mitspielenden, die alsbald nach allen Seiten aus einander stieben, zu fangen suchen. — 624. Das Spittelschlagen. Jeder Spielende hat ein ohngefähr eine Elle langes, an der einen Seite zugespitztes Holz von der Stärke einer Bohnenstange. Dieser Spittel (wohl Deminutiv von Spaten?) wird von einem der Spielenden mit wuchtender Hand fest in den Boden eingehauen. Ein anderer sucht nun, indem er einen Stab dicht neben dem des ersten einschlagen läßt, diesen herauszuschlagen und so fort die übrigen Spieler. Wer den Spittel des anderen herausschlägt, ist Sieger. — 625. Das Schweinchenschlagen (vgl. 635). Jeder Mitspieler, bewaffnet mit einem kurzen Stock, macht vor seinem Platze ein kleines, rundes Loch in die Erde. In der Mitte des Kreises, den man gebildet, liegt ein rundlicher Stein oder eine kleine Kugel. Diese[S. 48] beginnt man nun mit den Stöcken zutreiben. Wer sie also schlägt, daß sie in eines der Löcher rollt, empfängt von dem Betroffenen einen Gewinn. — 626. Außerdem übte man seinen Muth, seine Kraft und List in großen Schlachten, die man sich auf und an den alten Berghalden lieferte und wo es mitunter nicht ohne blutige Köpfe ablief.
§ 62. bb. Knabenspiele der Gegenwart (gesammelt 1858): 627. Räuber und Schütz. Eine Partei macht die Räuber, die sich verstecken. Auf ein von diesen gegebenes Zeichen bricht die andere Rotte, die Schützen, auf, um dieselben zu suchen und zu greifen. — 628. Fuchs in’s Loch: Einer der Gesellschaft ist Fuchs, der seinen Bau (Loch) an einem bestimmten Platze (einem Baume, Steine etc.) hat. Die Uebrigen umkreisen denselben neckend und der Fuchs sucht einen derselben mit seinem Plumpsack zu schlagen, muß aber dabei, sobald er über das ihm angewiesene beschränkte Revier hinausgeht, auf Einem Beine hüpfen. Gelingt es ihm, einen Anderen zu treffen, so wird dieser an seiner Stelle Fuchs. — 629. Stando. Einer aus der Gesellschaft wirft einen Ball gegen eine Wand und ruft einen auf, der ihn fangen soll, während die Anderen die Flucht ergreifen. Sobald letzterer den Ball gefangen, ruft er: „stando!“ bei welchem Wort Jeder auf seinem Platze stehen bleibt. Der Ballinhaber wirft nun nach Einem, trifft er ihn, so übernimmt dieser das Ballwerfen, wo nicht, so erhält der Fehlwerfer von Jedem einen Schlag. — 630. Katze und Maus. Die Gesellschaft bildet einen Kreis. Eine Person, die Katze, ist außerhalb des Kreises, eine andere, die Maus, innerhalb desselben. Hierauf beginnt die Katze: „Mäuschen, Mäuschen, komm heraus!“ worauf die Maus erwiedert: „Ich komm’ dir doch nicht ’raus!“ Darauf die Katze: „Kratz’ ich dir die Augen ’raus!“ und die Maus: „Fahr ich zu mein’ Löchel ’naus.“ Die Katze sucht nun in den Kreis zu dringen; gelingt ihr dieses, so muß die Maus heraus gelassen und die Katze zurückgehalten werden. Erhascht die Katze die Maus, so werden zwei andere zu diesen Rollen gewählt. — 631. Mauerbrechen. Die Gesellschaft bildet zwei Abtheilungen, die mit den Händen fest zusammenhalten. Von der einen Partei wird Einer gewählt, der die andere Reihe zu durchbrechen sucht, kommt er bei dreimaligem Anlauf nicht hindurch, so muß er „Spießruthen laufen“. — 632. Schlange. Die ganze Gesellschaft bildet durch Handreichen eine lange Reihe. Der erste beginnt nun in verschiedenen Wendungen zu laufen und ihm nach müssen die Anderen, sich fest an den Händen haltend, in derselben Richtung ziehen. — 633. Krimmer (d. i. Habicht). Man zählt aus und der Getroffene ist der Krimmer. Dieser sucht die Anderen, die sich zerstreuen und ihn mit dem Verschen necken: „Krimmerle, Krimmerle, geck, geck, Schneit mer meine Haare weg,“ mit seinem Plumpsack zu treffen und dadurch zu seinen Gefangenen und Mithelfern zu machen. Das Spiel dauert so lange, bis Alle in die Gewalt des Krimmers gekommen sind — 634. Anbrennen. Man zählt aus. Der Zurückgebliebene stellt sich mit zugehaltenen Augen an einen Baum und zählt laut bis zu einer bestimmten Zahl. Unterdeß verstecken sich die übrigen. Nun sucht er. Entfernt er sich jedoch zu weit vom Baume, so springt ein Mitspieler schnell aus seinem Versteck hervor und eilt dem Baume zu. Der Häscher rennt auch dahin. Kommt jener eher, so befreit er sich vom weiteren Mitspielen, indem er dreimal an den Baum pocht und ruft: „eins, zwei, drei erlöst“. Kommt jedoch der Haschende zuerst an den Baum, und pocht dreimal an den Baum mit den Worten: „N. N. eins, zwei, drei angebrannt“, so wird der Andere dadurch sein Gefangener. Sind alle wieder versammelt, so wird der zuerst Angebrannte jetzt der Anbrennende. — 635. Sautreiben (vgl. 625). Die Zahl der Spielenden darf nicht zu groß sein. Es sind z. B. sechs, so gräbt man in einem Kreis fünf kleine Löcher und in die Mitte ein größeres. Jeder Spieler ist mit einem kurzen Stock bewaffnet, und außerdem braucht man noch die sogenannte Sau, ein Stück Holz oder sonst einen Körper, der sich leicht fortschlagen läßt. Nun stellt man sich an, indem die sechs Spielenden mit ihren Knitteln die „Sau“, die abseits an der Erde liegt, halten. Einer zählt: „eins, zwei, drei.“ Bei drei eilen alle den Erdlöchern zu, um die kleinern zu besetzen. Der dem dies nicht gelingt, ist der „Sautreiber“, oder „Saumelker.“ Dieser sucht nun die Sau in das große Loch in der Mitte hineinzubringen, was aber die andern zu verhindern streben, indem sie dieselbe mit den Knütteln fortschlagen. Dabei aber müssen sie dem Sautreiber gegenüber stets ihre Stöcke in das von ihnen besetzte Erdloch halten, denn gelingt es jenem in ein leerstehendes seinen Stab zu stoßen, so kommt der Hinausgetriebene an seine Stelle. Ebenso ist er erlöst, wenn die Sau in das große Loch gelangt, wo dann das Spiel von neuem beginnt. Vgl. 619–622 und Vogelsang, Turnlehrer in Annaberg, Leitfaden beim Unterrichte im Turnen, 2. Aufl. Annaberg 1862, S. 88 ff.
[S. 49]
§ 63. Das Hauptfest in Annaberg für alle schulpflichtigen Kinder ist das Schulfest, das die ganze Stadt in freudige Aufregung setzt. Ehe wir aber zur näheren Beschreibung desselben übergehen, wollen wir des früheren Schulfestes, des Gregoriusfestes, gedenken, welches bis zum Jahre 1824 die in Annaberg damals bestehende „lateinische Schule“ feierte.
636. Das Gregoriusfest des Lyceums: Dasselbe begann am Montag nach dem Sonntag Rogate und dauerte bis Mittwoch vor Himmelfahrt. Schon vier bis fünf Wochen vorher begann das Ueben der Trommler und Pfeifer. Jene bestanden aus Primanern, diese aus Sekundanern. Nach vier Uhr, wenn die Schulstunden zu Ende waren, mußten die „Serviteure“, d. h. die unteren Alumnen, die Trommeln vor das Thor tragen. Von den unteren Klassen schlossen sich mehrere freiwillig an. Draußen fanden sich dann auch die Schüler der oberen Klassen dazu und übten sich nun tüchtig auf der Trommel und der Pikelpfeife. Dies war schon ein Vorgeschmack von den Freuden des eigentlichen Festes. Dieses selbst wurde am Montag, früh 3 Uhr mit Reveille eröffnet, wobei die Trommler und Pfeifer, sämmtlich kostümirt in rothen Collets mit blauen Aufschlägen, abwechselnd aufspielten. Um 6 Uhr wurde Appell geschlagen und nun strömte Alles herbei, was zur Schule gehörte. Alle Schüler, vom obersten bis zum untersten, waren verkleidet: da gab es Husaren, Dragoner, Schäfer, Köche, Jäger u. s. w., besonders viele Harlekine mit Pritschen. Von den höheren Klassen hatten sich mehrere beritten gemacht — wer nur irgend eine Mähre auftreiben konnte, entlehnte sie — und paradirten kostümirt und mit Seitengewehren verschiedener Art bewaffnet stolz zu Roß. Diese Reiterei zog nun abgesondert durch die Gassen der Stadt und machte auch Ausflüge nach Klein-Rückerswalde, Frohnau und Buchholz. Die Nichtberittenen dagegen begannen 7 Uhr ihren Umzug durch die Stadt. Voran ging die Schulfahne, dann folgte die Musik, bestehend aus Geigen und einer Baßgeige, die von Schülern des Sängerchors gespielt wurden, darnach kam das Lehrerkollegium und endlich die Schüler aller fünf Klassen. An der Seite schritten zwei Primaner mit Sparbüchsen, welche die Beiträge, die aus jedem Hause verabreicht wurden, einsammelten. Dieser Umzug dauerte bis 9 Uhr. Um 10 Uhr begann das Theater in dem zweiten Stockwerk des Rathhauses. Gewöhnlich kam ein deutsches Lustspiel zur Aufführung, mitunter auch eine deutsche Oper. Sämmtliche Spielende waren Primaner und Sekundaner, denen ausnahmsweise auch einzelne Tertianer beigegeben wurden. Die Spielenden waren natürlich entsprechend kostümirt und machten ihre Sachen nach Verhältniß recht gut. Nach Beendigung der Komödie begaben sich Alle zum Mittagsessen nach Hause und um 2 Uhr begann abermals ein Umzug durch die Stadt, der bis nach 5 Uhr dauerte. Zum Zapfenstreich ½8 Uhr fanden sich wieder alle Schüler, größtentheils in Mißgestalten verwandelt, mit scheußlichen Larven vor den Gesichtern, an der Schule ein. Da gab es Gespenster, Wechselbälge von allen Größen u. dergl., selbst Nichtschüler mischten sich unter die Masken. Die Primaner trommelten und spielten die Janitscharenmusik, zu der die Schule sämmtliche Instrumente besaß, die übrige Musik besorgten die Stadtmusici und so durchzog der Zapfenstreich die ganze Stadt bis in die kleinsten und abgelegensten Gassen. Bei den Wohnungen der Behörden und sonstiger Notabilitäten wurde Halt gemacht und ein kurzes Ständchen gebracht, wofür nicht selten eine Erfrischung in Bier verabreicht wurde. Nach 10 Uhr traf der Zug wieder an der Schule ein, worauf Alles nach Hause strömte. — Dienstag, der zweite Tag, verlief ähnlich wie der erste, früh 3 Uhr Reveille, dann um 6 Uhr Appell, dann der erste Umzug, hierauf wieder Aufführung eines zweiten Lustspieles im Rathhause und nach Tische der zweite Umzug. Letzterer sammelte sich gegen 4 Uhr auf dem Marktplatz unter Anschluß der Reiterei. Von dieser hatte Jeder auf seinen blankgezogenen Säbel eine Citrone gesteckt und so ritten sie mehrmals im Kreise auf dem Platze umher. Dann zogen Alle, die Reiterei voran, nach der Schule zurück, worauf man sich nach Hause begab, um sich ½8 Uhr zum Zapfenstreich einzufinden, der auch diesmal den Tag beschloß. — Mittwoch, als dem dritten Tag, war keine Reveille. Um 8 Uhr fand ein grotesker Aufzug statt, dessen Kostüm früh erst angeordnet und bekannt gemacht wurde. Ein Mal wurden lauter Mohren dargestellt und sämmtliche Schüler erschienen dann schwarz gefärbt, ein anderes Mal kamen andere Wilde zur Vorführung u. dergl. Unter Vortritt der Janitscharenmusik ging es nun durch die ganze Stadt; an beiden Seiten gingen Schüler mit Sparbüchsen, deren Einnahme, die aus allen Häusern gesammelt wurde, man zu dem am Abend zu veranstaltenden Balle verwendete. Kehrte der Zug gegen 12 Uhr von seiner Wanderung an die Schule zurück, so trat der Präfekt vor die Fenster[S. 50] des Rektors, der im Schulgebäude wohnte, und brachte dem Superintendenten, sämmtlichen Behörden, dem Rektor u. s. w. ein Lebehoch, welches von Allen dreimal wiederholt ward. Um 2 Uhr war Alles abermals auf dem Platze, die oberen Schüler in gewöhnlichem, anständigem Anzuge, die kleine Gesellschaft aber noch in ihrem Festkostüm. Es begann der Auszug nach einem vor dem Thore gelegenen öffentlichen Orte (das eine Jahr nach „Gensel’s Garten“, das andere nach dem Schießhaus) unter schallender Janitscharenmusik. Dort angekommen unterhielt sich Jeder auf seine Weise, die Schüler der oberen Klassen tranken Bier und rauchten Tabak aus Thonpfeifen, die der unteren hielten sich schadlos an Kuchen, den die Frau des Schulkalfaktors daselbst feilhielt. Gegen Abend wurden die drei unteren Klassen entlassen, Prima und Sekunda aber begaben sich in die Stadt, um die von den Eltern erbetenen Mädchen zum Balle abzuholen. Dieser dauerte gewöhnlich so lange, bis die Glocken zum Gottesdienst des Himmelfahrtfestes riefen. So endete das Fest. — Einige Tage später gab der Rektor dem ganzen Lehrerkollegium einen solennen Schmaus. Er konnte dieses um so eher, da ihm die Einnahme bei dem ersten Umzug, das Eintrittsgeld bei dem zweimaligen Theater und das sogenannte Rollengeld (jeder Schüler, der in einem Stücke auftrat, mußte diese Bevorzugung mit einem entsprechenden Betrage von 10 Neugroschen bis einen Thaler vergüten) zuflossen. Alle diese Gaben hingen zwar von dem Belieben des Einzelnen ab, fielen aber oft sehr reichlich aus. — 637. Ein früherer Lyceist, der vor drei Jahren (1859) hochgeachtet und hochbetagt starb, urtheilte über dieses Fest also: „Ich werde die drei so fröhlich verlebten Tage nie vergessen. Freilich würde dieses Fest jetzt bei dem höheren Bildungsgrade als abgeschmackt erscheinen, allein das damalige Publikum (um 1800) vertrug schon etwas und die tolle Lust der Jugend fand allgemeinen Beifall und Theilnahme. Die Spenden fielen reichlich aus und Jeder trug sein Scherflein bei. Das Wetter hat uns immer begünstigt. Auch kann ich mich nicht entsinnen, daß nur ein Mal ein Exceß dabei geschehen oder daß Jemand zu Schaden gekommen wäre.“
§ 64 (638). Das Schulfest der Bürgerschule. Dieses seit Errichtung einer Bürgerschule im Jahre 1835 gebräuchliche Fest hat der Natur der Sache nach einen ächt kindlichen Charakter, erfreut sich aber dessenohngeachtet oder vielmehr eben deshalb der entschiedenen Gunst des Publikums der Gegenwart. Es fällt auf keinen bestimmten Tag, sondern wird je nach Umständen, gewöhnlich an zwei ersten Wochentagen im Spätsommer abgehalten. Schon mehrere Tage vorher rüstet sich Alles darauf. Die Mütter sorgen für nette Kleidung namentlich der Mädchen; da wird genäht, gewaschen und geplättet, Kränze gewunden und allerlei Festschmuck, Fähnchen, Stäbe u. s. w., neu aufgeputzt. Draußen vor dem Thore, auf dem Schießhause und dem umgebenden Platze läßt man es auch nicht an Vorkehrungen fehlen. Es werden Buden aufgeschlagen, Schaukeln errichtet, „Reitschulen“ (Karoussels) aufgebaut u. dergl.; ganze Lager Bier werden hinausgeschafft und die Bäcker bereiten sich auf vermehrten Absatz vor. Am Tage vor dem Feste windet man Kränze und Guirlanden im Schulhause, womit man das Gebäude im Inneren und auswendig festtäglich anputzt. Ist endlich der erste Festtag angebrochen, so durchziehen vier Tamboure in der 7. Morgenstunde die Stadt, um den sehnsüchtig harrenden Kindern das Zeichen zum Sammeln zu geben. Alsbald strömen Schüler und Schülerinnen, diese meist mit Kränzen, die an einem Stab getragen werden, jene mit grün und weißen Fähnlein, in festlichem Schmuck fröhlich und lustig nach dem Schulgebäude. Zunächst sammeln sie sich in den verschiedenen Klassen und werden von da, geordnet von ihren Lehrern, auf den angrenzenden Neumarkt geführt. Hier stellt sich die gegen achtzehnhundert Köpfe betragende Kinderschaar, voran die unteren Abtheilungen, auf, und gegen 8 Uhr setzt sich der Zug in Bewegung. Eröffnet wird derselbe durch den Primus der ersten Bürgerschulklasse, der als Zeichen seiner Würde einen Marschallsstab trägt und geleitet von seinen beiden Schulnachbarn langsam vorwärts schreitet. Hierauf folgt das erste Musikchor, das einen munteren Marsch aufspielt, und hinter demselben die Fahne der „Bürgerschule“, von einem Zögling derselben getragen. Diesem Kopfe des Zuges schließt sich der Cötus an und zwar zunächst die vier unteren Klassen der Bürgerschule. Jeder Klasse schreitet bei den Knaben der Träger der Klassenfahne, bei den Mädchen die Trägerin einer an einem Stab befestigten Lyra, voran. Etwa in der Mitte des Zuges läßt ein zweites Musikchor seine heiteren Klänge ertönen und nach diesem kommen drei Knaben, deren mittelster die Fahne der gesammten Bürgerschule (d. h. Bürgerschule und Selekta) trägt. Darnach folgen, an der Spitze ihre Fahne, die fünf Klassen der Selekta, sowie die drei oberen Klassen der Bürgerschule, von denen die erste Knabenklasse, bewaffnet mit Armbrüsten, den Schluß bildet. Zur[S. 51] Seite des langen Zuges, der ein lebendiges Wogen von Fähnlein und Kränzen, von weißen Kleidern und bunten Bänderschmuck darstellt, schreiten ordnend und helfend die Lehrer der Anstalt. Man zieht inmitten einer zahlreich sich drängenden Zuschauermenge, meist Väter und Mütter oder andere Verwandte der festlich geschmückten Kinder, vom Neumarkt hinunter nach dem Marktplatz, der mehrmals umwandert und dann von dem dreireihig gestellten Kinderkreis, in der Mitte die Musikchöre und das Lehrerkollegium, umschlossen wird. Hier stimmt man das Lied: „Den König segne Gott“ an und läßt einige Vivats ertönen; dann kehrt der Zug nach der Bürgerschule zurück, von wo man sich nach Hause begiebt. Nach eingenommenen Mittagsessen erfolgt um 1 Uhr der Auszug von der Bürgerschule aus nach dem Schießhausplatz, auf dessen weiter Fläche sich bald ein vielgestaltiges Leben entwickelt. Für die verschiedenen Wünsche der Kinder ist gesorgt. Mehrere Buden mit verschiedenen Eßwaaren, wie sie der Bäcker und Konditor, auch der Fleischer liefert, sind aufgestellt, allerlei Obst wird feilgeboten. Bier wird im Schießhause verabreicht. Für die einzelnen Klassen sind Spielplätze angeordnet: dort schießen die oberen Knaben einen Vogel ab, während hier die Mädchen mit einem gußeisernen Stoßvogel, der an einer Schnure schwebt, einem sogenannten Stechvogel, die Scheiben eines großen Sternes zu treffen suchen. Dort drehen sich lustig die Reitschulen mit fröhlichen Kindern übervoll besetzt, während hier eine Anzahl Schaukeln Andere lustig hin und her schwenken. Eine Walze, wo es gilt, das Gleichgewicht zu halten, damit man durch die Drehung derselben nicht herabfällt, ist hier der Mittelpunkt eines Kinderkreises, während dort Knaben oder Mädchen munter am Rundlauf sich herum schwenken. Hier sind an eine Stange eine Anzahl Gegenstände, Pfefferkuchen, Schreibbücher u. s. w. an lange Bindfäden geknüpft, wovon dem zu Theil wird, der mit verbundenen Augen den Faden glücklich findet, während dort auf langem in der Schwebe gehenden Balken zwei Parten sich jauchzend auf- und niedersteigen lassen. Dazu kommen noch die verschiedensten anderen Spiele, die im Freien gebräuchlich sind, Schlangeziehen, Haschen, „mein Knötchen geht ’rum“ u. dergl. Ueberall sind Lehrer oder Zöglinge der oberen Seminarklassen als Leiter und Mitspieler gegenwärtig, an Preisen und Gewinnen fehlt es auch nicht und wo das eine Spiel zu ermüden anfängt, ist bald ein Vorschlag zum Wechsel da und ausgeführt. Zwischen diesem regen Leben wandern die Eltern und andere Zuschauer auf und ab, bald hier bald dort stehen bleibend und ihre kleinen Lieblinge beobachtend, oder man lagert sich auf den weichen Grasplatz oder sucht in den für die Gäste aufgeschlagenen Zelten und Buden ein Sitzplätzchen und erquickt sich mit Kaffee oder Bier oder schaut hinaus in das wechselvolle Bild der sich belustigenden Jugend, oder horcht auf die Klänge des Koncerts, das das Stadtmusikchor unter dem Schatten der großen Linde ertönen läßt. Kurz Alles freut sich mit und an den Kindern und erquickt sich an der heitern, lebensfrohen und doch sittsam bescheidenen kleinen Welt. Nach 7 Uhr erschallen die Trommeln und geben das Zeichen zur Rückkehr in die Stadt; der Zug ordnet sich von neuem und kehrt unter den Klängen der Musik, unter Jubel und Jauchzen der Kinder, umdrängt von dichten Zuschauerschaaren zur Bürgerschule zurück, von wo man sich nach Hause begiebt. Am Morgen des zweiten Festtages nach 8 Uhr ziehen die Kinder abermals in der beschriebenen Weise auf den Schießanger, dort empfängt jedes einen „Butterstollen“ und nun beginnt Spiel und Lust von neuem. Mittag 1 Uhr vereinigt ein Festmahl die Lehrer sammt den Spitzen der Behörden und zahlreichen Freunden der Schule, das in der heitersten, geistig gemüthlichen Stimmung gewöhnlich bis nach drei Uhr sich ausdehnt. Der Nachmittag verläuft abermals im unermüdeten Genießen der gebotenen Spiele seitens der fröhlichen Kinderschaaren, im Schauen und Sichmitfreuen des wieder zahlreich versammelten Publikums, bis endlich der hereinbrechende Abend der Festlust ein Ende macht und der Einzug nach der Stadt die zwei frohen Tage schließt. Ein gemüthliches Tanzvergnügen vereinigt gewöhnlich noch Lehrer und deren Freunde bis in die späteren Nachtstunden, worauf ein schulfreier Tag Lehrenden und Lernenden die nöthige Ruhe gewährt und Herz und Sinne wieder in die gewohnten Gleise zurückkehren läßt.
639. Mit gleicher Betheiligung der Eltern an dem Freudenfest ihrer Kinder feiern auch die meisten anderen Städte und Dörfer des Gebirges ein Schulfest seitens der Volksschulen mit Umzug, Spielen im Freien und allerlei leiblichen Genüssen.
640. Außer den Spielen und deren Vereinigung im Schulfest ist während der zweiten Hälfte des Sommers ein Hauptvergnügen namentlich der ländlichen Jugend, das „in die Beeren gehen.“ Dort, wo noch größere Waldungen an die Ortschaften grenzen, ziehen Knaben und Mädchen[S. 52] in der Zeit, wo die Heidelbeeren, hier „Schwarzbeeren“ genannt, reifen, oft schon am frühen Morgen mit Tragkörben, in denen Töpfe und Krüge sich befinden, hinaus in den Wald, um Beeren zu sammeln. Am Abend kehren sie dann mit gefüllten Körben zurück. Außerdem werden fast täglich, wenn es die Witterung erlaubt, nach beendigten Schulstunden kleinere Streifzüge „in die Beere“ unternommen und für manche ärmere Familie sind diese eingetragenen Waldbeeren ein werther Zuschuß zu des Lebens Bedürfnissen (vgl. 865–870).
§ 65. d. Herbst. 641. So lange die Witterung es gestattet, dauert die Lust der Kinder im Freien fort. Spiele und Herumstreifen in Flur und Wald, sowie die Betheiligung bei dem Ernten des Getreides und der anderen Feldfrüchte, insbesondere der Kartoffeln, gelten der leicht befriedigten und nach Thätigkeit trachtenden Jugend als Feste. — 642. Das Hüten des Viehes ist bereits bei dem Frühling erwähnt: im Herbste erreicht es seinen Höhepunkt, denn nun sind mit Ausnahme der Kartoffel-, Kraut- und Rübenfelder die Fluren leer und es kann vom Michaelistag (29. September) an, wie die Hirten zu sagen pflegen: „über und über gehütet werden“, d. h. die Heerden dürfen auf die abgeernteten Felder, auf Wiesen u. s. w. auch anderer Besitzer getrieben werden, ohne daß diesen ein Verbietungsrecht zusteht. Es bleiben dann meist die Hirten vom Vormittag bis Abend ohne Unterbrechung auf dem Felde (vgl. 618 u. 871–875). Vgl. auch 781.
§ 66. 2. Feste und Vergnügungen der erwachsenen Jugend. Das Hauptvergnügen der erwachsenen Jugend ist auch im Gebirge der Tanz. Die verschiedenen Tänze der ländlichen Bevölkerung haben nichts Charakteristisches, es sind meist Rundtänze, nur mit etwas ungenirteren Manieren, tollerer Lust und geringerem Comfort als in der Stadt. Wir erwähnen außerdem noch zwei Gebräuche (von denen der zweite auch auf Bällen der gebildeteren Kreise vorkommt):
643. Die gewöhnlichen Tänze sind: Rutscher, Dreher, Walzer, Reiter, „Hopsel“, baierische Polka oder „Sackmütze“; Galopp, Schottisch, Tirolienne. Letztere drei haben erst in der neuesten Zeit auch bei der ländlichen Bevölkerung, d. h. bei der jüngeren Generation, Eingang gefunden.
644. Burkard: Mitunter machen die Tanzenden unter sich aus, daß die Jungfrauen die Rolle der jungen Burschen übernehmen, d. h. diese werden von jenen zum Tanz aufgefordert, sowie von ihnen mit Bier u. s. w. bewirthet. Man nennt dies „Borkert“ oder „Burkert“. Ob diese Benennung mit dem heiligen Burkhardus, dessen Gedächtnißtag der 14. Oktober ist, in Zusammenhang steht, wissen wir nicht. Auf den städtischen Bällen wird dieser Wechsel der Rollen als „Damenengagement“ bezeichnet.
645. Das Heimblasen: Ist das Tanzvergnügen zu Ende, so nimmt ein Bauernbursche seine Geliebte am Arm und geht mit ihr vor den Platz der Musikanten. Dort bestellt er, indem er ihnen den Rest seines Geldes reicht, das „Heimblasen.“ Das Paar geht nun voran und die Musici geben ihnen, einige lustige Märsche blasend, die weithin in die nächtliche Ruhe hinaustönen, eine Strecke das Geleite. Darauf kehren diese zur Schenke zurück, um abzuwarten, ob vielleicht ein anderes Paar denselben Dienst begehre.
§ 67. Reste der sogenannten Rockenabende finden sich noch hie und da auf dem Lande.
646. An Winterabenden kommen eine Anzahl Spinnerinnen oder Spitzenklöpplerinnen bei einer befreundeten Familie zusammen. Dabei wird nun weniger gesponnen oder geklöppelt, sondern geplaudert und erzählt. Die jungen Burschen stellen sich auch ein und geben der Unterhaltung die höhere Würze. Ein Gläschen Schnaps und einige „Schälchen feiner Kaffee“ (vgl. 876–878) erhöhen die heitere Stimmung. Man nennt derartige Zusammenkünfte die „lange Nacht“, oder, finden sie unter Klöpplerinnen zu der Zeit, wo diese aufhören bei Licht zu arbeiten, statt, sagt man wohl auch „’n Klöppelstock versaufen.“ — 647. Mancherlei Schabernak wird dabei getrieben und verschiedene Spiele verkürzen die Stunden der Nacht; z. B. eine Variation zu dem unter Fastnacht (vgl. 594) erwähnten Aschtopftragen. Die jungen Burschen gehen hinaus und beschließen einen bereit gehaltenen Topf den Mädchen zu überreichen. Einmal füllt man denselben mit Bretzeln, ein andermal mit Kaffee, oder mit Asche, mit Unrath u. s. f. Einer wird durch das Loos bestimmt, den Topf hineinzutragen. Vermögen ihn[S. 53] dabei die Mädchen fest zu halten, so wird er gebunden und zum Gelächter Aller im Dorfe herumgeführt (Wünschendorf b. Lengefeld).
§ 68. Bei dieser Gelegenheit führen wir einige Wettspiele an, wie sie von Klöpplerinnen häufig ausgeführt werden (vgl. Dr. Schubert, Oberlehrer an der Realschule zu Annaberg, „Barbara Uttmann und die Spitzenklöppelei im Erzgebirge“, Aufsatz in Weber’s Volkskalender für 1861).
648. Das „Haschen“ findet entweder zwischen einer Mutter und ihren Kindern, oder überhaupt zwischen einer geübteren und minder geübten Klöpplerin statt und besteht darin, daß z. B. die Mutter dem Kinde hundert, d. h. hundert gesteckte Nadeln vorgibt. Das Kind zählt nun nach der ersten gesteckten Nadel fort und sagt laut: 101, nach der zweiten Nadel 102 u. s. f., wogegen die Mutter nach der ersten gesteckten Nadel mit 1 anfängt, nach der zweiten Nadel 2 u. s. w. zählt. Beide zählen nun ihre gesteckten Nadeln für sich, aber laut fort. Hat nun die Mutter die ebensovielste Nadel gesteckt, wie sie das Kind fortgezählt hat, dann hat jene dieses eingeholt oder „gehascht.“ Je länger es dauert, bis sie dahin kommt, desto fleißiger und geschickter ist das Kind. — 649. Das „Zählen“ findet zwischen zwei Klöpplerinnen von gleicher Fertigkeit oder Gewandtheit statt. Nach der ersten gesteckten Nabel sagt die eine: „Bist mir eine“ (nämlich Nadel), und hat die zweite die erste Nadel gesteckt, dann antwortet sie: „Bin dir keine“ u. s. w. Angenommen, daß der einen ein Faden reißt oder sonst in der Arbeit eine Verzögerung eintritt, die andere aber dieselbe ununterbrochen fortsetzen, d. h. ihre Faden schlagen und die nach jedem Schlage nöthige Nadel fortstecken und der Andern voraus zählen kann, so überholt sie natürlich ihre Mitarbeiterin um ein großes Stück. Je weiter diese nun in ihrem Zählen: „bist mir zwei, bist mir drei“ u. s. w. vorschreitet, desto emsiger muß jene dann arbeiten, um diese Nadeln wieder herunter zu arbeiten und das Guthaben auszugleichen. An dem raschen Zählen kann man die Fertigkeit einer Klöpplerin bemessen. Wenn man hört, wie schnell das Zählen der Nadeln nacheinander folgt, und dabei erwägt, daß von den beiden Klöppeln jeder zu dem ganzen Schlag dreimal oder zum halben Schlage zweimal um seine Axe gedreht und dann die Kreuzung der gedrehten Faden erfolgen muß, bevor die Nadel gesteckt und die Masche gebildet werden kann, dann erstaunt man, wie alle diese Bewegungen in so kurzer Zeit erfolgen können. — 650. Bei dem „Wetten“ zwischen zwei oder mehreren Klöpplerinnen bestimmen sie sich gegenseitig die innerhalb einer gewissen Zeit, gewöhnlich einer halben bis einer ganzen Stunde, zu fertigende Arbeit. Wer mit seiner Arbeit zuerst fertig ist, erhält von jeder der übrigen Klöpplerinnen eine Stecknadel als Gewinn. — 651. So einfach diese Mittel scheinen mögen, so tragen sie doch nicht wenig dazu bei, den Fleiß zu steigern, die Fertigkeit zu vergrößern, die Leistungen zu erhöhen und den so geringen Verdienst der Klöpplerinnen wenigstens relativ zu vermehren.
§ 69. Von Handwerksgebräuchen der Gesellen sind uns folgende zwei mitgetheilt worden, die bis in dieses Jahrhundert in Annaberg stattfanden.
652. Der Umzug der Posamentirgesellen: Am dritten Pfingstfeiertag Nachmittags hielten die Posamentirgesellen einen solennen Umzug mit Musik, welcher mit Trompetenfanfaren, die vom Thurme geblasen wurden, abwechselte. Den Zug eröffneten zwei Harlekine in aus lauter bunten Tuchflecken zusammengestückten Anzügen, dazu spitzen Hüten, unter denen bemalte Gesichter schmunzelten, in der Hand die Pritsche. Dann folgten die übrigen Gesellen, welche die Insignien des Posamentirhandwerks und hohe zinnerne Trinkkannen trugen. So bewegte sich der Zug durch die Stadt nach der Herberge. Vor derselben bestieg einer der Harlekine einen hölzernen Stuhl und brachte eine Anzahl Gesundheiten aus. Hierauf zog man in die Herberge ein und verbrachte diesen und den folgenden Tag unter Tanz und anderen, namentlich in Verkleiden bestehenden Belustigungen. — 653. Das Deponiren: Sämmtliche im Laufe eines Jahres zu Gesellen gewordenen Lehrlinge mußten sich an einem bestimmten Tage auf der Herberge einfinden, woselbst schon die früheren Gesellen vereinigt waren. Jeder Novize mußte sich auf einen Stuhl setzen. Zuerst bekam er hier von dem Altgesellen eine Ohrfeige. Dann trat ein anderer Geselle, der als Zimmermann gekleidet war, vor und bearbeitete den Neuling mit einer hölzernen Axt, um, wie man sagte, die anhängenden Spähne abzuhauen. Ein Anderer seifte ihn hierauf ein und barbierte ihn mit einem hölzernen Messer; es folgten dann noch gegen zehn solcher grober Manipulationen, die sämmtlich mit bezüglichen, dazu gesprochenen stehenden Versen[S. 54] begleitet waren. Hatte der arme Bursche endlich Alles geduldig über sich ergehen lassen, so galt er nun als richtiger Geselle. Den Abend beschloß ein fröhliches Trinkgelag. Vgl. 659.
§ 70. 3. Die Feste und Vergnügungen der Erwachsenen. Die Bevölkerung des Obergebirges läßt sich, insofern durch Stand und Beruf gewisse charakteristische Züge bedingt sind, in drei Hauptgruppen zerlegen, den Bürger in der Stadt, dem die Gewerbtreibenden auf dem Lande in Sitte und Gewohnheit mehr oder weniger ähneln, den Bergmann und den Landmann. Doch ist dadurch nicht ausgeschlossen, daß diese Unterschiede vielfach in einander übergehen und sich vermischen. Vgl. Sigismund, „Schilderungen vom Erzgebirge“, Briefe in der wissenschaftlichen Beilage der Leipziger Zeitung, 1858, 1859; mit geringen Aenderungen wieder abgedruckt in Lorck’s Eisenbahnbüchern unter dem Titel: „Lebensbilder vom Sächsischen Erzgebirge“, Leipzig, 1859, und (Oehme, Stadtrath in Annaberg), „ein Bild für das Niederland von dem östlichen Obergebirge“ (1858), S. 39 ff.
§ 71. a. Der Bürger in der Stadt. Die gewöhnliche Erholung des Bürgers ist der Besuch des Bierhauses. Entweder begiebt er sich nach einem der vielen öffentlichen Schanklokale der Stadt oder deren nächsten Umgebung oder er besucht denjenigen seiner Mitbürger, der den Reihschank hat. Letzterer ist eine eigenthümliche Einrichtung, die sich in mehreren Städten und Städtchen des Obergebirges (z. B. Annaberg, Buchholz, Marienberg u. s. w.) bis auf den heutigen Tag erhalten hat.
654. Alle innerhalb der Ringmauern gelegenen Häuser haben die Gerechtigkeit, Bier zu brauen und zu verschänken. Von dieser Gerechtigkeit kann natürlich nicht gleichzeitig, sondern nur nach einander Gebrauch gemacht werden. Die Reihenfolge wird durch das Loos bestimmt. Wer nun sein Loos nicht verkauft, sondern sein Gebräude, das für ihn dann in dem kommunlichen Brauhaus gebraut wird, selbst ausschänken will, der verwandelt, wenn die Reihe ihn trifft, seine Wohnung in ein Schanklokal. Die Fässer werden in den Keller gebracht, er empfängt, sobald sein Vorgänger ausgeschenkt hat, die erforderliche Anzahl Biergläser sowie die zinnernen Maßkannen durch die Braudeputation, das Bierzeichen („das Bierreiß“) wird zum Dachfenster herausgesteckt und der Bierschank „aufgethan“. Namentlich die Freunde, Nachbarn, alle, die mit dem Wirth in geschäftlichen oder anderen Beziehungen stehen, sowie Fremde, kommen nun zu Biere wie in eine öffentliche Wirthschaft. Frugales Essen („kalte Speise“) ist ebenfalls, natürlich Alles gegen baare Bezahlung, zu haben. Auch ist der Verkauf über die Gasse gestattet. Je schneller das Bier abgeht, desto lieber ist es dem Inhaber. Er hat dann in Kurzem den gehofften Nutzen und kann zu seiner gewohnten häuslichen Ordnung wieder zurückkehren. Am letzten Tage wird „den Gästen der Zapfen gegeben“, d. h. sie werden mit Brod, Wurst und Häring traktirt. — Im Falle, daß das bedungene und übernommene Bierquantum nicht binnen 24 Tagen verschenkt ist, so nimmt das Haus, was durch die Loosung als das nächstfolgende bestimmt ist, das „Reiß“, jedoch darf der frühere Wirth seinen Vorrath noch selbst verschenken.
§ 72. Eine andere Erholung des Bürgerstandes während der schönen Jahreszeit ist das Schießen mit Büchsen nach der Scheibe oder mit der Armbrust nach dem Vogel. Zu diesem Behufe bestehen in den Städten des Obergebirges, wie überall in ganz Deutschland, Schützengesellschaften, deren Gründung, was unsere Gegend anbelangt, meist im 16. Jahrhundert geschehen ist, als der Zeit, wo die Mehrzahl der Städte des Obergebirges in Folge der fündig gewordenen Silberadern ihren Anfang genommen haben. Wir führen zur Charakteristik einiges über die zu Annaberg bestehenden beiden Schützengesellschaften, die Büchsenschützen und die Armbrustschützen, an.
655. Die Gesellschaft der Freischützen oder Büchsenschützen hat ihren ersten Auszug im Jahre 1507 gehalten. Ihre Dienstleistungen bestanden darin, daß sie, abgesehen von den Schießübungen, bei Jahrmärkten, Feuers-, Kriegs- und anderen Gefahren die nöthigen Wachen gegen Vergütung verrichtete, nicht minder zu Visitationen, Exekutionen und als Eskorte, sowie bei feierlichen Aufzügen zur Erhaltung guter Ordnung gebraucht wurde. Bis zum Anfange des 7jährigen Krieges genoß dieselbe einen landesherr[S. 55]lichen „Vortheil“ von 43 Thalern aus den Einkünften des Mühlenamtes Annaberg. In Folge eines von dem Annaberger Kauf- und Handelsherrn Christoph Gülden (starb 1604) gestifteten Legates empfing die Gesellschaft bei den 25jährlichen „Aufschießen“ je einen Thaler aus der Stadtkasse, den sogenannten „Rathsvortheil“, sowie, ebenfalls in Folge eines Vermächtnisses, den „Musketen-Thaler“. Die Stadtkämmerei mußte ihr ferner jährlich sechs Paar größere und sechs Paar kleinere Scheiben, im Ganzen also 24 Stück, verabreichen, sowie der Rathskellerpachter zu dem Auszuge acht alte Kannen Wein liefern. Diese Emolumente sind jedoch in neuerer Zeit mit einem Gesammtkapital von 526⅔ Thaler abgelöst worden. Außerdem sind dem Verein von einigen Freunden Legate ausgesetzt, wovon die Zinsen an bestimmten Tagen ausgeschossen werden und zwar 1. 60 Thaler von dem Geleits- und Landaccis-Kommissar Mathesius im Jahre 1801; 2. 25 Thaler von den Erben des Kaufmann und Bürgermeisters Christian Jakob Eisenstuck im Jahre 1811; 3. 50 Thaler vom Kaufmann und Bürgermeister Querfurth im Jahre 1817; 4. 50 Thaler von dem Kaufmann und Bürgermeister Benedikt im Jahre 1826. An der Spitze der Gesellschaft steht ein Hauptmann; die Gliederung abwärts ist militärisch: ein Oberlieutenant, vier Lieutenants, ein Feldwebel, zwei Sergeanten, drei Jaloneure, acht Korporale und die gewöhnlichen Schützen. Außerdem gibt es noch zwei Aelteste, den Schützenschreiber und Kassirer. Die Uniform besteht in blauen Röcken mit silbernen Knöpfen, schwarzsammtenen Kragen und Aufschlägen, ferner schwarzen Tuch- oder weißen Leinwandbeinkleidern und Schützenhut mit weißen und grünen Hahnenfedern. Die Chargirten haben als Abzeichen am Kragen silberne Tressen und die höheren Offiziere außerdem noch Epauletten und Säbel, während die übrigen nur kurze Seitengewehre tragen. Jeder, der Mitglied wird, verpflichtet sich, auf 20 Jahre der Gesellschaft anzugehören und muß jährlich mindestens zehn Schießtage (jeden zu 45 Pfennigen Einlage) abschießen, sowie außerdem beim Aus- und Einzuge je 62 Pfennige einlegen. Im Laufe des Jahres werden vier Feste gefeiert: 1. das „Quartal“ (bis 1861 Mittwoch in der Osterwoche, seit 1862 aber 14 Tage nach Fastnacht), bei welchem der Rechenschaftsbericht abgelegt und ein neuer Aelteste gewählt wird; 2. der Auszug (s. u.) am Montag nach dem Sonntag Quasimodogeniti; 3. das Augustvogelschießen und 4. der Einzug, gewöhnlich im September, wenn alle Legate und Vortheile aufgeschossen sind. Außerdem werden zwischen Auszug und Einzug 25 Schießtage, gewöhnlich des Sonntags nach beendigtem Nachmittagsgottesdienst, gehalten, wo der Schütze für seine Einlage drei, am Tage des Auszugs vier Schüsse frei hat. Während der Schießübungen sitzen der Jour habende Offizier, der Schützenschreiber und die beiden Aeltesten an dem erhöhten Schützentisch in der Mitte des Schießstandes. Auf jenem steht eine drei Viertelellen hohe Trinkkanne, der sogenannte „Willkommen“. Auf dem Deckel derselben ist ein Knopf und über diesem hängt ein Kranz von etwa 8 bis 9 Zoll im Durchmesser, der aus einer Menge alter Münzen von verschiedener Größe und verschiedenem Werthe, die an starkem Drahte befestigt sind, besteht. An diesem Kranze ist eine Hülse, in welcher ein großer, frischer Blumenstrauß steckt. Wer getroffen hat, muß an den Schützentisch treten, um es zu melden. Dies geschieht aber nicht in Worten, sondern durch Riechen an den Blumenstrauß. Der Gewinn oder „Vortheil“ („Vortel“) an einem gewöhnlichen Schießtage besteht in 18 Neugroschen und einem zinnernen Teller, doch kann solchen nur ein wirkliches Mitglied und auch nur einmal jährlich erhalten. Als Gegengabe hat der glückliche Schütze für den nächsten Schießtag einen frischen Strauß auf den Kranz zu besorgen. Der Preis auf den Königsschuß, der am Tage des Auszuges gethan wird, beträgt 3⅓ Thaler. An einem besonderen Schießtage im Herbste wird der sogenannte „Musketenthaler“ geschossen und am Tage des Einzuges die „Ritterscheibe“. Letztere hat etwa eine Elle im Durchmesser und ist mit einem Bilde bemalt, unter dem die Jahreszahl und die Namen der jedesmaligen Aeltesten stehen. Auf jenem Bilde wird ein Kreis, der jedoch nicht gerade im Mittelpunkte der Scheibe sich zu befinden braucht, abgezirkelt und dessen Stelle nur der Jour habende Offizier und die beiden Aeltesten kennen. Es ist daher blindes Glück, wer das Centrum trifft. Diese Ritterscheiben werden aufbewahrt und es ist die ganze Decke der Schützenstube mit denselben getäfelt. Außerdem sind noch eine Anzahl interessanter Scheiben in und an dem Hause befestigt, darunter auch die, nach welcher Kurfürst August der Starke bei einem Besuche Annabergs, am 30. Juni 1708, auf dem Schießhause geschossen und „einigemal scharf getroffen“ hat. — 656. Zum Schluß geben wir noch eine kurze Beschreibung des Schützenauszuges, dem der Einzug im wesentlichen ähnelt: In früher Morgenstunde, doch nicht eher, „als bis es so hell ist, daß man im Freien einen Brief lesen kann“, marschirt durch die noch leeren Straßen das Musikchor, einen schmetternden Marsch blasend. Unter den Instrumenten[S. 56] zeichnen sich besonders aus ein hoher, hellblinkender, mit Roßschweifen gezierter „Halbmond“, ein anderes mit lauter Klingeln behangenes pyramidenförmiges Messinginstrument, die große Trommel und die Becken. Vor der Wohnung des ältesten (d. i. bejahrtesten) Schützen, der „Aeltesten“ und anderer Chargirter wird ein kurzes Ständchen gebracht und diese Reveille bis gegen 8 Uhr fortgesetzt. Hierauf versammeln sich die Schützen mit ihren Offizieren auf dem Rathhause und von hier aus setzt sich der Festzug in Bewegung. Denselben eröffnen 3 Jaloneure, die an ihren Büchsen rothe Fähnlein befestigt haben. Diesen folgen 2–3 Kolonnen Schützen, je zu 12 bis 16 Mann unter Anführung eines Offiziers. Hierauf kommt das Musikchor, dem 8 Tamboure, unter Leitung des Regimentstambours, voranschreiten. Letzterer trägt einen mit breiten Goldtressen und einer Kokarde gezierten Hut auf dem Kopfe, ein breites Pandelier über die Brust und in der Hand schwingt er den vergoldeten, mit grüner Schnur umflochtenen Regimentsstab. Hinter der Musik geht, in der Mitte zweier Begleiter, der vorjährige König im Festschmuck, mit Ehrenkranz und Blumenstrauß. Ueber seinem Haupte flattert die Schützenfahne, von einem Sergeanten mit zwei Mann Bedeckung getragen. Den Zug schließen die übrigen Schützen, jede Kolonne unter Anführung ihres Offiziers. Auf dem Schießhaus angekommen, beginnt alsbald das Schießen nach der Scheibe. Mittag folgt Festessen und nach 2 Uhr wird das Schießen fortgesetzt bis gegen 6 Uhr, wo man unter klingendem Spiele in die Stadt zurückkehrt. Den Abend herrscht reges Leben in dem Schießhaus. Man vergnügt sich mit Tanz und anderen Belustigungen bis spät in die Nacht.
§ 73. 657. Die Armbrust- oder Bogenschützen feiern ihr Schützenfest sehr solenn in den ersten Tagen des August. Wir wollen dasselbe hier nach der Weise beschreiben, wie es in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts gefeiert wurde, da es neuerdings vielfach von seinem alten Glanze verloren hat, obgleich es immer noch ein sehr heiteres Fest, namentlich für die höheren Stände ist. Montags früh wurde Reveille geschlagen und um acht Uhr fand der Auszug statt. Den Zug eröffnete der Zieler, welcher einen großen, hölzernen, einem Papagei ähnlichen Vogel auf der Schulter trug; dann folgten die Bolzenjungen, deren gewöhnlich jeder Schütze einen gemiethet hatte. Diese trugen die Rüstungen ihrer Herren geschultert. Nun kam das Musikchor. Hinter diesem schritt der vorjährige König des Hauptvogels, geleitet von zwei Rathsherren, dann der König vom „Gesellenvogel“ in der Mitte der beiden Schützenältesten und hierauf die übrigen Schützen mit den oft sehr zahlreichen Gästen. Den Beschluß machte eine Kompagnie Freischützen (dies ist jetzt beseitigt). Das Schießen nach dem Hauptvogel füllte nun diesen Tag, sowie gewöhnlich den Vormittag des folgenden, war aber am ersten Tage durch das Mittagsessen, das die meisten auf dem Schießhause einnahmen, unterbrochen, sowie durch die zum Kaffee herauskommenden Frauen verschönert und durch reiches Frühstück am zweiten Tage belebt. War der Königsschuß endlich am Dienstag geschehen, so folgte großes Festmahl, an dem auch die Frauen sich betheiligten. Nach dem Diner begann das Abschießen des „Gesellenvogels“ durch die jüngeren Herren, sowie gleichzeitig das jedoch erst in neuerer Zeit eingeführte Damenschießen, wobei die Frauen und Fräuleins mittelst eines „Stechvogels“ (vgl. 638) einen Stern abschießen. War auch in diesen beiden Schießen der Königsschuß geschehen, so folgte der Einzug in der beim Auszug angegebenen Ordnung, nur statt der vorjährigen Könige die neubeglückten voran. Dem Zuge schlossen sich sämmtliche Damen, von Herren geführt, an, an ihrer Spitze die Königin mit einem großen blumenreichen Kranze. An diesem Abend folgte großer Ball, nachdem schon am ersten Tag ein solcher, meist aber weniger besucht, stattgefunden hatte, und damit schloß das Fest. — Die Einlage beim Hauptvogel betrug 1½ Thaler, der Gewinn 15 Thaler, die der Landesherr zahlte, einige schwere zinnerne Teller, eine Anzahl Flaschen Wein und die Grasnutzung des Stadtgrabens vom böhmischen bis zum Wolkensteiner Thore. Beim Gesellenvogel war 20 Neugroschen Einlage. Die Damen zahlen keine Einlage, gewinnen aber nette Quincaillerien. — Im Spätherbste fand dann noch der Vogelkönigschmauß statt, ein reichbesetztes Mittagsessen. Nach aufgehobener Tafel folgte Kaffee, bei dem auch die Frauenwelt sich einstellte, sowie am Abend Ball. — 658. Ein eigenthümlicher Schmuck, den sowohl der König der Armbrustschützen als der der Büchsenschützen bei den Festzügen über Schulter und Brust trägt, ist ein großer Kranz aus kleinen metallenen Scheiben, Schilder genannt, aus alten seltenen Münzen bestehend. Die Büchsenschützen gebrauchen ihren alten „Schilderkranz“ noch, die Armbrustschützen haben den ihren modernisiren lassen. Vgl. auch „Michel’s Erzählung vom Vogelschießen in Annaberg“, Gedicht in erzgebirgischer Mundart von Gottlieb Grund, dem „Annaberger Naturdichter“ (oben bei 599 bereits angeführt), S. 186 ff.
[S. 57]
§ 74. Außer den Schützenfesten, bei denen alle Stände und Innungen vertreten sind, haben einzelne Korporationen und die verschiedenen Zünfte ebenfalls ihre besonderen Festivitäten. Auch hier steht uns blos ein skizzenhaftes Material zu Gebote.
659. Der Bäckerauszug: Bald nach Mittag 12 Uhr an einem Sonntage im August versammeln sich die Bäckergesellen, wohl auch einige Meister, bei dem jüngsten Bäckermeister, der die Gesellenlade in Verwahrung hat. Es beginnt der Zug, den das Musikchor eröffnet und der von den Bäckergesellen und Mühlknappen (die Meister betheiligen sich höchstens als Zuschauer) gebildet wird. Erstere erscheinen in schwarzem Frack und Hosen, weißer Weste und Handschuhen, ein Dreimaster deckt den Kopf und ein Degen ziert die Seite. Die Mühlknappen gehen in gleicher Kleidung, haben aber außerdem noch Schurzfelle vorgebunden. Voran weht die Fahne der Bäckerinnung, deren Träger zwei Marschälle zur Seite hat. Die „Lade“ wird von zwei Gesellen getragen, ein dritter trägt den „Willkomm,“ eine silberne Trinkkanne, ein Vierter einen mächtigen Blumenstrauß. Der Zug bewegt sich durch mehrere Gassen und hält vor der Wohnung des Obermeisters und des Vorsitzenden der Innung sowie der obersten städtischen Beamten eine Weile still. Endlich zieht man in die Restauration ein, wo das „Quartal“ abgehalten wird. Dort werden zuerst die offiziellen Geschäfte (z. B. Bezahlung der Krankensteuer, Rechnungsablage etc.) erledigt, dann folgt Abendessen, bis endlich Tanz die Feier schließt. Das Recht zu diesem Auszug soll auf der tapferen Vertheidigung Wien’s, bei der Belagerung durch die Türken im Jahre 1683, seitens der Bäcker beruhen; Kaiser Leopold I. habe in Folge dessen den Bäckerinnungen des deutschen Reiches das Privilegium zu solcher jährlichen Festfeier verliehen.
660. In mehreren Städten (z. B. in Buchholz, Elterlein) und Dörfern (Sehma) des Obergebirges bestehen Vereine derer, die bei der Aufführung von Kirchenmusiken sich betheiligen, die sogenannten Kantoreigesellschaften. Dieselben haben wie andere Korporationen ihre „Lade“ mit Urkunden und auf den Verein bezüglichen Denkwürdigkeiten, sowie einen Ladenvater und übriges Vorstandspersonal. Im Oktober feiert man zwei Tage lang den sogenannten Kantoreischmaus oder „Kränzelschmaus“, den nach bestimmter Reihenfolge je ein Mitglied ausrichtet, mit Umzug, Mittagsmahl, Kaffee, Tanz und Abendessen.
§ 75. (661). In Ehrenfriedersdorf giebt es eine „Thurmlautbrüderschaft“ oder „Thurmbrüderschaft“, einen Verein, welcher gegenwärtig (1862) aus 30 Mitgliedern besteht. Der Zweck dieses Vereins ist: das Einlauten an den drei hohen Festen, sowie am Neujahrsfest, und überhaupt das Lauten bei jeder festlichen Gelegenheit, zu besorgen. Was die Veranlassung gegeben hat, diesen Verein zu bilden, weiß man nicht und über die Zeit der Entstehung ist nur so viel bekannt, daß sie in den Anfang des 17. Jahrhunderts fällt. Im Jahre 1772, wo in Ehrenfriedersdorf 596 Menschen in Folge der Hungersnoth starben, starb dieser Verein bis auf 3 Mitglieder aus. Doch diese kamen ihrer Pflicht mit Hilfe ihrer Frauen getreulich nach, bis sich die Mitglieder wieder vermehrten. Die Einrichtung dieses Vereins ist innungsmäßig. Die Mitglieder nennen sich „Brüder,“ besitzen eine Lade und werden von einem Ladenvorsteher, einem Ladenschreiber und einem Kassirer geleitet. Wer Mitglied oder vielmehr „Bruder“ werden will, darf nicht unter 21 und nicht über 35 Jahre alt sein, und muß bei seinem Eintritt einen Thaler Eintrittsgebühren bezahlen. Söhne und Anverwandte haben nach dem Tode eines „Bruders“ den nächsten Anspruch auf Annahme. Alle Jahre, den 7. Januar, wird das Stiftungsfest oder „Hauptquartal“ gehalten. An diesem Tage versammeln sich die Brüder, schwarz gekleidet, in der Wohnung des Ladenvorstehers, von wo aus sie in geordnetem Zuge mit Musik, welche, nach den Statuten, den Choral: „Ich freue mich in dir“ spielt, an den Ort, wo sie ihre Festlichkeit halten, ziehen. Die Ordnung des Zuges wird nach der Aufnahme der „Brüder“ bestimmt, so daß die ältesten oder die am längsten Thurmbrüder sind, voranschreiten. Früher wurde bei diesem Zuge eine aus Pappe nachgebildete Glocke mit herumgetragen. Die Festlichkeit besteht, nach gehaltenem Quartale, in einem einfachen Festmahle und darnach in gemüthlichen Belustigungen, wie Gesellschaftsspielen, Deklamationen, Gesang etc. Während des Quartals, sowie beim Dienste auf dem Thurme ist alles unnütze Reden, Zanken, Fluchen, Schwören und Tabakrauchen bei Strafe verboten; ebenso auch alle Nachlässigkeit im Kommen zum Lauten und alles unfriedliche, unsittsame und ungebührliche Betragen beim Nachhausegehen vom Thurme, sowie das Wegbleiben aus dem Gottesdienste am ersten Feiertage der drei hohen Feste und am Neujahrstage. Für ihre Bemühungen erhalten „die Brüder“ jährlich[S. 58] 1 Thlr. 25 Ngr. auf der Stadtkasse. Dies ist für das viermalige Lauten an den hohen Festen und am Neujahrstage; besondere Fälle werden besonders vergütet. — Stirbt ein Bruder, so haben die Hinterbliebenen für das Begräbnisgeläute nichts zu bezahlen, weil es ein Theil der Brüder selbst thut, während der andere Theil den Verstorbenen zur Ruhestätte begleitet, ihn auch womöglich trägt. Die „Thurmbrüderschaft“ unterhält auch eine Begräbnißkasse unter sich, aus welcher bei jedem Sterbefalle gegenwärtig 5 Thaler gezahlt werden. — Im Jahre 1821 feierte ein Weißgerber, Kreyer mit Namen, sein 50jähriges Jubiläum als „Thurmbruder.“
§ 76. In den Ortschaften des Gebirges fehlt es wie anderwärts selbstverständlich nicht an zahlreichen Vereinen theils zu wissenschaftlichen und allgemeinen Bildungszwecken, theils zur Pflege gewerblicher, geselliger, oder wohlthätiger Absichten (in Annaberg besteht sogar ein homöopathischer Verein): es giebt Gewerb- und Lesevereine, Tauben- und Blumenvereine, Gesang- und Musikvereine, Frauenvereine, Brüderschaften (Sehma), Gesellschaften für heitere Unterhaltungen mit allerlei Namen u. s. w. Alle diese Vereine feiern zu bestimmten Zeiten ihre Feste oder halten sonst Zusammenkünfte, bieten aber sonst nichts Eigenthümliches, so daß wir von einem näheren Eingehen auf dieselben absehen.
§ 77. Jahrmärkte. Ein charakteristisches Gepräge tragen theilweise noch die Jahrmärkte und wir schalten dieselben hier ein, da sie mit den Handel und Gewerbe treibenden Ständen zunächst im Zusammenhange stehen. Im Uebrigen sind sie Volksfeste, an denen sich alle Stände betheiligen. Freilich verlieren sie in der neuern Zeit immer mehr von ihrer Poesie, seitdem die Quacksalber und Zahnbrecher von ihnen verschwunden, die Händler mit den „Planeten“ (§ 17) und die Bänkelsänger mit ihren Schauergeschichten, die sie durch Bild und Lied illustriren, seltener werden, die verschiedenen Bedürfnisse des Lebens auch auf kleineren Dörfern jederzeit zu haben oder in Folge der besseren Straßen und des gesteigerten Verkehrs aus der nächsten Stadt leicht zu beziehen sind, und überhaupt auch der schlichte Landmann das horazische nil admirari (über nichts zu erstaunen) gelernt hat. Dennoch aber haben die Jahrmärkte, namentlich diejenigen gewisser Orte oder zu bestimmten Zeiten, im Gebirge noch immer eine Art ererbte Zugkraft und wirken vorzüglich in dem jüngeren Geschlecht der Städte und in einem großen Theil der Dorfbewohner eine stille Sehnsucht und laute Begeisterung für ihre Freuden und Genüsse. Letztere, weniger der Zweck zu kaufen, bilden den Glanzpunkt für die Einbildungskraft des besuchenden Publikums.
662. Die Annaberger Märkte. Annaberg hält zwei Märkte, Montag nach Lätare und Montag nach St. Anna (26. Juli). Letzterer dauerte früher acht Tage und wurde mit der Rathhausglocke ein- und ausgelauten. Tanz und Musik, Bier und Branntwein, Grog und Punsch, Wein und Kaffee, Häring und Pöklinge, Wurst und saure Gurken, Kuchen und Pfefferkuchen, Elektrisirmaschine und Liebesspiegel, Bänkelsänger und Fleckseifenmänner u. s. w. sind etwa die Stichwörter für das, was vor Allem anzieht und fesselt.
663. Der Buchholzer Markt. Buchholz hat Einen Jahrmarkt am Montag vor St. Katharina (25. November). Derselbe wird namentlich zum Einkauf von Wintersachen benutzt und bietet ebenfalls einen Reichthum aller möglichen Genüsse. Vgl. „der Jahrmarkt zu Buchholz“, Gedicht in erzgebirgischer Mundart von Grund, S. 190 ff.
664. Der Auer Markt. Derselbe fällt in der zweiten Hälfte des August, Montag nach Bartholomäus. Lange vorher wird geklöppelt und gespart, um nach Aue auf den Markt zu gehen; selbst die kleinsten Kinder werden auf dem Arm dahin getragen. Jede Frau kauft sich ein kleines Töpfchen und eine Bratwurst, was sie dann mit nach Hause nimmt. Viele Leute rechnen ihren Geburtstag darnach, indem sie sagen: „soviel Wochen vor oder nach dem ‚Draarmark‘“ (Dreiermarkt). Ueberhaupt ist derselbe der größte „Freßmarkt“ in der Umgegend und wer davon nach Hause geht, ohne gehörig angeheitert zu sein, ist kein rechter Kerl.
[S. 59]
§ 78. b. Der Bergmann und seine Feste. Ein wesentliches Glied in der obergebirgischen Bewohnerschaft ist, trotz der geminderten Ergiebigkeit der unterirdischen Schätze, noch immer der Bergmann.
665. Das Leben des Bergmanns. Am frühen Morgen erhebt er sich von seinem Lager, begrüßt die Seinen mit einem frohen „Glück auf!“ und nimmt sein einfaches Frühstück ein. Hierauf zieht er den blousenartigen Bergkittel an, schnallt das Bergleder mit der daran befestigten Blende um und setzt den Schachthut auf. Herzlicher als Andere nimmt er von Weib und Kind Abschied, weiß er doch nicht, ob er von seinem gefahrvollen Tagewerk wiederkehrt, und begiebt sich auf den Weg zu seiner Grube. Dort versammelt er sich mit seinen Mitarbeitern in der Betstube des Huthauses zu der gewöhnlichen Morgenandacht. Es wird ein Lied aus dem Gesangbuch gesungen und ein gemeinsames Gebet gesprochen. Nun begiebt man sich in den Schuppen, wo die Werkzeuge aufbewahrt sind. Der Bergmann nimmt Fäustel und Bohrer, die Fimmeln (eiserne Keile) und die Brechstange, Schaufel und Kübel und schafft dieselben, entweder selbsttragend oder mit Hilfe eines sogenannten „Hundes“ (d. i. eines Bergkarren) vor Ort. Er beginnt seine Arbeit: mit Fäustel und Bohrer sprengt er ein Loch von einer halben bis drei Viertel Elle Tiefe in den Felsen, reinigt es und treibt, nachdem er eine eiserne oder kupferne „Nadel“ hineingesteckt hat, wieder Steine oder harten Lehm darauf. Dann wird die Nadel herausgeschlagen und in die Oeffnung zwei bis drei mit Sprengpulver gefüllte Raketen gesenkt, an deren oberster Spitze ein Stück Schwefelfaden befestigt ist. Letzterer wird angezündet, der Bergmann eilt zu einem geschützten Ort und der Schuß erfolgt. Ist die Gefahr vorüber, so begiebt sich der Arbeiter wieder an den Sprengort, räumt den losgesprengten Schutt in den Kübel, der dann mittelst Haspel nach oben abgeführt wird und sieht, ob er gute Anbrüche gewonnen. So arbeitet er „tief unter dem Schall der menschlichen Rede“ im einsamen Schacht bis Mittag, fährt dann aus und verzehrt oben im Lichte des Tages sein einfaches Mittagsbrod. Ein kurzes Schläfchen stärkt ihn zu neuer Arbeit, die er am Nachmittag bis zum Abend fortsetzt. Nun ist sein schweres Tagewerk vollbracht und er eilt heim zu den Seinen, die ihn freudig begrüßen. Mit ihrer Hilfe legt er die schmutzigen Kleidungsstücke ab und erholt sich nun beim schlichten Abendbrod, umgeben von Weib und Kind, bis er das nächtliche Lager aufsucht.
§ 79. Das Bergfest. Einen Lichtblick im einförmigen Leben des Bergmanns bildet das jährliche Bergfest, das in einigen Bergstädten des Gebirges zu Fastnacht (Marienberg, Ehrenfriedersdorf), in Annaberg früher auch an diesem Tage, seit 1821 aber an einem Donnerstag in der Mitte des Juli (in der 2. Woche im Quartale Crucis) gefeiert wird. Wir lassen eine Beschreibung des letzteren folgen.
666. Am Morgen versammeln sich die einzelnen Bergleute bei ihrem Steiger. Dort wird eine kurze Morgenandacht, in Gesang und Gebet bestehend, gehalten und ein Imbiß eingenommen. Mit ihrem Steiger an der Spitze begeben sich nun die einzelnen Trupps auf den allgemeinen Sammelplatz, den Marktplatz. Eine Abtheilung holt hierauf unter dem Schall der Musik die Fahne aus dem Bergamtsgebäude. Nachdem dieselbe bei dem übrigen angelangt ist, setzt sich der Zug in folgender Ordnung in Bewegung. Voran schreitet ein Schichtmeister in sogenannter ganzer Parade: Den Kopf bedeckt der 7 Zoll hohe cylindrische Schachthut mit grünem Manchester überzogen, oben und unten mit Goldtresse eingefaßt, vorn das königliche Wappen aus Blech getrieben und vergoldet, an der linken Seite die sächsische Kokarde, aus welcher der schwarze, unten gelb unterbundene 7 Zoll hohe Federstutz hervorragt. Den Oberleib bedeckt die „Puffjacke“, eine enganliegende bis in die Taille reichende Jacke von blauschwarzem Tuch in kurze Schößchen auslaufend, vorn mit einer Reihe vergoldeter Knöpfe und oben mit stehenden goldbetreßten Kragen von schwarzem Manchester, darauf ein silberner Stern. Auf den Schultern Patten von schwarzem Manchester mit goldenen Franzen, dann am Oberarm enggefältete Tuchpuffen, und am Handgelenke Aufschlagspatten von weißem Tuch. Der Unterleib ist mit engen weißen Tuchbeinkleidern, woran sich Kamaschen von weißem englischen Leder schließen, bedeckt; um die Kniee sind die schwarzledernen Kniebügel und hinten das ebenfalls schwarze Bergleder befestigt. An der Seite hängt der Säbel mit vergoldetem Gefäß in schwarzer Lederscheide. In der Rechten trägt der Steiger einen schwarzen Stock, dessen Griff das vergoldete Steigerhäckchen bildet, sowie vorn an der[S. 60] Brust das Tzscherpertäschchen von Leder mit zwei Tzscherpern (Messern mit drei Zoll langer Klinge und drei Zoll langen beinernem Heft). — Hinter dem Schichtmeister folgen die Knappschaftsältesten, ähnlich wie dieser gekleidet, nur statt des Hutes den Kopf mit der sogenannten „fliegenden Kappe“ bedeckt, einer Art Haube von weißer Leinwand, hinten mit weißem zwei Zoll breiten, flatternden Bande. Es kommen nun drei Züge Häuer, jeder Zug in drei Reihen zu 6 Mann marschirend und angeführt von je einem Steiger. Die Häuer tragen Schachthüte und Paradekittel von schwarzer Leinwand, unter deren liegendem Kragen ein mit Spitzen besetzter weißer Leinwandkranz hervorsteht. An die bis zu den Knieen reichenden weißen Leinwandbeinkleider schließen sich weiße Strümpfe und schwarze Schuhe; dazu kommen noch Kniegürtel, Bergleder und Tzscherpertäschchen. Auf der rechten Schulter tragen sie die Bergbarde, eine beilartige Waffe an 5 Viertel Ellen langem Stiel. Es schließt sich das Chor der Berghoboisten an, d. i. das städtische Musikchor in Bergmannstracht, und zwar schwarze Kittel und Schachthüte mit goldgelben Tressen besetzt. Außer den gewöhnlichen Blasinstrumenten sind die „russischen Hörner“ eigenthümlich, deren längstes Mannshöhe hat, sowie der Transport der Pauken. Letztere werden auf einem Gestelle von zwei Bergjungen an weiß und grünen Tragbändern vor dem Paukenschläger getragen. Nach dem Musikchor erblicken wir die mit Goldtressen besetzte Bergfahne, die auf weißseidenem Grunde das sächsische Kurwappen entfaltet. Sie wird von dem ältesten Steiger getragen, zu dessen Seiten je ein Obersteiger einherschreitet. Dahinter gehen die Beamten der theilnehmenden Gruben in halber Parade, d. h. in blauschwarzer mit goldenen Tressen und Knöpfen besetzter Kleidung, an der Seite den Säbel, auf dem Kopfe den dreieckigen Hut mit grünseidener silberner Kokarde. In ihrer Mitte haben sie den Bergprediger (Annaberg hat bekanntlich die einzige Bergkirche Sachsen’s, dessen Geistlicher gegenwärtig zugleich Diakonus an der Stadtkirche ist) in seiner Amtstracht. Das Centrum des Zuges bilden die Berghandwerker. Die Bergschmiede erscheinen in weißen mit rothen Puffen versehenen Oberhemden mit schwarzem Kragen und Aufschlägen, dazu weiße Beinkleider. Die Lenden sind mit dem schwarzen Schurzfell umgürtet, den Kopf bedeckt ein schwarzer Schachthut und in der rechten Hand tragen sie den Hammer. Die Maurer sind mit grünem Schachthut, schwarzem Kittel und weißen Hosen, in denen an der Seite eine Schmiege steckt, und gelbem Schurzfell bekleidet. Als Stab führen sie ein langes Ellenmaß in der Hand. Die Zimmerlinge gehen wie die Häuer, nur ruht, statt der Bergbarde, eine Axt auf ihren Schultern. Nach diesen Berghandwerkern folgen einige Züge Häuer, dann einige Züge Lehrhäuer. Letztere sind daran kenntlich, daß sie keine Kniebügel haben. Bei den Knechten, die mit den Bergjungen den Schluß bilden, fällt auch noch der weiße Landwandkragen und das Tzscherpertäschchen weg, und statt der Barde stolzieren sie mit gewöhnlichen Stöcken einher. Die Bergjungen ermangeln auch der Stöcke. Der letzte Mann des Zuges ist der jüngste Steiger. Der wohlgeordnete Zug, aus etwa 300 Personen bestehend, marschirt nun unter den Klängen der Musik in die Kirche, wo Gottesdienst mit Predigt abgehalten wird. Dann wird auf den Markt zurückgezogen, von wo aus die Theilnehmenden sich zerstreuen, um dann mit ihren Frauen zurückzukehren und den Rest des Tages bei Tanz, Bier und anderen Genüssen festlich zu begehen.
§ 80. Eine eigenthümliche Feier hat außer dem Bergfest noch die Knappschaft zu Ehrenfriedersdorf, die sogenannte lange Schicht.
667. Dieses Fest wird am Montage nach dem Osterfeste mit Umzug durch die Stadt unter dem Geläute des Bergglöckleins begangen, zum Andenken an die lange Schicht von 61 Jahren des Oswald Barthel daselbst, welcher 1507 verschüttet, erst 1568 zwar todt, aber doch unversehrt wiedergefunden wurde.
§ 81. c. Der Landmann und seine Feste. Der Landmann hat, wie überall, so auch im Gebirge, die meisten Eigenthümlichkeiten bewahrt und hält mit einem achtungswerthen Konservatismus alte Sitten und Gebräuche fest, ist aber auch schon, namentlich in dem jüngeren Geschlechte von dem nivellirenden Leben der Gegenwart berührt worden. Wir führen hier nur das an, was ihn zunächst gemäß seiner Beschäftigung angeht, bemerken aber ausdrücklich, daß Vieles, was wir z. B. unter Aberglauben und sonst bereits brachten, sowie Manches, was in dem Folgenden noch vorkommen wird, vorzüglich unter der ländlichen Bevölkerung heimisch ist.
[S. 61]
§ 82. Die Kleidung sowie die häusliche Einrichtung des Landmanns hat immer noch gewisse feststehende Formen, die aber auch mannichfachen Modifikationen nach Geschmack und Vermögensumständen unterworfen sind. Es kann daher das hier Gesagte nur einen relativen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit haben.
a. Die Kleidung. 668. Die Kopfbedeckung bei der häuslichen Arbeit ist entweder ein Käppchen von schwarzem Sammtmanchester oder eine sogenannte „Schwanzmütze“. Letztere ist aus buntem Baumwollengarn, ähnlich einer Nachtmütze gewirkt. Auf dem Felde trägt man einen niedrigen Filz- oder Strohhut, mitunter von etwas grotesker Form, oder eine Tuchmütze. — Das Haar wird schlicht gekämmt getragen. Nur noch bei alten Bauern findet man es nach dem Hinterkopf bis in den Nacken gewöhnt und dort mit rundgebogenen Messingkamm zusammengehalten; darauf den dreieckigen Hut, den sogenannten „Nagelzwicker.“ — Im linken Ohr hängt häufig ein silberner Ohrring, in dessen innerer Fläche zuweilen der Anfangsbuchstabe des Besitzers, ebenfalls aus Silber gearbeitet, angebracht ist. — Um den Hals wird ein rothes oder gelbes Kattuntuch, über das der Hemdkragen von gröberem Zwillich sich legt, lose geschlungen. — Die Weste reicht meist vom Halse bis über die Magengegend und ist aus blauem Sammtmanchester oder scharlachrothem Wollenstoff oder sonst einem bunten, geblumten Zeuge, mit einer Reihe blanker Knöpfe aus Zinn, Neusilber oder Messing. Bei älteren Leuten sieht man mitunter an der Sonntagsweste (statt Weste sagen diese „Brustlatz“), Silbergeldstücke, z. B. Zwanzigkreuzer, halbe Gulden, mittelst Henkel als Knöpfe verwendet. — Die silberne, auch stählerne oder messingene Uhrkette meist mit Uhrschlüssel und Petschaft zieht sich entweder quer über die Brust oder „baumelt“ unter der Weste hervor. — Die Beinkleider sind gewöhnlich schwarze oder gelbe Lederhosen, die entweder bis unter die Kniee oder bis zu den Knöcheln reichen, wo dieselben gebunden werden. Die Füße und den noch unbedeckten Theil des Beines schützen dann Stiefeln mit höheren oder niedrigeren Schäften, entweder Aufschlag- oder Steifstiefel, oder auch graue, blaue oder weiße Strümpfe und dazu derbe Schnallenschuhe. Der ältere, ärmere Landmann trägt wohl auch sogenannte Beinstrümpfe, die vom Knie bis an die Knöchel reichen und aus Leinwandstreifen zusammengenäht oder im Ganzen (aus Wolle gestrickt) sind; der Fuß ist dann bloß. — Das Obergewand bildet entweder die Jacke („Koller“ oder „Wamms“) oder der Rock, letzterer sehr lang, erstere mit Taschen an der äußeren Seite. Der Stoff ist entweder blaue Leinwand oder grobes, meist blaues Tuch. Die Jacke wird häufig auch von schwarzem oder blauem Sammtmanchester getragen, mit großen Metallknöpfen besetzt. Im Winter wird der Mantel oder der Pelz angezogen; letzterer meist ein Schafpelz ohne Ueberzug, ein sogenannter „Zippelpelz“. Im Sommer arbeitet man viel ohne Oberkleid, die Hemdärmel heraufgeschlagen und baarfuß. Dazu trägt man noch eine hohe, gewöhnlich blaue Leinwandschürze, oder eine ungefärbte Lederschürze. Der obere Theil derselben dient dann zugleich als Tasche zur Bergung des Schnupftuches, der Pfeife oder Schnupftabaksdose.
669. Die Bauerfrau trägt Wochentags eine Haube von dunklem Zeuge oder ein rothes Kopftuch, „Gucke“ genannt. Der Zopf ist einfach geflochten. Den Oberkörper verhüllt ein enganliegendes Leibchen nebst buntem Halstuch. Die Arme sind bis auf die kurzen Hemdärmel bloß oder es wird eine dunkelfarbige Jacke („Kaschet“ oder „Kundusch“) von Tuch, Kattun oder einem ähnlichen Zeuge, im Winter mit Pelz gefüttert, angezogen. Der kurze Rock ist von Flanell oder einem entsprechenden Wollenstoff meist roth oder roth gestreift nebst blauer Schürze. Dazu kommen noch blaue oder weiße Strümpfe und rindslederne Knorrenschuhe oder wohl auch bloße Füße in Holzpantoffeln. Am Sonntag fehlt es nicht an mancherlei Schmuck und Putz: weiße Haube mit bunten Atlasbändern und Rosetten, schwergoldene Ohrringe, Halskette mit Dukaten, seidenes Kleid mit Bauschärmeln, baumwollene Handschuhe und Taschentuch, buntseidene Falbelschürze, weiße Strümpfe und zierliche Schuhe.
§ 83. b. Lage der Gebäude: 670. Gewöhnlich bilden die Gebäude eines Bauerngutes ein geschlossenes Viereck. Die dem Dorfe zugekehrte Vorderseite bilden der Giebel des Wohnhauses, die durch ein Thor geschlossene Einfahrt, an die oft noch ein Schuppen stößt, und die Giebelseite der Scheune. Der Vorderseite des Wohnhauses sammt dem Stalle liegt die Scheune gegenüber, während die hintere Schmalseite der Schuppen und eine nach den Feldern führenden Ausfahrt, das Feldthor, einnehmen. Unmittelbar an diese Baulichkeiten gränzt der Blumen- und Gemüsegarten nebst dem mit[S. 62] Obstbäumen besetzten Grasgarten, an die sich dann als weitere Umgebung des Gutes die Felder und Wiesen anschließen. Im Hofraum sehen wir, nahe bei dem an den Stall angrenzenden mit Pfosten belegten Jauchenloch, den mit der Düngergabel geflochtenen Misthaufen (man sagt: „ein Misthaufen mit der Gabel geflochten ziert das ganze Gut“, vgl. 10), ein Häuschen für die Tauben, wenn diese ihren Schlag nicht an der Giebelseite des Wohngebäudes haben, die Hundehütte, aufgeschlichtetes Scheitholz und dergl.
§ 84. c. Die einzelnen Gebäude. 671. Wohnhaus und der Stall sind meist im Erdgeschoß von Bruchsteinen (Gneus oder Schiefer), wohl auch von bloßem Balkenwerk mit Lehmziegeln ausgesetzt, das Stockwerk aus Fach- oder Klebwerk erbaut. Der Anstrich vorherrschend weiß, die Balken schwarz, roth, braun oder blau. Die Fenster des Wohngebäudes sind klein, meist 4 oder auch 6 Scheiben enthaltend, deren eine in einem verschiebbaren Rahmen eingelassen ist. Die Rahmen, Fensterladen und Thüren entsprechen mit ihrem Anstrich dem übrigen Holzwerk des Gebäudes. Ueber der Hausthür, die gewöhnlich in eine Ober- und Unterthüre, von denen die erstere am Tage offen steht, getheilt ist und deren Gewände Holzpfosten sind, stehen gewöhnlich außer der Hausnummer die Anfangsbuchstaben des Besitzers und das Jahr der Erbauung (oder man findet auch diese Angaben in den mittleren Balken der Wohnstubendecke eingeschnitten), vereinzelt noch ein frommer Hausspruch, z. B.: „Alles ist an Gottes Segen und an seiner Gnad’ gelegen.“ — Das Dach ist meist mit Stroh, oft auch mit Schiefer gedeckt. In ersterem Falle ist der First mit Schindeln oder Rasen belegt. Die Feueresse streicht man, wenn sie äußerlich mit Bretern verkleidet ist, wie das übrige Holzwerk an. An der Giebelseite fehlt selten die Käsedarre. — 672. Durch die Hausthüre (der Platz vor derselben wird hie und da „Heist“ genannt) tritt man zunächst in die mit Schieferplatten gepflasterte oder mit Lehm ausgetretene geräumige Hausflur, die man zur Winterszeit mit Stroh auszulegen pflegt (vgl. 10). Daselbst befindet sich öfters, wenn es nicht im Hofe seinen Platz hat, das Wasser- und Milchhaus. In letzterem schwimmen die mit Milch halb gefüllten Blechtöpfe, darüber hängen die blankgeputzten „Milchseier“ und daneben lehnen thönerne Milchäsche und die weißgescheuerten „Scheffelgefäße“ (d. h. Kannen, kleinere Fässer und dergl.). Hier steht auch das Butterfaß mit der „Butterstörl“ (Scheibe mit Stiel zum Buttern) oder die „Butterrolle“ (Rolle, um das Butterfaß hin und her zu schwingen). In der Nähe des Wasserhauses ist gewöhnlich der Trog, wo das Viehfutter bereitet wird, in den durch eine Röhre heißes Wasser aus der an die Rückwand anstoßenden Küche unmittelbar zu leiten ist. Sonst findet sich in der Hausflur noch der Brodschrank („Kappel“ oder „Almet“), öfters auch ein Schrank mit allerlei Küchengeschirr. An der Balkendecke sind vorsorglich „Schwalbenbretchen“ angebracht, damit der gerngesehene Vogel hier sein Nest aufbaue (vgl.§ 22 i). — 673. Wir wenden uns rechts, wo die rothangestrichene Thüre, in der sich ein „Guckfenster“ befindet, durch das der Hausherr das in der Flur und dem gegenüberliegenden Stall arbeitende Gesinde beobachten kann, zur Wohnstube führt. Diese ist geräumig, mit drei Fenstern nach dem Hof und zwei nach der Giebelseite. Der vordere Theil derselben ist oft mit Steinplatten belegt, der übrige gedielt. Im Winter wird der Fußboden auch hier, wie in der Hausflur, mit Stroh belegt. Die Wände sind weiß oder gelb angestrichen, die Decke tragen mächtige, von der Zeit oder auch mit Farbe geschwärzte Balken. Hie und da sind auch die Wände aus Holzbohlen, in die Fugen derselben steckt man dann in der Nähe des Spiegels die Pathenbriefe. Ueber der Thüre sind die Wochenbuchstaben zu einem immerwährenden Kalender angemalt und oberhalb derselben das „Kuppchenbret“, zum Aufbewahren der täglich in Gebrauch kommenden Kaffeetassen (von denen man die Obertasse auch „Kuppchen“ nennt). Rechts von der Thüre steht das „Seegerhaus“ mit der Wanduhr und daneben das Tellerbret oder „Zübrät“ mit Schüsseln und Tellern von Zinn, Steingut oder Thon. Links hängt ein weißes, breitgespanntes, mit Spitzen oder Franzen besetztes Handtuch, hinter dem das zum täglichen Gebrauch verwendete versteckt ist. Daneben zieht sich die Ofenbank um den umfangreichen Ofen, gewöhnlich einem sogenannten Gabelofen, mit eisernem Kasten und grünem Kachelaufsatze. Hinter diesem befindet sich die behagliche „Hölle“. Oberhalb desselben sind an der Decke Stangen, die sogenannte „Wäschtreiche“, angebracht und die Decke des Ofens wird als Trockenplatz für Spähne, Schalen, Obst etc. benutzt. Oft steht auch auf dem Ofen ein Gestelle zum Trocknen der Käse oder der würflich geschnittenen Möhren oder Runkelrüben, die man dann feingemahlen dem Kaffee zusetzt. In der Nähe hängen Majoranbündel zum Abdörren, deren abgestreifte Blätter der Blutwurst zugemischt werden. In der Fensterecke thront der große, unten mit Querleisten versehene Familientisch,[S. 63] hinter dem sich längs beider Wände Bänke hinziehen und um den hölzerne Stühle oder Schemmel stehen. Hie und da nimmt ein langes, schlichtes Kanapee, wohl auch ein einfaches Pult, einen Theil der Wand ein; oder ein Schränkchen, eine offene Nische und dergl. dient als Aufbewahrungsort von einem Messerkörbchen, sowie von Bibel, Gesangbuch und Kalender, wenn letzterer nicht in Gemeinschaft mit der Ruthe, dem „Birkengottfriedel“, hinter dem kleinen, schräg von der Wand abhängenden Spiegel steckt. Die Fenstersimse sind theils mit Blumentöpfen besetzt, in denen Rosmarin-, Balsamin- und Muskatstöckchen, Katzenkraut, Fuchsien und dergl. von der Hausfrau gepflegt werden, während der Hausherr sich mehr für die selten fehlende Lerche, Meise oder sonst einem im Käfig gehaltenen Singvogel interessirt. Als Schmuck der Wände sieht man fast überall einige eingerahmte Bilder mit ziemlich handwerksmäßigen bunten Lithographien, entweder Darstellungen aus der biblischen Geschichte, aus der Geschichte des Tell, der Genoveva u. s. w., wohl auch ein Portrait von Franz Drake, dem Kartoffeleinführer, oder sonst einem Volksfreund, nicht selten auch sogenannte Spruchblätter, z. B. mit den Worten: „des Morgens denk an deinen Gott, des Mittags iß vergnügt dein Brod, Abends verschlafe deine Noth“. Von Geräthschaften, die sich meist dauernd in der Wohnstube befinden, gedenken wir noch der „Käsebank“ zum Bereiten der Käse, der Handmandel, eines Bretes nebst Walze zum Glätten der Wäsche, des Spahnleuchters, eines zwei Ellen hohen Gestelles, oben mit einer Zange zum Einklemmen der langen Leuchtspähne, sowie der über den großen Tisch hängenden Blendlampe. Sämmtliches Holzwerk der Stube, wie Thüren, Fenstergewände und Rahmen, Tische, Bänke, Stühle u. s. w. sind gewöhnlich roth oder blau angestrichen. — 674. Neben der Wohnstube befindet sich häufig ein einfenstriges Nebenstübchen, „Stöbel“ genannt, der Aufenthaltsort der Herrschaft am Tage, mit einfachem Meublement und den Hausgeräthen, die vom Hausherrn und der Hausfrau gebraucht werden. — 675. Von da führt eine Thüre in die Küche, die mit Ofen, eingemauertem Kessel und Heerd, über dem sich der weite Schornstein öffnet, mit Küchentisch, Küchenbank, Topfbret, an dem die bunte „Salzmeste“ und das Löffelgesteck hängt, ausgestattet ist. Oefters wird aber auch, da der Wohnstubenofen zugleich zum Kochen verwendet wird, die Küche nur durch einen zum Kaffeebrennen u. s. w. verwendbaren Heerd vertreten. — 676. An die Küche grenzt der Backofen, der nur in wenigen Bauergütern fehlt. Daneben ist die Treppe, die zum Keller führt. Hier lagern die Vorräthe an Kartoffeln, Möhren, Kraut, Runkel- und Kohlrüben. In einem „Kellerloch“ stehen Töpfe mit eingesottenen Preiselsbeeren, Flaschen mit getrockneten Schwarzbeeren, Körbe mit schwarzem Rettig, Meerrettigstangen etc. Aus einem Winkel duften uns Fässer mit Sauerkraut, saueren Gurken, wohl auch mit Pöckelfleisch entgegen, während an der Wölbung ein paar Schinken hängen. Ein Fäßchen Bier und einige Flaschen Schnaps dagegen kommen seltener vor, da die nahe Schenke jetzt derartigen Bedarf liefert.
677. Auf der anderen Seite der Hausflur liegt der Stall. Die Eingangsthüre desselben ist öfter zum Schutz gegen die Kälte mit Strohbändern umflochten, während die Wohnstubenthüre nicht selten an der Außenseite ein dickes Strohpolster trägt. An der inneren Stallthüre hängen Kartätsche, Striegel und „Pferdeschwanz“, daneben lehnen die Mistgabel, der Misthaken („Mistkralle“, „Mistgrahl“, auch „Mistkratze“ genannt) und Besen. Auf zwei Stangen in halber Höhe ruhen die Scheffel oder „Stötze“ (Kübel zum Futterreichen), während auf der anderen Seite Geschirre, Peitschen und anderes Geräth an der Wand hängen. In der Nähe der Küche steht, wenn es nicht in der Hausflur seinen Platz hat, das Brühfaß, auch Siedfaß oder Stampftrog genannt, in welchem das Wurzelwerk für das Vieh mittelst eines scharfen, schlangenförmigen Eisens gestoßen und mit heißem Wasser aufgebrüht wird. Unweit der Pferde findet sich ein großer Kasten mit Häckerling, nebst Sieb und Saufeimer. In der Mitte des Stalles zieht sich ein Plattengang hin, zu dessen Seiten das „Sudelgleiß“ läuft, in welchem die Unreinigkeiten in das Sudel- oder Jauchenloch fließen. Rechts und links befinden sich die Stände des Rindviehes und der Pferde, während an der Wand die Tröge oder Krippen, darüber die Raufen oder Leitern angebracht sind. Im hinteren Theil findet man wohl noch Ziegen aufgestellt, sowie das Behältniß für die Schweine, darüber den Hühnerstall. Am Boden haben Kuhhasen und Kaninchen ihre Wohnung und aus einer Ecke schnattern uns Gänse und Enten entgegen.
678. Von der Haustür führt eine meist hölzerne Treppe in das obere Stockwerk. Wir treten auf einen geräumigen Saal, „Boden“ genannt, wo ein paar große Schränke mit Namenszug und Jahreszahl, die den sonntäglichen Anzug der Bauersleute bergen, eine Ziehmandel, die Häckerlingslade (wenn diese nicht im Schuppen ihren Platz hat) und ähnliche Geräthe stehen. Links ist die Ober[S. 64]stube, d. i. die gute Stube und der Stolz der Bauerfrau. Hier erblicken wir den Glasschrank von Eichenholz, darin die „Hausräthe“ z. B. den zinnernen Kaffeekessel, Teller mit Reimsprüchen, die buntgemalten Geburtstagstassen, seidene Zulpe und Anderes. In der Mitte steht ein altväterischer Tisch. Polsterstühle und ein buntgemustertes Kanapee mit Lehne voll Schnitzwerk laden zum Sitzen ein. An der Wand hängen der Spiegel, hinter dem rechts und links je eine Pfauenfeder gesteckt ist, Bilder unter Glas und Rahmen u. s. w. In der angrenzenden Schlafkammer begrüßen uns zwei Himmelbetten, deren Betthimmel mit Bildern aus der biblischen Geschichte geziert ist. Ein Kleiderschrank dient zur Aufbewahrung der Alltagskleider. Neben der Schlafkammer ist gewöhnlich noch eine andere Kammer, die zur Bergung von allerlei Vorräthen (Brod, Mehl, Kleie, Obst etc.) oder von Wirthschaftssachen (Spinnrad, Siebe, Geschirre etc.) benutzt wird. — Auf der anderen Seite des Saales ist ein Gang, zu dessen beiden Seiten je die Kammer für die Knechte und Mägde sich befindet. Das Bett derselben besteht aus Stroh, darüber ein Strohtuch, Zudecke und Kopfkissen. Ihre Habseligkeiten haben sie in buntgemalten Laden oder Truhen verschlossen. Daran schließen sich andere Kammern, wohl auch das Stübchen für den Auszügler, oder der übrige Raum ist als Heuboden benutzt.
679. Eine Holztreppe leitet von dem Saal auf den Boden, „Oberboden“ genannt. Ein Theil desselben dient zum Trocknen der Wäsche, in einem anderen ist das ausgedroschene Getreide (Korn, Gerste, Hafer, Lein) aufgeschüttet. An der Giebelseite führt eine Leiter zu dem Taubenschlag, während an der Feueresse eine eiserne Thüre die Rauchkammer mit dem zu räuchernden Schweinefleisch („Schwärtel“ genannt) und Würsten verschließt.
680. Wir verlassen das Wohnhaus und wenden uns nach der auf der anderen Seite des Gehöftes gelegenen Scheune, die in ihrem unteren Theil (etwa 3 Fuß hoch) entweder von Bruchsteinen oder von Fachwerk erbaut ist, im oberen meist blos aus Breterwand besteht und mit Stroh gedeckt ist. An dem großen Thore ist gewöhnlich ein erlegter Raubvogel mit ausgebreiteten Flügeln angenagelt, „um die Hühner von dem Getreide abzuhalten“ (vgl. 412). Der Fußboden der Tenne besteht entweder aus Pfosten oder seltener aus festgetretenem Lehm. An den Wänden hängen oder lehnen die Sense, der Dreschflegel, der Rechen, die Stroh- und Schüttelgabel, die Wurfschaufeln, die „Schwingmultern“ (eine Mulde, in der das Getreide geschwungen und dadurch gereinigt wird), das Sieb und dergl. Auf der Tenne liegen „Knotten“ (Samenkapseln des Flachses), Strohseile etc. Rechts und links von der Tenne sind zwei Ellen hohe Breterwände mit sich entsprechenden Oeffnungen zur Befestigung der „Riffelbank“, die zum Abstreifen der Knotten des Flachses dient. Jenseits dieser Breterwände ist je ein Panzen, auch „die Pansel“ oder „der Panze“ genannt, wo Korn-, Waizen- und Hafergarben, sowie Wicken- und Erbsenbündel, Strohschütten u. s. w. liegen. Ueber der Tenne öffnet sich in der Decke das Loch zum Boden, um die in die Tenne gefahrenen Getreidegarben unmittelbar hinaufzureichen. Eben dahin führt auch eine Holztreppe aus einem der Panzen. Außer den unausgedroschenen Getreidevorräthen ist gewöhnlich auch ein Theil des Scheunenbodens mit Heu gefüllt.
681. Der Schuppen, der in seinem oberen Theile öfters durch einen verdeckten Bretergang unmittelbar mit der Scheune zusammenhängt, ist meist blos aus Balken und Bretern erbaut. Unter dem Dache hängen große Leitern und das geöffnete Thor zeigt uns im Innern die Leiter- und Truh- (Kasten-) wagen, daneben wohl die zierliche Chaise oder das blaue Planwägelchen des Landmanns, nebst dem grünangestrichenen „Butterwagen“ der Bauersfrau. Im Hintergrunde stehen die verschiedenen Schlitten, wenn man sie nicht auf in der Höhe angebrachte Balken gehoben hat. Eine verschließbare Abtheilung enthält allerlei Heizungsmaterial: gespaltenes Holz, Torf, „Reißigbüschel“ (Reißigbündel). Andere Abtheilungen oder auch ein abgesonderter kleiner Schuppen, „Schöppel“ genannt, dient als Aufbewahrungsort der verschiedenen landwirthschaftlichen Geräthschaften, als da sind: Pflug und Egge, der „Krimel“ (ein Ackergeräth, ähnlich der Egge), Schiebbock und Schubkarren, Walze, Winde, Hacken und Schaufeln, das Grabscheit u. s. w. Dort steht das Tengelzeug und der Schleifstein, hier liegen die „Jauchenzober“ oder Jauchenfässer. Eine angrenzende Kammer enthält allerlei Werkzeug, eine Schnitz- und eine Hobelbank, wohl auch eine Drehbank, daneben Axt und Säge, Hammer und Meisel, Bohrer, Feilen u. s. w. In dem Schuppen steht auch gewöhnlich die Häckerlingslade, auch Gehackbank, Häckermaschine genannt; auch hat er Raum für allerlei „Gerümpel“ und unbrauchbar gewordene Geräthe. In Wirthschaften, die Flachsbau treiben, fehlt auch die Hechelkammer nicht mit der Brechmaschine und anderen zur Flachsbereitung erforderlichen Gegenständen. Hier sind wohl auch „Kluhmen“,[S. 65] die gehechelten „Flachsbündel“ aufgehäuft, während in einem Winkel „Brechenden“, die beim Brechen des Flachses abfallenden Hülsen, welche zum Anfeuern benutzt werden, liegen. Unterhalb des Schuppens befindet sich zuweilen ein besonderer Kartoffelkeller, in den man die geerntete Frucht durch das Kellerloch mittelst eingesetzter „Röhren“ hinabrollen läßt.
§ 85. d. Der Garten und das Feld. 682. Der an das Gut anstoßende Blumen- und Gemüsegarten wird zum Unterschiede von dem umfangreicheren Grasgarten gewöhnlich das „Gärtel“ oder der „klane“ (kleine) Garten genannt und ist die Freude der Bauerfrau. Die Beete sind meist mit Buchsbaum, der unter der Scheere gehalten wird, eingefaßt. Von Blumen liebt man besonders Rosen, Tulpen, Hyazinthen, Narcissen, Nelken, Aurikel, Veilchen, Stiefmütterchen, Vergißmeinnicht, Reseda, weiße und rothe Lilien, Päonien, Betunien, Georginen, Astern, Sonnenblumen, Studentenblumen, Strohblumen u. s. w. Von Gemüsen finden sich am häufigsten Bohnen, Schoten, Möhren, Kohl, Salat, Kolerabi, Rettig, Radieschen, Sellerie, Petersilie, Zwiebeln; von Fruchtsträuchern Johannis-, Stachel- und Himbeeren. — In dem angrenzenden Obstgarten stehen Aepfel- und Birnbäume, Kirsch- und Pflaumenbäume. In einem Winkel versteckt findet sich gewöhnlich ein Hollunderbaum (sambucus nigra), vgl. § 23 n.
683. Auf seinen Feldern baut der gebirgische Bauer besonders Roggen und Hafer, seltener Gerste und Waizen; häufig Flachs, seltener Hanf, Wicken, seltener Schoten, ferner Klee und namentlich viel Kartoffeln. Die wohlgepflegten und günstig gelegenen Wiesen liefern reichliches Heu.
e. Beschäftigung. 684. An Beschäftigung fehlt es das ganze Jahr nicht. Das Frühjahr, theilweise auch der Herbst, wird durch das Düngerfahren (den Knecht, der Dünger ladet, nennt man wohl auch scherzweise „Ladendiener“) und Ausbreiten desselben, sowie die Bestellung der Felder in Anspruch genommen. Im Sommer, nach Johanni, folgt die Heuernte, im August die Getreideernte. Der beginnende Herbst bringt die Grummternte, der sich die Kartoffel- und Obsternte anschließt, bis endlich das Abschneiden des Krautes den Beschluß macht. (Ueber das Viehhüten vgl. 642.) Die rauhere Jahreszeit wird mit dem Dreschen, mit Spinnen, Klöppeln und Federschließen verbracht. — Bei diesen Arbeiten überwacht der Bauer das Ganze, besorgt den Ein- und Verkauf des Viehes und legt, wo es Noth ist, selbst thätig Hand an. Die Frau führt das gesammte Hauswesen, besorgt das Kochen, den Milchkram u. s. w. Den Knechten ist namentlich der Dienst bei den Pferden und deren Arbeit übergeben, während die Mägde das Melkvieh und deren Versorgung unter sich haben. — Bienenzucht findet sich nur in den milder gelegenen Thälern.
f. Kost. 685. Die Kost ist einfach, aber ausreichend. Im Sommer wird um ½5, im Winter ½6 Uhr aufgestanden. Gegen 7 oder 8 Uhr wird Kaffee getrunken, der allerdings mehr aus Surrogaten (Möhren, Wurzeln cichorium intibus, Gerste, Korn etc.) als aus arabischen Bohnen gebraut ist. Jeder trinkt gegen 5 „Schälchen“ (Untertassen) und verzehrt dazu einige bis eine Mandel Kartoffeln, oder etliche „Keile“ oder „Fitzen“ Brot, das aus Roggen, Gerste oder Hafer, oft auch aus einem Gemenge dieser Getreidearten gebacken wird. Um 9 oder um 10 Uhr hilft ein zweites Frühstück, in einem umfangreichen Butterbrod oder in Milch- oder Mehlsuppe bestehend, nach. Um 12 Uhr folgt das Mittagsessen, welches an dem weißgedeckten Tisch eingenommen wird. Es wird mit Gebet eröffnet und geschlossen und besteht entweder in einem Fleischgericht mit Gemüse oder in einer Milch- oder Kartoffelspeise. Sonn- und Festtags kommt Braten, gewöhnlich Kälberbraten mit gebackenen Pflaumen, oder mindestens gekochtes Fleisch. Die Wochentagsgerichte sind: Pökelfleisch oder Schwarzfleisch (d. i. geräuchertes Fleisch) und Klöse oder Sauerkraut, Wurst und Kartoffelbrei oder Preißelsbeeren, Schweinefleisch und Erbsen oder Linsen, Rindfleisch mit Reis, Häring und Kartoffelsalat, Reisbrei, Griesbrei, Milchbrei, Hafergrütze etc.; häufig ist auch ein verschiedenartig bereitetes Gebäck aus geriebenen Kartoffeln, Mehl und Milch, das auch entsprechend verschiedene Namen führt, als: Bröselgötzen, Pfannenzudel, Rauhemahd, Röhrenkloß, Lockerkloß, Bambes, Stamper, Polst, Stopper und dergl. Es werden wohl auch blos Kaffee und Kartoffeln aufgetischt. Um 4 oder 5 Uhr ist Vesperzeit, wo man sich durch Kaffee und Butterbrod stärkt, bis endlich Abends 7 Uhr Kartoffeln und Suppe oder Kaffee, im Sommer wohl auch Semmelmilch, den Schluß bilden. — 686. Das gewöhnliche Getränk ist Wasser, daneben Milch, in der Erntezeit und Sonntags Bier. Der Branntweingenuß ist mäßig. Dagegen wird viel Kaffee getrunken, meist täglich fünfmal, je 5 und etliche Tassen. Ein „Kaffeekoch“, d. h. das Kochen eines Kaffee’s kommt unter allen Verhältnissen erwünscht.
[S. 66]
g. Charakter etc. 687. Der gebirgische Landmann ist religiös, bieder und schlicht, fest, zuweilen starrköpfig, schweigsam und arbeitsam, „er macht seine Arbeit still weg, mitunter ein Sturm.“ Er liebt Neuerungen nicht, auch ist ihm die Einsamkeit zuwider, daher gränzen die Güter meist an einander. Reinlichkeit und Sauberkeit findet man fast allgemein und es ist der Stolz der Hausfrau, durch blankgescheuerte Geräthe, durch ein wohlgehegtes Blumengärtchen und durch blendendweiße Wäsche sich auszuzeichnen. (Zu den hohen Festen z. B. wird was nur möglich gewaschen und gescheuert: Stühle und Schemel, Fußbänke und „Hitschen,“ Tische und Bänke, selbst die Holzgewände der Stuben und Kammern). — 688. Die gewöhnlichen Grüße und Gegengrüße der Bauern sind: guten Morgen, guten Tag, guten Abend, gute Nacht, schlaf’ wohl. Grüß’ Gott, Gott grüß dich, Hatje [Adieu], leb wohl, bleib gesund, behüt’ dich Gott; willkommen; schönen Dank.
h. Erholung. 689. Am Abend kommen die Nachbarn zusammen, oder der Vater liest aus dem Kalender, aus einer Zeitung (z. B. Dorfbarbier, erzgebirgischer Volksfreund etc.) oder einer Monatsschrift (z. B. Gartenlaube, erzgebirgische Hausblätter etc.), aus einem vom Pastor oder Schulmeister geliehenem Buche (namentlich Bücher aus dem zwickauer Volksschriftenverein) vor. Dann und wann wird die Schenke besucht. Die Glanzpunkte aber im Leben des Bauern bilden die ländlichen Feste.
§ 86. Obgleich durch die Ungunst des Bodens und des Klima’s die Lage des obergebirgischen Landmannes eine minder glückliche ist, als die des Bauers im Niederlande, so feiert er doch seine Feste, vielleicht eben deshalb, mit umso größerer Freude und innigerer Betheiligung. Dieselben sind zunächst als Ruhepunkte nach Vollendung einer der Hauptarbeiten in seinem Arbeitskreise zu betrachten.
a. Der Laubtanz. 690. Ein Fest in der Pfingstzeit, das regelmäßig auf einen Sonntag fällt und ungeduldig von den jungen Leuten erwartet wird. Schon einige Tage vorher pflückt man Laub, windet Kränze und Guirlanden und schmückt damit den Saal der Schenke in- und auswendig. Am Nachmittag des Festtages werden die Mädchen, welche Kränze mit Bandschleifen am Arme tragen, aus dem elterlichen Hause unter Musik geholt und mit „Gejauchze“ zieht man in den Saal, wo eine wohlbesetzte Tafel gerüstet ist. Nachdem die Mädchen ihre Kränze aufgehängt haben, setzt man sich und schmaust vergnügt. Nach dem Essen beginnt der Tanz, der bis in die späte Nacht hinein dauert (Sehma).
b. Das Gemeindebier. 691. Das Abhalten desselben ist nicht streng an eine Jahreszeit gebunden, doch geschieht es meistens im Sommer. Wer ein Grundstück gekauft hat, giebt seinen neuen Gemeindegenossen Bier zum Besten, und zwar hat er ein Gut gekauft zwei Tonnen, ein Haus eine Tonne. Das Bier wird in der Schenke von den Bauern und Häuslern, die mit ihren Frauen dahin zusammenkommen, vertrunken. Unter Tanz und Scherz wird der Abend heiter verbracht.
§ 87. c. Erntefeste. Vgl.: „Deutsche Erntegebräuche“, Aufsatz in den Grenzboten, 1860, Nr. 34. — 692. Hat der Hausvater auf seinem prüfenden Gang durch die Felder gefunden, daß das Getreide reif zur Ernte sei, so beginnen die Vorbereitungen zur morgenden Arbeit. Die Sensen werden hervorgeholt und die Tengelzeuge herbeigesucht. Am obern Theil des Sensenbaumes wird der Bügel aus Weiden-, Buchen- oder Birkenholz befestigt und „die Sense angeschlagen.“ Dort rüstet man den großen Erntewagen, indem die langen Leiterbäume aufgesetzt werden, hier werden Tenne und Böden von dem noch umherliegenden Stroh gesäubert, um der neuen Frucht eine ausreichende Stätte zu bereiten. Die Knechte setzen sich mit Tengelstock und Hammer unter die alte, schattenreiche Linde hinter dem Hofe und bald tönen die taktmäßigen Hammertöne des Tengelns weithin durch die abendliche Stille. Beim Grauen des nächsten Tages wird Leben im Hause, und nachdem die Arbeiten im Stalle besorgt und die große, braune Kaffeekanne am gemeinsamen Frühstückstisch zweimal geleert worden ist, zieht man hinaus auf das Feld. Die Schnitter die Sense auf der Schulter und die „Wetzkitze“ mit dem Wetzstein an dem Mähergürtel, die Schnitterinnen den Rechen tragend. Ist man zum Ziele gelangt, so werden die Sensen herabgenommen, noch einmal mit dem nassen Wetzstein die Schneide derselben gestrichen und mit einem „das walte Gott“ vollzieht der Hausvater den ersten Schnitterhieb. Indem er weiter mäht, rafft eine Schnitterin ihm noch die gefallenen „Schwaden“ auf und legt sie in Haufen auf die Stoppeln. Diesem Paare folgen die anderen. Gegen 9 Uhr erscheint die Hausfrau mit schwerbepacktem Korbe[S. 67] und Alles lagert sich an dem blumigen Feldrain, um an Butterbrod, Bier und Schnaps sich zu erquicken. Von Neuem geht man zur Arbeit, die man bis Mittag fortsetzt, wo man in das Gehöfte zurückkehrt. Eine dampfende Biersuppe, kräftiges Rindfleisch mit Reis, und kühlende Semmelmilch labt die müden Arbeiter. Am Nachmittag zieht man zur Vollendung des Werkes hinaus, das zur Vesperzeit durch eine im Freien aus Krügen verzehrte „Biermerthe“ unterbrochen wird. Zuletzt wird das gemähte Getreide in Garben gebunden und gepuppt, worauf man heim zum Abendbrode eilt und endlich von des Tages Last und Hitze ausruht. — Soll nun das geerntete Getreide eingefahren werden, so ist man abermals früh auf. Bis zum 2. Frühstück werden die Getreidepuppen aus einander genommen und die Garben auf das Feld geschlichtet. Nun erscheint der Erntewagen, auf dem der „Wiesbaum,“ die Garbengabel, Stricke und Seile liegen. Die Garben werden mittelst der Gabel auf den Wagen gereicht und der obenstehende Knecht schichtet sie regelrecht bis hoch über die Leiterbäume zu beiden Seiten. Langherüber wird hierauf der Wiesbaum über das volle Fuder gelegt und befestigt. „Schwer herein schwankt der Wagen kornbeladen.“
693. Ist die Getreideernte beendigt, weht der Wind über die Stoppeln, so giebt der Hausherr seinen Leuten gewöhnlich am nächsten Sonntag oder auch am Abend des letzten Erntetages ein kleines Fest, welches Stoppelhahn genannt wird. Die Hausfrau muß für Kuchen und Hefenklöse, aus dem neuen Waizen gebacken, sorgen, der „Kuhprinz“ muß ein Fäßchen Bier und eine ansehnliche Flasche „Branntewei“ aus der nächsten Stadt holen, die Räucherkammer liefert geräuchertes Fleisch und Küche und Keller das übrige. Ist die Mittagszeit herangerückt, so wird ein schneeweißes Tuch über den großen Eßtisch gebreitet, das bessere Geschirr aufgesetzt und alsbald erscheinen nun Knechte und Mägde, sowie die bei der Ernte thätig gewesenen Tagelöhner und Gehilfen. Steht endlich die dampfende Schüssel mit „Schwarzfleesch“ und „Artöppel Klies“ auf dem Tisch, so tritt auch der Bauer mit Frau und Kindern an die gerüstete Tafel. Ein längeres Tischgebet, von dem gewöhnlich jeder der Anwesenden ein Stück aufsagt, wird gesprochen und man setzt sich nun vor die lockenden Gerichte. Es wird tüchtig eingehauen und dabei dem umher gereichten Gläschen mit einem feurigen „Pfeffermünz“ oder Kümmel tapfer Bescheid gethan. Nachdem das Schlußgebet gesprochen, folgt Kaffee mit Kartoffel-, Zimmt-, Pflaumen-, und anderen Kuchen. Da öffnet sich die Thüre und die bestellten Musikanten, mit Ziehharmonika und Flöte, Geige und Klarinette treten herein. Schnell werden Stühle und Bänke auf die Seite geschafft, der Tisch in die Ecke geschoben und der Tanz beginnt. Der Hausvater in Hemdärmeln und die Hausmutter mit blendendweißer Schürze eröffnen den Reigen, ihnen folgen die Knechte und Mägde, die Tagelöhner mit ihren Frauen, die Kühjungen mit den Töchtern des Hauses und bald ist Alles voll Lust und Leben. Die Knechte stampfen auf den Boden, schnalzen mit der Zunge, jauchzen und schreien. Dazu kreist die Schnapsflasche und das Bierglas, auch an consistenterer Nahrung fehlt es nicht. Jeder vergnügt sich nach seinem Geschmack bis der „Kehraus“ gespielt wird. Mit Händedruck und Dank verabschiedet sich jedes von dem Gastgeber, wobei die Tagelöhner gewöhnlich noch mit einem Viertels- oder halben Kuchen für ihre Kinder daheim beschenkt werden.
694. Haben alle Güter einer Gemeinde geerntet, so folgt am nächsten Sonntage das Erntefest. Kirche und Haus werden mit Kränzen von Aehren und Blumen geschmückt. Wer nur irgend abkommen kann, geht in das Gotteshaus, wo die Erntepredigt gewöhnlich Nachmittags 1 Uhr gehalten wird. Im Hause fehlt es nicht an leiblichen Genüssen und am Abend wird die Schenke besucht, um bei Tanz und Spiel sich zu erfreuen und zu vergnügen.
695. Laut tönen nun wieder die Schläge des Dreschflegels aus allen Scheunen durch das Dorf. Man kommt an die letzten Garben und endlich wird auch das sogenannte „Gebrecht“, das Getreide, welches nach der Ernte auf der Stoppel zusammengerecht worden ist, gedroschen. Auf einmal schweigt in jener Scheune der Drescherschlag und lautes Gelächter schallt herüber. „Du hast den Panzelhahn geschlagen“ ruft Einer, „Schnaps her, Schnaps her“ der Andere. Der Schnaps wird durch den jüngsten Drescher geholt und nach der anstrengenden Arbeit folgt ein fröhliches Gelag. Der Drescher, der den letzten Schlag gethan, muß den Branntwein bezahlen, dem der Hausherr mitunter einen kleinen Imbiß (die „Flegelmoolzet,“ d. i. Flegelmahlzeit) hinzufügt. Das ist der sogenannte Panzelhahn.
§ 88. d. Die Kirmeß. 696. Kahl stehen die Bäume, öde die Felder, der Herbst ist eingezogen und mischt sich bereits mit den Anfängen des Winters. Da naht das Hauptfest des Landmanns,[S. 68] die Kirmeß. Es setzt schon lange voraus, Herzen und Hände in Bewegung. Alle wollen am Feste geschmückt erscheinen. Die Kinder erbitten von den Eltern, dort ein neues Paar Hosen, hier eine neue Jacke. Auch die jungen Leute machen bei dem Dorfschneider ihre Bestellungen, der kaum allen Aufträgen genügen kann und die Botenfrau muß den jungen Mädchen bunte, seidene Bänder und andere Schmucksachen häufiger als sonst aus der Stadt mitbringen. Auch die Hausfrau hat ihre Pläne für das nahende Fest. Lange vorher hat sie den Rahm gesammelt, um genug Butter zum Kuchenbacken zu haben und bereitet nun Käse, läßt Rosinen, Mandeln, Zucker, Hefen u. s. w. holen, auf daß nichts fehle. Die Kuchen sind bereit und wandern zum Bäcker, um nach einigen Stunden, fertig und noch rauchend, unter dem Jubel der Kinder ihren Einzug wieder in das Haus zu halten. — Aber noch andere Opfer sind nöthig. Ein Schwein soll geschlachtet („Sauleed“ oder „Krumbeh“ gehalten) werden. Der Fleischer ist bestellt, der Schlachtzettel besorgt, Gewürz, Wasser und Brennmaterial schon am Abend vorher herbeigeschafft. Der späte Herbsttag bricht an, schon knistert das Feuer unter dem Wurstkessel: da klingelt die Thüre und herein tritt der Fleischer, Brust und Beine bedeckt die weiße, frisch gemangelte Schürze. Der breite Ledergürtel unter derselben ist mit Perlen oder Silberplättchen verziert, und an der Seite hängt ein Köcher mit Messer, Gabel und Wetzstahl. Er verrichtet sein Werk und bald ruht das todte Schwein in dem bereitstehenden Troge. Mit Hilfe des heißen Wassers und des Schabeisens sind die Borsten entfernt, das Schwein wird getheilt und Stücken Fleisch in den brodelnden Kessel geworfen. Endlich ertönt der Ruf: „das Wurstfleisch ist fertig“ und Alles eilt herbei, um an dem leckern Genuß sich zu laben. Nun folgt das Bereiten und Kochen der Würste, das Einsalzen des aufzuhebenden Fleisches, ein tüchtiges Bratstück ist zur Kirmeß ausgesucht und der Abend schließt mit dem Verzehren der Wurstsuppe und frischer Wurst, als eine Art Vorfeier des immer näher rückenden Festes. Nun wird auch das ganze Haus gerüstet, überall wäscht und kehrt, scheuert und putzt man. Der Kirmeßsonntag ist da. Beim Aufgang der Sonne weckt das Blasen eines Chorals vom Thurme durch die Dorfmusikanten die schlummernden Bewohner. Bald sind alle in der Wohnstube beim Kaffeetisch versammelt. „Die gute Kaffeekanne“ dampft in der Mitte der Tassen und daneben locken Teller mit Thürmen von Kuchenstücken. Man thut dem ersehnten Gebäck die möglichste Ehre und Teller und Kanne sind schnell geleert. Der heutige Gottesdienst wird nur spärlich besucht, denn erst am morgenden Tage, am Montag, ist der eigentliche Kirchweihtag. Ist er endlich angebrochen und rufen die Glocken zur Kirche, so eilen die festlich geschmückten Landleute in einzelnen Trupps von allen Seiten nach der lieben Ortskirche, deren Weihtag ja heute gefeiert wird. Heute darf die Kirchenmusik nicht fehlen. Wieder ertönt Glockenklang und heraus strömt die Menge. Jeder seiner Wohnung zu. — Welche Freude giebt es bei der Heimkunft. Der Vetter, aus der benachbarten Stadt, die Frau Gevatterin aus einem entfernten Dorfe und andere geladene Gäste sind eingetroffen. Endlich ist der Tisch gedeckt. Auf dem Tischtuch von selbst erbautem Flachs prangen Schweine- und Hühnerbraten, daneben die beliebten Kartoffelklöse und Sauerkraut, weißes Brod und Bier, vielleicht auch eine Flasche Wein. Alles setzt sich. Auch der zitternde Großvater im silberweißen Haar rückt seinen alterthümlichen Lehnstuhl heran und von seinem wirthlichen Sohne gebeten, nimmt er das Sammtkäppchen von dem ehrwürdigen Haupte in die gefalteten Hände und spricht das Tischgebet. Jeder läßt sich die guten Gerichte wohlschmecken, deren Schluß mächtige „Kuchenteller“ bilden. Nach Tische machen die Männer einen Gang ins Freie, die Kinder haben ebenfalls draußen „ihre Lust“, wo auf Wegen und Stegen ein fröhliches Leben herrscht. Nur die Frauen bleiben sitzen und erzählen sich bei Kuchen und Kaffee die neusten Geschichten. Die rückkehrenden Männer gesellen sich auch zu ihnen und unter Gespräch und Genuß, vergeht die erste Hälfte des Nachmittags. Später geht man wohl in die Schenke, wo der Tanz der jüngeren Leute bereits um 3 Uhr begonnen hat. Dort setzt man sich zum Glase Bier, man spielt einen Skat oder schaut der unermüdlichen Jugend zu. Um 7 Uhr geht man zum Abendessen nach Hause, das von der Hausmutter festlich zugerüstet ist. Alt und Jung nimmt Platz, die Teller werden gefüllt und bald ist Alles in reger Arbeit. Ist die Rosinensuppe gegessen, folgt Schweinefleisch mit Zwiebelbrühe, dann Karpfen mit Krautsalat, zuletzt wieder Kuchen. An Bier, Branntwein, selbst an Wein ist kein Mangel. Nach aufgehobener Tafel bleibt man noch eine Weile beisammen sitzen oder man wandert wieder zur Schenke, wo nun auch die Verheirateten am Tanz sich betheiligen, bald einen Walzer, bald einen Rutscher, einen Dreher u. s. w. verlangend. Spät wird die Kirmeßlust beschlossen und mit Kuchenpaketen beladen ziehen die Gäste dankend heim. — Dienstag[S. 69] bildet noch eine Art Nachfeier, bis endlich an der Mittwoch Haus und Arbeit allmälig wieder in das ruhigere Gleiß einlenken. — Am nächsten Sonntag verhallen in der „Klein-Kirmeß“ die letzten Klänge und Freuden des Festes: nur die Erinnerung tröstet noch und die Hoffnung, „daß nächstes Jahr wieder Kirmeß ist“. Vgl. auch 879–886.
697. An manchen Orten (Dittersdorf) halten die Musikanten am Kirmeßnachmittag einen Umzug, wobei sie mit Kuchen beschenkt werden. Einer von ihnen ist als sogenanntes Kirmeßweib verkleidet. Ein Strohhut mit rothen, flatternden Bändern, berußtes Gesicht und dicht gedrehte Werglocken, auf dem Rücken einen Tragkorb zur Bergung des empfangenen Kuchens, in der rechten Hand ein langer Stab, in der linken eine brennende Laterne bilden, nebst buntscheckiger Weibertracht sein Kostüm. Von den übrigen Musikern begleitet geht der Zug bei dem Schall der Instrumente, und unter mancherlei Scherz und Schabernack, gefolgt von der Dorfjugend, von Gehöfte zu Gehöfte, und lenkt endlich wieder in die Schenke ein, wo man sich an der erblasenen Sammlung ein Gütliches thut.[2]
§ 89. Ehe wir von dem gebirgischen Landmann sammt seinem Thun und Treiben scheiden, müssen wir noch der sogenannten Bauerregeln gedenken, da diese auf sein Leben, namentlich auf die Anordnung seiner wirthschaftlichen Arbeiten, nicht ohne Einfluß sind. Wir stellen hier die zusammen, die auf einer gewissen Naturbeobachtung beruhen, da wir diejenigen, welche ein abergläubisches Gepräge an sich tragen, bereits im ersten Abschnitt erledigt haben. Dabei beschränken wir uns auf die, welche aus dem Munde der gegenwärtigen Bevölkerung gesammelt sind, also mehr oder weniger noch jetzt gläubige Anhänger und gehorsame Befolger haben. Der Naturwissenschaft aber überlassen wir es den wirklichen Gehalt derselben zu prüfen. Vgl.: Böbel, Haus- und Feldweisheit des Landwirths, Berlin 1854.
§ 90. A. Nach der Zeit geordnet. a. Die Monate des Jahres. Januar. 698. Sind im Jenner die Flüsse klein, giebt’s vielen und guten Wein (Marienberg). — 699. Januar warm, daß Gott erbarm (allg.). — 700. Ein schöner Januar bringt ein gutes Jahr (Annaberg). — 701. Wie der Januar, so der Juli (Grünstädtel). — 702. Wenn Gras wächst im Januar, wächst es schlecht im ganzen Jahr (Grünstädtel). — 703. Giebt’s im Januar viel Regen, bringt’s den Früchten keinen Segen (Grünstädtel). — 704. Tanzen im Januar die Mucken [Mücken], muß der Bauer nach dem Futter gucken (Marienberg). — 705. Wenn der Januar gelind ist, so folgt ein rauher Frühling und ein heißer Sommer (Geier).
Februar mit Lichtmeß, Fastnacht etc. 706. Wie der Februar, so der August (Grünstädtel). — 707. Spielen die Mücken im Februar, friert Schaf und Bien’ durch’s ganze Jahr (Lößnitz). — 708. Wenn im Hornung die Mücken schwärmen, muß man im März den Ofen wärmen (Annaberg). — 709. Wenn im Februar die Lerchen singen, wird’s uns Frost und Kälte bringen (Zwönitz). — 710. Wenn’s der Hornung gnädig macht, bringen März und April den Frost bei Nacht (Grünstädtel). — 711. Die weiße Gans [Schnee] im Februar, brütet Segen für’s ganze Jahr (Lößnitz). — 712. Rollt im Februar der Donner, rollt’s noch mehr im ganzen Sommer (Aue). — 713. Donnert es über den kahlen Busch, so kommen viel Gewitter (Marienberg). — 714. Dunkle Lichtmessen [2. Februar] bringt reichlich Essen; Lichtmeß helle, bringt Mangel zur Stelle (Grünstädtel). — 715. Wenn an Lichtmeß die Sonne scheint, dauert der Winter noch lang (allg.). — 716. Wenn es zu Lichtmeß trüb ist, so kann der Schäfer vier Wochen eher austreiben, scheint aber die Sonne, so muß er vier Wochen länger zu Hause bleiben (Raschau). — 717. Der Schäfer sieht Lichtmeß lieber den Wolf im Stall, als den Sonnenschein (Zöblitz). — 718. Sonnt sich der Dachs in der Lichtmeßwoch, geht er vier Wochen wieder zu Loch (Grünstädtel). — 719. Lichtmeß im Klee, Ostern im Schnee (Raschau). — 720. Wenn es zu Alphonsus oder Desiderius [11. Febr.] regnet, hören die Fröste auf (Ehrenfriedersdorf). — 721. Petri Stuhlfeier [22. Febr.] kalt, die Kälte noch an[S. 70]halt (Geier). — 722. Matthis [Matthäus, 24. Febr.] bricht’s Eis; find’ er keins, so macht er eins (Stollberg). — 723. Trockne Fasten, gutes Jahr (Grünstädtel). — 724. Wenn zu Fastnacht die Sonne Vormittags scheint, so säe man den Flachs zeitig, scheint sie aber Nachmittags, später (Marienberg), vgl. 85.
März und Frühling. 725. Märzschnee thut der Saat weh (Marienberg). — 726. Hält der März den Pflug beim Sterz [d. h. kann man im März pflügen], hält April ihn wieder still (Grünstädtel). — 727. Märzenstaub bringt Gras und Laub (Raschau). — 728. Märzenlaub wird gern vom Frost verzehrt (Lauter). — 729. März nicht zu trocken, nicht zu naß, füllt dem Bauer Kisten und Faß (Annaberg). — 730. Wenn im März der Schnee zerfließt, kommt viel Hagelwetter im Sommer (Raschau). — 731. Wer im Frühling den Pflug trocken hinausführt, bringt ihn im Herbst wieder naß herein (Sehma). — 732. Jeder Märznebel kommt nach hundert Tagen als Regen wieder (allg.).
§ 91. April und Ostern. 733. April kalt und naß, füllt Scheuer und Faß (allg.). — 734. Regnet’s warm im April, so erntet der Bauer in Füll’ (Marienberg). — 735. Sei der April noch so gut, er schickt dem Schäfer den Schnee auf den Hut (Annaberg). — 736. St. Georg und St. Markus [24. 25. April] drohen oft viel Arges (Lößnitz). — 737. Wenn es Charfreitag regnet, wird ein trockner Sommer (Raschau). — 738. Charfreitag- und Osterregen bringen schlechte Erntesegen (Annaberg). — 739. Regnet’s in die Ostern hinein, wird zu Wasser auch der Wein (Marienberg), vgl. 109 u. 128.
Mai und Pfingsten. 740. Donner im Mai, Sturm in’s Heu (Grünstädtel). — 741. Abenthau und Kühl’ im Mai bringt viel Wein und Heu (Annaberg, Lößnitz). — 742. Mai kühl, Juni naß, füllt Scheuer und Faß (Marienberg). — 743. Nach Pankraz und Servaz [12. u. 13. Mai] schaden die Nachtfröste den Früchten nicht mehr (Raschau). — 744. Ist es schön auf Petronell [31. Mai], meßt den Flachs ihr mit der Ell’ (Marienberg). — 745. Pfingstregen bringt reichen Erntesegen (Lößnitz). Vgl. auch 144.
Juni, Sommer etc. 746. Wer nicht geht mit Sichel und Rechen auf’s Feld, wenn Bienen und Bremsen stechen, der muß gehen mit dem Strohseil und fragen, wer hat Heu feil (Marienberg). — 747. Brachmonat naß, leert Scheuer und Faß (Marienberg). — 748. Wenn kalt und naß der Juni war, verdirbt er meist das ganze Jahr (Annaberg). — 749. Durch den Juniwind aus Norden ist noch nichts verdorben worden (Marienberg). — 750. Das Kraut ist vor Johanni [24. Juni] zu stecken (Frohnau), vgl. 151 u. 152. — 751. Der Brachmonat muß die Weiberlaunen haben (Marienberg). — 752. Wenn es am Siebenschläfer [27. Juni] regnet, so regnet es sieben Wochen lang (allg.), vgl. 156.
§ 92. Juli, Hundstage etc. 753. Wind im Juli vom Niedergang [Westen] ist des Regens Anfang (Lößnitz). — 754. Viel Fliegen, viel Korn (Marienberg). — 755. Wenn es zum Medardus [8. Juli] regnet, regnet es 30 Tage lang (Marienberg). — 756. Hundstage [vom 24. Juli bis 24. Aug.] hell und klar, zeugen ein gutes Jahr (allg.). — 757. Treten die Hundstage gut ein, so wird vier Wochen gutes, treten sie schlecht ein, vier Wochen schlechtes Wetter (Geier). — 758. Wenn die Hundstage gut eintreten, treten sie schlecht aus (Geier). — 759. Jakobi [25. Juli] darf’s nicht regnen; regnet es, so regnet es den Weibern in den Backtrog (Markneukirchen). — 760. Zu Jakobi werden die neuen Erdäpfel probirt (Lauter), vgl. Aug. — 761. St. Paulus (29. Juli) klar, ein gutes Jahr (Marienberg).
August. 762. Was im August nicht bäckt, wird im September nicht braten (Marienberg). — 763. Giebt’s im August Sonnenschein, so wird die Ernte besser sein (Mildenau). — 764. Die Nächte kühl, die Tage schwühl, dann wird der Ernte viel (Marienberg). — 765. Laurentius [10 Aug.] werden zum erstenmal Kartoffeln geschüttelt, d. i. probirt (Markneukirchen). — 766. Um St. Laurenti Sonnenschein, bedeutet ein gut Jahr von Wein (Lößnitz). — 767. Himmelfahrt Mariä [15. Aug.] hell und rein, bringt guten Wein (Grünstädtel). — 768. Bartholomä [24. Aug.] Bauer sä. Oder genauer: Bartholomä Korn sä, Grummt mäh (Markneukirchen). — 769. Wenn zu Bartholomä der Himmel voller Wolken ist, bekommen wir viel Schnee (Raschau). — 770. Bartholomä werden die Kartoffeln geschüttelt (Annaberg). — 771. Bartholomä sch.... der Teufel die schwarzen [Heidel-] Beere (Annaberg).
[S. 71]
September und Herbst. 772. Septemberregen ist der Saat gelegen (Annaberg). — 773. Wenn die Blätter im Herbste spät abfallen, so deutet dies auf einen harten Winter (Lößnitz). — 774. Sitzt das Laub lange an den Bäumen, wird der Winter auch nicht säumen (Annaberg). — 775. Egide [1. Sept.] Sonnenschein, tritt ein schöner Herbst ein (Raschau). — 776. Auf Mariä Geburt [8. Sept.] zieht die Schwalbe fort (Annaberg). — 777. Wenn der Michaelistag [29. Sept.] in den zunehmenden Mond fällt, so wächst im nächsten Jahre viel Futter (Raschau), vgl. 157.
§ 93. Oktober. 778. Viele Nebel im Oktober geben viel Schnee im Winter (Marienberg). — 779. Wie die Witterung im Oktober ist, wird sie auch im März sein (Lößnitz). — 780. Im Oktober sind die Pferde pober (Zschopau). — 781. Zu St. Gall (16. Okt.) bleibt die Kuh im Stall (Voigtsdorf). — 782. St. Gallen läßt den Schnee fallen (Annaberg). — 783. Urschel [Ursula; 21. Okt.] fei, hackt’s Kraut rei (Frohnau). — 784. Simon und Judith [28. Okt.] bringen den Winter mit (Annaberg).
November. 785. Geht die Gans zu Martini [11. Nov.] auf dem Eise, so geht sie zu Weihnachten auf dem Dreck (allg.) — 786. Geht die Gans zu Martini auf Dreck, so geht sie zu Weihnachten auf Eis (Lößnitz). — 787. Heut ist der Märts [Martini], nun kommt er [der Winter] gepärzt [schnell gerannt] (Annaberg). — 788. Andreasschnee [30. Nov.] treibt die Preise in die Höh’ (Marienberg).
December, Winter, Weihnachten: 789. Kommt die Feldmaus in’s Haus, ist der gelinde Winter aus (Marienberg). — 790. Große Windwehen, große Heuschober (Raschau). — 96. Neuer Schnee, neue Kälte (allg.). — 791. Grün Weihnacht’, weiß Ostern; weiß Weihnacht’, grün Ostern (allg.) — 792. Wenn es zu Weihnachten sieht wie Klee, hängen die Palmen [die Bäume am Palmsonntage] voller Schnee (Raschau). —793. Wenn es in der Christnacht schneit, geräth der Hopfen (Lößnitz), vgl. 20–24.
§ 94. b. Andere Zeitbestimmungen. Der Quatember: 794. Wie das Wetter am Quatember ist, so bleibt es in dem folgenden Vierteljahre (allg.). — 795. Wenn es zum Quatember regnet, so regnet es noch hundert Stunden, dann wird schönes Wetter (Ehrenfriedersdorf). — 796. Wo die Luft in der hundertsten Stunde nach dem Quatember herkommt, kommt sie das ganze Jahr her (Ehrenfriedersdorf). Bestimmte Wochentage: 797. Wenn es am 1. Sonntag im Neumond regnet, regnet es alle vier Sonntage (Raschau), vgl. § 18. — 798. Was der Sonntag will, bringt der Freitag (Marienberg), oder: wie der Freitag, so der Sonntag (Schneeberg).
Tageszeiten: 799. Morgenroth bringt Wind oder Koth (allg.). Dagegen: Abendrieth [Abendröthe] bringt schi [schönes] Wätter mit, oder: Abendroth ist ä guter Wetterbot (allg.). — 800. Wenn es in der Mittagsstunde zu regnen oder zu donnern anfängt, regnet es an dem Tage fort (Sosa).
§ 95. B. Erscheinungen an Naturdingen. a. Wolken, Regen, Thau etc.: 801. Spitze Wolken verkünden Regen. — 802. Wenn die Sonne Wasser zieht, kommt am folgenden Tage Regen (Raschau). — 803. Scheint die Sonne auf ’n nassen Busch, kommt bald ein anderer Husch [Regenschauer] (Schneeberg). — 804. Wenn ein Regenbogen entsteht, regnet es den anderen Tag wieder (Schwarzenberg). — 805. Wenn es, während ein Regenbogen am Himmel steht, regnet, so regnet es noch drei Tage hintereinander (Raschau). — 806. Kleiner Regen mag großen Wind legen (Annaberg). — 807. Ist der Regen wie Staub so fein, soll der Bote guten Wetters sein (Annaberg). — 808. Wenn es regnet und die einzelnen Tropfen bleiben an den Fensterscheiben hängen, so regnet es eine Zeitlang fort (Ehrenfriedersdorf). — 809. Wenn die Regentropfen, die in einen Teich oder überhaupt in stehendes Wasser fallen, Blasen bilden, so regnet es eine Zeitlang fort (Raschau). — 810. Der Regen, der bei Sonnenschein fällt, wird Mühlthau [Mehlthau] genannt und ist giftig; er schadet den Blüthen (Zschopau). — 811. Hat es über Nacht stark gethaut, so wird schönes Wetter (allg.).
§ 96. b. Thiere und Pflanzen: 812. Wenn sich der Hund auf dem Rücken herumwälzt, so folgt schlechtes Wetter (Raschau, Geiersdorf), vgl. § 21 a. — 813. Wenn der Hund oder die Katze Gras frißt, wird schlechtes Wetter (allg.). — 814. Wenn die Katze an den Stühlen kratzt, wird anderes Wetter (Raschau), vgl. § 21 d. — 815. Wenn die Kühe im Herbste viel in die Höhe schnaufen, so schneit es bald (Sosa). — 816. Wenn die Gänse sich früh baden, wird schönes Wetter,[S. 72] baden sie sich Nachmittags, schlechtes Wetter (Raschau). — 817. Wenn es regnet und die Gänse halten die Köpfe in die Höh’, so hört es bald wieder auf (Sosa). — 818. Wenn die Hühner hoch, d. i. auf Bäume oder Dächer fliegen, wird schlechtes Wetter (Raschau), vgl. § 22 h. — 819. Wenn es regnet und die Hühner treten unter, so regnet es fort, bleiben sie aber im Freien, so hört es bald wieder auf (Sosa). — 820. Wenn der Hahn auf den Gartenzaun fliegt, wird schönes Wetter (Breitenbrunn). — 821. Wenn die Hähne oft krähen, wird anderes Wetter (Raschau). — 822. Wenn der Hahn früh um 3 Uhr und Nachmittags kräht, so wird schönes Wetter, kräht er aber Vormittags, schlechtes (Raschau). — 823. Wenn sich die Tauben baden, wird schlechtes Wetter (Zschopau). — 824. Wenn die Schwalbe hoch fliegt, wird gutes Wetter, fliegt sie aber niedrig, auf der Erde oder auf dem Wasser hin, wird schlechtes Wetter (allg.), vgl. § 22 i. — 825. Wenn die Krähen über die Stadt oder das Dorf fliegen, wird schlechtes Wetter (Sosa). — 826. Wenn sich die Dohlen paaren, ändert sich das Wetter (Marienberg), vgl. § 22 f. — 827. Wenn die Fledermaus fliegt, wird gutes Wetter (Zöblitz). — 828. Wenn sich die Sperlinge im Staube baden, wird schlechtes Wetter (Schneeberg). — 829. Wenn die Frösche naß sind, regnet es nicht, wenn sie aber trocken sind, kommt Regen (Raschau, Sosa). — 830. Wenn die Spinne in ihr Netz geht, so wird schönes Wetter, zieht sie sich aber in ihren Schlupfwinkel zurück, so wird schlechtes Wetter (allg.), vgl. § 22 l. — 831. Wenn die Mücken säulenförmig spielen, wird schlechtes Wetter (Schneeberg).
832. Blüht der Weißdorn, so wird es warm, blüht der später blühende Schwarzdorn, so wird es kalt (Zschopau). — 833. Viel Kratzbeeren [Brombeeren], harter Winter (Lengefeld). — 834. Wenn das Haidekraut viel blüht, wird ein strenger Winter (Marienberg). — 835. Der Rettig früh Gift, Abends Arzenei (Raschau). Vgl. auch § 23.
[2] Diese § 82–88 enthaltene, genaue und bis in das Einzelne gehende Auseinandersetzung über Kleidung, Wohnung, Kost etc. des Landmannes im Obergebirge wählten wir, um, abgesehen von der kulturhistorischen Bedeutung gerade dieses Standes, dem Fernstehenden ein wahres und vollständiges Bild von dem „gebirgischen Bauer“ zu geben. Da derselbe bezüglich seines Lebens und seiner Einrichtungen in Wort und Schrift (so selbst in dem sonst trefflichen Buche von Sigismund, s. bei § 70) noch immer entschieden zu ungünstig beurtheilt wird.
§ 97. Hausbau und Hochzeit, Taufe und Begräbniß sind, abgesehen von den dabei stattfindenden Schmausereien, mit mancherlei Gebräuchen und Sitten ausgestattet. Vgl. § 44–46.
1. Hausbau. 836. Ist der Dachstuhl aufgesetzt, so wird das Haus gehoben. Der Besitzer ladet Freunde, Nachbarn u. s. w. ein, ihm das Haus heben zu helfen. Die Bauleute schmücken ein Tannen- oder Birkenbäumchen mit bunten Tüchern und Sträußen und befestigen dasselbe an der Giebelspitze des Daches. Hierauf versammeln sie sich in sonntäglichem Anzuge sammt den Gästen des Bauherrn. Der Baumeister oder der Obergeselle besteigt den First und hält von der Höhe herab eine kurze Ansprache. Am Schlusse derselben trinkt er auf das Wohl des Besitzers und seiner Familie und wirft das geleerte Glas herunter. Zerbricht es, so ist es ein günstiges Anzeichen, bleibt es ganz, so bedeutet es Brand- oder anderes Unglück (vgl. 229 u. 887). Die ganze Versammlung singt hierauf das Lied: Nun danket Alle Gott. Mahl (der „Hebeschmaus“) und Tanz beschließt die Festlichkeit.
2. Hochzeit. 837. Die Brautleute werden von Verwandten und Freunden mit Geschenken, mit einem Hausrath, bedacht (allg.). — 838. Der Kutscher, der das Brautpaar zur Kirche führt, bekommt ein buntes Tuch an den Rock gesteckt (Mildenau). — 839. Während das Brautpaar auf dem Weg zur Kirche ist, sowie bei der Rückkehr aus derselben, wird mit Pistolen, Böllern u. s. w. geschossen (Geiersdorf, Schwarzbach). — 840. Auf dem Wege zur Kirche wird das Brautpaar mit getheerten Stricken angehalten und muß sich mit Geld lösen (Zschopau). — 841. Bei dem Hochzeitsschmaus darf die Brautsuppe nicht fehlen (Grünstädtel) und nur Ein Glas wird auf den Tisch gesetzt (Mildenau). — 842. Während des Tanzes suchen die junge Burschen die Braut zu „rauben“: gelingt es, so wird der unachtsame Bräutigam durch Hohngelächter gestraft (Schneeberg). — 843. Der Brautkranz wird der Braut unter Scherzreden abgenommen und sie statt dessen mit einer Haube geschmückt, während der Bräutigam hie und da mit einer Zipfelmütze beglückt wird. — 844. Nachdem der Braut der Kranz abgenommen ist, werden ihr die Augen verbunden und ihr der Kranz in die Hand gegeben. Hierauf bilden ihre Freundinnen einen Kreis und tanzen um sie herum. Welchem Mädchen die Braut mit verbundenen Augen den Kranz hinreicht, dieses ist die nächste Braut (Schneeberg). — 845. Wenn das junge Ehepaar auf dem sogenannten Kammerwagen, der die Ausstattung der Braut enthält, aus dem Dorfe fährt, so werden sie aufgehalten, indem man zwei Rechen zusammenbindet und über den Weg hält (Zschopau), oder ein buntes Band in der Mitte mit einem Herzchen verziert (Schwarzbach),[S. 73] davor zieht. Die Gehemmten müssen sich mit einem Geldstück lösen. — 846. Noch gedenken wir eines Gebrauchs in Annaberg, der seit der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Wegfall gekommen ist: Vor dem Hochzeitshaus wurde gegen eine Abgabe von 1 Thlr. 14 Ggr. an die städtische Kasse, die „Hochzeitsküche“, eine Art Bude, in der die Speisen zubereitet wurden, aufgeschlagen. Diese Abgabe mußte bezahlt werden, auch wenn diese Küche nicht beansprucht wurde.
§ 98. 3. Taufe. 847. Sind die Pathen in der Kirche angelangt, oder mit dem Täufling wieder daheim angekommen, so stecken sie dem Kinde den „Pathenbrief“ mit einer Denkmünze oder einem Geldstück in das Einbindebett (vgl. 888). — 848. Wenn die Gevattern aus der Kirche in das Haus zurückkehren, so kommt ihnen der Kindtaufsvater mit der Branntweinflasche entgegen und „schenkt“ Jedem einmal (Schwarzbach). — 849. Bei dem Kindtaufsessen sitzen die Gevattern oben an. — 850. Das „Liebereigeben“ in Ehrenfriedersdorf: Wenn die Gäste beim Kindtaufsschmause sitzen, wobei die beiden Gevattersbursche die Gevattersjungfrau in der Mitte haben (wenn das Kind ein Knabe ist; ist das Kind ein Mädchen, so sitzt der Gevattersbursche obenan und zu seinen Seiten die beiden Gevatterinnen), so nehmen jene, nach einer kurzen einleitenden Ansprache der Hebamme, die zugleich den Ceremonienmeister macht, je ein gefülltes Bierglas, welches mit einem Teller bedeckt ist und trinken ihrer Mitgevatterin mit den Worten zu: „Prost auf die Lieberei.“ Diese antwortet: „Wohl bekomm’s auf die Lieberei.“ Die Wechselreden auf die „Lieberei“ werden nun eine Zeitlang unter Witz und Scherz fortgesetzt, bis endlich unversehens das Mädchen ein Geschenk (z. B. eine Porzellanfigur oder dergl.) auf einen Teller legt. Dies befriedigt jedoch die jungen Leute nicht, und daher wird der Wettstreit fortgesetzt, bis die Gevatterin ein Geschenk bietet, das den Erwartungen entspricht, z. B. eine Tasse. Als Gegengeschenk empfängt die Gebende eine Zuckerdüte. — 851. Während der Taufmahlzeit geben die weiblichen Pathen dem Mitgevatter ein Geschenk, z. B. eine seidene Weste. Dafür bezahlt dieser die „Auflage“ (d. h. einen Beitrag zur Schulkasse oder zu anderen Zwecken, der gewöhnlich mittelst eines herumgehenden Tellers einkassirt wird) für seine Gevatterinnen (Schwarzbach). — 852. Die Taufe wird bei Familien der höheren Stände meist im Hause vollzogen, bei bürgerlichen Familien geschieht dies jedoch nur im Nothfall. — 853. Wir lassen die Beschreibung eines Tauffestes, wie es etwa in einer Bürgerfamilie Annabergs vor ohngefähr 30 Jahren gehalten wurde, folgen. Der Hauptsache nach herrschen auch jetzt noch dieselben Gebräuche. Gewöhnlich wurde gleich im Gevatterbrief, welchen jedesmal die Hebamme oder „Wehfrau“ brachte, zum Essen eingeladen und man bemaß darnach die Eingebinde und Geschenke. Nach beendigtem Nachmittagsgottesdienst, oder in der Woche um 3 Uhr, wurden die zwei Nebengevattern in die Kirche gefahren, der oder die Pathe aber zur Abholung des Täuflings in das Kindtaufshaus. Nach beendigter Taufe fuhren alle mit dem Täufling nach Hause, wo zunächst Kaffee und Kuchen servirt wurden. Dieser Kuchen war sehr gut und drei bis vier Finger hoch, weshalb er „dicker Kuchen“ genannt wurde. Während des Kaffee’s wurden die Kinder der Pathen und der übrigen Gäste, die sogenannten „Zupfgäste“, spazieren gefahren. Nach deren Zurückkunft fuhr man die weiblichen Gevattern nach Hause, um sich umzukleiden, während die männlichen im Taufhause blieben und sich bei Bier und Tabak (letzterer lag auf einem zinnernen Teller und wurde aus Thonpfeifen geraucht) unterhielten. Nach der Rückkehr der Frauen und Jungfrauen blieb die Gesellschaft beisammen und vertrieb sich die Zeit bis zum Abendessen auf mannichfaltige Weise. Neuerdings ist es Sitte, nach dem Kaffee durch die gemeinsame Fahrt nach einem der Dorfwirthshäuser wo Tanz ist, namentlich nach Sehma, die Zeit sich zu verkürzen. Das Abendessen bestand entweder in gebratener Schweinskeule mit Sauerkraut, oder in gekochten Schinken mit Pflaumen, Preiselsbeeren, Hagebutten mit Rosinen, oder mit Salat; auch Karpfen mit Krautsalat oder Rindfleisch mit gedämpfter Brühe, Rosinen und Mandeln waren gebräuchlich. Als Zukost gab man Semmeln oder Brodchen, die man wohl auch aushöhlte und mit Hagebutten, Rosinen oder gebackenen Pflaumen sammt der Brühe füllte und an die kleinen Zupfgäste vertheilte. Nach dem Essen wurden Pfänder- oder andere Gesellschaftsspiele vorgenommen und nach Mitternacht wieder Kaffee und Kuchen aufgetragen. — Am Tage nach der Kindtaufe erhielt jeder Gevatter ein Viertel „dicken Kuchens“ in das Haus geschickt. Sehr gewöhnlich war es, daß die Gevattern am nächsten Sonntag einen Wochenbesuch machten, wo wieder Kuchen und Kaffee und gegen Abend Butterbrod mit kalter Küche vorgesetzt wurde.
854. Bei der Taufe, als dem Feste der Namensgebung, gedenken wir noch der sehr verbreiteten Sitte der sogenannten „Spitznamen.“ Es wird bei diesem meist der Taufname (natürlich im Volks[S. 74]dialekt) dem Familiennamen angehängt, z. B. „Richterlieb“ (Gottlieb Richter). Hat nun dieser Richterlieb einen Sohn Karl, so heißt dieser „Richterliebkarl“ und dessen Sohn Gottfried wird nun „Richterliebkarlfried“ oder mit Hinweglassung des großväterlichen Taufnamens „Richterkarlfried“ genannt. Andere Beispiele sind: „Hansenfritzenkarlfried“, „Bachfritzkarl“, „Bauerhanscordel“, vgl. 858 u. 859. — Andere Spitznamen leiten sich von dem Stande oder dem Namen der Wohnung ab. Z. B. es wohnt Jemand in einer Mühle, die „Sorge“ genannt, so wird er der „Sorgenmüller“ genannt, auch wenn er gar nicht Müller heißt, oder bestimmter, wenn sein Taufname Karl ist, der „Sorgenmüllerkarl“. Sein Sohn, der vielleicht August heißt, wird als „Sorgenmüllerkarlgust“ bezeichnet, auch wenn er einen andern Beruf, als sein Vater gewählt hat. — „Schneiderliebgust“ ist der Sohn August des Schneiders Gottlieb N. N. — Auch von anderen Umständen und Verhältnissen wird der Spitzname entnommen, z. B. hat Jemand die Gewohnheit nur fuchsfarbige Pferde zu halten, so nennt man ihn selbst Fuchs und hängt den Taufnamen dazu, also „Fuchsdavid“, seine Tochter Auguste heißt „Fuchsdavidguste“ u. s. w.
4. Begräbniß. Bezüglich der Leichenbegängnisse sind uns keine eigenthümlichen Gebräuche mitgetheilt worden. Denn die folgenden sind allgemein verbreitet: 855. Der Schulmeister begiebt sich mit der erwachsenen Schuljugend, deren Einer das Kreuz vorträgt, unter dem Geläute Einer Glocke zur bestimmten Stunde, gewöhnlich Nachmittags 1 Uhr, in das Trauerhaus. Dort werden einige Lieder aus dem „Sterbebüchel“ und zuletzt eine Arie gesungen. Dann setzt sich der Zug nach dem Gottesacker in Bewegung (Geiersdorf). — 856. Ist der Sarg in das Grab gelassen, so werfen die Angehörigen je drei Hände voll Erde darauf (allg.). — 857. Beim Begräbniß eines Soldaten, der einen Feldzug mitgemacht hat, wird von den begleitenden Kameraden über das Grab geschossen (Marienberg). — Ueber Leichenbegängniß und Begräbniß in Annaberg vgl. der Gottesacker zu Annaberg (Annaberg, 1860), S. 140 ff.
§ 99. Lieder und Reime im obererzgebirgischen Volksdialekt.
1. Weihnachten.
Folgende zwei Weihnachtsgedichte erläutern vielfach das oben §§ 5 und 6, sowie 49 und 50 Angeführte. Beide sind Volkslieder. Vergl. auch: Simrock, deutsche Weihnachtslieder, Leipzig, 1859.
858. Weihnachts heiliger Ohmd[3].
’n Hammer sei Liedel.
(Aus Marienberg mitgetheilt.)
[3] Ohmd, Abend.
[4] Döbes, Töps, Lärm.
[5] Kinner, Kinder.
[6] klahns, kleines.
[7] Gesprüchel, Spruch.
[8] Tahfet, Taffent.
[9] zammgepitzelt, zusammengeschnitzelt.
[10] Schwarzbersträuchla, Schwarzbeerensträuche, Heidelbeerkraut.
[11] kladen, kleiden.
[12] tähng, tauchen, nützen.
[13] rähng, rauchen.
[14] Porzelih, Porzellan.
[15] nogert, hernach.
[16] hutzen, Zu den Nachbarn auf Besuch gehen.
[17] Greten, Kröten, schmeichelndes Schimpfwort.
[18] Gesinnel, Gesindel.
[19] löd’ger, lediger.
[20] Poß, junger Bursch.
[21] wunnerlich, wunderlich, sonderbar.
[22] kane, keine.
[23] morn’g, morgen.
Gedicht von verw. Frau v. Elterlein in Schwarzenberg, geb. Benckert aus Annaberg.
[24] Lächter, Leuchter.
[25] Satt, sehet.
[26] Tüppel, Töpfchen.
[27] Kahr, Karl.
[28] Scherbel, kleine Scherben.
[29] Lott’, Charlotte.
[30] Hühnersteig, Hühnerhorde, worin während des Winters Hühner in der Stube sich mit aufhalten.
[31] Lob, Gottlob.
[32] raffel, raschle.
[33] s’ist, sonst.
[34] Krienerts, Kreuzschnabel.
[35] Karlin, Karoline.
[36] geploocht, geplagt.
[37] ale, alte.
[38] ader, aber.
[39] derfu, davon.
[40] Ghunge, Jungen.
[41] Räspel, Räuspel, Räuber am Licht.
[42] bedett, bedeutet.
[43] Wei, Wein.
[44] Mah. Mann.
[45] Tohzen, Tatzen, starke Hände.
[46] Hanne Lieb, Johannes Gottlieb.
[47] ’noch, hernach.
[48] mer, wir.
[49] erle’m, erleben.
2. Neujahr (vgl. 586).
Ein verbreiteter Scherzreim, namentlich auf dem Lande, ist folgender:
3. Fastnacht.
Wenn die Kinder „Spießeinrecken“ gehen (vgl. 66), singen sie folgende Liedchen:
4. Johannistag.
Beim Umtanzen des Johannisbaumes (vgl. 148) wird folgendes Liedchen gesungen. Simrock, das deutsche Liederbuch, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1857, führt unter Nr. 823 u. 824 ähnliche Lieder an. Auf das angeführte Buch desselben verweisen wir auch bezüglich der bei den Spielen der Kinder im Obererzgebirge gebräuchlichen Auszählverse, sowie anderer Kinderverschen.
5. Heidelbeerlieder.
Bei der Rückkehr vom Sammeln der „Schwarzbeeren“ sind folgende Liedchen gebräuchlich. Vergl. 640 und Simrock, Kinderbuch, Nr. 646.
[50] schlät, schlägt.
[51] volle, voll.
[52] Hinnre, der Hintere, der zuletzt Stehende.
[53] sin’n, seinen.
[54] Wachtelhaus, Käfig einer Wachtel.
6. Hirtenlieder.
Bei dem Hüten des Viehes lassen die „Kühjungen“ lautschallende Lieder ertönen. — Die unter Nr. 874 und 875 ausgeführten Reime sind zu Michaelis gebräuchlich, von wo an der Hirt, wie bereits (642) erwähnt, „über und über“ hüten darf.
[55] verreckt, krepirt, gestorben.
[56] Dieses Lied findet sich fast gleichlautend bei Simrock, das deutsche Kinderbuch, Nr. 492.
[57] Mähren, Möhren.
[58] Geiselstäcken, Peitschenstecken.
[59] fruh, froh.
[60] leed, leid, bange.
[61] Weed, Weide.
7. Kaffeelieder.
Bei der Vorliebe des Obererzgebirgers für den Kaffee ist es begreiflich, daß er denselben auch poetisch verherrlicht hat und diese Lieder bei seinen Kaffeefesten (vgl. 646) anstimmt.
8. Kirmeß.
Zur Kirmeß (vgl. § 88), sowie auch zum Erntefeste und zu Weihnachten, ist es Sitte, daß ärmere Kinder von Haus zu Haus „Kuchensingen“ gehen, wobei sie die Nr. 882–886 verzeichneten Liedchen anstimmen; die Kühjungen gehen wohl auch „Kuchenklatschen“, d. h. sie geben durch Peitschenknallen ihre Wünsche zu erkennen. Außerdem ist (879) noch ein Kirmeßliedchen, eine scherzhafte Kirmeßeinladung(880), sowie ein auf dieses Fest bezügliches Sprüchwort (881) mitgetheilt.
[62] Simrock, Kinderbuch, führt Nr. 474 fast dieselben Reime an, fügt aber noch hinzu:
[63] Gälen, gelben Kuchen, d. i. Käse- oder Gießkuchen.
9. Hausbau.
Wenn beim Heben eines Hauses der Baumeister seine Rede vollendet hat, wirft er das Glas (vgl. 836) mit folgenden Worten herunter:
10. Taufe.
Bei dem Hineinstecken des Pathengeschenkes in das Einbindebettchen (vgl. 847) ist folgendes Verschen gebräuchlich:
11. Der Besenbinder.
Folgendes Volkslied, ein Wechselgesang, wurde uns aus Arnsfeld mitgetheilt. Beim Singen wird die je zweite Zeile wiederholt, außerdem noch die drei letzten Sylben jeder Zeile.
Dresden. Druck von C. C. Meinhold & Söhne. Königl. Hofbuchdruckerei.