The Project Gutenberg eBook of Auf verbotenen Wegen: Reisen und Abenteuer in Tibet This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Auf verbotenen Wegen: Reisen und Abenteuer in Tibet Author: Arnold Henry Savage Landor Illustrator: Georg Baus Release date: March 24, 2022 [eBook #67700] Language: German Original publication: Germany: F. A. Brockhaus Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK AUF VERBOTENEN WEGEN: REISEN UND ABENTEUER IN TIBET *** Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. [Illustration: Februar 1897.] [Illustration: Oktober 1897. Der Verfasser vor und nach seiner Reise.] ~HENRY S. LANDOR~ Auf verbotenen Wegen Reisen und Abenteuer in Tibet Mit 69 Abbildungen, 5 Chromotafeln und einer Karte * Zehnte Auflage [Illustration] Leipzig / F. A. Brockhaus / 1923 Einband- und Vorsatzentwurf von Georg Baus, Leipzig. Vorwort. In diesem Buche habe ich den Bericht über eine Reise nach Tibet niedergelegt, die von mir während des Frühjahrs, Sommers und Herbstes 1897 ausgeführt worden ist. Der Bericht ist teils nach Photographien, teils nach Skizzen, die ich an Ort und Stelle aufgenommen habe, illustriert. Nur die Folterungsszenen hatte ich aus dem Gedächtnis zu zeichnen; man wird mir aber zugeben, daß diese Eindrücke in mir lebendig genug bleiben konnten! Die Karte ist nach meinen Aufnahmen entworfen, die sich im eigentlichen Tibet auf ein Gebiet von über 22000 Quadratkilometer erstrecken. Die Höhen von indischen Gipfeln wie Nanda Dewi und Trisul sind der trigonometrischen Landesvermessung entnommen, ebenso die astronomisch festgelegten Anfangs- und Endpunkte meiner Aufnahme an den Stellen, wo ich Tibet betrat und verließ. In der Schreibweise geographischer Namen folgte ich dem System der ~Royal Geographical Society~, die Laute genau so wiederzugeben, wie sie an Ort und Stelle gesprochen werden. In aller Bescheidenheit bezeichne ich als geographische Ergebnisse meiner Reise: Die Entscheidung der noch offenen Frage, ob der Mansarowar-See und der Rakastal wirklich voneinander getrennt sind. Die Ersteigung einer Höhe von 6700 Meter und die photographische Aufnahme einiger großer Himalajagletscher. Den Besuch und die Festlegung der zwei Hauptquellen des Brahmaputra, die vor mir von keinem Europäer erreicht worden sind. Endlich die Tatsache, daß ich mit nur zwei Mann Begleitung in dem bevölkertsten Teil von Tibet reisen konnte. Im Anschluß an Obiges freue ich mich mitteilen zu können, daß infolge meiner durch die »~Daily Mail~« weitverbreiteten Berichte über die auf britischem Boden sich abspielenden Schändlichkeiten der Tibeter die indische Regierung in diesem Jahre den tibetischen Behörden zu verstehen gegeben hat, daß es ihnen in Zukunft nicht mehr gestattet sein wird, Grundsteuer von britischen Untertanen zu erheben. Dies ist mir eine besondere Genugtuung wegen der außerordentlichen Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit, die mir die bergbewohnenden Schokas erwiesen haben. September 1898. =H. S. L.= Inhalt. Seite _Vorwort_ 3 _Erstes Kapitel_. Zum Himalaja 9 _Zweites Kapitel_. Unter den Waldmenschen 19 _Drittes Kapitel_. Berggeister 29 _Viertes Kapitel_. Die ersten Schokas 35 _Fünftes Kapitel_. Eine Teevisite 42 _Sechstes Kapitel_. Übergriffe der Tibeter 50 _Siebentes Kapitel_. Als Gast unter den Schokas 58 _Achtes Kapitel_. Der erste tibetische Spion 66 _Neuntes Kapitel_. Aus dem Leben der Schokas 72 _Zehntes Kapitel_. Abschied von Indien 79 _Elftes Kapitel_. Zum Dach der Welt 88 _Zwölftes Kapitel_. Im Schnee begraben 98 _Dreizehntes Kapitel_. Der Einmarsch in Tibet 106 _Vierzehntes Kapitel_. Die Grenzwachen 112 _Fünfzehntes Kapitel_. Der Tarjum von Barka 121 _Sechzehntes Kapitel_. Ein rascher Entschluß 127 _Siebzehntes Kapitel_. Die Flucht aus dem Teufelslager 135 _Achtzehntes Kapitel_. Das Schreckenslager 143 _Neunzehntes Kapitel_. Ein Mordanschlag 151 _Zwanzigstes Kapitel_. Der Teufelssee und der Heilige See 160 _Einundzwanzigstes Kapitel_. Unter den Räubern 166 _Zweiundzwanzigstes Kapitel_. Am Mansarowar 174 _Dreiundzwanzigstes Kapitel_. In der Lamaserei 180 _Vierundzwanzigstes Kapitel_. Die Lamas 189 _Fünfundzwanzigstes Kapitel_. Tibetische Heilkunst 196 _Sechsundzwanzigstes Kapitel_. Räuber 206 _Siebenundzwanzigstes Kapitel_. Die letzten Getreuen 216 _Achtundzwanzigstes Kapitel_. Ungebetene Gäste 225 _Neunundzwanzigstes Kapitel_. Auf dem Boden Gottes 233 _Dreißigstes Kapitel_. Ein gefährlicher Flußübergang 239 _Einunddreißigstes Kapitel_. Im Zeltlager 244 _Zweiunddreißigstes Kapitel_. Heirat und Tod 251 _Dreiunddreißigstes Kapitel_. Das Moskitolager 258 _Vierunddreißigstes Kapitel_. Ein harter Schlag 266 _Fünfunddreißigstes Kapitel_. Gefangen 273 _Sechsunddreißigstes Kapitel_. Das Verhör 279 _Siebenunddreißigstes Kapitel_. Hoffnungslos 287 _Achtunddreißigstes Kapitel_. Ein qualvoller Ritt 295 _Neununddreißigstes Kapitel_. Die Folterung 301 _Vierzigstes Kapitel_. Ein Fluchtversuch 307 _Einundvierzigstes Kapitel_. Der Tanz des Pombo 315 _Zweiundvierzigstes Kapitel_. Plötzliche Wendung meines Schicksals 320 _Dreiundvierzigstes Kapitel_. Wieder bei den Freunden 327 _Vierundvierzigstes Kapitel_. In die Heimat 336 _Register_ 342 Abbildungen. Textbilder. Seite Mein chinesischer Paß 11 Mein treuer Begleiter Tschanden Sing 15 Der Lehrer von Pungo 39 Tötung des geopferten Jaks 77 Junger Tibeter 213 Jak mit Instrumentenkisten 219 Tibetische Flinte mit Gabelstütze 231 Tibetischer Hund 241 Tibetisches Zelt 245 Tibeterin mit Tschukti 249 Tibetisches Lastschaf 261 Alte Tibeterin 263 Eine gründliche Labung 269 Gefangen! 275 Der Pombo 283 Meine Handschellen 293 Sattel mit Stacheln 297 Tibetischer Bannerträger 299 Ein Reiter aus meiner Wache 323 Einschaltbilder. Seite Der Verfasser vor und nach seiner Reise Titelbild Unter den Waldmenschen 16 Tschai-Lek-Paß 17 Der Nerpanipfad 17 Schokahäuser 32 Auf dem Weg zum Rambang 32 Gefährliche Rutschpartie 33 Schneebrücke über den Kutifluß 48 Die gefährlichste Stelle am Kali 49 Die Tschongurbrücke vor der Zerstörung 64 Die Photographie, die den Tod des Kindes verursachte 64 Der Verfasser und seine zwei treuen Gefährten 65 Man Sing, der Aussätzige 80 Wilde Esel 80 Aufstieg zum Lumpiyapaß 81 Verdächtige Fußtapfen! 96 Begrüßung des heiligen Berges Kelas 97 Verhandlung mit dem Tarjum von Barka 112 Im Schreckenslager 113 Plötzliche Unterwürfigkeit der Banditen 128 Teufelssee mit Kelas (im Hintergrund der Mansarowar) 129 Meine zwei schwarzen Jake 144 Lamakloster in Tucker 145 Tibetische Wahrsagerin. Chromotafel nach Aquarell von H. S. Landor 169 Räuber 176 Eingang in den Lamatempel von Tucker 176 Unser Lager im Schutze einer Felswand mit der Inschrift: »~Om mani padme hum~« 177 In strömendem Regen 192 »Ich bin nur ein Abgesandter« 193 Zeltaltar 193 Der Gunkyosee 208 Im Innern eines tibetischen Zeltes 209 Tibetische Weiber und Kinder 224 Frau aus Lhasa 225 Flatternde Gebete auf dem Maium-Paß. Chromotafel nach Aquarell von H. S. Landor 232 »Ich gebe dir dies, damit du zurückgehst« 240 Tibetisches Wachthaus 240 Der verhängnisvolle Pferdekauf 241 Wir werden zum Verhör geschleppt 256 Tschanden Sing wird von den Lamas gepeitscht 257 Nerbas Mordanschlag 272 Die Lamas mit den Folterwerkzeugen 272 Quälerischer Sport meiner Wache 273 Grausames Spiel 288 In der Streckfolter 288 Der tanzende Pombo 289 Finale des Tanzes 289 Die Folter mit dem glühenden Eisen. Chromotafel nach Aquarell von H. S. Landor 297 Bettelmusikanten 304 Unser plötzlicher Angriff auf die tibetische Wache 305 Höhlendorf Dagmar 320 Soldat, ein Schaf durch Ersticken tötend 321 Der Unglücksprophet 321 Die Festung Taklakot. Chromotafel nach Aquarell von H. S. Landor 329 Der Tarjum von Toktschim. Chromotafel nach Aquarell von H. S. Landor 336 Karte. Südwestliches Tibet nach eigenen Aufnahmen von H. S. Landor, 1897, Maßstab 1 : 1000000. Mit einer Nebenkarte: Übersichtskarte zu H. S. Landors Reise. Maßstab 1 : 12500000. Erstes Kapitel. Zum Himalaja. Als ich London verließ, beabsichtigte ich, über Deutschland nach Rußland zu gehen, das russische Turkestan, Buchara und das chinesische Turkestan zu durchqueren und von dort aus Tibet zu betreten. Die russische Regierung hatte mir bereitwilligst die Erlaubnis gewährt, daß meine Feuerwaffen, Munition, Vorräte, photographischen Apparate, Vermessungs- und andern wissenschaftlichen Instrumente zollfrei durch ihr Gebiet befördert würden, sie hatte mich überdies benachrichtigen lassen, daß mir gestattet sein solle, die Militäreisenbahn durch Turkestan bis zu ihrer Endstation Samarkand zu benutzen. Die Benutzung jener Route würde mir wahrscheinlich viel von den Leiden und Enttäuschungen erspart haben, die ich auf dem Wege durch Indien zu erdulden hatte. Ich war mit Empfehlungsbriefen und Beglaubigungsschreiben seitens des Marquis of Salisbury, der Naturhistorischen Abteilung des Britischen Museums usw. versehen, führte wissenschaftliche Instrumente der ~Royal Geographical Society~ mit mir und war im Besitze eines englischen und zweier chinesischen Pässe. Nachdem ich alle meine Explosivstoffe auf einem Munitionsschiffe nach Rußland abgesandt hatte (die deutschen Eisenbahnen weigerten sich entschieden, Patronen zu befördern), erfuhr ich wenige Tage vor meiner Abreise von London zu meinem größten Schrecken, daß der Dampfer gerade vor dem Einlaufen in seinen Bestimmungshafen Schiffbruch erlitten habe und daß man ernstliche Zweifel hege, ob es überhaupt möglich sein werde, auch nur einen Teil der Ladung zu retten. Gerade in jenen Tagen erfolgte der Ausbruch des Griechisch-Türkischen Krieges, und die Zeitungen berichteten, daß die Russen ihre Truppen längs der afghanischen Grenze mobilisierten. Trotzdem wollte ich meine Reise nicht aufschieben. Obgleich ich alle meine Vorkehrungen für den Weg durch Rußland getroffen und beendet hatte, entschloß ich mich, diesen Plan aufzugeben und zunächst nach Indien zu gehen, um von dort über den Himalaja nach Tibet vorzudringen. So schiffte ich mich denn am 19. März 1897 auf dem Dampfer »Peninsular« ein und langte drei Wochen später in Bombay an. Es war das erstemal, daß ich nach Indien kam, und mein erster Eindruck war gerade kein vorteilhafter. Die Hitze war furchtbar; überall machten sich Anzeichen der Pest bemerkbar. Die Straßen waren verödet und die Hotels schlecht und schmutzig infolge des Mangels an Dienstboten, die die Stadt aus Furcht vor der Seuche verlassen hatten. In Begleitung eines befreundeten Parsen begab ich mich in mehrere der von dieser Geißel am meisten heimgesuchten Stadtteile: aber überall, wohin ich auch kam, war außer einem starken Geruche nach Desinfektionsmitteln wenig von der Pest zu bemerken. Freilich gab es nur wenige Häuser, die nicht mit zehn, zwanzig und noch mehr roten Kreisen zur Angabe der Anzahl der Todesfälle bezeichnet waren; an einer Tür, die ich photographierte, zählte ich sogar nicht weniger als 49 solcher Zeichen. Ich war aber nicht imstande, persönlich über die Natur der Seuche mit irgendwelcher Sicherheit zu urteilen, außer daß ich in den Hospitälern einige bösartige Fälle von Beulenpest sah. Gleich am Tage nach meiner Ankunft in Bombay fuhr ich mit der Eisenbahn weiter nach Bareli, das ich in drei Tagen erreichte; von dort brachte mich noch eine Nachtfahrt nach Kathgodam, dem Endpunkte der Bahnlinie. Teils im Tonga, einem zweiräderigen, von zwei Pferden gezogenen Wagen, teils zu Pferd, gelangte ich nach Naini-Tal, einer Station in den Vorbergen des Himalaja, dem Sommersitze der Regierung der Nordwestprovinzen und von Oudh. Von hier aus schrieb ich an den Stellvertreter des Gouverneurs und benachrichtigte ihn von meiner Absicht, nach Tibet vorzudringen. Ich machte auch dem dortigen Regierungsbevollmächtigten meine Aufwartung und teilte ihm meine Pläne ausführlich mit. Es ist bemerkenswert, daß keiner der beiden Herren gegen die von mir geplante Reise in das »heilige Land der Lamas«, der buddhistischen Priester Tibets, auch nur den geringsten Einwand erhob. Ich wußte, daß von Naini-Tal aus, das 1953 Meter über dem Meer liegt, mein ganzes Gepäck von Kulis transportiert und deshalb in gleichmäßige Lasten verteilt werden müsse, von denen keine das Gewicht von 25 Seer (etwa 23 Kilogramm) übersteigen dürfe. Instrumente, photographische Platten und alle andern leicht zu beschädigenden Gegenstände verpackte ich in Kisten eigener Erfindung, die ich speziell für einen Transport eingerichtet hatte, bei dem mit den Sachen nicht gerade schonend umgegangen wird. [Illustration: Mein chinesischer Paß.] Solche Kisten aus gut ausgetrocknetem Holze, die sorgfältig zusammengefügt, mit Zink ausgeschlagen und mit einer eigens von mir zubereiteten Lösung imprägniert und dadurch wasser- und luftdicht gemacht waren, konnten zu den verschiedensten Zwecken verwendet werden. Einzeln konnten sie als Sitz dienen; zu vieren in eine Reihe gestellt, gaben sie eine Bettstelle ab; drei waren als Stuhl und Tisch verwendbar, und vier, auf bestimmte Art verbunden, lieferten schnell ein Boot von solider und bequemer Konstruktion, mit dem man einen nicht zu durchwatenden Fluß passieren oder Lotungen im ruhigen Gewässer eines Sees vornehmen konnte. Auch als Badewannen für mich und für meine Leute, wenn ich diese zu solchem Luxus würde überreden können, ließen sie sich verwenden, sowie ferner zum Entwickeln meiner photographischen Negative und zum Waschen der Platten. Ich stellte mir sogar vor, daß sie mir im Notfall in wasserlosen Wüsten, wenn ich solche zu passieren haben würde, auch als Wasserfässer gute Dienste leisten würden. Vollgepackt bildete jede dieser Kisten genau eine Kulilast, und je zwei ließen sich bequem mit Riemen und Ringen auf beiden Seiten eines Packsattels befestigen. Nur der Stärke und Dauerhaftigkeit dieser Kisten hatte ich es zu verdanken, daß trotz des vielen Rüttelns und Schüttelns, das sie aushalten mußten, meine Photographien und Zeichnungen sowie meine Karten und Instrumente in keiner Weise beschädigt wurden, -- bis wir in die Hände der Tibeter fielen. Mein Proviant war von der Bovril-Company nach meinen eigenen Angaben hergestellt worden, mit besonderer Rücksicht auf das strenge tibetische Klima und die beträchtlichen Höhen, in die wir gelangen würden. Die mitgeführten Nahrungsmittel enthielten daher einen bedeutenden Prozentsatz an Fett und Kohlenhydraten, waren leicht verdaulich und geeignet zur Erhaltung der Körperkräfte selbst in Augenblicken ungewöhnlicher Anstrengung. Ich hatte sie in Zinkkisten und Lederbeutel verpacken lassen. In einer wasserdichten Kiste führte ich 1000 Patronen für mein Repetiergewehr System Mannlicher mit, außerdem 500 Patronen für meinen Revolver; dazu eine Anzahl von Jagdmessern, Werkzeuge zum Abbalgen von Tieren, Drahtfallen verschiedener Größe zum Fangen von kleinen Säugetieren, Schmetterlingsnetze, Flaschen zur Aufbewahrung von Reptilien in Alkohol, sowie andere zum Töten von Insekten mittels Zyankalium, einen Vorrat von Arsenikseife, Knochenzangen, Skalpelle und andere für den Sammler naturhistorischer Gegenstände notwendige Gerätschaften. Zu meiner Ausrüstung gehörten überdies drei photographische Apparate mit 158 Dutzend Trockenplatten und dem ganzen Zubehör zum sofortigen Entwickeln, Fixieren usw. der Negative. Das Material zum Sammeln war mir von der Naturhistorischen Abteilung des Britischen Museums geschenkt worden, der ich alle Tiere und Pflanzen, die ich auf meiner Reise sammeln würde, versprochen hatte zu übergeben. Ich besaß zwei vollständige Ausrüstungen von Instrumenten für astronomische Beobachtungen und für topographische Aufnahmen, von denen die eine mir von der ~Royal Geographical Society~ geliefert worden war: unter anderm einen sechszölligen Sextanten, ein Instrument zur Höhenmessung mit Siedepunkt-Thermometern, die eigens für sehr große Höhen konstruiert waren; zwei Aneroidbarometer, eins für 6000 Meter, das andere für 7500 Meter; drei künstliche Horizonte (einer mit Quecksilber, die andern aus Spiegelglas mit Wasserwagen), ein starkes Fernrohr mit astronomischem Okular und Stativ, einen prismatischen, einen leuchtenden, einen schwimmenden und zwei Taschenkompasse; Maximum- und Minimumthermometer, einen Kasten mit Zeichengerät; Transporteure, Winkel und Bandmaße, ein silbernes wasserdichtes Halbchronometer und drei andere Uhren, Millimeterpapier in Büchern und großen Bogen, einen Raperschen sowie den Nautischen Almanach für 1897 und 1898. Um auch den künstlerischen Zweck meiner Expedition nicht zu vernachlässigen, hatte ich mich reichlich mit Mal- und Zeichenutensilien versehen, und ich hoffe, die diesem Buche beigefügten Skizzen werden einen Beweis dafür liefern, daß ich diesen Vorrat nicht vergebens mitgenommen hatte. Ich hatte mich mit einem sehr leichten Gebirgsschutzzelt von zirka 2 Meter Länge, 1,20 Meter Breite und 1 Meter Höhe versehen. Da ich an Reisen dieser Art, wie ich sie vorhatte, schon gewöhnt war, beschloß ich, als Bettzeug für mich nur eine Kamelhaardecke mitzunehmen. Auch meine Kleidung beschränkte ich auf ein Minimum und ich änderte auf der ganzen Reise nichts daran. Das einzige Stück, dessen Verlust ich beklagte, war mein Strohhut, den ich auf den Höhen des Himalaja ebensowohl trug wie früher in den glühenden Tiefebenen, weil er mir immer als die bequemste Kopfbedeckung erschien. Er wurde mir durch das Ungeschick eines meiner Leute verdorben, dem ich ihn gegeben hatte, um darin das Geschenk eines befreundeten Schoka, einige Schwaneneier, zu tragen. Er fiel mit ihm oder auf ihn, und die Beschädigung und Vernichtung des Transportmittels wie der Ladung war die Folge. Daraufhin ging ich gewöhnlich barhäuptig, da ich nur noch eine kleine unbequeme Mütze hatte. Ich trug mittelstarke Schuhe ohne Nägel und ging immer ohne Stock. Dieser großen Leichtigkeit meiner persönlichen Ausrüstung habe ich es, wie ich glaube, zu verdanken, daß ich imstande war, eine der größten Höhen zu ersteigen, die jemals von Menschen erreicht worden ist. Für meine Ausrüstung mit Arzneimitteln gab ich nur 2 Mark 50 Pfennig aus, da ich überzeugt bin, daß ein Mensch, der unter natürlichen Bedingungen naturgemäß lebt und sich viel körperliche Bewegung macht, von Arzneien nur sehr wenig Nutzen haben kann. * * * * * So machte ich mich denn auf den Weg. Am ersten Tag ritt ich von Naini-Tal nach Almora. Almora (1680 Meter über dem Meer) ist die letzte Bergstation nach der Grenze zu, wo europäische oder vielmehr angloindische Gesellschaft zu finden ist. Ich machte es für einige Tage zu meinem Hauptquartier. Es war meine Absicht, einige zuverlässige Bergbewohner, vielleicht Gurkhas, als Begleiter zu mieten. Vergebens wandte ich mich zu diesem Zweck an den Kommandeur des 3. Gurkharegiments, das hier in Garnison liegt, legte in aller Form Briefe, Empfehlungsschreiben und Dokumente der höchsten Autoritäten und Institute Englands vor und erklärte ausführlich den wissenschaftlichen Zweck meiner Reise nach Tibet. Die obersten Behörden schienen für Unterhandlungen zugänglich, wenn ich mehrere Monate warten wollte. Dies hätte aber ein Verzögern meiner Reise um ein ganzes Jahr zur Folge gehabt, da gegen Ende des Sommers die nach Tibet führenden Pässe ungangbar werden. So beschloß ich, den Marsch ohne die Gurkhas anzutreten. Ein günstiger Zufall ließ mich in Almora mit einem Herrn J. Larkin zusammentreffen, der sich mir sehr gefällig erwies und mir viele nützliche Auskünfte gab über die Wege auf der britischen Seite der tibetischen Grenze, über die beste Art zu reisen usw. Er selbst war im vergangenen Jahre bis nahe an die Grenze gereist und wußte in diesem Teile von Kumaon besser Bescheid als irgendein anderer Angloinder der Provinz. In der Tat ist Mr. Larkin, mit Ausnahme des obersten Regierungsbeamten von Kumaon, Oberst Grigg, der einzige Beamte, der überhaupt einige Kenntnis des von der Regierung der Nordwestprovinzen jetzt so vernachlässigten nordöstlichen Teiles von Kumaon besitzt. [Illustration: Mein treuer Begleiter Tschanden Sing.] Schwer lastete auf meinem Gemüt die Frage der Erlangung von mutigen, ehrlichen, elastischen und gesunden Trägern, die gegen guten Lohn und gelegentliche Geschenke bereit sein würden, sich den vielen Unbequemlichkeiten, Entbehrungen und Gefahren auszusetzen, die meine Reise im Gefolge haben würde. Sowohl in Naini-Tal als auch hier boten sich mir Dutzende von Trägern, und Schikaris (Jägern) an. Alle wiesen sie »Zeugnisse« auf über gutes Betragen, tadellose Ehrlichkeit, Gutmütigkeit, Arbeitswilligkeit, mit unbegrenztem Lob aller erdenklichen Tugenden, die ein guter Diener besitzen soll. Jedes Zeugnis war regelrecht geziert mit der Unterschrift eines Generals, eines Hauptmanns, eines Gouverneurs oder sonst einer angesehenen Persönlichkeit. Aber jeder Träger eines derartigen Attestes schien von denen, die er durch seine Dienste so begeistert und beglückt hatte, jämmerlich vernachlässigt worden zu sein, denn unfehlbar begann er mit der Bitte um ein Darlehn von einigen Rupien, um Stiefel und Decken kaufen und für den Unterhalt einer Frau mit oder ohne Familie, die er zurücklassen würde, sorgen zu können. Ich entschied mich dahin, daß meine Mittel mir nicht erlaubten, »die teuern Hinterbliebenen« der zwei oder drei Dutzend Kulis, die ich brauchen würde, zu unterhalten, und fügte mich darein, abzuwarten, ob ich nicht Leute finden würde, die mir auf meinem Wege folgen würden, ohne mir die Verbindlichkeit aufzuhalsen, die ganze Bevölkerung, die ich zurückließ, zu ernähren. Nur eine Ausnahme machte ich. Eines schönen Tages saß ich in meinem Zimmer im Dak Bungalow, dem Rasthause, als ein seltsames Geschöpf eintrat und mich begrüßend seine Dienste anbot. »Wo sind deine Zeugnisse?« fragte ich. »~Sahib, hum ›certificates‹ ne hai!~ Herr, ich habe keine Zeugnisse.« »Gut, dann will ich dich anstellen.« Ich hatte mir den Burschen vorher gut angesehen. Seine Gesichtszüge zeigten viel mehr Charakter und Kraft, als ich in dem Gesicht irgendeines andern Ortsbewohners wahrgenommen hatte. Sein Anzug war eigentümlich. Er trug einen weißen Turban; unter einer kurzen Samtweste schaute ein grelles Flanellhemd mit gelben und schwarzen Streifen hervor, das er seltsamerweise über seinen Pyjamas, den weiten indischen Hosen, trug statt in ihnen. Schuhe hatte er nicht an, aber in der rechten Hand trug er einen alten Cricketpfahl, mit dem er, so oft ich das Zimmer verließ oder betrat, jedesmal präsentierte. Ich entschied mich sofort, es mit ihm zu versuchen. Da es ungefähr 9 Uhr morgens war und ich noch viele Leute zu besuchen hatte, übergab ich Tschanden Sing -- dies war sein Name -- ein Paar Schuhe und etwas Wichse. »Sorge dafür, daß ich sie rein finde, wenn ich wiederkomme!« »~Atscha, Sahib.~ Gut, Herr.« »Bürsten findest du in meinem Zimmer.« »~Bahut atscha, Sahib.~ Sehr gut, Herr.« Ich ging fort. Bei meiner Rückkehr um 6 Uhr abends fand ich Tschanden Sing noch immer beschäftigt, meine Fußbekleidung mit aller Macht zu wichsen. Er war den ganzen Tag dabei gewesen und hatte meine besten Haar- und Kleiderbürsten dazu benutzt! [Illustration: Unter den Waldmenschen.] »O du ~budmasch! crab log, pagal!~ O du Tropf, du schlechter Kerl, du Narr!« rief ich entsetzt aus, und indem ich so mit den drei oder vier Worten Hindostanisch, die ich wußte, paradierte, riß ich ihm die geschwärzten Toilettegegenstände aus der Hand, während er mit tiefverletzten Gefühlen das von ihm erreichte wundervolle Resultat vorwies. [Illustration: Tschai-Lek-Paß.] So viel war klar, Tschanden Sing war gerade kein Kammerdiener; ebensowenig war er Meister im Öffnen von Sodawasserflaschen. Er brachte es fertig, einem dabei eine Dusche zu applizieren, wenn er es nicht vorzog, mir den herausfliegenden Kork ins Gesicht zu schießen. Einem dieser Unfälle war es zuzuschreiben, daß Tschanden Sing, nachdem er mich einige Tage später mit dem Stöpsel getroffen hatte, zur Vordertür des Hauses hinausflog. Ich bin ein entschiedener Gegner der unüberlegten und ungerechten Bestrafung der Eingeborenen, aber ich glaube, daß eine zur rechten Zeit gehandhabte feste, nicht zu harte Bestrafung der eingeborenen Diener durchaus notwendig ist und meist viele spätere Unannehmlichkeiten und Ärger erspart. Nichtsdestoweniger kam Tschanden Sing am folgenden Tage zurück, um seinen Cricketpfahl abzuholen, den er bei seinem eiligen unfreiwilligen Abschied vergessen hatte. Er ergriff die Gelegenheit, die demütigsten Entschuldigungen seiner plumpen Ungeschicklichkeit vorzubringen, und produzierte folgenden Brief, den er sich von einem Babu (Dolmetscher) im Basar in englischer Sprache hatte schreiben lassen: »Geehrter Herr! Ich bin ein dummer Mensch, aber ich höre, daß Sie die Absicht haben, zwei Gurkhasoldaten mit nach Tibet zu nehmen. Ich bin ein guter und sehr ›starker‹ Mann und deshalb jedem Gurkha weit überlegen. Bitte, nehmen Sie mich! Ihr getreuer Diener Tschanden Sing.« [Illustration: Der Nerpanipfad.] Das war rührend; und so verzieh ich ihm und erlaubte ihm zu bleiben. Mit der Zeit besserte er sich und wurde sogar allmählich ganz erträglich. Eines Morgens besuchte mich Mr. Larkin, als Tschanden Sing zufällig zugegen war. »Wer ist das?« fragte Larkin. »Mein Träger.« »Aber das ist kein Träger. Er war einmal Polizist, und zwar ein durchtriebener. Er spürte in seinem Dorfe eine Sache aus und ließ viele Leute festnehmen, die dann des Diebstahls überführt wurden. Zum Dank dafür bekam er -- seinen Abschied!« »Ich denke, ich nehme ihn mit.« »Es ist ein guter Bursche«, erwiderte Larkin. »Sie können ihn jedenfalls bis zur Grenze mitnehmen, aber ich rate Ihnen nicht, ihn mit nach Tibet zu nehmen.« Larkin ermahnte Tschanden Sing, gut und aufmerksam zu sein. Der Expolizist strahlte vor Freude, als ich ihm definitiv sagte, daß er mich bis Bhot begleiten solle. Er war der Mutigste von meinem ganzen Gefolge und hat bei mir ausgehalten durch dick und dünn. Zweites Kapitel. Unter den Waldmenschen. Das Land bis Bhot ist verhältnismäßig gut bekannt, weshalb ich auf dem ersten Teile meiner Reise nicht zu lange verweilen will. Am 9. Mai ging mein ganzes Gepäck, von zwei Tschaprassis begleitet, nach der Grenze ab; ich folgte am nächsten Tage. Zwei Tagemärsche von je 46 Kilometer brachten mich nach Schor, auch Pithoragarh genannt. Der Weg ist auf der ganzen Strecke gut; er führt durch dichte Tannen- und Fichtenwaldungen und bietet hier und da hübsche Ausblicke auf bewaldete Gebirgszüge. Nichtsdestoweniger ist er infolge des vielen Auf- und Absteigens ermüdend; die nachstehenden Zahlen geben ein Bild davon. Von 1680 Meter stiegen wir zu 2330 Meter Höhe empor, dann wieder auf 750 Meter hinunter, kletterten wieder auf 1835 Meter hinauf und stiegen abermals einen steilen Hang bis auf 750 Meter hinab. Die ungeheure Hitze hinderte mich, meinen gewöhnlichen Schritt zu gehen, und so erreichte ich meinen Bestimmungsort nicht vor Sonnenuntergang. Im Dunkeln weiter wandernd, sahen wir in der Ferne Waldbrände, die wie leuchtende Schlangen hier und dort an den Bergen entlang oder an Abhängen hinaufkrochen und die durch das Abbrennen von Gras, Gesträuch und Unterholz seitens der Eingeborenen verursacht werden. Nicht selten greifen die Flammen weiter um sich und richten arge Verwüstungen unter den schönsten Waldbeständen an. In Pithoragarh (2025 Meter über dem Meer) ist ein altes Fort, das auf dem Gipfel eines Hügels liegt, ein gutgehaltenes Hospital für Aussätzige, eine Schule und ein Missionshaus. Abends spät am nächsten Tage kamen wir in Askot an, wo es weder ein Dak Bungalow noch ein Daramsalla, eine gemauerte Unterkunftshütte, gibt, und ich fand zu meinem Ärger, daß noch keiner meiner Träger angekommen war. Vom Pundit Jibanand wurde ich gastfreundlich aufgenommen und in seinem Schulzimmer untergebracht, einem Bauwerk aus Brettern, die ohne Rücksicht auf Breite, Höhe, Länge oder Form zusammengefügt waren und ein Dach von Stroh und Gras trugen. Die Ventilation meiner Wohnung ließ nichts zu wünschen übrig, und während ich, in meine Decke eingewickelt, unter dem schützenden Dache lag, konnte ich durch die Lücken der schlechtgefügten Wände den Glanz des sternbesäten Himmels bewundern. Als die Sonne aufging, wurden kleine Stückchen Landschaft zwischen den Brettern sichtbar, bis nach und nach sämtliche Lücken durch die Gesichter von Eingeborenen verschlossen wurden, die Besitz von diesen guten Aussichtspunkten ergriffen, um nach Herzenslust den Sahib anzustarren, der sich rasierte, während seine Zuschauer Zeichen ängstlicher Spannung von sich gaben. Große Heiterkeit erregte es, als ich mich während des Badens über und über mit Seife beschmierte. Bewunderung folgte, als ich mein letztes gestärktes Hemd und andere geheimnisvolle Kleidungsstücke anzog. Aber die Aufregung erreichte fast Fieberhitze, als ich mich der täglichen Plage unterzog, meine Uhren aufzuziehen und die Temperatur und andere Beobachtungen einzutragen. Die Spannung war zu groß geworden, und eine allgemeine wilde Flucht folgte in dem Augenblick, als ich mein ungeladenes Gewehr berührte. Die Stadt Askot ist nicht unähnlich einem jener alten Feudalschlösser, wie man sie in vielen Gegenden Mittelitaliens findet. Hoch oben auf dem Gipfel eines zentralen Hügels gelegen, beherrscht der Palast des Rajiwar (Haupt eines Königreichs) ein schönes, ihn von allen Seiten umschließendes Bergpanorama. Die Stadt selbst zählt ungefähr 200 über den Abhang des Hügels verstreute Häuser und besitzt eine Schule, ein Postamt und zwei mohammedanische Kaufläden. Kurz vor meiner Ankunft hatte der Rajiwar den Bau eines neuen Palastes vollendet, eines einfachen, würdigen Gebäudes aus braunem Stein mit schönen Holzschnitzereien an den Fenstern und Türen und mit Kaminen nach europäischer Art in jedem Zimmer. Wir hatten 145 Kilometer in drei Tagemärschen zurückgelegt, und da meine Leute wunde Füße bekommen hatten, gestattete ich ihnen einen Rasttag, den ich dazu verwendete, die Wohnorte der »Waldmenschen« oder, wie sie sich selber nennen, der Raot oder Raji, aufzusuchen. Sie leben mehrere Kilometer entfernt in Wäldern. Um zu ihnen zu gelangen, hatte ich einen steilen Abhang hinabzusteigen, der mit einem außerordentlich schlüpfrigen Teppich von trockenem Gras und Fichtennadeln bedeckt war. Beim Abstieg mußte ich Schuhe und Strümpfe ausziehen, und sogar barfuß fand ich es noch schwer, mich aufrecht zu halten. Ich hatte einen meiner Tschaprassis und einen Mann von Askot als Begleiter. Schneller, als uns angenehm war, kamen wir hinunter. Wir bemerkten einen kaum sichtbaren Pfad, den wir verfolgten, bis wir auf einen Mann stießen, der sich hinter den Bäumen versteckte. Es war ein wild aussehender Kerl, nackt und ungekämmt, mit lang herabhängendem Haar und spärlichem Bart, der uns mißtrauisch anblickte und sich sehr abgeneigt zeigte, uns den Weg nach den Wohnstätten seines Stammes zu zeigen. Er war ein Raot, und sein Widerwille gegen den Besuch seines Heims erschien mir wohlberechtigt, als er zu meinem Führer sagte: »Kein weißer Mann hat jemals unsere Heimat besucht, und sollte einmal einer kommen, werden wir alle sterben. Die Berggeister werden euer Vordringen hindern, nicht wir! Ihr werdet Schmerzen erleiden, denn der Geist, der über den Raot wacht, wird niemand ihre Wohnstätten betreten lassen!« Ich gab dem Manne eine Rupie, die er in der Hand umwendete und wog. »Ihr könnt kommen,« murmelte er, »aber ihr werdet es bereuen. Ihr werdet großes Unglück haben!« Es lag etwas so Unheimliches in dem Tone, mit dem der Mann wie in einer Verzückung sprach, als ob er das Medium wäre, durch welches die Drohung eines verborgenen Wesens zu uns dränge, so daß mir seine Worte mehrere Minuten lang nicht aus dem Sinn kommen wollten. Ich folgte ihm so gut ich konnte; mit der Gewandtheit eines Affen erkletterte er ungeheure Felsblöcke. Es war keine leichte Aufgabe; wir sprangen und hüpften von Fels zu Fels und voltigierten über umgestürzte Bäume. Der Pfad wurde sichtbarer und führte an dem Abhange einer steilen Schlucht empor. Wir drangen vorwärts, bis wir erhitzt und keuchend an einer großen Höhle hoch oben in dem lehmigen Abhange anlangten. Dort, auf einer halbkreisförmigen Plattform mit Verschanzungen von gefällten Bäumen, befand sich etwa ein Dutzend fast ganz unbekleideter Männer, von denen einige auf den Hacken saßen, die Arme auf die Knie gestützt, während andere platt am Boden lagen. Einer rauchte getrocknete Blätter aus einer Hindupfeife. Ich nahm schnell ein Bild der Gruppe auf, wie sie mit einem Ausdruck von Mißtrauen, in das sich Erstaunen und Betrübnis, aber kein Zeichen von Furcht mischte, den unerwarteten Besucher anstarrten. Als zwei der ältern Männer die erste Verblüffung überwunden hatten, sprangen sie auf und verboten mir mit tollen Gestikulationen, näher heranzukommen. Ich aber drang mitten in ihren Kreis hinein und fand mich nun von einer mürrischen, zornigen Schar umgeben. »Kein Mensch ist je hier gewesen außer einem Raot. Ihr werdet bald sterben! Ihr habt Gott beleidigt!« kreischte ein alter Mann, ganz außer sich vor Zorn. Er beugte die Knie, krümmte das Rückgrat und streckte mir den Kopf entgegen. Er schüttelte die Fäuste vor meinem Gesicht, schwang sie in der Luft hin und her, öffnete und preßte sie dann wieder fest zusammen, wobei er die Nägel wütend in die Handflächen bohrte. Anstatt die Stirnhaut zusammenzuziehen, zog der alte Raot die Augenbrauen empor und verwandelte seine glatte Stirn in eine Reihe tiefer Runzeln, die sich in wagerechten Linien fast von Ohr zu Ohr zogen und nur eine dunkle Vertiefung über der Nase erscheinen ließen. Seine zuerst flachen und breiten Nasenlöcher dehnten sich weit aus und reckten sich in die Höhe, so daß sich zwei tiefe Linien bildeten, die von der Nase auseinanderlaufend sich die Backen entlang zogen. Sein Mund war geöffnet, und ein eigentümliches Beben der Unterlippe ließ deutlich erkennen, daß ihr Besitzer die Sprache und Artikulation nur wenig beherrschte. Seine Augen, die ursprünglich braun gewesen sein mochten, waren farblos, aber sie nahmen einen außerordentlichen Glanz an, als seine Wut höher stieg. Mit sichtlicher Anstrengung öffnete er sie weit, so daß der ganze Kreis der Iris sich zeigte. Trotzdem starkes Licht auf sein Gesicht fiel, waren die Pupillen weit ausgedehnt. Seinem Beispiel folgend trugen einige der andern ihr Mißvergnügen in gleicher Weise zur Schau; andere jedoch standen apathisch beiseite, den Kopf auf die rechte Schulter geneigt, mit vollkommen ruhigem Gesichtsausdruck, das Kinn auf die Hände gestützt. Wenn sie auch ihre erste Bestürzung nicht überwunden haben mochten, so verrieten sie dieselbe doch nicht, sondern erschienen, soweit man nach ihren Gesichtern urteilen konnte, nicht aufgeregt. Ein Bursche mit einem ungewöhnlichen Kopf, der eine Mischung von mongolischem und Negertypus zu sein schien, beruhigte sich zuerst unter denen, die vorher in so toller Aufregung gewesen waren. Mit durchdringenden, aber unruhigen Augen und mit nervös zuckenden Bewegungen musterte er mein Gesicht genauer als die andern und schien sie dann alle zu beruhigen, daß ich nicht gekommen sei, ihnen Schaden zuzufügen. Er machte den übrigen Zeichen, daß sie mit ihren Drohungen aufhören sollten; dann kauerte er sich nieder und forderte mich auf, seinem Beispiele zu folgen und mich ebenfalls auf meine Hacken niederzulassen. Als die Aufregung sich gelegt und die ganze Gesellschaft sich gesetzt hatte, zog ich einige Münzen aus der Tasche und gab jedem von ihnen eine; nur einen Mann ließ ich aus, an dem ich die Leidenschaft der Eifersucht in ihrer primitivsten Form studieren zu können glaubte. Aufmerksam beobachtete ich ihn und sah bald, daß er abseits von den andern trat und mürrisch wurde. Die andern waren jetzt schon stillvergnügt. Sie schienen zum Trübsinn zu neigen, und nur mit Mühe konnte ich überhaupt einem von ihnen mehr als den schwachen Schimmer eines Lächelns entlocken. Sie drehten und wendeten die Münzen in den Händen hin und her, verglichen sie untereinander, schwatzend und augenscheinlich zufrieden. Der eifersüchtige Mann hielt den Kopf entschieden von ihnen abgewandt und tat, als ob er nicht sähe, was um ihn vorging; dann stimmte er, das Kinn auf die Hand stützend, einen unheimlichen melancholischen Gesang an, wobei er, namentlich wenn die andern ihn verhöhnten, eine verächtliche Miene annahm. Nachdem ich ihn lange genug hatte leiden lassen, gab ich ihm anstatt der einen zwei Münzen und damit zugleich die Befriedigung dessen, der zuletzt lacht. Nun machte ich den Versuch, die Gruppe zu photographieren; aber sie betrachteten meine Kamera mit Mißtrauen, und als dann Platte nach Platte exponiert wurde, um Bilder von einzelnen Individuen oder Gruppen aufzunehmen, schauderten sie bei jedem Knipsen der Feder. »Die Götter werden dir zürnen, weil du _das_ tust,« sagte einer, indem er auf die Kamera wies, -- »wenn du uns nicht eine große weiße Münze gibst!« Ich benutzte dies und versprach ihnen, so gut ich es durch meine Führer konnte, »zwei große Münzen«, wenn sie mich nach ihren Hütten führen würden, die einige hundert Meter unter dem hohen Horst auf der Klippe lagen; aber für diese Summe sollte mir erlaubt sein, nicht nur alles anzusehen, sondern es auch zu befühlen, und über alles, was ich wollte, Erklärungen zu bekommen. Sie willigten ein, und wir begannen unsern Abstieg auf dem steilen Pfade, der zu ihren Wohnstätten hinabführte, einem Pfad, der wirklich nur für Affen passend ist. Mehrere Frauen und Kinder, die, durch den Anblick von Fremden herbeigelockt, heraufgekommen waren, verbanden sich mit den Männern, um uns hilfreich Hand zu leisten, und ich glaube, daß es wirklich keine einzige Hand in der Gesellschaft gab, die mich während des Hinabkletterns nicht ein oder das andere Mal in freundlichster Absicht an den Kleidern gepackt hätte. Einer am andern sich haltend, gingen wir zusammen die gefährliche Klippe hinab, nicht immer im angenehmsten Tempo. Zwei- oder dreimal glitt ich oder einer der Eingeborenen aus und zog den übrigen Teil der Gesellschaft am Abgrund mit fort, während das durchdringende Kreischen und Schreien der Frauen meilenweit in der Runde widerhallte. Ich bedauerte es nicht, als wir endlich die kleinen Hütten am Flusse erreichten, die ihr Dorf bildeten. Die Wohnungen waren über alle Maßen schmutzig. Aus einem rohen Gerüst von Baumästen errichtet, durch hölzerne Pfähle und Sparren versteift, mit einem Dache von trockenem Grase gedeckt, maßen die meisten etwa drei Meter. Sie waren gegen den Abhang des Hügels gebaut; ein starker, gegabelter Pfahl in der Mitte des Bauwerks trug das Dach, und gewöhnlich waren die Hütten in zwei Abteilungen geteilt, so daß jede zwei Familien beherbergen konnte. Möbel waren nicht vorhanden, und es gab nur wenig Geräte primitivster Art. Sie hatten runde hölzerne Schalen, früher vermittelst scharfkantiger Steine, seit einiger Zeit aber mit billigen Messern indischen Fabrikats ausgehöhlt. Für diejenige Art von Ackerbau, die sie betreiben konnten, benutzten sie primitive Hacken; sie hatten auch plumpe Holzhämmer, Stöcke und Netzbeutel, in denen sie ihre Vorräte aufbewahrten. In früherer Zeit bildeten Flußfische, Fleisch von wilden Tieren und Wurzeln gewisser Pflanzen ihre hauptsächlichste Nahrung, jetzt aber essen sie auch Getreide und sind wie alle Wilden gierig nach Schnaps. Als ich eine der Wohnungen betrat, fand ich darin eine Anzahl von Frauen und Männern um ein Holzfeuer kauernd. Die Frauen trugen silberne Armringe und Halsbänder von Glasperlen; die Männer wenig mehr als Ohrringe aus Schnüren; nur einer der Männer hatte ein winziges Lendentuch, und die Frauen dürftige Kleider aus indischem Stoff, die in Askot gekauft waren. Bei genauer Prüfung ihrer Züge fielen mir manche Punkte auf, die auf entfernte mongolische Abstammung schließen ließen, freilich durch das Klima, die Natur des Landes und wahrscheinlich durch Mischheiraten stark modifiziert. In der Skala der menschlichen Rassen stehen die Raot auf außerordentlich tiefer Stufe. Die Frauen haben anormal kleine Schädel mit niedriger, schmaler Stirn; aber trotzdem sie aussehen, als fehlte ihnen selbst der leiseste Schimmer von Verstand, sind sie doch nicht unintelligent. Sie haben vorstehende Backenknochen und die langen, platten, breiten und gerundeten Nasen des mongolischen Typus. Das Kinn ist in den meisten Fällen rund und sehr zurücktretend, obgleich die Lippen sich in normaler Lage befinden und dünn und sehr fest geschlossen erscheinen, die Mundwinkel sind emporgezogen. Der Unterkiefer ist kurz und schmal, der obere aber erscheint ganz außer Verhältnis zu der Größe des Schädels. Die Ohren sind groß, abstehend und wenig modelliert, wohlgeeignet, Geräusche aus großen Entfernungen aufzufangen. Die Köpfe der Männer sind besser geformt, unentwickelt zwar, doch harmonischer in den Verhältnissen. Sie haben höhere und breitete Stirnen, ähnliche, doch kürzere Nasen; das Kinn tritt nicht ganz so weit zurück, der ganze Unterkiefer ist außerordentlich schmal, aber die Oberlippe, wie bei den Frauen, sehr groß und außer jedem Verhältnis. Ohne Zweifel sind die Raot keine reine Rasse, und selbst unter den wenigen, mit denen ich zusammenkam, bestanden so beträchtliche Verschiedenheiten, daß es unmöglich ist, auf ihren Ursprung zu schließen. Sie haben alle üppiges, kohlschwarzes Haar, das nur mäßige Länge erreicht; es ist nicht grob, aber gewöhnlich so schmutzig, daß es gröber erscheint, als es ist. Sie haben sehr wenig Körperhaare außer in den Achselhöhlen; ihre Bärte verdienen kaum diesen Namen. Die Männer tragen das Haar gewöhnlich in der Mitte gescheitelt, so daß es zu beiden Seiten des Kopfes herabhängt und die Ohren bedeckt. Ich fand bei ihnen denselben seltsamen Brauch, den ich vor Jahren bei den Ainus von Jesso beobachtet hatte: daß sie ein rautenförmiges Stück der Kopfhaut in der Mitte der Stirn über der Nase glattrasieren. Die Frauen ziehen ihr Haar nach dem Hinterkopfe, wobei sie die Finger als Kamm gebrauchen, und binden es in einen Knoten zusammen. Die Körper der besser entwickelten Individuen, die ich sah, waren schmächtig und beweglich, ohne überflüssiges Fett oder Fleisch, in gewissem Grade geschmeidig, doch stämmig und muskulös, mit gut proportionierten Gliedmaßen und einer zwischen Bronze und Terrakotta warm getönten Haut. Schmutzig und unbekleidet, hatten diese Wilden durch ihr majestätisches Auftreten besondere Anziehungskraft für einen Künstler. Ihr regelmäßiges Atmen fiel mir auf; es erfolgte durch die Nase, während sie den Mund fest geschlossen hielten. Eine merkwürdige Eigentümlichkeit wiesen ihre Füße auf, an denen die zweite Zehe besonders lang war und beträchtlich über die andern hinausragte, was sie ohne Zweifel befähigt, die Zehen fast ebenso zu benutzen wie wir die Finger. Die innern Flächen ihrer Hände waren fast ohne Linien, die Fingernägel flach und die Daumen abgestumpft mit auffallend kurzem letztem Gliede. Wenn die Raot heute einige Kleidungsstücke und Schmuck angenommen und daneben ihre Nahrungsweise bis zu einem gewissen Grade geändert haben, so ist dies ausschließlich dem Rajiwar von Askot zu verdanken, der ein großes Interesse für die von ihm beherrschten Stämme hegt und sie in patriarchalischer Weise mit allen möglichen Lebensbedürfnissen versorgt. Nur sehr wenige Raot sind in den letzten Jahren nach Askot gekommen, da sie von Natur sehr scheu und augenscheinlich mit ihren primitiven Wohnstätten in den Wäldern von Tschipula zufrieden sind; sie beanspruchen diese Wälder als ihr Eigentum. Ihre einzige Beschäftigung sind Fischfang und Jagd, und es heißt, daß sie eine besondere Vorliebe für das Fleisch der größern Affen des Himalaja haben, während ich, nach eigener Beobachtung, sagen möchte, daß sie fast alles essen, was sie bekommen können. Man hat gemeinhin angenommen, daß die Weiber der Raot in strenger Abgeschlossenheit und vor Fremden verborgen gehalten werden. Das ist aber unzutreffend, denn ich habe verschiedene Photographien von Raotweibern aufgenommen, zu denen sie mir auf meine Bitte und ohne den geringsten Einspruch der Männer gestanden haben. Die Zahl der Raot ist in schneller Abnahme begriffen, hauptsächlich infolge häufiger Ehen zwischen Blutsverwandten. Mir wurde versichert, daß die Frauen nicht unfruchtbar seien, aber daß unter den kleinen Kindern enorme Sterblichkeit herrsche. Die Raot begraben ihre Toten und bringen mehrere Tage lang dem Geiste des Abgeschiedenen Speise und Trank dar. Es war mir nicht möglich festzustellen, worin ihre Ehezeremonien bestehen, oder ob sie überhaupt welche haben, die der Erwähnung wert sind, aber es scheint, daß ein starkes Familiengefühl zwischen den in ehelicher Verbindung lebenden Paaren besteht. Sie sind abergläubisch und haben eine merkwürdige Furcht vor den Berggeistern, vor der Sonne, dem Mond, Feuer, Wasser und Wind. Ob sich diese Furcht zu einer bestimmten Form der Verehrung erhebt, kann ich nicht sagen; jedenfalls sah ich nichts, was auf Gebet oder Opfer schließen läßt. Die Raot erheben den Anspruch, Nachkommen von Königen zu sein, und wollen niemand untertan sein. Sie grüßen weder noch verneigen sie sich. »Andere Leute müssen uns grüßen; unser Blut ist das Blut von Königen, und wenn wir uns auch aus freien Stücken seit Jahrhunderten in das Dschungel zurückgezogen haben, so sind wir doch Söhne von Königen.« Nach einiger Zeit, als ich schon ziemlich lange unter ihnen gewesen war, schienen diese königlichen Wilden unruhig und furchtsam zu werden. Ich hatte jedes Stück ihres Haushalts, was mir vor die Augen gekommen war, umgedreht, untersucht, gezeichnet oder photographiert, hatte alle, Männer und Weiber, die eingewilligt hatten, sich messen zu lassen, gemessen und ihnen den vereinbarten Geldbetrag gezahlt. Als ich im Begriff war fortzugehen, trat der grauhaarige Mann noch einmal auf mich zu: »Du hast die Wohnstätten der Raot gesehen, du bist der erste Fremde, der das getan hat, und du wirst viel leiden; die Götter sind erzürnt gegen dich.« »Ja,« fügte ein anderer hinzu, indem er auf die Schlucht wies, »wer diesen Pfad betritt und kein Raot ist, wird von einem großen Mißgeschick betroffen werden.« »~Kusch paruani, sahib!~ Macht nichts, Herr!« unterbrach ihn der Führer, »sie sind nur Barbaren, sie wissen es nicht besser; ich selbst bin noch nie hier gewesen und setze voraus, daß auch ich meinen Teil davon abbekommen werde.« »Auch du wirst leiden!« sagte der alte Mann mit Selbstbewußtsein. Die Raot standen schweigend um mich, während ich meine Kamera einpackte, und ich fühlte, daß sie mich als einen ansahen, dessen Geschick beschlossen war. Sie beachteten meinen Abschiedsgruß nicht, und wäre ich nur im mindesten abergläubisch gewesen, so hätten sie es mir mit ihrer feierlichem törichten Ernsthaftigkeit ganz unbehaglich machen können. -- Später, als ich Todesqualen der Hölle litt und in einem Augenblick mein ganzes früheres Leben noch einmal zu durchleben glaubte, kam mir dies alles mit entsetzlicher Deutlichkeit in das Gedächtnis zurück! Drittes Kapitel. Berggeister. Als ich mit Jagat Sing Pal, dem Neffen des Rajiwar von Askot, durch die Stadt ging, sah ich in einem niedrigen steinernen Schuppen neben dem Palast die große hagere Gestalt eines Mannes, der aus einer Rauchwolke herausragte. »Wer ist das?« fragte ich meinen Begleiter. »Ein Fakir, der von einer Pilgerfahrt nach dem heiligen See Mansarowar in Tibet zurückkehrt. Während des Sommers kommen viele dieser Fanatiker auf ihren Wallfahrten hier durch.« Meine Neugier zog mich zu dem unheimlichen Individuum. Er war über sechs Fuß hoch; sein schlanker Körper war mit Asche bedeckt gewesen, die der dunkeln Haut eine gespenstische graue Färbung gegeben hatte. Ich veranlaßte ihn herauszutreten. Das massenhafte lange Haar war in kleine Zöpfe geflochten, die nach Art eines Turbans um seinen Kopf gelegt waren. Das Haar war weiß gefärbt, während der lange dünne Bart glänzend rot gefärbt war. Seine Augen waren eingesunken, und Stirn und Wangen waren dick mit weißer Farbe bemalt, was offenbar den schauerlichen, geradezu abstoßenden Eindruck erhöhen sollte. Er schien halb betäubt und wußte wenig zu sagen. Er war nur spärlich bekleidet, aber er trug das Kamarjuri oder die Fakirkette um seine Lenden und hatte ein messingenes Armband über den Ellenbogen um den Arm geschmiedet. Seine Hüften waren mit einem Kranze von Holzperlen umgürtet, und ein Halsband von geflochtenen Haaren schmückte seinen Hals. Seine Tage verbrachte er damit, sich in der Asche herumzuwälzen und selbstauferlegte leibliche Entbehrungen zu erdulden, um dadurch in den Zustand der Heiligkeit zu gelangen. Ich hatte von abergläubischen Vorstellungen unter diesem Volke gehört. »Gibt es«, fragte ich Jagat Sing, »in diesen Gebirgen auch Berggeister, und glaubt das Volk wirklich an sie?« »Ja, Herr,« antwortete der junge Mann, »gewiß gibt es viele und sie sind oft sehr lästig, besonders für gewisse Leute. Doch hört man nur selten, daß sie jemand töten.« »Dann sind sie nicht ganz so böse wie manche menschliche Wesen«, erwiderte ich. »O Herr; sie sind sehr böse. Wie mit eisernen Klauen packen sie schlafende Leute am Halse und sitzen auf der Brust ihrer Opfer.« »Das sieht eher so aus, als hätten sich die Leute den Magen überladen!« »Nein; die Geister der Berge sind Geister von Leuten, die nicht in den Himmel gekommen sind. Man findet sie nachts in Schwärmen im Walde; die Leute werden von ihnen erschreckt. Sie halten sich auf den Gipfeln und Hängen der Berge auf und sie können die Gestalt einer Katze, einer Maus und eines jeden andern Tieres annehmen; in der Tat sollen sie ihr Aussehen häufig ändern. Da, wo kein Mensch hin kann, zwischen Felsen und Abgründen oder in dem dichten Dschungel suchen die Geister ihre Zuflucht, aber oft verlassen sie ihre Wohnungen, um Menschen zu suchen. Wer von ihnen besessen ist, bleibt in einem halb bewußtlosen Zustande und stößt wahnsinnige Schreie und unverständliche Laute aus. Es gibt Leute, die vorgeben, Zaubermittel zu kennen, um sie auszutreiben. Mit mehr oder weniger Erfolg gebrauchen die Eingeborenen einige Heilmittel zu dem Zwecke. Ein ›Bitschna‹ (Nessel) genanntes Gras hat die Kraft, die Geister fortzuscheuchen, wenn es auf den Körper des Leidenden gelegt wird, aber das Wirksamste ist, zu tun, als ob man den Besessenen mit einem rotglühenden Eisen schlüge. Dies scheinen die Geister mehr als alles andere zu fürchten.« »Sprechen die Geister jemals?« fragte ich, voll Interesse für die seltsamen Vorstellungen dieser Bergbewohner. »Nein, nicht oft, auch gewöhnlich nicht direkt, aber sie tun es durch Leute, die von ihnen besessen sind. Solche Leute erzählen viele merkwürdige Geschichten über die Geister. Eine sonderbare Eigenschaft der Geister ist, daß sie nur Leute ergreifen, die Furcht vor ihnen haben; wenn man ihnen Trotz bietet, verschwinden sie.« »Wenden die Eingeborenen irgendeine besondere Methode an, sich gegen diese Bergdämonen zu schützen?« »Der einzig sichere Schutz ist Feuer. Jeder, der neben einem Feuer schläft, ist sicher, und solange eine Flamme brennt, bleiben die Geister fern.« »Kennst du irgend jemand, der sie gesehen hat?« »Ja, ein Tschaprassi namens Joga erzählte, daß er einmal bei Nacht durch einen Wald reisen mußte; dabei habe er eine Stimme gehört, die ihn beim Namen rief. Erschrocken stand er still, und einige Augenblicke lang versagte ihm die Stimme. Endlich antwortete er, am ganzen Leibe zitternd, und sofort erschien ein Schwarm von Geistern und forderte ihn heraus. Joga rannte um sein Leben, und die Dämonen verschwanden. Man weiß auch von Geistern, die mit Steinen nach Vorübergehenden geworfen haben.« »Hast du jemals einen Geist gesehen, Jagat Sing?« »Nur einmal. Ich ging spät abends nach dem Palast, als ich auf dem steilen Wege die Gestalt einer Frau bemerkte. Es war eine schöne Mondnacht. Ich schritt aufwärts, und als ich vorüberging, erschien das Gesicht des seltsamen Wesens schwarz, unmenschlich, grausig. Ich wich erschrocken zurück, und als ich die unheimliche Erscheinung näherkommen sah, stockte mir vor Furcht das Blut in den Adern. Ich führte einen mächtigen Hieb mit meinem Stock, aber, siehe da! das Rohr fuhr durch die Luft und traf nichts. In demselben Augenblick verschwand der Geist.« »Ich hätte es gar zu gern, Jagat Sing, daß du mir einige von diesen Geistern zeigen könntest; ich würde alles darum geben, eine Zeichnung von ihnen zu entwerfen.« »Man kann sie nicht immer sehen, wenn man will, Herr, aber man muß sie immer vermeiden. Sie sind böse Geister und können nur Schaden tun.« -- Als ich Askot (1400 Meter) auf dem in Windungen durch einen dichten Wald führenden Wege verlassen hatte, überschritt ich bei Gargia (750 Meter) auf einer Hängebrücke den Fluß Gori. Der Pfad lief durch das tiefe, unbehaglich heiße Tal des Kali, eines reißenden Stromes, der mit unbeschreiblicher Geschwindigkeit in der meinem Wege entgegengesetzten Richtung floß; er bildet die Grenze zwischen Nepal und Kumaon. Hütten und Strecken bebauten Landes zeigten sich auf dem nepalesischen Ufer, während wir auf unserer Seite an verlassenen und ihrer Dächer beraubten Winterwohnungen von Schokas (gewöhnlich, aber unrichtig, Botiyas genannt) und von Tibetern vorbeikamen, die in den kältern Monaten des Jahres in diese wärmern Gegenden auswandern, um hier ihre Schafe zu weiden. Die Sommerwohnstätten der Schokas befinden sich in größern Höhen, zumeist längs der Landstraßen, die nach Tibet führen, und näher an der tibetischen Grenze. Bei meiner Ankunft in dem Daramsalla von Kutzia überbrachte mir ein Bote die Nachricht, der Rajiwar, den ich in Askot nicht angetroffen hatte, sei jetzt hier, um gewissen Gottheiten Opfer darzubringen. Er werde mich um 3 Uhr nachmittags besuchen. Pünktlich um 3 Uhr nachmittags kam der Rajiwar in einem Dandy getragen an, von seinem Bruder gefolgt, der in einem Bergdandy saß. Des Rajiwars Sohn und Erbe ritt auf einem prächtigen grauen Pony. Ich war dem alten Rajiwar, der seit einigen Jahren gelähmt war, beim Aussteigen behilflich. Wir schüttelten uns herzlich die Hände, und ich führte ihn in das Daramsalla, wo wir uns in Ermangelung von Möbeln auf Kisten niederließen. Sein vornehmes, schön geschnittenes Gesicht, sein anziehendes Benehmen und die sanfte, würdevolle Stimme, mit der er sprach, ließen deutlich den Mann von edlem Blut und ungewöhnlichen Fähigkeiten erkennen. Seine Bescheidenheit und Einfachheit waren entzückend. »Ich hoffe, daß Ihr bei guter Gesundheit seid und auf Eurer Reise nicht zu viel gelitten habt. Es hat mich betrübt, daß ich Euch nicht in Askot empfangen konnte. Leben Eure lieben Eltern noch? Habt Ihr Brüder und Schwestern? Seid Ihr verheiratet? Ich würde England gern besuchen. Es muß ein wundervolles Land sein, und ich bewundere es so sehr, daß ich meinen Neffen eine englische Erziehung gegeben habe. Einer von ihnen dient jetzt der Maharanee (Königin) Victoria als politischer ›Peschkar‹.« [Illustration: Schokahäuser.] [Illustration: Auf dem Weg zum Rambang.] Mit Hilfe eines hindostanischen Wörterbuchs, ausdrucksvoller Gebärden und flüchtiger Skizzen beantwortete ich seine Fragen so gut ich konnte. -- [Illustration: Gefährliche Rutschpartie.] Auf dem Wege nach Dartschula durch das tiefgelegene Tal war die Hitze unerträglich, obgleich die Sonne schon nahe dem Horizont stand. Wir kamen an einem Wasserfall vorüber, der aus großer Höhe über eine Gruppe von mit Moos bewachsenen schirmförmigen Stalaktiten hinabstürzte. Die letzten Strahlen der Sonne fielen auf die Wassertropfen, die gleich einem Diamantregen funkelten. Ich rastete eine Weile an diesem kühlen, herrlichen Ort. In den Bäumen sangen Vögel, und Affen trieben ihr Spiel im Geäste. Weiterhin, wo der Fluß eine Biegung macht, befinden sich zwei große Höhlen in den Felsen; ihre rauchgeschwärzten Decken zeigen an, daß sie von reisenden Schokas und Hunya-Tibetern als Lagerplätze benutzt werden. Große Affen mit schwarzen Gesichtern und weißen Bärten schwärmten überall umher, dreist und voll boshaften Mutwillens. Sie werfen oder rollen Steine auf die Vorübergehenden hinab und verursachen dadurch nicht selten Unfälle, da der Pfad ziemlich schmal ist und hart über dem Flusse entlang führt. Ich hatte Sorge, so schnell als möglich durch das heiße Tal zu kommen; deshalb weckte ich meine Leute schon um 3 Uhr morgens und trat, trotzdem wir erst spät in der Nacht Rast gemacht hatten, den Weitermarsch an. Hier und da sahen wir am Wege verlassene Winterwohnungen der Schokas liegen, fast alle mit eingefallenen Grasdächern. Nur einige waren mit Schiefer gedeckt und dadurch als Wohnstätten der Darma-Schokas gekennzeichnet. Bemerkenswert waren die einfachen Wassermühlen der Schokas. Vermöge einer sehr sinnreichen Vorrichtung trieb das Wasser eines Baches einen schweren zylindrischen Stein, der sich auf der obern Seite eines andern umdrehte. Das Korn fiel langsam aus einer darüberliegenden Kammer in ein in den Mittelpunkt des obern Rades gebohrtes Loch und von da durch eine Rinne zwischen die beiden Steine, wo es zu feinem Mehl zerrieben wurde. Dartschula (1080 Meter), die größte Winterniederlassung der Schokas, liegt in einer schönen Ebene, wenige hundert Meter über dem Flusse. Das Dorf besteht aus zwölf langen Reihen von dächerlosen Häusern, die einander in Größe und Form sehr ähnlich sind. Vier größere Gebäude an dem äußersten Ende der Niederlassung ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Eine derselben ist ein Daramsalla, die andern, zwei hohe Steinbauten, sind eine Schule, ein Hospital und eine Apotheke, die der Bischöflichen Methodistenmission gehören und unter der sorgfältigen Aufsicht von Miß Sheldon (~Dr. med.~), Miß Brown und des Doktor H. Wilson, eines vortrefflichen Pioniers, stehen. Nachdem ich den Rankutifluß überschritten hatte, stieg ich im Zickzack noch höher, einen Gebirgszug nach dem andern jenseits des Flußtales hinter mir lassend, während auf der Seite von Nepal hinter drei Bergketten Schneegipfel von großer Höhe und Schönheit sich zum Himmel erhoben. Der höchste Punkt des Weges lag 1660 Meter hoch; danach stiegen wir wieder auf 1607 Meter hinab bis zum Daramsalla von Chela, das wir erst spät abends erreichten. Nahe bei Chela erhob sich auf dem Gipfel eines hohen Berges ein großer quadratischer Felsblock, der einem Turme nicht unähnlich war. Die Eingeborenen sagen, daß eine bloße Berührung ihn ins Schwanken und Drehen bringe; aber dieser Glaube ist nicht allgemein, denn andere leugnen, daß er sich jemals bewege. Ich konnte mir weder die Zeit nehmen, die Sache zu untersuchen, noch konnte ich zuverlässigen Bericht von irgend jemand erlangen, der wirklich aus Erfahrung hätte darüber sprechen können. Soweit ich mit Hilfe meines Fernglases sehen konnte, schien der Fels fest auf einer sehr soliden Basis zu stehen. Ebenso war es mir zu meinem Bedauern nicht möglich, die merkwürdigen heißen Schwefelquellen am Darma-Ganga zu besuchen und die seltsame Höhle, in der durch die aus dem Boden steigenden schädlichen Gase viel Tiere das Leben verlieren. Aus verschiedenen Berichten erfuhr ich nur, daß diese Höhle oder Grotte mit Skeletten von Vögeln und Vierfüßern angefüllt sei, die zufällig in diese Kammer des Todes geraten waren. Viertes Kapitel. Die ersten Schokas. Von Chela nach Hundes oder Tibet führen zwei Hauptstraßen, die eine durch das Tal des Doli oder Darma, die andere längs des Kali und über den Lippupaß. Die Handelsstraße durch das Darmatal wird weniger benutzt als die über den Lippu, aber sie ist trotzdem wichtig, da über sie ein gewisser Teil des Handels zwischen Südwesttibet und Indien durch die Vermittelung der Darma-Schokas läuft. Die Hauptartikel dieses Handels sind Borax, Salz, Wolle, Häute, Tuch und Werkzeuge, wogegen die Tibeter Silber, Weizen, Reis, Satu, Ghur, Kristallzucker, Pfeffer, Glasperlen aller Art sowie Manufakturwaren indischer Herkunft eintauschen. Für einen Gebirgsweg und in Anbetracht der großen Höhen, zu denen er sich erhebt, ist der Darmaweg verhältnismäßig gut und sicher, trotzdem der schmale Pfad, der sich immer dicht am Doliflusse hinaufzieht, an vielen Stellen an tiefen Schluchten und Abgründen entlang führt. Der Doli entspringt aus einer Reihe ziemlich kleiner Gletscher im Nordosten eines Gebirgszuges, der ein Ast der höhern Himalajakette ist und sich in südöstlicher Richtung bis zum Vereinigungspunkte der beiden Flüsse hinzieht. Er nimmt in seinem reißenden obern Laufe viele kleine, durch Schneewasser genährte Nebenflüsse auf, von denen die aus den Schneefeldern von Katz und vom Nuigletscher kommenden die bedeutendsten sind. Die Gletscher im Nordosten und Osten sind zahlreicher als die im Westen, doch gibt es hier einen sehr bedeutenden, der in seinen verschiedenen Teilen die Namen Kala Baland, Schun Kalpa und Tertscha führt. Längs der nördlichsten 28 Kilometer des Bergzuges, südlich von dem Punkte, wo er sich mit der Himalajakette vereinigt, befinden sich andere Gletscher von beträchtlicher Größe und Bedeutung; doch konnte ich ihre Namen nicht feststellen, mit Ausnahme des Lissar Sewa, des nördlichsten von allen, der die Quelle des Lissar bildet. Das Zwischengebirge zwischen dem Lissar und Gori ist geographisch von großer Bedeutung, und zwar nicht nur, weil es die Grenze zwischen Darma und Johar, den beiden Teilen von Bhot, bildet, sondern auch wegen seiner prachtvollen Berggipfel, die im Bambadura eine Höhe von 6328 Meter erreichen. Westlich von dem erwähnten Bergrücken findet sich noch eine zweite, bedeutendere Kette, die mit jenem parallel laufend von dem Kamme des großen Himalajasystems sich abzweigt. Diese zweite Kette enthält die höchsten Berge des britischen Reiches, den Nanda Dewi von 7820 Meter, mit seinem zweiten Gipfel von 7430 Meter, ferner den Trisul mit 7134 Meter, den östlichen Trisul mit 6815 Meter und Nanda Kot mit 6867 Meter Höhe. Dieser Bergzug und seine Verzweigungen trennen die Täler des Gori, das Pargana von Johar, von dem westlichsten Teile von Bhot, dem Pargana von Painchanda. Die drei alpinen Parganas, Painchanda, Johar und Darma (Darma, Tschaudas und Bias), werden von Volksstämmen bewohnt, die mit denen des eigentlichen Tibet eng verbunden und verwandt sind. Das ganze Gebiet wird mit dem gemeinsamen Namen Bhot bezeichnet, obgleich diese Bezeichnung von den Eingebornen Indiens speziell nur für den Teil des Landes gebraucht wird, der Darma, Bias und Tschaudas umfaßt und im Südosten als natürliche Grenze den Kalifluß hat, der ihn von Nepal trennt, im Nordosten dagegen die große Himalajakette, die sich von der Lissarspitze ungefähr in Ostsüdost hinzieht. Das Wort Bhot, auch Bod, Pote, Tüpöt oder Taipöt, das der Name dieser interalpinen Region ist, bedeutet Tibet. In der Tat ist Tibet nur korrumpiert aus Tüpöt. Die hochgelegenen »Pattis« von Darma, Bias und Tschaudas sind, dem Namen nach, ein Teil des britischen Reiches und unsere geographische Grenze gegen Nari Chorsum oder Hundes (Groß-Tibet), indem die Hauptkette des Himalaja die Wasserscheide zwischen den beiden Ländern bildet. Trotz des tatsächlichen Besitzrechts fand ich, daß man den Eingeborenen in der Ansicht recht geben muß, daß das britische Prestige und der britische Schutz in diesen Gegenden nur Mythe sind, daß tibetischer Einfluß allein herrschend ist und tibetisches Gesetz aufgezwungen wird und gefürchtet ist. Die Eingeborenen zeigten den Tibetern gegenüber unwandelbare, tiefste Unterwürfigkeit und knechtischen Gehorsam, während sie zu gleicher Zeit von diesen gezwungen wurden, gegen die britischen Beamten tatsächliche Nichtachtung zur Schau zu tragen. Man zwang sie sogar, die Mehrzahl bürgerlicher und krimineller Vergehen vor die tibetischen Behörden zu bringen, anstatt sie vor einem britischen Gerichtshofe verhandeln zu lassen. In der Tat beanspruchen die Tibeter offenkundig den Besitz der »Pattis« an der Grenze von Nari Chorsum, und um unsern Eingeborenen noch augenfälliger mit ihrer der britischen überlegenen Macht zu imponieren, kommen sie zum Überwintern auf unsere Seite herüber und machen sich in den wärmern Tälern und in den größern Märkten ganz heimisch. Sie bringen ihre Familien mit und treiben Tausende und aber Tausende von Schafen vor sich her, um sie auf unsern Weideplätzen grasen zu lassen. Sie zerstören allmählich unsere Waldungen in Bias, um das südwestliche Tibet mit Brennholz für die Sommermonate zu versorgen, und dafür bezahlen sie nicht nur gar nichts, sondern unsere eingeborenen Untertanen müssen sogar dieses Holz ohne jeden Lohn über die hohen Pässe transportieren. Natürlich entblöden sich so gewissenlose Eindringlinge nicht, unter allen Vorwänden Nahrungsmittel, Kleider und alles, was sie sonst noch erhalten können, von den Eingeborenen zu erpressen. Einige von ihnen gehen alljährlich weit nach Süden, bis Lucknow, Kalkutta und Bombay. Das sind die sanften Tibeter! Ein Volk von Eremiten, das in einem verschlossenen Lande wohnt! -- * * * * * Tschanden Sing, stets bemüht, höflich und hilfreich zu sein, wollte nichts davon hören, daß ich meine Skizzen- und Notizbücher, wie ich es stets gewohnt gewesen, selber trüge. Er bestand darauf, dies für mich zu tun. »~Hum pagal neh~, ich bin kein Narr,« sagte er mit der Miene einer tiefgekränkten Seele, »ich werde gut auf sie achtgeben.« Nachdem wir zuerst bis zum Doliflusse hinabgestiegen waren, der 240 Meter tiefer als Chela liegt, und den Fluß auf einer hölzernen Brücke überschritten hatten, stiegen wir einen steilen Weg hinauf. Das Zickzack bergaufwärts schien kein Ende zu nehmen. Hin und wieder löschten wir unsern Durst an dem kristallklaren Wasser einer Quelle, die hochwillkommen war bei diesem langweiligen Aufstieg unter glühender Sonne. Elf Kilometer hinter Chela waren wir schon wieder zu 2171 Meter Höhe emporgelangt. Von hier aus wurde der Aufstieg weniger ermüdend. Doch stiegen wir noch 3½ Kilometer weiter bis zu 2272 Meter, wo wir in Pungo im Schatten herrlicher alter Bäume eine Frühstücksrast machten. Hier kamen wir in das erste bewohnte Dorf der Schokas, die gewöhnlich, aber fälschlich Botiya genannt werden. Der Teil ihres Landes, in dem ich mich jetzt befand, führt den Namen Tschaudas. Eine angenehme Überraschung erwartete mich hier. Ein schmuck aussehender Bursche in halb europäischer Kleidung trat ungeniert vor mich hin, streckte mir die Hand entgegen und schüttelte lange Zeit die meine recht jovial und freundschaftlich. »Ich bin ein Christ«, sagte er. »Das konnte ich mir nach der Art deines Handschüttelns denken.« »Ja,« fuhr er fort, »ich habe etwas Milch, etwas Tschapati (Brot der Eingeborenen) und einige Nüsse für dich bereit; bitte, nimm sie an.« »Ich danke dir,« sagte ich, »du scheinst kein schlechter Christ zu sein. Wie heißt du?« »G. B. Walter, mein Herr. Ich unterrichte in der Schule.« Eine Menge Schokas hatte sich inzwischen zugesellt. Als ihre erste Schüchternheit überwunden war, zeigten sie sich höflich und freundlich. Die Naivität und das anmutige Benehmen der Schokamädchen fiel mir bei dieser meiner ersten Bekanntschaft mit ihnen besonders auf. Viel weniger scheu als die Männer, kamen sie näher, scherzten und lachten, als ob sie mich ihr Leben lang gekannt hätten. Ich schickte mich an, zwei oder drei der hübschesten von ihnen zu zeichnen. »Wo ist mein Skizzenbuch, Tschanden Sing?« fragte ich meinen Träger. »~Hazur hum mallum neh!~ Ich weiß es nicht, Herr«, lautete seine melancholische Antwort, während er seine leeren Taschen durchsuchte. »So, du Schurke! Paßt du so auf meine Tagebücher und Skizzen auf! Was hast du mit ihnen gemacht?« »O, Sahib, als ich am Doli Wasser trank, hatte ich das Buch noch in der Hand. Ich muß es auf einem Stein haben liegen lassen, als ich mich bückte, um zu trinken«, erklärte der arme Kerl. Selbstverständlich wurde Tschanden Sing schleunigst nach der angegebenen Stelle zurückgeschickt, mit der strengen Weisung, sich ohne das Buch nie wieder vor mir sehen zu lassen. Ich brachte zwei angenehme Stunden damit zu, mir die primitiven Webstühle der Schokas, ihre Art des Spinnens und der Herstellung von Stoffen erklären zu lassen. Die Webstühle der Schokas gleichen in jeder Hinsicht den bei den eigentlichen Tibetern üblichen. [Illustration: Der Lehrer von Pungo.] Ihre Konstruktion ist einfach. Der Zettel wird in sehr starker Spannung gehalten, und der Baum, auf den das fertige Gewebe aufgerollt wird, liegt während des Webens auf dem Schoße der Weberin. Tretschemel, vermittelst deren die beiden Lagen der Fäden nach dem jedesmaligen Durchgange des Einschlagfadens gehoben oder niedergedrückt werden, befinden sich an dem Webstuhle der Schokas nicht, die ganze Arbeit wird mit der Hand getan. Der Einschlagfaden wird mit einem schweren Holzstück von prismatischer Form durchgezogen. Das zum Weben verwendete Material ist Jak- oder Schafwolle, die entweder in ihrer natürlichen Farbe gelassen oder in den Grundfarben rot, blau und gelb und nur in einer einzigen Mischfarbe, grün, gefärbt wird. Blau und rot werden fast in gleichem Maße verwendet, dann grün. Gelb wird sehr sparsam benutzt. Der Faden ist gut gezwirnt und wird vor dem Spinnen keiner Aufbereitung unterzogen, so daß der festgewebte Stoff etwas fettig ist, wodurch er wasserdicht wird. Die Schokafrauen sind in dieser alten Kunst sehr erfahren und sitzen geduldig Tag für Tag im Freien, damit beschäftigt, mit mehrern Sätzen von Einziehnadeln höchst verwickelte, kunstvolle Muster zu weben. Diese farbigen Gewebe, mit Ausnahme der einfachern blaugrundig gestreiften, die zu Frauenkleidern gebraucht werden, sind gewöhnlich sehr schmal, während die weniger sorgfältig gearbeiteten, wie z. B. der weiße Stoff, aus dem Männerkleider gemacht werden, ungefähr 40 Zentimeter Breite haben. Die Muster der mehrfarbigen Gewebe werden aus dem Kopfe gearbeitet; sie enthalten weder Bogenlinien noch Kreise, sondern weisen nur aus geraden Linien zusammengesetzte Ornamente auf, Zusammenstellungen von kleinen Rauten und Quadraten, die durch lange, dreifarbige parallele Streifen voneinander getrennt sind und die Hauptideen der Schokas in der Ornamentik der Weberei darstellen. Die begabtern unter den jungen Schokaweibern besitzen viel Geschick im Weben von Teppichen oder vielmehr groben Wolldecken. Das Vorbild dazu haben sie von alten chinesischen Decken genommen, die über Lhasa ihren Weg hierher gefunden haben. Wenn das Gewebe der Schokas bei genauerer Prüfung auch in Güte und Arbeit beträchtlich von jenen abweicht, so sind die Decken doch hübsch anzusehen. Sie werden auf groben, geflochtenen Zwirnmatten gewebt, die farbigen Fäden vertikal eingelassen. Die weiche Oberfläche der Decke ist im Aussehen dem der persischen Teppiche nicht unähnlich, aber sie fühlt sich nicht so angenehm an wie diese. Nach und nach wurde ich bei dem Gedanken an das verlorene Buch doch sehr besorgt, da es ja alle meine Reisenotizen enthielt. Der Gedanke, daß es auf einen Felsen gelegt worden war, der vom reißenden Wasser bespült wurde, daß es hinuntergeglitten und fortgerissen sein konnte, versetzte mich in einen Zustand größter Aufregung. Endlich sah ich eine taumelnde Gestalt näherkommen; es war Tschanden Sing, der das Buch triumphierend in der Luft schwenkte. Er war den viele Kilometer langen Weg zum Flusse hinab und wieder zurück so schnell gelaufen, daß er völlig erschöpft war, als er bei mir anlangte. Er händigte mir das Buch ein, und dann brachen wir wieder auf, von Walter und der ganzen Gemeinde den steilen Abhang nach dem Flusse hinunter begleitet. Hier ergriffen einige der Schokas meine Hände und legten sie an ihre Stirn, indem sie sich feierlich verneigten. Andere umschlangen meine Füße, während das Weibervolk mir das übliche hindostanische »~Atscha giao!~ Gehe gut!« zurief. Fünftes Kapitel. Eine Teevisite. Um nach Schoscha zu gelangen, mußte ich noch fünf Kilometer auf einem Bergpfade emporklimmen, der sich fast ebenso steil erwies als der Aufstieg nach Pungo. Ein seltsamer, wahrscheinlich von den Tibetern entlehnter Gebrauch herrscht unter den Schokas; es ist ihre Art, unter Benutzung des Windes zu beten. Die Tibeter, deren religiöses Gefühl stärker ist als das der Schokas, gebrauchen nicht nur den Wind zu diesem Zwecke, sondern lassen ihre Gebetmaschinen sogar durch Wasser treiben. Ich gebe hier eine Erklärung dieser sehr einfachen Vorrichtungen zum Beten. Einer oder mehrere Stofflappen, gewöhnlich von weißer Farbe, gelegentlich aber auch rot oder blau, werden mit einem Ende an einer Schnur befestigt und aufgehängt, die quer über einen Weg, einen Paß oder einen Fußpfad gespannt wird. Wenn die Schokas einen Paß zum erstenmal überschreiten, so schneiden sie jedesmal einen Streifen Stoff ab und hängen ihn so auf, daß er im Winde hin- und herflattert. Ebenso ist es bei ihnen Sitte, wenn Stoff zu einem neuen Gewande gekauft oder angefertigt worden ist, einen schmalen Streifen des Zeuges abzureißen und ein fliegendes Gebet daraus zu machen. Solange der Lappen sich bewegt, ist es ein Gebet; deshalb binden die Eingeborenen sie sehr fest an Stöcke, Pfähle oder Baumäste. Gewisse Sträucher und Bäume an unheimlichen, romantischen Orten in den Bergen sind mit diesen religiösen Zeichen ganz bedeckt. Eine große Zahl ähnlicher kleiner Flaggen sieht man auf den Dächern fast aller Schokawohnungen, neben den Gräbern und an den Außentoren der Dörfer. Ich quartierte mich in dem Daramsalla von Titela ein, zwei Kilometer oberhalb Schoscha. Das Wetter hatte schon seit einigen Tagen mit Regen gedroht, und während des Abends ging ein Regenschauer auf uns nieder. Die Arbeit hatte sich Tag für Tag angehäuft. Ich beschloß, die zahlreichen Negative, die ich auf meiner Reise aufgenommen hatte, zu entwickeln, eine Beschäftigung, die einem auf dem Marsche über alle Maßen zuwider ist. Nachdem ich alle Schalen zum Entwickeln ausgepackt hatte, machte ich mich daran, die Hütte vollständig zu verdunkeln. Das wichtigste Erfordernis hierauf war Wasser, und davon gab es in diesem elenden Schuppen vollauf. Ich hatte eben ein halbes Dutzend Negative entwickelt und war über die ausgezeichneten Resultate hoch erfreut, als infolge des heftiger gewordenen Sturmes der Regen durch das lecke Dach des Daramsallas auf meinen Kopf zu tröpfeln begann. Alle die Schalen mit den Entwicklern, Bädern und der Fixierlösung an eine andere Stelle zu bringen, wäre sehr lästig gewesen, überdies war ich in meine Arbeit viel zu sehr vertieft, als daß solche unbedeutende Kleinigkeiten mich hätten stören können; so bot ich geduldig dieser neuen Unbequemlichkeit Trotz. Ich veränderte unaufhörlich meinen Standpunkt, aber nur mit dem Erfolg, daß der Regen je nach meiner Stellung abwechselnd auf meinen Rücken, meine Beine oder meine Schultern floß. Es goß in Strömen, und das Dach über mir war so durchlässig, daß ich ebensogut hätte im Freien arbeiten können. Ein Glück, daß meine Kasten und Kisten wasserdicht waren, sonst würden alle Instrumente und Platten beschädigt worden sein. So ärgerlich es mir auch war, mußte ich die Arbeit schließlich doch aufgeben. Das Beste, was ich tun konnte, war schlafen zu gehen. Dies war aber leichter gesagt als getan: mein Lager und meine Decke waren völlig durchweicht. Der Versuch, unter einem wasserdichten Laken zu liegen, bewährte sich nicht, denn es kam mir vor, als müßte ich darunter ersticken. So überließ ich diese Bedeckung meinem Diener, der sich fest einrollte und bald in Morpheus’ Armen lag. Müde und ärgerlich kauerte ich mich zusammen und schlummerte schließlich auch ein. Am Morgen erwachte ich mit einem stechenden Schmerz in den Zehen. Ich hatte mit dem Gesicht nach unten gelegen und während der Nacht unwillkürlich die Beine ausgestreckt. Jetzt entdeckte ich zu meinem Schrecken, daß der eine Fuß in dem Entwicklungsbade, der andere aber in der Fixierlösung gelegen, die ich vergessen hatte aus den großen Zelluloidschalen auszugießen! Als ich erfuhr, daß zwei Missionarinnen in dem dreieinhalb Kilometer von hier entfernten Orte Sirka lebten, machte ich mir das Vergnügen, ihnen einen Besuch abzustatten. Sie besitzen ein hübsches Bungalow, das auf einer Höhe von etwa 2700 Meter liegt; neben ihm steht ein zweites Gebäude, das zur Aufnahme von Bekehrten und Dienern bestimmt ist. Es waren die schon erwähnten Damen Miß Sheldon und Miß Brown, die mich mit größter Liebenswürdigkeit empfingen. Ich bin in meinem Leben mit vielen Missionaren aller Bekenntnisse in fast allen Erdteilen zusammengekommen, aber nie habe ich das Glück gehabt, zwei so liebenswürdigen, aufrichtigen und wirklich ernst arbeitenden Damen zu begegnen wie diesen. »Kommen Sie nur herein, Mr. Landor!« sagte Miß Sheldon mit ihrem allerliebsten amerikanischen Akzent, und dabei schüttelte sie mir herzlich die Hand. Die Eingeborenen hatten mir die Barmherzigkeit und stete Hilfsbereitschaft dieser Dame hoch gepriesen, und ich fand dieses Lob mehr als berechtigt. Weder bei Tag noch bei Nacht verweigerte sie den Kranken je ihre Hilfe, und ihre edlen Taten, von denen mir berichtet wurde, sind viel zu zahlreich, um hier eingehend geschildert werden zu können. Vielleicht ihre schätzenswerteste Eigenschaft ist aber ihr vollkommener Takt, eine Eigenschaft, die nach meinen Erfahrungen unter den Missionaren nicht zu häufig ist. Ihre Geduld, ihr freundliches Wesen gegen die Schokas, ihr gutes Herz, die gelungenen Kuren, die sie an den Kranken ausführte, waren Dinge, für die sie von diesen ehrlichen Bergbewohnern unaufhörlich gepriesen wurde. Ein Schoka erzählte mir, daß es für Miß Sheldon nichts Ungewöhnliches sei, alle für sie selbst bestimmten Nahrungsmittel und sogar die Kleider vom Leibe zu verschenken, da sie nichts auf Bequemlichkeit gibt und ihr Glück in guten Werken findet. Hand in Hand ging damit eine bezaubernde Bescheidenheit. Kein Wort über ihre eigene Person oder über ihre Taten kam je über ihre Lippen. Als Pionier in diesen Gegenden muß sie zuerst sicherlich auf viele Schwierigkeiten gestoßen sein. Heute ist ihr Einfluß auf die Schokas sehr bedeutend. Dasselbe kann auch von Miß Brown gesagt werden, die in jeder Weise eine würdige Gefährtin von Miß Sheldon ist. Beide haben sich in verhältnismäßig kurzer Zeit mit der Schokasprache völlig vertraut gemacht und können sich in ihr ebenso fließend unterhalten wie im Englischen. Diese Tatsache allein schon macht sie bei den Eingeborenen sehr beliebt. Die beiden Damen waren so liebenswürdig, mich zu Tisch einzuladen. »Es ist Sonntag«, sagte Miß Sheldon, »und wir werden alle unsere Christen zum Essen bei uns haben. Sie werden gewiß nichts dagegen haben?« Ich versicherte, daß mir nichts interessanter sein könnte. Pünktlich zur festgesetzten Stunde erschien ich und fand den Boden der Veranda des Bungalow mit hübschen, reinlichen Matten bedeckt, auf die wir uns nach einheimischer Art mit untergeschlagenen Beinen setzten. Wir drei Europäer erhielten Messer und Gabeln, während sämtliche Eingeborenen mit den Fingern aßen, die sie mit großer Geschicklichkeit gebrauchen. Unter den Bekehrten waren einige Hindus, einige Schokas, mehrere Humlis und eine tibetische Frau; alle zusammen waren es etwa zwanzig. Sie aßen tüchtig und sprachen nur, wenn sie angeredet wurden. »Ich bin zweifelhaft, ob ich jemals in meinem Leben mit so vielen guten Christen zusammen gegessen habe«, sagte ich zu Miß Sheldon. »Es ist entzückend!« »Sie würden sehr gern etwas von Ihren Reiseerlebnissen hören, wenn Sie die Güte haben wollten, ihnen etwas davon zu erzählen, d. h. wenn Sie nicht zu müde sind und Lust dazu haben.« Ich erzählte einige meiner Abenteuer in dem Lande der Ainus, wobei Miß Brown den Dolmetscher machte. Selten habe ich so aufmerksame Zuhörer gehabt. Als die Geschichte zu Ende war, grüßten sie mich mit feierlichem Salaam, und ein alter Gurkhaveteran, einer der Bekehrten, ergriff meine Hand und schüttelte sie warm. »Sie müssen das nicht übel nehmen; Sie sehen, wir behandeln unsere Christen ganz wie unsersgleichen«, unterbrach Miß Sheldon ihn rasch. Angloinder lassen sich nämlich sehr selten herab, den Eingeborenen die Hand zu geben. Beim Abschied forderte ich die Damen auf, sich am nächsten Tage bei mir zum Tee einzufinden. Der Nachmittag kam, und sie erschienen, als mir zu meinem Schrecken plötzlich einfiel, daß ich weder Tassen noch Löffel hatte. Etwas Tee besaß ich wohl, aber ich hatte keine Idee, in welcher Kiste er sich befand, und ich konnte ihn jetzt um keinen Preis herausfinden. Dies gab Miß Sheldon Veranlassung, sich mit der Bemerkung an Miß Brown zu wenden: »Erinnert Mr. Landor Sie nicht an den andern exzentrischen Herrn, der voriges Jahr hier durchkam?« In dem Augenblick, als Miß Sheldon diese Worte ausgesprochen hatte, wurde ihr der allerliebste Freimut ihrer Frage klar, und wir lachten alle herzlich. »Sie müssen wissen, Mr. Landor,« warf Miß Brown ein, »wir sahen schon halb und halb voraus, daß Sie mit diesen Luxusartikeln nicht versehen sein würden, und deshalb haben wir unsere eigenen Tassen mitgebracht.« Diese Nachricht war mir eine große Erleichterung. Ein tüchtiger Block Schokolade von zirka 25 Pfund wurde statt des fehlenden Tees herbeigebracht und Tschanden Sing wurde beauftragt, mit einem Steine kleine Stücke davon abzuschlagen, was eine primitive, aber sehr wirksame Methode ist. Inzwischen kam das Wasser im Kessel ins Kochen, während meine beiden Besucherinnen es sich auf Packsattelkisten so bequem gemacht hatten, wie es unter den Umständen möglich war. Die Teegesellschaft verlief ausgezeichnet, denn die Damen hatten sich nicht nur mit Tassen, sondern auch mit Löffeln, Kuchen, Butterbroten und Biskuits versehen! Das Wetter wurde wieder regnerisch und kalt. Die Berichte, die mir über den Zustand der Wege weiter oben zukamen, waren nicht ermutigend. »Die Straße ist ungangbar«, sagte mir ein alter Schoka, der eben von Garbyang gekommen war. »Der Lippupaß, über den ihr nach Tibet gehen wollt, ist noch nicht offen; es ist noch sehr viel Schnee auf ihm. Dann hat auch der Jong Pen von Taklakot in Tibet jetzt eine starke Wache von 300 Mann aufgeboten, um das Betreten des Landes durch Fremde zu verhindern. Die Dakus oder Räuber, die das Gebiet des Mansarowarsees heimsuchen, scheinen in diesem Jahre zahlreicher zu sein als je.« »Da gehe ich ja einer recht lebhaften Zeit entgegen«, dachte ich bei mir. Bei Schankula (2270 Meter) schlug ich mein nächstes Lager auf. Ich war auf einem prächtigen schattigen Fußwege dahin gelangt, der, einem Pfade durch einen malerischen Park nicht unähnlich, zwischen hohen Libanonzedern, Buchen und Ahornbäumen entlang führte, während hier und da ein Bach oder eine Quelle rieselte, und Hunderte von Affen mit schwarzen Gesichtern und weißen Bärten spielend von Baum zu Baum sprangen. Ich schlug mein Lager am Flusse auf. Es war ein herrlicher Tag. Vor mir, nach Ostnordost hin, ragten riesenhaft und majestätisch einige hohe Schneegipfel empor. Das Tal war eng und der übrige Teil des schneebedeckten Gebirges dem Auge nicht sichtbar. Welch herrlicher Vorwurf für ein Gemälde! Es lockte mich, hier haltzumachen, Malkasten und Skizzenbuch hervorzusuchen und mein Frühstück, das eben bereitet wurde, zu verlassen. So stieg ich denn zu dem Gipfel eines hohen Berges empor, um eine weitere Aussicht zu erlangen. Der Anstieg, der zuerst über schlüpfriges Gras, dann über schiefriges Gestein führte, war nicht ohne eine gewisse Gefahr, aber ich war so darauf erpicht, auf die Höhe zu kommen, daß ich den Gipfel sehr schnell erreichte, nachdem ich die beiden Leute, die mir gefolgt waren, auf halbem Wege zurückgelassen hatte. An einzelnen Stellen nahe dem Gipfel waren fast senkrecht aufragende Felsen zu erklimmen, und ich mußte Hände und Füße gebrauchen. Für meine Mühen wurde ich aber reich belohnt. Der Blick von diesem hohen Aussichtspunkte war prachtvoll, und ich muß gestehen, daß ich mir fast vermessen vorkam, als ich, nachdem ich meinen Malkasten abgeschnallt hatte, versuchte, auf dem Papier die Landschaft vor mir wiederzugeben. »Ich bin ein Tor,« sagte ich zu mir, »das malen zu wollen! Welcher Maler könnte diesen Bergen gerecht werden?« Ich warf das Bild wie gewöhnlich schnell hin, aber niemals ist wohl ein rasches Wagestück durch einen geringern Erfolg belohnt worden, und so blieben die ewigen Riesen ungemalt. Verstimmt machte ich mich auf den Rückweg. Der Abstieg war noch schwieriger als das Emporklimmen. Ein Fehltritt, ein Ausgleiten hätte mir das Leben kosten können, besonders längs des steilen Abgrundes, wo ich mich an alles, was aus der mauerartigen Felswand hervorragte, anklammern mußte. Ich war etwa 1200 Meter über unsern Lagerplatz emporgestiegen und hatte somit eine Höhe von 3490 Meter erreicht. Diese Leistung, die von den Leuten unten in meinem Lager ebenso wie von den Soldaten des stellvertretenden Kommissars von Almora, der hier ebenfalls sein Lager aufgeschlagen hatte, ängstlich verfolgt wurde, erwarb mir unter den Eingebornen die Beinamen »Tschota Sahib«, der »Langur«, d. h. »der kleine Herr«, »der Affe«, Namen, auf die ich seitdem immer stolz gewesen bin. -- Nachdem die Straße den Schankulafluß einmal überschritten hat, wendet sie sich nach Südost und erhebt sich sanft ansteigend bis Gibti (2610 Meter), wo ich mein Lager etwas über dem Daramsalla von Gala aufschlug. Ich war durch Waldungen von Ahornbäumen, Buchen, Eichen und Rhododendron gekommen, die ein dichtes Unterholz von Strauchwerk und Bambus aufwiesen. Der Kali, der etwa 600 Meter unter meinem Lagerplatze dahinfloß, bildet die Grenze zwischen Nepal und Kumaon. Von diesem hochgelegenen Punkte aus konnte man den schäumenden Strom sich meilenweit zwischen dichtbewaldeten Hügeln und Bergen hindurchschlängeln sehen wie ein Silberband auf dunklem, ruhigem Grund. [Illustration: Schneebrücke über den Kutifluß.] Der Marsch von meinem letzten Lagerplatze aus war nur sehr kurz, ich hatte darum den größten Teil des Tages zur Arbeit an meinem Tagebuche frei. Ich besaß ein kleines Gebirgszelt, das für gewöhnliche Ansprüche genügend behaglich war. Es scheint jedoch, als ob diese Art zu reisen von den indischen Beamten als nicht »~comme il faut~« betrachtet wird. Nach der Ansicht dieser Autoritäten sind es die Zahl und Größe der Zelte eines Reisenden, die ihn zu einem größern oder kleinern Gentleman machen! Ich hatte mein Zelt neben den beiden doppelflügeligen Zelten angloindischer Beamter aufgeschlagen, aber diese Herren waren über diese Vertraulichkeit durchaus nicht erfreut. Denn daß ein doppelzeltiger Sahib in Gesellschaft eines andern Sahib gesehen wurde, dessen Miniaturzelt kaum zu Taillenhöhe aufragte, war unter der Würde und eine ernste Bedrohung des britischen Prestige in Indien. Ich wurde deshalb höflichst ersucht, mein behagliches Quartier mit einem ehrenvollern Unterkommen zu vertauschen, das mir der einäugige Lal Sing, ein Tokudar (Dorfschulze) und Bruder des Patwari, des Rechnungsführers für das Pargana, lieh. [Illustration: Die gefährlichste Stelle am Kali.] Die Nacht war stürmisch, und der Wind rüttelte an meinem Zelt. In meine einzige Kamelhaardecke gewickelt, legte ich mich zur Ruhe. Einige Stunden später weckte mich ein heftiger Schlag auf den Kopf. Es war der Mittelpfahl des Zeltes, der sich aus seinen Hülsen gelockert hatte und auf mich gefallen war. Hierauf folgte ein raschelndes Geräusch von Zeltleinwand, und im nächsten Augenblick saß ich ohne Dach da und guckte die Sterne an. Sechstes Kapitel. Übergriffe der Tibeter. Der berühmte Nerpani oder Nerpania, der »wasserlose Pfad«, fängt bei Gibti an. Sehr wenige Reisende sind auf diesem Weg gegangen, und durch ihre Berichte sind viele andere abgeschreckt worden, ihrem Beispiele zu folgen. Ich fand den Weg weit besser, als ich erwartet hatte. Ich bin schon auf schlechtern Gebirgswegen an steilen Abgründen gewesen. Nach dem, was ich gehört hatte, schien es, als ob der größere Teil der Straße auf mehrere Meilen Länge durch in in den Felsen befestigte Balken gestützt werde; aber dies ist nicht der Fall. Hin und wieder jedoch führt der Weg an überhängenden Felsen über dem Abgrund entlang, und dort, wo die senkrechte Wand die Anlage eines Weges nur mit großen Kosten erlaubt hätte, sind Balken horizontal mehr oder weniger fest in den Felsen eingelassen und große Steinplatten über sie gelegt, über die der schmale Pfad führt. Der Weg liegt 300--550 Meter über dem Flusse und ist an manchen Stellen nicht breiter als 15 Zentimeter. Aber für einen Reisenden mit sicherm Tritt kann dies keine wirkliche Gefahr bedeuten. Der Weg ist langweilig, denn die Nerpaniafelsen, längs deren man ihn angelegt hat, teilen sich ihrerseits wieder in drei kleinere Partien, die durch Schluchten voneinander getrennt sind. Es ist recht lästig, Hunderte von Metern auf endlosen und schlecht zusammengefügten Treppen hinab- und wieder hinaufzusteigen, nur um auf der andern Seite wieder hinabzuklettern. Einige der Abstiege, namentlich der letzte zum Gulamla, sind steil; aber wenn man keine Nägel an den Schuhen und keinen Stock in der Hand hat, ist dabei wirklich wenig Gefahr für des Bergsteigens gewohnte Leute. Gegen Sonnenuntergang entstand eine große Bewegung im Lager, die durch das Erscheinen von wilden Ziegen auf dem andern, nepalesischen Ufer des Kali hervorgerufen wurde. »Deine Flinte, Sahib, deine Flinte!« schrie ein Chor von ungeduldigen Eingeborenen. »Schnell, schnell, deine Flinte!« Ich ergriff meinen Mannlicher und folgte der erregten Bande nach einem einige hundert Meter entfernten Platze, wo eine große lärmende Menge sich zusammengefunden hatte, um das Wild zu beobachten. »Wo sind sie?« fragte ich, da ich nichts sehen konnte. »Dort, dort!« schrien sie alle so laut sie konnten, indem sie nach dem Gipfel der gegenüberliegenden, etwa 400 Meter entfernten Felswand wiesen. »O das ist zu weit!« »Nein, nein, Sahib! Bitte, schieße!« drängten sie alle. Ich stellte das Klappvisier meiner Büchse auf 400 Meter, zielte und drückte ab, und von Fels zu Fels stürzte die arme Ziege unter der wahnsinnigen Aufregung der sich um mich drängenden Menge. Sie rollte weiter, bis sie an das Strauch- und Buschwerk kam, wo ihr Fall sich verlangsamte. Endlich blieb der zierliche Körper an einem größern Baume hängen. Äxte wurden sofort herbeigeschafft und zwei große Bäume eiligst abgeästet und gefällt. Es sollte eine Brücke über das kalte, reißende Wasser des Kali geschlagen werden. Ein Baum wurde hinübergeworfen; seine Spitze reichte gerade bis zu einem Felsen auf dem andern Ufer. Tiefstes Schweigen herrschte, als ein Kuli hinüberbalancierte. Er hatte fast das jenseitige Ufer erreicht, als der Baumstamm plötzlich krachte und brach, und der arme Teufel schreiend im Wasser lag, sich mit den Fingern krampfhaft an einen Ast des Baumes krallend. Ein Kuli eilte zu Hilfe, aber da die Strömung den Baum hin und her warf, wurde auch er ins Wasser geschleudert. Erst nach Augenblicken ängstlicher Spannung gelang es, unter großen Anstrengungen die beiden Leute zu retten. Der Weg bis Lahmari, unserm nächsten Lagerplatze, führte an hübschen Wasserfällen vorbei durch eine so reizende Landschaft, daß wir die Beschwerden des Kletterns auf dem mühsamen Wege ganz vergaßen. In frühern Zeiten ging der Weg über den höchsten Teil des Abhanges, und ein guter Fußgänger brauchte einen ganzen Tag, um von einer Quelle zur andern zu gelangen; daher der Name »wasserlos«. In Lahmari endet der Nerpani. Bald erwartet ein unfreiwilliges Sturzbad den Vorübergehenden und durchnäßt ihn bis auf die Haut, wenn er nicht mit wasserdichtem Mantel und mit Regenschirm versehen ist. Ein dichter Sprühregen fällt auf einer Strecke von einigen dreißig oder vierzig Meter aus großer Höhe herab. Der Weg ist hier sehr schmal und schlüpfrig, so daß man nur langsam vorwärts kommt. Wenn auch nicht ebener, so wird der Weg von hier aus für den geübten Fußgänger doch besser. Er ist weniger felsig und hat nicht die ermüdenden Stufen. Zu unserer Rechten liegt hoch oben am Felsenhange das malerische Dorf Buddi (2830 Meter) mit seinen zwei- und dreistöckigen Häusern. Unter und über ihm sieht man den Weg in großen Zickzacklinien zur Höhe des Tschai-Lek oder Tschetopasses hinaufführen. Als wir den Weg weiter verfolgten und ich zurückblickte, hatte ich Gelegenheit, das prachtvolle Kalital mit seinen von hohen Schneegipfeln überragten gigantischen Felsen und Schluchten zu bewundern. Auf dem Tschaipaß verzeichneten meine beiden Aneroide eine Höhe von 3410 Meter. Darcy Bura, der reichste Schokahändler aus Buddi, hatte hier ein Geschäftshaus für den Einkauf und Tausch von Borax, Salz, Wolle und andern aus Tibet kommenden Artikeln errichtet. Auf der linken Seite des Weges war eine große Felsenhöhle mit einer Mauer versehen und zum Teil überdacht worden zur Benutzung von »Weibersuchern« aus den Dörfern Buddi und Garbyang. Diese Häuser werden Rambang genannt und sind eine alte Institution unter den Schokas, von der ich später ausführlicher sprechen werde. Wie überall sind neben dem Passe einige hohe Pfähle mit fliegenden Gebeten und einer Glocke aufgestellt. Meine Ankunft in Garbyang wurde von Hunderten von Männern, Weibern und Kindern beobachtet, die am Rande der flachen Lehmdächer ihrer Behausungen kauerten, während ein paar Dutzend Leute mir ehrfurchtsvoll nach meinem Lagerplatze jenseits des Dorfes folgten. Ein großes Zelt war für mich vom Bruder des Punditen Gobaria errichtet worden, der durch meinen Bankier in Almora von meinem Kommen in Kenntnis gesetzt worden war. Herr G., der stellvertretende Kommissar, kam später an. Ich brannte darauf, sofort Vorbereitungen für das Betreten des tibetischen Landes zu treffen, aber meine Bemühungen, zuverlässige Begleiter zu gewinnen, waren von geringem Erfolg. Einige Tage später erfuhr ich zu meinem Bedauern, daß der Plan meiner Reise, den ich mit so vieler Mühe und Sorgfalt geheimgehalten hatte, den tibetischen Behörden verraten worden war. Ein Unglück kommt selten allein. Gegen meinen Willen war ich dem Rate gefolgt, in Almora eine gewisse Summe einzuzahlen, für welche ich einen Kreditbrief auf den Pundit Gobaria erhielt, einen reichen Händler in Garbyang, der mir den Betrag in Silber auszahlen sollte. Unglücklicherweise war Gobaria noch in Nepal, und niemand anders konnte einen Wechsel in dem von mir benötigten Betrage diskontieren. Dies war ärgerlich, um so mehr, als ich auf das Geld gerechnet hatte. Ich sandte augenblicklich einen Boten nach Almora, damit mir von dort die Summe in Silber zugeschickt würde. Hierdurch wurde die Sache offenkundig und damit gefährlich. Eine Verzögerung war unvermeidlich; alle Pässe waren ungangbar, und täglich fiel neuer Schnee. Für einen einzelnen Reisenden war es mit bedeutenden Schwierigkeiten noch möglich, den Lippupaß zu überschreiten, aber Gepäck konnte nicht hinübergebracht werden. Ich entschloß mich, einige Tage in Garbyang zu bleiben, und benutzte die Gelegenheit, mir ein großes tibetisches Zelt machen zu lassen, das als Obdach für mein Gefolge -- wenn es mir überhaupt gelingen würde, eins anzuwerben -- dienen sollte. Ich dachte, daß ich hierdurch vielleicht in freundliche Beziehungen zu den Eingeborenen kommen könnte, unter denen ich, wie ich hoffte, doch einige willige Begleiter finden würde. ~Dr.~ H. Wilson von der Methodistenmission gab sich große Mühe bei dem Versuche, mir Leute zu verschaffen; aber obgleich er einen bedeutenden Einfluß in Bias und Tschaudas besaß, waren seine Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt. Die Schokas wissen nur zu gut, wie grausam die Tibeter sind. Sie haben mehr als einmal unter ihnen gelitten, und noch in den letzten Jahren erlangte die britische Regierung durch Berichte ihrer Beamten Kenntnis von verschiedenen Fällen furchtbarer Tortur, die die tibetischen Behörden sogar an britischen Untertanen vorgenommen hatten, die auf unserer Seite der Grenze von ihnen gefangengenommen worden waren. Einige der von den Lamas an britischen Untertanen verübten Scheußlichkeiten sind empörend, und für die Engländer, die in diese Gegenden kommen, ist es ebenso betrübend wie erbitternd, denken zu müssen, daß die Schwäche unserer Beamten in Kumaon solche Greuel erlaubt hat und noch erlaubt. Die Beamten sind in der Tat so machtlos, daß der Jong Pen von Taklakot in Tibet alljährlich seine Emissäre »mit Genehmigung der britischen Regierung« herüberschickt, um von britischen Untertanen, die auf britischem Boden leben, Grundsteuer einzuziehen. Der Peschkar treibt diese Steuern ein und übergibt sie in Garbyang den Tibetern. Die Schokas müssen diesen Tribut und daneben noch andere Steuern und Handelszölle bezahlen, die von den Tibetern unrechtmäßigerweise gefordert werden, und aus Furcht tun sie es auch. Unter den nichtigsten Vorwänden nehmen die Tibeter britische Untertanen auf britischem Gebiet fest, martern sie, legen ihnen unbarmherzige Geldbußen auf und konfiszieren ihr Eigentum. Zur Zeit meines Aufenthalts konnte man in Garbyang und andern Dörfern britische Untertanen, Schokas, sehen, die von den tibetischen Behörden verstümmelt worden waren. Selbst ~Dr.~ H. Wilson, der in Gungi, einen Tagemarsch hinter Garbyang, eine Apotheke errichtet hatte, war kürzlich mit Konfiskation und noch Schlimmerm bedroht worden, wenn er sich nicht sofort den Forderungen der Tibeter füge. Er weigerte sich, es zu tun, und berichtete darüber an die Regierung, indem er sich auf seine gute Flinte und seine zahlreichen Diener verließ. Sein fester Entschluß, sich nicht einschüchtern zu lassen, scheint ihm zeitweilig Sicherheit verschafft zu haben, denn die Tibeter sind, wenn sie sich einem ihnen gewachsenen Gegner gegenüber fühlen, ebenso feige, wie sie grausam sind. Ich führe hier ein empörendes Beispiel an, das sich 1896 zugetragen hat. Ein Schokahändler, unzweifelhaft britischer Untertan, war, wie es bei seinesgleichen Sitte ist, über die Grenze gegangen, um während des Sommers seine Waren auf dem tibetischen Markte abzusetzen. Er geriet mit einem andern Schoka, ebenfalls einem britischen Untertan, in Streit. Wohl wissend, daß der erstgenannte wohlhabend war, benutzten die tibetischen Behörden diesen Vorwand, um ihn festzunehmen und ihm eine übermäßige Geldbuße aufzuerlegen. Daneben diktierten sie ihm noch die weitere Strafe von 200 Peitschenhieben, die ihm auf Befehl des Jong Pen appliziert werden sollten. Der Schoka verwahrte sich dagegen, indem er sich darauf berief, daß er kein Unrecht begangen habe und daß sie kein Recht hätten, ihn als britischen Untertan so ungerecht zu bestrafen. Der Jong Pen ließ die Strafe vollziehen und gab seinen Leuten noch den Befehl, dem unglücklichen Gefangenen die Hände abzuschneiden. Er wurde zwei Soldaten überantwortet, die mit der Vollziehung des Urteils betraut wurden. Sie führten ihn nun nach dem Orte der Strafvollstreckung. Der Schoka war sehr kräftig gebaut und besaß einen unbezähmbaren Mut; obgleich halbtot und mit Wunden bedeckt, überwand er seine beiden feigen Wächter und entfloh. Augenblicklich wurde Lärm geschlagen und eine große Reiterschar ausgesandt, um ihn einzufangen. Sie erreichten ihn auch, feuerten aus nächster Nähe und trafen ihn, so daß ihm die Kniescheibe zerschmettert wurde. Er wurde umringt, zu Boden geworfen, erbarmungslos geschlagen, und zuletzt zermalmten sie jeden seiner Finger einzeln zwischen zwei schweren Steinen. In diesem Zustande wurde er vor die Lamas geschleppt, um schließlich enthauptet zu werden! Der britische stellvertretende Kommissar in Almora erhielt Kenntnis von diesem Vorfall, und nachdem er sich über die Wahrheit desselben vergewissert hatte, berichtete er darüber an die Regierung und riet dringend zu einem sofortigen Vorgehen gegen die Tibeter, um sie für diese und andere Grausamkeiten, die beständig an unserer Grenze stattfanden, zu bestrafen. Obgleich es unwiderleglich bewiesen war, daß das Opfer ein britischer Untertan war, tat die indische Regierung keinerlei Schritte! In demselben Jahr 1896 wurde Leutnant Gaussen, der auf einem Jagdausfluge den Versuch machte, über den Lippupaß nach Tibet zu kommen, von tibetischen Soldaten umringt und samt seiner Dienerschaft schwer mißhandelt. Der britische Offizier erhielt eine Wunde an der Stirn, und einer seiner Diener, der sich heldenmütig benahm, wurde so grausam behandelt, daß er, wie ich höre, noch heute, zwei Jahre nach jenem Vorfall, invalid ist. Mr. J. Larkin, Steuereinnehmer in Almora, wurde damals nach der Grenze geschickt. Man hätte keinen bessern Mann aussenden können. Fest, gerecht, unverdrossen, war er unter den Schokas beliebt und sehr geachtet. Er ließ sich ihre Beschwerden und Leiden erzählen und übte Gerechtigkeit, wo es möglich war. Er verweigerte niemand Gehör und wurde während seines vorübergehenden Aufenthalts mit dem Lande, dem Volke und allem, was vorging, wohlbekannt. Die armen Schokas fühlten sich sehr erleichtert, da sie dachten, daß den tibetischen Mißbräuchen endlich ein Ende gemacht werden würde. Sie täuschten sich auch nicht, wenigstens für eine Zeitlang. Der Jong Pen von Taklakot wurde aufgefordert, sich wegen seiner zahlreichen Missetaten zu verantworten. Er verweigerte eine Zusammenkunft. Mr. Larkin, ein Engländer von gutem altem Schlag, ließ ihm über die Grenze sagen, daß er keinen Spaß verstehe und daß er zu kommen habe, worauf der Jong Pen mit seinen Offizieren und Lamas über den schneebedeckten Lippupaß kam. Vor Furcht zitternd und sich bis auf den Boden neigend, betraten die Tibeter mit kriechender Unterwürfigkeit das Zelt unserer britischen Abgesandten. Die Beschreibung dieser Zusammenkunft, die mir von einem Schoka gegeben wurde, der als Dolmetscher dabei gewesen war, ist amüsant und merkwürdig und gibt ein Bild von der Wankelmütigkeit und Heuchelei der Tibeter. Mit der Feigheit seiner Gäste wohlbekannt, erlangte Mr. Larkin schließlich nicht nur Abhilfe in allen Punkten, sondern hielt auch dem Jong Pen und seinen Offizieren eine strenge Strafpredigt. Der Erfolg der Zusammenkunft war der, daß der Einziehung der Grundsteuer ein Ende gemacht und die Handhabung des tibetischen Gesetzes auf unserer Seite der Grenze aufhörte. Mr. Larkins Aufenthalt in Bhot wurde aber durch dringenden Befehl zu sofortiger Rückkehr nach Almora abgebrochen. Im folgenden Jahre, dem Jahre meines Besuches, 1897, zerstörte der stellvertretende Kommissar vieles von dem, was der vor ihm tätig gewesene Beamte erreicht hatte. Der Jong Pen weigerte sich, einer an ihn ergangenen Aufforderung zu folgen, und schickte Abgesandte an seiner Statt. Die weitere Folge ist, daß jetzt die Schokas den Tibetern die Grundsteuer wieder zahlen. Ich habe diese Tatsachen erwähnt, weil sie typisch sind, und um zu zeigen, wie es kam, daß die Eingeborenen, die nie irgendwelchen Schutz von unserer Regierung gehabt haben, trotz des verführerischen Lohnes, den ich ihnen anbot, nicht zu bewegen waren, den Gefahren von Tibet Trotz zu bieten. Ich, der ich später durch die Verräterei von Schokas so viel zu leiden hatte, bin der erste, ihnen zu verzeihen und sie nicht zu tadeln. Obgleich sie dem Namen nach unsere Untertanen sind, sind doch die Tibeter ihre eigentlichen Herrscher, und wir tun nichts, um sie gegen die Anmaßungen und Quälereien der Eindringlinge zu schützen. Wie können wir da erwarten, daß sie uns treu sein sollen? Und kann nicht dieses Mißtrauen, das durch unsere Schwäche genährt wird, eines Tages noch zu einer furchtbaren Gefahr werden, wenn wir einmal gezwungen sein sollten, unsere Grenzen gegen einen mächtigern Feind zu schützen, als es die Tibeter sind? Die Schokas sind von Natur nicht verräterisch, aber sie sind gezwungen, zu betrügen, um ihr Leben und ihre Heimstätten zu bewahren. Richtig behandelt, würden diese ehrlichen, sanften, gutmütigen Gebirgsbewohner sicher loyale und zuverlässige Untertanen Ihrer Majestät werden. Siebentes Kapitel. Als Gast unter den Schokas. Als der Jong Pen von Taklakot von der Absicht meines Besuches Kunde erhielt, sandte er Drohungen, daß er das Land eines jeden konfiszieren würde, der in meinen Dienst träte; daneben ließ er auch mir und jedem, der mit mir ergriffen werden würde, Peitschenhiebe und Enthauptung androhen. Ich persönlich legte diesen Einschüchterungen nicht viel Gewicht bei. Eines Tages zog ich den Kalender zu Rate -- eine Beschäftigung, die man in diesen Gegenden nur sehr unregelmäßig besorgt --; dabei entdeckte ich, daß wir den 1. Juni hatten, und es fiel mir ein, daß der nächste Tag mein Geburtstag sein würde. Festmähler waren in diesen Regionen selten, und ich sah voraus, daß sie in der nächsten Zukunft noch seltener sein würden. Deshalb kam mir der Gedanke, daß ich wenigstens einen Tag dieser ermüdenden Wartezeit nicht besser hinbringen könnte, als indem ich mich selbst mit einem großen Schmaus traktierte. Tschanden Sing wurde durch das ganze Dorf geschickt, um alle Bunyas (Kaufleute) des Ortes in mein Zelt zu berufen. Reis, Mehl, 8 Pfund Butter (Ghi), eine große Quantität Zucker, Pfeffer, Salz und ein fettes Schaf wurden gekauft. Das letztere wurde von dem treuen Tschanden Sing, der wirklich ein Allerweltskerl war, geschlachtet, abgezogen und in vorgeschriebener Weise zurechtgemacht. Leider bin ich ein wenig sorgsamer Haus- oder vielmehr Zelthalter und so übertrug ich meinen Tschaprassis das Geschäft, die Vorräte aufzubewahren. Zu diesem Zweck erschien der Raum unter der landesüblichen Bettstelle vorzüglich geeignet, da er groß genug war, die verschiedenen Gefäße mit dem in Stücke zerlegten Schafe, sowie Reis, Mehl, Butter usw. aufzunehmen. Während dies getan wurde, arbeitete ich eifrig an meiner Schreiberei, und da mich dieselbe immer mehr interessierte, blieb ich bis zu früher Morgenstunde dabei, wurde schließlich müde und legte mich, in meine Decke eingewickelt, zum Schlafen nieder, neben mir einen Haufen von Steinen, den der vorsichtige Tschanden Sing aufgeschichtet hatte. »Sahib, es gibt hier herum viele hungrige Hunde. Wenn sie kommen, so sind hier einige Wurfgeschosse für sie bereit«, hatte er warnend gesagt und wies dabei auf jene Munition hin. »~All right.~ Gute Nacht!« Die Weisheit dieser Einrichtung zeigte sich bald; denn ich hatte noch nicht lange geschlafen, als ich durch das Geräusch schmatzender Lippen geweckt wurde, das allem Anschein nach von mehr als einem Maule kam und begleitet war von einer zitternden Bewegung des ausgespannten Segeltuchbettes, auf dem ich lag. Schnell aufspringend, geriet ich in ein Gewimmel unwillkommener Gäste. Ehe ich mir noch klar darüber war, was geschehen, hatten die Bestien schon das Weite gesucht, die letzten Bissen meiner Leckereien in ihren Schnauzen forttragend. Die mir zur Verfügung stehende Munition war bald verbraucht -- eine ungenügende Rache trotz des Geheuls eines Hundes, den ich im Dunkeln zufällig getroffen hatte. Ich zündete ein Streichholz an und fand die großen Messingschalen geleert, Reis und Mehl durch das ganze Zelt verstreut und das Schaf tatsächlich verschwunden. Ich war entschlossen, mich nicht um die Befriedigung meines Gelüstes, das mich jetzt um so mehr reizte, bringen zu lassen, kroch aber doch in meine Decke zurück und fand für eine Weile im Schlafe Vergessen. Kaum war ich am Morgen aufgestanden, als ich auch schon ein neues Bankett plante. Aber gerade zur rechten Zeit kehrte der Kommissar von einem Marsche mit seinen Polizisten, Munschis, Punditen und Tschaprassis zurück. »Machen Sie sich keine Sorge, Mr. Landor«, sagte er freundlich, als ich ihm mein Mißgeschick erzählt hatte. »Kommen Sie zum Mittagessen zu mir. Meine Burschen sollen Ihnen ein ganz besonderes Diner nach ihrer eigenen Art zurichten.« Dank dem Kommissar und dank dem glücklichen Zusammentreffen, daß mir gerade an diesem Tage durch einen Boten aus Chela ein Paket Briefe von Verwandten und Freunden überbracht wurde, konnte ich wirklich kaum einen glücklicheren Geburtstag verbringen. Ich war mir wohl bewußt, daß es die letzten vergnügten Augenblicke, die letzten Fleischtöpfe Ägyptens sein würden. Von jetzt ab sollte ich von der Zivilisation und allem, selbst dem primitivsten, Komfort abgeschnitten sein, und, um mir diese Tatsache noch nachdrücklicher zum Bewußtsein zu bringen, traf es sich, daß der Kommissar am folgenden Morgen seine Reise nach Almora fortsetzte. Das Wetter war kalt, der Regen fiel in Strömen; selbst während der wärmsten Stunden des Tages stieg das Thermometer nicht über 11 Grad Wärme. Mein durchweichtes Zelt stand in einer Wasserpfütze trotz der Doppelgräben, die darum gezogen waren. Mehrere Schokas hatten mich schon vorher gebeten, es zu verlassen und in einem ihrer Häuser zu wohnen. Sie waren alle eifrigst bemüht, mir Gastfreundschaft zu erweisen, was ich, um ihnen nicht lästig zu fallen und um für alle Fälle in meinen Entschließungen ungehindert zu bleiben, höflich, aber entschieden ablehnte. Nichtsdestoweniger kam am 4. Juni eine Deputation, die ihre Aufforderung wiederholte. Aber ich war entschlossen, meinen Willen durchzusetzen. Vergebens! Sie wollten einen Sahib nicht unter einer einfachen Zeltleinwand wissen, während sie selbst behagliche Wohnungen hätten. Sie berieten sich miteinander, und plötzlich wurde mein Gepäck ergriffen und trotz meines Einspruchs von einer Anzahl kräftiger Schokas im Triumph nach dem Dorfe getragen. Ich mußte ~nolens volens~ folgen, und von jenem Tage an wurde ich durch beständigen Verkehr mehr und mehr von der natürlichen Freundlichkeit und Gutherzigkeit dieser Leute überzeugt. Um mich an der Rückkehr zu verhindern, rissen sie sogar das Zelt nieder und schleppten es, naß wie es war, hinweg. Zeheram und Jaimal, zwei vornehme Schokas, hielten meine Hände und klopften mich freundschaftlich auf den Rücken, während sie mich mit allen Zeichen der Höflichkeit nach meiner neuen Wohnung führten. Diese stellte sich als ein schönes zweistöckiges Gebäude heraus mit hübsch geschnitzten Holztüren und rot und grün bemalten Fensterstöcken. So groß war die Besorgnis und Furcht dieser guten Leute, daß ich in diesem kritischen Moment wieder zurückgehen könnte, daß einige zwanzig ausgestreckte Hände mich bei den Armen ergriffen, während andere mich von hinten eine Treppe von zehn oder zwölf Stufen in das Haus hinaufdrängten, wo ich mich nun als Gast meines guten Freundes Zeheram befand. Ich erhielt den vordern Teil des obern Geschosses, der aus zwei großen reinlichen Zimmern bestand mit einer sehr schönen einheimischen Bettstelle, einem Tische und ein paar Moras, runden, mit Fell bedeckten Rohrstühlen. Ich hatte mir kaum klargemacht, daß ich hier bleiben müsse, als auch schon Geschenke von Süßigkeiten, eingemachten Früchten, getrockneten Datteln und Tee gebracht wurden, und der Tee nach tibetischer Art, mit Butter und Salz darin, zubereitet wurde. Selbst wenn ich zuerst ein leichtes Mißtrauen gegen eine so ungewöhnliche Gastfreundschaft empfunden hätte, so wurde dieses doch bald zerstreut, und ich war stolz, als mir mein Wirt versicherte, daß ich der erste Engländer oder wohl auch Europäer oder Amerikaner sei, dem es gestattet würde, die Wohnräume eines Schokahauses zu betreten und in einer Schokawohnung zu essen. Die Gelegenheit war zu günstig, um unausgenutzt zu bleiben, und ich hatte große Lust, länger unter ihnen zu verweilen, um einen Einblick in ihre Lebensweise, ihre Sitten und Gebräuche erlangen und vor allen Dingen die unveränderliche Freundlichkeit dieser ehrlichen Gebirgsbewohner würdigen und genießen zu können. Sie sind in der Tat geborene Gentlemen, diese würdigen Schokas, und als solche taten sie alles, was in ihren Kräften stand, meinen Aufenthalt unter ihnen angenehm zu machen. Es war ein förmlicher Wettstreit zwischen ihnen, wer mich zuerst bewirten und wer folgen sollte. Einladungen zum Frühstück und Mittagessen strömten mir buchstäblich zu, aber die so bequeme »Migräne«, »Erkältung« und »frühere Verpflichtungen«, die in konventionellern Gegenden so wohl angebracht sind, waren hier von keiner Wirkung. Weder Karte noch freundliches Briefchen forderten einen hier auf, zu kommen und vergnügt zu sein. Die Gastgeber erschienen gewöhnlich in eigener Person ~en masse~, um mich abzuholen, bei welcher dringenden Aufforderung es ohne Zerren und Schieben nicht abging. So konnte von einer Ablehnung keine Rede sein; und wirklich war ich meinerseits auch wenig geneigt, abzulehnen. Wenn ich kam, breitete der Wirt schöne Matten und Decken von tibetischer oder alter chinesischer Arbeit und oft von großem Werte auf dem Boden aus. Vor einem erhöhten Sitze standen in glänzenden Messingschalen die verschiedenen Speisen und Leckereien aufgebaut, die das Mahl bilden sollten. Reis gab es jedesmal, dann Hammelfleisch mit Curry, süße und sauere Milch mit Zucker; dann Tschapatis nach hindostanischer Art und Schale, eine Art süßen aus Mehl bereiteten Pfannkuchens, Ghi, Zucker oder Honig, sowie auch Parsad, einen dicken Brei von Honig, gebranntem Zucker, Butter und Mehl, alles gut zusammengekocht, sogar für einen verwöhnten Gaumen eine leckere Speise. Ich mußte unbedingt auf dem erhöhten Sitze Platz nehmen, was ich mit übereinandergeschlagenen Beinen tat, während die Menge, respektvoll auf dem Boden im Zimmer kauernd, einen Halbkreis bildete, dessen Mittelpunkt ich war. Ich aß gewöhnlich nach Landessitte mit den Fingern, eine Höflichkeit, die sie besonders schätzten, und obgleich ich ihnen zuerst ungeschickt vorgekommen sein muß, erlangte ich doch bald eine gewisse Gewandtheit in der Behandlung heißer Speisen mit den Händen. Das Kunststück ist nicht sehr schwierig, aber es erfordert Übung. Man führt die fünf nach unten gespreizten Finger in der Schüssel zusammen, ergreift einen Bissen und umgibt mit einer raschen Kreisbewegung der Hand das Stück, das man erwischt hat, mit so viel Sauce, als man kann. Mit einer noch schnelleren Bewegung, und ehe nur ein Tropfen Zeit gehabt hat, zwischen den Fingern hindurchzuschlüpfen, läßt man den Bissen in den Mund gelangen, indem man ihn halb wirft, halb fallen läßt. Ich fand bald, daß ich bei diesen gemütlichen Mahlzeiten, die durch mäßigen Genuß von Tschökti und Syrap, aus Weizen destilliertem Wein und Schnaps, belebt wurden, in anthropologischer und ethnologischer Hinsicht manches schätzbare Material über diese tibetische Grenzbevölkerung sammeln konnte. Die Schokas wurden in den wenigen Tagen, die ich unter ihnen zubrachte, so vertraulich mit mir, den sie fast als einen der Ihrigen betrachteten, daß ich bald vom ganzen Orte überlaufen wurde. Sie kamen, um mir ihre Not und Kümmernis anzuvertrauen, erzählten mir ihre Sagen und Märchen, sangen mir ihre Lieder vor und lehrten mich ihre Tänze. Sie brachten mich zu ihren Hochzeiten und ihren seltsamen Leichenfeierlichkeiten, führten mich zu den kranken Männern, Weibern und Kindern oder schickten sie zu mir, damit ich sie heilen sollte. Am 6. Juni machte ich einen Abstecher nach der Grenze, mit der Absicht, sie zu rekognoszieren. Ich gelangte, nachdem ich den Fluß unterhalb des Dorfes Tschongur überschritten hatte, in das Gebiet von Nepal. Durch ein abermaliges Überschreiten des Flusses wieder in Kumaon angelangt, schlug ich mein Lager bei Gungi auf. Ehe ich das Dorf betrat, kam ich an ~Dr.~ Wilsons noch nicht vollendeter Apotheke vorbei. Der Ort war malerisch gelegen und hob sich scharf von dem merkwürdigen Hintergrund ab, den der kuppelförmige Berg Nabi Schankom bildet, ein ungewöhnlich schöner Gipfel mit grau und rot gestreiften Gesteinsschichten. Nicht weit davon ragt auf einem andern Berge der Gungi Schankom empor, ein vierkantiger, gigantischer Felsblock von gelber und rötlicher Farbe, einem gewaltigen Turme nicht unähnlich. Als ich an seinem Fuße ankam, warf die Sonne ihre letzten Strahlen auf ihn; das Bild war so zauberhaft, daß ich versuchte, es zu malen. Während ich dort saß, stiegen die Schatten der Nacht höher und höher an dem Bergabhang empor und tauchten ihn in eine veilchenblaue Färbung; über ihm glänzte wie ein feuriger Turm der Gungi Schankom in all seiner Pracht, bis die Schatten noch höher stiegen und zuerst nur den Berg, dann allmählich auch den Gungi Schankom bedeckten. Am nächsten Tage um 10 Uhr vormittags hob ich das Lager auf. Die Höhe hier betrug 3330 Meter. Interessant war das Tschiram, ein Platz mit fünf Gräbern, die aus weißen Steinplatten bestanden mit senkrecht darauf gepflanzten Stangen, von deren Spitze fliegende Gebete herabhingen. Ich kam bald auf viel Schnee und an Stellen, wo der Weg am Berghange nicht mehr zu sehen war. Das Gehen auf dem losen Schutt und Schiefer war ermüdend, aber es wurde noch schlimmer, als ich tatsächlich jeden Tritt in den gefrorenen Schnee einschneiden mußte. Ich kam nur langsam vorwärts. Nach einiger Zeit bemerkte ich eine Reihe hoher Schneetunnel über dem reißenden Strome, der zu früherer Jahreszeit mit einem Gewölbe von Eis und Schnee gänzlich überdeckt ist. Je höher ich kam, desto härter wurde der Schnee. Die erst durchweichten und dann gefrorenen Sohlen meiner Schuhe machten das Gehen sehr schwierig. In 3600 Meter Höhe, etwa 90 Meter über dem Strom, mußte ich ein besonders großes, hart gefrorenes und in sehr steilem Winkel ansteigendes Schneefeld überschreiten. Einige meiner Kulis waren vorausgegangen, die andern waren hinter mir. Trotzdem die vordern schon einen Pfad ausgetreten hatten, mußte man doch mit seinen eigenen Füßen jeden Schritt aufs neue einschneiden, um ein Ausgleiten zu vermeiden. Dies erreichte man am besten dadurch, daß man mit der Spitze des Schuhes mehrmals auf die weiße Decke aufschlug, bis eine Höhlung von ausreichender Größe gemacht war, um den Fuß hineinstellen und sich aufrecht halten zu können. Es mußte dabei jedesmal sehr vorsichtig zu Werke gegangen werden, aber leider fehlte mir die Geduld dazu. Ich glaubte eine bessere Methode gefunden zu haben, indem ich mein Knie hochhob, mit dem Hacken in den Schnee stieß und mit dem einen Fuß feststehen blieb, bis der andere auf dieselbe Weise den nächsten Schritt eingeschnitten hatte. Im Begriff, einen dieser heftigen Stöße auszuführen, traf ich auf eine Stelle, wo sich unter der dünnen Schneedecke hartes Eis befand. Mein Fuß, der keinen Halt fand, glitt aus, ich verlor das Gleichgewicht und sauste mit erschreckender Schnelligkeit den steilen Abhang hinunter, auf meiner unfreiwilligen Rutschpartie von Eis- und Schneemassen und dem Geschrei meiner entsetzten Kulis begleitet. Ich sah sofort die Gefahr vor mir, in den Strom geschleudert zu werden, der mich unfehlbar in den langen Eistunnel reißen mußte, unter welchem mir der Tod sicher war. [Illustration: Die Tschongurbrücke vor der Zerstörung.] In diesen wenigen Sekunden fand ich doch Zeit zu überlegen, ob die Steine am Rande des Wassers mich aufhalten oder ob die Wucht des Anpralles mich kopfüber in den Fluß schleudern würde. Ich versuchte, mich mit meinen erfrorenen Fingern in dem Schnee festzukrallen, mich mit den Hacken festzustemmen -- vergebens! Plötzlich erblickte ich vor mir einen großen, aus dem Schnee hervorragenden Stein. [Illustration: Die Photographie, die den Tod des Kindes verursachte.] Er war meine letzte Hoffnung, und mit verzweifelter Anspannung jedes Muskels und jedes Nervs suchte ich ihm näherzukommen. Vorsichtig streckte ich meine Beine für den Anprall aus. Der Stoß war furchtbar und schien jeden Knochen in meinem Leibe zu zermalmen. Aber er hielt mich auf, und ich war gerettet -- nur wenige Fuß über dem Rande des Wassers. Wunderbarerweise hatte ich, wenn auch schrecklich zerschunden, doch keine schwere Verletzung davongetragen. [Illustration: Man Sing, der Aussätzige. H. S. Landor. Tschanden Sing, der Expolizist. Der Verfasser und seine zwei treuen Gefährten.] Meine Finger waren vom Eise zerschnitten und bluteten; meine Kleider waren zerrissen. Als ich wieder aufrecht stehen konnte, gab ich den erschreckten, jammernden Kulis über mir ein Zeichen, weiterzugehen; ich selbst ging am Flusse entlang, bis ich an eine Stelle kam, von der ich den obern Pfad wieder erreichen konnte. Achtes Kapitel. Der erste tibetische Spion. In Kuti machte ich halt und berief die vornehmsten Eingeborenen in mein Zelt. »Würde es möglich sein,« fragte ich sie, »über den Lumpiyapaß oder über den noch höhern Mangschan zu gehen?« Der erstere ist ein selten begangener Paß auf dem Wege nach Gyanema, der andere ein sehr schwieriger Paß, über den es aber doch möglich ist, durch die Wildnis nach dem Rakastal-See zu gelangen, ohne in die Nähe von tibetischen Niederlassungen oder Lagern zu kommen. »Nein!« lautete die entschiedene Antwort sämtlicher Schokas. »Der Schnee ist jetzt zu tief. Täglich fällt neuer Schnee. Für die nächsten vierzehn Tage wenigstens möchten wir jedem abraten, hinüberzugehen. Der Versuch wäre der sichere Tod. Sogar in der besten Zeit während eines Monats im Sommer sind diese beiden Pässe schwer ersteigbar und gefährlich; jetzt aber würde es reiner Wahnsinn sein, den Übergang zu versuchen.« Meiner skeptischen Natur entsprechend, glaube ich wenig von dem, was ich nicht sehe. Ich machte mich also am nächsten Morgen auf den Weg, um allein zu rekognoszieren. Als sie mich so fest entschlossen sahen, änderten mehrere Schokas ihre Meinung und erboten sich, mir zu folgen. Sie waren mir an vielen gefährlichen Stellen von außerordentlichem Nutzen. Hin und wieder waren ein paar Schritte des schmalen Pfades schneefrei; sonst führten weite Strecken auf gefrorenem Schnee entlang, über Abgründen, in die hinabzublicken schon gefährlich war. Die glückliche Rettung, die ich tags zuvor erlebt, hatte mein Vertrauen zu mir selbst nicht vermindert, mich aber mißtrauisch gemacht gegen jenes weiße Symbol der Reinheit und Unschuld, das in Wahrheit der am meisten heimtückische Stoff der Schöpfung ist. Ich fand bald heraus, daß wo Schnee war, auch Mühsal und Gefahr nicht fehlten. An Stellen, wo der Schnee besonders hart gefroren war, wagten wir nicht, auf der steilen, glatten Fläche zu gehen, und mußten zum Flusse hinabsteigen, der hier gänzlich mit Eis und Schnee überbrückt war. Wir überschritten ihn und versuchten, auf der andern Seite weiterzugehen. Wenn wir mit Mühe einige hundert Meter marschiert waren, mußten wir umkehren und unser Heil wieder auf dem ersten Ufer versuchen. So gingen wir wohl ein halbes dutzendmal über den Kuti hin und her, jedesmal nach einem steilen Abstieg, dem sofort ein steiler Anstieg folgte. Die Spalten im Eise neben dem Flusse waren häufig und gefährlich, und wir wagten nicht, länger als durchaus notwendig neben ihnen zu verweilen. In sechs bis sieben Stunden hatten wir eine Entfernung von noch nicht 7 Kilometer zurückgelegt. Wir verließen den Kuti und folgten in nördlicher Richtung dem Laufe eines seiner Nebenflüsse, des Kambelschio, den wir überschritten, um auf dem jenseitigen Ufer in einer Höhe von 4090 Meter unser Lager aufzuschlagen. Es blieben mir bei unserer Ankunft noch einige Tagesstunden, die ich benutzte, um Jagd auf Himalajagemsen zu machen. Ich stieg an einem nadelähnlichen Gipfel bis 4570 Meter empor. Die Aussicht von diesem hohen Punkte war wunderbar! Meilenweit, es schienen Hunderte von Meilen zu sein, Schnee, nichts als Schnee! Dort erhob sich der Berg Jolinkan zu einer Höhe von über 5790 Meter. Auf jeder Seite des Kutiflusses ragten Gipfel von 6000 Meter und mehr empor. Hier und dort erschien die sonst weiße Decke, die auf dem Lande ringsum lag, fast grünlich gefärbt. Diese Stellen, deren ich viele sah, waren Gletscher, von denen die zahlreichen dem Kuti zuströmenden Flüsse gespeist werden. Ich kehrte zum Lager zurück; es war nutzlos, noch weiterzugehen, und noch nutzloser, länger zu bleiben. Ich gab Befehl, das Lager abzubrechen, und um 2 Uhr nachmittags waren wir auf dem Rückwege nach Kuti. Es war ein ungewöhnlich warmer Tag, und die Oberfläche des Schnees, die am vorigen Tage so hart gewesen, war jetzt weich und wässerig. Mehrere der Schneebrücken waren schon verschwunden. Einige meiner Kulis ließ ich zum Flusse hinunter vorangehen. Zwei von ihnen, die dicht vor mir gingen, schritten auf einer starken und breiten Eisbrücke über den Fluß. Ich wartete, bis sie sicher drüben wären. Als sie beinahe auf der andern Seite angekommen waren, fühlten sie ein eigentümliches Zittern unter ihren Füßen. So gut es ging, krochen sie auf allen vieren weiter und warnten durch Zurufe. Schnell trat ich zurück, gerade zur rechten Zeit! Denn mit einem betäubenden Gekrach, das wie der stärkste Donner von Fels zu Fels zurückgeworfen wurde, stürzte die Brücke in die Tiefe. Die gewaltigen Eisstücke, die einen Augenblick zuvor noch einen Teil der Wölbung gebildet hatten, wurden jetzt von dem brausenden Strome fortgerissen und mit furchtbarer Gewalt gegen die nächste, unter dem schrecklichen Anprall erzitternde Eisbrücke geworfen. Ein Marsch von drei Tagen brachte uns auf demselben Wege nach Garbyang zurück. -- Als ich erfuhr, daß ~Dr.~ Wilson sich in Garbyang befand, machte ich ihm einen Besuch. Auf weichen chinesischen und tibetischen Matten und Decken sitzend, genossen wir eine Tasse Tee nach der andern und aßen Tschapatis dazu, als plötzlich das ganze Gebäude in der seltsamsten Weise sich zu schütteln und zu rütteln anfing, wobei die Tee- und Milchkanne umfielen und die Tschapatis in der ganzen Stube umherrollten. Ich überließ es ~Dr.~ Wilson, unser kostbares Getränk zu retten, und zog Uhr und Kompaß hervor, um Dauer und Richtung des Stoßes festzustellen. Er war wellenförmig, sehr heftig und von Südsüdwest nach Nordnordost gerichtet. Das Erdbeben begann um 5 Uhr 20 Minuten nachmittags und endete um 5 Uhr 24 Minuten 2 Sekunden. »Es scheint mir, daß wir klüger getan hätten, das Haus zu verlassen«, sagte ich. »Es ist ein Wunder, daß das Gebäude nicht eingestürzt ist. Meine Tasse ist voller Lehm von der Decke.« »Ich habe den Tee für Sie gerettet!« sagte der Doktor und hob triumphierend die Teekanne empor, die er sorgfältig an sich gedrückt hatte. Er hatte meine Neigung für die gelbe Flüssigkeit schon entdeckt. Wir setzten unsere Mahlzeit ruhig fort, als plötzlich eine Schar aufgeregter Schokas ins Zimmer stürzte. »Sahib! Sahib! Wohin ist es gegangen?« riefen sie im Chor, die Hände nach mir ausstreckend und sie dann zum Zeichen des Gebetes faltend. »Sahib! Sage uns, wohin es gegangen ist.« »Was?« fragte ich, durch ihre Angst belustigt. »Hast du nicht gefühlt, wie die Erde bebte und zitterte?« riefen sie erstaunt aus. »O ja, das ist aber weiter nichts.« »Nein, nein, Sahib! Das ist die Ankündigung eines großen Unglücks. Der Geist unter der Erde erwacht und schüttelt seinen Rücken.« »Es ist mir lieber, wenn er seinen Rücken schüttelt als den meinen«, sagte ich scherzend. »Oder meinen«, fügte der Doktor zur größten Verwunderung unserer geängstigten Besucher bei. »Wohin ist es gegangen?« wiederholten ungeduldig die Schokas. Ich zeigte nach Nordnordost, und sie seufzten erleichtert auf. Es mußte nach der andern Seite des Himalaja gegangen sein. Nach den Vorstellungen der Schokas lebt im Innern der Erde ein böser Geist in Gestalt eines riesenhaften Wurmes in einem Zustande der Erstarrung. Das einem Erdbeben vorangehende Rollen ist nichts anderes als der schwere Atem des Ungetüms vor seinem Erwachen, der wirkliche Stoß dagegen wird dadurch veranlaßt, daß das Tier sich dehnt und reckt. Völlig erwacht, schnellt der schlangenähnliche Dämon empor, bricht sich in irgendeiner Richtung Bahn und zwingt dadurch die Erde, an seinem unterirdischen Wege entlang zu erbeben. Bei diesem gewaltsamen Vorgehen richtet er großen Schaden an Besitz und Leben an, der Furcht und des Schreckens nicht zu gedenken, die Mensch und Tier bei der Vorstellung empfinden, daß der launenhafte Geist eines schönen Tages vielleicht gerade unter die Stelle der Erdkruste zurückkehren könnte, auf der sie selbst stehen. Es muß überraschen, daß die Schokas neben ihren Ansichten über den Ursprung des Erdbebens sich der Tatsache wohlbewußt sind, daß ein Erdbeben stets eine bestimmte Richtung verfolgt. Auch werden die gewöhnlichen Symptome der Annäherung eines heftigen Bebens, wie die Depression in der Atmosphäre, die sie einem fieberhaften Zustande des Riesenwurmes zuschreiben, von ihnen ohne weiteres erkannt. Als ich einige Monate später in die zivilisierte Welt zurückkehrte, hörte ich, daß an jenem Tage in ganz Indien ein heftiger Erdstoß bemerkt worden war, der namentlich in Kalkutta beträchtlichen Schaden angerichtet hatte. -- Eines Tages machte ich einen Spaziergang auf der öden Straße vor dem Dorfe. Ich war etwa zwei Kilometer von dem bewohnten Teile entfernt, als drei Männer, die mir rasch entgegengekommen waren, plötzlich vor mir stillstanden. Sie waren mit stumpfen Schwertern bewaffnet, die sie ungeschickt schwangen, wobei sie so laut sie konnten und in sichtlicher Aufregung: »~Rupiya, Rupiya!~ Rupien, Rupien!« riefen. Ich eilte rasch an den Räubern vorbei und setzte dann ruhig meinen Spaziergang fort. Als sie mich abgehen sahen, rannten sie eilig auf Garbyang zu, und ich dachte nicht weiter an das Erlebnis. Bei meiner Rückkehr in das Dorf jedoch kam eine Menge Schokas zu mir, um mir zu melden, daß mein Geld angekommen sei und daß die eingeschüchterten Boten, die nicht wagten, zum zweitenmal in meine Nähe zu kommen, sich in das Haus des ~Dr.~ Wilson begeben hätten. Dort fand ich einen Peon und zwei Tschaprassis, die drei Männer, denen ich auf meinem Spaziergang begegnet war. Sie hatten mir etwa 1800 Rupien gebracht, fast die ganze Summe in Zwei- und Vierannastücken (1 Anna = 1/16 Rupie = 8,4 Pfennig), die ich mir von meinem Bankier in Almora hatte kommen lassen und an deren Last die drei Mann zu tragen gehabt hatten! Nach einer einfachen Verständigung mit diesen drei sehr friedlichen »Straßenräubern« wurde das Geld in mein Zimmer gebracht. Ein großer Teil der Nacht verging damit, die winzigen Münzen nachzuzählen und in Rollen zu je zehn Rupien zu verpacken. -- Gerade unterhalb Garbyang befanden sich im Kali, und zwar in der Mitte des Flußbettes, unter einer Masse anderer Steine zwei große Felsblöcke. Diese wurden von den Schokas beständig beobachtet, da sie wissen, daß die Pässe offen sind, wenn die beiden Felsblöcke gänzlich unter Wasser stehen. Der Lippupaß, der niedrigste von allen, kann übrigens fast das ganze Jahr hindurch passiert werden, wenn auch zum Teil mit Schwierigkeiten. Ich hatte während meines Aufenthalts in Garbyang nie das Glück, dies zu sehen; aber der Wasserstand des Flusses stieg täglich, und die langweilige Zeit des Wartens wurde durch viele lästige und auch durch einige unangenehme Ereignisse unterbrochen. Nachdem der Jong Pen von Taklakot in Tibet einmal von meinen Plänen Kenntnis erhalten hatte, ließ er sich beständig über meine Bewegungen unterrichten. Seine Spione gingen täglich mit ausführlichen Berichten über mich hin und her, was mir regelmäßig von meinen Freunden vertraulich mitgeteilt wurde. Einer jener Kundschafter, ein kräftiger Tibeter, der unverschämter war als die andern, war so dreist, in mein Zimmer zu kommen und mich in heftigem Tone anzureden. Zuerst behandelte ich ihn freundlich; aber er wurde immer frecher und sagte mir in Gegenwart mehrerer erschrockener Schokas, vor denen er sich brüsten wollte, daß der britische Boden, auf dem ich stehe, tibetisches Eigentum sei. Die Briten, sagte er, seien Eindringlinge und hier nur geduldet. Er erklärte die Engländer für Feiglinge, die Furcht hätten vor den Tibetern, obwohl diese die Schokas bedrückten. Dies war denn doch zu viel für mich, und es wäre wohl auch unklug gewesen, es ohne Erwiderung hingehen zu lassen. So packte ich ihn denn bei seinem Zopf und versetzte ihm eine Anzahl kräftiger Schläge ins Gesicht. Als ich ihn losließ, warf er sich heulend zu Boden und flehte um Verzeihung. Um ihm meine Autorität ein für allemal einzuschärfen, ließ ich ihn vor den versammelten Schokas meine Schuhe mit der Zunge belecken. Darauf wollte er sich davonschleichen, aber ich ergriff ihn nochmals beim Zopfe und stieß ihn die Stufen hinab, die er unaufgefordert zu betreten gewagt hatte. Tschanden Sing sonnte sich eben zufällig am Fuße der Treppe und stürzte sich, als er den verhaßten Fremdling eine so schimpfliche Verabschiedung erhalten sah, wie eine Katze auf ihn. Er hatte gehört, wie ich sagte: »~Ye admi bura irab!~ Das ist ein schlechter Kerl!« Das war genug für ihn, und ehe noch der Tibeter wieder auf den Füßen stand, bedeckte ihm mein Träger das eckige Gesicht schon mit einem wahren Hagel von Schlägen. In der Erregung des Augenblicks begann Tschanden Sing, der sich wie ein Held vorkam, auf seinen geängstigten Gegner sogar mit großen Steinen loszugehen, und zuletzt ergriff er ihn beim Zopfe und zog ihn daran rings um den Hof, bis ich dazwischentrat und diesem zu weit gehenden Sport ein Ende machte. Neuntes Kapitel. Aus dem Leben der Schokas. Eine Einrichtung der Schokas, die bei einem primitiven Volke überraschend, aber meiner Ansicht nach außerordentlich verständig und nützlich ist, ist das Rambang, ein Versammlungsort oder Klub, wo Mädchen und junge Männer nachts zusammenkommen, um sich gegenseitig näher kennenzulernen, ehe sie eine Ehe eingehen. Jedes Dorf besitzt eine oder mehrere Anstalten dieser Art, die unterschiedslos von allen wohlhabenden Leuten gefördert und als eine solide Basis für die Schließung von Ehen anerkannt werden. Die Rambanghäuser stehen entweder im Dorfe selbst oder auf halbem Wege zwischen zwei Dörfern, so daß die jungen Mädchen des einen in freundschaftliche Beziehungen zu den jungen Männern des andern treten können und umgekehrt. In Begleitung von Schokas besuchte ich viele dieser Häuser. Rings um ein großes Feuer in der Mitte des Raumes saßen die jungen Burschen und Mädchen paarweise beieinander, Wolle spinnend und lustig plaudernd. Alles ging vollkommen anständig zu. In den ersten Morgenstunden schienen sie sentimentaler zu werden und fingen an, ohne Instrumentalbegleitung Lieder zu singen, wobei das Anschwellen und Senken der Stimmen unheimlich und schauerlich klang. Die Schokas besitzen sanfte, klangvolle Stimmen, und die Töne, die sie hervorbringen, sind nicht etwa nur ein fortgesetztes aus der Kehle kommendes Geräusch, sondern, wenn ich so sagen darf, ein Hervorzittern von Eindrücken, die aus dem Herzen dringen und durch die Stimme andern mitgeteilt werden. Ist der Charakter der Schokamusik auch rein orientalisch, so ist sie dem Ohre des Abendländers doch wohltuend, nicht etwa, weil sie schnelle Übergänge, Schnörkel oder irgendwelche kunstvolle Technik besäße, sondern weil sie den Eindruck von wahrem Gefühl macht. Die Rezitative, die von einem jungen Manne und einem Mädchen gesungen wurden, gefielen mir am besten. Alle ihre Gesänge sind klagend; sie enthalten Modulationen, die einen geheimnisvollen Reiz haben. Die Schokas singen nur, wenn die Stimmung sie dazu treibt, nie mit der Absicht, andere zu erfreuen. Ihre Liebeslieder beginnen gewöhnlich mit einem sentimentalen Rezitativ und gehen dann in Gesang über mit häufigem Wechsel aus einer Tonart in die andere. Der Takt ist unregelmäßig, und obgleich gewisse rhythmische Eigentümlichkeiten beständig wiederkehren, so gibt doch jeder Sänger allem, was er singt, ein so starkes persönliches Gepräge, daß er daraus fast eine individuelle Komposition macht. Wenn man Schokas zum ersten Male singen hört, möchte man glauben, jeder Sänger improvisiere, aber bei genauerer Beobachtung wird man finden, daß musikalische Phrasen, gewisse Lieblingspassagen und Modulationen nicht nur im einzelnen Liede, sondern in allen Gesängen wiederkehren. Sie scheinen alle auf dieselbe klagende Melodie begründet zu sein, die wahrscheinlich sehr alt ist, aber der verschiedene Takt, in dem sie vorgetragen wird, und die Eigenheiten des Sängers geben ihr einen besondern Charakter. Eine kennzeichnende Eigenschaft der Schokagesänge ist wie bei so vielen andern orientalischen Melodien die, daß sie keinen eigentlichen Abschluß haben, und das verdarb sie für meine Ohren. Während die Schokas singen, heben sie den Zipfel ihres weißen Schals oder Gewandes auf und halten ihn an die Seite des Kopfes. Das Rauchen war allgemein, wobei jedes Paar zusammen eine Pfeife benutzte. Einige in die Wand gesteckte brennende Tannenscheite bilden neben dem in der Mitte des Zimmers langsam brennenden Feuer die einzige Beleuchtung. Mit dem Herannahen des Morgens machte sich der Schlaf geltend, und bald zogen sich alle paarweise zurück und legten sich in ihren Kleidern auf einer weichen Unterlage von Stroh und Gras neben den Hütten zum Schlafen nieder. Dort ruhten sie friedlich in einer Reihe, während ich nach meiner Behausung zurückging inmitten des betäubenden Bellens herrenloser Hunde. Durch diese Versammlungen kommt jedes Schokamädchen regelmäßig mit jungen Männern zusammen, und während sie den Gedanken hegt, unter ihnen einen passenden Lebensgefährten zu wählen, leistet sie mit ihrem Spinnrade eine beträchtliche Arbeit. Wenn ein Paar die Heirat beabsichtigt, geht der junge Mann, mit seinen besten Kleidern angetan, in das Haus seines zukünftigen Schwiegervaters, indem er einen Topf mit Tschökti, getrocknete Früchte, Ghur (süßer Brei), Miseri (Kandiszucker) und geröstetes Korn mitbringt. Wenn der Bräutigam als eine passende Partie erscheint, empfangen die Eltern des Mädchens den jungen Mann mit gebührender Achtung und beteiligen sich herzhaft an dem von ihm angebotenen Essen und Trinken. Die Heirat wird auf der Stelle abgemacht, und der Bräutigam zahlt dem Vater eine Summe von nicht unter fünf und nicht über hundert Rupien aus. Das ist die Etikette der »guten Gesellschaft« bei den Schokas und der Leute, welche die Mittel dazu haben. Diese Bezahlung wird »Milchgeld« genannt, d. h. Geld, das der Summe entspricht, die die Verwandten des Mädchens für dessen Aufziehen verwendet haben. Die Hochzeitszeremonie ist ziemlich einfach. Ein Kuchen, Delang genannt, wird gebacken, von dem die Freunde der beiden Familien essen. Wenn der Bräutigam oder die Braut sich weigert, ihren Anteil von dem Kuchen anzunehmen, ist die Verlobung aufgehoben; wenn sie beide etwas von dem Kuchen essen und später ein Zwist zwischen ihnen entsteht, werden alle diejenigen, die der Handlung beiwohnten, als Zeugen dafür aufgerufen, daß die Heirat stattgefunden habe. Oft schenkt man sich sogar diese einfache Zeremonie, und die Ehen der Schokas werden als glückliche und treue Verbindungen angefangen und fortgeführt, ohne daß irgendeine besondere Form von Gottesdienst oder Ritus den Bund heiligt. Den Ehebruch bestrafen sie nicht nur an dem schuldigen Manne selbst, indem sie ihn schlagen, sondern die Männer begeben sich auch in Haufen nach dem Hause seiner Eltern und berauben dasselbe des ganzen Hausrats, der Vorräte an Korn und Waren. Sie konfiszieren die Schafe, Ziegen, Jake und alle wertvollen Sättel und Lasten und schenken alles dem Manne, dessen Frau verführt worden ist, als eine Entschädigung für die erlittene Unbill. Oft auch werden die unschuldigen Verwandten des Missetäters von den Bewohnern des Dorfes gebunden und totgeschlagen. Man befolgt diese strengen Maßregeln, um einen hohen Standpunkt von Sittlichkeit und Ehre zu bewahren, und dieser Brauch, so barbarisch er auch erscheinen mag, findet seine Rechtfertigung doch durch die guten Resultate in bezug auf die allgemeine Moralität. Es gibt mit Ausnahme von gelegentlichen Rambangkindern nur sehr wenige außereheliche Geburten. Die erstern sind aber so verabscheut, daß das Vorkommnis nicht als eine ernstliche Herabwürdigung des Rambang betrachtet werden kann. Die Schokas schreiben den Tod dem Entweichen der Seele aus dem Körper zu, und dieser Vorstellung entspringt die merkwürdige Verehrung, die sie dem Gedächtnis der Toten erweisen. Ich war Zeuge von nicht weniger als sechs Leichenfeiern, die seltsam genug sind, um eine davon zu beschreiben. Ein Mann war infolge eines Unglücksfalls eines schmerzvollen Todes gestorben. Augenblicklich wurde nach seinen Freunden geschickt, und nachdem der Körper mit Butter gesalbt worden war, wurde er in die besten Gewänder gekleidet. Ehe die Erstarrung eintrat, bogen sie den Körper zusammen und legten ihn auf eine flüchtig zusammengefügte Bahre. Er wurde mit einem in Blau und Gold gestickten Tuch, über dem ein weißes lag, bedeckt. Bei Sonnenaufgang verließ der Leichenzug das Haus, um nach dem Verbrennungsorte zu gehen. Den Zug eröffneten zehn Frauen, deren Köpfe mit einem langen Streifen von weißem Baumwollzeuge umwickelt waren, dessen eines Ende an die Bahre gebunden war. Unter ihnen waren die nächsten Verwandten des Verstorbenen, seine Frau und seine Töchter, die »~Oh bajo! Oh bajo!~ O Vater! O Vater!« schrien und klagten, während die übrigen schluchzten und große Trauer zur Schau trugen. Da der Verstorbene allgemein beliebt gewesen war, kamen die Dorfbewohner vollzählig heraus, um ihm die letzte Ehre zu erweisen, und nahmen ihre Plätze in dem Zuge ein, während dieser seinen Weg langsam dem Flusse zu nahm. Der Leichnam wurde vorläufig an das Ufer des Flusses gelegt, während alle Männer barhäuptig große Steine und Holzstücke sammelten. Ein kreisrunder Verbrennungsofen, 1,5 Meter hoch, zirka 2 Meter im Durchmesser, mit einer Öffnung an der dem Winde zugekehrten Seite, wurde damit am Ufer errichtet. Alle wertvollen Gegenstände, seine goldenen Ohrringe, sein silbernes Gürtelschloß und die silbernen Armbänder wurden dem Toten schnell fortgenommen, und ein großes Messer wurde zu irgendeinem Zwecke benutzt, den ich nicht feststellen konnte, wenn es nicht der war, die Ohrläppchen des Toten damit aufzuschlitzen, um seine Ohrringe schneller zu entfernen. Auf den Körper wurden Tannenzweige gelegt und ein großer Topf mit Butter neben ihn gestellt. Eine Messingschale voll Wein wurde über den Kopf gegossen und dann unter tiefem Schweigen Feuer an den Holzstoß gelegt. Nach dem Dorfe zurückkehrend, schrien und klagten die Frauen, indem sie die Kleider des Verstorbenen und seine Messingschalen nach dem Hause zurücktrugen. Bei der Ankunft zu Hause lag es ihnen ob, reichlich für das Vergnügen der Seele des Verstorbenen zu sorgen. Eine aus Stroh und Stöcken hergestellte rohe Gliederpuppe wurde von ihnen mit den Kleidern des Verstorbenen angezogen und mit indischen, gold-, rot- und blaugestickten Geweben überdeckt; auf den Kopf wurde ein Turban gesetzt. An jedem Tage der Feierlichkeiten, die drei oder vier Tage dauerten, wurden Reis, gebackener Weizen und Wein vor die Puppe gestellt, bis die Auswanderung der Seele aus der Gliederpuppe in ein lebendes Schaf oder in einen Jak stattfindet. Nach einigen Tagen wird die Gliederpuppe aus dem Zimmer entweder vor das Wohnhaus oder nach irgendeiner malerischen Stelle im Walde getragen. Schalen mit Speisen werden vor sie gesetzt, und ein Tanz nach einer seltsamen, sentimentalen Melodie beginnt mit anmutigen Drehungen der Mädchen und Frauen, die große Stücke weißen Stoffes schwenken. Nachmittags schließen sich die Männer der Aufführung an, und obgleich ihr Tanz in der Hauptsache dieselben charakteristischen Eigenheiten und Bewegungen hat wie der Tanz der Frauen, so ist er gewöhnlich viel ungestümer, so daß er fast den Charakter eines Kriegstanzes trägt. Wenn anzunehmen ist, daß die Puppe sich gesättigt hat, wird die ganze Schar der Leidtragenden von der Familie mit Zucker, geröstetem Mais, Reis, Süßigkeiten, Ghur und Miseri bewirtet. Während das Volk ißt, kehren die Damen des Hauses unter raschem Trommelschlag zu dem Bildnis zurück und verneigen sich wieder in feierlichen, lang anhaltenden Verbeugungen. [Illustration: Tötung des geopferten Jaks.] Schließlich wird das zum Opfer bestimmte Tier, eine Ziege oder ein Jak, unter dem Abfeuern von Gewehren, dem Geheul, Gekreisch und betäubenden Gezische der versammelten Menge vor die Gliederpuppe gezogen. Um seine Hörner sind lange bunte Bänder gewunden, deren Enden an der Seite des Kopfes herabhängen. Unter den Nüstern des Tieres wird Sandelholz verbrannt, was nach dem Glauben der Schokas die Seele des Verstorbenen veranlaßt, sich in dem Tiere niederzulassen. Die Kleider, der Turban, der Schild, die Juwelen werden der Gliederpuppe vom Leibe gerissen und auf die Ziege gepackt, die jetzt die Verkörperung des Verstorbenen ist. Sie wird gefüttert, bis sie nichts mehr aufnehmen kann; Wein und Branntwein werden ihr in den Hals gegossen und große Schüsseln mit allen möglichen Leckereien vor sie hingestellt. Die weiblichen Verwandten widmen dem Tiere ihre zärtlichste Zuneigung und vergießen Tränen über ihm, in der Überzeugung, daß es den Geist ihres verlorenen Beschützers enthält. Mit Speise vollgepfropft und durch den Alkohol betäubt, unterwirft sich das Tier gefühllos und regungslos den wilden Liebkosungen, Gebeten und Salaams, die über dasselbe ausgegossen werden. Wieder fängt das Zischen, Pfeifen und Kreischen an, und man stürzt auf das Tier los, das bei den Hörnern, dem Schwanze und überall, wo es gepackt werden kann, ergriffen und gestoßen, geschlagen und endlich zum Dorfe hinausgejagt wird, nachdem ihm Kleider, Schild, Schwert, Turban und Schmucksachen vom Rücken gerissen worden sind. Es wird schließlich den Hunyas übergeben, die bei diesen Gelegenheiten aus der Einfalt der Schokas Vorteil ziehen und die es niederwerfen, ihm den Leib aufschlitzen und das Herz herausreißen oder dieses mit einem schnellen Ruck umdrehen, der augenblicklich tötet. Diese Methode wird bei Schafen oder Ziegen angewendet. Wenn ein Jak geopfert wird, so finden fast die nämlichen Gebräuche statt, bis zu dem Augenblick, da die Puppe ihrer Kleider beraubt und der Jak mit ihnen bekleidet wird. Er wird ebenfalls geschlagen und herumgezogen und auf dem Gipfel eines Berges verlassen, während die Menge ihm nachruft: »Geh! Geh! Wir haben dich gefeiert, verehrt und gefüttert! Wir haben alles, was in unsern Kräften stand, für dein Wohlergehen getan. Mehr können wir nicht tun! Jetzt geh!« Hiermit wird der Jak mit der in ihn hineingetriebenen Seele seinem Schicksal überlassen, und sobald die Schokas fortgegangen sind, wird er von den Tibetern, gegen deren Glauben es geht, einem Jak Blut zu entziehen, in einen Abgrund getrieben. Bei dem verhängnisvollen Sprung wird das Tier in Stücke zerschmettert, und die Tibeter sammeln die Überreste und essen sich an dem geschätzten Fleische ihres geliebten Jak voll. Wenn alles vorüber ist, wird dem Toten etwas von seinem Besitze zurückerstattet, und einzelne Gegenstände, wie messingene Schalen, eine Flinte, ein Schild oder Schwert, werden in eine heilige Höhle gelegt, die niemand durch Fortnahme eines Gegenstandes zu entweihen wagt. Diese Höhlen liegen hoch oben an den Abhängen der Berge und sollen voll von heiligen Opfergaben sein, die sich während der Jahrhunderte dort angehäuft haben. Zehntes Kapitel. Abschied von Indien. Der Tag meiner Abreise kam. Es war nach Sonnenuntergang, als sich vor meiner Wohnung ein Haufen Schokas versammelte. Ich verabschiedete mich von meinem Wirte Zeheram, seiner Frau und seinen Kindern, die mit Tränen in den Augen glückliche Reise wünschten. »Salaam, Sahib, Salaam!« wiederholte Zeheram schluchzend, indem er seine Hand respektvoll an die Stirne führte. »Du weißt, Sahib, daß ein Pferd zu einem Pferde geht, ein Tiger zu einem Tiger, ein Jak zu einem Jak und ein Mann zu einem Manne. Eines Mannes Haus ist eines andern Mannes Haus, gleichviel ob die Farbe unserer Haut verschieden ist oder nicht. Deshalb danke ich dem Himmel, daß du Obdach unter meinem bescheidenen Dache genommen hast. Es muß dir unbehaglich gewesen sein, denn ihr Sahibs seid alle reich und an Luxus gewöhnt. Ich bin nur ein Händler und Bauer. Ich bin arm, aber ich besitze ein Herz. Du hast, anders als andere Sahibs, immer freundlich zu mir und zu uns Schokas allen gesprochen. Wir fühlen, daß du unser Bruder bist. Du hast uns Geschenke gegeben, aber wir hatten sie nicht nötig. Das einzige Geschenk, das wir von dir wünschen, ist, daß du, wenn du das Ende deiner gefährlichen Reise erreichst, uns eine Botschaft schickst, daß du dich wohl befindest. Wir wollen alle für dich Tag und Nacht beten. Unsere Herzen sind betrübt, daß du uns verläßt.« Dies war von dem rauhen, alten Burschen, den ich wirklich liebgewonnen hatte, rührend, und ich sagte ihm, ich hoffte, daß ich eines Tages imstande sein würde, ihm seine Freundlichkeit zu vergelten. Als ich die Stufen hinabstieg, gab es auf dem Hofe ein großes Gedränge. Jeder wollte mir Lebewohl sagen. Die Männer nahmen meine rechte Hand in ihre beiden Hände und führten sie an ihre Stirn, indem sie Worte der Betrübnis über meine Abreise murmelten. Die Frauen streichelten sanft mein Gesicht und wünschten mir: »~Nikutza~, gehe gut! lebe wohl!« Es sind die Schokagebräuche beim Abschied von Freunden, die in ein entferntes Land gehen. Von einer wirklich betrübten Gesellschaft an der Hand geführt, schritt ich dem schmalen, steilen Abstieg zur Tschongurbrücke zu, der in die hohen Lehmwände eingeschnitten ist. Unterwegs wollte ich mich noch in Katschis Wohnung verabschieden, aber er war bereits vorausgegangen. Einen betrübteren Zug konnte man sich nicht vorstellen. Das schwache Licht des Neumondes vermehrte die Traurigkeit noch, und bei jenem eigentümlichen Geräusch verhaltener leiser Schritte war mir zumute, als wenn ich meinem eigenen Leichenbegängnis beiwohnte. Ich bat sie, nach ihren Wohnungen zurückzukehren. Einer nach dem andern kam, meine Füße zu umarmen und meine Finger zu halten, dann gingen sie, das Gesicht in den Händen verbergend, auf dem steilen Pfade hinauf und verschwanden allmählich, kleiner und kleiner werdend, geisterhaft in der Ferne. Einige zwanzig oder dreißig jedoch bestanden darauf, mich zum Flusse hinabzubegleiten. Ich stieß auf die aufgeregte Gestalt einer alten Frau, die ihr Haar zerraufte und jämmerlich weinte. Sie warf sich mir zu Füßen und flehte mich an, für ihren Sohn Sorge zu tragen. Es war Katschis betrübte Mutter. Ich tröstete sie, so gut ich konnte, ebenso den trostlosen Vater, den guten alten Junia, der gekommen war, um mir zärtlich Lebewohl zu sagen, während ihm die Tränen die Backen hinunterrannen. [Illustration: Man Sing, der Aussätzige.] »Wo ist euer Sohn?« »Du wirst ihn ein wenig weiter unten finden, Sahib.« [Illustration: Wilde Esel.] Ich fand ihn mit vier andern in einem Haufen am Boden liegend. Einer von ihnen versuchte aufzustehen und rief aus: »Katschi, steh’ auf, hier ist der Sahib«, fiel aber dann wieder um. Katschi gab kein Lebenszeichen von sich, und ich entdeckte, daß sie in einem Zustande hoffnungslosen Rausches waren. Arm in Arm lagen sie da, wie sie hingefallen waren, und schliefen. [Illustration: Aufstieg zum Lumpiyapaß.] Neben Katschi lag Dola, sein Onkel, der in der vierfachen Eigenschaft als Dolmetscher, Träger, als Diener Katschis und als Koch angestellt war, in welch letzterer Kunst er nach Schokaart ein wahrer Meister war, dessen Ruhm sich über ganz Bias verbreitet hatte. Er war deshalb ein Schatz, den man nicht leichtsinnig aufgeben durfte, und ich mußte jetzt, wo ich schnell und entschieden handeln wollte, ernstlich erwägen, ob ich vorwärts gehen sollte, während zwei der wichtigsten Schauspieler in meinem Stück unfähig waren. Würde ich, durch diese halben Leichen behindert, imstande sein, ungesehen an der aufmerksamen tibetischen Wache bei der Tschongurbrücke, nur wenige hundert Meter von hier, vorüberzukommen? Ich beschloß, es zu versuchen. Indem ich auf jeder Seite einen unter dem Arme ergriff, stützte ich sie und hielt sie aufrecht. Es war kein leichtes Stück Arbeit, und ich fühlte, wie unsere Geschwindigkeit mit jedem Schritte zunahm, während ich mit meinen taumelnden Genossen den steilen, schlüpfrigen Pfad hinabstieg. Mit halsbrecherischer Schnelligkeit erreichten wir den Fuß des Hügels, und da der Pfad am Rande des Wassers schmal war, war es ein Wunder, daß wir nicht alle drei im Fluß ein unfreiwilliges Bad nahmen. Als wir so plötzlich anhielten, fielen meine beiden Schützlinge wieder gänzlich in sich zusammen, und ich war so erschöpft, daß ich mich hinsetzen und ausruhen mußte. Katschi Ram hatte einen lichten Augenblick. Er sah um sich und erblickte mich zum erstenmal an diesem Abend. »Sahib, -- ich -- bin -- be--trunken«, preßte er heraus, indem er zwischen jedem Worte eine lange Pause machte. »Und ob!« sagte ich. »Wir Schokas haben diese böse Gewohnheit«, fuhr er fort. »Ich mußte mit allen meinen Verwandten und Freunden Tschökti trinken, bevor ich zu dieser langen Reise aufbrach. Sie würden beleidigt gewesen sein, wenn ich nicht mit jedem einen Becher Wein getrunken hätte. Ich sehe jetzt alles im Kreise herumgehen; bitte, stecke meinen Kopf in kaltes Wasser. O der Mond tanzt umher und ist jetzt unter meinen Füßen!« Ich erfüllte seine Bitte und gab sowohl seinem als auch Dolas Kopf in dem eisigen Kali eine Taufe. Dies hatte die unglückliche Wirkung, sie in einen so festen Schlaf zu versetzen, daß ich glaubte, sie würden nie wieder erwachen. Einige der nüchternen Schokas erboten sich, die beiden hilflosen Leute auf dem Rücken zu tragen. Wir verschwendeten die kostbare Zeit, und der Himmel bewölkte sich unterdessen. Als der Mond hinter dem hohen Berge verschwunden war, ging ich voraus, um zu rekognoszieren. Überall Finsternis, nur hier und da flimmerte ein glänzender Stern am Himmel. Ich kroch nach der Brücke und horchte; kein Ton, kein Licht am entgegengesetzten Ufer, alles still, jene Totenstille der im Schlaf liegenden Natur und des schlafenden menschlichen Lebens. Ich betrat die Brücke. Sie ist mit Hilfe eines großen Felsblocks in der Mitte des Stromes, der als Pfeiler dient, über den Fluß gespannt. Eigentlich sind es also zwei Brücken, die durch den Felsblock verbunden sind. Ich ging vorsichtig über den diesseitigen Teil, stand auf dem Felsen, der die schäumenden Wasser trennt, still, um wieder zu horchen, und bemühte mich, die Finsternis zu durchdringen. Kein Wesen war zu sehen, kein Ton zu hören. Ich schritt über den Felsen und ging auf die andere Hälfte der Brücke zu, als ich zu meinem Entsetzen fand, daß diese zerstört war. Dieser Teil war ganz zusammengestürzt; mit Ausnahme eines langen Balkens, der noch mit seinem einen Ende unten in dem reißenden Wasser hin und her schwankte, und einiger Bretter war alles fortgespült worden. Ich kehrte zu meinen Leuten zurück. »Wir müssen unsern Weg auf dieser Seite des Flusses fortsetzen«, flüsterte ich ihnen zu. »Die Tibeter haben die Brücke zerstört.« »Der Pfad ist bezeichnet,« antworteten sie, »aber bei Nacht ist er ungangbar.« »Tut nichts, wir müssen gehen. Vorwärts!« Damit stellte ich mich an die Spitze des lautlosen Zuges. Wir gingen ungefähr zwei Kilometer. Wieder ein anderes Dilemma. Katschi und Dola schliefen noch fest, die andern, von der Anstrengung des Tragens ermüdet und angegriffen, wünschten zurückzukehren. Der Himmel war jetzt über und über bewölkt, und es fing an zu regnen. Ich fühlte, daß es nutzlos gewesen wäre, auf meinem Willen zu bestehen. Nachdem ich dafür gesorgt hatte, daß die beiden betrunkenen Geschöpfe unter einem Schuppen platt auf den Boden gelegt und gut zugedeckt wurden, kehrte ich nach Garbyang zurück, mit der Absicht, kurz vor Sonnenaufgang, wenn die Trunkenbolde wahrscheinlich imstande sein würden, allein zu gehen, von neuem aufzubrechen. Um 4 Uhr morgens, ehe die Sonne aufging, brach ich von neuem in größter Eile auf. Ich ging schnell nach der Stelle, wo ich die beiden Betrunkenen gelassen hatte. Sie waren verschwunden. Der Weg war schlecht und gefährlich; er führte hart an Abgründen hin und war kaum breit genug, um darauf stehen zu können. Wir kamen an eine Stelle, wo der schmale Pfad aufhörte. Vor uns war ein Felsen, der senkrecht wie eine Mauer zum Kali abfiel. Das hier abtropfende Wasser des schmelzenden Schnees, von welchem auf dem Gipfel des Berges eine dicke Schicht zu liegen schien, hatte die Oberfläche des Felsens allmählich ganz glatt gemacht. Auf der andern Seite setzte sich der schmale Pfad wieder fort. Dieser und andern gefahrvollen Stellen ist es zuzuschreiben, daß diese Route auch von den Eingeborenen nur sehr selten benutzt wird. Der übliche Weg liegt auf dem jenseitigen Ufer des Kali, in dem Gebiete von Nepal. Trotzdem besitzen einige Schokas auf diesem Ufer des Flusses kleine Landparzellen, und sie waren es, die in frühern Jahren ein Auskunftsmittel erdacht haben, um das Hindernis, vor dem ich jetzt stand, zu überwinden. Indem sie einen Mann an Stricken hinunterließen, gelang es ihnen, zwei parallele Reihen von kleinen Höhlungen in dem Felsen anzubringen, von denen die obere 1,8 Meter über der untern war. Die Löcher wurden in Zwischenräumen von etwa 1 Meter längs jeder Linie angebracht; an den obern sollte man sich mit den Händen halten, die untern sollten die Füße stützen; keins dieser Löcher war tiefer als ein paar Zentimeter. Der Übergang war zu jeder Zeit gefährlich, gerade damals aber fast unmöglich, weil der leichte Regen, der sich eingestellt, den Felsen glatt und schlüpfrig wie Glas gemacht hatte. Aber es mußte gewagt werden, um jeden Preis. Mit der Miene erheuchelter Sicherheit zog ich daher meine Stiefel aus und ging voran. Ich konnte mich nicht umsehen, denn ich hing mit dem Körper an der Wand, mit Zehen und Fingern nach Halt tastend. Die Höhlungen waren so flach, daß das Vorwärtskommen mühsam und gefährlich war. Wenn ich mit den Zehen des rechten Fußes in einem Loche festzustehen schien, ließ ich den rechten Arm am Felsen entlang gleiten, bis die Finger einen festen Griff in der Höhlung erlangt hatten, welche direkt über der lag, in der die Zehen waren. Dann mußte der ganze Körper von links nach rechts geschoben werden, wodurch der linke Fuß und die linke Hand nahe an die rechten gebracht wurden, indem so die Last des Körpers auf die linke Seite übertragen wurde, um den rechten Fuß und Arm für die nächste Vorwärtsbewegung freizumachen. So manövrierte ich weiter, bis ich die andere Seite erreichte und auf dem schmalen Pfade anlangte, der selbst nur etwa 15 Zentimeter breit war. Nachdem Tschanden Sing meine und seine Schuhe über die Schultern gebunden hatte, unternahm er barfuß dasselbe Wagnis. Wenngleich ohne persönliche Gefahr für mich, waren die Augenblicke, während er mit von Kälte und Furcht halb gelähmten Zehen und Fingern nach dem Wege tastete, ebenso aufregend für mich wie die vorhergegangenen. Aber auch er kam sicher und heil hinüber, und das übrige war verhältnismäßig leicht. Jetzt war es an der Zeit, nach Spuren von Katschi und Dola zu forschen, die uns vorangegangen zu sein schienen. Ich war froh, als ich etwas weiter frische Fußspuren, ohne Zweifel die der beiden Schokas, fand. Der Weg führte auf und ab, fast immer an steilen Abhängen entlang, und war überall gefährlich schmal, hier und da gab es kleine Strecken auf wackeligen Balken. An einer Stelle zwang uns die zerklüftete Wand, zur höchsten Spitze des Felsens emporzusteigen und auf allen vieren über eine Art Brücke zu kriechen, die aus Baumästen gemacht und in einem Winkel von 60 Grad über einen Abgrund von über hundert Meter Tiefe gespannt ist. Ich fand einen weißen Wollfaden über dieses primitive Bauwerk gelegt, was ein Gebrauch der Schokas zu sein scheint, wenn einer ihrer Verwandten oder Freunde fern vom Heimatdorfe den Tod findet. Sie glauben, daß die Seele während der dunkeln Nacht wandert und nach dem Geburtsorte des Verstorbenen zurückkehrt, wobei diese weißen Fäden an gefährlichen Stellen, die der Pfad kreuzt, den Weg zeigen. Nachdem wir den Pfad mehr als einmal verloren hatten, befanden wir uns unten am Ufer des Kali und waren gezwungen, mehr als hundert Meter über Sand und Geröll emporzuklimmen, nur, um den Pfad wiederzugewinnen. Endlich kamen wir in Nabi an. Dort fand ich meine Lasten in gutem Zustand, die auf dem bessern Wege auf der nepalesischen Seite, bevor die Tibeter die Tschongurbrücke zerstört hatten, herübergebracht worden waren. Auch Katschi und Dola, die sich von ihrem Rausch erholt hatten, fand ich hier. Vielleicht um ihr schlechtes Benehmen wieder gut zu machen und wahrscheinlich, um mich dasselbe übersehen oder vergessen zu lassen, hatten sie, wie es schien, die Eingeborenen veranlaßt, mich mit besonderer Herzlichkeit zu bewillkommnen. Ich wurde unter Aufwand großer Gastfreundschaft aufgefordert, die Nacht in ihrem Dorfe zuzubringen. Mit einiger Feierlichkeit wurde ich zu einer primitiven Leiter mit sehr roh hergestellten Stufen geführt und mit Hilfe von oben und unten auf ein flaches Lehmdach hinaufgeschoben. Hier war ein Zelt aufgeschlagen, dessen Boden als Lager für mich mit Matten und Decken belegt war. Kaum hatte ich mich niedergelassen, als eine Schar von Männern, Frauen und Kindern ankam, die Schalen mit einem reichen Mahle von Reis, Fleisch, Balab (gekochte Buchweizenblätter), saurer und süßer Milch, geröstetem Korn mit Zucker, Tschapatis, Süßigkeiten, einheimischem Wein und Branntwein trugen. Während des Mahls wurde Tee verschiedener Art serviert. Da war chinesischer und indischer Tee, Tee mit und ohne Zucker gekocht, Tee mit Milch und Tee mit Butter und Salz, heller und dunkler Tee, süßer und bitterer Tee -- wirklich, es war so viel Tee, daß ich, so sehr ich ihm sonst ergeben bin, in diesem Augenblick doch wünschte, daß kein Teeblatt jemals gepflückt worden wäre! Ich untersuchte eine junge Frau, die sich einen Rückenwirbel schlimm verletzt und teilweise gebrochen hatte, als ~Dr.~ Wilson plötzlich auftauchte und dem armen Geschöpf die geringe Erleichterung verschaffte, die in ihrem Zustande möglich war und die sie von mir vergebens erhofft hatte. Neben dem Vergnügen, das mir seine Gesellschaft bot, war er mir noch aus andern Gründen willkommen. Er hatte sich angeboten, meine Expedition einige Tagemärsche nach Tibet hinein zu begleiten, und ich war froh, ihn bei mir zu haben. Wir drangen sobald als möglich auf dem Wege zwischen Nabi und Kuti vor. Die Reise war ganz ereignislos. Die Schneebrücken und Schneefelder, die so hinderlich waren, als ich zuerst diesen Weg ging, waren geschmolzen und gänzlich verschwunden. Selbst in Nabi trug sich wenig zu. Nur den folgenden Zwischenfall muß ich erwähnen, weil er als Illustration für das seltsame Mißtrauen und die Abneigung dienen kann, die ich überall gegen meinen photographischen Apparat vorfand. Ich war im Begriff, den Ort zu verlassen, als eine hübsche Frau, die ich vorher nicht bemerkt hatte, mich unter hysterischem Schluchzen anredete; sie war mir unverständlich, aber sie machte deutlich den Eindruck des Leidens. »Du hast mein Kind getötet, und jetzt wirst du meinen Mann töten«, klagte sie, als sie imstande war, zu sprechen. Es fiel mir ein, daß ich bei meinem frühern Aufenthalt in Nabi eine Momentaufnahme von einem Kinde genommen, das oben auf einer Last saß, welche die Frau auf dem Rücken durch mein Lager trug und die ich, als sie sich beklagte, in der gewöhnlichen Weise, mit einem Geldstück, beruhigt hatte. Sie hatte ihre Last nach Kuti gebracht, wo sie sich vielleicht mit ihrem Erlöse gütlich getan hatte, und auf dem Rückwege war sie mit ihrem Kinde nicht weit von jener Stelle, wo ich meine fast tragische Rutschpartie gehabt hatte, ausgeglitten und, weniger glücklich als ich, in den reißenden Strom gefallen. Sie vermochte sich an den Felsen anzuklammern und wurde schließlich gerettet; aber das Kind war von Fels zu Fels gerissen worden und unter einem Schneetunnel verschwunden. »O Sahib,« rief die Frau, »wenn du uns nicht, ehe wir fortgingen, durch die Augen (die beiden Objektive) deines schwarzen Kastens (des photographischen Apparates) angeblickt hättest, würde ich mein Kind nicht verloren haben!« »Und was ist’s mit deinem Mann?« »O, den wirst du auch töten!« »Ich kenne deinen Mann ja gar nicht. Jedenfalls verspreche ich dir, daß ich ihn mit diesen Augen nicht anblicken werde.« »Das ist es nicht, Sahib; aber er kommt mit dir nach Tibet. Er trägt eine von deinen Lasten. Ihr werdet dort alle umkommen.« Sie zeigte ihn mir: es war einer der stärksten unter den Trägern, die ich bei mir hatte und der am meisten darauf bestand, mich begleiten zu dürfen. Jedenfalls war er zu gut, um ihn zu verlieren, und ich war daher nicht willens, wegen der Tränen dieser guten Frau meinen Anspruch auf ihn aufzugeben. So tröstete ich sie, so gut ich konnte, versprach, gut für ihn zu sorgen und ihn unter keinen Umständen zu photographieren. In Kuti hatten ~Dr.~ Wilson und ich einige Stunden damit zu tun, die Vorräte, die ich gekauft hatte, abzuwiegen und in gleich schwere Lasten zu packen; es waren im ganzen 14 Munds (etwa 500 Kilogramm) Mehl, Reis, Ghur, roter Pfeffer (15 Kilogramm), Miseri, Ghi (Butter) und eine große Menge Satu (Hafermehl) und geröstetes Korn. Dazu kam der Proviant an Konserven in Büchsen, den ich von London mitgebracht hatte. Um meinen Trägern keinen Grund zur Klage zu geben, erlaubte ich ihnen, ihre Schuhe, Decken usw. selbst auszuwählen, und tat alles, was in meiner Macht stand, sie zu befriedigen, weil die Lasten außerordentlich schwer zu werden drohten. Schließlich fand ich, daß, selbst nachdem ich auf alles verzichtet hatte, was irgendwie entbehrt werden konnte, doch noch für wenigstens zwei starke Männer zu tragen übrigblieb. Jeder verfügbare Schoka hatte sich der Gesellschaft angeschlossen, und kein Reizmittel, das ich anwandte, war imstande, mir mehr Freiwillige zuzuführen. Ich war durchaus nicht willens, länger zu zögern, und schon entschlossen, die beiden Extralasten noch einmal unter die Träger, die ich hatte, zu verteilen, als zwei Hirten auftauchten, halb verhungert, mit langem, ungekämmtem Haar und mit weiter nichts bekleidet als einem Korallenhalsband und einem silbernen Armring. Ich warb sie schnell an und kleidete sie. Obgleich der eine nur ein Knabe war, beschloß ich, mich auf das Glück und auf ~Dr.~ Wilsons Versicherung zu verlassen, daß er zähe genug und brauchbar sein würde. Hierdurch wurde meine kleine Streitmacht auf die Stärke von dreißig Mann gebracht, und nun konnte ich ruhig aufbrechen. Elftes Kapitel. Zum Dach der Welt. Bevor ich Kuti verließ, besichtigte ich noch das alte Schloß, das etwa 300 Meter südlich vom Dorfe auf einem kleinen Hügel liegt. Mit Ausnahme eines viereckigen Turmes, der von den Eingeborenen der Kuti Ker genannt wird, liegt es jetzt in Trümmern. Die Eingeborenen konnten mir über das Bauwerk keine andere Auskunft geben, als daß es einst ein stark befestigter Königspalast gewesen sei. Als ich nach dem Lager zurückkehrte, war endlich alles fertig, und nach endlosem Verdruß mit einigen meiner Leute, die schon wieder unsicher waren, ob sie mich auf meiner Reise begleiten sollten oder nicht, machte ich mich auf den Weg. Das Dorf Kuti ist das höchste in Bias; es liegt in Höhe von 3940 Meter. Der Weg war jetzt ziemlich frei von Schnee und Eis mit Ausnahme einiger Stellen, wo wir ausgedehnte schneebedeckte Abhänge zu überschreiten hatten. Auf einem von diesen hatten wir unsern ersten Unfall. Ein Kuli, der einen großen Topf mit Butter in der Hand trug, stürzte. Zum Glück glitt er nicht weit hinab, aber wir wurden bitter enttäuscht, als wir sahen, wie unser kostbarer Topf ins Wasser rollte und für immer verschwand. In einer Höhe von 3980 Meter schlugen wir das Lager auf. Spät am Abend, als meine Leute Holz sammelten, um ein großes Feuer zu unterhalten, um das wir herumsaßen, kamen zwei Kulis, die mit der Weisung, uns zu folgen, in Kuti zurückgelassen worden waren, mit ihren Lasten an. Es waren zwei seltsame Charaktere. Der eine war traurig und mürrisch, der andere lebhaft und gesprächig; sie gaben vor, Radschputen zu sein. »Du siehst,« rief der fröhliche Kuli, »ich bin klein, aber ich fürchte nichts. Wenn wir nach Tibet hinübergehen, werde ich mit einem spitzen Stocke vorangehen und alle Tibeter verjagen. Ich habe keine Furcht vor ihnen. Ich habe Mut, es mit der ganzen Welt aufzunehmen!« Da ich den Wert dieser Art Reden von seiten der Eingeborenen kenne, stopfte ich ihm den Mund und schickte ihn fort, Holz zu holen. Der mürrische Bursche interessierte mich mehr. Er äußerte nur selten ein Wort, und wenn er es tat, sprach er nicht vergnügt, augenscheinlich in tiefes Nachdenken versunken, aus dem er seinen Geist nur mit großer Anstrengung zu reißen schien. Er sah jämmerlich krank aus. Unbeweglich und sprachlos sah man ihn, wie in Verzückung, auf einen bestimmten Punkt starren. Seine Gesichtszüge waren sehr fein und regelmäßig, aber seine Haut hatte jene abscheuliche, glänzend weißliche Färbung, wie sie den Aussätzigen eigen ist. Ich wartete auf eine Gelegenheit, seine Hände zu untersuchen, auf denen er saß, um sie warm zu halten. An den zusammengezogenen Fingern findet man die ersten Symptome des Aussatzes, jener schrecklichsten aller Krankheiten. Ich forderte den Mann auf, sich näher an das lodernde Feuer zu setzen. Er kam und hielt seine offenen Handflächen gegen die flackernden Flammen. Mein Verdacht war nur zu richtig. Seine Finger, verzogen und gekrümmt, mit wunder Haut an den Gelenken, waren der traurige, aber überzeugende Beweis. Ich untersuchte seine Füße; auch daran waren dieselben Symptome. »Wie heißt du?« fragte ich ihn. »Man Sing«, sagte er trocken und verfiel wieder in seine Träumerei. Das knisternde Feuer war im Erlöschen, als plötzlich ein stämmiger Tibeter erschien, tief gebückt unter der schweren Last eines ungeheuern Baumstammes, den er auf dem Rücken trug. Er kam näher und warf das Holz auf das Feuer. Das war wieder ein anderer Charakter. Stark wie ein Ochse, hatte dieser ein seltsames Vorleben gehabt. Er war seinerzeit ein wohlbekannter Bandit in der Gegend von Lhasa gewesen. Viele Menschen soll er ums Leben gebracht haben, und als er fand, daß sein eigenes in seinem Vaterlande in Gefahr war, hatte er sich auf der englischen Seite der Grenze niedergelassen und verschiedene Frauen geheiratet, die er mißhandelte und nacheinander fortjagte. Seinen letzten Familienhändeln hatte ich es zu verdanken, daß er in meinen Dienst gekommen war. Seine abnorme, für das Tragen von Lasten so wertvolle Kraft war seine einzige Empfehlung bei mir gewesen. Im Lager war er unter dem Namen Daku, der Räuber, bekannt. Als ich meine andern Leute inspizierte, mit denen ich noch kaum bekannt geworden war, belustigte und interessierte mich die sonderbare Mischung von Geschöpfen, aus denen meine Bande bestand. Da waren Jumlis mit ihrem üppigen schwarzen Haar, das in kleinen Flechten und einem Haarbüschel über den Kopf gebunden war wie bei den Koreanern. Da waren Tibeter, Schokas aus Bias, Rongbas, Nepalesen, Radschputen und Totolas. Dann gab es einen Brahminen, zwei eingeborene Christen und einen Johari. Dazu kam ~Dr.~ Wilson. Welches Chaos von Sprachen und Dialekten! Spaßhaft war, daß jede einzelne Kaste dieser bunten Schar auf alle andern herabsah. Daraus folgte vom ersten Tage an Trennung bei den Mahlzeiten, und das Lager wurde von ebenso vielen brennenden Feuern belebt, als es Kasten unter meinen Begleitern gab. Mir war dies ganz recht, da es mir eine Art von Garantie schien, daß sie sich nie alle zusammen zu einer Meuterei gegen mich verbinden würden. Der arme Man Sing, der Aussätzige, zitterte vor Kälte. Er war nicht imstande gewesen, sich in Kuti eine Decke und Schuhe zu kaufen, und hatte anstatt dessen das Geld für Tabak ausgegeben. ~Dr.~ Wilson und ich erbarmten uns seiner. Wir hatten noch den Abend vor uns; so holte ich den Stoff heraus, den ich in Kuti gekauft hatte, und wir fingen an, mit Schere und Nadel einen neuen Anzug für den armen Kerl zuzuschneiden und zu nähen. Der Doktor besorgte das Zuschneiden und ich das Nähen. Ich kann nicht behaupten, daß ein Schneider von Profession nicht etwas besser Passendes zustande gebracht haben würde, aber die neuen Kleider saßen im allgemeinen nicht schlecht. Die einzige Unbequemlichkeit war die seitwärts zu schließende Jacke. Ich hatte keine Knöpfe und war deshalb genötigt, den Rock auf dem Manne selber zuzunähen. Am nächsten Morgen um ½6 Uhr verließen wir das Lager. Hohe Berge ragten zu beiden Seiten von uns auf. Wir folgten dem Kuti, der hier von Westen nach Osten fließt. Auf der andern Seite des Kuti waren hohe senkrechte Felsen von einem lebhaft rot gefärbten Gestein mit blauen horizontalen Schichten, über denen eine Reihe sehr spitzer Gipfel emporragte. Wir durchwateten drei Nebenflüsse des Kali; dann kamen wir an einen reißenden, tiefen Fluß, dessen Überschreitung uns große Mühe machte. Es war schon gegen Mittag, und der Strom, der von den schmelzenden Schneemassen gespeist wurde, stieg jeden Augenblick. Zwei Kulis, die ich zuerst hineinschickte, erreichten die Mitte, wo ihnen das Wasser bis ans Kinn ging. Sie verloren den Halt und waren einen Augenblick hilflos und in Gefahr, fortgerissen zu werden. Die Lasten, die sie auf dem Kopfe trugen, waren teilweise verdorben, als es uns gelang, sie wieder ans Ufer zu bringen. Die andern Leute wurden dadurch abgeschreckt, und als sie sich nach einiger Zeit entschlossen, hinüberzugehen, war der Fluß so gestiegen, daß es unmöglich war, anders als durch Schwimmen auf das jenseitige Ufer zu gelangen; hiervon konnte aber wegen der Lasten keine Rede sein. Wir mußten nun den Lauf des Stromes 2 Kilometer weit aufwärts verfolgen, bis wir eine ziemlich unsichere, doch passierbare Schneebrücke fanden, auf der meine Leute und Güter den Übergang bewerkstelligten. Wir nahmen unsern Kurs am Kuti wieder auf. Trotz der bedeutenden Höhe trafen wir große Flächen voll roter, violetter, weißer und leuchtend gelb gefärbter Blumen, die malerische, beständig wechselnde Effekte hervorbrachten. Auf einem kleinen Passe von 4500 Meter angelangt, führt der Weg nach Darma am Jolinkan über den Lebungpaß. Es ist eigentlich nur ein Steig für Ziegen, beschwerlich und ermüdend, ausgenommen im Monat August, wo nur noch geringe Schneemengen vorhanden sind. Der Jolinkanfluß, der auf dem Schneefelde östlich vom Lebung- oder Jolinkanpasse entspringt, mußte jetzt überschritten werden. Der stämmige Daku, der stets bereit war, sich nützlich zu machen, hob mich wie eine Feder auf seinen Rücken und bewahrte mich so davor, höher als bis über die Knie in das bitterkalte Wasser einzutauchen, wogegen es ihm bis an den Hals reichte. Links vom Wege, der in eine Höhe von 4550 Meter hinaufgestiegen ist, liegt 25 Meter über ihm ein kleiner, wunderschöner See von 500 Meter Länge und 400 Meter Breite. Sein Wasser, in dem sich die hohen Schneegipfel ringsum widerspiegeln, findet Abfluß in einem kurzen, aber äußerst reißenden Flusse, der brausend in den Kuti strömt. Bald nachdem wir diesen See verlassen hatten, kamen wir an eine kleine Wasserfläche, neben welcher dreizehn eigentümliche Pfeiler oder Säulen stehen, deren jede von dem ersten Tibeter oder Schoka errichtet worden ist, der den Paß während des Sommers überschreitet. Ein ebensolches Zeichen sieht man auch oben auf einem großen, aus dem Wasser des größern Sees hervorragenden Felsen. Obgleich die Sonne schnell hinter den Bergen im Westen niederging, eilten wir vorwärts, um soweit als möglich in die Region des ewigen Schnees vorzudringen. Wir gingen noch über welligen Boden, und das Marschieren war weder schwierig noch mühselig, abgesehen von den eisig kalten, sehr reißenden Bächen, die wir zu durchwaten hatten. Wir vermochten nicht wieder warm zu werden; denn von dem einen Bad noch durchnäßt und vor Kälte zitternd, mußten wir bald darauf den nächsten Bach durchwaten, und dies wiederholte sich des öftern, so daß wir unter der beständigen Kälte sehr litten. Unter meinen Leuten herrschte große Unzufriedenheit über den langen Marsch, da ihre Füße von der Kälte erstarrt waren. Sie empörten sich fast, als ich sie an einem Lagerplatz, den sie ausgewählt hatten, nicht bleiben ließ, sondern ihnen befahl, den Marsch fortzusetzen. Drei Kilometer von dem Punkte, an dem sie haltmachen wollten, überblickten wir ein großes, flaches Becken voll Steine und Kies, ungefähr ein Kilometer breit und anderthalb lang, das dem Anscheine nach früher ein See gewesen war. Es war von hohen, schneebedeckten Bergen umgeben und lag in einer Höhe von 4690 Meter. Es schien, als hätte die ungeheuere Masse von Steinen und Kieseln, die der den See speisende Fluß mit sich geführt hatte, dessen Bett so erhöht, daß das Wasser in den Kuti abfloß. So wie ich ihn sah, bildete der Fluß ein ausgedehntes Delta mit nicht weniger als zwölf Armen, die sich in dem Becken wieder zu einem einzigen Wasserlauf vereinigten, bevor er sich in den Kuti ergoß. Natürlich wählten wir die breitern Stellen zum Durchschreiten, da wir annahmen, daß sie seichter sein würden als die schmalern. Wieder einmal mußte ich an diesem Tage Schuhe und Strümpfe ausziehen und durch das kalte Wasser waten. Es war ganz frisches Schneewasser und seine Temperatur wenig über dem Gefrierpunkt. Die Sonne war untergegangen, und es wehte schneidender Wind. Beim Überschreiten der zahlreichen Arme des Flusses fror ich so an den Füßen, daß ich kaum stehen konnte; überdies war das Treten auf scharfkantige Steine unter dem Wasser und das Anstoßen mit den erstarrten Zehen anfangs sehr schmerzhaft. Nach einer Weile waren meine Füße so gefühllos, daß ich einen eigentlichen Schmerz nicht mehr empfand, obgleich meine Fußsohlen und Zehen bei jedem Schritt zerschunden wurden. Nachdem ich fünf oder sechs Arme des Deltas hinter mir hatte, war ich außerstande, mich länger auf den Beinen zu halten; ich fing an, sie stark zu reiben, bis die Erstarrung langsam, aber unter heftigen Schmerzen wieder nachließ. Es ist merkwürdig, wie sehr ein bißchen Humor bei solchen Gelegenheiten hilft. Für einen Zuschauer, der nicht wie wir zu leiden gehabt hätte, würde der Anblick unserer Gesellschaft beim Überschreiten jenes Deltas komisch gewesen sein. Der Ausdruck der Verdrießlichkeit auf den Gesichtern meiner Leute, von meinem eigenen nicht zu sprechen, würde den Unbeteiligten amüsiert haben. Das Entsetzen, das uns erfaßte, wenn wir, kaum aus dem einen gestiegen, immer wieder einen neuen Arm des Deltas vor uns auftauchen sahen, muß sich auf unsern Gesichtern gewiß in höchst drastischer Weise gezeigt haben. Unsere Fußbekleidung trugen wir auf den Schultern. Wir stolperten und plätscherten in dem grünlichen Wasser umher; jetzt fiel dieser, dann jener, vor Schmerzen fluchend, auf einer der Inseln nieder, bis wir schließlich alle auf halbem Wege kampfunfähig waren. Trotz unsers nicht beneidenswerten Zustandes, mit blutenden Füßen inmitten einer traurigen Öde, wurden meine Leute, die erst mürrisch gewesen waren, als ihnen ihr Wunsch abgeschlagen wurde, ganz gutmütig und lustig, als ich sie mit ihren augenblicklichen Mühsalen neckte und sie sahen, daß es mir nicht besser ging. Als wir nach endlosem Reiben in unsere Gliedmaßen etwas Blutzirkulation gebracht hatten, schickten wir uns an, die nächsten sechs Arme des Deltas zu überschreiten. Nach mehr als einstündiger Anstrengung konnten wir endlich unsere Fußbekleidung anziehen und empfanden dabei die wohltuende Befriedigung, die aus dem Bewußtsein der Überwindung von Schwierigkeiten hervorgeht. Nie kann ich meine Freude vergessen über eine sonst kaum beachtete Annehmlichkeit -- über ein Paar warme Socken! Während ich diese Zeilen schreibe, durchlebe ich noch einmal das besondere Vergnügen, sie vorsichtig anzuziehen, und es wird mir für immer im Gedächtnis bleiben als Belohnung für die ausgestandenen Beschwerden. Eine der hauptsächlichsten Schattenseiten des Reisens in hohen Regionen ist der Mangel an vegetabilischem Brennmaterial. Kein Baum, kein Strauch war in der Nähe unsers Lagers zu sehen. Die Natur trug hier ihr ödestes, dürftigstes Gewand. Da Holz fehlte, zerstreuten sich meine Leute, um den trockenen Dung von Jaken, Pferden und Schafen zu sammeln, der als Feuerung dienen sollte. Es war nicht leicht, dieses Material in Brand zu bringen; eine Schachtel Streichhölzer nach der andern wurde verbraucht und die vereinigte Kraft unserer Lungen hart in Anspruch genommen, um die Funken zu einer nur wenige Zoll hohen Flamme anzublasen. Auf diesem dürftigen Feuer versuchten wir Wasser zum Sieden zu bringen und unser Essen zu kochen, ein saures Stück Arbeit in dieser Höhe. Die Küche war an jenem Abend nicht von der gewöhnlichen Vortrefflichkeit und machte dem Koch nur wenig Ehre. Wir mußten alles halb gekocht oder, um es genauer zu sagen, fast gänzlich roh essen. Es war eine bitterkalte Nacht mit starkem Schneefall; als wir am Morgen aufstanden, lag der Schnee ein halbes Meter hoch rings um uns, und der blendende Glanz war für unsere Augen schmerzhaft. Ich musterte meine Leute. Man Sing fehlte noch. Er war am Abend vorher nicht angekommen, und von dem Manne, den ich auf Suche nach ihm geschickt hatte, war auch keine Spur zu sehen. Ich war um Man Sing, der eine Last Mehl, Salz, Pfeffer und fünf Pfund Butter trug, besorgt und fürchtete, daß der arme Aussätzige von einem der gefährlichen Flüsse fortgerissen worden sein könnte; und wenn auch diese Befürchtung vielleicht grundlos war, so mußte er doch draußen in der kalten Nacht allein, ohne Obdach, ohne Feuer sehr zu leiden gehabt haben! Es war lange nach Sonnenaufgang, als ich mit Hilfe meines Fernrohrs die beiden Männer entdeckte, die auf uns zukamen. Eine Stunde später langten sie an. Man Sing war mehrere Kilometer hinter uns gefunden worden, in tiefem Schlafe neben dem leeren Buttertopfe liegend, dessen Inhalt er verzehrt hatte. Die Entdeckung dieser Missetat verursachte im Lager die größte Entrüstung, denn Fett und Butter werden von den Eingeborenen, wenn sie über diese kalten Pässe gehen, als Wärme erzeugend sehr geschätzt. Er wurde fast das Opfer einer Lynchjustiz von seiten meiner erbosten Leute, und nur mit Mühe befreite ich ihn aus ihren Klauen. Um eine Wiederholung des Vorkommnisses zu verhindern, befahl ich dem Schuldigen, in Zukunft eine schwere Last von photographischen Platten und Instrumenten zu tragen, die nicht ganz so appetiterregend sein würden. Ich nahm mein gewöhnliches Bad in dem kalten Fluß und rieb mich über und über mit Schnee ab. Das fand ich sehr stärkend, und wenn die Reaktion eintrat, fühlte ich trotz der dünnen Kleider, die ich trug, eine behagliche Wärme durch den ganzen Körper. Während wir lagerten, erschien eine Herde von ungefähr 600 Schafen und mit ihnen einige Tibeter. Da ich mein tibetisches Zelt aufgestellt hatte, stürzten die Tibeter darauf zu in der Erwartung, einen ihrer Landsleute zu finden. Ihre Verlegenheit war ergötzlich, als sie sich Dr. Wilson und mir gegenübersahen. Eiligst nahmen sie ihre Pelzmützen vom Kopfe, legten sie auf den Boden und machten eine komische, knicksende Verbeugung, als ob ihre Köpfe und Knie sich vermittelst einer Feder bewegten. Dann streckten sie die Zungen in ihrer ganzen Länge heraus, bis ich ihnen ein Zeichen gab, daß sie sie zurückziehen könnten, da ich einige Fragen an sie richten wollte. Die unerwartete Begegnung mit uns hatte sie sehr erschreckt. Sie zitterten vor Furcht am ganzen Körper, und nachdem ich so viel Auskunft aus ihnen herausgebracht hatte, als überhaupt in ihnen zu stecken schien, benutzte ich die günstige Gelegenheit, einige ihrer fettesten Schafe zu kaufen. Als das Geld bezahlt war, gab es, ehe die Tibeter sich entfernten, eine neue Ausstellung von Zungen und noch großartigere Salaams, während auf unserer Seite alle Mann bemüht waren, die soeben gekauften Tiere an der Rückkehr zur Herde zu verhindern. Auf unserm nächsten Marsche waren diese Tiere eine große Plage für uns; wir mußten sie den größten Teil des Weges zerren. Katschi, der mit der Führung eines sehr widerspenstigen, starken Tieres betraut war, das ich meinen Leuten ausdrücklich zum Mittagessen versprochen hatte, wenn sie an diesem Tage einen langen Marsch machten, geriet ganz außer Fassung, als er fand, daß das Schaf den Kopf aus der Schlinge gelöst hatte, an der er es zog, und daß es mit größter Geschwindigkeit nach der entgegengesetzten Richtung fortrannte. Nun ist es wohlbekannt, daß das Laufen in hohen Regionen für den Menschen sehr beschwerlich ist, da die dünne Luft fast zum Ersticken bringt. Trotzdem jagte Katschi hinter dem entlaufenen Tiere her, und, von dem Freudengeschrei und den Zurufen meiner Leute angefeuert, gelang es ihm nach einer aufregenden Jagd, das Tier am Schwanze zu erwischen, ein Kunststück, das leichter zu beschreiben als auszuführen ist, denn die tibetischen Schafe haben sehr kurze Stummelschwänze. Erschöpft fiel Katschi zu Boden, hielt aber mit beiden Händen den Flüchtling fest, bis das Tier an den Strick gebunden war. Auf ziemlich welligem Boden stiegen wir allmählich zu einem Paß in 4750 Meter Höhe empor und dann folgten wir dem Kuti mit seinen hohen schneebedeckten Bergen im Westen und Osten. Die Schneelinie war in 4870 Meter Höhe. Noch immer waren rote und weiße Blumen zu sehen, wenn auch nicht in solchen Mengen wie tiefer unten, auch beobachtete ich allerliebste, kleine schwarz und weiße Schmetterlinge. Dieselbe Schmetterlingsart fand ich in Tibet sogar in noch höheren Regionen. Wir kamen an einen merkwürdigen, flachen, kreisrunden Stein, der auf einem andern Felsen lag; er wurde mir als ein Wunder gezeigt. Nach einer unter den Schokas verbreiteten Sage hat einer ihrer Landsleute vor Jahrhunderten neben dem Felsen haltgemacht und einen Tschapati gebacken, den er auf den Stein legte. Als er sich anschickte, einen zweiten Tschapati zu machen, bemerkte er zu seinem großen Erstaunen, daß der erste sich in festen Stein verwandelt und einen ungeheuern Umfang angenommen hatte. [Illustration: Verdächtige Fußtapfen.] Ein paar Meter weiter wurde mir ein anderes Wunder gezeigt, eine große menschliche Hand, wie die Tibeter und Schokas das Ding nennen, die nach der Legende dem Manne mit dem Tschapati angehört habe. Mit seiner ersten Erfahrung nicht zufrieden, hatte er eine Hand auf den Felsen gelegt, wo sie versteinert und ins Riesenhafte vergrößert liegenblieb. Mit einigem Aufwand von Phantasie konnte ich eine gewisse Ähnlichkeit mit einer ungeheuern Menschenhand herausfinden. [Illustration: Begrüßung des heiligen Berges Kelas.] Kilometer um Kilometer marschierten wir über scharfkantige Steine; wir wateten durch ein zweites beschwerliches, reichlich anderthalb Kilometer breites Delta von acht Armen und quer über ein flaches Becken mit Kieseln und spitzen Steinen, bis wir endlich zu unserer großen Freude auf weiches Grasland kamen, eine wohltuende Erleichterung für unsere wunden Füße. Gerade vor mir stand das letzte Hindernis, das ungeheuere Rückgrat des Himalaja. War dieses einmal überschritten, so würde ich auf jenem hohen tibetischen Plateau sein, das so zutreffend und anschaulich das »Dach der Welt« genannt wird. Zwölftes Kapitel. Im Schnee begraben. Ich hatte von Kuti aus einen kräftigen Schoka namens Nattu ausgesandt, um festzustellen, ob es möglich wäre, das Gebirge über den hohen Mangschanpaß zu überschreiten, da ich in diesem Falle imstande gewesen wäre, ohne entdeckt zu werden, weit nach Tibet hineinzukommen. Ich würde so die große Anzahl von Soldaten umgangen haben, die, wie mir berichtet worden war, der Jong Pen von Taklakot am Lippupaß konzentriert hatte, um mein Eindringen in das Land zu verhindern. Und ehe sie Zeit gehabt haben würden, sich über meinen Verbleib klar zu werden, würde ich einen zu großen Vorsprung gehabt haben, als daß sie mich noch hätten finden können. Nattu kam fast gleichzeitig mit uns im Lager an und hatte eine lange Leidensgeschichte zu erzählen. Er war den Berg halbwegs hinaufgekommen. Der Schnee war tief, und ungeheuere, gefährliche Spalten waren im Eise. Beim Aufstieg war über seinen Weg eine Lawine niedergegangen, und nur mit genauer Not war er mit dem Leben davongekommen. Das hielt er für ein böses Omen und kehrte um, ohne die Höhe des Passes erreicht zu haben. Er schien abgeschreckt und ermattet zu sein und erklärte, daß es für uns unmöglich sei, auf diesem Wege vorwärtszukommen. Leider machte der aufregende Bericht des Mannes aus Kuti auf meine Leute einen sehr entmutigenden Eindruck. Durch die heftige Kälte, die Anstrengung des Tragens so schwerer Lasten über ein so schlechtes Terrain, durch die gefürchteten Flüsse, von denen wir so viele überschritten hatten, wurden meine Träger bei dem Gedanken an weitere bevorstehende Leiden völlig demoralisiert, um so mehr, als ich ihnen versicherte, daß ich Nattu nicht glaubte und gehen würde, um selbst zu sehen. Es war 4½ Uhr nachmittags, also geraume Zeit vor Sonnenuntergang, und Mondschein zu erwarten. Ich war an dem Tage 15 Kilometer marschiert, und obgleich die Sohlen meiner Füße wund waren, war ich doch nicht ermüdet. Man muß bedenken, daß in hohen Regionen die Anstrengung, 15 Kilometer zu gehen, gleichbedeutend ist mit der eines Marsches von dreifacher Länge in geringern Höhen. Unser Lager befand sich 4920 Meter über dem Meere, eine ziemlich respektable Höhe, wenn man bedenkt, daß der Montblanc, der höchste Berg in Europa, nur 4810 Meter hat. Dr. Wilson bestand darauf, mich zum Gipfel hinauf zu begleiten. Katschi Ram und der Rongba boten sich freiwillig an, Bijesing, der Johari, schloß sich nach einigem Zureden an, was unsere kleine Gesellschaft vervollständigte. Tschanden Sing, der einzige, dem ich wirklich trauen konnte, wurde zur Aufsicht über das Lager zurückgelassen, mit dem strengen Befehl, jeden, der während meiner Abwesenheit versuchen sollte umzukehren, streng zu bestrafen. Fast unmittelbar, nachdem wir im Lager angekommen waren, brachen wir auf und folgten stromaufwärts dem Laufe des Mangschanflusses, der zwischen hohen Bergen eingeschlossen ist. Es gab keinen Fußweg, und der Marsch über große, schlüpfrige Steine, zwischen denen unsere Füße beständig ausglitten, eingeklemmt und verletzt wurden, war außerordentlich beschwerlich. Da ich meinem Gefolge, das dicht vor der Meuterei zu stehen schien, wenig traute, wollte ich nicht gern die schwere Last von 800 Silberrupien, die in meinen Rock eingenäht war und die ich, beiläufig gesagt, immer bei mir trug, im Lager zurücklassen, und ebensowenig meine Flinte, zwei Kompasse, zwei Aneroide, ein Halbchronometer, eine andere Uhr und einige dreißig Patronen. Das Gesamtgewicht dieser Gegenstände war beträchtlich, was ich besonders während der ersten Tage meines Marsches fühlte. Indessen, man gewöhnt sich an alles, und bald spürte ich beim Marschieren verhältnismäßig wenig davon. Ich hatte beschlossen, dies alles selbst zu tragen, um immer sicher zu sein, im Falle meine Leute revoltierten oder ausrissen. Unser Weg führte über einen Gletscher, aus welchem der Mangschanfluß entspringt. In einer Höhe von 5420 Meter verließen wir den Gletscher, dessen grünliches klares Eis eine interessante Schichtung zeigte, und begannen, uns scharf nordwärts wendend, unsern Aufstieg nach dem Paß. Schon wenn man den Abhang vor uns hinaufblickte, hätte man von dem Versuche, ihn zu ersteigen, Abstand genommen, wenn man die Wahl gehabt hätte. Noch dazu war der Schnee, auf dem wir uns mühsam vorwärts arbeiteten, so weich und tief, daß wir bald bis an die Hüften einsanken. Gelegentlich wechselte der Schnee mit losem Geröll und verwittertem Gestein ab, auf dem wir nicht besser daran waren. Unter solchen Umständen war die Anstrengung übermäßig. In 5800 Meter Höhe befanden wir uns auf einer längern Strecke von weichem Schnee, der ein Eisfeld bedeckte, das von tiefen Spalten durchzogen war. Mit großer Vorsicht mußten wir unsern Weg tasten, was bei dem matten Scheine des Mondes seine besondern Schwierigkeiten hatte. Zum Glück hörten die Spalten auf, als wir höher kamen. Aber ich fing an, eine sonderbare Erschöpfung zu fühlen, die ich nie vorher empfunden hatte. Bei Sonnenuntergang war das Thermometer, das Katschi trug, plötzlich innerhalb weniger Minuten stark gefallen, und die schroffe Temperaturänderung schien uns alle mehr oder weniger zu beeinflussen. Wir setzten dennoch unsern Aufstieg fort, mit Ausnahme von Bijesing, der so heftig von der Bergkrankheit ergriffen wurde, daß er unfähig war zu folgen. Auch der Doktor, ein Mann von mächtigem Körperbau, litt sehr. Seine Beine waren, wie er sagte, bleischwer, und jedes schien einige Zentner zu wiegen. Die Anstrengung, sie zu heben und zu bewegen, erforderte seine ganze Energie. Obgleich er völlig außer Atem war und nach Luft schnappte, wollte er doch nicht nachgeben und mühte sich tapfer weiter, bis wir eine Höhe von 6250 Meter erreichten. Hier wurde er von solcher Erschöpfung und Schmerzen ergriffen, daß er unfähig war, weiterzugeben. Katschi Ram, der Rongba und ich gingen weiter; aber auch wir litten. Katschi klagte über heftiges Hämmern in den Schläfen und lautes Sausen in den Ohren. Er keuchte furchtbar und taumelte unheimlich, ab und zu sank er zusammen. In 6400 Meter Höhe fiel er platt auf den Schnee. Er war sofort eingeschlafen, atmete schwer und schnarchte rasselnd. Seine Hände und Füße waren eiskalt, weshalb ich sie rieb. Aber was mir mehr Sorge machte als alles andere, war der unregelmäßige Schlag seines Herzens. Ich wickelte ihn in seine Decke und meinen Wettermantel ein und rief dann den Doktor, dem ich erzählte, was geschehen war. Ich selbst wollte noch so viel höher vordringen, als ich aushalten würde. Der Rongba war jetzt der einzige der Gesellschaft, der fähig war, sich aufrecht zu halten. Ein dicker Nebel fiel ein und umhüllte uns, was das Emporklimmen bedeutend erschwerte. Unsere Anstrengungen, weiterzukommen, nachdem wir Katschi zurückgelassen hatten, waren verzweifelt; unsere Lungen waren in krampfhafter Tätigkeit, als ob sie bersten wollten, unsere Pulse beschleunigt. Unsere Herzen klopften, als wollten sie sich einen Weg aus dem Körper herausbahnen. Erschöpft und von einer unwiderstehlichen Schlafsucht ergriffen, erreichte ich mit dem Rongba schließlich dennoch die Höhe. Trotzdem ich mir schon lange die Unmöglichkeit klargemacht hatte, meine Leute auf diesem Wege hinüberzubringen, war es eine Genugtuung, hierher gelangt und eine solche Höhe erreicht zu haben. Es hatte auch das Gute, daß ich mich über die Schneeverhältnisse auf der andern Seite des Gebirges orientieren konnte. Wie ich durch den Nebel ab und zu sehen konnte, war die Menge des Schnees auf der nördlichen Seite der Kette größer als auf der südlichen. Wenn auch vor Ermüdung fast ohnmächtig, trug ich meine Beobachtungen doch ein. Die Höhe war 6700 Meter, die Zeit 11 Uhr nachts; der Wind wehte stark und schneidend aus Nordost. Ich hatte ungeschickterweise vergessen, mein Thermometer aus Katschis Tasche zu nehmen, als ich ihn verließ, und war nun nicht imstande, die Temperatur zu notieren; die Kälte war aber ganz intensiv. Die Sterne schienen außerordentlich hell, und der Mond beleuchtete eine Weile das Panorama rings um mich. Obgleich es ein Anblick größter Trostlosigleit war, bot er dennoch einen seltsamen, unbeschreiblichen Zauber. Unter mir, im Süden, lagen die Bergmassen im Schnee begraben, in Südosten und Nordosten ragten Gipfel auf, die noch höher waren als der, auf dem ich stand. Im Norden dehnte sich das ungeheure, öde tibetische Hochland aus mit wellenförmigen Erhebungen und verworrenen Hügelketten, über die aus der Ferne ein hoher Gebirgszug mit Schneegipfeln herüberblickte. In der Nähe konnte ich nur sehr wenig Schnee sehen, ausgenommen an dem nördlichen Abhange der Kette, auf der ich stand, und auf den Höhenzügen, die das Plateau durchkreuzten. Ich hatte das Wunder der in ewiger Starrheit schlafenden Natur kaum geschaut, als der Nebel unter mir sich schon wieder erhob und ich ein riesenhaftes Gespenst erblickte, das aus dem Nebel, der ringsum alles in seinen Mantel hüllte, auftauchte. Im Mittelpunkt eines leuchtenden Kreises stand eine große, dunkle Gestalt in einem ungeheuern Nebelschleier. Die Wirkung war überwältigend, und erst nach einigen Augenblicken wurde es mir klar, daß das Gespenst mir glich, eine flüchtige Darstellung meines eigenen, ins Ungeheuere vergrößerten Körpers, und daß ich im Mittelpunkte eines Mondregenbogens stand und auf mein eigenes Nebelbild blickte. Wie ich auch meine Arme, meinen Körper, meinen Kopf bewegte, die geisterhafte Gestalt tat es mir nach. Ich fühlte mich unwiderstehlich veranlaßt, meine Stellungen zu verändern, zuerst unruhig und etwas aufgeregt, dann mit innerlichem Lächeln über mein Tun, denn es machte mir Spaß, mein Nebelbild mich nachäffen zu sehen. Ich kam mir vor wie ein Kind, das zum erstenmal vor einem Spiegel steht. Der Rongba war erschöpft niedergefallen, und auch ich fühlte mich bald so matt, daß ich trotz meines Ankämpfens dagegen auf dem Schnee zusammenbrach. Jämmerlich zitternd teilte ich mit dem Kuli dieselbe Decke, um uns gegenseitig mehr zu wärmen. Beide waren wir von einer unwiderstehlichen Schlafsucht ergriffen, die der Wirkung eines starken narkotischen Mittels glich. Ich versuchte alles dagegen, denn ich wußte nur zu gut, daß, wenn meine Augenlider sich einmal schlössen, sie sich nie mehr öffnen würden. Ich rief den Rongba. Er schlief fest. Ich bot die letzte Spur von Lebenskraft auf, um meine Augen offen zu halten, aber der Wind blies stark und schneidend und pfiff sein grausames Lied. Noch heute höre ich es bei dem Gedanken an meine damalige Lage! Der zähneklappernd zusammengekauerte Rongba stöhnte, und sein plötzliches Erschaudern verriet große Schmerzen. Ich hielt es für Christenpflicht, ihm die Decke allein zu überlassen, die für uns beide zu klein war, und wickelte sie ihm fest um Kopf und Leib. Er saß zusammengedrückt da, das Kinn auf den Knien. Diese kleine Anstrengung war genügend, mich den Kampf gegen die Natur verlieren zu lassen. Wie das Medium unter hypnotischem Einfluß den eigenen Willen und die eigene Kraft plötzlich schwinden fühlt, so fühlte ich die gänzliche Hoffnungslosigkeit des weitern Abmühens gegen die scheinbar übernatürlichen Kräfte, mit denen ich kämpfte. Nach rückwärts auf den Schnee fallend, machte ich eine letzte verzweifelte Anstrengung, nach den glitzernden Sternen zu blicken ... Vor meinen Augen wurde es trüb und dunkel. An Weiteres vermag ich mich nicht mehr zu erinnern. Wie lange diese halbe Bewußtlosigkeit währte, weiß ich nicht. »Gott, wie gräßlich! Doktor! Katschi!« versuchte ich zu rufen -- vergebens. Meine Stimme schien in meinem Halse erstickt. War, was ich vor mir sah, wirklich? Die beiden zu Tode erfrorenen Männer lagen nebeneinander auf der weiten weißen Schneedecke, unbeweglich wie Statuen. Ich versuchte, sie aufzuheben. Sie waren ganz starr. Ich kniete neben ihnen nieder, rief sie und bemühte mich wie wahnsinnig, sie wieder zu Bewußtsein und Leben zurückzubringen. Verwirrt wandte ich mich um, um nach Bijesing zu sehen, und dabei schien alle Lebenskraft in mir zu erstarren. Ich sah mich selbst in einem geräumigen, aber sich schnell zusammenziehenden Grabe von durchsichtigem Eise eingeschlossen. Es war mir, als müßte auch ich bald ein fester Eisblock sein wie meine beiden Freunde. Meine Beine und Arme waren schon erstarrt. In dem Entsetzen vor einem so hoffnungslosen, gräßlichen Tode wurden meine Empfindungen von einer unbeschreiblichen, aber fast wohltuenden Mattigkeit begleitet. Bis zu einem gewissen Grade hatte ich noch Bewußtsein. Sollte ich, Ruhe und Frieden der Anstrengung vorziehend, schmerzlos dahinsterben oder einen letzten verzweifelten Versuch machen, mich zu retten? Das Eis schien sich jeden Augenblick fester und fester zu schließen. Ich war am Ersticken. »Hinaus! Ich muß hinaus!« versuchte ich zu schreien. »Weg mit dieser erstickenden Last!« Da fiel ich heftig zurück, und alles war verschwunden: der erfrorene Katschi, der Doktor, das durchsichtige Grab, das Nichts! Als ich meine Augen öffnete, die wie von Nadelstichen schmerzten, schneite es stark. Ich hatte vorübergehend den Gebrauch meiner Beine und Finger verloren. Sie waren erfroren. So heftig die Erschütterung war, als ich mir vorstellte, wie schrecklich nahe ich dem Tode gewesen, war ich mir beim Erwachen von diesem gräßlichen Alpdrücken doch augenblicklich bewußt, unsern Weg nach einer tiefern Region antreten zu müssen. Schon war ich mit einer Schneedecke zugedeckt, und ich glaube, daß es der kalte Druck auf meine Stirn war, der jenen beängstigenden Traum hervorgerufen hatte. Wahrscheinlich ist es jedoch, daß ich ohne diese scheußliche Vision, die meine Nerven aus der lähmenden Betäubung aufrüttelte, nie aus jenem Zustand erwacht sein würde. Mit Mühe richtete ich mich auf und gewann durch beständiges Reiben und Schlagen langsam den Gebrauch meiner Beine wieder. Ich weckte den Rongba, rieb ihn und schüttelte ihn, bis er fähig war, sich zu bewegen. Dann begannen wir den Abstieg. Ohne Zweifel ist es eine große Genugtuung, hohe Berge zu ersteigen. Aber kann sie mit der des Abstiegs verglichen werden? Bei dieser Gelegenheit wurde ich in dieser Meinung noch mehr bestärkt. Der Abstieg war gefährlich, aber nicht ermüdend. Da der Abhang außerordentlich steil war, machten wir auf dem Schnee Riesenschritte, und wenn wir an Schutt- und Trümmerfelder kamen, glitten wir bei jedem Schritt drei bis fünf Meter hinab unter dem betäubenden Geräusch der durch uns in Bewegung gebrachten ungeheuern Masse loser Steine. »Horch!« sagte ich zu dem Rongba, »was ist das?« Wir warteten, bis es still wurde, dann lauschten wir aufmerksam mit den Händen an den Ohren. Es schneite noch. »~Ao, ao, ao! Jaldi ao! Tumka hatte?~ Kommt, kommt, kommt schnell! Wo seid ihr?« rief eine schwache, angsterfüllte Stimme weit unten. Wir beschleunigten unsere Schritte. Da wir über unsere Beine kaum Gewalt hatten, ging der Abstieg reißend schnell. Der Schneefall hörte auf, und wir wurden in einen dichten Nebel eingehüllt, der uns bis auf die Haut drang. Durch die Rufe des Doktors geleitet, dessen Stimme wir nun erkannten, setzten wir unsern halsbrecherischen Abstieg fort. Die Rufe wurden immer deutlicher, und endlich fanden wir uns zu meiner größten Freude Wilson gegenüber, der, dem Himmel sei Dank, noch am Leben, aber fast hilflos war, da seine Beine, wie er sagte, noch wie Blei waren und er sie kaum bewegen konnte. In Sorge um uns hatte er lange Zeit gerufen, und da er keine Antwort bekommen hatte, war er sehr unruhig geworden, um so mehr, als er fand, daß er uns in keiner Weise zu Hilfe kommen konnte. Er hatte uns bereits für verloren gehalten. Wir sahen uns nach Katschi um. Er hatte, in seine warme Decke und meinen Mantel gewickelt, wie ein Murmeltier geschlafen und war jetzt ganz frisch. So setzten wir alle zusammen unsern Wettlauf nach unten fort, lustig schwatzend und über den glücklichen Ausgang scherzend. Der Aufstieg von dem Gletscher am Fuße des Berges bis zur Höhe hatte 4½ Stunden in Anspruch genommen; der Abstieg hatte, ohne die Aufenthalte zu rechnen, nur den neunten Teil jener Zeit gekostet. Wir erreichten das Lager während der ersten Morgenstunden. Die Besorgnis meiner Leute war groß gewesen. Sie hatten alle Hoffnung verloren, uns wiederzusehen. Als ich ihnen sagte, daß wir über den Lumpiyapaß gehen würden, der für viel bequemer galt, waren sie wieder guter Dinge. Wir zündeten ein Feuer an, und nachdem wir um 5 Uhr morgens eine außerordentliche Mahlzeit von Reis, Tschapatis, Fleischextrakt und stärkenden Konserven gehabt hatten, hielten wir uns zu einer Ruhe von einigen Stunden voll berechtigt. Um 9 Uhr vormittags waren wir zum Aufbruch bereit. Das Thermometer zeigte im Innern des Zeltes 4½ Grad über Null, das Minimum draußen waren während der Nacht 10 Grad Kälte. Am Fuße des Gebirges entlang folgten wir dem Laufe des Kuti. Als wir um einen Felsvorsprung bogen, sahen wir auf einem Hügel uns gegenüber wieder 14 Steinsäulen und Pyramiden mit weißen Steinen und die üblichen fliegenden Gebete aus Zeug daran. An diesem Punkte beginnt der Aufstieg zum Lumpiyapaß. Dreizehntes Kapitel. Der Einmarsch in Tibet. Unser Weg stieg allmählich an, bis wir an einem flachen, mit Schnee bedeckten Becken eine Höhe von 5290 Meter erreichten. Soweit waren wir ohne große Beschwerden gekommen. Aber plötzlich nahm die Sache eine Wendung zum Schlimmen, denn die Kulis in der langen stillen Reihe, an deren Spitze ich marschierte, sanken bis zu den Knien, oft auch bis zu den Hüften in den Schnee ein. Sie boten ohne Zweifel einen malerischen Anblick in dieser sonst so einsamen Region. Der Hintergrund des Bildes war wild und ernst, und mit der gefrorenen weißen Schneedecke standen die Gestalten in scharfem Kontrast. Einige trugen Pelzmützen mit Ohrenklappen; alle aber hatten lange Schaffellröcke und hohe Stiefel aus Fellen, und viele gebrauchten Schneebrillen. Diese Prozession, die schweigend und ernst und unter den Lasten keuchend mühsam höher und höher klomm, bot nicht nur ein malerisches Bild, sondern ließ auch die Schwierigkeiten des Weges erkennen. Wir bewegten uns vorsichtig, um nicht in den vielen heimtückischen Spalten zu verschwinden. Ich wanderte mit beträchtlicher Mühe nach einer zirka 200 Meter höher gelegenen Stelle, wo ich auf einer fast schneefreien Felseninsel haltmachte. Sobald ein Kuli nach dem andern schwer atmend ankam, ließ er seine Last fallen und setzte sich ruhig neben sie. Es wurde kein Murren, kein Wort des Vorwurfs laut über die harte Arbeit, die ihnen zugemutet wurde. Ein sehr steiler Aufstieg lag jetzt vor uns. Zur Linken hatten wir einen Gletscher, der mit einem schroffen Eishang von ungefähr 30 Meter Höhe begann. Wie der Mangschangletscher hatte auch er horizontale bandartige Schichten von klarem Eise, das keine Schmutzbänder zeigte. Senkrechte Streifen von dunklerer, grünlicher Färbung waren in dem Eise zu sehen; sie rührten von der ungleichen Dichte des Eises her. Die Schichten waren fast horizontal, ohne irgendwelche Krümmungen oder Einsenkungen. Der obere Teil, die Basis und die Seiten waren auch an diesem Gletscher tief im Schnee begraben. Der Doktor und ich gingen voraus. In unserer Ungeduld, den Gipfel zu erreichen, und da wir nicht imstande waren, den jetzt meterhoch mit Schnee bedeckten Pfad zu unterscheiden, verfehlten wir die Richtung und erkletterten mit großer Anstrengung einen außerordentlich steilen Abhang. Hier befanden wir uns auf lästigem Geröll, auf dem wir uns über eine halbe Stunde abmühten, bis wir den Gipfel der Bergkette erreichten (5720 Meter), der beträchtlich höher liegt als der Paß. Vier Mann waren mit uns gekommen; die andern, denen wir Zeichen machten, gingen in der Richtung nach Westen auf einem andern gefährlichen Pfad, der um den Gletscher herumführte. Der Nordostwind war durchdringend, die Kälte schrecklich. Hinter einem großen Felsen fanden wir zeitweise Schutz und untersuchten mit meinem Fernrohr das vor uns ausgebreitete tibetische Hochland. Von diesem hohen Horste aus hatten wir einen prächtigen Blick aus der Vogelperspektive. Ungeheure Schneemassen bedeckten sowohl die tibetische Seite des Himalaja als auch das niedrigere Gebirge unmittelbar vor uns. 600 Meter tiefer fließt zwischen diesen beiden Bergzügen in einem weiten, kahlen Tale ein Fluß, der später Darma Yangti oder Lumpiya Yangti genannt wird. In der Ferne konnte man ein flaches Plateau sehen, das sich etwa 250 Meter über dem Flusse erhob, sich viele Kilometer weit hinzog und einem gigantischen Eisenbahndamm glich. Aus weiter Ferne blickte im Norden eine Kette von hohen blauen Bergen mit Schneekuppen herüber, ohne Zweifel die Gangrikette mit den Kelasgipfeln. Leider hatte einen meiner Leute ein Unfall betroffen; der arme Rubso, ein Christ, war von Kälte und Anstrengung erschöpft zusammengesunken. Er lag in Krämpfen in halb bewußtlosem Zustande, mit klappernden Zähnen und verzerrtem, leichenblassem Gesicht; seine Augen waren eingesunken und ausdruckslos, und er zeigte Symptome vollständigen Kräfteverfalls. Eilig trugen wir ihn unter den Schutz eines Felsens und rieben ihn kräftig, in der Hoffnung, die Blutzirkulation wieder herzustellen. Nach mehr als einer halben Stunde Anstrengung erholte er sich zu unserer großen Erleichterung wieder etwas und war imstande, mit unserer Hilfe langsam weiterzugehen. Da wir auf einem falschen Wege emporgeklommen waren, mußten wir jetzt zu dem 200 Meter tiefern Passe hinabsteigen. Wir gingen an gefährlichen Felsen und Trümmerfeldern entlang. Ich klammerte mich gerade mit halberfrorenen Fingern an einen vorspringenden Felsen an, als durchdringende Angstschreie von unten mein Ohr trafen. Trotz der unsichern Stellung, in der ich mich befand, wandte ich meinen Kopf, um zu sehen, was vorgefallen war. Auf dem steilen Schneehang rutschten zwei Kulis mit ihren Lasten mit unglaublicher Geschwindigkeit ab. Schließlich erreichten sie das Becken, wo das Gefälle sich plötzlich änderte; infolgedessen überschlugen sie sich mehrmals, wodurch die verschiedenen Säcke, aus denen ihre Lasten bestanden, herumflogen und nach allen Richtungen zerstreut wurden. Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als ich die Männer wieder aufstehen sah. Der eine Kuli hob die ihm anvertraut gewesenen Sachen nach und nach wieder auf, band sie zusammen, packte sie wieder auf den Rücken und begann den schwierigen Aufstieg zum zweitenmal. Der andere schrie und stöhnte so, daß wir ihn von unserm Standpunkte deutlich hören konnten. Er schien Schwindel zu haben. Nach wenigen Augenblicken schwankte er, fiel nach rückwärts und blieb wie tot liegen. Eiligst über die schlüpfrigen Felsen und auf den losen Trümmern hinabstürzend, gelangte ich auf den Paß. Sofort sandte ich zwei Leute, um dem Kuli Hilfe zu bringen. Zuerst trugen sie seine Last, dann ihn selbst herauf. Nach einiger Zeit hatte er sich von der heftigen Erschütterung und dem Schrecken erholt, und wenn er auch ziemlich übel zugerichtet war und überall Schmerz verspürte, so gelang es mir doch, den Mann zu überzeugen, daß ihm nichts von Bedeutung fehle. Hierauf ging es den steilen Abhang auf der tibetischen Seite im Laufschritt hinab, um schnell von dem kalten, windigen Paß fortzukommen. Endlich erreichten wir den Fluß und schlugen unsere Zelte auf dem Schnee in 5150 Meter Höhe auf. Hier gab es Weder Holz noch Jak- oder Pferdedung, keine Flechten und kein Moos, also nichts, womit wir ein Feuer anmachen konnten. Es war hart für meine Leute, daß sie nach einem so mühevollen Tage gezwungen sein sollten, schlafen zu gehen, ohne vorher eine warme Mahlzeit gehabt zu haben. Sie glauben, daß der Genuß kalter Nahrung in so beträchtlichen Höhen und bei so tiefer Temperatur zum sichern Tode führe. Sie zogen deshalb vor, ganz ohne Speise zu bleiben. Die Nacht kam, und mit ihr blies der Wind in Stößen, Kies und Schnee rings um unsere Zelte aufhäufend. Während des Orkans, der in den Nachtstunden raste, mußten wir mehrmals aus unsern Zelten heraus, um die lockern Pflöcke fester zu machen. Alle die gefrorenen Stricke zu befestigen, war ein sehr hartes Stück Arbeit. Von grobem Sand und Regen gepeitscht, packten wir, so gut wir konnten, unsere Siebensachen zusammen und machten uns wieder auf den Weg. Ich war etwas voraus, als ich zu meinem Erstaunen nur ungefähr 200 Meter von unserm Lager eine Doppelreihe von frischen Fußspuren auf dem Schnee fand. Die nach uns gerichteten waren etwas undeutlich und mit Sand bedeckt, während die in der entgegengesetzten Richtung gehenden ganz frisch schienen. Nachdem ich diese Fußspuren sorgfältig untersucht hatte, war ich ganz sicher, daß sie von einem Tibeter herrührten. Wo die Fußspuren aufhörten, zeigten Abdrücke im Schnee, daß sich der Mann an verschiedenen Stellen platt auf den Boden gelegt hatte. Ohne Zweifel hatte man uns nachspioniert und uns beobachtet. Meine Leute hatten, seitdem wir auf diese Seite des Himalaja gekommen waren, Zeichen von Furcht verraten. Sie besahen sich jetzt alle ängstlich diese Spuren und stellten Vermutungen über ihren Ursprung an. Einige mutmaßten, daß der Mann ein Daku, ein Räuber, sein müsse, und daß wir am Abend von der ganzen Bande angegriffen werden würden; andere behaupteten, der Spion könne nur ein Soldat sein, der von den tibetischen Offizieren in Gyanema ausgeschickt sei, um unsere Bewegungen zu überwachen. Unter allen Umständen galt der Zwischenfall als ein böses Omen. Während unsers Weitermarsches sahen wir die Fährten fortwährend. Die kühnsten Vermutungen wurden laut. Meine Leute waren so erschöpft, daß wir bald in 5070 Meter Höhe haltmachen mußten. Die Kälte war intensiv, und wieder hatten wir keinerlei Brennmaterial. Der Wind tobte, und am Abend fiel dichter Schnee. Die halbverhungerten Träger aßen ein bißchen Satu, eine Art Hafermehl, aber Tschanden Sing, ein Radschpute, konnte, ohne das Gesetz seiner Kaste zu verletzen, seine Speise nicht unzubereitet essen. Vor zwei Tagen hatte er seine letzte Mahlzeit gehabt, aber ehe er die Gesetze seiner Religion übertreten hätte, zog er es vor, sich in seine Decke zu rollen und hungrig schlafen zu gehen. Der Schnee lag 30 Zentimeter hoch und fiel immer noch dicht. Die Träger versuchten zu schlafen, indem sie sich zur Erwärmung so nahe zusammenkauerten als möglich. Sie weigerten sich weiterzugehen und sagten, sie würden lieber sterben. Wir fanden es auch bequemer, ihnen zu glauben und unter den Decken im Zelte soviel Wärme und Schlaf zu genießen als möglich. Zwei oder drei Stunden später klärte sich das Wetter auf. Die halbverhungerten Kulis beklagten sich, daß sie wieder keine Feuerung finden könnten, um ihr Essen zu kochen, und sagten, sie wollten mich verlassen. Die Lage war kritisch, das sah ich ein. Sofort nahm ich mein Fernrohr und kletterte auf den Gipfel eines kleinen Hügels. Es war seltsam, was für ein unbegrenztes Vertrauen die Kulis zu diesem Glase hatten. Offenbar glaubten sie nach Art der Kinder, daß ich mit ihm durch die Berge hindurchsehen könne. Mit der beruhigenden Nachricht, daß ein weiterer Tagemarsch uns zu einer Menge Feuerungsmaterial bringen würde, kam ich herab. Nun beeilten sie sich vergnügt, die Lasten zu packen, und gingen mit ungewöhnlicher Energie in der von mir angegebenen Richtung vorwärts. Sechs Stunden flotten Marsches brachten uns an eine geschützte Stelle, wo ein paar Flechten und Strauchwerk wuchsen. Wären wir plötzlich in den Schwarzwald oder in das Yosemitetal mit ihren Jahrhunderte alten Riesenbäumen hinabgestiegen, unser Entzücken hätte nicht größer sein können. Diese Sträucher ragten nicht höher als 15 bis 20 Zentimeter vom Boden auf, während der Durchmesser des stärksten Stückes, das wir sammelten, kleiner war als der eines gewöhnlichen Bleistifts. Mit Fieberhast waren alle Hände beschäftigt, diese Pflanzen zur Verwendung als Brennholz herauszureißen. Als der Abend kam, war dieselbe Anzahl von Händen mit Kochen beschäftigt und zugleich damit, soviel dampfende Speise als möglich mit beängstigender Schnelligkeit in die Mäuler der verhungerten Kulis überzuführen. Glückseligkeit herrschte im Lager, und das eben erduldete Ungemach war vergessen. Eine neue Überraschung erwartete uns, als wir aufstanden. Zwei als Bettler verkleidete Tibeter waren nach unserm Lager gekommen. Sie gaben vor, von Kälte und Hunger zu leiden. Ich befahl, sie ordentlich zu speisen und freundlich zu behandeln. Als ein Kreuzverhör mit ihnen angestellt wurde, gestanden sie, Spione zu sein, die von den Offizieren in Gyanema ausgesandt waren, um zu erforschen, ob ein Sahib die Grenze überschritten habe und ob wir etwas von ihm gesehen hätten. Am Morgen hatten wir uns immer um so vieles zu bekümmern, und es war so kalt, daß das Waschen geradezu eine Plage geworden war; ich hatte es daher einstweilen aufgegeben. Wir waren von der Sonne verbrannt und trugen Turbane und Schneebrillen, so daß die Tibeter uns unter dem Eindruck verließen, daß unsere Gesellschaft aus einem Hindu-Doktor, seinem Bruder und einer Karawane von Dienern bestand, von denen keiner einen Sahib gesehen hatte, und daß wir jetzt auf einer Pilgerfahrt nach dem heiligen Mansarowarsee und dem Berge Kelas wären. Wir machten uns darüber lustig, aber nichtsdestoweniger beratschlagten Wilson und ich sorgenvoll über unsere nächsten Pläne. Sollten wir während der Nacht einen eiligen Marsch über die Bergkette zu unserer Rechten machen und ostwärts durch die Wildnis gehen oder sollten wir uns dem Anführer von Gyanema und seinen Soldaten gegenüberstellen? »Wenn wir ihnen ausweichen und durch die Wildnis gehen,« sagte Wilson, »werden sie denken, wir laufen fort. Wir haben nichts Böses getan.« »Ja, ich ziehe vor, ihnen entgegenzutreten«, sagte ich. »Gehen wir!« und ich gab Befehl, das Lager augenblicklich abzubrechen. Vierzehntes Kapitel. Die Grenzwachen. Wir nahmen unsern Kurs nach Nordosten und ließen das hohe Tafelland im Westen liegen. So kamen wir bei Lama Tschokden oder Tschorden an, einem von einer tibetischen Wache besetzten Passe. Als wir uns näherten, kamen die Tibeter schnell heraus, Luntenflinten in der Hand. Sie schienen eine elende Bande zu sein und leisteten nicht nur keinen Widerstand, sondern kamen sogar, um Geld und Essen zu betteln. Sie klagten über schlechte Behandlung von seiten ihrer Vorgesetzten und gaben an, daß sie keine Bezahlung erhielten und daß ihnen selbst Nahrungsmittel nur gelegentlich nach diesem Außenposten gesandt würden. Ihre Röcke waren zerlumpt; jeder Mann trug ein Schwert im Gürtel. Auch hier hatten wir wieder Fragen nach dem jungen Sahib zu beantworten, da reitende Boten in größter Eile von Taklakot ausgeschickt worden seien, um den Offizier in Gyanema zu warnen, den Sahib nicht über den Lumpiyapaß in Hundes eindringen zu lassen, wenn er es versuchen sollte. Ihre Beschreibung meiner Persönlichkeit, wie man sie sich dort vorstellte, war sehr ergötzlich, und als sie sagten, daß sie dem Sahib, wenn er käme, den Kopf abschneiden würden, fühlte ich mich von ihrer Güte so gerührt, daß ich einige Rupien als Backschisch unter sie verteilen wollte. [Illustration: Verhandlung mit dem Tarjum von Barka.] »Geben Sie ihnen nichts, Herr!« sagten Katschi und der Doktor. »Diese Kerle sind dicke Freunde mit den Dakoitbanden, und diese werden es bald erfahren, daß wir Geld bei uns haben, und dann werden wir Gefahr laufen, heute nacht angegriffen zu werden.« Ich bestand darauf, ihnen etwas zu schenken. [Illustration: Im Schreckenslager.] »Nein, Herr,« rief Katschi außer sich, »tue es nicht, oder es wird uns unendliche Not und Unglück bringen. Wenn du ihnen vier Annas gibst, wird das reichlich genug sein.« So wurde denn dem befehlshabenden Offizier diese große Summe in die Fläche seiner ausgestreckten Hand gelegt. Um seine Befriedigung zu zeigen, streckte er die Zunge in ihrer ganzen Länge heraus, schwenkte einige Minuten lang beide Hände gegen mich, während er sich schwerfällig verbeugte. Seine Pelzkappe hatte er schon vorher abgenommen und auf den Boden geworfen. Dies war in der Tat ein großartiger Salaam und Dank für eine Summe, die keine 40 Pfennig betrug. Während der Doktor im Gespräch mit ihm blieb, ging ich abseits, um eine seltsame Szene zu betrachten. Die Wolken hatten sich im Norden zerstreut, und majestätisch stand der schneegekrönte heilige Berg Kelas vor uns. Einen so bezaubernden Anblick habe ich selten genossen. Dem anmutigen Dach eines Tempels nicht unähnlich, ragt der Kelas über den langen schneegekrönten Gebirgszug empor und kontrastiert in der schönen Verschmelzung der Töne mit der warmen Ockerfarbe der geringern Erhebungen der Kette. Der Kelas ist ungefähr 600 Meter höher als die andern Berge der Gangrikette und hat scharf abgegrenzte Kanten und Terrassen, die seine Gesteinsschichten bezeichnen und auf denen horizontale Schneebänder sich glänzend von den vom Eis erodierten dunkeln Felsen abheben. Die Tibeter, die Nepalesen, die Jumlis und die Hindus verehren diesen Berg, der, wie sie glauben, der Aufenthalt aller guten Götter, besonders des Gottes Siwa, ist. Der Rand um den Fuß des Kelas wird von den Hindus für den Abdruck der Stricke gehalten, die der Rakas oder Teufel benutzte, um den Thron des Gottes Siwa herunterzureißen. Mit unbedeckten Köpfen, die Gesichter nach dem heiligen Gipfel gerichtet, murmelten meine Leute Gebete. Mit gefalteten Händen, die sie langsam zur Höhe der Stirn erhoben, beteten sie inbrünstig und knieten dann nieder, die Köpfe tief zur Erde geneigt. Mein Begleiter, der Brigant, der dicht neben mir stand, flüsterte mir eilig zu, daß ich mich diesem Gebetsakt anschließen sollte. »Du mußt Freundschaft mit den Göttern halten«, sagte der Bandit. »Das Unglück wird dich begleiten, wenn du dem Kelas keinen Salaam gibst; das ist die Wohnung eines guten Gottes.« Dabei wies er mit der frömmsten Miene nach dem Berge. Um ihm gefällig zu sein, grüßte ich den Berg verehrungsvollst und legte, es den andern nachmachend, einen weißen Stein auf einen der Hunderte von Tschokden oder Obo, die von Frommen an dieser Stelle errichtet worden sind. Diese Obo, rohe Steinpyramiden, findet man auf allen Wegen, die über die hohen Pässe führen, neben Seen, ja in der Tat überall, aber selten in solchen Mengen wie bei Lama Tschokden. Der Hügel vor und hinter dem Wachthause war mit diesen Haufen buchstäblich bedeckt. Jeder Vorübergehende legt einen Stein, wenn möglich einen weißen, auf einen Obo, was ihm Glück bringt oder was, wenn er einen Wunsch hat, die Chancen der Erfüllung vermehrt. Das Wachthaus selbst war aus rohen Steinen jämmerlich aufgebaut und würde in jedem andern Lande als Tibet nicht einmal für Schweine als passende Unterkunft angesehen worden sein. Noch waren wir unbelästigt. Als wir ein paar Kilometer weitergegangen waren und die Sonne schon dem Untergehen nahe war, suchten wir nach einem passenden Platze für unsere Zelte. Es war keine Spur von Wasser vorhanden, nur das steinige Bett eines ausgetrockneten kleinen Baches. Wir besprachen eben unsere Lage, als ein schwacher Ton wie von rauschendem Wasser unser Ohr traf. Er wurde lauter und lauter, und wir sahen klares Schneewasser auf uns zuströmen und allmählich über das Steinbett sich ergießen. Offenbar hatte der Schnee der Berge zum Schmelzen den ganzen Tag gebraucht, und das Schmelzwasser kam jetzt gerade herab. Mein Daku war in großer Aufregung. »Wasser fließt dir zu, Sahib!« rief er, indem er die Arme ausstreckte. »Du wirst großes Glück haben! Sieh! Sieh! Du brauchst Wasser für dein Lager, und ein Strom fließt dir zu! Der Himmel segnet dich. Du mußt deine Finger in das Wasser tauchen, sobald es an dich herankommt, und einige Tropfen über deine Schultern werfen, dann wird das Glück dich auf deiner Reise begleiten.« Bereitwillig machte ich diesen tibetischen Glauben mit, und wir tauchten alle unsere Finger ein und sprengten das Wasser über unsern Rücken. Wilson indessen, der die Sache ernsthaft nahm, sagte, das sei alles Unsinn, und wollte bei einer solchen Kinderei nicht mittun. Die Zukunft war in der Tat unbekannt, und Glück würde mir wertvoll gewesen sein. Aber wie wenig wurde diese einfache Beschwörung in den kommenden Tagen erhört! Vor unserm Lager war eine lange Strecke angeschwemmten Landes, das allem Anschein nach in einer entlegenen Zeit das Bett eines großen, ungefähr 18 Kilometer langen und 25 Kilometer breiten Sees gewesen ist. Mit meinem Fernrohr konnte ich im Nordosten am Fuße eines kleinen Hügels deutlich den Lagerplatz von Karko sehen. Es waren viele Zelte dort, und meine Leute schienen sehr beruhigt, als wir nach Form und Farbe derselben herausfanden, daß es die der Joharis von Milam waren, die nach diesem Platze kommen, um mit den Hunyas Handel zu treiben. Hinter Karko nach Norden zu zeigte sich eine glänzende Wasserfläche, der See von Gyanema, und hinter ihm einige verhältnismäßig niedrige Hügelzüge. In der Ferne waren wieder sehr hohe schneebedeckte Berge sichtbar. Während unsers Weitermarsches sahen wir viele große Herden von Kiang oder wilden Eseln. Die Tiere kamen ganz dicht an uns heran. Sie sind an Gestalt und Bewegung des Körpers den Zebras sehr ähnlich; ihre Farbe war meist hellbraun. Die Eingeborenen betrachten ihre Nachbarschaft als außerordentlich gefährlich. Denn ihre scheinbare Zahmheit ist häufig trügerisch, da sie oft ganz nahe an den arglosen Reisenden herankommen, ihn dann mit einer plötzlichen Wendung am Leibe packen und ihm mit ihren gewaltigen Kiefern zuweilen furchtbare Wunden beibringen. Ihr anmutiges, kokettes Wesen ist äußerst anziehend; wir warfen gelegentlich mit Steinen nach ihnen, um sie in sicherer Entfernung zu halten, aber wenn sie zierlich davongaloppiert waren, folgten sie uns immer wieder und kamen bis auf wenige Meter heran. Es gelang mir, einige sehr gute Negative von ihnen zu bekommen, die später leider von den tibetischen Behörden vernichtet wurden. Wir erstiegen wieder eine Hügelkette und kamen auf der andern Seite zu einer grasbedeckten Strecke ebenen Landes hinab, in deren nördlichem Teil eine Wasserfläche lag. Auf einem Hügel südlich vom See stand das Gyanema Char oder Fort, ein primitives, turmartiges Bauwerk aus Steinen mit einem darüber ausgespannten Zelte, das als Dach diente; es trug eine Flaggenstange, an der zwei schmutzige weiße Lumpen flatterten. Es waren nicht die Fahnen der Tibeter, sondern nur fliegende Gebete. Tiefer unten am Fuße des Hügels waren zwei oder drei große schwarze Zelte und eine kleine Steinhütte. Hunderte von schwarzen, weißen und braunen Jaken weideten auf der grünen Fläche. Das Erscheinen unserer Gesellschaft erregte augenscheinlich Aufsehen, denn wir hatten uns kaum auf der Höhe des Passes gezeigt, als eine Trommel aus dem Fort zu tönen begann, die die Luft mit ihren unmelodischen, metallischen Klängen erfüllte. Ein Schuß wurde abgefeuert. Wir sahen Soldaten mit ihren Luntenflinten hin und her laufen. Sie rissen eins der schwarzen Zelte nieder und schafften es eilig in das Fort hinein, während der größte Teil der Garnison mit einer Eile, die lebhaft an wilde Flucht erinnerte, innerhalb der Mauern Schutz suchte. Als sie sich nach einer kleinen Weile überzeugt hatten, daß wir keine bösen Absichten hatten, kamen einige der tibetischen Offiziere, von ihren Mannschaften gefolgt, uns ängstlich entgegen. Der Doktor ging unbewaffnet voraus, um mit ihnen zu sprechen, wogegen ich und mein Träger bei den Kulis blieben, zu dem doppelten Zweck, unser Gepäck im Falle eines verräterischen Angriffs zu schützen und unsere von panischem Schrecken ergriffenen Träger zu verhindern, ihre Lasten zu verlassen und auszureißen. Aber die Sache ließ sich ganz friedlich an. Decken wurden auf das Gras gebreitet, und schließlich setzten wir uns alle nieder. Eine Stunde ermüdender Unterhandlungen mit den tibetischen Offizieren, während deren dieselben Dinge immer und immer wieder zur Sprache kamen, führte zu nichts. Sie sagten, daß sie unter keiner Bedingung irgend jemand, der aus Indien käme, gleichviel ob Eingeborener oder Sahib, erlauben könnten, weiterzugehen, und daß wir zurück müßten. Wir unsererseits gaben an, daß wir keine schlimmen Absichten hätten. Wir wären Pilger nach dem heiligen See von Mansarowar, der keine 60 Kilometer von hier lag. Wir hätten uns große Kosten und Beschwerden auferlegt. Wie könnten wir jetzt, so nahe an unserm Ziel, umkehren? Wir wollten nicht zurückgehen und hofften, daß sie uns erlauben würden, unsern Weg fortzusetzen. Wir behandelten sie höflich und freundlich, und da sie dies wahrscheinlich fälschlich für Furcht hielten, zogen sie schnell Vorteil daraus, besonders der Magpun oder erste Offizier und Befehlshaber des Forts von Gyanema. Die ausgesprochene Unterwürfigkeit, die er zuerst zur Schau getragen hatte, schlug plötzlich in Anmaßung um. »Ihr werdet mir den Kopf abschneiden müssen,« sagte er mit bösartiger Miene, »oder vielmehr, ich werde euern abschneiden, ehe ich euch einen Schritt weitergehen lasse.« »Mir den Kopf abschneiden, du Schurke!« rief ich, indem ich aufsprang und eine Patrone in mein Gewehr schob. »Mir den Kopf abschneiden!« wiederholte mein Träger und richtete sein Gewehr auf den Offizier. »Uns die Köpfe abschneiden«, schrien der Brahmine und die beiden christlichen Diener ~Dr.~ Wilsons zornig, indem sie ein Winchestergewehr und ein Paar Gurkha-Kukris (große Messer) erfaßten. »Nein, nein, nein! Salaam, Salaam, Salaam!« stieß der Magpun mit einer Zungenfertigkeit heraus, die nur ein von panischem Schrecken ergriffener Mensch besitzt. »Salaam, Salaam«, wiederholte er und verneigte sich bis zur Erde, mit herausgestreckter Zunge, indem er in ekelhaft kriechender Weise seinen Hut zu unsern Füßen legte. »Laßt uns wie Freunde sprechen!« Die Leute des Magpun, die nicht tapferer waren als ihr Herr, veränderten mit reizender Unverfrorenheit ihre Stellung, um im Falle unsers Schießens durch ihre Vorgesetzten gedeckt zu sein. Als sie bei näherer Überlegung fanden, daß sogar eine solche Vorsicht ihnen nur geringe Sicherheit gewährte, standen sie einer nach dem andern auf, gingen erst standhaft ein halbes Dutzend Schritte fort, um zu zeigen, daß es nicht Furcht sei, die sie zum Abgehen veranlaßte, und -- rissen dann aus. Der Magpun und die andern Offiziere, die dablieben, wurden immer demütiger. Wir sprachen und verhandelten in freundlicher Weise noch weitere zwei Stunden, aber nicht mit merklichem Erfolg. Der Magpun konnte nicht nach seinem eigenen Willen handeln. Er wolle mit seinen Offizieren Rat halten und könne uns nicht eher Bescheid geben als am nächsten Morgen. Inzwischen würde er für unsere Verpflegung sorgen und sich für unsere Sicherheit verbürgen, wenn wir neben seinem Zelte lagern wollten. Ich wußte wohl, daß das nur ein Mittel war, Zeit zu gewinnen, um nach Barka nördlich vom Rakastal und nach den nächstgelegenen Lagern um Soldaten zu schicken. Ich äußerte ihm offen meinen Verdacht, fügte aber bei, ich wünschte mit den tibetischen Behörden zunächst auf freundlichem Fuße zu verhandeln, bevor ich zur Gewalt griffe. Ich erinnerte den Magpun wieder daran, daß wir nur friedliche Reisende seien, die nicht gekommen seien, um zu kämpfen; ich würde alles, was ich von ihm oder seinen Leuten kaufen würde, zehnfach bezahlen und würde es gern tun; aber gleichzeitig sollte sich jeder in acht nehmen, der es wagen würde, auch nur einem meiner Leute ein Haar zu krümmen. Der Magpun erklärte, er verstehe alles sehr gut. Er schwor Freundschaft und bat uns, als seine Freunde die Nacht über bei seinem Lager zuzubringen. Bei der Sonne und der Dreieinigkeit schwor er, daß uns in keiner Hinsicht Leid geschehen solle. Er verabschiedete sich dann demütig von uns. Der Doktor und ich saßen zuvorderst, hinter uns Tschanden Sing, der Brahmine und die zwei Christen. Die Träger waren weiter hinten. Ich schaute mich nach ihnen um. Welcher Anblick! Alle miteinander jammerten sie kläglich, und jeder verhüllte das Gesicht mit den Händen. Katschi liefen die Tränen über die Wangen, Dola seufzte, während der Daku und der andere in meinen Diensten stehende Tibeter, die sich zur Vorsicht verkleidet hatten, sich hinter ihren Lasten versteckt hielten. So ernsthaft die Lage war, mußte ich doch über die entmutigten Leute lachen. Wir schlugen unsere Zelte auf. Ich hatte schon eine Zeitlang im Zelt gesessen, meine Beobachtungen registriert und mein Tagebuch weiter geschrieben, als Katschi in augenscheinlich großer Angst hereinkroch. Er war so gänzlich außer Fassung, daß er kaum sprechen konnte. »Herr!« flüsterte er. »Herr! die Tibeter haben einen Mann zu deinen Kulis geschickt, der ihnen befohlen hat, daß sie dich verraten oder sterben müßten. Sie müssen dich während der Nacht verlassen, und wenn du versuchst, sie zurückzuhalten, müssen sie dich töten!« Zu derselben Zeit, als dieser Spion abgesandt worden war, um sich mit meinen Kulis zu verschwören, hatten andere Boten des Magpun große Massen trockenen Dungs für unser Feuer gebracht und mir neue Versicherungen seiner Freundschaft übermittelt. Trotzdem wurden Soldaten nach jeder Richtung ausgeschickt, um Hilfe herbeizurufen. Ich sah sie fortgehen; einer ging nach Kardam und Taklakot; ein zweiter ging nach Barka, und ein dritter galoppierte nach Westen. Meine Träger bereiteten augenscheinlich einen Handstreich vor, wie ich durch eine Öffnung im Zelte beobachten konnte. Sie waren emsig beschäftigt, ihre Decken und Kleider von meinen Lasten zu trennen, die Vorräte unter sich zu verteilen und meine eigenen Güter beiseite zu werfen. Ich ging zu ihnen hinaus und ließ sie ruhig die Sachen wieder so verpacken, wie sie gewesen waren; dabei warnte ich sie, daß ich jeden erschießen würde, der versuchen sollte, zu meutern oder zu desertieren. Während der Doktor und ich uns zu einer ausgiebigen Mahlzeit niedersetzten, zu unserer letzten nach den im Lager umgehenden Gerüchten, wurde Tschanden Sing mit den Vorbereitungen zum Kriege von unserer Seite betraut. Mit großem Behagen reinigte er die Flinten und machte die Munition fertig, denn er sehnte sich danach zu kämpfen. Der Brahmine, auf dessen Treue wir uns auch verlassen konnten, blieb bei der ganzen Sache kühl und gefaßt. Er war ein Philosoph und zerbrach sich nie den Kopf über irgend etwas. Er beteiligte sich nicht aktiv an der Vorbereitung zu unserer Verteidigung, denn er fürchtete den Tod nicht. Gott allein könne ihn töten, so behauptete er, und alle Luntenflinten im Lande zusammengenommen könnten ihm keine Kugel durch den Leib jagen, wenn nicht Gott es wünsche. Und wenn dies wäre, was würde es nützen, sich gegen den Willen Gottes aufzulehnen? Die beiden Bekehrten waren als gute Christen praktischer und verloren keine Zeit, die gewaltigen Klingen ihrer Kukris zur Schärfe von Rasiermessern zu schleifen. Unserer sechs waren wir nun bereit, der ganzen tibetischen Armee entgegenzutreten! Als die Dunkelheit kam, wurden in einiger Entfernung rings um unser Lager Wachen aufgestellt. Es war zu vermuten, daß, sobald sich Gelegenheit bieten sollte, auf unser Zelt ein gemeinsamer Überfall mit meinen verräterischen Trägern geplant war. Einer von uns hielt die ganze Nacht hindurch draußen Wache, und wir legten uns drinnen in unsern Kleidern nieder, die geladenen Flinten für den Notfall neben uns. Ich kann nicht sagen, daß ~Dr.~ Wilson und ich Furcht empfanden, denn die malerischen tibetischen Soldaten mit ihren plumpen Luntenflinten, ihren langen Speeren und edelsteinbesetzten Schwertern und Dolchen flößten uns mehr Verachtung als Schrecken ein. Fünfzehntes Kapitel. Der Tarjum von Barka. Am nächsten Morgen wurden wir in aller Frühe durch den fernen Ton von Pferdeglocken geweckt. Als ich aus dem Zelte blickte, sah ich eine lange Reihe von schwerbeladenen Packpferden, die von einer Anzahl berittener Soldaten mit Luntenflinten und Speeren begleitet wurden. Augenscheinlich kam irgendein hoher Beamter, und diese Vorhut bestand aus seinen Untergebenen und seinem Gepäck. Sie machten weit von unserm Zelt eine große Schwenkung und stiegen an dem Fort vom Pferd. Andere Soldaten und Boten kamen fortwährend gruppenweise aus allen Richtungen an. Der Anführer einer Abteilung mit einer großen Eskorte von Soldaten wurde mit unzähligen Salaams empfangen. Ich schloß daraus, daß er eine wichtige Persönlichkeit sein müsse. Nach einiger Zeit wurde uns die Botschaft geschickt, daß dieser neue Ankömmling, der Tarjum von Barka, die Ehre zu haben wünsche, uns zu sehen. Dieser Potentat war im Range einem König unter einem Protektorat gleich. Wir antworteten höflich, daß wir eben unser Frühstück einnähmen; wir würden ihn holen lassen, wenn wir ihn zu sprechen wünschten. Die Erfahrung hatte uns gelehrt, daß es immer ratsam ist, tibetische Beamte als tieferstehend zu behandeln, da sie dann bescheidener sind und mit ihnen leichter zu verhandeln ist. Um 11 Uhr schickten wir einen Boten nach dem Fort, um zu sagen, daß wir jetzt erfreut sein würden, den Tarjum zu empfangen. Er kam augenblicklich mit großem Gefolge, eine malerische Gestalt in einem langen grünseidenen Rock nach chinesischem Schnitt, mit großen aufgeschlagenen Ärmeln, die seine Arme bis zum Ellenbogen sehen ließen; auf dem Kopfe eine Mütze, ähnlich der von den chinesischen Beamten getragenen, und an den Füßen schwere, lange, schwarze Stiefel mit großen Nägeln auf den Sohlen. Sein blasses, langes, eckiges Gesicht war in mancher Beziehung bemerkenswert. Es war von interessanter Dummheit, und wenn auch etwas weibisch, besaß es doch hübsche Züge. Langes Haar fiel in losen Locken auf die Schultern nieder, und von dem linken Ohre hing ein Ohrring von großen Dimensionen mit Malachitzieraten und einem Gehänge herab. In den nervigen Fingern hielt er eine kleine Rolle von tibetischem Stoffe, die er mit beiden Händen als Taschentuch gebrauchte, um sich jedesmal die Nase zu schneuzen, wenn er um die Antwort auf eine Frage verlegen war. Der Tarjum und seine Leute waren mit ihren kriechenden Verbeugungen verschwenderisch, und wie gewöhnlich gab es eine große Schaustellung von Zungen. Wie ich bemerkte, hatten diese eine ungesunde weißliche Farbe, die in ganz Tibet durch übertriebenes Teetrinken hervorgerufen wird. Die Verdauung der Leute ist gewöhnlich schlecht und ihre Zunge fast immer belegt. Wir hatten vor unserm Hauptzelte Decken ausgebreitet. Der Doktor und ich saßen auf einer und forderten den Tarjum auf, sich auf die Decke uns gegenüberzusetzen. Seine Begleiter kauerten sich rings um ihn. Es ist eine wohlbekannte Tatsache, daß, wenn man in Tibet ein »Jemand« ist oder wünscht, daß die Leute die Wichtigkeit einer Person anerkennen, man einen Schirm über seinem Kopfe ausgespannt haben muß. Zum Glück hatte der auf alles bedachte Doktor zwei in seinem Besitz; diese wurden von zweien unserer Leute anmutig über unsern Häuptern gehalten. Der Tarjum selbst wurde von einem Sonnendach von kolossalen Dimensionen beschattet, das sein dienstbarer Sekretär über ihn hielt. Trotz der überschwenglichen Freundschaftsversicherungen, die von des Tarjums Lippen flossen, überzeugte mich die genaue Beobachtung seines Gesichtes, daß seine Worte nicht aufrichtig gemeint waren. Jedenfalls durfte ich ihm nicht trauen. Er sah einem nie gerade ins Gesicht; seine Augen waren die ganze Zeit auf den Boden geheftet, und er sprach in einer widerwärtig affektierten Art. Vom ersten Augenblick an konnte ich den Mann nicht leiden und, Freund oder nicht, behielt ich mein geladenes Gewehr auf dem Schoße. Nach endlosen Redereien, plumpen Schmeicheleien und zarten Erkundigungen nach allen Verwandten, die ihnen einfallen konnten; nach ermüdenden, schön klingenden Parabeln ohne Sinn, nach wiederholtem Schneuzen und lautem Husten, der immer sehr gelegen kam, wenn wir fragten, ob sie schon zu einem Entschlusse gekommen wären, was uns zu tun erlaubt sein werde, wurden endlich, als meine Geduld fast erschöpft war, -- die Unterhandlungen vom vorigen Tage wieder eröffnet. Wir redeten stundenlang. Wir baten um die Erlaubnis, weitergehen zu dürfen. Sie waren noch nicht im reinen, ob sie uns ziehen lassen sollten oder nicht. Um die Sache zu vereinfachen und die Entscheidung zu beschleunigen, ehe andere Verstärkungen ankämen, ersuchte der Doktor um die Erlaubnis, nur acht von uns nach dem Mansarowarsee gehen zu lassen. Er selbst würde mit dem übrigen Teil der Gesellschaft als Bürge für unsere Rechtlichkeit in Gyanema zurückbleiben. Aber selbst dieses Anerbieten wiesen sie zurück, nicht direkt, sondern mit heuchlerischen Entschuldigungen und Ausflüchten; sie glaubten, wir würden den Weg nicht finden können, und, wenn wir es könnten, würden wir ihn sehr rauh und das Klima zu streng finden; Räuber könnten uns anfallen und ähnliches. Alles erschien uns sehr kindisch. Ich wurde der Sache müde und beschloß zu irgendeinem Auskunftsmittel oder zu einer Drohung meine Zuflucht zu nehmen. Meine Flinte mit gespanntem Hahn noch auf dem Schoße haltend, drehte ich ihre Mündung gegen den Tarjum und ließ absichtlich meine Hand zu dem Drücker hinabgleiten. Dem armen Manne wurde so unbehaglich, daß sein Gesicht deutliche Zeichen von Furcht und Schrecken zeigte. Seine bis jetzt auf den Boden gehefteten Augen wurden zuerst unruhig und richteten sich dann fest und mit einem Jammerblick auf die Mündung meines Gewehrs. Zugleich versuchte er durch Bewegen des Kopfes dem Ziel nach rechts oder links auszuweichen, aber ich ließ die Waffe allen seinen Bewegungen folgen. Die Diener des Tarjums teilten die Befürchtungen ihres Herrn vollständig. Ohne Zweifel war der arme Bursche in Todesangst. Seine Stimme, die vor einem Augenblick lärmend und anmaßend geklungen hatte, fand die denkbar demütigsten Töne. Mit großer Sanftmut erklärte er sich bereit, uns in jeder Weise gefällig zu sein. »Ich sehe, daß ihr gute Leute seid«, sagte er in schwachem Flüstertone, der von einer großartigen Verbeugung begleitet war. »Ich kann nicht, wie ich gern täte, eurer Weiterreise meine offizielle Genehmigung geben, aber ihr könnt gehen, wenn ihr wollt. Mehr kann ich nicht sagen. Acht von euch können nach dem heiligen Mansarowarsee gehen, die andern werden hierbleiben.« Bevor er seine Entscheidung endgültig abgab, sagte er, daß er es vorziehen würde, noch eine Beratung mit seinen Offizieren zu haben. Dies gewährten wir ihm bereitwillig. Hierauf beschenkte der Tarjum den Doktor mit einer Rolle tibetischen Stoffes. Ich hatte, wie gewöhnlich, am Morgen gebadet, und mein türkisches Handtuch war vor dem Zelte zum Trocknen ausgebreitet. Der Tarjum, der großes Interesse für alle unsere Sachen zeigte, fand ein besonderes Wohlgefallen an dem knotigen Gewebe. Er ließ sein Kind holen, damit es diesen wundervollen Stoff sähe, und als es kam, wurde das Handtuch auf des Knaben Rücken gelegt, als ob es ein Schal wäre. Sogleich bot ich es ihm zum Geschenk an, wenn er es annehmen wollte. Sein Entzücken kannte keine Grenzen, und unsere vor wenig Minuten noch etwas gespannten Beziehungen trugen nun den freundlichsten Charakter. Wir luden die Gesellschaft in unser Zelt ein, und sie untersuchten alles mit Verwunderung und taten die verschiedenartigsten Fragen. Jetzt waren sie ganz lustig und vergnügt und gelegentlich sogar witzig. Die Tibeter haben eine große Begierde nach Alkohol; sie fragten mich daher bald, ob ich ihnen welchen geben könnte, es gäbe nichts, was sie lieber hätten. Da ich nie welchen bei mir habe, konnte ich ihnen keinen anbieten; ich wollte sie aber nicht enttäuschen und brachte eine Flasche mit Methyläther (den ich für mein Hypsometer brauchte) zum Vorschein. Diesen tranken sie mit Vergnügen, da sie seine halsverbrennenden Eigenschaften augenscheinlich schätzten, und verlangten noch mehr. Der Tarjum klagte über eine Unpäßlichkeit, an der er seit einiger Zeit gelitten habe, und der Doktor war imstande, ihm ein passendes Mittel zu geben. Auch die andern Offiziere erhielten alle, ehe sie fortgingen, kleine Geschenke. Nachmittags kam ein Bote von dem Tarjum von Barka. Er hatte gute Nachrichten für uns. Der Tarjum wünschte uns begreiflich zu machen, daß er uns als seine persönlichen Freunde betrachte, da wir so freundlich mit ihm und seinen Begleitern gewesen seien, und daß, da wir so eifrig begehrten, den großen Mansarowarsee und den Kelasberg zu besuchen, und schon viele Schwierigkeiten und große Kosten gehabt hätten, um so weit zu kommen, er damit einverstanden sei, daß acht von meiner Gesellschaft nach den heiligen Stätten weitergingen. Es wäre ihm unmöglich, uns eine offizielle Einwilligung zu geben, aber er wiederholte nochmals, daß wir gehen könnten, wenn wir wollten. Natürlich entzückte mich diese Nachricht. Ich war sicher, daß ich, einmal am Kelas, leicht irgendwelche Mittel finden würde, weiterzukommen. An demselben Abend stahl sich ein Verräter in unserm Lager aus dem Zelte fort, in dem meine Leute schliefen, und stattete dem Tarjum einen Besuch ab. Ohne Zweifel teilte er ihm mit, daß ich weder des Doktors Bruder noch ein Hindupilger sei. Er entdeckte ihm, daß ich ein Sahib und auf dem Wege nach Lhasa sei. Nach dem, was ich später hörte, schien es, daß der Tarjum dem Angeber nicht ganz geglaubt habe, aber da neue Zweifel in seiner Seele aufstiegen, schickte er in der Nacht zu mir und ließ uns bitten, auf dem Wege, den wir gekommen, wieder zurückzukehren. »Wenn in eurer Gesellschaft wirklich ein Sahib ist, den ihr vor mir verborgen habt, und ich lasse euch weitergehen, so würden die Priester von Lhasa mir den Kopf abschneiden. Ihr seid jetzt meine Freunde und könnt das nicht wollen.« »Sage dem Tarjum,« erwiderte ich dem Boten, »daß er mein Freund ist und daß ich ihn wie einen Freund behandeln will.« Am Morgen fanden wir dreißig vollbewaffnete Reiter einige hundert Meter von unserm Zelte aufgestellt. Mit der demoralisierten Schar unter meinem Befehl und von dieser Gesellschaft gefolgt vorwärts gehen zu wollen, würde für meine Pläne sicher verhängnisvoll geworden sein. Ich fühlte, daß wieder eine List notwendig war. Zum großen Erstaunen der bewaffneten Macht und ihrer Anführer gingen der Doktor, Tschanden Sing und ich festen Schrittes, die Gewehre in der Hand, auf die Abteilung zu. Hinter uns kamen die zitternden Kulis. Der Magpun und die andern Offiziere des Tarjum wollten ihren Augen kaum trauen. Die Soldaten saßen schnell ab und legten ihre Waffen nieder, um zu zeigen, daß sie nicht die Absicht hätten zu kämpfen. Ohne sie zu beachten, gingen wir an ihnen vorüber. Der Magpun rannte mir nach. Er bat mich, einen Augenblick zu halten. Dola wurde herbeigerufen, um seine kunstvolle Rede zu verdolmetschen. Ein Paar hübsch gestickte tibetische Tuchstiefel wurden aus den weiten Falten des Rockes des Beamten hervorgeholt, die er mir mit folgenden Worten anbot: »Obgleich dein Gesicht von der Sonne verbrannt und schwarz ist und deine Augen wund sind (in Wirklichkeit waren sie es nicht, aber ich trug eine Schneebrille), sagen mir deine Züge, daß du aus einer guten Familie bist; darum mußt du in deinem Lande ein hoher Beamter sein. Deine edeln Gefühle zeigen auch, daß du nicht wünschen kannst, daß wir um deinetwillen gestraft werden, und nun sind unsere Herzen froh, zu sehen, wie du deine Schritte wieder zurücklenkst. Laß mich dir diese Schuhe darbieten, damit deine Füße nicht wund werden auf der langen und beschwerlichen Rückreise nach deinem Heimatlande.« Das war hübsch gesagt, aber die Art der Beweisführung war eigentümlich. Es lag nicht in meinem Interesse, die Tibeter in bezug auf meine Absicht aus ihrem Wahne zu reißen; so nahm ich die Stiefel an. Der Magpun und seine Leute machten Salaam bis auf den Boden. Ohne weiteres Parlamentieren verließen wir den Magpun und marschierten, denselben Weg wieder einschlagend, in westsüdwestlicher Richtung ab, als ob wir entschlossen wären, das Land zu verlassen und zurückzugehen, wie man uns geraten hatte. Sechzehntes Kapitel. Ein rascher Entschluß. Wir kamen auf dem Gipfel des Hügels an und gingen nach der andern Seite hinüber. Meine Leute marschierten weiter den Abhang hinab, während ich zurückblieb, um, durch einen großen Stein gedeckt, die Tibeter in Gyanema durch das Fernrohr zu beobachten. Kaum war der letzte meiner Männer auf der andern Seite des Passes verschwunden, als die Reiter in die Sättel sprangen und uns nachgaloppierten, wobei sie Wolken von Staub aufwirbelten. Das war es, was ich erwartet hatte. Ich eilte, mich meinen Leuten anzuschließen. Unten in der Ebene angekommen, nahm ich wieder mein Fernrohr heraus und beobachtete den Hügel, von dem wir eben herabgestiegen waren. Man konnte einige dreißig Köpfe sehen, die zwischen den Blöcken hervorguckten. Augenscheinlich waren die Soldaten abgestiegen und spähten nach unsern Bewegungen. Es ärgerte mich, daß sie nicht offen kamen, mich anzuhalten, anstatt in dieser unangenehmen Weise jede unserer Bewegungen zu beobachten. So stellte ich mein Gewehr auf 800 Meter, legte mich platt nieder und zielte auf eine Gestalt, die ich deutlicher als die andern sehen konnte. Der Doktor riß mir die Flinte von der Schulter. »Sie dürfen nicht schießen«, sagte er mit seiner gewöhnlichen Ruhe. »Sie könnten jemand töten.« »Aber«, erwiderte ich, »solchen feigen Geschöpfen muß man eine Lektion geben.« »Ja, das ist wahr, aber in Tibet ist jeder Mann so feige, daß die Lektion beständig wiederholt werden müßte«, antwortete Wilson mit gewohnter Vorsicht. Ich hängte meine Flinte über die Schulter und dachte, ich würde mich schon ein andermal an die eben geplante Arbeit machen. Als wir in der Ebene ungefähr zwei Kilometer zurückgelegt hatten, überschritt unsere geisterhafte Eskorte den Paß und kam in vollem Galopp den Hügel herunter. Ich gab meinen Leuten Befehl, anzuhalten, was die Soldaten kaum sahen, als sie auch plötzlich stillhielten. Ich beobachtete sie durch das Fernrohr. Sie schienen in erregter Diskussion zu sein. Endlich ritten fünf Mann in größter Eile nordwärts, wahrscheinlich um den Weg in jener Richtung zu bewachen. Drei Mann blieben, wo sie waren, und die übrigen galoppierten wie von panischem Schrecken ergriffen rasend den Hügel wieder hinauf und verschwanden hinter dem Gipfel. Wir nahmen den Marsch wieder auf. Die drei Reiter verfolgten einen Weg zwei Kilometer südlich von unserm, am Fuße der Hügel, und da sie sich dicht auf die Köpfe ihrer Pferde legten, glaubten sie wahrscheinlich, daß sie unbemerkt an uns vorbeikämen. Als sie sahen, daß unsere Richtung die nach unserm alten Lager bei Lama Tschokden war, verließen sie unsere Spur und ritten uns voraus. Als wir abends Lama Tschokden erreichten, kamen zwei Schäfer, uns zu begrüßen. Später erschien ein dritter. »Unsere Schafe sind weit fort«, sagten sie. »Wir sind hungrig. Wir sind arm. Können wir bei euerm Lager bleiben und die Speisen auflesen, die ihr fortwerfen werdet?« »Gewiß,« sagte ich, »aber seht euch vor, daß ihr nicht mehr auflest, als ihr braucht.« Diese einfältigen Leute hatten in dem Glauben, daß ich sie nicht erkennen würde, ihre Pferde in dem Wachthause von Lama Tschokden gelassen und versuchten nun als Schäfer verkleidet sich bei uns einzuschleichen mit der Absicht, unsere Bewegungen und Vorhaben bequemer zu beobachten. Natürlich waren sie niemand anders als die drei Soldaten von Gyanema. Mit jedem Schritte unsers Rückzugs gegen den Himalaja wurde mein Herz schwerer und meine Stimmung gedrückter. Ich war voll von Kriegslisten, aber Pläne ersinnen und sie ausführen sind zwei sehr verschiedene Dinge. [Illustration: Plötzliche Unterwürfigkeit der Banditen.] Wie oft waren meine Pläne nicht gescheitert! Wie oft hatte ich nicht von neuem anfangen müssen, wenn alles fertig und im besten Gange schien! Und dies sogar, wenn ich eine Fülle von gutem Material zur Verfügung hatte, mit dem ich arbeiten konnte. Jetzt hatten sich die Dinge sehr zum Schlimmen gewendet. Trotz meines unaufhörlichen Kampfes gegen das Schicksal wurden meine Aussichten auf Erfolg Tag für Tag geringer. Ich konnte nicht umhin, einzusehen, daß es schließlich doch mit der Kraft und Ausdauer meiner Leute und meiner selbst ein Ende nehmen müsse. Es ist hart genug, sich an eine schwierige Aufgabe zu machen; aber wenn man sie glücklich angefangen und schon viele Schwierigkeiten überwunden hat, wieder zurückgehen und von neuem anfangen zu müssen, das ist mehr als bitter. [Illustration: Teufelssee mit Kelas (im Hintergrund der Mansarowar).] Die Aussichten waren trüb; ich stand vor dem augenscheinlichen Mißerfolg aller Anstrengungen und war der Treue meiner Leute nicht sicher. In diesem Lager sagte mir z. B. der Daku, der seine Verkleidung schon mehrmals gewechselt hatte, seitdem wir mit Tibetern in Berührung kamen, er werde mich unverzüglich verlassen. Der Doktor hatte ihm schon die besten Worte gegeben, zu bleiben -- ohne Erfolg. Wir wußten wohl, daß der Mann uns in dieser von Dakoit heimgesuchten Gegend nur verlasse, um seine alten räuberischen Gewohnheiten wieder aufzunehmen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wollte er sich irgendeiner Bande anschließen, und wir durften dann ohne Zweifel während der dunkelsten Stunden der Nacht seinen Besuch erwarten. Der Daku wußte, daß ich eine große Summe Geld bei mir führte; in den letzten beiden Tagen war sein Benehmen seltsam gewesen. War er einigen seiner Genossen begegnet? Oder hatte er von den Soldaten gehört, daß sie in der Nähe wären? Der Daku hatte sich ein Bündel mit seinen Decken auf den Rücken gebunden, bereit, augenblicklich fortzugehen. Meine Leute, die durch diese neue Gefahr bekümmert wurden, berichteten mir dies. Ich schickte sofort nach ihm. Er sprach in barschem Tone, und mit auf den Boden gehefteten Augen sagte er: »Ich gehe, Sahib.« »Wohin?« fragte ich. »Ich habe Freunde hier in der Nähe; ich gehe zu ihnen.« »Sehr gut, geh!« sagte ich, indem ich ruhig mein Gewehr aufnahm. Seine Last war in kürzerer Zeit von seiner Schulter herunter, als man zur Beschreibung des Vorfalls braucht. Er nahm seine Arbeit wie gewöhnlich wieder auf. Ein paar andere meuterische Kulis wurden auf demselben Wege zur Vernunft gebracht. Später erfuhr ich, daß kaum zwei Tage, nachdem dies geschehen war, eine Bande von Straßenräubern eine Gesellschaft nahe der Grenze angegriffen hatte. -- Wieder ein Marsch rückwärts! Wie schrecklich war das für mich! Und doch war es ratsam. Wir gingen mehrere Kilometer weit und lagerten am Ufer eines reißenden Flusses, des Schirlangtschu. Von diesem Punkte aus dürfte es mit einiger Schwierigkeit und Gefahr möglich sein, während der Nacht über das Gebirge zu kommen und den Versuch zu machen, den Spionen und Wachen auszuweichen, indem man quer durch die Wildnis zum Mansarowar ging. Ich entschloß mich, dies zu versuchen. Ein so großes Gefolge wie meine dreißig Mann zu haben, schien die Gefahr zu vergrößern. So beschloß ich, daß nur drei oder vier mich begleiten sollten. Allein zu gehen, war unausführbar wegen der Schwierigkeit, hinreichende Nahrungsmittel zu tragen, sonst würde ich es bei weitem vorgezogen haben. Indessen beschloß ich, im schlimmsten Fall diese letztere Art zu reisen zu versuchen und zu sehen, ob ich auf gut Glück von den Tibetern etwas zu essen erhalten würde. Alle Lasten wurden fertig gemacht. Kleidungsstücke und Luxusartikel, Leckerbissen unter den Nahrungsmitteln und Extrasachen wurden zurückgelassen, um Platz für meine wissenschaftlichen Instrumente zu schaffen. Jedes Pfund mehr an Gewicht, das ich der Wissenschaft widmete, bedeutete ein Pfund weniger an Nahrung für den Weg nach Lhasa. Was nicht absolut notwendig war, mußte zurückbleiben. Zwei tibetische Spione kamen nachmittags zum Lager, wie gewöhnlich als Bettler verkleidet. Sie baten um Essen und forderten es sogar. Ihr Benehmen war unerträglich frech. Es war zu viel für uns. Bijesing, der Johari, und Rubso, der christliche Koch, waren die ersten, die sich mit ihnen in einen offenen Kampf einließen. Sie pufften und stießen sie, trieben sie eine steile, zu einem Flusse führende Schlucht hinab, dann warfen sie, von andern aus dem Lager unterstützt, die Tibeter mit Steinen. Die unglücklichen Eindringlinge, außerstande, schnell durch den reißenden Strom zu waten, empfingen den verdienten Lohn. Dieses kleine Scharmützel ergötzte das Lager, aber viele der in meinen Diensten stehenden Schokas und Hunyas waren noch vor Schrecken ganz außer sich. Es genügte, daß einer von ihnen einen Tibeter sah, um sogleich vor Schrecken zusammenzusinken. Die für meine Flucht bestimmte Stunde war 9 Uhr abends. Durch das Versprechen einer guten Belohnung waren fünf Leute bewogen worden, mir zu folgen. Zur bestimmten Stunde war jedoch keiner von ihnen erschienen. Ich ging auf die Suche nach ihnen. Der eine hatte sich absichtlich die Füße verletzt und war marschunfähig. Ein anderer gab vor, im Sterben zu liegen. Die übrigen weigerten sich entschieden, zu kommen. Vor Furcht und Kälte zitterten sie. »Töte uns, Sahib, wenn du willst,« flehten sie mich an, »aber wir folgen dir nicht.« Um 3 Uhr morgens hatten sich alle Versuche, auch nur einen Mann zum Tragen einer Last zu bekommen, als nichtig erwiesen. Ich mußte den Gedanken an den Abmarsch aufgeben. Meine Aussichten wurden trüber als je. Wieder ein Marsch zurück nach dem kalten und öden Passe, auf dem ich nach Tibet gekommen war! »Sie sind niedergeschlagen, Landor«, bemerkte der Doktor. Ich gab es zu. Ich hatte gewünscht, um jeden Preis vorzudringen, und nur aus Rücksicht auf meinen guten, liebenswürdigen Freund, den Doktor, hatte ich widerwillig darauf verzichtet, mir meinen Weg mit Gewalt zu bahnen. Mein Blut kochte. Ich fieberte. Die Feigheit meiner Leute machte sie mir unsäglich verächtlich. Ich konnte es jetzt nicht ertragen, sie zu sehen; ihr Benehmen war empörend. In Gedanken versunken ging ich schnell weiter, und der schroffe Weg erschien mir kurz und bequem. Ich fand einen passenden Platz für unser nächstes Lager. Hier standen vor mir und auf jeder Seite hohe, schneebedeckte Berge. Dort, mir gegenüber, ragte derselbe Lumpiyapaß empor, über den ich mit großen Hoffnungen nach Tibet hineingezogen war. Ich verabscheute in diesem Augenblick seinen Anblick; seine Schneefelder schienen meines Mißerfolgs zu spotten. Ehe wir Zeit hatten, unsere Zelte aufzuschlagen, hatte der Wind, der den ganzen Nachmittag stark gewesen war, zehnfach an Wut zugenommen. Die Wolken über uns waren wild und drohend, und bald fiel Schnee in dichten Flocken. »Was wollen Sie tun?« fragte mich der Doktor. »Ich dächte, Sie täten besser, nach Garbyang zurückzukehren, neue Leute zu nehmen und noch einmal anzufangen.« »Nein, Doktor, lieber will ich sterben, als diesen Marsch nach rückwärts fortsetzen. Die Chancen werden besser sein, wenn ich allein gehe. Ich habe beschlossen, heute abend aufzubrechen; denn ich bin überzeugt, daß ich meinen Weg über das Gebirge finden werde.« »Nein, nein, es ist unmöglich, Landor«, bat der Doktor mit Tränen in den Augen. »Für jeden, der es versucht, bedeutet es den sichern Tod.« Ich sagte ihm, daß ich fest entschlossen sei. Der arme Doktor war verblüfft. Er wußte, daß der Versuch, mir abzuraten, nutzlos war. Ich ging in das Zelt, um mein Gepäck nochmals zu arrangieren und zu verringern, und machte eine Last zurecht, die klein genug war, um sie neben der täglichen Marschausrüstung und den Instrumenten auf meinem Rücken zu tragen. Während ich Vorbereitungen für meine Reise traf, trat Katschi Ram ins Zelt. Er sah erschreckt und bestürzt aus. »Was tust du, Herr?« fragte er hastig. »Der Doktor sagt, du willst heute nacht allein über das Gebirge und ganz allein nach Lhasa gehen.« »Ja, das ist wahr.« »O, Herr, die Gefahren sind zu groß, du kannst nicht gehen.« »Ich weiß es, aber ich werde es versuchen.« »Herr, dann will ich mit dir kommen.« »Nein, Katschi, du wirst zu viel zu leiden haben. Geh jetzt, da du Gelegenheit hast, zu Vater und Mutter zurück!« »Nein, Herr, wohin du gehst, will ich auch gehen. Kleine Menschen leiden nie. Wenn sie es tun, kommt es nicht darauf an. Nur die Leiden großer Menschen sind wert bemerkt zu werden. Wenn du leidest, will ich leiden. Ich will kommen.« Katschis Philosophie belustigte mich. Es war außer Zweifel, daß er meinte, was er sagte, und ich entschied mich, ihn zu nehmen. Das war ein Glück. Katschi Ram hatte fünf gute Freunde unter den jungen Schoka-Kulis. Sie waren alle Freunde aus dem Rambang und pflegten sich im Lager während der Abende oft zusammenzutun und melodische, schwermütige Lieder zu singen zu Ehren der schönen Mädchen, ihrer Liebsten, die sie auf der andern Seite des Himalaja zurückgelassen hatten. Katschi eilte fieberhaft erregt davon. In wenigen Minuten war er zurück. »Wie viele Kulis willst du mitnehmen, Herr?« »Es wird keiner kommen.« »Oh, ich werde sie bringen. Werden fünf genügen?« »Ja«, murmelte ich ungläubig. Mein Skeptizismus erhielt einen Stoß, als Katschi zurückkam und in seinem seltsamen Englisch sagte: »Fünf Schokas kommen, Herr. Dann du, Herr; ich, Herr; fünf Kulis, Herr, gehen fort Nachtzeit, welche Uhr?« »Bei Gott, Katschi,« konnte ich mich nicht enthalten auszurufen, »du bist ein tüchtiger Bursche, wirklich ~smart~.« »~Smart~, Herr?«, fragte er aufmerksam, als er ein neues Wort hörte. Er war sehr begierig, Englisch zu lernen, und hatte eine wahre Leidenschaft dafür. »~Smart~! Was bedeutet? Wie buchstabieren?« »~S...m...a...r...t.~ Es bedeutet schnell, klug.« »~Smart~«, wiederholte er feierlich, als er das neuerworbene Wort in ein Buch einschrieb, das ich ihm zu diesem Zwecke gegeben hatte. Katschi war ohne Zweifel, trotz mancher kleinen Fehler, ein großer Charakter. Er war ein äußerst intelligenter, aufgeweckter Bursche. Seine nie versagende gute Laune und sein ernstes Bestreben, zu lernen und nützlich zu sein, waren sehr erfreulich. Mein Geschick schien sich in der Tat gewendet zu haben. Wenige Minuten darauf kam mein Träger, der nicht wußte, daß jemand mich begleiten würde, und rief mit einem Ausdruck des Abscheus: »~Schoka crab, sahib! Hunya log bura crab. Hazur hum, do admi jaldi Lhasa giao.~ Die Schokas sind schlimm, die Hunyas sind sehr schlimm. Euer Gnaden und ich, wir beiden wollen schnell ganz allein nach Lhasa gehen.« Hier war also noch ein beherzter und nützlicher Mann, der sehnlichst wünschte, mitzukommen. Er sagte, daß er keine Furcht vor dem Tode habe. Er war der Typus des Mannes, wie ich ihn brauchte. Wie aufrichtig des armen Burschen Beteuerungen waren, erfuhr ich in einer spätern Zeit! Tschanden Sing hatte eine starke Neigung für die Jagd. Sein Glück war vollkommen, wenn er seine Flinte nach irgend etwas abfeuern konnte, obgleich niemand wußte, ob er jemals das Ziel getroffen hatte. Ich hatte ihn nur wenige Tage zuvor streng gescholten und bestraft, weil er mehrere Patronen an wilde Esel verschwendet hatte, die fünf Kilometer entfernt waren. Gewöhnliche Arbeit jedoch, wie das Besorgen seiner eigenen Küche oder die Reinhaltung meiner Sachen, war ihm zuwider und wurde regelmäßig auf andere übertragen. Da Man Sing, der Aussätzige, leider derselben Kaste angehörte wie Tschanden Sing, wurde er meines Dieners Diener. Die beiden Hindus zankten und kämpften beständig miteinander, aber im Herzen waren sie die besten Freunde. Durch Versprechungen, die hin und wieder mit Schlägen untermischt wurden, gelang es dem Träger schließlich, seinen Protegé zu überreden, sich unserm neuen Plane anzuschließen und zusammen den unbekannten Gefahren zu trotzen. Um 8 Uhr abends hatte ich alle die Leute beisammen, die versprochen hatten, mir zu folgen. Es waren mein Träger, Katschi und sechs Kulis. Siebzehntes Kapitel. Die Flucht aus dem Teufelslager. Wir nannten dieses Lager »Teufelslager«, denn teuflisch war in der Tat der Wind, der an unserm Zelte rüttelte, und der Schnee, der von dem rasenden Sturm in unser Obdach geweht wurde. Während der Nacht nahm der Wind an Wut zu. Es waren weder Holz noch Dung oder Flechten zur Feuerung zu finden. Unsere Zelte waren in 5150 Meter Höhe aufgeschlagen. Um den Gipfel des Gebirges zu ersteigen, würde ein Aufstieg von 600 Meter nötig gewesen sein. Bei solchem Wetter waren die Schwierigkeiten des Aufstiegs verzehnfacht, wenn wir auch, um der Wachsamkeit der tibetischen Wachen zu entgehen, die unsere Bewegungen auszuspionieren suchten, keine günstigern Chancen hätten haben können als eine stürmische Nacht wie diese. Ich machte mit dem Doktor ab, daß er das ganze Gepäck, das ich zurückließ, und die Leute, die sich weigerten, mir zu folgen, nach Garbyang zurücknehmen solle. Er mußte alle unsere Zelte bis zum späten Nachmittag des nächsten Tages stehenlassen, um die Tibeter glauben zu machen, daß wir noch alle darin wären, und um mir Zeit zu geben, einen langen Eilmarsch auszuführen, ehe sie uns auf die Spur kommen könnten. So beschwerlich die Wanderung auch für uns werden würde, wollten wir doch kein Zelt mitnehmen außer dem kleinen, das ungefähr zwei Kilogramm wog. Wir würden ohnedies mehrere Tage nicht imstande sein, eins aufzuschlagen, aus Furcht, von den Tibetern entdeckt zu werden, die bald ausgeschickt werden würden, uns zu suchen. Wir würden bei Nacht weite Strecken gehen und uns meist auf der Höhe des Gebirges halten müssen, anstatt wie andere Reisende durch die Täler zu wandern; wenn wir überhaupt schlafen könnten, müßte es am Tage geschehen, wenn wir uns an irgendeinem recht abgelegenen Orte verbergen könnten. Den Gedanken an ein Feuer mußten wir auf unbestimmte Zeit hinaus aufgeben, denn selbst in dem unwahrscheinlichen Falle, daß wir auf den großen Höhen, wo wir würden lagern müssen, Feuerungsmaterial fänden, weiß doch jeder, daß ein Feuer und eine Rauchsäule bei Tag wie bei Nacht aus großer Entfernung gesehen werden können. Alles dieses überlegten und besprachen wir, ehe wir aufbrachen, und wir waren uns überdies völlig bewußt, daß, wenn die Tibeter einmal Hand an uns legen könnten, unsere Zahl zu klein sei, um kräftigen Widerstand zu leisten, und daß wir uns dann als verloren betrachten müßten. In der Tat, alles in allem genommen zweifelte ich sehr daran, ob von dem Augenblicke an, da wir das Teufelslager verließen, das Leben meiner paar Begleiter und das meinige auch nur einen Pfifferling wert sein würde. Im vollen Bewußtsein der Gefährlichkeit meines Unternehmens war es vielleicht töricht von uns, überhaupt fortzugehen; aber Mangel an Entschlossenheit kann billigerweise nicht zu unsern Fehlern gerechnet werden. Der bedachtsame Doktor hatte ein paar Flechten von unserm letzten Lager mitgebracht, mit denen er versuchte, ein Feuer anzumachen, um vor der Abreise ein paar Tschapatis für mich zu bereiten. Ach, vier Stunden angestrengter Arbeit und die gleiche Anzahl von Schachteln mit Streichhölzern waren nicht imstande, auch nur den Schein einer Flamme zu erzeugen. Um Mitternacht sandte ich Tschanden Sing und Katschi fort, um die Leute zu sammeln. Zwei kamen zitternd ins Zelt; die andern waren nicht aufzuwecken. Ich ging selbst und führte sie, einen nach dem andern, zu ihren Lasten. Sie weinten alle wie Kinder; da erst entdeckte ich, daß ich in der Eile und Verwirrung eine Last zuviel zurechtgemacht hatte. Das war ein Dilemma. Alles war bereit und günstig für unsere Flucht, und eine Verzögerung in diesem kritischen Augenblicke war verhängnisvoll. Ich mußte um jeden Preis noch einen Mann haben. Als ich, um noch einen zu holen, in das Zelt der Kulis ging, war das Klagen und Stöhnen jämmerlich. Man hätte denken können, daß sie alle in ein paar Minuten sterben müßten und jetzt in den letzten Zügen lägen; alles aus Schreck und Furcht davor, daß sie ausgewählt werden könnten, mir zu folgen. Schließlich wurde nach endlosen Mühen, Drohungen und Versprechungen Bijesing, der Johari, überredet, mitzukommen. Aber die Last war zu schwer für ihn; er wollte nur die Hälfte tragen. Um weitern Verdruß zu ersparen, kam ich mit ihm überein, daß ich die andere Hälfte noch neben meiner eigenen Last tragen wollte. Wir löschten unsere Sturmlaternen aus, und um 2 Uhr morgens, als der Sturm am heftigsten tobte und uns Kies und Schnee wie Nadelspitzen ins Gesicht trieb, als Wind und Kälte uns mit schneidender Gewalt bis ins Mark zu dringen schienen, als alle Götter ihrem Zorne Luft machten, indem sie mir jedes Hindernis in den Weg legten, um ein weiteres Vordringen in dieses hohe Land der Öde abzuschneiden, verließ eine Handvoll schweigender Männer, halb erfroren und taumelnd, das Lager, um dem eisigen Schneesturm zu trotzen. Ich befahl meinen Leuten, sich dicht beisammenzuhalten. Wir schlugen sofort den Weg nach dem Bergabhange ein, wobei wir Sorge trugen, die Stellen zu vermeiden, wo, wie wir vermuteten, die tibetischen Spione postiert waren. Wir hätten keine passendere Nacht für unsere Flucht wählen können. Es war so dunkel, daß wir kaum über unsere Nasen hinaussehen konnten. Der Doktor begleitete mich schweigend und mit schwerem Herzen ein paar hundert Meter weit. Ich drang in ihn, nach dem Zelte zurückzukehren. Er stand still, um meine Hand zu ergreifen. Dann sagte mir der gute Mann mit gebrochener Stimme »Lebewohl« und »Gott behüte Sie«. »Die Gefahren Ihrer Reise«, flüsterte Wilson, »sind so groß und so zahlreich, daß Gott allein Sie hindurchführen kann. Wenn ich an die Kälte, den Hunger und das Ungemach denke, die Sie zu ertragen haben werden, muß ich in Sorge sein für Sie.« »Leben Sie wohl, Doktor«, sagte ich tiefbewegt. »Leben Sie wohl«, wiederholte er. »Leben ...«, die Stimme versagte ihm. Zwei oder drei Schritte, und die Dunkelheit trennte uns. Aber seine rührenden Abschiedsworte klangen in meinen Ohren wider, während ich mit Trauer der Treue und fröhlichen Güte dieses guten Freundes gedachte. Die Reise nach Lhasa war nun im vollen, grimmigen Ernst wieder begonnen. In kurzer Zeit waren unsere Ohren, Finger und Zehen fast erfroren, und der schnelltreibende Schnee, der heftig gegen unsere Gesichter schlug, tat uns in den Augen weh. Wie die Blinden gingen wir vorwärts, sprachlos und erschöpft, langsam aufsteigend und unsern Weg mit den Füßen tastend. Als wir höher hinaufgekommen waren, wurde es kälter und der Wind schneidender. Alle paar Minuten waren wir gezwungen, anzuhalten und uns dicht aneinanderzusetzen, um warm zu bleiben und Atem zu schöpfen, da die Luft so dünn war, daß wir unter unsern schweren Lasten schrecklich keuchten. Wir hörten ein Pfeifen und Töne von entfernten Stimmen. Meine Leute drängten sich um mich, flüsterten: »Räuber, Räuber!« und warfen sich dann platt auf den Schnee. Ich lud meine Büchse und ging voraus, aber meine Hoffnung, die Finsternis durchdringen zu können, war vergebens. Ich horchte. Wieder schrille Pfiffe! Meine Schokas waren erschrocken. Der Ton schien gerade aus der Richtung vor uns zu kommen. Wir änderten unsern Kurs ein wenig und setzten unsern Weg langsam und stetig fort, bis wir bei Sonnenaufgang fanden, daß wir nahe dem Gipfel des Berges waren. Es schneite noch heftig. Eine letzte Anstrengung brachte uns auf das Plateau des Gipfels. Hier fühlten wir uns verhältnismäßig sicher. Gänzlich erschöpft legten wir unsere Lasten auf den Schnee und lagerten uns in einer Reihe dicht aneinander, um uns warm zu halten, dann häuften wir noch alle verfügbaren Decken über uns auf. Um 1 Uhr nachmittags erwachten wir, bis auf die Haut durchnäßt, da die Sonne die dicke Schneedecke über uns geschmolzen hatte. Das Lager war in 5480 Meter Höhe. Der Wind aus Südost war schneidend wie ein Messer. Wir hatten nicht nur bei dieser Gelegenheit, sondern beinahe an jedem Tage unsers Aufenthalts in Tibet von ihm zu leiden. Er fängt um 1 Uhr nachmittags mit großer Heftigkeit und Regelmäßigkeit an zu wehen und erst gegen 8 Uhr abends läßt er etwas nach und hört allmählich auf. Als wir uns fertig machten, um mit krampfigen, steifen Gliedern den Weg zu noch größern Höhen wieder anzutreten, bedeckte sich der Himmel plötzlich mit schweren, grauen Wolken, und es fiel von neuem Schnee. Es war keine Möglichkeit, ein Feuer zu machen. So brachen wir hungrig und halb erfroren auf. Bis an die Hüften im Wasser wateten wir durch einen eisig kalten Strom, dann stiegen wir auf einer Strecke von 11 Kilometer stetig höher und höher empor, und erreichten endlich ein zweites Plateau. Die Höhe betrug 5780 Meter. Wir waren überrascht, auf diesem hohen Tafellande vier dicht nebeneinanderliegende Seen von beträchtlicher Größe zu finden. Die Sonne, die für einen Augenblick die Wolken durchbrach, schien auf die schneebedeckten Gipfel der umliegenden Berge, versilberte das Wasser der Seen und schuf ein schönes, großartiges Bild von wildem, bezauberndem Effekt. Hunger und Erschöpfung verhinderten uns an der vollen Würdigung der Landschaft; nichts konnte uns aufhalten, schnell einen passenden Platz im Schutze der hohen Hügel rings um das Plateau oder in irgendeiner Bodensenkung zu suchen, wo wir unsere schwachen, entkräfteten Körper ausruhen könnten. Ich sehnte mich, über das Plateau vorzudringen und auf der Nordostseite zu irgendeiner niedrigern Höhe abzusteigen, wo wir wahrscheinlich Feuerungsmaterial finden würden, aber meine halbverhungerten, übermüdeten Leute konnten nicht mehr weiter. Ihre nassen Lasten waren beträchtlich schwerer als gewöhnlich; infolge der großen Höhe keuchten sie schrecklich, und kaum waren wir an eine teilweise geschützte Stelle zwischen dem größern See und der östlich anstoßenden Wasserfläche gekommen, als sie alle zusammenbrachen und unfähig waren, weiterzugeben. Ich war in großer Sorge um sie, da sie sich weigerten, kalte Nahrung zu sich zu nehmen, die, wie sie sagten, ihren Tod herbeiführen würde. Ich wußte wirklich nicht, wie sie für den Marsch des nächsten Tages hinreichende Kraft sammeln könnten. Schließlich verbürgte ich mich persönlich dafür, daß sie nicht sterben würden, und überredete sie, ein bißchen Satu und Ghur zu genießen. Kaum hatten sie etwas davon, mit kaltem Wasser gemischt, gegessen, als sie unglücklicherweise fast alle von heftigen Magenschmerzen ergriffen wurden, an denen sie die ganze Nacht hindurch zu leiden hatten. Ohne Zweifel hat die Erfahrung sie gelehrt, daß der Genuß kalter Nahrung in beträchtlichen Höhen gefährlicher ist als gar nichts zu essen, und ich bedauerte meinen unzeitigen, wenn auch gut gemeinten Rat. Man ist geneigt, andere Leute nach sich selbst zu beurteilen; ich persönlich habe nie einen Unterschied in der Wirkung wahrgenommen, ob meine Nahrung kalt oder warm war. Bald nach Sonnenuntergang war die Kälte intensiv. Es schneite noch stark, und unsere nassen Kleider und Decken gefroren jetzt. Ich zündete eine kleine Spirituslampe an, um die wir uns alle dicht zusammendrängten, bedeckt mit unsern gefrorenen Umhüllungen. Ich versuchte sogar, etwas konzentrierte Fleischbrühe auf der Lampe zu kochen, aber infolge der großen Höhe über dem Meere brauchte das Wasser lange Zeit, bis es kochte, und als es eben lauwarm wurde, ging die Flamme aus, und ich hatte keinen Weingeist mehr; so mußte das Kochen aufgegeben werden, und wir krochen, als die Nacht kälter und kälter wurde, unter unsern Decken zusammen, in dem vergeblichen Bemühen, zu schlafen. Wir hatten aus unserm Gepäck einen Schutzwall gemacht, und meine Leute bedeckten ihre Köpfe und den ganzen Körper mit ihren Decken; ich konnte mich jedoch mit ihrer Art zu schlafen nie befreunden, da ich dabei ersticken zu müssen glaubte. Ich ließ immer den Kopf frei, denn dies war nicht nur behaglicher, ich wollte auch bei irgendeinem Anzeichen, daß wir von den Tibetern überrascht werden sollten, auf dem Posten sein. Während der ganzen Nacht klagten und stöhnten meine Leute und klapperten krampfhaft mit den Zähnen. Ich wachte oft auf von einem heftigen, durch Erfrieren hervorgerufenen Schmerz in den Ohren; auch meine Augen litten, da die Augenwimpern sich mit Eiszapfen bedeckten. Jedesmal, wenn ich sie zu öffnen versuchte, hatte ich ein Gefühl, als ob die Wimpern abgerissen würden, da die Öffnung des Auges augenblicklich fest zusammenfror, wenn die Lider geschlossen wurden. Endlich kam der Morgen! Die Nacht hatte endlos geschienen. Als ich die Decke zu heben versuchte, um mich aufzusetzen, schien sie von außerordentlicher Schwere und Steifheit zu sein. Kein Wunder! Sie war hart und steif wie Pappe gefroren und einen Fuß hoch mit Schnee bedeckt. Das Thermometer war während der Nacht auf 5 Grad unter Null gesunken. Ich rief meine Leute; sie waren schwer zu erwecken, auch sie waren im Schnee begraben. »~Uta, uta, uta!~ Aufstehen, aufstehen!« rief ich, indem ich einen nach dem andern schüttelte und so viel Schnee, als ich konnte, fortwischte. »~Barof bahut!~ Es ist viel Schnee!« bemerkte einer, als er seine Nase aus der Decke steckte und seine von dem Schnee ringsum geblendeten, schmerzenden Augen rieb. »~Salaam, sahib~«, fügte er hinzu, als er sein erstes Erstaunen überwunden hatte und mich bemerkte, und hob seine Hand graziös zur Stirn empor. Die andern grüßten mich ebenso. Katschi war wie gewöhnlich der letzte, der geweckt wurde. »Katschi,« schrie ich, »steh auf!« »~O bahiyoh!~ O Vater!« gähnte er, indem er die Arme ausstreckte. Halb im Schlaf, halb wach, sah er wie in einer Verzückung um sich, indem er unzusammenhängende Worte murmelte. »Guten Morgen, Herr. O viel Schnee! O sieh, Herr, zwei Kiang dort! Wie heißt Kiang auf englisch?« »Wilder Esel.« »Wild? Du schreibst w...i...l...d?« »Ja.« Hier wurde das Notizbuch unter seinem Kopfkissen hervorgeholt und das Wort eingetragen. Diese Schokas sind in der Tat sonderbare Leute! Der Durchschnittseuropäer würde unter solchen Verhältnissen, halb verhungert und erfroren, kaum an die Rechtschreibung denken. Man Sing, der arme Aussätzige, litt furchtbar. Er weinte die ganze Nacht hindurch. Ich hatte ihm eine meiner Decken gegeben, aber sein Blutumlauf schien gehemmt zu sein. Sein Gesicht war grau und leichenhaft, mit tiefen vom Leiden gezogenen Furchen, und seine Füße waren so erfroren, daß er eine Zeitlang nicht stehen konnte. Wieder wollten die Schokas nichts essen, denn der Schnee fiel noch immer. Wir machten uns nach Nordost auf den Weg. Nach zwei Kilometer auf ebenem Boden begannen wir einen steilen Abstieg über unangenehme lose Gesteinstrümmer und scharfe Felsen. Das Vorwärtskommen war schnell, aber sehr mühevoll. Als ich das Land unter meinem Fernrohr absuchte, bemerkte ich tief unten im Tale im Nordosten Gesträuch und Flechten und auch ein Zelt und einige Schafe. Das war schlimm, denn wir mußten unsere Richtung ändern, um nicht gesehen zu werden. Wieder kletterten wir zu der Höhe des Plateaus empor und gingen unbemerkt um den Gipfel des Berges herum, eine mehr östliche Richtung einschlagend. Gegen Sonnenuntergang begannen wir unsern Abstieg von dem letzten Punkte und überschritten den Fluß ohne große Schwierigkeit. Nachdem wir eine gut geschützte Bodensenkung ausgesucht hatten, schlugen wir mein kleines Zelt auf. Mit Eifer gingen wir alle daran, Flechten und Sträucher für unsere Feuer zu sammeln, und jeder Mann brachte mehrere Lasten Brennmaterial ins Lager. In einem Augenblick loderten drei große Feuer, und wir waren nicht nur imstande, ein besonders reichliches Mittagessen zu kochen und unsere Mühen in einem Eimer kochenden Tees zu ertränken, sondern wir konnten auch unsere Kleider und Decken trocknen. Die Erleichterung durch die Wärme war wunderbar, und wir vergaßen in unserm verhältnismäßigen Glück das Ungemach und die Leiden, die uns bisher betroffen hatten. Mit Ausnahme einer Handvoll Satu war dies die erste Mahlzeit, die wir seit achtundvierzig Stunden gehabt hatten. Achtzehntes Kapitel. Das Schreckenslager. Vor uns, nach Nordosten zu, war ein hoher Berg, dann weiter gegen Osten ein schmales Tal zwischen zwei Hügelzügen, während in Westsüdwest ein Fluß durch eine malerische Schlucht floß. Es war für mich notwendig, durch das Tal im Osten zu gehen, da wir uns damit viel Mühe und Zeit ersparen konnten, obgleich Gefahr bestand, Tibetern zu begegnen, besonders Räuberbanden. Wir mußten vorsichtig vorwärts gehen, da meine Schokas vor diesen Leuten große Angst zu haben schienen. Wir waren noch nicht ein Kilometer über das wellige Terrain gegangen, und ich war eben hinter meinen Leuten stehengeblieben, um mit dem Kompaß einige Peilungen zu machen, als meine Träger sich plötzlich platt auf den Boden warfen und, auf Händen und Füßen kriechend, anfingen, sich rückwärts zu bewegen. »~Dakoit! Dakoit!~ Räuber! Räuber!« flüsterten meine Leute, als ich ihnen näherkam. Es war zu spät. Wir waren gesehen worden, und eine Anzahl mit Luntenflinten und Schwertern bewaffneter Dakoit kam schnell auf uns los. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß das Schlimmste in solchen Fällen das Fortlaufen ist; denn nichts ermutigt einen Menschen mehr als zu sehen, daß sein Gegner Furcht vor ihm hat. Deshalb lud ich meinen Mannlicher, und mein Träger tat dasselbe mit seinem Henry-Martini. Ich gab den Schokas Befehl, neben ihren Lasten niederzukauern und sich nicht vom Platze zu rühren. Wir zwei gingen langsam der schnell näherkommenden Bande entgegen, die jetzt kaum hundert Meter von uns entfernt war. Ich schrie ihnen zu stillzustehen, und Tschanden Sing machte ihnen Zeichen, daß sie zurückgehen sollten. Aber sie nahmen von unsern Warnungen keine Notiz und kamen nur um so schneller auf uns los. Ohne Zweifel dachten sie, wir seien nur Schokahändler, und erwarteten nach ihrer Erfahrung, leichte Beute zu finden. Sie schickten sich an, über uns herzufallen, sobald sie uns nahe genug sein würden, und teilten sich mit der augenscheinlichen Absicht, uns von allen Seiten einzuschließen. »~Duschu! Duschu!~ Geht zurück!« rief ich ihnen ärgerlich zu, indem ich meine Flinte an die Schulter hob und ruhig auf den Anführer zielte. Tschanden Sing folgte meinem Beispiel und legte auf einen andern an. Dies schien eine heilsame Wirkung auf sie zu haben; sie machten sofort einen komischen Salaam und rissen dann aus. Tschanden Sing und ich verfolgten sie eine Strecke weit, um sie uns ordentlich aus dem Wege zu bringen. Von einem kleinen Hügel, auf dem wir eine gute Ausschau hatten, bemerkten wir, daß in der Nähe eine Anzahl von Genossen waren und dazu ungefähr 3000 Schafe, wahrscheinlich ihre letzte Beute. Wir machten ihnen Zeichen, daß sie uns aus dem Wege gehen sollten, und schließlich zogen sie, ihre Beute vor sich hertreibend, eiligst in der von mir angedeuteten Richtung ab. Als sie weit genug von uns waren und meine Schokas, die ihre letzte Stunde schon nahe geglaubt, sich von ihrem Schrecken wieder erholt hatten, setzten wir unsere Wanderung fort und betraten das schmale Tal zwischen den Hügelzügen. Daß wir jetzt in einer vielbesuchten Gegend waren, konnte man an den zahlreichen Lagerplätzen längs des Baches sehen. Aber unser Abenteuer vom Morgen hatte unsern Mut gehoben, und wir zogen fröhlich weiter. Ein etwas steiler Aufstieg brachte uns auf ein Plateau von 5000 Meter Höhe, von dem wir eine schöne Aussicht hatten über den schneebedeckten Höhenzug, der von Osten nach Westen vom Mangschanberge bis zum Lippupaß läuft. Auf dem tiefern Teile des Plateaus und dann am Flußlaufe entlang führte ein Weg von Gyanema nach Taklakot über Kardam und Dagmar und ein selten begangener Pfad nach Mangschan. Der Rand des Plateaus lag 4810 Meter hoch, der Fluß 170 Meter tiefer. [Illustration: Lamakloster in Tucker.] Es war für uns eine sehr gefährliche Stelle, da es ohne Zweifel den Tibetern jetzt schon wohlbekannt sein mußte, daß ich entkommen und auf dem Wege nach ihrem Lande war. Ich wußte, daß Soldaten und Spione alle Wege bewachen und überall nach uns suchen mußten. Diese Verkehrsstraße, die mehr begangen war als die andern, war deshalb um so unsicherer, und wir mußten große Vorsicht anwenden, um eine Entdeckung zu vermeiden. [Illustration: Meine zwei schwarzen Jake.] In Tibet ist die Luft so klar, daß in Bewegung befindliche Gegenstände auf außergewöhnlich große Entfernungen sichtbar sind. Ich durchspähte die Gegend mit meinem Fernrohr, konnte aber niemand sehen. So setzten wir unsern Marsch fort. Meine Leute hielten es indessen für sicherer, zu einem der zahlreichen Bäche hinabzusteigen, wo wir mehr gedeckt sein würden. Kaum hatten wir den Rand des Plateaus erreicht, als wir Geräusche hörten, die aus dem Tale heraufdrangen. Auf dem Bauche kriechend, schauten meine Träger und ich über den Rand des Plateaus. Ungefähr 160 Meter tiefer unten war ein tibetisches Lager; Jake und Pferde weideten dort. Unbemerkt beobachtete ich sie einige Zeit. Es waren mehrere Soldaten, die ohne Zweifel nach mir Ausschau hielten. Mit meinem Glase erkannte ich einige von den Leuten aus Gyanema. Wir hielten es für ratsam, eine Stelle aufzusuchen, wo wir uns bis zum Anbruch der Nacht verbergen könnten. Dann stiegen wir auf einem weiten Umwege zum Bach hinab, arbeiteten uns mühsam im Dunkeln durch und gingen durch eine enge Schlucht zwischen hohen Wänden, bis wir an ein gutes Versteck kamen, wo ich Halt! rief. Ein Zelt aufzuschlagen wagten wir nicht. Von meinen Leuten gefolgt, kletterte ich an der Wand zu unserer Linken von Fels zu Fels empor und fand eine kleine natürliche Plattform, die von einem großen, sie überragenden Block geschützt wurde. Dies schien ein genügend sicherer Ort. Wir waren vorsichtig genug, für den Fall einer nächtlichen Überrumplung unser ganzes Gepäck zu vergraben. Von ihm nicht belästigt, würden wir jeden Augenblick imstande sein, uns vor unsern Verfolgern zu verbergen oder ihnen zu entrinnen, um wieder zu unsern Sachen zurückzukehren, sobald sich eine Gelegenheit dazu böte. Gerade jetzt, als alles glatt zu gehen schien, machte ich eine schreckliche Entdeckung. An diesem Punkte unserer Reise, wo es für mich wichtig war, sehr schnell vorzugehen, fand ich, daß wir Mangel an Lebensmitteln hatten. Das war in der Tat eine Überraschung; denn bevor ich den größern Teil meiner Expedition verlassen, hatte ich meinen Leuten Befehl gegeben, Nahrung für zehn Tage mitzunehmen. Der Doktor, den ich beauftragt hatte, danach zu sehen, hatte mir versichert, daß die Lasten genug enthielten, um noch über diese Zeit hinaus für uns zu reichen, und jetzt hatten wir aus irgendeinem unerklärlichen Grund nur noch für eine magere Mahlzeit genügend Nahrung. Zudem entdeckte ich, daß wir nur noch ganz wenig Salz übrig hatten. »Was habt ihr damit getan?« fragte ich zornig, da es mir sofort durch den Sinn fuhr, daß meine Träger falsches Spiel getrieben hatten. Ich hatte jedem Mann befohlen, ein Pfund Salz mitzunehmen. »Ja, Sahib, aber wir vergaßen es mitzunehmen«, sagten die Leute wie im Chor. Nach all den schrecklichen Mühsalen und Anstrengungen, die wir durchgemacht hatten, nach all der Sorge, meine kartographischen Aufnahmen sowie das Photographieren, Skizzieren, Schreiben, Sammeln usw. auch unter ungewöhnlich gefahrvollen Umständen fortzuführen, war es ein harter Schlag für mich, alle meine Pläne so plötzlich vereitelt zu sehen; denn wir waren noch drei oder vier Tagemärsche vom Mansarowar entfernt, wo ich hoffte, neuen Proviant erhalten zu können. Sollte ich, nachdem ich so weit vorgedrungen war, zurückgehen oder mich für besiegt erklären und von den tibetischen Soldaten gefangennehmen lassen, denen ich bisher mit so viel Glück ausgewichen war? Ich fühlte mich krank und niedergedrückt. Zu meiner Seelenqual kam noch körperliches Unbehagen: ich war im Halbdunkel über den Gakkonfluß von Stein zu Stein gesprungen, ausgeglitten und der Länge nach in ungefähr 1½ Meter tiefes Wasser gefallen. Der Wind ging gerade sehr stark, und das Thermometer war auf 3 Grad unter Null heruntergegangen. Als ich in meinen nassen Kleidern dasaß und mit meinen Leuten unsere augenblickliche Lage besprach, wurde es mir plötzlich kalt, und ich fühlte mich so matt, daß ich dachte, ich würde zusammenbrechen. Es trat ein heftiges Fieber ein, das so schnell zunahm, daß ich trotz meines verzweifelten Strebens, nicht nachzugeben, fast in Delirium verfiel. Meine Zähne klapperten, meine Temperatur war aufs höchste gestiegen, und ich sah meine ganze Not in übertriebener Gestalt vor mir; der Mißerfolg schien mir unvermeidlich. Plötzlich, als ich fast in Verzweiflung war, kam mir ein Auskunftsmittel in den Sinn, eine Idee, die vielleicht mehr für einen Roman als für das wirkliche Leben geeignet war. Vier meiner Leute sollten verkleidet, zwei als Händler, zwei als Bettler, nach Taklakot gehen und Lebensmittel von meinen Feinden kaufen. Wir im Lager Zurückbleibenden wollten uns inzwischen, bis sie zurückkämen, gut verborgen halten. Ich sprach mit meinen Begleitern, und nach einigem leichtbegreiflichen Widerstreben unternahmen es vier Schokas, die gewagte Aufgabe auszuführen. Eine Entdeckung würde für sie den Verlust ihres Kopfes bedeuten, dem wahrscheinlich noch grausame Torturen aller Art vorangehen würden. Ich kann daher, trotzdem mich diese Männer schließlich verrieten, doch nicht umhin, den Mut und die Treue anzuerkennen, die sie in dieser schwierigen Lage bewiesen. Meine Leute waren nachts außerordentlich gesprächig. Aus Furcht, von den tibetischen Soldaten überfallen zu werden, schliefen wir nicht und verbrachten Stunde auf Stunde mit dem Anhören von haarsträubenden Geschichten von Räubern und tibetischen Martern, die schrecklich genug waren, um uns wach zu halten. Als es hell wurde, sammelten wir Nesseln, die sich beim Lager im Überfluß vorfanden, und nachdem wir sie auf verschiedene Weise gekocht hatten, verwendeten wir sie zu einem allerdings nicht besonders leckern Mahl. Sie schmeckten uns damals nicht sehr schlecht, nur war es ein Unglück, daß wir nicht mehr Salz hatten, denn dieses würde gewiß zur Verdaulichkeit unserer Speise beigetragen haben. Wir halfen diesem Mangel dadurch ab, daß wir sie mit einer doppelten Portion Pfeffer vermischten. Es war eine Beruhigung zu wissen, daß, solange es bei unserm Lager Nesseln gab, wir wenigstens nicht Hungers zu sterben brauchten. Der Vorrat an Lebensmitteln für meine Leute war jetzt auf vier Pfund Mehl, zwei Pfund Reis und zwei Pfund Satu zusammengeschmolzen. Wir gaben ihn den vier Leuten mit, die versuchen sollten, nach Taklakot zu gehen, denn ihr Weg war lang und anstrengend, während für uns reichlich Nesseln vorhanden waren, zu denen wir unsere Zuflucht nehmen konnten. Ich instruierte die vier Schokas sorgfältig, wie sie in ihren Verkleidungen einer nach dem andern in die tibetische Festung gehen und wie sie die Lebensmittel nur in kleinen Mengen einkaufen sollten. Wenn sie eine zu einer Last genügende Menge beisammen haben würden, sollte sich ein Mann sofort auf den Weg nach unserm Lager machen; die andern sollten ein paar Tagemärsche voneinander einzeln folgen, um sich an einer bestimmten Stelle alle vier zu treffen und zusammen zu uns zurückzukehren. Es war eine aufregende Arbeit, die verschiedenen Verkleidungen herzurichten und alles vorzubereiten. Nach wiederholtem Lebewohl und Worten der Ermutigung verließen uns unsere Boten endlich, um ihren gefahrvollen Auftrag auszuführen. Alles um uns schien ruhig, so ruhig und sicher, daß ich es wagte, meinen Sextanten und den künstlichen Horizont auszugraben, und eben dabei war, Längen- und Breitenbestimmungen anzustellen, als zu unserm Schrecken eine Herde von über 100 Jaken auf dem Paß im Norden von unserm Lager erschien und langsam auf uns zukam. Waren wir entdeckt, kamen die Leute des Tarjum hinter ihren Tieren her? Es war keine Zeit zu verlieren. Instrumente und Decken wurden schnell fortgeräumt und versteckt. Dann krochen wir auf allen vieren den Tieren entgegen, die bei unserm Anblick stehengeblieben waren, und warfen mit Steinen nach ihnen, um sie zum nächsten Bach hinunterzutreiben. Zu unserm Glück taten wir dies gerade zur rechten Zeit, denn aus unserm Versteck konnten wir an der andern Seite eine Anzahl Tibeter sehen, die den von uns fortgetriebenen Jaken folgten. Sie gingen nur ein paar hundert Meter unter uns vorbei; sie ahnten augenscheinlich von unserer Gegenwart nicht das geringste. Sie sangen lustig und schienen nach irgendwelchen Spuren zu spähen, denn sie bückten sich oft, um den Boden zu untersuchen. Am Nachmittag schlug ich zum Rekognoszieren den Weg nach Gyanema ein, in der Hoffnung, selbst ungesehen, die Tibeter auf ihrem Wege nach und von Taklakot vorbeikommen zu sehen. Ich sah keine Soldaten. Aber eine starke Bande von Jogpas oder Straßenräubern, die Tausende von Schafen und Jaken vor sich her trieben, bot einen interessanten Anblick. Sie ritten auf Pferden und schienen ihrem Anführer stramm zu gehorchen, wenn er mit heiserer Stimme, sein Gebetrad drehend, Befehle gab. Sie ritten flott dahin, die Frauen ebenso wie die Männer rittlings auf den Pferden. Die Männer hatten Luntenflinten und Schwerter, und jedes Pferd trug außer seinem Reiter Säcke mit Lebensmitteln, die hinter dem Sattel angebunden waren. Hinter Felsen hervor beobachtete ich den langen Zug und fühlte mich einigermaßen erleichtert, als die letzten Reiter, die nur einige zwanzig Meter von mir entfernt vorbeikamen, davonritten. Ich ging zurück, und da mir schien, daß dieses Lager nicht ganz so sicher sei, als ich zuerst vorausgesetzt hatte, machte ich mich mit meinen Leuten daran, eine rohe Schanzmauer vor unserer hohen Plattform zu errichten. Dieses Bollwerk entsprach dem doppelten Zweck, uns gegen einen Einblick seitens der Tibeter zu schützen und für den Fall eines nächtlichen Angriffs als Befestigung zu dienen. Wieder war ein banger Tag verstrichen! Wir hatten unser letztes Salzkorn verbraucht; noch ein Tag mit Nesseln als einzige Speise; ein dritter Tag, ein vierter mit derselben Kost! Wie die Nesseln uns zuwider wurden! Die Tage schienen endlos, wenn ich, lang ausgestreckt auf einer Höhe über unserm Lager liegend, Stunde auf Stunde das lange Plateau über dem Gakkonflusse mit dem Fernrohr durchspähte, um nach unsern zurückkehrenden Boten auszublicken. Jedesmal, wenn ich in der Ferne Menschen bemerkte, hüpfte mein Herz vor Freude, aber wenn ich sie mir genauer besah, waren es Jogpas (Straßenräuber) oder Dogpas (schmuggelnde Nomadenhorden) oder reisende Humlis auf dem Wege nach Gyanema und Gartok. Und wie oft horchten wir nicht und sahen ängstlich durch die Spalten in unserer Befestigung, wenn irgendein ungewöhnliches Geräusch unser Ohr traf! Als dann die Zeit dahinging und meine Leute immer noch nicht erschienen, fingen wir an, Sorge um ihr Geschick zu hegen. Sollten sie uns verraten haben und nie wieder zurückkehren? Oder waren sie vom Jong Pen, dem »Herrn der Festung«, gefangengenommen und gefoltert worden? Mein Träger, der etwas von einem Bonvivant an sich hatte, weigerte sich, noch etwas zu essen; es sei besser, gar nichts als beständig dasselbe zu essen. Er schwur, er könne zehn Tage lang fasten, und er ersetzte die mangelnde Nahrung durch Schlafen. Meine befestigte Wohnung war morgens, wenn die Sonne darauf schien, recht behaglich, obgleich sie oft so warm wurde, daß wir sie verlassen mußten, wenn das Thermometer bis 49, 50 und sogar 51 Grad anzeigte. In einer Nacht hatten wir einen furchtbaren Sturm mit Schneegestöber. Die Gewalt des Windes war so groß, daß unsere Mauer umgeweht wurde und auf uns fiel, während wir unter ihrem Schutze schliefen. Die Stunden, die wir der Ruhe zugedacht hatten, mußten nun damit zugebracht werden, die Schäden wieder auszubessern, die der Sturm verursacht hatte. Am Morgen sammelten wir gerade Nesseln zu unserm Mahl, als wir das ferne Klingeln von rasch näherkommenden Pferdeglocken hörten. Schnell löschten wir unsere Feuer aus, versteckten unsere Sachen und eilten hinter unsere Verschanzung. Ich ergriff meine Büchse, Tschanden Sing lud seinen Henry-Martini. Einer meiner Schokas, der zu weit entfernt war, um unsere befestigte Wohnung noch zu erreichen, versteckte sich hinter einigen Felsblöcken. Es war die höchste Zeit! Ein halbes Dutzend Soldaten mit Luntenflinten über den Schultern, an denen rote Fahnen befestigt waren, schlenderten nur einige Meter vor uns lustig den Hügel hinauf. Nach der Art und Weise zu urteilen, wie sie nach jeder Richtung ausschauten, suchten sie ohne Zweifel nach mir; aber glücklicherweise wandten sie sich nie nach dem Felsennest um, hinter dessen Mauern wir verborgen lagen. Sicher erwarteten sie, in einem der Täler ein großes europäisches Zelt zu sehen, und ließen es sich nicht träumen, daß wir da sein könnten, wo wir in der Tat waren. Wir nahmen sie fest aufs Korn, hatten aber keine Veranlassung, auf sie zu feuern. Sie ritten weiter, und der Ton ihrer Pferdeglocken wurde schwächer und schwächer, während sie hinter dem Paß verschwanden. Sicherlich konnten die Reiter nur Soldaten sein, die der Tarjum ausgesandt hatte, um diesen Weg zu bewachen. Wahrscheinlich waren sie jetzt auf dem Rückweg zu ihrem Herrn und Meister, sehr zufrieden, daß der Sahib nicht im Lande zu finden war. Wir nannten diese Stelle »Schreckenslager«, denn schrecklich waren die Prüfungen, die uns hier widerfuhren. Neunzehntes Kapitel. Ein Mordanschlag. Noch ein Tag rückte langsam seinem Ende entgegen, und noch immer keine Spur von der Rückkehr unserer Boten! Zwei Mann erboten sich, nach Kardam, einer einige Meilen entfernten Niederlassung, zu gehen, um zu versuchen, Lebensmittel zu erlangen. Der eine von ihnen hatte an diesem Ort einen Freund und glaubte, er würde von ihm Proviant für einige Tage erhalten können. Als Pilger verkleidet brachen sie auf, eine Verkleidung, die nicht sehr schwierig anzulegen war, da ihre Kleider infolge unserer beschwerlichen Märsche in der letzten Zeit in Fetzen zerfielen. Sie blieben den ganzen Tag fort und kamen erst spät abends zurück, wo sie eine ergötzliche Geschichte zu erzählen hatten. Als sie einer Horde Dogpas begegnet waren, hatten sie dreist das Lager betreten und Lebensmittel zu kaufen versucht. Leider hatten die Dogpas nicht genug für sich selbst und konnten keine entbehren. Beiläufig hatte man meinen Leuten mitgeteilt, daß Lando Plenki, der Name, den mir die Tibeter gegeben hatten, ein großes Heer nach Tibet hineingeführt habe und daß in Taklakot sowohl als auch an andern Orten große Aufregung herrsche, die durch die Tatsache hervorgerufen sei, daß der Sahib die außerordentliche Macht habe, sich unsichtbar zu machen, wenn die tibetischen Soldaten in seiner Nähe seien. Man hatte berichtet, daß er an vielen Stellen in Tibet gesehen worden sei. Um ihn zu fangen, waren Soldaten nach allen Richtungen ausgesandt worden. Seine Spuren waren mehrmals entdeckt und verfolgt worden, und doch hatte man ihn nie finden können. Eilboten waren von Taklakot nach Lhasa, eine Reise von 16 Tagen, und nach Gartok, einem großen Basar in Westtibet, gesandt worden, um Truppen zu verlangen, die bei der Gefangennehmung dieses geheimnisvollen Eindringlings helfen sollten, von dem auch gesagt wurde, daß er die Macht habe, auf dem Wasser zu gehen und über Berge zu fliegen. Als ich mir unsere Anstrengungen und Leiden bei dem Übersteigen der Berge und dem Passieren der Wasserläufe ins Gedächtnis zurückrief, kam mir dieser von den Tibetern über mich gegebene Bericht nicht nur höchst phantasievoll, sondern fast grausam ironisch vor. Jedenfalls war ich aber erfreut, daß die Tibeter mir solche übernatürliche Kräfte zutrauten, denn dies mußte sicherlich von Vorteil für mich sein, indem sie die Furcht davon abhielt, mit uns handgemein zu werden. Drei weitere Tage mußten wir in trauriger Ungewißheit und Sorge über das Schicksal unserer nach Taklakot gesandten Boten zubringen. Voll Verzweiflung hatten wir uns in unsere Festung zurückgezogen, von Sorge erfüllt, sie könnten gefangen und enthauptet worden sein. Es war 10 Uhr abends. Wir waren gänzlich erschöpft und schickten uns zum Schlafengehen an. Unser Feuer unten am Rande des Baches war in langsamem Erlöschen; totenstill lag die Natur um uns. Plötzlich hörte ich das Geräusch nahender Schritte. Ich weckte meine Leute; wir horchten und spähten durch die Spalten unserer Mauer. Waren es Tibeter, die uns im Schlafe zu überfallen suchten, oder konnten es unsere Leute sein, die endlich zurückkehrten? Aufmerksam beobachteten wir die Schlucht, aus der das Geräusch kam. Alle verhielten wir uns still, aber es fehlte bei meinen Leuten doch nicht an Zeichen nervöser Aufregung. Der schwache Ton von Stimmen drang an unser Ohr, und jetzt krochen vier taumelnde Gestalten vorsichtig zum Lager. Bei dem trüben Lichte konnten wir nicht unterscheiden, ob es unsere eigenen Boten waren. Wir standen atemlos, unbeweglich und stumm. Die Gestalten kletterten weiter nach unserm Horste hinauf. »~Kuan hai?~ Wer da?« rief ich. »Dola!« antwortete eine Stimme, und im Nu begrüßten wir sie freudig und herzlich. Aber unser Glück sollte nicht lange dauern. Die Leute antworteten kaum. Sie schienen gänzlich erschöpft, sehr niedergeschlagen und sichtlich erschreckt. Ich forderte sie auf, die Ursache ihres Kummers zu erklären, aber, schluchzend und meine Füße umarmend, zeigten sie großen Widerwillen, es mir zu sagen. In der Tat waren die Nachrichten, die sie brachten, ernst und Ungemach verheißend. »Deine Tage sind gezählt, Sahib!« rief Dola endlich. »Es ist unmöglich für dich, lebend aus diesem Lande herauszukommen. Sie werden dich töten. Der Jong Pen von Taklakot sagt, daß er deinen Kopf um jeden Preis haben müsse.« »Sachte, sachte, Dola«, erwiderte ich, bemüht, ihn zu beruhigen. »Blicke nicht so weit voraus, sondern erzähle mir erst, wie ihr Taklakot erreichtet.« »O, Sahib, wir folgten deinem Plane. Unterwegs hatten wir viel zu leiden, da die Märsche lang und schwierig waren und wir sehr wenig Nahrung hatten. Zwei Tage lang gingen wir Tag und Nacht, hielten uns abseits vom Wege und versteckten uns, sobald wir jemand sahen. Als wir in die Nähe der tibetischen Festung kamen, bemerkten wir am Fuße des Hügels einige Zelte nepalesischer Schokas. An dem Flusse stand Tag und Nacht eine Wache, und es wurde scharfer Ausguck gehalten, um jeden, der das Land betreten würde, anzuhalten und festzunehmen. Zwei Fakire, die auf einer Pilgerfahrt nach dem heiligen Mansarowarsee waren, hatten, von den Gefahren nichts ahnend, den Lippupaß überschritten und waren nach Taklakot gegangen. Dort wurden sie augenblicklich ergriffen und beschuldigt, daß einer von ihnen der Sahib, also du, in Verkleidung sei. Da die Tibeter nicht ganz sicher waren, wer von den beiden der wirkliche Sahib wäre, züchtigten sie beide schwer und schlugen sie fast tot. Was nachher aus ihnen geworden ist, konnten wir nicht erfahren. Jedenfalls fanden die Tibeter später heraus, daß du über einen andern Paß nach Tibet hineingekommen warst, und nun wurden Soldaten in jeder Richtung ausgesandt, um nach dir zu suchen.« »Kaum erschienen wir in Taklakot,« schluchzte Dola, »als man sich auf uns stürzte und uns festnahm. Sie verhörten uns aufs peinlichste. Wir gaben vor, Joharihändler zu sein, sagten, daß uns die Nahrung ausgegangen sei und daß wir uns nach Taklakot aufgemacht hätten, um Vorräte zu kaufen. Sie schlugen uns und behandelten uns schlimm, bis dein Freund Zeheram, der Dorfoberste von Tschongur in Nepal, uns zu Hilfe kam und sich für uns verbürgte, indem er die Summe von 30 Rupien zahlte. Dann wurde uns erlaubt, in seinem Zelte zu bleiben, das von tibetischen Soldaten streng bewacht wurde. Die Vorräte, die du brauchtest, kauften wir heimlich von ihm und verpackten sie. Am Abend gelang es Zeheram, die Soldaten, die uns bewachten, in sein Zelt zu locken, und da gab er ihnen Tschökti zu trinken, bis sie besinnungslos betrunken waren. Uns vieren glückte es, nach und nach mit unsern Lasten zu entwischen. Standhaft marschierten wir drei Nächte lang und verbargen uns zu größerer Sicherheit während des Tages. Nun sind wir zu dir zurückgekommen, Sahib.« Dola hielt ein paar Minuten inne. »Sahib,« fuhr er fort, »man erzählte uns in Taklakot, daß über tausend Soldaten nach dir suchen, und noch mehr werden aus Lhasa und Schigatse erwartet, wohin der Jong Pen Eilboten geschickt hat. Sie fürchten dich, Sahib, aber sie haben Befehle aus Lhasa, dich um jeden Preis gefangenzunehmen. Sie sagen, du könntest dich unsichtbar machen, wenn du willst, und so werden täglich Beschwörungen angestellt und Gebete dargebracht, damit du in Zukunft gesehen und festgenommen werden mögest. Einmal gefangen, werden sie kein Mitleid mit dir haben, und du wirst geköpft werden; denn der Jong Pen ist wütend auf dich wegen der herausfordernden Botschaften, die du ihm aus Garbyang geschickt hast. Er hat den Soldaten Befehl gegeben, dich tot oder lebendig einzuliefern, und wer deinen Kopf bringt, wird eine Belohnung von 500 Rupien erhalten.« »Ich hatte keine Idee, daß mein Kopf so wertvoll sei«, konnte ich nicht umhin laut lachend auszurufen. »Ich werde ihn in Zukunft sehr in acht nehmen.« In Tibet repräsentieren 500 Rupien (800 Mark) ein Vermögen, und der Mann, der sie besitzt, gilt als reich. Meine Leute waren indessen nicht in der Stimmung, zu lachen. Sie sahen die ganze Sache als ernsthaft an. Ich gab den vier Leuten ein ordentliches Geschenk. Alle Schokas schluchzten jämmerlich und sagten, die Gefahr sei zu groß, sie würden mich hier sogleich verlassen und keine Stunde länger bleiben. Ich erwiderte, ich würde jeden Mann erschießen, der versuche, das Lager zu verlassen. Da wir jetzt Lebensmittel für zehn Tage hätten, müßten wir vorwärts gehen. Verdrossen und murrend verließen die Schokas unser Felsennest und gingen nach dem Bache hinunter. Sie sagten, sie zögen es vor, dort unten zu schlafen. Ich vermutete, daß sie irgendeine List anwenden wollten, und so blieb ich, anstatt zu schlafen, auf, um sie zu beobachten. Mein Träger rollte sich in eine Decke ein und war wie gewöhnlich bald eingeschlafen. Die Schokas zündeten ein Feuer an, setzten sich um dasselbe und hielten, die Köpfe zusammensteckend, im Flüsterton eine erregte Beratung ab. In der hitzigen Erörterung sprachen einige lauter, als sie wollten, und da die Nacht besonders still und die örtlichen Verhältnisse besonders geeignet waren, Geräusche weit hören zu lassen, verstand ich viele Worte, die mir zeigten, daß ich auf der Hut sein müsse. Ich war überzeugt, sie verabredeten miteinander, meinen Kopf zu verkaufen und das Geld zu teilen. Die Männer rückten dichter zusammen und sprachen so leise, daß ich nichts mehr verstehen konnte. Dann legten sie nacheinander jeder eine Hand über die andere an einem Stocke entlang, bis dessen Ende erreicht war; dann gab ihn jeder seinem Nachbar weiter, der dieselbe Prozedur vornahm; eine komplizierte Art, das Los zu ziehen, die aber unter den Schokas gebräuchlich ist. Schließlich zog der durch das Los bestimmte Mann ein großes Gurkhamesser aus einer Last heraus und nahm die Scheide ab. Der seltsame, beinahe phantastische Moment, als meine eigenen Leute, die Gesichter von einer kleinen Flamme des flackernden Feuers beleuchtet, alle nach meinem Horste emporblickten, hat sich in mir fest eingeprägt. Der entscheidende Augenblick für ihren Verrat war gekommen. Grausam und verzerrt erschienen ihre Gesichtszüge, wie ich sie durch die Spalte in der Mauer sah. Sie lauschten, um zu hören, ob wir schliefen. Alle bis auf einen rollten sich, wie von Schrecken ergriffen, in ihre Decken ein, die ihnen Kopf und Leib vollständig bedeckten. Eine Gestalt nur saß, wie ich jetzt sehen konnte, einige Zeit neben dem Feuer, wie in tiefes Nachdenken versunken. Nur von Zeit zu Zeit wandte der Verräter seinen Kopf zum Felsen hinauf, dann horchte er. Endlich stand er auf und trat mit den Füßen das Feuer aus. Es war eine liebliche Nacht. Sobald die rötliche Flamme des Lagerfeuers erloschen war, schienen die Sterne wieder wie Diamanten an dem kleinen Fleck tiefdunkeln Himmels, der über meinem Kopfe sichtbar war. Ich legte den Lauf meiner geladenen Büchse auf die Mauer; meine Augen hafteten fest auf der schwarzen Gestalt dort unten. Ich sah, wie sie tief niedergebeugt Schritt für Schritt bis zu meinem Standort hinaufkroch; jedesmal, wenn ein herabrollender Stein ein Geräusch verursachte, hielt sie still, um zu horchen. Jetzt war der Schoka nur noch zwei oder drei Meter entfernt. Er schien zu zögern. Bereit, aufzuspringen, hielt ich meine Augen fest auf den obern Rand der Mauer gerichtet. Ich wartete eine Zeitlang, aber der Mann schien keine Eile zu haben, und ich wurde ungeduldig. Sachte, die Büchse in der Hand, stand ich auf, und als ich meinen Kopf über die Mauer erhob, fand ich mich dem Manne auf der andern Seite gegenüber. Sofort hatte er die Mündung meines Mannlicher dicht an seinem Gesicht. Der verblüffte Schoka ließ sein Messer fallen und stürzte, um Verzeihung flehend, auf die Knie. Nachdem ich ihn mit dem Flintenkolben gehörig durchgeprügelt hatte, schickte ich ihn zu seinen Freunden. Dem Manne fehlten alle Eigenschaften zu einem Mörder. Aber ich fühlte doch, daß es geraten sei, darauf zu achten, daß keine Störung während der Nacht stattfände. Zwar versuchten zwei Leute, aus dem Lager fortzulaufen, aber ich entdeckte es rechtzeitig. Dann war alles ruhig, bis die Sonne aufging und die Nacht mit all ihren Plagen und Sorgen dahinschwand. Bei meiner letzten Rekognoszierungswanderung auf den Hügel über dem Lager hatte ich mit Hilfe meines Fernrohrs den Lagerplatz einer tibetischen Wache erspäht, der ungefähr 5 Kilometer nördlich vor uns lag. Ich teilte meinen Leuten diese Tatsache mit. Am Morgen, als wir den Hauptteil unseres Gepäcks wieder ausgruben und uns zum Aufbruch bereitmachten, trat einer meiner Leute, ein Mann aus Kuti namens Nattu, vor und erklärte, er sei imstande, uns direkt nach dem Mansarowarsee zu führen. Er schien sehnlichst zu wünschen, dies zu unternehmen, und sagte, daß auf dem Wege, den er kenne, eine Entdeckung unmöglich sein würde, und daß wir folglich bei Tage reisen könnten. Von diesem Manne geleitet, marschierten wir den Bach entlang hinauf, und ich war über die Bereitwilligkeit erstaunt, mit der die Schokas darauf eingingen, weiterzuziehen. Nach kurzer Zeit jedoch war ich überzeugt, daß der Verräter uns absichtlich nach derjenigen Stelle führte, die ich am meisten zu vermeiden wünschte. Als ich Einwendungen dagegen machte und dem Weitermarsch in jener Richtung Halt gebot, lehnten sich meine Schokas dagegen auf und versuchten, ihre Lasten wegzuwerfen und zu entwischen. Aber mein Träger versperrte ihnen schnell den Weg in dem engen Bache von vorn, und ich verhinderte ihr Entkommen auf der andern Seite. So mußten sie sich ergeben. So schmerzlich es mir auch war, mußte ich sie doch alle hart züchtigen, und während ich darauf achtete, daß keiner ausriß, schien Tschanden Sing ein besonderes Vergnügen daran zu finden, sie umherzustoßen, bis sie alle zur Vernunft gebracht waren. Als sie einem eingehenden Kreuzverhör unterworfen wurden, gestanden sie offen, daß sie sich verschworen hätten, mich der tibetischen Wache auszuliefern, um den Schrecken der Tortur durch die Tibeter zu entgehen. Dieser letzte Akt von Verräterei in Verbindung mit dem, was die Leute, die ich immer mit besonderer Güte behandelt hatte, in der Nacht verübt hatten, war mir zuviel. Ich nahm einen Stock und teilte Schläge sehr freigebig auf ihre Rücken und Beine aus, wobei Nattu, der Mann aus Kuti, die größte Portion bekam, weil er das Haupt der Verschwörung war. Als ich einen hochgelegenen Punkt bestieg, entdeckte ich, daß außer von der Wache, die wir im Norden vor uns hatten, unser Weg auch noch nach Osten und nach Westen von tibetischen Soldaten versperrt war. Es war nicht möglich, während des Tages weiterzukommen, ohne gesehen zu werden; doch ich weigerte mich entschieden, nach Süden zurückzugehen. Ich hielt eine Unterredung mit meinen Leuten ab, die jetzt scheinbar ergeben und fügsam waren. Sie willigten ein, mich bis zum Maiumpasse, auf dem Wege nach Lhasa, zu begleiten, eine Strecke, die wir auf ungefähr 15 bis 18 Tagemärsche schätzten. Auch darauf gingen sie ein, sich zu bemühen, Jake und Nahrungsmittel für mich zu erlangen; ich versprach sie alsdann zu entlassen. Die Nacht war dunkel und stürmisch, und wir stießen bei unserm Vorwärtsdringen auf viele Schwierigkeiten, da der Boden bald glatt und schlüpfrig, bald mit Gesteinstrümmern und Felsblöcken bedeckt war. Wir konnten nicht weit sehen, und obgleich wir aus der Neigung des Abhanges wohl erkannten, daß wir an einem Abgrund entlang wanderten, konnten wir nichts wahrnehmen als einen leuchtenden Streifen tief, tief unten; es war ohne Zweifel der Fluß. Ich konnte mir nicht erklären, was dieses Leuchten des Wassers verursachte; es konnte nicht vom Widerschein des Sternen- oder Mondlichtes kommen, weil der Himmel gerade sehr bewölkt war; dazu hatte der Fluß eine ganz eigentümliche, grünliche Färbung. Das Gehen war so beschwerlich und mühsam, daß wir vier Stunden brauchten, um ungefähr 5 Kilometer zurückzulegen. Unsere Hände waren von den scharfen Steinen zerschunden und bluteten. Ich musterte meine Leute. Der arme Man Sing, der Aussätzige, fehlte. Als wir ihn zuletzt gesehen, hatte er unter seiner Last jämmerlich gestöhnt und war beständig gestolpert und gestürzt. Zwei Mann wurden nach ihm ausgeschickt, aber nach einstündigem Suchen war es ihnen noch nicht gelungen, ihn zu finden. Darauf gingen der treue Tschanden Sing und der Schoka Dola auf die Suche, da ich den armen Kerl nicht verlassen wollte, wenn er irgendwie gerettet werden konnte. Nach einer weitern Stunde ängstlichen Wartens kamen beide zurück und brachten den Unglücklichen mit. Hände und Füße des armen Burschen waren bös mitgenommen, und er konnte nicht aufrecht stehen. Er war vor Erschöpfung ohnmächtig hingefallen, und zufällig waren Tschanden Sing und Dola in der Dunkelheit über seinen fast leblosen Körper gestolpert. Von seiner Person abgesehen, würde sein Verlust sehr schmerzlich für mich gewesen sein, da er mein Bettzeug und meine photographischen Apparate trug. Es fing an zu hageln und zu regnen, und die Kälte war stark. Wir fuhren tapfer fort, emporzuklimmen, wobei Tschanden Sing und ich dem armen Aussätzigen vorwärts halfen. Der Marsch war jetzt weniger schwierig, da wir in einer Bodensenkung entlang gingen und vor dem durchdringenden Winde geschützt waren, der uns bis jetzt Regen, Hagel und Schnee heftig ins Gesicht getrieben hatte. Langsam legten wir noch ungefähr 5 Kilometer zurück. Unterdessen hörte der Sturm auf, und die Luft wurde herrlich klar. Als wir den über 5180 Meter hohen Paß erreichten, wurden wir durch eine merkwürdige optische Erscheinung überrascht. Die größern Sterne, die von einem blendenden Glanze waren, wie ich ihn in meinem Leben nie gesehen, schienen am Himmel schnell und plötzlich hin und her zu schwingen, indem sie kurze Bogen beschrieben und jedesmal wieder in ihre normale Stellung zurückkehrten. Die Wirkung war so unheimlich, daß das erste, was mir einfiel, war, es müsse an meinen Augen etwas nicht in Ordnung sein. Aber meine Gefährten sahen dieselbe Erscheinung. Seltsam war bei diesem Phänomen auch, daß die dem Horizont nähern Sterne hinter dem Gebirge verschwanden und wieder erschienen. Bei diesen dem Horizont nähern Himmelskörpern waren auch die Schwingungen weniger schnell, aber der Winkel des von ihnen beschriebenen Bogens maß fast das Doppelte von dem, den die Sterne direkt über unsern Köpfen beschrieben. Die Schwingungen der letztern waren ab und zu so schnell, daß der Stern selbst nicht mehr zu erkennen war, sondern nur eine fortlaufende Lichtlinie auf dem dunkeln Hintergrunde des Himmels erschien. Diese merkwürdige optische Täuschung, die bald, nachdem der Sturm sich gänzlich gelegt, begonnen hatte, dauerte einige Zeit; dann wurden die Schwingungen allmählich weniger heftig, und die Sterne nahmen schließlich ihren normalen Stand wieder ein und leuchteten in unbeschreiblicher Schönheit. Wir überschritten den Paß und machten auf der nördlichen Seite halt, denn die Füße meiner Leute waren in einem solchen Zustande, daß sie die Schmerzen nicht länger ertragen konnten. Als wir am andern Morgen aufwachten, fanden wir, daß das Thermometer, das in der Nacht bis auf 11 Grad unter Null gefallen war, auf 1 Grad unter Null gestiegen war und daß wir in einen dichten Nebel gehüllt waren, der uns bis ins Mark hinein erkältete. Mir hingen Eiszapfen von Schnurrbart, Augenbrauen und Haar herab, und meine Backen und die Nase waren mit einer dünnen Eisschicht bedeckt, die durch den Niederschlag und den Atem auf dem Gesicht entstanden war. Zwanzigstes Kapitel. Der Teufelssee und der Heilige See. Während unserer Nachtmärsche, die uns an Bergen von beträchtlicher Höhe hinauf- und hinabführten, hatten wir natürlich Abenteuer aller Art, die viel zu zahlreich waren, um hier in allen Einzelheiten erzählt zu werden. Unter beständigen Schneestürmen überschritten wir Gebirgszug nach Gebirgszug, wanderten während der Nacht und verbargen uns am Tage, lagerten in sehr großen Höhen und erduldeten harte Entbehrungen. Ich führte meine Leute auf den Rakastal, den Teufelssee, zu. Eines Tages, als wir zu 5350 Meter Höhe emporgestiegen waren, hatten wir eine prachtvolle Aussicht auf die beiden großen Wasserflächen, den Lafan-tscho und Mafan-tscho, oder die Seen Rakastal und Mansarowar, unter welch letztern Namen sie außerhalb Tibets gewöhnlich bekannt sind. Nördlich von den Seen erhebt sich der prachtvolle Tize oder heilige Berg Kelas, der die andern Schneegipfel der von Nordwesten nach Südosten laufenden Gangrikette um mehr als 600 Meter überragt. -- Wir konnten von dieser Stelle aus deutlicher als von Lama Tschokden den Streifen um den Fuß des Berges sehen, der der Sage nach durch den Strick des Rakas oder Teufels gebildet wurde, als dieser versuchte, diesen Thron der Götter niederzureißen. Der Kelas, der große heilige Berg, ist infolge seiner eigentümlichen Gestalt von fesselndem Interesse. Sie gleicht dem Riesendache eines Tempels, aber meiner Meinung nach fehlt ihr die Anmut der sanft geschwungenen Bogenlinien, wie man sie am Fujijama in Japan findet, dem vom künstlerischen Standpunkte schönsten Berg, den ich je gesehen habe. Der Kelas ist eckig, unangenehm eckig, möchte ich sagen, und trotzdem seine Höhe, die lebhafte Färbung seiner Basis und die Schneemassen, die seine Abhänge bedecken, ihm einen eigentümlichen Reiz geben, fiel er mir doch als äußerst unmalerisch auf, wenigstens von dem Punkte aus, von dem ich ihn sah und von wo er ganz sichtbar war. Wenn Wolken um ihn spielten und seine Formen milderten, erschien er für das Auge des Malers am vorteilhaftesten. So habe ich ihn besonders bei Sonnenaufgang wunderschön gesehen, wenn die eine Seite von dem aufsteigenden Tagesgestirn rot und gelb gefärbt war und seine Felsmasse sich majestätisch von einem Hintergrunde leuchtenden Goldes abhob, während hoch oben sein Gipfel emporragte, von einer Menge runder Wölkchen umkränzt, die sich phantastisch über den sonst klaren Himmel ausbreiteten. Mit meinem Fernrohr konnte ich, besonders an der Ostseite, deutlich den Engpaß sehen, durch den die Anbeter die Runde um den Fuß des Berges machen. Die Pilgerfahrt rund um den Kelas nimmt gewöhnlich drei Tage in Anspruch; einige führen sie in zwei Tagen aus, und unter günstigen Umständen ist sie sogar in einem Tage zu machen. Es ist bei den Pilgern Brauch, unterwegs Gebete herzusagen und Opfer darzubringen. Die Fanatischern unter ihnen legen den Weg kriechend wie Schlangen zurück, indem sie sich platt auf den Boden legen; andere wieder gehen auf Händen und Knien, und noch andere gehen rückwärts. Der Tize oder Kelas hat eine Höhe von 6650 Meter und der Nandi Phu westlich von ihm 6230 Meter. Die Tier- und Pflanzenwelt schien reichlich vertreten zu sein, denn während ich das Panorama vor mir zeichnete, sprang ein Schneeleopard auf und setzte anmutig an uns vorüber; auch schoß ich ein- oder zweimal auf Gemsen, und wir sahen eine Anzahl von Kiang. Wir fanden Rhabarber, der in der bedeutenden Höhe von etwa 5200 Meter gut zu gedeihen schien, und an derselben Stelle eine Menge gelber Blumen. Als wir uns den Seen näherten, schien die Atmosphäre mit Feuchtigkeit gesättigt, denn kaum war die Sonne untergegangen, als starker Tau fiel, der unsere Decken und Kleider durchnäßte. Wir waren 5050 Meter hoch in einem schmalen, sumpfigen Tal, in das wir von dem letzten Gebirgszuge steil hinabgestiegen waren. Von dem Gipfel des Gebirges aus hatten wir viele Rauchsäulen gesehen, die aus der Umgebung des Rakastal emporstiegen, und wir schlossen daraus, daß wir wieder mit großer Vorsicht vorwärts gehen müßten. Wir kochten unser Essen, verlegten zu größerer Sicherheit mitten in der Nacht unser Lager in nordwestlicher Richtung auf die Höhe des Plateaus und setzten am Morgen unsern Marsch hoch über der prachtvollen blauen Wasserfläche des Teufelssees mit seinen hübschen Inseln fort. »Sahib, siehst du jene Insel?« rief der Mann aus Kuti, indem er auf einen kahlen, aus dem See hervorragenden Felsen wies. »Auf ihm«, fuhr er fort, »lebt ein Lama-Einsiedler, ein heiliger Mann. Er ist dort seit vielen Jahren allein, und ihm wird von den Tibetern große Verehrung erwiesen. Er lebt fast ausschließlich von Fischen und gelegentlich von Schwaneneiern; nur im Winter, wenn der See gefroren ist, wird eine Verbindung mit dem Ufer eingerichtet und Vorräte werden ihm gebracht, denn es gibt weder Boote auf dem Rakastal noch irgendeine Möglichkeit, Flöße anzufertigen, wegen des Mangels an Holz. Der Einsiedler schläft in einer Höhle, kommt aber gewöhnlich ins Freie, um zu Buddha zu beten.« Während der folgenden Nacht, als alles still war, trug eine leichte, aus Norden wehende Brise uns von Zeit zu Zeit schwach und undeutlich das Geheul des Einsiedlers zu. »Was ist das?« fragte ich die Schokas. »Es ist der Einsiedler, der zu Gott spricht. Jede Nacht klettert er auf den Gipfel des Felsens und richtet von dort seine Gebete an Buddha, den Großen.« »Wie ist er gekleidet?« fragte ich. »In Felle.« Am Nachmittag hatten wir einen ergötzlichen Zwischenfall. Wir kamen an einen Bach, an dem weiter abwärts eine Anzahl von Männern, Frauen und Hunderte von Jaken, Schafen und ungefähr dreißig Pferde waren. Die Schokas wurden ängstlich und sagten sofort, die Leute seien Räuber. Ich behauptete das Gegenteil. Katschi stellte die Behauptung auf, die einzige Art, Räuber von ehrlichen Leuten zu unterscheiden, sei, sie sprechen zu hören, weil die Räuber, wenn sie sich unterhielten, gewöhnlich schrien, so laut sie könnten, und eine Sprache führten, die durchaus nicht gewählt sei, während wohlhabende Tibeter sanft und gebildet sprächen. Ich hielt es daher für das einzig Richtige, hinzugehen und uns den Leuten vorzustellen, wobei wir dann durch den Ton ihrer Stimme ihre Beschäftigung herausfinden würden. Dies paßte jedoch meinen Schokas nicht; wir befanden uns daher in einer etwas schwierigen Lage. Denn um weiterzugehen, mußten wir entweder an dem tibetischen Lager vorbei oder südwärts um einen Berg herum, was bedeutende Mühe und Zeitverlust verursacht haben würde. Wir warteten, bis die Nacht kam, und beobachteten unbemerkt die Tibeter. Wie es bei ihnen gebräuchlich, zogen sie sich bei Sonnenuntergang in ihre Zelte zurück. Meine Leute zurücklassend, kroch ich während der Nacht in ihr Lager und blickte verstohlen in eins ihrer Zelte. Die Männer kauerten auf dem Boden rund um ein Feuer, auf dem zwei Gefäße mit Tee dampften. Ein alter Mann mit scharfmarkierten mongolischen Gesichtszügen, die noch verstärkt wurden durch die tiefen Schatten, die der Schein des Feuers über seine eckigen Backenknochen und die vortretende, gefurchte Stirn warf, drehte emsig sein Gebetrad von links nach rechts und wiederholte mechanisch das gewöhnliche »~Om mani padme hum~«. Diese Worte stammen aus dem Sanskrit, beziehen sich auf die Wiederfleischwerdung Buddhas aus einer Lotosblume und bedeuten wörtlich: »Om, das Kleinod in dem Lotos! Amen.« Zwei oder drei Männer, deren Gesichter ich nicht sehen konnte, da sie sich sehr tief bückten, waren damit beschäftigt, Geld zu zählen und verschiedene Gegenstände indischer Herkunft zu prüfen, die ohne Zweifel den Schokas geraubt worden waren. Es war ein Glück, daß sie keine Hunde im Lager hatten. Als ich den besten Weg entdeckt hatte, um unbemerkt an ihnen vorbeizukommen, ging ich zu meinen Leuten zurück und führte sie mitten in der Nacht an dem Lager vorüber. Wir gingen etwa zwei Kilometer über dieses Lager hinaus, und nachdem wir eine gutgeschützte Stelle gewählt hatten, wo wir ohne Furcht vor Entdeckung ruhen konnten, legten wir unsere Lasten nieder und versuchten ein paar Stunden zu schlafen. Bei Sonnenaufgang erwachten wir und waren sehr erschreckt, uns von einer Bande Dakoit umringt zu finden. Es waren unsere Freunde von der vergangenen Nacht, die unsern Spuren gefolgt waren und, da sie uns für Schokahändler hielten, jetzt eine kleine Plünderung vorhatten. Bei ihrer Annäherung erhielten sie einen etwas warmen Empfang, und ihr sofortiger Rückzug war mehr eilig als würdevoll. Wir setzten unsern Weg zum Teufelssee fort. Um unser Essen zu kochen, hielten wir ungefähr ein Kilometer vom Ufer des Sees. Ich hatte meine Instrumente, mit denen ich Längenbestimmungen und Höhenmessungen vornahm, eben wieder eingepackt und lag lang ausgestreckt in der Sonne in einiger Entfernung von meinen Leuten, als es mir vorkam, als sähe ich etwas sich bewegen. Ich sprang sofort auf, und siehe, ein kräftiger Tibeter kroch nur wenige Meter von mir auf dem Boden entlang, ohne Zweifel in der Absicht, sich meiner Flinte zu bemächtigen, ehe ich Zeit haben könnte, ihn zu entdecken. Zum Unglück für ihn war er nicht schnell genug, und so war alles, was ihm sein Versuch eintrug, eine tüchtige Tracht Prügel mit dem Kolben meines Mannlicher. Es war einer der Räuber, die wir am Morgen gesehen hatten. Zweifellos waren sie uns gefolgt und hatten uns den ganzen Weg über beobachtet. Als der Kerl seine erste Überraschung überwunden hatte, forderte er uns mit einer ergötzlichen erheuchelten Unschuldsmiene auf, sie zu besuchen und die Nacht in ihrem Zelt zuzubringen. Sie wollten uns königlich bewirten, sagte er. Da uns aber die Art der Gastfreundschaft der Dakoit wohlbekannt war, lehnten wir die Einladung höflichst ab. Der Räuber ging etwas enttäuscht weg, und wir setzten unsern Marsch am Ufer des Teufelssees fort. Auf der ganzen Strecke zeigten sich deutliche Spuren, daß das Niveau des Sees in einer frühern Epoche viel höher gewesen sein mußte, als es jetzt war. Wir begegneten vielen Tibetern. Wenn sie uns näherkommen sahen, rissen sie gewöhnlich aus, ihre Schafe und Jake vor sich her treibend. Wir trafen auch zwei tibetische Weiber, die sehr schmutzig waren und ihr Gesicht mit schwarzer Salbe beschmiert hatten, die die Haut vor dem Aufspringen in dem scharfen Wind bewahren soll. Sie waren in lange Schaffellgewänder gekleidet, die jedoch schäbig und schmutzig waren, und ihre Haare waren so unrein, daß sie einen ekelhaften Geruch ausströmten. Ich rief ihnen zu, uns nicht zu nahe zu kommen; denn obgleich diese Weiber keinen Anspruch auf Schönheit machen konnten und, soweit ich sah, keinerlei Reiz besaßen, da die eine alt und zahnlos war, die andere eine Haut wie eine Eidechse hatte, versuchten sie doch, uns in ihre Zelte zu locken, jedenfalls damit wir von ihren Männern ausgeplündert würden. Meine Leute schienen jedoch von ihren komischen Reden und Gebärden wenig angezogen, und ich eilte vorwärts, um dieses gefährliche Pack möglichst bald loszuwerden. Vier Tibeter, die den Versuch machten, Tschanden Sing die Flinte aus den Händen zu reißen, erhielten von ihm eine tüchtige Tracht Prügel. Hiernach wurden wir zum Glück den übrigen Teil des Tages hindurch in Ruhe gelassen. Abends schoß Tschanden Sing auf einen schwarzen Wolf, der dicht an das Lager herankam, und ich entdeckte ungefähr 30 Meter über dem Spiegel des Sees ein in die Bergwand eingebettetes Lager von gigantischen Fossilien. Es tat mir sehr leid, daß es wegen ihrer Größe und ihres Gewichtes unmöglich war, sie auszugraben und mitzunehmen. Da wir fast sicher waren, daß wir die ganze Zeit von den zahlreichen Jogpas, denen wir begegneten, beobachtet würden, mußten wir versuchen, sie zu täuschen, indem wir taten, als lagerten wir uns vor Sonnenuntergang, wobei wir ein Feuer anzündeten. Später entfernten wir uns und gingen, im Dunkeln tappend, mehrere Kilometer, bis wir hoch oben am Berghang einen Platz fanden, wo wir uns für ganz sicher hielten. Während der Nacht fiel starker Schnee, und wie gewöhnlich erwachten wir mit Eiszapfen, die an Bärten, Augenwimpern und Haaren hingen; dennoch fühlten wir uns trotz der ungewöhnlichen Beschwerden, die wir täglich zu erdulden hatten, verhältnismäßig wohl. Ich vermochte von vielen Punkten aus festzustellen, daß, wie die Abbildung S. 129 zeigt, der Rücken zwischen dem Rakastal und dem Mansarowarsee ununterbrochen fortläuft, und daß keine Verbindung zwischen den beiden Seen besteht. Mit Ausnahme einer kleinen Senkung ungefähr in der Mitte hat der Rücken auf der ganzen Strecke eine durchschnittliche Höhe von 300 Meter, eine Tatsache, die die Annahme, daß beide Seen eigentlich nur ein einziger sind, für immer beseitigen muß. Ich erfuhr auch von den Eingeborenen, daß keinerlei Zusammenhang zwischen den beiden großen Wasserbecken besteht, obgleich die Senkung in dem Rücken es wahrscheinlich macht, daß in einer sehr fernen Periode ein solcher bestanden hat. Der tiefste Punkt in dieser Depression liegt mehr als 100 Meter über dem Seespiegel. Einundzwanzigstes Kapitel. Unter den Räubern. Gerade als ich das Ufer des Rakastal verlassen wollte, ereignete sich ein glücklicher Zufall. Wir waren von einer andern Bande von Dakoit entdeckt worden, die sich sehr bemühte, uns einzuholen. Ich hatte sie mit einem Fernrohre erspäht, wie sie uns in höchster Eile nachritten. Sie trieben ungefähr zwanzig Jake in ungewöhnlich schnellem Trab vor sich her und ritten Pferde. Wir waren ihnen ungefähr drei Kilometer voraus. In halsbrechender Eile sahen wir sie gerade auf uns zukommen. Als ich Befehl zum Halten gab, wurden meine Leute von Furcht ergriffen. Die Räuberbande kam näher. Sie ließen die Jake unter der Obhut von zwei Weibern. Als sie in einer Reihe auf uns losgaloppierten, waren meine Leute mit Ausnahme von Tschanden Sing und Man Sing vor Furcht wie gelähmt. Die Räuber waren jetzt nur noch hundert Meter von uns entfernt. Mit der geladenen Flinte in der einen und meiner Kamera in der andern Hand ging ich ihnen entschlossen entgegen. Mit ihren veralteten Luntenflinten brauchen sie beträchtliche Zeit, bis sie die Lunte anzünden und einen Schuß abfeuern können. Überdies ist es ihnen fast unmöglich, vom Pferde aus zu schießen, da ihre Waffen zu schwer und unhandlich sind. Ich stellte meinen photographischen Apparat ein und wartete, bis ich sie gut auf der Visierscheibe hatte. Dann löste ich den Momentverschluß aus, als sie nur noch dreißig Meter entfernt waren und eben von ihren Pferden herunterkletterten. Nachdem die Kamera ihre Schuldigkeit getan hatte, legte ich sie schnell auf die Erde, und nun kam die Büchse daran. Ich schrie ihnen zu, die Waffen niederzulegen, und um meinem Befehl mehr Nachdruck zu geben, legte ich meinen Mannlicher auf sie an. Ich glaube, eine sanftere Räuberbande war nicht zu finden, obgleich dieses Gelichter oft tapfer ist, wenn es für sie leicht ist, mutig zu sein. Ihre Luntenflinten flogen mit unglaublicher Schnelligkeit von den Schultern auf die Erde. Die juwelenbesetzten Schwerter, die sie trugen, wurden rasch neben die Feuerwaffen gelegt. Die Banditen fielen nieder, nahmen ihre Mützen mit beiden Händen ab und streckten zum Zeichen des Grußes und der Unterwürfigkeit die Zunge heraus. Ich konnte nicht umhin, ein zweites Momentbild von ihnen aufzunehmen, denn sie sahen zu komisch aus. Mein Träger, den ich zurückgelassen hatte, um das Gepäck zu bewachen, hatte Man Sing mit diesem Amte betraut und stand jetzt mit dem Henry-Martini an meiner Seite, als eine der Frauen, nach Männerart reitend, auf dem Schauplatze ankam. Sie war augenscheinlich über die Feigheit ihrer Männer wütend, weshalb sie mir gefiel. Sie sprang vom Pferde, kreischte so laut sie konnte, indem sie die Fäuste gegen die noch vor mir knienden Männer schüttelte, und vor Wut schäumend, spuckte sie zum Schluß auf die Räuber. Bei ihrer Ansprache an die Bande hatte sie eine unangenehme Art, auf mein Gepäck hinzuzeigen, aber ihre Rede schien auf die unterwürfige Menge wenig Eindruck zu machen. Ich ging daher zu ihr hin, klopfte ihr auf die Schulter und gab ihr sogar eine Rupie, um ihr den Mund zu stopfen. Sie griff hastig nach der Münze und rieb sie auf ihrem Fellrocke, um das Silber zum Glänzen zu bringen. Sie rieb das Geldstück, bis es ganz blank war, dann schlug sie ihre feurigen Augen auf, starrte in die meinigen und streckte, um ihren Dank auszudrücken, die Zunge heraus. Katschi und Dola, die gut tibetisch sprechen, wurden jetzt herbeigerufen, um die Stegreifritter in meinem Namen anzureden. Die beiden Schokas waren in solcher Aufregung, daß sie kaum gehen, geschweige denn sprechen konnten. Als sie jedoch sahen, wie ich mit diesen vermeintlich schrecklichen Räubern umsprang, waren sie endlich imstande, zu dolmetschen. »Sie sollen mir einige Jake und Pferde verkaufen,« sagte ich, »ich werde sie gut bezahlen.« »Sie sagen, sie könnten es nicht tun. Der Tarjum würde ihnen die Köpfe abschneiden, wenn er es erführe. Nur einen oder zwei Jake wollen sie verkaufen.« »Gut. Was kosten sie?« »Zweihundert Silberrupien. Aber,« fügte Dola hinzu, »Sahib, gib ihnen nicht mehr als vierzig. Das ist schon viel mehr, als die Tiere wert sind. Ein guter Jak kostet sonst zehn bis sechzehn Rupien.« Nach ungefähr vier Stunden Handelns, währenddessen die Banditen allmählich von 200 Rupien auf 40 herabgingen und ich von 20 zu dieser Summe hinaufstieg, kamen wir endlich dahin überein, daß ihre beiden besten Jake mein Eigentum werden sollten. Dann kaufte ich noch Packsättel und allerhand andere Raritäten von ihnen. Wir waren jetzt sehr freundschaftlich miteinander. Sie gaben mir sogar Tee und Tsamba. Die feurige Frau hielt immer noch die Augen auf mein Gepäck gerichtet, und ihre Gier nach meiner Habe schien sich zu steigern, als sie mich die Jake bezahlen sah. Aber wenn sie ein Auge auf meine Habseligkeiten richtete, so hielt ich meine beiden darauf, und ich sorgte dafür, daß meine Büchse nie aus meiner Hand und daß niemand mir je zu nahe kam. Ich zählte das Geld auf, ungefähr 50 Rupien für sämtliche Einkäufe. Jedes Geldstück wurde herumgereicht und von jedem der Verkäufer auf seinen Klang geprüft. Als die ganze Summe übergeben war, wurden die Geldstücke wieder von Hand zu Hand zurück herumgegeben und wieder gezählt, damit ja kein Irrtum unterlaufe. In Tibet ist Zeit nicht Geld, und meine Leser werden daher auch nicht erstaunt sein, wenn ich ihnen sage, daß das wiederholte Zählen und Prüfen der kleinen Summe zwei weitere Stunden in Anspruch nahm. Schließlich wurden uns die beiden Jake übergeben. Der eine war ein ungeheuer großes, langhaariges, schwarzes Tier, unruhig und sehr stark; der andere ebenfalls schwarz, kräftig und behaart, aber etwas sanfter. [Illustration: _Aquarellskizze von H. S. Landor._ _F. A. Brockhaus, Leipzig._ ~TIBETISCHE WAHRSAGERIN.~] Sie einzufangen, von der Herde zu trennen, Stricke durch ihre Nasenlöcher zu ziehen, Packsättel auf ihre Rücken zu binden, waren alles Geschäfte, die wir als Neulinge erst lernen mußten. Es war in der Tat ein hartes Stück Arbeit; aber wir plagten uns, bis es gelang. Als wir weiterzogen, waren wir gute Freunde geworden, da sich die Räuber sehr gut benahmen. Ich aber nahm mir vor, in Tibet jederzeit lieber einem Banditen als einem Beamten zu trauen. In einer Hinsicht tat es mir leid, daß mein Zusammensein mit den Jogpas zu Ende war; denn, wenn sie auch zweifellos Briganten waren, so waren sie doch interessant. Ihre originelle Kleidung und ihre Art der Unterhaltung, ihre ungewöhnliche, aber außerordentlich angemessene Art zu essen und ihr joviales, ungezwungenes Benehmen wirkten geradezu erfrischend. Ihre Kleidung konnte die in Tibet üblichen Trachten recht gut repräsentieren, denn die Männer trugen verschieden geformte Röcke und Hüte, wahrscheinlich dank der Leichtigkeit, mit der sie sie erlangten. Nicht zwei Individuen waren gleich gekleidet, wenn auch natürlich gewisse charakteristische Eigenschaften der Kleidung in jedem Falle beibehalten waren. Der eine trug einen mit Leopardenfell ausgeputzten Rock, ein anderer hatte ein langes, grauwollenes, einem Schlafrock ähnliches Gewand, das in der Taille mit einem Band umschlungen war, und ein dritter war in ein loses Kleid von Schaffell, mit der Wolle nach innen, gekleidet. Wieder ein anderer war mit einer dunkelroten Tunika angetan, die durch einen ledernen Gürtel festgehalten wurde, der in Schmiedeeisen eingelegte silberne Zieraten trug. Diese dienten dazu, eine Nadelbüchse, einen Zunderbeutel und Stahl zu halten, die an einer Perlschnur von dem Lederriemen herabhingen, ferner einen hübschen Dolch mit einer Scheide aus Ebenholz, Stahl und Silberfiligran, daneben noch andere Gegenstände, wie eine Kugeltasche. Die Jogpas, wie überhaupt die Mehrzahl der tibetischen Männer, tragen im Gürtel vorn ein Schwert, und der Rock, ob lang oder kurz, ist immer lose und an der Taille überhängend gemacht, damit er leicht einen Vorrat von Eß- und Trinkschalen, die Pukus, die Schnupftabaksdosen und verschiedene Beutel mit Geld, Tsamba und Teeziegeln aufnehmen kann. Dieser Sitte ist es zuzuschreiben, daß die meisten tibetischen Männer beim ersten Anblick den Eindruck sehr starken Körperbaues machen, während sie in Wahrheit von ziemlich schmächtiger Gestalt sind. Die Tibeter tragen einen Arm und einen Teil der Brust unbekleidet und lassen den Ärmel lose herunterhängen. Der Grund hierfür, der vielen Leuten rätselhaft erscheint, ist der, daß in Tibet die Tage sehr heiß und die Nächte kalt sind. Der Unterschied der Thermometerstände beträgt im südwestlichen Tibet zuzeiten 45 und selbst 55 Grad. Da die Tibeter in den Kleidern schlafen, sind die Gewänder, die in der Nacht den Körper vor dem Frost schützen, in der Sonnenglut zu schwer und zu warm; deshalb benutzt man dieses einfache Auskunftsmittel. Beim Niedersitzen werden beide Arme aus den Ärmeln gezogen und Brust und Rücken bloß gelassen; beim Gehen aber wird ein Arm, gewöhnlich der linke, durch den Ärmel gesteckt, um den Rock mit seinem schweren Inhalt am Herunterfallen zu verhindern. Was die tibetischen Stiefel anbetrifft, so stehe ich nicht an, sie vom Nützlichkeitsstandpunkte aus für die besten der Welt zu erklären. Sie haben alle Vorzüge, die ein Stiefel haben soll, besonders diejenigen mit platten Sohlen aus dicker, geflochtener Schnur. Der obere Teil, der aus rotem und grünem Filz gemacht ist, hält den Fuß warm, ohne den Luftzutritt zu verhindern, und für die Zehen bleibt reichlicher Raum, sich beim Gehen auszubreiten. Die Filzgamasche, die bis unter das Knie reicht, hält die weiche Sohle des Stiefels platt unter dem Fuße und erlaubt dem Knöchel vollständige und freie Bewegung. Die hauptsächlichste Eigenschaft der tibetischen Fußbekleidung ist jedoch die, daß der Fuß mit Ausnahme seines obern Teils von der dicken Sohle eingeschlossen ist, wodurch das Einklemmen der Zehen zwischen Steine verhindert wird, wenn man über Steinfelder geht. Es gibt in Tibet vielerlei Stiefelsorten, aber das Prinzip ist immer dasselbe. Die Stiefel sind stets Hausarbeit. Jeder macht sich die seinen selbst, ausgenommen in großen Städten, wo man Schuhwerk kaufen kann; natürlich ist dann die Qualität nicht auf gleicher Höhe. Die Stiefel aus Lhasa haben z. B. feinere, weichere und elastischere Sohlen als die in Schigatse gemachten, die hart und steif sind und sich viel schneller abtragen sollen als die biegsamern der heiligen Stadt. Dann gibt es auch welche mit Ledersohlen, die besonders für nasse oder schneeige Gegenden gemacht werden; wenn diese mit Fett eingeschmiert werden, sind sie vollkommen wasserdicht. Von solchen sind zwei Arten in Gebrauch, die eine mit spitzen, aufwärts gekrümmten Zehenkappen, um sich den Weg in den Schnee einzuschneiden, die andern von der gewöhnlichen Form. Männer und Frauen tragen dieselben Stiefel. Die vornehmern Lamas und Beamten tragen Lederstiefel nach chinesischer Mode, die schwere Leder- oder Holzsohlen mit gewaltigen Nägeln haben. Von Kopfbedeckungen gibt es unzählige Arten. Die eigentümlichste von allen, die hauptsächlich von Soldaten und Dakoit getragen wird, ist die in Kegelstumpfform mit breitem Rande, die gleich den Schuhsohlen ganz aus geflochtener Schnur gemacht ist und am obern Ende ein Loch für die Ventilation hat. Da der kegelförmige Teil zu klein ist, um auf dem Kopfe zu halten, wird er mit zwei unter dem Kinn gebundenen Schnüren auf dem Schädel festgehalten. Außerdem gibt es die kegelförmigen braunen und grauen Filze, nicht unähnlich den in chemischen Laboratorien gebrauchten Filtern, die in den bessern Qualitäten oft mit einer goldenen, blauen oder roten chinesischen Stickerei verziert sind. Der gemeine Tibeter liebt es nicht, sich den Kopf zu bedecken, und wenn er auch oft in den losen Falten seines Rockes eine oder mehrere Mützen untergebracht hat, trägt er unter gewöhnlichen Umständen selten eine auf dem Kopfe. Beamte jedoch sieht man nie ohne eine runde Mütze nach chinesischer Art mit einem Knopf auf der Spitze. Alle Männer mit Ausnahme der Lamas, die den Kopf kahl scheren, tragen einen Zopf, der zuweilen kurz und struppig, aber auch lang und mit einem Stück roten Tuches verziert ist, mit dem er umnäht ist und mit welchem er durch Ringe von Elfenbein, Knochen, Glas, Metall oder Korallen gezogen wird. Silberne Zieraten, z. B. durchbohrte Münzen, werden viel zum Schmuck der Männerzöpfe verwendet, und zu demselben Zwecke sind auch Korallen- und Malachitschmucksachen in Tibet allgemein und werden von den Eingeborenen sehr geschätzt. Die Männer tragen einen Ohrring mit Malachitverzierungen, oft noch mit einem langen Gehänge daran. Diese Ringe sind gewöhnlich von Messing und Silber, selten von Gold. Häufiger als dieser einzelne Ohrring ist die messingene oder silberne Amulettkapsel, die meist ein Bildnis Buddhas enthält und die fast jeder Tibeter um den Hals gehängt trägt. Die Tibeter sind überaus abergläubisch und glauben an jede Art der Zauberei. Es ist dies die Folge der Unwissenheit, die auch an ihren andern schlechten Eigenschaften schuld ist. Von den Lamas und den höhern Beamten abgesehen, erhält das Volk nicht den geringsten Unterricht; es wird in der finstersten Unwissenheit erhalten. Wenige können lesen, niemand kann schreiben, und die Lamas sorgen schon dafür, daß nur diejenigen es lernen, die sie brauchen können. Ehrlichkeit und Ehre sind Eigenschaften, die in Tibet in jeder Klasse und jeder Stellung fast unbekannt sind, und die Wahrheit von einem Tibeter zu erfahren, ist nach dem Zeugnis aller Kenner des Landes geradezu unmöglich. Grausamkeit ist dem Tibeter angeboren, und Laster und Verbrechen wuchern überall üppig. * * * * * Nachdem der Verkauf der Jake abgeschlossen war, kauerten sich die Jogpas zu einem kräftigen Mahle aus Tsamba, Tschura und Tee nieder. Sie nahmen ihre hölzernen und metallenen Pukus aus den Röcken, füllten sie schnell mit Tsamba, und nachdem sie darüber dampfenden Tee gegossen hatten, der mit Butter und Salz in einem Butterfaß angemacht war, rührten sie alles mit ihren schmutzigen Fingern in der Schale um, bis sich ein Brei gebildet hatte; diesen rollten sie zu einer Kugel, die sie in den Mund steckten. Dieser Prozeß wurde so oft wiederholt, bis ihr Appetit befriedigt war. Jedesmal, ehe sie sie wieder füllten, wurde die Schale rein geleckt. Da ihnen nach dem Essen die Sonnenhitze lästig wurde, entledigten sich Männer und Frauen ihrer Kleider bis zur Taille und zeigten dabei um den Hals Schmucksachen von Gold, Silber und Kupfer. Die Weiber der Dakoit besaßen, wenn sie auch durchaus nicht schön waren, einen gewissen, durch ihre Wildheit hervorgerufenen Reiz. Im Gegensatz zur Mehrzahl der tibetischen Frauen hatten sie sehr gute Zähne, und ihre Hautfarbe war nicht sehr dunkel, wenn auch die schwarze Salbe, mit der Backen, Nase und Stirn beschmiert waren, sie dunkler erscheinen ließ, als sie wirklich waren. Alle hatten sie regelmäßige Gesichtszüge, und Augen und Mund waren ausdrucksvoll. Das Haar war in zahllose kleine Zöpfe geflochten, die in einem anmutigen Bogen über den Kopf aufgenommen waren. Dort wurden sie durch einen roten Turban festgehalten, der so angeordnet war, daß er noch eine Reihe kleiner Zöpfe auf der Stirn sehen ließ; die Enden waren der Reihe nach miteinander verbunden. Sie trugen große goldene, mit Malachit eingelegte Ohrringe. In ihrem Benehmen waren sie ungeniert und kümmerten sich nicht im geringsten um die einfachsten Regeln des Anstands. Die Kinder waren gesprächig und hatten das Gebaren Erwachsener. Schon im Alter von 8 und 10 Jahren führten sie Schwerter im Gürtel. In einem Korbe, den ein Jak getragen hatte, war ein nur wenige Monate altes Kind. Ich liebkoste es zum Entsetzen seiner abergläubischen Mutter, die das Kind wegriß und des armen kleinen Wesens Gesicht wusch und rieb, bis die Haut abging; sie sagte, Kinder müßten sterben, wenn sie von Fremden berührt würden. Als ich Reis von den Männern kaufte, wollten sie mich diesen nicht berühren lassen, ehe er nicht mein Eigentum geworden wäre. Jedesmal, wenn ich den Arm ausstreckte, um den Reissack zu berühren, wehrten sie ab, und schließlich wurde mir eine Hand voll Reis aus beträchtlicher Entfernung gezeigt, damit ich seine Beschaffenheit beurteilen könne. Ich mußte zuerst die Handvoll kaufen, und nachdem ich mich versichert hatte, daß er gut war, erwarb ich den Rest. Zweiundzwanzigstes Kapitel. Am Mansarowar. An demselben Nachmittag waren wir ungefähr zwei Kilometer in der Richtung auf den Mansarowar weitergezogen, als wir von einem der Jogpas angerufen wurden, die wir kurz zuvor verlassen hatten. Er ritt auf uns zu, augenscheinlich in einem Zustand großer Erregung. Nachdem er abgestiegen war, zog er sein Schwert und lief damit auf einen meiner Jake zu. Da er uns zurief, daß er nichts Böses beabsichtige, ließen wir ihn gewähren. Schließlich holte er den widerspenstigen Jak ein, warf nach einem Kampfe mit dem unglücklichen Tiere seine Arme um dessen Hals und legte seinen Kopf zwischen dessen Hörner. Ich war über diese Possen nichts weniger als erfreut, da ich glaubte, daß dieser Überschwang von Liebe nur ein Kniff wäre, um dem Tiere den Hals abzuschneiden. Zu meinem Erstaunen fand ich, daß der junge Jogpa mit den Zähnen einen Büschel von den Haaren des Jaks ergriffen hatte und sich bemühte, ihn herauszureißen, während das Tier verzweifelte Anstrengungen machte, seinen Peiniger abzuschütteln. Endlich gab das Haar nach, und mit einem Mundvoll Haare, die zu beiden Seiten seiner festgeschlossenen Lippen herabhingen, ließ der Jogpa den Kopf des Tieres los und führte mit seinem Schwert einen Schlag nach dem Schwanze des Jaks. Nun packte ich aber doch den Kerl bei seinem Zopfe, während er seinerseits sich an den Schwanz des erschreckten Jaks klammerte, der ausriß und uns in unangenehm schneller Gangart hinter sich her zog. Während unserer tollen Jagd schnitt der Jogpa eine lange Locke aus dem seidenen Haare des Jaks und schien, als er diese hatte, vollkommen befriedigt. Er ließ los und steckte sein Schwert in die Scheide, verbarg die gestohlenen Haare in seinem Rocke, machte uns tiefe Verbeugungen und streckte wie gewöhnlich die Zunge heraus. Auf Befragen erklärte er, daß man sicher von Unglück betroffen werde, wenn man bei der Trennung von einem Tiere, das man besessen, nicht diese Vorsicht gebrauche. Damit schloß der Zwischenfall. Der Jogpa ritt beglückt fort, und wir verfolgten unsern Marsch über die steinige Ebene, bis wir den Rücken erreichten, der sich quer durch sie zieht und die beiden Seen voneinander trennt. Wir kletterten bis zum Kamme hinauf, der zirka 5000 Meter über dem Meere liegt. Um festzustellen, ob der Höhenzug die beiden Seen vollständig trennt, ging ich bis zur Mitte des Rückens, wo ich fand, daß die nördliche Hälfte des Rückens etwas niedriger ist als die südliche, aber immerhin mehr als 100 Meter über dem Seespiegel liegt. Dieser Abstecher verursachte einigen Zeitverlust, so daß wir, als die Nacht kam, noch auf dem Rücken waren. Von unserm Lagerplatze aus sahen wir fünfzehn schwarze Zelte an dem Abhang; im Osten, am Seeufer, lag eine große Gomba, ein Lamakloster, mit einem Tempel und einer Anzahl von Lehmhäusern. Ich schätzte die Entfernung zwischen uns und der Gomba auf nur 15 Kilometer, eine erfreuliche Entdeckung, da ich hoffte, dort frischen Proviant zu bekommen, der es uns ermöglichen sollte, schneller vorwärtszukommen. Wir waren jetzt ganz aus dem Bereiche der Soldaten von Gyanema, wie auch aus dem des Tarjum von Barka und des Jong Pen von Taklakot. Wenn wir nur nachts genügend Vorrat von Nahrungsmitteln erlangen und früh am andern Morgen durch die Wildnis dringen konnten, war wenig Gefahr, daß wir noch eingeholt würden. Die Schokas wurden bei dem Gedanken, eine tibetische Niederlassung betreten zu sollen, wieder von Schrecken ergriffen, ich erklärte ihnen aber bestimmt, daß wir die Gomba und das Dorf Tucker erreichen müßten. Unter uns lagen die beiden großen Seen. Der Teufelssee mit seinen zerklüfteten steilen Ufern, seinen felsigen Inseln und seinen weit ausgreifenden Halbinseln war für mich weit bezaubernder als der Heilige See neben ihm, in welchem der Sage nach Mahadewa und alle andern guten Götter wohnen. Obgleich das Wasser ebenso blau und durchsichtig ist, obgleich beide Seen die große Gangrikette als Hintergrund haben, ist der Mansarowar, die Schöpfung Brahmas, nach dem er benannt ist, doch nicht annähernd so reizvoll wie sein weniger heiliger Nachbar. Der Mansarowar hat keine Uferschluchten, die steil aus seinem Wasser aufsteigen, in dem ihre lebhaften Farben wie in einem Spiegel widerglänzen; er bildet ein fast vollkommenes Oval ohne Einbuchtungen. Eine steinige, langsam sich abdachende Ebene von etwa dreieinhalb Kilometer Breite liegt zwischen dem Rande des Wassers und den umgebenden Bergen, mit Ausnahme der Strecke längs des Rückens, der ihn vom Rakastal trennt, dessen Ufer wilder und steiler ist. Direkt südlich von dem See erhebt sich eine Kette von hohen, schneebedeckten Gipfeln, in der mehrere Ströme entspringen. Von unserm Standpunkte aus konnten wir deutlich sehen, daß das Niveau des Rakastal einst mindestens 10 Meter höher gewesen sein muß, als es jetzt ist. Das schräge Bett von kleinen, abgerundeten, glatten Steinen, das sich bis dreieinhalb Kilometer über den heutigen Wasserrand hinausstreckt, ist Beweis genug, daß das Wasser einst bis dorthin gereicht hat. Ich glaube, daß es noch in allmählichem Zurückweichen begriffen ist. Rund um den See befinden sich mehrere baufällige Schuppen, die unter der Obhut von Lamas stehen; aber nur ein wirkliches großes Kloster und ein Tempel im Dorfe Tucker sind vorhanden. Man erzählte mir, daß im Nordwesten des Sees eine kleine Gomba und Serai unter Aufsicht von Lamas sich befinde, aber für die Richtigkeit dieser Angabe kann ich nicht einstehen, da ich sie nicht selbst besucht habe und die Mitteilungen über ihre Lage und Bedeutung, die ich von den Tibetern erhielt, widersprechend waren. [Illustration: Räuber.] Wie sich die Natur der Landschaft zwischen dem Teufelssee und dem Mansarowar plötzlich ändert, so waren auch das Wetter und die Temperatur sehr verschieden. Über dem Rakastal sahen wir beständig einen lieblich blauen Himmel, während über dem Mansarowar immer schwere Wolken tief herabhingen und unaufhörlich Regen fiel. Von Zeit zu Zeit trieb der Wind den Regen für einige Minuten fort, und dann war das Spiel des Lichts auf dem Wasser reizend, bis neue Wolken unter heftigen Donnerschlägen die Szenerie wieder düster und bedrückend machten. [Illustration: Eingang in den Lamatempel von Tucker.] Wir stiegen ungefähr 4 Kilometer zu der Ebene hinab und überschritten ein reißendes Delta des Flusses Langa Tsangpo oder Langa; zwei Kilometer weiter überschritten wir noch einen Fluß. Da diese Flüsse direkt aus den Schneefeldern kommen, war das Wasser sehr kalt und unterwegs infolge des Schmelzens von Schnee und Eis oft bis 1⅓ Meter tief. [Illustration: Unser Lager im Schutze einer Felswand mit der Inschrift: »Om mani padme hum«.] Kaum hatten wir die Ufer des Mansarowar erreicht, als aus den schweren Wolken über unsern Köpfen ein solcher Regenschauer niederging, daß wir in einem Augenblick bis auf die Haut durchnäßt wurden. Wir marschierten sehr schnell, da alle unsere schweren Lasten jetzt auf den beiden Jaken waren. Aber die Nacht war schon vorgeschritten und die Dunkelheit so groß, daß wir nur wenige Zentimeter vor uns sehen konnten. Wir gingen in drei bis fünf Zentimeter hohem Wasser, und ein starker Südostwind trieb uns Regen und Hagel so heftig ins Gesicht und auf die Hände, daß wir beträchtliche Schmerzen empfanden. In unsern nassen Kleidern froren wir, und unsere Zähne klapperten, obgleich wir uns dicht aneinander hielten und schnell marschierten. Von Zeit zu Zeit wurde der See von einem grellen Blitzstrahl erhellt, dem ein furchtbarer Donnerschlag folgte. Nach dem, was wir während der wenigen hellen Sekunden sehen konnten, versuchten wir, unsern Weg nach dem Dorfe und der Gomba von Tucker zu finden. Die infolge des strömenden Regens angeschwollenen Flüsse waren schwer zu durchschreiten, und das Wasser floß so reißend, daß wir uns eben nur auf den Füßen halten konnten. Wir waren so naß, daß wir uns nicht mehr die Mühe nahmen, Schuhe oder Kleider auszuziehen. Dreimal gingen wir bis über die Hüften in das eisige Wasser hinein, dann wanderten wir scheinbar endlos auf dem mit Steinen bedeckten Abhang. Wo wir gingen, konnten wir nicht sehen, und der Sturm schien mit jedem Augenblick schlimmer zu werden. Zwischen größern Steinen und Blöcken stolperten wir dahin und fielen dann wieder auf schlüpfrigen Felsen übereinander. Weiterhin versanken wir bis an die Knie in Schlamm, und jedesmal, wenn wir den Fuß hoben, schien er wie von Blei zu sein. »Bist du ganz sicher, Katschi, daß dieser See die Wohnung der Götter ist?« fragte ich Katschi. »Selbst am Teufelssee hatten wir doch besseres Wetter als jetzt.« »Ja, Herr«, erwiderte Katschi. »Aber du machst die Götter zornig, und deshalb schicken sie Donner, Hagel und Regen, um dein Vordringen aufzuhalten. Du gehst gegen die Götter vor, Herr.« »Laß gut sein, Katschi, es kann nicht ewig gießen.« Um Mitternacht hatten wir keine Idee, wo wir uns befanden, aber wir drangen vorwärts. Waren wir an der Gomba schon vorüber? Hatten wir sie noch nicht erreicht? Das waren die Fragen, die wir einander vorlegten. Mir schien es, daß wir bei der Geschwindigkeit, mit der wir gingen, jetzt dem Orte schon sehr nahe sein müßten, und doch konnten wir nach einer weitern Stunde des Wanderns ihn noch nicht ausfindig machen. Ich war in dem Glauben, daß wir ungefähr 16 Kilometer marschiert seien, und meinte, daß wir an dem Kloster vorbeigegangen sein müßten; aber die Schokas bestanden darauf, es sei nicht der Fall. So gingen wir weiter. Wir waren noch nicht 500 Meter gegangen, als wir aus der Ferne ein schwaches, uns willkommenes Hundegebell vernahmen. Es kam aus Nordwesten, und wir vermuteten, daß es aus Tucker kommen müsse. In der Dunkelheit waren wir zu weit südlich von dem Orte geraten. Von dem Gebell geleitet, richteten wir unsere Schritte eilig direkt auf die Ansiedelung. Das Geheul des einzelnen Hundes wurde auf einmal durch das zornige Gebell von fünfzig andern verstärkt, aber trotzdem wir aus dem Tone erkannten, daß wir uns dem Dorfe näherten, konnten wir den Ort nicht finden, so dunkel und stürmisch war es. Erst als wir dicht vor den Lehmhütten waren, bemerkten wir sie. Es war zwischen 2 und 3 Uhr morgens. Der Regen goß noch in Strömen, und nirgends ein Zeichen, daß irgendeiner der Einwohner willens gewesen wäre, uns ein Obdach zu gewähren. Es konnte keine Rede davon sein, unser kleines Zelt aufzuschlagen, denn unsere Sachen waren schon zum Auswinden naß. Das Geräusch, das wir machten, als wir an eine Tür klopften, war so stark, daß die Tür selbst beinahe nachgab. Es war ein Serai, ein Schutzhaus für Pilger; da wir den Anspruch erhoben, Pilger zu sein, hatten wir nach den Landesgesetzen das Recht, eingelassen zu werden. Nattu, der schon früher einmal auf einem andern Wege den See erreicht hatte, führte uns zu diesem Hause. »Ihr seid Dakoit,« sagte eine heisere Stimme von innen, »sonst würdet ihr nicht um diese Stunde kommen.« »Nein, das sind wir nicht«, sagten wir. »Bitte, öffnet. Wir sind wohlhabende Leute. Wir wollen niemand etwas zuleide tun und für alles bezahlen.« »~Middu, middu!~ Kann nicht sein, nein! Ihr seid Dakoit, ich werde nicht öffnen.« Um zu zeigen, daß wir nicht das waren, was sie vermuteten, klopften der treue Tschanden Sing und Dola wieder so sanft an die Tür, daß der Riegel nachgab. Im nächsten Augenblick kauerten zehn Fremdlinge sich rings um ein warmes Feuer nieder und trockneten ihre zusammengeschrumpfte, durchweichte Haut am Feuer von trockenen Tamarisken und Dung. Der Wirt, beiläufig gesagt ein Arzt, beruhigte sich, als er sah, daß wir keine bösen Absichten hatten, und als er einige Silbermünzen auf seiner Handfläche fand. Dennoch sagte er, es würde ihm lieber sein, wenn wir anderswo schliefen, nebenan wäre eine vortreffliche leere Hütte. Als wir hierauf eingingen, führte er uns an den Ort, wo wir den Rest der Nacht oder vielmehr des Morgens zubrachten. Dreiundzwanzigstes Kapitel. In der Lamaserei. Unser Aufenthaltsort war ein aus Steinen und Lehm erbautes eingeschossiges Haus mit flachem Dach. Es hatte zwei Zimmer, von denen das erste sein Licht durch die Tür empfing, während das zweite, größere eine viereckige Öffnung in der Decke hatte, die dem dreifachen Zwecke der Ventilation, des Lichtzutritts und der Entfernung des Rauches von dem Feuer diente, welches gerade darunter in der Mitte des Zimmers brannte. Die Balken und Sparren, die das Dach trugen, waren von jenseit des Himalaja herübergebracht worden, da sich im westlichen Tibet kein Holz findet. Dieses Serai wurde von einem jungen, halb wahnsinnigen Lama verwaltet, der mit Begrüßungen äußerst verschwenderisch war und längere Zeit mit offenem Munde dastand und uns anstarrte. Er war so freundlich, uns am Morgen zu helfen, unsere Sachen zu trocknen. Wir mochten fordern, was wir wollten, immer rannte er mit tollen Ausbrüchen von Heiterkeit aus dem Serai und brachte stets, was wir wünschten. Das schwere Gewitter während der Nacht hatte unser Zimmer überschwemmt, und nur in einer Ecke war es etwas trockener als auf dem übrigen Teil des Fußbodens; in dieser Ecke schliefen wir alle, in einen Haufen zusammengekrochen. Die Serais machen keinen Anspruch auf Reinlichkeit. Während des Regens hatte sich das ganze Kleintierleben, das den Fußboden bewohnte, in der Absicht, das Wasser zu vermeiden, in den höhern Teil des Zimmers zurückgezogen, den auch wir gewählt hatten, so daß zu all unsern andern Leiden eine neue Prüfung hinzukam: wir wurden von einer Masse verschiedenartiger Insekten halb aufgefressen. Es war in der Tat eine furchtbare Plage, von der wir nicht allein bei dieser Gelegenheit, sondern jedesmal, wenn wir in der Nähe von tibetischen Lagern haltmachten, unbeschreibliche Qualen litten. Als wir am Morgen aufstanden, war das Zimmer voll von Tibetern, Männern, Weibern und Kindern, die sehr gutmütig und freundlich schienen. »~Tanga tschik!~« (eine Silbermünze im Werte einer halben Rupie) rief ein altes Weib, das mir einen getrockneten Fisch unter die Nase hielt, indem sie mit großer Redseligkeit erzählte, daß er im Mansarowar gefangen worden sei und daß er seinen Besitzer zum glücklichsten Sterblichen machen würde. Andere zeigten uns Stücke rotes Tuch, Juwelen in Form von Broschen, Ringen und Ohrringen aus Messing oder Silber und mit Malachit eingelegt. »~Gurmoh sum!~« (drei Rupien). »~Diu, diu, diu.~« (Ja, ja, ja.) »~Karuga ni!~« (zwei Zwei-Anna-Stücke). »~Gieutscheke!~« (ein Vier-Anna-Stück) und so weiter schallte es, indem alle zugleich schrien, begierig, ihre Waren loszuwerden. Die Schmucksachen waren einheimische Arbeit; in einigen Fällen waren die Malachitstücke fest gefaßt; gewöhnlich wird aber eine Art Paste angewendet, um die Steine festzuhalten, und dann zerbrechen die Schmucksachen, so hübsch sie auch sind, immer schnell. Die Ohrringe sind gewöhnlich besser gearbeitet als die Broschen. Am interessantesten sind die flachen, silbernen, mit primitiver Zeichnung verzierten Amulette. Die Töpferwaren werden aus einem feinen Ton hergestellt, der aber vor dem Verarbeiten zu Vasen, Krügen usw. nicht geschlagen wird. Formen werden nur angewendet, um die untern Teile der größern Gefäße herzustellen, die innern Teile werden mit der Hand geformt; dann erleichtert eine rohe Drehscheibe die Ausarbeitung des obern Teils des Gefäßes und macht ihn verhältnismäßig glatt. Zwei Henkel mit rohen Linienornamenten werden an den größern Gefäßen angebracht; für die Krüge mit längerm Hals und kleinerer Öffnung genügt einer. Die Fläche wird ziemlich glatt und unglasiert gelassen. Die Gefäße werden in primitiven Öfen gut gebrannt, die Lamas zeigen große Geschicklichkeit in der Herstellung derselben, die unter den Pilgern nach dem Heiligen See guten Absatz finden. Die zur Anfertigung der Gefäße benutzten Werkzeuge sind außerordentlich einfach: ein flacher Stein und zwei oder drei Holzstäbe; denn der Töpfer von Tucker braucht in Wirklichkeit nur die Finger und Nägel zur Vollendung seines Werkes. Am Morgen kamen mehrere Lamas zu Besuch und gaben vor, sehr erfreut zu sein, uns zu sehen; sie forderten mich auch auf, ihnen einen Besuch in der Lamaserei und im Tempel abzustatten. Sie sagten, daß Krankheiten im Dorfe herrschten. Da sie mich für einen Hindudoktor hielten, wünschten sie, ich könnte etwas zur Erleichterung ihrer Leiden tun. Ich versprach, alles zu tun, was ich könnte, und war sehr froh, diese ganz einzige Möglichkeit zum Besuche einer Lamaserei und zum Studium der Fälle zu haben, die man mir vorführen würde. Auch bei diesem freundschaftlichen Besuche bei den Lamas trug ich meine Büchse in der Hand. Aus unserm dumpfigen, dunkeln Zimmer kommend, einen Haufen neugieriger Eingeborener hinter und vor mir, betrachtete ich dieses seltsame Dorf mit großem Interesse. Trotz des nächtlichen Gewitters hatten wir nicht den schönen blauen Himmel, den man hätte erwarten sollen; drohende Wolken hingen über uns, und das vom Winde sanft bewegte Wasser des Heiligen Sees schlug leise klatschend gegen den Strand. Tschanden Sing und Man Sing, die beiden Hindus, die sich aller ihrer Kleider bis auf das Hüfttuch entledigt hatten, kauerten nahe am Strande des Sees und ließen sich von Bijesing die Köpfe glatt rasieren. Ich muß gestehen, daß ich etwas ärgerlich war, als ich mein bestes Rasiermesser zu diesem Zwecke verwendet sah, aber ich unterdrückte meinen Ärger bei der Erinnerung daran, daß ihre Religion sie durch die bloße Tatsache ihres Aufenthaltes am Mansarowar von allen Sünden befreite. Meine beiden Diener, das Gesicht nach dem Berge Kelas gerichtet, schienen aufgeregt und beteten so inbrünstig, daß ich stillstand, um sie zu beobachten. Sie wuschen sich wiederholt in dem Wasser des Sees und tauchten zuletzt mehrere Male darin unter. Als sie vor Kälte zitternd herauskamen, nahm jeder eine Silberrupie aus den Kleidern und schleuderte sie als Opfer für den Gott Mahadewa in den See. Dann zogen sie sich an und kamen, mir ihre Salaams darzubringen, wobei sie behaupteten, jetzt glücklich und rein zu sein. »Siwa, der größte aller Götter, lebt in den Gewässern des Mansarowar«, rief mein Träger in poetischer Stimmung aus. »Ich habe in seinen Wässern gebadet, und von seinen Wässern trank ich. Ich habe den großen Kelas begrüßt, dessen Anblick allein alle Sünden der Menschheit löst, nun werde ich in den Himmel kommen!« »Ich werde zufrieden sein, wenn wir bis Lhasa kommen«, brummte der skeptische Man Sing, außer Hörweite der Tibeter. Tschanden Sing, der in religiösen Dingen wohlbewandert war, erklärte, daß nur Hindupilger, die beide Eltern verloren haben, sich bei dem Besuche des Mansarowar als Opfer für Siwa die Köpfe scheren lassen, und daß es, wenn sie einer hohen Kaste angehören, gebräuchlich ist, bei ihrer Rückkehr von der Pilgerfahrt alle Brahminen der Stadt mit einem Bankett zu bewirten. Ein Mann, der im Mansarowar gebadet habe, werde von jedermann in großen Ehren gehalten und genieße die Bewunderung und den Neid der ganzen Welt. Der Mansarowarsee hat ungefähr 80 Kilometer im Umkreis, und diejenigen Pilger, die einen höhern Zustand der Heiligung erlangen wollen, machen eine Kora oder einen Umgang zu Fuß längs des Wasserrandes. Die Wanderung nimmt je nach den Umständen vier bis sieben Tage in Anspruch; ein Umgang befreit die Pilger von gewöhnlichen Sünden; der zweimalige Umgang reinigt das Gewissen von jedem Morde, während die dreimalige Umwanderung denjenigen ehrlich und gut macht, der Vater, Mutter, Bruder oder Schwester getötet hat. Es gibt Fanatiker, die den Umgang auf den Knien ausführen, andere machen den Weg, ähnlich wie die Pilger zum Kelas, indem sie sich bei jedem Schritt platt auf das Gesicht legen. Der Sage nach ist der Mansarowar von Brahma geschaffen worden, und jeder, der in seinen Wässern badet, wird das Paradies Mahadewas teilen. Gleichviel welche Verbrechen er vorher begangen haben mag, ein Eintauchen in den Heiligen See genügt, Seele und Körper zu reinigen. Um meine Leute zu erfreuen und mir selbst vielleicht etwas Glück zu bringen, schleuderte auch ich ein paar Geldstücke ins Wasser. Nachdem die reinigenden Waschungen vorüber waren, befahl ich Tschanden Sing, seine Büchse zu nehmen und mir in die Gomba zu folgen; denn die Lamas waren so höflich, daß ich Verrat von ihrer Seite fürchtete. Das große quadratische Gebäude mit den rot angestrichenen Mauern und der etwas abgeplatteten Kuppel von vergoldetem Kupfer erhob sich dicht am Ufer und war in seiner strengen Einfachheit ebenso malerisch als hübsch. Aus dem Innern drangen Töne wie von tiefen, heisern Stimmen, die Gebete murmelten; Glockengeklingel und Zimbelklänge mischten sich darein. Von Zeit zu Zeit wurde eine Trommel geschlagen, die einen hohlen Ton gab, und ein gelegentlicher, plötzlicher Schlag auf ein Gong machte die Luft vibrieren, bis die Töne in einem allmählichen Diminuendo von dem Winde über den Heiligen See fortgetragen wurden. Nachdem Tschanden Sing und ich in die Lamaserei eingetreten waren, wurde die große Tür, die weit geöffnet worden war, sofort geschlossen. Wir befanden uns in einem weitläufigen Hofraume, der an drei Seiten zwei übereinanderliegende Reihen von Galerien hatte, die durch Säulen getragen wurden. Es war das Laprang, das Haus der Lamas, und gerade vor mir war das Lhakang, der Tempel, dessen Fußboden ungefähr anderthalb Meter über dem Erdboden war; eine sehr große Tür führte in ihn hinein. An diesem Eingange waren zwei Nischen, eine an jeder Seite, in deren jeder neben einer großen Trommel ein Lama kauerte, mit einem Gebetbuch vor sich und in den Händen ein Gebetrad und einen Rosenkranz, dessen Kügelchen er nach jedem Gebete weiterschob. Bei unserm Erscheinen unterbrachen die Mönche ihr Gebet und schlugen in sichtlicher Erregung auf die Trommeln. Nach dem, was ich sehen konnte, herrschte in der Gomba große Aufregung. Alte und junge Lamas stürzten aus ihren Zimmern hin und her, während eine Anzahl von Novizen und Unterpriestern -- im Alter von 12 bis 20 Jahren -- am Geländer der obern Veranda sich drängten, mit dem Ausdruck sichtlicher Spannung und Neugier auf ihren Gesichtern. Ohne Zweifel hatten uns die Lamas eine Falle gelegt. Ich ermahnte Tschanden Sing, auf der Hut zu sein, und ließ ihn als Wache an dem Eingange des Tempels, während ich, nachdem ich auf die Trommel des Lamas zu meiner Rechten ein paar Silbermünzen gelegt hatte, zum Zeichen der Ehrfurcht meine Schuhe auszog und zum großen Erstaunen der Mönche ruhig in das Haus ihrer Götter eintrat. Über den Anblick des Silbers und mehr noch über meinen Mangel an Vorsicht erstaunt, blieben die Lamas, deren sich eine große Zahl im Hofe befand, unbeweglich und stumm. Der Oberlama oder Superior des Klosters trat endlich vor, indem er sich tief neigte, den einen Daumen über den andern legte und die Zunge weit heraushängen ließ, um seinen höchsten Beifall darüber zu bezeigen, daß ich die vielen Bilder besuchte, die an den Wänden des Tempels entlang aufgestellt waren, Gottheiten und buddhistische Heilige darstellend. Die größern derselben waren ungefähr anderthalb Meter hoch, die andern ungefähr ein Meter. Einige waren aus Holz geschnitzt und ihre Gewandungen und Schmucksachen waren nach Anordnung und Ausführung ziemlich künstlerisch; andere waren aus vergoldetem Metall hergestellt. Eine Anzahl von ihnen war in sitzender Stellung, einige aufrecht stehend dargestellt, und alle standen sie auf verzierten, vergoldeten Piedestalen oder auf einfachern, blau, rot, weiß und gelb bemalten Sockeln. Viele trugen die alte chinesische doppelflügelige Kappe und standen in Wandnischen, die mit Stoffen, Holzschnitzereien und roh gemalten Bildern dekoriert waren. Zu Füßen dieser Gottheiten war ein langes Bord, auf dem in glänzenden Messinggefäßen aller Größen Opfergaben von Tsamba, getrockneten Früchten, Käse, Weizen und Reis standen, die die Gläubigen durch die Lamas den verschiedenen Göttern darbringen. Einige der geopferten Gerstenähren waren mit rot, blau und gelb gefärbten, aus Butter geformten Blättern verziert. Die Decke des Tempels war mit rotwollenem Stoffe drapiert, ähnlich dem der Kleider der Lamas, und Hunderte von schmalen, langen Streifen seidener, wollener und baumwollener Gewebe in allen erdenklichen Farben hingen von ihr herab. Das Dach wurde von hölzernen Säulen getragen, die in der Mitte des Tempels ein Viereck bildeten und durch eine Balustrade verbunden waren, wodurch die Gläubigen gezwungen sind, einen Rundgang, von links nach rechts, zu machen, um vor den verschiedenen Götterbildern vorbeizukommen. In einem Schreine im mittlern Teile der dem Eingang gegenüberliegenden Wand stand der Schutzheilige des Klosters, anscheinend Buddha selbst; die Opfergaben, die hier auf einer Art von teppichbedecktem Altar lagen, waren viel reichlicher als vor den andern Bildnissen. Der Lama wies darauf hin und sagte mir, daß dies ein guter Gott sei; so machte ich ihm meinen Salaam und legte eine kleine Opfergabe in eine handliche Sammelbüchse, was dem Lama sehr zu gefallen schien, denn er holte sofort eine Amphora mit heiligem Wasser herbei, die mit langen Schleiern der Freundschaft und Liebe behängt war, und goß mir etwas wohlriechende Flüssigkeit auf die Handflächen. Dann zog er einen Schleierstreifen hervor, benetzte ihn mit dem Wohlgeruch und überreichte ihn mir. Die Mehrzahl der Pilger rutscht gewöhnlich auf den Knien rund um das Innere des Tempels, aber trotzdem ich, um eine Beleidigung der Eingeborenen zu vermeiden, den Grundsatz befolge, in Rom zu tun wie die Römer tun, konnte ich es doch nicht unternehmen, mich für den möglichen Fall eines plötzlichen Angriffs in eine so ungünstige Stellung zu bringen. Der Oberlama erklärte mir die Bilder der Götter und warf drei Handvoll Reis über sie, wenn er sie bei ihren Namen nannte, die alle zu behalten ich mir die größte Mühe gab; aber ach! ehe ich noch nach dem Serai zurückgehen und ihre Benennungen aufkritzeln konnte, waren sie meinem Gedächtnis alle entschlüpft. Ein besonderer Eingang führte aus dem bewohnten Teile des Klosters in den Tempel. Auf dem Fußboden in dem mittlern Viereck standen viele, in Messinggefäßen brennende Lichter, deren Dochte mit geschmolzener Butter gespeist wurden; neben ihnen lagen längliche Gebetbücher, gedruckt auf das glatte, gelbe tibetische Papier, das aus einer faserreichen Rinde gemacht wird. Kleine Trommeln und Zimbeln lagen neben diesen Büchern. Eine Doppeltrommel war, wie ich bemerkte, aus menschlichen Schädeln hergestellt; auch eine eigentümliche Kopfbedeckung, die von den Lamas beim Gottesdienste und den Zeremonien getragen wird, zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Bei diesen Gelegenheiten begleiten sie ihre Gesänge und Gebete nicht nur mit dem Schlagen von Trommeln und dem Klange von Becken, sondern sie blasen auch auf Rohrflöten, klingeln mit Handglocken und schlagen auf ein großes Gong. Der Lärm dieser Instrumente ist zeitweise so stark, daß die Gebete selbst ganz unhörbar werden. Leider gelang es mir nicht, eine der schreckenerregenden Masken zu Gesicht zu bekommen, die von den Lamas bei ihren phantastischen, mystischen Tänzen gebraucht werden. Wenn die Lamas während dieser Zeremonien den ganzen Tag im Tempel zubringen, genießen sie viel Tee mit Butter und Salz, der ihnen von Lamas untergeordneten Ranges, die als Diener tätig sind, in Bechern gereicht wird. So verbringen sie Stunde um Stunde in ihren Tempeln, scheinbar gänzlich in ihre Gebete zu der obersten Gottheit, Kontschok-sum, vertieft. Wörtlich übersetzt bedeutet Kontschok-sum »die drei Kleinodien«, nämlich Buddha, die heilige Lehre und die Gemeinde der Gläubigen, die so zu einer Dreieinigkeit verbunden sind. In Indien, dem Heimatlande des Buddhismus, wurden die beiden letztern ursprünglich abstrakt aufgefaßt, in Tibet hat man sie personifiziert, wie man denn überhaupt wohl sagen kann, daß der Buddhismus, der von Hause aus im wesentlichen eine Moralphilosophie war, in Tibet in eine Art von Religion umgewandelt worden ist, in der das wesenlose Nirwana zu einem Freudenhimmel und die schattenhaften Gestalten des verklärten Buddha und seiner Heiligen zu persönlichen Göttern geworden sind. Wie im alten Buddhismus nimmt auch hier die Vorschrift der Barmherzigkeit, des werktätigen Mitleids eine hervorragende Stelle ein, wenn sie auch oft äußerlich genug aufgefaßt wird. Je nach dem Maße, in dem der Mensch diese und andere Tugenden ausübt und böse Handlungen meidet, kommt seine Seele der ewigen Glückseligkeit näher, die sie aber meistens erst nach vielen Wiedergeburten erreicht; die Seelen der armen Sünder fahren zur Hölle, wo sie durch Feuer und Eis gefoltert werden. »Gott sieht und weiß alles und er ist überall«, rief der Lama aus, »aber wir können ihn nicht sehen. Nur die Tschantschubs (eine Art von Heiligen) können ihn sehen und zu ihm sprechen.« »Welches sind die bösen Eigenschaften, die man am meisten vermeiden muß?« fragte ich den Lama, der etwas hindostanisch sprach. »Wollust, Stolz und Neid«, erwiderte er. »Erwartest du jemals, ein Heiliger zu werden?« fragte ich. »Ja, ich hoffe es; aber es bedarf 500 Wanderungen der unbefleckten Seele, ehe man einer werden kann.« Dann, wie von einem plötzlichen Gedanken erfaßt, ergriff er auf einmal meine Hand und öffnete meine Finger. Als er dies getan hatte, murmelte er einige Worte der Überraschung. Sein Gesicht wurde ernst, sogar feierlich, und er behandelte mich mit seltsamer Unterwürfigkeit. Er stürzte zum Tempel hinaus und lief zu den andern Lamas, um ihnen seine mir fremde Entdeckung mitzuteilen. Sie drängten sich um ihn, und aus ihren Worten und Gebärden konnte man leicht erraten, daß sie sehr bestürzt waren. Als ich die Gesellschaft der seltsamen Götzenbilder verließ und in den Hofraum kam, wollte jeder Lama meine Hand untersuchen und berühren, und der plötzliche Wechsel ihres Benehmens war mir eine Quelle der Verwunderung und der Neugier, bis ich einige Wochen später den Grund davon erfuhr. Vierundzwanzigstes Kapitel. Die Lamas. Ehe ich das Kloster verließ, richteten die Lamas, die jetzt ziemlich vertraut geworden waren, viele Fragen an mich, Indien und die medizinische Wissenschaft betreffend. Beide schienen Gegenstände großen Interesses für sie zu sein. Sie fragten mich auch, ob ich vielleicht gehört habe, daß ein junger Sahib mit einem großen Heere über die Grenze gekommen sei und daß der Jong Pen von Taklakot dasselbe geschlagen und den Sahib mit den vornehmsten Mitgliedern der Expedition enthauptet habe. Ich gab vor, von diesen Tatsachen nichts zu wissen, was auch wahr war, obgleich mich natürlich die Art und Weise sehr ergötzte, in der der Jong Pen von Taklakot über das Bärenfell verfügte, ehe er den Bären gefangen hatte. Die Lamas hielten mich für einen Hindudoktor, dank der Farbe meines Gesichts, das von der Sonne verbrannt und lange nicht gewaschen war, und glaubten, ich sei auf einer Pilgerfahrt zur Umwanderung des Mansarowarsees begriffen. Sie schienen begierig zu erfahren, ob in Indien die Krankheiten durch Geheimwissenschaften oder nur mit Arzneien geheilt würden. Ich, der ich im Gegenteil mehr Interesse daran hatte, Mitteilungen zu erhalten als solche zu machen, lenkte die Unterhaltung auf die Lamas selber. Natürlich wußte ich, daß es Sekten von roten und gelben Lamas gibt, von denen die roten die ältern, jetzt aber an Zahl geringern sind. Die herrschende religiöse Sekte sind die gelben Lamas, die Gelukpa, die auch in politischer Beziehung die mächtigsten sind. Außerdem gibt es im Lande noch spärliche Reste des ursprünglichen Glaubens, der schamanistischen Bon-Religion, die auch als die schwarze Religion bezeichnet wird. Die Lamasereien sind gewöhnlich sehr reich, denn die Tibeter sind ein sehr frommes Volk, und die Lamas stehen nicht zurück in der Kunst, unter allen möglichen Vorwänden Geld von den unwissenden Gläubigen zu erpressen. Neben der Besorgung ihrer religiösen Funktionen betätigten sich die Lamas auch als Händler im großen, indem sie ein schlaues Geldverleihgeschäft betreiben und sehr hohe Zinsen verlangen, die jeden Monat fällig sind. Wenn diese unbezahlt bleiben, wird der ganze Besitz des Schuldners konfisziert, und wenn dieser sich als nicht genügend erweist, das Darlehen zu decken, wird der Schuldner Sklave des Klosters. Wenn man die wohlgenährten Gesichter der Lamas betrachtet, ist es auf den ersten Blick zu erkennen, daß sie sich trotz ihrer gelegentlichen körperlichen Entbehrungen in keiner Weise etwas abgehen lassen, und es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß sie ein ruhiges und behagliches Dasein in verhältnismäßigem Luxus führen, der häufig in Laster und Verderbtheit ausartet. Die größern Lamasereien erhalten von der Regierung einen jährlichen Zuschuß, und durch die Opfergaben der Gläubigen werden beträchtliche Summen angesammelt, während andere Gelder durch Mittel und Wege erlangt werden, die in jedem andern Lande als Tibet kaum als ehrenhaft und oft sogar als verbrecherisch betrachtet werden würden. Von den größern Städten abgesehen, lebt fast das ganze tibetische Volk mit Ausnahme der Briganten und der Lamas in großer Armut, während die Mönche selbst und ihre Agenten von dem Fette des Landes leben und gedeihen. Das Volk wird in vollkommener Unwissenheit erhalten, und selten findet man einen Laien, der schreiben oder wenigstens lesen kann. So muß alles durch die Hände der Lamas gehen. Die Lamasereien und die Lamas, sowie das Land und Eigentum, das ihnen gehört, sind von allen Steuern und Abgaben frei, und jeder Mönch wird durch eine bestimmte Lieferung von Tsamba, Ziegeltee und Salz unterhalten. Sie rekrutieren sich aus allen Klassen, und gleichviel, ob sie ehrliche Leute oder Diebe und Schwindler sind, werden sie alle bereitwilligst angenommen, um in die Bruderschaft einzutreten. Ein oder zwei männliche Mitglieder jeder tibetischen Familie treten in die Mönchsorden ein. Auf diese Weise erlangen die Mönche eine große Macht über jedes Haus und Zeltlager. Es ist kaum eine Übertreibung, wenn man sagt, die Hälfte der männlichen Bevölkerung in Tibet besteht aus Lamas. In jedem Kloster findet man neben den Lamas, d. h. den eigentlichen, fertigen Mönchen, die alle Weihen empfangen haben, noch zwei Klassen von Mönchen, die zwar auch glattrasierte Köpfe und zum Teil dieselbe Tracht wie ihre Obern haben, aber niedern Grades sind und natürlich auch keinen tätigen Anteil an der Politik der Lamaregierung nehmen: die Schabi und die Getsul. Die Schabi sind die Novizen. Sie treten sehr jung -- im 7. oder 9. Lebensjahr -- in die Lamaserei ein und bleiben mehrere Jahre hindurch Schüler. In dieser Zeit, während der sie auch die harte Arbeit des Klosters verrichten müssen, sind sie beständig in der Lehre und unter der Aufsicht des Lamas, dem sie zur Erziehung übergeben worden sind. Nach vollendetem 15. Lebensjahre erhalten sie die zweite Weihe und treten damit in die Klasse der Getsul über, eine Art Unterpriester, die noch nicht alle Rechte, dafür aber auch nicht alle Pflichten der eigentlichen Mönche haben. Nach fünf weitern Jahren und nach Empfang der dritten Weihe werden sie endlich wirkliche Lamas, welches Wort »Oberer« bedeutet. Die Schabi und Getsul übernehmen untergeordnete Rollen in den seltsamen religiösen Zeremonien, bei denen die Lamas, in Felle und gräßliche Masken verkleidet, singen und mit außerordentlichen Verrenkungen tanzen, begleitet von einer unheimlichen Musik von Glocken, Hörnern, Flöten, Zimbeln und Trommeln. Jedes große Kloster hat an seiner Spitze einen »Groß-Lama«. Dieser gehört zwar zur höhern Geistlichkeit, aber nicht immer zu deren höchster Stufe, den »wiedergeborenen Heiligen«. Während jene sozusagen den Verdienstadel des hierarchischen Systems darstellt, bilden diese, die Wiedergeborenen, seinen Geburtsadel; denn nach dem lamaistischen Dogma leben in ihnen die Seelen der alten Heiligen, die sich ihren Leib noch im Mutterleibe zum Wohnsitz auserwählt haben; sie sind also inkarnierte Götter. Durch eine solche ununterbrochene Inkarnation pflanzt sich namentlich der Papst von Tibet, der Dalai-Lama zu Lhasa, fort. Mit Ausnahme des Großlamas, der ein Zimmer für sich allein hat, essen, trinken und schlafen die Lamas in dem Kloster zusammen. Immer zwei Monate des Jahres, 15 Tage in jedem Vierteljahr, halten sie sich in strenger Abgeschlossenheit, die sie dem Gebete widmen und während welcher Zeit sie nicht sprechen dürfen. Sie fasten vierundzwanzig Stunden hintereinander bei Wasser und Buttertee; sie essen an jedem Fasttag nur so viel als gerade nötig ist, um am Leben zu bleiben, und entsagen allem andern, sogar dem Schnupftabak und dem Ausspucken, den beiden am meisten verbreiteten Gewohnheiten der tibetischen Männer. Die Lamas machen große Ansprüche auf Unfehlbarkeit, und auf Grund dieser erlangen sie die Verehrung des Volkes, von dem sie erhalten, genährt und gekleidet werden. Ich fand sie in der Regel sehr intelligent, aber unmenschlich, grausam und ehrlos. Ich sage dies nicht allein aus eigener Erfahrung, ich hörte dasselbe auch von den unterdrückten Eingeborenen, die sich nichts Besseres wünschen als eine Möglichkeit, ihr Joch abzuschütteln. Die gänzliche Unwissenheit benutzend, in der sie das Volk mit Erfolg erhalten, üben die Lamas in großem Umfange geheime Künste aus, durch welche sie vorgeben, Krankheiten zu heilen, Morde und Diebstähle zu entdecken, Ströme am Fließen zu verhindern und in einem Augenblick Stürme zu erregen. Gewisse Beschwörungen vertreiben, wie sie sagen, die bösen Geister, welche Krankheit verursachen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Lamas in hypnotischen Experimenten bewandert sind, vermittelst deren sie es fertigbringen, die unter ihrem Einflusse stehenden Individuen Dinge sehen zu lassen, die in Wirklichkeit nicht vorhanden sind. Dieser Macht sind die häufigen Berichte über Erscheinungen Buddhas zuzuschreiben, die gewöhnlich von einzelnen Individuen gesehen werden, und auch die Visionen von Dämonen, deren Schilderungen allein schon die einfältigen Leute erschrecken und sie veranlassen, alle ihre Sparpfennige als Opfergaben für das Kloster herzugeben. [Illustration: In strömendem Regen.] Auch der Mesmerismus oder tierische Magnetismus spielt eine wichtige Rolle in ihren Zaubertänzen, bei denen sie außerordentliche Verrenkungen ausführen und seltsame Stellungen annehmen und wobei der Körper des Tänzers schließlich in einen Zustand der Starrsucht gebracht wird, in dem er lange Zeit verbleibt. Die Mönche legen bei ihrem Eintritt in die Lamaserei das Gelübde der Ehelosigkeit ab; sie halten aber diesen Eid nicht immer. [Illustration: »Ich bin nur ein Abgesandter.«] Alle größeren Lamasereien unterhalten einen oder mehrere Lamabildhauer, die den ganzen Distrikt bereisen und an die unzugänglichsten Stellen gehen, um in Felsen, Steine oder Hornstücke die ständige Inschrift »~Om mani padme hum~« einzuschneiden, die man überall im Lande sieht. Nach vielen Schwierigkeiten gelang es mir, zwei von diesen sehr schweren Inschriftsteinen ungesehen fortzubringen; sie sind noch in meinem Besitz. [Illustration: Zeltaltar.] Unheimliche und malerische Orte, wie die höchsten Punkte auf Bergpässen, gigantische Felsblöcke, Felsen in der Nähe von Flußquellen oder irgendein Platz, wo eine Manimauer existiert, sind die Stellen, die gewöhnlich von diesen Künstlern gewählt werden, um die magische Formel einzugraben, die auf die Wiederfleischwerdung des Bekehrers von Tibet, Avalokiteschwaras, aus einer Lotosblume gedeutet wird. Auch die berühmten Gebeträder, jene mechanischen Geräte, durch die die Tibeter vermittelst Wasser-, Wind- und Handkraft zu ihrem Gotte beten, werden von Lamakünstlern angefertigt. Die größern durch Wasser getriebenen Gebettrommeln werden neben oder über einem Strome erbaut, und die gewaltigen Zylinder, auf denen das ganze tibetische Gebetbuch eingegraben ist, werden durch fließendes Wasser gedreht. Die durch Windkraft getriebenen sind den bei den Schokas angewendeten, die ich schon beschrieben habe, ähnlich, unterscheiden sich aber von diesen darin, daß die Tibeter oft Gebete auf die Zeugstreifen drucken. Die kleinern, die mit der Hand gedreht werden, gibt es in zwei verschiedenen Arten; sie sind entweder aus Silber oder aus Kupfer gemacht. Die für den Gebrauch im Hause bestimmten sind Zylinder von ungefähr 15 Zentimeter Höhe. Innerhalb derselben dreht sich auf Zapfen nach dem Prinzip eines Kreisels die Gebetrolle, die der Gläubige vermittelst eines über die Maschine hinausragenden Knopfes in Bewegung gesetzt hat. Durch eine viereckige Öffnung in dem Zylinder kann man die Gebete sich innen drehen sehen. Bei den in Tibet zum täglichen Gebrauch am meisten verbreiteten Gebeträdern hat der Zylinder zwei bewegliche Klappen, zwischen die die Gebetrolle fest hineinpaßt. Eine Handhabe mit einem Eisenstabe wird durch die Mitte des Zylinders und der Rolle gesteckt und vermittelst eines Knopfes in ihrer Lage erhalten. Ein Ring, der den Zylinder umgibt, befestigt sie an eine kurze Kette mit Gewicht; diese dient dazu, wenn sie durch einen Ruck mit der Hand angezogen wird, eine drehende Bewegung hervorzubringen, die nach Vorschrift von links nach rechts gehen muß und für unbestimmte Zeit im Gange gehalten wird, wobei die Worte »~Om mani padme hum~« oder einfach »~Mani, mani~« wiederholt werden, bis die Drehung wieder aufhört. Bei den ältern Rädern waren die Gebete geschrieben und wurden in einem kleinen, schwarzen Beutel aufbewahrt. An dem Gewichte und der Kette, die dem Rade die drehende Bewegung geben, sind oft Amulette sowie Ringe von Malachit, Nephrit, Knochen oder Silber befestigt. Diese Gebetmaschinen findet man in jeder tibetischen Familie, und fast jeder Lama besitzt eine. Sie bewahren sie sehr eifersüchtig, und es ist sehr schwer, solche zu bekommen. Ich war glücklich, während meiner Reise nicht weniger als zwölf kaufen zu können, von denen zwei sehr alt waren. Außer dem Rosenkranz, den die Lamas in derselben Weise wie die Katholiken beständig gebrauchen, haben sie noch ein messingnes Gerät, das Gebetzepter (Dordsche oder Wadschra), das sie zwischen den Handflächen drehen, während sie ihre Gebete sprechen; dieses wird ausschließlich von Lamas gebraucht und gehört zu ihrer Ausrüstung. Es ist 6 oder 7 Zentimeter lang und abgerundet, so daß man es leicht in beiden hohlen Händen halten kann. Es gibt in Tibet wie in andern buddhistischen Ländern außer den Lamasereien auch Nonnenklöster. Auch die meist gar nicht anziehenden, nicht sehr angesehenen Nonnen scheren sich die Köpfe und betreiben Zauberei. In einigen dieser Nonnenklöster wird strenge Klausur aufrechterhalten, aber in den meisten von ihnen ist den Lamas freier Zutritt gestattet, mit dem gewöhnlichen Resultate, daß die Nonnen die Konkubinen der Lamas werden. Hiervon ganz abgesehen sind die Frauen in den Klöstern ebenso unmoralisch wie ihre Brüder in den Lamasereien, und im besten Falle sind auch sie nur ein niedriger Typus der Menschheit. Den Lamas ist zu gewissen Zeiten des Jahres eine ungewöhnlich große Freiheit hinsichtlich der Frauen erlaubt. Die Priester betreiben auch die Kunst, Musikinstrumente und Eßgeräte aus Menschenknochen zu machen. Der Schädel wird zur Herstellung von Bechern, Tsambaschalen und einfachen oder Doppeltrommeln verwendet, und die Schulter-, Ober- und Unterschenkelknochen werden in Trompeten und Pfeifen verwandelt. Die Lamas sollen, wie man erzählt, gern Menschenblut genießen, das sie aus Bechern trinken, die aus Menschenschädeln gemacht sind. Fünfundzwanzigstes Kapitel. Tibetische Heilkunst. Die Lamas waren jetzt sehr mitteilsam. Ich ließ mich mit dem bißchen Hindostanisch, das ich konnte, sowie mit Hilfe der tibetischen Brocken, die ich aufgelesen hatte, in eine Unterhaltung über Krankheiten und ihre Heilmittel ein, da ich die Annahme, daß ich ein Doktor sei, aufrechterhalten mußte und außerdem sicher war, daß die Tibeter über diesen Gegenstand seltsame Begriffe haben würden. In dieser Annahme wurde ich nicht getäuscht. Die folgenden Einzelheiten über die Methoden, welche die Lamas bei der Heilung der im Lande vorkommenden Krankheiten befolgen, werden von Interesse sein. Die Lamas erklärten mir, daß alle Krankheiten aus dem Fieber entständen, und weiter, daß das Fieber selbst nur ein böser Geist sei, der verschiedene Formen annehme, wenn er in den Körper eindringe und alle Arten von Beschwerden verursache. Neben dem Fieberdämon aber gebe es noch andere Dämonen, die so gütig seien, uns Reichtümer und Glück zu bringen. Wenn jemand nach einer gefährlichen Krankheit eine Höhle, einen Wasserfall oder eine von einem Flusse durchströmte Schlucht besuche, wo diese Dämonen sich aufhalten, so könne er einen Rückfall bekommen und sterben oder er könne augenblicklich geheilt werden und für immer glücklich leben. Wie man erwarten könne, kehre im letztern Falle der Empfänger so unschätzbarer Vorzüge gewöhnlich noch einmal zurück, um den gütigen Geistern, die sein Leben lebenswert gemacht hätten, einen zweiten Besuch abzustatten; »aber wenn er zum zweiten Male hingeht, wird er zur Strafe für seine Gier erblinden oder gelähmt werden«. »Die bösen Geister«, fuhr ein fetter, alter Lama mit gekrümmten Fingern fort, die er zusammenkniff und schüttelte, während er sprach, »haben die Gestalt von menschlichen Wesen oder Ziegen, Hunden, Schafen oder Pferden, und manchmal nehmen sie die Form von wilden Tieren, wie Bären und Schneeleoparden, an.« Ich sagte den Lamas, daß ich viele Fälle von Kropf und auch andere Abnormitäten bemerkt hätte, wie z. B. Hasenscharten und Finger und Zehen mit Schwimmhäuten, ebenso das sehr häufige Vorkommen von überzähligen Fingern und Zehen. Ich fragte sie nach dem Grunde solcher Fälle; sie schrieben dieselben dem boshaften Wirken von Dämonen vor der Geburt des Kindes zu; für den Kropf konnten sie jedoch kein Heilmittel angeben. Eine besonders unter den ältern Frauen gewöhnliche Krankheit war der Rheumatismus, an dem sie beträchtlich zu leiden schienen. Die Finger und Zehen, besonders aber die Handgelenke und Knöchel wurden davon ergriffen; die Gelenke schwollen so an, daß sie ganz steif wurden, die Sehnen zogen sich zusammen, schwollen an, wurden hart und traten in den Handflächen hervor. Sowohl vor als nach meiner Unterhaltung mit den Lamas hatte ich oft Gelegenheit, festzustellen, daß der Magen der Tibeter nur selten gut funktioniert. Aber wie könnte er auch, wenn man die Kannen schmutzigen Tees bedenkt, die die Tibeter täglich trinken und deren Genuß sie so lieben. Dieses giftige Gebräu genügt, um die Magensäfte eines Straußes zu zerstören! Während der ganzen Zeit, daß ich in Tibet war und mit mehrern tausend Menschen in Berührung kam, könnte ich die Gebisse, die ganz regelmäßig, gesund und stark aussahen, fast an den Fingern herzählen. In der Regel hatten die Frauen bessere Zähne als die Männer. Die Zähne der Tibeter sind meist so zerbrechlicher Natur, daß der tibetische Zahnarzt -- gewöhnlich ein Lama oder ein Grobschmied -- eine sinnreiche Methode erfunden hat, sie vermittelst einer silbernen Hülse, die den abgebrochenen Zahn umschließt, vor weiterer Zerstörung zu schützen. Einmal sah ich einen Mann, dessen Vorderzähne sämtlich in dieser Weise bedeckt waren, und da der Zahnarzt, der ihn behandelte, die kleinen Behälter augenscheinlich ohne Rücksicht auf Form oder Bequemlichkeit hergestellt und die meisten wegen des Kauens oben mit einer Spitze versehen hatte, sah der arme Mann gräßlich aus. Die Tibeter sind gegen körperlichen Schmerz nicht sehr empfindlich; ich habe dies bei verschiedenen Gelegenheiten wohl beobachten können, wenn ich sah, wie Zähne auf die primitivste und schmerzhafteste Weise ausgezogen wurden, gewöhnlich ohne daß der Leidende nur einen Laut von sich gab. Die Hunyas im südwestlichen Tibet haben über die Wanderung böser Geister Vorstellungen, die sie mit den Schokas teilen. Wenn ein Mann krank wird, behaupten sie, das einzige Heilmittel bestehe darin, den bösen Geist, der in seinen Körper eingedrungen ist, zu vertreiben. Nun kommen böse Geister in einen lebenden Körper immer nur, um ihre Gier nach Blut zu befriedigen; deshalb wird, um den Geist zu erfreuen und fortzulocken, wenn die Krankheit nur leicht ist, ein kleines Tier, etwa ein Hund oder ein Vogel, dicht neben den Kranken gestellt; ist die Krankheit schwer, so bringt man ein Schaf, und dann werden Beschwörungen auf folgende Weise angestellt: Man schwenkt eine Schale mit Wasser einigemal über dem Kopfe des Kranken im Kreise und dann über dem erwählten Tiere, auf dessen Kopf sie ausgegossen wird. Diese Kreise, die unter gewissen mystischen Worten gezogen werden, haben die Macht, den Geist aus seinem Quartier herauszuziehen und ihn zu veranlassen, in das Gehirn des andern Opfers hineinzugehen, über welches das Wasser ausgegossen wird, um den Geist an der Rückkehr zu verhindern. »Natürlich,« sagte mein Berichterstatter, »wenn du dem bösen Geiste ein Geschenk in Gestalt eines lebenden Wesens geben kannst, das ihn befriedigt, wird er ganz glücklich abziehen. Ist die Krankheit leicht, so bedeutet das, daß der Geist nicht sehr böser Laune ist, und dann genügt ein kleines Geschenk, um ihn zu befriedigen; ist die Krankheit aber ernst, so wird nichts Geringeres als ein Schaf oder sogar ein Jak ihn zufriedenstellen. Sobald der Geist seine Wohnung gewechselt hat, wird das Tier schnell fortgezogen und nach einem Kreuzwege gebracht, und wenn keine Wege da sind, wird vorher ein Kreuz auf die Erde gezeichnet, wo man ein Grab für das Tier gräbt, in das es erbarmungslos geworfen und lebendig begraben wird. Der Geist, der nicht imstande ist, so schnell zu entkommen, bleibt darin, um das Blut seines letzten Opfers auszusaugen, und inzwischen hat der Kranke, der der Gesellschaft seines unwillkommenen ätherischen Gastes beraubt ist, Zeit zu schneller Genesung.« Wenn ein kleines Tier, ein Hund oder ein Vogel, genommen wird und wenn der Patient über mehr als ein Leiden klagt, so wird das Tier, nachdem man es an den Kreuzweg gebracht hat, plötzlich ergriffen und grausam in vier Stücke zerrissen, die nach vier Richtungen geschleudert werden; der Gedanke hierbei ist, daß, wenn etwa irgendwo Geister wären, die auf Blut warteten, sie ihren Anteil bekommen und zufrieden abziehen sollen. Nachdem ihre Gier befriedigt ist, nehmen es die bösen Geister nicht sehr genau damit, ob das Blut von Menschen ist oder nicht. Bei den Schokas wurden Zweige mit Dornen und kleine fliegende Gebete auf jeden Weg gelegt, um die unmittelbare Rückkehr der Geister zu verhindern. Diese sollen für die bösen Geister unübersteigliche Schranken sein. Natürlich erhalten die Lamas, wenn ein Kranker gesund wird, Geld für die Beschwörungen, die die Krankheit ausgetrieben haben, und sie unterlassen es nie, der großen Menge mit der Macht zu imponieren, die sie über die vielgefürchteten Dämonen besitzen. In der Chirurgie haben die Tibeter wenig Erfolge. Erstens besitzen sie keine genügende Kenntnis der Anatomie des Menschen; zweitens fehlt es ihren Fingern an Gelenkigkeit und feinem Gefühl, und drittens sind sie nicht imstande, sich Instrumente von hinreichender Schärfe herzustellen, um chirurgische Operationen mit Schnelligkeit und Reinlichkeit ausführen zu können. In Tibet ist jedermann Wundarzt; deshalb wehe dem Unglücklichen, der einen nötig hat. Zwar wird eine Amputation nur selten vorgenommen; sollte sie aber nötig werden und die Operation etwas schwierig sein, dann erliegt ihr der Patient gewöhnlich. Der tibetische Chirurg versteht nicht, Knochen durchzusägen, und so trennt er das Glied nur an der Stelle ab, wo der Bruch stattgefunden hat. Die Operation wird mit jedem Messer oder Dolch gemacht, die zufällig bei der Hand sind, und verursacht deshalb viel Schmerz und häufig verhängnisvolle Folgen. Man gebraucht die Vorsicht, das gebrochene Glied über dem Teil, wo der Bruch sich befindet, abzubinden; aber dies wird in so plumper Weise gemacht, daß sehr oft infolge der schlechten Beschaffenheit des tibetischen Blutes der Brand hinzutritt und, da die Tibeter nicht wissen, was bei solchen Gelegenheiten zu tun ist, das Opfer ihrer Kunst stirbt. In Anbetracht der nomadischen Gewohnheiten der Tibeter und des rauhen Lebens, das sie führen, bleiben sie von sehr schlimmen Unfällen verhältnismäßig viel verschont. Gelegentlich gibt es Arm- oder Beinbrüche, die sie, wenn der Bruch kein komplizierter ist, nach Möglichkeit gröblich wieder einrichten, indem sie die Knochen in ihre richtige Lage zurückbringen und das Glied fest mit Lappen, Zeugstücken und Stricken bandagieren. Wenn Holz zu haben ist, werden Schienen benutzt. Ein Pulver, das aus einem Pilze gemacht wird, der im Himalaja auf Eichen wächst, wird von den nahe der Grenze wohnenden Tibetern eingeführt und benutzt. Eine dicke Schicht desselben wird, naß gerieben, auf das gebrochene Glied gelegt und darüber der Verband angebracht. Bei einer gesunden Person braucht ein einfacher Beinbruch, der gut eingerichtet worden ist, 20--30 Tage zur Heilung, wonach der Patient wieder anfangen kann herumzugehen; ein gebrochener Arm braucht nicht länger als 15--20 Tage in einer Binde getragen zu werden. Wenn diese Heilungen etwas schneller vor sich gehen als bei unsern zivilisiertern Methoden des Einrichtens der Knochen, so ist dieses nur dem gesunden Klima und dem Umstand zu verdanken, daß die Eingeborenen den größten Teil ihrer Zeit im Freien und in der Sonne zubringen, was ohne Zweifel die beste Kur für jedes derartige Leiden ist. Aber natürlich sind die Knochen nur selten richtig zusammengefügt und gewöhnlich bleiben sie mißgestaltet. Verrenkungen werden mit befriedigendern Resultaten dadurch geheilt, daß man die Knochen in ihre richtige Lage streckt. Bei Wunden wird das Bluten durch Auflegen eines nassen Lappens gestillt, der fest über die Wunde gebunden wird. In den meisten Fällen, die ich sah, zeigten die Wunden, die nicht verbunden waren, eine sehr langsame Heilung, da die großen Temperaturveränderungen zwischen Tag und Nacht sie oft wieder aufbrechen machen. Sie machten anfangs gute Fortschritte zur Heilung, aber die Neubildung und das Zusammenwachsen der Haut ging sehr langsam vor sich. Brandwunden werden durch Überstreichen mit Butter behandelt, und ein erweichender Umschlag von Rhabarber wird sowohl angewendet, um Geschwülste von Quetschungen zum Zurückgehen zu bringen als auch um Furunkeln, an denen die Tibeter viel leiden, zur schnellen Eiterung zu führen. Gegen Fieber und Rheumatismus wird Akonit gegeben, und um Schmerzen in den Muskeln der Glieder zu lindern, wird eine rohe Art von Massage angewendet. Diese wird gewöhnlich von den Frauen ausgeführt, die, soweit ich es beurteilen konnte, die Massage ohne jede praktische Vorkenntnis vornehmen und sich mit heftigem Reiben, Kneifen und Stoßen begnügen, bis Zeichen von Erleichterung auf dem Gesicht des Leidenden erscheinen. Ob diese Zeichen jedoch der wirklichen Linderung von Schmerzen zuzuschreiben sind oder der Hoffnung, daß die Masseuse ihre Behandlung beendigen würde, konnte ich nicht feststellen. Tibetische Finger sind für eine solche Arbeit nicht sehr geeignet, da sie plump und, mit denen anderer asiatischer Volksstämme verglichen, steif und hart sind. Das Schröpfen wird mit Erfolg angewendet. Man macht drei oder vier kleine Einschnitte dicht beieinander und setzt dann einen kegelförmigen Schröpfkopf über sie, der ungefähr 20 Zentimeter lang ist und an seiner Spitze ein kleines Loch hat. Der Operateur saugt durch diese kleine Öffnung, bis der Schröpfkopf voll Blut ist, worauf man ihn abnimmt und die Operation von neuem begonnen wird. Bei vergifteten Wunden geschieht das Aussaugen, indem man die Lippen auf die Wunde selbst bringt. Blutentziehung wird als Mittel gegen Quetschungen und Geschwülste und gegen innere Schmerzen angewendet, auch gegen akute Anfälle von Rheumatismus und Gliederschmerzen. Wenn sie nicht genügt, nimmt man seine Zuflucht zur Brennkur, und wenn auch diese versagen sollte, dann kommen die Zündkegel an die Reihe und werden angezündet, nachdem der Sitz des Schmerzes mit ihnen umgrenzt worden ist. Wenn selbst dieses Mittel sich als unwirksam erweist, wird die Krankheit für unheilbar erklärt. Natürliche Abnormitäten und Mißbildungen sind in Tibet häufig genug. So kamen in jedem Lager, das ich betrat, einige zu meiner Kenntnis. Mißbildungen des Rückgrats waren gewöhnlich, und während meines Aufenthalts in Tibet sah ich viele bucklige Leute. Es gibt auch häufige Fälle von Krümmung der Beine, und Klumpfüße sind nicht selten. Von Mißbildungen des Schädels waren die ungleiche Form der beiden Seiten oder der abnorme Abstand der Augenhöhlen die gewöhnlichsten Fälle, die mir vor Augen kamen. Durch das beständige Tragen schwerer Ohrringe, die sogar nicht selten das Ohrläppchen zerreißen, sind die Ohren von Männern der höhern Klassen künstlich bedeutend verlängert. Die häufigste und seltsamste Erscheinung war die außerordentliche Anschwellung des Leibes bei Kindern. Die Kinder haben so ungeheuere Bäuche, daß sie manchmal kaum fähig sind zu stehen; in dem Maße, als sie älter werden, scheint die Anschwellung allmählich nachzulassen, und der Körper nimmt seine normale Gestalt an. Taubheit kommt häufig vor, aber stumme Leute habe ich nie angetroffen, obgleich ich hin und wieder auf Fälle von Stottern und auf andere Mängel der Artikulation stieß. Öfters wurden die Sprachstörungen jedoch durch Geisteskrankheit veranlaßt, die in Tibet besonders unter den jungen Männern sehr häufig ist. Apoplektische und epileptische Zufälle und Krämpfe kommen nicht sehr häufig vor, sind aber, wenn sie auftreten, sehr ernst. Gewöhnlich wird die Feuerkur angewendet, um die Geister zu vertreiben, die in den Körper eingedrungen sind. Aber trotzdem haben diese Zufälle manchmal eine vorübergehende oder dauernde Lähmung zur Folge, mit großer Entstellung des Gesichtsausdrucks, besonders um die Augen und den Mund. Ich hatte Gelegenheit, drei Fälle dieser Art in Tucker, in Tarbar nördlich vom Brahmaputrafluß und in Toktschim zu beobachten. Fälle heftiger Geisteskrankheit traf ich nie, obgleich ich unter den Männern oft seltsame Eigentümlichkeiten und Zeichen des Wahnsinns, besonders des religiösen, beobachtete. Das seltsamste Heilmittel sah ich im Orte Kutzia anwenden. Ich hatte ein tibetisches Lager von einigen zwanzig oder dreißig Zelten betreten, als meine Aufmerksamkeit durch eine erregte Menge gefesselt wurde, die sich um einen alten Mann, dem man die Kleider ausgezogen, versammelt hatte. Er war mit Stricken festgebunden, und auf seinem Gesicht spiegelte sich Todesangst wider. Neben dem Leidenden kniete ein großer langhaariger Mann mit rotem Rock und schweren Stiefeln und betete inbrünstig, indem er sein Gebetrad, das er in der rechten Hand hielt, herumdrehte. Da meine Neugier erregt war, näherte ich mich der Versammlung, worauf drei oder vier Tibeter sich erhoben und mir Zeichen machten, wegzugehen. Ich tat, als ob ich sie nicht verstände, und nach einer hitzigen Erörterung wurde mir gestattet zu bleiben. Augenscheinlich wurde von einem tibetischen Medizinmann eine Operation vorgenommen, und die Spannung der um den Kranken versammelten Menge war groß. Der Doktor war emsig beschäftigt, Zünder herzustellen, die er sorgfältig in Seidenpapier einwickelte. In der Mitte durchgeschnitten, bildeten sie zwei Kegel, jeder mit einem zusammengedrehten Papierschopfe an der Spitze. Als er sechs oder acht fertig hatte, ließ er seinen Patienten oder vielmehr sein Opfer eine sitzende Stellung annehmen. Ich fragte, was dem Kranken fehle. Nach dem, was sie mir sagten, und nach einer auf eigene Hand angestellten Untersuchung war ich überzeugt, daß der Mann an Hexenschuß litt. Die Kur interessierte mich jedoch mehr als die Krankheit selbst, und als der Doktor sah, wie sehr mich seine Verrichtungen fesselten, forderte er mich auf, mich neben ihn zu setzen. Zuerst rief der Mann nach Feuer; eine Frau reichte ihm von einem nahen Feuer einen lodernden Brand. Er schwang ihn in der Luft hin und her und sprach dabei Beschwörungsformeln. Danach wurde der Patient einer gründlichen Untersuchung unterworfen, bei der er jedesmal, wenn die langen knochigen Finger des Arztes seine Seiten berührten, ein durchdringendes Geheul ausstieß, worauf der Mann der Wissenschaft seine mit offenem Munde dasitzenden Zuschauer belehrte, daß der Schmerz dort säße. Jetzt setzte der Doktor eine ungeheuer große Brille auf, und nachdem er zuerst die Nabelgegend des Kranken mit der flachen Hand gerieben hatte, maß er mit dem gebogenen Daumen zwei Zoll auf jeder Seite und unterhalb des Nabels ab. Zur Bezeichnung dieser Abstände benutzte er das brennende Holzstück, das er an diesen Stellen auf das Fleisch drückte. »~Murr, murr!~ Butter, Butter!« war das, was er zunächst verlangte, und so wurde Butter gebracht. Er rieb ein bißchen davon auf jeden Brandfleck. Dann wurde auf jeden derselben ein Kegel gesetzt und so lange gedrückt, bis er mit der Spitze nach oben festsaß. Indem der Medizinmann zuerst die Kugeln eines Rosenkranzes schob, dann die Gebetmaschine drehte und Gebete murmelte, arbeitete er sich in einen Zustand vollkommener Raserei hinein. Er starrte die Sonne am Himmel an, erhob seine Stimme von schwachem Geflüster zu einem donnernden Bariton, und seine ganze Zuhörerschaft schien von dieser Vorstellung so ergriffen, daß sie alle bebten und zitterten und in ihrem Schrecken beteten. Jetzt faßte er das brennende Holz wieder nervös mit einer Hand und brachte, indem er mit der ganzen Kraft seiner Lungen darauf blies, eine Flamme hervor. Die Aufregung der Menge wuchs aufs höchste; den Kopf zur Erde geneigt, betete jeder inbrünstig. Der Doktor schwenkte das brennende Holz drei- oder viermal in der Luft und führte die Flamme dann an die Papierzipfel der Kegel. Allem Anschein nach hatte man zur Herstellung derselben Salpeter und Schwefel gemischt; sie brannten schnell und machten dabei ein Geräusch wie eine brennende Zündschnur. Die Aufregung der Zuschauer war aber in diesem Moment nicht mit der Aufregung des Patienten zu vergleichen, der die Wirkung dieses primitiven Heilmittels zu fühlen begann. Das Feuer sprühte ihm auf die nackte Haut. Das Mittel wirkte! Schaum kam dem unglücklichen Manne aus dem Munde, seine Augen traten aus ihren Höhlen. Er klagte und stöhnte jämmerlich und machte verzweifelte Anstrengungen, die Bande zu lösen, die seine Hände auf dem Rücken festhielten. Zwei kräftige Männer sprangen vor und hielten ihn, während der Medizinmann und alle anwesenden Frauen, über die ausgestreckte Gestalt gebeugt, mit aller Macht auf die Reste der drei rauchenden Kegel bliesen, die sich tiefer in das Fleisch des unglücklichen Opfers einbrannten. Der Schmerz, über den der Mann geklagt hatte, schien rund um die Hüften zu gehen; deshalb begann der sonderbare Arzt, nachdem er die Arme seines Patienten vom Rücken los- und vorn wieder festgebunden hatte, seine Messungen von neuem, diesmal vom Rückgrat ausgehend. »~Tschik, ni, sum!~ Eins, zwei, drei!« rief er aus, während er die drei Stellen wie vorher bezeichnete, sie mit Butter beschmierte und die Kegel auf ihnen befestigte. Nun folgte eine Wiederholung der vorherigen Aufregung, Gebete, Todesqual und Verrenkungen. Aber der Patient war noch nicht gänzlich geheilt, und folglich wurden trotz meines Protestierens und Bittens noch weitere Kegel auf seinen beiden Seiten angezündet. Der arme Bursche hatte jetzt einen Kreis schwerer Brandwunden rings um den Körper. Es ist wohl kaum nötig zu sagen, daß, als die Operation nach zwei Stunden vorüber war, aus dem Kranken ein Sterbender geworden war. In der Absicht, von diesem hervorragenden Arzte (er stand bei den Tibetern in großem Ansehen) einige Winke über Heilkunde zu erhalten, sandte ich ihm ein kleines Geschenk und lud ihn ein, mich zu besuchen. Er war sehr geschmeichelt und trug kein Verlangen, seine Methode geheimzuhalten, ja, er forderte mich sogar dringend auf, einige seiner unvergleichlichen Heilmittel zu versuchen. Nach seiner Meinung sollte das Feuer die meisten Krankheiten heilen; was Feuer nicht heilen könne, würde Wasser heilen. Trotzdem hatte er einige kleine Pakete mit verschieden gefärbten Pulvern, denen er außerordentliche Kräfte zuschrieb. »Ich fürchte, dein Patient wird sterben«, bemerkte ich. »Das mag sein,« war die Antwort, »aber daran wird der Patient schuld sein, nicht die Kur. Außerdem, was kommt es darauf an, ob man heute oder morgen stirbt?« Und mit diesem berufswidrigen Diktum verließ er mich. Sechsundzwanzigstes Kapitel. Räuber. Als ich die Gomba verließ, nachdem meine neuen Freunde, die Lamas, ihre Salaams bis zur Erde gemacht hatten, ging ich in dem Dorfe herum, um alles zu besichtigen, was dort zu sehen war. Am Rande des Wassers stand eine Anzahl verfallener, aus Lehm und Steinen gebauter Tschokden. Sie standen an dem Ostende des Dorfes in einer Reihe und sollten wie üblich Knochen, Zeug oder Metall und Bücher oder Teile derselben enthalten, die einst einem großen Manne oder einem Heiligen gehört haben. Gelegentlich finden sich auch roh gezeichnete Bilder in ihnen. In seltenen Fällen werden die Aschenüberreste eines Toten in einer kleinen irdenen Urne gesammelt und in einem der Tschokden niedergelegt. Die Asche wird gewöhnlich mit Ton zu einer Paste verarbeitet, auf die, wenn sie als ein Medaillon plattgedrückt worden ist, ein Bild Buddhas entweder mit einer Form eingepreßt oder vermittelst eines spitzen Werkzeugs eingraviert wird. Das Innere der Häuser in Tucker ist noch weniger einnehmend als das Äußere. Jede Wohnstätte hat einen von Mauern umschlossenen Hof, und der obere Rand der Mauer wie auch die Kante des flachen Daches sind mit Massen von Tamarisken belegt, die zur Feuerung dienen. In dem Hofe werden Schafe und Ziegen während der Nacht eingepfercht; die menschlichen Wesen, die die Zimmer bewohnen, sind über alle Beschreibung schmutzig. Sowohl über dem Kloster als auch über jedem Hause hingen Hunderte von fliegenden Gebeten, und da die Leute oben auf ihren Dächern standen, uns beobachteten und lustig lachten und schwatzten, hatte der Ort ein ganz heiteres Aussehen. Als ich herumspazierte, erschienen ungefähr fünfzig oder sechzig mit Luntenflinten und Schwertern bewaffnete Männer auf der Bildfläche. Ich sah sie mit Mißtrauen an; Katschi aber beruhigte mich und sagte, sie wären keine Soldaten, sondern eine mächtige Räuberbande, die ungefähr ein Kilometer von hier lagere und zu den Lamas in sehr freundschaftlicher Beziehung stehe. Zur Vorsicht lud ich meine Büchse, was vollständig genügte, eine allgemeine Flucht des bewaffneten Haufens zu veranlassen, dem in panischem Schrecken alle Dorfbewohner folgten, die sich um uns versammelt hatten. Wie alle Tibeter waren sie, wenn auch kräftig gebaut, ein elendes Pack und mit einer guten Portion Prahlerei ausgestattet. Früh am Morgen hatte ich mich wegen Proviants erkundigt und über den Ankauf von zwei fetten Schafen und von ungefähr 200 Kilogramm Lebensmitteln (Mehl, Reis, Zucker, Salz und Butter) unterhandelt; mehrere Tibeter sagten, sie könnten mich mit jeder beliebigen Quantität, die ich brauchte, versorgen. Unter anderm war ein Händler aus Buddhi da, der versprach, mir innerhalb einer Stunde Nahrungsmittel zu bringen, die für uns zehn Mann 25 Tage lang reichen würden. Als die Leute fortgingen, bemerkte ich, daß zwei meiner Schokas ihnen nachliefen und eine aufgeregte Besprechung mit ihnen abhielten. In der Tat kamen nach ungefähr drei Stunden die Händler zurück und schwuren, daß in dem Orte absolut keine Lebensmittel zu bekommen seien. Es war wirklich wunderbar zu beobachten, wie diese Leute lügen konnten. Ich schöpfte Verdacht und schalt meine Schokas aus, indem ich ihnen eine ernste Züchtigung androhte, falls sich mein Argwohn als berechtigt herausstellen sollte. Teils weil sie sich entdeckt sahen, teils aus Furcht vor den Tibetern waren die Schokas jetzt wieder ganz unvernünftig und demoralisiert, so daß ich beschloß, sie zu entlassen. Es hatte keinen Zweck, sie mit Gewalt zu halten. Von dem Augenblick an, als ich das verbotene Land betreten, hatte ich mich gezwungen gesehen, mich vor ihnen ebensosehr wie vor den Tibetern in acht zu nehmen. Als ich mich entschloß, sie fortgehen zu lassen, dachte ich jedoch nichtsdestoweniger daran, daß diese Burschen, so feig sie auch waren, schließlich doch um meinetwillen Ungemach und Entbehrungen ausgestanden hatten, die nur wenige Menschen ertragen können, und ich zahlte sie daher nicht nur aus, sondern gab ihnen noch eine gute Belohnung unter der Bedingung, daß sie es übernähmen, einen Teil meines Gepäcks, der Photographien, ethnologische Sammlungen usw. enthielt, sicher über die Grenze zurückzubringen. Mit unendlicher Mühe brachte ich es dahin, Vorräte anzukaufen, die für vier Mann auf zehn Tage genügen würden. Die ganze Gesellschaft begleitete mich noch sechs Kilometer weit, wo wir angesichts der baufälligen Gomba von Pangbu, die zwei Kilometer westlich von uns lag, haltmachten, um, von den Tibetern ungesehen, die nötigen Vorbereitungen für unsere Trennung zu treffen. Als alles fertig war, verließen mich die fünf Schokas, unter ihnen Katschi und Dola; sie schwuren mir bei der Sonne und allem, was ihnen am heiligsten war, daß sie mich in keiner Weise den Tibetern verraten würden, die bis jetzt noch keinen Verdacht hatten, wer ich war. Bijesing und Nattu willigten ein, mich bis zu dem Maiumpasse zu begleiten, so daß meine Expedition, mich eingeschlossen, auf nur fünf Mann reduziert war. Alles schien zu guten Hoffnungen zu berechtigen, als ich mit meiner verkleinerten Gesellschaft den Weg nach Nordosten antrat und zuerst 6 Kilometer in nordöstlicher Richtung am See entlang ging, dann 22 Kilometer über die kahlen Hügelketten in östlicher Richtung anstieg. Der Marsch war ereignislos, und meine vier Leute schienen in der besten Laune zu sein. Wir stiegen zu einer Ebene hinab, wo Gras und Wasser zu finden war, und als wir einen Lagerplatz mit einer Schutzmauer gefunden hatten, wie sie die Tibeter gewöhnlich an ihren Rastplätzen aufführen, machten wir es uns für die Nacht bequem, trotz des starken Windes und eines vorübergehenden Hagel- und Regenwetters, das uns bis auf die Haut durchnäßte. Das Thermometer fiel während der Nacht auf ein Grad über Null. [Illustration: Der Gunkyosee.] Bei Sonnenaufgang war ich auf den Beinen, um womöglich von dem Gipfel eines hohen Hügels, von dem ich einen großen Teil des umgebenden Landes überschauen konnte, eine Rekognoszierung vorzunehmen. Es war für mich von größter Wichtigkeit, zu sehen, welches der bequemste Weg sein würde, über die verwickelten Hügel- und Bergketten vorzudringen und zugleich die genaue Richtung eines großen Flusses nördlich von uns festzustellen, der sich in den Mansarowar ergießt, dessen Name mir aber niemand sagen konnte. Ich ging allein in nordnordwestlicher Richtung vorwärts und kam auf den Gipfel eines Berges von 4900 Meter Höhe, wo ich imstande war, alles, was ich zu wissen wünschte, festzustellen und zu notieren. Als ich nach dem Lager zurückgekehrt war, gingen wir nach Ostnordost weiter, einen Paß von 5000 Meter Höhe überschreitend. Vor uns stand ein hoher Hügel, dessen Spitze einer Festung glich; über ihm flatterten fliegende Gebete im Winde hin und her. Am Fuße des Hügels weideten einige zwanzig Pferde. [Illustration: Im Innern eines tibetischen Zeltes.] Mit Hilfe meines Fernglases konnte ich mich vergewissern, daß das, was mir zuerst wie ein Schloß erschienen, nichts als ein Werk der Natur war und daß dem Anschein nach sich niemand dort verborgen hielt. Indessen zeigten die Pferde die Nähe von Menschen an, und wir mußten uns vorsichtig bewegen. In der Tat entdeckten wir, als wir um den nächsten Hügel bogen, unten in dem grasigen Tale eine Anzahl von schwarzen Zelten, 200 Jake und etwa 1000 Schafe. Wir hielten uns hinter dem Hügel gut außer Sicht und stiegen, einen weiten Umweg machend, endlich in ein ausgedehntes Tal hinab, in welchem der Fluß einen Halbkreis beschrieb und die südlichen Hügelzüge bespülte, wo sich ein von Südosten kommender Nebenfluß mit ihm vereinigte. Dieser Nebenfluß erschien mir zuerst größer als der, den ich nachher für den Hauptstrom erkannte, und so folgte ich seinem östlichen Laufe auf einer Strecke von 7 Kilometer, bis ich sah, daß er mich in eine südlichere Richtung führte, als ich gehen wollte; ich kehrte deshalb an einem ziemlich flachen Plateau entlang wieder zurück. Wir begegneten zwei tibetischen Frauen, von denen ich nach endlosen Unterhandlungen ein fettes Schaf aus einer Herde kaufte, die sie vor sich her trieben. Diese beiden Weiber trugen Schleudern aus Stricken in den Händen. Für einige Annas gaben sie ihre Geschicklichkeit zum besten, und es war wirklich erstaunlich, wie sie sogar auf eine Entfernung von 30 und 40 Meter in ihrer Herde jedes Schaf, das man ihnen bezeichnete, trafen. Ich versuchte von diesen gefährlichen Weibern über das Land einige Auskunft zu erhalten, aber sie gaben vor, darüber gar nichts zu wissen. »Wir sind nur Mägde,« sagten sie, »und wir wissen nichts. Wir kennen jedes Schaf in unserer Herde, das ist alles; aber unser Herr, dessen Sklaven wir sind, weiß alles. Er weiß, von wo die Flüsse kommen, und kennt die Wege nach allen Gombas. Er ist ein großer König.« »Und wo wohnt er?« fragte ich. »Dort, zwei Meilen von hier, wo jener Rauch zum Himmel steigt.« Es war eine große Versuchung für mich, diesen »großen König« zu besuchen, der so viele Dinge wußte, um so mehr, als wir ihn vielleicht überreden konnten, uns etwas Proviant zu verkaufen, was eine große Hilfe für uns gewesen wäre, da wir keineswegs zu viel davon hatten. Wie dem auch sein mochte, würde der Besuch, wenn auch von der Vorsicht nicht geraten, jedenfalls interessant sein. Wir steuerten auf die verschiedenen Rauchsäulen zu, die in weiter Entfernung vor uns emporstiegen, und näherten uns endlich einem ausgedehnten Lager von schwarzen Zelten. Unser Erscheinen verursachte große Bewegung, und Männer und Frauen stürzten in Aufregung in ihre Zelte hinein und wieder heraus. »~Jogpas, jogpas!~ Räuber, Räuber!« schrie jemand im Lager, und in einem Augenblick waren ihre Luntenflinten in Bereitschaft gesetzt und die wenigen Männer, die außerhalb der Zelte geblieben waren, hatten ihre Schwerter gezogen, die sie unbeholfen in den Händen hielten. Für Räuber gehalten zu werden, war in der Tat eine neue Erfahrung für uns, und die kriegerische Ausrüstung stand in seltsamem Kontrast zu dem erschreckten Ausdruck auf den Gesichtern der Leute vor uns. Wirklich gingen sie, als Tschanden Sing und ich vortraten und ihnen Zeichen machten, ihre Schwerter wieder in die Scheide zu stecken und die Luntenflinten wegzulegen, bereitwilligst auf unsere Aufforderung ein und brachten schnell Decken heraus, auf die wir uns setzen sollten. Nachdem sie ihren ersten Schrecken überwunden hatten, waren sie sehr bemüht, höflich zu sein. »~Kiula gunge gozai deva labodu.~ Du hast hübsche Kleider«, begann ich die Unterhaltung, indem ich es mit Schmeichelei versuchte, um dem Häuptling die Schüchternheit zu benehmen. »~Lasso, leh.~ Ja, Herr«, antwortete der Tibeter, augenscheinlich erstaunt, indem er mit einer Miene komischen Stolzes seinen Anzug betrachtete. Die Antwort genügte, mir zu zeigen, daß der Mann mich als einen Höherstehenden betrachtete; denn im Tibetischen ist die Bejahung einem Gleichgestellten oder Tieferstehenden gegenüber das bloße Wort ~lasso~, ohne das Affix ~leh~. »~Kiula tuku taka zando?~ Wieviel Kinder hast du?« fing ich wieder an. »~Ni.~ Zwei.« »~Tschuwen bogpe tsamba tschon wowi?~ Willst du mir Mehl oder Tsamba verkaufen?« »~Middu.~ Wir besitzen gar keins«, erwiderte er, indem er mit der nach oben gekehrten flachen rechten Hand mehrere schnelle halbkreisförmige Bewegungen machte. Dies ist bei den Tibetern eine äußerst charakteristische Bewegung, und sobald sie nein sagen, begleitet diese Bewegung das Wort fast unfehlbar anstatt der bei uns üblichen Kopfbewegung. »~Keran ga naddung?~ Wo gehst du hin?« fragte er mich eifrig. »~Ngarang ne koroun. Lungba quorghen neh jelgun.~ Ich bin ein Pilger. Ich gehe, heilige Stätten anzusehen.« »~Gopria zaldo. Tschakzal wortzie. Tsamba middu. Bogpe middu, guram middu, diemiddu, kassur middu.~ Ich bin sehr arm. Bitte, höre mich. Ich habe keine Tsamba, kein Mehl, keinen süßen Honig, keinen Reis, keine getrockneten Früchte.« Natürlich wußte ich, daß dies erlogen war; ich sagte daher ruhig, ich würde sitzenbleiben, wo ich sei, bis man mir Nahrungsmittel verkauft hätte. Indem ich dies sagte, brachte ich eine oder zwei Silbermünzen zum Vorschein, deren Anblick für den habgierigen Geist der Tibeter immer das Mittel war, eine geschäftliche Verhandlung zu beschleunigen. Meine Geduld wurde etwas auf die Probe gestellt, aber ich brachte es fertig, zwanzig Pfund Nahrungsmittel zu kaufen, immer eine kleine Handvoll nach der andern, nach deren jeder die Tibeter schwuren, daß sie nicht das geringste mehr zu verkaufen hätten. In dem Augenblick, als das Geld übergeben wurde, fingen sie untereinander einen Streit darüber an, und bei dieser Gelegenheit war es empörend zu sehen, wie habgierig die Tibeter jeder Klasse sind. Kein Tibeter irgendwelchen Ranges schämt sich, in der demütigsten Weise um die kleinste Silbermünze zu betteln, und wenn er etwas verkauft und die Bezahlung erhält, fleht er immer um eine, wenn auch noch so kleine Münze als Zugabe. Um dies zu erreichen, wird sogar ein Tibeter von gutem Stande sich so weit erniedrigen, jede entwürdigende Handlung zu begehen; er verliert dadurch nicht die Achtung seiner Stammesangehörigen, die ihrerseits immer bereit sind, dasselbe zu tun. Die Tibeter, die mich umgaben, waren außerordentlich malerisch mit ihrem über die Schultern herabhängenden Haar und den langen, mit Stücken roten Tuches, Elfenbeinringen und Silbermünzen geschmückten Zöpfen. Fast alle trugen den üblichen Rock mit weiten, ganz über die Hände hängenden Ärmeln und an der Taille hochgezogen, um den ganzen Kram von Speiseschalen, Schnupftabaksdose usw. aufzunehmen, den sie im täglichen Leben brauchen. Die meisten von ihnen waren in Dunkelrot gekleidet und alle mit juwelenbesetzten Schwertern bewaffnet. Mit ihren platten, breiten Nasen und den geschlitzten, durchbohrenden Augen, vortretenden Backenknochen und einer Haut, die reichliche ölige Absonderungen hatte, standen diese Burschen wieder in respektvoller Entfernung, unsere Gesichter prüfend und unsere Bewegungen augenscheinlich mit großer Besorgnis beobachtend. Ich habe kaum jemals eine größere und einem Europäer fast unbegreiflich scheinende Feigheit und Furchtsamkeit gesehen als bei diesen kräftigen Burschen. Das bloße Aufschlagen der Augen genügte, um einen Mann erschreckt fortstürzen zu machen, und mit Ausnahme des Häuptlings, der Mut heuchelte, obgleich er vor Furcht zitterte, zeigten sie alle miteinander eine lächerliche Nervosität, sobald ich mich ihnen näherte, um ihre Kleider oder die Schmucksachen zu prüfen, die sie um den Hals trugen und unter denen die Amulettkapseln, die ihnen allen auf der Brust hingen, am hervorragendsten waren. Die größern dieser Amulette enthielten ein Bild Buddhas, die andern waren bloße Messing- oder Silberkapseln ohne jeden Inhalt. Hier wie auch in andern Lagern fiel mir auf, wie geschickt die Tibeter in der Bearbeitung des Leders sind, das sie selbst gerben und zubereiten und dem sie oft eine schöne rote oder grüne Farbe geben. In der Regel lassen sie ihm jedoch die natürliche Färbung, besonders wenn es zu Gürteln, Kugel- und Pulvertaschen und zu Feuerstein- und Gewehrschloßbehältern gebraucht wird. Das Haar der Felle wird durch Ausreißen und Abschaben entfernt; besondere Vorliebe zeigt man für die Felle von Jaken, Antilopen und Kiang, aus denen jene Zierstücke gemacht werden. In der Kunst, die Felle zu behandeln, sind die Tibeter Meister; die Häute werden stark geschlagen, mit den Füßen getreten und mit den Händen bearbeitet, um sie weich zu machen. An einigen dieser Lederarbeiten waren einfache Verzierungen angebracht; in den meisten Fällen aber waren entweder metallene oder verschiedenfarbige Lederzieraten auf den Gürteln und Taschen befestigt; mit Silber eingelegtes Eisen war am meisten zur Verzierung benutzt worden, nach diesem vorzugsweise Silber. [Illustration: Junger Tibeter.] Diese Metalle finden sich im Lande vor, und die Tibeter verstehen es, das Erz zu schmelzen und zu gießen, wenn sie für diesen Zweck hinreichendes Brennmaterial erlangen können. Zum Schmelzen der Metalle werden irdene Tiegel verwendet. Die flüssige Masse wird in Tonformen gegossen; dann kommen Hammer und Meißel an die Reihe, um die eingelegte Arbeit herzustellen, in der die Tibeter so Bedeutendes leisten. Auf den Scheiden der tibetischen Schwerter sieht man häufig eingelegte Arbeit, in der das Blattmuster und verschiedenartige Schnörkel und geometrische Figuren die am meisten verwendeten Ornamente sind. Das Härten der Metalle ist in dem heiligen Lande der Lamas noch in seiner Kindheit. So sind die Klingen ihrer Schwerter, Messer und Dolche aus Schmiedeeisen, nicht aus Stahl. Es gelingt ihnen, dieselben zu einem erstaunlichen Grade von Schärfe zu bringen, aber die Elastizität unserer Stahlklingen fehlt ihnen natürlich gänzlich. In die Seiten der Dolche werden gewöhnlich Rinnen eingeschnitten, um in die Wunden Luft einzulassen und sie dadurch unheilbar zu machen; die Klingen der gewöhnlichen Schwerter jedoch sind vollständig glatt und haben nur eine Schneide. Diese Schwerter sind kaum dazu geeignet, den Anforderungen eines ernsten Kampfes zu genügen, da sie weder ein festes Anfassen erlauben noch irgendeinen Schutz für die Hand haben. An einigen der wertvollsten Schwerter sind die Scheiden und Griffe aus massivem Silber gemacht und mit Türkisen und Korallen eingelegt; andere sind von Silber mit goldenen Verzierungen. In Lhasa werden auf den besten Dolchen Verzierungen von Silberfiligran angebracht, eine ähnliche Kunst ist auch in Schigatse bekannt; sonst aber wird an keinem andern Orte Tibets diese schöne Metallarbeit geübt. Aus diesen Bemerkungen darf nicht geschlossen werden, daß es in Tibet überhaupt keine Stahlschwerter gibt, denn man kann überall im Lande schöne Klingen aus vorzüglichem Stahl chinesischer Arbeit sehen, die im Besitze der reichern Beamten sind. Dazu kommen die ungeheuern zweihändigen Schwerter, wie sie die tibetischen Scharfrichter gebrauchen, die ebenfalls aus China eingeführt werden; diese sind zweischneidig. Die Sättel sind, obgleich sie der Bequemlichkeit ermangeln, dennoch Kunstwerke. Das Gestell ist aus festem importiertem Holz gemacht und in geschmiedetes Eisen gefaßt, das wie bei einem mexikanischen Sattel einen sehr hohen vordern und hintern Teil bildet. Zur Verzierung gewisser Teile des Sattels wird Eidechsenhaut oder farbiges Leder verwendet, und ein Sattelkissen bedeckt die Stelle, auf der der Reiter sitzt. Um die Bequemlichkeit zu erhöhen, wird jedoch immer noch eine Decke über das Kissen gelegt. Die kurzen eisernen Steigbügel zwingen den Reiter, mit gekrümmten Beinen zu sitzen, was, wenn man sich daran gewöhnt hat, eine nicht unbequeme Stellung ist. Ein ledernes Bruststück, ein Schwanzriemen, Zügel und Gebiß, alles in derselben Weise wie der Sattel verziert, vervollständigen die Aufzäumung des tibetischen Pferdes. Hierzu müssen die hinter dem Sattel befestigten doppelten Säcke, die zur Aufnahme von Tsamba, Butter usw. dienen, gerechnet werden, ebenso der unvermeidliche Pflock nebst langem Strick, mit dem jeder tibetische Reiter versehen sein muß, um das Tier nachts anzubinden. Die Packsättel für Jake werden nach demselben Prinzip gebaut, sind aber von viel roherer Konstruktion. Das Gepäck wird mit Hilfe von Stricken an den beiden obern Stangen befestigt. Um den Sattel auf dem Jak festzuhalten und Wundscheuern zu vermeiden, legt man dem Tiere, ehe es gesattelt wird, Kissen und Decken auf den Rücken. Rechnet man hierzu das langhaarige Fell des Tieres, so wird man begreifen, daß es durch diese anscheinend grausamen Lasten sehr selten auch nur die kleinste Verletzung erleidet. Siebenundzwanzigstes Kapitel. Die letzten Getreuen. Die Nacht kam heran, und ich hielt es nicht für sicher, das Lager in der Nähe der Tibeter aufzuschlagen. Unsere Jake vor uns hertreibend und die neulich gekauften Schafe fortziehend, begaben wir uns weiter. Vier Kilometer marschierten wir, dann machten wir halt in einer Bodensenkung, wo wir gegen den sehr stark wehenden Wind geschützt waren. Zu unserer Rechten hatten wir eine kurze Kette von ziemlich hohen Bergen, die sich von Norden nach Süden hinzog und von einer tiefen Schlucht durchschnitten war, aus der ein breiter Strom floß. Diesen in der späten Abendstunde zu überschreiten konnten wir nicht hoffen, aber am Morgen, wenn die Kälte der Nacht das Schmelzen der Schneemassen unterbrochen haben würde, konnte wohl ein Versuch gemacht werden. Während des Tages waren häufig schwere Regenschauer niedergegangen, und in dem Augenblick, als die Sonne unterging, hatten wir einen richtigen Platzregen. Unser kleines Zelt war aufgeschlagen, aber wir mußten es nach ein paar Stunden räumen, da das Becken, in dem wir es aufgestellt, sich in einen Teich verwandelt hatte und das Wasser mit jedem Augenblick höher stieg. Es gab keine Wahl; wir mußten ins Freie hinaus; denn wo das Wasser uns nicht überschwemmte, war der Wind so heftig und der Boden so feucht, daß es nicht möglich war, das Zelt aufrecht zu erhalten, da die Pflöcke nicht halten wollten. Die Stunden der Nacht schienen sehr lang, als wir, fest in unsere Wettermäntel gehüllt, mit erfrorenen Füßen, Händen und Ohren dasaßen, während das Wasser am Halse hinunterlief. Als endlich die Dunkelheit der Dämmerung wich, war von einem Nachlassen des Windes noch nichts zu bemerken. Wir waren am Abend nicht imstande gewesen, ein Feuer anzuzünden, und auch jetzt konnten wir es nicht tun; so waren wir durchfroren, hungrig und elend. Das Thermometer war auf ein Grad Kälte heruntergegangen. Ich hatte ein eigentümliches Gefühl, als ob irgendein anderes Unglück schnell herannahe, und trotzdem ich mich ernstlich bemühte, diese Vorstellung aus meinen Gedanken zu verbannen, erhielt sie sich doch. Gegen Mittag beluden wir, während der Regen noch in Strömen niedergoß, unsere Jake und gingen in die Schlucht zwischen den schneebedeckten Bergen hinein. Mit Mühe überschritten wir den Nebenfluß, dem wir so weit gefolgt waren, und dann zogen wir am rechten Ufer des Hauptstromes in nordöstlicher Richtung entlang. Wir waren so erschöpft und naß, daß wir haltmachten, als wir an eine riesige Felswand kamen, auf deren Stirnseite ein geduldiger Lamabildhauer in gigantischen Buchstaben die Zeichen »~Om mani padme hum~« eingegraben hatte. Die Schlucht war hier sehr eng. Wir machten es möglich, eine trockene Stelle unter einem großen Felsblock zu finden, und da hier für alle fünf nicht Platz genug war, suchten die beiden Schokas Schutz unter einem andern, etwas weiter abgelegenen Felsen. Dies war natürlich genug, und ebenso konnte es nicht unklug erscheinen, daß ich die Waffen und die wissenschaftlichen Instrumente unter meiner Obhut behielt, während sie die Säcke, die fast allen unsern Proviant mit Ausnahme des konservierten Fleisches enthielten, unter ihren schützenden Felsblock trugen. Der Regen prasselte während der ganzen Nacht herunter, der Wind heulte, und wieder konnten wir kein Feuer anzünden. Das Thermometer fiel nicht unter 3½ Grad, aber infolge unseres durchnäßten Zustandes schien die Kälte sehr stark. Wirklich waren wir so durchfroren, daß wir nicht zu essen wagten; wir kauerten uns auf dem kleinen trockenen Raume, der uns zur Verfügung stand, zusammen und schliefen zuletzt fest ein. Zum erstenmal, seitdem ich in Tibet war, schlief ich wirklich gut, und es war heller Tag, als ich erwachte. Aber ach! Eine neue Überraschung erwartete uns. Nattu, der Mann aus Kuti, und Bijesing, der Johari, waren nicht mehr unter ihrem schützenden Felsen, ebensowenig die Lasten, die ich ihnen anvertraut hatte. Weder Menschen noch Lasten waren irgendwo zu finden. Ich entdeckte ihre halbverwaschenen Fußspuren, die nach der Richtung gingen, aus der wir am Abend vorher gekommen waren. Die Schurken waren ausgerissen. Es wäre noch nicht so schlimm gewesen, wenn sie nicht den ganzen Vorrat an Proviant für meine beiden Hindudiener mitgenommen hätten, gar nicht zu gedenken einer Menge guter Stricke, Riemen und anderer Dinge, die alle von großem Nutzen für uns waren. Ich konnte nicht umhin, über mein Geschick zu lächeln. Von dreißig auserlesenen Dienern, die mit mir ausgezogen waren, hatten schon achtundzwanzig mich verlassen. Nur zwei waren noch übrig: der treue Tschanden Sing und der arme Man Sing, der Aussätzige! Das Wetter blieb schrecklich, dazu nichts mehr für meine Leute zu essen und keine Feuerung! Übermäßig glänzend waren unsere Aussichten nicht. Ich schlug den beiden übriggebliebenen Burschen vor, sie sollten auch zurückkehren; ich wollte allein weitergehen. Wieder stellte ich ihnen die Gefahren, mir weiter zu folgen, ausführlich vor, aber sie weigerten sich entschieden, mich zu verlassen. »Sahib, wir sind keine Schokas,« sagten sie, »wenn du stirbst, wollen wir mit dir und für dich sterben. Wir fürchten den Tod nicht. Uns tut es leid, dich leiden zu sehen, Sahib; aber kümmere dich nicht um uns. Wir sind nur arme Leute, darum hat es nichts zu bedeuten.« [Illustration: Jak mit Instrumentenkisten.] Wären wir klug gewesen, so würden wir, glaube ich, jetzt umgekehrt sein, da wir gegen das Schicksal nicht ankämpfen konnten; aber dieser Gedanke kam mir nicht ein einziges Mal in den Kopf. Ich hatte mir von allem Anfang an vorgenommen, daß ich um jeden Preis vordringen wollte, und deshalb maß ich dem letzten schweren Schlage, der uns durch das Entlaufen der beiden Träger getroffen hatte, nur wenig Wichtigkeit bei. Wir brachen das Lager ab, was unter den neuen Umständen eine in der Tat schwierige Aufgabe war. Erschöpft und entmutigt mußten wir weit hinauslaufen, um unsere widerspenstigen Jake einzufangen, die auf der Suche nach Gras weitergelaufen waren. Als wir sie gefunden und nach dem Lager zurückgetrieben hatten, kam die mühevolle Arbeit, ihnen die Packsättel auf den Rücken zu binden und die schweren, mit Zink ausgeschlagenen Kisten mit den wissenschaftlichen Instrumenten und photographischen Platten an den Sätteln zu befestigen. Dies Geschäft war nur ein Teil der täglichen Arbeit. Das Ausarbeiten meines Tagebuchs, das Eintragen meiner Beobachtungen, das Zeichnen und Aufnehmen von Photographien, das Einlegen der Platten in die Kamera, gelegentlich auch das Entwickeln derselben, dann Vermessungsarbeiten, Reinigen von Flinten usw. kam hinzu; danach wird man begreifen, daß ich alle Hände voll zu tun hatte. Die Anstrengung, die schweren Kisten auf die Packsättel hinaufzubringen, ging wegen unseres erschöpften Zustandes und der unsere Geduld auf die Folter spannenden Unruhe der Jake beinahe über unsere Kräfte, so daß wir mehrmals Versuche machen mußten, ehe es uns wirklich gelang, die Lasten festzubinden. Da unsere beiden Träger mit allen unsern besten Stricken und Lederriemen durchgegangen waren, hatten wir sehr große Mühe, das Gepäck an den Sätteln zu befestigen. Unser einziges noch übriges Stück Tau war nicht lang genug, um damit den Schlußknoten an dem Sattelgurt unter dem Bauche des Jaks zu machen, und weder mein Träger noch Man Sing hatten hinreichende Kraft, ihn anzuziehen und zusammenzubringen. So ließ ich sie den Jak bei den Hörnern fassen, um ihn ruhig zu halten, während ich, so stark ich konnte, anzog. Dieses Kraftstück gelang mir, und ich war eben im Begriff aufzustehen, als ein furchtbarer Stoß von dem Horne des Jaks mich auf den Kopf einen Zoll hinter dem rechten Ohre traf und mich Hals über Kopf ins Rollen brachte. Ich war einige Augenblicke betäubt und trage die Spur davon bis zum heutigen Tage. Aber obgleich der Hinterkopf noch viele Tage geschwollen blieb und schmerzte, fühlte ich keine ernstlichen Folgen. Wir gingen am rechten Ufer des Flusses in östlicher Richtung vorwärts, zwischen rötlichen Hügeln und entfernten, hohen, schneebedeckten Bergen, die wir von Zeit zu Zeit, wenn der Regen aufhörte und der Himmel klar wurde, erblickten. Auf das momentane Hochgehen der Wolken folgte immer ein neuer Platzregen, der das Marschieren sehr unangenehm und beschwerlich machte, da wir in den Schlamm einsanken. Gegen Abend entdeckten wir plötzlich ungefähr hundertfünfzig Soldaten, die uns in vollem Galopp das Flußtal entlang nachsetzten. Wir gingen eilig weiter, und als wir ihnen hinter einem Hügel aus den Augen gekommen waren, wichen wir von unserer Richtung ab und stiegen schnell zur Höhe des Hügelzuges empor und auf der andern Seite hinab, wo meine beiden Leute mit den Jaken sich versteckt hielten. Platt auf dem Bauche liegend, blieb ich mit meinem Fernglase auf dem Gipfel des Hügels und beobachtete die Bewegungen unserer Verfolger. Sie ritten munter drauflos, und als sie näherkamen, schallte das Geklingel ihrer Pferdeglocken in dieser öden, traurigen Umgebung ganz fröhlich an mein Ohr. Sie schienen ihre Aufgabe sehr leichtfertig und bequem auszuführen, denn da sie wahrscheinlich dachten, daß wir unsern Weg am Flusse entlang fortgesetzt hätten, ritten sie an der Stelle vorbei, wo wir den Pfad verlassen hatten, und bemerkten wohl infolge der Dunkelheit unsere den Abhang des Hügels hinaufführenden Fußspuren nicht. Es begann wieder heftig zu regnen. Wir lagerten uns in 5200 Meter Höhe, in voller Bereitschaft, jeden Augenblick fliehen zu können; die Nacht wurde infolgedessen nicht allzu behaglich verbracht. Für den Fall, daß sie einen Überfall versuchen sollten, hielt ich die ganze Nacht hindurch, die Büchse in der Hand, Wache und war froh, als der Tag dämmerte. Der Regen hörte auf, aber nun waren wir in einen weißen Nebel eingehüllt, der uns frieren machte. Ich bat Tschanden Sing, aufmerksam auszuschauen, und versuchte eine Weile zu schlafen. »~Hazur, hazur! jaldi apka banduk!~ Herr, Herr, schnell, deine Büchse!« flüsterte mein Träger, indem er mich aufrüttelte. »Hörst du den Ton von Glocken?« Das zuerst unbestimmte Geklingel war jetzt ganz deutlich hörbar. Unsere Verfolger kamen näher, augenscheinlich in einem großen Trupp. Es war keine Zeit zu verlieren. Tschanden Sing und ich traten mit unsern Büchsen, Man Sing mit seinem Gurkha-Kukri auf den Gipfel des Hügels vor, um unsere Besucher zu empfangen. Ein langer Zug von grauen, gespenstischen Gestalten, die ihre Pferde führten, tauchte aus dem Nebel auf. Die Vorhut hielt von Zeit zu Zeit an, um den Boden zu untersuchen; sie hatten offenbar unsere vom Regen teilweise verwaschenen Fußstapfen entdeckt und verfolgten sie. Endlich erspähten sie uns auf der Spitze des Hügels, und nun hielten sie an. Es entstand eine Bewegung unter ihnen, und sie hielten eine erregte Beratung; einige von ihnen nahmen die Luntenflinten von der Schulter, andere zogen ihre Schwerter. Wir saßen auf unserm Horst und beobachteten sie mit großem Interesse. Nach einigem Zögern deuteten vier Offiziere uns durch Zeichen an, daß sie näherzukommen wünschten. »Du bist ein großer König!« schrie einer, so laut er konnte, »und wir wollen dir diese Geschenke zu Füßen legen«, dabei wies er auf einige kleine Säcke, die die andern trugen. »~Gelbo! Tschakzal! Tschakzal!~ Wir grüßen dich, König!« Mir war nach der elenden Nacht, die wir verbracht hatten, durchaus nicht königlich zumute, aber ich wollte, wenn es irgend möglich war, die Eingeborenen mit gebührender Achtung und Höflichkeit behandeln. So sagte ich, daß die vier Mann näherkommen dürften, daß aber der Hauptteil der Gesellschaft sich nach einer etwa 200 Meter entfernten Stelle zurückziehen solle. Dies taten sie unverzüglich, was mich nach der kriegerischen Haltung, die sie zuerst eingenommen, einigermaßen überraschte. In der demütigsten Weise legten sie ihre Luntenflinten nieder und steckten die Schwerter, wie sich’s gebührte, in die Scheiden. Die vier Offiziere kamen eilig näher und warfen, als sie dicht vor uns waren, ihre Säcke auf die Erde, die sie öffneten, um uns den Inhalt zu zeigen. Da war Tsamba, Mehl, Tschura, eine Art Käse, Gurani, süßer Teig, Butter und getrocknete Früchte. Die Offiziere waren mit ihren demütigen Begrüßungen äußerst freigebig. Ihre Mützen hatten sie abgenommen und auf den Boden geworfen und die Zungen hielten sie weit aus dem Munde gestreckt, bis ich ihnen Erlaubnis gab, sie hineinzuziehen. Sie gaben vor, Untergebene des Tarjum von Toktschim zu sein, der sie abgesandt habe, sich nach meiner Gesundheit zu erkundigen, und der wünsche, daß ich ihn als meinen besten Freund betrachten solle. Der Tarjum, sagten sie, der die Beschwerden wohl kenne, die wir bei der Reise durch ein so unwirtliches Land zu bestehen haben würden, wünsche, daß ich die Gaben annehmen möchte, die sie jetzt vor mir niederlegten. Damit überreichten sie mir eine Kata, die »Schärpe der Liebe und Freundschaft«, ein langes Stück dünner seidenartiger Gaze, dessen Enden zu einer Franse geschnitten waren. Diese Katas begleiten in Tibet jedes Geschenk, und kein Besucher würde je ohne eine solche ausgehen, die er seinem Wirte sofort als Geschenk anbietet. Die hohen Lamas verkaufen sie an die Frommen; und denjenigen, die beim Besuche eines Lamaklosters und -tempels eine befriedigende Opfergabe zurücklassen, werden eine oder mehrere dieser Schärpen zum Geschenke gegeben. Wenn man einem Freunde eine mündliche Botschaft schickt, wird eine Kata mitgesandt, und unter Beamten und Lamas werden sogar kleine Stücke dieser Seidengaze in Briefe eingeschlossen. Als eine Verletzung der guten Sitte und einer Beleidigung gleichkommend wird es angesehen, wenn man einem Besucher keine Kata gibt oder übersendet. Ich beeilte mich, meinen Dank für des Tarjums Freundlichkeit auszusprechen, und überreichte den Abgesandten eine Summe in Silbermünzen, die das Dreifache des Wertes der geschenkten Gegenstände betrug. Die Männer schienen sehr munter und freundlich; wir plauderten eine ganze Weile. Zu meinem großen Ärger konnte aber der arme Man Sing, den der Anblick von so viel Eßware verwirrt machte, den Qualen des Hungers nicht länger widerstehen und begann, ohne sich viel um die Verletzung der Etikette und die möglichen Folgen zu kümmern, sich den Mund mit Händen voll Mehl, Käse und Butter vollzustopfen. Das brachte die Tibeter auf den Verdacht, daß wir Hunger litten, und mit ihrer gewöhnlichen Schlauheit beschlossen sie, daraus Vorteil zu ziehen. »Der Tarjum«, sagte der Älteste der Abgesandten, »wünscht, daß du zurückkommen und sein Gast sein mögest; er wird dich und deine Leute speisen, und dann werdet ihr wieder in euer Land zurückgehen.« »Danke,« erwiderte ich, »wir brauchen des Tarjums Speisen nicht und wünschen auch gar nicht zurückzugehen. Ich bin ihm für seine Güte sehr verbunden, aber wir wollen unsere Reise fortsetzen.« »Dann,« sagte ein junger, kräftig gebauter Tibeter ärgerlich, »wenn du deine Reise fortsetzest, werden wir unsere Geschenke zurücknehmen.« »Und eure Kata dazu«, fuhr ich fort, indem ich ihm zuerst den großen Butterballen gegen die Brust fliegen ließ und dann die kleinen Säcke mit Mehl, Tsamba, Käse, Früchten usw. nachsandte, die einige Augenblicke vorher so zierlich hingelegt worden waren. Dieses unerwartete Bombardement brachte die Tibeter ganz außer Fassung. Mit bestäubten Rücken, Haaren und Gesichtern bemühten sie sich, davonzulaufen, so gut sie konnten, während Tschanden Sing, der, wenn es sich ums Schlagen handelte, immer schnell wie der Blitz war, mit dem dicken Ende seiner Büchse auf den rundesten Körperteil eines der Abgesandten losprügelte, als dieser in seinen unbequemen Kleidern aufzustehen und fortzurennen versuchte. Man Sing, der Philosoph unserer Gesellschaft, der in seiner Fütterung unterbrochen, aber weder aus dem Konzept gebracht noch um das was vorging bekümmert war, sammelte die über den ganzen Platz verstreuten Früchte, den Käse und die Butterstücke auf, während er dabei brummte, es sei eine Schande, gutes Essen in so achtloser Weise fortzuwerfen. Die große Schar Soldaten, die aus der Entfernung aufmerksam die verschiedenen Phasen der »freundschaftlichen« Zusammenkunft beobachtet hatten, hielten es für klug, einen hastigen Rückzug anzutreten, und galoppierten, nachdem sie mit unverkennbarer Hast ihre Streitrosse bestiegen hatten, bunt durcheinander den Hügel hinab und dann das Tal des Flusses entlang, bis sie im Nebel den Blicken entschwanden. Die armen Gesandten, die nicht mehr imstande gewesen waren, ihre Pferde zu erreichen, folgten so schnell, als es unter den Umständen und in Anbetracht der dünnen Luft und des unebenen Bodens möglich war. Ihr durchdringendes Hilferufen, das allein durch die Furcht veranlaßt wurde, da wir ihnen keinen wirklichen Schaden getan hatten, diente nur dazu, die Verachtung zu verstärken, die wir gleich von Anfang an gegen die tibetischen Soldaten und Offiziere gehegt hatten. [Illustration: Tibetische Weiber und Kinder.] Als die Tibeter außer Sicht waren, ließen Tschanden Sing und ich für einen Augenblick unsern Stolz fallen und halfen Man Sing die getrockneten Datteln und Aprikosen und die Stücke Tschura, Butter und Gurani sammeln. Dann beluden wir unsere Jake und zogen weiter, als ob nichts vorgefallen wäre. [Illustration: Frau aus Lhasa.] Achtundzwanzigstes Kapitel. Ungebetene Gäste. Wir hatten nicht viel Glück. Das Wetter blieb am Vormittag stürmisch, und am Nachmittag hatten wir wieder strömenden Regen. Über uninteressantes, einförmiges graues Land mit einer Kette von schneebedeckten Gipfeln, die sich von Südwest nach Nordost zog, gingen wir nach Ostnordost vorwärts. Wir durchwateten einen ziemlich tiefen und sehr kalten Fluß und stiegen dann zu einem Paß von 5320 Meter auf. Eine Anzahl Hunyas mit Herden von mehreren tausend Schafen kam uns zu Gesicht, aber wir wichen ihnen aus. Sie sahen uns nicht. An dem Punkte, wo wir ihn überschritten, wendet sich der Hauptstrom in einem anmutigen Bogen nach Südosten. Über hügeliges, unfruchtbares Terrain stiegen wir zu einer Höhe von 5350 Meter auf, wo sich mehrere kleine Seen vorfanden. Nachdem wir 25 Kilometer in einem alles durchweichenden Regen marschiert waren, stiegen wir in ein weites Tal hinab. Hier hatten wir große Schwierigkeiten, eine Stelle zu finden, wo wir die Nacht über ruhen könnten. Die Ebene war geradezu ein Sumpf mit mehreren Seen und Teichen, und überall versanken wir in Schlamm und Wasser. All unser Bettzeug und die Kleider waren so durchweicht, daß es gleichgültig war, wo wir rasteten. So schlugen wir unser kleines Zelt an dem Ufer eines Flusses auf, der aus einem Tale im Norden kam, von dem eine Reihe pyramidenförmiger, mit Schnee bedeckter Berge, alle von fast gleicher Höhe und Basis, sich in östlicher Richtung hinzog. Nach Süden zu standen hohe, mit großen Schneemassen bedeckte Berge. Abends goß der Regen wie mit Eimern herunter, und unser Zelt gewährte uns nur wenig Schutz. Wir lagen mitten im Wasser, und alle Gräben der Welt hätten es nicht am Hereinströmen verhindern können. Es ist in der Tat keine Übertreibung, wenn ich sage, daß das ganze Tal eine Wasserfläche von 5 bis 8 Zentimeter Tiefe war. Natürlich litten wir schwer unter der Kälte, da das Thermometer um 8 Uhr morgens, als ein rasender Südostwind wehte und der Regen eine Zeitlang mit Hagel untermischt fiel, um dann einem schweren Schneesturm Platz zu machen, bis 3 Grad unter Null herunterging. Wir hatten uns auf unserm Gepäck zusammengekauert, um nicht in dem eiskalten Wasser zu schlafen, und als wir am Morgen aufwachten, war unser Zelt durch die Last des auf ihm liegenden Schnees halb zusammengefallen. Während des Tages stieg die Temperatur, und der Regen fiel von neuem, so daß wir, als wir unsere Wanderung wieder begannen, mehrere Zentimeter tief in eine Mischung von Schlamm, Schnee und Wasser einsanken. Einen fast östlichen Kurs verfolgend, mußten wir drei Flüsse überschreiten und zogen an fünf Seen von verschiedener Größe vorbei. Nach 12 Kilometer dieses trostlosen Marschierens hatten wir uns am Fuße eines kegelförmigen Hügels gelagert, wo die Wiederholung der Prüfungen der vergangenen Nacht stattfand. Das Thermometer war auf den Nullpunkt gefallen, aber zum Glück ließ der Wind um 8 Uhr abends nach. Das Glück wollte es, daß am nächsten Tage die Sonne herauskam und wir somit imstande waren, unsere Sachen zum Trocknen auszubreiten. Während dieses Prozesses mußten wir eine neue Erfahrung machen. Unsere beiden Jake waren verschwunden. Ich kletterte zu dem Gipfel des Hügels über unserm Lager hinauf und durchforschte die Ebene mit dem Fernglas. Die beiden Tiere waren etwa 3 Kilometer weit fort und wurden von ungefähr zwölf berittenen Männern weggeführt, die eine Herde von fünfhundert Schafen vor sich her trieben. An ihren Kleidern erkannte ich, daß es Räuber waren. Natürlich machte ich mich eiligst auf, mein Eigentum wiederzuerlangen, und überließ Tschanden Sing und Man Sing die Aufsicht über das Lager. Ich erreichte die Räuber, da sie langsam gingen; als sie mich erblickten, eilten sie vorwärts und versuchten, davonzukommen. Dreimal rief ich ihnen zu, stillzustehen, aber sie kümmerten sich nicht um meine Worte, so daß ich meine Flinte abnahm und auf sie geschossen haben würde, wenn nicht die Drohung allein genügt hätte, sie zum Nachdenken zu bringen. Sie hielten an, und als ich nahe genug war, forderte ich meine beiden Jake zurück. Sie weigerten sich, sie zurückzugeben, und sagten, sie seien zwölf Mann und sie fürchteten sich nicht vor einem einzelnen. Dann stiegen sie von ihren Pferden und schienen bereit, zu kämpfen. Als ich sie Feuerstein und Stahl herausnehmen sah, um den Zunder ihrer Luntenflinten in Brand zu setzen, dachte ich, daß ich zuerst dran wäre; ehe sie meine Absicht erraten konnten, führte ich mit dem Laufe meiner Büchse einen heftigen Schlag gegen den Bauch des mir zunächststehenden Mannes. Er sank zusammen, während ich einen neuen schallenden Schlag auf die rechte Schläfe eines andern Mannes fallen ließ, der seine Luntenflinte zwischen den Beinen hielt und im Begriff war, mit dem Stahl gegen den Stein zu schlagen, um den Zunder zum Glimmen zu bringen. Auch er wankte und fiel schwerfällig hin. »~Tschakzal, tschakzal! Tschakzal wortzie!~ Wir grüßen dich, wir grüßen dich! Bitte höre!« rief mit dem Ausdruck des Schreckens ein dritter Räuber und hielt die Daumen mit geschlossener Faust in die Höhe. »~Tschakzal!~«, erwiderte ich, indem ich eine Patrone in den Mannlicher schob. »~Middu, middu.~ Nein, nein«, baten sie und legten schnell ihre Waffen nieder. Von diesen Leuten kaufte ich ungefähr dreißig Pfund Tsamba und acht Pfund Butter und veranlaßte auch einen von ihnen, mir die Sachen nach meinem Lager zu tragen. Meine Jake bekam ich ohne weitere Mühe wieder und trieb sie nach der Stelle zurück, wo Tschanden Sing und Man Sing beschäftigt waren, ein Feuer anzuzünden, um Tee zu machen. Gegen Mittag, als unsere Sachen in der warmen Sonne fast trocken geworden waren, bewölkte sich der Himmel, und es fing wieder heftig zu regnen an. Ich wußte nicht recht, ob ich einen Paß, der im Osten einige Kilometer entfernt war, überschreiten oder dem Laufe des Flusses folgen und um den Fuß der Berge herumgehen sollte. Wir sahen eine große Anzahl Tibeter, die in einer der unsern entgegengesetzten Richtung wanderten. Als wir uns ihnen näherten, um mit ihnen zu sprechen, schienen sie alle sehr erschreckt. Von ihnen erhielten wir noch einige Pfund Lebensmittel, doch weigerten sie sich, uns einige Schafe, von denen sie Tausende mit sich hatten, zu verkaufen. Ich entschloß mich, den erwähnten Paß zu versuchen, und so kamen wir, nachdem wir zuerst über eine Fortsetzung des ebenen Plateaus, dann über welligen Boden gegangen waren, an zwei kleine Seen. Der Aufstieg über den Schnee war verhältnismäßig leicht; wir gingen an dem von der Höhe kommenden Flusse entlang. Als wir ungefähr halbwegs oben waren, sahen wir acht Soldaten auf uns zugaloppieren. Wir erwarteten sie; als sie uns erreicht hatten, führten sie die gewöhnlichen unterwürfigen Begrüßungen aus, indem sie ihre Waffen auf den Boden legten, um zu zeigen, daß sie nicht die Absicht hätten zu kämpfen. In einer langen freundschaftlichen Unterredung, die wir mit ihnen hatten, versicherten die Tibeter uns ihrer Freundschaft und ihrer Bereitwilligkeit, uns auf jede ihnen mögliche Art zum Vorwärtskommen behilflich zu sein. Dies war fast zu gut, um wahr zu sein, und ich vermutete Verrat, um so mehr, als sie uns dringend aufforderten und baten, mit nach ihren Zelten zurückzugehen, wo wir als ihre hochgeehrten Gäste bleiben und mit allen Köstlichkeiten überschüttet werden sollten, die des Menschen Geist sich vorstellen kann. Bei genauerer Erklärung fanden wir, daß diese Köstlichkeiten in Geschenken von Tschura, Käse, Butter, Jakmilch und Tsamba bestanden und daß sie uns Pferde verkaufen wollten, wenn wir sie brauchten. Deshalb dankte ich ihnen herzlich und sagte, daß ich vorzöge, meinen Weg fortzusetzen und meine augenblicklichen Leiden zu ertragen. Die Tibeter besitzen einen guten Sinn für Humor und wissen den Sarkasmus immer zu würdigen. So bemerkten sie, daß ich nicht leicht zu fangen war, und achteten mich deshalb. Sie konnten ihr außerordentliches Erstaunen nicht verbergen, daß ich mit nur zwei Leuten so weit gelangt war. Wir hatten eine sehr amüsante Unterhaltung, in der viel tibetischer Witz und Schlauheit zum besten gegeben wurde; endlich, nachdem ich meinen Besuchern einige kleine Geschenke gemacht hatte, schieden wir in freundschaftlicher Weise. Nun stiegen wir zu dem 5625 Meter hohen Paß empor und fanden auf der andern Seite, ungefähr 600 Meter tiefer, eine weite Strecke ebenen Landes vor uns. Ich erblickte einen See und nahm an, daß es der Gunkyo wäre. Um mich indessen darüber zu vergewissern, ließ ich meine Leute und die Jake auf dem Passe und ging fort, um von einem 5790 Meter hohen Berge nordöstlich von uns zu rekognoszieren. Es lag viel Schnee, und der Aufstieg war schwierig und langweilig. Als ich auf der Höhe anlangte, versperrte mir ein anderer höherer Gipfel vor mir die Aussicht, so daß ich, erst hinunter- und dann wieder hinaufsteigend, diesen zweiten Berg erklomm. Ich erreichte eine Höhe von 6100 Meter und hatte einen guten Blick auf das ganze umliegende Land. Im Norden war ein langer schneebedeckter Gebirgszug und direkt unter ihm etwas, was ich nach dem Grase am untern Teil der Berge und nach dem Nebel und den Wolken, die sich darüber bildeten, für eine Wasserfläche hielt. Ein Hügelzug, der gerade hoch genug war, um den See dahinter zu verbergen, stand mir im Wege. Ich kehrte zu meinen Leuten zurück, und wir verfolgten unsern Weg die andere Seite des Passes hinab, wobei wir in tiefen weichen Schnee einsanken. An einer etwa 150 Meter über der Ebene gelegenen Stelle schlugen wir unser Lager in einer Schlucht auf, die durch die beiden dicht aneinander tretenden Berghänge gebildet wurde. Trotzdem ich jetzt an große Höhen gewöhnt war, hatte der Aufstieg zur Höhe von über 6000 Meter mich doch einigermaßen erschöpft, und eine gute Nachtruhe würde mir angenehm gewesen sein. Man Sing und Tschanden Sing schliefen, nachdem sie etwas gegessen hatten, fest und gesund, aber ich fühlte mich sehr niedergeschlagen. Wir waren alle drei unter unserm kleinen Zelt, als ich mir plötzlich einbildete, es sei jemand draußen. Ich weiß nicht, wie mir der Gedanke in den Kopf gekommen war, denn ich hörte kein Geräusch, aber ich fühlte gleichwohl, daß ich nachsehen und meine Neugier befriedigen müsse. Die Büchse in der Hand, guckte ich aus dem Zelte und -- sah eine Anzahl von schwarzen Gestalten, die vorsichtig auf uns zukrochen. In einem Augenblick war ich draußen, lief auf sie zu und rief so laut ich konnte: »~Pila tedan tedang!~ Aufgepaßt, aufgepaßt!«, was unter unsern geisterhaften Besuchern eine eilige Flucht verursachte. Es war augenscheinlich eine große Zahl von ihnen hinter Felsen verborgen, denn als der panische Schrecken sie ergriff, war die Menge der Fliehenden doppelt oder sogar dreimal so groß als die der Gespenster, die ich zuerst herannahen gesehen hatte. Einen Augenblick schien es, als ob überall schwarze Geister hervorsprängen, aber da sie derber als Geister waren, machten sie mit ihren schweren Stiefeln einen fürchterlichen Lärm, als sie alle durcheinander den steilen Abhang hinab und durch die Schlucht liefen. Unten angelangt, bogen sie um den Hügel herum und verschwanden. Als ich wieder in das Zelt hineinkroch, lagen Tschanden Sing und Man Sing bis über den Kopf in ihre Decken eingehüllt und schnarchten noch immer. Natürlich verbrachte ich eine schlaflose Nacht, da ich fürchtete, die unwillkommenen Gäste könnten zurückkommen. Bei Sonnenaufgang störte ich meine beiden Genossen aus ihrem Schlummer auf und teilte ihnen die Ereignisse der vergangenen Nacht mit. Wir stellten viele Vermutungen darüber an, wie die Tibeter uns aufgefunden hätten, und konnten nicht umhin, anzunehmen, daß unsere Freunde vom vorigen Nachmittag etwas mit der Sache zu tun haben müßten. Ohne Zweifel waren sie jetzt unter der Gesellschaft, die ich in die Flucht geschlagen hatte. Die unbegreifliche Feigheit, die die Tibeter bei jeder Gelegenheit zeigten, war jedoch so groß, daß wir dahin kamen, diesen Ereignissen keine Wichtigkeit beizumessen. Sie flößten uns nicht nur keine Furcht ein, sondern hörten sogar auf, uns zu erregen oder zu ergötzen. Wie gewöhnlich gingen wir weiter und stiegen zu der Ebene hinab, und als wir dieselbe halb überschritten hatten, durchsuchte ich die Hügel ringsumher mit dem Fernglas, um zu sehen, ob ich Spuren von unsern feigen Feinden entdecken könnte. »Dort sind sie!« rief Tschanden Sing, der die schärfsten Augen hatte, die ich je an einem Menschen beobachtet habe, indem er nach dem Gipfel eines Hügels wies, wo mehrere zwischen den Felsen vorguckende Köpfe sichtbar waren. Ohne von ihnen weiter Notiz zu nehmen, gingen wir vorwärts. Jetzt kamen sie aus ihrem Versteck hervor, und wir sahen, wie sie in einer langen Reihe, ihre Pferde führend, den Hügel hinabgingen. Auf der Ebene angelangt, bestiegen sie ihre Rosse und kamen in vollem Galopp auf uns zu. Mit ihren dunkelroten Röcken, den braunen und gelben Fellkleidern und den verschiedenfarbigen Mützen boten sie einen malerischen Anblick. Einige trugen hellrote Röcke mit goldener Verschnürung und chinesische Mützen. Dies waren Offiziere. Ihre Luntenflinten, an deren Gabeln rote und weiße Fahnen befestigt waren, gaben der sonst öden Szenerie von kahlen Hügeln und Schnee einen Anflug von Farbe, und das Geklingel der Pferdeglocken belebte die Totenstille dieser unwirtlichen Regionen. Etwa dreihundert Meter von uns entfernt stiegen sie von den Pferden, und ein alter Mann kam, nachdem er seine Luntenflinte und das Schwert in theatralischer Weise beiseite geworfen hatte, mit unsicheren Schritten auf uns zu. Wir empfingen ihn freundlich. Er bereitete uns großen Spaß, da er in seiner Art ein seltsamer Charakter war. »Ich bin nur ein Abgesandter«, beeilte er sich zu melden, »und deshalb gieße deinen Zorn nicht über mich aus, wenn ich zu dir spreche. Ich überbringe nur die Worte meiner Offiziere, die aus Furcht, gekränkt zu werden, nicht zu kommen wagen. In Lhasa, von wo wir kommen, hat man die Nachricht erhalten, daß ein Plenki, ein Engländer, mit vielen Leuten in Tibet ist und nirgends aufgefunden werden kann. Wir sind abgeschickt worden, ihn zu fangen. Bist du einer von seiner Vorhut?« [Illustration: Tibetische Flinte mit Gabelstütze.] »Nein«, erwiderte ich trocken. »Ich vermute, daß ihr mehrere Monate gebraucht habt, um hierherzukommen«, fragte ich dann wie beiläufig, bemüht, durch diesen Angriff auf ihre Ehre als gute Reiter genaue Nachricht zu erlangen. »O nein! Unsere Pferde sind gut«, antwortete er, »und wir sind schnell gekommen.« »~Tschik, ni, sum, schi, nga, do, din, ghitsch, gu, tschu, tschuck tschik, tschuck ni~«, zählte der Tibeter bis zwölf, indem er die Stirn runzelte und den Kopf nach rechts geneigt hielt, als ob er seine Gedanken sammeln müsse; dabei hielt er die Hand empor, den Daumen gegen die Handfläche gedrückt, und legte, als er die Zahlen nannte, einen Finger nach dem andern nieder. Die Daumen werden beim Zählen nie gebraucht. »~Lum tschuk ni niman!~ Zwölf Tage«, sagte er, »sind wir auf dem Wege gewesen, und wir haben Befehl, nicht zurückzukehren, bis wir den Plenki gefangen haben. Und du,« fragte er forschend, »wie lange hast du gebraucht, um von Ladak hierherzukommen?« Er sagte, er könne mir am Gesicht absehen, daß ich ein Kaschmirer sei, was mir eine schlechte Meinung von seiner Fähigkeit gab, Volkstypen zu erkennen. Indessen war mein Gesicht wirklich so verbrannt und so schmutzig, daß es schwer war, mich von einem Eingeborenen zu unterscheiden, trotzdem ich europäische Kleidung trug. Der alte Mann fragte mich in die Kreuz und Quere, um herauszubringen, ob ich ein Pundit wäre, der von der indischen Regierung ausgeschickt sei, um das Land aufzunehmen, und erkundigte sich, weshalb ich meine einheimischen mit »Plenki«-Kleidern vertauscht hätte. -- Er fragte mich immer wieder, ob ich nicht einer von des Plenkis Gesellschaft sei. »~Keran ga naddo ung?~ Wohin gehst du?« fragte er. »~Nhgarang ne koroun Lama jehlhuong.~ Ich bin ein Pilger,« erwiderte ich, »ich will Klöster besuchen.« »~Keran mi japodu.~ Du bist ein guter Mann.« Er bot sich an, mir den Weg nach dem Gunkyosee zu zeigen, und tat dies so dringend, daß ich es annahm. Als ich jedoch die zweihundert Soldaten ihre Pferde besteigen und uns folgen sah, machte ich ihm Vorstellungen und sagte, daß wir, wenn wir Freunde sein sollten, keine Armee brauchten, die uns eskortierte. »Wenn du unser Freund bist, kannst du allein kommen, und wir werden dir keinen Schaden zufügen,« gab ich ihm zu verstehen, »wenn du aber unser Feind bist, werden wir dich und dein Heer hier sogleich bekämpfen und euch die Mühe sparen, weiterzugehen.« »Ja«, wiederholten Tschanden Sing und Man Sing wie ein Echo. Verwirrt und zögernd ging der Tibeter, sich mit seinen Leuten zu besprechen, und kehrte nach einiger Zeit mit acht Mann zurück, während der Hauptteil seiner Streitmacht in der der unsern entgegengesetzten Richtung davongaloppierte. [Illustration: _Aquarellskizze von H. S. Landor._ _F. A. Brockhaus, Leipzig._ ~FLATTERNDE GEBETE AUF DEM MAIUM-PASS.~] Neunundzwanzigstes Kapitel. Auf dem Boden Gottes. In fast nördlicher Richtung gingen wir über die Ebene, bis wir an einen Hügelzug kamen, den wir überschritten. Dann stiegen wir, indem wir unsern Kurs nach Nordost änderten, mehrere Hügel hinab und hinauf und befanden uns endlich in dem grasigen geschützten Tale des großen Gunkyosees, der sich von Südost nach Nordwest ausdehnt. Der See war von außerordentlicher Schönheit. Die hohen, schneebedeckten Gangriberge erhoben sich fast unmittelbar aus seinen Fluten und bildeten auf der Südseite einen wilden, malerischen, aber über alle Beschreibung kahlen und öden Hintergrund. Am andern Ende des Sees, im Nordwesten, schlossen niedrigere Berge das Wasser ein. Wir lagerten in 5015 Meter Höhe, und die Soldaten schlugen ihr Lager etwa 50 Meter von uns entfernt auf. Am Abend kamen die Tibeter nach meinem Lager herüber und machten sich angenehm, indem sie launig über alle möglichen Gegenstände sprachen. Sie halfen uns Brennmaterial herbeischaffen und brauten mir Tee nach tibetischer Art. Sie schienen anständige Burschen, schlau, wenn man will, doch mit mehr guten als bösen Eigenschaften. Sie erklärten, daß sie die Lamas, die Beherrscher des Landes, haßten, und gaben ihnen mit besonderem Vergnügen Namen, die kaum zu wiederholen sind. Ihrer Behauptung nach besaßen die Lamas alles Geld, das ins Land kam, und es war niemand außer ihnen gestattet, welches zu haben. In den Mitteln, die sie anwendeten, um ihr Ziel zu erreichen, seien sie nicht wählerisch; sie seien grausam und ungerecht. Jeder Mann in Tibet, sagten sie, sei im Falle der Not Soldat und jeder ein Diener der Lamas. Die Soldaten des stehenden Heeres erhielten eine bestimmte Menge Tsamba, Ziegeltee und Butter; dies sei alles, da keine Löhnung in barem Gelde gegeben werde. Gewöhnlich jedoch erhielten sie ein Pferd zum Reiten, und wenn sie Reisedienst hätten, hätten sie das Recht, Relaispferde auf Poststationen und in Dörfern zu bekommen, wo sie auch berechtigt wären, Ergänzungen ihres Proviants, Sättel oder alles andere zu verlangen, dessen sie bedurften, um damit bis zur nächsten Niederlassung auszureichen. Die Waffen (Schwert und Luntenflinte) gehörten gewöhnlich den Leuten selbst und blieben immer in der Familie; aber gelegentlich, besonders in den größern Städten, wie Lhasa und Schigatse, beschafften die Lamas solche. Pulver und Kugeln würden ausnahmslos von den Behörden geliefert. Die Waffen würden meist in Lhasa und Schigatse angefertigt. Obgleich die Tibeter mit der großen Treffsicherheit beim Schießen mit ihren Luntenflinten prahlten, die hölzerne Gabeln hatten, um dem Schützen ein sicheres Zielen zu ermöglichen, habe ich nie das Vergnügen gehabt, selbst von den Meisterschützen des Landes das Ziel treffen zu sehen. Freilich benutzt der tibetische Soldat zu Sportzwecken und aus Sparsamkeit fast niemals Bleikugeln oder Schrot, sondern zieht es vor, den Lauf mit kleinen Steinen zu füllen, die kaum geeignet sind, ihn zu verbessern. Überdies war das Pulver so knapp, daß sie nur sehr selten Gelegenheit hatten zu üben; daher die geringe Fertigkeit. Bei Sonnenaufgang war der Anblick des Gunkyosees großartig. Der Schnee auf den Bergen war in rote und goldene Tinten getaucht, und das kleinste Detail der Gipfel spiegelte sich in den Fluten des Sees wider. Wir beluden unsere Jake, wobei die Tibeter uns hilfreiche Hand leisteten, und machten uns auf den Weg nach dem Maiumpaß, indem wir im ganzen eine ostsüdöstliche Richtung an dem Flusse hinauf verfolgten, der sich in den Gunkyosee ergießt. Das Tal war sehr eng und zog sich in beständigem Zickzack hin; aber obgleich die Höhe sehr groß war, gab es Gras im Überfluß, und das Grün war für die vom Schnee, den rötlichen kahlen Bergen und den wüstenartigen Strecken Landes ermüdeten Augen sehr wohltuend. Wir kamen an ein Becken, wo auf dem gegenüberliegenden Ufer des Flusses ein großer tibetischer Lagerplatz mit einer hohen Mauer von Steinen sich befand. Hinter ihr konnte ich Rauch aufsteigen sehen. Unsere tibetischen Freunde baten mich, hier anzuhalten, um zu plaudern und Tee zu trinken. Ich sagte, daß ich von beiden genug gehabt hätte und weitergehen wolle. »Wenn du weitergehst, werden wir dich töten«, sagte einer der Soldaten, der zornig wurde und unsere Höflichkeit gegen ihn und seine Genossen mißbrauchte. »~Nga samgi ganta indah.~ Wie du willst«, antwortete ich mit studierter Höflichkeit. »Wenn du noch einen Schritt gehst, werden wir dir den Kopf abschneiden oder du mußt unsere abschneiden«, riefen zwei oder drei andere, indem sie mir ihre nackten Hälse entgegenstreckten. »~Taptih middu.~ Ich habe kein kleines Messer bei mir«, erwiderte ich ganz ernsthaft und mit erheucheltem Verdruß, während ich nach tibetischer Art meine Hand in der Luft herumwirbelte. Die Tibeter wußten nicht, was sie aus mir machen sollten. Sie schienen ganz verblüfft, und als ich nach dem Passe, auf dem Hunderte von fliegenden Gebeten in der Luft flatterten, ging, nachdem ich ihnen in der anerkannt besten tibetischen Form mit ausgestreckter Zunge und vor der Stirn geschwenkten, die Flächen nach oben gerichteten Händen höflich Lebewohl gesagt hatte, nahmen sie ihre Mützen ab und grüßten uns, indem sie sich auf die Knie niederließen und die Köpfe dicht an den Boden brachten. Wir überschritten die Ebene und stiegen langsam zum Passe hinauf. Nahe am Gipfel kamen wir an die Straße von Ladak nach Lhasa über Gartok, die an der nördlichen Seite des Rakastal-, des Mansarowar und des Gunkyosees entlang führt. Auf dem Passe selber waren Stangen aufgepflanzt, die durch Stricke miteinander verbunden waren, an denen fliegende Gebete lustig im Winde flatterten. Auch Obo oder Hügel von Steinen waren hier aufgerichtet. Sie waren gewöhnlich weiß und trugen vielfach die Inschrift »~Om mani padme hum~«. Neben diesen Obo waren Schädel und Hörner von Jaken sowie von Ziegen und Schafen niedergelegt, auf denen dieselben Worte in die Knochen eingegraben und mit dem Blute der getöteten Tiere rot gefärbt waren. Diese Opfergaben werden von den Tibetern, wenn sie einen hohen Paß überschreiten, den Göttern dargebracht, namentlich wenn ein Lama dabei ist, der dieses Ereignis feiert. Das Fleisch des getöteten Tieres wird von den anwesenden Leuten gegessen, und wenn die Gesellschaft groß ist, folgen Tanz und Gesang auf das Mahl. Diese Obo finden sich über das ganze Land verstreut; sie bezeichnen die Pässe und die Berggipfel, und kein Tibeter geht an einem von ihnen, und wäre er noch so klein, vorbei, ohne einen weißen Stein auf ihm niederzulegen. Dadurch werden die Götter in freundlicher Stimmung erhalten, und es werden sich auf der Reise keine Unfälle ereignen. Die Höhe des Maiumpasses beträgt 5335 Meter. Hier war ich schon weiter in das verbotene Land vorgedrungen, als irgendeinem andern Engländer von dem Punkte aus gelungen war, wo ich Tibet betreten hatte. Aber damit war ich noch nicht zufrieden. Der Maiumpaß ist eine wichtige Landmarke in Hundes; denn nicht nur entspringt auf seinen südöstlichen Abhängen eine der Quellen des großen Tsangpu oder Brahmaputra, sondern er trennt auch die ungeheuern Provinzen von Nari-Chorsum, die sich westlich von dem Maiumpasse ausdehnen und das gebirgige, seenreiche Gebiet bis Ladak hin umfassen, von Yu-tsang, der Zentralprovinz von Tibet, die sich östlich von dem Passe an dem Tale des Brahmaputra entlang erstreckt und Lhasa, die Hauptstadt des Landes, enthält. Das Wort Yu bedeutet im Tibetischen Mitte und wird auf die Provinz angewendet, da diese in der Mitte von Tibet liegt. Nördlich von dem Maiumpaß liegt die große Provinz Doktol. Ich hatte einen Rekognoszierungsgang nach einem andern, nordöstlich von uns gelegenen Passe unternommen und war eben zu meinen Leuten auf den Maiumpaß zurückgekehrt, als mehrere der tibetischen Soldaten, die wir hinter uns gelassen hatten, auf uns zugeritten kamen. Sie schienen sehr aufgeregt und machten uns Zeichen, auf sie zu warten. Natürlich taten wir dies. »Dort auf der andern Seite des Passes ist das Gebiet von Lhasa,« sagte der erste Reiter und wies auf das Tal unter uns; »wir verbieten euch, es zu betreten.« »Ich habe nie Befehlen gehorcht,« erwiderte ich, »und werde es auch nie tun.« Damit trieb ich die beiden Jake vor mir her und betrat, von Tschanden Sing und Man Sing gefolgt, die heiligste aller heiligen Provinzen, den »Boden Gottes«. Schnell stiegen wir auf der Ostseite des Passes hinab. Die Soldaten blieben bestürzt oben stehen und sahen uns nach. Es war ein hübsches Bild, als sie sich zwischen den Obo gegen den Himmel abzeichneten und die Sonne auf ihre juwelenbesetzten Schwerter und die roten Fahnen ihrer Luntenflinten schien, während über ihren Köpfen Reihen von fliegenden Gebeten im Südostwinde flatterten. Wir setzten unsern Abstieg fort, und als ich bald danach den Kopf umwandte, um zu sehen, was die Soldaten anfingen, waren sie verschwunden. Eine kleine, kaum 15 Zentimeter breite Wasserader rann zwischen Steinen in der Mitte des Tales hinab und wurde bald durch andere Rinnsale vergrößert, die sich auf den Bergen zu beiden Seiten aus schmelzendem Schnee bildeten. Es war eine Quelle des großen Brahmaputra, eines der größten Flüsse der Welt. Die andere Quelle besuchte ich auf meiner Rückreise. Ich muß gestehen, daß ich stolz war, der erste Europäer zu sein, der diese Quelle erreicht hatte, und ich empfand ein kindliches Vergnügen, mich über diesen heiligen Strom zu stellen, der, weiter unten von so ungeheuerer Breite, hier von einem Manne mit den Beinen bequem überspannt werden konnte. An der Ursprungsstelle tranken wir von seinem Wasser, dann setzten wir, einem Fußpfade folgend, unsern Abstieg auf einer sanften Abdachung durch ein grasiges Tal fort. Der Unterschied zwischen dem Klima auf der westlichen und dem auf der südöstlichen Seite des Maiumpasses ist sehr bedeutend. Auf der westlichen Seite hatten wir nichts als heftige Hagel-, Regen- und Schneestürme, und die Feuchtigkeit in der Luft machte es selbst während des Tages recht kalt. Der Boden war ungewöhnlich sumpfig, und es war nur sehr wenig Brennmaterial und Gras zu finden. Sowie der Paß überschritten war, befanden wir uns in einem milden, angenehmen Klima mit einem lieblichen dunkelblauen Himmel über uns und einer Menge von Gras für die Jake, wie auch niedrigen Büschen für unser Feuer, so daß wir nach allen unsern Leiden und Entbehrungen fühlten, daß wir in der Tat den »Boden Gottes« betreten hatten. Trotzdem ich erwartete, daß uns früher oder später großes Ungemach treffen werde, bedauerte ich durchaus nicht, daß ich den Befehlen der Soldaten nicht gehorcht hatte und in das verbotene Gebiet eingedrungen war. Der Brahmaputra nahm drei kleine schneegespeiste Nebenflüsse auf, die reißend schnell von den steilen Bergen zu unsern beiden Seiten herabkamen. Wo der Hauptstrom sich scharf nach Südsüdost wandte, kam noch ein vierter bedeutender Nebenfluß, der sehr große Wassermassen führte, aus nordnordöstlicher Richtung durch eine Schlucht zu ihm herab. Nahe dem Vereinigungspunkte dieser Flüsse schlugen wir auf dem rechten Ufer des Hauptstromes in einer Höhe von 5070 Meter das Lager auf. Von dem Maiumpasse aus läuft eine Fortsetzung des Gangrigebirges zuerst in südöstlicher, dann in genau östlicher Richtung fast parallel mit der höhern südlichen Kette des Himalaja und bildet eine weite, vom Brahmaputra durchschnittene Ebene. Auf der südlichen Seite des Flusses sieht man kleinere Hügelzüge zwischen dem Flußlaufe und dem großen Gebirgszuge mit seinen majestätischen, schneebedeckten Gipfeln und den prächtigen Gletschern. Die nördliche Kette läuft in einer fast parallelen Linie mit der größern südlichen Kette, und wenn auf ihr auch keine Berge von sehr beträchtlicher Höhe zu finden sind, so ist sie dennoch von geographischer Bedeutung, da ihr Kamm bis nach Lhasa hin die Wasserscheide des heiligen Brahmaputra bildet. Das zwischen den beiden parallelen Ketten eingeschlossene Tal ist das am dichtesten bevölkerte Tal in Tibet. Gras und Brennholz sind im Überfluß vorhanden; deshalb sieht man auch in der Nähe der vielen tibetischen Lager längs des Brahmaputra und seiner hauptsächlichen Nebenflüsse Tausende von Schafen und Ziegen weiden. Die Handelsstraße, auf der die Karawanen von Ladak nach Lhasa ziehen, läuft in diesem Tal entlang, und da ich nach Tibet gekommen war, um die Tibeter zu studieren, schlug auch ich diese Straße ein, die noch nie von einem Europäer betreten worden war. Meine Leute und ich waren uns der Gefahr, die wir liefen, wohl bewußt, aber dies machte uns die Reise nur um so interessanter. Dreißigstes Kapitel. Ein gefährlicher Flußübergang. Wir schliefen sehr wenig, da wir erwarteten, daß die Soldaten uns während der Nacht angreifen und versuchen würden, unsern Weitermarsch zu hindern; aber alles blieb ruhig und nichts geschah. Unsere Jake jedoch brachten es fertig, sich loszumachen, und wir hatten morgens einige Mühe sie wiederzubekommen, denn sie waren über den Strom geschwommen und auf der andern Seite etwa zwei Kilometer weit gelaufen. Die Nacht war sehr kalt gewesen, da das Thermometer bis auf Null heruntergegangen war. Wir hatten unser kleines Zelt nicht aufgeschlagen und waren nach dem langen Marsch des vorhergehenden Tages müde und durchfroren. Der Wind wehte aus Südwesten, und ich fand es sehr hart, über den Fluß hinüber zu müssen, den Jaken nachzueilen und sie nach dem Lager zurückzubringen; dazu mußten wir, so erschöpft wir auch sein mochten, uns der täglichen Mühe unterziehen, sie zu beladen. Wir marschierten an dem rechten Ufer in nahezu südlicher Richtung entlang, hielten uns dann südöstlich, wo sich der Fluß zwischen kahlen Hügeln hindurchwand, um danach durch ein grasiges Tal von ein Kilometer Breite und zwei Kilometer Länge zu fließen. Dann ging es durch einen schmalen Engpaß, worauf wir durch ein wellenförmiges, grasiges Tal von 3½ Kilometer Breite kamen, bei dessen Durchschreiten wir von einem furchtbaren Gewitter mit Hagel und Regen überrascht wurden. Dies war recht ärgerlich, denn wir befanden uns jetzt vor einem sehr großen Nebenflusse des Brahmaputra, und das Wasser war so angeschwollen, reißend und tief, daß ich nicht wußte, wie ich meine Leute hinüberbringen sollte, da sie nicht schwimmen konnten und das Wasser so kalt war, daß ein Bad wohl jeden recht mitnehmen konnte. [Illustration: »Ich gebe dir dies, damit du zurückgehst.«] Es war jedoch keine Zeit zu verlieren, denn der Strom stieg sichtlich, und da das Gewitter schlimmer wurde, mußten die Schwierigkeiten mit jedem Augenblick wachsen. Wir zogen unsere Kleider bis auf den letzten Faden aus und banden sie mit unsern Büchsen usw. an den Packsätteln der Jake fest, die wir in das Wasser trieben. Sie sind gute Schwimmer, und wenn die Strömung sie auch über 100 Meter stromabwärts trieb, sahen wir sie doch mit Befriedigung sich aus dem Wasser auf das gegenüberliegende Ufer emporarbeiten. [Illustration: Tibetisches Wachthaus.] Trotz des Vertrauens, das Tschanden Sing und Man Sing zu meiner Schwimmkunst hatten, glaubten sie wirklich, daß ihre letzte Stunde gekommen sei, als ich sie bei der Hand nahm und aufforderte, mir in den Strom zu folgen. Bei dem prasselnden Regen und Hagel von oben, der mit furchtbarer Kraft auf unsere Köpfe und Rücken schlug, und in dem schneidend kalten Wasser, in das wir allmählich bis zum Halse einsanken, fühlten wir uns alles andere als behaglich, um so mehr, als auch die Strömung so heftig war, daß wir glaubten, wir würden im nächsten Moment unsern Halt verlieren. [Illustration: Der verhängnisvolle Pferdekauf.] Kaum waren wir 12 Meter weit gekommen, als das Unvermeidliche eintrat. Wir wurden alle drei fortgerissen, und nun klammerten Tschanden Sing und Man Sing sich fest an meine Arme und zogen mich unter Wasser. Ihre Hände schienen sich plötzlich in eiserne Krallen verwandelt zu haben, und ich konnte sie nicht dazu bringen, ihren Griff zu lockern. Obgleich ich mit den Beinen so kräftig ruderte, als ich konnte, kamen wir doch beständig von der Oberfläche wieder auf den Grund infolge der schweren Last meiner hilflosen Genossen. Endlich, nach einem verzweifelten Kampfe von mehreren Minuten, spülte uns die Strömung gegen das jenseitige Ufer, wo wir auf die Füße kamen und bald fähig waren, uns aus dem heimtückischen Flusse herauszuarbeiten. Wir befanden uns etwa 200 Meter stromabwärts von der Stelle, wo wir in den Fluß hineingegangen waren, und die Masse schlammigen Wassers, die wir geschluckt hatten, war so groß, daß uns allen dreien sehr übel wurde. Wir waren sehr erschöpft, und da das Unwetter noch nicht nachlassen zu wollen schien, schlugen wir das Lager (4975 Meter) auf dem linken Ufer des Stromes auf. Obgleich wir warme Speise dringend nötig hatten, war natürlich keine Möglichkeit vorhanden, Feuer anzumachen. Ein Stück Schokolade war alles, was ich an diesem Abend hatte, und meine Leute zogen es vor, gar nichts zu essen, anstatt das Gesetz ihrer Kaste zu übertreten. [Illustration: Tibetischer Hund.] Wir schliefen unter unserm kleinen Zelt. Es mochte gegen 11 Uhr sein, als draußen ein Geräusch wie von Stimmen und über Steine stolpernden Menschen hörbar wurde. Im Augenblick war ich mit meiner Büchse draußen und schrie das gewöhnliche »~Palado!~ Schert euch fort!«, worauf ich als Antwort mehrere mit Schleudern geworfene Steine an mir vorbeisausen hörte, in der Dunkelheit aber nichts sehen konnte. Einer der Steine traf das Zelt, und ein Hund bellte wütend. Ich feuerte einen Schuß in die Luft ab, der die gute Wirkung hatte, einen hastigen Rückzug unserer Feinde, wer sie auch sein mochten, hervorzubringen. Der Hund jedoch wollte nicht gehen. Er blieb draußen und bellte die ganze Nacht, und erst am Morgen, als ich ihm etwas zu fressen gab und ihn nach tibetischer Art mit dem gebräuchlichen Schmeichelworte »~Tschotschu, tschotschu~« streichelte, wurde unser vierfüßiger Feind freundlich, rieb sich an meinen Beinen, als ob er mich sein Leben lang gekannt hätte, und faßte eine besondere Zuneigung für Man Sing, neben dem er sich niederlegte. Von diesem Tage an verließ er unser Lager nicht mehr und folgte uns überall hin, bis schlimmere Zeiten über uns kamen. Der Fluß wandte sich zu weit nach Süden; ich beschloß daher, ihn zu verlassen und quer durch das Land zu gehen, besonders auch, weil schwache Spuren eines Pfades zu sehen waren, der in ostsüdöstlicher Richtung über einen Paß führte. Ich folgte diesem Pfad und konnte auf ihm Spuren von Hunderten von Pferdehufen sehen, die jetzt fast gänzlich verwaschen waren. Augenscheinlich war dies der Weg, den die Soldaten eingeschlagen hatten, denen wir auf der andern Seite des Maiumpasses begegnet waren. Als wir über den Paß (5410 Meter) gestiegen waren, sahen wir ein ausgedehntes Tal mit darüber verstreuten kahlen Hügeln vor uns. Gegen Süden bemerkten wir eine 17 Kilometer breite große Ebene, an deren entgegengesetzter Seite sich schneebedeckte Berge erhoben. Vorn ragte in die Ebene ein Hügel hinein, auf dem eine Manimauer stand. Diese Entdeckung machte mich ganz sicher, daß ich auf der Hauptstraße nach Lhasa war. Ungefähr 5 Kilometer entfernt in Nordnordwest waren hohe schneebedeckte Berge, und als wir weitergingen, fanden wir, 16 Kilometer dahinter, einen stattlichen Gebirgszug mit höheren Bergen. Wir waren zur Hälfte über die wasserlose Ebene gewandert, als wir eine Anzahl Soldaten mit ihren Luntenflinten entdeckten, die hinter einem entfernten Hügel Verstecken spielten. Sie kamen in einem großen Trupp hervor, um unsere Bewegungen zu beobachten, und zogen sich dann wieder hinter den Hügel zurück. Wir gingen vorwärts; aber als wir noch ein Kilometer von ihnen entfernt waren, verließen sie ihr Versteck und galoppierten fort, Wolken von Staub aufwirbelnd. Von einem 4940 Meter hohen Hügel, über den der Pfad ging, erblickten wir in 16 Kilometer Entfernung eine Gruppe von sehr hohen schneebedeckten Bergen. Zwischen ihnen und uns stand eine Kette von hohen Hügeln, die von einem Tale durchschnitten wurde, in welchem ein Fluß strömte, der eine große Masse Wassers führte. Wir folgten ihm und überschritten ihn, als wir eine passende Furt gefunden hatten, an einer Stelle, wo der Strom 25 Meter breit war und das Wasser uns bis an die Hüften reichte. Hier fanden wir wieder eine Manimauer mit großen Inschriften auf Steinen. Da der Wind sehr stark und schneidend war, gedachten wir, sie als Schutz zu benutzen. In dem Winkel zwischen Westsüdwest und Ostsüdost konnten wir in der Ferne einen sehr hohen schneebedeckten Gebirgszug, die große Himalajakette, und niedrigere Hügelzüge in nur 5 Kilometer Entfernung von unserm Lager sehen. Der Fluß, den wir soeben überschritten hatten. mündete in den Brahmaputra. Eine große Anzahl schwarzer Zelte stand in Ostsüdost vor uns; unserer Schätzung nach waren sie 3 Kilometer entfernt. Als die Sonne unterging, sahen wir sie sehr deutlich und zählten ungefähr sechzig. In ihrer Nähe konnte man Hunderte von schwarzen Jaken bemerken. Zu unserm Erstaunen waren sie am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang alle verschwunden, und wir konnten auch, als wir in der Richtung marschierten, wo wir sie am Abend vorher gesehen hatten, keine Spuren von ihnen finden. Ich glaube, daß wir es mit einer Luftspiegelung zu tun gehabt hatten. Als wir ungefähr 25 Kilometer weiter über eine grasbedeckte Ebene gegangen waren, die im Nordosten durch den von Nordwesten nach Südosten streichenden Gebirgszug begrenzt war und in Ostnordost, ungefähr 8 Kilometer von uns, hochragende schneebedeckte Gipfel hatte, kamen wir schließlich an einen sehr großen tibetischen Lagerplatz von über achtzig Zelten, in einer Höhe von 4770 Meter. Sie waren an dem Ufer eines Nebenflusses des Brahmaputra aufgeschlagen, der westlich an dem Lager vorbeifließt, nachdem er in der Ebene einen großen Bogen beschrieben hat. Acht Kilometer davon, in dem von Nordwesten nach Ostnordosten beschriebenen Bogen, erhob sich die Bergkette, die ich schon immer bemerkt hatte. Hier wurden aber die Gipfelhöhen allmählich immer geringer, so daß die Bezeichnung »Hügelzug« besser für sie passen würde als der Name »Bergkette«. Hinter ihr jedoch ragten viel höhere schneebedeckte Gipfel empor. Einunddreißigstes Kapitel. Im Zeltlager. Wir steuerten kühn auf das Lager los. Zuerst verursachte unser Näherkommen eine große Bewegung; hastig wurden Jake und Schafe vor uns hinweggetrieben, während Männer und Frauen in scheinbar großer Aufregung in die Zelte hinein- und wieder herausstürzten. Acht oder zehn Männer kamen zögernd vorwärts und baten uns, in das Innere eines großen Zeltes einzutreten. Sie wünschten, wie sie sagten, mit uns zu sprechen, und wollten uns gern Tee anbieten. Da ich Verrat argwöhnte, nahm ich ihre Einladung nicht an, sondern ging quer durch das Lager und machte erst ungefähr 300 Meter jenseits desselben halt. Nachher begaben Tschanden Sing und ich uns auf eine Runde durch alle Zelte, bemüht, Nahrungsmittel einzukaufen, aber auch um zu zeigen, daß, wenn wir uns vorher geweigert hatten, in ein Zelt einzutreten, dies keineswegs aus Furcht geschehen sei, sondern nur, weil wir uns nicht gern in einer Falle fangen lassen wollten. Unsere Besuche in den verschiedenen Golingtschas oder Gurr waren interessant genug. Die Zelte waren sehr geschickt konstruiert und den Verhältnissen des Landes, in dem sie zur Anwendung kamen, ausgezeichnet angepaßt. Auch die verschiedenen Einrichtungsgegenstände im Innern zogen meine Aufmerksamkeit auf sich. Von schwarzer Farbe, waren die Zelte aus Jakhaaren gewebt, deren natürliche Fettigkeit sie vollständig wasserdicht machte. Sie bestanden aus zwei Stücken dieses dicken Stoffes, die an jedem Ende des obern Zeltteiles von zwei Pfählen getragen wurden; oben hatten sie eine längliche Öffnung, durch die der Rauch des in der Hütte brennenden Feuers entweichen konnte. Die Grundfläche der größeren Zelte ist ein Oval; das Dach befindet sich gewöhnlich ungefähr zwei Meter hoch über dem Boden und wird vermittelst langer Stricke, die über hohe Pfähle gehen und mit Pflöcken in der Erde befestigt sind, sehr straff gespannt gehalten. Man verwendet hierzu hölzerne und eiserne Pflöcke, von denen sehr viele nötig sind, um das Zelt ringsherum so fest und dicht am Boden zu halten, daß es seine Bewohner gegen die scharfen Winde der Hochebene schützt. Hohe Stangen, gewöhnlich vier, mit weißen fliegenden Gebeten sind vor jedem Zelte zu sehen, oder auch in jeder Himmelsgegend eine, wobei der Osten als Ausgangspunkt genommen wird. [Illustration: Tibetisches Zelt.] Rings um das Innere der größeren Zelte wird eine zwei bis drei Fuß hohe Erdmauer aufgeführt, die den Zweck hat, noch mehr gegen Wind, Regen und Schnee zu schützen. Manchmal werden diese Mauern aus getrocknetem Dung hergestellt, der mit der Zeit als Brennmaterial verwendet wird. Zum Betreten des Zeltes sind zwei Öffnungen vorhanden, an jedem Ende eine; doch wird die gegen den Wind gerichtete immer vermittelst Ösen und hölzerner Riegel verschlossen gehalten. Der Tibeter ist ein geborener Nomade und wechselt seinen Wohnsitz mit den Jahreszeiten oder je nachdem er Weideplätze für seine Jake und Schafe finden kann; aber wenn er auch keine feste Wohnung hat, versteht er doch, es sich behaglich zu machen, und führt alles mit sich, dessen er bedarf. So fängt er z.B. damit an, sich in der Mitte seines Zeltes einen Goling, einen Herd aus Erde und Steinen, zu bauen, der ein Meter hoch, anderthalb lang und ein halbes Meter breit ist und zwei, drei oder mehr Zuglöcher hat. Mit dieser sinnreichen Einrichtung bringt er es fertig, die Verbrennung des getrockneten Dungs zu beschleunigen, der das schwierigste Brennmaterial ist. Auf der obern Seite dieses Ofens wird ein passender Platz für die verschiedenen Raksang, die großen messingenen Töpfe und Schalen, gemacht, in denen der Ziegeltee, nachdem er in einem steinernen oder hölzernen Mörser regelrecht zerstampft worden ist, gekocht und mit einem langen Messinglöffel umgerührt wird. Ein tragbares eisernes Gestell, auf welches sie die heißen Gefäße, in denen der Tee gebraut worden ist, setzen, wenn sie dieselben vom Feuer nehmen, liegt gewöhnlich irgendwo im Zelte umher. Dicht daneben steht der Toxzum oder Tongbo, ein zylindrisches hölzernes Butterfaß mit einem Deckel, durch den ein Stempel geht. Man gebraucht es, um darin den Tee mit Butter und Salz in derselben Weise zu vermischen, die ich als bei den Schokas üblich schon weiter oben beschrieben habe. Die hölzernen Becher oder Schalen, deren sich die Tibeter bedienen, werden Puku, Fruh oder Cariel genannt; aus ihnen wird auch Tsamba gegessen, nachdem man Tee darauf gegossen und das Gemisch mit mehr oder weniger schmutzigen Fingern zu einem Teig verarbeitet hat. Oft werden noch Extraklumpen Butter und sogar Stückchen Tschura (Käse) mit diesem Teig vermischt. Die reicheren Leute (Beamten) schwelgen in Mehl und Reis, die aus Indien eingeführt werden, und in Kassur, getrockneten Früchten (Datteln und Aprikosen), von geringer Qualität. Der Reis wird zu einer Art Suppe gekocht, die Tukpa genannt wird; es ist dies ein großer Luxus, den man sich nur bei sehr hervorragenden Gelegenheiten erlaubt, wobei auch andere, ebenso geschätzte Leckerbissen, wie Gimakara (Zucker) und Schelkara (weißer Lompenzucker) gegessen werden. Fleisch lieben sie sehr, wenn auch nur einige sich solchen Luxus gestatten können. Wildbret, Jak- und Schaffleisch gelten als ausgezeichnete Nahrung, und die in Stücke geschnittenen Fleischteile und Knochen werden mit einer reichlichen Menge von Salz und Pfeffer in einem Kessel gekocht. Die verschiedenen Insassen eines Zeltes tauchen die Hände in den Topf, und wenn sie ein passendes Stück herausgezogen haben, zerren sie mit den Zähnen und Fingern daran herum; selbst der Knochen wird zermalmt und ebenso wie das Fleisch gegessen. Auf meine Frage, warum sie dies täten, antworteten die Tibeter, daß Fleisch, ohne Knochen gegessen, schwer zu verdauen sei. Gewöhnlich sind die tibetischen Zelte mit einigen Tildih, groben Matten, ausgestattet, die um den Herd liegen und den Leuten als Sitzplätze dienen; neben dem Zelteingang steht ein Dahlo oder Korb, in welchem der gesammelte Dung aufbewahrt wird. Paarweise gebraucht sind diese Dahlos sehr bequem an die Packsättel zu binden, zu welchem Zweck sie auch besonders gemacht werden. Ferner stehen nahe an den Wänden des Zeltes die Tsamgo oder Säcke mit Tsamba und die Dongmo oder Buttertöpfe. Zwischen Massen von Schaffellen und Decken sieht man auch die kleinen hölzernen Kästen, in denen der Vorrat an Butter unter Schloß und Riegel gehalten wird. Das erste jedoch, was einem beim Betreten eines tibetischen Zeltes ins Auge fällt, ist das Tschoksah oder der Tisch, auf dem Lichter und Messingschalen mit den Opfergaben für den Tschogan stehen, den vergoldeten Gott, an den die Bewohner des Zeltes ihre Morgen- und Abendgebete richten. Gebeträder und Rosenkranzschnüre sind reichlich vorhanden, und die den Männern gehörenden langen Luntenflinten sieht man aufrecht an die Pfähle gebunden und mit ihren hohen Stützen aus der Öffnung in dem Zeltdache weit hervorragen. Die Speere werden auf dieselbe Art befestigt; die Schwerter und die kleineren Messer führt der Besitzer den ganzen Tag bei sich und legt sie nachts neben sich auf den Boden. Die Eingeborenen waren sehr höflich und gesprächig. Trotzdem sie unter dem Vorwand, daß sie sogar für sich selbst nichts zu essen hätten, sich weigerten, uns Nahrungsmittel zu verkaufen, ging ihre Freundlichkeit doch so sehr über meine Erwartung, daß ich zuerst Verrat fürchtete. Aber Verrat oder nicht, hielt ich es doch für das beste, so viel zu sehen und zu hören, als ich konnte, solange ich dort war. Männer und Weiber bildeten einen Kreis um uns, und bei der Beantwortung meiner Fragen schien das schöne Geschlecht weniger schüchtern als das starke. Nicht nur in diesem Lager, sondern auch in allen andern fiel mir besonders die geringe Zahl von Frauen auf, die man in Tibet sieht. Dies hat seinen Grund nicht etwa darin, daß sie in Abgeschlossenheit gehalten werden; denn die Damen des verbotenen Landes scheinen im Gegenteil in allem ihren Willen zu haben. Sie sind tatsächlich in der Minderheit, da nach einer ungefähren Schätzung, die jedoch durch die Angaben eines freundlichen Lamas unterstützt wurde, das Verhältnis in der Bevölkerung so ist, daß auf jede Frau 15 bis 20 Männer kommen; nichtsdestoweniger bringt es das schöne Geschlecht in Hundes fertig, die männliche Majorität aufs beste zu beherrschen, wobei es ein gutes Werkzeug in den Händen der Lamas ist. Man kann von einer tibetischen Frau, gleichviel ob sie eine Dame, eine Hirtin oder eine Räuberin ist, nicht sagen, daß sie irgend etwas Einnehmendes an sich habe. In der Tat ist mir das Glück nicht zuteil geworden, eine einzige schöne Frau im Lande zu sehen, wenn ich auch natürlich Frauen gesehen habe, die weniger häßlich waren als andere. Bei dem angehäuften Schmutz, der von Geburt an von Seife, Waschen oder Baden ganz verschont bleibt, bei dem Beschmieren der Nase, der Wangen und der Stirn mit schwarzer Salbe, die das Aufspringen der Haut im Winde verhüten soll, und bei dem unangenehmen Geruch, der den nie gewechselten Kleidern entströmt, bleibt wirklich wenig übrig, was die tibetische Frau anziehend machen könnte. Und doch, wenn man den ersten Ekel und die ersten Bedenken überwunden hat, besitzt die Tibeterin, aus der Entfernung gesehen, ihre eigenen Reize. Sie hat einen schönen Gang, denn sie ist daran gewöhnt, schwere Lasten auf dem Kopfe zu tragen; und wenn der Hals nicht gewöhnlich zu kurz und dick wäre, um graziös zu sein, würde ihr Kopf auch hübsch auf den Schultern sitzen. Der Körper und die Gliedmaßen sind von großer Muskelstärke und gut entwickelt, doch fehlt es ihnen gewöhnlich an Festigkeit, ein Umstand, der ohne Zweifel übermäßigen Genüssen zuzuschreiben ist. So sieht man auch, wenn sie sich der Sitte gemäß bis an die Taille entblößen, daß ihre Brüste schlaff und hängend sind. Im allgemeinen ist die Tibeterin von starkem Körperbau und zur Korpulenz geneigt. Ihre Hände und Füße lassen Stärke und rohe Kraft erkennen, aber an den Fingern ist weder Gewandtheit noch Gelenkigkeit zu bemerken und daher auch keine Geschicklichkeit für feine oder zierliche Arbeit. Trotzdem ist die tibetische Frau dem tibetischen Manne weit überlegen. Sie hat ein besseres Herz, mehr Mut und einen bessern Charakter als er. Unzähligemal, wenn die über alle Begriffe furchtsamen Männer bei unserm Näherkommen davonliefen, blieben die Frauen zur Beaufsichtigung der Zelte zurück, und wenn sie auch keineswegs kaltblütig und gefaßt waren, so verließen sie ihren Posten doch sehr selten. -- Auch bei dieser Gelegenheit, als alle freundlich waren, schienen die Frauen viel weniger scheu als die Männer und plauderten ungezwungen und unaufhörlich. Sie überredeten ihre Herren und Gebieter sogar, uns etwas Tsamba und Butter zu verkaufen. [Illustration: Tibeterin mit Tschukti.] Die tibetischen Frauen tragen wie die Männer Hosen und Stiefel und darüber ein langes gelbes oder blaues Kleid, das bis auf die Füße hinabreicht. Sehr merkwürdig ist ihr Kopfputz: das Haar wird sorgfältig in der Mitte gescheitelt und bis zu den Ohren mit geschmolzener Butter fest an die Kopfhaut geklebt, um dann ringsherum in unzählige kleine Zöpfe geflochten zu werden, an welche die Tschukti, drei Streifen von schwerem rotem und blauem Tuch, befestigt werden, die mit Korallen- und Malachitperlen und mit Silbermünzen verziert sind und von den Schultern bis zu den Hacken hinabreichen. Auf diesen Schmuck schienen die Frauen sehr stolz zu sein, und sie entfalteten viel Koketterie, um unsere Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Es befriedigte sie anscheinend sehr, als wir ihn bewunderten. Bei den wohlhabenderen Damen hängt ein kleines Vermögen über den Rücken herab: denn alles, was sie an Geld und Wertsachen erworben oder erspart haben, wird auf die Tschukti genäht. An dem unteren Ende der Tschukti sind eine, zwei oder drei Reihen kleiner messingener oder silberner Glöckchen befestigt. Daher wird das Nahen der tibetischen Damen, die dieser Mode huldigen, durch das Läuten ihrer Glocken angekündigt; ein seltsamer Gebrauch, dessen Ursprung die Damen mir nicht anders erklären konnten, als daß sie sagten, er sei hübsch und gefalle ihnen. Die Abbildung einer reisenden tibetischen Dame aus Lhasa (S. 225) wurde in Tucker aufgenommen. Sie trug ihr Haar, das von abnormer Stärke und Länge war, in einem einzigen ungeheuern Zopf, und rings um den Kopf zog sich wie ein Heiligenschein ein kreisförmiger hölzerner Kopfputz, auf dessen äußerem Teile Perlen von Korallen, Glas und Malachit befestigt waren. Das ganze Arrangement war so schwer, daß es, trotzdem es gut auf den Kopf paßte, doch durch Schnüre gehalten werden mußte, die teils an das Haar gebunden wurden, teils über den Kopf gingen. Zur Seite des Kopfes hingen an den Ohren und dem Haare ein Paar sehr großer silberner, mit Malachit eingelegter Ohrringe und rings um den Hals drei lange Perlenschnüre mit silbernen Spangen. Häufig wird auch ein loser silberner Kettengürtel ziemlich tief unterhalb der Taille getragen, und Ringe und Armbänder sieht man fast immer. Je nach dem Wohnorte und der Lebensstellung der Trägerin kommen natürlich in den Gewändern und dem Schmuck der Damen bedeutende Modifikationen vor, doch die Hauptzüge ihrer Kleidung sind tatsächlich überall dieselben. Zweiunddreißigstes Kapitel. Heirat und Tod. Es ist wohlbekannt, daß die Tibeter die Vielmännerei und die Vielweiberei gesetzlich anerkennen. Über die eigentliche Form dieser Ehegebräuche ist jedoch bisher nur sehr wenig zu uns gedrungen, und die nachstehenden Einzelheiten werden deshalb nicht ohne Interesse sein, so erschreckend sie auch, vom europäischen Standpunkt aus, erscheinen mögen. Zu allererst möchte ich bemerken, daß es bei den unverheirateten Frauen der mittleren Klassen in Tibet nichts gibt, was einem Sittengesetz ähnlich sähe. Deshalb ist es vom tibetischen Gesichtspunkt aus nicht leicht, eine unmoralische Frau zu finden. Trotz dieser Lage der Dinge ist das Verhalten der Frauen besser, als man erwarten könnte. Wie die Schokamädchen besitzen sie neben einer gewissen Zurückhaltung eine wunderbare Einfachheit des Betragens, die sehr angenehm ist, namentlich für den tibetischen Jüngling, der, von den Reizen eines Mädchens angezogen, plötzlich entdeckt, daß seine Liebelei mit ihr, fast ehe sie noch begonnen hat, ein festes Verhältnis geworden ist. Der Sitte gemäß bittet er seinen Vater und seine Mutter, ihn nach dem Zelte der Dame seines Herzens zu begleiten, wo ihre Verwandten, die von dem ihnen bevorstehenden Besuche schon in Kenntnis gesetzt worden sind, auf Decken und Matten sitzend die Ankunft der Gäste erwarten. Nach den gewöhnlichen Höflichkeiten und Verbeugungen bittet der Vater des jungen Mannes ohne weiteres für seinen Sohn um die Hand der jungen Dame, und wenn die Antwort günstig ist, legt der Freier ein viereckiges Stückchen Jakbutter auf die Stirn seiner Verlobten. Sie tut dasselbe mit ihm, und damit wird die Heiratszeremonie als erledigt betrachtet: das butterbestrichene Paar ist Mann und Frau. Wenn sich ein Tempel in der Nähe befindet, werden Kata, Speisen und Geld den Göttern dargebracht, und die Beteiligten gehen rings um das Innere des Tempels. Sollte kein Kloster nahe sein, so umschreiten Gatte und Gattin den nächsten Hügel, und in Ermangelung eines solchen das Zelt, wobei sie immer von links nach rechts gehen. Diese Zeremonie wird mit Gebeten und Opfern vierzehn Tage hindurch täglich wiederholt, während zugleich Weinlibationen und allgemeine Schmausereien stattfinden; danach bringt der Gatte seine bessere Hälfte in sein Zelt. Die Vorschriften hinsichtlich der Werbung sind in Tibet nicht sehr streng, doch wird der Verkehr mit Mädchen als ungesetzlich betrachtet, und in gewissen Fällen haben die Beteiligten, wenn sie entdeckt werden, nicht nur Schmach und Schande zu leiden, sondern es werden dem Manne auch gewisse Bußen auferlegt, von denen die schwerste darin besteht, daß er der jungen Dame ein Kleid und Schmucksachen schenken muß. Wenn es sich um vornehme Leute handelt, wird die Frage gewöhnlich zu allseitiger Zufriedenheit dadurch gelöst, daß der Mann das Mädchen heiratet und allen ihren Verwandten und Freunden mit Grazie Geschenke von »Schleiern der Freundschaft« sowie Eßwaren darbringt. Als heiratsfähiges Alter nimmt man bei den Frauen 16, bei den Männern 18 oder 19 Jahre an. Wenn ein tibetisches Mädchen heiratet, so tritt sie dadurch nicht in einen Ehebund mit einem einzigen Manne, sondern auf die nachstehend beschriebene, etwas komplizierte Weise auch mit seiner ganzen Familie. Wenn ein ältester Sohn eine älteste Schwester heiratet, werden alle Schwestern der Braut seine Gattinnen. Sollte er jedoch damit anfangen, die zweite Schwester zu heiraten, dann werden nur die Schwestern von der zweiten abwärts sein Eigentum. Heiratet er die dritte, gehören ihm alle von der dritten abwärts, und so weiter. Ebenso werden, wenn der Bräutigam Brüder hat, diese alle als Gatten von ihres Bruders Frau betrachtet und leben mit ihr sowohl wie auch mit ihren Schwestern, wenn sie solche hat, zusammen. Dieses System ist nicht einfach und gewiß nicht sehr erbaulich; und besäßen die tibetischen Frauen nicht so viel Einsicht, so würde es zu endlosen Streitigkeiten und Unannehmlichkeiten führen. Aber diese Einrichtung scheint, wohl weil sie ein altes Herkommen ist, bei den tibetischen Männern und Frauen ebenso gute Dienste zu tun wie jede andere Art von Ehe. Ich erkundigte mich, was in dem Falle geschehen würde, wenn ein Mann eine zweite Schwester heiratete und so Gattenrechte an allen ihren jüngeren Schwestern erhielte, und dann ein anderer Mann käme und ihre ältere Schwester heiratete? Würden die Frauen des ersten Mannes auch die Frauen des zweiten werden? Nein, sondern der zweite Mann würde sich mit nur _einer_ Frau begnügen müssen. Wenn die zweitälteste Schwester jedoch Witwe würde und ihr verstorbener Gatte keine Brüder hätte, dann würde sie das Eigentum des Mannes der ältesten Schwester werden und mit ihr alle andern Schwestern. Man darf aus diesen seltsamen Ehegesetzen nicht schließen, daß unter den Männern und Frauen in Tibet keine Eifersucht herrsche. Im Gegenteil sind Unannehmlichkeiten, die aus dieser Ursache hervorgehen, in tibetischen Häusern häufig. Die Frau ist aber, wie ich schon sagte, klug und macht es möglich, ihr Leben in einer für alle befriedigenden Weise einzurichten. Wenn ihr Mann mehrere Brüder hat, schickt sie dieselben mit verschiedenen Aufträgen nach allen Richtungen hin, um nach Jaken oder Schafen zu sehen oder Handel zu treiben, mit Ausnahme des einen, der während dieser Zeit ihr Gatte ist; er muß dann, wenn ein anderer zurückkehrt, seinen Platz verlassen und wieder Junggeselle werden, und so weiter, bis alle Brüder im Laufe des Jahres eine gleich lange Periode des Zusammenlebens mit ihrer gemeinschaftlichen Gattin gehabt haben. Das tibetische Gesetz, das freilich nur selten befolgt wird, hat strenge Klauseln, die das Verhalten der Eheleute regeln. Solange die Sonne über dem Horizont steht, ist ihnen keine Annäherung erlaubt, und auch in gewissen Abschnitten und Zeiten des Jahres, so z. B. im Hochsommer und im tiefsten Winter, ist sie verboten. Die Art, wie man in Tibet die Zugehörigkeit der Kinder feststellt, ist entschieden eigenartig. Vorausgesetzt, daß ein verheirateter Mann mehrere Kinder und zwei Brüder hat, gehört das erste Kind ihm, das zweite seinem ersten Bruder, das dritte seinem zweiten Bruder, während das vierte wieder des ersten Mannes Kind sein würde. Die Ehescheidung ist sehr schwierig und bringt endlose Komplikationen mit sich. Ich fragte eine tibetische Dame, was sie tun würde, falls ihr Gatte sich weigerte, noch länger mit ihr zu leben. »Warum hast du mich geheiratet, würde ich zu ihm sagen«, rief sie aus. »Du hast mich gut, schön, verständig, klug und zärtlich gefunden. Jetzt beweise mir, daß ich das alles nicht bin!« Diese bescheidene Rede würde, wie sie glaubte, vollständig genügen, jeden Ehemann wieder zur Vernunft zu bringen; aber trotz alledem finden es viele Tibeter doch angezeigt, ihre Frauen gelegentlich zu verlassen und in irgendeine entfernte Provinz oder über die Grenze durchzugehen, wenn diese nahe ist. Ein sehr peinlicher Fall kam vor dem Gerichtshof des Jong Pen von Taklakot zur Verhandlung. Der Gatte einer tibetischen Frau war gestorben, und sie, die sich in einen schönen jungen Mann verliebt hatte, der etwa zwanzig Jahre jünger war als sie, heiratete diesen. Der Bruder ihres ersten Gatten jedoch kam den weiten Weg von Lhasa her und beanspruchte sie als seine Frau, trotzdem er schon eine schönere Hälfte und eine große Familie besaß. Sie wollte aber nichts davon hören, den Gatten ihrer Wahl zu verlassen, und so kam nach endlosen Szenen zwischen ihnen der Fall vor den Jong Pen von Taklakot. Das tibetische Gesetz war gegen sie, da sie diesem zufolge entschieden ihrem Schwager gehörte. Aber das Geld ist im Lande der Lamas mächtiger als das Gesetz. »Zur Beruhigung aller kannst du die Sache auf folgende Weise in Ordnung bringen«, war der Rat des Jong Pen. »Du kannst deinen Besitz an Geld und Gut in drei gleiche Teile teilen. Den einen sollen die Lamas haben, den andern der Bruder deines ersten Gatten.« Die Frau willigte ein; aber als sie zwei Teile ausgezahlt hatte und auf Frieden hoffte, erhob der Jong Pen zu ihrem großen Verdruß die Frage, warum sie ein Drittel des Vermögens behalten solle, wenn sie doch nicht mehr zur Familie des Verstorbenen gehöre. Daraufhin wurde sofort der Befehl gegeben, sie ihres ganzen Besitzes zu berauben. Die Frau war jedoch schlau genug, die Offiziere des Jong Pen zu betrügen; sie packte ihr Zelt und all ihr Hab und Gut zusammen, ging bei Nacht still über die Grenze und stellte sich unter britischen Schutz. Der Ehebruch ist nichts Seltenes, und die Lamas, die der Mehrzahl nach im Zölibat leben sollen, aber ihr Gelübde nicht immer halten, sind dabei die am häufigsten Schuldigen. Sie werden natürlich nie bestraft; wenn aber der Schuldige ein Laie ist, so muß er dem ersten Gatten der Frau eine seinen Mitteln entsprechende Entschädigung und eine Anzahl von Waren leisten, die von den Beteiligten und ihren Freunden, oder, wenn man es verlangt, durch das Gesetz bestimmt werden. Eine wirklich strenge Strafe wird nur in dem Falle auferlegt, wenn die Frau eines hohen Beamten mit einem Manne niederen Ranges durchgeht. Die Frau wird zur Strafe ihrer Untreue gepeitscht; ihr Gatte fällt in Ungnade, und ihr Liebhaber wird aus der Stadt oder dem Lagerplatze ausgewiesen. Gewöhnlich genügen aber Geschenke von Kleidern, Tsamba, Tschura, Guram, Kassur und Wein, die von den unvermeidlichen Kata begleitet sind, um den Zorn des beleidigten Gatten zu besänftigen. Die Landesgesetze erlauben es übrigens hohen Beamten und einigen wohlhabenden Leuten, die sich nicht mit einer Frau begnügen, so viele Nebenfrauen zu halten, als ihre Mittel ihnen gestatten. -- Die tibetischen Leichenbegängnisse sind interessant, aber sie gleichen denen der Schokas, die ich ausführlich beschrieben habe, so genau, daß ein eingehender Bericht über sie nur eine Wiederholung dessen sein würde, was ich dort schon gesagt habe. Was jedoch die Bestattung der Leiche selbst betrifft, so haben die Tibeter dabei ihre eigenen, seltsamen Gebräuche. Infolge der großen Knappheit des Brennmaterials ist die Leichenverbrennung das ungebräuchlichste Verfahren, das nur, wenn es sich um wohlhabende Leute oder um Lamas handelt, angewendet und dann in genau derselben Art vollzogen wird wie bei den Schokas. Eine andere, gewöhnlichere Art der Bestattung ist, den Leichnam zusammenzuklappen, ihn in Häute einzunähen und dann mit der Strömung eines Flusses forttreiben zu lassen. Das am meisten übliche Verfahren aber ist die Zeremonie, die ich im nachstehenden schildere. Der Körper des Verstorbenen wird auf die Spitze eines Hügels getragen, wo die Lamas gewisse Beschwörungsformeln und Gebete sprechen. Dann zieht sich die Menge, nachdem sie siebenmal um den Toten herumgegangen ist, in eine gewisse Entfernung zurück, damit die Raben und Hunde den Leichnam in Stücke reißen können. Es gilt als glückbringend für den Verstorbenen und seine Familie, wenn der größere Teil des Leichnams nur von Vögeln verzehrt wird; ausschließlich Hunde und wilde Tiere kommen, wie die Lamas sagen, wenn der Verstorbene während seines Lebens gesündigt hat. Jedenfalls beobachtet man die fast vollständige Zerstörung des Leichnams eifrigst, und im passenden Augenblick kehren die Lamas und die versammelte Menge, ihre Gebeträder drehend und »~Om mani padme hum~« murmelnd, zu dem Körper zurück, den sie nun wieder siebenmal, und zwar von links nach rechts umschreiten. Nur bei der Sekte der Bombos werden diese Rundgänge in der umgekehrten Richtung ausgeführt und auch die Gebeträder von rechts nach links gedreht. Dann kauern sich die Verwandten ringsherum, die Lamas setzen sich dicht neben den Leichnam und schneiden mit ihren Dolchen das noch übriggebliebene Fleisch in Stücke. Der Oberlama ißt den ersten Bissen, danach genießen unter Murmeln von Gebeten auch die andern Lamas davon; dann werfen sich die Verwandten und Freunde über das jetzt fast gänzlich entblößte Skelett, um die letzten Stückchen Fleisch abzukratzen, die sie gierig verschlingen. Dieses Mahl von Menschenfleisch wird fortgesetzt, bis die Knochen trocken und rein sind! Der Sinn dieser gräßlichen Zeremonie ist der, daß der Geist des Verstorbenen, von dessen Leib man ein Stück verschlungen hat, einem für immer freundlich gesinnt bleiben wird. Wenn Vögel und Hunde davon gefressen haben, ist dies ein Zeichen, daß der Körper gesund ist. Kann man diese kannibalischen Neigungen der Tibeter auch nur mit größtem Ekel betrachten, so sind sie eben doch nichts anderes als ein freilich im höchsten Grade widerlicher ritueller Gebrauch. [Illustration: Wir werden zum Verhör geschleppt.] Die Lamas sollen eine besondere Gier nach Menschenblut haben, das, wie sie sagen, ihnen Kraft, Geist und Stärke verleiht. Wenn sie Wunden aussaugen, die nicht vergiftet sind, trinken sie das Blut, und bei gewissen Gelegenheiten werden auch Wunden nur zu dem Zwecke beigebracht, um das Blut aussaugen zu können. Zu andern Zeiten werden auch die aus Menschenschädeln geschnittenen Becher, die sich in allen Klöstern finden, mit Blut gefüllt, und die Lamas stillen dann der Reihe nach ihren Durst daraus. [Illustration: Tschanden Sing wird von den Lamas gepeitscht.] Aber genug hiervon! Es ist widerwärtig, darüber zu schreiben; aber dieses Buch würde unvollständig sein, wenn der Kannibalismus der Tibeter keine Erwähnung fände. Wenn ein heiliger Lama oder ein vom Volke sehr geachteter alter Mann stirbt, werden entweder Teile von dem Fleische oder, wenn die Verbrennung stattgefunden hat, etwas von seiner Asche aufbewahrt und in einem zu dem Zwecke errichteten Tschokden untergebracht; nach der Zahl dieser Bauwerke zu schließen, die man über ganz Tibet verstreut findet, fühlt man sich geneigt zu glauben, daß die halbe Bevölkerung des Landes aus Heiligen bestanden haben muß oder auch, daß das Maß der Heiligkeit in dem heiligen Lande der Lamas nicht gerade übermäßig hoch ist! Dreiunddreißigstes Kapitel. Das Moskitolager. Als wir am Morgen aus unserm Zelt herauskamen, bemerkten wir unter den Tibetern eine ungewöhnliche Bewegung. Eine große Anzahl berittener Leute mit Luntenflinten kamen an, und andere ebenso Bewaffnete traten sogleich aus den Zelten, um sich mit ihnen zu vereinigen. Sie schienen alle sehr erregt; aber ich hatte ein wachsames Auge auf sie, während ich mein Essen kochte. Im ganzen waren es ungefähr 200 Soldaten; alle waren malerisch gekleidet. Dem Anschein nach waren sie gute Reiter, und wie sie jetzt in einer Linie auf uns zuritten, sahen sie gut aus. In einiger Entfernung von uns hielten sie und stiegen von ihren Pferden. Die Offiziere kamen kühn auf uns zugeschritten, von einem kräftigen Burschen in einem schönen Schaffellrocke angeführt. Sein Auftreten war sehr anmaßend, und er schenkte sich sogar die gewöhnlichen Begrüßungen. Ich stand auf; er trat ganz dicht heran und schüttelte die Faust gegen mich. »~Kiu mahla lokhna nga rah luck tiba tangan.~ Ich will dir eine Ziege oder ein Schaf geben, wenn du zurückgehst«, sagte der Tibeter mit verächtlicher Miene. »~Kiu donna nga di tangan.~ Und ich gebe dir dies, damit du zurückgehst«, war meine schnelle Antwort, indem ich ihm einen unerwarteten, direkt aus der Schulter geführten Stoß versetzte, der ihn platt auf den Rücken fallen und auf dem Boden zappeln ließ. Das tibetische Heer, das mit seiner gewöhnlichen Vorsicht die Ereignisse aus respektvoller Entfernung beobachtete, hielt es nun für geraten, einen schnellen Rückzug anzutreten. Ganz unverletzt, aber wie ein Kind schreiend, rannte der Offizier schleunigst fort. Wir verzehrten unser Essen und dachten nur wenig an unsern Sieg. Bis jetzt hatten sich ja die Tibeter mit so verächtlicher Feigheit benommen, daß wir uns zu unsern leichten Erfolgen kaum beglückwünschen konnten. Uns kam das Gefühl, als ob wir wirklich überhaupt keinen Feind vor uns hätten, und dadurch wurden wir etwas unvorsichtig. -- Unser Marsch war jetzt verhältnismäßig leicht; er führte über eine breite grasbedeckte Ebene, über die wir ohne weiteres Hindernis in südöstlicher Richtung vorwärts gingen, wobei wir nordnordöstlich einen hohen Schneegipfel und nordöstlich von uns einen niedrigen Paß in dem Gebirgszuge bemerkten. Gerade vor uns ragte in weiter Ferne ein sehr hohes Gebirge auf; zwischen ihm und uns waren niedrige Hügel. Als wir um einen dieser isolierten Hügel herumgingen, fanden wir an seinem Fuße wieder eine größere, ziemlich lange Manimauer mit zahllosen Inschriften jeden Alters und jeder Größe auf Steinen, Knochenstücken, Schädeln und Hörnern. Weiter im Süden standen drei kleinere und zwei größere spitze Hügel. Die Soldaten, die wir bei unserm letzten Lagerplatze in die Flucht geschlagen hatten, waren in der Richtung, die wir jetzt verfolgten, weitergegangen, und wir schritten den ganzen Weg in den Spuren ihrer Pferde. Wir mußten wieder einen Fluß und eine ganze Menge von Bächen überschreiten. Es wurde uns lästig, jedesmal zum Durchwaten Schuhe und Kleider ausziehen zu müssen, weshalb wir die Kleider in einem Bündel auf die Jake banden und den Rest des Nachmittags nach der Art der indischen Fakire barfuß und mit nichts als einem Lendentuch bekleidet weiterwanderten. Die Sonne war außerordentlich heiß, der Boden sumpfig und die Luft dicht mit riesigen Moskitos angefüllt, die uns das Leben zur Last machten. Vom Kopf bis zum Fuß waren wir mit Stichen bedeckt, und der dadurch verursachte Hautreiz war höchst quälend; wir waren alle ganz geschwollen. Auf dem rechten Ufer eines großen Flusses in 4755 Meter Höhe machten wir halt und gaben der Stelle den Namen »Moskitolager«. Bei Sonnenuntergang vermehrte sich die Zahl der Moskitos so sehr, daß wir fast wahnsinnig wurden; aber glücklicherweise fiel das Thermometer in dem Augenblick, als die Sonne verschwand, auf 1 Grad, und so hatten wir eine ruhige Nacht. Abends sahen wir eine Anzahl von Reitern, die in scharfem Galopp etwa 2 Kilometer südlich von unserm Wege, aber in derselben Richtung wie wir dahinritten; ohne Zweifel waren sie ausgesandt, um die Behörden in den Orten vor uns in genauer Kenntnis über unsere Bewegungen zu erhalten. Heute war großer Waschtag. Das Wasser des Stromes war so klar, daß wir der Versuchung, ein großes Reinemachen abzuhalten, nicht widerstehen konnten; so wuschen wir alle unsere Kleider und breiteten sie zum Trocknen in der Sonne aus. Dann wurden Gesicht und Körper gründlich mit Seife gereinigt. Nach der langen Zeit, während der wir diesen Luxus hatten entbehren müssen, kam es uns wie etwas ganz Neues vor. Während ich mich in Ermangelung von Handtüchern wie gewöhnlich in der Sonne trocknete, beobachtete ich einen sehr hohen schneebedeckten Gipfel etwas rechts von mir und einen niedrigeren in Südsüdwesten, die zu der hohen Kette vor uns gehörten. Auf jeder Seite der Ebene, über die wir gingen, hatten wir jetzt Berge. Der Hügelzug nordöstlich von uns wies eine Lücke auf, die ein schmales Tal freiließ, hinter dem hohe, schneebedeckte Berge zu sehen waren. In südsüdöstlicher Richtung vorwärts gehend, machten wir einen langen Marsch über die grasige Ebene, um dann am Ufer des Brahmaputra, der hier schon ein breiter, tiefer und sehr reißender Strom ist, das Lager aufzuschlagen. Da wir an Hunderten von Kiang und Antilopen vorbeigekommen waren, unternahm ich kurz vor Sonnenuntergang einen Spaziergang nach den Hügeln, in der Absicht, etwas frisches Fleisch ins Lager zu bringen. Ich beschlich eine Antilopenherde, wurde aber, als ich mich etwa 9 Kilometer vom Lager entfernt hatte, von der Nacht überrascht und hatte bei meiner Rückkehr die größte Mühe, meine Leute in der Dunkelheit wiederzufinden. Sie hatten kein Feuer anzünden können, und da sie beide fest eingeschlafen waren, erhielt ich auf mein Rufen keine Antwort. Als Platz für unser Lager hatten wir eine geschützte Bodensenkung gewählt, und da es ringsherum Hunderte von ähnlichen Stellen, aber nirgends eine Landmarke gab, nach der man sich richten konnte, so war es keineswegs leicht, den einen bestimmten Fleck zu treffen. Glücklicherweise hörte mich Tschanden Sing, nachdem ich ziemlich lange gerufen hatte, endlich doch, und so fand ich nach dem Ton seiner Stimme den Weg zurück. Am Morgen erblickten wir auf dem andern Ufer des Brahmaputra etwa zwei Kilometer von uns entfernt einen großen Lagerplatz, wo wir wohl hätten Proviant bekommen können; aber der Strom war für uns zum Überschreiten zu reißend, außerdem sahen wir auf unserer Seite des Wassers auch allenthalben schwarze Zelte, und somit lag kein Grund vor, noch die Mühe und Gefahr des Stromübergangs auf uns zu nehmen. Zu unserer großen Freude gelang es uns, ein Schaf von einigen vorbeikommenden Tibetern zu kaufen, die eine mehrere tausend Köpfe starke Herde vor sich her trieben. Da wir nicht genug trockenes Brennmaterial finden konnten, um Feuer zu machen, betraute ich Man Sing damit, das Tier sicher nach unserm nächsten Lager zu geleiten, wo wir uns daran gütlich tun wollten. [Illustration: Tibetisches Lastschaf.] Die Tibeter haben drei verschiedene Arten von Schafen, das Rabbuschaf, ein großes wolliges Tier, wie ich eins gekauft hatte; das Ratton- oder kleine Schaf, und das Tschitbu- oder Zwergschaf, dessen Fleisch eine köstliche Speise ist. Die Rabbu- und Rattonschafe sind die beiden Arten, die gewöhnlich zum Lasttragen gebraucht werden; sie sind stark genug, um auf mäßig gutem Boden mit einer Last von nicht über 20 Kilogramm täglich eine Strecke bis zu 15 Kilometer ununterbrochen gehen zu können. Der Brahmaputra hatte hier mehrere Verzweigungen, die in kleinen Seen endigten und die Ebene zu einem Sumpf machten. Der größere Arm war sehr breit und tief. Wir zogen es vor, an ihm entlang zu gehen anstatt ihn zu überschreiten, trotzdem wir infolgedessen etwas von dem Kurse abweichen mußten, den ich sonst verfolgt haben würde. So machten wir einen großen Umweg, und selbst dabei sanken wir noch auf einer Strecke von mehreren Meilen bis an die Knie in den Schlamm oder mußten beständig durch Wasser waten, aus dem kleine Erdhügel mit Grasbüscheln hervorragten, die untersanken, wenn wir darauf traten. Der nördliche Teil der Ebene war in der Tat außerordentlich sumpfig. Unsere Jake machten uns unendliche Mühe; denn wenn sie unverhofft in Schlammlöcher fielen, wurden sie ängstlich und unruhig und schüttelten bei ihren Bemühungen, sich herauszubringen; ein paarmal die Packsättel und Lasten ab, die wir aus Mangel an Stricken nicht ordentlich hatten befestigen können. Dennoch brachten Tschanden Sing und ich es fertig, gleichen Schritt mit ihnen zu halten. Endlich, als wir uns den Hügeln näherten, wurden die Bodenwellen größer und das Erdreich etwas trockener. Nahe am Fuße des nördlich von uns gelegenen Bergzuges sahen wir Rauchsäulen aufsteigen. Wir gingen daher noch ein paar Kilometer weiter, erschöpft und schmutzig, während unsere Kleider, auf deren Waschen wir soviel Seife und Zeit verwendet hatten, mit Kot und Schlamm bespritzt wurden. »Wo ist Man Sing und das Schaf?« fragte ich meinen Träger. »Er blieb am Anfang des Sumpfes zurück. Er war zu erschöpft, um das Schaf, das du gekauft hast, vorwärts zu ziehen.« Es beunruhigte mich nicht wenig, als ich mit dem Fernrohr von einem Hügel aus das Land ringsumher durchspähte und keine Spur von dem armen Burschen sehen konnte, und ich zürnte mir selbst, daß ich sein Verschwinden nicht eher bemerkt hatte. Da nahe bei der Stelle, wo er geblieben war, sich viele Tibeter befunden hatten, fürchtete ich, daß sie falsches Spiel mit ihm getrieben und ihn überwältigt hätten. Dann stellte ich mir wieder vor, daß er, schwach wie er war, in eins der tieferen Schlammlöcher versunken sein könnte, ohne die Möglichkeit sich zu retten. Ich ließ daher Tschanden Sing zurück, um die Jake zu beaufsichtigen, und kehrte um, ihn zu suchen. Als ich Kilometer um Kilometer zurückeilte, mich wieder halb über den Lehmsumpf hinüberarbeitete und noch immer keine Spur von dem armen Kuli sah, hegte ich ernste Befürchtungen für seine Sicherheit. Etwa ein Kilometer weiterhin zog ein Gegenstand, der sich bewegte, meine Blicke auf sich. Es war das Schaf, das anscheinend ganz allein war. Mein Mut sank, als ich auf es losging. Selbst als ich nur noch ein paar hundert Meter von dem Tier entfernt war, konnte ich Man Sing nicht erblicken. Was mochte aus ihm geworden sein? Erst als ich ganz dicht herangekommen war, bemerkte ich den armen Kuli, der der Länge lang und halb im Schlamm versunken dalag. Er war in Ohnmacht gefallen, war aber vorsichtig genug gewesen, sich den Strick des Schafes fest um den Arm zu binden, und so war es dem armen Tiere nicht nur zu danken, daß ich ihn aufgefunden, sondern ich hatte auch unsere kostbare Akquisition gerettet. Mit einigem Reiben und Schütteln rief ich den armen Burschen wieder ins Leben zurück und stützte ihn mit dem Arm, bis wir Tschanden Sing erreichten. -- Es war Mitternacht, als wir in Tarbar ankamen, einem großen tibetischen Lagerplatze am Fuße des Höhenzuges. Der Lärm bei unserer Ankunft, der zuerst durch Dutzende zornig bellender Hunde und dann durch einen Eingeborenen hervorgerufen wurde, der es gewagt hatte, sein Zelt zu verlassen, um nach der Ursache der Störung zu sehen, erregte im Lager einen panischen Schrecken. [Illustration: Alte Tibeterin.] »~Gigri duk! Gigri duk! Jogpa, Jogpa!~ Gefahr, Gefahr! Hilfe Räuber, Räuber!« rief der Tibeter, der wie wahnsinnig aus seinem Zelte lief. Nach ein paar Sekunden wurden überall schwarze Gestalten sichtbar, die in großer Verwirrung in ihre Zelte hinein- und wieder herausstürzten. Es muß hier bemerkt werden, daß man nach tibetischer Sitte die Zeit der Ankunft in einem Lagerplatze so wählen muß, daß man ihn vor Sonnenuntergang erreicht, wenn man nicht sein Kommen schon im voraus hat ankündigen lassen. Leuten, die mitten in der Nacht ankommen, traut man nie gute Absichten zu, und darum knüpfen sich an ihr Erscheinen alle möglichen schlimmen Vorstellungen von Mord, Raub und Erpressung. Ich versuchte, die Gemüter dieser guten Leute dadurch zu beruhigen, daß ich ihnen sagte, ich führte nichts Böses im Schilde; aber ihre Aufregung und Verwirrung war so groß, daß ich niemand dazu bekommen konnte, auf mich zu hören. Jetzt kamen zwei alte Weiber mit einem Eimer Milch zu uns, stellten ihn mir vor die Füße und flehten mich an, ihr Leben zu schonen. Wie groß war ihr Erstaunen, als sie, anstatt ermordet zu werden, eine Silberrupie als Bezahlung dafür erhielten! Dies war der erste Schritt zu einer friedlichen Beilegung des Aufruhrs. Nach einiger Zeit war die Ruhe wiederhergestellt, und wenn man uns auch noch mit großem Mißtrauen ansah, wurden wir doch höflich behandelt. Leider war es uns jedoch auch hier nicht möglich, einen Vorrat von Tsamba, Mehl und Reis zu kaufen, da die Eingeborenen erklärten, daß sie nicht einmal für sich selbst genug hätten. Nachdem wir uns an dem Schaf, das wir schlachteten, und an Jakmilch gütlich getan hatten, trafen wir in der Frühe des nächsten Morgens unsere Vorkehrungen, ein Lager aufzuschlagen. Die Eingeborenen zeigten wie gewöhnlich eine widerwärtige Gier nach Geld, für dessen Erlangung sie stets bereit waren, sich den erniedrigendsten Zumutungen zu fügen. Nordwestlich von dem Lagerplatze strömte durch eine Schlucht ein breiter Fluß, der am Fuße der Berge entlang floß. Er wurde von Schnee gespeist, denn nachts war die Strömung stark und tief, während früh am Morgen der Wasserstand um etwa ein Meter niedriger war; doch war der Strom selbst dann noch bei Tarbar nicht zu durchwaten. Nachts fiel das Thermometer auf 3 Grad unter Null, und die Kälte war sehr groß. Wir kauften von den Eingeborenen etwas Dung und machten am Morgen ein schönes Feuer, und als wir nach mehrtägigen Entbehrungen ein gutes Mahl eingenommen hatten, fühlten wir uns glücklicher als je. Nachdem wir Tarbar verlassen hatten, folgten wir eine Zeitlang dem Laufe des Flusses, und da es ein herrlicher Tag war, genossen wir das prachtvolle Panorama des mächtigen Gebirgszuges im Südwesten von uns. Fast alle höhern Gipfel waren von pyramidenförmiger Gestalt. In Südwesten bemerkte ich einen riesenhaften viereckigen Berg. Links neben ihm befand sich ein pyramidenförmiger Gipfel, der auch sehr hoch, aber weder an Höhe noch an Schönheit seinem Nachbar zu vergleichen war. Die Hauptrichtung des Kurses, den ich verfolgte, war ostsüdöstlich. Der Fluß, an den wir uns mehr oder minder gehalten hatten, beschrieb jetzt einen so großen Bogen nach Südsüdost, daß ich beschloß, ihn zu überschreiten. Wir durchwateten ihn, wobei das Wasser uns bis an den Hals ging, und nun befanden wir uns wieder auf sumpfigem Terrain, wo sich unsere Erfahrungen vom vorigen Tage wiederholten. Wir überschritten noch drei Nebenflüsse des großen Stromes, die alle ziemlich breit und tief waren; dann mußten wir noch einmal über den Hauptfluß gehen, der jetzt so tief und reißend war, daß er uns viel Beschwerde und nicht geringe Gefahr verursachte. Da der Fluß die Ebene im Zickzack durchströmt, war dies der einzige für uns mögliche Weg, wenn wir nicht seinen Ufern folgen und dadurch unsere Wanderung um das Doppelte und Dreifache verlängern wollten. So stand uns in unserm Bemühen, in gerader Richtung vorzugehen, zum drittenmal dieser große Fluß feindlich entgegen, der jetzt, noch durch andere, vom Schnee gespeiste Flüsse angeschwollen, eine ungeheure Wassermenge führte. Es war überdies nachmittags, wo das Wasser am höchsten stieg. Wir versuchten an verschiedenen Stellen den Übergang, fanden ihn aber überall unmöglich. So entschloß ich mich, bis zur Frühe des nächsten Morgens zu warten, ob sich mir bei niedrigerem Wasserstande eine günstigere Gelegenheit bieten würde. Vierunddreißigstes Kapitel. Ein harter Schlag. Augenscheinlich war dieser Teil des Landes meinen Jaken wohlbekannt. Ich hatte bemerkt, daß, wenn ich einmal den Pfad verlor, ich nichts anderes zu tun hatte, als ihnen zu folgen, da sie mich immer wieder auf den Weg zurückbrachten. So zeigten sie auch, wenn ich sie von dem Pfade forttrieb, große Abneigung, vorwärts zu gehen, während sie munter dahinschritten, wenn wir auf der Straße waren. Diese ist aber keine eigentliche Straße in europäischem Sinne, denn nirgends ist ein Pfad zu sehen, außer hier und da, wo die letzten Reisenden mit ihren Schafen, Pferden und Jaken das Gras zertreten haben. In etwa ein Kilometer Entfernung befand sich auf der andern Seite des Flusses ein Lager von einigen fünfzig oder sechzig Zelten; Hunderte von Jaken und Schafen sah man daneben grasen. An dieser Stelle nahmen meine beiden Jake, die munterer als gewöhnlich gegangen waren, plötzlich Reißaus, als ich Tschanden Sing und Man Sing eben anwies, die Lasten herabzunehmen, und gingen geradeswegs ins Wasser. Bei dem Versuche, sie zum Umkehren zu veranlassen, warf Man Sing mit einem Stein nach ihnen, was sie nur um so schneller hineinlaufen ließ. Die Strömung war so stark und der Boden des Flusses so weich, daß sie beide sanken, und als sie wieder auf der Oberfläche erschienen, trieben sie reißend schnell stromabwärts. Wir beobachteten sie mit immer wachsender Besorgnis, denn sie schienen ganz hilflos. Keuchend rannten wir am Flußufer entlang und feuerten sie mit Zurufen an, um sie auf die andere Seite zu treiben. Aber in ihrem verzweifelten Bestreben, sich schwimmend zu erhalten, stießen die beiden Jake, ohnmächtig gegen die Strömung, in der Mitte des Stromes heftig zusammen; dieser Stoß brachte den Packsattel und die Lasten des kleinern Jaks zum Umkippen. Das so aus dem Gleichgewicht gebrachte Tier sank unter und erschien in seinem Kampfe um Luft und Leben noch zwei- oder dreimal auf der Oberfläche. Es war ein furchtbarer Augenblick. Ich warf meine Kleider ab und sprang ins Wasser. Schnell schwamm ich auf das Tier zu und zog es mit nicht geringer Anstrengung etwa 200 Meter stromabwärts an das Ufer. Nun waren wir beide sicher, wenn auch atemlos; aber die Stricke, mit denen das Gepäck an dem Sattel befestigt war, hatten sich gelöst, und Sattel und Lasten blieben verschwunden. Dieses Unglück war ein entsetzlicher Schlag für uns. Ich bemühte mich, durch wiederholtes Tauchen in dem Flusse meine Habe wiederzuerlangen, bis ich fast erfroren war. Aber das Wasser war so tief, reißend und schlammig, daß es mir nicht gelang, sie zu finden oder auch nur die Stelle genau zu bestimmen, wo sie sein konnten. Da, wo ich sie vermutete, war das Wasser über 6 Meter tief und der Boden des Flusses weicher Schlamm, so daß die Lasten durch ihr Gewicht sinken und ganz mit Schlamm bedeckt werden mußten. Das Tauchen in so hoch gelegenen Regionen verursacht ein eigentümliches, unangenehmes Gefühl. In dem Augenblick, als ich ganz unter Wasser kam, war mir, als ob ich unter einer furchtbaren Last zusammengepreßt würde, die mich zu zermalmen schien. Wäre die Flüssigkeit über mir und um mich Blei gewesen anstatt Wasser, sie könnte nicht schwerer auf mir gelastet haben. Dieses Gefühl machte sich besonders im Kopfe bemerkbar; denn mir war, als ob mein Schädel in einen Schraubstock gezwängt sei. Das Hämmern in meinen Schläfen war so stark, daß ich, trotzdem ich unter gewöhnlichen Umständen mehr als eine Minute unter Wasser bleiben kann, dort nicht länger als 15 bis 20 Sekunden aushalten konnte. Jedesmal, wenn ich nach Luft schnappend von unten heraufschoß, schlug mein Herz beängstigend heftig, und meine Lungen schienen bersten zu wollen. Ich war so erschöpft, daß ich mich nicht imstande fühlte, meine beiden Leute über den Fluß hinüberzubefördern; so verfiel ich auf ein anderes Auskunftsmittel. Ich nahm dem stärkern Jak seine Last ab und trieb ihn und seinen Genossen mit unendlicher Mühe wieder ins Wasser. Unbelastet trieben sie als gute Schwimmer mit der Strömung fort und fanden ihren Weg hinüber. Nun stiegen Tschanden Sing und Man Sing, ihre und meine Kleider in einem Bündel über die Schultern gehängt, auf den Rücken der Tiere und kamen nach einem etwas ängstlichen Übergang sicher auf meiner Seite an. Wir lagerten auf dem linken Ufer des Flusses. Die ganze Nacht hindurch trauerten meine Leute über das verlorene Eigentum. Am nächsten Morgen machte ich neue Versuche, die Lasten wiederzufinden. Vergebens! Sie blieben für immer verloren. Unglücklicherweise hatten sie alle meine Büchsenkonserven und die wenigen andern Lebensmittel für meine Leute und mich enthalten. Überdies befanden sich in ihnen 800 Rupien in Silber, der größere Teil meiner Munition, Kleider zum Wechseln und drei Paar Schuhe, meine kupferne Sturmlaterne und verschiedene Rasier- und andere Messer. Den Packsattel fanden wir wieder. Er war ungefähr 600 Meter weiter abwärts an das Ufer des Flusses gespült worden. Unsere Lage kann in wenigen Worten zusammengefaßt werden: Wir waren jetzt in der Mitte von Tibet, ohne jede Nahrung, ohne nennenswerte Kleidung, ohne Stiefel oder Schuhe, außer denen, die wir trugen und die schon in Stücke zerfielen. Auf die geringe Munition, die mir geblieben war, konnte ich nicht rechnen, da sie zu verschiedenen Malen naß geworden war. Rings um uns hatten wir nichts als Feinde; zwar _feige_ Feinde, aber doch _Feinde_. Was nützt es aber, sich mit Grübeleien über Ereignisse zu plagen, die man nicht vorhersehen oder vermeiden kann. Schließlich hatte bei all dem Mißgeschick doch ein glückbringender Stern über mir gewaltet, denn die wasserdichten Kisten mit meinen wissenschaftlichen Instrumenten, meinen Aufzeichnungen, Skizzen und Karten waren wenigstens gerettet, und sie waren mir mehr wert als alles andere, was ich besaß. Hungrig, erschöpft, mit wunden Füßen gingen wir weiter; aber trotz alledem blieben wir guten Mutes. Wenn wir auch nichts anderes mehr besaßen, so hatten wir doch entschieden noch Sinn für Humor, der uns über vieles hinweghalf. Wir lachten über unsere Beschwerden; wir lachten über die Tibeter und ihre komischen Sitten, wir lachten über alles und alle, bis wir schließlich über uns selbst lachten. Wenn man hungrig ist, scheint es einem, als ob die Sonne ihren täglichen Halbkreis von Osten nach Westen sehr langsam beschreibe. Und unfreiwilliges Fasten wird, wenn es einem auch zuerst einen heftigen Schmerz im Magen verursacht, doch erst nach mehreren Tagen vollständigen Nahrungsmangels unerträglich, falls man, wie wir es waren, an außerordentlich lange Pausen zwischen Mahlzeiten gewissermaßen gewöhnt ist. Als wir bei unserm dritten Fasttage anlangten, würden wir uns über eine Mahlzeit gefreut haben, in Wahrheit, wir sehnten uns nach einer; und da wir, ungefähr 7 Kilometer von unserm Weg, dicht am Abhang des Berges einige schwarze Zelte erblickten, gingen wir freudigen Herzens auf sie los. Wir kauften zwei Eimer voll Jakmilch, von denen ich einen auf der Stelle austrank, während der zweite zu gleichen Teilen meinen beiden Dienern verabfolgt wurde. Das war alles, was wir bekommen konnten; die Tibeter wollten uns durchaus nichts anderes verkaufen. [Illustration: Eine gründliche Labung.] Hiernach gingen wir wieder weiter und kamen, stetig fortschreitend, im Hinblick auf die große Höhe, in der wir uns befanden, verhältnismäßig schnell vorwärts, wobei ich unsere Route aufzeichnete. Wir begegneten angenehmen und auch einigen unangenehmen Leuten, aber ob ihr Betragen höflich war oder das Gegenteil, nirgends konnten wir für Geld und gute Worte Nahrungsmittel erhalten. Man Sing und Tschanden Sing waren jetzt in einem furchtbaren Zustande; sie hatten ja kein solches Interesse, wie ich es an meiner Arbeit hatte, das ihren Mut aufrecht erhalten hätte. Erfroren, ermüdet und ausgehungert, hatten die armen Schelme kaum noch Kraft, auf den Füßen zu stehen, deren Sohlen bös zerschnitten und ganz wund gelaufen waren. Mir blutete wirklich das Herz, wenn ich diese beiden tapfern Burschen um meinetwillen so leiden sah. Und doch ließen sie kein Wort der Klage laut werden; nicht ein einziges Mal kam ein Vorwurf über ihre Lippen. »Laß es dich nicht kümmern, wenn wir leiden oder selbst sterben,« sagten die armen Burschen, als ich ihnen mein Mitgefühl aussprach; »solange wir noch Kraft haben, uns zu bewegen, werden wir dir folgen, und wir werden zu dir stehen, was auch kommen möge.« Ich mußte Tschanden Sing seine Flinte abnehmen, da er nicht mehr imstande war, sie zu tragen. Als die Tage hingingen und ich nichts zu essen hatte, fühlte ich mich selbst auch schwach und erschöpft. Ich kann nicht sagen, daß ich irgendeinen heftigen körperlichen Schmerz empfunden hätte. Wie ich glaube, war dies dem Umstande zuzuschreiben, daß ich infolge von Erschöpfung Fieber hatte. Indessen hatte ich ein eigentümliches Gefühl im Kopfe, als ob mein Verstand, der nie zu hell war, jetzt gänzlich stumpf geworden wäre. Auch mein Gehör nahm an Schärfe ab; ich fühlte, wie meine Kraft allmählich erlosch, der Flamme einer Lampe gleich, in der kein Öl mehr ist. Nur die Aufregung hielt mich aufrecht; ich ging mechanisch vorwärts. Wir kamen an einen Lagerplatz von etwa achtzig schwarzen Zelten mit einem aus Lehm erbauten Wachthaus. Jetzt waren wir buchstäblich ausgehungert und am Ende unserer Kräfte. Der elende Zustand meiner beiden Leute machte es durchaus unmöglich, weiterzugeben. Sie baten mich, ihnen Pferde zum Reiten zu verschaffen, denn ihre Füße waren so wund, daß sie trotz ihres Verlangens, mir zu folgen, keinen Schritt mehr tun konnten. Die Eingeborenen empfingen uns sehr freundlich und willigten, als ich darum bat, ein, mir Pferde, Kleider und Lebensmittel zu verkaufen. Wir schlugen ungefähr 4 Kilometer jenseits der Niederlassung unser Lager auf. Am Abend kamen mehrere Leute, uns in unserm Zelte zu besuchen, und brachten uns Geschenke an Mehl, Butter und Tsamba, denen Schleier der Freundschaft beigefügt waren. Ich ließ es mir stets angelegen sein, den Tibetern als Erwiderung für ihre Gaben eine Summe Silbergeld zu geben, die drei- oder viermal größer war als der Wert der uns geschenkten Gegenstände; sie gaben auch vor, sehr dankbar dafür zu sein. Ein Mann namens Ando, der sich für einen Gurkha ausgab, aber die Kleidung der Tibeter trug, besuchte uns in unserm Zelt und versprach, uns am nächsten Morgen mehrere Pferde zu verkaufen. Er übernahm es auch, mir eine hinreichende Menge Lebensmittel zu liefern, um damit nach Lhasa kommen zu können, und brachte, um seine Rechtschaffenheit zu zeigen, schon abends einen Teil der Vorräte, wobei er sagte, er würde uns den Rest am nächsten Morgen geben. Danach empfingen wir den Besuch eines Lamas, der ebenso höflich wie intelligent zu sein schien und der uns mit etwas Butter und Käse beschenkte. Wie er uns erzählte, war er in Indien gereist und bis Kalkutta gekommen, und befand sich jetzt auf dem Wege von Gartok nach Lhasa, wo er in vier oder fünf Tagen anzukommen hoffte, da er ein vortreffliches Pferd hätte. Andere Lamas und Männer, die uns besuchten, gaben an, daß sie in derselben Zeit von Lhasa hierher gekommen seien, und ich glaube nicht, daß sie sich darin geirrt haben, da man die ganze Entfernung vom Lippupaß an der Grenze, in der Nähe von Garbyang, nach Lhasa zu Pferd in 16 Tagen zurücklegen kann. Wie gewöhnlich zeigten sich die Eingeborenen sehr verschwiegen, wenn es sich darum handelte, den Namen des Lagerplatzes zu verraten; einige nannten ihn Toxem, andere Taddju. Nördlich von der Stelle, wo wir unser Lager aufgeschlagen hatten, befand sich ein niedriger Paß in dem Höhenzuge. Es war meine Absicht, wenn es mir gelänge, Proviant und Pferde zu kaufen, diesen Paß zu überschreiten und nach der heiligen Stadt vorzugehen, indem ich den Weg an der Nordseite des Gebirgszuges verfolgte; denn von den Tibetern hatte ich schon so viel gesehen, als ich wollte, und die Landstraße nach Lhasa wurde jetzt so dicht bevölkert, daß ich es für ratsam hielt, durch weniger bewohnte Gegenden zu reisen. Bis einige Meilen vor Lhasa gedachte ich als Engländer gekleidet zu bleiben. Dann wollte ich meine beiden Leute an irgendeinem abgelegenen Orte verborgen zurücklassen und selbst in einer Verkleidung während der Nacht allein in die Stadt eindringen. [Illustration: Nerbas Mordanschlag.] Dies würde leicht genug gewesen sein, da Lhasa keine Tore hat und nur von einer verfallenen Mauer umgeben ist. Es war mir hier gelungen, einige Kleidungsstücke und Stiefel von den Tibetern zu kaufen, und den Zopf, dessen ich bedurfte, um für einen Tibeter zu gelten, hätte ich mir leicht aus dem seidigen Haar meiner Jake machen und an meinem eigenen Haar befestigen können. Um mich nicht etwa durch meine Unfähigkeit, das Tibetische so fließend wie ein Eingeborener zu sprechen, zu verraten, beabsichtigte ich, mich taubstumm zu stellen. [Illustration: Die Lamas mit den Folterwerkzeugen.] So berechtigte jetzt alles zu guten Hoffnungen, und wir waren in gehobener Stimmung; ich sah mich schon in der heiligen Stadt. [Illustration: Quälerischer Sport meiner Wache.] Fünfunddreißigstes Kapitel. Gefangen. Während der Nacht wurde ich mehrmals durch Geräusche gestört, aber so oft ich aus dem Zelte trat, um mich nach den ungebetenen Gästen umzusehen, gelang es mir nicht, irgend jemand zu entdecken. Da ich diese Geräusche allnächtlich hörte, hatte ich mich gewöhnt, ihnen keine Wichtigkeit beizumessen. Am Morgen kamen Ando und zwei oder drei Tibeter, um uns Lebensmittel und Pferde zu verkaufen, und während meine beiden Diener und ich beschäftigt waren, das, was wir brauchten, einzuhandeln, sah ich eine Menge von Dorfbewohnern in Gruppen herankommen. Einige spannen Wolle, andere trugen Säcke mit Tsamba und Mehl, und wieder andere führten eine Anzahl schöner Pferde herbei. Als wir so viel Proviant gekauft hatten, um damit zwei Monate auskommen zu können, machten wir uns an die Auswahl von Reittieren. Natürlich waren meine Diener und ich von Herzen froh über unser unerwartetes Glück, das uns nach unzähligen Leiden und Entbehrungen aller Art jetzt einen Überfluß von alledem entgegenbrachte, was wir nur irgend wünschen konnten. Die Tibeter waren so freundschaftlich in ihrem Benehmen und schienen so lustig, daß ich nicht daran denken konnte, Verrat zu befürchten. Tschanden Sing und Man Sing, die Sportsleute ersten Ranges und bei der Aussicht, Reitpferde zu bekommen, überglücklich waren, ritten ein Pferd nach dem andern, um passende zu finden. Und als Tschanden Sing ein schönes Tier zu seinem eigenen Gebrauch ausgesucht hatte, rief er mich, damit ich es vor Bezahlung der Kaufsumme versuche und prüfe. Ohne jeden Verdacht falschen Spieles auf seiten der Tibeter und weil es auch unbequem gewesen wäre, die verschiedenen lebhaften Pferde mit umgehängter Flinte zu probieren, ging ich unbewaffnet nach dem ungefähr 100 Meter vor meinem Zelte entfernten Platze, wo das unruhige Tier am Zügel gehalten wurde, um von mir geprüft zu werden. Die Eingeborenen folgten mir; aber da das in jedem Lande üblich ist, wenn man öffentlich ein Pferd kauft, dachte ich mir nichts dabei. Ich erinnere mich wohl des Ausdruckes von Entzücken auf Tschanden Sings Gesicht, als ich so mit den Händen auf dem Rücken dastand und seine Wahl guthieß, während die Menge hinter mir, wie es bei solchen Gelegenheiten meist der Fall ist, ihre Meinung über die Vorzüglichkeit des gewählten Pferdes gratis im Chore äußerte. Eben hatte ich mich gebückt, um die Vorderbeine des Pferdes zu besehen, als ich plötzlich von hinten von mehreren Personen ergriffen wurde, die mich am Halse, an den Handgelenken und Beinen packten und mit dem Gesicht auf die Erde warfen. Ich rang und kämpfte, bis ich einige meiner feigen Angreifer abschüttelte und wieder auf die Füße kam; aber nun stürzten andere heran, und ich wurde von einigen dreißig kräftigen Männern umringt, die mich von allen Seiten ergriffen und sich mit aller Macht an mich festklammerten, sobald es ihnen gelang, mich an den Armen, den Beinen und am Kopfe zu packen. Schwach wie ich war, wurde ich dreimal von ihnen niedergestoßen, und dreimal kam ich wieder auf die Füße. Jedesmal, wenn ich eine Hand oder ein Bein aus ihren Klauen freibekommen konnte, kämpfte ich mit Fäusten, Füßen, Kopf und Zähnen bis zum äußersten, rechts und links überallhin auf sie losschlagend, wo ich sie kampfunfähig machen konnte. Ihre Furchtsamkeit war, selbst wenn sie sich in solcher Übermacht befanden, wirklich unbeschreiblich, und lediglich ihr, nicht etwa meiner Kraft -- denn die besaß ich ja kaum noch -- war es zuzuschreiben, daß ich imstande war, mich etwa zwanzig Minuten lang gegen sie zu behaupten! Meine Kleider wurden bei dem Kampfe in Fetzen gerissen. Die Tibeter gingen nach Verabredung zu Werke, und als ein gellender Pfiff als Signal ertönte, strömte von allen Seiten Hilfe herbei. Augenscheinlich waren wir in einen Hinterhalt gefallen. Jetzt nahmen die Tibeter ihre Zuflucht zu einer List. Von allen Seiten wurden lange Stricke nach mir geworfen, bis ich so in diese verwickelt war, daß ich mich nicht bewegen konnte. Ein Strick, den sie mir um den Hals warfen und den sie geschickt herumdrehten, machte den Sieg vollständig. Sie zogen mit aller Macht an den beiden Enden, und während ich in der Anstrengung des Kampfes keuchte und nach Luft schnappte, rissen sie daran, um mich zu strangulieren, bis es mir schien, als sollten meine Augen aus ihren Höhlen treten und meine Lunge bersten! Ich war dem Ersticken nahe. Die Augen wurden mir trübe. -- Wie tapfer wurden die Tibeter, als ich ohnmächtig und hilflos in ihrer Gewalt war! Ich wurde zu Boden gerissen, und dann stampften, stießen und trampelten sie mit ihren schweren genagelten Stiefeln auf mir herum, bis sie glaubten, ich sei betäubt. Darauf banden sie mir die Handgelenke fest hinter dem Rücken zusammen, fesselten meine Ellenbogen, meine Brust, meinen Hals und meine Fußknöchel! _Ich war ein Gefangener!_ [Illustration: Gefangen!] Sie hoben mich auf und stellten mich aufrecht hin. Auch der tapfere Tschanden Sing hatte mit allen Kräften gegen fünfzehn oder zwanzig Feinde gekämpft und mehrere von ihnen kampfunfähig gemacht. Sie hatten sich in demselben Augenblick wie auf mich auch auf ihn gestürzt, und er hatte sich tapfer gewehrt, bis er gleich mir umgarnt, zu Boden geworfen und mit Stricken gefesselt worden war. Während meines Ringens hörte ich ihn mehrmals rufen: »~Banduk, banduk, Man Sing, jaldi, banduk!~ Die Flinte, die Flinte, Man Sing, schnell die Flinte!« Aber ach, auf den armen aussätzigen Man Sing, den schwachen, entkräfteten Kuli, waren vier mächtige Tibeter losgesprungen, die ihn fest auf den Boden hinunterdrückten, als ob er der grimmigste Räuber wäre. Man Sing war ein Philosoph; er hatte sich die Mühe gespart, auch nur einen Versuch zum Widerstand zu machen; aber auch er wurde schlecht behandelt, geschlagen und festgebunden. Bei Beginn des Kampfes hatte ein schriller Pfiff bewaffnete Soldaten -- nach den spätern Angaben der Lamas waren es nicht weniger als 400 -- herbeigerufen, die hinter den zahllosen Sandhügeln und in den Bodensenkungen rings um uns im Hinterhalt gelegen hatten. Sie stellten sich in kriegerischer Ordnung um uns auf und richteten ihre Luntenflinten auf uns. Nun war alles vorbei. Wie ein gefährlicher Verbrecher gefesselt, blickte ich um mich, um meinen Leuten mein Bedauern auszusprechen. Wir trugen unsere Bande mit Stolz und nicht mit Beschämung. Wenn ich bedachte, daß die Tibeter im ganzen -- Lamas, Landleute und verkleidete Soldaten mit eingerechnet -- 500 Mann dazu gebraucht hatten, _einen_ verhungerten Europäer und seine beiden halbtoten Diener festzunehmen, und daß sie sogar unter diesen Umständen nicht gewagt hatten, offen vorzugehen, sondern ihre Zuflucht zu niedrigem Verrat hatten nehmen müssen; wenn diese Soldaten, wie sich später herausstellte, auserlesene Truppen aus Lhasa und Schigatse und zu dem Zwecke ausgesandt waren, unsern Weitermarsch aufzuhalten und uns gefangenzunehmen, -- da konnte ich wirklich nur ein Lächeln der Verachtung für diejenigen haben, in deren Hände wir endlich gefallen waren. Mein Blut kochte vor Empörung, als jetzt auf Befehl des Lamas, der am Abend zuvor sich für unsern Freund ausgegeben hatte, mehrere Männer vortraten und unsere Taschen durchsuchten. Sie raubten uns alles, was wir besaßen, und fingen an, unser Gepäck zu durchstöbern. Die Uhren und Chronometer wurden mißtrauisch angesehen, und ihr Ticken verursachte Angst und Neugierde zugleich. Wieder und wieder wurden sie im Kreise herumgegeben und unbarmherzig vom einen dem andern zugeworfen, bis sie stehenblieben. Dann wurden sie für »tot« erklärt. Die Kompasse und Aneroide, die sie von den Uhren nicht unterscheiden konnten, wurden bald beiseitegeworfen, da sie »kein Leben in sich hatten«. Aber bei der Berührung unserer Flinten, die, als das Zelt heruntergerissen worden war, auf unserm Bettzeug lagen, zeigten sie die äußerste Vorsicht. Man hatte die größte Furcht, sie könnten von selbst losgehen, und erst auf meine Versicherung -- die unsere Besieger noch zehnmal vorsichtiger machte --, daß sie nicht geladen seien, nahmen sie sie endlich auf und verzeichneten sie in der Liste unsers konfiszierten Eigentums. Ich trug einen goldenen Ring, den mir meine Mutter geschenkt hatte, als ich noch ein Kind war. Ich bat um die Erlaubnis, ihn behalten zu dürfen; ihre abergläubische Natur brachte sie sofort auf den Gedanken, der Ring müsse verborgene Kräfte haben, wie etwa die Zauberstäbe, von denen man in den Feenmärchen liest. Mein Ring wurde einem Manne namens Nerba anvertraut, der später noch eine wichtige Rolle in unsern Leiden spielen sollte, und es wurde ihm eingeschärft, mich den Ring nie wieder sehen zu lassen. Wie wir drei Gefangenen so dasaßen, gefesselt und von Wächtern niedergehalten, war es ein herzzerreißender Anblick! Es hatte aber auch wieder seine humoristische Seite, zu sehen, wie die Lamas und Offiziere alle unsere Sachen so plump anfaßten, daß sie fast alles verdarben, was sie berührten. Besonders ekelhaft war ihre Gier, als sie bei dem Durchsuchen der Taschen des Rockes, den ich täglich trug, aber an jenem Morgen nicht angezogen hatte, eine Summe in Silbermünzen, im ganzen etwa 800 Rupien, fanden. Lamas, Offiziere und Soldaten stürzten sich auf das Geld. Und als die Ordnung wiederhergestellt war, sah man da, wo die Summe gelegen hatte, nur noch ein paar Münzen. Dasselbe Schicksal hatten auch andere Geldbeträge, die sich in einer unserer Lasten fanden. Unter den Gegenständen, die die größte Neugier erregten, befand sich ein voll aufgeblasenes Gummikissen. Die weiche, glatte Oberfläche des Gummis schien ihnen zu gefallen, und einer nach dem andern rieb seine Backen an dem Kissen, indem er dem Wohlgefallen an dem angenehmen Gefühl, das er dabei empfand, lauten Ausdruck gab. Als sie jedoch mit der Messingschraube spielten, die die Öffnung des Kissens verschloß, drehten sie daran, und die eingeschlossene Luft entwich mit zischendem Geräusch. Dies rief eine förmliche Panik unter den Tibetern hervor, und es fehlte nicht an vielen seltsamen Vermutungen, die sie in ihrem abergläubischen Sinne auf diesem einfachen, für sie jedoch unerklärlichen Vorgang aufbauten. Sie betrachteten ihn als ein böses Zeichen. Natürlich benutzte ich jeden kleinen Vorfall solcher Art, um auf ihren Aberglauben einzuwirken und sie soviel als möglich in Furcht zu versetzen. Als die Tibeter alles bis auf meine wasserdichten Kisten mit den Instrumenten, photographischen Platten und Skizzen untersucht hatten, schienen sie über ein paar kleine Zwischenfälle und einige Bemerkungen, die ich machte, so außer Fassung zu geraten, daß sie eilig meinen ganzen Besitz in Säcke und Decken einschnürten und Befehl gaben, daß die Sachen auf Jake geladen und in das Wachthaus bei der Niederlassung gebracht würden. Nachdem dies geschehen war, befestigten sie die um unsern Hals geschlungenen Stricke an ihren Sattelknöpfen, machten unsere Füße los, sprangen dann auf ihre Reittiere und ritten unter Jubelrufen, Zischen und Siegesgeschrei davon, wobei sie ihre Luntenflinten in die Luft abschossen, während sie uns als Gefangene in die Ansiedelung hineinschleppten. Bei unserer Ankunft im Lager waren die letzten Worte, die ich vor unserer Trennung an meine Leute richtete: »Was sie euch auch zufügen mögen, laßt sie nicht sehen, daß ihr leidet«, und sie versprachen mir, zu gehorchen. Dann wurden wir in verschiedene Zelte gebracht. Mich schleppten sie in eins der größten Zelte, wo nicht nur draußen, sondern auch drinnen Soldaten als Wache aufgestellt wurden. Die in meiner Nähe Stehenden waren anfangs mürrisch und grob, aber ich ließ es mir angelegen sein, ihnen so ruhig und höflich zu antworten, als ich nur konnte. Ich hatte bei vielen früheren Gelegenheiten gefunden, daß im Verkehr mit Asiaten nichts förderlicher ist als ein ruhiges, kaltblütiges Verhalten; und so sah ich auch sofort ein, daß, wenn uns überhaupt etwas aus unserer jetzigen schlimmen Lage heraushelfen könne, dies nur dadurch geschehen würde, daß wir bei allem ein vollständig gleichgültiges Benehmen bewahrten. Da das Zelt verschlossen gehalten wurde, wußte ich nicht, was draußen geschah. Nach dem Lärm, den ich vernahm und der durch das eilige Hin- und Herlaufen von Menschen, durch laute Befehlsrufe und daneben durch das beständige Geklingel der Glöckchen an den Pferden der vor dem Zelte vorbeigaloppierenden Soldaten verursacht wurde, schloß ich jedoch, daß das Lager sich in einem Zustande großer Aufregung befinden müsse. Ich war ungefähr drei Stunden in dem Zelte, als ein Soldat eintrat, der den Befehl hatte, mich herauszubringen. »Sie werden ihn enthaupten«, sagte er zu seinen Kameraden, und, indem er sich nach mir umwandte, machte er mit der Hand eine bezeichnende Bewegung über seinen Hals. »~Nikutza.~ Schon gut«, sagte ich trocken. Man darf nicht vergessen, daß, wenn einem Tibeter so schwerwiegende Worte gesagt werden, er gewöhnlich auf die Knie fällt und mit Tränen und Schluchzen und mit überreichlichen Bitten um sein Leben fleht. So kann es nicht überraschen, daß die Tibeter über meine Antwort einigermaßen erstaunt waren und nicht recht wußten, was sie daraus machen sollten. Jedenfalls hatte sich der erste Eifer des Boten merklich abgekühlt, und ich wurde mit mehr Widerwillen als Entschiedenheit hinausgeführt. Während ich eingeschlossen war, hatte man ein ungeheueres weißes Zelt mit blauen Verzierungen vor dem Lehmhause aufgeschlagen, das Hunderte von Soldaten und Dorfleuten umstanden. Es war ein äußerst malerischer Anblick. Als ich näher herangeführt wurde, sah ich, daß die Vorderseite des Zeltes weit geöffnet war und daß eine große Anzahl roter Lamas mit kahl rasierten Köpfen und langen wollenen Tunikas drinnen stand. Ungefähr zwanzig Meter von dem Zelte hießen die Soldaten mich stillstehen. Die Stricke, die mir schon in Handgelenke, Ellenbogen und Brust einschnitten, wurden noch durch neue vermehrt und die erstern fester angezogen. Jetzt sah ich, wie Tschanden Sing vorgeführt wurde. Mich stieß man, anstatt mich vor die Lamas zu bringen, hinter das abgelegene Lehmhaus, um mich nicht zum Augenzeugen der folgenden Szene zu machen. Ich hörte, daß Tschanden Sing in lautem, zornigem Tone ausgefragt und beschuldigt wurde, mein Führer gewesen zu sein. Darauf vernahm ich wildes Geschrei der Menge, dann folgte Totenstille. Ein paar Augenblicke danach brachte mir das Klatschen von Peitschenhieben, denen heiseres Stöhnen meines armen Trägers folgte, klar zum Bewußtsein, daß schwere Zeiten für uns gekommen waren! Ich zählte die Streiche, deren widerlicher Ton noch heute fest in meinem Gedächtnis eingeprägt ist, wie sie einer nach dem andern regelmäßig und ununterbrochen niederfielen, bis zu zwanzig, dreißig, vierzig und fünfzig. Dann trat eine Pause ein. Sechsunddreißigstes Kapitel. Das Verhör. Nun kam eine Abteilung Soldaten zu mir, und ich wurde zuerst langsam, dann unter heftigen Stößen vor das Tribunal geführt. Ich leistete keinen Widerstand. Auf einem hohen Sitze in der Mitte des Zeltes saß ein Mann, der weite Hosen von schreiend gelber Farbe und einen kurzen gelben Rock mit lang herabhängenden Ärmeln trug. Auf dem Kopfe hatte er einen ungeheuern vierspitzigen, über und über vergoldeten Hut, auf den drei große Augen gemalt waren. Er sah jung aus; sein Kopf war glatt rasiert, da er ein Lama vom höchsten Range war, ein Groß-Lama und Pombo, d. h. der Gouverneur einer Provinz, mit Machtbefugnissen gleich einem Lehnskönig. Zu seiner Rechten stand ein dicker, kräftiger roter Lama, der ein gewaltiges zweihändiges Schwert hielt, und auf beiden Seiten waren zahlreiche andere Lamas, Offiziere und Soldaten. Als ich schweigend und hocherhobenen Hauptes vor ihm stand, stürzten zwei oder drei Lamas auf mich zu und befahlen mir, niederzuknien. Sie versuchten mich dazu zu zwingen, indem sie mich auf die Knie niederdrücken wollten, aber es gelang mir, meine aufrechte Stellung zu bewahren. Der Pombo, der vor Wut buchstäblich schäumte, redete mich in Worten an, die sehr heftig klangen; aber da er klassisches Tibetisch sprach und ich nur die Umgangssprache, konnte ich kein Wort von dem, was er sagte, verstehen, und so bat ich ihn demütig, nicht so schöne Worte zu gebrauchen. Dieses unerhörte Ersuchen machte den großen Mann ganz verdutzt, und mit drohender Miene gab er mir ein Zeichen, nach links zu blicken. Die Soldaten und Lamas traten zur Seite, und ich gewahrte meinen treuen Diener Tschanden Sing, der vor einer Reihe von Lamas und Militärpersonen mit dem Gesicht nach unten und von den Hüften abwärts gänzlich unbekleidet platt auf dem Boden lag. Nun begannen zwei starke Lamas, einer von jeder Seite, ihn von neuem mit geknoteten, mit Bleistücken besetzten Lederriemen zu züchtigen, indem sie ihn mit kräftigen Armen von der Taille bis zu den Füßen mit wuchtigen Hieben bearbeiteten. Er blutete jämmerlich. Jedesmal, wenn ein Hieb auf seine zerrissene Haut niederfiel, war es mir, als würde mir ein Dolch in die Brust gestoßen; aber ich kannte die Orientalen zu gut, als daß ich mein Mitleid mit dem Manne gezeigt hätte, weil ihm dies nur eine noch härtere Strafe zugezogen haben würde. So sah ich seiner Tortur zu, wie man auf ein alltägliches Vorkommnis blickt. Die in meiner Nähe stehenden Lamas schüttelten ihre Fäuste vor meiner Nase und erklärten mir, daß ich gleich an die Reihe kommen würde, worauf ich lächelte und das gewöhnliche »~Nikutza, nikutza~« wiederholte. Wie ich auf ihren Gesichtern deutlich sehen konnte, wußten der Pombo und seine Offiziere nicht, was sie aus mir machen sollten; je mehr ich bemerkte, wie gut mein Plan einschlug, desto höher schraubte ich meinen Mut, um meine Rolle so gut ich irgend konnte durchzuführen. Wenigstens zwei Minuten lang saß der Pombo, ein weibischer, jugendlicher, hübscher Mensch von hysterischem Wesen, der wahrscheinlich ein vorzügliches Objekt für hypnotische Experimente abgegeben hätte, wie in einer Verzückung da, seine Augen fest auf die meinigen gerichtet. Es war eine wunderbare, plötzliche Veränderung mit dem Manne vorgegangen, und seine vor wenigen Augenblicken noch so anmaßende und zornige Stimme klang jetzt sanft und gütig. Die Lamas, die ihn umgaben, waren augenscheinlich bestürzt, als sie ihren Herrn und Meister aus einem schäumenden Wüterich in das sanfteste Lamm verwandelt sahen. Sie ergriffen mich daher und brachten mich ihm aus den Augen, an die Stelle, wo Tschanden Sing gezüchtigt wurde. Hier konnten sie mich wieder nicht zum Niederknien zwingen, weshalb mir schließlich erlaubt wurde, mich vor den Offizieren des Pombo auf die Erde zu kauern. Die beiden Lamas verließen Tschanden Sing und begannen, nachdem sie meine Notizbücher und Karten hervorgezogen hatten, mich scharf zu verhören, wobei sie sagten, daß ich verschont bleiben sollte, wenn ich die Wahrheit spräche; im andern Falle würde ich erst gepeitscht und dann enthauptet werden. Ich antwortete, daß ich die Wahrheit sprechen würde, gleichviel, ob sie mich straften oder nicht. Darauf sagte mir einer der Lamas, ein großer, dicker, roher Kerl, der mit einem prächtigen rotseidenen Rock mit Goldstickerei am Kragen aufgeputzt war und der sich an dem Durchpeitschen Tschanden Sings beteiligt hatte, ich solle aussagen, daß mein Diener mir den Weg durch Tibet gezeigt und daß er die Landkarten und Skizzen gemacht habe. Wenn ich dies sagen wollte, wären sie willens, mich freizugeben und mich mit dem Versprechen, mir kein weiteres Leid anzutun, an die Grenze zurückbefördern zu lassen. Sie wollten meinen Diener enthaupten: das wäre alles; mir persönlich sollte aber kein Schaden zugefügt werden. [Illustration: Der Pombo.] Ich machte den Lamas klar, daß ich allein verantwortlich sei für die Karten und Skizzen sowie für die Auffindung des Wegs, der mich so weit ins Land geführt habe. Langsam und deutlich wiederholte ich mehrmals, daß mein Diener unschuldig sei und daß deshalb kein Grund vorliege, ihn zu strafen. Indem er mir nach Tibet folgte, habe er nur meinen Befehlen gehorcht; wenn irgend jemand strafbar wäre, müßte ich allein, nicht meine beiden Diener bestraft werden. Die Lamas wurden hierüber zornig, und der eine von ihnen schlug mich mit dem dicken Ende seiner Reitpeitsche heftig auf den Kopf. Ich tat, als ob ich es nicht fühlte, trotzdem meine arme Kopfhaut noch lange davon schmerzte und brannte. »Dann werden wir dich und deinen Diener schlagen, bis ihr aussagt, was wir wollen«, rief der Lama ärgerlich aus. »Ihr könnt uns schlagen, wenn ihr wollt,« erwiderte ich dreist; »aber wenn ihr uns unrecht bestraft, wird es zu euerm Schaden sein. Ihr könnt uns die Haut herunterreißen, ihr könnt uns zu Tode bluten lassen, aber ihr könnt nicht machen, daß wir Schmerzen fühlen.« Ando, der Verräter, der fließend Hindostanisch sprach, diente als Dolmetscher, wenn irgendein Hindernis in unserer tibetischen Unterhaltung eintrat; so wurde mit dem, was ich von der Sprache wußte, und mit Hilfe dieses Mannes den Tibetern alles so deutlich als möglich erklärt. Nichtsdestoweniger fuhren sie unbarmherzig fort, meinen armen Diener zu peitschen, der in seiner Todesangst in die Erde biß, wenn ein Schlag nach dem andern ihn traf und Stücke Haut und Fleisch abriß. Tschanden Sing benahm sich heldenmütig. Kein Wort der Klage, keine Bitte um Gnade kam über seine Lippen. Er sagte, er habe die Wahrheit gesprochen und habe nichts weiter zu sagen. Von allen Lamas und Soldaten aufmerksam bewacht, saß ich mit erheucheltem Gleichmut vor diesem grausamen Schauspiel, bis sie, über mein Phlegma ärgerlich, den Soldaten Befehl gaben, mich wegzuschleppen. Wieder führten sie mich hinter das Lehmhaus, von wo ich deutlich das zornige Schreien der Lamas vernehmen konnte, die mit Tschanden Sing ein Kreuzverhör anstellten, und jenes furchtbare Klatschen der Peitschenhiebe, die ihm noch erteilt wurden. Es fing an zu regnen, was ein Glück für uns war; denn ein Regenschauer übt in Tibet wie in China großen Einfluß auf das Volk aus, und man weiß, daß sogar Schlachten Einhalt getan worden ist, bis der Regen aufgehört hatte. Dies war auch an jenem Tage der Fall. Sobald die ersten Tropfen fielen, stürzten die Soldaten und Lamas hier- und dorthin und in die Zelte hinein; ich wurde eilig in das entlegenste Zelt geschleppt, das bald vollgepfropft war von Wächtern, unter deren Aufsicht man mich gegeben hatte. Im Hintergrunde des Zeltes saß mit untergeschlagenen Beinen ein Offizier von hohem Rang. Er trug ein schönes, rotes, mit Gold und Leopardenfell besetztes Gewand und an den Füßen hohe Stiefel chinesischer Form von schwarzem und rotem Leder. Durch den Gürtel hatte er ein prächtiges Schwert gesteckt, dessen massive Silberscheide mit großen Korallen- und Malachitstücken eingelegt war. Dieser Mann, der ein Alter von fünfzig bis sechzig Jahren zu haben schien, hatte ein intelligentes, vornehmes, ehrliches und gutmütiges Gesicht. Ich fühlte denn auch beinahe vom ersten Augenblick an, als ich ihn sah, daß er mir ein Freund sein würde. Und in der Tat war es dieser Offizier allein, der, während die Lamas und Soldaten mich mit übermäßiger Härte behandelten und mich soviel sie konnten in gemeiner Weise ausbeuteten, mir etwas Ehrerbietung bewies und mein Benehmen zu würdigen schien. Er machte mir neben sich Platz und gab mir durch ein Zeichen zu verstehen, daß ich mich an seine Seite setzen solle. »Ich bin ein Soldat«, sagte er in würdevollem Tone, »und kein Lama. Ich bin mit meinen Leuten von Lhasa gekommen, um dich festzunehmen, und jetzt bist du mein Gefangener. Doch du hast keine Furcht gezeigt, und ich achte dich.« Indem er dies sagte, neigte er den Kopf, legte seine Stirn dicht an meine und streckte die Zunge heraus, um nach tibetischer Art große Betrübnis und Teilnahme auszudrücken. Dann machte er eine Gebärde, die andeutete, daß er noch mehr zu sagen wünschte, dies aber wegen der Gegenwart der Soldaten jetzt nicht tun könne. Wir fingen nun eine sehr freundschaftliche Unterhaltung an, in deren Verlauf er mir sagte, er sei ein Rupun, nehme also den nächsten Rang nach einem General ein. Ich bemühte mich, ihn über englische Soldaten und Waffen aufzuklären; er zeigte auch das lebhafteste Interesse für alles, was ich ihm erzählte. Dafür gab er mir interessante Auskünfte über die tibetischen Soldaten. Jedermann in Tibet wird in Kriegszeiten oder wenn er zur Dienstleistung herangezogen wird, als Soldat betrachtet. Für das reguläre Heer können sich alle kräftigen, gesunden Burschen im Alter von über 17 Jahren anwerben lassen; die krüppelhaften oder schwächlichen werden als dienstuntauglich zurückgewiesen. Die bei den tibetischen Soldaten am meisten geschätzten Eigenschaften sind Geschicklichkeit im Reiten und unbegrenzter Gehorsam. Der Rupun schwur auf die tibetischen Luntenflinten, die er für die brauchbarsten Waffen der Welt hielt; denn seiner Meinung nach könne man, solange man genug Pulver habe, alles als Geschoß verwenden; Kieselsteine, Erde oder Nägel täten ebenso gute Dienste wie eine Bleikugel. Wie er mir erzählte, würden in Lhasa und Schigatse große Mengen dieser Waffen hergestellt, von denen die meisten tibetischen Männer außerhalb der Stadt eine besäßen. Auch Schießpulver werde aus Salpeter und im Lande selbst gefundenem Schwefel gemacht. Es machte dem Rupun, als er sah, wie behende ich im Aufschnappen von Worten war, ein besonderes Vergnügen, mir wie einem Kinde die Namen der verschiedenen Rangstufen in der tibetischen Armee beizubringen. Der niedrigste Rang ist der des Tschupun, der nur zehn Mann unter sich hat; dann kommt der Kiatsambapun oder Kiapun, der Offizier, der hundert Mann befehligt, und der Tungpun oder Anführer von tausend Mann. Nur selten jedoch bekommen diese Offiziere die ihrem Range entsprechende volle Zahl von Mannschaften angewiesen, und sehr oft hat der »Befehlshaber von Tausend« höchstens drei- oder vierhundert Mann unter sich. Über dem Tungpun steht der Rupun, eine Art Generaladjutant; dann kommt der Dahpun oder Großoffizier; der höchste von allen ist der Magpun, der Obergeneral. Einen dieser Generale hatten wir schon in Gyanema kennengelernt. Trotzdem mein Berichterstatter mir sagte, daß die Offiziere nach ihrer Tapferkeit im Kriege und ihrer Kraft und Geschicklichkeit im Sattel und mit der Waffe gewählt würden, wußte ich gut genug, daß dem nicht so war. Die Offiziersstellen werden hauptsächlich denjenigen gegeben, die dafür am meisten bezahlen können, und dann auch Leuten aus solchen Familien, die unter der besondern Protektion der Lamas stehen. In andern Fällen werden die Stellen auch tatsächlich öffentlich versteigert. Die große Masse des tibetischen Volkes glaubt indessen, daß die von dem Rupun beschriebene Methode bei der Wahl von Offizieren wirklich befolgt werde. Der Rupun besaß viel trockenen Humor, und als ich ihm erzählte, wie schnell die tibetischen Soldaten bei frühern Gelegenheiten davongelaufen seien, als ich ihnen mit meiner Flinte entgegentrat, konnte er ein herzliches, verständnisvolles Lachen, in das wir alle einstimmten, nicht unterdrücken. Er zeigte sich aber der Lage gewachsen und rief aus: »Ja, ich weiß, daß sie davonliefen, aber es geschah nicht aus Furcht. Sie liefen, weil sie dir kein Leid antun wollten.« Ich erwiderte, daß sie, wenn dies der Fall gewesen wäre, doch nicht so schnell hätten zu laufen brauchen! Diese sarkastische Bemerkung belustigte den Rupun aufs höchste, und er mußte so darüber lachen, daß ihm die Tränen die Backen hinabliefen. Er klopfte mir auf den Rücken und meinte, ich hätte recht. Dann sagte er, es tue ihm leid, mich gefesselt zu sehen, er habe aber strengen Befehl erhalten, mir weder Nahrung zu geben noch meine Bande zu lösen. Die Soldaten, die der höflichen, freundschaftlichen Unterhaltung zwischen dem Rupun und mir als einem zwischen Sieger und Gefangenen nicht gewöhnlichen Brauch mit offenem Munde zugehört hatten, folgten dem Beispiel ihres Befehlshabers und verwandelten ihre mürrische, grobe Art in ein ganz freundliches, ehrerbietiges Betragen. Sie legten mir ein Kissen unter und bemühten sich, es mir so behaglich zu machen, als sie es unter den Umständen konnten. Gegen Abend wurde der Rupun vor den Pombo gerufen und die Wache durch neue Mannschaften abgelöst. Dies bedeutete eine Veränderung zum Schlimmern. Die Soldaten benahmen sich außerordentlich grob und zogen mich von dem erhöhten Sitze, den ich am Ehrenplatze des Zeltes eingenommen hatte, fort, um mich heftig auf einen Haufen Dung niederzustoßen, den sie als Brennmaterial verwendeten. »Das ist der richtige Platz für Plenkis!« schrie einer der Männer, »nicht der an der besten Stelle des Zeltes!« [Illustration: Grausames Spiel.] Dann fielen sie ungestüm über mich her, banden mir, trotzdem ich gar keinen Widerstand leistete, die Füße wieder zusammen und knüpften mir noch einen Strick um die Knie. Die Enden dieser Stricke ließen sie hängen und übergaben jedes der Enden einem Soldaten. [Illustration: In der Streckfolter.] In einem tibetischen Zelte ist keine Stelle reinlich, aber der Platz, an dem ich die Nacht über bleiben sollte, war der allerschmutzigste. So fest gebunden, daß die Stricke tief ins Fleisch einschnitten, konnte ich an Schlafen nicht denken; aber zehnmal schlimmer als dies war der ekelhafte Umstand, daß ich bald mit dem Ungeziefer bedeckt war, von dem das Zelt wimmelte. Von dieser Stunde an bis an das Ende meiner Gefangenschaft, fünfundzwanzig Tage lang, habe ich unsägliche Qualen von dieser Plage erdulden müssen. [Illustration: Der tanzende Pombo.] Im Zelte standen die Wachen rings um mich mit gezogenen Schwertern, und andere waren draußen postiert. [Illustration: Finale des Tanzes.] Siebenunddreißigstes Kapitel. Hoffnungslos. Diese Nacht war reich an seltsamen Vorkommnissen. Aus der Ferne hörte man in Pausen Rufe, die einer der Wächter im Zelte beantwortete. Sie sollten die Leute wach erhalten und die Sicherheit geben, daß ich noch dort sei. Der eine der im Zelt befindlichen Soldaten drehte sein Gebetrad und murmelte das hier folgende Gebet so oft, daß ich es auswendig lernte. In fast wörtlicher Übersetzung lautet es: O mein Gott, ich bekenne, Daß mein Vater in den Himmel gegangen ist, Aber meine Mutter ist jetzt am Leben (wörtlich: im Hause). Zuerst sündigte meine Mutter, Und du nahmst alle Menschen in den Himmel, Dann sündigten mein Vater und meine Mutter, Und ich werde in den Himmel gehen. Wenn alle andern Menschen und ich sündigen, Und wir unsere Sünden zurücknehmen, Sind wir alle der Sünde unterworfen Und das Wumboo-Holz spricht frei von allen Sünden; In dem Nordwesten (Lassan) und dem Südosten (Lussan) Sind die beiden Wege zum Himmel. Ich lese das heilige Buch und reinige mich; Mein Armknochen[1] ist der heilige Knochen (Gottesknochen), Und das Zeichen der Mannheit mein linker Arm. O mein Gott, der du über meinem Haupte bist, Und in dem heiligen Kujernath, Banzah und Nattitti. Ich bete jeden Tag um Gesundheit und Reichtum (Silber und Gold). [1] Die Tibeter glauben, daß bei Männern der linke, bei Frauen der rechte Arm Gott gehöre. Sie betrachten die Arme als heilig, weil mit ihnen die Nahrung zum Munde geführt und dadurch dem Körper Leben gegeben wird, und auch, weil man sich mit den Armen gegen seine Feinde verteidigen kann. Auch das Nasenbein wird als heilig angesehen. Gegen Mitternacht kam der Rupun zurück. Ich bemerkte, daß er sehr aufgeregt war. Er setzte sich neben mich, und bei dem Lichte des flackernden Feuers und eines Dochtes, der in einer mit Butter gefüllten Messingschale brannte, konnte ich den Ausdruck großer Sorge auf seinem Gesicht wahrnehmen. Aus dem mitleidigen Blicke, mit dem er mich ansah, erkannte ich, daß er mir ernste Nachrichten zu bringen hatte. Ich täuschte mich nicht. Er nahm mich von dem verpesteten Platze fort, auf den mich die Soldaten hilflos niedergeworfen hatten, und brachte mich an eine bequemere, reinlichere Stelle des Zeltes. Dann befahl er einem Soldaten, mir eine Decke zu geben. Gleich darauf wurde er zu meinem Erstaunen sehr streng und sagte, daß er meine Fesseln untersuchen müsse. Er geriet sogar in Zorn, schalt die Soldaten, daß sie mich so wenig fest gebunden hätten, und ging selbst daran, die Knoten fester zu machen, was, wie ich fühlte, unmöglich war. Obgleich er scheinbar seine ganze Kraft daran wendete, fühlte ich zu meiner großen Überraschung, daß meine Fesseln gelockert wurden. Dann deckte er mich schnell mit der schweren Decke zu. Die Soldaten waren am andern Ende des großen Zeltes und schienen durch eine laute Erörterung über irgendeinen geringfügigen Gegenstand in Anspruch genommen zu sein. Der Rupun aber bückte sich tief herab, und indem er so tat, als ob er mich in die Decke einwickelte, flüsterte er: »Dir soll morgen der Kopf abgeschlagen werden. Entfliehe heute abend! Draußen sind keine Soldaten.« Der gute Mann bereitete wirklich alles für meine Flucht vor. Er löschte das Licht aus und legte sich an meiner Seite zum Schlafen nieder. Es wäre verhältnismäßig leicht gewesen, unter dem Zelte durchzuschlüpfen und mich fortzustehlen, da alle Soldaten eingeschlafen waren. Ich hätte meine Hände leicht aus den Stricken herausbekommen und würde keine Schwierigkeit gehabt haben, alle meine andern Fesseln aufzumachen. Aber der Gedanke, daß ich meine beiden Leute in der Gewalt der Tibeter lassen würde, hinderte mich, meine Flucht ins Werk zu setzen. Nachdem sich der Rupun erhoben hatte, um zu sehen, ob die Wachen schliefen, legte er sich wieder dicht an mich heran und murmelte: »~Nelon, nelon; palado.~ Sie schlafen, geh!« So verführerisch dieses Anerbieten auch war, zwang mich meine Pflicht doch, zu bleiben. Da ich die Hände frei hatte, war es mir möglich, während der Nacht etwas zu schlafen; als der Morgen kam, steckte ich die Hände wieder in die Stricke hinein. Scheinbar sehr enttäuscht, band der Rupun die Stricke um meine Handgelenke wieder fest, und obgleich er ziemlich ärgerlich schien, daß ich die Gelegenheit zur Flucht, die er mir gegeben, nicht benutzt hatte, behandelte er mich doch mit immer größerer Achtung und Ehrerbietung. Er brachte sogar sein Puku zum Vorschein, das er mit dampfendem Tee aus dem Raksang füllte, einem Gefäße, in dem der mit Butter und Salz gemischte Tee über dem Feuer im Kochen erhalten wird, und führte es mir an den Mund, um mich daraus trinken zu lassen. Als er bemerkte, wie hungrig und durstig ich war, füllte der gute Mann die Schale nicht nur einmal nach dem andern, bis mein Durst gelöscht war, sondern er mischte noch Tsamba und Klümpchen Butter hinein, die er mir mit den Fingern in den Mund stopfte. Es war in der Tat rührend zu sehen, wie die freundlicher gewordenen Soldaten seinem Beispiel folgten und einer nach dem andern Hände voll Tsamba und Tschura holten und mir in den Mund steckten. Zwar waren ihre Hände nicht übermäßig reinlich; aber bei solchen Gelegenheiten ist es nicht angebracht, es damit zu genau zu nehmen; auch war ich so hungrig, daß mir das Essen, das sie mir gaben, köstlich schien. Ich war zwei Nächte und einen Tag lang ohne Nahrung geblieben, und mein Appetit war durch die Anstrengung des Kampfes wie durch die verschiedenen Aufregungen, die ich durchgemacht hatte, sehr rege geworden. Diese große Höflichkeit und die Teilnahme, mit der nicht nur der Rupun, sondern auch die Soldaten mich jetzt behandelten, ließen mich vermuten, daß in der Tat mein Ende nahe sei. Daß es mir nicht möglich war, Nachrichten über Tschanden Sing und Man Sing zu erhalten, betrübte mich sehr, und das Schweigen der Soldaten, wenn ich nach ihnen fragte, legte mir die Befürchtung nahe, daß etwas Schreckliches geschehen sein müsse. Indessen verriet ich keine Angst, trotzdem meine Wächter freundlich waren, sondern gab mir den Anschein, als ob ich alles, was geschähe, für etwas ganz Natürliches hielte. So verbrachte ich den ersten Teil des Tages in lebhafter Unterhaltung mit den Soldaten, bemüht, meine Kenntnisse im Tibetischen dadurch zu fördern. Bald nach Mittag kam ein Soldat in das Zelt und schrie, indem er mich mit seiner schweren Hand auf die Schulter schlug: »~Ohe!~« (Es ist dies ein tibetischer Ausruf, den die ungebildeten Volksklassen immer beim Anfang einer Unterhaltung gebrauchen. Er entspricht unserm »Hör’ mal!«) »~Ohe!~« wiederholte er, »ehe die Sonne untergeht, wirst du gepeitscht werden. Beide Beine werden dir gebrochen werden[2]; man wird dir die Augen ausbrennen und dir dann den Kopf abschlagen!« [2] Eine Form der Tortur, bei der beide Beine auf zwei parallele Holzblöcke gelegt werden, worauf ein heftiger Schlag mit einem Holzschlegel geführt wird, der beide Beine zerbricht. Der Mann, der ganz ernsthaft zu sein schien, begleitete jeden Satz mit einer angemessenen Gebärde, die seine Worte illustrierte. Ich lachte ihn aus und tat so, als ob ich das Ganze für einen großen Scherz nähme, teils weil ich dies für das beste Mittel hielt, sie zu erschrecken und an Gewalttätigkeiten zu verhindern, teils weil das mir vorgelegte Programm so reichhaltig schien, daß ich glaubte, es könne damit nur beabsichtigt sein, mich einzuschüchtern. Indessen brachten die Worte des Soldaten eine gewisse Verstimmung bei meinen freundlichen Wachen im Zelte hervor, und als ich mich bemühte, sie aufzuheitern, antworteten sie kurz, daß ich nicht sehr lange mehr lachen würde. Sicherlich ging irgend etwas vor, denn die Leute stürzten in das Zelt hinein und wieder hinaus und flüsterten miteinander. Wenn ich zu ihnen sprach, antworteten sie nicht mehr, und als ich darauf bestand, gaben sie mir durch Zeichen zu verstehen, daß ihre Lippen von jetzt an verschlossen bleiben müßten. Etwa eine halbe Stunde später stürzte ein anderer Mann in großer Aufregung ins Zelt und gab meinen Wachen ein Zeichen, mich hinauszuführen. Dies taten sie, nachdem sie meine Fesseln fester als je gemacht und mir noch Stricke um Brust und Arme gelegt hatten. So gebunden wurde ich nach dem Lehmhaus abgeführt und in eins der Zimmer gebracht. Draußen versammelte sich eine große Menge von Soldaten und Landleuten. Als wir einige Zeit gewartet hatten, wurde Man Sing fest gebunden in dasselbe Zimmer gebracht. Meine Freude, meinen Diener wiederzusehen, war so groß, daß ich alles, was vorging, vergaß und die Beleidigungen des Pöbels, der durch die Tür guckte, nicht beachtete. Mit lächelndem Gesicht kam jetzt ein Lama herein und sagte, er habe mir gute Nachrichten zu bringen. »Wir haben Pferde hier«, sagte er, »und wir werden dich an die Grenze zurückbringen; aber vorher wünscht der Pombo dich noch heute zu sehen. Widersetze dich dem nicht. Laß uns die Stricke um deinen Handgelenken mit diesen eisernen Handschellen vertauschen.« [Illustration: Meine Handschellen.] Hiermit brachte er ein schweres Paar Schellen zum Vorschein, die er unter seinem Rocke verborgen gehalten hatte. »Du wirst sie nicht länger als einige Augenblicke zu tragen haben, während wir dich vor sein Angesicht führen. Dann wirst du frei sein. Bei der Sonne und bei Kontschok-sum schwören wir dir, daß wir dich freundlich behandeln werden.« Ich versprach, mich nicht zu widersetzen; hauptsächlich, weil ich keine Möglichkeit hatte, es zu tun. Zur größern Sicherheit banden sie mir die Füße und legten mir eine Schlinge um den Hals; dann wurde ich ins Freie hinausgetragen, wo ein Kreis von Soldaten mit gezogenen Schwertern sich um mich stellte. Während ich mit dem Gesicht nach unten platt auf dem Boden lag, von vielen kräftigen Händen fest niedergehalten, wickelten sie die Stricke von meinen Handgelenken ab und ersetzten sie durch die kalten, eisernen, mit einer schweren Kette verbundenen Fesseln. Sie brauchten einige Zeit, um das plumpe Vorlegeschloß zu befestigen; dann, als alles fertig war, banden sie meine Beine los. Nun stellten sie mich wieder auf die Füße, und da sie wußten, daß ich meine Hände unmöglich freibekommen konnte, fing das feige Pack an, mich mit Beleidigungen und Schimpfreden zu überhäufen, die nicht mir als Individuum, sondern als Engländer galten. Sie spien auf mich und warfen mit Kot nach mir. Schlimmer als alle andern benahmen sich die Lamas, und der eine, der mir geschworen hatte, daß ich in keiner Weise mißhandelt werden sollte, wenn ich mich ruhig der Anlegung von Handschellen unterwürfe, tat sich unter meinen Quälern am meisten hervor und feuerte die Menge am eifrigsten zu weiteren Roheiten an. Die Aufmerksamkeit der Menge wurde jetzt durch den Rupun, der mit einer Anzahl von Soldaten und Offizieren näherkam, in Anspruch genommen. Er schien sehr niedergeschlagen, und sein Gesicht war von geisterhaft blasser Farbe. Mit zu Boden gerichteten Augen und sehr leiser Stimme gab er den Befehl, daß ich wieder in das Lehmhaus gebracht werden solle. Einige Augenblicke darauf kam er herein und verschloß die Tür hinter sich, nachdem er zuvor alle Leute, die in dem Zimmer waren, hinausgewiesen hatte. Wie ich schon früher erwähnte, haben tibetische Gebäude dieser Art eine viereckige Öffnung in der Decke, durch die sie Luft und Licht erhalten. Der Rupun legte zum Zeichen der Anteilnahme seine Stirn an meine und schüttelte dann traurig den Kopf. »Es ist keine Hoffnung mehr«, flüsterte er. »Heute abend wirst du enthauptet werden. Die Lamas sind schlecht, und das Herz tut mir weh. Du bist wie mein Bruder, und ich bin betrübt.« Der gute alte Mann wollte mich die Rührung, die ihn erfaßt hatte, nicht sehen lassen, und so gab er mir durch Zeichen zu verstehen, daß er nicht länger bleiben könne, damit er nicht etwa der Freundschaft für mich beschuldigt würde. Der Pöbel drang in das Zimmer ein, und wieder wurde ich von den Lamas und Soldaten ins Freie hinausgeschleppt. Es folgte nun eine längere Erörterung darüber, wer den Schlüssel zu meinen Handschellen verwahren solle; schließlich wurde er einem der Offiziere übergeben, der sein Pferd bestieg und spornstreichs in der Richtung nach Lhasa davonritt. Achtunddreißigstes Kapitel. Ein qualvoller Ritt. In diesem Augenblick hörte ich die Stimme meines Dieners Tschanden Sing, der mit schwacher Stimme mir zurief: »~Hazur, Hazur, hum murgiaega!~ Herr, Herr, ich sterbe!« Und als ich meinen Kopf nach der Seite umwandte, von wo diese Klagetöne kamen, erblickte ich meinen treuen Träger, der, die Hände auf den Rücken gebunden, auf dem Bauche zur Tür eines der andern Zimmer des Lehmhauses kroch. Sein Gesicht war kaum wiederzuerkennen: es trug die Spuren furchtbaren Leidens. Dies konnte ich nicht mehr ertragen. Meine Wachen mit den Schultern beiseiteschiebend, versuchte ich, zu dem armen Burschen zu gelangen. Ich hatte ihn eben erreicht, als die dabeistehenden Soldaten auf mich losstürzten, mit mir rangen und mich vom Boden aufhoben. Nun warfen sie mich auf den Rücken eines Pferdes. Obgleich ich das Schlimmste befürchtete, versuchte ich meinen tapfern Diener dadurch zu ermutigen, daß ich ihm zurief, ich würde jetzt nach Taklakot geführt und er würde mir am nächsten Tage nachgebracht werden. Tschanden Sing hatte den letzten Rest seiner Kraft erschöpft, indem er nach der Tür kroch. Er wurde ungestüm gepackt und mit roher Gewalt in das Zimmer des Lehmhauses zurückgeschleudert; so konnten wir kein Wort mehr wechseln. Mein Kuli Man Sing aber wurde mit gefesselten Armen auf ein ungesatteltes Pferd gesetzt. Der Sattel des Pferdes, auf das sie mich geworfen hatten, verdient beschrieben zu werden. Er war nur das hölzerne Gestell eines Sattels mit sehr hohem Rückenteil, aus dessen hinterm Teil sechs scharfe Eisenstacheln horizontal herausragten. Während ich auf diesem Folterinstrument saß, bohrten sich mir die Stacheln ins Kreuz. Meine Wache war durch zwanzig oder dreißig berittene Soldaten mit Musketen und Schwertern vermehrt worden. In wütendem Galopp ritten wir ab. Da meine Hände hinter dem Rücken gefesselt waren, führte ein vor mir herreitender Mann mein Pferd an einem Stricke; so ritten wir viele Meilen durchs Land. Wären jene furchtbaren Stacheln im Sattel nicht gewesen, so hätte der Ritt ganz angenehm sein können; denn das Pferd, auf dem ich saß, war ein schönes, lebhaftes Tier, und das Land ringsum war merkwürdig und interessant. Wir ritten an einer scheinbar endlosen Folge von gelben Sandhügeln entlang, deren einige 60 bis 100 Meter, während andere nicht mehr als 6 bis 10 Meter hoch waren. Es schien, als ob der Sand eher vom Winde als vom Wasser abgelagert worden sei, obgleich es auch möglich ist, daß dieses flache Land, das sich nur wenig über das Niveau des großen Stromes erhebt, einst unter Wasser gewesen ist. Mit Ausnahme gewisser Stellen, wo der Boden außerordentlich sumpfig war und unsere Pferde tief in den weichen Schlamm einsanken, war der ganze Raum zwischen dem Gebirgszuge im Norden des Brahmaputra und dem Flusse selbst mit diesen Sandhügeln bedeckt. Wir kreuzten mehrere kleine Flüsse und ritten um viele Teiche herum. Von dem Gipfel einer Anhöhe, auf die ich geführt wurde, konnte ich sehen, daß die Hügel in der Nähe des Flusses von größerem Umfang und bedeutend höher waren und immer kleiner wurden, je mehr sie sich dem Gebirgszuge im Norden näherten. Außerdem nahm ihre Zahl und Größe auch zu, je weiter wir nach Osten kamen. [Illustration: _Aquarellskizze von H. S. Landor._ _F. A. Brockhaus, Leipzig._ ~DIE FOLTER MIT DEM GLÜHENDEN EISEN.~] Die Umstände, unter denen ich »reiste«, erlaubten mir weder, mich über die Beschaffenheit des Sandes zu vergewissern noch irgendwelche Untersuchungen darüber anzustellen, von wo der Sand herkam. Aber ein Blick über das Land ringsum ließ mich als sicher annehmen, daß der Sand von Süden her dahin gekommen sein müßte. Man konnte dies deutlich an Vertiefungen und wellenförmigen Erhebungen sehen, die zeigten, daß der Sand in ungefähr nördlicher Richtung gewandert war. Und wenn ich auch, da es mir nicht möglich war, dies bestimmt festzustellen, nicht beabsichtige, meine persönliche Ansicht über die Bewegungen und den Ursprung dieser Sandablagerungen als durchaus richtig hinzustellen, so bin ich doch ziemlich fest davon überzeugt, daß der Sand dort durch den Wind abgelagert worden ist, der ihn aus den heißen Ebenen Indiens über die Kette des Himalaja gebracht hat. Von dem hohen Aussichtspunkte, zu dem wir emporgestiegen waren, durchforschten meine Wachen das Land nach allen Richtungen. Nach Osten hin sahen wir in weiter Ferne eine große Schar von Reitern, die Wolken von Staub aufwirbelten. Wir ritten den Hügel wieder hinab, wobei unsere Tiere in den weichen Sand einsanken, und machten uns, als wir am Fuße angelangt waren, wo der Boden härter war, wieder auf unsern Weg, in der Richtung auf die herankommende Schar. [Illustration: Sattel mit Stacheln.] Meile nach Meile wurde in unangenehm schnellem Trab zurückgelegt, bis wir an einer Stelle anlangten, wo wir die Reiterschar, die wir von dem Gipfel des Hügels gesehen hatten, in einer Linie aufgestellt fanden. Es war ein schöner Anblick, als wir näher kamen, wenn auch die Schmerzen, die ich zu erdulden hatte, dem Vergnügen, das dieses malerische Schauspiel mir sonst wohl gewährt hätte, einigen Abbruch taten. Ungefähr hundert rote Lamas standen in der Mitte, mit Bannerträgern neben sich, die merkwürdige flache Hüte auf dem Kopfe trugen, und etwa die gleiche Anzahl Soldaten und Offiziere in grauen, roten und schwarzen Tunikas, im ganzen etwa zweihundert Reiter. Vor der Menge der Lamas und Soldaten, etwas von ihnen entfernt, hielt der Pombo in gelbem Rocke und Hose und den sonderbaren spitzigen Hut auf dem Kopfe, auf einem prächtigen Pferde. Seltsamerweise ließ der Reiter, der mein Pferd führte, den Strick los, als wir dicht an diese neue Menschenmenge herangekommen waren. Mit grausamen Peitschenschlägen angetrieben, wurde das Tier seiner Laune überlassen. Die Soldaten meiner Wache lenkten ihre Pferde zur Seite. Mein Pferd stürzte fort, gerade auf den Pombo los. Als ich dicht an ihm vorbeikam, kniete der schon erwähnte Nerba, der »Privatsekretär« des Tarjum von Toktschim, nieder, zielte mit seiner auf der Stütze ruhenden Luntenflinte nach mir und feuerte ohne weiteres einen Schuß auf mich ab. Aber trotzdem dieser Nerba, wie ich später erfuhr, einer der Meisterschützen des Landes war und die Entfernung von seiner Luntenflinte bis zu mir nicht mehr als vier Meter betrug, traf mich die Kugel doch nicht, sondern sauste an meinem linken Ohr vorbei. Das Geschoß verursachte ein merkwürdiges zischendes Geräusch, dem einer kleinen Rakete nicht unähnlich. Wahrscheinlich hatte die Schnelligkeit, mit der mein Pferd vorwärts rannte, mich gerettet, da der Schütze auf keinen festen Punkt zielen konnte. Mein Pferd, durch die Entladung der Luntenflinte in solcher Nähe erschreckt, scheute und fing an, sich zu bäumen und nach hinten auszuschlagen. Ich konnte mich aber im Sattel behaupten, trotzdem die Eisenstacheln des Sattels den untern Teil meines Rückens schrecklich zerfleischten. Jetzt kamen mehrere Reiter näher und fingen mein Pferd ein; dann wurden die Vorbereitungen für eine neue aufregende Nummer in dem Programm meiner Martern getroffen. In ihrer Art waren diese edlen Lamas große Sportsfreunde! Ich schwur mir selbst, mochten sie mir antun, was sie wollten, ich würde ihnen nicht die Genugtuung bereiten, zu zeigen, daß sie mir wehe täten. Diesem Grundsatz getreu, gab ich mir den Anschein, als fühlte ich nicht die Wirkung der Stacheln, die mir das Fleisch vom Rücken rissen. Als man mich vor den Pombo führte, um ihm zu zeigen, wie ich mit Blut bedeckt war, sprach ich meine Zufriedenheit darüber aus, auf einem so vorzüglichen Pferde reiten zu dürfen. Mein Betragen schien die Tibeter gänzlich irrezumachen. Jetzt wurde ein ungefähr vierzig bis fünfzig Meter langer Strick aus Jakhaaren gebracht und der an dem einen Ende befestigte Ring an meinen Handschellen festgemacht; das andere Ende wurde von einem Reiter gehalten. Nun fing die wilde Jagd wieder an. Diesmal folgte uns nicht nur die Wache, sondern auch der Pombo mit allen seinen Leuten. Ein- oder zweimal konnte ich nicht umhin, mich umzudrehen, um zu sehen, was sie anfingen. Die Kavalkade bot einen unheimlich malerischen Anblick. Die Reiter mit ihren bunten Kleidern, ihren Luntenflinten mit roten Fähnchen, ihren juwelenbesetzten Schwertern, ihren Bannern mit langen, im Winde flatternden vielfarbigen Bändern, alle in wütendem Galopp, schreiend, kreischend und zischend, inmitten eines betäubenden Geklingels von Tausenden von Pferdeglocken. [Illustration: Tibetischer Bannerträger.] Um unsere Eile zu beschleunigen, ritt ein Soldat an meiner Seite, der wütend auf mein Pferd peitschte, um es in schnellstem Gang zu erhalten. Inzwischen tat der Reiter, der den Strick hielt, alles was er konnte, mich aus dem Sattel zu ziehen, ohne Zweifel in der Hoffnung, daß ich von den Reitern hinter mir totgetreten würde. Wenn ich, um meinen Sitz zu behaupten, den Körper nach vorn bog und mit dem Strick an den Armen heftig nach hinten gezogen wurde, rieben die Handschellen mir das Fleisch von den Händen und Knöcheln ab. An einzelnen Stellen wurde der Knochen bloßgelegt; natürlich brachte mich jeder Ruck auch in gewaltsame Berührung mit den Stacheln des Sattels und verursachte mir tiefe Wunden. Schließlich gab der Strick, so stark er auch war, unerwartet nach, der Soldat, der am andern Ende zog, flog plump vom Pferde, und ich war nahe daran, durch den unerwarteten Ruck abgeworfen zu werden. Zuerst erregte dieser spaßhafte Vorfall meiner Eskorte große Heiterkeit, aus der aber ihre abergläubischen Gemüter sofort ein böses Omen machten. Als mein Pferd sowie der davongelaufene Gaul des abgeworfenen Reiters angehalten wurden, benutzte ich ihre Furcht, um ihnen noch einmal zu versichern, daß jedes Leid, das sie mir anzutun versuchten, sich immer gegen sie selbst richten würde. Der Strick wurde mit verschiedenen starken Knoten wieder zusammengebunden, und nach einer Unterbrechung von wenigen Minuten begannen wir unsern halsbrecherischen Galopp von neuem, wobei ich wieder als Vorderster zu reiten hatte. Gegen Ende unseres Rittes mußten wir im Bogen um einen Sandhügel herumreiten; zwischen ihm und einem großen Teiche führte ein schmaler Pfad hindurch. An diesem Punkte sah ich mich plötzlich einem Soldaten gegenüber, der seine Luntenflinte schußbereit hielt. Das Pferd sank tief in den Sand ein und konnte hier nicht schnell vorwärts. Es war dies, wie ich vermute, der Grund, weshalb man gerade diese Stelle gewählt hatte. Der Mann feuerte, als ich nur ein paar Schritte an ihm vorbeikam; aber das Glück wollte, daß auch dieser zweite Mordversuch mich unversehrt ließ. Aus dem weichen Sande glücklich herausgekommen und auf härtern Boden gelangt, begannen wir wieder unsern ungestümen Lauf. Von hinten wurden mehrere Pfeile auf mich abgeschossen; aber wenn auch einige sehr nahe an mir vorbeigingen, traf mich doch keiner. Endlich kamen wir nach einem an Ereignissen und Aufregungen reichen Ritte gegen Sonnenuntergang an unserm Bestimmungsort an. Neununddreißigstes Kapitel. Die Folterung. Eine Festung und ein großes Lamakloster standen auf dem Gipfel eines Hügels, an dessen Fuß vor einem andern großen Gebäude das Prunkzelt des Pombo aufgeschlagen war. Der Name dieses Ortes war, soweit ich ihn später feststellen konnte, Namj Laccé Galschio oder Gyatscho. Zwei oder drei Leute zogen mich ungestüm vom Sattel herunter. Die Schmerzen im Rücken, die die Stacheln verursacht hatten, waren furchtbar. Ich bat um einen Augenblick Ruhe. Sogar dies wurde mir von meinen Wächtern verweigert, die mich brutal vorwärts stießen und sagten, daß ich sofort enthauptet werden würde. Das ganze um mich versammelte Volk verhöhnte mich und machte mir Zeichen, daß mir der Kopf abgeschlagen werden würde; die feige Menge der Lamas aber überschüttete mich mit Beleidigungen aller Art. Ich wurde nach dem Richtplatze gedrängt, der sich auf der linken Seite des Zeltes befand. Ein langer dreikantiger Balken lag auf dem Boden. Man stellte mich auf die scharfe Kante desselben, und mehrere Männer hielten mich fest, während vier oder fünf andere unter Aufbietung ihrer vereinten Kräfte meine Beine so weit auseinanderzogen, als möglich war. In dieser peinvollen Stellung festgehalten, wurden mir von den Unholden die Füße mit Stricken aus Jakhaaren an den Balken festgebunden. Mehrere Männer mußten diese Stricke anziehen, und zwar so fest, daß sie an verschiedenen Stellen um die Knöchel herum und an den Füßen tiefe Rinnen in Haut und Fleisch schnitten; viele von diesen Schnitten, die ~Dr.~ Wilson einige Wochen später maß, waren bis zu 8 Zentimeter lang! Als ich so festgebunden war, kam der Schurke Nerba, der auf mich geschossen hatte, und ergriff mich von hinten bei den Haaren. Mein Haar war lang, da es seit mehr als fünf Monaten nicht geschnitten worden war. Das Schauspiel vor mir machte einen tiefen Eindruck auf mich. Dort, bei dem Zelte des Pombo, standen in einer Reihe die schändlichsten Schurken, die meine Augen je gesehen haben. Der eine, ein kräftiges, widerwärtiges Individuum, hielt einen großen knotigen Holzschlegel in der Hand, der zum Zerbrechen der Knochen gebraucht wird; ein anderer trug einen Bogen und Pfeile; ein dritter hielt ein großes zweischneidiges Schwert, während wieder andere verschiedene gräßliche Folterinstrumente zur Schau stellten. Die nach meinem Blute dürstende Menge stellte sich in einem Halbkreise auf und ließ mich diese Parade der Martern sehen, die mich erwarteten, und als ich meine Blicke von einer Gestalt zur andern schweifen ließ, schüttelten die Lamas ihre Folterinstrumente, um zu zeigen, daß sie sich zur Tat rüsteten. Am Eingange des Zeltes stand eine Gruppe von drei Lamas. Es waren die Musiker. Der eine hielt ein riesenhaftes Horn, das donnernde Töne von sich gab; von seinen Gefährten hatte der eine eine Trommel, der andere Becken. In einiger Entfernung schlug ein anderer Bursche auf ein ungeheures Gong. Von dem Augenblick an, als man mich vom Pferde gerissen hatte, hallten die betäubenden Töne dieses diabolischen Trios durch das ganze Tal wider und machten das Schauspiel besonders unheimlich. Jetzt wurde ein Eisenstab mit einem in rotes Tuch eingewickelten Holzgriff in einem Kohlenbecken rotglühend gemacht. Der Pombo, der sich wieder irgend etwas in den Mund gesteckt hatte, um künstliches Schäumen hervorzubringen und so seinen Grimm zu zeigen, arbeitete sich in einen Zustand wahnsinniger Wut hinein. Ein Lama überreichte ihm das jetzt rotglühende Folterinstrument, das Taram, und der Pombo nahm es am Griffe. »~Ngaghi kiu meht taxon!~ Wir wollen dir die Augen ausbrennen!« rief der Chor der Lamas. Der Pombo schritt auf mich zu, indem er das gräßliche Instrument schwenkte. Ich starrte ihn an, aber er hielt seine Augen von mir abgewandt. Er schien zu zögern, doch die Lamas um ihn feuerten ihn an. »Du bist in dieses Land gekommen, um zu sehen« (dies bezog sich auf das, was ich am Tage zuvor ausgesagt hatte, nämlich, daß ich ein Reisender und Pilger und nur gekommen sei, um das Land zu sehen). »Darum sollst du geblendet werden!« Mit diesen Worten erhob der Pombo seinen Arm und hielt mir den rotglühenden Eisenstab in einer Entfernung von 3 bis 5 Zentimeter quer vor die Augen, so daß er beinahe meine Nase berührte. Instinktiv hielt ich die Augen krampfhaft geschlossen, aber die Hitze war so ungeheuer, daß es mir vorkam, als ob meine Augen, besonders das linke, ausgedörrt und meine Nase versengt würde. Obgleich die Zeit mir endlos schien, glaubte ich doch nicht, daß die heiße Stange in Wirklichkeit länger als etwa dreißig Sekunden vor meinen Augen war. Doch war dies schon lange genug, denn als ich meine schmerzenden Augenlider aufhob, sah ich alles in einem roten Nebel. Mein linkes Auge schmerzte mich furchtbar, und alle paar Sekunden schien es mir, als ob etwas Dunkles vor ihm das Sehen hinderte. Mit dem rechten Auge konnte ich noch ziemlich gut sehen, wenn auch alles, anstatt in seinen gewöhnlichen Farben, rot erschien. Das heiße Eisen lag jetzt ein paar Schritt von mir auf dem feuchten Boden und zischte in der Nässe. Als ich mit weit auseinandergereckten Beinen, an Rücken, Händen und Beinen blutend, dastand und alles in gräßlich roter Färbung sah, inmitten des betäubenden, wahnsinnig machenden Lärms des Gongs, der Trommeln, Becken und des Horns, von der feigen Menge beschimpft und angespien und von Nerba so fest an den Haaren gehalten, daß er mir ganze Hände voll aus dem Kopfe riß, hätte ich selbst meinen bittersten Feinden nicht wünschen mögen, sich je in einer ähnlichen Lage befinden zu müssen! Alles, was ich tun konnte, war, ruhig und gefaßt zu bleiben und mit scheinbarer Gleichgültigkeit die Vorbereitungen für die nächsten Qualen, die sie mir auferlegen wollten, und ihre Teufeleien zu beobachten. »~Miumta nani sehko!~ Töte ihn mit einer Flinte!« rief eine heisere Stimme. Eine Luntenflinte wurde von einem Soldaten geladen, und als ich die Masse Pulver sah, die er in den Lauf schüttete, war ich sicher, daß sie dem, der sie abschießen würde, den Kopf kosten müsse. So sah ich denn auch mit einer gewissen Befriedigung, wie sie dem Pombo überreicht wurde. Dieser Beamte aber legte mir die Waffe gegen die Stirn, die Mündung nach oben gerichtet! Dann zündete ein Soldat die Lunte an. Es erfolgte eine Entladung, die meinem Kopfe einen kolossalen Stoß versetzte; die übermäßig geladene Flinte aber flog zu jedermanns Erstaunen dem Pombo aus der Hand. Ich mußte lachen; und ihre Verwirrung, der sich die Enttäuschung über das Mißlingen aller Versuche, mich zu verletzen, beimischte, versetzte die Menge in rasende Wut. »~Ta kossaton, ta kossaton!~ Töte ihn, töte ihn!« riefen wütende Stimmen um mich. »~Ngala mangbo schidak majidan!~ Wir können ihn nicht schrecken!« »~Ta kossaton, ta kossaton!~ Töte ihn, töte ihn!« Das ganze Tal hallte von diesem wilden Geschrei wider! Ein gewaltiges zweihändiges Schwert wurde jetzt dem Pombo gereicht, der es aus seiner Scheide zog. »Töte ihn, töte ihn!« schrie der Pöbel abermals, um den Scharfrichter anzuspornen, dessen abergläubische Natur das böse Omen von vorhin, als ihm die Flinte aus der Hand geflogen war, noch nicht verwunden hatte (wahrscheinlich schrieb er den Vorfall dem Eingreifen einer höhern Macht und nicht dem übermäßigen Laden zu) und der deshalb abgeneigt schien, fortzufahren. [Illustration: Bettelmusikanten.] Diesen Augenblick benutzte ich, um zu sagen, daß sie mich töten möchten, wenn sie wollten, aber daß, wenn ich heute stürbe, sie alle morgen sterben würden -- eine nicht zu leugnende Tatsache, da wir ja alle eines Tages sterben müssen. Einen Augenblick lang schien sie dies abzukühlen; aber die Aufregung der Menge war zu groß, und es gelang ihr endlich, den Pombo in leidenschaftliche Wut zu bringen. Sein Zorn war so heftig, daß sein Gesicht ganz unkenntlich wurde. Er sprang gleich einem Rasenden herum. In diesem Augenblick näherte sich ein Lama und schob dem Henker geschickt etwas in den Mund, dem nun sogleich der Schaum vor die Lippen trat. Ein Lama hielt das Schwert, während der Pombo, um die Arme freizumachen, einen Ärmel seines Rockes zurückschlug; den andern schlugen ihm die Lamas zurück. Dann schritt er mit langsamen, gewichtigen Schritten auf mich zu, wobei er mit den ausgestreckten nackten Armen die glänzende scharfe Klinge hin- und herschwenkte. [Illustration: Unser plötzlicher Angriff auf die tibetische Wache.] Nerba, der mich noch an den Haaren hielt, bekam den Befehl, mich zum Beugen des Nackens zu zwingen. Mit der geringen Kraft, die mir noch übrig war, und mit dem nervösen Mute eines dem Tode verfallenen Mannes widersetzte ich mich, entschlossen, den Kopf aufrecht und die Stirn hochzubehalten. Gewiß, sie konnten mich töten, sie konnten mich, wenn sie wollten, in Stücke zerhacken, aber bis ich das letzte Atom meiner Kraft verloren hätte, sollten diese Schurken mich nie dazu bringen, den Nacken vor ihnen zu beugen. Ich wollte sterben, aber nur, indem ich auf den Pombo und seine Landsleute herabsah! Der Henker, der jetzt, das Schwert in den nervigen Händen, dicht bei mir stand, hob es hoch über seine Schultern empor. Dann führte er es bis an meinen Hals hinunter, den er mit der scharfen, kalten Klinge berührte, wie um die Entfernung für einen wirksamen Streich zu messen. Dann einen Schritt zurücktretend, erhob er das scharfe Schwert wieder schnell und führte mit aller Kraft einen Hieb nach mir. Das Schwert ging scharf an meinen Hals heran, berührte mich aber nicht. Ich wollte weder ausweichen noch sprechen, und mein gleichgültiges Benehmen imponierte ihm so, daß er fast erschrak. Er zögerte wirklich, sein teuflisches Beginnen fortzusetzen, aber die Ungeduld und die Unruhe der Menge hatten jetzt ihren Höhepunkt erreicht, und die in seiner Nähe stehenden Lamas gestikulierten wie wahnsinnig und feuerten ihn weiter an. Während ich dies niederschreibe, wird ihr wildes Geschrei, der blutdürstige Ausdruck ihrer Gesichter wieder vor meinem Geiste lebendig. Augenscheinlich gegen seinen Willen wiederholte der Henker dasselbe Verfahren noch einmal auf der andern Seite meines Kopfes. Diesmal kam die Klinge so nahe, daß die Schneide des Schwertes nicht weiter als vielleicht einen Zentimeter von meinem Halse entfernt gewesen sein kann. Es schien nun alles bald vorbei zu sein; aber sonderbarerweise fiel es mir in diesem kritischen Moment nicht ein, daß ich sterben sollte. Woher ich dieses Gefühl hatte, kann ich nicht sagen, da alles, was geschah, darauf hindeutete, daß mein Ende sehr nahe war. Es tat mir ja leid, daß, wenn mein Ende wirklich nahe bevorstand, ich sterben sollte, ohne meine Verwandten und Freunde wiedergesehen zu haben, und daß sie möglicherweise nie erfahren würden, wo und wie ich gestorben war. Natürlich war ich nicht sehr geneigt, eine Welt zu verlassen, in der ich nie einen langweiligen Augenblick gehabt hatte. Aber nach all den schlimmen Erfahrungen, schrecklichen Leiden und Aufregungen, die wir seit unserm Betreten Tibets erduldet hatten, machte ich mir meine jetzige Lage nicht so klar, wie ich es getan haben würde, wenn ich aus meiner behaglichen Londoner Wohnung direkt auf den Richtplatz geschleppt worden wäre. Es ist natürlich, daß ich dieses Schauspiel nie vergessen werde, und man muß es den Tibetern lassen, daß das Ganze malerisch inszeniert wurde. Sogar die gräßlichsten Zeremonien können ihre künstlerischen Seiten haben, und gerade diese, die mit außerordentlichem Pomp und Gepränge vollzogen wurde, war wirklich großartig. Es scheint, daß in Tibet diese unangenehmen Schwertübungen vor der wirklichen Enthauptung ausgeführt werden, um das Opfer noch mehr leiden zu machen, ehe ihm der Todesstreich gegeben wird. Ich wußte das damals noch nicht und erfuhr erst einige Tage später, daß das Opfer bei dem dritten Streiche gewöhnlich wirklich enthauptet wird. Noch immer verlangten die Lamas stürmisch nach meinem Kopf; aber diesmal blieb der Pombo standhaft und weigerte sich, mit der Exekution fortzufahren. Nun scharten sie sich um ihn und schienen sehr zornig zu sein; sie schrien, kreischten und gestikulierten aufs ungestümste. Der Pombo aber hielt noch immer seine Augen halb ehrfurchtsvoll, halb erschreckt auf mich geheftet und weigerte sich, vorzugehen ... Eine erregte Beratung folgte. Vierzigstes Kapitel. Ein Fluchtversuch. Inmitten dieses barbarischen Schauspiels langte mein Kuli Man Sing an. Er war oft von seinem ungesattelten Pferde gefallen und weit zurückgeblieben. Jetzt ließ Nerba mein Haar los, während ein anderer mich heftig von vorn stieß, so daß ich hintenüber fiel und mir dadurch eine schmerzhafte Zerrung aller Sehnen meiner Beine zuzog. Man Sing, der über und über zerschlagen und von Schmerzen gepeinigt war, wurde herangebracht und mit den Beinen an denselben Balken gebunden, an dem ich befestigt war. Mir wurde gesagt, daß mein Kuli zuerst getötet werden würde, und ein roher Lama packte ihn brutal am Halse. Mit einem Stoße wurde ich in sitzende Stellung gebracht und mir eine Decke über den Kopf geworfen, so daß ich nicht sehen konnte, was sie vorhatten. Ich hörte den armen Man Sing jämmerlich stöhnen, dann folgte Totenstille. Ich rief ihn, bekam aber keine Antwort; so schloß ich, daß sie ihn in ein besseres Jenseits befördert hätten. Über eine Viertelstunde wurde ich in dieser schrecklichen Spannung gelassen; dann endlich nahmen sie mir das Tuch vom Kopfe, und ich erblickte meinen Kuli, der vor mir lag, an den Balken gebunden und fast bewußtlos, aber -- Gott sei Dank! -- noch am Leben. Er sagte mir, daß ihm, als ich ihn gerufen, ein Lama die Hand auf den Mund gelegt habe, um ihn am Antworten zu verhindern, während er ihm mit der andern Hand den Hals so fest zusammengedrückt habe, daß er beinahe erstickt sei. Nach einiger Zeit erholte sich Man Sing; die Kaltblütigkeit und Tapferkeit, die der arme Bursche in diesen schrecklichen Prüfungen erwies, war wunderbar. Jetzt sagte man uns, unsere Hinrichtung sei bis zum nächsten Tag aufgeschoben, damit wir gefoltert werden könnten, bis die Stunde käme, wo man uns zum Tode führen würde. Eine Menge Lamas und Soldaten umstand und verhöhnte uns. Ich benutzte die günstige Gelegenheit, die diese Pause bot, um einen großtuerischen Lama anzurufen und ihn um eine Erfrischung zu bitten. »~Ortscheh, ortscheh nga dappa tugu duh, tschuen deh, dang jak, guram tscha, tsamba pin.~ Ich bin sehr hungrig, bitte, gib mir etwas Reis, Jakfleisch, Ghur, Tee und Hafermehl!« Ich bat in meinem besten Tibetisch. »~Hum murr, Maharaja!~ Ich möchte Butter, Ew. Majestät«, fügte Man Sing halb in tibetischer, halb in hindostanischer Sprache hinzu. Diese natürliche Bitte um Nahrung schien unsern Peinigern, die einen Kreis um uns gebildet hatten, außerordentliches Vergnügen zu bereiten. Sie lachten herzlich; aber Man Sing und ich fühlten uns, ausgehungert und in einer höchst qualvollen Stellung gebunden sitzend, zu allem andern aufgelegt als zum Lachen. Der Tag ging jetzt zur Neige; unsere Peiniger unterließen es nicht, uns beständig daran zu erinnern, daß uns am nächsten Tage der Kopf vom Halse getrennt werden sollte. Ich sagte ihnen darauf, das würde uns nicht wehe tun, weil wir, wenn sie uns nichts zu essen gäben, dann schon längst Hungers gestorben sein würden. Ob sie sich nun vorstellten, daß dies wirklich der Fall sein könnte, oder ob andere Gründe sie dazu bewogen, kann ich nicht sagen; jedenfalls wurden mehrere der Lamas, die die Brutalsten gewesen waren, unter ihnen auch der eine, der sich am Tage vorher an Tschanden Sings Geißelung beteiligt hatte, jetzt ganz höflich und behandelten uns mit überraschender Ehrerbietung. Zwei Lamas wurden nach dem Kloster geschickt und kamen nach einiger Zeit mit Säcken voll Tsamba und einem großen Topfe heißen Tees zurück. Kaum je in meinem Leben habe ich mehr Genuß von einer Mahlzeit gehabt, obgleich die Lamas mir mit ihren ungewaschenen Fingern das Essen so schnell in den Hals stopften, daß sie mich fast damit erstickten. »Iß, iß, soviel du kannst!« sagten sie grimmig, »es wird dein letztes Mahl sein.« Und ich aß und spülte die Tsamba mit ungeheuren Mengen buttergemischten Tees hinab, den sie mir ziemlich unachtsam in den Mund gossen. Man Sing, dem seine Religion nicht gestattete, Speisen zu essen, die von Leuten einer andern Kaste berührt waren, erhielt die Erlaubnis, das Mahl aus der hölzernen Schale auszulecken. Was mich betrifft, so war ich nicht zu stolz, auch meine Zuflucht zu diesem Mittel zu nehmen, als mein demütiges »~Ortscheh, ortscheh, tschuan mangbo teroktschi!~ Bitte, bitte, gib mir etwas mehr!« durch ein mißbilligendes Kopfschütteln der Lamas beantwortet wurde und ihnen die ständige Verneinung »~Middu, middu~« entlockte. Da ich noch zu hungrig war, um etwas von der kostbaren Speise verschwenden zu können, drehten mir die Tibeter die hölzerne Schale wieder und wieder um den Mund, bis ich sie so rein geleckt hatte, als ob sie nie gebraucht worden wäre! Nach der Aufregung des Tages fühlten wir uns etwas wohler, um so mehr als wir, wenn auch nur für ein paar Augenblicke, etwas weniger schlecht behandelt wurden. Aber dieser Verbesserung unserer Lage, so klein sie war, wurde bald Einhalt getan. Von dem Kloster kam ein Lama, der nach rechts und links Befehle gab, und wieder geriet das ganze Lager in Bewegung. Man stürzte sich auf uns und ergriff uns, und während mehrere Männer mich niederhielten, wurden mir die Beine schnell losgebunden. Dann hoben sie mich wieder in die Höhe, bis ich aufrecht auf der scharfen Kante des prismatischen Balkens stand; zwei Männer packten mein eines Bein, zwei das andere und rissen sie so weit auseinander, als irgend möglich war. Hierauf wurde mir von vier oder fünf kräftigen Männern ein Strick nach dem andern um Füße und Knöchel gewunden und mit aller Macht angezogen, so daß ich wieder wie vorher an dem Balken festgemacht war. Da meine Beine diesmal viel weiter auseinandergezerrt waren, empfand ich, als sie mich jetzt nach rückwärts hinabstießen, noch viel größere Schmerzen in den Beinmuskeln als zuvor. Aber ehe ich noch Zeit hatte, mir dessen ganz bewußt zu sein, rissen mir die Lamas, die jetzt wieder so wild waren, wie ich sie anfangs gesehen hatte, die gefesselten Arme nach hinten, um einen Strick an die Kette der Handschellen zu binden. Hiermit fertig, zogen sie den Strick durch ein Loch am obersten Ende eines hohen, hinter mir stehenden Pfahles und rissen, indem sie kräftig daran zerrten, meine Arme in einer Weise nach oben, daß sie, wäre ich weniger gelenkig gewesen, sie mir sicher gebrochen hätten. Als ihre vereinte Kraft mich keinen Zoll weiter emporziehen konnte, ohne mich in Stücke zu zerreißen, machten sie den Strick fest; so blieb ich halb hängen und hatte das Gefühl, als ob alle Knochen meiner Glieder sich aus den Gelenkpfannen lösten oder schon gelöst hätten. Da das Gewicht des Körpers nach unten zog, mußte, das fühlte ich, jeder Augenblick die Qual dieser schrecklichen Tortur vergrößern, die eine primitive Form der Streckfolter war. Man Sing war auf der andern Seite ebenso aufgehängt worden; mit den Füßen war er an denselben Balken gebunden, an dem die meinigen befestigt waren. Zuerst war der Schmerz sehr heftig, denn die Sehnen der Beine und Arme wurden furchtbar angespannt und das Rückgrat so gebogen, daß es fast brach. Die nahe aneinandergezwängten Schulterblätter drückten die Wirbel einwärts, und längs des Lendenwirbels, wo die Anspannung am größten war, empfand ich furchtbare Schmerzen. Als ob dies noch nicht genug wäre, wurde noch ein Strick von Man Sings Hals zu meinem gezogen, um unsere Hälse in eine höchst unbequeme Lage zu bringen. Es fing heftig zu regnen an, wir wurden aber trotzdem im Freien gelassen. Unsere Kleider, d. h. die Lumpen, in die sie sich bei dem Ringkampfe vor unserer Gefangennehmung aufgelöst hatten, wurden gänzlich durchnäßt. Halbnackt und verwundet, erstarrten wir bald vor Kälte, bald brannten wir im Fieber. Eine Wache umgab uns, die zwei an Pflöcke gebundene Wachhunde bei sich hatte. Augenscheinlich verließen sich die Soldaten so fest auf die Unmöglichkeit unsers Entfliehens, daß sie sich ihre schweren Decken über die Köpfe zogen und schliefen. Einer von ihnen bewegte sich im Schlafe und stieß dabei sein Schwert unter der Decke hervor, in die er sich fest eingerollt hatte. Dies brachte mich auf den Gedanken eines Fluchtversuchs. Es war inzwischen sehr dunkel geworden. Dank der außerordentlichen Gelenkigkeit meiner Hände gelang es mir, die rechte Hand aus den Handschellen zu ziehen, und nach ungefähr einer Stunde heimlicher, ängstlicher Arbeit brachte ich es fertig, die Stricke, mit denen Man Sings Füße gebunden waren, zu lösen. Dann flüsterte ich ihm zu, er solle langsam aufstehen und das Schwert mit dem Fuße zu mir hinschieben, bis ich so weit reichen könne. Wenn dies gelang, konnte ich bald meine Fesseln und die um Man Sings Hände durchschneiden; mit einer Waffe in unserm Besitz würden wir dann einen kühnen Streich zur Erlangung unserer Freiheit ausführen können. Man Sing aber war kein Meister in der Gelenkigkeit. In seiner Freude, sich teilweise frei zu fühlen, bewegte der arme Kuli seine Beine ungeschickt. Die wachsamen Hunde bemerkten es und schlugen an. In einem Augenblick sprangen die Wachen auf; furchtsam wie immer, verließen sie uns eiligst, um Licht zu holen und unsere Fesseln zu untersuchen. Durch die Dunkelheit der stürmischen Nacht begünstigt, gelang es mir inzwischen, meine Hand in die Handschellen zurückzuzwängen. Sie wieder hineinzustecken war schwieriger, als sie herauszuziehen; aber ich hatte gerade Zeit genug, die Sache auszuführen. Jetzt kamen die Leute, die nach dem Kloster gegangen waren, mit Lichtern zurück. Ich stellte mich fest schlafend, was allerdings sehr unwahrscheinlich war, wenn ich in jedem Knochen meines Körpers das Gefühl hatte, als ob er lose geworden sei, wenn jedes Glied starr und kalt, jede Sehne und jedes Band so angespannt war, daß ich vor Schmerzen fast wahnsinnig wurde! Die Tibeter fanden die Fesseln um Man Sings Füße gelöst. Sie untersuchten meine Hände und fanden sie noch ebenso, wie sie sie gelassen hatten. Sie betrachteten meine Füße. Die Stricke waren noch da und schnitten tief in mein Fleisch ein. Sie betrachteten Man Sings Hände und fanden auch sie noch immer an dem hinter ihm stehenden Pfahl befestigt. Der geheimnisvolle Vorgang erschien den Tibetern so rätselhaft, daß sie ernstlich erschraken. Sie fingen an, aufgeregt zu schreien und um Hilfe zu rufen. Kaum hatten sie Lärm geschlagen, so stürzte auch schon eine Schar auf uns los und stellte sich mit gezogenen Schwertern um uns auf. Einer, der tapferer als die übrigen war, gab Man Sing ein paar Peitschenhiebe und drohte uns, daß wir auf der Stelle enthauptet werden sollten, wenn man unsere Stricke noch einmal gelöst finden würde. Der Kuli wurde wieder gebunden, diesmal noch fester als zuvor. Zur Vorsicht wurde jetzt ein Licht zwischen mich und Man Sing gestellt, und da es noch heftig regnete, brachten die Tibeter ein leinenes Schutzdach über uns an, damit das Licht nicht ausgelöscht würde. Gegen 6 oder 7 Uhr morgens wurden Man Sings Füße losgebunden, seine Hände aber nicht. Mich ließen sie noch in derselben qualvollen Stellung. So vergingen mir die Stunden sehr langsam. Meine Beine, Arme und Hände waren allmählich ganz abgestorben, und ich fühlte, nachdem ich die ersten sechs, sieben Stunden in der Streckfolter zugebracht hatte, keinen eigentlichen Schmerz mehr. Die Erstarrung kroch langsam durch jedes Glied meines Körpers, bis ich das eigentümliche Gefühl hatte, als hätte ich einen lebenden Kopf auf einem toten Leibe. Es ist merkwürdig, wie das Gehirn unter solchen Umständen tätig bleibt und so gut arbeitet, als ob es durch das Absterben aller übrigen Organe gar nicht angegriffen würde. -- Der Tag, der jetzt heraufdämmerte, war reich an seltsamen Ereignissen. Als die Sonne schon ziemlich hoch am Himmel stand, kam der Pombo mit einer großen Schar von Lamas von dem Kloster geritten, obgleich die Entfernung nur sehr gering war. Er ging nach seinem Zelt; gleich darauf wurden meine Kisten mit den wissenschaftlichen Instrumenten herausgebracht und geöffnet, wobei die Soldaten ein ergötzliches Gemisch von Neugier und Vorsicht zeigten. Ich mußte den Gebrauch jedes Instruments erklären, eine schwierige Sache, wenn man ihre Unwissenheit und meine sehr begrenzte Kenntnis des Tibetischen bedenkt, die mir nicht erlaubte, wissenschaftliche Vorträge zu halten. Mit großem Mißtrauen wurde der Sextant angesehen, mit noch größerm der hypsometrische Apparat, den sie mit seinen Thermometern in Messingröhren für irgendeine Art von Feuerwaffe hielten. Dann kam eine Partie von noch nicht entwickelten photographischen Platten, von denen sie einen Kasten nach dem andern im hellen Tageslichte öffneten und so in wenigen Augenblicken die wertvollen Negative zerstörten, die ich seit meinem Aufbruch vom Mansarowar aufgenommen hatte. Der Pombo, der genauer beobachtete als die andern, bemerkte, daß die Platten eine gelbliche Färbung annahmen, als sie dem Lichte ausgesetzt wurden. »Was ist das?« fragte er. »Das ist ein Zeichen, daß du für das, was du mir antust, zu leiden haben wirst.« Der Pombo schleuderte die Platte fort und war ganz außer Fassung. Er gab den Befehl, in einiger Entfernung ein Loch in den Boden zu graben und die Platten sofort hineinzuversenken. Aber die Soldaten, denen der Befehl erteilt wurde, schienen keine Lust zu haben, die Platten zu berühren, und mußten erst von den Lamas gescholten und geschlagen werden, ehe sie gehorchten. Endlich schoben sie den Kasten mit den Negativen mit den Füßen nach einer etwas abgelegenen Stelle. Dort gruben sie nach Hundeart mit den Händen ein tiefes Loch in den schlammigen Boden. Ich mußte sehen, wie meine Arbeit von mehreren Wochen für immer mit Erde bedeckt wurde! Es war ein harter Schlag für mich. Jetzt kam mein Malkasten mit seinen Wasserfarben an die Reihe. »Was tust du mit diesen?« rief der zornige Lama und wies auf die harmlosen Farben. »Ich male Bilder.« »Nein, du lügst! Mit dem Gelb findest du, wo Gold im Lande ist, und mit dem Blau entdeckst du, wo Malachit ist.« Ich versicherte ihm, daß dem nicht so sei, und sagte, daß, wenn man mich losbinden wolle, ich, sobald ich den Gebrauch meiner Arme wiedererlangt hätte, von ihm ein Bild malen würde. Klugerweise zogen die Lamas aber vor, mich gebunden zu lassen. Jetzt wurde ihre ganze Aufmerksamkeit durch eine beträchtliche Summe in Silber und Gold in Anspruch genommen, die sie in den Kisten fanden; der Pombo warnte das Volk, daß keine einzige Münze gestohlen werden dürfe. Diese Gelegenheit benutzte ich, dem Lamakloster eine Opfergabe von 500 Rupien anzubieten; dem Pombo aber sagte ich, daß es mich freuen würde, wenn er mein Henry-Martini-Gewehr, das, wie ich bemerkt hätte, ihm gefiele, als ein Geschenk annehmen wolle. Beide Geschenke wurden abgelehnt, da das Lamakloster, wie sie sagten, sehr reich sei, und des Pombo Stellung als Beamter ihm nicht erlaube, ein Gewehr zu tragen. Indessen war der Pombo von dem Anerbieten ganz gerührt und kam, sich persönlich bei mir zu bedanken. In ihrer Art waren die Schurken in ihrem Betragen anständig genug, und ich konnte nicht umhin, die Höflichkeit und Grausamkeit an ihnen zu bewundern, die sie in jedem Augenblick ein- und ausschalten konnten. Sie waren auf dem Grunde der wasserdichten Kiste angelangt, und mit großem Mißtrauen zog der Pombo einen sonderbaren plattgedrückten Gegenstand heraus. »Was ist das?« fragte er und hob den Gegenstand wie gewöhnlich in die Höhe. Meine Sehkraft war so geschwächt, daß ich nicht deutlich unterscheiden konnte, was es war. Aber als sie das Ding vor meiner Nase schwenkten, erkannte ich es als meinen lange verlegten, jetzt trockenen und plattgedrückten Badeschwamm, den Tschanden Sing mit seiner gewöhnlichen Geschicklichkeit im Packen auf dem Boden der Kiste untergebracht hatte, um dann die schweren Kästen mit den photographischen Platten daraufzutürmen. Infolge der Last, die wochenlang auf ihm gelegen hatte, war der Schwamm, der eigentlich sehr groß war, auf weniger als zwei Zentimeter Dicke zusammengedrückt. Den Tibetern machte dieser neue Fund, der, wie sie sagten, dem Zunder glich, viel Kopfzerbrechen; er wurde mit großer Vorsicht angefaßt, da einige der Lamas sagten, er könnte explodieren. Als ihre Neugier befriedigt war, nahmen sie ihn und warfen ihn fort. Er fiel in meiner Nähe in eine kleine Wasserlache. Das war eine goldene Gelegenheit, meine Kerkermeister zu erschrecken, und so redete ich den Schwamm in englischer Sprache und mit beliebigen Worten, die mir in den Mund kamen, an, indem ich tat, als ob ich Zauberformeln ausspräche. Natürlich richtete sich die Aufmerksamkeit der Lamas und Soldaten augenblicklich auf mein sonderbares Benehmen, und sie konnten ihren Schrecken nicht verbergen, als der Schwamm, indem ich lauter und immer lauter zu ihm sprach, allmählich durch das eingesogene Wasser zu seiner normalen Größe aufschwoll. Die Tibeter, die bei diesem unverständlichen Vorgang erst ihren Augen nicht trauen wollten, wurden bei dieser vermeintlichen Bekundung meiner geheimen Kräfte von solchem Schrecken ergriffen, daß eine allgemeine eilige Flucht nach allen Seiten erfolgte. Alles dies war unterhaltend und diente jedenfalls dazu, die Zeit zu vertreiben. Die ergötzlichste Szene dieses Nachmittags sollte jedoch noch kommen. Einundvierzigstes Kapitel. Der Tanz des Pombo. Nach einiger Zeit rafften die Lamas ihren Mut wieder zusammen und gingen nach der Stelle zurück, wo mein Gepäck durchstöbert worden war. Einer von ihnen nahm mein Henry-Martini-Gewehr, und die andern drängten ihn, es abzuschießen. Nun kam er zu mir, und als ich ihm erklärt hatte, wie es geladen würde, legte er eine Patrone in die Kammer, bestand aber darauf, das Schloß nicht fest zu schließen. Als ich ihn vor den Folgen warnte, schlug er mich mit dem Kolben des Gewehrs über den Kopf. Bei dem Zielen mit ihren Luntenflinten, an denen eine Stütze befestigt ist, ist es tibetischer Brauch, den Kolben vor die Nase zu halten, anstatt ihn, wie wir es tun, fest an die Schulter zu legen. So zielte auch der Lama in dieser Weise auf einen meiner Jake, die ungefähr dreißig Meter von uns friedlich grasten. Während alle ängstlich aufpaßten, um zu sehen, welchen Erfolg der Schuß haben würde, drückte er ab; das Gewehr ging mit einem besonders lauten Knall los, und siehe, der Lauf zerplatzte, und der heftige Rückschlag gab dem Lama einen furchtbaren Stoß ins Gesicht. Das aus seinen Händen fliegende Gewehr beschrieb einen Purzelbaum in der Luft, und der Lama fiel rückwärts auf die Erde, wo er, lang ausgestreckt, über und über blutend, liegenblieb und wie ein Kind jämmerlich schrie. Seine Nase war zerquetscht, ein Auge ausgeschlagen, und die Zähne waren ihm zertrümmert! Ich muß erwähnen, daß der verwundete Lama an der Spitze der Partei stand, die meine Enthauptung verlangte, und so war es denn natürlich, daß ich in lautes Gelächter ausbrach, um meiner Freude darüber Luft zu machen, daß er jetzt so bestraft wurde. Ich war froh, daß sie mich noch einen Tag länger hatten leben lassen, und wäre es auch nur gewesen, um den Unfall des Lamas sehen zu können! Der Pombo, der mich fast während des ganzen Nachmittags mit einer halb mitleidigen, halb ehrerbietigen Miene angesehen hatte, als ob er gegen seinen Willen gezwungen wäre, mich so brutal zu behandeln, konnte nicht umhin, in mein Gelächter über des Lamas jämmerliche Lage einzustimmen. In einer Art, glaube ich, war er froh, daß der Unfall geschehen war. Denn, wenn er bis dahin noch ungewiß gewesen war, ob er mich töten solle oder nicht, so sah er nach dem, was vorgefallen war, ein, daß es nicht klug sein würde, es zu versuchen. Von einem goldenen Ringe, den man mir am Tage unserer Gefangenschaft genommen und den ich immer wieder zurückverlangt hatte, da er mir von meiner Mutter geschenkt war, glaubten sie, daß er wunderbare Kräfte besäße, solange ich ihn am Finger trüge; aus Furcht, daß ich mit seiner Hilfe meine Fesseln brechen und entfliehen könnte, hielten sie ihn nun fern von mir verborgen. Eine aufgeregte Beratung, die von dem Pombo, den Lamas und den Offizieren abgehalten wurde, endigte gegen Sonnenuntergang damit, daß mehrere Soldaten kamen und mir die Beine von dem Streckblock losmachten; meine Hände wurden, wenn auch noch in den Handschellen, doch von dem Pfahl hinter mir heruntergelassen. Als die um meine Knöchel gebundenen Stricke aus den Rinnen, die sie ins Fleisch geschnitten hatten, gelöst wurden, gingen große Stücke Haut mit ihnen ab. So endeten die schrecklichsten vierundzwanzig Stunden, die ich je erlebt habe. -- Zuerst, als ich platt auf dem Boden lag, fühlte ich nur sehr wenig Erleichterung; denn Körper und Beine waren steif und wie tot, und als die Zeit hinging, ohne daß sich auch nur eine Spur von wiederkehrendem Leben in ihnen zeigte, fürchtete ich, daß gänzliches Absterben eingetreten sei und daß ich den Gebrauch meiner Füße für immer verloren hätte. Es dauerte zwei oder drei Stunden, bis das Blut wieder in meinem rechten Fuße zu zirkulieren begann, und die Schmerzen dabei waren furchtbar. Hätte man mir eine Handvoll Messer langsam durch die Innenseite des Beines gezogen, der Schmerz hätte nicht entsetzlicher sein können. Meine Arme waren nicht ganz so schlimm, obgleich auch sie erstarrt waren, aber der Blutumlauf kam schneller wieder in Gang. Mittlerweile hatte der Pombo, ich weiß nicht, um mich zu amüsieren oder um mit seinen Reichtümern zu prunken, den Befehl gegeben, daß etwa hundert Pferde, einige darunter mit prächtiger Aufzäumung, herbeigebracht würden. Er bestieg das schönste und ritt, das furchtbare Taram, den Eisenstab, in der Hand haltend, um den Hügel herum, auf dem das Kloster und die Festung standen. Bei seiner Rückkehr hielt er seinen Leuten eine Rede, und dann begann eine Folge von Spielen, wobei der Pombo sich in meine Nähe setzte und mich gespannt beobachtete, um zu sehen, wie mir die Schaustellung gefiel. Zuerst wurden die besten Schützen ausgewählt, die einer nach dem andern mit ihren Luntenflinten auf meine nur wenige Schritt entfernten Jake schossen; aber trotzdem sie sorgfältig und bedächtig zielten, gelang es ihnen nicht, sie zu treffen. Ich merkte, daß sie mit Kugeln schossen, denn ich konnte das Zischen der Geschosse hören. Hierauf folgte eine sehr interessante Vorführung von Reiterkünsten. Hätte ich nicht während der ganzen Zeit unter qualvollen Schmerzen gelitten, so würde ich mehr Vergnügen daran gehabt haben, indessen trug das Schauspiel doch viel dazu bei, mich aufzuheitern. Zuerst fanden Wettrennen statt, bei denen nur je zwei Pferde zugelassen wurden; zuletzt rannten die beiden Gewinner der letzten Einzelrennen; dem Sieger wurde eine Kata überreicht. Dann ritt ein Reiter, der eine Kata in der Luft schwenkte, in tollem Galopp voran, während zwanzig andere dicht hinter ihm folgten. Er ließ die Kata aus der Hand fliegen, und als sie auf den Boden niedersank, folgten die Reiter dem ersten und ritten mit ihm eine kleine Strecke weit; dann galoppierten sie auf ein gegebenes Zeichen alle wieder stürmisch nach der Stelle zurück und versuchten, indem sie sich von den Pferden herabbogen, die Kata aufzunehmen, ohne vom Pferde zu steigen. Einige der jüngern Männer zeigten hierbei viel Geschick. Eine andere Übung bestand darin, daß ein Reiter in vollem Galopp auf einen stillstehenden Fußsoldaten zuritt, ihn bei den Kleidern ergriff und in den Sattel emporhob. Die Schaustellung interessierte mich sehr, und ich äußerte so große Bewunderung für die Pferde, daß der Pombo den Befehl gab, mir die besten vorzuführen, und daß er mich dann in eine sitzende Stellung aufrichten ließ, damit ich sie besser sehen könne. Der Pombo war jetzt sehr aufmerksam und höflich. Es war mir eine große Erleichterung, denn ich litt mehr unter meiner demütigenden Lage als unter den Folterqualen selbst. Nun sagte mir der Pombo, daß ich nach dem Zelte blicken solle; dann stand er auf und ging auf dasselbe zu. Die Öffnung des Zeltes war über 6 Meter breit. Damit ich alles sehen könne, was drinnen vor sich ging, kamen einige Soldaten und zogen mich dicht davor. Zwei dicke Lamas traten mit dem Pombo in das Zelt; die andern Leute, die darin waren, wurden hinausgewiesen. Nachdem sie das Zelt für ein paar Minuten geschlossen hatten, öffneten sie es wieder. Inzwischen rief ein Gong die Lamas aus dem Kloster herab; es dauerte nur wenige Minuten, bis eine Schar von ihnen kam und ihre Plätze im Zelt einnahm. In seinem gelben Rocke und ebensolchen Hosen, den spitzen Hut auf dem Kopfe, saß der Pombo auf einer Art von hochlehnigem Stuhl in der Mitte des Zeltes; neben ihm standen die beiden Lamas, die zuerst mit ihm eingetreten waren. Ohne Zweifel befand sich der Pombo in hypnotischer Verzückung. Er saß regungslos da, die Hände flach auf die Knie gelegt und den Kopf hoch aufgerichtet. Seine Augen starrten unbeweglich. Einige Minuten lang blieb er in diesem Zustand, und alle Soldaten und das Volk, die sich vor dem Zelte versammelt hatten, warfen sich auf die Knie, legten ihre Mützen auf die Erde und murmelten Gebete. Nun legte der eine der beiden Lamas, ein Bursche von anscheinend großer magnetischer Kraft, seine Hand auf die Schulter des Pombo, dessen Arme sich langsam mit ausgestreckten Händen erhoben und lange Zeit wie in einem kataleptischen Zustande so blieben, ohne sich auch nur um eines Zolles Breite zu rühren. Darauf berührte der Lama den Hals des Pombo mit seinen Daumen und rief dadurch eine schnelle, von links nach rechts gehende kreisförmige Bewegung des Kopfes hervor. Während der Hypnotiseur gewisse Beschwörungsformeln sprach, fing der Pombo an, die außerordentlichsten Gliederverrenkungen zu machen, indem er die Arme, den Kopf, den Rumpf und die Beine wie eine Schlange bewegte. Er arbeitete sich in eine Raserei hinein oder wurde vielmehr in diese hineingearbeitet, welcher Zustand einige Zeit dauerte. Die Menge der Gläubigen zog sich immer näher an den Pombo heran, wobei sie inbrünstig betete und tiefe Seufzer und Rufe der Bewunderung und fast des Schreckens bei einigen der unmöglichsten Verrenkungen ausstieß. Dann und wann schloß diese unheimliche Art von Tanz mit einer seltsamen Stellung ab; der Pombo klappte dann so zusammen, daß sein Kopf fast den Boden berührte und sein langer Hut flach auf dem Boden ruhte. Wenn er sich in dieser Stellung befand, gingen die Zuschauer einer nach dem andern hin, berührten seine Füße mit den Fingern, warfen sich nieder und begrüßten ihn mit feierlichen Salaams. So ging es einige Zeit fort, bis schließlich der Hypnotiseur den Kopf des Pombo zwischen seine Hände nahm, ihm in die Augen starrte, seine Stirn rieb und ihn aus der Hypnose erweckte. Der Pombo war bleich und erschöpft. Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück, und sein Hut fiel ihm vom Kopfe, der glatt geschoren war, ein unverkennbares Zeichen, daß er ein Lama von hohem Range war. Nach dieser religiösen Vorstellung wurden an alle anwesenden Tibeter Katas verteilt, die sie zusammenfalteten und in ihre Röcke steckten. Als der Pombo aus seinem Prunkzelte herauskam, sagte ich ihm, daß der Tanz wunderschön sei, aber daß ich großen Hunger hätte. Er fragte mich, was ich essen wolle, und ich sagte, daß ich gern etwas Fleisch und Tee haben möchte. Bald darauf wurde mir ein großes Gefäß mit köstlichem gedämpftem Jakfleisch und auch Tsamba im Überfluß gebracht. Aber trotzdem ich ganz ausgehungert war, hatte ich die größte Mühe, auch nur einige Bissen hinunterzuschlucken. Dies rührte, wie ich glaube, von den Verletzungen meines Rückgrats und von dem Absterben der Glieder her, das augenscheinlich meinen ganzen Organismus angegriffen hatte. Als der Pombo sich zurückgezogen hatte und die Nacht herankam, wurde ich wieder an den Streckblock gebunden, diesmal aber mit nicht so weit auseinandergezerrten Gliedern. Auch meine Hände wurden wieder hinten an den Pfahl gebunden, doch ohne sie besonders anzuspannen. Zweiundvierzigstes Kapitel. Plötzliche Wendung meines Schicksals. Spät am Abend kam ein halbes Dutzend Lamas aus dem Kloster mit einem Lichte und einer großen Messingschale, die, wie sie sagten, Tee enthielt. Unter ihnen war der verwundete Lama mit ganz verbundenem Kopfe. Er wünschte so dringend, daß ich etwas davon tränke, um mich während der kalten Nacht warm zu erhalten, daß ich mißtrauisch wurde. Als sie mir eine Schale mit dem Tranke an die Lippen brachten, nippte ich nur ein wenig davon und lehnte es ab, mehr zu trinken, wobei ich das, was sie mir in den Mund gezwungen hatten, ausspie. Ein paar Tropfen hatte ich hinuntergeschluckt, und nach wenigen Minuten empfand ich schneidende, qualvolle Schmerzen im Magen, die noch mehrere Tage danach anhielten. Ich kann daraus nur schließen, daß das dargebotene Getränk vergiftet gewesen sein muß. Am folgenden Tage begann mein linker Fuß, der, seitdem ich zum erstenmal von der Streckfolter losgebunden worden, leblos geblieben war, sich zu bessern, und der Blutumlauf stellte sich allmählich wieder ein; die Schmerzen waren unerträglich. Am Morgen schien Unentschiedenheit darüber zu herrschen, was mit uns geschehen sollte. Mehrere Lamas wünschten immer noch, daß wir enthauptet würden, der Pombo und die andern indessen hatten sich schon am vorigen Abend fest entschlossen, uns an die Grenze zurückzuschicken. [Illustration: Höhlendorf Dagmar.] Unglücklicherweise hatte aber der Pombo, wie später Lamas dem britischen Peschkar Charak Sing erzählten, während der Nacht eine Vision gehabt, in der ihm ein Geist sagte, daß, wenn er uns nicht töte, er und sein Land von einem großen Unglück betroffen werden würden. [Illustration: Soldat ein Schaf durch Ersticken tötend.] »Du kannst den Plenki töten«, soll der Geist gesagt haben, »und niemand wird dich strafen, wenn du es tust. Die Plenkis fürchten sich, gegen die Tibeter zu kämpfen.« [Illustration: Der Unglücksprophet.] Da unter den Lamas kein wichtiger Schritt ohne Beschwörungen getan wird, so befahl der Pombo einem Lama, eine Locke meines Haares abzuschneiden, was er mit einem sehr stumpfen Messer tat. Mit ihr in der Hand ritt der Pombo zum Lamakloster hinauf, um das Orakel zu befragen. Die Locke wurde zur Untersuchung abgegeben, und es scheint, als habe das Orakel nach gewissen Beschwörungen geantwortet, ich müsse enthauptet werden oder das Land würde in große Gefahr geraten. Scheinbar enttäuscht ritt der Pombo zurück und befahl jetzt, einen meiner Fußnägel abzuschneiden; nach dieser Operation wurde das Orakel wieder gefragt, was zu tun sei, und leider gab es dieselbe Antwort. Der hohe Gerichtshof der versammelten Lamas hält gewöhnlich drei solcher Beratungen ab; beim drittenmal bringen die Tibeter, um die Entscheidung des Orakels zu erlangen, ein Stück von einem Fingernagel mit. Der Lama, der im Begriff stand, mir dieses Stück abzuschneiden, untersuchte meine nach hinten gebundenen Hände, und als er meine Finger ausspreizte, äußerte er große Überraschung und Erstaunen. Im nächsten Augenblick kamen alle Lamas und Soldaten herangelaufen, um meine gefesselten Hände zu untersuchen: eine Wiederholung dessen, was ich in dem Kloster von Tucker erlebt hatte. Auch der Pombo kam, als er davon benachrichtigt wurde, unverzüglich herbei und betrachtete meine Finger; das Gerichtsverfahren wurde sofort eingestellt. Als ich einige Wochen später befreit worden war, gelang es mir, von den Tibetern den Grund ihres Erstaunens zu erfahren. Meine Finger sind etwas höher zusammengewachsen, als gewöhnlich der Fall ist, und diese Eigentümlichkeit wird in Tibet sehr hoch geschätzt. Wer solche Finger besitzt, dessen Leben ist nach tibetischem Glauben durch Zauber gefeit; was auch die Menschen versuchen mögen, ihm kann kein Leid geschehen. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß dieser lächerliche Aberglaube viel dazu beitrug, des Pombo Entscheidung über unser Schicksal zu beschleunigen. So befahl denn der Pombo, daß mein Leben geschont werden und daß ich noch an demselben Tage meine Rückreise nach der indischen Grenze antreten solle. Von meinem eigenen Gelde nahm er 120 Rupien, die er mir für meine Bedürfnisse während der Reise in die Tasche steckte, und befahl, daß ich, wenn auch noch gefesselt, doch freundlich behandelt werden sollte, ebenso meine Diener. Als alles bereit war, wurden Man Sing und ich zu Fuß nach Toxem geführt; unsere Wache bestand aus ungefähr fünfzig Reitern. Trotz unserer schlimmen, zerfleischten Füße, trotz unserer schmerzenden Knochen und der Wunden, mit denen wir bedeckt waren, mußten wir mit großer Eile marschieren. Die Soldaten hatten mich wie einen Hund am Halse gebunden und zogen mich vorwärts, wenn ich keuchend, erschöpft und elend mit den Pferden nicht Schritt halten konnte. Wir durchschritten mehrere kalte Ströme und sanken bis zu den Hüften in Wasser und Schlamm. In Toxem sah ich zu meiner großen Freude Tschanden Sing noch am Leben. Er war in dem Lehmhause gefangengehalten worden, wo er drei Tage lang aufrecht an einen Pfahl gebunden war und vier Tage lang weder etwas gegessen noch getrunken hatte! Man hatte ihm gesagt, ich sei enthauptet worden. Er war in einem furchtbaren Zustand; infolge seiner Wunden, der Kälte und des Hungers war er dem Tode nahe. Wir mußten die Nacht über hierbleiben. Wir erstickten fast vor Rauch in einem der Zimmer des Lehmhauses, das mit Soldaten vollgepfropft war, die in Gesellschaft einer Frau von anscheinend leichten Sitten die ganze Nacht spielten, sangen, fluchten und rauften und uns dadurch hinderten, auch nur ein paar Minuten zu schlafen. Am nächsten Morgen wurden Tschanden Sing und ich bei Sonnenaufgang auf Jake gesetzt. Der arme Man Sing mußte zu Fuß gehen und wurde unbarmherzig geschlagen, wenn er, müde und erschöpft, hinfiel oder zurückblieb. Sie banden ihm wieder einen Strick um den Hals und rissen ihn in brutalster Weise vorwärts. Wir hatten starke Wachen, die uns am Entfliehen hindern sollten; diese forderten an allen Lagerplätzen frische Relais von Jaken und Pferden und Nahrungsmittel für sich, so daß wir sehr schnell vorwärtskamen. In den ersten fünf Tagen legten wir 295 Kilometer zurück, wobei die beiden längsten Tagemärsche je 70 und 75 Kilometer betrugen; nachher machten wir keine so großen Märsche mehr. Auf diesen langen Märschen litten wir viel, da die Soldaten uns mißhandelten und aus Furcht, daß wir zu kräftig werden könnten, uns nicht erlauben wollten, täglich zu essen. Sie gaben uns nur alle zwei oder drei Tage etwas. Unsere Erschöpfung und die Schmerzen, die das Reiten auf den elenden Jaken uns bei unsern Wunden verursachte, waren schrecklich. Man hatte uns all unsere Habe genommen; unsere Kleider waren zerlumpt und wimmelten von Ungeziefer. Wir waren barfuß und fast nackt. Die ersten paar Tage marschierten wir manchmal von vor Sonnenaufgang bis ein oder zwei Stunden nach Sonnenuntergang. Wenn wir das Lager erreichten, wurden wir von unsern Jaken heruntergerissen; dann legten uns unsere Wächter zu den eisernen Handschellen, die wir um unsere Handgelenke hatten, auch noch Fesseln um die Fußknöchel. Da sie uns so für ganz sicher hielten, ließen sie uns im Freien schlafen ohne irgendeine Art von Bedeckung, oft genug auf dem Schnee liegend oder vom Regen durchweicht. Unsere Wachen schlugen gewöhnlich ein Zelt auf, unter dem sie schliefen. Aber selbst wenn sie keins hatten, gingen sie meist etwa 50 Meter von uns weg, um Tee zu brauen. [Illustration: Ein Reiter aus meiner Wache.] Von meinen beiden Dienern unterstützt, die bei mir saßen, um aufzupassen und mich gegen die Blicke der Wachen zu schirmen, brachte ich es unter steter Gefahr fertig, einen vorläufigen Bericht unserer Rückreise auf ein kleines Stück Papier niederzuschreiben, das in meiner Tasche geblieben war, als ich von den Tibetern durchsucht wurde. Wie ich es auf der Streckfolter getan hatte, zog ich auch jetzt die rechte Hand aus der Handschelle und zeichnete mit einem kleinen Stückchen Knochen, das ich aufgelesen hatte, als Feder und mit meinem Blut als Tinte kurze chiffrierte Notizen und eine Karte unsers Rückweges auf. Natürlich mußte ich, da ich keine Instrumente hatte, um genaue Beobachtungen anzustellen, meine Ortsbestimmungen nach der Sonne machen, deren Stand ich ziemlich genau durch beständiges Beobachten des Schattens fand, den mein Körper auf den Boden warf. Begreiflicherweise konnte ich mich, wenn es regnete oder schneite, nicht zurechtfinden und mußte meine Peilungen nach den Beobachtungen des vorigen Tages berechnen. Unsere Wachen waren sehr streng und mißhandelten uns in jeder Weise. Ein paar Soldaten jedoch erwiesen uns große Freundlichkeit und Teilnahme und brachten uns, so oft sie es tun konnten, ohne von ihren Kameraden gesehen zu werden, etwas Butter und Tsamba. Da unsere Wachen sehr häufig wechselten, hatten wir keine Möglichkeit, uns mit den Soldaten zu befreunden, und jede neue Ablösung war schlimmer als die vorhergehende. Eines Tages trug sich ein spaßhafter Zwischenfall zu, der unter unsern Wachen großen Schrecken verursachte. Wir hatten in der Nähe einer Felswand haltgemacht; die Soldaten waren etwa 20 Meter von uns entfernt. Um meine Diener und mich zu belustigen, machte ich einige bauchrednerische Kunststücke und tat so, als ob ich zur Wand hinaufspräche und von dort Antwort erhielte. Die Tibeter wurden von Schrecken ergriffen. Sie fragten mich, wer dort oben sei. Ich sagte, es sei jemand, den ich kenne. »Ist es ein Plenki?« »Ja.« Da stießen sie uns schnell auf unsere Jake und bestiegen ihre Pferde, und Hals über Kopf verließen wir den Ort. Als wir an eine Stelle kamen, deren Lage ich nach einer auf meiner Hinreise vorgenommenen Beobachtung auf 83° 6´ 30´´ östlicher Länge und 30° 27´ 30´´ nördlicher Breite bestimmen konnte, wurde mir ein großes Glück zuteil. An diesem Punkte treffen nämlich die beiden Hauptquellflüsse des Brahmaputra zusammen und vereinigen sich zum Hauptfluß; den einen Nebenfluß aus Nordwest hatte ich schon verfolgt, der andere kommt aus Westnordwest. Zu meiner Freude wählten die Tibeter den südlichern Weg und gaben mir dadurch Gelegenheit, die zweite Hauptquelle des großen Flusses zu besuchen. Dieser zweite Strom entspringt in einer Ebene und hat seinen Ursprung in einem kleinen See, der auf annähernd 82° 47´ östlicher Länge und 30° 33´ nördlicher Breite gelegen ist. Ich gab der nördlichen Quelle meinen eigenen Namen, ein Verfahren, das, wie ich hoffe, nicht für unbescheiden angesehen werden wird angesichts der Tatsache, daß ich der erste Europäer war, der sie besucht hat, und auch angesichts der besondern Umstände meiner Reise. -- Dieser Abschnitt unserer Gefangenschaft war wohl schrecklich, aber doch interessant und belehrend; denn es gelang mir, die Soldaten unterwegs dazu zu bringen, mich einige tibetische Lieder zu lehren, die denen der Schokas ganz ähnlich sind. Von den weniger bösartigen Leuten unserer Wache sammelte ich durch wohlüberlegte Fragen eine beträchtliche Menge von Angaben über Land und Leute, von denen ich einige in diesem Buche wiedergegeben habe. Über einen Paß, der weiter südlich gelegen und niedriger war als der Maiumpaß, auf dem wir gesund, hoffnungsvoll und frei in die Provinz Yu-tsang gekommen waren, verließen wir sie jetzt verwundet, gebrochen, nackt und gefangen. Wir gingen in nordwestlicher Richtung weiter, und als wir die heilige Provinz Yu-tsang glücklich hinter uns hatten, wurden unsere Wachen weniger grausam gegen uns. Man erlaubte uns, mit dem wenigen Geld, das mir der Pombo zu behalten gestattet hatte, so viel Lebensmittel zu kaufen, daß wir häufiger Mahlzeiten einnehmen konnten, und während wir aßen, nahmen die Soldaten unsere Handschellen ab und legten sie uns einstweilen um die Fußknöchel. Mit Gerätschaften, die uns von unsern Wachen geliehen wurden, konnten wir uns etwas kochen, und wenn wir es auch anstatt auf Schüsseln auf flachen Steinen servieren mußten, schien es uns doch köstlich. Nachdem wir unsern frühern Weg gekreuzt hatten, gingen wir fast parallel mit ihm, nur wenige Kilometer weiter nördlich, über ein wellenförmiges Plateau mit tonigem Boden und vermieden so die sumpfige Ebene, deren Überschreiten uns auf der Hinreise so viel Beschwerde gemacht hatte. Wir fanden da und dort zahlreiche schwarze Zelte. Als wir eines Abends in der Nähe einiger kleiner Seen das Lager aufgeschlagen hatten, erlaubte man uns, ein Schaf zu kaufen. Ein Soldat, ein guter Kerl, der gegen uns schon sehr freundlich gewesen war, suchte ein schönes und fettes Tier für uns aus, und wir freuten uns schon auf eine solide Mahlzeit, als wir zu unserer Enttäuschung fanden, daß es uns unmöglich war, das Tier zu töten. Abstechen konnten wir es nicht, da uns die Tibeter kein Schwert oder Messer anvertrauen wollten, und sie selbst weigerten sich, das Schaf auf irgendeine andere Weise für uns zu töten. Schließlich ließ unser Freund, der Soldat, seine Gewissensskrupel durch das Geschenk einer Rupie besiegen und schickte sich an, das Tier auf äußerst grausame Weise zu töten. Er band ihm die Beine zusammen und hielt die Schnauze des armen Schafes, nachdem er ihm die Nasenlöcher mit Schlamm verstopft hatte, mit einer Hand fest zu, bis es erstickte. Während dieser Arbeit drehte der sündige Soldat mit der freien Hand sein Gebetrad und betete die ganze Zeit inbrünstig. Dreiundvierzigstes Kapitel. Wieder bei den Freunden. Endlich befanden wir uns auf der Ebene, wo wir das aus etwa zweihundert Zelten bestehende Lager eines Tarjum sahen und wo wir die Nacht über blieben. Eine große Menge von Lamas und Soldaten war versammelt. Mitten in der Nacht wurden wir plötzlich ungestüm aus dem Schlafe geweckt und veranlaßt, unser Lager ungefähr zwei Kilometer von der Niederlassung fortzuverlegen. Am nächsten Morgen aber gingen wir, nachdem wir zuerst einen großen Strom überschritten hatten, in südwestlicher Richtung weiter und erreichten am Abend desselben Tages das Lager des Tarjum von Toktschim. Hier kamen uns die Offiziere entgegen, die uns bei einer frühern Gelegenheit Geschenke überbracht und die wir mit allen ihren Soldaten in die Flucht geschlagen hatten, als sie anfingen uns zu bedrohen. Diesmal benahmen sie sich sehr anständig; der älteste von ihnen erwies uns alle mögliche Höflichkeit und bezeigte große Bewunderung für den Mut, mit dem wir uns gegen eine so starke Übermacht behauptet hatten. Der alte Herr tat alles, was er konnte, um es uns behaglich zu machen, und rief zu unserer Unterhaltung sogar zwei herumziehende Musikanten heran. Einer von diesen trug eine eigentümliche viereckige Kopfbedeckung aus Fell; er spielte mit einem Bogen auf einem Instrument mit zwei Saiten, während sein Begleiter, ein Kind, tanzte und plumpe Gliederverrenkungen ausführte und alle paar Minuten mit ausgestreckter Zunge rundherum ging, um bei den Zuhörern um Tsamba zu betteln. Die Tibeter sind gegen Bettler sehr wohltätig, und nicht nur bei dieser, sondern auch bei andern Gelegenheiten habe ich bemerkt, daß, wenn ihre Gaben auch oft sehr klein waren, sie sich selten weigerten, den Bettlern Tsamba, Stücke Butter oder Tschura zu geben. Der ältere Musikant hatte eine viereckige Keule durch den Gürtel gesteckt, und von Zeit zu Zeit legte er sein Instrument nieder und führte uns, die Keule als Schwert benutzend, eine Art kriegerischen Tanzes vor. Ab und zu schwang er die Keule auch gegen Rücken und Kopf des armen Knaben, um ihn zu größerer Lebhaftigkeit zu ermuntern, was unter den Zuschauern gewöhnlich schallendes Gelächter hervorrief. Am nächsten Tage machten wir uns unter wiederholtem Lebewohlsagen und Freundschaftsbezeigungen von seiten unserer Wirte und Kerkermeister auf den Weg nach dem Mansarowar und erreichten spät am Abend Dorf und Gomba Tucker, wo wir in demselben Serai einkehrten, in dem ich auf meiner Hinreise übernachtet hatte. Hier wurden uns alle unsere Fesseln abgenommen, und wir genossen verhältnismäßige Freiheit, trotzdem vier Mann an meiner Seite marschierten, wohin ich auch ging; die gleiche Zahl beaufsichtigte Tschanden Sing und Man Sing. Natürlich erlaubte man uns nicht, weit von dem Serai fortzugehen, doch durften wir im Dorfe umherstreifen. Ich benutzte die Gelegenheit, ein Schwimmbad im Mansarowarsee zu nehmen, und auch Tschanden Sing und Man Sing begrüßten die Götter wieder mit neuen Salaams und sprangen in das heilige Wasser hinein. Die Lamas, die bei meinem ersten Besuche so freundlich gewesen, waren jetzt außerordentlich mürrisch und grob. Nachdem sie bei unserer Ankunft zugegen gewesen waren, kehrten sie alle in das Kloster zurück und schlugen das Tor heftig hinter sich zu. Auch alle Dorfbewohner zogen sich eilig in ihre Häuser zurück, so daß der Ort bis auf die paar Soldaten, die uns umgaben, ganz verödet schien. Der arme Man Sing, der ganz entkräftet und von Schmerzen gepeinigt dicht neben mir saß und wie träumend auf den See blickte, hatte eine seltsame Vision, die vielleicht die Folge von Fieber oder Erschöpfung war. [Illustration: _Aquarellskizze von H. S. Landor._ _F. A. Brockhaus, Leipzig._ ~DIE FESTUNG TAKLAKOT.~] »O Sahib,« sagte er wie im Traume, obgleich er ganz wach war, »sieh, sieh! Sieh die Menge Leute, die auf dem Wasser gehen. Es müssen mehr als tausend Männer sein. O wie groß werden sie ... Und da ist Gott ... Siwa ... Nein, es sind Tibeter, sie kommen uns zu töten, es sind Lamas! O komm, Sahib, sie sind so nahe ... O sie fliehen!« ... »Wo sind sie?« fragte ich. Ich sah, daß der arme Bursche eine Halluzination hatte. Seine Stirn brannte, er hatte hohes Fieber. »Sie sind alle verschwunden!« rief er, als ich ihm die Hand auf die Stirn legte und ihn aus seiner Verzückung weckte. Einige Augenblicke schien er ganz betäubt zu sein, und als ich ihn später fragte, ob er die gespenstische Menge wiedergesehen habe, konnte er sich nicht erinnern, sie überhaupt gesehen zu haben. Abends kamen die Eingeborenen, uns in dem Serai zu besuchen, und wir hatten vielen Spaß mit ihnen, denn die Tibeter sind voll Humor. Was uns anbetrifft, so war es nur natürlich, daß wir jetzt, da wir nur noch zwei Tagemärsche bis Taklakot hatten, bei sehr guter Laune waren. Nur noch zwei Tage Gefangenschaft, dann waren wir frei! Es war noch dunkel, als wir geweckt wurden und den Befehl erhielten, augenblicklich aufzubrechen. Die Soldaten zogen uns aus dem Serai heraus. Wir baten sie, uns noch ein Bad in dem heiligen Mansarowar nehmen zu lassen, was uns schließlich allen dreien erlaubt wurde. Das Wasser war bitter kalt, und wir hatten nichts, womit wir uns abtrocknen konnten. Es war eine Stunde vor Sonnenaufgang, als wir auf unsere Jake gesetzt wurden und, von etwa dreißig Soldaten umgeben, fortritten. Als wir mehrere Stunden unterwegs waren, hielten unsere Wachen, um ihren Tee einzunehmen. Nahe bei uns hatte ein Mann namens Suna mit seinem Bruder und seinem Sohne, den ich in Garbyang getroffen, ebenfalls haltgemacht. Von ihnen erfuhr ich, daß die Nachricht über die Grenze gedrungen sei, ich und meine beiden Diener seien enthauptet worden, und daß darauf ~Dr.~ Wilson und der politische Peschkar Charak Sing über die Grenze gekommen seien, um sich über die Tatsache zu vergewissern und den Versuch zu machen, mein Gepäck usw. zurückzuerlangen. Als ich hörte, daß sie noch in Taklakot seien, war meine Freude groß. Ich überredete Suna, so schnell er könne zurückzukehren, um Wilson mitzuteilen, daß ich gefangen sei und wo ich mich befände. Kaum hatte ich Suna diesen Auftrag gegeben, als unsere Wachen den Mann und seinen Bruder ergriffen und sie fortschickten, um sie an jeder weitern Unterredung mit uns zu verhindern. Als wir wieder unterwegs waren, kam ein Reiter auf uns zugeritten, der einen strengen Befehl von dem Jong Pen von Taklakot brachte, uns nicht über den Lippupaß, den wir jetzt in zwei Tagen erreichen konnten, nach der Grenze gehen zu lassen; sondern uns über den entfernten Lumpiyapaß zu führen. Um diese Jahreszeit mußte der Lumpiya fast unpassierbar sein, und wir hätten eine weitere Reise von wenigstens sechzehn Tagen machen müssen, zumeist über Eis und Schnee, was bei unserm ausgehungerten, geschwächten Zustande unvermeidlich unser Tod gewesen wäre! Wir verlangten nach Taklakot gebracht zu werden, aber unsere Wache verweigerte dies. Inzwischen hatte der Jong Pen von Taklakot schon andere Boten und Soldaten gesandt, die die Ausführung seiner Befehle sichern und unser weiteres Vorgehen hindern sollten. Durch die Leute von Taklakot verstärkt, zwangen uns unsere Wachen jetzt, den Weg nach Taklakot zu verlassen, und so traten wir die Reise nach dem eisigen Lumpiyapaß an. Dies war Mord; die Tibeter wußten dies wohl und rechneten darauf, den indischen Behörden sagen zu können, daß wir im Schnee eines natürlichen Todes gestorben seien. Man teilte uns mit, unsere Begleiter sollten uns an der Stelle, wo der Schnee anfing, verlassen, die Tibeter würden uns keine Lebensmittel, keine Kleider und keine Decken geben, und wir sollten ganz auf uns selbst angewiesen bleiben. Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß dies unsern sichern Tod bedeutete! So beschlossen wir denn, uns nicht in unser Schicksal zu ergeben und unsere letzte Karte auszuspielen. Als wir etwa vier Kilometer weit nach Westen, in der Taklakot entgegengesetzten Richtung, marschiert waren, weigerten wir uns, noch weiter in dieser Richtung zu gehen. Wir sagten, wenn unsere Wachen etwa versuchen wollten, uns mit Gewalt vorwärtszubringen, seien wir bereit, den Kampf mit ihnen aufzunehmen, da es uns ganz gleichgültig sei, ob wir durch ihre Schwerter und Luntenflinten sterben oder auf dem Lumpiyapaß erfrieren müßten. Ganz verblüfft entschlossen sich die Wachen, für die Nacht an dieser Stelle mit uns haltzumachen und einen Boten nach Taklakot zu senden, der den Jong Pen benachrichtigen und um weitere Instruktionen bitten sollte. Während der Nacht kam der Befehl, daß wir weitergehen sollten; infolgedessen rüsteten sich die Wachen am nächsten Morgen, uns wieder auf den Weg nach dem Lumpiya zu bringen. Da nahmen wir drei halben Leichen denn das letzte bißchen Kraft, das noch in uns war, zusammen und machten mit Steinen einen plötzlichen Angriff auf die Tibeter. Und so unglaublich es scheinen mag -- unsere feigen Wachen machten kehrt und rissen aus! Während wir nun in der Richtung auf Taklakot gingen, folgten uns die Schurken in einiger Entfernung und baten uns flehentlich, uns nicht mehr zu widersetzen und mit ihnen dahin zu gehen, wo sie uns hin haben wollten. Täten wir es nicht, so würden, sagten sie, ihnen allen die Köpfe abgeschlagen. Wir hörten nicht auf sie und hielten sie uns dadurch vom Leibe, daß wir weiter mit Steinen nach ihnen warfen. Unglücklicherweise begegneten wir, als wir erst wenige Kilometer zurückgelegt hatten, einem großen Trupp Soldaten und Lamas, die vom Jong Pen ausgeschickt waren, um Anstalten zu unserer Hinrichtung zu treffen. Unbewaffnet, verwundet, ausgehungert und erschöpft, wäre es für uns gänzlich nutzlos gewesen, gegen eine solche Übermacht zu kämpfen. Als sie jedoch sahen, daß wir frei dahergingen, schickten sie sich an auf uns zu schießen. An der Spitze dieser Gesellschaft waren der erste Minister, ein Mann namens Lapsang, und der Privatsekretär des Jong Pen. Ich ging auf sie zu, um ihnen die Hand zu geben, und hielt eine lange, stürmische Unterredung mit ihnen; sie blieben aber fest und bestanden darauf, daß wir jetzt, da wir kaum mehr als einen Steinwurf von der Grenze entfernt waren, wieder umkehren und über den hohen Lumpiyapaß gehen müßten. Dies sei der Befehl des Jong Pen, dem sie ebenso wie ich zu gehorchen hätten. Sie wollten uns weder Reittiere noch Kleider schenken oder verkaufen, wozu die kleine Geldsumme, die ich noch bei mir trug, genügt hätte: sie wollten uns nicht einmal das kleinste bißchen Proviant geben. Dagegen protestierten wir nachdrücklich, indem wir sagten, daß wir es vorzögen, zu sterben, wo wir seien. Wir forderten sie auf, uns gleich auf der Stelle zu töten, da wir nicht einen Schritt weiter nach Westen gehen würden. Jetzt machten Lapsang und der Privatsekretär des Jong Pen den schlauen Vorschlag, ich solle ihnen die Namen der Schokas, die mich nach Tibet begleitet hatten, schriftlich geben; wahrscheinlich beabsichtigten sie, deren Land und fahrende Habe zu konfiszieren. Da ich sagte, ich könne nicht tibetisch oder hindostanisch schreiben, baten sie mich, englisch zu schreiben. Dies tat ich denn, setzte aber an Stelle der Namen meiner Leute höhnische Bemerkungen, die den Tibetern wohl einige Überraschung bereitet haben werden, als sie sich das Dokument übersetzen ließen. Weil sie sich jedoch weigerten, uns auf der Stelle zu töten, und weil Lapsang sich uns gegenüber sehr höflich zeigte und es sich sogar als persönliche Gunst für sich ausbat, daß wir über den Lumpiyapaß gingen, beschloß ich nach einigem Widerstreben, doch lieber ihre Bedingungen anzunehmen, als jetzt, da wir dem britischen Boden so nahe waren, noch mehr Zeit zu verlieren. -- Wir waren unter der Eskorte dieser großen Streitmacht bis dicht vor Kardam gekommen, als ein Reiter in vollem Galopp auf uns zusprengte und unsere Gesellschaft anrief. Wir hielten an, der Mann holte uns ein und übergab Lapsang einen Brief. Dieser enthielt den Befehl, uns sogleich nach Taklakot zu bringen. Nun gingen wir auf demselben Wege wieder zurück, überschritten das wellenförmige Plateau über dem Gakkonflusse und erreichten spät abends das Dorf Dagmar, eine eigentümliche Niederlassung. Die Eingeborenen wohnen in Höhlen, die in die hohen Lehmwände des engen Tales gegraben sind. Nachdem Lapsang, der Privatsekretär des Jong Pen und der größere Teil ihrer Soldaten die Pferde gewechselt hatten, ritten sie nach Taklakot weiter. Wir aber mußten hier haltmachen, als ein neuer Brief vom Jong Pen kam, in dem er sagte, daß er sich anders besonnen habe und daß wir trotz alledem über den Lumpiyapaß gehen müßten! Während der Nacht entstand in dem Orte eine große Aufregung; die Leute rannten schreiend hin und her, und eine große Menge Reiter kam an. Das tibetische Land ist sozusagen an Beamte verpachtet, die allmählich kleine Lehnskönige geworden sind und gewöhnlich miteinander in Feindschaft leben. Dieser Eifersucht und gewissen Streitigkeiten über das Wegerecht hatten wir auch das nächtliche Erscheinen dieser neuen Armee zuzuschreiben. Es waren im ganzen 150 Mann, alle mit Luntenflinten und Schwertern bewaffnet. Der Anführer der Bande kam mit acht oder zehn Offizieren zu mir und sprach so aufgeregt, daß ich befürchten mußte, es stünden uns Unannehmlichkeiten bevor. Dem war in der Tat so. Die neuen Ankömmlinge, Offiziere und Soldaten aus Gyanema, Kardam und Barka, brachten den strengen Befehl von dem Tarjum von Barka, daß wir unter keiner Bedingung durch seine Provinz oder über den Lumpiyapaß gehen dürften. Dies war spaßhaft und peinlich zugleich; denn nun war für uns gar kein Weg über die Grenze offen. Als unsere Wachen und einige von den Leuten des Jong Pen, die zurückgeblieben waren, sahen, daß sie sich in der Minderheit befanden, hielten sie es für geraten, sich zu verziehen; ich aber, natürlich nur darauf bedacht, so schnell als möglich aus dem Lande zu kommen, stimmte allem bei, was die Leute von Gyanema sagten, und ermutigte sie sogar, für den Fall, daß der Jong Pen noch weiter darauf bestehen sollte, daß ich des Tarjums Provinz passieren müsse, den Kampf gegen ihn aufzunehmen. Alle Wege, die aus dem Lande führten, waren uns jetzt verschlossen, und ich sah ein, daß wir, wenn wir nicht unsere Zuflucht zur Gewalt nähmen, überhaupt nie entkommen würden. Die Leute aus Gyanema fragten mich, ob ich sie im Falle eines Kampfes mit den Soldaten des Jong Pen anführen würde. Obgleich ich kein sehr großes Zutrauen zu ihrem Mut hatte, nahm ich doch den Posten als zeitweiliger Oberfeldherr an, wobei ich Tschanden Sing und Man Sing auf der Stelle zu meinen Adjutanten beförderte. Wir verbrachten den größten Teil der Nacht mit dem Ausbrüten unsers Angriffsplanes auf die Truppen des Jong Pen. Als alles in Ordnung war, überreichten mir die Tibeter zum Zeichen ihrer Dankbarkeit eine Hammelkeule, etwas Tsamba und zwei Stück Ziegeltee. Der Morgen kam, und ich erhielt ein schönes Reitpferd; ebenso Tschanden Sing und Man Sing. Dann machten wir uns fröhlich auf den Weg nach Taklakot, gefolgt von meinen tibetischen Truppen, einer schönen Kavalkade. Wir hatten erfahren, daß der Jong Pen seine Leute an einem gewissen Punkte der Straße konzentrierte, um uns den Weg zu versperren, und diesen Punkt wollten wir mit Gewalt nehmen. Meine Tibeter sagten, sie haßten des Jong Pens Leute und sie würden sie alle niedermetzeln, wenn sie Widerstand leisteten. »Aber sie sind solche Feiglinge,« erklärte einer der tibetischen Offiziere, »daß sie ausreißen werden.« Alle diese Reden hörten plötzlich auf, als wir das ferne Geläute der Pferdeglocken unserer Feinde hörten. Obgleich ich meine Leute so gut ich konnte ermutigte, brach eine förmliche Panik unter ihnen aus. Die Mannschaften des Jong Pen kamen in Sicht, und gleich darauf wurde ich Zeuge des seltsamen Schauspiels von zwei einander gegenüberstehenden Armeen, von denen jede vor der andern Todesangst hatte. Ungeachtet meiner Vorstellungen legten beide Parteien mit ängstlichem Eifer die Luntenflinten und Schwerter auf die Erde, um zu zeigen, daß sie nur friedliche Absichten hegten. Dann wurde eine stürmische Konferenz abgehalten, bei der jeder bereit schien, jedem gefällig zu sein, nur nicht mir. Während dies noch vor sich ging, kam ein Reiter mit einer Botschaft von dem Jong Pen an, durch die uns endlich zu allgemeiner Befriedigung die Erlaubnis gegeben wurde, nach Taklakot weiterzuziehen. Mein Heer ging seinen Weg wieder nach Nordwest zurück, und ich, von dem hohen militärischen Posten, den ich nur für wenige Stunden innegehabt, abgesetzt, wurde wieder ein Zivilist und Gefangener. Über kahle Felsen wurden wir auf einem steinigen Wege unter großer Eskorte am Gakkonflusse entlang geführt. Nachdem wir auf steilem Pfade hinabgestiegen waren, gelangten wir in einen dichtbevölkerten Distrikt, wo aus Stein gebaute Häuser über die ganze Landschaft verstreut waren. Zu unserer Linken sahen wir das große Kloster von Delaling, in einiger Ferne die Gomba von Sibling. Dann gingen wir in einem großen Bogen zwischen Steinen und Blöcken um den hohen, schön geformten Berg herum, auf dessen Gipfel die Festung und die Klöster von Taklakot standen. An dieser Stelle angelangt, überfiel uns plötzlich so große Angst, daß abermals Zwischenfälle eintreten und wir wieder zurückgebracht werden könnten, daß Tschanden Sing und ich, sobald wir die hölzerne Brücke über den Gakkon glücklich passiert und das große Schokalager am Fuße des Hügels bemerkt hatten, unsern Pferden die Peitsche gaben und unsern Wachen entflohen. So schnell wir konnten, galoppierten wir an der hoben Wand entlang, wo Hunderte von Menschen in Lehmhöhlen wohnen, und -- befanden uns endlich wieder unter Freunden! Vierundvierzigstes Kapitel. In die Heimat. Die Schokas, die hierher zum Markte gekommen waren, um ihre Waren gegen tibetische einzutauschen, waren starr vor Staunen, als sie uns sahen, und sie erkannten uns kaum. Wir fragten natürlich sofort nach ~Dr.~ Wilson, und als wir ihn sahen, fanden wir, daß auch er uns kaum mehr erkannte, so verändert sahen wir aus. Er schien über unser Aussehen tief bewegt. Als die Nachricht von unserer Ankunft sich im Lager verbreitete, wurde uns von allen, die nicht Tibeter waren, die größte Freundlichkeit erwiesen. In einer Ecke von Wilsons Zelt befand sich eine große Quantität Kandiszucker, mehrere Pfund; ich war so verhungert, daß ich davon große Stücke schnell verschlang. Später brachten meine Schokafreunde Geschenke aller Art in Gestalt von Eßwaren herbei, aus denen des Doktors Koch ein üppiges Mahl zu bereiten hatte. Der politische Peschkar Charak Sing erschien schleunig mit einem Anzuge zum Wechseln für mich, und ~Dr.~ Wilson gab mir andere Kleidungsstücke. Mein eigener zerlumpter Anzug wimmelte buchstäblich von Läusen, denn unsere Wachen hatten uns nie erlaubt, die Kleider zu wechseln, noch je davon hören wollen, daß wir uns wüschen. Nur durch eine ganz besondere Gunst war uns damals gestattet worden, in dem heiligen Mansarowarsee zu baden. [Illustration: _Aquarellskizze von H. S. Landor._ _F. A. Brockhaus, Leipzig._ ~DER TARJUM VON TOKTSCHIM.~] Später am Tage untersuchte ~Dr.~ Wilson meine Wunden und Verletzungen und sandte darüber ausführliche Berichte direkt an die indische Regierung und an verschiedene Landesbehörden. Von Wilson und Charak Sing sorglich gepflegt und durch reichlichen Genuß guter Speisen gestärkt, belebte sich wie durch Zauber wieder mein Mut, der schon ziemlich tief gesunken war, und so seltsam es klingen mag, nach ein paar Stunden des Glückes fing ich schon an, das Ungemach und die Leiden, die ich erduldet hatte, zu vergessen. Ich blieb drei Tage in Taklakot und erhielt in dieser Zeit einen Teil meines konfiszierten Gepäcks von den Tibetern zurückerstattet. Wie man sich wohl vorstellen kann, war ich überglücklich, als ich unter den wiedererlangten Sachen mein Tagebuch, meine Notizbücher, Karten und Skizzen entdeckte. Meine Feuerwaffen, etwas Geld, der Ring, den ich schon als Geschenk meiner Mutter erwähnt habe, mehrere mathematische Instrumente, Sammlungen, über 400 photographische Negative und verschiedene andere Gegenstände fehlten zunächst, aber ich war schon froh, so viel zurückzubekommen. Glücklicherweise erlangte die indische Regierung später einige der noch fehlenden Gegenstände. In ~Dr.~ Wilsons Zelt erschienen auf dessen Wunsch der Tarjum von Toktschim, dessen Bildnis ich hier gebe, sein Privatsekretär Nerba, der eine wichtige Rolle bei meiner Folterung gespielt hatte, der Sekretär des Jong Pen und der alte Lapsang in einem schönen grünen Samtrock mit weiten Ärmeln. Die genannten tibetischen Beamten gaben vor dem politischen Peschkar, ~Dr.~ Wilson, Pundit Gobaria und vielen Schokas an, sie seien auf das, was sie getan hatten, stolz und sie gebrauchten Ausdrücke, die durchaus nicht schmeichelhaft für die britische Regierung waren, gegen die sie überdies eine absichtliche Verachtung zur Schau trugen. Beinahe hätte ich den Peschkar und den Doktor in eine böse Ungelegenheit gebracht; denn mein Blut, so wenig ich davon noch hatte, kochte vor Wut. Aufgebracht ergriff ich ein Messer, das neben mir lag, und stürzte mich auf Nerba, den Schurken, der nach mir geschossen und mich an den Haaren gehalten hatte, als meine Augen vor der schließlich unterbliebenen Exekution geblendet wurden. Wilson und Charak Sing aber, die mich beobachtet hatten, packten mich und nahmen mir die Waffe fort. Eine allgemeine Flucht der tibetischen Offiziere folgte, und damit wurden unsere Zusammenkunft und die Unterhandlungen zu einem plötzlichen Ende gebracht. -- Hier erfuhr ich auch, auf welche Weise meine Befreiung zustande gekommen war. Als ~Dr.~ Wilson und der Peschkar die Nachricht erhalten hatten, meine Diener und ich seien enthauptet worden, waren sie über die Grenze gegangen, um Erkundigungen einzuziehen und womöglich meine Sachen wiederzuerlangen. Von Suna, dem Manne, den ich mit meiner Botschaft vom Mansarowar geschickt hatte, erfuhren sie, daß ich noch gefangen, mit Wunden bedeckt, zerlumpt und ausgehungert sei. Sie hatten nicht Leute genug, um sich ihren Weg in das Land zu erzwingen und mir entgegenzukommen, und überdies wurden sie von den Tibetern streng überwacht; in Gemeinschaft mit Pundit Gobaria machten sie aber dem Jong Pen in Taklakot ernsthafte Vorstellungen, und schließlich, als sie ihm mit dem Erscheinen eines Heeres gedroht hatten, wenn er mich nicht freiließe, hatte der widerstrebende »Herr der Festung« (tibetisch = Jong Pen) die Erlaubnis gegeben, daß ich nach Taklakot gebracht würde. Diese Erlaubnis wurde wieder zurückgezogen, durfte aber endlich doch ausgeführt werden. So habe ich es einzig den freundlichen Bemühungen und der Energie dieser beiden Herren zu verdanken, daß ich heute noch am Leben und munter, wenn auch noch nicht gesund bin. Pundit Gobaria, der der einflußreichste Schokahändler in Bhot ist und mit den Tibetern auf sehr freundschaftlichem Fuße steht, war der Vermittler, durch den die Unterhandlungen über meine sofortige Freilassung geführt wurden; daß diese Unterhandlungen zu einem befriedigenden Ende führten, war hauptsächlich dem guten Rate zuzuschreiben, den er dem Jong Pen erteilt hatte. -- Nach einer kurzen Rast zur Wiedererlangung der nötigen Kräfte setzte ich meine Rückreise fort und befand mich, nachdem ich den Lippupaß (5115 Meter) überschritten hatte, endlich wieder auf britischem Boden. In langsamen Märschen gingen wir bis Gungi hinab, wo ich meines schwachen Zustandes wegen in ~Dr.~ Wilsons Apotheke haltmachen mußte. Wilson hatte hier einen großen Teil meines Gepäcks aufbewahrt, den ich am Anfang meiner Reise bei ihm zurückgelassen hatte. So ließ ich denn von mir und meinen beiden Dienern photographische Aufnahmen machen, die unsere Wunden und unsern traurigen Zustand zeigten. Ich gebe auf dem Titelbild zwei Aufnahmen von mir wieder neben den andern beiden, die vor meiner Abreise gemacht worden waren. In dem ~en face~ aufgenommenen Bilde sieht man die Verletzungen an meinem linken Auge, ebenso die Spuren des glühenden Eisens auf der Haut von Stirn und Nase. Es war wirklich wunderbar, wie bald wir unter der guten Pflege ~Dr.~ Wilsons und infolge guter Ernährung und Kleidung uns wieder zu erholen begannen. Als ich mein gräßliches Gesicht zum erstenmal im Spiegel sah, fiel ich fast in Ohnmacht. Aber nachdem ich meinen seit mehrern Monaten nicht geschnittenen Bart rasiert hatte, kam ich mir wieder mehr wie ich selbst vor. Und nachdem der stets gefällige Wilson einen ganzen Nachmittag damit zugebracht hatte, mit einer stumpfen Schere als Friseur zu funktionieren, fing ich an, fast wieder zivilisiert auszusehen. Zuerst waren mir die Kleider außerordentlich lästig; aber ich gewöhnte mich bald wieder an sie. Die Verletzungen an meinem Rückgrat waren sehr ernster Natur und machten mir viel zu schaffen. Manchmal war meine ganze linke Seite wie gelähmt. Überdies machte es mir die größte Schwierigkeit, mich zu setzen, wenn ich gestanden, und aufzustehen, wenn ich gesessen hatte. Infolge der großen Anspannung, die meine Gelenke hatten aushalten müssen, waren sie steif und geschwollen und blieben es noch monatelang. Mit dem rechten Auge konnte ich verhältnismäßig gut sehen, aber den Gebrauch des linken hatte ich gänzlich verloren. Ich sehnte mich jetzt danach, sobald als möglich nach Europa zurückzukehren, und reiste in Begleitung des Peschkar Charak Sing nach Askot. Der Nerpanipfad war an zwei oder drei Stellen eingestürzt, und man hatte nun rohe, gebrechliche Brücken über die tiefen Abgründe gebaut. Überall wurde uns eine herzliche Aufnahme zuteil. Besonders in Askot, wo ich als Gast des guten alten Rajiwar in seinem Garten mein Lager aufschlug, genoß ich jede nur denkbare Pflege und Aufmerksamkeit. Da kam eines Tages Mr. J. Larkin an, den die indische Regierung eiligst abgesandt hatte, um die Untersuchung meiner Angelegenheit in die Hand zu nehmen. Wenn ich auch noch viel Schmerzen zu leiden hatte, erbot ich mich doch, den Weg nach Tibet noch einmal zu machen und ihn bis an die Grenze zu begleiten. In schnellen Tagemärschen erreichten wir Garbyang. Larkin war schon vorausgegangen, als eine Deputation von Schokas, die aus Tibet zurückgekommen waren, bei mir erschien. Unter ihnen bemerkte ich mehrere der Männer, die mich verraten hatten. Da ich erfahren hatte, daß es nicht möglich sei, sie für ihren Verrat zu bestrafen, nahm ich die Gerechtigkeit selbst in die Hand und war eben dabei, ihnen mit einem dicken Stock einen Begriff von dem beizubringen, was man Treue nennt, als das ganze Dorf herbeigelaufen kam und den Versuch machte, die Burschen aus meinen Klauen zu reißen. Durch die Tibeter ermutigt, machten die Schokas einige Bemerkungen über Engländer, die mir nicht gefielen; so wurde der Kampf allgemein, bis es mir, trotzdem ich krank und allein gegen hundertfünfzig Mann war, wirklich gelang, sie in die Flucht zu schlagen. Bald hinter Garbyang holte ich Mr. Larkin ein, und wir stiegen langsam zu den Schneefeldern empor. Wir waren nur noch einen Tagemarsch von dem Lippupaß entfernt, über den wir nach Tibet gehen wollten, um dem Jong Pen Gelegenheit zu geben, sich befragen zu lassen. Er aber weigerte sich zu kommen. Am nächsten Tage stiegen wir über den Lippupaß, um es den Tibetern leichter zu machen. Es hatte geschneit und war sehr kalt. Ein Schoka hatte sich wenige Tage vor uns beim Versuch, über den Paß zu gehen, im Schnee verirrt und war erfroren. Auf der tibetischen Seite angelangt, warteten wir ungeduldig auf den Jong Pen oder seine Abgesandten, die vorher durch Briefe aufgefordert worden waren, uns entgegenzukommen; aber sie erschienen nicht. So sagte ich denn am 12. Oktober Tibet, dem verbotenen Lande, endgültig Lebewohl. Wir kehrten nach unserm Lager zurück, das ungefähr 30 Meter tiefer als der Paß lag. Unsere Leute, die dort geblieben waren, hatten schwer von der Bergkrankheit zu leiden gehabt. Nachdem unsere Aufgabe erfüllt war, kehrten Larkin und ich in Eilmärschen nach Almora zurück. Es war mir eine große Genugtuung, daß Larkin imstande war, da er die amtliche Untersuchung in einer öffentlichen Gerichtssitzung geführt hatte, ein reichliches Material von Zeugenaussagen über meine Behandlung durch Schokas und Tibeter zu erhalten, über das vorschriftsmäßig eingehend an die indische Regierung sowie auch an das Auswärtige und an das Indische Amt berichtet wurde. In Askot erinnerte mich der alte Raot, der mir Unheil prophezeit hatte, als ich ihn in seiner Hütte besuchte, an seine Prophezeiung. »Ich habe dir gesagt, wer die Wohnstätten der Raot besucht, wird Unglück haben.« Ich photographierte den Schelm auf der Stelle mit einigen seiner Stammesgenossen, die befriedigt auf ihren Propheten hörten. Ohne Verzug gingen wir nach Almora und von dort geradeswegs nach Naini Tal, der Sommerresidenz der Regierung der Nordwestprovinzen und von Oudh, wo der stellvertretende Gouverneur eine Konferenz über meine Angelegenheit abhielt. Nachdem ich dort die überaus liebenswürdige Gastfreundschaft des Obersten Grigg, des Kommissars von Kumaon, genossen hatte, lohnte ich meinen treuen Kuli Man Sing ab und verhalf ihm zu einer Lebensstellung. Er begleitete mich nach Kathgodam, der ersten Station der Eisenbahn, und bezeigte aufrichtige Trauer, als ich mit Tschanden Sing in den Zug stieg. Und als wir dann von der Station abdampften, machte mir der brave Kuli seine Salaams. Er hatte mich gebeten, ihn mitzunehmen, wenn ich je wieder nach Tibet zurückkehren sollte. Nur müsse er das nächste Mal auch eine Büchse bekommen. Dies war seine einzige Bedingung. Tschanden Sing, der bis heute mein Diener geblieben ist, und ich reisten nach Bombay und von dort direkt nach Florenz, dem Wohnorte meiner Eltern, die um meinetwegen mehr Angst ausgestanden hatten als ich selbst -- -- _auf verbotenen Wegen_. Register. Affen 33. 47. Ainu 26. Almora, Ort 14. 340. Amulette 171. 181. Antilopen 260. Arm, Bedeutung bei den Tibetern 289. Arzneimittel für die Reise 14. Askot, Ort 20. 31. 339. 341. Ausrüstung 11--14. Aussatz 89. Avalokiteschwara 193. Bambadura, Berg 36. Barka, Ort 118, s. auch Tarjum. Berg, heiliger, s. Kelas. Berggeister 30. 31. Bergkrankheit 100. Bettelmusikanten 327. 328. Beulenpest 10. Bhot 36. Bias, Bezirk 36. »Boden Gottes« 236. Bombay 9; Pest 9. Bon-Religion 189. Botiya (Schoka) 32. 38. Brahma 183. Brahmaputra 236. 238. 260. 261. 325; Landors Quelle 237. 325; 2. Quelle 325. Brennmaterial 94. Britisches Museum 9. 13. Brown, Miß 34. 44. 45. Buddha 163. 187. Buddhismus 187. Charak Sing, Peschkar 329. 336. 337. Chela 34. 38. Dach der Welt 97. Dagmar, Ort 144; Höhlendorf 332. Dak Bungalow, Rasthaus 16. Daku (Plural Dakoit), tibetische Räuber 46. Daku, Träger Landors 90. 129. 130. Dalai-Lama 191. Daramsalla, Unterkunftshaus 20. Darcy Bura, Händler 52. Darma, Bezirk 36. Darma-Ganga, Fluß 34. Darma-Schoka, Stamm 33. Dartschula, Ort 33. 34. Delaling, Kloster 334. Dola, Diener Landors 81. 208. Doli, Fluß 35. 38. Dordsche, Gebetzepter 194. Erdbeben 68--70. Esel, wilde, s. Kiang. Fakir 29. Fliegende Gebete 42. Fossilien 165. Gakkon, Fluß 332. 334. Galschio, Ort 301. Gangri, Gebirge 107. 113. 160. 233. 238. Garbyang, Ort 52--62. 68--71. 340. Gartok, Ort 152. 235. Gebeträder 193. 194. Gebetzepter 194. Gelukpa, gelbe Lamas 190. Gemsen 67. Getsul, Lama-Klasse 191. Gletschereis, Schichtung 100. 106. Gobaria, Pundit 53. 337. 338. Gori, Fluß 31. 36. Grigg, Oberst 15. 341. Groß-Lama 191. Gungi, Ort 54. 63. Gungi Schankom, Berg 63. Gunkyosee 229. 233. 234. Gurkha, Stamm 14. Gyanema, Fort 66. 116. 144; See 115. Handelsartikel in Tibet 35. Heiliger See, s. Mansarowar. Heilkunst in Tibet 196--205. Himalaja 35. 36. Höhle, mit Stickluft 34; heilige 78; -Wohnungen 332. 335. Hundes, Teil von Tibet 35. 36. Hunya (Tibeter) 33. 197. Hypnotismus 192. Jagat Sing Pal 29; über Berggeister 30. 31. Jak, als Lasttier 168; Sättel 215. Jibanand, Pundit 20. Jogpa, Straßenräuber 148. 149. Johar, Bezirk 36. Jolinkan, Fluß 91. Jong Pen, Gouverneur von Taklakot 46. 54. 56. 58. 71. 154. 189. 330. 331. 337. 338. 340. Kali, Fluß 31. 35. 36. 48. 52. Kannibalismus in Tibet 195. 256. 257. Kardam, Ort 144. Karko, Ort 115. Kata, »Schleier der Liebe« 222. Kathgodam, Ort 10. 341. Katschi, Landors Diener 81. 132. 133. 134. 208. Kelas, Berg 107. 113. 160; Form 160. 161; Verehrung 113; Pilgerfahrt 161. Kiang, wilde Esel 115. 161. 260; Gefährlichkeit 115. Kisten für die Reise 11. Kleidung für die Reise 13. 14. Kontschok-sum, tibetische Gottheit 187. Krankheiten, das Werk der Dämonen 196--199. Kumaon, Bezirk 32. Kuti, Ort 66. 87. 88. Ladak 235. Lafan-tscho, See (Rakastal) 160. Lamas 171. 172. 184--202. 233. 234; gelbe 189; rote 189; Leben 190; Bedeutung des Wortes 191; bei Beerdigungen 255--257; Eigenschaften 192; Einteilung 191; Heilkunst 192. 196--205; Hypnotismus 192; Kannibalismus 195. 256; Kultusgeräte 193. 194; Steuerfreiheit 190; Tänze 186. 187. 191; Zauberei 192; Zölibat 193. 255; Zusammenleben 191. 192. Lamaserei 182. 184--188. 189. 190. Lamatempel 184. 185. Lama Tschokden, Ort und Paß 112. Landor, H. S., erster Plan 9; neue Pläne 9. 135. 136; Ausrüstung 11--14. 48. 87; Diener, Träger 15--18. 88. 89. 90; Verhandlungen mit Behörde 14. 15; Abreise 10; in Naini-Tal 10; in Almora 14; in Askot 20. 29--31; bei den Waldmenschen 21--28; Besuch des Rajiwar 32; in Dartschula 33; in Chela 34; in Pungo 38--41; bei Miß Sheldon 44--46; in Schankula 47; Geburtstag 58; Drohungen des Jong Pen 58; in Garbyang 52--63. 68--71; Gast der Schokas 60--63; in Gungi 63; Rutschpartie 64. 65; Abschied von Indien 79; schwierige Passage 83. 84; in Nabi 85; höchste erreichte Höhe 101; in Gefahr zu erfrieren 102--105; Meuterei der Träger 109. 110. 118. 119. 156. 157; von Spionen verfolgt 109. 111; in Tibet 112 fg.; in Gyanema 116; Verhandlungen mit dem Magpun 116. 117; Verhandlung mit dem Tarjum von Barka 121--124; verraten 125; scheinbare Rückkehr 126; Trennung der Expedition 130--137; Abschied von Wilson 137; Begegnung mit Räubern 143. 144. 166--169; Proviantmangel 145. 146; im Lager verschanzt 149; Furcht der Tibeter 151. 152; Preis auf seinen Kopf 154; Mordanschlag der Träger 155. 156; Jakkauf 168; am Rakastal 164; am Mansarowar 177; in der Lamaserei 184--188; Entlassung von Trägern 207. 208; Flucht der letzten zwei Träger 217. 218; die letzten zwei getreuen 218; Verlust des Gepäcks 266--268; Plan des Marsches nach Lhasa 271. 272; Pferdekauf 273. 274; gefangen 274 fg.; im Verhör 283. 284; im Martersattel 295. 296; Mordanschlag der Tibeter 298. 300; Folterung 301--321; in der Streckfolter 309; Fluchtversuch 310--312; auf dem Rücktransport 322 fg.; in Tucker 178. 179. 180. 206. 328; wieder unter Freunden 335 fg.; auf indischem Boden 338. 339; Wunden 338. Laprang 184. Larkin, Steuereinnehmer 15. 17. 18. 56. 339. 340. Lastschafe 261. Lebung-Paß 91. Lederbearbeitung bei Tibetern 212. 213. Leichenbegängnis in Tibet 255. Leichenverbrennung, bei Schokas 75 fg.; in Tibet 255. Lhakang, Lamatempel 184. Lhasa 151. 157. 170. 191. 214. 234. 235. 236. 271. 286. Lippu-Paß 35. 46. 53. 70. 144. 271. 330. 340. Lissar, Fluß und Berg 36. Lumpiya-Gletscher 106. 107. Lumpiya-Paß 66. 105. 106. 330. Mafan-tscho, See (Mansarowar) 160. Magnetismus, tierischer 192. Magpun, Feldherr, Rang 286; von Gyanema 117. 118. 125. 126. Maium-Paß 157. 234. 235. 236. 238. Mangschan-Berg 144. Mangschan-Fluß 99. Mangschan-Gletscher 99. 100. Mangschan-Paß 66. 98. Mani-Steine, -Wände 93. 217. Mansarowar-See 29. 47. 160. 175. 176. 182. 183; Trennung vom Rakastal 165; Heiligung durch Bad 183. 184; Pilgerfahrt 183; Opfer für Götter 182. Man Sing, Landors Diener. 89. 90. 94. 95. 158. 218. 222. 262. 263. 269. 273. 275. 276. 293. 307. 309. 310. 311. 322. 341. Massage in Tibet 201. Menschenknochen, Verwendung zu Geräten 195. Mesmerismus 192. Metallbearbeitung in Tibet 213. 214. Methodisten-Mission 34. Milam, Ort 115. Moskitolager 259. Nabi Schankom, Berg 63. Naini-Tal, Ort 10. 11. 14. 341. Nanda Dewi, Berg 36. Nari Chorsum, Teil von Tibet 36. 236. Nattu, Landors Träger 98. 156. 208. 217. Nebelbild 102. Nepal 32. 36. Nerba, Privatsekretär des Tarjum von Toktschim 277. 298. 301. 303. 305. 337. Nerpani, Bergpfad 50--52. 339; Anlage des Weges 50. Nesseln als Nahrung 147. Nirwana 187. Niveauänderung des Rakastal 164. 176. Nonnenkloster in Tibet 194. Obo, Steinpyramide 114. 235. 236. ~Om mani padme hum~ 163. 193; Bedeutung 163. Optische Erscheinung 159. Painchanda, Bezirk 36. Photographieren, Mißtrauen gegen 86. Pilgerfahrt um den Berg Kelas 161; um den Mansarowar 183. Pithoragarh, Ort 19. Pombo, Großlama 281. 282. 295. 302. 303. 315. 316; Tanz 317--319. Proviant für die Reise 12. Puku, tibetische Schüsseln 246. Pungo, Ort 38. Rabbu, Schaf 261. Rajiwar, indischer Fürst 20. 27. 29. 32. 339; Palast 20. Rakastal (Teufelssee) 66. 118. 160. 162. 175. 176; Sage 162; Rücken zwischen Rakastal und Mansarowar 165. 175. 176; Niveauänderung 163. 193. Raksang 246. Rambang, Klubhaus der Schokas 52. 72--74. Raot, Stamm 21 fg. 341; Aberglauben 27; Abstammung 25. 27; Äußeres 22. 25. 26. 27; Beschäftigung 27; Dorf 24; Ehe 27; Frauen 25. 27. 28; Geräte 25; Kleidung 25; Leichenbestattung 27; Nahrung 25. 26; Schmuck 25. Ratton, Schaf 261. Regierung, der Nordwest-Provinzen, Sommersitz 10. Regierung, russische 9. Rhabarber 161. ~Royal Geographical Society~ 9. 13. Rupun, tibetischer Offizier 285. 286. 287. 290. 294. Sättel in Tibet 214. 215. Schabi, Lama-Klasse 191. Schafe 261. Schankula, Ort 47. Schigatse, Stadt 170. 214. 234. 286. Schirlangtschu, Fluß 130. Schirm, Bedeutung in Tibet 122. Schleier der Freundschaft s. Kata. Schneeleopard 161. Schoka, Stamm 32; Aberglaube 69. 70. 84; Abschiedsgebräuche 80; Charakter 75. 61. 131; Dorf 38; Ehe 74; Gastfreundschaft 59. 60. 61. 62; Gebete 42; Gesang 72. 73; Getränke 62; Gewebe 40; Häuser 52; Klubhäuser (Rambang) 52. 72--74; Leichenbestattung 75--78; Leiden unter den Tibetern 53. 54. 55. 57; Mädchen 38; Sage 96. 97; Sommerwohnungen 32; Wassermühle 33; Webstühle 39; Winterwohnungen 32. 33. Schreckenslager 150. Schwefelquellen, heiße 34. Serai, tibetisches Fremdenhaus 180. Sheldon, Miß, ~Dr. med.~ 34. 44. 45. Sirka, Ort 34. 44. Spione, tibetische 71. 109. 111. 128. 130. Stiefel in Tibet 170. 171. Taklakot, tibetische Festung 144. 147. 334. Tänze der Lamas 191. 192. Taram, Folterwerkzeug 302. 303. Tarbar, Ort 263. 264. Tarjum von Barka 121. 122. 123. 124; von Toktschim 327. 337. Tee nach tibetischer Art 61. 246. Teufelslager 135. Teufelssee s. Rakastal. Tibet 10. 101. 107. 138; Klarheit der Luft 145; Klima 170; Name 36; Schafe 261; Südostwind 138; Verbot des Besuchs 46; Wege und Pässe nach 15. 35. 71. Tibeter, Aberglauben 114. 171. 172. 173. 175. 284; Abnormitäten im Körperbau 201; Amulette 171. 181; Armut des Volkes 190; Äußeres 212. 248. 249; Beamte 171. 332; Ehebruch 255; Ehescheidung 254; Ehezeremonien 251. 252; Eigenschaften 171. 172. 190. 248. 249; Feigheit 212. 259; Frauen 164. 172. 173. 247. 248. 249. 252; Fort 116; Fußbekleidung 170. 171; Gebete 42. 289; Gebeträder 193. 194; Gesundheitszustand 122; Geräte 246. 247; Grausamkeit 53. 54; Gruß 95; Haartracht 171. 172. 250; Handelsartikel 35; Häuser 206; Heilkunst 196--205; Heerwesen 233. 234. 285; Herd 245; Hierarchie 191. 281; Kannibalismus 195. 256; Kleidung 164. 169. 170. 212. 249. 250; Lamas s. d.; Lederbearbeitung 212. 213; Leichenbegängnis 255--257; Metallbearbeitung 213. 214; Offiziere 123. 286; Reitkünste 317; Religion s. Lama; Religion, schamanistische 189; Soldaten 112. 119. 120. 230. 231. 258. 297; Sättel 171. 214. 215; Schleudern 209; Schmuck 171. 172. 181; schwarze Salbe 164; Töpferwaren 181; Tortur 292; Tötung eines Jaks 78; Unterricht 172; Vielmännerei 251; Vielweiberei 252; Vorliebe für Spirituosen 124; Vornehmheit, Kennzeichen 122; Wachthaus 112; Waffen 169. 214. 234. 247. 286; Wohltätigkeit 327; Zahnärzte 197; Zeltaltar 247; Zelte 244. 245. Tinker, Dorf 339. Tize, siehe Kelas. Tonga, indischer Wagen 10. Tongbo, Butterfaß 246. Toxem, Ort 211. 322. Trisul, Berg 36. Tsangpu (Brahmaputra) 236. Tschai-Lek, Paß 52. Tschanden Sing, Landors Diener 16--18. 37. 38. 39. 40. 58. 71. 84. 99. 110. 118. 119. 133. 134. 143. 144. 165. 182. 183. 218. 269. 270. 273. 275. 279. 282. 284. 295. 322. 341. Tschantschub, tibetische Heilige 187. Tschaudas, Bezirk 36. 38. Tscheto-Paß 52. Tschiram, Gräberplatz 63. Tschitbu, Schaf 261. Tschokden, Bauwerk 114. 206. 257. Tschongur, Brücke über den 82. Tschukti, Frauenkopfputz in Tibet 249. 250. Tucker, Dorf 175. 176. 178. 182. 206. 328. Vielmännerei 251. 252. 253. Wadschra, Gebetzepter 194. Waldbrände 19. Waldmenschen, siehe Raot. Wiedergeborene im Lamaismus 191. Wiedergeburten im Buddhismus 187. Wilson, Reverend ~Dr.~ H. 34. 53. 54. 63. 85. 90. 99. 100. 104. 105. 122. 123. 127. 131. 132. 329. 336. 337. 338. 339. Wolf, schwarzer 165. Wunderdoktor, tibetischer 203. Yu-tsang, tibetische Provinz 236. Zahnärzte in Tibet 197. Zeheram 60. 79. 153. Zelt für Reise 13. 48. Druck von F. A. Brockhaus, Leipzig. [Illustration: Karte] Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK AUF VERBOTENEN WEGEN: REISEN UND ABENTEUER IN TIBET *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. Project Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away—you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate. Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our website which has the main PG search facility: www.gutenberg.org. This website includes information about Project Gutenberg™, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.