The Project Gutenberg eBook of Die Ausgrabungen der Universität von Pennsylvania im Bêl-Tempel zu Nippur This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Die Ausgrabungen der Universität von Pennsylvania im Bêl-Tempel zu Nippur Author: H. V. Hilprecht Release date: October 22, 2022 [eBook #69205] Language: German Original publication: Germany: J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung Credits: Peter Becker; Eleni Christofaki and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive) *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE AUSGRABUNGEN DER UNIVERSITÄT VON PENNSYLVANIA IM BÊL-TEMPEL ZU NIPPUR *** Anmerkungen zur Transkription: Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Eine Liste der vorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes. Folgende Zeichen sind für die verschiedene Schriftformen benutzt: _gesperrt gedruckter Text_ =fett gedruckter Text= +kursiv gedruckter Text+ DIE AUSGRABUNGEN DER UNIVERSITÄT VON PENNSYLVANIA IM BÊL-TEMPEL ZU NIPPUR EIN VORTRAG VON H. V. HILPRECHT WISSENSCHAFTLICHEM DIREKTOR UND VERANTWORTLICHEM HERAUSGEBER DER RESULTATE DER EXPEDITION MIT 56 ABBILDUNGEN UND EINER KARTE [Illustration] LEIPZIG J. C. HINRICHS’SCHE BUCHHANDLUNG 1903 Das Recht der Übersetzung wird vorbehalten. Das Land, in das ich Sie bitten möchte, mich heute abend kurz zu begleiten, ist Ihnen allen von Jugend auf aus dem Alten Testamente wohl bekannt. Es ist die kleine Alluvialebene südlich von Baghdâd, von den Stromläufen des Euphrat und Tigris begrenzt, der Sitz uralter Staatenbildungen. Von den einheimischen Keilschriftquellen wird es am gewöhnlichsten mit dem Doppelnamen _Sumer und Akkad_ bezeichnet, doch uns allen geläufiger ist der klassische Name _Babylonien_. In der modernen Geographie heisst es +‘Irâq el-‘Arabî+, während die arabische Bevölkerung es in ihrer eigenen graphischen Weise oft nur kurz als +El-Ğezira+, d. h. „die Insel‟, bezeichnet. Es ist so recht eine Toteninsel, ein Land der Gräber und des Schweigens. Der ausgestreckte Arm Gottes lastet seit 2000 Jahren schwer auf dem unglücklichen Lande. Das Wort Jesaias: „Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern! Wie bist du zur Erde gefället, der du die Heiden schwächtest!‟ (Jesaia 14) klingt wie eine Totenklage durch Babylons zerbröckelnde Mauern, hallt wie das spottende Echo des prophetischen Fluches von den hingesunkenen Türmen und Tempeln Nuffar’s und Warkâ’s. Durch die schönen methodischen Ausgrabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft unter der vorzüglichen Leitung Dr. Koldeweys, durch die geplante Eisenbahn nach Baghdâd, und vor allem durch eine Reihe populärer Vorträge und Flugschriften ist das dem weiteren Publikum bislang ziemlich entrückt gewesene Babylonien plötzlich in das Zentrum öffentlichen Interesses auch in Deutschland getreten. „Babel und Bibel‟ und „Bibel und Babel‟ tritt dem Beschauer in jeder Buchhandlung entgegen; und es gilt fast für unwissenschaftlich und teilnahmslos, wenn man als Assyriologe von Fach nicht auch seinen Beitrag zu dem, was alle Gemüter bewegt, gibt. Man hat, wie so oft in der Geschichte, zwei vollständig getrennte Gebiete, Wissenschaft und Offenbarungsreligion, miteinander verquickt -- man wird die Konsequenzen davon tragen müssen. Es kann trotz einer beständig anschwellenden Literatur über diesen Gegenstand nicht meine Aufgabe sein, in die allgemeine Diskussion an dieser Stelle einzugreifen, obwohl vielleicht meine eigenen letzten Ausgrabungen in den älteren Schichten der Ruinen des Bêl-Tempels zu Nuffar etwas frisches Gewürz in den brodelnden Kessel zu werfen im stande sein dürften. Das _eine_ aber kann ich mir des allgemeinen Interesses halber schon hier nicht versagen, Ihnen einige nackte Tatsachen des heutigen Babel mit den ausdrucksvollen Worten der alten Bibel vor Augen zu führen. Halten Sie mir also freundlichst zu gute, wenn ich den gegenwärtigen Zustand des tief heruntergekommenen Landes meiner Liebe und meiner Studien Ihnen nicht besser zu schildern verstehe als in der Sprache eines Jesaia und Jeremia, doppelt bedeutsam, wenn wir berücksichtigen, dass die citierten Worte aus einer Zeit herrühren, da Babylonien noch ein weitgestrecktes Prachtgefilde und ein blühender Garten war. Die Öde und grenzenlose Zerstörung, welche das heutige Babylonien charakterisieren, sind so allgemein und ergreifend, dass, obwohl ich während der letzten 14 Jahre das Land des öfteren durchforscht habe, sie noch immer ihren erschütternden Eindruck auf mich nicht verfehlen. Von ‘Aqarqûf im Norden bis gen Qorna im Süden, wo die beiden Ströme sich einigen, sieht es aus, als ob „Gott Sodom und Gomorra umgekehrt‟ hätte (Jes. 13, 19; Jer. 50, 40). Die zahllosen grossen und kleinen Kanäle, welche gleich Nahrung spendenden Adern die fruchtbare Ebene nach allen Richtungen hin durchströmten und fröhliches Leben und Gedeihen nach jeglichem Dorfe und Felde brachten, sind seit langem mit Schutt und Erde verstopft. Von fleissigen Händen nicht mehr gesäubert und vom Euphrat und Tigris nicht länger gespeist, sind sie nach und nach völlig versandet. -- Fürwahr, es ist Trockenheit gekommen über Babels Wasser, dass sie versiegten (Jer. 50, 38). Nur ihre hohen Uferdämme, die infolge der Luftspiegelung oft zu imposanten Gebirgszügen anwachsen und wie ein weitmaschiges Netz verlassener Strassen in langen Fäden das Land durchziehen, bis sie in nebliger Ferne allmählich sich verlieren, trotzen noch immer dem Zahne der Zeit. Die sprichwörtliche Fruchtbarkeit und Wohlfahrt Babyloniens sind zwar nicht vorüber, wohl aber schlafen gegangen. Es gilt auch von ihm (3. Mose 26, 34. 35): „Das Land feiert und lässt sich seine Sabbathe gefallen‟. Seine „Stätte ist zur Wüste und zu einem dürren öden Lande worden, zum Lande da niemand innen wohnt‟ (Jer. 51, 43). Der Boden ist versengt, mit Scherben und Salpeter bedeckt und an vielen Stellen unter drei bis vier Fuss tiefem Flugsande begraben. Nur hie und da wuchern +‘arid+ und +ṣerîm+, +qubbâr+ (+caparis spinosa+, der Caperstrauch) und +ṭarfâ+ (die Tamariske) und anderes niedriges Gestrüpp der Wüste. So düster das soeben entworfene Bild uns erscheint, es berücksichtigt erst die _eine_, und nicht einmal die ergreifendste Seite von Babyloniens gegenwärtiger trostloser Lage. „Wie ist Babel so zum Wunder worden unter den Heiden! Es ist ein Meer über Babel gegangen, und sie ist mit seiner Wellen Menge bedeckt‟ (Jer. 51, 41. 42). Im Herbste und Winter gleicht Babylonien einer _Sandwüste_, aber im Frühling und Sommer ist es zum grossen Teile ein unwirtlicher Sumpf, eine wahrhaftige _Wasser-_ oder _Meereswüste_[1] (Jes. 21, 1). Selbst Baghdâd ist oft wochenlang fast vollständig von einem grossen See umschlossen, der 10 bis 20 englische Meilen nach mehreren Richtungen hin sich erstreckt. Seine Dattelhaine stehen unter Wasser (Abb. 1), Brücken und Häuser werden fortgerissen, und Araber mit ihren Herden kommen elendiglich um in den Fluten. Während der Zeit der alljährlichen Überschwemmung schiesst allenthalben in den stagnierenden Gewässern eine üppige Vegetation empor. Grosse Scharen von Vögeln mit glänzendem Gefieder bevölkern die Moräste, die, mit weissen Ranunkeln wie mit einem wundersamen Teppich bekleidet, im Frühling einen reizvollen Anblick gewähren. Schildkröten und Schlangen gleiten behend durch die von alten Kanälen gebildeten offenen Fahrstrassen in den Lagunen, und unzählige kleine grüne Frösche hocken auf dem leise im Morgenwind rauschenden Schilfe. Hässliche Büffel waten und plantschen zwischen Binsen und scharfkantigen Gräsern. Wilde Tiere, Eber und Wölfe, Hyänen und Schakale, Wildkatzen und die in den letzten Jahren allmählich seltener gewordenen Löwen hausen in den Dschungeln oder Ruinen. Hier und da ragt ein grösseres Stück Land, beschützt von einem Erdkastell (+meftûl+) (Abb. 2), eine niedere Insel, oder ein vereinzelter Trümmerhaufen, als stummer Zeuge einer untergegangenen Herrlichkeit, aus den giftgeschwängerten Sümpfen. [Illustration: Abb. 1. Dattelhain zur Zeit der Überschwemmung.] [Illustration: Abb. 2. Erdkastell (Meftûl) am Daghâra-Kanal.] [Illustration: Abb. 3. Arabische Schilfhütte (Ṣerîfa).] Unschöne, blau tätowierte Frauen mit grossen Nasenringen, halbnackte hagere Männer mit strähnenweis herabhängendem Haar, und schlechtgenährte, dickbäuchige Kinder, von der Sonne fast schwarz gebrannt, bewohnen diese unwirtlichen Gegenden. Von Schmutz und Ungeziefer starrende Hütten, sogenannte +ṣerîfas+ (Abb. 3), gewähren ihnen dürftigen Schutz während der Nacht. Bei Tage durchkreuzen sie die Wasser in langen, schmalen Booten (+ṭurrâdas+) mit Hilfe der langen Bambusstange (+merdî+) und fangen Fische mit dem fünfzackigen Speere. Oder sie weiden an den Rändern des überschwemmten Gebietes ihre dürftigen Herden und lauern, mit Keule und Feuersteingewehr bewaffnet, im Hinterhalt auf Beute. Obwohl für gewöhnlich gutmütig und in den Tag hineinlebend wie unerzogene Kinder, sind diese Ma‘dân-Stämme, d. h. wörtlich „Ignoranten‟, doch nicht frei von einer gewissen Heimtücke, dazu leicht erregbar und bei der geringsten Provokation bereit zum Kampfe. Ohne besondere körperliche Vorzüge und scheinbar arm an den sprichwörtlichen arabischen Tugenden werden sie von den städtischen Händlern gefürchtet, aber von den oft tief in ihr Gebiet eindringenden Schammar, Montefic, Dhafir und anderen Beduinenstämmen verspottet und verachtet. Rastlos umherschweifende Nomaden im Norden und Süden, und stumpfsinnige Sumpfbewohner im Zentrum des Landes sind die Erben des zertrümmerten Reiches Nebukadnezars. Welch ein Kontrast zwischen alter Zivilisation und heutiger Degeneration! Einst, so weit das Auge reichte, üppige Palmenhaine (Abb. 4), wogende Ährenfelder, bewässert mit den oft in den Inschriften erwähnten Schöpfanlagen (jetzt genannt +čereds+), blühende Städte und Gehöfte, das Land, das wir so gern als die Wiege der Menschheit bezeichnen, wo Wissenschaft und Kunst geboren, und jetzt -- ein offenes Land Nod (1. Mose 4, 16), wohin Deserteure und Verbrecher sich flüchten, eine Stätte der Verwüstung und Unwissenheit, das Eldorado von Räubern und Mördern. Im Innern dieses nichts weniger denn paradiesischen Landes, wo die Temperatur im Schatten während des Sommers bis zu 39°, ja 41° Réaumur steigt, etwa 50 englische Meilen südöstlich von Hilla hingestreckt am nordöstlichen Rande der zu allen Jahreszeiten bestehenden +‘Afeč+-Sümpfe (so benannt nach den sie bevölkernden +‘Afeč+-Stämmen), liegen die imposanten Ruinen von Nuffar. Mit Babylon und Warkâ die ausgedehntesten Trümmerhügel der ganzen Tiefebene, bilden sie mit grösseren und kleineren Unterbrechungen seit 1889 den Gegenstand methodischer Ausgrabungen der Nordamerikanischen Expedition der Universität von Pennsylvania in Philadelphia.[2] [Illustration: Abb. 4. Dattelernte in den Palmenhainen Basras.] Sie bedecken in ihrer Hauptmasse eine Bodenfläche von nahezu 75 Hektaren Landes. Ein grosser, jetzt trockener Kanal, früher an vielen Stellen 6 m tief und 50-60 m breit, teilt die Ruinen in annähernd gleiche Hälften. Die Araber nennen ihn Shaṭṭ en-Nîl (Nilstrom), das uralte sumerische Kulturvolk, das ihn gegraben -- wenn nicht, wie mancherlei Erwägungen nahe legen, er den alten Lauf des Euphrat repräsentiert -- bezeichnete ihn in seiner Schrift als „den Euphrat von Nippur‟; und die semitischen Bewohner Babyloniens hiessen ihn _Kabaru_ oder „den grossen Kanal‟, dessen Wasserfülle die beispiellose Fruchtbarkeit des ganzen inneren Landes bedingte. Wie ich vor kurzem nachgewiesen, ist er identisch mit dem biblischen „Chebar, im Lande der Chaldäer‟ (Ez. 1, 1 und 3; 3, 15), an dessen (östlichen) Ufern die Exulanten Judas nach der Zerstörung Jerusalems angesiedelt wurden. Es war demnach hier im Schatten des Bêl-Tempels von Nippur, der zentralen Kultusstätte des ältesten Babyloniens, wo Ezechiel seine erhabene Vision von den Cherubim schaute, und wo sich einer der bedeutsamsten Akte im weltgeschichtlichen Drama Israels abspielte. Darum „Zeuch deine Schuhe aus von deinen Füssen; denn der Ort, darauf du stehest, ist ein heilig Land‟ (2. Mose 3, 5). Die Ruinen von Nuffar repräsentieren das alte Nippur (so zuerst Oppert), nach einer offenbar wohlbegründeten talmudischen Tradition identisch mit dem biblischen „Chalne im Lande Sinear‟ (1. Mose 10, 10), einer der vier Hauptstädte im Reiche des Nimrod. Sie sind im Durchschnitt 10-18 m hoch, erreichen aber an mehreren Punkten die respektable Höhe von 25 und selbst 30 m über dem Niveau der gegenwärtigen Ebene. Infolge von Sonnenglut und Winterregen wurden die ursprünglich mehr gleichmässigen Erhebungen allmählich in zahlreiche Hügel und Täler geklüftet, so dass aus der Ferne der unvermittelt aus dem flachen Tafellande aufsteigende Trümmerhaufen dem zerrissenen Höhenzuge des Hamrîn am oberen Tigris täuschend ähnlich sieht. Die dadurch bedingte beklagenswerte Vernichtung so vieler Häuser der nachchristlichen Stadt kann uns nicht wunder nehmen, da, wie im alten Babylonien, so auch im späteren Reich, abgesehen von Tempeln, Palästen, Brunnen, Wasserleitungen und vereinzelten Gräbern, fast nur lufttrockene Ziegel als Baumaterial Verwendung fanden. Nach meinem ersten Ritt über das weitgestreckte Ruinenfeld kam ich im Februar 1889, noch ehe wir die Ausgrabungen begannen, betreffs des wahrscheinlichen Inhalts dieser Hügel zu einer Reihe von logischen Schlussfolgerungen. Als wissenschaftliche Grundlage und Stütze für meine Theorie dienten die wenigen damals bekannten älteren Keilschrifttexte, in denen Nippur erwähnt ist, ein Vergleich der verschiedenen Höhenlagen der Trümmer, etliche aufgelesene Antiquitäten, und vor allen Dingen die oft übersehene Tatsache, dass die Abwesenheit von Glasscherben und grün und blau emaillierten Vasenfragmenten, welche beide für Ruinen der hellenistischen und späteren Perioden des Landes charakteristisch sind, ein fast untrügliches Kennzeichen rein babylonischer Ansiedlungen bildet. Ich fasse meine ersten Folgerungen in Kürze dahin zusammen: Der etwa in der Mitte der östlichen Hälfte kegelförmig ansteigende höchste Punkt (Abb. 5), von den Arabern Bint el-Amîr oder „Prinzessin‟ genannt, repräsentiert den keilschriftlich belegten Etagenturm des alten Nippur, _Imcharsag_, und die im NW., NO. und SO. davon sich hinziehenden schmalen Hügelrücken die Reste der gleichfalls in der Keilschrift erwähnten Aussenmauer der Stadt, _Nîmitti-Marduk_. Wo aber ein Etagenturm ist, muss notwendigerweise ein dazu gehöriger Tempel in unmittelbarer Nähe existiert haben. _Ekur_, das berühmte uralte Heiligtum des Bêl, dessen wichtigsten Teil der Turm bildete, konnte daher nur unter dem südöstlich von _Bint el-Amîr_ sich hinstreckenden gewaltigen Plateau begraben liegen. [Illustration: Abb. 5. Die Ruinen des Bêl-Tempels zu Nuffar (Nippur).] Daraus ergab sich als weitere Schlussfolgerung, dass der grosse offene Platz im N. des Tempels nicht als _vor_ dem letzteren, sondern als _hinter_ demselben gelegen verstanden werden muss, dass demgemäss der Haupteingang zum Heiligtum im SO. zu suchen ist, während der weite Platz mit dem westlich daran grenzenden grösseren Hügelrücken sekundären Zwecken, Stallungen für Herden, Lagerplätzen für Pilger, Wirtschaftsräumen, Wohnungen der untersten Beamten u. s. w. gedient zu haben schien. Nur zwei Haupthügel auf der östlichen und südlichen Seite des Tempelfeldes harrten noch ihrer Bestimmung. Was war ihr wahrscheinlicher Inhalt? Der nachhaltige Einfluss, den selbst nach unseren damaligen spärlichen Quellen Nippur als Kultusstätte des „Vaters‟ und „Königs der Götter‟ auf die religiöse und politische Entwicklung Gesamtbabyloniens ausgeübt haben musste, liess _a priori_ erwarten, dass nach Analogie der durch die französischen Ausgrabungen in Tellô zuerst näher bekannt gewordenen +patesis+ oder Priesterfürsten von Lagash eine ähnliche Institution in dem viel bedeutungsvolleren Nippur existiert hatte. Der Palast eines solchen Priesterfürsten von Nippur, offenbar der imposanteste Bau nach dem Tempel, konnte dann nur unter der selbständigen hohen Trümmermasse im Osten des Heiligtums begraben liegen, wo er augenscheinlich, nach der Weise des von Botta entdeckten Sargon-Palastes von Chorsabâd, ein wichtiges Bollwerk in der Fortifikationslinie des Tempels einst bildete. Waren meine bisher aufgestellten Thesen auch nur annähernd richtig, so durfte die Bestimmung des Inhaltes des allein noch übrigen dreieckigen südlichen Ruinenhügels, der durch einen versandeten Seitenkanal des Chebar oder einen breiten Festungsgraben vom Tempelkomplex getrennt ist, keine besonderen Schwierigkeiten bereiten. Er musste notwendigerweise die aus der Tontafelsammlung König Aschurbânapals bekannt gewordene Tempelbibliothek mit dazugehöriger Priesterschule bedecken. Dreierlei ergab sich als unmittelbare Folge dieser ganzen Hypothese: 1. Der Tempelkomplex von Nippur mit den Wohnungen der zahlreichen Beamten umschloss die ganze östliche Stadthälfte von fast 40 Hektaren Bodenfläche. 2. Die sogenannten Innen- und Aussenmauern von Nippur können sich nicht, wie den Inschriften gemäss zunächst zu erwarten war, auf die ganze Stadt beziehen, sondern müssen in Übereinstimmung mit den topographischen Befunden ausschliesslich auf den Tempel des Bêl (sogar mit Ausscheidung der Tempelbibliothek) beschränkt werden. 3. Die auf der Westseite des Kanals gelegenen Trümmerhügel enthalten entweder nur einen ungeheuren Friedhof (wie ich in den ersten Wochen annahm), oder die Geschäftshäuser, Bazare und Privatwohnungen der kleinen Leute samt dem Friedhofe. Es stellte sich später heraus, dass diese westliche Hälfte in der allerältesten (sumerischen) und in der nachchristlichen Periode im wesentlichen Beerdigungsstätte gewesen, dagegen in der semitisch-babylonischen Zeit die eigentliche Geschäftsstadt repräsentierte. Eine ähnliche Theorie lässt sich für die meisten grossen Ruinen von ‘Irâq el-‘Arabî aufstellen; vor allem lassen sich mit absoluter Sicherheit die Reste der Grundmauer des von Alexander dem Grossen abgetragenen Babylonischen Turmes in den Trümmern der Hauptstadt Nebukadnezars auch ohne Spatenstich nachweisen. Für meine heutigen Zwecke genüge es, ausdrücklich hervorzuheben, dass die im Jahre 1889 zum erstenmale vorgetragene und in meinen Universitätsvorlesungen seitdem öfter wiederholte Hypothese betreffs Nippurs, kühn wie sie damals wohl manchem erscheinen mochte, durch meine letzten Ausgrabungen vom Jahre 1900 in allen ihren Hauptpunkten bestätigt ist.[3] Vor allem haben wir in dem südlichen dreieckigen Hügel die berühmte Tempelbibliothek von Nippur -- und zwar eine ältere, von den Elamiten im dritten Jahrtausend zerstörte und eine jüngere, in neu-babylonischer Zeit ganz allmählich verfallende -- tatsächlich gefunden und bereits 23000 Keilschrifttafeln und Fragmente, grösstenteils der älteren angehörig, geborgen. Doch konnten soweit erst ca. 80 Zimmer oder etwa der 12. Teil des etwa 2½ Hektar bedeckenden Bibliothekskomplexes ausgegraben werden. Aus einer Reihe von Tatsachen und Anzeichen im Boden schliesse ich mit grosser Wahrscheinlichkeit, dass noch eine dritte ältere oder vorsargonische Bibliothek in den untersten, noch unberührten Schichten desselben Hügels verborgen liegt. Bevor ich auf die Ausgrabungen selbst zu sprechen komme, mögen zur allgemeinen Orientierung über die Geschichte und Resultate der Expedition[4] die folgenden wesentlichen Punkte aus einer erdrückenden Fülle von Material hervorgehoben werden. Die Feldarbeiten des grossen wissenschaftlichen Unternehmens (inkl. Reisen) haben bisher nahezu eine halbe Million Mark gekostet und sind von einer kleinen Anzahl angesehener Bürger Philadelphias bestritten worden. Unter ihnen sind die folgenden fünf Herren wegen ihrer grossen Liberalität und ihres persönlichen Interesses besonders hervorzuheben: Der 1898 verstorbene Professor der inneren Medizin und langjährige Rektor der Universität Dr. William Pepper, der gegenwärtige verdienstvolle Rektor Dr. C. C. Harrison, die beiden Bankiers Gebrüder Eduard W. und Clarence H. Clark, der eine als Vorsitzender des Expeditions-Komitees, der andere als solcher des Publikations-Ausschusses, und der Grossindustrielle W. W. Frazier. In den ersten beiden kurzen Kampagnen war der jetzige Episkopalgeistliche in New York Dr. John P. Peters (früher Professor des Hebräischen an der Universität von Pennsylvanien) Direktor. Auf dessen Veranlassung wurde im Jahre 1893 unser langjähriges treues Faktotum, J. H. Haynes, allein nach Babylonien gesandt und mit den Ausgrabungen betraut. Als sich aber sehr bald die völlige Unzulänglichkeit dieses Planes herausstellte, trat auf Ansuchen des Vorsitzenden, E. W. Clark, im Winter 1894 auf 1895 der Schreiber in die wissenschaftliche Leitung des Unternehmens ein und bildete mit ersterem den inneren Exekutivausschuss des Unternehmens. Unser Streben war seitdem vor allen Dingen darauf gerichtet, eine rein wissenschaftliche Untersuchung der Trümmer herbeizuführen und entsprechende Spezialisten hinauszusenden. Für die wissenschaftliche Oberleitung und den daraus resultierenden wissenschaftlichen Ertrag der vierten und erfolgreichsten Expedition ist der Vortragende verantwortlich. Die Feldarbeiten standen wieder unter der Kontrolle von Haynes mit Ausnahme der letzten 3 Monate, während deren der wissenschaftliche Direktor, unterstützt von 2 Architekten, Fisher und Geere, sich genötigt sah auch die Leitung im Felde zu übernehmen. Fast sämtliche _wissenschaftliche_ Mitglieder der 4 Expeditionen haben ihre Dienste dem Unternehmen unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Dadurch allein ist es möglich geworden, bei den ausserordentlichen Leistungen die Kosten der Ausgrabungen verhältnismässig niedrig zu halten. Zu einer Ende kommenden Sommers ausgehenden 5. Expedition, mit deren Organisation ich soeben beschäftigt bin, wurden mir im Dezember letzten Jahres etwa 200000 Mark aus privaten Mitteln von Freunden der Universität zur Verfügung gestellt, während zu gleicher Zeit die beiden Mäcene, Gebrüder Clark, mit einer weiteren Dotation von nahezu einer halben Million Mark einen ausschliesslich zum Zweck wissenschaftlicher Untersuchungen bestimmten Lehrstuhl der Assyriologie (mit Befreiung seines Inhabers von sämtlichen Vorlesungen, ausser soweit derselbe selbst solche für nötig hält) ins Leben riefen. Zu ebenderselben Zeit wurden von einem anderen Gönner der Wissenschaft, Eckley Coxe jun., mehr denn 80000 Mark zu den kostspieligen Publikationen der Expedition in hochherziger Weise in Aussicht gestellt und zur Hälfte bereits deponiert. Wir dürfen freilich nicht vergessen, dass, um die gesamten Ruinen von Nuffar in methodischer Weise auch nur annähernd erschöpfend zu untersuchen, bei einer durchschnittlichen Arbeitskraft von 400 Arabern wenigstens 50, wahrscheinlich aber 100 weitere Jahre erforderlich sein dürften. Diese kurzen statistischen Angaben von nackten Zahlen und Tatsachen bezüglich eines einzigen und noch dazu von der gewöhnlichen Landstrasse ziemlich abgelegenen Unternehmens, ausgeführt von einer einzigen amerikanischen Stadt und Universität, dürfte Ihnen in beredterer Weise denn viele Worte meinerseits den erwachenden Heisshunger einer jungen und tatkräftigen Nation, trotz seiner kurzen eigenen Geschichte bereits teilzunehmen an der Lösung grosser wissenschaftlicher Probleme, lebendig vor Augen führen. In den ersten Jahren unserer Grabungen musste die Aufgabe darin bestehen, durch langgezogene Versuchsschächte eine allgemeine Kenntnis vom Gesamtinhalt des ungeheuren Ruinenfeldes zu gewinnen und durch sorgfältige Abtragung und Bestimmung der oberen Schichten die für uns wertvolleren rein-babylonischen zu erreichen. Im Laufe der Zeit konzentrierte sich unsere Arbeit dann von selbst an den durch Theorie und Spatenstich festgestellten Punkten der alten Stadt. Das keilschriftliche und archäologische Material, welches auf diese Weise allmählich zu Tage gefördert wurde, kann natürlich nicht im einzelnen hier aufgezählt werden. Der folgende sehr allgemeine und unvollständige Überblick wird wenigstens die Behauptung rechtfertigen, dass wir mit ausserordentlichem Erfolge tätig gewesen sind. Ausser den oben erwähnten 23000 literarischen Keilschrifttexten der Bibliothek und Priesterschule sammelte die Expedition nahezu 28000 meist gut erhaltene geschäftliche Urkunden (Abb. 6) aus dem dritten, zweiten und ersten Jahrtausend hauptsächlich im westlichen Stadtteile und etwa 2000 vorsargonische Keilschrifttafeln aus dem fünften und vierten vorchristlichen Jahrtausend meist in den unteren Schichten des Bêl-Tempels. Zu diesem Gesamtresultate von 53000, vielfach fragmentarischen Keilschrifttafeln, an Grösse zwischen 2 cm und nahezu ½ m schwankend, zu deren Auffindung eine Gesamtarbeitszeit von etwa 2½ Jahren unsererseits nötig war, gesellen sich ca. 800 oft sehr kleine Vasenfragmente aus stalagmitischem Kalkstein, welche sich als besonders wertvolle Quellen für die Rekonstruktion der ältesten Geschichte Babyloniens erwiesen. Dazu kommen einige unveröffentlichte Grenzsteine aus der Zeit der Könige der Pasche-Dynastie (ca. 1100 v. Chr.); etwa 20 beschriebene Türsteine von den Tagen der uralten Könige Lugal-kigub-nidudu und Sargon I. bis herab zum Kassitenherrscher Kurigalzu; eine ganze Anzahl königlicher Votiv-Inschriften auf Türkis, Achat, Lapislazuli, Magnesit, Feldspat u. s. w. aus dem zweiten Jahrtausend; 60-80 schön geformte Backstein-Stempel Sargons I. und Narâm-Sins, nicht mit Unrecht bezeichnet als die ersten historischen Handdruckpressen zweier Könige, welche vor den Nuffar-Ausgrabungen allgemein als halbmythische Personen betrachtet wurden. Ferner erwähne ich etliche sumerische Steintafeln, die Bau-Urkunden mehrerer Könige von Ur (drittes Jahrtausend), die Toncylinder Samsu-ilunas, Sargons II., des Zerstörers Samarias, und Aschurbânapals, des letzten grossen Herrschers von Assyrien. In Kürze mag wenigstens angedeutet werden, dass 3-400 Siegelcylinder aus den Geschäftshäusern und den parthischen Gräbern und ebenso viele hebräische, mandäische, syrische und arabische Tonschalen gesammelt wurden. Die letzteren wurden meist umgestülpt am Erdboden gefunden (Abb. 8). Hie und da lag ein kleiner beschriebener Schädel (offenbar von einem Tiere herrührend) oder ein beschriebenes Hühnerei als Opfer für die zu besänftigenden bösen Geister darunter. In anderen Fällen waren zwei Schalen mit der Innenseite durch Erdpech zusammengekittet, um das Entweichen der offenbar darin gebannt gedachten Dämonen zu verhindern. [Illustration: Abb. 6. Keilschrifttafeln von Nippur nach der Grösse geordnet.] [Illustration: Abb. 7. Türstein des Königs Ur-Gur (ca. 2700 v. Chr.) in situ. Vom Haupttore des Bêl-Tempels.] [Illustration: Abb. 8. Hebräische Tonschalen in situ.] Alle diese Sachen gehören im wesentlichen dem unter dem Einflusse babylonischer Dämonologie degenerierten Judentume und anderen verwandten Sekten der 5-8 nachchristlichen Jahrhunderte an. Sie lehren uns in ihrer Weise, welcher Art der religiöse Einfluss gewesen sein mag, welcher von Babylon auf das vom heimatlichen Boden und dem Weckruf seiner Propheten losgelöste Judah ausging. Die meist den Gräbern und Totenurnen entnommenen kostbaren Geräte und Schmucksachen (Abb. 9) aus verschiedenen Steinen, Kupfer, Bronze, Silber und Gold betragen mehr denn ½ Centner, wobei die zahlreichen Silbermünzen der älteren griechischen und parthischen Periode und sogar aus noch späterer Zeit völlig unberücksichtigt geblieben sind. Mehrere hundert Silbermünzen aus der Zeit der ‘Omajjaden- und ‘Abassiden-Kalife, von denen Hârûn er-Raschîd der bekannteste ist, wurden in den Abhängen der Hügel in zwei grossen Nestern gefunden. Von den massenhaft vorkommenden nachbabylonischen Ton-Särgen, welche meist ohne jegliche Ordnung über- und nebeneinander (vgl. S. 37) angetroffen werden, haben wir ca. 2500 näher untersucht. Noch wichtiger waren die Totenurnen ans der ältesten vorhistorischen Zeit, die in Verbindung mit Tausenden von Tonvasen aus allen Jahrhunderten babylonischer Geschichte unsere Kenntnis von der allmählichen Entwicklung der Keramik im Zweistromlande ein gut Teil fördern werden. [Illustration: Abb. 9. Silberne Armspange.] Im Laufe der Ausgrabungen stellte es sich heraus, dass auch auf diesem Gebiete mancherlei Berührungspunkte zwischen dem modernen und alt-babylonischen Töpfergewerbe bestehen. Als besonders in die Augen springend hebe ich hervor, dass tönerne Dreifüsse, ähnlich denen, welche in den heutigen Porzellanfabriken (Abb. 10) dazu verwendet werden, die übereinander getürmten einzelnen Teller und Schalen während des Brennungsprozesses voneinander möglichst getrennt zu halten, bereits in der Nähe einer babylonischen Töpferei aus dem dritten Jahrtausend entdeckt wurden (Abb. 11). Spuren der drei Berührungspunkte jener Dreifüsse liessen sich namentlich auf vielen emaillierten Schalen der Partherperiode ohne Schwierigkeit nachweisen. Die Töpferei selbst lehnte sich an die NO.-Mauer des Tempelkomplexes und wurde von unseren Arabern gegen Ende der vierten Kampagne sofort als solche erkannt, da derartige primitive Öfen -- als eine Kombination von Töpferei und Garküche -- bis auf den heutigen Tag in Baghdâd, Hilla und Basra sich erhalten haben. Obwohl in sehr ruinenhaftem Zustande, liessen sich die ursprünglichen neun Bögen und Luftschächte noch nachweisen, so dass der Expeditionsarchitekt Fisher die ursprüngliche Anlage restaurieren und veranschaulichen konnte, in welcher Weise der Bau geheizt und ventiliert wurde. [Illustration: Abb. 10. Dreifuss aus der heutigen Porzellanfabrik von Trenton.] [Illustration: Abb. 11. Altbabylonischer Dreifuss. (ca. 2300 v. Chr.)] Doch lassen Sie mich nicht länger bei Einzelheiten verweilen, die, aus dem Zusammenhange gerissen, doch nur eine höchst lückenhafte Vorstellung von dem tatsächlichen Inhalte der Ruinen von Nippur zu geben imstande sein dürften. Unser wesentliches Interesse haftet an dem grossen Tempelkomplexe des Bêl, dem uralten Zentralheiligtum Babyloniens, das bereits auf eine mehr denn 2000jährige Geschichte zurückblicken konnte, ehe Babylon unter Hammurabi (gegen Ende des dritten Jahrtausends) zur politisch-religiösen Metropole des geeinten Reiches erhoben wurde. [Illustration: Abb. 12. Altbabylonische Töpferei.] Es war eine unserer Expedition als selbstverständlich zufallende Aufgabe, in erster Linie den grossen Etagenturm aus der Masse darum- und darüberliegender späterer Gebäude herauszuschälen und von ihm aus, als der natürlich gegebenen Basis, das angrenzende Plateau in den Kreis unserer Untersuchungen hineinzuziehen, um so nach und nach ein einheitliches Bild von der ganzen Tempelanlage und ihrer langen Geschichte zu gewinnen und zugleich das genauere Verhältnis eines babylonischen Turmes zu dem daranstossenden besonderen Heiligtum festzustellen. Ausserordentliche Schwierigkeiten stellten sich unserem Vorhaben entgegen. Ich denke dabei nicht an die ungesunden klimatischen Verhältnisse, die heissen Sandstürme und die uns zeitweilig auf allen Seiten umgebenden Sümpfe mit ihren giftigen Miasmen, von denen wir alle im Anfang mehr oder minder zu leiden hatten, auch nicht an die geradezu entsetzliche Plage der Moskitos, Sandfliegen und anderer kleiner Insekten, welche regelmässig Mitte April ihren Anfang nahm. Ich habe auch nicht im Auge jene zwei tollkühnen kurdischen Räuber, welche Pilger, Händler, Reisende und sogar militärische Schutzkolonnen mit Erfolg attackierten, plünderten und mordeten und zum Entsetzen Haynes 18 Monate lang unweit Nuffars in den +‘Afeč+-Sümpfen ihr Hauptquartier aufschlugen. Noch möchte ich besonderes Gewicht darauf legen, dass unsere Araber von regelmässiger Arbeit keine Ahnung hatten, dass sie unzählige Male ihre primitiven Körbe und Geräte plötzlich niederwarfen, zu den Waffen griffen, eine _hausa_ aufführten (Abb. 13) und zu ihren in der Nähe sich befehdenden Stammesgenossen schreiend und gestikulierend enteilten. Es genüge, darauf hinzuweisen, dass im Jahre 1894 binnen 8 Monaten 13 Araberschlachten nicht weit von den Ruinen stattfanden, in deren einer nicht weniger denn 70 Tote auf dem Platze blieben, und dass wir selbst zu Beginn unserer Ausgrabungen zu Nuffar der Regel nach mit dem Gewehre in der Hand gruben, entzifferten und schliefen, und dass wir schliesslich durch Erschiessen eines Saïd-Beduinen dem Gesetze arabischer Blutrache anheimfielen, von dem ganzen Stamme umzingelt und belagert wurden und trotz militärischen Entsatzes nach Vernichtung unseres ganzen Lagers, dem Verluste einer beträchtlichen Geldsumme und der meisten Pferde über die Sümpfe mit unseren geretteten Antiquitäten uns zurückziehen mussten. Alle diese und andere Schwierigkeiten der ersten Jahre kann ich jetzt um so mehr übergehen, als dieselben seither durch unsere freundschaftlichen Beziehungen zu den einflussreichsten Stämmen, vor allen Dingen zu +Ḥağği Ṭarfâ+, dem Hauptscheich der +‘Afeč+, und +‘Abud el-Ḥamîd+, dem Führer der sechs +Ḥamza+-Stämme, zum grössten Teil gehoben oder doch gemildert sind, und dank der energischen Bemühungen der ottomanischen Regierung, welche den Sitz ihres Subgouverneurs (_Muteṣṣarif_) von Hilla nach Dîwânîje verlegt und das dortige Militär sogar durch Artillerie bedeutend verstärkt hat, eine wesentliche Besserung in den früheren heillosen Zuständen des +‘Afeč+-Landes eingetreten ist. [Illustration: Abb. 13. Arabische Arbeiter in Nuffar, eine sogenannte hausa aufführend.] [Illustration: Abb. 14. ‘Abud el-Ḥamîd, oberster Scheich der Ḥamza-Stämme.] Die Schwierigkeiten, welche ich gegenwärtig im Auge habe, beziehen sich auf die Trümmerhügel selbst und auf die mannigfachen Hindernisse, welche sich meiner näheren Bestimmung des Alters unbeschriebener oder undatierter Antiquitäten und der Bedeutung der nach allen Richtungen hin scheinbar gesetzlos laufenden Mauerreste anfänglich entgegenstellten. Nach jahrelangem Studium ist es mir endlich gelungen, eine gewisse Ordnung in die oft so verworrene Trümmermasse zu bringen. _Einundzwanzig_ verschiedene Strata lassen sich in den Ruinen Nuffars mit Sicherheit nachweisen. Jedoch ist dabei zu berücksichtigen, dass diese Einzelphasen in der Geschichte jener uralten Stadt, deren Gründung die babylonische Schöpfungslegende unmittelbar an den Anfang menschlicher Geschichte verlegt, keineswegs in jedem Teile der Ruinen festgestellt werden können. An manchen Stellen lagern die Reste des zweiten Jahrtausends direkt auf denen der vorsargonischen Periode, an anderen sind dieselben durch 10-15 Fuss Schutt voneinander geschieden, noch anderswo treten die Reste der ältesten Zivilisation, wie in Fâra, fast unmittelbar an die Oberfläche. Es scheint demnach von vornherein klar, dass manche Quartiere Nippurs oft Jahrhunderte hindurch und noch länger unbesiedelt geblieben sein müssen, während andere wiederum fast ununterbrochen mit Häusern besetzt waren. Jedoch hat dieser Satz nur sehr allgemeine Geltung. Denn es bleibt notwendigerweise die Aufgabe bestehen, in jedem besonderen Falle erst nachzuweisen, inwieweit spätere Generationen hier zerstörend eingegriffen haben, sei es auch nur, um sich billigeres und besseres _Baumaterial_ zu verschaffen. Gilt doch noch heute allenthalben in Babylonien als feststehende Tatsache, dass früher bearbeiteter Ton ein vorzüglicheres, weil zäheres Material zur Bereitung von Luftziegeln bietet, als frisch aus der Grube gewonnene Erde; und haben doch gerade die parthischen Baumeister fast ausschliesslich aus den altbabylonischen Bauresten die Festungen und Paläste errichtet. Nur im Tempelhügel selbst, wo in älterer Zeit eine gewisse Scheu vor dem Eigentume der Götter und in nachbabylonischer Zeit militärische Rücksichten zur besseren Erhaltung der Hauptgebäude trieben, lassen sich jene 21 Schichten an der Hand wertvoller Plattformen, welche den Trümmerhügel gewissermassen in Grade abteilen, einzelner Mauerreste, beschriebener Antiquitäten, charakteristischer Tonscherben, eigentümlich gestalteter Backsteine und sonstiger Hilfsmittel der Archäologie mit grösserer Bestimmtheit aufdecken. Diese 21 übereinander lagernden Strata, von denen nur die hauptsächlichsten in dem hier wiedergegebenen Diagramme angedeutet sind (Abb. 15), lassen sich in natürlicher Weise in _drei_ reinlich voneinander geschiedenen grossen successiven Perioden behandeln. Wir unterscheiden demgemäss, an der Oberfläche des Hügels beginnend: [Illustration: Abb. 15. Querschnitt des Tempelhügels. Entworfen von Hilprecht, gezeichnet von Fisher.] 1. Die _nachbabylonische Periode_ von etwa 300 v. Chr. bis ca. 1000 n. Chr., gekennzeichnet durch 6-24 m hohe Schuttanhäufungen in 6 verschiedenen Schichten. Der Unterschied in der Zahlenangabe der Meter ist bedingt durch das Höhenverhältnis zwischen den Resten des Etagenturmes, der im ersten Abschnitt dieser Periode militärischen Zwecken dienstbar gemacht wurde, und dem daran grenzenden Plateau. 2. _Die semitisch-babylonische Periode_ von rund 4000 bis 300 v. Chr., repräsentiert durch 4½-6 m hohe Trümmer und Plattformen im Tempelhofe: 9 verschiedene Strata. 3. Die älteste oder _prähistorisch-sumerische_ Periode, von unbekannten Anfängen bis gegen 4000 v. Chr., repräsentiert durch 6-9 m tiefe Ruinen: 6 verschiedene Strata. Der tiefste Laufgraben, den wir demgemäss bis jetzt in den Tempelhügel von Nuffar getrieben haben, misst 128 Fuss oder etwa 39 m von der Oberfläche bis zum Grundwasser. Die beifolgende Illustration (Abb. 16), in welcher rechts und links und an der Hand der (oberhalb allerdings schon beträchtlich abgebröckelten) Prüfungssäule die Höhe der ursprünglichen Schuttablagerungen noch deutlich zu sehen ist, wird einigermassen veranschaulichen, welche gewaltige Massen von Débris seitens der Expedition zu untersuchen und abzutragen waren, bevor die gigantischen Reste des Tempels aus ihrer Hülle hervortraten. Selbst im Zustande äusserster Vernichtung legen diese bröckelnden Mauern noch beredtes Zeugnis ab für den aufstrebenden Geist eines untergegangenen Kulturvolkes, auf dessen Schultern wir noch heute stehen, und noch immer scheinen sie wiederzuhallen von den Klängen jener altsumerischen Hymne, welche zu Ehren des Enlil oder Bêl im Schatten seines Heiligtums vor Tausenden von Jahren ertönte: Hochragender Berg des Enlil, _Imcharsag_, Gen Himmel anstrebend mit kühnem Haupt, Die Wurzeln schlagend im klaren Abyssos, Im Lande sich lagernd wie ein mächtiger Stier, Dessen Hörner erglühen gleich dem flammenden Lichte, Wie die Sterne am Himmel erglänzen in Pracht! [Illustration: Abb. 16. Die Ruinen des Etagenturms zu Nuffar (Nippur).] Unterziehen wir zunächst die 6 nachbabylonischen Strata mit ihrem seltsamen Gemisch von 12-1300jähriger Geschichte einer kurzen Prüfung, so ergibt sich als hauptsächlichstes Resultat die charakteristische Tatsache, dass bald nach der Rückkehr Alexanders des Grossen aus Indien und seinem vorzeitigen Tode im Palaste Nebukadnezars am Euphrat, also etwa um 300 v. Chr., der Tempel des Bêl als Heiligtum aufhört zu existieren. Hellenistischer Einfluss lässt sich allenthalben spüren, an den Mustern von Friesen, an dem Medusenhaupte auf einer schönen braunemaillierten Lampe (Abb. 17), an den gefälligen Formen von dünnwandigen Terrakotta-Vasen, an eigentümlichen langstieligen Vasen, Fläschchen, Schalen usw. aus Glas, an rhodischen Krügen mit griechisch gestempelten Henkeln, an den häufiger werdenden _hohlen_ Terrakotten mit einem Überzug aus weisser Paste, den faltigen Gewändern der Frauen, den erotischen Darstellungen, selbst an dem Spielzeug der Kinder und den Klappereiern (Hühner, Trommeln, Puppen u. s. w.) der Säuglinge. [Illustration: Abb. 17. Braunemaillierte Tonlampe mit dem Haupt der Medusa.] Neue Götter mit ihren fremdländischen Kulten verdrängen die alten Sitten und Gebräuche. Seleucia am Tigris tritt an die Stelle von Babylon, und auf den Trümmern uralter Tempel erheben sich drohende Festungen und Paläste. Die Seleucidenherrschaft geht schnell zu Ende. Parthische Reiterscharen durchschwärmen die Ebene von Sumer und Akkad. Mehr denn 400 Jahre lang werden die Arsacidenfürsten die Erben des grossen Macedoniers. Noch einmal macht sich ein gewisser Wohlstand im Lande geltend. Die alten Ruinen werden nach Schätzen fleissig durchwühlt. Ausgedehnte Ansiedelungen und imposante Bauten bedecken sämtliche Trümmerhügel des alten Nippur. Eine kurzlebige Kunst und Zivilisation erblühen, zusammengeschweisst aus griechisch-römischen und orientalischen Elementen, -- das letzte Aufflackern eines abgebrannten Lichtes vor seinem schliesslichen Erlöschen. Der Etagenturm des Bêl ist durch vier gewaltige Seitenflügel erweitert und in eine fast uneinnehmbare Citadelle verwandelt. Ein 21 m tiefer Brunnen, durch die kompakte Masse gegraben, versorgt die Besatzung mit Wasser. Aus drei Jahrtausenden zusammengewürfelte Backsteine der Könige Ur-Gur (ca. 2700 v. Chr.), Kadaschman-Turgu (ca. 1300 v. Chr.) und Aschurbânapal (668-626 v. Chr.) bilden seine Umrahmung. Und rings um dieses weit in die Lande schauende Bollwerk gruppiert sich ein verhältnismässig wohlerhaltener Palast. 18 m hoch und (je nach der Höhe) 9 bis 12 m dick stehen die äusseren Mauern noch da. Über dem alten Eingang des Tempels erhebt sich ein massiver Turm zum Schutze der Bewohner. Die steil in die Ebene abfallende westliche Ecke ist von den winterlichen Regen zum grössten Teil hinweggeschwemmt und vernichtet. [Illustration: Abb. 18. Grundplan der ausgegrabenen Teile der Partherfestung.] Gleich dem darunter liegenden babylonischen Heiligtume bestand dieser umfassende parthische Bau (Abb. 18) aus zwei aneinander grenzenden Höfen. Der südliche ist auf dem Plane unten nur eben angedeutet. Die äussere Befestigungsmauer des nördlichen Hofes, etwa 168 m lang, war auf drei Seiten mit Baracken für die Soldaten, mit Gefängnissen und Kornspeichern dicht besetzt. Durch einen Korridor von der ersten Mauer getrennt, erhob sich eine zweite von ungleicher Stärke. Unmittelbar dahinter befinden sich (mit C angedeutet) die Wirtschaftsräume und die Zimmer der Dienerschaft, welche durch eine parallel mit der Front des alten Etagenturmes laufende, gut kanalisierte Strasse (2) im NO. von den grossen Empfangszimmern des Kommandanten (B), im NW. dagegen vom Harem oder den Familiengemächern (A) getrennt waren. Etwa zwei Drittel vom ganzen Komplexe sind untersucht worden. Der Haupteingang war zweifellos nahe der noch nicht genügend durchforschten nördlichen Ecke. Reste einer in etwas anderem Winkel zum Etagenturm gerichteten älteren (Seleuciden?) Festung -- im Plane durch I gekennzeichnet -- liegen 1½ bis 2 m unterhalb dieses parthischen Palastes. Dreimal wurden die Türen und Wände der Zimmer und Korridore des jüngeren Baues wegen der ständig wachsenden Schmutzablagerungen beträchtlich erhöht, wie dies aus den erhaltenen oberen Resten der Prüfungssäule noch einigermassen hervorgeht, so dass vier Perioden in genannter Festungsanlage mit Sicherheit nachgewiesen werden können. Die für diese ganze Zeit von 4-500 Jahren charakteristischen Formen von Terrakotta-Vasen werden durch die beifolgende Illustration im grossen und ganzen veranschaulicht (Abb. 19). [Illustration: Abb. 19. Terrakotta-Vasen aus parthischen Gräbern.] [Illustration: Abb. 20. Grundplan eines parthischen Palastes auf der Westseite des Chebar.] Aus derselben Zeit stammt ein aus ähnlichem ungebranntem Material erbauter, nur etwa 40 Räume und Hallen umfassender kleinerer Palast. Er bedeckt eine Grundfläche von 51 m im Quadrat und liegt auf der westlichen Seite des Chebar. Der absolut unbabylonische Charakter dieses von Peters seltsamerweise für kassitisch erklärten Gebäudes springt beim ersten Blick auf seinen Grundriss von selbst in die Augen (Abb. 20). Die klare und regelmässige Einteilung des ganzen Komplexes -- rechts der Säulenhof, Altar und die grosse Empfangshalle für die Männer, links die nach demselben Prinzip angelegte Abteilung für die Frauen und Dienerschaft -- die methodische Gruppierung der einzelnen Zimmer um zwei Lichthöfe, die reichliche Verwendung der nach oben zu sich verjüngenden Backsteinsäule als wesentlichen dekorativen Elementes, ein ausgesprochener Geschmack und Schönheitssinn in Bezug auf Grössenverhältnisse, das offenbare Streben nach Einheit trotz aller gewahrten Rücksicht auf Bequemlichkeit sind weit mehr charakteristische Züge etwa der griechischen Häuser auf Delos als der meist von ganz anderen Gesichtspunkten aus zu beurteilenden Lehmbauten des alten Babylonien. Der Grundstein dieses hellenistischen Palastes lag denn auch etwas über 12,5 m über dem Niveau der heutigen Ebene. Nur halb so hoch und halben Weges zwischen dem Shaṭṭ en-Nîl und dem Etagenturme gelegen, befand sich ein ebenfalls der Partherperiode angehöriger kleiner Tempel. Er war ursprünglich ein Kuppelbau nach Art der bekannten Turben und Heiligengräber der islamischen Länder. Seine mit Stuck bedeckten vier Wände waren in der Mitte durchbrochen, und seine Ecken in altbabylonischer Weise nach den vier Himmelsgegenden gerichtet. Der Altar erhob sich wie ein kleiner Etagenturm in vier Stufen aus einer niedrigen Aschenschicht auf der südöstlichen Seite, jedenfalls damit die Strahlen der Sonne ihn zu einer bestimmten Tages- und Jahreszeit in Verbindung mit dem Kultus voll trafen. Aber verlassen wir die an Interessantem und Lehrreichem nicht minder als an Rätselhaftem noch so reiche Partherzeit. Die Ruhestätten der Toten begegnen uns bereits neben den Wohnungen der Lebendigen, bald in den Abhängen der Hügel, bald unter den Häusern der Bevölkerung, und zwar sind es meistens aus älteren Backsteinen hergestellte Gewölbebauten, welche oft eine ganze Anzahl Leichen bergen. Eines dieser Gräber (unterhalb des Bodens von Zimmer Nr. 3 auf dem Plane der obigen Partherfestung, S. 31) war glücklicherweise der Plünderung in alter Zeit entgangen. Es enthielt reichen Goldschmuck, nämlich zwei ursprünglich die Gesichter der Verstorbenen bedeckende Goldplatten von je ca. 15 cm im Geviert, zwei ca. 30 cm lange Stirnbänder, zwölf Rosetten, vier glockenförmige Ornamente, 48 kleine Goldknöpfe, einen goldenen Ohrring, zwei mit Rubinen und Türkisen besetzte Sandalenschnallen (Abb. 21), Löwenköpfe im Relief darstellend, sowie eine Goldmünze des römischen Kaisers Tiberius, wodurch das Alter des Grabes mit grösserer Sicherheit als gewöhnlich bestimmt werden konnte. [Illustration: Abb. 21. Goldene Sandalenschnalle.] So sinkt denn Bêls Stadt allmählich wieder zu dem herab, was sie zu Anfang ihrer vieltausendjährigen Geschichte gewesen -- _ein weitgestreckter Friedhof_. Mit dem Emporkommen der Sassaniden-Dynastie (226-643) ist die Bedeutung des Ortes vorüber. Die parthischen Paläste verfallen und werden zu Leichenhäusern. Keine ansehnlichen neuen Gebäude entstehen mehr auf den Trümmern der alten. Nur elende Lehmhütten bedecken auch jetzt noch die bedeutenderen Punkte. Wohin der Spaten trifft, sind die oberen 5-30 Fuss Trümmer gefüllt mit sassanidischen Gräbern, bisweilen begleitet von schlechtgravierten Siegelsteinen, geschmückt mit leidlichen Porträtköpfen, schwer zu erratenden Tiergestalten und allerhand phantastischen Pflanzen. [Illustration: Abb. 22. Blauemaillierte Tonsärge mit weiblichen Figuren.] [Illustration: Abb. 23. Sarg gebildet aus zwei Urnen.] Die gewöhnlichste Form der Tonsärge ist die eines niedrigen Schuhes, für die Reichen emailliert, für die ärmeren Klassen einfach gebrannt. Die Oberfläche ist bei den letzteren meist leer, bei der besseren Sorte in Felder geteilt und nur bei Frauensärgen, wie es scheint, gewöhnlich mit einer weiblichen Figur (Abb. 22), bei Männern dagegen gelegentlich mit einem Krieger, einem geflügelten Stiere, einem strahlenumkränzten Kopfe und anderen Darstellungen geschmückt. Um die Leiche mit dem um die Füsse gewundenen Strick in Position zu ziehen -- nicht zum Entweichen der bei der Verwesung sich bildenden Gase, wie man meist angenommen hat --, befindet sich am unteren Ende des meist deckellosen Sarges ein Loch. Daneben finden wir aber auch niedrige trogförmige Särge mit gewölbtem Deckel oder zwei Urnen mit der Innenseite gegeneinander gekehrt (Abb. 23), bei grösseren Personen oft noch durch einen eingeschalteten Terrakotta-Ring erweitert, oder aufrecht stehende Urnen und sogenannte badewannenförmige Särge, in denen das Skelett mit zusammengezogenen Knieen liegt. Fische, Hühner, Datteln, Reis und andere Getreidearten werden in kleinen Vasen oder Schalen als Speise beigefügt, während für den Durst der Abgeschiedenen entweder ein grösserer Krug Wassers oder ein bis auf das Grundwasser hinabreichender Brunnen (Abb. 24) in ausreichender Weise sorgt. Um die Gräber zu drainieren, wurden mit Hilfe von Tonringen oder am Boden durchbrochenen Wasserkrügen lange Röhren gebildet und nicht selten hart neben dem Brunnen (wie im Bilde auf S. 40) bis zu 24 m Tiefe in die altbabylonischen Schichten und den darunter befindlichen jungfräulichen Boden gesenkt. Bisweilen sind diese Röhren durchlöchert und hie und da mit einem glockenförmigen Aufsatze versehen. Wie bereits kurz angedeutet wurde, ist die früharabische Periode mit ihren kûfischen Kupfer- und Silbermünzen und den zahlreichen hebräischen und mandäischen Zauberschalen gerade in Nippur oder, wie der Ort allmählich gesprochen wurde, _Niffer_ und wegen des folgenden Labials schliesslich _Nuffar_, sehr gut vertreten. Ein grösserer Krug mit kurzer arabischer Inschrift gehört ebenfalls diesem allgemeinen Zeitabschnitt an. Das Innere der Zauberschalen ist in der Mitte entweder leer oder mit kabbalistischen Zeichen, umgeben von einer Schlange oder einem einfachen Kreise, noch öfter aber mit einem recht secessionistisch aussehenden Dämon, der uns lebhaft an die Bilderbogen von „Max und Moritz‟ erinnert, geschmückt (Abb. 25), während Lilith und andere böse Geister, welche die Lebenden mit Krankheit und Unglück plagen und die Toten selbst im Grabe noch beunruhigen, „im Namen Jehovahs‟ durch eine spiralförmig die Schale bedeckende Inschrift beschworen werden. [Illustration: Abb. 24. Grab-Brunnen und Drainierungsröhren aus Terrakotta-Ringen.] Aus dem Gesagten wird so viel klar geworden sein, dass im ganzen recht wichtige spätere Ruinen in ausgedehntem Masse die älteren babylonischen Schichten bedecken und dass es uns eben darum ausserordentliche Zeit und Mühe kostet, zu den letzteren vorzudringen, wollen wir nicht einfach in barbarischer Weise die oberen Strata als wertlosen Schutt behandeln und abräumen. [Illustration: Abb. 25. Hebräische Tonschale mit Dämon.] Es kann nun nicht meine Aufgabe sein, im knappen Rahmen eines Vortrags alle die neun _semitisch-babylonischen_ Perioden, welche in 4½-6 m hohen Trümmern übereinander lagern, einzeln durchzusprechen. Auffallend dürfte es zunächst erscheinen, dass bei einem so grossen Zeitraume von rund 3500 Jahren, welcher hier räumlich zur Darstellung gelangt, verhältnismässig so geringe Schuttablagerungen zwischen den einzelnen durch den Tempelplatz sich hinziehenden Plattformen vorhanden sind. Betrachten wir z. B. die drei oberen Backsteinpflaster (Abb. 26), so erkennen wir ohne weiteres aus der daneben stehenden Gestalt des +‘Afeč+-Kriegers, dass der Abstand von der ersten bis zur dritten Plattform nur 1,30 bis 1,60 m beträgt, obwohl die oberste von König Aschurbânapal (um 650), die mittlere von Kadaschman-Turgu (um 1300) und die unterste von Ur-Ninib (um 2500 v. Chr.) gelegt ward, also rund 1850 Jahre reichbewegter babylonischer Geschichte hierin gewissermassen verkörpert sind. Und nicht viel anders verhält es sich mit den darunterliegenden Plattformen Ur-Gurs (ca. 2700) und Sargons I. und seines Sohnes Narâm-Sin (ca. 3750 v. Chr.). [Illustration: Abb. 26. Backsteinpflaster des Aschurbânapal, Kadaschman-Turgu und Ur-Ninib.] Angesichts unseres heutigen archäologischen und historischen Wissens von jener noch vor kurzem so dunklen Periode ist diese Tatsache von keinem grossen Belang mehr. Sie findet jedoch ihre sehr natürliche und einfache Erklärung in dem für die einzelnen Plattformen nachweisbaren Umstande, dass, ehe sie gelegt wurden, alle die schadhaft gewordenen Gebäude und Schuttablagerungen so weit abgetragen wurden, als für eine gleichmässige Fundierung und die Sicherheit der neuen Plattform nötig war. Im Lichte des von Nebukadnezar und Nabonidos so oft betonten Prinzipes, dass ein restauriertes Heiligtum nur dann eine der Würde der Gottheit entsprechende Kultusstätte sein kann und ihres besonderen Schutzes und Wohlwollens sich erfreut, wenn die neuen Mauern genau den Umrissen der alten folgen, erscheint es nicht wunderbar, dass auf Grund meiner Untersuchungen zu Nippur der eigentliche Tempelplatz zu allen Zeiten während dieser 3500 Jahre dieselbe Grösse gehabt hat. Da es aber der erste methodisch blossgelegte Tempel Babyloniens ist und derselbe noch dazu das bedeutendste Heiligtum des ganzen Landes aus ältester Zeit repräsentiert, dürften einige allgemeine erklärende Bemerkungen am Platze sein. Der Tempel des Bêl (Abb. 27), keilschriftlich Ekur „Berghaus‟ genannt, bestand aus zwei grossen Höfen, einem inneren (A) und einem äusseren (B), beide verbunden durch ein monumentales Tor (2). Schwarz gezeichnete Mauern auf dem beifolgenden Grundplane sind durch die Ausgrabungen festgestellt, schraffierte von mir mit grosser Wahrscheinlichkeit ergänzt worden. Der innere Hof enthielt zwei Hauptgebäude, links den in seinen Trümmern noch etwa 30 m ansteigenden Etagenturm, ursprünglich mit einem Schrein für Bêl auf der höchsten Spitze, und rechts davon das nur erst in seinen Umrissen festgestellte eigentliche „Haus des Bêl‟, in welchem „der Vater der Götter‟ mit seiner Gemahlin residierte, wo die Weihegeschenke der Grossen des Reiches deponiert und die Hauptopfer ihren Gottheiten dargebracht wurden. Ein kleineres Tor führte hinter dem Turme auf den angrenzenden offenen Platz. Rechts vom Haupttore (2) ist das von den Elamiten geplünderte Schatzhaus und Tempelarchiv (4). Zwischen dem eigentlichen Haupttempel des Bêl und dem Archiv befanden sich mehrere Wasserbecken und eine fast meterhohe Doloritvase des Priesterfürsten Gudea von Lagash. Sie dienten Kultuszwecken wie das einst rechts an der Mauer befindliche und von Bur-Sin von Ur, ca. 2600 v. Chr., gestiftete „Haus für Honig, Milch und Wein‟ -- drei bei den Opfern eine wesentliche Rolle spielenden Flüssigkeiten. [Illustration: Abb. 27. Grundplan des Bêl-Tempels zu Nippur. Rekonstruiert von Hilprecht, gezeichnet von Fisher.] Aus einer der Tempelbibliothek entnommenen Tafel erfahren wir, dass ausser Bêl und Bêltis wenigstens 24 andere Götter ihre Schreine und Kapellen im Tempel zu Nippur hatten. Da „die Stadt des Bêl‟ als Sitz des Königreichs der vier Himmelsgegenden, welche der oberste Gott seinem irdischen Repräsentanten in seinem Heiligtum am Chebar verlieh, mehr als irgend ein anderer Ort des gesamten Reiches das politische Auf und Nieder Babyloniens widerspiegelte, so ist es von vornherein selbstverständlich, dass auch die Anzahl dieser Nebengebäude und Kapellen fortgesetzten Schwankungen unterworfen sein musste. Wo aber haben wir alle diese 24 Tempelchen zu suchen? Da bereits im zweiten Jahre unserer Expedition durch einen Versuchsschacht ein kleiner besonderer Tempel des Bêl, genannt +E-schagģulla+-Bur-Sin („Haus der Herzensfreude Bur-Sins‟), direkt dem Etagenturme gegenüber (1) in dem von mir während der letzten Kampagne als äusserer Tempelhof fixierten Teile der Ruinen blossgelegt wurde, und da an und für sich der innere Tempelhof für so viele Kapellen keinen genügenden Raum bot, noch auch bei unsern Ausgrabungen daselbst irgend welche Spuren grösserer Anlagen gefunden wurden, so dürfen wir mit ziemlicher Sicherheit schliessen, dass sie alle im äusseren Hofe lagen. Zu diesem hatten offenbar die vom Allerheiligsten des Tempels ausgeschlossenen Durchschnittspilger freien Zutritt, wenn sie in grossen Scharen nach Art der heutigen Mekkapilger zu gewissen Zeiten nach dem berühmtesten Heiligtume Babyloniens strömten, um ihre Gebete an geweihter Stelle zu verrichten und ihre Opfergaben daselbst niederzulegen. [Illustration: Abb. 28. Westecke der ersten Etage des Turmes von Nippur.] Wie viele Etagen der himmelanstrebende Turm ursprünglich gehabt hat, lässt sich wegen der in der Partherzeit daran vorgenommenen Veränderungen mit Sicherheit nicht sagen. Das unterste, von Kadaschman-Turgu um 3½ m nach N.O. hin erweiterte und von Aschurbânapal zum letzten Male restaurierte Stockwerk war etwas über 6 m hoch (Abb. 28). Spuren von zwei weiteren Etagen wurden im Innern der darüber lagernden Masse mit grosser Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, während zu gleicher Zeit an den beiden Schmalseiten des rechteckigen Turmes die gewaltigen Abzugskanäle von Haynes blossgelegt wurden, welche die in ihrem Kerne aus ungebrannten Ziegeln erbaute Stufenpyramide gegen die verheerenden Folgen der winterlichen Regen schützten (Abb. 29). [Illustration: Abb. 29. Abzugskanal in der Südwestseite des Etagenturmes.] Die hauptsächlich in beiden Tempelhöfen gefundenen Weihegeschenke aus der Zeit ca. 4000-2500 v. Chr. sind leider oft recht fragmentarisch, weil die um die Mitte des dritten Jahrtausends plündernd in Babylonien einfallenden Horden der Elamiten, welche gemäss 1. Mose 14 ihre Streifzüge bis zur Küste des Mittelmeeres ausdehnten, in ganz fürchterlicher Weise in den Heiligtümern von Sumer und Akkad hausten. Gold und Silber und besonders hervorragende Kunstwerke schleppte man in die Berge nach Susa, wo die französische Expedition unter de Morgan und Scheil sie mit grossem Erfolge aus den untersten Schichten wieder zu Tage zu fördern begonnen hat. Vasen und wertlosere Weihgeschenke, welche den Namen des verhassten Nationalgottes der Babylonier trugen, wurden zerbrochen oder verstümmelt, Tempelarchiv und Bibliothek ausgeräumt und ihr Inhalt an den Mauern zertrümmert. Dadurch haben diese uralten Erbfeinde babylonischer Kultur ihre Schreckenswirtschaft bis in die jetzige Zeit hineingetragen. Meine beste Zeit geht damit verloren, mühselig zusammenzusuchen und zu entziffern, was elamitischer Vandalismus und Rachesucht vor mehr denn 4000 Jahren in Stücke schlugen. [Illustration: Abb. 30. Votivplatte aus Lapislazuli.] Weit besser erhalten sind die zahlreichen Votivsteine, Rechnungslisten und Briefe aus der Zeit der Kassitenkönige (2tes Jahrtausend), welche bekanntlich das Pferd, Lapislazuli und chemisch äusserst reinen Magnesit in grösseren Massen, samt einer Imitation des ersteren aus gefärbtem Glas -- das älteste bisher bekannte Glas im Gebiete des Zweistromlandes -- aus den östlichen Bergen in Babylonien einführten. Aus den etwa 18000 beschriebenen Denkmälern jener Zeit mögen drei Beispiele den allgemeinen Charakter derselben illustrieren. Da ist zunächst als Repräsentant einer ganzen Anzahl ähnlicher Antiquitäten eine kleine dünne Lapislazuli-Scheibe zu nennen. Sie trägt die kurze Votivschrift (Abb. 30): „Dem Gotte Ninib, seinem Herrn, hat Kadaschman-Turgu, der Sohn des Nazi-Maruttasch, eine Scheibe aus poliertem Lapislazuli anfertigen lassen und für Erhaltung seines Lebens geschenkt‟. Oder wir erwähnen eine fragmentarische Votivaxt des Nazi-Maruttasch selbst aus gefärbtem Glas mit hochpoetischem rhythmischem Schlusse, in dem offenbar ein Reim beabsichtigt ist. Die Inschrift lautet, soweit als erhalten, in babylonischer Sprache und Übersetzung wie folgt: 1. ...... 1. Dem Gotte ... 2. +Nazi- Maruttasch+ 2. hat Nazi-Maruttasch, 3. +mâr Kurigalzu+ 3. Sohn des Kurigalzu 4. +ikribischu ana scheme+ 4. auf dass er sein Gebet erhöre, 5. +teslîssu magâri+ 5. seinem Flehen willfährig sei, 6. +unnenischu leḳê+ 6. seinen Ruf um Gnade annehme, 7. +napischtaschu naṣâri+ 7. sein Leben beschirme 8. +ummischu urruke+ 8. und lange mache seine Tage 9. ...... 9. [eine Votivaxt aus poliertem (imitiertem) lapis lazuli geschenkt]. Von den vielfach vorzüglich erhaltenen Rechnungslisten aus jener für das ganze West-Asien so bedeutungsvollen Zeit, als diese fremdländische Dynastie ein halbes Jahrtausend den Thron Babyloniens inne hatte und das uralte Heiligtum des Bêl von Nippur auf Kosten des jüngeren Merodach von Babylon noch einmal in den Vordergrund des religiösen und politischen Lebens stellte, möge wenigstens eine grosse Einkommentafel des Tempels unsere Beachtung finden. Sie ist wie Tausende ähnlicher Dokumente durch gerade Linien nach den Monaten in vertikale und nach den zahlenden Personen in horizontale Felder abgeteilt. Die ersten 6 Spalten geben die Einnahmen von Datteln für die ersten 6 Monate, die etwas breitere 7. Spalte die zusammenaddierten Summen des ganzen ersten halben Jahres an. Die 8.-13. Spalte bringen die Einzelposten für Juli bis inkl. Dezember nach unserer, oder von Tashrîtu bis Addar (Mitte Sept.-Mitte März) nach babylonischer Ausdrucksweise. Die 14. Kolumne enthält die Summen des zweiten Halbjahres, die 15. Kolumne die Totalsummen der Einkünfte des ganzen Jahres, die 16. Kolumne einen Registraturvermerk und die letzte und breiteste Kolumne die Namen der zahlenden (in anderen Texten empfangenden) Personen. Mit den Amarna-Tafeln sind diese in mehr denn einer Hinsicht interessanten 18000 Nippur-Texte unsere Hauptquelle für eine der dunkelsten Perioden babylonischer Geschichte. Wir dürfen mit Recht noch bedeutende Aufschlüsse von dem noch fast ganz unpublizierten Material, namentlich für die internen Verhältnisse des Landes erwarten. [Illustration: Abb. 31. Ausgrabungen im Innern des Tempelhofes zu Nippur.] [Illustration: Abb. 32. Torso einer Dolerit-Statue.] Die älteren Kunstdenkmäler aus dem 3. und 4. Jahrtausend sind namentlich durch Grabungen der dritten und vierten Kampagne bedeutend vermehrt worden. Sie entstammen der Regel nach einer verhältnismässig flachen Schicht, nämlich den Trümmermassen des Tempelhofes zwischen der dritten und vierten Plattform (Abb. 31). Eines der grössten und besterhaltenen Werke ist der Torso einer Statue in Dolerit, ⅔ Lebensgrösse, ca. 2700 v. Chr. Im Gegensatz zu den bekannten Tellôstatuen ist der Priesterfürst hier bärtig und mit Hals- und Armschmuck dargestellt. Er ist offenbar ein Semit. Der Bart zeigt bereits (Abb. 32) die aus den spätassyrischen Monumenten des 9.-7. Jahrhunderts wohlbekannte konventionelle Wiedergabe des Flechtens. Im übrigen bewundern wir den ersten schüchternen Versuch des babylonischen Künstlers, die Falten des nachlässig umgeworfenen Shawls zum Ausdruck zu bringen, das Anschwellen der Muskeln am rechten Oberarm und die sorgfältig ausgearbeiteten Nägel der schlanken Finger. Um etwa 100 Jahre älter ist der mit der wollenen Kopfbedeckung geschmückte Marmorkopf eines sumerischen _patesi_ aus dem Süden (Abb. 33). [Illustration: Abb. 33. Marmorkopf eines sumerischen Priesterfürsten. (ca. 2800 v. Chr.)] Doch wir dringen noch tiefer in die semitischen Schichten hinab und rufen endlich, nachdem wir die nahezu 2½ m dicke Plattform Ur-Gurs durchbrochen haben, mit Belsazars Vater, Nabonidos, dem Archäologen auf babylonischem Königsthrone, aus: „Was Jahrtausende lang kein König unter den Königen geschaut, -- die alten Urkunden König Sargons von Akkad, sahe ich.‟ Wir stehen vor der Blütezeit babylonischer Kunst, an der Schwelle des 5. und 4. vorchristlichen Jahrtausends. Die Eleganz und Regelmässigkeit der Schriftzüge, welche die Backsteinstempel Sargons (Abb. 34), ja alle Keilschrifttafeln seiner Periode charakterisieren, finden wir in demselben Masse erst bei Aschurbânapal, etwa 3000 Jahre später, wieder. Der semitische Usurpator Sargon I. fasste zusammen, was die alten sumerischen Meister in Stein, Erz und Ton geleistet hatten, ehe es unter den Wirren einer unruhigen Zeit und den Kämpfen mit neu auftretenden Völkerstämmen nur zu bald wieder verloren ging. [Illustration: Abb. 34. Backsteinstempel Sargons I.] Ich kann die semitische Periode nicht verlassen, ohne mit einigen Worten wenigstens den Inhalt der berühmten Tempelbibliothek zu skizzieren. Wie zu Anfang dieses Vortrags angedeutet wurde, ist es mir gelungen, in dem dreieckigen Hügel auf der Südseite des Tempels mit seiner durchschnittlichen Erhebung von fast 8 m die Existenz von zwei übereinander liegenden Bibliotheken nachzuweisen. Wertvoll wie die spätere und weit kleinere Tafelsammlung zweifellos ist, da sie Stücke aus mehr denn 3 Jahrtausenden enthält, die zum Teil schon als Fragmente von den Priestern der neubabylonischen Zeit methodisch ausgegraben wurden, ist sie doch an Bedeutung und Vielseitigkeit des Inhaltes vollständig in den Schatten gestellt durch die 23000 Texte der älteren Bibliothek, welche bereits 200 Jahre lang in Trümmern lag, ehe Hammurabi wieder Ruhe und Ordnung im Reiche herstellte. Mit wie lebendigem Interesse die spätbabylonischen Gelehrten nicht nur, wie eben angedeutet, selbst ausgruben, sondern auch auswärtige Ausgrabungen wie die des Königs Nabonidos in Sippar und Akkad verfolgten, beweist eine im Besitz der Universität von Pennsylvania befindliche einzigartige Antiquität. Es ist eine aus feingeschlemmtem, aber ungleichmässig gebranntem Ton hergestellte Tafel, an den beiden Längsseiten leicht gebogen. Auf der einen Breitseite steht in umgekehrter erhabener Schrift eine uns bereits aus Nippur wohlbekannte Inschrift des alten Königs Sargon I. (ca. 3800 v. Chr.): „Sargon, der mächtige König der Untertanen des Bêl‟. Auf der Rückseite findet sich in den charakteristischen Schriftzügen des 6. Jahrhunderts als keilschriftlicher Vermerk eingetragen, dass das Ganze der Tonabdruck (_zîpu_) eines im Palaste König Narâm-Sins zu Akkad aufbewahrten Denkmals ist, welches der Schreiber Nabû-zêr-lîschir mit eigenen Augen gesehen hat. Was für ein ausgebildetes archäologisches Interesse im alten Babylonien! Der einzigartige Wert der älteren Bibliothek liegt darin, dass sie uns in den Stand setzen wird, festzustellen, welche Höhe die geistigen Errungenschaften Babyloniens um 2500 v. Chr. erreicht hatten. Die Bibliothek mit der Priesterschule des 3. Jahrtausends zerfiel in zwei scharf gesonderte Abteilungen, eine rein praktische, geschäftlichen Zwecken dienende am Kanal, und eine religiös-wissenschaftliche nahe dem Eingang zum Tempel. Aus leicht erklärlichen Gründen sind die rein geschäftlichen Urkunden der Regel nach aus gebranntem Ton, die literarischen dagegen aus ungebranntem hergestellt. Die ersteren behandeln vorwiegend die weitverzweigte Administration des Tempels, die Einnahmen und Ausgaben, die Zehnten und mancherlei Opfergaben, das Bauen und Ausbessern von Häusern, das Bepflanzen und Bewässern von Grundstücken, den Kauf und Verkauf von Tieren, das Mieten und Vermieten von Sklaven, das Weben von Gewändern und Anfertigen von Schmuck für die Götterstatuen, die täglichen Beschäftigungen der Priester, die Kosten ihrer Unterhaltung und vieles andere. Wir gewinnen aus diesen Urkunden den Eindruck, dass der grosse Tempel des Bêl in manchen Stücken sich nicht wesentlich von den bekannten babylonischen Grossfirmen und Bankhäusern unterschieden hat. Ich erinnere nur an das Haus Egibi und Söhne am Euphrat zur Zeit Nebukadnezars und die Firma Muraschû Söhne zu Nippur in den Tagen Ezras und Nehemias (Abb. 35). [Illustration: Abb. 35. Urkunde mit Siegelabdrücken aus dem Geschäftshause Muraschû Söhne (5. Jahrhundert).] [Illustration: Abb. 36. Grundplan der blossgelegten Zimmer der wissenschaftlichen Sektion der Tempelbibliothek.] Von ungleich grösserem Belang für uns ist die religiös-wissenschaftliche Sektion der Tempelbibliothek mit den Schulräumen, von welcher bis jetzt nur erst 40 Räume, d. h. etwa der 6. Teil der ganzen Abteilung blossgelegt werden konnte. Die auf dem untenstehenden Grundplane als Nr. 1, 2 und 3 (Abb. 36) bezeichneten Zimmer enthielten Keilschrifttafeln zu Tausenden. Nur wenige noch lagen auf den angedeuteten niedrigen Lehmrücken dieser Räume. Andere waren von den vermoderten oder absichtlich zerstörten hölzernen Rücken heruntergefallen. Die meisten befanden sich in wildem Durcheinander auf den Fussböden der Zimmer und den anstossenden Korridoren genau so, wie sie von den barbarischen Gebirgsvölkern vor über 4000 Jahren umhergestreut und zerbrochen waren. Aber nicht nur Menschen hatten hier grimmig gehaust, die ungebrannten Tafeln hatten auch von der Feuchtigkeit und den Salzen des sie umgebenden Schuttes schwer gelitten. Sie waren oft so wenig von dem letzteren zu unterscheiden, dass sie in vorsichtigster Weise einzeln mit dem Messer herausgeschält und ganze mit Tafeln gefüllte Erdklumpen wochenlang zum langsamen Trocknen in unserem Meftûl deponiert werden mussten, bis sie Risse bekamen, und die Schriftstücke als solche erkannt werden konnten (Abb. 37). [Illustration: Abb. 37. Araber, Tafeln der Tempelbibliothek lostrennend.] [Illustration: Abb. 38. Übungstafel: Der Winkkelhaken.] Unter den ausgegrabenen Räumen nehmen die Unterrichtszimmer, in denen die Studierenden die Kunst des Tafelschreibens erlernten und in die einzelnen Zweige babylonischen Wissens eingeführt wurden, eine hervorragende Stelle ein. Ein wunderbares Bild eifrigen Lehrens und Lernens entrollt sich vor unseren Augen. Der Schüler erhielt zunächst Anweisung, wie er Tontafeln anzufertigen hatte. Eine ganze Anzahl zum Teil recht ungeschickt ausgeführter, unbeschriebener Tafeln legt davon Zeugnis ab. Dann ging es an das Einüben der drei Grundelemente, aus denen die Keilschrift besteht. Zunächst wurde jedes für sich (Abb. 38) geschrieben, dann alle drei nebeneinander (Abb. 39) wiedergegeben -- ganz nach der Weise unseres heutigen assyrischen Unterrichts -- bis der babylonische „Professor‟ mit der Leistung zufrieden war. Waren die ersten Schwierigkeiten überwunden, so wurden die einfachen Silbenzeichen ohne Rücksicht auf Inhalt eingedrillt. Der Schüler hatte sie nach einem gewissen Systeme so zusammenzustellen, dass dasselbe Zeichen in erster Stelle beibehalten wurde, und damit zunächst die leichteren und später die mehr komplizierten verbunden wurden. So las ich auf einer dieser Übungstafeln: 1. +ba-a+ 2. +ba-mu+ 3. +ba-ba-mu+ 4. +ba-ni+ 5. +ba-ni-ni+ 6. +ba-ni-ia+ 7. +ba-ni-mu+. Auf einer andern, bereits etwas schwierigeren heisst es: 1. +za-an-tur+ 2. +za-an-tur-tur+ 3. +za-an-ka+ 4. +za-an-ka-ka+ 5. +za-an-ka-a+ 6. +za-an-ka-mu+, usw. Auf einer derselben hatte der Student nicht weniger denn 4 Fehler auf 5 Zeilen gemacht. Ob es dafür Nachsitzen oder den Stock gab, kann ich heute noch nicht verraten. [Illustration: Abb. 39. Übungstafel: Die drei Elemente der Keilschrift.] Es ist natürlich ganz unmöglich, hier auch nur annähernd einen Überblick über den gesamten Unterrichtskursus der „philosophischen Fakultät der Universität‟ Nippur im 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung zu geben. Möglich ist, dass man bereits damals wie zu den Zeiten Daniels (1, 4 und 5) drei Jahre studieren musste. War der Schüler einigermassen mit den Schriftzeichen vertraut, so hatte er grammatische Übungen zu machen, Eigennamen ideographisch und phonetisch, in ihrer vollen und abgekürzten Form, zu schreiben oder wie auf der vorstehenden Übungstafel, zwei Nomina, von denen das zweite zum ersten im Genitivverhältnis steht, nebeneinander zu schreiben (Abb. 40). Er analysierte sumerische Verbalformen, bildete kleinere Sätze, übersetzte in den semitischen Dialekt Babyloniens und legte sich dabei Präparationen an. War der Schüler besonders unwissend -- für unsere Zwecke ein besonders günstiger Umstand --, so schrieb er fast alle im Übungsstücke vorkommenden Wörter auf, so dass wir, ohne das Original zu kennen, den allgemeinen Gedankengang desselben erraten können. [Illustration: Abb. 40. Runde Übungstafel.] Zeichenunterricht wurde ebenfalls erteilt. Ich kenne eine Reihe von Tafeln, auf denen sich gerade und schiefe Linien, Zickzacks, Karos, Lattenmuster und ähnliche Figuren finden. Dann schritt man zum freien Handzeichnen nach Vorlagen und der Natur, wobei unbegabte Schüler sich bisweilen ganz Schreckliches leisteten (Abb. 41). Einige dieser Zeichnungen mögen Karikaturen darstellen. Später ging es ans Modellieren, an Reliefdarstellungen und das Bearbeiten von freistehenden Figuren, ans Gravieren, Siegelschneiden usw. So viel lässt sich schon jetzt klar erkennen, dass man beim Unterricht ganz methodisch verfuhr. Selbst humoristische Darstellungen, die wir bei den alten Babyloniern gar nicht recht erwartet hätten, finden sich vereinzelt unter den ausgegrabenen Gegenständen. Ich weise auf ein der Priesterschule entstammendes Tonrelief hin (Abb. 42), in welchem ein die Laute schlagender Hirt von seinem vor ihm stehenden Hunde, der das Maul weit geöffnet hat, mit langgezogenem Geheul begleitet wird. Der Unterricht im Vermessen und Berechnen von Grundflächen von Feldern, Gärten, Mauern, Kanälen usw. liesse sich an der Hand einer ganzen Anzahl von Tafeln illustrieren. [Illustration: Abb. 41. Zeichnung eines Tempelschülers.] Besondere Aufmerksamkeit wandte man dem Gebiete der Arithmetik, Mathematik und Astronomie zu. Zunächst wurde der Schüler im Gebrauche des Sexagesimalsystems eingedrillt. Auf Abb. 43 heisst es: 60 + 7 × 10 = 2 × 60 + 10; 60 + 8 × 10 = 2 × 60 + 20, etc. In geradezu phänomenaler Weise wurde das Einmaleins geübt. Wir haben eine ganze Menge dieser nach Serien eingeteilten Multiplikationstafeln, darunter mehrere Duplikate. Die beiden hier bildlich vorgeführten (Abb. 44 u. 45) enthalten links das 1 × 6 (bis 60) und rechts das 1 × 9. Ich habe derartige Tafeln bis 1 × 1350 in den Händen gehabt. Viele derselben werden nach Art unserer Logarithmentafeln als „Nachschlagebücher‟ zum sofortigen Ablesen von grösseren Multiplikationsresultaten, namentlich bei astronomischen Berechnungen, benützt worden sein. Denn gerade astronomische Tafeln finden sich zahlreich vertreten. Ich erwähne nur eine sehr detaillierte Angabe über Beobachtungen von Virgo und Skorpion, die, wie viele andere, mit den Worten schliesst: +kiâm nepeschu+, „also ist die Berechnung‟. [Illustration: Abb. 42. Lautenschläger und sein Hund.] [Illustration: Abb. 43. Rechnungstafel.] [Illustration: Abb. 44. Multiplikationstafel.] [Illustration: Abb. 45. Multiplikationstafel.] [Illustration: Abb. 46. Sechseckiges Tonprisma.] Nicht minder wertvoll sind die oft schön erhaltenen zahlreichen altbabylonischen Syllabare und Zeichenlisten mit ihren in kleiner Schrift beigefügten Lautwerten, durch welche wir unsere Kenntnis des Sumerischen bedeutend erweitern werden. Hochwichtig sind ebenfalls die Listen der verschiedenen Masse, die Synonyme ganzer Klassen von Wörtern, die geographischen Verzeichnisse, Pflanzennamen und anderes mehr. Hervorzuheben dürfte sein, dass besonders wichtige Texte auf 4-, 5-, 6- und 8-eckigen Tonprismen eingeschrieben wurden (Abb. 46). Für die Geschichte des 3. Jahrtausends sind eine Reihe chronologisch angeordneter Datenlisten von besonderem Interesse. Die Masse der religiösen, mythologischen und astrologischen Texte liegt noch im dreieckigen Hügel begraben, doch haben wir bereits an 500 sehr grosse, aber darum leider auch recht schadhafte Tafeln dieses wichtigen Literaturzweiges gesammelt. Bis jetzt sind im wesentlichen die Schulräume und die grammatisch-linguistischen und mathematisch-astronomischen Räume ausgegraben. Aus diesem Umstande allein ergibt sich mit Notwendigkeit, dass die Bibliothek nach wissenschaftlichen Prinzipien und Gegenständen geordnet war. Unter den zahlreichen Briefen aus der Zeit der ersten babylonischen und der Kassiten-Dynastien, welche teils der Bibliothek, teils den westlich von Chebar gelegenen Geschäftshäusern entstammen, möge wenigstens eines derselben gedacht werden (Abb. 47). Er befindet sich zur Zeit noch innerhalb seines ursprünglichen tönernen Couverts, das auf jeder der sechs Seiten zweimal mit demselben -- Namen und Beruf des Absenders enthaltenden -- Siegel gesiegelt und auf seiner Vorderseite „an Luschtamar‟ adressiert ist. Eine neue Katastrophe brach über Nippur herein, ehe der Brief abgeschickt werden konnte. Durch meine ermüdenden Arbeiten an der Tempelbibliothek gegenwärtig völlig in Anspruch genommen, habe ich trotz meiner begreiflichen Neugierde noch keine Zeit finden können, das Couvert zu öffnen und in die Privatkorrespondenz des Herrn Luschtamar einzudringen. [Illustration: Abb. 47. Brief im adressierten und gesiegelten Toncouvert. (ca. 2300 v. Chr.)] So steht denn der Tempel des Bêl (Abb. 48) in seiner letzten 4000 jährigen Geschichte vor uns als die zentrale Kultusstätte des älteren Babyloniens, als der Sitz einer einflussreichen Priesterschule und herrlich ausgestatteten Bibliothek und selbst als ein politisch bedeutungsvolles Zentrum, wo der König von Sumer und Akkad, als irdischer Repräsentant des Bêl, von den Händen des Priesterfürsten das „Reich der vier Himmelsgegenden‟ als Gnadengeschenk seines Gottes zu allen Zeiten dieser reichbewegten Geschichte empfing. Es erübrigt sich zum Schluss, noch ein Wort über die älteste vorhistorische oder sumerische Periode des Heiligtums zu sagen. _Wann_ der Übergang von der sumerischen zur semitischen Okkupation sich geschichtlich vollzogen hat, können wir heute nicht mehr, oder vielleicht noch nicht, genau feststellen. Um 4000 v. Chr. sind jedenfalls die semitischen Eroberer bereits im Besitze des Landes. Sobald wir die Plattform Narâm-Sin’s durchbrechen, tritt uns mancherlei Eigentümliches entgegen. An Stelle der quadratischen Backsteine, die unter der älteren Sargon-Dynastie ihre grösste Form in Nippur erreichen (circa 40-50 cm), um nicht lange danach die bis zu den Tagen Aschurbânapals und Nebukadnezars, also mehr denn 3000 Jahre hindurch sich haltende konstante Grösse von 30-33 cm zu erreichen, treten in vier leicht nachweisbaren vorsargonischen Schichten sogenannte plano-konvexe Backsteine, d. h. rechteckige (in den ältesten Formen aber an den Ecken abgerundete) Backsteine mit flacher Unterfläche und mehr oder minder stark gewölbter Oberfläche (Abb. 49). Die letztere hat oft einen bis zwei Fingereindrücke oder (resp. und) einen oder mehrere mit dem Finger oder einem Schilfblatt gezogene Längsstreifen. Sie ähneln in ihrer ältesten Form (17-20 cm lang) roh bearbeiteten Steinen, als deren Nachahmung sie offenbar zu gelten haben (vgl. 1. Mose 11). In Übereinstimmung mit der Angabe in dem eben citierten Kapitel der Bibel ist Erdpech fast ausschliesslich das älteste Bindemittel in den Bauten der untersten Schichten Nippurs. Dabei ist es nicht zufällig, dass der älteste Gebrauch gebrannter Backsteine in Babylonien sich in Verbindung mit den für das Leben und Gedeihen im Innern des Landes so wichtigen Brunnen und Cisternen nachweisen lässt, und dass das Bild für Backstein offenbar mit der eigentümlichen Art und Weise, in welcher die Backsteine jener ältesten Brunnen gelegt wurden -- in der Architektonik als „Häringsgrätenart‟ bekannt -- zusammenhängt. [Illustration: Ab. 48. Der Tempel des Bêl (nach der Rekonstruktion von Hilprecht und Fisher).] [Illustration: Abb. 49. Vor-Sargonischer plano-konvexer Backstein.] Fragen wir nun, was enthalten diese prähistorischen Strata des Tempelbezirks, in deren untersten 3-4 m der gebrannte Backstein eine noch völlig unbekannte Grösse ist, während das Brennen von Tonwaren längst geübt wurde, so haben wir zu unterscheiden zwischen dem Tempel selbst und seiner Umgebung. Durch eine Reihe von Stollen, die in das Innere des Etagenturmes geschlagen wurden, stellte ich zunächst fest, dass 4.20 m innerhalb der von Ur-Gur um 2700 v. Chr. erbauten Front der unteren Stufe der Pyramide ein tief abwärts gehender uralter sumerischer Turm begraben liegt, dass also die Sumerer, nicht die Semiten als die Erfinder dieser eigenartigen Etagentürme zu betrachten sind. Zu diesem Resultat war ich bereits früher geführt durch die Erwägung, dass alle jene Türme bemerkenswerte sumerische Namen tragen, und dass die älteren Tellôinschriften solche Türme bereits zu kennen schienen. Die noch erhaltene niedrige Umfassungsmauer des ältesten heiligen Bezirkes von Nippur umschliesst eine bedeutend kleinere Fläche als die spätere starke Befestigungsmauer desselben. In geradezu wunderbarer Weise ward das Heiligtum drainiert. Vier und ein halb Meter unterhalb von Narâm-Sin’s Plattform machte die Expedition eine wahrhaft epochemachende Entdeckung, deren ganze Tragweite sich mir erst während der letzten Kampagne erschloss. Direkt unter der Umfriedungsmauer mündete ein ca. 1 m hohes Gewölbe, in regelrechter Bogenform erbaut, aus (Abb. 50). Es gehört zweifelsohne in das 5. Jahrtausend und liefert durch die blosse Tatsache seiner Existenz eine weltbeschämende stumme Kritik der Drainierungsverhältnisse der meisten unserer grossen europäischen Städte im 20. nachchristlichen Jahrhundert. Man hatte im „Königreiche des Nimrod‟ nicht nötig, das Strassenpflaster jedesmal aufzureissen, wenn irgendwo im Boden eine Röhre geplatzt war. Denn die Anlage ist nicht ein blosser unterirdischer Kanal für Abzugswasser, sondern ein gewölbter Gang, in dessen Boden in Cement eingelassen, wie im Bilde deutlich erkennbar, zwei Tonröhren von ca. 15 cm Durchmesser nebeneinander gebettet lagen. Platzte eine derselben, so betrat ein Arbeiter in gebückter Stellung das Gewölbe und besserte ohne weitere Schwierigkeit den Schaden aus. Warum 2 Röhren? Offenbar um das Wasser, das an der gemeinsamen SO.-Ecke des Turmes in das Gewölbe einmündete, von zwei verschiedenen Richtungen her abzuleiten. Etwa 500 in der Nähe gefundene Knie- und T-Stücke (Abb. 51) belehren uns, dass man auch rechtwinkelig sich treffende Abzugsröhren in unserer heutigen Weise damals zu vereinigen wusste. [Illustration: Abb. 50. Der älteste Bogen Babyloniens.] [Illustration: Abb. 51. Knie- und T-Stücke aus Terrakotta.] [Illustration: Abb. 52. Marmorkopf eines Sumerers.] Die Kunst jener uralten Periode lassen Sie mich wenigstens an der Hand zweier Denkmäler vor Augen führen. Der zunächst folgende Marmorkopf gehört einem Volke an, das Kopfhaar und Bart rasierte (Abb. 52). Solche leider oft verstümmelte Prachtstücke sind in Nippur, Tellô und anderen älteren Ruinen gefunden worden. In einem Exemplare aus Nippur hat der Künstler das Weisse des Auges durch Muschel, die Pupille durch braunen Stein und die Augenlider und Augenhaare durch eingelegtes Silber in entsprechender Weise hervorgehoben. Das andere Denkmal ist der bereits berühmt gewordene wunderbare Bronzekopf einer Ziege mit gewundenen Hörnern aus Fâra (in einem fast lebensgrossen und einem etwas kleineren Exemplar vorhanden) (Abb. 53). Da man Zinn offenbar nur erst wenig oder noch gar nicht kannte, wurde die nötige Härte und Behandlungsfähigkeit des Kupfers durch einen Zusatz von Antimon erreicht. Die Augen und Ornamente am Kopfe des Tieres sind ebenfalls durch eingelegte Muscheln und Steine in scheinbar spielender Weise hergestellt. [Illustration: Abb. 53. Ziegenkopf aus Fâra.] Eine wie lange historische Entwicklung vorauszusetzen ist, ehe man derartige Kunstwerke im 5. Jahrtausend zu schaffen im stande war, entzieht sich zur Zeit noch unserem Urteil. Die hohen Errungenschaften jener Periode auf dem Gebiete der Technik und Wissenschaft, das hochentwickelte Schriftsystem, dessen einzelne Zeichen ursprünglichen Bildern meist schon sehr fern stehen, der sichtbare Verfall der Sprache, in der ursprünglich ganz verschieden ausklingende Wurzeln nach Abschleifung der Endkonsonanten bereits in auffälliger Weise zusammengefallen sind, werden es kaum zu hoch erscheinen lassen -- und Anthropologen werden nicht mit Unrecht ob dieses geringen Ansatzes lächeln --, wenn ich angesichts der unterhalb des Bogens befindlichen weiteren 4.5 m Trümmer für eine derartige Entwicklung aus den ersten Anfängen menschlicher Zivilisation 1000-2500 Jahre ansetze. [Illustration: Abb. 54. Vor-Sargonischer Tonbecher.] Als wir ausserhalb der Umfriedungsmauer des Heiligtums bis zu dem Wasserspiegel hinabdrangen, stiess ich allenthalben auf Vasenscherben (Abb. 54), horizontale und vertikale Abzugskanäle, Asche und andere Verbrennungsreste. Daneben fanden sich trotz des gewaltigen Druckes der Jahrtausende lang darüber liegenden Masse eine ganze Reihe prächtig erhaltener Urnen. Es war die Feuernekropole der um den Tempel ihres Gottes im langen Schlafe ruhenden Sumerer (Abb. 55). Was, so fragen wir im gerechten Erstaunen, war dann die ursprüngliche Bedeutung des Etagenturmes von Nippur? Der erste seiner vier Namen bezeichnet ihn als +Imcharsag+, „Windberg‟, auf dem der Herr (+en+) des Windes (+lil+), des Sturmes und Blitzes, d. h. +Enlil+, der Gott der atmosphärischen Erscheinungen, mit dem der semitische Bêl („Herr‟) später identifiziert wurde, thront, von dem herab er seine Donnerkeile, mit welchen er oft dargestellt wird, auf die Erde schleudert. Als Orakelstätte für die Menschen heisst der Turm +Esagasch+, „Haus der Entscheidung‟. Als tief in die Unterwelt hinabdringend, wo nach sumerischer Anschauung die abgeschiedenen Geister im Hades wohnen, und in deren Nähe man demgemäss die Toten beerdigte, wird er auf einer Inschrift +Egigunû+, „Haus des Grabes‟, d. h. _pars pro toto_, „Haus der Unterwelt‟ bezeichnet. Der vierte zusammenfassende Name benennt ihn +Duranki+, „das Band Himmels und der Erde‟. Der Etagenturm ist demgemäss nichts anderes als die Darstellung einer kosmisch-religiösen Idee, die lokale Repräsentation des grossen mythologischen Götterberges, den sich die alten Babylonier im fernen Norden aus der Unterwelt zur Erde emporsteigend und bis in den Himmel hineinreichend (vgl. 1. Mose 11) dachten -- eine Art Olymp, auf dem die Götter als „Kinder des Bêl‟ geboren waren, der aber nach seiner anderen Seite in einem späteren Texte geradezu als +schad Aralû+, „Berg der Unterwelt‟ bezeichnet wird. [Illustration: Abb. 55. Vor-Sargonisches Grabgemach mit Totenurnen. (Im Vordergrund die alte Umfassungsmauer des Tempels.)] Der Turm des Enlil erscheint daher in der ältesten sumerischen Periode in seinem oberen Teile als die Wohnstätte des im Himmel thronenden „Vaters der Götter‟, in seinem mittleren als Kultusstätte der auf der Erde wohnenden Menschen, und in seinem in den Hades hinabreichenden unteren Teile als ein Platz, um den die Toten ruhen -- eine wahrhaft grossartige Auffassung eines Heiligtums in der ältesten babylonischen Geschichte, die bis zu einem gewissen Grade sich bis in die jüngste Zeit hinein in den von Friedhöfen umgebenen christlichen Kirchen erhalten hat. Erst unter den semitischen Eindringlingen Babyloniens scheint es nach unserer jetzigen Kenntnis wie in der Wissenschaft und Kunst, so in der Religion abwärts gegangen zu sein. Nach Sargons I. Zeit hören in Nippur (bis zur Partherperiode) ganz unvermittelt die Begräbnisse in der Umgebung des Tempels auf. Trotz allem, was man darüber geschrieben hat, und trotz einiger keilschriftlicher Hinweise auf Königsgräber, wissen wir durch die Ausgrabungen noch nicht, wo und wie die semitischen Bewohner Babyloniens ihre Toten beerdigten. In Lagasch (Tellô), wo sich offenbar die altsumerischen Traditionen mit am längsten erhielten, führt erst Gudea um 2800 v. Chr. die gleiche Reformation wie die Sargondynastie in Nippur durch. Beim Neubau des Tempels werden die alten Grabstätten geschont, aber Neue hinfort nicht mehr geduldet. „Eine Graburne wurde nicht zerbrochen, Gliedmassen (oder Leichenreste) nicht verletzt‟ (Statue B, col. IV, 10); „auf dem Begräbnisplatze der Stadt ... ward ein Leichnam nicht beerdigt‟ (col. V, 2); „eine Klagefrau liess keine Klage [mehr] erschallen‟ (col. V, 4). „Den Tempel des Ningirsu hat er wie Eridu zu einem reinen Orte gemacht‟ (col. IV, 7-9). Aber die neue Rasse mit ihren neuen Sitten und Gebräuchen, ihren neuen Göttern und ihrer neuen Religion, hat, so sehr sie sich auch den alten Kultur- und Kultusverhältnissen Babyloniens anpasste, bald die Bedeutung jener Etagentürme verloren, oder doch wesentlich abgeschwächt und verändert. In Verbindung mit dem Totenkultus ihrer Könige und Heroen sinken sie allmählich zu Grabstätten der Licht- und Sonnengötter herab. Gudea konstruiert das Grabmal seines Gottes Ningirsu im Tempel zu Lagasch; Hammurabi (gemäss der Einleitung seiner neugefundenen Gesetzessammlung aus Susa) bekleidet mit Grün, der Farbe der Auferstehung, „das Grab der Sonnengöttin Ai‟ zu Sippar; und Babyloniens letzter selbstständiger König Nabonidos bezeichnet in einer bislang missverstandenen Stelle den Etagenturm zu Larsa (dem biblischen Ellasar, 1. Mose 14, 1) ausdrücklich als „das Grab des Sonnengottes‟. Die so oft angezweifelten Berichte der klassischen Schriftsteller vom „Turme zu Babel‟, als dem „Grabmale des Bêl‟, ruhen demnach auf authentischen einheimischen Keilschriftquellen. Eine vieltausendjährige Entwicklung haben wir in Eile an unseren Augen vorüberziehen sehen. Ein gewaltiger Wechsel hat sich im Laufe der Zeit in Nippur, in Gesamt-Babylonien vollzogen. Die altsumerische Kunst und Wissenschaft sind unter den semitischen Einwanderern allmählich degeneriert. Wohl kommt es in gewissen national bedeutsamen Epochen zu einer schätzenswerten Renaissance, und es wird in den Tagen der Könige von Ur, eines Hammurabi, der Pasche-Dynastie, eines Aschurbânapal und Nebukadnezar Anerkennenswertes auf vielen Gebieten geleistet. Aber verglichen mit jener hochentwickelten Kultur an der Schwelle des 5. und 4. Jahrtausends sind die neuen Blüten doch nur kümmerliche Nachwüchse einer längst entschwundenen grossen Zeit selbständigen Schaffens. Und nicht viel anders steht es auf dem Gebiete der Religion. Das sumerische Pantheon, aus dem die grosse Göttertrias Anum, Enlil und Enki, und besonders der Enlil von Nippur, als „Vater‟ und „König der Götter‟, bedeutsam hervortritt, hat unter den Semiten einen recht stattlichen Zuwachs erhalten. Seit Sargon I. haben sogar grosse babylonische Herrscher eine ausgesprochene Vorliebe, sich selbst für Götter ihrer Untertanen zu erklären. Ich erinnere an Sargon selbst, an Narâm-Sin, an Gudea, an Dungi und viele andere, welche nach einer gewissen Zeit ihrer Regierung selbst das Götterdeterminativ vor ihren Namen setzten oder von ihren Untertanen gesetzt bekamen, und zu deren Ehren Tempel gebaut und neue Kulte gegründet wurden. Die Stufenpyramiden von Nippur, Larsa, Sippar, Babylon und anderen Städten, einstmals im aufwärts ringenden Streben ihrer Erbauer als „das Band Himmels und der Erde‟ (_Duranki_) oder „die Grundfeste Himmels und der Erde‟ (_Temenanki_) oder ähnlich bezeichnet, sind zu Gräbern des Bêl, Schamasch, Marduk usw. geworden. Eine ganze grosse Nation mit ihrem glänzendem Erbe einer uralten Zivilisation, ihren bewundernswerten Gaben, ihrer geistigen Reife ist untergegangen mit dem Bekenntnis auf den Lippen: _unsere Götter sind tot_ -- ein ergreifendes, ein entsetzliches Bild! Wohl kehren diese Götter mit dem Einzug des Frühlings zeitweilig in die Oberwelt zurück, aber die Totenklage um ihr jährliches Sterben bildet einen wichtigen Teil ihres Kultus, und die gewaltigen Etagentürme, als Göttergräber, geben den Tempeln ihr charakteristisches Gepräge. Dürfen wir angesichts solcher historischen Tatsachen und objektiven Befunde einen _neuen Himmel_ von Babel erwarten, Hilfsmittel für die Beseitigung des _Offenbarungscharakters_ der alttestamentlichen Religion und des _einzigartigen_ Wesens des Gottes Israels? Jesaia weissagte (21, 9): „Babel ist gefallen, sie ist gefallen, und alle Bilder ihrer Götter sind zu Boden geschlagen‟, d. h. in das keilschriftliche Zeugnis der Babylonier übertragen: Die Götter sind gestorben und begraben. Babel und Bibel stimmen also in diesem wesentlichen Punkte ganz merkwürdig überein! Und wie lautet dagegen Israels eigenes Glaubensbekenntnis: „Siehe der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht‟ (Ps. 121, 4) -- geschweige denn dass er stirbt. „Höre Israel, der Herr, dein Gott ist ein einiger Gott‟ (Deut. 6, 4). „So spricht der Herr, der König Israels, und sein Erlöser, der Herr Zebaoth: Ich bin der erste, und ich bin der letzte, und ausser mir ist kein Gott‟ (Jes. 44, 6). Babylonische Götter entstanden im Weltprozess wie andere Wesen und Dinge, wenn wir der keilschriftlichen Schöpfungslegende trauen dürfen: „Als oben der Himmel noch nicht genannt ward, drunten die Feste (die Erde) noch nicht geheissen, da wurden die Götter gebildet‟. Man ist darum ganz konsequent in Babylonien verfahren, dass man dieselben schliesslich auch wieder sterben liess. Nach dem biblischen Berichte aber war es Gott, der am Anfang Himmel und Erde schuf, und der Geist Gottes, der als ewig Gewesener und darum auch ewig Seiender auf den Wassern schwebte. Aber ist diese Einheit aller Götter, _Elôhîm_, dieser Ewig Seiende, _Jehovah_ (_Jahve_) des Alten Testamentes nicht ein recht exklusiver, intoleranter, engherziger Gott Israels, „_der Gott einzig und ausschliesslich_ Israels‟? Ich würde an den Geist von Jonas Mission erinnern und an andere Stellen, um ihn in seinem ganzen Wesen zu erfassen. Aber lassen wir lieber Israels grössten Propheten, Jesaia selbst, reden, der in seinem heiligen Grimme gegen seines Volkes und Gottes Feinde dieselben doch gewiss nicht gerade schonungsvoll behandelte: „In der Zeit wird Israel _selbdritt sein mit den Ägyptern und Assyrern, ein Segen_ mitten auf Erden. Denn der Herr Zebaoth wird sie segnen und sprechen: _Gesegnet bist du, Ägypten, mein Volk, und du, Assur, meiner Hände Werk, und du, Israel, mein Erbe_‟ (Jes. 19, 24 f.). Die Sonderstellung Israels in seinen Tagen gilt dem Propheten also selbst nur als eine historisch bedingte, temporäre. Die an und für sich berechtigte Frage: Ist Jahve wirklich ein spezifisch israelitischer Gott? ist des öfteren schon in früherer Zeit erörtert worden. Man hat naturgemäss seinen Blick auch auf Babylonien zur Lösung gerichtet und neuerdings den kühnen Satz aufgestellt: „Auch hier [im Monotheismus] hat uns Babel in der allerjüngsten Zeit einen neuen ungeahnten Ausblick eröffnet‟. Soll sich doch _Jehovah_ in der zu postulierenden ursprünglichen Aussprache _Jahve_ bereits in Eigennamen der Zeit Hammurabis (d. h. etwa 2300 v. Chr.) bei den um die Mitte des 3. Jahrtausends eingewanderten semitischen Nomadenstämmen finden. Ja, wenn nur diese Deutung so über alle Zweifel erhaben wäre! Aber tatsächlich sind gar mancherlei Lesungen möglich, und die Mehrzahl der Assyriologen, den Vortragenden selbst eingeschlossen, hält jene Erklärung mit Recht für eine recht unwahrscheinliche und gewagte. Und Namen wie „Jahu ist Gott‟ spielen nicht die Rolle bei der Frage, die man ihnen gern zuweisen möchte. Im Gegenteil, man erwartet ihre alte Existenz auch _biblischerseits_. Auch solche Namen wie „Gott hat gegeben‟ (nämlich _der Stammesgott_ der Betreffenden, nicht Gott in unserer Sprachweise, als der Gott des ganzen Universums) sind für die brennende Frage völlig irrevelant. Selbst der von einzelnen Assyriologen vertretene Satz, „dass freie, erleuchtete Geister offen lehrten, dass Nergal und Nebo, Mondgott und Sonnengott, der Donnergott Ramman und alle anderen Götter eins seien in Marduk, dem Gotte des Lichts‟, ist sehr _cum grano salis_ zu verstehen. Der Haupttext, den man dafür ins Feld führt, lässt auch eine andere Erklärung, wenn nicht gar mehrere, zu. Ich selbst fasse _Marduk_ in jener Stelle als _Appellativ_ für „Gott‟, wie _Enlil_ (Bêl) für „Herr‟ (_bêlu_) bei Nebukadnezar, und _Ischtar_ für „Göttin‟ in allbekannten Keilschriftstellen. Ein reiner Monotheismus und eine ganz eigenartige Prophetie, die Stimme des in Israel nie ganz schlummernden Volksgewissens, sind die gewaltige Kluft, die zwischen Israel und den Völkern der antiken Heidenwelt noch immer gähnend klafft, wie sehr das alttestamentliche Volk in seiner äusseren Erscheinung auch alle die Merkmale seiner Rasse und Zeit und tiefgreifende Spuren fremder Beeinflussung aus Babylonien, Assyrien, Arabien, Ägypten und anderswoher trägt. Wir suchen mit Recht das grosse Geheimnis, welches das Volk des alten Bundes gleichsam aus dem historischen Zusammenhange löst und zum Wunder unter den Nationen stempelt, mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln strenger Wissenschaft zu ergründen. Aber ich glaube, der Weg zu dieser Erkenntnis und Wahrheit _führt nicht über Babel_, obwohl wir gerade den babylonischen Keilschriftdenkmälern für sonstige ausserordentlich reiche Förderung unseres Verständnisses des A. T. in der Vergangenheit und zweifelsohne auch in Zukunft zu ehrlichem Danke verpflichtet bleiben werden. Meine eigene Auffassung von dem Gange babylonischer Geschichte und Zivilisation während der letzten 3-4 vorchristlichen Jahrtausende habe ich Ihnen nach meinen 14jährigen archäologisch-historischen Arbeiten auf Grund tatsächlicher Funde unserer Expedition soeben kurz skizziert. Es ist eine Geschichte der Degeneration, welche sich widerspiegelt in dem Worte Jesaias, das ich an die Spitze meines Vortrags stellte: „Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern‟, von der Höhe geistiger Errungenschaften und Erkenntnisse am Anfang deiner Geschichte zu deinem schliesslichen traurigen Untergang! Doch der Fluch wird nicht immer auf dem unglücklichen Lande lasten. Jesaia selbst hat ja eine Wendung verheissen. Und wenn nicht alle Zeichen trügen, steht es bereits am Vorabend einer grossen neuen Entwicklung. Als ich das letzte Mal von der Spitze des Bêl-Tempels die weiten Fluren Babyloniens überschaute, lag es wie eine heilige Stille über der trümmerbesäten Ebene von Sumer und Akkad. Weidende Herden und fröhliches Leben allenthalben! Die Totengebeine des grossen Leichenfeldes begannen sich zu regen und zu sammeln und mit Fleisch und Sehnen zu überkleiden -- Jehovahs lebenspendender Geist wehte leise durch das Land des Bêl. Unzweifelhafte Zeichen einer friedlicheren Entfaltung seiner unerschöpflichen Hilfsquellen machen sich allenthalben bemerkbar. Eine grosse Bewegung und Erwartung geht durch die Stämme des Innern -- wie oft haben sie mir ihr Hoffen erschlossen und nach dem, was sie bewegt, gefragt! -- zum Teil hervorgerufen durch die energischen Massregeln der ottomanischen Behörden in Verbindung mit dem Ankauf und der rationellen Bewirtschaftung grosser Länderstrecken als Krongüter für den Sultan, teilweise aber auch infolge der wissenschaftlichen Missionen Europas und Amerikas. Dieselben brachten neue Ideen in das Land, machten die Bevölkerung mit mancher neuen Erfindung vertraut und lehrten vor allen Dingen den Wert der Zeit und den Segen der Arbeit. Dadurch wurden alle diese Faktoren gewissermassen zu Pionieren der geplanten Türkisch-Deutschen Eisenbahn, welche zweifelsohne die Hauptrolle im wiedererwachenden Leben von Sumer und Akkad zu spielen berufen ist. [Illustration: Abb. 56. Der Babylonische Drache (Ṣirruschschu). (Tonrelief, ca. 2300 v. Chr.)] [Illustration] Verlag der _J. C. Hinrichs_’schen Buchhandlung in _Leipzig_. Deutsche Orient-Gesellschaft. Protektor Se. Majestät der Deutsche Kaiser. +Soeben erschien+: =Die Perser des Timotheos von Milet.= Aus einem Papyrus von Abusir im Auftrage der Deutschen Orient-Gesellschaft herausgegeben von =+Ulrich von Wilamowitz-Möllendorff+=. Der Timotheosfund ist ein Ereignis ersten Ranges, übertrifft doch die Handschrift an Alter =alle bis jetzt gekannten griechischen Handschriften=. Das Gedicht des Timotheos auf die Perserkriege war bisher nur aus Zitaten bekannt. A. =Facsimile-Ausgabe= in Lichtdruck mit kurzer Einführung. Klein-Folio. (= _Heft 3 der Wissenschaftlichen Veröffentlichungen der DOG.)_ 12 M. Für Mitglieder der DOG. 9 M. In vornehmer Leinenmappe 3 M. mehr. B. =Text-Ausgabe= mit philolog. Kommentar. gr. 8°. 3 M.; geb. 3.50 M. +Früher erschienen+: =Babylon= v. Prof. Dr. =Frdr. Delitzsch=. Mit 3 Plän. (1. Sendschrift.) 1 M. =Von Babylon= nach den Ruinen von =Ḥîra und Ḫṷarnaq=. Von Dr. =Bruno Meissner=. (2. Sendschrift.) 60 Pfg. =Die Hettitische Inschrift= gefunden in der Königsburg v. Babylon am 22. Aug. 1899 von Dr. =Rob. Koldewey=. Facsimile der Inschrift, Vorder-, Rück- u. Seitenansicht der Stele in Lichtdruck, Bemerkungen des Finders und Vorwort von Prof. Dr. =Frdr. Delitzsch=. (1. Wiss. Veröffentlichung.) 4 M. =Die Pflastersteine von Aiburschabu in Babylon.= Von Dr. =Rob. Koldewey=. Mit 1 Karte u. 4 Doppeltafeln in Photolithographie. (2. Wiss. Veröffentlichung.) 4 M. +Demnächst erscheint+: =Siebzehn Miscellen.= Von Dr. =F. H. Weissbach=. Mit 15 autographierten Keilschrifttafeln und einem Lichtdruck. (Heft 4 der Wiss. Veröffentlichungen.) Etwa 9 M. Für Mitglieder der DOG. die Wiss. Veröff. Heft 1 u. 2 je 3 M. =Der alte Orient.= Gemeinverständliche Darstellungen, herausgegeben von der Vorderasiatischen Gesellschaft. Jährlich 4 Hefte zu je 60 Pfg. Preis des Jahrgangs 2 M. hübsch in Leinen geb. 3 M. +Bisher behandelte Themata+: Aegypter als Eroberer in Asien. Amarna-Zeit; um 1400 v. Chr. Arabien vor dem Islam. Aramäer. Festungsbau im alten Orient. Hammurabis Gesetze. Hettiter. Himmels- und Weltenbild. Hölle und Paradies. Keilschriftentzifferung (im Druck). Keilschriftmedizin in Parallelen. Phönizier. Politische Entwickelung Babyloniens und Assyriens. Tote u. Totenreiche bei d. Aegyptern. Unterhaltungsliteratur bei dens. Urgeschichte, biblisch-babylonische. Völker Vorderasiens. +Bisherige Mitarbeiter+: Oberst a. D. Billerbeck. -- Dr. A. Jeremias. -- Dr. W. v. Landau. -- Dr. L. Messerschmidt. -- Prof. Dr. W. M. Müller. -- C. Niebuhr. -- Dr. med. F. von Oefele. -- Dr. A. Šanda. -- Dr. O. Weber. -- Prof. Dr. A. Wiedemann. -- Dr. H. Winckler. -- Prof. Dr. H. Zimmern. „+Aus diesen kleinen Heften kann man mehr lernen, als aus manchem dickleibigen Buche+‟. +Frankfurter Zeitung.+ +Verlag der _J. C. Hinrichs_’schen Buchhandlung in _Leipzig_.+ +Babel-Bibel-Literatur.+ =Babel und Bibel.= Ein Vortrag (gehalten am 13. Januar 1902) von =Friedrich Delitzsch=. Mit 51 Abbild. (78 S.; 41. bis 50. _Tausend_, an einigen Stellen geändert, vor allem aber durch Anmerkungen erweitert.) 1903. M. 2--; kart. M. 2.50; geb. M. 3--. =Im Kampfe um Babel und Bibel.= Ein Wort zur Verständigung und Abwehr von Dr. =Alfred Jeremias=, Pfarrer d. Lutherkirche zu Leipzig. Vierte abermals erweiterte Auflage. (49 S.; 8. bis 10. Tausend.) Mit einem Vorwort: „Offenbarung im Alten Testament‟. 1903. 60 Pf. =Hölle und Paradies bei den Babyloniern= von Dr. =Alfred Jeremias=. Zweite verbesserte und erweiterte Aufl., _unter Berücksichtigung der biblischen Parallelen_ und mit Verzeichnis der Bibelstellen. Mit 10 Abbild. (44 S.; 3.-7. Tausend.) 1903. 60 Pf. Durch die Heranziehung der biblischen Parallelen ist dieses Heftchen zu ganz besonderem Werte in dem Babel-Bibel-Streite gelangt. =Biblische und babylonische Urgeschichte= von Prof. Dr. =Heinr. Zimmern=. 3. mehrf. veränd. Aufl. (40 S.; 5.-7. Tausend.) 1903. 60 Pf. =Die Gesetze Hammurabis, Königs von Babylon um 2250 v. Chr. Das älteste Gesetzbuch der Welt=, übersetzt von Dr. =Hugo Winckler=. Mit einer Abbildung des Steindenkmals. Zweite erweiterte Auflage mit einem Sachregister. (44 S.; 4.-8. Tausend.) 1903. 60 Pf. =Moses und Hammurabi.= Von Dr. =Johs. Jeremias=, Pfarrer in Gottleuba i. S. (47 S. mit 1 Abbildung.) 1903. 70 Pf.; kart. M. 1.10 Hier liegt die erstmalige sachlich geordnete Besprechung des Hammurabicodex, dieses grossartigen Fundes, auf guter wissenschaftlicher Grundlage, in einer allen Gebildeten verständlichen Form, vor. =Die Amarna-Zeit.= Ägypten und Vorderasien um 1400 v. Chr. nach dem Thontafelfunde von El-Amarna von =Carl Niebuhr=. Zweite durchgesehene Auflage. (32 S.; 3.-5. Tausend.) 1903. 60 Pf. =Die babylonische Kultur= in ihren Beziehungen zur unsrigen. Ein Vortrag von Dr. =Hugo Winckler=. Mit 8 Abbildungen. (54 S.) 1. u. 2. Auflage. 1902. 80 Pf.; kart. M. 1.30 Druck von _August Pries_ in Leipzig. Fußnoten: [1] So fasse ich den hebräischen Text mit der englischen Bibelübersetzung. Luthers Übersetzung bietet dafür „die Wüste am Meer‟. [2] Ein kurzer Überblick über die drei ersten Kampagnen, Grabungszeit (nicht der etwas längere Aufenthalt auf den Ruinen!) und hauptsächlichste Resultate, findet sich in Hilprecht, „The Babylonian Expedition of the U. of Pa.‟, Series A, vol. I, part 2 (1896), pp. 8-9. Für die erste nach den Quellen dargestellte kurze Geschichte aller bisherigen 4 Kampagnen cf. „Explorations in Bible Lands during the 19th century‟ (Philadelphia, 1903), in Verbindung mit Benzinger, Hommel, Jensen und Steindorff herausgegeben von H. V. Hilprecht. Der erste Teil (577 Seiten) dieses reich illustrierten Bandes wird unter dem Titel „Die Ausgrabungen in den Trümmerfeldern des alten Assyrien und Babylonien‟ bei J. C. Hinrichs in Leipzig im Laufe kommenden Sommers auch in deutscher Bearbeitung erscheinen. Die Gesamttätigkeit der Expedition in Babylonien während der 14-15 Jahre beträgt trotz ihrer epochemachenden und ausserordentlich reichen Resultate nur 5 Jahre. Der Schreiber dieser Zeilen selbst brachte in Sachen der Expedition etwas über 4 Jahre im Orient zu, davon 2 Jahre in Asien (Babylonien, Assyrien, Kleinasien und Syrien), resp. 8 Monate in Babylonien (nicht 15 Wochen, wie in Tagesblättern verbreitet worden ist). [3] In dem von mir für den Palast des _patesi_ ausgesonderten grossen östlichen Hügel konnten noch nicht genügende Ausgrabungen wegen der darauf lagernden gewaltigen parthischen Bauten vorgenommen werden. Jedoch sind bereits eine uralte Toranlage und Wasserleitung in der Umfassungsmauer nebst einer Anzahl grosser Keilschrifttafeln durch Versuchsschächte zu Tage gefördert worden, so dass alle Anzeichen dafür sprechen, dass tatsächlich ein grosses Gebäude hier begraben liegt. [4] Wie bereits oben bemerkt wurde, findet sich in meinem soeben in Philadelphia erschienenen grösseren englischen Buche alles Nähere. Auch in der in Vorbereitung befindlichen deutschen Ausgabe werden Einzelheiten grössere Berücksichtigung finden. Anmerkungen zur Transkription: Die erste Zeile entspricht dem Original, die zweite Zeile enthält die Korrektur. S. 45 Auf und Nieder Babyloniens wiederspiegelte Auf und Nieder Babyloniens widerspiegelte S. 67 Eine wie lange historische Entwicklung vorauzussetzen ist, ehe Eine wie lange historische Entwicklung vorauszusetzen ist, ehe S. 71 (dem biblisshen Ellasar, 1. Mose 14, 1) (dem biblischen Ellasar, 1. Mose 14, 1) *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE AUSGRABUNGEN DER UNIVERSITÄT VON PENNSYLVANIA IM BÊL-TEMPEL ZU NIPPUR *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. 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