The Project Gutenberg eBook of Bingo und andere Tiergeschichten This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Bingo und andere Tiergeschichten Author: Ernest Thompson Seton Release date: April 1, 2023 [eBook #70435] Language: German Original publication: Germany: Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde (Franckh'sche Verlagshandlung), 1921 Credits: the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK BINGO UND ANDERE TIERGESCHICHTEN *** Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter oder unterstrichener Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Im Original fetter Text ist =so dargestellt=. Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Das Inhaltsverzeichnis wurde an den Anfang des Buches verschoben. Korrektur: S. 131 heißeres → heiseres tiefes, heiseres Stöhnen Bingo und andere Tiergeschichten Im Verlag der Franckh’schen Verlagshandlung, Stuttgart, sind erschienen: _E. Thompson Seton_ =Bingo= und andere Tiergeschichten. =Prärietiere= und ihre Schicksale. =Tierhelden=, die Geschichte einer Katze, zweier Wölfe usw. =Rolf=, der Trapper. _Preis_ jedes Bandes gebd. M =19.50=. =Monarch=, der Riesenbär. =Jochen Bär= und andere Tiergeschichten. =Domino Reinhard=, Lebensgeschichte eines Silberfuchses. _Preis_ jedes Bandes gebd. M 13.—. _Karl Ewald_ =Mutter Natur erzählt= (Naturwissenschaftliche Märchen). =Der Zweifüßler= und andere Geschichten. =Vier feine Freunde= und andere Geschichten. =Meister Reineke= u. andere Geschichten. =Das Sternenkind= und andere Geschichten. _A. Th. Sonnleitner_ =Die Höhlenkinder im heimlichen Grund.= =Die Höhlenkinder im Pfahlbau.= =Die Höhlenkinder im Steinhaus.= Eine Robinsonade auf kulturgeschichtlicher Grundlage, in der sich der Werdegang der Menschheit abspielt. _A. R. Bond_ =Bei den Helden der Technik= Ferienerlebnisse zweier Jungen in Neuyorks Wunderwelt der Technik. _Preis_ jedes Bandes gebd. M =19.50.= =Bingo= und andere Tiergeschichten [Illustration] mit vielen Abbildungen von Ernest Thompson Seton Dieses Buch enthält die Lebensgeschichten von Bingo Silberfleck Zottelohr Lobo Vixen Rotkrause Wully und dem Paßgänger Neunundsechzigste Auflage [Illustration] Stuttgart Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde Geschäftsstelle: Franckh’sche Verlagshandlung 1921 STUTTGARTER SETZMASCHINEN-DRUCKEREI HOLZINGER & Co., STUTTGART Verzeichnis der Erzählungen und der Vollbilder. Seite Bingo, die Geschichte meines Hundes 5 Frank entzieht sich dem Ansprung des wütenden Wolfes Bingo und die Wölfin Bingo hält die Wölfe fern, während sich Curley vollfrißt Silberfleck, die Geschichte einer Krähe 34 Silberfleck Der Tod Silberflecks Zottelohr, die Geschichte eines Hasen 56 Das befreite Häschen folgt der weißen Blume Der Hund kommt schnüffelnd den Baumstamm entlang Lobo, der König von Currumpaw 101 Lobo Tannery mit seinen Hunden kommt das Tal herabgesprengt Lobo legt die Fallen bloß Lobo und Blanca Vixen, eine Mutter 128 Vixen nimmt die Kinder mit auf die Mäusejagd Vixen Rotkrause, die Geschichte des Fasanen aus dem Don-Tale 159 Rotkrause rettet das Jüngste vor dem Eichhorn Wully, ein Schäferhund 202 Wully beobachtet Hulda Der Paßgänger 221 Immer vorwärts im Trab! Bingo. Die Geschichte meines Hundes. I. Im Anfang November des Jahres 1882 war es, und ein richtiger Manitoba-Winter setzte gerade mit aller Härte ein. Ich hatte mich nach dem Frühstück auf einige Minuten behaglich in meinen Armstuhl ausgestreckt und vertrieb mir die Zeit damit, durch ein kleines Fenster zu schauen, das die Aussicht auf ein Stück Prärie und das Ende unseres Kuhstalles gefällig einrahmte. Dann fiel mein Blick wieder auf den alten Reim vom »Franzosenhund Bingo«, der auf den Wandbalken neben mir aufgeklebt war. Da wurde das träumerische Anschauen von Reim und Aussicht plötzlich durch den Anblick eines großen grauen Tieres gestört, das über die Prärie herüber und gerade in unseren Kuhstall hineinraste, hitzig verfolgt von einem kleineren schwarzweißen Wesen. »Ein Wolf,« rief ich, ergriff meine Büchse und sprang hinaus, um dem Hunde beizustehen. Aber ehe ich zum Stall gelangen konnte, waren sie wieder auf und davon. Nach einer kurzen Strecke Laufs über den Schnee beschrieb der Wolf einen Bogen, und der Hund, unseres Nachbars Collie, umkreiste ihn, auf eine günstige Gelegenheit zum Zufahren lauernd. Ich feuerte einige Schüsse aus beträchtlicher Entfernung ab, die aber nur bezweckten, sie zu erneuter Hetze über die Prärie anzustacheln. Nach kurzer Zeit hatte der Hund den Wolf eingeholt und packte ihn am Schenkel, zog sich aber wieder zurück, um dem Ansprung des wütenden Wolfes zu entgehen. Dann begann von neuem ein kurzes Scharmützel, das in einer wilden Jagd endete, und diese Szene wiederholte sich beinahe alle hundert Meter. Der Hund versuchte, den Wolf bei jedem frischen Ansturm nach der Ansiedlung zu treiben, während dieser sich vergeblich abmühte, nach dem dunklen Streifen des Waldes im fernen Osten zu entweichen. Zuletzt, nach einer Meile hitzigen Laufes, die sie kämpfend und rennend zurücklegten, überholte ich sie, und der Hund, der nun wußte, daß er im Rücken gedeckt war, griff zum Entscheidungskampf an. Nach einigen Sekunden löste sich das rollende Knäuel der zappelnden Tiere auf, und man konnte einen Wolf erkennen, auf dessen Rücken sich ein blutender Collie fest in den Nacken verbissen hatte. Es war mir nun leicht, heranzutreten und dem Kampf durch einen wohlgezielten Büchsenschuß in den Kopf des Wolfes ein Ende zu machen. Als dieser Hund mit den beneidenswerten Lungen dann sah, daß sein Gegner nicht mehr zuckte, würdigte er ihn keines Blickes, sondern machte sich auf den Weg nach einer Farm, vier Meilen über der Prärie, wo er wahrscheinlich seinen Gebieter verlassen hatte, als er den Wolf aufspürte. Es war ein wunderbares Tier, das zweifellos dem Wolf auch den Garaus gemacht hätte, wenn ich nicht dazu gekommen wäre, denn ich erfuhr später, daß er das bereits vorher noch mit anderen dieses Gesindels getan hatte, obwohl die Wölfe, trotzdem sie der kleineren Prärierasse angehörten, beträchtlich größer waren als er selbst. [Illustration] Bewunderung für den Heldenmut dieses Hundes erfüllte mich, und ich versuchte sofort, ihn um jeden Preis zu erwerben. Jedoch bei meiner Anfrage erhielt ich von seinem Besitzer nur die spöttische Antwort: »Warum kauft Ihr nicht einen seiner Nachkommen?« [Illustration] Als ich so erfuhr, daß Frank, dies war der Name des Collies, nicht feil war, mußte ich mich notgedrungen mit dem Nächstbesten, d. h. einem seiner Sprößlinge oder besser einem Sohne seiner Gattin, begnügen. Dieser nachgewiesene Abkomme einer edlen Familie war ein kleiner rundlicher Ball, bedeckt mit schwarzen, weichem Fell, und sah mehr wie ein langschwänziges Bärenjunges aus, als wie ein junger Hund. Dabei trug er aber einige braune Abzeichen wie sein Vater und einen höchst charakteristischen, weißen Ring, der wie ein Maulkorb um die Schnauze lag. Diese einzige Ähnlichkeit mit seinem großen Erzeuger ließ mich von künftigen Heldentaten träumen. Nachdem ich ihn glücklich hatte, zerbrach ich mir den Kopf, wie ich ihn nennen sollte. Diese Frage war schnell gelöst, denn der Reim von des »Franzosen Hund Bingo« war so eng mit unserer Bekanntschaft verknüpft, daß wir ihn mit der nötigen Feierlichkeit »Bingo« tauften. II. [Illustration] Den Rest des Winters verbrachte Bingo in unserem Schuppen. Er lebte hier wie ein spieliger, fetter, wohlmeinender, aber stets verkannter junger Hund, der sich gewöhnlich überfrißt, dabei aber von Tag zu Tag größer und schwerer wird. Neugierig war er über alle Maßen, und selbst eine höchst traurige Erfahrung vermochte es nicht, ihn zu überzeugen, daß man die Nase nicht in eine Rattenfalle hineinstecken dürfe. Seine Versuche, mit der Katze freundschaftlich anzubändeln, wurden von dieser vollkommen mißverstanden und hatten nach einigen Scharmützeln zwar einen Waffenstillstand zur Folge, der aber gar oft schnell gebrochen wurde. Nach einigen Monaten zeigte Bingo, der schon früh seinen Kopf für sich hatte, Neigung, im Pferdestall zu übernachten und mied schließlich die Scheune ganz und gar. [Illustration: Frank entzieht sich des wütenden Wolfes Ansprung] Als das Frühjahr kam, befaßte ich mich ernstlich mit seiner Erziehung, und nach mancher traurigen Erfahrung meiner- und seinerseits brachte ich ihn so weit, daß er auf mein Geheiß auf die Suche nach unserer alten gelben Kuh ging, die frei, auf einer uneingezäunten Wiese weidete. Nachdem er dieses Geschäft einmal verstand, konnte man ihm mit nichts eine größere Freude bereiten, als mit dem Befehl, hinauszulaufen und die Kuh heranzutreiben, dann sauste er davon, bellte vor Vergnügen und machte hohe Sprünge, um die weite Fläche auf der Suche nach seinem Opfer besser übersehen zu können. Kurz darauf kehrte er dann zurück, jagte die Kuh in tollem Galopp vor sich her, und gab ihr keine Ruhe, bis sie pustend und völlig außer Atem in den äußersten Winkel ihres Stalles getrieben war. Etwas weniger Eifer von seiten Bingos würde gewiß befriedigender gewesen sein, aber wir ließen ihn gewähren, bis die Sache anfing, ihm zu viel Spaß zu machen und er die alte Kuh nach Hause brachte, ohne daß es ihm geheißen war. Schließlich geschah es nicht nur ein- oder zweimal des Tages, sondern wenigstens ein dutzendmal, daß dieser übereifrige Kuhhirt davonlief und auf seine eigene Verantwortung hin das arme Geschöpf heimjagte. Zum Schluß artete Bingos Liebhaberei derartig aus, daß er, wenn er sich nach etwas Körperbewegung sehnte oder einige Minuten Zeit finden konnte, oder auch nur zufällig daran dachte, in vollster Karriere über die Wiesen davonraste und wenige Minuten später zurückkehrte, dabei die unglückliche gelbe Kuh im Kavalleriegalopp vor sich herjagend. Zuerst maßen wir dieser Liebhaberei Bingos keinerlei Bedeutung bei, da sie die Kuh hinderte, sich zu weit von der Ansiedelung zu entfernen, aber bald kam es so, daß sie nicht mehr genügend fressen konnte; sie wurde mager und elend und gab von Tag zu Tag weniger Milch. Sogar auf ihr Gemüt schien die Hetze verderblichen Einfluß zu haben; denn fortwährend beobachtete sie nervös und argwöhnisch den gehaßten Hund, und am Morgen hielt sie sich ängstlich in der Nähe des Stalles, als ob sie nicht wagte, sich davon zu machen und damit sofort das Opfer einer hitzigen Jagd zu werden. Das ging nun doch zu weit! Alle Versuche, Bingos Eifer zu mäßigen, waren umsonst, und da nichts half, wurde er gezwungen, dieses Spiel ganz aufzugeben. Auch dann noch fuhr er fort, sein Interesse an der Kuh zu bezeigen, indem er stets vor der Stalltür lag, wenn sie gemelkt wurde, obschon er nicht mehr wagte, sie heimzubringen. [Illustration] Der Sommer kam und brachte eine furchtbare Plage mit sich – die Moskitos. Doch beinahe noch unerträglicher als die Quälgeister waren die fortwährenden Pendelbewegungen des Kuhschwanzes beim Melken. Mein Bruder Fred, der das Melken zu besorgen pflegte, war ebenso unduldsam als erfinderisch und hatte eine höchst originelle und einfache Idee, die Kuh am Peitschen mit dem Schwanze zu hindern. Er befestigte einfach am Ende einen Ziegelstein und begann befriedigt und mit erlöstem Behagen seine Arbeit, während wir anderen der Sache mit zweifelhaften Blicken zusahen. Plötzlich ertönte aus einer Wolke von Moskitos heraus ein dumpfer Schlag und ein Ausbruch wenig salonfähiger, aber höchst angebrachter Kraftausdrücke. Die Kuh fuhr ruhig fort, wiederzukäuen, bis Fred wieder auf den Beinen war und sie wütend mit dem Melkschemel angriff. Es ist gewiß schon schlimm genug, von einer dummen Kuh mit einem Ziegelstein eine Kopfnuß zu bekommen, aber die schadenfrohe Freude und das Gelächter der Zuschauer machte es einfach unerträglich. [Illustration] Als Bingo den Aufruhr im Stall vernahm und natürlich glaubte, daß man seiner dabei benötigte, kam er hereingesaust und griff die Kuh von der anderen Seite an. Nachdem zum Schluß alles wieder in Ordnung und jedermann beruhigt war, war die Milch verschüttet, der Eimer und der Schemel zerbrochen und der Hund und die Kuh jämmerlich geprügelt. Dem armen Bingo war die ganze Sache vollständig unklar. Schon lange hatte er die Kuh verachtet, aber jetzt beschloß er im höchsten Unwillen, auch die Stalltür zu meiden, und hielt sich von diesem Tag an ausschließlich zu den Pferden und deren Behausung. Die Kühe auf unserer Farm gehörten mir, und die Pferde waren meines Bruders Eigentum. Als nun Bingo seine Zuneigung und seinen Wohnsitz vom Kuh- nach dem Pferdestall verlegte, schien er auch mich aufzugeben, und mit unserer alten Kameradschaft hatte es ein Ende. Aber im Falle der Not hielt er doch stets zu mir und ich zu ihm, und wir beide fühlten, daß eine einmal gefaßte und tief gewurzelte Zuneigung zwischen Mensch und Hund lebenslänglich ist. Nur einmal noch war Bingo als Kuhhirt tätig, im Herbste des gleichen Jahres auf dem Jahrmarkt von Carberry. Unter den Zugnummern befand sich außer einer Viehschau auch die lockende Aussicht auf eine hohe Ehrenauszeichnung und einen Barpreis von zwei Dollars für den bestgezogenen Collie. Durch einen falschen Freund überredet, ließ ich Bingo mit auf die Liste setzen, und früh am festgesetzten Tage wurde die Kuh auf eine Wiese außerhalb des Dorfes getrieben. Als der Zeitpunkt kam, an dem Bingo seine Künste zeigen sollte, wurde ihm die in der Ferne friedlich weidende Kuh gezeigt und ihm der Befehl erteilt, sie zu bringen, natürlich in der Meinung, daß er sie nach dem Stande der Preisrichter treiben sollte. Aber die beiden Tiere wußten es besser, und nicht umsonst hatten sie den ganzen Sommer über geprobt. Als die Kuh Bingo in Karriere auf sich zukommen sah, wußte sie, daß ihre einzige Rettung war, sofort in den Stall zu gelangen, und der Hund war ebenso überzeugt, daß seine einzige Aufgabe darin bestände, ihr Tempo in dieser Richtung möglichst zu beschleunigen. So rasten sie über die Prärie wie der Wolf hinter dem Reh, und entschwanden in der Richtung nach der zwei Meilen entfernten Farm unseren Blicken. [Illustration] Es war das letztemal, daß Preisgericht und Richter jemals Hund und Kuh zu sehen bekamen, und der Preis wurde gerechtermaßen der einzigen anderen Anmeldung zugesprochen. III. Bingo besaß, wie ich schon sagte, eine sehr starke Anhänglichkeit an unsere Pferde. Am Tage trottete er neben ihnen her, und des Nachts schlief er vor der Stalltür. Wo das Gespann hinging, dahin ging auch Bingo, und durch nichts war er von ihm fernzuhalten. Aus diesem Grunde erscheint die folgende Begebenheit höchst rätselhaft. Ich war gewiß nicht abergläubisch und hatte niemals an Vorzeichen geglaubt, doch machte eines Tages ein eigenartiger Zwischenfall, bei dem Bingo die Hauptrolle spielte, auf mich einen tiefen Eindruck. Wir zwei, d. h. mein Bruder und ich, lebten zu jener Zeit auf der De-Winton-Ansiedelung. Eines Morgens fuhr mein Bruder hinaus nach dem Boggybache, um eine Fuhre Heu einzuholen, und da es hin und zurück eine gute Tagereise war, brach er schon beim Morgengrauen auf. Da geschah das Sonderbare: Bingo war zum erstenmal in seinem Leben nicht zu bewegen, dem Wagen zu folgen. Mein Bruder rief ihn wiederholt, aber er hielt sich in sicherer Entfernung und weigerte sich, ängstlich nach den Pferden hinüberschielend, zu folgen. Dann plötzlich hob er seine Nase in die Luft und begann ein langes, melancholisches Geheul. Er verfolgte den Wagen mit den Augen, bis er außer Sicht war, lief auch noch ein Stückchen hinaus, aber nur um immer und immer wieder sein jammervolles Geheul zu erheben. Den ganzen Tag hielt er sich nahe dem Stalle, zum erstenmal freiwillig getrennt von den Pferden, und heulte mit kurzen Pausen einen wahren Totengesang. Ich war ganz allein, und des Hundes sonderbares Gebaren flößte mir eine schreckliche Vorahnung von nahendem Unglück ein, die schwerer und schwerer auf mir lastete, je weiter der Tag vorrückte. [Illustration] Ungefähr um sechs Uhr wurde mir Bingos anhaltendes Geheul unerträglich, so daß ich wütend das nächste beste nach ihm warf und ihn hinwegjagte. Aber die furchtbarsten Vorahnungen konnte ich nicht loswerden. Warum hatte ich auch meinen Bruder allein ziehen lassen? Würde ich ihn je lebend wiedersehen? Nach dem Benehmen des Hundes zu urteilen, mußte etwas Entsetzliches passiert sein. Die Stunde der Rückkehr nahte heran, und da erschien Fred mit seiner Fuhre. Vom lähmenden Banne erlöst, machte ich mir mit den Pferden zu schaffen und fragte ganz nebenbei: »Ist alles in Ordnung?« »Gewiß,« war die lakonische Antwort. Wer kann nun noch an Vorbedeutungen glauben? Viel später erzählte ich einem in geheimer Wissenschaft Erfahrenen die ganze Geschichte; er machte ein ernstes Gesicht und fragte: »Bingo hielt sich in Not und Gefahr immer zu dir?« »Jawohl.« »Dann lächle nicht. Denn du warst in Gefahr an jenem Tage; der Hund blieb und rettete dein Leben, obwohl wir nicht wissen konnten, von welcher Gefahr.« IV. Im Frühjahr hatte ich Bingos Erziehung begonnen. Kurz darauf begann er die meine. Mitten auf dem zwei Meilen langen Stück Prärie zwischen unserem Häuschen und Carberry stand der Grenzpfahl der Farm, ein starker Pfosten, eingerammt in einen Erdhügel und weithin sichtbar. Ich bemerkte, daß Bingo niemals an diesem geheimnisvollen Pfahl vorüberlief, ohne ihn sorgfältig zu untersuchen. Dann sah ich, daß die Präriewölfe ebenso wie auch alle Hunde der Nachbarschaft dieses Merkmal besuchten, und schließlich halfen mir Beobachtungen mit dem Fernrohr, das Dunkel aufzuklären und mir einen Einblick in Bingos Privatleben zu verschaffen. [Illustration] Der Pfahl war nach Übereinkommen ein Signalpfosten für die Glieder der großen Hundefamilie der Umgegend, und der ausgezeichnete Geruchssinn der Hunde machte es ihnen möglich, zu erkennen, welcher ihrer Genossen zuletzt auf diesem Platze gewesen war. Als der Schnee kam, enthüllte sich noch mehr. Ich entdeckte nämlich, daß dieser Pfahl nur ein Punkt war, der zu einem ganzen System gehörte, das sich weit über das Land verbreitete. Kurzum, die Gegend war nach Bedarf in Signalstationen eingeteilt. Diese waren durch irgendeinen unauffälligen Gegenstand, durch einen Pfahl, einen Stein oder einen Büffelschädel, der zufällig auf dem gewünschten Platz lag, gekennzeichnet, und ausgedehnte Untersuchungen bewiesen, daß es eine sinnreiche Einrichtung war, um Nachrichten zu verbreiten und zu erhalten. [Illustration: Bingo und die Wölfin] Jeder Hund oder Wolf hält es für seine Pflicht, alle Stationen, die in der Nähe seines Reiseweges liegen, zu besuchen, um zu erfahren, wer kürzlich vorübergekommen ist. Ich beobachtete, daß Bingo sich dem Pfahle näherte, schnüffelte, den Erdboden rundherum genau untersuchte, dann knurrte und mit zu Berge stehender Mähne und glühenden Augen wütend zu kratzen begann. Zum Schluß ging er steifbeinig davon, sah sich dabei aber von Zeit zu Zeit um. Alles dies bedeutete übertragen: »Grrh! wuf! das war dieser dreckige Köter von Mc Carthys. Wuf! dem werde ich schon heute abend heimleuchten. Wuf! wuf!« Ein andermal wieder vertiefte er sich in die Spur eines Präriewolfs, die herüber- und hinüberführte, und murmelte dabei: »Die Spur eines Präriewolfs, von Norden kommend und nach einer toten Kuh riechend. Das ist höchst interessant! Da muß Pollworths alte Blesse doch verendet sein. Das ist wert, näher untersucht zu werden.« Bei anderen Gelegenheiten wedelte er mit dem Schwanze, lief in der Nachbarschaft umher und kreuz und quer um den Pfahl herum, um seinen Besuch möglichst deutlich erkennbar zu machen, wahrscheinlich zur Benachrichtigung seines Bruders Bill, der in Brandon lebte. Deshalb war es auch gewiß kein Zufall, daß Bill eines Nachts bei uns auftauchte und von Bingo mit in die Hügel genommen wurde, wo ein höchst wohlschmeckendes, totes Pferd einen feinen Braten zur Verherrlichung des Besuches abgab. Zuweilen wurde Bingo plötzlich durch die erhaltenen Neuigkeiten so aufgeregt, daß er die Spur aufnahm und im Galopp nach der nächsten Station lief, um nähere Erkundigungen einzuziehen. Oft rief die Untersuchung auch nur ein würdevolles Kopfschütteln hervor, das sich ungefähr aussprach wie: »O du meine Güte, wer zum Kuckuck war denn das?« Oder: »Ich glaube fast, ich machte die Bekanntschaft dieses Herrn schon im vorigen Sommer.« Als Bingo sich eines Morgens dem Grenzpfahl näherte, sträubten sich seine Haare, er kniff den Schwanz ein, zitterte am ganzen Leibe, und man konnte erkennen, daß ihm plötzlich übel wurde, alles sichere Zeichen von Angst und Schrecken. Auch schien er keine Lust zu fühlen, der Spur zu folgen, sondern kehrte nach dem Hause zurück, und noch eine halbe Stunde danach standen seine Haare zu Berge, und sein Gesichtsausdruck zeigte Haß und Furcht. Bei näherer Untersuchung der gemiedenen Fährte entdeckte ich, daß das entsetzte, tief gegurgelte »Grrhwuf« »Waldwolf« bedeutete. Dies ist einiges von dem, was Bingo mich lehrte. Wenn ich ihn dann später sah, wie er sich von seinem kalten, ungemütlichen Lager vor der Stalltür erhob und sich streckte, den Schnee aus seinem zottigen Fell schüttelte und in einem steten Trott in der Dämmerung verschwand, dann pflegte ich zu denken: »Aha, du alter Schwede, ich weiß schon, wo du hin willst, und warum du den Schutz des Stalles verschmähst. Ich weiß auch, warum deine nächtlichen Streifzüge so genau an bestimmte Zeiten gebunden sind und woher du es weißt, wohin dich zu wenden, um den zu finden, den du suchst.« V. Im Herbst des Jahres 1884 verließen wir die De-Winton-Farm, und Bingo war genötigt, sein altes Quartier mit einem neuen, dem Stall unseres Nachbars Gordon Wright, zu vertauschen. Seit den ersten Tagen seiner Jugend hatte er sich geweigert, ein Haus zu betreten, ausgenommen während eines Gewitters. Vor Donner und Feuerwaffen hatte er eine tiefeingewurzelte Angst, und die Furcht vor dem Grollen der Elemente hatte zweifellos ihren Ursprung in einem unangenehmen Abenteuer mit einem Gewehr. Sein Nachtlager war, selbst während des kältesten Wetters, außerhalb des Stalles. So konnte er sich seiner nächtlichen Freiheit ungehindert erfreuen und sie nach Kräften ausnutzen. Bingos mitternächtliche Wanderungen dehnten sich meilenweit über die Ebene aus. Dafür hatten wir genügende Beweise. Einige Farmer aus weitentfernten Gegenden ließen Gordon sagen, daß sie von ihren Gewehren Gebrauch machen würden, wenn er seinen Hund des Nachts nicht zu Hause hielte, und Bingos Furcht vor Feuerwaffen bewies, daß dies keine leeren Drohungen waren. Ein Mann, der weit, weit entfernt in der Nähe von Petrel lebte, erzählte, er habe an einem Winterabend einen großen schwarzen Wolf gesehen, der einem Präriewolf den Garaus machte. Später aber änderte er seine Ansicht und meinte, es müsse Wrights Hund gewesen sein. So oft der Körper eines erfrorenen Rindes oder eines Pferdes sich irgendwo fand, war Bingo auf geheimnisvolle Weise sofort benachrichtigt, begab sich stehenden Fußes nach der Stelle und stillte, die Präriewölfe hinwegtreibend, seinen Hunger bis zum Platzen. Zuweilen war der Grund zu seinen nächtlichen Wanderungen auch die Liebe zu irgendeines Nachbars Hündin, und es war nicht zu befürchten, daß Bingos Geschlecht je aussterben würde. Einer behauptete sogar, er habe eine Wölfin mit drei Jungen gesehen, die der Mutter zwar ähnelten, jedoch größer und schwarz waren und um das Maul einen weißen Ring trugen. Ob das wahr ist oder nicht, weiß ich nicht; ich erinnere mich, daß wir spät im März mit Bingo, der hinter uns hertrottete, im Schlitten über Land fuhren und aus einer Höhle einen Präriewolf aufstöberten. Er sauste davon, und Bingo in voller Karriere hinterdrein, aber der Wolf schien sich nicht besonders anzustrengen, um zu entfliehen. Nach einigen Sekunden hatte der Hund ihn eingeholt und, so sonderbar es auch klingen mag, es entspann sich kein hitziger Kampf, keine blutige Balgerei! Bingo lief liebenswürdig neben dem Wolf her und leckte ihm die Nase. Wir waren sehr erstaunt und hetzten Bingo gegen den Graurock auf, aber unser Schreien und Rufen hatte nur zur Folge, daß der Wolf davonrannte und der Hund hinterher, bis er ihn wieder überholt hatte. Seine Liebenswürdigkeit war zu auffällig, und es begann in meinem Kopfe zu dämmern: das war eine Wölfin, und Bingo wollte ihr kein Leid tun. Wir riefen unsern ungeratenen Hund und fuhren heim. Nach diesem Tag wurden wir wochenlang durch die Räubereien einer Wölfin belästigt, die unsere Hühner mordete, Stücke Fleisch aus dem Hause stahl und verschiedene Male die Kinder in Schrecken setzte, indem sie frech zum Fenster hereinschaute, wenn die Männer fort waren. Schließlich wurde die Wölfin erschossen, und Bingos bittere Feindschaft gegen Oliver, der den glücklichen Schuß getan, bewies seine Zuneigung zu der Dahingeschiedenen zur Genüge. VI. Es ist wunderbar, wie Mensch und Hund zusammenhalten und wie sie sich in Not und Gefahr nie verlassen. Butler erzählte von einem alten Indianerstamm im fernen Norden, der sich in blutiger Familienfehde aufrieb, und zwar einzig und allein um eines treuen Hundes willen, der einem Krieger des Stammes gehörte und von einem Nachbarn getötet wurde. Ja selbst unter uns hört man oft genug von Gerichtsverhandlungen, ernsten Streitigkeiten und Fehden, die alle von dem alten Satze ausgingen: »Sei meines Hundes Freund, und du bist auch der meine!« Einer unserer Nachbarn besaß eine kostbare Rüde, die er für die beste und wertvollste auf der Welt hielt. Der Mann war mein Freund, und folglich war ich auch seinem Hunde zugetan. Als daher eines Tages der arme Tan furchtbar verstümmelt heimgekrochen kam, vor der Tür liegen blieb und verendete, schwor ich im Verein mit seinem Herrn furchtbare Rache, und ließ nichts unversucht, den Mörder zu entdecken. Ich setzte Belohnungen aus und suchte eifrig nach Beweismaterial zur Überführung des Verbrechers. Schließlich kam es zutage, daß wohl drei Männer, die südlich von uns wohnten, bei dieser blutigen Affäre ihre Hand im Spiel gehabt haben mußten. Die Beweise häuften sich, und beinahe waren wir so weit, die Angelegenheit der Gerechtigkeit zu übergeben, die das Urteil über die Mörder des armen Tan sprechen sollte. Da ereignete sich etwas, was meine Ansicht sofort änderte und mich glauben machte, daß die Verstümmelung des alten Köters doch kein so unentschuldbares Verbrechen gewesen sei; jedoch mußte ich mir diese Sinnesänderung ziemlich gewaltsam aufdrängen. Gordon Wrights Farm lag südlich von der unseren, und als ich jene eines Tages besuchte, nahm mich Gordon jun., der wußte, daß ich Tans Mörder nachspürte, beiseite und wisperte, sich ängstlich dabei umsehend: »Bingo war der Mörder.« Von diesem Augenblicke an ließ ich die Angelegenheit fallen, und ich bekenne, daß ich mit dem gleichen Eifer nun die Nachforschungen irrezuleiten suchte, mit dem ich vorher zur Aufdeckung des Verbrechens angestachelt hatte. Schon lange vor dieser Begebenheit hatte ich Bingo weggeschenkt; aber noch fühlte ich mich im Herzen als sein Besitzer, und diese unlösliche Kameradschaft zwischen Bingo und mir sollte sich bald bei einer anderen Gelegenheit überraschend beweisen. Gordon und Oliver waren nahe Nachbarn und gute Freunde. Sie hatten zusammen einen Kontrakt übernommen, Holz zu schlagen, und arbeiteten einträchtig miteinander bis spät in den Winter. Da verendete Olivers alte Mähre, und um noch möglichst viel Nutzen aus diesem Verlust herauszuschlagen, schleifte er den Kadaver hinaus in die Prärie und streute vergiftete Köder für die Wölfe daneben aus. Der arme Bingo! Er konnte von seinen wölfischen Gewohnheiten nicht lassen, obwohl sie ihn schon oft ins Unglück gestürzt hatten. Er war ein großer Freund von Pferdefleisch, wie alle Angehörigen dieser wilden Rasse, und noch in der gleichen Nacht stattete er dem Kadaver in Begleitung von Wrights Hund Curley einen Besuch ab. Es schien, als ob Bingo in der Hauptsache nur die Wölfe ferngehalten und Curley sich vollgefressen hätte. An den Spuren im Schnee konnte man die ganze Geschichte des Festmahles ablesen, von der Störung, als das Gift zu wirken begann, und von dem rasenden Laufe Curleys heimwärts, der, von wütenden Schmerzen gepeinigt, zu Gordons Füßen in Krämpfe verfiel und dann vollkommen gelähmt verendete. »Sei meines Hundes Freund, und du bist auch der meine!« Keinerlei Aufklärungen und Entschuldigungen wurden angenommen. Es war nutzlos, zu behaupten, die ganze Sache sei zufällig; die langvergessene Feindschaft zwischen Bingo und Oliver warf ein starkes Licht auf die Begebenheit. Der Holzkontrakt wurde gebrochen, alle freundschaftlichen Verbindungen gelöst, und noch bis heute besteht die bittere Feindschaft, die durch Curleys Todesschrei ins Leben gerufen wurde. Es währte Monate, bis Bingo sich vom Genuß des Giftes erholte, und wir glaubten sicher, daß er niemals wieder der starke, lustige Bingo von früher werden würde. Doch als der Frühling kam, fing sein Zustand an, sich merklich zu bessern, und als das Gras wuchs, war er wieder bei vollster Gesundheit und Kraft, der Stolz seiner Freunde und der Quälgeist der Nachbarn. VII. Pflichten riefen mich weit hinweg von Manitoba, und bei meiner Rückkehr im Jahre 1886 war Bingo noch ein Mitglied von Wrights Haushalt. Ich glaubte, er würde mich nach den zwei Jahren der Abwesenheit vergessen haben, aber dem war nicht so. Eines Tages im Winter, nachdem er achtundvierzig Stunden verloren gewesen war, kam er heimgekrochen mit einer Wolfsfalle und einem Holzklotz am Hinterlauf und den Fuß zu Stein gefroren. Niemand konnte sich ihm nähern, um ihm zu helfen, und als ich, für ihn jetzt ein Fremder, mich niederbeugte, mit einer Hand die Falle erfaßte und mit der andern sein Bein, packte er mich wütend am Gelenk. Noch waren seine spitzen Zähne nicht durch die Haut gedrungen, und, ohne mich zu bewegen, sagte ich: »Aber, Bingo, kennst du mich denn nicht mehr?« Sofort ließ er meine Hand fahren und leistete keinen weiteren Widerstand, obwohl er während der Entfernung der Falle vor Schmerz heulte und winselte. Trotz des Wechsels seiner Heimat und trotz meiner langen Abwesenheit erkannte er mich als seinen Herrn und Gebieter an, und auch ich fühlte trotz des Aufgebens aller Anrechte auf ihn, daß er immer noch _mein_ Hund war. [Illustration] Bingo wurde – zwar ganz gegen seinen Willen – ins Haus getragen, um den erfrorenen Fuß aufzutauen. Den ganzen Winter hindurch lief er lahm, und zwei Zehen des verletzten Fußes fielen ab. Jedoch vor dem Wiedereinsetzen der warmen Witterung hatte er seine volle Gesundheit wiedererlangt, und für einen Uneingeweihten trug er keine Merkmale seiner furchtbaren Erfahrung in der Stahlfalle. VIII. Im gleichen Winter fing ich eine große Anzahl Wölfe und Füchse, die nicht so viel Glück hatten wie Bingo und den unbarmherzigen Fallen nicht zu entrinnen vermochten. Ich ließ die Fallen draußen bis spät ins Frühjahr; denn die Fangprämien sind hoch, auch wenn das Pelzwerk minderwertig ist. Kennedys Wiesen waren stets ein ergiebiger Jagdgrund, weil sie nicht von Menschen besucht wurden und zwischen dem Forst und der Ansiedlung lagen; hier hatte ich das meiste Glück. Die Wolfsfallen sind von schwerem Stahl und haben zwei Federn, jede mit einer Schlagkraft von hundert Pfund. Vier werden zusammen ausgesetzt rund um einen vergrabenen Köder. Nachdem sie an verborgenen Holzklötzen stark befestigt sind, bedeckt man sie sorgfältig mit Laub und Sand, um sie vollkommen unsichtbar zu machen. In einer solchen Falle hatte ich einen Präriewolf gefangen. Ich schlug ihn mit einem Knüppel tot und warf ihn beiseite. Dann begann ich die Falle wieder zu spannen, wie ich es hundertmal vorher getan. Alles war schnell geschehen, und da ich ein Häufchen feinen Sand nahebei erblickte, griff ich hinüber, um mit einer Handvoll die Falle gut zu bedecken. O welch ein unglückseliger Gedanke, welche Unvorsichtigkeit! Der Sand lag _auf der nächsten Wolfsfalle_, und im Augenblick war ich ein Gefangener. Zwar war ich unverletzt; denn die Fallen hatten keine Zähne, und mein dicker Handschuh schwächte den Schlag, aber ich war oberhalb des Knöchels fest erfaßt. Indem ich trotz des Schreckens möglichst kühl zu bleiben trachtete, versuchte ich den Schlüssel zum Öffnen der Fallen mit meinem rechten Fuße zu erreichen. Mich in voller Länge ausstreckend, arbeitete ich mich, mit dem Gesicht nach unten gekehrt, langsam darauf zu und machte meinen gefangenen Arm so lang und gerade als möglich. Ich konnte mich nicht zur gleichen Zeit umsehen und nach dem Schlüssel langen; aber ich rechnete auf das Gefühl in meinen Zehen und hoffte, sofort zu bemerken, wenn ich das kleine eiserne Werkzeug berühren würde. Mein erster Versuch mißlang. So stark ich auch an der Kette ziehen mochte, mein Fuß traf auf kein Metall. Dann versuchte ich es zum zweitenmal, indem ich mich immer um meinen gefangenen Arm drehte, doch war alles umsonst. Ich entdeckte, daß ich viel zu weit nach Westen geraten war, und so begann ich von neuem blindlings herumzutappen, in der Hoffnung, mit meinen Zehen auf den Schlüssel zu stoßen. Bei dem wilden Umherfahren mit meinem rechten Fuß vergaß ich vollkommen den linken, bis sich die eisernen Klauen von Falle Nr. 3 mit einem scharfen »Klink« über meinem linken Knöchel schlossen. Zuerst machte die entsetzliche Lage, in der ich mich befand, keinen sonderlichen Eindruck auf mich; aber bald wurde mir schrecklich klar, daß all mein Arbeiten, loszukommen, vergeblich sein mußte. Ich konnte mich von keiner der Fallen ohne Hilfe befreien, konnte sie auch nicht bewegen, und so lag ich denn ausgestreckt, fest und sicher an den Erdboden gekettet. Was sollte nun aus mir werden? Es war zwar keine Gefahr, zu erfrieren; denn das kalte Wetter war vorüber, aber Kennedys Plan wurde von keinem Menschen besucht, außer von den Holzfällern im Winter. Zu Haus wußte niemand, wohin ich gegangen war, und wenn ich mich nicht selbst befreien konnte, hatte ich keine andere Aussicht, als von den Wölfen zerrissen zu werden oder vor Kälte und Hunger elend zu sterben. Als ich so dalag, ging die Sonne blutigrot im Westen hinter dem Buschmoor unter, und eine Heidelerche sang im nahen Busch ihr Abendlied, genau wie am Abend zuvor vor der Tür unseres Häuschens. Obwohl dumpfe Schmerzen in meinem Arm in die Höhe krochen und ein eisiger Schüttelfrost mich erfaßte, bemerkte ich doch noch, wie lang die kleinen Federbüschel über den Ohren der Lerche waren. Dann wanderten meine Gedanken zum behaglichen Abendtische in Wrights Haus, und ich dachte, jetzt wird gebraten und gekocht, und jetzt setzen sie sich nieder. Mein Pferd stand dort, wo ich es verlassen, mit den Zügeln auf dem Erdboden, und wartete geduldig, um mich heimzutragen. Es verstand die lange Verzögerung nicht, und als ich es rief, hörte es auf zu weiden und sah mich hilflos fragend an. Wenn es doch heim liefe! Der leere Sattel würde genug erzählen und sicher Hilfe herbeirufen. Jedoch die große Pflichttreue des Tieres hielt es wartend Stunde für Stunde bei mir zurück, während ich vor Kälte und Hunger beinahe verging. [Illustration] Dann erinnerte ich mich, wie der alte Trapper Girou sich im Walde verlaufen hatte und wie seine Kameraden im folgenden Frühjahr das Skelett fanden, mit den Knochen des Beines in einer Bärenfalle eingeklemmt. Ich zerbrach mir den Kopf, welcher Teil meiner Kleidung mich wohl erkennbar machen würde. Dann kam mir ein neuer Gedanke. Das gleiche Gefühl hatte doch auch der Wolf, wenn er sich in einer Falle fing. O für welches Elend war ich schon verantwortlich! Nun mußte ich dafür büßen. Die Nacht sank langsam hernieder. Ein Präriewolf heulte. Das Pferd spitzte die Ohren und kam näher an mich heran, schnaufend und den Kopf tief am Boden. Dann heulte ein zweiter Wolf und noch einer, und ich konnte vernehmen, wie sie sich in der Nähe zusammenscharten. Da lag ich nun hilflos, mit dem Gesicht am Boden, und wunderte mich nur, daß die gierigen Bestien nicht gleich auf mich losstürzten und mich in Stücke zerrissen. Lange hörte ich sie heulen, bevor ich gewahr wurde, daß undeutliche, schattenhafte Gestalten um mich herumhuschten. Das Pferd bemerkte sie, und sein entsetztes Schnaufen trieb sie erst zurück, aber das nächstemal kamen sie schon näher, saßen um mich herum und gafften mich an. Bald wurden sie frecher, krochen heran und rissen an dem Kadaver ihres toten Genossen. Ich schrie, und die Wölfe zogen sich knurrend zurück, während das Pferd entsetzt davonlief. Wieder kamen sie heran, und nach zwei oder drei derartigen Rückzügen und Angriffen zerrten sie den Leichnam davon und verschlangen ihn in wenigen Minuten. Danach kamen sie wieder näher, umringten mich und starrten mich frech an. Der Unverschämteste von ihnen beroch mein Gewehr und bewarf es mit Schmutz. Zwar zog er sich zurück, als ich mit meinem freien Fuße nach ihm stieß und ihn anschrie, aber je schwächer ich wurde, desto frecher wurden die Bestien, und ihr Führer kam ganz nahe und fauchte mir direkt ins Gesicht. Dann heulten auch die übrigen und scharten sich dicht um mich, und ich glaubte schon, daß das verhaßte Pack mich zerreißen und verschlingen würde, als plötzlich aus dem Dunkel mit heiserem Geheul ein großes, schwarzes Tier heraussprang. Die Scheusäler zerstoben wie Spreu vor dem Winde, nur ihr Führer blieb, der von dem Ankömmling gepackt wurde und in einigen Minuten als verstümmelter Leichnam dalag. Und dann – Entsetzen packte mich – das mächtige Ungetüm sprang auf mich los und – Bingo, mein treuer Bingo rieb atemlos seinen zottigen Kopf an meiner Schulter und leckte mein eiskaltes Gesicht. »Bingo – Bingo, alter Junge, hol mir den Fallenschlüssel!« Davon sprang er und kam zurück, aber er zerrte mein Gewehr hinter sich her; denn er wußte nur, daß ich irgend etwas haben wollte. »Nein, Bingo, den Fallenschlüssel!« Diesmal brachte er meine Säge, aber schließlich kam er mit dem Schlüssel und wedelte freudig mit dem Schwanze, als er sah, daß er diesmal das Richtige getroffen. Mit meiner freien Hand öffnete ich mühselig die Schrauben, die Falle fiel auseinander, meine Hand war frei, und eine Minute später war ich ganz erlöst. Bingo brachte das Pferd, und nachdem ich einige Male langsam auf und ab gegangen, um das erstarrte Blut in Umlauf zu bringen, war ich fähig, aufzusteigen. Dann ging es heimwärts, langsam zuerst, schließlich im Galopp, und Bingo sprang wie ein Herold bellend vor ihm her. Als wir die Ansiedelung erreichten, erfuhr ich, daß der treue Hund sich am Abend ganz auffällig benommen hatte; winselnd und heulend war er die Straße auf und ab gelaufen, und als schließlich die Dunkelheit kam, hatte er sich, allen Versuchen, ihn zurückzuhalten, zum Trotz, davongemacht und war, geleitet von einem Instinkt, den wir nicht erklären können, gerade im rechten Moment bei mir angelangt, um mich zu rächen und zu befreien. [Illustration: Bingo hält die Wölfe fern, während Curley sich vollfrißt] Treuer, alter Bingo – du warst ein rätselhafter Hund. Obwohl er mich liebte, lief er am nächsten Tage an mir vorüber, ohne mir nur einen Blick zu schenken, folgte aber mit Feuereifer Wrights kleinem Sohn, der ihn zur Jagd mitrief. So blieb er bis ans Ende, und bis ans Ende führte er auch sein geliebtes wölfisches Leben und konnte es nicht lassen, auf die Suche nach gefallenen Pferden zu gehen. So fand er einmal auch eins mit einem vergifteten Köder und verschlang diesen wie ein Wolf. Als er die furchtbare Wirkung fühlte, machte er sich auf, nicht nach Haus, sondern um mich zu suchen, und erreichte die Tür der kleinen Hütte, in der er mich vermutete. Als ich am andern Tag nach Hause kam, fand ich ihn tot im Schnee, mit dem Kopf auf der Schwelle der Tür – der Tür, vor der er seine Jugendtage verlebt. Er war verendet – _mein_ Hund bis zum letzten Atemzug – und es war meine Hilfe, die er gesucht hatte, vergeblich gesucht in der Stunde bitterer Todesschmerzen und tiefer Verzweiflung. Silberfleck. Die Geschichte einer Krähe. I. Hat irgend jemand unter uns das intime Leben und Treiben eines freien Waldbewohners wirklich kennen gelernt? Ich meine damit nicht ein Tier, das man ein- oder zweimal auf einsamen Spaziergängen trifft oder gar zu Hause im Käfig hält, sondern ich denke an solche Tiere, die man lange Zeit kennt, während sie noch wild und frei sind, und in deren Leben und Entwicklung man einen tiefen Einblick erhalten hat. Für gewöhnlich liegt die Schwierigkeit einer derartig nahen Bekanntschaft darin, daß man _ein_ Tier nicht von dem andern zu unterscheiden vermag; denn ein Fuchs oder eine Krähe sieht ihresgleichen ja so ähnlich, daß wir nicht mit Sicherheit behaupten können, einen alten Bekannten anzutreffen, wenn wir sie wieder einmal zu Gesicht bekommen. Von Zeit zu Zeit jedoch erhebt sich ein Geschöpf, das stärker und klüger ist als seine Gefährten, über diese empor und wird zum gewaltigen Tyrannen; es ist, möchte man sagen, ein Genie, und wenn es sich durch seine Gestalt auszeichnet oder irgendein besonderes Abzeichen trägt, wodurch es sich von den anderen unterscheidet, so wird es leicht berühmt oder berüchtigt im ganzen Lande. Dies beweist, daß das Leben eines Tieres oft bei weitem interessanter sein kann als das eines menschlichen Wesens. Zu dieser Klasse von Tieren gehört z. B. Courtrand, der kurzgeschwänzte Wolf, der die Stadt Paris im Anfang des vierzehnten Jahrhunderts zehn Jahre lang in Schrecken und Entsetzen hielt; Clubfoot, der lahme Grislybär, dessen man sich noch jetzt mit Grauen im San-Joaquin-Tal in Kalifornien erinnert; Lobo, der König aller Wölfe von Neu-Mexiko, der fünf Jahre lang jeden Tag ein Rind mordete, und der Soehnee-Panther, dem in weniger als zwei Jahren nahezu dreihundert Menschen zum Opfer fielen. Zu diesen Tieren zählt auch Silberfleck, dessen Geschichte ich kurz erzählen will. Silberfleck war ein alter, weiser Krähenvater. Er trug seinen Beinamen wegen eines silberweißen Flecks von der Größe eines Groschens, der auf der rechten Seite gerade zwischen Auge und Schnabel saß. Nur diesem Fleck verdanke ich es, daß ich Silberfleck aus den übrigen Krähen mit Leichtigkeit herausfinden konnte und daß mir seine Lebensschicksale bekannt wurden. Krähen sind bekanntlich hochintelligente Vögel. »Weise, wie eine alte Krähe«, wurde nicht ohne Grund zur landläufigen Redensart. Sie wissen den Wert einer systematischen Organisation zu schätzen und sind ebenso gedrillt wie Soldaten, ja weit besser als gewisse Söldnerscharen; denn sie sind immer auf der Wacht, leben immer auf Kriegsfuß und hängen um ihrer Sicherheit und ihres Lebens willen stets voneinander ab. Ihre Führer sind gewöhnlich nicht nur die ältesten und klügsten der Bande, sondern auch die stärksten und tapfersten; denn sie müssen jederzeit bereit und fähig sein, mit unwiderstehlicher Gewalt einen Aufruhr oder eine Meuterei niederzudrücken. Die gemeinen Soldaten eines Krähenheeres setzen sich aus den jüngsten und aus den Krähen zusammen, die mit keinen besonders hervorragenden Gaben von der Natur beschenkt sind. Der alte Silberfleck war kommandierender General einer Armee, deren Hauptquartier in der Nähe von Toronto, in Kanada bei Castle Frank, auf einem fichtenbewachsenen Hügel an der Nordostseite der Stadt lag. Die Bande bestand aus ungefähr hundert Vögeln und schien sich aus Gründen, die ich niemals erfuhr, nicht zu vermehren. War der Winter mild, so hausten sie am Niagaraflusse, während sie in kalten Wintern bedeutend weiter südlich zogen. Jedes Jahr in der letzten Woche des Februar musterte Silberfleck seine Truppe und kreuzte kühn die vierzig Meilen offenen Wassers zwischen Toronto und Niagara, und zwar flog er nicht in einer geraden Linie, sondern hielt regelmäßig eine Kurve in der Richtung nach Westen ein, wobei er in Sicht des ihm bekannten Dunda-Berges blieb, bis das Reiseziel, der fichtenbewachsene Hügel von Castle Frank, in der Ferne auftauchte. Jedes Jahr kam er mit seiner Armee und hielt sich ungefähr sechs Wochen lang dort auf. Am Morgen machten sich die Krähen in drei Abteilungen auf zum Furagieren, die eine Bande südöstlich nach der Ashbridge-Bai, die zweite nördlich den Don hinauf und die dritte und stärkste nordwestlich das Tal entlang; diese letztere leitete Silberfleck persönlich; wer die anderen führte, habe ich niemals erfahren. Am windstillen Morgen flogen sie stets hoch oben in den Lüften in gerader Richtung davon; wenn es windig war, hielt sich die Bande dagegen niedrig und folgte dem schützenden Taleinschnitt. Von meinem Fenster aus konnte ich die ganze Schlucht übersehen, und so kam es, daß ich im Jahre 1885 die alte Krähe zum erstenmal bemerkte. Ich war noch unbekannt in der Nachbarschaft, aber ein alter Bewohner erzählte mir, der gewaltige Krähendespot triebe sich schon länger als zwanzig Jahre im Tale umher. Die günstigste Gelegenheit, ihn zu beobachten, bot sich in der Bergschlucht, und da Silberfleck seine alte Wegrichtung gewohnheitsmäßig innehielt, obwohl die Hügel jetzt mit Häusern bebaut waren und Brücken den Taleinschnitt überspannten, konnte ich ihn bald zu meinen näheren Bekannten zählen. Zweimal am Tage, im März und April und dann wieder im Spätsommer und Herbst, passierte er auf dem Hin- und Herwege meinen Beobachtungsposten, ließ mich seine Bewegungen genau wahrnehmen, seine Kommandos vernehmen und öffnete mir auf diese Weise nach und nach die Augen. Ich kam zu der Überzeugung, daß die Krähen, obschon ein kleines, unbeachtetes Völklein, große Klugheit besitzen und einen Stamm bilden, mit einer Sprache und sozialen Einrichtungen, die denen der Menschen in den Hauptpunkten ähneln und auf jeden Fall in vielen Einzelheiten gewissenhafter gehandhabt werden. [Illustration: Nr. 1. ~Caw~ ~Caw~] An einem windigen Tage stand ich auf der hohen Brücke, als Silberfleck an der Spitze seiner langgestreckt und zerstreut fliegenden Truppe eben heimwärts zog. Eine halbe Meile weit von mir konnte ich das zufriedene »Alles sicher, nur immer vorwärts«, wie wir es ausdrücken würden, oder, wie er es ausdrückte, hören, und wie es sein Leutnant im Nachtrab wiederholte. Sie flogen beträchtlich tiefer als sonst, um nicht in den Wind zu kommen, und mußten sich etwas erheben, um über die Brücke hinwegzustreichen, auf der ich stand. Silberfleck entdeckte mich dort, beobachtete mich einige Sekunden scharf, parierte im Fluge, da ich ihm nicht ganz geheuer schien, und rief nach rückwärts: [Illustration: Nr. 2. ~Caw~] »Seid auf der Hut!« und erhob sich, gehorsam von den Seinen begleitet, hoch in die Luft. Dann, als er sah, daß ich unbewaffnet war, flog er etwa siebzig Fuß über meinem Kopf hinweg, und auch die anderen ließen sich wieder in die alte Fluglinie herabsinken, als sie die Brücke passiert hatten. Am darauffolgenden Tage befand ich mich am gleichen Platze, und als sich die Krähen näherten, erhob ich meinen Spazierstock und drohte zu ihnen hinauf. Der alte Schlaukopf bemerkte das sofort, krähte: [Illustration: Nr. 3. ~Ca~] »Gefahr« und erhob sich fünfzig Fuß höher als am Tage zuvor. Da er jedoch sah, daß ich keine Feuerwaffe trug, flog er keck über mich hinweg. Am dritten Tage nahm ich ein Gewehr mit, und diesmal rief er: [Illustration: Nr. 4. ~ca ca caca Caw~] »Höchste Gefahr, ein Gewehr!« Sein Leutnant gab den Ruf zurück, und das ganze Regiment hob sich hoch empor und zerstreute sich, bis es weit außer Schußweite war. Dann flog es in Sicherheit über mich hinweg und ließ sich wieder in das schützende Tal herab, sobald es in gebührender Entfernung war. Ein andermal, als die Vögel in wippendem Fluge die Schlucht herabkamen, ließ sich ein rotschwänziger Habicht dicht an ihrem gewohnten Wege nieder. Der Führer rief: [Illustration: Nr. 5. ~Caw Caw~] »Habicht« und hielt im Fluge inne. Jede folgende Krähe tat das gleiche, wenn sie an ihren Vordermann herankam, bis sie alle zu einer dichten Masse vereinigt waren. Dann flogen sie ohne Furcht vor dem Habicht vorwärts. Eine Viertelmeile weiter unten erschien jedoch ein Mann mit einem Gewehr, und der Ruf: [Illustration: Nr. 6. ~cacacaca Caw~] [Illustration: Nr. 7. ~Caw Caw cacacaca~] »Höchste Gefahr, ein Gewehr, ein Gewehr, zerstreut euch, es gilt euer Leben!« ließ sie hoch auf- und weit auseinander fliegen, bis sie außer Schußweite waren. Bei längerer Bekanntschaft lernte ich nach und nach viele andere dieser Kommandorufe kennen und verstehen und fand, daß zuweilen eine ganz unbedeutende Veränderung der Laute eine ungemein wichtige Änderung der Bedeutung zur Folge hatte. So z. B. bedeutet Nr. 5 Habicht, Häher oder irgendeinen großen gefährlichen Raubvogel, während Nr. 7 »Kehrt« bedeutet, augenscheinlich eine Verbindung von Nr. 5, dessen Grundidee Gefahr, und Nr. 4, dessen Sinn Rückzug ist. Das nächste wieder ist ein einfaches [Illustration: Nr. 8. ~Caw Caw~] »Guten Tag«, während [Illustration: Nr. 9.] gewöhnlich an die gemeinen Soldaten gerichtet wird und »Achtung« bedeutet. Frühzeitig im April schien etwas Großes unter den Krähen vorzugehen. Irgend etwas höchst Aufregendes und Wichtiges mußte sie betroffen haben. Den halben Tag trieben sie sich zwischen den Fichten umher, anstatt wie sonst von Sonnenaufgang bis -niedergang auf die Nahrungssuche auszugehen. Zu zweien und dreien konnte man sie herumjagen und -huschen und von Zeit zu Zeit die verwegensten Flugkunststückchen ausführen sehen. Es war ein besonderer Lieblingssport einiger, aus der blauen Höhe plötzlich auf irgendeine friedlich ruhende Krähe herabzuschießen und gerade, ehe sie sich berührten, zu wenden und den Flug zurück in die Luft zu nehmen, wobei die Flügel des Künstlers ein Geräusch verursachten, das wie entfernter Donner klang. Oft neigte auch eine Krähe den Kopf, blies die Federn auf, daß sie wie ein Igel aussah, näherte sich einer anderen und gurgelte ihr einen langgezogenen Ton entgegen, der klang wie [Illustration: Nr. 10. ~C-r-r-r-a-w~] Was dies alles zu bedeuten hatte, sollte ich bald erfahren. Die Krähen machten sich Liebeserklärungen und begannen sich zu paaren. Die Männchen bewiesen den Damen ihrer Wahl ihre Flügelkräfte und ihre Geschicklichkeit und ließen ihre Stimmen gar lieblich und berückend erschallen. Und der Erfolg dieser Bemühungen konnte nicht ausgeblieben sein; denn Mitte April zogen sie alle auf die Hochzeitsreise, zerstreuten sich über die ganze Gegend, und die düsteren, alten Fichten von Castle Frank standen verlassen und einsam. II. [Illustration] Der Zuckerhut-Hügel steht allein im Dontal, bedeckt mit Waldungen, die sich mit denen von Castle Frank vereinigen. Mitten in diesen Forsten steht ein Fichtenbaum, in dessen Gipfel ein verlassener Habichtshorst hängt. Jeder Schuljunge von Toronto kennt dieses Nest; aber weder ich noch irgend jemand sonst hatte je ein lebendes Wesen darin gesehen, ausgenommen das einemal, als ich ein schwarzes Eichhorn vom Rande herunterschoß. Hoch oben hing das Nest, jahraus, jahrein, alt und struppig, und schien nur auf einen tüchtigen Sturm zu warten, der es vollkommen herunterreißen sollte. Jedoch, so wunderbar es auch klingen mag, es zerfiel nicht ganz in Stücke. Eines Morgens im Mai ging ich früh beim Morgengrauen aus und schlüpfte geräuschlos durch den Wald, dessen welke Blätter noch zu feucht waren, um zu rascheln. Zufällig kam ich an dem alten Nest vorüber und war höchst erstaunt, einen schwarzen Schwanz über den Rand hinausgucken zu sehen. Ich gab dem Baum einen tüchtigen Schlag, und eine Krähe flog auf. Das Rätsel war gelöst. Lange hatte ich schon den Verdacht gehegt, daß ein Krähenpaar jedes Jahr zwischen den Fichten nistet, und nun entdeckte ich, daß es Silberfleck mit seiner Gattin war. Das alte Nest war ihre Hochburg, und sie waren zu klug, ihr durch Frühjahrsreinemachen und unnötige Reparaturen ein freundliches Aussehen zu verleihen. Hier hatten sie schon lange Jahre gehaust, obwohl Jäger und Jungen, die leidenschaftlich der Krähenjagd oblagen, tagtäglich mit gefährlichen Feuerwaffen unter ihrer Wohnung vorüberkamen. Nach dieser Entdeckung störte ich den alten Gesellen nicht zum zweitenmal, aber ich beobachtete ihn oft durch mein Fernrohr. Eines Tages bekam ich eine Krähe zu Gesicht, die mit etwas Weißem im Schnabel das Tal kreuzte. Sie flog in der Richtung nach dem Rosedale-Bache und landete bei einer hohen Ulme. Dort ließ sie einen blanken Gegenstand fallen, und als sie sich darauf schnell und vorsichtig umsah, erkannte ich sie als meinen alten Freund Silberfleck wieder. Nach einer Weile nahm er das weiße Ding – eine Muschelschale – wieder auf und lief gravitätisch zur Quelle hinüber, die mit Sauerampfer und großblätterigen Sumpfgewächsen überwuchert war. Dort machte er sich eifrig an die Arbeit, einen Haufen von Muscheln und anderen glänzenden Gegenständen aus der Erde hervorzuwühlen. Er breitete sie in der Sonne aus, drehte sie von einer Seite auf die andere, hob sie der Reihe nach auf, ließ sie wieder fallen, behandelte sie aber dabei wie rohe Eier und wühlte mit gierigen Augen darin, wie ein alter Geizhals in seinen Schätzen. Das war sein Steckenpferd, seine einzige Schwäche. Hätte man ihn gefragt, er hätte kaum eine Erklärung geben können, _warum_ er es tat, ebensowenig wie ein Schuljunge weiß, warum er Briefmarken sammelt, oder ein Mädchen erklären kann, warum sie Perlen Rubinen vorzieht. Nach einer halben Stunde harmlosen Spielens mit seinem Schatze bedeckte er alles, auch den neuen Zuwachs der Sammlung, sorgfältig mit Blättern und Erde und flog davon. Sofort ging ich nach dem Fleck und machte Ausgrabungen. Da fand ich denn einen ganzen Haufen weißer Kieselsteine, glänzender Muscheln, Zinkstückchen und mitten darunter den Henkel einer kostbaren Porzellantasse, der gewiß das Glanzstück der Sammlung war. An diesem Tage sah ich den Schatz zum ersten- und letztenmal; Silberfleck wußte, daß jemand seine Kostbarkeiten gefunden hatte, und entfernte sie sofort; wohin er sie brachte, weiß ich bis heute nicht. In den Monaten, während deren ich ihn so genau beobachten konnte, hatte er viele kleine Abenteuer, und gar oft entschlüpfte er dem Verderben nur mit knapper Not. Einmal wurde er von einem Sperber böse zugerichtet und oft von Königsvögeln geängstigt und verfolgt. Sie konnten ihm zwar nichts zuleide tun, aber sie vollführten einen derartigen Lärm um ihn herum, daß er sie soviel als möglich mied, gerade wie ein erwachsener, verständiger Mann einem Zusammenstoß mit lärmenden, unverschämten Gassenjungen aus dem Wege geht. Aber auch Silberfleck hatte leider einige grausame Liebhabereien. An jedem Morgen pflegte er die Runde durch die Nester der kleinen Vögel in der Nachbarschaft zu machen und den ängstlich flatternden und piepsenden Müttern die frischgelegten Eier vor der Nase wegzufressen. Dieser höchst verwerflichen Gewohnheit lag er mit der Pflichttreue und Regelmäßigkeit eines Doktors ob, der seine Patienten besucht. Aber wir dürfen ihn deshalb nicht richten; denn wir selbst machen es ja mit den Hennen im Hühnerhof nicht anders. [Illustration] Gar oft bewies er eine geradezu verblüffende Geistesgegenwart und Schlauheit. So beobachtete ich ihn einmal, als er mit einem großen Stück Brot im Schnabel das Tal entlang flog. Der Bach auf der Talsohle wurde damals gerade wie eine Schleuse übermauert, und es waren ungefähr siebenhundert Meter vollendet. Als Silberfleck über das noch offene Wasser vor dem Eingang in den Tunnel hinwegflog, verlor er das Brot aus dem Schnabel, das von der Strömung mitgerissen wurde und sofort in der Höhlung verschwand. Er ließ sich herab und lugte vergebens in das tiefe Dunkel hinein. Dann flog er, von einem plötzlichen Gedanken erfaßt, stromabwärts nach dem Ende des Tunnels und erwartete das Auftauchen des treibenden Brotes. Als es die Strömung denn auch richtig ans Tageslicht brachte, packte er es und trug es im Triumph davon. [Illustration] Silberfleck war eine Krähe von Welt. Sein Leben war an Erfolgen reich, und er lebte in einer Gegend, die, obwohl voll von Gefahren, Nahrungsmittel die Fülle bot. Jedes Jahr wuchs in seinem alten, verwitterten Nest eine junge, kräftige Brut heran, und dort verlebte er glückliche Zeiten mit seiner Gattin, die ich leider von den anderen Krähen nicht zu unterscheiden vermochte. Wenn dann die Krähen sich wieder versammelten, wurde er stets einstimmig zum unbeschränkten Führer und Herrscher erwählt. Die große Versammlung findet ungefähr Ende Juni statt. Die jungen Krähen mit ihren kurzen Schwingen, ihren flaumigen Flügeln und ihren Falsettstimmen werden dann mit Stolz von den Eltern herbeigebracht, denen sie fast an Größe gleichen, und im alten Fichtenholz, ihrer Festung und Bildungsstätte zugleich, der Gesellschaft vorgestellt. Hier finden sie luftige, sichere Schlupfwinkel ohne Zahl, hier beginnt ihre Erziehung, und alle die wichtigen Geheimnisse und Regeln des Krähenlebens werden ihnen beigebracht. Und diese sind von größter Wichtigkeit; denn ein einziger Mißerfolg im Krähenleben bedeutet – Tod. Die ersten zwei Wochen nach der Ankunft werden die Jungen sich selbst überlassen, um miteinander bekannt zu werden; denn jede Krähe muß alle anderen, die zum Heere gehören, persönlich kennen. Ihre Eltern ruhen sich inzwischen etwas aus von der Arbeit, die ihnen das Aufziehen und Großfüttern ihrer Kinder gemacht; denn sie können jetzt ihrer Nahrung selbst nachgehen und unbehütet in einer Linie aufgereiht auf einem Aste sitzen wie die Alten. [Illustration: Silberfleck] Nach einer Woche oder zwei beginnt dann die Zeit der Mauserung. Die Alten sind während dieser Periode meistens recht unberechenbar und nervös, aber das hält sie nicht ab, die Erziehung der Jungen zu beginnen, die natürlich nicht besonders entzückt von den Strafpredigten und Maßregelungen sind, die sie über sich ergehen lassen müssen, da sie bis dahin noch Mamas Lieblinge waren. Aber es geschieht alles nur zu ihrem Besten, wie die alte Dame sagte, als sie einen Aal abzog, und Meister Silberfleck ist ein ausgezeichneter Lehrer. Zuweilen scheint er einen ausführlichen Vortrag an sie zu richten. Was er sagt, kann ich leider nicht verstehen, aber nach dem durchschlagenden Erfolg und dem Eindruck, den er auf seine Zuhörer macht, zu schließen, muß er äußerst witzig sein. Jeden Morgen ist Kompagnie-Exerzieren, und die Jungen üben in zwei oder drei Abteilungen, die nach Alter und Stärke geordnet sind. Den Rest des Tages tummeln sie sich mit den Eltern auf der Futtersuche herum. [Illustration] [Illustration] [Illustration] Wenn später der September anbricht, geht eine große Veränderung mit ihnen vor. Der Schwarm der albernen kleinen Krähen fängt an, verständig zu werden, und das zarte Blau der Iris ihrer Kinderaugen macht dem Dunkelbraun des Auges eines alten, gewiegten Praktikers Platz. Sie sind jetzt tadellos einexerziert und können Vorpostendienste tun, sie wissen, was ein Gewehr ist, und haben einen erfolgreichen Spezialkurs in Insektenkunde und Botanik hinter sich. Sie wissen ganz genau, daß eine dicke, alte Bauersfrau, wenn auch massiger und größer, bei weitem harmloser ist, als ihr 15 Jahre alter Tunichtgut von Sohn, und sie können einen Knaben von einem Mädchen unterscheiden. Auch ist es ihnen bekannt, daß ein Regenschirm keine Feuerwaffe ist, und sie können schon bis sechs zählen, gewiß nicht übel für junge Krähen, obwohl Silberfleck die Zahlen fast bis dreißig meistert. Sie kennen den Geruch von Schießpulver und die Tollkirsche und fangen bereits an, sich auf ihre Weltweisheit etwas zugute zu tun. Auch legen sie ihre Flügel nach dem Niedersetzen stets dreimal zusammen, um sicher zu sein, daß es sorgfältig geschehen ist. Sie wissen, wie man einen Fuchs ängstigt, damit er die Hälfte seiner Beute aufgibt, und daß es das beste ist, sich in den nächsten Busch zu stürzen, wenn eine Schar von Königsvögeln oder anderen lärmenden Sängern des Waldes sie angreift; denn es ist ebenso unmöglich für sie, diese kleinen Quälgeister zu bekämpfen, wie für die dicke Äpfelhökerin, die kleinen, unnützen Jungen einzufangen, die ihre Körbe plündern. In allen diesen Dingen sind die jungen Krähen schon bewandert; nur fehlt ihnen noch die Unterweisung im Eiersammeln; denn dafür ist jetzt nicht die Jahreszeit. Auch sind sie noch nicht mit Muscheln bekannt und haben weder Pferdeaugen gegessen, noch das Getreide wachsen sehen, und der bedeutendste Erziehungsfaktor, das Reisen, ist ihnen bis dahin unbekannt geblieben. Vor zwei Monaten haben sie noch gar nicht an die Möglichkeit des Vorhandenseins einer anderen Gegend als der lieben Heimat gedacht, aber seitdem ist ihnen zuweilen der Gedanke daran gekommen. Aber sie haben warten gelernt, bis ihre Führer reisefertig sind. [Illustration] Auch mit den alten Krähen ist im September eine wichtige Veränderung vorgegangen – sie haben sich gemausert. Doch jetzt prangen sie wieder in voller Federnpracht und sind stolz auf ihre neuen, kleidsamen Röcke. Ihre Gesundheit ist vorzüglich und damit auch ihre Laune gebessert. Selbst Alt-Silberfleck, der eiserne Lehrmeister, wird beinahe lustig, und seine Schüler, die ihn schon seit langem achteten, fangen an, ihn wirklich zu lieben und zu verehren. Alle die langen Wochen hat er sie in harter Schule gehabt, sie alle gebräuchlichen Signale und Kommandoworte gelehrt, und jetzt ist es geradezu eine Lust, sie am frühen Morgen bei ihren Übungen zu beobachten. »_Erste Kompagnie_,« ruft der alte General auf Krähisch, und die Kompagnie antwortet mit lautem Geschrei. »_Fliegt_,« und mit dem Führer an der Spitze fliegen sie in gerader Linie davon. »_Steigt_,« und im Augenblick wenden sie sich kerzengerade aufwärts. »_Zusammen_,« und alle bilden eine undurchdringliche, schwarze Masse. »_Schwärmt_,« und sie zerstreuen sich wie welke Blätter vor dem Wind. »_Formiert Linie_,« und sie dehnen sich wieder aus zur langen Linie ihrer gewöhnlichen Flugordnung. »_Nieder_,« und alle lassen sich herab fast bis zum Erdboden. »_Furagieren_,« und sie verteilen sich zum Futtersuchen, während zwei Sicherheitsposten, der eine auf einem Baum zur Rechten, der andere auf einer Vogelscheuche zur äußersten Linken, ausgestellt bleiben. [Illustration] Ein oder zwei Minuten später ruft Silberfleck: »_Ein Mann mit einem Gewehr!_« Die Wachtposten wiederholen den Ruf, und die ganze Kompagnie fliegt so schnell wie möglich nach den Bäumen. Einmal dort in Sicherheit, formieren sie sich in Flugordnung und kehren in die heimatlichen Fichten zurück. Der Vorpostendienst wird nicht der Reihe nach von allen Krähen bezogen, sondern eine gewisse Anzahl, deren Wachsamkeit oft erprobt ist, bilden regelmäßig die Sicherheitsposten, und man sieht es als selbstverständlich an, daß sie zu gleicher Zeit wachen und furagieren. Dies erscheint uns etwas hart, aber es macht sich ganz gut, und die Organisation der Krähen ist die anerkannt beste unter allen Vögeln. Endlich im November kann man die Krähen südwärts ziehen sehen, um neue Lebenseinrichtungen, unbekannte Gegenden und fremde Sorten von Futter kennenzulernen, und alles dies unter der umsichtigen Leitung des weltweisen Silberflecks. III. Nur zu einer Zeit benimmt sich die Krähe dumm und albern, das ist während der Nacht. Und nur ein Vogel vermag sie in lähmende Todesangst zu versetzen, das ist die Eule. Deshalb hat, wenn diese zwei Dinge zusammentreffen, die Eule leichtes Spiel. Ertönt nach Eintreten der Dunkelheit ihr fernes Geschrei, so ziehen die geängstigten Krähen die Köpfe unter den Flügeln hervor und sitzen zitternd und elend bis zum Morgengrauen. Oft hat dies bei sehr kaltem Wetter zur Folge, daß einer Krähe ein oder beide Augen erfrieren, und Blindheit und Tod sind dann das Ende; denn Hospitäler für kranke Krähen gibt es noch nicht. Doch mit dem dämmernden Morgen kehrt auch ihre Tapferkeit zurück, und sich aufraffend durchstöbern sie die Waldungen wenigstens eine Meile im Umkreis, bis der nächtliche Ruhestörer gefunden ist, und wenn sie ihm nicht den Garaus machen, ängstigen sie ihn halb zu Tode und jagen ihn mindestens zwanzig Meilen davon. Im Jahre 1893 waren die Krähen wie gewöhnlich in Castle Frank erschienen. Einige Tage nach ihrer Ankunft machte ich einen Spaziergang durch den Wald und stieß zufällig auf die Spur eines Hasen, der in vollem Lauf durch den Schnee gerannt war und dessen verzweifelte Seitensprünge bewiesen, daß er verfolgt worden war. Doch höchst sonderbar, die Spur des Verfolgers war nicht zu finden. Ich ging der Fährte nach und traf bald auf einen Tropfen Blut im Schnee, und einige Schritte weiter fand ich die halbaufgezehrten Überreste eines armen kleinen Häschens. Wer der Mörder war, blieb mir ein Rätsel, bis ich bei sorgfältiger Untersuchung einen großen, doppelzehigen Eindruck im Schnee und eine wunderbar gezeichnete braune Feder fand. Nun war mir alles klar – es war _eine Steineule_. Eine halbe Stunde später kam ich wieder am gleichen Fleck vorüber und entdeckte auf einem Baume, kaum zehn Schritte von den Knochen ihres Opfers entfernt, die augenrollende Eule. Die Mörderin konnte sich vom Schauplatz ihres Verbrechens nicht trennen, und die unbedeutenden Beweisstücke, die Feder und der Eindruck im Schnee, hatten nicht gelogen. Bei meiner Annäherung ließ sie ein krächzendes »_Grrr – ooh_« hören und flog mit langsamen, fauchenden Flügelschlägen den fernen, düsteren Forsten zu. Zwei Tage später beim Morgengrauen war eine ungewöhnliche Aufregung unter den Krähen bemerkbar, und als ich ausging, um die Ursache zu ergründen, sah ich einige schwarze Federn über den Schnee flattern. Ich ging dem Wind entgegen in der Richtung, aus der die Federn kamen, und stand bald vor den blutigen Überresten einer Krähe. Daneben verriet wieder die große Doppelspur die Mörderin – die Eule. Im Umkreise konnte man alle Anzeichen eines hitzigen Kampfes erkennen, aber die Hasenverfolgerin war die stärkere gewesen, und die arme Krähe war von ihrem sicheren Zweig herabgerissen worden, als das Dunkel der Nacht ihr keine Möglichkeit zur Flucht oder Verteidigung bot. Ich wendete den Leichnam auf die andere Seite und brachte dabei zufällig den Kopf zum Vorschein – ein Ausruf tiefsten Mitleids entfuhr mir. Es war Silberflecks kluges Köpfchen. Sein langes, arbeitsreiches Dasein, das seinem Volke zu unschätzbarem Nutzen geworden, war beendet – er war dahingemordet von der gleichen Eule, gegen die er seinen Schülern Hunderte von Schutzmaßregeln beigebracht hatte. Das alte Nest am Zuckerhut-Hügel ist nun vollkommen verlassen und zerfallen. Die Krähen kommen im Frühjahr zwar noch nach Castle Frank, aber ohne ihren berühmten General. Ihre Zahl schwindet, und bald wird man sie zwischen den alten Fichten vergebens suchen, wo sie und ihre Voreltern seit Jahrzehnten gelebt, geliebt und gelernt haben. Zottelohr. Die Geschichte eines Hasen. Zottelohr oder Zottel war der Name eines jungen Häschens. Es verdankte diesen Zunamen einem aufgerissenen Löffel, den es aus seinem ersten Abenteuer davontrug. Zottelohr lebte mit seiner Mutter in Olifants Moor, wo auch ich die Ehre ihrer Bekanntschaft gemacht hatte und hundert kleine Abenteuer und interessante Begebenheiten aus ihrem Leben zusammentrug, die ich schließlich in diesen Blättern niederlegte. Menschen, die mit dem freien, ungebundenen Leben der Tiere nicht eingehend vertraut sind, werden mir vorwerfen, ich hätte ihnen zu viel Menschliches angedichtet; andere jedoch, die mitten in der Tierwelt leben und infolgedessen mit den Gewohnheiten und dem oft verblüffenden Instinkt vertraut sind, werden mir gewiß Glauben schenken. Die Hasen besitzen natürlich keine Sprache, die wir Menschen verstehen, aber sie haben eine bestimmte Weise, ihre Gedanken durch ein System von Lauten, Zeichen, Bewegungen der Schnurrhaare und Gebärden kundzugeben und damit das Reden vollkommen zu ersetzen. Obwohl ich diese Geschichte frei aus der Hasensprache ins Menschliche übertrage, wiederhole ich nichts, was ich nicht Gliedern der großen Sippe Hase wirklich abgelauscht hätte. [Illustration] I. Das rauschende Schilf am Teichesrand neigte sich und verbarg das warme, trauliche Nest, wo Zottelohrs Mutter ihren Einzigen versteckt hielt. Sie deckte ihn mit zarten Grashalmen warm zu, und ihr letzter mütterlicher Rat war wie immer: »Bleib stilliegen und halte den Mund, mag kommen, was da will!« Zottelohr, obwohl im warmen Bettchen, dachte natürlich nicht ans schlafen und musterte mit seinen klugen Äuglein das Stück seiner kleinen, grünen Welt, das sich über ihm auftat. Dort oben schimpften sich eine Elster und ein Eichkätzchen, zwei gar berüchtigte Mausehaken, gegenseitig Diebe, und einmal war Zottelohrs Heimatsbusch sogar der Mittelpunkt eines hitzigen Kampfes. Eine Goldammer erwischte einen blauen Schmetterling kaum sechs Zoll vor seiner Nase, und ein purpurrot und schwarz getüpfelter Marienkäfer, der mit seinen kulpigen Fühlern winkte, machte gravitätisch einen langen Spaziergang einen Grashalm hinauf, einen anderen hinab, quer durch das Nest und gerade über Zottels Nase. Jedoch Zottelohr rührte sich nicht und überwand es sogar, zu blinzeln oder zu niesen. Nach einer Weile hörte er ein fremdartiges Rascheln im Laub des nahen Dickichts, ein eintöniges, ununterbrochenes Rauschen, und obwohl er es bald hier, bald dort vernahm, kam es näher und näher, aber Tritte waren es nicht. Zottel hatte sein ganzes Leben (er war dazumal drei Wochen alt) im Moore zugebracht, und dennoch hatte er niemals etwas Derartiges gehört. Seine Neugierde war natürlich aufs höchste gespannt. Die Mutter hatte ihm zwar befohlen, stilliegen zu bleiben, aber nur im Falle einer Gefahr, und dieses fremdartige Geräusch ohne vernehmbare Tritte konnte gewiß nichts Gefährliches bedeuten. Das leise Rascheln ging dicht an ihm vorüber, dann zur Rechten, dann wieder zurück und schien sich schließlich zu entfernen. Zottel wußte sofort, was zu tun sei; denn er war ja kein Baby. Es war seine Pflicht als Hase, zu erfahren, was es da gab. Er erhob langsam seinen weichen, rundlichen Körper auf den flaumbedeckten, kurzen Beinchen, schob den dicken Kopf über die schützende Wand des Nestes und lugte neugierig hinaus in den Wald. Da er nichts Besonderes entdecken konnte, machte er einen Schritt vorwärts und – befand sich Auge in Auge mit einer ungeheueren, schwarzen Schlange. »Mama,« kreischte Zottelohr in tödlichem Entsetzen, als das Ungeheuer auf ihn zuschoß. Mit aller aufwendbaren Kraft seiner schwachen Beinchen versuchte er zu laufen. Aber wie der Blitz hatte ihn die Schlange am Ohr und wickelte sich voll gieriger Lust um das hilflose kleine Häschen, das sie sich zum Mittagsmahl auserkoren. »Mama, Mama,« keuchte der arme Kleine, als das grausame Ungetüm begann, ihn langsam zu Tode zu würgen. Bald, gar bald würde des Kleinen Schrei verstummt sein, aber da kam Hilfe in der Not; mit langen, atemlosen Sätzen kam durch den Wald – die Mutter. Nicht länger mehr eine scheue, furchtsame Häsin, stets bereit, auch vor einem Schatten davonzulaufen – die Mutterliebe war in ihr erwacht. Der Hilfeschrei ihres Einzigen hatte sie mit der Tapferkeit einer Heldin erfüllt, und – hopp, setzte sie über den ekelhaften Wurm. Beim Sprunge schlug sie mit ihren starken, scharfbewaffneten Hinterläufen kräftig aus und versetzte der Schlange einen solchen Schlag, daß sie sich vor Schmerzen krümmte und vor Wut zischte. »Mama,« wimmerte ganz schwach ihr Kleinod. Und die Mutter wiederholte ihre Sprünge wieder und wieder und schlug heftiger und ungestümer bei jedem Satz, bis das abscheuliche Gewürm Zottels Ohr fahren ließ und nach Atem schnappte, aber alles, was es erwischen konnte, war ein Flöckchen Wolle. Der Häsin sausende Hiebe fingen an, ihre Wirkung zu zeigen; denn lange, blutige Striemen waren in den Schuppenpanzer des schwarzen Ungetüms gerissen. Die Sache begann der Schlange ungemütlich zu werden, und indem sie sich für den nächsten Angriff vorbereitete, lockerte sich der eiserne Griff, mit dem sie das kleine Häschen umklammerte, das sofort aus der furchtbaren Umschlingung herauskroch und im Niederholz verschwand, außer Atem und zu Tode entsetzt, aber unversehrt bis auf sein linkes Ohr, das vom scharfen Zahn arg zerfetzt war. [Illustration] Die Mutter hatte damit alles erreicht, was sie wollte. Sie fühlte keine Neigung, um Ruhm oder Rache zu kämpfen; so verschwand auch sie im Wald, und das befreite Häschen folgte ihrer weißen Blume wie einem Leuchtturm, bis sie in einer sicheren Ecke des Moores angelangt war. II. Alt-Olifants Moor war ein unwirtlicher Waldzug, voll von Dorngestrüpp und jungem Nachwuchs, mit einem morastigen Teich und von einem Flusse durchquert. Ein paar alte Veteranen des Hochwaldes waren noch stehen geblieben, und einige noch ältere Baumstümpfe lagen im Unterholz umher wie Leichensteine. Die Gegend im Umkreis des Teiches war von der weidenbewachsenen, schilfigen Beschaffenheit, die Katzen und Pferde vermeiden, die jedoch das Rind aufsucht. Die trockeneren Streifen waren überwuchert mit wilden Rosen und jungen Bäumchen, und der äußerste Gürtel des Ganzen, dem sich das freie Feld anschloß, bestand aus schlank gewachsenen, biegsamen, jungen Fichten, deren frische, grüne Nadeln dem einsamen Wanderer einen erfrischenden, balsamischen Duft zusandten. Doch wehe jedem Unkraut, das es wagt, seine Nährkraft aus dem angestammten Boden der Fichte zu ziehen; sicherer Untergang durch das erstickende Leichentuch der absterbenden Nadeln droht ihm gewiß. Im weiten Umkreis dehnte sich das freie Feld, und die einzigen Wildpfade, die jemals die Waldungen durchkreuzten, waren die eines ganz gewöhnlichen, gewissenlosen Fuchses, dessen festes, unterirdisches Raubschloß nur allzunahe lag. Die Hauptbewohner des Moores waren Zottelohr mit seiner Mutter, deren nächste Nachbarn weit entfernt lebten und deren Verwandtschaft schon längst zu den Vätern versammelt war. Das waldbewachsene Marschland war ihre Heimat. Hier lebten sie ihr anspruchsloses Hasenleben, und hier war es, wo Zottelohr die Erziehung genoß, die ihn zu einem tüchtigen Hasen machte, der dem Ernst des Lebens mit Charakter entgegentrat. Mama Hase war eine treue, kleine Mutter, die ihr Söhnchen erzog, so gut sie es eben konnte. Das erste, was sie ihm beibrachte, war »Stilliegen und Schweigen«. Das Abenteuer mit der Schlange lehrte Zottel die tiefe Weisheit dieses Rates ganz begreifen. Er vergaß die Lehren niemals und handelte in späteren Tagen genau so, wie man es ihm angeraten, was sich in den meisten Fällen auch als das einzig Richtige erwies. Das zweite, was er lernte, war »Erstarren«. Es ergibt sich ganz von selbst aus dem ersten und wurde Zottel, sobald er ordentlich laufen konnte, in der Praxis beigebracht. »Erstarren« bedeutet einfach, sich nicht rühren und zur leblosen Statue werden. Sobald ein gut erzogener Hase entdeckt, daß ein Feind ihm nachstellt, bleibt er gerade wie und wo er ist, und vermeidet ängstlich jede Bewegung. Dies ist ganz natürlich; denn die Bewohner des Waldes, die von der gleichen Farbe wie Erde, Baum und Strauch sind, ziehen nur dann das Auge des Verfolgers auf sich, wenn sie sich rühren. Begegnen sich nun zwei Feinde auf den einsamen Wald- und Wildpfaden, so ist der, der den Gegner zuerst erblickt, im Vorteil, weil er sich durch »Erstarren« unsichtbar machen und dann den richtigen Zeitpunkt für Angriff oder Flucht selbst wählen kann. Nur wer mit dem Leben und Treiben des Waldes innig vertraut ist, ist imstande, die Bedeutung des Erstarrens ganz zu fassen. Jedes Tier im freien, grünen Forst und jeder Jäger muß es erst lernen, und die meisten Tiere bringen es zu einer erstaunlichen Vervollkommnung, doch keines konnte es Mutter Hase gleichtun. Sie lehrte Zottel dieses Kunststück an Beispielen. Wenn das weiße Kissen, das sie als bequemes Sitzpolster immer mit sich trug, durch die Waldung dahinflog, hopste Zottelohr hinterher, so schnell er konnte, um wenigstens annähernd Schritt zu halten, doch wenn die Mutter plötzlich anhielt und »erstarrte«, tat er, veranlaßt vom natürlichsten Nachahmungstrieb, genau das gleiche. Die tiefste Weisheit jedoch, die Zottelohr von seiner Mutter mitbekam, war das Geheimnis des wilden Rosenbusches. Es ist eine uralte Geschichte, und um sie ganz zu verstehen, muß man erst erfahren, warum der wilde Rosenstrauch mit den Tieren in Feindschaft geriet. [Illustration] In alten, alten Zeiten blühten die Rosen auf Sträuchern ohne Dornen. Aber das Eichhörnchen und die Maus kletterten nach ihnen, und die Kuh stieß sie mit ihren Hörnern herab. Das Opossum peitschte sie mit seinem langen Schwanz herunter, und das Reh trat sie mit seinen scharfen Hufen nieder. Deshalb bewaffnete sich der Rosenstrauch mit spitzen Stacheln, um seine Rosen beschützen zu können, und erklärte allen Geschöpfen ewige Fehde. Von dieser Kriegserklärung wurde niemand ausgenommen als der Hase; denn er konnte ja nicht klettern, war huflos und hatte weder Hörner noch einen Schwanz, wenigstens keinen, den man als solchen bezeichnen konnte. Und in der Tat, niemals hat ein Hase einer wilden Rose ein Leid zugefügt, und da sie so viele Widersacher hatte, machte sie den Hasen zu ihrem Busenfreund. Und wenn Gefahr dem armen Lampe droht, flieht er zum nächsten Rosenbusch; denn er weiß ja, daß dieser bereit ist, ihn mit tausend spitzigen Schwertern zu verteidigen. [Illustration: Der Tod Silberflecks] Das ist die geheimnisvolle Überlieferung von der innigen Freundschaft des Rosenstrauchs mit Meister Lampe. – Die Hasenmutter war klug genug, ihre kostbare Zeit vor allem zu benutzen, um das gelehrige Söhnchen mit der Geographie des Landes, den tausend Irrpfaden zwischen den Brombeer- und Dornensträuchern, vertraut zu machen, und Zottel kannte sie bald so gut, daß er sich auf zwei verschiedenen Wegen durch das Moor nach Hause finden konnte, ohne sich dabei von den stets hilfsbereiten, wilden Rosen weiter zu entfernen als höchstens fünf Hopse. [Illustration] Nicht lange ist’s her, da bemerkten die Feinde der Hasen mit gerechtem Unwillen, daß die Menschen eine neue Sorte von Dornenhecken erfunden hatten und diese in langen Reihen durch das ganze Land pflanzten. Diese Hecken waren so stark, daß niemand sie niederbrechen konnte, und so scharf, daß sie das dichteste Fell erbarmungslos zerrissen. Jedes Jahr erschienen mehr und mehr, und jedes Jahr wurde die Sache für die freien Waldbewohner ernsthafter. Nur Mutter Hase hatte von dieser Neuerung nichts zu fürchten, denn nicht umsonst war sie unter den wilden Rosen aufgewachsen; aber Hunde und Füchse, Kühe und Schafe, ja selbst Menschen rissen sich gar jämmerlich an diesen furchtbaren Stacheln, und je weiter sich dieser bisher ungekannte und nun gefürchtete Dornstrauch ausbreitete, desto sicherer wurde das Land für die Hasen und desto ruhiger konnten sie leben unter dem Schutze des – Stacheldrahtzauns. III. Die Häsin hatte nur diesen einzigen Sprößling, und Zottelohr genoß infolgedessen ihre ungeteilte Liebe und Pflege. Er war ein außergewöhnlich flinker, starker und kluger Junge, das Glück lächelte ihm, und so entwickelte er sich zu einem wahren Prachthasen. Die Mutter hielt ihren Sohn beständig an, die Geheimnisse der Waldeskunde gründlich kennenzulernen, zu unterscheiden, was gut zu essen und zu trinken und was schädlich sei. Tag für Tag mühte sie sich ab, ihn zu belehren und zu einem tüchtigen Hasen heranzubilden, und trichterte in seinen Kopf Hunderte von Plänen, Kniffen und Schlichen, die ihre eigene Erfahrung und ihre gute Erziehung sie gelehrt. So rüstete sie Zottel mit einer Bildung aus, mit der er als Mann ins Leben treten konnte. [Illustration] Dicht neben der Alten im Kleeacker oder im Dickicht konnte man ihn würdevoll sitzen sehen und beobachtete, wie er ihr nachahmte, wenn sie sich die Nase putzte, oder dann und wann ein paar Hälmchen aus ihrem Maule zupfte und an ihren Lippen leckte, um sicher zu gehen, daß er auch das gleiche Futter bekam wie sie. Dann lernte er, wie man die Ohren mit den Pfoten glatt streichen und den Rock ausbürsten müsse, und wie man die Haarflocken aus Weste und Socken entfernt. Auch wußte er bald, daß die Tautropfen der wilden Rosenblätter das einzig anständige Getränk für Hasen sind; denn Wasser, das einmal die Erde berührt, mußte sicherlich irgendeine schädliche Beimischung haben. Das waren die Vorstudien zur Waldeskunde, der ältesten aller Wissenschaften. Sobald Zottelohr groß genug war, um ohne Begleitung ausgehen zu können, machte ihn seine Mutter mit dem Geheimnis der Telegraphie bekannt. Die Hasen pflegen sich gegenseitig Signale zu geben, indem sie mit den Hinterläufen auf den Erdboden klopfen, und da der Schall auf der Erde bekanntlich sehr weit trägt, kann man einen Schlag, wenn man das Ohr dem Grunde nähert, wenigstens hundert Meter weit vernehmen. Nun haben die Hasen ein ungemein scharfes Gehör und sind imstande, das Klopfen eines der Ihrigen zweihundert Meter weit zu hören, eine Entfernung von einem Ende von Olifants Moor bis zum anderen. Ein einmaliges Klopfen bedeutet »Paß auf« oder »Erstarre«. Ein langsames Poch-Poch »Komm«. Ein hastiges Klopfen heißt »Gefahr« und ein rasches dreimaliges Pochen »Lauf ums liebe Leben«. An einem wunderschönen Morgen, als sich die Eichelhäher in den Zweigen zankten, ein sicheres Zeichen, daß keine Gefahr zu befürchten war, begann Zottel dieses neue Studium. Mutter Hase gab durch Anlegen der Löffel das Zeichen zum Niederlegen, dann lief sie weit hinweg in das Dickicht und telegraphierte »Komm«. Zottel setzte sich in Trab, aber konnte sie nicht finden; er klopfte und wartete vergeblich auf eine Antwort. Aufmerksam umherschnüffelnd, fand er ihre Fußspur, und dieser Führerin folgend, die alle Tiere sicher leitet, den Menschen jedoch unbekannt ist, arbeitete er sich vorwärts und fand die Mutter glücklich in dem Versteck. Das war seine erste Übung im Aufspüren, und dieses Wechselspiel von Suchen und Finden wurde zur Schulung für manch ernsthaften Fall in seinem späteren Leben. Schon ehe man den ersten Lehrkurs beendet hatte, war er Meister aller Kniffe und Winkelzüge, die zum Leben eines Hasen Bedingung sind, und in vielen bewies er außergewöhnliches Talent, in manchen sogar wirkliches Genie. Er war Sachverständiger im Unterscheiden der Bäume und Pflanzen, ein wahrer Künstler in Seitensprüngen und im Erstarren; er konnte jedes Hindernis mit Eleganz nehmen, jeden Wind ausnutzen und sich so natürlich tot stellen, daß er kaum noch neuer Kunstgriffe bedurfte. Ohne alle Vorübung wußte er genau, wie man sich die Stacheldrahtzäune zunutze macht; denn dies war ja ein Kniff neuester Erfindung. Seinen Verfolgern Sand in Augen und Nase zu werfen, war sein Lieblingsspiel; er konnte kunstgerecht ausbiegen, über Zäune setzen und Kreise beschreiben und vor allem sich _einlochen_, ein Kunststück, das wir noch näher beschreiben müssen. Aber bei alledem vergaß er niemals, daß »Erstarren« und »Zusammenducken« der Anfang aller Weisheit ist, und daß der wilde Rosenstrauch den einzigen sicheren Schutz gewährt. Früh lehrte ihn die Mutter auch alle Feinde der Hasen kennen und unterscheiden und brachte ihm vor allem die Art bei, sie ordentlich an der Nase herumzuführen, denn sie alle, Bussarde, Eulen, Füchse, Hunde, Marder, Wiesel, Katzen, Skunks, Waschbären und Menschen, haben einen besonderen Verfolgungsplan, und für alle diese Übel wußte die kluge Lehrmeisterin eine Abhilfe. [Illustration] Um die Annäherung des Feindes rechtzeitig zu entdecken, lernte er, sich vor allem auf sich selbst und seine Mutter, dann aber auf den Eichelhäher zu verlassen. »Niemals überhöre des Hähers Warnungsruf,« war der weise Rat der Mutter; »zwar ist er ein Ränkeschmied, ein Unheilstifter und ein Dieb, aber es entgeht ihm nichts. Er würde sich zwar nichts daraus machen, uns Übles zuzufügen, aber dank dem wilden Rosenstrauch kann er es nicht, und da seine Feinde auch die unsern sind, mußt du ihn immer im Auge behalten. Wenn du den Warnungsruf des Spechtes hörst, kannst du ihm trauen; denn er ist ein braver, ehrlicher Nachbar. Aber er ist rein nichts gegen den Häher, und obwohl dieser oftmals lügt, um Unheil anzustiften, kannst du ihm immer glauben, wenn er böse Kunde bringt.« [Illustration] Das Springen durch Stacheldrahtzäune erfordert starke Nerven und behende Läufe, und erst in seinen späteren Jahren versuchte sich Zottelohr an diesem Kunststück; aber als er ausgewachsen war, wurde es sein Lieblingssport. »Es macht denen, die es wirklich verstehen, viel Spaß,« sagte Mutter Hase; »zuerst läufst du vor deinem Hunde her immer gerade aus und läßt ihn ein bißchen warm werden, indem du dich beinahe fangen läßt; dann, in Sprungweite vor ihm, führst du ihn in weitem Bogen im vollsten Galopp in einen brusthohen Stachelzaun. Oft hab ich’s schon mit angesehen, daß ein Hund oder ein Fuchs fürs ganze Leben zum Krüppel wurde, und einmal sah ich einen mächtigen Jagdrüden tot auf dem Platze bleiben, aber noch öfter hat ein braver Hase sein Leben bei diesem Wagestück gelassen.« Zottelohr wurde beizeiten in das eingeweiht, was mancher Hase niemals lernt, in das »Einlochen«, eine nicht so einfache Sache. Oft ist es eines klugen Hasen letzte Rettung, aber früher oder später eines tölpischen Häschens Tod. Ein junger Hase denkt an diesen Ausweg immer zuerst, ehe er einen anderen versucht, aber ein Ausgelernter wird sich seiner nur im höchsten Notfall bedienen. Es ist ein sicheres Entwischen vor einem Menschen oder einem Hund, vor einem Fuchs oder einem Raubvogel, aber es bringt sicheres Verderben, wenn der Verfolger ein Marder, ein Skunk oder ein Wiesel ist. [Illustration] Es gab nur zwei Erdlöcher im Moor. Das eine war unter der Sonnenbank, einem trockenen, geschützten Erdhügel auf der Südseite, offen und langsam gegen die Sonnenseite abfallend. Hier war es, wo die Familie Hase an schönen Tagen ihre Sonnenbäder zu nehmen pflegte. Auf einem Bett von Fichtennadeln und Wintergrün streckten und reckten sie sich in katzenartigen Stellungen und drehten sich langsam von einer Seite auf die andere, wie man einen Braten auf dem Roste wendet, damit alle Seiten gut durchbraten. Sie blinzelten, schnauften und krümmten sich wie unter den schrecklichsten Schmerzen und Qualen, aber dabei war es das höchste Wohlbehagen, das sie kannten. [Illustration] Quer über den Rand des Erdhügels lag ein alter Fichtenstumpf. Seine grotesken Wurzeln schlängelten sich über die gelbe Sandbank wie Drachenarme, und unter ihren schützenden Ausläufern hatte sich vor Zeiten ein altes, bärbeißiges Murmeltier eine Höhle gegraben. Dieser griesgrämige Einsiedler wurde von Tag zu Tag unliebenswürdiger und schlechtgelaunter und ließ sich eines Tages fürwitzig in Handgreiflichkeiten mit Olifants Hund ein, anstatt sich weise zurückzuziehen. Infolgedessen konnte eine Stunde später Mutter Hase von der Höhle Besitz ergreifen. Einige Zeit darauf ging dieses Erdloch in den Besitz eines selbstgefälligen, jungen Skunks über, der sich gewiß eines langen Lebens erfreut hätte, wäre er weniger tollkühn und eingebildet gewesen; denn er glaubte in seiner Vermessenheit, daß selbst der Mensch mit dem Schießgewehr bewaffnet vor ihm die Flucht ergreifen müsse. Er mußte diese Behausung bald aufgeben; denn seine selbstherrliche Regierung dauerte nur vier Tage. Die zweite Höhle, das »Farnloch«, lag, wie schon der Name verrät, unter einem Farnstrauch dicht neben dem Kleeacker. Sie war eng, feucht und zu nichts zu gebrauchen, es sei denn im Falle höchster Not als letzter Zufluchtsort. Auch sie war das Werk eines Murmeltiers, eines wohlmeinenden, freundlichen Nachbars, dessen Haut jedoch leider infolge der Feigheit ihres Besitzers in Form einer Peitschenschnur aus Olifants Ackerpferden erhöhte Arbeitskraft heraushieb. »Geschieht ihm schon recht,« meinte der Alte; »denn diese Peitsche ist bei gestohlenem Futter gewachsen!« Zottelohr-Sohn und Mutter waren nun die alleinigen Besitzer dieser beiden Höhlen, aber sie suchten sie so selten als möglich auf, damit nichts einem Pfade auch nur annähernd Ähnliches das Bestehen dieser letzten Zufluchtsstätten ihren Feinden und Widersachern verraten sollte. [Illustration] [Illustration] Auch stand da ein hohler Nußbaum, der, obwohl fast verfallen, dennoch jedes Jahr frisch grünte und unschätzbare Vorteile bot, weil er an beiden Seiten offen war. Diese Höhle war lange die Residenz eines alten, einsiedlerischen Waschbären, der seinen Lebensruf darin erblickte, Frösche zu jagen, und der sich wie die alten Mönche aller Fleischnahrung enthielt. Man argwöhnte jedoch, daß ihm nur die Gelegenheit fehlte, einmal einen Hasen zum Frühstück zu versuchen. Und so kam es denn, daß ihn eines Nachts ein jäher Tod von Olifants Hand erreichte, als er gerade dabei war, dessen Hühnerhaus gründlich auszuplündern, und die Hasenmutter konnte von seinem traurigen Heim Besitz ergreifen, ohne die geringste Trauer um den Dahingeschiedenen, vielmehr mit dem Gefühl wahrer Erleichterung. IV. Der goldene Sonnenschein eines Augustmorgens flutete über das Moor, und jedes Blättchen schien sich im warmen Glanze zu baden. Ein kleiner, brauner Sumpfsperling schaukelte auf einer langen Rute über dem Teiche. Unter ihm spiegelte das schmutzige Wasser ein paar Streifen blauen Himmels, und aus ihnen und den grüngelben Wasserlinsen bildete sich das wunderbarste Mosaik mit dem Spiegelbilde des kleinen Vogels in der Mitte. Am Ufer stand ein dichter Wald üppig wuchernder Wasserpflanzen, die tiefe Schatten über das braune Riedgras warfen. Die Augen des kleinen Sumpfsperlings waren nicht dazu erzogen, all diese Farbenpracht in sich aufzunehmen; aber sie hatten etwas entdeckt, was wir wohl übersehen hätten, nämlich daß zwei der kleinen, braunen Höcker unter den breiten Blättern der Wasserpflanzen Lebewesen waren, deren Nasen sich unaufhörlich auf und ab bewegten, obwohl sie sonst wie tot dalagen. Es waren Mutter und Sohn, die behaglich ausgestreckt unter den schützenden Blättern lagen. Sie hatten dieses schattige Plätzchen gewählt, weil es den lästigen Pferdefliegen dort zu langweilig war und sie infolgedessen ungestört der Ruhe pflegen konnten. Die Hasenkinder haben keine fest bestimmte Zeit für ihre Unterrichtsstunden, sie lernen den ganzen Tag; denn die Wahl einer Unterrichtsstunde hängt ganz von den Umständen ab und macht sich oft nötig, bevor man’s ahnt. Mutter und Sohn hatten sich zu einer gemütlichen Mittagspause nach diesem stillen Ort begeben, aber sie waren nicht lange dort, als plötzlich des immer wachsamen Eichelhähers Warnruf erscholl und die Hasenmutter veranlaßte, sofort Nase und Ohren aufzurichten. Drüben über dem Moor erschien Olifants großer schwarz- und weißgefleckter Hund und kam gerade auf sie los. »Duck dich nieder,« rief die Alte, »und ich will den Narren schon Mores lehren.« Davon sauste sie und kreuzte furchtlos des Hundes Weg. »Wau, wau,« ertönte sein aufgeregtes Gebell, als er hinter Zottelohrs Mutter dahinrannte, doch diese ließ ihn nicht in greifbare Nähe kommen und führte ihn dorthin, wo Millionen von scharfen Stacheln ihn blutig rissen, bis ihm das Fell von den Ohren hing. Zuletzt leitete sie die wilde Jagd im Bogen genau auf einen dichtüberwucherten Stacheldrahtzaun zu, wo sich der hitzige Verfolger eine derartige Wunde zuzog, daß er heulend vor Schmerz heimwärts trottete. Nachdem die Häsin dann noch eine doppelte Schleife und verschiedene andere kunstvolle Windungen im Laufe beschrieben hatte, um ihre Spur möglichst zu verwischen, im Falle der Hund zurückkehren sollte, kam sie zu ihrem Söhnchen zurück und fand es, die großen, neugierigen Augen weit aufgerissen, aufrecht sitzend und sich den Hals verdrehend, um diesen interessanten Sport mitanzusehen. Dieser Ungehorsam machte die Alte so ungehalten, daß sie ihrem Sprößling eins mit dem Hinterlauf versetzte, worauf er kopfüber in den Schlamm purzelte. [Illustration] Eines Tages als die Hasen sich gerade zum üppigen Mahle im Kleeacker niedergelassen hatten, kam ein rotgeschwänzter Bussard aus den Lüften herab auf sie zugeschossen. Die Mutter schlug hinten aus, um den Bussard zum besten zu haben, und flüchtete dann unter die Dornen, die längs eines alten Waldpfades standen, wohin der Räuber natürlich nicht folgen konnte. Es war der Hauptverbindungsweg zwischen dem Dickicht am Bache und dem sogenannten »Ofenrohr«-Reisighaufen, und da einige Schlingpflanzen querherüber gewachsen waren, machte sich Mutter Hase, den Bussard natürlich im Auge behaltend, daran, diese Zweige abzubeißen. Zottelohr sah ihr eine Weile zu, dann lief er ein Stückchen voraus und knabberte einige Ranken ab, die weiter unten den Pfad versperrten. »Das ist recht,« sagte die Mutter, »halte die Rennwege offen, nicht zu breit, aber laß sie ja nicht zuwachsen; denn du wirst sie oft genug nötig haben. Beiße alle Ranken sorgfältig ab, dann wirst du eines Tages finden, daß du Fallstricke zerschnitten hast.« »Was bedeutet denn das?« fragte Zottelohr wißbegierig, indem er sich mit dem linken Hinterlauf behaglich am rechten Ohr kratzte. [Illustration] »Ein Fallstrick oder eine Schlinge,« erklärte ihm die Mutter, dann und wann einen raschen Blick nach dem jetzt weit entfernten Bussard werfend, »eine Schlinge ist ein Ding, das genau so aussieht, wie eine Schlingpflanze, aber es wächst nicht und ist gefährlicher als alle Raubvögel der Welt; denn Tag und Nacht liegt es verborgen im Rennweg, bis es einst die Gelegenheit wahrnimmt, dich zu fangen.« »Du glaubst doch nicht etwa, daß es mich fangen könnte?« fragte Zottelohr mit der ganzen Einbildung seiner jungen Jahre, indem er sich auf die Zehenspitzen stellte, um sich hoch oben an der glatten Rinde eines jungen Bäumchens Kinn und Schnurrbart zu reiben. Zottel wußte nicht, warum er das tat, aber seine Mutter sah und kannte dieses Anzeichen, ähnlich dem Stimmwechsel bei einem Knaben, und wußte, daß ihr Kleiner nun kein Baby mehr war und bald in die Reihen der Erwachsenen eintreten würde. V. Es liegt ein tiefer Zauber im frischen, dahinrieselnden Wasser. Wer weiß und fühlt das nicht stets von neuem! Eisenbahndämme baut man furchtlos durch weite Sümpfe und Teiche, ja selbst durch Seen, aber die schmalste Rinne laufenden Wassers behandelt man mit größter Achtung und Vorsicht, macht ihre Richtung, Wege und Wünsche ausfindig und gibt ihr freien Lauf. Der durstgequälte Wanderer in der giftdunstenden Salzwüste hält sich fern von schilfbewachsenen Sümpfen, bis er endlich eine Stelle findet, wo sich eine silberklare, dünne Linie durch die Öde schlängelt – lebendiges Wasser – und erlöst beugt er sich nieder, um sich zu erquicken. Es liegt eine geheimnisvolle Macht im frischen, laufenden Wasser, es bildet ein unüberwindliches, gleichsam bannendes Hindernis für jeden bösen Zauber, in Zeiten der Not gewährt es Hilfe und Rettung, und das freie Geschöpf des Waldes mit dem nicht ermüdenden Todfeind auf seiner Fährte sucht, von seiner Zaubermacht unbewußt angezogen, seinen nie versagenden Schutz. Wenn das gehetzte Tier mit seiner Kraft am Ende ist, wenn jeder erdenkliche Kunstgriff und Ausweg versagt, führt es ein guter Engel zum Wasser, zum lustig dahinspringenden lebendigen Wasser, und es stürzt sich hinein und folgt dem kühlenden Strome, um dann erfrischt und gekräftigt den Weg zum Forste wieder aufzunehmen. Es liegt ein geheimer Zauber im lebendigen Wasser. Wenn die Hunde auf hitziger Jagd an dieses Hindernis kommen, müssen sie ihren Lauf hemmen und suchen umher, aber sie suchen vergeblich. Die Spur ist verschwunden in dem frischdahineilenden Strom, und das arme, gehetzte Wesen ist frei. Das war eins der großen Geheimnisse, die Zottelohr von seiner Mutter lernte – »nach dem wilden Rosenstrauch ist das Wasser dein bester Freund«. Es war in einer gewitterschwülen Nacht im August, als die Mutter ihren Sohn durch die Waldungen führte. Vor ihm blinkte das schneeweiße Kissen, das sie trug, als wegweisende Laterne, die nur erlosch, sobald die Häsin anhielt und sich gemütlich darauf niederließ. In kurzen Unterbrechungen, einmal laufend, dann anhaltend, um zu horchen, kamen sie ungehindert an das Ufer des Teiches. Die Vögel hoch oben in den Zweigen sangen ihr Schlummerlied, und draußen auf einem versunkenen Stamme, im tiefen, dunkeln Wasser, bis zum Knie im kühlenden Bad, quakte ein fetter Frosch einen Lobgesang. »Mein Sohn, folge mir!« sagte die Mutter in der Hasensprache, und schwapp, sprang sie in den Teich hinein und strich gewaltig aus, um den versunkenen Baumstumpf zu erreichen. Zottel zauderte erst, doch sprang er dann mit einem kleinen »Autsch« in die Flut, luftschnappend und eifrig mit der Nase wackelnd, aber immer die Bewegungen seiner Mutter genau nachahmend. Wie er sich auf dem Land fortbewegte, tat er es auch im Wasser – er schwamm. Vorwärts ging es, bis der Stamm erreicht war, und dort kletterte er hinauf neben seine triefende Mutter auf das erhöhte, trockene Ende, umgeben von einer rauschenden Laubwand und dem Wasser, das nichts ausplaudert. Später in dunklen, warmen Nächten, wenn der alte Fuchs von Springfield plündernd durch das Moor streifte, erinnerte sich Zottel stets der Stelle, wo die Frösche singen; denn im Falle größter Gefahr konnte sie ihm die letzte Rettung bringen, und von diesem Tage an verstand er die Worte, die der Frosch sang: »Komm, komm, wenn in Gefahr, dann komm!« Dieses war die letzte Belehrung, die Zottelohr von seiner Mutter mitbekam. Sie zeugt von außergewöhnlicher Hasenweisheit, und manches kleine Häschen hat und wird sie nie erhalten. VI. Gar selten verläßt ein Bewohner des Waldes das Leben aus Altersschwäche; er nimmt wohl immer einmal früher oder später ein tragisches Ende, und es ist nur eine Frage der Zeit und der Klugheit, wie lange er sich den Verfolgungen seiner Feinde entziehen kann. Zottels Leben bewies jedoch, daß ein Hase, der einmal glücklich ins Mannesalter eingetreten ist, meistens erst im letzten Drittel seines Daseins, wenn es bergab geht, seinen Verfolgern zum Opfer fällt. Die Hasenfamilie hatte überall Feinde, und ihr tägliches Leben war eine Kette von Ängstigungen, Nachstellungen und Verfolgungen, denen sie nur um Haaresbreite entrannen; denn Hunde, Füchse, Katzen, Skunks, Waschbären, Wiesel, Schlangen, Raubvögel und Menschen, ja selbst giftige Insekten schmiedeten fortwährend Anschläge gegen ihr Leben. Sie waren in Hunderte von Abenteuern verwickelt, und wenigstens einmal am Tage waren sie gezwungen, ums liebe Leben zu rennen und es durch die Schnelligkeit ihrer Läufe und ihre Schlauheit zu retten. [Illustration: Wenn das weiße Kissen dahinfliegt durch die Waldung ...] Mehr als zweimal zwang sie der böse Fuchs von Springfield, Zuflucht unter den Ruinen eines verfallenen, mit Stacheldraht überspannten Schweinekofens nahe an der Quelle zu nehmen; doch wenn sie einmal dort geborgen waren, durften sie ihm ruhig zusehen, wie er sich die Beine in vergeblichen Versuchen, die Hasen zu erreichen, blutig riß. Einige Male lenkte Zottel auch die Aufmerksamkeit eines ihn verfolgenden Hundes von sich ab und auf einen Skunk, der fast ebenso gefährlich war, wie der Rüde. Einmal wurde Zottel sogar von einem Jäger, dem ein guter Hund und ein Frettchen helfend zur Seite standen, eingefangen, aber er hatte das Glück, am nächsten Tage zu entwischen, und von da war er vom tiefsten Mißtrauen gegen die Sicherheit der Erdlöcher erfüllt. Verschiedene Male wurde er von einer Katze ins Wasser gejagt, und oft stellten ihm Bussarde und Eulen nach, jedoch für jede noch so große Gefahr gab es einen rettenden Ausweg. Die Mutter lehrte ihn all die Winkelzüge und Kniffe, die ihr bekannt waren, und Zottelohr verbesserte sie und erfand sogar neue, als er älter wurde. Je gesetzter und weiser er wurde, desto weniger verließ er sich auf seine Läufe, aber mehr und mehr auf seinen Witz und seine Erfahrung. [Illustration] »Ranger« hieß ein junger Hund aus der Nachbarschaft, den sein Meister zu seiner Ausbildung und Erziehung des öfteren auf die Fährte eines Hasen brachte. Fast in jedem Falle war es Zottelohr, dem die Jagd galt, und er ergötzte sich bei diesen Hetzen mindestens ebenso sehr wie seine Verfolger; denn der Beigeschmack von Gefahr gab der Sache den nötigen Reiz. Gewöhnlich pflegte er zu sagen: [Illustration] »O Mutter, da ist dieser Hund schon wieder, jetzt muß ich mich einmal ordentlich auslaufen!« »Du bist zu frech, Zottel, mein Sohn,« erwiderte die Mutter, »und mir ahnt, daß du noch einmal in dein Verderben rennen wirst.« »Aber, Mutter, das ist doch solch ein herrlicher Spaß, diesen dummen Hund zu necken, und dabei ist’s eine gesunde Übung. Wenn er mir zu hart zusetzen sollte, werde ich schon klopfen, und dann kannst du kommen und ihn etwas auf Seitenwege führen, während ich für ein neues Rennen Luft schnappe.« Dann hopste er hervor und mitten in _Rangers_ Weg, der sofort die Verfolgung aufnahm und Zottelohr nachsetzte, bis dieser müde wurde und der Mutter ein Klopftelegramm um Hilfe sandte, das sie veranlaßte, sofort zum Entsatz herbeizueilen. Oft wußte er sich den Hund auch durch irgendeinen anderen schlauen Winkelzug vom Halse zu halten. Die Beschreibung eines solchen wird den Beweis liefern, wie gründlich Zottel mit den Lehren der Waldeskunde und der Geographie vertraut war. Er wußte genau, daß der Hund seiner Fährte am leichtesten folgen konnte, wenn sie direkt auf dem Waldesboden hinführte und wenn er sich warm gelaufen hatte. Konnte Zottel es nun ermöglichen, einen erhöhten Punkt zu erreichen, wo er sich eine halbe Stunde ungestört abkühlen durfte, und hatte die Fährte Zeit, den Geruch zu verlieren, so wußte er, daß er dann in Sicherheit war. Wurde er der Jagd müde, so wendete er sich einer wilden Rosenhecke am Talabhang zu und beschrieb einen Zickzackweg, bis er eine so verzwickte Spur hinter sich ließ, daß sie dem Hund auf eine gute Weile zu tun gab. Dann lief er in gerader Linie mitten in den Wald auf ~D~ zu und passierte mit einem Sprunge südlich den Baumstumpf ~E~. Bei ~D~ umwendend, verfolgte er den gleichen Weg bis ~F~, sprang hier seitlich und lief nach ~G~, von dort zurück nach ~H~ und wartete hier, bis der Hund bei ~I~ vorüberkam. Dann begab er sich gemächlich auf seinem alten Weg zurück nach ~E~, wo er mit einem mächtigen Satze den hohen Baumstumpf erreichte, um dort, zur Bildsäule erstarrt, ruhig das Weitere abzuwarten. [Illustration] Ranger verlor viel Zeit in dem unwegsamen Dornendickicht, und es wurde ihm unendlich schwer, die unregelmäßige und beinahe schon verwischte Fährte zu finden; jedoch nach vielen Mühen langte er bei ~D~ an. Hier begann er Kreise zu beschreiben, um auf diese Weise die Spur zu kreuzen, und nachdem er wieder viel kostbare Zeit beim Suchen vergeudet, kam er auf den richtigen Weg, der aber plötzlich bei ~G~ ein Ende fand. Zum zweitenmal stand er vor einem Rätsel und war gezwungen, wie vorher geschäftig hin und her zu laufen, um auf den richtigen Pfad zu kommen. Größer und größer wurden seine Kreise, bis er schließlich gerade unter dem Baumstumpf vorbeikam, auf dem Zottelohr sich niedergelassen hatte. Aber da war keine Gefahr; denn an einem kalten, windstillen Tage wird die Witterung kaum nach unten getrieben, und da Zottel sich nicht muckste und mit keiner Wimper zuckte, lief der Hund arglos vorüber. Wieder näherte sich der Verfolger dem Baumstumpf, und zwar diesmal dem tieferen Ende. Er hielt an, beschnüffelte es und dachte bei sich: »Wahrhaftig, das riecht nach Hase!« Die Witterung war schon kalt und halb verweht, aber nichtsdestoweniger bestieg er den Stamm. Es war eine harte Probe für Zottelohr, den mächtigen Hund schnüffelnd den Baumstamm entlang kommen zu sehen, aber seine starken Nerven ließen ihn nicht im Stich. Der Wind war günstig, und er hatte den festen Vorsatz gefaßt, mit einem kühnen Satze das Weite zu suchen, sobald Ranger den halben Weg nach oben zurückgelegt haben würde. Aber so weit kam es nicht. Ein gewöhnlicher, schmutziger Dorfköter würde den Hasen sofort entdeckt haben, doch nicht der edle Jagdhund; er sprang vom Baumstumpf herab, und Zottel war Sieger. VII. Zottelohr hatte außer seiner Mutter niemals einen anderen Hasen gesehen, ja er hatte kaum an die Möglichkeit gedacht, daß noch andere Wesen wie er in der Umgegend leben könnten. Seine Geschäfte hielten ihn mehr und mehr von Hause fern, jedoch fühlte er sich niemals einsam; denn Hasen tragen kein großes Verlangen nach Gesellschaft. Eines Tages im Dezember, als er eben im Dickicht damit beschäftigt war, einen neuen Pfad nach dem Tale anzulegen, erblickte er plötzlich oben den Schattenriß der Löffel eines fremden Hasen. Der Eindringling trat wie ein unternehmender Entdecker auf und kam bald in langen Sprüngen herab auf _Zottelohrs_ Pfad, mitten in _Zottelohrs_ Revier. Ein neues, fremdes Gefühl überkam plötzlich unser Häschen, jene kochende Mischung von Ärger und Haß, die als Eifersucht wohlbekannt ist. [Illustration] Der Fremdling machte halt vor einem von Zottels Bäumen, an dem sich dieser behaglich das Kinn zu reiben pflegte, einfach, weil es ihm Spaß machte, und ohne zu wissen, daß alle männlichen Hasen das gleiche tun. Dies gibt einem solchen Baum einen Hasengeruch, und Neuankömmlinge können daraus sofort erkennen, daß die Umgegend bereits von einer Hasenfamilie bewohnt ist und einem Bevölkerungszuwachs nicht erschlossen ist. Auch kann der Fremde durch seinen Geruchssinn leicht herausfinden, ob der letzte Besucher seiner Bekanntschaft angehörte, und die Höhe der abgeriebenen Stelle an der Baumrinde gibt ihm die genaue Größe seines Vorgängers an. Zu seinem höchsten Mißfallen bemerkte Zottelohr, daß der Eindringling einen Kopf größer war, als er selbst, und ein kräftiger, starker Bursche dazu. Das war etwas ganz Neues für Zottel und erfüllte ihn mit einem bis dahin ungekannten Gefühl. Mordlust nahm Besitz von seinem unschuldigen Herzen, er kaute eifrig mit nichts zwischen den Zähnen, erreichte mit einigen Sätzen vorwärts einen freien Rasenplatz und klopfte feierlich: »Klopf – klopf – klopf!« was so viel bedeuten sollte wie: »Mach’, daß du aus meinem Revier kommst, oder es setzt Hiebe!« Der Fremde machte ein großes ~V~ mit seinen Ohren, saß einige Sekunden aufrecht wie ein Stock und gab dann, seine Vorderläufe senkend, das weit vernehmliche Signal: »Klopf – klopf – klopf!« Und der Krieg war erklärt. In kurzen Sprüngen liefen sie umeinander herum. Jeder versuchte, dem Gegner den Wind abzuschneiden, und lauerte auf eine Gelegenheit zum Angriff. Der Fremde war ein starker, schwerer Hase mit wohlausgebildeten Muskeln, doch durch einige ungeschickte Wendungen bewies er seine Unbeholfenheit und Schwerfälligkeit und zeigte klar, daß er seine Schlachten nur durch seine Schwere und nicht durch Behendigkeit zu gewinnen pflegte. Schließlich eröffnete er den Kampf, und Zottelohr begegnete ihm wie eine kleine Furie. Beim Zusammenstoß sprangen sie in die Höhe, schlugen mit ihren Hinterläufen gewaltig aus, und der arme kleine Zottel fiel zu Boden. Der Gegner saß im Augenblick auf ihm, um ihn mit den Zähnen zu bearbeiten, und der kleine Hase mußte verschiedene Flöckchen Wolle lassen, bevor er wieder auf die Füße kommen konnte. Jedoch er war flink auf den Beinen und gelangte schnell aus greifbarer Nähe. Wieder griff er an, und wieder wurde er zu Boden geschleudert und ganz erbärmlich zugerichtet; denn er war seinem Gegner auch nicht annähernd gewachsen. Bald wurde ihm klar, daß er sein teures Leben nur durch Schnelligkeit seiner Läufe und seinen überlegenen Witz retten könne. Verwundet, wie er war, entfloh er in voller Hetze mit dem Fremdling hinter sich, der fest entschlossen schien, ihn nicht nur zu morden, sondern auch Alleinherrscher des Moores zu werden, wo Zottel geboren war. Der kleine Hase hatte kräftige, gewandte Läufe und vorzügliche Lungen, und sein Verfolger, der fett und schwer war, mußte bald die vergebliche Jagd aufgeben. Es war aber auch die höchste Zeit für den armen Zottel; denn er fing an, infolge der Verwundung müde und steif zu werden. Mit diesem Tage begann eine Schreckensherrschaft. Zottelohr wußte genau, was er zu tun hatte, wenn er von Eulen, Hunden, Wieseln oder Menschen und anderen gefährlichen Räubern verfolgt wurde, aber wie er sich verhalten sollte, wenn ein anderer Hase ihm nachstellte, das wußte er nicht; denn seine ganze Kenntnis bestand im »Erstarren«, bis er aufgespürt war, und darin, sich dann auf seine gewandten Läufe zu verlassen. Die arme, kleine Mutter war vor Angst und Entsetzen fast gelähmt; denn sie konnte ihrem Sohne nicht helfen und mußte sich darauf beschränken, im sicheren Versteck zu bleiben; doch der fette Eindringling fand auch sie. Sie suchte ihm zu entfliehen, aber sie war jetzt nicht mehr so behend, wie ihr Sprößling. Der Fremde machte keinen Versuch, sie zu morden, er machte ihr vielmehr Liebesanträge, und weil sie ihn haßte und ihm zu entschlüpfen versuchte, behandelte er sie geradezu schamlos. Tag für Tag ängstigte er sie durch seine Nachstellungen, und oft, wütend gemacht durch ihre andauernde Abneigung und ihren Haß, schlug er sie nieder und zauste die Wolle aus ihrem weichen Fell, bis seine Wut gekühlt war und er sie eine Zeitlang in Ruhe ließ. Seine feste Absicht war, Zottelohr aus dem Leben zu schaffen, und ein Entweichen schien beinahe nicht möglich. Es gab ja kein anderes Moor, wo Zottel sich hätte hinwenden können, und wenn er einmal ein Schläfchen machte, mußte er jeden Augenblick bereit sein, fürs liebe Leben zu rennen. Ein dutzendmal am Tage kam der dicke Wüterich zu der Stelle geschlichen, wo Zottel der verdienten Ruhe pflegte, aber jedesmal erwachte das Häschen zur rechten Zeit, um zu entfliehen. Es rettete zwar das Leben, aber was für ein elendes Dasein war das doch jetzt! Seine Hilflosigkeit und die Verfolgungen, denen seine arme, kleine Mutter täglich ausgesetzt war, erbosten ihn aufs höchste, und dabei mußte er ruhig mit ansehen, wie ihre liebsten Futterplätze, die traulichen Eckchen und die Pfade, die sie mit so viel Mühe angelegt, von diesem gehässigen, rohen Patron in Besitz genommen wurden. Der unglückliche Zottel wußte gut genug, daß er eines Tages dem Stärkeren das Feld zu räumen hatte, und er haßte ihn darum mehr als Fuchs oder Wiesel. Zu welchem Ende sollte das führen? Zottelohr quälte sich ab mit endlosem Rennen, Wachen und schlechtem Futter, und der kleinen Mutter geistige und körperliche Kräfte brachen zusammen bei der fortwährenden Verfolgung und grausamen Behandlung. Der Fremdling hatte sich nun einmal zum Ziel gesetzt, Zottel aus der Welt zu schaffen, und griff zuletzt zu einem Mittel, das unter den Hasen für das schwerste aller Verbrechen gilt. Glieder dieser großen Familie mögen sich noch so sehr hassen, sie vergessen aber stets ihre Feindschaft, sobald ein gemeinsamer Feind auf der Bildfläche erscheint. Eines Tages nun, als ein großer Hühnerhabicht über dem Moor seine Kreise zog, versuchte der Gewissenlose, der sich selbst stets unter Deckung hielt, Zottel mit allen Mitteln ins Freie zu treiben. [Illustration] Ein- oder zweimal hatte ihn der Habicht beinahe im Genick, aber jedesmal boten ihm die wilden Rosensträucher sichere Deckung, und da der alte Hase beinahe selbst bei diesem frevelhaften Spiel erwischt worden wäre, gab er es auf, und wieder einmal war Zottelohr frei, doch ohne irgendwelche Besserung seiner traurigen Lebenslage. Ganz verzweifelt faßte er schließlich den Entschluß, wenn irgend möglich, mit seiner Mutter in der nächsten Nacht seine Heimat zu verlassen und auf der Suche nach einer neuen Heimstätte in die weite Welt hinauszuwandern. Da kam ein unvorhergesehener Zwischenfall. Zottelohr entdeckte den alten _Donner_, einen Hund seiner Bekanntschaft, wie er sich schnüffelnd und suchend im Grenzgebiet des Moores herumtrieb, und er beschloß, ein letztes, verzweifeltes Spiel zu wagen. Tollkühn kreuzte er des Hundes Weg, und die Jagd, die nun begann, war wild und aufregend. Dreimal um das Moor herum ging es, bis Zottel sicher war, daß seine Mutter im unauffindbaren Versteck saß, und der gehaßte Feind im bekannten Neste. In gerader Linie auf diesen Platz zu lenkte er seinen Verfolger und sprang in kühnem Satz über den Erzfeind hinweg, ihm dabei mit seinen Hinterläufen einen kräftigen Hieb versetzend. [Illustration] »Du Lümmel, du,« schrie dieser, »jetzt erwische ich dich aber!« Auf sprang er, um mit Entsetzen zu entdecken, daß er sich zwischen Zottel und dem Hunde befand und nun das Ziel der Verfolgung war. [Illustration] Geradeswegs auf ihn zu kam der Hund mit wütendem Gebell. Des alten Hasen Gewicht und Größe gereichten ihm zu großem Vorteil im Kampfe mit seinesgleichen, aber diesmal sollten sie ihm verderblich werden. Nur einiger ganz plumper Kunstgriffe, der einfachsten Wendungen und Quersprünge, die jedes Hasenbaby in seiner frühesten Jugend lernt, wußte er sich zu bedienen, aber der Verfolger war in zu gefährlicher Nähe für die Anwendung derartiger Regeln, und die schützenden Höhlen im Moore waren dem Eindringling unbekannt. Es war eine Hetzjagd in schnurgerader Linie. Der Rosenbusch, der Freund aller Hasen, tat sein Bestes, aber es war zwecklos. Das heisere Bellen des Hundes kam schnell näher und näher, und wenn auch die Dornen bei jedem seiner Sprünge durch die knackenden Zweige seine zarten Ohren zerrissen, so kam er doch bald zu der Stelle, wo der Alte sich angstzitternd und vollkommen außer Atem zusammengekauert hatte. Plötzlich war es totenstill, dann ein kurzes Handgemenge, ein durchdringendes, markerschütterndes Geschrei, und alles war vorüber. Zottelohr wußte, was das bedeutete, und ein kalter Schauer kroch ihm den Rücken herab; doch bald war alles vergessen, und er war von neuem alleiniger und unumschränkter Herr in der alten, lieben Heimat. VIII. Alt-Olifant hatte zweifellos ein gutes Recht, die Haufen dürrer Reiser, die im Osten und Süden des Moores herumlagen, wegzubrennen und damit den alten Stachelzaundraht unterhalb der Quelle freizulegen. Aber es war nichtsdestoweniger ein harter Schlag für Zottelohr und seine Mutter. Die Reisighaufen waren lange Zeit ihre sicheren Wohnstätten und Festungen gewesen und der Stachelzaun ihre Ringmauer. Sie waren eben schon so lange Bewohner des Moores und fühlten sich so sehr als dessen Besitzer bis in jede Ecke und das entfernteste Winkelchen – Olifants Haus und Anwesen eingeschlossen, daß sie gegen das Auftauchen eines fremden Hasen selbst im anschließenden Wirtschaftshof entrüstet ihr Veto eingelegt haben würden. Ihr Rechtsanspruch auf das Moor war die natürliche Folge langen und glücklichen Besitzes und hatte genau die gleiche Begründung wie bei den meisten Völkern unserer Erde. Als der Schnee im Januar schon etwas zu schmelzen begann, hatte sich Olifant daran gemacht, die letzten Veteranen des Hochwaldes, die um den Teich herumstanden, zu fällen, und hatte damit das Besitztum der Hasen auf allen Seiten beschnitten und eingeschränkt. Aber immer noch hielten sie fest an dem langsam schwindenden Revier; denn es war ja ihre Heimat, und sie waren nicht geneigt, aufs ungewisse in die Fremde auszuwandern. Ihr Leben mit seinen täglichen Aufregungen und Gefahren floß in altgewohnter Weise dahin; aber immer noch waren sie flinkfüßig, starklungig und gewitzt, wie zuvor. Seit einiger Zeit wurden sie etwas in Unruhe versetzt durch einen Otter, der stromaufwärts gekommen war und es sich in dem stillen Tal wohl sein ließ; aber ein kleiner, ganz gerechtfertigter Kniff hatte den unwillkommenen Besuch bald auf Olifants Hühnerhaus aufmerksam gemacht. Sie waren allerdings nicht ganz darüber beruhigt, ob der Otter einen bleibenden Wohnsitz dort aufgeschlagen habe. So gaben sie lieber eine Zeitlang die Benützung der Erdhöhlen auf, denn sie waren zu gefährliche Fallen, und hielten sich zu den Rosensträuchern und Reisighaufen, die übrig geblieben waren. [Illustration] Der Winterschnee war ganz geschmolzen und das Wetter sonnig und warm. Mutter Hase fühlte einen leichten Anflug von Rheumatismus und war irgendwo im Unterholz beschäftigt, ein Heilkraut zu suchen, während Zottelohr sich auf einer Böschung an der Ostseite sonnte. Der Rauch des allbekannten Schornsteins von Olifants Haus kam in phantastischen Formen durch das Holz gezogen und hob sich als ein düsteres Braun gegen den klaren Himmel ab. Am sonnengoldenen Giebel hinauf schlangen sich Ranken von wilden Rosen, die im purpurtiefen Schatten feurigrot und gleich Gold im Lichte schimmerten. Der Stall hinterm Haus mit goldübergossenem Giebel und Dach hob sich vom heiteren Himmel ab wie Noahs Arche. Das geschäftige Geräusch, das der Wind herübertrug, und mehr noch der liebliche Duft, der mit dem Rauch herüberzog, gab Zottelohr kund, daß Olifants Vieh gerade mit Kohlblättern gefüttert wurde. Der Mund wässerte ihm beim Gedanken an dieses Göttermahl, und er blinzelte neidisch hinüber, als diese vielverheißenden Gerüche ihm in die Nase zogen; denn Kohl war sein Leibgericht. Aber er war gerade in der vorhergehenden Nacht im Hofe gewesen, um einige Mundvoll Klee zu holen, und kein kluger Hase kehrt zwei Nächte hintereinander nach dem gleichen Futterplatz zurück. Deshalb tat er das Klügste, was er tun konnte: er lief so weit, bis er den verführerischen Duft des Kohls nicht mehr riechen konnte, und wählte sich ein Bündel Heu zum Abendbrot, das der Wind von einem Schober heruntergeblasen hatte. Später, als er sich zur Ruhe begeben wollte, gesellte sich auch die Mutter zu ihm, die erst ihre Arznei und dann ein kleines Mahl von süßen Birkenreisern an der Sonnenbank eingenommen hatte. Mittlerweile hatte sich die Sonne davongemacht, um anderswo ihren Geschäften nachzugehen, und all ihr strahlendes Gold hatte sie mit sich genommen. Drüben im Osten schob sich ein dicker, schwarzer Vorhang empor und verdunkelte, langsam höher und höher steigend, den ganzen Himmel, verbarg sorgfältig alles Licht und ließ die Welt in trauriger Dunkelheit und Öde zurück. Dann erschien, die Abwesenheit der Sonne schlau benützend, ein Unheilstifter auf der Szene und begann Unruhe und Aufruhr zu brauen – der Wind. Die Luft wurde kälter und kälter, und es war unbehaglicher, als wenn die Erde noch mit Schnee bedeckt gewesen wäre. »Es ist aber ungemütlich kalt heute abend,« sagte Zottel, »wenn wir doch unseren alten Reisighaufen noch hätten.« »Ja, ja,« erwiderte die Mutter, »das wäre eine Nacht für unsere Höhle unter der Fichtenwurzel, aber da wir nicht wissen, ob der Otter sich noch in der Gegend herumtreibt, ist es nicht sicher dort.« Der ausgehöhlte Walnußbaum war verschwunden – tatsächlich beherbergte er zur Zeit, von der wir reden, auf einem Holzhaufen in der Ecke des Wirtschaftshofes liegend den Otter, den unsere Hasen deshalb nicht ohne Grund fürchteten. Zottel und seine Mutter begaben sich schließlich nach der Südseite des Teiches, wählten hier einen Reisighaufen zum Nachtquartier, krochen darunter und ließen sich für die Nacht häuslich nieder. Ihre Nasen richteten sich gegen den Wind, jedoch in verschiedenen Richtungen, so daß sie im Falle einer nächtlichen Störung nach entgegengesetzten Seiten entfliehen konnten. Der Sturm blies mit jeder Stunde schärfer und kälter, und um Mitternacht begann ein feiner, eisiger Schnee in den dürren Blättern zu rasseln und sich durch die kahlen Zweige einen Weg zu bahnen. Es schien eine ungünstige Nacht für Jagdabenteuer, aber der alte Fuchs von Springfield war los. Gerade mit dem Winde kam er im Schutze des Dickichts daher, und das Unglück wollte, daß er die Richtung auf den Reisighaufen zu nahm, wo er sofort die schlafenden Hasen witterte. Einen Augenblick blieb er stehen, dann kam er langsam und kriechend auf den Haufen zu, unter dem er Mutter und Sohn nun sicher zu haben glaubte. Das Geräusch des Windes ermöglichte es ihm, ganz dicht heranzukommen, bis die Mutter vom leisen Rascheln eines trockenen Blattes unter seinem tastenden Tritte erwachte. Sofort berührte sie Zottelohrs Schnurrhaare, und beide waren wach und munter, gerade als der Feind sich zum Sprunge anschickte. Der alte Schlaukopf hatte nicht berechnet, daß die Hasen immer auf ihren Läufen zum Sprung bereit schlafen; denn sofort flogen sie hinaus in den wütenden Sturm. Der Fuchs verfehlte die Mutter bei seinem Sprunge, aber er nahm die Hetze hinter ihr her gleich mit dem Eifer eines ehrgeizigen Rennpferdes auf, während Zottel nach der entgegengesetzten Seite entfloh. [Illustration: Der Hund kommt schnüffelnd den Baumstamm entlang] Es gab nur einen Weg für die Häsin, die gegen den Wind und ums Leben galoppierte. Sie gewann einen kleinen Vorsprung, indem sie den Sumpf kreuzte, der den Fuchs nicht trug, bis sie am Ufer des Teiches stand. Da gab es keine Wahl mehr, vorwärts mußte sie. Plitsch, platsch, ging es durch das hohe Schilf und dann mit einem Satze ins tiefe Wasser. Hinterdrein sprang auch der Fuchs, aber das Wasser war doch etwas zu frisch für Reineke, und er wendete wieder um. Die Häsin, der nur ein Weg frei blieb, arbeitete sich durch das Schilf ins offene Wasser und strich kräftig aus, um das andere Ufer zu erreichen, aber sie hatte einen starken Gegenwind zu bekämpfen, die kurzen Wellen schlugen eisigkalt über ihrem Kopf zusammen, und das Wasser war voll Schnee, der ihr den Weg versperrte, wie Treibeis. Die dunkle Linie des rettenden Ufers schien sich weiter und weiter zu entfernen, und wer konnte es wissen, möglicherweise lag der gierige Fuchs dort drüben auf der Lauer. Sie legte die Ohren flach an, um dem Winde möglichst wenig Widerstand zu bieten, und schwamm rascher vorwärts, gegen Sturm und Flut. Nach einer langen, mühseligen Reise durch das kalte Wasser hatte sie beinahe das Schilf des anderen Ufers erreicht, als eine feste Masse treibenden Schnees ihr den Weg versperrte. Der Wind auf der nahen Uferbank machte ein unheimliches Geräusch, das dem Heulen des hungrigen Fuchses ähnlich klang. Das raubte ihr allen Mut und alle Kraft, und sie wurde weit zurückgetrieben, ehe sie sich von dem dahinflutenden Hindernis freimachen konnte. Wieder strich sie aus, doch langsamer – immer langsamer, und als sie schließlich den Schutz des hohen Schilfs erreichte, waren ihre Glieder erstarrt, ihre letzte Kraft verbraucht, ihr tapferes kleines Herz begann langsamer zu pochen, und es war ihr ganz gleich, ob der Fuchs ihrer wartete oder nicht. Durch das Schilf kam sie noch glücklich hindurch, aber mitten zwischen den tückischen Ranken der Schlinggewächse fing sie an, unsicher zu werden, ihre schwachen Stöße brachten sie nicht länger landwärts, und das Eis, das sich um sie herum auftürmte, machte ihr ein Vorwärtskommen ganz unmöglich. Die erstarrten Glieder versagten den Dienst, die kleine, flaumbedeckte Nase wackelte nicht mehr nervös hin und her, und die treuen braunen Augen schlossen sich zum ewigen Schlafe. Aber kein Fuchs wartete, um sie mit gierigen Zähnen zu zerreißen. – Zottelohr war dem ersten Ansprung des Verfolgers entflohen, und als er sich wieder etwas vom Schreck erholt hatte, kam er zurückgelaufen, um den Erzfeind irrezuleiten und damit der armen Mutter zu helfen. Er traf den alten Fuchs auf dem Wege nach der anderen Seite des Teiches, lockte ihn weit hinweg und entließ ihn mit einer blutenden Wunde von einem Stacheldrahtzaun am Kopfe. Dann kam er zum Ufer, suchte und schnüffelte umher und klopfte, aber all sein Suchen war vergeblich, die kleine Mutter war nirgends zu finden. Er sah sie niemals wieder, und niemand konnte ihm Auskunft geben, wohin sie gegangen; denn sie schlief den letzten Schlaf in den eisigen Armen ihres Freundes, des Wassers, das nichts ausplaudert. Arme kleine Mutter! Eine wahre Heldin war sie gewesen, doch nur eine von den ungezählten Tausenden, die ohne einen Anspruch auf Heldentum dahinleben und ihr Bestes in ihrer kleinen Welt wirken und ohne Ruhm davongehen. Sie war eine tapfere Streiterin im Kampf ums Dasein, und von dem Schlag, der niemals ausstirbt; denn Fleisch von ihrem Fleisch und Geist von ihrem Geist war Zottelohr, sie lebte in ihm, und durch ihn veredelte sie ihre Rasse. Zottel haust noch im Moor. Olifant starb im gleichen Winter, und seine ungeratenen Nachkommen ließen das Moor mit seinen Stachelzäunen verwildern. In einem einzigen Jahr verwandelte es sich in eine undurchdringliche Wildnis, neue Bäumchen und Dornensträucher wuchsen, und zerrissene Stacheldrähte bildeten zahllose Zwingburgen und Schlupfwinkel, die Hunde und Füchse nicht zu stürmen wagten. Und dort lebt Zottelohr noch heute, er ist ein großer und starker Hase geworden und fürchtet keinen Nebenbuhler. Eine zahlreiche Familie nennt er sein eigen und ein hübsches, braunes Weibchen, das er sich holte, ich weiß nicht woher. Dort werden er und seine Kindeskinder gewiß noch viele Jahre hausen, und dort kann man sie an sonnigen Abenden beobachten, wenn man ihre Signale kennt und sie richtig anzuwenden weiß. [Illustration] Lobo. Der König von Currumpaw. I. Currumpaw ist eine unermeßlich große Rinderfarm im nördlichen Neu-Mexiko, ein Land mit saftigen, grünen Weiden, bevölkert mit kräftigen, fruchtbaren Herden und durchquert von ausgiebigen, frisch dahineilenden Bächen, die sich schließlich zum Currumpaw-Flusse vereinigen, nach dem die Gegend benannt ist. Und der Herrscher, vor dessen despotischer Macht das ganze Land zitterte, war ein alter Grau-Wolf. Alt-Lobo oder der König, wie die Mexikaner ihn kurzweg zu nennen pflegten, war der gigantische Führer einer berüchtigten Bande von Grau-Wölfen, jahrelang der Schrecken des Currumpaw-Tales. Hirten und Farmer kannten ihn nur zu gut, und wo immer er mit seinen Getreuen erschien, erfaßte Entsetzen die Herden, ohnmächtige Wut und Verzweiflung deren Besitzer. Alt-Lobo war ein Riese unter seinesgleichen, und Schlauheit und Stärke standen im Verhältnis zu seiner Größe. Seine gebieterische Stimme, die oft durch die Nacht erschallte, war wohlbekannt und leicht von den Stimmen seines Gefolges zu unterscheiden. Ein gewöhnlicher Wolf mochte die halbe Nacht nahe am Lager der Hirten heulen, ohne mehr als vorübergehende Aufmerksamkeit zu erregen, doch wenn das tiefe grollende Brüllen des alten Königs das Tal heraufhallte, dann mußte der Lauscher gefaßt sein, am anderen Morgen von neuen blutigen Einfällen in die Herde zu hören. Alt-Lobos Bande war nur klein, eine Tatsache, die ich niemals ganz verstehen konnte; denn wenn sich ein Wolf zu der Stellung und Macht Lobos erhebt, so zieht er gewöhnlich ein zahlreiches Gefolge an sich. Es mag sein, daß er so viele um sich hatte, wie er wünschte, oder vielleicht verhinderte sein wildes Temperament ein Anwachsen der Bande. Gewiß ist, daß gegen das Ende seiner Regierung das Gefolge nur fünf Köpfe zählte. Immerhin war jeder ein Wolf von Ruf, der seinesgleichen an Gestalt überragte, besonders der zweite im Kommando war ein wahrhafter Riese, aber auch der stand weit hinter seinem Führer an Größe und Tapferkeit zurück. Noch verschiedene andere Glieder der Bande taten sich besonders hervor, darunter eine schöne weiße Wölfin, die die Mexikaner Blanca nannten, wahrscheinlich Lobos Geliebte. Dann war ein gelber Wolf von hervorragender Geschwindigkeit dabei, der nach umlaufenden Gerüchten verschiedene Male eine schnellfüßige Antilope überholte und für die Bande fing. Oft wurden die Bestien von Rinder- und Schafhirten gesehen, und fast Unglaubliches wurde über sie berichtet. Ihr Leben war mit dem der Viehzüchter eng verknüpft, die sie nur zu gern aus der Welt geschafft hätten, und da war nicht ein einziger am Currumpaw, der nicht bereitwilligst den Erlös einer beträchtlichen Anzahl Stiere für den Skalp Lobos dahingegeben hätte. Doch das Leben jener schien gefeit, sie entwischten jedem noch so sinnreichen Anschlag, verhöhnten die Jäger, verachteten die Fallen und Gifte und nahmen fast fünf Jahre lang von den Currumpaw-Züchtern ihren Tribut, d. h. jeden Tag mindestens eine Kuh. Nach dieser Schätzung zerriß die Bande mehr als 2000 Stück der ausgewähltesten Zucht; denn nur das Allerbeste befriedigte ihre Gier. Der uralte Volksglaube, daß der Wolf sich stets im Zustande des Verhungerns befände, traf bei dieser Bande Freischärler sicher nicht zu. Sie waren wohlgenährt und fett und höchst wählerisch in ihrer Nahrung. Ein Tier, das eines natürlichen Todes gestorben oder mit einer ansteckenden Krankheit behaftet war, verschmähten sie und ließen es ruhig liegen. Gewöhnlich bestand ihre Mahlzeit aus den zartesten Stücken eines Jährlings, während sie einen alten Bullen oder eine alte Kuh nicht berührten. Auch Hammelfleisch war nicht nach ihrem Geschmack, obwohl sie sich oft damit begnügten, Schafherden aus purer Mordlust anzufallen. So erwürgten Blanca und der gelbe Wolf in einer Novembernacht des Jahres 1893 zweihundertfünfundfünfzig Schafe, sichtlich nur zur Belustigung; denn sie fraßen nicht einen einzigen Bissen vom Fleisch ihrer Opfer. Dieses Beispiel beweist die Mordlust der Räuberbande zur Genüge. Jedes Jahr wurden unzählige neue Mittel zu ihrer Ausrottung vorgeschlagen und versucht, jedoch lebte und verwüstete sie ruhig weiter, den eifrigen Bemühungen ihrer Verfolger zum Trotz. Eine hohe Prämie war auf Lobos Kopf gesetzt, und Gift wurde in allen erdenklichen Formen und Arten ausgelegt, doch Lobo verfehlte nie, es augenblicklich zu entdecken und zu vermeiden. Nur eins fürchtete er, das waren Feuerwaffen. Da er wohl wußte, daß jedermann in dieser Gegend solche mit sich führte, griff er nie ein menschliches Wesen an, und es war die gewohnte Praktik seiner Bande, sich sofort zur Flucht zu wenden, wenn sie zur Tageszeit einen Menschen auch in noch so großer Entfernung entdeckte. In zahllosen Fällen rettete Lobos große Vorsicht das Leben seiner Gefolgschaft; denn er ließ sie nur das fressen, was sie selbst getötet hatten, und die Feinheit seines Geruchssinnes, mit dem er die Berührung menschlicher Hände oder das Vorhandensein von Gift sofort entdeckte, machte sie gegen alle Nachstellungen gefeit. [Illustration] Eines Tages vernahm ein Kuhhirt den berüchtigten Kriegsruf des Königs. Er näherte sich Schritt für Schritt und fand in einer Talniederung die ganze Gesellschaft, die eben eine kleine Rinderherde umzingelt hatte. Lobo saß zur Seite auf einem Erdhügel, während Blanca sich mit den übrigen bemühte, das auserwählte Opfer, eine junge Kuh, von der Herde abzusondern. Aber die Rinder standen in einer dichtgeschlossenen Masse und wiesen ihren Angreifern eine Schutzwehr starker und spitzer Hörner, die nur unterbrochen wurde, wenn eine Kuh, entsetzt durch einen frischen Angriff der Wölfe, nach der Mitte zurückzuweichen versuchte. Dieser Umstand ermöglichte es den Wölfen, die dem Tode Geweihte zwar zu verwunden, aber nicht kampfunfähig zu machen. Lobo schien die Geduld zu verlieren, denn er verließ plötzlich seinen Posten auf dem Hügel, stieß ein tiefes Gebrüll aus und raste auf die Herde los. Die entsetzten Rinder stoben vor diesem Anprall auseinander wie die Sprengstücke einer geplatzten Granate, und Lobo sprang mitten unter sie. Dahin flog das Schlachtopfer, vom Werwolf verfolgt. Binnen kurzem saß er ihm im Genick, biß sich dort fest, riß es plötzlich mit aller Kraft zurück und brachte es so zu Fall. Der Ruck mußte furchtbar gewesen sein; denn die Kuh überschlug sich und riß dabei Lobo mit sich. Der Riese erholte sich jedoch sofort von dem Sturze, sein Gefolge fiel über das arme Tier her und zerriß es in wenigen Sekunden. Der Alte beteiligte sich nicht an dieser Schlächterarbeit. Nachdem er die Kuh niedergeworfen, ließ er sich wieder auf seinem Beobachtungsposten nieder und schien zu sagen: »Warum konnte einer von euch das nicht längst getan haben, ohne so viel kostbare Zeit zu verschwenden?« Der Kuhhirt ritt, seinen Revolver abfeuernd, heran, und die Wölfe suchten wie gewöhnlich ihr Heil in schneller Flucht. Er vergiftete den Kadaver an drei verschiedenen Stellen mit Strychnin und verließ den Schauplatz des Kampfes, da er wohl wußte, daß die Bande zum Fraß zurückkehren würde, da sie das Tier ja selbst getötet hatte. Aber am nächsten Morgen, als er nach den erhofften Opfern Umschau hielt, fand er, daß die Wölfe die Kuh zwar verschlungen, jedoch sorgfältig alle vergifteten Teile herausgerissen und beiseite geworfen hatten. [Illustration] Die Furcht vor diesem Riesenwolf wuchs von Jahr zu Jahr, und jährlich wurde ein größerer Preis auf seinen Kopf gesetzt, der schließlich die Höhe von 1000 Dollar erreichte, gewiß eine nie dagewesene Prämie für einen Wolf. – Manch braver Mann wurde für weniger zu Tode gejagt. – Angelockt durch die hohe Belohnung kam eines Tages ein Mann aus Texas, namens Tannery, das Currumpawtal herabgesprengt. Er besaß eine unübertreffliche Ausrüstung für die Wolfsjagd, die aus den modernsten Feuerwaffen, den ausdauerndsten Pferden und einer Meute ungeheurer Wolfshunde bestand. Draußen auf den weiten Gefilden von Texas hatte er mit seinen Hunden der Laufbahn vieler Wölfe ein jähes Ende gesetzt, und er zweifelte nicht daran, daß Alt-Lobos Skalp innerhalb weniger Tage an seinem Sattelknopf baumeln würde. Dahin stob die tapfere Schar auf ihrer Hetze, hinein in die Morgendämmerung eines schönen Sommertages, und bald gaben die Rüden freudig Laut, um zu melden, daß sie die Fährten ihrer Opfer gefunden hatten. Nach einem Ritt von zwei Meilen kam ihnen die graue Bande von Currumpaw zu Gesicht, und jetzt begann die Jagd hitzig zu werden. Die Aufgabe der Wolfshunde bestand darin, die Wölfe aufzuhalten, bis der Jäger heranreiten und sie niederschießen konnte. Dies war auf den offenen Gefilden von Texas leicht getan, jedoch hier kam eine durchaus fremde und ungünstig gestaltete Gegend in Betracht. Lobo hatte sein Revier klug gewählt; denn die felsigen Seitentäler des Currumpaw und ihre Ausläufer durchschnitten die Prärie nach allen Richtungen. Der alte Wolf, der die Gefahr sofort überblickte, beeilte sich, einen dieser Einschnitte zu erreichen, und entledigte sich dadurch der Hunde. Seine Bande zerstreute sich und zerteilte dadurch auch die Schar ihrer Verfolger; denn als sich die Wölfe in der Ferne wieder vereinigten, waren die Hunde bedeutend in der Minderzahl. Die Grauröcke wendeten sich nun zum Angriff und zerrissen oder verwundeten die Rüden nach kurzem Kampfe. Als Tannery am Abend seine Meute musterte, waren nur sechs zurückgekehrt, und zwei davon waren bis zur Unbrauchbarkeit verstümmelt. Er machte noch zwei weitere Versuche, den königlichen Skalp zu erbeuten, war jedoch genau so erfolglos wie das erstemal, und bei der letzten Jagd stürzte sein bestes Pferd und brach das Genick. Dies war Tannerys letzter Versuch, erbittert und entmutigt gab er die Jagd auf und kehrte zurück nach Texas. Lobo aber blieb als unumschränkter Herrscher zurück. [Illustration] Im nächsten Jahre tauchten zwei andere Jäger auf, die mit dem unumstößlichen Entschluß kamen, die ausgesetzte Prämie zu erringen. Jeder von ihnen war sicher, er würde den berüchtigten Wolf vernichten, der eine mit Hilfe eines neu entdeckten Giftes, der andere, ein Kanadier französischer Abstammung, durch Gift in Verbindung mit gewissen Besprechungen und Amuletten; denn er hielt Lobo für einen richtigen »~loup-garou~«, einen Werwolf, den man nicht mit gewöhnlichen Mitteln aus der Welt schaffen könne. Aber weder die schlau ausgesetzten Giftköder noch die wunderkräftigen Amulette und Beschwörungsformeln hatten bei dem grauen Verwüster Erfolg. Er machte seine wöchentlichen Rundreisen, hielt seine Gastereien ab wie zuvor, und ehe einige Wochen ins Land gegangen waren, gaben Calone und Laloche die erfolglose Jagd in Verzweiflung auf, um ihr Glück anderswo zu versuchen. Im Frühjahr 1893 machte Joe Calone nach seinem erfolglosen Versuch, Lobo zu übertölpeln, eine Erfahrung, die höchst demütigend für ihn war und die bewies, daß der Alte vom Berge seine Nachsteller einfach verachtete und unfehlbar an sich selbst glaubte. Calones Farm lag an einem kleinen Nebenfluß des Currumpaw in einem malerischen Tale, und höchstens eine Meile vom Hause entfernt hatten Lobo und seine Gattin sich ihren Wohnsitz errichtet, um dort ihre Nachkommenschaft zu erziehen. Hier lebten sie den ganzen Sommer, fielen allen Nachstellungen zum Trotz Joes Schafe und Rinder an und verbrachten ihre Tage im Frieden des höhlenreichen Tales. Joe zermarterte vergeblich sein Hirn nach irgendeinem Mittel, um die Gesellschaft auszuräuchern. Er versuchte sogar, sie mit Dynamit in die Luft zu sprengen. Immer aber entkamen sie unversehrt und setzten ihre Raubzüge fort wie zuvor. »Dort drüben hausten sie im letzten Sommer,« erzählte mir Joe, auf einen alleinstehenden Felsen deutend, »und ich konnte ihnen nichts anhaben. Wie ein Narr stand ich da.« II. Alle diese von den Kuhhirten gesammelten Berichte schienen mir fast unglaublich, bis ich schließlich im Herbst des Jahres 1893 die persönliche Bekanntschaft des schlauen Räubers machte und ihn am Ende gründlicher kennen lernte, als irgendein anderer. Vor Jahren, in den Tagen Bingos, hatte ich eifrig der Wolfsjagd obgelegen; doch hatten mich später Beschäftigungen anderer Art an den Schreibtisch gefesselt. Eine Abwechslung schien für mich unbedingt notwendig, und als mich ein Freund, einer der Züchter am Currumpaw, bat, nach Neu-Mexiko zu kommen und mein Jagdglück unter dem Raubgesindel zu versuchen, nahm ich die Einladung an, da ich vor Verlangen brannte, die persönliche Bekanntschaft des alten Königs zu machen. Nach wenigen Tagen war ich mitten in den Tälern des Currumpaw. Die ersten Wochen durchstreifte ich die Gegend zu Pferde, um sie gründlich kennen zu lernen, und oft zeigte mir mein Führer das Skelett eines Rindes oder einer Kuh mit der Bemerkung: »Hier war Lobo!« Bald wußte ich, daß in dieser zerklüfteten Gegend an eine Verfolgung Lobos mit Hund und Pferd einfach nicht zu denken sei, und daß man es nur mit Giften und Fallen versuchen könne, ihm beizukommen. Da nun zurzeit keine Fallen von der nötigen Größe zur Hand waren, begann ich mein Werk mit Gift. [Illustration] Es sei mir erlassen, näher auf die Einzelheiten der Hunderte von Versuchen einzugehen, mit denen ich diesen »~loup-garou~« zu erwischen trachtete. Es gab wohl keine Verbindung von Strychnin, Arsenik, Zyankali und Blausäure, die ich nicht versuchte, und es gab keine Sorte Fleisch, die ich nicht als Köder auslegte. Aber Tag für Tag, wenn ich hinausritt, um endlich einen Erfolg festzustellen, fand ich, daß alle Bemühungen vergeblich gewesen waren. Der alte König schien eben zu schlau für mich zu sein. Ein einziges Beispiel wird diesen Scharfsinn beweisen. Dem Rate eines alten Fallenstellers folgend, zerließ ich ein Stück Käse zusammen mit dem Nierenfett eines frischgeschlachteten Rindes, verkochte die Mischung in einem Porzellannapf und schnitt sie mit einem knöchernen Messer, um auch den leisesten Geschmack oder Geruch von Metall zu vermeiden, in Stücke. Dann machte ich in die Klumpen auf jeder Seite ein Loch und füllte es mit einer Mischung von Strychnin und Zyankali, die in geruchsdichten Kapseln eingeschlossen war. Zum Schluß verschloß ich die Löcher wieder mit Käse. Während dieser Vorbereitungen trug ich Handschuhe, die ich in das warme Blut des Rindes getaucht hatte. Als alles fertig war, wickelte ich die Köder in die bluttriefende Haut und ritt aus, indem ich Leber und Nieren des Rindes an einer Leine hinterherschleifte. Dann beschrieb ich einen Bogen von zehn Meilen und ließ alle Viertelmeilen einen Köder fallen, wobei ich eine Berührung mit meinen Händen ängstlich vermied. [Illustration] Lobo pflegte am Anfang einer jeden Woche in diese Gegend zu kommen und trieb sich, wie man annahm, die übrigen Tage am Fuße der Sierra Grande herum. Es war an einem Montag, als ich am Abend beim Schlafengehen das tiefe Baßgeheul Seiner Majestät vernahm, und mein Herz schlug in freudiger Spannung. Früh am nächsten Morgen ritt ich in der sicheren Hoffnung aus, nun endlich mit dem langersehnten Erfolg gekrönt zu werden, und bald kam ich auf die frische Fährte des frechen Räubergesindels mit Lobo an der Spitze, dessen Fußtapfen mit den furchtbaren Klaueneindrücken leicht von den übrigen Fährten zu unterscheiden waren. Die Bande hatte richtig meine Köder gefunden, und ich konnte erkennen, wie Lobo sich an den ersten Köder herangemacht, ihn beschnuppert und schließlich aufgenommen hatte. [Illustration: Lobo] Nun konnte ich meine Freude nicht mehr verbergen: »Hab’ ich dich endlich!« rief ich aus und sprengte vorwärts, meine Augen begierig auf die große, breite Spur im Staube geheftet. Sie führte mich zum zweiten Köder, und auch er war verschwunden. Die freudige Erregung, die mich erfaßte, ist nicht zu beschreiben, denn nun hatte ich ihn sicher und mit ihm wahrscheinlich mehrere seiner Bande. Aber immer noch sah ich den furchtbaren Kralleneindruck vor mir im Sande, und obwohl ich mich im Steigbügel aufrichtete, um die weite Fläche besser überschauen zu können, entdeckte ich nichts, was einem toten Wolfe ähnlich sah. Wieder nahm ich die Verfolgung auf und fand, daß auch der dritte Köder fort war und die Spur des Königs aller Wölfe zu dem vierten führte. Dort jedoch kam ich zu der niederdrückenden Erkenntnis, daß er keinen der Köder wirklich verschlungen, sondern sie einfach im Maule mitgenommen, auf einen Haufen geworfen und mit Schmutz bedeckt hatte, um mir kundzugeben, wie sehr er meine Nachstellungen verachte. Dann hatte er diese Spur verlassen und seine Tagesarbeit an der Spitze seiner Getreuen begonnen. [Illustration] Dies war nur eine von den Erfahrungen, die mich zu der Überzeugung brachten, daß Gift niemals anschlagen konnte, den Räuber aus der Welt zu schaffen. Obgleich ich fortfuhr, es anzuwenden, während ich die Ankunft der Fallen erwartete, tat ich es nur, weil es sich als ein sicheres Mittel bewährte, eine beträchtliche Anzahl Präriewölfe und anderes Raubgesindel unschädlich zu machen. [Illustration] Ungefähr um die gleiche Zeit ereignete sich ein anderer Zwischenfall, der Lobos ganze teuflische Schlauheit ans Licht brachte. Die Bande betrieb das Morden von Schafen ausschließlich zum Vergnügen; denn ihren verwöhnten Zungen schien Schaffleisch nicht zu behagen. Man hält die Schafe im Westen gewöhnlich in Herden von tausend bis dreitausend Stück mit einem oder mehreren Hirten zum Schutze. Zur Nachtzeit treibt man sie an geschützten Plätzen zusammen, und auf jeder Seite der Herde schläft zur Bewachung einer der Hirten. Nun sind bekanntlich die Schafe so unvernünftig und dumm, daß sie durch die geringste Kleinigkeit in Verwirrung und Todesangst versetzt werden. Aber etwas ist ihnen tief eingewurzelt und vielleicht ihre größte Schwäche, das ist der blinde Gehorsam, mit dem sie ihrem Leiter folgen. Die Hirten pflegen deshalb ein halbes Dutzend Ziegenböcke unter die Herde zu verteilen. Die Schafe erkennen die höhere Intelligenz ihrer bärtigen Vettern an, und bei einem nächtlichen Alarm drängen sie sich dicht um sie herum. Auf diese Weise werden die Herden meistens vor einer allgemeinen Verwirrung bewahrt und sind leichter zusammenzuhalten. Aber dies ist nicht immer der Fall. Eines Nachts spät im November wurden zwei Perico-Hirten durch einen Angriff der Wölfe aufgeschreckt. Ihre Herden drängten sich um die Böcke, die, weder dumm noch feig, tapfer auf ihrem Platz verblieben. Doch es war kein gewöhnlicher Wolf, der den Ansturm leitete. Alt-Lobo, der Werwolf, wußte ebensogut wie die Hirten, daß die Böcke die Stütze der Herde bildeten. Er sprang gewandt über die Rücken der dichtgedrängten Schafe hin, fiel die Führer an, erwürgte sie alle in wenigen Minuten und hatte bald die ganze Schafherde in hundert verschiedenen Richtungen zerstreut. Noch vier Wochen später wurde ich fast täglich von geängstigten Hirten angehalten, die mich fragten, ob ich nicht vor kurzem ein verirrtes Schaf mit dem Brandzeichen der Herde gesehen habe, und meistens mußte ich es bestätigen. Einmal hatte ich fünf oder sechs Leichname nahe der Diamantquelle gesehen, ein anderesmal einen kleinen Trupp, der das Malpai-Tal hinauftrottete, und Juan Meira fand vierzig frisch gemordet am Fuße des Monte Cedra. [Illustration] Endlich langten auch die Wolfsfallen an, und mit zwei Gehilfen arbeitete ich eine volle Woche, um sie wirkungsvoll auszusetzen. Wir ließen uns weder Mühe noch Arbeit verdrießen, und ich wendete alles auf, den Erfolg zu sichern. Am zweiten Tage, nachdem wir die Fallen ausgesetzt, machte ich mich auf, um unsere Vorbereitungen noch einmal zu prüfen, und bald fand ich Lobos Spur, die von Falle zu Falle führte. Im Sande konnte ich die ganze Geschichte seines nächtlichen Rundganges lesen. Er war im Dunkeln dahingetrottet, und obwohl die Fallen sorgfältig vergraben waren, hatte er die erste sofort entdeckt. Seiner Bande Halt gebietend, hatte er vorsichtig um das Eisen herumgescharrt, bis er die ganze Falle mit der Kette und mit dem daranhängenden Holzklotz offengelegt hatte. In derselben Weise hatte er auch die übrigen behandelt. Dabei hatte er, wie ich entdeckte, des öfteren angehalten und sich zur Seite gewendet, sobald er irgend etwas Außergewöhnliches abseits vom Wege wahrnahm. Auf diese Beobachtung baute ich einen neuen Plan. Ich setzte die Fallen in der Form eines ~H~ aus, d. h. eine Reihe auf jeder Seite des Weges und in der Mitte eine als Querriegel. Es währte nicht lange, und meine Erfahrungen waren um eine neue bereichert. Lobo war den Pfad herabgekommen und mitten zwischen den Fallen gewesen, ehe er die einzelne Falle in der Mitte entdeckte. Aber noch dicht davor hatte er angehalten. Woher und wie er es wußte, kann ich nicht sagen. Sein Schutzengel mußte wohl bei ihm gewesen sein; denn er hatte sich weder zur Rechten noch zur Linken gewandt, sondern war rückwärts, genau in seine alten Fußtapfen tretend, zurückgewichen, bis er außerhalb der gefährlichen Linien war. Dann hatte er sich von außen herangemacht und die Fallen mit den Hinterläufen mit Erdklumpen und Steinen beworfen, bis alle Federn zugeschnappt waren. Genau so verfuhr er auch später, und obgleich ich meine Methoden ständig änderte und meine Vorsicht verdoppelte, war er einfach nicht zu übertölpeln. Sein scharfer Spürsinn schien ihn nicht eine Sekunde zu verlassen, und er würde wohl noch heute seiner Räuberlaufbahn folgen, hätte nicht eine unglückliche Verbindung seinen Untergang herbeigeführt und seinen Namen der langen Liste von Helden angefügt, die, allein unüberwindlich, durch die Unbedachtsamkeit eines ihrer Getreuen gefallen sind. III. Ein- oder zweimal fand ich Beweise, daß unter den Currumpaw-Wölfen nicht mehr alles beim alten zu sein schien; denn ich entdeckte sichere Zeichen von Unbotmäßigkeit und Ungehorsam. Die Fußspur eines kleinen Wolfes zeichnete sich klar von den übrigen ab und war oft dem Führer weit voraus. Dies konnte ich nicht begreifen, bis ein Hirte eine Bemerkung fallen ließ, die die Sache aufklärte. »Ich sah die Bande heute morgen,« meinte er, »und die Ungehorsame, die immer vorausläuft, ist Blanca.« Da dämmerte mir die Wahrheit. Blanca, die _Wölfin_, durfte sich derartige eigenmächtige Handlungen erlauben, während ein Wolf von seinem Herrscher sofort erwürgt worden wäre. Diese Tatsache gab mir einen neuen Plan ein. Ich schlachtete einen Jährling und setzte einige Fallen ziemlich auffällig bei dem Kadaver aus. Dann schnitt ich den Kopf ab, dem ein Wolf als Abfall keine Beachtung zu schenken pflegt, und warf ihn beiseite, vergrub aber rund herum sechs der stärksten Stahlfallen und bedeckte sie aufs sorgfältigste. Zu diesen Vorbereitungen beschmierte ich meine Hände, Stiefel und Werkzeuge mit frischem Blut und begoß auch den Erdboden so, als ob es von dem Haupte des Schlachtopfers geflossen wäre. Als dann alles in Ordnung war, schleifte ich das Fell eines Präriewolfes einige Male über die Stelle und machte mit dessen Tatzen eine Anzahl Fußspuren auf die Erde über den Fallen. Der Kopf war so gelegt, daß zwischen ihm und einigen Büschen ein schmaler Gang blieb. Auch dort vergrub ich zwei meiner besten Fallen und befestigte sie direkt an den Hörnern. [Illustration] Die Wölfe haben die Gewohnheit, jeden Kadaver zu untersuchen, von dem sie Wind bekommen, selbst dann, wenn sie nicht die Absicht hegen, davon zu fressen. Auf diesen Umstand hatte ich meinen Plan gebaut und hoffte, daß die Currumpaw-Bande sich dem Leichnam nähern würde. Zwar zweifelte ich keinen Augenblick, daß Lobo sofort die Fallen neben dem Fleische entdecken und sein Gefolge davon zurückhalten würde, aber ich setzte große Hoffnungen auf den Kopf; denn er machte ganz den Eindruck, als wäre er nutzlos beiseite geworfen worden. Am nächsten Morgen ritten wir aus, um die Fallen zu untersuchen, und wer beschreibt unsere Freude, als wir die Fußspuren der ganzen Bande fanden. Aber der Platz, an dem der Kopf mit seinen Fallen gelegen, war leer. Eine hastige Untersuchung der Fährte zeigte, daß Lobo die Wölfe von dem Fleisch zurückgetrieben hatte. Ein kleiner Wolf war jedoch seitwärts gelaufen, um den Kopf näher zu untersuchen, und mitten in eine der Fallen hineingeraten. Wir nahmen die Fährte auf und erblickten nach einem Ritt von einer Meile den unglücklichen Wolf – Blanca. Sie lief im Galopp davon, und obwohl sie durch den Kopf, der über fünfzig Pfund wog, behindert wurde, war sie bald außer Sehweite meines Gefährten, der zu Fuß folgte. Jedoch wir überholten sie, als sie zwischen den Felsen angelangt war, denn die Hörner des Kopfes hatten sich fest verfangen. Blanca war die prächtigste Wölfin, die ich jemals gesehen hatte; ihr Fell war weich und dicht und nahezu weiß. [Illustration] Sie wendete sich zur Verteidigung, erhob ihre Stimme zum Kriegsgeschrei ihrer Rasse und sandte ein furchtbares Geheul das Tal hinauf. Weit aus der Ferne kam eine tiefgrollende Antwort – der Ruf Alt-Lobos. Es war ihr letzter Schrei, denn inzwischen waren wir herangekommen, und sie mußte ihre ganze Aufmerksamkeit der Verteidigung zuwenden. Es folgte eine grausame Szene, wir warfen jeder unsern Lasso über den Hals der zum Tode verurteilten Wölfin, spornten unsere Pferde in entgegengesetzten Richtungen an und zogen die Leinen straff, bis Blanca das Blut aus dem Maule troff, ihre Augen hervorquollen, ihre Glieder erstarrten und sie tot zu Boden fiel. Dann ritten wir heimwärts und schleiften die tote Wölfin mit uns, triumphierend über den harten Schlag, den wir Lobo zugefügt hatten. [Illustration] Während der schrecklichen Hinrichtung und später auf dem Heimritt vernahmen wir in kurzen Zwischenräumen das Geheul Lobos, der auf den fernen Gefilden umherirrte, auf der Suche nach Blanca. Er hatte sie nicht treulos verlassen. Da er aber wohl wußte, daß er sie nicht mehr retten konnte, hatte ihn seine eingefleischte Furcht vor Feuerwaffen davongetrieben, als er uns herannahen sah. Den ganzen langen Tag hörten wir ihn bei seiner vergeblichen Suche wehklagen, und mir wurde nun klar, daß die getötete Wölfin seine Geliebte gewesen war. [Illustration] Als die Sonne sank, schien Lobo in der Richtung nach unserm Tal näherzukommen; denn seine Stimme wurde stetig deutlicher, und es lag ein nicht zu verkennender Klang von Trauer darin. Es war nicht mehr der laute, gebieterische Schrei des Herrschers, sondern ein gedehnter, klagender Ruf, »Blanca, Blanca!« Lobo war nicht fern von dem Platze, wo wir sie überwältigt hatten, und auf einmal ertönte ein herzbrechender Schrei – er hatte die Stelle gefunden, wo wir Blanca töteten. Sein Geheul war jammervoll, und selbst die wenig empfindsamen Hirten meinten, sie hätten nie einen Wolf derartig klagen hören. Lobo mußte erkennen, was hier vorgegangen war; denn der Erdboden war an der Stelle, an der Blanca den Tod fand, mit ihrem Blute befleckt. Dann folgte Lobo unserer Spur bis zum Farmhaus, ob in der Hoffnung, Blanca dort zu finden, oder in der Absicht, Rache zu nehmen, weiß ich nicht. Es waren aber doch wohl Rachegelüste, die ihn trieben; denn er überraschte unsern armen Hofhund außerhalb der Einzäunung und zerriß ihn in tausend Stücke, kaum fünfzig Meter vor unserer Tür. Allem Anschein nach war Lobo in jener Nacht allein gewesen; denn ich fand am nächsten Morgen nur eine Fährte; er war in einer sinnlosen Weise hin und her gelaufen, die ungewöhnlich bei ihm war. Ich hatte das vorausgesehen und deshalb eine größere Anzahl Fallen über die Prärie zerstreut, nicht ganz ohne Erfolg; denn er war tatsächlich in eine davon gefallen. Doch seine Stärke war so groß, daß er sich losgerissen und die Falle von sich geschleudert hatte. [Illustration] Ich nahm an, daß er sich jetzt längere Zeit in der Nachbarschaft herumtreiben würde, um Blanca zu suchen, und ich wendete alle meine Energie auf, Lobo zu fangen, ehe er die Gegend verlassen hatte und solange er noch in diesem ungewöhnlichen Gemütszustand war. Es wurde mir klar, daß ich mit Blancas Hinrichtung einen großen Fehler begangen hatte; denn hätte ich sie lebend als Köder benutzt, so würde ich wohl Lobo in der zweiten Nacht gefangen haben. Alle Fallen, deren ich habhaft werden konnte, raffte ich zusammen – hundertunddreißig starke, stählerne Wolfsfallen, und setzte sie zu vieren in jeden Wildpfad, der in das Tal hinableitete. Jede dieser Fallen war für sich an einen Holzklotz angekettet und jeder Klotz sorgfältig vergraben. Vor dem Eingraben stach ich den Rasen in Stücken heraus und sammelte die Erde in Decken, so daß kein Auge die Arbeit menschlicher Hände entdecken konnte, nachdem der Rasen wieder auf seinen alten Platz gelegt war. Als die Fallen verborgen waren, schleifte ich den Leichnam der armen Blanca darüber hin und rund um die Farm herum, und zum Schluß schnitt ich eine ihrer Tatzen ab und drückte Fußtritte über jede Falle. Alle mir bekannten Vorsichtsmaßregeln hielt ich dabei im Auge, und erst zu später Stunde zog ich mich zurück, um den Erfolg abzuwarten. Einmal während der Nacht glaubte ich Alt-Lobo zu vernehmen, jedoch war ich dessen nicht ganz sicher. Am folgenden Morgen begann ich schon früh die Runde, aber die Dunkelheit überraschte mich wieder, ehe ich meinen Ritt durch das nördliche Tal vollenden konnte, und ich hatte nichts ausgerichtet. Beim Abendessen bemerkte einer der Hirten: »Heute morgen war eine ungewöhnliche Unruhe und Aufregung unter dem Vieh im Norden, möglicherweise hat sich dort etwas gefangen.« Der Nachmittag des nächsten Tages kam heran, ehe ich zu der erwähnten Stelle gelangte. Als ich näherkam, erhob sich eine gewaltige, graue Gestalt vom Boden und versuchte vergebens zu entfliehen – Alt-Lobo, der König von Currumpaw, stand vor mir, festgekettet in den furchtbaren Klauen der stählernen Fallen. Armer, alter Tyrann. Bis zuletzt hatte er nach seiner Geliebten gesucht, und als er die Spur ihres Leichnams gefunden, war er blindlings gefolgt und in die für ihn gelegten Fallen geraten. Da lag er nun festgefaßt von vier starken Eisen, vollkommen hilflos, und rund umher bewiesen zahllose Fußspuren, daß die Rinder sich dort gesammelt hatten, um den gefallenen Despoten zu verhöhnen, ohne es aber zu wagen, in greifbare Nähe zu kommen. Zwei Tage und zwei Nächte hatte er dort gelegen, und nun war er zusammengebrochen, entkräftet durch die vergeblichen Anstrengungen, loszukommen. Doch als ich näher kam, erhob er sich mit gesträubter Mähne, und zum letztenmal erzitterte das Tal von seinem tiefen, grollenden Baß, einem Schrei um Hilfe, dem Kriegsruf seiner Bande. Aber keine Antwort ertönte, und verlassen in seinem letzten Verzweiflungskampf wandte er sich gegen mich, um verzweifelte Anstrengungen zu machen, auf mich loszuspringen. Alles vergeblich, jede der Fallen hatte ein Gewicht von über dreihundert Pfund. Mit diesen stählernen Gebissen an jedem Fuß und die Ketten und Holzklötze alle ineinander verwickelt, war er vollkommen ohnmächtig. Seine gewaltigen, wie Elfenbein schimmernden Fangzähne knirschten in die grausamen Ketten, und als ich ihn mit meinem Büchsenlauf zu berühren versuchte, ließ er tiefe Male darauf zurück, die noch heute zu sehen sind. Seine Augen glühten grün vor Haß und Wut, und seine Kiefer schnappten laut vernehmlich zusammen, als er mich und mein zitterndes Pferd vergeblich zu erfassen suchte. Aber er war erschöpft von Hunger und Blutverlust und sank bald ermattet zu Boden. Etwas wie Bedauern überkam mich, als ich mich anschickte, mit ihm abzurechnen und ihm zu vergelten, was unzählige Geschöpfe unter seinen Klauen erduldet hatten. [Illustration] »Großer, alter Räuber, Held tausend gesetzloser Raubzüge, in wenigen Minuten bist du nichts als ein elender Kadaver.« Dann schwang ich meinen Lasso, und pfeifend sauste er über seinen Kopf. Doch es ging nicht so schnell; noch fühlte er sich nicht überwunden. Ehe sich die geschmeidige Schlinge um seinen Nacken geschlossen hatte, packte er sie und durchschnitt mit einem wütenden Biß die starke Leine, die in zwei Stücken niederfiel. Zwar hatte ich meine Büchse als letzte Hilfe, aber ich wollte sein königliches Fell nicht verderben. Deshalb galoppierte ich nach dem Lager und kehrte in der Begleitung eines Hirten mit einem festen Lasso zurück. Wir warfen Lobo einen Stock zu, den er mit seinen Zähnen packte, und ehe er ihn durchbissen hatte, pfiff unsere Leine durch die Luft und schloß sich fest um seinen Nacken. Schon war das Licht in seinen glühenden Augen am Erlöschen; da besann ich mich eines anderen und rief: »Halt, wir wollen ihn nicht erwürgen, laßt uns ihn lebendig nach der Farm bringen!« Er war jetzt vollkommen machtlos, und es war uns ein leichtes, einen kräftigen Knüppel hinter den Fangzähnen durch sein Maul zu stecken und seine Kiefer mit starken Stricken zusammenzuschnüren. Sobald er fühlte, daß er gebunden war, gab er jeden Widerstand auf und betrachtete uns, ohne einen Laut von sich zu geben, ruhig, als ob er sagen wollte: »So, jetzt habt ihr mich am Ende doch, nun macht, was ihr wollt!« Dann ließ er uns unbeachtet. Wir banden seine Füße, doch er knurrte nicht, noch wendete er seinen Kopf. Dann hoben wir ihn mit vereinter Anstrengung auf mein Pferd. Sein Atem ging ruhig wie der eines Schlafenden, seine Augen waren wieder hell und klar, doch sie ruhten nicht auf uns. Auf die fernen, weiten Gefilde waren sie gerichtet, auf sein geschwundenes Königreich, in dem seine berüchtigte Bande nun ohne ihren großen Führer umherirrte. So starrte er in die Weite, bis wir den Weg in das Tal hinabstiegen und die Felsen die Aussicht versperrten. Langsam ging es vorwärts, bis wir die Farm ungefährdet erreichten, und nachdem wir unser Opfer mit einem Halsband und einer starken Kette gesichert hatten, banden wir es an einen Pfahl auf der Weide und entfernten die Leinen. Zum erstenmal konnte ich Lobo nun genau betrachten und feststellen, wie unglaubwürdig die umlaufenden Gerüchte über diesen gewaltigen Tyrannen waren. Da lag kein goldenes Halsband um seinen starken Nacken, noch war an seiner Schulter ein Kreuz, das das Zeichen eines Paktes mit dem Satan sein sollte. Aber an seinem Schenkel fand ich eine tiefe, breite Narbe, die Juno, der beste von Tannerys Rüden, dort eingegraben hatte, bevor Lobo ihn leblos in den Sand streckte. Ich setzte Fleisch und Wasser neben ihn, aber er rührte es nicht an. Unbeweglich lag er da und starrte mit den klaren, gelben Augen an mir vorüber in die Weite, durch die Öffnung des Tales über die fernen Gefilde, über seine Gefilde. Als die Sonne sank, war sein steter Blick noch auf die Prärie gerichtet. Ich vermutete, er würde seine Bande zusammenrufen, sobald die Nacht anbrach, und war darauf vorbereitet. Doch er hatte in der tiefsten Verzweiflung schon einmal gerufen, und niemand war erschienen – so blieb er jetzt stumm. [Illustration] Ein Löwe, den man seiner Kraft beraubt, ein Adler, dem man seine Freiheit genommen, oder eine Taube, der man den Geliebten entrissen hat, sie alle sterben, so sagt man, an gebrochenem Herzen. Auch dieser furchtbare Bandit konnte den dreifachen Schlag, den er erlitten hatte, nicht mit unversehrtem Herzen ertragen. Als der Morgen dämmerte, lag er noch in der gleichen Stellung voll friedlicher Ruhe. Sein königlicher Leib war unverletzt, aber das Leben war entflohen – der Herrscher tot. Ich nahm die Kette von seinem Halse, und ein Hirte half mir, ihn in den Schuppen tragen, in dem Blanca lag. Dort betteten wir auch den Leichnam des alten Helden, und sein letzter Wunsch war so erfüllt: Die beiden, die nur der Tod getrennt, waren wiedervereinigt. Vixen. Eine Mutter. I. Trauer und Verzweiflung lag auf unserem Hühnervolk. Schon länger als einen Monat verschwanden die Bewohner unseres Geflügelhauses auf eine unerklärliche, geheimnisvolle Weise, und als ich in den Sommerferien von der Universität heimkam, hielt ich es für meine Pflicht und Schuldigkeit, die Ursache ausfindig zu machen. Die Hühner wurden eines nach dem andern frech davongeschleppt, ehe sie sich auf ihrer Stange zur Ruhe niederließen, oder nachdem sie sie verlassen. Diese Tatsache entlastete Landstreicher und allzu anhängliche Nachbarn, und auch Raubvögel konnten die Übeltäter nicht sein; denn die Hühner waren nicht von ihren Nistkästen heruntergeholt. Ebenso fand man keine halbaufgezehrten Leichname, so daß Wiesel, Sumpfotter oder der Skunk, das nordamerikanische Stinktier, unschuldig sein mußten. Der freche Diebstahl blieb infolgedessen einzig und allein auf Meister Reineke sitzen. [Illustration: Tannery mit seinen Hunden kommt das Tal heraufgesprengt] Das weite Nadelholz von Erindale lag auf dem anderen Ufer des Flusses, und bei genauerer Untersuchung der unteren Furt fand ich einige Fuchsspuren und eine gestreifte Feder von einem unserer englischen Hühner. Als ich auf der Suche nach mehr Beweismaterial das Ufer erklomm, hörte ich mit einem Male das ohrenverletzende Geschrei eines Volkes Krähen, und mich umschauend, sah ich einige dieses Gesindels auf irgend etwas in der Furt herabschießen. Bei näherem Hinschauen war es die alte Geschichte – ein Dieb verrät den andern – dort mitten durch die Furt lief ein Fuchs mit einem Huhn zwischen den Zähnen; er kam mit einem neuen Opfer von unserem Hühnerhof. Die Krähen, obwohl selbst freche Räuber, sind immer die ersten, um zu rufen »Haltet den Dieb«, dabei aber stets bereit, ihren Hehlerlohn in Gestalt eines Teiles der Beute zu nehmen. [Illustration] Darauf waren sie auch jetzt aus. Der Fuchs mußte, um heim zu gelangen, den Fluß durchkreuzen und war dem vollen Angriff der pöbelhaften Krähen ausgesetzt. Er machte einige verzweifelte Sätze nach dem Ufer und würde zweifellos mit seiner Beute entkommen sein, hätte ich mich nicht dem Angriff angeschlossen. Infolgedessen war er gezwungen, die Henne, aus der kaum das Leben entflohen war, fallen zu lassen und verschwand im Walde. Diese regelmäßige Eintreibung einer solch hohen Lebensmittelsteuer und die Tatsache, daß der Fuchs sie unzerstückelt davontrug, wies darauf hin, daß er eine Familie von kleinen Füchsen zu Hause hatte, und diese aufzufinden, machte ich mir nun zur Pflicht. Am selben Abend begab ich mich mit Ranger, meinem Hund, über den Fluß hinüber und mitten in die Erindaler Forste hinein. Sobald der Hund zu suchen begann, hörte ich das kurze, scharfe Bellen eines Fuchses aus einem dicht verwachsenen Einschnitt dicht neben mir. Ranger setzte sofort hinein, fand eine frische Fährte und raste im lebhaftesten Tempo davon, bis sich seine Stimme in der Ferne hinter den Hügeln verlor. Nach fast einer Stunde kam er unverrichteter Sache zurück, keuchend und erhitzt, denn es war heißes Augustwetter, und legte sich zu meinen Füßen nieder. In demselben Augenblick ertönte direkt neben uns dasselbe fuchsische »Jap-Jurr«, und davon sauste der Hund auf eine neue Jagd. Fort ging es, in die Dunkelheit hinein, der Hund, bellend wie ein Nebelhorn, mit der Richtung direkt nach Norden. Das laute »Boo–boo« wurde zum leisen »Oo–oo«, dieses zum schwachen »O–o«, und dann war es still. Sie mußten etliche Kilometer weit gelaufen sein; denn selbst mit dem Ohr auf dem Erdboden konnte ich nichts hören, obwohl einige Kilometer keine Entfernung für Rangers messingne Stimme waren. Wie ich so im dunklen Forst stand und wartete, vernahm ich den melodischen Klang von tropfendem Wasser: »Tink tank tenk tink, ta tink tank tenk tonk.« Ich wußte nichts von dem Dasein einer Quelle in dieser Gegend und war in der heißen Nacht glücklich über den Fund. Der Ton führte mich zu einer Eiche, bei der ich die Urheberin fand. Es war ein weicher, süßer Gesang, wie der Zaubergesang der Verführung: »Tonk tank tenk tink Ta tink a tonk a tank, a tink a Ta ta tink tank ta ta tonk tink Trink a trank a trink a trunk.« Es war der Tropfgesang der Sägewetzeule. – Plötzlich weckte mich ein tiefes, heiseres Stöhnen und das Rascheln der Blätter – Ranger war zurück. Er war vollkommen erschöpft. Seine Zunge hing ihm fast bis zum Erdboden, der Schaum stand ihm vorm Maule, seine Lungen arbeiteten schwer, und der Schweiß tropfte von Brust und Flanken. Einen Augenblick schaute er mich an, leckte pflichtschuldig meine Hand und warf sich dann auf den Boden, um alle anderen Geräusche mit seinem lauten Keuchen zu übertönen. Da auf einmal ertönte einige Schritte vor mir wieder das neckende »Jap-Jurr«, und alles wurde mir klar. Wir standen dicht bei der Höhle, wo die kleinen Füchse hausten, und die Alten versuchten abwechselnd uns hinwegzulocken. Es war inzwischen stichdunkle Nacht geworden, und wir wendeten uns heimwärts, zumal wir die Gewißheit hatten, daß das Rätsel nahezu gelöst sei. II. Es war allgemein bekannt, daß ein alter Fuchs mit seiner Familie in der Nachbarschaft lebte, doch niemand vermutete ihn so nahe. Dieser Fuchs war von allen anderen seinesgleichen leicht durch eine Narbe zu unterscheiden, die vom Auge durch und bis hinter das Ohr reichte. Man vermutete, daß er sie auf der Hasenjagd von einem Stacheldrahtzaun erhalten habe, und da die Haare nach der Heilung der Wunde an dieser Stelle weiß wuchsen, blieb die Narbe immer ein untrügliches Abzeichen. Im Winter vorher hatte ich diesen Fuchs zum erstenmal getroffen, und er hatte mir seine Schlauheit durch ein Beispiel bewiesen. Nach einem Schneefall war ich auf die Jagd gegangen und hatte die Felder gekreuzt, bis ich zu einer buschbewachsenen Einsenkung hinter einer alten Mühle kam. Als ich so weit herangekommen war, daß ich das flache Tal überblicken konnte, blieb mein Auge auf einem Fuchs haften, der außer Schußweite auf der anderen Seite herabtrottete und meinen Weg kreuzte. Augenblicklich hemmte ich meine Schritte, blieb vollkommen regungslos stehen und vermied es, auch nur meinen Kopf zu neigen oder zu wenden, um seine Aufmerksamkeit nicht auf mich zu lenken, bis er im dichten Gebüsch auf der Talsohle verschwunden war. Dann duckte ich mich und lief nach der anderen Seite, wo er die Deckung verlassen mußte. Dort wartete ich eine gute Weile, aber kein Fuchs erschien. Bei näherer Untersuchung der frischen Fährte entdeckte ich, daß der Fuchs unter dem Schutze des Buschwerks seine Richtung geändert hatte, und, den Fußspuren mit den Augen folgend, erblickte ich den alten Schlaumeier in beträchtlicher Entfernung direkt hinter mir, auf den Hinterläufen sitzend und augenscheinlich erheitert grinsend. Eine Untersuchung der Fährte erklärte alles. Er hatte mich in demselben Augenblick gesehen, als ich ihn entdeckte, aber schlau, wie es eben nur ein Fuchs sein kann, hatte er gar nicht dergleichen getan, bis er im Gebüsch war. Dort war er um mich herumgelaufen und weidete sich nun an meiner Enttäuschung. Im Frühjahr hatte ich einen weiteren Beweis von seiner Verschmitztheit. Mit einem Freund ging ich auf dem Wege über eine Schafweide spazieren und sah in einiger Entfernung verschiedene graubraune Steine. Als wir uns der Stelle näherten, meinte mein Freund: »Stein Nummer drei sieht ganz aus, wie ein zusammengerollter Fuchs.« Jedoch ich konnte nichts erkennen, und wir gingen weiter. Wir hatten nur einige Schritte zurückgelegt, als der Wind diesen Stein aufblies wie ein Fell. Mein Freund wiederholte: »Ich bin sicher, es ist ein schlafender Fuchs.« »Das wollen wir einmal gleich feststellen,« erwiderte ich und wendete mich zur Seite. Aber sobald ich einen Schritt vom Wege gemacht, sprang richtig der alte Schlauberger auf und rannte davon. Ein Präriefeuer hatte das Gras in der Mitte der Weide verbrannt und einen breiten, schwarzen Gürtel zurückgelassen; darauf lief er entlang, bis er an frisches Grün kam, duckte sich und verschwand. Die ganze Zeit hatte er uns beobachtet und würde sich nicht geregt haben, hätten wir uns auf dem Wege gehalten. Das Wunderbarste bei der Sache war nicht, daß er genau so aussah, wie einer der runden Feldsteine und wie das trockene Gras, sondern _daß er es wußte_ und es sich zunutze machte. Bald kam es zutage, daß es mein alter Bekannter, der Fuchs mit der weißen Narbe, und seine Gattin Vixen waren, die sich in unseren Wäldern heimisch niedergelassen hatten und unseren Hühnerhof als Verpflegungskammer betrachteten. Am nächsten Morgen nahmen wir eine sorgfältige Untersuchung der Stelle unter den Fichten vor und fanden einen großen Erdhügel, den die Füchse innerhalb weniger Monate aufgeworfen hatten. Bei dieser Arbeit mußten sie ein Loch nötig gehabt haben, jedoch war nichts davon zu entdecken. Nun ist es allgemein bekannt, daß ein wirklich geriebener Fuchs, sobald er eine neue Höhle gräbt, die Erde aus dem ersten Loch herauswirft, aber dabei einen Tunnel nach irgendeinem entfernten Dickicht führt. Dann schließt er das erste wieder, da es zu leicht entdeckt werden könnte, und benutzt nur den verborgenen zweiten Eingang unter dem Buschwerk. So fand ich denn auch auf der anderen Seite unter einer Baumwurzel den wirklichen Eingang und sichere Beweise, daß drinnen ein Volk junger Füchse hauste. Über die Büsche auf der abfallenden Hügelseite erhob sich ein hohler Lindenbaum. Er lehnte etwas über und hatte ein großes Loch dicht am Erdboden ein kleineres etwas höher. Dieser Baum war in meinen Knabenjahren oft der Mittelpunkt unserer Robinsonspiele gewesen. In die weichen, morschen Wände hatten wir Stufen geschnitten und so ein Auf- und Absteigen in der Höhlung ermöglicht. Dies kam mir jetzt zustatten. Am nächsten Tage, als die Sonne höher stieg, begab ich mich dorthin und konnte von dem erhöhten Aussichtspunkt die interessante Familie unter mir gemütlich beobachten. Vier junge Füchschen konnte ich zählen. Sie sahen aus wie etwas mißratene kleine Schafe, mit ihren wolligen Pelzen, ihren langen, dicken Beinchen und ihrem unschuldigen Gesichtsausdruck. Jedoch bei näherer Betrachtung konnten die breiten, scharfnasigen und scharfäugigen Gesichter ihre Abstammung von einem schlauen Fuchs nicht verleugnen. Sie spielten umher, wärmten sich in der Sonne oder balgten sich miteinander, bis ein leises Geräusch sie entsetzt in der Höhle verschwinden ließ. Jedoch die Aufregung war unnötig gewesen; denn die Urheberin war die Mutter; sie kam langsam aus den Büschen hervorgeschlichen und trug in ihrem Maul ein Huhn – Nummer siebzehn, wie ich mich entsinne. Ein leiser Ruf, und die Kleinen kamen hervorgepurzelt, und nun begann ein Schauspiel, das ich reizend fand, über das jedoch mein Onkel in helle Wut geraten wäre. Die Jungen stürzten sich auf die Henne, rissen und balgten sich darum und knurrten vor Behagen, während die Alte Wache hielt. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war bezeichnend. Es war ein vergnügtes Grinsen, aber weder der gewöhnliche wilde und schlaue Blick fehlte, noch Grausamkeit und Nervosität, doch mehr als alles andere war es der Mutter Stolz und Liebe, die sich in ihrem Gesicht aussprachen. Der Fuß meines Baumes war in den Büschen verborgen und lag bedeutend tiefer als der Erdhügel, in dem die Füchse hausten. Infolgedessen konnte ich kommen und gehen, ohne sie aufzustören. Immer und immer wieder kehrte ich nach dem Baume zurück, um die Erziehung der jungen Füchse zu beobachten. Schon zeitig lernten sie, bei irgendeinem Geräusch mäuschenstill zu sitzen, und wenn sie es dann zum zweitenmal vernahmen, nach einer sicheren Deckung zu suchen. Einige Tiere besitzen so viel Mutterliebe, daß sie, davon überwältigt, sie auch auf Fernerstehende ausdehnen. Mutter Vixen schien nicht so geartet. Ihre Liebe zu den Jungen verleitete sie zu übertriebenster Grausamkeit. Oft brachte sie Mäuse oder Vögel lebend nach Haus und vermied mit teuflischer Vorsicht, sie ernstlich zu verletzen, damit die Füchschen sich länger daran belustigen könnten, die armen Opfer zu Tode zu quälen. [Illustration] Oben auf dem Hügel in einer Obstpflanzung lebte ein Murmeltier. Es war weder hübsch von Aussehen, noch interessant, aber es wußte ein bequemes Dasein zu führen. Zwischen den zähen Wurzeln eines alten Fichtenstumpfes hatte es sich eine Höhle gewühlt, damit die Füchse ihm nicht durch Graben folgen könnten; denn anstrengende Arbeit ist nicht nach Reinekes Geschmack, und er erreicht seine Ziele lieber durch Witz und Schlauheit. Dieses Murmeltier nun pflegte sich jeden Morgen auf dem Stumpf zu sonnen, und sobald es einen Fuchs erblickte, schlüpfte es hinunter in die Tür seiner Höhle, oder wenn der Feind in zu gefährlicher Nähe schien, kroch es tiefer hinein und wartete so lange, bis die Gefahr vorüber war. Eines Morgens beschlossen Vixen und ihr Gemahl, die Kenntnisse ihrer Kinder durch eine Lehrstunde über das Murmeltier zu bereichern, und als Versuchsgegenstand hatten sie sich das Murmeltier in der Obstpflanzung als besonders passend ausgewählt. So zogen sie denn zusammen bis an den Zaun, der die Pflanzung einschloß, ohne vom alten Einsiedler auf seinem Fichtenstumpf bemerkt zu werden. Vater Fuchs schlenderte dann in einiger Entfernung an dem Stumpf vorüber, mitten durch den Obstgarten, ohne dabei den Kopf zur Seite zu wenden, um das stets wachsame Murmeltier mißtrauisch zu machen. Als der Fuchs auf der Bildfläche erschien, verschwand das Murmeltier im Eingang seiner Höhle und blieb dort ruhig sitzen, wohl wissend, daß Vorsicht die Mutter aller Weisheit sei. Das war es, was die Füchse gewollt. Vixen hatte sich bis dahin versteckt gehalten, jetzt aber lief sie schnell nach dem Stumpf hinüber und versteckte sich dahinter. Der Alte hatte inzwischen langsam seinen Weg verfolgt. Da das Murmeltier durch das Erscheinen des Fuchses keineswegs in große Angst versetzt worden war, steckte es bald seinen Kopf zwischen den Wurzeln heraus und sah sich neugierig um. Weit in der Ferne gewahrte es den Fuchs, seine alte Richtung immer noch einhaltend. Je weiter der Feind sich entfernte, desto dreister wurde das Murmeltier, kam weiter heraus, und als die Luft vollkommen rein schien, kletterte es wieder auf den Stumpf. Mit einem Sprunge saß ihm Vixen im Genick und schüttelte es, bis es besinnungslos dalag. Der alte Fuchs hatte mit einem Auge das ganze Manöver beobachtet und kam schnell herbeigelaufen. Aber Vixen nahm das Murmeltier zwischen die Zähne, lief nach der Behausung, und der Alte wußte nun, daß man seiner nicht mehr benötigte. Als Vixen vor der Höhle anlangte, war das Murmeltier wieder so weit bei Sinnen, daß es etwas zappelte. Ein unterdrücktes »Wuf« der Alten brachte die Kleinen aus der Höhle heraus, wie Schuljungen zum Spielen. Sie warf ihnen das verwundete Tier vor, und wie vier kleine Teufel stürzten sie sich darauf, schwache Freudenschreie ausstoßend und mit aller Kraft ihrer kleinen Kinderzähne zubeißend. Jedoch das Murmeltier kämpfte für sein Leben, und die Quälgeister abschüttelnd, hinkte es langsam nach dem schützenden Dickicht davon. Die Füchschen verfolgten es wie eine Meute Hunde und zogen es am Schwanz und Fell, konnten es aber nicht zurückhalten. Da kam die Mutter zu Hilfe, mit einigen Sätzen hatte sie es überholt und zog es wieder ins freie Feld zurück, zur Belustigung der Kinder. Dieses grausame Schauspiel wiederholte sich einigemal, bis einer der Kleinen jämmerlich zerbissen war und sein Schmerzensgeschrei die Mutter bewog, dem jammervollen Dasein des Murmeltieres ein schnelles Ende zu bereiten. – Nicht weit vom Neste entfernt war eine mit hohem Gras überwucherte Talsenkung, der Spielplatz einer ganzen Ansiedlung von Feldmäusen. Die erste Unterweisung in der edlen Weidmannskunst, die die Kleinen, entfernt von ihrer Behausung, erhielten, war in dieser Niederung. Hier hatten sie ihre erste Übungsstunde in der Mäusejagd, der leichtesten Jagd von allen. Bei der Belehrung war die Hauptsache das Beispiel der Mutter und der angeborene Instinkt. Die Alte bediente sich einiger Zeichen und Winke, die z. B. bedeuteten »Liegt still und paßt auf« oder »Kommt und macht mir alles genau nach« usw. An einem stillen Abend zog die ganze Familie vergnügt nach der Niederung, und Mutter Fuchs hieß die Jungen im Gras stilliegen. Ein leises Quieken bewies die Anwesenheit des gesuchten Wildes. Vixen erhob sich und lief auf den Zehenspitzen in das hohe Gras; sie kroch nicht, sondern machte sich so hoch, als sie konnte, und stand zuweilen auf den Hinterfüßen, um besser Umschau halten zu können. Die Pfade, welche die Mäuse zu nehmen pflegen, sind unter dem Gewirr des Grases verborgen, und das einzige, wodurch sich der Aufenthaltsort der Mäuse feststellen läßt, ist das leichte Bewegen der Halme; das ist der Grund dafür, daß man dieser Jagd nur an windstillen Tagen obliegen kann. Die Kunst dabei ist nun, den Ort zu bestimmen, an dem die Maus krabbelt, und sie mit einem Satze zu packen, ohne sie vorher gesehen zu haben. Nach einigen Sekunden Wartens tat Vixen einen Sprung, und mitten in dem Büschel vertrockneten Grases, das sie packte, quiekte eine Feldmaus zum letztenmal. Sofort war sie verschlungen, und die vier häßlichen kleinen Füchse versuchten nun, es ihrer Mutter nachzutun. Als der Älteste zum erstenmal in seinem Leben solch ein zappelndes Wesen erwischte, zitterte er vor Erregung und grub seine perlenweißen, kleinen Milchzähne in die arme Maus mit einer angeborenen Wildheit, die ihn selbst zu überraschen schien. Eine weitere Lehrstunde wurde an einem Eichhorn erteilt. Eines von diesen lärmenden, sehr nervösen Geschöpfen wohnte dicht neben der Behausung der Füchse und pflegte den halben Tag damit zuzubringen, die ehrenwerte Familie von irgendeinem sicheren Zweige aus zu beschimpfen. Die Jungen machten viele vergebliche Versuche, es zu erwischen, wenn es von einem Baum zum anderen über die Lichtung rannte oder sie aus nächster Nähe mit den gemeinsten Schimpfreden überschüttete. Alt-Vixen war sachverständig in der Naturgeschichte; genau kannte sie die Gepflogenheiten eines Eichkätzchens und nahm die Sache in die Hand, sobald es ihr angemessen erschien. Sie versteckte die Kinder und legte sich flach mitten in der Lichtung nieder. Das freche, niedrig denkende Eichhorn kam und begann wie gewöhnlich zu schimpfen. Jedoch die Füchsin zuckte mit keiner Wimper. Das Eichkätzchen kam näher und schrie schließlich von einem Zweig über ihr herunter: »Du Lump du, du Lump du.« Aber Vixen lag da wie tot. Das schien dem Eichhorn höchst merkwürdig. Sich ängstlich umschauend, kam es den Baumstamm herab und lief mit einem kräftigen Anlauf über den Rasen hinüber nach einem anderen Baum, um dort seine Schimpferei von neuem zu beginnen. »Du Lump du, du trauriger Lump du, Skrrr – skrrr.« Aber unbeweglich und leblos lag Vixen im Grase. Das war dem Eichhorn denn doch zu viel. Es war von Natur aus neugierig und abenteuersüchtig. Wieder kam es von seinem Baum herunter und eilte über die Lichtung, diesmal näher als zuvor. Wie tot lag Vixen, »sicherlich, sie war tot«. Die kleinen Füchse fingen an zu glauben, ihre Mutter sei eingeschlafen. [Illustration] Das Eichhorn arbeitete sich mehr und mehr in einen Anfall von närrischer Neugier hinein. Ein Stück Baumrinde hatte es gerade auf Vixens Kopf geworfen, seine Liste von gemeinen Schimpfworten hatte es aufgebraucht und sie bereits wiederholt, aber auf nichts eine Antwort erhalten. Nachdem es noch einige Male die Lichtung gekreuzt hatte, wagte es sich in die nächste Nähe der in Wirklichkeit lauernden Füchsin, die sofort aufsprang und das dumme Eichhorn im Nu beim Genick packte. Und die Kleinen knabberten die Knochen, oh! So wurden nach und nach die Anfangsgründe zur Erziehung der Jungen gelegt, und als sie stärker wurden, nahm man sie weiter hinaus und begann die höhere Unterweisung im Fährtensuchen und Fährtenfinden. Jedes Wesen hat eine besondere Art zu jagen; denn ein jedes Tier hat irgendeine große Stärke, sonst könnte es nicht leben, und irgendeine große Schwäche, sonst könnten die anderen nicht leben. Des Eichhorns Schwäche ist alberne Neugier, die des Fuchses, daß er keinen Baum ersteigen kann. Die Erziehung der kleinen Füchse war auf dem Grundsatze aufgebaut, sich die Schwächen anderer Tiere zunutze zu machen oder ihre Stärke durch Schlauheit zu überbieten. [Illustration] Von ihren Eltern lernten sie die Hauptlehrsätze der Fuchsweisheit. Das Wie ist nicht so leicht zu erklären, aber daß sie diese unter der Leitung der Alten lernten, bewiesen sie bald. Folgendes sind einige Regeln, die sie den Füchsen beibrachten und die ich ihnen ablauschte: »Schlafe niemals auf deiner Fährte! Deine Nase sitzt vor den Augen, darum traue ihr zuerst! Nur ein Narr läuft mit dem Wind! Ein laufender Bach heilt manch Ungemach! Gehe niemals den geraden Weg, wenn du einen krummen findest! Ist dir etwas fremd, so ist’s dir auch feindlich! Staub und Wasser verderben den Geruch! Jage niemals Mäuse in einem Walde, wo Hasen sind, oder Hasen im Hühnerhof! Lauf’ nicht im Gras!« Eine Ahnung von der Bedeutung dieser Regeln begann bereits in den Köpfen der Kleinen zu dämmern. So z. B. »Folge niemals einem Dinge, das du nicht riechen kannst!« Das war ihnen klar, denn wenn sie es nicht riechen konnten, stand der Wind so, daß es sie riechen mußte. [Illustration: Lobo legt die Fallen bloß] Nach und nach lernten sie alles kennen, was da in ihrem heimatlichen Forste kroch und flog, und als sie groß genug waren, um mit ihren Eltern weitere Ausflüge unternehmen zu können, kamen ihnen noch viele neue Tiere zu Gesicht. Bald bildeten sich die Kleinen ein, sie wüßten alles; jedoch eines Nachts nahm sie die Mutter mit hinaus ins Feld und zeigte ihnen einen fremdartigen, flachen Gegenstand, der auf der Erde lag. Die Alte brachte ihre Jungen dorthin, damit sie an diesem unbekannten Ding riechen sollten, und beim ersten Schnüffeln standen ihnen alle Haare zu Berge, sie zitterten an allen Gliedern und wußten nicht warum – es schien in ihrem Blut zu kitzeln und sie mit Haß und Furcht zu erfüllen. Als die Alte die Wirkung sah, flüsterte sie ihnen zu: »Das ist Menschengeruch.« III. Inzwischen verschwanden unsere Hühner, eins nach dem andern. Noch hatte ich das Nest mit den Jungen nicht verraten; denn ich hielt von diesen kleinen Räubern mehr als von unseren langweiligen Hühnern. Mein Onkel war natürlich höchst aufgebracht und machte die verächtlichsten Bemerkungen über meine Tüchtigkeit als Jäger. Um ihm gefällig zu sein, nahm ich eines Tages den Hund mit auf einem Wege durch den Wald, und während ich mich auf einem Baumstumpf an der unbewachsenen Hügelseite niederließ, lief der Hund suchend umher. In weniger als drei Minuten gab er den allen Jägern so wohlbekannten Laut: »Fuchs! Fuchs! Fuchs!« und hinab ging die Hetze ins Tal. [Illustration] Nach einer Weile hörte ich sie zurückkommen. Voran mein alter Bekannter, der Fuchs, der in leichten Sprüngen die Uferböschung hinab auf den Fluß zulief. Dann trottete er in dem seichten Wasser einige hundert Meter am Ufer entlang und kam gerade mir gegenüber heraus. Obwohl ich ohne Deckung saß, sah er mich nicht, sondern kam den Hügel hinauf, über die Schulter hinweg den Hund beobachtend. Ungefähr vier Schritte vor mir drehte er um, ließ sich nieder, verdrehte den Hals, mit gespannter Aufmerksamkeit dem vergeblichen Suchen des Hundes zusehend. Ranger kam bellend die Fährte entlang, bis er am laufenden Wasser anlangte. Dort verlor er die Spur und suchte ratlos hin und her. Da gab es nur einen Ausweg, er mußte den Fluß an beiden Ufern so lange auf und nieder laufen, bis er die Stelle gefunden hatte, wo der Fuchs das Land betreten. [Illustration] Der alte Schlaumeier vor mir änderte seine Stellung etwas, um besser Umschau halten zu können, und beobachtete mit einem geradezu menschlichen Interesse das Hin- und Hersuchen des Hundes. Er saß so nahe bei mir, daß ich sehen konnte, wie sich die Haare auf seiner Schulter sträubten, als der Hund näherkam. Das vor Erregung klopfende Herz konnte ich an die Rippen schlagen sehen, ebenso das Aufleuchten seiner gelben Augen. Als der Hund die Fährte am Wasser verloren hatte und vollkommen verwirrt umherlief, war es einfach komisch zu beobachten, wie Meister Reineke nicht mehr stillsitzen konnte, sondern vor Freude hin und her sprang und sich auf den Hinterfüßen erhob, um eine bessere Aussicht auf seinen langsam sich zurechtfindenden Verfolger zu bekommen. Mit beinahe bis an die Ohren aufgerissenem Maule atmete er geräuschvoll einige Male oder, besser, lachte er belustigt, wie es Hunde zuweilen zu tun pflegen. Als Ranger dann langsam den Hügel hinaufkam, drückte sich der alte Fuchs gemächlich in den Wald. – Nur vier Schritte vor mir war er gesessen, aber ich hatte den Wind gegen mich und war mäuschenstill sitzen geblieben, und er hatte nicht bemerkt, daß sein Leben zehn Minuten lang in der Hand seines bestgehaßten Feindes lag. Auch Ranger würde an mir vorbeigelaufen sein, hätte ich ihn nicht angerufen. Mit einem kleinen, aufgeregten Schreck verließ er die Fährte und warf sich schnaufend und außer Atem zu meinen Füßen nieder. [Illustration] Diese Komödie wiederholte sich mit einigen kleinen Veränderungen mehrere Tage hintereinander. Mein Onkel verlor endlich bei dem täglichen Verlust seiner Hühner die Geduld und begab sich in höchsteigener Person hinaus, ließ sich auf dem Hügel nieder, und als der alte Reineke nach seinem Beobachtungsposten getrottet kam, schoß er ihn erbarmungslos nieder, gerade als sich das schlaue Füchslein über eine neue Nasführung des Hundes gebührend belustigte. IV. Die Hühner verschwanden jedoch wie zuvor. Mein Onkel schäumte vor Wut und beschloß, den Vernichtungskrieg nun selbst zu leiten. Er besäte die Wälder förmlich mit vergifteten Ködern, dabei auf sein gutes Glück vertrauend, daß unsere Hunde sich nicht daran machten. Sooft er mich sah, erging er sich in wenig liebenswürdigen Bemerkungen über seinen Glauben an meine Weidmannskunst, und Abend für Abend trieb es ihn hinaus mit seiner Büchse und zwei Hunden, in der Hoffnung, den Räuber zu erwischen. [Illustration] Vixen war nicht so dumm, sie wußte ganz genau, was ein vergifteter Köder war, sie lief an ihnen vorüber und behandelte sie mit Verachtung. Nur einmal nahm sie einen auf, warf ihn in die Höhle eines alten Feindes, eines Skunks, und vom selbigen Tage an ward dieser nicht mehr gesehen. Früher hatte der alte Reineke die Hunde auf sich genommen und sie von der Behausung ferngehalten. Jetzt lag auf Vixen die ganze Last der Erziehung und Ernährung der Jungen allein, sie konnte nicht viel Zeit damit verschwenden, jede Fährte, die nach der Höhle führte, zu verwischen, und war auch nicht immer zur Hand, um Feinde irrezuführen. Das Ende war leicht vorauszusehen. Ranger folgte eines Tages einer frischen Fährte nach der Höhle, und kurz darauf verkündete Flick, der englische Jagdhund, ein Foxterrier, daß die ganze Familie zu Hause sei. Das Geheimnis war nun heraus und die Stunden der Füchse gezählt; Arbeiter wurden herbeigerufen und begannen sie herauszuschaufeln, während wir mit den Hunden dabeistanden. Noch ehe das Werk vollendet war, zeigte sich Vixen am nahen Waldsaum und führte die Hunde davon, hinab nach dem Flusse. Dort schüttelte sie ihre Verfolger durch einen schlauen Kunstgriff ab, indem sie einfach auf den Rücken eines friedlich weidenden Schafes sprang. Das geängstigte Tier raste mit seiner Reiterin davon, die – sicher, daß die Hunde ihrer Spur nicht mehr folgen konnten – nach einigen hundert Metern herabsprang und nach der Höhle zurückkehrte. Aber die Verfolger, stutzig gemacht durch das Verschwinden der Fährte, taten dasselbe und fanden Vixen, sich vergeblich abmühend, auch uns von ihren Schätzen hinwegzulocken. Inzwischen hatte mein Onkel Hacke und Schaufel mit Kraft und Erfolg gebraucht. Der gelbe, grobe Sand häufte sich zu beiden Seiten, und der rüstige Schatzgräber verschwand bald in der Tiefe. Nach einer Stunde harter Arbeit rief der Alte: »Da haben wir das Gesindel!« [Illustration] Die Höhle am Ende des Tunnels war bloßgelegt, und in einer Ecke zusammengeduckt saßen die vier Jungen. Ehe ich Einspruch erheben konnte, hatte ein mörderischer Schlag mit der Schaufel und ein plötzliches Zufahren des Foxterriers das Leben von dreien beendet. Das vierte und kleinste wurde am Schwanze herausgezogen und den Hunden nur mit Mühe entrissen. Es gab einen kurzen, quiekenden Schrei von sich; und die arme Mutter, dadurch herbeigelockt, kreiste so nahe um uns herum, daß sie sicher niedergeschossen worden wäre, hätten die Hunde sie nicht in ihrem Übereifer beschützt; denn sie liefen immer in die Schußlinie. Zuletzt führte sie sie zu einer erfolglosen Jagd davon. Der kleine lebende Fuchs wurde in einen Sack gesteckt, wo er ganz ruhig lag, und seine unglücklichen Geschwister wurden in ihre Kinderstube zurückgeworfen und unter einigen Schaufeln voll Erde begraben. Wir Mörder begaben uns nach dieser Hinrichtung nach Hause, und der Kleine wurde im Hofe angekettet. Niemand wußte recht, warum man ihn am Leben gelassen, aber bei uns allen machte sich eine Gefühlsänderung bemerkbar, und keiner kam auf den Gedanken, auch ihn zu töten. [Illustration] Es war ein hübscher, kleiner Kerl, der aussah wie eine Kreuzung zwischen Fuchs und Lamm. Seine wollige Gestalt und sein Gesicht ähnelten merkwürdig einem Schaf, und sein Ausdruck war unschuldig, wie der eines Lammes. Bei scharfem Beobachten jedoch konnte man in seinen Augen ein Aufleuchten von Schlauheit und Wildheit erkennen, das ihn einem Lamm so unähnlich wie möglich machte. Solange jemand in seiner Nähe war, verkroch er sich furchtsam in der Hütte, und es dauerte eine volle Stunde, bis er es wagte, wieder herauszuschauen. Mein Fenster mußte jetzt die Stelle des hohlen Weidenstammes vertreten. Eine Anzahl Hühner von der Rasse, die dem Füchschen nur zu gut bekannt war, trieben sich in der Nähe auf dem Hofe herum. Am späten Nachmittag, als sie sich zu nahe an den Gefangenen herangewagt hatten, wurde ich durch das plötzliche Rasseln der Kette ans Fenster gelockt und erblickte den kleinen Burschen, der auf das nächste Huhn zusprang und nur von einem heftigen Ruck der Kette zurückgehalten wurde, es zu packen. Reineke junior krabbelte wieder auf die Füße und kroch zurück in seine Hütte. Er versuchte dasselbe Manöver noch verschiedene Male, wurde aber immer wieder von der grausamen Kette zu Boden geschleudert. [Illustration] Als die Dämmerung hereinbrach, begann er unruhig zu werden. Er schlüpfte aus seiner Hütte heraus, verkroch sich aber beim leisesten Geräusch wieder, nagte an seiner Kette oder biß wütend darauf herum. Plötzlich hielt er inne, als ob er lauschte, erhob dann seine kleine schwarze Nase in die Luft und gab einen kurzen zitternden Schrei von sich. Dies wiederholte er einige Male, die Pause durch Knabbern an der Kette und ruheloses Umherlaufen ausfüllend. Da plötzlich ertönte eine Antwort, das ferne »Japp-Jurr« der alten Füchsin, und einige Minuten später erschien eine schattenhafte Form auf einem Holzhaufen in der Ecke des Hofes. Der Kleine kroch in seine Hütte, kam aber sofort wieder heraus und sprang der Alten entgegen, mit all der Freude, die nur ein Kind seiner Mutter zu zeigen imstande ist. Schnell wie der Blitz packte sie ihn, um ihn auf demselben Wege davonzutragen, den sie gekommen. Jedoch in dem Augenblick, als das Ende der Kette erreicht war, wurde der Kleine der Mutter mit einem Ruck entrissen, und erschreckt durch das Öffnen eines Fensters, entfloh sie über den Holzhaufen. Eine Stunde später hatte das Junge aufgehört, ruhelos hin und her zu laufen und zu schreien. Ich schaute hinaus und sah beim fahlen Licht des Mondes die Mutter lang ausgestreckt neben ihrem Söhnchen liegen und an etwas knabbern – das Klirren von Eisen verriet mir, an was –, es war die grausame Kette. Tip, das Söhnchen, bekam inzwischen einen warmen Trank. [Illustration] Als ich heraustrat, entfloh Vixen in den dunklen Forst. Neben der Hütte hatte sie zwei kleine Mäuse zurückgelassen, blutig und noch warm – Futter für das Junge. Am folgenden Morgen fand ich bei einem Gang durch den Wald nach der zerstörten Höhle neue Zeichen von Vixen. Die arme, unglückliche Mutter war gekommen und hatte die Leichen ihrer erschlagenen Kinder ausgegraben. [Illustration] Da lagen die drei kleinen Füchse, glatt geleckt, und daneben zwei von unseren Hühnern, eben erst getötet. Auf der frisch aufgeworfenen Erde waren überall Spuren, Spuren, die erzählten, daß hier die Mutter an der Seite ihrer Toten gewacht. Neben ihnen hatte sie sich hingestreckt, ihnen vergeblich Nahrung angeboten und versucht, sie zu füttern und zu wärmen wie früher. Aber nur kleine, steife Leichen hatte sie unter ihrem weichen Fell gefühlt und kleine, kalte Nasen, still und unbeweglich. Der tiefe Eindruck von Ellbogen, Brust und Läufen zeigte, wo Vixen gelegen in ihrer stummen Verzweiflung und gewacht stundenlang und getrauert – eine Mutter um ihre Kinder. Nach dieser Nacht kam sie nicht wieder nach dem zerstörten Heim; denn sie wußte jetzt gewiß, daß ihre Kleinen tot blieben für immer. V. Tip, der Gefangene, der einzig Überlebende von Vixens Jungen, war nun der Erbe ihrer ganzen Liebe. Die Hunde waren losgelassen, um die Hühner zu bewachen, die Leute hatten Anweisung, sofort zu schießen, wenn sich die Füchsin zeigte, und auch mir war dieser Befehl zugegangen, aber ich war entschlossen, nichts zu sehen. Die Köpfe geschlachteter Hühner, die der Fuchs besonders liebt, und die ein Hund nicht anrührt, hatte man vergiftet und im Walde ausgestreut, und der einzige Weg, zum Hofe zu gelangen, wo Tip in erniedrigender Gefangenschaft lebte, war über den Holzstoß in der Ecke. Trotz aller Maßregeln erschien Vixen in jeder Nacht, um ihr Junges zu säugen und ihm frischgefangene Hühner oder Wild zu bringen. [Illustration] In der zweiten Nacht von Tips Gefangenschaft vernahm ich das Rasseln der Kette und erblickte die Füchsin, wie sie eifrig ein Loch neben des Kleinen Hütte scharrte. Als es tief genug war, um sich selbst darin zu begraben, packte sie die Kette hinein und füllte das Loch darüber wieder zu. Dann ergriff sie, triumphierend bei dem Gedanken, daß sie die Kette nun los sei, den kleinen Tip beim Genick und sprang in der Richtung nach dem Holzhaufen davon, aber nur mit dem Erfolg, ihr Junges mit einem Ruck von sich gerissen zu sehen. Armer, kleiner Kerl, er wimmerte jämmerlich, als er in seine Hütte zurückkroch. Eine halbe Stunde später hörte ich die Hunde wütend anschlagen, und als sich das Bellen weiter und weiter entfernte, wußte ich, daß sie auf Vixens Fährte waren. Nördlich, in der Richtung nach der Bahnlinie, ging ihre Jagd, und das Bellen verklang in der Ferne. Am anderen Morgen fehlte Ranger, und bald wußten wir warum. Füchse lernen beizeiten die Vor- und Nachteile einer Eisenbahn kennen und wissen sie sich auf verschiedene Weise zunutze zu machen. Erstlich pflegen sie, wenn verfolgt, die Schienen entlang zu laufen, kurz bevor ein Zug darüberfährt. Die Spur, auf Eisen sowieso schwer zu verfolgen, wird von dem Zug ganz und gar verwischt, auch ist immer die Möglichkeit vorhanden, daß der eifrig suchende Hund überfahren wird. Ein anderer sicherer, aber gefährlicher Kniff besteht darin, den Hund quer über die Schienen direkt vor einem Zuge hinwegzuführen, so daß die Lokomotive ihn überholt und tot zur Seite schleudert. Dieser Kunstgriff war von Vixen meisterlich ausgeführt worden, und am Fuße des Bahndamms fanden wir die zermalmten Überreste unseres alten, treuen Rangers, und irgendwo im Walde saß die Füchsin und lachte sich ins Fäustchen. Noch in derselben Nacht kam sie zum Hofe zurück, ehe der müde Jagdhund Flick sich eingefunden hatte, mordete eine Henne, brachte sie Tip und streckte sich außer Atem neben ihm nieder. Sie schien zu glauben, der Gefangene bekäme keine andere Nahrung als die, die sie ihm brachte. Diese Henne verriet meinem Onkel den nächtlichen Besuch. Meine volle Zuneigung und Teilnahme war mit Vixen, und ich weigerte mich, meine Hand zu neuem Morde zu bieten. In der nächsten Nacht wachte mein Onkel in höchsteigener Person, das Gewehr im Arm, eine ganze Stunde. Als es dann kühler wurde und der Mond sich umwölkte, fiel ihm irgendein anderes wichtiges Geschäft ein, und er rief einen von unseren Leuten an seine Stelle. Doch dieser machte es sich bald bequem, als die Stille der Nacht und das gespannte Wachen seine Nerven zu sehr anstrengten, und das laute »Bäng! Bäng!« eine Stunde später regte uns wenig auf; denn es war nur Pulver um nichts verschossen worden. Am Morgen fanden wir, daß Vixen ihr Junges nicht vergessen. – Den nächsten Abend hielt mein Onkel zum zweitenmal Wache, da wieder ein Huhn verschwunden war. Kurz nach Eintreten der Dunkelheit ertönte ein Schuß; Vixen ließ die Beute, die sie trug, fallen und entfloh. Ein zweiter Versuch, den sie in der gleichen Nacht machte, ließ wieder einen Schuß folgen. Jedoch am Morgen bewies das Glänzen der Kette, daß sie zum drittenmal gekommen war und stundenlang vergeblich versucht hatte, die grausamen Bande, die ihr Kleinod hielten, zu durchbeißen. [Illustration] Eine solche Tapferkeit und standhafte Treue muß Achtung, wenn nicht gar Mitleid gewinnen. In der nächsten Nacht wachte kein Schütze, und alles war still. Was sollte es auch nützen? Dreimal war Vixen durch Schüsse hinweggejagt worden, würde sie nun noch einmal versuchen, ihr gefangenes Kind zu befreien oder zu füttern? Würde sie es tun? Ihre Liebe war die einer Mutter! Es war in der vierten Nacht, als das klagende Wimmern des Kleinen beim Auftauchen einer schattenhaften Gestalt auf dem Holzstoß verstummte. Aber sie trug keinen Vogel, kein Beutestück, soviel ich erkennen konnte. Hatte die geschickte Jägerin am Ende ihr Wild gefehlt? Brachte sie nichts für ihren Einzigen, oder vertraute sie auf die Pflege seiner Wächter? Nein, gewiß nicht! Der wilden Mutter Liebe und Haß waren felsenfest, und ihr einziger Gedanke und Wunsch war, ihren Sohn zu befreien. Alles hatte sie versucht, und jeder Gefahr hatte sie getrotzt, um ihn freizumachen, aber alles war vergeblich gewesen. Wie ein Schatten war sie gekommen und im Augenblick wieder verschwunden. Tip packte gierig etwas, was sie ihm zugeworfen, und schlang und kaute mit Behagen. Aber noch während er fraß, entfuhr ihm plötzlich ein Schrei voll Schmerz; dann folgte ein kurzer Todeskampf, und Tip war nicht mehr. Die Mutterliebe in Vixen war stark, aber ihre Überlegung war stärker. Sie kannte des Giftes Gewalt, und als sie am Ende einsah, daß sie für ihr Junges zu wählen hätte, zwischen dem traurigen Leben eines Gefangenen oder dem plötzlichen Tod, unterdrückte sie die Mutter in ihrer Brust und befreite es auf diese einzig mögliche Weise. * * * * * Wenn der Schnee den Boden bedeckt, pflegen wir den Waldbestand aufzunehmen, und als der Winter kam, erzählte er mir, daß Vixen nicht mehr in den weiten Forsten jenseits unseres Flusses hauste. Wohin sie gezogen, habe ich nie erfahren, aber so viel war sicher, in unserer Nachbarschaft weilte sie nicht mehr. Vielleicht war sie nach weit entfernten Jagdgefilden ausgewandert, um der traurigen Erinnerung an ihre gemordeten Lieben zu entfliehen. Oder sie war freiwillig von dem Schauplatz eines traurigen Daseins abgetreten, wie manche wilde Mutter es vor ihr getan, mit Hilfe des gleichen Mittels, mit dem sie ihren Sohn, das letzte ihrer Kinder, befreite. Rotkrause. Die Geschichte des Fasanen aus dem Don-Tale. I. Durch eine bewaldete Schlucht zwischen zwei Hügeln führte Mutter Fasan ihre Familie hinab zum kristallklaren Bache, den der Volksmund, ich weiß nicht warum, Schlammbach getauft hatte. Die Kleinen waren einen Tag alt, bereits flink auf den Füßen und wurden zum erstenmal zum Trinken geführt. Langsam zog die Mutter vorwärts, gleichsam am Boden kriechend; denn der Feinde waren viele in den Wäldern. Ein sanftes Glucksen lockte die kleinen erdfarbenen Knäuel, die auf ihren winzigen, rosigen Beinchen hinterher gewackelt kamen und ängstlich zu piepsen begannen, wenn sie nur wenige Finger breit zurückblieben, und die so zart und klein aussahen, daß selbst die Graspferde neben ihnen riesengroß erschienen. Im ganzen waren es zwölf, und die Mutter hütete sie alle. Argwöhnisch beobachtete sie jeden Busch, jeden Baum und jedes Dickicht, den ganzen Wald und selbst den Himmel und schien nur nach Feinden zu suchen; denn nach den wenigen Freunden lohnte es sich nicht, Ausschau zu halten. Und richtig entdeckte sie einen Feind! Drüben über der Wiese erschien ein großer Fuchs; er kam ihren Pfad entlang, und sicherlich würde er sie in wenigen Augenblicken mit seiner feinen Nase wittern. Da gab es keine Zeit zu verlieren! [Illustration] »Krr! Krr!« (Versteckt euch! Versteckt euch!) rief die Mutter leise, aber in bestimmtem Tone, und die armen Dinger, kaum größer als Eicheln und nur einen Tag alt, zerstreuten sich, um sich zu verbergen. Das eine verschwand unter einem Blatt, ein anderes zwischen zwei Wurzeln, ein drittes kroch unter ein Stück abgefallene Birkenrinde, ein viertes in ein Erdloch usw., bis alle verborgen waren. Nur eins konnte keinen Schlupfwinkel finden, es legte sich flach auf ein breites, gelbes Blatt, machte die Augen fest zu und glaubte nun sicher, von niemandem gesehen zu werden. Die Kleinen stellten ihr furchtsames Piepsen ein, und alles war still. [Illustration: Lobo und Blanca] Mutter Fasan flog dem gefürchteten Räuber gerade entgegen, ließ sich dann ein paar Schritte seitwärts von ihm nieder, begann mit den Flügeln zu schlagen, als ob sie lahm, ganz flügellahm wäre, und jammerte wie ein von der Mutter verlassenes Kind. Bat sie um Gnade – Gnade von einem blutdürstigen, grausamen Feind? O nein, so töricht war sie nicht! Oft hört man von der Arglist des Fuchses, er ist jedoch ein richtiger Gimpel gegen eine kluge Fasanenmutter. Hoch erfreut, bei der Aussicht auf einen leckeren Braten gerade vor seiner Nase, drehte sich der Fuchs plötzlich um und erwischte – doch nein, ganz erwischte er den armen Vogel nicht, er entschlüpfte seinen gierigen Zähnen um Fußeslänge. Mit einem Satz war er hinterdrein und würde ihn diesmal sicherlich gefangen haben, wenn nicht gerade eine tückische Schlingpflanze dazwischen geraten wäre. Die Fasanenmutter hinkte davon, kroch unter einen Baumstamm, und Reineke sprang darüber, während seine sichere Beute, die jetzt etwas weniger lahm zu sein schien, einen ungeschickten Sprung vorwärts machte und einen Abhang hinunterrollte. Der Fuchs, immer hinterdrein, packte sie beinahe beim Schwanz, aber sonderbar genug, so schnell er auch lief und sprang, sie schien doch noch schneller zu sein. So etwas war dem alten Straßenräuber noch nicht begegnet. Ein flügellahmer Fasan, und er, Reineke, der Schnellfüßler, konnte ihn in einem Rennen von fünf Minuten nicht einholen. Es war eine Schande. Der Fuchs verdoppelte seine Anstrengungen, jedoch der Fasan schien in demselben Maße an Kraft zu gewinnen, und nach einem Wettlauf von ein paar hundert Metern war der Vogel auf unerklärliche Weise wieder ganz gesund, er erhob sich mit einem beinahe verächtlich klingenden Schwirren und flog durch die Wälder davon, den Verfolger vollkommen sprachlos hinter sich zurücklassend, mit der niederdrückenden Erkenntnis, daß man ihn zum Narren gehabt. Mittlerweile schwebte die Fasanenmutter in einem weiten Bogen nach der Stelle zurück, an der die Kleinen im Unterholz versteckt waren. Mit dem feinen Ortssinn des wilden Vogels ließ sie sich auf demselben Fleck nieder, von dem sie aufgeflogen, und stand einen Augenblick still, um voll Mutterstolz die vollständige Ruhe ihrer Kinder zu bewundern. Selbst bei ihrem Nahen rührte sich keins, auch der kleine Bursche auf dem gelben Blatt, der schließlich gar nicht so schlecht verborgen war, regte sich nicht, sondern schloß die Augen nur ein klein wenig fester, bis die Mutter rief: »Kr–iet!« (Kommt, Kinder!) und wie in einem Märchen schlüpfte aus jedem Loch ein Fasanenjunges heraus. Der winzige Geselle auf dem Blatt, der dickste von allen, öffnete seine großen Augen und flüchtete mit einem zarten »Piep, piep« unter den Schutz der mütterlichen Flügel. Ein Feind hätte es drei Schritte weit nicht vernehmen können, der Mutter feines Ohr jedoch hätte es in einer dreimal größeren Entfernung gehört. Die Mittagssonne brannte heiß. – Durch eine Lichtung führte der Weg gerade zum Wasser hinab, und nachdem die Mutter ängstlich nach Feinden ausgespäht hatte, sammelte sie die Kleinen unter dem Schatten ihres ausgebreiteten Flügelschwanzes, um sie vor der Gefahr des Sonnenstiches zu beschirmen, und wandelte langsam den Pfad hinab, bis sie den Schutz des wilden Rosenstrauches am Flusse erreichten. Ein Hase sprang aus dem Busch hervor und jagte ihnen einen gewaltigen Schreck ein. Doch er trug ja die weiße Friedensfahne und war ein alter Freund, und die Mutter belehrte die Kleinen, daß der Hase immer unter der Flagge des Friedens segelt und ein harmloser, friedliebender Nachbar ist. Dann kam der Trank vom reinsten, fließenden Wasser, obgleich es einfältige Menschen den Schlammbach nannten. Zuerst wußten die kleinen Kerle nicht, wie sie sich anstellen sollten, doch sie ahmten einfach ihrer Mutter nach, und bald hatten sie gelernt zu trinken wie sie und dankten ihrem Schöpfer bei jedem Schluck mit einem Blick gen Himmel. In einer Reihe standen sie am Ufer entlang, zwölf goldbraune, flaumige Knäulchen auf vierundzwanzig rosenroten Beinchen, mit einwärts gestellten Watschelfüßchen, mit zwölf süßen, goldenen Köpfchen, die sie ernsthaft niederbeugten, um zu trinken, und erhoben, um zu danken, gerade wie die Mutter. [Illustration] Dann führte sie die Kleinen nach kurzem Aufenthalt auf eine entfernte Wiese, wo sich ein mit Gras bewachsener Erdhügel erhob, den sie vor einigen Tagen entdeckt hatte. Eine ganze Anzahl solcher Erdhügel sind nötig, um eine Fasanenbrut großzuziehen, und ihre Erbauer sind die Ameisen. Die Alte sprang auf die Spitze des Haufens, sah sich vorsichtig einen Augenblick um und scharrte dann einigemal kräftig mit den Krallen. Der lockere Ameisenhügel war aufgebrochen, und die kunstvoll erbauten Gänge rollten als Ruinen herab. Sofort begannen die Ameisen zu schwärmen und planlos durcheinanderzurennen, einige liefen mit großer Kraftanstrengung und wenig Zweck immerfort um den Hügel herum, während andere, und dies waren die Vernünftigeren, ihre fetten, weißen Eier fortschleppten. Der alte Fasan pickte eines von diesen saftig aussehenden Beutelchen auf, gluckste und ließ es fallen, pickte es wieder auf, gluckste und verschluckte es dann. Die Jungen standen herum und sahen verwundert zu. Ein kleiner, gelber Kerl, derselbe, der auf dem Blatt gesessen, pickte auch ein Ameisenei auf, ließ es mehrere Male fallen, dann einer plötzlichen Eingebung folgend, schluckte er und konnte fressen. Nach zwanzig Minuten verstand es selbst das Kleinste, nach den köstlichen Eiern zu haschen. Die Mutter öffnete noch mehr Ameisengänge, und die Hühnchen fraßen, bis jedes seinen kleinen Kropf so vollgepfropft hatte, daß es tatsächlich mißgestaltet war. [Illustration] Dann wanderten sie langsam und bedächtig stromaufwärts nach einer mit Dornbüschen bewachsenen Sandbank, lagen dort den ganzen Nachmittag und ließen sich den feinen, kühlen Sand durch die heißen Zehen rieseln. Mit ihrem ausgesprochenen Nachahmungstrieb lagen sie auf der Seite wie ihre Mutter, scharrten mit ihren kleinen Füßen und schlugen mit den Flügeln; das heißt, eigentlich besaßen sie noch gar keine Flügel, sondern versteckt unter dem weißen Flaum saßen nur kleine Anhängsel, um zu zeigen, wo die Flügel einst wachsen sollten. Am Abend führte die Alte ihre Kinder nach einem nahen trockenen Dickicht. Dort, zwischen raschelnden, abgestorbenen Blättern, die das lautlose Heranschleichen eines Feindes zu Fuß verhinderten, und unter den dichten, stachligen Zweigen eines wilden Rosenbusches, der alle fliegenden Feinde abhielt, bettete sie die Kleinen unter dem Federdach ihrer Kinderstube und erfreute sich, das Herz erfüllt von treuer Mutterliebe, an den kleinen zusammengekauerten Dingerchen, die im Schlaf piepsten und sich vertrauensvoll an ihren warmen Körper schmiegten. II. Am dritten Tag waren die Küchlein schon fester auf den Füßen. Sie brauchten nicht länger ängstlich um eine Eichel herumzulaufen, sie konnten schon über Tannenzapfen klettern, und aus dem weichen Flaum guckten die ersten Ansätze von dicken Schwungfedern hervor. Sie hatten ihr Leben unter der Pflege einer treubesorgten Mutter begonnen, ausgerüstet mit gesunden Beinchen, einem zuverlässigen Naturtrieb und einer Portion Vernunft. Es war Naturtrieb, d. h. ererbte Gewohnheit, die sie hieß, sich aufs Wort ihrer Mutter zu verbergen; es war Naturtrieb, der sie lehrte, ihr zu folgen; aber es war Vernunft, die sie unter dem Schatten ihrer Flügel hielt, wenn die Sonne stechend niederbrannte, und von diesem Tage an leitete die Vernunft mehr und mehr all ihr Tun und Lassen. Am nächsten Tage zeigten die Schwungfedern schon zarte Federspitzen, am folgenden waren die Federn ganz heraus, und eine Woche später konnten die flaumbedeckten Jungen fliegen wie die Alten. Doch nicht alle – das Jüngste war schwächlich gewesen von Anfang an. Es trug seine halbe Eierschale noch stundenlang, nachdem es ausgekrochen war, es war weniger flink und piepste mehr als seine Geschwister. Als eines Abends beim Angriff eines Skunks die Mutter »Kwit! kwit!« (Flieht! flieht!) rief, war es zurückgeblieben, und als sich die Familie auf dem fichtenbewachsenen Hügel wieder sammelte, fehlte es, und nie sah man es wieder. [Illustration] Die Ausbildung der Jungen hatte mittlerweile bedeutende Fortschritte gemacht, sie wußten, daß die wohlgenährten Grashüpfer in dem langen Grase am Bach im Überfluß hausten, daß die Johannisbeerbüsche in Gestalt von glatten, grünen Würmern fette Nahrung gaben; auch war ihnen wohlbekannt, daß ein Ameisenhaufen, der sich am Waldsaum gegen den Himmel erhob, stets eine gefüllte Vorratskammer für sie bedeutete, und daß Erdbeeren, obgleich eigentlich keine Insekten, beinahe ebenso köstlich mundeten. Dann wußten sie ganz genau, daß die ungeheuren bunten Schmetterlinge ein guter Braten waren, wenn sie sich nur fangen ließen, und daß ein abgefallenes, halb verfaultes Stück Baumrinde voll von Leckerbissen aller Art war. Aber auch Vorsicht hatten sie gelernt, nämlich daß man Hornisse, Wespen und Tausendfüßler besser im Frieden läßt. [Illustration] Der Juli war angebrochen – der Beerenmond. Die Küchlein waren im letzten Monat erstaunlich gewachsen und gediehen und waren nun so groß, daß die gute Mutter die ganze Nacht aufrecht stehen mußte, um ihre Kinder mit den Flügeln zuzudecken. Ihr Staubbad nahmen sie täglich wie zuvor, nur waren sie kürzlich nach einem anderen gezogen, das höher oben auf dem Hügel lag. Er wurde von vielen anderen Vögeln besucht, und zuerst mißfiel der Mutter der Gedanke an ein schon benutztes Bad sehr. Aber der Staub war von solch einer feinen und weißen Sorte, und die Kinder gingen mit solcher Begeisterung voran, daß sie ihr Mißtrauen vergaß. Nach vierzehn Tagen fingen die Kleinen an, sichtlich abzumagern, und die Mutter selbst fühlte sich nicht wohl. Sie waren beständig hungrig, und obgleich sie ungewöhnlich viel fraßen, wurden sie immer dünner und dünner. Die Mutter war die letzte, die davon befallen wurde, aber als es kam, wurde sie bös mitgenommen, ein furchtbarer Heißhunger, ein fieberisches Kopfweh und verzehrende Schwäche kamen über sie. Die Ursache konnte sie nicht ergründen; denn sie wußte ja nicht, daß der Staub des vielbenutzten Bades, gegen den der angeborene Naturtrieb ihr von Anfang an Mißtrauen eingeflößt hatte, von Schmarotzerwürmern voll war, die sich im warmen, weichen Federkleid der armen Tiere häuslich niedergelassen hatten. [Illustration] Jede natürliche Regung hat ihren Grund. Der Vogelmutter Heilkunde war nur darauf gegründet, ihrem Naturtrieb zu folgen. Das heftige, glühende Verlangen nach einem Etwas, das sie nicht kannte, ließ sie alles versuchen, was nur eßbar aussah, und führte sie in die kühlsten Wälder. Und dort fand sie den todbringenden Sumach, den Färberbaum, beladen mit giftigen Früchten. Vor einem Monat würde sie daran vorübergegangen sein, aber jetzt versuchte sie die bitteren Beeren. Der herbe, brennende Saft schien einem sonderbaren Verlangen ihres Körpers zu entsprechen; sie aß und aß, und die ganze Familie gesellte sich zu dem wunderbaren Arzneimahl. Kein Arzt hätte es besser treffen können, es erwies sich als ein scharfes, wirksames Abführmittel; der geheime furchtbare Feind war geschlagen, die Gefahr vorüber. Doch nicht für alle – die Natur, die alte Pflegerin, war für zwei zu spät gekommen; denn für ihre zarten, durch die Krankheit geschwächten Körper war das Mittel zu stark gewesen. Sie tranken und tranken am Bach, und als am andern Morgen die anderen der Mutter folgten, blieben sie still und unbeweglich. Doch eins war ihnen noch vergönnt im Tode: sie durften Rache nehmen an einem Skunk, demselben, der Auskunft darüber geben konnte, wo das Jüngste geblieben war. Er fand und verschlang sie und starb eines jämmerlichen Todes an dem Gift, das die kleinen Körper durchdrungen. Nur noch neun kleine Fasanen folgten dem Rufe der Mutter. Ihre persönlichen Eigenschaften hatten sich schon früher gezeigt und entwickelten sich nun schnell. Die Schwächlinge waren nicht mehr, nur ein törichtes und träges Küchlein war noch da. Das größte, dasselbe, das einst auf dem gelben Blatt gesessen hatte, anstatt sich zu verkriechen, war der ausgesprochene Liebling der Mutter, es war nicht nur das größte, stärkste und schönste der Brut, sondern vor allem das gehorsamste. Der Mutter warnendes »Rrrrr« (Gefahr) bewahrte die anderen nicht immer vor einem gefahrvollen Pfad oder einem verdächtigen Futter, doch ihm schien Folgsamkeit ganz natürlich, es versäumte nie, auf ihr sanftes »K–riet« (Kommt) zu antworten, und für diesen Gehorsam erntete es später den verdienten Lohn; denn es lebte länger als die anderen auf dieser Erde. August, der Mausermonat, ging vorüber. Die Jungen waren um zwei Drittel gewachsen und wußten gerade genug, um sich erstaunlich weise zu dünken. Als sie klein waren, mußten sie auf dem Boden schlafen, damit ihre Mutter sie zudecken konnte, aber jetzt waren sie zu groß dazu, und die Alte begann, die Lebensweise Erwachsener einzuführen. Zurzeit war es sicherer, in den Bäumen zu nächtigen; denn die jungen Wiesel, Füchse, Skunks und Sumpfottern fingen an, im Wald umherzulaufen, und auf der Erde wurde es mit jeder Nacht gefährlicher. Mutter Fasan rief darum bei Sonnenuntergang »K–riet« und schwang sich auf einen dichten, niedrigen Baum. Die Kleinen folgten, ausgenommen eins, ein eigensinniges Närrchen, das darauf bestand, wie zuvor auf der Erde zu schlafen. Alles ging gut in dieser Nacht, aber in der nächsten weckte die Geschwister ein klägliches Schreien. Dann folgte Totenstille, die nur unterbrochen wurde durch das nervenerschütternde Knacken von Knochen und das wollüstige Schmatzen von Lippen. Sie starrten hinab in das grauenhafte Dunkel unter ihnen, und das grünliche Glänzen von zwei dichtstehenden Augen, ein eigenartig muffiger Geruch verriet ihnen, daß ein Sumpfotter der Mörder ihres törichten Bruders gewesen war. Acht kleine Fasanen saßen nun des Nachts aufgereiht neben ihrer Mutter, doch oft ließ sich eins der Kleinen, wenn es kalte Füße hatte, auch auf dem Rücken der Alten nieder. Ihre Bildung machte gewaltige Fortschritte, und die Mutter begann nun, ihnen ein neues Kunststück beizubringen, das »Schwirren«. Wenn ein Fasan will, kann er sich ganz leise auf seinen Schwingen erheben, aber zuzeiten ist das Schwirren so wichtig, daß es alle lernen müssen, wie und wann man sich mit sausendem Flügelschlag erheben muß. Mancher Erfolg wird durch das Schwirren gesichert. Es warnt alle Fasanen vor nahender Gefahr, es macht des Schützen Hund unsicher, oder es zieht die Aufmerksamkeit des Feindes auf den Schwirrer, während sich die übrigen still davonmachen oder der Beachtung entziehen, indem sie sich zusammenducken. Ein altes Fasanensprichwort sagt: »Die Feinde und das Futter wechseln mit dem Mond.« – Der September kam mit kräftigen Samen und Körnern an Stelle der köstlichen Beeren und Ameiseneier, und mit gefährlichen Jägern an Stelle der schleichenden Skunks und Sumpfottern. Die Fasanen wußten recht gut, wie ein Fuchs aussah, und daß er leicht zu prellen war, indem man sich in den nächsten Baum flüchtete; doch einen Hund hatten sie nie gesehen. Als nun im Jägermonat Alt-Cuddy mit seinem schmutziggelben, kurzschwänzigen Köter die Bergschlucht durchstreifte, erspähte ihn die Mutter und rief ihren Kindern ein lautes »Kwit, kwit« (Flieht, flieht) zu. Zwei der Hühnchen konnten nicht begreifen, weshalb die Mutter so ängstlich zur Flucht mahnte, und glaubten ihren Mut dadurch beweisen zu müssen, daß sie ungeachtet des ängstlich wiederholten »Kwit, kwit« sich im nächsten Baum niederließen. Inzwischen war der kurzgeschwänzte Hund bis unter den Baum gekommen und kläffte sie an. Dies sowohl als auch das sonderbare Benehmen ihrer Mutter und Geschwister belustigte sie derartig, daß sie ein Rascheln in den Büschen gar nicht bemerkten, bis ein lautes »Bäng, bäng« erscholl und zwei kleine, blutige, flatternde Fasanen herabfielen, um von dem gelben Köter ergriffen und hin und her gezerrt zu werden, bis der Schütze aus dem Gebüsch heraussprang und sich die traurigen Überreste sicherte. III. [Illustration] Cuddy wohnte in einer armseligen Hütte in der Nähe des Schlammbachtales, nördlich von der kanadischen Stadt Toronto, und lebte so, daß griechische Weltweisheit es ein vollkommenes, beneidenswertes Dasein genannt haben würde. Er hatte weder Eigentum, noch eine gesellschaftliche Stellung, bezahlte keine Steuern und machte keinerlei Ansprüche ans Leben. Er brachte seine Tage dahin in Spielerei und Nichtstun und möglichst wenig Arbeit und hielt sich die meiste Zeit im Walde auf. Er glaubte, ein wahrer Sportsmann zu sein, weil er ein Freund vom Jagen war, und weil es ihm Freude bereitete, wenn das Wild, auf das er es abgesehen, sich, zu Tode getroffen, am Boden wälzte. Die Nachbarn behandelten ihn als rechtlosen und vogelfreien Eindringling und sahen in ihm weiter nichts als einen Landstreicher. Er schoß und stellte Fallen das ganze Jahr hindurch, und man hatte ihn sagen hören, daß er die Monate am Geschmack der Fasanen erkennen könnte, wenn er sie nicht zufällig aus dem Kalender wüßte. Dies bewies ohne Zweifel eine scharfe Beobachtungsgabe, war aber leider auch zugleich der Beweis für etwas, das ihm weniger Ehre machte. Die gesetzmäßige Schußzeit für Fasanen begann am 15. September; es war jedoch nicht zu verwundern, wenn Cuddy schon vierzehn Tage vor der Zeit dieser Jagd oblag. Dennoch wußte er sich Jahr für Jahr der strafenden Gerechtigkeit zu entziehen. Selten schoß Cuddy einen Vogel flügellahm; er zog es vor, sein Wild sicher zu erlegen. Dies war nicht leicht, wenn das Laub noch auf den Bäumen hing und mag auch der Grund gewesen sein, daß unsere Familie in der Bergschlucht solange unbehelligt umhergelaufen war. Jedoch es gab noch andere Schützen in der Umgegend, und aus Furcht, daß ihm diese zuvorkommen könnten, hatte er sich nach einem Fasanenbraten auf den Weg gemacht. Er hatte kein Flügelrauschen vernommen, als die Vogelmutter mit ihren sechs überlebenden Kindern davongeflogen war, er steckte seine zwei kleinen Opfer in die Tasche und kehrte nach seiner Hütte zurück. [Illustration] So lernten die kleinen Hühner, daß ein Hund kein Fuchs ist, und daß man ihn anders zu behandeln hat, und die uralte Weisheit prägte sich ihnen tief ein: »Gehorsam bringt langes Leben.« Den Rest des Septembers hatten sie genug damit zu tun, umherstreifenden Jägern sowohl als auch alten Feinden aus dem Wege zu gehen. Wie zuvor nächtigten sie auf den langen, dünnen Zweigen zwischen den dichtesten Blättern, die sie vor Gefahren aus der Luft beschirmten, während die Höhe der Bäume sie vor Feinden von unten beschützte und ihnen nichts zu fürchten übrigließ als Waschbären, deren langsamer, schwerer Tritt auf den biegsamen Zweigen sie stets zur rechten Zeit warnte. Aber die Blätter begannen nun zu fallen, und »die Feinde und das Futter wechseln mit dem Mond«. Es war die Zeit der Nüsse, aber auch die Zeit der Eule. Die Steineule kam von Norden und verdoppelte oder verdreifachte die Gefahren. Die Nächte wurden kälter und die Waschbären ungefährlicher; deshalb verlegte die Mutter das Nachtquartier in das dichte Nadelgewirr einer Tanne. Nur eines der Jungen mißachtete der Mutter warnendes »Kriet, kriet«; es blieb auf seinem schwankenden, nun nahezu blätterlosen Ulmenzweige sitzen, und eine große Eule mit gelbglitzernden Augen trug es davon, noch ehe der Morgen graute. [Illustration: Vixen nimmt die Kinder mit auf die Mäusejagd] Mutter und fünf Kinder waren nun übriggeblieben, doch die Kleinen waren ebenso groß wie die Alte, ja, der Älteste, der auf dem Blatt gesessen hatte, war sogar größer. Ihre Halskrausen fingen an sich zu zeigen, zunächst nur die Spitzen, um anzudeuten, wo sie einst prangen sollten, wenn sie ausgewachsen wären, und man glaubt nicht, wie stolz sie darauf waren. Die Krause bedeutet für den Fasan dasselbe, wie der Schweif für den Pfau – seine Schönheit, seinen Stolz. Die Krause einer Henne ist schwarz mit einem leichten, grünen Schimmer, die eines Hahnes bedeutend dunkler und schwärzer und glänzt in lebhaftem Grün. Zuweilen taucht ein Fasan von ungewöhnlicher Größe und Kraft auf, dessen Krause nicht nur üppiger ist, sondern auch durch ein wunderbares Naturspiel ein tiefes Kupferrot aufweist, schillernd in violetten, grünen und goldenen Tönen. Ein solcher Vogel ist sicher ein Wunder, und der kleine, der auf dem Blatt gekauert hatte und stets getan, was ihm befohlen, prangte, noch bevor der Eichelmonat begonnen, in der vollen Pracht einer golden- und kupfernschillernden Krause – das war Rotkrause, der berühmte Fasan aus dem Schlammbach-Tal. IV. Eines Tages im Eichelmonat, das heißt ungefähr Mitte Oktober, als sich die Fasanenfamilie mit vollen Kröpfen neben einem umgestürzten Fichtenstamme in den wärmenden Strahlen der Mittagssonne badete, vernahm man plötzlich den entfernten Knall eines Gewehres. Da sprang Rotkrause, einem inneren Drange folgend, auf den Stamm, stolzierte ein paarmal auf und ab, erhob sich dann hoch in die helle, klare und würzige Luft und schwirrte laut und herausfordernd mit den Flügeln. Gerade wie ein Füllen seinem Wohlbehagen durch ein helles Wiehern Ausdruck verleiht, schwirrte er im Vollgefühle seiner Kraft lauter und lauter, bis er schließlich, ohne es zu wollen, »trommelte«. Stolz auf seine neue Kunst, schlug er die Luft wieder und wieder sausend mit den mächtigen Flügeln und erfüllte die Waldung mit dem weitschallenden Trommeln eines erwachsenen Fasanen. Seine Geschwister hörten und sahen es mit Bewunderung und Erstaunen; auch seine Mutter gewahrte es, und sie behandelte ihn von diesem Tage an mit einer gewissen ängstlichen Scheu. [Illustration] Der Anfang des Novembers bringt einen unheimlichen Feind. Einem seltsamen Naturgesetz folgend, verlieren alle Fasanen im November ihres ersten Lebensjahres den Verstand. Sie sind von einem wahnsinnigen Verlangen besessen, irgendwohin zu fliegen, ohne ein bestimmtes Ziel im Auge zu haben, und selbst die Verständigen unter ihnen benehmen sich in dieser Zeit albern. In Scharen durchziehen sie in schnellstem Fluge zur Nachtzeit das Land, werden von Drähten zerrissen oder stürzen sich in die flammenden Lichter der Leuchttürme oder in die blinkenden Augen der Lokomotiven. Bei Tage findet man sie dann an den absonderlichsten Orten, in Gebäuden, auf weiten Sumpfwiesen, auf den Telephondrähten der großen Städte hängend oder sogar an Bord der Küstenschiffe. Dieser Wahnsinn scheint das Überbleibsel einer uralten Gewohnheit des Wohnungswechsels zu sein und hat schließlich ein Gutes, er löst die Familien auf und verhindert das Untereinanderheiraten, das am Ende der Rasse verhängnisvoll werden würde. Im ersten Jahre überfällt er die Jungen immer am schlimmsten; und im zweiten Herbst können sie ihn wieder bekommen; denn er ist sehr ansteckend, aber im dritten Jahre sind sie erfahrungsgemäß frei davon. Rotkrauses Mutter wußte, daß er kommen mußte, sobald sie die Weinbeeren sich schwärzen sah und der Ahorn sein goldenes Laub fallen ließ. Doch da war nichts zu tun, als für die Gesundheit der Kinder zu sorgen und sie in dem stillsten Teil der Wälder zu halten. [Illustration] Das erste Anzeichen kam, als ein Volk wilder Gänse über ihren Köpfen hinweg südwärts zog. Solche langhalsige Habichte hatten die Jungen vorher nie gesehen, und sie fürchteten sich vor ihnen. Aber da sie sahen, daß ihre Mutter keine sonderliche Angst zeigte, faßten sie Mut und beobachteten die über sie dahinziehenden Auswanderer mit regem Interesse. War es der wilde, kreischende Schrei, der sie erregte, oder war es nur der innere Drang, der sich Bahn brach? – Ein heißes Sehnen, den wilden Vögeln zu folgen, ergriff die Jungen. Sie beobachteten die schnell im Süden verschwindenden Trompeter und suchten sich höhere Sitze, um sie noch weiter mit den Augen zu verfolgen. Von diesem Tage an waren sie wie umgewandelt. Der Novembermond nahm zu, und als er voll war, brach der Novemberwahnsinn aus. Die Schwächlinge der Brut wurden von der Krankheit am ärgsten befallen, und die kleine Familie war bald in alle Winde zerstreut. Selbst Rotkrause machte lange, ziellose Nachtreisen. Es trieb ihn südwärts, doch dort glänzten ihm die tiefen Wasser des Ontario-Sees entgegen, und er kehrte um. Ende November zog er wieder in die Schlucht am Schlammbach ein, aber er war jetzt allein. V. Mit dem Einzug des Winters war das Futter spärlich geworden, und Rotkrause hielt sich wieder zu der alten Bergschlucht mit ihren fichtenbewachsenen Hängen. Jedoch die alte Fasanenweisheit lehrte: »Futter und Feinde wechseln mit dem Mond.« So hatte der Irrmonat Wahnsinn, Einsamkeit und Weintrauben gebracht, der Schneemonat Hagebutten, und der Sturmmonat kam mit Birkenschößlingen und Schneestürmen, die die Wälder mit Eis überzogen und es ungemein erschwerten, beim Abbeißen der erfrorenen Knospen einen festen Sitz zu behalten. Rotkrauses Schnabel wurde durch die harte Arbeit derartig abgenutzt, daß, selbst wenn er ihn geschlossen hielt, hinter dem Haken eine Öffnung sichtbar wurde. Die Natur hatte ihn für den glatten, schlüpfrigen Boden wohl ausgerüstet; denn seine Zehen, die noch im September zart und weich gewesen waren, wurden nun scharf und spornbedeckt und wuchsen mit der zunehmenden Kälte, bis ihn der erste Schnee mit starken Schneeschuhen und Eissporen ausgerüstet fand. Das kalte Wetter hatte die meisten Habichte und Eulen davongetrieben und machte es den vierfüßigen Feinden der Fasanen unmöglich, sich ungesehen zu nähern. Die Vorteile und Nachteile des Winters waren so beinahe ausgeglichen. [Illustration] Die Suche nach Nahrung führte Rotkrause aber täglich weiter und weiter, bis er schließlich die Rosdaleschlucht mit ihren Silberbirken und Castle Frank mit seinen Weintrauben und Vogelbeeren entdeckte und gründlich erforschte. Ebenso durchstreifte er die Waldungen von Chester, wo die vollen Trauben der Waldrebe im Winde schwankten und verlockende rote Beeren unter dem Schnee glühten. Bald hatte er herausgefunden, daß die Menschen aus irgendeinem Grunde in die hohe Einzäunung von Castle Frank nicht mit Schießgewehren hineingingen, und dort brachte er nun seine Tage zu, entdeckte neue Schlupfwinkel, neues Futter und wurde klüger und schöner von Tag zu Tag. Zwar war er ganz allein, aber das betrachtete er als kein Unglück. Wohin er sich wendete, überall hüpften die munteren Schwarzmeisen umher, und er erinnerte sich der Zeit, da sie ihm noch als große, wichtige Wesen erschienen waren. Sie waren die komischsten und fidelsten Bewohner der Wälder: ehe noch der Herbst verflossen, hatten sie ihren berühmten Kehrreim zu singen begonnen: [Illustration] »Bald Lenz, bald Lenz«, und sie wiederholten ihn mit frohem Mut selbst bei den schaurigsten Stürmen den ganzen Winter hindurch, bis schließlich das Ende des Hungermonds, unseres Februars, herannahte. Jetzt konnten sie mit verdoppelter Kraft ihre lebensfreudige Weltanschauung verkünden, und sie taten es mit einem Nachdruck, der klang wie: »Ich sagt’ es euch ja!« Die Sonne gewann an Macht, schmolz den Schnee vom südlichen Abhang und legte breite Beete voll duftenden Wintergrüns bloß, dessen Beeren ein festliches Mahl für Rotkrauses ausgehungerten Magen waren. Mit der harten Arbeit hatte es nun ein Ende; Rotkrause brauchte nicht mehr die erfrorenen Schößlinge mit vieler Mühe abzubeißen, und sein Schnabel hatte Ruhe und Zeit, seine ursprüngliche Gestalt wiederzugewinnen. Bald kam auch die erste Bachstelze vorübergeflogen und zwitscherte dabei: »Der Frühling naht!« Die Sonne schien wärmer von Tag zu Tag; eines Morgens in der Dämmerung ertönte ein lautes »Caw, Caw!«, und Silberfleck, ein alter, weiser Rabenvater, kam an der Spitze einer Truppe schwingend daher, um öffentlich bekanntzugeben: »Der Frühling ist da!« [Illustration] Die ganze Natur schien darauf zu antworten. Es war die Eröffnung des »Vogel-Neujahrs«, und der Frühling zog ein in jedes Vogelherz, die Schwarzmeisen wurden geradezu verrückt, sie sangen ihr: »Der Lenz ist da! der Lenz ist da!« mit einer solchen Beharrlichkeit, daß man sich nur wundern mußte, wie sie noch Zeit zum Futtersuchen fanden. Auch Rotkrause fühlte, wie es ihn durch und durch erschütterte. Er sprang auf einen Stumpf und ließ mit frischer Kraft ein donnerndes: »Dum, dum, dum, donner – rrrrr« wieder und wieder in das enge Tal hineinschallen. Dort weckte es ein gedämpftes Echo und verbreitete seine Freude über die Ankunft des Frühlings durch die Wälder. Weit unten im Tale stand Cuddys Hütte. Er vernahm den Trommelruf in der stillen Morgenluft und vermutete, daß droben ein Fasanenhahn zu holen wäre. So kam er die Schlucht mit seiner Donnerbüchse heraufgeschlichen, aber Rotkrause schwebte lautlos davon und ruhte nicht, bis er wieder im Schlammbachtale anlangte. Dort ließ er sich auf einem alten Baumstumpf nieder und trommelte wieder und wieder seinen lauten Zapfenstreich, bis ein kleiner Junge, der im Wald herumgebummelt war, entsetzt nach Hause lief, um seiner Mutter zu erzählen, daß die Rothäute sicher auf dem Kriegspfade wären; denn er hätte ihre Kriegstrommel im Tale schlagen hören. [Illustration] Warum gibt wohl ein glücklicher Junge seine Freude durch Jauchzen kund? Warum seufzt wohl die vereinsamte Jugend? Sie wissen es ebensowenig, wie Rotkrause es wußte, warum er jeden Tag auf einen alten, abgestorbenen Baumstumpf kletterte und seinen Ruf trommelnd und rollend durch die Wälder schallen, oder warum er seine prächtige, schillernde Krause im Sonnenlicht glänzen ließ. Woher kam ihm dieses fremde Sehnen nach einem Genossen, der seine glitzernden Federn bewundern konnte? Und warum war ihm solch ein Wunsch nicht schon viel früher vor dem Eintreten des Kätzchenmonds gekommen? »Dum, dum, donner – rrrrr dum, dum, donner – rrrrr«, rollte er wieder und wieder. [Illustration] Tag für Tag besuchte er seinen Lieblingsplatz, und eine neue Zierde, ein rosenroter Kamm, wuchs ihm über jedem seiner klaren, kühnblitzenden Augen. Die alten, schwerfälligen Schneeschuhe verschwanden von seinen Füßen, die Krause wurde majestätischer, das Auge klarer, und seine ganze Erscheinung war ein prächtiger Anblick, wie er sich spreizte und im Sonnengold glitzerte. Aber er war so einsam. Doch was konnte er tun – er mußte seinem Sehnen durch tägliche Trommelkonzerte Luft machen, bis eines Morgens früh im schönen Monat Mai, als er sehnsüchtig getrommelt und wieder getrommelt hatte, sein scharfes Ohr ein leises Rascheln im Gebüsch vernahm. Er erstarrte zur Bildsäule und lauschte; er wußte nun, man hatte ihn beobachtet. Und war es möglich? Da stand eine zarte Gestalt, ein scheues, kleines Fasanenfräulein, das sich schämig zu verbergen suchte, und im Augenblick war er an deren Seite. Über ihn kam ein neues, fremdes Gefühl, wie ein brennender Durst, der nach einer kühlenden Quelle sucht, und er stolzierte einher und trug seinen stolzen Putz gefällig zur Schau. Woher wußte er, daß ihr das gefallen würde? Er blies seine Federn auf und verstand es, sich so zu stellen, daß die Sonnenstrahlen sich glitzernd darin brachen, und ließ ein sanftes Glucksen hören, das wohl das gleiche bedeutete, wie das süße, nichtige Geplauder höherer Wesen; denn das war offenbar: ihr Herz war gewonnen. Gewonnen, und zwar schon lange vorher, wenn er es nur bemerkt hätte. Volle drei Tage war sie seinem lockenden Trommeln gefolgt, hatte ihn sittsam von weitem bewundert und sich ein wenig gekränkt gefühlt, daß er sie noch nicht entdeckt hatte, obwohl sie doch so dicht bei ihm gewesen. So war dieses leichte Rascheln im Gebüsch vielleicht nicht ganz Zufall gewesen. Doch jetzt neigte sie demütig ihr Köpfchen mit süßer, hingebender Huld – die einsame Reise durch die öde Wüste war überstanden, der durstgequälte Wanderer hatte die kühle Quelle am Ende doch gefunden. Das war eine glückliche, herrliche Zeit im lieblichen Tale mit dem häßlichen Namen. Niemals hatte die Sonne so klar geschienen, und die Luft war mit balsamisch süßem Fichtenduft erfüllt. Tag für Tag kam der große, edle Vogel zu seinem Lieblingsplatz, zuweilen mit ihr, zuweilen auch allein, und trommelte und rollte vor lauter Freude am Leben. Doch warum zuweilen allein? Warum kam er nicht immer mit seiner kleinen, braunen Gattin? Stundenlang blieb sie bei ihm zum festlichen Mahle und süßen Liebesspiele, dann plötzlich entschlüpfte sie ihm und war verschwunden bis zum nächsten Tage, wenn der laute Kriegsgesang vom alten Baumstumpf herüber erschallte und ihr gebieterisch befahl, zurückzukehren. Ein tiefes Waldgeheimnis schwebte zwischen dem liebenden Paar, das Rotkrause nicht zu durchdringen vermochte. Was war wohl der Grund, daß sie von Tag zu Tag länger ausblieb, bis sie schließlich eines Morgens seinem Rufe nicht folgte? Der zweite Tag verstrich, ein dritter ging zur Neige, doch sie war nicht gekommen, und Rotkrause, wild vor Erregung, durchmaß sausenden Fluges die Wälder, ließ seinen Ruf vom alten Stumpf erschallen, flog stromauf, stromab, hinüber zum Hügel und hinunter ins Tal und trommelte und rollte voll Sehnsucht – aber vergeblich. Als am vierten Tage sein Locken durch die Forste klang, hörte er plötzlich wie beim ersten Zusammentreffen ein Geräusch in den Büschen; da stand die Vermißte, und unter ihren schützenden Flügeln und um sie herum piepsten zehn kleine niedliche Kücken. Rotkrause ließ sich ihr zur Seite nieder und erschreckte die helläugigen Flaumbällchen ganz furchtbar durch sein plötzliches Erscheinen. Die Brut scharte sich um die Mutter, um ihm zu zeigen, daß sie nun ein größeres Anrecht hatten als er. Zuerst schien ihn das etwas zu verwundern, aber bald gewöhnte er sich an die Veränderung, blieb von dieser Stunde an bei den Kleinen und sorgte für sie, wie sein Vater es niemals für ihn getan. VI. Gute, fürsorgende Väter sind eine große Seltenheit in der Fasanenwelt. Die Mutter baut ihr Nest und brütet die Kleinen ohne Hilfe aus, ja sie verbirgt sogar das Nest vor dem Vater und trifft ihn nur am Trommelstamm und auf der Futtersuche oder vielleicht im Staubbad, das der Versammlungsort für das Hühnergeschlecht zu sein pflegt. Als die Kleinen ausgekrochen waren, hatte die Mutter keine Gedanken für irgend etwas anderes; selbst den männlich schönen Vater hatte sie darüber vergessen. Am dritten Tage aber, als die Jungen stark genug waren, um ihre dünnen Beinchen zu gebrauchen, hatte sie die Kinder dem Vater zugeführt. Viele Väter zeigen nicht das geringste Interesse für ihre Kinder, aber Rotkrause war eine rühmliche Ausnahme und half sofort die Brut großziehen. Die Kleinen hatten genau wie vor Zeiten ihr Vater essen und trinken gelernt und wackelten daher mit der Mutter als Führerin an der Spitze, während Rotkrause in der Nähe umherstreifte oder den Rückzug deckte. [Illustration] Eines Tages, als die Familie in langer Linie, aufgereiht wie die Perlen an einer Kette mit einer dicken an jedem Ende, den Hügel hinab nach dem Flusse marschierte, beobachtete ein neugieriges Eichhorn von einem Fichtenstamm herab den feierlichen Zug mit dem hinterdreintrippelnden Rundi, dem Jüngsten und Schwächsten. Rotkrause, der sich auf einem hohen Stamm sein glänzendes Gefieder putzte und zurechtstrich, war dem Auge des Eichhorns entgangen, in dessen Herz sich ein seltsamer Durst nach Vogelblut bei dem Anblick der zarten, kleinen Dingerchen eingeschlichen hatte. Mit der mörderischen Absicht, dem dahinwackelnden Nachzügler den Weg abzuschneiden, sprang der rote Räuber hervor. Die Mutter war schon zu weit, um ein Unglück verhüten zu können, aber Rotkrause war zur Stelle. Er flog dem rothaarigen Halsabschneider entgegen und versetzte ihm mit seinen kräftigen Flügeln einen furchtbaren Schlag. Er traf das Eichhorn auf die zarteste Stelle, gerade auf die Nase, und warf es in einen Reisighaufen. Dort lag es nun, nach Luft schnappend, und rote Tropfen rannen an seiner bösen Schnauze herab. Die Fasanen ließen es dort liegen, und von diesem Tag an behelligte es sie niemals wieder. Sie wanderten ihren Weg zum Wasser fürbaß; doch vor ihnen war eine Kuh gegangen und hatte tiefe Eindrücke im sandigen Boden zurückgelassen; in einen von diesen fiel ein unvorsichtiges Küchlein und piepste ganz jämmerlich in seiner Bedrängnis, als es nicht wieder herauskonnte. Das war eine ganz verzweifelte Lage. Keins der Alten schien Rat zu wissen, und sie liefen ängstlich am Rande hin und her. Da plötzlich gab der Sand nach und bildete eine schiefe Ebene, auf der das Kleine heraufrannte; dann vereinigte es sich unter dem breiten Schutzdach von seiner Mutter Schwanz wieder glücklich mit seinen Geschwistern. Die hübsche, kleine Mutter war von zierlicher Gestalt, aber sie besaß einen scharfen Verstand und war als echte Mutter Tag und Nacht auf das Wohl ihrer Lieblinge bedacht. Stolz schritt und gluckste sie durch die heimatlichen Wälder mit den zarten Kleinen hinterdrein. Ihren kleinen, braunen Schweif spannte sie fächerförmig auf, um den Jungen möglichst viel Schatten zu geben, und vor keinem Feind wich sie zurück, sondern war stets bereit, zu kämpfen oder zu fliehen, je nachdem es ihr das Beste für die Kleinen schien. Ehe die Küchlein noch fliegen konnten, hatten sie schon eine Begegnung mit Cuddy: denn obgleich es erst Juni war, war er mit seinem mörderischen Gewehr draußen. Mit Tike, seinem Hund, kam er die Schlucht herauf, und der Köter kam der Brut so gefährlich nahe, daß Rotkrause ihm entgegenlief, um ihn mit Hilfe des alten, nie fehlschlagenden Kniffes weit in das Schlammbachtal hinabzulocken. Das Unglück wollte es, daß auch Cuddy gerade auf die Brut loskam; die Mutter gab ihren Kindern das Zeichen »Krr, krr« (Versteckt euch!) und lief dem Mann entgegen, wie ihr Gatte dem Hund. Erfüllt von wahrer Mutterliebe und erfahren in der Waldeskunde, schlüpfte sie geräuschlos dahin, bis sie dicht vor ihm stand, dann schwang sie sich mit sausendem Flügelschlag in die Höhe, taumelte aber wieder in das Laub zurück und stellte sich so flügellahm, daß sie den Wilddieb für einen Augenblick irreführte. Als sie aber dann, einen Flügel hinter sich herschleifend, langsam davonkroch, wußte er genau, was dies bedeuten sollte – er wußte, daß es nur ein Kniff war, um ihn von den Jungen hinwegzulocken, und holte zum furchtbaren Streiche aus. Die kleine Mutter war behend, sie wich dem Schlage geschickt aus und hinkte hinter ein Bäumchen, um dort das gleiche Spiel von neuem zu beginnen. Wieder versuchte Cuddy, sie mit einem Stocke niederzuschlagen, aber noch zur rechten Zeit sprang sie beiseite, und tapfer und standhaft kletterte sie vor ihm her, um ihn von ihren hilflosen Kleinen hinwegzuleiten. Cuddy, wütend gemacht durch die wiederholten verunglückten Versuche, sie zu erschlagen, erhob sein Gewehr, feuerte eine Ladung ab, die genügt hätte, um einen Bären zu töten, und die arme, tapfere, aufopfernde Mutter war nicht mehr. Der Wilddieb wußte genau, daß die Jungen irgendwo in der Nähe versteckt sein mußten, und suchte umher, um sie zu finden, aber nicht eins regte sich oder piepste. Er konnte sie also nicht entdecken. Aber wie er so umhertrampelte mit seinen großen, tölpischen Füßen, kreuzte er ihr Versteck und trat mehr als einen der stillen, kleinen Dulder zu Tode. Doch was kümmerte es ihn? Rotkrause hatte den gelben Köter weit hinweg stromabwärts geführt und kehrte nun zu der Stelle zurück, wo er seine Gattin verlassen hatte. Der Mörder war inzwischen gegangen und hatte die blutigen Überreste der armen Mutter mitgenommen, um sie dem Hunde vorzuwerfen; Rotkrause suchte und fand die blutbefleckte Stelle und ringsumher verstreute Federn seiner Gattin. Nun wußte er, wem der Schuß gegolten hatte. Wer kann sein Entsetzen und seine Trauer beschreiben? Äußerlich war ihm nicht viel anzumerken, stumm starrte er einige Minuten lang mit niedergeschlagenem, traurigem Blick auf die Stelle, aber bei dem Gedanken an die hilflosen Jungen kam er schnell wieder zu sich. Er lief hinüber nach dem Versteck und rief das bekannte »Kriet, kriet«, aber nur sechs kleine Flaumbällchen öffneten ihre glänzenden Äuglein und liefen ihm entgegen, denn für vier der kleinen gefiederten Körperchen war das Versteck zum Grab geworden. Rotkrause wiederholte seinen Ruf, bis er sicher war, daß alle, die antworten konnten, gekommen waren, dann führte er sie von dem schrecklichen Platze weit, weit hinweg stromaufwärts, wo Stacheldrahtzäune und Brombeerdickichte einen zwar wenig anmutigen, aber zuverlässigen Schutz boten. [Illustration: Vixen] Hier wuchs die Brut auf und wurde von ihrem Vater erzogen, gerade wie seine Mutter ihn erzogen hatte, und sein weitgehendes Wissen und seine Erfahrung boten ihm dabei große Vorteile. Sie wuchsen und gediehen, und als der Jägermonat kam, fand er eine stattliche Familie von sechs erwachsenen Fasanen mit Rotkrause, strahlend in seinen kupferschimmernden Federn, an der Spitze. Nach dem Verlust seiner Gattin hatte er aufgehört zu trommeln; aber das Trommeln bedeutete für den Fasan dasselbe wie der Gesang für die Lerche; es ist sein Liebeslied und der Ausdruck strotzender Kraft und Gesundheit. Als die Mauserzeit vorüber war und der September ihm seine prächtigen Federn wiedergebracht und ihn gekräftigt hatte, lebte sein Geist wieder auf, und als er sich eines Tages in der Nähe des alten Stumpfes befand, bestieg er ihn, von einer inneren Macht getrieben, und trommelte wie in alten Tagen. Von jetzt an trommelte er oft und seine Kinder saßen um ihn herum, oder eins bekundete seine edle Abstammung, schwang sich auf einen nahen Baumstumpf oder Stein und machte die Luft von einem lauten Zapfenstreich erzittern. Die schwarzen Trauben und der Irrmonat kamen, aber Rotkrauses Junge waren ihres großen Vaters würdig. In dem gesunden Körper wohnte ein starker Geist, und obgleich sie vom Wahnsinn befallen wurden, hatten sie ihn bereits nach einer Woche überwunden, und nur drei waren davongeflogen auf Nimmerwiedersehen. Als der Schnee kam, hauste Rotkrause mit seinen drei Kindern, die ihn nicht verlassen hatten, im alten Heimatstal. Es war nur ein leichter, flockiger Schnee, und da das Wetter nicht übermäßig kalt war, nächtigte die Familie unter den niedrigen, flachen Zweigen einer Zeder. Am nächsten Tage fiel der Schnee dichter, es wurde kälter und die Schneewehen türmten sich hoch auf. Zur Nacht hörte es auf zu schneien, aber der Frost setzte mit aller Härte ein. Rotkrause führte die Familie zu einer Birke, vor der sich eine tiefe Schneebank erhob, kroch in die weichen Himmelsfedern, und die andern folgten ihm. Der Wind deckte sie mit reinen, weißen Bettüchern zu, und so schliefen sie wohlgeborgen die ganze Nacht. Am nächsten Morgen fanden sie eine Eiswand vor sich, die vom warmen Atem zusammengefroren war, aber sie schoben sie mit Leichtigkeit zur Seite und erhoben sich auf Rotkrauses Morgenruf »Kriet, kriet, kwit!« (Kommt, Kinder, fliegt!). Dies war ihre erste Nacht in einer Schneewehe, für Rotkrause war es natürlich eine alte Geschichte, und am nächsten Abend tauchten sie wieder vergnügt in ihr warmes Bett hinab, und der Nachtwind deckte sie sorglich zu. Der Wind drehte sich nach Osten, und das Wetter schlug um, der Schneefall machte einem heftigen Schloßenwetter Platz. Die weiten Wälder wurden mit Eis überzogen, und als die Hühner erwachten, um ihre Betten zu verlassen, waren die Eingänge verschlossen mit einer dicken, unbarmherzigen Schicht von Eis. Der tiefere Schnee war noch ganz weich, und Rotkrause bohrte sich einen Weg nach oben, aber dort trotzte die harte, weiße Decke seiner Kraft. Er konnte hämmern und sich abarbeiten, soviel er mochte, er gelangte zu keinem Ergebnis und zerschlug sich nur Flügel und Kopf. Aus Freude und Ungemach hatte sein Leben bestanden bis auf diesen Tag, aber dies schien der härteste Tag von allen. Die Stunden schlichen langsam dahin, und er schwächte seine Kräfte durch fruchtlose Bemühungen, doch dem Ziele kam er nicht näher. Dazu mußte er das verzweifelte Kämpfen seiner Kinder hören oder zuweilen einen langgedehnten, klagenden Hilferuf: »Piet, piet!« Vor ihren Verfolgern waren sie geschützt dort unten in ihrem traurigen Gefängnis, aber nicht vor den Qualen des Hungers. Zuerst hatten sie gefürchtet, der Fuchs würde kommen und sie, seiner Gnade preisgegeben, dort finden. Als aber die zweite Nacht der Morgendämmerung wich, war auch dies ihnen gleich, und sie wünschten sogar, er möchte kommen, die Kruste brechen und ihnen wenigstens die Gelegenheit bieten, für ihr Leben zu kämpfen. Am Spätnachmittag des dritten Tages gelang es Rotkrause endlich, ein Loch in die glasige Decke zu picken; neues Leben erfüllte ihn bei diesem Erfolg, und er arbeitete und arbeitete, bis er kurz vor Sonnenuntergang den Kopf und den Hals mit der schillernden Krause durch das Loch stecken konnte. Die Schneekruste bröckelte von dem Druck seiner breiten, kräftigen Schultern, und er sprang heraus, aus seinem eisigen Kerker befreit. Doch was war aus den Jungen geworden? Rotkrause flog zum nächsten Busche und stillte seinen nagenden Hunger mit einigen Hagebutten, dann kehrte er hastig zur Schneewehe zurück und gluckste und rief, aber nur einer der armen Gefangenen antwortete. Ein schwaches »Piet, piet« spornte ihn zu wütendem Scharren mit seinen scharfen Krallen an, und als die Eisdecke brach, kroch Grauschwanz als einziger ans Tageslicht, doch das war alles. Als der Schnee im Frühling schmolz, kamen zwei kleine Leichen zum Vorschein: Haut, Knochen und Federn – weiter nichts. VII. Es dauerte wohl einige Wochen, bis sich Rotkrause und Grauschwanz vollkommen wieder erholt hatten, doch gutes Futter und Ruhe im Überfluß sind sichere Heilmittel, und an einem schönen, klaren Tage um die Wintersonnenwende saß Rotkrause wie in verflossenen Tagen auf seinem Baumstumpf und machte die Luft mit majestätischem Trommeln erzittern. War es das Trommeln, oder waren es verräterische Spuren im Schnee, die Cuddy ihren Aufenthalt verrieten? Tag für Tag durchstreifte er mit Hund und Gewehr die Schlucht mit der festen Absicht, die Fasanen von der Bildfläche hinwegzufegen. _Sie_ kannten ihren beharrlichen Verfolger schon lange, doch jetzt machte _er_ Anstalten, sie näher kennen zu lernen. Der prächtige Fasan mit der kupferfarbenen Krause fing an, im ganzen Tal berühmt zu werden. Manch einer versuchte während des Jägermonds ihm das Licht auszublasen, doch Rotkrause war zu vertraut mit den Lehren der Waldeskunde. Cuddy aber ließ nicht ab, ihn mit seinem Gewehr zu verfolgen; manchen Schuß verknallte er vergebens, denn wie ein Wunder fand sich stets ein Baum, eine Moosbank oder irgendein sicherer Schutz, und Rotkrause lebte, gedieh und trommelte. Als der Schneemond ins Land zog, wanderte er mit Grauschwanz aus nach dem Forste von Castle Frank, denn dort war Futter im Überfluß und mächtige, uralte Bäume. Am Südabhang stand inmitten kriechender, niedriger Kiefern eine schlanke Fichte. Ihr hoch über die andern Bäume hinausragender Gipfel beherbergte im Sommer den Eichelhäher und seine Braut. Dort oben außer Schußweite sang und tanzte der Häher an lauen Frühlingstagen vor seiner Gespielin, ließ seine glänzenden, blauen Federn im Sonnenlicht strahlen und wirbelte die süßeste Melodie, so süß und schmelzend wie aus dem Märchenland. [Illustration] Nahe dieser Fichte lebte jetzt Rotkrause mit seinem einzigen noch übriggebliebenen Jungen; doch nicht die Krone hoch droben in der klaren Luft, sondern der Fuß des stolzen Baumes war es, der ihn interessierte. Fasanenwein und Wintergrün wuchsen unter den niedrigen Kiefern, und der Schnee barg körnerstrotzende Fichtenzapfen. Einen passenderen Futterplatz gab es nicht; der starke Fichtenstamm gewährte dazu Schutz vor dem tödlichen Blei, und wenigstens ein dutzendmal rettete er während der Jagdzeit den Fasanen das Leben. Hier war es, wo Cuddy, mit ihren Gewohnheiten vertraut, eine neue Falle legte. Lauernd lag er im Versteck, während ein Genosse die Anhöhe umging, um ihm die Vögel zuzutreiben, trampelnd kam er durch das niedrige Dickicht, wo Rotkrause und Grauschwanz beim üppigen Mahl saßen. Lange, ehe der Schütze in gefährlicher Nähe sich zeigte, warnte Rotkrause leise »Rrr–rrr« (Gefahr!) und lief schnell auf die große Fichte zu. Grauschwanz befand sich in einiger Entfernung oben auf dem Hügel und erblickte plötzlich einen neuen Feind, den gelben Köter, der gerade auf ihn loskam. Rotkrause hinderte das Dickicht, ihn zu sehen, und Grauschwanz geriet infolgedessen in begreifliche Aufregung. [Illustration] »Kwit, kwit« (Flieg, flieg!) schrie er und kam den Hügel heraufgelaufen. »Kriet, rrr« (Hierher, verstecke dich!) rief der besonnene Vater, denn der Mann mit dem Gewehr kam jetzt in Schußweite. Er lief hinter den dicken Stamm, und als er dort einen Augenblick stillstand, um Grauschwanz nochmals zuzurufen »Hierher, hierher«, hörte er plötzlich ein leises Geräusch, das ihm das Versteck des anderen Schützen verriet. Grauschwanz erhob sich in die Luft, als der Hund auf ihn lossprang, flog hinter den schützenden Stamm und befand sich nun in der Gewalt des elenden Schuftes, der dort versteckt lag. »Schwirr« und er erhob sich, ein herrliches, edles Wesen. »Bäng« und herab stürzte er, zu Tode getroffen und blutend, in den weißen Schnee. [Illustration] Rotkrauses Platz war gefahrvoll, denn es gab keine Möglichkeit, ungesehen aufzufliegen, darum duckte er sich flach nieder. Der Hund kam in gefährliche Nähe, und der Fremde ging dicht an ihm vorbei, aber Rotkrause rührte sich nicht, bis sich Gelegenheit bot, hinter den dicken Fichtenstamm zu schlüpfen. Dort flog er auf und schwebte lautlos davon. Alle seine Lieben hatte das tödliche Blei dahingerafft, und vollkommen vereinsamt war er allein zurückgeblieben. Der Schneemond verstrich, Rotkrause entkam seinen Feinden oft nur mit knapper Not, denn da er der einzige Überlebende seines Geschlechts war, wurde er mit unbarmherzigem Eifer verfolgt. [Illustration] Am Ende schien es Zeitverschwendung, ihm mit dem Gewehr nachzustellen; Cuddy heckte daher, als der Schnee am tiefsten war und das Futter am spärlichsten, einen neuen Anschlag aus. Über Rotkrauses Futterplatz verteilte er eine Menge tückischer Schlingen. Ein Hase, ein alter Freund, zernagte mehrere mit seinen scharfen Zähnen, aber einige blieben übrig, und Rotkrause trat richtig in eine hinein. Im Augenblick wurde er in die Luft geschleudert und baumelte hilflos an einem Bein. – Haben die armen Tiere gar keine moralischen oder gesetzlichen Rechte? Und welches Recht hat der Mensch, seinem Mitgeschöpf solch lange, furchtbare Martern aufzuerlegen, nur weil dieses Geschöpf nicht seine Sprache spricht? – Den ganzen Tag hing der bedauernswerte Rotkrause in wachsender Pein und schlug mit seinen mächtigen, starken Schwingen in hilflosem Bemühen, sich zu befreien. Den ganzen Tag, die ganze Nacht schwebte er zwischen Himmel und Erde, bis er sich nur noch nach dem Tode sehnte. Aber er erlöste ihn nicht! Der Morgen brach an, der Tag verstrich, und noch hing er, langsam sterbend. Die zweite Nacht kroch heran, und eine große Steineule, die durch das schwache Flattern herangelockt wurde, machte der Qual ein Ende. Der Wind blies von Norden das Tal herab, der Sturmwind brauste über das runzelige Eis, über das unwirtliche Marschland in der Richtung nach dem Ontario-See und streute die zerzausten regenbogenfarben schillernden Federn über das Land, den Stolz des letzten Fasanen vom Schlammbachtal. Denn keiner kommt mehr nach Castle Frank. Die Waldvögel vermissen den kriegerischen Frühlingsgruß, und der alte Fichtenstumpf im Schlammbachtal ist verfault und zerfallen. Wully. Ein Schäferhund. Wully war ein kleiner, gelber Köter. Unter der verächtlichen Bezeichnung Köter versteht man gewöhnlich einen rasselosen Mischling und vergißt dabei, daß dieses verachtete Wesen meistens mehr Rasse in sich zeigt, als irgendeiner seiner aristokratischen Verwandten. Er ist schlau, beweglich und ausdauernd und weit besser für den harten Kampf ums Dasein ausgerüstet, als seine rasseechten Vettern. [Illustration] Setzen wir den Fall, wir würden einen ganz gewöhnlichen Dorfköter, einen kostbaren Windhund und einen Bullenbeißer auf einer öden, verlassenen Insel aussetzen, welcher von diesen dreien würde wohl nach sechs Monden noch gesund am Leben sein? Zweifellos der verachtete Dorfköter. – Er besitzt weder die Schnelligkeit des Windhundes, noch die Kraft und die Kühnheit eines Bullenbeißers, aber etwas tausendmal Wertvolleres, einen _gesunden Verstand_. I. Auf den Bergen, hoch droben in Schottland, auf den Cheviots, war Wully geboren. Ihn und einen seiner Brüder hatte man am Leben gelassen; den Bruder, weil er eine große Ähnlichkeit mit dem besten Hund der Nachbarschaft aufwies, und ihn selbst, weil er ein niedlicher, kleiner, gelber Kerl war. Seine Jugend verbrachte er wie ein richtiger Schäferhund in Gemeinschaft eines erfahrenen Collies, der ihn ausbildete, und eines alten Schafhirten, der fast ebensoviel Erfahrung besaß, wie sein gelehriger Hund. Mit zwei Jahren war Wully vollkommen ausgewachsen und er wußte mit den Schafen ebensogut umzugehen, wie Alt-Robin, sein Meister, der ein solches Vertrauen in seine Zuverlässigkeit besaß, daß er meistens die ganze Nacht im Wirtshaus saß, während Wully die wolligen Dummköpfe in den Hügeln bewachte. Der alte, einfältige Schafhirt, mit allen seinen Fehlern und dem fortwährenden Sehnen nach seinem Idealzustand – der Benebelung – behandelte Wully selten roh, und dieser vergalt ihm das durch abgöttische Verehrung, um die mancher Große und Weise im Lande den Alten beneidet hätte. Wully konnte sich kein höheres Wesen vorstellen als Robin, und doch standen dieses Abgottes körperliche und geistige Kräfte für nur fünf Schilling die Woche im Dienst eines kleinen Viehhändlers, des eigentlichen Besitzers von Wullys Schutzbefohlenen. Als dieser Mann nun Robin befahl, seine Herde in Tagereisen nach den Yorkshire-Märkten zu treiben, war Wully von all den dreihundertsechsundsiebzig Wesen, die dabei in Frage kamen, der am meisten Betroffene. Die Reise nach Northumberland war für ihn bedeutungsvoll. Am Tynefluß wurden die Schafe auf ein Fährboot getrieben und am andern Ufer im rußigen Southshields gelandet. Die hohen Fabrikschornsteine kündeten den Beginn der Tagesarbeit an und hüllten die Stadt in schwere Nebel und bleigraue Rauchwolken ein, die die Sonne verdunkelten und wie Sturmwolken über den Straßen hingen. Die Schafe vermuteten das Heranziehen eines außergewöhnlich schweren Sturms, wurden aufgeregt und rasten ihren Hütern zum Trotz in 374 verschiedenen Richtungen durch die Stadt. [Illustration] Das war für Robins schwachen Geist zu viel. Er starrte den Schafen einige Augenblicke lang stumpfsinnig nach und gab dann den Befehl: »Wully, bring’ sie!« Nach dieser Anstrengung setzte er sich nieder, zündete seine Pfeife an und begann an einem halbvollendeten Strumpfe zu stricken. [Illustration] Robins Stimme war für Wully die Stimme Gottes. Davon lief er in 374 verschiedene Richtungen und brachte nach langen Mühen die 374 Ausreißer nach dem Fährhause zu Robin, der des Hundes Arbeit interesselos zusah. Zum Schluß gab Wully – nicht Robin – das Zeichen, daß alle beisammen wären. Der alte Schäfer begann zu zählen: 370, 371, 372, 373. »Wully,« sagte er vorwurfsvoll, »da fehlt ja eins,« Wully sprang vor Scham zitternd davon, um die ganze Stadt nach dem Vermißten abzusuchen. Aber er war noch nicht lange fort, als ein kleiner Junge Robin bedeutete, daß alle 374 Schafe bereits zur Stelle seien. Der Alte befand sich in größter Verlegenheit. Sein Herr hatte ihm befohlen, so schnell als möglich Yorkshire zu erreichen, und anderseits wußte er, daß Wully nicht ohne ein Schaf zurückkommen würde, selbst wenn er es zu stehlen hätte. Derartiges war schon früher vorgekommen und hatte zu höchst unangenehmen Auseinandersetzungen geführt. Was sollte er nun tun? Fünf Schilling wöchentlich standen auf dem Spiele. Wully war ein guter, treuer Hund, und es war jammerschade, ihn zu verlieren; aber wenn er nun, um die Zahl vollzumachen, ein Extraschaf stahl, was dann? Robin entschied sich endlich, Wully im Stich zu lassen, und zog mit seinen Schafen von dannen. Wie er allein sein Ziel erreichte, das wissen wir nicht, und es kann uns auch gleich sein. [Illustration] Inzwischen hatte Wully auf der vergeblichen Suche nach dem verlorenen Schafe die Stadt nach allen Richtungen durchkreuzt. Den ganzen Tag und die folgende Nacht suchte er, bis er schließlich ausgehungert und müde mit eingezogenem Schwanze nach dem Fährhause zurückkam, um dort zu entdecken, daß sein Herr mit den Schafen bereits seiner Wege gegangen war. Es war wirklich jammervoll, die Trauer und Verzweiflung des Hundes mit anzusehen. Wimmernd und heulend lief er umher, fuhr dann mit der Fähre nach dem anderen Ufer hinüber und suchte überall nach Robin. Später kehrte er wieder nach Southshields zurück und verbrachte die Nacht auf der Suche nach seinem Abgott. Auch den nächsten Tag setzte er das Suchen fort, beobachtete und beroch jedermann, der den Fluß kreuzte, und suchte mit großer Schlauheit unablässig in den umliegenden Wirtshäusern nach seinem Herrn. Am folgenden Tage begann er systematisch alle Leute zu beschnüffeln, die mit der Fähre herüberkamen. Das Fährboot machte fünfzig Überfahrten an jedem Tag und beförderte durchschnittlich jedesmal hundert Personen. Wully war am Anlegeplatz stets zur Stelle und beroch jedes Bein, das herüberkam – zehntausend mochte er an diesem Tage auf seine eigene Weise untersucht haben. Den nächsten Tag und den übernächsten, die ganze Woche hielt er auf seinem Posten aus, und bald begannen mangelhafte Ernährung und Sorge ihre Wirkung zu zeigen; er wurde magerer und schlechtgelaunter von Tag zu Tag. Niemand durfte ihn berühren, und jeder Versuch, ihn von seiner täglichen Beschäftigung abzubringen, reizte ihn zur höchsten Wut. Tag für Tag, Woche für Woche wartete Wully auf seinen Herrn, aber er kam nicht. Die Fährleute achteten des Hundes Anhänglichkeit und Treue, und obwohl dieser im Anfang das dargebotene Futter und eine Unterkunft verschmähte, nahm er schließlich ihre Gaben an. – Wenn er auch verbittert war gegen alle Welt, so hing sein Herz doch wie zuvor an seinem treulosen Herrn und Meister. [Illustration] Vierzehn Monate nach Wullys Ankunft in Southshields machte ich seine Bekanntschaft, und immer noch war er auf dem Posten. Sein gutes Aussehen hatte er zurückerlangt; sein scharfgeschnittener, kluger Kopf, von einer weißen Halskrause eingerahmt, und seine spitzen, lauschenden Ohren machten einen auffallend hübschen Hund aus ihm, der jedes Auge auf sich zog. Nachdem er meine Beine beschnüffelt und entdeckt hatte, daß es nicht die waren, die er suchte, beachtete er mich nicht weiter, und trotz meiner Versuche, seine Freundschaft zu gewinnen, schenkte er mir nicht mehr Vertrauen, als irgendeinem anderen. Zwei volle Jahre hielt dieses treue Tier an der Fähre aus. Es war nicht die große Entfernung oder die Furcht, sich zu verlaufen, die ihn davon zurückhielt, nach Hause in die Hügel zurückzukehren, es war die Überzeugung, daß Robin, sein Abgott, sein Bleiben beim Fährboot wünschte, und er blieb. So oft Wully es für nötig hielt, kreuzte er den Fluß. Der Überfahrtspreis für einen Hund betrug einen Penny, und man hat ausgerechnet, daß er der Gesellschaft Hunderte von Pfunden schuldete, bis er seinen Platz aufgab. [Illustration] Von Robin hatte man niemals mehr auch nur das geringste vernommen, aber eines Tages betrat ein rüstiger Viehtreiber die Fähre, und Wully, der ihn seiner Gewohnheit gemäß beschnüffelte, wurde plötzlich aufgeregt, seine Mähne sträubte sich, er zitterte, und ein leises Knurren entfuhr ihm. Einer von den Fährleuten, der nicht verstand, was vorging, rief dem Fremden zu: »Paß auf, Mann, daß du unserem Hunde nichts zuleide tust!« [Illustration: Rotkrause rettet das Jüngste] »Was soll ich ihm zuleide tun, ehe könnte der Köter mir etwas anhaben.« Irgendwelche weitere Aufklärung war unnötig. Wully war wie ausgewechselt, er schmiegte sich dicht an den Fremden, und sein Schwanz wedelte leidenschaftlich, zum erstenmal seit Jahren. Einige Worte machten alles klar. Dorley, der Viehtreiber, hatte Robin gut gekannt. Seine Handschuhe und sein Halstuch waren von Robins eigener Hand gestrickt und früher in dessen Besitz gewesen. Wully zweifelte, daß er je seinen verlorenen Abgott wiederfinden würde, verließ seinen Posten an der Fähre und gab deutlich die Absicht kund, dem Eigentümer von Robins Halstuch zu folgen. Dorley hatte nichts dagegen, nahm ihn mit heim in die Berge von Derbyshire, und Wully wurde zum zweiten Male ein Schäferhund. II. Monsaldale ist eines der bekanntesten Täler in Derbyshire. Es hat nur ein einziges, aber um so berühmteres Wirtshaus, und der Besitzer, Jo Greatorex, ist ein schlauer und handfester Yorkshireman. Die Natur hatte ihn zum Krieger bestimmt, aber die Umstände machten ihn zum Gastwirt, und seine Neigung zur – doch das sollten wir lieber verschweigen – Wilddieberei war in dieser Gegend an der Tagesordnung. [Illustration] Wullys neue Heimat lag auf dem Hochland, östlich von dem Tal, und über Jos Wirtshaus. Dorley besaß ein kleines Bauerngut und in den Triften auch eine große Herde Schafe. Diese hütete Wully mit seinem angeborenen Scharfsinn, bewachte sie, während sie weideten, und brachte sie am Abend in den Stall. Er war für einen Hund zurückhaltend und argwöhnisch und leicht geneigt, Fremden die Zähne zu zeigen, aber er war so aufmerksam beim Bewachen seiner Herde, daß Dorley in diesem Jahr nicht ein einziges Schaf verlor, obwohl die Nachbarn Geiern und Füchsen den gewöhnlichen Tribut zahlen mußten. [Illustration] Die Täler dort sind eine ungeeignete Gegend für Fuchsjagden; die zerklüfteten Züge, die hohen Steinwälle und Anhöhen sind zu zahlreich, der Schlupfwinkel zwischen den Felsen sind zu viele, und es war zu verwundern, daß die Füchse in Monsaldale nicht überhand nahmen. Man hatte wenig Grund gehabt, über sie zu klagen, bis sich im Jahre 1881 ein schlauer, alter Fuchs, wie eine Maus in einem fetten Käse, in dem reichen Kirchspiel niederließ und aller Nachstellungen von edlen Jagdrüden und gemeinen Dorfkötern spottete. Verschiedene Male wurde er mit Hund und Pferd verfolgt, und immer verschwand er im Teufelsloch, einer Höhle von unerforschter Ausdehnung – dort war er sicher. Die Landbevölkerung fing an, etwas mehr als Zufall in der Tatsache zu suchen, daß er stets ins Teufelsloch entwischte, und als einer von den Hunden, der diesen Teufelsfuchs beinahe erwischte, bald darauf verrückt wurde, stand die Teufelsabstammung besagten Fuchses außer Zweifel. Er setzte seine Räuberlaufbahn fort, bis er schließlich aus Vergnügen am Blutvergießen zu morden begann. Digby verlor zehn Lämmer in einer Nacht, Caroll sieben in der nächsten; später wurde der Ententeich des Pfarrhofes vollkommen verwüstet, und es verging kaum ein Tag, an dem nicht irgend jemand einen Mord von Geflügel, Lämmern oder Schafen und schließlich selbst von Kälbern zu berichten hatte. All dieses blutgierige Verwüsten wurde diesem einen Fuchs aus dem Teufelsloch zugeschrieben. Es war nur bekannt, daß es ein außerordentlich großer Fuchs sein müsse; wenigstens einer, der eine breite Spur hinterließ; doch niemand, selbst kein Jäger, hatte ihn je in der Nähe gesehen. Auch hatte man bemerkt, daß Donner und Doria, die besten Hunde der Meute, sich geweigert hatten, auf der Hetze seiner Spur zu folgen. [Illustration] Die Bauern von Monsaldale beschlossen, sich beim ersten Schnee unter Jos Leitung zu versammeln und die ganze Gegend abzuklopfen, um auf irgendeine erlaubte oder unerlaubte Art das »unschuldige« Füchslein loszuwerden. Aber der Schnee kam vorläufig nicht, und der rothaarige Ehrenmann lebte ungekränkt weiter. Niemals kam er zwei aufeinanderfolgende Nächte nach dem gleichen Bauernhof, niemals fraß er, wo er gemordet hatte, und niemals hinterließ er eine Spur, die den Weg, den er genommen, verraten hätte. Ein einzigesmal lief er mir in den Weg. Ich ging spät in der Nacht den Pfad von Bakewell nach Monsaldale entlang, während eines heftigen Sturmes, und als ich um die Ecke eines Schafstalls bog, fuhr plötzlich ein heller Blitzstrahl hernieder. Bei seinem Lichte erblickte ich ein Bild, das mich zurückschrecken ließ. Neben dem Wege saß in geringer Entfernung ein riesiges Tier, das mich mit glühenden Augen anstarrte und sich bezeichnend die Schnauze leckte. Dies war alles, was ich sah, und ich würde es wohl vergessen oder für einen Irrtum gehalten haben, hätte man nicht am nächsten Morgen in jenem Stalle die Leichen von dreiundzwanzig Schafen gefunden. [Illustration] Nur eine Herde ließ der Mörder in Frieden, das war die Dorleys, und es schien dies um so wunderbarer, als Dorley doch mitten in der gefährdeten Gegend und nur eine Meile vom Teufelsloch entfernt lebte. Der treue Hund bewies seine Überlegenheit über alle Köter der Nachbarschaft; Abend für Abend brachte er seine Herde heim, und niemals fehlte auch nur einer seiner Schützlinge. Der wilde Fuchs mochte um Dorleys Hof herumstreifen, aber Wully, der schlaue, tapfere und aufgeweckte Wully, war ein unüberwindlicher Gegner für ihn und rettete nicht nur seines Meisters Herde, sondern entwischte auch stets selbst mit heiler Haut. Jedermann bezeugte eine wahrhafte Hochachtung für ihn, und er wäre gewiß ein Liebling aller gewesen, wenn seine Laune sich nicht von Tag zu Tag verschlechtert hätte. Dorley und dessen älteste Tochter Hulda, ein aufgewecktes, hübsches, junges Mädchen, schien Wully gern zu haben; die übrigen Glieder der Familie waren ihm gleichgültig, aber er duldete sie; den Rest der Welt, Menschen und Hunde, schien er zu hassen. So mürrisch und bösartig Wully sich auch der Welt gegenüber benahm, er zeigte sich stets gut geartet gegen Dorleys Schafe. Viele wunderbare Geschichten über ihn waren im Umlauf; manch armes Lamm, das ins Wasser oder in eine Kluft gefallen war, würde elendiglich ohne Wullys rechtzeitige, tatkräftige Hilfe umgekommen sein. Sein kühnes Auge entdeckte jeden Adler, der über dem Moor seine Kreise zog, und Wullys tollkühne Tapferkeit trieb ihn auf Nimmerwiedersehen davon. III. [Illustration] Als der Schnee endlich kam, spät im Dezember, zahlten die Monsaldale-Bauern wie zuvor ihren nächtlichen Tribut an den gierigen Fuchs. Die Witwe Gelt verlor ihren einzigen Besitz, eine Herde von zwanzig Schafen, und am nächsten Tage beim Morgengrauen zogen die männlichen Bewohner des Dorfes aus, auf die Suche nach dem Wüterich. Die Gewehre offen zur Schau tragend, folgten sie den verräterischen Spuren im Schnee, den Spuren eines außergewöhnlich großen Fuchses, zweifellos die des mörderischen Gesellen. Eine Zeitlang war die Spur leicht zu erkennen, bis sie im Flusse verschwand und die angeborene Schlauheit des Fuchses bewies. Das Tier war in der Richtung stromabwärts auf das Wasser zugelaufen und dann in den seichten Fluß hineingesprungen. Doch auf der andern Seite führte keine Spur heraus, und nach langem Suchen fanden die Bauern endlich eine Viertelmeile stromaufwärts die Stelle, wo er das Wasser verlassen hatte. Dann führte die Fährte nach einem hohen Steinwall, von dem der Sturm den Schnee heruntergefegt hatte und wo folglich keine Spuren zu erkennen waren. Die beharrlichen Jäger ließen sich nicht irreleiten, aber als die Spuren den weichen Schnee zwischen der Mauer und der Fahrstraße gekreuzt hatten, war die Meinung geteilt; einige behaupteten, der Fuchs sei nach links, andere wieder, er sei nach rechts gelaufen. Doch Jo, der Führer, entschied die Streitfrage, und nach langem, erfolglosem Suchen fanden sie schließlich die gleiche Spur, die von der Straße in einen Schafstall hineinführte. Ohne den Bewohnern ein Leid zuzufügen, hatte der Fuchs das Gehöft wieder verlassen, war genau in die Fußtapfen eines Bauern hineingetreten und geradeswegs auf Dorleys Farm zugetrottet. [Illustration] Wegen des Schneefalls hatte Dorley die Herde an jenem Tage nicht hinausgetrieben, und Wully lag unbeschäftigt in der Sonne. Als die Jäger sich dem Hause näherten, knurrte er wütend und lief um die Ecke herum nach dem Schafstall. Jo Greatorex kreuzte den Hof, warf einen Blick auf Wullys Spur im frischen Schnee und rief, auf den sich entfernenden Schäferhund zeigend: [Illustration] »Jungens, den Fuchs haben wir nicht, aber dort läuft der Schafmörder.« Einige stimmten Jo bei, andere äußerten Zweifel und meinten, man solle zurückgehen und die Fährte von neuem verfolgen. Im selben Augenblick trat Dorley aus dem Hause. »Tom,« sagte Jo, »dein Köter hat vergangene Nacht der Witwe Gelt Schafe gemordet, und ich glaube kaum, daß dies sein erster Mord war.« »Was?« sagte Tom, »bist du verrückt? Ich habe niemals einen besseren Hund gehabt – er geht für die Schafe durchs Feuer.« »Ja, ja,« meinte Jo, »das hat er letzte Nacht gründlich bewiesen.« Die Bauern erzählten ihm ausführlich von ihrer Suche am Morgen, doch alles war vergeblich, Tom schwur, daß das ganze eine eifersüchtige Verschwörung sei, ihn seines treuen Hundes zu berauben. »Wully schläft jede Nacht in der Küche und kommt nicht heraus, bis er die Herde auf die Weide treibt. Es ist alles Unsinn. Das ganze Jahr hindurch ist er bei den Schafen, und nicht einen Huf habe ich verloren.« Tom ereiferte sich über diese ungeheuerliche Verschwörung gegen Wullys Ruf und Leben. Jo und seine Anhänger wurden schließlich aufgeregt, und es war ein Glück, daß Hulda aus dem Hause trat und sie beruhigte. »Vater,« sagte sie, als man ihr alles erzählt hatte, »ich will heute nacht in der Küche schlafen. Wenn Wully den Versuch macht, davonzuschleichen, werde ich es bemerken, und wenn er ruhig bei mir bleibt und dennoch Schafe gemordet werden, so haben wir den Beweis von Wullys Unschuld.« Hulda streckte sich am Abend auf einer Bank in der Küche aus, und Wully schlief wie gewöhnlich unter dem Tisch. Einige Stunden verrannen, und der Hund wurde unruhig, er wälzte sich auf seinem Lager, stand auf, streckte sich, beobachtete Hulda und legte sich wieder nieder. Ungefähr um zwei Uhr schien er einem innern Drängen nicht mehr widerstehen zu können. Er erhob sich leise, schaute nach dem niedrigen Fenster und dann auf das scheinbar schlafende Mädchen. Hulda lag still und atmete ruhig, wie im Schlafe. Wully kam langsam näher und schnaufte ihr direkt ins Gesicht, doch sie rührte sich nicht. Er leckte ihr vorsichtig die Wange und beobachtete dann, seine spitzen Ohren aufrecht und seinen Kopf zur Seite geneigt, ihr unbewegliches Antlitz, aber sie schien ruhig zu schlafen. Da lief der Hund nach dem Fenster, sprang geräuschlos auf den Tisch, schob seine Nase unter den Rahmen und hob das Fenster so hoch, daß er durch die Öffnung hinauskriechen konnte. Darauf ließ er es leise über seinen Rücken und Schwanz herniedergleiten, und seine Gewandtheit dabei verriet eine lange Übung. Dann verschwand er in der Dunkelheit. Hulda hatte den ganzen Vorgang mit Erstaunen beobachtet, und nachdem sie eine Zeitlang gewartet hatte, um sicher zu sein, daß der Hund nicht mehr in der Nähe wäre, erhob sie sich in der Absicht, ihren Vater zu rufen. Jedoch nach einigem Überlegen beschloß sie weiteres abzuwarten. Sie warf Holz aufs Feuer und legte sich wieder nieder. Über eine Stunde lag sie ganz munter, dem Ticken der alten Wanduhr lauschend und beim geringsten Geräusch zusammenfahrend. Was mochte der Hund jetzt anstellen? Hatte er wirklich der Witwe Schafe gemordet? Die Erinnerung an seine aufopfernde Anhänglichkeit an ihre eigene Herde ließ es ihr unglaublich erscheinen. [Illustration] Eine zweite Stunde ticktackte langsam vorüber. Da vernahm Hulda plötzlich ein leises Geräusch am Fenster, und ihr Herz klopfte in gespannter Erwartung. Das Fenster öffnete sich, und Wully sprang in die Küche zurück. Beim flackernden Lichte konnte Hulda einen fremdartigen, wilden Glanz in seinen Augen erkennen, und seine schneeweiße Brust war mit frischem Blut besudelt. Der Hund hörte auf zu schnaufen und beobachtete das Mädchen. Dann, als er sah, daß sie sich nicht regte, legte er sich nieder, leckte seine Pfoten und seine Brust und knurrte einigemal leise, wie in der Erinnerung an ein jüngst vergangenes Abenteuer. Hulda hatte genug gesehen, da war kein Zweifel mehr, Jo hatte recht, und der gefürchtete Fuchs von Monsaldale lag vor ihr. Sie erhob sich, sah Wully in die Augen und rief: »Wully! Wully! So ist’s doch wahr? Du entsetzlicher Wüterich!« Ihre Stimme zitterte durch den stillen Raum, und Wully erstarrte, wie vom Blitz getroffen. Er warf einen verzweifelten Blick auf das geschlossene Fenster, seine Augen glitzerten, und seine Mähne sträubte sich, aber er kauerte sich unter dem festen Blick Huldas zusammen und kroch auf dem Boden auf sie zu, als ob er um Gnade betteln wollte. Langsam kam er näher und näher, wie um ihre Füße zu lecken. Als er aber dicht vor ihr war, sprang er mit der Wut eines Tigers, aber ohne einen Laut von sich zu geben, nach ihrem Halse. Der Angriff kam dem Mädchen unerwartet, aber noch zur rechten Zeit hob sie ihren Arm empor, und Wullys lange, weiße Zähne bohrten sich in ihr Fleisch und knirschten auf den Knochen. »Hilfe! Hilfe! Vater! Vater!« schrie sie. Wully war eine leichte Last, und für einen Augenblick schleuderte sie ihn weg, aber seine Absicht war nicht mißzuverstehen. Der Kampf hatte begonnen, es galt sein Leben oder das ihre. »Vater! Vater!« gellte es durch die Stille der Nacht, als die gelbe Furie, in der Absicht, Hulda zu morden, die Hände, die sie so oft gefüttert, zerbiß und zerfleischte. Vergeblich suchte das Mädchen den Hund von sich abzuwehren, und eben wollte er sie am Hals packen, als Dorley noch im rechten Augenblick herbeigeeilt kam. Gerade auf ihn los, lautlos wie zuvor, sprang Wully und biß und zerfleischte ihn, bis ein tödlicher Schlag mit der Axt ihn kampfunfähig machte. Ein zweiter Hieb schleuderte ihn mit zerschmettertem Schädel vor den Herd, wo er so lange geehrt und geachtet mit Dorley gehaust hatte – und Wully, der kluge, tapfere, treue und – verräterische Wully tat einen tiefen Atemzug, streckte sich und lag still für immer. [Illustration] Der Paßgänger. I. Jo Calone warf seinen Sattel auf den staubigen Boden, koppelte die Pferde los und schritt sporenklirrend in das Farmhaus. »Bald Essenszeit?« fragte er. »Siebzehn Minuten,« antwortete der Koch nach einem Blick auf seine dicke Tombakuhr mit der Würde und Sicherheit eines Zugführers, obwohl er diese noch niemals durch Beweise gerechtfertigt hatte. »Wie steht’s am Perico?« fragte er dann. »Das Vieh ist in bestem Zustand, und Kälber gibt’s die Fülle.« * * * * * »An der Antilopenquelle kam uns eine Herde Mustangs in den Weg, mit einigen Füllen, darunter ein kleiner, schwarzer Teufel, ein geborener Paßgänger. Eine Meile oder zwei folgte ich ihnen; der Schwarze leitete und immer im Trab. Dann ließ ich mein Pferd ausgreifen und jagte sie nur zum Spaß vor mir her, und kein Tropfen soll wieder über meine Lippen gehen, wenn der Kleine nur einmal seinen Trott gebrochen hat.« So erzählte Jo, und die anderen lachten ihn aus. Am Tage darauf waren die Hirten in einer anderen Gegend und die Mustangs vergessen. Im nächsten Jahr kam man bei der Viehzählung wieder in jene Ecke von Neu-Mexiko, und wieder wurden die Mustangs gesehen. Das dunkle Füllen war jetzt zum schwarzen Jährling herangewachsen, mit dünnen, zarten Beinen und glatten Flanken, und mehr als einer von den Hirten sah mit eigenen Augen dieses wunderbare Naturspiel – der Mustang war ein geborener Paßgänger. Jo war dabei, und der Gedanke kam ihm, daß es wohl der Mühe wert wäre, das Füllen einzufangen. Einem, der im Osten aufgewachsen ist, mag diese Idee nicht so originell und außergewöhnlich erscheinen; aber im Westen, wo ein rohes Pferd zwanzig Mark wert ist und ein gewöhnliches Reitpferd sechzig bis achtzig Mark kostet, kommt einem Hirten schwerlich der Wunsch, einen wilden Mustang als Eigentum zu besitzen. Mustangs sind ungewöhnlich schwer einzufangen, und wenn man sie schließlich doch erwischt, sind sie ungebärdige, wilde Gefangene, nicht zu zähmen, und daher selten brauchbar. Die meisten Besitzer von Viehherden pflegen alle Mustangs, die in ihr Gebiet kommen, abzuschießen, denn sie fressen nicht nur dem Vieh das Futter weg, sondern verwirren auch die Herden der zahmen Pferde, führen sie hinweg und bringen folglich nur Schaden. Jo Calone kannte die wilden Pferde von den Ohren bis zur Spitze des Schweifes. »Niemals habe ich ein weißes gesehen,« meinte er, »das nicht leicht zu ziehen, noch ein braunes, das nicht nervös war, keinen Fuchs, der unbrauchbar, wenn gut gezogen, und niemals einen Rappen, der nicht hart war, wie Stahl, und den Teufel in sich hatte.« Wenn nun schon ein gewöhnlicher Mustang ein wertloser Kadaver ist, so ist ein schwarzer zehnmal schlimmer als wertlos. Jos Freunde hielten seine fixe Idee, den Jährling zu fangen, deshalb einfach für Blödsinn; doch er schien entschlossen zu sein, es jedenfalls zu versuchen, wenn sich ihm auch im selben Jahr keine Gelegenheit bot. [Illustration] Jo war nur ein einfacher Kuhhirt, mit einem kleinen Gehalt. Wie die meisten anderen, hatte er den sehnlichsten Wunsch, einst eine eigene Farm zu besitzen. Sein Brandzeichen, von guten Freunden gewöhnlich der »Schweinekofen« genannt, war dunklen Ursprungs und bereits in Santa Fé im Register eingetragen, obwohl es nur von einer alten Kuh getragen wurde. Im Herbst, wenn Jo ausgezahlt wurde, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, mit seinen Kameraden zur Stadt zu gehen und sich dort zu vergnügen, so lange eben das Geld reichte. Infolgedessen bestand sein ganzes Eigentum aus wenig mehr als aus einem Sattel, seinem Bett und der alten Kuh. Jedoch er baute Luftschlösser wie zuvor, hoffte auf irgendeinen glücklichen Zufall, der es ihm möglich machen sollte, als kleiner Farmer zu beginnen, und als er nun den Paßgänger zum ersten Male gesehen, hegte er die unbestimmte Hoffnung, sein Fang würde ihn sofort zum reichen Manne machen. [Illustration] Die Hirten zogen hinab zum kanadischen Flusse und im Herbst zurück über den Don-Carlos-Hügel, und Jo sah nichts mehr vom Paßgänger, obwohl er des öfteren von ihm erzählen hörte, denn das Füllen, jetzt ein starkes junges Pferd, fing an, bekannt, ja beinahe berühmt zu werden. [Illustration: Wully beobachtet Hulda] Die Antilopenquelle liegt mitten in einer weiten, grasbewachsenen Ebene. Kein Baum und kein Strauch steht ringsumher. Ist das Wasser hoch, so dehnt es sich aus zu einem kleinen See, umgürtet von einem Kranz dürftigen Schilfes; tritt es zurück, so hinterläßt es ein weites schwarzes Moor, das stellenweise glitzert von weißem Salz und in dem die Quelle in der Mitte als ein Wasserloch erscheint. Sie hat keinen Abfluß, aber dennoch ziemlich klares Wasser und ist für viele Meilen im Umkreis die einzige Tränke. [Illustration] Diese Ebene war der Lieblingsfutterplatz des schwarzen Hengstes, aber auch die Weide zahlreicher Herden von zahmen Pferden und Rindern, und besonders Fosters, eines unternehmenden Mannes Vieh, das mit einem ~L~ und gekreuztem ~F~ gezeichnet war, hielt sich dort auf. Foster hatte, um seine Pferde zu veredeln, zehn Halbblutstuten eingeführt, und neben diesen schlanken, zartfüßigen, rehäugigen Wesen nahmen sich die struppigen Ponys aus, wie erbärmliche, verhungerte Glieder einer entarteten Rasse. Eine dieser Stuten wurde zum Gebrauch im Stall gehalten, während die neun anderen sich auf der Prärie herumtummelten. Pferde haben eine feine Nase, die besten Futterplätze zu finden, und die neun Stuten zogen denn auch zwanzig Meilen nach Süden, nach der Antilopenquelle. Als Foster im Spätsommer die edlen Tiere heimwärts treiben wollte, fand er sie richtig, aber mit ihnen, und sie mit etwas mehr als nur Kameradschaft bewachend, den kohlschwarzen Hengst. Stampfend trabte er um sie herum, wie ein Schäferhund, und sein schwarzes Fell bildete einen lebhaften Gegensatz zu den goldenen Häuten seines Harems. Die Stuten waren lammfromm, und leicht hätten sie sich heimwärts treiben lassen, doch da trat ein unerwartetes Hindernis ein. Der glänzende Rappe wurde erregt, er schien seinem Gefolge seine eigene Wildheit einzuflößen und trieb die ganze Herde im Galopp dahin, wo es ihm beliebte. Davon flogen sie, und die kleinen Kuhponys, die die Reiter trugen, blieben weit zurück. Die Verfolger waren wütend und zogen schließlich ihre Revolver, in der Absicht, den Teufelshengst niederzuschießen. Aber da war neun gegen eins zu wetten, daß nicht der Hengst, sondern eine der Stuten fallen würde. Den ganzen langen Tag verfolgten sie die Herde, aber der Paßgänger hielt seine Familie dicht beisammen und verschwand schließlich zwischen den Hügeln im Süden. Die Reiter auf ihren abgejagten Ponys aber mußten rachebrütend ohne die Stuten nach der Farm zurückkehren. Die Gelehrten sind sich nicht einig über die Ursache der Anziehungskraft, die Schönheit und Tapferkeit auf die Weibchen unter den Tieren auszuüben pflegen, aber es steht fest, daß ein Tier von ungewöhnlichen Gaben bald ein großes Gefolge aus den Harems seiner Nebenbuhler nach sich zieht. Der gewaltige Rappe mit der pechschwarzen Mähne, dem stolzen Schweif und den grün leuchtenden Augen durchzog die ganze Gegend, und sein Gefolge wuchs von Tag zu Tag. Die meisten waren nur einfache Kuhponys, die von der Weide davongelaufen waren, und die neun goldglänzenden Stuten blieben der Stolz seiner Herde. Ein Pferd, das sich einmal in diesem Haufen befand, war verloren, und die Züchter sahen bald ein, daß der Hengst ihnen mehr Schaden brachte, als alle anderen Unfälle und Verluste zusammengenommen. [Illustration] II. Es war Dezember 1893; ich war ein Neuling in der Gegend und zog vom Farmhaus auf den Pinavetitos aus, um zu Wagen den kanadischen Fluß zu erreichen. Kurz vor meiner Abfahrt bemerkte Foster: »Und wenn Sie eine Gelegenheit haben, dem Teufelshengst ein Lot Blei in den glatten Leib zu pusten, zielen Sie gut!« Dies war das erstemal, daß ich von dem berüchtigten Mustang hörte, und als wir dahinfuhren, erfuhr ich von Burns, meinem Führer, die ganze Vorgeschichte. Ich war im höchsten Grade gespannt, den berühmten Dreijährigen zu sehen, und war nicht wenig enttäuscht, kein Zeichen vom Paßgänger oder seiner Herde zu erblicken, als wir uns am zweiten Tage der Antilopenquelle näherten. Am folgenden Tage jedoch, nachdem wir den Alamosa-Arroyo gekreuzt hatten und langsam nach der Hochebene hinaufkommen, duckte sich Jack Burns, der vorausritt, plötzlich auf den Nacken seines Pferdes, kehrte sich nach mir um und rief: »Heraus mit der Büchse, dort ist der Hengst!« Ich packte mein Gewehr und eilte vorwärts nach einem Aussichtspunkt über die Ebene. Drüben in einer Niederung graste eine Herde von Pferden, und an einem Ende sah ich den großen schwarzen Mustang. Er schien eine Ahnung von unserer Annäherung zu haben und witterte Gefahr. Mit erhobenem Kopfe und weit aufgeblasenen Nüstern stand er dort, ein Bild der Vollkommenheit und Schönheit. Das edelste Tier, das je auf diesen Weiden gegrast hatte und der bloße Gedanke, dieses herrliche Geschöpf zu vernichten, war mir furchtbar. Trotz Jacks wiederholtem Zuruf: »Schnell schießen« zögerte ich, und er, erregt und hastig, verfluchte meine Langsamkeit und griff nach meiner Büchse; wendete dabei die Mündung nach oben, und _ganz zufällig_ ging der Schuß los. Sofort war die Herde alarmiert, ihr schwarzer Leiter wieherte und kreiste um sie herum, und davon ging es mit klappernden Hufen, in eine dicke Staubwolke eingehüllt. [Illustration] Jack machte anzügliche Bemerkungen über mich und mein Gewehr, aber ich hatte meine Freude an des Mustangs Kraft und Schönheit, und nicht um den Besitz der ganzen Herde hätte ich ihm etwas zuleide tun können. III. Es gibt verschiedene Weisen, einen wilden Mustang einzufangen. Die eine ist bekannt unter dem Fachausdruck »Kitzeln« – d. h. man streift des Tieres Nacken mit einer Gewehrkugel, so daß es für eine Weile betäubt ist; das erfordert jedoch einen außergewöhnlich sicheren Schützen und wird deshalb äußerst selten mit Erfolg angewandt. Zuweilen, wenn die Bodenbeschaffenheit es zuläßt, kann man die Herde in eine Einzäunung treiben, oft werden die Mustangs auch mit besonders guten Pferden müde gejagt, doch für gewöhnlich pflegt man sie durch ganz langsame, aber unausgesetzte Verfolgung zu ermatten und dann mit der Wurfleine zu fangen. [Illustration] Der Ruf des Hengstes, den niemand je hatte galoppieren sehen, verbreitete sich schnell über das ganze Land, und wunderbare Geschichten waren im Umlauf über seine Gangart, seine Schnelligkeit und Ausdauer. Als nun eines Tages Montgomery, der Besitzer der mit einem »Triangel« gezeichneten ungeheuren Herden, in Wells Hotel in Clayton vor vielen Zeugen erklärte, daß er tausend Dollars in bar an denjenigen zahlen wollte, der ihm den Hengst heil und unversehrt bringen würde, faßten wenigstens ein Dutzend junger Hirten den Entschluß, den lockenden Preis zu gewinnen. Auch Jo Calone hatte davon gehört und sah ein, daß keine Zeit mehr zu verlieren wäre. Er brach alle bindenden Kontrakte und arbeitete Tag und Nacht, um die zur Verfolgung nötige Ausrüstung aufzubringen. Unter tatkräftiger Beihilfe einiger uneigennütziger Freunde brachte er seine Expedition zusammen, die aus zwanzig tüchtigen Reitpferden, einem Küchenwagen und Proviant für drei Mann – Jo selbst, seinem Freund Charley und dem Koch bestand. [Illustration] Eines schönen Tages zogen die drei von Clayton aus, in der felsenfesten Absicht, das wunderbare, wilde Roß langsam durch hartnäckige Verfolgung müde zu hetzen. In der Nähe der Antilopenquelle fanden sie die Pferde mit ihrem schwarzen Führer, und Jo nahm die Fährte auf. [Illustration] In weitem Bogen ging die Reise drei Tage und drei Nächte lang vorwärts, Jo und Charley folgten den wilden Pferden immer in Sehweite, und der Küchenwagen fuhr langsam hinterdrein. Eine schöne schneeweiße Stute ließ die Herde auch zur Nachtzeit beim Lichte des Mondes erkennen und bei Tage der schwarze Teufelshengst, der seinen Harem vergeblich zu einer schnelleren Gangart anzustacheln suchte. Am dritten Tage war der Kampf beinahe gewonnen, die Herde war den Verfolgern höchstens eine Meile voraus und schien sich an diese fremden Gesellen gewöhnt zu haben. [Illustration] Der vierte und fünfte Tag ging vorüber, und die Verfolgten waren nun beinahe zum Ausgangspunkt der unfreiwilligen, ermüdenden Reise zurückgekehrt. Die Jagd war planmäßig vor sich gegangen und in einem weiten Kreisbogen verlaufen, während der Küchenwagen in einem kleineren gefolgt war. Die wilden Pferde waren wieder in der Nähe der Antilopenquelle angelangt, zu Tode ermattet und durstig, ihre Verfolger dagegen frisch und munter auf frischen Ponys. – Erst am späten Nachmittag trieben sie die Verdursteten nach der Quelle, und diese füllten ihre Leiber mit einer wahren Wasserflut. Nun war der rechte Zeitpunkt für die geschickten Lassowerfer gekommen, um auf ihren gut gefütterten Pferden der Herde näher zu reiten, denn ein plötzliches, langes Trinken wirkt fast lähmend auf die Glieder und die Lungen, und es wäre ein leichtes gewesen, in diesem Augenblick eins der Tiere nach dem andern mit der Wurfleine einzufangen. Doch da war ein Hinderungsgrund. Das Ziel der langen Verfolgung, der schwarze Hengst, schien geradezu von Eisen. Schnellfüßig und kräftig lief er auf und ab in seinem schwingenden Paßgang, wie am ersten Morgen, als die Jagd begonnen, und bemühte sich durch lautes Wiehern und sein glänzendes Beispiel, die Herde vorwärts zu treiben. Aber alles war vergeblich, sie war am Ende mit ihrer Kraft. Die alte, weiße Stute, die das Auffinden während der Nacht so erheblich erleichtert hatte, war schon Stunden zuvor tot zu Boden gesunken, und die übrigen schienen alle Scheu vor den Reitern verloren zu haben; die Herde war in Jos Gewalt. Jedoch der eine, der der lockende Preis der ganzen Jagd gewesen, schien unerreichbarer als zuvor. [Illustration] Jos Kameraden standen vor einem Rätsel. Sie kannten ihren Freund genau und wären nicht erstaunt gewesen, hätte er in einem plötzlichen Wutanfall den Hengst niederzuschießen versucht. Doch Jo lag dieser Gedanke fern. Die ganze lange Woche hatte er das Pferd bei der Verfolgung beobachtet, und nicht ein einzigesmal hatte er es galoppieren sehen. Des Pferdeliebhabers Bewunderung für das edle Tier war von Tag zu Tag gewachsen, und Jo fragte sich jetzt oft, ob er die ausgesetzte Summe annehmen oder ob er nicht lieber den Hengst zur Züchtung eines Stammes von Paßgängern für die Rennbahn behalten sollte. Ein großes Vermögen war ihm dann sicher. Doch noch war der Hengst nicht in seiner Hand, aber der Zeitpunkt der Beendigung der Jagd schien gekommen, und Jo bestieg sein bestes Pferd, von edlem Blut, leichtfüßig und stark, zur großen Schlußjagd. Den Lasso sorgfältig aufgerollt in der linken Hand und zum erstenmal die Sporen benutzend, galoppierte Jo geradeswegs auf den Hengst los. Dieser trabte davon; die müden Stuten zerstreuten sich nach allen Richtungen und ließen die wilde Jagd an sich vorüber. [Illustration] Es war unglaublich, Jo spornte und peitschte sein Roß, das wie der Wind über die Ebene dahinflog, aber der Raum zwischen ihm und dem Paßgänger verringerte sich auch nicht um einen Zoll. Der Schwarze wirbelte dahin, kreuzte ein schmales Tal, dann eine sandige, gefahrvolle Strecke, zerwühlt von Präriehunden, verschwand hinter einem Hügel, und als Jo ihn wieder in Sicht bekam, war die Entfernung nur größer geworden. Er fluchte, trieb und spornte sein Roß, bis das arme, gehetzte Tier nervös und unsicher wurde und nicht länger vorsichtig auf den Weg achtete. Es trat plötzlich in ein Erdloch, stürzte, und Jo flog in weitem Bogen zur Erde. Obwohl arg gequetscht und zerschunden, sprang er gleich wieder auf die Füße, um das aufgeregte Tier wieder zu besteigen. Aber das war unmöglich – das linke Vorderbein war gebrochen. Jo fügte sich in das Unabwendbare, erlöste das Pferd durch einen Revolverschuß von seiner Qual, schnallte den Sattel los und trug ihn zum Lager zurück. Der Paßgänger rannte davon und war bald den Augen seines Verfolgers entschwunden. Es war eine Niederlage, jedoch keine vollkommene, denn die Stuten waren jetzt lammfromm. Jo und Charley trieben sie nach Fosters Farm und erhielten eine gute Belohnung. – Jo aber war mehr als zuvor von dem Wunsche beseelt, den Paßgänger zu besitzen, nachdem er ihn längere Zeit beobachtet hatte. Er schätzte ihn von Tag zu Tag höher und suchte nur nach einem neuen Plan, um die Verfolgung von neuem zu beginnen. IV. Der Koch auf dieser Expedition war Bates – Herr Thomas Bates, wie er sich selbst auf dem Postamt zu nennen pflegte, wohin er regelmäßig ging, um nach Briefen und Geldsendungen zu fragen, die niemals eintrafen. Tom Truthahnspur nannten ihn die Hirten nach seinem Brandzeichen, das, wie er sagte, in Denver eingetragen war und seinen Erzählungen nach von ungezähltem Herdenvieh auf den Weiden des unbekannten Nordens getragen wurde. Als Bates zur Teilnahme an der Verfolgung des berühmten Mustangs aufgefordert wurde, hatte er spöttische Bemerkungen fallen lassen über Pferde, die nicht mehr wert wären, als zwölf Dollars das Dutzend, und hatte es vorgezogen, für einen geringen Lohn mitzugehen. Jedoch keiner, der den Paßgänger einmal in seinem stolzen Trab bewundern durfte, konnte den Gedanken an dieses edle Tier wieder loswerden. Auch Truthahnspur erfuhr es an sich selbst, und so hatte auch er nur noch den einen Wunsch, den Mustang zu besitzen. Wie dies auszuführen sei, war ihm nicht ganz klar, bis eines Tages ein befreundeter Hirte, namens Smith, allgemein bekannt als Hufeisen-Billy, zum Besuche auf der Farm erschien. Während das ausgezeichnete frische Fleisch, Brot und ein recht erbärmlicher Kaffee vertilgt wurden, bemerkte der vom Hufeisen, mit beiden Backen kauend: [Illustration] »Ich sah den Paßgänger heute morgen, nahe genug, um einen Zopf in seinen Schweif zu flechten.« »Was? und du hast nicht geschossen?« »Nein, aber ich war nahe daran.« »Daß du mir keine Dummheiten machst,« rief ein Hirte vom anderen Ende des Tisches dazwischen, »ich wette, daß, ehe der Mond wechselt, dieser Teufelshengst mein Brandzeichen tragen wird.« [Illustration] »Dann mußt du dich dazu halten,« meinte ein anderer, »oder du findest einen Triangel auf seinem Bug, wenn du ihn wiedersiehst.« »Wo hast du ihn getroffen?« »Die Sache war so: ich ritt über die Ebene an der Antilopenquelle und sah in einiger Entfernung einen Klumpen auf dem trockenen Schlamm liegen. Ich wußte, daß ich ihn nie vorher bemerkt hatte, ritt näher und entdeckte, daß es ein Pferd war, das flach ausgestreckt dalag. Der Wind war gegen mich, ich ritt dicht heran und sah, daß es der Paßgänger war, tot wie ein Stück Holz. Jedoch er schien unverletzt und nicht geschwollen, und ich wußte nicht recht, was ich denken sollte, bis ich sah, wie er mit dem Ohr eine Fliege wegjagte. Da wußte ich, daß er schlief. Ich nahm meinen Lasso, wickelte ihn auf, sah aber, daß er alt und stellenweise ziemlich abgerieben war, und mein Sattel hatte nur einen Gurt. So sagte ich zu mir selbst: ›Sei vernünftig, Billy, du zerreißt nur deinen Sattelgurt, stürzest und brichst das Genick.‹ Da gab ich denn dem Sattelhorn einen tüchtigen Schlag, und ich wünschte, ihr hättet den Mustang sehen können. Sechs Fuß hoch sprang er in die Luft und schnaufte wie eine Lokomotive. Die Augen traten ihm heraus, wie der Blitz sauste er davon in der Richtung nach Kalifornien, und wenn er die Gangart, mit der er losging, beibehalten hat, so muß er in dieser Stunde bereits am Ziele sein – aber ich wette was darum, nicht eine Sekunde fiel er aus seinem Paßgang.« Diese Geschichte wurde nicht ganz so fließend erzählt, wie sie hier wiedergegeben ist. Sie wurde vielmehr unterbrochen durch Zwischenrufe und durch unausgesetztes Kauen und Schlucken, denn Billy war ein gesunder junger Mann ohne jede Schüchternheit. Jedermann schenkte der Erzählung Glauben, denn Billy war als glaubwürdig bekannt. – Von allen, die dabei saßen, redete Truthahnspur am wenigsten, aber er dachte vermutlich am meisten, denn es war ihm ein neuer Gedanke gekommen. [Illustration] Während er nach dem Essen gemächlich seine Pfeife rauchte, arbeitete er den Plan aus und kam zu der Einsicht, daß er ihn nicht allein ausführen könnte. Er nahm Hufeisen-Billy beiseite, und der Erfolg der Unterredung war, daß Billy bei dem erneuten Versuch, den Paßgänger zu fangen, sich mit betätigen und von den fünftausend Dollars, die jetzt als Preis ausgesetzt waren, seinen Anteil erhalten sollte. Die Antilopenquelle war immer noch die Tränke des Paßgängers. Das Wasser stand niedrig und ließ einen breiten Gürtel von schwarzem, trockenem Schlamm zwischen der Weide und der Quelle. An zwei Stellen war der Gürtel unterbrochen von einer leicht erkennbaren Fährte, die die Tiere auf dem Wege zur Tränke getreten hatten. Wilde Pferde pflegen für gewöhnlich immer den gleichen Pfad zur Quelle einzuhalten, und auf dem am meisten benutzten begannen die beiden Männer mit Hacke und Schaufel eine lange und tiefe Grube zu graben. Zwei Tage nahm diese harte Arbeit in Anspruch, und nachdem sie vollendet war, bedeckten die beiden die Grube sorgfältig mit Stangen, Zweigen und Erde und versteckten sich in einiger Entfernung. Ungefähr um Mittag kam der Paßgänger, wie immer allein, seit man seine Herde gefangen hatte. Der Pfad auf der entgegengesetzten Seite des Schlammgürtels war wenig benutzt, und Tom hatte einige frische Zweige darüber geworfen, um sicher zu gehen, daß der Hengst von der anderen Seite kommen sollte. Doch der Engel, der über den freien Wald- und Feldbewohnern wacht und sie vor Unheil warnt, schläft nicht. Der Paßgänger kam den Pfad auf der entgegengesetzten Seite entlang getrottet; die verdächtig aussehenden Zweige hielten ihn nicht zurück, arglos lief er zum Wasser hinunter und trank. Es gab nur noch einen Ausweg, um ein vollkommenes Mißlingen des Anschlags zu verhindern. Als der Mustang seinen Kopf zum zweiten kräftigen Zug, den Pferde stets zu nehmen pflegen, niederbeugte, verließen Bates und Smith ihre Löcher, liefen schnell hinüber, und als er sein stolzes Haupt erhob, schickte Smith einen Revolverschuß in den Erdboden hinter ihm. Davon trabte der Hengst, im berühmten Paßgang, gerade auf die Falle los. Noch eine Sekunde und er war gefangen. Schon war er auf dem Pfade, und schon glaubten seine Verfolger, daß sie ihn sicher hätten. Aber der Engel des wilden Geschöpfes schlief nicht; er warnte ihn noch zur rechten Zeit, und mit einem mächtigen Satz sprang der Hengst über die fünfzehn Fuß lange Falle und verschwand im Süden, um auf keinem der alten Pfade die Antilopenquelle je wieder zu besuchen. V. Jo Calone war tatkräftig und ausdauernd. Er hatte nun einmal den Entschluß gefaßt, den Mustang zu fangen, und als er ahnte, daß andere ihm den Rang abzulaufen suchten, machte er sich daran, einen bisher unversuchten guten Plan auszuführen – den Plan, durch den der Präriewolf den schnelleren Feldhasen fängt und der berittene Indianer die bei weitem flinkere Antilope: den alten Plan der Stafettenjagd. Der kanadische Fluß im Süden, sein Seitenfluß, der Arroya, im Nordosten und die Don Carlos-Hügel mit dem Utebachtale im Westen bilden ein sechzig Meilen weites Dreieck, das die Gefilde des Paßgängers umfaßte. Man wußte, daß er die Grenzen niemals überschritt, und die Weiden an der Antilopenquelle waren stets sein Hauptquartier. Jo aber kannte jedes Wasserloch und alle Quertäler ebensogut wie der Paßgänger. [Illustration] Zwanzig Pferde und fünf tüchtige Reiter hatte er zusammengebracht. Die Rosse, seit zwei Wochen mit kräftigem Hafer gefüttert, wurden vorausgesandt. Jedermann wußte genau, welche Rolle er bei der Jagd zu spielen hatte, und am Tage vor dem Beginn des Rennens war jeder auf seinem Posten. Am Morgen des ereignisvollen Tages erschien Jo mit seinem Wagen auf der Ebene an der Antilopenquelle, schlug in einer kleinen Niederung sein Lager auf und wartete. Endlich kam er, der kohlschwarze Hengst, vom Süden herauf, allein wie jetzt immer, schritt ruhig nach der Quelle hinunter und trank. Im Augenblick, als er den Kopf erhob und sich umwendete, spornte Jo seinen Renner. Der Paßgänger hörte das Klappern der Hufe, sah das Pferd auf sich zugaloppieren, und da er nicht den Wunsch hatte, es näher zu betrachten, trabte er davon. Quer über die Ebene mit der Nase nach Süden nahm er seinen Weg, und sein wunderbarer Paßgang wurde länger und länger. In den Sanddünen gewann er beträchtlich an Vorsprung, denn Jos beladenes Pferd sank bis über die Fessel in den losen Sand. Aber vorwärts, immer vorwärts ging es, und Jo sparte weder Sporen noch Peitsche. Eine Meile – und noch eine Meile – und eine dritte Meile und in der Ferne tauchten die Felsenspitzen des Arriba auf. [Illustration: Immer vorwärts im Trab!] Jo wußte, daß dort frische Pferde seiner warteten, und er trieb seinen Renner mitleidslos vorwärts, aber die nachtschwarze Mähne, die im Winde vor ihm herflatterte, rückte weiter und weiter von ihm fort. Endlich war das Arriba-Tal erreicht. Der dort wartende Posten versteckte sich, um nicht vom Paßgänger gesehen zu werden und damit dem Rennen eine andere Richtung zu geben, und der Hengst sauste vorüber. In mächtigen Sätzen kam Jo auf seinem schaumbedeckten Renner hinterdrein, sprang auf das bereitgehaltene Roß und zwang es mit Sporen und Peitsche zur rasenden Verfolgung, aber er gewann nicht einen Zoll. Ga–lopp, ga–lopp, ga–lopp sauste der Renner in mächtigen Sätzen dahin, die Stunden verrannen, frische Reiter auf frischen Rossen lösten Jo ab, aber alles erfolglos. – [Illustration] Carrington, der jüngste unter den Hirten, hatte seine Mähre durch allzu hitziges Galoppieren beim Beginn der Verfolgung verdorben, und als die Hetze nun durch Kaktussträucher und über die Erdlöcher von Präriehunden hinwegging, wurde das nervöse Tier aufgeregt, trat fehl, stürzte und brach das Genick. Carrington kam mit dem Leben davon, aber das Gerippe des Ponys liegt heute noch dort, und der schwarze Hengst trabte davon. Es war nahe der Stelle, wo Jo selbst, erholt und auf einem frischen Rosse, wartete, und binnen dreißig Minuten war er wieder auf der Verfolgung des Paßgängers. [Illustration] Jetzt begann der wildeste und anstrengendste Teil des Rennens. Jo, grausam und unerbittlich gegen den Mustang, war noch mitleidloser gegen sein Roß und gegen sich selbst. Die Sonne brannte glühend heiß. Über der ausgedorrten Ebene flimmerte die heiße, drückende Luft, die von keinem Hauch bewegt wurde. Augen und Lippen waren verbrannt von Sand und Salz, aber das verzweifelte Rennen nahm seinen Fortgang. Die einzige Aussicht zu gewinnen war für Jo, wenn er den Mustang zurück nach dem Arroyo treiben konnte. Seit dem Beginn der Jagd konnte er an dem Schwarzen jetzt zum ersten Male Anzeichen von Müdigkeit und Schwäche bemerken. Mähne und Schweif waren gesenkt, und die halbe Meile Entfernung zwischen Jo und ihm war auf die Hälfte herabgesunken. Aber noch ging es vorwärts, im Trabe, immer im Trabe. Stunde auf Stunde verrann, und die Nacht zog herauf, als sie die Arroyo-Furt erreichten. Jo hatte gehofft, der schaumbedeckte Hengst würde trinken, aber er war zu klug dazu. Er steckte nur die Nase ins Wasser, platschte durch die Flut und trabte vorwärts mit dem Verfolger hinter sich. Dann verschwanden sie in der Dunkelheit. Am Morgen kam Jo nach dem Lager zurück – zu Fuß. Er hatte nicht viel zu berichten: Acht Pferde gestürzt, fünf Mann zu Tode ermattet und der Paßgänger in Sicherheit und frei. »Für Menschen ist er unerreichbar, und es tut mir nur leid, daß ich ihm nicht eine Kugel in die Teufelsknochen gejagt habe,« sagte Jo und gab die Jagd auf. VI. Truthahnspur war auch auf dieser Expedition Koch. Er hatte die Hetze mit mehr Teilnahme beobachtet, als irgendein anderer, und als sie mißlang, schmunzelte er in seinen Topf und sagte: »Dieser Mustang ist mein, oder Thomas Bates ist ein großer Dummkopf!« Die unausgesetzte Verfolgung hatte den Paßgänger wilder gemacht als zuvor, aber sie hatte ihn dennoch nicht von der Antilopenquelle weggetrieben. Es war die einzige Tränke, die einem Feinde auch nicht das kleinste Versteck bot, und hierher kam er jeden Tag um die Mittagszeit und näherte sich, nachdem er vorsichtig umhergespäht hatte, um zu trinken. [Illustration] Seit der Gefangennahme seines Harems hatte der schwarze Hengst ein einsames Dasein geführt, und auf diese Tatsache gründete Truthahnspur einen neuen Plan. Des alten Kochs Freund hatte eine kleine, hübsche braune Stute, und mit deren Hilfe hoffte er sein Ziel zu erreichen. Er nahm ein paar der stärksten Fußfesseln, einen Spaten, einen kräftigen Lasso und einen dicken Pfahl, bestieg die Stute und ritt nach der bekannten Quelle. Ein paar schnellfüßige Antilopen sprangen vor ihm über die Ebene; das Vieh lag in Gruppen umher, und der laute, süße Gesang der Feldlerche erscholl aus der blauen Luft, denn der Winter war davongezogen und hatte dem Frühling Platz gemacht. Das Gras grünte, und die ganze Natur trieb und sproßte. Tom prüfte den Wind und untersuchte die Gegend. Die Grube, die er einst gegraben hatte, war mit Wasser angefüllt, obenauf schwammen ein paar tote Feldmäuse, und daneben war der neue Pfad, den die Tiere jetzt zur Quelle nehmen mußten. Truthahnspur begann seine Vorbereitungen. Zuerst versenkte er den Pfosten fest in den Erdboden, grub dann ein Loch, tief genug, um sich darin verstecken zu können, und breitete seine Decke darin aus. Die kleine Stute band er kurz an, so daß sie sich kaum bewegen konnte, legte den offenen Lasso dahinter auf den Erdboden, befestigte dessen langes Ende am Pfosten und bedeckte die Leine mit Erde und Gras. Darauf kroch er in sein Versteck. [Illustration] Ungefähr um die Mittagsstunde wurde das sehnsüchtige Wiehern der Stute weit in der Ferne beantwortet, und der berühmte Mustang tauchte als schwarzer Schattenriß im Westen auf. [Illustration] Langsam trabte er näher, aber argwöhnisch gemacht durch die hartnäckige Verfolgung, hielt er öfter an, sah sich vorsichtig um, wieherte und erhielt eine Antwort, die sein männliches Herz erzittern ließ. Wieder kam er näher, trabte im weiten Bogen um die Stelle und schien im Zweifel. Sein Schutzengel flüsterte: »Geh nicht weiter!«, aber die braune Stute rief wieder. Seine Kreise wurden enger, er wieherte noch einmal und erhielt wieder eine Antwort, die ihn alle Vorsicht vergessen ließ. [Illustration] Noch ein paar Schritte, und er hielt vor der Stute, berührte liebkosend ihre Nase und machte einige Freudensprünge um sie herum. Dabei standen seine Hinterhufe einen Augenblick inmitten der tückischen Schlinge. Ein kurzer, scharfer Ruck, die Schleife schloß sich und – er war gefangen. Ein entsetzliches Stöhnen entrang sich seiner mächtigen Brust, und ein Satz in die Luft gab Tom Gelegenheit, auch um die Vorderfüße eine Wurfleine zu schleudern, die Schlinge zog sich zu und band schlangengleich die gewaltigen Hufe. Schreck und Entsetzen liehen dem Mustang für einen Augenblick doppelte Kraft, aber das Ende des Lassos war erreicht, und er stürzte zu Boden, ein hoffnungsloser Gefangener. Toms kleine, häßliche, verwachsene Gestalt sprang aus dem Versteck hervor, um die Unterwerfung zu vollenden. Die strotzende, urwüchsige Kraft dieses herrlichen Wesens hatte sich als nichts erwiesen gegen die Schlauheit eines kleinen, alten Mannes. Tom stand vor seinem Opfer, beobachtete es, und ein fremdartiges Gefühl kam über den alten Hirten. Er zitterte aufgeregt am ganzen Körper, wie er es nicht getan seit dem Tage, als er seinen ersten Stier fing, und eine Weile konnte er nichts tun, als seinen zitternden Gefangenen anzustarren. Aber bald hatte er das Gefühl überwunden. Er sattelte die Stute, schlang dem Hengst eine Leine um den Hals und befestigte die Fußfesseln. Schnell war alles geschehen, und Tom war schon dabei, die Reise anzutreten, als ihn ein plötzlicher Gedanke halten ließ. Etwas ungemein Wichtiges hatte er vergessen. Nach dem Gesetz des Westens war der Mustang Eigentum des Mannes, der ihm als erster sein Brandzeichen aufdrückte, und wie war dies ohne ein Brandzeichen auszuführen? Tom ging nach der Stute hinüber, hob ihr abwechselnd die Hufe und untersuchte die Eisen. Richtig, das eine war etwas locker. Er zerrte und riß, half mit dem Spaten nach und bekam es los. Dürres Schilf gab es eine Menge, und ein Feuer war schnell angezündet. Bald war eine Hälfte des Hufeisens rotglühend, und Tom drückte mit roher Hand auf die linke Schulter des Mustangs eine Truthahnspur, sein Brandzeichen, tatsächlich das erstemal, daß es angewendet wurde. Der Paßgänger erbebte, als das glühende Eisen zischend in sein glänzendes Fell drang, aber es war bald geschehen, und das edle Tier war schimpflich gebrandmarkt für immer. Das einzige, was noch zu tun übrigblieb, war, ihn heimzubringen. Die Leinen wurden etwas gelöst. Der Mustang fühlte sich frei und sprang auf die Füße, stürzte aber sofort wieder nieder, als er auszuschreiten versuchte. Die Vorderfüße blieben gefesselt. Die einzig mögliche Gangart war ein schleppender Schritt oder ein verzweifeltes Bäumen, und jedesmal, wenn er versuchte, davonzurennen, stürzte er hilflos zu Boden. Tom auf seinem leichten Pony trieb den schäumenden, wilden Gefangenen vor sich her in der Richtung nordwärts, nach den Pinavetitos zu. Es war ein langer, grausamer Kampf. Wutschnaubend versuchte der Hengst, mit unsinnigen Sätzen zu entfliehen. Seine glänzenden Flanken dick mit Schaum bedeckt und der Schaum gerötet von Blut. Jedoch sein Meister, kühl und unbarmherzig, zwang ihn vorwärts. Die Senkung ins Tal hinab waren sie gezogen, jeder Schritt ein Kampf, und nun standen sie vor der einzigen Stelle, wo sie das Tal kreuzen konnten, der nördlichsten Grenze der angestammten Gefilde des Paßgängers. [Illustration] Das erste Farmhaus war in Sicht. Tom atmete erleichtert auf, aber der Mustang sammelte seine letzte Kraft und nahm einen verzweifelten Anlauf. Aufwärts, immer aufwärts sprang er, ungeachtet der schleppenden Leine und der Schüsse, die Tom in die Luft feuerte, um seine Richtung zu ändern. Aufwärts, immer aufwärts, auf die steile Klippe sprang er, machte einen wahnsinnigen Satz ins Leere, stürzte hinab – zweihundert Fuß in die Tiefe – und schlug auf die schroffen Felsen auf – zerschmettert – aber frei! – Nachwort an den Leser. Diese Erzählungen sind _wahr_. – Obwohl ich die geschichtliche Wahrheit an manchen Stellen umgangen habe: die Tiere in diesem Buch haben alle wirklich gelebt. Ihr Leben floß dahin, wie ich es geschildert habe, und sie bewiesen Persönlichkeit und Heldengröße weit nachdrücklicher, als es meine schwache Feder wiederzugeben imstande war. Ich glaube, daß die Naturwissenschaft durch die allgemeine Behandlung, wie sie gewöhnlich üblich, viel verloren hat. Eine zehn Seiten lange Abhandlung über die Gewohnheiten und das Leben der Menschen gewährt wenig Befriedigung; es ist viel wertvoller, diesen Raum dem Leben _eines_ großen Mannes zu widmen. Unter dem Einfluß dieses Grundsatzes sind die folgenden Geschichten entstanden. Ich habe die Persönlichkeit des Einzelwesens und seine Lebensanschauungen den einfachen Erzählungen zugrunde gelegt und nicht die Gewohnheiten einer Familie im allgemeinen, gesehen durch das abwägende, feindselige Auge des Menschen. Man könnte mir vorwerfen, ich hätte diesen Grundsatz nicht durchgeführt, da ich oft verschiedene Charaktere in einen vereinigt habe. Dies machte sich jedoch infolge der oft mangelhaften Berichte über sie nötig. Trotzdem bin ich in den Lebensgeschichten Lobos, Bingos und des Paßgängers auch nicht einen Zoll von der Wahrheit abgewichen. Lobo führte sein wildes, romantisches Räuberleben, dessen sich die Ansiedler noch gut erinnern, von 1889 bis 1894 am Currumpaw, und endete, genau wie berichtet, am 31. Januar 1894. Bingo war mein Hund von 1882 bis 1888, trotz längerer Unterbrechungen unseres Zusammenlebens durch größere Reisen. Und mein alter Freund, der Besitzer von Tan, wird aus diesem Buche erfahren, wer tatsächlich der Mörder seines treuen Hundes war. Der Mustang lebte nicht weit von Lobos Gefilden, anfangs der neunziger Jahre. Seine Geschichte ist genau so wiedergegeben, wie sie verlief, nur über das Ende sind die Meinungen geteilt, denn einige behaupten, der Mustang habe das Genick gebrochen, als man ihn gefangen auf eine Farm brachte. Tom Truthahnspur weilt im Jenseits, kann also die Streitfrage nicht mehr schlichten. Wullys Lebensgeschichte ist, genau genommen, die zweier Hunde; beide waren Mischlinge mit etwas Collieblut und wurden als Schäferhunde erzogen. Wullys Jugend verlief genau so, wie es der erste Teil seiner Biographie erzählt, während der zweite Teil tatsächlich das Leben eines anderen Hundes schildert – ein treuer Schäferhund am Tage, ein blutdürstiger Wüterich der Nacht. Derartiges ist weniger selten, als man vermutet. Während ich diese Geschichten schrieb, erfuhr ich von verschiedenen anderen Schäferhunden, die ein gleiches Doppelleben wie Wully führten, und fast in jedem Falle war es ein Collie. Rotkrause lebte im Don-Tal, nördlich von Toronto, und viele meiner Bekannten werden sich seiner noch erinnern. Er wurde 1889 von einem rohen Gesellen getötet, dessen wahren Namen ich nicht veröffentlicht habe, da ich mehr eine gewisse Sorte Menschen, als den einzelnen, bloßstellen wollte. Silberfleck, Zottelohr und Vixen haben ebenfalls gelebt, und obwohl ich die Abenteuer verschiedener ihrer Genossen in diesen Biographien vereint habe, ist jede Begebenheit aus dem Leben gegriffen. Die Tatsache, daß die Geschichten wahr sind, ist zugleich der Grund für _das tragische Ende_ einer jeden. Eine Sammlung, wie die vorliegende, bringt naturgemäß stets eine Nutzanwendung, und zweifellos wird jeder Leser eine Moral nach seinem Empfinden und seinem Geschmack darin finden; aber ich hoffe, daß einige eine Lehre, so alt wie die Bibel, herauslesen werden – die Lehre, daß wir und die Tiere eines Stammes sind. Dem Menschen ist nichts eigen, wovon das Tier nicht wenigstens eine Spur in sich trüge, und die Tiere haben keine Gewohnheit und keine Eigenschaft, die der Mensch nicht bis zu einem gewissen Grade teilte. Wenn demnach die Tiere erschöpft sind, deren Wünsche und Gefühle nur in der Art des Ausdrucks und des Wertes sich von den unseren unterscheiden, so haben sie sicher auch Rechte und wir Verpflichtungen ihnen gegenüber. Die alte Tatsache, die man endlich in der gebildeten Welt anzuerkennen beginnt, wurde schon von Moses ausgesprochen und bereits vor zweitausend Jahren von Buddha gelehrt. Dieses Buch entstand unter der tätigen Mithilfe meiner Gattin, Grace Gallatin Thompson Seton, der besonders für die einheitliche Ausstattung, für die Zeichnung des Titels und Umschlags und für die literarische Durchsicht Dank gebührt. _Neuyork_, am 31. Dezember 1899. =Ernest Thompson Seton.= Tier-Geschichten und Naturwissenschaftliche Märchen [Illustration] Schönste Lektüre, von alt und jung begeistert aufgenommen. Ernest Thompson Setons Tiergeschichten: Bingo und andere Tiergeschichten – Prärietiere und ihre Schicksale – Tierhelden – Rolf, der Trapper Carl Ewalds Naturwissenschaftl. Märchen: Mutter Natur erzählt – Die Zweifüßler und andere Geschichten - Vier feine Freunde und andere Geschichten. – Meister Reineke und andere Geschichten. – Das Sternenkind und andere Geschichten. Alle diese Bücher sind einzeln zu haben. Sie sind voll von originellen Bildern im Text und auf vielen Tafeln. [Illustration] Preis jedes Bandes gebunden M 19.50 Zu beziehen durch jede Buchhandlung. Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart Bienenstock u. Ameisenreich sind wundersame Tierstaaten, die ein vielgestaltiges Leben und außerordentlich Interessantes bieten Reiche Anschauungen, klare, einfache und abgerundete Darstellungen des Lebens in beiden bieten die Werke: Frank Stevens Die Reise ins Bienenland Mit zahlreichen Bildern u. einer Farbendrucktafel Ausflüge ins Ameisenreich Mit zahlreichen Bildern und zwei Tafeln. Jeder Band geschmackvoll gebunden M 13.— Der junge Leser der Werke lebt wirklich unter und mit diesen merkwürdigen Tieren, nimmt teil an ihren Freuden, Gefahren und Leiden und lernt so die wichtige Stellung der Bienen und Ameisen im Haushalte der Natur kennen. Die »=Lehr- und Lernmittel-Rundschau=« sagt: »Möge dieses Büchlein in allen Schüler- und Hausbüchereien Aufnahme finden, auf daß es in viele, viele Kinderhände gelange, um in der Seele der Kleinen die Liebe zur Natur zu wecken, dann wird ihnen diese werden, was sie sein soll: eine Lehrmeisterin und eine Quelle reinster Freude«. »=Die Reise ins Bienenland=« und »=Ausflüge ins Ameisenreich=« sind in jeder Buchhandlung zu haben. Wo eine solche nicht am Orte ist, wende man sich an den unterzeichneten Verlag. Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde Geschäftsstelle: Franckh’sche Verlagshandlung Stuttgart Eine packende Kanadische Erzählung Emil Droonberg Minnehaha (Lachendes Wasser) Erlebnisse eines Deutschen in Kanada [Illustration] Fesselnde Erzählung aus dem Indianerleben voll spannender Abenteuer Fein gebd. 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Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™ works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg™ License when you share it without charge with others. 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg™ work. 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Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate. Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our website which has the main PG search facility: www.gutenberg.org. This website includes information about Project Gutenberg™, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.