The Project Gutenberg eBook of Die Buben der Frau Opterberg This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Die Buben der Frau Opterberg Author: Rudolf Herzog Release date: July 4, 2024 [eBook #73962] Language: German Original publication: Stuttgart und Berlin: J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger, 1920 Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE BUBEN DER FRAU OPTERBERG *** Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Im Original fetter Text ist =so dargestellt=. Lange Folgen von Gedankenstrichen wurden auf eine einheitliche Länge gekürzt. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. Die Buben der Frau Opterberg D i e B u b e n d e r F r a u O p t e r b e r g Roman von Rudolf Herzog 61.—100. Tausend [Illustration] Stuttgart und Berlin J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger 1921 Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten Für die Vereinigten Staaten von Amerika: Copyright, 1920, by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger Stuttgart und Berlin F e r d i n a n d T h u n zu Wyomissing, Pa., mit Freundesgruß 1 Ein Adlerschrei -- Aus Scheitelhöhe -- -- »Ein Adler, Mutter! Dort! Siehst du ihn?« »Ein Steinadler!« flüsterte der andere Knabe und packte in der Erregung fest des Freundes Hand. Die Köpfe weit in den Nacken gebogen, die Schultern aneinandergepreßt, starrten die Knaben in den blaublanken Frühlingshimmel. Bewegungslos standen sie, und ihre tiefen Atemzüge kamen wie aus einer Brust. Frau Christiane Opterberg erfaßte mit einem langen, lächelnden Blick das Bild dieser Jugend. Sie lehnte, die Kappe über die strohgelbe Haarkrone gezogen, den kraftvollen Leib in starkem Lodengewand, und die Füße bis weit hinauf zur geschwungenen Wade in derbes Rindsleder geschuht, an einem Felsstück, und ihre Brust ging geruhsam auf und nieder. »Mutter! Siehst du?« Jetzt erst suchte ihr Blick den Himmelsbogen ab. »Es sind ihrer zwei,« sagte sie nach einer Weile. »Die Steinadler jagen paarweise, ihr Buben. Sie sind die Könige der Einsamkeit, und die Einsamkeit verlangt einen Gefährten.« »Die Einsamkeit?« fragten die Knaben zweifelnd. »Dort! Wirklich dort -- der zweite!« Frau Christiane hatte ihn längst entdeckt. Ihr helles Auge folgte den Kreisen der gewaltigen Vögel, den Kreisen, die lotrecht über ihr den Himmel umspannten, sich kaum zu berühren schienen, sich umeinanderschlangen, sich ausdehnten, sich verengten und jäh ein einziger Punkt schienen -- wenn es galt. »Ja,« sagte Frau Christiane Opterberg, »gerade die Einsamkeit. Ohne einen Gefährten wäre sie eine große, leere Gebärde, ein Grab bei Lebzeiten; mit einem Gefährten die Größe und Fülle des Lebens, aus einer stolzen Höhe betrachtet. Seht -- da stoßen sie zu Tal … Was werden sie sich alles zu erzählen und zu erklären haben, wenn sie wieder hoch oben in ihrem Horste sitzen. Nun denkt’s euch mal aus.« Die Knaben schauten lachend einander an und lachend die helläugige Frau. »Na? Habt ihr’s gefunden, ihr Wanderbuben?« »Die Mutter meint,« rief Martin Opterberg, »Einsamkeit und Tod ist noch lange nicht dasselbe.« »Noch lange nicht,« bestätigte die Frau, und ihre Augen weiteten sich. »Die Frau Pate meint: Und wer nicht tot ist, der hat zu leben, und, aus der Höhe betrachtet, lauft’s da drunten durcheinander wie Ameisen, die einen nicht schrecken.« »Richtig, Christoph Attermann. Das mein’ ich. Und wenn du es dann droben in der einsamen Höh’ einem gleichartigen Gefährten mitteilst und er es dir bejaht, dann wird euch euer ernstes Wissen zur fröhlichen Gewißheit, und ihr habt erst die rechte Freude am Leben, weil’s nimmer ein Fürchten gibt.« »Mutter,« sagte der zwölfjährige Sohn aus Sinnen heraus, »hast du einen solchen Gefährten?« »Ich hab’ dich, und du hast den Christoph, und so hab’ ich euch beide. Vorwärts, ihr Buben, und nehmt die Schuhe in die Hand. Wir betreten geheiligtes Land, wie’s in der Schrift heißt. Spannt die Horcher auf. Hört ihr’s seufzen und singen? Das ist ein Mutterlied und ein Kinderlied. Drauf zu und nehmt’s in euch auf. Nehmt die ganze Brust voll. Noch ein paar hundert Schritt’ und Sprüng’ über das graue Geröll, zwischen die Felsen hindurch« -- sie nahm beim Anschreiten den einen Buben links, den andern rechts an sich in Wanderfreude -- »ah, da haben wir’s erreicht … Hier wird der Rhein geboren.« Und plötzlich spürte sie, wie links und rechts die klammernden Knabenfäuste sich tief in ihre Arme gruben. Kristallen und blau blitzte die Angewurzelten der winzige Spiegel des Tomasees an, von steilen Felsen und dunkel wuchtender Bergwelt wie von Wimpern und Brauen umgürtet. Kaum ein Fußbreit Land, um heranzutreten. Steinblöcke, Jahrtausende alt, schirmen den Zugang zu dem Wunder der Zeugung, das, dem Auge verschleiert, in dreifacher Kraft aus dem Gletscherspalt quillt, aus Felsentiefe bricht, aus dem Grunde des Bodens steigt, um in der Muschel des Sees in kristallener Bläue das Auge aufzuschlagen. Machtvoll in ihrer Mutterschaft und in ihrem Mutterstolz auf das geheime Wunder lag die wilde Bergwelt Graubündens, türmten sich die himmelstürmenden Gipfel, sprangen die weißen Brüste der Gletscher in Urkraft hervor. Ein Gebietendes und doch alle Wünsche Stillendes lagerte in der Luft, und die Knaben rangen nach einem Wort. Und Martin Opterberg sagte so leise, als ob er ein Geheimnis sage, und seine Augen hafteten an dem spiegelblanken Wasser: »Mutter, das ist -- wie die Farbe deiner Augen. So blau -- und so kristallen.« »Ja, Frau Pate, der Martin hat’s mir zuvorgesagt.« Frau Christiane hob den Kopf und lugte einen Augenblick lang nach dem Stückchen Himmel, das hoch oben über der engen Felsschlucht eine Handbreit blaute. Und sie schob jedem der Knaben eine Hand unter das Kinn, hob ihnen den Kopf und senkte den Blick geruhig forschend in die Augen der Knaben. »Das Kristallene, wißt ihr, das Kristallene, das haben die Menschen im Blick, die scharf zuschauen müssen im Leben, daß ihnen nicht der Weg verrammelt wird, und die sich nicht fürchten dürfen, über die Hindernisse hinüberzusetzen, wenn er ihnen doch verrammelt wird.« »Die in den Bergen leben, haben es,« sagte Christoph Attermann, ohne das erhobene Kinn in ihrer Hand zu regen. »Und die Leute der Tiefebene auch, die auf der See fahren,« sagte Martin Opterberg, und er suchte in dem Blick der Mutter. »Seht ihr es wohl,« entgegnete sie, »einer allein findet es nicht, und es müssen schon zwei Gefährten sein, um sich auf das Richtige zu bringen. Der Berg hat’s nicht allein, und die Tiefebene hat’s nicht allein. Die Höhe des Lebens hat’s, die den Dingen in die Seele blickt, und die Weite des Herzens, die sie umfaßt, um jed’ Ding in seiner Art lieben zu lernen. Nur scharf zuschauen muß man, und man findet in jedem Ding und Menschenkind ein Bröselein Schönes oder Vergnügliches. Was wäre es sonst mit dem Glück …« »Mutter, hab’ ich auch das Kristallene?« »Und ich, Frau Pate?« »Narrenbuben ihr. Ein Weniges. Aber es hat noch Zeit mit euch.« Und sie zog die beiden Knabenköpfe mit einer mütterlichen Gebärde an ihre Brust. »Aufgeschaut, ihr Buben. Da steht ihr nun an der Wiege des Rheins, des Vorderrheins, und morgen wollen wir die Wiege seines wilderen Gesellen, des Hinterrheins, suchen gehn. Auch der König unter den Strömen braucht einen Gefährten in der Einsamkeit. Hei, wie die ewigen Gletscher funkeln, der Badus in den Gotthardbergen, der Crispalt im Glarnerland. Und dort, dort -- in die Ferne müßt ihr sehen -- schwingt sich die Furka wie eine steinerne Himmelsbrücke, trennt die Bergzüge auseinander und verbindet dafür die Menschlein von Uri und Wallis. Da spürt man den Herrgott.« Stille Andacht in den Augen, saß Frau Christiane auf breiter, moosübersponnener Steinplatte, auf der sich die Buben lang ausstreckten und, wohlig sich reckend und das Angesicht nach oben richtend, die Köpfe zutraulich in den Frauenschoß betteten. Frau Christiane strich ihnen mit einer kurzen Bewegung durch die hellen Haarbüschel. Dann wurde es ganz still zwischen den Dreien, und sie spannen ihre Träume hinein in die große, schweigende Natur, in die versteinerten Wogen der Bergmassen, die noch den Gischt der letzten Brandung in Eis und Schnee auf ihren Zackenhäuptern trugen, in das eingesprengte, winzige, kristallblaue Becken, darin sich rätselhaft das Leben aus tiefinnerstem Felsenleib erschloß: das lebendige, das Leben spendende Wasser. Mehr, mehr, als nur ein Wasser: das Wasser des Rheins, des deutschen Rheins. »Ist das ein gesegneter Maimorgen,« sagte Frau Christiane nach einer Weile. Und als die Knaben schwiegen, fügte sie nach einer stillen Pause hinzu: »Ihr habt Recht, ihr Buben. Wir brauchen keine vaterländischen Lieder anzustimmen wie ein Männergesangverein mit dem gefüllten Silberpokal und keine feierlich dröhnenden Gelübde abzulegen wie ein Kriegerverein mit der Schärpe. Wir wollen ehrlich sein, so ehrlich, wie die Natur es ist, und uns ganz einfach sagen: Hier ist die Wasserscheide. Hoch genug, um sie nicht zu übersehen. An die zweitausend Meter hoch. Dort --« und sie wies mit der Hand nach den Bergen des Wallis, »wird die Rhone, hier wird der Rhein geboren, dort --,« und die Hand wies in weiter ausholendem Schwung nach Süden, »lockt das blaue, sonnenschimmernde Mittelmeer, dort --,« und ihre Hand fuhr gen Norden, »wartet die graue, stürmische Nordsee. Die Rhone hat das lieblichere Teil erwählt, der Rhein das schwerere. Seine Kindheit ist Kampf aus der Enge, seine Jugend Lachen und Schwärmen, seine Manneszeit die gesammelte Kraft zur stärksten Arbeitsleistung, und sein Alter -- ja, ihr Kinder, das ist die Frage, die der Herrgott euch offen läßt, um euren Witz daran zu proben -- soll es versanden oder soll es in neue Kanäle geführt werden, die ohne Hasten und Stürmen die auf langem Wege gesammelten Güter dahintragen in das Meer der Allgemeinheit? Hier ist die Wasserscheide, Kinder. Im Süden steht die Sonne, im Norden der Nebel. Was dünkt euch?« »Der lange Weg, Mutter. Kämpfen, lachen, siegen. Durch den Nebel hindurch.« »Der lange Weg, Frau Pate. Schaffen, arbeiten. Und dann der Kanal. Das wär’ schon was.« »Ihr rauflustigen Germanenbuben,« rief Frau Christiane und griff ihnen in den Schopf. »Aber es soll mir schon recht sein, daß ihr nicht einschlafen wollt und euch euer Leben selber zu erringen trachtet. Denn das wahre Leben, Kinder, das wahre Leben ist nur das mit Wunden erkämpfte.« Sie sprang auf und riß die Knaben mit sich hoch. Lachend sah sie ihnen in die Augen. »He, ihr beiden! Wollen wir hier die Gefühlsseligen spielen? Menschen mit solchen Muskeln und Lungen und allem Zubehör? Hunger hab’ ich, Hunger! Hunger, Hunger, ihr nachlässigen Ritter, und nicht euch, aber eure Rucksäck’ will ich zu meinen Füßen sehn!« »Frau Pate, das Schwarzbrot! Ich schneid’s aus!« »Mutter, der Schinken, der rote Veltliner Wein!« »Hängt die Flasche ins Bergwasser. Wen das Rheinwasser kühlt, dem gibt’s erst das rechte innere Feuer. Ach, Christoffel, lang mir den Brotlaib. Bis zum Heiraten ist’s noch lange hin, wenn du nicht besser schneiden lernst. Martin, behandle die Flasche recht. Des Weines Feuer soll zu Herzen gehen, nicht in den Kopf. Und nun zugelangt, ihr Wandervögel, damit’s Marschieren wieder schmeckt.« Ein weißes Mundtuch war über den moosigen Stein gespreizt. Die Brotschnitten lagen darauf und die Scheiben des Schinkens. In den Metallbechern funkelte purpurn der Veltliner. Und die Schneehäupter der Berge und die glatten Gletscherzinken lugten über den Felsenkessel auf die seltenen Gäste aus dem Menschenreich, und die Quellwasser des Rheins im Tomasee spiegelten alles wider: die Bergwelt, die Menschen und den Maientag. »Daß der Vater nicht mitgewandert ist, Mutter. Er hat doch einmal das Malen betrieben.« »Ei,« antwortete Frau Christiane, »weil dem Vater kein Weg zu weit und beschwerlich ist, wenn er ihn im Wagen fahren kann.« »Ob ihn der meine noch hätt’ schaffen können?« fragte der Christoph. »Er hat’s mit der Atemnot wie nie. Drum ist er ja auch nach Freiburg zum Professor.« Frau Christiane sah den sinnenden Knaben lange an. Gleichaltrig war er ihrem Martin und unzertrennlich von ihm seit der Geburt. Eine schlimme Geburt war’s gewesen und von der Mutter mit dem Leben bezahlt. Und des Vaters Leben ein Siechtum ohne Ende, seit ihn beim Beschlagen des störrischen Gauls der Huf vor die Brust getroffen hatte. »Ob ihm die Reise nach Freiburg hilft?« fragte der junge Christoph. Frau Christiane bezwang ihren Blick. »Jetzt wird sie schon geholfen haben. Packt ein, ihr Buben! Der Maientag ist nur einmal, und wir wollen ihn nutzen!« Ins Quellwasser des Rheins tauchten sie ihre Hände, und mit den gletscherfrischen Tropfen des Jungwassers feuchteten sie sich Stirn und Augen. »Nun haben wir die erste Rheintaufe,« riefen sich die Knaben zu, »nun holen wir uns die zweite beim Bruder Hinterrhein.« Kletternd und am Stocke springend gerieten sie auf gangbaren Gebirgspfad. Hoch über ihnen in der Graubündner Felsenlandschaft kreisten die beiden Adler. Bis zum Abend waren sie gewandert, durch das Tavetscher-Tal, und ihnen zur Seite stürzte sich wie ein wilder Knabe, der keine Gefahren achtet und kennt, der bachbreite Rhein in brausendem Getöse die Felsen hinab. Im letzten Sonnenschein lag Disentis vor ihnen, das grüne Taldorf mit der Klosterkirche auf dem Hügel. Ein sauberer Weinschank bot ihnen Nachtquartier. In schwer verständlichen romanischen Lauten begrüßten Wirt und Wirtin die Gäste, ging das Gespräch zwischen den Bauern, die vor dem roten Veltliner saßen. Verwundert horchten die Knaben beim Abendbrot auf. »Es ist die Sprache des alten Rätiens,« antwortete Frau Christiane ihrem fragenden Blick, »so hieß Graubünden, als es eine römische Provinz war. Doch vorher schon, Jahrhunderte vor Christi Geburt, sollen sich Etruskerfürsten in das wichtige Bergland geschlagen und es besetzt haben. Hier sitzen wir unter den Nachkommen. Aber nicht lange, ihr Buben, denn wir suchen spornstreichs das Bett. Morgen ist auch noch ein Tag.« -- In erster Morgenfrühe brachen sie auf, einem langen, sonnigen Wandertag entgegen. Sie winkten dem Bergbach zu, der sich dem Dorfe gegenüber in den Vorderrhein ergießt und den die Leute von Disentis stolz den Mittelrhein nennen, und winkten dem Kloster einen Abschiedsgruß. »Mutter, weißt du nicht ein Märlein vom Kloster Disentis?« »Wir nennen heut Märlein, was einst Kampf und Krieg war und blutiger Schrecken. Und es ist gut so, sonst liefe aus Angst vor der Vergangenheit die Freud’ an der Zukunft aus der Welt. Uralt ist die Klosterstätte, und die Söhne des heiligen Benedikt haben sie errichtet. Das war, als nach des Königs Attila Tod Hunnenhaufen in die versteckten Berge drangen und lange, lange die Geißel über die rätischen Bauern schwangen, bis den schwerblütigen Gebirglern endlich das Blut heiß wurde und das Auge rot. Da gab es ein Blutbad, dem kein Hunnennachkömmling entrann. Seit jenem Tage stand das Kloster tausend Jahre lang als Zeichen der erkämpften Freiheit. Aber die Soldaten der französischen Revolution legten sich das Wörtlein Freiheit anders aus, wie es so der Brauch ist unter Menschen, die die Macht in die Hand bekommen haben, und brannten das Kloster mitsamt dem Dorf bis auf den Grund zu Asche, als die aufs Blut gequälten Bauern die Freiheit der Plünderer nicht verstehen wollten und die Sensen nahmen. Nachher haben die Überlebenden notdürftig wieder aufgebaut.« »Mutter, wenn du erzählst, bekommt die Landschaft erst ein Gesicht.« »Und schlägt die Augen auf, wie ein Mensch, Frau Pate.« »Blickt hinein, ihr Buben, immer hinein. Die Augen sind’s, die Farbe bekennen, nicht das Gewand. Und wenn ihr überdies Sorge tragt, daß die eigenen immer voll Wahrheit stehen, mag’s biegen oder brechen, so bleibt ihr Herr und Meister über euch selbst und damit über die anderen.« Weiter und weiter marschierten sie, durch Berg und Tal. Oft sprühten die Sturzwellen des Rheins vor ihnen auf, oft hörten sie nur sein unterirdisch Brausen aus Tannendickicht und Steingeröll. Menschensiedlungen tauchten am Wege auf. Schon begann kühner Unternehmungsgeist sich die Wasserkraft nutzbar zu machen, und das Echo der Eisenhütten scholl dumpf aus den Wäldern. »Erzähle, Mutter,« bat Martin Opterberg, »gib der Landschaft das Gesicht.« Sie traten aus dem Tannendunkel und marschierten rüstig auf grünem Talweg dem Dorfe Trons entgegen. Frau Christiane wies auf einen Baumstumpf hin. »Was für ein Baum scheint’s euch?« Christoph Attermann war schon hingesprungen. »Ein Ahorn, Frau Pate!« »Nur ein Ahorn? Wie Tausende? Ei, da wollen wir ihm ein Gesicht geben, daß gerade er unter den Tausenden haften bleibt. Das sind fünfhundert Jahr und mehr, da war dieser Ahorn ein ganz eigener, und was damals unter ihm beschworen wurde, das gab dem Lande den Namen. Den ›grauen Bund‹ beschworen damals aufrechte Männer unter diesem Ahorn von Trons, um das Land vor Zerstückelung zu bewahren, und das Land hieß alsbald Graubünden. So ist es stolzes und freies Land geblieben und wäre sonst zerrissen worden und unter die Füße getreten von Österreichern, Welschen, Spaniern und Franzosen. Seht, ihr Buben, und so mahnt uns der Ahornstumpf: Bleibt bei der Stange, wenn’s ums Vaterland geht. Bleibt, was ihr seid, und sehnt euch nicht nach fremdem Flitter. Überläufer verlieren ihr Vaterland und gewinnen nimmer ein neues. Und wenn sie im neuen Land Minister würden, sie blieben Knechte im Geist.« »Die Frau Pate meint, weil sie drüben scharwenzeln müssen, um für echt zu gelten.« »Das mein’ ich, Christoph Attermann, und manches, was das Gewissen beißt, dazu.« »Ist Graubünden glücklich geblieben, Mutter?« »Ach, du mein Närrchen, als die Graubündner die zahllosen Zwingburgen ihrer Fronherren im Lande gebrochen und den grauen Bund verstärkt und erweitert hatten durch die Gemeinden und Gerichte, da hätten sie’s wohl sein können in der stolzen Freiheit. Aber nun taten sie das Dümmste vom Dummen, was ein Volk nur zu tun vermag, und griffen einander in die Gewissensfreiheit und befehdeten sich zornmütig um den lieben Herrgott, ob der das Kreuz geschlagen haben wolle oder nicht und selber zu seinen Kindern reden wolle oder durch den Mund der lieben Heiligen, und zerrissen sich in dieser geistigen Unfreiheit wie die wilden Tiere, mordeten einander zu Tausenden, riefen sogar von hüben und drüben die verhaßten Feinde ins Land, nur weil sie sich selber untereinander noch viel grimmiger zu hassen vermeinten, und jagten den Teufel mit Beelzebub aus, statt die Armseligkeit ihres Geistes vor Gott zu bemerken.« »Mutter,« fragte Martin Opterberg, »meinst du damit, es sei gleich, ob katholisch oder evangelisch?« »Mein Junge,« sagte Frau Christiane, »eines steht fest: dem lieben Herrgott ist es gleich. Der ist zu groß für solche und andere anmaßlichen Dummheiten, mit denen die kurzlebigen Menschen in seinem ewigen Wissen und Wollen herumstochern möchten. Der will, daß hienieden ein Schweizer zuerst ein Schweizer und ein Deutscher zuerst und ganz und gar ein Deutscher zu sein habe, und behält sich alles übrige für seine Ewigkeit vor. Dort, und nur dort, ihr Buben, wird sich die Erleuchtung finden. Punktum.« Sie waren durch die Dorfstraße von Trons längst hindurch und auf dem Wege nach Ilanz, dem ersten Städtchen am Rhein. Aus der Berge Haft trieb der junge Strom in die Freiheit. Und die Gedanken der Knaben stürmten mit ihm, während die Füße rüstig wanderten und die Augen immer wieder die klaren Züge der Frau aufsuchten, die sich in körperlicher und geistiger Gesundheit stark fühlte und sicher unter den Menschheitsgeschwistern und aufrecht und vertrauend vor Gott als dem liebenden Vater. In Ilanz gab es Mittagsrast. Aber sie sputeten sich, um noch vor Sonnenuntergang Reichenau zu erreichen, die Vermählungsstätte des Vorderrheins und des Hinterrheins. Voller Frühlingsflor standen die Matten, Forellen schnellten sich durch die Strudelbäche, in der Ferne blitzte aus rauschenden Baumgruppen der Flimsersee, Kuhherden läuteten durch das saftgeschwellte Gras. Friede überall. Da engt sich der Weg. Die Wälder verschlingen die Felder, die Felsen rücken heran und türmen sich hoch und steil, uralte Burgen auf den Gipfeln wie Raubnester über der Singvogelhalde. Der Rhein bäumt sich auf. Und wie ein Roß, das den Gefährten wittert, stürzt er sich zügellos in die zerklüftete Talenge und stürmt in verdoppelten Sätzen der Vereinigung entgegen. Frau Christiane verhielt ihren Schritt. Sie schob die Kappe in den Nacken und stieß die Spitze des Wanderstockes in den Grund. Und die Knaben taten wie sie. »Die Könige der Einsamkeit verlangen einen Gefährten, damit sie die Größe und Fülle ihres Lebens finden. Schaut dorthin, wo sich Rhein und Rhein umarmt! Um ein einziger zu werden! Eins in der Freude, im Kampf, in der Entsagung und der Hoffnung. Und immer gleich groß, ihr Buben.« »Laß uns hin, Mutter.« »Ja, Frau Pate --« »Das Schloß da vor uns in dem Märchengarten ist der alte Sitz der Herren von Planta. Der Churer Bischof hat es gebaut. Die geistlichen Herren hatten einen guten Sinn dafür, wo die Erde am schönsten war und dem Himmel am nächsten. Kommt mit. Wenn wir durch den Märchengarten schreiten, gelangen wir dicht an das Märchen vom Rhein.« Sie schritten schweigsam durch den dunkel träumenden Garten, traten hervor und standen am hell beleuchteten Strand. In den Bergen sank die Sonne und verstreute verschwenderisch ihr letztes Licht. Und in die kristallblanken Fluten des Vorderrheins warfen sich die schicksaldunklen des Hinterrheins. Über die Wasser ging es wie ein Seufzer der Erlösung … »Ein wildes Märchen, Mutter.« »Ja, zahm ist das Rheinmärchen nie gewesen. Schlafhauben und Traumpoeten fabeln wohl davon. Wo der Rhein fließt, ist Kampf und wird es bleiben, solange Menschen leben. Seit Kelten und Römer mit den Germanen kriegten, bis in die Unendlichkeit.« »Warum, Frau Pate?« »Weil dies Märchen lebt und noch lange nicht gestorben ist.« Da grübelten die Knaben über den geheimnisvollen Satz, bis sie im Gasthaus zu Reichenau am Tischleindeckdich saßen. -- Die Atemzüge des Maienabends zogen durch die weitgeöffneten Fenster in das Wirtssälchen. Oft schwollen sie an zu einer geheimnisvollen Woge von Düften, die in den blumigen Wildwiesen der Hänge und den bunten Bürgergärten des Städtchens geboren wurde. Dann senkte Frau Christiane die Hände und hob ganz leise das Gesicht der stillen Woge entgegen. Das lernten die Knaben schnell, und sie nannten es: das Herz baden. »Jetzt sitzt der Vater daheim auf dem Gutshof und hat sich in der blauen Steingutbowle den ersten Waldmeistertrank gebraut,« sagte Frau Christiane. »Und zupft wohl die Gitarre zu einem Lied,« fuhr Martin Opterberg fort und horchte ins Weite. Der junge Christoph Attermann schwieg. Er dachte an seinen Vater, der nach Freiburg gefahren war, in die Klinik der Professoren, um von der schrecklichen Atemnot befreit zu werden. Und er dachte an seine Mutter, von der er nichts wußte, als daß sie in ihrer Mädchenzeit Schaffnerin gewesen war auf dem kleinen Gutshof der Opterbergs am oberen Rhein. »Christoph,« sagte Frau Christiane, als läse sie in den Gedanken des Knaben, »an solchen Lenzabenden kam deine Mutter nach getaner Arbeit immer mit der Weißzeugnähterei zu mir unter die große Rotbuche, die so spät ihre leuchtenden Blätter auseinanderrollt, und wenn wir auch nicht viel sprachen, so fühlten wir doch, daß uns die Tagesarbeit zu guten Abendgefährtinnen gemacht hatte. Daß sie mit ihrer stillen, festen Treue bei mir war, hat mir oft über schwerblütige Gedanken hinweggeholfen, und sie kam auch noch Abend für Abend, als sie für ein Jahr in das kleine Schmiedehaus am Wege gezogen war, als deines Vaters junge Frau.« »Für ein Jahr …« wiederholte Christoph Attermann. »Dann war sie tot.« »Was du nicht sagst, Christoph,« meinte Frau Christiane verwundert. »Wie kann ein Mensch tot sein, der in seinem Kinde lebt? Bist du nicht in ihrem Schoß geworden und aus ihrem besten Blut? Oder glaubst du gar, du wärest aus dem Schmiedeteich herausgezogen worden?« Da lachten sich die schlanken Knaben fröhlich an und wollten alsbald mit hundert Fragen kommen, aber es war ein lautes Lärmen, Gelächter und Durcheinanderschreien in dem Wirtssälchen geworden, obschon nur eine Familie aus sechs Köpfen an der gegenüberliegenden Wandseite am offenen Fenster saß und sich den Tafelfreuden ergab. Die Knaben schielten hinüber und nickten sich zu. Just hatte das Haupt der Familie, ein gewaltig gewachsener Herr in gepflegtem schwarzen Riesenbart, mit vornehmer Gebärde der bedienenden Saaltochter eine Forelle von der Schüssel genommen, tastete mit der Gabel in das zarte Fleisch und belehrte die Bedienerin mit volltönender Stimme über eine verfeinerte Behandlungsweise des köstlichen Fisches. Er trug einen untadeligen grauen Reiseanzug nach englischem Schnitte, wie auch seine elfenhaft kleine quecksilbrige Gemahlin nach englischer Sitte gekleidet und von einem blauen Sonnenschleier umflattert war. Drei Knaben zwischen fünfzehn und zwölf Jahren, dazu ein Mädchen kaum über sechs, aber mundfertig wie die Brüder, bildeten in flotten Bergsteigertrachten den Rest der Tafel, tranken mehr als ihnen zukam von dem feurigen Veltliner und nahmen von der gereichten Schüssel je zwei der stattlichen Forellen, so daß die unwillige Bedienerin unter dem Gelächter von Mutter und Kindern und dem wohlwollenden Beifall des Vaters eine Schüssel nachholen mußte. Dann aber empfand die kleine quecksilbrige Dame den ländlichen Wein als zu sauer für ihren Gaumen, und der gewaltige Herr vollzog ein langes, gewichtiges Gespräch mit der Bedienerin, die in rotflammender Verlegenheit immer wieder die wenigen Weinsorten des Hauses aufzählen mußte, bis der vornehme Gast zugunsten eines traubensüßen und schäumenden Asti entschied und sich den schwarzen Bart zufrieden auf die Brust strich. »Es sind die Barthelmeßleute, Mutter,« flüsterte Martin Opterberg über den Tisch Frau Christiane zu, die unwillig das ungezügelte Benehmen der Kinder, das großtuerische Gebaren der Erwachsenen und die Störung des Abendfriedens durch den wortreichen Lärm empfand. »Was für Barthelmeßleute?« fragte sie knapp. »Der Kirchenbauer und Bildhauer, Mutter, der bei uns daheim in den Waldstädten die Wiederherstellungsarbeiten in den alten Kirchen verrichtet, in Säckingen, glaub’ ich, und Rheinfelden. Die Kinder kamen schon oft auf unseren Hof und liehen sich alles aus, was sie kriegen konnten: Butter und Eier und Brot, ja sogar den Werkzeugkasten.« »Richtig,« sagte Frau Christiane, »und wiedergebracht haben sie nichts und zu keiner Zeit.« Sie wollte sich erheben, um mit ihren Knaben die Schlafräume aufzusuchen, als das kleine schwarzlockige Mädchen vom anderen Tische vor ihr stand. Es knixte und sagte in geläufiger Rede: »Ich bin die Sabine Barthelmeß, und Vater läßt die Frau Opterberg mit einer schönen Empfehlung fragen, ob die Frau Opterberg Vater wohl eben hundert Franken leihen könnte.« Es war mäuschenstill am Tisch der Barthelmeß’ geworden, während die Kleine sprach. Und in die Stille hinein antwortete Frau Christiane lustig, als handele es sich um einen Kinderscherz: »Ich kann dir leider nur noch ein Kätzchen leihen.« »Ein Kätzchen?« wiederholte die Kleine verblüfft. »Weshalb denn ein Kätzchen?« »Weil ein Kätzchen, wenn’s einem ausgeborgt wird, von ganz alleine wieder nach Hause kommt. Gute Nacht, mein Kindchen.« Das Mädchen warf einen hilfesuchenden Blick hinter sich. Und schon stand, bevor Frau Christiane mit ihren Knaben das Zimmer verlassen konnte, der gewaltige Herr mit einem freundlichen Lächeln vor ihr. »Verzeihen Sie, meine gnädige Frau, die ländlich unbekümmerte Art, mit der ich in dieser Bergwelt mein Töchterlein zu Ihnen sandte. Die Beziehungen, die meine Kinder seit geraumem zum Opterbergschen Haus und Hof unterhalten haben, dünkten mich stark genug -- Verzeihung, Professor Barthelmeß ist mein Name. Tja, und da habe ich mich wahrhaftig auf der Reise verrechnet gehabt und darf Ihnen wohl die hundert Franken in nächster Woche nachbarlich zurückerstatten.« Das Körperliche des Sprechers erdrückte fast. Aber Frau Christiane ließ sich nicht erdrücken. »Ich pflege,« entgegnete sie freundlich und neigte zur Gegenbegrüßung leicht das Haupt, »wenn ich mit den Kindern eine Bergfahrt unternehme, nur das allernotwendigste an Geld mit mir zu führen. Damit sich die Kinder den einfachen Lebensbedingungen des Gebirgslebens anpassen lernen und damit wir auf unseren einsamen Pfaden keine Gelegenheit bieten, ausgeplündert zu werden. Aber der Gasthofhalter ist mir bekannt, und ich werde ihm gern ein Wörtlein sagen.« Noch einmal neigte sie freundlich das Haupt und schritt mit ihren Knaben an dem verdutzt sich Verbeugenden vorbei aus dem lautlos gewordenen Zimmer. Im ersten Morgenlicht nahmen sie ihr Frühstück. Noch hatte keins von den Barthelmeßleuten sein Bett verlassen. Frau Christiane verständigte mit wenigen Worten den Wirt und gab ihm an, von welchen Kirchengemeinden der Waldstädte der Herr Professor Barthelmeß augenblicklich beschäftigt werde. Der Wirt lachte. »Ich kenn’ schon den Weg.« »Nun gilt’s noch einmal, ihr Buben,« feuerte Frau Christiane draußen ihre morgenfrischen Begleiter an, »und jetzt gilt’s erst aus dem Vollen. Bis morgen mittag müssen wir uns bis ins Gletschergebiet des Rheinwaldhorns durchgekämpft haben, wollen wir als rechte Bergsteiger gelten. Viertausend Fuß höher hinauf, ihr Buben. Dafür aber auch dichter heran an den lieben Gott. Und wir tauchen die Hände in die Quelle des stürmenden Hinterrheins.« »Mit der Frau Pate wird’s ein Katzensprung!« »Führ uns, Mutter!« Durch das Domletschgertal wanderten sie, durch die weiten, grünen Matten, und kraftvoll wogte ihnen der dunkle Strom entgegen, der Bergesprenger und Felsenspringer. Klosterruinen und Burgentrümmer auf ragenden Zinken und Zacken ließ er hinter sich, eine zerbrochene und schon verschollene Welt trotziger Herrengeschlechter in Panzer und Kutte. Jeder Fußbreit Bergerde, den die Wanderer betraten, sprach von Kampf und wieder Kampf, und je rauher und unzugänglicher die Bergwelt schien, um so enger nur drängten sich die blutigen Spuren der Menschen, die seit Jahrtausenden um die starren Höhen kämpften, um hinüber zu gelangen in die weichen Täler. Wohl an zwanzig Geschlechternamen schlugen an das Ohr der Knaben, und jeder Name wandelte sich ihnen zur Sage von Männern, die da starben, wie sie gelebt hatten, ob’s im Recht oder Unrecht gewesen war. »Das ist das Märchen vom Rhein,« schloß Frau Christiane eine jede ihrer Erzählungen, »und wer auf diesen Wegen dem Ursprung des Rheins nachgeht, der wird begreifen lernen, daß die Seele des Stromes kriegerisch ist, auch wenn er sich an seinen Ufern ab und an das Flötenblasen gefallen läßt.« Und die Knaben begriffen es, als sie dem lieblichen Dörflein Thusis einen Abschiedsgruß zugewinkt hatten, um in der Felsenwildnis des Schamsertales wie Staubkörner zu verschwinden. Jäh schluckte sie das Felsentor des ›Verlorenen Loches‹, und als sie sich durch den finsteren Bergtunnel hindurchgetastet hatten, standen sie erschauernd vor der grausigen Urgewalt der unbezähmten Natur und ihrer eigenen Kleinheit. »Hindurch, hindurch!« rief Frau Christiane. »Es ist der Weg des Schreckens, die ~Via mala~, aber Mut ist mehr als Schrecken, und nur die erkämpften Kronen haben Wert. Seht, durch dieses Felsenmeer hat sich der junge Rhein eine enge Gasse in die Freiheit gebissen, und so eng und so schauerlich sie ist, mutige Männer sind ihm gefolgt und haben Schritt für Schritt eine Straße an die senkrecht stürzenden Felswände geklebt, haben sterbend Spitzhacke und Mauerkelle weitergegeben, von Geschlecht zu Geschlecht, Jahrhunderte hindurch, bis der Mensch Sieger war, den Weg des Schreckens hindurch von Rongella bis Andeer, und über den Splügenpaß die Menschheitswege zueinander konnten von Norden nach Süden. Hindurch, hindurch, ihr Buben!« Da strafften sie den Leib und marschierten den schwindelnden Weg, Tausende von Fuß die steilen Felswände über sich, jäh abstürzend die Felswände unter sich, und das donnernde Brausen des wütenden Wassers irgendwo in geheimnisvoller Tiefe. Stunden hindurch marschierten sie, hoch im Unendlichen über der lichtlosen Schlucht wie ein schmaler Streifen das Himmelsblau, und vermochten nicht zu sprechen vor dem Wogen und Wallen der Gedanken. »Wir siegen,« rief Frau Christiane, als sie sich, das Grausen im Rücken, in der nächsten Morgenfrühe über die letzte Felsterrasse des Rheinwaldtales hinaufarbeiteten zur Gletscherhöhe des Rheinwaldhornes. »Gebt das Letzte her. Vor Mittag sind wir droben.« Und als die Sonne scheitelrecht stand, riß sie die Knaben mit starker Bewegung an sich. »Da seht! Da seht! Da springt der Rhein von der Mutterbrust.« Ein silbriger Faden huschte aus dem dunklen Gletscherspalt, gewann an Kraft, sammelte sich zum ersten Sprung, durchbrach das Gestein, stürmte eine kurze Strecke dahin und stürzte sich ohne Besinnen in dunkle Felsennacht, um, unsichtbar dem Auge, alle Jugendkraft zusammenzufassen zur ersten Mannestat des Kettensprengens. Und wieder beugten sich Frau Christiane und die Knaben über das spritzende Quellwasser und befeuchteten sich Stirn und Augen. »So sollt ihr jugendstürmisch springen und brausen,« sagte Frau Christiane, »und auch ab und an von der Bildfläche verschwinden, um eure Kräfte zu sammeln und als Mann hervorzutreten. Ein jedes Zeitalter des Lebens heißt es erfassen und auskosten, damit das nächste nicht unter falscher Sehnsucht leidet. Denn was das eine Zeitalter köstlich kleidet, steht dem anderen Zeitalter nicht mehr zu Gesicht.« »Mutter,« sagte Martin Opterberg, »ich wollte dich noch fragen, weshalb du zu Reichenau dem Professor Barthelmeß nicht ausgeholfen hast?« »Weil dem erwachsenen Mann und dem Vater der großen Buben der Knabenleichtsinn nicht mehr zu Gesicht stand, und weil’s immer noch nahrhaft Schwarzbrot zu erarbeiten gibt, wenn’s für Schaumwein und Forellen nimmer langt.« Am Abend saßen sie beim Posthalter zu Splügen. Frau Christiane hatte den Wirt insgeheim nach einer Depesche befragt und sie erhalten. Als sie den Inhalt gelesen hatte, kehrte sie ruhig zu den Knaben zurück. »Morgen fahren wir mit dem Postwagen die Straße zurück und gar bis Chur. In Chur nehmen wir die Eisenbahn bis zum Einfluß des Rheines in den Bodensee, und über den See, ihr Buben, sollt ihr im Dampfer, von Rorschach bis Stein am Rhein, ja bis zum Rheinfall von Schaffhausen fahren. Dann geht’s mit dem Bähnlein heim über Waldshut und Säckingen, ganz heim. Zufrieden?« Und die jubelnden Knaben spürten nicht den stillen Ernst, der um die Frauenaugen spann. -- Es war ein Sonntagabend, als Frau Christiane mit den Knaben den Zug verließ, um in die geräumige Kutsche des Gutshofes zu steigen. Sie hatten noch eine Stunde Fahrt über Land, und Frau Christiane gebot dem Knecht, der kühlen Nachtluft wegen den Landauer zu schließen. Drinnen im Wagen nahm sie die Knabenhände in die ihrigen. »Jetzt erst fahren wir heim.« »Soll ich die Nacht bei der Frau Pate bleiben?« fragte Christoph Attermann. »Du sollst jetzt immer bei uns bleiben, Christoph.« Der junge Attermann fuhr auf. Er hatte sofort begriffen. »Der Vater ist _tot_?! Er ist _tot_?!« »Es gibt keinen Tod, Christoph. Es gibt nur ein Erneuern. Dafür laß _mich_ nun Sorge tragen.« »Nein -- nein -- nein! Ich ertrag’s nicht! Ich bin ein Bettelbub geworden.« Frau Christiane ließ ihn weinen. Nach einer Weile erst begann sie ruhig zu sprechen. »Ein Bettelbub, Christoph? Das sagt der Patenbub der Frau Christiane Opterberg und der Freund des jungen Martin? Du wirst es nie wieder sagen, Christoph, wenn du mir zugehört hast. Als deine Mutter starb, wie du soeben geboren warst, stand ich bei ihr und sah ihr in die Augen, wie wir uns oft in schweren Stunden in die Augen gesehen haben. Ich hatte den acht Wochen alten Martin an der Brust und nahm dich auf und legte dich hierher an die andere Brust. Da lachte die Sterbende ganz hell, und das war ihr Letztes. Und dich nahm ich mit ins Gutshaus, und an dieser Brust hat der Martin und an dieser hast du gelegen, und ihr beiden habt an mir getrunken ein volles Jahr lang.« Beide Hände preßte sie unter die Brust und sah den Knaben mit leuchtenden Augen an. »Ist das ein Bettelbub, den die Frau Christiane Opterberg aus diesem Quell hat trinken lassen, bis er groß war und stark und auf den Füßen laufen konnte? Ist das bißchen Brot, das ich dir heut anbiete, mehr wert als Muttermilch? Muß ich wirklich so feierlich werden mit meinem dummen großen Jungen?« Da schrie der junge Christoph Attermann aus seiner Not heraus auf, daß es wie ein helles Lachen klang aus vergangenen Tagen. »Mutter!« rief er und fiel mit dem Kopf in ihren Schoß. Der Wagen rumpelte in den Gutshof. »Natürlich, Christoph. Die Frau Pate ist hin und vergangen. Und der Martin hat seinen Bruder. Helft eurer Mutter zur Erde, ihr Buben!« 2 Ein Sonderling hatte sich das Gutshaus erbaut. Auf steilem Uferrücken stand es frank und frei über dem rauschenden Rhein, und seine weißen Mauern, nur nach der Wasserseite vom Grün des Reblaubs umrankt, winkten in weite Ferne. Der kleine Giebelturm, mit Fenstern nach jeder Windrichtung verkleidet, hielt wie ein Dachreiter Ausschau über den Strom hinüber in das nahe uralte schweizerische Städtchen und in die anrückende Bergwelt, die sich in unabsehbaren Linien übereinandertürmte und in abenteuerlichen Gebilden das Gesichtsfeld beschloß, und diesseits des Stromes über die weiten, von Obstbäumen bestandenen Wiesenflächen und die fetten Ackerspreiten des badischen Landes bis zu den tannendunklen Höhen des Schwarzwaldes. Eher ein ruhsames Landhaus denn ein arbeitsames Gutshaus dünkte das freie Anwesen dem Blicke, und der in Stufen abfallende Garten mit seiner Fülle von seltenem Gesträuch und erlesenem Obst, der kühn den Fels hinab bis zu dem plätschernden Uferwasser kletterte, schien ebenso eher aus verfeinertem Behagen als aus ländlichen Notwendigkeiten geboren zu sein. Auf die Landwirtschaft wiesen in geräumigem Abstand nur die gutgehaltenen Wirtschaftsgebäude mit ihren herabreichenden Strohdächern. Ein alter Oheim Opterberg, am Niederrhein nahe der holländischen Grenze zu Haus, hatte sich vor Jahrzehnten, auf einer Besuchsreise zu oberrheinischen Verwandten, in die Schönheit des Landes so heftig verliebt gehabt, daß er kurz entschlossen an Land, Wiesen und Äckern zusammenkaufte, was zusammenzukaufen war, und sich auf der felsigen Uferhöhe sein Hagestolzhaus errichtete, ganz und gar, wie es ihm seine Sonderlingslaune eingab. Die Hofbesitzer der Umgebung hatten dazumal wohl oft den Kopf geschüttelt über die kostspielige und unwirtschaftliche Anlage des Gutshofes. Aber den alten Opterberg hatte seine Sach’ just so, wie sie war, gefreut, ohne daß er ahnen konnte, wie sehr sie erst den einen seiner Erben just so, wie sie war, erfreuen würde. Vom Blute des alten Oheims, der nicht gern nach Nützlichkeiten fragte und rechnete, war auch in Arnold Opterberg, dem Gatten der Frau Christiane, und es war in erheblichem Maße in ihm. Der Knecht hatte schon einige Male stürmisch mit der Peitsche geknallt, und Frau Christiane war schon mit den Knaben in den erleuchteten Hausflur eingetreten, als Herr Arnold Opterberg vom Giebelzimmer die Treppe hinuntergeeilt kam. Er war ein Mann zu Anfang der Vierzig, von schlankem, ebenmäßigem Bau und breit in den Schultern. Sein Kopf zeigte einen auffallend klaren Schnitt, und aus dem sonnenbraunen, von blondem Haupthaar und weichem Barte umrahmten Gesicht blitzten die blauen Augen um so heller und feuriger hervor. »Willkommen, ihr Weltreisenden, willkommen!« und seine Stimme drang wie ein warmer Strom in die Herzen und überwältigte sie, ohne sie lange zu befragen. »Ihr seid mir die rechten Pfingstwöchner, ihr! Bis zur allerletzten Neige den Ferienbecher auszutrinken, ob der Gatte und Vater daheim verhungert und verdurstet!« Und schon wiegte er Frau Christiane, während er sprach, in seinen Armen hin und her. »Du bist nicht verdurstet, Arnold.« »Bin ich’s nicht, so gebührt nicht dir der Ruhm, du erzieherisches Gewissen. Aber Frau, so gib mir doch den Mund frei --« »Der Christoph Attermann ist hier und bleibt.« »Ah,« sagte der Hausherr. »Ich vergaß -- in der Wiedersehensfreude.« Und er entließ Frau Christiane aus seinen Armen und wandte sich mit ausgestreckten Händen dem blassen Jungen zu. »Christoph, lieber Kerl, das war ein harter Schlag. Aber unter den harten Schlägen wird erst das Eisen zu Stahl, und wir haben alle den Rücken herhalten müssen.« Er sah ein stilles Lächeln auf Frau Christianes Lippen, brach ab und schob ihr den Buben zu. »Laß dich nur von ihr betreuen. Sie tut’s ja nun mal nicht anders, als die Hand über uns halten.« »Ich bring’ die Buben auf ihr Zimmer, Arnold. Sie sind müde und müssen morgen zeitig zur Schule fahren. Da gilt’s noch einen Überblick tun.« Arnold Opterberg hatte mit raschem Griff seinen Sohn Martin an sich gezogen, und der Knabe drückte sich fest in des Vaters Arme. »Schade, mein Junge, ich hab’ ein paar fröhliche Gäste im Haus. Aber die Mutter wird sich nicht umstimmen lassen. War’s schön in den Bergen?« »Wunderschön …« »Morgen! Morgen!« rief Frau Christiane, winkte den Mägden, die wartend in der Küchentüre standen, und eilte mit ihnen und den Knaben die Treppen zu den Schlafkammern hinauf. »Christiane, es sind Gäste im Haus --!« rief der Hausherr hinter ihr drein. »Wo sitzt ihr? Im Giebelzimmer?« »Du hast es erraten!« »Vergiß nicht, eine Flasche Wein anzubieten, bis ich komme --« Arnold Opterberg blickte noch in die Höhe, aus der die Stimme gekommen war. Dann hörte er droben die Türen klappen. »O du Heimtückerin!« lachte er in sich hinein, »als ob du nicht längst schon wüßtest, daß wir an der zweiten sind -- an der zweiten auf jeden Kopf.« Und in frohester Stimmung stieg er die Nebentreppe wieder hinan, die in die hellerleuchtete Giebelstube führte. Blauer Zigarrendampf quoll ihm in Wolken entgegen, als er die Türe öffnete, und in den Wolken sah er zwei Gestalten eifrig sich verbeugen. »Meine allergnädigste Frau --« »Sehr verehrte Hausfrau --« Und er antwortete mit hochgestellter Stimme: »Ich freue mich, solcherlei durch und durch gediegene Männer bei meinem Manne vorzufinden.« Die Gestalten fuhren hoch. Sie griffen nach den Weinrömern und drängten dem Eintretenden entgegen. »Opterberg, Glückskind, sie war es noch nicht, die Hüterin deines Herdfeuers? Die Schützerin deiner Tugend? Die Bewahrerin deines Weinkellers? Wir haben noch eine Galgenfrist und dürfen sie nutzen? ~Carpe diem!~ Nutze den Tag und sein lieblichstes Teil, die Nacht!« Und als die geleerten Römer schon wieder auf der Tischplatte des Einschenkens harrten, zerrte der eine der Gäste am Achselband eine alte Gitarre nach vorn, griff in die Saiten und sang: »Ich hab’ mein Sach’ auf nichts gestellt; juchhe! Drum ist so wohl mir auf der Welt; juchhe!« und der andere fiel ein und hob dem Hausherrn das gefüllte Glas entgegen: »Und wer will mein Kamerade sein, Der stoße mit an, der stimme mit ein Bei dieser Neige Wein!« Arnold Opterberg stieß mit an und stimmte mit ein. Und zum Gitarrenschlag sangen sie von dem Wein, der auf den Höhen wächst, und von den Mädchen, die im Tale wachsen, und immer wieder unterbrach Arnold Opterberg den Gesang und fragte nach dieser und jener, nach der dritten und der vierten, und vernahm in erregtem Staunen, daß sie den untern Weg gegangen seien, einen Mann geheiratet und Kinder gekriegt hätten -- o so viele Kinder. »Aber laß dich das nicht anfechten, Bruderherz. Unser geliebtes Düsseldorf ist von unerschöpflicher Fruchtbarkeit, und die schönen Mädchen drängen sich jahraus, jahrein lieblicher in die Schnürbrust, allen Malersleuten eine Augenweide. Und sie suchen nach dir und fragen nach dir, vom Ratinger Tor bis zu den verschwiegenen Waldwinkeln Gerresheims: Wo steckt der Arnold Opterberg, der mit dem Rubenskopf und dem Rubensfeuer? Wer sagt uns Verlassenen und Frierenden, wo der heiße Sonnengott Düsseldorfs hingeraten ist?« »Schwindelt nicht. Vor fünfzehn Jahren lagen sie noch in den Windeln.« »In den Windeln? Du bist verbauert, Opterberg. Solche Mädchen liegen niemals in den Windeln. Sie entspringen ihren Müttern, die sich nach dir gesehnt haben, wie Liebesgedanken, wie --« »Schweigt. Ich schenke euch auch ohnedies ein. Ja, schön war es, schön war es.« »Schön? War es? Es _ist_ schön, Opterberg, und wird alle Tage schöner! Sobald uns die ersten, schüchternen Lorbeerblättlein hinter den Ohren hervorwuchsen -- und sie wuchsen, Opterberg, zu ganzen Kränzen wuchsen sie, und all die lieben weißen Händchen steckten Rosen hinein. Rosen über Rosen. Erst dann ist der Lorbeer schön.« »Habt ihr davon geerntet?« fragte der Hausherr zweifelnd. »Es muß bei Nacht gewesen sein, denn ihr stahlt dem lieben Herrgott den Tag.« Ein Ton des Bedauerns ging von den Gästen aus. »So weit also ist es mit dir gekommen, Opterberg, daß du meinst, der Pinselstiel müsse Schwielen in den Händen hinterlassen? Wollen wir uns den Professorentitel an den Leib arbeiten und als Lichter auf dem Leuchter stehen, damit alle Welt uns erkennt und uns mit ihrer Hochachtung die tausend kleinen und großen Freuden unseres Lebens verkümmert? O du Abtrünniger, der klingende Erfolg, der kommt mit Naturnotwendigkeit wie der Blitz, wenn die Luft am dicksten ist. Gott verläßt keinen Maler. Und wenn’s dann in Strömen gießt, stellen wir unsere Regentonne hinaus.« Arnold Opterberg reckte den Arm über den Tisch. Er griff nach dem Glas. »Düsseldorf soll leben!« und das Wort verschlug ihm fast die Stimme. »Soll leben, soll leben!« jubilierten die Gäste. »Wer es nur immer in solchem Weine leben lassen könnte. Opterberg, Opterberg, wären wir du, wir schmissen die Hacke stieloben auf den Kartoffelacker, versilberten den ganzen Kram und kauften uns einen Malerhut. Denke, wie wonnesam es schon mit leerem Geldbeutel war, denke, wie unaussprechlich schön es erst mit einem straffen Beutel voll Zechinen werden wird. Freundesarme, Mädchenherzen, alles öffnet sich dir entgegen -- und die Kunst hat dich wieder.« »Eure Kunst -- das Leben als einen einzigen Karneval zu nehmen.« »War es nicht auch die deine? Hast du sie nicht mit solcher Meisterschaft betrieben, daß wir anderen armselige Stümper neben dir waren? Liefen dir nicht die Mädchen in hellen Haufen zu, und schlugen sich nicht die Wirte darum, dir ankreiden zu dürfen? Ach, Opterberg, dieses ›König Wikking sein‹ auf allen Meeren des Lebens, immer den Enterhaken in der Hand. Segel in Sicht, Kapitän, backbord voran! Stolze Fregatte oder niedliche Brigg? Einerlei! Alle Segel hoch! Drauf und dran! Und dann das Lösegeld --« »Wenn ihr nur,« lachte Arnold Opterberg fliegenden Atems, »mit dem Pinsel halbwegs so malen könntet wie mit dem Maule! Aber malt nur weiter! Malt alle Regenbogenfarben in die Luft! Es behagt mir schon, es behagt mir, und morgen sind sie mit dem Wein verdunstet.« »Nein, Opterberg, sie sind echt, so echt wie wir selber, und mehr kann kein Mensch von sich und seinem guten Stern verlangen, als sich die Dinge in den persönlichsten Sehwinkel rücken zu dürfen. Hat das Leben eine Berechtigung, uns wie Narren zu behandeln? Oho, umgekehrt wird ein Schuh draus. Wir packen den Gaul beim Kopfe und sitzen kopfüber auf. Mag er rennen, wir reiten! Wohin ist einerlei. In die Freiheit geht’s immer, in die Freiheit und die Freude. Und du, Opterberg, was tust du? Es hat den hohen Herrn in einer Laune gelüstet, eine andere Maske vorzubinden, als biederer Landmann die Dunggabel zu schultern und die Felder zu bestellen und am Feierabend Weib und Kind und Ingesind das tägliche Brot vorzuschneiden. Menschlein, Menschlein, man hat dich falsch beraten, die Maske steht dir nicht, der Löwe ist ein Fleischfresser und kein Körnerbeißer, das sagte dir schon der selige Brehm. ~Quousque tandem, Catilina?~ In der Vollkraft der Jahre -- wach auf und erkenne dich selbst!« In dem rotbraunen Gesichte Opterbergs blitzten die Augen wie helle, heiße Flammen. Die Ellenbogen aufgestemmt, saß er und lauschte. Vor ihm gaukelten die Bilder der Erinnerung. Eine lange, lange Kette. Eine Kette --? Ein Rosengewinde war’s. Ein Rosengewinde. Die Kette kam später. Nein, doch nicht. Was war’s denn? Farbe bekennen, Farbe. »Alles gut, alles gut,« rief er in den Stimmenschwall. »Aber von der Hauptsache redet ihr nicht. Talent muß der Künstler haben, Talent, wenn er schon die übrige Welt als Kegelschub behandeln will. Oder besser noch: Genie! Ich hab’s nicht. Nicht das eine und nicht das andere. Ja, wenn ich es hätte, wenn ich es hätte …« Die Gäste wehrten ihm sprachlos mit den Händen. Offenen Mundes sahen sie ihn an, wie man einen Kranken, einen Verstörten anzusehen pflegt. Dann redeten sie wirr durcheinander. »Du kein Talent? Weil du bisher keinen Gebrauch davon machtest? Weil du in aller Ruhe das Weltbild in dir reifen ließest, statt dich als Wunderknabe zu verzetteln? Weil du die seligsten Jahre in dich hineintrankst, um zunächst einmal die eigene Seele aufzufüllen, bevor du dich an die Auffüllung der anderen Seelen heranmachtest? Wer war wertvoller, du oder das Philistergehumpel? Du kein Talent? Hast du denn überhaupt schon mal in den Spiegel geschaut? Herr Gott noch, mit solchem Kopf, und mit solchen Augen erst, malt man sich schon das Glück aller Erdteile auf der Leinwand der Welt zusammen, ohne auch nur einen Groschen für eine Farbentube zu verschwenden.« »Unsinn redet ihr, Unsinn!« »Weshalb hörst du denn unserem Unsinn zu mit Augen wie ein kreisender Habicht? Weil du spürst, daß das, was für einen Schafbock Sinn bedeutet, für einen Steppenhengst den unverfälschtesten Unsinn darstellen würde. Weil du die Frühlingsluft witterst und die Luft der Freiheit, die einzige Luft, die Menschen deines Schlages zuträglich ist. Opterberg, uns hat in diesem schönsten aller Frühlinge dein guter Geist hergesandt. Ermanne dich, und wär’s nur zu einer Probe aufs Exempel. Heraus aus der Maskerade. Heraus aus dem Bauernkittel, und in die Wanderstiefel hinein. Schließ dich uns an, Bruderherz, zu dritt über die Pässe, fahr wohl, züchtig vernebeltes Nordland, gegrüßt, du paradiesisch seliges Land Italia! Opterberg, Opterberg, zehn Eide gegen einen: die Kartoffeln wachsen hierzuland auch ohne dich, und deine fürtreffliche Hausfrau wird feierlich zum Reichsverweser und noch feierlicher zum Reichsschatzkanzler ernannt.« »Grüß Gott, ihr Herren, grüß Gott! Ja, aber -- wie ist mir dann? Schaut Arnold Opterbergs Eheliebste gar so grauslich aus wie ein herbes Erdenweib, daß es Sie aus allen Himmeln reißt?« Mitten im Giebelzimmer stand Frau Christiane, das strohgelbe Haar in breiten Flechten um den Kopf gewunden, und lachte aus ihren klaren, blauen Augen den Männern lustig ins Antlitz. Noch immer hockten die fremden Gäste wie verschlagen auf ihren Plätzen und starrten dies Bild der Frauenkraft und Frauenfröhlichkeit an. »Mann,« sagte Frau Christiane und fuhr Arnold Opterberg schmeichelnd durchs Haar, »willst du mir nicht deine Freunde mit Namen nennen? Oder muß man berühmte Künstler gleich nach dem Gesicht erkennen? Dann bitt’ ich zu entschuldigen.« Arnold Opterberg hatte sich hastig erhoben. »Die Herren Kunstmaler Baltes und Krönlein,« stellte er mit einer kurzen Handbewegung vor, und sein Blick glitt ein wenig mißtrauisch über Frau Christianes fröhliche Züge. Nun waren auch die Gäste aufgefahren, dienerten und stolperten ein paar Worte hervor, und Frau Christiane sah lächelnd ihren Mann an, trat auf sie zu und reichte ihnen die Hand. ›Wie zwei Zitterespen neben einem blühenden Lindenbaum‹, fuhr es Arnold Opterberg durchs Hirn. ›Weshalb mußten die hageren Gesellen eine so schlechte Figur machen?‹ Dann horchte er auf. »Ich wollt’ Sie in Ihren übermütigen Künstlerspäßen gewiß nicht stören,« sagte Frau Christiane, »aber wie ich so die ganze Zeit vor der Türe saß und mich über Ihren Mutwillen immer mehr noch verlustierte, da stieg mir mit einemmal das Vergnügtsein von unten herauf so unbändig in die Kehle, daß es mich fast verraten hätt’, und so bin ich schleunigst aufgesprungen und eingetreten. Das heißt: wenn Sie mich hierbehalten mögen. Eine Spielverderberin bin ich nimmer.« »Ihr beiden!« donnerte Arnold Opterberg seine Gäste an. »So macht doch wenigstens nicht so erschreckend geistvolle Gesichter! Heraus mit eurem Flederwisch! Sagt euer Sprüchlein noch einmal auf!« Die Maler hatten sich wiedergefunden. Sie schwenkten ihre Taschentücher aus den Röcken und wischten sich mit den Tüchern die Augen, als ob sie Lachtränen entfernen müßten. »Sie haben Geist, gnädigste Hausfrau, und Sie haben die Güte des Geistes, den Humor. Wahrhaftig? Alles haben Sie mit angehört? Alles? Und sich augenblicklich gesagt: Da spricht der Wein aus Männerkehlen?« »Ich hab’ mir noch mehr gesagt,« lachte Frau Christiane sie an. »Ich hab’ mir gesagt: Da hat der Arnold als richtiges Mannsbild den Gästen nur zu trinken gegeben und nicht zu essen. Kein Wunder, daß die Gedanken Kobolz schießen müssen, wenn ein handfest Abendbrot ihnen nicht die notwendige Erdenschwere gibt. Wir wollen’s nachholen, meine Herren, aber nicht hier im blauen Zigarrenrauch und Geisterqualm, sondern drunten im frischen, weißen Eßzimmer.« Ohne eine Widerrede zu beachten, nahm sie des einen Gastes Arm und schritt mit ihm die Treppe hinab, plaudernd und fragend. Und Arnold Opterberg bot mit einer tiefen Verneigung dem anderen Gast den Arm, grinste ihn an und führte ihn zur Treppe. -- Das kräftige ländliche Mahl mundete ausgezeichnet. Auch hatte Frau Christiane einen vortrefflichen, goldgelben Badnerwein heraufholen lassen und kargte nicht mit Zugießen. Aber die Kosten der Unterhaltung hatte sie dennoch fast allein zu tragen, denn die Gäste fühlten, daß sie sich in der blitzblanken Sauberkeit des Raumes und vor der blitzblanken Sauberkeit des Frauengeistes um ein erhebliches fragwürdiger vorkamen als in der durchräucherten Trinkstube und dem zügelfreien Großsprechertum. Neben der Leibesfrische Frau Christianes erschienen sie ungepflegt, und wenn auch der abgewetzte Anzug bei einem Studienfahrer angebracht oder doch zu entschuldigen war, so durften die vielerlei Flecke, Wein- und Tabakspuren doch immerhin fehlen. Das sagten sich die Gäste je länger, je mehr, und sie warfen nur heimlich aus den Augenwinkeln stumme und bewundernde Blicke auf die munter plaudernde Hausfrau. Als ein Stündlein später Frau Christiane die Tafel aufhob, meinte sie freundlich: »Sie bleiben natürlich über Nacht. Ein Gasthaus gibt’s nicht in der Nähe. Aber früh aufstehen müssen Sie. Auf dem Lande beginnt der Tag mit der Sonne.« »Wer so glücklich wäre, gnädigste Frau, auf dem Lande zu leben.« »O, da hätt’ ich einen Vorschlag. Bleiben Sie ein paar Tag’ und helfen Sie uns aus. Dadurch, daß ich mit meinen Buben die Bergfahrt hab’ machen müssen, ist noch ein gut Teil Land mit Spätkartoffeln zu bestellen geblieben. Freie Herberg und Verpflegung, Wein und Tabak hinzu; und für drei Tage Arbeit den Rest der Woche zum Studienmalen. Lockt’s?« »Es lockt, gnädigste Gutsherrin, oh es lockt …« -- Frau Christiane befand sich mit ihrem Manne in dem großen Schlafgemach. Sie stand mit aufgelöstem Haar in Hemd und weißgefaltetem Rock, badete sich im eiskalten Wasser Gesicht, Brust und Hände und begann das Haar zu bürsten und neu einzuflechten. Arnold Opterberg ging mit unruhigen Schritten hinter ihrem Stuhle auf und ab. Plötzlich blieb er stehen. »Du hast also wahr und wahrhaftig vor der Türe -- zugehört, Christel?« »Wahr und wahrhaftig, Arnold. Du könntest auch horchen sagen.« »Weshalb kamst du denn nicht herein? Wäre das nicht passender gewesen?« »Es ging nicht, Arnold. Siehst du, vor der Tür, da konnt’ ich mir noch einbilden, ich säße im Theater und hört’ mir einen tollen Schwank an. Wäre ich aber eingetreten, so hätt’ ich mitspielen müssen, und dazu waren mir schon zwei Clowns zu viel da.« Er lachte kurz und belustigt. »Ein Körnchen Wahrheit war trotzdem in ihren Reden,« begann er von neuem. Sie wandte sich halb nach ihm und streckte mit einer stillen und zärtlichen Bewegung den Arm nach seiner Schulter. »Du hast in dem Wirrwarr des Giebelstübchens vorhin ein hübsches Wort gesagt, Arnold. Als du von den vorgezauberten Regenbogenfarben sprachst. ›Morgen sind sie mit dem Wein verdunstet.‹ Weißt du, so wollen wir uns beim Morgenlicht auch nach dem Körnchen Wahrheit umsehen. Aber ein anderes, bevor wir schlafen gehen. Was war’s mit dem Schmid Attermann?« »Er ist von der Klinik weg und bei Breisach in den Rhein, wie ich es dir nach Splügen drahtete. Er wollte, als er erfahren hat, daß er unheilbar sei, seine paar Ersparnisse lieber seinem Jungen hinterlassen als sie verdoktern. Bei Kehl erst hat man die Leiche herausgefischt und gleich eingegraben.« »Er trug wohl seine Brieftasche bei sich, daß man seine arme Person gleich vermocht’ festzustellen?« »In ein Stück undurchlässiges Leinen gewickelt, daß das Wasser nicht herankonnte. Er hat an alles gedacht. Auch an einen Zettel, worin er dich und mich mit der Vormundschaft betraut.« »Er soll sich in seinem Zutrauen nicht geirrt haben, der Ärmste.« Sie erhob sich und umhalste ihren Mann. »Der Christoph ist nun unser Sohn und bleibt. Gelt, du? Und -- gute Nacht.« -- Es war sechs Uhr morgens, als die beiden Knaben zur nächsten Bahnhaltestelle abmarschierten, um mit dem Frühzuge die Gymnasialstadt zu erreichen. Frau Christiane stand auf dem Hof inmitten ihres Federviehs und winkte ihnen nach. Just kam der Hausherr aus der Stallung herübergeschritten. »Der Franzel hätt’ sie auch mit dem Wagen hinfahren können, Christiane.« »Wär’s nicht verkehrt gewesen, Arnold? Das gemächliche Wagenfahren schafft den Buben keine richtigen Muskeln, wohl aber ein falsch Bewußtsein. Und den Franzel hab’ ich überdies zum Kartoffelsetzen nötig wie alle Händ’.« Sie hielt überrascht inne. »Ei, da hab’ ich aber einmal voreilig von den Menschen Böses gedacht. Da kommen ja schon deine Malersleut’ aus dem Haus und melden sich zur Arbeit. Hierher! Hierher! Grüß Gott! Das nenne ich ein pünktlich Manneswort.« Die Gäste kamen heran, den Hut in der Hand. »Meine gnädigste Hausfrau, wie gern, wie gern wäre ich Ihrem Rufe gefolgt. Aber beim ersten Morgendämmern erhielt ich ein dringliches Telegramm, das mich zu wichtigen künstlerischen Verhandlungen hinüber nach der Schweiz beruft.« »Und da mein Freund,« fuhr der zweite fort, »ein Kind in geschäftlichen Dingen ist, so muß ich wohl oder übel an seiner Seite bleiben. Ich bin Ihrer Zustimmung sicher.« Frau Christiane stutzte nur einen Augenblick. Das nächstgelegene Telegraphenamt begann erst um sieben Uhr früh seinen Austragedienst, und jetzt war es sechs Uhr morgens. Der leichte Ärger aber, sie gerade töricht genug für solchen Hokuspokus zu halten, verflog, wie er gekommen war. »Mein Gott,« sagte sie und reichte den Reisenden lachend die Hand, »da schaut man erst, was für berühmte Herren man beherbergt hat, für die eigenst die Telegraphenboten vor der Dienstzeit laufen. Also glückliche Reise dann und ein freundlich Erinnern.« Arnold Opterberg gab den Freunden bis zur Landstraße das Geleit. Frau Christiane sah ihn, während er neben ihnen einherschritt, mit der Reitgerte den Stiefelschaft schlagen. Da wußte sie, daß er grimmig war und die Düsseldorfer keine Lieblichkeiten zu hören erhielten. -- Fleißig wurde die Woche geschafft. Arnold Opterberg war mit den Knechten auf den Feldern, und er legte selbst Hand an, wo es nottat, ja er schaffte bisweilen über Gebühr, als wolle er von einem Gedanken los oder ihn betäuben, und kam zum Feierabend dampfend und rotgebrannt, aber mit unruhigen Augen ins Haus. Frau Christiane, die mit den Mägden die Gemüsegärten bestellte und die Milchkammer versah, merkte seine Unrast wohl, und bemerkte nicht minder, daß er nach überheißem Tagewerk im Hause heimlich in den alten Truhen stöberte, Mappen und Leinwandrollen heraussuchte und sie in seine Giebelstube verbrachte. In der zweiten Hälfte der Woche wich sein Arbeitsübereifer einer gereizten Arbeitsunlust. Wohl ging er in der Morgenfrühe mit den Knechten hinaus und wies ihnen ihre Aufgaben. Er selbst aber warf sich auf irgendeinem Hügel unter einem blühenden Baume ins Gras und starrte in die blauenden Fernen, wo Himmel und Erde geheimnisvoll lockend ineinanderflossen. Wie ein bebender Rausch lag der Frühling über der Welt und bebte in Arnold Opterbergs Blut. Es war Abend, und das Sonnenlicht wollte nicht weichen von der blühenden, duftenden Erde. Frau Christiane hatte ihren Gatten früher als sonst zum Giebelzimmer hinaufsteigen sehen, und nach einer Weile folgte sie ihm nach. Sie fand ihn über den Studien und Entwürfen seiner längst vergangenen Malerzeit. »Hältst du Heerschau ab, Arnold? Der Abend ist so weich wie eine Jugenderinnerung. Laß mich teilhaben.« »Ich habe die Seite meiner Jugenderinnerungen vorzeitig abgeschlossen und befinde mich seitdem im Zustande der Zahlungsunfähigkeit. Warum, Christiane, warum?« Sie war neben ihn getreten, und während sie mit ihm auf die farbenbunten Studien und Entwürfe blickte, hatte sie den Kopf kaum merkbar an seinen Arm gelehnt. »Vorzeitig abgeschlossen?« wiederholte sie. »Ich glaube gar, mein alter Arnold ist eitel geworden und will von seiner Frau Schmeicheleien hören. O du liebes Menschenkind, du warst bei aller Wildheit immer die ehrlichste Natur und weißt deshalb gar wohl, daß du dein vollgerüttelt Maß an Jugenderinnerungen in die Scheuer gebracht hast, mehr als ein Dutzend anderer Männer insgesamt.« »Du lenkst ab, Christiane,« sagte Arnold Opterberg rauh. »Was ist mir an dem Rudel toller Häsinnen gelegen, die mir über den Weg sprangen. Wollt’ ich darauf mein Augenmerk richten, ich könnt’ sie heut wie damals springen sehen. Ich meine die Jugenderinnerungen des Künstlers.« »Nenn sie mir, Arnold.« »Nennen. Nennen. Dafür gibt’s keine Worte. Das muß man fühlen. Kannst du das Gefühl der Freiheit, der unbedingten Selbstbestimmung über Raum und Zeit in Worte fassen? Das einzige, was den Menschen zum Herrn der Schöpfung macht? Ich habe es mir in einem Augenblick der Kopflosigkeit eingehandelt gegen eine fette Pfründe und laufe seitdem mit hunderttausend anderen Weidetieren im Kreis rundum auf derselben Wiese, statt mit einem Juchhei drüber hinwegzuziehen.« Ihr Kopf zitterte ein wenig an seinem Arm. Dann war sie wieder die ruhige Frau Christiane. »Auch die Weidetiere haben ihren Zweck und Nutzen im Haushalt Gottes, Arnold, sicherlich einen größeren als der Kuckuck, der nur den Frühling ausruft und sich vor der Arbeit verflüchtigt, oder der Wanderfalke, der nur zur guten Jagd durchs Revier streicht. Werde nicht unwillig, Arnold, es ist ja nicht das erstemal, daß wir unsere Gedanken aufklären müssen, wenn ich auch nach den letzten Jahren glauben durft’, wir wären aus dem Sturm und Drang hinaus und in einer klaren Sonnenluft. Siehst du, wenn ich nun solche Leut’ wie unsere letzten Sonntagsgäste von der Freiheit der Kunst reden höre, so mein’ ich halt immer, sie schlügen wie der Fuchs einen Staubwirbel mit dem Schweif, um von der Fährte abzulenken, und riefen ›Kunst‹ und meinten die Freiheit des Lebenswandels. Ach, Arnold, wie viele laufen hinzu, um sich einmal so recht von der Leine aller Pflichten zu lösen, ob sie berufen sind oder nicht berufen.« »Und ich war, wenn ich deine Schlußfolgerung vollende, nicht berufen.« Sie hob den Kopf und sah ihm lächelnd in die blitzenden Augen. »Du warst zur Betätigung der Freiheit berufen, du Krafthuber du. Sind die großen Künstler frei? Sie wandern unter dem Kreuz ihrer Aufgaben, das mit der Länge des Weges und der Höhe des Ruhmes schwerer und schwerer wird, oder unter der Peitsche ihres Ehrgeizes, der freudeblind und neidisch macht und zum Knecht des Erfolges. Du hättest zu den ersten nicht getaugt und noch weniger zu den letzten, und für die vielzuvielen erst, die die Kunst nur als Vorwand zum stromern, bechern und borgen nehmen, dazu warst du weiß Gott zu schade.« Arnold Opterberg wandte hastig den Kopf, aber sie legte ihm die Hände um die Schläfen und zwang ihn sacht, sie wieder anzusehen. »Darum, Arnold, darum, weil du ein Freiheitsmensch bist, gehörst du in die Sonne, in Sturm und Wetter hinaus und als Herr auf deine eigene Scholle --« »Um meinen Kartoffelacker zu bauen. Ein begeisternd Ding.« »Ach, Arnold, wie mich dies Wort freut, denn es ist nicht von dir, sondern von den beiden Arbeitsscheuen, die Reißaus nahmen, als sie die Hände rühren sollten.« »Christiane,« verwies Arnold Opterberg rauh, »sie haben dich um keinen Pfennig angeborgt. Darum hast du keinen Grund, ihre glückliche Lebensart zu schmähen.« »Es ist wahr,« gestand sie freimütig zu, »sie haben sich in ihrer Art nicht schlecht aufgeführt. Aber sie leben von der Hand in den Mund, lassen den Herrgott und den Zufall für sich sorgen und stellen die Regentonnen heraus, wenn’s Kleingeld regnet. War’s nicht so? Nein, Arnold, du bist ja viel stolzer, als du zugestehst, und es macht dir nur zeitweilig Spaß, unter den Hofnarren den König zu spielen. Spiel ihn, und im übrigen wollen wir unserem Geschick dankbar sein.« »Dem Geschicke in der Person des Oheims Opterberg.« Sie löste sich unmerkbar von ihm und blickte wieder auf die farbenbunten Studien und Entwürfe. »Der Oheim Opterberg,« sagte sie leise und ruhig, »schenkte mit seinem Tode und seinem Erbe dir die Rettung und mir das Glück in meinem Pflichtenkreis. Glaubst du dich im Glück verkürzt, so war es meine Schuld und nicht seine.« »Christiane!« »Laß es mich nur zu Ende reden. Du warst der Sohn seines Bruders, und ich die Tochter seines Vetters. Auch mein Vater war ein Opterberg vom Niederrhein, und er heiratete eine süddeutsche Frau und war seit langem im badischen Oberland angesiedelt, als er dem Oheim Opterberg Gastfreundschaft gewähren durfte. Uns beide, dich und mich, hatte der Oheim zu Gesamterben eingesetzt. Mich, weil er mich als Landwirtin kennen gelernt hatte. Dich, weil auch du auf einem Gutshof aufgewachsen seiest und der Erblasser, so heißt es im Testament, von deiner Begabung für die Landwirtschaft mehr halte als von deiner Liebe für das Malerleben. Ich fuhr zu dir nach Düsseldorf, um dir trotzdem die Auszahlung deines Teiles anzubieten --« »Und ich nahm das Ganze. Mit totem und lebendem Inventarium. Und das handfeste, flachsblonde Mädel dazu, ob es wollte oder nicht. Komm her, Christiane, gib mir einen Kuß. Ich habe das Frühlingsfieber und einen wilden Hunger dazu. Ruf die Buben zum Abendbrot.« -- Noch war der Druck nicht aus der Luft, so sehr sich auch Arnold Opterberg Mühe gab, sich zu verstellen. Wieder und wieder kam er im Gespräch auf die beiden lustigen Kumpane zurück, die nun als Freiherren das Land Italien durchzögen, das Geld verachteten und im Anblick der Kunst erschauerten trotz ihrer fleckigen Röcke und ihrer Bänkelsängergitarre. Am Sonnabend kam ein Knecht, der im großen Gasthof des nahen Schweizerstädtchens für Frau Christiane eine Lieferung zu machen gehabt hatte, und er erzählte seiner Auftraggeberin einen Schnurren von zwei Malern, die drüben im Gasthof Schlag neun Uhr abends auf die Bühn’ träten und zum Gaudi der Gäst’ nix als Unfug trieben. Und es wären die letzten Sonntagsgäst’ des Herrn Opterberg gewesen. Er hätt’ sie im Wirtszimmer hinter dem Krügel erkannt. Da lachte Frau Christiane in sich hinein, gebot dem Knecht, gegen den Herrn zu schweigen, und war guter Dinge. Als die Buben aus der Gymnasialstadt heimgekommen waren und Arnold Opterberg unruhiger als sonst, weil der freie Sonntag nahte, zum Fenster hinausschaute und einen Marsch auf die Scheiben trommelte, meinte Frau Christiane leichthin: »Es war eine harte Woche, und es lohnte sich schon, zur Aufmunterung des Bluts ein wenig ins Schweizerische hinüberzugehen. Wär’s dir recht, Arnold? Es sollen allerhand lustige Hanswürste im Gasthof zum Adler auftreten. Die Buben könnten mit uns.« Arnold Opterberg schloß seinen Trommelmarsch mit einem Wirbel. »An die Pferde!« rief er. »Aufgesessen! Wir reiten!« Und mit langen Schritten, die Buben mit sich ziehend, eilte er ins Freie. Lustig plaudernd marschierten sie zu viert durch den Frühlingsabend den Rhein hinauf der alten hölzernen Kapellenbrücke entgegen, die über den brausenden Strom hinüber zum Schweizer Ufer führte. Die Knaben erzählten dem Vater von den Rheinquellen an den Gletscherbrüsten und berichteten wichtig von ihren großen und kleinen Bergabenteuern. »In Reichenau war auch der Professor Barthelmeß, weißt du, der Kirchenbauer und Bildner, mit Frau und Kindern, und die Mutter sollt’ die Zeche zahlen für die Fremden.« »Barthelmeß?« fragte Opterberg. »Kenn’ wohl seinen Namen. Aber du scheinst Glück zu haben mit den Künstlern, Christiane.« Sie schüttelte leicht den Kopf. »Im heutigen Deutschland lebt fast ein jed’s über seine Verhältnisse. Die Künstler werden dadurch nur um ein Mehr verleitet.« »Aber sie sollen auf ihren Stolz achten und sich nicht als Schnorranten aufführen,« schloß Arnold Opterberg. Sie saßen im Saal des Schweizer Gasthofes, und die Bürger des Städtchens bemerkten das schöne und aufrechte Paar mit den wohlgezogenen Buben in ehrlicher Freude, und es war ein achtungsvolles Grüßen von allen Seiten. Arnold Opterberg sonnte sich in dieser hohen Achtung, trank in gewinnender Haltung den angesehenen Bürgern des Städtleins zu und horchte nur zerstreut auf die ältliche Sängerin, die auf der Bühne Alpenlieder trällerte, und auf die Reden des Zauberkünstlers, der ein geehrtes Publikum um goldene Uhren bat. Dann aber fuhr er auf. »Deutsche Schnellmaler auf dem Wege nach Italien!« hatte der Mann am Klavier gerufen. Und schon tollten über die Bühne zwei hagere Gestalten, rissen sich den Hut vom Kopf, rührten Farbe darin an, zogen ein ellenlanges und zerschlissenes Sacktuch hervor, spannten es vorsichtig über einen Rahmen, und während der eine unter verzückten Sprüngen zu malen begann, schob der andere langsam die Nase durch die Kehrseite der zerschlissenen Leinwand, schob Stirn und Augen nach, die Ohren und das stoppelige Kinn, bis das ganze Angesicht ernst und würdevoll aus der Leinwand blickte wie ein frisch gemaltes Ölbildnis. Breit fuhr der Maler mit dem Firnispinsel über das ganze Bild. Es zuckte nicht mit der Wimper. Und unter dem tobenden Gelächter des Publikums legte der Maler einen Rahmen um das Bild, trat seitwärts, wies mit der Linken erhaben auf sein Werk, mit der Rechten untertänig auf sein Herz und nahm dankend einen Schoppen Wein aus dem Zuschauerraum entgegen. Da rollten des Bildnisses Augen, da verzerrte sich sein Mund, da streckte es heischend die Zunge -- und das Bildnis begann zu reden und verlangte in sprudelndem Zorn seinen Anteil, bis ihm die Neige des Weines beruhigend in die Kehle floß. Bevor der Spaß zu Ende war, hatte sich Arnold Opterberg erhoben und mit den Seinen den Saal verlassen. »Deutsche Schnellmaler auf dem Wege nach Italien!« klang ihm die Stimme des Ausrufers noch in den Ohren, als schon die Planken der Rheinbrücke unter seinen Füßen krachten. Diese Großredner der Kunst! Diese Herrgottstagediebe! Für einen Schoppen Wein und ein paar Frankenstücke zogen sie den deutschen Künstlernamen durch den Schweizer Dreck und sich selber durch die Spottmäuler der Spießbürgergesellschaft, die noch die Wäsche von der Leine nahm, wenn Künstler und andere Vagabunden des Weges kamen. Und doch nur ein Spaß, aus ungebändigter Malerlaune geboren. Nichts da! Die Kerle waren über die vierzig alt und hatten sich zu bändigen, wenn sie ins Ausland kamen. Der deutsche Name war doch wohl eine Messe mehr wert als die Malerlaune der Baltes und Krönlein. »Vater,« sagte neben ihm Martin Opterberg, »die Leut’ im Saal haben die Deutschen arg verspottet.« Himmelherrgott, da empfand es der Bub auch schon. Arnold Opterberg ging in großen Schritten. War er doch so weit über das Possenreißen hinausgewachsen an Frau Christianes Seite, daß er die tötende Lächerlichkeit fühlte? Er zog den Arm Christianes in den seinen und schritt wortlos mit Frau und Buben heim. 3 Die Jahre wurden nicht leichter für Frau Christiane Opterberg, ob sie auch schneller dahinliefen in der täglich sich mehrenden Fürsorge um Leibes- und Seelenwohl der aufschießenden Knaben. Unbemerkt zwar waren die einstigen Anfängerarbeiten Arnold Opterbergs wieder in den Truhen verschwunden, und nie hatte des Hausherrn Hand sie wieder ans Licht gezogen. Aber ein anderes war geblieben und hatte sich in der Giebelstube eingenistet, und da es kein Lärmen machte und den Hausherrn ruhig zur Tagesarbeit freigab, so war ihm in Güte nicht beizukommen und mußte schmerzlich aber schweigend ertragen werden. Arnold Opterberg saß abends einsam bei der Weinflasche. Langsam war es angegangen. Erst bedeutete es nichts als das Hinunterspülen des Tagesstaubes und des Ärgers über das Festsitzen auf der Scholle, während draußen die Welt schöner wurde mit jedem Tag und der Duft der reifenden Felder ein Sausen ins Blut trug und ein aufbegehrend Sehnen. Als die Wandervögel schrien und die Ernte von den Äpfel- und Birnbäumen gebrochen wurde, wuchs es täglich an, und als der Herbstwind über die Stoppelfelder klagte und die Wipfel der Bäume, kahlen Besen gleich, in den Regenschauern trauften, verblieb Arnold Opterberg länger und länger im Giebelturm, saß am Fenster und starrte auf die brausenden Wasser des Rheins, der in seinem kristallgrünen Gebirgskleid wie ein rechtes Bild der unbezähmbaren Jugendkraft vorüberflog, wandte sich ab, griff zum Glase und suchte in der Ferne die geheimnisvollen Höhenzüge ab, um gedankenverloren wieder zum Glase zu greifen. Während der Winterzeit, die dem Gutsherrn auch tagsüber mehr an freien Stunden ließ, als es der Gutsherrin lieb erscheinen konnte, hockte er hoch droben neben dem knatternden Eisenofen, las von morgens bis abends in alten und neuen Abenteuerbüchern und erhob sich nur, um in den Keller zu steigen und wählerisch eine andere Flasche auszumustern. Auch diese Stimmungen waren Frau Christiane bei ihrem Gatten nicht neu, aber sie lagen doch weiter zurück in ihren ersten Ehejahren und hatten sich dazumal bis zu den maßlosen Ausbrüchen eines gänzlich unbeherrschten und nie an Zucht gewöhnten Geistes zu steigern vermocht. Das waren die Stunden gewesen, in denen Frau Christiane die lebenswarme Nähe ihrer Schaffnerin so wohltuend empfunden hatte, die Christoph Attermanns Mutter wurde und nie nachgelassen hatte, ihr auf dem ersten Dornenweg der Ehe die Hände unter die Füße zu legen. Frau Christiane vergaß nicht, wer ihr Liebes getan hatte, und wenn es auch nicht viel gewesen war und keinerlei Aufhebens davon gemacht worden war, sie besaß die seltenste Frauentugend einer Gattin und Mutter: ein tiefschwesterliches Gemüt. Und sie stellte den Dank über die Gabe. In diesen Zeiten, in denen bei Arnold Opterberg ein Rückfall eingetreten schien, verlor die mutige Frau nicht einen Augenblick den klaren Kopf. Sie hatte den Mann genommen, weil er ihr wohlgefiel in seiner Mannesschöne und seinem überschäumenden Frohgeblüt, das in ihr Arbeitsblut den heimlich ersehnten Festtagston hineinzutragen versprach, und da er der Vater ihres Martin geworden war, war die weitere Rechnung für sie gegeben. Nicht modeln, basteln und ändern wollen, wo es an ausgewachsenem Holz nichts mehr zu ändern gab, sondern helfen und halten, daß der Wipfel wohl im Winde brauste, aber nicht im Sturme brach. »Ich hab’ ihn mir gewählt,« pflegte sie sich zu sagen, wenn ein Schatten über ihre Seele wandern wollte, »und ich hatte bei solcher Wahl zu wissen, wer er war. Ich wußte, daß es ein funkelnder Stein war, mit dem sich die liebe, schwache Eitelkeit aufputzt, und darf nun statt des Glanzes kein wärmend Kaminfeuerchen erwarten. Wollte ich nachträglich wegen des Preises hadern, so dürfte füglich er sich als der Betrogene fühlen und nicht ich mich gar. Das Beste, was er mir überdies zu geben vermochte, habe ich von ihm: unseren Martin.« So ergab sie sich mit zunehmender Stärke der Freude an der Entwicklung ihres Sohnes, der der einzige geblieben war, und als sie Christoph Attermann ins Haus genommen und ihn dem Sohne zum Kameraden gegeben hatte, wußte ihre klarblickende Mutterliebe wohl, daß sie nun einen Teil des Sohnes an den Freund abzugeben hätte, aber sie fühlte sich auch an Liebeskraft reich genug, um die beiden Knaben zu einem einzigen Wesen in sich zu vereinen und nun beide zu besitzen. »Christoph Attermann«, so erwiderte sie auf eine launige Frage Arnold Opterbergs, »schenkt unserem Martin, was unserem Buben fehlt und was er im Jünglings- und Mannesalter als das verläßlichste Gut empfinden wird: Bruderliebe. Und ich schenke dem Christoph dafür, was dem Christoph fehlt und was er braucht, um Boden unter den Füßen zu bekommen: Mutterliebe. Ich denke, das ist ein Austausch, der sich in der Welt sehen lassen kann.« Und er konnte sich sehen lassen von Anbeginn an. Das feurige Roß, das Martin Opterberg zu werden verhieß, wurde von dem ruhig wägenden Christoph Attermann wie von einem getreuen Gespanngefährten zu einem geregelten Schritt angehalten, während sich hinwieder der kühlere Schlag, den Christoph Attermann darstellte, in allen Fällen, in denen es Entschlossenheit galt, von dem heißblütigeren Freund und Bruder bis zur leidenschaftlichen Tat emporreißen ließ. So befruchteten sie sich gegenseitig, halfen sich auf Schritt und Tritt mit ihren Gaben und schufen, ohne die Merkmale ihrer Persönlichkeit aufzugeben, einen Ausgleich, den Frau Christiane mit stiller Freude beobachtete und förderte. Frei ließ sie die Knaben aufwachsen, die, nun schon Sekundaner der Gymnasialstadt, kaum die geheime Zügelführung verspürten, im täglichen Leben mit der Natur ihre Natürlichkeit behielten und an den Dingen, die gegen sie rannten, ihre Kräfte wetzten und Ecken und Kanten abschliffen. Mußte sie die Buben eines allzu kecken Streiches wegen einmal bei den Ohren nehmen, so geschah es nicht, um sie zu demütigen, sondern um sie nachdrücklich auf die Forderungen der guten Sitte und eines anständigen Benehmens hinzuweisen. »Würdet ihr dulden, daß irgendwer durch seine Aufführung eure Mutter beleidigt?« »Nie!« riefen sie entsetzt und ballten die Fäuste. »So nehmt euch in Zukunft selbst bei den Ohren, wenn ihr mich lieb habt. Es ist eine Beleidigung für eine Mutter, wenn die Söhne keine gute Erziehung aufweisen und die Mutter zum Gespött der Leute machen, als besäß’ sie selber keine.« »Mutter,« brauste Martin Opterberg auf, »welcher Schmutzmichel hat das gewagt?« »Mutter,« stieß Christoph Attermann hervor, »wir prügeln ihn durch, Mutter.« Frau Christiane nahm mit der Linken den einen und mit der Rechten den anderen beim Schopf, schob sie mit den Stirnen aneinander und sagte: »Da habt ihr die ersten.« Verdutzt blickten sich die Knaben in die geweiteten Augen. Dann verstanden sie, rissen sich los von der Mutterhand und fielen mit einem Jubelschrei übereinander her, um sich weidlich das Fell zu gerben. Das ließ Frau Christiane mit Vergnügen geschehen. Von Anbeginn waren die Knaben gewöhnt, was ihre Seelen bewegte, was ihre Freude oder ihren Abscheu erregte, ihre Spottlust wachrief und vor allem ihren Zweifel, vor die Mutter zu tragen. Die Freuden wurden von ihr in ein höheres Licht gerückt, der Abscheu untersucht und dem Ekel preisgegeben, die Spottlust vom Spotte befreit und zur Fröhlichkeit gebändigt und die Zweifel ohne jedes Versteckspiel durch Vergleiche mit dem Wesen der Natur klipp und klar gestellt, geläutert und behoben. Nach dem Abendbrot, das schon um sieben Uhr eingenommen wurde, saß Frau Christiane in irgendeinem Winkel des Hauses oder des Gartens, am liebsten aber auf einer alten Holzbank drunten am Uferwasser des vorbeibrausenden Rheines noch lange mit den Knaben und ließ sich aus der Welt der Schulerlebnisse berichten. Oft flog das Gelächter der Erzählenden bis zu Arnold Opterberg und lockte ihn heran, und er kam, sein Weinglas in der Hand, herbeigeschlendert und drückte sich mit auf die Bank. Gern hörte er zu, wenn von den harmlosen und ewig wiederkehrenden Schulabenteuern berichtet wurde, in denen der Lehrer den kürzeren zog, denn der Lehrerstand war seiner Natur ein Greuel, und er warf die guten und die schlechten wahllos in einen Topf. »Zucht ist diesen Bakelschwingern immer gleichbedeutend mit Züchtigung,« knurrte er grimmig. »Zucht«, stimmte Frau Christiane ihm bei, »kommt von ziehen und nicht von züchtigen her. Öffentliche Prügel bilden immer eine Entehrung und sollten deshalb nur bei Ehrlosigkeiten in Anwendung gebracht werden. Gegen Faulheit und Unwissenheit hat man den Lehrer ja gerade mit seinem geistigen Rüstzeug versehen, und die Rüpelhaftigkeiten müßten vor seiner würdigen Haltung im Keim ersticken. Ein Ansehen muß er sich halt geben können.« »Und gegen Dummheit?« reizte Arnold Opterberg. »Was für ein Kräutlein ist da wohl gewachsen?« »Dummheit«, sagte Frau Christiane, »ist eine tieftraurige Krankheit. Für kranke Kinder aber gibt’s nur Liebe und beileibe keine Prügel.« »Ach, Mutter,« rief Martin Opterberg lachend, »bei uns in der Schule pfeift’s aus allen Handgelenken.« »Seid ihr denn ein solches Gesindel, ihr Buben dort? Sprich du, Christoph.« »Mutter,« sagte der nachdenkliche Christoph Attermann, »ich glaub’ fast, die meisten der Lehrer denken sich halt so wenig dabei wie die meisten der Buben. Es ist so eine Gewohnheitssache.« »Schöne Gewohnheiten,« sprudelte Frau Christiane, fühlte im Augenblick ihre aufsteigende Heftigkeit und bezwang sich vor den Jungen. »Ich will nur hoffen, daß meine beiden Buben solcherlei Gewohnheiten nicht an sich herankommen lassen. Duckmäusige und verprügelte Hunde sind mir schon unleidlich, geschweige denn -- Menschenkinder. Na, gut’ Nacht, ihr beiden.« »Der Schulmeister«, spottete Arnold Opterberg, als die Knaben sie verlassen hatten, »ist eben ein Wesen an sich und sogar dem lieben Gott über, denn der läßt sich wenigstens noch herbei, in den Menschen sein Ebenbild zu sehen. Ein Schulmeister aber sieht nur sich.« »Nein, Arnold,« und Frau Christiane schüttelte launig den Kopf, »nun freut’s dich, das Kind mit dem Bad ausschütten zu können. Es ist mit dem Lehrerstand sicherlich wie mit allen Ständen, nur daß es durch die tägliche Schulstund’ stärker hervorbricht. Die Vorlauten und Überheblichen sind allemal die, denen der vollgepfropfte Schulsack die einzige Bildung bedeutet. Die wahrhaft gebildeten Männer in der Lehrerschaft aber lächeln still über alles angelernte Wissen und sehen in der echten Bildung die Gemüts- und Herzensbildung, die durch Wissen einen Ausdruck finden kann. Ein innerlich Vornehmer wird es ablehnen, seine Macht oder Laune durch Stockschläge oder Maulschellen zu bekunden.« Arnold Opterberg schmunzelte. »Also nun erhebe deine sittliche Forderung, Christiane.« Sie lachte ihm in die Augen und fuhr ihm übers Haar. »Gut, ich erhebe sie. Ich fordere für den Schulamtsbeflissenen ein neues Prüfungsfach, und dieses lautet: Die gute Kinderstube. Besteht er nicht, so ist er nicht zum Erzieher, aber vielleicht zum Hundscherer geeignet. Punktum.« »Punktum,« wiederholte Arnold Opterberg. »Was für einen erlesenen Schulmeister habe ich Glücklicher geehelicht.« Sie saß ganz still in der Schlinge seines Armes, die Wange an seiner Schulter. »In der Ehe erzieht man sich nicht mehr, Arnold. Man gibt zu und nach, um allzeit das gute Gleichgewicht zu halten. Darin liegt’s Glück für den Vernünftigen.« Er preßte seinen Mund auf ihre Haarflechten, ließ sein Glas stehen und ging langsam die Stufen des Gartens hinauf und dem Hause zu. Am nächsten Abend fand er sich wieder ein, aber die Knaben fehlten. Frau Christiane rief sie herbei, und sie kamen mit ihren Büchern gesprungen. »Habt ihr so viel heut zu lernen?« »Für den Konfirmandenunterricht, Mutter.« Und Martin Opterberg zählte auf: »Ein Dutzend Katechismusfragen mit den Antworten, dazu zwei Dutzend Sprüche --« »Und ein halbes Dutzend Gesangbuchstrophen,« vollendete Christoph Attermann. »Und das wollt ihr alles heut noch auswendig lernen?« forschte Arnold Opterberg ungläubig. »Daß es nur so schnurrt, Vater.« »Mir wär’s schon lieber,« wehrte Frau Christiane, »ihr lerntet es mehr inwendig als auswendig.« »Mit dem Herrn Pfarrer ist schlecht Kirschen essen,« gestand Christoph Attermann. »Ich mag ihn nicht,« entschied Martin Opterberg. »Er ist ein Weichling.« »Martin!« rief Frau Christiane streng. »Was für Redensarten erlaubst du dir, Bub?« »Und ein Feigling,« trotzte nun auch Christoph Attermann. »Ich habe dich nicht gefragt, Christoph,« verwies Frau Christiane nicht minder streng, aber es glitt wie ein blitzschnelles Lachen um ihren Mund. »Heraus mit der Sprache, Martin. Was habt ihr gegen euren Pfarrer?« »Daß er die Knaben mit zweierlei Maß mißt,« sagte Martin Opterberg ärgerlich, »und mit den Aufrechten herb und überheblich und mit den Speichelleckern honigsüß verfährt, das braucht nicht meine Sach’ zu sein und hat jeder mit sich abzumachen. Aber daß er vor den Mädchen schön tut und sich vor ihnen ein Ansehen geben will in seiner Körperkraft und Majestät, damit die Gäns’ ihn nur noch mehr verhimmeln und seufzen und glucksen, das ist mir in der Seele zuwider.« »Ich glaub’ gar,« meinte Frau Christiane erstaunt, »der Martin ist eifersüchtig. Da wollen wir doch lieber den Christoph sprechen lassen. Aber nun bitt’ ich mir einen nüchternen Bericht aus.« »Mutter,« sagte Christoph Attermann, »der Martin ist nicht eifersüchtig. Keine Spur. Wir kriegen’s nur mit der Scham, und die brennt einen höllisch im Halse, wenn der große, starke Mann erst wohlwollend den Mädchen über die Köpfe streicht und dann plötzlich einen der schmächtigsten Knaben, der just keine Antwort zu geben weiß, herausgreift, ihn über die Bank legt und ihm vor den Augen der Mädchen, Mutter, fünfundzwanzig aufzählt, wozu der Bub noch mitzählen muß. Ach, Mutter, und dann schreitet er wie ein gewaltiger Feldherr die Reihen der Mädchen ab, und sie drängen sich an ihn, die Gäns’, und küssen ihm gar die Hand.« »Mein Gott,« lachte Arnold Opterberg in hellster Heiterkeit, »die alten Kniffe.« Frau Christiane schaute auf ihre Buben, und sie erkannte die Scham und den dumpfen Knabengrimm und spürte beides mit in ihrem innersten Herzen. »Hört mich einmal an, ihr Buben,« sagte sie ganz ruhig, »damit ihr es ein für allemal wißt. Es gibt nur eine Sünde, die Unwahrheit. Die Unwahrheit gegen sich und andere. Ein Mensch, der wahr ist, wird immer erkennen, was gut und was schlecht, was schön und was häßlich ist. Und wenn er noch so mancherlei im Leben tut, weil sein Blut heiß ist oder seine Einsamkeit groß, er wird nie etwas aus gemeinen Regungen tun und daß er sich schämen muß. Wie ihr euch aber eurer selbst wegen nicht schämen sollt, so sollt ihr euch noch viel weniger anderer Leute wegen schämen. Und wenn der Herr Pfarr noch einmal eine solche -- eine solche Aufzählung vornimmt, so sollt ihr als meine saubergehaltenen Buben aufstehn und Zeugnis ablegen: Wir wollen das nicht ansehen, und unsere Mutter hat’s uns verboten.« Frau Christiane spürte, wie ihr der Atem schwand. Von links und von rechts hatten die Knaben sie umhalst und küßten ihr zu endlosen Malen die Wangen. Da fühlte sie noch tiefer und bewußter, wie ihr Blut eins war mit den Knaben, die sie mit derselben Muttermilch gesäugt hatte. An diesem wortlosen Ausbruch fühlte sie es. »Und nun sputet euch und lernt eure Katechismusfragen und eure Bibelsprüch’ und Gesangbuchstrophen. Wer einen Stolz will, muß doppelt seine Pflicht erfüllen.« Arnold Opterberg erhob sich. »Jungens,« rief er den Davonspringenden nach, »die Mutter meint natürlich nicht, daß ihr nun vierundzwanzig Katechismusfragen und vierundzwanzig Bibelsprüch’ auswendig lernen müßt. Das runde Dutzend genügt!« »Inwendig lernen, nicht auswendig!« wiederholte Frau Christiane heiter, sprang auf, stand neben ihrem Mann und schaute lange mit ihm über den jungen Rhein hinaus. »Christiane,« sagte Arnold Opterberg nach einer Weile, »ich wollt’, ich hätte dich zur Mutter gehabt. Da hätt’ was aus mir werden können.« »Du mußt mich nicht rühmen,« entgegnete sie und hielt das Gesicht dem Strome zu, »es gehört nur ein wenig Nachdenklichkeit dazu, um den Dingen auf die rechte Spur zu kommen. Siehst du, das waren Pfingsten zwei Jahre, daß ich mit den Buben zu den Rheinquellen gewandert bin. Und besonders das eine Bild ist mir geblieben, wie der lebendige Wasserstrahl aus der weißen Gletscherbrust springt und gleich den Kampf mit Fels und Wildnis beginnt, um zur Freiheit zu gelangen und zum Strome zu werden. Woher nimmt das kaum entsprungene Wasser gleich sein Wissen und seinen Willenstrieb, der uns staunen macht? Es wird wohl schon in der Tiefe des weißen Gletscherleibes mit tausend Kräften gespeist werden, von denen wir nicht wissen, weil wir sie nicht sehen.« »Fahre fort,« sagte Arnold Opterberg, »ich bin mit dir auf der Reise.« »So wirst du auch wissen, wohin sie geht, Arnold. Ich meine, mit den Kindern ist es nicht viel anders. Sie bringen mehr mit auf die Welt, als wir in unserer Gedankenlosigkeit ahnen, und empfinden schon als junge Menschen die Dinge der In- und Umwelt, während wir sie noch als Kindsköpfe betrachten und uns vor ihnen gehen lassen.« »Du meinst doch wohl nur den Pastor, Christiane?« Sie lachte zu ihm auf. »Auch den Pastor. Aber das schönste ist doch die Erkenntnis. Und die zweite, die allerschönste dazu: daß die jungen Ströme von der Mutterbrust unzertrennlich sind und mit ihr eins und dasselbe.« »Christiane,« sagte Arnold Opterberg, »ich beneide die Buben, die eine solche Mutter haben, denn sie werden ihr Leben lang mit Quellwasser gespeist werden und nie versanden können. Hast du nicht auch für mich ein Sprüchlein?« »Behalte uns lieb, Arnold. Alles andere soll mich nicht anfechten.« »Komm,« bat er, »laß uns noch einen langen Spaziergang machen. Rheinauf. Da kommen wir den Quellen näher. Es wandert sich gut mit dir, Christiane.« -- Eine neue Lebenswoge zog über das Land am jungen Rhein und ließ auch den Opterberghof nicht beiseite liegen. Die Technik begann, sich die Kräfte der Wasser dienstbar zu machen, die der drängende Strom in brausenden Stromschnellen durch die Uferfelsen zwängte. Noch standen die ersten Pläne kaum auf dem Papier, als schon das Unternehmertum sich regte und unter der Hand mit Landankäufen vorging, um den billig erworbenen Grund und Boden zu hochgesteigerten Preisen als Fabrikgrundstücke zu vergeben. Gleich zu Beginn traten die Herren an Arnold Opterberg heran. Der beschied sie auf die nächste Woche und besprach sich mit Frau Christiane. Der alte Übermut ging in ihm hoch und die Lust an Spiel und Wagnis. »Die Kerls schätzen mich als früheren Städter für das dümmste Mitglied des Bauernstandes ein. Aber schon beim ersten Wort bin ich ihnen auf die Sprünge gekommen. Vertraust du mir eine Handvoll Geld an, Christiane? Nur des Spaßes wegen.« Frau Christiane erkannte nicht nur den Spaß, sondern auch den Vorteil. Und da Arnold Opterberg mit den Liegenschaften und ihren Verkaufsmöglichkeiten vertrauter war als die fremden Geschäftsleute, so hatte er bald einige der günstigst gelegenen Stücke in seine Hand gebracht und durch den Notar auf seinen und der Seinen Namen überschreiben lassen. »Ich habe es mir überlegt,« erklärte er mit vergnügtem Augenzwinkern den verblüfften Händlern, »ich verkaufe doch lieber gleich an die Fabrikanten, die schon im Anzug sind, und mache das Geschäft selber.« Die Fabrikanten kamen, und Arnold Opterberg machte das Geschäft. Aber er bot den Herren, die meist aus der Gegend des betriebsfleißigen Niederrheins herangereist kamen und durch Anschluß an die Wasserkraft ein billigeres und bequemeres Herstellungsverfahren für ihre Erzeugnisse suchten, gastfreundlich auch den Opterberghof als Absteigestätte und übte die Gastfreundschaft in noch ausgedehnterem Maße, als sie sich erst in den kleineren und größeren Landsitzen der Umgebung häuslich niedergelassen hatten. Es waren trunkfeste Niederrheiner darunter, die nach der Anspannung aller Kräfte bei Tage nach ihrer Heimat Sitte am Abend eine Ausspannung beim Wein liebten. Und Arnold Opterberg kam dieser Liebe von ganzem Herzen entgegen, saß oft bis Mitternacht mit den neuen Becherfreunden und schritt tagsüber wie ein Neugeborener über die Äcker. Frau Christiane schob keinen Riegel vor. Die Männer waren ihres Lebens Herr, aber sie selber beanspruchte dasselbe Recht für sich und ihre Buben, erschien nur kurz zur Begrüßung, hielt Umschau, ob für alles Erforderliche gut Vorsorge getroffen sei, und verabschiedete sich freundlich und heiter, um sich immer mehr den Knaben zu widmen. Als es gegen den Winter ging, kamen sie mit einer großen Neuigkeit ins Haus gestürzt. »Rate, Mutter, wer wieder im Lande ist? Nun, du rätst es gewiß nicht. Die Barthelmeßleute sind’s. Die Buben sind heute bei uns eingeschult worden. Der Siebzehnjährige in die Tertia. Er soll sich das Einjährige ersitzen. Die beiden anderen wurden knapp quartareif erklärt. Aber ein Mundwerk haben sie alle, als gehörte die ganze Welt nur den Barthelmeßleuten. Uns hatten sie gleich entdeckt und verlangten von unserem Frühstücksbrot, weil sie das ihre zu Hause liegen gelassen hätten. Die Vielfraße.« »Und was schafft der Herr Professor?« unterbrach Frau Christiane den Redeschwall. »Er hat wieder Kirchenaufträge in der Nähe. Auf viele Jahre, sagen die Buben, und ihr Vater sei der größte Künstler der Welt und unbezahlbar.« Frau Christiane lachte. »Wenn er unbezahlbar ist, der Herr Professor, so wird er sich wohl wieder an die Gutshöf’ halten, und der Opterberghof wird’s auch zu spüren kriegen.« Ihre Vorahnung sollte sich nur allzu rasch und allzu reichlich erfüllen. Zum Sonntag machten Herr und Frau Barthelmeß auf dem Opterberghof ihren feierlichen Besuch. »Meine gnädige Frau,« sagte der Professor in weltmännischer Gewandtheit, als entsänne er sich nur mit Vergnügen ihres Wandererlebnisses zu Reichenau, »daß erst ein paar Jahre bis zu dieser Stunde vergehen mußten, ist wirklich nicht meine Schuld. Eine kleine Mißhelligkeit mit der Kirchengemeinde, der ich damals gerade meine Kräfte widmete, zwang mich, Schluß zu machen und einen Auftrag in Rom zu übernehmen. Die frischgepflückten Lorbeern haben gewirkt. Man hat mich zur Ausführung recht schwieriger Wiederherstellungsarbeiten über die Alpen zurückgeholt.« »Sie müßten,« wandte sich lebhaft Frau Barthelmeß an Arnold Opterberg, der die schwarzhaarige zierliche Unrast belustigt betrachtete, »den Grund des Zwistes zwischen dem Professor und der Kirchengemeinde erfahren, um über solches Maß von Philisterei sprachlos zu sein. Wir hatten uns auf einer Fahrt nach dem Schweizerstädtchen Reichenau durch einen alltäglichen Zufall verausgabt, und der Gastwirt, statt ruhig abzuwarten, bis wir ihm den Betrag seiner lächerlichen Rechnung überweisen, beschlagnahmt schon nach wenigen Wochen in flegelhafter Art unser Guthaben bei der Kirchengemeinde, die sich, statt dem frechen Patron gründlich zu dienen, herausnimmt, einem Mann wie dem Professor Vorschriften über seine Art der Geldeinteilung zu machen und ihm die fällige Zahlung zu sperren. Was sagen Sie, mein lieber Herr Opterberg, zu solch einer Seifensiedergesellschaft?« »Ich vermag nur die Hoffnung auszusprechen,« entgegnete Arnold Opterberg, »daß diese Seifensiedergesellschaft mehr an den Gastwirt hat auszahlen müssen, als gerade Ihr Guthaben betrug. Das wäre die gerechte Strafe gewesen.« Das eilfertige Plappermündchen blieb ein paar Sekunden lang offen stehen. In den schwarzen Augen funkelte es ein wenig mißtrauisch. Dann berührte sie ihn mit dem zierlichen Zeigefinger kindlich-vertraulich an der Schulter und lachte. »Sie sind, glaub’ ich, ein großer Leichtsinn.« »Einer schönen Frau gegenüber gibt es gar keine andere Pflicht.« »Wollen wir recht gute Freunde werden, Herr Opterberg?« Frau Christiane hatte während des Gespräches nicht die geringsten Gewissensbisse empfunden, daß sie den wählerischen und großtuerischen Schlemmern zu Reichenau nicht mit der Zeche beigesprungen war. Ei, sagte sie sich, bei mir hatte der Herr Professor kein Guthaben wie bei der Kirchengemeinde, und so habe ich ihn doch gezwungen, seinen Aufwand selber zu begleichen. Und sie erkundigte sich freundlich nach dem Ergehen der Barthelmeßkinder. »Sie sind so außergewöhnlich begabt,« erklärte der Professor, »daß es mich fast erschreckt. Die drei Jungen werden sicherlich in die Fußtapfen ihres Vaters treten, und mein kleines Mädchen entwickelt sich nicht nur zu einer reizvollen und eigenartigen Schönheit, sondern auch zu einem recht überlegenen Geist. Sie werden nachher selbst urteilen können, gnädige Frau.« »Werden Sie von den Kindern abgeholt, Herr Professor?« »Wir haben uns für den Nachmittag ein Stelldichein vor dem Opterberghof gegeben. Meine Frau und ich beabsichtigen, um den anstrengenden Weg zu sparen, hier in der Nähe in einem Wirthaus zu Mittag zu essen und dann später mit den Kindern die Bahn zu benutzen.« »Eine Dorfkneipe ist gewiß kein angenehmer Sonntagmittagsaufenthalt,« erklärte die nach neuester Mode gekleidete kleine Frau Barthelmeß und zog ein lustig Mäulchen, »aber was tut man nicht seinen Kindern zuliebe.« »Sie essen ganz einfach einen Teller Suppe bei uns,« entschied Arnold Opterberg. »Besser als in der Dorfkneipe ist sie bestimmt. Mehr kann ich nicht versprechen.« »Mein Gott,« sagte die zierliche Frau und schaute zu ihrem stattlichen Gatten auf, »eine so herzlich entgegengetragene Freundschaft nur um einer leeren Besuchsform willen zu kränken, wäre undankbar und philisterhaft zugleich.« So blieben sie, und es wurde ein langes und heiteres Mahl. Wohl hatte der Professor an allen Fürstenhöfen und selbst im Vatikan gespeist, aber einen solchen Kälberbraten gebe es höchstens noch in Traumbüchern, und gegenüber einer deutschen Hausfrau seien alle Köche der Welt ärmliche Stümper. »Ich bin keine deutsche Hausfrau,« gestand Frau Hadwiga Barthelmeß flüsternd dem Hausherrn. »Ich kann lieb und fröhlich sein, das ist alles. Aber es ist nicht viel? Nein?« »Ob es viel ist,« erwiderte Arnold Opterberg und ließ seinen Blick wohlgefällig auf dem quecksilbrigen Persönchen ruhen, »das entzieht sich leider vorläufig noch meiner Beurteilung. Ich werde mich jedoch auf Ihren Wunsch gern bemühen, hinter diese Frage zu kommen.« Ihr zierlicher Zeigefinger tippte schon wieder an seiner Schulter. »Jetzt weiß ich’s, daß Sie ein Leichtsinn sind.« Arnold Opterberg winkte, da das Mahl zu Ende war, den Knaben zu und hieß sie, eine Flasche Champagner aus dem Keller zu holen. Frau Hadwiga hörte es und tat einen kleinen Freudenschrei. »Oh, ich werde öfter kommen,« rief sie entzückt, »ich werde öfter kommen, hier werde ich verstanden.« Zunächst aber kamen die Barthelmeßkinder und stürzten mit Geschrei in den Hof und behaupteten, nicht zu Mittag gegessen zu haben, so daß Frau Christiane, um den Lärm zu beschwören, sofort den Kaffeetisch herrichten lassen mußte. Die großen Jungen und das kleine Mädchen stopften an Weißbrot und Kuchen in sich hinein, bis der letzte Krümel vertilgt war, tobten alsbald durch die Ställe, tranken ein paar Hühnereier leer, entdeckten die Obstkeller und füllten sich die Taschen. Die kleine Sabine Barthelmeß aber bemerkte den wenig huldvollen Blick, mit dem Martin Opterberg, der Haussohn, dem Treiben zuschaute, und sie schmeichelte sich an ihn heran und wollte nur noch an seiner Hand gehen und, als sie vorgab, müde geworden zu sein, von ihm ›Huckepack‹ getragen werden. »Du bist doch schon ein großes Mädchen,« wehrte Martin Opterberg. »Da gehört sich’s nimmer.« »Auch nicht, wenn man sich gefällt?« fragte die kleine Sabine verwundert. Als am späten Abend der Spuk von dannen gebraust war, atmeten die Knaben auf. »Mir scheint die ganze Woch’ nichts wert, wenn der Sonntag schlecht verlaufen ist,« erklärte auch Christoph Attermann. Aber ob sie auch ärgerlich waren, dieser Sonntage folgten sich viele in dieser Winterszeit, denn Arnold Opterberg war _nicht_ ärgerlich, seit ihm die kleine, schwarzhaarige Unrast zu Weihnachten die Augen zugehalten und ihn auf den Mund geküßt hatte. Das sei ihr Weihnachtsgeschenk, aber erst die Probe. Der Professor wollte es ihr nachtun und breitete die Arme nach Frau Christiane aus. »Weshalb denn nicht, schönste Hausfrau? Sehen Sie doch nur Ihren Arnold?« »Ja, der Arnold!« sagte Frau Christiane in gut gespielter Bewunderung, »das ist ein arg ritterlicher Mensch. Aber ich hab’ nur den einen Mund, und auf den haben sich schon meine Buben gespitzt.« Und sie nahm den Martin und den Christoph und küßte die jubelnden Jungen weidlich ab. Dann aber geschah es, in der Zeit zwischen Weihnachten und Ostern, daß auch Herr Arnold Opterberg aus seiner verzauberten Sonntagsstimmung aufgeschreckt wurde. Der Konfirmationstag nahte. Martin Opterberg und Christoph Attermann saßen im Konfirmandenunterricht, und der Herr Pfarrer strich den Mädchen wohlwollend über die Scheitel. Plötzlich rief er einen träumenden Knaben an, der nicht zu antworten wußte, ließ den Erschreckten vortreten, legte ihn über die Bank und straffte ihm die Hosen. Totenblaß erhob sich Martin Opterberg. »Ich bitte den Herrn Pfarrer, das zu unterlassen,« brachte er mit schwerer Zunge hervor. Der Pfarrer hielt inne. Sein Gesicht war dunkelrot geworden. »Was erfrechst du dich? Gut, du sollst mit diesem Sünder tauschen. Tritt vor.« Martin Opterberg rührte sich nicht. »Meine Mutter hat’s verboten,« stieß er hervor. Der zornige Mann suchte ihn aus der Bank zu ziehen. Da sprang auch Christoph Attermann auf. »Unsere Mutter hat’s verboten, und wir sollen’s nicht ansehen, hat sie gesagt.« Dem Zornigen nahm’s die Besinnung. »_Unsere_ Mutter?« höhnte er. »Das ist mir ja ein hübsches Bekenntnis! Darum also hat man dich auf den Opterberghof heimgeholt?« Martin Opterberg hatte die Verunglimpfung schneller verstanden als der Bruder und Freund. Er fühlte nur eins: die Mutter war beschimpft. Und mit einem schluchzenden Aufschrei warf er sich auf den Angreifer und schlug blindlings mit den geballten Fäusten auf ihn los. Da hatte auch Christoph Attermann verstanden. Er schlug nicht blindlings drein. Er holte aus und zielte und schlug zwei-, dreimal wie mit Hammerschlägen, daß der schwere Mann sich nur mit Mühe vor den schäumenden und hochgereckten Buben durch die Tür in Sicherheit bringen konnte. Und Christoph Attermann ging mit Augen, die wie Kohlen glommen, die Reihen der Mädchen entlang, die Faust vorgestreckt, und schrie sie heiser an: »Nun, wollt ihr mir nicht _auch_ die Hand küssen, ihr Gäns’, ihr?« Diesmal suchten sie nicht die Mutter auf. Diesmal galt der Vater. Das sagte ihnen auf der Heimfahrt ein seltsam zartfühlendes Jünglingsempfinden. Und sie berichteten dem Vater wortgetreu und gaben ihm die Hand darauf, daß sie nichts hinzugefügt und nichts hinweggelassen hätten, und Arnold Opterberg fuhr mit dem nächsten Zuge nach der badischen Hauptstadt zur Oberkirchenbehörde und erlangte die sofortige Beurlaubung und nachfolgende Versetzung des Mannes nach Prüfung des ärgerlichen Geschehnisses. Einem Pfarrer der Nachbargemeinde wurde die Einsegnung übertragen. Er kam auf den Opterberghof und besprach sich mit Arnold Opterberg. Der rief die Knaben herein und befragte sie. »Der Herr Pfarrer meint, ob ihr lieber in seiner Dorfgemeinde eingesegnet werden wollt als in der Stadt?« »Nein,« erklärten die Knaben fest, »das dürfen wir wegen der Mutter nicht.« Der weißhaarige Pfarrer reichte ihnen die Hand. »Es ist recht so und soll so bleiben.« Frau Christiane aber tat, als wüßte sie von all den Geschehnissen nichts, und ihr Benehmen zu den Knaben war nicht um einen Hauch anders als ehedem. »Sie dürfen nicht des Glaubens werden, sie hätten etwas anderes als etwas Selbstverständliches getan,« sagte sie zu dem Gatten. Nur in ihren Augen stand ein noch tieferer Glanz, wenn sie heimlich auf ihre schlanken Buben schaute. Am Tage vor der Einsegnung kam Christoph Attermann zu ihr. Sie waren allein. »Mutter,« sagte Christoph Attermann, »ich weiß nun auch, weshalb mein Vater in Kehl begraben liegt. Es ist nicht deshalb, weil er zufällig aus der Gegend stammt.« »Nein, Christoph, sondern weil er seinen Sohn lieber hatte als sein krankes Leben.« »Mutter,« fragte Christoph Attermann weiter, und seine Mundwinkel zuckten, »warum reistest du gerade in diesen Tagen mit uns in die Berge und zu den Rheinquellen?« »Es geschah, Christoph, weil ich ahnte, was dein Vater tun würde, weil ich dich deiner Knabenerinnerungen wegen aus der Nähe der Dinge forthaben und dir in der Kraft und Herrlichkeit der Berge die Freude am Leben schenken wollte.« »Und aus keinem anderen Grunde, Mutter?« »Doch,« sagte Frau Christiane, trat vor ihn hin und schloß ihn fest in ihre Arme, »um dich spüren zu lassen, daß du eine Mutter gewonnen hast und ich einen Sohn.« »Deshalb komme ich,« murmelte der Junge an der Frauenbrust, »deshalb komme ich, um dir zu danken.« Am nächsten Tage standen Martin Opterberg und Christoph Attermann Hand in Hand vor dem Geistlichen, der sie gemeinsam einsegnete. Frau Christiane saß neben dem Gatten im Kirchenstuhl, und ihre Augen leuchteten. 4 Schon trugen die Buben vom Opterberghof die Primanermützen auf den blonden Häuptern, schon zeigte sich schüchtern der erste Flaum über der Oberlippe und verlieh den Knabengesichtern den Ausdruck der ersten Jungmännlichkeit. Hoch und aufrecht schritten sie beide einher, der junge Opterberg schlank und nervig, der junge Attermann breitschultrig und muskelhart, beide mit den wetterbraunen Gesichtern, die Sonne, Wind und Regen auf den täglichen Märschen zur nächsten Eisenbahnhaltestelle und den ausgedehnten Knabenstreifen in Wald und Feld so kräftig gebeizt hatten. Nicht nur Frau Christiane, auch Arnold Opterberg sah ihnen oft prüfend nach, und es erschien ihm an der Zeit, die väterliche Erziehung etwas stärker in den Vordergrund treten zu lassen. Längst waren die beiden Buben gewöhnt, jedes Pferd auf der Weide zu reiten und fest auf dem Kutschbock die Zügel zu führen, auch kannten sie seit frühester Kinderzeit jede ruhigere Stelle im Strombett, die sich zum Schwimmen und Tauchen eignete, und ein jedes Strudelbecken, in dem sich der Salmenfang lohnte. Jetzt aber nahm Arnold Opterberg sie wohlbewaffnet mit auf die Pirsch in die Hänge des Hochwaldes und lehrte sie, mit weidgerechter Kugel den Bock auf die Decke legen, den balzenden Auerhahn anspringen und den im Liebesrausch blinden und tauben vom hohen Tannenast herunterholen, im Schnee der Saufährte folgen und den Keiler im Lager überraschen. Das stärkte Mut und Gewandtheit, gab dem Auge die Sicherheit und der Hand die Ruhe und zwang die raschen Gemüter, sich zu beherrschen, bevor die Kugel unwiderruflich den Lauf verließ. Diese Jägererkenntnis der jungen Jahre sollte ihnen oft noch im Mannesleben zum Leitstern werden. Daß Herr Arnold Opterberg zuweilen über die Grenzen der jagdlichen Erziehung hinausgriff und in einsamer Jagdhütte seine Begleiter in die Geheimnisse der Grogbereitung einweihte, auch wohl mit ihnen beim Abstieg in einem Schwarzwalddorf den einen oder anderen Liter Markgräfler Weines ausstach und sie zur Verschönerung der Stunde eine Pfeife Tabak blaffen ließ, war Frau Christiane durchaus nicht verborgen, wie die stolzen Jungmänner annahmen, denn das nächstemal fanden sie in ihrer Feldflasche statt des kalten Milchtees einen wärmenden Rotwein vor, so daß sie beim ersten Schluck vor Schrecken fast dem Stickhusten erlegen wären, und ein anderes Mal im Rucksack ein halbes Dutzend zusammengebündelter Schweizer Stumpen mit einem Zettel von Frau Christianes Hand: »Solange ihr sie im Freien raucht, schadet’s keinem Menschen.« Nur als Arnold Opterberg die Gemeinsamkeit der Trink- und Rauchersitten auch ins Haus verpflanzen wollte, strich sie ihm begütigend über den Ärmel: »Nimm ihnen nicht die Freud’ am Studentenleben vorweg, Arnold. Das erste Räuschlein muß in der Begeisterung der Jugend errungen sein, wenn’s eine schöne und tragfähige Erinnerung werden soll.« »Tragfähig? Wie verstehst du das?« »Daß man sich später nicht scheut, darüber hinzulaufen.« Arnold Opterberg lachte. »Hast Recht, Frau. Ich werd’ mir den Professor rufen. Dem hält’s nicht ganz so scharf mit den Erinnerungen.« Der Professor kam auch ungerufen. Seine Arbeit, die vertraglich auf zwei Jahre bemessen war, hatte er nun schon in das dritte Jahr hinüberzuziehen gewußt und manchmal auch durch Übernahme kleinerer Reiseaufträge unterbrochen. Die Kirchenherren sahen sauer drein. Das änderte an der überlegenen Miene des Professors nicht das geringste. Er war sich bewußt, daß die Herren das Erneuerungswerk nicht mitten in der Ausführung stecken lassen konnten und daß der bisher entnommene Vorschuß beträchtlich genug sei, um den Meister vor jäher Kündigung des Vertrags zu schützen. So ging er gar lieblich und gelassen mit den flügellahmen Heiligen und dem bröckelnden Zierwerk an Wänden und Altären um und durfte sich mit Fug darauf berufen, daß seine Arbeit, wenn auch langsam geschafft, so doch von vollendeter Meisterschaft und unübertrefflicher Stilreinheit sei. »Wünschen Sie eine eilige Zuckerbäckerarbeit,« pflegte er den Drängern zu sagen, »so empfehle ich Ihnen meinen Kollegen Dingsda. Ein Kunstwerk, das den höchsten Ansprüchen des Kenners genügt, will aus dem Samenkorn hervorwachsen wie eine edelblühende Pflanze.« Und die Herren, die den Kenner spielten, nickten Beifall. Professor Barthelmeß setzte die Feierabendstunde um ein bedeutendes früher an, als es auf dem Opterberghof der Brauch war, und da der Arbeitstag ihm ohnedies nicht die genügende Zeit ließ, sich seiner Familie zu widmen, so holte er in den reichlichen Mußestunden das Versäumnis vollauf nach und erschien nie anders als in Begleitung seiner Gattin Hadwiga, seiner drei Söhne Bernhard, Fridolin und Hartwig und seiner Tochter Sabine. Ein vornehmes Patriarchentum, das er bei solchen Anlässen zur Schau stellte, verwandelte vielerorts das erste Entsetzen über den zahlreichen Besuch in Scham und Bewunderung. Frau Christiane aber schaute mit heiterem Lächeln durch die väterliche Maske hindurch und ließ einige Abende Buttermilchsuppe und in der Schale gekochte Kartoffeln mit Speckrösterchen auftragen. Da zog der Spuk bald an ihrem Hause vorüber und fiel wie ein Heuschreckenschwarm bei einem der neuangesiedelten Fabrikanten ein. Auch Frau Hadwigas großen Bedarf an Butter, Käse und Eiern vermochte Frau Christiane zu ihrem Leidwesen bald nicht mehr zu decken, denn es war seltsam, wie oft in diesem Jahre ihre Kühe vor dem Kalben standen und keine Milch lieferten und ihre Hühner aus dem Mausern gar nicht herauskamen und darum keine Eier legten. Dreierlei nur konnte sie nicht verhüten, und sie nahm es als eine Art Verkehrssteuer, die sie unter den Gesamtunkosten des Hofes aufrechnete: daß Arnold Opterberg mit dem ganz besonders weinverständigen Professor die besten Flaschen zu leeren liebte, daß Professor Barthelmeß bei solchen Gelegenheiten kleine Geldanleihen zu machen pflegte und daß die Barthelmeßkinder bei ihren Spielen beharrlich Stall und Scheuer bevorzugten und zufällig aufgefundene Hühner-, Enten- und Gänseeier ohne alles Fackeln in sich hineintranken. »Was sich nicht wehrt, kommt in den Magen,« sagte Frau Christiane kopfschüttelnd, aber sie drückte mitleidig beide Augen zu, wenn sie eins der zweibeinigen Wiesel bei der Beute überraschte. »Es ist halt die Zigeunerwirtschaft bei den Alten schuld,« meinte sie im Gespräch mit dem Gatten. »Nun ja, der Patriarch bleibt in seiner Rolle, denn, wenn ich meine Bibel kenne, so übten die alten Patriarchen ja wohl auch ihr Gewerbe im Umherstreifen aus.« Arnold Opterberg lachte. »Und das schwarzhaarige Sabinchen könnte als Lockvogel Rebekka am Brunnen sitzen.« »Als modernes Mädchen sitzt sie lieber am Karpfenteich. Schau doch einmal, wie das Ding mit den Augen Bescheid weiß und jählings gutberechnete Blicke schießt, und zählt kaum zwölf Jahre. Unser Martin freilich wird rot vor Zorn, und der Christoph beschaut sich so seltsam seine Hände, als ob er ihr am liebsten das Sitzleder vollhauen möcht’.« »Wie ist es möglich,« spottete der Hausherr, »daß die Buben der Frau Christiane Opterberg so arge Weiberhasser sein können.« »Weil sie doch an mir hängen. Meinst du, es wäre nicht gerade deswegen, Arnold, daß sie sich fragen: Wie würd’ das Mädel meiner Mutter zu Gesicht stehen?« »Ach du liebe Muttereitelkeit! Laß die Buben erst mal ins Feuer kommen. Ich war auch drin und weiß ein Liedchen davon zu singen.« »Ein Liedchen, Arnold? Die Bescheidenheit ist doch sonst nicht dein Hauptfehler.« Der Professor kam durchs Hoftor geschritten. Sabine Barthelmeß stürzte ihm entgegen. »Hat er nicht eine Gestalt wie der Flötenspieler im Vatikan?« rief sie und zeigte auf den schlanken Martin Opterberg, der sich unwillig abwandte. »Aber er pfeift dir was, dein Flötenspieler,« knurrte Christoph Attermann sie an. »Du bist ja auch nicht häßlich, Christoph,« lenkte schnell das Mädchen ein, »nur zu stark betont in der Linie. Doch das ist halt Geschmackssache.« »Gott sei Dank,« atmete Christoph Attermann auf, »daß ich dein Geschmack nicht bin und daß ich die Linie betone.« »Der Christoph Attermann ist ein Rüpel,« entschied der Professor, »und von einem Eichenknorren lassen sich keine Orangen ernten.« »Das muß wahr sein,« bestätigte Frau Christiane, »aber es lassen sich Bretter und Pfosten daraus fertigen zu einem standfesten Haus, und aus dem, was nebenbei fällt, lassen sich immer noch Eichenprügel schnitzen.« Der Professor zog ein wenig die Augenbrauen hoch und strich sich den knisternden Bart. »Ich verstehe den Vergleich nicht sofort. Aber wir wollen die glücklichen Kinder sich selbst überlassen und auf das bißchen eigene Glück Bedacht haben. Der Tag war schwer, Opterberg. Dürfte ich wohl um ein Glas Milch bitten?« »Kuhmilch oder Liebfraumilch? Sie müssen schon deutlicher werden, Barthelmeß.« »Sie haben es ja wieder gut vor. Aber ich bin kein Spielverderber. Also Liebfraumilch.« »Wissen Sie,« sagte Opterberg, »aus dem kleinen, begrenzten Weinberg am Stift. Nur das ist Wachstum.« »Ich weiß, ich weiß,« lehnte Professor Barthelmeß ab. »Ein Spatz ist keine Nachtigall, wenn sie auch beide zur Familie der Sperlingsvögel gehören. Lassen wir die Nachtigall singen, Opterberg.« Und die Nachtigall sang bis in die späte Nacht. -- Ostern nahte. Die Reifeprüfung in der Gymnasialstadt war beendet, Martin Opterberg und Christoph Attermann kamen von der Bahn und schritten rüstig durch die Felder. Sie sprachen kein Wort, aber zuweilen blieben sie mit einem Ruck stehen, blickten sich in die Augen und lachten sich trunkenen Mutes an. Dann schritten sie um so eiliger aus. Aus der Ferne schon erspähten sie vor dem Hoftor eine Frau, die Ausschau hielt in die Weite. »Die Mutter!« jubelten sie, schwenkten ihre Mützen und setzten in wilden Sprüngen über den Weg. Frau Christiane weilte schon seit Stunden vor dem Tore. Mitten im werktäglichen Schaffen hatte es die arbeitsfreudige Frau überfallen, daß sie die Hände sinken lassen und hinaushorchen mußte. Und langsam, von einem unwiderstehlichen Gefühl getrieben, hatte sie Fuß vor Fuß gesetzt und war wie traumwandelnd hinausgeschritten bis vor das Tor. Seit Stunden stand sie und schaute in die Weite und horchte in sich hinein, während sie glaubte hinauszuhorchen. Heute wurden ihre Buben flügge. Und wenige Tage nur, und sie würden die Schwingen regen zum Ausflug in die Welt. Dann war das Nest leer. In der Harrenden und Horchenden wurden die Stimmen der Vergangenheit lebendig. Sie redeten eifernd laut und wiederum schmerzlich leise in dem Kampf um die Seele des Mannes, die schweifen wollte im Blauen, statt Wurzel zu schlagen im Grünen. Hatte die tiefere Erkenntnis der Frau um des Lebens Möglichkeiten obgesiegt? Noch heute, nach zwanzig Jahren der Ehe, schweifte des Mannes unruhige Seele bei Tag und Nacht und wußte von der Heimatbedeutung des Opterberghofs nicht mehr als ein Vogel von seinem Futterplatz. Und dennoch, trotz der Niederlagen, die sie in den ersten Ehejahren mehr und mehr in eine innere Vereinsamung drängen wollten, die wurzelstarke Frau hatte dennoch obgesiegt. Nicht über des Gatten leichtes Zecherblut, aber über ihr eigenes Blut und des Weibes drängende Liebeserwartungen. Sie hatte sich als Siegerin erklärt, seit sie ihren Buben an die Brust legen konnte, und als glückliche Eroberin dazu, seit sie dem Einzigen, den sie in Schmerzen geboren hatte, in dem Milchbruder einen Kameraden hatte geben können. Wer hatte vordem ihres Reichtums gedacht? Nicht einmal der Gatte, den nur die Stunde lockte. Nun vermochte sie alle die Schätze, die sich unaufhörlich in ihr sammelten wie das Quellwasser im Berge, den Buben zu geben, und während sie in lautloser Freude gab und gab, spürte sie erst die ganze Fülle ihres Reichtums. Frau Christiane stand am Tore und hielt Einschau und Ausschau. Ihre Lippen bewegten sich. »Das ist das Glück. Spüren selbst in der Einsamkeit, daß man reicher ist als die tobende Welt, weil man aus sich selber schöpfen und spenden darf. Ihr habt mich dies Glück gelehrt, ihr Buben. Ich will’s euch danken euer Leben lang.« Ein Tropfen stieg ihr ins Auge. Sie schüttelte ihn ab. Sie hatte daran gedacht, daß ihr Nest leer werden würde. Was nun mit den zuströmenden Schätzen in der Einsamkeit? »Nein,« sagte sie laut, »eine Mutter, die ihre Kinder ins Leben sendet, kann gar nicht einsam sein. Ich bin die Quelle, und sie sind der Strom. Und der Strom mag brausen, so fernhin er will, sein Lebenswasser holt er sich doch aus der Quelle.« Auf dem braunen Ackerwege tauchten die Gestalten der Heimkehrenden auf. Sie sah der Buben Mützenschwenken und die wilden Sprünge über die Ackerschollen querfeldein. »So sollt ihr allzeit zu eurer Mutter gesprungen kommen und klares Quellwasser finden, ihr Buben,« und sie hob die Arme und winkte den stürmisch Heimbegehrenden entgegen und fühlte sich von vier Jünglingsarmen umfaßt und die tollen Küsse der flaumbärtigen Lippen auf ihren Wangen. »Wir haben’s geschafft, Mutter, wir haben’s geschafft!« »Wollt ihr mich umbringen, ihr Wilden?« »Mitnehmen möchten wir dich, mitnehmen in die Freiheit!« »Um mich am nächsten Kreuzweg in der Freiheit sitzen zu lassen.« »Um dich der ganzen Welt vorzuweisen: das ist unsere Mutter Christiane!« »Das wär’ mir das Rechte,« lachte Frau Christiane, bekam ihre Hände frei und wuschelte durch das Blondhaar ihrer Buben. »Damit die ganze Studentenschaft schreit: Da kommen die Opterbergsbuben mit ihrer Kinderfrau. Nein, nein! Jetzt zeigt denen da draußen, daß ich euch wirklich das Laufen beigebracht hab’.« »Mutter, du wirst so allein sein, während wir draußen Tollheiten machen!« »Macht ihr nur eure Tollheiten. Dann wird’s euch heimtreiben, um euch bei der Mutter Rats zu holen, und ich bin nicht mehr allein.« »Ach Mutter,« rief Martin Opterberg übermütig, »wieviel Tollheiten werden wir begehen, um dir die Freud’ zu machen.« »Uns, Mutter, uns,« rief Christoph Attermann, »um deine Stimme zu hören.« »Kommt immer, ihr Buben, früh oder spät. Für eine Mutter gibt’s keine Zeit. Eine Mutter wartet immer. Und nun marsch hinein und laßt euch beglückwünschen. Der Vater war euretwegen stundenlang im Keller und gewiß nicht, um eine trockene Red’ zu studieren.« Da nahmen die jungen Studenten Frau Christiane in die Mitte und zogen in den Hof, und Arnold Opterberg stand mit einem alten, kunstvoll geschliffenen Pokal auf der Schwelle des Hauses und winkte ihnen mit dem Kelch entgegen. »Trinkt einmal erst, trinkt einmal erst, damit wir nicht wehleidig werden. Es lebe die Freiheit!« Nein, wehleidig wurden sie nicht an diesem Abend im Opterberghause. In der fensterreichen Giebelturmstube hatte der Hausherr den Tisch gerichtet, und während die Gläser aneinanderklangen, rauschte der junge Rhein sein stürmisch Wanderlied hinein und wetteiferten lockend die tannengrünen Höhen des Schwarzwaldes mit den rätselhaften Berggebilden der Alpen im Abendschein. Der ungewohnte Wein löste den Jünglingen die Zunge, daß sie mit dem jugendtrunkenen Hausherrn um die Wette schwärmten und Pläne schmiedeten, und Frau Christiane saß unter ihnen und blickte lächelnd in ihr Glas. »Also das Ingenieurfach habt ihr euch erwählt,« rief Arnold Opterberg, »Strombau, Brückenbau, Tief- und Hochbau und was weiß ich! Immerhin -- ein freier Beruf, der einem die Wunder der Welt erschließen kann. Als Jurist Prozesse wegen einer Ungezieferbude führen, als Mediziner jedermann das Klistier setzen und als Schulmeister tagaus, tagein den Nürnberger Trichter bei anderer Leut’ Kindern spielen -- nee, wär’ auch nicht mein Fall. Über die Theologie aber müßten sich die Theologen erst selber einmal einig sein. In den Weinbergen des Herrn stecken mir zu viel Pantscher, die das Hochzeitswunder zu Kana auf den Kopf stellen und aus Wein Wasser machen. Da wird das Herz nicht froh. Also es bleibt beim Ingenieurfach. Das ist doch noch ein Stück Leben, gesehen durch ein Stück Kunst, und ich habe nicht ganz umsonst zu Düsseldorf die Musen gegrüßt. Christiane, merkst du was?« Er war aufgestanden und hatte die Gläser frisch gefüllt. »Und nun wollen wir das Verbrüderungserzeugnis von Kunst und werktätigem Leben in diesen beiden Fahnenjunkern leben lassen. Das Ingenieurwesen und seine beiden jüngsten Jünger: hoch, hoch und zum dritten Male -- hoch!« Sie standen im Kreise und stießen leuchtenden Auges miteinander an. Und Arnold Opterberg umarmte die Gefeierten und rief: »Jungens, am liebsten zög’ ich mit euch. Aber ich besuche euch oft! Darauf könnt ihr das Abendmahl nehmen.« Die Wahl der Hochschule wurde zur Erörterung gestellt. Das wurde ein lustig Streiten. Die Namen Karlsruhe, Darmstadt, Aachen mißfielen Arnold Opterberg durchaus. Er wünschte Klang und Farbe in ihnen zu spüren wie in Freiburg, Heidelberg, Bonn. »Aber Vater, es geht um eine technische Hochschule.« »Lari fari, es geht in den ersten Semestern darum, daß ihr irgendwo eingeschrieben seid und belegt. Denn ihr wollt doch zunächst Studenten werden und dann erst Ingenieure. Grundgütiger Gott, da sollte _mir_ einer die Wahl freistellen!« Martin Opterberg strahlte Christoph Attermann an. Der wiegte bedächtig den Kopf. Frau Christiane ließ ihre Augen wandern, von einem zum andern hin. »Es ist Männersache,« hob sie an, als sie zum Sprechen aufgefordert wurde, »und die Frau kann zu dieser Frage wohl nur das Gefühl reden lassen.« »Laß es reden, Mutter,« riefen die Jungen wie aus einem Munde. »Gut, ihr Buben, aber es ist nur eine Meinung und beileibe keine Beeinflussung. Ich mein’ halt _so_ in meinem Frauen- und Muttersinn: Gewiß werdet ihr zu allererst nicht gar zu viel schaffen und euch hinter den Büchern vergraben, weil ihr erst just von den Büchern kommt. Eure Jugend wird nach dem Leben greifen und nach den tausend Eindrücken in der neuen Umgebung und in der neuen Freiheit. Das ist Jugendrecht und auch wohl der notwendige Ausgleich, und ich gönn’s euch von Herzen. Ihr sollt als Männer nicht sagen dürfen, ihr hättet in der Jugend ein Versäumnis begangen, dem ihr nachtrauern müßt.« Arnold Opterberg griff nach seinem Glase und trank es aus. Die Jünglinge sahen es und schwiegen. Ihre Blicke kehrten zur Mutter zurück. Und Frau Christiane fuhr fort: »Es mag Ausnahmen geben, die den Jugendschwang nicht brauchen. Ich halt’ nichts von diesen Ausnahmen, die die Freud’ als Zeitvergeudung betrachten, wie ich auch von altklugen Kindern nichts halte. Nur die Freude hebt uns über den Kleinkram des Lebens hinaus, und nur aus der Freude wird die rechte Arbeit geboren. Also lernt in Gottes Namen die Freud’ in jederlei Gestalt kennen und wählt euch die rechte aus zur Erinnerung. Ich würde dazu Freiburg wählen, weil es so mitten in unseres Herrgotts Schwarzwaldgarten liegt und weil es euch, bevor ihr euch an die eigentliche und ernste Lebensarbeit macht, noch einmal die Heimat lieben lehrt in allen ihren Wundern. Dann mögt ihr weiter.« Frau Christiane nickte ihren Buben zu und ließ den Blick in den Abend wandern. Und die Buben sprachen erregt durcheinander und besprachen die Fächer, die sie auch in Freiburg belegen könnten: Mathematik, Geologie, Chemie, Physik. Das schwirrte durcheinander … Vorbei der Schulzwang. Vorbei das jähe Auffahren im Morgendämmern mit dem ersten Blick nach der gnadenlosen Uhr. Fünfmal gellte auch heute ihr Schlag. Marsch, auf den Weg, durch Feld und Wald, durch Wetter und Wind zur fernen Eisenbahn, die nicht wartet! Martin Opterberg streckte sich wohlig in seinem Bett: »Schlag du fünftausendmal. Deine Macht ist aus. Ich bin ein Freiherr geworden.« Christoph Attermann aber erhob sich ruhig aus seinem Bett und begann ein großes Wasserplätschern. »Heda, Student,« rief ihm Martin Opterberg lustig aus den Kissen zu, »du träumst dich wohl eben in deine Kinderzeit zurück? In die Klappe, Fuchs! Wir singen als Morgenlied: Frei ist der Bursch!« »Die Mutter ist auf, Martin. Ich höre sie schon. Da möcht’ ich ihr Gesellschaft leisten.« »Grüß sie von ihrem traumseligen Sohn.« Im ersten Morgendämmern stand Frau Christiane in ihrem Felsgarten. Ihr Rundgang durch die Ställe war beendet, Knechten und Mägden die Früharbeit angewiesen. Der Himmel färbte sich rosafarben. Über den Vorbergen des Schwarzwaldes tasteten schon die Strahlen der aufgehenden Sonne. Eine kleine Weile hier zu stehen und alles erwachende Leben in sich hineinzutrinken, war Frau Christianes tagtägliche Morgenandacht. Christoph Attermann gewahrte sie und verhielt seinen Schritt, um ihr Tun nicht zu stören. Doch Frau Christiane hatte den Schritt schon vernommen und sagte, ohne sich umzuwenden: »Das ist der Christoph. Guten Morgen, mein Bub. Weshalb schläfst du nicht aus wie der Martin?« »Guten Morgen, Mutter. Der Martin hat mir schon einen Gruß an dich aufgetragen. Ich hörte dich im Hause und dacht’, du könntest mich brauchen.« »Ei, Christoph, solltest du nicht eher darum gekommen sein, weil du _mich_ brauchen möchtest?« »Du weißt alles, Mutter. Ja, darum kam ich. Aber ich seh’, ich stör’ dich gerade.« Sie reichte ihm die Hand und zog ihn näher. »Du kannst teilnehmen. Wer das hier betrachtet, Morgen für Morgen und jahraus, jahrein, dem kann der Glaube an die Unsterblichkeit nimmer vergehen und erst recht nicht der Mut zum Leben. Noch ist alles winterschwarz und so öd’, daß du über dich selbst jammern möchtest, und da kriecht schon zu deinen Füßen das erste Leberblümchen aus dem Erdreich, siehst du, gerad’ hier, wo wir stehen, und putzt sich und reckt sich ins Licht, als hätt’ es nur eben ein Schläfchen hinter sich und wär’ nun wieder fröhlich bei der Sach’. Und die Fruchtknoten an den Obstbäumen haben während des Winterschlafs ihr Säfteschwellen nicht eingestellt und bereiten sich im kahlen Holz schon wieder zur seligen Blüte. Und die bleiche Wintersonne kriegt einen goldenen Glanz und gar so viel Wärme, daß es uns wohlig über den Rücken rieselt und all das müde Blut in uns verwundert die Augen aufschlägt. Schau, Christoph, da kommt die Sonne selbst, und weil wir Frühaufsteher sind, lehrt sie uns ihren Spruch, und der lautet: ›Im Haushalt Gottes gibt es keinen Tod und nur ein täglich Auferstehen. Und wenn’s gestern Nacht war, so ist darum doch heute wieder Tag. Menschlein, Menschlein, du mußt nur erst den rechten Abstand zu dir selbst und deinem lächerlich winzigen Sorgenbündelchen gewinnen, um die ganze Größe der Schöpfung zu erkennen und dich selbst als ein unsterblich Glied.‹« »Du bist glücklich, Mutter.« »Ich war’s nicht immer. Ich bin’s geworden. Ich hab’ manchen Stein zerklopfen müssen, bis ich zu der Quelle in mir kam. Und so müssen wir alle. Christoph, es geht nur um die Liebe im Leben. Um sie nur allein. Wer am stärksten zu lieben vermag, ist der Glücklichste. Nun sprich, was dich in der Frühe zu mir führt.« »Es ist so klein, Mutter …« »Dann wollen wir es nicht erst groß wachsen lassen. Sprich tapfer drauf los.« »Mutter,« sagte Christoph Attermann, »es wäre wohl am Platze, daß ich dir aus tiefstem Herzen dankte für alles, was du an mir getan hast. Von der Muttermilch an, die du mir gegeben hast wie deinem eigenen Sohn. Aber schau, da stock’ ich schon. Denn dafür allein, daß du mich an deine Brust gelegt und mich gesäugt hast, dafür wär’ mir ein Dank wie ein anmaßlich Wort, weil die Gabe zu unfaßlich hoch darüber steht. Und ich bin auch gar nicht gekommen, dir zu danken, weil ich ja von deiner Liebe gar nicht loslasse und immer wiederkommen werd’ und gar keinen Abschluß find’.« »So ist’s recht,« ermunterte Frau Christiane. »Es ist recht, weil es das Selbstverständliche ist. Und nun sag das Deine.« »Mutter,« hob Christoph Attermann von neuem an, »der Martin und ich, wir sind Brüder. Aber der Martin ist ein Opterberg-Erbe, und ich bin ein Attermann-Erbe, und danach muß ich jetzt den Weg, der in die Selbständigkeit führen soll, richten. Es wär’ sonst ein falscher Ton in unserem brüderlichen Verhältnis, und ich gäb’ mir einen Anstrich auf seine Kosten. Ach, Mutter, lach nicht. Du hast mir bei der Einsegnung vor Jahren vorgezeigt, daß der Erlös aus meinem Väterlichen und Mütterlichen die Summe von sechstausend Mark getragen habe. Wie ich mir mein Studium einzurichten gedenk’, wird’s auskömmlich reichen. Aber die Freud’, mit dem Martin gemeinsam das Studentenleben zu betreiben, werde ich aufstecken müssen. Darum bleiben wir uns doch die gleichen und gehen als Männer wieder Hand in Hand.« Frau Christiane schaute angestrengt in die aufsteigende Sonne. »Nun sprich auch jetzt, daß ich Recht hab’, Mutter, und nimm mir den Druck.« »Christoph,« sagte Frau Christiane und blickte immer noch in die junge Sonne, »ich muß dir ein Geständnis machen. Mit den sechstausend Mark stimmt’s nimmer.« Über die breite Stirn Christoph Attermanns zog eine brennende Scham. »Verzeih, Mutter,« stammelte er, »ich hab’s in meiner Gedankenlosigkeit nicht berechnet. Das Schulgeld und die Erziehungskosten --« »Du Narr,« sagte Frau Christiane, ohne den Blick aus der Höhe zu wenden, »sollen wir etwa gegeneinander aufrechnen? Was der Opterberghof an dir gehabt hat und du am Opterberghof? Nein, es ist eine viel größere Leichtfertigkeit, als du es ahnst, und ich muß mit der Sprache heraus. Also ich hab’ -- ich hab’ mit deinen sechstausend Mark -- kurz, ich hab’ damit, wie man an der Börse sagt, spekuliert.« »Spekuliert?« Christoph Attermann lachte, wie von einem Alb befreit. »Und hin ist’s?« »Hin? Du bist wohl von Sinnen, Bub? Man spekuliert doch nicht, damit’s hin geht? Verdoppelt hab’ ich’s, und die Zinsen stehen auch noch dazu.« »Mutter,« fragte Christoph Attermann ungläubig, »wann hast du denn das getan? Sieh mich doch an, Mutter.« Da schaute ihm Frau Christiane gelassen in die zweifelnden Jünglingsaugen. »Hör zu, Christoph. Die anderen wissen nicht davon, und aus guten Gründen. Vor einer spekulierenden Mutter wäre die schuldige Achtung ins Wanken geraten. Es ist aber geschehen, und es war, als der Landhunger der Fabriken einsetzte. Da hab’ ich heimlich für dein Erbteil gekauft und ums Doppelte wieder verkauft. Es ist geglückt.« »Und wenn’s nicht geglückt wär’?« »Ja, mein armes Christophel, dann wärst du ein Bettelbub geworden.« »Das glaub’ ich dir nicht, Mutter. Zum erstenmal im Leben glaub’ ich dir was nicht.« »Das magst du dummer Bub halten, wie du willst. Die Haupsach’ ist und bleibt: das Geld ist da und ist dein. Und du wärst mir ein netter Geizhals, wenn du jetzt noch den Martin allein nach Freiburg ziehen lassen wolltest.« Der Junge hob die Arme. Dann warf er sich wortlos an Frau Christianes Brust. -- »So, und nun geh hin und erzähl dem Martin, auf welche Glücksweis’ du dein Vermögen verdoppelt hast und daß du mit ihm Schritt halten kannst.« »Mutter,« stammelte Christoph Attermann, »was sag’ ich nur zu all deiner Liebe …?« Zu ihren Füßen brauste und schäumte der junge Rhein, kristallen und blau, wie er aus den Bergen kam, in denen seine Quellen lagen. »Wenn sie dich zu viel dünkt,« sagte Frau Christiane, »so gib dafür von deiner an Martin,« fuhr ihm durchs Haar und ging ins Haus. -- Noch einmal gab es in der Osterwoche Becherklang im Giebelturmzimmer. Professor Barthelmeß war gekommen inmitten seines Familienlebens. Seinem ältesten Sohn Bernhard war, in Anbetracht, daß man ihn zur Rekrutenmusterung vorgeladen hatte, von der Schule nach hartem Kampf das Einjährigenzeugnis bewilligt worden, und die Brüder Fridolin und Hartwig hatten es gleichzeitig erhalten, weil sie die Erklärung abgaben, sich nicht einem wissenschaftlichen, sondern einem künstlerischen Berufe widmen zu wollen. »Was ihnen der Vater geben kann, vermag ihnen nicht Schule und nicht Hochschule zu geben,« erklärte Professor Barthelmeß feierlich. »Ich werde meine drei Söhne der christlichen Kunst zuführen. Sie erhebt über den Alltag und nährt ihre Jünger.« Als Martin Opterberg vom Vater ausgeschickt war, neuen Wein in die Giebelstube zu holen, und mit den Flaschen im Arm die Giebeltreppe hinaufgestiegen kam, huschte ihm die zwölfjährige Sabine Barthelmeß entgegen. »Gib mir schnell einen Kuß, Martin. Daß du an mich denkst.« »Bist du toll, Mädel?« Sie stand eine Treppenstufe höher als er, beugte sich schmiegsam vor und küßte ihn auf den Mund, bevor er, die Flaschen im Arm, abwehren konnte, huschte vor ihm die Treppe hinauf ins Zimmer zu den anderen und saß bei seinem Eintritt mit unschuldig gesenkten Augen. Vierzehn Tage darauf trafen Martin Opterberg und Christoph Attermann in der alten Musenstadt Freiburg ein, um schon am nächsten Morgen als Füchse der Burschenschaft zu erwachen. 5 »Bindet die Klingen! -- Los! -- -- Halt!« Immer wieder dieselbe helle Befehlsstimme. Immer wieder dasselbe leise Sirren der Stahlklingen und ihr hartes Aufdröhnen auf dem schweißfeuchten Filzdeckel. »Was, ihr Füchse? Das treibt den Kneipendunst besser aus den Schädeln als die schönste Knetkur beim Herrn Hofbarbier. Auf die Mensur -- los! Terz! Quart! Mit der Klinge fangen, nicht mit dem Kopf! Der Hieb ist die beste Deckung! Allemal! -- Halt!« Prustend schälte sich Martin Opterberg aus dem wulstigen Fechtzeug. »Den Donner auch,« raunte er Christoph Attermann zu, der in der Ecke des Fechtsaals neben ihm stand und sich aus der Halsbinde löste, »da sing’ noch einer: ›Frei ist der Bursch!‹ Mit den Eulen ins Bett und mit den Hühnern heraus. Ich hab’ keine drei Stunden Nachtruhe gehabt.« »Ging’s mir anders, Martin? Aber der Fechtwart hat Recht: der Dunst von der gestrigen Kneipe ist ’raus aus dem Schädel. Saufen kann jeder, aber Freiheit heißt doch wohl: frei werden durch Pflichtenerfüllung.« »Rechnest du den Frühschoppen nachher und den Mittagsbummel und die Nachmittagsspritzfahrt und die Abendkneipe ebenso zu den Pflichtenerfüllungen wie in der Frühe den Fechtboden?« Christoph Attermann lachte gutmütig. »Martin, wenn ich’s noch wär’, der so sprechen wollt’. Dir wächst ja alles von selber zu. Den Schläger handhabst du schon wie ein alter Fechter, daß sie dich sicher schon vor Ende des Semesters auf die Fuchsenmensur herausstellen werden, und beim Bechern und Singen wirst du nicht müd’, bis der letzte nach Hause strebt. Ich muß mir das alles mühsam erlernen und schimpf’ doch nicht.« »Hei, weshalb schimpfst du nicht?« »Weil ich mir denk’, die Verbindungserziehung ist vonnöten, damit man zu jeder Stund’ sich zusammenreißen lernt und nie außer Rand und Band kommt. Wer einmal befehlen will, muß sich selber gehorchen können. Und das weiß keiner besser als der Martin Opterberg, und wenn er erst gewaschen und gestriegelt ist und die Mütz’ auf dem Kopf hat und das Band um und zieht durch die Straßen Freiburgs, ›fast als wollt’ er eine suchen, die die Allerliebste wär’,‹ wer jubelt da am lautesten sein ›Frei ist der Bursch‹?« »Ach, Christoph,« sagte Martin Opterberg und legte dem Freund den Arm um die Schulter, »es ist doch wunderschön …« Sie zogen über die Straße und kamen an der Universität vorbei. »Gehen wir einen Augenblick hinein, Martin?« »Hinein? Schau dir einmal den festen Bau an. Der läuft uns nicht so leicht weg.« »Aber wir laufen ihm weg, weil wir gar so lose gebaut sind, und das säh’ doch weiß Gott aus wie blasse Angst und Kneiferei. Hält’s dein Hirn nicht aus nach dem bißchen Kneipen?« »Also komm schon herein, du Quälgeist. Mein Hirn hält sämtliche Herren Professoren aus, aber ich mein’, _ein_ Kolleg genügt für heut, um ihnen die Ehre zu erweisen.« So zogen sie ein und drückten sich in die Bänke, und als sie wieder in die Frühlingssonne traten, grüßten sie erst ein Rudel frischer Studentinnen und ließen die lachenden Mädel an sich vorüberstolzieren, bevor sie den Frühschoppen aufsuchten. »Prachtmädel darunter, Christoph. Mit denen müßte sich gut in den Schwarzwaldbergen wandern lassen.« »Du wärst imstande dazu.« »Du vielleicht nicht? Wer redete denn vorhin so hoch daher von blasser Angst und Kneiferei, als es galt, mich ins Kolleg zu schleppen? Umschichtig, Christoph. Jetzt ist die Reihe an mir, und du bist mein.« »Es sind Medizinerinnen, Martin. Man trifft sich kaum.« »Was sonst noch? Von morgen an schieben wir medizinische Kollegs ein. Ohne Beleggelder. Selbstverständlich. Der Professor wird sich freuen, zwei Hörer mehr um seine Weisheit versammelt zu sehen. Ach, Brüderlein, stachle du noch mal meinen wissenschaftlichen Eifer an.« Auf dem Franziskanerplatz plätscherten die Wasser des roten Sandsteinbrunnens. Vom Säulenschaft sann ein steinerner Mönch. Berthold Schwarz war’s, der Freiburger Franziskaner. »Wenn der nicht gelebt hätt’, wär’ die Menschheit glücklicher,« lenkte Christoph Attermann das Gespräch ab. »Du meinst, wenn der Berthold Schwarz nicht das Pulver erfunden hätte. Ach Christoph, die Menschheit würd’ sich nur auf andere Weis’ umbringen. Entweder sie balgen sich um eine schöne Helena, oder um den lieben Gott, oder um einen verprügelten Grenzaufseher. Die Hauptsache ist, daß sie die Windklappe öffnen und sich balgen können. Und wenn der Fuchs da drüben in seiner stolzen Farbenpracht sich noch ein einziges Mal erdreistet, mich anzuäugen, während ich hier vor Weisheit triefe, so werde ich ihn sofort einmal ansegeln und -- --« »Jedenfalls hätten die Schulmeister ihr schönstes Sprüchlein weniger, wenn der Berthold Schwarz nicht das Pulver erfunden hätte,« lenkte Christoph Attermann in Gemütsruhe nochmals ab. »Links schwenkt, Martin. Wir sind die letzten zum Frühschoppen, wie immer.« »Natürlich!« rief Martin Opterberg und betrat hochaufgerichtet die Wirtschaft. »Wenn du mich Tag für Tag ins Kolleg verschleppen mußt!« Die Burschenschaft saß beim zweiten Glas. Man ließ die Zuspätkommenden das erste Seidel restlos leeren. »Zur Dämpfung lasterhafter Streberei vor Mitternacht,« erklärte der Fuchsmajor Tillmann, ein großer und schöner Mensch, der sich der Kunstgeschichte verschrieben hatte. »Sah ich euch nicht mit nüchternem Magen ins Kolleg schlüpfen, während ich am Fenster die Morgenpfeife reinigte? Auf trockenem Boden wird der Halm zu Stroh, und die Hähne, die allzufrüh krähen, sind schon um Mittag heiser. Laßt ab von der Überheblichkeit gegen eure Mitmenschen.« »Die Junker vom Opterberghof wünschen beizeiten Minister zu werden,« lobte ein narbenbedeckter Bursch in ausgezeichneter Haltung. »Ich halte mich Euren Gnaden sehr empfohlen.« »Der Grüters,« bemerkte sein Nachbar, ein hoch- und breitgewachsener Student mit ruhigem Blick, »schlägt überall seine Nägel ein und denkt in seinem schönen Sinn: irgendwo und irgendwie muß der Hut mal hängen bleiben.« »Lieber Broich, wenn du dich mit mir unterhalten möchtest, so sorge, daß Stoff im Glase ist.« »Erbarmen,« rief der Fuchsmajor Tillmann. »Werdet doch nicht schon geistreich, wenn die Menschheit noch den Schlaf in den Augen hat. Ich bitte um einige Rücksichtnahme.« »Wer waren denn die Töchter in Apoll, die ihr so angelegentlich grüßtet?« fragte Grüters obenhin über den Tisch. »Studentinnen,« erwiderte Christoph Attermann. »Habe ich nach dem Gewande gefragt?« belehrte ihn Grüters. »Studentinnen ist ein Herdenname. Ich meine, ob in der Schale eine süße oder eine bittere Mandel steckt?« »Hübsche Mädel sind’s,« rief Martin Opterberg und sprang dem verlegenen Freund rasch zur Hilfe. »Wer etwas vom Kern wissen will, muß sich schon selber bemühen und die Nüsse knacken. Das Ergebnis scheint mir Frage des Geschmacks.« »Du bist keck, Füchslein von neunzehn Lenzen. Sei dankbar, wenn dich erfahrene Männer lehren.« »Was, deucht euch, ist dieses?« rief der Fuchsmajor Tillmann und stieß seinen Zeigefinger durch einen Sonnenkringel. »Das ist eine Bierbretzel, Leibbursch.« »Jüngling, du trägst noch die Eierschale des Materialismus am Steiß. Ich mahne dich zu einem tiefen Trunk der Erkenntnis. Rest weg. Danke. Nun? Ist es immer noch eine Bierbretzel?« »Wahrhaftig -- jetzt seh’ ich’s klarer. Es ist ein goldner Sonnenkringel.« »Frühlingssonne,« rief Tillmann. »Allererste, golden lockende Frühlingssonne. Wie ein Bräutigamsreif legt sie sich um meinen Finger und ruft hinaus aus den engen Mauern in die blauenden Weiten. He, ihr Füchse, wißt ihr ein passend Verlobungslied?« »Der Herr Professor -- liest heut kein Kollegium, Drum ist es besser -- man trinkt eins ’rum« sangen die Füchse. »Es ist notwendig,« bemerkte Tillmann, »daß ich euch einigen Fuchsenunterricht in der freien Natur gewähre. Das geht ja nur ums Fressen und Saufen, und der heilige Geist kommt zu kurz. Punkt drei Uhr antreten zum Marsch auf den Schloßberg und wohin uns die Füße tragen. Gesegnete Mahlzeit.« Um drei Uhr sammelte sich ein Trüpplein Farbentragender am Martinstor, dem die Jugendsonne aus dem alten Steingequader lachte. In der langen Straßenzeile sprangen tänzelnd die Brunnen und flüsterten von ihrer Mutter, der Dreisam, und den Schwarzwaldbergen ringsumher. Das Trüpplein zog die geborstene Stadtmauer entlang und schwenkte am lustigen Schwabentor singend ins knospende Rebgelände ein, das den Trümmerberg der einst so trutzenden Schlösser selig lächelnd überzog. Und der Gesang brach ab, als das Trüpplein die erste Höhe erstiegen hatte und aus wundertrunkenen Jugendaugen hinunterschaute auf das Gewirr der grauen Dächer und altertümlichen Giebel, aus dem der schlanke Turm des Münsters wie ein veilchenfarbener Traum der Vergangenheit sehnsüchtig gen Himmel ragte. »Das ist die einzige Blüte der Gotik, die sich noch im Mittelalter voll zur Blume entfaltet hat,« lehrte aus tiefem Schauen heraus der kunstbefreundete Tillmann. Seine Augen tranken sich satt und schweiften über die andachtsvollen Gesichter der Jüngeren. »Nun, wie wär’s denn jetzt mit dem schönen Lied vom Herrn Professor, der heut’ kein Kollegium liest?« Aber keine Stimme erhob sich zum übermütigen Saufauslied. »Sag uns noch ein paar Wörtel von dem da drunten,« bat Martin Opterberg, und Christoph Attermann bat wie er, und die übrigen sprachen es mit. Und während sie standen und schauten und weiter hinanstiegen und oft Rückschau hielten, erzählte der Führer aus uralten Zeiten, vom Zähringer Herzog, dem zweiten Berthold, der um das Jahr 1090 die Stadt gegründet, und von den sagenhaften Baumeistern, die mit dem romanischen Querschiff den Bau des Münsters begonnen hatten, um ihn in siegreicher Kühnheit in die erwachende Welt der neuen deutschen Gotik hinüberzuführen. Ein Gestaltenheer tauchte auf und zog vorüber, während der Erzähler sprach. Bernhard von Clairvaux reckte im noch dachlosen Kirchenbau das Kreuz über den Häuptern des Volkes und entflammte ihm Hirn und Herz und Hand zum Kampf gegen die Ungläubigen. Das Erzhaus Österreich nahm Besitz, und Vorderösterreich hieß der Breisgau. Kaiser und Könige und Erzherzöge aus dem Hause Habsburg schritten funkelnd wie die Sonne durch die Stadt und die Jahrhunderte, und die Sonne verschwand unter den Stürmen des Dreißigjährigen Kriegs, der das Gift säete statt des deutschen Heils und den mörderischen Haß erntete statt der Bruderliebe. Den Franzosen fiel die Stadt zur Beute und wieder Österreich, und aufs neue den französischen Scharen, die von der Freiheit sangen und das Fallbeil mit sich schleppten, und wiederum Österreich, dem geschwächten, um endlich den Kreis zu beschließen in der Rückkehr zum Zähringerhause Badens im Jahre 1806. Auf hohem Gipfel, den Schloßberg wie eine liebliche Erhebung tief unter sich, stand das Trüpplein, den grünen Kranz der Schwarzwaldberge zur Rechten, weit hinaus vor sich das silbrige Geglitzer des Rheintales bei Breisach und jenseits in ungeheuren Nebelformen die Kette der Vogesen. Frankreich lugte über den Berg. Der Führer Tillmann riß die Mütze vom Scheitel. »Deutsch allzeit und allwege!« jauchzte er in das Sonnenland, und die anderen taten wie er und schwenkten die Mützen über den heißen Köpfen, und einer begann zu singen, und alle fielen ein, mit entblößten Häuptern und begeisterungflammenden Jugendaugen: »Es braust ein Ruf wie Donnerhall, Wie Schwertgeklirr und Wogenprall: Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein! Wer will des Stromes Hüter sein? Lieb Vaterland magst ruhig sein, Fest steht und treu die Wacht am Rhein!« Christoph Attermann hatte den Arm um den Hals des Freundes und Bruders geschlungen. »Weißt du das Wort, Martin, das in schwerster Deutschlandszeit der alte Arndt geprägt hat?« Martin Opterberg reckte vom Schwarzwaldgipfel den Arm gegen das Vogesenland. »Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze!« rief er, und von neuem begannen sie den Vaterlandsgesang. Die Stimmen klangen ab. Ein Lauschen blieb. Aus dem Walde kam es hervor. Ein silbernes Singen und Klingen. Lautenklang und singende Mädchenstimmen. »Der Mai ist auf dem Wege, der Mai ist vor der Tür; Im Garten, auf den Wiesen, ihr Blümlein kommt herfür!« Und die Blümlein kamen. Ein Quartettlein frischer Mädchengestalten. In weißen Kleidern und über die junge Brust das bunte Lautenband gezogen, traten sie aus dem Waldesdunkel auf die sonnenüberschüttete Bergeskuppe, schauten nicht links und rechts nach den staunenden Studentlein und sangen ihr Frühlingswanderlied in den unendlichen Maientag bis zum Ende. »Da hab’ ich den Stab genommen, da hab’ ich das Bündel geschnürt, Zieh’ weiter und immer weiter, wohin die Straße mich führt. Und über mir ziehen die Vögel, sie ziehen in lustigen Reih’n, Sie zwitschern und trillern und flöten, als ging’s in den Himmel hinein. Der Wandrer geht alleine, geht schweigend seinen Gang; Das Bündel will ihn drücken, der Weg wird ihm zu lang. Ja, wenn wir allzusammen so zögen ins Land hinein! Und wenn auch das nicht wäre: Könnt _eine_ nur mit mir sein!« Martin Opterberg hatte sich aus seinem Lauschen und Staunen gelöst. Er tat einen Schritt vor, auf die singenden Mädchen zu, und Christoph Attermann griff nach seiner Hand, als wollte er sagen: Nimm mich mit, Martin. Vor den Mädchen stand Martin Opterberg, den Freund an der Hand, und sang ihnen die letzte Strophe wie einen Kehrreim zu: »Ja, wenn wir allzusammen so zögen ins Land hinein! Und wenn auch das nicht wäre: Könnt _eine_ nur mit mir sein!« Lachend nickten die Mädchen den beiden zu, singend und klingend schritten sie über die Bergkuppe, Sonne im Haar, Sonne in den Augen, und ihre weißen Kleider schwanden im Dunkel des Waldes. »Wollen wir nach, Christoph? Sie waren’s, die Kolleginnen von der anderen Fakultät!« »Jetzt nicht. Heute nicht. Nicht alle Freud’ miteinand haben wollen.« »Alle, alle, alle miteinand!« »Dann gäb’s kein Freuen mehr für morgen und übers Jahr.« Martin Opterberg schlug sich gegen die Brust, die das Fuchsenband überspannte. »Hier ist Platz für hundert Jahr Freud’, und Hunger und Durst für tausend.« Der Führer rief sie an. »Daß mir keiner ausbricht! Wollt ihr ein Lämmerhüpfen spielen, so spiel’ ich den Schäferhund. Das Ganze Kehrt! Ich gedenk’ heute abend eine Männerkneipe mit euch abzuhalten und keine Familienschokolade.« Am Abend saßen sie auf ihrer Freiburger Kneipe. Kein Fuchs war üppiger als Martin Opterberg. Sein Blut glühte und wallte und riß ihn von Übermut zu Übermut. »Prosit, Christoph. Die mit der Laute!« »Prosit, Christophel. Die mit dem Sonnenkrönlein im braunen Haar! Menschenskind, und die mit dem Herzausschnitt im weißen Kleidel! Und die mit der schlanken Fessel am Fuß!« »Und das hast du alles mit einem Blick gesehen?« »Mehr, viel mehr! Vier rote Herzlein hab’ ich gesehen, und ich hab’ nur eins, und du hast nur eins. Was sollen wir tun als trinken? Auf aller schönen Mädchen Wohl!« »Eine ist mehr, Martin. Vielleicht ist sie darunter. Müh’ muß man sich geben und warten können.« »Was warten! Heute scheint die Sonne! Morgen kann’s regnen! Heute ist heut!« Wohlgefällig schauten die älteren Burschen auf den flammenden Fuchsen. Sie tranken ihm zu. Sie lobten seine gute Haltung beim heißen Becher und seine Sicherheit und Gewandtheit beim kalten Schlägereisen. Man besprach den Tag seiner ersten Mensur und nahm ihn in nahe Aussicht. Ein Hinreißendes ging von Martin Opterberg aus, das die Jüngeren mit hinein in die Begeisterung trieb und die Älteren freundlich lächeln machte, und Christoph Attermann ging es durch den Sinn: Da schlägt Arnold Opterberg, der Vater, die Augen auf, während Frau Christiane schaffensmüde schlummert … Am Tage, nachdem Martin Opterberg zur Freude der Burschenschaft siegreich seine erste Mensur geschlagen hatte, gelang es ihm, sich mit den jungen Studentinnen bekannt zu machen. Er hatte im Kolleg seinen Platz neben ihnen gefunden, und da sein Verband, der eine kleine Stirnverwundung deckte, ins Rutschen gekommen war, so hatte ihm seine Nachbarin, Therese Baumgart, nach Schluß der Vorlesung den Wickel neu befestigt. Er hielt ganz still, während die kühle Mädchenhand über seine Stirn glitt, bedankte sich wohlerzogenerweise und bat darum, auch den anderen Kameradinnen vorgestellt zu werden. Christoph Attermann schaute atemlos zu. Er tat eine Verbeugung, wie vor einem Heiligenbild, als er aufgerufen und frischweg in den Kreis eingegliedert wurde. Heute wanderten sie nur hinaus in die Anlagen der Stadt, denn die Mädchen hatten den frühen Nachmittag mit Vorlesungen belegt. Aber es war bald so viel lustiges Wortgefecht und Jugendlachen zwischen ihnen, daß die Stunde sie vertrauter machte als lange Wochen, sonderlich, weil Martin Opterberg in den schattigen Baumgängen immer wieder den Verband verschob und von den feinen Mädchenhänden Therese Baumgarts Hilfe heischte. »Sie wollen nur zeigen, daß Sie ein wundenbedeckter und ritterbürtiger Mann sind.« »Warum haben Sie so stille, mütterliche Hände, Fräulein Baumgart?« »Die kleine Schmarre lohnt wirklich kaum das Nachsehen.« »Auf der nächsten Mensur in acht Tagen werde ich mir den halben Kopf wegsäbeln lassen, nur um Ihre größere ärztliche Zufriedenheit zu erlangen.« »Steht Ihnen die Zufriedenheit der Ärztin über der Zufriedenheit der Mutter, Herr Opterberg? Sie müssen doch sicherlich eine ausgezeichnete Mutter gehabt haben.« Da sprach Christoph Attermann sein erstes Wort. »Wir haben sie noch, Fräulein Baumgart, und sie ist die beste und größte aller Mütter.« Das junge Mädchen blickte ihn aus großen Augen an. »Sie sind Brüder?« »Meine Mutter starb bei meiner Geburt. Mein Vater ist tot. Aber Frau Christiane Opterberg hat uns zu Milchbrüdern gemacht, zu zwei Brüdern und zwei Söhnen. So reich ist sie.« Therese Baumgart reichte ihm die Hand. »Das war schön. Was sie tat, und wie Sie es sagten. Und nun will ich auch den Verband noch einmal wickeln.« Und Martin Opterberg drückte den Kopf in ihre Hände … Acht Tage darauf focht Martin Opterberg seine zweite Mensur. Auch diesmal siegreich, wenn er auch einen schlankgeführten Durchzieher auf der Wange heimzutragen hatte. »Christoph,« fragte er, »ob wir zum Theresel laufen?« »Narr du. Wenn du so fortmachst, gründest du allein ihr die Praxis.« »Sag, Christophel, gefällt sie dir nicht auch? Oder ist’s die andere mehr, die im Walde das Sonnenkrönlein im braunen Haar trug, oder die mit dem Herzausschnitt im weißen Kleidel, oder die mit der schlanken Fessel am Fuß? Siehst du, ich hab’ alles wohl behalten, aber von Namen hab’ ich nur den einen der Therese Baumgart behalten.« »Sie trug die Laute,« sagte Christoph Attermann, »aber sie trug auch ein Sonnenkrönlein im braunen Haar und einen Herzausschnitt im weißen Kleidel und die schlanke Fessel am Fuß. Du hast sie alle für eine genommen.« »Ach, wer das könnte, Christoph, und das Leben allweil für einen Freiburger Sommer nehmen.« »Die andere mit dem braunen Haar,« sagte Christoph Attermann, »heißt Hilde Falkenroth und ist bei Koblenz gebürtig, und die beiden Blonden sind Schwestern, Elfriede und Gerda Klarenbach aus Düsseldorf. Nun verwechsel’s nimmer.« »Wenn ich Glück hab’, verwechsel’ ich’s, Christophel. Sie sind miteinander hübsch.« Und wieder eine Woche, da gab’s ein groß Hallo in der Burschenschaft. Christoph Attermann hatte auf der Straße einem Studenten die Mütze vom Kopf gefegt, als der frech eine Studentin angeredet und behelligt hatte. Eine Forderung auf Säbel war gekommen, und Christoph Attermann hatte noch nicht auf der ersten Mensur gestanden. Trotzdem beharrte er darauf, die Partie sofort auszutragen. Vierzehn Tage Einpaukzeit wurden hüben und drüben bewilligt. Alle Überredungskünste bot Martin Opterberg auf, um den Freund zu bestimmen, ihn vorzulassen. »Du sagst, es sei die Therese Baumgart gewesen, und ich bin im Säbelfechten weiter als du.« »Aber ich hab’ den größeren Zorn, Martin.« »Wie kannst du das meinen, Christoph. Ich mag das Theresel so gut leiden wie du.« »Alldieweil hab’ ich den Zorn für euch beide und für mich dazu.« Kaum kamen sie noch vom Fechtboden herunter. Martin Opterberg hatte es nach heißem Bitten und Drängen durchgesetzt, daß er dem Freund und Bruder als Sekundant zur Seite stehen dürfe. Da er auf dem Fechtboden einen glänzenden Beweis seiner Säbelfertigkeit lieferte, hatte es ihm die Burschenschaft zugestanden. Beim ersten Gang klaffte Christoph Attermann die Stirn. Er ließ ruhig das Blut stillen und trat, trotz Abratens, von neuem an. Martin Opterberg hatte ihm mit zusammengebissenen Zähnen zugenickt; er hatte des Freundes Gegner zu leicht gewertet und brannte darauf, die Scharte auszuwetzen. Er riß sich zusammen. Er bekam den klaren, blanken Blick der Mutter. Jeden gefährlichen Hieb fing er mit der Klinge weg, ruhig und kalt, jeder Bewegung des Freundes schaffte er Raum, jedem schweren Atemzug. Fast war die Partie zu Ende gekämpft, da erfaßte er blitzschnell eine Blöße des Gegners und blitzschnell das Auge des blutüberströmten Freundes. Wie eine Gedankenübertragung war’s von Bruder zu Bruder im Bruchteil der Sekunde. Und Christoph Attermanns Klinge schnitt tief hinein in des Gegners Schwertarm, daß er den Säbel lassen mußte. »Den Sieg dank’ ich dir, Martin. Ich war zu End’. Im nächsten Augenblick hätt’s mich gehascht.« Am nächsten Tage geschah etwas Lustiges. Mädchenfüße huschten die Treppe hinauf zur Wohnung der Brüder, Mädchenfinger klopften an die Stubentür. Und auf ein zweistimmiges »Herein« trat Therese Baumgart mit ihren Freundinnen ins Zimmer. »Bleiben Sie liegen, Herr Attermann. Wir kommen nur im Husch. Aber ich mußt’ unbedingt selber sehen, was mit Ihnen ist, denn ich bot die Ursache.« Sie drückte ihn, da er sich erheben wollte, auf das lederne Kanapee zurück und blickte nach dem Verband. »Ist es arg bös?« fragte sie den lachenden Martin Opterberg. »Geblutet hat er wie ein Öchslein, aber geschlagen hat er sich wie ein wütender Eber.« »Der Martin hat’s geschafft, Fräulein Baumgart. Er hat mir beigestanden wie der Erzengel Michael mit dem Schwert, und ohne seine überlegene Fechtkunst hätt’ ich mit Ihrer schönen Sach’ am Boden gelegen.« »Der Christoph hat’s Fieber und faselt. Fassen Sie seinen Puls.« Sie faßte Christoph Attermanns Hand und hob dabei die Augen zu Martin Opterberg. »Es ist wohl gleich, wem ich den Puls fühl’. Bei Ihnen beiden scheint mir alles wie mit Rädchen ineinander zu greifen. Aber ich bitt’ Sie herzlich, machen Sie nicht wieder solche Dummheiten wegen meiner. Wenn’s mich auch diesmal arg gefreut hat. Das sag’ ich ehrlich.« »Es wird Sie schon keiner wieder behelligen, Fräulein Baumgart,« knurrte der Wunde. »Keiner außer uns,« rief der übermütige Freund. »Sie und die Kameradinnen. Sie müssen uns schon ein ganz klein wenig zu gute halten, weil Sie gar so hübsch sind.« Da lachten die Mädchen wie fröhliche Kinder, und die Therese Baumgart drückte Christoph Attermanns Hand und sagte: »Ich danke Ihnen recht, recht sehr, und wir sind Freunde.« Aus einem Seidenpapier nestelte sie ein paar Rosen und bot sie ihrem Ritter dar. Christoph Attermann aber bestand darauf, daß die eine der Martin erhalten müsse, ohne den er’s nicht zu Ende geführt hätte, und Martin Opterberg küßte der Spenderin in jungenhafter Freude die Hand. Da wagte es auch der Christoph. -- »Also so leben wir alle Tage! Die schönsten Mädchen und die rotesten Rosen! Und bei all der Sonne draußen keine Spur von Bücherstaub drinnen! So lob ich’s mir, so lob ich’s mir in Ewigkeit. Amen. Willst du mich erwürgen, Junge?« »Vater!« hatte Martin Opterberg geschrieen und sich dem Mann, der in strahlendem Vergnügen im Türrahmen stand, an den Hals geworfen. »Der Vater ist gekommen, der Vater --« Und schon war auch Christoph Attermann auf den Beinen und bemächtigte sich der Hände des lachenden Mannes, und Arnold Opterberg rief ihnen zu: »Nette Herren Söhne, das muß ich bekennen. Außerordentlich erkenntliche Jünglinge. Wer war’s, der mich einmal zur Kneipe einladen wollte? Versunken und vergessen, der alte Eulenvogel im Turm. Und als er dennoch den Flug wagt, findet er verbundene Köpfe, an die kein Becher heranreicht.« »Sag das nicht, Vater! Die Kruste auf der Backe ist mir nicht mehr hinderlich, und der Christoph hat auch den Mund frei!« »Allemal!« rief Christoph Attermann. »Und wenn ich auf dem Kanapee angebunden würd’, heut ging’s hinaus! Gelt, Fräulein Baumgart, von Fieber keine Spur.« »Gestatten Sie, meine Damen,« sagte Arnold Opterberg mit einer ritterlichen Verneigung, »daß ich mich Ihnen selber vorstelle. Ich bin der Vater dieser aus Rand und Band geratenen Jünglinge. Sie sind, wie ich sehe, auf einem Krankenbesuch. Dem zerschlagenen Kopf schadet es nicht. Aber wird es das Herz aushalten?« Hastig nannte der Sohn die Namen. »Studentinnen der Medizin, Vater, und liebe und verehrte Freundinnen dazu.« »Lieb -- und verehrt,« wiederholte Arnold Opterberg, ließ seine aufleuchtenden Augen in die Runde gehen und drückte jedem der erglühenden Mädchen kräftig die Hand. »Gut, daß die Buben die erlösenden Worte sprachen. Ich hätte sie sonst vom Fleck weg in die Augenklinik geschafft.« »Wir wollten uns verabschieden und dürfen es jetzt,« sagte Therese Baumgart und blickte aus ruhigen und unbefangenen Augen auf den Vater ihrer Freunde. »Es war eine große Ehre für mich, Herr Opterberg.« Und sie knixte in verehrungsvoller Achtung. »Reißausnehmen? Weil der alte Sturmvogel seine Jungen besucht? Seh’ ich wirklich so zerzaust und zerfleddert aus, daß die holdeste Jugend vor mir von dannen stiebt? Oder schämen Sie sich des Bäuerleins vom Lande?« Da lachten die vier Mädchen hellauf und schauten voll Bewunderung an dem kraftvollen Mann empor und in das braune, kühne Gesicht. Und Arnold Opterberg zog mit jedem Arm zwei der schlanken Mädchengestalten an sich und befahl: »Wir bleiben zusammen, bis es Sturm läutet zur Männerkneipe. Auf in den Stadtgarten! Es soll eine Kuchenschlacht geschlagen werden, als gält’ es dem Erbfeind.« »Ihr lieben und schönen Kinder,« sagte Arnold Opterberg, als es Abend wurde nach dem fröhlichen Schmausen im Freien, »es ist Sommer geworden, und das Semester neigt sich dem Ende. In wenig Wochen sind die Ferien da. Ferien! Wie das klingt! Nach blauen, glückseligen Tagen klingt es, nach rauschenden Wäldern und springenden Quellen, nach einer wunderbaren Wanderfahrt durch die Schwarzwaldberge und dem gastlich winkenden Ziel -- dem Opterberghof. Seid meine und meiner Frau Christiane Gäste, ihr lieben, schönen Kinder.« Die Mädchenaugen weiteten sich. Wanderseligkeit sprang in ihnen auf. Winkende Fernen. Glücksstaunen und Jugendlust. In Therese Baumgarts Augen schimmerte es ein wenig feucht. Sie beugte sich über die Hand des frohspendenden Mannes. »Wir kommen gern.« Am Abend desselben Tages -- oder war es die Sommernacht -- oder war es der Jungmorgen -- mußten auf dem Kneiphaus selbst die unverzagtesten Burschen, die Tillmann, Broich und Grüters die Waffen strecken. Christoph Attermann, der wunde, hatte das Feld um Mitternacht geräumt. Arnold Opterberg schritt mit seinem Sohne als Sieger in den Morgen. »Eine gute Kur, trotz deiner Medizinerinnen. Um zwanzig Jahre hat’s verjüngt. Das machen wir öfter, Martin. Gleich alt sind wir. O Jugend, Jugend --!« Die drei unverzagtesten, die Tillmann, Broich und Grüters, hatte Herr Arnold auch auf den Opterberghof geladen. Professor Barthelmeß war mit den Seinen in den Rheingau hinübergesiedelt, wohin er zu langjähriger und lohnender Arbeit berufen war, und Herr Arnold Opterberg ertrug die Einsamkeit des Zechertisches nur mit Widerstreben. Wohl hatte Frau Christiane zunächst verwundert den Kopf geschüttelt, als sie durch den heimgekehrten Gatten von dem Massenbesuch erfuhr, dann aber bald eine Kiste mit Mundvorrat für neun hungrige Wanderer gepackt und nach Freiburg gesandt, damit die Studenten und Studentinnen ihren Rucksack daraus füllten, denn sie sollten sich vom Tage ihres Abmarsches an als Opterbergsche Gäste fühlen. Das rief einen großen Jubel in der Musenstadt hervor. Und hinaus ging’s an einem silbrigen Frühmorgen, hinaus und hinauf auf den Schauinsland, immer der Sonne entgegen. In Kniehosen und leinenem Hemd marschierten die Burschen, in hellen, fußfreien Kleidern die Mädchen, den Lodenmantel für die Berg- und Waldesrast über den Rucksack geschnallt. Jeder trug das seine, und die Therese Baumgart trug dazu am breiten Band die Laute. Da schwangen die Füße von selbst zum Marschklang der Saiten, und federnd wie zum Tanze ging’s auch die steilsten Hänge hinan. Vom Schauinsland glitt der Blick noch einmal rückwärts in die Ebene. Zwischen den Hügeln träumte Freiburg. Grüß dich Gott, du alte, liebe Stadt. -- Weiter, weiter! Wer schaut rückwärts, wenn Jugend marschiert? Eine halbe Stunde noch, und sie fielen im Gasthaus auf der Halde ein, ließen sich von dem trefflichen Wirtspaar einen Kaffee kochen und verzehrten unter Jubelausbrüchen über Frau Christianes Gaben das Frühstück. Und wieder in den rauschenden Tannenwald, der immer dichter, immer geheimnisvoller seine bärtigen Stämme aneinanderschob, und auf schmalen Fußwegen im Einzelmarsch hintereinander bergauf, die Lautenspielerin voran. Scherzworte und Neckrufe flogen die Reihe hinauf und hinab, bis der Zug noch einmal umgeordnet war, hinter jedem Mägdlein ein übermütig Bürschlein, und da eins sich zuviel erwies, machte Martin Opterberg ritterlich den Führer. Über den waldesdunklen Notschrei führte er durch die tiefe, smaragdene Bergwälderpracht, bis in praller Mittagssonne der Riesenrücken des Feldbergs sich vor ihnen reckte und dehnte. »Atempause,« bat Grüters, der Staatswissenschaftler. »Abgelehnt!« rief Broich, der Jurist. »Der Damen wegen,« verteidigte sich der Diplomat. »Den Damen den Arm! Nachher steigt sich’s noch einmal so schön.« Schon hatte Broich den Arm Hilde Falkenroths, der Koblenzerin, in dem seinen und stieg bequem pfadan. Grüters und Tillmann folgten mit den beiden Düsseldorferinnen, den Schwestern Klarenbach. »Wen wähle ich?« fragte Therese Baumgart. »Uns beide,« sagte Christoph Attermann, »denn es ist das gleiche.« Und die Buben vom Opterberghof nahmen sie in die Mitte. Martin Opterberg aber erhob trotz des Anmarsches seine helle Stimme: »Schöne Mädel führt der Bursch zum -- Hastdunichtgesehn -- Schöne Mädel führt der Bursch zum Tanz!« Droben standen sie auf dem Feldbergturm, und all das nahe und ferne Märchenland der Schwarzwaldberge, der Alpenwelt und der Vogesenkette schlug seinen Bann um sie. In atemlosen Schauen standen sie und tranken die Schönheit der deutschen Welt. »Nicht reden. Nicht reden.« Sie lasen es sich noch an den Augen ab, als sie schon weiter wanderten, den kahlen, langgestreckten Feldbergrücken entlang, und auf vorgeschobener Platte lagerten, den staunenden Blick hinabgesenkt in die einsamen Schluchten, aus deren einer fernher der Zauberspiegel des Titisees aufblitzte wie ein Irrlicht. Und wortlos fast und doch innerlich flüsternd und singend wanderten sie weiter, und ein jeder Bursch führte, als wäre es nun ein selbstverständliches, sein Mädchen weiter am Arm, und die Lautenspielerin schritt zwischen den Opterbergbuben. Abwärts den Feldberg und hinauf zur Schutzhütte des Herzogenhorns. Am Lagerfeuer hatten sie abgekocht. Die Mädchen boten die Speisen, und die Burschen kredenzten in zinnernen Bechern den Wein vom Kaiserstuhl. Dann wob der Sommerabend sein seltsam durchsichtig Blau, und sie all zogen sich zu einem engeren Kreis zusammen und lagerten im Moos um einen Eichenstumpf, von dem das weiße Kleid der Therese Baumgart im Mondlicht leuchtete. Ihre Mädchenwange koste den Lautenhals, als sie sang und spielte. Jugendlieder. Sehnsuchtslieder. Und die Hörer lagerten Hand in Hand. »Noch ein letztes,« bat Martin Opterberg, der als einziger aufrecht an einem Baum lehnte und nicht wußte, wie er einer nie gekannten Ergriffenheit Herr werden sollte. »Du bist die Ruh’, der Friede mild, Die Sehnsucht du und was sie stillt …« sang der Mädchenmund in die schweigende Bergnacht. Und Martin Opterberg spürte es wie einen Nachtschauer über seine Glieder gehen, daß er hätte aufschreien mögen, ohne zu wissen, warum? Die Mädchen traten allein in die Schutzhütte und begaben sich in ihre Kammer. Die Freunde saßen rauchend am Feuer. Therese Baumgart wandte sich in der dunklen Tür der Hütte um. »Therese …« hatte eine heiße und scheue Stimme geflüstert. »Gute Nacht, Martin,« sagte sie. Und er küßte sie. -- Weiter, weiter. Im jubilierenden Morgenerwachen, in sengender Sommersonne. Durch endlose Wälder, die dennoch viel zu klein, hinauf auf die steilen Höhen, die dennoch viel zu nieder. Jetzt führte Christoph Attermann, denn Martin Opterberg bildete mit der Freundin den Schluß. Nur an den Fingerspitzen hielten sie sich beim Wandern, und doch war ihm, als fühlte er die Freundin an der Brust. Der steile Blößling, der hohe Zinken, der Hochkopf -- Christoph Attermann rief die Berge aus, die sie im Auf und Ab erstiegen -- für Martin Opterberg waren sie nichts als Namen. Er sah nichts anderes als das eine Bild: das weiße Kleid in der blauen Sommernacht und die Mädchenwange kosend am Lautenhals. Und er hörte nichts als das eine, das letzte Lied. »Theresel,« sagte er tiefaufatmend, als im leuchtenden Abendrot die erste Menschensiedlung zu ihren Füßen lag. »Wie heißt der Ort?« »Todtmoos.« »Der Name macht traurig …« Am nächsten Tage stiegen sie durch das wilde Wehratal zur Rheinebene hinab, und das Brausen der stürzenden Wasser, die durch Granit den Weg erkämpfen mußten, betäubte noch ihre Sinne, als sie sich dem Opterberghof näherten. Da stand das weiße Haus auf dem Felsen, der auf blumenbunten, baumbeschatteten Gartenstufen zum jungen, hastenden Rheine führte, und auf der Schwelle stand Arnold Opterberg und schüttelte den jungen Männern die Hand und zog die Mädchen in seine Arme. Und Frau Christiane stand auf der Schwelle und tat aus den klaren Augen, die die Farbe des jungen Rheines hatten, einen Umblick über die Gesichter der Ankömmlinge, streckte die Hände aus zum Willkomm und verteilte die Schar der jungen Gäste auf Stuben und Kammern. »Mutter,« sagte Christoph Attermann, als Frau Christiane zurückkehrte, »du hast einen unbestechlichen Blick. Welche gefällt dir am besten?« »Das Mädchen mit der Laute, Christoph.« Da lachte Christoph Attermann in sich hinein und war fröhlich die ganzen Ferien über. 6 Das junge Mannsvolk war über die Alpen, ins Land Italien. Herr Arnold Opterberg selber hatte den Plan entworfen und ihn durch Einschiebungen großer Fußreisen und Bevorzugung der einfachsten Schenken und Gasthäuser so billig zu gestalten gewußt, daß ihn auch die weniger bemittelten Studenten ohne geldliche Schwierigkeiten auszuführen vermochten. Es herrschte tosende Freude im Auslugzimmer des Giebelturms, als der Hausherr erklärte, die Leitung des Heereszuges selbst in die Hand nehmen, im übrigen aber Kamerad unter Kameraden sein zu wollen. Fort waren sie wie die Zugvögel, obwohl es mitten in der Ernte war. Herr Arnold Opterberg hatte einen Grund gefunden, endlich aufs neue den Trieben seiner schweifenden Sehnsucht zu folgen, und da er als Lenker und Leiter der Jugend ging, der keine andere Zeit als die Ferienspanne zu Gebote stand, so fiel für ihn der Schein der Selbstsucht hinweg. Frau Christiane nickte mit ruhigen Augen, stellte einen neuen Knecht ein und stand des Morgens um eine Stunde früher auf. Besser mehr Arbeit mit den Händen als mit dem Herzen, sagte sie sich in ihrer Lebenskunde. Und Unzufriedenheit in der Ehe ist Diebstahl am Maß unseres Lebens. Und sie schuf den Ausgleich und legte von dem ihren zu, weil sie die reichere war. Auch die Mädchen waren heimgeflattert in ihre Hausungen am Mittel- und Niederrhein. Ihrer drei nahmen ein Geheimnis mit sich, das den drei Freunden der Opterbergsbuben recht wohl bekannt schien. Nur Therese Baumgart war auf besonderen Wunsch Frau Christianes noch geblieben. Wenn die Gutsherrin in frühester Morgenfrühe die Fensterläden ihres Schlafzimmers öffnete, stand das Mädchen schon im Hof und winkte ihr den Guten-Morgengruß. »Du sollst ausschlafen, Kind. Die Ferien sollen Kräftesammler sein.« »Das Sprichwort lehrt: ›Sieben Stunden sind der Ruh -- die achte fällt dem Faulen zu.‹ Von Neun bis Vier lag ich in den Federn. Macht sieben Stunden. Ich bin frisch wie ein Fisch.« »Lauf in den Stall und trink einen Liter Milch warm von der Kuh, ich komme.« Den ganzen Tag blieb ihr das Mädchen zur Seite und griff zu, wo es zuzugreifen gab. Am Nachmittag saß es über seinen wissenschaftlichen Büchern, und nach Feierabend hockte es plaudernd neben Frau Christiane auf der Gartenbank, von der sich der Blick auf die strudelnden Wasser des jungen Rheins erschloß, oder spielte auch wohl auf eine Bitte der Hausherrin alte Liedweisen auf der Laute, zu der die beiden Frauen zweistimmig die verträumten Worte sangen. »Erzähl mir ein weiteres von Daheim, Theresel. Ich lausch’ dir gern, und wenn der Rhein die Musik dazu macht, so ist das auch ein Lied.« Sie hatte das Mädchen von dem Tage an »Du« genannt, an dem die drei Freundinnen die Heimfahrt angetreten hatten. Mit diesem Du schuf sie der Zurückbleibenden zart und still den Heimplatz. Das empfand das Mädchen tief. »Ein weiteres soll ich erzählen? Von den Eltern berichtete ich schon, daß sie als rechte Bürgersleute in Karlsruhe lebten und starben. Außer mir war noch eine Nachzüglerin im Nest, mein um zehn Jahre jüngeres Schwesterchen Linde, und da die Eltern erst in gesetzten Jahren geheiratet und kein übergroßes Vermögen erworben hatten, so erzogen sie mich, wie man einen Sohn erzieht, der rechtzeitig als seiner kleinen Schwester Beschützer auftreten kann. Also durfte ich mit achtzehn Jahren meine Reifeprüfung ablegen und zur Universität gehen. Doch das haben die Eltern nicht mehr erlebt. Die starben im Jahre vorher. Eins starb so geschwind dem andern nach, daß es gleich die Probe auf meine Widerstandskraft galt und auf die Berechtigung, trotz alledem das Studium aufzunehmen.« »Und das Schwesterchen? Die kleine Linde?« »Die Linde,« sagte Therese Baumgart mit einem warmen Ton, »die Linde zählt jetzt acht Jahre und ist im Schülerinnenstift zu Karlsruhe. Sie ist frisch und gesund und vertraut auf die große Schwester, daß sie fleißig studiere und ihr eine frohe Zukunft schaffe. Bis sie eingesegnet wird, muß ich als Frauenärztin meinen sicheren Wirkungskreis gefunden haben. Dann hol’ ich sie zu mir in der Zeit ihrer schönsten und stärksten Entwicklungsfähigkeit und kann ihr mit den selbsterworbenen Mitteln die Wege ebnen helfen.« »Und wenn die Therese Baumgart inzwischen einen Mann gefunden hat?« fragte Frau Christiane. »Glauben Sie denn, er wird’s mir verwehren, wenn ich selbst verdiene?« fragte sie ängstlich zurück. »Du lieb, unschuldig Närrchen,« lachte Frau Christiane und huschelte den braunen Mädchenkopf an ihre Brust. »Also denken tust du doch daran, an die Lieb’ und die Ehe, trotz Doktorhut und Heilberuf? Brauchst dich nicht verlegen zu ducken, Kind. Aufrecht stehen und selber seinen Mann stellen im Leben, ist notwendig und zumal für uns Frauen, die nicht wissen, wie’s kommen kann auch nach dem glücklichsten Rausch, und wie sich der Herr Gemahl im Taglicht entwickelt. Schau her, meine Händ’. Sie haben das Arbeiten gelernt vor der Ehe, und es war gut so, denn sie sind nicht zarter geworden im Lauf der Ehejahre. Oder soll ich ein golden Krönchen legen um meines lieben Herrn Arnold Opterberg Stirn? Mir ist doch, als glichen deine Augen den meinen?« Da löste sich der braune Mädchenkopf von der Frauenbrust und beugte sich in den Schoß Frau Christianes und schmiegte die Wange auf die kräftigen Hände. Und ein anderes Mal bat Frau Christiane: »Erzähl mir, wie du meine Buben kennen gelernt hast. Sie waren wohl recht keck und großherrlich, weil sie die frischen Narben trugen?« »Der Christoph trug noch keine, und der Martin seine erste.« »Also war’s der Martin, der Sonne, Mond und Sterne begehrte. Ein Riß in der Haut, und sie dünken sich Helden und Abenteurer. Früher tat’s ein Loch in der Hose. Aber mich freut’s bei rechten Buben, und du kannst mir ruhig erzählen.« Das Mädchen lächelte der Frau in die Augen. »Er war gewiß nicht schlimm und keck. Nur so ganz mannbar hat er sich gefühlt durch seinen ersten Sieg auf der Mensur und darum auch so -- so siegesgewiß. Das stand ihm gut, und sein Benehmen zeigte gleich, daß er eine gute und geliebte Mutter hatte.« »Schmeichlerin. Weshalb sagst du mir das?« »Weil es nicht von mir stammt, sondern vom Christoph Attermann. Und der brauchte noch ganz andere Ausdrück’ und schmeichelte doch auch nicht.« »Nicht bös sein, Kind. Ich hör’s ja gern und wär’ keine Frau, wenn ich’s leugnen wollt’. Aber versteh mich auch darin recht: eine Schmeichelei kann eine Anerkennung sein, die den anderen schmücken soll, oder nur ein schönes Wort, mit dem sich der Redner selber aufputzen möcht’. Dafür muß die rechte Frau ein Ohr haben. Nun, und von euch wollt’ ich’s hören und hab’ es gehört. Also du warst bei Christoph Attermann.« »Bei Christoph Attermann?« verwunderte sich das Mädchen. »Ja doch, ich nannte ihn, als ich von des Martins frischer Fröhlichkeit sprach, mit der er im Kolleg gleich zu mir redete. Er saß neben mir, und sein Verbändlein war gerutscht.« »Sieh an. Medizinische Kollegs besucht der Bub, der ins Ingenieurfach will? Doch das müßt ihr ja wohl besser verstehen, und seinen Wissensdurst soll der Mensch stillen.« Überrot saß Therese Baumgart und wußte nicht, wohin mit dem Blick. »Der Christoph Attermann besuchte doch auch die medizinischen Kollegs,« stammelte sie. »Ei, nun ist es wieder der Christoph. Ich dächt’, der raufte sich inzwischen mit dem Säbel?« »Gerauft hat er sich wahrhaftig nicht,« verteidigte ihn das Mädchen. »Er hat, und gewiß gegen meinen Willen, einem Studenten die Mütz’ abgeschlagen, als er mir unhöflich wurd’, und nach den studentischen Bestimmungen mußt’ er mit der Waffe einstehen. Aber der Martin hat ihm so herrlich sekundiert, daß er den anderen die Zech’ bezahlen ließ.« »Mein Gott, nun ist es wieder der Martin,« sagte Frau Christiane kopfschüttelnd und erhob sich. Und als sich die Therese Baumgart mit ihr erhob, ganz kopflos geworden von den schnellen und blanken Einwürfen, nahm Frau Christiane sie mit einer mütterlichen Bewegung fest in den Arm. »Ich freu’ mich, daß sie dir alle beide gefallen. Hab’ ich sie doch beide aufgezogen wie Söhne und Brüder. Der eine ist treu und fest wie Gold, und der andere heiß wie eine Flamme, aber wie eine lautere Flamme, die auch einmal ein Herdfeuer gibt. Schenk du beiden deine Freundschaft, und wenn du einmal irre wirst an einem von beiden oder dich selber ein Zweifel plagt, so ruf mich, Theresel, oder komm selber angereist. Eine Mutter versteht alles; ich mein’ eine rechte Frau und Mutter und keine gluckende Henne. Gelt, und das Lindele, das bringst du mir auch einmal zum Anschaun.« * * * * * Und Herbst ward’s, und der Winter kam über Freiburg, und mannshoch lag der Schnee auf den Schwarzwaldbergen. In der Burschenschaft hatten sich die Fünf, die so sommerselig durch den Schwarzwald zum jungen Rhein gezogen waren und so freudetrunken über die Alpen ins Land Italien, die Tillmann, Grüters, Broich und die Opterbergsbuben, trotz aller Verschiedenheiten des Wesens enger aneinander angeschlossen, weil sie von denselben fröhlichen Erinnerungen zehrten. Nicht weniger aber für die Gegenwart, weil der gleiche kleine Mädchenkreis sie anzog: Therese Baumgart und ihre Kameradinnen. Manche Wege noch waren sie mit ihnen gemeinsam gewandert, wenn Vorlesungen und Anatomiesaal die eifrigen Schülerinnen freiließ, und als die Schneemeldungen vom Feldberg und seinen Brüdern kamen, da war der erste Samstag recht, um über den Sonntag hinaus in die Berge zu fahren, die Schneeschuhe auf dem Rücken und die lernbegierigen Mädchen zur Seite. Beschuht mit derbem Rindsleder, in dickgestrickten Jacken und flauschigen Wadenstrümpfen, die Wollmütze über das Haar gezogen und den Schal um die Schultern, glichen sich die Mädchen zum Verwechseln, und es konnte nicht ausbleiben, daß ihnen ihre Begleiter öfter als sonst unter das Mützlein blicken mußten, um festzustellen, mit wem sie sprachen. Das war Martin Opterbergs liebstes Spiel, und er übte reihum manche kleine Zärtlichkeit, um sich mit einem jähen Erschrecken zu entschuldigen, er habe eine andere gemeint. Die rheinischen Mädchen aber, selber viel zu glücksfröhlich, ließen sich den Übermut des hübschen und immer sprühenden Burschen ohne viel Aufhebens gefallen, da er doch überdies der beste Freund ihrer lieben Freunde war, und die Freunde selbst, die Tillmann, Grüters und Broich, nahmen sein lustiges Wildern, das immer in den Grenzen des Knabentollens blieb, als eine schickliche Gelegenheit, besonders warm für ihre Schützlinge einzutreten und sichernd den Arm um ihre Schultern zu ziehen. Nur Therese Baumgart blickte die ersten Male verwundert auf, wenn ein kleiner Aufschrei dartat, daß Martin Opterbergs Hand wieder einmal versehentlich unter das Kinnlein einer ihrer Kameradinnen gegriffen hatte. Dann aber nahm auch sie es als unschuldige Schneebahnfreiheit und lustigen Winterspuk. So wurde das schwerfällige Hinaufstapfen auf die Bergeshöhen zu einer gleich großen Köstlichkeit wie das selige Hinabgleiten in die schneeverwehten Weiten, das sausende, brausende Sturmfliegen die steileren Hänge hinab, das atemversetzende Hinüberschwingen von Halde zu Halde und das jubelnde Sichwiederfinden im fernen Talgrund. Oft hieß es eine Schleife fahren, um einer im Schnee versinkenden Gestalt wieder auf Füße und Schneeschuhe zu helfen. Dafür wurden hohe Belohnungen oder derbe Strafen zugesichert, je, ob es ein Mägdlein oder ein Bürschlein war. Und in den großen Schutzhütten, in denen es von sportliebendem Jungvolk wimmelte, gab es nach heißem Erbsenbrei zu Lautenklang und Zitterschlag Tanz und Gesang vor dem lodernden Kamin, bis die Mitternachtsstunde die Nimmermüden zur Strohrast rief. Christoph Attermann war wie ein mächtiger Berghund. Er sicherte in kühnem Vorlauf die Bahn, hielt zurück, um die ungeübten Mädchen vorüberbrausen zu lassen, war als Erster zur Stelle, um hilfreiche Hand zu bieten, und ließ dennoch keine Sekunde das Auge von Therese Baumgart, an deren Schneeschuhen er die kleinste Unregelmäßigkeit erblickte, ordnete und heilte. »Ihr Wintervergnügen ist durch mich nur halb,« klagte das Mädchen. »Wenn das Ihre durch mich nur ein ganzes wird,« lachte der Wetterfeste. »Sie sind ein Mensch, dem man sich blindlings anvertrauen kann,« sagte das Mädchen und reichte ihm die Hand. »Tun Sie das nur zu jeder Stund’. Sie mag hell oder dunkel sein, Fräulein Therese.« -- Es war im März, und Neuschnee auf den Bergen. Wenige Tage noch, und das Wintersemester schloß ab, und der Abschied war da von Freiburg, der lieben, alten Stadt. Wie auf Sturmflügeln kam Martin Opterberg auf Schneeschuhen vom Feldberg daher, und Therese Baumgart war mit ihm, weil es den Abschiedstag galt, den er sich auserbeten hatte. Durch die schneeverhängten Tanneneinsamkeiten fuhren sie dahin wie die wilde Jagd, und die Zottelbartriesen der Wälder schraken aus dem Schlummer, und es war, als flögen sie im Sprunge zurück, wo die jungen Menschenkinder mit einem Lustschrei vorüberbrausten. »So dahinfliegen in alle Unendlichkeit!« schrie Martin Opterberg. »Das ist Leben!« »Ja! Ja! Ja!« scholl es ihm nach. Die Wälder des ›Notschrei‹ nahmen sie auf. Sekundenlang gedachte das Mädchen des bedrückenden Namens. Aber das Jauchzen des Jünglings riß sie darüber hinweg, und da breitete sich die Halde, und das Haldenwirtshaus winkte. Auf der Kaminbank hockten sie dicht bei einander und ließen sich durchwärmen von der Glut der harzigen Kloben und dem roten Glühwein, den ihnen der Wirt mit Späßen kredenzte. Und als sie wiederum die Schneeschuhe angeriemt hatten und mit erfrischten Kräften die Tafel des Schauinsland erreicht war, fiel jäh die Nacht herein. »Was tun wir jetzt?« fragte das Mädchen. »Wir machen Licht!« rief der Begleiter. »Fackelträger vor für die Königin!« Zwei handliche Pechfackeln wählte er aus seinem Rückenbündel, entzündete ein paar Kienspäne und stieß die Fackeln in die Glut. Da flammten sie lichterloh auf und warfen ihren wilden Schein über das schweigende, weiße Schneegefilde und die erhitzten Gesichter der beiden Menschenkinder. In jeder Hand schwang Martin Opterberg eine Fackel, daß das Schneeland wie ein königlicher Purpurmantel flammte. »Bahn frei für die Märchenkönigin!« schmetterte er in das widerhallende Tal, hob die Fackeln hoch über den Kopf und brauste, das Mädchen in seiner feurigen Spur, die Hänge hinab. Von der letzten Höhe glitten sie in die Niederungen der Menschen. Nebeneinander fuhren sie jetzt, und die Fackeln waren bis auf den Stumpf niedergebrannt. Martin Opterberg schleuderte sie zur Erde, daß ein Funkenregen um ihre Köpfe flog. Den Arm streckte er aus und riß die auf den Schneeschuhen Schwankende an sich. »Mädchen, Mädchen, hast du mich lieb? Hast du mich lieb, Mädchen?« »Ja, Martin, ich hab’ dich lieb. Ja, Martin …« Er küßte ihr die Wangen, die Augen und den Mund. Und dann nahm sie sein Gesicht in ihre beiden Hände und blickte lange hinein. Als müsse sie sich jeden Zug, so wie er war, einprägen für immer. Die Schneeschuhe wurden gelöst und aufgepackt. Durch die Vordörfer ging es nach Freiburg hinein. Die Brunnen auf den Straßen rauschten vom Abschiednehmen. »Nun gehst du auf die Hochschule nach Darmstadt, Martin --« »Geh du nach Heidelberg, Theresel. Du findest eine glänzende medizinische Fakultät, und ich finde dich leichter von Darmstadt aus.« »Wollen sehen, ob’s glückt. Wenn du heimgehst, grüß die Mutter.« »Leb wohl. Ich sag’ dir all meinen Dank.« »Leb wohl, du --« * * * * * Sommer war es geworden und wieder Winter, seitdem Martin Opterberg und Christoph Attermann ins Hessische gezogen waren, um an der technischen Hochschule zu Darmstadt ihren Studien obzuliegen. Vom ersten Tage an nahm sie ihr erwähltes Fach gefangen, und der buchenbestandene Odenwald durfte lange locken, bevor er in den wenigen Mußestunden, die sich die Eifernden ließen, die heißen Arbeitsstirnen zu kühlen bekam. Wie ein Bergmann ging Christoph Attermann in seiner Arbeit Stollen für Stollen ab und wühlte sich unermüdlich durchs Gestein, während sich Martin Opterberg, sobald er die Unterlagen unter den Füßen spürte, mehr und mehr in die großen Zusammenhänge vertiefte, die die Wunder der Technik mit dem Hoch- und Ausbau des gesamten Wirtschaftslebens verband, und ihrer Herr und Meister zu werden versuchte. Da tat sich manche Lücke auf, der nicht lediglich mit dem Winkelmaß und der Logarithmentafel beizukommen war, und schon nach einem weiteren Jahr stand es ihm fest, daß er zur Abschließung seiner Studien noch ein paar Semester Volkswirtschaft an einer Universität hinzunehmen müsse. Aber das eilte ihm vorläufig nicht. Alle Säfte der Jugend stiegen in ihm auf, wie in einem jungen Baum, der nach allen Seiten seine Äste recken möchte und doch fürerst in die Höhe schießt. Von Zeit zu Zeit traf ein Brieflein von Therese Baumgart, die nach Heidelberg übergesiedelt war, als Antwort auf einen fröhlichen Kartengruß ein. Darin berichtete das Mädchen gar ernsthaft von Studien, Übungen und ersten Fachprüfungen, die es leicht bestanden habe, von seinen weiteren wissenschaftlichen Plänen und ein wenig auch von seinem eingezogenen und doch glücklichen Leben auf der Studentenbude hoch oben in der Neckarstadt. Und nur zwischen den Zeilen zitterte zuweilen ein Wort: ›Denkst du noch an die sommerselige Schwarzwaldwanderung? Denkst du noch an die glührote Fackelfahrt durch Neuschnee und Nacht, von Berg zu Tal?‹ Dann schrieb Therese Baumgart wohl: »Wenn ich zur Erholung und Erfrischung ans Fenster tret’ und die Hand ausstreck’, so greif’ ich in ein Bäumlein des Odenwalds, und wenn du von deinem Fenster aus dasselbe tust, so greifst auch du in ein Bäumlein des Odenwalds, und das Blätterrauschen geht von Süd gen Nord und von Nord gen Süd im selben Wald. Ist das nicht, als schüttelten wir uns wie nur je die Hände?« Kam ein Brieflein, so gab es Martin Opterberg auch Christoph Attermann zu lesen, und wenn der Freund nach Tagen fragte, ob dem Theresel auch geantwortet sei, und erfuhr, daß der Martin noch nichts zu berichten gewußt habe, so setzte er sich selber hin und füllte manchen Bogen mit der Beschreibung des gemeinsamen brüderlichen Lebens. So kam es, daß Therese Baumgart letzthin ihre Briefe an die beiden Freunde zusammen richten mußte, an den fleißigen Schreiber und an den fröhlichen Kartengrußsender. Als die Freunde zum erstenmal nach Heidelberg gefahren waren, hatten sie das Theresel am Bahnhof kaum erkannt; so blaß und schlank war es von allem Studieren geworden. Aber die Wiedersehensfreude loderte mächtig in seinen Augen. »Mädel, Mädel, hab deiner Schönheit acht,« rief Martin Opterberg und schwang des Mädchens Hände hin und her. »Das Stubenhocken schafft’s nimmer. Der Wald muß hinzu.« »Hab deiner Gesundheit acht,« sagte Christoph Attermann und wußte nicht, wie ihm das »Du« über die Lippen gesprungen war, bekam einen flammenden Kopf und wollte sich entschuldigen. Therese Baumgart lachte ihn aus. »Laß gut sein, Christophel. Wenn ich in Gedanken mit dir red’, hab’ ich dich längst Du genannt.« »So tu’s weiter und alle Zeit und schenk auch mir die Freud’.« Sie nickten sich mit frohen Augen zu und gaben sich den Handschlag darauf. Martin Opterberg aber mahnte kräftig zum Aufstieg auf das Schloß, und die frischgebackene Heidelbergerin machte stolz die Führerin und leitete zuvörderst zur Universität, der uralten und ewig jungen Ruperto-Carola, die sie in begeisterten Worten pries und den Hörern als die älteste aller hohen Schulen Deutschlands einprägte, im Jahre 1386 vom Kurfürsten Ruprecht von der Pfalz begründet im Wettbewerb gegen die hohen Schulen von Prag und Wien. »Mich drängt’s heut mehr nach dem großen Faß als nach dem Born der Weisheit, Theresel.« »Folg mir nur brav, Martin. Wir kommen noch immer zu früh, denn das Faß ist leer bis auf den Grund.« »So wüßt’ ich mir eine andere Quelle,« lachte er und schaute ihr auf den Mund. Nun stiegen sie plaudernd den Schloßberg hinan, und während sie sich heimlich mit den Blicken maßen und einer im anderen sich selber suchte, ging Frage und Antwort eilig zwischen ihnen hin und her, und es war, als läge Freiburg jählings am Neckar. »Der Broich war der fleißigste,« berichtete Therese Baumgart. »Sein juristisches Examen war ein gutes, und er arbeitet mit Macht auf den Assessor, um, wie ich glaub’, in die Industrie zu gehen und schneller einen Hausstand zu gründen, als es ihm sonst glücken könnte.« »Einen Hausstand? Ist es denn so fest und richtig zwischen ihm und der Hilde Falkenroth?« »Ich glaub’s, Martin. Die Hilde hat der Medizin entsagt und ist heim in den großen Gasthof ihres Vaters bei Koblenz, wo sie das Kochen und Wirtschaften übt.« »Und die Klarenbachsmädchen machen’s ihr wohl nach?« »Sie studieren und studieren nicht, just so, wie es ihre guten Freunde, die Herren Tillmann und Grüters tun. Der Tillmann verliert dabei ein wenig seinen Weg und denkt mehr an seine Elfriede als an seine Kunstgeschichte. Um ihn ist mir leid. Aber der Grüters weiß, was er will, und was er an Zeit mit der Gerda verliert, das holt er sicherlich des Nachts wieder bei, denn er wünscht dem reichen Industrieherrn Klarenbach als ernsthafter Bewerber unter die Augen zu treten.« »Wie das alles nach dem Versorgungshafen drängt,« spottete Martin Opterberg und schüttelte sich. »Gerad, als ob die einzige Jugendzeit nicht das Beste bedeutete im Leben. Und nun sag noch eins zum Schluß: was macht denn das Theresel?« Das Mädchen sah ihn mit Erstaunen an. Dann wurde ihr Blick ruhig. »Das Theresel dankt für gütige Nachfrag’ und hofft, bald größere Verbänd’ anlegen zu dürfen als den ersten kleinen Wickel in Freiburg.« »Das Theresel ist wohl arg stolz geworden als wohlbestallter Kandidat der Medizin?« »Nicht gerad stolz, aber stetig in seinem Weg, weil’s keine Sterntaler mehr schneit, wenn der Mensch träumt, und nur, wenn er wacht.« »Bist auch du mit auf der Jagd nach dem Mammon? Das scheint heut die Losung zu sein im lieben Vaterland.« »Narr du. Hast du schon einmal für Geld gearbeitet und arbeiten müssen? Oder haben dir Vater und Mutter das Tischlein des Lebens gedeckt? Bevor du nicht den ersten selbstverdienten Taler auf den Tisch legst, würd’ ich an deiner Stell’ kein Wörtlein über den Gelderwerb sagen. Denn er kann auch heilig sein, Martin, und ein Durchgangstor zum rechten Glücklichwerden und Glücklichmachen bilden. Denk mir zuliebe nur einmal an die kleine Linde, mein Schwesterchen, und wie ich dem Lindele wohl mit meinen Rieseneinnahmen zu einem Königtum verhelfen werd’.« Martin Opterberg reichte ihr beim letzten Bergan die Hand und hielt sie eine Zeitlang in der seinen. »Ich hab’ so dahergered’t, Theresel. Die Jugend macht mir halt immer noch so warm, daß ich fast mein’, ich dürft’ sie nimmer und nimmer auslassen. Und nun gar noch vorzeitig Schluß machen, wie die Freunde zu Freiburg? Ach, du verstehst mich schon.« »Bist halt immer noch das Sturmherz?« »Es stammt vom Vater, Therese. Von der Mutter hab’ ich die heiße Arbeitsfreud’, die der Vater nimmer besaß. Hoffentlich wird’s ein Ausgleich.« »Der Martin ist ganz einfach überarbeitet,« erklärte Christoph Attermann ruhig, »darüber helfen selbst die schönsten Wörter, die ihr tauscht, nicht hinweg. Er ist seit der Bubenzeit an die freie Natur gewöhnt, und wenn du ihm ein Arzneilein verschreiben willst, das _ihm_ hilft und auch _dir_, so schreib zuweilen im Brief: Wir wollen nächsten Sonntag durch den Odenwald rennen oder die Bergstraß’ entlang durch die Weindörfer.« »Christoph, wenn Mutter Christiane wüßt’, daß du schon wieder der Medizinwissenschaft ins Handwerk pfuschst! Aber ich will das Rezeptlein schreiben.« »Still,« bat Martin Opterberg und zog ehrfürchtig den Hut vom Kopf. Sie hatten im Gespräch die Elisabethpforte durchschritten, die gesprengte Bastei, den Stückgarten durchquert, waren über die Burggrabenbrücke und durch den vierkantigen großen Wartturm gelangt und standen im Schloßhof, im Märchenhof der Wunder und Träume. »Mein Gott,« stieß Martin Opterberg hervor, »ist das möglich …« Und die anderen taten wie er und gingen über den moosbedeckten Hof, den die rotleuchtenden Sandsteinbauten wie ein Prachtgeschmeid von Schlössern und Burgen umgaben, auf Zehenspitzen einher, als fürchteten sie, aus den zerborstenen Mauernischen ein Elflein aus dem Sommermittagschlummer aufzustören oder den großen Pan selber. »Muß man wirklich wissen,« sagte Martin Opterberg leise, »daß das eine rosenrote Wunder der Otto-Heinrichsbau geheißen ist und das andere der Friedrichsbau? Und daß das dritte Wunder der gläserne Saalbau genannt ward und das vierte der Frauenzimmerbau und das fünfte der Ruprechtbau und was sonst noch immer? Fragt man im Märchen nach Nam’ und Art? Da heißt es: es war einmal ein Königssohn, der auszog an den Hof einer Prinzessin, und die war so schön … Und hier schauen uralte deutsche Kaiser und Könige, Kurfürsten und Pfalzgrafen aus den Fenstern und blinzeln in die pralle Sonne und wohl auch ein wenig nach dem Frauenzimmerbau. Kinder, und wenn mir jetzt einer daherkäm’ und würd’ mir Sprüche machen von Gotik und Frührenaissance oder gar von köstlicher bengalischer Beleuchtung, ich tät’ den Lästerlichen wegen Gottesdienstschändung hinunter befördern bis in den Neckar.« »Und die Händ’ sollen sie lassen vom Wiederaufbau,« setzte Christoph Attermann hinzu. »Wie’s der Wahnsinn der Franzosen nach dem Dreißigjährigen Krieg im Raubüberfall zersprengt hat, so muß es erhalten bleiben. Ein Wahrzeichen: auch unter Trümmern sterben wir nicht.« »Nun ist die Reih’ des Gebets an Therese Baumgart.« »Ich denk’ wie ihr,« meinte das Mädchen aus seinem Sinnen, »und ich denk’ hinzu: Nur, wo unsere schönsten Gedanken und Erinnerungen aus den zerbrochenen Säulen und Bildwerken das alte Wunder neugestalten und ausschmücken dürfen, wird es ein Märchen. Und Märchen machen glücklich. Ich kann sie lesen, wann ich will, und immer mir das meine daraus lesen.« »Du hast das Rechte getroffen,« sagte Martin Opterberg. »Unsere Märchenschlösser müssen wir uns selber bauen und selber bevölkern können. Das trifft der gescheiteste Baumeister nicht. Hier zwischen Moos, Efeu und Heckenrosen in den Trümmern liegen, ein Mädchen im Arm, und wortlos, wortlos die versunkene Welt beschwören, bis sich die Zinnen heben, Fahnen von den Zinnen wallen, weiße Frauenarme von den Marmoraltanen winken und goldengerüstete Ritter zu unserem Verstecke sprengen, um uns einzuholen in feierlichem Zuge.« »Es gibt ein noch schöneres Plätzchen, um hinunterzulauschen in die Vergangenheit. Kommt,« bat Therese Baumgart, »ich führe euch. Hoch oben im Wald ist’s gelegen.« Kaum einen Seitenblick schenkten sie dem Keller mit dem Heidelberger Faß und dem Säuferzwerg Perkeo. »Das ist der Jahrmarktsgroschen für den Herrn Gevatter, dem es derber kommen muß als Elfenzauber,« riefen sie sich lachend zu, stiegen den Waldweg hinauf zur Molkenkur, träumten ein Stündlein mit weitgeöffneten Augen im Grase, als läge unter ihnen die waldgebettete, efeuumsponnene Ruinenwelt auf einem anderen, fremden Stern, und stiegen noch einmal bis zur Höhe des Königstuhles und sahen nichts mehr zu Füßen als ein grünwogendes Wäldermeer. Im Abendschein ruderten sie auf dem Neckar. Es waren viel Boote draußen mit buntbemützten Studenten und andere mit den schönen Jungmädchen der Stadt. Von hüben und drüben warf man sich Rosen in den Kahn, und als Martin Opterberg einen wilden Bergjauchzer tat, reckten sich die weißen Hälslein nach ihm, und es gab einen Rosenregen über seinem Haupt. Da lachte er aus vollem Herzen und breitete den Spenderinnen die Arme entgegen. Der letzte Zug erst entführte die Freunde nach Darmstadt, und doch war der Tag nicht ausgeschöpft. Das empfanden sie, weil sie sich wortarm im Abteil gegenüber saßen. »Morgen hab’ ich einen heißen Arbeitstag,« sagte kurz vor der Ankunft Martin Opterberg. »Ich nicht minder, Martin, und das Theresel kaum anders.« »Fandst du nicht, Christoph, daß sich die Therese Baumgart verändert hat? Es ist ein Zug Hausbackenes in sie hineingeraten.« »Ich fand nur einen vertieften Frauenernst, wie ihn die vertieftere Erkenntnis vom Leben mit sich bringt. Als wir noch Buben waren, sagte die Mutter einmal: ›Seht darauf, daß euch immer das richtige Zeitalter zu Gesichte steht.‹ Das war auf den Professor Barthelmeß gemünzt. Du weißt ja, der sich immer auf den goldenen Jugendleichtsinn herausspielte und die Seinen schmarotzen und borgen ließ. Die Therese Baumgart hat heute das Gesicht, das ihr ansteht.« »Also hab’ ich’s nicht. Darauf kommt’s hinaus.« »Mir scheint eher, Martin, es macht dir augenblicklich noch keine Freud’, es zu haben. Denn auf die Dauer bist du ja viel zu stolz von der Mutter her, unter einer Maske herumzulaufen und nach Lärvchen auszuspähen, statt nach Gesichtern. Nein, nun laß mich meine Standred’ zu Ende halten, Bruderherz. Das Theresel kam dir blaß und schmächtig vor. Woran lag’s? Es war einer zuviel bei der Partie und hinderte das nähere Zuschauen. Das wollen wir schleunigst ändern.« »Also mach du mit ihr die Fahrt durch die Bergstraß’ und laß mich daheim.« »Ah,« sagte Christoph Attermann gedehnt. »So ist’s gemeint? Dann ist’s schon besser, wir drei bleiben noch eine ganze Weil’ beisammen.« -- -- Nur eine Fahrt machten sie zu dritt von der weinfrohen Bergstraße aus in den sagenrauschenden Odenwald. Als das Sommersemester sich neigte. Fast in der Mitte zwischen Heidelberg und Darmstadt, in dem uralten Städtlein Auerbach, dessen gewaltige Burg Karl der Große baute, trafen sie zusammen. Und gleich begann der Marsch in den grünwogenden Wald. »Sieh dorthinaus,« bat Christoph Attermann die Gefährtin, »die Ruinen bildeten einmal das sagenhafte Kloster Lorch, in das sie die Leiche Siegfrieds trugen, als er hier im Odenwald erschlagen war. Und viel blutige Geschehnisse aus der Karolingerzeit drücken auf die Mauern.« »Weshalb heißt es der Odenwald?« fragte die Gefährtin. »Weil der Wald so öde war. Nichts als Bäume und seltsame Felsenmeere.« »Nein,« sagte Martin Opterberg, »es war der Odinswald. Hierherum liegt ja auch die Burg Rodenstein, der Horst des ewig nach Wild und Wein jagenden Jägergrafen, von dem wir so manches Lied auf der Kneipe geschmettert haben. Was ist er anders als eine Auferstehung des wilden Jägers, und der wilde Jäger am Sturmhimmel ist der Germanengott Odin oder Wodan. Dies war der wilde Odinswald.« »Ja,« nickte das Mädchen, »so wird es sein, denn der Berg, den wir ersteigen, führt auch einen Namen wie aus der Welt der Götter und Riesen. Der Melibokus!« Durch den dunklen Buchenwald arbeiteten sie sich zum Gipfel und stürmten die Stiegen des Turmes hinauf, ohne sich umzuwenden. Einen Aufschrei taten sie wie aus einer Kehle, als sie auf der Plattform die Augen öffneten und nicht wußten, wohin zuerst mit dem Blick: Wälder, Berge, Burgen, Städte -- geliebtes Land am Rhein. Der Taunus hüben in blauer Lieblichkeit, der Spessart drüben in rauher Herbheit. Dort stieg der Donnersberg auf, Donars Opferstätte, und weiter, weiter der Schwarzwald, das Kinder- und Heimatland, von den Vogesen jenseits des Rheins überragt. Und dicht zu Füßen die blühende Kette der Städtlein und Weiler der sonnigen Bergstraße, die niederglitt in die schier unübersehbare Rheinebene. Und nun zeigten sie sich in fiebernder Freude die Dome und Türme, die wie Schwurfinger aus dem Rheintal ragten, und jeder Name war wie ein tiefes deutsches Glockenläuten: Worms--Speyer--Mainz. »Laßt uns singen,« bat Christoph Attermann. Aber keiner sang. Eine jugendliche Schwermut lag auf ihren Gemütern, die nach einer erlösenden Zärtlichkeit verlangte oder einer bannenden Umarmung. Und sie zogen nach stündiger Rast wortlos weiter und hinüber nach dem Felsberg und wortlos und mit schlagenden Herzen durch die ungeheuerliche Öde des Felsenmeeres, aus dem schon die Römer die Quadern zu ihren Bauten holten und Karl der Große die Riesenpfeiler zu seiner Pfalz in Ingelheim. »Laßt uns eins singen,« bat Christoph Attermann noch einmal. Da hob Martin Opterberg wie ein Trunkener das Rodenstein-Lied an. »Und wieder sprach der Rodenstein: Pelzkappenschwerenot! Hans Breuning, Stabstrompeter mein, Bist untreu oder tot?« Erschrocken blickte Therese Baumgart auf den wild dahersingenden Freund. Der aber hob unbekümmert um die erschrockenen Augen mit Macht die zweite Strophe an: »Er eilt, bis er gen Darmstadt kam, Kein Fahnden war geglückt; Da lacht er, als am schwarzen Lamm Durchs Fenster er geblickt: Er lebt noch! … lebt noch und hebt noch! Doch frag’ mich keiner: wie? Wie kommt mein alter Flügelmann In solche Kompanie?!« »Jawoll! In Darmstadt! Dort sitzt er! Unter den braven Schöppleinschlürfern, die um acht Uhr in die Federn kriechen! Naus da! ’naus aus dem Haus da! O Horn und Sporn und Zorn! O Rodenstein! O Maienwein! Noch bin ich nicht verlor’n! Christoph, daß du’s weißt, zum Oktober treten wir ein bei den Pionieren in Mainz, und gefällt’s dir in Darmstadt besser, so geh’ ich allein!« »Einstweilen geht’s nach Jugenheim und von dort zur Bahn. Der Tag ist zu End’.« Das war für lange Zeit das letzte Mal, daß sie miteinander wanderten. -- Ein Jahr lang dienten Martin Opterberg und Christoph Attermann bei den Mainzer Pionieren und fuhren den goldenen Rheingau stromauf und stromab. Heiß war der Dienst, heißer der Wein und am heißesten die braunen Mädchenaugen. Aber der Dienst ward geschafft, der Wein vertragen, und nach den Mädchenaugen fragte Christoph Attermann den Freund nicht mehr. Als sie übers Jahr, in der letzten Septemberwoche, das lustige Mainz verließen, hatten sie beide die Offiziersprüfung mit Auszeichnung bestanden. Herr Arnold Opterberg aber war zum Empfang nach Rüdesheim gekommen. Herr Arnold Opterberg war grau geworden, aber unter dem künstlerisch wuschligen Grauhaar leuchtete weinfroh sein schmales Gesicht. »Zwei Fliegen schlag’ ich hier mit einer Klappe,« rief er den stolzen Buben entgegen, die er vom Schiff holte und auf dem Laufsteg stürmisch umarmte. »Was sag’ ich? Zwei? Ein halbes Dutzend fast! Der Professor Barthelmeß ist hier mit Frau und Tochter, und die Weine haben wir geprobt zu Kloster Eberbach, Kiedrich und Eltville, zu Oestrich und Winkel und Geisenheim seit drei Tagen und Nächten! Herr Jesus, welche Tropfen! Der Barthelmeß hat’s gut. Der kommt, wo er arbeitet, von den Kirchen in die Keller. Das ist der alte Mönchsweg. Kinder, und heute wollen wir einen Rüdesheimer Abend feiern.« »Wie geht’s der Mutter?« »Königlich wie immer, Kinder. Aber nun kommt zu den Barthelmeß! Hinein in die Weinlaube!« Der Professor war ein schwerbeleibter Mann geworden, aber die faltigen Säcklein unter den Augen rührten nicht von Tränen her. Mit dröhnender Stimme begrüßte er die Angekommenen, als sei er der Herr der Weinlaube, und rief seine Damen auf, das Willkommglas darzubringen. Quecksilbern wie vor Jahren kam die immer noch zierliche Frau Hadwiga dem Gebote nach und reichte unter einem Schwall von Worten Christoph Attermann das Glas, während Sabine im schwarzen Gelock stumm das Glas Martin Opterberg bot. Aber die Augen des zigeunerhaft schönen Geschöpfes, das sich wie eine Weide zu dem jäh Erstaunten bog, hefteten sich scheulos, bettelnd und heischend, an den aufflackernden Blick des Mannes. »Wie alt bist du jetzt, Sabine?« »Bald Siebzehn.« »Ei, da hab’ ich mich verrannt mit dem ›Du‹.« »Ich kann’s ja auch zu dir sagen.« Das ging hastig von den Lippen. Sie saßen dicht beieinander, und der Wein funkelte in den Gläsern und funkelte bald in den Augen. Wenn Martin Opterberg eine Bewegung machte, streifte er das schlanke Mädchenknie, wenn Sabine ihm das Glas hinhielt, streifte sie mit der Fingerspitze seine Hand. Ihre Augen hingen heimlich immerdar an den seinen, aber in der Heimlichkeit, die es ihn fühlen ließ und ihm das Blut durcheinander wirbelte, daß er nur noch das berückende Mädchen spürte und nichts mehr von der zigeunernden Barthelmeßtochter. Und nun stiegen die Rheinlieder und die Weinlieder und die Liebeslieder im Gefolg zu dem mondscheinhellen Rheingauhimmel, und ein Händedrücken hob an, und die Alten wollten die Jüngsten sein. »Denn dies ist die letzte Zaubernacht am Rhein,« rief Herr Arnold Opterberg, »und wir wollen sie ausschlürfen bis zur Neige, bevor uns der Herbst verjagt!« Eine Mondscheinfahrt schlug er vor. »Zum seligen Abschluß!« Und alle drängten sie jubelnd ihm nach an den Rhein. Und Arnold Opterberg sprang wie ein Jüngling als erster in den Kahn, stand hochaufgereckt auf der Steuerbank und schwang sein Glas dem Märchenzauber des Rheins zu. Der Arm stand in der Luft. Das Glas schlug klatschend aufs Wasser. Arnold Opterbergs Augen schlossen und öffneten sich. Standen weit auf, als sähen sie ins Unsichtbare. Und der Körper sank hintüber und wurde vom Rhein weggerissen. »Ein Schlag! Ein Schlag!« schrie Professor Barthelmeß und umklammerte Frau und Tochter. Das mondscheinhelle Wasser sprühte auf. Ohne eine Sekunde zu zögern, hatten sich Martin Opterberg und Christoph Attermann in die raschfließende Flut geworfen. Ein paar Worte riefen sie sich im Wasser zu. Kurz. Hart. Ihre Körper tauchten nieder. Wer im jungen Brauserhein das Schwimmen erlernt hatte, fürchtete die Strudel nicht. Unter Wasser schwammen sie und tauchten hoch, sicherten und tauchten nieder. Wieder lagen sie auf den Wellen und ruderten schwerfällig weitab an Land, eine Last zwischen sich. Herr Arnold Opterberg hatte gefunden, was er sich erwünscht hatte: den seligen Abschluß, bevor der Herbst ihn verjagte. -- -- Die Leiche lag geborgen. In triefenden Kleidern stand Martin Opterberg im Zimmer seines Gasthofes, mit stieren Augen und kreisenden Gedanken, die um Hilfe riefen. Da öffnete sich die Tür, und ein Mädchen schlüpfte herein und warf sich ihm an die Brust. »Martin! Martin! Ich mußt’ zu dir hin!« »Du! du!« sagte er mit schlagenden Zähnen und preßte seine kälteschauernden Glieder in die wärmenden Arme. »Das vergesse ich dir nicht. Daß du in der Stund’ meiner Not gekommen bist.« Schweren Schrittes trat Christoph Attermann ein. Sabine Barthelmeß huschte an ihm vorbei und durch die Tür. Ein Schluchzen schüttelte Christoph Attermanns Körper. »Martin -- Martin -- nun hat der Rhein beide zu sich geholt -- deinen Vater und den meinen.« Und als er Martin Opterbergs qualvoll sich vordrängende Tränen sah, trat er auf ihn zu und wischte ihm so weich wie eine Mutter mit der Hand über die Augen. 7 Die Leiche Arnold Opterbergs war aus dem Rheingau heimgebracht worden an den jungen Rhein. Sohn und Pflegesohn hatten sie heimgeleitet. Und als sie angelangt waren an dem kleinen Dorfbahnhof, an dem ein vierrädriger, mit schwarzem Tuch behängter Gutswagen auf den Sarg harrte, gedachten sie beide wie in einem Atemzug der letzten Worte Arnold Opterbergs auf ihre Frage: wie geht es der Mutter? »Königlich wie immer,« hatte Herr Arnold gerufen, und königlich wie immer stand Frau Christiane, kraftvoll und ruhevoll in ihrem schwarzen Trauerkleid anzuschaun, das strohgelbe Haar im Flechtenkranz unter den Florhut gelegt, in der Bahnhofhalle und begrüßte durch eine kurze und herzliche Umarmung ihre Buben. Die Ruhe der Mutter ging im selben Augenblick auf die erschütterten Söhne über. Aufrecht und ernst standen sie in ihrer gebräunten Männlichkeit neben Frau Christiane Opterberg, die mit leisen und festen Worten die Gutsknechte anwies, den Sarg aus dem Wagen zu heben und mit Sorgfalt auf das mitgeführte Fuhrwerk zu tragen. Zwischen ihren Buben schreitend, folgte sie dem langsam dahinrollenden Gefährt auf der ackerumsäumten Landstraße. Keine Träne floß aus ihren klarblickenden Augen, kein Klagewort quoll ihr über die Lippen. Ihr Schmerz um den Toten in der schwarzen Lade war ihr zu heilig, um dem zusammengeströmten Volk ein Schauspiel zu bieten. »Ich weiß genug aus eurem Telegramm und aus eurem Eilbotenschreiben,« sagte sie daheim und strich den Söhnen über den Kopf, »genug, um die Einkehr einer friedsameren Stund’ abzuwarten, in der ihr mir geruhiger als heut erzählen könnt und ich geruhiger zuzuhören vermag. Haltet eine stille Umschau im alten Heimathaus und legt euch frühzeitig schlafen. Ich seh’s euch an, daß ihr viel nachzuholen habt.« Die beiden gingen, und Frau Christiane rief sie an der Türe an. Als sie sich umwandten, stand die Mutter hinter ihnen und zog mit einer starken Bewegung ihre Köpfe fest an ihre Brust. Und während sie erst den einen und dann den anderen küßte, murmelte sie: »Weil ihr euch nicht besonnen habt, euer lebendiges Leben an einen Toten im Strom zu wagen. Ihr beide -- ihr beide! Ihr habt ihn mir noch einmal geschenkt.« Dann ging Frau Christiane aufrecht hinüber in die Kammer, um die letzte lange Aussprache zu halten mit ihrem Toten, den sie in seiner Mannesschöne heißer geliebt und in seinem leichten Sinn mehr und mütterlicher umsorgt und gestützt hatte, als es dem Lebenden je zum Bewußtsein gekommen war. »Zu verzeihen haben wir uns nichts mehr, Arnold. Was den einen am anderen nicht gefreut haben mag -- wer will sagen, ob es nicht gerad des anderen stärkste Persönlichkeitswerte dargestellt hätt’ in einer anderen Zusammenstellung. Eins aber ist darüber hinaus als eine Restsumme geblieben, die ihre Zinsen trägt: das ist der Dank deines Weibes für dennoch viel Liebe, Güte und sonnige Fröhlichkeit, die du in mein Leben hineingetragen hast.« Und die Nacht hindurch rief sie in ihren Gedanken alle die hellen Tage aus Brautzeit und Ehe wach und vergaß die dunklen -- -- Am nächsten Morgen wurde Herr Arnold Opterberg auf dem nahen Dorffriedhof zur endlichen Ruhe beigesetzt. Die Knechte und Mägde des Gutshofes umstanden das Grab, aus Dörfern und Städten waren die Teilnehmenden erschienen, und selbst aus der Schweiz war ein starker Zuzug erfolgt. Das freute Frau Christiane im Herzen für den, der unten im Grabesgrund lag und trotz seines unsteten Lebensdranges stark und mächtig genug gewesen war, über so viel Freundschaft zu gebieten. Die Schollen waren niedergefallen. In langer Reihe zogen Nachbarn und Fremde an den Opterbergleuten vorüber und drückten ihnen die Hand. Schon sehnten sie das Ende der gleichförmigen, den Sinn immer mehr abstumpfenden Trauerbezeugungen herbei, als Frau Christiane auffuhr, weil ein fiebriges Lippenpaar sich auf ihre Hand gedrückt hatte, und Martin Opterberg schier fassungslos aufschluchzte, als er eine Sekunde lang eine eiskalte Mädchenhand in der seinen spürte. Durch Christoph Attermanns Augen aber ging ein Leuchten. Denn das schwarzgekleidete Mädchen, das auch ihm die Hand gedrückt hatte und nun im Schwarm der heimstrebenden Trauergäste auf der fernen Landstraße dahinschritt, war Therese Baumgart gewesen. »Laßt sie,« sagte Frau Christiane. »Sie hat, was auf keinem Seminar der Welt zu erlernen ist; sie hat die Zurückhaltung der echt adligen Menschen, die reich machen, weil sie ohne Worte reden. Sie wird zur rechten Stunde wiederkommen.« -- Christoph Attermann war daheim in den Garten gegangen, der in Felsstufen zum brausenden Rheine fiel, und saß auf der alten Holzbank, den Blick auf den strömenden Wassern. Eine Woche war vergangen, seit sie Herrn Arnold Opterberg hinausgetragen hatten, und der Herbststurm pfiff über das schwarze Land. Fröstelnd saß er und doch in ruhigem Abwarten. Denn droben in Herrn Arnolds geliebtem Turmzimmer wußte er Martin mit Frau Christiane, und er hatte sie alleingelassen, um ihnen eine Aussprache unter vier Augen zu schaffen. Martin Opterberg saß, die Arme aufgestützt, am offenen Giebelfenster. Die Herbstwinde hatten die Luft durchsichtig rein gefegt. Die Schwarzwaldberge rückten so nahe heran, daß man auf den Matten die Weiler zählen konnte, und die Alpen türmten sich in lastenden Ketten übereinander. »Es treibt dich hinaus, und ich lob’ es,« sagte Frau Christiane und blickte, dicht neben ihm stehend, in die frostige Weite. »Gewiß hat dich die Dienstzeit bei den Pionieren in der werktätigen Ausübung deines Berufs geschult und gefördert, aber daß der Geist mehr zu lernen hat als die Hand, das versteh’ ich. Also nach Darmstadt geht’s nimmer?« »Die fünf Semester dort genügen mir, Mutter. Wenn’s dir recht ist, geh’ ich nach Berlin; ich mein’ Charlottenburg. Ich wüßt’ mir nichts besseres zum Schaffen.« »Du willst fort -- vom Rhein?« »Mutter, ich muß das Bild erst aus meinem Kopf verloren haben.« »Das -- vom Vater?« Martin Opterberg nickte. Sein Blick haftete in den Fernen. Und unvermittelt erzählte er. »Weißt, Mutter, als wir über den Rhein nach Rüdesheim kamen, der Christoph und ich, und der Vater uns erwartete und zum Barthelmeß brachte, da sahen wir’s ja gleich, daß die Herren drei Tag’ Rheingauer-Sonntag gemacht hatten, und die Nächt’ nicht zu rechnen. Aber der Vater hatte’s ja doch geübt seit der Düsseldorfer Jugendzeit an, und es tat ihm nichts und machte ihn nur sprühender und sieghafter, als wär’ er der Jüngste und ging’ erst drauf los, die Welt zu erobern. So gab ich nichts darum, und daß der Barthelmeß die Geberlaune des Vaters ausnutzte und immer noch edlere und heißere Sorten auftischen ließ, achtete ich auch nicht, denn die Sabine war ein wirklich schönes und liebenswertes Mädchen geworden, und es war dem Kind zu gönnen, daß es einmal etwas anderes vom Leben erfuhr als das Leben von Vater und Mutter.« »Darum,« sagte Frau Christiane. »Ja, darum, und weil es mir selber Spaß machte, zu sausen und zu brausen, und weil ich mein Blut spürte und nicht fragen und nur warm sein wollt’. Jetzt, nach zwei Wochen, weiß ich’s als gewiß, ich wär’ in der Nacht toller geworden als der Vater, und ich hätt’s mir am anderen Tag vielleicht nicht verzeihen können, denn ich hatt’ das Mädel schon ganz rappelköpfisch gemacht.« »Ich denk’, das Mädel dich?« »Mutter, das Kind! Und ich war schon gebrüht und gebeizt durch sieben Studentensemester in Freiburg und Darmstadt und das Pionierjahr in Mainz, das auch nicht lauter Katechismusunterricht war. Ich beschönige dir nichts, Mutter. Ich war wie vom Teufel besessen an dem Abend, und wohl daher um so mehr, als mir der Barthelmeß und sein Weib so widrig waren -- und da geschah’s.« »Was geschah?« »Daß der Vater auf die Steuerbank stieg und ein Hoch auf das heiße Leben ausbringen wollt’. Und dann stand sein Arm in der Luft. Und seine Augen wurden leer und sahen doch mehr als wir. Aber der Arm stand immer noch steil in der Luft. Wie ein Warnungszeichen: Halt, Martin! Keinen Schritt weiter! Hier geht’s ins Wasser! Und dann versank er rücklings.« Martin Opterbergs Augen suchten die jungen Wasser des Rheins. Als sähe er das Bild wiederkehren und käme nicht los. Frau Christiane blickte auf ihres Buben wirres Blondhaar und sprach nicht eine Silbe. »Mutter, da hat mich das Grausen gepackt. Und ich meinte, auch ich sähe mehr als bisher. Oder es war mir doch später so, als hätt’ ich’s gemeint. Denn zunächst wußte ich, und der Christoph mit mir, nichts anderes als: hinein in die Flut und den Vater geholt. Und das glückte denn auch. Ja, Mutter, so war’s. Und nun wirst du verstehen, daß ich fern fort möcht’ und nichts als Studium und Arbeit haben, um das Gleichgewicht wiederzufinden.« Ganz sacht streichelte Frau Christiane ihrem Buben die Schulter. »Es war ein Unglücksfall, Martin. Ein schwerer und fürchterlicher gewiß. Aus dem heißesten Leben in den kältesten Tod -- das erzeugt Schreckbilder in jedem, der’s mit ansehen muß, und legt an seine eigenen irdischen Gedanken plötzlich Riesenmaßstäb’ an. Es war der schwere Wein und die seit Tagen überfüllten Adern. Da kam es zum Schlagfluß. Jedem anderen wär’s geschehen.« »Den steilen Arm redest du nicht hinweg,« murmelte Martin Opterberg. »Ich will’s auch nicht, Martin. Es soll ein jähes Erwachen und Überblicken gewesen sein. Und wenn es ein Warnzeichen gewesen wär’. Das Blut des Vaters ging oft rascher und unbändiger, als zu Zeiten gut war, und wenn’s ihm selber Freude schaffte, so schuf es den anderen oft Herzeleid, ohne daß er’s recht ahnte in seiner Fröhlichkeit. Gut, nimm’s als ein Warnzeichen, mein Bub. Aber vergiß nicht: du bist aus dem Blut von Vater _und Mutter_ entstanden. Und die Mutter bringt nicht nur das Kind zur Welt, sie speist es all sein Lebenlang mit ihren besten Säften und Kräften, wie die Quelle, die wir in eurer Kinderzeit hoch droben im Gletscher fanden, unaufhörlich den jungen Rhein speist, und flöß’ er noch weiter als durch Deutschland und Holland ins Meer.« »Mutter,« sagte Martin Opterberg, nahm ihre Hand von seiner Schulter und legte sie sich an die Augen, »ich spür’, daß du da bist.« »Spür du auch ruhig den Vater. Nur zur rechten Zeit muß es sein.« »Sag noch ein Wort dazu, Mutter.« Da ging ein heimliches Lächeln über Frau Christianes Züge, das der Sohn nicht sah und das sie ganz aus ihrem Alltag und Werktag entrückte. »Ich will es dir gewiß sagen, Martin, obschon du es selber weißt, wenn du im Frühjahr und Sommer über die Wiesen hinblickst. Da siehst du die Bienen unermüdlich hin und wider surren und Honig in die Zellen tragen, und da siehst du die farbenfrohen Schmetterlinge wie geflügelte Blumen durch die Sonne schweifen und von den Blüten nur den Honig trinken, ohne ihn zu sammeln, und sie entzücken dich doch. Was uns aber in den stillen Stunden entzückt, das sollen wir in den lauten nicht schmähen.« Martin Opterberg stand auf. Jetzt erst seit dem Wiedersehen kam es Frau Christiane zum Bewußtsein, wie groß und männlich er geworden war. »Ich danke dir, Mutter. Und ich habe dich ganz genau verstanden. Jetzt, da wir uns das Beste gesagt haben, wollen wir’s auch kurz mit dem Abschied machen. Das Semester hat schon begonnen. Morgen fahre ich nach Berlin.« »Und der Christoph?« »Der Christoph will auf die Hochschul’ nach Aachen. Für ihn ist der technische Hochbetrieb im Rheinland das Beste. Wir haben’s besprochen, Mutter, und es muß jeder einmal allein sein.« »Wirst du deiner alten Freundin Therese Baumgart vorher noch ein Lebewohl bieten?« fragte Frau Christiane, als frage sie leichthin. »Der Therese? Die nur wie ein Geist hier erschien und wie ein Geist verschwand? Wenn ich einen Strich ziehen will, darf ich keine Lücke zum Ein- und Ausschlüpfen lassen.« »Also auch die Barthelmeßleute siehst du nimmer?« »Um die Sabine ist mir’s leid,« sagte Martin Opterberg und schaute über die Mutter hinweg. »Sie war die erste und einzige, die mich in meiner Not aufsuchte und mehr als den üblichen Händedruck für mich fand. Aber es ist schon besser, ich lass’ es auch hier mit dem Wiedersehen ein paar Jahre anstehen.« »Nein,« sagte sich Frau Christiane, »er ist doch noch ein Bub, denn es ist noch verletzte Eitelkeit in ihm und eifersüchtig Abwägen.« Dann gingen sie und stiegen aus des Vaters Sehnsuchtsstube hinab und saßen noch lange bei Christoph Attermann auf der Bank … In der Adventszeit kam Therese Baumgart angereist. Von Heidelberg hatte sie bei Frau Christiane angefragt, ob sie kommen dürfe, und nun lag sie mit ganz bleichem Gesicht an Frau Christianes Brust. »Warst du krank, daß du so weiß ausschaust?« »Es ist nur die Freud’.« »Dann wollt’ ich, ich säh’ dich nie anders. Aber ein bißl rosa anmalen darf ich dich doch? Gelt?« »Komm’ ich auch nicht störend so nah’ vor der Weihnachtszeit? Sie werden mich gewiß auslachen, wenn ich’s sag’, und sich in der Still’ denken: Eine Ärztin will das werden, die so empfindsam ist? Aber es hat mich hergestoßen, weil ich wußt’, die Buben sind fern und die Frau Christiane haust zum ersten Male allein zum Fest.« »Und da willst du mich wohl gar auf dein Studentenstübchen holen kommen, Liebchen?« »Ah,« lachte Therese Baumgart, über den Gedanken belustigt, »das hätt’ ich mir allein gar nicht auszudenken gewagt. Aber hierbleiben möcht’ ich, wenn ich darf, bis über den Weihnachtsabend, und am ersten Feiertag nach Karlsruhe reisen zum Lindele.« »Das Lindele feiert wohl im Stift seine Weihnachten?« »Ja, aber ich darf es besuchen und mit ihm spazieren laufen und Schlittschuh fahren, so oft ich will. Ich miet’ mir immer ein Ferienstübchen in Karlsruhe.« »Jetzt geht’s zu Tisch,« gebot Frau Christiane, »und des Morgens wird ausgeschlafen bis in den hellen Tag, denn auf die Felder können wir nicht, oder nur mit Schneeschuhen. Schenk den Tee ein, Kind. Und reich mir die Sahne. Ich will mich einmal recht von dir verhätscheln lassen.« Allerlei Handreichungen ließ sich Frau Christiane tun und erfand täglich neue, um das Mädchen im Glauben zu halten, es sei ihr eine große Hilfe, während sie doch von Morgen bis Abend insgeheim an ihm herumsorgte, striegelte und fütterte, bis die Mädchenwangen sich röteten und die Augen den alten Glanz hatten. Am Tage vor dem Heiligen Abend fuhr Frau Christiane mit der Bahn nach Freiburg, um die letzten Weihnachtseinkäufe zu tun. Aber am Basler Bahnhof stieg sie in den Schnellzug nach Karlsruhe, und als sie in der Nacht heimkehrte, durfte Therese Baumgart nicht durch den Türspalt spähen. »Das Christkindchen ist im Haus,« neckte Frau Christiane und blieb auch den nächsten Tag geheimnisvoll, bis in der Dämmerstunde das silberne Klingeln durchs Haus lief, das alle Gutsangehörigen zur Bescherung lud. Auch auf Therese Baumgarts Platz lagen vielerlei Gaben der Liebe, und das Mädchen, das seit Jahren gewohnt war, sich seinen Weihnachtstisch selber zu decken, bedankte sich in größter Glücksverwirrung. »Ei,« sagte Frau Christiane, »du hast mir durch dein Kommen und Meingedenken ein so groß Geschenk gemacht, daß es mit der Handvoll Sächelchen doch arg gering vergolten wär’. Dazu bedurft’ es nicht eigens der gestrigen Fahrt. Das Hauptgeschenk harrt unter dem Tisch. Knie dich einmal nieder, Kind.« Therese Baumgart kniete nieder und lüftete das weiße Tafeltuch, das bis zum Boden niederhing. Und dann fuhr ihr Oberkörper mit einem Ruck unter das weiße Tafeltuch, und aus dem Zelt hervor drangen Worte des Entzückens, der Fröhlichkeit und Seligkeit, aber nicht einstimmig, sondern zweistimmig, und unter dem Gabentisch kroch ein zwölfjährig Mädchen hervor, ein getreues Abbild der Therese Baumgart, nur rascher und lustiger in Wesen und Augen, und nun war auch Therese Baumgart auf den Füßen, starrte Frau Christiane wie eine Erscheinung an, erwachte und schlang ihr stürmisch die Arme um den Hals. »Hab’ ich’s Rechte getroffen, Theresel? Ich mein’ fast, es schmeckt noch besser als ein Paket Basler Leckerli.« »Jetzt versteh’ ich den Christoph Attermann,« murmelte die Glückliche am Halse der Frau. Das Lindele hatte Ferien erhalten bis nach dem Dreikönigstag. Frau Christiane hatte sie ihr ausgewirkt. Und vierzehn volle Ferientage kam kein Buch und keinerlei Arbeit in Therese Baumgarts Hände und nur das im Haus und Gutshof herumjubilierende Schwesterchen. Das hatte Frau Christiane zur Bedingung gemacht. »Red mir nicht von Dankbarkeit,« sagte die geruhige Frau, der das klare, gelbe Haar den Schein der vollen Sommerherrlichkeit verlieh. »Mir hat die kleine Linde zum mindesten so wohlgetan wie dir. Gerad in meiner Ehe hat ein Mädelchen gefehlt. Die Buben kann man aufrecht erziehen, aber nicht huscheln und kuscheln, wenn’s einem mal heiß in die Kehle steigen will. Weißt, Theresel, ein Mädelchen, das ist immer schon wie eine kleine Mitschwester, und nun bring mir das Lindele jede Ferien.« Der Handschlag, den Therese Baumgart darauf leisten mußte, wurde die kommenden Jahre getreulich eingelöst. * * * * * Die Jahre aber gingen ihren Gang und brachten Aussaat und Ernte trotz Frost und Hagelwetter und Hoffnungen und Erfüllungen den Menschen trotz mancher verwehten Frühlingsblume, wie es der stete Lauf des Lebens, der über Erschütterungen lächelnd dahingeht, bedingt. Die Opterbergsbuben blieben an der Arbeit und schlugen sich zu Männern durch, leichter oder schwerer, je nach Art und Veranlagung, und Frau Christiane schrieb im Monat jedem einen Brief. Nicht mehr. »Man muß den Menschenkindern Zeit lassen, einander etwas Erfreuliches zu berichten,« pflegte sie zu sagen, »sonst quält sich Häcksel aus den Köpfen, und der ist gut für die Gäul’.« Martin Opterberg war noch nicht wieder heimgekehrt. Er wollte einen Studienabschluß haben, und die Ferien verbrachte er, wenn er nicht gerade eines Winters zum Besuch der Theater und Konzerte Berlins bedurfte, auf Reisen, die ihn oft bis hinauf in das industriereiche Schweden und in das holzbestandene Norwegen führten. Seiner Mutter schrieb er freundliche Sohnesbriefe, aus denen Frau Christiane mit sicherem Auge das herauslas, was nicht darinnen stand: die immer noch nicht gebändigte Unrast und die Enttäuschung an den errungenen Freuden der Welt. »Gut so, denn dazwischen liegt der Ausgleich,« sagte Frau Christiane und bündelte den Brief zu den übrigen. Christoph Attermann kam in festen Abständen. Er sah nach dem Ergehen der Mutter, erzählte kurz und klar von seinen Fortschritten und den Hemmungen, die es noch zu überwinden gebe, und hockte dann schweigsam lauschend an ihrer Seite wie in Kindheitstagen. Seine Züge waren fest und seine Bewegungen sicherer geworden, seitdem er ohne Martin Opterberg hauste und den Weg allein unter die Füße nahm. Das sah Frau Christiane auf den ersten Blick, und was sie von Stund an mit ihm besprach, betraf ihn allein und nicht mehr die Buben zusammen. »Mutter,« sagte dann Christoph Attermann beim Abschied, »ob ich komme oder geh’, ich spür’ immerdar die Kraft deines Gleichnisses von der Rheinquelle und den ins Weite strömenden Wassern. Und ich spür’ die Kraft des Nimmer-Zugrundegehenkönnens, solang die Quelle fließt.« »Ich weiß schon von der Therese Baumgart, was für gewählte Reden du über mich führst.« Auch die Therese Baumgart suchte Christoph Attermann in festen Abständen auf. Sie stand jetzt in Staatsexamen und Doktorprüfung und freute sich wie ein Kind, wenn das vertraute Gesicht des Jugendkameraden in ihren Nöten vor ihr erschien. Und es gab keine Angst und keinen Zwiespalt des Prüflings, den der gesunde Sinn des Freundes nicht ausgeräumt und ausgeglichen hätte. »Wenn ich die Augen schließ’, mein’ ich, ich hör’ Frau Christiane reden, und sie hat doch diesen ihren zweiten Sohn gar nicht geboren.« »Doch, doch. Die Seele.« -- -- Therese Baumgart hatte für die letzten Semester die Universität in Bonn gewählt. Das war für den Freund, der noch in Aachen verblieben war, bequem zu erreichen. Und wenn er kam und das Wetter günstig war, holte er sie zu einem Marsch in das stille Siebengebirge oder auf die Höhe des Rolandsbogens, und unter ihnen rauschte der Strom um die Inseln Nonnenwert und Grafenwert und ergoß sich durch das letzte Bergtor, all seinen Zauber noch einmal zum berauschendsten Schönheitsbild zusammenfassend, beruhigt und kraftvoll in das Land der Arbeit. »Abschied von der Jugend,« sagte Therese Baumgart sinnend. »Begrüßung des Manneslebens, Therese. Oder auch des Frauenlebens. Das ist eins. Wer sagt dir, daß sich der Rhein nicht dafür so ganz besonders bräutlich schmückt.« »Du magst Recht haben, Christoph, aber er tut es gewiß auch, um uns zu mahnen: Vergeßt die genossene Jugend nicht.« »Nein, die vergessen wir nicht, und auch den dritten im Bunde nicht, der sich jetzt in Berlin herumquält.« »Quält er sich --?« Dann nahm Christoph Attermann wohl die Briefe Martin Opterbergs hervor und las, während sie auf einem einsamen Waldhügel lagerten und doch die Fülle rheinischen Lebens vor Augen, der Horchenden manche halbe Stunde, bis ihr alle Examensnöte klein erschienen. * * * * * »Im zweiten Jahre hause ich nun in dieser brausenden Stadt, die so reich ist und so arm. So reich an geistiger Schöpferkraft in Kunst und Wissenschaften, daß man nicht weiß, woher die Eimer nehmen, um zu schöpfen, und so arm hinwiederum an geistigem Lebensbedarf großer Menschenherden, daß oft ein Becherlein genügt, um ihn auszuschöpfen. Ich meine nicht die Bildungsbestrebungen des arbeitenden Volkes, das nach all den Schätzen hungert und dürstet, die die sich höher veranschlagenden Kreise meist nur wie Spielzeuge auf der Festtafel liegen haben, um sie bei guter Gelegenheit zum Ballspiel zu benutzen. Weshalb kein Ausgleich hier und keine Vertiefung dort, da die Quellen überreichlich springen? Es ist die Stadt der Unausgeglichenheiten, und ich stehe mit meiner eigenen mitten darin.« -- -- -- * * * * * »Einen ganzen Winter hab’ ich an Gesellschaften hingegeben. Ich wollte die Seele der höheren Menschheit kennen lernen, und war fast immer falsch am Ort. Die Seelen, die ich suchte, finden sich wohl nur auf den stillen Gelehrtenstuben und in den Arbeitsräumen der Handelsherren, der Erfinder und Insichgewendeten. Auch wohl in den alten preußischen Beamten- und Offiziersfamilien. Ich suchte das höhere Berlin auf, das sich so stolz und überheblich ›das ganze‹ nennt, und da ich ein guter Tänzer und kein schlechter Unterhalter bin, so habe ich rund ein halbes hundertmal den Frack getragen, und ein halbes hundertmal von Silber gespeist und den Sekt aus Kristallschalen getrunken, und ein halbes hundertmal dieselben Gesichter betrachtet. Denn das scheint mir eines der bemerkenswerten Kennzeichen dieses höheren Berlins, daß man wohl allabendlich in einem anderen Hause tafelt, aber immer mit demselben halben Hundert Menschen, die nur umgruppiert werden, damit dieselben Scherze nicht an dieselben Hörer gelangen. Stark ist die Börse vertreten, und der Schnitt mancher Gesichter weist östlich. Und nicht nur der Gesichtsschnitt. Es ist der Ton, der die Musik macht, und der Ton läßt -- wenigstens im Lichte _unserer_ Kinderstuben -- oft doch gar zu sehr zu wünschen übrig. Er ist nicht als unmöglich zu fassen -- er entgleitet -- und gleitet über Oberflächen -- und läßt Schaumblasen zurück. Darin sind Männer und Frauen geistesverwandt. Man spricht vom Theater, von der Kunst, von Politik und Wirtschaftsleben, Tollkühne auch von der Wissenschaft -- und endigt unweigerlich bei der Liebe. Der Rest ist ein Stelldichein.« -- -- -- * * * * * »Wir haben daheim des öfteren darüber gesprochen, daß die rheinische Menschheit nur allzugern über ihre Verhältnisse lebt. Im Lande des Weines macht es die Begeisterung, das heißere Blut, und bleibt verständlich und leichter verzeihlich. Hier in Berlin ist es kaltblütigste Berechnung, mehr zu scheinen und reicher zu erscheinen, als man ist, um der lieben Mitwelt Sand in die Augen zu streuen, um bessere politische oder Handelsgeschäfte zu machen, um den Heiratsmarkt für die Töchter günstiger zu gestalten oder sich für alle Fälle und Zwecke in empfehlender Erinnerung zu halten. Dieses fettige Leben frißt wie ein Ölfleck um sich und ergreift Familien, die _nicht_ über die notwendige Kaltblütigkeit verfügen und in dem Bestreben, gleichwertig geschätzt zu werden, die übertriebenste Gastlichkeit in gleicher Münze erwidern, schnell aber von Schulden und Unzuträglichkeiten aller Art aufgerieben und zu Tode gehetzt werden. Denn das ist ja das wirtschaftlich Gefahrdrohende bei solcher Lebensgestaltung, daß gerade der Nichtbesitzende den Wert des Geldes nicht mehr empfindet und zum Abenteurer wird, statt zum Werteschaffenden. Ich erblicke in der Ausbreitung solchen Wesens für unsere völkische Gesundheit eine weitaus schwerere Gefahr als -- sagen wir -- selbst in einem unglücklich endenden Krieg. Der verlorene Krieg geht an die Knochen; dies undeutsche Wesen aber geht durch die Knochen hindurch an die Seele.« -- -- -- * * * * * »Ich schrieb dir, lieber Christoph, in einem früheren Brief über das Hungern und Dürsten der Volksmassen nach gesteigerter Bildung. Auch diesen Heiligenschein vermag ich heute nicht mehr über die Häupter der Vielheit zu halten, denn es wird auch hier mit Wasser gekocht, und die Vielheit liefert nur den Brand dazu. Ich habe die Volksversammlungen durchzogen und den Reden der Volksführer gelauscht, und wenn ich später die aufrüttelnden und erhebenden Worte mit den Wirklichkeitstaten verglich, so blieb es ein Häuflein, das nach besserer Geisteszufuhr, und ein Haufe, der nach besserer Magenzufuhr schrie. Nicht etwa nur aus Nahrungsnot, was verständlich wäre, sondern weil die Mehrheit die höhere Bildungsstufe eben im reicher beschickten Kochherd erblickt, und das seit alters her und wohl bis zum Jüngsten Tag, sofern wir nicht allmiteinander Engel auf Erden werden. Diejenigen aber, die die Menge aufrufen, benutzen sie nur allzuoft, um sich von ihr in die Höhe tragen zu lassen und durch sie eine Stellung zu erlangen, mit dem Kopf durch die Wand hindurch, die sich ihnen aus Rassen- und Klassen-Kinderstubengründen entgegenzustellen scheint. Also auch hier neben manchem reinen Kämpfer und edlen Schwärmer viel unsaubere Kittel. Grüß mir unseren jungen Rhein und unser Jugendland in den Bergen.« -- -- -- Therese Baumgart blickte angestrengt in die Ferne. Ihre Hände lagen fest gefaltet im Schoß. »Das klingt -- das klingt -- wie ein leidenschaftlich Suchen, Christoph, und wie ein herumirrend Glücksverlangen.« »Das Blut des Vaters und das Blut der Mutter liegen noch im Kampf in ihm, Therese. Da setzt es noch Wunden, und Verwunderungen zum mindesten. Aber das Blut der Frau Christiane wird schon obsiegen, wenn’s auch ein bißl lang für unsere Begriffe währt. Glaub’s mir, Theresel, ich kenn’ es, das Blut.« »Du hast es ja selber mit der Muttermilch getrunken,« antwortete sie und reichte ihm, aufatmend, die Hand. * * * * * Es kam eine Zeit, in der der Opterberghof von Depeschenboten überlaufen wurde. Wenn es zu irgendeiner Unzeit am Haustor läutete und die Hofhunde ein gellendes Gebell anhoben, fuhr schon Frau Christiane lächelnd mit der Hand in die Wirtschaftstasche am Gürtel, um ein blitzblank Dreimarkstück für den noch ungesehenen Einlaßbegehrer hervorzuzaubern, denn sie wußte alsbald, was er brachte. Als erste meldete Therese Baumgart ihr glücklich bestandenes Staatsexamen. Wenige Wochen darauf wiederum Therese Baumgart ihre mit »gut« bestandene Doktorprüfung. Martin Opterberg und Christoph Attermann stellten sich in Drahtnachrichten fast gleichzeitig der Mutter als Regierungsbaumeister vor. Und über eine kurze Spanne traf eine zweite Drahtung Martin Opterbergs ein, die die Erreichung des Doktorgrades an der Universität Berlin für eine glänzend bewertete volkswirtschaftliche Abhandlung anzeigte. Diesmal hätte Frau Christiane vor freudiger Überrumpelung fast den Botentaler vergessen. In einer Herbstnacht kam Martin Opterberg unangemeldet heim. Sechsundzwanzig Jahre zählte er jetzt und trug das kühngeschnittene Gesicht des Vaters. In seltsamer Bewegung schloß ihn Frau Christiane in die Arme. Und der Sohn gewahrte zum ersten Male im Auge der lebenssicheren und selbstsicheren Frau eine Träne. »Mein junger Herr ist heimgekehrt,« scherzte Frau Christiane die Erschütterung hinweg … Martin Opterberg hatte sich mit Christoph Attermann ein Stelldichein bei der Mutter gegeben. Christoph Attermann kam am anderen Tage, und nach Stunden schon war es, als seien sie nie getrennt gewesen, und nur eine keusche Mannesherbe blieb in ihren Empfindungen zwischen ihnen. Gleich groß gewachsen, standen sie auf festen Füßen nebeneinander, und Frau Christianes Augen wanderten in geheimer Freude von dem scharfgeschnittenen Kopfe des Sohnes zu dem offenen Antlitz des Pflegesohnes, dem der kurzgehaltene blonde Vollbart wohlanstand. Die jungen Männer besprachen ihre Lebenspläne. Beide hatten sie schon vorgesorgt. Christoph Attermann wünschte sich auf den Gebieten des Tief- und Hochbaus zu betätigen und hatte für den Anfang eine Anstellung beim Bau der gewaltigen Wasserkraftstauwerke im benachbarten Laufenburg angenommen, die er später mit einer Stellung an einem großen niederrheinischen Brückenbauwerk zu vertauschen gedachte. Martin Opterberg ging nach Holland, England und Amerika, um vornehmlich im Flußschiffbau tätig zu sein und gleichzeitig die Handelsbeziehungen zu studieren. Auch er hatte sich bereits den ersten Arbeitsplatz gesichert. »Die Lehrjahre sind überstanden,« sagte Martin Opterberg, »nun folgen nach altem Zunftbrauch die Wanderjahre, Mutter, bevor man sich als Meister seßhaft machen darf.« Frau Christiane sprach nicht hinein. Das war das Mutterschicksal, daß man die Kinder in der besten Zeit hergeben mußte, um sie erst wieder zu haben, wenn’s zu Tale ging. Nein, keine Selbstsucht. Das Leben kennt nicht eine Mutter und nicht ein Kind, es springt von Geschlecht zu Geschlecht. Und Mutterselbstsucht ist wie ein Fluch. Von der Rheininselstadt des heiligen Fridolin, dem Trompeterstädtchen Säckingen, bis nach den zischenden und strudelnden Stromschnellen im Felsenbett von Laufenburg streiften die beiden Brüder und Freunde noch einmal gemeinsam ihr Jugendland ab. Schon am zweiten Tage baten sie Frau Christiane, mitzuwandern. Das tat sie mit Freuden. -- Und wieder war Martin Opterberg in die Welt, in die es ihn, wie einst seinen Vater, zog. Doch wanderte er nicht wie Herr Arnold mit schwärmenden Augen und müßigen Händen, er wanderte mit klarforschenden Blicken und arbeitsregen Armen, und nach Jahresfrist setzte er von Rotterdam über den Kanal nach England, und wieder nach Jahresfrist von England über den Atlantischen Ozean nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Seine Briefe an Mutter und Freund wurden mehr und mehr wie Berichte eines Handelskonsuls, und waren sie zwischen den beiden ausgetauscht, so schickte sie Christoph Attermann, der den Strombau zu Laufenburg nun auch schon seit mehr als einem Jahr mit dem Bau von Brücken und Werftanlagen in dem großen niederrheinischen Werk vertauscht hatte, an Therese Baumgart, die als Ärztin an einer badischen Kinderheilanstalt wirkte. Die kleine Linde aber war, zum Jungmädchen erblüht, nun ganz das Abbild der Schwester geworden, nur heiterer und zugreifender, denn sie lebte als Hilfe und Hausgenossin an Frau Christianes Seite. Im Sommer des vierten Jahres landete Martin Opterberg in Bremen. Von Köln aus nahm er den Rheindampfer, und als er durch den taghellen Sommerabend die gesegneten Ufer des Rheingaus entlang fuhr und die Namen der Weinstädte von den Tafeln der Haltestellen las, überkam den in Arbeit Gehärteten eine so weiche und sehnsüchtige Stimmung, daß er seinen Reiseplan änderte und beim nächsten alten Städtlein den Dampfer verließ. Hier mußten, dem letzten Briefe Sabines nach, jetzt die Barthelmeßleute hausen. Es zog ihn, das Mädchen zu sehen und ihm einen Gruß zu bieten. Der Professor war zu einem Abendtrünklein, und die Frau war gegangen, um ihn abzuholen, erläuterte ein knapp der Schule entwachsenes Dienstmädchen, das ihn eintreten ließ. Das Fräulein wolle sie suchen gehen. Martin Opterberg schaute sich im Zimmer um. Es war in einer Unordnung, als ob man es morgen wieder zu verlassen gedächte. Er lenkte den Blick ab. Die Tür war gegangen. Und auf huschenden Füßen kam es herein, ein vollerblühtes Geschöpf, dem die schwarzen Locken um die Stirn und die weißen Gewänder um die Glieder flogen, warf sich an seine Brust, umstrickte ihn in den Armen, küßte ihn mit stürmischen, wilden und weichen, tollmachenden Küssen. »Martin, mein Martin! Lang hast du mich warten lassen! Vergangen bin ich schier! Nun bist du gekommen, und ich vergeb’ dir, verzeih’ dir und hätt’ noch hundert Jahr auf dich gewartet. Aber gut ist’s, daß du gekommen bist um all der vielen Sehnsucht willen.« »Mädchen! Sabine! Reiß dich zusammen, Kind!« »Weshalb soll ich mich zusammenreißen? Du siehst es ja nur allein, und vor dir darf ich sein, wie ich bin. Vor dir hab’ ich kein Geheimnis, auch kein Mädchengeheimnis. Du hast es mir ja entlockt, damals schon, an dem Abend zu Rüdesheim, als ich noch ein halbes Kind war und du mich warten hießest!« »Tat ich das? Mir sind an dem ereignisvollen Abend die Sinne durcheinandergeraten.« »Grüble nicht mehr. Es ist ja alles gut. Und nun schau auch du mich einmal an, Martin.« »Du bist geworden, was du zu werden versprachst. Wie eine der fremden wildduftenden Blüten, die ich zuweilen im Rankengeflecht des Urwalds fand. Aber Haar und Kleid sind zerzaust, Sabine.« »O du Schulmeisterlein! Ich schwamm im Rhein, als mich die Kleine rief, und da bin ich in die Kleider geschlüpft, wie’s kam, und hab’ die Haare flattern lassen, wie sie wollten, nur um eine Minute früher bei dir zu sein. Oder hätt’st du eine Fischblütige lieber gemocht, die erst zur Haarkünstlerin und zur Kammerzofe gewandelt wär’? Ich weiß es nicht, und wußt’ nur das eine: Ich muß zu ihm, wie ich geh’ und steh’, und jede Minute ist mir geschenkt.« Und der Langentwöhnte spürte den weichen Frauenkörper und spürte den wilden Zauber der Stunde, und er schloß die Augen und küßte wie ein Verdursteter die Lippen, die die seinen suchten. Draußen polterte der Professor, der mit seiner Gattin heimkehrte. Er stand im Türrahmen und klatschte in heller Verwunderung die Hände zusammen, obschon das kleine Dienstmädchen ihn hatte holen und benachrichtigen müssen. »Der Martin! Mein junger Freund Martin! Der Sohn meines unvergeßlichen Arnold Opterberg.« »Vater,« stieß Frau Bathelmeß atemlos hervor. »Was haben die Kinder?« »Ja,« wiederholte der Professor staunend, »was habt ihr denn, Kinder?« »Unsere Verlobungsstunde haben wir!« rief Sabine Barthelmeß und wühlte ihren Kopf an des Erkämpften Brust. »Meine drei Söhne,« sagte der Professor mit feuchtgewordenem Auge, »haben mich verlassen und sich selbständig gemacht mit meinen besten Gaben. Wenn ich auch stolz auf sie bin -- das Verlassenwerden tut weh. Nun aber hab’ ich einen neuen Sohn, der treu bleiben wird.« Martin Opterberg schritt über die Straße. Er ging zum Gasthof, um sich umzukleiden, und hatte versprochen, in einer Stunde zurück zu sein. Die Sinne liefen ihm wirr durcheinander, und er fand den Faden nicht. Nur einen wildsüßen Duft spürte er auf den Lippen, an den Händen. »Dies heiße Mädchen also,« sagte er mit einem tiefen Atemzug. »Es sei. Ich hab’ die weichen Arme so nötig nach der harten Fron.« Und mit einem Willensentschluß trat er in das Postamt ein und gab eine dringende Drahtung an Christoph Attermann auf. Christoph Attermann traf schon am Mittag mit dem Schnellzug ein. Die Brüder standen Hand in Hand, und beider Hände waren hart geworden. Sie sahen sich in die Augen, und keiner fragte nach der vierjährigen Trennung den anderen nach dem Ergehen. »Mußte es sein, Martin?« »Ich denk’, es ist recht so.« »Ich bin nicht du, und du bist nicht ich. Wenn du sie für die Rechte hältst, wünsch’ ich dir Glück und Frieden.« »Ende der Woche wollen wir die Mutter überraschen. Es kam mir ja selbst überraschend, Christoph, denn gar so schnell hatte ich mich noch nicht hergeben wollen. Doch das ist nun so mit der Liebe,« lächelte er ins Weite. »Sobald die Sabine ihre Reisekleider hergerichtet hat, fahren wir auf den Opterberghof. Willst du sie begrüßen?« »Wenn sie nichts von meinem Kommen weiß, möcht’ ich, wie sich’s gebührt, der Mutter den Vorrang lassen.« »Gut. Und du willst schon am Nachmittag zurück?« »Ich hab’ noch im Badischen zu tun.« Am späten Abend verließ Christoph Attermann auf einer kleinen Schwarzwaldhaltestelle den Zug. Er stieg durch den harzduftenden Tannenforst bergan und fand den weißen Bau der Kinderheilstätte. Auf sein Befragen führte man ihn zum Wohnzimmer der Ärztin ~Dr.~ Therese Baumgart. Im frischen weißen Kittel stand Therese Baumgart, schlank und geruhig, und in ihrer braunen Haarkrone spielten die Abendlichter. Jetzt aber schrak sie auf. Sie hatte den Besucher erkannt. »Herrgott, Christoph, was führt dich so jäh daher?« »Verzeih mir, Theresel, daß ich dich erschreckt hab’. Aber ich mußt’ zu dir und dich fragen.« »Was fragen, Christoph, das gar so wichtig wär’?« »Ob du nicht meine Frau sein möchtest, Theresel? Oder es werden könnt’st, wenn du -- frei bist?« Sie stand regungslos und schaute ihn an. »Ich bin frei, Christoph. Der, den du meinst, ist überstanden. Nicht, als ob ich ihm die Freundestreue gebrochen hätt’. Ich vermöcht’ noch heut’ für ihn zu sterben, aber gemeinsam leben mit ihm, das könnt’ ich nicht mehr. So armselig verlassen bin ich mir vorgekommen vor mir selber.« »War ein bindend Wort zwischen euch?« »Nein, Christoph, und es trifft ihn kein Vorwurf. Ein Gutenachtkuß einmal auf dem Herzogenhorn und ein Abschiedskuß nach einer traumhaft schönen Feldbergfahrt auf Schneeschuhen durch den Neuschnee, als er zum anderen Morgen von Freiburg auf immer schied -- und von mir.« »Theresel, du hast einmal gesagt, ich sei auch von Frau Christianes Blut. Vertraust du dich mir an? Ich hab’ keine großen Schätze, aber ich hab’ viel Dankbarkeit.« Therese Baumgart reichte ihm die Hände. »Ich wußt’ ja, Christoph, daß du mich einmal holen kommen würdest. Und das schuf mir so viel frohe Ruh’.« Als am nächsten Morgen Christoph Attermann aus dem Städtchen zu ihr wiederkehrte, brachte er ihr die feingestochenen Verlobungskarten. »Ich fand einen Lithographen vor und ließ gleich ein paar Dutzend herrichten. Eine ist schon fort an Frau Christiane, eine ans Lindele und eine an Martin.« »Was treibt dich denn nur plötzlich so,« fragte sie, »du lieber Mann?« ›Nun ist sie Braut vor der anderen‹, dachte Christoph Attermann. ›Jetzt trifft es sie nicht mehr.‹ 8 Martin Opterberg hielt die schmale Karte in der Hand, die in schlichtem Steindruck die Verlobung Christoph Attermanns mit Therese Baumgart meldete. Er wandte sie um und suchte nach einem handschriftlichen Wort. Es war nichts für ihn hinzugefügt. Und mit einem Male spürte er, wie ihm eine Blutwelle langsam in die Stirne kroch. So beharrlich hielt er die Augen auf die Karte gerichtet, als buchstabiere er Wort für Wort. Und zwischen den Zeilen tauchten andere auf, die unsichtbar geblieben waren und jetzt zu ihm redeten. Er hörte es wohl -- Christoph Attermann sprach zu ihm: »Ich habe gewartet und gewartet, Martin, weil ich glaubte, der Edelstein gehöre dir. Nun aber habe ich ihn schnell geborgen, bevor fremde Füße über ihn dahingehen.« Die Blutwelle stieg. Er wollte sie niederhalten, und sie stieg doch. »Ich bin ein verlobter Mann,« sprach er zu sich selber, »und werde in Kürze ein Weib haben. Weshalb sollte ich anderen Menschen nicht ein Glück gönnen, das ich mir genommen habe, ohne die anderen zu befragen?« Einen Augenblick preßte er die Lippen zusammen. Vor zwei Tagen erst hatte er Christoph Attermann gerufen, um den Bruder und Freund als ersten in die neue Stunde seines Lebens einzuweihen. War Christoph Attermann zu dieser Zeit schon mit Therese Baumgart im Einverständnis gewesen? Fort, fort mit der schlecht passenden Eifersuchtregung. Wahrhaftig, wenn etwas nicht am Platze war, so war es eine solche. Eine Scham war am Platz, und weil er sie unausgesprochen in tiefster Tiefe verspürte, bäumte sich der Groll in ihm auf wie in selbstherrlichen Knaben, die einen Verweis fürchten. Hier war der Verweis. Und war er der Knabe? Er strich sich über die Augen und gewann sich wieder. Plötzlich sah er ganz klar. Plötzlich erkannte er die Beweggründe Christoph Attermanns in aller Schärfe. Christoph Attermann hatte der Freundin der Jugend eine ritterliche Genugtuung bereitet. Das war es. Es gab keine Vergessene oder gar Verschmähte, es gab eine Frau, die ihr ruhiges Glück der Welt künden konnte, bevor die Welt von dem seinen wußte. Er nahm Hut und Stock, um das Barthelmeßhaus aufzusuchen. Und während er hinüberschritt, klang das Rauschen des Rheins zu seinen Füßen ihm nur fern, und ganz nah klang ihm das Rauschen des Schwarzwaldes, und es war das Herzogenhorn, und im Tiefblau des Sommerabends saß ein Mädchen in weißem Kleid und hielt, singend und träumend zugleich, die Wange an den bebänderten Lautenhals geschmiegt. »Du bist die Ruh’, der Friede mild, Die Sehnsucht du und was sie stillt« -- -- -- »Ei,« grüßte im Hausflur Sabine Barthelmeß den in Gedanken Verlorenen, »hast du mir ein neues Gewand ausgedacht oder gar einen Schmuck zum feierlichen Verlobungstag auf dem Opterberghof?« Und sie schlang ihm die Arme um den Hals und küßte ihn weitoffenen Auges. »Zieh ein weißes Kleid an und leg ein Lautenband um, Sabine. Mehr brauch’ ich nicht.« »Herr Doktor, sein Sie munter,« rief das Mädchen und griff ihm übermütig links und rechts ins Haar. »Das ist ein Anzug für Sonntagswanderer und kleine Studentinnen, nicht für die stolze Braut Martin Opterbergs. Ach du, wie wirst du die Augen öffnen.« »Zigeunerin,« sagte er lachend und nahm sie in die Arme, »macht nur der Krönungsmantel die Königin? Trägst du den Zauber nicht in dir selbst? Schließ die Koffer ab, damit wir zur Mutter fahren können. Auch Christoph Attermann hat sich verlobt.« »Der Attermann?« fragte sie gedehnt. »Der bei euch das Gnadenbrot aß? Was hat er sich vorzudrängen und uns den ersten Platz zu nehmen?« »Es ißt auf dem Opterberghof keiner das Gnadenbrot, der an meiner Mutter Brust getrunken hat, Sabine.« »Mit einem Fräulein ~Dr. med.~ Therese Baumgart,« las Sabine Barthelmeß von der Karte ab. »Ach du armes Herrgöttel, ein verstudiert Altjüngferlein ohne Saft und Salz, wie es sich für des Christophs Langweiligkeit schickt. Komm endlich in die Stube. Es ist niemand im ganzen Haus, und ich will mich schön machen wie zur Hauptprob’ und alle Kleider anziehen, die ich mitnehm’ auf die Brautfahrt.« »Die Therese Baumgart ist eine alte Jugendfreundin, Sabine.« »Grad darum sollst du schaun, wie eine _junge_ Jugendfreundin ausschaut.« »Und wenn ich dir die Gewänder zerdrück’, du Wilde?« »So kaufst du mir neue und schönere.« -- -- * * * * * Da lag das weiße Opterberghaus auf dem Felsen über dem jungen Rhein. Martin Opterberg führte seine strahlende Braut über die Schwelle und in den Empfangsraum. Mitten im Zimmer stand Frau Christiane und blickte mit großen, stillforschenden Augen auf die Eintretenden. »Hier bring’ ich dir die Sabine, Mutter, die mein Weib und deine Tochter werden will.« Ein paar Atemzüge stiegen in Frau Christianes Brust auf und nieder. »Will sie das wirklich, so soll sie von Herzen willkommen sein. So, wie ich dich willkommen heiß’ nach der vierjährigen Trennung, Martin.« Da ließ der Heimgekehrte die Hand der Braut los und umarmte ungestüm die Mutter. »Du! Du! Nicht bös’ sein, daß ich nicht auf der kürzesten Straße zu dir lief. Aber da blühte eine Blume am Weg, daß ich nicht gleich weiterkonnt’, und nun hab’ ich sie gleich mitgebracht zu deiner und meiner Freud’.« »Wenn’s deine Glücksblume ist, hast du recht getan,« sagte Frau Christiane und streckte der Harrenden die freie Hand entgegen, über die Sabine Barthelmeß tief sich beugte. »Willst du sie ihm sein, Sabine, und immerdar bleiben?« »Ach, Mutter, ich hab’ ja all die Jahre nur an ihn gedacht.« »Deinen funkelnden Augen hat’s nichts geschadet, du, und arg verhärmt schaust du vom Kopf zur Zeh’ auch nicht aus,« scherzte Frau Christiane, aber ihre Augen blieben klar. »Das ist ja mein Leid, Mutter, daß mir’s kein Mensch ansieht und daß ich in Sturm und Regen weiterblüh’ wie in der Sonne.« »So halt’s auch fürderhin dabei, Kind, zugunsten des Martin.« Sie blickte zu ihrem Sohn hinüber. »Vor wenig Tagen hat mir der Christoph seine Verlobung angezeigt. Mit der Therese Baumgart. Das geht wieder einmal daher und einander auf den Fersen wie bei euren Staats- und Doktorprüfungen. Ei, was ist mit dir, Martin?« »Die Therese ist hier? Sie ist mit dem Christoph gekommen?« »Sie sitzt auf einem Schwarzwaldgipfel und heilt die kleinen Menschenkinder.« »Mutter, du planst eine Überraschung. Ich hätt’ sie dir nicht verderben sollen. Gerad sah ich die Therese Baumgart durch den Garten gehen. Durch die Fenster sah ich sie.« »Du bist durch die Welt gerannt, und die Jahre sind mit dir gerannt, ohne daß du es merktest, Martin. Das Theresel ist eine liebe und ernste Frau, und was dort im Garten wandelt, ist ihr Schwesterchen, das Lindele, und mein Hausschatz. Such dir dein Bubenzimmer, Martin. Ich zeig’ der Sabine unterdes ihre Unterkunft. Und in einer Viertelstund’ sind wir bei Tisch.« Selbst Frau Christiane mußte sich gestehen, daß Sabine Barthelmeß ihre Sach’ verstand. Das lachsfarbene Kleid mit dem langen, schmalen Halsausschnitt, in dem Sabine zu Tisch erschien, stand in köstlichem Zusammenklang zu dem südländisch getönten Kopf und dem tiefdunklen Haar, das überall eine Locke vorschickte wie im Dunkel tastende Fragen. Die Vertraulichkeit aber, mit der das Mädchen sich gleich im Hauswesen bewegte und der Hausfrau in ihren Verrichtungen bei Tisch begegnete, empfand Frau Christianes weiblicher Sinn als eine leise Vordringlichkeit, die sie gern gemißt hätte. »Laß dir gefallen, daß die Linde und ich dich bedienen,« sagte sie freundlich. »Du bist hier der Gast, den wir wohl zu versorgen gedenken, und es bleibt bei der Gewohnheit. Lindele, eine Tasse Tee wär’ mir lieb.« Linde Baumgart hatte die Vorstellung bei Tisch mit einem mädchenhaften Knix erwidert. Nun saß sie still und aufmerksam lauschend in ihrer weißen Hemdbluse, die ein langes, grünes Schlipsband farbenfroh belebte, und nur zu Anfang blickte sie verwundert auf, wenn die fremde junge Dame sie bei Vornamen rief und ihr das »Du« gab, während sie doch schicklich mit Fräulein Barthelmeß erwiderte. Auch Martin Opterberg empfand die Betonung der jungen Dame gegenüber dem jungen Mädchen bei Sabine als eine leichte Anmaßung, die er durch besonders höfliche Anreden zu verbessern trachtete. »Ich habe Sie für Ihre Schwester Therese gehalten, mein gnädiges Fräulein. Die Mutter hat’s Ihnen wohl schon verraten. Sie sind ihr so gleich, als wären die langen Jahre zwischen heut und damals, als ich Ihre Schwester das erste Mal zu Freiburg sah, ausgewischt.« Linde Baumgart sah ihn an, und eine mädchenhafte Röte lief ihr über die Wangen. »Ähnlich schau’ ich gewiß aus wie das Theresel, aber gleich bin ich ihr nicht. Da gehört mehr zu, als ich vermag. Doch wenn ich recht schön bitten dürft’: nennen Sie mich Fräulein Baumgart und nicht gnädiges Fräulein. Ich bitt’ Sie recht sehr.« »So lassen Sie mich Ihr Wohl trinken, Fräulein Baumgart, wenn Sie mir freundlichst mein Weinglas füllen möchten. In Erinnerung an Ihre Schwester, die nun eine glückliche Braut ist und eine noch glücklichere Frau werden möge.« Sabine Barthelmeß focht die feine Zurechtrückung nicht an. Sie rief das junge Mädchen »Lindele«, wie sie es von Frau Christiane gehört hatte, und wandte das »Du« an, als habe sie ein unsicher Backfischlein zu begönnern. ›Es ist Barthelmeßsche Kinderstube‹, dachte Frau Christiane. ›Sie suchen die Menschen zu überrumpeln, um sie unter ihre Botmäßigkeit zu bekommen.‹ Und dann gab sie sich der Freude über die Heimkehr ihres Sohnes hin und, um ihm die Stunde zu schmücken, auch dem Vergnügen an der einschmeichelnden und wortreichen Art der Sabine Barthelmeß. Eine Flasche französischen Champagners aus Herrn Arnolds Nachlaß kam auf den Tisch. Frau Christiane schenkte ihn selbst in die Kelche. Und sie trank Glück und Heil dem Brautpaar zu, das am Tische saß, und Glück und Heil dem Brautpaar, das in der Ferne weilte. »Ich darf es als Mutter sagen: die besten Mädchen landauf und landab sind mir für die Opterbergsbuben gut genug.« Sabine Barthelmeß leerte im Übermut ein paarmal den Spitzkelch. Der fürstliche Champagner flößte ihr geheime Hochachtung ein, und sie wünschte darzutun, als sei sie ihn wie ihr täglich Glas Brunnenwasser bei Tisch gewöhnt. Sie äußerte keinerlei Verwunderung noch irgendeinen schönen Dank an die spendende Mutter, aber unter dem Tisch griff sie Martin Opterbergs Hand und suchte sie zu zerpressen, daß er aufschreien möge, und als Frau Christiane sich seitwärts zu Linde Baumgart neigte, um ihr eine Weisung zu geben, griff sie schnell nach seinem Kopf und küßte ihn auf die Augen. »Sabine,« flüsterte er ihr zu, »unsere Zärtlichkeiten gehen uns allein an.« Aber sie ließ sich nicht lehren und trieb ihr Spiel weiter, im Glauben, vor den Frauen des Opterberghofes die überlegene und leutselige junge Weltdame zu spielen. In der Nacht fuhr Frau Christiane aus dem Schlummer. Ihre Gedanken waren so wach, als hätten sie im Schlafe weitergearbeitet. »Nein,« sagte sie vor sich hin, »sie mag eine gute Geliebte sein, niemals aber eine rechte Frau und Gattin.« Den Rest der Nacht verbrachte sie aufrecht in den Kissen. So hatte sie in mancher Nacht gesessen, wenn sie über einen Weg für Herrn Arnold grübelte … Als Sabine Barthelmeß im losen Morgenkleid und das Haar in einen großen Knoten gewunden zum Frühstück erschien, kam Frau Christiane mit Linde Baumgart schon aus den Wirtschaftsgärten. »Ausgeschlafen, Stadtkind? Schön siehst du aus, als wolltest du gleich zum Ball.« »Ich bin in das Fähnchen geschlüpft, weil ich mit Martin baden gehen möchte. Ich kenn’ die breite ruhige Stelle im Rhein von früher her noch, und ich freu’ mich auf die Erfrischung.« »Hast du den Martin schon begrüßt? Er wird drunten auf der Rheinbank sitzen.« Sabine Barthelmeß hatte sich schon in den Lehnstuhl geschmiegt und sich ein Honigbrötchen gestrichen. »Gelt, Lindele, du bist so lieb und holst mir den Ausreißer.« Linde Baumgart nickte freundlich und ging. Unterwegs lächelte sie in sich hinein. Den Ausreißer! Als ob der allzu ernst gewordene Lebensringer Martin Opterberg, dem der Gedankenadel auf der Stirne stand, so ein kleines Schätzel wär’! Sie fand den Gesuchten, wie es Frau Christiane vorhergesagt hatte, auf der Rheinbank, reichte ihm die Hand und richtete ihm ihre Bestellung aus. »Wollen Sie nicht mit uns kommen, Fräulein Baumgart? Der Morgen ist so schön, das Wasser gewiß köstlich, und die Mutter wird Sie nicht entbehren.« »Das wär’ mir leid, Herr Opterberg, wenn die Mutter mich so leicht entbehren möcht’. Es gibt mehr zu schaffen als sonst. Es sind hohe Gäste im Haus.« »Rechnen Sie mich auch zu den Gästen?« fragte Martin Opterberg. ›Die Mutter‹ hatte sie gesagt. Es war ihm nicht entgangen. »Sie sind der Sohn des Hauses, Herr Opterberg. Aber gerad’ darum sind Sie Ihrer Frau Mutter der liebste Gast, dem sie nichts als die Händ’ unter die Füße legen möcht’, weil er gar so selten daheim ist und immer nur auf der Weiterreise.« Jetzt hatte sie ›Ihre Frau Mutter‹ gesagt und vor dem Sohn des Hauses bescheiden den Rückzug angetreten. »Sie sind wohl meiner Mutter eine getreue Helferin geworden?« »Ihre Frau Mutter mir! Nein, darüber kann man nicht sprechen. Dafür kann man einen Menschen wieder nur mit dem ganzen Menschen liebhaben. Nicht nur aus Dankbarkeit.« »Ja, sie ist schon eine Prachtfrau …« »Viel mehr, Herr Opterberg. Sie ist _die_ Prachtfrau. Wer das werden könnte in ihrer Schul’.« Er lächelte über ihren mädchenhaften Eifer, und die Sonne stand noch auf seinem Gesicht, als er ins Zimmer trat und die Braut begrüßte. »War es nicht arg selbstlos von mir, Martin, dir ein so hübsches Mädchen zum Morgengruß zu schicken?« fragte Sabine Barthelmeß lachend, während sie ihren Verlobten zwei-, dreimal auf den Mund küßte. »Dafür hast du die nächsten Stunden nur mir allein zu widmen. Auf, zum Rhein!« »In dem Morgenkleidchen und dem wilden Haarknoten?« »Beruhige dich, Liebster, ins Wasser geh’ ich nicht mit dem Kleidchen, o nein, und das Haar wird doch nur zerzaust beim Baden und wird erst würdig hergerichtet, wenn ich herauskomme und mich feierlich für den Tag anzieh’.« »So komm, du Wilde. Es ist spät genug.« In seinen Arm eingehängt, schlenderte sie durch die Wiesen, und wenn er sich während des Plauderns zu ihr hinabbog, küßte sie blitzschnell sein Ohr. Dann hatten sie den verschwiegenen Badestrand erreicht und suchten im dichten Weidengebüsch nach undurchsichtigen Umkleideplätzen. »Du darfst ruhig zuschauen, Martin. Ich hab’ das Badegewand gleich untergezogen und brauch’ nur aus dem Kleid herauszuschlupfen. Also hilf mir heraus.« Kein Mensch weit und breit. Kein anderer Laut in der Sommerhitze als das Murmeln des Uferwassers. Martin Opterberg strich ihr das Kleid von den Schultern und glaubte, ein fremdes Wesen aus sagenhaft-schwüler Wasserfrauenzeit zu sehen. Schlank und voll stand Sabine Barthelmeß im enganliegenden schwarzen Gespinst, das das elfenbeinfarbene Weiß der Glieder zum irrlichternden Leuchten brachte, und dehnte wohlig die Arme. »Rühr mich nur an, ich brenne nicht, ich bin kühl wie ein Trunk im Sommer.« Da nahm er sie in die Arme und küßte die kühlen Schultern und den kühlen Nacken, und sie entglitt ihm wie eine geschmeidige Otter und war unter Wasser verschwunden. Wenige Minuten nur, und er hatte den Badeanzug angelegt und war ihr nach. Und es wurde ein Fliehen und Haschen, ein Suchen und Sichfindenlassen und ein Ausruhen Seite an Seite am verborgenen Strand, daß die Stunden vergingen und sie fast zu spät zum Mittagessen kamen. Linde Baumgart mußte helfen, daß die wilde Wasserfrau auf raschestem Wege in eine zeitgemäße Tischgenossin umgewandelt wurde, und sie tat es ohne Zieren und Zögern, weil es einem Gast des Opterberghofes galt. Martin Opterberg aber hatte an diesem und den kommenden Tagen nur noch Augen für seine Braut. Alle Schönheiten des Landes wünschte er ihr zu erschließen am jungen brausenden Rhein und in den himmelhochjauchzenden Schwarzwaldbergen, aber was sie nicht, bequem in den Wagen zurückgelehnt, besichtigen konnte, darauf verzichtete sie bald, und als er sie weiter hinausführte bis zum Hohentwiel und auf Herzogin Hadwigas ragende Sehnsuchtsburg, da fand sie nichts Bemerkenswertes als den heißen Aufstieg, und in der Wunder erschließenden Fernsicht über See und Alpenketten nichts als die Mahnung, schleunig zu dem Wunder verheißenden Seegestade hinabzusteigen. Hier aber war ihr Überlingens mittelalterliches Gassengewirr zu eng und Meersburgs abenteuerliches Frankenkönigsschloß zu felsenhoch, auch den Besuch des steilgelegenen Friedhofs mit Annette v. Droste-Hülshoffs stillem Grab schlug sie dankend aus, denn von Deutschlands großer Dichterin und Seelenforscherin wußte sie kaum den Namen. In Konstanz atmete sie auf, und in den üppigen romanischen Dominikanerhallen des Inselhotels gefiel sie sich über die Maßen so sehr, daß Martin Opterbergs stolze Ruhe selbst ins Wanken kam, weil sie mit Willen die Blicke und flüsternden Gespräche der Umsitzenden auf sich zog. »Meine kleine Wilde, wir sind hier in der besten Gesellschaft aus aller Welt.« »Ja,« entgegnete sie atemlos, »hier sind wir unter vornehmen Leuten. Schau den Herrn dort, der herüberblickt. Das scheint ein englischer Lord. Aber seine Begleiterin trägt gefärbtes Haar und ist sicherlich eine Pariser Schauspielerin.« Und sie lächelte, weil die Dame lächelte. »Ich denke, Sabine,« sagte Martin Opterberg, »wir sind auch dann unter vornehmen Leuten, wenn wir ganz allein sind.« Sie weiß noch so wenig von der Welt, dachte er, und es wird schön sein, ihren Geist einzuführen und immer mehr zu verfeinern. Und er drängte selbst, den Hochzeitstag festzusetzen, als sie wieder auf dem Opterberghof weilten, um das Glück des Führens und Entdeckens ganz ausschöpfen zu können. Als er zu Sabine Barthelmeß davon sprach, schmiegte sie sich wie in einem Rausch in seine Arme. »In sechs Wochen soll es sein, Sabine. Wir verzehren uns sonst. Morgen fahre ich an den Niederrhein, um alte Werftanlagen und neues Gelände zu erstehen, um die ich schon von den Vereinigten Staaten aus in Unterhandlung bin. Flußdampfer will ich bauen, die von Basel bis Rotterdam und über das Meer bis London gehen. Und später werd’ ich Reeder dazu, um alle Wirtschaftsmöglichkeiten für die Lande am Rhein aufschließen zu helfen.« Sie streichelte ihm immerfort das Haar, während er sprach, in die Stirne hinein und wieder hinaus und summte eine verliebte Weise dazu. Da schwieg er und gab sich ihrer tändelnden Liebkosung hin, und sie merkte gar nicht, daß er nicht weiter sprach. Später suchte er die Mutter in ihrem Geschäftszimmer auf. Frau Christiane stellte ihre Abrechnungsbücher beiseite und wies ihm den Gegenplatz am Schreibtisch. »Ich weiß, was dich zu mir führt, und hatte dich schon erwartet. Es ist alles bereit.« »Du liest in den Hirnen und Herzen, Mutter. Unsere germanischen Voreltern würden dich als Seherin verehrt haben. Und mit Recht.« »Mit Unrecht, Martin. Ich tu’ nichts, als mich unbeirrt dem Muttergefühl hingeben, das mich zwingt, mit dem Hirn dessen zu denken, den ich aus mir geboren hab’. Und auf den Herzschlag dessen zu lauschen, dem ich schon den ersten Herzschlag abhörte, als er noch ein Ungeborener war. Du könntest am Nordpol oder im Feuerland stecken, ich empfind’ dein Denken und Fühlen auf dem Opterberghof.« Sie reichte ihm über die Tischplatte die Hand. »Du willst mit mir über die Mittel zur Ausführung deiner Werftpläne sprechen, Martin. Das Geld, das wir flüssig machen können, liegt bereit.« Martin Opterberg hielt die Mutterhand in der seinen. Auge in Auge saßen sie. »Als wir den Vater beerdigt hatten,« sagte Martin Opterberg, »gabst du mir Einblick in unsere Vermögensverhältnisse. Das dank’ ich dir heute noch, denn ich konnte meine Arbeitspläne auf ein fest umstecktes Ziel hinsteuern und brauchte nicht Kraft und Zeit zu vertun, um nach unbestimmten Erfolgsaussichten umherzukreuzen. Vertrauen bringt wieder Vertrauen hervor. Noch einmal: ich dank’s dir, Mutter, und ich komme auch mit einigen Tausendern über See zurück, die ich mir selber hereinholte. Aber auf dich rechnete ich, um nicht in meinen besten Mannesjahren für andere zu schaffen.« Frau Christiane löste ihre Hand und holte ein Buch aus der Schreibtischlade. »Hier lies. Was hier verzeichnet steht, kann in deinem Werk angelegt werden.« Martin Opterberg tat einen Überblick. »Ich brauch’ die ganze Summe nicht, Mutter. Ich arbeite doch auch mit den Banken. Und ich würd’s auch nicht dulden, daß du dich so entblößtest.« Da lachte Frau Christiane ihr fröhliches Frauenlachen. »Schau, Martin, so groß und gescheit ihr werdet, die kleinen Buben bleibt ihr doch vor der Mutter. Glaubst du denn, du Kindskopf, ich zög’ mich um deiner und der Sabine schönen Augen willen bis aufs Hemd aus, bevor ich daran dächt’, mich wirklich zu Bett zu legen? Ach nein, mein lieber Bub, was ich dir geb’, ist das, was der Opterberghof und seine Besitzerin ohne Not erübrigen kann, und wenn es halt mehr ist, als du dir errechnet hast, so ist es, weil inzwischen mein Erbe aus dem Elterlichen im badischen Oberland dazugekommen ist und des Vaters Erbe aus dem Hof am Niederrhein.« »Gut, Mutter, nun seh’ ich klar. Und Eigengeld für den Anfang ist besser und billiger als Bankgeld. Morgen will ich an Ort und Stelle. Es zieht mich mit tausend Kräften ans Werk. Und in sechs Wochen, wenn’s dir so paßt, halten Sabine und ich bei dir die Hochzeit.« »Hat sie schon ihre Aussteuer beisammen?« fragte Frau Christiane, ohne mit dem Augenlid zu zucken. »Herrgott noch einmal, ich glaub’, daran haben wir alle beid’ nicht gedacht, nicht die Sabine und nicht ich.« »Und der Herr Professor Barthelmeß und die Frau Professor noch weniger. Du siehst, die Tausender, die du mit über See gebracht hast, haben schon ihre Bestimmung gefunden.« »Mutter,« sagte Martin Opterberg und erhob sich, »du magst die Barthelmeßleute nicht, und mir geht’s nicht viel anders. Aber die Sabine kann nichts dazu zu der heillosen Wirtschaft. Sieh doch, wie alles an ihr wie bei einem Kinde nach der Sonne verlangt. Gefällt sie dir nimmer, die Sabine?« »Nein, Martin,« erwiderte Frau Christiane ruhig, »ich fürchte nichts für dich von deiner Ehe, wenn es dir gelingt, die Sabine zu dir hinaufzuziehen und nicht zu ihr hinabzusteigen. Schön genug ist sie, um einem Manne Freud’ zu schaffen. Und das ist nicht wenig für ein Arbeitsleben wie das deinige. Glück auf, Bub’.« Noch einmal kehrte Martin Opterberg in dem Rheingaustädtchen ein, um Sabine Barthelmeß zu ihren Eltern zurückzubringen. Denn Sabine hatte auf dem Wunsch bestanden, ihre Aussteuer unter dem künstlerischen Auge des Vaters zu wählen und nicht unter dem sachkundigen der Frau Christiane Opterberg. Die Summe, die ihr ihr Verlobter, als müsse es so sein, zur Verfügung stellte, löste bei ihr so helles Entzücken aus, daß Martin Opterberg es gern für den vergessenen Dank gelten ließ. Der Professor aber schüttelte, als er sie vernahm, bedächtig das Haupt und meinte, man werde immerhin rechnen müssen, aber er kenne ja gottlob die Quellen. »Eure Verlobung,« teilte er dem Schwiegersohn im strengsten Vertrauen mit, »hat unerwartete Ansprüche auch an _meine_ Tageskasse gestellt, denen sie vorübergehend nicht gewachsen ist. Es würde eine Annehmlichkeit für mich bedeuten, wenn du mir mit tausend -- nein,« sagte er, als Martin Opterberg nach der Brusttasche griff, »es geht nicht -- wenn du mir mit zweitausend Mark über die unvorhergesehene Zeit hinweghelfen könntest.« * * * * * Die alten Werftanlagen und ausreichendes neues Gelände dazu waren erstanden. Weit genug entfernt, um dem Lärm des Werkes enthoben zu sein, und doch nahe genug, um es in wenigen Minuten zu erreichen, füllte sich ein schmuckes, kleines Landhaus mit ausgesuchtem Hausgerät. Man mußte es dem alten Kirchenbauer Barthelmeß lassen: sein Geschmack war erlesen und seine Spürgabe unübertrefflich. Aus allen Jahrhunderten schleppte er Schränke und Truhen, Schmucktische und Lehnstühle, Teppiche, Bilder und Stiche zusammen, daß es zuerst den Anschein gewann, als solle ein großes Trödellager aufgestapelt werden. Aber der Professor kam selbst, und nachdem er über den Baustil des Hauses eine Zeitlang mitleidsvoll das Haupt geschüttelt hatte, nahm unter seinen Händen der Trödelkram bald den Glanz und die Stimmungshoheit uralter geschichtlicher Überlieferung an, und jedes Zimmer war in die Versonnenheit einer anderen Zeit verwoben. Die Überraschung aber hatte sich der alte Kenner für das Schlafzimmer aufgespart: ein Renaissancelager von breiter Ausladung, von einem Baldachin beschattet, mit teppichbelegten Stufen zum bequemen Einstieg versehen. »Das Gestell hab’ ich einem Bauer im Fränkischen abgeschwatzt,« gestand der Kunstprofessor händereibend. »Ich hab’ ihm dafür zwei schöne Bettladen mit Muschelaufsatz und einen mannshohen Stehspiegel auf Rollen angehängt. Da herrschte große Freude.« Auf dem Opterberghof wurde die Hochzeit gehalten. Acht Tage vorher hatte Christoph Attermann in aller Stille Therese Baumgart heimgeführt, und Linde Baumgart, die Schwester, war vorausgeeilt, um das junge Nest zu schmücken, bis das Paar von seiner kurzen Ferienfahrt heimkehren würde. Martin Opterbergs Stirn überzog sich, als er die Botschaft vernahm. Das kam einem Ausweichen gleich. Oder sollte es nur eine Feinfühligkeit der Freunde sein, die seinen Augen eine Schaustellung ihrer frohen Liebeserwartung entziehen wollten? Immerhin: auch Christoph Attermann hauste, als Betriebsleiter des Brückenwerkes, am Niederrhein, und ein öfteres Zusammenkommen war geboten. Weshalb da erst Gefühlsanwandlungen nachgeben --? Am Tage, an dem Christoph Attermann mit Therese Baumgart Hochzeit hielt, stand Martin Opterberg im Garten seines Landhauses am Niederrhein und horchte über die breiten Strommassen rheinauf, ob er ein Gläserklingen vernehme oder einen zitternden Lautenklang … Martin Opterberg hatte sich in Jünglingsträumen seine eigene Hochzeit anders ausgemalt, als sie sich gestaltete. Und auch Sabine Barthelmeß hielt mit ihrer Unzufriedenheit über die kleinbürgerliche Familienveranstaltung nicht zurück. »Meinen Vater und meine Mutter und meine hochverehrten Herren Brüder vermag ich alle Tage zu sehen, wenn’s mich danach gelüsten sollt’. Weshalb lädst du nicht deine Freunde von der Universitätszeit, die doch alle in so glänzende Verhältnisse hineingeheiratet haben, daß ein Verkehr lohnt? Wenn der Christoph Attermann auf eine glanzvolle Feier verzichtet, so ist das seine Sach’ und hat wohl mehr eine ›klingende‹ Ursach’. Wir brauchen ihm das gottlob nicht nachzumachen.« »Du bist wie ein junger Jagdhund,« sagte Martin Opterberg und strich ihr lächelnd über das erhitzte Gesicht, »weißt du, wie so ein junger, ungelernter Springinsfeld, der gleich von dem grauen Häslein abläßt, wenn vor ihm ein schillernder Fasan aufgeht.« »Du mußt mich führen, Martin,« erwiderte sie und drückte sich ganz weich in seinen Arm. Ein halbes Dutzend Gäste saßen außer dem Brautpaar an der Hochzeitstafel, und es war ein Geschrei wie auf dem Jahrmarkt. Wohl hatte Vater Barthelmeß unter Schluchzen eine gefühlvolle Rede gehalten, in der er die Wunderblume seines künstlerischen Lebens und Schaffens, die er bei Tag und bei Nacht gehegt und gepflegt habe wie kein anderer Vater auf Erden, mitsamt ihren selbstlosen Eltern der Liebe und dem Verständnis des neuen Sohnes anempfahl, und Frau Hadwiga Barthelmeß war in Tränen gebadet. Die drei Barthelmeßbrüder aber, die ohne ihre Frauen gekommen waren und von denen niemand recht wußte, mit wem sie eigentlich verheiratet waren und ob die Kunst, der Handel oder der Müßiggang ihre Hauptbeschäftigung darstelle, hatten sich bei den brustwarmen Worten des Vaters verständnisvoll mit den Augen zugeplinkert und beim Hoch auf das Brautpaar ein groß Hallo und Gläserleeren begonnen, auch Rundgesänge erhoben und im wilden Durcheinander ungescheut Liebesschwänke und Ehegeschichten zum besten gegeben, daß Frau Christianes Stirn sich leise rötete und ihre Augen immer ferner zu blicken schienen. »Sabine,« raunten die Brüder der abschiednehmenden Schwester zu, »wie steht’s mit dem Reisegeld? Wir sind doch zu _deinem_ Vergnügen gekommen und nicht zu dem unseren.« »Ich hab’s schon dem Vater für einen jeden von euch eingezahlt.« »Dem Vater? Das ist ein netter Spaß. Aber er soll uns nicht durchschlüpfen, der alte Festredner.« -- Sabine Opterberg thronte in ihrem Landhaus am Niederrhein. Selbst ihr glücklicher Gemahl wußte kein besseres Wort für die königliche Haltung zu finden, mit der sie ihren Platz als Herrin des Hauses einnahm. Sie schritt über die Teppiche, als sei sie Zeit ihres Lebens nur über persische Handgewebe dahingeschritten, und sie erteilte ihre Befehle an die zwei Dienstboten, als ständen hinter den zweien noch ein Dutzend unsichtbare. Daß die hohe Herrin, wenn der Herr des Hauses mit gedankenheißer Stirn auf seiner Arbeitsstätte weilte, daheim stundenlang und vertraulich mit ihren Mädchen plauderte und sie ihre Schätze bewundern ließ, das hätte Martin Opterberg nie geglaubt. Kehrte er heim, so flog sie ihm wie ein sehnsüchtig Kind entgegen, erstickte ihn mit ihren Liebkosungen und ließ ihn im Taumel vergessen, was ihm hätte mißfallen können. Bald füllte sich das Haus mit Gästen. Werksherren aus der Umgebung kamen mit ihren Damen, um die Pflichtbesuche der Opterbergs zu erwidern, die Jungen folgten nach, und mancher Geschäftsfreund stellte sich ein und nahm seinen Platz am künstlerisch gedeckten Tisch. Dann saß Sabine Opterberg beobachtend in der Runde, und keine Bewegung, kein Tonfall entging ihr, ohne daß sie ihn prüfte und sich zu eigen machte. »Du hast ja deinen Kehlkopf mit einemmal anders eingestellt,« verwunderte sich der Hausherr. »Willst du dich über deine Gäste lustig machen?« »Ich habe nie anders geredet als heute,« erklärte die junge Frau und hob das Kinn. Martin Opterberg schüttelte den Kopf. Kindereien, dachte er, sie läßt sich vom ungewohnten Schein blenden. Aber bald mußte er, wenn auch zögernd und widerwillig, erkennen, daß die Blendversuche allein von Sabine ausgingen und daß sie die Kunst, die Blicke auf sich zu lenken, stärker noch und erfolgreicher übte als ehemals in der vornehmen Allerweltsgemeinschaft des Konstanzer Inselhotels. Die leichte Aufdringlichkeit, mit der sie sich den Menschen und Dingen zu nähern und sich ihrer zu bemächtigen pflegte, war einem merkwürdigen Schlangengleiten gewichen. Plötzlich konnte sie die Augen aufschlagen und einem Herrn starr und verloren ins Gesicht blicken. Wurde er unruhig, so senkten sich langsam die schweren Lider, und der verlorene Blick wurde zu einem verlorenen Lächeln. Ein jeder fühlte sich besonders geehrt, und bald machte ein jeder sie zur stillen Vertrauten seiner geheimsten Empfindungen, ohne zu ahnen, daß er nur tastende Neugier auffütterte. Oft auch ließ sie im Tischgespräch im Eifer der schönen Worte ihre Hand auf der Hand des Nachbarn ruhen, bis sich das Gesicht des Mannes dunkel färbte und er die Hand wie zur Prüfung der Absonderlichkeit krampfte. Dann saß sie mäuschenstill und dehnte den Augenblick. Oft aber auch forderte sie dreist und mit keckem Wort heraus, wenn sie fühlte, daß einer anderen höher und feiner gestimmte Wesensart sie in den dunklen Hintergrund drängte. Und die Männer hielten für berauschenden Übermut, was nichts als wohlverkappter Neid war, der Neid einer Frau, die nur einen Körper zu bieten hat und nicht eine Seele. Zögernd nur und widerwillig erkannte es Martin Opterberg, und da er selbst unter dem Rausch dieser erdhaften Weiblichkeit stand, mußte er sich fast Gewalt antun, um den Blick klar zu behalten. Und er sah, wie Sabines Freude an einem Jüngling, der über keine anderen Vorzüge verfügte als über seine geradegewachsenen Glieder, ebenso groß war wie an einem reifen Manne, dessen überlegener Geist die Umgebung beherrschte. Und als er es erkannt hatte, glitt der Nebel des Rausches mehr und immer mehr von seinen Augen, und er sah, wie es sie triebhaft drängte, das Wohlgefallen eines jeden Mannes zu erregen, der drinnen oder draußen in ihren Sehkreis trat. Mit niederen Evakünsten. Mit dem Spiel ihres weichen, geschmeidigen Körpers. Denn über ihn hinaus, das war seine letzte Erkenntnis, hatte sie nicht viel einzusetzen. Für den Sohn der Frau Christiane Opterberg war diese Erkenntnis wie ein Fremdkörper im Blut. Er versuchte ihn wie einen unreinen Gedanken auszuscheiden. Aber das wach und scharf gewordene Auge ließ sich nicht mehr bestechen. Im Zeichensaal, auf dem Werftplatz, mitten in der gesteigerten Arbeit ließ er die Arme sinken und horchte in sich hinein und horchte hinaus, um ein Wort zu finden, Sabine Opterberg anzurufen in ihrer Nachtwandelei. Aber wie konnte ein ehrenhafter Mann mit seiner Frau über Dinge rechten, die im Gefühle lagen und nicht greifbar waren? Er wartete und wartete, in der Hoffnung, es seien Schlacken gewesen, deren der Feuerstrom bald genug ausgeworfen haben würde, um zur reinen Flamme zu gelangen. Englische Geschäftsfreunde kamen zu Gast, die die deutsche Sprache gut beherrschten. Mit Staunen vernahm Martin Opterberg, wie Frau Sabine die deutsche Sprache radebrechte, um die Ausländerin zu spielen, und auch die fremden Gäste vernahmen es verwundert. »Sie sprechen nur gebrochen deutsch, gnädige Frau? Belieben Sie eine andere Sprache?« »Oh -- meine italienische Heimat,« brachte Sabine mit einem wundervollen Augenaufschlag hervor, der die Herzen erwärmte, »aber ich verstehe sehr gut.« Martin Opterberg stellte sie vor dem Schlafengehen zur Rede. »Weshalb lügst du die ehrenwerten Herren in meiner Gegenwart an, Sabine? Es ist nicht das erste Gaukelspiel, das mich an dir befremdet. Ich bitte dich, bei allem und jedem zu bedenken, daß du meinen Namen trägst.« Sofort nahm sie Kampfstellung an. Ihre Augen verhärteten sich. Die Iris wurde wie stahlgeschmiedet. »Ich verbitte mir diesen Ton, der für deine Werftplätze paßt, nicht für mich. Ich habe nicht gelogen, und ich lüge nie. Daß ich in Italien geboren bin, steht sogar auf meinem Geburtsschein zu lesen. Und ich gaukle keinem Menschen etwas vor. Ich geb’ mich, wie ich bin, und hab’ eure einstudierte Vornehmheit nicht nötig und euer Erziehungsgetu’.« Jetzt sieht sie aus, dachte Martin Opterberg, wie als kleines Mädchen, wenn sie auf dem Opterberghof beim Naschen gefaßt worden war. »Sabine,« sagte er, »du weißt sehr wohl, daß du nur durch einen Zufall auf italienischem Boden geboren wurdest, daß deine Mutter auf einem Spaziergang von schweizerischem auf italienisches Gebiet von der Niederkunft überrascht wurde und deine ganze italienische Heimatseligkeit aus der Wochenstube im Hospital bestand. Nach acht Tagen holte dein Vater Mutter und Säugling in einem Wägelchen zurück, auf einem Wege, der bis zum Grenzpfahl nicht mehr als zehn Minuten betrug. Und nun schlafe wohl, meine stolze italienische Frau.« Aber der Scherz verflog bei Martin Opterberg, als er ein andermal durch eine offene Türe blickte und Zeuge wurde, wie Sabine sich hastig einem Gaste näherte und ihn küßte. Er trat ein und fand nur noch Sabine vor. »Was geschieht hier, Sabine?« Sie sah sein weißgewordenes Gesicht, den Feuerbrand in seinen Augen, und wußte, es gab kein Entrinnen. »Wir hatten bei Tisch eine Doppelmandel gegessen, ein Vielliebchen. Hätte er’s verloren, ich hätt’ einen kostbaren Strauß Orchideen gewonnen. Ich wollt’ kein Geld oder Geldeswert wagen und setzte einen Kuß. Und hab’ wahrhaftig verloren.« Die Farbe kehrte in sein Gesicht zurück, die Drohung schwand aus den Augen. »Unterlaß das zukünftig, bitte. Ich liebe keine mitgeküßten Lippen. Ich trinke auch nicht aus einem Glase, das reihum geht.« »Martinle, Martinle, nicht bös’ sein über dein dumm Maidli.« Sie hing sich in seinen Arm und löste sich während des Abends keinen Schritt von ihm. Aus den Augenwinkeln streifte ihn immer wieder ihr beobachtender Blick, und als sie allein waren, überschüttete sie ihn mit ihren Zärtlichkeiten. »Mein -- mein -- mein Martin.« Aber die in eisernen Jahren gefestigte Ruhe war in Martin Opterberg dahin. In den Nächten fuhr er auf, und alles in ihm war ein Lauschen. Dann zwang er sich mit aller Kraft, anderer Bilder zu gedenken, und er sah die Schwarzwaldberge und auf dem Herzogenhorn ein weißgekleidetes Mädchen zur Laute singen in der tiefblauen Sommernacht, die Freunde ringsum. ›Ich will zu Christoph und Therese gehen, um einen Blick in ihr Heim und in ihr Herz zu werfen‹, nahm er sich vor, ›und zu den alten Jugend- und Wanderfreunden.‹ Aber wenn es Morgen wurde, wußte er nicht, was er selber berichten sollte von sich und seinem Glück, und es blieb, wie es war. So verging Martin Opterbergs erstes Ehejahr. 9 Der Mann, der von Amerika zurückgekehrt war, hatte geglaubt, sein unruhig Jugendblut zur Ruhe gebracht zu haben und als Ausgleich für den täglichen Arbeitstag ein starkmachendes, wie ein Jungbrunnen quellendes Eheglück beanspruchen zu können. Der Mann, der unermüdlicher als vordem über den Werftplatz am Niederrhein schritt und mit seinen Ingenieuren, Werkmeistern und Arbeitern die Vollendung seines ersten Rhein-Seedampfers betrieb, wußte längst, daß die Ruhe noch nicht Einkehr in seinem Leben halten sollte und daß es, entgegen seinem Verlangen, wohl einen Ausgleich, aber nur einen Ausgleich für die unklaren Strömungen seines Ehelebens geben würde. Und das war die Arbeit. Die angestrengte Tätigkeit und größere Reisen, die er immer wieder ins Ausland zu unternehmen hatte, halfen ihm über die Enttäuschungsgrade seines Herzens hinweg und boten ihm den erwünschten Vorwand hinzu, die Wiederaufnahme des Verkehrs mit Christoph Attermann und den Freunden hinauszuschieben. Mehr als bisher fürchtete der Stolz seiner Männlichkeit für die Einführung seiner Frau in den alten Freundeskreisen. Sabine Opterberg legte längst keinen Wert mehr darauf. Ihre Gedanken gehörten nur noch der eigenen Person, und die Ausdehnung ihrer Besprechungen mit den Schneiderinnen lieferte den Maßstab dazu. Es durfte keine bessergekleidete Frau geben als Sabine Opterberg, und getreu der Überlieferung des Barthelmeßschen Haushaltes wurde nach den erforderlichen Mitteln nicht gefragt. Bei guter Zeit regelte sich die Bezahlung von selbst. Martin Opterberg zahlte die Rechnungen, die ihm die Geschäftsleute nach vergeblichen Mahnungen bei Sabine Opterberg unmittelbar zusandten, in selber Stunde noch auf Heller und Pfennig. Die kaufmännische Vertrauenswürdigkeit hielt für ihn nicht an den Grenzen des Geschäftsbetriebes an. Die Führung des häuslichen Lebens mußte in Aufwand und Deckung genau so untadelhaft sein, ja durch ihre Vorbildlichkeit das Ansehen des Geschäftes stützen. »Ich habe,« sagte er sich, »versäumt, Sabine ein klares Bild meiner geldlichen Lage zu geben. Seelische Unstimmigkeiten hätten mich nicht hindern dürfen. Der Hauptteil der Schuld an ihrer Verschwendungssucht trifft daher mich selbst, und ich muß ihn ausräumen.« An einem Abend, als der Zufall sie alleingelassen hatte, entwarf Martin Opterberg seiner Frau in großen und klaren Zügen ein Bild seines Werkes, seiner Verpflichtungen und seiner baren Betriebsmittel. Sabine, die nur mit halbem Ohr zugehört hatte, horchte erst bei Nennung der letzteren auf. »Für so unmenschlich reich hätt’ ich dich ja gar nicht gehalten, Martin!« Wider seinen Willen mußte Martin Opterberg laut hinauslachen. »Bist du nun wirklich ein so verständnisloses Kind, Sabine, oder gar so leichtfertig, über den Ernst der Dinge hinwegzuhüpfen. Ich erkläre dir doch, daß die Höhe meiner Verpflichtungen den Gesamtwert meiner Werft mit allem, was daran und darin ist, fast erreicht und daß meine Betriebsmittel solange nur als geliehen anzusehen sind, bis meine Frachtdampfer fahren und sich selbst bezahlt machen.« »Vorläufig aber gehören deine Gelder dir, und du kannst darüber verfügen, wie du willst. Mein Gott, hätten wir zu Hause immer eine so großartige Deckung gehabt wie du in deinen Werftanlagen.« »Wenn die Werft, was Gott verhüten möge, Hals über Kopf verkauft werden müßte, käme der angesetzte Betrag nicht annähernd heraus, und meine baren Gelder müßten in die Bresche. Das ist doch einleuchtend.« »Nein,« sagte Sabine Opterberg, »das ist gar nicht einleuchtend, und mein Vater war als Künstler ganz sicher ein gescheiterer Kaufmann als du als Werftherr. Kommt Not an den Mann, so verkauft man, was man grad nicht braucht. Du erzählst mir doch, dein erster Frachtdampfer sei segelfertig. Also schlag ihn los, und du hast deinen Gewinn obenein.« »Es ist schwerer mit dir zu reden, als ich dachte,« erwiderte Martin Opterberg nach einer stummen Weile. »Und es ist vielleicht sogar unnütz. Du kennst meine Pläne, mit eigenerbauten Schiffen als Reeder aufzutreten und dadurch und durch meine Kenntnis der Märkte den Warenaustausch zu verbilligen. Du aber tust, als ob die Bedeutung von Lebensaufgaben nur darin bestände, möglichst schnell und möglichst viel Geld für die eigene werte Persönlichkeit herauszuschlagen, komm’ nachher, was da wolle. Ich möchte dir als meiner Frau ein wenig mehr Ernst für meine Angelegenheiten anempfehlen.« »Ach, Martin, und ich möcht’, es käm’ heut’ abend noch irgendwer zu Besuch, mit dem sich lustiger reden ließ’ als mit dir.« Martin Opterberg betrachtete sie, als sähe er, wie so oft schon, ein fremdes Gesicht. »Ich halte es für einen Glücksfall, Sabine, daß wir einmal ungestört sind. Als ich dich heiratete, wußte ich, wer du warst, aber ich täuschte mich, als ich auch zu wissen glaubte, was aus dir werden könnte. Bitte, laß mich. Ich hoffe ja immer noch, daß es nur der rechten Stunde bedarf, um dich zu deiner wahren Bestimmung hinzuleiten. Die seh’ ich aber nur in deiner Eigenschaft als Gattin und Mutter.« »Ei, also dahinaus geht’s. Kannst du mir auch nur die geringste eheliche Untreu’ aufweisen?« »Sprich das Wort nicht aus!« donnerte Martin Opterberg. »Pfui Teufel, wer gibt dir solche Marktweiberausdrücke in den Mund?« Er bezwang sich vor ihrem schreckensbleichen Gesicht und wurde ruhiger. »Eheliche Untreue. Weißt du, was das ist? Das ist ein Schicksal von schwerster Erdenschwere für den, der sie aus der Einsamkeit seiner mißhandelten Seele oder aus einer unübersehbar großen und alles vergewaltigenden Liebe heraus begeht. Und es ist der gemeine Drang seelenloser und liebeleerer Geschöpfe, nichts als sich und ihren Trieben zu schmeicheln und ihren zigeunernden Körper für sich und andere zum Abgott zu machen. Nicht doch. Wir reden in der Erregung von Dingen, die gar nicht in Worte zu kleiden sind. Weder die eine noch die andere Art kommt hier in Betracht. Wir wollen vom Glück und nicht vom Unglück sprechen, und da steht es für mich fest: wärst du Mutter und nicht nur Gattin, du würdest dich schnell in dir selber zurechtfinden und dein bisheriges Tun und Treiben belächeln.« »Ich wünsch’ mir keine Kinder. Ich hab’ nur einmal mein bißchen Jugend und Schönheit, und will’s auskosten.« »Weshalb hast du mich geheiratet, Sabine?« »Um deinetwillen. Aber doch gewiß nicht, um aus der Eng’ des Barthelmeßhauses hinauszugelangen und mich gleich wieder in die Eng’ der Kinderstub’ einmauern zu lassen. Ich denk’ gar nicht daran, meine Freiheit dranzugeben und mich vor der Zeit zu verschandeln für ein bißchen gefühlsselig Eiapopeia. Ach nein, die Sabine Opterberg ist auch noch auf der Welt.« Martin Opterberg blickte sie an, als blickte er in einen leeren Raum. Und als er hinausgegangen war, schritt er durch den Garten an den Rhein, als müsse er wieder einmal über die Wasserflut hinweghorchen nach dem Oberrhein, und er schritt zur Gartenpforte hinaus, bis er den Werftplatz erreicht hatte, und tastete sich in der Dunkelheit bis zu dem Schiff, das zur Abnahme fertig lag. Und während er mit der Hand über die Bohlen und Planken glitt, dachte er: »Hier also zeuge ich meine Kinder. Hier.« Heiß wollte es ihm in die Kehle steigen, wie er in die Dunkelheit starrte. * * * * * Der ersterbaute Rhein-Seedampfer Martin Opterbergs war in das Eigentum einer großen Reedereigesellschaft übergegangen. Es war dem Erbauer schwer geworden, den Erstling seiner Pläne zu verkaufen und die Ausführung seiner Pläne wiederum auf Jahre zu verschieben. Aber als er an einem arbeitsfreien Sonntag einen Überschlag seiner häuslichen Verbrauchnisse zu Papier gebracht hatte und einen Voranschlag über die mutmaßlichen Bedürfnisse der nächsten Jahre, war sein Entschluß auf der Stelle gefaßt. Der Verkauf hatte einen reichen Gewinn gebracht. Und wenn das glänzende Ergebnis auch das Selbstbewußtsein des Erbauers stärkte, Martin Opterbergs Freude ging leer aus. Wohl dachte er, nimm’s als Lehrgeld, aber er fühlte, wie die Unruhe seines häuslichen Lebens nun auch in seine Arbeit einzudringen trachtete und sie zur Sklavin des Gelderwerbs herabdrücken wollte. Sabine Opterbergs Ausgaben waren seit der letzten Aussprache nicht nur gestiegen, die alten Barthelmeß und die Brüder Barthelmeß traten immer häufiger und mit immer dringenderen und umfangreicheren Geldforderungen an ihn heran. »Schreibe deinen Eltern und deinen Brüdern,« sagte er zu Sabine, »die Rechnung stimme nicht. Sie seien zu vier Männern, die arbeiten könnten, und ich nur ein einzelner. Die Firma heiße Martin Opterberg und nicht Opterberg & Barthelmeß.« Sabine sah ihn mit zornigen Augen an. »Woher solltest du Familiensinn haben? Seit deinem neunzehnten Jahr bist du von Hause fort, und selten genug hat’s dich heimgezogen. Es zieht dich ja nicht mal zu deinen Jugendfreunden. Wir Barthelmeßkinder aber haben ein Familienleben genossen, wie es inniger und vertraulicher gar nicht auszudenken ist. Wir sahen eben auf die Menschenfreud’ und nicht auf das elende Geld.« »Das scheinen die Deinen auch heute noch zu tun, wo sie vier Familienleben führen.« Sabine Opterberg sprang über den Einwurf hinweg. »Ein wahrhaft liebevoller Dank für Vater und Mutter, die sich ihr Leben lang für mich gequält haben. Du könntest zusehen, wie sie eines Tages darum ins Armenhaus müßten.« »Und deine drei Brüder könnten trotz des innigen Familienlebens auch zusehen?« »Meine drei Brüder haben selber nichts.« »So sollen sie arbeiten und sich etwas schaffen. Oder wär’s dir recht, wenn ich auch die Hände in den Schoß legte und mich etwa auf deine Leute verließe?« »Nein,« sagte Sabine Opterberg beleidigt, »du brauchst ihnen nichts mehr zu schicken, ich werd’ es von meinen Ersparnissen tun.« Der Werftherr hob die Hände. »Da sei Gott vor, daß die Rechnung noch verworrener würde. Lieber werde ich die Ansprüche der Deinen noch einmal erfüllen und ihnen das Notwendige dazu schreiben, als daß ich mich zum Schluß in unserer doppelten Buchführung nicht mehr aus und ein kenne.« »Ich halt’ das auch für das Vernünftigere, Martin.« Auf Martin Opterbergs Geldsendungen trafen herzlich gehaltene Dankschreiben von Barthelmeß Vater und Söhnen ein. Alle aber schrieben sie wie in einem geheimen Einverständnis, die mißverständliche Beurteilung der augenblicklichen Verhältnisse läge lediglich an der viel zu geringen Pflege der Familienbeziehungen, deren Vernachlässigung sie sich aufrichtig zum Vorwurf machten, die sie aber durch baldige Besuche zu heben gedächten. Als erste erschienen Professor Barthelmeß und Frau. Und während sich Frau Hadwigas quecksilberne Unrast schon in den ersten Tagen daran machte, der Tochter Truhen und Schränke auf abgelegte Festgewänder und Leibwäsche zu untersuchen und sofort zum Mitnehmen zu verpacken, begann der Professor, das künstlerische Gesicht des Hauses von Grund aus neu zu gestalten und alle Möbel durcheinander zu rücken. Kaum, daß Martin Opterberg ihn von seinem ganz auf das Persönliche eingestellten Arbeitszimmer abzuhalten vermochte. »Vergiß nicht, Martin, daß du die Tochter eines ersten und anerkannten Künstlers zur Frau besitzest. Das mußt du dir immer vergegenwärtigen.« »Ich weiß die Ehre nach ihrem vollen Wert zu schätzen.« Unter großem Lärmen rückten die Brüder ein. Wieder erschienen sie ohne ihre Frauen, aber Martin Opterberg wußte ihnen hierfür wenigstens Dank, denn er hatte im Laufe der Jahre erfahren, daß der erste seine einst vermögende Frau irgendwo und irgendwann im Stiche gelassen und der zweite ein Mädchen niederster Sorte geheiratet habe, der dritte aber eigentlich unverheiratet sei und nur in wilder Ehe lebe. Widerwillig genug bot er den Brüdern seiner Frau die Gastfreundschaft. Mit Genugtuung hatte Sabine festgestellt, daß der Vater in seinem wallenden grauen Patriarchenbart und die Brüder in ihren nach dem neuesten Schnitt gearbeiteten Anzügen sehenswerte Figuren darstellten und auch die Mutter in ihrer fahrigen Beweglichkeit noch den alten Reiz ausübte. So zögerte sie nicht, eine Festtafel zu rüsten, die der Künstlerprofessor in ein wunderbares Gebilde aus roten Rosen wandelte, und ihre Verehrer und Neiderinnen zu laden, um die Barthelmeßleute und damit sich selbst in vorteilhaftestem Lichte vorzuführen. Die Gäste saßen wie verzaubert in der Fülle von Rosen, aßen mit Bewunderung von den ausgesuchten Speisen und tranken mit Andacht die edel zusammengestimmten Weine. Es war nur eine Stimme an der festlichen Tafel, daß das Haus Opterberg, von dessen anmutreicher Herrin man zwar täglich neue Überraschungen gewöhnt sei, diesmal sich selber übertroffen habe. Sabine Opterberg wies mit strahlender Miene auf ihren lächelnden Vater. »Ja, meine verehrten Damen und Herren,« lehrte der Professor, »die Errichtung einer Festtafel ist eine Kunst, die ebensoviel natürliche Begabung wie die allererlesensten Vorbilder verlangt. Beides vereint ergibt erst den untrüglichen Geschmack. Es nützt nichts, die feinsten Weine zu trinken, man muß sie auch nach Duft, Fülle und Feinheit in eine so stimmungsvolle Steigerung zu bringen wissen, als erschlösse sich langsam aus der Knospe die ersehnte Rose. Was ich in dieser und anderer Beziehung an den Höfen der Fürsten und Vornehmen des guten Geschmackes erlernen durfte, ist meiner angeborenen Begabung zugute gekommen. Sollte ich einmal den Vorzug genießen, Sie als liebe Gäste in meinem eigenen Heim begrüßen zu dürfen, so werden Sie finden, daß sich auch der Reiz des erlesensten Weines durch die künstlerische Form der Trinkgefäße noch erhöhen läßt.« Und nun plauderte der Professor von Italien und Spanien, und es waren Siegeszüge des Künstlers und des Mannes, die er vor den freudig horchenden Herren entrollte, und die gebeseligen Frauen spielten bald eine größere und munterere Rolle darin als der seligmachende Wein. Der anfeuernde Beifall, den der durchtriebene Schönredner fand, ließ den Ehrgeiz der Söhne nicht lange ruhen. Schon hatte der Wein in den Gemütern der Gäste die allerfeinsten Übergänge ausgewischt, und die Söhne konnten den Faden schon um einige Nummern kräftiger spinnen. Künstlerfeste, auf denen der erste Blick das Schicksal der Frauen bedeutete, wechselten mit geheimnisvollen Stelldicheins in Palästen und Parks voller Marmorbilder. Händeringende, liebefordernde Damen flehten um Entführung. Kraftwagen brausten durch die Nacht und über die Alpen. Hie und da blitzte im Zweikampf die Klinge. Namen wurden im Eifer des erregenden Berichts hervorgestoßen und erschreckt auf schonende Weise zurückgenommen. Ausrufe des Entzückens, schadenfreudiges Gelächter, derbe Zwischenrufe durchschwirrten die Tischgesellschaft. Sabine Opterberg aber genoß den frechen Unsinn der Brüder mit leuchtenden Augen. »Und wer bezahlt das ganze Zaubertheater?« rief einer der Fabrikherren in aufgeräumter Stimmung. »Im Leben hätt’ ich nicht gedacht, daß die Kunst so ausgiebig ihren Mann ernährt. Denn, wie mir Ihre Frau Schwester verrät, sind Sie ja allesamt Künstler, meine Herren.« »Künstler?« riefen die drei Brüder wirr durcheinander zurück. »Gibt das Wort allein alles her? Schafft es Gold und Edelstein? Frauen, Rosen und Wein? Der _Mann_ muß hinzu! Der Siegerwille! Wir sind Lebenskünstler!« Da erhob sich Martin Opterberg von seinem Platz, neigte sein Glas huldigend vor den drei Schwägern, leerte es und setzte sich wieder ohne ein Wort. Einen Augenblick stand den Prahlhänsen der Mund offen. Dann begriffen sie und klopften sich die Stäubchen vom Frack. Und Sabine Opterberg wünschte eine gesegnete Mahlzeit und hob die Tafel auf. Als die Gäste gegangen waren, winkte der alte Barthelmeß dem Hausherrn mit den Augen. »Wir rauchen noch eine Zigarre zusammen.« »Wenn es dir Freude macht -- gewiß.« »Laß erst meine Herren Söhne verschwunden sein. Sie wittern überall ein Geschäft und sind nicht wegzuschlagen.« »Handelt es sich denn um ein Geschäft? Dann könnten wir es auf morgen verschieben.« »Nun sind wir allein,« sagte der alte Herr, sicherte noch einmal an den Türen und ließ sich zufrieden in einem Sessel nieder. Ihm gegenüber saß Martin Opterberg. Beide rauchten sie schweigend. »So eine Gesellschaft muß dich ein Heidengeld kosten, Martin,« nahm endlich der alte Herr das Wort. Martin Opterberg zuckte nur mit den Achseln. »Nun ja, du hast es ja dazu. Sabine erzählt Wunderdinge von deinem Vermögen und den Rieseneinkünften aus deiner Werft. Zum Beispiel der letzte Schiffsverkauf. Stimmt’s?« Martin Opterberg strich die Asche der Zigarre ab. »Am einfachsten ist, du nennst mir ohne Umschweife deinen Wunsch.« »Meinen Wunsch? Ich habe keinen Wunsch. Aber da du dem Ton vertraulicher Aussprache den Geschäftston vorzuziehen scheinst, so will ich dir ganz gegen meine Absichten auch hierin folgen. Sabine hat mir aus ihrer Brautzeit noch einige Rechnungen hinterlassen. Für Kleider, Hüte, Leibwäsche und was so eine kleine Schönheit braucht. Die Leute haben vier Jahre gewartet und wollen nun bezahlt sein.« »Vier Jahre?« fragte Martin Opterberg und nahm die ihm hingestreckten Rechnungen entgegen. »Meine Verlobung und meine Heirat sind erst zwei Jahre alt. Da steckt ein Rechenfehler.« »Es ist alles in Ordnung,« widersprach der alte Herr. »Das Kind hatte doch die Kleider und den ganzen anderen Staat mit auf die Verlobungsfahrt zu deiner lieben Frau Mutter.« »Aber die Rechnungen stammen, wie du mir zu erzählen beliebtest und wie die Zeitangaben auf diesen Papieren bestätigen, aus einer Verlobungszeit Sabines vor vier Jahren. Von dieser wußte ich in der Tat nicht, was wohl meine Zahlungssäumigkeit einigermaßen entschuldigt.« Martin Opterberg faltete die Papiere wieder zusammen und reichte sie dem alten Herrn zurück. Ein wenig betreten strich sich Professor Barthelmeß den Graubart. Dann versuchte er ein lustiges Lachen. »Martin,« rief er und schlug dem Stillbrütenden aufs Knie. »Martin, du kennst die Weiberchen nicht. Natürlich hat sie nur auf dich gewartet, sehnsüchtig sogar, verliebt wie keine zweite. Aber du bliebst jahrelang weg, zuletzt noch drüben überm Meer, und ließest nur gelegentlich von dir hören und so sparsam, daß kein Mensch herausfinden konnte, ob du noch warm oder schon kalt warst. In solchen Fällen pflegen unsere klugen Weiberchen zwei Eisen ins Feuer zu legen. Aber als du heimkehrtest und Ernst machtest, wurde das eine natürlich sofort wieder hinausbefördert.« »Gemein …« stieß Martin Opterberg zwischen den Zähnen hervor. Er spürte, wie sich ihm die Kehle zusammenschnürte. »Wie sagtest du?« fragte Professor Barthelmeß und nahm eine Fechterstellung an. »Ich sagte, daß ich dir den Betrag morgen früh von meiner Kasse überweisen lassen werde und daß ich dir hiermit gute Nacht wünsche.« Auf dem baldachinüberdeckten Renaissancelager schlummerte Sabine Opterberg, die Lippen halbgeöffnet wie ein zärtliches Kind. Der Mann, der sie prüfend betrachtet hatte, wandte sich ab, als wäre ihm ein Nachtfrost über die Glieder gelaufen. »Da orakeln die Neunmalweisen,« flog es ihm durch den Sinn, »das Weib sei ein Rätsel. Und es ist doch nur dann ein Rätsel, wenn es voller Niedrigkeiten steckt, die unsere Anständigkeit nicht erraten kann.« * * * * * Nun zog es Martin Opterberg doch zu den Freunden. Plötzlich und unwiderstehlich zog es ihn hin, als drängte es ihn in sein Kinder- und Jugendland. Unangemeldet traf er in dem nicht fernen Industriedorf bei Christoph Attermann ein und stand auf der Schwelle. »Martin!« schrie Christoph Attermann auf und lag ihm am Halse. Einen Augenblick verhielten die beiden und rührten sich nicht. Aber jeder hörte in der Brust des anderen das niedergehaltene Schluchzen. Dann machte sich Martin Opterberg frei. »Und das Theresel?« fragte er lächelnd. Sie hielt ihren kleinen Buben auf dem Arm und streckte ihm die Hand entgegen. »Grüß’ dich Gott, Martin. Hier ist das Theresel, und der kleine Christian dazu.« »Er heißt nach unserer Mutter?« Und er streichelte des Kindes feines Blondhaar. »Nach unserer Mutter,« wiederholte Therese Attermann mit einem tiefen Ton. Er sah sie an, und ihre Blicke trafen sich. Voll und ruhig lagen sie ineinander. »Du bist die alte geblieben, Therese, und das heißt: die junge von dazumal. Kein Zug in deinem Gesicht ist anders geworden. Ihr müßt sehr glücklich geworden sein, daß die Zeit keine Spuren einzugraben fand. Denn auch der Christoph blieb, wie er war. Nur strahlender, viel strahlender schaut er aus.« »Dir aber sieht man die Arbeit der Tage und Nächte an,« sagte Christoph Attermann freimütig, »und das Theresel muß dir einmal den Puls fühlen und dich in die Kur nehmen.« »Wenn’s arg schlimm wird, komm’ ich, Theresel. Weißt du noch den ersten Kopfwickel zu Freiburg? Der Allererste war ich, der sich ein Herz faßte zu deiner ärztlichen Kunst.« »Das war, als du dich jählings in das Theresel verliebtest,« sagte Christoph Attermann, und das Wort war gesprochen. Martin Opterberg nickte ihm zu und nickte der Hausfrau zu. »Und mir fahnenflüchtigem Manne muß das Glück geschehen, daß mir die Freundin in meinem Bruder Christoph erhalten geblieben ist.« Er sprang ab. »Ich hatte frische Luft nötig. Da bin ich zu euch hinausgekommen.« »Setzt euch nieder,« bat die Hausfrau, »setzt euch nieder und plaudert. Ich leg’ nur den Kleinen zur Ruh’ und bin gleich die dritte im Bund.« Zu dritt saßen sie in dem hellen Wohngemach und plauderten von Jugend und Heimat, und wie im Badner Land stand ein offener Wein auf dem Tisch. »Er ist von der Mutter,« sagte Therese Attermann. »Sie schickt von Zeit zu Zeit ein Fäßlein.« »Mir schickt sie keins,« gestand Martin Opterberg und blickte nach der Wand, die als Schmuck ein großes Bildnis Frau Christianes trug. Das gleiche Bild hing daheim in seinem Arbeitszimmer. Hier behauptete es vor aller Welt den Ehrenplatz. »Du bist gewiß ein so verwöhnter Herr geworden, daß sie’s sich nimmer traut?« meinte das Theresel und folgte seinem Blick. »Ja, so ein verwöhnter Herr bin ich geworden. Und in einer Anwandlung von Leutseligkeit, so denkst du, bin ich von meinem goldenen Thron gestiegen, um mich bei euch zur Auffrischung des Blutes von einem Quäntchen Heimweh durchrütteln zu lassen. Ja, so wird’s wohl sein.« »Schwätz nicht, Martin,« rief die Hausfrau fröhlich, hielt ihm ihr Glas entgegen und stieß mit ihm an. »Weshalb du gekommen bist, ist mir gleich, mir und dem Christoph. Die Hauptsach’ ist, daß du gekommen bist und wir wieder beieinander sitzen.« »Jetzt müßt ihr erzählen,« bat Martin Opterberg. »Ich rühr’ mich nicht in meinem Sessel. So heimelig bin ich schon.« Da erzählten sie beide, und einer nahm dem anderen das Wort vom Mund, um Wertvolles für den anderen hinzuzufügen. Von Therese Attermanns ärztlichem Beruf und ihrer Tätigkeit als Kassenärztin unter den Werksarbeitern, ihren Frauen und ihren Kindern. Und von Christoph Attermanns selbständiger Stellung als hochbezahlter Ingenieur und Betriebsleiter. Und von beider Plänen. »Du dachtest gewiß, Martin, als du hier eintratst: ›Sie zogen mit gesenktem Blick in das Philisterland zurück, o jerum, jerum, jerum!‹ Falsch geraten, Martin, scharf daneben. Wir gedenken im Gegenteil ganz gewaltig ins Zukunftsland einzumarschieren, das Theresel und ich mitsamt dem Buben und allem, was nachfolgt. Drum haben wir unsere erste Einrichtung ganz bescheiden gehalten und unsere Lebensführung der Einrichtung angepaßt, um Monat für Monat unsere Kriegskasse aufzufüllen. Denn ich möcht’ einmal mein eigener Herr oder Teilhaber an einem Werk werden, um meine besten Kräfte erst entfalten zu können und den Meinen die Zukunft zu erschließen. Schau, daran hilft mir die da mit ihrer ganzen, großen Frauenliebe von morgens bis abends, und selbst des Nachts muß ich sie oft hergeben für ihre Kranken.« Er hatte die Hand seiner Frau gefaßt und hielt sie fest umspannt. »Der Christoph,« sagte die junge Doktorin, »ist nämlich von der Einbildung besessen, ich übte meine Kunst nur ihm zu lieb und nicht in erster Linie um der Kranken willen. Und ich würd’ sie wie einen Werktagsrock an den Kleiderriegel hängen, sobald er mir den erträumten Sonntagsrock brächt’. Nachtwandler soll man nicht anrufen. Und er nachtwandelt gar so schön, der Christoph.« »Erzählt mir auch von den Freunden,« bat Martin Opterberg. Es war ihm warm und wohl zumute. »Sie sitzen alle drei mit ihren Frauen in Düsseldorf,« berichtete Christoph Attermann. »Der wackere Broich ist mir der liebste geblieben. Das war er mir schon damals, als er mit eisernem Willen seinen Assessor machte, um sich seine Hilde Falkenroth aus dem Gasthof bei Koblenz zu holen. Er trat als juristischer Berater in ein Düsseldorfer Werk, ist aber mehr und mehr der kaufmännische Direktor geworden. Die Ehe kann als eine vorbildliche gelten. Sohn und Tochter werden straff erzogen.« »Und die Klarenbachsmädchen?« fragte der Besucher. »Du hast’s getroffen,« bestätigte Christoph Attermann lachend, »daß du nach den Klarenbachsmädchen fragst und nicht nach den Männern. Denn das Klarenbachgeld spielt die erste Rolle in den beiden Ehen. Der Grüters, den die Gerda nahm, ist der alte Streber geblieben und jetzt frischgebackener Regierungsrat. Mit unserem einstigen Fuchsmajor Tillmann steht’s schlimmer. Seit er der Mann der Elfriede Klarenbach geworden ist, nennt er sich zwar Kunstgelehrter, aber dabei hat’s auch sein Bewenden. Er möcht’ halt das Studentenleben in alle Ewigkeit weiterführen mit Weib, Wein und Gesang, aber die Elfriede hat’s gewaltig mit der Eifersucht und heizt ihm zu jeder Tag- und Nachtstund’ ein.« »Ich möcht’ sie doch einmal wiedersehen, die Wanderkameraden der Jugendzeit. Ach, ihr beiden, schön war es doch. So unglaublich schön …« Sie verzehrten ein schmackhaft Mittagessen, das die Köchin selber auftrug, und dann wurde die junge Doktorin zu einer Wöchnerin gerufen. Christoph Attermann tauschte ein paar leise Worte mit ihr. Sie nickte ihm zu, schüttelte Martin Opterberg die Hand und ging. »Wie selbstsicher sie ist, Christoph, und wie schlicht. Ich freue mich mit dir über die Helle in deinem Haus. Die stammt alleweil noch von dem Sonnenkrönlein in ihrem Haar.« Und dann begann er, in stundenlangen, fachmännischen Erörterungen dem gespannt lauschenden Bruder und Freund ein Bild seiner Werftanlage zu geben und seiner wirtschaftlichen Pläne, und der Abend nahte und brachte die junge Doktorin heim, die strahlend von der Einfahrt eines neuen Weltbürgers zu berichten wußte und mitten im Satze abbrach und aus der Türe lief. Denn draußen hatten die Hupen von zwei sonntäglichen Kraftwagen ein Lärmen erhoben, und ehe sich’s Martin Opterberg versah und sich zurechtzufinden wußte, fühlte er sich in einen Knäuel von jubilierenden Menschen verwickelt, die ihn umarmten, ihm die Hände schüttelten, ihn kräftig auf die Wangen küßten und allesamt auf ihn einredeten. »Mein Gott,« stieß er endlich hervor, »seid ihr es wirklich?« »Wirklich und wahrhaftig, Fleisch und Bein, Jugend und Schwarzwald, Burschenschaft und gut Freund allzeit und allwege,« riefen und lachten die Tillmann, Grüters und Broich mit ihren Frauen im Wettbewerb durcheinander. »Eingefangen bist du, Weltflüchtling. Auf Gnade und Ungnade. Die Frau Doktorin hat’s recht gemacht. Eingelullt hat sie dich, mit Chloroform oder Liebreiz, und uns inzwischen durch den Fernsprecher von Düsseldorf hergerufen. Die Klarenbachschen Kraftwagen schafften’s in einer guten Stunde, als wir erst den Überfalltrupp beisammen hatten. Martin! Martin Opterberg! Wie ein verwunschener Prinz schaust du aus!« »Und die bezauberndste Frau sollst du haben rheinauf und rheinab,« rief der begeisterte Tillmann in Studentenseligkeit. »Laß das!« gebot seine Gattin Elfriede scharf, und im Gelächter der Zuhörer ging der kurze, eheliche Auftritt unter. »Wenn ich schon nicht,« knurrte Tillmann verlegen, »von schönen Frauen sprechen darf, so gebt mir Wein, und die Frau Therese soll die Laute nehmen.« Rund um den Tisch saßen sie, auf den eine Bowle hingezaubert stand, und sahen sich in die Augen und suchten und fanden sich, und die Gläser klangen aneinander, wurden geleert und wieder gefüllt, und als der ersten Wiedersehensfreude genug getan war, sang Frau Therese zur Laute. Wie entrückt saß sie, die weiche Wange an den Lautenhals geschmiegt, und lauschte beim Singen hinein und hinaus … Und langsam fand sich unter den Männern und Frauen Hand in Hand … »~O academia!~« jubelte Tillmann auf. »~O academia~ -- --« * * * * * Monate hindurch zehrte Martin Opterberg von diesem Tag, von diesem Abend. Der Schnee lag auf den weiten Breiten am Niederrhein, und die Kopfweiden am langgestreckten Stromufer spiegelten ihre Hauben in dem schwerfällig fließenden Wasser. Tot war das Land. Heißer wurde das Leben in den Häusern der Menschen. Am heißesten wogte es in Sabine Opterberg. Eine Lebensgier war in ihr, die nicht zu stillen war, und wenn es sich nicht zu irgendeiner Abendgesellschaft in der Umgebung zu schmücken galt, schmückte sie sich für die Theater- und Musikaufführungen in den benachbarten Städten, und selbst in den politischen Versammlungen ihres Bezirks erschien sie, um einem besonders heißblütigen Vorkämpfer zu lauschen. Die Männer blickten ihr auf den Straßen nach, wenn sie in ihrer schlanken Fülle vorüber schritt, und sie erspähte jeden Blick unter den niedergelassenen Lidern, auf den Lippen ein geschmeicheltes Lächeln, das wie eine Aufreizung wirkte. Dieses Lächeln war Martin Opterberg das Verhaßteste an seiner Frau. Weil es ohne Ansehn der Person jeden bewundernden Blick bescheinigte, der nur von einem Manne kam. Auf dem Werftplatz hatte sie gesessen, auf einem Bretterstoß, und zum Zeitvertreib auf ihn gewartet. Ein Knecht war mit einer Pferdekarre an ihr vorbeigekommen, hatte jäh angehalten und mit flackernden Augen nach dem feinbestrumpften Bein gestarrt, das von der Höhe des Bretterstoßes lässig hin und her pendelte. Da waren die Augenlider der Frau niedergesunken, da war das Lächeln erschienen, dies vermaledeite Lächeln, wie es die scheuen Dirnen auf den Straßen hatten. Nie hatte es Martin Opterberg so verhaßt gefunden wie in dem Augenblick, da der Knecht beim Erscheinen seines Herrn gleich einem ertappten Sünder mit dem Gefährt von dannen jagte. Die Bewunderung ihrer Kreise genügte Sabine Opterberg nicht mehr. Längst hielt sie Ausschau darüber hinaus, und ihr zigeunerndes Blut wallte bei jeder Erscheinung auf, die aus dem Rahmen strebte wie sie selber. In diesem Winter gingen die politischen Wogen hoch in den Fabrikstädten am Niederrhein. Ein neuer Volksredner der Umsturzpartei war aufgestanden, ein dienstentlassener, junger Oberlehrer, der rücksichtslos die Leidenschaften gegeneinander hetzte. Keine seiner Versammlungen ließ Sabine Opterberg im Stich. Das war eine Sprache, die sie in ihren Höhen und Tiefen verstand, so unklar der Schwall der Worte auch daherbrausen mochte. Daß es brauste, daß es stürmte und aller Grenzen spottete, das empfand sie wie heimatliche Luft, wie Blut von ihrem Blut. Zwischen den Ehegatten kam es zu einer scharfen Auseinandersetzung. Martin Opterberg untersagte seiner Frau den Besuch der Versammlungen, untersagte ihr, sich selbst, ihn und seinen Namen bloßzustellen. »Du weißt, wohin du gehörst. Ein Schwanken ist ein Verzicht.« Da ließ Sabine Opterberg den neuen Glaubensboten, an dem der politische Strudelkopf ihr nichts, an dem der abenteuernde Mann ihr alles war, heimlich zu sich rufen und führte mit ihm eine Unterredung, die mit der Aufstellung kecker Richtlinien zu einem unanstößigen Verkehr schloß. Schon wenige Tage darauf, an einem Sonntagmorgen zur Besuchszeit, wurde Martin Opterberg eine Karte überreicht mit dem Namen: ~Dr. phil.~ Friedrich Radermacher. In ehrlicher Überraschung las er den Namen. Was wollte der Hetzer und Hasser von ihm? »Ich lasse bitten,« gebot er dem wartenden Mädchen. Der Eintretende war von schlanker und sehniger Gestalt, einen halben Kopf kleiner als der hochgewachsene Hausherr. Sein schwarzes Haar lockte sich in der Stirn, und in dem glattrasierten Gesicht lagen die dunklen Augen wie in verhaltenem Feuer. Eine Schönheit für romantische Zofenseelen, dachte Martin Opterberg und bot dem Besucher ernst einen Platz. Doktor Radermacher nahm dankend an. Er erklärte in fließenden Worten, daß er von der vorbildlichen Art der Behandlung erfahren habe, der sich die Arbeiter auf dem Opterbergschen Werftplatz erfreuten, und daß er gekommen sei, um mit einem so sozial empfindenden Arbeitgeber, wie er ihn nie zuvor angetroffen habe, einen Austausch der Meinungen herbeizuführen, auf die Gefahr hin, seine vorgefaßte und verallgemeinernde Ansicht einer kleinen Nachprüfung unterziehen zu müssen. »Denn,« schloß er feurig, »nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da!« »Der Mann schauspielert,« sagte sich Martin Opterberg, doch ließ er sich höflich auf einige Erörterungen über die Wechselbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein, die er mit den Worten endete, daß die ehrliche Lösung aller dieser Fragen stets von den Persönlichkeitswerten in beiden Lagern abhänge und es im übrigen Faule und Fleißige, Zufriedene und Unzufriedene geben würde, solange die Menschheit sich nicht wie die Lilien auf dem Felde kleide und wie die Spatzen im Getreideacker nähre. Nach einer Weile erhob sich der Besucher und bat, da er vorläufig keine politischen Versammlungen mehr abzuhalten gedenke, zu einer passenden Zeit wiederkommen zu dürfen. Martin Opterberg stand im Begriff, die Bitte als eine gänzlich zwecklose abzuweisen, als sich die Tür zu seinem Arbeitszimmer öffnete und Sabine ihren Gatten zum Frühstück rief. Überrascht blieb sie auf der Schwelle stehen, und da der Hausherr keine Miene machte, den Gast vorzustellen, so stellte sich der Gast mit einer ehrerbietigen Verbeugung selber vor. »Ah,« machte Sabine Opterberg, »unser berühmter Volkstribun. Wenn sich Ihr Blitz und Donner nicht auch gegen eine schlichtbürgerliche Küche richtet,« fügte sie in Schelmerei hinzu, »so halten Sie mit und seien Sie der dritte im Bund.« Der Gast nahm die Einladung mit großem Danke an, und so einsilbig Martin Opterberg bei Tische verharrte, so ritterlich und gewandt wußte der Fremdling die Unterhaltung zu führen. »Ich werd’ Sie bekehren,« beteuerte die heitere Hausfrau, »ich werd’ Sie meinem Manne als einen Sünder zu Füßen legen, über den im Himmel eitel Freud’ herrschen soll.« Von Stund’ an gehörte der Doktor Friedrich Radermacher zu den Besuchern des Hauses. Meist erschien er, wenn der Hausherr auf seinem Werftplatz in Anspruch genommen war. Martin Opterberg fühlte es bei der Heimkehr jedesmal an dem fahrigen und sprunghaften Wesen seiner Frau. Und plötzlich, mitten in einer alle Geisteskräfte erfordernden Arbeit, überfiel ihn ein grauenhafter Verdacht. Ein Verdacht, der seinen Mannesstolz rüttelte und schüttelte und ihm einen Geschmack wie Blut auf die Zunge legte. Er schob Papier und Zeichenstift von sich. Aus seiner Stirn brach eiskalter Schweiß. »Pfui Teufel,« sagte er zu sich selber. Aber das Herz hämmerte wie rasend und quoll ihm bis in den Hals. Da ging er heim und sah aus der Tür seines Hauses den Doktor Radermacher treten. Sabine Opterberg stieß einen kleinen Schrei aus, als er so unvermutet im Zimmer erschien. »Wie du mich erschreckt hast. Es ist doch nichts vorgefallen?« »Vorgefallen? In einem ordentlich geführten Geschäftshaus?« Er schüttelte den Kopf und ging in sein Arbeitszimmer. »Ich will in Ruhe eine Berechnung machen. Du gehst wohl aus?« Und dann saß Martin Opterberg die halbe Nacht, und die Schauer rüttelten und schüttelten ihn nur immer stärker, bis er aufsprang und die Arme gegen den tobenden Ansturm der Zerrbilder reckte. »Wenn es wahr wäre -- was würdest du tun?« »Den Mann vor die Waffe nehmen? -- Zuviel der Ehre für den Mann und das Weib, und Unehre für den Genarrten.« »Das Weib auf die Straße jagen? Dem Liebhaber gar in die Arme? -- Wo blieb’ die Strafe?« Blutrot trat ihm der Grimm in die Augen. »Noch weißt du es nicht!« schrie in ihm eine Stimme. »Und wenn du es wüßtest?« beharrte bohrend eine andere. »Wenn du es wüßtest, du nähmst aus der Lade dort die ledergeflochtene Hundepeitsche und griffest, wo du sie fändest, Mann und Weib, nackt und bloß, und peitschtest den Mann vor den Augen des Weibes, und das Weib vor den Augen des Mannes, daß sie sich hinfort nicht mehr in die Arme nehmen könnten aus Ekel vor dem gezüchtigten Körper des anderen. Und weil es der andere ansehen mußte.« Ganz kalt, ganz ruhig stand Martin Opterberg in seinem Arbeitszimmer. -- Draußen aber wurde es Frühling, und ein Frühlingswunder meldete sich im Hause Christoph Attermanns. Am jungen Rhein ließ Frau Christiane den Opterberghof unter der Obhut Linde Baumgarts, die der Schwester so ähnlich sah und nur fröhlicher war im Gemüt, und fuhr an den Niederrhein, um Therese Attermann in ihrer schweren und schönen Stunde eine Hilfe zu sein. Eine Nacht blieb sie zu Gast im Hause ihres Sohnes Martin. Ihre klaren Augen weiteten sich, als sie Sabine wiedersah. Mit einem Blick durchschaute sie das fahrige, sprunghafte Wesen der Überlauten. »Schaff Ordnung in deiner Frau,« sagte Frau Christiane hart, als sie in der Morgenfrühe von ihrem Sohne Abschied nahm. »Mutter, du kannst mir alles sagen. Ich bin nicht schonungsbedürftig.« »Sie spielt Theater, Martin. Aus einem Liebesgeflacker heraus, oder nur, weil sie ihr eigenes Stück und sich selber spielt.« »Aus beidem heraus, Mutter. Hab keine Sorge um mich. Grüß das Theresel.« Ein kleines, braunhaariges Mädchen kam im Hause Attermann zur Welt, und Christoph Attermann erschien in Person bei Martin Opterberg, um es ihm anzukünden. »Die Frauen haben mich als das überflüssigste Möbel vor die Türe gesetzt,« berichtete er dem Freund, den er sogleich auf dem Werftplatz aufgesucht hatte. »Sie lassen dich grüßen, und das Theresel schickt dir einen Kuß von deinem Patenmädel. Am besten, du holst ihn dir selbst.« Dann aber schritt er stillforschenden Auges die Werft entlang. Sein fachmännischer Blick erkannte das Große, das hier aus dem Kleinen geschaffen war und rastlos weiter geschaffen wurde. »Martin -- ich streck’ die Waffen vor dir.« »Ich schaff’s nicht mehr allein, Christoph. Ich brauch’ einen Mann an meiner Seite, der denkt, fühlt und handelt wie ich. Wie wär’s, Christoph? Zu zweit planen und in eins vollbringen.« »Komm heim, Martin. Mir schwindelt der Kopf.« Den Rhein zu Füßen schritten sie in tiefer Glücksstimmung dem Wohnhause zu. Die Brüder von einst. Frau Christianes Buben. »Du kommst in ein leeres Haus,« entschuldigte Martin Opterberg, als weder die Hausfrau noch eins der Mädchen zur Stelle war und der Hausflur von ihren Schritten widerhallte, »aber nun wollen wir es füllen.« »Das also ist dein Arbeitszimmer,« sagte Christoph Attermann, trat ein und blickte sich ehrfürchtig um. Martin Opterberg stand im Türrahmen hinter ihm. Sein Herz lachte. Hier war Verstehen, ein Verstehen auf den ersten Blick und ohne schmückende Worte. »Ja,« erwiderte er mit einem starken Atemzug, »dies ist mein ungestörtes Heiligtum. Hier hinein schaut niemand als nur ich.« Christoph Attermann wandte ihm das bärtige Antlitz zu. »Nicht deine Frau?« fragte er ernst. »Nimmt sie denn nicht Anteil an deinem Geistesflug?« »Meine Frau?« wiederholte Martin Opterberg, als verstünde er nicht. Ein hartes Lachen kam ihm über die Lippen. »Meine Frau bleibt lieber auf der Erde, wo’s am lustigsten ist.« Und mit einem Male reckte sich sein Kopf, reckte sich sein Körper. Alle seine Glieder spannten sich. Sein ganzes Wesen war ein einziges Horchen. »Was ist dir, Martin?« »Still. Rühr dich nicht.« »Geht es um in deinem Haus?« »Nur unreine Geister gehen um. Kein Wort mehr.« Christoph Attermann packte ein Schauder. Die Zimmertür klaffte einen Spalt. Und in dem dunkelverhängten Zimmer standen die Männer Seite an Seite und starrten in den sonnenhellen Hausflur. Ganz dumpf gingen ihre Herzschläge. In der Haustür hatte sich kreischend ein Schlüssel gedreht. Zwei Menschen erschienen mit lauschenden Augen. Ein Mann, bartlos wie ein Schauspieler, und Sabine, schön und geschmeidig, mit einem gespannten Lächeln um den Mund. Einen Augenblick horchte sie in das todstille Haus. Dann rief sie laut und munter die Namen ihrer Mädchen. Zweimal. Dreimal. Es blieb still. Da wandte sie sich zu ihrem Begleiter und küßte ihn übermütig auf die lauschenden Augen. »Komm,« flüsterte sie, nahm ihn bei der Hand und huschte mit ihm die Treppen hinauf. Und wieder lag die leere Stille über dem Haus wie ein grinsend Gespenst. Minuten vergingen. Noch immer standen die beiden Männer regungslos im Arbeitszimmer. Dann quoll ein tiefer Seufzer aus Christoph Attermanns Brust, und er griff nach der Hand des Freundes. Die war eiskalt, aber hart wie aus Stahl. »Martin -- --« »Hast du sie genau gesehen, Christoph?« »Den Fremden vergess’ ich nicht, so lang ich leb’. Die andere war die Sabine Barthelmeß.« »Die Sabine Barthelmeß. Das gab dir ein Gott ein. Sabine Barthelmeß. Nicht Frau Opterberg. So heißt nur noch die Mutter.« »Was willst du tun, Martin --?« »Das, was den beiden zukommt, Christoph.« »Kein Blut, Martin!« »Geh jetzt!« »Kein Blut. Nur die Mutter heißt Frau Opterberg. Du hast es gesagt.« Die Worte stolperten von ihren Lippen, hasteten durch die Leere … Martin Opterberg wandte dem Bruder das Gesicht zu. Es war weiß vor niedergehaltener Erregung, aber die blauen Augen hatten sich dunkel gefärbt. »Ich hab’ es gesagt. Das muß dir genügen. Ich bin kein italienischer Operntenor. Ich bin ganz deutsch -- ganz deutsch.« Da wußte Christoph Attermann, daß es sich um eine Abrechnung handelte, die keinen Mittler ertrug, und er ging wortlos in das Büchergelaß, das an das Arbeitszimmer stieß, und ließ sich im Dunkel nieder. Martin Opterberg war allein. Einen hastigen Schritt tat er und blieb stehen. Aus seiner Brust kam ein messerscharfer Ton -- und brach ab. Ein Nebel lag vor seinen Augen, und aus dem Nebel sprach eine Stimme. »Wenn du es wüßtest, du nähmst aus der Lade dort die ledergeflochtene Hundepeitsche und griffest, wo du sie fändest, Mann und Weib, nackt und bloß, und peitschtest den Mann vor den Augen des Weibes, und das Weib vor den Augen des Mannes, daß sie sich hinfort nicht mehr in die Arme nehmen könnten, aus Ekel an dem gezüchtigten Körper des anderen. Und weil es der andere ansehen mußte.« Und der Nebel schwand vor Martin Opterbergs Augen. Aus einer Lade im Schrank holte er die ledergeflochtene Peitsche hervor. Ohne daß die Hand zitterte. Und er schritt die Treppe hinauf und über den teppichbelegten Gang hinweg und warf sich mit Aufbietung aller Kraft gegen die Tür des verriegelten Zimmers, daß der Riegel sprang. 10 Martin Opterberg schritt durch alle Räume seines Hauses. Still war das Haus geworden, aber auch gesäubert vom Keller bis zum Söller. Nur noch der Schall seiner Schritte lief mit, nicht mehr das Gespensterhuschen auf Stiegen und Gängen. Wie eine Wohltat wirkte die Befreiung auf die Seele, die nicht mehr aufzufahren brauchte und aufzuhorchen auf einen schleichenden Fuß, auf ein schleichendes Wort, und sie wirkte wie eine Säuberung des Körpers. Das war’s, was Martin Opterberg immer wieder und immer stärker in tiefen Atemzügen empfand, seit an jenem Gerichtstag die Haustür ins Schloß gefallen war hinter dem flüchtenden Mann und wenig später als eine Stunde hinter der flüchtenden Frau: die Luft, diese Gottesluft des neuen, alles verjüngenden Frühlings. Seit Jahren hatte er sie nicht mehr mit Bewußtsein getrunken. Als ob die Welt in Winterstarre gelegen hätte seit seinen Wanderjahren und alles Verlorene und Vergessene nachzuholen drängte im späten, staunenden Erwachen, so war ihm dieser Frühling, so staunte er selbst in ihn hinein und sog sich die Seele voll. Kein Spinnweb aus grauen, raunenden Tagen kroch mehr in den Ecken, und selbst in den Mädchenkammern herrschte ein neuer und blitzblanker Geist, seitdem die Günstlinge der geflüchteten Frau abgelohnt worden waren und ein paar derbe Schwarzwaldmädchen Einzug gehalten hatten. Auf ein Ansuchen Martin Opterbergs waren die neuen Hausgenossinnen von Linde Baumgart sorgsam auf dem Opterberghof ausgemustert worden. Ein Seltsames war: das Verschwinden der Hausfrau rief kaum einige Überraschung hervor. Lag es daran, daß das Landhaus der Opterbergs sich zu weit ab vom täglichen Verkehr befand, lag es an der schnellen Ernüchterung der einstigen Verehrer, die in der lockenden Mandel keinen Kern gefunden hatten, oder waren die Ereignisse so schnell und schweigend erfolgt, daß die Umwelt ohne Handhabe geblieben war, ob es sich nur um eine zeitliche Trennung oder um eine förmliche Scheidung handele. Gegen den Sommer jedoch, als die Scheidungsklage vor Gericht ihre Erledigung gefunden hatte, sollte Martin Opterberg durch einen Besuch daran gemahnt werden, daß die Erinnerung an seine Ehe dem Gedächtnis einiger Leute doch noch nicht ganz entschwunden war. Auf das Trauerspiel folgte das Satyrspiel. Herr Professor Barthelmeß erschien und suchte eine dringende persönliche Unterredung nach. »Mein Sohn,« sagte der Professor mit einem tiefen, schwingenden Schmerzenston und streckte beide Hände aus. »Ich habe den Weg zu dir gefunden.« »Sie sind müde,« entgegnete Martin Opterberg. »Darum bitte ich Sie, Platz zu nehmen.« Der Professor stutzte nur einen Augenblick. Er ließ sich nieder, setzte seinen Hut auf den Teppich und lehnte sich weit zurück. Seine Augen zwinkerten, als ob eine Träne hervorquellen wolle. »Martin, es sind traurige Zeiten. Auch für dich. Denn ich kenne dein Gemüt, wie ich das deines seligen Vaters kannte.« »Ich bitte um Verzeihung, Herr Professor. Wollen wir meinen Vater, wollen wir alle einstmaligen Familienbeziehungen aus dem Spiele lassen. Dient es zu Ihrer Beruhigung, so kann ich Ihnen sagen, daß mir die Zeiten sehr hell und freundlich erscheinen.« Da merkte der Professor, daß der warme Ton der Empfindungssaiten hier nicht mehr am Platze wär’, und der alte Glücksjäger ließ auf der Stelle von dem unerreichbaren Hochwild ab und wandte sich der Hasenjagd zu. »Sie wollen es so. Ich wasche meine Hände in Unschuld. Schon einmal haben Sie mir den geschäftlichen Ton aufgedrängt, als es sich um die Bezahlung von Anschaffungen handelte, die meine Tochter lediglich zu Ihrem Vorteil in Verwendung genommen hat. Lediglich, jawohl, lediglich,« fügte er mit Betonung hinzu, als er auf dem ruhigen Gesicht seines Gegenübers ein verloren Lächeln erscheinen sah. »Und wie damals Ihr Gerechtigkeitsempfinden Sie nicht erst zu den ritterlichen Anschauungen zu bekehren brauchte, so bau’ ich auch heute darauf und heute mehr denn je.« »Sie wissen, daß ich von meiner Mutter her für Humor immer empfänglich bin. Fahren Sie fort.« Der Professor starrte ihn an. Seine weltmännische Sicherheit geriet ins Wanken, und er mühte sich sichtlich um Fassung. »Für Humor? Habe ich recht verstanden? Hier sitzt ein tieferschütterter Vater, und Sie gewinnen der Stunde die heitere Seite ab? Oh, jetzt verstehe ich manches.« »Wenn Sie manches verstehen, Herr Professor,« sagte Martin Opterberg mit einigem Nachdruck, »so werden Sie auch schnell das eine verstehen: daß es vorteilhafter für Sie ist, ich gewinne der Stunde die heitere Seite ab als die ernste. Der auf Rettung eines schwankenden Buchpostens bedachte Handelsmann hat für mich immer noch einen Anreiz. Der tieferschütterte Vater ist eine Posse. Wie wünschen Sie nun, daß ich die Stunde auffasse?« »Sie sind also erbötig, meiner Tochter eine ausreichende Jahressumme auszusetzen?« nahm der Professor hastig das Wort auf. »Ich wußte es ja, daß man sich unter Ehrenmännern schnell verständigen würde.« »Was die anwesenden Ehrenmänner anbetrifft, so muß ich Ihnen leider eine Enttäuschung bereiten. Ich rechne mich nicht zu ihnen. Und was die Ausstattung und Unterhaltung verwahrloster Frauen anbetrifft, so geht mein guter Geschmack andere Wege.« »Dürfte ich -- dürfte ich diese anderen Wege erfahren?« »Die Gerichtsentscheidung liegt Ihnen ja vor. Sie deckt sich vollkommen mit meinem guten Geschmack.« »Und Sie -- Sie stimmen dieser Entäußerung von allen Mitteln, dieser Vogelfreierklärung zu? Ohne Furcht, daß die zur Verzweiflung getriebene Frau den Namen Opterberg, auf den Sie doch so stolz zu sein scheinen, wie ein schmutzig Bettlerkleid durch die Gassen schleift?« »Lassen wir diesen Überschwang. Es liegt kein Anlaß vor. Vogelfrei hat sich Ihre Tochter selbst erklärt, in allerfreiester Willensäußerung. Und auf Aberkennung des Namens Opterberg habe ich bereits Antrag gestellt, dem das Gericht wohl schon in Kürze stattgeben wird.« Der Professor fuhr mit rollenden Augen auf. Er sah das erzene Gesicht Martin Opterbergs, und er sah, daß er das Treffen verloren hatte. Da ließ er sich mit einem Seufzer wieder in den Sessel fallen. »Tragen Sie sich noch mit einem anderen Wunsch?« fragte Martin Opterberg mit Freundlichkeit. Der Professor schwieg eine Weile. »Mit einem Wunsch?« wiederholte er endlich lässig und obenhin. »Da Sie sich ganz und gar auf den Boden des reinen Geschäftsverkehrs stellen, so wüßte ich nicht, weshalb ich die mir rechtlich zustehenden Forderungen in die Höflichkeitsform von Wünschen kleiden sollte.« »Darin kann ich Ihnen nur Recht geben. Sie sehen mich auf solche Forderungen gespannt.« »Ich verlange nach dem Gesetz das Heiratsgut, das meine Tochter mit in die Ehe gebracht hat.« »Es steht zu Ihrer Verfügung. Ich habe, was sich an Kleidern und Wäschestücken vorgefunden hat, zusammenpacken und verschließen lassen. Sämtliche Schmuckgegenstände hat Ihre Tochter schon mit sich genommen, als sie das Haus verließ. Es mag so bleiben.« »Nein,« sagte der Professor, »auf diese Weise ist die Unterhaltung doch wohl nicht zu führen: ein Bündel Kleider, eine Handvoll Schmuck. Sie scheinen sich nicht darüber klar zu sein, daß Sie sich hier in einer fremden Zimmereinrichtung befinden und daß Sie Ihre Gönnerworte aus einem Sessel heraus an mich richten, der meiner Tochter gehört und den ich Ihnen unter dem Sitz wegziehen könnte.« Da lachte Martin Opterberg zum ersten Male wieder aus vollem Herzen. »Die Möbel wollen Sie mir wegholen? Das Haus wollen Sie mir ausräumen? Wer hat Sie denn auf diesen verrückten Gedanken gebracht?« »Mein Herr,« ersuchte der Professor scharf, »ich bitte, sich zu mäßigen. Sie vermögen mich aus dem Hause zu weisen, das das Ihre ist, aber Sie vermögen nicht, mich aus diesem Sessel aufstehen zu heißen, der, wie die gesamte Hauseinrichtung, Eigentum meiner Tochter ist.« »Eigentum Ihrer Tochter? Ja, träumen Sie denn? Es widerstrebt mir, darauf hinweisen zu müssen, daß Ihre Tochter nichts in die Ehe einbrachte, als was sie auf dem Leibe trug. Es ist Ihnen wohl noch erinnerlich, daß ich Ihnen vor der Hochzeit eine Summe einhändigte, um die Einrichtung zu beschaffen, da Ihre Tochter über keine Aussteuer verfügte.« »Ganz recht. Vor der Hochzeit. Es war eine Schenkung ~in optima forma~ und hat nicht das geringste mit Ihrer späteren gemeinsamen Ehe zu tun. Aha, nun wird Ihnen die Sachlage klar.« Martin Opterberg hatte sich erhoben. In ihm stritt der wiedergefundene Humor mit einer peinigenden Unlust, dergestaltete Unterhandlungen zu führen. Er sah sich einem Menschen gegenüber, der sich höchstens durch die würdevolle Haltung und den Professorentitel von einem abgefeimten Gauner unterschied. Wie konnte ein anständiger Mensch einem solchen Gelichter beikommen? »Und wenn ich eine durchaus andere Ansicht von der Sachlage hätte, Herr Professor?« »So müßte ich es,« entgegnete der Professor weich, »zu meiner größten Bekümmernis auf einen Prozeß ankommen lassen und Ihnen zum Vergnügen der immer schadenfrohen Welt die Benutzung der Möbeleinrichtung bis zur Urteilserklärung gerichtlich untersagen lassen.« »Nicht anders hatte ich es mir gedacht,« sagte Martin Opterberg. »Sie werden es verstehen, daß ich mich aus Gründen der Erziehung mit der ins einzelne gehenden Abwickelung nicht befassen kann. Ich werde eine Vertrauensperson damit beauftragen.« »Leider ist meine Zeit nur knapp bemessen, Herr Opterberg. Ich opfere kostbare Arbeitstage für eine Angelegenheit, deren Erledigung rechtgemäß längst Ihre Sache hätte sein müssen, und weiß nicht, ob ich den Verlust wieder hereinbringe.« Martin Opterberg hörte kaum hin. »Also sagen wir: auf übermorgen, Herr Professor, da Sie den Möbelwagen in Ihrer Handtasche doch wohl nicht mitgebracht haben.« »Wo wohne ich?« fragte der Professor unbefangen und blickte sich um. »Wenn Sie keine allzugroßen Ansprüche stellen: im Gasthaus am Bahnhof. Auf Wiedersehen.« Er verbeugte sich in kühler Höflichkeit, und der Professor erhob sich kopfschüttelnd, nahm seinen Hut und empfahl sich zögernd. Martin Opterberg aber drahtete unverzüglich an seine Mutter und bat sie, zur Abwickelung vermögensrechtlicher Dinge am nächsten Tage schon zu ihm zu reisen. Pünktlich auf die Minute traf Frau Christiane am Abend ein. Bis zur vorletzten Haltestelle hatte sie den Basler Schnellzug benutzt. »Du schaust frisch aus wie ein Fisch im Wasser, Bub,« sagte sie, als sie am Bahnhof einen schnellen Blick über den Sohn hatte hingleiten lassen. »Es war eine wunderliebe Fahrt durch all das schöne Sommerland am Rhein. Und das Lindele läßt dich schön grüßen.« »Dank dir, Mutter. Für dein Kommen und für den Gruß.« Frau Christiane fragte nicht. Erst als sie sich in ihrem Gastzimmer erfrischt, die Schwarzwaldmädchen begrüßt und mit ihrem Sohn das Abendbrot eingenommen hatte, sagte sie, in ihren Sessel gelehnt, vergnügt und unvermittelt: »Vermögensrechtliche Dinge. Und noch Abwickelung dazu. Ein hübsches Abschlußgeschäft für die Barthelmeßleute.« »Du hast es also bereits erraten, Mutter.« »Dazu gehört nichts als das Einmaleins, Martin. Das heißt: wenn wir fünf gerade sein lassen. Anders ist ein alter Gauner niemals auszuschalten.« »Du denkst wie ich, Mutter. Es handelt sich, wie du es dir schon gedacht hast, um die Einrichtung meines Hauses, die ich zwar von meinem Gelde bezahlt habe, die aber von der Gegenseite als eine Schenkung vor der Ehe betrachtet wird. Der alte Barthelmeß brauchte mir nicht erst mit einem Prozesse zu drohen. Es hängen mir zuviel Erinnerungen an den Möbeln, die nur für die Gegenseite Wert haben. Nur was ich mir selber beschafft habe, hier und im Ausland, mein Arbeitszimmer und was vom Opterberghof und aus der Kindheit stammt, das möcht’ ich nicht gern von dem alten Barthelmeß verhökert wissen.« »Darum rief der Bub nach der Mutter.« »Ja, darum. Weil mir derartige reinliche Scheidungen nicht zu liegen scheinen.« »Und da dachtest du: das besorgt die Mutter mit Scheuertuch und Besen im Handumdrehen.« »So dachte ich, Mutter.« »Ach, Martinle,« meinte Frau Christiane und lachte in sich hinein, »ich hab’ den Glauben an deine Unverwüstlichkeit nie aufgegeben. Nun holt sich der Rhein wieder Wasser aus der Quelle. ’s ist recht so.« Martin Opterberg saß in seinem Stuhl und umfing mit liebevollem Blick das fröhliche Mutterbild. -- -- Mit der Sicherheit eines Gläubigers betrat Professor Barthelmeß schon in der achten Morgenstunde das Haus. Das Mädchen wies ihn ins Arbeitszimmer. »Zur Stelle,« sagte er in dem Glauben, Martin Opterberg vorzufinden. »Schönen guten Morgen,« klang es ihm als Antwort entgegen. Verdutzt suchte der Professor nach seinem Augenglas. Er hatte die Stimme einer Dame vernommen und beeilte sich, sich vorzustellen. »Professor Barthelmeß. Entschuldigung, ich bin hier wohl am falschen Platz?« »Da könnten Sie ausnahmsweis’ Recht haben, Herr Professor,« erwiderte Frau Christiane und erhob sich aus ihrer abgedunkelten Diwanecke. »Aber da Sie den falschen Platz nun schon einmal eingenommen haben, wollen wir das gegenseitige Vergnügen auf die allerkürzeste Dauer beschränken. Ich bin die Frau Christiane Opterberg.« »Die Frau -- Christiane -- Opterberg?« wiederholte der Professor betroffen. Frau Christiane nickte ihm zu. »Die einzige meines Namens.« »Unverändert,« brachte der Professor hervor, »unverändert …« »Aus so berufenem Mund freut’s mich ganz besonders,« sagte Frau Christiane strahlend, »wenn ich auch wohl einiges Ihrer Kurzsichtigkeit zuschreiben muß. Aber was ist denn mit Ihnen? Sie sind ja ein ganz graues Mannle geworden und wackeln schon bedenklich. Wohl über die Siebzig, Herr Professor?« »Oh -- oh --« wies Professor Barthelmeß entrüstet zurück, »noch nicht die Mitte der Sechzig erreicht, meine gnädige Frau.« »Dann ist es aber schlimm. Dann ist’s aber an der Zeit, daß Sie auf die Erhaltung Ihrer Kräfte bedacht bleiben. Geht’s denn mit dem Gedächtnis noch alleweil?« »Ich wünsche mit Herrn Opterberg die vermögensrechtlichen Fragen zu regeln,« sagte der Professor, und seine Stimme zitterte vor Ärger. »Ich weiß. Oh ich weiß alles bis ins kleinste. Mein Sohn hat mich als seine Vertreterin bevollmächtigt. Wenn Sie also meinen, Sie schafften’s, von mir aus können wir auf der Stell’ beginnen.« Professor Barthelmeß sah sie hochmütig über den Kneiferrand an. »Es gibt hier nicht viel zu schaffen, meine verehrte Frau. Die gesamte Einrichtung ist Eigentum meiner Tochter. Ich habe alles persönlich gekauft.« »Ihr Gedächtnis, Ihr Gedächtnis,« warnte Frau Christiane mit leisem Kopfschütteln. »In Amerika waren Sie _nicht_ zum Einkauf. Und doch stammt dieses Arbeitszimmer aus Amerika.« Der Professor besichtigte hastig den Raum. »In der Tat -- in der Tat --« murmelte er. »Setzen wir unseren Rundgang fort, wenn’s Ihnen nicht zu beschwerlich fällt. Hier, das Gesellschaftszimmer, trägt unverkennbar die Persönlichkeitsmarke Ihrer Frau Tochter. Dasselbe ist von dem Empfangsraum festzustellen, und zwar ohne Augenglas. Wir kommen zum Speisezimmer, Herr Professor.« »Die künstlerische Schönheit dieser hohen gotischen Anrichte spricht wohl allein für ihre Herkunft, und der Stollenschrank nicht minder,« meinte der Professor lässig. »Gehen wir weiter.« »Ihre Augen, Ihre Augen,« klagte Frau Christiane. »Sie werden frühzeitig erblinden, wenn Sie dem Übel nicht nachdrücklich zu Leibe rücken. Ich seh’ hier nämlich außer der gotischen Anricht’ und dem Stollenschrank noch den gewaltigen Eichentisch, das Dutzend Eichenstühl’ und so viel liebes andere. Und es ist nicht nur ein Sehen, es ist ein Wiedersehen, denn es stand bis vor wenig Jahr’ auf dem Opterberghof und war mir zu viel, seit mein Mann und die Buben fehlten.« »Es liegt mir nicht das geringste an diesem heiligen Urväterhausrat, verehrte Frau.« Frau Christiane nickte ihm freundlich zu. »Können’s noch die Treppen hinauf? Oder wird’s den Beinen doch zu viel? Hier drunten ist nur noch die Küch’, und so eine Nebensächlichkeit hatten Sie vergessen einzukaufen, und droben befinden sich die Schlafgemächer.« »Stück für Stück von droben habe ich persönlich zusammengetragen, aus dem Hessischen und dem Bayrischen. Darüber gibt’s auch nicht das geringste Verhandeln.« »Ihr Gedächtnis, Ihr Gedächtnis. Es befinden sich vier Schlafzimmer droben. Drei, wie Sie’s zu nennen belieben, gefüllt mit heiligem Urväterhausrat. Das vierte ist unheilig.« Sie reckte langsam ihre Gestalt, und aus ihren Augen sprühte die Verachtung. »Je schneller Sie’s ausräumen lassen, um so besser für uns alle.« Der Professor hustete in den vorgehaltenen Hut. Der Kneifer fiel ihm ab, und er mußte ihn mit dem seidenen Schnupftuch umständlich säubern. »Halten wir uns nicht auf, verehrte Frau. Ein paar Siegel an die Sachen, und wir sind aller Mißverständnisse enthoben.« »Wozu wollen denn der Herr Professor den teueren Siegellack opfern? Die Schränk’ und Truhen sind doch alle leer.« »Leer -- --?« »Aber gewiß, Herr Professor. Ich hab’ mit den Mädchen in der Frühe wacker schaffen müssen, um all das alte Familiensilber und die Berge Kristall und Porzellan unversehrt herauszubringen und gut wieder wegzuschließen. Auch den Opterbergschen Leinenschatz. Ein Gedächtnisfehler vermag jetzt nimmer aufzukommen, und für die Gotik und Renaissance und die geschnitzten Heiligen und die betrübten Engel dürft’ ein mäßiger Möbelwagen vollauf genügen.« Der Professor wischte sich mit dem seidenen Tuch die Stirn. Er zitterte vor Erregung. Ein Wort murmelte er zwischen den Lippen, das keine Liebkosung war, aber Frau Christiane achtete es nicht. »So setzen Sie sich doch. Sie sind wirklich sehr, sehr schonungsbedürftig. Aber ein Mann von Ihren Jahren, der all sein Leben lang gottesfürchtig die lieben Heiligen geflickt und die Kirchen und Kapellen schön ausgebessert hat, sollt’ doch etwas mehr an die himmlische Glückseligkeit denken als an den irdischen Schabernack.« Da setzte sich der Professor, und sein seidenes Tüchlein fuhr über Stirn und Schädel. »Es wird nun alles besorgt. Sie dürfen getrost heimfahren,« sagte Frau Christiane. »Gut,« murmelte der Professor, »gut, ausgezeichnet,« und er zerrte an seiner Brusttasche. »So haben Sie wohl die Güte, diese Ausgaben zu begleichen, die ich als Bevollmächtigter der Parteien gemacht habe. Fahrt, Gasthof und drei kostbare Arbeitstage zu je hundert Mark.« »Das trifft sich ausgezeichnet,« lobte Frau Christiane und nahm das Papier entgegen. »Da kann ich, die ich ebenfalls als Bevollmächtigte der Parteien zu gelten hab’, auf der Rückseite des Zettels gleich meine Gegenrechnung aufmachen. Leider war meine Reis’ viel kostspieliger als die Ihre, und da ich daheim so gut wie für zwei schaff’, muß ich gerechterweis’ auch zwei Arbeitskräfte in Rechnung stellen. Sehen Sie, da hab’ ich’s schon. Sie bekommen von der einen Partei rund fünfhundert Mark, ich hab’ von der Gegenpartei zu bekommen -- fünfhundertzehn. Na, wegen der zehn Mark wollen wir kein groß Aufheben machen. Ich streich’ sie, und die Sache ist glatt.« Offenen Mundes hatte sich der Professor erhoben. Frau Christiane strahlte ihn aus ihren kristallklaren Augen an. Und plötzlich tat der Professor ein paar weitausholende Schritte, erreichte die Haustür und warf sie schmetternd hinter sich ins Schloß. Da wurde das Strahlen in Frau Christianes Augen noch größer als zuvor. Und sie schritt von Zimmer zu Zimmer und öffnete weit die Fenster. Und noch viel größer wurde das Strahlen, als gegen die Mittagszeit ein Bote aus dem Gasthof erschien und die Bestellung ausrichtete: der Herr Professor sei heimgefahren und habe hinterlassen, die Gasthausrechnung werde von Herrn Doktor Opterberg beglichen. Sie bezahlte ohne weiteres und gab dem Boten ein großes Trinkgeld dazu. »Das Haus ist rein,« berichtete sie dem heimkehrenden Sohne. »Ich hab’s an Scheuertuch und Besen nicht fehlen lassen und brauch’ nur Zeit, um den Hausrat umzugruppieren.« Dazu brauchte Frau Christiane wirklich Zeit, viel mehr, als die Arbeit auf den ersten Blick zu beanspruchen schien. Zu ihrem Sohne sprach sie: »Es macht mir nichts und kommt mir sogar gelegen, denn ich hab’ schon immer die Prob’ auf das Exempel machen mögen, was die Linde wohl bei mir gelernt hat, und ob sie imstand ist, die Wirtschaft daheim mal eine Strecke allein zu führen. Das kann sie jetzt zeigen.« Und an die Linde schrieb sie nach Haus: »Mädel, den Martin verlangt’s nach der Treibhausschwüle, in der er gesteckt hat, mit Macht in die frische Luft, und drum muß ich bleiben und sie ihm zuführen, bis seine Seele ganz und gar davon durchgespült ist und er wieder allein atmen kann. Wenn der Mensch über ein widerwärtig Schicksal gesiegt hat, darf man ihn nicht zum Grübeln gelangen lassen, sonst kommt leicht der Rückschlag und er fragt sich: warum und wozu? Ich mein’ aber nunmehr, der Martin hätt’ der Rückschläg’ allweil genug gehabt und bedürfte der Freud’ in der Zukunft. Denn er ist jung und stark und ein hoher Flieger und soll mir nicht rosten. Drum hab’ ich ihm erzählt, das Lindele sollt’ daheim einmal allein sein Meisterstück machen und ich tät’ mich inzwischen bei ihm ein paar Monde aufs Altenteil setzen. Ob mich mein groß Mädel versteht? Ich glaub’s für sicher.« Der heilige Urväterhausrat war längst umgeordnet, der unheilige nach dem Rheingau abgerollt. Frau Christiane hatte Verpackung und Versendung in Gegenwart eines Notars vollziehen lassen und das unterstempelte Schriftstück an den Herrn Professor Barthelmeß »eingeschrieben« gesandt. Wo sich allzugroße Lücken in der Wohnung erwiesen, wurden sie durch Neuanschaffungen bald ausgefüllt, Fensterbänke, Tische und Truhen aber immerdar unter einer Fülle von Blumen gehalten. »Seit du da bist,« sagte Martin Opterberg, »ist’s mir erst, als ob ich verheiratet wäre.« Sie saßen des Abends lange beieinander, und Frau Christiane kannte kein Gespräch, das sie nicht durch eine immer neue Wendung auf des Sohnes Arbeitspläne hinüberleitete. Und den Sohn erfreute und erfrischte das Verständnis der Mutter, die das Werk um des Werkes willen sah und nicht um des hastenden Geldverdienens willen. »Es geht nicht um das Geld, Bub, was der eine mehr oder weniger hat, es geht um die Freud’! Reichtümer an Freud’ schaffen, das wär’ die rechte Losung für die Welt. Ohne die Menschenfreud’ wär’ die Aufbürdung unseres Daseins rundheraus eine Gemeinheit, und der liebe Gott macht so was nicht.« »Der liebe Gott gewiß nicht, aber die Menschen.« »Weil sie trotz aller Religionsbestrebungen keinen Deut vom Herrgott wissen! Weil ihnen von frühauf in jeglicher Tonart gepredigt wird, die Erde sei ein Jammertal und der Mensch nur da, um die Erbsünd’ bis vor das Himmelstor zu schleppen und dort zitternd auf Erlösung zu harren und auf das ersehnte Gaudi im Himmel. Ich sag’s dir aber als gewiß, Bub: wer den Herrgott nicht in einem Teil seiner Schöpfung, in seiner Erdenwelt, erkennt, der erkennt ihn auch nicht im Ganzen, und wer ein so großer Jämmerling ist, daß er’s hier auf Erden zu keinem Juchzer bringt, der soll fein gebührlich das Maul halten von seinen dereinstigen Jubelgesängen im Himmel. Denn der Kapellmeister da droben ist auch musikalisch.« »Mutter, da muß ich mich aber hinter die Noten knien.« »Ach, Martinle, spiel dich nicht mit deiner kleinen Verkühlung auf. Du hast von Vater und Mutter her einen gewaltigen Brustkorb. Da räuspert man sich höchstens ein wenig und hustet es weg. Das hast du schon pünktlich besorgt, und die Freud’ am Vorwärtsschaffen leuchtet dir vom Gesicht. Das aber, Bub, ist die allergrößte Freud’, weil sie uns das Bewußtsein gibt, auch jemand zu sein, der die Welt und die Menschheit vorwärts bringt.« »Mutter, ich stell’ dich auf dem Werftplatz als Sonntagsprediger an.« »Schon gefehlt! Als Werkeltagsprediger! Alle Werkeltag’ muß die Freud’ geübt werden, damit sie am Sonntag wie ein rechter Kirchenchor klingt. Nur so erlöst sich der Mensch von sich selber.« »Mutter, wir wollen ein Glas Wein trinken. Wenn man dir zuhört, möcht’ man anklingen auf’s Leben.« Dann ging Frau Christiane mit einem heimlichen Lächeln und holte selbst den Trunk. -- Ein immer hellerer Schein stand in Martin Opterbergs Augen, wenn er über den Werftplatz schritt und seinen Arbeitern zunickte. Und als ein neuer Schiffsrumpf auf Stapel lag, versammelte er alle die Mitarbeiter am Werk in einer Halle und sprach zu ihnen, wie man zu treuen Kameraden spricht. »Männer, ich brauche kein Hehl daraus zu machen, daß ein schwerer Sturm durch meine Seele gegangen ist. Aber ihr habt mir die Freude wiedergebracht, dadurch, daß ihr mein Werk gefördert habt als das Wertvollste im Mannesleben. Es kann kein Baum eichenstark wachsen, der nicht vom Wetter gerüttelt worden ist, aber es kann auch keine Liebe keimen, die nicht ins Leid gesehen hat. Männer, die Werft ist jung, und die Zeiten sind ernst. Wir aber wollen zusammen alt werden und durch die Zeiten hindurch. Und beides mit Freuden, oder es ist umsonst gewesen. Deshalb soll hinfort ein jeder, den ein Leid drückt, es zu mir tragen, damit wir es gemeinsam verjagen. Kann aus wirtschaftlichen Gründen das Geld nicht gleich verteilt sein, so kann und so soll doch die Freude gleich verteilt sein unter uns Arbeitskameraden und die feste Lebenszuversicht: ›Mir kann nix geschehen. Ich gehör’ zur Opterbergwerft!‹ Darauf leere ich mein Glas.« Die Männer hatten sich nicht gerührt. Kein Beifall erscholl zum Schluß der Ansprache. Aber die Arbeiter kamen mit ihren Meistern und stießen mit ihm an, wie man unter Kameraden anstößt, und beim Festtrunk ging statt des Gesanges ein ernsthaft Reden um alle Tische. Und dann erschien am Sonntagmorgen eine Abordnung im Hause Martin Opterbergs und fragte, wie es gemeint sei. Diese vertrauliche Annäherung freute ihn am meisten, und er besprach mit seinen Angestellten die Gründung eines Ausschusses, den sie aus ihrer Mitte frei zu wählen hätten und dem freimütig alles vorgetragen und vorgelegt werden sollte, was irgend einer aus der Arbeiterschaft auf dem Herzen habe und sich nur scheue, es mit dem Werftherrn von Mund zu Mund zu besprechen. »Das Urteilsvermögen und die Ehrenhaftigkeit der Ausschußmänner bürgen mir dafür, daß sie mir selbst nur die gesichteten Fälle vortragen, die damit so gut wie erledigt sind. Und nun noch eins. Ich möchte, daß ihr den Werftplatz als eure Heimat und die Arbeit als ein Glück und eine Freude empfindet. Das kann nur sein, wenn ihr nicht nur maschinenmäßig eure Stunden herunterschafft, sondern auch über euer Tagewerk hinaus den Erfolg seht, ich meine den Erfolg, der euch selbst und eurer Lebenssteigerung zugute kommt. Daher bin ich willens, alle Werksangehörige mit einem gewissen Prozentsatz, den ich dem Ausschuß noch mitteilen werde, am Reingewinn zu beteiligen, ich und mein Teilhaber, der demnächst eintreten wird und als mein Pflegebruder in allen Dingen denkt wie ich. Dann zählen wir nicht mehr die Arbeits_stunden_, sondern die Arbeits_freuden_.« Die Abgeordneten sahen sich in die Augen. Es waren ältere Familienväter, die die Schwere des Lebens in reicherem Maß kennen gelernt hatten als seine Sonnenseiten. Und als sie sich eine Weile stumm in die Augen geblickt hatten, als ob sie wortlos Red’ und Antwort tauschten, nickten sie mit schwerer Stirn ihrem Sprecher zu, der sich langsam erhob. »Herr Doktor Opterberg,« sagte er, »Sie und wir, wir gehören politisch wohl den verschiedensten Parteien an. Aber das kann ich Ihnen sagen: das, was Sie uns da soeben aus freien Stücken und nur aus einem gerechtfühlenden Herzen heraus vorgeschlagen haben, das war so sozial gedacht, wie wirklich und wahrhaftig nur ein ganz vornehmer Mensch denken kann. Sie haben uns von Arbeitern zu Mitarbeitern gehoben, und das sollen Sie Gottverdammich nicht zu bereuen haben. Guten Morgen, Herr Doktor Opterberg.« Eine kurze Zeit darauf meinte Frau Christiane im Laufe eines Gespräches: »Übrigens, daß ich’s nicht vergess’: die kleine Attermann läßt fragen, wann sie denn eigentlich getauft werden sollt’?« »Die kleine Attermann?« wiederholte Martin Opterberg überrascht. »Ja, ist die denn nicht längst getauft?« »Das mußt du als Pate doch besser wissen als ich. Meiner Ansicht nach befindet sich das arme Wurm noch im dicksten Heidentum und wird sich, dauert’s noch weiter hinein in ihre Jungmädchenzeit, aus Schicklichkeitsgründen bald nicht mehr von dir über das Taufbecken heben lassen.« »Ja, Mutter, wenn die Attermanns so unchristlich mit ihrem Mädel verfahren, kann das Kind doch nicht mich dafür beschimpfen.« »Du, Martin, wenn du bis zum Sonnabend das taufmäßige Gefühl aufbringen könntest --?« Am Sonnabendnachmittag fuhren sie hinüber. Der Pfarrer hatte zuerst eine Sonnabendtaufe ablehnen wollen, da dieser Tag der Vorbereitung für den Sonntagsgottesdienst vorbehalten sei. Aber Therese Baumgart hatte ihm zu wissen getan, der Storch frage ja die Ärzte auch nicht, ob ein Sonntagsgottesdienst vorliege, sondern erwarte, daß sie zu jeder Stunde bereit seien. Und was für den Arzt zutreffe, das treffe doch wohl auch für den Seelenarzt zu. Der Herr Pastor möge seine Sonntagspredigt schon im Lauf der langen Woche durchdenken statt am letzten Tag. Vom Opterberghof war als Patin Linde Baumgart eingetroffen. Herzlich erfreut streckte Martin Opterberg dem Mädchen die Hand entgegen. Sie stand, fertig zur Feier angekleidet, und das weiße Gewand spannte sich über den jungen Mädchenbrüsten und schmiegte sich fest um den schlanken Leib. »Nun sind Sie eine junge Dame geworden,« sagte Martin Opterberg, »und ich weiß nichts von der Zwischenzeit.« »Leih dir die Jahre vom Theresel aus, Martin,« rief Frau Christiane, »ich mein’ halt die Jahre, die ihr in Freiburg und auch wohl noch in Heidelberg miteinander verbracht habt, füg sie ein, und du hast das Lindele von heute.« »Wollen wir’s so halten, Fräulein Baumgart? Dann ist die Kluft überbrückt.« »Wenn’s halt anders nicht angeht?« lachte das muntere Mädchen. »Aber das Theresel kommt besser dabei weg.« Seine Augen gingen über ihre Gestalt, sein Ohr horchte auf ihre Stimme. Die Mutter hatte Recht, und ihr Rat war gut. Martin Opterberg hatte dem Täufling einen Besuch gemacht. Er saß an dem kleinen schneeweißen Bettchen, und Christoph und Therese Attermann saßen allein bei ihm. »Wir haben noch eine Stunde bis zum Taufbeginn. Wollt ihr sie mir schenken?« »Wir und die Stunde gehören dir, Martin.« »Dann ist es gut.« Und er begann in klaren Bildern seine Arbeits- und Wirtschaftspläne zu zeichnen. »Ich werde viel in Holland und in den großen rheinischen Handelsplätzen bis Basel hinauf zu tun haben, wohl auch zuweilen in England und Skandinavien, um den durchgehenden Handelsverkehr zu gestalten. Darunter darf die Bauarbeit auf der Werft nicht leiden. Als ich die Werksarbeiter zu meinen Mitarbeitern machte, tat ich es gleichzeitig in eurem Namen. Denn ich nannte den Namen Christoph Attermann als den meines zukünftigen Teilhabers. Bist du bereit, Christoph, unter Anerkennung meiner Richtlinie mein Wort einzulösen?« »Ich bin bereit, Martin.« »Und du, Therese?« »Soll auch ich Teilhaberin werden?« fragte sie und sah ihm still in die Augen. »Du brauchst es nicht erst zu werden. Du bist es. Seit du auf unseren Wanderungen unsere Teilhaberin warst. Aber du müßtest dein ärztliches Tätigkeitsfeld verlegen und hast es dir gerade erst so tapfer geschaffen.« »Ich verlegte es nach Sibirien, wenn es hieß’, mit euch zusammenzubleiben. Wegen des Wiederaufbaus mach dir keine Sorgen. Mein Mut gibt nimmer nach.« Da beugte sich Martin Opterberg über die Hand, die auf dem weißen Kinderbettchen lag, und führte sie andächtig an seine Lippen. Sie aber hob mit der freien Hand sein Kinn empor und küßte ihn. Und das Kind lag zwischen ihnen und reckte nach ihnen die Ärmchen. »Wie soll es heißen, Therese?« »Linde soll es heißen. Einen lieberen Namen gibt es nicht.« Die Männer gingen in Christoph Attermanns Arbeitsstube hinüber, und hier faßte Martin Opterberg den Pflegebruder an den Armen. »Ich muß es dir noch sagen, Christoph, als meinem alten Bruder und meinem neuen Teilhaber, damit du in mir allzeit klarsiehst. Ohne die Mutter hätt’ ich’s nicht geschafft, und mir ist auch jetzt noch zuweilen, als ob ich’s nicht hinunterwürgen könnt’, wenn sie erst wieder heim ist. Nicht die betrogene Liebe. Das war eine Verwirrung der Sinne und eine Überrumpelung des Bluts. Aber den Betrug am anständigen Menschen und das Gefühl, das mich des Nachts am Atmen behindert und mir den Schweiß der Schmach und der Scham auf die Stirne treibt, das Gefühl: da laufen ein paar Menschen auf der Erde herum, die einen Hohn auf deinen Mannesstolz bedeuten, wenn sie grinsend vor dir auftauchen.« »Martin, es wird übergehen. Wie die Schmach und Scham in Verachtung übergehen wird.« »Das ist sie heute schon. Das tat sie schon längst. Aber es läßt mich nicht und rüttelt und schüttelt mich noch immer. Und wenn du’s nicht anders nennen willst als das beleidigte Herrenbewußtsein. Es ist und bleibt doch der Schmutz an meinen Kleidern.« Da sagte Christoph Attermann in seiner ruhigen Art: »Ich helf’ dir, Martin, mit allem, was in mir ist. Wir haben ja doch gemeinsam Blut, Martin.« Bei der feierlichen Taufhandlung hielten Linde Baumgart und Martin Opterberg den Täufling. Wenn Linde Baumgart ihm das Kind in die Arme legte, spürte Martin Opterberg den Strom mütterlicher Zärtlichkeit, der aus dem Mädchenkörper zu ihm herüberquoll. ›Der würde es ein Glück bedeuten, Mutter sein zu dürfen,‹ dachte er, und sie neigten zum Segen des Herrn miteinander die Häupter. Was alles er mit seiner Nachbarin und Mitpatin bei Tisch geplaudert und besprochen hatte, das war ihm später kaum noch erinnerlich. Es mußte wohl vom Opterberghof gelautet haben, der ein reiches Erntejahr hinter sich hatte, oder von der Kinderzeit, oder von der Opterbergwerft, oder auch von den aufziehenden Wetterwolken in der Welt. Vielleicht gar von alledem zusammen. Eins aber blieb ihm in der Erinnerung: daß er neben einem urgesunden und reinen, lebensfrohen und willensstarken Menschenkinde geweilt habe, mit dem er während der Tafel auf Frau Thereses Geheiß Brüderschaft gemacht hatte. »Fast ist sie mir noch lieber als das Theresel, weil ihre Fröhlichkeit nicht wartet, sondern so aus dem innersten Herzen herausbricht wie ein Gebot Gottes,« meinte Frau Christiane anderen Tags auf der Heimfahrt, als sie mit dem Sohne allein im Abteil saß. Martin Opterberg aber nahm ihren Kopf wie den eines Kindes, bettete ihn an seine Brust und klopfte ihr die Wange. »Ja, ja, ja -- ich weiß schon.« Da war Frau Christiane zum ersten Male sichtbarlich empört, weil sie sich von ihrem Bub auf der ersten Dummheit hatte ertappen lassen. -- Martin Opterberg betrieb den Eintritt Christoph Attermanns und die Überführung des Attermannschen Haushaltes mit unermüdlichem Eifer. Die Zeichen der Zeit wollten ihm nicht gefallen, und Mutter und Sohn führten kaum noch ein anderes Gespräch. »Seit wir in Marokko so laut mit dem Säbel gerasselt und uns so leise empfohlen haben, beginnt die Welt das Lied von unserer Unüberwindlichkeit für einen schönen Eigengesang zu halten,« äußerte Martin Opterberg ernst. »Und wer im Auslande gelebt und dort aufmerksam in die deutschen und in die fremden Volks- und Gesellschaftskreise hineingehorcht hat, muß mit Bedauern feststellen, daß wir uns trotz unserer Begabung, unseres Fleißes und unseres Reichtums immer noch nach Form und Ton wie emporgekommene Kleinkrämer benehmen. Es gibt auch eine Weltkinderstube. Aber wir haben die eigene nicht einmal gründlich durchgemacht.« »Glaubst du an einen Krieg, Martin?« »So sicher, wie ich im Menschen an Neid und Habgier glaube.« »Und du stimmst ihm zu?« »Kein vernünftiger Mensch stimmt einem Kriege zu, der zu vermeiden ist. Ist er aber nicht zu vermeiden und geht es um unseres Volkes Sein oder Nichtsein, so muß er mit allem, was in deutschen Herzen, Hirnen und Fäusten steckt, geschlagen werden, und ein Verbrecher am Volkstum wäre, wer den Augenblick verzögerte und uns die Sturmflut über den Kopf kommen ließe. Denn sie werden nicht fein säuberlich umgehen mit dem Knaben Absalom.« »Der Absalom war nicht der bravste Knabe, Martin, und arg üppig geworden.« »Unter uns gesagt, Mutter: das trifft auch auf uns zu. Auf ganze Volksklassen, Christen und Juden. Es ist uns mehr als ein Menschenalter zu leicht geworden und zu gut ergangen, und so hat der Geist des Materialismus bei uns Einzug halten können, der dem reindeutschen Wesen innerlich fremd war. Wir Deutschen brauchen den Druck, um unsere Muskeln hart zu halten, die Gefahren, um sie immer wieder zu überwinden, die Arbeit, um den Genuß am Festefeiern nicht zu verlieren. Nicht das öde Geldmachen um jeden Preis und die blöde Schlemmerei, die bei allen Völkern und zu allen Zeiten zur Geilheit im Leben und in der Kunst führt. Geilheit ist Aufsaugung der gesunden Säfte, Mutter, das weißt du aus Garten und Feld am besten, und ich weiß es von den Menschenklassen, die die tonangebenden heißen, weil sie den _falschen_ Ton angeben. Die Vergeilung wuchert wie Schierling durch das Land, und wenn uns der Krieg von dieser Pest befreit und uns wieder zur Gesundung des Volkskörpers führt, so ist er selbst mit Blut nicht zu teuer bezahlt.« Frau Christiane grübelte den Worten nach. »Ein glücklicher Krieg, Martin. Ein unglücklicher würde das Unkraut über die Halme wuchern lassen.« »Mutter,« sagte Martin Opterberg, »da sei Gott und die deutsche Urkraft vor, daß es ein unglücklicher wird. Träfe es aber zu, was du für diesen Fall aussprichst, so wäre es ein Beweis, daß wir trotz aller unserer Errungenschaften die vornehmste noch nicht gefunden hätten, die allein die Achtung der Welt herausfordert. Ich meine die Würde eines großen Volkes, die sich gerade in Leid und Unglück als wurzelecht erweisen muß. Das Familienbewußtsein des ganzen deutschen Volkes mein’ ich, Mutter.« -- -- Die Schwalben waren fort vom Niederrhein, und auch Frau Christiane rüstete zum Heimflug. Denn ein paarmal schon hatte Martin Opterberg die Mutter gefragt, ob denn die Kraft des Lindele allein der Fülle der Herbstarbeit gewachsen wäre und ob sie nicht Schaden leiden würde. Da wußte Frau Christiane die Gedanken des Sohnes im rechten Gleis, und sie hütete sich, eine zweite Dummheit zu begehen. In der ersten Oktoberwoche reiste sie heim. Attermanns waren eingetroffen. Das erste war, als sie ihr Nest eingerichtet hatten, daß der Frau Doktor ärztliches Schild an der Türe angeschlagen wurde. Darauf hatte Martin Opterberg gewartet. Er läutete die Arztglocke und trat ins Sprechzimmer. »Du bist’s?« fragte Frau Therese und trat ihm mit ausgestreckten Händen entgegen. »Ich hoff’, du bist gesund?« »Therese,« sagte Martin Opterberg, »ich hab’ dir die Gebühr für die erste ärztliche Behandlung in Freiburg noch nicht entrichtet und bin dir schmählich mit dem Wickelverband durchgegangen. Meine Werksleute wollen aber eine solche Unanständigkeit nicht leiden und haben gefordert, dich als Werksärztin zu sehen, für sich und ihre Familien. Ich entgeh’ dir also nicht, weder mit der Gebühr, noch mit Herz und Gliedern.« Therese Attermann hob das Haupt. Das Sonnenkrönlein funkelte in ihrem Haar, wie es in dem Braunhaar der Therese Baumgart gefunkelt hatte. »Gut,« sagte sie. »Ich fühle dir von Zeit zu Zeit den Puls. Du stehst nun unter meiner Botmäßigkeit.« Und dann fiel sie ihm in mädchenhafter Freude um den Hals. 11 Das Werk war vollbeschäftigt. Um die Kräfte zu keiner Stunde feiern zu lassen, war auf Christoph Attermanns Betreiben eine Werft für Umbauten und Ausbesserungen angegliedert worden, die von den rheinischen Reedern stark in Anspruch genommen wurde. Da gab es Arbeit in Fülle, und die Meister und Gesellen bis zum letzten Lehrjungen fragten längst nicht mehr nach der Länge des Arbeitstages, sondern spornten sich fröhlich an, denn jeder Schlag des Hammers und jeder Feilenstrich erhöhte ihren Anteil am Gewinn und brachte ihnen die Arbeit ihrer Hände näher. Um die Osterzeit versammelten Martin Opterberg und Christoph Attermann die Vertrauensmänner des Werkes in ihrem gesonderten Arbeitsraum. Die Männer saßen um den großen Zeichentisch und blickten mit erwartungsvollen Augen auf Martin Opterberg, der sich erhoben hatte. »Liebe Mitarbeiter,« sagte er und entfaltete vor sich eine Anzahl von Papierbogen, »die Stunde, in der uns der Lohn für unser gemeinsames Schaffen winkt und die ich euch zugesagt hatte als Dank für eure treue Mithilfe und darüber hinaus als Staffel zu einer, will’s Gott, bald immer mehr sich steigernden Lebenshaltung, ist zum erstenmal gekommen. Der Jahresabschluß liegt fertig vor. Hier ist er. Wir haben unter uns lediglich mit dem Reingewinn zu tun, den ich in zwei Hälften teile. Die eine Hälfte weise ich meinen Mitarbeitern zu als besondere Gewinnzulage zu ihren Arbeitslöhnen. Unsere Werft ist noch zu jung, und wir stehen erst am Anfang. Aber wenn wir so fleißig weiterschaffen und vor allem so vertrauensvoll Hand in Hand marschieren, daß jeder im anderen seinen Freund und Helfer sieht, werden wir nicht nur das Werk auf die gewollte Höhe bringen, sondern auch jede einzelne Familie. Ich bitte Sie, den Jahresabschluß einzusehen.« Der Wortführer der Vertrauensmänner nahm die Papiere entgegen. »Weil Sie’s der Ordnung wegen wünschen, Herr Doktor Opterberg,« sagte er. »Nötig wär’s nicht gewesen. Erstens, weil’s Ihr freier Wille ist, und zweitens, weil wir Ihnen ohne was Schriftliches aufs Wort glauben. Wenn Sie gestatten, Herr Doktor Opterberg: das ist ja gerad der springende Punkt: daß Sie an unsere Arbeitsfreudigkeit glauben und uns als freie Männer am Werk schaffen lassen, und daß wir an Ihr soziales Empfinden und Ihr Gerechtigkeitsgefühl glauben, das nur freie Männer sehen will. Das ist uns eine mächtige Freude, Herr Doktor Opterberg, und Sie können’s am Singen und Witzereißen hören, wenn Sie über den Werftplatz gehen. Das finden Sie nicht so leicht wieder. Und ob der Abschluß nun mal hart und nun mal weich, mal fett und mal mager ausfällt: Herr Doktor Opterberg, es ist Verlaß aufeinander, und darauf könnten Sie das Abendmahl auf katholisch und auf evangelisch nehmen, lassen Ihnen die Werksangestellten sagen. Unseren besten Dank, Herr Doktor Opterberg.« -- Im Juni kehrte Martin Opterberg von einer längeren Auslandsreise zurück. Er kam am Abend und begab sich sofort in das Attermannsche Haus. Christoph Attermann befand sich auf der Werft, und Therese war an ein Krankenbett gerufen worden. So setzte er sich zu den Kindern, ließ sein Patenkind Linde auf den Knien reiten und den kleinen Christian mit seinem Besuchshut Kreisel spielen, bis die junge Doktorin als erste heimkehrte. Sie stand in der Tür und schaute ihm zu. »Grüß Gott, Martin!« »Ah, sieh da! Grüß Gott, Therese! Fröhlich schaust du drein, und die Kinder sind vergnügt wie die Heuschrecken. Willst du mir nicht eins ablassen von deinem Reichtum?« »Eins ist zu wenig, und zwei kann ich nicht missen. Wär’ ich du, Martin, so schafft’ ich mir selber den Segen herein.« »Ja,« meinte er, hob das aufjauchzende Kind hoch zur Zimmerdecke und setzte das strampelnde in seinem Rollstühlchen nieder, »wenn der Storch die kleinen Kinder noch aus dem Wiesenteich fischte und durch den Schornstein fallen ließ’. So billig tut er’s nicht mehr.« »Ich mein’, der Martin _Opterberg_ wird’s nicht so billig tun.« Martin Opterberg sah die Jugendfreundin an. »Fühlst du mir den Puls, Theresel?« »Ja, Martin. Weil mir gar so viel an dir gelegen ist.« »Nur an mir? Das lohnte nicht.« »Es lohnte mir sogar ein zweites Menschenkind, an dem mir gelegen wäre.« Christoph Attermann kam heim. Mit lauter Freude begrüßte er den Bruder und Freund. Dann schaute er ihm prüfend in die Augen. »Du warst nicht mehr auf die Werft hinaus? Aber das Abendessen wird dir nicht geschenkt. Nachher mögen wir uns bis in die Nacht besprechen.« »Du kannst teilnehmen, Therese,« sagte Martin Opterberg, als sie sich vom Abendtisch erhoben und ins Arbeitszimmer hinübergingen. »Die Frau soll immerdar klar sehen wie der Mann. Und ein Spielzeug hast du nie sein mögen.« »Nein, Martin. Ich halt’s mit dem Verantwortungsgefühl.« »Erzähl,« bat Christoph Attermann, als sie in den rohrgeflochtenen Sesseln niedersaßen. »Es ist wie eine plötzliche Windstille im geschäftlichen Leben, und ich schätz’, du hast das Wetterglas draußen nicht aus dem Aug’ gelassen.« »Du hast recht empfunden, Christoph. Vor der Tür steht der Krieg.« Sie schwiegen alle drei, blickten mit zusammengezogenen Brauen in den Schoß und hoben die Köpfe. »Du wirst es nicht bei dem einen Wort belassen wollen, Martin.« Martin Opterberg ließ den Blick zum Fenster hinauswandern. »Ihr möchtet hören: ein glücklicher Krieg oder ein unglücklicher Krieg.« … Sein Blick kehrte zurück, sammelte sich und wurde hart. »Und ich mein’, wir sollten diese Frage gar nicht erst stellen, wir sollten aufstehen, das ganze Land wie eine einzige Eidgenossenschaft, keine andere Partei im Kopf als ›Deutschland‹ und keine andere Religion im Herzen als wiederum ›Deutschland‹. Denn es wird nicht um Zepter und Kronen, nicht um Gewinn und Verlust gehen, es wird ganz einfach um dieses Deutschland gehen, das erwürgt werden soll, um die hungrigen Wölfe zu füttern. Darüber muß sich der letzte Mann, die letzte Frau im Lande klar sein.« Therese Attermann sah ihn an. »Sag mir, warum gerade Deutschland …?« »Ich könnte dir antworten, Therese: es ist sein Geschick von altersher. Weil es die schlechtesten Grenzen in Europa hat. Weil es um Lebens- oder Sterbenswillen immer gezwungen war, das Schwert locker zu halten. Weil es seit der Völkerwanderung von den Fremdstämmen überflutet wurde und ihm jeder Krieg, den es bis auf den heutigen Tag um Zurückgewinnung von Licht, Luft und Raum führen mußte, als ein unerhörter Frevel ausgelegt wurde. Ach, Therese, es wären noch viele ›weil‹ anzubringen, und Deutschland als Kriegsschauplatz aller Völker und aller Jahrhunderte bestätigt, was ich sage. Aber sein Geschick hat zuletzt ein jeder in der Hand, um es zu wandeln.« »Und wir haben es gewandelt, als wir das neue deutsche Reich schufen,« sagte Christoph Attermann. »Ja, da haben wir es äußerlich gewandelt. Nicht innerlich. Alle unsere aufgestauten Kräfte haben wir losgelassen, als wir endlich eine Macht geworden waren, und wie eine frische Sturzflut ging es über die dürrgewordene Welt. Es war weiß Gott ein herzerfreuender Anblick, als das Teutonentum auf dem Platz erschien und auf allen Märkten der Erde Bewegung in die Massen brachte. Der Erfolg war unser, wär’ unser gewesen, hätten wir ihn nur ein klein wenig anders auszumünzen verstanden als nur in Geld, Geld und wieder Geld. Es kann etwas Wunderbares sein um das Geldverdienen, wenn man das gewonnene immer wieder ausstreut wie Regen auf die durstende Flur, wie Sonne auf den hungernden Acker. Werben muß es um Glück und Schönheit und Freude, um die Fortentwicklung des ganzen Volkes diesseits und jenseits der Meere und um die Hochachtung und den Dank der fremden Völker. Wir aber haben mehr oder minder das Geld nur hereingeholt, um es nach Urgroßmutterweise in den Strumpf zu stecken und den Strumpf fest zuzubinden und uns großspurig darauf zu setzen: ›Seht, was für ein Kerl bin ich!‹ Das Deutschtum schreien wir in alle Welt hinaus, aber _für_ das Deutschtum in aller Welt haben wir keinen Groschen, und unsere Reichsboten rufen Zetermordio, wenn ein klarblickender Vernunftmensch Summen dafür einzustellen wünscht wie für Kohlenstationen und Kolonien, und erschweren den Auslanddeutschen sogar die Reichszugehörigkeit, statt sie stolz und stark zu machen. Seht, dieses unser Emporkömmlingstum, das wir so wenig veredlen, macht uns verhaßt bei Freund und Feind. Unser deutsches Wesen ist krank daran geworden. Es ist unser schlimmster Feind in der Welt und daheim.« Die Drei saßen eine Weile schweigend. Sie schauten der Wahrheit ernst ins Gesicht. »Und nun glaubst du, die Wetter ziehen sich zusammen und der Krieg steht vor der Tür?« fragte Christoph Attermann. »Die Zeichen sind untrüglich,« entgegnete Martin Opterberg. »Das Ausland gibt keine Aufträge mehr herein, noch nimmt es Bestellungen entgegen. Dafür besteht es auf beschleunigter Zahlung der noch offenen Posten. Es handelt offensichtlich nach Weisungen von oben. Nur für den deutschen Geschäftsmann gibt es keine Weisungen. Nur Wiegenlieder.« »Was schlägst du für die Werft vor, Martin? Verkleinern?« »Vergrößern!« rief Martin Opterberg und sprang vom Stuhl auf. »Vergrößern, so lang es noch Zeit ist. Das letzte Geld hineinstecken, um sie auszudehnen, soweit wir kaufen können. Theresel, schau mich nicht so entsetzt an, als hieltst du mich leibhaftig für einen Börsenspieler. Ein guter Haushalter denkt über den Tag hinaus, wenn von seinem Tun und Lassen das Schicksal von Hunderten von Angestellten, von Hunderten von Familien abhängig ist. Ich will Vorsorge treffen, daß sie, mag’s gerad oder schräg gehen, eine Scholle zum Hausen vorfinden und eine Arbeitsstätte, auf der sie schaffen können. Im Straßendreck gibt’s keine Wiedergeburt.« »Martin,« warf Christoph Attermann ein, »die vergrößerte Werft wird vergrößerte Betriebskosten fordern. Woher die Summen nehmen, wenn wir alles ins Gelände stecken?« »Woher? Nun, so gib acht. Während eines Krieges wird die Werft ruhen, so gut wie ruhen. Unsere Leute werden ins Feld müssen, wie wir ins Feld müssen. Bis auf die alten. Die Verbleibenden führen Umbauten und Ausbesserungsarbeiten an fremden Schiffen aus. Der Frachtdampfer aber, den wir auf eigene Rechnung bauen, bleibt liegen, bleibt als unser Grundstock liegen. Ob wir ihn nach Kriegsende verkaufen oder selber damit auf Fahrt gehen -- er wird uns bessere Betriebskosten hereinbringen als die Papierscheine, die nach jedem Krieg eine Entwertung finden. Wir aber erhalten Hunderten von Menschen den Zukunftglauben und die Lebensfreude.« Therese Attermann trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand. »Weshalb hast du mich vorhin verkannt, Martin, wo du doch weißt, daß wir eins sind?« »Weil ich gerad dies Wort von dir hören wollt’, Therese. Ich hab’ zuweilen eine kleine Sehnsucht nach so einem lieben Frauenwort.« Christoph Attermann aber saß bereits über dem Geländeplan, maß und rechnete. Wie Zahnräder packten seine und Martin Opterbergs Gedanken ineinander und wurden Ausführung. Das war seit der Bubenzeit, das war Frau Christianes Blut und Erziehung und nie anders geworden. Am nächsten Morgen zogen sie die Vertrauensmänner und alten Meister heran. Es war die größte Stunde der jungen Werft, in der die Richtlinien festgelegt wurden für Krieg und Frieden, die Anteile der Führer und Mannen, die Arbeitsbedingungen für die Daheimbleibenden und die Lebensbedingungen für die Familien derer, die zu den Fahnen gerufen wurden. Die Männer standen schweratmend und weiß vor Erregung. »Herr Doktor Opterberg -- und Sie, Herr Attermann -- Sie können einem das Sterben leicht machen für das Vaterland -- aber das Leben noch leichter. Sie schmeißen nicht mit Redensarten um sich vom Volk der Brüder -- Sie _machen_ uns zu Brüdern -- und nun spüren wir erst recht das Vaterlandsband -- Herrgottnochmal!« »Der Vertrag ist getätigt,« sagte Martin Opterberg. »Aber ihr sollt erst darüber sprechen, wenn wir ins Feld müssen, damit uns keine geschäftlichen Schwierigkeiten erwachsen.« Da traten sie einzeln vor und reichten ihm und Christoph Attermann die Hand. Dann gingen sie mit langen, wiegenden Schritten an ihre Arbeit. In selber Woche noch wurden die Gelände der Werft um das Doppelte vergrößert. Man schüttelte den Kopf über den Narren Opterberg, der sich in so schwierigen Zeitläufen zu Ankäufen entschloß, statt das Seine beisammen zu halten, und gab das Brachland billig. Am Sonntag traf unangemeldet Frau Christiane ein. Sie brachte Linde Baumgart mit, und die Frauen standen in ihren Reisekleidern am Frühstückstisch, als Martin Opterberg das Zimmer betrat. »Mutter --!« sagte er nur. Aber er sagte es knabenfroh. Frau Christiane nahm hastig seinen Kopf und drückte ihn an ihre Brust. »Bub -- mein Bub. Es geht auf den Abschied. Ich hab’s all’ die Tag’ gespürt. Da mußt’ ich her, und das Lindele mit. Und nun nimm auch sie in den Arm. Wir Frauen können’s alle beid’ vertragen.« »Mutter --,« wiederholte Martin Opterberg nur. Und dann nahm er das Mädchen in den Arm und wußte nicht: war es sein Blut, das in ihm aufsprang und in seinem Ohre sang, oder war es das ihre? »Wann wird es sein, Bub?« »Ich denk’, schon in Tagen.« »Dann muß ich morgen wieder heim auf den Hof. Ein jedes an seinen Platz. Und die Linde kann den Verbindungsoffizier machen.« »Ich werd’ die Attermanns herüberrufen, Mutter.« Christoph und Therese Attermann kamen eilig auf den Fernsprechanruf herbei. Die Schwestern traten sich mit zuckenden Lippen entgegen. Ihre Augen waren feucht. »Du -- Du!« stießen sie hervor und hielten sich in den Armen. »Ihr beide sollt ja gar nicht Abschied nehmen,« sagte Frau Christiane, und ein Lächeln glitt um ihren Mund. »Die Buben gilt’s, ihr Mädchen.« Keine Minute dieses Tages waren die fünf Menschen voneinander getrennt. Bis in die Nacht hinein saßen sie beieinander und besprachen die Pflichten, die einem jeden erwuchsen. Auf Therese Attermann fiel das schwerere Teil. Wenn die benachbarten Ärzte einberufen wurden, mußte sich ihre ärztliche Tätigkeit verdoppeln und verdreifachen. Dazu würde sie dem Namen nach als Geschäftsführerin der Werft bestellt werden. Dort und im Hause sollte die Schwester helfend eingreifen. »Auf dem Opterberghof ist es nicht anders als hier und im ganzen Land,« setzte Frau Christiane hinzu. »Das Aufgebot geht an die Frauen wie an die Männer. Ich werd’ die Arbeit schaffen, wie ihr sie schaffen werdet, ihr Mädchen. Wenn unsere Buben heimkehren, wollen wir uns nicht schämen müssen, als wären wir Frauensleut’ nur zum Vergnügen auf der Welt.« * * * * * Wo war dieser stille, dieser liebesstarke, dieser ruheausgießende Abend? Hundertmal griff Martin Opterberg, griff Christoph Attermann nach der flatternden Erinnerung, um ein Fetzchen davon auf die fieberhaft pochende Stirn, auf das schwerarbeitende Herz zu legen. Ein Befehl -- eine Meldung -- fort war sie -- nur die Gegenwart bestand -- nur die Aufgabe dicht vor den Augen, dicht vor den Fäusten -- vorwärts -- vorwärts! Gab es überhaupt noch eine Zeitrechnung? Hatte es jemals eine Zeit gegeben, die vor dieser lag, die sich auffraß wie Vater Kronos seine Kinder? Würde es jemals eine andere geben als diese atemlos schlingende, der Tage, Wochen und Monate wie Körner im Wirbelsturm waren? Durch einen Fluß Frankreichs arbeitete sich Martin Opterberg mit seiner Pionierkompanie. Hinein in das Feuer, hinauf auf die Ufer. Stützpunkte, Stützpunkte für den Brückenschlag, auf den Zehntausende harrten! Durch die Drahtverhaue eines belgischen Forts glitt Christoph Attermann mit den scherenbewaffneten Seinen. Hinein in die Stacheln, hindurch durch das Blut. Bahn frei, Bahn frei für die stürmenden Brüder! Spracht ihr nicht von Frankreich? Spracht ihr nicht von Belgien? Wo habt ihr euren Verstand gelassen, ihr Vorwärtstaumelnden? Das sind russische Sümpfe, in denen ihr bis an die Achseln steckt, um in den schwappenden, schnappenden Brei kettenrasselnde Pfosten einzurammen für schwimmende Maschinengewehrnester. Rußland? Mensch, du karrst wohl deine Briefsachen mit der vorsintflutlichen Thurn- und Taxischen Postkutsche herum? Die Kompanie Opterberg zeigt den Österreichern in den Karpathen, wie man durch ein paar vorgetragene Sprengminen Massenhimmelfahrten veranstalten kann, und die Kompanie Attermann besorgt’s den Serben oder jagt zur Stund’ mit Türken und Bulgaren im Lande Mazedonien herum. Vorwärts -- vorwärts! Vielleicht triffst du einen alten Juden, der den Opterberg und den Attermann schon in Palästina ankommen sah! Wenn die Pflegebrüder, oft durch Meilen voneinander getrennt, naß, schmutzstarrend und verwildert irgendwo bei blutiger Arbeit waren, irgendwo im dumpfen Unterstand lagen, war ihnen nicht, als _erlebten_ sie ein Märchen, war ihnen nur, als klängen die Töne des _Vor_lebens wie unfaßbare, unbegreifliche Kindermärchen an ihr Ohr. Hatte es in Wirklichkeit eine Frau Christiane, eine Therese Attermann und die andere gegeben, die ihr so ähnlich sah wie aus lachender Mädchenzeit? Wann war das gewesen? Wo konnte das gewesen sein? Ha -- jetzt. Dort sind sie. Hier, dicht am Herzen, an den Lippen. -- Was ist? Was willst du, Mann? Der Feind? Der -- Feind --? Auf, Pioniere! Pioniere, auf! In den Graben! Über die Brustwehr! Laßt die Minen flattern! Schmeißt ihnen die Handgranaten an die Schädel! Haut sie mit dem Schanzzeug heraus! Drauf, Jungens, drauf und dem Hauptmann nach! Ah, du Hund -- du oder ich … Erst hatte Martin Opterberg, hatte Christoph Attermann, hatten die Tausende, die Millionen von Männern geglaubt, nur während des Vormarsches, der Schlachten, der Verfolgungen jagte die Zeit. Im Grabenkrieg war es nicht anders. Nicht doch. Sie jagte nicht. Aber sie kaute und malmte die Stunden unterschiedslos eine hinter der anderen, schluckte sie, nahm ein Maul voll neuer, kaute, malmte, schluckte, unterschiedslos … Da ließ man das Nachrechnen, und es war eine Woche, ein Monat, ein Jahr, und hätte gestern und vorgestern sein können, morgen oder übermorgen. Auf einem Grabengang zuckte es Martin Opterberg durch den Sinn, und er nahm den Gedanken mit, während er die Stellung besichtigte. Wirklich --? Waren das schon zwei Jahre seit dem letzten friedlichen Tag daheim? Seit jenem stillen, liebesstarken, ruheausgießenden Abend? Da standen die Jünglinge und Männer, zerlumpt, verschmutzt, mit den Heldenaugen im hagergewordenen Gesicht, und taten ihre Pflicht, taten sie in diesen verfluchten Maulwurfsgängen und Erdlöchern hundertmal mehr noch als im frischen Drauflossturm tollkühnen Vormarsches, obschon die Begeisterung zu allen Teufeln gegangen war in dieser Menschenunwürdigkeit. Aber das eiserne Bewußtsein hielt sie aufrecht: du oder ich! Bei wenigen war es mehr noch als der dumpfe, tierische Grimm: Hund, du hast mir das Leben versaut. Erst kommst _du_! Martin Opterberg tastete sich an seinem Gedanken Schritt für Schritt zurück. Zwei Jahre weit. Da zogen diese Jünglinge und Männer, stark und vollwangig, in strahlendem Waffenkleid über den Rhein, den sie in brausendem Gesang zu schirmen schwuren, und sie stürmten mit begeistertem Gesang in die unbekannte Schlacht, in das unbekannte Grauen, in all das Unbekannte auf Schritt und Tritt. Und als es ihnen mälig bekannt geworden war, da taten es plötzlich die wilden Lieder nicht mehr allein, da griffen die Menschen über sich und tasteten und suchten nach dem Göttlichen, dem sie sich blindlings anvertrauen konnten in Leibes- und Seelennot. Und ein Protestant kramte aus seinem Tornister ein Neues Testament hervor und begann darin zu blättern, und gleich waren es Hunderte, waren es Tausende von Büchern Reih’ auf, Reih’ ab in aller Händen, und des stillen Lesens war kein Ende. Und ein Katholik zog seinen Rosenkranz aus dem Brustlatz und hing ihn griffbereit an sein Gewehrschloß, und gleich war es ein ganzer Rosengarten Reih’ auf, Reih’ ab, und der stummen Zwiesprach’ war kein Ende. Martin Opterberg sah das Bild, er sah es auf dem Marsch bei Tag und am Lagerfeuer in der Nacht, und er sah die gewaltige Glaubenswoge noch durch die unterirdischen Gräben der ersten Stellungskämpfe ziehen, sah das Testament auf der Brustwehr und den Rosenkranz am Bajonett. »Gott, Gott!« hatte es durch die Gräben gerauscht und »Jesus, Maria!« Und die Granaten kamen angeheult und schlugen einen Trupp frisch angekommener Knaben zu Knochensplittern, ein Minenwerfer krachte nieder und stopfte zerfetzten Familienvätern hastend die Erde ihres eigenen Grabes in den Hals, eine giftverseuchte Gaswolke wälzte sich heran und erstickte wahllos Jung und Alt. Und kein Heldentum half und kein Gebet. Gott ließ das feige Würgen zu, und kein Heiland hob sichtbarlich die Hände und keine Schmerzensmutter. Aber die wundersüchtigen Menschen hoben die Hände und zerwühlten ihr Haar und zerkratzten ihr Angesicht, bis der Firnis des Christentums heruntersprang und das alte Heidentum zum Vorschein kam, das Heidentum, das seine Götzen schmähte und prügelte, wenn sie keine Wunder taten. Martin Opterberg hatte sich an seinen Gedanken zurückgetastet bis zu dem Tag, an dem die Rosenkränze und Neuen Testamente wie ein Kehrichthaufen in den Gräben lagen und ein Raunen lief und blieb und schwoll: Es gibt keinen Herrgott. Verdammtes Ammenmärchen. Und wenn es keinen Herrgott gab -- wer hatte die Gewalt? Wer hatte sie auf Erden? Ein Einzelner? Eine Handvoll Gekrönter oder Besternter? Wer vollzog sie im Feld? Die Führer? Die Masse vollzog sie, die Masse, und sie würde sie einst weiter vollziehen, vom Gespensterglauben erlöst, auf eigene Faust, einst, einst … Damals hatte es begonnen, in den Tagen des grausigen Sterbens, das in seiner platten Gemeinheit den Gläubigen traf wie den Ungläubigen, den Helden wie den Feigling, als schlüge eine riesengroße Fliegenklatsche alles zu Brei. Damals hatte es begonnen, und als es begonnen hatte, war es schon überall, in der Kreidechampagne und in den Pripetsümpfen, in den Karpathenschluchten und über den Balkan hin. Noch schwebte und knisterte es. Noch war das Deutschbewußtsein: Du oder ich! das Mannesbewußtsein und Pflichtenbewußtsein das stärkere. Trotz aller Sendboten, die heimlich durch die Reihen schlichen … Martin Opterberg brach die Gedankenreihe ab. Zum zweitenmal machte er den Grabengang. Diesmal von Mann zu Mann. Und er sah ihnen in die tiefliegenden Augen, in die ausgemergelten Gesichter, und sah ihnen durch die schmutzsteifen, zerflickten Röcke in die heimwehkranken Herzen, die nach der Liebe ihrer Weiber schrien und nach den wildwachsenden Kindern bangten. Und sah über alle ihre stummen Qualen hoch hinaus ihr Heldentum. Er streckte dem ersten die Hände hin. Eine rissige, borkige Faust, durch das Kriegshandwerk ungeschlacht geworden wie eine Bärentatze, senkte sich hinein. Er streckte sie dem zweiten, dem dritten hin. Sie krochen aus den Erdlöchern und drängten sich mit leuchtenden Augen um ihn. Ein bißchen Liebe, und die Seelen waren gewonnen. Ein bißchen von der Liebe, mit der sie selbst einstmals hinausgezogen waren in die zeitlosen Jahre. »Es läßt sich immer noch ertragen, Herr Hauptmann.« »Herr Hauptmann beißen ja auch die Zähne zusammen und schonen sich am allerwenigsten.« »Herr Hauptmann, wir schaffen’s.« Liebe! Liebe! Je größer die Not, desto größer die Liebessorge! _Väter_ mußten die Führer sein, Väter und Brüder in eins, dann waren sie die geborenen Vorgesetzten. Aber die meisten der väterlichen Führer, die ihren Schlaf opferten für ein paar Schlummerstunden ihrer Anvertrauten und ihr Leben wagten für das Leben ihrer Kinder, waren weggeschossen, und die Jungen, die an ihrer Stelle den Befehl führten, befahlen allzuoft den anderen und nicht sich selbst. Der Neid sprang auf, und mit dem Neid die üble Nachrede. Die nagte an dem Ansehen und fütterte die Unwilligkeit. Zweimal hatte Martin Opterberg einen Brustschuß bekommen und war nach sechs Wochen wieder auf den Beinen und bei seiner Kompanie. Beim drittenmal hatte es schwere Brandwunden gesetzt, als seine Leute beim nächtlichen Minenbohren auf eine feindliche Gegenmine gestoßen waren und er sich mit den bloßen Händen auf die sprühende Zündschnur geworfen hatte. Das viertemal traf’s ihn am stärksten. Ein Granatsplitter fuhr ihm in den Schenkel, und die breite, eitrige Fleischwunde hielt ihn lange im Lazarett zurück. Hier, im Lazarett der Etappe, traf er nach längerer Trennung Christoph Attermann wieder. Sie lagen in der Abteilung für Offiziere und sorgten, daß sie im selben Gelaß Bett an Bett kamen. »Wo hat’s dich, Christophel?« »Bauchschuß. Hört sich grauenhafter an, als es ist. Meine braven Leut’ haben sich auf meine Arme und Beine niedergehockt, daß ich mich nicht herumwerfen und verbluten konnt’. Und nicht einen Schluck zu trinken und keine Krume zu essen haben sie zugelassen. Das hatten sie einmal vom Stabsarzt vernommen. Zwei Tag’ und zwei Nächte haben sie in der Mordschlacht bei mir gehockt und acht auf mich gegeben. Als ich in einer Zeltbahn ins Lazarett getragen wurde, sagte der Generaloberarzt: ›Gerettet durch Ihre Leute‹!« »Liebe erzeugt Liebe, Christoph. Du brauchst mir rein gar nichts mehr zu erzählen.« Täglich flatterte ein Brieflein aus der Heimat ins Krankenzimmer. Therese Attermann schrieb voll tiefer Mütterlichkeit. Der Generaloberarzt hatte der jungen Kollegin einen ausführlichen Bericht über die Art der Verwundung und die fortschreitende Heilung erstattet und die Ärztin in ihr vollkommen beruhigen können. So waren ihre Briefe allein von der tiefinnerlichen Zärtlichkeit getragen, die ihrem Wesen eigen war. »Ich hab’ dich lieb, seit ich es dir das erstemal sagte, und so weißt du es für alle Zeiten.« Martin Opterberg las den Satz, reichte den Brief mit einem Händedruck dem Freunde zurück und lag ganz still. »Martin --« »Ja, Christoph?« »Ich muß dir ein Geständnis ablegen, Martin. Heut’, da wir wie zwei matte Fliegen auf der Decke liegen, läßt es sich leichter sagen und anhören. Ich habe einmal einen furchtbaren Zorn auf dich gehabt, Martin. Das war, als du mich der -- der Sabine Barthelmeß wegen ins Rheingau kommen ließest. Damals meint’ ich, ich müßt’ mich zeitlebens von dir trennen, und ich fuhr zum Theresel und bot ihr meine Hand, um sie über das, was du tatst, so hinauszuheben, daß es nicht an sie konnte. Und dann kam es ganz anders. Als sie mein Weib geworden war, Martin, da wurd’ ich erst gewahr, was für einen großen, übergroßen, ganz unverdienten Schatz ich gehoben hatte, und wie dieser Schatz nur deshalb so überreich geworden war, weil er sich immer nur für dich veredelt und fast ein Dutzend Jahr’ lang Zins und Zinseszins hinzugenommen hatte. Schau, Martin, damals wurd’s mir klar, daß du im Unglück gehandelt hattest und nicht in der Untreue, und daß ich, wie schon früher, so jetzt, auf deinem Erbe saß und so voll tiefer Dankbarkeit gegen mein glückhaft Geschick zu sein hätt’, daß ich es durch nichts wettmachen könnte als durch brüderliche Liebe.« »Schweig, Christoph. Es ist gut so und besser.« »Laß mich nur reden. Es tut _mir_ wohl, und ich möcht’, daß es _dir_ wohl tät’. Einmal war’s nah an mich herangetreten, dir eine Arbeit abzunehmen, wie sie nur ein Bruder abzunehmen vermag, der schweigend versteht und schweigend handelt. Aber für mein schwerfälliges Blut ging alles zu rasch, und du hattest das Urteil schon in der Tasche, eh’ ich mich von der geschehenen Tat erholt hatte. Schau, Martin, damals hätt’ ich mein halb Leben drum gegeben, wenn ich das schleimige Krötenzeug in deinem Haus an deiner Statt hätt’ unter die Peitsche nehmen können.« Martin Opterberg lag ganz still. Aber an den unregelmäßigen Atemzügen hörte der Bruder, wie es in ihm würgte. »Martin, es mußte einmal ausgesprochen werden. Es läg’ sonst immer wie Leichen zwischen uns.« »Leichen? Das nennst du Leichen? Scheintote sind’s, Christoph, die zu jeder Zeit die Augen aufschlagen und mich angrinsen können, und jedes neue Glück, das ich mir schaffen möcht’, hämisch begeifern und hinterrücks aushöhnen können. Ah, Christoph, das gibt mir keine Ruh’ im Leben und im Sterben, daß ich das Gesindel nicht niedergeschlagen und ausgelöscht hab’ für mich und alle Menschen, die ich liebe.« »Martin, das ist überreizt, das ist übertrieben …« »Möglich. Wenn man jahrelang mutterseelenallein da draußen im Dreck gelegen hat, arbeitet die Phantasie. Da hab’ ich mir oft ausgemalt: Gott geb’ die beiden zum zweiten Mal als Verbrecher vor meine Klinge. Damit ich sauber würd’.« Da schwieg auch Christoph Attermann. Und er suchte in seinem Hirn und suchte nach einem anderen Bild. »Das Lindele hat dir geschrieben. Darf ich wissen, was?« »Hier, lies.« »Es strengt mich zu sehr an. Erzähl mir lieber.« Ungern kam Martin Opterberg dem Wunsche nach. Nur stockend berichtete er zu Anfang. Dann aber nahm’s ihn selber gefangen, und er wurde wärmer und redete sich zum Schluß in eine große Freudigkeit hinein. »Sie schreibt von der Werft, und daß das Werk sich aus sich selbst unterhält durch die Fülle von Ausbesserungsarbeiten an Schiffen rheinauf und rheinab. Und daß die alten Meister und grauköpfigen Arbeiter wie die Jünglinge zimmern, hämmern und nieten, und daß von den Werksfamilien, deren Männer im Felde stehen und weiter den Lohn beziehen, die Frauen und Kinder in Hos’ und Schurz mitschaffen auf dem Werftplatz, um den anderen das Brot nicht zu schmälern, und wie sie selber, die Linde, unter den Frauen mittät’ in Hos’ und Schurz, wenn’s gerad keine Schreibarbeit gäb’, um nicht wie ein Dämchen hintanzustehen.« »Das muß sie köstlich kleiden, Martin. Denn sie ist wie ein Tännlein so schön und grad gewachsen.« Martin Opterberg lachte vor sich hin. Das war kein krankes Lachen. Es kam aus der Gesundung und verlangte nach der Gesundheit. »Schwestern sind’s und einander ähnlich, wie selten zwei. Du mußt es drum wissen, Christoph. Aber auch von der anderen Schwester schreibt sie und hebt das Theresel in den höchsten Himmel: Sprechstunde, Krankenbesuche landaus, landein auf dem Motorrad, Ersatzlazarett, wiederum Sprechstunde, Lazarett, Krankenbesuche und Geburtshilfen bis spät in die Nacht, und vier Stunden Schlaf, wenn’s hoch kommt.« Christoph Attermann lag mit seligen Augen. Er wußte ja das alles und wußte viel mehr. Dreimal war er auf Urlaub daheim gewesen und hatte in Haus und Werk nach dem Rechten gesehen, sehen wollen -- denn die Frauen hatten schon um alles gesorgt. »Unsere Frauen,« sagte er. »Man möcht’ sie ein Jahr lang abbusseln, wenn sie stillhielten.« »Und die Mutter hält den Opterberghof im Schwung, Christoph. Die Hälfte an Arbeitskräften und das Doppelte an Leistungen. Ich sah sie im Herbst mit der Sense in der Ernte. Arme wie Mannesarme, und die Waden, sagt sie, seien schon gar nicht zum ansehen. Die Sechzigjährige ist wie eine Hünin an Leib und Seele.« »Willst du nicht auch einmal an den Niederrhein, Martin?« »Später. Heut ist die Verteilung schon die rechte. Der eine zu Frau und Kindern, der andere zur Mutter.« »Und die Linde?« wollte Christoph Attermann fragen. Aber er unterdrückte es und fingerte einen Marsch auf die Bettspreize. Als sie ihre ersten Gehversuche machten, wurde ein Infanterieoffizier eingeliefert, dem die rechte Hand über dem Gelenk weggeschossen war. In dem blassen, mit Schlägernarben geschmückten Gesicht erkannten sie ihren alten Verbindungsbruder Broich, aus Freiburger Tagen, den Freund und Wandergefährten, der von der Juristerei zur Düsseldorfer Industrie übergegangen war, um schneller seiner geliebten Hilde Falkenroth Gatte und Betreuer sein zu können. Nun lag der Wackere als Einhänder im Verband, und die Freunde saßen manche Stunde an seinem Bett. »Fürs Ersatzbataillon reicht’s noch,« sagte Broich in seiner knappen, soldatischen Art. »Ich kann den Säbel in die Linke nehmen, wenn ich den Nachschub daheim einexerzier’.« »Wie geht’s Frau und Kindern?« »Erträglich. Sie leben von meiner Hauptmannslöhnung. Die Stelle konnte auf so lange Jahre nicht für mich offen gehalten werden.« Kein Wort der Klage. Nichts als Vaterlandspflicht. -- Martin Opterberg und Christoph Attermann humpelten am Stock durch den Etappenort. »Er ist mir von den Freunden immer der liebste gewesen, der Broich,« begann Christoph Attermann nach einer Weile des Wanderns. »Er hat bei eiserner Willenskraft die innere, die seelische Vornehmheit, die nicht angelernt werden kann und nicht vom Wetter abhängig ist. Da kann’s noch so hageldicht kommen, der Broich bleibt ohne einen Groschen der wahre Edelmann.« Und dann mußten sie beide aus vollem Halse lachen. Sie waren, ohne es zu wollen, bis zum Etappenstabskasino gewandert und hatten, da es die Stunde der Mahlzeit war, in aller Unschuld des Frontsoldaten angefragt, ob sie mithalten könnten. Ernst und verweisend waren sie in ihren zerschabten und verblichenen Röcken vom Verpflegungsoffizier gemustert worden. »Darf ich ganz gehorsamst fragen, von wem die Herren eingeladen sind?« »Wir kommen aus allereigenstem Antrieb. Unsere Nase lud uns ein und unser Magen.« »Bitte ganz gehorsamst: zweite Straße links, Speiseanstalt für durchreisende Offiziere. Hier speist der Etappenstab.« Da lachten die beiden, daß ihnen alle im Mord und Brand der Schlachten erworbenen Ehrenkreuze auf Brust und Herzgrube tanzten. »Dürfte ich ganz gehorsamst um eine Ihrer abgelegten schönen Hosen bitten?« fragte Martin Opterberg mit einer tiefen Verneigung, und all die alten Schlägernarben funkelten vor Vergnügen in seinem Gesicht. »Und ich ganz gehorsamst um ein Paar Ihrer schönen Lackschuhe?« fügte mit derselben tiefen Verneigung Christoph Attermann hinzu, und auf der Wetterseite auch seines Gesichtes glühten die purpurnen Ehrenröslein vor Lust. »Martin, Martin,« klagte er, als sie vergnüglich weiterpilgerten, »ich fürchte, ich fürchte, wir sind in den Augen dieses Cid Kampeador der Etappenstabsküche zu höchst gemeinen Kriegsknechten herabgesunken. Dieser Rittmeister zu Fuß hielt uns für Schnorranten, die die Aufschrift über dieser feinen Krippe nicht lesen können: ›Nur für Herrschaften!‹« »Drei Jahre Krieg, Christoph! Drei Jahre nur unter Männern. Und noch dazu in der Etappe, in der nicht der tägliche Sturm der Geschehnisse die Kameradschaften auf Tod und Leben vereinigt. Da tritt der Naturtrieb zutage. Eifersucht, Neid --« »Futterneid, Martin. Man soll ihnen nicht in den Kochtopf gucken.« »Geh, schäm dich, Christophel. Der Herr Rittmeister wünschten nur gehorsamst aus eitel Herzensgüte dir nicht das Wasser im Maule zusammenlaufen zu lassen. Und seine ›Speiseanstalt für durchreisende Offiziere‹ mag vollends der Teufel holen. Ich halt’s mit der Gulaschkanone. Da dampft eine auf dem Platz. Mein Gott, diese zusammengewürfelte Gesellschaft stellt ein ›Armierungsbataillon‹ dar. Können wir mithalten, Mann?« »Aber selbstverständlich, Herr Hauptmann.« »Mal zwei Kochgeschirre her. Was gibt’s Gutes heuer?« »Erbsen mit Frankfurter Wurst. Aber nicht mit den Sporen klirren, Herr Hauptmann.« »Hottehü?« »Ich will nix gesagt haben. Aber es fehlt ein Gaul.« »Na, wenn schon. Bei unseren germanischen Voreltern war’s der vornehmste Festtagsbraten.« Ein Armierungssoldat schob sich heran. Unrasiert, mit durchlöcherten Schuhen, die schirmlose Mütze tief im Gesicht. Als er vor den beiden Hauptleuten stand, nahm er mit einem Ruck stramme Haltung an. »Tillmann! Tillmann! Alter Fuchsmajor! Kunstgelehrter! Heran an die Brust!« Und der Unrasierte fiel den beiden schluchzend um den Hals. »Na, na … Keine nasse Rührung, Alter. Gibt’s eine Kneipe hier am Ort? Bring uns zu deinem Häuptling. Wir bitten dich los für heute.« Ein grauhaariger Offiziersstellvertreter meldete sich. Das Bataillon hatte Rasttag bis morgen. Der Armierungssoldat Tillmann war für den Rest des Tages beurlaubt. Irgendwo stöberten sie eine Kneipe und einen französischen Landwein auf. »Dein Wohl, Tillmann. Unter Freunden schmeckt’s wie Nektar. Und nun spinn dein Garn herunter, Armierungssoldat.« Der Kunstgelehrte knirschte mit den Zähnen. »Sprecht das Wort nicht aus. Es bringt mich um den Verstand. Als ich mich vor zwanzig Jahren als Einjährig-Freiwilliger meldete, wurde ich nicht angenommen. Zu schwach auf der Brust oder zu platt auf den Füßen. Der Teufel mag’s wissen. Damals hätt’ ich mit Begeisterung gedient. Und siebzehn Jahre später, bei Kriegsausbruch, war die Brust apollinisch und die Füße aphrodisisch, und ich bildete mit vierhundert anderen ausgesiebten Ungedienten ein feines Armierungsbataillon. Ein Schießeisen vertraute man uns nicht an, aber eine dauerhafte Schippe und, als Beförderung, eine Hacke. So schippen wir Gräben und karren den Dreck. Zieh nicht deine Stirn in Falten, Opterberg. Ich weiß, daß geschippt und gekarrt werden muß und eine Soldatenehre gleich der anderen ist. Aber muß man just uns Schreibmenschen vom Dorfschreiber bis zum Universitätsprofessor unter die Schipper stecken, die keine sechs Hackenschläge hintereinander tun können, ohne die nächste Viertelstunde zu verschnaufen? Gut, ich seh’s deinem Gesicht an, du meinst, das lernt sich. Was sich aber nicht lernt, Freund und Hauptmann, das ist die Herabsetzung in die unterste Rangstufe und das Verfluchtsein, drin zu bleiben! Der gemeinste Frontsoldat, der gemeinste Etappensoldat kann sich durch seine Tüchtigkeit heraufarbeiten. Die jüngsten Dorfschulmeister laufen als Leutnants herum. Aber selbst für den größten Geistesriesen gibt’s im Armierungsbataillon keine Beförderung. Wir haben vor dem grünsten Jungen stramm zu stehen. Wir sind wie eine Maultierherde, ohne anderen Zukunftglauben, als daß wir stumpfsinnig unter Stumpfsinnigen abgerackert werden. Und eines Tages haben wir uns angepaßt, die einen aus Gewohnheit, die anderen durch Überredung, die dritten in ohnmächtigem Grimm, und die Heeresleitung wundert sich, woher die vielen Sozialisten kommen.« »Wer über eine Sache schimpfen will,« sagte Martin Opterberg, »muß eine bessere an ihre Stelle zu setzen haben.« »Ist das so schwer? Liegt das so weltenweit ab? Schau dich einmal um, Freund. In den Berliner Kriegsgesellschaften sitzen die Unabkömmlichen zu Tausenden, junge, wohlgenährte, hochgestiegene Männer. Aber man sagt, das sei eine geschlossene Religionsgemeinschaft, wie früher die Gescherten. Und wenn schon. Könnte man die Herrschaften, die sich drei Jahre gemästet haben, nicht einmal gründlich auskämmen und gegen uns austauschen? Die Schippe werden sie so gut halten können, wie wir die Feder. Ah, es ist ein Haß in uns auf diese feiste Drückebergerbande, der einmal furchtbar zum Ausbruch kommen wird. Weiter! Weiter! Fragt die alten, krummen Arbeiter bei uns. Die Arbeiterjugend steckt man mit einem Majorsgehalt in die Munitionsfabriken, und die Alten dürfen für eine Groschenlöhnung schippen. Ist für die Alten dort kein Platz? Wär’ nicht von vornherein dort ihr Platz gewesen? Wenn die Jungen aus den Fabriken und dem Großgeldverdienen herausgezogen und in die Feldregimenter gesteckt werden, pfeifen sie auf den Dienst für eine Erbsensuppe und verseuchen mit ihren Aufwiegelungen die Kompanien. Alsdann: Prosit.« Er stürzte funkelnden Auges den Wein herunter und schlug die Mütze auf den Tisch. »Haltung, Tillmann. Von meinem ehemaligen Fuchsmajor verlang’ ich mehr Haltung. Es ist leider Gott’s manches richtig, was du sagst, wenn auch durch erklärlichen Zorn verzerrt. Aber bedenk, Mann, die ganze Welt ist uns über den Kopf gekommen, und so sind uns mancherlei Dinge in der Eile auch über den Kopf gewachsen.« »Wen’s trifft, der hat’s, Opterberg. Und der hört von allem nur das Nein.« »Tillmann,« sagte Christoph Attermann begütigend, »was macht die schöne Klarenbachin, dein liebreich Gemahl? Ich weihe ihr dies Glas.« »Tu’s nicht!« fuhr der Grimmige auf und fiel ihm in den Arm. »Sie ist imstand und verwandelt dir aus der Entfernung den Wein in Rattengift. Als ich mit meinem Feldkrätzchen auf dem Kopf das eine und einzige Mal auf Urlaub kam, wollt’ mich dies Götterweib in der Gesindestube essen lassen. Mein Schwager aber, der Grüters, der als Hauptmann dem Generalstab des Feldheeres zugeteilt ist, breite, weithinleuchtende Streifen, fast wie ein echter Generalstäbler, an den Hosen trägt und in Volksaufklärung arbeitet, durfte mit ihr in offenem Landauer durch die Straßen Düsseldorfs spazieren fahren.« Er trank die Flasche leer und stand auf. »Gehabt euch wohl. Ein ander Mal. Ich muß an die Luft.« Martin Opterberg und Christoph Attermann schauten ihm nach. »Drei Jahre, Martin. Es muß zu End’ gehen. Es ist die höchste Zeit.« »Christoph,« sagte Martin Opterberg, »daß wir’s trotz dem und alledem so lange ausgehalten haben, das zeigt doch erst, welch eine unverwüstliche Urkraft in unserem deutschen Volke liegt. Hier die richtige Erziehung mit der rechten Liebe angesetzt, und wir sind das erste Volk der Welt. Jetzt müssen wir durch die Vorschule …« Ein paar Wochen darauf ging Christoph Attermann mit einem längeren Erholungsurlaub in die Heimat ab. Martin Opterberg wurde, bis zur Wiederverwendbarkeit in der Front, zur Dienstleistung in den Generalstab des Feldheeres befohlen. »Sag den Frauen, Christoph, nun käm’ ich auch bald. Es drängt alles zur letzten Entscheidung. Und vergiß nicht: Wie’s auch kommt -- wir sind in der Vorschule.« 12 Zwei Erlebnisse waren es vor all den tausenden, die sich in Martin Opterbergs Seele gruben, deren Bilder er mit sich nahm als Lehre, Mahnung und Maß. Sie machten seine Seele ehrfürchtig, sie erschütterten sein Herz und führten ihn durch ihre Bildkraft dem Höchsten im Leben zu, dem menschlichen Gleichgewicht. Martin Opterberg meldete sich im Generalstab des Feldheeres beim Ersten Generalquartiermeister. Helm auf und umgeschnallt stand er in dem langen Flur, auf den die Vielheit der Türen mündete, vor dem Zimmer des Generals Ludendorff und wartete. Es war ein Kommen und Gehen von höheren Offizieren, die barhaupt und ohne Degen, wie sie von ihrem Arbeitstisch aufgesprungen waren, herbeieilten, um eine Aufklärung zu geben, einen Befehl entgegen zu nehmen, und dennoch blieb die lautlose Stille, in der man das Summen einer späten Fliege als Geräusch empfand. Hinter dieser Türe arbeitete ein Mann, der schier übermenschliche Bürde trug und sie mit Hergabe des letzten Nervs bewältigte, in dessen Hirn die Millionenheere Deutschlands auf allen Kriegsschauplätzen, die Heere der Verbündeten und die Heere der ganzen feindlichen Welt marschierten und das man dennoch immer neuen Belastungsproben aussetzte, selbst aus der Heimat heraus und in Staats- und Wirtschaftsangelegenheiten. Das ging Martin Opterberg durch den Sinn, während er vor der geräuschlos auf- und zuklappenden Türe verharrte. War dieser Mann so groß an Geist -- oder war Deutschland so klein an Geistern, daß man alle Wünsche und Hoffnungen auf dieses Einen Schultern lud? Und mit einem Male wechselten die Bilder vor dem seelischen Auge Martin Opterbergs. Er sah die Hunderttausende von Neuen Testamenten in den Händen der Lesenden, er sah die Hunderttausende von Rosenkränzen am Gewehrschloß der Betenden -- er schaute die Inbrunst -- er hörte ihr Stöhnen im Ohr -- und er sah Testamente und Rosenkränze auf den Kehrichthaufen fliegen und vernahm Wutgebrüll und Gotteslästerung. Das war, als das Schicksalsrad anders herum ging -- -- »Herr Hauptmann Opterberg …« Martin Opterberg riß sich zu dienstlicher Haltung zusammen. Er trat ein. Die Tür sank geräuschlos hinter ihm ins Schloß. Ein leeres, dämmeriges Gemach. Ganz hinten am letzten Eckfenster, alles Tageslicht auf sich vereinend, ein Mann am Schreibtisch, groß, stark, mit einem Bauernschädel. Der Mann erhob sich, durchschritt in Eile das langgestreckte Zimmer und nahm dem Meldenden die Hand vom Helm. »Hauptmann Opterberg. Ich weiß. Sollen hier ein paar Monate arbeiten, um nicht vorzeitig draufzugehen. Offiziere wie Sie brauchen wir heute nötiger denn je. Führer, denen die Leute blindlings folgen. Herzlich willkommen hier.« »Allergehorsamsten Dank, Euer Exzellenz.« »Keine Worte, lieber Opterberg. Der Dank ist auf unserer Seite. Viermal verwundet und immer wieder vornweg. Ihre Leistungen sind mir allesamt bekannt. Sie dürfen stolz darauf sein.« Martin Opterberg stand unbeweglich. Auge in Auge mit dem überlasteten Mann, der dennoch auch von ihm wußte … »Nun wollen Sie sich wohl beim Feldmarschall melden? Sie sollen ihn sehen. Der Feldmarschall wünscht es selbst. In einer Stunde beim Mittagessen in seinem Hause. Dort hat er Atempause. Auf Wiedersehen.« Martin Opterberg spürte den kurzen, festen Druck der Hand. Und während er Kehrt machte, sah er den Überlasteten in Eile durch das Zimmer zurückschreiten. Als er beim Hinaustreten einen Blick zurückwarf, saß der General in seinen Papieren vergraben am Schreibtisch. Und alles Tageslicht lag auf dem mächtigen Bauernschädel. Nachsinnend betrat Martin Opterberg die Straße. Aber ein Gefühl blieb das stärkste. Er kam von einem Einsamen. Er kam von einem Arbeitsriesen, der in Sekunden denken mußte, handeln, vollbringen, und der seine Worte auf Sekundenkürze zusammendrängen mußte. Und doch: was hatte der General ihm in den wenigen Augenblicken nicht alles gesagt. Nein, nicht das Lob. »Führer sind nötiger denn je, denen die Leute blindlings folgen.« Also sammelte er sich zum Entscheidungskampf. Zur letzten Schlacht, in der es blindlings voran gehen mußte, sollte Deutschland bestehen … Und von Hindenburg hatte er gesprochen, dem Feldmarschall. Dies ehrfürchtig-stolze »Sie sollen ihn sehen« schwang noch in Martin Opterbergs Seele nach. Mit diesem tiefen Unterton vermochte nur ein Mann zu sprechen, der das Hinaufschauen nicht verlernt hatte. »Dort hat er Atempause.« So spricht ein Mitarbeiter vom Meister. Und plötzlich rann es Martin Opterberg den Rücken hinab … Gleich wirst du vor dem Schlachtenmeister stehen, vor dem Ehrwürdigen und Verehrungswürdigen. Er horchte in sich hinein. Nein, da war keine Spur von Angst. Da war nur Freude, jubelnde Freude. »Opterberg? Bist du’s oder bist du’s nicht? Menschenskind, du überrennst ja den Vertreter einer hohen Generalstabsabteilung!« »Grüters,« sagte Opterberg und hielt an. »Wenn ich dein Hiersein nicht schon von deinem Schwager Tillmann wüßte, hätt’ ich dich doch an den funkelnagelneuen Beinkleidern erkannt.« Grüters beklopfte mit einer Reitgerte die gutsitzenden langen Hosen. »Du irrst, wenn du damit meinst, daß Kleider Leute machen. Der Generalstab des deutschen Heeres ist verdammt helle, mein Junge, und versteht sich auf die Ausmusterung. Mit Hohlköpfen ist hier nischt zu wollen, aber rein garnischt. Und was führt dich wackeren Feldsoldaten in diese geistige Luftschicht?« »Nichts als eine einstweilige Versetzung in diesen selben Generalstab.« »Du -- --?« fragte Grüters und starrte den einstigen Verbindungsbruder sprachlos an. »Du machst wohl Witze? Nee -- ernsthaft? Wieso denn? Das weißt du nicht? Das ist ja eine rätselhafte Geschichte. Immerhin,« er reichte Opterberg die Hand, »wenn du eine Hilfe nötig hast -- ich stehe dir in meinen knappen Mußestunden gern zur Seite.« »Verbindlichen Dank, Grüters.« »Und wo soll’s jetzt hin? Komm mit, ich stell’ dich beim Mittagessen gleich vor.« »Leider heute unmöglich, Grüters. Der Feldmarschall hat mich zu Tisch befohlen.« »Vater Hindenburg? Bist du bei Sinnen? Du, hör mal, hier gibt’s keinen Studentenulk.« »Es ist so, Grüters, und ich kann’s nicht ändern. Befehl ist Befehl. Und General Ludendorff hat ihn mir soeben persönlich ausgesprochen.« »Bei dem warst du auch? -- Ja, was ich sagen wollte,« und Grüters legte seinen Arm in den des Jugendkameraden, »es ist dir doch recht, daß ich dich ein paar Schritte begleite? Ich bin gerade dienstfrei. Habe eine gewaltige Arbeitsleistung hinter mir und eine noch gewaltigere vor mir. Richtig, ich sprach dir noch nicht davon. Aufklärung im Heer. Gegen den Geist, den die grundstürzenden Linksparteien aus der Heimat bis in die vordersten Linien tragen möchten. Das vermag nur ein Mann, der kaiserlich bis in die Knochen ist. Dazu gehört die ganze Wucht und Unerschrockenheit der Überzeugungstreue. Mein Gott, Opterberg, das sind ja Jahre, daß wir unsere Gedanken nicht tauschen konnten. Der ganze Krieg liegt dazwischen. So etwas sollte unter Männern derselben Anschauungsweise nicht vorkommen dürfen. Also wir sind die Alten, Mann.« Arm in Arm mit Opterberg auf- und abschreitend, plauderte er. Liebenswürdig, ein wenig hochmütig, stets die eigene Person im Auge. »Jetzt wird’s wohl Zeit, daß du zum Feldmarschall hineingehst. Weidmannsheil! Vielleicht freut’s ihn, von unserer alten Freundschaft zu vernehmen. Jedenfalls kann’s nicht schaden, wenn du mich bei passender Gelegenheit mit einem Wort erwähnst; ich meine die rastlose Aufklärungsarbeit da vorn. Soll ich meine Frau von dir grüßen? Ich schreib’ ihr heute.« Martin Opterberg trat ins Haus. Er behielt den Helm auf und den Degen umgeschnallt. Der Adjutant kam ihm entgegen, und die Herren nannten ihre Namen. »Der Herr Feldmarschall läßt bitten, abzulegen. Er nimmt Ihre dienstliche Meldung als geschehen an und ersucht Herrn Hauptmann, sich lediglich als seinen Gast zu fühlen. Bitte in dieses Zimmer.« Nur wenige Offiziere standen wartend und plaudernd in dem kleinen Empfangszimmer, des Feldmarschalls allernächste Mitarbeiter, soweit sie abkömmlich waren. Der Adjutant stellte den Hauptmann Opterberg vor. Ein paar Namen wurden gemurmelt, ein paar Hände streckten sich aus, und Martin Opterberg fühlte sich auf eine ruhige und selbstverständliche Weise ins Gespräch gezogen. Er war Offizier und Hindenburgs Gast. Das genügte den Herren. Unwillkürlich reckte sich Martin Opterberg auf. Die Innentür wurde geöffnet, und ein Riese an Wuchs mit einem eckig behauenen Kopf, in dem sich Rune an Rune drängte, graues, kurzgeschorenes Haar über der breitvorgelagerten Faltenstirn, den dicken, eisgrauen Schnurrbart bis über die Mundwinkel vorgezogen, kam, die Hände in den Taschen seiner Litewka vergraben, gemütlich ins Zimmer geschlendert. Der Feldmarschall hatte Atempause. Kein Zug entging Martin Opterberg in diesem ungewöhnlichen Gesicht. Wie aus einem prachtvollen Marmorblock herausgehauen, ohne erst vorher sorglich in Ton geformt und geglättet gewesen zu sein, so wirkte dieser Kopf. Die Augen waren tief eingelegt. Wie ein Bildhauer wohl, um das Leben zu erhöhen, kostbare Edelsteine in den Marmor senkt. Eines alles verstehenden Herzens Güte spiegelten sie wieder, aber auf ihrem Grunde glomm ein Schein, sichtbar nur dem Forscher, der des Alters spottete und von den Feuerbränden einer Jünglingsseele sprach. Der Feldmarschall nickte seinen Tischgenossen zu, winkte dem Adjutanten, der zur Vorstellung des Hauptmanns herbeisprang, ab und reichte dem Gast die Hand, die er aus der Litewkatasche zog. »Der Hauptmann Opterberg wird schon wissen, wer ich bin,« sagte er mit einer knorrigen Baßstimme, die tief aus seinem Körper zu kommen schien, »und ich werde doch wohl wissen, wen ich mir als Gast eingeladen habe. Freue mich, Sie zu sehen, Herr Hauptmann. Ja, mein lieber Kamerad, wär’ ich noch in Ihrem Alter, ich möcht’ schon lieber mit dem Kolben dreinwettern als jetzt mit dem Federhalter. Was haben Sie studiert?« »Ingenieurwesen und Volkswirtschaft, Herr Feldmarschall. Ich baue am Niederrhein Schiffe.« »Ah! … Viel im Ausland gewesen?« »Längere Jahre in England und Amerika.« »Das ist gut. Dann sagen Sie mir doch einmal -- Entschuldigung, da meldet die Ordonnanz, daß wir essen können. Ist Ludendorff da? Wenn man den Wolf nennt, kommt er gerennt. Dann müssen Sie mir schon gestatten, daß ich Sie zu Ihrem Platze führe. Ich bin nämlich mein eigener Oberhofmarschall.« Er schob die Hand unter des Gastes Arm und leitete ihn durch die Innentür in das kleine Speisezimmer. Wie ein schlank Studentenfüchslein erschien sich der hochgewachsene Opterberg neben dem breitbrüstigen Riesen. »Hier sitzen Sie. Neben mir. Hoffentlich haben Sie einen tüchtigen Hunger.« Die Herren verbeugten sich kurz nach rechts und links und nahmen den Löffel. Es gab eine dampfende Kartoffelsuppe mit kleingeschnittenem Rindfleisch darin. »Schmeckt sie so gut wie aus der Feldküche, Herr Hauptmann?« »Das kann ich wohl sagen.« »Na, dann darf ich Ihnen wohl einen guten Rat geben. Nehmen Sie noch einen zweiten Teller voll. Es gibt weiter nichts. Höchstens noch einen Eierkuchen.« Das kam wohlwollend und väterlich. Und während die Teller frisch gefüllt wurden, spürte Martin Opterberg des Feldmarschalls prüfendes Auge. »Was ich vorhin fragen wollte, Hauptmann Opterberg. Sie waren lange in Amerika. Sie sehen mir nicht danach aus, als ob Sie in einem fremden Land mit geschlossenen Augen leben. Was würde wohl Amerika getan haben, wenn es wie Deutschland gezwungen gewesen wäre, bis auf die Knaben und Greise auf Jahre hinaus fast seine sämtlichen Männer ins Feld zu schicken? Sagen Sie mal Ihre Meinung.« »Es würde vor allen Dingen jeden Unterschied zwischen Heer und Heimat aufgehoben haben, Herr Feldmarschall.« »Ich wittere was. Aber erklären Sie sich deutlicher.« »Amerika würde in der Lage Deutschlands sofort für die Dauer des Krieges jede weitere Kapitalbildung untersagt und jeden Bürger auf Sold gesetzt haben. Keiner hätte den Krieg für sich ausbeuten können, keiner der Daheimgebliebenen einen Pfennig mehr verdienen können als die im Felde Stehenden. Sie hätten ganz einfach in den Fabriken und in der Landwirtschaft ihrer Soldatenpflicht gegenüber dem Vaterland genügen müssen, das sozusagen eine einzige Heeresetappe gebildet hätte.« Der Feldmarschall legte ihm die schwere Hand auf die Schulter. »Weiter, weiter.« »Weiter wäre wohl nichts, Herr Feldmarschall. Der Amerikaner treibt Wirklichkeitspolitik und macht Nägel mit Köpfen.« »Und wir?« Mit flammenden Augen schaute Martin Opterberg zu dem greisen Helden auf. »Ein Wort von Ihnen, Herr Feldmarschall, wenn’s sein muß, ein Machtwort --« Er hielt inne. Eine Röte lief über seine Stirn. »Ich bitte um Entschuldigung, Herr Feldmarschall, daß ich wagte --« »Unsinn. In dieser Erholungspause darf jeder reden, wie’s ihm ums Herz ist. Das wäre noch schöner.« In den zusammengekniffenen Augen sprühte es auf. »Ja -- wenn ich in Berlin etwas zu sagen hätte, was ich aber _nicht_ habe: ich würde Nacht für Nacht eine Streife durch die lustigen Kaffeehäuser und ähnliche Örtlichkeiten veranstalten lassen und alle die feisten Herrlein, die sich dort groß tun, es nicht mit zwei Männern, aber mit zwei Frauenzimmern aufzunehmen, herausholen und am anderen Morgen in die Munitionsfabriken stecken.« Ein grimmiges Lachen der Verachtung flog um seinen Mund. »Nicht in das Feldheer. Nicht unter meine Braven. Diese schwammigen Blutegel, die sich am Kriege vollsaugen und, wenn’s hart um hart geht, uns mit irrsinnigem Friedensgeheul in den Rücken fallen, um nur ja mit ihrem Raub nicht unter die Räder zu kommen. Dann schimpfen sich diese Kerle ›Pazifisten‹. Achten Sie auf das Fremdwort. Die deutsche Sprache schämt sich, ein Wort dafür herauszurücken.« Die Teller waren geleert, das Glas Wein ausgetrunken. Ein Zigarrenkistchen machte die Runde, und ein jeder langte zu. Der Feldmarschall tat tiefe Züge. In seinen Augen lag wieder die Vatergüte. »Es gibt nur eins, mein lieber Hauptmann Opterberg, und das ist die Pflicht. Die Pflicht vor dem Vaterland, vor sich selber und dem Herrgott. Wie die unsere lautet, das sollten wir nachgerade wissen, oder wir müßten diesen unerbittlichen Vernichtungskrieg gegen Deutschland immer noch für eine Kirmeßrauferei halten, die mit einem gefüllten Maßkrug abgebrochen werden kann. Aushalten bis auf den letzten Mann, den letzten Hauch, und lieber in Seligkeit sterben als unselig weiter leben.« Er stand auf und reckte seine Riesengestalt in den Schultern. »Wollte doch diese Einsicht Gemeingut des ganzen Heimatvolkes werden. Eine eigene Brotrinde kauen, ist immer noch besser als fremde Peitschenhiebe zum Frühstück. Erfüllen wir unsere Pflicht. Zu nichts anderem sind wir hier. Gesegnete Mahlzeit, meine Herren.« Er reichte die Linke dem Gast, die Rechte dem General Ludendorff, der eilig und schweigend gegessen hatte. Die Atempause war vorüber. -- Wenige Wochen erst saß Martin Opterberg an seinem schmalen Arbeitstisch, der auf vier fichtenen Füßen stand, als das zweite Erlebnis an ihn herantrat. Der Kaiser, der nach kurzer Abwesenheit im Großen Hauptquartier wieder eingetroffen war, wünschte einen Bericht über die Stimmung im Heere. Seine Umgebung hatte ihm von dem seit kurzem im Generalstab beschäftigten Hauptmann gesprochen, der mit Auszeichnung auf allen Kriegsschauplätzen gekämpft habe und vom Generalfeldmarschall Hindenburg zu einer Mittagsmahlzeit zugezogen worden sei. Der Kaiser ließ den Hauptmann zu sich befehlen. Es war an einem frühen Wintermorgen, als Martin Opterberg die Einfahrt zu dem Landhause betrat, das den Kaiser und sein Gefolge beherbergte. Ein paar Kraftwagen waren vorgefahren. Der Leibjäger stand harrend am Schlage des ersten. Die Tür des Hauses öffnete sich. Der Generaladjutant trat heraus, schritt über den knarrenden Kies und nahm die Meldung des Hauptmanns Opterberg entgegen. »Warten Sie hier. Seine Majestät werden sogleich erscheinen. Sie fahren mit.« Vier Herren kamen über den Vorhof und traten hinzu. Die Vorstellung wurde rasch vollzogen. Martin Opterberg erfuhr, daß er den Hofmarschall, den Leibarzt, einen Flügeladjutanten und den Hauptmann des kaiserlichen Kraftwagenparks vor sich sah. Die Herren plauderten untereinander von Dingen, die ihm nicht geläufig waren. Er wartete schweigend. Der Leibjäger reckte das Kinn. Die Unterhaltung brach ab. Auf der Freitreppe stand der Kaiser. Er stand in Helm und Mantel, die Hände auf den Degenknauf gestützt, und schaute in die langsam sich hebende Wintersonne. Haar und Schnurrbart schimmerten eisgrau. Das Gesicht war mager und an den Backenknochen eingefallen. Jetzt wandte er die Augen. Sie waren leuchtend wie Knabenaugen. Martin Opterberg war es, als hätte er einen Betenden gesehen. Der Generaladjutant eilte hastig zu seinem Herrn. Er erstattete Meldung und winkte mit der Hand Martin Opterberg herbei. »Der Hauptmann Opterberg, den Euer Majestät zu sehen wünschten.« Martin Opterberg stand wie aus Bronze, die Hand am Helm. Des Kaisers Auge lag prüfend auf dem Offizier. Dann streckte er ihm mit einer raschen Bewegung die Hand hin. »Ich freue mich, Sie zu sehen. Haben sich ja so wild herumgeschlagen, daß kaum noch etwas an Ihnen heil ist. Geht’s bald wieder?« Der Druck der kaiserlichen Rechten war eisern. Die Kraft des verstümmelten linken Armes hatte sich dem rechten mitgeteilt. Martin Opterberg ertrug unbeweglich den Druck. »Jawohl, Euer Majestät. Ich bin wieder verwendungsfähig.« »Hinter dem Schreibtisch oder hinter dem Feind her?« »So Gott will, hinter dem Feind her, Euer Majestät.« Der Kaiser nickte ihm zu und gab die Hand frei. Über die Schulter zurück befragte er den Generaladjutanten: »Können wir fahren?« Der Leibjäger bot ihm die Hand zum Einstieg. Der Generaladjutant nahm zur Linken des Kaisers Platz und wies Martin Opterberg den Vordersitz an. Im zweiten Wagen saß das Gefolge, im dritten Jäger und Leibwache. Hinaus glitt es zum Tor und in die winterliche Landschaft hinein. Des Kaisers Augen gingen lebhaft in die Runde. »Ob wir nun bald ein anderes Bild zu sehen bekommen?« »Der Marschall sagt ›ja‹, Euer Majestät.« »Wenn’s Hindenburg sagt, ist es so gut wie geschehen.« Er atmete tief auf, nahm den Helm ab und ließ sich die Mütze reichen. »Und Sie wollen wieder mit dabei sein, Hauptmann Opterberg? Können Sie nicht genug kriegen?« »Wenn der Feind genug hat, kehr’ ich gern heim, Euer Majestät.« »Und diesmal _wird_ er genug kriegen. Er wird, er muß und soll. Es ist alles vorbereitet, glänzend vorbereitet. Diesmal fehlt nichts. Wir werden den Endsieg herbeiführen.« »Jawohl, Euer Majestät.« Der Kaiser sprach hastig weiter. Er sprach wie aus einem Drange heraus, eine bestätigende Stimme zu hören. Seine Gesichtszüge zogen sich zusammen. Seine Augen forschten. ›Dieser hier ist der Allereinsamste,‹ dachte Martin Opterberg. ›Während die anderen aus ihrer Einsamkeit Pläne und Taten gewinnen, muß er die seine abwartend in die Landschaft flüchten. Und mit ihr die Verantwortung für die Tugenden und Sünden eines Siebzigmillionenvolkes vor der ganzen Welt.‹ »Das vierte Kriegsjahr,« sprach der Kaiser lebhaft. »Und Jahr für Jahr hätten sie den Frieden haben können. Nicht doch -- erst muß die Welt ganz aus den Fugen gehen. Wenn ich an Rußland denke! Welch ein Zukunftsvolk war’s und ist es heut noch mit seinen unermeßlichen Menschen- und Bodenschätzen in all der Unberührtheit. Und Frankreich erst! Es schlägt sich, wie nur ein geborener Soldat sich schlagen kann.« Seine Augen öffneten sich groß und starrten lange ins Weite. Als suchten sie ein Bild und fänden Trümmer. »Das war einmal mein Traum,« sagte er nach einer Weile. »Rußland, Deutschland, Frankreich ein einziger Block. Die drei stärksten und tapfersten Mächte -- ein einziger, starrender Fels, an dem sich jede Kriegswoge der Welt im Entstehen hätte brechen müssen. -- Die Schildwacht des Erdballs -- und darum die heiligste Wacht des Friedenstempels.« Staunend und ergriffen zugleich hatte Martin Opterberg den Worten des Kaisers gelauscht. Wer so zu träumen, wer so seinen Träumen Worte zu geben vermochte, heute noch, nach der grausamen Wachrüttelung und den rohen Faustschlägen der Umworbenen, der mußte in Wahrheit ein reiner Edelgeist sein oder ein Mensch, an dem alle Wirklichkeiten vorübergeleitet worden waren -- und immer noch wurden. Eine heiße, wehe Liebe entbrannte in ihm zu dem vereinsamten Kronenträger. Die Morgenfahrt ging weiter. An den schwarzen Wäldern vorüber, über eine weite Hochfläche, die nur verschleierte Fernblicke bot. Der Kaiser schien enttäuscht und kehrte bald zu seinem Gespräch zurück. »Gut, daß nun die letzte Abrechnung aufgestellt wird. Die Schlußrechnung. In der Heimat fangen sie an, Schwierigkeiten zu machen. Aber in Frankreich machen sie schon längst Schwierigkeiten, und in England soll’s auch nicht zart hergehen. Hingegen soll die Stimmung in unserem Heer, vom Chor der ewig Unzufriedenen abgesehen, eine freudig erregte sein. Sie sind ja wohl der beste Augen- und Ohrenzeuge gewesen, Hauptmann Opterberg. Erzählen Sie mal.« Martin Opterberg riß sich bei dem Anruf zusammen. Der Kaiser hatte eine Frage an ihn gestellt. Und plötzlich ward ihm, als heischte da vor ihm nicht ein kronentragender Mensch eine beistimmende Antwort, als befragte ihn das Vaterland, versinnbildlicht durch ein Fürstenantlitz. Das Vaterland aber heischte keine höfische Antwort -- es heischte die Wahrheit. »Die Leute sind über menschliches Berechnen hinaus im vierten Jahre im Feld, Euer Majestät. Sie haben trotz der begeisternden Siege viel Hartes und Schweres in der langen Zeit erfahren. Die gelichteten Kameradenreihen, eigene Verwundungen und Krankheiten aller Art, dazu wohl auch trübe Nachrichten von daheim, Tod der Nächsten, Zusammenbruch der Geschäfte. Ich möchte sagen: die freudige Erregung ist mehr die Sehnsucht, bald heimzukommen.« Der Kaiser sah ihn starr an. »Das klingt ja fast, als ob da allerhand geheime Machenschaften am Werke wären, den Leuten den Aufschwung zu verleiden?« »Gewiß, Euer Majestät, auch geheime Machenschaften sind am Werk, obschon sie längst nicht mehr so ganz geheim betrieben werden. Die Sendboten der unzufriedenen Parteien im Reich sitzen schon in jeder Kompanie und halten ihre Winkelversammlungen ab. Wer schimpft und hetzt, hat allzeit den größten Zulauf.« »Die Sozialisten, Herr Hauptmann? So weit sollte man die schon vorgelassen haben?« »Euer Majestät, es ist nicht die sozialistische Weltanschauung allein. Es sind zwei gleich starke Strömungen, die im Heere fluten. Die eine ist die sozialistische, die von der großen Völkerversöhnung durch die Gemeinschaftsziele der Arbeiterklassen schwärmt und den Krieg als eine Art Börsenspiel der Geld- und Machtklassen hinstellen möchte. Die andere ist eine wütend judenfeindliche, die die Verlängerung des Krieges, die Anhäufung der Kriegsgewinne durch die überzahlten Heereslieferungen, Bewucherung und Schiebertum daheim, kurz alles, was sie als ihre eigene und die Not des Vaterlandes ansieht, dieser einen Rasse zuschiebt, die doch nur eins vom Hundert der deutschen Bevölkerung ausmacht.« Der Kaiser schüttelte den Kopf. »Das geht mir nicht ein. Sozialismus und Antisemitismus sind doch immer entgegengesetzter Natur gewesen.« »Im Felde denkt man nicht so scharf darüber nach, Euer Majestät. Im Grunde trifft man sich in dem einen Gedanken, möglichst bald nach Hause zu gelangen und klare Bahn zu schaffen.« »Klare Bahn?« »Euer Majestät, drei und einhalb Jahr Krieg in ödem Feindesland machen aus Helden Menschen mit menschlichen Gebrechen. Wenn sie in der Schlacht stehen, kämpfen sie um ihr Leben.« Des Kaisers Blick wurde hart und abweisend. »Ich denke: um die Ehre des Vaterlandes! -- -- Mein werter Herr Hauptmann, da stehen mir doch gottlob angenehmere Berichte zur Verfügung als der Ihre.« Martin Opterberg spürte, wie ihm alles Blut zu Herzen trat. »Ich fürchte, daß man Euer Majestät falsch unterrichtet hat.« … Der Kaiser sah ihn groß an. Dann wendete er den Kopf und sah in die nebelverhangene Landschaft hinaus. Die Maschine des Kraftwagens sang und sauste. Im Wagen fiel kein Wort mehr. Eine halbe Stunde später, und der Kaiser wies auf ein Wärterhaus am Wege. »Anhalten.« Der Generaladjutant gab den Befehl zum Führersitz hinauf. Mit dem kaiserlichen Wagen hielten die anderen. Der Kaiser schritt in das Wärterhaus und wärmte sich den Rücken am Kamin. Er winkte die Herren seines Gefolges zu sich heran und plauderte mit ihnen, während der Leibjäger ein paar belegte Brote und je einen Becher Wein darreichte. Zwei-, dreimal glitten die Augen des Kaisers blitzschnell zu dem Hauptmann hinüber, der still und gesammelt abseits stand und seinen Becher leerte, und musterten das tiefgebräunte Gesicht. Der Leibjäger begann, die geleerten Becher einzupacken. Der Kaiser hob den Kopf. »Der Hauptmann Opterberg bekommt zum zweitenmal eingeschenkt. Er ist vom Rhein.« Martin Opterberg verbeugte sich und leerte den Becher noch einmal. Der Kaiser hatte sich für seine Zigarette Feuer geben lassen. Die Herren durften rauchen. »Wärmen Sie sich weiter. Ich muß draußen ein paar Schritte tun, um die Beine nicht einschlafen zu lassen. Hauptmann Opterberg -- Sie können mich begleiten.« »Zu Befehl, Euer Majestät.« Langsam ging der Kaiser ein paar Schritte die Landstraße entlang. Wieder flog sein Blick über das zusammengefaßte Gesicht des Hauptmanns. »Mein lieber Opterberg, hören Sie einmal gut zu, ich will Ihnen eine Geschichte erzählen. Damit Sie verstehen, daß ich Sie vorhin nicht kränken wollte --« »Nein, Euer Majestät …!« »-- daß ich Sie vorhin nicht kränken wollte durch ein Mißtrauen in Ihre Person, sondern daß ich bei meinem ersten Hineinblicken in die öffentliche Welt ein allgemeines Mißtrauen sozusagen als Weggepäck mitbekam. Weshalb ich’s gerade Ihnen erzählen muß, weiß ich nicht. Aber ich tu’s. »Also ich war noch ein Junge und sollte erst im nächsten Jahre öffentlich auf dem Hofball erscheinen. Aber nichtöffentlich zuzuschauen, war mir erlaubt worden. Mein Vater hatte mir seinen ihm sehr innig befreundeten Generaladjutanten als Führer und Erklärer beigegeben. Ich fragte, und er antwortete: »›General Soundso.‹ -- ›Ah, der berühmte Sieger von Siebzig?‹ -- ›Na schon. Stoppt ooch die eigene Matratze.‹ Das heißt aus dem Berlinischen übersetzt: er handelt aus selbstsüchtigen Beweggründen. »›Staatsminister Soundso.‹ -- ›Ah, der politische Steuermann?‹ -- ›Stoppt ooch, stoppt ooch.‹ … ›Der Professor Soundso.‹ -- ›Ah, der gottbegnadete Maler?‹ -- ›Stoppt ooch, stoppt ooch.‹ -- Nach wem ich auch in jugendlicher Begeisterung fragte: er stopfte in seine eigene Matratze hinein.« Der Kaiser warf sein Zigarettenende fort. Seine Blicke tasteten an den nebelverhangenen Fernen. »Sehen Sie, mein lieber Opterberg, so wurde ich für meine erste Berührung mit der Öffentlichkeit und ihren Menschen vorbereitet. Und nun bitten Sie mir meine Herren heraus. Wir wollen fahren.« -- -- -- Die Arbeiten im Generalstab des Feldheeres hatten den Punkt erreicht, an dem der Treibriemen auf das Schwungrad aufgelegt werden konnte. Die Regimenter waren durch die Ersatzbataillone aus der Heimat aufgefüllt, Waffen, Munitionslager, Verpflegungswesen, Feldlazarette vervollständigt und auf den leisesten Anruf geregelt. Bei Tag und bei Nacht, unablässig und doch kühl und sicher hatte das Hirn der Generalstabsmänner unter der ungeheueren Spannung gearbeitet. Martin Opterberg war zum Führer des Pionierbataillons ernannt worden, in dem er vordem eine Kompanie angeführt hatte. Die Verantwortung wuchs, aber auch das Glücksgefühl des Mannes, zu einer größeren Aufgabe berufen zu sein. Er hatte sich von Vorgesetzten und Kameraden im Generalstab verabschiedet und bestieg den Kraftwagen, der ihn in die angewiesene Stellung bringen sollte, als ihm noch ein Brief aus der Heimat zugereicht wurde. Er las ihn während der langen Fahrt und las ihn zu verschiedenen Stunden mit derselben tiefen Heiterkeit des Gemütes. »Lieber Freund Martin,« schrieb Linde Baumgart, »Deine Drahtnachricht, daß Du als Bataillonsführer an die Front zurückkehrst, ist eingetroffen und hat uns nicht überrascht. Jeder Mann, jede Frau an ihren Platz. Da mußtest Du bei den ersten sein -- und bei den vordersten. Denn diesmal geht es nicht um einen neuen Sieg, diesmal geht es um Erfüllung oder Vernichtung. Das ist mir ganz klar und nur den Menschen im Lande nicht, die euch als ihren lebendigen Stacheldraht betrachten, eigenst dazu da, um ihre Geschäftemacherei sorglich zu beschirmen, und nicht etwa schreien, wenn _ihr_ einmal verliert, sondern nur, wenn _sie_ dabei verlieren. Diesem rührend gemeinen Indentaghineinleben steht euer Indentaghineinsterben gegenüber. Du aber sollst unberührt durch beides hindurchschreiten in den kommenden Tag. Dafür bete ich, so gut ich das versteh’. »Weißt Du, Freund Martin, ich betracht’s doch schon halt als ein Glück, daß Du aus der Hofluft herausbist. Ich hab’ zwar den Hofknix ein gut Dutzendmal versucht, aber das Niederducken liegt mir nicht so als das Hinauflangen, und so will ich Dir lieber zur Begrüßung um den Hals fallen, wenn Du heimkommst, ob’s schicklich ist oder nicht. »Mutter Christianes Regiment auf dem fernen Opterberghof ist wohltuend für Mensch und Tier. Die Leute sagen: sie hat eine glückliche Hand. Aber nein, das ist es nicht. Sie hat den klaren und heiteren Geist, der das Mögliche sieht und mit voller Liebeskraft erfaßt, statt über den eigenen Schatten springen zu wollen. Das gibt ihr dies wunderbare Gefühl der Zulänglichkeit für diese Welt und die Erlaubnis, das Leben trotz allem immer noch schöner zu finden als das Sterben. Sie hat mich Jahre lang in die Schule genommen, und dazumal ließ mich mein höchster Mädchenehrgeiz wünschen: ich möcht’ Martin Opterbergs Mutter sein. »Die Attermanns sind ein wenig heruntergearbeitet, aber es macht ihnen nichts aus. Der Christoph ist zwar nicht mehr felddienstfähig geworden nach dem schweren Schuß, aber auf der Werft steht er seinen Mann für zehn, und Du wirst Deine Freude haben, zu sehen, wie sein unermüdlich fleißiges und unermüdlich gütiges Wesen erstarkend auf Meister und Arbeiter wirkt. Ich hab’ nun wieder Kleider angelegt und bin die Werftkanzlei. Schwester Therese sehen wir nur am Abend. Sie bringt dem Vaterland das Opfer ihrer ganzen Person, indem sie ihm aus den blutigen Opfern des Krieges neue Söhne rettet. Die Laute hat sie mir überantwortet und ihre Lieblingslieder. Ich sing’ sie ihr, wenn wir zwei Schwestern zusammenhocken, und schaff’ ihr Freud’. Denn ohne die Menschenfreud’, sagt Schwester Therese, wär’ alles Leben und Streben kalt und blind, und die Menschenfreud’ macht selbst das kleinste Dasein lebenswert. So hab’ ich meinen Posten auf der Werft und daheim und werd’ nicht von ihm weichen, es komme, was da will. »Das alles sollst Du wissen, Freund Martin, damit Du nach Deiner Mutter Art klaren und heiteren Geistes auf Deinen Platz marschierst. Du bist bei uns, und wir sind bei Dir. Da kann uns nichts geschehen. So sei gegrüßt von Deiner Freundin Linde.« Als Martin Opterberg den Brief zum letzten Male gelesen hatte, fuhr er bei der Division vor. Der Standort seines Bataillons wurde ihm benannt. In selber Stunde noch machte er sich zu Fuß auf den Weg und traf am Abend auf seine alte Kompanie, bei der er sich als Bataillonsführer einrichtete. Hundert rissige und schwielige Hände streckten sich ihm entgegen. Er drückte sie der Reihe nach und fühlte, daß nur Liebe Liebe zeugt. Kerntruppe war’s. Gelernte Männer und kein unreifes Volk. Schiffer, Handwerker, Meister und Gesellen. Leute vom Rheinstrom, um den es ging. »Verdammt dicke Luft, Herr Hauptmann.« »Deshalb hat man uns hierhergeschickt und keine Frauensleut’.« »Das stimmt wie’s As auf der Baßgeig’.« -- -- Martin Opterberg stand auf seinem Posten. Nie vergaß er den Tag und die Stunde des über die Erdenmasse nach den Wolken langenden Angriffbeginns. Totenstille -- lähmend -- hirnzerpressend. Das Springen des Sekundenzeigers. Und auf den nächsten Sprung hin wie die losgelassene Hölle -- das Gebrüll von dreitausend deutschen Geschützen, kreischend, fauchend, johlend und rasend, Luft und Leben zerreißend und verschlingend. »Antreten! Antreten! Zum Sturmangriff!« Einen Alb stießen die Männer von der Brust. Ein Stöhnen ging durch die Reihen. Erlösung … Und wieder hatte die Zeit die Atemlosigkeit des Vormarsches. Atemloser noch. Überstürzender. Alles Denken verwischend. Die Stellung des Feindes! Nehmen -- nehmen um jeden Preis! Liegt schon hinter uns. Was jetzt? Die nächste! Und wiederum die nächste! Haben wir … haben wir. Da setzt sich der Feind! Minenwerfer vor! Ein paar Tonnen Eisen in die Grabennester! Hei, das spritzt! Jagt ihn -- jagt ihn! … Der Atem langt nicht mehr … Er langt!! Und er langte durch die Tage, durch die Wochen. Er langte für das wütende Drauflos, für das schäumende Ringen, für das blutige Siegen. Er langte noch für den kurzen, bleiernen Schlaf in den Schlammfeldern und Granatlöchern. Er langte für das stürmende Vorwärts -- für das langsame Rückwärts langte er nicht mehr. Zurück! Wechselndes Schlachtenglück! Eine neue eiserne Linie ziehen … Neue Kräfte sammeln … Neue Kräfte! Zum Teufel waren die alten. Eine neue eiserne Linie! Das ging nun schon vier Jahre fast so. Finster und keuchend schoben sich die Heeressäulen über das wüste Siegergebiet zurück. Kein Halm, kein Haus. Grinsende Trümmerleere. Flüche knarrten. Verwünschungen. Spottreden sprangen auf und liefen wie giftige Lauge. »Schämt euch Kerls -- Cohns Aktien fallen.« »Nehmt Rücksicht auf Schiebers -- das Pack sitzt in der Sommerfrische.« »Die Regierung ist laufen gegangen -- da sollen _wir_ nicht?« »Die Juden verkaufen uns mit Haut und Haar!« »Nicht die Juden: die Junker! Sie fürchten sich.« »Ob Jud’ oder Junker -- wartet, wenn wir heimkommen!« Und die Gegenwogen der Feinde stürmten heran. Amerikas frischgesandtes Millionenheer an der Spitze. Kehrt, und die Wogen aufgefangen! Und die abgehetzten, ausgemergelten Truppen ließen Hader und Spott, wurden noch einmal zu Helden, warfen ihre hageren Körper den vollsaftigen, kraftgenährten Burschen entgegen, flackernden Auges, Schaum vor dem Mund. »Laßt sie nicht durch! Sie wollen an den Rhein! Hört ihr’s -- an den Rhein! Hund -- du oder ich!« Schon war das Etappengebiet Kampfgebiet. »Wo bleibt die Verpflegung? Wo sind die Fettwämse? Ausgekratzt ist die Bande! Sie sagt, sie kann’s Schießen nicht hören! Aber mit dem Maulwerk klappern kann sie, wenn’s eine Schweinerei auszuhecken gibt. Die Vaterlandsverteidiger, die!« Irgendwoher schrie eine Stimme: »Recht haben sie! Macht’s ihnen nach und rettet eure Knochen! Zu Haus ist nötiger, dreinzuschlagen, als hier!« Und ein Brausen ging durch das Heer wie kämpfende Fluten. Und das Brausen wurde zum Wirbelwind, als die Kunde von Waffenstillstandsverhandlungen durch die Reihen flog. »Jeder Schuß Pulver ist umsonst! Es geht zu End’! Wer sich noch einer Kugel aussetzen wollt’, müßt’ verrückt im Kopfe sein!« Da griffen die Franzosen in Massen an. Da kühlten sie ihr Mütchen an den hirnlos Gewordenen, von denen sie vier Jahre lang in hundert Stürmen und Schlachten zusammengehauen worden waren. Da warfen ganze Bataillone, ganze Regimenter die Waffen zu Boden und gingen über, ließen sich wie Herden aus der Schlacht in die Gefangenschaft führen. Leben, leben, leben … Martin Opterberg stand mit seinem Bataillon in der kämpfenden Nachhut. Er war mit ihm zu einem wildfeuernden Artillerieregiment geraten. In seinem pulverschwarzen Gesicht glühten die Augen wie Flammen. Mit heiserer Stimme schrie er über den Lärm. »Schließt euch zusammen, Pioniere! Das wär’ der erste Pionier, der überlief’! Gebt’s ihnen, Leute! Auch der Franzmann hat nur ein Leben! Zur Hilfe den Braven von der Artillerie!« Und mit keuchender Brust, mit verbrannten Händen halfen die Pioniere den zusammengeschossenen Artilleristen laden und feuern, laden und feuern -- bis die Nacht kam und sie die Geschütze zurückziehen konnten. Der Herbst war in den Winter umgeschlagen. Im Novembersturm brach das kaiserliche Deutschland über der Wurzel ab. Das Volk hatte die Regierung in die Hand genommen, und der Kaiser war auf Drängen der ratgebenden Generale über die nahe Grenze nach Holland gefahren. ›Armer Verlassener‹, dachte Martin Opterberg, als die Kunde der sich überstürzenden Geschehnisse verzerrt und begeifert durch die Heerestrümmer lief, ›deine Generale kennen die Seele des Kriegs, aber nicht die Volksseele. Nun erst bist du ganz verlassen …‹ Unter der Peitsche der Waffenstillstandsbedingungen wälzte sich das Heer dem Rheine zu. Angstgejagt, nicht rechtzeitig mehr über den Strom zu gelangen, in die Freiheit, in die Heimat. Nur die Kampftruppen, die Nachhut, folgten langsam. Am 10. Dezember des Jahres 1918 setzte Martin Opterberg mit dem Rest seiner Pioniere als die Letzten über den Rhein. Es war unterhalb Düsseldorfs. Er sprang aus dem Kahn und stand, während die anderen Kähne landeten, mit starrem Weh in den Augen am Ufer des entheiligten Vaterlandsstromes. Die Seinen scharten sich um ihn. Es war ein Abschied. Ein Trupp jugendlicher Burschen aus der Fabrikgegend stob heran. Sie schrien und fuchtelten mit den Armen. »Die Kokarden von den Mützen! Die Waffen her! Wird’s bald?« Das war der Heimatgruß. Ein langer, angetrunkener Bursch sprang den Hauptmann an und griff in seine Achselstücke. »Herunter mit den Herrenzeichen! Willst du wohl klein werden, du Leuteschinder?« Martin Opterberg hatte sich von seiner Überraschung erholt. Er hob die Faust und schlug sie dem Angreifer zwischen die Augen, daß er taumelte und sich erbrach. »Reibt ihnen den Hintern mit Pulver ein, sie haben mit dem Gesicht noch keins gerochen!« wüteten die Heimkehrer, schlugen mit den Ruderstangen drein und jagten die Grußbringer in alle Himmelsrichtungen. »Nun schleicht euch heim, ihr treuen, tapferen Männer, schleicht euch in die Heimat hinein, die todkrank ist,« sagte Martin Opterberg und schüttelte immer wieder die rissigen, borkigen Hände. »Wir sehen uns wieder. Wir sind nicht nur mit dem Mund und im billigen Sonnenschein Kameraden gewesen. Wir gehören fürs Leben zusammen. Eure Wohnorte weiß ich, und ihr wißt den meinen. Grüßt Frau und Kinder von dem Mann, der keinen Dank an euch für groß genug hält.« Drei Hurras schrien die heiseren Kehlen für ihren Hauptmann in die rheinischen Dezembernebel … Im Fußmarsch erreichte Martin Opterberg in später Nacht seinen Wohnort. Schmutzbedeckt, in altem, zerrissenem Soldatenmantel, den Schirm der Mütze in das hagere Gesicht gezogen. Wie ein Nachtwandler ging er an dem eigenen Hause vorüber, das mit geschlossenen Läden im Dunkel lag, und gelangte zum Hause der Attermanns. In einem Zimmer brannte noch ein Licht. Er drückte auf den Knopf der Klingelleitung und sah, wie nach Sekundenstille jäh das Licht im Treppenhaus aufflammte. Dann wurde die Türe aufgerissen, und er schwankte ins Haus. »Da bin ich, Linde Baumgart.« Sie stand vor dem Müden, Schmutzbedeckten, in einem weißen Gewand, das sie in der Hast übergeworfen hatte, und alles an ihr atmete die frische Reinheit, die Gesundheit und Schönheit des jugendlichen Weibes. Jetzt aber schaute sie ihn entgeistert an. Und er starrte sie an wie eine Erscheinung aus fernen Erinnerungswelten. Ein Funke sprang in seinem Auge auf, wie im Auge Hungernder und Dürstender, die eine Schale voller Früchte sehen. »Da bin ich, Linde Baumgart,« wiederholte er, trat auf sie zu, griff mit den Händen in ihre Schultern, riß ihren Leib an sich und bedeckte ihr Gesicht mit seinen wilden Küssen. Die Glieder schmerzten sie unter seinem harten Griff. »Gib mir die Arme frei,« bat sie atemlos. »Wozu die Arme?« »Damit ich sie dir um den Hals legen kann, wie ich es dir versprochen hab’. So -- so -- so … Nun sei ganz ruhig, Martin Opterberg.« Ein Aufschluchzen kam von der Treppenstiege. Dort stand Therese Attermann, und Christoph Attermann führte sie mit feuchten Augen dem Heimgekehrten zu. »Zwei Schwestern heißen dich zur Nacht willkommen, Martin, und ein Bruder. Glücks genug im neuen Deutschland.« 13 Zwei Tage und zwei Nächte hatte Martin Opterberg in tiefer Erschöpfung gelegen. Ein paarmal war er aufgefahren, mitten aus seinem bleiernen Schlaf heraus, hatte wirren Auges um sich getastet, das weiche Bett gefühlt und an seinem Körper das linnene Hemd, und sich vergebens zu besinnen versucht. Wo lag er mit seinen todmüden Leuten? In Nordfrankreich? Dort kam man nicht in die Betten. In Belgien irgendwo? Sie hatten die aufgeregten Städte umgehen müssen und auf den Feldern rings um die Lagerfeuer gelegen. Also wohl gar auf deutschem Boden schon, in der Eifel? Aber in der Eifel trugen er und seine Pioniere längst kein Hemd mehr auf dem Leib. Das trugen sie längst schon in seinen letzten Fetzen um die wunden Füße gewickelt. Er lallte die Namen seiner Vertrautesten und horchte stumpf auf Antwort. Er starrte mit schlafschweren Augen nach den verhängten Fenstern. In seinem müden Hirn tauchte ein Bild auf: eine Mädchengestalt -- so weiß, so leuchtend an Gliedern und Gewand. Ja, doch, das hatte den tiefsten Eindruck auf ihn gemacht, daß es noch solch eine blitzblanke Sauberkeit an Menschen und Dingen gab. Und einmal -- einmal hatte er ein Mädchen in weiß gekannt, das schmiegte die Wange verträumt an den Lautenhals und sang: ›Du bist die Ruh -- der Friede mild …!‹ -- Therese! -- Nein, nein, Therese war weinend hinzugetreten, und Christoph hatte sie an der Hand geführt. So war’s -- so war’s … Er lag im Attermannschen Hause. Er hatte Wein getrunken und sich gesättigt, hatte ein heißes Bad genommen und sich in ein schneeweiß Hemd gehüllt, in ein schneeweiß Bett gelegt. Schlafen … schlafen … schlafen -- -- Wieder wachte er auf, und eine sanfte Frauenhand stützte seinen Kopf, eine sanfte Frauenhand gab ihm aus einer Tasse starke Fleischbrühe zu trinken. Dann hatte er sich wieder in die Kissen gekuschelt wie als Bub auf dem Opterberghof, wenn es noch nicht ganz die Aufstehenszeit war zum Abmarsch in die Schule. Und beim nächsten kurzen Erwachen hatte es sich wiederholt: die Frauenhand, der stärkende Trunk, das wohlige Hinüberschlummern. Jetzt aber stand er auf den Beinen, schüttelte die letzte lässige Müdigkeit von sich und zog die Fenstervorhänge beiseite. Draußen flockte ein weicher Schnee in der Luft. ›Adventsschnee‹, dachte er, und es rieselte ihm wie heimatliche Erinnerungen durch die Seele. Er öffnete einen Spalt weit die Fenster, daß die reine Winterluft einströmen konnte. »Guten Morgen, Martin. Schon ausgeschlafen?« »Schon?« wiederholte er und reichte dem eintretenden Freunde die Hand. »Es ist neun Uhr.« Christoph Attermann beklopfte die Hand, als wäre es eine kleine Knabenhand, und schmunzelte behaglich. »Aber es liegen zwei Tage und zwei Nächte dazwischen, alter Kamerad, denn die erste zählt nicht, weil wir dich erst gegen den Morgen hin zu Bett geschafft hatten.« »Alle guten Geister! Ist das die Wahrheit?« Christoph Attermann lachte über das ganze Gesicht. »Darum hatt’ ich gedacht, du wolltest den Schlaf gleich bis zum Weihnachtsfest ausdehnen, und wunderte mich baß, als ich dich hier oben herumhantieren hört’. Weißt du, Martin, das Theresel war schon zur künstlichen Ernährung übergegangen. Ihretwegen hätt’st du die vierzehn Tag’ bis zum Fest ruhig durchschlafen können.« »Das war also die Therese …? Ich komm’ doch mein Lebtag nicht aus ihrer Kur heraus. Aber jetzt möcht’ ich einen ganz anderen Kollegen vom Theresel sehen, Christoph, den Bartscherer. Ich schau’ aus wie unsere Vorfahren, als sie noch auf den Bäumen saßen und mit Kokosnüssen warfen.« »Ich hab’ die ›Konkurrenz‹ schon benachrichtigen lassen. Dacht’ mir gleich, als ich hier hinaufstieg: jetzt wird der gesittete Mensch in ihm zum Durchbruch kommen, weil er Damen im Hause weiß. War bei mir nicht die Spur anders, Martinle.« »Damen --?« fragte Martin Opterberg. »Ist die Linde gar bei euch?« »Nun leg dich gleich wieder nieder und schlaf noch einmal aus. Busselst das Mädel ab, daß alle Farb’ herunter ist, und fragst so erstaunt, als ob’s der Buchhalter hätt’ gewesen sein können. O nein, mein Lieber, wenn die Linde auch den Buchhalter auf der Werft macht seit Jahr und Tag -- in der Nacht hast du sie für ein rechtschaffenes, sauberes Frauenzimmer genommen und sie zusammengedrückt, daß die Theres sie gleich in ärztliche Behandlung hat nehmen müssen.« »Das tat die Freud’, Christoph.« »Daß es nicht der Zorn tat, hab’ ich mir schon selber denken können. Horch, da kommt der Bader. Ich hör’ sein hungriges Scherengeklapper. Deinen Winteranzug hat die Linde aus deinem Haus geholt und dein bedürftig Feldgrau einstweilen in die Mottenkiste gesperrt. Tritt nur hier ins Nebenzimmer, da findest du alles zur Erneuerung, auch Theresens unlauteren Wettbewerber mit dem Messer.« »Wie fröhlich er ist,« dachte Martin Opterberg. »Wie er mir alles heimatlich machen will, als wär’ das furchtbare Dahinten nur ein wüster Nachtspuk gewesen.« Eine Stunde darauf erschien er in seinem bürgerlichen Anzug, bartlos und mit wohlgeordnetem Haar im Familienzimmer. Die Frauen standen auf und eilten ihm entgegen. Christoph Attermann schlug vor Verwunderung die Hände zusammen. »Kaum ein Lot Fleisch hast du auf dem Körper. Das muß wieder her, und der Schnurrbart muß auch wieder her, daß du uns nicht fremd bist.« Die Frauen hatten den Wiedergekehrten begrüßt und noch einmal willkommen geheißen. Aber die heftig aufwogende Freude war einer nur mühsam verschleierten Scheu gewichen. So anders sah der Freund im hellen Tageslicht aus. Sie saßen bei ihm am Frühstückstisch und lugten heimlich nach seinen Augen. Die lagen tief und fern, als schauten sie immer noch in eine andere Welt. Die Haut spannte sich herb über den Backenknochen. Nur der schöne starke Mund atmete dem Leben entgegen. »Gelt, Therese, du kriegst einen Schreck? Und auch die Linde hatte sich ihren Freund wohl ein wenig anders vorgestellt? Laßt mir Zeit. Es wird schon wieder besser.« »Du bist uns gerade recht so, Martin …« Er schüttelte den Kopf. »Erst muß der Bilderwirrwarr aus den Augen fort und der Lärm aus den Ohren heraus. Habt ihr eine Zeitung? Ich weiß so gut wie nichts seit sechs Wochen und mehr und muß mich doch in die neue Zeit hineinfinden. Nachher will ich zur Werft.« »Zur Werft wird erst morgen gegangen,« bestimmte Christoph Attermann. »Der Arzt, den du schon in der Fuchsenzeit mit deinem Vertrauen beehrt hast, hat’s so und nicht anders angeordnet. Die Zeitungen der letzten sechs Wochen aber find’st du geordnet in meinem Arbeitszimmer, und eine Zigarre obenbei. Nun komm und mach’s dir bequem.« »Erst möcht’ ich der Mutter eine Drahtnachricht schicken. Ich hätt’s schon in der ersten Nacht tun sollen.« »Das hat die Linde schon ganz aus sich selbst besorgt. Du hattest noch nicht das zweite Auge zu.« Martin Opterberg blickte auf. Zum erstenmal sah er dem Mädchen voll in die Augen. Die Jugendblüte hatte sich erschlossen, über den Kelchrand lugten weiche, warme Frauenaugen, die das Menschenlachen ersehnten. Jetzt hielten sie seinem Blick stand. Er reichte ihr die Hand, die sie fest in die ihre nahm. »Du warst die erste, die mich begrüßte, Linde. Und es ist schön, daß du diesen Gruß gleich an die Mutter weitergegeben hast.« ›Diesen Gruß …?‹ dachte Linde Baumgart, und ein Lächeln ging um ihren Mund. Dann saß Martin Opterberg in Christoph Attermanns Arbeitszimmer, und der Pflegebruder brachte ihm die aufgesammelten Zeitungen und streckte sich in einen zweiten Sessel, um zu jeder Auskunft gegenwärtig zu sein. Aber Martin Opterberg las stumm, und die Zigarre erkaltete zwischen seinen Fingern. Stunde auf Stunde las er, bis die Glocke zum Mittagessen rief. Da legte er die Blätter still zur Seite. »Was sagst du zu dem allen, Martin?« »Es ist geschehen. Das Rückwärtsprophezeien war nie unsere Sache, Christoph.« »Das ist wahr. Und es ist törichtes Geschrei und Geschwätz genug im Land. Nur daß eine Handvoll Männer -- oder waren es gar nur halbwüchsige Burschen -- mit einem Gürtel voll Handgranaten sechzig Millionen Menschen auf den Kopf stellen konnten --« »Warum konnten sie, Christoph? Weil die Feiglinge sich nicht wehrten. Also waren sie reif.« »Du gibst den Umstürzlern Recht?« »Nein, Christoph, niemals. Aber ich geb’ dem schlotternden Bürgertum Unrecht. Weshalb? _Weil_ es schlottert! Was nur klugschwätzen und, wenn es die Tat gilt, hilfeschreien kann, Christoph, das, weißt du noch aus deiner Feldkompanie, ist hinderlich und wert, von den Tatmenschen an die Wand gedrückt zu werden. Doch darüber laß uns reden, wenn ich den richtigen Abstand zu den Dingen hab’ nehmen können.« »Also rein gar nichts zu fragen?« Martin Opterberg lächelte. »Du willst ja nur hören, was ich zu dem Bericht aus den ersten Novembertagen sage. Zu dem Bericht über den Vortrag unseres Freundes Grüters in der Berliner Versammlung zugunsten einer verschämten Republik. Ach, Christoph, der Grüters hatte vor Ausbruch der Revolution schon die rechte Witterung erhalten und suchte sich den künftigen Machthabern zu empfehlen. Das war schon so seit der Studentenzeit und wundert mich keinen Augenblick. Wenn der Staatswagen wieder nach rechts schwenkt, wird er gewiß nicht verfehlen, rechtzeitig den Anschluß zu gewinnen.« »Ja, ja,« sagte Christoph Attermann mit einem zornigen Lachen, »er denkt halt: es ist immer noch bekömmlicher, für anderer Leut’ Überzeugung zu leben, als für die eigene zu sterben.« »Mir scheint, so haben viele im Vaterland gedacht, Christoph. Darum laß uns den Einzelnen nicht herausgreifen. Fieber will ausrasen.« »In den Köpfen wie in den Hosen,« sagte Christoph Attermann, und dann gingen sie zu den Frauen und zu den Kindern. »Mein Gott,« staunte Martin Opterberg, »der kleine Christian ist ein großer Schulbub geworden und mein Patenkind Linde ein richtig Fräulein, seit ich sie nicht sah. Ja, wie alt muß dann ich erst geworden sein …« Und er hockte sich nieder und fing die anstürmenden Kinder in seinen Armen auf. »Du, Oheim Martin,« gestand ihm der Knabe wichtig, »die Mutter hat gesagt, sie hätt’ einen Herzschreck bekommen, als sie dich gesehen hätt’.« »Und die Tante Linde hat gesagt,« drängte sich die Kleine ein, »sie gar nicht.« »Was mag nun das Angenehmere für mich sein, ihr Kinder?« Lachend und widersprechend schoben die Frauen die Kinder auf ihre Plätze. Und als der Vater den Oheim über die letzten Schlachten und den Rückzug der Millionen befragte, saßen die Kinder wie gebannt und horchten auf die knappen Worte, die sich schwer von den Lippen des Erzählers rangen. »Ich hatte,« sagte Christoph Attermann mit geweiteten Augen, »die beste Flasche Wein in meinem Keller für den Siegestrunk bestimmt. Eine sonnengesegnete elfer Steinberger Auslese. Der Sieg ist uns durch die Händ’ geglitten, aber das Siegerherz haben wir heimgebracht, das in diesem furchtbaren Frieden mehr bedeuten wird als in den furchtbarsten Schlachten.« Er hatte sich erhoben und die Gläser vollgeschenkt. Und stehend sprach er weiter. »Drum soll der Wein jetzt getrunken werden dir, Martin, zum Willkomm. In diesem kleinen Raume, unter uns wenigen hier, nimm zur Wiederkehr den wahren Heimatgruß. Daß du da bist, Martin! Und mein und der Frauen Herzen hier rufen dir zur innersten Bekräftigung des namenlosen deutschen Sängers Liedwort entgegen: Ich bin dîn und du bist mîn, Deß sollt du gewiß sîn!« Die Frauen hatten sich erhoben. Mit stillen Gesichtern, in denen die Augen aufleuchteten. Sie hielten dem Heimgekehrten das Glas entgegen, und Martin Opterberg stieß mit ihnen und dem Bruder an, daß ein silbern Klingen in die Runde lief. »Rheinwein …« sagte er, als spräch’ er ein heilig Wort. »Gott schütz’ den Rhein und seine Menschen.« »In Ewigkeit, Amen,« fügte Christoph Attermann hinzu. Und sie tranken den Wein in Erinnerungsgedanken und Zukunftgedanken und blieben beisammen bis zum späten Abend und hielten den Tag wie einen Feiertag. -- Am Morgen lag eine Drahtung an Martin Opterberg auf dem Frühstückstisch. »Von der Mutter,« sagte Christoph Attermann. »Es geht mit der Schneckenpost, denn keiner will schaffen.« Martin Opterberg löste die Siegelmarke, las und nickte. »Von der Mutter …« Und er las langsam zum zweiten Mal, und über seine Züge breitete sich eine Helle wie bei einem Wiedersehen. »Grüß Gott, Bub. Wir bleiben bei der Stange!« drahtete Frau Christiane dem Heimgekehrten. Er gab das Papier an Christoph Attermann, und der gab es an die Frauen. Und es war, als ob Frau Christiane mitten unter sie getreten wäre in ihrer nicht zu beugenden Stolzheit und Frische. »Über Weihnachten will ich bei ihr sein,« sagte Martin Opterberg, und hinter ihm sprach Linde Baumgart ein lautes »Gott sei Dank.« »Du willst mich los sein, Linde?« fragte er. »Wiederhaben wollen wir dich. Angefüllt mit ganz frischem Tatendrang. Dafür laß ich die Mutter sorgen.« »Die Mutter …« wiederholte Martin Opterberg und sah ihr lächelnd in das erhitzte Gesicht. »Es wird schon so kommen, Linde,« fuhr er helfend fort. »Die Mutterquelle gibt Wasser, und wenn der ganze Rhein zu versiegen scheint.« Mit Christoph Attermann machte er sich auf den Weg zur Werft. Eine Spannung stand in seinen Zügen, wie er sein Werk wiederfinden würde. Aber vergebens horchte er auf das Kreischen der Säge und den hallenden Hammerschlag. »Ist heute Sonntag, Christoph? Mir ist der Kalender durcheinandergeraten.« »Es ist jetzt mehr Sonntag als Werktag im Land. Der Arbeiter- und Soldatenrat des Orts hat eine Versammlung in die Werfthalle einberufen. Es sind lustige Kameraden.« »Gibt es das in dieser schweren Deutschlandszeit unter Männern?« »Unter Männern gewiß nicht. Aber unter den Buben, die schon im Advent ein Fastnachtstück aufführen, weil sie nicht wissen, ob’s am Rosenmontag für sie noch geht. Ernsthaft gesprochen, Martin. Ich erläuter’s dir. Als die Revolution ausgeläutet wurd’, waren die meisten der Männer noch im Feld, die Alten zu verwirrt und unbeholfen und die Jungen trunken vom Freiheitsrausch. Da die kopflos gewordenen Behörden mit einem Schlag außer Geltung gesetzt waren, rannten die frisch eingezogenen Rekruten aus ihren Standplätzen einfach nach Haus, spielten, obwohl sie noch keine Flinte abgefeuert hatten, den wilden Revolutionskrieger, ließen sich mancherorts von irgendeiner Oberleitung, die in dem Wirrwarr noch keine Nachprüfung vornehmen konnt’, die Bestallung als Soldatenrat verleihen und übernahmen die Ortsgewalt über Ruhe und Ordnung. Bei uns sind’s ein halbes Dutzend Jünglinge im Alter von knapp zwanzig Jahren und der Nachtwächter. Das erste war, daß sie die Arbeit stilllegten, weil ein freier Mann doch nicht seine Freiheit ausüben kann, wenn er arbeitet. Das zweite war -- oder war’s doch gar das erste -- daß sie sich aus der Gemeindekasse einen auskömmlichen Gehalt bewilligten, und das dritte, daß sie seit der Zeit nicht mehr ganz nüchtern geworden sind aus Furcht vor der eigenen Kurasch. Eingeführt als Verkehrston haben sie das gemütvolle ›Du‹ und die unter die Nase gehaltene Handgranate, was beides aber zur Hebung der Ortsgewalt nur von ihrer Seite ausgeübt werden darf. Das wäre das äußere Bild.« »Und das innere?« fragte Martin Opterberg und spürte sein Blut in den Schläfen hämmern. »Die Männer sind heimgekehrt und haben sich inzwischen zurechtgefunden. Die Alten und besonders die Frauen, die heut’ politisch gleichberechtigt sind, haben sich von ihrer Verblüffung erholt. Wer sich besaufen und Fastnacht spielen will, soll’s auf eigene Rechnung tun, fordern sie, und das Gemeindegeld in Ruh’ lassen für die Armen und Kranken. Eine ordentliche Gemeindeverwaltung soll sein von Arbeitern, Bürgern und Soldaten, die etwas gelernt und geleistet haben, fordern sie, und eine Gemeindeabstimmung auf den heutigen Tag. Dahin gehen wir nun, Martin.« »Dann ist’s gut,« sagte Martin Opterberg, und er hatte sein Gleichgewicht wiedergefunden. Am Halleneingang standen ein paar junge Burschen mit gedunsenen Gesichtern, die rote Schärpe herausfordernd über den Rock geknotet. Sie riefen den Einströmenden bald drohende Befehle, bald Schmähworte zu, um sie einzuschüchtern. Martin Opterberg wollte an ihnen vorbei. »Halt, Mensch. Zeig doch mal deine Ausweispapiere.« »Zeig mir erst mal deine, Mensch.« »Ich soll dir erst wohl mal Anstand beibringen, wie? Willst du mal an meiner Handgranate riechen?« Da drängte sich ein alter Meister vor, der den Heimgekehrten erkannt hatte. »Halt die Schnauze, du Grünspecht! Kennst du den Doktor Opterberg nicht?« »Ich spuck’ auf deinen Doktor Opterberg, du altes Reff. Paß mal auf!« »Nicht doch,« sagte freundlich Christoph Attermann und ließ den geifernden Burschen über sein vorgehaltenes Bein stolpern, daß er der Länge nach in den Schmutz schlug. »Ihr müßt ihn nach Hause bringen,« wandte er sich mit wohlwollendem Blick an die zudrängenden Burschen, »ihr seht doch, daß er sich nicht auf den Beinen halten kann.« Ein paar stämmige Arbeiter eilten herbei, zornrot im Gesicht. »Was? Die Bengels reden von Handgranaten? Zu einem, der sich für sie die Knochen hat kaputtschießen lassen? Haut den verdammten Großmäulern die Jacke voll!« »Guten Tag, Kameraden,« grüßte Martin Opterberg. »Kommt in die Versammlung. Wir haben Wichtigeres zu tun.« »Der Doktor Opterberg ist hier!« schrien ein paar Stimmen in die Halle hinein. »Er soll die Leitung übernehmen!« Und ein paar Hundert fielen ein, erlöst, fröhlich aufatmend: »Der Doktor Opterberg! Her damit! Macht Platz! Der Doktor Opterberg soll reden!« Martin Opterberg stand auf einem erhöhten Tritt und wartete, bis Stille wurde. »Mitbürger,« sagte er mit einer Stimme, die ruhig klang und Beruhigung brachte, »Männer und Frauen unserer Landgemeinde, ich meine, hier wäre nicht viel zu reden. Geredet worden ist bis zum Überdruß, und weil euch Männer und Frauen der Arbeit das ewige Geschwätz und die unverdauten Brocken anwidern, weil ihr eure Ruh’ haben wollt und Brot und eine bessere Zeit, darum seid ihr ja und wir alle zu dieser Neuwahl eines Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrates zusammengekommen. Der Name zwar ist, trotz seiner ausführlichen Länge, mißverständlich. Denn wir sind _alle_ Bürger vor dem Gesetz! Aber es mag dabei sein Bewenden haben. Bei Kleinigkeiten wollen wir uns nicht aufhalten. Und zu den Kleinigkeiten rechne ich auch die jungen Spaßvögel, die, solang der Vorrat reichte, mit der Schnapsflasche hierorts regieren wollten. Weg damit!« »Weg damit! Weg damit!« scholl es brausend durch den Saal. »Dieser Gegenstand wäre also erledigt,« fuhr Martin Opterberg fort. »Wir haben den Krieg verloren, und wir wollen den Frieden gewinnen. Unsere kleine Landgemeinde hier ist mehr oder weniger auf die Werft zugeschnitten, und wie wir in den guten Deutschlandtagen zusammengehalten haben, so werden wir es erst recht in den bösen Tagen tun, oder wir wären Maulhelden, die ausreißen, wenn’s nach Schweiß riecht. Kein Wort weiter. Schreiten wir zur Wahl! Ich beantrage die sofortige Einsetzung des ordnungsmäßigen Wahlausschusses.« Er trat ab, und hundert rauhe Kehlen riefen ihm Beifall. Ein Mann in älteren Jahren drängte sich mit Aufwendung aller Muskelkraft auf den erhöhten Rednerplatz. »Ich will ein Bekenntnis ablegen!« »Der Nachtwächter ist es! Die Volleule!« »Ich bin keine Volleule, meine Herren. Meine Damen, ich bin so spitznüchtern, wie Sie es nur sind.« »›Meine Damen‹, hat er gesagt. Nur so weiter, Hännes. Leg du dein Bekenntnis ab.« »Meine Damen und Herren, ich bekenne vor Ihnen allen, daß ich gesündigt habe. Ich habe mich von den Jungs, von denen Sie soeben gerufen haben ›Weg damit!‹, in den gewesenen Soldatenrat pressen lassen, weil keiner von ihnen des Nachts mit der Flinte herumlaufen und Wache schieben wollt’. Dazu war der Nachtwächter gut genug, und ich hab’ die Eseleien mitgemacht. Aber ich will bekennen!« »Du hast ja schon bekannt, Hännes! Daß du ein Esel warst, Hännes!« »Ich lege hiermit das feierliche Bekenntnis ab, daß ich von heute ab scharf gegen alle Ordnungswidrigkeiten vorgehen werde, und bitte um meine Wiederwahl.« Ein Jubel ohnegleichen erschütterte die Halle und durchbrach alle Grenzen der Gegensätzlichkeiten. »Heil Hännes, dem Bekenner! Heil Hännes, dem Bekenner!« Der Ernst der Stimmung war umgeschlagen. Auf einstimmigen Beschluß wurde der Bekenner dem Wahlvorstand angegliedert, und als Männer und Frauen ihre Wahlzettel beschrieben und in die Urne gesteckt hatten, als die Stimmen durchgezählt und die Ergebnisse veröffentlicht waren, gehörte neben Martin Opterberg und Christoph Attermann, neben einigen der älteren Arbeiter und Kriegsteilnehmer auch der nachtwachende Bekenner dem neuen Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrate an. Die Gewählten traten auf Anregung Martin Opterbergs sofort zu einer Besprechung zusammen. Der Bekenner schlug diensteifrig den Doktor Opterberg zum Vorsitzenden vor, und die Männer stimmten ohne weiteres zu. »Gut,« sagte Martin Opterberg, »Fragen der Parteizugehörigkeit sind ausgeschaltet, nur die Lebensfragen der Gemeinde stehen auf dem Plan. Hand darauf! Ich danke Ihnen und hatt’s von Männern nicht anders erwartet. Also ohne Nebensächlichkeiten: wo drückt der Schuh am meisten? Ich bin eben erst nach Haus gekommen.« Ein alter Arbeiter nahm das Wort. »Das ist ganz einfach, Herr Doktor Opterberg. Die Leute frieren, und die Leute haben nicht genug zu essen.« »Und wenn der Magen knurrt, knurrt auch der Mund. Und wen’s an den Füßen friert, dem steigt die Hitze zu Kopf,« gestand Martin Opterberg zu. »Christoph, der Frachtdampfer liegt ja wohl fahrfertig? Mit vollen Bunkern? Na, dann können wir, da uns die Schiffahrt einstweilen vom Feind untersagt ist, löschen und Ballast dafür einnehmen. Die Kohlen werden auf den Kopf der Familien abgewogen und zum billigen Selbstkostenpreis verteilt. Wegen größerer Lebensmittelzuteilungen fahre ich morgen zum Landrat oder, wenn der Mann nicht helfen kann, zu einer anderen Stelle. Ich hab’ schon einen Plan, möcht’ aber nichts voreilig versprechen.« »Sie packen den Ochsen bei den Hörnern, Herr Doktor Opterberg. Das mit der billigen Kohlenverteilung wird den neuen Rat gleich in ein gut Licht stellen, und wegen der Lebensmittel verlassen wir uns ohne viel Fragen ganz auf Sie. Gesegnete Mahlzeit denn.« »Das habt ihr allein _mir_ zu verdanken,« tönte die Stimme des Bekenners aus dem Knäuel der Hinausdrängenden. »Ich hab’ ihn zum Vorsitzenden vorgeschlagen. Keiner von euch wär’ dadrauf gekommen.« Als Martin Opterberg im Attermannschen Haus die Treppe hinauf und über den oberen Flur zu seinem Zimmer schritt, kam ihm vor seiner Tür Linde Baumgart entgegen. »Ich wollt’ dir nur sagen, Martin, daß ich heut in der Früh’ töricht dahergeredet hab’. Du brauchst kein Quellwasser holen zu gehn. Ich hab’s in dir rauschen gehört, als du zu den Leuten sprachst.« »Mädel, Sprechen ist noch nicht Handeln. Aber das soll jetzt einsetzen. Willst du meine Gehilfin werden? Gegen das Frieren lass’ ich die Bunker unseres Frachtdampfers leeren, und gegen das Hungern weiß ich auch ein Mittel, denn der Landrat hat selber nichts zu verschenken. Als ich mit meinen Pionieren über den Rhein setzte, glitt gerad der letzte Zug des Korpsverpflegungsamtes über die Brücke. Das muß jetzt irgendwo in der Nähe stecken, denn die Bahnstrecken waren schon verstopft. Morgen such’ ich es auf und leg’ mich auf’s Bitten. Aber reinen Mund, Lindelein.« »Soll ich mit dir?« fragte sie mit glühendem Kopf. »Für Mädchen ist das keine Fahrt. Unter das verwilderte Kriegsvolk.« »Ich schlupf’ wieder in die Hosen wie auf der Werft. Keiner erkennt mich, und ich soll dir doch helfen.« Er strich über ihre heiße Wange. »Mädchen,« sagte er, »und wenn dich auch keiner erkennt, ich will nicht einmal, daß Blicke an dir herumtasten.« Da griff sie nach seiner streichelnden Hand und hielt sie fest und legte ein paar Sekunden lang ihre Wange darauf. Dann ging sie schnell zur Treppe und ins Haus hinab … Martin Opterbergs Suchen glückte. Er fand das Korpsverpflegungsamt in einem kleinen, abgelegenen Neste. Die Wagen waren auf ein Nebengeleise geschoben, bis die Strecke wieder frei werden würde, ein Viehstapel war auf eine Weide getrieben, ein paar Wagen zur Verpflegung der Begleitmannschaften entladen. Er kam zur rechten Zeit, denn gerade war der Befehl eingelaufen, am nächsten Morgen die Weiterfahrt anzutreten. Unwillig nur gingen die Leute an das mühsame Geschäft des Neuverladens. Martin Opterberg suchte den Intendanten auf und wies sich in seiner militärischen und bürgerlichen Stellung aus. Er berichtete von der Not seiner Gemeinde, die durch die Verpflegung der rückwärts flutenden Truppen in ihrem Lebensmittelbestand schwer gelitten hätte, und machte sich anheischig, die ausgeladenen Güter und die sechs Stück Weidevieh im Bausch zu übernehmen und gegen Bankscheck zu verrechnen. Der Intendant zögerte und machte Ausflüchte. Die Leute schlenderten herbei, horchten auf und waren sofort für die verminderte Arbeit. Der Intendant warf einen Blick auf die herumliegenden Güter, seufzte in Gedanken an die Scherereien eines überhasteten Verladens tief auf und gab den Aufsehern Befehl, ein Verzeichnis herzustellen. Die letzten, halbgeleerten Wagen wurden abgekoppelt. Martin Opterberg erhielt ein paar hundert Sack Mehl, Graupen und Hülsenfrüchte, ein paar hundert Kisten Nudeln, Zucker, Backobst und Büchsenfleisch, einen Rest Kaffee und Tee, dazu die sechs lebenden Rinder. Die Preise waren von einer Niedrigkeit, daß ihm das Herz lachte. Er bat durch den Fernsprecher Christoph Attermann, in der Nacht noch mit den Männern des neugewählten Rats herüberzukommen, und zwar auf einer Maschine des Güterbahnhofs, die sofort anzuheizen sei. Der Bahnhofsvorsteher, der selber Gemeindemitglied sei, würde für die wenigen Kilometer schon ein Einsehen haben. Es gelang. Bis zur Ankunft der Maschine saß Martin Opterberg mit dem Intendanten zusammen, und sie fanden sich als alte Bekannte aus dem Felde. »Gott erhalte uns die Kameradschaft,« sagte Martin Opterberg zum Abschied und drückte dem Intendanten warm die Hand. »Dann werden wir Deutschland schon wieder auf die Beine kriegen.« In der Morgenfrühe waren sie daheim. Die Wagen wurden auf dem Anschlußgleis vor der Werfthalle entladen, die Waren eingeräumt und nach der Gemeindeliste auf die Haushaltungen verrechnet. Die Preise betrugen kaum ein Drittel der gegenwärtigen Tagespreise. »Das alles sieht aus wie ein Zauberkunststück,« belehrte der Bekenner die schwitzenden Kameraden, »und kommt doch nur auf den richtigen Mann an der richtigen Stelle an. Und den habt ihr _mir_ zu verdanken. Darüber gibt’s nun mal keinen Streit.« »Ja, ja, ja. Hännes, der neue Rat taugt schon mehr als der alte.« Und Linde Baumgart wurde Martin Opterbergs Gefährtin. Die flinksten und saubersten Mädchen des Ortes brachte sie zusammen und schulte sie ein. Und sie stand von morgens bis abends in der Werfthalle, wog ab, teilte aus, überwachte das Vorwärtsschieben der Menge, brachte mit ihrem lustigen Wort die Unlustigen zum fröhlichen Lachen, mit ihrer Unermüdlichkeit die Müden zum munteren Schaffen. »Denkt an die Weihnachtsfreud’! Denkt an die Weihnachtsfreud’!« rief sie immer wieder in die harrenden, drängenden Haufen, und die Menschen bliesen in die rotgefrorenen Hände und trampelten sich vergnügt die Füße warm. Nach Hausnummern ging’s, und in fünf Tagen war’s geschafft. Aber die kalten Nächte hatten mitherangemußt. Nun konnte Martin Opterberg zur Mutter reisen. »Ohne dich hätt’ ich’s nicht zuweg gebracht,« sagte er dankbar, als er sich in der letzten Nacht von Linde Baumgart verabschiedete. »Siehst du wohl?« lachte sie, drückte seine Hand und schlüpfte in ihr Zimmer. -- -- Auf großen Umwegen nur hatte Martin Opterberg die Reise bewerkstelligen können, denn das Rheintal war von den Truppen der feindlichen Besatzungsheere gesperrt. Drei Tage und drei Nächte brauchte er zu der Fahrt, die vordem eine Schnellzugstagesfahrt ausgemacht hatte. Aber zum Weihnachtsabend noch traf er auf dem Opterberghof ein. Und nun saß er bei der Mutter. Die starke Erregung, die bei Mutter und Sohn das Wiedersehen ausgelöst hatte, war einem stillen Frieden gewichen. Den ganzen Abend über hielt Martin Opterberg die Hand der Mutter in der seinen, und mit der freien Hand strich Frau Christiane von Zeit zu Zeit heimlich und zärtlich über des Sohnes Ärmel. Dann schloß er für Sekunden die Augen, als müsse er die ungewohnte Liebkosung wie ein Träumender auskosten. Die Zeit hatte Frau Christiane Opterberg nichts anzuhaben vermocht. Wohl war der Schein ihres strohgelben Haares ein wenig matter geworden, aber immer noch krönte es in schwerer Fülle das Haupt, aus dem die Augen in der kristallklaren Farbe des jungen Rheins blickten, und die Frauenreife des Körpers hatte trotz der Jahre die Spannkraft und Biegsamkeit ihres Mädchenkörpers behalten. Nur die Raschheit hatte sich verloren. Aber die Gelassenheit, die sie allen Dingen und Vorkommnissen gegenüber zur Schau trug, war nur ein Schein, und es glitt zuweilen wie verhaltene Laune um ihren Mund, die besser als sprudelnde Worte kundtat, was Frau Christiane im Innersten bewegte. »Es ist halt nichts so trauerspielmäßig, als daß es nicht wieder zum Singspiel umschlagen könnt’,« meinte sie in ihrer lebensklaren Art, als der Sohn ihr am Weihnachtsabend hatte erzählen müssen. »Es kommt lediglich darauf an, wie man selber das Spiel zu betreiben gedenkt, ob mit Asche auf dem Haupt, oder mit einer frischgepflückten Nelke hinterm Ohr. Man kann sich bei der Beerdigung eines Freundes selber mitbegraben, man kann sich aber auch just am frischen Hügel das Gelöbnis ablegen. Nun wird noch lange nicht gestorben! Nun wird das Leben erst recht in die Hand genommen, damit’s sein Bestes hergibt vor dem törichten Tod.« Sie lachte in sich hinein. »Ich hab’ einmal von einem lustigen Gesellen den Trauermarsch von Chopin spielen hören, ohne daß er eine Note verändert hätt’, nur in einem flotteren Zeitmaß, und der alte Trauermarsch klang wie eine funkelnagelneue Aufforderung zum Tanz.« »Ich versteh’ dich, Mutter, und hab’s mir selber schon so ausgelegt. Nicht hinter dem unwiderruflich Abgeschiedenen herjammern und in die Knie knicken. Wer lebt, hat nur die eine Pflicht: nämlich zu _leben_ und sein Leben so aufzubauen, daß es Wert für ihn hat und für seine Zeit.« »Siehst du,« sagte Frau Christiane, »damit hätten wir eigentlich alles besprochen, was es zwischen uns an Wichtigem zu besprechen gäb’. Was wir nun noch daherreden, sind die schönen Randverzierungen.« »Red nur daher, Mutter,« bat Martin Opterberg lächelnd und streichelte ihre kräftige Hand. »Gelt, du bist auch den Randverzierungen nicht abhold? Der Schuß Vatersblut in dir ist nicht das schlechteste Erbteil, ob wir beide auch früher einmal ein wenig darum gebangt haben mögen. Denn Freud’ muß der Mensch haben, oder er tut sein Tagewerk wie ein Öchslein unterm Jochbalken.« »Erzähl mir ein wenig von der Freud’, Mutter. Ich werd’ schon gut hinhorchen.« »Du möcht’st mich wohl ausspionieren, Bub?« erwiderte sie lachend und klopfte ihm kräftig den Rockärmel. »Ausspionieren? Ist denn der Gegenstand so heikel?« »Nun steigt mir wahrhaftig die Röt’ ins Gesicht. Ach was, ich bin doch zuletzt kein jung Mädchen und du kein Hosenlupf. Ich bin deine Mutter und vermag drum sogar Gegenständ’ mit dir zu besprechen, die einen Pastor in Beklemmungen versetzen könnten. Wenn ich von der Freud’ red’, so mein’ ich halt: die größte Freud’ für den Mann ist doch das Weib.« »Es könnt’ wenigstens so sein, Mutter.« »Es _könnt’_ nicht nur so sein, es _ist_ so, Bub. Denn wenn ich von eines Mannes Weib sprech’, mein’ ich den getreuen Kameraden in gleichem Schritt und Tritt und nicht einen Herumfeger oder gar eine Schlampampe. Ich sag’s, wie ich’s weiß, und hab’s an mir selber und einem anderen erfahren, und du wärst mittlerweil’ auch alt genug dazu geworden.« »Also wie muß sie ausschauen, Mutter?« »Garnicht muß sie ausschaun. Darauf hast du wohl die Prob’ selber gemacht, daß das bloße Ausschaun erst in der zweiten Linie kommt. Aber das Herz muß sie auf dem rechten Fleck haben, besonders wenn’s der Mann gerad beansprucht, und es nicht beleidigt auf die andere Seit’ schieben, wenn er auch andere Dinge mal im Kopf hat. Und den Verstand muß sie an der rechten Stell’ haben, daß sie an allem ihren Anteil nehmen kann, was des Mannes Wesen und geistiges Leben ausmacht, ohne aber, daß sie nun gleich als die Belehrerin und Besserwisserin auftreten will, denn dann wär’ ja für den Mann die Freud’ des Starken dahin. Und lieb muß sie ihn haben, und wenn’s Hühnereier hagelt.« »Also hübsch braucht sie nicht zu sein, Mutter?« »Nicht hübsch?« sagte Frau Christiane erstaunt. »Ja bist du denn von einem anderen Stern, auf dem die Menschen Astralleiber haben? Natürlich muß sie für den Mann, der sie heiratet, hübsch sein und sehr sogar, aber nur für den Mann, und wenn sie für die anderen nur als ein Meerwunder mitdurchläuft. Für den einen Mann aber muß sie so hübsch sein, daß es in allen seinen Sinnen singt und klingt, wenn er sie daherschreiten sieht, und ein Freuen in ihn kommt vom Herzen bis in die Kehle, als stünd’ der Atem still. Laß du die Frommen im Land von der Abtötung der Sinne faseln -- was weiß ein Frosch vom Falkenruf in der Luft anders, als daß er Angst vor ihm hat. Sind die Sinne nicht mit im Spiel, so ist’s eine Laute mit gesprungenen Saiten.« »Und schlank und rank muß sie sein,« fuhr Martin Opterberg fort, »und braunes Haar muß sie haben mit einem Sonnenkrönlein drin, wie bei ihrer Schwester, und ihre Augen müssen blitzen vor Lust am Leben, und aus der Stadt Karlsruhe _muß_ sie sein.« »Martin --,« sagte Frau Christiane, »da bringst du mich auf eine Fährte.« »Laß gut sein, Mutter. Noch ist der Friede nicht unterzeichnet. Und ich möcht’, wenn’s einmal übermächtig in mir wird, mein Glück in Frieden haben.« -- -- Bis zum neuen Jahr blieb Martin Opterberg, und er saß auf der Bank über dem brausenden jungen Rhein und saß im Giebelstübchen des Turmes, das den Ausblick bot über die Schwarzwaldberge und hinaus zu den geheimnisvoll lockenden Ketten der Alpen, die den Vater angezogen hatten Tag und Nacht. Aber Martin Opterbergs Blicke schweiften nur nach den Schwarzwaldhöhen, als forschten sie, ob dort die Jugendwege noch liefen … »Zum Sommer kehr’ ich wieder, Mutter,« sagte er beim Abschied. »Es zieht mich mächtig …« Und wieder ging es im Bogen um den Rhein zurück, dessen Ufer nicht von den Deutschen aus deutschen Landen betreten werden durften und nur von den Negern vom Senegal und ihren weißen Brüdern. Die Wagenabteile waren gedrängt voll Menschen, und es herrschte so viel Gelächter und Geschrei, als gingen diese Überlauten alle auf eine rheinische Kirmesfahrt. Martin Opterberg ließ schweigend seine Blicke wandern. Wer waren diese Leute? Ein neues Volk? Ein neues Geschlecht aus dem alten? Er musterte Gesichter und Kleider, fing Sprache und Bewegung auf. Nein, es war kein neues Volk und kein neues Geschlecht. Es waren die Dunkelmänner, die zu allen Zeiten in schmierigen Hintergassen ihre Geschäfte betrieben hatten und nun bei dem großen Kopfüber auf die Höhe geraten waren. Nur daß sie nicht mehr mit Lotterielosen handelten und mit unzerreißbaren Hosenträgern, nicht mehr um ein erbärmlich Stück Vieh feilschten oder auf Pfänder liehen … Und es waren Gewerbetreibende und Kaufleute aller Art, die gestern noch eine Hose gewendet oder ein Viertelpfund Kaffee ausgewogen hatten und heute, wie aus ihren großtönenden Reden hervorging, Tuche, Lebensmittel, Kohlen und was das notleidende Volk bis zu den Düngemitteln brauchte, in Wagenladungen aufkauften und mit Wuchernutzen weiterverhandelten. Die meisten staken in feinen, neuen Kleidern, manche in weichgefütterten Pelzröcken, gaben sich das Ansehen von Baronen und entgleisten in die Gewohnheiten von Pferdeknechten. Ihre Frauen trugen kurze, knisternde Seidenröckchen, die kaum über das Knie reichten und oft seltsam geformte, immer aber mit durchsichtigen Seidenstrümpfen bekleidete Beine aufwiesen, während die Hände, von den traurigen Fingernägeln abgesehen, im Schmucke von Brillanten glänzten. Und alle diese Herren und Damen zogen aus feinen neuen Lederkoffern Kognakflaschen und Straßburger Gänseleberpastete und Schokoladensüßigkeiten jeder Art hervor und schmausten und redeten mit gefüllten Mündern aufeinander ein und kreischten vor Vergnügen auf, daß sie sich fast verschluckten. Viele waren im Besitze von Ausweisen, die den Stempel einer der fremdländischen Besatzungsbehörden trugen und die Erlaubnis verliehen, um einer besonders starken Lebensnotwendigkeit willen auf eine kurzbefristete Zeit auch das Rheintal besuchen zu dürfen. Jetzt aber fuhren sie zum Einkauf oder einer Warenverschiebung in das Hinterland. Andere ließen sich auf das Genaueste in die Geheimnisse der Paßerlangungen einweihen und warteten dafür mit den Geheimnissen des Schleichhandels auf. Einer sprach von den Loslösungsbestrebungen zugunsten einer rheinischen Republik. »Ob sie sagen, dat Rheinland sollt’ pfäffisch gemacht werden oder welsch -- die Hauptsach’ is, dat wir von den verfluchzigen Vermögenseinziehungen verschont bleiben un unser sauer verdient Geld in Ruhe verzehren können.« Und seine Zuhörer stimmten ihm mit vollen Mündern bei. Da erhob sich Martin Opterberg, angeekelt von all dem würdelosen Schmarotzertum am Körper des hungernden und frierenden Vaterlandes und ging in eine niedere Wagenklasse hinüber, in der blasse und abgehärmte Menschen in scheuem Ton, als berührten sie das Allerheiligste, von dem Heldentod ihrer Söhne und Brüder sprachen, deren Leiber in Frankreich moderten, in Polen, auf dem Balkan, in Palästina oder unbekannten Ortes auf dem Meeresgrund … Im unbesetzten Düsseldorf stieg er zum letzten Male um und ging, um die Zeit bis zur Abfahrt des Zuges hinzubringen, in die Stadt hinein. Vor einem vornehmen Hotel winkte ihm ein Herr in langem Gehpelz, auf den der weiße Patriarchenbart ehrwürdig niederwogte, munter zu. »Der Herr Doktor Opterberg, wenn ich nicht irre?« Eine Sekunde verhielt Martin Opterberg den Schritt, und sie genügte dem alten Herrn, um ihn festzuhalten. »Professor Barthelmeß,« kam er dem Erstaunten zu Hilfe. »Und hier ist auch meine liebe Frau Hadwiga. Nun geht sie im Gewand einer Fürstin, wie es sich für die Frau eines großen Künstlers geziemt. Ja, mein Freund, die Tage der Bitternis, in denen ich in der Wüste Ziegel strich, sind vorüber. Jetzt ist die Fronarbeit an die armen Reichen gekommen, von denen ich im Auftrage des bedeutendsten Berliner Kunsthändlers alte Gemälde zu geringen Einkaufs- und hohen Verkaufspreisen aufkaufe. Und meine drei Herren Söhne, dieses echte Barthelmeßblut -- ah, dort steigen sie gerade aus ihrem eigengesteuerten Mercedeswagen -- handeln mit allem, was Gott gedeihen läßt, hinüber und herüber über den Rhein, und die Sabine verschafft ihnen durch ihre aufrichtige Beliebtheit bei den fremden Herren Offizieren die Ein- und Ausfuhrbewilligungen durch das große Loch im Westen.« -- Er sprach in die Luft. Martin Opterberg hatte schweigend an die Hutkrempe gefaßt, als entschuldige er sich eines Versehens wegen, und war weitergegangen. Vor einem kleinen Papierladen blieb er stehen. Zeitungen und billige Bücher waren in der Auslage zu sehen, aber die waren es nicht, die ihn fesselten. Er blickte forschend durch die Scheiben und glaubte in dem Mann, der am Ladentische saß und Schreibübungen zu veranstalten schien, Broich zu erkennen, Broich, den er zuletzt mit abgeschossener Hand im Feldlazarett gesehen hatte. Er trat ein und hatte sich nicht geirrt. »Lieb von dir, Opterberg, daß du mich heimsuchst. Nimm einen Stuhl. Die neuen Zeitungen kommen erst in einer halben Stunde, und bis dahin ist es ruhig im Laden. Warte, eine Begrüßungszigarre sollst du auch haben. Meine Frau hat mir ein ganzes Viertelhundert zu Weihnachten geschenkt.« »Wie geht es dir, Broich, und wie geht es Frau und Kindern?« »Alles gesund, und was mehr bedeutet: fest im Glauben an die Zukunft.« »Gottlob, daß die anständigen Menschen nicht aussterben. Was macht die schwere Verwundung? Ich seh’, du hast eine künstliche Hand.« »Ich kann, wenn ich die Linke zu Hilfe nehm’, alles mit ihr fassen und halten. Mit der Linken üb’ ich mich im Schreiben. Sieh her, es geht schon ganz gut. Und bis zum Frühjahr wird’s so weit sein, daß ich mich mit gutem Gewissen wieder um eine bessere Stellung bewerben darf. Einstweilen glauben ja die Herren, wem die rechte Hand weggeblasen sei, dem sei auch der Verstand weggeblasen. Aber einstweilen hält uns ja auch das Zeitungslädchen über Wasser.« »Sind deine Schwiegereltern nicht so wohlhabend, daß sie dich über Wasser halten konnten?« »Opterberg,« sagte Broich und legte dem Jugendkameraden die gesunde Linke auf den Arm, »du vergissest wohl, daß ich neben einer Frau auch Kinder habe. Sollten die etwa glauben, ihr Vater sei ein so armseliger Kerl, daß er nicht einmal seine Kinder ernähren könnt’? Nein, Opterberg, eher mit einem Arm Steine klopfen. Na, du hätt’st es ja nicht anders gemacht.« Frau Hilde Broich kam mit den Kindern. Sie alle trugen einen Pack neuer Zeitungen im Arm und glühten trotz der Kälte vor Stolz. »Wenn Jung und Mädel brav sind, dürfen sie zur Belohnung ihrem Herrn Hauptmann, dem Vater, helfen,« sagte sie, als sie den alten Freiburger Freund freudig begrüßt hatte. »Lieber Martin, wie oft sprechen wir gerade in diesen dunklen Deutschlandtagen von den sonnigen Wanderungen im Schwarzwald und von den Freudentagen auf dem Opterberghof, wo ich mich dem Liebsten da heimlich anverlobte.« Martin Opterberg beugte sich herab und küßte ihr beide Hände … Sein Zug führte ihn heimwärts. »Es gibt noch Männer in diesem Deutschland,« dachte er, »und es gibt noch Frauen, und es gibt noch einen Nachwuchs!« Und dann versank er in ein Träumen -- -- 14 Martin Opterberg hatte die Träume abgeschüttelt. Als ein Verjüngter war er heimgekehrt von dem Opterberghof der Frau Christiane, als ein Ernster und Froher zugleich. Aus klaren Augen überblickte er die Geschehnisse der Zeit, die vergangenen wie die kommenden, denn sein Wirklichkeitssinn sagte ihm, daß ein Volk, das die alte Obrigkeitsgewalt mit einem bloßen Heben der Achseln abgeschüttelt habe, in einen Taumel der Überhebung geraten müsse und jede neue von ihm selbst bestellte Obrigkeit nur als Ausführerin der eigenen Wünsche und Befehle ansehen würde, die bei nicht zusagender Arbeit ohne weitere Kündigung wieder auf die Straße zu setzen sei. Ein Spatzenschreck war sie bestenfalls, und im schlimmen Fall, der nicht außer acht gelassen werden durfte, eine Platzhalterin für die brodelnden Gewalten der Tiefe. Sein klarer Ernst wies ihn darauf hin, daß es Jahre des Sichtens und Schichtens bedürfen würde, bis sich das große Leid Deutschlands in die Erkenntnis des neuen Tages und seiner unerbittlichen Arbeitsforderungen umgewandelt haben würde, und seine tiefe Froheit war dankbar dafür, daß er für die große Menschheitsaufgabe noch ein Leben einzusetzen habe. Er schritt mit Christoph Attermann über die Werft, die bei dem Fehlen der Baustoffe und der wilden Steigerung aller Preise nur geringe Beschäftigung hatte. Er musterte die Arbeiterschaft und fand nur noch ein Häuflein der Getreuesten vor. Gar mancher der Kräftigsten und Geschicktesten war draußen vor dem Feind geblieben, und gar viele der Lebenden waren auch dem stürmischen Drang der Zeit gefolgt und hatten den Platz gewechselt, um an den ausgebotenen Riesenlöhnen leichteren Anteil zu gewinnen. Die Pflegebrüder besprachen in großen Zügen die zuerst zu ergreifenden Maßnahmen. »Die Tragbalken sind geblieben. Zwei Dinge kommen in Betracht: Arbeit hereinzuholen und -- die Lust an der Arbeit zu heben. Das erstere ist nicht so schwer. Die Schiffsparks befinden sich allenthalben in Unstand, und die Holzpreise werden bezahlt werden müssen, bis die wiedereinsetzende Einfuhr sie eines Tages von selber regelt. Darnach müssen wir uns bei den Abschlüssen halten. Der zweite Punkt aber, die Lust an der Arbeit zu heben, setzt einige Eigenschaften voraus, die wir beide wohl bei uns als vorhanden ansehen dürfen: ein wenig mehr Menschenliebe und ein wenig mehr Selbstlosigkeit. Das gilt für uns im kleinen wie für das Vaterland im großen. Wir wollen in aller Ruhe und Klarheit an die Ausarbeitung eines Entwurfes gehen.« Und Martin Opterberg schritt den Rhein hinab zu seinem vereinsamten Haus, und Linde Baumgart ging neben ihm. »Ich muß wieder seßhaft werden, Linde,« sagte er, »und unter meinem eigenen Dach wohnen. Sonst fühl’ ich mich nur als Gast im Haus und leicht dadurch auch im Werk. Schließ auf. Ah, da ist ja mein großes, stilles Arbeitszimmer.« Sie ging vor ihm her, von einem Raum zum anderen, und öffnete die Läden, damit das grüßende Licht ihn empfange und alle Dunkelheit vor seinem Fuß zerflattere. Der Herr des Hauses sollte das Haupt heben bei jedem Schritt. Er bemerkte ihr heiteres Handeln wohl und auch die Ordnung, die überall gehalten war. »Hier warst du wohl öfters, Linde?« »Wir müßten sonst mit dem Taucherhelm in die Staubwogen.« ›Vierundeinhalbes Jahr hat sie hier im Stillen geschafft,‹ dachte er, ›und das Deine betreut, während du im Felde lagst und mit keiner Zeile darnach fragtest.‹ Und er trat vor sie hin und ergriff ihre Hand. »Nun müßt’ ich dir einen großen Dank sagen, und es wird doch wieder eine neue große Bitte. Würdest du mit hierher übersiedeln und mir das Hauswesen leiten? Ich möcht’s gern heimatlich behalten.« »War das die große Feierlichkeit wert? Ich hab’s mir schon halb und halb gedacht und auch mit den Attermanns besprochen.« Sie knixte lachend. »Morgen kann ich Einstand halten und bitt’ um gute Behandlung.« »Mädel …,« sagte er, und dann ging er weiter. Von Stund’ an aber regte sich das Leben wieder im Opterbergschen Haus und lief durch alle Räume und suchte die Freude und fand sie allenthalben. Linde Baumgart leitete in Küche und Keller ein stämmiges Westfalenmädchen an, und so stark machte sich die Schule der Frau Christiane geltend, daß es Martin Opterberg oft war, als wäre er daheim in der Hut der Mutter. Oft blieb er am Abend noch ein Stündchen am Eßtisch sitzen und horchte auf ihr wohltuendes Geplauder. Öfter aber noch nahm er sie mit in sein Arbeitszimmer hinüber, wo sie still mit einem Buch unter der Lampe saß, immer bereit, auf eine Frage eine Antwort zu erteilen. Mehr und mehr führte er sie in seine Pläne ein. An einem Abend erzählte er ihr von dem Jugendfreunde Broich und dem Wiedersehen in Düsseldorf. »Als Hauptmann ließ er dem Vaterland seine rechte Hand. Jetzt verkauft er ebenso stolz mit der Linken Zeitungen, und Frau und Kinder helfen ihm. Diese heilige Anschauung von Arbeit und Familienleben hat einen starken Eindruck auf mich gemacht.« »Ich wüßt’, was ich tät’,« sagte Linde Baumgart. »Dann laß es mich auch wissen.« »Aus solchen Hauptleuten müßt’ sich das ganze Volk zusammensetzen, wenn’s wieder werden wollt’. Ich würd’ ihn, wenn ich der Martin Opterberg wär’, zu mir holen und ihm die kaufmännische Leitung des Werks übertragen. Und ich hätt’ nicht nur den zuverlässigen Mann, sondern auch ganz nah bei mir den Freund. Alte Freunde aber bedeuten neue Jugend.« Einen Monat später siedelte der einhändige Broich mit Frau und Kindern über. Er schlug seine Wohnung im Geschäftshaus der Werft auf, und es war vor allem Therese Attermann, die der Jugendfreundin und einstigen Mitstudierenden mit Rat und Tat zur Seite stand. Allwöchentlich fand sich der Freundeskreis zu einem Plauderabend zusammen, abwechselnd im Hause eines jeden, und die Freiburger Erinnerungen stiegen auf, wurden lebendig und in heitere Verklärung gesetzt. Auch nach der Lautenspielerin wurde verlangt, aber Therese Attermann verschloß sich zum ersten Male den Bitten der Freunde und selbst denen ihres Mannes und blieb dabei, das Erinnerungsbild würde Schaden leiden, wenn sie hier die Jugend von ehemals vortäuschen wolle, und das leide ihre weibliche Eitelkeit nicht. Darum müsse ihre um so viel jüngere Schwester Linde die Rolle übernehmen. Da sang Linde Baumgart die Lieder zur Laute an der Schwester Statt, die alten Volks- und Liebeslieder, die voll von der Sehnsucht sind und ihren Erfüllungen. Das Lachen ihrer Augen schwand und wurde ein fernes Fragen und Horchen. In sich gekehrt und dem Kreis entrückt saß sie und schmiegte die Wange an den Lautenhals, wie es einst die Therese Baumgart getan hatte in den Tagen der Schwarzwaldwanderungen, und Martin Opterberg schaute mit gebannten Augen auf das Bild, wie es Therese Attermann tat, die mit feuchten Augen lächelte … An einem dieser Abende brachte Broich einen Brief mit, den er am selben Tage von Tillmann erhalten hatte. Der Armierungssoldat und Kunstgelehrte war, kurz nach der letzten Begegnung mit Martin Opterberg und Christoph Attermann, bei einer Grabenüberrumpelung in französische Gefangenschaft geraten und nun mit einem der ersten Gefangenenschübe ins Rheinland zurückgesandt worden. In dem Briefe bat er um eine Unterredung mit den Freunden, da er »auf Grund gegenseitiger Abneigung« die Scheidung von seiner Frau und diese die Scheidung von ihm beantragt habe. »Nie ist eine Abneigung gegenseitiger gewesen,« schloß er grimmig, »und das ist meine einzige Genugtuung.« Über nichts anderes wurde an diesem Abend gesprochen als über den begeisterungsseligen und so übel entgleisten Fuchsmajor der Freiburger Burschenschaft. Die Freunde riefen sich das Bild des flotten Studenten auf dem Kneip- und Fechtboden in die Erinnerung zurück und gedachten des Eindrucks, den der schwärmende Führer bei ihrem ersten Anstieg auf die Schloßberghöhen in ihrem jungen Blut hinterlassen habe. Und die Frauen rühmten sein ritterlich Wesen auf Wanderungen und Schneeschuhfahrten. Aber auch seine Wandlungen seit Eingang der Ehe mit der verwöhnten und anspruchsvollen Klarenbachin erwähnte Broich, seinen wissenschaftlichen Müßiggang und sein Beharren im studentischen Ton und Gehaben. »Sie hat ihn doch gewählt, weil er ihr von allen der Liebste war,« meinte verwundert Frau Hilde Broich. Therese Attermann schüttelte nachdenklich den Kopf. »Sie hat ihn gewählt, weil er ihr, solang sie selber Studentin war, in seiner Fuchsmajorwürde und freiherrlichen Burschenart den stärksten Eindruck machte. Das galt für das kleine und genügsame Freiburg und für das romantische Studentenleben. Für das reiche und großartige Düsseldorfer Fabrikantenleben langte die Fuchsmajorwürde nicht aus und hielt darum die Mädchenbegeisterung nicht vor.« »Aber sie hieß doch die eifersüchtigste Frau weit und breit?« »Weil sie ihn nährte und kleidete und darum als ihr alleiniges Eigentum ansah. Das ist durchaus bezeichnend für diese Frauenart und braucht mit einer Liebesregung nichts mehr zu tun zu haben.« »Aber sie war ihm treu,« sagte Martin Opterberg. Therese Attermann sann nach. Ihre Augenbrauen rückten aneinander. »Ich mag das nicht für ein Verdienst halten. Er mußte ja jeder ihrer Winke gewärtig sein. Es gibt eine Treue, und ich weiß es aus den Vorkommnissen in meinem Beruf, eine hirn- und seelenlose Treue, die den Mann bis zur eigenen Untreue plagen kann. Mir scheint, der Heißkopf Tillmann ist auf ein totes Gleis verfahren worden, als er allzu hastig nach dem goldenen Vögelchen griff.« »Was nun mit ihm? Sein Notruf geht an die Freunde.« »Laßt ihn herkommen. Viele schauen anders aus, als sie schreiben. Oft leichtfertiger, oft zerschlagener.« Und Tillmann kam. Sein einst so gutgehaltener Körper war durch die schwere Schanzarbeit ausgereckt, seine Arme erschienen länger, seine Hände hingen breit und plump in den Gelenken. Ein gequälter Zug stand in seinem Gesicht und ein aufflackerndes Mißtrauen in seinen Augen. Er stieg im Hause Attermann ab und redete in den ersten zwei Tagen kaum ein Wort. Frau Therese ließ ihn ruhig gewähren. Mit dem geschärften Blick der Ärztin erkannte sie sofort die seelische Natur seines Leidens und den knirschenden Kampf zwischen Haß und Scham. Scharf und argwöhnisch beobachtete er seine Gastgeberin. Aber als sie sich in ihrer frohen Güte immer gleich blieb und keinerlei Unterschied zwischen ihm und den anderen Freunden machte, wurde sein Blick ruhiger, und der Mund fand ein Dankeswort. »Ich bin wie ein mißtrauischer Hund. Ihr müßt mir das schon verzeihen. Aber wer das durchgemacht hat in der Gefangenschaft« -- er ballte wie im Krampf die unförmig gewordenen Hände -- »dieses Angespucktwerden von Frauen und Kindern, dieses Herumgestoßen- und Getretenwerden von Aufsehern und Soldaten, dies hämische Angelocktwerden, um zum gemeinsten Schabernack zu dienen, dem ist es gleichgültig geworden, ob er im Steinbruch gearbeitet hat, bis er zusammenbrach, oder ob er blindgegangene Granaten aus den Ackern buddeln mußte und jederzeit in Fetzen fliegen konnte.« Erst hatte er langsam und mit schwerer Zunge gesprochen. Dann aber geriet er in eine Hast, und die Worte überstürzten sich. »Ohne Waffe, mit der Schippe in der Hand, wurden wir aus dem Grabenstück herausgeholt, wie eine Herde Vieh wurden wir behandelt. Einerlei -- alles einerlei. Einmal mußten wir ja erlöst, heimgeschickt, von der dankbaren Heimat wehmütig ans Herz gedrückt werden. Herrgott, die Träume -- die verrückten Träume! Ein ganz neues Leben hab’ ich mir ausgemalt. Zusammengehörigkeitsgefühl in dieser Zeit der Not und Schmach. Und eine Reinigung, ein Emporsteigen durch den neuen Arbeitswillen. An eine weinende Frau dacht’ ich. Bei Gott, es war nur eine keifende.« Die Freunde saßen stumm und schauten zur Erde. Und der Ergrimmte fuhr fort, sich zu befreien. »Ja, ja, ja, sie war es satt mit dem Herumtreiber, gründlich satt. Der Mensch hatte sie ja schon in Friedenszeiten bloßgestellt und im Kriege lächerlich gemacht. Und jetzt kam er wie ein Straßenlump daher, der sich bei Tische kratzt und seine Kotstiefel auf ein geblümtes Kanapee streckt. O nein, gesagt und ausgesprochen hat es die geborene Klarenbach nicht, aber fühlen lassen hat sie es mich, so todmüd ich war, und ein beständiges Gezeter unterhalten, das um den Kern der Sache herumschoß wie die Katze um das Wollknäuel und mir langsam und sicher die Scham vor dem eigenen Leib aus allen Poren trieb, als hätt’ ich den Aussatz. Und dann kam der Haß hinzu, der Haß auf die Frau, die mich wie einen jungen Tanzbären am Nasenring herumgeführt hatte, um mich in die Ecke zu jagen, als sich Motten im Pelz zeigten. Diese Motten aber hatte ich vom deutschen Vaterland statt Orden und Ehrenzeichen erhalten, und als sie mich darum schmähte, nahm ich den letzten Rest von Anständigkeit zusammen und warf sie aus dem Zimmer. Schlußerfolg: Gegenseitige Klage auf Grund gegenseitiger Abneigung.« Tillmann schwieg. In seinen Augen flackerte und funkelte es. Der ganze, ein Jahrzehnt lang angesammelte Grimm des unterjochten Mannes durchtobte ihn. Und plötzlich schlug er in die Ergriffenheit der Freunde wie mit der Fastnachtpritsche hinein: »Bemogelt hab’ ich sie trotzdem. Des freut’ sich meine Seele. Bemogelt, wie der Schoßhund seine Herrin bemogelt, wenn er brav durch die geöffnete Haustür schreitet und draußen, hast du nicht gesehen, um die Ecke wischt. Vom ersten Ehetag an hat sie mir Taschen und Schreibtisch durchsucht, aber nichts fand sie, nichts als alte, vergilbte Liebesbriefe aus Großmutters Zeiten, und die sammelte ich als Kunstgelehrter und Kulturforscher, je mehr, je lieber. Da hatt’ ich ein lustig Mittel für meinen lustigen Briefwechsel gefunden. Tusche, meine lieben Freunde, ein bißchen chinesische Tusche in ein paar Tropfen Milch verrieben -- Herr meines Lebens, das wurde eine Tinte, so grau und gilb auf dem Papier, als wär’ sie in der Biedermeierzeit aus dem Federkiel geflossen. Damit hab’ ich sie angeführt. Mit der Milchtusche, meine lieben Freunde, die ich als Zeichen meines Vertrauens vergab, wenn mich der Nasenring verrückt machen wollte. Nun ist es kein Geheimnis mehr. Ich habe es der Allergnädigsten zum Zeichen meiner Dankbarkeit mitgeteilt.« Und nun lachte er, bis es ihn wie ein Weinen schüttelte. Frau Therese Attermann war auf den Widerstandslosen zugetreten. Ruhig und schlicht. »Jetzt werden zunächst die Kräfte gesammelt und die Nerven zurecht geflickt. Dazu ist dies gerad’ das rechte Haus. Denn dies ist ein Freundeshaus für den Sommer und Winter im Leben. Ausgeschlafen, ausgeschlafen! Wir sterben noch lange nicht.« Tillmann erhob sich. Er kam zu sich und starrte verwirrt auf die Sprecherin. Und dann ergriff er ihre Hand, drückte seine Lippen darauf und ging auf sein Zimmer. »Was tun wir mit ihm?« fragten sich nach einer lastenden Pause die Männer. Und Linde Baumgart sagte und atmete tief auf: »Die Therese hat’s ja schon ausgesprochen. Er ist jetzt unter Freunden. Und die Freunde werden ihn wieder zum Menschen aufrichten, indem sie ihm wieder zum Arbeiten aufhelfen. Wenigstens würd’s so die Frau Christiane halten.« -- In dieser Zeit hatte Martin Opterberg seinen neuen Wirtschaftsplan vollendet, der kühn und klar den alten erweiterte und die Arbeitsleistungen heben sollte durch gehobene Arbeitsfreudigkeit. »Um uns her kracht es vom Niedersturz,« erklärte er den Freunden Attermann und Broich. »Eine alte Welt, eine altgewordene Menschheit bricht zusammen. Wir wollen eine neue errichten helfen. Nicht mit der Gewalt, mit der Erkenntnis. Noch stärker als bisher wollen wir die Arbeiter beteiligen und alle Angestellten. Jeder soll erlernen können, wie man durch Kopf- und Handarbeit in die Höhe gelangt, wenn man sich selber einsetzt. Jeder soll durch erhöhte Gewinnbeteiligung das Werk, was er schafft, nicht mehr als ein fremdes, sondern als ein eigenes ansehen lernen, für das er einsteht mit seinem Stolz und seiner Kraft. Ähnlich, wenn auch in kleinerem Ausmaß, hielt ich es ja schon früher. Jetzt aber hab’ ich einen weiteren Schritt getan und eine neue Werftordnung geschaffen. Ich begebe mich eines Teiles meiner Rechte zugunsten des Ganzen. Freiwillig und vertrauensvoll lege ich die Angelegenheiten meiner Mitarbeiter in ihre eigenen Hände. Sie sollen sich selbst regieren nach einem frei von ihnen erwählten Gesetz, bei dessen Grundlegung wir nur ihre Berater sein wollen, und da sie am Aufblühen und Gedeihen des Werkes mit Geldeswert beteiligt sind, werden sie die Faulen und Unbotmäßigen von selber ausmerzen. Alles dies, wenn mein Teilhaber Christoph Attermann zustimmt und unser kaufmännischer und juristischer Leiter Broich meine Aufstellungen geprüft und gebilligt hat.« »Sprich weiter,« sagte Christoph Attermann. »Hier ist in Wahrheit Morgenluft.« »Wenige Worte noch,« fuhr Martin Opterberg fort, »denn alle Einzelheiten findet ihr in diesem Betriebsplan ausgearbeitet. Worauf es ankommt, ist die Kerntruppe. Ein kleiner Stamm ist noch vorhanden. Ich weiß ein paar Dutzend Pioniere, die sich mit mir durch Dick und Dünn geschlagen haben, Leute von eisernem Pflichtgefühl im Leben und im Sterben, Zimmerleute und Maschinenschlosser für unsere Werft, Schiffer für unseren Frachtdampfer, der bald hinausgehen wird. Ich will zu ihnen und sie befragen. Um diese Kerntruppe soll sich der weitere Stamm bilden, sie soll die Arbeitsbedingungen und die Grundlöhne für die nächsten festsetzen wie auch die Entlassungsgründe, und mit den nächsten wieder für die übernächsten. So erziehen wir freie, selbstbewußte Männer und keine Knechte, und uns Führern wird freiere Hand und freieres Hirn für immer größere Aufgaben.« Er dachte nach. Vor seinem inneren Blick entstanden die Bilder des künftigen Lebens. »Das ist das Ziel: aus unserem Volk ein Herrenvolk, ein Volk von Herren zu machen! Wenn ich in England, wenn ich in Amerika den geringsten Arbeiter spreche, so beansprucht er von mir den Titel eines ›Gentleman‹, und in Italien dreht euch selbst der herumlungernde Lazzaroni verächtlich den Rücken, wenn ihr in ihm trotz seiner zerfransten Beinkleider nicht den ›Galantuomo‹ begrüßt. Nur die Masse der deutschen Arbeiter suchte bisher ihre Ehre darin, als ›Proletarier‹ zu gelten. Hier muß der Hebel angesetzt werden. Von unten herauf, aus dem Kleinsten heraus muß das Volk und mit ihm das Vaterland zum Begriff der eigenen Würde herangebildet werden, denn weder Geldverdienen noch Geldvergeuden, nur das Bewußtsein der eigenen Würde bringt uns Freiheit und Menschenglück. Der Letzte unter uns muß ein _Adeliger_ werden.« »Wir gehen mit dir,« sagte Christoph Attermann, und Broich gab ihm mit kräftigem Schlag die gesunde Linke. Eine Zeit rastlosen Schaffens brach für Martin Opterberg herein. Tage hindurch beriet er mit dem Pflegebruder und dem Freund Punkt für Punkt den neuen Wirtschaftsplan, und der ruhig wägende Jurist in Broich hielt gegen die vertrauensfreudige Denkart der Opterbergbrüder das Gleichgewicht und brachte Punkt für Punkt in die nüchterne, unangreifbare Fassung des Tages. Dann blieb Martin Opterberg eine Woche verschwunden, und als er heimkehrte, konnte er von seinen alten Pionieren berichten, von denen er ein paar Dutzend aufgesucht und als Mitarbeiter am neuen Wirtschaftsplan verpflichtet hatte. Und schon griff er wieder die Wohnungs- und Siedlungsfrage auf. Da lag das vor Kriegsausbruch gekaufte Gelände mit halbverfallenen Bauernhäusern, die von den einstmaligen Pionieren gleich nach ihrem Eintreffen niedergelegt und mit den alten Baustoffen neu wieder aufgerichtet wurden. »Schon’ dich,« bat Linde Baumgart, wenn sie ihn eine Stunde lang zu Hause sah. »Bis der Friede unterzeichnet wird und das Leben wieder in seine Bahnen fluten kann, müssen wir fertig und bereit sein, Linde. Könntest du eher Freude gewinnen, Mädchen?« Sie blickte in die Ferne, als suchte sie den Friedenstag -- und schüttelte den Kopf. »Nein, Martin. So wenig wie du. Und es ist recht so.« »Aber _du_ sollst dich mehr schonen und mir nicht abfallen vor der Zeit.« Sie strich mit den Händen an sich herab, als er schon längst gegangen war, über die sehnsüchtigen Mädchenbrüste, über die verlangenden Arme … »Daß du mir nicht abfällst vor der Zeit,« hatte Martin Opterberg gesagt. »Vor der Zeit! …« Noch immer hielt das Krachen und Niederstürzen im Lande an und, wie ein Hohn auf das Elend, die Schaffensunlust und die Gier nach mühelosem Erwerb. Eine Arbeitsniederlegung folgte der anderen, das Heer der Arbeitslosen wuchs, und allerlei dunkle Glaubensboten und Glücksverkünder tauchten auf, um die Leidenschaften anzustacheln und in der Trübung der Gemüter auf Beute auszugehen. Martin Opterberg und seine Freunde arbeiteten unermüdlich. Mit jedem Meister und jedem Gesellen bis zum ungelernten Arbeiter hinab war ein besonderer Vertrag geschlossen, und alle die Männer schritten festen Fußes über den Werftplatz, als spürten sie unvergänglichen Heimatboden unter sich. Selbst Tillmann hatte sich an einem Morgen freiwillig eingefunden und bat Broich, ihn bei der Bewältigung der Briefschaften unterstützen zu dürfen. Das nahm der Einhändige mit Freuden an, und in der gewonnenen Freizeit richtete er zum Schutz gegen streifendes und plünderndes Gesindel eine Werftwehr aus den gedienten Leuten ein und verteilte die Wachen. Und wieder ging Martin Opterberg auf die Reise. Er suchte die Reedereien des Niederrheins auf und holte Aufträge herein. Er besuchte die Holz- und Stahlwerke Westfalens und gab seine Bestellungen auf mit kürzester Lieferfrist. Seinem persönlichen Eingreifen gelang es, Widerstände auszuräumen und den Geschäftsverkehr trotz der sorgenvollen Zeit lebendig zu gestalten. Es ging ein starker Zukunftglaube von ihm aus, und man vertraute seiner Art. In einer Arbeiterstadt des Rhein- und Ruhrgebiets verbrachte Martin Opterberg die letzte Nacht. Schon neigte sich der Mai dem Juni zu, aber die Nächte waren noch kühl in diesem Strich und der Frühling in diesem Jahre herber denn je. ›Und doch wird er kommen, denn es ist ein Naturgesetz,‹ dachte Martin Opterberg, der schlaflos lag. ›Den Glauben festhalten und bei der Stange bleiben!‹ Von der Straße her drang seit Stunden ein Murmeln zu ihm auf. Er öffnete das Fenster und blickte hinaus. In der grauen Dämmerung der Tag- und Nachtgleiche ersah er eine endlose Reihe von Karren und Handwagen jeder Art, die vom nahen Bahnhof bis tief in die Stadt hinein reichte. Hier und dort war ein Hund vorgespannt, die meisten aber wurden von Frauen und Kindern gezogen und geschoben. Jetzt hingen diese Menschen ermüdet und übernächtig an ihren kleinen Wagen und warteten, wie sie schon Stunden gewartet hatten. Vom Bahnhof her kam das Rollen eines einfahrenden Zuges. Der Pfiff der Maschine schrillte durch den ergrauenden Morgen und jagte die Müden aufhorchend empor. Die Väter kamen, die Mütter, die Brüder und Schwestern. Von den Bauernhöfen, viele Fahrmeilen weit, kamen sie zurück, zu denen sie am Abend nach der Tagesarbeit hinausfuhren, um Lebensmittel einzuhandeln. Unter Kartoffelsäcken stöhnend, mit Körben beladen, erschienen sie zu Hunderten auf dem Bahnhofplatz, und der Karrenzug setzte sich in Bewegung, die Füße liefen Trab, und plötzlich war es ein Anstürmen und wildes Anschreien der Hunderte von Erwartungsvollen gegen die Hunderte der heimkehrenden Nachtfahrer. Es war der Hunger, aber auch die Angst vor dem Hunger, und aus der Angst entsprang die Gier: erfassen, was zu erfassen ist. Dann lag der Platz öd und stumm im Morgendämmern, und nur aus der Ferne knarrten die Räder, flogen zersetzte Ausrufe hin und her durch die Luft … Martin Opterberg trat vom Fenster zurück. Und während er sich ankleidete, sah er im Geist ein anderes Bild, und er sah die Gebrüder Barthelmeß und ihre ungezählten Genossen in fürstlichen Mercedeswagen durchs deutsche Land dahinsausen, zu entwertetem Geld die Lebensmittel vor den Hungernden und Verängstigten hinwegkaufen und sie gegen vollwertiges Feindesgeld durch das ›Loch im Westen‹ schaffen oder gegen Wuchergeld im Lande weiterverkaufen. Ein Murren lief durch das verelendete Volk und wurde zum wütenden Aufbegehren, aber die Geier blieben unbehelligt, und die Kraftwagen sausten in Staubwolken durchs Land. Am Abend dieses Tages saß Martin Opterberg in seinem Arbeitszimmer, und am Tisch ihm gegenüber, die Wange in die Hand geschmiegt, saß Linde Baumgart. »Schau, Mädchen,« sagte er, als er seinen Bericht geendet hatte, »es scheint der Kampf der Besitzlosen gegen die Besitzenden, was wir in dieser Zeit erleben, aber es scheint nur so. Denn der ehrliche Besitz liegt längst in Todeszuckungen, und nur die dunklen Geschäftemacher blühen und gedeihen und verschleppen ihren Raub ins sichere Ausland.« »Wenn es nur so scheint -- was ist es denn in Wahrheit?« fragte Linde Baumgart und richtete den Blick auf sein gesammeltes Gesicht. »Weshalb wirft sich das ausgeplünderte Volk nicht auf jeden Wucherer und Verschieber?« »Weil diese Menschenklasse einen rohen und ungebildeten Schlag darstellt, der in der niedersten Sprache zu sprechen weiß und großtuerisch-freigebig mit Tausenden um sich wirft, während er heimlich Millionen zusammenrafft. Ach, Mädchen, öffne deine Augen weit und blick tiefer. Es ist nicht der Kampf und Haß gegen den Besitz, den sich die neue Menschheit wohl über Nacht erwerben kann, es ist der Haß gegen die in der Zucht von Geschlechtern erworbene Vornehmheit, die sie sich _nicht_ über Nacht erwerben kann, und wenn sie selber im gestickten Frack herumläuft und die anderen nur im gewendeten Anzug. Das, Linde, das ist der tiefste Grund des Kampfes.« »Bleib nicht stehen, Martin. Sprich ein Wort dazu. Einen Hinweis auf eine Wandlung …« »Zu einer Wandlung wird ein Menschenalter gehören und mehr,« sagte nachsinnend Martin Opterberg. »Sie reden so viel von einer Einheitschule für alle Besitzstände. Gut, sie sollen sie schaffen. Aber dann sollen sie auch die Auswahl, die sich herausarbeitet, als ihre Führer anerkennen und ihr geschlossen auf den Wegen folgen, die sie ihnen zur neuen Höhe weist. Entweder -- oder!« »Weißt du noch ein Wort, Martin, von den Dingen, die uns nottun? Ich möcht’ lernen.« »Ja, Linde, ich weiß noch ein Wort von solchen Dingen. Ich hab’ unser hergebrachtes Christentum im Auf und Ab gesehen, und es hat die Probe nicht bestanden. Da sollten wir die alten Fäden nicht gedankenlos aneinander- und weiterknüpfen. Was uns nottut, Linde, und zumal uns niedergebrochenen Menschen in deutschen Landen, das ist: mit der Erneuerung des Menschentums eine Erneuerung des Christentums. Des Christentums als Kulturträger.« »Sag es mir …« bat Linde Baumgart durch die stille Abendstunde. Und Martin Opterberg sprach in der Stille seine Gedanken aus. »Gott ist die Allmacht, und er regiert über Milliarden von Weltkörpern, unter denen unsere Erde nur einer der vielen kleinen ist. Christus aber, der Gottmensch, ist der Mittler zwischen Gott und den Menschen der Erde, zwischen der Allmacht und einem winzigen Teil des Weltalls. So groß müssen wir den Herrgott nehmen und uns so klein, damit wir überhaupt den richtigen Maßstab gewinnen und den klaren Erkenntnisblick. Denn das sagt mir eine innere Stimme: Dasjenige Volk wird im Glücke leben, das in seiner Gottesverehrung und seinem Menschenglauben die größte Klarheit und die größte Einfachheit geschaffen hat. Vereinfachung der Glaubenslehre! Das ist der weltbewegende Punkt. Das sprach schon einmal meine Mutter, als ich noch ein Knabe war, in dem knappen Satze aus: ›Mehr inwendig lernen und weniger auswendig!‹ Was nützen uns die Geschlechterverzeichnisse der Juden und die Entwicklungsgeschichten ihrer Stämme? Stammten wir aus ihrem Samen, so wäre es letzten Endes auch für die Geschichte des Glaubens noch hinzunehmen mitsamt den Weissagungen für diese Volksfamilie. Wir aber entstammen den Urwäldern Germaniens und kämpften uns durch unsere Götter Wodan, Donar und Baldur zu unserem Glauben hindurch. Sie aber, so heißt es, sind unerheblich für die Reinheit des Glaubens. Also werden die fremden Baals und goldenen Kälber wohl ebenso unerheblich für die Reinheit des Glaubens sein. Gebt uns des Gottmenschen Christus Leben und Lehren zum Vorbild und führt die Menschen vor die Größe und Erhabenheit der Gotteswelt, vor die göttlichen Wunder der Natur und des Sternenhimmels, bis sie erschauern vor der Allmacht und sich würdig machen des Glücks, in ihr ein Mensch zu sein.« Er schwieg, und in seinen Augen stand die Freude am Leben. Und Linde Baumgart sagte in die Stille des Abends hinein: »Die Quelle der Frau Christiane hat uns auch dies Mutterwort aus dem dunklen Berg in das helle Licht geholt. Mehr inwendig lernen -- und weniger auswendig.« -- -- Der Stille des Abends folgten sturmschwere Tage. Sendboten predigten ungestört in der Gegend ringsum, verwirrten die Begriffe, reizten die Arbeitsscheuen auf gegen die Arbeitsfreudigen. Mancherorts wurde mit Gewalt die Stillegung der Werke erzwungen, um jede und die letzte Obrigkeitsgeltung hinwegzufegen und den ungezügelten Willen an ihre Stelle zu setzen. Ein Wüten von Blinden und Tauben hatte begonnen, die um einer Handvoll rauschender Feiertage willen die Selbstvernichtung daran wagten, und in den Junitagen schlug der Name des Doktors Radermacher an Martin Opterbergs Ohr. Er horchte auf. Ein schrilles Warnungszeichen war durch seine Seele gefahren. Langsamen Schritts ging er über die Rheinwerft und suchte Christoph Attermann auf. Der Pflegebruder hörte ihn mit zusammengezogener Stirn an. »Ich ahnte es,« sagte er und stieß den Atem durch die Nase. »Du ahntest es?« »Es hat keinen Grund mehr, es dir zu verschweigen. Gestern ist die Linde Baumgart von einer Frauensperson auf der Straße angehalten und angeredet worden.« »Von einer -- Frauensperson? -- Kenn’ ich sie etwa?« »Wenigstens kanntest du sie einmal. Aber das ist Jahre her und gänzlich ausgelöscht.« »Sabine --?« Christoph Attermann nickte nur. »Sabine?« Martin Opterberg packte des Pflegebruders Arm. »Sie ist anmaßend geworden gegen die Linde?« »Mehr. Sie ist frech geworden. Wie eine Dirne frech wird.« »Christoph -- ich muß jedes Wort wissen. -- Was ist mit der Linde geschehen? Was hat sie von ihr gewollt?« »Auf der Straße gestellt hat sie die Linde. Und gesagt hat sie, ob sie das Liebchen von Martin Opterberg wär’?« »Und die Linde?« »Geantwortet hat sie: sie wünscht’, sie wär’s, denn es müßt’ eine Ehre sein, von Martin Opterberg geliebt zu werden.« »Linde … Linde …« »Und dann ist sie weitergeschritten, und die Frauensperson hat hinter ihr drein geschrien: es läg’ noch eine Hundspeitsche im Zimmer oben, und die käme sie sich holen, wenn der Herr und sein Liebchen zu Hause wären.« »Christoph,« sagte Martin Opterberg nach einer stummen Weile, »weshalb hör’ ich erst heute davon?« »Weil die Linde verlangt hat, der Schlamm solle nicht an dich heran.« »Aber an sie selber ist er herangespritzt!« »Sie hätt’ ihren Regenrock angehabt, hat das Mädel gesagt, an dem wär’s glatt hinuntergegangen.« Da tat der Martin einen tiefen Atemzug. »Ich möcht’ zu ihr, Christoph. Alles, was froh in mir ist, treibt mich zu ihr. Aber auf der Werft machen sie Feierabend, und es ist nötig, mit den Leuten zu sprechen und sie für jeden Fall bereit zu halten.« Als er mit einbrechender Nacht in sein Haus eintrat, berichtete ihm das Mädchen, daß Linde Baumgart früher als sonst ihr Zimmer aufgesucht habe. Da öffnete sich im Obergestock schon ihre Tür. »Brauchst mich noch, Martin?« tönte ihre Stimme ins Haus. »Gute Nacht, Linde --« »Gute Nacht, Martin.« Aber es wurde keine gute Nacht für Martin Opterberg. Der Gedanke, daß die Linde von dieser -- dieser Frau aller Vergangenheiten auf offener Straße angefallen, angetastet worden sei, trieb ihm den Schweiß auf die Stirn und raubte ihm aufs neue den Atem. Stunde auf Stunde lag er wach und kämpfte immer mit demselben Bild, bis er sich im ersten Morgendämmern erhob, sich hastig ankleidete und den Rhein entlang zur Werft schritt. Trotz der frühen Stunde traf er die Freunde schon versammelt und im ernsten Gespräch mit den Leuten, die die Nacht in der langen Werfthalle auf Hobelspänlagern zugebracht hatten. »Etwas Neues vorgefallen?« fragte er Christoph Attermann. »Die Hochöfen dort drunten am Rhein sind in der Nacht erloschen. Schau hin, es steigt keine Flamme mehr. Das bedeutet, daß sie in der Nacht mit Gewalt zum Erkalten gebracht worden sind.« Broich trat mit Tillmann hinzu. »Ich erfahre soeben von Tillmann, der in der nächsten Ortschaft war, um sich umzuhören, daß die Arbeiter von einer bewaffneten Bande gezwungen worden sind, die Hochöfen auszublasen und die Werke stillzulegen. Die Bande zieht jetzt auf uns zu. Unsere Leute sind vollzählig auf der Werft, die Wehr ist bewaffnet. Hier bring’ ich für jeden von euch einen Revolver, denn es kann ein Tanz werden.« Um die siebente Morgenstunde wälzte sich ein tobender Menschenhaufe heran. Martin Opterberg ließ das eiserne Werfttor schließen. Seine Männer standen in zorniger Erwartung hinter dem Plankenzaun. Der Menschenhaufe kam näher und verteilte sich auf der Zufahrtsstraße, um den arbeitswilligen Werftleuten den Weg zu versperren. Einer aber entdeckte das verschlossene Tor und die Männer hinter dem Plankenzaun und schrie es nach hinten. Ein Mann eilte nach vorn und eine wildfuchtelnde Frau mit ihm. Martin Opterberg spürte, wie ihm jählings alles Blut zum Herzen trieb. Wie durch einen Schleier sah er den Mann und das Weib. Mit aller Willenskraft zerriß er den Schleier, wurde ganz kalt, ganz klar. Der Mann, der von draußen eine Aufforderung über den Plankenzaun brüllte, war der davongejagte Lehrer Doktor Radermacher, das Weib an seiner Seite Sabine Barthelmeß. Sie hatten sich also wiedergefunden, die Gezeichneten, wie Wölfe auf der Wildbahn. »Kommt heraus, ihr Tagelöhner,« brüllte Radermacher, und seine Stimme überschlug sich vor Wut. »Nun hat’s ein End’ mit der Sklavenarbeit. Nun sind _wir_ die Herren! Hat euch euer Sklavenhalter hinter Schloß und Riegel gesetzt? Seid ihr freie Männer oder Feiglinge, die die Zeit verschlafen?« Da öffnete sich ein Flügel des Tores, und ein Meister trat mit einigen Gesellen heraus. »Wir sind freie Männer. Was stören Sie uns?« »Stören sagte der Kerl? Ich werde dir gleich mal dein Hirn aufstören, daß es Funken stiebt. Von keinem Arbeiter geschieht mehr ein Schlag da drinnen. Ist das verständlich, oder sollen wir nachhelfen?« »Arbeiter in Ihrem Sinne gibt’s bei uns nicht. Nur Mitarbeiter, die Teilhaber am Werk sind. Sie können also ruhig abziehen, da für uns gesorgt ist.« Radermacher fuhr hoch. Seine Augen funkelten im Haß. »Bist du bei Sinnen, Mensch? Soll ich dir dein verfluchtes Maul stopfen? Hervor mit den Tagelöhnern, oder wir räuchern euch heraus!« »Rühren Sie hier keine Planke an,« sagte der Meister gelassen. »Ich wiederhole Ihnen und den Leuten da allen: wir sind alle mitbeteiligt am Werk und wissen deshalb unser Eigentum zu schützen.« »Ihr Spießgesellen eines Heckenritters!« schrie Radermacher und hob die Pistole. »Torflügel auf,« befahl Martin Opterberg, und er stand mit den Seinen auf dem offenliegenden Werftplatz. Im selben Augenblick aber sprang mit einem Aufschrei das Weib heran und schleuderte eine auflodernde Pechfackel in die Werfthalle hinein, daß aus den Gespänhaufen die Flammen wie rote Garben gegen die Balken prasselten. »Drauf! Auf sie!« schrie ihr tobender Gefährte den Heranstürmenden zu und feuerte blindlings mit einer Pistole in die Werftleute hinein. Ihm nach seine Gesellschaft. Und dann krachte die Antwort. Ein Schuß in Sekundenkürze vor den anderen. Ein Schuß in Sekundenkürze hinter den anderen. Martin Opterbergs Kugel hatte den Anführer hintenüber geworfen. Jetzt wandte er sich blaß gegen die rasende Brandstifterin. Aber schon war alles vorüber, Massenfeuer und Einzelschuß. Er sah das Weib die Arme hochwerfen und über den toten Gefährten stürzen. Als sich Martin Opterberg blitzschnell umwandte, blickte er in Christoph Attermanns rauchende Pistole. »Halbpart, Martin,« sagte Christoph Attermann, »wir haben immer geteilt.« Martin Opterberg trat dicht auf ihn zu und sah ihm in die Augen, die standhielten. »Quitt, Christoph …« Hörnersignale aus der Ferne! Die benachbarten Ortswehren rückten im Eilmarsch heran. Wie vom Erdboden verschwunden war die führerlos gewordene Bande und hatte ihre Toten und Verwundeten mitgenommen. »Löscht das Feuer,« befahl Martin Opterberg und ging mit schweren Schritten zu den Blutenden. -- -- 15 Über das Land lief die Erwartung des Friedensschlusses. Wie ein Wechselfieber liefen die angespannten Hoffnungen, die fassungslosen Niedergeschlagenheiten durch den siechen Körper. Zu Versailles aber gaben die Sieger ihren Völkern ein Schauspiel. Die im Laufe zweier Jahrtausende verfeinerte Empfindungswelt war ausgebrannt wie ein Krater, in Schlacken türmte sich, was einstmals die Kultur der christlichen Nationen geheißen hatte. Bis zum rohen Kitzel der Heidenzeit mußte zurückgegriffen werden, um die Schaulust der Massen zu befriedigen. Und man führte ein Heldenvolk vor, das vier endlose Jahre hindurch mit malmenden Fäusten die ganze Welt zurückgeschlagen hatte, bis Heer und Heimat die Entkräftung des Leibes und der Seele übermannte und ein Heldenvolk auflöste in zusammenbrechende Haufen körperlich und geistig Entkräfteter. Man führte die Entkräfteten vor, die sich in der Qual einer halbjährigen, demütigenden, von Hunger und Mißtrauen gepeitschten Friedenserwartung selbst untereinander noch zerfleischt hatten, brach ihnen das Rückgrat und ließ sie wie erdefressendes Gewürm durch das kaudinische Joch kriechen. So waren die Tage beschaffen, die dem Sturm auf die Opterbergwerft folgten, und wie Hammerschläge fielen sie auf Martin Opterbergs Hirn und Herz. ›Schlagt zu, schlagt zu,‹ dachte er, ›das Eisen muß gestählt werden.‹ Aber wie die Schläge schmerzten, darüber sprach er zu keinem Menschen. Der Tod der Sabine Barthelmeß und ihres Gefährten hatte ihn einige Tage in eine selbstgewählte Einsamkeit getrieben, die von den Freunden in schweigender Zurückhaltung geachtet wurde. Diese Einsamkeit war eine gesteigerte Arbeit vom Morgen bis in die Nacht. Die Feuerschäden der Werfthalle mußten in kürzester Frist ausgebessert sein. Die Spanten eines neuen Frachtschiffes wurden auf die Helling gelegt. Der schwimmende Frachtdampfer hatte klar zur Fahrt zu machen. Wenn Martin Opterberg mit müden Gliedern in sein Haus heimkehrte, ließ er sich das Abendbrot in sein Arbeitszimmer bringen. »Hab ein wenig Geduld mit mir, Linde,« hatte er am ersten Abend des Werftüberfalls gebeten. »Es ist noch einiges in mir abzurechnen, und das kann ich nur allein.« »Sprich nicht erst, Martin,« hatte Linde Baumgart geantwortet, »es wär’ mir leid um mich, wenn ich erst der Worte bedürfen müßt’,« und sie war mit einem stillen und freundlichen Blick aus dem Zimmer gegangen. Auf ihrer Mädchenstube aber litt sie schwerer und heißer als der einsame Mann, von dem sie nicht wußte, wie heftig die Geschehnisse seine Gedanken bewegen mochten, und oft sprang sie in der Nacht empor, horchte ins Haus, schlüpfte die Treppen hinab und horchte an seiner Tür, immer bereit, auf den leisesten Schmerzenston hin bei ihm einzudringen und ihn von seinen Lasten zu erlösen. Aber Martin Opterberg hatte sich nicht in die Einsamkeit begeben, um einen Schmerz niederzuringen oder einen Stachel aus seiner Seele zu ziehen. Die Schläge, die auf sein Hirn und Herz niedergefahren waren, hatten den Volksangehörigen in ihm getroffen. Der Mann in ihm, der vor langen Jahren von einer Sabine Barthelmeß gewußt hatte, fühlte keinen Schmerz. Und doch war es diese Schmerzlosigkeit, über die er zwei Nächte hindurch grübelte, die er durchleuchtete und durchwühlte. Er griff in eine Leere, er leuchtete in ein Nichts. Und in der dritten Nacht erst fand er. Es war kein Erschrecken in ihm, als das Nichts sich erhellte und aus der Leere aufrecht und stark die Genugtuung trat. Die Genugtuung, befreit zu sein von seiner Lebensschmach. Die Genugtuung, zu leben und die Feinde dahin zu wissen. »Du oder ich?« hallte es ihm aus den Feldzugstagen in den Ohren. »_Du!!_« gellte es in ihm auf. Und er spürte aus grauen, altgermanischen Tagen das Blut der Voreltern in sich wogen. Er war Sieger. Aber auch in Versailles wurde ein Schauspiel aus grauen, heidnischen Zeiten zu Ende gespielt. Die Friedensbedingungen, die das Siebzigmillionenvolk der Deutschen mit Keulen zu Boden schlugen, mußten von den Entwaffneten und Entnervten gegen eine Henkersfrist unterschrieben werden. Nun galt es, in dieser Henkersfrist ein neues Deutschland zu schaffen oder sich in den Erbärmlichkeitstod durch den Strang zu schicken. Als die Nachricht von der ungeheuren Schmach eintraf, die zu Versailles für das deutsche Volk und jeden Mann, jede Frau und jedes Kind in deutschen Landen ersonnen war, begaben sich die Freunde in Martin Opterbergs Haus. Es war ein Junisonntag von sehnsüchtiger Schöne. Aber der Mann in tiefer Trauer, den sie vorzufinden dachten, war nirgend zu erspähen. Mit klarer Stirn und klaren Augen empfing Martin Opterberg seine Gäste, schüttelte ihnen die Hand und dankte ihnen für ihr Erscheinen. »Das Urteil ist rechtskräftig. Ob wir es schelten, schimpfen und bestöhnen, es wird an uns vollzogen. Da scheint es mir besser für unser bißchen Kraft und würdiger für unser letztes völkisches Empfinden, wenn wir entschlossen den großen Querstrich ziehen. Dort die Vergangenheit -- hier die Zukunft. Und die Gegenwartscholle, auf der wir heute stehen, muß für die Zukunft unter den Pflug genommen werden.« »Gott sei gedankt,« sagte Christoph Attermann, »daß du aussprichst, was ich denke. Und daß deine Augen wieder so hell in die Welt schauen.« »Lasset die Toten ihre Toten begraben, Christoph. So steht’s schon in der Bibel. Und im Gesangbuch steht der alte, schöne Erkenntnisvers: Wir machen unser Kreuz und Leid -- nur größer durch die Traurigkeit.« Linde Baumgart stand am Tisch. Ihre Hände zitterten auf der Platte. So strömte die Freude in ihr. Therese Attermann gewahrte es. Sie trat neben die Schwester und legte den Arm um sie. »Jetzt ist er ganz gesundet, Lindele …« »Ja -- jetzt marschiert er ins neue Leben.« Und die Broichs, die sich in ihrem Zusammengehörigkeitsgefühl nicht vor dem alten und nicht vor dem neuen Leben gefürchtet hatten, lachten den nur finster sich zurechtfindenden Tillmann an, und Therese Attermann fragte, während sie im Kreise um den runden Tisch saßen: »Wo geht der Weg? Wir wollen ihn zusammen begehen wie die Jugendwege tief im Schwarzwald.« »Ja, Schwesterherz,« sagte Martin Opterberg und sah ihr voll in die Augen, »dort wollen und dort müssen wir wieder beginnen: in der Einfachheit und der nie ausgeforschten Schönheit der Natur. Unser ganzes Volk müssen wir in die Kindheitstage, in die Jugendzeit zurückführen und es von Grund an zu einem neuen Leben erziehen. Wir sind durch den Krieg arm geworden und werden noch ärmer durch den Frieden werden, wenn wir erst seine Bedingungen erfüllen müssen. Was aber tut eine verarmte Familie, die sich nicht ihren Lebensmut und ihre Lebensfreude rauben läßt? Sie spricht: einst war die ganze Welt mein Haus -- jetzt ist mein Haus die ganze Welt. Siehst du, Therese: hier, mein’ ich, geht der Weg. In den Schoß der Familien müssen wir zurück, an die Mutterbrust der Schlichtheit und Gesundheit. Und mit unserem Wiedererstarken von unserem Hause, von der Familie aus Kreis um Kreis ziehen und nach den engeren Ringen die weiten.« »Ja, Martin, echte und rechte Heimatmenschen müssen wir werden, wenn wir’s Glück wollen.« Linde Baumgarts Augen lachten, während die Schwester es sagte. »Was freut dich denn so sehr, Lindele?« »Mich freut trotz der Schwere der Zeit, daß es halt so und nicht anders werden muß in deutschen Landen. Daß die Menschen, weil’s Geld nimmer langen wird für die teueren Prunkbäderstädte, hinauswandern müssen und hinauswandern werden in den deutschen Märchenwald und über die träumende Heide und durch die duftenden Ährenfelder, wenn sie eine Herzensfreud’ haben und statt der Dachziegel Gottes Sonne und den funkelnden Sternenhimmel sehen wollen. Und weil der Deutsche, da ihm für seine Erholungsfahrten auf lange Zeit das Ausland gesperrt sein wird, weil der Deutsche nun endlich einmal sein wunderschönes liebes Deutschland kennen lernen wird.« »Und auch die Spinnweben und Wespennester im wunderschönen lieben Deutschland,« knurrte Tillmann und rieb sich grimmig die Hände. »Ausgefegt werden müssen sie, soll frische Luft sein.« »Und die Herren Weltbürger dazu,« rief Christoph Attermann, »diese Herren ›Überall zu Haus‹ und nur nicht im eigenen Vaterland. Wenn ich an diese knochenlosen Kurpfuscher denke, diese geschmeidigen Drückeberger in Deutschlands Not, spür’ ich meine Galle.« »Es gibt eben Menschen,« meinte Broich verächtlich, »die sich aus Angst, für Männer gehalten zu werden, lieber selbst entmannen.« »Dem ungeduldigen Kranken hilft nur ein willensstarker Arzt,« sagte sinnend Therese Baumgart, »der, wenn’s not tut, zum Chirurgenmesser greift. Vorläufig horcht das Volk, das so ein ungeduldiger Kranker ist, noch auf das Marktgeschrei eines jeden geschwätzigen Quacksalbers, der ein Leibweh höchstens in ein ärgeres Kopfweh umzuwandeln vermag.« »Und wann wird der Arzt kommen? Wo nehmen wir ihn her?« Und ein jeder sprach seinen Spruch. »Es wird der größte Mann der deutschen Geschichte werden!« »Nur wer im eigenen Hause Ordnung zu halten vermag, ist berufen, sich um die Ordnung auf den Märkten zu kümmern.« »Klein beginnen, aber mit dem unbeugsamen Willen, in die Höhe zu wachsen. Vom eigenen Haus aus die Kreise ziehen, wie Martin Opterberg es sagt, und nach den engeren Ringen die weiten.« »Eine geschichtliche Erlösung kann nur bringen, wer eine neue und größere Geschichte bringt.« »Ich wollte,« sagte Martin Opterberg, »im ganzen deutschen Vaterland säßen sie in dieser Stunde Haus bei Haus und sprächen von den Lichtquellen der Zukunft und nicht von dem niedergebrannten Kerzenstumpf der Vergangenheit. Und schüfen an der neuen deutschen Welt, in der es nur noch zwei Parteien und zwei Klassen von Menschen geben dürfte, die Anständigen und die Unanständigen, und die letzten nur, weil wir keine Engel sind und des Sauerteigs bedürfen. Freunde, nie hat eine schwerere Stunde ein Volk der Erde betroffen, und dennoch wollen wir stolz sein, daß wir sie miterleben, daß wir an eine Aufgabe mit herandürfen, für die die Besten gerade gut genug sind. Daran wollen wir denken, wenn wir allein sind und die Einsamkeit fühlen.« Die Freunde erhoben sich. Wortlos, aber mit klarblickenden Augen. Sie schüttelten sich zum Abschied die Hände und gingen heim, ein jeder, wohin er gehörte. Und der Juniabend schaute durch die Fenster in seiner sehnsüchtigen Schöne … Martin Opterberg war in sein Arbeitszimmer hinübergegangen. Er saß in der dunklen Ecke seines Ledersofas, und Linde Baumgart stand in der Tür und betrachtete ihn mit ihren warmen Blicken. »Hast du noch einen Wunsch, Martin?« »Ja, Linde, ich hätte noch einen Wunsch, und ich meine, die schweren Tage sind vor den anderen dazu geschaffen, um sich Wünsche zu erfüllen.« »Nenn den deinen, Martin …« »Ich möchte, Linde -- ich möchte, daß du die Laute nähmst und sängst. Gerade an diesem Tag der deutschen Schmach und Schande. Nur das eine Lied, Linde, das Heldenlied, das uns vier Jahre vorangezogen ist in die Schlacht. Hol deine Laute, Mädchen.« Sie nickte ihm zu, ging und kehrte mit der Laute wieder. In dem tiefen Sessel saß sie ihm gegenüber, die Wange an den Lautenhals geschmiegt, und aus dem dunklen Lederpolster leuchtete ihr Gesicht so weiß wie ihr Sommerkleid. »O Deutschland, hoch in Ehren …« Martin Opterberg horchte auf, als riefen die Geister der Toten aus den fernen Gräbern in Frankreich, Flandern und Polen. Seine Augenlider röteten sich. Seine Wimpern wurden feucht. Aber sein Herz schlug nicht im Jammer um das Gewesene, es schlug im Stolz um die unvergänglichen Großtaten seines Volkes. O Deutschland, hoch in Ehren! Die reine Mädchenstimme schwoll an, und die klingenden Saiten trugen sie hinauf zu den Höhen, von denen der Blick in die Weite geht. »Haltet aus im Sturmgebraus!« Und Martin Opterberg hörte nicht mehr die Geisterstimmen aus den Gräbern. Seine Augen hatten den alten Glanz zurückgewonnen. Kein Erinnerungstropfen hing mehr an seinen Wimpern. Vornübergebeugt saß er und schaute auf der Sängerin Lippen, als sähe er eine begeisterte Seherin sitzen und der neuen deutschen Welt den Zukunftglauben stählen in dieser Wind- und Wolfszeit, da der Wintersturm brauste im Junimond. Haltet aus! Wir sterben nicht! Wir erstehen! Haltet aus im Sturmgebraus … Die Mädchenstimme schwang sich hoch auf aus der grauen Zeitlichkeit zu den ewigen Sternen, und des Mannes Augen leuchteten still und strahlend in der Gewißheit deutscher Unsterblichkeit. »Haltet aus im Sturmgebraus!« So feierte Martin Opterberg den Friedensvertrag von Versailles, der ein atemlos gewordenes Volk mitten ins Gesicht schlug. Die Sängerin hatte die Laute an den Sessel gelehnt. Sie stand und wartete, und ihre Brust bebte noch von dem Lied. »Nun ist die Reihe, zu wünschen, an dir, Linde.« »Ja, Martin …« »So sag auch du deinen Wunsch.« Sie trat zu ihm hin. Auf scheuen Füßen. Und dann kauerte sie sich ganz dicht zu ihm und legte ihm die flachen Hände gegen die Brust. »Hab mich lieb …« Wie ein letztes, silbernes Lautenschwirren glitt es durchs Zimmer. Martin Opterberg blieb wie gebannt. Er rang nach einem Wort und fand nicht eins. Alles, was er in dieser Sekunde zu denken und zu fühlen vermochte, sammelte sich im Anblick dieser friedebringenden Mädchenaugen. »Hab mich lieb …« bat das Mädchen zum zweiten Male. Da hob er die Arme und schlang sie um ihre Schultern und zog ihr Herz so fest an das seine, daß sie plötzlich alle Kraft verlor. Aber die weitgeöffneten Augen hielt sie standhaft auf die seinen gerichtet. »Linde … Linde … das bittest du mich? Du -- mich?« »Ja, Martin … Es ist ja eins …« »Gib mir deinen Mund, du --« Sie hob ihr Gesicht ihm entgegen. -- Er blickte auf ihre Lippen … Er spürte, wie ihm ein heißes, seliges Lachen aus fernen Jugendtagen in die Augen trat … Und er fühlte, daß die Jugend wiedergekommen sei. Irgend ein Wort stieß er hervor, von dem er selber nicht wußte, ob es ein Wort war, und nur, daß es einen Gruß bedeutete, einen Gruß des Wiederfindens, des Festhaltens, einen Glücksgruß wie auch immer. Und während er ihr den Atem von den Lippen küßte, legte sie ihre Hände fest um seine Schläfen. »Linde, Linde, ich hab’ dich lieb. Weshalb fragst du mich?« »Damit du weißt, wie sehr ich auf dich warte …« »Du hast gewartet? Warum? Warum?« »Um dir zu bringen, was du brauchst, um als ein Junger ausfliegen und -- heimfliegen zu können.« »Als ein Junger … Wo ist dein Mund? Wo sind deine Augen? Als ein Junger, o du … Nun trink’ ich aus dem Jugendbrunnen. Gib, gib …« Und es wurde Nacht, und sie sahen nur ihre Augen und spürten nur einer des anderen Herz. »Es ist Johannisnacht,« sagte das Mädchen leise. »Das ist die Nacht der bräutlichen Paare.« »Es ist Johannisnacht,« sagte Martin Opterberg, »auf den Bergen flammen die Johannisfeuer, und die Menschen, die sich lieben, schwingen sich Hand in Hand durch die Flammen wie durch ein läuterndes Bad. Das ist ein deutungstiefer Brauch.« »In diesem Jahre,« fuhr das Mädchen fort, »brennen keine Johannisfeuer auf den deutschen Bergen. Drum wollen wir die Flammen in unseren Herzen schüren, daß sie unser ganzes Wesen reinbrennen zum bräutlichen Fest.« »Mitsommerfest, Linde, Mitsommerfest! Nun erst steht die Sonne im Scheitelpunkt.« »Ja, Martin. Nun erst beginnt das Leben und Erleben in der Reife.« Sie standen am Fenster und blickten in den werdenden Johannistag, der die Nacht verdrängte, bevor sie sich ausgebreitet hatte. Schon zuckten die Vorboten der ersten Sonnenstrahlen fernhin über den Himmel. »Das soll uns ein Zeichen sein für unsere Lebensfahrt, Martin. Schau hin. Nach kurzer Nacht ein langer Tag.« »Und ein Zeichen für unser Vaterland, Linde. Zu Johanni stürzten uns die Feinde in die Nacht der Schmach. Aber die Johannisnacht ist die kürzeste des Jahres.« Sie schmiegte sich in seinen Arm, als wären sie nur ein Leib und eine Seele. Und das Johanniswunder eröffnete alles Land und alles Leben dem Licht. Über den Rhein blitzte es hin wie Funken, und in den dichtverzweigten Uferweiden erwachte hundertstimmiger Vogelgesang. »Komm mit mir ins Licht, Linde,« sagte Martin Opterberg, und sie hing ihren Sommerhut über den Arm und schritt an seiner Seite durch den Garten an den Rhein und langsam rheinauf. »Gingen wir so weiter und immer so weiter,« meinte das Mädchen sinnend, »so kämen wir an den Oberrhein, und am jungen Brauserhein zu unserer Frau Christiane -- unserer Mutter.« »Unserer Mutter …,« wiederholte Martin Opterberg und zog ihren Arm fester an sich. »Unser erstes Denken in dieser Frühe soll _ihr_ gelten, Martin, die uns Tag und Nacht aus ihren Quellen speiste.« »Wie ich sie kenne, Linde, ist sie uns schon mit ihrem Denken zuvorgekommen.« Droben in Scheitelhöhe zogen zwei Falken ihre Kreise. Und wieder wies sie ihm das glückliche Mädchen als ein Zeichen. »Als wir noch Knaben waren,« sagte Martin Opterberg, »der Christoph Attermann und ich, und mit der Mutter zu den Gletschern stiegen, aus denen die Rheinquellen springen, erspähten wir Buben ein Adlerpaar hoch im Blauen. Und die Mutter nannte sie die Könige der Einsamkeit und lehrte uns, daß just die Einsamkeit einen Gefährten verlangt.« »Die Einsamkeit?« fragte nachsinnend das Mädchen. »So fragten damals auch wir Buben. Und die Mutter lehrte uns: Gerade die Einsamkeit. Ohne einen Gefährten wäre sie eine große, leere Gebärde, ein Grab bei Lebzeiten. Mit einem Gefährten die Größe und Fülle des Lebens, aus einer stolzen Höhe betrachtet. Das haben wir Buben uns für alle Zeit gemerkt.« »Du und der Christoph?« »Ja, Linde, der Christoph und ich. Denn die Mutter nahm uns Wanderbuben in ein fröhlich Verhör, ob wir uns auch ein rechtes Bild zu machen vermöchten, und ich rief: Die Mutter meint, Einsamkeit und Tod sei noch lange nicht dasselbe. Und der Christoph rief: Und wer nicht tot ist, der hat zu leben, und aus der Höhe betrachtet, läuft’s da drunten durcheinander wie Ameisen, die einen nicht schrecken.« »Und die Mutter, Martin? Die Mutter?« »Die Mutter rief: So mein’ ich’s. Und wenn du es dann droben in der einsamen Höh’ einem gleichartigen Gefährten mitteilst und er es dir bejaht, dann wird euch euer ernstes Wissen zur fröhlichen Gewißheit, und ihr habt erst die rechte Freude am Leben, weil’s nimmer ein Fürchten gibt.« »Nun hast du es mir mitgeteilt, Martin …« »Und du mir.« Sie wanderten immer noch den Rhein hinauf, über den die Frühsonne sich breitete wie ein blitzender Schild aus Silber und Gold. »Johannistag,« sang und klang es in ihren Seelen. »Sag mir eins, Linde. Sag mir, wann du es wußtest, daß du mich lieb hattest.« Sie ging eine Weile schweigend, als suche sie am Wegrand eine Blume. Dann hob sie den Kopf und blickte ihm offen in die Augen. »Nein, Martin, das läßt sich nicht sagen, denn es muß wohl immer gewesen sein. Schon in der Mädchenfrühe, seit die Therese mir so warm von dir sprach. Aber überwältigt hat’s mich und geschüttelt, daß ich den Schlaf nicht mehr fand, als ich wußt’, du bist im Unglück, du bist mit dem Heer auf dem Rückzug, du schlägst dich durch die Feinde und wohl gar durch die eigenen Landsleut’ durch nach dem Rhein und über den Rhein und kommst in dein kaltes, leeres Haus. Damals, Martin, damals hab’ ich Nacht für Nacht mein Lämpchen in der Stub’ brennen lassen, denn ich sagt’ mir wohl: vom eigenen dunklen Haus kommt er zum Attermannschen Haus, Nachschau halten, und da soll er Licht und Leben finden, das, was er zumeist benötigt. Und so bin ich die Treppen hinabgesprungen, als es in der Dezembernacht an der Haustür läutete, und hab’ nur ein Gewand über mein Nachtkleid geworfen, nur damit ich die Erste war, die dich begrüßen konnt’ und --« »Und --?« wiederholte Martin Opterberg und hielt den Schritt an. »Und dich küssen,« vollendete sie hastig, umschlang ihn mit beiden Armen und drückte ihren Kopf an seine Brust. Er erwiderte kein Wort. Er hielt sie ganz fest und sah auf ihrem braunen Haar das Sonnenkrönlein flimmern. Nun war das Krönlein der Baumgartschwestern _doch_ noch sein. Wieder wanderten sie weiter und bogen ab vom Rhein, und das Mädchen fragte: »Wohin gehen wir?« »Zur Schwester,« antwortete Martin Opterberg. »Ich bring’ dich der Therese.« Es war erst fünf Uhr morgens, als sie das Attermannsche Haus erreicht hatten, und sie umschritten das Anwesen und gelangten durch ein Pförtchen in den Garten. Die Rosen glühten an den Stöcken und die Nelken auf den langgezogenen Beeten. Ein blühendes Jasmingesträuch war zu einer Gartenlaube geformt. Nicht lange saßen sie in dem kleinen, verträumten Winkel, als sich die Haustür nach dem Garten auftat und Therese Attermann auf der Schwelle stand. Sie lugte in den Morgen hinein, hob den Fuß, um die Steinstufen hinabzusteigen, und blieb mit einem Male regungslos. Dann aber kam eilendes Leben in sie, und sie schritt schnell die Stufen hinab und in den Garten hinein. Die beiden in der Jasminlaube hatten sich erhoben und kamen ihr, sich fest bei der Hand haltend, auf halbem Wege entgegen. »Ihr?« sagte Therese Attermann, und ihr Herz schlug hoch. »Ich hatt’ doch das Glöckchen an der Gartenpforte anschlagen gehört und glaubt’, es käm’ einer, der schon in der Früh’ meinen ärztlichen Beistand suchte.« »Grüß Gott, Therese. Wir kommen zwar nicht zum Arzt, sondern zur Schwester, um ihren Beistand zu erbitten. Die Linde will nun für immer bei mir bleiben und mich nicht mehr lassen! Bist du’s zufrieden?« Therese Attermann streckte die Hände aus, und die beiden ergriffen die Schwesterhände und streichelten sie. Ein tiefer Atemzug hob Therese Attermanns Brust. »Ich bin’s zufrieden! Ob ich’s zufrieden bin! Euch brauch’ ich kein Glück zu wünschen. Denn ihr habt’s und werdet’s zu halten wissen.« »Ich bring’ dir meine Braut, Therese. Laß sie die wenigen Wochen bei dir bleiben, bis ich sie heimhol’. Ich will heut’ noch unser Aufgebot bestellen.« Da nahm Therese Attermann die Schwester an ihre Brust, mit einer starken, liebkosenden Gebärde. »Mein Lindele du …« Und Linde Baumgart eilte, um Christoph Attermann herauszuklopfen, und Martin Opterberg stand mit der Schwester allein und sah ihr in die Augen. »Du hast mir all mein blindes Jugendtreiben verziehen, Therese? Heute erst frag’ ich dich danach.« »Martin,« sagte sie leise, »als Christoph Attermann in seiner starken Treue kam, um mich zum Weib zu wünschen, da hab’ ich ihm auf seine männliche Frage nach dir geantwortet: Ich könnt’ für den Martin Opterberg zu jeder Stund’ sterben, aber nicht mit ihm leben … Und dann hast du mit dem Leben gerungen und bist längst ein anderer geworden, bevor das Leben ein anderes geworden war, und wie sehr ich mit dem anderen Martin Opterberg, dem, der vor mir steht, zusammen leben möcht’ und will und werd’ -- ach Martin, das Lindele ist ja keine andere als ich, und ich bin das Lindele.« »Ich bin ein glücklicher Mann,« erwiderte Martin Opterberg. »Ich danke dir.« Und Christoph Attermann kam, von Linde geleitet, und fiel dem Pflegebruder stürmisch um den Hals. »Nun sind wir erst eins, Martin, nun sind wir erst ganz eins. Als hätten sich die beiden Rheinquellen vereinigt und endlich auch zum breiten Strom gefunden.« -- In dem einen Monat, der Martin Opterberg blieb, gab es Arbeit die Fülle für ihn. Aus seinen alten Pionieren waren die Schiffer, die ein Schiffahrtszeugnis für den Rhein besaßen, ausgewählt worden, um mit ihnen den Frachtdampfer zu bemannen. Über die nahe Grenze nach Holland ging die Fahrt, Waren zu laden für den Oberrhein bis Basel, und in Gegenfracht kostbare Hölzer des Schwarzwaldes zu holen. Und als das Schiff den Rhein hinabgeschwommen war, war auch der Monat dahingegangen. In den ersten Augusttagen legten Martin Opterberg und Linde Baumgart ihre Hände ineinander. Und sie fuhren in selber Stunde hinaus in den deutschen Süden, dem Land ihrer Jugend entgegen, und fuhren die ganze Nacht und den neuen Morgen den Rhein entlang und sahen den Schwarzwald winken, stiegen aus und wanderten in ihn hinein. In einem alten Städtchen am Murgufer hielten sie an, hielten sie ihre erste Rast -- -- -- Immer wieder mußten sie zurückschauen auf das alte, liebe Nest am lebenrauschenden Wasser, als sie anderen Tages die Berglehnen hinanstiegen, starrenden Fels und rauschenden Wald zu Häupten und zu Füßen. »Du!« »O du -- -- --« Die langbärtigen Tannen flüsterten, die Quellen sangen, die Vögel redeten in hundert Zungen -- es war alles verzaubert um sie her. »So war’s in der Jugend, Linde …« »So ist es heut, Martin.« Hoch oben auf dunkler Waldeskuppe lag wie ein Krönlein ein kleines, altersgraues Jagdschloß. »Dort ist ein Blick ins Land, so zauberisch wie wenige nur,« wußte Martin Opterberg zu künden, und sie stiegen weiter und saßen doch mehr im Moos, als daß sie wanderten. Droben lehnten sie an der Mauerbrüstung und schauten mit glänzenden Augen hinaus in die sonnigen Nähen und goldenen Weiten, zu den mächtigen Bergrücken hinüber, von denen die grünen Matten wie Mäntel niederglitten, und hinunter zu den spielzeugkleinen Dörfern, an denen die silberne Murg in Freudensätzen vorübersprang. So klein war die Erde, so groß die unendliche Welt! Und beide waren sie schön in allen ihren Teilen. Schwer nur lösten sie sich aus ihrem Schauen und riefen sich auf zum Weiterwandern. »Erzähle mir, was hast du gesehen?« fragte Martin Opterberg, als sie in schweigender Freude die tannenumrauschten Höhenwege schritten. »Wovon sprichst du?« fragte Linde Opterberg zurück. »Von dem Jagdschloß auf der freien Schwarzwaldhöh’ und dem Ausblick in Nähe und Ferne.« »Schilt mich, Martin, denn ich hab’ von all’ dem nichts gesehen. Ich hab’ nur dich gesehen, wie ich Ausschau und Einschau hielt. Dich, dich …« »Und ich hab’ nur dich gesehen.« Schulter an Schulter schritten sie durch den Wald und suchten Herberge. Und jeder Morgen wurde ihnen lieber um des gemeinsamen Wanderns willen und jeder Abend ihnen lieber um des gemeinsamen Rastens willen. So kamen sie nach Wochen des Glücks zu Frau Christiane und blieben in dem weißen Hause, das auf dem steilen Uferrücken über dem brausenden Jungrhein lag, weitere Wochen des Glücks. In diesen Tagen sah man oft Frau Christiane auf der kleinen Bank im Felsgarten sitzen, die Hände im Schoß, als dürfe sie sich nun auch bei Tage einmal ruhen, obwohl sie Gäste habe, und auf den brausenden Jungrhein blicken, der nach mancher Meilenfahrt fernhin zum stark und ruhig flutenden Niederrhein wurde. Und dann traf die Nachricht ein, daß der Frachtdampfer von Rotterdam angekommen und in Basel entladen sei. Vom Meere bis zum jungen Rhein war er die Wasserstraße gezogen, neue Lebenswerte, neue Arbeitswerte an Bord. »Nun ist Opterbergwerft und Opterberghof einander so nahe gerückt, Mutter, daß du vom Turmzimmer aus mit dem Fernrohr zum Schiff und von Bord aus zum Opterberghof hinüberschauen kannst.« »Ich hab’s euch immer gesagt: der Rhein und seine Menschen gehören zusammen. Das müßt ihr halten wie ein Naturgesetz. Und die Natur kennt auf die Dauer keine Widernatürlichkeiten.« Sie standen am Basler Landungsplatz. Der starke Schiffsrumpf war angefüllt mit Rohgarnballen für die niederrheinischen Spinnereien und Webereien, dazu mit Lebensmitteln aller Art, die dem freien Handel wieder zugängig gemacht waren nach der jahrelangen Sperre. Das breite Deck aber war aufnahmebereit für die Schiffsbauhölzer aus dem Schwarzwald, die weiter stromab geladen werden sollten. Der Kreislauf des Blutes hatte wieder begonnen. Die Zollbeamten kamen von Bord. Die Pässe wiesen Martin Opterberg und seine Frau als die Schiffseigentümer aus. Der Anker konnte gelichtet werden. Frau Christiane schüttelte den Abschiednehmenden die Hand. »Das ist jetzt kein Abschied mehr. Das ist nur noch die Freud’ auf das Wiedersehen. Wann tauft ihr euren Buben?« »Übers Jahr, Mutter.« »Recht so. Und bringt mir den Opterbergerben zu Schiff auf den Opterberghof. Er soll eine Heimat am Oberrhein und am Niederrhein haben. Wie es sich gebührt.« »Mutter, und ich schick’ dir jedes Jahr die Erholungsbedürftigen von der Werft. Du wirst ihnen Leib und Seel’ auffrischen.« »Mit Quellwasser, Bub. Grüßt die Attermanns. Fahrt wohl!« »Fahr wohl, Mutter.« -- So fuhren sie dahin, das badische Ufer entlang, und sahen zur Linken die französische Grenze, herangerückt an den heiligen Strom. Und Straßburg tauchte auf, und vom deutschen Dome Erwins flatterte Frankreichs Dreifarbenbanner. Martin und Linde Opterberg standen vorn am Bugspriet. »O Straßburg, o Straßburg, du wunderschöne Stadt …« sang es in ihren Herzen, aber während sie den Blick von dem ragenden Denkmal vergangener Tage wandten und geradeaus richteten auf den festen Kurs ihres Schiffes, summten ihre Lippen das alte Heldenlied, das ein Gruß war an die Toten und ein Gruß war an die Lebenden: »O Deutschland, hoch in Ehren …« »Haltet aus! Haltet aus im Sturmgebraus!« Anzeigen des Cotta’schen Verlages Rudolf Herzog _Romane und Novellen:_ Das goldene Zeitalter Gebunden Roman. 13. u. 14. Tausend M. 7.50 Der Adjutant Roman. 15.—17. Tausend M. 7.50 Der Graf von Gleichen Ein Gegenwartsroman. 67.—81. Tausend M. 26.-- Die vom Niederrhein Roman. 136.—150. Tausend M. 26.-- Das Lebenslied Roman. 146.—165. Tausend M. 26.-- Die Wiskottens Roman. 206.—220. Tausend M. 26.-- Der alten Sehnsucht Lied Erzählungen. 17.—36. Tausend M. 7.50 Der Abenteurer Roman. Mit Bildnis des Verfassers 71.—90. Tausend M. 25.-- Hanseaten Roman. 131.—145. Tausend M. 26.-- Es gibt ein Glück … Novellen. 42.—61. Tausend M. 8.-- Die Burgkinder Roman. 141.—160. Tausend M. 26.-- Die Welt in Gold Novelle. 26.—35. Tausend M. 12.-- Das große Heimweh Roman. 136.—150. Tausend M. 26.-- Rudolf Herzog _Romane und Novellen:_ Gebunden Die Stoltenkamps und ihre Frauen Roman. 151.—165. Tausend M. 27.-- Jungbrunnen Novellen. 51.—80. Tausend M. 9.50 Die Buben der Frau Opterberg Roman. 61.—100. Tausend M. 25.-- Ausgewählte Novellen Mit einer biographischen Einleitung von Prof. ~Dr.~ _Johann Georg Sprengel_. 21.—25. Tausend Geheftet M. 2.20 _Gedichte:_ Gedichte 6. u. 7. Tausend M. 8.50 Wir sterben nicht! Lieder und Balladen. 2.—5. Tausend M. 3.-- Stromübergang Dramatisches Gedicht in einem Aufzug 1.—10. Tausend M. 1.-- _Bühnenwerke:_ Die Condottieri Schauspiel in vier Akten. 3. Tausend M. 8.-- Auf Nissenskoog Schauspiel in vier Akten. 2. Tausend M. 5.-- Herrgottsmusikanten Lustspiel in vier Akten. 2. u. 3. Tausend M. 5.50 ________ Rudolf Herzogs Leben und Dichten Von Prof. ~Dr.~ _Johann Georg Sprengel_. Mit acht Bildnissen. 1.—5. Tausend M. 6.-- Rudolf Herzog Gesammelte Werke Erste Reihe in sechs Bänden 1.—20. Tausend In sechs künstlerischen Pappbänden 140 Mark In sechs künstlerischen Halbleinenbänden 160 Mark * _Inhalt_ _Band 1_ Einleitung von Prof. ~Dr.~ Johann Georg Sprengel und Bildnis des Dichters _Der Graf von Gleichen._ Roman _Band 2_ _Die vom Niederrhein._ Roman _Band 3_ _Das Lebenslied._ Roman _Band 4_ _Die Wiskottens._ Roman _Band 5_ _Der Abenteurer._ Roman _Band 6_ _Es gibt ein Glück …_ Novellen _Der alten Sehnsucht Lied._ Erzählungen Cotta’sche Gelbe Bibliothek [Illustration: Signet] Romane und Novellen ======================================================================= Gebunden _Althof, Paul_ (Alice Gurschner), Die wunderbare Brücke und andere Geschichten M. 7.-- --„-- Das verlorene Wort. Roman „ 7.-- _Andreas-Salomé, Lou_, Fenitschka -- Eine Ausschweifung Zwei Erzählungen „ 6.50 --„-- Ma. Ein Porträt. 4. Taus. „ 6.50 --„-- Menschenkinder. Novellensammlung. 2. Taus. „ 9.-- --„-- Ruth. Erzählung. 7. u. 8. Taus. „ 11.-- --„-- Aus fremder Seele. Eine Spätherbstgeschichte. 3. Taus. „ 6.50 --„-- Im Zwischenland. Fünf Geschichten. 3. Taus. „ 10.-- _Anzengruber, Ludwig_, Letzte Dorfgänge. 2. Taus. „ 9.-- --„-- Wolken und Sunn’schein. 6. Taus. „ 6.50 _Arminius, W._, Der Weg zur Erkenntnis. Roman „ 7.-- --„-- Yorcks Offiziere. Roman von 1812/13. 5. u. 6. Taus. „ 9.-- _Bertsch, Hugo_, Bilderbogen aus meinem Leben. 2. u. 3. Taus. „ 7.-- --„-- Bob, der Sonderling. Seine Geschichte. 4. Taus. „ 7.-- --„-- Die Geschwister. Mit Vorwort von Adolf Wilbrandt. 12. Taus. „ 6.50 _Birt, Th._, Menedem. Die Geschichte eines Ungläubigen „ 8.-- _Boy-Ed, Ida_, Die säende Hand. Roman. 6.—10. Taus. „ 20.-- --„-- Stille Helden. Roman. 12.—16. Taus. „ 20.-- --„-- Um Helena. Roman. 3. Taus. „ 8.50 --„-- Ein königlicher Kaufmann. Hanseatischer Roman. 33.—37. Taus. „ 26.-- --„-- Die Lampe der Psyche. Roman. 3. Taus. „ 8.50 --„-- Nur wer die Sehnsucht kennt … Roman. 11.—15. Taus. „ 20.-- --„-- Die große Stimme. Novellen. 3. Taus. „ 6.50 _Bülow, Frieda_, v., Kara. Roman „ 8.-- _Burckhard, Max_, Simon Thums. Roman. 2. Taus. „ 7.-- _Dove, A._, Caracosa. Historischer Roman. 2 Bände. 2. Taus. „ 15.-- _Ebner-Eschenbach, Marie v._, Božena. Erzählung. 15.—17. Taus. „ 13.50 --„-- Erzählungen. 7. u. 8. Taus. „ 9.50 --„-- Margarete. 9.—11. Taus. „ 9.-- _Ebner-Eschenbach, Moriz v._, ~Hypnosis perennis~ -- Ein Wunder des heiligen Sebastian. Zwei Wiener Geschichten „ 26.-- _El-Correï_, Das Tal des Traumes. Roman. 2. Taus. „ 8.-- _Enderling, Paul_, Fräulein. Roman. 4.—6. Taus. „ 18.-- --„-- Der Hungerhaufen und andere Novellen „ 6.50 --„-- Zwischen Tat und Traum. Roman „ 8.-- _Engel, Eduard_, Paraskewúla und andere Novellen „ 7.50 _Fontane, Theodor_, Ellernklipp. 7.—11. Taus. „ 12.-- --„-- Grete Minde. 9.—13. Taus. „ 8.-- --„-- Quitt. Roman. 10.—12. Taus. „ 12.-- --„-- Vor dem Sturm. Roman. 21.—24. Taus. „ 20.-- --„-- Unwiederbringlich. Roman. 9.—11. Taus. „ 12.-- _Franzos, K. E._, Der Gott des alten Doktors. Erzählung. 2. Taus. „ 6.50 --„-- Die Juden von Barnow. Geschichten. 11.—15. Taus. „ 15.-- --„-- Ein Kampf ums Recht. Roman. 2 Bände. 7. Taus. „ 11.-- --„-- Mann und Weib. Novellen. 2. Taus. „ 7.-- _Franzos, K. E._, Moschko von Parma. Erzählung. 6.—10. Taus. „ 16.-- --„-- Neue Novellen. 2. Taus. „ 6.50 --„-- Der Pojaz. Eine Geschichte aus dem Osten. 13.—17. Taus. „ 24.-- --„-- Der Präsident. Erzählung. 4. Taus. „ 6.50 --„-- Die Reise nach dem Schicksal. Erzählung. 3. Taus. „ 7.50 --„-- Judith Trachtenberg. Erzählung. 8.—12. Taus. „ 16.-- --„-- Der Wahrheitsucher. Roman. 2 Bände in 1 Band. 3. Taus. „ 11.-- --„-- Leib Weihnachtskuchen und sein Kind. Erzählung. 3. Taus. „ 7.-- _Frei, Leonore_, Das leuchtende Reich. Roman „ 8.-- _Frey, Adolf_, Die Jungfer von Wattenwil. Historischer Schweizerroman. 6.—8. Taus. „ 18.-- _Fulda. L._, Lebensfragmente. Novellen. 3. Taus. „ 6.50 _Gleichen-Rußwurm, A. v._, Vergeltung. Roman „ 7.50 _Grimm, Herman_, Unüberwindliche Mächte. Roman. 2 Bde. 3. Taus.„ 16.-- _Gruhn, Erwin_, Friedrich Lohe. Roman. 7.—9. Taus. „ 18.-- _Harbou, Thea v._, Der unsterbliche Acker. Ein Kriegsroman. 7. u 8. Taus. „ 7.-- --„-- Die nach uns kommen. Roman. 6. u. 7. Taus. „ 7.50 --„-- Die Flucht der Beate Hoyermann. Roman. 36.—38. Taus. „ 14.-- --„-- Die Masken des Todes. Sieben Geschichten in einer. 2.—8. Taus. „ 7.-- _Hartmann, Alfred Georg_, Die Fahrt ins Himmelreich Ein Künstlerroman aus Holland „ 6.50 _Haushofer, Max_, Geschichten zwischen Diesseits und Jenseits Ein moderner Totentanz. 2. Taus. „ 7.50 --„-- Planetenfeuer. Ein Zukunftsroman „ 7.50 _Heer, J. C._, Der lange Balthasar. Dorfroman. 36.—45. Taus. „ 14.-- --„-- Da träumen sie von Lieb’ und Glück! Drei Schweizer Novellen. 28.—30. Taus. „ 9.-- --„-- Joggeli. Geschichte einer Jugend. 38.—47. Taus. „ 20.-- --„-- Der König der Bernina. Roman. 141.—160. Taus. „ 18.-- --„-- Laubgewind. Roman. 101.—115. Taus. „ 18.-- --„-- Felix Notvest. Roman. 38.—47. Taus. „ 20.-- --„-- Was die Schwalbe sang. Geschichten f. Jung u. Alt. 21.—25. Taus. „ 7.50 --„-- Nick Tappoli. Roman. 51.—60. Taus. „ 20.-- --„-- An heiligen Wassern. Roman. 136.—155. Taus. „ 20.-- --„-- Der Wetterwart. Roman. 151.—165. Taus. „ 20.-- _Heilborn, Ernst_, Kleefeld. Roman „ 6.-- _Herzog, Rudolf_. Der Abenteurer. Roman. 71.—90. Taus. „ 25.-- --„-- Der Adjutant. Roman 15.—17 Taus. „ 7.50 --„-- Die Buben der Frau Opterberg. Roman. 61.—100. Taus. „ 25.-- --„-- Die Burgkinder. Roman. 141.—160. Taus. „ 26.-- --„-- Der Graf von Gleichen. Ein Gegenwartsroman. 67.—81. Taus.„ 26.-- --„-- Es gibt ein Glück … Novellen. 42.—61. Taus. „ 8.-- --„-- Hanseaten. Roman. 131.—145. Taus. „ 26.-- --„-- Das große Heimweh. Roman. 136.—150. 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Taus. „ 6.50 _Huch, Ricarda_, Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren Roman. 27.—31. Taus. „ 22.-- _Junghans, Sophie_, Schwertlilie. Roman. 2. Taus. „ 8.-- _Kaiser, Isabelle_, Seine Majestät! Novellen. 2. Taus. „ 6.50 --„-- Wenn die Sonne untergeht. Novellen. 4. u. 5. Taus. „ 8.-- _Knudsen, J._, Angst. Der junge Martin Luther. Berechtigte Übersetzung von Mathilde Mann. 2. Taus. „ 8.-- _Krauel, Wilhelm_, Von der andern Art. Roman „ 7.-- --„-- Das Erbe der Väter. Ein Lebensbericht „ 7.50 _Kurz, Hermann_ (Der Schweizer), Sie tanzen Ringel-Ringel- Reihn. 2. u. 3. Taus. „ 8.-- _Kurz, Isolde_, Italienische Erzählungen. 3. u. 4. Taus. „ 12.-- --„-- Lebensfluten. Novellen. 2. Taus. „ 7.-- --„-- Florentiner Novellen. 8.—10. Taus. „ 11.-- _Langmann, Philipp_, Leben und Musik. Roman „ 7.50 _Lilienfein, Heinrich_, Modernus. Die Tragikomödie seines Lebens -- aus Bruchstücken ein Bruchstück. 2. Taus. „ 7.50 --„-- Von den Frauen und einer Frau. Erzählungen und Geschichten. 2. Taus. „ 6.-- --„-- Ideale des Teufels. Eine boshafte Kulturfahrt. 2. Taus. „ 6.50 --„-- Ein Spiel im Wind. Roman. 6.—8. Taus. „ 16.50 --„-- Der versunkene Stern. Roman. 6.—8. Taus. „ 20.-- --„-- Die große Stille. Roman. 12.—14. Taus. „ 25.-- --„-- Die feurige Wolke. Roman. 6.—10. Taus. „ 12.-- _Lindau, Paul_, Die blaue Laterne. Berliner Roman. 2 Bände in 1 Band. 8.—10. Taus. „ 20.- --„-- Arme Mädchen. Roman. 12.—14. Taus. „ 10.-- --„-- Spitzen. Roman. 13.—15. Taus. „ 18.-- --„-- Der Zug nach dem Westen. Roman. 13.—15. Taus. „ 10.-- _Mahn, Paul_, Der Kamerad. Roman. 2. Taus. „ 7.-- _Mauthner, Fritz_, Aus dem Märchenbuch der Wahrheit. Fabeln und Gedichte in Prosa. 2. Taus. von »_Lügenohr_« „ 7.-- _Meyer-Förster, Wilh._, Eldena. Roman. 2. Taus. „ 7.-- _Meyerhof-Hildeck, Leonie_, Das Ewig-Lebendige. Roman. 2. Taus.„ 6.50 --„-- Töchter der Zeit. Münchner Roman „ 7.-- _Muellenbach, E._ (E. Lenbach), Abseits. Erzählungen „ 7.-- --„-- Aphrodite und andere Novellen „ 7.-- --„-- Vom heißen Stein. Roman „ 7.-- _Munier-Wroblewska, Mia_, Und doch! Ein Roman aus Kurlands Leidenstagen. 4.—6. Taus. „ 9.-- --„-- Der graue Baron. Lettische Geschichten. 1.—5. Taus. „ 10.-- --„-- Schwester Ursula. Roman. 1.—5. Taus. „ 14.-- _Niessen-Deiters, Leonore_, Leute mit und ohne Frack. Erzählungen u. Skizzen. Buchschmuck von _Hans Deiters_. 2. Taus. „ 7.-- --„-- Im Liebesfalle. Buchschmuck von _Hans Deiters_ „ 7.-- --„-- Mitmenschen. Buchschmuck von _Hans Deiters_ „ 7.-- _Pietsch, Otto_, Das Gewissen der Welt. Roman. 13.—15. Taus. „ 12.50 --„-- Taten und Schicksale. Erzählungen. 3. Taus. „ 6.50 _Prel, Karl du_, Das Kreuz am Ferner. Roman. 5.—7. Taus. „ 22.-- _Riehl, W. H._, Aus der Ecke. Novellen. 5. Taus. „ 8.-- --„-- Am Feierabend. Novellen. 4. Taus. „ 8.-- --„-- Geschichten aus alter Zeit. 1. Reihe. 3. Taus. „ 7.-- --„-- Geschichten aus alter Zeit. 2. Reihe. 3. Taus. „ 7.-- --„-- Lebensrätsel. Novellen. 4. 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Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. 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Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. 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