The Project Gutenberg eBook of Familiensklaven

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Title: Familiensklaven

Roman

Author: Max Kretzer

Release date: July 29, 2024 [eBook #74153]

Language: German

Original publication: Berlin: Verlag Continent, 1904

Credits: Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK FAMILIENSKLAVEN ***

Anmerkungen zur Transkription

Der Text wurde in Fraktur gesetzt, offensichtliche Druckfehler sind stillschweigend korrigiert worden. Die Schreibweise und Interpunktion wurden übernommen.

Worte in Antiquaschrift sind "kursiv" dargestellt.

cover

Familiensklaven.


deko

Roman


von


Max Kretzer.


signet

Verlag Continent

(Theo Gutmann)

Berlin W. 50.


Alle Rechte vorbehalten.

Nachdruck verboten.


I.

Kandidat Fröhlich erlebte heute eine unangenehme Ueberraschung, die ihm gleich um zehn Uhr zu teil wurde, als er pünktlich wie immer im Hause Roderich erschienen war, um den täglichen Unterricht bei seinem elfjährigen Zögling mit erneuertem Feuer zu beginnen. »Fräulein« war plötzlich krank geworden und lag im Bette, und so hatte er das Vergnügen, den Beruf eines Kindergärtners zu erfüllen, der ihm von der Gnädigen mit einer so süßlichen Bitte aufgetragen worden war, daß er nicht hatte widerstehen können. Er war auch gar nicht zum Nachdenken gekommen über die Berechtigung zu dieser von ihm verlangten neuen Probe seiner Begabung, denn die beiden kleinsten Roderichs hatten ihn gleich derartig als Gegenstand ihrer phantasievollen Neigungen in Anspruch genommen, daß er sich mit seinem glücklichen Humor, dem einzigen Erbteil seines Vaters, sofort in diesen Ausnahmefall gefunden hatte.

An den Fenstern strich ein lauer Mairegen hernieder und tropfte schwerfällig auf das hängende Grün der Edelbirke, das wie durchsichtiges helles Glas unter den verirrten Sonnenstrahlen glänzte. Hinten war der Garten in einen nassen Dunst gehüllt, in den der Himmel allmählich erst sein Lächeln warf. Diesem Regentage hatte Kandidat Fröhlich es zu verdanken, daß seine geteilte Aufmerksamkeit zwischen Schulzimmer und Spielstube von einem erfreulichen Erfolge begleitet war. Er pendelte zwischen beiden hin und her, wobei er streng darauf hielt, daß der dazwischenliegende Raum, der gewöhnlich zum Hausschneidern benutzt wurde, der neutrale Ort blieb, über dessen Schwelle er allein nur gehen durfte. Da aber seine Gedanken sozusagen stets zwischen offenen Türen schwebten, und zweibeinige Spielratten alles zu verstehen vermögen, nur das eine nicht, daß man bei der Unterhaltung mit Puppen, beim Bauen und Kegelschieben den Mund halten solle, so hatte er den mündlichen Unterricht heute ganz aufgesteckt und seinem bevorzugten Schüler das Thema zu einem deutschen Aufsatz gegeben, der in der großen Frage bestand: »Welchem Tiere gibst Du den Vorzug, dem Hunde oder der Katze?« Diese Aufgabe hatte er selbst einmal als Sextaner mit Nummer Eins bewältigt, und so war die Erinnerung daran an diesem sorgenvollen Vormittag ganz besonders in ihm lebendig geworden.

Walter hatte seinen Lehrer fragend angeblickt, noch im Zweifel darüber, ob diese Zumutung auch ernst gemeint sei, denn bisher war die vaterländische Geschichte immer bevorzugt worden. Dann war es ihm zaghaft über die Lippen gekommen: »Soll ich wirklich, Herr Kandidat?«

»Aber natürlich, mein Junge, wir treiben doch keinen Scherz.« Als er aber sah, wie leichte Röte in die blassen Züge des stets Verträumten zog, trug die offene Zuneigung wieder den Sieg davon, die er diesem von der Natur so stiefmütterlich behandelten Knaben stets entgegengebracht hatte.

Walter war ein sogenannter Zurückgebliebener, »das liebe Schreckenskind«, wie Frau Roderich ihn stets mit einem Seufzer nannte. Mit verwachsenen Schultern auf die Welt gekommen, hatten zehrende Kinderkrankheiten ihn viele Jahre zu einem körperlichen Schwächling gemacht, so daß man ihn wie eine zarte Treibhauspflanze gehegt und gepflegt hatte, bevor man daran dachte, ihn endlich, nachdem das schulpflichtige Alter längst verstrichen war, den geistigen Bedürfnissen seiner Zeit anzupassen. Stets besorgt darum, es könnte etwas an ihm zerbrochen werden, sobald man ihn in die Klasse sende, hatte man ihm seit zwei Jahren einen Hauslehrer gegeben, der ihm die nötige Vorbereitung für die höhere Schule geben sollte. Und das Wunder war geschehen: wie aus einer lange verschlossen gebliebenen Menschenblume strömte der Geistesduft heraus und machte sich von Tag zu Tag immer stärker bemerkbar, zur Freude des Kandidaten, der dieses Ringen und Ahnen frühzeitig erkannte.

»Wenn Du die Aufgabe richtig erfaßt, wird sie Dir nicht schwer werden,« half er dem Sinnen seines Zöglings wohlwollend nach. »Denke doch an Aeffi und Mausi und an all die Eigenschaften, die Du schon an ihnen entdeckt hast! Daraus wird sich dann das Resultat ergeben.«

Aeffi war der Familienschoßhund, ein kleiner Affenpinscher von zarter, hellbrauner Färbung, der, stets wohlfrisiert, den ganzen Tag über in einem gepolsterten Staatskörbchen zu Füßen der Gnädigen lag; und Mausi hieß die getigerte Küchenkatze, die die Köchin als junges Tierchen geschenkt bekommen hatte, und die seitdem zum wertvollen Bestande der Küche gehörte. Ihr Reich ging nur bis zum Ende des hinteren Korridors, da sie die Gewohnheit hatte, sich zu ihrer Toilette die verschiedensten Winkel auszusuchen, und sich dadurch die gründliche Abneigung der Gnädigen zugezogen hatte, die überhaupt diese Tiergattung nicht leiden konnte.

Ueber Walters blasses Gesicht zuckte ein heiterer Strahl. »Von Mausi weiß ich schon, wie sie ist; sie leckt ihren Napf sauber ab, und es klingt rührend, wenn sie miaut. Sie hat auch neulich eine Maus gefangen, es war ganz possierlich. Wissen Sie, es war in der Speisekammer, ehe der Maurer das Loch zumachte. Aber was ich über Aeffi schreiben soll, das weiß ich wirklich nicht, Herr Kandidat. Er ist eigentlich ein recht faules Tier, ich kann ihn gar nicht leiden. Wissen Sie, weshalb nicht? Weil Rudi mir einmal gesagt hat, er sei wertvoller als ich!« Sein Kopf, der fast direkt auf den Schultern saß, erhob sich in dem Lichtkreis des Fensters, und in den merkwürdig klugen Augen schwamm es, wie ein Hauch von Feuchtigkeit.

Fröhlich erriet seine Gedanken und machte den Versuch, ihn aus dieser Stimmung zu reißen. »Daraus mußt Du Dir nichts machen, was Dein Herr Bruder sagt. Redensarten, mein Junge, Redensarten! Wenn's hoch kommt, unüberlegte Narrheiten. Wer weise ist, lächelt darüber, und gewöhne Dir das beizeiten an! Ich bin gewiß, daß er über mich auch schon so manches gesagt hat, ich möchte es sogar beinahe behaupten. Und Du siehst, ich fasse mich immer in Geduld und bin stets freundlich und höflich zu ihm. So trifft man seine Gegner am besten. Schreibe also mutig darauf los!«

»So werde ich es also dem Aeffi gehörig besorgen und die Mausi weit über ihn stellen.« Er hatte mit der Spitze des Federhalters die Lippen gestrichen und machte nun mit ihm einen großen Schwung, vorläufig in der Luft, um sich allmählich zur Arbeit zu bequemen.

Aber Fröhlich verdarb ihm sofort gründlich diese Meinung. »Um Himmels willen, mein Junge! Diese Deutlichkeit laß nur, so ist das nicht gemeint. Ich könnte es für ewig mit Deiner Mama verderben. Du weißt, sie liest alle Deine Aufsätze, und wenn dann Aeffi, ihr lieber Aeffi —. Nein, das geht nicht.«

»Ich sehe ein, Herr Kandidat, das geht nicht,« stimmte ihm Walter altklug bei. Dann lachte er vergnügt, denn diese Aussicht hatte ihn heiter gestimmt.

Fröhlich begann, ihm das Allgemeine der Aufgabe auseinanderzusetzen, wobei er die fünf Finger der rechten Hand spielen ließ, um dadurch seine Belehrungen zu unterstützen. »Nicht um das Tier an und für sich handelt es sich, mein Junge, sondern um die Gattung. Ich wollte Dir nur durch den Hinweis auf Aeffi und Mausi den Kern Deiner Aufgabe ermitteln helfen, Dir sozusagen die Sache demonstrieren. Was demonstrieren heißt, das weißt Du. Wenn man vom Menschen an und für sich spricht, so denkt man nicht an Müller und Schulze, nein, mein Junge. Und so ist es auch mit den Tieren. Also: mach Dir die Sache leicht! Ungefähr so: Die Katze maust gern und schläft viel. Sie ist zwar ein nützliches Tier, überall dort, wo es Mäuse gibt, aber zugleich auch ein träges Tier. Der Hund ist der Gesellschafter des Menschen, der treue Wächter von Haus und Hof. Er ersetzt dem armen Mann das Pferd, gibt dem Jahrmarktskünstler sein Brot, undsoweiter, undsoweiter. Laß Deine Empfindung darüber ganz frei spielen!«

Walter hatte allmählich begriffen, nickte freudig und sann nach. Dann aber fuhr er wieder auf, denn fortwährend hatte ihn die Bemerkung Fröhlichs über den ältesten Bruder beschäftigt.

»Herr Kandidat, ich möchte Ihnen gerne etwas sagen, aber Sie dürfen es mir nicht übelnehmen. Nein? Am liebsten möchte ich einen Aufsatz über Sie und Fräulein schreiben. Dann wüßte ich gleich, wem ich den Vorzug zu geben hätte.« Und als Fröhlich lachend diesen Einfall im Zusammenhang mit der gegebenen Aufgabe etwas sonderbar fand, bekam er auch gleich die Aufklärung, die die Gedankengemeinschaft über diesen Fall im Kopfe des Aufgeweckten erklärlich machte.

»Es kam mir gerade so in den Sinn, Herr Kandidat, weil Rudi Sie beide im geheimen immer Aeffi und Mausi nennt. Sie sind der Aeffi, und Fräulein die Mausi. Fräulein schnurrte auch gerne, und Sie würden von Mama verhätschelt. Und das ist doch nicht einmal wahr. Sie bellten mich auch öfters gerne an. Auch eine Lüge! Und wissen Sie, weshalb der Vergleich am besten auf Sie paßte? Fräulein gehörte mehr zum Gesinde, und Sie gehörten schon mehr nach vorn. Aber bester, liebster Herr Kandidat — denken Sie nur nicht, daß ich's böswillig meine! Nur gut meine ich es. Rudi ist doch auch so häßlich zu mir, und Sie und ich — wir müssen doch zusammenhalten.«

Lebhaft, fast erregt hatte er diese Wendung hervorgebracht und sich dabei leicht von seinem Stuhl erhoben, weil ihm dünkte, seinem Lehrer Weh bereitet zu haben. Denn dieser hatte den Gang durch das Zimmer plötzlich eingestellt und stand nun in straffer Haltung vor seinem Schüler, so daß sich der Oberkörper förmlich aus der schmalen Taille des langen, schwarzen Rockes reckte. Ein Zucken ging um seinen Mund, das verschieden gedeutet werden konnte. Aber sofort wich es wieder einem Lächeln, das nur noch den Rest seiner inneren Empörung zeigte.

»Nein, nein, mein Junge, gegen Dich habe ich nichts, beruhige Dich nur! Und gegen Deinen Bruder noch weniger. Ich danke Dir, wie immer, für Deine Offenheit. Aber den Rat gebe ich Dir ein für allemal: gib nichts auf solche Redensarten! Es kommt immer darauf an, wie man alles sagt, und das zu erfassen bist Du noch nicht imstande. Nun arbeite ruhig, ich werde zu den Kindern gehen.«

In der Spielstube waren bereits Wünsche nach ihm laut geworden, die sich durch Lärmen und Poltern äußerten. Er hatte diese zarte Andeutung heute bereits wiederholt empfangen, und so kam er gerade zur rechten Zeit, um die Unruhigen zu besänftigen und den elfjährigen Grübler auf der andern Seite vor Störung zu bewahren. Zu diesem Zwecke schloß er die Türe hinter sich, um nun abgeschlossen im Reiche der phantastischen Kindervorstellungen zu wirken.

»Onkel Fröhlich, bist Du da?« vernahm er die Stimme des Fünfjährigen aus irgend einem Winkel. Sie klang wie aus der Tiefe, halb zerquetscht und gedämpft durch eine drückende Last. »Such mich doch, komm doch hier herunter! Hier brennt ein Weihnachtsbaum, und ich sitze auf dem Schaukelpferd. Hopp, hopp!« Und er klatschte mit den Händchen auf die Diele und schlug mit den Stiefelchen wild auf, was unstreitig sein »reiten« bedeuten sollte. Dann erging er sich weiter in seiner Einbildung. »Komm doch! Alle Lichter brennen. Hörst Du, wie ich Pfefferkuchen esse?« Er machte ein schmatzendes Geräusch, als hätte er den ganzen Mund voll des süßen Gebäckes.

Endlich entdeckte ihn der Kandidat unter dem alten Ledersofa, das auf seiner schwarzen Fläche deutliche Spuren eines Kinderturnplatzes zeigte. Die Vorstellung, er könnte ebenfalls unter dieses alte Möbelstück kriechen, um im schönen Monat Mai noch einmal das Weihnachtsfest zwischen Diele und Roßhaar zu erleben, stimmte den Kandidaten zu lauter Heiterkeit. O köstliche Einbildung einer Kinderseele, die Dinge entstehen läßt, die dem Weisen große Rätsel sind! Fröhlich behandelte die Sache völlig ernst, denn wie bei den großen Narren, war es auch bei den kleinen ratsam, immer mitzutun. »Reite nur hervor, Hänschen, und bringe den Weihnachtsbaum mit!«

Und der Junge tat aufs neue seinen Bauchritt, wieherte nun förmlich vor Freude und kroch allmählich ans Tageslicht. Ein geknickter Grashalm vom vergangenen Tage, den er in seiner Rechten hielt, war der »Christbaum«, den er nun neckisch dem Lehrer in die Hand drückte, wobei er immer noch mit den Füßen trampelte, um das wilde Pferd unter sich zu kennzeichnen. Dann aber markierte er den abgeworfenen Reiter, warf sich zu Boden, strampelte mit den Füßen in der Luft und rollte sich schließlich über den Teppich, wobei er ein Indianergeheul ausstieß.

Währenddessen saß das dreijährige Trudchen ruhig auf ihrem Korbstühlchen, eine riesige Puppe auf dem Schoß, der sie laut allerlei Vorwürfe machte und die sie ab und zu auf dem dafür bestimmten Körperteil strafte, als wäre das eine übernommene Pflicht, die sie zugleich mit diesem Geschenk erhalten hätte. »Du, du, du!« und Schlag auf Schlag folgte.

Hans hatte den schönen Traum unter dem Sofa schnell vergessen und bewies sich als verzogenes Jüngelchen, das die Lebhaftigkeit von der Mutter hatte, während das breite Gesicht mit dem kleinen Näschen entschieden ein Erbteil des Vaters war, nicht zu vergessen die zu groß geratenen Ohren. »Etsch, Onkel, Du mußt heute unser Fräulein spielen! Mama hat es gesagt, und Rudi hat schon gestern gesagt, Du sollst Dir eine Schürze umbinden. Und nachmittag mußt Du mit uns spazieren gehen.«

Kandidat Fröhlichs Stimmung schwebte zwischen Lachen und Aerger. Er sah sein Bild gerade in dem alten Mahagonispiegel, der in der Ecke ziemlich hoch als ein Stück des zusammengetragenen Hausrats in diesem Zimmer thronte, und so erwog er, wie er sich etwa, mit einer Schürze angetan, ausnehmen würde, womöglich mit einer recht auffällig gemusterten. Sein männlich offenes, bärtiges Gesicht mit den feinen Zügen sah ihn wie sprechend an, und als er jetzt auch die gesunden Zähne sah, war jeder Groll verflogen. Nein, dieser älteste Schlingel, dessen Haß er sich aus irgend einer ihm unbekannten Ursache zugezogen hatte, konnte ihn nicht beleidigen, mochte er immerhin seinen Spott zu den Geschwistern auslassen in der sicheren Erwartung, er werde sein Opfer so auf Umwegen treffen. Uebrigens hatte er wohl unbewußt das Richtige getroffen: auch Gärtner trugen Schürzen, und wenn er heute schon einmal Fräulein zu vertreten hatte, so wollte er diesen Scherz in Gnaden aufnehmen.

Ein neuer Vorstoß des Jungen gab ihm vollends seine gute Stimmung wieder. Hans fand es plötzlich nötig, die glänzend gewichsten Stiefel des Lehrers als Sockel für seine Schuhe zu benutzen, und wischte zugleich den Dielenstaub an Fröhlichs schwarzen Beinkleidern ab. Und so diesen mit der ganzen Kraft seiner fünf Jahre umschlungen haltend, legte er sich aufs Bitten. »Onkel Fröhlich, geh Du doch einmal mit uns in den Zo (das war eine Abkürzung für »Zoologischer Garten«), Du zeigst mir dann die Tiere, ja? Das muß schön sein. Auch wenn Fräulein wieder gesund ist. Dann kommt Rudi wieder und spricht mit ihr und schickt uns zu der Fischotter.«

»So, also Rudi spricht öfters mit Fräulein, das ist nett.« Kandidat Fröhlich war zwar anderer Meinung, und sicher hätte er gerne etwas Näheres über diese Gespräche erfahren, aber er war nicht der Mann, der Kinder aushorchte, die ihm anvertraut waren. Als er sich aber jetzt wieder unwillkürlich im Spiegel erblickte, glaubte er sein Gesicht bedeutend länger zu sehen, worüber er übrigens gar nicht erstaunt war. Er hatte sich in diesem Hause schon an soviel gewöhnen müssen, daß seine eigene Verwunderung über eine Neuigkeit keinen Eindruck mehr auf ihn machte. Um seinem Gemüt aber selbst Ruhe zu geben, beruhigte er zugleich den Jungen. »Das machen wir einmal, mein Söhnchen. Wenn erst die schönen Tage kommen ... Nun aber wisch Dir Deine Schuhe wo anders ab, spiele recht artig und laß Dein Schwesterchen zufrieden! Ich will einmal sehen, was Walter macht.«

Hans trampelte vor Freuden, dann aber ergriff er eine Kugel und schob die letzten Kegel um, die er hatte stehen lassen, bevor er die Entdeckungsreise unter dem Sofa vornahm. Und sofort stürzte er sich in eine neue Beschäftigung. Vor der breiten, kahlen Wand zwischen Ofen und Fenstern stand ein langer Tisch, auf dem all die Herrlichkeiten ausgebreitet waren, über die Kinder reicher Eltern in ihren Spielstunden zu verfügen haben: Puppenstube und Küche, Burgen, Baukasten und eine Eisenbahn, die wirklich ging, sobald man die Lokomotive aufgezogen hatte. Hans schwang sich auf das große Schaukelpferd, und von hier aus besorgte er seinen täglichen Kladderadatsch: er peitschte so lange auf die Eisenbahn, auf die Burgen und auf das frisch zusammengesetzte Steinhaus, bis alles drunter und drüber auf den Boden fiel. Trudchen schrie auf und flüchtete mit ihrer Puppe, die sie dann aufs neue bestrafte, als wäre sie mitschuldig an dem Skandal.

»Aber, mein Söhnchen, was soll der Unsinn! Das nennt man doch nicht spielen!« ermahnte der Kandidat. »Wenn ich zurückkomme, wirst Du alles wieder schön aufgebaut haben.«

II.

In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet, die zum hinteren Flurgang führte, und »Fräulein« trat ein, hastig, wie von der Angst getrieben. Ihrem Aeußeren sah man es an, daß sie sich nur eilig angekleidet habe, um von ihrem Zimmer, das auf der anderen Seite des Korridors lag, rasch hier hineinzuhuschen. Das üppige, braune Haar war lose aufgesteckt, und einige Strähnen davon umspielten noch den freiliegenden Hals, der übrigens weiß und verlockend aussah. Sofort fuhr die Hand an den Verschluß des Kleides, und sie wollte die Tür von draußen wieder zuziehen, als sie empfand, daß sie ihr Erscheinen mit einigen Worten rechtfertigen müsse. Und so sagte sie, noch immer die Klinke in der Hand: »Ach, Sie sind hier, Herr Kandidat. Dann bin ich beruhigt. Ich bitte um Entschuldigung, aber ich hörte den Lärm und glaubte, es sei etwas passiert. Ich bin gar nicht gewöhnt, am Tage zu liegen.«

»Aber so kommen Sie doch herein, Fräulein.«

»Ich kann mich ja gar nicht so zeigen.«

»Aber ich bitte Sie — das geniert mich doch nicht,« beruhigte er sie. »Sie gehören doch hier zum Hause.«

»Nein, nein, ich will mich nicht aufhalten,« entgegnete sie wieder. »Ich fühle mich wirklich nicht recht wohl, und wenn Frau Roderich es sieht, dann glaubt sie es wieder nicht. Ich hoffe, daß es bald vorübergehen wird.«

Der Junge hatte sich aber bereits an ihr Kleid geklammert und machte ein solches Hallo, daß sie rasch die Türe schloß, um den Lärm nicht weiter dringen zu lassen. »Mausi, Du kannst immer sterben, Onkel Fröhlich kommt mit nach dem Zo,« schrie Hans sie an, umschlang sie aber so innig mit seinen Aermchen, daß dieses Sterben jedenfalls für ihn sofortiges Auferstehen von den Toten bedeutete.

»Eine liebenswürdige Range, nicht wahr?« wandte sie sich an den Kandidaten, »was sagen Sie nur zu dem Katzennamen, den man mir gegeben hat?«

Fröhlich war rot geworden und wandte sich ab, denn er befürchtete, sie könnte auch seinen Lieblingsspitznamen bereits kennen und ihn dadurch in Verlegenheit bringen. Er sah sie erst wieder an, als sie sich mit Trudchen beschäftigte und er dabei die unsinnigen Worte vernahm, die ein derartiges Fräulein für ihre Schützlinge immer bereit haben muß. Dann bat er sie auf einige Augenblicke in das Nebenzimmer hinein, und als sie ihm überrascht gefolgt war, schloß er auch die zweite Tür, die zum Schulzimmer führte, so daß sie ungestört waren.

Sie wartete auf eine Neuigkeit, die mit häuslichen Dingen zusammenhinge und die vielleicht ganz plötzlich hinter ihrem Rücken emporgeschossen sein könnte. Um so erstaunter war sie, als er eine ganze Weile schweigend vor ihr auf- und abging, wobei er nicht vergaß, sie mit raschen Blicken zu streifen. Ihre süße Liederlichkeit gefiel ihm, und so wollte er sich erst allmählich daran berauschen, erst den Menschen in sich befriedigen, bevor er diesen hinter der Maske des Pädagogen verbarg. Bisher hatte er sie nur sozusagen frisch geplättet, frisch gestärkt und frisch frisiert gesehen, wie es einem netten Mädchen in einer großen Häuslichkeit geziemte, deren Herrscherin am liebsten ihre Leute auf dem Präsentierteller gehabt hätte. Nun jedoch sah er sie ohne Aufputz, weniger auf Draht gezogen, mehr weicher und schmiegsamer, ohne den Firnis des Zurechtgemachten.

Besonders ästhetisch veranlagt, hatte er immer eine Scheu vor der Kehrseite menschlicher Gewohnheiten, und so fühlte er sich um so angenehmer enttäuscht, sie auch in diesem Aufzuge ganz appetitlich zu finden. Sein kritisches Urteil blieb unvermindert das alte: Eine gut gezogene Familienblume, die, vom Daseinssturm verweht, aufs Geratewohl ins Leben hinausgetrieben war, aber immerhin genug Vorzüge hatte, sich über der Herde ihrer Mitschwestern zu erheben.

»Nun, was gibt's, Herr Kandidat? Aber recht schnell, wenn ich bitten darf. Man könnte kommen.«

»Frau Roderich liest die Zeitung,« beruhigte er sie und bewog sie, sich zu setzen.

Trotzdem sie noch nicht lange im Hause war, kannte sie ihn nur als einen ruhigen, besonnenen Mann. Nun aber wunderte sie sich, ihn so erregt zu sehen.

Er wagte nicht gleich, auf sein Ziel loszugehen, und so erkundigte er sich nach ihrem Leiden. »Frau Roderich sprach von Fieber, das sich entwickeln könnte. Man wird doch hoffentlich den Arzt holen.«

Sie zeigte ihre hübschen Zähne und schüttelte heftig mit dem Kopf. »Dann wäre ich doch nicht aufgestanden. Ein bißchen Erkältung. Ich werde nächste Nacht tüchtig schwitzen, und dann wird es wieder gut sein. Aber wissen Sie, hier sitzt es, in den Schläfen, mir ist ganz dumm im Kopf. Ueberhaupt in allen Gliedern liegt mir's. Ich hab's mir vorgestern geholt, am letzten kalten Tage.«

»Brennt denn Ihr Kopf?« fragte er besorgt, legte seine Hand auf ihre Stirn und fühlte dann an ihrem Puls. »Ich habe zwei Semester Medizin studiert, eh' ich umsattelte,« fügte er wie zur Entschuldigung hinzu. Dann aber, als sie dazu lachte, fand er sein Verhalten etwas läppisch, und so reckte er sich, zupfte an seinem Rock (eine Angewohnheit, die ihm besonders lieb war), und wurde wieder der ernste Kandidat Fröhlich, der vorzügliche Lehrer und Erzieher, von dem Frau Roderich das schöne Wort geprägt hatte, er sei korrekt wie ein armer Leutnant, bis auf die Taille sogar.

»Hauptzweck ist mir eigentlich, es Ihnen nahezulegen, unserem jungen Herrn Roderich soviel als möglich aus dem Wege zu gehen,« sagte er mit Nachdruck. »Vermeiden Sie seine Belästigungen, wehren Sie sich dagegen mit aller Macht, ja, ich würde es sogar für richtig finden, wenn Sie in dieser Beziehung eine Unterredung mit seiner Mama nicht scheuten, falls er gegen den guten Gebrauch unschicklich werden sollte. Ich habe durch reinen Zufall davon gehört — die Kinder plappern so manches, na, und dann macht man sich ein Bild.«

»Weiter ist es nichts, Herr Kandidat? Der Zoologische Garten ist groß, und ich kann mir doch nicht die Ohren zuhalten, wenn Herr Rudi sich vor mich hinstellt und mir was vorschwatzt. Mehr können Ihnen die Kinder doch auch nicht erzählt haben.«

Ihre Harmlosigkeit ärgerte ihn ein wenig. »Mein liebes Fräulein, — Sie sind jung, unerfahren, und ich möchte nicht gern, daß die Gnädige üble Deutungen daran knüpfe, wenn man aus einem vielleicht öfteren Zusammentreffen dort unwahre Schlüsse zu ziehen sich für berechtigt hielte. Wir kennen alle die leichte Lebensauffassung des jungen Herrn.«

Sie zeigte sich durchaus nicht böse. »Wissen Sie, Herr Kandidat, es ist mir wirklich nicht lustig zu Mute, aber am liebsten möchte ich laut lachen. Er ist ja noch ein dummer Junge.«

Plötzlich trat der, von dem sie sprachen, etwas unsanft aus dem Schulzimmer herein, und ganz in der Art eines Menschen, der den Verblüfften spielt, sagte er mit steifer Verbeugung: »O, bitte tausendmal um Verzeihung. Ich hatte keine Ahnung —.«

Sie stieß einen leichten Schrei aus, erhob sich und flüchtete durch das Spielzimmer hinaus. »Aber so bleiben Sie doch, Fräulein, was soll man denn davon denken,« rief Fröhlich ihr nach, aber sein Bemühen war vergebens. Die Korridortür klappte bereits. Der Kandidat war ärgerlich, denn sie hatte seiner Ueberzeugung nach etwas Unbegreifliches getan, was dazu geschaffen war, ihrem Beisammensein eine andere Deutung zu geben, wenigstens diesem jungen Herrn gegenüber, der seine neunzehn Jahre bereits mit der Wichtigkeit eines Lebegreises herumtrug, den nichts mehr überraschen kann. Aber sofort sich beherrschend, hielt er den anderen zurück: »Sie haben durchaus nicht gestört, Herr Rudi.«

»Herr Roderich, wenn ich bitten darf, Verehrtester,« schnitt ihm der Hausherrnsohn mit der gleichen Verbindlichkeit jede Annäherung ab. »Weshalb verfallen Sie eigentlich immer in den alten Fehler? Einmal muß man Ihrem Zauberbann doch entwachsen.«

Kandidat Fröhlich hielt es für besser, denselben leichten Ton anzuschlagen. Und so erwiderte er lächelnd: »Pardon für meine Rückfälligkeit, es soll gewiß nicht wieder vorkommen, Herr Roderich. (Diese beiden Worte waren gleich stark betont.) Ich werde mich jedenfalls sehr auf den Tag freuen, wo ich Ihnen noch einen besonderen Titel anhängen kann.«

»So lange wollen Sie noch bei uns aushalten? Beneidenswerte Courage.«

»Hängt das von Ihnen ab, oder von mir?«

»Na, Sie können doch nicht als ewiger Kandidat in die Unsterblichkeit gehen. Das würde ja meiner hohen Meinung von Ihnen den Todesstoß geben.«

»Ich werde mich bemühen, mir auch fernerhin Ihr gütiges Wohlwollen zu bewahren,« gab Fröhlich heiter zurück.

Trotzdem er den Spott des andern jedesmal empfand, sobald sie in derartige Plänkeleien gerieten, fühlte er sich doch viel zu sehr als überlegener Mann, um seinen Gleichmut aufzugeben. Die kindische Herausforderung des andern erschien ihm immer nur als ein Mangel an guter Erziehung, dem er in Würde begegnen müsse.

»Mir angenehm zu hören,« schnarrte Roderich junior plötzlich von oben herab, indem er sich bemühte den Einwurf anders aufzufassen. Die Hände in den Hosentaschen, schlenderte er gemütlich im Zimmer umher. Er steckte bereits in der neuesten Frühjahrsmode: in ganz engen Beinkleidern, die nach englischer Art fast trikotartig über die gelben Strandschuhe fielen, in auffallend kurzem Jackett und in oben geschlossener Weste, aus der der Sezessionsumlegekragen so hoch über der roten Sportkrawatte ragte, daß man den Eindruck gewann, er hätte aus Versehen eine steife, umgekippte Halsmanschette um den Hals gewürgt, damit den etwas zu groß geratenen Ohren die Schaustellung nicht geschmälert würde. Nur mit Anstrengung konnte sich der Kopf daraus hervorschrauben, je nachdem das Bedürfnis vorlag, der Nase eine neue Richtung zu geben. Ein dünnes Uhrkettchen, das durch das Knopfloch gesteckt war, zog sich über die schmale Brust von einer der oberen Westentaschen zur andern, und so glich er einem stilvollen Gecken, der auch niemals vergaß, die linke Hand auffallend nach unten zu schütteln, damit man das silberne Armband klirren hören könne. Ein leichtes Gähnen hinter der vorgehaltenen rechten Hand folgte seinen Worten. Er gähnte selbst am lichten Tage sehr oft, und zwar mit einer gewissen Koketterie, weil er das zum guten Ton gehörig fand, wodurch Lebewesen seiner Art die ewige Langeweile ihres jungen Daseins andeuten müßten.

»Ich finde, Sie sind etwas erregt, Herr Kandidat,« begann er wieder und holte das lose Monocleglas aus der Westentasche, das er sich mit Grazie und schiefem Gesicht ins Auge klemmte. »Schwere Arbeit heute, was? So drei Rangen auf einmal in Raison halten zu müssen — wie? Auch kein Austernschlucken, was? Mama hat mir schon von Ihrer Opferfreudigkeit berichtet. Na, einmal ist ja keinmal. Aber trösten Sie sich mit den Paukern, die eine ganze Klasse über sich ergehen lassen müssen. Habe ich auch mal mitgemacht, natürlich aktiv. Bis Quarta ist man ja immer rauhbeinig. Wir hatten da einen Ordinarius, na —! In dessen Haut hätte ich nicht stecken mögen. Werden Sie ja auch mal erleben ... In den höheren Klassen wird man vernünftiger.«

»Sind Sie nicht aus Obertertia abgegangen?« fragte Fröhlich.

Roderich junior merkte die Absicht, aber blieb kalt. Sein Hochmut war jedoch unverkennbar, als er mit Daumen und Zeigefinger sein kaum sichtbares Bärtchen teilte und mit Betonung erwiderte: »Ich habe mein Einjähriges, Verehrtester. Das dürfte Ihnen doch nicht ganz unbekannt geblieben sein — bei der Regsamkeit, mit der Sie sich für alle Vorgänge im Hause interessieren.« Dann aber schlug er wieder einen leichten Ton an, um schneller über diese Gesprächsbrücke zu kommen, dem endlichen Ziele entgegen. »Was wollte denn eigentlich Mausi? Pardon — Fräulein wollte ich sagen. Ich denke, sie ist krank, liegt im Bett und konserviert ihre Schönheit durch Vermeiden jeder Aufregung? Und nun hat sie Ihnen hier Gesellschaft geleistet als mademoiselle sans gène? Erteilen Sie ihr etwa auch Lektionen? Herr Kandidat, Herr Kandidat!«

Im Bewußtsein seiner augenblicklichen Uebermacht drohte er Fröhlich lächelnd mit dem Finger. Dieser jedoch zeigte keine Neigung zum Scherzen, gab ihm vielmehr mit ernster Miene kurz die nötige Aufklärung. Rudi jedoch bückte sich plötzlich mit ungläubiger Miene vor dem Stuhle, auf dem Fanny Frank gesessen hatte, und hob lachend eine Haarnadel auf.

»Ei, sehen Sie doch — sie hat etwas verloren. Ihr Haar muß ja ordentlich ramponiert gewesen sein. Darf ich Ihnen das Ding zur Erinnerung an die genußreichen Minuten dedizieren?«

Eine Blutwelle schoß dem Kandidaten ins Gesicht, und sofort empfand er die Neigung, ihm die Haarnadel aus der Hand zu schlagen; aber indem er sich sofort beherrschte, sagte er mit erzwungener Verbindlichkeit: »Ich muß bedauernd verzichten. Vergrößern Sie nur Ihre Sammlung damit, die ja, wenn sie mit Ihrer Lebensauffassung gleichen Schritt gehalten hat, sehr reichlich sein muß!«

»Sie sind heute äußerst verschwenderisch in Anerkennung meiner Vorzüge,« erwiderte Rudi mit einem Kopfnicken und legte den Fund, den er zwischen den Fingerspitzen wie etwas Unangenehmes weit von sich hielt, auf ein Tischchen am Fenster. »Dann mag Mama sich den Kopf darüber zerbrechen. Die ist ja gleich bereit, sich aus allem einen Roman zu machen.«

»Vielleicht kann ich dabei mit einem Kapitel dienen, das sich hin und wieder im Zoologischen Garten abspielt.«

»Wie meinen Sie, Herr Kan—di—dat?«

Roderichs junior Lächeln war verschwunden, er erhob den Kopf aus der Kragenschraube, gab dem wackelnden Augenglas einen neuen Halt, machte einige Schritte und blieb herausfordernd vor seinem Gegner stehen.

Fröhlich empfand die Neigung im selben Tone zu erwidern, aber sogleich fiel ihm ein, daß sein Beruf in diesem Hause es mit sich bringe, auch diesem Jüngling gegenüber, der der Schule bereits entwachsen war, jene Milde zu bewahren, die die schönste Eigenschaft des Erziehers ist. Und so begann er mit seiner klangvollen Stimme:

»Herr Roderich, es ist den Kindern bereits aufgefallen, daß Sie merkwürdig oft im Zoologischen Garten zur Stelle sind, wenn Fräulein Frank ihrer Pflicht nachgeht. Sie ist jung und Sie sind jung, sie aber ist gänzlich unerfahren, während Sie in der ars amandi schon bedeutende Fortschritte gemacht haben. Ich höre darüber manchmal Andeutungen — Sie wissen ja, ich genieße das besondere Vertrauen Ihrer Frau Mama. Bleiben Sie meinetwegen hübsch bei Ihren Bar-Damen, poussieren Sie Ihre Konfektioneusen, mich soll's nicht genieren, mich geht's auch nichts an, — das ist Sache Ihrer Herren Eltern, sich darüber mit Ihnen abzufinden. Aber lassen Sie anständige Mädchen aus dem Spiel, die unerfahren in die Welt blicken und den Verführungskünsten der Männer nicht gewachsen sind! Solche jungen Dinger reißt ihr Blut leichter fort, weil sie sich impulsiv geben, ohne Berechnung, im Vertrauen auf den Anstand desjenigen, der da lockt und in der Leidenschaft unwürdige Beteuerungen nicht verschmäht. Die Erfahrung spricht dafür, daß diese Beteuerungen von Liebe um so williger Gehör finden, wenn die soziale Stellung des Lockenden dabei ins Gewicht fällt. Sie wissen, daß Fräulein Frank aus vortrefflicher Familie stammt; ihr Bruder ist aktiver Offizier, ihre Mutter ist eine reich mit Kindern gesegnete Witwe, deren jüngere Söhne noch im Kadettenkorps erzogen werden. Ein Vergnügen ist es für eine solche junge Dame wahrhaftig nicht, ein sogenanntes Fräulein zu spielen. Aber sie wollte zu Hause nicht länger zur Last liegen, da die älteste Schwester die Wirtschaft führt. Das sonst übliche Lehrerinnenexamen hat sie nicht gemacht, anders konnte sie sich nicht betätigen, und so verwertet sie hier ihre Kenntnisse und Liebe zu Kindern. Etwas, was heute hundert andere aus gleicher Familie tun. Ich möchte hinzufügen: tun müssen im Vertrauen auf die Diskretion der großen Welt, die in der Regel wenig von diesem Martyrium der armen, gebildeten Mädchen erfährt. Sie treiben eben mit in dem breiten Strom, in dem die Armee der Abhängigen und wirtschaftlich Gestraften schwimmt. Man sieht die tausend Köpfe der Schwimmenden und wundert sich nicht, bis plötzlich ein besonders hübscher auftaucht, der die Aufmerksamkeit erregt. Nehmen wir z. B. an, Ihre Aufmerksamkeit erregt, und fügen wir hinzu, daß dieses schöne und temperamentvolle Gesicht Fräulein Fanny Frank gehört. Sie sind zu reif in allen Dingen, Herr Rudi — Verzeihung, Herr Roderich, — als daß Sie meine kleine Warnung, die aus dem Herzen kommt, nicht verstehen sollten. Und also, nicht wahr? Sie werden der guten Freundin Ihrer kleinen Geschwister den Platz hier nicht verärgern wollen. Schließlich wird sie doch weichen müssen, denn Sie sind der Sohn des Hauses, der unter allen Umständen recht behalten wird.«

Rudi hatte ihn ruhig angehört, mit jener brutal-lächelnden Miene, die der frühreife junge Mann für die Lebensbelehrungen weiser Männer bereit hat. Nur hin und wieder hatte er ein kurzes »So?«, ein spöttelndes »Meinen Sie?« und ein ebensowenig ernstes »Hübsch, sehr hübsch von Ihnen!« eingeworfen. Und um seine Gleichgültigkeit noch mehr zu beweisen, mußte das Spielen mit der silbernen Zigarettenbüchse herhalten, der er schließlich eine der Marke »High life« entnahm und sie mit großartigem Getue anzündete. Noch das Schwenken des allmählich verglühenden Zündhölzchens sollte seine erhabene Stimmung andeuten. Und als er mit vollen Backen den Dampf gegen die Decke stieß, beinahe über den Kopf des Sprechers hinweg, war das unstreitig die Illustration zu dem Gedanken, daß ihm im Augenblick alles Luft sei. Dann nahm er einen Anlauf zu einer gewaltigen Zwischenbemerkung, um dem Redestrom ein Ende zu machen, aber das Wort erstarb ihm auf der Lippe. Das Augenfeuer des andern ließ ihn den Blick allmählich niederschlagen, und so sank er zur Kleinheit herab, während der Kandidat über ihn hinauswuchs. Es lag etwas in Fröhlichs Sprechweise, das ihn bezwang, am Ende seine Aufmerksamkeit erregte und das letzte dumme Lächeln verscheuchte.

»Hören Sie, Sie hätten eigentlich Pastor werden müssen,« sagte er endlich. »Verflucht, können Sie predigen! Das kann einem ja nahe gehen. Wenn Sie's nicht wären, ich hätte längst die Flucht ergriffen. Sie haben eben eine ganz bestimmte Diktion, um in Ihrem Jargon zu reden, Sie schmücken Ihre Sätze mit Gefühlsspitzen. Geistreich, was? Eigener Einfall von mir ... Der Meinung ist auch Mama, Papa nennt es anders. Der sagt einfach: Sie griffen an die geistige Niere, Sie fixten auf Moral-Aktien. Börsenton natürlich! Aber diese Aktien haben doch inneren Wert, Sie müssen sich nur hüten, zu überzeichnen, sonst haben Sie bei raschem Kursfall die Differenz allein zu tragen. Sie imputieren mir etwas, woran ich gar nicht gedacht habe. Man wird wohl noch ein bißchen techtel-mechteln können! Das wird wohl schließlich auch Ihre Gnade finden. Darf ich mir erlauben —?«

Er hielt ihm die offene Zigarettendose hin, in die hineinzugreifen Fröhlich aber keine Neigung zeigte. Innerlich erfreut darüber, diesen angenehmen Verkehrston wieder geschaffen zu haben, lehnte er doch dankend ab mit dem Bemerken, daß er nur wenig rauche.

Und einmal im Zuge, jede Meinungsverschiedenheit über den wunden Punkt zwischen beiden ein für allemal aus der Welt zu schaffen, warf der Kandidat angeregt ein: »Nicht wahr, Herr Rudi — ich nenne Sie diesmal mit guter Absicht so — Sie versprechen mir, auch das Techtel-mechteln zu unterlassen.«

Roderich junior lachte. »Töchtermöchteln möchte ich schon,« witzelte er. »Sie kennen doch diese neueste Scherzverdrehung?«

Der Kandidat glaubte, diese gute Laune festhalten zu müssen, und so drang er aufs neue in ihn: »Sie geben mir Ihr Ehrenwort darauf, nicht wahr?«

Sofort schlug die Stimmung des andern um. »Aber, Verehrtester, ich verstehe Sie nicht! Um Lappalien gibt man doch kein Ehrenwort. Ich weiß überhaupt nicht —. Sie trainieren mich ja förmlich.«

Fröhlich ging durch das Zimmer und blieb dann wieder erregt vor ihm stehen. »Fräulein ist doch keine Lappalie,« stieß er hervor.

»Für mich aber ein Begriff. Sagen wir besser eine Art, meinetwegen auch eine Gattung.«

»Herr Roderich!«

»Aber natürlich doch. Ich kenne weder die Schwester des Aktiven, noch die Tochter der Offizierswitwe, sondern nur das sogenannte ›Fräulein‹. Ich habe Ihre Pauke mit Würde über mich ergehen lassen, aber das Bild bekommt jetzt eine andere Beleuchtung. Sie muten mir zu, hier bindende Versprechungen zu geben ... Ja, worüber denn? Ueberhaupt, ich verstehe Sie gar nicht. Tun ja gerade, als handele es sich um eine große Dame. Mit Abzug von Manko. Pauken Sie doch Ihre Moral sich selbst! Weshalb wollte ich Ihnen denn die Haarnadel dezidieren? Herrgott, ich will ja gar nicht auf fremden Revieren jagen. Beruhigen Sie sich doch!«

Einige Augenblicke schwieg der Kandidat, völlig verblüfft über diese unerwartete Wendung; dann aber hob er sich leicht auf die Zehen, wie er es oft zu tun pflegte, wenn er ganz aus sich herausgehen wollte, und sagte scharf: »Ach, Sie sind ein kompletter Narr! Ich bitte, mich nicht weiter zu stören, ich bitte sehr darum!«

Roderich junior wurde blaß. »Sie werden das Wort sofort zurücknehmen, Herr Kandidat!« schrie er ihn an.

Fröhlich zuckte mit den Achseln. »Ich bin gern bereit, Ihnen den Vorzug in dieser Beziehung zu überlassen,« sagte er ruhig.

Beide gerieten in ein Wortgefecht darüber, wobei jeder dem andern den begonnenen Satz vom Munde abschnitt. Je erregter Rudi wurde, um so gelassener blieb der andere.

Im Kinderzimmer, aus dem während der ganzen Zeit Rollen der Kugeln und das Klappern der Kegel hereingeschallt war, ertönte das laute Schreien Trudchens. Fröhlich erinnerte sich sofort wieder der übernommenen Verpflichtung und blickte besorgt hinein. Zu gleicher Zeit wurde die Tür zum Schulzimmer geöffnet, ohne daß man jemand sehen konnte. Dafür erschallte aber Walters Stimme, die schon in einem der Vorderzimmer laut wurde. »Mama, komm doch nur! Rasch! Rudi beschimpft den Herrn Kandidaten!«

»Ach, Du bist nicht recht gescheit,« ließ sich eine volle weibliche Stimme vernehmen.

Es folgte noch die heftige Gegenrede Walters; dann, nach kaum einer halben Minute, kam die Gerufene herangerauscht und füllte mit ihrer imposanten Figur fast ganz den Türrahmen aus.

III.

»Aber Rudi —! Herr Kandidat —! Wie kann man sich nur so hinreißen lassen!«

Vorwurfsvoll ging ihr Blick von einem zum andern, aber doch mit einem gewissen ungleichen Ausdruck. Rudi wurde ziemlich streng bedacht. Fröhlich jedoch empfing ein sanftes Lächeln, aus dem die Gnade zu lesen war, die sie ihm schon vorher auf alle Fälle zu teil werden lassen würde.

Die Frau Bankdirektor steckte in einem duftigen, spitzenbesetzten Morgengewand, dessen lange Schleppe, weite Aermel und kurzer loser Halsverschluß eigentlich nur dazu dienten, ihrer häuslichen Koketterie erhöhten Zauber zu geben. Denn trotzdem sie über das Mittelmaß hinausging und stark zur Ueppigkeit neigte, war sie von seltener Beweglichkeit, was mit ihren nervösen Zuständen zusammenhing, die merkwürdigerweise dann am meisten auftauchten, wenn sie die Absicht hatte, ihren äußerst ruhigen und seßhaften Gatten darunter leiden zu lassen. Reich gesegnet mit einer ganzen Auswahl dieser luxuriösen Morgenkleider, von denen sie mit Stolz behauptete, daß sie die meisten aus Paris beziehe, war es ihr ein Vergnügen, an Tagen, wo sie nicht auszufahren hatte und keinen offiziellen Besuch erwartete, bis zur Dinerzeit in diesen zarten Stoffwogen im Hause herumzufegen und sich in loser körperlicher Fülle wohl darin zu fühlen; auch dann noch, wenn die Friseuse bereits ihre umständliche Arbeit verrichtet hatte. Gleich nach dem Aufstehen steckte sie sich sämtliche Brillantringe an, und auch der tiefe Kleidverschluß über der Büste strahlte verlockend seinen Diamantglanz aus.

Die weniger Eingeweihten des Hauses, die behaupteten, über alles Wissenswerte berichten zu können, tuschelten sich in Verschwiegenheit zu, daß Frau Agathe Roderich in früheren Jahren vorübergehend als Sängerin der Bühne angehört habe, und so war es wohl nur eine liebe alte Angewohnheit, wenn sie jeden Morgen etwas stark Rot auftrug, den kühn geschwungenen Augenbrauen nachhalf und auch sonst jene feinen Touchierarbeiten vornahm, die scheinbar eine ewige Frische verleihen, in Wahrheit aber der künstliche Aufputz für verblühtes Fleisch sind.

Sie trat ins Zimmer und brachte den starken Duft von Rosen mit herein, in dem sie sich jeden Morgen förmlich badete, um den trockenen Geruch des Puders zu ertöten, der noch in feinen Andeutungen auf Hals und Armen lag.

»Herr Kandidat, wollen Sie mir, bitte, erklären —?« fuhr sie fort. Ohne erst die Antwort abzuwarten, wandte sie sich vorwurfsvoll an ihren Sohn. »Rudi, ich begreife Dich manchmal nicht! Du mußt doch immer etwas haben! Wie kommst Du dazu, den Unterricht zu stören? Aber das passiert jedesmal, wenn Du nicht ausgeschlafen hast. Heute war es wieder drei, als Du nach Hause kamst. Still! Ich habe Dich kommen hören. Ich werde noch ernstlich mit Papa sprechen müssen.«

»Aber, Mama, ich bitte Dich —. Das sind doch rein private Dinge.«

Ihre Lebhaftigkeit steigerte sich. »Der Herr Kandidat kann alles wissen, er gehört zum Hause. Sei so liebenswürdig und verziehe Dich!«

Schon aber war Fröhlich, der sich dankend verneigt hatte, bereit, für den andern einzutreten und eine passende Erklärung abzugeben. »O, es ist durchaus nichts von Bedeutung, Frau Roderich,« sagte er und hielt sich den Jüngsten von den Beinen, der durch die offene Tür getobt war und aus Gründen des bösen Gewissens sich sofort schmeichelnd an ihn herangemacht hatte. »Eine kleine Meinungsverschiedenheit, die — ich bin überzeugt — Herr Rudi ebenso gern als beigelegt betrachten wird, wie ich.«

Die Frau vom Hause lächelte ihn diesmal stark an, so daß die zwei niedlichen Goldplomben der Vorderzähne sichtbar wurden. Denn es freute sie, daß er endlich einmal in diesem engeren Verkehr das steife »Frau Bankdirektor« fortgelassen hatte, wie sie ihm erst kürzlich nahegelegt.

Rudi jedoch fiel es nicht ein, zu gehen. Er hatte rasch seine pomadige Stimmung wiederbekommen, nahm die Haarnadel vom Tisch und hielt sie seiner Mutter mit den Worten entgegen: »Ein kleines süßes Andenken, Mama, das Fräulein, unser schwer krankes Fräulein soeben hier in Gesellschaft des Herrn Fröhlich verloren hat. Natürlich wunderte ich mich darüber. Das wird man doch noch dürfen.«

Das Gesicht der Gnädigen wurde starr. »Wie, Fräulein war auf?« stieß sie verwundert hervor. »Wie kam denn das? Davon weiß ich ja gar nichts.«

Fröhlich gab abermals mit einigen Worten die Aufklärung, sie jedoch behielt ihr langes Gesicht, in dem unschwer Mißtrauen und Ungläubigkeit zu lesen waren. Sie sagte nichts mehr, aber ihr Blick ging wie fragend von einem zum andern, blieb auf der Haarnadel haften, die nun wieder auf dem Tischchen lag, und kehrte dann zu Rudi zurück, der mit beiden Händen eine Bewegung machte, die soviel heißen sollte, als: »Nun ja, so ist es, nun rede Du!«

Ihre Gedanken wurden durch Trudchen abgelenkt. Hans hatte das Kegelaufsetzen schlecht belohnt und ihr zuletzt eine ungeübte Kugel gegen das Schienbein gerollt, was Veranlassung zu dem Skandal vorher gegeben hatte. Als kleine Komödiantin hatte sie beim Lautwerden der Mutter rasch ihren Schmerz verbissen, weil sie gewöhnt daran war, stets die Strafe zur gleichen Hälfte mit dem Bruder zu tragen. Nun aber, da sie die Luft rein wähnte, kam sie mit entsetzlichem Geheul hereingestürmt. Frau Roderich zog ihr kleines Ebenbild zu sich empor und liebkoste es, indem sie sorgsam darauf achtete, daß weder die Patschen noch die tränenreiche Wange ihrem Gesicht zu nahe kamen. »Ich sehe schon, es geht heut alles verkehrt, mein Kind,« flötete sie ärgerlich, »daß auch Fräulein gerade krank werden mußte! Es scheint aber gar nicht so gefährlich zu sein mit ihr. Vielleicht hat sie sich nur verstellt .... Rudi, meinst Du, daß sie mich belügt?« rief sie ihrem Sohne plötzlich zu. »Ich wäre ja außer mir!«

»Das ist ganz ausgeschlossen, Frau Roderich,« warf Fröhlich höflich ein, innerlich empört über diese Offenheit in Gegenwart der Kinder.

Aber sie beachtete diesmal seinen Einwurf nicht, blickte vielmehr an ihm vorbei, in der Art einer Gebieterin, die sich verletzt fühlt, ihre Gedanken jedoch nicht verraten möchte. Was sie aber verschwieg, sagte ihre heftig arbeitende Brust und die plötzlich hereinbrechende Unruhe, die der Bankdirektor immer dann am unangenehmsten zu empfinden pflegte, wenn er am wenigsten darauf vorbereitet war.

Rudi hob aufs neue die Schultern. »Das kann ich wirklich nicht sagen.« Er sah die Erregung Fröhlichs, und so hielt er es für besser, sich so vorsichtig als möglich auszudrücken.

Aeffi kam auf seinen kurzen Beinen herangesprengt und kläffte vergnügt die Herrin an. Mit seinen hervorstehenden Zähnen, die langen, weichen Strähnen kokett über die Augen gestrichen, ein himmelblaues Bändchen um den Hals, nahm er sich fast wie ein reizendes Spielzeug aus, das man aufgezogen hatte und das nun lustig herumschnurrte. Alle achteten darauf, ihn nicht zu treten, denn er schlüpfte jedem unter den Beinen hindurch, glatt wie ein Wiesel.

»Natürlich, da bist du auch!« sagte Rudi wieder. »Jetzt fehlt nur noch Mausi.«

Dieser Name, der sehr bezeichnend gesprochen wurde, erinnerte Fröhlich daran, daß er das letzte Wort noch nicht gesprochen habe. »Ich hatte durchaus nicht die Empfindung, Frau Bankdirektor, daß Fräulein sich verstellt habe!« sagte er mit Eifer. »Im Gegenteil — sie schien mir noch ein wenig zu fiebern. Schließlich ist sie doch auch ein Mensch, der das Recht des guten Glaubens für sich in Anspruch nehmen darf.«

Frau Roderichs Lippen zuckten, denn die rasche Wandlung in seiner Anrede bestärkte sie in ihrer Vermutung, daß diese Parteinahme eine tiefere Bedeutung haben müsse. »Herr Kandidat, Sie wissen, daß in unserem Hause den Menschenrechten stets nach Bedürfnis Rechnung getragen wird,« sagte sie mit wallendem Busen. »Sie lassen sich zu sehr von Ihren Gefühlen fortreißen. Wir hatten früher ein Fräulein, das allwöchentlich seinen Faulenzertag hatte. Aber es ist müßig, darüber zu streiten, ich werde sie selbst fragen. Immerhin scheint es mir unpassend von Fräulein, aus dem Bett zu springen und in einem wenig repräsentablen Zustand hier zu erscheinen und Sie vielleicht zu belästigen.«

In diesem Augenblick, wo Fröhlich ganz gegen seine Gewohnheit schon zu heftigen Worten greifen wollte, kam ihm von unerwarteter Seite Beistand. Walter hatte während dieser ganzen Zeit unbeweglich in der offenen Tür hinter seiner Mutter gestanden, wie ein blasses Häufchen Unglück, das von Spitzen und Seide erdrückt wird. Den Kopf tief zwischen den Schultern, waren seine großen Augen hin und her gegangen, während er die Hände wiederholt emporgehoben hatte, als wollte er sich zur Rede melden. Nun trat er vor und fuhr ohne weiteres dazwischen. »Aber, Ma'chen, ich habe ja alles gehört, wie es zuging. Der Herr Kandidat spricht ja immer laut und verständlich. Es ist so, wie er es erzählt hat. Fräulein ängstigte sich um Trudchen, und da bat er sie gleich, nicht auf Rudi zu hören, wenn er immer nach dem Zoologischen Garten geht, um sie dort zu treffen. Der Herr Kandidat meint es immer gut. Rudi, Du mußt es doch auch gehört haben. Verstell Dich doch nicht! Du hast ja an der Tür gehorcht! Fräulein hat Dich einen »dummen Jungen« genannt. Es ist so, ich kann nicht lügen.«

»Ach so,« kam es gedehnt über der Gnädigen Lippen, aber mehr zweideutig, mehr zu ungunsten Fröhlichs.

Rudi drehte sich mit einem Ruck herum, und es war, als wollte er die Hand nach seinem unglücklichen Bruder ausstrecken. »Ach, Du Fex,« knirschte er hervor. »Du träumst wieder, Du Gnom!«

Walter trat zurück und lachte, mehr fröhlich als boshaft, wie erfreut über eine gute Tat. »Siehst Du, ich habe wahr gesprochen. Du nennst mich wieder Gnom, das tust Du immer, wenn Du Dich getroffen fühlst.« Sein Lachen verschwand. »Schlage mich doch, Du kannst es ja, Du bist stärker. Aber denkst Du, ich fürchte mich vor Dir? Der Herr Kandidat ist bei mir, der duldet das nicht. Und wenn Du ihn auch im geheimen ›Aeffi‹ nennst und Fräulein ›Mausi‹, er spricht doch nur Gutes über Dich. Und ich habe auch gehört, was er Dir selbst alles gesagt hat. Du solltest Fräulein nicht belästigen und daran denken, daß sie sich hier im Hause ihr Brot verdienen müsse. Es war so schön gesprochen. Der Herr Kandidat spricht immer schön. Und nun kannst Du mich noch zehnmal Gnom nennen, ich hab's Dir doch gegeben, und das freut mich. Ma'chen sollte es wissen.«

»Ach, Du langweiliger Peter, Du.« Rudi hob verachtungsvoll die Schultern und ging hinaus wie ein hochmütiger Prinz, der sich seines Wertes bewußt ist.

Frau Roderich sah ein, daß sie etwas gut zu machen habe, und so reichte sie Fröhlich die Fingerspitzen ihrer Rechten und sagte mit einem leichten Lächeln: »Ich danke Ihnen sehr, Herr Kandidat, für Ihre gute Meinung von uns allen. Aber mit neunzehn Jahren ist man manchmal ungezogen. Rudi soll das einsehen. Aber seien Sie ganz beruhigt! —: Das sind Jünglingsflausen, wie sie bei hundert andern vorkommen.«

Sie nickte gnädig, trieb die Kinder in ihr Zimmer, nahm Aeffi auf den Arm und rauschte ebenso majestätisch hinweg, wie sie gekommen war.

IV.

Frau Roderich war »geladen«, wie man zu sagen pflegt, wenn die Explosion der Gefühle nur noch auf den Zündstoff wartet. Eine ästhetisch veranlagte Natur, die seit Jahren behauptete, von ihrem Manne nicht mehr verstanden zu werden, und das in um so größerem Maße, je mehr der Bankdirektor von seinen Kurszetteln in Anspruch genommen wurde, und je weniger sie sich dazu verstehen konnte, ihr nach künstlerischen Genüssen lechzendes Sonderleben aufzugeben, glaubte sie seit einiger Zeit in dem Hauslehrer den großen Geistesverwandten gefunden zu haben, der die erschütterte Harmonie ihrer Seele wiederherstellen könnte. Alles natürlich in Andeutungen, rosenrot hingehaucht, aber manchmal doch so feurig, das Fröhlich es hätte merken müssen; namentlich an Tagen, wo sie ihrer schon bedenklich eingerosteten Stimme zu neuem Glanze verhelfen wollte, nachdem sie ihn förmlich zur Klavierbegleitung kommandiert hatte. Dann äugelte sie ihn bezeichnend an, wählte mit Vorliebe Lieder, deren Text er ihrer Meinung nach unbedingt als Aussprache ihrer Gefühle erkennen mußte, und näherte sich verwegen seiner Wange, wenn ihre gemachte Kurzsichtigkeit es erheischte, über seine Schulter hinweg auf die Noten zu blicken.

Aber der in dieser Art Ausgezeichnete zeigte sich merkwürdig verständnislos und wurde um so schweigsamer, je redseliger sie in solchen Minuten wurde. Stets blieb er der zwar liebenswürdige und angenehme Gesellschafter, der gern bereit war, auf jede Unterhaltung einzugehen, aber doch in jenem gehörigen Abstande, der den Menschen von Grundsätzen und Erziehung auszeichnet, noch dazu in dem Hause seines Brotgebers.

Frau Agathe gehörte nicht zu den Vollweibern, die sich über alle Schranken hinwegsetzen und gleich mit großen Bissen auf die verbotene Frucht zuschnappen. Sie naschte nur gern davon, mehr aus Zerstreuung als aus Genußsucht, und so gab es ihr schon Befriedigung, diese verbotene Frucht stets in ihrer Nähe zu wissen, reif nur für sie, wenn sie es wagen würde, einmal wirklich Sehnsucht danach zu empfinden. Stark eingenommen von sich, wäre es ihr wie eine Auflehnung gegen ihre Herrscherinstellung im Hause erschienen, beinahe wie ein Verbrechen an dem guten Geschmack, wenn Kandidat Fröhlich im Ernste ihr Widerstand geleistet haben würde, sobald sie ihm einmal ihre Neigung offen zu erkennen gegeben hätte. Aber als Mutter großer Kinder war sie weit davon entfernt, sich zu vergessen; sie spielte vielmehr nur mit ihren Gefühlen, um ihre Seelenöde auszufüllen, wie sie sich selbst gestand, und so war ihr später Johannistrieb mehr eine stille platonische Neigung, die immer auf den Zufall wartete, der ihr endlich das Wunderbare bringen sollte.

Nun aber hatte ihre Zuversicht eine starke Erschütterung erhalten, denn mit dem feinen Empfinden der verliebten Frau hatte sie sofort bemerkt, daß Fanny Frank dem Kandidaten nicht gleichgültig war. Ein sogenanntes »Fräulein«, ihr eigenes sogar, drohte, sich im Herzen ihres Günstlings einzunisten — des studierten, klassisch gebildeten Mannes, der ohne Zweifel eine große Zukunft hatte und durch seine Persönlichkeit sicher große Erfolge bei ganz andern Frauen (sie rechnete sich bescheidenerweise zu dieser Gattung) gehabt hätte, wenn er aus seiner Schüchternheit hervorgetreten wäre! Es war einfach shocking! Ihre Eigenliebe war tief verletzt, und nur mit Mühe hatte sie ihre offene Erregung unterdrückt. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wäre sich wie eine gedemütigte Frau vorgekommen, die eine Schlange an ihrem Busen genährt hat. Denn bilderreich, wie ihre Phantasie war, suchte sie auch stets nach romanhaften Ausdrücken für ihr eingebildetes Leid.

Sie brachte Aeffi in seinem Körbchen unter, strich zärtlich über seine seidenen Flocken und besichtigte sich dann rasch in einem kleinen Stellspiegel, um sich zu überzeugen, ob die Aufregung ihrem künstlichen Teint nicht geschadet habe. Dieses Kristallglas in Palettenform stand auf einem kleinen Fenstertischchen, gerade ihrem Lieblingssitz gegenüber, so daß sie, wenn sie in ihrem Faulenzer lag, nur die Hand auszustrecken brauchte, um ihr holdes Antlitz mustern zu können. Die Krähenfüße um die Augen machten ihr stets Sorge, und so war es nicht zu verwundern, wenn diese Bespiegelung während des Tages in gewissen Abständen mit jener liebevollen Angewohnheit vorgenommen wurde, von der nervöse Menschen nun einmal nicht lassen können.

Der Bankdirektor bewohnte ein villenartiges zweistöckiges Haus am unteren Kurfürstendamm, das an der einen Seite eine breite Einfahrt hatte. Im Parterre lagen die Gesellschaftsräume, dessen Hauptzierde der riesige Verandasaal war, aus dem man über wenige Stufen hinab in den vorderen Schmuckgarten gelangen konnte, der im Sommer durch seinen riesigen gewölbten Blumenstern die Augenweide der Vorübergehenden war. Das erste Stockwerk war im Innern durch eine reich geschnitzte Wendeltreppe mit dem Erdgeschoß verbunden. Oben führte man das bequeme häusliche Leben, in dem nur der Hausherr fehlte, der sich stets nach unten flüchtete, um ungestört zu sein. In der schönsten Ecke, Straße und Nebengarten zu, hatte Frau Agathe ihr Boudoir aufgeschlagen, in dem es stark nach »Orient« roch, wie Roderich zu sagen pflegte, wenn er bei schlechter Laune einmal die übliche Spitze austeilte, worauf er dann regelmäßig den leichten Dämpfer bekam, daß es nicht jedermanns Geschmack sei, mit Aktien die Wände zu tapezieren. Er lachte dann gemütlich und verzieh mit Laune seiner Frau die kleine Bosheit. Er war nun einmal für Licht und Luft, wogegen die holde Agathe mehr für die geschlossene, wohlige Dämmerung zeigende Bühnenkulisse war.

Theatralischer Aufputz verschönte ihr das Leben, und so hatte sie sich ihr Boudoir danach eingerichtet. Türkische Teppiche an den Wänden, mit bunten Fächern besteckt, die Decke mit einem Seidenplan bezogen, aus dessen Ecken Baldachine herabhingen, die als luftige Behänge von Statuen und Büsten dienten. Auf jedem Wandbrettchen Vasen, Flaschen und Teller in allen möglichen Formen, die chinesische und türkische bevorzugt, und darüber Stoffgirlanden, farbig wie das Morgenland, mit lang herabwallenden Enden. Das Himmelblau herrschte vor, hauptsächlich an der Decke, wo goldene Sternchen sich in der hängenden Seide wiegten. Auch die Tische waren damit überspannt, und nur die Füße hatten den Vorzug, ihr weißlackiertes Holz zu zeigen. Ueberall ein seltsames Gemisch von bunten Fetzen und Troddeln, durch das die stumme Farbensymphonie wie etwas Verwirrendes ging, das auch die Sinne berauschte. Und aus allem drang ein Geruch von zersetztem Rosenöl und all dem Toilettenduft, den eine launische und verwöhnte Frau und ihr weiblicher Besuch aus der großen Welt hier hineingetragen hatte.

Nebenan lag ein kleines Kabinett, dessen offene Tür mit einem Rohrvorhang verhängt war. Frau Roderich raste hindurch, daß es laut knisterte, und eilte in das große Balkonzimmer, in dem zumeist die Hausmusik getrieben wurde. Die breite Glastür stand auf, und so zog die Würze dieses Maienregentages in breiten Luftwellen herein. Draußen strahlte wieder die helle Sonne, welche die letzten Regenstriche in flüssige Silberfäden verwandelte, die nur noch schwerfällig zur Erde strebten.

»Rudi, bist Du da?« Ihre Molltöne klangen laut zum Balkon hinaus, auf dem aber nur der Gärtner beschäftigt war, die Brüstung mit Blumentöpfen zu schmücken. Aber ihr Auge hatte in diesen Minuten keine Freude daran, wie all das lachende Grün draußen samt dem frischen Erdgeruch ihre Verdrießlichkeit nicht verscheuchen konnte. Sie fegte weiter mit ihrer Schleppe, durch die übrigen Zimmer, und schließlich die Wendeltreppe hinunter in den Verandasaal. Hier fand sie ihn, wie er, den Hut auf dem Kopf, ein dünnes Stöckchen schwingend, zwischen den Säulen stand, wie jemand, der nicht weiß, ob er gehen soll, oder nicht. Selbst der Pfiff, der ihm über die Lippen kam, klang wenig unternehmungslustig.

»Ich denke, Du bist geknickt, und Du pfeifst?« stieß sie hervor.

Er kam herein und nahm den Hut ab. »Aber Ma'chen, weshalb soll ich nicht lustig sein? Wenn man so etwas sieht, was ich soeben gesehen habe. — Ist Neli schon oben?«

Kornelia war die älteste Tochter der Roderichs, die vor einer Stunde ausgegangen war, um sich Zeichenmaterial zu holen.

Frau Agathe schüttelte nur mit dem Kopf, weil ihr diese Frage nebensächlich erschien. »Na, was hast Du denn gesehen — gar nichts,« fuhr sie fort, in Gedanken immer bei dem Fräulein, während er etwas anderes im Sinne hatte.

»Haha,« kam es ihm lachend über die Lippen.

»Eine Haarnadel hast Du gefunden und dafür den dummen Jungen eingesteckt.«

Er wurde rot. »Hat sie ja gar nicht gesagt.« Aber sein Aussehen verriet, daß er log.

»Was hast Du nötig, den Unterricht zu stören!« sprach sie erregt weiter. »Wenn Papa das erfährt, brennt das Haus. Du weißt, wie er Herrn Fröhlich schätzt, um Walters wegen. Und der Junge vergöttert ihn. Der Kandidat ist eben ein großer Mensch, und Du bist noch nichts, rein gar nichts. Vorläufig liegst Du uns nur in der Tasche. Rudi, wann wirst Du Dich endlich zu etwas entschließen?«

Er spitzte den Mund zu einem unhörbaren Pfeifen, dann warf er gewichtig ein: »Große Ziele erfordern große Vorbereitungen, Mama.«

»Darüber kannst Du alt werden.«

»Ich sehe schon, Du bist heute schlecht gelaunt,« fuhr er fort.

»Mit Recht auch. Deinetwegen. Die Zusammenkünfte im Zoologischen wirst Du hübsch lassen, das sage ich Dir, sonst gibt's 'n Krach!«

»Aber, Mama, zu was sind wir denn Aktionäre? Der Eintritt kostet ja nichts. Na, und wenn man sich dann zufällig begegnet —. Man kann doch ein paar Worte wechseln. Ich kann doch auch Hans und Trudchen nicht aus dem Wege gehen!«

»Ich kenne Dich schon. Poussiere mit andern, aber nicht mit unserem Fräulein!«

»Das hat der Kandidat auch gesagt,« warf er trocken ein.

»Schäme Dich. Halt' das Haus rein!«

»Das hat er allerdings nicht gesagt,« erwiderte er gleichgültig, während er mit leise knarrenden Stiefeln auf dem persischen Teppich auf- und abging.

»Du bist frivol, wie immer,« fuhr sie fort und tat dasselbe.

»Du nimmst Fröhlich immer in Schutz,« begann er nach einem Weilchen wieder, diesmal mit einer so sonderbaren Betonung, daß sie befürchtete, er könnte noch etwas Unangenehmes hinzufügen.

Leicht erregt schwieg sie sich aus, während der Hoffnungsvolle die Gelegenheit benutzte, gleich weiter seinen Groll zu entladen. »Soll ich Dir etwas sagen, Mama? Das alles ist nur blutige Eifersucht von Fröhlich. Am liebsten möchte er mit ihr im Zoologischen schäkern. Kann er ja auch. Aber er hat keine Traute. So sind nun einmal die Schulmeister. Aber ich seh's kommen — da entwickelt sich noch was! Etwas Reelles. Paßt nur lieber auf die beiden auf! Sind ja auch im Hause.«

»Meinst Du?« Gedehnt kam es über ihre Lippen, nicht aus Erstaunen über eine ihr mitgeteilte Entdeckung, sondern mehr aus Gewohnheit. Aber merkwürdig fand sie es doch, daß er ihre eigene Empfindung teilte. Und plötzlich war sie nicht mehr so schroff zu ihm, denn es schoß ihr etwas durch den Kopf, was ihrer Stimmung eine andere Wendung gab.

»Natürlich ist es so, keine Frage,« wandte Rudi überlegen ein.

Sie hörte nicht mehr darauf, sondern lenkte milde in andere Richtung ein. »Na, wenn das alles so harmlos ist mit Dir, dann soll's mich freuen. Den Stolzen gegen Fräulein brauchst Du nicht gerade zu spielen.«

Er hob verwegen die Schultern. »Aber natürlich ist es harmlos, Ma'chen. Was denn sonst? Ich hätte ja auch nicht mal Chancen. Und dann bitte ich Dich, Mama —: Rudi, und ein Hausfräulein! Hübsche Geschmacklosigkeit von mir. Mal 'n bißchen plaudern, das ist ja was anderes. Sie trägt sich übrigens ganz nett. Beinahe höhere Tochter. Ich glaube, man könnte sich sogar mit ihr sehen lassen.«

Frau Roderich achtete nicht mehr auf seine Worte, denn ihre Gedanken waren bereits wo anders. Und auch er verbarg die seinigen nur unter den leeren Worten, die ihr zur Beruhigung dienen sollten. Plötzlich wandte er sich mit einem Ruck ihr wieder zu. »Wenn Du wüßtest, was ich gesehen habe, Ma'chen! ... Sage mal, kannst Du mir nicht zwanzig Mark pumpen — bis morgen? Ich muß dann Papa wieder breit schlagen.«

Sie erschrak, denn sofort dachte sie daran, sie könnte am vergangenen Nachmittag etwas unvorsichtig zu Fröhlich gewesen sein. Seit einiger Zeit steckte Rudi auffallenderweise oft den Kopf ins Musikzimmer, und gerade immer dann, wenn die Wogen ihrer Seelenwallungen besonders hoch gingen. Die regelmäßige Folge davon war eine Anleihe bei ihr.

»Ist Dein Taschengeld schon wieder alle? Ich möchte wissen, was Du manchmal so an einer Nacht läßt!« Aber schon hatte sie ihr silbernes Netztäschchen hervorgeholt und reichte ihm das Goldstück hin, mehr aus Angst als aus gutem Willen.

»Meine Zuckermama!«

»Na, na, na! Ich kenne Deine Schmeicheleien schon, die sich immer nach meiner offenen Hand richten. Von wiedergeben ist ja doch keine Rede.«

Stets besorgt um ihre Frisur und um ihre sonstigen Toilettenkünste, wehrte sie ihn mit beiden Händen ab.

»Denk' Dir nur, ich habe Neli mit einem Leutnant gesehen. Sie standen drüben und sprachen zusammen. Um sie nicht in Verlegenheit zu setzen, verzog ich mich, denn ich dachte, sie würden hier vorüberkommen.«

Frau Roderich atmete auf, aber sofort taten ihr die zwanzig Mark leid. »Dabei ist doch nichts Besonderes zu finden. Ich glaubte wunder, was Du mir sagen würdest,« stieß sie ärgerlich hervor. »Das wird der kleine Sanden gewesen sein. Der ist ja schon lange in sie verschossen, sie mag ihn aber nicht.«

»Nein, der war es nicht. Auch keiner von den anderen Bekannten. Ein ganz Fremder. Sie tat ungemein freundlich. Wer weiß, wer da wieder nach dem Kommißgeld gampelt. Hoffentlich tanzt nun endlich einmal der richtige an. Meinen Segen hat er schon vorher.«

»Daraus wird sie sich gerade etwas machen. Zerbrich Dir nur nicht immer über uns andere den Kopf. Laß nur Neli tun, was sie will! Sie ist selbständig genug, ein ganz anderer Schlag als Du.«

»Na hör' mal —! Die hat ja auch Fischblut«.

Sie ließ ihn stehen und rauschte wieder die Treppe hinauf, dann, oben angelangt, durch den langen Korridor, der sich wie eine Kegelbahn tief nach hinten zog. Sie klopfte flüchtig an Fräuleins Zimmer und trat schon hinein, ehe das Herein ertönte.

Es war ein nettes kleines Stübchen, das nach dem hinteren Garten hinaus lag, einfach, aber reichlich ausgestattet. Selbst ein ausgedientes Sofa hatte man noch an die Wand gequetscht, so daß die Schranktür zur Notdurft aufgehen konnte. Das Bett stand dicht an der Tür. Auf dem Tischchen am Fenster prangte im Glase ein Strauß duftiger Maiblumen, der mit seinem frischen Geruch den ganzen Raum erfüllte. Ein kleines Brettergehänge an der Wand war mit Büchern gefüllt, und auf dem Tischchen hinter den Blumen standen verschiedene Photographien in einfachen Rähmchen.

Sofort lockerte sich die schlechte Stimmung Frau Agathes. »Aber Kindchen, was für eine Luft! Haben Sie gar nicht daran gedacht, das Fenster zu öffnen? Sie waren doch auf!« Trotzdem sie stundenlang in ihrem Boudoir wie eingekapselt saß, schrie sie bei anderen stets nach frischer Luft, und gerade jetzt mit besonderer Betonung, um eine Schleuse für ihren Groll zu finden. Noch vor wenigen Tagen hatte sie zu ihrem Manne Fanny Frank ganz besonders darin gelobt, daß sie stets das Zimmer lange lüfte.

Die Leidende richtete sich empor. Bisher gewöhnt daran, stets höflich begrüßt zu werden, hatte sie sich freudig überrascht beim Eintritt der Gebieterin gezeigt, nun aber schwand rasch das Lächeln. »Das Fenster war eine ganze Zeit lang offen, gnädige Frau,« gab sie betroffen zurück. »Ich wollte es nicht zu lange auflassen. — Mir war nicht gut zu Mute.«

Frau Roderich wurde um einen Grad freundlicher. »Wie geht's Ihnen denn jetzt? Muß zum Arzt geschickt werden?«

Fräulein schüttelte mit dem Kopf. »Ich danke für gütige Sorge um mich. Morgen wird's wohl besser sein.«

»Haben Sie sich auch nicht den Magen überladen? Manchmal kommt's davon, und Sie essen ziemlich stark.«

Fräulein lächelte: »Ich esse doch nicht stark, gnädige Frau.«

Da das der Tatsache entsprach, so vermochte Frau Roderich darauf nichts zu erwidern, aber der Widerspruch reizte ihre schlechte Laune, und so fuhr sie schroff fort: »Sind die Blumen dort aus unserm Garten?«

»Ich weiß es nicht, gnädige Frau. Der Herr Kandidat schickte sie heute morgen mit dem Wunsche zur Besserung herein.«

»So werden sie wohl aus unserem Garten sein.«

»Es kann wohl sein, gnädige Frau.«

Diese Aufmerksamkeit Fröhlichs wühlte Frau Roderichs Groll noch stärker auf. »Ich begreife nur nicht, wie man aufstehen kann, wenn man so krank ist, wie Sie es heute früh sein wollten,« platzte es ihr heraus. »Ich weiß schon, was Sie sagen wollen. Der Skandal der Kinder, nicht wahr? Es war Ihnen doch hauptsächlich darum zu tun, sich dem Herrn Kandidaten zu zeigen.«

»Aber gnädige Frau!«

Fanny Frank gab ihrem Oberkörper einen erneuten Ruck und stützte sich auf die Ellbogen. Ihre Röte wurde um einen Schimmer blasser, und ihr Atem ging heftiger, während sie mit leicht geöffneten Lippen die großen Augen auf die Gestrenge richtete.

»Schon gut, ich denke mir mein Teil,« sagte Frau Roderich mit lebhafter Handbewegung. »Ich liebe es nicht, wenn mein Fräulein ihre Stellung vergißt.«

»Aber das tue ich doch nicht, gnädige Frau — niemals.« Um ihre Lippen zuckte es leise, und sie hatte die Empfindung, als müßte sie weinen über eine ihr angetane Schmach.

»Sich selbst vergißt,« ging Frau Roderichs Redestrom weiter, während sie nun nervös beide Hände in den Gelenken drehte, als wollte sie die Finger von sich schütteln. »Denn das geschieht doch, wenn Sie sich vor dem Hauslehrer in einem Zustande zeigen, daß die Haarnadeln nur so herumfliegen. Bitte, keine Widerrede, es ist wahr! Mein Sohn hat sich sogar darüber aufgehalten. Ich schätze durchaus Ihre Vorzüge, denn sonst hätte ich Sie nicht in mein Haus genommen und Ihnen die Kleinen anvertraut. Das ist ja auch selbstverständlich, daß Sie Ihre Pflicht tun. Aber ich muß sehr darum bitten, — ich betone das ausdrücklich, Fräulein —, daß Sie sich bei mir in denjenigen Grenzen halten, die die Schicklichkeit verlangt! Nach jeder Richtung hin. Vor allen Dingen dulde ich keine Anbändeleien mit dem männlichen Personal, sollte sich das auch nur in stillen Wünschen zeigen. Deutlicher vermag ich nicht zu werden. Ueberdies muß ich Ihnen sagen —«

Sie wollte noch auf Rudi und den Zoologischen Garten zu sprechen kommen, unterbrach sich aber und verbesserte sich mit den Worten: »Aber das lassen wir lieber.«

Als sie aber sah, wie sich die ersten großen Tränen aus den Augen Fräuleins stahlen, wurde sie milder. Und so sagte sie: »Aber deshalb brauchen Sie nicht zu weinen. Ueber solche Dinge muß man sich aussprechen. Regen Sie sich nicht auf! Bleiben Sie ruhig liegen, man soll Ihnen alles ans Bett bringen. Und fehlt Ihnen etwas, so klingeln Sie nur.«

Fanny Frank fand nur noch die Kraft, abwehrend eine Bewegung mit dem Kopf zu machen, dann, als die Türe von draußen geschlossen wurde, weinte sie heiß in das Kopfkissen hinein, wie in grenzenloser Verlassenheit, in der die Tränen wohl Erleichterung, aber nicht Erlösung bedeuten.

Auf dem Korridor verhallte ein Triller des Frohlockens, der sich aber wie gequält aus der Kehle rang. Das knisternde Rauschen des schleppenden Gewandes war der Text dazu, der dann über die weichen Teppiche der Zimmer sich nur noch verschwommen hervorwagte, während die Härte der Kehllaute dieselbe blieb.

V.

Mit geröteten Wangen war Kornelia nach Hause gekommen und unbemerkt in ihr Zimmer gelangt, das durch eine verbaute Tür getrennt, neben dem Boudoir der Mutter lag. Von hier aus konnte sie gleich in ihr »Atelier« gehen, in einen kahlen, nur mit Zeichnungen und Oelskizzen beklebten Raum, dessen untere Fensterteile mit Wachsleinewand verhängt waren, der durch die oberen Scheiben ruhiges Nordlicht empfing, und von dem aus man überdies einen schönen Blick nach dem benachbarten Garten hatte.

Seitdem die »stolze Kornelia«, wie sie ohne jeden Grund von mißgünstigen Freunden und abgefallenen Verehrern genannt wurde, im vorigen Jahre ihren zweiundzwanzigsten Geburtstag gefeiert hatte, war sie plötzlich von der Einbildung erfaßt worden, sie werde alte Jungfer bleiben, und so hatte sie sich mit Eifer auf die Malerei geworfen, zu der sie ein hübsches Talent mitbrachte, namentlich für Landschaft und Genre. Nach einem Lehrjahr bei Skarbina, dem sie viel zu verdanken hatte, trieb sie auf eigene Faust Studien und füllte ihre Zeit nett damit aus, ganz in der Weise eines klugen und gebildeten Mädchens, das sich früh gereift vorkommt und für ihren frühzeitigen Weltschmerz die nötige Ablenkung haben möchte. Denn Neli hatte bereits eine sogenannte unglückliche Liebe hinter sich; sie bildete es sich wenigstens ein, während ihre Nächsten durchaus nicht dieser Ueberzeugung waren, allerdings in grundverschiedener Ansicht. Der Bankdirektor, der die Aelteste als sein Ebenbild besonders ins Herz geschlossen hatte, sprach von einer »Selbsttäuschung des Herzens«, Frau Agathe jedoch maß ihrem Stolze allein die Schuld bei und redete so andauernd von »unverständlichen Mädchenlaunen«, daß sie ihrer Tochter dadurch heimlich Tränen entpreßte. Und was Rudi betraf, der bei jeder Gelegenheit seine kleinen Unausstehlichkeiten zum besten gab, so hatte er für Neli das schöne Wort »lackierte Schachtel« erfunden, die man stets mit Glacéhandschuhen anfassen müsse, um den Glanz nicht zu verwischen.

Kornelia ertrug alles mit stiller Duldung, denn sie glaubte ihre Gefühle besser zu kennen.

Sie war noch nicht zwanzig Jahre, als sie auf einem Balle den betreffenden »Richtigen« kennen gelernt hatte, einen sehr schneidigen Gutsbesitzer in der Nähe Berlins, dessen kranke Braut sich andauernd im Süden aufhalten mußte. Er sprach ganz offen zu ihr darüber, daß an eine Gesundung nicht zu denken sei, und daß er sich nur verlobt habe, um den Wunsch seiner alten Mutter zu erfüllen. Sie kam aber über die kranke Braut nicht hinweg, deren Bild ihr immer vor Augen schwebte, und was Zartgefühl an ihr war, hielt der andere, der ihr keck den Hof machte, für absichtliche Kälte. Als dann wirklich die Braut starb, der er nur Brudertränen nachweinte, war sein Herz bereits von einer dritten mit Beschlag belegt worden. Nun war es zu spät, denn niemals hätte Kornelia den Anschein erwecken wollen, sie gönnte der neuen Braut nicht ihr Glück.

So entwickelte sie sich allmählich zu einem »unverstandenen Mädchen«, zu dem Typus einer Tochter in gutem und reichem Hause, die in allen Dingen verwöhnt ist, nur die Hand auszustrecken brauchte, um an jedem Finger einen Zukünftigen zu haben, und die sich doch einsam und verlassen vorkommt. Schuld daran waren hauptsächlich die Familienverhältnisse. Bei Roderichs lebte jeder für sich. Der Vater hatte nur das Geschäft im Kopf, die Mutter ihren falschen Theaterglanz, Rudi ging seinen Lebejungenpassionen nach, und die Jüngsten verstimmten Kornelia durch ihre Unarten. Dem aufgeweckten Walter fühlte sie sich geistesverwandt, aber ihr Schönheitssinn litt unter seinem Anblick, so sehr sie sich auch innerlich dieser Auffassung schämte. Er war doch immer noch ein Junge, ein Kind, mit dem sie ernste Dinge nicht besprechen konnte.

Trotz alledem pulsierte fröhliches Leben in ihr, denn frisch und gesund, wie sie war, drängte es sie zu den Genüssen der Welt. Ihre kräftige Natur sträubte sich bei dem Gedanken an ein frühzeitiges Versauern, und so machte sie alles mit, was gut erzogenen Mädchen in der Gesellschaft erlaubt ist. Sie war als Verkäuferin in den Wohltätigkeitsbazaren zu finden, lockte in Eß- und Trinkbuden die gutmütigen Spender bei ähnlichen Festen an, ließ ihre schöne Figur bei lebenden Bildern hinausstellen und nahm das meiste Geld für die Programme ein, wenn an menschheitsbeglückenden Konzertabenden die jungen Damen aus der Gesellschaft die Berufsleute ersetzten. Kornelia Roderich war überall zu finden: auf den Tierschutzfesten der Fürstin Lwoff, an den Abenden, wenn zugunsten der Suppenanstalten, der Kindervolksküchen und der Rettungswachen musiziert wurde, bei dem Mummenschanz im Künstlerhaus und nicht zuletzt an den berühmten Freitagnachmittagen im Konzertsaal des Zoologischen Gartens, wo sogar ein richtiger lebender Prinz sich nicht scheute, seine Kompositionen zum besten zu geben und sich in eigener Person von den höheren Töchtern gewöhnlichen bürgerlichen Schlages anschwärmen zu lassen.

In der ersten Zeit hatte sie sich in dieser Beziehung ganz den Anordnungen der Mutter gefügt, dann aber war sie über sie hinausgewachsen und betrachtete sie nur noch als das bekannte Schicklichkeitsanhängsel, das nun einmal da sein muß, um den gesellschaftlichen Aufzug zu vervollständigen. Der gute Ton verlangte es so, was die Frau Bankdirektor noch dahin ergänzte, daß die »jungen Herren mit reellen Absichten« es eigentlich wünschten.

Neli lachte dazu: »Die jungen Herren von heute? Du lieber Himmel, wie schlecht kennst Du die. Die möchten am liebsten mit uns Mädchen allein dahintollen und ziehen schon eine Nase, wenn die Herren Eltern im Hintergrunde drohen.«

Frau Agathe ging diese Anschauung sehr gegen den Strich, und stets bereit, gute Lehren zu geben, ohne dabei an ihre eigenen Gefühlsabweichungen zu denken, gab sie frostig zurück: »Das sind nur alles so Deine Phantasieen. Manchmal möchten es allerdings die jungen Mädchen so haben, namentlich die ganz modernen, die schon Nietzsche besser kennen als das Kochbuch. Die namentlich mit den Sezessionslinien. Soweit bist Du ja noch nicht, Gott sei Dank!«

Neli lachte abermals: »Nein, Mama. Sei nur ganz beruhigt! Dazu bin ich doch ein zu gesunder Kerl, wie Papa immer sagt. Der kennt mich eigentlich besser als Du. Verlaß Dich nur ganz auf meine Selbständigkeit!«

Allmählich gewöhnte sich Frau Roderich auch daran, und als sie sah, daß nie etwas passierte, ließ sie Neli tun, was sie wollte und bewegte sich nur noch sanft als fünftes Rad hinterdrein, sobald die Vergnügungen in später Stunde es erforderten. Sonst hatte die Aelteste völlige Freiheit der Bewegung, konnte Besuche machen, soviel sie wollte, und durfte nach Herzenslust herumflirten, was sie gern tat, um die Männer aufzuziehen. Denn ein bißchen Freude im Unglück mußte sein.

In letzter Zeit standen Mutter und Tochter noch schlechter zueinander. Neli war das Anhimmeln des Kandidaten nicht entgangen, und so zog sie sich jetzt immer mehr in ihre zwei Räume zurück, wo sie sich wie losgetrennt von den übrigen vorkam.

Kornelia hatte kaum die kleinen Einkäufe auseinandergelegt, als Rudi sich meldete. »Bist Du da, Neli?«

»Komm nur herein, was gibt's denn? Du hast mir ja lange nicht Deine Visite gemacht.«

Noch immer fertig zum Ausgehen, trat er so ins Zimmer, wie seine Mutter ihn unten verlassen hatte. Den Hut behielt er diesmal auf, weil er große Höflichkeitsbezeugung seiner Schwester gegenüber nicht für nötig hielt. »Ich sah Dich schon hinaufgehen. Du bist ja mehr geflitzt als gegangen. Es war doch niemand hinter Dir her.«

»Du weißt, ich habe es immer eilig.« Da sie aber fühlte, daß sie rot wurde, blieb sie ihm abgewandt stehen. »Willst Du mich wieder anpumpen? Dann muß ich bedauern, bin jetzt selbst klamm.«

»Im Gegenteil, Neli, ich möchte gern meine Schulden bei Dir tilgen, sonst bist Du vielleicht nächstens hart wie eine afrikanische Nuß. Ich kenne Dich ja.«

Sie lachte vergnügt auf. »Du kennst mich am wenigsten ... Aber hübsch von Dir, gib nur her! Ich habe mein letztes Taschengeld ausgegeben. Sind's die ganzen zwanzig Mark?«

»Natürlich, sieh mal.« Er klemmte sich das Goldstück an Stelle seines Monokels ein, was ihm erst nach verschiedenem Gesichterschneiden gelang.

»Du bist ja wieder sehr witzig.«

»Weißt Du, Neli, was ein raffiniertes Pumpgeschäft ist? Wenn man dem gutmütigen Gläubiger das Geld gleich wieder abnimmt.«

»In Dir steckt ein Finanzgenie.«

»Das sag' ich ja zu Papa auch immer. Aber will er's denn glauben? ... Streich doch die zwanzig Emmchen zu wohltätigen Zwecken — für mich nämlich!«

»Das sollte mir einfallen! Verkneip doch nicht soviel! Her mit dem Gelde!«

»Neli, ich will Dir einen Vorschlag machen. Pump mir noch zwanzig Mark zu, bitte nachmittag Papa darum, aber nicht für mich! Du erreichst ja alles bei ihm. Ich brauche nämlich heute abend dringend vierzig Mark. Laß Dich erweichen, stolzes Mädchen!«

»Ach, Du bist nicht recht gescheit.«

»Ich verspreche Dir auch noch als Zinsgenuß ein Pfund feinste Sarotti-Schokolade.«

»Zieht alles nicht. Heute bin ich hartherzig.«

Er verfiel in einen tragischen Ton. »Dann, liebe Neli, muß ich zum äußersten schreiten! Das Schicksal will es so. Ich habe nichts unversucht gelassen, um Deine Milde zu erlangen. Mein Gewissen ist mein Zeuge.« Er erhob den Arm wie zur Anklage und ging mit großen Schritten vor ihr auf und ab.

Sie lachte aufs neue: »Du bereitest Dich wohl zur Bühne vor? Neuer Trick, wie? Vererbung von Mama. Vielleicht singst Du nächstens noch ... Macht aber alles keinen Eindruck auf mich.«

Er blieb vor ihr stehen. »Nun denn, Neli, dann muß ich alle Rücksicht fallen lassen,« sagte er wieder mit gut gemachter Drohung. »Ich verrate Dich samt Deinem Leutnant. Ich weiß alles!«

Natürlich wußte er nichts weiter, als was er gesehen hatte, aber er wollte durchaus an sein Ziel kommen.

»Jetzt wirst Du unverschämt.« Trotzdem sie einen leichten Schreck bekommen hatte und glühend rot geworden war, beherrschte sie sich sofort. »Weißt Du — bekümmere Dich lieber um Dich! Meine Bekanntschaften gehen Dich gar nichts an, die sind alle durchaus faire. Dein Spionieren paßt mir schon lange nicht. Ich werde es Papa sagen. Oder lieber nicht; denn das widerspricht meinem Charakter. Den Beweis dafür habe ich Dir ja schon mehrmals gegeben. Behalte die zwanzig Mark und laß mich ungeschoren. Damit Du meine schwesterliche Liebe erkennst, will ich Dir die andern heute noch zugeben. Aber denke nicht, daß es aus »muß« geschieht! Uebrigens kann ich Dir ja auch sagen, wer der Offizier war. — Aber nein, Du brauchst nicht alles zu wissen. Aber raten möchte ich Dir, sei in anderer Beziehung etwas vorsichtig. Schießen hast Du ja nicht gelernt!«

»Brrr — wie grausig!« Er schüttelte sich komisch, und ohne auf ihre Andeutungen weiter einzugehen, fuhr er fort: »Meinen Dank, stolze Neli! Ich werde mich glänzend revanchieren. Die Schokolade bekommst Du doch!« Aus Dankbarkeit wollte er ihr seine brüderliche Zärtlichkeit beweisen. Sie aber schüttelte ihn von sich ab, und so verließ er sie denn mit der Zusage, um sechs Uhr wieder anklopfen zu wollen.

Kornelia sah durch das Fenster, wie er das Haus verließ, dann ging sie durch die Ateliertür geradeswegs zu Fanny Frank. Beide Mädchen fühlten sich zueinander hingezogen durch jene Anziehungskraft, die manchmal unerklärlich erscheint und doch nur ihre natürliche Lösung in dem Wesen zweier Menschen findet. Beide ergänzten sich in ihren Eigenschaften. Was Kornelia an Klugheit und scharfem Verstande dem Fräulein voraus hatte, das ersetzte diese durch Weichheit des Gemüts, durch Milde und durch fromme Engelsgeduld. Das letztere hatte sich besonders gezeigt, als Kornelia eines Sonntagsnachmittags Fanny gebeten hatte, ihr einmal zu einer Porträtstudie zu sitzen. Sie saß drei volle Stunden mit einer Ruhe und Andacht, daß jeder nervöse Künstler seine Freude daran gehabt hätte. Sie plauderten gemütlich zusammen, Fanny erzählte von ihrer Familie, und das Hauptergebnis dieser Sitzung war, daß Kornelia das einfache »Fräulein« nicht mehr kannte, sondern jetzt regelmäßig den Namen hinzufügte, wogegen sie zu Fanny den Wunsch aussprach, das Wort »gnädig« auf sich selbst nicht mehr angewendet zu sehen.

Sie hatte eine kleine Seelenreise gemacht und soviel aus dem Gemüt der hübschen Frank geschöpft, daß sie noch lange davon zehrte. Sie fand plötzlich, daß sie von der Gesellschafterin ihrer kleinen Geschwister eigentlich nur durch eine soziale Kluft getrennt war, rein äußerlich durch teures Parfüm, durch modische Hüte, durch seidene Röcke und Blusen, durch wertvolles Geschmeide und durch die ganze Lebensweise ihrer Familie; daß sie sich aber, was Abkunft und Erziehung betraf, keineswegs höher stellen dürfe. Und das gab ihr zu denken.

Als die Frau Bankdirektor diese Anschauung hörte, setzte sie sich, unterstützt von Rudi, sofort zur Wehr, indem sie einwarf: »Kindchen, es muß gewisse Unterschiede geben. Wir würden nicht miteinander auskommen, wenn wir die nicht aufrecht erhielten. Man kann freundlich zu seinen Angestellten sein, muß aber immer die gewisse Schranke wahren.«

»Aber natürlich doch. Ein sogenanntes Fräulein ist ein bloßer Begriff, deshalb läßt man auch immer den Namen fort,« mischte sich Rudi altklug hinein, der auf Fanny schon lange ein Auge geworfen hatte und sie in Gedanken durchaus »mollig« fand.

»Ein Taugenichts ist auch ein Begriff,« gab Kornelia so eindeutig zurück, daß er hinter ihr herlärmte, als sie, des Widerspruchs müde, beide allein gelassen hatte.

Kornelia tat weder der Mutter noch dem Bruder den Gefallen, steifer gegen die Frank zu sein; im Gegenteil wurde sie dadurch in ihrem Trotz nur bestärkt.

»Sie haben ja ganz verweinte Augen, was ist denn los?« war Kornelias erste Frage, als sie am Bette Platz genommen hatte.

»Ach, es ist nichts Besonderes; ich ärgere mich, daß ich hier liegen muß,« log Fanny tapfer. »Es ist wieder so gut von Ihnen, sich nach meinem Befinden zu erkundigen.« Dabei streichelte sie Nelis Hand, die sie ihr lächelnd überlassen hatte.

»Hören Sie mal, das kann nicht stimmen. Dahinter steckt etwas anderes. Hat Mama gezankt? Sie wissen ja, sie hat ihre Launen.«

Fanny wollte nicht zum zweiten Male lügen, und so schüttelte sie nur mit dem Kopfe.

Das Toben der Kinder drang wieder herein, wodurch sich Kornelia veranlaßt fühlte, nach einem Weilchen zu sagen: »Sie müßten sich eigentlich freuen, einmal Ruhe vor den Rangen zu haben. Hans kann sehr ungezogen sein. Manchmal bewundere ich Ihre Geduld. Wissen Sie — ich könnte mich nicht immer so in die Launen der Kleinen fügen.«

»O, mir macht's Freude,« gab Fanny lebhaft zurück. »Ich kann Ihnen sagen — ich habe ihre Eigenheiten förmlich studiert. Mit einem bißchen Ruhe und Güte kann man schon etwas erreichen. Ich hatte von jeher Kinder gern. Mein Bruder Kurt neckte mich immer damit und meinte, ich hätte Lehrerin werden müssen. Aber ich war zu dumm, das Examen zu machen.«

»Ihr Bruder Kurt? Ach was!« Kornelia sagte es anscheinend harmlos, aber da sie ihre Verlegenheit empfand, gab sie dem Gespräch eine andere Wendung. »Ihre Hand brennt aber noch ordentlich, und der Kopf auch. Hat man denn den Arzt nicht geholt, nein? Das ist aber doch stark! Und er wohnt drei Häuser weiter. Ich werde ordentlich mit Mama schelten. Lassen Sie nur, das nehme ich auf meine Kappe!«

Widerspruch und Bitten Fannys halfen nichts. Kornelia eilte in die Küche und gab dem Kutscher, der dort herumlungerte, den Befehl, sofort zum Sanitätsrat Siebert zu gehen. Sie bebte noch, als sie zurückkehrte. »Nun will ich Ihnen noch eine kleine Freude bereiten,« begann sie, als sie rasch das Kühltuch naß gemacht und auf Fannys Stirn gelegt hatte, wofür sie einen warmen Händedruck empfing. »Ich soll einen Gruß bestellen von Ihrem Bruder, von dem besagten Kurt nämlich. Ja, sehen Sie mich nur nicht so erstaunt an, wir kennen uns. Ich erzähle Ihnen alles, wenn Sie wieder auf sind. Und denken Sie, ich sprach ihn vorhin erst, ganz zufällig. Er war von Spandau herübergekommen, ich weiß nicht, zu welchem Zweck. Ich fragte auch gar nicht danach, ich freute mich zu sehr. Er begleitete mich ein Stückchen. Wir haben nämlich unser kleines Geheimnis. Sie dürfen kein Wort darüber sagen, hören Sie?«

»Aber wo werde ich denn! Ich freue mich ja diebisch. Er ist ein so guter Junge. Glauben Sie — das macht mich ganz gesund. Ich will auch sogleich auf.« Sie richtete sich auch wirklich empor, mit einem so glücklichen Gesicht, daß es wie Sonnenschein aus ihren Augen sprach.

Neli jedoch duckte sie sanft nieder. »Still, Kleine, Sie bleiben ganz ruhig liegen, sonst schick' ich die Mama!«

Es war in der Art einer fürchterlichen Drohung gesprochen, so daß Fanny ihr abwehrend die Hände entgegenstreckte. »Nein, kommen Sie lieber wieder, Sie sind ein Engel!«

Neli lachte. »Aber ein ganz derber.« Dann wurde sie ernst. »Sehen Sie, nun haben Sie sich verraten, es ist doch etwas vorgefallen. Bei uns fällt ja immer etwas vor. Wo so verschieden getafelt wird, gibt's auch verschiedene Launen. Manchmal das reine Irrenhaus! Bleiben wir beide wenigstens vernünftig! Nun werde ich weiter für Sie sorgen.«

Ohne auf die Gegenrede zu achten, eilte sie hinaus.

VI.

Pünktlich um zwei Uhr nahm man bei Roderichs im großen Balkonzimmer das Mittagessen ein, an dem die ganze Familie teilnahm, mit Ausnahme des Bankdirektors und Fräuleins und der beiden Jüngsten, für die im Kinderzimmer besonders gedeckt wurde. Auch der Kandidat war ständiger Teilnehmer, trotzdem er hier nicht wohnte, vielmehr den täglichen Unterricht um diese Zeit schon beendet hatte. Er war in sehr gedrückter Lage ins Haus gekommen, und so hatte er diese Vergünstigung, die ihm übrigens nicht angerechnet wurde, mit Freude angenommen. Und es war wohl nur ein Zeichen der Dankbarkeit, wenn er sich noch über die Zeit hinaus mit seinem Schüler beschäftigte und dann später sein musikalisches Talent zum besten gab.

Heute war die Unterhaltung sehr frostig, denn jeder war auf seinen eigenen Ton gestimmt. Zwischen Mutter und Tochter hatte es vorher einen kleinen Krach gegeben, in dem die Grundverschiedenheit ihrer Naturen stark hervorgekehrt worden war. Frau Roderich hatte sich Korneliens Einmischung in das häusliche Regiment verbeten, was sie um so unfreundlicher tat, als der Hausarzt wirklich einen Influenza-Anfall bei Fräulein feststellte und sofort die nötigen Verordnungen erließ. Trotzdem nichts zu befürchten war, schüttelte sich Frau Agathe vor Angst, denn schon das bloße Wort »Influenza« erweckte stilles Grauen in ihr. Natürlich war sie der Meinung, daß Fräulein ihren Zustand unbedingt hätte wissen müssen und daß sie allein schuld an der anfänglichen Vernachlässigung sei. Sie malte sich bereits mit Schrecken eine Ansteckung des ganzen Hauses aus und erwog eine völlige Absperrung, nachdem man sofort die Umbettung der Kinder beschlossen hatte. Sogar das Krankenhaus tauchte dafür als winkender Schatten im Hintergrunde auf. Sie redete soviel darüber, daß selbst Rudi diesmal ihre Fahne verließ und ihre Furcht »etwas komisch« fand.

»Das kann ich Dir sagen,« fuhr sie Kornelia unsanft an, »geh' Du hinein, soviel Du willst, die Hand gebe ich Dir nicht, so lange ich nicht sehe, daß Du gesund bleibst.«

Zuletzt wagte auch Fröhlich einen sanften Einspruch. »Gnädige Frau brauchen sich aber wirklich nicht zu ängstigen. Der Herr Sanitätsrat sagte mir ausdrücklich, daß morgen eventuell schon alles vorüber sein könne.«

Sie säuselte streng: »So! Also Sie haben ihn auch noch gesprochen, Herr Kandidat? Ihre Anteilnahme für Fräulein ist ja rührend.«

»Gnädige Frau werden verzeihen, aber das ist doch rein menschlich,« wandte er etwas schüchtern ein. Er hätte ungern diese Stellung aufgegeben, und so hatte er nach dem kleinen Auftritt am Vormittag sich im stillen gelobt, alles zu vermeiden, was zu einem Zerwürfnis führen könne.

»Das ist es allerdings,« kam es gedehnt über ihre Lippen. Das weitere erstickte sie in einem Räuspern, aber ihr Unbehagen verriet sich deutlich aus ihrer sauren Miene. Ueberdies hatte sie seine Förmlichkeit noch mehr verschnupft, und so trug sie sich mit dem Gedanken, den Nachtischgenuß für heute ganz aufzugeben. Strafe mußte eben sein!

Am meisten aber war ihr Aerger darüber rege geworden, daß Kornelia sich hinter Walter gesteckt hatte und mit ihrer ungeschminkten Meinung über die schändliche Verdächtigung Fannys hervorgerückt war. Sie werde es Papa sagen, der einmal gehörig herumleuchten solle, namentlich bei dem lieben Brüderlein.

Zum Glück für sie konnte sie das hinter Rudis Rücken sagen, denn seit dem Geldhandel heute vormittag fürchtete sie die Doppelzüngigkeit des Frühreifen. Frau Roderich wurde auffallend still, da sie befürchtete, das »Herumleuchten« könne sich auch auf sie ausdehnen. Es gab Tage, wo ihr sonst gutmütiger Mann eine schlechte Laune mit nach Hause brachte und dann Dinge auskramte, an die kein Mensch mehr dachte.

So verschluckte sie denn bei Tisch ihren Groll stumm mit dem Essen und sprach nur gerade soviel, als nötig war, um den täglichen Gast nicht zu verletzen. Lautes Leben brachten nur die Kleinen hervor, die heute ausnahmsweise an der Tafel sitzen durften, rechts und links von Kornelia, die es sich nicht nehmen ließ, sie eigenhändig zu bedienen. Diese Arbeit machte ihr plötzlich Freude, denn Fanny hatte sich schon bei dem Gedanken geängstigt, wer sich nun bei den Mahlzeiten mit Hans und Trudchen beschäftigen würde. Es ging ganz gut: sie band ihnen die Serviette vor, teilte ihnen die Suppe zu, gab ihnen ein wenig von dem Fisch und zerschnitt ihnen auch den Braten mundgerecht. Als sie schließlich der Jüngsten auch das Näschen putzte, konnte Rudi nicht mehr länger schweigen.

»Na,« begann er kühn, »alles was recht ist, Neli, — Fräulein kann sich bei Dir bedanken. Eine bessere Vertretung gibt's ja gar nicht. Mama kann ganz beruhigt sein. Ersatz hätte sie auf Wochen. Als wenn Du zum Familiensklaven geboren wärest.«

Zum ersten Male war dieses Wort gefallen, das seinem augenblicklichen Einfall entsprang, und fast kindisch erfreut darüber gab er dem Mädchen, das gerade mit einer garnierten Zwischenspeise hereingetreten war, einen ablehnenden Wink und wandte sich schnodderig an die Hausherrin: »Familiensklaven ist gut, was Mamachen? Erschöpft so recht alles. Ganz neue Wortbildung von mir.«

»Ach, Dummheit, behalte so was für Dich!« fiel Frau Roderich ihm ins Wort und deutete ihm stumm an, daß sie eine derartige Bemerkung nicht verstände. Unwillkürlich hatte sie auf Fröhlich geblickt, der Rudi gegenüber saß an der anderen Schmalseite der Tafel.

Beide hatten sich bis jetzt nur mit dem Essen beschäftigt und sich mit den Blicken wie zwei Menschen gemieden, deren Beisammensein nur dem Zwange unterliegt. Da einer dem andern seine Meinung gesagt hatte, so betrachteten sie die Beleidigungen als ausgeglichen, trotzdem der Kandidat eigentlich der Ansicht war, der andere habe eine gute Hälfte zuviel eingesteckt, was mit dem »dummen Jungen« von Fräulein gut anderthalb gäbe. Nun konnte er ja hübsch den Abwartenden spielen und sich inzwischen auf den nötigen Formenverkehr beschränken.

»Ich möchte auch darum gebeten haben,« ergänzte Kornelia den Hinweis. »Man muß das wirklich Deiner Jugend zugute halten.«

»Stolze Schwester, damit kannst Du mich nicht ärgern. Es gibt Mädchen, die neidisch auf diesen Vorzug sind, ich meine nur so im allgemeinen.« Sein spöttischer Ausdruck, der von einer großen Handbewegung begleitet war, sollte aber das Gegenteil bedeuten.

Neli blieb ruhig. »Du kannst mich durchaus nicht kränken,« hielt sie ihm entgegen. »Schon aus dem Grunde nicht, weil der Herr Kandidat mein Alter genau kennt.«

Fröhlich, der mit einem gewissen rührenden Anstand Messer und Gabel handhabte, mit beinahe automatischer Bewegung der Ellbogen, drückte die Nase tiefer auf den Teller, was sich wie eine rasche Verbeugung ausnehmen sollte, und warf bedauernd-höflich ein: »Aber, mein gnädiges Fräulein —«

»Ich werde dreiundzwanzig Jahre,« fuhr Kornelia unbeirrt fort, »und ich möchte wünschen, daß Du in diesem Alter ebenso vernünftig würdest, wie ich es heute bin.«

»Darin muß ich Neli schon recht geben,« mischte sich Frau Roderich beschwichtigend ein.

Rudi glaubte über Fröhlichs Gesicht ein leises Lächeln der Anerkennung huschen zu sehen, und so platzten ihm die Worte heraus: »Wenn's bei den Mädchen zweimal genullt hat, sollen die Jahre ja doppelt zählen.«

»Rudi, ich bitte Dich —!« Strafend traf ihn der Blick der Mutter, die, wie immer, alles bereits kommen sah.

Roderich junior aber lachte, denn derartige Schraubereien erweckten stets sein Behagen.

»Aber laß ihn doch, Mama,« sagte Kornelia wieder. »Ich fühle mich nicht beleidigt. Und weil's etwa unser Hauslehrer hört? Der Herr Kandidat wird derartige Bemerkungen richtig zu würdigen wissen.«

Trotzdem Fröhlich die Empfindung hatte, zwischen zwei Feuern zu sitzen, vermochte er auch diesmal nicht, ein kurzes Nicken zu unterdrücken, wobei er in Verlegenheit immer noch an einem winzigen Stückchen Braten herumschnitt, das dieser Bearbeitung kaum noch wert war. Er empfand innere Freude über diese mutige Abwehr der Tischnachbarin und bedauerte nur lebhaft, daß Fräulein das nicht hören konnte, um eine kleine Genugtuung zu erleben. Sicher aber würde er die erste Gelegenheit benutzen, ihr eingehend diese interessante Tischunterhaltung zu übermitteln.

»Die meinigen jedenfalls auch, bei welcher Gelegenheit sie auch fallen mögen,« stieß Rudi blasiert hervor und kniff nun wieder das Monocle ein, das er beim Essen vorsichtig in der Westentasche trug, nachdem es ihm einmal in die Suppe gefallen war. Gesättigt blähte er sich in der Manier eines Menschen, der stark zu essen pflegt und plötzlich genug im Leibe hat. Vor Tisch hatte er die modefarbene Weste mit einer bordeauxroten vertauscht, in deren Armöffnungen er nun die Daumen der Hände steckte und die Finger vergnügt auf dem Brustkasten spielen ließ. Und so kam er sich wie ein junger Gott vor, der durch verhaltenes Gähnen die Langeweile auf seinem Thron andeutet. Trotzdem spitzte er die Ohren, als sein Blick zur Decke ging, denn er erwartete endlich ein Herausgehen Fröhlichs aus seiner Verschlossenheit.

Der Kandidat jedoch, der die Absicht des andern wohl merkte, tat ihm nicht den Gefallen, sondern naschte eifrig von der warmen Kuchenspeise, die er sich als letzter auf den Teller gelegt hatte. Dabei sprach er leise und eindringlich mit seinem Schüler, der ihm zur Linken saß und wiederholt schon die Neigung gezeigt hatte, sich in das Gespräch zu mischen. Ersichtlich wollte er ihn davon abhalten, worauf sein andauerndes Kopfschütteln und die Sprache seiner Augen hinwies.

Auch Frau Roderich hatte bereits das silberne Löffelchen hingelegt und zupfte nur noch an einigen getrockneten Weintrauben, mehr aus Gewohnheit als aus Appetit. Sie war mit dem Essen rasch fertig, weil sie von allem sehr wenig nahm, um nicht zu fett zu werden, wie sie sagte. Beim Nachmittagskaffee, der spießbürgerlich erst um vier Uhr eingenommen wurde, holte sie dann das Versäumte nach und vertilgte eine Unmenge Kuchen, wobei die Schlagsahne nicht fehlen durfte. Für feine Konditorware schwärmte sie ganz besonders.

Es war warm im Zimmer, denn die Maisonne hatte mit ihren kräftigen Strahlen den Weg hineingefunden, weil man versäumt hatte, die Markise über dem freiliegenden Balkon frühzeitig anzubringen. Die Glastür stand noch immer offen, und so hatten die Luftwellen freie Bewegung, die den starken Geruch der Nelken mit hereinbrachten, die in Töpfen nun draußen auf der Brüstung prangten. Auf der Tafel stand der erste Flieder, und sein frischer Duft übertäubte zeitweilig den Bratengeruch, der noch über den Tellern lag und erst langsam verdunstete. Wenn das Hausmädchen die Tür öffnete, dann durchwehte der Luftzug vom hinteren Korridor den großen Raum, trieb den Geruch der Speisereste hinaus und ließ den Duft des Flieders besonders stark erstehen.

Hin und wieder zog Frau Roderich die Majolikavase an sich und roch an dem riesigen Strauß, jedoch nur oberflächlich, ohne Berührung. Aber das starke Parfüm, das heute ihrer Seidenbluse entströmte, verdrängte den natürlichen Duft des Flieders, der wie vor etwas Unangenehmem floh. Namentlich die feine Nase des Kandidaten hatte unter diesen Anspritzungen sehr zu leiden, besonders dann, wenn der Fettgeruch der Schminke sich ihm bedenklich näherte. Ueberhaupt waren die Launen der Gnädigen in dieser Beziehung unberechenbar; dann hatte Fröhlich die Empfindung, ein Parfümerieladen habe sich aufgetan und sende seine unzähligen künstlichen Gerüche ihm entgegen.

Man trank bei Tisch nur wenig. Frau Agathe genoß schluckweise ihren Sauerbrunnen, Rudi bekam seine Flasche Bier, der Kandidat jedoch begnügte sich mit frischem Wasser. Anfangs hatte man ihm Wein vorgesetzt, den er aber verschmähte; denn, ein Feind aller alkoholischen Genüsse, behauptete er, geistige Getränke nicht vertragen zu können. Nur des Sonntags, wo er auch geladen wurde, nippte er von der dünnen Bowle, die man zusammenbraute, um wenigstens den Unterschied der Tage zu kennzeichnen.

»Wer wird denn nun heute mit den Kindern in den Zo gehen?« fragte Rudi, immer von dem bestimmten Gedanken geleitet, Fröhlich zu einer Unvorsichtigkeit zu bewegen. Durch die offene Tür sah man von drüben die Bäume des Zoologischen Gartens winken, und so war er auf diese Frage gekommen. Die Kleinen schrieen sofort durcheinander und deuteten, die Löffelchen noch in der Hand, auf den Kandidaten. »Onkel Fröhlich soll mit uns gehen, er setzt sich Fräuleins Hut auf,« sagte Hans und strampelte mit den Beinen vergnügt unter dem Tisch.

»Dann kommt Rudi zu ihm,« plapperte Trudchen und schlug mit dem Löffel vor Freude laut auf den leeren Teller.

Kornelia gab jedem einen Klaps auf den Mund, und auch die Mutter forderte sie zum Ruhigsein auf. Roderich junior aber vergnügte sich darüber im stillen, verstohlen den Blick auf Fröhlich gerichtet. Dieser jedoch zeigte sich keineswegs beschämt, er lachte vielmehr und meinte dann mit Humor, daß er den Versuch ja einmal machen könne; er habe sich vormittags ganz gut in dieser Rolle geübt. Es sollte ein kleiner Stich gegen die Gebieterin sein, aber Frau Roderich empfand das nicht, sondern lachte laut mit. Ihr Groll war schon halb verpufft, und so sagte sie beinahe herzlich: »Ich danke Ihnen sehr dafür, Herr Kandidat, daß Sie sich heute so aufgeopfert haben, aber ich wußte im Augenblick keinen anderen Rat; morgen kann sich das Stubenmädchen mit den Kindern beschäftigen.«

»Seid nur still!« rief Kornelia den Kindern aufs neue zu. »Emma kann Euch heute in den Zoologischen bringen, und dann komme ich später nach. Euer lieber Rudi soll doch sehen, daß ich auch mit Euch umzugehen verstehe. Mich wird er ja nicht belästigen. Ich bin eben keine Familiensklavin ... Sage mal, hast Du denn wirklich Fräulein damit gemeint?«

Rudi nickte gleichmütig. »Alles, was so in besserer Stellung ist.«

»Schäme Dich!«

Der Kandidat erhob sich mit einem Ruck, so daß die Frauen erschreckt aufblickten. Kerzengerade stand er da. »Verzeihung für die voreilige Störung, gnädige Frau,« sagte er mit bebenden Lippen. »Ich bitte um die Vergünstigung, mich etwas früher mit meinem Schüler zurückziehen zu dürfen. Ich möchte den Aufsatz noch durchsehen.«

Frau Roderich verstand ihn und hob sogleich die Tafel auf. Wie immer, verneigte er sich höflich vor den Damen, machte auch einen Kopfnicker zu dem jungen Herrn hinüber und ging dann hinaus, untergefaßt von seinem Schüler, der sich liebevoll an ihn geklammert hatte.

»Nun bist Du wirklich einmal beschämt,« sagte Kornelia zu ihrem Bruder, der diese Wendung nicht erwartet hatte. »Vornehmer kann man gar nicht abgeführt werden.«

Rudis Verblüffung wich. Breit lachte er auf. »Was sollte er auch erwidern?« gab er spöttisch zurück. »Er hat doch nur bewiesen, daß ich recht habe. Sklaven ducken sich, weil sie stets die Herrschaft fühlen.«

Kornelia maß ihn mit einem Blick des Mitleids. »Du möchtest am liebsten die Peitsche noch schwingen.«

Er nickte ihr freudig zu. »Möchte ich auch. Es wird immer eine Kanaille geben, die sie verdient. Weshalb steckt er so etwas feige ein? Es war nur Revanche von mir.«

»Oft ist Anstand der größere Mut,« sagte Kornelia nur noch kurz. Dann nahm sie die Kinder mit in ihr Atelier.

Kaum war Frau Roderich mit ihrem Sohne allein, als sie ihn ankeifte: »Warte nur, heute sollst Du es einmal zu hören bekommen! Dein Betragen übersteigt alle Grenzen. Gleich wenn Papa nach Hause kommt, erzähle ich's ihm.«

Das sagte sie immer, ohne es auszuführen. Und da er sich bereits an diese leere Drohung gewöhnt hatte, lächelte er nur dazu.

»Du treibst uns noch den besten Lehrer aus dem Hause,« fuhr sie erregt fort.

»Ich? Aber gutes Ma'chen, ich bitte Dich! Das kann doch Dein Ernst nicht sein. Wenn er mal flieht, tut er's gewiß vor jemand anderem.«

»Manchmal bist Du ein rechter Ekel.«

»Ach, ich bin ja doch Dein lieber Rudi. Komm, gib mir 'nen Kuß!«

»Laß mich zufrieden! Aendere Dich endlich! Du tyrannisierst uns alle.« Aber sie meinte es nicht mehr so ernst, denn sie fühlte sich bereits wieder schwach, und so eilte sie mit gemachter Entrüstung hinaus.

Rudi trat leise pfeifend auf den Balkon. Er war mit sich zufrieden, denn er hatte heute vier Menschen in die Flucht geschlagen, und das genügte ihm. Immerhin etwas von einem »dummen Jungen«! Aber sein vergnügtes Lachen erstarb sofort im Ingrimm bei dem Gedanken an diesen Ausspruch. Das mußte seiner Meinung nach ganz besonders bestraft werden, aber mehr durch Süßigkeiten als durch Bitternisse, oder durch beides. Wie man's nehmen wollte!

Als er hinter sich das Klappern von Tellern hörte, trat er wieder ins Zimmer. Emma, das Stubenmädchen, räumte die Tafel ab. Sie war nicht mehr jung, aber recht drall, mit stets roten Wangen, die immer wie verfroren aussahen und noch röter wurden, wenn man sie daraufhin ansah. Ihr strohgelbes Haar war nicht gerade die passende Umrahmung dazu, aber da sie es glatt gescheitelt hinter den Ohren trug, bekam sie dadurch etwas Würdevolles, das ihr viel Aehnlichkeit mit einem alten Kinde gab. Schon seit vier Jahren im Hause, hatte sie Rudi vom Knaben zum Jüngling heranwachsen sehen und viel von seinen Unarten zu ertragen gehabt, die sie aber stets durch ihre mecklenburgische Derbheit erwiderte.

Er begann mit ihr zu schäkern, indem er sie in Arm und Wange kniff.

»Lassen Sie ab von mir, das machen Sie man wo anders! Jawoll doch!« sagte sie unwirsch und drohte, sämtliche Teller fallen zu lassen. Seitdem sie einen herrschaftlichen Diener in der Nachbarschaft kennen gelernt hatte, waren bestimmte Grundsätze in ihr aufgestiegen, die sie nun rücksichtslos zu erkennen geben wollte.

Die Tür zum Nebenzimmer war auf. »Rudi, was soll denn das!« schallte Frau Roderichs Stimme herein.

»Der junge Här macht ja man bloß Spaß, Gnäd'ge,« rief Emma zurück. Und sie lachte auf, ohne eigentlich zu wissen, warum, und trug ihre schwere Last davon.

»Na, fliehen tut sie doch eigentlich auch vor mir,« dachte Rudi trotzdem befriedigt. »Nummer fünf!«

VII.

Da die Bank um fünf Uhr schloß, so kam der Bankdirektor erst um ein halb sechs Uhr nach Hause und tafelte dann allein, und zwar nicht oben im Familienzimmer, sondern unten im Gesellschaftsspeisesaal, wo er fast eine Stunde lang sechs Gänge zu sich nahm. Im ersten Stock »aß« man zu Tisch, im Parterre »dinierte« man, was sich bereits so sehr als Sprachgebrauch eingebürgert hatte, daß daran nicht zu rütteln war. Oben trug das Mädchen die Kost auf, unten ließ sich der Hausherr von Emil bedienen, der als eine Art Groom ins Haus gekommen war und sich allmählich zum Leiblakai entwickelt hatte, der nebenbei noch allerlei Verrichtungen im Hause tat und bei großer Ausfahrt in Galalivree neben dem Kutscher thronen durfte. Roderich hatte sich so an ihn gewöhnt, vor allem an seine Handreichungen als Kammerdiener, daß er ihn kaum noch zu missen vermochte und ihm sogar den Vorzug einräumte, gelegentlich über einen Witz, den er machte, mitlachen zu dürfen.

Der Bankdirektor war ein wohlerhaltener Herr in den Fünfzigern, mit einem runden, frischen Gesicht, in dem zwei kluge Augen stets suchend hin und her gingen, und das ein üppiger, aber schon stark ergrauter Schnurrbart zierte, allerdings unter einer Nase, die besser in ein anderes Antlitz gepaßt hätte, denn sie war ein wenig klein und weibisch, aber doch in einer klaren Linie mit der schön gewölbten Stirn vereint. Diese zierliche Nase war für Kenner entschieden das Zeichen dafür, daß Roderich senior keine wilden Leidenschaften besaß, vielmehr ein ruhiger, überlegender Mensch war, der seine bestimmten Ziele hatte und höchstens nebenbei noch ein unschuldiges Steckenpferdchen ritt.

Er aß und trank gut, rechnete noch besser und stritt sich eigentlich nur um Zahlen, wenn es jemals an das Streiten ging. Sein Scharfblick in kaufmännischen Dingen war bewundernswürdig, und es war wohl nur eine Frage der Zeit, daß man ihn zum Generaldirektor seiner Bank ernennen würde, falls der bisherige Allmächtige das Zeitliche gesegnet hätte, oder sich gänzlich ins Privatleben zurückgezogen haben würde, was bei seiner geringen Arbeitsfreudigkeit infolge eines Leidens zu erwarten war.

Große Dinge regten Roderich senior niemals auf, dagegen konnten kleine und nichtige Vorgänge ihn aus dem Häuschen bringen. Und weil er oben in seiner Familie niemals davor sicher war, so hatte er sich hier unten eingekapselt, ganz nach persönlicher Bequemlichkeit. Oben schlief er nur, nahm den Morgenkaffee ein und hielt bei dieser Gelegenheit große Musterung über die lieben Häupter ab. Das war nun schon seit Jahren so, und er fand, daß seine Nerven dabei je mehr sich stärkten, je weniger das bei seinem lieben Weibe der Fall war. Ihre wechselnden Launen machten ihm viel zu schaffen, und wenn er sich früher darüber geärgert hatte, so entging er jetzt dieser Aufregung durch das Alleinsein, das ihm ein Labsal war.

Zuerst hatte es Kämpfe dieser Abzweigung wegen gegeben, denn Frau Agathe fühlte sich in ihrer häuslichen Würde verletzt. Sie wollte das allgemeine Familienmahl ebenfalls auf diese späte Stunde verlegen, damit der gestrenge Herr oben an der Tafel teilnehmen könne. Aber Adolf Roderich sträubte sich so sehr dagegen aus Rücksicht auf die Kinder, daß sie sich an die doppelte Kocherei gewöhnen mußte. Eigentlich hatte sie damit nicht viel zu tun, denn die »perfekte Köchin« wirtschaftete so selbständig und schraubte sich manchmal auf den Küchenherrscherton, der so ziemlich mit der Höhe ihres Lohnes übereinstimmte. Frau Roderich zankte zwar viel mit ihr und drohte oft mit Kündigung, weil ihr alles zu teuer erschien, aber sie lenkte rasch wieder ein, sobald Lene das berühmte Wort sprach: »Es ist jut, gnädige Frau, ich werde es dem Herrn Direktor direkt sagen.« Aber weil sie wußte, daß die Gebieterin es niemals soweit kommen lassen würde, stand ihr dabei der offene Triumph auf dem feisten Gesicht geschrieben; denn Roderich, der große Feinschmecker, gab der Köchin stets das Zeugnis »Nummer eins« und betrachtete sie sozusagen als »Vizeherrin«, die um ihrer ausgezeichneten Kochkunst willen die größte Hochachtung und Nachsicht beanspruchen dürfe.

»Nun, was gibt's heute, Emil?« fragte der Bankdirektor seinen Diener, der, wie immer, bereits auf der Lauer stand, um dem Herrn Hut, Schirm und Geheimtasche abzunehmen.

Roderich hatte sich bereits hungrig an der gedeckten Tafel niedergelassen, die in der Mitte einen kleinen silbernen Aufsatz mit Früchten zeigte, aus dessen Kristallkelch ein einzelner Fliederzweig ragte. Trotzdem auf einem beigelegten Kärtchen die Speisefolge verzeichnet war, über die an jedem Morgen beim Kaffee zwischen den Ehegatten eine Einigung erzielt wurde, richtete Roderich jedesmal diese Frage an den Getreuen. Und Emil, dessen schlanke Figur sich vorteilhaft in der Hauslivree: braunem Schniepel mit silbernen Knöpfen und dunkelgrünen Aufschlägen, und dito Puffbeinkleidern mit grünen Wadenstrümpfen, ausnahm, schnarrte sofort das Menu herunter: »Champignon-Suppe, Steinbutt mit holländischer Sauce, frischen Stangenspargel mit Schinken und Pökelzunge, gefüllten Truthahn, Fürst Pückler, Butter, Käse und Radieschen.« Die Schmorfrüchte und den Salat erwähnte er nicht, denn beides stand bereits in Schalen auf dem Tisch.

»Schön, sehr schön,« sagte Roderich schmunzelnd, ungefähr mit der Miene eines Menschen, der etwas Angenehmes gern zum zweitenmal hört. Er hatte sich bereits die blütenweiße Serviette zwischen Hals und Kragen gesteckt, schob die zwei Morgenzeitungen beiseite, die er aus dem Geschäft gebracht hatte, und trommelte leise mit den Fingern auf dem Tischtuch, etwa wie ein verwöhntes, ungeduldiges Kind, das angepriesener Herrlichkeiten wartet.

Von dem Anrichteraum aus, der nebenan lag, ging ein Aufzug direkt zur Küche hinauf. Emil kehrte mit der dampfenden Suppe zurück und blieb erwartungsvoll stehen.

»Heute mal eine Deidesheimer — von dem Fünfundneunziger,« sagte Roderich wieder, während er schon zu löffeln begann. Aber er hielt ihn noch zurück. »Nichts Besonderes vorgefallen, oben?«

»Nichts Besonderes, Herr Direktor,« erwiderte Emil mit klugem Gesicht. Das ganze Personal wußte zwar von dem Krach am Vormittag, aber er hütete sich, etwas davon zu sagen, trotzdem ihm seine Offenheit hier unten nicht übel angerechnet wurde; aber um so mehr oben. Er hatte in dieser Beziehung seine Erfahrung hinter sich.

Er ging und brachte sofort den Kühler mit dem Riesling, der schon längst bereit stand; denn es war immer dieselbe Marke, die der Gebieter trank, wenn er auch tagtäglich danach verlangte, wie nach etwas Neuem.

»Was macht Fräulein?« fragte Roderich wieder, während Emil aufmerksam das Glas vollschenkte.

»Ernst mußte den Herrn Sanitätsrat holen. Die gnädige Frau behauptet, es sei sehr schlimm. Das ganze Haus müßte ausgeräuchert werden.«

»Nanu! Doch nicht ansteckend?« Er fuhr auf, aber Emil beruhigte ihn sofort, indem er die Angst der Gnädigen auf das gehörige Maß zurückführte. Roderich lachte still in sich hinein, womit er unstreitig andeuten wollte, daß er nichts anderes erwartet habe.

Mit gesundem Appetit ging er zum Fisch über. »Wer hat sich denn heut mit den Kindern beschäftigt?« war dabei seine Frage.

»Der Herr Kandidat mußte mit ihnen spielen,« gab Emil zurück, indem er die Betonung auf das letzte Wort legte. Auf eine kleine Uebertreibung kam es ihm nicht an, denn er wußte, wie sie aufgenommen wurde.

Der Bankdirektor lachte abermals heimlich. »Das ist recht, das kann er auch mal probieren,« preßte er kauend hervor, eigentlich mehr zu sich, mit einem gewissen, harmlosen Ingrimm.

Aus kleinen Verhältnissen hervorgegangen, hatte er sich zu dem jetzigen vielbeneideten Direktorposten einer großen Bank emporgeschwungen, durch den er wohl zu Ansehen und Reichtum gekommen war, der aber doch den alten Menschen in ihm nicht hatte unterdrücken können. Und so wurde er manchmal »rückfällig«, indem er noch die Gewohnheiten des kleinen Mannes zeigte, der den Abstand zwischen Herr und Diener nicht gehörig zu schätzen weiß. Was man bei geborenen Herrschern Leutseligkeit nannte, war bei ihm mehr Vertraulichkeit, durch lange Gewohnheit bedingt.

Von seltenem Fleiß und Pflichteifer den Tag über, war ihm diese Tafelstunde hier die einzige wirkliche Ruhe und Erholung, die er ungestört genießen wollte. Oben wußte man, daß er erst nach gründlicher Sättigung zu haben sei, und so verdarb man ihm niemals die Laune durch vorzeitige Belästigung. Selbst seine Frau störte ihn selten, trotzdem ihre nervöse Stunde erst recht kam, sobald sie ihn unten wußte. Früher war sie zu ihm hinabgestiegen, um während des Essens mit ihm zu plaudern, nach Neuigkeiten zu fragen und ihm selbst die Schüssel zu reichen. Bald aber hatte sie gemerkt, daß all die kleinlichen Dinge, mit denen sie ihn überschüttete, ihm den Appetit verdarben. Und so blieb sie gleich den übrigen lieber oben und wartete sein Erscheinen ab.

Da Roderich zu den Leuten gehörte, die stets bestrebt sind, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, so bereitete er sich sozusagen schon beim Essen auf die Ueberraschungen vor, die ihn oben in seiner Familie erwarten würden. Emil mußte ihm daher als Berichterstatter dienen, hin und wieder auch als Schnelläufer die Treppe hinaufeilen, um Fragen zu übermitteln und die Antwort zu überbringen. Zwar befand sich vorn im Arbeitszimmer ein Haustelephon, das Roderich aber abgestellt hatte, weil früher das Klingeln kein Ende nahm.

Frau Agathe hatte aber verstanden, sich zu helfen. Neben dem Aufzug war ein Sprachrohr, das die Verbindung mit der Küche herstellte. Kaum war der Schinken mit Spargel heruntergelassen worden, als es oben klopfte. Wohlweislich hatte Emil die Tür geschlossen, denn er wußte, daß er jetzt die Neugier der Frau Bankdirektor erschöpfen mußte.

»Emil, ist alles zur Zufriedenheit des Herrn?«

»Jawohl, gnädige Frau,« tutete er leise zurück.

»Schmeckt's meinem Manne?«

»Jawohl, gnädige Frau; ausgezeichnet.«

»Ist es auch reichlich?«

»Jawohl, gnädige Frau.«

»Wie ist denn mein Mann gelaunt?«

»Sehr gut, gnädige Frau.«

»Hat er etwas gefragt?«

»Nein, gnädige Frau,« log Emil tapfer. »Nur, wie es Fräulein geht.«

»Soooo,« klang es etwas scharf zurück. »Hat er sich nicht nach uns erkundigt?«

»O doch, gnädige Frau,« log Emil wieder. »Es sei auch nichts vorgefallen, sagte ich.«

»Es ist gut. Klopfen Sie wieder, wenn mein Mann mit dem Essen fertig ist! Lene kann es bestellen.«

»Jawohl, gnädige Frau.«

Emil wollte es mit keinem verderben, und so behielt er diese harmlose Unterhaltung, die er als eine ehrenvolle Auszeichnung betrachtete, stets für sich. Und wenn er auch die Wahrheit dabei ein wenig unterdrückte, so glaubte er das im Interesse von Hausfrau und Herr zu tun, die nicht unnötig zusammengeraten durften. Roderich, der das Gemurmel manchmal hörte, war der festen Ueberzeugung, daß derartige Gespräche nur die Köchin angingen.

Beim vierten Gang war die Berichterstattung des Dieners in der Regel erschöpft; er konnte die Speise und den Käse sofort auftragen und sich bis auf weiteres unsichtbar machen.

Nun saß der Bankdirektor ganz ungestört vor seinem gefüllten Truthahn und labte den Gaumen mit erquickendem Behagen. Das Speisezimmer lag nach dem hinteren Garten hinaus, zu dem man durch eine breite Flügeltür gelangte, deren obere Felder aus getrübtem bunten Glas bestanden, das butzenscheibenartige Figuren zeigte. Er hatte die Tür öffnen lassen, und so sah er durch den kleinen Holzvorbau das saftige Grün der Sträucher, aus dem die Steinfiguren sich weiß hervorhoben. Ganz hinten stand eine große Laube, umringt von Flieder, und davor auf einer Säule blinkte eine mächtige Spiegelkugel, in der sich hell ein Stück des blauen Himmels wiegte; und darunter zeigten sich unzählige Licht- und Farbentupfen, durch die ein blendender Blitzstreifen ging.

Hinter dem Hause lag Schatten, und so zog Kühle in den großen Raum, in dem das graugrün gebeizte Eichenholz der teuren Möbel das Auge ruhig stimmte. Selbst die rostbraune Tapete erhöhte nur diese vornehme Einheit, die entschieden von ausgeprägtem Geschmack zeugte. Alles war auf einen sanften Ton gestimmt, gedämpft wie der Tritt, der auf dem echten Perser über dem Dielenfilz leicht verhallte. In dem wohligen Dämmerlicht glänzten nur wenig die Lichter in den Zinnkrügen auf dem Prunkbuffet und in der matten Bronze des elektrischen Gehänges an der Decke.

Roderich blickte zwar in den Garten, aber er sah die Pracht des erwachenden Sommers nicht. Während er gleichmütig kaute, arbeitete sein Hirn fortwährend. Es waren immer Zahlen, die ihn beherrschten, die ganze Ziffernwelt des Tages, mit ihren Kursbewegungen und der Aufregung der neuesten Börsenvorgänge. Wer ihn so still beobachtet haben würde, hätte ihn für einen reichen Junggesellen halten können, der mit Ruhe sein üppiges Mahl einnimmt und höchstens still bedauert, daß die intimen Freunde nicht vorhanden sind, die die drei übrigen Lehnstühle um den zusammengeschobenen Tisch hätten besetzen können. Kein Laut umgab ihn, nur dumpf schallte wie von fern das Rollen der Straßenbahn herein.

Endlich war er gesättigt und drückte an dem Knopf der elektrischen Klingel, der über der Tafel hing. Emil kam wieder und brachte auf einem silbernen Tablett den Mokka in einem kleinen Täßchen, und die Abendzeitung, nach der Roderich noch im Stehen griff und sofort den Handelsteil überflog. Er gab dabei einen Wink, und der Diener zog den Teppichvorhang von dem schweren Türrahmen zurück, ließ seinen Herrn, der zu den übrigen Zeitungen und zu der Mappe gegriffen hatte, zuerst in den Nebensalon treten und folgte ihm dann in das kleine Arbeitskabinett, das vorn an der Straße neben dem Verandasaal lag. Roderich legte die Zeitungen auf den breiten Diplomatentisch, leerte im Stehen das Täßchen und ging dann, nun wieder allein, in das Zimmer nebenan und trat auf die Veranda, wo er mit Behagen die frische Luft einatmete und der Arbeit des Gärtners zusah, der an dem Prachtbeet beschäftigt war.

Kornelia kam von der Straße und nickte ihm grüßend zu.

»Komm nur herein!« sagte er.

Der Gärtner öffnete eilig das Seitengitter und ließ sie durch. Dann traten Vater und Tochter wieder ins Zimmer.

»Das trifft sich ja gut,« begann sie, nachdem sie ihn herzhaft geküßt hatte. »Ich war nämlich drüben im Zo, wo heute Emma mit den Kindern ist. Sie werden gleich nachkommen. Ich wollte aber schnell noch einmal zu Dir hineinhuschen, ehe Du oben bist. Du weißt ja, Mama sieht's nicht gern, wenn man Heimlichkeiten hat.«

Er lachte, legte seine Rechte um ihre Schultern und faßte sie mit der Linken am Kinn. Dabei sagte er: »Sie wird wohl jetzt gar nicht daran denken. Hör nur, wie sie wieder kräht!«

»Aber Papa!« warf sie vorwurfsvoll ein.

»Na, es ist ja nicht so gemeint. Es bleibt ja unter uns. Aber bewundern kann ich ihren Gesang wirklich nicht. Es war schon früher nur soso, und jetzt ist es wirklich Essig damit. Das heißt, das saure Gesicht kriegen die Zuhörer.«

»Du bist grausam. Daher wohl Deine Flucht nach hier?«

Er lachte abermals breit und behaglich. »Natürlich. Dann zieht man so ein Hotelleben vor. Und manchmal ist's mir wirklich, als säße ich allein im Speisesaal eines Hotels und würgte mir das Diner herunter. Na, wenigstens kann man sich dabei sammeln.«

»Armer Papa!«

»Na siehst Du ... Manchmal ist nicht alles Gold, was glänzt. Es gibt auch arme Bankdirektoren ... Komm mal 'n bißchen zu mir, nach oben ist's noch immer Zeit.«

Einen Augenblick legte sie wie zum Trost ihren Kopf an seine Schulter, dann traten sie untergefaßt in sein Kabinett, während durch die offene Tür des Balkonzimmers im ersten Stockwerk ein herzzerbrechender Triller seinen Ausweg fand. Er nahm Platz und zog sie auf seine Knie. Liebevoll blickte er ihr in die Augen. »Nun sieh mich mal an,« sagte er, »was gibt's denn? Etwas Besonderes passiert? Mir scheint's beinahe so. Na, Du wirst ja ganz rot?«

Wirklich war ihr die Röte ins Gesicht gestiegen, weil sie an die Begegnung mit Fannys Bruder dachte. Vergnügt lachte sie ihn an. »Rot? Ich spüre nichts. Aber aus Deinen Wangen könnte man den schönsten Krapp machen. Dir hat wohl das Essen wieder kolossale Anstrengung gemacht, wie? Weißt Du — so ein Diner von sechs Gängen jeden Tag — ich könnte es nicht, Papa.«

»Dafür frühstücke ich auch fast gar nicht. Uebrigens ist das noch das einzige Vergnügen, das ich habe — außer der Arbeit.«

Seine traurige Miene wirkte komisch, so daß ihre Heiterkeit sich steigerte. »Na, mich hast Du doch auch noch.«

»Aber natürlich doch. Und Walter dazu — überhaupt Euch alle. Redensarten, wenn man so etwas sagt. Im Grunde genommen liebe ich Mama immer noch so wie früher, wenn sie nur nicht so nervös wäre. Wetterwendisch in ihren Launen, kribbelig bei jeder Gelegenheit. Ruhe herrscht immer nur zwischen uns beiden, wenn wir uns nicht sehen. Dir kann ich's ja sagen, Du bist ein vernünftiger Kerl. In dieser Beziehung bist Du ganz mein Schlag ... Ist der Kandidat noch oben?«

»Denk' Dir nur, diesen Nachmittag hat er abgesagt, er schützte einen nötigen Besuch vor. Mama mußte sich selbst begleiten.«

»Daher auch die falschen Noten.«

Sie erzählte ihm die heutigen Vorgänge bei Tisch, ohne den Vorfall am Vormittag zu berühren, weil sie wußte, daß ihr Vater dann rücksichtslos Rudi eine Szene gemacht hätte, die alles verschlimmert haben würde.

Durch das offene Fenster hörte man das Sprechen der Kleinen, die mit dem Mädchen gerade ankamen. Roderich ließ sie herein, herzte und küßte sie und wollte sie dann gleich von hier aus hinaufschicken. Kornelia jedoch gab Emma einen Wink, wieder durch den Garten zum Seiteneingang zu gehen. Sie ging gleich mit, damit ihre Mutter nicht wissen sollte, daß sie zuerst den Vater begrüßt hatte.

Es klang fast ingrimmig, als Roderich lachend sagte: »Wir sind doch eigentlich ganz merkwürdige Menschen. Unsere Familie könnte sich sehen lassen. Einer ist auf den anderen eifersüchtig, wenn man mit mir zuerst spricht. Eigentlich könnt' ich mir darauf etwas einbilden.«

Er war keineswegs eitel darüber, denn gleich bewegten ihn ganz andere Gedanken, als er mit großen Schritten den üblichen fünf Minuten langen Verdauungsmarsch durch den Verandasaal unternahm. Rudi machte ihm zu schaffen, dieser ungeratene Junge, der noch nichts war, nichts werden wollte, dabei eine Pfiffigkeit besaß, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre. Ein halbes Jahr lang hatte er ihn in seiner Bank gehabt, wo er sich aber so träge und unausgeschlafen gezeigt hatte und außerdem den Kollegen gegenüber so hochfahrend gewesen war, daß er ihn aus diesem Volontärdienst wieder herausnehmen mußte, unter dem Vorgeben, er habe andere Pläne mit ihm. Rudi hatte sich zu sehr als Sohn des Bankdirektors gefühlt, und wenn nun Roderich sich alles genau überlegte, so war er selbst schuld daran, denn er war viel zu nachsichtig gegen ihn gewesen. Dann hatte er ihn in eine Fabrik geschickt, aber nach einigen Wochen war die Herrlichkeit auch hier beendet.

Neuerdings trug sich der Hoffnungsvolle mit dem Gedanken, eine sogenannte Fähnrichspresse zu besuchen, um den Ausschuß dort zu vermehren. Auf diese Art war er bereits zum Einjährigen-Zeugnis gedrillt worden, und so wäre vielleicht die Aussicht vorhanden, ihn endlich in eine vernünftige Bahn gelenkt zu sehen. Roderich glaubte zwar noch nicht recht daran, aber auf alle Fälle war er neugierig, wie sich der Lebensweg des ältesten Stammhalters noch entwickeln würde.

VIII.

Als er dann hinaufging und seine Frau begrüßte, geriet sie sofort außer sich. Emil hatte ihr pflichtgemäß durchgetutet, daß der Herr sein Diner beendet habe und jedenfalls gleich erscheinen werde; jedoch sei das gnädige Fräulein noch bei ihm. Agathe hatte es gerade im letzten Augenblick erfahren, als ihr Mann die Wendeltreppe emporstieg. Sofort glich ihre Erregbarkeit einem kleinen Raketenfeuer von Worten.

»Adolf, Ihr habt wieder etwas miteinander, — gegen mich natürlich! Neli hat mich wieder verklatscht, nicht wahr? Wie kommt sie überhaupt dazu, Dich vor mir zu begrüßen? Und ich darf keinen Muck sagen. Aber Du ziehst Deine Kinder immer vor, sie zumeist. Ich bin wirklich ein unglückliches Weib. Tief zu beklagen!«

»Hysterisch bist Du,« wollte er erwidern, unterdrückte aber diese Worte aus Zartgefühl. Um so offener war er mit seiner anderen Meinung. »Da habe ich wieder den schönsten Empfang nach des Tages Last und Mühen, und da wunderst Du Dich noch, wenn ich unten wenigstens ein paar Stunden lang vor diesen ewigen Nadelstichen bewahrt sein möchte?«

Sie fegte noch einmal so schnell mit der Schleppe über den Teppich vor dem geöffneten Klavier. Schrill lachte sie auf. »Was ich aber am Tage hier für Nadelstiche bekomme, das bedenkst Du nicht! Ich brauch' es Dir wohl nicht erst zu sagen, Neli wird Dir schon alles zugetragen haben!«

Er beruhigte sie, indem er die Ausrede gebrauchte, er habe sich nur nach dem Befinden Fräuleins erkundigen wollen. Er könne es nur billigen, daß man den Arzt geholt habe, was übrigens frühzeitig hätte geschehen müssen.

Es wallte aufs neue in ihr auf. »Siehst Du, nun kriege ich's! Das soll doch nur ein Vorwurf gegen mich sein! Das ist ja schon die reine Freundschaft zwischen Neli und dem Mädchen!«

Der Bankdirektor hob die Schultern. »Was Du Dich bloß darüber ereiferst. Menschliche Teilnahme braucht doch noch nicht Freundschaft zu sein. Hübsch von Neli, daß sie sich als gebildetes Mädchen zeigt. Bildung verpflichtet zu anständiger Behandlung der Menschen, die von uns abhängig sind.«

»Du bist ja der reine Sozialdemokrat,« keuchte sie hervor.

Roderich blieb kalt. »Nimm mir's nicht übel, liebe Agathe, aber manchmal weißt Du nicht, was Du sprichst. Gut, daß kein Fremder das hört! Du bist doch sonst so stolz auf den Titel ›Frau Bankdirektor‹. Ob das nun gerade nach der heutigen Auffassung sozialdemokratisch klingt — weiß ich nicht ... Uebrigens zeigst Du Dich dem Kandidaten gegenüber auch nicht besonders stolz, — im Gegenteil, Du zeichnest ihn aus, was ich Dir gar nicht zum Vorwurf machen will. Du kennst meine freie Auffassung in dieser Beziehung.«

Sie stammelte erst ein wenig, fand aber dann gleich den Fluß der Sprache wieder. »Das ist doch ein Mensch von hoher Bildung, ein Lehrer, ein Erzieher, überhaupt ein gesellschaftsfähiger Herr! Er kann Gymnasialdirektor werden, sogar Universitätsprofessor. Er stellt sozusagen den Salon vor, Fräulein die Hinterstube.«

Sie trat auf ihn zu und zeigte ihm die Miene einer tief beleidigten Frau. »Willst Du mir vielleicht diese harmlosen musikalischen Stunden nicht mehr gönnen? Was habe ich denn sonst vom Leben? Du bist den ganzen Tag auf der Bank, kommst nach Hause, ißt Deine zwölf Gänge für Dich, und —«

»Sechs, liebe Agathe,« warf er gutmütig ein. »Davon sind eigentlich nur drei richtig zu würdigen.«

»— und läßt Dich dann nach einer Stunde sehen,« beendete sie ihren Satz. »Ich habe mir dann schon gründlich die Galle voll geärgert, den Tag über.«

»Du nimmst eben alles zu tragisch.«

»Was übrigens Fräulein betrifft, so kann ich Dir nur sagen — sie hat sich wirklich gründlich verstellt. Obendrein den Arzt getäuscht. Es ist gar nicht so schlimm, fast schon alles vorüber. Morgen wird sie schon aufstehen können.«

»Na also, — freue Dich doch!« sagte er vergnügt, zog sie kräftig an sich und gab ihr vorsichtig einen Kuß, was sie sich erst mit geheucheltem Widerstreben gefallen ließ. Allmählich wurde sie aber wirklich ruhig und unterdrückte sogar die Tränen, die sie bei derartigen Gelegenheiten immer bereit hatte. Dann machte er den Vorschlag, später auf ein Stündchen in den Zoologischen Garten hinüberzugehen, und zwar mit Kornelia, oder auch nur zu zweien, wie sie es wünsche. Man könne ja auf der Terrasse noch gemütlich eine Bowle trinken und das Konzert einmal in der Nähe anhören.

Die Aussicht, heute noch in großer Frühjahrstoilette glänzen zu können, mit sämtlichen Brillanten, stimmte sie rasch versöhnt, und so ging sie gleich an die nötigen Vorbereitungen, die stets eine geraume Zeit in Anspruch nahmen.

Roderich ging indessen in das Unterrichtszimmer, wo er sich nach Walters Fortschritten erkundigen wollte, was er jeden Abend tat. Als er ihn aber nicht vorfand, witterte er ihn bei Kornelia und traf ihn dort auch an, damit beschäftigt, seinen Aufsatz vorzulesen. Er gab ihm einen Wink, ruhig fortzufahren, setzte sich und hörte schweigend zu.

»Ausgezeichnet, ausgezeichnet,« sagte er dann zum Schluß und nahm das Heft entgegen, in das Fröhlich bereits ein »Recht gut« eingetragen hatte. »Diese Tiergeschichte ist ja sehr interessant. Woher hast Du das eigentlich?«

»Die reine Novelle, was?« fiel Kornelia ein.

»Du gibst also dem Hunde den Vorzug, ganz mein Fall,« fuhr der Bankdirektor fort. »Wenn ich Dir auch über den Ziehhund nicht beistimmen kann. Es gibt doch noch Rassen, die edler sind. Die Affenpinscher scheinst Du gar nicht leiden zu können. Das laß nur Mama nicht lesen!«

»Warum denn nicht?« wandte Walter keck ein. »Aeffi ist doch eigentlich ein Faultier, das sich zwecklos in seinem Korb herumsielt.«

»Um Himmels willen! Junge!« Unwillkürlich sah sich Roderich nach der Tür um, als könnte die Hausherrin unbemerkt eingetreten sein. Dann aber lachte er aus vollem Halse, vergnügt über diese Auffassung. »Aeffi macht doch aber Mama große Freude, das ist eben sein innerer Wert,« sagte er wieder zur Beruhigung.

Walter wurde lebhaft. »Aber Du sagtest doch oft, daß der eigentliche Wert des Lebens in der Arbeit bestände. Na, — und so bin ich auf den Gedanken gekommen. Du bist doch auch ein fleißiger Mann.«

In seiner klugen Art erzählte er, wie er im vergangenen Sommer im Juni, bei großer Hitze, eine arme Frau auf der Straße gesehen habe, wie sie mit ihrem Ziehhund zusammen einen kleinen Wagen zog und an einem Brunnen unter liebevollen Worten ihn tränkte. Das sei ihm so rührend vorgekommen, daß er es nicht vergessen habe. Gewiß sei dieser große starke Hund, der schon die Zunge heraushängen ließ, das ganze Vermögen der armen Frau gewesen.

»Ich will Dir nur sagen,« sprach er eifrig weiter, »ich wollte damit dem Herrn Kandidaten eine Freude bereiten. Das hat ihm denn auch ganz besonders gefallen ... Er kam mir ebenfalls wie ein geplagtes Haustier vor, als ich sah, wie er sich mit Hans und Trudchen herumärgern mußte. Hans trat ihm fortwährend auf die Stiefel. Und zum Dank hatte der Kandidat immer nur hübsche Worte. Das braucht er doch eigentlich nicht zu machen, er ist doch nur für mich angestellt. Aber das tut er gewiß nur, weil er so arm ist.«

Roderich erwiderte darauf nichts, sondern nickte nur still vor sich hin, innerlich ein wenig beschämt darüber, vorhin erst zu dem Diener anderer Meinung gewesen zu sein. Dann aber meinte er, daß so etwas ja nicht alle Tage vorkomme, Walter brauche sich darüber nicht aufzuregen. Aber er zog ihn an sich, nahm ihn zwischen die Knie und fuhr mit der Hand über sein blasses Gesicht. Er liebte diesen Jungen ganz besonders, und es war sein innerer Schmerz, daß dieser ehrliche Geist in einem so mißgestalteten Körper steckte, der sich wie eine verkrüppelte Blume ausnahm, die trotz alledem ihren herrlichen Duft spendete.

Was für ein Unterschied zwischen dem Aeltesten und diesem! In einsamen Stunden, namentlich dann, wenn in seinem Privatkabinett in der Bank die Gedanken von den ewigen Zahlen unwillkürlich zu dem Bilde dieses zweiten Sohnes schweiften, empfand er leises Bedauern darüber, daß kaufmännische Eigenschaften Walter versagt zu sein schienen. Und dann gelobte er sich, der geistigen Entwickelung dieses Jungen keine Schranken entgegenzusetzen, nach welcher Richtung hin sie sich auch eines Tages zeigen sollte.

Fortwährend hörte man das elektrische Klingelzeichen hereinschallen. Wenn Frau Agathe bei der Toilette war, dann setzte sie das ganze obere Stockwerk in Bewegung. Heute schien sie besonders aufgeregt zu sein. Sie hatte vor einigen Tagen das Kammermädchen entlassen und noch keinen passenden Ersatz gefunden, und so mußte Emma vorläufig bei ihr und Kornelia diesen Dienst versehen. Die Mecklenburgerin stellte sich aber dabei etwas schwerfällig an. So gab es denn kleine Zornesausbrüche der Gnädigen, die zwar sanft sein sollten, aber doch deutlich genug für die ganze Familie waren. Agathes Ankleidezimmer lag zwar neben dem Schlafgemach, aber der letzte Firnis der Toilette wurde im Boudoir vollzogen, wo übrigens auch die Auswahl der Kleider erfolgte, sobald sie sich ungestört sah. Dann wurden ganze Berge von Seide und Spitzen durch das Balkonzimmer geschleift, und es gab ein ewiges Hin und Her der Füße. Kaum war die Dienerin fort, so wurde sie auch schon auf halbem Wege wieder zurückgerufen.

Kornelia konnte dann durch die verbaute Tür die Stimme der Mutter hören, die nicht zur Ruhe kam. Bald fehlte dies, bald jenes, und wenn die ganze Ungeduld der Gnädigen erschöpft war, klopfte es an der Verbindungstür, und Frau Agathe rief laut: »Neli, hast Du einen Augenblick Zeit?«

So sehr sie auch behauptete, mit ihrer Tochter durchaus keinen übereinstimmenden Geschmack zu haben, — ihre letzte Rettung blieb doch Kornelia, die ihr Urteil abgeben mußte.

Heute schien Aeffi ganz besonderen Anteil an dem Aerger seiner Herrin zu nehmen, denn er hatte ein Kläffkonzert angestimmt, das immer auf derselben Diskanthöhe blieb.

»Er scheint wütend über Deinen Aufsatz zu sein,« sagte Roderich lustig zu Walter. Kornelia jedoch hielt es für besser, den bekannten Zuruf nicht erst abzuwarten, sondern der Mutter jetzt schon in ihrer Pein beizustehen. Vorher jedoch gab sie ihrem Bruder heimlich noch ein Zeichen, das auf ihre Verabredung mit ihm Bezug hatte, dem Vater nichts von dem Streite des Kandidaten mit Rudi zu sagen.

An diesem Abend ließ sich der Aelteste vor seinen Eltern nicht mehr blicken; selbst auf die zwanzig Mark von der Schwester schien er verzichtet zu haben. Sein Gewissen mußte nicht ganz rein sein, und so kam er auch nicht zum Abendbrot, das man in der Familie pünktlich um acht einnahm, während der Hausherr, der sonst noch spät zu arbeiten pflegte, sich gegen Mitternacht an einem kalten Nachtgericht labte.

Erst am andern Morgen suchte Rudi Neli gleich auf, knöpfte ihr wirklich noch die Doppelkrone ab, die sie sich am Abend vorher von dem Vater hatte geben lassen, um ihr Wort zu halten, und sagte: »Das hätte ich wissen sollen, daß die Alten noch weggingen, dann hätte ich das schöne Geld fürs Abendbrot sparen können. Ich weiß ja, Ihr petzt alle.« Er wurde aber sogleich wieder fidel, als er dahinter kam, daß die Luft rein war, wenigstens um den Vater herum. Aber schon nach einer Viertelstunde fiel er aus allen rosigen Wolken.

Fröhlich war kaum erschienen, als er sich bei dem Hausherrn, der bereits unten in seinem Arbeitszimmer war, durch Emil anmelden ließ; er hatte deswegen erst gar nicht den Weg zum ersten Stockwerk genommen. Roderich, der nur auf das Vorfahren des Wagens wartete, der ihn zur Bank bringen sollte, war durchaus nicht überrascht, denn es kam vor, daß der Kandidat, der noch einen jüngeren Bruder zu unterstützen hatte, in die Lage kam, um einen Vorschuß zu ersuchen, der ihm auch stets bewilligt wurde. Roderich, der selbst eine harte Jugend hinter sich hatte, half ihm dann jedesmal durch feines Verständnis über die Verlegenheit hinweg.

Heute wollte er ihm das Bittgesuch ganz besonders erleichtern, indem er ihn mit den Worten empfing: »Wie geht's Ihnen, Herr Kandidat? Ich bin sehr zufrieden mit dem Fortschritt meines Sohnes. Immer nur so weiter. Ganz ausgezeichnet — der Aufsatz gestern! So ein Thema liebe ich. Wie sagt doch Schiller? —: ›Greift nur hinein ins volle Menschenleben!‹ Oder ist's von Goethe? Die beiden hab' ich immer verwechselt ... Es kann ja zur Abwechselung auch einmal das volle Tierleben sein, nicht wahr?«

Der Kandidat hatte die Frage lächelnd durch ein rücksichtsvolles Kopfnicken bejaht, während Roderich schon mit dem Schlüsselbund spielte, um den kleinen Kassenschrank zu öffnen, in dem sich die Tagesgelder befanden. Er blickte aber erstaunt auf, als Fröhlich ohne weiteres begann: »Ich hätte heute eine ganz besondere Bitte an Sie, Herr Bankdirektor ... Ich möchte ganz ergebenst bitten, mich von dem Freitisch zu entbinden. Es hat sich nämlich ganz plötzlich die Notwendigkeit für mich herausgestellt, mit meinem Bruder, der, wie der Herr Bankdirektor ja wissen werden, hier das Gymnasium besucht, gemeinsam das Mittagessen einnehmen zu müssen.«

Wenn der Kandidat sich ganz besonders als Erzieher fühlte, so sprach er stets in wohlüberlegtem Satzbau, der aber diesmal unter der Unsicherheit seiner Stimme litt, so daß Roderich eine Ausrede dahinter witterte, was er ganz besonders aus der Tatsache schöpfte, daß der Blick Fröhlichs nicht wie immer geradeaus gerichtet war.

Ehe Roderich noch was sagen konnte, ergänzte Fröhlich seine Bitte durch aufrichtige Dankesworte für die ihm bewiesene stete Teilnahme.

Dann aber hielt der andere mit seiner Derbheit nicht zurück. »Schmeckt Ihnen das Essen nicht, Herr Kandidat?«

»Aber Herr Bankdirektor! Viel eher dürfte ich darüber klagen, daß man mich in dieser Beziehung stark verwöhnt hat.«

»Na, es könnte doch sein, Herr Kandidat,« fuhr Roderich leutselig fort. »Mir schmeckt's oben auch nicht. Vielleicht sehen Sie zuviel Sauerbrunnen auf dem Tisch? Oder vielleicht wird Ihnen das Essen immer zuviel versalzen?«

Fröhlich faßte das durchaus ernst auf. »Herr Bankdirektor dürften wohl wissen, daß das bei der vorzüglichen Küche im Hause unter der vortrefflichen Aufsicht der Frau Gemahlin ganz ausgeschlossen ist.«

»Na ja,« sagte Roderich wieder gedehnt. »Aber es gibt doch noch andere Arten von Salz als Kochsalz. Man kann einem den Geschmack auch durch Worte versalzen.«

Und als Fröhlich die Antwort darauf schuldig blieb und leicht betroffen auf den Teppich blickte, zögerte Roderich nicht länger und bat ihn, Platz zu nehmen, was der Kandidat bescheiden ablehnte, klingelte nach dem Diener und befahl ihm, seinen ältesten Sohn herzubitten.

Und als Rudi nach wenigen Minuten erschien, begann Roderich sofort kurz und gemessen: »Du hast gestern bei Tisch das schöne Wort ›Familiensklaven‹ gebraucht, und zwar in einer Andeutung, die der Herr Kandidat sehr wohl auch auf sich beziehen konnte. Wir leben nicht in Südamerika und sind keine Sklavenhalter. Ich glaube, Du vergibst Dir gar nichts, wenn Du mit einigen Worten Dein Bedauern aussprichst. Ich will dabei gleich bemerken, daß dieser Wunsch nicht von Herrn Fröhlich ausgeht, der auch nicht zu diesem Zwecke hier erschienen ist. Auf alle Fälle bitte ich Dich darum ... Ich möchte nicht, daß man an der guten Erziehung meiner Kinder zweifelte. Geld hat's mich wenigstens genug gekostet.«

Fröhlich, völlig überrascht, wollte höflich Einwendungen machen; Roderich jedoch durchschnitt die Worte mit einer großen Handbewegung.

Rudi, der ängstlich lächelnd hereingetänzelt gekommen war und den ahnungslosen Engel spielte, hatte sich unwillkürlich emporgereckt und verstohlen einen anmaßenden Blick auf den Verhaßten gesandt. Schon wollte er hochmütig das Wort von dem »kompletten Narren« in die Wageschale werfen, um offen einen Ausgleich herbeizuführen, als sein aufsteigender Zorn aber weiser Ueberlegung wich. Im Augenblick sagte er sich, daß dadurch eine neue Auseinandersetzung zwischen dem Vater und ihm entstehen würde, die jedenfalls nicht zu seinen Gunsten verlaufen wäre. Gut wenigstens, daß der Alte von der Haarnadelgeschichte und ihren Folgen noch nichts wußte.

So zeigte er sich denn bestrebt, die Sache mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit zu behandeln, indem er nach berühmtem diplomatischen Muster die Gedanken hinter der Sprache verbarg — Gedanken, die Fröhlich jedenfalls mit der Bezeichnung »schwarz« benannt hätte, wenn er sie erraten haben würde.

»Aber sicher, Papa; wenn ich dem Herrn Kandidaten damit ein Vergnügen bereiten kann. Ich hatte nicht die mindeste Absicht, ihn zu treffen, oder ihn gar zu beleidigen. Du lieber Himmel, Papa —, das sind so Worte, die einem herausplatzen, ohne daß man sich dabei etwas denkt!«

Roderich verlor seine Strenge, denn es kitzelte ihn, festgestellt zu sehen, daß man in einem guten Hause lebe, wo selbst leichtfertige Söhne die Würde ihrer Eltern wahrten. »Ich dachte mir gleich, daß nur ein Mißverständnis vorliegen könnte,« sagte er lachend, gewissermaßen aufatmend.

Fröhlich war zwar anderer Auffassung, aber er wagte nicht, sich zu äußern. Immerhin erlebte er eine kleine Genugtuung, die jedenfalls seiner Stellung hier nur dienlich sein konnte. Im übrigen kam er sich doch wie ein gedrückter Mann vor, dem man eine große Auszeichnung versprochen hatte, und der nun ein Almosen empfing, das gerade dazu reichte, seinen Appetit im Augenblick zu stillen.

Rudi fühlte sich wieder in gehobener Stimmung. »Ausdrücklich spreche ich mein Bedauern darüber aus, falls ich falsch verstanden sein sollte,« näselte er bedenklich und schloß dann mit der spöttisch getanen Frage: »Sie sind doch damit zufrieden, Herr Kandidat?«

»Aber das ist doch selbstverständlich,« fiel ihm Roderich ins Wort. »Die Sache ist erledigt.« Dann, als er mit Fröhlich wieder allein war, der ihn noch zurückgehalten hatte, fuhr er gemütlich fort: »Na, darum war es Ihnen doch nur zu tun, nicht wahr? Und nun essen Sie doch wieder bei uns, wie? Mein Scharfsinn! Mit einem Schulmeister nehm' ich's noch auf.«

Er lachte behaglich und zündete sich eine der schweren Upmann an, die er mit Vorliebe rauchte. Sofort aber horchte er verblüfft auf, so daß er in der Zerstreuung sich an dem zu Ende gehenden Zündhölzchen fast die Finger verbrannt hätte.

Der Kandidat hatte heute seinen schwarzen Taillenrock an, der im zugeknöpften Zustande seiner schmiegsamen Figur stets etwas Feierliches gab. Er strich nach seiner Gewohnheit mit beiden Händen über die Hüften und wiegte sich wieder sanft auf den Fußspitzen, als wollte er den Anlauf zu etwas Außerordentlichem nehmen. Er war ein wenig rot geworden, weil er die Empfindung hatte, daß der Hausherr über die Bemerkung seines Sohnes etwas leicht hinweggegangen sei. Trotzdem die Vermutung Roderichs der Wahrheit entsprach, drängte ihn im Augenblick seine Selbstwürde dazu, das nicht zuzugeben. Und so wollte er die Notlüge lieber aufrecht erhalten, ehe er sich dem Triumphe des jungen Herrn auf die Dauer länger aussetze. Zwar bedeutete für ihn der Verzicht auf den Freitisch einen harten Verlust, aber er wollte die leibliche Bedrängnis lieber der seelischen vorziehen. Und so sagte er mit bestimmter Höflichkeit: »Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar dafür, daß Ihr Feinsinn diese Aussprache herbeigeführt hat, zu der ich direkt niemals Veranlassung gegeben haben würde; denn mein ganzes Verhalten in Ihrem angesehenen Hause enthob mich wohl von vornherein der Annahme, Sie könnten die Ansicht Ihres Herrn Sohnes teilen. Ich muß jedoch bei meiner Bitte bestehen bleiben, weil sie durchaus der Tatsache entspricht.«

Roderich war zwar ärgerlich, sich getäuscht zu haben, verkniff sich aber seinen Unmut und erwog rasch, daß durch das Fortbleiben des Lehrers bei Tisch sich immerhin die Aussicht ergäbe, seine Frau um die überflüssigen Gesellschaftsstunden zu bringen. Und so sprach er zwar sein Bedauern aus, hatte aber nichts einzuwenden.

Der Kandidat verbeugte sich tief und ging.

IX.

An diesem Tage aß Fröhlich kein Mittag. Der Monat ging seinem Ende entgegen, und so war völlige Ebbe in seiner Kasse. Sein Stolz hatte ihm einen unerwarteten Possen gespielt, den er aber mit Würde ertrug. Vorübergehend mischte sich nur leises Bedauern hinein, als ihm einfiel, daß es gerade heute grünen Hecht gab, den er mit Leidenschaft aß, und worauf Frau Roderich schon am Tage vorher zart hingedeutet hatte. Sie war sehr überrascht, als der Kandidat eine günstige Gelegenheit benutzte, sie zu bitten, nicht mehr für ihn decken zu lassen; er habe sich mit ihrem Herrn Gemahl bereits darüber ausgesprochen.

Sie stürmte hinunter, fand aber ihren Mann nicht mehr vor, der es eilig gehabt hatte. Schließlich witterte sie Rudi dahinter, der aber mit den Achseln zuckte und sich ausschwieg, im Innern jedoch sich wie ein Sieger vorkam, der einen lästigen Feind aus dem Felde geschlagen hat. Kornelia war bereits in den Zoologischen Garten hinübergegangen, wo sie seit einiger Zeit mit Erlaubnis der Direktion Tierstudien trieb, und so blieb der Mutter nur noch Walter übrig, den sie aber unmöglich beim Unterricht aushorchen konnte, ohne sich nicht lächerlich zu machen. Und so rauschte sie an diesem Vormittage wie eine in ihrem Stolze tief gekränkte Frau umher, die die Empfindung hat, ein Gnadengeschenk durch große Undankbarkeit belohnt zu sehen.

Sie zweifelte keinen Augenblick daran, daß eine heimliche Macht den Hauslehrer zu seinem Entschlusse bestimmt haben müsse, und, sofort geneigt, der mißtrauischen Sprache ihres Herzens zu folgen, sah sie als Urheberin dieses Unheils allein Fanny Frank an. Sie hatte ihn jedenfalls dazu bewogen, den Freitisch aufzugeben, um ihn der Nähe seiner Gebieterin zu entreißen, natürlich nur aus Eifersucht!

Dieses kleine Mädchen, mit dem Benehmen für Kinder geeignet, konnte es wagen, eifersüchtig auf eine imposante Frau der Gesellschaft zu werden! Frau Agathes überreizte Einbildung ging wieder ins Unbegrenzte, und sie malte sich die schönsten Ränke aus, die binnen eines Tages und einer Nacht hinter ihrem Rücken sich abgesponnen haben könnten. Es erschien ihr als sehr wahrscheinlich, daß der Kandidat sich nicht gescheut habe, Fräulein heimlich im Krankenzimmer aufzusuchen. Es war also an der Zeit, die Minen springen zu lassen; denn in einem gesitteten Hause durfte ein derartiges Verhältnis zwischen Angestellten niemals geduldet werden.

Oswald Fröhlich bewohnte zusammen mit seinem zwölfjährigen Bruder ein bescheidenes Zimmer im obersten Stockwerk eines Gartenhauses in Charlottenburg, nicht weit von des Bankdirektors Villa. Der Sohn eines Pastors in der Mark, hatte er zuerst aus Gründen der Billigkeit in Halle zwei Semester Medizin studiert, war dann aber zu seinem jetzigen Studium übergegangen und nach Berlin übergesiedelt, um sich besser durchschlagen zu können. Noch während der höheren Semester hatte er die ganze Bedrängnis des armen Studenten kennen gelernt, der, fast ohne Zehrpfennig von zu Hause, sich durch Hochmut, Demütigung und Entbehrung durchschlängeln muß, um sein Leben zu fristen, sein Studium nicht zu vernachlässigen und die Hoffnung auf die Zukunft nicht zu verlieren.

Er hatte Klavierunterricht, die Stunde für fünfzig Pfennig, erteilt, zugleich Nachhilfestunden für je eine Mark, und war Einpauker bei allen jenen hoffnungsvollen Knaben biederer, philisterhafter Eltern gewesen, die an die dicken Schädel ihrer Herren Söhne niemals glauben wollten, schon aus Rücksicht auf die eigenen Geistesgaben nicht, und die die liebliche Gewohnheit hatten, es sofort mit einem anderen Hauslehrer zu versuchen, sobald die Gymnasium- oder Realschulpflanze bei der Versetzung in eine andere Klasse unberücksichtigt geblieben war. In diesem Falle pflegte dann stets die vorherige gute Meinung von den Fähigkeiten des Nachhilfestundengebers in das Gegenteil umzuschlagen, und von den Empfehlungen, mit denen man ihn ausstatten wollte, keine Rede mehr zu sein.

Allmählich verbesserten sich die Einkünfte Fröhlichs, was er mit Freuden begrüßte, da inzwischen sein Vater gestorben war und außer den beiden Söhnen der Witwe noch zwei unverheiratete Töchter hinterließ. Die Mädchen fanden schließlich Stellungen auf dem Lande, den Jungen aber nahm Oswald gleich nach dem Begräbnis des Alten mit nach Berlin, wo er ihn auf das Gymnasium brachte und väterlich für ihn sorgte. Er mußte die Zahl der Nachhilfestunden verdoppeln, und er tat es gern, in heiliger Pflichterfüllung. Die Frau Pastor half nach Kräften, indem sie selbstgemachte Wurst schickte, eigenhändig gestrickte Strümpfe beilegte und sich bis zu selbstgenähten Anzügen für den Jungen verstieg; überhaupt alle jenen nützlichen Dinge sandte, an denen die Liebe einer Mutter reich ist. Auch die Schwestern knapsten sich manches ab, und so konnte die Daseinskarre zwar schwerfällig aber ohne Gefahr weitergehen.

Als dann Fröhlich die Universitätszeit glücklich beendet hatte und nun in den schönen Zustand eines Hungerkandidaten kam, den er gern mit einem Lebenstümpel verglich, auf dem man fortwährend im Kreise herumrudert, ohne den Ausweg zu finden, machte er als sogenannter fester Hauslehrer die sonderbarsten Erfahrungen. Er wollte gern in Berlin und Umgegend bleiben, schon des Bruders wegen, und so mußte er Zumutungen über sich ergehen lassen, wie sie das große Angebot einer Riesenstadt mit sich bringt.

Er sollte bei gewissen Zöglingen hin und wieder den Schwamm anwenden, wenn sie sich unerwarteterweise das Gesicht beschmutzt hätten; sollte sich in einer andern Stellung als Heilkünstler für angeborenes Stottern zeigen und zugleich den Nachweis führen, ob er auch schwimmen könne, da es notwendig sein werde, den Schüler während des Sommers in die Badeanstalt zu begleiten. Ja, ein früherer biederer Bäckermeister, der sich als Rentier in einem Vorort zur Ruhe gesetzt hatte, machte den dauernden Aufenthalt in seinem Hause davon abhängig, daß Fröhlich das Zitherspielen erlernen müsse, da der spätere Erbe durchaus Neigung zu diesem Instrument habe und sein musikalisches Talent darin ausbilden wollte. Daß sonst noch besondere Familienwünsche nebenbei liefen, hing wohl mit den unerschöpflichen Zeitansprüchen zusammen.

Die Fräulein Töchter verlangten englische und französische Konversationsstunden, unentgeltlich natürlich, höchstens gegen eine Einladung zum kalten Aufschnitt, und gelegentliches Besorgen der neuesten Walzernoten. Und auch die wohlerzogene Frau Mama fand es nicht unbillig, wenn der Herr Kandidat gelegentlich eines Damenkränzchens seine Fingerfertigkeit auf dem Klavier zur Belustigung der Gäste freundlichst beweise. Einmal erlebte Fröhlich sogar die Ueberraschung, daß der Hausherr, ein früherer Apotheker, der von seinem Rentensitz aus große Grundstücksspekulationen trieb, ihm das Vertrauen schenkte, zwischen vier und sechs Uhr nachmittags die umfangreiche Korrespondenz mit erledigen zu helfen, wofür dann in Gnaden hin und wieder ein Abonnementsbillet für das Opernhaus bewilligt wurde.

Endlich kam Fröhlich durch Empfehlung in das Haus Roderichs, das er nach unruhiger Irrfahrt wie einen kleinen Hafen betrachtete, in dem er vor zu argen Lebensstürmen bis auf absehbare Zeit bewahrt bleiben würde. Zwar wurde er auch hier nicht fürstlich belohnt, aber die hundertzwanzig Mark monatlich reichten doch, sein und des Bruders Dasein zu fristen. Er war bedürfnislos, und der Schüler hatte noch weniger Ansprüche ans Leben zu stellen, und so erschien ihm die Zukunft sonnenreicher denn je. Die kleinen Aergernisse, die ihm auch hier bereitet wurden, nahm er gern in den Kauf, denn er hatte in dem Bankdirektor einen Mann von Gesinnung gefunden, der seine Fähigkeiten zu schätzen wußte und in ihm stets den gebildeten Mann sah.

Nun aber waren plötzlich neue Aufregungen an ihn herangetreten, die mehr den inneren als den äußeren Menschen beschäftigten.

Eine starke Neigung zu Fanny Frank hatte ihn erfaßt, die ihm unerwartet Herzensnot brachte, weil er nicht wußte, ob er auf Gegenliebe rechnen durfte. Schon seit Wochen hatte er diese Umwandlung in seinem Wesen empfunden, die ihm den Wert des Lebens von einer neuen Seite offenbarte. Und als er Fanny gestern in ihrer holden Verwirrung vor sich sitzen sah, wie ihr Pflichtgefühl jedes andere Bedenken verdrängt hatte, war der heiße Wunsch nach ihrem ehrbaren Besitz wie eine elementare Bewegung in ihm rege geworden, so daß er die Arme hätte ausstrecken mögen, um sie an sich zu ziehen und ihr das in innigen Worten zu sagen.

Und noch viel mehr hatte er diesen sengenden Trieb empfunden, als Rudi dazwischentrat und mit häßlicher Lebensauffassung seine reine Achtung vor ihr zu trüben versuchte. Er hatte Worte des Zornes unterdrückt, hatte sich unter glatter Höflichkeit bemeistert, trotzdem er sich im Augenblick nicht mehr als bloßer Hausgenosse von ihr gefühlt hatte, sondern als der Mann, der sich durch seine Liebe schon zu jeder Abwehr berechtigt glaubte.

Als er jetzt aber die Treppe zu seiner Wohnung emporstieg, konnte er nicht sagen, daß er unzufrieden mit dieser Wendung sei. Er hatte immer mehr an eine Bestimmung als an einen Zufall im Leben geglaubt, und so faßte er es auch jetzt als eine weise Fügung des Schicksals auf, daß er die allzu familiären Beziehungen zum Hause Roderich gelöst hatte. Er brauchte sich nicht mehr der Gefühlstyrannei der Hausherrin auszusetzen, konnte nun über den ganzen Nachmittag verfügen und seine Zeit besser verwenden, als schlechten Gesang zu unterstützen und eine Augensprache zu empfangen, der er kein Verständnis entgegenbringen konnte.

Er war sich immer wie ein erwachsener gehorsamer Schüler vorgekommen, der zu einer außergewöhnlichen Lektion befohlen wurde und der niemals zu widersprechen wagte, aus Furcht, er könnte sonst auf irgend eine Art bestraft werden. Nun aber fühlte er sich sozusagen der verliebt geschwungenen Zuchtrute entlaufen, und konnte, wenn auch mit leerem Magen, zum ersten Male frei aufatmen. Seine größte Freude war, sich nun schon am Nachmittage mit seinem Bruder beschäftigen zu können, der bereits in Quarta saß und ein sehr fleißiger Schüler war. Als er aber in sein Zimmer trat, fand er ihn nicht mehr vor, denn heute nachmittag war Schule, woran Fröhlich in seiner Zerstreuung nicht gedacht hatte.

Frau Rettig, die ehrsame Witwe eines Magistratsbeamten, die sich durch »möblierte Herren« ernährte, wunderte sich sehr, ihn schon um diese Zeit zu Hause zu sehen. Als gute Herbergsmutter, die gern ihre Zunge in Bewegung setzte, wenn es galt, die Neugier zu befriedigen, fragte sie sofort: »Nanu, Herr Kandidat? Heute so früh? Die Herrschaften haben wohl zeitiger gegessen?«

Fröhlich geriet in Verlegenheit. Während des Jahres, wo er hier wohnte, hatte er den Mittagstisch bei Roderichs stets derartig gelobt, daß Frau Rettig oftmals die Hände zusammenschlug und ausrief: »Immer drei Gerichte? Besser können Sie's ja gar nicht haben! Das halten Sie nur fest!«

Als treue Kreditgeberin des Kandidaten in Zeiten, wo er nicht pünktlich die Miete bezahlen konnte, die überdies sonst in alle kleinen Leiden der Brüder eingeweiht war, glaubte sie die Berechtigung zur großen Offenheit zu haben.

Kandidat Fröhlich nickte nur zur Bestätigung und meinte, daß er heute einen notwendigen Besuch wegen einiger Nachhilfestunden bei einem Sekundaner zu machen habe, der endlich nach Prima versetzt werden wollte. Er könnte diesen Unterricht auf den Abend verlegen, und so würde er das gerne mitnehmen. In der Tat erwartete man ihn zu einer Besprechung, aber erst um sechs Uhr. Er half sich jedoch mit dieser Ausrede, weil er noch nicht den Mut hatte, mit der Wahrheit herauszukommen. »Nun, was hat's denn heute bei Ihnen gegeben?« fragte er, um sie auf andere Gedanken zu bringen.

»Bratwurst mit Quetschkartoffeln. Bruno hat wieder tüchtig eingehauen.« Das sagte sie jedesmal, um damit anzudeuten, wie gering eigentlich der Pensionspreis im Verhältnis zu ihrer Beköstigung sei; aber es geschah mehr harmlos als bösartig.

Kandidat Fröhlich hatte die Bratwurst bereits gerochen, denn in dieser kleinen Wohnung, wo die Küchentür selten geschlossen wurde, lag der Geruch des Essens fortwährend in der Luft. Er blähte verlangend die Nasenflügel, etwa wie ein armer Reisender, der zwischen Tür und Schwelle steht und doch nicht wagt, einen bescheidenen Wunsch zu äußern. »Er hat wohl wieder alles aufgegessen, wie?« fragte er lachend, aber lauernd.

»Alles reine weggeputzt, Herr Kandidat,« gab Frau Rettig eifrig zurück. »Es war man heute wenig, die alten Kartoffeln werden schon schlecht. Ich hätte gerne auch noch mehr gegessen.«

Kandidat Fröhlich wußte nun, daß nichts mehr zu erwarten gewesen wäre, selbst wenn er jede Scheu überwunden haben würde. Zwar hätte es nur eines Wortes bedurft, um die biedere Wirtin einige Eier in die Pfanne schlagen zu lassen, aber dann wäre er doch gleich in lange Auseinandersetzungen mit ihr geraten, die er in seinem heutigen Zustand fürchtete. Er bestellte sich eine Tasse Kaffee, und las den Brief der Frau Pastor, der während seiner Abwesenheit eingetroffen war. Zu Hause ging alles gut, und so fühlte er sich wenigstens seelisch gestärkt, während der Magen allerdings darauf keine Rücksicht nahm, sondern seine Leere nach dem Genuß des cichorienreichen Getränkes erst recht ankündigte.

Kandidat Fröhlich zählte seine Barschaft nach, die noch aus dreiundfünfzig Pfennigen bestand, und beschloß, in der frischen Luft draußen zu erwägen, was für Herrlichkeiten er durch das Aufheben jeglichen Standesvorurteils bei einem Bäcker und Schlächter erstehen könne. Rasch griff er wieder zum Hut, zu den Zwirnhandschuhen und zum unvermeidlichen Regenschirm, der erst unlängst einen neuen Griff erhalten hatte, und schritt, wie immer stolz und kerzengerade, über den mit schönen Gartenanlagen ausgestatteten Hof, wie ein Mann, dem niemand es ansehen konnte, daß er sich mit wenigen Nickeln auf Umwegen sein trockenes Mittagessen einkaufen wolle.

X.

Kandidat Fröhlich ging in eine Nebenstraße, zum Bäcker und zum Schlächter. Er wollte sein ganzes Vermögen nicht auf einmal verschwenden, und so kaufte er sich nur für zwanzig Pfennig Wurst und zwei trockene Schrippen dazu, womit er vorläufig die Magenbestie beruhigen zu können glaubte, dann, als die Frage an ihn herantrat, wo er die sorgfältig eingewickelten Speisen ohne Aufsehen werde verzehren können, war er keinen Augenblick in Verlegenheit.

Da es öfters vorgekommen war, daß er mit seinem Schüler Walter Roderich den Zoologischen Garten besuchte, um auf einem Spaziergang die mündlichen Lektionen vorzunehmen und damit die Stärkung des Körpers zu verbinden, so hatte ihm der Bankdirektor eine Abonnementskarte gestiftet, die er stets in der Brieftasche bei sich führte. Zwar galt sie nur in Begleitung des Zöglings, aber der Billetabnehmer kannte ihn bereits und ließ ihn aus Gewohnheit durch.

Der Nachmittag dieses Maientages war besonders schön, denn es hatte in der Nacht wieder geregnet, und so war die Luft milde und abgeklärt. Fröhlich kannte einen stillen Winkel, wo auf einer kleinen Anhöhe unter einem Baume versteckt eine Bank stand, die er auch unbesetzt fand, da dieser Teil des Parkes, der auf Charlottenburg zuging, an Wochentagen weniger besucht war. Der breite Strom zog der anderen Seite zu, nach Berlin hinüber, wo bei den Klängen der Musik das große bunte Leben sich entfaltete.

Der Kandidat setzte sich, blickte erst nach rechts und links und begann wie ein Tagelöhner aus dem Papier heraus Wurst und Schrippen zu verzehren. Hin und wieder näherten sich Fußtritte, dann verbarg er rasch das Essen und spielte den verlorenen Träumer, von heimlicher Angst erfüllt, es könnte jemand neben ihm Platz nehmen und ihm den Appetit verderben. Aber er hatte Glück und blieb ungestört.

Vor ihm lag die abgeschlossene Gärtnerei, die bis an den Außenzaun ging. Darüber hinweg konnte er auf die Hardenbergstraße und deren Paläste blicken. Im hellen Sonnenglanz tobte das Leben Charlottenburgs, gleichsam wie ein vielköpfiges, noch sanft grollendes Ungeheuer, das erst zu tosendem Lärm überging, sobald es sich in die Straßenfluten Berlins ergoß. Unaufhörlich sandten die Stadt- und Fernzüge aus der Halle ihr Fauchen herüber, um dann über die Köpfe der Menschen hinweg hinter den Häusern zu verschwinden, als hätten die Mauern sie verschlungen. Heller und dunkler Qualm schlug zur Erde hernieder und verflog wie ein Heer von Flocken an den scharfen Kanten der Häuser.

Die elektrischen Wagen heulten an den Kurven und gaben gellend ihr Klingelzeichen, dazwischen erschallte klirrendes Wagengerassel, begleitet von dem gleichmäßigen Geklapper der Pferdehufe. Und dann ertönte aus der Luft herunter das dumpfe Glockenläuten der Wilhelms-Gedächtniskirche, wie herabschwebendes Riesensummen aus lichten Höhen, das den irdischen Lärm zermalmen wollte.

Lange klang es dem Kandidaten in den Ohren wieder, wie ein Ruf zu stiller Betrachtung. Er hatte mit Heißhunger gegessen und war nun fertig. Die Glocken ließen seine Gedanken zurückschweifen in die stille Heimat zur Dorfkirche, in der sein Vater so oft den Segen gesprochen hatte. Und der Spruch des Alten fiel ihm ein, den er ihm im Stammbuch zur Begleitung auf allen Wegen mitgegeben hatte: »So du dein Brot in Frieden ißt, laß es trocken sein und beneide nicht den, der glücklicher als du, es in Unfrieden ißt.« Und seine Mutter hatte hinzugefügt: »Fürchte nicht die Menschen, sondern fürchte dich!«

Kandidat Fröhlich wurde es weich zu Mute und unwillkürlich streckte er die Hände aus, als wollte er etwas fassen, was nicht da war, den Toten und die Lebende, beide zugleich, die ihm die große Heerstraße durch das Leben gezeigt hatten, auf der in jeder Station dasselbe steht: »Sei neidlos und harre aus!«

Gefestigt erhob er sich, denn schon war er nahe daran gewesen, mit dem Schicksal zu hadern, das dem einen den Ueberfluß gab und dem andern die Entbehrung. Ein Buchfink schlug sein Lied ihm zu Häupten, und hinter dem Zaune auf einem Obstbaum begann Frau Nachtigall sanft zu flöten, schmollend, mit der Rührung einer Vogelbraut, die das ferne Männchen lockt. Und es war merkwürdig, daß der Kandidat plötzlich an Fanny dachte, und der heiße Wunsch in ihm rege wurde, ihr hier zu begegnen. Und plötzlich durchzuckte ihn ein wonniger Schreck, als ihm einfiel, daß er am Vormittag gehört hatte, sie fühle sich zum Aufstehen schon genügend gekräftigt.

Er schritt langsam unter den Bäumen dahin, und machte hier und da vor den Tieren Halt. Besonders lange betrachtete er die Giraffe, die ihm stets als eines der merkwürdigsten Naturwunder vorgekommen war, dazu geschaffen, hochmütig über alle Nebentiere hinwegzublicken, um dafür von dem Löwen gestraft zu werden, den sie beim unfreiwilligen Wüstenritt wegen ihres langen Halses niemals erreichen konnte. Ein magerer Predigtamtskandidat seiner Heimat fiel ihm ein, der gerade so auf der Kanzel seinen dürren Hals reckte, und stets nach zwei Seiten zu äugeln schien, wenn er die Wirkung seiner Kinderstimme abwarten wollte. Fröhlich machte seinem Namen Ehre und vergnügte sich innerlich. Aber sein heimliches Lachen erstarb wie durch einen Ruck. Bekannte Stimmen schlugen an sein Ohr.

»Herr Rudi, ich wünsche diese Belästigungen nicht mehr. Ich sage es Ihrer Mama.«

»Ach, das tun Sie ja doch nicht.«

»Sicher. Ich dachte wunder, was Sie mir zu sagen hätten ... Ich muß zu den Kindern.«

»Ach, die buddeln ja ganz vergnügt. Kommen Sie nur! Wir gehen so rum.«

»Nein, nein. Wenn's die Gnädige erfährt, geht's mir noch schlechter. Dann heißt's wieder: ›Vernachlässigung der Pflicht‹.«

»Ach, Dummheit!« sagte Rudi wieder. »Mama hat gar nichts dagegen. Im Gegenteil —.«

»Wie meinen Sie denn das?«

Er ging aber darauf nicht ein, sondern sagte rasch:

»Wissen Sie, weshalb der Kandidat nicht mehr bei uns ißt?«

»Er wird mir's gewiß morgen selbst sagen. Ich hörte schon davon. Aber selbst Walter wußte es nicht.«

»Er hat gestern Ihre Haarnadel in der Suppe gefunden und sich den Geschmack daran verdorben.«

»Pfui, das ist nicht schön von Ihnen.«

»Ich hätte mich an ihrem Duft berauscht. Scherz beiseite — kommen Sie, ich will Ihnen den wahren Grund sagen.«

Neugierig folgte sie.

Fröhlich sah es, als er endlich wagte, sich umzublicken. Er hatte ihnen den Rücken zugekehrt, eingekeilt zwischen anderen Neugierigen, die nun in Scharen den weiten Käfig umstanden. Es war lebhafter im Garten geworden, und so sammelten sich die Menschen schon in Gruppen. Rudi und Fanny hatten hinter dem Kandidaten gestanden, ohne ihn zu sehen und von den andern beachtet zu werden, die nur Sinn für die Tiere hatten. Er aber war die Stimmen nicht mehr losgeworden und hatte nur ihnen sein Ohr geliehen.

Nun sah er die beiden dahinwandeln, wie sie in den Menschenlücken wieder auftauchten und verschwanden und er sah Fannys helles Kleid flattern, in der Sonne ihr Haar glänzen unter dem dunklen Strohhut. Ihr Gang hatte etwas Schwebendes, Leichtes und Verlockendes. Und der andere schritt neben ihr, lässig und keck, wie jemand, der sich herabläßt, mit einem Mädchen zu gehen. Und wenn er die Arme erhob und das dünne Stöckchen schwang, sah es aus, als tändelte er mit ihr.

Kandidat Fröhlich war alles Blut nach dem Herzen gedrungen, und fast war es ihm, als stände es lange still. Zwei Gewalten kämpften in ihm: Die Eifersucht mit der Scham — nicht jener Scham vor andern, sondern vor sich selbst, die nicht der Feigheit entsprang, sondern dem Zartgefühl, nicht als Lauscher zu gelten. Und so glich er dem Manne, der in Gedanken schon Besitz von einem süßen Wesen genommen, nicht aber das Recht hat, diese Gedanken in Worte umzusetzen. Und doch fühlte er die drängende Kraft in sich, hinter ihnen herzueilen, um die Szene von gestern fortzusetzen, aber es war nur die Kraft des Willens, nicht die des Körpers. Dann empfand er Beruhigung, durch das, was sie gesagt hatte. Sie war dem andern nur gefolgt, wie das ahnungslose neugierige Kind dem frühreifen Großsprecher.

Er trat aus der Menge, um den Blick zu ihnen frei zu haben. Und als er nun sah, wie Rudi das Stöckchen hoch in der Luft spielen ließ, glaubte er so etwas wie eine Peitsche zu sehen, die von einem jungen Hausherrnsohn über eine Sklavin seiner Familie geschwungen würde, wenn auch nur bildlich.

Er wollte nicht gesehen werden und ging nach der andern Richtung. Plötzlich befand er sich am Spielplatz, wo Dutzende kleiner Rangen durcheinanderkribbelten, Sandburgen bauten und aus demselben Stoff die schönsten Kuchen buken, während die Fräuleins und Kindermädchen auf den Bänken saßen und stille Wacht hielten. Es war ein richtiger öffentlicher Kindergarten, in dem die jungen Menschenblüten bunt und beweglich herumschillerten, allerdings ohne die tote Sprache der Blumen; denn unaufhörlich war das Schwatzen, Schreien und Lachen.

Hin und wieder ließ sich das Weinen einer gekränkten Kinderseele vernehmen, begleitet von dem lauten Schelten der Hüterin. Das Gekreisch eines Vogels platzte hinein, das Grollen des Löwen klang dumpf herüber, die geneckten Hunde ließen ihr bissiges Gebell ertönen. Der Kandidat dachte an eine zuchtlose Schulklasse, in die Tierstimmen zur Warnung hereinschallen. Sofort verspürte er liebe Erkennungszeichen, denn ein lebendes Etwas machte den Versuch, ihm von hinten durch die Beine zu krabbeln. Es war Hans, der ihn bereits erblickt und diese Ueberraschung auf Umwegen vorgenommen hatte.

»Onkel Fröhlich, reite mal auf mir!«

Der Hauslehrer fand dieses Vergnügen etwas gewagt, zog vielmehr den Jungen zu sich empor und bekam zur Belohnung eine kleine Sandladung auf Rockschoß und Stiefel. »Mein Sohn, Du darfst nicht unartig sein,« sagte er vorwurfsvoll und klopfte sich den Staub von der Kleidung.

»Onkel Fröhlich, spiel mit uns, Fräulein ist bei Rudi,« sagte der Junge wieder. »Grab doch auch 'ne Höhle!«

»Ein andermal, mein Sohn,« gab er freundlich zurück.

Trudchen kam herangewackelt und streckte ihm das schmutzige Händchen entgegen.

Er überlegte gerade, wie er sich die Kinder abschütteln könnte, als er hinter sich wieder das bekannte unausstehliche Lachen hörte, dem die Worte folgten: »Sie haben ja gute Vertretung gehabt. Ich gratuliere. Mamas Auftrag ist also erledigt, ich kann gehen.«

Roderich junior lüftete leicht den Hut, entfernte sich und ließ Fräulein stehen. Fröhlich tat so, als bemerkte er ihn nicht, aber er hörte neben dem Spott die Absicht aus den Worten, das Zusammentreffen für andere Ohren durch eine Ausrede zu entschuldigen. Als er sich dann aber umblickte, sah er das gerötete Gesicht Fannys, das vor Freude strahlte. »Guten Tag, Herr Kandidat. Das ist aber nett, daß Sie auch mal hier sind,« sagte sie freundlich, noch mit einer halben Wendung nach rückwärts. »Denken Sie nur nicht wieder Schlimmes von mir, aber ich konnte ihn nicht los werden. Kaum saß ich hier, da tauchte er schon auf und winkte. Und ich ging, um kein Aufsehen zu machen.«

»Ich denke durchaus nichts Böses von Ihnen, Fräulein,« erwiderte Fröhlich freundlich, nachdem er höflich den Hut gezogen hatte. Er hätte ihr gern die Hand gereicht, aber er wußte nicht, ob es ihr recht wäre.

»Er sagt immer, er hätte mir etwas Schönes zu erzählen. Heute war es wieder eine Neuigkeit. Es betrifft Sie, ich wage es Ihnen gar nicht zu sagen. Wenn Sie mir aber Ihr Versprechen geben wollen —.«

»Das haben Sie unter allen Umständen,« sagte er mit derselben Wärme.

»Sie sollen in seine Mama verliebt sein und hätten das Unsinnige eingesehen. Deshalb hätten Sie den Mittagstisch und die musikalische Unterhaltung aufgegeben.«

Der Kandidat fand das so überaus komisch, daß er lachte und dabei seine schönen Zähne zeigte. »Verliebt bin ich allerdings,« sagte er dann mit leiser Erregung.

»Aber, Herr Kandidat! Wie können Sie nur —!« entfuhr es ängstlich ihren Lippen. »Sie können sich ja um Ihre ganze Stellung bringen. Eine Mutter mit großen Kindern — nein! Ich begreife Sie nicht! Ich hab mir wohl gedacht, daß sie immer hinter Ihnen etwas her sein könnte, aber Sie, ein junger Mann —!«

»Es fragt sich nur, in wen ich verliebt bin,« fuhr Fröhlich unbeirrt fort und sah sie dabei so merkwürdig an, daß sie verwirrt die Augen niederschlug. »Sie werden mir wohl die Geschmacklosigkeit nicht zutrauen, noch weniger aber die niedrige Gesinnung, die Augen zu der Gattin meines sogenannten Brotgebers zu erheben.«

»Nein, wahrhaftig nicht, Herr Kandidat.«

»Da sehen Sie also gleich, wo die Verleumdung steckt, aber ich will mich milde ausdrücken: die gänzliche Verdrehung der Tatsachen. Und das zwingt mich, ganz offen zu Ihnen zu sein, jedoch mit der Bitte, der unschönen Gesinnung des jungen Herrn keinen allzugroßen Wert beizumessen. Menschen wie er, die die Arbeit gründlich hassen, sind schon gestraft durch ihr eigenes Dasein. Sie haben den Frieden ihrer Seele nicht, sie kennen das eigene Glück im Menschen nicht, deshalb zerstören sie so gern dasjenige anderer. Und ihr einziger Freund ist der eigene Schatten, der sie ruhelos verfolgt und sie stets an ihr Alleinsein erinnert ... Ich bitte also nochmals, mehr Mitleid als Mißachtung für den jungen Herrn zu haben ... Uebrigens habe ich viel darüber nachgedacht —: er kommt ganz nach seiner Mutter. Dieselbe Unruhe, dieselbe Sprunghaftigkeit des Wesens, dieselben Charakterschwächen. Und diese gewissen Triebe erstrecken sich sogar bis auf die Eitelkeit und Putzsucht. Es ist mir aufgefallen, daß er schon an einem Tage dreimal den Anzug gewechselt hat. Er soll fünfzig verschiedene Krawatten besitzen und ein Dutzend bunter Westen. Mein Schüler Walter machte sich gelegentlich darüber lustig ... Sie dürften gewiß schon etwas von einer sogenannten Vererbung gehört haben, und von der Degeneration der Arten.«

Sie wandelten unter den Bäumen auf und ab, während die Kinder sich wieder über den Sand hergemacht hatten. Wenn der Kandidat von einem bestimmten, gelehrten Gedanken erfaßt wurde, dann vergrub er sich in ihn und holte zur Entwicklung seiner Ansicht die verborgensten Fäden hervor, die er mit großer Klarheit weiterspann. Und so hielt er es denn auch im Augenblick für durchaus notwendig, dem Fräulein darüber einen kleinen Vortrag zu halten, wobei er nach Lehrart mit der lebhaften Bewegung seiner Hände nicht zurückhielt. Er zergliederte die ganze Familie Roderich, zerfaserte die Eigenheiten eines jeden Mitgliedes und teilte schließlich die sieben Häupter in zwei ungleiche Lager.

»Kornelia und Walter sind der Vater, die übrigen die Mutter,« schloß er lebhaft. »Dort die Beständigkeit, die kompakte Ruhe, die Sicherheit des Strebens und die Festigkeit des Charakters; und hier das gerade Gegenteil: absolute Trägheit, Hang zum Müßiggang, zur Unaufrichtigkeit, um nicht zu sagen zur Lüge, zu großen Worten, hinter denen die Selbsttäuschung steckt, und zu vielen anderen Dingen. Sie werden das vielleicht schon bei den Kleinen entdecken, wenn Sie acht darauf geben.«

»Gewiß, bei dem Jungen. Sie bringen mich erst darauf,« warf Fanny ein, die zuerst nicht ganz bei der Sache war, nun aber Verständnis zeigte. »Wollen Sie glauben, Herr Kandidat: er ist schon ganz nervös, gerade wie seine Mama; die Phantasie geht immer mit ihm durch. Na, und Bescheidenheit kennt er gar nicht.«

Sie bekam Lust sich zu setzen, denn die ganze Nacht hatte sie in einem Schwitzbad gelegen und sich heute früh tapfer zusammengenommen, um ihre Schuldigkeit im Hause wieder zu tun. Die gesunde Natur in ihrem Körper hatte ihr zwar rasch über die Erkältung hinweggeholfen, aber sie fühlte doch noch das Unbehagen einer gewissen Schwäche. Sie fanden abseits von dem Kindertrubel eine leere Bank, wo sie sich niederließen, nachdem Fanny sich ängstlich umgeblickt hatte. Es wäre ihr nicht angenehm gewesen, Rudi noch in der Nähe zu wissen, der dieses Zusammentreffen wieder wenig harmlos ausgelegt haben würde. Als sie ihn aber nicht sah, war sie beruhigt. Sie hatte ohnedies schon zu viel von ihm anhören müssen, was sie schwer bedrückte und wie eine stille Last mit sich herumtrug, die man sich scheut, einem andern aufzubürden.

Frau Roderich hatte auch heute früh noch die lächerliche Ansteckungsfurcht, die sich nicht eher legte, bis der Sanitätsrat um elf Uhr kam und in seiner geraden Art dazwischen fuhr. Er lachte vergnügt, als er die Kranke schon auf sah, und wünschte sich selbst noch einmal in diese Jahre zurück, um so schnell alle ärztlichen Bemühungen durchkreuzen zu können. Im übrigen hatte er gegen den täglichen Ausgang nichts einzuwenden, denn der Puls sei normal, und der Appetit werde mit dem Essen kommen. Die Medizin könne man weggießen. Er vergaß jedoch nicht, hindurchblicken zu lassen, daß diese rasche Wendung zum Guten seiner Hilfe zu verdanken sei. Zum Schluß empfahl er wenig Aerger, was seine ständige boshafte Redensart war, die er im Hause Roderich regelmäßig nach jedem überflüssigen Nervenbesuch bei der Hausherrin als Stichwort hinterließ.

Die Frau Bankdirektor sah aber darin niemals die Empfehlung, andere nicht zu ärgern, und so war sie gleich nach Fannys Erscheinen mit einer sonderbaren Zumutung an sie herangetreten. Emma habe heute außerordentlich viel zu tun, da bekanntlich noch immer kein Kammermädchen da sei, und so möchte Fräulein sich doch dazu »herablassen«, die Schuhe für die Kleinen zu putzen. Einmal sei ja keinmal. Das Wort »Herablassen« war aber so mit Spott getränkt, daß Fanny die Spitze sofort verstand, trotz des zuckersüßen Lächelns. Zu klug, um sich eine Blöße zu geben, hatte sie freundlich zugesagt und sich den Wichskasten in ihr Zimmer geholt, um nicht das Gespött der Dienstboten herauszufordern, die schon lange das »höhere Wesen« in ihr nicht begreifen konnten.

»O, das ist niederträchtig, ich will mich verbessern, ich will lieber sagen, unfein,« brauste der Kandidat auf, der durch diese vertrauliche Mitteilung sehr schnell in das alltägliche Leben zurückversetzt worden war. »Die Frau Bankdirektor scheint das schöne Wort Familiensklavin von ihrem Sohne aufgegriffen zu haben, mit der Absicht, es in der Praxis anzuwenden. Ihnen zuzumuten, das Schuhzeug der Kinder zu putzen! In solch noblem Haushalt, wo Diener und Kutscher sind!«

In seiner Erregung griff er sanft nach ihrer Hand und drückte sie wie zum Trost, und sie duldete es, weil sie es erklärlich fand. Gleich nach dem Fortgang Fröhlichs heute, hatte ihr Walter verraten, wie der Hauslehrer gestern vormittag sie und ihre Familie gelobt hatte, und so fühlte sie sich ihm plötzlich näher gerückt als sonst.

»Sie meinen es so gut mit mir, Herr Kandidat. Ich danke Ihnen sehr dafür,« sagte sie einfach, entzog ihm aber ihre Hand. Beim Aufblicken war sie leicht zusammengeschreckt, denn es war ihr, als wäre Rudi hinten in der Menge wieder irgendwo aufgetaucht. Und als dann Fröhlich mit der ganzen Wahrheit nicht mehr zurückhielt und ihr seine Unterredung mit Roderich mitteilte, die ihn gegen seinen Willen um den Freitisch gebracht hatte, war sie arg betroffen.

»Wie kann dieser Mensch nur so lügen,« rief sie aus, »es ist schändlich! Und ich bin nun indirekt die Veranlassung, daß Sie diese Vergünstigung nicht mehr haben. Es tut mir leid, herzlich leid.«

Kandidat Fröhlich schüttelte lächelnd mit dem Kopf. »Es ist Bestimmung, alles nur Bestimmung, Fräulein Frank, gewissermaßen der Wille des Schicksals, der uns alle lenkt. Es sollte so kommen. Ich hätte wohl sonst nicht das Vergnügen gehabt, mich mit Ihnen über unsere beiderseitigen kleinen Leiden hier ungeniert aussprechen zu können. Was mich betrifft, so hatte ich schon längst große Sehnsucht danach. Und soll ich noch offener sein, so muß ich Ihnen sagen, daß mir das Essen bei Roderichs längst nicht mehr geschmeckt hat. Wissen Sie auch, weshalb? Weil Sie nie am Tische mitaßen, weil man Sie sozusagen immer im Hintergrunde abspeiste. Stets hatte ich das Gefühl, daß man Sie zurücksetze, daß die Gnädige Sie halb und halb zu den Dienstboten rechne — und dadurch bin ich mir selbst ein wenig entwürdigt vorgekommen. Denn eigentlich nehmen wir beide dieselbe Stellung im Haushalt ein: wir opfern unsere ganze Liebe den Kindern. Das gebildete Proletariat ist gerade gut genug, seine Töchter und Söhne den Wohlhabenden ins Haus zu schicken, damit aus ihren Kindern Menschen gemacht werden. Sie können sich diese Familiensklaven jederzeit verschreiben lassen, sie sind im Ueberfluß vorhanden, denn das Angebot ist stärker, als die Nachfrage. Ich kann Ihnen sagen — ich freue mich beinahe, daß unser Herr Rudi dieses Wort gestern geprägt hat. Immer schon suchte ich nach einer erschöpfenden Bezeichnung für die Legion dieser geplagten Menschen, zu denen auch wir gehören. Und was mein Scharfsinn nicht fand, gab seine Brutalität zum besten. Familiensklaven — das klingt so hübsch strafmildernd, so ganz nach verzuckerter Grobheit, ganz anders wie Haussklave. Man kann dem Worte nicht recht beikommen. Man fühlt sich gekränkt und muß den Aerger herunterwürgen, mit Höflichkeit sogar, wie ich es gestern getan habe. Man weiß, daß es kein eigentliches Sklaventum mehr gibt, daß man, wenn man will, jeden Augenblick davon gehen kann, um seine persönliche Freiheit ganz und voll zu genießen, — und doch fühlt man statt der einstigen Kette die hundert Fäden, die uns in Abhängigkeit zwingen und fesseln. Und wie diese Fesseln feiner geworden sind, so auch die Demütigungen; sie werden nicht mehr mit der Peitsche verabreicht, sondern hübsch in Pillen, die manchmal recht bitter schmecken. Wir sind zwar in der Familie, aber wir gehören nicht dazu, wenn man uns das auch glaubhaft machen will. Was ja auch ganz natürlich ist, denn es gibt keine bezahlten Familienmitglieder. Sie sind eben das Fräulein, und ich bin der Kandidat, etwas rein Sachliches. Und eine Sache kann man sich kaufen. Und doch verlangt man Wärme von uns, gewissermaßen ein Aufgehen unseres Gefühls in das unserer Zöglinge; man verlangt einen Pflichteifer, der beinahe an persönliche Verantwortlichkeit grenzt. Und das finde ich wieder unnatürlich, weil wir stets Fremde in der Familie bleiben werden, und weil ungleiche Werte ausgetauscht werden.«

Während der Kandidat sprach, hörte ihm Fanny aufmerksam zu. Noch niemals hatte sie viel darüber nachgedacht, nun aber fand sie, daß er zwar recht habe mit seinem Vergleich, daß er aber doch etwas schwarz sehe. Er hatte sich eben Rudi zum Feinde gemacht, und so sprach der bittere Groll aus ihm, während sie in Kornelia eine Freundin hatte, die manche Härte ihrer Mutter ausglich. Als sie das aber äußerte und auch auf Walter hinwies, lächelte Fröhlich wie verzeihungsvoll, als hätte er auf diesen Einwurf nur gewartet.

»O, gewiß; das sind die kleinen menschlichen Oasen in unserer Familienwüste, dazu da, uns nicht seelisch verdursten zu lassen. Die gibt's überall, und sie werden ohne Zweifel freudig begrüßt. Sie sind die kleinen Nebengeschenke, die nichts kosten. Aber bezahlt werden wir doch nur von den Eltern, und das ist für uns das Entscheidende. Sie werden sehen — alle Macht Kornelias wird nicht ausreichen, Sie vor neuen Unwürdigkeiten zu bewahren. Auf alle Fälle wollen wir zusammenhalten. Geben Sie mir Ihre Hand darauf!«

Und als er sie hatte, drückte er einen Kuß darauf, ohne daß Fanny es verhindern konnte.

Unter seinem seltsamen Blick wurde sie rot, aber es war ein anderes Gefühl der Röte, als das war, was sie vorhin bei Rudis Reden empfunden hatte. Ein Mann hatte zu ihr gesprochen, ein ernster Mann, der sie nicht wie eine billige Spielsache behandelte, nicht wie eine gebildete Dienerin, gegen die man sich Keckheiten erlauben dürfe, sondern mehr als Dame, der man trotz des Kattunkleides allen Respekt entgegenbringen müsse. Und ihre Verlegenheit machte sie noch röter, als er jetzt mit großer Höflichkeit tief den Hut zog und mit einer ritterlichen Verbeugung davonging.

Zum ersten Male waren ihr seine tiefbraunen Augen aufgefallen, und zum ersten Male sah sie seinen schwarzen Taillenrock nicht, der so wenig in diese lichte Umgebung paßte.

An einer einsamen Stelle des Gartens blieb der Kandidat wieder stehen und blickte vorsichtig in sein Portemonnaie, ob die Nickelstücke noch vorhanden wären. Er hatte zu dem Sekundaner einen weiten Weg, den er fahren wollte. Heiteren Blickes ging er dann weiter, und das Lied, das er vor sich hinsummte, war ein allbekanntes, das vortrefflich zu seiner Stimmung paßte:

»Im wunderschönen Monat Mai,
Als alle Knospen sprangen,
Da ist in meinem Herzen
Die Liebe aufgegangen.«

XI.

Drei Tage darauf war Sonntag. Kandidat Fröhlich hatte inzwischen den Mut gefunden, sich Frau Rettig anzuvertrauen und war gemeinschaftlich mit seinem Bruder in Mittagskost bei ihr getreten. Da es heute Geld gegeben hatte, so war der grüne Hecht nachgeholt worden, und der große und der kleine Fröhlich hatten sich besonders gütlich getan. Am späten Nachmittag hielt es der Kandidat für nötig, den geistigen Menschen in ihm an den Lesefrüchten des Tages wieder einmal aufzufrischen. Allwöchentlich besuchte er seine kleine Stammkonditorei, die im Westen lag und ein versteckt liegendes Hinterstübchen hatte, in dem nur wenige Zeitungswölfe auf Raub ausgingen.

An diesem schönen Tage, der halb Berlin entvölkert und ins Freie hinausgelockt hatte, war es besonders leer in dem stillen Winkel. Ein alter Herr, der wie ein vielgeplagter Stadtreisender aussah, saß am kalten Ofen und bemühte sich, hinter dem vorgehaltenen Riesenformat einer Zeitung seine Müdigkeit zu überwinden, was ihm aber schlecht gelang, denn endlich konnte das Papierdach seinen Zustand nicht mehr verdecken; es entfiel sanft seinen Händen, rutschte über die Knie auf den Linoleumteppich und zeigte das Bild des Sonntagsschläfers, der die gewohnte Stunde zu ungewöhnlicher Zeit dem Dasein abrang.

Das Fräulein kam vom Ladentisch, störte den Schläfer nicht, hob aber die Zeitung mit einer Miene auf, aus der deutlich hervorging, daß sie diesen Liebesdienst schon öfters vorgenommen habe.

Kandidat Fröhlich, der am Fenster sitzend, in seinem Kaffee rührte, vergnügte sich einige Augenblicke darüber, dann las er ruhig weiter. Er blickte erst wieder flüchtig auf, als ein junger Mann eintrat, der sich als dritter im losen Bunde an einem Marmortisch an der gegenüberliegenden Wand niederließ, durchaus aber nicht Sinn für geistige Befriedigung zu haben schien, vielmehr die Augen lebhaft kreisen ließ.

Das Fräulein brachte ihm einen Apfelkuchen mit Sahne, den er mit geteilter Aufmerksamkeit zu verzehren begann; denn er sah dabei wiederholt nach der Uhr und dem vorderen Raum, wo man durch die Glastür hin und wieder einige Damen erblicken konnte, die es vorzogen, sich dort niederzulassen.

Fröhlich glaubte in dem männlich offenen Gesicht, dessen starke Wetterbräune in einer scharfen Linie am Stirnabsatz abschnitt, bekannte Züge zu entdecken, die er irgendwo schon gesehen haben mußte. Entschieden war es ein Gast, der sich hierher nur verirrt hatte und aus gewissen Gründen nicht zur Ruhe kommen konnte. Er strich erregt seinen braunen aufgezwirbelten Schnurrbart, bückte sich dann wieder über dem Kuchen und roch schließlich an einer langstieligen roten Rose, die er neben sich gelegt hatte. Als er dann bemerkte, daß sein Gegenüber ihn länger als erlaubt betrachtete, nahm er sich endlich eine halb zerrissene Wochenschrift vom Nebentisch, um darin zu blättern, was er aber unstreitig wie jemand tat, der sich nur zerstreuen möchte und die Aufmerksamkeit eines andern von sich ablenken will.

Auch Fröhlich hielt es für taktvoller, sich mehr mit sich zu beschäftigen als mit dem andern. Plötzlich aber durchzuckte ihn ein leichter Schreck, denn die Glastür ging auf und Kornelia Roderich trat ein, mit all dem Duft, den ein hübsches und frisches, elegant gekleidetes Mädchen aus der Gesellschaft mit sich führt. Dem Kandidaten war es, als brächte man in diese verdorbene Luft von Blätterteig, Kaffeeresten und Zigarrenqualm einen großen taufrischen Blumenstrauß hinein, der erquickende Düfte ausströmt.

Sofort erhob sich der Herr, ging ihr entgegen und küßte ihr mit einem Dank für ihr Kommen die Hand.

»Haben Sie schon lange gewartet?« fragte sie und nahm neben ihm Platz.

»Eine kleine Ewigkeit von fünf Minuten,« wandte er heiter ein. »Ich wäre beinahe vor Sehnsucht gestorben.«

»Sie Aermster, was hätten Sie dann davon gehabt?« sagte sie mit derselben guten Laune. »Beinahe hätte ich's gar nicht möglich machen können, zu kommen. Wir haben zum Abend Gäste, und da ist Mama noch 'mal so nervös. Das ganze Haus ist dann rebellisch. Und Neli muß überall sein. Ich kann auch nicht lange bleiben, aber Sie sollten doch sehen, daß ich Wort zu halten verstehe.«

»Wenn ich zwei Köpfe hätte, würde ich Ihnen einen dafür zu Füßen legen,« warf er ein, »aber das teure Haupt muß ich schon für Sie aufbewahren.«

»Hübsch gesagt, Herr Leutnant, so etwas gefällt mir. Diese Rose ist natürlich für mich.« Sie nahm sie und sog den Duft ein.

»Pardon, daß ich ganz vergaß. — Die schönste, die ich finden konnte.«

»Dafür soll sie auch täglich frisches Wasser in meinem Atelier bekommen. Sie dürfen sich darauf etwas einbilden,« fuhr sie launig fort. »Bis jetzt ist es nicht vielen passiert.«

»Ach, mein gnädiges Fräulein — wer Sie einmal so bei Ihrer Kunst belauschen könnte,« schmachtete er sie an.

»Wenn Sie ganz artig bleiben und mir in allem folgen, dann soll Ihnen auch einmal das Vergnügen zuteil werden.«

»Ich werde mich bemühen, noch einmal kindlichen Gehorsam zu lernen.«

»Finden Sie nicht, daß es furchtbar gewagt ist, mich mit Ihnen hier zu treffen?« sagte sie wieder. »Aber Ihr Brieflein war so rührend.«

»In dieser Bude sieht uns niemand,« wandte er lustig ein.

»So? Das klingt ja sehr verdächtig. Wieviel Rendezvous haben Sie sich hier schon gegeben?«

»Kein einziges, ich schwöre es Ihnen. Aber als ich früher mal durch Zufall hier hineingeriet, um mich mit meinem Schwesterlein zu treffen, dachte ich so bei mir: hier könnte man sterben, es würde niemand merken. Na, und gestorben wäre ich sicher, wenn Sie nicht gekommen wären.«

»Ach, Sie Schmeichler, Sie! Ich hätte kaum geglaubt, daß man so was in Spandau auch kennt.«

»Ach, wenn Sie wüßten, was man da alles kennt,« seufzte er. »Armeleutnants-Diners zu zwei Gängen, Verstorbenevaterfreuden an den Hinterbliebenen und andauernde Sehnsucht nach dem Kommißgeld mit blauer Blume daran. Und manches andere noch.«

»Sie sind wenigstens aufrichtig. Das gefällt mir ganz besonders von Ihnen.«

»Ja, spotten Sie nur, mein gnädiges Fräulein,« fuhr er fort. »Sie kennen dieses große Kapitel im bunten Drilleben nicht. Sie sind ein verwöhnter Schmetterling, der immer aus goldenen Schüsseln nascht und der sich seine Blume suchen kann. Von dem schönen Wort ›arme Familie‹ haben Sie noch nichts gehört.«

»Ach du lieber Himmel,« kam es Kornelia unwillkürlich über die Lippen. »Wissen Sie, es kommt immer darauf an, wie man alles betont ... Ich bitte Sie, werden wir nicht so laut, man könnte uns hören!«

»Ach, das sind Zeitungstiger, die nichts sehen.«

Der Schläfer am Ofen hatte sich geregt, und so war Kornelia ängstlich darauf aufmerksam geworden. Zugleich schien es ihr aber auch, als wenn der muntere Zeitungsleser am Fenster die Ohren spitzte. Sie konnte ihn zwar nicht sehen, denn er hielt andauernd eine große eingespannte Zeitung vor seinem Gesicht, aber seine völlige Bewegungslosigkeit gab ihr zu denken. Das bedienende Mädchen kam und brachte das bestellte Vanillen-Eis, das Kornelia langsam zu schlucken begann.

Fröhlich kam sich wie ein Gefangener vor, dem die Aussicht durch ein großes Stück Papier verdeckt ist, das er zur Strafe fortwährend anstarren muß, ohne zu erfahren, was darauf steht. Wiederholt hatte er den Versuch gemacht, ruhig weiter zu lesen, aber er kam über den ersten Ansatz dazu nicht hinaus. Sofort hatte er den Vorgang erfaßt, und als er die Anrede ›Leutnant‹ und den Namen ›Fanny‹ hörte, wußte er, daß er das Original der Photographie vor sich hatte, die auf dem Tische in Fräuleins Zimmer stand. Also war es der Bruder der Angebeteten, der sich mit der vielumworbenen Tochter des Bankdirektors hier ein Stelldichein gegeben hatte. Was für eine Verwirrung im Hause Roderich, deren Folgen ihm unabsehbar erschienen!

Er hatte sich bereits auf alles gefaßt gemacht: daß Frau Agathe das Singen lassen könnte, daß sie eines Tages mit ihrem Herrn Gemahl wieder gemeinsam das Mittagessen einnehmen würde, daß Rudi seinen Eltern erklären könnte, er möchte zwölf Stunden täglich arbeiten; aber auf eine derartige Ueberraschung war er niemals vorbereitet gewesen.

Bisher hatte er sich immer geschmeichelt, alles im Hause Roderich kommen zu sehen, diese Neuigkeit jedoch war urplötzlich an ihn herangetreten, und unvorbereitet, wie er war, sah er sich in einer unbehaglichen Klemme, gegen die er machtlos war. Er hatte zwar seinen Blick bannen, sich aber nicht die Ohren zuhalten können, was er aus Feinfühligkeit am liebsten getan hätte, und so hatte er jedes Wort der beiden vernommen. Um alles in der Welt hätte er sich ihnen nicht gezeigt; denn dann wären sie um ihr stilles Glück gekommen, und man hätte in ihm den Mitwisser ihres Geheimnisses gesehen und ihn jedenfalls als Störenfried betrachtet, dem man kein angenehmes Gesicht zeigen würde. Er kannte das Leben nach dieser Richtung hin und wußte, daß große Herrschaften immer einen Grund hatten, die Unschuldigen für ihr eigenes Pech verantwortlich zu machen. Er hätte auch gar nicht gewußt, wie er sich bei diesem unangenehmen Zufall verhalten sollte.

War es überhaupt ein Zufall, daß ihm die Aussicht winkte, den Bruder des armen Fräuleins, des von ihm geliebten Mädchens, später einmal im Hause desselben Mannes zu sehen, in dem die sogenannte Familiensklavin ihren Dienst tat, oder dann vielleicht schon getan hatte? Der Kandidat war geneigt, diese Frage zu verneinen und wieder an jene höhere Bestimmung zu glauben, der er sich als Schicksalsanbeter so gerne beugte. Sicher waren geheime Mächte mit im Spiele, die ihre Fäden bis hierher gesponnen hatten, um die Menschen zusammen zu bringen, die denselben Kampf um ihr Glück zu führen hatten.

Fröhlich zerbrach sich aber nicht länger den Kopf darüber; er hielt es für besser, sich gar nicht zu zeigen, sondern in Ruhe abzuwarten, bis sie gehen würden. Lange konnte das nach Kornelias Andeutung nicht dauern.

Die beiden am anderen Tisch plauderten ruhig weiter. »Wie geht's meiner Schwester?« fragte Frank. »Sie würde schöne Augen machen, wenn sie uns hier sitzen sähe, meinen Sie nicht?«

Kornelia lachte leicht auf. »Vielleicht ahnt sie schon etwas. Ich habe ihr nämlich Ihren Gruß bestellt ... Wie wär's, wenn Sie sich einmal persönlich nach ihrem Befinden erkundigten, Sie stolzer Marsjünger? Es geht ihr übrigens gut.«

»Durch Ihre Aufopferung, gnädiges Fräulein. Es ist ja brüllend-rührend, wie sie von Ihnen schreibt.«

»Dafür soll sie einen Verweis bekommen.«

»Aber nicht zu hart, wenn ich bitten darf,« wandte Frank gutmütig neckend ein. »Schon kein Vergnügen für sie, Fräulein zu spielen. Na, und mir macht's erst recht keinen Spaß. Ich war immer dagegen. Aber hören die Mädels denn? Sie müssen immer gleich weg von Muttern, sogenannte Selbständigkeit sich erringen. Nette Selbständigkeit, wenn der Bruder darunter am meisten zu leiden hat. Deubel ja!«

»Fluchen Sie nicht, es kleidet Sie nicht!«

»Es ist wahr, verehrtes gnädiges Fräulein,« fuhr er fort. »Ich bin Aktiver, und sie geht mit fremden Kindern spazieren! Verzeihung — hoffentlich werden mir diese reizenden Kleinen bald näher gerückt. Aber es ist doch so. Wenn man nichts davon sieht, läßt man die Karre ruhig gehen. Ist ja bei hundert anderen Mädels aus guter Familie auch so. Da sind die Töchter von Exzellenz Hübner, alter verdienter General gewesen, entfernter Verwandter von uns. Alle drei Lehrerinnen. Was haben sich die Mädels gesträubt, in Kommunalschuldienst zu treten! Jetzt haben sie's längst überwunden. Kriegen besser von der Stadt bezahlt, wie sie sagen. Obendrein pensionsberechtigt. Wenn sie aus der Schule kommen, lüften sie immer die Kleider aus. Sie sind aber ganz kreuzvergnügt dabei: Brot schmeckt eben süß.«

»Es ist doch auch keine Schande, Herr Leutnant, es sich ehrlich zu verdienen.«

»Sicher nicht, meine Gnädige. Das soll ja auch alles sein, wenn's unsern bunten Rock nur nicht geniert. Immer besser noch, die armen Mädels bleiben in der Häuslichkeit, als wenn sie in die Komptoirs und in die Bureaus laufen, oder gar zu Hause verschämte Armut treiben, nur kollidieren dürfen sie nicht mit uns. Dann wird's natürlich uns zur Last gelegt.«

»Ich würde das niemals tun, Herr Leutnant.«

Frank machte einen verbindlichen Kopfnicker. »Das ehrt Sie ungemein, mein gnädiges Fräulein; aber so denken nicht alle Menschen, die es angeht. Was würde zum Beispiel Ihre gnädige Frau Mama oder Ihr verehrter Herr Papa sagen, wenn Leutnant Frank bei ihnen um die Hand ihres Töchterleins anhalten würde, derselbe Leutnant Frank, dessen liebe, gute Schwester — und das ist sie wahrhaftig — im selben Hause sozusagen Halbdienerin ist?«

»Nichts würden sie sagen,« warf Kornelia altklug ein. Trotzdem war sie rot geworden, denn da ihr Herz fortwährend mitsprach, war diese Deutlichkeit ihr sehr nahe gegangen. Er hatte schließlich nur ihre Gedanken wiedergegeben, und so war ihre Antwort nur der Ausdruck ihrer Verlegenheit.

Er lächelte überlegen. »Nichts — das habe ich mir auch gedacht. Ihre Herren Eltern würden eben sprachlos sein. Zuerst über die Kühnheit des Mitgiftjägers, — Verzeihung, ich gebe ja nur die Gedanken anderer wieder — und dann über die Anmaßung aus verwandtschaftlichen Gründen. Kenne ich. Solche Märchen erzählen wir uns im Kasino, und wenn der Ausgang uns nicht paßt, dann wird geflucht und geschimpft. Besser wird's dadurch ja nicht, aber es gibt Erleichterung ... deshalb sage ich, mein liebes, wertes Fräulein Kornelia, — ich darf Sie doch so nennen? — wenn mir der Aufstieg erleichtert werden soll, ohne zu große nebulose Aussicht, dann muß Fanny Plätzchenwechseln spielen. Sie muß fort von Ihnen.«

Die große Zeitung am Fenster bauschte sich plötzlich nach vorn, gleich einem Segel, in das der Wind gefahren ist. Diese Bewegung kam von einem unmutigen Kopfschütteln Fröhlichs, der mit dieser Ansicht durchaus nicht einverstanden war. Er hatte zwar nicht alles vernommen, da das Sprechen zeitweise zu einem Flüstern sank. Zuletzt jedoch, als Erregung aus den Worten klang, hatte er jede Silbe gehört. Beinahe hätte er das Schiff ins Wanken gebracht. Zum Glück aber beherrschte er sich sofort und zog das Segel wieder an, so daß seine Aufregung unsichtbar blieb.

»Das kommt vielleicht bald, ohne Ihren Willen,« warf Kornelia ein. »Was sagen Sie dazu — sie hat einen Anbeter gefunden, und einen ganz ehrlichen obendrein.«

»Sieh einer diese Muckerin,« sagte Frank ganz verblüfft. »Davon schreibt sie natürlich nichts! Hat er denn was?«

»Schöne Aussichten.«

»Also gerade wie ich?«

»Ganz so schön sind sie nicht,« fuhr Kornelia fort. »Es ist nämlich unser Herr Kandidat, der in sie verschossen ist.«

»Also ein anständiger Kerl?«

Kornelia nickte. »Von feiner Gesinnung sogar.«

»Und so etwas erfährt man erst aus Ihrem holden Munde,« sagte Frank wieder ganz überrascht. »Da muß ich die Kleine doch nächstens ins Verhör nehmen. Sie muß beichten, wenn ihr verziehen werden soll. Trotzdem ein Schulmeister nicht nach meinem Geschmack wäre. So ein Kandidat wird ja alt wie Methusalem, ehe er seinen Oberlehrer weg hat.«

In diesem Augenblick neigte sich das große Papiersegel ganz bedenklich, so daß man die Haare dahinter erblicken konnte. Die spitzen Knie gerieten in Bewegung, und ein unbewußtes Räuspern wurde hörbar. Dann streckte sich eine schmale und weiße Hand auf Umwegen nach der Kaffeetasse aus, suchend und tastend, mit der Gewohnheit eines tiefversunkenen Zeitungslesers. Fröhlich konnte die starre Haltung nicht mehr vertragen und wollte Leben in seine Ecke bringen. Es war zwar in der Tasse nichts mehr drin, aber er zog sie doch an seine Lippen und netzte sie mit den letzten Tropfen des Bodensatzes. Das gab ihm Befriedigung in seiner Pein und unterdrückte den leichten Groll, der nach den letzten Worten in ihm aufgestiegen war.

»Eine sehr nette Perspektive, die er mir malt,« war sein Gedanke, während er einen leichten Seufzer unterdrückte. Etwas Wahres lag darin, das mußte er sich sagen, wenn ihm auch der Vergleich mit Methusalems Alter etwas vorwitzig erschien. Mit Schrecken dachte er daran, diese Abneigung Franks gegen die Schulmeister könne sich auch auf die Schwester übertragen. Dann aber geriet er in eine gewisse wohlige Stimmung, denn Fräulein Roderichs Enthüllung hatte so bestimmt geklungen, als wäre es für sie eine ausgemachte Sache, daß er und Fanny bereits einig seien. Er lächelte still, nickte freudig vor sich hin und wippte dabei mit der Zeitung hin und her. Beinahe hätte er das Segel ganz eingezogen, sofort aber ertappte er sich bei dieser Voreiligkeit und spielte wieder den aufmerksamen, in der Lektüre versunkenen Leser.

»Ich möchte nur wissen, wer dahinter steckt,« sagte Kornelia, ohne sich großen Zwang anzutun.

Fröhlich duckte sich noch mehr. »Du lieber Himmel, wenn sie nur nicht herkommt,« dachte er wieder und breitete nun beide Hälften der Zeitung so aus, daß auch die Durchsicht nach rechts versperrt war.

Zum Glück nahm ihm Frank jede Besorgnis, indem er seine Gesellschafterin auf andere Gedanken brachte. »Soll uns gar nicht genieren, mein gnädiges Fräulein. Uns kennt hier niemand.«

»Wenn Du wüßtest!« war Fröhlichs Gedanke aufs neue. Nun aber beruhigt, nahm er sich vor, tapfer auszuharren, wobei er sich allerdings den Kopf darüber zerbrach, wodurch man im Hause Roderich so rasch auf den Gedanken an seine Neigung zu seiner Leidensgefährtin gekommen sein könne.

Es war sehr einfach. Rudi hatte an jenem Nachmittage aus Neugierde die beiden im Auge behalten und nach seiner Weise Frau Agathe davon Mitteilung gemacht, der es nun erst recht klar wurde, daß zwischen Kandidat und Fräulein seit längerer Zeit zärtliche Bande bestehen mußten. Und sofort hatte sie für die Ruchbarkeit dieser »schändlichen Verschwörung«, wie sie es nannte, gesorgt.

»Nun aber hören Sie mich mal vernünftig an, Herr Leutnant,« sagte Kornelia nach einem Weilchen wieder. »Wir müssen uns offiziell nähern, so ganz ohne Zwang, hübsch öffentlich, wenn meine Eltern dabei sind.«

»O weh, ich zittere,« wandte Frank ein.

»Dann binden Sie sich eben den Degen um,« erwiderte sie heiter. »In Uniform macht sich das auch viel besser. Imponiert viel mehr. Nächsten Donnerstag im Zoologischen. Zwischen acht und neun. Wir gehen durch die Lästerallee, und Sie schwirren vorüber und grüßen. Unauffälliges Anreden von mir, höfliche Verbeugung von Ihnen und notgedrungene Vorstellung meiner Eltern. Dann die üblichen Verlegenheitsredensarten, und das übrige wird sich finden. Erkundigen Sie sich nur recht lange nach dem Befinden Fannys und bleiben Sie zäh an meiner Seite! Für die Leutseligkeit von Papa werde ich schon sorgen. Und wenn er Sie dann zu einem Glas Bowle auf der Terrasse einladet, dann bitte ich um etwas Annahme. Das kann ja alles so den Anschein von Interesse für Schwesterchen haben.«

»Wird gemacht. Sie sind die größte Diplomatin, die ich kenne.«

Sie lachte. »So etwas lernt sich auf dem glatten Parkett unserer lieben Gesellschaft. Dann wimmelt man sich so geistig durch und steigt über den Horizont der Eltern ... Können Sie übrigens singen?«

»Noch nicht. Aber wenn Sie's befehlen, lerne ich's noch.«

»Na, dann verschweigen Sie ihre Talentlosigkeit lieber und heucheln Sie Verständnis, Mamas wegen. Kaufen Sie sich einen Opernführer, ich habe auch einen. Heutzutage vergißt man alles so schnell, daß man durch sogenannte Kunstextrakte auf der Höhe bleiben muß. Wenn Sie nun gar noch für Operetten schwärmen, dann erklärt Sie gleich Mama für den nettesten Menschen dieses Jahrhunderts.«

»Da es neu ist, soll es noch nicht viele geben,« warf er selbst spöttisch ein. »Sie sind nicht nur das schönste, sondern auch das klügste Mädchen, das ich bisher kennen lernte. O, Kornelia, wenn Sie wüßten —!«

Sein hübsches Gesicht strahlte vor Begeisterung, seine Augen leuchteten, und er war nahe daran, nach einem raschen Aufblick nach rechts und links mit zu großer Zärtlichkeit ihre Hand zu drücken, als sie ihn in die nötigen Grenzen wies.

»Herr Leutnant, hübsch artig! Ich bin kein sogenanntes Schlagsahnen-Rendezvous, wie wir im Pensionat immer sagten.«

»Aber eine Göttin sind Sie!«

»Dann also Ehrfurcht ... Nun wird's aber Zeit! Jeder bezahlt hübsch für sich. Es könnte vorn doch jemand sitzen, der mich kennt, dann gehe ich zuerst hinaus, und Sie folgen hübsch!«

»Sie sind von bezwingender Selbständigkeit, ich muß also gehorchen.«

»Gott sei Dank,« stöhnte Fröhlich in Gedanken, als er das Geräusch des Erhebens hörte.

Einige junge Männer waren laut schwatzend hereingetreten, und so hatte auch Kornelia ein Gefühl der Erlösung, als sie, den Sonnenschirm im Arm, sich rasch die Handschuhe überstreifte.

Der Kandidat wagte es endlich, das Gesicht ein wenig hervorzustrecken, um ihren Anblick noch zu erhaschen. Wirklich drehte sie ihm schon den Rücken, und er konnte noch rasch ihre schöne Figur bewundern, die in dem hellen Foulardkleid ganz besonders hervortrat. Dann aber ließ er aus Unachtsamkeit die Zeitung fallen, und das geschah gerade in dem Augenblick, als er sah, wie sich Kornelia hinter der Glastür noch einmal umwandte und flüchtig einen Blick zurücksandte. Sie reckte den Hals, und dann war es ihm, als blickten unter dem kühnen Sommerhut ihn starr zwei große Augen an.

War es eine Uebertragung seines Schreckens auf sie, oder hatte er sich nur getäuscht? Er wußte es nicht. Aber er hatte das dumpfe Gefühl, noch zuletzt eine große Dummheit begangen zu haben, die sich sicherlich rächen würde. Dann aber wehrte er diese Einbildung ab, denn Kornelia kehrte nicht zurück, wie er es erwartet hatte. Also hatte er sich aufs neue unnütze Kopfschmerzen gemacht. Aber wie entstiegen einem Dampfbad, zog er sein Taschentuch und fuhr sich damit über die heiße Stirn. Es war auch wirklich warm im Zimmer, namentlich nachdem sich die Sonnenstrahlen durch die Scheiben andauernd gerade seine Ecke ausgesucht hatten. Und er hatte das Segel nicht nach dieser Richtung spannen dürfen!

XII.

Fröhlich hatte keine Lust mehr zum Lesen, und so ging er nach Hause, um in Ruhe die Eindrücke der letzten halben Stunde zu verarbeiten. Er war deshalb froh, den Bruder nicht vorzufinden, der sich mit einem Schulfreunde verabredet hatte, irgendwo umherzutollen. Kaum aber hatte er es sich in seinem Zimmer bequem gemacht, als es laut klingelte und ihm gleich darauf Frau Rettig die Karte eines Herrn hereinbrachte, der ihn dringend zu sprechen wünschte.

»Kurt Frank. Leutnant im 35. Füselierregiment Prinz Heinrich von Preußen, kommandiert zur Schießschule in Spandau,« las er, schlüpfte schnell wieder in seinen Rock und ließ um die Ehre zum Nähertreten bitten. Dann zupfte er noch schnell an dem schwarzen, knöpfte ihn mit genialer Bewegung zu, strich liebevoll über die schlanke Taille und warf musternd einen Blick in den etwas zu klein geratenen Spiegel über der Kommode. Und sofort zufrieden mit sich, kreuzte er die Hände über dem Rücken und blieb mitten im Zimmer stehen, den Blick erwartungsvoll auf die Tür gerichtet.

Merkwürdigerweise war er durchaus nicht erschreckt, denn er hatte das alles kommen sehen, nicht nur nach dem Gesetze der höheren Bestimmung, sondern auch nach dem Gesetze der sogenannten Uebertragung, das zwei schlimme Ereignisse stets zugleich eintreten läßt. Er war erkannt, das dünkte ihm sicher; er hatte es gewagt, sein Auge zu der Schwester eines Offiziers zu erheben, und nun kam der Bruder, um Rechenschaft zu fordern, weshalb er das unschuldige Mädchen in das Gerede des Hauses Roderich gebracht. Aber er wollte seinen Mann stehen, wollte seine ganze Philologenweisheit, seine Geisteskraft aufbieten, um das Recht des anständigen Mannes mit reellen Absichten, wenn auch noch ohne Aussichten, zu verteidigen.

Der stolze Marsjünger sollte den Schulmeister kennen lernen, über den er sich schon in der Konditorei mit einer gewissen Geringschätzung geäußert hatte. Der Schulmeister hatte bei Königgrätz gesiegt, er würde auch sicher durch einen Leutnant sich nicht in die Flucht schlagen lassen!

Während Fröhlich das alles mit Blitzesschnelle erwog, wippte er leicht auf den Sohlen hin und her und rief dann laut: »Herein!« den Blick mutig geradeaus gerichtet. Und die großen Worte schwebten ihm vor: »Ich weiß schon, weshalb Sie kommen, Herr Leutnant. Ich bin bereit, Ihnen Rede zu stehen.« Aber seine Kampfeslust schrumpfte sofort zusammen, als Kurt Frank, kaum eingetreten, zwar zuerst eine gemessene Verbeugung machte, dann aber sich gleich mit liebenswürdigen Worten einführte, mit demselben Schalk im Nacken, den er in dem Geplauder mit Kornelia gezeigt hatte.

»Entschuldigen Sie, Herr Kandidat, wenn ich während der Kirchenzeit bei Ihnen hier hereinplatze, aber es ist wirklich gern geschehen. Ich betrachte mich nämlich schon als guten Bekannten von Ihnen.«

»O, Sie stören durchaus nicht, Herr Leutnant. Ich bin Philologe, nicht Theologe, cand. phil., wenn ich bitten darf. Nur mein Vater war Pastor.«

Eigentlich wollte er hinzufügen: »Daß ich als Schulmeister in die Zukunft blicke, das haben Sie ja selbst vor einer Stunde in wenig liebenswürdiger Weise geäußert,« aber er hütete sich, vorlaut zu sein, um sich nicht als Mitwisser heimlicher Dinge zu verraten.

Er beeilte sich, dem Besucher den einzigen verfügbaren Rohrstuhl als Sitz anzubieten, nachdem er ihn mit einem großen Schwung vom Schreibtisch her mitten ins Zimmer gestellt hatte, und bat um Entschuldigung für die Unordnung, die hier augenblicklich herrsche. Das ganze ausgediente Ledersofa war mit Büchern bepackt, und so konnte er die Botschaft nur im Stehen anhören. Als dann aber Frank nicht eher Neigung zeigte, Platz zu nehmen, bevor der andere dasselbe tun würde, kippte Fröhlich entschlossen den Bretterstuhl am Fenster um, so daß die Zeitungen und Hefte wild auf die Diele fielen.

»Es ist etwas eng hier, Herr Leutnant,« sagte er abermals zur Entschuldigung. »Wenn zwei Betten in einem Zimmer stehen, bleibt nicht viel Platz zum Exerzieren übrig.« Es reizte ihn ein wenig, den militärischen Ton anzuschlagen.

»Waren Sie Soldat, Herr Kandidat?« fragte Frank, weil das »Exerzieren« ihn leicht geärgert hatte.

»Leider nicht, Herr Leutnant, man hat mich merkwürdigerweise wegen allgemeiner Körperschwäche zurückgesetzt.«

»Das sieht man,« hatte Frank schon auf den Lippen, verkniff sich aber aus Zartgefühl diese Bemerkung. So sagte er dann höflich: »O, das tut mir leid. Sie hätten jedenfalls einen prächtigen Soldaten abgegeben.«

Fröhlich faßte das durchaus ernst auf und machte einen Kopfnicker als Beweis seiner Anerkennung. Während sich beide gegenübersaßen und eine Weile gleichgültige Worte wechselten, musterten sie sich rasch. Entschieden waren sie große Gegensätze, und nicht bloß in ihrem Aeußern. Der Kandidat war zugeknöpft, der Leutnant offen und burschikos, mit der nötigen standesgemäßen Zurückhaltung. Kernige Gesundheit sprach aus ihm, die Frische der regelmäßigen Bewegung im Freien. Trotzdem er über die Mittelgröße hinausragte und durchaus schlank war, spannte sich seine kräftige Muskulatur förmlich unter dem grauen Sommeranzug, der allerdings nicht mehr ganz modern war und schon stark nach dem Zivilbummel des vergangenen Jahres aussah.

Durchaus schneidig in seinem Auftreten, hatte Leutnant Frank doch nichts von jener sogenannten Korrektheit in seinem Wesen, die meistens nur Unnatur ist. Steife Ziererei war ihm ein Greuel, selbst wenn er in Uniform war, und da er sich am liebsten ganz ungezwungen gab, so entpuppte er sich stets gleich als angenehmer Gesellschafter, der nichts mit jenen Offizieren gemein hatte, die sogar die Umgangsformen nach Schema F regeln. Seine Aehnlichkeit mit Fanny war unverkennbar. Nur sein üppiges, in der Mitte gescheiteltes Haar, das kraus in der Stirn lag, war dunkler und glänzender.

Dem Kandidaten haftete die Stubenluft an. Er sah fast milchern gegen den andern aus, weich und mädchenhaft; der zarte braune Christusbart gab ihm etwas Keusches und Frommes, etwas Verzichtleistendes und Abwartendes, wie es sich oft bei Naturen zeigt, die die Demütigungen des Daseins frühzeitig kennen gelernt haben. Er gehörte zu den Leuten, die sich scheuen, das erste Wort zu sprechen und ein reiches inneres Leben führen. Aber von seinen großen rehfarbenen Augen ging ein sanfter Zauber aus, der auf die Dauer den Blick fesselte.

Auch Frank empfand das, je länger er ihn betrachtete, und so gestand er sich in Gedanken, eigentlich einen ganz »passablen Kerl« vor sich zu haben, wenn auch aus etwas weichem Holze, wie ihm schien, aber doch rein und ohne Flecken, gut gehobelt, dabei recht biegsam, ohne zu tiefe Neigung nach dem untertänigen Winkel. Selbstbewußtsein gepaart mit Würde sprach aus ihm, jedenfalls keinem kleinlichen Stolze entsprungen.

»Meine Schwester hat mir bereits viel Nettes von Ihnen berichtet,« führte Frank das Gespräch fort. »Sie gelten etwas im Hause Roderich.«

Fröhlich wehrte mit Bescheidenheit ab, dabei erwog er sofort, was nun kommen würde. Diese Einleitung machte sich ganz gut, und so gab er sich innerlich einen Ruck zur Selbstbeherrschung und richtete zugleich den Oberkörper straff in die Höhe. Dabei klopfte ihm das Herz stark, denn er ahnte etwas ganz Ueberraschendes, das mit einer Selbstverleugnung der Angebeteten zusammenhängen könnte. Die Hoffnung aller Liebenden beseelte ihn, die an ein plötzliches Wunder glauben; aber diesmal betrog ihn seine Ahnung.

Kurt Frank offenbarte ihm kurz und bündig, weshalb er gekommen sei. Fräulein Kornelia Roderich habe Fröhlich beim Verlassen der Konditorei erblickt und schwebe in Angst, daß er sie ebenfalls gesehen haben könne. »Es würde mir meine Aufgabe sehr erleichtern, Herr Kandidat, wenn Sie darüber ganz offen zu mir wären,« fuhr er fort. »Ich brauche wohl nur anzudeuten, wie peinlich es für das gnädige Fräulein und für mich wäre, wenn unser kleines Geheimnis zuvörderst nicht unter uns bliebe. Wir sind zwei Männer von anständiger Denkungsart und da bedarf es wohl nicht erst großer Aufklärungen von meiner Seite.«

Fröhlich erlebte zwar eine kleine Enttäuschung, aber sie wurde doch gleich wieder aufgewogen durch dieses Vertrauen, das ihm wie eine Auszeichnung erschien, die ihm die Achtung des andern sicherte. Es dauerte nicht lange, und beide hatten sich darüber ausgesprochen. Zartfühlend verschwieg zwar Fröhlich, daß er vieles gehört habe, um Frank nicht in Verlegenheit zu bringen, aber dieser merkte ihm doch an, daß er nur die Absicht habe, auszuweichen. Er drang auch nicht weiter in ihn, sondern freute sich schon, so klug gewesen zu sein, gleich diesen Weg hierher gewagt zu haben.

»Das gnädige Fräulein und Sie können ganz beruhigt sein,« sagte Fröhlich, nachdem sich Frank bereits erhoben hatte. »Ich habe weder etwas gesehen, noch gehört. — Sie werden mich schon verstehen, Herr Leutnant. Sie dürfen überzeugt sein, daß ich die große Ehre zu schätzen weiß. Ich freue mich aufrichtig, den Herrn Bruder des von mir so überaus geschätzten Fräuleins im Hause Roderich, kennen gelernt zu haben.«

»Ganz auf meiner Seite, Herr Kandidat,« beteuerte Frank mit derselben Offenheit. »Bitte aber auch meinem Schwesterchen gegenüber um etwas Diskretion. Die Kleine schreibt nämlich gerne acht Seiten lange Briefe.«

Fröhlich lachte. »So. Davon weiß ich allerdings nichts. Ich wüßte auch kaum, wo sie dazu die Zeit im Hause Roderich hernehmen sollte.«

»Wird wohl ordentlich angespannt, der arme Wurm, wie? Na, das soll sich ja bald ändern.«

Der Kandidat glaubte, etwas lügen zu müssen, um dieser auch ihm drohenden Gefahr zu entgehen. »O, das kann ich eigentlich nicht sagen, Herr Leutnant,« warf er lebhaft ein und rieb sich die Finger, was ebenfalls eine Begleiterscheinung seiner Unterrichtsart war. Dabei hob und senkte er sich wieder auf seinen Sohlen. »Sie hat es eigentlich im Durchschnitt ganz gut bei uns, sie befindet sich sozusagen in angenehmer Stellung. Ich bin überzeugt, sie würde nicht gern das Haus verlassen.«

»So,« sagte Frank mit scheinbarer Verblüffung. »Darüber ist nie etwas aus ihr herauszukriegen. Aber vielleicht hält sie was ganz Besonderes zurück?«

Leichte Röte stieg in das Gesicht des Kandidaten, während er einige Bücher auf dem Tisch gerade schob. »Das entzieht sich meiner Kenntnis, Herr Leutnant,« erwiderte er ausweichend.

»Auf alle Fälle dürfen Sie stets auf meine Gegendienste rechnen, Herr Kandidat,« sagte Frank wieder und schickte sich nun zum Gehen an, denn wiederholt hatte Fröhlich die große silberne, kettenlose Uhr, aus der Westentasche geholt, auf die er zerstreut einen Blick warf. »Ich habe Ihre kostbare Zeit jedenfalls schon zu lange in Anspruch genommen.«

»O bitte, o bitte, keineswegs,« warf Fröhlich ein, der Franks Gedanken erriet. »Sie brauchen sich daran nicht zu stoßen, wenn ich so oft nach der Uhr sehe. Das geschieht ganz unbewußt, das ist so eine Angewohnheit während des Unterrichts, um zu sehen, ob es bald Zeit zu einer andern Lektion sei, das haben viele Schulmeister an sich.«

Frank lachte gutmütig. »Sie haben wohl noch einen weiten Weg bis zum hohen Lehramts-Olymp, wie?« fragte er dann, schon an der Türe.

Fröhlich kraute sich in seinem dünnen Bart. »Ich hoffe stark, Herr Leutnant, mich bald höherer Schulamtskandidat nennen zu dürfen.« Plötzlich aber packte ihn die Anwandlung, die gerade bescheidene Naturen zuweilen überkommt, wenn sie eine sie kränkende Sache nicht vergessen können. »Und ich gebe mich dabei der angenehmen Hoffnung hin, noch vor Methusalems Alter zu Amt und Würden zu kommen.«

Er lachte, und Frank lachte mit, aber wie jemand, der dazu gekniffen wird. Sofort aber erhielt er sein Gleichgewicht wieder. Mit einem großen Schwung reichte er ihm die Hand und sagte herzlich: »Na, dann viel Glück auf diesem Weg, Herr Kandidat! Ich scheide mit einem ›Auf Wiedersehen!‹«

Er verbeugte sich nicht mehr so gemessen, wie bei seinem Erscheinen, und ging, von Fröhlich bis zur Außentür begleitet.

Frau Rettig stand bereits auf der Lauer und brachte ihrem Mieter ein frisches Handtuch herein, um nebenbei ihre Neugier zu befriedigen. Da sie etwas kurzsichtig war, so hatte sie die Karte vorhin nicht lesen können, was sie schon längst lebhaft bedauerte.

»Ein schmucker Herr. Wohl ein neuer Schüler, Herr Kandidat? Der wird wohl gut zahlen können.«

Fröhlich ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, als wollte er die Zeit einholen, die ihm vorausgeeilt war. Endlich kam er doch zur Erkenntnis, nicht allein zu sein. »Es gehen große Dinge vor, meine beste Frau Rettig,« sagte er endlich. »Wenn Sie wüßten, wer das war! Ich muß aber Diskretion wahren.«

»So verschwiegen waren Sie ja selten.«

»Diesmal kann ich aus meiner Reserve noch nicht heraustreten, beste Frau Rettig. Haben Sie die Güte mir etwas frisches Wasser in der Karaffe zu bringen.«

Frau Rettig schnüffelte im Zimmer herum, indem sie hier und da etwas ordnete, die Nase aber immer auf den Sofatisch und auf die Kommode hielt, um die Visitenkarte zu entdecken. Sicher würde sie schon noch später dahinterkommen. Aergerlich räusperte sie sich sehr deutlich, griff zur Karaffe und schlürfte hinaus, Groll im Herzen gegen den Mann, dem sie so oft über schlechte Zeiten hinweggeholfen hatte.

Am andern Vormittag, als der Lateinunterricht gerade beendet war und der Kandidat auf einige Augenblicke nach dem hinteren Korridor ging, hörte er unterdrücktes Weinen. Schon vorher war ihm eine gewisse Aufregung nicht entgangen, die die Hausgeister in Bewegung setzte.

Frau Agathe hatte ihren kleinen Tobsuchtsanfall, der stets nach einem schlechten Schlaf besonders zum Ausdruck kam. Die Gesellschaft gestern war spät geblieben, und so hatte die Gnädige ihre nervösen Nachtstunden gehabt, in denen sie die Uhren bis zum frühen Morgen schlagen hörte, wie sie jammernd behauptete. Der Bankdirektor hielt das zwar stets für die Folgen des späten Genusses von Hummer, den sie nicht vertragen konnte, sie jedoch wollte davon nichts wissen, legte es ihm vielmehr zur Last, daß er Leute einlade, die niemals gingen.

Die Tür zu Fräuleins Zimmer stand offen, und da niemand zu sehen war, wagte er es, einen Blick hineinzuwerfen. Das Weinen kam von Fanny, die vor dem Kommodenspiegel am Fenster stand und sich mit dem Taschentuch die Augen trocknete. Alles war schon sauber im Zimmer, auch die Bettchen der Kinder waren gemacht, die nun wieder hier schliefen, augenblicklich aber bei ihrer Mama vorne waren.

Fröhlich war so betroffen, daß er den Mut fand, leise hineinzusprechen. »Was ist Ihnen denn, Fräulein? Ist etwas Schlimmes passiert?«

Sie kam näher. »Guten Morgen, Herr Kandidat. Sprechen Sie nur nicht darüber. Es ist ja weiter nichts. Es hört uns doch niemand?«

Und als er verneinte, vertraute sie ihm rasch ihre kleinen Schmerzen an. Sie hatte etwas Schnupfen, und sofort war von Frau Roderich darin wieder eine Ansteckungsgefahr gesehen worden. »Wissen Sie, was sie gesagt hat? Ich hätte die Kleinen nicht ankleiden dürfen. Jetzt ist sie gerade dabei, ihnen die Haare zu machen. Es ist alles nur Einbildung von ihr. Seit einigen Tagen chikaniert sie mich. Ich werde aber nun alles meinem Bruder schreiben, denn Mama glaubt es mir doch nicht.«

Fröhlich beruhigte sie lächelnd, denn er fand die ganze Sache etwas komisch. »Ach, tun Sie das nur nicht,« fügte er hinzu, als er sofort an das gestrige Erlebnis dachte. »Sie müssen so etwas nicht zu tragisch nehmen und alles mit der Nervosität der Frau Bankdirektor entschuldigen. Nach einer halben Stunde ist sie wieder anderer Meinung. Also Köpfchen in die Höhe!«

Noch mit gerötetem Gesicht zeigte sie ihr erstes Lächeln. »Ihr Trost soll mich auch diesmal stärken,« sagte sie dann. »Jedenfalls danke ich Ihnen. Nun aber rasch fort, sonst wird eine neue Verschwörung entdeckt!« Sie reichte ihm die Hand und eilte dann wieder ans Fenster, weil Stimmen laut wurden.

Kandidat Fröhlich beglückt von ihrem warmen Druck, wollte sie schnell noch weiter trösten. »Harren Sie nur tapfer aus, liebes Fräulein! Sie werden bald etwas erleben, was Sie mit großer Befriedigung erfüllen wird.«

Er konnte nur noch ihr verblüfftes Gesicht sehen, denn Kornelia kam herangeeilt. Fröhlich war schon wieder auf dem Korridor, sie hatte ihn aber doch aus dem Zimmer kommen sehen, begrüßte ihn freundlich und reichte ihm die Hand, die der Kandidat an seine Lippen zog; dann raunte sie ihm zu: »Hübsch den Mund gehalten über gestern. Herr Leutnant Frank hat mir bereits alles geschrieben. Ich werde mich auch revanchieren und mal die Kleine drin ein wenig aushorchen.«

Fröhlich verstand sie. »O wenn Sie das könnten, gnädiges Fräulein ... Ich bin nämlich ein bißchen —.«

»Schüchtern, weiß schon, weiß schon,« vollendete sie seinen Satz. »Nehmen Sie sich nur vor Mama in acht! Solche Unterrichtsstunden sieht sie nicht gern.« Sie wies auf die noch immer geöffnete Tür, wobei Fröhlich eine stumme Betrachtung machte. Dann hielt er es für besser, zu seinem Schüler zurückzukehren.

»Ich habe schon wieder das Allerneueste gehört,« sagte Kornelia, als sie zu Fanny ins Zimmer getreten war. »Ich habe mit Mama tüchtig gezankt. Es ist ein geradezu krankhafter Zustand von ihr, überall Gefahren zu sehen. Es wird Zeit, daß Papa einmal ordentlich dazwischen fährt. Es soll sich alles ändern, Sie arme Kleine, Sie!«

Gern hätte sie ihren Gefühlen mehr Luft gemacht, aber so konnte sie ihre Güte und Freundschaft nur durch einen Kuß auf die Stirn beweisen.

Fanny war durch diese herzliche Teilnahme so überrascht, daß sie gar nichts zu sagen vermochte. Ein anderer Gedanke bewegte sie auch viel stärker. »Ist Herr Fröhlich schon fort? Es war mir recht peinlich, daß er den Kopf hier hereinsteckte. Das gibt dann wieder zum Reden Veranlassung. Aber er ist ein so guter Mensch.«

Kornelia lächelte. »Ja, das ist er. Peinlich ist's Ihnen wohl auch nur, weil's hier im Hause geschieht, wie?«

»Aber Fräulein Neli! Wie können Sie so etwas sagen! Ich sehe schon, jetzt komme ich auch bei Ihnen in Verdacht.«

»Aber nein, nein, meine Kleine. Einmal müssen wir Mädchen doch unser Herz entdecken. Haben Sie noch niemals diesen Versuch gemacht?«

Fanny blickte sie starr an, als hätte sie etwas Entsetzliches gehört. Dann aber dämmerte es ihr. »Mit Herrn Fröhlich wohl? Weil ich neulich mit ihm im Zo zusammengesessen habe? Wahrhaftig, ich war unschuldig daran! Es war der reine Zufall. — Nun schwant es mir erst. Nein, was man alles erlebt!«

Sie wollte lustig sein, aber es gelang ihr nicht. Das Lachen blieb ihr in der Kehle stecken, denn es würgte etwas in ihr, was ihr die Augen wieder klein machte, als drängten sich aufs neue Tränen hervor. Der Ernst erstickte die Heiterkeit, und so bot sie ein rührendes Bild der Unbeholfenheit, wie oft bei jungen Mädchen, die man auf Gefühle gebracht hat, über die sie sich im Augenblick noch gar nicht klar sind.

»Aber deshalb weint man doch nicht,« ermahnte sie Kornelia liebevoll, zog sie an sich und streichelte ihr die Wange.

»Es ist ja vielleicht dumm von mir, Fräulein, aber mir geht das alles nahe. — Ich weiß ja nicht —. Ich kann Ihnen nur sagen, mein Kopf ist ganz wirr. Ich kenne mich selbst nicht. Am liebsten möchte ich laut heulen.«

»Um Himmelswillen, es ist schon genug Skandal im Hause ... Na, jetzt lachen Sie wieder. So ist's recht. Tränen sind ein Bad, das nur häßlich macht.«

Fanny lachte wirklich, denn eigentlich war sie nicht mehr traurig gestimmt; nur Verlegenheit hatte sie grimmig gemacht. So war sie auch schon in ihrer Familie gewesen: wenn sie sich über sich selbst ärgerte, kam die Salzflut, die ihre frischen Wangen badete.

Kornelia sagte sich, daß in einem solchen Falle die Ertappte sich innerlich austoben müsse, und so entfernte sie sich wieder mit einigen letzten Scherzworten. Sie war zufrieden mit ihrem ersten Forschungsversuch, und so wollte sie abwarten, wie sich weiter die Augen Fannys öffnen würden.

Bisher ahnte sie nicht, was ihre Mutter bewog, die Haustyrannin gegen Fanny zu spielen.

XIII.

Seitdem Frau Roderich Rudis obendrein noch sehr entstellten Bericht über das »zoologische Ereignis«, wie er es boshafterweise nannte, entgegengenommen hatte, war ihr Groll gegen Fräulein bis zum Siedepunkte gestiegen. Sie zweifelte nicht mehr daran, daß der Kandidat den schönen Mittagstisch und die darauf folgenden Stunden nur auf Fannys Wunsch aufgegeben habe, damit sie sich beim Ausführen der Kinder mit ihm treffen könne. Fröhlich war für sie nur der Verführte, der sich in seiner schüchternen Unschuld durch die glatte Larve hatte betören lassen.

»Sie gampelt nur nach einem Mann,« ließ sie sich hinreißen, zu ihrem Sohne zu sagen. Und Rudi steckte wieder die Miene des Talmi-gentlemans auf, klemmte das Glas ein, pfiff erst vor sich hin und erwiderte verständnisvoll: »Sache, Mama! Da wird sie auch was Rechtes kriegen. Glaub ich noch nicht einmal. Sie will nur ihre Poussade haben. Hättest Du das von diesem kleinen Ding geglaubt? Schon ganz hübsch ausgewachsen. Entwickelt sich vielleicht noch zur Asphaltpflanze.«

In einer andern Stimmung hätte die Frau Bankdirektor ihm vielleicht ein »Pfui!« entgegengehalten. Da jetzt aber ihre verletzte Eitelkeit stark dabei beteiligt war, rügte sie nur sanft diesen Ausdruck und verbot ihm, ihn jemals in ihrer Gegenwart zu wiederholen. Sie fühlte sich selbst dadurch beleidigt, weil sie die Wahl für ihre Kinder getroffen habe; er möchte in dieser Beziehung überhaupt etwas vorsichtig sein.

Rudi lenkte sofort ein und gebrauchte die Ausrede von den »Berliner Redensarten«, die man so schwirren lasse, ohne sich viel dabei zu denken. Die Hauptsache für ihn war, daß er durch diese neueste Wendung eine gewisse Befriedigung empfand. Fanny erschien ihm jetzt begehrenswerter, noch reifer für seine heimlichen Schliche, eigentlich auch viel interessanter dadurch, daß sie sich so offen zu dem Kandidaten bekannte.

Er konnte zugleich gegen zwei Feinde kämpfen und seine Galle langsam in ihr Glück tröpfeln. Nach dem Sprichwort, daß Müßiggang aller Laster Anfang sei, empfand er die Freude des Zerstörers, der gerne Menschen auseinanderbringt. Wenn er nur dabei auf seine Kosten käme, alles übrige sollte ihn wenig kümmern.

Innerlich war Frau Roderich weniger entrüstet über die Auffassung ihres Sohnes. Ihr schiefes Urteil ging wieder mit ihr durch, ihre Wahnvorstellungen zerflatterten ins Riesenhafte, und so war sie nur zu sehr geneigt, Fanny alle schlechten Eigenschaften anzudichten. Und das war ihr holder Selbstbetrug, der ihr genügend Entschuldigung für Ausübung ihrer Tyrannei gab. Und da Rudi merkte, daß es in ihr gärte, so nutzte er die Gelegenheit wieder aus.

»Wenn Dir daran liegt, Mama, daß sich die beiden da nicht treffen sollen, dann hätte ich einen Ausweg,« sagte er großartig. »Pump mir aber erst zehn Mark, ich gebrauche sie notwendig.«

»Wann wird das mal mit Dir aufhören,« stieß sie ärgerlich hervor, faßte aber schon in die Tasche und gab ihm das Gewünschte. »Hier, ich will noch einmal milde sein. Sprich nur nicht immer von ›Pumpen‹, ich schenke es Dir schon lieber.«

»Schick doch Fräulein immer vormittags nach dem Zo, dann wird die Freude zu Wasser!«

Richtig, daß sie daran noch nicht gedacht hatte! »Schade, daß Du zu nichts Lust hast,« sagte sie, milde gestimmt. »Gute Einfälle hast Du, das muß man Dir lassen.«

An diesem Montag machte sie gleich den Anfang damit. Sie klingelte und ließ Fräulein kommen, denn inzwischen hatte sie selbst eingesehen, wie töricht ihre neue Ansteckungsfurcht wieder war. Es war ihr auch hauptsächlich darum zu tun gewesen, Fanny ihre Allgewalt zu zeigen.

Malerisch hingegossen lag sie auf ihrem türkischen Ruhebett, in der rechten Hand den neuesten Moderoman, in dem der Zeigefinger als Lesezeichen steckte. Diese Beschäftigung sollte stets einen guten Eindruck machen, sobald sie jemand empfing, mit dem sie nicht große Umstände zu machen brauchte. Leider steckte diese geistige Nahrung stets in einem Gewande, das mit der peinlichen Toilette der Hausherrin im schreiendsten Widerspruch stand. Trotzdem der Bankdirektor nichts dagegen gehabt hätte, wenn seine Gattin die neuesten literarischen Erscheinungen durchaus tadellos beim Buchhändler gekauft haben würde, zog es Frau Roderich vor, ihre Lieblingsschriftsteller aus der Leihbibliothek zu beziehen. Und so hatte sie auch jetzt ein dickes Stück Literaturware in ihren zarten Fingern, das entschieden schon durch zahllose Hände gegangen war und einen derartig befetteten und beschmutzten Einband zeigte, daß jeder Gesundheitsgelehrte aus Gründen der Uebertragung von Mikroben seine warnende Stimme dagegen erhoben hätte.

Frau Agathe nahm jedoch daran keinen Anstoß, denn sie folgte nur dem großen Zuge der Zeit, der die Früchte der Bildung so billig als möglich genießen möchte, alles Unreine am eignen Körper verdammt, durchaus aber nicht wählerisch ist, sobald es sich um fremde Werte handelt. In dieser Beziehung hatte für sie ein derartiges Buch, in dem auch die Seiten bereits klebrig waren, viel Aehnlichkeit mit dem Gelde, dem gleiche üble Eigenschaften anhaften, und das man anstandslos entgegennimmt.

Heute roch es im Boudoir mehr denn je nach »Orient«, es schien sogar nach allen Wohlgerüchen Arabiens zu duften, unter denen das Rosenöl sich wieder besonders bemerkbar machte.

Schneeiges Weiß mit zartblauen Andeutungen umrauschte in luftiger Fülle die Gnädige, sobald sie dem üppigen Körper eine neue Lage gab, was bei ihrer großen Unruhe mit jedem Minutenwechsel geschah. Sie legte die Falten kunstgerecht, wie ein geschicktes Modell, das den Meister erwartet, ordnete die Spitzen des Saumes solange, bis der gestickte Morgenschuh kokett sichtbar war, und reckte den bepuderten Arm mit Anstrengung aus dem weiten Aermel heraus, damit die blendende Rundung sich endlich vorteilhaft zeige. Wiederholt griff sie zum Handspiegel, um dieses göttliche Haustheaterbild mit befriedigtem Lächeln zu bewundern. Dann schüttelte sie das künstlich getollte Haar, das sie um diese Zeit noch aufgelöst trug, mit einer kühnen Hauptbewegung nach hinten, stützte den Kopf in die Linke und gab mit der Rechten dem Buche, das sich wie ein dunkler Fettfleck auf dem duftigen Morgenkleide ausnahm, die alte Lage.

Das Stichwort konnte kommen.

Es herrschte kühle Dämmerung im Zimmer, denn die Seidenvorhänge waren dicht zugezogen, weil morgens die Sonne auf dieser Seite stand. Nur mit einem schwachen Leuchten drang sie durch und ließ das gemusterte Rot sanft erglühen, so daß ein Schein davon das Antlitz der Ruhenden traf und künstliche Lebensglut auf ihre Wangen malte. Das wußte Frau Agathe, deshalb lag sie so gern des Vormittags hier, wenn sie empfing und Hausbefehle erteilte.

»Aeffi, kusch dich! ... Kinder, seid ein wenig still!« fertigte sie den Pintscher und die Kleinen zu gleicher Zeit ab. Das Hündchen, hübsch zurechtgemacht wie seine Herrin, heute rosa garniert, lag wie gewöhnlich mollig in seinem Polsterpfühl, um dessen oberen Korbrand eine grelle Stickerei lief. Es hatte sich plötzlich gemeldet, weil es eine verirrte Fliege nicht loswerden konnte.

Hans und Trudchen hockten im äußersten Winkel, eingeschüchtert durch die Mutter, deren verändertes Wesen sie heute nicht begriffen. Die Händchen im Schoß, neugierig die Augen auf das Ruhebett gerichtet, machten sie fast den Eindruck kleiner, verkümmerter europäischer Pflanzen, die in einem fremden Erdteil versetzt sind und die neue Luft nicht vertragen können. Selten kamen beide hier herein, und dann ging der Blick voll Scheu stets in der Runde herum, weil sie niemals etwas berühren oder anfassen durften. So waren diese fremden Herrlichkeiten etwas für sie Totes, das ihre Spielsucht nicht erwecken konnte.

Mit kläglicher Miene schauten sie nach der Tür, denn sie hatten gehört, daß Fräulein kommen sollte, und so befürchteten sie fast Strafe für etwas, das sie noch nicht kannten; namentlich hatte Hans dieses unsichere Gefühl, denn seine Mutter hatte ihn vorhin, als sie ihm unsanft die Haare scheitelte, sich die Zunge zeigen ließ und Stirn und Händchen auf Hitze prüfte, auch danach gefragt, was der Herr Kandidat neulich im Zoologischen Garten wohl gemacht habe, und dabei hatte sie wirklich herausgebracht, daß Fröhlich zum zweiten Male erschienen war. Fortwährend waren ihm dabei die Hände voll Sand eingefallen, die er Fröhlich, unter der Bank herumkriechend, auf die Stiefel geworfen hatte. Und so witterte er die fürchterliche Zeugenschaft Fräuleins dafür.

Dann trat Fanny ein und machte einen kleinen Knicks, weil die Gnädige diese Begrüßung von Anfang an gern gesehen hatte.

»Frau Bankdirektor haben mich gewünscht.«

»Ich bin gar nicht mehr zufrieden mit Ihnen, Fräulein.«

»O, das tut mir sehr leid, gnädige Frau, ich bin mir wirklich nichts bewußt.« Ihre Augen gingen auf die Kleinen, die sich plötzlich untergeärmelt hatten und sich dicht zusammenschmiegten.

Frau Roderich ließ mit Absicht sanft das Buch auf den Teppich gleiten, was Fanny veranlaßte, es ihr mit Eifer wieder zu überreichen.

»Legen Sie es nur dort hin, auf den Büchertisch!« Kein Wort des Dankes kam über ihre Lippen, aber mit einem großen Kennerblick umfaßte sie die schlanke und schmiegsame Figur Fräuleins. Und dabei war es ihr, als hätte sie niemals das junge Mädchen so lieblich gesehen. Sie wußte aus ihren Jugendträumen, die schon lange der Vergangenheit angehörten, daß die Liebe verschönt, und so schloß sie aus den roten Wangen Fannys auf eine derartige Umwälzung des Gemütes.

Aber sie wollte sich das auslegen, wie es ihr paßte, und so forschte sie plötzlich: »Sie sehen ja so erhitzt aus, ganz rot um die Augen. Es wird doch nicht wieder rückfällig mit Ihrer Krankheit sein?«

Fanny lächelte sorglos. »Aber, gnädige Frau, ich versichere Sie, mir ist völlig wohl, ich bin nur ein bißchen verschnupft, ich habe mich gestern beim Baden ein wenig erkältet. Aber das ist gar nicht von Bedeutung. Wegen der Kinder brauchen Sie wirklich nichts zu befürchten.«

»So. Nun, diesmal will ich Ihnen glauben. Reichen Sie mir doch das Riechfläschchen von dort her, das kleine japanische!«

Auch diesmal beeilte sich Fanny und wählte das richtige aus dem Dutzend Fläschchen, die in allen möglichen zierlichen Formen, teils aus Kristall, teils mit Gold und Farbe bepastet, auf einem kleinen Wandbrettchen unter dem hängenden Seidenbaldachin standen.

Abermals kam kein Dankeswort, aber mit geschlossenen Augen und tiefem Behagen, gleich einer Odaliske, die sich betäuben möchte, sog Frau Agathe den scharfen Duft ein. Dann taute sie allmählich wieder auf. Die Augen waren ihr übergegangen, und so sagte sie mit verschwommenem Blick: »Jetzt die Hauptsache. Es paßt mir nicht, daß mein Hausfräulein bei ihren Ausgängen in meinem Dienst die Zudringlichkeiten von Männern entgegennimmt.«

»Aber, gnädige Frau —!« Es klang wie ein Schrei der Entrüstung, der sich ihr entrang.

»Was wünschen Sie?« kam gedehnt die Frage. Frau Agathe vergaß ganz ihre schöne plastische Lage und erhob den Oberkörper etwas schief. Herausfordernd sah sie ihr Fräulein an, und etwas wie Genugtuung sprach aus ihren Augen, da ihre Welkheit durch die starke Ermunterung aus dem Fläschchen vorübergehend gewichen war.

»Ist es nicht so? Sie werden sich doch nicht etwa verteidigen wollen?«

»Das ist mein gutes Recht, gnädige Frau!« Trotzdem sich ihr ganzes Inneres gegen diese Beleidigung aufgebäumt hatte, kämpfte sie mit Tränen. Ihr umflorter Blick richtete sich abermals auf die Kleinen. »Frau Bankdirektor, ich bitte Sie —, die Kinder! Was sollen sie davon denken!«

»Die denken noch gar nichts, aber ich möchte sie vor dem frühzeitigen Zuklugwerden bewahren.« Sie besann sich rasch. »Geht ins Nebenzimmer! Hier habt Ihr was zu naschen!« Sie warf ihnen aus ihrer silbernen Chokoladendose die Reste zu, und sofort rasselten die Rohrstäbe des Türvorhanges.

Frau Agathes Körper zerfloß wieder in schönen Linien. Sie heuchelte Ruhe, trotzdem das kleine Raubtier in ihr sich unbändig regte, was sie dadurch bewies, daß sie die Finger mit den blitzenden Brillanten unwillkürlich krallte und dann wieder spreizte. Ihre Brust ging in vollen Wogen, und der Ellbogen, mit dem sie das teure Haupt stützte, geriet ins Wanken.

»Wenn Frau Bankdirektor die Zudringlichkeiten Ihres Herrn Sohnes meinen,« fuhr Fanny erregt fort, »dann kann ich mit Beruhigung dienen. Ich habe ihm deutlich zu verstehen gegeben, was ich davon halte.«

»Lächerlich! Mein Sohn denkt gar nicht an Sie, der hat andere Dinge im Kopf. Und wenn er mal einen Scherz macht, dann hält er sich jedenfalls in den nötigen Grenzen. Ueberdies können Sie das immerhin als Auszeichnung betrachten. Gestorben sind Sie doch davon nicht, wenn er mal mit Ihnen plauderte. Na, und sehen kann man sich auch mit ihm lassen. Die Schuld lag doch immer an Ihnen.«

»Ich wollte ihn nicht böse machen, aber ich werde mich jetzt danach richten, gnädige Frau.«

»Sie haben sich nach wie vor taktvoll gegen ihn zu benehmen.«

»Gewiß, gnädige Frau, das tu ich immer.« Sie fühlte, wie ihr ganzer Körper erschüttert war unter dieser Schwere unverdienter Vorwürfe. Aber sie bezwang sich und unterdrückte alles Heiße, das ihr nach oben drang.

»Bewahren Sie diesen Takt nur gegen andere, Fräulein,« fuhr Frau Roderich fort, »dann wird sich niemand mehr freuen, als ich!« Unter ihre bitteren Pillen wollte sie die Milde mischen, und so zwang sie sich zu einem Lächeln, aber sogleich folgte wieder der saure Trank. »Damit Sie diese gute Lehre niemals vergessen, wäre es mir lieb, wenn wir den Hausplan änderten. Ich bin dafür, daß Sie die Kinder schon vormittags nach drüben führen, und zwar so, daß Sie zu Tisch wieder zu Hause sind.«

»Wie Sie es wünschen, Frau Bankdirektor.«

Und mit Betonung fügte Agathe hinzu: »Ich wollte das schon längst so machen. Der Herr Kandidat hat dann auch viel mehr Ruhe zum Unterricht.«

Um Fannys Lippen zuckte es. »Ich verstehe sehr wohl, was gnädige Frau damit meinen, aber ich kann die Versicherung abgeben, daß ich nichts Aergerliches dabei empfinde. Frau Bankdirektor werden wohl selbst wissen, daß der Herr Kandidat ein Ehrenmann ist, der niemals etwas Unrechtes tut.«

»Gerade, weil ich das weiß, möchte ich ihn vor Verirrungen bewahren,« sagte Frau Roderich scharf, während unter den nun wieder müden Augen ein leichtes Blitzen hervorschoß.

»Bei mir verirrt sich niemand, gnädige Frau, nicht in dem Sinne, wie Sie es meinen. Mein Vater war Offizier, und mein Bruder ist es noch. Frau Bankdirektor wollen daraus die Schlüsse auf mich ziehen. Es darf eigentlich niemand zu Hause wissen, wie ich hier behandelt werde.«

Es reckte sich etwas in ihr, was sie bisher nie gekannt hatte. Das Soldatenblut regte sich, alle die geraden Lehren ergriffen sie, die sie von frühester Jugend im Hause empfangen hatte. Kraftvoll und gerade stand sie da, den Blick furchtlos auf die Tyrannin gerichtet, und sie empfand, wie noch andere Worte sich ihr auf die Lippen drängten.

Frau Roderich kniff den Mund zusammen und verschluckte klug das, was sie eigentlich hätte sagen müssen, um diese kleine Rebellin aufs neue zu demütigen. Aber sie empfand, daß sie damit doch keine Bändigung ausrichten würde, vielmehr Unabsehbares heraufbeschwören könnte. Und so lenkte sie mit süßlicher Miene ein. »Schlecht behandelt? Aber Kindchen! Sie werden doch meine guten Vorhaltungen nicht mißverstehen? Nein, das dürfen Sie nicht; das würde mir schrecklich leid tun! Sie stehen doch sozusagen auch unter meinem — Schutz.« Sie wollte »mütterlichen« sagen, unterdrückte aber schnell das unbehagliche Wort.

Fanny, rasch erfreut durch diese Wendung, ließ sich täuschen. »Das weiß ich auch zu schätzen, gnädige Frau.«

»Das freut mich. Es ist mein Wunsch, daß diese Unterredung unter uns bleibt.«

»Gnädige Frau können davon überzeugt sein. Ich trage nie etwas aus dem Hause, in dem ich Vertrauen genieße.«

»Das gefällt mir an Ihnen. Nun, bitte, gehen Sie mit den Kindern. Lassen Sie aber vorher erst für Frühstück sorgen!«

Fanny machte wieder einen Knix und ging. Als sie ins Speisezimmer trat, kam ihr Kornelia entgegen, die, ihr Skizzenbuch in der Hand, zum Ausgehen bereit war. »Was war denn jetzt wieder los?« raunte sie ihr zu. »Ich habe nicht alles verstanden. Ich kann Mama nur bedauern ... Ich hörte, daß Sie jetzt schon in den Zoologischen sollen. Das macht sich gut, denn ich will auch hinüber. Wir treffen uns bei den Raubtieren. Ich habe Ihnen manches zu sagen.«

Und sie eilte schnell davon, während Fanny mit den Kindern nach hinten ging, um zum Aufbruch vorzubereiten.

Im Korridor stürmte Emma an ihr vorüber, denn laut und schrill war das Klingelzeichen der Gnädigen wieder erschallt. Diesmal hatte sie den Wunsch, den Kandidaten zu sprechen, und zwar sogleich, weil sie es für möglich hielt, daß Fanny noch vor ihrem Fortgehen mit ihm zusammenstoßen könnte. Er hätte ihr etwas anmerken können und würde sie vielleicht verleitet haben, ihm die Wahrheit zu sagen. Und Frau Roderich hatte ihre Gründe, das zu verhindern.

Als Fröhlich die Nachricht erhielt, war er gerade mitten in der Geographie. Stets bestrebt, seinen Schüler niemals stille sitzen zu lassen, gab er ihm rasch eine kleine Aufgabe und prüfte dann durch einen flüchtigen Blick im Spiegel seine Erscheinungsfähigkeit. Er war verdrießlich über die Störung, noch mehr aber darüber, daß sie gerade von der Hausherrin ausging. Seit einigen Tagen hatte er sein seelisches Gleichgewicht wiedererlangt und sich in der stillen Freude gesonnt, daß Frau Roderich ihre seltsamen platonischen Neigungen ein für allemal zurückgeschraubt haben werde.

In der Tat hatte sie sein Fortbleiben vom Tisch nur kurz mit einigen Worten des Bedauerns berührt und dabei nichts in ihrem Wesen gezeigt, woraus er auf eine Unfreundlichkeit gegen ihn hätte schließen können. Er hatte nur flüchtig von Walter gehört, daß seine Mama ihren Gesang des Nachmittags ruhig fortsetzte, allerdings nicht mehr in der Ausdehnung, wie zuvor; sie habe aber trotzdem befohlen, daß man sie nicht stören dürfe, und sei einmal sehr ärgerlich geworden, als Rudi darauf keine Rücksicht genommen habe. Der älteste Bruder habe sich dann zu ihm sehr lustig darüber gemacht, weil ihm aufgefallen sei, daß immer noch der Stuhl für den Kandidaten am Klavier bereit stehe, gerade so, als müßte er jeden Augenblick wieder Platz darauf nehmen.

Fröhlich hatte das in Gedanken etwas verrückt gefunden, dann aber doch mit heimlichem Grauen daran gedacht, er könnte eines Tages wieder als Opferlamm zur musikalischen Folter geschleppt werden, und zwar in einer Weise, die kein Widerstreben duldete.

XIV.

Als er eintrat und sich zur Begrüßung höflich verbeugte, empfing ihn Frau Roderich mit einem verheißungsvollen Lächeln. Ihre innere Wut über Fanny war verflogen, denn nun glaubte sie durch den Anblick des Verehrten reichliche Entschädigung für ihren Abfall zu haben. Rasch hatte sie inzwischen wieder den Handspiegel zu Rate gezogen, war mit der Puderquaste über die edlen Züge gefahren und hatte mit dem zarten Spitzentaschentuch um die Mundwinkel nachgeholfen, um die gefärbten Lippen, die so knospenrot leuchteten, durch keinen weißen Strich getrübt zu sehen. Noch immer durchglühte die Sonne den Vorhang, und so lag die schöne Frau da wie ein weißes Marmorbild auf einem jener Sarkophage, die geheimnisvolles buntes Licht durch versteckte Scheiben empfangen und durch das Spiel der Sonnenstrahlen die Täuschung des Lebens erwecken.

Frau Agathe lebte allerdings, und das bewies sie dem Kandidaten sogleich durch das holde Oeffnen ihrer Lippen und durch den sanften Wink mit der lässig erhobenen Rechten.

»Treten Sie doch näher, Herr Kandidat, und nehmen Sie ein Weilchen Platz — nicht dort, hier, bitte. Das Sprechen wird mir heute etwas schwer. Es ist gewiß einmal eine Erholung für Sie, den Unterricht angenehm zu unterbrechen. Unser Walterchen wird ja doch noch klug genug.«

Trotzdem sie vorher in einer hysterischen Anwandlung zu Fanny fast geschrieen hatte, tat sie jetzt so, als könnte sie die Worte nur mit Anstrengung über die Lippen bringen. Sie wußte, daß eine derartige Ermattung manchmal gut kleidet und auf schwermütige Naturen, zu denen sie den Kandidaten rechnete, ihre Wirkung nicht verfehlt.

Neben dem Ruhebett stand ein runder Seidensessel ohne Lehne, auf den sie gedeutet hatte. Und so trat Fröhlich zögernd näher, mit den Gefühlen eines armen Mannes, dem man eine saure Frucht dargeboten hat, die er aus Höflichkeit genießen muß, ohne den Geschmack zu verraten.

Er nahm Platz, den Schreck noch in den Gliedern, der ihn steif und unbeholfen machte. Nicht gewöhnt, auf solchen niedrigen, weichen Pfühlen zu sitzen, was ihm immer wie eine gesellschaftliche Kunst erschienen war, die man erst lernen müsse, wußte er nicht recht, wo er die langen Beinen lassen sollte, und so standen sie etwas schief, so daß die herausgedrückten spitzen Kniee oben zusammenstießen; und die Hände lagen gespreizt auf den Oberschenkeln. Die Flügel des schwarzen Taillenrockes jedoch, der mit seinem pastoralen Anstrich so gar nicht in diese bunt schillernde Umgebung von Tausend und eine Nacht paßte, hingen trostlos auf den türkischen Teppich hinab, als sollten sie die Trauer im Gemüte ihres Besitzers andeuten.

Trotzdem der Kandidat mit Vorliebe dunkel gekleidet ging, trug er stets tadellose Anzüge, wie es sich für ein vornehmes Haus gehörte, und dazu blendend weiße Wäsche, auf deren gestärkten Zustand er besonderes Gewicht legte; auch um einwandsfreie Krawatten war er stets besorgt. Da er überdies einen sehr reinen Teint hatte, »durchgeistigten«, wie Frau Agathe wiederholt behauptete, und da sein schönes braunes Haar in natürlichen Wellen sorgsam geordnet war, so gehörte er zu den Menschen, die auf die Dauer unbedingt fesseln müssen, trotzdem man sich gegen das Düstere in ihrer Erscheinung zuerst gesträubt hatte. Seine Hände und Füße waren auffallend klein, und die letzten steckten in durchaus modernem Schuhwerk, das ihre Zierlichkeit noch mehr hervortreten ließ.

Während sich Frau Agathe mit einigen nichtssagenden Worten nach den Fortschritten Walters erkundigte, betrachtete sie ihn mit gnädigem Wohlgefallen. Das Wort »Familiensklave« schoß ihr durch den Sinn, und so knüpfte sie daran eine Gedankenkette, die sich um Fröhlich schlang. Dieser Mann, der des Hauses Brot aß, hatte ihre Herrschernatur verletzt, und so sollte er wieder das Knie beugen und, Verzeihung erflehend, zu den alten Spielen zurückkehren. Es gab auch Frauensklaven, die sich lustig in der Gesellschaft herumtummelten und auf einen Wink gehorchten (der Bankdirektor nannte sie »Salongeschmeiß«), die der Frau vom Hause niemals von der Seite gingen, ihr die Schleppe geistig nachtrugen, jedes Wort aus ihrem Munde wie eine Offenbarung anerkannten, stets bereit waren, kleine Gefälligkeiten zu erweisen und auf den Tag der Erfüllung ihrer Sehnsucht hofften, der aber niemals kam. Im Grunde genommen waren sie die lebende Salontapete, die sich jeder freigebige Hausherr leisten konnte.

Und in der Villa Roderich gab es an den Winterabenden, wo sämtliche Räume in einem Lichtmeer schwammen, ein ganzes Rudel solcher männlicher befrackter Sklaven, die sich alle angenehm verschworen zu haben schienen, einen Blick der üppigen Sirene zu erhaschen, oder sich im Beifallklatschen zu überbieten, sobald sie am Bechstein saß und die Ueberreste ihrer Stimme mit Anstrengung zusammenhielt. Größtenteils waren es junge, unverheiratete Prokuristen aus der Bank, oder kleine ledige Bankiers, denen daran lag, über die Hausherrin hinweg sich die Freundschaft ihres mächtigen Mannes zu erhalten. Dazwischen tummelten sich junge Künstler, Bildhauer und Maler, die danach gampelten, eine Büste oder ein Porträt der Gnädigen vom Gastgeber bestellt zu bekommen. Beim kalten Buffet, das Sektglas in der Hand, wurde Stimmung dafür gemacht, in so lauten Schönheitsanerkennungen, daß dem Bankdirektor ganz Angst wurde bei dieser Fülle von Eigenschaften, die er selbst an seiner Frau noch nicht entdeckt hatte.

Dann hieß es in den gehörigen Abstufungen und mit Rücksicht auf die Gelegenheit dazu: »Gnädige Frau sind heute wieder von einer Frische — bezaubernd! Ich wollte, ich könnte diese Farben einmal auf meiner Palette haben ..... Gnädige Frau haben einen Hals zum modellieren, geradezu klassisch. Wann darf ich auf die erste Sitzung hoffen?« Und ein besonders kecker Atelierzigeuner, der dafür bekannt war, alles auf eine Karte zu setzen, sagte unverwüstlich: »Also abgemacht, Frau Bankdirektor, nächsten Sonnabend geben Sie mir die Ehre. Die Leinwand steht schon auf der Staffelei. Ich male Sie als Königin der Nacht. Die Blüte, die sich öffnet, sind Ihre Lippen, die den Gesang entströmen lassen.« Sofort raunte ihm ein anderer witzig zu: »Wenn sie doch nur einmal im Jahre singen wollte!«

Später, im Café, wenn die Beruhigungsschwarze getrunken wurde, hieß es dann: »Aufgetakelt war sie wieder und angestrichen, wie die schönste Kalkwand.« ... »Ich bin ordentlich froh, daß ich sie nicht zu malen brauche.«

Frau Roderich kannte diese Sorte und wußte, was von ihrem Lob zu halten war. Deshalb versprach sie jedem etwas und hielt keinem nichts. Sie aßen und tranken sich alle durch und steckten obendrein noch die echtesten Zigarren ein, die berühmte »Eine«, die auf dem Nachhausewege reichen sollte, sich jedoch verdoppelte und verdreifachte. Aber es waren fidele Gesellschafter, die den Abend verkürzten, und da man sich gegenseitig durchschaute, hatte man sich nichts vorzuwerfen.

Fröhlich war von anderer Art, vom Zauber gesellschaftlicher Unkenntnis umwoben, noch ungetrübt von der Doppelzüngigkeit dieser Welt, mit einem Stich ins Naturburschenartige, das von der Kulturlüge noch nicht beleckt war. Er hatte noch die großen Ideale im Herzen, die die andern eigentlich nur auf den Lippen führten; er strahlte Sonne aus, die andern nur elektrisches Licht. Sie verglich ihn mit einem Spielzeug, das noch Harzgeruch ausströmte und nicht wie das übliche öde angestrichen und bunt bewimpelt war. Was er sagte, konnte nur einer Frau gelten, die vielköpfige Salontapete schwatzte es hundert andern ins Gesicht.

Ihre ewig regen Gelüste sehnten sich nach einem solchen süßen Sklaven, der ihr wie Wachs durch die Finger gleiten würde, und ihrer Ansicht nach durfte Fröhlich nur von Glück sagen, wenn sie ihn dazu erhöbe.

»Wir sind uns eigentlich recht fremd geworden, ich sehe Sie gar nicht mehr, mein Bester,« sagte sie mit ihrem schönsten Lächeln.

»Aber ich bitte, gnädige Frau —,« wandte er verlegen ein. »Ich bin den ganzen Vormittag fleißig beim Unterricht, und da überdies die bekannte Veränderung eingetreten ist.«

»Leider, leider,« stieß sie seufzend hervor. »Daß Sie mir mit Ihrer Kunst so schnell untreu werden würden, hätte ich nie geglaubt — mit Ihrer wahren Kunst! Ich habe erst gestern zu meinem Manne gesagt, einen Anschlag hätten Sie, eine Weichheit des Ausdrucks — geradezu wie ein Virtuose. Ließ es sich denn gar nicht anders arrangieren? Hätten Sie mir doch vorher die leiseste Andeutung darüber gemacht — mein Gott, vielleicht hätte Ihr Bruder bei uns essen können, oder vielleicht hätte mein Mann Ihnen das vergütet, Sie haben ja auch Opfer an Zeit gebracht, ich sehe es ein. Irgend ein Ausweg hätte sich schon gefunden! Ich kann sagen, Sie fehlen mir geradezu, ich hatte mich schon so sehr an Sie gewöhnt. Sie wissen, daß beim künstlerischen Zusammenwirken der Partner eine große Rolle spielt, — aber natürlich wissen Sie das — eine fein empfindende Natur, wie Sie! Wie harmonisch klang nicht immer alles, wenn Sie mich begleiteten, meine Stimme lebte förmlich auf, ich fühlte es selbst, wie sie sich stärkte und an Umfang zunahm.«

Ihre leidende Sprechweise war merkwürdig schnell verschwunden; die Worte sprudelten ihr wieder über die Lippen, und sie plapperte immer nervöser, je mehr sie sich in dieses Gebiet vertiefte. Alles, was sich während der letzten Tage in ihr angesammelt hatte, mußte heraus. Schließlich wurde sie so erregt, daß Aeffi hervorschoß, seine Pfötchen emporstreckte und den Versuch machte, ihr die Hand zu lecken, was sie aber aus Puderrücksichten abwehrte.

Der Kandidat saß wie auf Kohlen. Fortwährend dachte er an seinen Schüler und an irgend eine Ausrede, durch die er so schnell als möglich wieder zu ihm gelangen könne. Aus Höflichkeit nickte er nur zerstreut, aber er hätte schwören können, ihren Worten nicht gefolgt zu sein. In Gedanken stöhnte er: »Ein fürchterliches Weib! Der arme Bankdirektor!« Dann aber schwebte ihm vor, daß sie etwas von seinem Bruder gesprochen habe, und so erlaubte er sich die Einwendung, daß er zwar ihre gute Absicht dankend anerkenne, aber eine andere Einrichtung nicht habe treffen können. Gern hätte er einmal nach der Uhr gesehen, und so hatte er auch schon wiederholt die bekannte Handbewegung danach gemacht, sich aber jedesmal rechtzeitig besonnen.

Seiner Berechnung nach mußte es bald zwölf sein. Um diese Zeit nahm er ein kleines Frühstück ein, das man ihm im Hause vorsetzte, ohne daß er den Unterricht dadurch unterbrach. Sicher würde dann das Mädchen kommen und es ihm melden. Vielleicht wäre dann Gelegenheit zur Flucht gewesen.

»Haben Sie noch nie daran gedacht, sich mal zu verheiraten?« fragte sie plötzlich unvermittelt.

Der Kandidat bekam einen freudigen Schreck. Vielleicht hatte er sich doch in ihrem Wesen getäuscht, vielleicht war eine plötzliche Umwandlung in ihr eingetreten und sie wollte sein stilles Verhältnis zu dem Fräulein fördern helfen.

»Allerdings, gnädige Frau, habe ich schon daran gedacht, es wird aber von meiner Anstellung an einer Schule abhängen.«

»Mein Mann kann Ihnen vielleicht dabei behilflich sein,« fuhr sie fort. »Er kennt verschiedene Schulräte, ich habe ja davon gehört, daß die Protektion dabei eine große Rolle spielt. Wir hatten für unsern Rudi einen Kandidaten zur Nachhilfe, dem es ebenso gegangen ist. Sie glauben es kaum, was der für Visiten machen mußte. Denn er wollte an eine städtische Schule kommen.«

Fröhlich empfand so etwas wie Wonne. »Ich würde Ihrem Herrn Gemahl jedenfalls außerordentlich dankbar sein, wenn er mir durch seinen großen Einfluß die Wege ebenen wollte. Und wenn gnädige Frau dann die Güte hätten, den Herrn Bankdirektor daran zu erinnern —.«

Sie unterbrach ihn gelassen: »Schließlich hat er sich dann mit der Tochter eines Schulinspektors verlobt, und da war es gleich so weit. Nach solchen Töchtern müßten sie sich auch umsehen. Sie müssen mehr heraus aus sich, mehr Beziehungen anknüpfen. Ich denke, es wird sich mal im nächsten Winter so etwas anbahnen lassen, an einem Abend bei uns. Man ladet da einfach so einen Schulgewaltigen ein. Mein Mann kennt auch sonst noch einflußreiche Persönlichkeiten. Sie müssen dann mehr in unsern Zirkel hinein, letzten Winter hat es sich wenig gemacht. Sie dürfen nicht so menschenscheu sein. Denken Sie daran, wie musikalisch Sie sind! Ich singe, und Sie begleiten mich dann. Ich habe schon öfters daran gedacht. Es wäre nett — sehr nett sogar.«

Im Augenblick schien sie davon zu träumen, denn ihre Augen schlossen sich, und ihre letzten Worte verklangen wie ein prosaischer Gesang.

Fröhlich war bestürzt, denn er wußte nicht, was er darauf sagen sollte. Stammelnd brachte er einige Worte hervor, die den Dank für diese »neue Auszeichnung« enthielten; das übrige würgte er sich herunter, so verlockend ihm auch die Aussicht erschien, auf diesem krummen Wege zugleich Gymnasiallehrer und Schwiegersohn zu werden. Sofort schwebte ihm Fannys süßes Gesicht vor, und es lag nahe, daß er damit die vielleicht magere und überjährige Erscheinung einer Schulratstochter verglich, die ihm aus Gründen endlicher Versorgung mit auf den Berufsweg gegeben werden sollte. Er hatte von ähnlichen Beispielen gehört, die zur allmählichen Verknöcherung ehemaliger, sehr fideler Schulamtskandidaten geführt hatten.

Nein, das war nichts für Oswald Fröhlich! Lieber wollte er die Wartezeit noch bis aufs unbestimmte ausgedehnt sehen und sich das Weibchen nach seinem Geschmack wählen.

Frau Roderich merkte ihm seine Verfassung an, denn alles hatte nur dazu gedient, ihn zu einer bestimmten Erklärung herauszufordern. »Sie sind doch nicht schon etwa irgendwo gefesselt?« fragte sie mit erzwungenem Lächeln. »Herr Kandidat, machen Sie keine Dummheiten! Bleiben Sie nicht irgendwo hängen! Sie gehören zu den unerfahrenen Naturen, die leicht zu täuschen sind.«

»Wenn Du wüßtest!« dachte Fröhlich; dann aber erwiderte er: »Gnädige Frau brauchen nichts zu befürchten, ich bleibe meiner Gesinnung treu. Ich werde meinen Namen nie an den einer Unwürdigen knüpfen.« Und wieder streckte er die Hand nach der Westentasche aus, ohne den letzten Mut zu finden.

Dieser Hinweis, den sie falsch auffaßte, berührte sie wohltuend; zugleich aber mischte sich ein Tropfen Aerger hinein, denn nach ihrer Meinung umging er den Kern der Frage. Und so sagte sie kurz entschlossen: »Das freut mich um Ihretwillen, Herr Kandidat. Ich hatte nämlich die Empfindung, daß Fräulein hinter Ihnen her sei, und daß Sie vielleicht —. Du lieber Himmel, was wagen die Mädchen nicht alles, um zu einem Mann zu kommen. Man kann niemals genau wissen, was um einen herum vorgeht. Sie sind eben zu blind, Sie müssen mehr die Augen öffnen, lieber Herr Fröhlich! Was denken Sie — ich glaube sogar, sie bildet sich etwas darauf ein, daß mein Sohn sie auszeichnet. Und so ein Junge denkt sich gar nichts dabei, aber er ist eben schon in einem Alter, wo die Eltern besorgt sein müssen. Ich habe sie beide dringend verwarnt.«

In diesem Augenblick, wo dem Kandidaten das Blut ins Gesicht schoß und seine Wahrheitsliebe rücksichtslos mit ihm durchgehen wollte, selbst zu seinem persönlichen Nachteil, wurden sie jäh in ihrer Unterhaltung gestört. Walter kam aufgeregt hereingestürzt, dem Weinen nahe. »Denk Dir nur, Mama, Rudi hat mich geschlagen!« rief er laut. »Ich war hinten und sah ihn in Fräuleins Zimmer gehen, und weil ich Dir's sagen wollte, gab er mir eins. Was hat er darin zu suchen, wenn sie nicht hier ist! Gewiß wollte er herumkramen. Er sagte, es habe brandig gerochen. Immer hat er etwas gegen mich. Ich werde es Papa sagen.«

Frau Roderich beherrschte sofort den Vorgang. »Das wirst Du nicht tun!« erwiderte sie streng, »das werde ich schon besorgen. Du brauchst auch nicht Deine Nase überall hinzustecken! Es ist doch hübsch von Rudi, wenn er irgend eine Gefahr wittert. Neulich roch es auch schon so. Fräulein verbrennt immer ihre ausgekämmten Haare auf dem Spiritus. Das kann sie in der Küche machen. Ich habe es ihr schon mehrmals gesagt. Jetzt geh nur und beruhige Dich! Uebrigens sollst Du immer anklopfen, mein Junge; vergiß das nicht!«

Der Kandidat hatte sich erhoben, bewegt von sonderbaren Gefühlen. Er glaubte endlich die Gelegenheit benutzen zu können, sich mit seinem Schüler zugleich zurückziehen zu dürfen. Aber Frau Roderich bat ihn, noch zu bleiben. Als sie wieder mit ihm allein war, richtete sie sich zur sitzenden Stellung empor, denn sie hatte gemerkt, daß er keine Neigung zeigte, abermals Platz zu nehmen. Endlich hatte er auch den Mut gefunden, die Uhr zu ziehen.

»Man hat mit seinen Kindern weiter nichts wie Aerger,« sagte sie, um die Pause der Verlegenheit auszufüllen. »Eigentlich paßt es mir auch nicht, daß der Junge in Fräuleins Zimmer geht. Er hat bei der Dienerschaft nichts zu suchen.«

»Ich muß mich darüber jeglichen Urteils enthalten, gnädige Frau,« gab Fröhlich zurück.

Sein entschlossener Ernst verstimmte sie, aber sie zwang sich zur Liebenswürdigkeit. Das erste Mißtrauen war gesäet, und so erklärte sie sich dadurch sein Verhalten. Es galt nun, ihm immer mehr ihr Vertrauen zu beweisen. Mit Geduld fing man nicht nur Fliegen, sondern erzog sich auch die Sklaven. »Sie könnten mir eine kleine Gefälligkeit erweisen, Herr Kandidat,« sagte sie wieder nach einem Weilchen.

Dagegen konnte er nichts einwenden. »Recht gern, gnädige Frau.«

»Müssen Sie vielleicht heut noch in die Stadt?« Sofort unterbrach sie sich, indem sie ein wenig heuchelte. »Aber es wäre vielleicht zu viel verlangt von mir. Sie kommen gewiß nicht in die Nähe der Linden?«

Er wollte es nicht mit ihr verderben, und so erbot er sich, ihr diesen Dienst zu leisten, neugierig, was sie wünschen werde.

Am nächsten Donnerstag gab es »Die Meistersinger« im Opernhaus mit einem berühmten Gast als Hans Sachs. Fröhlich sollte so freundlich sein, nach dem »Invaliden-Dank« zu gehen und ihr das Billet zum ersten Rang zu holen, das sie sich heute früh telephonisch hatte zurücklegen lassen. Zwar war es Sache des Dieners, derartige Besorgungen zu machen, aber ihr Eigensinn drängte sie, Fröhlich damit zu betrauen. Zugleich erschien es ihr wie eine kleine Genugtuung, ihn auf diese Art an die Erfüllung ihrer Wünsche zu gewöhnen.

Der Kandidat fand das durchaus nicht sonderbar, denn alte Erinnerungen wurden in ihm wach.

»Vielleicht sind Sie so gut und bringen mir das Billet morgen früh gleich hier herein. Uebrigens — Sie gehen gewiß auch gern einmal ins Opernhaus auf einen guten Platz. Bei uns verfallen manchmal die Billets, wenn die Dispositionen umgestoßen werden.«

Fröhlich fand nur eine stumme Verbeugung dazu. Peinlich wurde ihm der Auftrag erst, als sie nach ihrer schillernden Geldbörse suchte, denn gern hätte er gesagt, er werde den Betrag auslegen, aber er scheute die hohe Summe, die in Vergessenheit hätte geraten können. Je größer die Häuser waren, je öfter ging man über solche Kleinigkeiten hinweg.

Sie hatte sich erhoben und suchte auf dem Tischchen umher. Plötzlich sah er, daß sie hinkte.

»Ich glaube, ich habe mein Portemonnaie im Speisezimmer liegen lassen ... Nun ist mir auch noch dieses Malheur passiert. Denken Sie nur, ich habe mir vorhin den Fuß verstaucht. Wollen Sie mich nicht ein wenig stützen?«

Es war zwar kein wahres Wort daran, aber sie wollte nun einmal von ihm geführt werden. Und so tat er es mit Worten des Mitgefühles, erriet aber ihre Absicht. Und als er ihren vollen Arm an dem seinigen fühlte, so dicht, daß er fast ihren Atem verspürte, stöhnte es abermals in ihm auf: »Ein fürchterliches Weib!«

Kaum im Speisezimmer angelangt, entdeckte sie plötzlich die Börse in ihrer Tasche und reichte ihm ein Zwanzigmarkstück. »Ach, führen Sie mich doch zum Instrument,« flötete sie abermals, diesmal mit dem Ausdruck noch größeren Schmerzes. Sie verband die Absicht damit, ihn sanft wieder zur Stelle ihrer beiderseitigen musikalischen Triumphe zu schleifen, um den Genuß zu haben, ihn wenigstens wieder einige Töne anschlagen zu hören. Vielleicht ließ er sich dadurch auf fünf Minuten fesseln und bewegen, die Proben allmählich wieder aufzunehmen.

In diesem Augenblick, als sie an der Seite des Kandidaten gerade mitten im Zimmer war und die Nähe seiner Schulter ganz besonders suchte, kam ihr Mann eilig die Wendeltreppe herauf und blieb auf der vorletzten Stufe verblüfft stehen. Er hatte sich nur kurze Zeit in der Bank aufgehalten und war um diese ungewöhnliche Zeit nach Hause zurückgekehrt, da er wichtige Papiere gebrauchte, die er im Geheimfach seines Schreibtisches verwahrte.

Den Kandidaten durchfuhr ein tödlicher Schreck, und sofort verrenkte er sich zu einer tiefen Verbeugung. Am liebsten hätte er sich einige Meilen fortgewünscht; denn obgleich er ein reines Gewissen hatte, fühlte er sich mitschuldig an diesem Aufzug.

Der Bankdirektor machte ein Gesicht, aus dem zunächst der größte Weise nicht hätte klug werden können, dann aber, als er die trostlose Miene des Kandidaten sah, erinnerte er sich sofort der unberechenbaren Launen seiner Frau und sagte spöttisch: »Ich störe die Herrschaften doch nicht? Ich denke, die Konzerte sind aufgehoben?«

Fröhlich, dem der Angstschweiß auf die Stirn trat, fand sofort einen Ausweg aus seiner Pein. »Gnädige Frau haben befohlen.«

Roderich lachte und kam ganz herauf. »Das kann ich mir denken, Herr Kandidat.« Dann aber wurde er ernst, als Agathe, die sofort ihre Beherrschung fand, auf ihren Fuß hinwies, mit einer so tragischen Gebärde, daß er an die Verletzung glauben mußte. Schwer ließ sie sich auf den Klaviersessel fallen. Der Kandidat jedoch, der sich wie erlöst von hartem Joch fühlte, verbeugte sich nach beiden Seiten und verließ das Zimmer.

»Eine Momentphotographie wäre unbezahlbar gewesen,« sagte Roderich wieder. »Agathe, ich verstehe Dich gar nicht mehr. Laß doch den armen Kandidaten zufrieden, er hat andere Dinge zu tun, als Dir die Zeit zu verkürzen! Gott sei Dank neige ich nicht zur Eifersucht, sonst könnte ich dieses Puppenspiel tragisch auffassen ... Was hast Du denn eigentlich?«

Sie mußte die kleine Komödie fortsetzen und verzog das Gesicht aufs neue, indem sie mit der Hand nach dem Fuß fuhr. Es sei aber nicht bedeutend, sie habe sich nur etwas vertreten. Zufällig sei Fröhlich gerade hinzugekommen, den sie über Walter gefragt habe, und so sei er so freundlich gewesen, sie ans Klavier zu führen.

Roderich war dafür, zum Sanitätsrat zu schicken.

Sofort wurde sie aufgebracht. »Aber ich bitte Dich, um solcher Lappalie willen! Ein wenig verknackst, das ist das Ganze. Ich werde mir sofort eine kalte Kompresse machen und Du sollst sehen, morgen ist es gut.«

Der Bankdirektor hatte andere Dinge im Kopf, und so beruhigte er sich dabei, da er schnell fort mußte. Er gab ihr den üblichen Gewohnheitskuß auf die Stirn und ging. Da sein Wagen, der ihn heute früh nach der Bank gebracht hatte, bereits wieder nach Hause gefahren war, so hatte er sich eine Droschke genommen, die auf der Straße noch hielt, weil er nicht abermals anspannen lassen wollte. Kaum war er wieder unterwegs, als der Sanitätsrat in seiner etwas unmodernen Kutsche ihm entgegenkam. Roderich betrachtete das als einen Fingerzeig und ließ halten, was der andere auch tat. Rasch verständigte er den Hausarzt von dem kleinen Unfall und fuhr dann erst ganz beruhigt weiter.

XV.

Rudi hatte die Stimme des Vaters gehört und war im Hintergrunde stehen geblieben, denn er befürchtete, Walter könnte seine Klage aufs neue anbringen. Nun aber trat er zu der Mutter ins Zimmer, die sich bereits sehr gelenkig erhoben hatte, um ihren Mißmut über die fatale Ueberraschung durch ruheloses Umherrauschen austoben zu lassen. Sofort schüttete sie ihren Aerger über den Aeltesten aus. »Was hast Du denn in Fräuleins Zimmer zu tun!« fuhr sie ihn an. »Genierst Du Dich denn nicht? Das wird ja immer besser mit Dir!«

Er hatte etwas Aehnliches kommen sehen, und da er vorhin horchend an der Tür stehen geblieben war, fühlte er sich durchaus nicht eingeschüchtert. »Aber, Mama, Du gehst ja wieder ganz gut,« sagte er sorglos. Sie nahm an, daß Fröhlich über ihr Hinken gesprochen haben könne, und so fand sie nichts Besonderes in seinen Worten. Rasch gefaßt erwiderte sie: »Die Schmerzen, die ich dabei empfinde, kannst Du natürlich nicht sehen. Ich bemühe mich eben, alles sehr rasch zu überwinden. Nur mit meinem Kummer über Dich wird mir das nicht gelingen.« Und gleichzeitig biß sie die Lippen aufeinander und zog den einen Fuß etwas nach, aus Zerstreuung aber diesmal den verkehrten, was ihr übrigens auch ganz gleichgültig war.

»Natürlich hat mich Fröhlich wieder verklatscht. Er war doch bei Dir.«

»Ach, laß den Herrn Kandidaten aus dem Spiel! Wenn ich ihn nicht gehabt hätte, wäre ich umgefallen. Um mich bekümmert sich ja niemand im Hause!« Das war bei schlechter Laune ihre ewige Klage.

»Na, denn kann ich ja wieder gehen, Mama,« warf Rudi patzig ein. »Wenn Du so bist! Ich wollte Dir gerade eine große Neuigkeit mitteilen ... Na, denn nicht.«

Neugierig geworden, hielt sie ihn zurück; denn sie brachte seine Andeutung mit seinem Besuche in Fannys Zimmer zusammen und hatte sich auch nicht getäuscht.

»Hat es denn wirklich brandig gerochen?« fragte sie ängstlich.

»Aber sicher, Mama; deshalb habe ich mich ja auch nur dahin verirrt. — Denk mal an, was ich entdeckt habe. Die Photographie von Fräuleins Bruder hat große Aehnlichkeit mit dem Leutnant, der neulich mit Kornelia sprach. Ich möchte beschwören, daß er's ist.«

»Ach, Du bist nicht recht gescheit. Das setzte ja allem die Krone auf!« Sie vergaß ganz, das Leiden weiter zu heucheln, und ging mit ihren gewohnten wuchtigen Schritten vor ihm auf und ab.

Rudi hielt ihr Mißtrauen munter. »Na, weshalb denn die dicke Freundschaft zwischen Neli und Fräulein? Das hat doch etwas auf sich! Vielleicht hat die Frank das vermittelt? Natürlich purer Mitgiftjäger. Und einen kleinen Vogel hat ja Neli auch, wie alle Maleusen. Die möchte jetzt mit Gewalt einen Mann haben. Na, Du kannst Dich freuen. Die Schwester von Deinem Schwiegersohn war dann ›Fräulein‹ bei uns. Ist ja gerade keine Schande, aber angenehm auch nicht ... Ich ziehe mich dann zurück von Euch.«

»Ach, schwatze doch nicht solchen Blödsinn!« warf sie ärgerlich ein. »Den ganzen Tag beschäftigst Du Dich mit andern Leuten, statt mit Dir selbst. Es wird Zeit, daß Du auf die Presse kommst. Papa hat sich entschlossen, Dich anzumelden.«

Er hüpfte vor Freude. »Ach was! Das ist ja famos. Na, denn braucht Ihr keinen Schwiegersohn als Offizier, dann habt Ihr mich ja zur Zierde!« Sein Sprechen ging plötzlich in leichtes Schnarren über. »Uebrigens, Ma'chen, dann werde ich ja dem Belästiger Nelis mit der gehörigen Verve entgegentreten können. Natürlich suche ich mir ein Kavallerie-Regiment aus. Na, und dann kannst Du stolz sein auf mich, Ma'chen!«

Diese Aussicht bezwang sie, denn eigentlich war sie in ihn, trotz seiner Fehler, ebenso vernarrt, wie Kornelia vom Vater bevorzugt wurde. Sie trat auf ihn zu und faßte ihn scherzhaft an beiden Ohren. »Werde doch nun endlich einmal vernünftig, Rudi!« flötete sie ihn zärtlich an. »Du bist ein so schmucker Junge. Ich glaube, daß Dir die Uniform prächtig stehen wird. An Geld fehlt's ja Gott sei Dank nicht! Du wirst also alles mitmachen können. Nun bleibe aber endlich mal bei der Stange und mach uns Ehre!«

Einige Augenblicke lagen sie sich gerührt in den Armen, dann ließ sie ihn allein zurück, und er ging und holte sich Stöckchen und Hut, um nun dem Zoologischen Garten seinen Besuch zu machen, da er Fanny mit den Kindern hatte fortgehen sehen.

Trotzdem Frau Roderich seiner Mitteilung kein Gewicht beilegen wollte, ging ihr die Sache doch im Kopf herum. Der Zufall spielte ja oft merkwürdig, und bei Kornelias Starrsinn war alles möglich. Sie wollte vorsichtig zu Werke gehen, und so ging sie zuerst in Fräuleins Zimmer und sah sich die Photographie auf dem Tisch, der sie sonst keine Beachtung geschenkt hatte, gründlich an. Ein ganz hübscher Kerl, das mußte sie sagen, aber für ein anderes Mädchen geschaffen, als ihre Tochter war, die jeden Tag noch auf die Potsdamer Garde hoffen konnte. Gern hätte sie einen Blick in die Kommode geworfen, aber alles war fest verschlossen.

Dann ging sie in der Aeltesten Zimmer, um auf die Spur eines Briefwechsels zu kommen, mußte aber auch hier enttäuscht ihr Forschen aufgeben. Das hätte sie sich auch denken können: wenn man Kornelia hieß, dann ließ man so etwas nicht offen liegen. Erst im Atelierraum gab ihr zweierlei zu denken. Auf einem Stück Pappe, das auf der Staffelei stand, war mit Kohle ein männliches Profil mit eine Ansatz von Schnurrbart gezeichnet, das auffallende Aehnlichkeit mit der Photographie hinten hatte. Und dann erblickte sie eine vollerblühte dunkelrote Rose in einem hohen, getrübten Kelchglase. Einzelne Rosen im Zimmer eines jungen Mädchens waren immer verdächtig, und diese hier schien ganz besonders aufmerksam behandelt zu werden. Also konnte an der Vermutung doch etwas daran sein. Merkwürdigerweise lief ihr Rudi gleich wieder über den Weg, als sie in die untern Räume hinabstieg.

Es sei sehr schwül draußen, und da sitze es sich besser zu Hause, meinte er. Etwas schwül war ihm allerdings drüben im Zoologischen Garten geworden, denn er hatte seine Schwester bei Fanny erblickt und war in einem weiten Bogen um beide herumgegangen, bis er den Ausgang wieder aufsuchte. Die Tiere interessierten ihn nicht, nur die Menschen, namentlich, wenn sich zu einem jungen Gesichtchen auch hübsche Frauenkleider fanden. Gern hätte er aufs neue ein wenig über die Zuneigung der beiden Mädchen geschürt, aber dann hätte die Mutter seinen Besuch drüben um diese Zeit auffallend finden und abermals mit Fräulein zusammenbringen können.

Als Kornelia dann nach Hause kam, ging Frau Roderich direkt auf ihr Ziel los. »Kennst Du einen Leutnant Frank?« fragte sie ziemlich gleichgültig.

Neli, die sich auf einen derartigen Fall längst vorbereitet hatte, tat etwas zerstreut, ohne sich in ihrer Arbeit stören zu lassen. Es war noch vor Tisch, und sie legte den Hintergrund des Tierstückes aus dem Gedächtnis weiter mit Wasserfarbe an. »Frank ... Frank ... Frank ...? Warte mal. Man lernt so viele Leutnants kennen. Ach, Du meinst wohl Fräuleins Bruder? Ja, den habe ich mal kennen gelernt. Wo war es doch gleich? Richtig, bei Kroll auf dem Krippenfest; da regnet es ja immer ein Schock Freibillets für Leutnants, die zum Tanzen kommandiert werden. Ein netter Mensch, soweit ich mich erinnere. Irre ich nicht, so hat er neulich auf der Straße auch mal gegrüßt.«

Sie strich ihre Farbe ruhig weiter, und Frau Roderich fand diese Ruhe so »pomadig«, daß sie nichts Besonderes dahinter witterte. Sie hatte es ja gleich gesagt, daß von etwas Ernstem dabei nicht die Rede sein könne.

»Wie kommst Du übrigens darauf?« fragte Neli noch, bevor ihre Mutter ging.

»Du lieber Himmel, wie man so darauf kommt. Du tust ja so intim mit unserem Fräulein, daß man beinahe annehmen könnte, Du hättest bei ihrer Mutter schon Visite gemacht.«

»Deine Einfälle, Mama!« Kornelia lachte, dachte sich aber ihr Teil. Noch am selben Abend hatte sie von ihrem Vater die Zusage zum gemeinsamen Besuche des Zoologischen Garten am Donnerstag erhalten. Wenn etwas derartiges bevorstand, dann mußte er zeitig darauf aufmerksam gemacht werden; denn gerade jetzt, vor seiner Erholungsreise, hatte er große Arbeiten zu bewältigen, und so fuhr er öfters zu einer Abendsitzung ins Geschäft. Einer großen Hypothekenbank, die mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, war man beigesprungen, und so gab es fast täglich Verhandlungen in Gegenwart des Aufsichts- und Verwaltungsrats. Roderich hatte sogar angekündigt, daß er sein Diner in der Stadt einnehmen werde, um Zeit zu ersparen, was einen Jammerausbruch Agathes zur Folge hatte. »Nun werden wir Dich wohl gar nicht mehr zu sehen bekommen,« sagte sie. »Nächstens schläfst Du noch in Deiner Bank.«

»Na, laß nur, liebe Agathe,« erwiderte er ruhig. »Dann spielst Du fleißig vierhändig mit unserem ewig ernsten Fröhlich ... Ich weiß schon, was Du mir da vorhältst: ich gönnte Dir wieder nichts.«

Er versetzte ihr jetzt gerne hin und wieder einen derartigen Stich, denn seit der letzten Ueberraschung fing ihm die Sache an bunt zu werden. Es war Zeit, ihrer nervösen Selbsthetze den nötigen Dämpfer aufzusetzen. Im geheimen nahm er sich den Kandidaten vor und bestärkte ihn, festzubleiben und keine »Ueberstunden« mehr zu machen, wie er sich ausdrückte. Fröhlich sah sich nun zwischen zwei Feuern und fühlte jetzt schon das Brennen von der heißeren Seite, aber er nahm sich doch vor, den Rat des vernünftigen Hausherrn zu befolgen.

»Also Mama wird nicht mitkommen können,« sagte Roderich dann zu seiner Tochter. »Sie kann ja gar nicht auftreten.«

»Wart's nur ab, Papa; bis dahin wird's schon besser sein,« gab Kornelia zurück. »Du kennst Mama noch lange nicht so, wie ich.«

Sie lachte so merkwürdig, daß er stutzte und dann, neugierig geworden, sich am andern Vormittag, als er erst später fortfuhr, hinter den Hausarzt steckte, dessen Besuch er abgewartet hatte.

Sanitätsrat Siebert war ein alter schrullenhafter Herr, der seine Zylinderhüte sehr lange trug und sie vermittelst einer Bürste und eines nassen Handtuches andauernd selbst aufbügelte, bis sie verschiedene Neuheiten überstanden hatten und glücklich wieder modern geworden waren, was bei den Modetorheiten nicht lange auf sich warten ließ. Aehnlich ging es seinem verwilderten rötlichen Bart, den er sich selbst beschnitt, was manchmal etwas einseitig ausfiel, so daß sein noch auffallend junges Gesicht mit der scharfen Brille hin und wieder einen schiefen Ausdruck bekam, was ihn aber durchaus nicht genierte, in seinen Bestrebungen der Selbsthilfe fortzufahren, weniger aus Sparsamkeitsrücksichten, als aus Bequemlichkeitsgründen.

Zu seinen sonstigen Gewohnheiten gehörte auch das Tragen der Winterkleidung bis in die warme Jahreszeit hinein, weil er es für die erste Pflicht eines Arztes hielt, sich selbst gesund zu erhalten, wenn er seinen Patienten gute Lehren geben wollte. Das zu frühe Wechseln der Jahreszeitkleider hielt er für die Hauptursache aller Erkältungen, und so war sein Grundsatz: »Lieber ein bißchen zu viel, als zu wenig.« Im allgemeinen galt er als ein rücksichtsloser Herr, der plötzlich sehr grob werden konnte, wenn man seine Feinheiten, die in einem liebenswürdigen Spott bestanden, nicht mehr verstehen wollte.

»Nun, was macht der rechte Fuß meiner Frau?« fragte Roderich, als der Arzt ihn unten in seinem Kabinett begrüßt hatte.

»Der Linke ist's, der Linke, Verehrtester,« knurrte der Sanitätsrat etwas verdächtig. Den Winterüberzieher hatte er zwar endlich der zu großen Wärme wegen abgelegt, dafür trug er aber jetzt beim brennenden Sonnenschein seinen Sommerpaletot, an dem regelmäßig die Knöpfe nicht recht in Ordnung waren. In dieser Beziehung litt er stark unter seinem Junggesellentum, was aber andere nur bemerkten, denn er selbst hatte für eine derartige Vernachlässigung keine Augen.

»Hat sie sich denn beide Füße verstaucht?« fragte Roderich. »Sie sagte mir doch ausdrücklich, daß der Rechte es sei.«

»Der Linke, der Linke, lieber Freund,« wiederholte Siebert unerschütterlich. »Sie haben zuviel Zahlen im Kopf, natürlich nur siebenstellige, da vergessen Sie andere Kleinigkeiten.«

Beide kannten sich seit vielen Jahren, und so war auch ihre Unterhaltung stets von der vertraulichsten Art. Zwei ganz entgegengesetzte Naturen, stritten sie sich manchmal um Kleinigkeiten, kamen aber niemals auseinander, weil sie sich gegenseitig eingehend studiert hatten und der eine dann stets einlenkte, wenn der andere über das Ziel hinausgegangen war.

»Sie irren sich, Doktor, es ist der Rechte! Ich könnte es beschwören.«

»Dann würden Sie eben einen Meineid leisten, Direktor, und das ist doch wahrhaftig so ein dummer Fuß nicht wert. Bei allem Respekt vor seiner Kleinheit,« milderte er sogleich seinen aufsteigenden Groll. »Uebrigens, ob es nun der Rechte oder der Linke ist, Ihre Frau Gemahlin muß auf alle Fälle bald in ein Sanatorium.«

Er hatte mittlerweile den Zylinderhut, den er während des Sprechens mit dem Aermel stets liebevoll zu bürsten pflegte, beiseite gestellt und legte die ausgeblichenen grünen Handschuhe, die er niemals anzog, auf den Deckel. Den alten Regenschirm, den er Sommer und Winter mit sich führte, und niemals im Wagen zurückließ, weil er ihn als einen unzertrennlichen Freund betrachtete, dessen Stütze man bedarf, behielt er in der Linken, während er mit der Rechten an seiner Brille rückte, was er unbewußt tat, sobald er jemand scharf ansah. »Sie müssen sich dazu entschließen, sonst wird's chronisch. Mit See und Gebirge ist's diesmal nichts. Die Aerzte sind da nicht streng genug, sie können auch den Patienten nicht nachlaufen. Da geht zu viel durch die Finger.«

Roderich zeigte sich bestürzt. »Steht's denn so schlimm mit dem Fuß? Sie erschrecken mich ja. Es wird doch nichts gebrochen sein?«

»Unsinn,« knurrte der Sanitätsarzt wieder. »Dann würde ich doch kein Sanatorium vorschlagen. Das könnten wir hier im Hause kurieren. Ich meine ja auch gar nicht den Fuß, weder den rechten noch den linken. Es ist an beiden nichts zu sehen. Ich meine überhaupt den ganzen Zustand Ihrer Frau Gemahlin, daß Sie das noch nicht bemerkt haben, wundert mich eigentlich. Das macht aber, weil Sie fast den ganzen Tag über nicht zu Hause sind. Sie bekümmern sich zu wenig um Ihre Familie, mein lieber Direktor.«

Und indem er sich an dem verblüfften Gesicht des andern erfreute, machte er eine Gesprächswendung: »Uebrigens, ehe ich es vergesse —: mit den Aktien, die Sie mir im vorigen Jahre empfohlen haben, bin ich schön reingefallen. Die stehen jetzt auf vierundachtzig. Ich werde Ihnen den Verlust auf die Neujahrsrechnung setzen.«

Roderich hatte bereits seine Grobheit kommen sehen, und da er den Grund dazu kannte, lachte er, zugleich vom Schreck befreit. »Ich sagte Ihnen doch zur rechten Zeit, Sie sollten verkaufen,« erwiderte er dann.

»Sie wissen doch, daß ich ein Mensch bin, der sich nicht gern von liebgewordenen Dingen trennt,« zeterte Siebert aufs neue.

Roderich lachte abermals und tröstete ihn dann: das Unternehmen habe eine große Zukunft und die Papiere würden jedenfalls noch einmal sehr gesucht werden. Sofort war der Sanitätsrat wieder umgestimmt und nahm eine Prise, nachdem er auffallend lange nach der Dose in seiner tiefen Rocktasche gesucht hatte. Liebenswürdiger als sonst kam er auf seinen Vorschlag zurück, und Roderich verhehlte ihm nicht, daß er schon längst um seine Frau mit Besorgnis erfüllt sei. Und da er kein Geheimnis vor dem Freunde hatte, so weihte er ihn auch in das neueste »Kandidaten-Leiden« Agathes ein und schilderte ihm den letzten Vorfall in erheiternder Weise.

Der Sanitätsrat blieb durchaus ernst, denn er hörte nichts Neues. Als Hausarzt kam er öfters unverhofft, und so hatte er auch einmal am späten Nachmittag die beiden am Klavier überrascht.

»Sie sehen auch alles!« sagte Roderich ärgerlich.

»Einer von uns beiden muß es doch tun,« erwiderte Siebert spöttisch. »Sie dinieren eben viel zu lange. Das wird sich auch noch mal bei Ihnen rächen. Dann werden Sie vielleicht nach Kissingen müssen, oder irgend sonst wohin, und Ihre liebe Frau wird dann gesund sein und über Sie triumphieren.«

»Sie behandeln mich ja heute gut,« sagte Roderich wieder.

»Zu was bin ich denn Ihr Hausarzt?« warf der Sanitätsrat ein, der um so gemütlicher wurde, je mehr er andere sich ärgern sah. Im Augenblick hatte er daran gedacht, daß er den Verlust an den Aktien niemals werde einbringen können, und so hatte er wieder einen kleinen boshaften Vorstoß gewagt.

Dann aber sprach er sehr vernünftig über Frau Agathe. »Solche Nervösen bilden sich alle möglichen Leiden ein. Sie verspüren sogar einen intensiven Schmerz, trotzdem es nichts zu schmerzen gibt, und haben Geruchwahrnehmungen, die gar nicht vorhanden sind. Schließlich behaupten sie eines Tages, sie hätten keinen Kopf mehr, trotzdem der Kürbis noch ganz fest sitzt. Sie müssen immer einen Bewunderer haben. Natürlich darf's der eigene Mann nicht sein. Na, beunruhigen Sie sich nur nicht, wir werden das Schiff schon lenken. Wenn wir sie nur erst einmal aus dieser orientalischen Bucht herausbekommen könnten, in der sie den ganzen Tag sitzt und grübelt.«

»Das ist's ja eben!« rief der Bankdirektor aus und sprang erregt auf.

»So viele Oele und Salben gibt's ja in keiner Apotheke,« fuhr der Sanitätsrat trocken fort. »Man könnte den halben Balkan damit versorgen. Aber ich werde mich schön hüten, ihr diesen Rat zu erteilen. Solche Naturen hassen ebenso stark, wie sie lieben können. Da muß der Milieuwechsel helfen, die neuen Wände, die neue Tageseinteilung und die neuen Gesichter. Deshalb sage ich nochmals: raus, raus und nochmals raus! ... Das will ich nun aber selbst befolgen, sonst schläft mein Gaul draußen ein. Im übrigen kennen Sie ja meine Parole: Mensch, ärgere Dich nicht.«

Er war bereits vom Stuhle aufgestanden und hatte inzwischen die Handschuhe sehr sorgsam glatt gestrichen und den Zylinder unter dem Ellbogen gedreht. Nun verabschiedete er sich, sprach aber von der Tür aus noch einmal zurück: »Lassen Sie sich um Gottes willen nichts merken, sonst wird's noch schlimmer!«

»Ich werde mich hüten, ich will meine Ruhe haben,« rief Roderich ihm nach. Er tat denn auch gar nicht erstaunt, als Agathe ihm mitteilte, daß die verschriebene Einreibung über Nacht geholfen habe, und daß sie nicht den leisesten Schmerz mehr verspüre. Erfreut darüber, alle so hübsch getäuscht und ihr Mitgefühl erweckt zu haben, erklärte sie sich bereit, am Donnerstag mit in den Zoologischen zu gehen. Sie hatte zwar das Billet für »Die Meistersinger«, aber rasch faßte sie den Entschluß, es Fröhlich zu schenken.

Getreu der Anregung des Hausherrn folgend, hatte der Kandidat bei seinem nächsten Vormittagsbesuch sich ebenso kurz als höflich gefaßt und durchaus keine Augen für ihre verführerische Stellung gehabt. Er fühlte, daß er jetzt sozusagen ein Rückgrat habe, und so war er förmlich und würdevoll näher getreten und hatte die Angelegenheit im Stehen erledigt.

Sie war der Meinung, daß die Ueberraschung im Musikzimmer an seiner Unruhe schuld sei, und versuchte ihm diesen Gedanken zu nehmen.

»Sie brauchen durchaus nicht in Angst zu schweben,« ermunterte sie ihn, »weil mein Mann neulich dazwischenkam. Er ist sehr dafür, daß wir die musikalische Unterhaltung wieder aufnehmen. Er wollte sogar mit Ihnen darüber sprechen. Es wird sich ja leicht eine Honorarverständigung erzielen lassen.«

Fröhlich hörte nur ihre frommen Wünsche heraus und ließ lächelnd diese Frage offen. Als sie dann aber zu ganz neuen Noten griff und ihn bat, sie einmal durchzulesen, wobei sie ihm über die Hand blickte, packte ihn wieder das stille Entsetzen, daß er neulich erst empfunden hatte, und so bat er sich das Blatt aus, nur, um schleunigst fortzukommen. In Gnaden entließ sie ihn, denn sie glaubte, nun wieder die alte Anteilnahme in ihm erweckt zu haben.

Als Fröhlich das Billet angeboten bekam, wagte er nicht, es abzulehnen, um so weniger, als er wußte, daß es sonst verfallen wäre. Ueberdies erfreute ihn die Gabe wirklich, denn er hatte »Die Meistersinger« nur einmal als Student gehört, und zwar vom »Olymp« aus, wo die Götter jedenfalls neidisch auf seine Anwesenheit waren, denn sie versperrten ihm jegliche Aussicht.

Der Genuß wurde ihm jedoch schon vorher etwas getrübt, als Frau Roderich hinzufügte: »Erzählen Sie mir nur gleich morgen, wie es war. Um elf empfange ich schon.«

»Sie läßt nicht locker,« stöhnte es in Fröhlich, »mit der einen Hand streichelt sie und mit der andern martert sie mich.«

»Haben Sie nicht neulich Auslagen gehabt?« fragte sie lächelnd. »Und wie ist's denn mit den Stunden heute abend? Die werden doch wohl ausfallen. Walter sagte mir, daß Sie jetzt einen Sekundaner hätten.«

Fröhlich redete sich aus, das sei nicht so schlimm, die Stunden würde er nachgeben. Flugs eilte sie zu dem kleinen Schreibtisch an der Wand, tat eilig etwas in ein Kuvert und klebte es zu.

»So, mein Bester! Hier ist das Billet drin, damit Sie's nicht verlieren. Ich habe gleich das Personenverzeichnis mit hineingelegt, damit sie keinen Theaterzettel zu kaufen brauchen. Ich bitte mir aber aus, daß Sie das Kuvert erst heute abend öffnen.«

Mit einem harmlosen Lächeln überreichte sie es ihm.

Der Kandidat war betroffen, aber sein ahnungsloses Gemüt wurde dadurch nicht getrübt. »Gewiß wird sie Dich noch andichten,« raunte ihm sein innerer Mensch zu. »Was hast Du eigentlich getan, um dieses Uebel auf Dich zu laden?« Und er ging in das Zimmer neben der Unterrichtsstube, stellte sich vor den Wandspiegel und musterte sich wie ein Mensch, in den plötzlich die Eitelkeit gefahren ist.

Er wollte doch einmal gründlich sehen, was er eigentlich so Besonderes besäße, wodurch die Gnädige sich so andauernd bewogen fühlte, ihm ihre Gunst zu schenken. Und das Ergebnis dieser Betrachtung war die stille Anrede: »Es ist die reine Verirrung von ihr, die absolute Verirrung, oder eine Trübung ihres Sehnervs, wenn nicht gar eine Verdunklung der Gefühlswelt. Oswald Fröhlich, es muß gerade herausgesagt werden: Du kannst nicht den mindesten Vergleich aushalten mit dem Bankdirektor. Er ist nicht nur stattlicher als Du, weltkluger und energischer, — er hat auch viel mehr Geld, ist in hochangesehener Stellung und besitzt die Kraft, sechs Gänge täglich zu verdauen. Er ist also sozusagen das Muster eines Mannes. Was will sie also von Dir? Ist sie eine zweite Lukrezia Borgia, ins Moderne übertragen, die eine grausame Wonne darin findet, arme Schulamtskandidaten seelisch zu zermartern?«

Ja, was wollte dieses fürchterliche Weib?

Der Kandidat, der Frauen gegenüber ein großes Kind war, vermochte keine Antwort auf diese Frage zu geben, aber er nahm sich vor, diesem Zustande ein Ende zu machen, und sollte auch der Zorn der Hausherrin sich mit Gewitterschwere über ihm entladen. Auch Familiensklaven hatten das Recht, sich zu verschwören und zu empören, und leisteten sich zwei den Eid der Treue, so wurden sie stärker, als einer.

XVI.

Wenn Sklaven sich auflehnten, so trotzten sie auch den Befehlen der Herrschaft, und so machte Kandidat Fröhlich sofort davon Gebrauch, indem er mit einem kühnen Entschlusse das Kuvert aufriß.

In dem Zettelausschnitt neben dem Billet steckte ein funkelnagelneuer Zwanzigmarkschein, fast noch feucht von der Presse der Druckerei. Fröhlich glaubte zuerst, eine jener Blüten vor sich zu haben, mit denen man sich einen Scherz erlaubt, dann aber kam ihm zum Bewußtsein, was diese wertvolle Beilage zu bedeuten habe. Frau Roderich hatte nicht umsonst auf seine Umstände und Auslagen hingedeutet. Er fühlte die brennende Röte des gebildeten unverdorbenen Mannes, dem plötzlich unheilvolle Ahnung die Lebenserfahrung ersetzt. Das konnte nicht mehr Großmut sein, das war Käuflichkeit der Gesinnung. Er sah sich beleidigt und erniedrigt, tief gedemütigt, zu einem Intriganten herabgezwungen, dessen geheimes Spiel man sich sichern wollte.

Keinen Augenblick war er im Zweifel, was er zu tun habe, denn plötzlich kam er sich gewachsen vor und sehend wie ein Blinder, der bisher im Dunkeln getappt hatte.

Er kehrte zu ihr zurück und ließ sich durch Emma anmelden, die dabei war, Zofendienste zu verrichten.

»Gnädige Frau werden verzeihen, daß ich so verwegen war, gleich meine Neugier zu befriedigen,« begann er höflich, als er ihr endlich allein gegenüberstand. »Frau Direktor haben sich in der Eile vergriffen und eine Banknote mit eingepackt. Hier ist sie wieder.«

Er hatte etwas warten müssen, denn die Friseuse war gerade eingetroffen, und so kam die Gewaltige vom Ankleideraum erst herübergerauscht. Mit kühn gewellter Haartour, die vorne hoch gelockert, schon für den Abend bestimmt war, erschien sie größer und majestätischer. Der rosa Frisiermantel, in dem sie noch steckte, umflatterte sie wie ein Domino, und so war sie auch in diesem Augenblick ganz Theater, mit einem Stich ins Maskenhafte. Und diese Maske bewahrte sie mit bewundernswerter Beherrschung, denn sofort heuchelte sie die Ueberraschte.

»Was, der Zwanzigmarkschein? Wo ist er? Ich suche ihn schon wie eine Stecknadel, ich hatte ihn vorhin auf den Schreibtisch gelegt, und dann war er weg. Nein, wie man sich so versehen kann!«

Sie schrie es mehr, als sie es sagte, denn unbändig schäumte die Wut in ihr. Dann lachte sie breit auf; es sollte heiter klingen, aber ihr Grollen gurgelte sich damit hervor.

»Jedenfalls danke ich Ihnen sehr, Herr Kandidat. Schließlich wäre ich bei Ihnen noch in den Verdacht gekommen, das Garderobengeld für Sie auszulegen.« Ein zweites gurgelndes Lachen folgte, dann nickte sie ihm wohlwollend wie eine Königin zu und ließ ihn gehen.

Kaum aber war sie allein, so biß sie in das feine Gewebe des Spitzentuches, mit dem sie das heiße Antlitz getupft hatte. Wie eine geneckte Tigerin ging sie in ihrem Schmollzimmer auf und ab, ohne den Ausweg auf den Feind zu sehen. Dann warf sie sich mit Wucht auf das Ruhebett, drückte das Gesicht rücksichtslos in das geschmeidige Seidenkissen und suchte nach Tränen. Sie wußte, daß diese Komödie ihr nicht gelungen war, und so hätte sie schamvoll weinen mögen, sie, die geachtete Frau und Mutter großer Kinder. Und plötzlich gebärdete sie sich wie eine Eingekerkerte, die allein mit ihrem Schmerze ist. Sie rang die Hände mit dem Seidentuch und rief schluchzend ins Zimmer: »Ich habe es doch nur gut gemeint, er ist ein so armer Mensch, ich wollte ihm eine Freude bereiten. Und er war vielleicht so dumm, etwas anderes zu glauben.«

Dann erhob sie sich wieder mit einem Ruck, und ging aufs neue durchs Zimmer. Alles das wäre vielleicht nicht gekommen, wenn er das Kuvert erst am Abend geöffnet und wenn ihn Berlin mit seinem Gebrause umtobt hätte. Dann würde er weiser überlegt haben, hätte nur ihre Güte darin gesehen und wäre zu einem ganz anderen Entschlusse gekommen. Die Musik Wagners hätte ihn umwogt, die weihevolle Kunststimmung ihn auf reinere Gedanken gebracht, und dann würde sie für ihre Aufmerksamkeit am andern Tage den Dank empfangen haben. Weshalb hätte er sich nicht auch einmal einen vergnügten Abend in Berlin machen sollen? Denn so hatte sie sich alles ausgemalt.

Ein böser Gedanke schreckte sie wieder aus dieser geknickten Stimmung. Sicher war Fröhlich von anderer Seite darauf gebracht worden, das Kuvert vorzeitig zu öffnen. Konnte Fräulein ihm nicht den Rat erteilt haben, sich nicht bis zum Abend mit Geheimnissen zu plagen? Agathe hatte ja vorhin ihre Stimme gehört. Ja, so mußte es sein.

Während Frau Roderich wieder auf und ab raste, wuchs ihre Einbildung bis ins Uferlose, und nichts Weiches mehr beherrschte ihr Gemüt, sondern nur der Wunsch zehrte an ihr, sich mit all der Lieblichkeit austoben zu können, die man im ganzen Hause bereits kannte und die ihr vorübergehend Ruhe gab.

Es ging auf die Mittagszeit, und Fanny war wirklich mit den Kindern wieder in ihrem Zimmer, ohne daß aber der Kandidat davon wußte. Als er es dann aber erfuhr, nachdem er von Frau Roderich zurückgekehrt war, konnte er die Sehnsucht nach dem geliebten Mädchen nicht unterdrücken. Er klopfte und bat sie auf einige Minuten in das Spielzimmer. Solange sie im Hause war, hatte sie sich bemüht, dem Jungen die Anfangsgründe im Lesen und Schreiben beizubringen und ihn sowohl, wie das Schwesterchen durch das Ausschneiden und Zusammenkleben von Modellierbogen zu erfreuen. Rasch schrieb sie dem Jungen etwas auf die Tafel, gab Trudchen einige bunte Sächelchen und folgte dem Kandidaten.

»Am vorigen Sonntag war Ihr Herr Bruder bei mir,« begann er wichtig, »und ich kann wohl sagen, wir haben sehr rasch Bekanntschaft miteinander gemacht. Ich will hinzufügen, aus gewissen Gründen, die Sie bestimmt von Fräulein Kornelia erfahren dürften. Ich wollte erst darüber schweigen, aber es drängt mich, es drängt mich wirklich, Ihnen zu sagen —. Mein liebes Fräulein, wenn Sie wüßten! —«

Bewegt brach er ab, weil er nicht den Mut fand, weiter zu sprechen.

Starr hatte sie ihn angeblickt, denn alles kam ihr unerwartet. »Mein Bruder Kurt bei Ihnen?« preßte sie endlich hervor.

Das gab ihm den Fluß der Sprache. »Ich habe nicht Zeit dazu, viel darüber zu sprechen, aber nächsten Sonntag vormittag werden Sie mich drüben treffen, und dann will ich Ihnen alles sagen. Mein bestes Fräulein, wir sind umringt von Feinden, und zwar von den schlimmsten, die es gibt; denn wer uns Brot gibt und haßt uns dennoch, der ist der wahre Teufel im Fell des Lammes.«

Er ergriff ihre Hände, und staunend ließ sie es geschehen, denn es war ihr, als würden ihr Offenbarungen verkündet. Mit zitternden Lippen sprach er weiter. »Hier in diesem Zimmer habe ich die Kindesphantasie belauscht, und hier will ich auch zu einem großen Kinde sprechen, das mich jetzt so sonderbar fragend ansieht. Sie sollen wissen, was ich am nächsten Sonntag von Ihnen erwarte, und so sage ich ganz offen zu Ihnen: Fräulein Fanny, ich habe Sie schon lange liebgewonnen, und ich liebe Sie von ganzem Herzen. Und wenn Sie mich auslachen, es ist so. Und ich sage, wie unser großer Reformator: ›Hier stehe ich, ich kann nicht anders!‹ Am nächsten Sonntag will ich mir die Antwort von Ihnen holen, ob Sie meine Braut sein wollen, wenn auch vorerst noch heimlich, aber doch vor Gott und meinem Gewissen. Und sagen Sie nein, so werde ich es Ihnen sicher nicht übelnehmen. Meine Verehrung bleibt dieselbe.«

Sie lachte nicht, aber wie versteinert stand sie da und fand keine Abwehr, als er ihren Kopf zwischen seine Hände nahm und zwei Küsse auf Haar und Stirn drückte. Und so verharrte sie noch, als er fast lautlos hinausgegangen war. Es war ihr alles so feierlich gewesen, so ernst und heilig, wie sie sich niemals die Erklärung einer Liebe gedacht hatte.

Zum ersten Male war sie von einem fremden Manne geküßt worden, und noch glaubte sie den heißen Druck der Lippen auf der Stirn zu spüren. Was war das nur alles? Was für ein geheimnisvolles Weben umgab sie, daß sie sich wie entrückt der Welt vorkam?

Aber schon in der nächsten Minute wurde sie rauh in die Wirklichkeit zurückgeführt. Die Hausherrin riß die Tür auf und keifte sofort los: »Wo stecken Sie denn? Wie können Sie denn die Kinder allein lassen? Hans hätte beinahe ein Stück Griffel verschluckt! Träumen Sie denn!«

»Jawohl, gnädige Frau, ich habe geträumt,« sagte sie ruhig und schritt langsam und ernst der Türe zu.

»Aber, ich bitte Sie, dazu haben Sie ja nachts Zeit. Wollen Sie jetzt die Liebenswürdigkeit haben und dem Jungen mal die Flecke aus seinem Alltagsanzug machen. Die Kinder werde ich nach vorn nehmen. Waschen Sie sich dann aber die Hände gründlich, damit Sie beim Essen nicht nach Benzin riechen.«

»Jawohl, gnädige Frau, das soll alles besorgt werden.«

»Nach Tisch möchte ich Sie dann zu mir bitten, ich habe noch eine andere Arbeit für Sie.«

»Jawohl, gnädige Frau, ich werde kommen.«

»Ich möchte Sie dann auch bitten, heute einmal gegen Abend zum Schuhmacher mit heranzugehen und die Schuhe für Trudchen zu holen. Er schickt sie gar nicht.«

»Es soll geschehen, gnädige Frau.«

Alles das waren Beschäftigungen, die eigentlich dem Hausmädchen und dem Diener zukamen, aber es behagte Frau Roderich, ihr Fräulein damit zu belasten. Zwar hatte sie beim Antritt Fannys ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sie sich nur mit den Kindern zu beschäftigen haben werde, aber so etwas geriet ja leicht in Vergessenheit. Ueberdies gab es Haushaltungen, in denen die Fräuleins noch ganz andere Dinge zu verrichten hatten.

Noch immer wie im Traum holte sich Fanny den Anzug des Jungen und ging dann die schmale Treppe hinauf, die zum zweiten Stockwerk führte. Hier waren die Fenster niedriger, als unten, und nur die vorderen Zimmer hatten einen herrschaftlichen Anstrich. Zwei von ihnen bewohnte Rudi, der früher neben der Schwester hauste, dann aber, als das Atelier hergerichtet wurde, hier hinaufzog. Es war zwar genug Raum unten, denn nach dem Garten hinaus lagen noch Fremdenzimmer, aber er behauptete, sich oben ganz wohl zu fühlen. Er war hier mehr ohne Aufsicht, konnte sich unbemerkt hinaufstehlen, wenn er lange gekneipt hatte, und ungestörter Unsinn treiben, sobald er Freunde zu sich geladen hatte. Dann wurde Essen und Bier hinaufgeschafft, und die Studentenlieder erschallten, so daß die Fensterscheiben dröhnten.

Vor einem Jahr noch hatte Walter mit ihm in einer Stube geschlafen, dann aber nahm man den Jungen herunter, weil die Brüder sich nie vertragen konnten. Stets hatte der Aelteste an ihm etwas auszusetzen und hielt sich in unzarter Weise über seinen Mißwuchs auf, so daß der Knabe schließlich Scheu empfand, sich vor ihm zu entkleiden.

Nach hinten hinaus lagen einfache Räume, in denen die Mädchen und der Diener schliefen, der überdies noch unten seine Putzstube hatte. Sonst gab es nur Rumpelkammern, die angefüllt mit Kleidungsstücken und allen möglichen Dingen waren. Früher schlief auch das entlassene Kammermädchen der Damen oben, aber als die Nervosität Frau Roderichs sich steigerte, hatte sie den Wunsch, die Zofe auch nachts in ihrer Nähe zu haben, um schneller auf ihre Dienste rechnen zu können. Man traute auch Rudi nicht, der für die Mädchen seine unausstehlichen Neckereien bereit hatte und nach dem späten Nachhausekommen manchmal den »Geist« spielte, der mehr Bejahung haben möchte, als Verneinung.

Es machte ihm dann Vergnügen, heillosen Spuk zu treiben. Als er aber einmal an die Türe der Köchin mit Kreide drei Kreuze gemalt hatte, wurde er am andern Tage von der Rücksichtslosen mit Ohrfeigen bedroht, er hütete sich jedoch, Klage bei den Eltern zu führen, da er auf alle Fälle den kürzeren dabei gezogen hätte. Seitdem war er vorsichtiger geworden und kniff höchstens Emma in die bloßen Arme, was die Mecklenburgerin mit einem derben Handschlag beantwortete. Das war immerhin erträglich, denn er wußte auch, daß sie es nicht so meinte. Hin und wieder fiel eine Mark für sie ab, oder er brachte ihr eine Fünfzigpfennig-Brosche mit, was namentlich dann geschah, wenn sie die Zeichen seiner Uebelkeit im Zimmer nicht verraten sollte.

Dem Nachbargarten zu lag eine leere, helle Kammer, die einen langen Tisch enthielt, der zum Reinigen der Sachen diente. Fanny legte den Anzug weg, setzte sich auf einen Schemel und faltete die Hände. Ihr Blick ging durch das geöffnete Fenster über die Kronen der Bäume hinweg ins Weite. Tränen lösten sich und tropften ihr auf die Wange. Sie wußte kaum, weshalb sie kamen, ob aus Rührung über die Worte Fröhlichs oder aus Weh darüber, unverdiente Kränkungen von ihrer Gebieterin zu erfahren. Aber sie konnte weinen, und das gab ihr Erleichterung und zugleich auch Trost. Ungekannte Wonne machte sie heimlich erschauern: sie wurde geliebt, sie sollte Braut werden und natürlich dann auch Frau. Brachte sie denn dem Kandidaten dasselbe Gefühl entgegen? Sie wußte es nicht, denn niemals hatte sie an eine derartige Wendung gedacht. Er war ein angenehmer Mensch, das mußte sie sich sagen, und gewiß konnte sie nicht behaupten, ihn ungern zu sehen.

Ihr Kopf war mit unklaren Vorstellungen gefüllt, die sie nicht bezwingen konnte. Die Arbeit sollte ihr Zerstreuung geben.

Als sie wieder die Treppe hinuntergegangen war, kam Rudi den Gang entlang und zog höflich den Hut. Während er dann die Stufen nahm, ärgerte er sich, nicht eiliger gewesen zu sein, nachdem er durch die Mutter von Fräuleins Anwesenheit oben erfahren hatte. Er hätte endlich einmal in aller Stille über den »dummen Jungen« quittieren können, worauf er schon längst versessen war.

Aus dem Abend im Zoologischen Garten wurde diesmal nichts. Schon am frühen Nachmittag bestellte Roderich durch den Fernsprecher die berühmten sechs Gänge ab und teilte mit, daß er erst spät abends nach Hause kommen werde. Der Direktor einer auswärtigen Bank habe ihn gebeten, mit ihm zusammen zu speisen, außerdem sei wieder Abendsitzung.

»Ist mir eigentlich angenehm, lieber Adolf,« sprach Agathe zurück, »ich fühle mich entsetzlich elend und möchte früh schlafen gehen.«

»Dann schick doch Kornelia ins Opernhaus!«

Im selben Augenblick ertönte das Schlußzeichen von ihr, und das Gespräch war abgebrochen.

Es war keine leere Ausrede, denn sie fühlte sich wirklich krank. Das »Mißverständnis« mit Fröhlich war ihr zu sehr an die Nerven gegangen, und dazu kam noch der Aerger darüber, das Billet verschenkt zu haben. Hätte sie diese Wendung geahnt, wäre sie selbst gegangen. Und dann hätte sie diesen großen Undank nicht erlebt.

Frau Agathe befand sich in einer jener Stimmungen, wo sie sich verlassen von aller Welt wähnte und behauptete, keine Familie zu haben, und sich einbildete, ihr Ende werde bald bevorstehen. Eigentlich war es ein großer seelischer Katzenjammer, wie ihr Mann diesen Zustand stets bezeichnete, natürlich hübsch für sich, aber sie behauptete doch, an allen Gliedern zu empfinden, wie sie der körperlichen Auflösung entgegengehe.

Sie lag wie zerschmettert auf ihrem Ruhebett und sprach nur mit schwacher Stimme. Kornelia und Emma sollten fortwährend bei ihr sein, und als die Tochter das überflüssige Gestöhne nicht mehr ertragen konnte, war Emma allein das Opfer, das die Riechfläschchen in Bewegung hielt und geduldig alles über sich ergehen ließ.

Dann hieß es in wirrem Durcheinander: »Emma, fühlen Sie mal meine Hand. Ist sie nicht ganz kalt? Und die Stirn und den Kopf. Der helle Schweiß darauf, nicht wahr?« Manchmal schrie sie auf, als empfände sie heillose Stiche, und dann behauptete sie, das Herz stünde ihr still. Aber trotzdem sprach sie ruhig weiter.

Und Emma, die derbe Mecklenburgerin, die von ihrem Herrn schon wußte, wie man die Gnädige behandeln müsse, sagte zu allem: »Ja«, tröstete mit dem »Vorübergehen« und packte wacker kalte Kompressen auf die Stirn. Und war auch sie einmal hinaus, dann bekam Aeffi das ganze Leid zu hören. »Ja, mein gutes Tierchen, so verlassen läßt man Deine Herrin liegen! Du allein verstehst mich, Du hast Gefühl. Komm her, mein gutes Tierchen!« Und sie streichelte den Pinscher und gab ihm Teegebäck aus der Hand zu fressen.

Einmal erlaubte sich Emma, die Frage zu äußern, ob Fräulein sie nicht vertreten könne, denn sie hatte notwendig hinten zu tun; sie prallte aber von der Anhauchung entsetzt zurück. Die Gnädige fühlte sich plötzlich frisch zum Angriff, als sie losschrie: »Wenn Sie sich noch einmal so etwas erlauben, ohne gefragt zu werden, können Sie Ihre Sachen packen! Ich werde Fräulein schon selbst befehlen, wenn ich es wünsche.«

»Aber, gnäd'ge Frau, das war ja man bloß so'n Einfall von mir. Ich mein's ja gut.«

»Behalten Sie solche maßlosen Einfälle für sich!« Erregt ließ sie das Haupt zurückfallen.

Auf einem kleinen Dreifuß mußte Räucherpapier angezündet werden, das seinen süßlichen Flammenduft durch das Zimmer sandte. Frau Roderich behauptete, daß das ihre Nerven belebe und das Atmen kräftige. In Wahrheit wollte sie stets in einer Art Märchentaumel bleiben, der ihre Sinne wach erhalte. Neben ihr, an der Wand, hing ein ganzes Bündel Riechkissen, die sie abwechselnd an den langen Bändern heranzog und gegen die Nase drückte. Sie wollte den Verwesungsgeruch verscheuchen, den sie angeblich verspürte. Dann verlangte sie nach den Kindern und strich liebevoll über ihre Häupter. Fast war es so, als wollte sie wirklich Abschied von ihnen nehmen, denn beinahe versagte ihr die Stimme vor seelischer Zerflossenheit.

»Aber, Mama, Du bist wirklich nicht recht gescheit,« fuhr Kornelia dazwischen, die gerade hereingetreten war und ihr den Tee brachte. »Das geht doch alles vorüber, das weißt Du ja, man sieht Dir ja nicht das geringste an!«

»Du bist gerade so brutal, wie Dein Vater,« hauchte sie. »Du bist ja in großer Toilette? Du wirst doch nicht etwa fortgehen und mich hier allein lassen?«

Kornelia war allerdings zum Ausgehen gerüstet, denn sie hatte den Verdruß über die Absage des Vaters bald überwunden und betrachtete für sich allein den Abend durchaus nicht als verfehlt. Kurt Frank wartete ja drüben und das war die Hauptsache für sie. In nächster Woche gab es ja auch noch Abende, wo man das Versäumte nachholen konnte.

»Ich muß auf ein paar Augenblicke nach dem Zo,« fuhr sie fort. »Ich hatte Elsbeth Keller noch geschrieben, und die kann ich nicht warten lassen. Ich bin gleich wieder hier. Ich werde aber sofort noch zum Sanitätsrat gehen.«

Diese Drohung half. »Nein, nein, nein!« wehrte Agathe ab. »Da geh nur schon und bleib' nicht lange!«

Merkwürdigerweise litt Frau Agathes Appetit nicht unter ihrem Leiden, was sie sofort nach Kornelias Fortgang bewies. Schon vorher hatte sie angeordnet, daß der Fisch und der Kapaun, die für ihren Mann bestimmt waren, für sie hergerichtet würden, und so ließ sie sich ein kleines Diner auftragen, dessen bloßer Anblick schon den Bankdirektor mit Freude erfüllt haben würde. Aus Suppen machte sie sich nichts, dafür aber mehr aus Gemüsen und Früchten. Sie hatte zu Mittag fast gar nichts angerührt, und so vergaß sie ganz das »Fettwerden« und aß doppelt. Es war wie eine Wut über sie gekommen, sich das teure Leben zu erhalten. Außerdem leitete sie der Wunsch, es auch einmal ihrem Manne nachzutun und in gänzlicher Abgeschlossenheit eine Stunde lang zu tafeln.

Emma, die alles nach und nach hereinbringen und auf einem kleinen Tisch vor dem Ruhebett herrichten mußte, geriet fast außer sich, so daß sie zu der Köchin ganz erschreckt sagte: »Die gnäd'ge Frau ist doch amende krank. Was die man heute essen kann! Alles hat sie verputzt, und das ganze Eis dazu. Sechs ganze Gänge, wie der Här.«

Darauf erwiderte Lene sehr weise: »Lassen Se man, die Nerven essen manchmal extra. Das sollen ja Tierchen sein, die zehren. Ich war mal bei einem Arzt, der aß alles auf und seine Frau nichts, und dann sagte er das immer zur Entschuldigung. Und dabei war er stark wie ein Bär. Ich glaube, der hätte seine Frau aufgegessen, wenn's gegangen wäre. Die liebten sich auch nur soso.«

»Na, wissen Sie, das wird unser Här nicht tun,« warf Emma ein.

»Weil's eben zu lange dauern würde,« sagte die Köchin wieder.

Emma, die mit dem Rücken gegen den Herd stand, lachte, daß sie sich stützen mußte. Aber man hörte nur wenige Laute, denn wenn sie in große Heiterkeit geriet, warf sie den Kopf in den Nacken und sperrte den Mund weit auf, so daß sie das Lachen verschluckte.

Emil kam durch die offene Tür hereingeschlichen, umfaßte sie und legte die Hand auf ihren Mund. »Machen Sie die Futterluke zu, es zieht ... Ich will mein Diner haben, mein Diner! Mir ist nicht wohl, wenn ich meine sechs Gänge nicht habe! Der Herr hat mir heute alles vermacht,« näselte er dann und tänzelte durch die Küche.

Hausmädchen und Köchin schüttelten sich vor Lachen, bis dann Lene sagte: »Ihnen piekert's woll? Wenn Sie mal nischt zu dun haben, werden Sie jleich üppig. Hier, essen Sie noch die halbe Stulle, es ist mir zuviel. Das Diner hat heute die Jnädige jejessen.«

Sie saß am sauber lackierten Tisch, stützte den mächtigen Ellbogen auf die Platte und trank ein Glas Schultheiß-Bier nach dem andern. An warmen Abenden mußte sie ihre zwei Flaschen haben, die sie wie Wasser heruntergoß. Unter ihrer weißen Blusenjacke quoll ihr das Fett förmlich hervor, denn sie aß für zwei und schöpfte die beste Bouillon für sich ab.

Emil, der die Luft heute rein wähnte, rauchte seine Zigarette, wobei er den Rauch immer durch die Nase zog. Nun vergaß er aber den nächsten Zug. »W—as? Die Gnädige fängt auch so an? Ja, wie soll ich mich denn da zerteilen? Aber ich weiß schon — einmal unten, einmal oben.«

Die Zigarette im Munde, jonglierte er mit den Händen. »Nächstens komme ich mit dem Aufzug zu Euch rauf.«

Abermals lachten die Mädchen, die eine laut, die andere still. Stets, wenn er so seine Witze machte, amüsierten sie sich über ihn, denn er war gelenkig wie eine Gliederpuppe und hatte ein gewisses schauspielerisches Talent, das urwüchsig war, wie oft bei aufgeweckten Berliner Jungen. Besonders hatte er die Gabe, Menschen nachzuahmen, und das tat er mit Vorliebe hier in der Küche.

»Paßt mal auf, ich werde Euch den beleidigten Kandidaten zeigen.«

Er hatte an jenem Morgen nach der Anmeldung Fröhlichs bei Roderich alles durch die offene Tür mit angesehen und vom Verandasaal aus die Unterhaltung gehört. Und so knöpfte er sich jetzt die Hausjacke zu, so daß er wie in einer Wurstpelle steckte, tat so, als streifte er die Handschuhe über, nahm einen Blechdeckel als Hut in die Hand und schritt mit eingedrückten Knieen würdevoll auf die Köchin zu, die den Hausherrn vorstellen sollte.

Und nach einer tiefen Verbeugung redete er den größten Blödsinn zusammen, aus dem aber entschieden die Sprechweise Fröhlichs herausklang. Dann trat er zurück und wiegte sich mehrmals auf den Fußsohlen hin und her, was aber mehr ein Hüpfen war. Schließlich erdichtete er eine große Schlußszene ... »Herr Bankdirektor, ich bin in Fräulein verschossen, ich möchte heuraten. Ich bitte um eine kleine Gehaltszulage von fünf Mark. Auch mit einem Vorschuß von zehn Mark wäre mir gedient. Außerdem hat mich Ihr Herr Sohn beleidigt. Das kostet eine Zigarre extra. Aber keine zu starke, wenn ich bitten darf, sonst wird mir schlimm danach. Und was den jüngsten Herrn Sohn betrifft, so macht er große Fortschritte. Ich kann noch zehn Jahre in Ihrem Hause bleiben.«

Abermals machte er einige Verbeugungen, wobei er diesmal rückwärts ging, und zwar so, daß er fortwährend stolperte. Den Topfdeckel schwenkte er wie einen Chapeau-Claque und die freie Hand schlug er gegen die Brust, wie zur Beteuerung seiner Ehrfurcht. Dann rannte er gegen den Küchenschrank, machte auch vor diesem eine Verbeugung und bat um Entschuldigung.

Das Hausmädchen hatte sich nicht mehr halten können, war auf einen Schemel gesunken, machte fortwährend Luftbewegungen mit den Armen und brachte sogar diesmal hörbare Heiterkeitstöne hervor.

Die Köchin jedoch schien zu platzen vor Lachen, denn ihr Gesicht war völlig rot. Sie strampelte vergnügt mit den Beinen und schlug mit der flachen Hand fortwährend auf den Tisch, daß es klatschte. Sobald sie Atem schöpfen konnte, rief sie wiederholt: »Nee sowas, nee sowas! Das reene Theater!«

»Der arme Kandidat! Was for'n guter Mensch doch,« sagte Emma endlich begütigend.

»Dafür kann er nicht,« warf Emil wieder ein.

Schrill fuhr die elektrische Klingel mehrmals hintereinander in ihre lustige Stimmung hinein. Schon vorher hatte es leicht getippt, aber sie hatten es nicht beachtet.

Gleich darauf knarrte die Treppe, und Rudi rief auf halbem Wege herunter: »Aber, Mensch, wo stecken Sie denn? Was denken Sie sich eigentlich! Können Sie denn nicht nachsehen, wer klingelt?«

Mit dem Küchenspuk war es aus.

Der Diener warf rasch die Zigarette weg, nachdem er noch einen großen Zug getan hatte, schimpfte leise beiseite und stürmte dann hinaus. Abermals ertönte die Klingel, diesmal von der Gnädigen, und auch Emma eilte hinaus.

Die Köchin blieb allein zurück und wischte sich die Lachtränen aus den Augen.

XVII.

Frau Agathes Qualen waren noch nicht zu Ende. Soeben war Fanny bei ihr gewesen, um sie zu bitten, ihr bis dreiviertel Zehn Urlaub zu geben. Sie wollte, wie ihr befohlen, zum Schuhmacher gehen und zugleich ihrer Mutter einen Besuch abstatten, die in derselben Gegend wohnte. So brauchte sie nicht erst zu schreiben und konnte von dem »Wunderbaren« selbst erzählen.

Die Witwe des Hauptmanns Frank war schwächlich und kränklich, und so ging Fanny allwöchentlich einmal zu ihr, woran man sich im Hause des Bankdirektors schon gewöhnt hatte. In voriger Woche war der Besuchstag ausgefallen, und so mußte Frau Roderich einwilligen, so schwer es ihr auch an diesem Abend wurde.

Es war nach acht, auch das Familienabendbrot war vorüber, und so hatte sie wieder Emma zu sich bestellt, damit sie die Kinder ins Bett bringe und bis zu Fräuleins Rückkehr bei ihnen bleibe. Aber schon nach zehn Minuten fuhr sie wieder empor. Ein schrecklicher Verdacht war in ihr aufgetaucht, und so brachte sie wieder mit großem Geräusch die Klingel in Bewegung, was den Dienstboten diesmal durch Mark und Bein ging. Sicher war Fräuleins Gang nach Hause heute nur eine Ausrede; sie traf sich gewiß mit Fröhlich, der sich vielleicht nur einen Akt im Opernhause ansah oder am Ende das Billet gar nicht benutzte!

Diese Einbildung wurde zu einer Wahnvorstellung, die mitten in ihre Verdauung hineinfuhr und ihr aufs neue die Ruhe nahm, die schon wohlig über sie kommen wollte.

»Ist Fräulein schon fort?«

»Jawohl, gnädige Frau.«

»Was hat sie denn angehabt?«

»Ihr neues Kostüm und die blaue Bluse dazu.«

»Das braucht sie doch nicht bis zum Schuster anzuziehen!« Sie ließ das Haupt mit der arg mitgenommenen Frisur wieder zurücksinken, denn nun erschien ihr alles »richtig«.

»Der junge Här ist auch schon fort,« fügte Emma hinzu, ohne sich etwas Besonderes dabei zu denken. »Er hat noch Krach mit Emil gemacht, denn es sollte etwas recht eilig gehen und es ging nicht. Der junge Här war wütend.«

»Was? Rudi ist gleich hinterher gegangen? Es ist gut!« Ein Seufzer der Erleichterung folgte, denn ihre Gedanken nahmen eine andere Richtung. Am liebsten hätte sie ihr Wohlgefallen darüber zu dem Mädchen geäußert, aber sie bezwang sich noch in letzter Minute. Ach, sie hatte in diesen Minuten keine liebende Seele, der sie ihre Empfindungen hätte anvertrauen können! Aber ihr Haß gegen die Freundin ihrer Kinder ging im Augenblick soweit, daß sie ihrem Sohne einen Triumph, wenn auch einen unmoralischen, gegönnt hätte, um ihre Rachsucht zu befriedigen. Und sofort bemakelte sie Fanny wieder mit etwas Häßlichem: sie könnte doch eine leichte Person sein und Rudi eine Zusammenkunft gegeben haben. Und wenn er auch ohne ihr Wissen hinter ihr her sein sollte, so war er ihr wenigstens auf den Fersen und würde seiner geliebten Mutter am andern Tage berichten, wohin Fräulein seine Schritte gelenkt habe.

Kornelia kam nicht, trotzdem es schon über neun hinaus war. Neues Stöhnen entrang sich Agathes Brust, und sie kam sich wie eine verstoßene Mutter vor, die nur Undank von ihren Kindern erntet. Gewiß flirtete die Aelteste im Zoologischen Garten und hatte keinen Gedanken an die gequälte Seele hier.

Das Haus erschien der Frau Bankdirektor wie ausgestorben, und um wenigstens nicht in all dem Luxus lebendig begraben zu sein, drehte sie das Licht der elektrischen Ständerlampe auf und ließ sich Walter kommen, der ihr aus seinem deutschen Lesebuche einfältige Geschichten vortragen mußte, was er mit hübscher Betonung tat.

Als sie den schiefen Jungen so sitzen sah, wie er sich bemühte, ihr mit seiner dünnen Stimme die Zeit zu vertreiben, packte sie das alte Weh, das sie immer bei dem Gedanken empfand, ihn so zur Welt gebracht zu haben. Was für schöne, kluge Augen er hatte in seinem zarten Gesicht, das die durchsichtige Blässe all dieser körperlich Verunzierten zeigte.

Er mußte mit dem Lesen aufhören und sich dicht zu ihr setzen. Und als sie seine schmale Hand mit den langen Fingern in ihren fetten Händen hielt, kam sie zu ihm auf Fröhlich zu sprechen.

»Hast Du denn den Kandidaten lieb?« fragte sie. »Er ist doch immer sehr streng.«

»Das ist er, Mama, aber immer gerecht. Er lehrt mich stets die Wahrheit sprechen, und darum kann ich nicht lügen, auch wenn er manchmal gar nicht nachsichtig ist. Er ist ein edler Mensch. Fast jeden Tag erinnert er mich an Dinge, die ich niemals vergessen soll, auch im späteren Leben nicht.«

Sie zeigte eifrige Neugier. »So hat er heute auch wieder etwas zum besten gegeben?«

Walter nickte vergnügt. »Gleich, als er heute bei Dir war, kam er und sagte zu mir: ›Du mußt nie Gleiches mit Gleichem vergelten, auch wenn man Dir noch so wehe getan hat! Vor allem mußt Du Deine Eltern lieben und achten, und wenn Du schon ein alter Mann geworden bist und sie sind Greise, auch wenn Du Uebles von ihnen erfährst.‹ Und dann fügte er noch hinzu, man solle sich nie über die Fehler anderer Menschen aufhalten, sondern immer an seine eigenen denken. Es gehörte gar nicht zum Thema, aber er sagte es doch. So tut er es immer.«

»Dann handle nur stets danach!«

In einem Gemisch von Gefühlen, die sie sich selbst nicht erklären konnte, weil ihr die Gemütsklarheit fehlte, entrang sich doch ihrer Seele die Sehnsucht nach einer befreienden Tat. Sie zog den Verwachsenen an sich und küßte ihn zärtlich, um darunter die Scham einer Mutter zu verbergen.

Eine Stunde später, als alles schon still im Hause war und die Kinder fest schliefen, saß Fanny an ihrem Tisch und schrieb:

»Donnerstag abend, 10 Uhr.

Lieber Bruder Kurt!

Ich hatte einen Gang zu machen und war zu Hause mit heran. Jetzt habe ich Zeit und Ruhe, an Dich zu schreiben. Mama fühlte sich heute ganz besonders schwach, denn sie hatte wieder einen starken Hustenanfall, der, wie Du weißt, ihre Kräfte stets mitnimmt. Heute vormittag war der Arzt da und sagte, sie müßte entschieden in diesem Sommer irgendwohin zur Erholung. Erna wollte mit Dir am nächsten Sonntag darüber sprechen. Die Gute hat viel Plage mit Mama, und ich bewundere sie, wie sie das immer noch alles fertig bekommt, trotz der vielen Stunden, die sie gibt. Gestern hat sie wieder zwei aus dem Hause bekommen, natürlich billig. Anders wollen's ja die Herrschaften nicht. Wenigstens haben sie jetzt ein fleißiges Dienstmädchen, ein junges Ding, aber Erna kann sich doch darauf verlassen, wenn sie mal nicht zu Hause ist. Schwesterlein meinte, sie sei schon ganz taub von dem vielen Klavierpauken. Otto und Egon haben heute aus Lichterfelde geschrieben und wieder gejammert, daß ihr Taschengeld alle sei. Wo die das nur alles lassen? Ich glaube, sie legen zuviel in Schlagsahne an. Und Erna, das gutmütige Schaf, schickt immer darauf los. Gestern war es wieder ein Fünfmarkschein im Brief. Es sind doch noch kleine Jungen, trotzdem sie schon Seiner Majestät Uniform tragen. Egon will sich Sonntag Urlaub nehmen, und Erna bereitet sich schon auf sein Leibgericht vor: gekochte Kirschen mit Klößen. Davon ißt er ja immer drei Teller. Wenn ich's nur einmal möglich machen könnte, so einem Sonntagsfest beizuwohnen. Aber ich habe immer nur Wochentags Zeit. Sonntags haben wir fast immer Gäste, weil der Bankdirektor dann mehr Zeit hat, und so behauptet seine Frau immer, ich sei unabkömmlich.

Ueberhaupt die Gnädige! An die muß der liebe Gott in einer sehr schlechten Laune gedacht haben, denn sie besteht überhaupt nur daraus. Irgend eine Schraube muß manchmal los sein, es können auch zwei sein. Dann piesackt sie das ganze Haus und möchte am liebsten hoch gehen wie ein Luftballon. Aber sie bleibt immer unten. Leider! Sonst ist sie eigentlich eine ganz gebildete Frau, denn sie hat zweiundzwanzig Morgenröcke (natürlich Seide), ebensoviel Blusen (natürlich Seide), zwei Dutzend Diner- und Balltoiletten (natürlich Seide, Sammet und Atlas), ebensoviel Hüte, Abendmäntel und Kopfschals. Und was sonst noch ihren Konfektionsreichtum betrifft, so könnte ein kleiner Geschäftsmann sich damit etablieren, und aus ihren Brillanten könnte ein Juwelier ein Schaufenster zusammenstellen. Aber trotzdem beneide ich sie nicht, denn sie ist eine kranke Dame, die den Wert des Lebens nicht zu schätzen versteht. Sie hat den ganzen Tag über nichts zu tun, das ist ihr Unglück. Und dann hat sie einen viel zu guten Mann.

Kornelia jedoch ist ein Engel, mit dem ich mich auch später gut vertragen würde. (Merkst Du was?) Sage mal, weshalb warst Du denn vorigen Sonntag bei unserem Kandidaten? (Merkst Du was?) Er wollte aber nicht heraus mit der Sprache; er ist ein sehr guter, lieber Mensch von feiner Empfindung und ehrlicher Gesinnung. (Hierbei brauchst Du aber nichts zu merken.)

Ich weiß nicht, wie weit Du schon mit Fräulein Roderich bist, denn sie schweigt sich aus. Aber da sie sich verstockt gegen mich zeigt, nehme ich das Beste an; denn alle Verliebten sind verstockt. Von mir wirst Du das nicht behaupten können, denn ich bin eigentlich zu aufrichtig gegen Dich. Sei es also ebenso und schreibe mir, wie, wo und wann? Was Kornelia anbetrifft! Sei nicht so stolz zu Deinem Schwesterchen. Schließlich bin ich auch noch ein ›Fräulein‹, das man respektieren muß. Ich traue Dir schon eine reiche Eroberung zu, denn Du weißt ja, wir nannten Dich immer ›Sturm-Kurt‹. Na, und General wirst Du sicher mal, natürlich kommandierender. Halt' Dich nur immer an den Schwiegerpapa in spe, denn der hat's Wort und's Portemonnaie. Und für seine Kornelia tut er alles. Zu weiteren Auskünften gern bereit, grüßt Dich herzlich

Dein Nuckerchen.

P. S.

Eh' ich's vergesse — Erna sagte mir, daß Du letzten Sonntag abend zu Hause sehr schweigsam gewesen seist. Ich kann mir schon denken, warum. Ich habe noch meine fünfundvierzig Mark liegen vom letzten ersten, und schicke Dir vierzig davon, gleich im Brief. Vielleicht brauchst Du bald wieder ein paar Blumenräder. Und nun sei vernünftig und brumme nicht! Ich kann das Geld wirklich entbehren, denn ich gebrauche diesen Monat nichts. Später gibst Du's mir mit Zinsen wieder! Mama braucht nichts davon zu wissen, denn sie mäkelt sowieso schon über Deinen Zuschuß, der doch für die Katz ist. Reisedispositionen sind bei uns noch gar nicht getroffen, also sei beruhigt. Vor Juli wird's sicher nichts, denn der Bankdirektor kann nicht abkommen. Wenn ich etwas zu sagen hätte, wäre ich für die Nordsee. Aber auf vernünftige Menschen hört man ja nicht.

F.«


Sie lachte stillvergnügt, als sie den Brief noch einmal überflog, und steckte die beiden Goldstücke, die sie am andern Tage auf der Post einwechseln wollte, gleich mit ins Kuvert. Eigentlich hatte sie noch so manches andere schreiben wollen, aber sie hielt es für besser, es nicht zu tun. Mit der Enthüllung des »Wunderbaren« zu Hause war es nichts, denn Rudi hatte ihr unterwegs die Stimmung verdorben. Zu ihrem Schreck war er plötzlich vor ihr aufgetaucht und nicht von ihrer Seite gewichen. Es waren die alten Redensarten, die er führte, keck und zweideutig und zuletzt anmaßend, als sie seinen Wunsch, mit ihm noch ein Stündchen zusammen zu bleiben, nicht erfüllen wollte.

Sie hatte eine neue Abwehrungsart gefunden, indem sie ihn komisch nahm und alles mit Lachen beantwortete. Als er aber daraus andere Schlüsse zog und sich ermuntert fühlte, ihr allen Ernstes zuzumuten, sie könnten ja nach zehn ausbleiben, denn er habe seinen Hausschlüssel bei sich, hatte der Scherz für sie ein Ende.

Sie empfand das ganze Widerliche seiner Natur, und so verbat sie sich jede fernere Begleitung und drohte ihm scherzend mit seinem Vater, worauf er dann den Rücksichtslosen spielte und ganz offen erklärte, daß man ihr nicht glauben werde.

Ihre letzte Antwort war, daß sie ihm mit stiller Verachtung den Rücken kehrte und in die nächste Elektrische stieg. Er lachte hinter ihr her und warf sich in eine offene Droschke, in dem Glauben, sie werde ihn noch sehen. Als sie wirklich unvorsichtig durch die Scheiben zurückblickte, zog er in einem schwungvollen Bogen spöttisch den Hut.

Mit Befriedigung war sie nach Hause zurückgekehrt, denn nun mußte er ihre Deutlichkeit verstanden haben. Schließlich war er doch wirklich ein »dummer Junge«, der als solcher behandelt werden mußte.

Am andern Tage hatte er für die Neugierde seiner Mutter eine kleine Lüge bereit. Es sei ihm gar nicht eingefallen, den Spuren Fräuleins zu folgen, er habe denn doch »andere« Rendezvous. Er wollte einer Vernehmung Fannys vorbeugen, und so sprach eine gewisse Entrüstung aus ihm, die sich zu einer kleinen Anklage gegen Frau Roderich verdichtete.

»Aber, Mama'chen, ich bitte Dich! Solche Chosen traust Du mir doch nicht zu! Ich verabrede mich doch mit keinem Kindermädchen. Mal im Zo ein bißchen gescherzt, weil sie mit den Augen klapperte, aber seitdem sie das schief aufgefaßt hat, ist es anders. Sie möchte wohl gern so'n kleines Rendezvouschen, aber Rudi ist zu klug. Ich kann Dir gar nicht sagen, wer mir alles nachläuft, aber ich habe jetzt an ernstere Dinge zu denken.«

»Brav von Dir, mein Junge, lerne und strebe! ... Unser armer Kandidat, er kennt die Frauen so wenig!« Sie seufzte, denn sie bezog das auch auf sich. »Ich werde kurzen Prozeß machen und sie kündigen, dann bekommt er sie aus den Augen.«

»Na, Mama, das überlege Dir noch! Sie ist immer noch die beste, die wir gehabt haben. Und sie läßt sich eigentlich viel von Dir gefallen. Manchmal ist's auch schwer mit Dir auszukommen.«

»Aber Rudi!« fuhr sie wieder auf. »Ich tu doch keinem Menschen etwas! Ich bin nur wahr und gerecht.« Sie mäßigte sich aber jäh, denn es fiel ihr ein, was ihr Walter gestern von dem Kandidaten berichtet hatte, und wenn sie ihre Tugenden abwog, blieb in dieser Beziehung nicht viel für sie übrig. Die ganze Nacht hatte sie nicht schlafen können, weil ihr das Gewissen schlug. Und wenn sie wirklich ganz leiser Schlummer erfaßt hatte, war sie aufgeschreckt, und dann sah sie immer ihren verwachsenen Knaben vor sich sitzen, der ihr in diesem Stückchen Familiensumpf wie eine reine Passionsblume erschien, um die man sich zu wenig bekümmerte.

Nun hatte sie dieselbe Schwächeanwandlung und sagte nachgiebig: »Eigentlich hast Du recht. Eine bessere bekommt man doch nicht, und dann gibt's auch immer neue Aufregungen. Der Kandidat wird sich noch sehr besinnen, er kann ja auch noch gar nicht heiraten, er soll auch noch recht lange bei uns bleiben, denn Walter lernt tüchtig bei ihm.«

»Na siehst Du!« warf Rudi großartig ein. »Höre nur immer auf mich! Dieser Rat von mir müßte eigentlich etwas kosten. Aber heute gebrauche ich noch nichts, Ma'chen. Zum Sonntag aber richte Dich darauf ein, ja? Wir haben uns nach Wannsee verabredet zu einem Diner im Freien. Natürlich Sektbowle.«

»Quäl mich nur jetzt nicht damit, es ist ja noch nicht soweit.«

Regelmäßig nutzte er ihre Schwäche aus, und so erschien ihm das verhaltene Jammern bereits wie eine Zusage. Ueberdies war er froh, ihr diesen Kündigungsgedanken aus dem Kopf geschlagen zu haben, denn der Abfall gestern hatte ihn erst recht gereizt, auf krummen Wegen weiterzugehen und seine Machtstellung als bevorzugter Sohn des Hauses zu beweisen. Wenn man Rudi hieß, so gab man das Liebespürschen nicht so leicht auf.

Gleich, nachdem sie empfangsfähig war, hatte sich Fröhlich bei Frau Roderich gezeigt, um sich nochmals für das Billet zu bedanken. Er hatte wirklich einen großen Genuß gehabt, trotzdem er sich zuerst auf dem ersten Rangsitz etwas unbehaglich gefühlt hatte, denn er saß zwischen zwei tief dekolletierten Damen, deren Anblick ihn stark in Verlegenheit brachte. Die zur Rechten namentlich prangte in der ganzen Fülle ihres reifen Alters und strömte überdies ein Parfüm aus, das ihn fortwährend an Agathes Boudoir erinnerte. Neben dem großen Staat der Damen sah er nur Uniformen, Fräcke und Smokings. So kam er sich in seinem schwarzen Rock und der hohen Weste verlassen vor, ungefähr wie ein einzelner dunkler Punkt auf einer bunten Landkarte. Die dicke Dame schielte ihn in den Pausen immer seltsam an, als wüßte sie nicht, was sie aus ihm machen sollte.

Schließlich aber hatte er mit verschränkten Armen nur noch krampfhaft geradeaus geblickt und sich ganz dem Zauber der unsterblichen Musik hingegeben.

»Entschuldigen Sie, gnädige Frau, wenn ich mich nicht lange aufhalte, ich bin mitten im Extemporale, aber ich wollte nur pflichtschuldigst berichten, daß der Gast außerordentlichen Beifall fand. Es war ein ganz ausverkauftes Haus.«

Beiläufig forschte sie, wie ihm die prächtige Ausstattung des letzten Aktes gefallen habe und wann es aus gewesen sei. Es stimmte alles, und sie brauchte eigentlich kein Mißtrauen zu hegen, aber seine deutliche Zurückhaltung verstimmte sie wieder. Das konnte alles auch »Mache« sein und vom Hörensagen stammen.

»Haben Sie wirklich keinen Augenblick Zeit? Gerade über die Meistersinger hätte ich gerne ein wenig mit Ihnen geplaudert. Wie war denn der Beckmesser?«

Sie lockte verschiedenes aus ihm heraus, um ihn aufzuhalten und zum Platznehmen zu bewegen, aber er wich nicht von der Türe. Auch der Hinweis, daß sie über Walter verschiedenes zu sagen habe, konnte ihn um so weniger von dem abgekürzten Verfahren abbringen, als er von seinem Schüler bereits das Nötige über den gestrigen Abend erfahren hatte.

Aergerlich ließ sie ihn gehen.

Wie bei ihr die eingebildeten Leiden wechselten, so änderte sich auch unvorhergesehen ihr Tun und Lassen. An jedem Freitag war großes Reinemachen im Hause, bei dem alles auf den Kopf gestellt wurde. Der Kandidat floh dann mit seinem Schüler in das Spielzimmer der Kinder, die er auch an diesem Tage wieder zu beaufsichtigen hatte, denn Strafe mußte sein, wie Frau Roderich sich sagte. Sie meinte es so gut mit ihm, und er wurde aufsässig, also mußte die Familiensklavenpeitsche einmal geschwungen werden. Rudi hatte recht: es gab gewisse Naturen, die sich nur unter ihrer Wirkung wohlfühlten. Die schlaflose Nacht, die hinter ihr lag, rächte sich diesmal an allen, und so wurde auch Fräulein heute zu anderen Dingen gebraucht, wofür als Entschuldigung diente, daß man das neue Kammermädchen erst in acht Tagen bekomme.

Hinter dem Pferdestall lag ein kleiner Hof, wo die Teppiche und Läufer ausgeklopft wurden. Kutscher und Diener hatten dieses Geschäft zu besorgen, wozu auch die Frau des Gärtners, der zugleich Portierdienste zu verrichten hatte, herangeholt wurde. Es dauerte lange, bis die Berge von Persern und Smyrnaern überwältigt wurden. Der Bankdirektor rückte dann frühzeitig von oben aus, nahm den Kaffee unten allein ein und benutzte an diesem Tage eine Droschke, da sein Kutscher nicht zu haben war. Da er von seiner Frau als ganz überflüssig beiseite geschoben wurde, so machte er schleunigst lange Beine.

»Ach, Fräulein, Sie könnten so freundlich sein, und die Vorleger einmal ordentlich ausstäuben, es fehlen mir heute überall Hände,« sagte sie mit ihrer ganzen Süßlichkeit, die Fanny schon an ihr kannte.

Damit waren die vielen echten Felle gemeint, die vor den Betten des Ehepaares und auch als Zierde vor den Sofas und Ruhebetten herumlagen.

Fanny war rot geworden, denn Rudi, der heute über alle Hindernisse hinwegsprang, war zufällig dazu gekommen und hatte das mit angehört, natürlich das Glas im Auge, wodurch seine schadenfrohe Miene sich noch erhöhte. Trotzdem erwiderte sie ruhig: »Schön, gnädige Frau, Emma kann wohl alles nach oben schaffen?«

»Nach oben? Die Felle können doch nicht auf dem Tisch ausgebürstet werden, das sollten Sie doch schon wissen, Fräulein. Man klopft sie unten regelrecht aus, Emma kann sie runterbringen. Der Kutscher und Emil haben heute viel zu tun.« Sie rief auch schon nach dem Hausmädchen, als wäre für sie die Sache damit erledigt.

Fanny stand wie starr da, besann sich aber nicht lange. »Das kommt mir wohl nicht zu, gnädige Frau,« sagte sie mit bebenden Lippen.

»Was kommt Ihnen nicht zu?« schrie Frau Roderich jetzt.

»Das Ausklopfen auf dem Hofe, gnädige Frau. Ich bin doch kein Dienstbote, gnädige Frau haben mich doch als Fräulein engagiert. Ich tu doch sonst wahrhaftig meine Schuldigkeit, aber das muß ich ablehnen.«

Emma war schon hinzugekommen und grinste, denn der Hinweis auf die Dienstboten hatte ihre Teilnahme für die Herrin erweckt. Frau Roderich suchte nach Worten, denn auf diesen Widerstand war sie nicht gefaßt. Dann aber zeigte sie ihre Kampfesmiene. »Gegen so ein bißchen Arbeit sträuben Sie sich? Es kann doch mal eine Ausnahme stattfinden! Es sieht Sie ja auch niemand.«

»Doch, gnädige Frau, der Kutscher und der Diener. Und ich möchte nicht gern, daß ich diesen gleichgestellt würde, schon, damit mir die Achtung der Kinder nicht geraubt werde.«

»Arbeit schändet nicht,« fauchte Frau Roderich, die beiden Arme gegen die Hüften gestemmt.

»O, das weiß ich, gnädige Frau. Ich habe schon viel in diesem Hause gearbeitet und mich allen Ihren Wünschen schon gefügt, aber meine Selbstwürde werde ich mir stets bewahren.«

»Das hätten Sie auch manchmal in andern Dingen tun sollen.«

»Gnädige Frau, ich verbitte mir diese Verdächtigung, obendrein noch vor Zeugen!«

Das Hausmädchen grinste noch mehr und zeigte keine Miene, die Hände zu rühren, bevor dieser interessante Zwischenfall nicht erledigt wäre. Rudi sah Schlimmes kommen und hielt es für besser, aus der Entfernung zuzuhören. Man stand im hinteren Korridor und fast alle Türen waren offen, so daß der angenehme Luftzug von allen Seiten wehte. Die Köchin wurde hin und wieder sichtbar und nickte, wenn niemand es sah, dem Hausmädchen verständnisvoll zu.

Frau Roderich hatte ihre guten Vorsätze vom Morgen vergessen. Noch niemals hatte sie sich in ihrer Herrscherinmacht so verletzt gefühlt, als jetzt, wo sie öffentlich ihre Hausrechte zu verteidigen hatte. Sie lechzte förmlich nach Genugtuung. Und als jetzt die Stimmen der Kinder vernehmbar wurden, glaubte sie als sicher anzunehmen, daß sich auch eine gewisse Tür geöffnet habe, hinter der ein gewisser Jemand unstreitig aufmerksam geworden war.

»Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie sich gar nichts zu verbitten haben,« sagte sie heftig. Und plötzlich, als wieder eine Gegenrede erfolgt war, stürzte sie ihren Entschluß vom Morgen um. »Ich kündige Ihnen hiermit Ihre Stellung. Sie können schon zum fünfzehnten gehen, aber ich werde Ihnen den Monat ganz bezahlen.«

Rudi streckte wie erschreckt die Arme aus.

»Ich muß diese Großmut dankend ablehnen, gnädige Frau. Sie sind mir auf halbem Wege entgegen gekommen, denn ich hatte schon selbst den Wunsch, Ihr Haus zu verlassen. Gestern bin ich von Ihrem Herrn Sohn auf der Straße belästigt worden, so daß ich flüchten mußte, und heute werde ich von Ihnen einer ähnlichen Behandlung ausgesetzt — das macht mir das Gehen leicht.«

Das Hausmädchen tat plötzlich sehr geschäftig und ging in eines der Zimmer, um dort weiter zu horchen. Hinter der Tür links mußte der Unterricht ganz stocken, denn die Kinder, die von Fröhlich ruhig gehalten worden waren, lärmten unter ihrem Spielzeug. Frau Roderich sah und hörte nichts mehr nach diesem Ueberfall.

»Rudi, hörst Du? Was sagst Du?«

Er wollte sich gerade zurückziehen, sie sah aber noch seinen Kopf, und so mußte er wieder ganz sichtbar werden. Langsam kam er heran, mit der Miene des völlig Erstaunten, und achselzuckend näselte er: »Reagiere doch gar nicht mehr darauf, Mama! Du siehst doch selbst, wie Deine gute Absicht belohnt wird. Ich habe Dir doch schon heute früh gesagt, daß ich Fräulein gestern abend begegnet bin und nur gefragt habe, wohin sie will.«

In seiner Miene las sie den heimlichen Wink, ihm zuzustimmen, und so fiel sie ein: »Natürlich hast Du mir das gesagt, das ist doch keine Belästigung.«

»Ich habe es als solche empfunden, gnädige Frau, nachdem Ihr Herr Sohn die Zumutung an mich stellte, mit ihm in ein Restaurant zu gehen.«

»Na, was ist denn da weiter? Dann hätte er Sie doch sehr geehrt. Sie sind doch keine Hoheit.«

»Aber ein anständiges Mädchen, gnädige Frau, das sich den Herrn ansieht, der seinen unschönen Charakter zeigt. Alles übrige behalte ich für mich.«

»Ach, Ihre Phantasie geht mit Ihnen durch,« schnarrte Rudi jetzt rücksichtslos, »und daraus entstehen dann fromme Wünsche.«

»Dann muß ich sagen, daß Sie unwahrhaftig sind,« preßte Fanny hervor.

»Immer nach Ihnen, mein Fräulein.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zum Kinderzimmer und der Kandidat trat heraus und mischte sich in die Unterhaltung. »Verzeihen Sie, Frau Bankdirektor, wenn ich es wage —,« begann er erregt. »Aber es wurde so laut gesprochen, daß man auch durch die Türe alles hören konnte, und da fühle ich mich verpflichtet, Fräulein Frank vor unverdienten Kränkungen zu bewahren, um so mehr, da sie völlig schutzlos ist. Ihrem Herrn Sohn gegenüber muß ich bemerken, daß die Unwahrheit jedenfalls nur auf seiner Seite zu suchen ist, denn ich hatte Gelegenheit, Zeuge einer ähnlichen Belästigung drüben im Zoologischen Garten zu sein.«

Mit einer seiner üblichen Handbewegungen fuhr er Rudi in die Gegenrede. »Ich weiß schon, was Sie sagen wollen, ersparen Sie sich alles! Neue Beleidigungen von Ihnen werden mich durchaus nicht tangieren, weil ich ihnen einen zu geringen Wert beimesse. Ich müßte sie also schweigend über mich ergehen lassen. Ich habe Ihnen das bereits einmal bewiesen und möchte Sie nicht aufs neue in die Verlegenheit bringen, vor Ihrem Herrn Papa zu revozieren ...«

Seine Lippen zitterten, als er sich Fanny zuwandte: »Und wenn auch Ihre augenblickliche Lage dadurch nicht gebessert werden sollte, mein wertes Fräulein — es war mir doch Herzensbedürfnis, in Ihrer Gegenwart hier mit meiner Meinung nicht zurückzuhalten.« Sein Rock stand auf, und so knöpfte er ihn zu, weil in der Erregung seine Hände immer Beschäftigung haben mußten; dann sprach er zu der Hausherrin: »Ich habe die Absicht, Ihren Herrn Gemahl morgen um Entlassung aus meiner Stellung zu bitten, und so ist mir das alles sehr leicht geworden. Aber ich hätte auch unbedingt meinen Standpunkt vertreten, selbst wenn ich nicht zu diesem Entschlusse gekommen wäre. Gnädige Frau werden wohl wissen, daß ich niemals mit meiner Offenheit zurückgehalten habe. Es deckt sich nicht mit meiner Ueberzeugung von Recht und Anstand, gebildete Menschen in einem sogenannten gebildeten Hause wie wehrlose Sklaven erniedrigt und beleidigt zu sehen, um in einem anderen Sinne Ihres Herrn Sohnes zu reden. Die wahre Bildung verpflichtet zur Gesittung, und wenn diese Anschauung nicht oben begriffen wird, dann muß sie eben unten geübt werden. Ich bitte nochmals um Verzeihung.«

Er verbeugte sich kurz und höflich und ging mit seinen gewohnten erhabenen Schritten wieder dem Schulzimmer zu, wo er die Tür hinter sich schloß.

Auch Fanny verschwand in ihrer Stube, um den neuen Schreck zu überwinden.

»Was hat er alles geschwafelt?« sagte Rudi, auffallend blaß geworden. »Hast Du gehört? Ein ›sogenanntes gebildetes Haus‹ meinte er.«

Kornelia war durch den Lärm herbeigelockt worden und stand wie sprachlos da. »Aber nur die eine Hälfte im Hause meinte er,« warf sie ein. »Mama, was hast Du wieder angerichtet! Es ist ja geradezu empörend, wie Du Fräulein behandelt hast. Was wird Papa wieder dazu sagen?«

»Ach, schweig still und behalte Deine Weisheit für Dich ... Deine Parteinahme verstehe ich schon, Du wirst uns den Brei erst recht einrühren.«

Sie ließ sie stehen und rauschte davon, denn der Aerger wühlte in ihr, etwas herbeigeführt zu haben, was sie nicht beabsichtigt hatte. Im Balkonzimmer, außer Hörweite der Dienstboten, nahm sie sich Rudi vor. »Alle Schuld trifft Dich allein,« zeterte sie ihn an. »Es wird Zeit, daß Du aus dem Hause kommst, sonst sehe ich das Ende nicht ab.«

»Na, wenn alles geht, kann ich ja auch gehen,« sagte er träge und hielt es für das Beste, gleich den Anfang damit zu machen, indem er Hut und Stock nahm und bummeln ging. Die verschobenen Möbel standen ihm schon längst im Wege.

XVIII.

Der Bankdirektor hatte seine liebe Not, um alles wieder einzurenken. Diesmal zeigte er wirklich, daß er Herr im Hause war. Kornelia hatte ihm alles berichtet, törichterweise vor dem Diner, und so kam er geladen nach oben, mehr mit Aerger als mit Essen, denn der Appetit war ihm vergangen. »Das kommt davon, wenn Du auch mal sechs Gänge ißt,« sagte er zu seiner Frau, noch mit gutmütigem Ingrimm. Dann aber wetterte er los. »Ich habe Dir immer gesagt, daß Du manchmal den Reinemache-Bazillus hast, aber merkwürdig, nicht in Deinem Boudoir. Da hängen die Seidenfetzen monatelang voll Staub. Laß da mal frische Luft ein, das ist nötiger!«

Sie wollte in Ohnmacht fallen und schnappte nach Worten, aber er zeigte keine Spur von Schwäche. »Ueberlaß doch Kornelia alles, wenn Du Dich über jede Kleinigkeit aufregst! Sie hat Nerven und kommt mit jedem Menschen aus ... Es wird die höchste Zeit, daß Du Dich irgendwo gründlich erholst.«

»Wie meinst Du denn das? Adolf, Du hast was Besonderes vor! Ich gehe nicht allein fort, das kann ich Dir sagen.«

Er hatte schon das »Sanatorium« auf den Lippen, aber er verschluckte es. »Ich bitte Dich, mach nur mir nicht noch eine Szene,« fuhr er fort. »Du schaffst Dir Deinen Zustand immer selbst und dann machst Du andere Menschen auch noch verrückt. Meinetwegen wirf mir wieder Mangel an Zartgefühl vor! Mit der Zeit bekommt man ein dickes Fell.«

»Du behandelst mich ja, daß ich beinahe einen Scheidungsgrund hätte.«

»Liebe Agathe, laß Dich nicht auslachen ... Morgen früh werde ich mir einmal den Kandidaten vornehmen.«

Das Wort »vornehmen« machte sie kleinlaut. »Was willst Du denn von ihm?« forschte sie ängstlich.

Roderich spielte noch mehr den Ueberlegenen. »Er muß fort, morgen schon,« sagte er mit hochtragischer Miene. »Aber eine große Aussprache muß erst zwischen uns beiden erfolgen.«

»Aber, Adolf, Du wirst doch keinen Skandal machen. Er ist ein Mann von großem Zartgefühl. Rede ihm doch lieber gut zu! Walter hat schon den ganzen Nachmittag geweint. Der Junge wäre ja untröstlich.«

Der Bankdirektor lachte schallend auf. »Schlägt Dir endlich das Gewissen? Kommt Dir endlich mal zum Bewußtsein, was für Verirrungen man anrichten kann, wenn man sich selbst nicht in der Gewalt hat ... Laß Dich nur ruhig scheiden! Ich bin damit einverstanden.«

»Adolf, schäme Dich!«

Er war schon hinaus, hinter der Türe aber vergnügte er sich bei dem Gedanken, daß er sich schämen solle.

Da man seinen Zorn kannte, der, einmal geweckt, ohne Grenzen war, so hatte ihm auch Kornelia diesmal nichts von des Bruders Benehmen gegen Fanny gesagt, denn auch Rudi hatte sich hinter sie gesteckt mit dem Versprechen, Fräulein ein paar entschuldigende Worte zu sagen. Das hatte er denn auch getan und dabei die Phrase von ihrer Schönheit gebraucht, der selbst ein Mann mit Eskimoherz (er meinte das Eisige damit) nicht widerstehen könne.

»Es ist schon gut, Herr Roderich,« erwiderte sie. »Hoffentlich ist es auch so gemeint, wie Sie es sagen.«

Aus ihrer Freundlichkeit glaubte er zu entnehmen, daß sie sich doch ein wenig geschmeichelt fühlte, und so pfiff er wieder vergnügt vor sich hin.

Zur rechten Zeit am andern Morgen ließ Kornelia durch den Diener Fröhlich heraufbitten, bevor er ihrem Vater seinen Besuch abstattete. Sie legte ihm nahe, er möchte doch ihres Bruders gar nicht Erwähnung tun, und wies auf Rudis Entschuldigung hin und zugleich auf des Vaters Absicht, den Kandidaten zum Bleiben zu bewegen.

Es war denn Roderich auch nicht schwer, Fröhlich umzustimmen, der wohlgefällig mit anhörte, wie man seine außerordentlichen Fähigkeiten zu schätzen wisse, und da der Bankdirektor auch noch ein übriges tat, ihm ein vierteljährliches Extrahonorar zusagte und sich verpflichtete, auch in diesem Sommer während der Reisezeit den Gehalt voll auszuzahlen, so war die Sache ausgeglichen. Der Zufall wollte es, daß gerade an diesem Morgen Fröhlich die Nachricht empfangen hatte, daß seine Bewerbung um eine Lehrerstelle an einem Berliner Gymnasium im nächsten Jahre aussichtsvoll sein werde, und so betrachtete er diesen Tag als einen besonders glücklichen, der nicht getrübt werden dürfe.

Er benutzte denn auch die erste Gelegenheit, Fanny davon Mitteilung zu machen, wonach er dann hinzufügte: »Kommt nichts dazwischen, so mache ich im nächsten Jahre noch meinen Doktor.« Sein Herz schlug höher und seine Gedanken richteten sich auf morgen, wo er das größte Glück erwarten sollte. Und er malte sich die Zukunft weiter aus: sein bescheidenes Heim, Fanny als sein Weibchen und den Bruder bei sich, dem er weiter die Lebensstütze sein wollte.

Es war ihm ganz recht, daß sie durchaus nicht bleiben wollte, trotzdem der Hausherr auch bei ihr vorsichtig die Fühler ausstreckte. Kandidat Fröhlich sah in allem einen Fingerzeig, der auf den richtigen Weg für beide weise, denn die Aergernisse wären noch größer geworden, wenn sein Verhältnis zu ihr die erwartete Wendung genommen hätte.

Auffallend fand es Roderich, daß Kornelia durchaus für Aufrechterhaltung der Kündigung Fannys war, denn er konnte das mit ihrer Zuneigung zu Fräulein nicht in Einklang bringen.

»Ich weiß, daß sie festbleibt, also bemühe Dich erst gar nicht!« sagte sie. »Es ist auch besser so, Mama und sie werden sich nie mehr vertragen.«

Er wußte nicht, daß sie selbst Fanny bestimmt hatte, ein höfliches »Nein« zu sagen, aus Gründen, die die beiden Mädchen allein nur kannten.

Am nächsten Mittwoch würde er sicher alles verstehen, wenn drüben im Zoologischen Garten die größte Ueberraschung für das Haus Roderich sich offenbaren würde. Endlich hatte sie es soweit gebracht, ihm das Wort zu einem Nachholen des verschobenen Abends abzunehmen, und wenn ein Krach in seiner eigenen Bank ausbrechen sollte, was er lachend als eine Unmöglichkeit gleich der Verbindung mit dem Mars erklärte.

Am Montag, gleich nach seinem Eintreffen, stellte sich der Kandidat vor seinen Schüler hin und sagte mit einem Ernste, als hätte er einen Erwachsenen vor sich: »Ich weiß, Du bist immer von aufrichtiger Gesinnung gegen mich erfüllt gewesen, und so sollst Du der erste in diesem Hause sein, der etwas recht Freudiges von mir erfährt. Ich habe mich nämlich gestern heimlich mit Fräulein Frank verlobt, und es steht zu erwarten, daß die öffentliche Verlobung bald folgen wird ... Du bist ja noch ein Knabe, aber aufgeweckten Geistes, ich kann wohl sagen, über Deine Jahre hinaus, und so darf ich hoffen, daß Du diesem Ereignis in meinem Leben schon genügend Verständnis entgegenbringst.«

»Gewiß, Herr Kandidat. Verloben müssen sich die Menschen immer erst, ehe sie heiraten.«

»So ist es, so ist es, mein Junge. Und Du gratulierst mir doch, nicht wahr, von Herzen sogar. Ich sehe es Dir an.«

Bevor sein Schüler noch etwas erwidern konnte, hatte er schon dessen Hände ergriffen und drückte sie, als hätte er einen Glückwunsch zu geben und nicht zu empfangen.

»Wissen Sie, Herr Kandidat, das hab' ich schon längst gewußt, daß Sie Fräulein gern haben,« sagte Walter endlich. »Sie waren ja immer auf ihrer Seite.«

»Siehst Du, mein Junge, so ist es! Man fühlt sich immer zu den Menschen hingezogen, die einem mehr sind, als die andern, und Fräulein und Du — Ihr wart mir stets die Liebsten im Hause. Das heißt, das brauchst Du nicht etwa Deiner Mama zu sagen, sonst mißversteht sie das. Ich habe auch vor der übrigen Familie allen Respekt.«

Mit langen Schritten ging er vor dem Unterrichtstisch auf und ab und ließ dabei die verschlungenen Hände knacken, was er häufig tat, wenn innere Freude ihn bewegte.

»Ich werde mich hüten, es ihr zu sagen, Herr Kandidat. Ich weiß ja, daß auch Mama Sie gern hat.«

»Um Himmels willen, mein Junge —! Pst!«

Er sah sich verlegen nach der Tür um, dann aber wurde er sich bewußt, daß er seinen Schüler vor sich habe. »Das ist ganz etwas anderes, mein Sohn! Das ist Verehrung, eine gewisse Güte, die mir als Deinem Lehrer entgegengebracht wird. Ich sage Dir das, weil die Begriffe des Gernhabens sehr verschieden sind.«

»Das kann ich mir wohl denken, Herr Kandidat, aber von Ihrer Verlobung sage ich Mama doch nichts, sonst krieg ich's, schon weil sie Fräulein nicht leiden kann.«

»Nun, sie wird's schon erfahren,« sagte Fröhlich gleichmütig und begann den Unterricht, aber zerstreut, denn seine Gedanken drehten sich noch immer um die Herzenssache.

Es hatte sich am vergangenen Tage alles sehr einfach gemacht. Fanny war mit sich im Reinen, ohne von heißer Liebe für ihn erglüht zu sein. Vielleicht wäre sie noch schwankend gewesen, wenn sie ihre Stellung behalten hätte, aber so hatte sie der Ernst des Lebens, der frühzeitig an sie herangetreten war, um eine herbe Erfahrung bereichert. Sie dachte an die sitzengebliebene Erna, die sich plagen mußte mit der sicheren Aussicht auf das Altjungferntum; sie hatte die kranke Mutter vor Augen und die ganze Zukunft, die ihr als »Mädel ohne Geld« winkte, wenn sie nicht wie die Aelteste versauern oder irgend einem Manne folgen wollte, der nicht in die Familie paßte.

Dann wäre das Geschrei der Brüder gekommen, die alles dreimal durchsiebten und dreimal abwogen, der lieben Standesinteressen wegen. Als die Frau eines Lehrers würde sie aber noch ganz gut fahren und namentlich gar als die eines höheren, der obendrein noch die vortrefflichen Eigenschaften Fröhlichs hatte. Sein männliches Eintreten für sie am letzten Tage hatte ihr gewaltig gefallen. Zwar sagte ihr der Spiegel, daß sie hübsch, frisch und jung sei und vielleicht durch Zufall noch ein anderes Glück genießen könne, aber die Klugheit hatte sie von diesem Märchengedanken wieder abgebracht. Sie hatte ja aus Rudis Nachstellungen ersehen, wie die gewissen Herrchen die Schönheit eines armen Mädchens bewerteten, und da war es wohl besser, versteckten Gefahren aus dem Wege zu gehen. Gewiß hätten viele sie für dumm gescholten, wenn sie »nein« gesprochen, und dafür wollte sie nicht gelten.

So hatte sie herzlich ja gesagt.

Fröhlich fiel es gar nicht ein, ihr Herz zu erschöpfen, er sah nur die Aufrichtigkeit aus ihren Augen strahlen und hatte warmen Dank für sie. Er wollte schon am nächsten Sonntag mit Fanny der Mama seinen Besuch machen und hoffte, dann auch Kurt dort zu sehen, dem er zuvor brieflich seine ehrlichen Absichten zu erkennen geben wollte. Inzwischen sollte auch Fanny der Familie Kenntnis von dem Ereignis geben.

Walter merkte bald, daß der Unterricht heute nicht besonders flott ging. Der Kandidat lauschte auffallend oft dem Klappen der Türen, steckte öfters den Kopf zum Korridor hinaus und war plötzlich verschwunden, ohne seinem Schüler Auskunft darüber zu geben, was er sonst regelmäßig zu tun pflegte.

Man hatte heute Diktat in Deutsch und so hatte Walter das Vergnügen, in sehr langen Pausen mit der Feder zu spielen, bis er dann einmal sagte: »Sie freuen sich gewiß, Herr Kandidat, daß Ihre Braut so nahe bei Ihnen ist.«

»So ist es, so ist es,« erwiderte Fröhlich, rot geworden, und diktierte nun darauf los, als hätte er fünf verlorene Stunden einzuholen. Aber sein Standort blieb immer die äußere Tür.

Bald sprach das ganze Haus von der Einigkeit der beiden. Kornelia hatte es ganz offen ihren Eltern erzählt, und der Bankdirektor war darüber erfreut, nachdem er seine Verblüffung überwunden hatte. Im allgemeinen aber berührte ihn die Sache nicht tiefer, denn so etwas kam alle Tage vor, und es war immer noch Aussicht, den Kandidaten auf längere Zeit im Hause zu behalten. Es erweckte nur eine gewisse Befriedigung in ihm, daß seine Frau endlich ihre törichte Tändelei einstellen würde. »Gratulieren brauchen wir ja noch nicht, ich für mein Teil weiß noch nichts davon,« sagte er am Abend. »Laß die Leutchen machen, was sie wollen!«

»Nun ist mir klar, daß sie es darauf angelegt hatte,« warf Agathe ein. »Du wirst doch nun einsehen, daß ich recht mit meiner Kündigung hatte.«

»Du weißt, ich sehe bei Dir alles ein,« beruhigte er sie.

Rudi pfiff bedeutungsvoll vor sich hin, sonst spielte er den Gleichgültigen, den solche untergeordneten Dinge nicht interessieren. Er war überdies den ganzen Tag aus dem Gähnen nicht herausgekommen, weil das Wannseeer Diner sich noch in Berlin bis zum frühen Morgen ausgedehnt hatte, und er erst um eine Zeit nach Hause gekommen war, wo die Bäckerjungen schon lustig durch die Straßen pfiffen. Um aber doch nicht mit seinem Urteil zurückzuhalten, sagte er gelegentlich zu seiner Mutter: »Eigentlich hätte Dich Fröhlich erst um Erlaubnis fragen müssen, ob er sich verloben darf. Rat hätte er sich wenigstens holen sollen. Das hast Du nun davon, daß Du ihn so ausgezeichnet hast. Kandidatenundank! ... Was sich solche Menschen überhaupt herausnehmen! Wer hat nun recht gehabt mit seiner Vermutung? Ich! Die haben schon längst ihr Techtelmechtel gehabt, verlaß Dich darauf. Kandidat und Fräulein — Du lieber Himmel! Auch was Rechtes! Gleiche Begriffe!«

Sie hörte gar nicht darauf, denn ihre Seele war gebrochen und alle Heiligtümer vernichtet. Sie hatte nur das Bedürfnis, allein zu sein und einsam darüber nachzudenken, wie man sich in einem Menschen irren könne, den man stets uneigennützig höheren Zielen zuführen wollte.

Trauer war in ihr Herz gezogen, und so rührte sie keine Note mehr an und gab ihrer Stimme Ferien, was der Bankdirektor als den ersten Schritt zur Besserung betrachtete. Da sie aber an die Klänge des Familienklaviers am Nachmittag gewöhnt war, so mußte Fanny sich mit Hans an das Instrument setzen, um ihm den ersten Unterricht zu erteilen. Man hatte bereits früher davon gesprochen, und so entsann sich die Gnädige noch in der letzten Dienstwoche, daß man für fünfundvierzig Mark monatlich das Recht habe, alle Talente eines sogenannten Fräuleins gehörig auszunutzen. Sie wollte noch bis zum letzten Tage ihre Herrschaft zu erkennen geben, und so machte es ihr Vergnügen, alle fünf Minuten in das Balkonzimmer zu treten und ihre Zwischenbemerkungen einzustreuen, trotzdem ihr von dem Geklimper der Tonleiter der Kopf brummte.

»Ihr wollt heute in den Zo?« sagte Rudi am Mittwoch zu ihr. »Dann amüsiert Euch nur, ich habe etwas anderes vor. Da drüben ist ja immer dieselbe Sauce. Immer dieselben Gespenster, die in der Lästerallee 'rumlaufen.«

»Na, wir gehen ja auf die Terrasse,« wandte sie ein.

»Auch nicht besser. Da sitzt die Provinztapete, bunt wie Neu-Ruppin. Man sollte mal die Tiere freilassen und die ganzen Menschen in die Käfige sperren, das wäre doch was anderes.«

»Nun hör aber auf! Du wärest ja doch der erste, der Beine machte. Dir scheint schon alles zuwider zu sein. Mit neunzehn Jahren!«

»Na, manchmal ist das Leben auch wirklich mies. Wir leiden eben beide am Weltschmerz, Mama. Der Sekt schmeckt mir auch nicht mehr. Die Kinder von Straßenfegern sind manchmal glücklicher, die haben das alles nicht kennen gelernt. Ich sehe schon, ich muß mich auch nach 'ner »Braut« umsehen.«

Pfeifend ging er hinaus, mit dem Gedanken an den Abend beschäftigt, wo er sicher die »Braut« finden würde, aber die des andern.

XIX.

»Adieu Fanny,« sagte Kornelia noch kurz vor dem Aufbruch. »Heute wird es sich entscheiden, ob ich hier meinen Willen durchsetzen kann, oder nach London gehe zu Miß Spence. Soll ich grüßen? Aber natürlich doch. Sehen Sie nur zu, daß Sie Ohrenklingen bekommen, dann denken wir an Sie. Es kann ja auch ein anderer sein.«

Unten warteten bereits die Eltern auf sie. Agathe war im großen Staat, in blaßblauem Seidenrock mit echten weißen Spitzen, den sie so an den Körper gestrafft hatte, daß der Bankdirektor, der im dunklen Rock und weißer Weste war, sie dringend bat, etwas weniger deutlich die neueste Straßenmode mitzumachen. Ein echter Pariser Blumenhut schwankte, wie eine kleine Plantage auf ihrem mächtig gelockerten Haar und ließ die Brillantnadel glitzern. Auch sonst schleppte sie ein kleines Vermögen mit sich herum: lange Perlentropfen in den Ohren, eine echte Kette um den dicken Hals, und an der Taille der zartpunktierten Bluse eine große silberne Netztasche für Portemonnaie, Riechfläschchen und Spiegel. Sie hatte sich heute besonders vorsichtig angemalt, um den Kampf mit dem elektrischen Licht aufnehmen zu können.

Und neben ihr schritt Kornelia, wie immer in ihrem einfachen weißen Foulardkleid, nett und elegant, vornehm, ohne auffallend zu erscheinen.

»Adolf, wir wollen uns nicht lange in dem Trubel aufhalten, Du weißt, die vielen Menschen machen mich verrückt,« jammerte sie gleich, als sie die berühmte Lästerallee vor sich hatten.

»Aber, Mama, man muß sich doch erst sehen lassen!« wurde sie von Kornelia ermuntert.

Der Bankdirektor ging wortlos neben ihnen her, denn er hatte wie gewöhnlich nur Zahlen im Kopf. Langsam ließen sich alle Drei von dem Menschenstrom mit forttreiben, der mit seinem entsetzlichen Gewimmel die Augen verschleierte. »Ganz Berlin« hatte sich wieder versammelt, um die neuesten Moden spazieren zu führen, um beim Wandeln zu flirten und zu spötteln, von den Sommerreisen zu sprechen, den Abend bei Konzert zu schinden und den bedeutenden Gedanken mit sich herumzutragen: »Ich bin auch da!«

Zwischen den beiden Musikhallen gingen die Wogen auf und nieder, die das stille Lästern wie ein sanftes Rauschen mit sich führten. Und was die Worte nicht sprachen, sagten die Mienen beim Wenden der Köpfe, wenn Auffälligkeit stumm die Kritik herausforderte. Sobald die eine Kapelle schwieg, wandte sich der Kopf dieses ungeheuren Menschenleibes, der auf tausend Füßen ging, der andern zu, um dort mit seinen hundert Augen zu sehen und sich wieder gierig zu wenden, damit er für seinen Schweif aufs neue freie Bewegung habe.

Alle Farben schillerten in dem weißen künstlichen Licht, das die Sonne ersetzen sollte. Die Hüte der Damen nahmen sich wie wandelnde Bouquets aus, auf die wunderlichsten Formen gesteckt, und eintönig zog die Kopfbedeckung der Herren nebenher, vom hellen Gelb der Strohhüte, bis zum tiefsten Schwarz der Zylinder. Dieses gleichmäßige Auf und Ab in langen Reihen, die mehr geschoben wurden, als daß sie sich selbst bewegten, hatte etwas Komisch-Feierliches, das an riesige Puppen erinnerte, die mit erzwungener Bewegung ihren Aufzug hielten. Zeitweilig war es, als wenn die Steifheit auf Stelzen ginge, nur um sich bemerkbar zu machen. Das äußerte sich in der Form des Grüßens bei den Herren, die mit wagerechtem Arm an den Hut fuhren, und in dem pagodenhaften Nicken der Damen, wobei die Blumen und Federn gnädig mitnickten.

Es war eine ungeheure Illustration zu Platens Worten: »Ein jeder glaubt, ein All zu sein, ein jeder ist im Grunde nichts.«

Und rechts und links breitete sich das Sitzparterre der bequemen Genußmenschen aus, die wie eingepökelt um die Tische saßen, bei ihren Getränken schwitzten und sich einbildeten, etwas voraus zu haben, trotzdem sie mit jedem Ellbogen an einen Fremden stießen. Sie summten die Melodie mit, wiegten sich mit heiterer Grimasse und fluchten innerlich dem Kellner, der sie schon seit einiger Zeit verdursten ließ. Die Soliden und Sparsamen saßen in diesem Parterre, das allmählich die Anhöhe hinan, ins Parkett der Terrasse überging und sich dann bis in die offene Veranda des Restaurationsgebäudes verlor, wo die Sektgläser klirrten, die Ausgewählten um die bestellten Tische saßen und sich an Delikatessen der Jahreszeit labten.

Wie ein riesiges buntes Menschenbeet wölbte sich dieser Teil des Gartens, und unaufhörlich bewegten sich die Köpfe, als wenn der Sturm die Blüten triebe. Wie in Tageshelle glänzten die Gesichter, deutlich erkennbar schon von weitem, und unaufhörlich stieg das Schwatzen zum Himmel, übertönt von dem Lärm des Speisens und dem Gejage der Kellner, die in Gruppen aus der Halle kamen und sich zu einem Dutzend Fracks auflösten, die, schwarzen Riesenheuschrecken gleich, das bunte Gewimmel überragten.

»Schrecklich, schrecklich,« stöhnte Frau Roderich aufs neue, als sie mitten im schönsten Gedränge waren. »Nur nicht zurückgehen, ich falle sonst um.« Der Anblick dieser Menschenmasse legte sich auf ihre Nerven, und so taumelte sie mehr, als sie ging, fast taub von dem Geschnatter, das wie ein Riesengesumme an ihr vorüberzog, sobald die Musik in der Nähe schwieg.

Der Bankdirektor nickte nur, denn auf ihn wirkte dies alles erfrischend und belustigend, worunter seine Gedanken eher klarer als verworrener wurden.

Kornelia spähte aus, ohne den Geliebten zu sehen. Rücksichtslos schleppte sie die Mutter mit, immer geradeaus, am Hauptorchester vorüber, wo unter den Bäumen in langen Reihen auf Bänken und Stühlen die »Nassauer« saßen, die mit der Unbeweglichkeit von Wachspuppen ausharrten, ohne etwas zu verzehren, und immer in der Angst schwebten, ihr Platz könnte weg sein, sobald sie sich einmal die Füße verträten.

Hier, an der Stelle, wo der Park bereits vorherrschte, und durch die Kronen der alten Bäume das elektrische Licht wie Mondesschimmern drang, saß und wandelte es sich am schönsten, und ununterbrochen tauchten die Gruppen aus dem Dämmerungsschein auf, der erst ganz hinten in das Dunkel des Abends überging.

Ein Offizier kam den dreien entgegen und grüßte Kornelia höflich. »Ah, Herr Leutnant, guten Abend. So steif? Wollen Sie mich schneiden?«

»Wenn gnädiges Fräulein befehlen, dann ja, sonst nicht. Ich preise die Vorsehung, die mir in Gnaden Ihre Grausamkeit erläßt.«

»Wieder mal hübsch gesagt.«

Sie war den Eltern nur einige Schritte voraus, doch nahe genug, daß sie die Anrede hören konnten. Rasch raunte sie ihm zu: »Seien Sie nur recht nett und recht zähe!«

»Du, wer ist denn das?« fragte Agathe ihren Mann, der, immer noch bei seinen Zahlen, zerstreut die Achseln zuckte. Was ging ihn ein simpler Leutnant an, wo er gerade bei einer Millionen-Emission war! Aber sofort glaubte sie auf wankenden Füßen zu gehen, als die Vorstellung erfolgte. »Mama, Papa, erlaubt: Herr Leutnant Frank —: meine Eltern.«

Er wiederholte die Verbeugung. »Mir eine besondere Ehre, namentlich gnädigen Frau gegenüber. Mein Schwesterchen hat mir schon soviel Liebenswürdiges von Ihnen erzählt und geschrieben, daß ich mich glücklich schätze ...«

»Ein prächtiger Kerl, wie er heucheln kann,« dachte Kornelia, und sogleich flüsterte sie dem Vater zu: »Ich bitte Dich, laß ihn nicht los, es ist meine ganze Lebensfreude.«

Der Bankdirektor hatte das Rechnen vergessen, denn er hörte etwas aus ihrem Tone, was ihn mehr überraschte, als diese plötzliche Namensnennung, die ihn mit Ahnungen erfüllte. Etwas Weiches, Herzbewegendes sprach aus ihrer Bitte und lag in ihrem feuchten Blick, der ihm weiter, als nur in die Augen ging. »Ah, so, ich verstehe Dich,« sagte er kurz, aber doch mit der Bestimmtheit eines Vaters, der die Eigenheiten seiner Tochter längst erschöpft hat. Und ohne Besinnung streckte er Frank die Hand entgegen. »Freut mich außerordentlich, Herr Leutnant, Sie kennen zu lernen. Meine Tochter hat schon viel von Ihnen gesprochen.«

Er log geradeaus, aber er hielt es für geschickter, auf diese Art dem Wunsche seiner Tochter näher zu kommen.

»Ehrt mich ungemein, Herr Bankdirektor.«

»Haben Sie Zeit, sich uns ein wenig anzuschließen?« warf Kornelia rasch ein, einen Blitz in ihren Augen, den Frank allein verstand.

»Es wird mir ein großer Vorzug sein, meine Gnädige, wenn die Herrschaften nichts dagegen haben —.«

»Im Gegenteil, ich bitte sehr darum, Herr Leutnant,« fiel Roderich ihm höflich ins Wort. »Der Vorzug ist ganz auf unserer Seite.«

Er hatte plötzlich das Zahlenreich sehr weit hinter sich und war völlig in seine Umgebung zurückgekehrt. Als kluger Mann, der stets daran gewöhnt war, mit Tatsachen zu rechnen, hatte er sofort den Vorgang in seiner ganzen Bedeutung erfaßt und wollte nun sehen, wie sich das weiter entwickeln würde. Es gehörte für ihn nicht viel dazu, um zu merken, daß diese Begegnung eine hübsch erdachte Falle war, in die seine Frau sowohl als er in aller Gemütlichkeit hineinplumpsen sollten, namentlich Agathe, die ein Gesicht machte, als wäre sie aus der schönsten rosigen Wolke in dieses Menschengewühl gefallen und fände sich noch nicht zurecht.

Das Pärchen ging vor ihnen, und aus beider Mienen ergänzte er sich, was ihm an seiner Vermutung noch fehlte. Und langsam kam ihm die Andeutung ins Gedächtnis, die seine Frau über diese Bekanntschaft gemacht hatte, der aber von ihm keine besondere Bedeutung beigelegt worden war. Was für ein sonderbares Wesen, diese Kornelia, die ihm wieder ein neues Rätsel aufgab! Aber diesmal schien auch gleich die Lösung zu kommen, die in einem schmucken Leutnant mit auffallend überlegenen Manieren bestand. Recht so, daß sie sich über den Sauerteig ihres Daseins erhob und ihrer natürlichen Bestimmung zustrebte!

»Ich bin außer mir,« sagte Agathe endlich.

»Liebes Kind, das braucht nicht alle Welt zu hören,« raunte er ihr gutmütig zu. »Mach nur hier keine Szene! Bleibe hübsch in Dir!«

»Du steckst natürlich mit ihr unter einer Decke!« fuhr sie aufgebracht fort, aber doch gedämpfter.

Roderich lachte leicht. »Natürlich, natürlich! Das hörte ich schon im Geiste. Es würde nichts helfen, wenn ich Dir sagte, daß ich ebenso perplex bin, wie Du. Deshalb tu ich's erst gar nicht.«

»Es ist doch verdächtig, daß Du Dich so schnell in diese Bekanntschaft findest!«

»Das solltest Du doch gewohnt sein, liebe Agathe. Ich finde mich ja auch in Dich stets.«

»Ich bin außer mir, ich bin außer mir,« stöhnte sie nach einem Weilchen aufs neue. »Mit dem Bruder unseres Fräuleins, das mich krank geärgert hat! Sie ist doch eine dienende Person.«

»In Deinen Augen. Sie wird sicher noch Frau Professor werden, oder Frau Direktor, wie Du, wenn man Deine Prophezeiungen für den Kandidaten auch auf sie ausdehnen will ... Darauf kannst Du mir natürlich nichts erwidern.«

Sie war allerdings über das »lieber Adolf« nicht hinausgekommen, womit sie seine »Brutalität« bändigen wollte. Endlich aber ächzte sie wieder hervor: »Die tun ja schon, als wären sie Herz und Seele! Das kann doch unmöglich unsere Verwandtschaft werden!«

»Das hat mein seliger Vater auch von Dir gesagt, als ich Dich von der Bühne nahm. Na, und ich habe Dich doch genommen. Und glücklich bin ich ja auch geworden.«

Da er sich räusperte, so traute sie ihm nicht recht, aber sie hängte sich doch an seinen Arm.

»Da siehst Du den blinden Zufall im Leben, der Menschen zusammenbringt,« fuhr er fort. »Er findet eben nichts Besonderes an der Stellung seiner Schwester. Na, und ich auch nicht. Ich war auch einmal ein kleiner Kommis und bin so allmählich gewachsen. Und wer nicht mit seinen Zielen wächst, der bleibt zurück; und das will unsere Neli nicht. Soll sie ewig Bilder klecksen, die kein Mensch kauft? So etwas tun die Mädchen nur in der Verzweiflung, wenn sie's auch nicht zugeben wollen. Sind sie einmal Frau, dann schwören sie auf etwas anderes. Sie ist dreiundzwanzig, da wird's Zeit, daß sie aus dem Hause kommt. Meinetwegen nicht, denn sie wird mir sehr fehlen. Es ist schon schlimm, wenn arme Mädels keinen Mann bekommen, aber noch schlimmer, wenn's den andern so geht, die etwas draufzulegen haben.«

In diesem Augenblick rechnete der Bankdirektor wieder, und so hörte er kaum mehr auf das, was seine Frau sagte, nur soviel empfand er, daß sie schwer zu besänftigen war und erst sich selbst wiederfand, als sie an das Pärchen herantraten.

Kornelia und Frank hatten unwillkürlich den Weg nach der stillen Seite des Restaurants genommen und standen nun einige Augenblicke unschlüssig zusammen. Kornelia gab rasch wieder den Ton an: »Aber, Herrschaften, ich sehe nicht ein, weshalb wir unsern Tisch bestellt haben. Ich mag das Gewimmel der Menschen nicht.«

»Aha, auf einmal!« dachte Agathe. »Nun hat sie ihn getroffen.« Und erfüllt mit stiller Wut, sich so gefoppt zu sehen, sagte sie laut: »Ich finde es sehr schön, mal so im Trubel zu promenieren. Unser Tisch läuft ja nicht weg.« Sie hatte bemerkt, daß Frank nach der Uhr gesehen hatte und schloß daraus, daß er möglicherweise wenig Zeit habe und sich bald verabschieden werde. Dann hätte sie losreden und beizeiten durch diese Liebesrechnung einen Strich machen können. Aber schon bewies ihr Mann wieder seine Höflichkeit, und zwar in einer Art, die sie noch starrer machte.

»Darf ich um die Ehre bitten, Herr Oberleutnant, mein Gast zu sein.« Er hatte sich mit einem raschen Blick von dieser Rangstellung überzeugt und wollte nun besonders zuvorkommend sein.

Frank sah abermals nach der Uhr und lehnte mit verbindlichem Danke ab, aber auf »ein halbes Stündchen« würde er gern mit den andern Platz nehmen. Die lebhaften Einwendungen Roderichs ließ er unerwidert, denn im Grunde genommen war es ihm mit seiner Eile nicht ernst. Er handelte ganz nach Verabredung mit Kornelia und hielt es für angebracht, den Zurückhaltenden zu spielen.

Es machte sich so, daß er mit Frau Roderich zusammenging, während Vater und Tochter die Spitze nahmen. »Gnädige Frau sollen vorzüglich singen, wie ich gehört habe,« begann er.

Sie zwang sich zur Freundlichkeit. »Hat Neli Ihnen das gesagt?«

»Ich hörte es irgendwo in einer Gesellschaft. Man sprach viel darüber,« heuchelte er lustig weiter, allerdings innerlich mit einem unangenehmen Gefühl, aber es ging alles auf das Gewissen Kornelias.

»So,« warf sie ein und streifte ihn mit einem raschen Seitenblick, denn ihr Mißtrauen arbeitete fortwährend in ihr; aber als sie seine ungetrübte Miene sah, wurde sie um einen Grad liebenswürdiger. »Das freut mich zu hören, Herr Leutnant,« fügte sie hinzu. »Die Gesangskunst ist nun einmal mein Schwarm; na, und da schwärmt man eben auch häuslich ... Sind Sie auch musikalisch?«

Noch den letzten Brief Fannys im Gedächtnis, hätte er gern seinen Spott spielen lassen und so hatte er schon die Worte auf den Lippen: »Ich blase die Suppe bei Tisch,« aber er besann sich noch rechtzeitig, trotzdem ihm fortwährend etwas anderes in der Kehle würgte, als er sprach. So tröstete er sich mit dem Gedanken: »Ich blase der gnädigen Frau den Marsch.« Das konnte auch dadurch geschehen, indem er sie sanft durch Ritterlichkeit einwickelte und ihr zu erkennen gab, daß die Franks es immer noch mit den Roderichs aufnehmen konnten. Schließlich tat er alles des geliebten Mädchens wegen. Er wollte ja Kornelia heiraten und nicht die Mutter; und der Vater schien ein Mann zu sein, der in die Welt paßte, und wenn man die eine Hälfte der Eltern für sich hatte, namentlich die klingende, dann konnte man die andere später kaltstellen, je nach Bedürfnis.

So setzte er also die »Raubtierzähmung«, die vortrefflich in die Umgebung des Zoologischen paßte, mit gewinnender Höflichkeit fort. Eigentlich musikalisch sei er nicht, er habe das immer seinen Schwestern überlassen, sprach er weiter; aber er sei ein großer Musikfreund und besuche sehr viel gute Konzerte und namentlich das Opernhaus. Die Spieloper ziehe ihn ganz besonders an.

Das große Wort war gefallen. Kornelia hatte ihm den ganzen Spielplan der Mutter mitgeteilt, in dem sie einst geglänzt hatte, im Fürstlichen Theater zu Gera, in Rudolstadt und in Altenburg, und auf all den andern kleinen Bühnen, wo die Primadonna noch das Gespräch beim Frühstück bildet. Frank hatte sich wirklich einen Opernführer zugelegt und eine Anzahl Textbücher gekauft, und floß nun über von Kenntnis selbst der vergessensten Opern, die ein Schmierendirektor nicht mehr zugkräftig finden würde.

Sofort summte sie eine Melodie, und er summte in Gedanken mit, weil ihm die Sache sehr bekannt vorkam.

»Sie wissen doch, was das ist? Ich habe die Agathe im »Freischütz« unzählige Male gesungen. Es war meine Lieblingsrolle, die mir Triumphe brachte, schon deswegen, weil ich ebenso heiße.« Er nickte zustimmend und fiel begeistert ein: »Natürlich wußte ich es.« Den Freischütz hatte er zufälligerweise dreimal gehört, und so konnte er hier wirklich aus Erfahrung sprechen.

Der Bankdirektor und seine Tochter warteten schon auf der Veranda des Restaurants, aber Frau Roderich schien keine Eile zu haben. Wiederholt war sie stehengeblieben und erschöpfte ihre Redekunst. Sie vergaß ganz, wen sie vor sich hatte, und dachte weder an ihren Mann, noch an Kornelia. Alles, was sich in ihr an Galle aufgespeichert hatte, war verflogen, und nur die helle Begeisterung für den Augenblick war übriggeblieben, die wie Funken in der aufgerührten Asche sprühten. Selbst der Kandidat winkte nur noch wie ein Schatten aus dem Hintergrunde, denn es war ein Neuer an seine Stelle getreten, der ihr aufrichtiges Verständnis entgegenbrachte und ihre Kunst mit großem Ernste behandelte. Wie erschöpfend er zuzuhören verstand, wie klug er sprach, wie ehrfurchtsvoll er ihre Sehnsucht nach zerstobenem Bühnenflitter begriff! Und was für ein schmucker Kerl, ein wirklicher Gentleman voll Grazie und Bewegung, nicht so steif und unbeholfen, wie der andere mit der Denkermiene in ewigem Schwarz, sondern heiter, lustig und bunt, wie die Schmetterlinge, die es empfinden, daß die vollste Blume die größte Anziehungskraft hat.

»Mama scheint sich ja ordentlich festzuhaken an ihn,« sagte der Bankdirektor, der inzwischen eine kleine Novelle mit wahrem Hintergrunde von seiner Tochter zu hören bekommen hatte.

»Gefällt mir sehr, Papa,« gab sie zurück. »Sie sprechen von Opern.«

»Woher weißt Du denn das?«

»Na, anders kann's doch nicht sein.«

Roderich sagte nichts, aber er dachte sich sein Teil.

Alle Lebensweisheit eines gereiften Mannes konnte an der Klugheit eines verliebten Mädchens scheitern! Schade, daß sie nicht als Junge auf die Welt gekommen war, dann hätte vielleicht ein Diplomat aus ihr werden können! Aber er wollte auch so mit ihr zufrieden sein.

Man saß gemütlich zusammen hinter dem Blumenständer beim Schein der roten Tischschirme, unter sich das brandende Menschenmeer, das seine Kopfwogen mit verstärkter Flut trieb und im Sonnenschein zu liegen schien. Das elektrische Licht umspielte die äußersten Zweige der Bäume und ließ die Blätter grasgrün erscheinen, hüllte aber dahinter alles in tiefen Schatten, so daß es aussah, als wären blendende Farbenspritzer aufgetragen, die im Zickzack sich aus der Nacht heraushoben. Hinten im Park sah man durch das Laub hin und wieder weiße Kugeln auftauchen, die wie winzige Monde in der Luft zu hängen schienen und einen hellen Lichtkreis um sich schufen.

Und über allem wölbte sich der beinahe schwarze Himmel, an dem die Sterne nur vereinzelt blinkten. Ein leichter Wind rauschte durch die Zweige, trieb angenehme Kühle über die Köpfe und brachte den Duft der Blumenbeete mit. Scharf klang die Militärmusik herauf, aber in kurzen, merkwürdig abgebrochenen Tönen, als hinderte dieser Berg von Menschenleibern die Schallwellen daran, sich in Weichheit auszuströmen.

Frank hatte sich sofort etwas zu essen bestellt und einen Schoppen Wein dazu, um dadurch seine Zurückhaltung an diesem ersten Abend anzudeuten. Und Roderich machte auch keinen Versuch zu einer erneuten Einladung, um nicht aufdringlich zu erscheinen. Selbst, als die Familie beim Sekt angelangt war, blieb er bei diesem Takt, obgleich es ihm etwas schwer wurde, denn in fideler Stimmung sah er gerne alles »schwimmen«, schon um der lieben Lustigkeit der andern willen. Aber diesmal mußte er seine berühmte Gebelaune dämpfen, denn Kornelia hatte ihm schon wiederholt heimliche Winke mit den Augen gegeben, weil sie klug genug war, jetzt noch die nötige Schranke zwischen Frank und den Eltern zu wahren.

Alles dies hielt den Bankdirektor jedoch nicht ab, immer aufs neue mit dem Leutnant anzustoßen und ihm die Versicherung zu geben, daß er sich sehr freue, seine Bekanntschaft gemacht zu haben. Sobald er einige Gläser Sekt herunter hatte, verließ ihn seine Ruhe und er sprach dann etwas viel, wobei sich seine Frau auffallenderweise schweigsam verhielt. Es war dann, als wäre sie zufrieden damit, daß ein anderer ihre Familie würdig vertrat, denn gesprochen mußte auf alle Fälle werden. Heute machte sie den Eindruck, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Um so mehr schleckerte sie von den auserlesenen Speisen, die Dressels berühmte Küche zeigten. Sie saß an der Brüstung, Frank gegenüber, und wenn sie aufblickte, gingen ihre Augen auf ihn, und immer mehr gefiel ihr sein frisches offenes Gesicht. Sein Witz riß sie hin und sie lachte, daß die Goldplomben sichtbar wurden. Und schließlich lachten alle und kamen zu der Ueberzeugung, einen vergnügten Abend zu verleben.

Frank mußte mit seiner Kasse rechnen und genoß den Wein wie eine teure Medizin; schließlich aber, hingerissen durch die Stimmung und immer wärmer geworden durch die Nähe Kornelias, die dicht neben ihm saß und deren Atem ihn selig erzittern machte, bestellte er sich einen neuen Schoppen von einer besseren Marke. Das erste Glas davon weihte er den Damen und sah Kornelia dabei so tief in die Augen, daß Wonneschauer sie durchfluteten und ihr aufs neue zum Bewußtsein kam: »Der oder keiner!«

XX.

Frank hatte das »halbe Stündchen« vergessen. Er saß nun bereits länger als eine Stunde am Tisch und dachte nicht an Ort und Zeit. Er wußte, wann der letzte Zug nach Spandau ging, und daß der Bahnhof in der Nähe lag, und das genügte ihm.

Er war im fröhlichsten Plaudern, als plötzlich einer der Hauskellner, die hier oben elegant wie die Attachés herumliefen, vorsichtig an ihn herantrat, ehrerbietig nach seinem Namen fragte und ihm ein geschlossenes schmales Kuvert überreichte. Sofort erkannte er Fannys Handschrift. Er las auf der Visitenkarte die flüchtig hingeworfenen Zeilen, steckte Kuvert und Karte ein, erhob sich und bat die Herrschaften auf wenige Minuten um Entschuldigung. Und strammen Schrittes ging er hinweg, die Rampe hinunter, der weniger hellen Seite des Gartens zu. Kornelia hatte bemerkt, daß er sich leicht verfärbte und schreckhafte Ueberraschung aus seinen Zügen sprach, und so blickte sie ihm ängstlich nach. Auch Frau Roderich führte ihr langstieliges Glas an die Augen und folgte ihm erstaunt mit den Blicken.

»Was hat er denn?« flötete sie gedehnt. »Das ist ja merkwürdig. Sicher steckt eine Dame dahinter. Er war ja ganz verlegen. Das Kuvert sah auch ganz danach aus.«

Kornelia wurde blaß und blickte schweigend noch immer nach derselben Richtung.

Der Bankdirektor jedoch fuhr launig dazwischen: »Zerbrich Dir doch nicht gleich den Kopf darüber! Das geht uns doch nichts an. Wir haben ihn doch heute erst kennen gelernt.«

»Ich ahne schon etwas.«

»Das tust Du immer, und nachher kommt's anders. Wahrscheinlich irgend ein Kamerad, der ihn in diskreter Angelegenheit zu sprechen wünscht ... Ist doch ein patenter Kerl!«

»Ein charmanter Mensch, das muß man sagen,« stimmte sie gelassen bei, strengte sich aber noch immer an, durch das Glas etwas zu bemerken. »Man sollte es kaum glauben, daß unser Fräulein so einen Bruder haben kann.« Endlich ließ sie die Lorgnette sinken, denn die Uniform war ihren Augen entschwunden.

»Ein Mensch von durchaus anständiger Gesinnung,« warf Neli langsam wie betäubt ein, denn plötzlich hatte sie der Hinweis auf Fanny in neue Unruhe versetzt. Sie kannte diese schmalen Kuverts, die sie im Zimmer Fräuleins hatte liegen sehen. Was war passiert? Weshalb ging er so wortlos hinweg, ohne zu ihr noch ein Wort zu sagen? Nur mühsam verbarg sie ihre Erregung, schwieg aber über ihre Vermutung, denn schließlich konnte sie sich doch geirrt haben. Aber ihr Herz schlug ruhiger, denn mochte es mit Fanny sein, was es wollte, — wenn die Mutter nur nicht recht behielt!

Leutnant Frank fand seine Schwester dort, wo sie ihn erwarten wollte: am Fischotterbecken. Er tat so, als wäre sie eine Dame, die er soeben erst verlassen habe und zwang sie zum Mitgehen, den Weg entlang, der zum Bahnhof führte. Nur wenige Menschen gingen hier, und so konnten sie sich aussprechen. Sie hatte ihr neues Kostüm an und den Hut auf, der aber schief saß und unter dem das Haar nur lose aufgesteckt war.

»Was ist denn los? Du siehst ja ganz verstört aus?« fragte er erschreckt.

»Entschuldige nur, aber ich wußte mir im Augenblick keinen anderen Rat. Ich konnte doch nicht an Euren Tisch kommen ... Ich kann keine Nacht mehr bei Roderichs bleiben.«

»Was sagst Du? Weshalb nicht?«

Sie bogen links ein, an dem Gehege der Hirsche vorüber, wo es dunkel und einsam war. »Ich bitte Dich, fasse Dich kurz! Ich bin in Uniform, ich muß Rücksicht nehmen.« Leichter Aerger klang aus seinen Worten, wodurch sie eingeschüchtert wurde.

Mit zitternder Stimme sprach sie mühsam weiter: »Ich sehe, Du bist böse, dann will ich selbst zu Mama. Es wird mir nur so schwer, Du weißt, sie regt sich leicht über alles auf, gerade jetzt, wo Fröhlich sich ihr vorstellen wollte.«

Sie war dem Weinen nahe, und so lenkte er in Güte ein: »Aber, mein Nuckerchen, so sprich doch! Wer hat Dir etwas getan?«

Endlich beherrschte sie sich und fand die Worte.

Es war kurz vor neun, sie hatte die Kinder zu Bett gebracht, als sie noch in das zweite Stockwerk hinaufging, um aus einer der Kammern etwas zu holen. Sie hatte gleich nach dem Abendbrot Rudi weggehen sehen, und so war sie ahnungslos, denn sie wußte nicht, daß er später wieder zurückgekehrt war und sich in seinem Zimmer befand. Diener und Mädchen waren in der Küche, und so erschien ihr alles oben still. Sie hatte das elektrische Licht im Gange aufgedreht und suchte unter den Kleidern, die in der Kammer hingen. Plötzlich, als sie, die Sachen im Arm, die Tür schon zugeschlossen hatte, fühlte sie sich von hinten umschlungen und gewaltsam geküßt. Rudi war es, der lachend sagte, sie solle immer hübsch an den »dummen Jungen« denken. Und als sie aufschrie und ihn einen gemeinen Menschen nannte, folgten Worte von ihm, die ihr die Schamröte ins Gesicht trieben. Im selben Augenblick hatte er das elektrische Licht ausgedreht, und sie stand im Dunkeln, nachdem sie laut um Hilfe geschrieen hatte. Kaum ihrer Sinne mächtig, war sie dann weiter getappt, hatte sich allmählich zurechtgefunden und war weinend in ihrem Zimmer auf das Sofa gesunken. Aus dem Lachen in der Küche entnahm sie, daß niemand etwas gehört hatte, und so bezwang sie sich allmählich. Rasch machte sie sich zum Ausgehen fertig, gebrauchte zu dem Hausmädchen die Ausrede, daß sie Frau Roderich eine Nachricht zu überbringen habe und daß die Kinder inzwischen nicht ohne Aufsicht bleiben dürften.

»Er hat mich schon immer belästigt, ich wollte es Euch nur nicht sagen. Ich habe ihn auch stets gründlich abfallen lassen, nun aber wirst Du einsehen —.« Sie konnte nicht weitersprechen, denn zuviel stürmte in diesem Augenblick auf sie ein.

Sein Entschluß war sofort gefaßt. »Geh und erwarte mich am Eingang — Kurfürstenstraße! Ich bringe Dich nach Hause.« Sein Groll war verschwunden, nur Entschlossenheit sprach aus ihm. Plötzlich drückte er ihre Hand. »Geh, Schwesterchen, Du sollst Genugtuung haben! Solche schmutzigen Burschen müssen nach ihrem Werte behandelt werden.«

Große Liebe zu ihr sprach aus seinen Augen, denn sofort fiel ihm ein, wie sie neulich wieder an ihn gedacht hatte. Trauriges Los eines armen Leutnants, der nach außen hin glänzen mußte und die Welt nie erfahren ließ, wie oft sorgsame Frauenhände bemüht waren, ihm über die Einschränkungen hinwegzuhelfen! Und diese hier war auch eine von den Schwestern, die sich mühten, die duldeten und entbehrten, um die Uniform in der Familie stets blank und rein zu halten. Und das sollte ihr heute dreifach vergolten werden, und wenn das eigene, kaum begonnene Glück frühzeitig in Trümmer fiel.

Sie sah jetzt erst, was für Folgen ihr übereilter Schritt haben würde, und so legte sie sich aufs Bitten. Sie wolle doch lieber wieder zurückgehen in ihre Stellung und morgen dem Bankdirektor alles sagen, er solle nur ruhig bleiben.

Die Tränen neuer Angst traten ihr in die Augen.

Er aber schnitt ihr jedes Wort ab. »Das ist meine Sache. Geh und warte draußen, ich befehle es Dir. In fünf Minuten bin ich da.«

Er zwang sich zur militärischen Rauheit, reichte ihr nochmals die Hand, drehte sich kurz um und ging denselben Weg, den er gekommen war.

Er nahm nicht wieder Platz bei den dreien, sondern sagte im Stehen höflich: »Ich bitte die Herrschaften sehr um Entschuldigung, wenn ich mich sofort empfehle. Zwingende Gründe rufen mich ... Gnädige Frau, ich hatte die Ehre —. ... Herr Bankdirektor, es war mir ein Vergnügen — ... Gnädiges Fräulein, ich habe mich herzlich gefreut —.« Damit verneigte er sich förmlich vor den Eltern, und mit einer Augensprache freundlicher vor Kornelia. Er hatte bereits dem Kellner gewinkt und bezahlte.

Alles geschah rasch, mit der deutlichen Absicht, nicht mehr aufgehalten zu werden. In der Bestürzung vergaßen Herr und Frau Roderich das Essen und hatten nur kurze Worte des Bedauerns. Kornelia jedoch reichte ihm ohne Zagen die Hand und sagte: »Wir hoffen auf baldiges Wiedersehen.« Sie hätte gerne noch mehr hinzugefügt, aber ihre Stimme stockte, denn etwas Fremdes sprach aus seinem Wesen, das sie nicht begriff.

Auch Frank hatte die Empfindung, daß er wenigstens zu ihr noch mehr sagen müsse, und er wollte schon ihre Hand an die Lippen ziehen, um seinen Gefühlen stumm Ausdruck zu geben, aber er bezwang sich mit Macht. Nochmals verbeugte er sich förmlich nach drei Seiten, grüßte militärisch und ging rasch aus der Halle.

Vater, Mutter und Tochter sahen sich überrascht an und suchten nach Worten. Dann endlich sagte Frau Roderich: »Das ist doch auffallend, findet Ihr nicht? Er hat ja nicht einmal seinen Wein ausgetrunken.«

Der Bankdirektor zuckte mit den Achseln und schwieg sich aus, Kornelia aber saß wie träumend da, ohne jede Bewegung. Sie hätte ihm nacheilen mögen, denn eine Ahnung sagte ihr, daß er dasselbe Bedürfnis haben würde, wie sie. Aber so etwas schickte sich nicht in dieser Welt des Scheins, wo die glatte Form den Vortritt vor den Gefühlen hatte.

Drüben schmetterte die Militärmusik. Fanfaren bliesen den Armeemarsch Friedrichs des Großen. Draußen auf der Straße hatte sich Frank mit seiner Schwester in eine Droschke gesetzt und empfahl dem Kutscher Eile.

Sie wollten noch vor zehn bei der Mutter sein.

XXI.

Eine Stunde später war im Hause Roderich großer Aufruhr. Fräulein war fortgegangen und nicht wiedergekommen. Emma hatte es berichtet und war erstaunt, durch Fanny in ihrer Wache nicht abgelöst zu werden. Nun war Kornelia alles klar, und die Eltern teilten ihre Ueberzeugung, daß nur die Schwester es gewesen sein könne, die den Bruder zu dem raschen Aufbruch veranlaßt habe. Man horchte das Hausmädchen aus, ohne die gewünschte Aufklärung zu bekommen. Auch der Kandidat hatte sich nicht mehr sehen lassen, und so war auch kein Grund zu der Annahme, er könnte die Veranlassung zu Fannys Flucht gewesen sein; denn nicht anders war ihre Handlungsweise aufzufassen. Sang- und klanglos war sie davon gegangen, ohne ihre Sachen mitzunehmen.

Kornelia, von dunklen Ahnungen erfüllt, stieg hinauf zu Rudi und klopfte: das Nest war leer. Das Rätsel blieb für sie ungelöst, da Emma berichtete, »der junge Här« sei gleich nach acht Uhr fortgegangen und habe ausdrücklich zum Diener gesagt, daß er erst spät wiederkommen werde; man möchte es den Eltern bestellen, falls sie fragen sollten.

Frau Agathe, die heute nach all der Aufregung die blühendste Einbildung hatte, war sofort geneigt, die Skandalszene im Hause nach ihrer Art auszulegen. »Ihr irrt Euch alle, sie war gar nicht drüben! Die hat Rudi angestiftet, mit ihr auszureißen. Paßt auf, es ist so! Jetzt wird endlich alles ans Licht kommen. Und wer wird recht haben? Ich! Sie hat neulich schon alles umgedreht, als die Sprache darauf kam.«

»Worauf denn?« warf Roderich überrascht ein. »Das ist ja etwas ganz Neues?«

»Na, jetzt kannst Du es ja auch wissen, Papa,« sagte Kornelia ruhig. »Sie hat schon viel unter Rudis Unausstehlichkeiten zu leiden gehabt, und ich ahne beinahe etwas Schlimmes, aber anders, wie Mama es tut.«

»Und das habt Ihr mir alles nicht gesagt?« Der Bankdirektor vergaß ganz die Nachtruhe, die ihm heute besonders nötig tat, denn er hatte sich schließlich müde gekneipt. Erregt ging er in dem großen Familienzimmer auf und ab, in jener Stimmung, die fleißige Sekttrinker oft überkommt, wenn sie von plötzlicher Munterkeit gepackt werden. Er war heute besonders kampflustig, das sah man ihm an. »Es wäre ja ein Skandal für unsere ganze Familie, wenn der Junge von schlimmen Instinkten geleitet worden wäre. Und so etwas spielt sich hinter meinem Rücken ab!«

»Der arme Kandidat, er tut mir wirklich leid,« fuhr Agathe, unberührt davon, in ihrer Meinung fort. Sie sah ihn plötzlich wieder in den Vordergrund gerückt, nachdem das Traumbild der Uniform so schnell verflogen war. Sie ahnte selbst, daß schlimme Dinge heranziehen würden.

»Bekümmere Dich nur nicht wieder um den Kandidaten, der wird sich schon ohne Dich helfen. Geh nur und leg Dich schlafen! Morgen ist auch noch ein Tag, und da wird sich das weitere finden!«

»Adolf, Du wirst wieder brutal. Das hab' ich nun davon. Ich wollte gleich nicht in den Zoologischen gehen. Aber Ihr hattet Euch beide gegen mich verschworen! Ihr steckt ja immer unter einer Decke. So einen kleinen Leutnant anzuschleppen, von dem zwölfe auf ein Dutzend gehen. Das war wieder so Nelis Art —. Immer nach ihrem Kopf, darin kommt sie ganz nach Dir!«

»Gott sei Dank!« brauste Roderich wieder auf.

Frau Agathe lachte, weil sie dieses Lob lächerlich fand. Die Sektgeister rumorten ebenfalls in ihr, und so waren ihre Nerven heute merkwürdig abgestumpft, was sie durch ihren Widerstand zu erkennen gab.

»Ihr solltet doch lieber sehen, ob Rudi nicht seinen Koffer gepackt hat. Vielleicht hat er gar Geld von Dir genommen. Geh und sieh einmal nach! Ich hab' ihn nicht erzogen. Gute Nacht!«

Ungeniert hatte sie sich bereits die Taille aufgeknöpft, und so ging sie nun in ihr Ankleidezimmer, wo Emma bereits auf sie wartete.

Kornelia stand schweigend am Fenster und weinte. Als Roderich das sah, trat er auf sie zu und fragte leise nach dem Grund. Sein Rausch war plötzlich verflogen, denn diese Ereignisse gingen ihm durch den Kopf.

»Wenn man schon ein bißchen Glück in Aussicht hat, dann wird's einem wieder gründlich verdorben,« schluchzte sie auf. »Wenn nur endlich einer käme und würde mich hier herausnehmen, ich wollte ihm schon folgen bis ans Ende der Welt. Was sind wir denn, wir reichen Mädels! Wahl bringt immer Qual.«

Er wurde gerührt und tröstete sie, indem er mit der Hand über ihre Wange fuhr und sie auf ihr seidenweiches Haar küßte, dessen natürlichen Duft er mit väterlicher Liebe so gerne einsog. »Laß nur, was ich tun kann zu Deinem Glück, das tu ich. Mein Wort darauf. Schlaf nur jetzt erst!«

Er drückte noch einen Kuß auf ihre Stirn und ging dann noch einmal hinunter in sein Arbeitszimmer, weil er die Ruhe noch nicht finden konnte.

In dieser Nacht blieb Rudi außer dem Hause. Es kam öfters vor, daß er bei einem Freunde in Lichterfelde übernachtete, wenn er an schönen Tagen hinausgefahren war, und so traf auch richtig am Morgen von dort ein Telegramm ein, daß er erst mittags kommen werde. Der Bankdirektor war heute früher als sonst aus den Federn und zeigte sich sehr ungemütlich über diese Nachricht, denn gerne hätte er sich den Aeltesten gleich beim Kaffee vorgenommen. Er mußte heute früher fort, und so konnte er sich mit dem Vorgang nicht weiter befassen. Man müsse abwarten, was am Tage kommen werde, sagte er zu seiner Frau; auf alle Fälle solle man ihn sofort durch den Fernsprecher benachrichtigen.

Zehn Uhr war längst vorüber und Fröhlich erschien nicht, wodurch die Angelegenheit noch verwickelter wurde und Frau Roderich Grund bekam, neue ungeheuerliche Vermutungen zu hegen. Sie übertrug nun die Rolle Rudis auf den Kandidaten. Entschieden sei das Brautpaar gestern abend zusammengetroffen, habe sich in Berlin vergnügt, und Fräulein habe darüber ihre Pflicht vergessen.

Kornelia war ratlos; sie konnte nur dasselbe befolgen, was der Vater für das Beste erklärt hatte: abzuwarten. Erst um zwölf Uhr erschien der Kandidat und wünschte sehr aufgeregt die Hausherrin zu sprechen. Gleich am frühen Morgen hatte er in einem Rohrpostbriefe von Fanny die nötige Mitteilung erhalten, war sofort zu ihr geeilt und nun hierhergekommen, um bittere Klage zu erheben. Nun aber erlebte er eine kleine Enttäuschung, als ihn die Gnädige höflich aber kühl empfing. Ihr Traum hatte ein Ende, das sah sie ein, und so wollte sie die Ehre des Hauses nach jeder Richtung wahren.

»Ich stehe der ganzen Angelegenheit völlig interesselos gegenüber,« sagte sie mit einem Heben ihrer runden Schultern, ohne diesmal den leisesten Versuch zu machen, ihn zum Platznehmen zu bewegen. »Ich muß Sie schon bitten, sich heute nachmittag an meinen Mann zu wenden. Uebrigens war es durchaus unrecht von Fräulein, so ohne weiteres das Haus zu verlassen. Ich bin in die größte Verlegenheit gekommen.«

»Recht war es, durchaus recht, Frau Bankdirektor,« erwiderte er mit scharfer Betonung. »Meiner Braut muß Genugtuung nach jeder Richtung werden.«

Sie erhob sich zu ihrer ganzen Größe. »Ja, was für eine Sprache führen Sie denn, Herr Kandidat!«

»Die Sprache des anständigen Mannes, der über gewisse Dinge mit sich einig ist. Ich bitte ergebenst, mich von dem Unterricht heute zu entbinden. Ich bin nicht in der Verfassung —.«

»O gewiß, gewiß,« säuselte sie. »Sicher wird mein Mann Sie auch ganz und gar von Ihrer Verpflichtung entbinden, falls Sie es wünschen.«

Er war betroffen und sagte nichts mehr, denn auf diese Wendung war er nicht gefaßt gewesen. Er hatte Sonnenschein sehen wollen, und empfing nun das Dunkel der drohenden Zukunft, das ihn mit Bangen erfüllte. Er verbeugte sich stumm und ging. Draußen drückte er nur flüchtig seinem Schüler die Hand, der sich aber an seinen Arm hängte und ihn bis auf den Treppenflur begleitete. »Ich kann mir schon denken, Herr Kandidat, weshalb Sie Kummer haben,« sagte er zum Abschied. »Aber ich stehe auf Ihrer Seite. Ich lasse mich von keinem andern unterrichten. Sie sollen sehen, ich halte Wort.«

Eine Stunde später kam ein eleganter Herr, wünschte Herrn Roderich junior zu sprechen und übergab dem Diener seine Karte mit dem Bemerken, daß er nachmittag zwischen drei und vier Uhr in einer dringenden persönlichen Angelegenheit wiederkommen werde.

Emil fand nichts Besonderes darin und legte die Karte in des jungen Herrn Zimmer, ohne den Damen etwas davon zu sagen.

Kurz vor zwei stellte sich Rudi wie ein ahnungsloser Engel ein. Er hatte gestern auf alles geachtet, was Fanny tat, bevor sie das Haus verließ, und war zum zweiten Male fortgegangen, wenigstens beruhigt darüber, daß sie den Lärm unten nicht fortgesetzt hatte. Und so spielte er den Erstaunten, als Frau Roderich ihn mit den Worten überfiel: »Rudi, was hast Du getan! Du wirst uns noch die Polizei ins Haus bringen! Papas Zorn kennt keine Grenzen.«

Auf dem Korridor hatte ihm Emma bereits gesteckt, daß Fräulein »ausgerissen« sei, und so war er auf alles gefaßt. Seine Schauspielerei hätte der Mutter in der Zeit ihrer schönsten Triumphe Ehre gemacht. Die durchzechte Nacht noch in den Gliedern, der ein schlechter Schlaf gefolgt war, wehrte er sich mit großer Entrüstung, so daß es laut durch das Zimmer dröhnte. »Das traust Du mir zu, Mama? Na, da hört aber alles auf! Das ist ja wieder mal der reine Ueberfall von Euch, für alles soll ich verantwortlich sein! Wer weiß, wer ihr da oben einen Schreck eingejagt hat. Bräute sehen ja überall männliche Gespenster. Ich war nicht hier, was geht mich die Geschichte an.«

Das Essen wurde schon aufgetragen, und da die Kinder diesmal wieder bei Tisch waren, schwieg man sich in dumpfer Schwüle aus. Endlich sagte er, um zu beweisen, daß er alle Vorgänge in der Familie überwache: »Wann werden denn die Verlobungsringe bestellt, Neli? Heimliche ist wohl gestern schon gefeiert worden? Ihr habt ja da sehr gemütlich mit meinem zukünftigen Schwager zusammengesessen. Ich bin auch mal so'n bißchen drüben durchgestrichen, aber nicht lange. Ich wollte Euch nicht stören!«

»Ja, weshalb bist Du denn nicht heraufgekommen?« warf Frau Roderich ein. »Wir dachten, Du wärst ganz wo anders.«

»Er hatte vielleicht ein böses Gewissen, Mama,« sagte Kornelia und erhob sich mit den Kindern, da sie fertig mit dem Essen war. Er lachte spöttisch hinter ihr her und rief ihr nach: »Na, mit Deinem Leutnant nehm ich's noch auf.«

»Renommiere nur nicht zu früh,« war ihre Antwort, bevor sie die Türe schloß.

Er war kaum in seinem Zimmer und hatte die Karte gelesen, als auch schon der Diener kam und zum zweiten Male denselben Herrn meldete, der unten im Empfangssalon warte. Rudi konnte nicht anders, er mußte hinunter. Zuvor aber warf er einen Blick in den Spiegel, zog seine kleinen Taschenbürsten hervor, strich sich die Haare glatt und versuchte auch dem kleinen Schnurrbärtchen die möglichste Form »Es ist erreicht!« zu geben.

Unten erwartete ihn ein sehr forsch aussehender junger Mann mit einem Schmiß auf der Stirn, der in einem hellgrauen Anzug steckte und es für nötig gefunden hatte, weder Hut noch Stock wegzulegen.

»Referendar Kurz,« stellte er sich mit einer gemessenen Verbeugung vor.

Rudi machte einen erhabenen Kopfnicker. »Darf ich bitten, Platz zu nehmen?«

»Danke sehr. Unsere Angelegenheit kann im Stehen erledigt werden. Ich komme im Auftrage des Herrn Leutnants Frank. Es dürfte Ihnen nicht unbekannt sein, worum es sich handelt.«

Rudi spielte den Verblüfften. »Keine Ahnung, Verehrtester.«

»Ich muß jede Vertraulichkeit zurückweisen. Sie haben sich gestern gegen das Fräulein Schwester meines Herrn Auftraggebers eine tätliche Beleidigung erlaubt, wofür auf alle Fälle Genugtuung gefordert wird. Ob Sie sie zu geben imstande sind, entzieht sich noch meiner Kenntnis. Aber ich möchte um eine bestimmte Erklärung darüber ersuchen — um eine ganz bestimmte.«

Rudi war blaß geworden, seine Sicherheit sank, aber sein Hochmut kam nun stammelnd zum Ausdruck. »Ich verstehe Sie ganz und gar nicht. Mir alles schleierhaft, was Sie da sagen.«

»Sie leugnen also?«

»Leugnen? Ich muß mir einen derartigen Ausdruck verbitten, denn ich war gar nicht zu Hause. Habe erst heute davon erfahren.«

»Können Sie mir das mit Ihrem Ehrenwort versichern?«

»Ich gebe Ihnen durchaus nicht die Berechtigung, eine derartige Frage an mich zu richten.«

»Sie leugnen also doch?« fuhr der Referendar kalt fort.

Rudi sah nach der Uhr und nahm eine herausfordernde Stellung ein. »Ich verbitte mir jede anzügliche Redensart. Was wünschen Sie also?«

»Vor allem eine bestimmte Erklärung darüber, ob Sie die tätliche Beleidigung gestern zugeben.«

»Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich von der ganzen Angelegenheit nichts weiß. Ich bedaure sehr, meine Zeit ist gemessen!«

»Das genügt mir vorläufig. Ich werde meinem Auftraggeber davon Mitteilung geben.« Referendar Kurz machte denselben gemessenen Kopfnicker wie zuerst und entfernte sich.

Kornelia stand im Verandasaal und hatte alles mit angehört. Sie war Emil gerade begegnet, als er mit der zweiten Karte zu ihrem Bruder hinaufstieg, war diesem vorausgeeilt und hatte ahnungsvoll hier Platz genommen. »Pfui, was bist Du für ein schlechter Mensch,« sagte sie, noch zitternd vor Erregung. »Weißt Du, wie die Studenten so etwas nennen? Kneifen! Wirklich zuviel Ehre, die man Dir antut. Jetzt aber sitzt Du in der Schlinge. Morgen kommt der Herr sicher wieder, und dann wird's mit Deiner Feigheit ein Ende haben.«

»Feigheit?« schrie er sie an. »Laß Deine kecken Worte!«

»Ja, Feigheit. Ich wiederhole es. Walter hat Dich wieder nach Hause kommen sehen und hörte auch, wie Du zum zweiten Male fortgingst. Du warst also doch oben! Fräulein Frank lügt nicht, aber Du bist voll Unwahrheit. Laß nur Papa nach Hause kommen, Du sollst schon klein werden und Abbitte leisten!«

»Ich?«

Es sollte noch ausfallend klingen, aber er verlor seine Haltung und stand mit verzerrtem Gesicht vor ihr, wie eine entthronte Größe, die jämmerlich zusammengeschrumpft ist. »Dieser Gnom soll sich lieber um seine Schularbeiten kümmern!« sprach er hinter ihr her, als sie die Wendeltreppe hinaufging.

Der Bankdirektor nahm heute sein Diner auffallend rasch ein, so daß Emil sich beeilen mußte, ihm den üblichen Bericht zu erstatten. Kaum hatte Roderich die Serviette weggelegt, so ließ er seinen Sohn herunterrufen. Wenn der Bankdirektor etwas durchführen wollte, ging er gerade auf sein Ziel los. So sagte er denn kurz: »So, mein Junge, nun setze Dich hier an meinen Platz, schreibe ein paar höfliche Zeilen an Fräulein Frank und bitte sie um Verzeihung für Deine — sagen wir milde: Unart. Mach, mach — ich will den Brief gleich wegschicken. Das übrige mit dem Leutnant werde ich selbst besorgen, damit Du nicht gar zu beschämt dastehst.«

Rudi strich lächelnd sein Bärtchen. »Aber, Papa, ich bitte Dich, — das ist doch nicht Dein Ernst?«

Der Bankdirektor beherrschte sich noch. »Rasch, ich warte nicht lange, die Brücke ist Dir gebaut.«

Als dann wieder eine Zwischenbemerkung folgte, erhob er in maßlosem Zorne die Hand. Aber er hatte es nicht nötig, zu schlagen, denn sein Blick bezwang den Sohn, der unter dieser Drohung sich dazu bequemte, den Wunsch zu erfüllen.

»So,« sagte Roderich wieder gemütlich und schloß den Brief. »Und nun noch eins, mein Junge. Berlin ist nichts für Dich, das sehe ich schon. Es ist zu klein für Deine weitgehenden Ansichten über Fleiß und Moral. Zum Offizier bist Du verdorben, das wirst Du selbst einsehen, denn die nötige Tapferkeit bringst Du nicht mit ... Du mußt in ein größeres Reich mit freieren Anschauungen. Wir wollen den letzten Versuch machen. Spremberg ist auch eine schöne Gegend, dort kannst Du's noch einmal in einer Fabrik wagen. Ich werde morgen gleich an einen Geschäftsfreund schreiben.«

»Ganz wie Du willst, Papa.« Er biß die Zähne zusammen und ging davon.

Noch am selben Tage setzte sich Roderich mit Leutnant Frank in Verbindung und drückte ihm sein lebhaftes Bedauern über den Vorfall aus, der durch die bereits erfolgte Abbitte seines Sohnes dem Fräulein Schwester gegenüber etwas abgeschwächt sei. Trotzdem sei er auch zu jeder andern Genugtuung bereit, soweit sie sich mit seinem Gefühle vertrage. Als dann Fröhlich sich bei ihm melden ließ, dauerte die Aussprache nicht lange, denn Roderich hatte alles getan, was in seinen Kräften lag.

Schon am Morgen des zweiten Tages schrieb Frank höflich, daß er auf Wunsch seiner Schwester die Angelegenheit nunmehr für erledigt halte und zugleich seinen Dank abstatte für das Eingreifen Roderichs, was ihm völlig genüge.

Agathe atmete auf, denn das Leben Rudis war gerettet. Er hatte ihr schon einen Schreck eingejagt dadurch, daß er von der »Notwendigkeit eines Pistolenduells« sprach, bei dem »einer auf dem Platze bleiben« müsse. Sie konnte nicht einmal im Geiste Schüsse knallen hören, und schon der Anblick eines Revolvers, den er in seinem Zimmer hatte, ließ ihre Nervenmusik schrill ertönen.

Fanny kam eines Abends und packte selbst ihre Sachen, und Roderich benutzte diese Gelegenheit, ihr noch einmal persönlich sein Bedauern über alles auszusprechen.

Nach einer Woche trat Rudi seine Fahrt an, um sich nun endlich die »Hörner abzulaufen«, wie sein Vater meinte. Es gab einige Tränen der Mutter, die aber schließlich fand, daß es so das beste sei. Nun war die Luft rein, und Kornelia konnte die gelockerten Fäden zwischen Berlin und Spandau wieder straffer ziehen.

Leutnant Frank kam und machte seinen Besuch, um sich bei Roderich nochmals für die rasche Erledigung der Angelegenheit zu bedanken, eigentlich aber war es ihm darum zu tun, sich der Dame seines Herzens mit einem gewaltigen Schritt zu nähern. Er merkte bald, daß ihm von Seiten ihres Vaters nichts im Wege stand, und so schied er mit der Zuversicht, noch vor der Sommerreise der Familie die erste offene Einladung zu erhalten.

Seitdem Agathe das Wort »Sanatorium« hatte fallen hören, war sie auffallend liebenswürdig zu ihrem Manne und steckte sich hinter den Hausarzt, der Roderich plötzlich Vorwürfe machte, wie er ihm zutrauen könne, jemals einen derartigen Gedanken geäußert zu haben. Er habe das nur bildlich gemeint und finde die Frau Bankdirektor überhaupt seit einiger Zeit sehr ruhig. Vier Wochen Schwarzwald oder Tirol würden gute Dienste tun.

»Ich werde meine Frau nächstens selbst behandeln,« sagte Roderich grimmig.

»Das sollten Sie nur tun,« warf der Sanitätsrat höflich ein und bürstete wie gewöhnlich seinen Zylinderhut mit dem Aermel ab. »Aber liebevoller, wie es sich für Nervöse gehört. Essen Sie wieder zusammen an einem Tische!«

Roderich lachte, sagte aber nichts. Schließlich versteckte sich auch so ein alter Junggeselle hinter dem Unterrock seiner Patientin.

Es war am Tage vor der Abreise, als der Bankdirektor noch einmal den Kandidaten sprach, der nun Ferien bekam und sich verabschieden wollte. Er hatte sich inzwischen öffentlich verlobt und schwamm in den Wonnen der Bräutigamszeit, die höher gingen bei dem hoffnungsvollen Ausblick in die Zukunft.

»Sie haben sich mal beleidigt gefühlt über das Wort ›Familiensklave‹,« sagte Roderich. »Das war nicht schön von meinem Sohn, aber eine kleine Genugtuung möchte ich Ihnen doch noch geben. Sehen Sie mich an, ich bin der größte Sklave meiner Familie, den Sie sich denken können. Sozusagen einer von sechs Köpfen. Ich bin Direktor einer großen Bank, habe zwei Häuser und eine Villa und bin das, was man einen reichen Mann nennt. Aber glauben Sie, daß ich wahrhaft glücklich bin? Ihnen kann ich's ja sagen, Sie wissen ja, wie's im Hause steht. Etwas Sklaventum steckt in uns allen, und wenn wir auch noch so stolz den Kopf erheben, heimlich beugen wir doch den Nacken um des lieben Friedens willen, der uns das Salz des Lebens ist ... Auf Wiedersehen!«

Der Kandidat nickte aus Höflichkeit. Als er aber dann hinaus war, dachte er: »Der kann klug reden bei seinen sechs Gängen.« Und seine Gedanken gingen zurück in all die trübe Zeit, die er durchlebt hatte in der Demütigung eines gebildeten Mannes. Freiwilliges Sklaventum war eben ein anderes, als das »der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe«.


Verlag Continent, Theo Gutmann

deko

Marie Madeleine:

Aus faulem Holze

Novellen

broschiert Mk. 2,50 / elegant gebunden Mk. 3,50

Man kann die Verfasserin nicht einen weiblichen Tovote nennen, denn neben ihr erscheint Tovote grob, in Deutschland bilden diese Skizzen eine Gattung für sich. In die Hände jugendlicher Personen gehören sie nicht ...

Hamburger Fremdenblatt.


Marie Madeleine, eine ohne Frage sehr impulsive Individualität, ist ein Vulkan, der glühende Lava und heiße Steine auswirft.

Königsberger Hartung'sche Zeitung.


Die Verfasserin vereinigt in diesen Novellen die Grazie eines Boccacio, die künstlerisch-freie, virtuose Darstellung eines Maupassant mit der bewußten und absichtlichen Schlüpfrigkeit eines Paul de Kock ...

Frankfurter Oder-Zeitung.


Dreizehn leichtfüßige Geschichtchen, die so graziös erzählt werden, daß man die Verfasserin für eine Französin halten könnte. Man liest das geschmackvoll modern ausgestattete Büchlein in einem Zug bis zu Ende, um es dann — noch einmal zu lesen. Der poetische Reiz, der den Geschichtchen eigen ist, erhebt sie turmhoch über die bekannte »Lektüre für die Lebewelt«, obwohl sie ausnahmslos sehr freie Stoffe in einer noch freieren Weise behandeln. Die Grazie der Wiedergabe läßt aber nicht das leiseste Unbehagen aufkommen. Wahre Kabinettstücke sind die Novellen »Aus faulem Holze«, »Einsam«, »Gentleman«, »Prinzessinnen« und »Das Renommee«. Daß diese amüsante Novellensammlung fleißig gekauft werden wird, ist sicher.

Das litt. Deutsch-Oesterreich, Wien.


Eine gewisse prickelnde Grazie, die mit zierlicher Eleganz über trübe Lachen hinwegzutänzeln weiß, wird man diesen Novellen nicht absprechen können, und zuweilen erfreut man sich an einem fein und duftig gemalten Pastellbildchen.

Schlesische Zeitung, Breslau.


deko

Marie Madeleine:

Arme Ritter, Roman

broschiert Mk. 3,50 / elegant gebunden Mk. 5,--

Marie Madeleine:

Frivol, Roman

broschiert Mk. 3,-- / gebunden Mk. 4,--


deko

Max Kretzer:

Treibende Kräfte, Roman

broschiert Mk. 4,-- / gebunden Mk. 5,--


....... Von einzelnen Zügen muß gerühmt werden, daß sie nur ein Meister wiedergeben kann: Das lukullische Mahl in der Wannsee-Villa des Kommerzienrates, die Abrechnung Leos mit Vater und Brüdern. Das Düstere, das über dem Ganzen schwebt, durchbricht der ewig heitere Humor des Münchener Dichters Pauli. Obgleich nur Nebenfigur, gehört dieser Heitere mit zu den Besten von Kretzers »Treibenden Kräften.«

Dr. S. B. Vossische Zeitung.


Der Mitschöpfer des Berliner Romans bleibt auch diesmal seinem immer meisterlich behandelten Milieu, dem der grandiosen Maschinenarbeit, treu und baut auf diesem Plan ein Bild treibenden Schaffens auf von packender und manchmal dramatischer Wucht, ohne dabei der intimen Detailzeichnung, die die einzelnen Figuren zu geradezu plastischer Gestaltung bringt, Abbruch zu tun. Zweifelsohne eines der bedeutendsten Werke der letzten Zeit.

Neueste Nachrichten, Chemnitz.


...... Berlin, das brodelnde, das unternehmungslustige, schaut uns entgegen, Berlin, wie es lacht und weint, arbeitet, faulenzt, spekuliert. Berlin mit seinen Lastern und Lüsten, seiner Ueppigkeit und seinem Elend, seiner bestrickenden und erstickenden, weltstädtischen und doch wieder lokalen Eigenart. Es gehört schon ein Meister dazu, um aus diesem Milieu eine klassische Großstadtpoesie zu gestalten, und solch ein Meister ist Max Kretzer.

D. A. S. Leipziger Neueste Nachrichten.


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Fred Schirokauer:

Ilse Isensee, Roman

broschiert Mk. 3,-- / elegant gebunden Mk. 4,--


von der Kritik als hervorragendes Werk bezeichnet.

Es ist eine farbenprächtige, doch von jeder Ueberschwenglichkeit freie Schilderung, die er in Ilse von Isensee gibt, einem Vollweib an Körper und Geist, das in edlem Streben und im Kampfe mit den konventionellen Lügen der Gesellschaft aus ihrem Leben »etwas Lichtes, so eine Art Kunstwerk« machen will, um dessenwillen es sich lohne, all das Häßliche zu tragen, welches das Menschendasein mit sich bringt. Die Sehnsuchtsgedanken der Heißblütigen nehmen etwas eigentümlich Renaissancehaftes an und streifen manchmal scharf an der Grenze der Sinnlichkeit entlang. Für sie ist das große Rätsel des Lebens gelöst, wenn sie ergründen und finden kann, was die Welt zusammenhält, die Liebe. Im ganzen betrachtet aber, ist Schirokauers »Ilse Isensee« ein Werk, das verdient, aus der Romanflut unserer Tage gerettet zu werden.

Vossische Zeitung, Berlin.


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Soeben erschienen:


Fred Schirokauer:

Satan, Roman

broschiert Mk. 3,50 / gebunden Mk. 5,--


Stefan von Kotze:

Australische Skizzen

broschiert Mk. 3,-- / gebunden Mk. 4,--


..... das Lesen dieser »Skizzen«, wie Kotze sein Buch zu bescheiden nennt, ist ein voller Genuß, wie kaum die Schriften Bret Hartes ... Kotze hat gekämpft und gesiegt, ein Siegeszeichen ist sein vorzügliches Buch.

Leipziger Neueste Nachrichten.


.... Stefan von Kotze weicht sicherlich keinem von beiden (Kipling und Mark Twain), und ich muß gestehen, so außerordentlich hoch ich Twain schätze, auf seinem Gebiet ziehe ich Kotze ihm und Kipling vor ..... Es ist sicherlich ein Buch ersten Ranges!

Tägliche Rundschau.


.... ein nie versiegender Humor, der selbst auf die dunkelsten Kapitel der Menschheit einen Strahl versöhnenden Lächelns wirft, stehen dem Autor zu Diensten, und er gebraucht seine Kräfte so verständig, daß jede Schilderung zur spannenden Erzählung, zur fesselnden, gedankenreichen und interessanten Lektüre wird.

Hamburger Nachrichten.


Ein brillantes Erzählertalent weiß hier aus Steinen Saft zu drücken, das sterile Australien mit humorvollen Skizzen zu befruchten.....

Kreuz-Zeitung.


Stefan von Kotze:

Der letzte Mensch, Epos

gebunden Mk. 3,--

Stefan von Kotze:

Ruth, ein afrikanischer Roman

broschiert Mk. 2,-- / gebunden Mk. 3,--


Hermann Jaques:

Das süße Gift, Novellen

Mit Titelzeichnung von Wilhelm Jordan

broschiert Mk. 2,-- / elegant gebunden Mk. 4,--


Diese flotten, mit sarkastischem Humor gewürzten Erzählungen sind richtige »Bummelgeschichten« innerhalb des demimondainen Milieus von Berlin. Eine Lektüre für Lebemänner und Lebedamen, und nicht für junge und alte Kinder! Der Verfasser hat eine rege Phantasie und gebietet über viele lustige Einfälle, die allerdings mit spanischem Pfeffer versetzt sind. Man kann aber der Frivolität des Autors auf die Länge nicht zürnen, da er die Leser unwiderstehlich in den Bannkreis seiner ironisch-satirischen Kreise hineinzieht.

Hamburger Fremdenblatt.


Ernest Daudet:

Postlagernd, Roman

Uebersetzt von Ludwig Wechsler

broschiert Mk. 3,-- / elegant gebunden Mk. 4,--


Hochinteressanter, spannend geschriebener Roman des beliebten Autors.


Neue hervorragende Bücher

Georges Ohnet:

Der Gifthändler, Roman
broschiert Mk. 4,-- / gebunden Mk. 5,--

Ernst Georgy:

Anonyme Briefe, Roman
broschiert Mk. 2,-- / gebunden Mk. 3,-—

Fritz Friedmann:

Eine Gefallene, Roman
broschiert Mk. 2,-- / gebunden Mk. 3,--

Julius Erich:

Seine Freundin vom Brettl
ein Berliner Bohême-Roman
broschiert Mk. 2,-- / gebunden Mk. 3,--

Hermann Pfaender:

Leute vom Turf, Sport-Roman
broschiert Mk. 2,--      gebunden Mk. 3,--

Leopold Katscher:

Japan
Interessantes aus dem Mikadoreich
eleganter Halbband Mk. 1,50

H. A. Revel:

Die Viper
Kriminal-Roman. Nr. 1; Mk. 2,--

H. A. Revel:

Witwe Dalila
Kriminal-Roman. Nr. 2; Mk. 2,--

H. A. Revel:

1. Dirnen
2. Die rote Laterne
sozial-psychologische Skizzen
jeder Band Mk. 2,--


In Kürze erscheinen folgende beachtenswerte Novitäten


Paul Bourget:

Stille Wasser, Roman
broschiert Mk. 3,--      gebd. Mk. 4,50

Marie Madeleine:

Arme Ritter, Roman
brosch. Mk. 3,50      gebd. Mk. 5,--

Max Kretzer:

Familiensklaven, Roman
brosch. Mk. 4,--      gebd. Mk. 5,50

Arthur Zapp:

Eine Künstlerehe, Roman
brosch. Mk. 2,--      gebd. Mk. 3,--

Stefan von Kotze:

Ruth, Roman
brosch. Mk. 2,--        gebd. Mk. 3,--

Marie Stahl:

Sommernachtsdunkel, Roman
brosch. Mk. 4,--      gebd. Mk. 5,50

G. A. Müller:

Pater Fulgentius
Roman eines Leutnants
brosch. Mk. 3,--      gebd. Mk. 4,50

Heinrich von Poschinger:

Aus allen Welten
brosch. Mk. 3,--      gebd. Mk. 4,--

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Druck von Paß & Garleb, Berlin W.