The Project Gutenberg eBook of Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XIV, Heft 5-6

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Title: Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XIV, Heft 5-6

Monatsschrift für Heimatschutz, Volkskunde und Denkmalpflege

Editor: Landesverein Sächsischer Heimatschutz

Release date: September 24, 2024 [eBook #74470]

Language: German

Original publication: Dresden: Landesverein Sächsischer Heimatschutz

Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LANDESVEREIN SÄCHSISCHER HEIMATSCHUTZ — MITTEILUNGEN BAND XIV, HEFT 5-6 ***
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Landesverein Sächsischer
Heimatschutz
Dresden

Mitteilungen
Heft
5 bis 6

Monatsschrift für Heimatschutz, Volkskunde und Denkmalpflege

Band XIV

Inhalt: Lauchhammerwerke in Wolkenburg und Waldenburg, ein Gedenkblatt zur Zweihundertjahrfeier des LauchhammersAuf Heimatschutzpfaden durch die LößnitzM. D. Pöppelmann und die Zwickauer TorbrückenDie Pappel, ein Beitrag zur Gestaltung der Landschaft durch den MenschenDer Sonne entgegen! Eine Frühlingswanderung im östlichen ErzgebirgeVolkskundliches in den Federzeichnungen des kursächsischen Oberlandbaumeisters DilichWas alte Grabsteine erzählenZu Gast in der AuBücherbesprechungen

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Dresden 1925


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Dresden, im Juli 1925.

Landesverein Sächsischer Heimatschutz

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Landesverein Sächsischer Heimatschutz

[161]


Band XIV Heft 5/6
1925
Landesverein Sächsischer Heimatschutz Dresden

Die Mitteilungen des Vereins werden in Bänden zu 12 Nummern herausgegeben

Abgeschlossen am 30. Juni 1925


Lauchhammerwerke in Wolkenburg und Waldenburg

Ein Gedenkblatt zur Zweihundertjahrfeier des Lauchhammers

Von Otto Eduard Schmidt

Am 17. Juli 1925 vollenden sich zwei Jahrhunderte, seitdem der Kurfürstlich Sächsische Bergwerksdirektor und Oberhofmarschall Freiherr Woldemar von Löwendahl auf Mückenberg in der Lausitz für seine Gemahlin (S. 162) das Privilegium erlangte, die zu ihrem Gute gehörige Lauchmühle in einen Eisenhammer zu verwandeln, in dem der in der Umgegend vorkommende Raseneisenstein verhüttet und das daraus gewonnene Eisen weiter verarbeitet werden sollte. Am 25. August desselben Jahres wurde der an den Lauchteichen errichtete Hochofen angeblasen. Das war der Ursprung und Anfang des jetzt in eine Aktiengesellschaft verwandelten großen Eisenwerkes Lauchhammer, das demnach zu den ältesten derartigen Unternehmungen in Deutschland gehört. Das Rohmaterial, der Raseneisenstein, später auch andere Eisenerze, bezog man außer von den Lausitzer Lagerstätten aus dem Kurkreise Wittenberg und aus dem Erzgebirge, den Kalkstein, der das Eisen in Fluß bringen half, aus der Pirnaer Gegend, die zum Schmelzen nötige Holzkohle lieferte die Mückenberger Heide und die nahen Kurfürstlichen Wälder, in denen der Abraum, d. h. die Scheite und Rollen, die das Klaftermaß[162] nicht erreichten, zu Kohlen gebrannt wurde. Außerdem verwendete man die nahe bei Mückenberg gefundene Braunkohle als Heizstoff. Alle größeren Lasten wurden zum Lauchhammer und vom Lauchhammer, soweit es möglich war, auf dem Wasserwege befördert, auf dem bei Grödel in die Elbe mündenden Floßgraben und dann auf der Elbe selbst. Bald trat in Lauchhammer zur Eisenerzeugung der Guß von Öfen und eisernen Kochtöpfen. Um die Fortführung und den Ausbau des Werkes erwarb sich die zweite Gemahlin des Freiherrn von Löwendahl, Benedikte Margarete, eine geborene von Rantzau, die größten Verdienste. Bei ihrem Tode im Jahre 1776 vererbte sie ihren ganzen Besitz und damit auch den Lauchhammer an ihr Patenkind, den Kursächsischen Konferenzminister Detlef Carl Grafen von Einsiedel (1737 bis 1810), Herrn auf Wolkenburg an der Mulde, vermählt mit Sidonie Albertine, einer geborenen Gräfin von Schönburg-Lichtenstein. Damit begann die erste Blütezeit des Lauchhammerwerkes. Denn der Minister Graf Einsiedel war ein rastlos tätiger, für Gewerbe und Kunst sehr eingenommener Mann, der auch das Geschick besaß, für die Ausführung seiner Pläne die nötigen technischen Kräfte zu finden. Unter ihm wurde die Beschaffenheit des Stabeisens wesentlich verbessert, für die Kochtöpfe eine feuerfeste, der Bekömmlichkeit der Speisen nicht schädliche Glasur erfunden und durch Anlage einer großen Dampfmaschine das zu mancher Zeit fehlende Betriebswasser aus dem Lauchteiche herbeigepumpt. Der durch den Grafen Einsiedel verbesserte Betrieb des Lauchhammers war im Stande, technische Gußstücke zu liefern, die durch ihre Größe und Schwere in damaliger Zeit Bewunderung erregten. So stellte er für die ehemals Gräflich Einsiedelsche Spinnmühle in Wolkenburg ein dreihundertsiebenundachtzig Zentner wiegendes gußeisernes Wasserrad her, das sechzehn Ellen (neun Meter, vierzehn Zentimeter) im Durchmesser hatte. Vor allem aber zog Graf Einsiedel Männer heran, die den Erzeugnissen der Gießerei künstlerische Gestaltung zu geben vermochten. Schon 1781 wurde der Bildhauer Wiskotschill am Lauchhammer angestellt, ihm folgte bald Mättensberger, als Gießer arbeiteten unter beiden Klausch und Güthling. Wiskotschill war 1758 als Sohn eines Bildhauers in Prag geboren, hatte aber seine künstlerische Bildung in Dresden erhalten. Als ihn Graf Einsiedel an die Spitze der künstlerischen Gestaltung nach Lauchhammer berief, war er erst dreiundzwanzig Jahr alt. Aber durch die nach seinen Modellen im Lauchhammer gegossenen überlebensgroßen Büsten des Germanicus und des römischen Kaisers Caracalla, die Graf Marcolini erwarb und im Garten seines Palais, des heutigen Friedrichstädter Krankenhauses aufstellte, erregte der junge Künstler großes Aufsehen. Im Jahre 1782 trat Wiskotschill in den Dienst des Grafen Marcolini über, der ihn die meisten Statuen und Vasen seines berühmten Gartens fertigen ließ, aber auch Aufträge des Kurfürsten verschaffte, z. B. die Erneuerung von vier Satyrn an der Galerie des nordwestlichen Hofflügels am Zwinger. (1787/88.)

Unter Wiskotschills Einfluß wurden auch die Gußwerke des Lauchhammers durchaus im Geschmack des Klassizismus geformt. Zuerst wurden die großen Platten der eisernen Öfen mit Reliefdarstellungen aus der Sage und[163] Geschichte des Altertums verziert. Dann formte man kunstvolle Grabplatten und Büsten, wie die oben erwähnten, und endlich ging man zur Herstellung ganz freistehender, lebensgroßer menschlicher Gestalten über. Das Verfahren war folgendes: Über eine Unterlage von Ton bossierte man die Figur aus Wachs, und darüber legte man eine das Ganze umhüllende Schicht von weichem Lehm. Wenn alles getrocknet und erhärtet war, wurde die Form erwärmt, dadurch schmolz das Wachs und floß aus dem Hohlraum zwischen Ton und Lehm heraus. In diesen Hohlraum wurde nun das flüssige Eisen gegossen und der Lehmmantel nach dem Erkalten zerschlagen. Auf diese Weise hat man in Lauchhammer die berühmte griechische Gruppe Kastor und Pollux, einen antiken Fechter, eine Herkulanerin, einen Hermes nach den Originalen in der Skulpturensammlung in Dresden, aber auch Bildnisbüsten, Grabdenkmäler und viele Werke der plastischen Kleinkunst gegossen.

Abb. 1. Geflügelter Cherubim im Innern der Kirche zu Wolkenburg

Es ist ohne weiteres zuzugeben, daß auch der beste Lauchhammersche eiserne Kunstguß in der Feinheit der Umrißzeichnung und in der Genauigkeit der Wiedergabe der Form einen guten Bronzeguß nicht erreicht. Auch läßt sich die weichere Bronze nach dem Guß durch die Arbeit des Ziseleurs noch viel mehr verfeinern als das sprödere Eisen. Aber der Eisenguß hat mit dem Bronzeguß die fast unbegrenzte Dauerhaftigkeit gemein und ist dabei viel billiger. Der Zentner Kunstguß kostete in Lauchhammer um 1820 nur zwölf bis zwanzig Taler. Und gerade in der Zeit, als die französische Knechtschaft auf uns lastete (1797 bis 1813) und Ernst Moritz Arndt das Lied sang:

»Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
Der wollte keine Knechte,
Drum gab er Säbel, Schwert und Spieß,
Dem Mann in seine Rechte.«

und noch lange danach, als unser Volk infolge der Kriegslasten verarmt war, erschien ihm das Eisen als das rechte Metall zum Ausdruck des Schönen.

Abb. 2. Geflügelter Cherubim im Innern der Kirche zu Wolkenburg

Sehr viele der im Lauchhammer gegossenen Kunstwerke sind in das Ausland verkauft worden oder sonstwie verschollen. Aber noch immer trifft man hie und da in einem Museum oder auf einem Kirchhofe einen aus dem Lauchhammer stammenden älteren eisernen Kunstguß. Ganz besonders reich an solchen Werken ist das mittlere Tal der Zwickauer Mulde, weil Graf von Einsiedel, der Besitzer des Lauchhammers, auf Schloß Wolkenburg seinen Wohnsitz hatte. Das Schloß verrät noch heute in seinem Innern durch die Stuck- und Bilderausstattung des großen Saales den feinen klassizistischen Geschmack des Grafen Detlev Carl. Als er 1794 bis 1804 durch den Hofbauinspektor Giesel in Wolkenburg die schönste klassizistische Kirche bauen ließ, die Sachsen überhaupt aufzuweisen hat, schmückte er ihre griechischen Giebel mit herrlich gelungenen Darstellungen der Kreuzigung und der Auferstehung Christi, und das Innere mit zwei weihevollen Cherubim, die Opferschalen in den Händen halten. (1805 und 1810. Abb. 1 und 2.) Andere Lauchhammerwerke kann man in der ehemaligen alten Dorfkirche zu Wolkenburg bewundern, die jetzt als[167] Gruftkapelle der Schloßherrschaft dient. Dort ist links vom Altar an der Wand die große Grabplatte des Grafen Detlev Carl und rechts das Monument seiner Gemahlin Sidonie Albertine, eine eiserne Urne, die im Relief das Bildnis der Verstorbenen trägt, daneben steht in freier Figur der Tod, dargestellt als Knabe, der die Lebensfackel auslöscht und das Kreuz über die Urne der Heimgegangenen hält. (Abb. 3.) Außerdem enthält die Gruft das sehr bemerkenswerte Denkmal des am 29. Februar 1772 geborenen und am 30. November 1793, am letzten Tage der siegreichen Kämpfe gegen die Franzosen bei Kaiserslautern gefallenen Grafen Friedrich von Einsiedel auf einer liegenden, ovalen Grabplatte. Sie zeigt in lebensgroßem Hochrelief den Grafen in voller Uniform, den Dreimaster mit dem Federbusch auf dem Kopfe, den Degen an der Seite, mit noch jugendlichem, ausdrucksvollem Gesicht. In seiner ergreifenden Schlichtheit ist dieses Werk eins der eindrucksvollsten Denkmäler, die jene Zeit hervorgebracht hat. (Abb. 4.) Im Wolkenburger Park finden wir eine sehr anmutige Statue eines einschenkenden Satyrn (Abb. 5), die auf ein Werk des Praxiteles zurückgeht; das Original, nach dem der Eisenguß geformt ist, findet sich in der staatlichen Skulpturensammlung in Dresden. Ebenda steht auch das Original der Wolkenburger Flora, die in der Hand eine Weintraube und Blumen auf dem Kopfe trägt. Das Original hat sich aber nach Entfernung der unechten Teile (Kopf, linker Unterarm, rechter Unterschenkel) als eine Artemis aus hellenistischer Zeit entpuppt. Endlich schmückt den Wolkenburger Park auch die eiserne Nachbildung einer antiken Knöchelspielerin (Abb. 6), deren aus Rom gekommenes Urbild wir jetzt im staatlichen Museum in Berlin betrachten können. Auch im nahen Waldenburg ist eine reizvolle kleine eiserne Vase vorhanden. Sie steht im Grünfelder Park unweit des altertümlichen Steintores in einer Gebüschgruppe rechts vom Wege. Endlich enthält die Fürstlich Schönburgische Gruft im Schlosse Lichtenstein vier eiserne Sarkophage Lauchhammerscher Arbeit. (1807 und 1861.)

Abb. 3. Denkmal der Gräfin Sidonie Albertine von Einsiedel geb. Gräfin von Schönburg-Lichtenstein in der alten Dorfkirche (jetzt gräflich Einsiedelsche Gruftkirche) zu Wolkenburg

Nicht sicher ist der Lauchhammersche Ursprung, aber doch wahrscheinlich bei dem gußeisernen Grabmal zweier Kinder des Pfarrers Brause auf dem Kirchhofe zu Lichtenberg bei Freiberg. Meine bis ins Jahr 1913 zurückreichenden Nachforschungen über den Künstler, der dieses Grabmal entworfen hat, sind leider vergeblich geblieben, da die alten Geschäftsakten und Briefe im Lauchhammer nicht mehr vorhanden sind. Ich möchte aber doch dem Gefühl Ausdruck geben, daß dieses die Kindesnatur in so rührender Weise verkörpernde Bildwerk der Schule Christian Rauchs entstammt, der seit 1838 wegen des Bronzegusses seiner Statuen für den Posener Dom enge Beziehungen zum Lauchhammer unterhielt und in seinem Tagebuche schreibt, »daß er nie vorher einen solch dünnen und an der Oberfläche so schönen Guß gesehen und daß er sich entschlossen habe, die Figuren (für den Posener Dom) nicht zu ziselieren, sondern nur das Nötigste daran mit dem Punzen und der Feile zu tun und im übrigen nur mit Scheidewasser abzubrennen.« Noch näher läge es vielleicht, an den Lausitzer Ernst Rietschel als Urheber der Lichtenberger Gruppe zu denken, dessen Beziehungen zum Lauchhammer auch bis 1838 zurückreichen.[172] Seit dieser Zeit tritt in der künstlerischen Tätigkeit des Lauchhammers allmählich der Bronzeguß vor dem Eisenguß in den Vordergrund. Aber begründet hat der Lauchhammer seinen künstlerischen Ruhm mit dem Guß in Eisen.

Abb. 4. Denkmal des Grafen Friedrich von Einsiedel (von oben gesehen) in der alten Dorfkirche zu Wolkenburg

Wenn wir die älteren Lauchhammerwerke betrachtet haben und dann als Gesamtbild vor unser inneres Auge stellen, so erscheinen sie nicht nur als Denkmäler der Personen, die sie gestiftet haben oder deren Andenken sie gewidmet sind, sondern auch als Ausdruck der Zeit, der sie ihr Entstehen verdanken. Notgedrungene Sparsamkeit und Schlichtheit sprechen aus ihnen. Aber dazu gesellen sich Wahrhaftigkeit und Anmut.

Abb. 5. Einschenkender Satyr nach Praxiteles im Park des Schlosses Wolkenburg
(Das Original befindet sich in der Skulpturensammlung zu Dresden)

Möge es auch den heutigen Deutschen, die so schwere Lasten zu tragen haben, an diesen Eigenschaften nicht fehlen und möge auch unserer Zeit ein gleichwertiger künstlerischer Ausdruck ihres Wesens beschieden sein.

Abb. 6. Knöchelspielendes Mädchen im Parke des Schlosses Wolkenburg
(Das Original aus Rom befindet sich im staatlichen Museum in Berlin)

Anmerkung. Die Vorlagen zu den Bildern 1–6 dieses Aufsatzes hat Herr Graf von Einsiedel auf Wolkenburg dem Verfasser freundlicher Weise zur Nachbildung überlassen. Die Aufnahme zu Abbildung 7 hat der Heimatschutz nach dem Original in Lichtenberg durch Photograph Reymann, Freiberg, anfertigen lassen. Zum Text sind die Akten des Hauptstaatsarchivs in Dresden, Schumanns Postlexikon und die Schrift von Professor Emmerich in München »Bildguß-Werk Lauchhammer« benutzt worden. Die Angaben über das Original zur Wolkenburger »Flora« verdanke ich Herrn Direktorialassistenten Dr. Müller an der staatlichen Skulpturensammlung. Eine groß angelegte Festschrift zur Zweihundertjahrfeier des Lauchhammers, auf die wir schon jetzt aufmerksam machen, wird vermutlich von der Verwaltung des Werkes am Jubiläumstage herausgegeben werden.

Aufnahme von K. Reymann, Freiberg
Abb. 7. Gußeisernes Grabdenkmal zweier Kinder des Pfarrers Brause auf dem Kirchhofe in Lichtenberg bei Freiberg aus dem Jahre 1839

Auf Heimatschutzpfaden durch die Lößnitz

Von Kurt Nierich, Kötzschenbroda

Aufnahmen vom Verfasser

In lichtgrüner Maiennacht, da sinken gütige Träume auf die alte Erde. Da silbert der Mond alle die trauten Wege und geht an den heimlichen Stegen vorüber, wie man an schlafenden Kindern vorübergeht, um sie nicht zu stören. Es ist im Mondlicht eines Maientages als ob die Jahre und Jahrzehnte rückwärts schritten, und aus alter, lieber Zeit tauchen Bilder auf, die noch nichts wußten von den Sorgen und Nöten unserer Tage. Wo der Urgroßvater die Weinberge harkte und der Herbst sein Mühen mit goldglasigen Trauben lohnte, da kannte man noch nicht die Jagd nach dem Geld, darum eben blicken uns auch die Winzerhäuschen (Abb. 1) alle so traulich an, als wollten sie uns gute Gedanken schenken aus alter, längst verklungener Zeit. Ein mächtiger Nußbaum schattet über der Torfahrt und dem kleinen Pförtlein, das uns hineinläßt zu Menschen, die einfach waren und darum ihre Seele reiner hielten. Ja, wenn er erzählen könnte, der alte Baum vor der Tür, ein Leben voll Arbeit, aber auch voll Licht würde dir das Säuseln seiner Blätter künden, die man damals noch als besten Heiltee trank.

[173]

Abb. 1. Winzerhaus in der »Finsteren Gasse«

Behaglich blinzeln die Fenster eines anderen Häusleins auf die lichtbesäte Straße, als könnte nie dahinter etwas Böses wohnen (Abb. 2). Die Freude an der Arbeit leuchtet aus ihnen wie einst auch aus den Menschenaugen. Unsere Zeit aber hat die reine Freude an der Arbeit vielfach eingebüßt, nur um des Gewinnes willen, in der Fron des Alltags wird sie getan. Das aber prägt sich auch aus in den mürrischen Mienen, den unfrohen Gesichtern, denen das durchsonnte Leuchten beglückender Arbeit fehlt.

Abb. 2. Winzerhaus Lotter, Winzerstraße

Auf den Torpfeilern ruhen oft Steinkugeln, sie mahnen an noch ältere Zeit, wo man die Schädel erschlagener Feinde, dem Thor und Wode geopferter Gefangener, hier aufstellte. Wohl meist unbewußt hält hier der Baumeister[174] einen Rest aus heidnischer Vorzeit fest. Ja, alte Häuser und alte Bäume erzählen oft mehr als manches Geschichtsbuch. Und wenn jener Bergahorn mit seiner Steinbank wird doppelt so stark und breit sein wie jetzt, da haben unter ihm auch Generationen von Kindern ihre unschuldigen Spiele getrieben, da sind auf der Bank noch mehr Schwüre der ewigen Liebe getan und dann gebrochen worden wie jetzt. »Aufrecht geschritten, was frag’ ich noch viel, Leben und Liebe sind Würfelspiel«, so singt ein moderner Dichter, und das Würfelspiel des Lebens macht auch vor den stolzen Herrenhäusern nicht halt! »Bischofspresse« nennt der Volksmund ein Grundstück (Abb. 3), wenn auch hier[175] zu unrecht die Größen des einstigen Bistums Meißen mit einem Weinbergsgute in Zusammenhang gebracht werden. In seinem Garten aber träumt ein kleiner Rundtempel von ferner wehmütiger Zeit. Sechs Säulen tragen auf kräftigem Balkenwerk eine Flachkuppel in Sandstein, die hatte einst eine Inschrift: »Uns ward der Tod, den Frevler scheun, Geburt zum ewigen und edlern Leben.« Vor Jahren stand im Tempel eine Urne von Stein auf einem Sockel, der trug die Inschriften: »Wenn hier von uns, die Gott vereint, der letzte auch hat ausgeweint, dann wird ein freudig Wiedersehn auf ewig unser Glück erhöhn.« Und die andere Seite: »Der sehnsuchtsvolle Wunsch der Wiedervereinigung, wo keine Trennung mehr ist, wurde erfüllt den 17. Januar 1820.«

Abb. 3. »Bischofspresse« in Zitschewig

Schauen wir einmal hinein in eines Parkes waldgrüne Nacht. Wie durchsonnte Vorhänge von gelbgrüner Seide hängen der Parkbäume Zweige herab, als wollten sie ein trautes Geheimnis hüten, daß es kein Auge der Welt sehen möge, oder wollen sie verwundete Herzen, die am Sterben sind, mit Lebensgrün überdecken wie des Kirchhofs Gräber? Ich weiß es nicht, weiß nur eins, daß es Sorge und zerschlagenes Glück in Hütte und Palast[176] gibt und daß das Trümmerfeld der Hoffnungen nicht ein Eigengebiet des einfachen Mannes ist.

Abb. 4. Winzerhof bei der Friedensburg

Der Mond aber ist weitergewandert über den jenseitigen Bergen, und in den Büschen bei dem alten Winzerhaus (Abb. 4) schlägt eine Nachtigall. Singe, du kleiner feiner Sänger der Nacht, singe von Liebe und Frieden im Menschenherzen, singe von Glück und goldenem Leuchten, das trotz alledem doch tags und nachts über die alte Erde geht.


[177]

M. D. Pöppelmann und die Zwickauer Torbrücken

Von Regierungsbaumeister Dr. Weißbach, Holzminden

Wir leben jetzt in den Tagen, in denen der Name Pöppelmann uns besonders nahegerückt ist. Es geht um die Erhaltung des Dresdner Zwingers, des großartigsten Werkes dieses fürstlichen Baumeisters.

Während der Zwinger weit über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt und berühmt ist, sind andere Bauten Pöppelmanns teils weniger bekannt, teils vergessen, weil sie entweder nicht so bedeutend oder schon wieder verschwunden sind (Augustusbrücke). Manches kann ihm auch nicht mit Sicherheit zugesprochen werden. Viele kleinere Arbeiten sind naturgemäß überhaupt nicht bekannt geworden. So auch seine Vorschläge für die Torbauten in Zwickau.

Wie aus folgendem zu ersehen ist, erstreckte sich Pöppelmanns Tätigkeit nicht nur auf die Hauptstadt. Als Oberlandbaumeister hatte er auch auf andere Städte gewissen Einfluß. Das beweisen zwei wenig umfangreiche Aktenstücke[1] im Ratsarchiv der Stadt Zwickau. Es handelt sich um den Umbau der Stadttore.

August der Starke hatte ein selten feines Kunstverständnis und verband damit eine großzügige Art die Mittel für seine Bauten bereitzustellen. Auf diese Weise war Pöppelmann Gelegenheit gegeben, sein ganzes Können zu entfalten. Anders war es in Zwickau. Da konnte nicht so aus dem vollen gewirtschaftet werden. Und wenn schon einige Ratsherren Sinn für das Schöne hatten sowie den Wunsch, die Pläne Pöppelmanns durchzuführen, so wurden sie doch von den sorgsamer rechnenden Stadtvätern überstimmt. Die Vorschläge des Oberlandbaumeisters konnten der Kosten wegen nicht verwirklicht werden. Doch ist diese Tatsache insofern ohne Belang, als die Tore schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei Schleifung der Befestigungswerke und infolge der Ausdehnung der Stadt und der Steigerung des Verkehrs wieder verschwinden mußten. Aber in den genannten Akten sind uns die Zeichnungen erhalten geblieben. Der zugehörige Schriftwechsel, ergänzt durch die Beschlüsse in den Ratsprotokollen, eröffnet uns ein anschauliches Bild von der Tätigkeit und dem sicheren künstlerischen Urteil Pöppelmanns.

Die vier Stadttore (das Niedertor im Norden, das Obertor im Süden, das Frauentor im Westen und das Tränktor im Osten) hatten vor den Tortürmen halbrunde Bastionen (»Rondells«), die in den Graben vorsprangen. Je eine hölzerne Torbrücke führte, aus festungsbaulichen Gründen seitlich, in jedes »Rondell«. 1712 beschloß der Rat, diese Brücken nach und nach steinern auszuführen, weil, wie es in einem Schreiben vom 3. April 1719 an Pöppelmann heißt, »die über die Stadtgräben allhier gehenden hölzernen Brücken sehr kostbahr zu erhalten und zu deren Reparatur fast keine Brückenbäume mehr in der Nähe umbs Geld zu haben sind, ... Steine und Kalch umb einen[178] billichen Preiß allhier zu erlangen.« 1716 war als erste die Obertorbrücke durch eine steinerne ersetzt worden. Im selben Jahre wurde beschlossen, auch die Niedertorbrücke zu erneuern. Doch sollten da gleichzeitig Veränderungen am Tor vorgenommen, der Eingang in die Mitte des Rondells, die Torschreiberwohnung seitlich verlegt werden. »Ob aber deswegen allerunterthänigster Bericht einzusenden, stünde dahin; es dürfte solches eine kostbare Commission nach sich ziehen und darum eben nicht vonnöthen sein, weil zum Bau nichts von Vestungsbaugeldern gegeben würde, sondern man von eigenen Kosten bauete, die Stadt auch vor keine Vestung Iziger Zeiten Beschaffenheit nach gehalten würde.« Am 3. April 1719 ließ man »wegen Transferierung des Thors und der Aufzugbrücke ... wenigstens des Herrn Ober Land Baumeister Pöppelmann Gutachten ... einholen«. Ein Maurermeister wurde mit dem obenerwähnten Brief, den »gefertigten Abrißen« und zwölf Thalern nach Dresden geschickt. Am 7. April 1719 antwortete Pöppelmann: »Hoch Edle, Hoch- und Wohlgelahrte, Hochgeehrteste Herren. Dieselben haben das Vertrauen gehabt, in ihrem Vorhabenden Baue mich zu Consellieren Beliebet, auch den Mäurer Meister abgeschicket, damit er desto mehrere Kundschaft einziehen möge. So habe Beyliegenden Riß (Abb. 1) Verfertiget, denen Conducteurs Vorgezeichnet, die Sich vor das überschickte dienstl. Bedanken thun. Die vielen vorhabenden Baue haben nicht zulaßen wollen mehren Fleiß anzuwenden. Der pfeihler, welcher in des Mäurer Meisters Riß angedeutet, kan ersparet werden, auch ... von den Zierathen nach belieben ausgelaßen werden und kan nach diesen Riß mit Wenigem eine große Parade zu des Königes andenken und Zierde der Stadt gemacht werden ...«

Abb. 1. Pöppelmanns Entwurf für die Niedertorbrücke (1719)

Die in Abbildung 1 wiedergegebene Zeichnung ist also nach Pöppelmanns Angaben (Skizzen) im Oberlandbauamt gemacht worden, und zwar von seinen Baubeamten (Kondukteuren), denen er auch die zwölf Thaler zukommen ließ.[179] – Leider ist die Zeichnung vom Maurermeister nicht mehr vorhanden, so daß kein Vergleich möglich ist. Jedenfalls war auf dieser ein Pfeiler, ähnlich wie in Abbildung 3 vorgesehen. Pöppelmann überspannt den Graben mit einer einzigen Bogenöffnung in gefälliger Form und läßt, wie im Schnitt zu sehen ist, im Brückenbogen eine Öffnung für die Zugbrücke. Diese gefährliche Stelle sollen nachts die beiden Brückenlaternen beleuchten. Das Tor, dessen äußere Pilaster übereck gestellt sind, ist mit kriegerischem Schmuck versehen, mit Fahnen, Helmen, Panzern, Schilden, Kanonenrohren. Der Schlußstein mit Krone erinnert an die allerdings bei weitem reichere Ausführung am westlichen Zwingerpavillon. Wie vorteilhaft würde ein solches Tor an der glatten Mauer des Festungsrondells gestanden haben! Aber es kam gar nicht zur Ausführung, weil die Steinmetzarbeiten zu teuer erschienen.

Abb. 2. Naumanns Entwurf für das Portal an der Frauentorbrücke

Im Ratsprotokoll vom 14. April 1719 heißt es: »Herr Ober Land Baumeister Pöppelmann hätte die Fortrückung des Niederthors und daß die Brücke gleich zu gehen möchte (d. h. geradeaus, in die Mitte des Rondells) approbiret, auch den ihm gezeigten Riß anders eingerichtet. Man könnte auf diese Weise leichter darzu gelangen und an denen Kosten ein merkliches ersparen. Weil nun auch dessen Meinung nach es Ihrer königlichen Majestät wohl gefallen würde, wenn das Thor und die Brücke nach seinen Gutbefinden gebauet würde, so sollte immer solcher Bau angetreten werden. – Herr Haupt (Ratsherr) ... ließe sich Herrn Pöppelmann Riß und Vorschlag gar wohl gefallen, sonderlich würde es ein Zierrath sein, wenn das Portal vorgerißnermaßen gemachet[180] würde.« Am 10. Juli 1719 wird beschlossen, das Portal der Kosten wegen wegzulassen, die neue Toröffnung mit den alten Steinen zu mauern und »die Zierrathen bis zum Tränkthor, wo die Herrschaften herein zu ziehen pflegten, versparen.« (Das Tränktor an der Dresdner Straße wurde erst 1800 umgebaut, kommt also hier nicht in Frage.)

Abb. 3. Der Zwickauer Entwurf für die Frauentorbrücke

Der Umbau des Frauentors wurde 1724 beschlossen. Der Rat hat sich zunächst an den Obrist-Lieutenant und Baudirektor Johann Christoph Naumann in Dresden gewendet. Er war Baudirektor der Akzis-Behörde. Weil die Steuereinnehmer- und Torschreiberwohnung verändert werden sollte, wandte man sich zunächst an ihn. Er übersandte seine »Gedanken« in zwei Zeichnungen: Ansicht des Tores (Abb. 2) und der Brücke (ähnlich wie Abb. 3). Am 27. Mai 1726 wurde an Pöppelmann geschrieben und die Zeichnung, die in Abbildung 3 zum Teil wiedergegeben ist, mitgeschickt. Er antwortete am 7. Juni: »... Ew. Hoch Edle und Hochw. übersende beygehend ich den mir zu geschickten Riß des aufzubauenden Stadt Thores und Brücke nebst einer anderweitigen copey deßselben, (Abb. 4), in welcher ich meine unmaßgebliche Gedanken und Gutachten zugleich mit zu erkennen geben wollen. Gleichwie nun nachdem neuen und von mir entworffenen Riße das Thor sowohl als die Brücke ein beßeres Ansehen gewinnen dürffte also halte auch dafür, daß es beßer gethan seyn möchte, wenn nach dem Adjecto sub A die Brücke gerade fort in einer Linie gezogen und nicht abhängig gemacht werden solte, maaßen solches der Brücke selbsten ein gutes Ansehen geben dürffte. Wegen des Waßer Abfalls[181] aber kan die Brücke von inwendig darnach gepflastert und das Regen Waßer durch Ausgüße in den Fluß gewießen werden, wodurch den endlich der faciata keine Unförmlichkeit zugezogen würde. Wenn auch ferner an der Brücke ein Gatter Thor, wie ich solches ohngefehr gezeignet (B), gefertigt werden wolte, dürffte solches gleichmäßig eine formität dem Thore selbsten machen und das Anlaufen derer Leuthe an die Aufzieh Brücke bey Nachtzeiten verhindern, mithin vielleicht besorglichen Schaden verhütten ...«

Abb. 4. Pöppelmanns Abänderungsvorschlag zum Zwickauer Entwurf für die Frauentorbrücke (1726)

Pöppelmann behält das einfache Tor Naumanns bei, gibt aber der Brücke eine schönere Form. Der schwere Halbkreisbogen wird zum leichteren flachen Korbbogen und der Knick in der Brüstung fällt weg. Auch die Pfeiler des »Gattertors« bekommen bessere Verhältnisse und Anläufer vermitteln den Übergang zur niedrigen Steinbrüstung.

Aber auch dieser Entwurf erlitt dasselbe Schicksal wie der vorhergehende. Am 13. Juni 1726 wird im Rat beschlossen, »bei dem von Herrn Baudirektor Naumann gefertigten Riß zu bleiben.« Vielleicht spielte hierbei die Änderung[182] in der Besetzung des Stadtrates eine gewisse Rolle. Es waren inzwischen, 1725, die beiden Bürgermeister und drei andere Ratsmitglieder gestorben, darunter der obengenannte Haupt und der Vorstand des Bauamts.

Als vor hundert Jahren die Tore und Brücken abgebrochen wurden, sind also jedenfalls keine bau- und kunstgeschichtlich wertvollen Gebäudeteile verschwunden.

Es ist immer von besonderem Reiz, einen Blick in die Werkstatt eines Künstlers zu werfen. Beim Baukünstler heißt das die Pläne, Zeichnungen und Erläuterungsberichte kennen lernen. Wir haben hier nur einen kleinen Ausschnitt aus dem großen Arbeitsfeld Pöppelmanns vor uns und doch entbehrt er nicht einer gewissen Anteilnahme. Wir erkennen auch aus dem wenigen, wie der Meister der Zweckmäßigkeit und Schönheit in gleicher Weise Rechnung zu tragen verstand.

Fußnote:

[1] III o 10a Nr. 1: Acta den Nieder Thor Brücken Bau betr. 1719 und III o 10a Nr. 2: Acta den Bau einer neuen Frauen Thor Brücke betr. 1724.


Die Pappel, ein Beitrag zur Gestaltung der Landschaft durch den Menschen

Von Th. Leuschner, Dresden-Loschwitz

»Die Gestaltung der Landschaft durch den Menschen« ist der Inhalt eines dreibändigen Werkes von P. Schultze–Naumburg, das zu der Reihe seiner »Kulturarbeiten« gehört.

Aus der Beschäftigung mit dem Buche ist dieser Beitrag entstanden, ich habe einmal ernstlich an mir ausprobieren wollen, wozu der Verfasser durch einen Satz in der Vorrede anregen will: »Aber der Zweck dieser Bücher ist ja nicht, das Thema enzyklopädisch zu bearbeiten, sondern sie wollen erzieherisch wirken; und wenn die Bilder einigen die Augen öffnen für gewisse Fälle, so wird es ihnen ein Leichtes sein, in der Natur unzählig andere selbst zu entdecken.« –

Unter den sechs Formen, durch die der Mensch als Herr der Welt bei seinem heißen Bemühen, die Erde seinen Zwecken dienstbar zu machen, ihr Angesicht – die Landschaft – umgestaltet, nennt Schultze–Naumburg, an zweiter Stelle die forst- und landwirtschaftliche Nutzbarmachung der Pflanzenwelt. Hierbei gibt er dem Baum, weil er starke raumfüllende Eigenschaften hat, einen bedeutenden Anteil, der Landschaft ein besonderes Gepräge zu verleihen. Er unterscheidet hier drei Verwendungsarten: Die Massenansammlung im Wald und Park; die rhythmische Auswertung in Allee, Reihe und Gruppe; die Betonung der Einzelerscheinung. –

Ich habe nun bei meinem Hineinschauen in die Landschaft den Versuch gemacht, eine Zeitlang mir recht enge Grenzen zu ziehen. Ich glaubte, durch ein inhaltlich kleines Beobachtungsfeld inmitten der reichen sinnverwirrenden Fülle der pflanzlichen Erscheinungsformen die Ursachen für die eigenartige Wirkung – ich weiß nicht, ob ich sagen soll[183] die Schönheit – eines Landschaftsbildes empfinden zu können. Ich suchte mir zunächst solche Fälle heraus, wo der Baum durch seine rhythmische Verwendbarkeit und als selbständiges Einzelwesen in der Landschaft gestaltet, um dann zuletzt auf einen Baum mich zu beschränken: auf die Pyramiden- oder italienische Pappel, wie sie allgemein im Volksmund genannt wird.

Ich muß sagen, daß der Baum mir dabei lieb geworden ist, vielleicht ist er auch schon vorher mir etwas wert gewesen im Gegensatz zu denen, die ihn nie recht haben leiden können. Die Pappel hat nicht viele Freunde. Die einen behaupten, daß sie ein landfremder Baum sei und darum in unsere Landschaft nicht recht passe. Anderen wird sie zu schnell alt, sie sterbe zu zeitig von oben herein ab, die dürren, abgeschälten Spitzen wollen ihnen an dem sonst grünen Baum nicht gefallen. Manche wollen den Baum nicht in der Nähe des Hauses haben, er ziehe den Blitz an, bei großem Sturme beschädigten die sich stark biegenden Äste das Dach. Und nicht die wenigsten betonen mit wichtiger Miene, sie sauge mit ihren weitgehenden Wurzeln über Gebühr Garten- und Feldland aus. Und die letzten geben einem Baume nur Daseinsrecht, wenn sein Holz zu etwas taugt, der Pappel sprechen sie einen Holzwert ab. Darum sind im Laufe der Jahrzehnte viele Pappeln unter der Axt und der Säge gefallen und in der Landschaft für immer verschwunden. Das müssen wir unbedingt als einen Verlust bedauern.

Vielleicht tragen meine Worte und Abbildungen ein wenig dazu bei, ihre Ehre zu retten, die und jene Pappel – ob alt oder jugendfrisch – vor gewaltsamem Tode zu bewahren, vielleicht auch dazu, daß man sich ihrer Art von neuem besinnt und hier und da an Stelle eines anderen Baumes eine Pappel pflanzt. Gar mancher Naturfreund wird sich freuen, daß er die Pappel in seinem Garten, an seinem Hoftor, an der Gabelung seines Feldweges noch als einen herrlich gewachsenen Baum erlebt. Sie wächst schneller als viele andere Bäume, an deren voller Formenschönheit sich vielleicht erst sein Sohn, wenn ihn das Schicksal auf dem väterlichen Anwesen bleiben läßt, erfreuen kann. Und so manches Denkmal in freier Flur, in blumenreicher Anlage hätte in Kürze treue Wächter und Wegweiser bekommen, wenn man beim Anpflanzen mit an die Pappel gedacht hätte. Wir hängen hierbei gern an Tradition. Stamm und Krone einer Eiche stehen mit der Zeit einem Erinnerungsmal gut zu Gesicht, aber seine Erbauer erleben oft nicht seine ganze gewünschte und im Entwurf gezeichnete Schönheit.

Da war Napoleon I. ein anderer! Mit dem Sinn eines genialen Feldherrn und Ingenieurs hatte er in der Pappel den Baum gefunden, der durch seine aufragende Gestalt ihm von Ferne seine Heerstraßen anzeigen würde. Er ließ darum Pappeln links und rechts der militärisch wichtigen Straßen anpflanzen. Dadurch ist die landläufige Meinung entstanden, daß er es gewesen sei, durch den die Pappel aus dem Süden zu uns heraufgekommen sei. Das ist falsch! Auf alten, vor seiner Zeit entstandenen Bildern können wir den leichtbelaubten Baum schon finden.

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Und ist die Pappel nicht auch ein prächtiger Begleiter auf der Landstraße, der uns hüben und drüben die Aussicht gelten läßt? Die im Kriege auf Rußlands uferlosen Straßenbreiten haben marschieren müssen, haben die Leere der Landschaft um sich herum empfunden. Und wenn es nur hier und da ein aufragender Baumfinger gewesen wäre, der dem Auge eine weg- und zeitmessende Sicht gegeben hätte!

Freilich Schatten, weit und kühl umfassend, gibt der Baum nicht, er legt bei tiefstehender Sonne davon nur lange schmale Streifen über die Straße bis hinüber ins Feld. Will der Wanderer bloß im Schatten seine Straße ziehen? Dann bleib im heißen Sommer zu Hause!

Dafür aber läßt er die Sonne, unterstützt vom streichenden Wind, recht schnell die Straße trocknen, wenn Regengüsse und Tauwetter sie weich und schmutzig gemacht haben. Wird unser Baum in den nächsten Zeiten seine Freunde finden, die ihn wieder als Wegbegleiter pflanzen lassen? Wohl nicht! Er bringt nichts an klingender Münze hinein in die Kassen der Gemeinden und des Staates. Mehr als sonst muß es jetzt wohl heißen: »Obstbäume an die Straßen!« Ganz recht, aber dann auch an die richtigen Straßen, an Straßen zweiter und dritter Ordnung, an Feld- und Verbindungswege! Hier stören sie nicht den Verkehr, namentlich bei der Erntezeit, hier werden sie selber auch nicht vom Verkehr beschädigt.

Ich sollte also meinen, unsere Pappel hätte doch ein wenig Anrecht, bei Straßenanpflanzungen nicht übersehen zu werden. Wir in Loschwitz haben den Versuch gemacht, eine neuangelegte Straße mit Pappeln zu bepflanzen; und ich glaube, die beabsichtigte Wirkung ist erreicht worden und ermutigt so zur Nachahmung. Es muß nicht alles vom »Krämerstandpunkt« aus gesehen und geleitet werden. Aber immerhin: die Pappel wird sich auch weiterhin nur an den Naturfreund wenden müssen, dem eine Freude an Schönheit mehr gilt als Geld. –

Unser Baum hat eine Seele, eine Eigenart der Erscheinung, ein Eigenleben gegenüber den Kräften der Natur. Hoch, senkrecht zielt sie empor, nur die Waldbäume im tiefen Grund überholen sie in ihrer Sehnsucht nach dem Licht, an Kraft und Höhe. Und dabei welche Regelmäßigkeit in ihrem Aufbau von Ast zu Ast, jeder Zweig ist eine Wiederholung des im Alter vorausgegangenen in Gestalt und im Aufstreben. Leicht beweglich spielen die rutigen Zweige und langgestielten Blätter im Winde. Und im Sturm gibt sie, die noch junge lebensfrohe, klug nach, sie beugt sich in ihrem Wipfel tief vor seiner Gewalt, um sich nicht von dem rohen Gesellen abrackern, zerbrechen oder gar ausheben zu lassen. Und wenn alles Wetter vorüber ist, steht sie, die von des Himmels starkem Atem so frei und wild umwoben wurde, noch ein wenig nachzitternd da: stolz, aufrecht. Und wenn die Pappel – alt geworden – langsam Jahr für Jahr von oben herein abstirbt, wenn sich ihr Wipfel nicht mehr spielend bewegt, wenn die starken Äste oben blattlos und grau in die Luft stehen: ist der Baum darum unschön geworden? Soll er da gar die Landschaft schänden? Nein, er gibt einen leisen, besinnlichen[185] Ton von Vergehen und Scheiden hinein in den vollen Zusammenklang von schöpferischem Licht, von lockenden Farben und schwellendem Wachstum in Feld und Flur. Du sollst das Leben im Gefühle der Lust bejahen, auch wenn du seine Vergänglichkeit siehst! –

Mag es sein, daß ich in meiner Freude vielleicht zuviel aus mir hinein in den Baum trage. Was schadet das? Es ist stets ein frohes, beglückendes Tun, sich in die Wesenseinheit eines Baumes einzufühlen und seinem Ton nachzusinnen, den er durch sein Dasein in dem Zusammenklang von so vielen Erscheinungen eines Landschaftsganzen hören läßt. Der Ausgang wird hierbei immer verschieden sein, dafür sind wir Menschen: ein jeder findet in der Natur immer wieder das, was er in sich hat. So darf ich wohl auch glauben, daß die Gedanken, die ich meinen »Pappelbildern« mitgeben will, nicht getadelt oder belächelt werden.

Abbildung 1: Die Schanzpappeln bei Hosterwitz. Das Bild reizt die Phantasie, die Bäume über den Rand hinauswachsen zu lassen bis hinauf in die beweglichen Spitzen. Aber auch ohne das – sie stehen da an dem bescheidenen Brückchen wie zwei altgewordene Wächter, fest und zäh mit dem ebenen Erdreich verwachsen, in dem ihre Wurzeln weithin verankert sein mögen. So trotzig hart im Ganzen gesehen, und doch so leicht nachgebend in Zweigen und Blättern. Ich gab dieses Bild als Erinnerung einem Manne mit, der von uns aus Amt und Würden schied in den Ruhestand, zu jener Zeit, als im deutschen Lande so viele Geister wankend wurden und sich wandelten, und schrieb darunter: »Wir wollen den beiden Bäumen gleichen. Sich treu bleiben! Der Glaube an uns ist das Geheimnis alles Erfolgs. Ein Gott in dir befiehlt mit seiner Macht! So nur reißt sich der Strebende aus den Niederungen des Geschickes und der Zeit empor zur Höhe inneren Glücks. Ich bin durch mein Herz, was ich bin!«

Abbildung 2: Das Fährhaus bei Sommershausen. Im Frankenland am Main, in der Heimat von Casparis viel gelesener Geschichte aus dem Dreißigjährigen Kriege »Der Schulmeister und sein Sohn«.

Zwei Altgewordene, die ihre Dienste schlicht und recht, wer weiß wie lange, getan haben. Sie werden nicht mehr gebraucht, eine steinerne Brücke mit weitbogigen Öffnungen und gerader Fluchtlinie hat die beiden für immer abgelöst, abseits stehend sehen sie der neuen Zeit mit ihrem Verkehr zu.

Eine alte Zeit hat das Haus für den Fährmeister und seine Knechte gebaut, gehoben auf ein hohes Bollwerk, um es gegen die stoßenden Eisschollen zu schützen. Seine stattliche Höhe, sein mächtig gebrochenes Dach zeigten von weitem schon dem Fremden, dem Fuhrmann die Stelle, wo der Weg hinüber zum anderen Ufer führt.

Und die Pappel hat dann mit der Zeit dabei wacker geholfen. Sie wuchs über den First hinaus, bis sie zuletzt das Haus bedeutend überragte. So wurde sie noch eher als das Haus gesehen: ein Wegweiser aus weiter Sicht. Und die Schiffer begrüßten ihr winkendes Grün, wenn sie, mit schwerer Last[186] auf Fahrt nach Frankfurt begriffen, um eine der Mainbiegungen kamen. Ihre ragende schwarze Gestalt, ein schwaches Laternenlicht in einem der Fenster, haben auch in finsterer Nacht dem Suchenden die Überfahrt gezeigt.

Abb. 1. Die Schanzpappeln bei Hosterwitz

Das Haus wurde in Sonnenschein und Regen altersbraun, und auch der Baum – gewiß so alt wie das Haus – verlor die grüne Beweglichkeit der Jugend, Stürme und kalte Nächte ließen sie von oben herab erschauern. Aber sie blieben beisammen, als ein Bild aus vergangenen Tagen. Wie lange noch? Wer geht zuerst davon?

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Abb. 2. Das Fährhaus bei Sommershausen

Abbildungen 3 und 4: Bei Liebshausen. Eine reichgesegnete Landschaft am südlichen Rande des böhmischen Mittelgebirges: weite ebene und sanftansteigende Ackerflächen, fruchtbar, voll Weizen und Zuckerrüben; jeder kleine Weg, jede Straße mit Obstbäumen bepflanzt, selbst die Feldflächen in geradlinigen Reihen mit ihren runden Kuppen durchzogen. Wohin das Auge schaut: Fruchtbarkeit des Bodens und Fleiß der Bewohner. Aber auch eine von der Natur allein ins Großzügige, ins Gewaltige gesteigerte Landschaft: die weite wellige Ebene wird umrahmt von seltsam geformten Bergen, unter denen nur drei der bekanntesten genannt sein mögen: Hoblik, Ranneyer Berg und Milleyer Berg. Da sie vom Fuße bis oben auf den langgestreckten Gipfel nur mit einer immer kurz bleibenden, von den Schafen fortwährend abgefressener Grastrift, beinahe ohne jede Strauch- und Baumgestalt, bedeckt sind, heben sich ihre scharf umrissenen Linien und Flächen fast trotzig drohend und gerade darum den Wanderer anziehend vom weiten Horizont ab. Und in welch farbigem Duft stehen sie manchmal da, wenn Sonne und Wolken die Luft malen!

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Abb. 3. Bei Liebshausen

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Nun mag der Wanderer stehen, wo er will: gerade hier empfindet er jede einzelne Pappel wie ein Fanal, das aus den Tausenden von rundköpfigen Obstbäumen in die Höhe flammt und da und dort das Versteck eines Gehöftes und die eigentliche Dorfmitte deutlich anzeigt. –

Abb. 4. Bei Liebshausen

An manchen anderen Stellen des schönen unvergeßlichen Nordböhmens ist mir der Baum gerade zum freundlichen Verräter, zum willkommenen Anzeiger eines Dorfes geworden. Der Weg führte, durch allerlei Bäume und reichen Pflanzenwuchs unübersichtlich geworden, dahin, der Karte nach mußte die Ortschaft nahe sein; und siehe da, aus dem zusammengeballten Haufen von Obstbäumen grüßte der Baum entgegen, noch ein paar hundert Schritte, und aus dem Grün tauchten die bescheidenen Gehöfte auf.

Abb. 5. An der Naab bei Kallmünz

Abbildungen 5 und 6: An der Naab bei Kallmünz. Wenn die Bilder mit den Farben reden könnten, die das Licht der Landschaft zu geben vermag! Was waren das damals für herrliche Bäume! Sie hätten mich fortführen[190] können in ein fremdes Land. Aber weg mit solchen Gedanken, die immer nur vergleichen wollen, die untreu machen wollen. Seien wir fröhlich, daß es doch eine deutsche Landschaft ist! Eine steile, von zerbröckelnden Felsklippen aufgebaute Talwand, graugrün das seltsame Gestein, grau verbrannt die kümmerliche Pflanzendecke, voll gelbem Staub der Weg, der, kaum gehoben, sich wieder senkt, das schwarze und doch so weiß glänzende Wasser der Naab – in der staubgeschwängerten Glut des Sonnenscheins flimmern und blinkern die kleinen Widerscheine auf den dunkelgrünen, fast ledrigen Blättern der Bäume: und dieser ganze große Reichtum hineingedrängt und aufgehäuft in einen halbwegs großen, scharf sich drehenden Bogen des rasch eilenden Flusses.

Abb. 6. An der Naab bei Kallmünz

Abbildung 7: Im Taubergrund vor Rothenburg. Unten an der Tauber schon leise Abenddämmerung. Oben auf der steil ansteigenden Berglehne entlang noch im Lichte die Stadt, wie ein heilig Jerusalem im deutschen Land, wie eine vieltürmige märchenhafte Burg. Es zieht den Blick immer wieder hinauf zu ihr. Und es kann keinen anderen, keinen besseren Baum geben, der das Auge hinaufleitet, an dem die Gedanken hinaufsteigen, der die Sicht in so vielen Bildern uns genießen läßt. Und dazu der Gegensatz! Unten die Bäume alt, müde, vom Zahn der Zeit zermürbt – droben die Stadt,[191] die, noch im Schmuck der Mauern und der Türme vom alten Deutschen Reich erzählend, nicht vergeht.

Abb. 7. Im Taubergrund vor Rothenburg

Es mag genug sein mit den Bildbeigaben. Ein paar Hinweise, einige Fragen will ich noch in aller Kürze andeuten, um zum Nachsuchen anzuregen. Auf dem stillen Teile des Schillerplatzes in Blasewitz hat die Gemeindeverwaltung vor Jahren eine Reihe von Pappeln angepflanzt. Mit Recht? Oder passen die Bäume nicht her? – Der nimmermüde Strahl des artesischen Brunnens in Dresden-Neustadt läßt sein Wasser in das runde Becken eines offenen Tempelchens fallen. Um ihn herum stehen Pappeln. Sind das die richtigen Bäume? Oder hätte der Architekt wieder die runden Kugeln der Akazien des durch den Neubau im Hintergrund so recht zerstörten Straßenbildes herbeiholen müssen? – Wir schreiten langsam das Terrassenufer mit seinen architektonisch zusammengeschnittenen Bäumen herunter. Wo die Straße dann eben hinführt, stehen zur Rechten bis zur Brücke ein paar Pappelbäume, etwas dürftig und recht gealtert. Wer weiß, woher sie stammen. Ist es aber nicht so, als wenn sie die von uns verlassene Höhe des Sachsenplatzes noch einmal aufnehmen und sie in uns nachklingen lassen wollten? – In dem Gartenhof des Pillnitzer Kammergutes ragen zahlreiche Pappeln auf. Tun sie nicht das[192] ihre damit, daß sie für uns das mittelste und älteste Wirtschaftsgebäude so ehrwürdig hinstellen, ohne dem Schnitter die Wiese zu nehmen? – Warum hat der Gartenkünstler seiner Zeit auf den freien Rasenflächen, die mit ihren farbigen Blumenbeeten das Palais im Großen Garten umgeben, in den beiden Hälften der kurzen Achse Pappeln angepflanzt? – Wer von den vielen Besuchern der Sächsischen Schweiz hat die Pappelgruppe auf dem Eisbecher bei Posta, den alten grünen Wächter an Schumanns Ziegelei in Wehlen bewundert? – Dort, wo die breite Landstraße von der Höhe heruntersteigen will nach Possendorf, muß sie eine scharfe lange Wendung machen. Hier stehen ziemlich eng aneinander eine Pappel an der anderen, als wenn sie ein durchsichtiges und doch sicheres Geländer für die rechte Straßenseite sein wollten. –

Es mag mit diesen Beispielen aus der Nähe genügen. Fast möchte ich wünschen, wir hätten ein Buch voll guter Pappelbilder beisammen, herbeigeholt aus allen Teilen unseres Landes. Was müßte das bei aller Gleichheit für eine Summe von Verschiedenheiten geben! Und ich wüßte ganz gewiß, die Bilder würden einen jeden zwingen, an dem Baume Gefallen zu finden und ihm sein Daseinsrecht als ein eigenartiges Glied in der heimatlichen Landschaft so lange wie möglich zu wünschen.

Vielleicht trägt meine kleine Arbeit ein wenig dazu bei, der Pappel ein paar Freunde hinzuzugewinnen.


Der Sonne entgegen!

Eine Frühlingswanderung im östlichen Erzgebirge

Von H. Funke

Ebenso plötzlich wie Gewitter und Platzregen über uns hereingebrochen waren, hatten sich die Wetter verzogen. Zwar standen in der Ferne noch drohend einige schwarze Wolken, und eine merkliche Abkühlung war nicht zu spüren, aber wir hofften auf die Nacht, die den Himmel vollends abräumen und die drückende Schwüle bannen sollte. Frohgemut saß ich daher mit meiner Wandergefährtin, über Führer und Karte gebeugt, Pläne für den kommenden Tag schmiedend. »Eine Wanderung ins Böhmerland« hieß unser Ziel, eine Wanderung, die uns die Eigenart und Schönheit der Kammregion und des südlichen Steilabfalles unseres östlichen Erzgebirges vor Augen führen sollte. Von unserem Standquartier bis zur Grenze waren es nur knapp zehn Minuten Wegs, so daß wir nebenbei ausrechneten, wie weit, ach weit »ins Land« hinein wir von hier aus in einem Tage vorstoßen könnten, wenn – ja wenn uns unser Grenzausweis nicht gebieterisch auf die schmale zehn Kilometerzone beschränkte. Schließlich fanden wir aber auch auf dem engen Raume so viel, daß der Tag voll ausgefüllt war. Wir schlugen daher Buch und Karte zusammen und schieden voneinander mit dem Versprechen, morgen früh Punkt sechs Uhr aufzubrechen.

[193]

Beim ersten Hahnenschrei lugte ich neugierig zum Fensterlein hinaus. O weh! Das Tal von unten bis oben hinauf ein einziges Nebelmeer! Noch beschied ich mich. Als sich mir jedoch um fünf und um sechs Uhr dasselbe trostlose Bild darbot, fing ich an, dem Wettergotte zu grollen. Es war aber auch fürchterlich. Von den schmucken Häuschen am Bergeshange war nichts und auch rein gar nichts zu sehen, so daß ich wirklich zweifelte, ob sie nicht ein böser Zauberer über Nacht habe verschwinden lassen. Verhüllt war der lenzfrohe Wald mit seinem herrlich leuchtenden jungen Grün. Die bunte Wiesenpracht, gestern abend noch unser Entzücken, erschien eintönig, und die Blütenköpfchen nickten verträumt und verschlafen. Selbst die große Schar der Vögel blieb heute länger stumm. Nur ein Fink rief wie zum Hohne sein ewiges, Regen kündendes: Rietsch! – rietsch! vom hohen Ahorn herunter. Und wirklich, der kleine Kerl sollte recht haben. Kurz nach sechs Uhr setzte der Regen ein. Der Wind fegte durch die Baumkronen, bog sie hin und her, schüttelte die Wipfel, jagte die Nebelschwaden auf, trieb sie gegen die Rücken der Berge und hob sie darüber hinaus. Wir zwei aber standen unter der Haustür und schauten sehnsüchtig hinaus und hofften von Minute zu Minute auf Besserung. Aber der Regen trommelte weiter. Es wurde acht, es wurde zehn Uhr. Jetzt schlug es elf, und unser Hoffnungsbarometer hatte fast den tiefsten Stand erreicht. Da gegen zwölf Uhr ein mächtiger Windstoß, die Nebelmassen wurden höher und immer höher emporgewirbelt, das Tal war frei, der Regen hörte auf, und die Buschmutter fing an, Kaffee zu kochen.

Nun gab es kein Halten mehr. Was kümmerten uns die Pfützen mitten auf dem Wege und der weiche, klitschige Boden, was kümmerten uns die düstren Wolken, die das Himmelsblau noch verdeckten? Wir waren voll frohen Sinnes und wußten es: Wir ziehen der Sonne entgegen. Vergessen war all das Trübe des Morgens. Wie die Kinder freuten wir uns der Wasserperlen auf den Blättern des Frauenmantels und der glitzernden Regentröpfchen, die an den Halmen der Gräser hängen geblieben waren und die, Diamanten gleich, in allen Farben aufsprühten, als der erste Sonnenstrahl sieghaft das eilende Gewölk durchbrach. Hinter den letzten beiden Häusern von Zaunhaus, wo ehemals der »Zaunknecht« sein Heim gehabt haben soll, überschritten wir die Grenze, und nun führte unser Weg in herrlichem Fichtenwalde dahin, der nur von Zeit zu Zeit den Ausblick auf die umliegenden Höhen und Hänge freigab. Die alten und jungen Bestände trugen gleicherweise noch schwer an der Last vorjähriger Zapfen. Ihrer so viele waren es, daß die Wipfel von ferne ganz rostrot erschienen und wir erst glaubten, die böse Nonne habe sich auch hier eingenistet.

Wo der Wald lichter ward oder eine kleine Strecke vom Wege zurücktrat, stellte die Sippe der Beeren sich ein: Heidelbeeren und Rauschbeeren schon mit grünen Früchtchen behangen, die dunkellaubige Preiselbeere über und über blühend, so schön, daß wir uns niederbeugten, um die zierlichen Glöckchen von nahem zu sehen.

Hinter dem Forsthause Kalkofen ward die Talaue flacher. Der Wald lichtete sich und löste sich seitwärts von uns in lauter Baumgruppen auf, vor[194] denen wiederum einzelne Fichten gleichsam als Vorposten aufmarschiert waren. Wir befanden uns im Quellgebiet der Wilden Weißeritz, inmitten teils trockener, teils mehr oder weniger mooriger Bergwiesen. Bis dicht an den Wegrand heran drängte sich der stark duftende Köppernickel mit den fein zerteilten Blättern und den leicht ins Gelbliche spielenden Dolden. Weiterhin tauchten Riedgräser auf. Dazwischen lugten die zarten, roten Lippenblüten des Läusekrautes heraus, und von ganz drüben, wo das kleine Rinnsal die Wasser zu Tal führte, nickten die weißen Blütenschöpfe des Wollgrases. Wo das Land trockener wurde, verschwand das bleichgrüne Torfmoos. Das blaue Kreuzblümchen bildete dichte Rasen, und von der Böschung der Straße leuchtete uns weiß und rosa das zierliche Katzenpfötchen entgegen.

Langsam stiegen wir zum Kamme empor; denn in weitem Bogen umging die Straße den vorgelagerten Höhenrücken. Wir kamen jetzt in die Zugrichtung des Windes. Zwar wehte er augenblicklich nur mit mäßiger Geschwindigkeit, aber wir fühlten wohl, wie er hier oben zu toben und zu wüten vermag, wenn er den Bäumen die herbstlich-welken Blätter von den Ästen und Zweigen zaust. So arg und so oft hat er sein tolles Spiel mit den Bäumen getrieben, daß sie ihre Äste in der Windbahn weit, weit von sich strecken, als wollten sie ein großes Unheil abwehren.

Schon grüßte uns das schwarze Kreuz auf seiner einsamen Höhe, und jetzt, jetzt standen wir oben auf dem Kamme, und der Blick schweifte sehnsüchtig und suchend hinab in die Tiefe. Noch hüllte sich das Mittelgebirge in leichten Nebel, aber links und rechts von uns und unmittelbar zu unseren Füßen glänzte das Land im goldenen Sonnenschein. Gleich rechts uns zur Seite stieg wie ein mächtiger Eckpfeiler der Stürmer empor, am Hange halblinks vor uns lagen hingebettet und sich an den Boden anschmiegend die schindelbedeckten Häuschen der alten Bergstadt Niklasberg. Wir folgten ihren Reihen, bis sie sich im Laubgewirr des Hüttengrundes verloren, den die Eisenbahn Eichwald–Klostergrab–Brüx auf hoher, kühner Brücke überquert. Und drüben im Südosten sahen wir, vom Schloßberge hoch überragt, die Badestadt Teplitz, deren heilkräftige Quellen schon manchen von langem, schmerzensreichen Siechtum erlöst haben.

Jetzt geruhten auch die stolzen Herren des Mittelgebirges den Schleier zu lüften, und fast urplötzlich stand mit all den spitzaufstrebenden oder langrückigen Höhen um ihn her der Milleschauer in seiner vollen majestätischen Schönheit vor uns. Allein der Borschen bei Bilin enthüllte sich nicht. Er ließ seine mächtige Löwengestalt nur in unsicheren Umrissen durch den Nebeldunst hindurchschimmern. Wir zürnten ihm nicht. Fesselte uns doch der reizvolle Wechsel zwischen Berg und Ebene, zwischen Wald und Feld und dichtgescharten menschlichen Siedlungen so stark, daß wir wie an unseren Ort gebannt waren. Wir schauten und schauten und entdeckten bald in greifbarer Nähe, bald in weiter, weiter Ferne immer neue Schönheiten. Und als wir nach langen Minuten Blick in Blick tauchten, da spürten wir, wie ein Glühen und Leuchten auch durch unsere Seele zog.

[195]

O Lust, vom Berg zu schauen
Weit über Wald und Strom,
Hoch über sich den blauen
Tiefklaren Himmelsdom!
Vom Berge Vöglein fliegen
Und Wolken so geschwind,
Gedanken überfliegen
Die Vögel und den Wind.

Noch einmal grüßten wir das hochgelegene Neustadt, dann eilten wir am Kreuze vorbei, wo die Straßen von Norden her strahlenförmig zusammenlaufen, den Steilhang hinab. Bunte Porphyrfelsen mit winzigen Kohlenflözen durchsetzt, säumten unseren Weg zur Linken. Zur Rechten sahen wir tief unter uns die Geleise der Gebirgsbahn Eichwald–Moldau. So hoch standen wir, daß wir fast glaubten, die Strecke sei schmalspurig angelegt. Wir berichtigten jedoch unseren Irrtum, als wir uns gleich darauf fast senkrecht über dem schwarzen Mundloch des Hirschbergtunnels befanden. Von hier aus folgten wir mit dem Blicke dem Schienenstrange, der sich lang, lang hinzog, oft frei am Hange liegend, oft auch links und rechts von Felsen eingeschlossen. Wir bogen kurz nach Osten um und standen unmittelbar darauf am Fuße einer der gewaltigen Stützmauern, die ein Abrutschen des Bahnkörpers verhindern sollen. Oben am Bahnhof Niklasberg überschritten wir die Schienen, um des weiteren einem schattigen Waldpfade zu folgen. Bald gelangten wir auf eine Schonung, wo junge Fichten und harzduftende Lärchen zwischen Heidekraut und hohem Grase zum Lichte emporstrebten. Nun ein letzter Anstieg, und wir betraten die Porphyrklippen des Warteck. Wieder weidete sich das Auge an der von Sonnenglanz und Himmelsblau verklärten Landschaft, die wir jetzt weiter nach Osten zu überblickten. Greifbar nahe, in allen Einzelheiten erkennbar, ragte der Mückenberg gar keck vor uns auf, gerade so, als müßte es jeden Tag so sein und als wären ihm Wolken und Nebeln immer bekannte Gesellen. Täusche uns nicht! Wir schwören feierlich, daß es vor wenig Stunden auch um deine Höhe braute und brodelte, als wärest du eingehüllt in Qualm und in Rauch.

Wie von selbst wurden unsere Gedanken auf die wechselvollen Geschicke unserer Umgebung hingelenkt. Wir durchmaßen im Fluge die Jahrmillionen und versuchten, die Landschaft als das Ergebnis eines gewaltigen, ewigen Werdens und Vergehens zu begreifen. Fast am Ende der schier endlosen Entwicklungsreihe erschien der Mensch und versuchte, mit seiner schwachen Kraft und seinem überlegenen Geiste bestimmenden Einfluß auf die Natur zu gewinnen. Und jetzt tauchten sie vor unserem Auge in langer Reihe auf: die kühnen Männer, die ihre Axt zuerst in die Stämme der unwirtlichen Wälder schlugen, die Bergleute, die mühsam ihre Stollen gruben, um in harter Fron den Geistern der Tiefe die kostbaren Schätze zu entreißen. Waffenstarrendes Kriegsvolk strebte vom Kamme hinunter in die Ebene und von der Ebene wieder empor zur Höhe. Friedliche Kaufleute führten wertvolle Güter auf hochbepackten[196] Frachtwagen zu Tal. Wetterharte Fuhrleute aus den Dörfern am Kamme verfrachteten aus den Schächten drunten die Braunkohle weit, weit hinein ins Sachsenland. Langsam kroch ihr schweres Gefährt zur Höhe empor. Oft mußten die schweißtriefenden Tiere rasten, um neue Kräfte zu sammeln für den weiteren Anstieg. Frauen und Männer, den Korb schwer mit Mehl oder Obst beladen, suchten auf steilem Fußpfade abseits von der Straße die Höhe zu gewinnen. So spannen wir unsere Gedanken weiter und waren der Gegenwart entrückt, bis uns der herankeuchende Zug aus unserem Sinnen aufschreckte.

Wir griffen flugs zum Stabe und folgten dem schmalen Steige, der sich bald im Hochwalde verlor. Die Äste der Fichten reichten von einer Seite zur anderen hinüber, als wollten sie sich fassen und bildeten ein natürliches, nur etwas niedriges Dach, unter dem wir im kühlen Schatten dahinwanderten, bis wir an den Rand einer Wiese gelangten. Fast jäh senkte sich hier der Pfad hinab, und Steine, klein und groß, eckig und rund, lagen genug umher. Aber tapfer hielt meine frohe Gefährtin aus, ein paar Sprünge, wieder ein Überqueren der Geleise, und wir standen vor dem Bahnwärterhäuschen, das wie ein rechter Luginsland hier oben an dem Hange gebaut ist. Wie zum Lohne für den mühsamen Abstieg gewannen wir bald die gut gehaltene Fahrstraße, die uns immer im herrlichsten Forste bis nach Eichwald hinabführte. Jetzt schrillte der Fink nicht mehr sein eintöniges Rietsch! Rietsch! Wohl aber rief der Kuckuck bald von ferne, bald ganz nahe bei uns, und die Sonne meinte es herzlich gut mit uns und bräunte uns Wangen und Hände, wenn sie uns in einer Lichtung erhaschen konnte. Leicht und froh schritten wir dahin. Es war uns, als sollten wir immer so weiter ziehen Seite an Seite, immer weiter in den wonnigen Tag hinein, wortlos, wunschlos – wanderselig. Aber da tauchten schon die Häuser von Eichwald auf. Wir waren am Ziel.

Ein Blick auf die Uhr belehrte uns, daß wir den Zug nach dem Gebirge noch erreichen konnten. Für 1.80 Kronen lösten wir uns eine Fahrkarte nach Neustadt. Die Wagen waren dicht besetzt, vor allem an der Seite, die den Ausblick nach der Ebene und dem Mittelgebirge gestattete. Wir zogen es daher vor, im Gange zu bleiben, und unter Anwendung aller nur möglichen Kreisbewegungen gelang es uns auch, unseren Stehplatz am Fenster zu behaupten. Jetzt wurden die Abteile abgeschlossen, ein kurzes Signal – die Lokomotive zog pustend und schnaubend an. Wir fuhren bergwärts.

Dann und wann gestattete der Wald einen Durchblick nach Süden, und nicht nur einmal erkannten wir den Weg wieder, den wir vorhin selbander gegangen. Zur Linken tauchte unser Bahnwärterhaus auf, zur Rechten ragten hoch über uns die Felsen des Warteck und ehe wirs uns versahen, hielt der Zug in Niklasberg. Hinter uns drängten sie vorbei mit Rucksäcken und Körben, die Männer und Frauen, die von der Arbeit drunten in der Ebene heimkehrten und nun, müde vom emsigen Schaffen, langsamen Schrittes zu ihren Häuschen hinabstiegen, aus deren Essen der Rauch als freundlicher Willkomm für die Heimkehrenden emporkräuselte. Unmittelbar hinter dem Bahnhof Niklasberg[197] gähnte schwarz und schauerlich der Eingang zum Hirschbergtunnel, der in S-förmiger Windung auf dreihundert Meter Länge durch den Berg hindurchgebaut worden ist. Tiefe Finsternis umfing uns. Im Abteil drinnen verstummte unwillkürlich die Unterhaltung, um erst wieder aufzuleben, als heller Schein an den Tunnelwänden verkündete, daß uns die Tiefe dem Lichte wiedergegeben hatte.

Wir sahen die neue Straße in mächtigen Kehren am Hange sich emporziehen. Eben wollte ich meiner Gefährtin berichten, wie zauberisch schön es in dunklen Herbstnächten hier oben ist, wenn drunten in der Ebene die tausend und abertausend Lichtlein aufleuchten und über uns das sternenbesäte Firmament sich wölbt, da umfing uns abermals schwarze Nacht. Unser Zug brauste durch den zweihundert Meter langen Wasserscheidentunnel. Wenige Minuten später hielt er in Neustadt. Dienstfertig eilte der Schaffner herbei, unser Abteil aufzuschließen. Froh, der Enge des Wagens entronnen zu sein, wandten wir uns dem Dorfe Neustadt zu. Durch Wiesen, die der Mahd entgegenreiften, führte unser Pfad hinauf bis zum buchenbestandenen Gipfel des Stürmers, wo er uns am südlichen Hange entlang leitete, so daß wir den Blick noch einmal – so weit Baum und Strauch es gestattete – in die reich gesegneten Gaue unter uns hinabtauchen lassen konnten. Schon ballten sich merkbar die Dunstschwaden zusammen, so daß wir manchen Punkt, an dem wir uns wenige Stunden vorher erfreut, nur mühsam zu erkennen vermochten.

Um so mehr erregten unsere Aufmerksamkeit die Einflüsse der rauhen Witterung auf die Vegetation hier oben. Da – die gipfelumsäumenden, kurzstämmigen Buchen mit den breiten Kronen. Ists nicht so, als wollten sie jedem zuraunen, wie schwere Lasten an Schnee und an Eis sie Jahr um Jahr tragen müssen? Und hier die Fichten – zerzaust und fast alle des Wipfels beraubt in grausigen Winternächten, wo der Rauhreif sich dick um Zweig und Nadeln legte und der Sturm heulend und hohnlachend die steifgewordenen, schwerbeladenen Glieder brach. Ein Lied, ein ernstes Lied von hartem Kampf und schwerem Sterben war es, das uns hier entgegenklang, aber auch ein hohes Lied von zähem Ausharren und trutzigem, reckenhaftem Heldentum. Glückstrahlenden Auges wies meine Begleiterin auf die Tausende von Schattenblümchen hin, die ihre feinen weißen Ährchen verlangend uns entgegenstreckten. Vom Wiesenrande her schlug jubelnd das Trillern der Lerchen an unser Ohr, und wir jubelten mit aus voller Brust, jubelten, daß auch wir dem Leben gehörten.

Lang, sehr lang malte die tiefstehende Sonne die Schatten der Bäume auf Matte und Weg, als wir zum Dorfe Neustadt zurückpilgerten. Hier gingen wir von einem Häuschen zum anderen und bewunderten die zierlich mit Schindeln und Latten beschlagenen Giebel, von denen wohl keiner dem anderen glich. Volkskunst, Heimatkunst aus Heimatliebe entsprossen. Wir schauten zu den Fenstern hin, aus denen rote Geranien und bunte Gauklerblumen leuchteten und das fleißige Lieschen uns grüßte, als wollten sie alle, alle uns künden: »Auch bei uns wohnt das Glück«.

[198]

Wir wandten uns nordwärts – heimwärts. Hinter uns, tief unter uns, weit entfernt, verdeckt durch den Rücken des Stürmers, lag die vielgestaltige Welt des Mittelgebirges, ragten in der Ebene die tausend Schlote und Essen. Vor uns, wohin wir schauten, spannten sich weite, feingeschwungene, große, ruhige Linien. Es erschien uns diese Landschaft wie das Antlitz eines Greises, dem die Leidenschaft fremd geworden und dem nur noch die abgeklärte Ruhe des Alters geblieben ist. In Erinnerungen uns versenkend, folgten wir dem langsam fallenden Pfade durch Wald und Wiese bis zur Weilersiedelung Kalkofen und dann hinab ins liebe Vaterland. Still und feierlich zog der Mond am Himmel herauf und übergoß die Flur mit seinem magischen, bleichen Silberlichte. Drunten im langgestreckten Wiesengrunde, dicht über den Wassern, brauten die weißen Nebel, und leichtfüßige Elfen wiegten sich im nächtlichen Reihen.


Volkskundliches in den Federzeichnungen des kursächsischen Oberlandbaumeisters Dilich

Von E. Rich. Freytag, Borstendorf i. Erzgeb.

Auf der Ausstellung von Lehr- und Unterrichtsmitteln, die anläßlich einer sächsischen Lehrerversammlung in Plauen veranstaltet worden war, erregten einige auffallend große, für den Massenunterricht berechnete Zeichnungen die Aufmerksamkeit der Besucher. Die kräftigen Zeichnungen, ausgeführt in Holzschnittmanier, doch waren sie auch an manchen Stellen durch Farbe belebt, stellten Ansichten vogtländischer Städte aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges vor. Den Herstellern dieser Vergrößerungen dienten die in den Heften der »Beschreibenden Darstellung der älteren Bau- und Denkmäler des Königreichs Sachsen« wiedergegebenen Federzeichnungen kursächsischer Städte und Schlösser vom Oberlandbaumeister W. Dilich als Vorlage. Mit der Darbietung dieses zeit- und kostenfordernden Anschauungsmittels bezeugte die Schule die außerordentliche Wichtigkeit, welche den Städteansichten Dilichs als Gesichtsquelle zuerkannt werden muß. Erhöht wurde der Lehrgehalt der vorgezeigten Städtebilder durch die gleichzeitige Vorführung von Bildern, die die Ansichten der Städte aus der Gegenwart veranschaulichten. Nun konnte man einen Vergleich über das Sonst und Jetzt mühelos anstellen, und sobald eine solche Übung in der Schule erfolgt, wird man auch die Ursachen, die solche Veränderungen herbeiführten, aufzudecken versuchen und so eine rege Teilnahme am Geschichtsunterricht erwecken. Die Dilichschen Federzeichnungen geben hierzu reichlich Anlaß. Es war daher ein mit Freude zu begrüßendes Unternehmen, daß die »Sächsische Kommission für Geschichte« im Jahre 1907 eine vom Oberbibliothekar Hofrat P. E. Richter (Dresden) veranstaltete Reproduktion des ganzen Dilichschen Werkes (hundertzweiunddreißig Aufnahmen) in die Reihe ihrer Schriften aufnahm, und daß die im Laufe der Jahrhunderte so rege[199] begehrten Zeichnungen, von denen manche schon, aber meist verkleinert, bekannt geworden waren, mit vollkommener Treue in Originalgröße wiedergegeben wurden[2].

Die Federzeichnungen des kursächsischen Oberlandbaumeisters haben insofern für uns eine Bedeutung, als sie für die meisten sächsischen Städte die ältesten Abbildungen darstellen. Sie führen uns siebenundsiebzig Ortschaften aus der Zeit von 1626–1629 treu und doch mit künstlerisch gebildetem Auge erfaßt vor. Dilich steht weit höher als seine Vorfahren auf dem Gebiete der Städtezeichnung. Er bietet keine trockene und plumpe Häufung von Detail, die noch jede Fähigkeit zur Komposition vermissen läßt. Dilich war der erste, dem das Stadtbild als Ganzes etwas bedeutete. Er erfaßte nicht nur die Einzelheiten, sondern das, was er vom gutgewählten Standpunkt aus vor sich sah, den »Prospekt«, wie man es damals ausdrückte, als etwas Einheitliches, durchaus Ganzes. Der Ort war ihm untrennbar von der Gegend, darin sie wurzelte, nur in und mit dieser will er ihr Bild erfaßt und charakterisiert wissen. Das Wohlgefallen an der Landschaft, welches Dilich innewohnte, seine Freude an der schönen Natur, beeinflussen ihn bei der Wiedergabe der Stadtbilder. Wie malerisch strecken sie sich am Flußufer hin oder sind eingebettet in den Talkessel. Wieder andere klettern am Schloßberge in die Höhe oder dehnen sich in der Ebene aus. Immer ist jedes Bild fein charakterisiert mit Hervorhebung der Stimmung der Gegend.

Bei allen seinen Städteaufnahmen, mögen manche auch etwas Skizzenhaftes an sich tragen, überzeugt uns der geschickte Zeichner, daß er in seiner Kunstfertigkeit mit geringen Mitteln viel zu sagen weiß, daß er, selbst ein Baukünstler, als solcher die Bauwerke anschaut und mit sicherer Freiheit wiedergibt.

Durchblättert man die schön ausgestatteten drei Bände der Federzeichnungen, so hat man den Eindruck, dem Dilich Ausdruck gab in der Vorrede zu seiner ebenfalls mit Stadtansichten von seiner Hand ausgestatteten hessischen Chronica: »Dem äußerlichen Ansehen nach sind sowohl die Dörfer als Städte ansehnlich wegen ihrer hohen Kirch- und anderen Türme und den beiliegenden hohen Berghäusern und Schlössern, inmaßen denn wenig Städte, bei welchen nit etwa ein solch Haus und prächtig Gebäu zu sehen oder zum wenigsten ein Antiquität und Anzeigung eines alten Gemäuers von denselben noch übrig, wie solchs aus beigesetzten Abrissen klärlich erscheinen. So sind zudeno alle Städte mit hohen Mauern und Türmen, wo nicht mit einem Wall und Graben, zum wenigsten mit einem Hagen von Dornen umgeben.« Wenn der begabte Zeichner aber weiter fortfährt über die im Hessenlande angeschauten Orte zu berichten, »daß man auf den Hügeln um die Städte zerfallene Türme und Warten sehen könnte, so vor etlichen hundert Jahren wegen des vielfältigen Streifens dero Reisigen von Städten, dem Ackermann des Feindes Ankunft[200] darvon durch gewisse Zeichen anzudeuten und ihn zur Flucht anzumahnen, erbauet habe,« so findet dieser Hinweis keine Anwendung auf die Darstellungen kursächsischer Orte. Auf diesen sind zerstörte Burgen, Trümmer von Stadtmauern, »Rudimenta«, wie Dilich sich auszudrücken beliebt, nur einigemal zu sehen. Fast immer sind die Befestigungswerke in tadellosem Zustande, und die stattlichen Türme der vielen stilvollen Gotteshäuser verstärken den Eindruck, daß auch die Bevölkerung Kursachsens einen hohen kulturellen Aufstieg erlangt hatte. Noch ist alles unverletzt und zeugt von Wohlhabenheit und Gediegenheit. Die Stätten, wo die wehrhafte Bürgerschaft sich den Freuden der Geselligkeit hingaben, lassen ihr behäbiges Genießen und ihre hochgemute Lebensführung erkennen. Aber schon warf die Kriegsfurie ihre Schatten in das Künstlerschaffen Dilichs. Seine festgesetzte Entschädigung kann ihn bei der durch die Kriegsnot heraufbeschworenen Geldknappheit und der zerrütteten Finanzen nicht mehr rechtzeitig ausgezahlt werden. Nur wenige Jahre, nachdem er seine Stadtbilder vollendet hatte, lagen viele der Orte, deren »Prospekt« der Oberlandbaumeister aufgenommen hatte, in Schutt und Asche und der Wiederaufbau der eroberten, niedergebrannten und verwüsteten Städte, Dörfer, Schlösser und Burgen zeigte dann ein wesentlich verändertes Bild.

Die Wirkung der meisten Ortschaften, die sich damals ohne störende Einflüsse einer harmonischen Entwicklung und Ausgestaltung erfreuen durften, muß auf den Beschauer eine ausgesprochen malerische gewesen sein[3], so daß eine farbige Wiedergabe der Federzeichnungen in dem Bogen der stichbogig gewölbten Decke des Riesensaales im kurfürstlichen Schlosse vom künstlerischen Standpunkte aus vollkommen berechtigt war.

Sowohl die Anordnung in der Landschaft, zwischen Berg und Tal, die Ausschneidung der hohen und niedrigen Gebäude, ihre Einbettung zwischen den Schutz- und Obstbäumen, als auch der Farbenkontrast der grauen Schindel- oder gelben Strohdächer, der braunen Lehmwände, der roten Ziegel und der grünen Spaliere der Weingeleite und Baumwipfel, mußten ein ungemein reizvolles Bild darbieten. Manche im Vordergrunde der Zeichnungen zu erblickenden Gebäude lassen an der Außenseite Erscheinungen erkennen, die ihre besonderen tektonischen Bedeutungen haben. Schlösser, Türme und hervorragende öffentliche Gebäude mit ihren kunstvollen Giebelverkleidungen geben, obwohl die Wiedergabe der architektonischen Feinheiten nur sehr klein und zart gehalten werden mußten, zahlreiche Aufschlüsse über die Geschichte der Baukunst in Sachsen. Bohlenstühle oder Umgebinde der Häuser mit ihrem mannigfaltigen Verspannungs- und Aussteifungssystem, die in Bogen-, Wellen- oder Zackenlinien ausgeschnittenen äußeren Ränder der Giebelverschalungen, Laubengänge und anderes, lassen sich unschwer erkennen.

Abb. 1. Königstein
Abb. 2. Hohnstein (Sächs. Schweiz)
Abb. 3. Mildenstein
Abb. 4. Wappen der Bergstädte

Die Ummauerung ist, wenn auch nicht überall, so doch bei den meisten Städten zu bemerken. (S. Abb. 1, 2 und 22.) Sie besteht aus Wall und Graben[202] oder (was selten zu sehen ist) einem Zaun von hölzernen Planken und Pfählen, vielfach aber auch aus einer festen, die eigentliche Stadt scharf von den Vorstädten scheidenden Mauer. Die Bauweise derselben ist überall die nämliche: eine starke, unmittelbar die Stadt umschließende Innenmauer, mit Türmen, Wiechhäusern, Erkern, Wehrgängen, Scharten, Bollwerken (Basteien) und Toren versehen, ist der Hauptteil, an sie schließt sich eine meist später errichtete und durch den sogenannten Zwinger von jener getrennten niedrigere Außenmauer an. Gewissenhaft verzeichnet Dilich unter seinen Zeichnungen neben den Namen der Kirchen und öffentlichen Gebäude auch die der Tore. In der bei vielen Städten verfolgbaren Vierzahl lassen sie den uraltertümlichen Einfluß der vier Himmelsgegenden erkennen. Neben den Stadttoren, als dem wichtigsten Teile der Stadtmauer, erscheinen auch Nebentore, Mauerpforten, die ebenfalls bedeutungsvolle Namen führen. Die sich vorfindende Bezeichnung der Tore nach Innungen, Zünften und Gilden läßt wohl vermuten, daß dieser Teil der Stadtumwallung von einer gewissen Klasse der Bürgerschaft zu verteidigen oder zu unterhalten und zu erneuern war. Der Name dieser Tore oder Türme läßt vielfach auch einen Schluß auf die Bauart und Beschaffenheit derselben zu.

Abb. 5. Schießhaus zu Borna
Abb. 6.
a Kurf. Haus. b Kurf. Bad. c Gemeine Bäder. d Wohnung f. Badegäste. e Wohnung d. Kochs u. Stall. f Weg n. Annaberg. g Weg n. Wolkenstein
Abb. 7. Gericht bei Bischofswerda
Abb. 8a. Galgen (Camberg)
Abb. 8b. Galgen (Liebenwerda)

Die Siegel der Städte (siehe Abb. 4), welche ebenfalls Dilich seinen »Stadtprospekten« und zwar in meisterhaft gelungenen Bildchen beifügte, lassen ebenfalls erkennen, wie die Stadtmauer mit ihren Toren als durchaus zum Begriff der Stadt gehörig angesehen wurde, denn die meisten der zierlichen Stadtsiegel zeigen ein Tor und ein Stück der Stadtmauer.

Vom Inneren der Städte erlangt man, wie dies bei einer außerhalb des Ortes gemachten Aufnahme nicht anders sein kann, keine oder nur eine sehr geringe Einsicht. Der Verkehr ist in keiner Weise zur Darstellung gekommen. Es lag dies auch nicht in der Aufgabe des Künstlers. Die hübschen Personengruppen auf einem der die Ansicht von Leipzig wiedergebenden Prospekte zeigen mehr das Streben, über den bloßen Abriß hinaus zu einem wirklichen Bild zu gelangen. Einen besonderen Reiz erlangen die Dilichschen Städtezeichnungen durch die Darstellung der Baulichkeiten, in denen sich die Vereinstätigkeit der organisierten Schützenbrüderschaft ihr Übungsfeld auserkoren hat. Die Schützengilde besitzt draußen vor der Stadtmauer einen großen umfriedeten Platz, der eine hohe, auf einer wohlbefestigten Balkenbasis stehende Stange zeigt. Etwa sechshundert Fuß davon entfernt befindet sich die Zielstatt, das Gesellschaftshaus der Bürgerschützen (s. Abb. 5), ein Holzbau mit Türen und Stockwerken. Die hohe Stange deutet darauf, daß nach einem hölzernen Vogel, einem uralten Ziele[4], geschossen wird, doch lassen auch andere Abbildungen der Schießübungsstätten eine Schießmauer oder eine schwebende Scheibe erkennen. (Adorf.) Besonders gravitätisch stellt sich die Vogelschießstange vom Bade Wiesenbad (Hiobsbad) bei Annaberg dar. Sie diente den Schießübungen der Wettiner, wenn diese in dem fürstlichen Bade[206] weilten, was häufig geschah. In Ausübung dieses ritterlichen Sportes waren die Nachkommen des kriegerischen Moritz von jeher eifrig und geschickt. (Abb. 6.)

In entgegengesetzter Richtung dieser Stätten, die den in den Städten erwachten Volksgeist und die Freude an gemeinsamer Festlust bekunden, zeigt Dilich auch auf seinen Bildern den Ort, den Unheimlichkeit und Schimpf umgaben, den Galgen. (S. Abb. 7, 8a, 8b.) Auf allen Städtebildern darf ja diese bekannte Silhouette: der Galgen, nicht fehlen, und Dilich findet sogar den Mut, auf einer Zeichnung einen Gehängten mit seinem ganzen Graus und Schrecken hineinzuschmuggeln. Die Galgen haben verschiedenes Aussehen. Bald sind es die ganz einfachen Formen des Knie- oder Winkelgalgens, mit böser Ironie schlankweg »einschläfriger« geheißen, oder es sind reichgegliederte, auf Säulen oder Mauerwerk ruhende Balkenverschlingungen, an denen die armen Opfer »in der Luft reiten« oder »über sich die Luft zusammenschlagen lassen«, wie der grimme Spott im Mittelalter zu sagen pflegte. Die hohen und festen Mauern um den Galgen haben wohl das Entwenden der Leichname seitens der Verwandten zwecks Beerdigung unmöglich machen wollen, denn indem die alte Justiz den Gehängten über der Erde verwesen ließ – den Vorüberziehenden zum Schrecken und zur Freude der Aasgeier – hat sie den Schmerz der Angehörigen vermehrt, die Strafe und deren Schimpf verschärft.

Abb. 9 Elbbrücke in Dresden, daneben ein Stück Festung
Abb. 10. Muldenbrücke bei Rochlitz
Abb. 11. Frankenberg
Abb. 12. Muldenbrücke

Die grausame Strafe des Räderns scheint im Jahre der Anfertigung der Städteansichten in Sachsen nicht mehr üblich gewesen zu sein, da das aufgespießte Rad nirgendwo von Dilich neben dem Gerüste des Hochgerichtes gezeichnet worden ist.

Die Federzeichnungen gewähren vielfach den Anblick von Brücken. (S. Abb. 917, 20.) Diese sind sehr verschiedenartig gebaut. Steinerne Brücken mit kühnen Bogen erscheinen ganz selten. Die Brücke über die Elbe in Dresden zeichnete sich von jeher aus und galt im Zeitalter der Entstehung der Städtebilder Dilichs schon als große Sehenswürdigkeit und als Wahrzeichen der Residenzstadt. Außer dieser Steinbrücke hat die Bildersammlung kein nennenswertes Monument der Brückenbaukunst aufzuweisen[5]. Wir sehen meist Pfeilerbrücken, die auf steinernen Pfeilern ruhen und wo die Zwischenräume mit Balken überdeckt sind. Nicht selten sind Pfahl- oder Jochbrücken. Angenehm wirken die überdachten Brücken. Die Wände, die das Dach der Brücke tragen, sind mit Ausblicken, Lucken und Luftlöchern versehen. Schützende Geländer fehlen meist. Bei niedrigen Ufern, wo man das Austreten des Wassers über dieselben zu fürchten hatte, ist vielfach die Brücke noch weiter in das anliegende Acker- oder Wiesenland fortgeführt.

Den Vordergrund beleben, allerdings nur auf wenigen Bildern, Personen. Auch diese sind lebendig und treu charakterisiert. Auf dem schönen Bilde Marienberg ist es ein zur Arbeit schreitender Bergmann[6], der die[207] Staffage belebt. Am Strande der Elbe bei Pirna deuten barfüßige und mit großer langer Badehose bekleidete Schiffer oder Fischer ihre Tätigkeit am und im Wasser an. Einige schlichte Männer sind in der Stellung mit ausgestrecktem Arme und Zeigefinger festgehalten, das sind die vom Rate der Stadt dem Städtezeichner zur Verfügung gestellten Einheimischen, die dem kurfürstlichen Oberlandbaumeister die Namen der hervorragenden Gebäulichkeiten nennen und deuten. (Abb. 18a, b, e und f.) Gewissenhaft versieht der Zeichner an passender und die Zeichnung nicht störender Stelle die besonders sich kenntlich machenden Bauten mit einem Buchstaben und verzeichnet getreu dann am Rande des Bildes seine Bedeutung. Aber was bedeutet das im Vordergrunde des Stadtbildes Zwönitz in der spanischen Tracht eines Edelmannes einherschreitende ritterlich zierliche Männlein, dessen Gesicht von langen Vogelfedern unkenntlich gemacht ist? Verputzt wie ein Weinbergwärter oder Flurschütze in Tirol? (Abb. 19.)

Eine des öfteren wiederkehrende Gestalt eines rüstig ausschreitenden Mannes mit umgehängter Tasche und einem Bergstocke (oder Spieß?) in der Hand deuten wir als einen Brief- oder Postboten, der eben, als Dilich tätig war, vorüberschritt und nun sofort mit dem Stifte festgehalten wurde. Vielleicht war damals auch der Postbote eine ebenso charakteristische Erscheinung in der Landschaft wie der Fleischer- (Kälber)wagen in Friedenszeiten auf den Landstraßen des Vogtlandes? (Abb. 18 d und g.)

Wie fein aber ist der Vordergrund und die Staffage dem Bilde des Bades Wiesa bei Annaberg (siehe Abb. 6) angepaßt?

Auf einer der fünf sauberen Federzeichnungen von Dilichs Hand, welche Abbildungen von Leipzig[7] aus dem Jahre 1594 bringen, ist der Zeichner freigebiger mit der Darstellung von Personen gewesen, da sehen wir im Schatten eines Baumes ein paar Studenten in bemerkenswerter Tracht, von denen der eine am Boden sitzend, lebhaft aus einem Buche vorliest, der andere dem Vorlesenden zuhört, rechts ebenfalls ein paar männliche Figuren am Boden gelagert, von denen der eine mit der Bütte als Bauer, der andere mit dem abgelegten Schwert als Soldat gekennzeichnet ist.

Nachdem wir auf die Bedeutung der Städtezeichnungen Dilichs für die Kenntnis des Zustandes und der äußeren Verfassung kursächsischer Orte und Schlösser vor dreihundert Jahren hingewiesen haben, fügen wir noch einige Mitteilungen über die Geschichte der Entstehung dieser bemerkenswerten Zeichnungen bei.

[208]

Abb. 13. Muldenbrücke bei Grimma
Abb. 14. Muldenbrücke bei Grimma
Abb. 15. Elbbrücke bei Mühlberg
Abb. 16. Muldenbrücke bei Düben
Abb. 17. Elbbrücke bei Meißen

Abb. 18a.

Abb. 18b.

[209]

Abb. 18c. Bergmann (Marienberg)
Abb. 18d. Postbote
Abb. 18e.
Abb. 18f.
Abb. 18g. Bauer
Abb. 18h. Postbote
Abb. 19. Staffage (Zwönitz)
Abb. 20. Brücke über die Elster in Plauen
Abb. 21. Dilich der Städtezeichner auf der Reise

[210]

Abb. 22. Dorf Plauen bei Dresden. Befest. Ort
Abb. 23. Bergwerke bei Freiberg
Abb. 24. Schmelzhütten an der Zschopau bei Wolkenstein

[211]

Der im Jahre 1571 in einem hessischen Städtchen geborene Zeichner wurde kurze Zeit nach seiner Anstellung in Sachsen mit der Herstellung der Pläne und Anschläge für den Neubau des Riesensaales im Schlosse zu Dresden beauftragt. Er schlug vor: »zuförders oben in dem Bogen der stichbogig gewölbten Decke die kur- und fürstlichen auch gräflichen Wappen, unten aber in dem Fries die der kursächsischen und meißnischen Ritterschaft anzubringen, zunächst über dem Hauptgesims aber die Contrafukturen der vornehmsten Städte des Landes Meißen und des Kurkreises (eine jede nach ihrer Qualität) mit einem gebührlichen Emblemata condecoriret usw.« Die Vorschläge Dilichs fanden die Genehmigung und den Beifall des Fürsten, der auch alle die Wünsche und Forderungen bewilligte, welche seitens des Oberlandbaumeisters – diese Würde hatte ihm der einsichtsvolle Landesherr in Berücksichtigung seiner Verdienste als Zeichner, Architekt und Ingenieur verliehen – zwecks der Aufnahmen geäußert worden waren. Obwohl bereits fünfundfünfzig Jahre alt, erklärte sich Dilich, in dem der Trieb zum Wandern, Schauen und Zeichnen lebendig war, wie in seinen jungen Jahren, bereit, die Städtebilder selbst aufzunehmen. Im Frühjahr 1626 begann Dilich die Aufnahmen im Kurkreise. Im Jahre 1628 ist er im Meißner Kreis und im darauffolgenden Jahre »im Gebürg« (erzgebirgischen Kreise) und im Vogtland. Der kunstgeschickte Städtezeichner hat sich bei einigen Städten nicht mit der Herstellung eines »Abrisses« begnügt, er machte von Leipzig, Dresden, Torgau, Wittenberg zwei, drei und auch vier Aufnahmen. Noch erwähnen wir, daß der bekannte Verfasser und Herausgeber der »Obersächsischen Topographie«, Merian aus Frankfurt, zwanzig sächsische Städtebilder von Dilich nachweislich als Vorlage benutzt hat.

Abb. 25. Schinderei (Waldheim)
Abb. 26. Windmühlen

Zu unseren Mitteilungen über die Geschichte der Entstehung der Städtezeichnungen von Dilich, die wir auf Grund des von Dr. Krollmann verfaßten Lebensabrisses gaben, fügen wir noch den Hinweis, daß auf der im »Bilder-Atlas zur Sächsischen Geschichte« von Schmidt und Sponsel Seite 50 stehenden Abbildung des Riesensaales im Schlosse zu Dresden die Verwendung der Städtezeichnung bei Benützung eines Vergrößerungsglases sehr gut erkannt werden kann.

[212]

Es war eine einzigartige Betätigung des Heimatgedankens, über hundertdreißig kursächsische Städte, Burgen, Schlösser, Dörfer und Badeorte in künstlerisch ausgeführten Bildern wahrheitsgetreu an einer ausgesucht passenden und viel besuchten Stätte vorzuführen. Zwar fiel der Riesensaal im Jahre 1704 einer Feuersbrunst zum Opfer, aber während eines Zeitraumes von siebzig Jahren bot er doch ungezählten Besuchern die Anschauung hervorragender Sehenswürdigkeiten des durch landschaftliche Reize reich ausgestatteten Sachsenlandes. Welche vielseitigen Anregungen und welche wirksamen Belehrungen werden von diesem Bilderwerk, von dieser vorbildlichen Heimatkunde, ausgegangen sein! Unsere Gegenwart hat nichts aufzuweisen, das sich diesen farbigen Vorführungen Kursachsens Örtlichkeiten ebenbürtig an die Seite stellen könnte. In dem Wändeschmuck der Wartesäle des Dresdner Hauptbahnhofs, wo auf Porzellantafeln einige der wirksamsten Städtebilder des Königreichs Sachsen und die besuchenswerten schönsten Punkte des Landes eine künstlerische Darstellung gefunden haben, hat der Gedanke Dilichs, den er in der Bilderreihe des Riesensaales verwirklichte, eine Neubelebung erfahren.

Fußnoten:

[2] Dr. Krollmann, der sich bereits um die Veröffentlichung der Zeichnungen Dilichs, soweit sie das Rhein- und Hessenland betrafen, große Verdienste erworben hatte, verfaßte hierzu einen trefflich orientierenden Text.

[3] Siehe besonders die Abbildungen: Burgen, Schlösser pp. (Abb. 2 u. 3).

[4] Der Doppeladler stellte wohl das alte deutsche Wappen vor.

[5] Bemerkenswert ist noch die steinerne Brücke über die Elster in Plauen i. V., an deren Ende ein Hospital steht. (Abb. 20.) Auch Leisnig besitzt eine steinerne Brücke mit zwei Bogen nebst Vorrichtungen gegen Überschwemmungsgefahren.

[6] Man beachte an der Krempe seines Hutes die feingeschwungene Linie. (Abb. 18c.)

[7] Das schöne Stadtbild von Leipzig aus dem Jahre 1594 – es ist also dreißig und noch mehr Jahre älter als die im vorliegenden Aufsatze besprochenen Aufnahmen – ist in der Zeitschrift für »Bildende Kunst« – 23. Jahrgang, Heft 4, vom Jahre 1888, Leipzig, Seemann – zum Abdruck gekommen. Professor Dr. G. Wustmann, der ehemalige Ratsbibliothekar, hatte die Stadtabbildungen entdeckt und versäumte nicht, auf die hohe Bedeutung der Arbeiten des sächsischen Oberlandbaumeisters Dilich nachdrücklich und überzeugend hinzuweisen. S. 116 a. a. O.


Was alte Grabsteine erzählen

Von Siegfried Störzner, Dresden

Die Glocken des Dorfkirchleins läuten den Gottesdienst aus. Durch die weitgeöffneten Türen strömt die Menge der Andächtigen. Nicht alle aber lenken ihre Schritte heimwärts. Meist sind es nur die Jungen. Den Alten hingegen ist es schon lange zur lieben Gewohnheit geworden, nach der Andachtsstunde mit Gevatters- und Nachbarsleuten noch ein wenig auf den Friedhofswegen und zwischen den Grabreihen dahinzuwandeln, sinnenden Auges die Ruhestätten zu betrachten und in Treue und Wehmut der Schläfer da drunten zu gedenken, von denen die Aufschriften der Leichensteine Kunde geben. Und da sind es besonders die alten Grabmale, die gar mancherlei zu erzählen wissen, die in epischer Breite und oft auch in dichterischer Schönheit den ganzen Lebenslauf des Verstorbenen berichten. Ja, die gute, alte Zeit! Man spürt noch einen Hauch von der Liebe und Teilnahme, mit der ein Freund der Heimgegangenen, wohl zumeist der Pfarrer oder der Schulmeister, die Inschrift aufgesetzt hat, man sieht an dem kunstvollen Grabstein, daß Meister Steinmetz sich Zeit und Beschaulichkeit zu seinem Werke gelassen, man freut sich, daß die Kirchenvorstände verständnisvoll den alten Denkmälern ein Plätzlein gegönnt haben, wo sie künftigen Geschlechtern ein Bild von der Kultur vergangener Jahrhunderte geben sollen, auch dann noch, wenn die Dutzendware der Zement- oder Kunststeine mit ihren Schabloneninschriften längst einem besseren Geschmack weichen mußte.

Und nun möchte ich heute den Freunden des Heimatschutzes von einigen Grabmalen erzählen, die durch ihre eigenartige, denkwürdige Aufschrift oder durch hohen Kunstwert ein Recht haben, der Nachwelt erhalten zu bleiben.

[213]

Wer einmal das Gotteshaus von Neukirch am Hohwald besucht, findet an der Außenwand und an der Kirchhofsmauer pietätvoll aufgestellte sehens- und lesenswerte Grabsteine ehemaliger Gerichtsschöppen und Pfarrer. Wohl die originellste Inschrift zeigt das Grab des 1671 verstorbenen Pfarrers Klunge, der neununddreißig Jahre in der Gemeinde amtierte. Wir lesen da:

Herr Klunge lieget hier in dieser Gruft begraben,
ein Mann von Altertum und schönen Geistesgaben.
Aufrichtig war sein Herz, wahrhaftig war der Mund,
und seine Gottesfurcht ist factum worden kund.

»Der Seligverstorbene redet«:

Ich habe neununddreißig Jahre
dich, Neukirch, priesterlich bewacht
und meine silberweißen Haare
mit Ehren in das Grab gebracht.
Es ließ mich dreimal ehlich werden
der Schöpfer Himmels und der Erden.
Er gab mir einundzwanzig Kinder
und einen stillen Ehestand.
Der Herr, des Todes Überwinder,
hat meinen Geist in seiner Hand.
Gott, aller frommen Herzen Vater,
sei auch der Meinigen Berater.

Pfarrer Klunge stand gleich seinem bekannten Amtsbruder Künzelmann in Döhlen im Ruf, ein erfahrener Teufelsbanner zu sein. Dr. Pilk berichtet, man erzähle sich in Neukirch noch heute die seltsamen Ereignisse, die sich beim Begräbnisse seiner dritten Frau zugetragen haben. Die Pfarrersfrau habe sich selbst das Leben genommen, was Klunge jedoch verheimlichte, um sie ehrlich begraben zu können. Bei der Beerdigung hätten die Glocken nicht geläutet werden können, bis sie der Pfarrer durch dreimaliges Umschreiten der Kirche wieder zum Ertönen brachte. Da habe plötzlich oben aus dem Schalloch die Tote ihrem eigenen Begräbnis zugeschaut, sei jedoch durch bloßes Winken Klunges mit dem Schneuztuch sofort zum Verschwinden gebracht worden.

Eine weitere sehr bemerkenswerte Grabinschrift eines Pfarrherrn findet sich in Schirmenitz, einem nahe der Elbe zwischen Strehla und Mühlberg gelegenen Grenzdorfe, das ich auch aus einem anderen Grunde eines Besuches empfehlen kann, befand sich doch in der Schirmenitzer Pfarre in den Tagen der Schlacht bei Mühlberg das Hauptquartier Kaiser Karls V., und noch heute wird das Stüblein gezeigt, das der Herrscher bewohnte. Der nahe Spans-, d. h. Spanierberg, bildete den Mittelpunkt der Aufstellung des kaiserlichen Heeres. Im Nachbardorfe Aussig verbrachte Johann Friedrich der Großmütige die ersten Tage der[214] Gefangenschaft. Den »Kursächsischen Streifzügen« Otto Eduard Schmidts ist es zu danken, daß Heimatfreunde auch diese abgelegene Gegend durchwandern.

Adam, wo bist du? So lautet die Überschrift des Lebenslaufes, in dem die Geschichte der Schöpfung und des Sündenfalles sich deutlich widerspiegelt, ja, fast wörtlich ist der biblische Ausdruck beibehalten worden und in Anwendung gesetzt zum Leben des Hirten, der hier ruht.

Wir lesen:

Adam, wo bist du?

In dieser Gruft, mein Leser, da findest du die Asche
des wohlerw. M. Johann Adam BÖHLENS,
treufleißigen Pastoris zu Schirmenitz und Paußnitz.
Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde
den 4. März 1685 in Strehla
und setzte ihn 1718 in seinen Kirchengarten Eden,
daß er ihn bauete.
Weil es aber nicht gut, daß der Mensch alleine,
machte ihm Gott

1.) die Jungfrau Martha Judith,
weyl. G. M. Jacob Rösters in Strehla ehel. Tochter
den 23. April 1719,
dann

2.) Jungfrau Christiane Theodora,
weyl. Herrn Joh. Brausitzen, Jur Proc. in Mühlberg
ehel. Tochter, den 7. Mai 1725,
nun betrübten Witwe,
eine Gehilfin,
die um ihn sei.
Und Gott segnete sie, daß sie fruchtbar
und sich mehreten in 1. Ehe
mit 2 Söhnen und 1 Tochter,
davon jene leben,
in 2. Ehe mit 3 Töchtern und 2 Söhnen,
davon diese aber entschlafen.
Gesetz und Evangelium,
wonach er lehrte, glaubte und lebte,
war ein Baum der Erkenntnis und Baum des Lebens.

Jetzt mußte er wieder zur Erde werden,
davon er genommen,
denn 1737, den 20. Nov., ließ Gott der Herr
einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen,
und er entschlief,
daß sein Alter ward 52 Jahr 8 Mon. 16 Tag.
[215]Da ließ ihn Gott aus Eden
durch den Cherub ins Paradies ein.
Siehe, mein Leser,
so ist Adam geworden als unser einer.

Eine Träne des Mitleids kommt wohl jedem Besucher des Kirchhofs zu Pesterwitz bei Dresden, wenn er auf dem auch künstlerisch sehr wertvollen Grabdenkmal der Familie des Pfarrers Opitz die Trauerkunde vom »sechsfachen Tränenopfer« liest, wie im zartesten Alter ein Kind nach dem andern von Pestilenz und sonstigen Seuchen dahingerafft worden ist. Und trotz dieser Schicksalsschläge das glaubensfrohe: Sit nomen Domini benedictum in secula! (Abb. 1.)

Abb. 1. Das »sechsfache Tränenopfer« auf dem Pesterwitzer Kirchhof

Das Denkmal wird oben von sechs Kinderköpfen geschmückt, die aus einem Baldachin hervorschauen. Darunter sind sechs wappenartige Tafeln mit Namen und Lebensgang der Kleinen zu finden. Links, auf urnengeschmücktem Grabmal, eine größere Tafel, deren Inschrift sich auf Pfarrer Opitz bezieht, rechts eine gleiche, die von seiner Lebensgefährtin erzählt. Zwei Knabengestalten halten die Epitaphe, während am Fuße des Denkmals ein trauernder Engel kniet.

[216]

Die Aufschrift lautet:

Des hiesigen Pastoris
Mag. Johann Gottlob OPITZENS
und seiner Ehegenossin
Frauen Charlotten Marien geborenen Rentzschen
aus Frankfurt an der Oder
sechsfaches Tränenopfer
bei dem frühzeitigen Absterben ihrer Kinder.

I. ANONYMUS, kam tot zur Welt den 3. März 1759.

II. CHRISTIAN LOBEGOTT, geb. den 10. Mai 1755, fiel den 21. Sept. 1760 nebst seinen beiden Geschwistern an einer gefährlichen Blatterkrankheit und mußte als der munterste und robusteste unter ihnen die Schuld der Natur vorzeitig bezahlen den 27. Sept. 1760 im 6. Jahre.

III. SOPHIA AMALIA, ward den 8. Oktober 1761 in einer Stunde geboren, getauft und vollendet.

IV. ERNESTINE HENRIETTE, geb. 7. Sept. 1762,
brachte bei einer schwächlichen Konstitution die traurigen Merkmale von den bisherigen Kriegsunruhen und vielen Schrecken mit auf die Welt, fiel in eine Verzehrung und starb den 14. Mai 1763, 8 Monate alt.

V. JOHANN ADOLPH, der Liebling, geb. den 17. Jan. 1766.
Seine Erziehung war vom 2. Jahre ab mehr angenehm als beschwerlich, da er Fähigkeit genug hatte, verschiedene biblische Historien, geographische Fragen und lateinische Wörter zu fassen.
Er versprach zum öfteren, mit Gottes Hilfe ein frommes Kind zu werden. Sein täglich Gebet war: Gedenke meiner, mein Gott, im besten! Und er hörte!
Er starb sechs Wochen vor seinem ältesten Bruder den 6. April 1769 im 4. Jahr an den Blattern.

VI. GOTTHOLD THEODOR, der erstgeborene Sohn vom Hause, spes laeta parentum,
trat in die Vergänglichkeit ein am 24. Jan. 1753,
bezog die Meißnische Fürstenschule 1766 den 4. Okt.,
ließ bei einem guten Genie, nachdem er bereits 1768
unter die Ober Lectioner als Secundaner war aufgenommen worden, etwas von sich hoffen,
kam am 4. Mai 1769 zum Besuch nach Hause und starb den 23. Mai nach einer viertägigen Niederlage am hitzigen Fieber
in den Armen und unter den Tränen seiner schon vorher tief gebeugten Eltern im 17. Jahre.

Die Grabinschrift des Pfarrers Opitz selbst ist leider nicht mehr ganz zu entziffern:

Herr Mag. Johann Gottlob OPITZ,
[217]Sein Vater, ein treuer Schullehrer zu Schmiedefeld,
und seine Mutter, eine geborene Thomaßin aus Langburkersdorf,
denen Er den 14. Juli 1717 geboren ward,
gaben Seiner Seele die erste Bildung.
Nach rühmlich vollendeten Vorbereitungsjahren in Dresden und Leipzig
führte Er bey hiesiger Kirchgemeinde das Amt,
welches ihm Gott. NIMTSCH anvertraute,
38 Jahre mit voller Erfahrung und Gewissenhaftigkeit,
(legte es) ... nachdem Er 68 Jahre 8 Mon. und 7 Tage gelebet hatte,
... 31. März 1786 nieder.

Der in der Grabschrift genannte Kollator Nimtsch ist einer aus dem Geschlechte der Herren von Nimptsch, an die noch am Rittergut von Oberpesterwitz, einem ehemaligen kurfürstlichen Küchengut, jetzt im Besitz des Barons von Burgk, das Wappen erinnert. Auch der Ortsteil Neunimptsch und das Juchhöh- oder Jochhöhschlößchen am Höhenrande des Plauenschen Grundes gehen auf diese Adelsfamilie zurück. Ein Geheimrat von Nimptsch erbaute 1791 auf dem zum Rittergut Roßtal gehörigen Grund und Boden den Weiler Neunimptsch, der früher den Namen »Der Kuckuck« oder »Auf dem Juchhe« führte. Das vom Herrn von Nimptsch errichtete Weinberghaus mit den drei Flügeln und dem Turm war eins der schönsten im Lande.

Doch kehren wir von diesem kleinen »Ausfluge« zur Grabschrift der Pfarrersfrau zurück!

Im Leben allgemein beliebt,
im Tode herzlich beweint
und im Grabe allen Guten unvergeßlich,
ruht allhier die wahrhaftig verehrungswürdige Frau,
Frau CHARLOTTE MARIE,
weiland Sr. Hochwohlehrwürdigen Herrn Mag. Johann Gottlob Opitzens,
treuverdienten Pastoris zu Pesterwitz
hinterlassene Witwe.
Ihren geliebten Ältern,
Herrn Johann Christian Rentzsch, berühmten Chirurgo zu Frankfurt a. d. Oder,
und dessen Gattin, Frau Evan Margarethen, geb. Wolfin,
von welcher sie den 13. Junius 1733 geboren wurde,
war sie ein teures Geschenk des Himmels,
ihrem wertgeschätzten Gatten,
mit welchem sie sich den 13. Junius 1751 ehelich verband,
war sie 35 Jahre hindurch die trefflichste Lebensgefährtin,
ihren sie zärtlich liebenden Kindern,
als 6 Söhnen und 3 Töchtern,
von welchen bloß 1 Tochter und 2 Söhne
ihren letzten Segen erhalten konnten,
war sie Mutter und Wohltäterin
[218]in edelstem und vollkommenstem Verstande
allen ihren Freunden und Bekannten in hiesiger Kirchfahrt
ein unentbehrliches Kleinod.
Allgemeines Trauern erregte daher der 17. April 1794,
an welchem Tage sie zu Pesterwitz
ein 60 Jahre 10 Monate und 4 Tage
hindurch geführtes musterhaftes Leben
nach langwierigem körperlichen Leiden
in sanfter Stille und seliger Hoffnung endigte.
Sanft ruhe nun die Verklärte.

Da wir uns gerade auf dem Pesterwitzer Kirchhof befinden, sei erwähnt, daß man beim Abtragen der Grundmauern des alten Gotteshauses einen Behälter mit Eiern gefunden hat, der einst aus Aberglauben eingemauert worden war, um die bösen Geister zu versöhnen. Man glaubte früher bekanntlich, daß man beim Bauen etwas Lebendes als Opfer einmauern müsse. Während man in den ältesten Zeiten Kinder und Jungfrauen opferte (diese besonders bei Anlage von Ritterburgen, die man dadurch uneinnehmbar zu machen dachte), nahm man später Ziegen, dann kleinere Tiere, bis zuletzt die barbarische Sitte noch weiter gemildert wurde und man auf Eier zukam. Die sehr sehenswerten Sammlungen des Herrn Dr. Pötsch in Pesterwitz enthalten einige beim Kirchenneubau gefundene Eier. Genannter Herr gewährt Besuchern gern Einblick in sein Museum, das die verschiedensten Gebiete umfaßt.

Das »Sechsfache Tränenopfer« erinnert mich an ein ergreifendes Gegenstück, so sich auf dem Felsenkirchhof zu Liebethal bei Lohmen findet. Der von fünf Blümchen und einer Ranke gezierte Grabstein erzählt von »fünf lieben Ehepflänzlein«, die im zartesten Alter von fünf bis achtzehn Tagen, nur ein Kind erreichte das fünfte Lebensjahr, den bekümmerten Eltern entrissen wurden. Nicht ohne tiefes Mitleid liest man:

Allhier ruhen fünf liebe Ehepflänzlein
Johannis Georgi HÜBSCHENS,
Pastoris in Porschendorf und Liebenthal,
und Frau Julianen Mariens geb. Hartmannin,
alß ...

Und nun folgen die Namen und Daten ...

Auch hier wieder am Schluß die glaubensfeste Hoffnung:

»Ich habe Euch ziehen lassen mit Trauern und Weinen,
Gott aber wird Euch mir wiedergeben mit Wonne und Freude ewiglich.«

Das an der Kirchenmauer aufgestellte Grabmal ist wohl der einzige bemerkenswerte Denkstein dieses Friedhofs. So sehr schon die Erhaltung des über zweihundert Jahre alten Steins auch vom künstlerischen Standpunkte aus zu begrüßen ist, so sehr ist noch zu wünschen, daß die Umgebung des Grabmals von allerhand Abraum und Baumaterial gesäubert und ein würdiger, stimmungsvoller Rahmen geschaffen werde.

[219]

Die aus dem engen Wesenitzgrunde zum Kirchlein heraufführende Felsentreppe ist uralt und von malerischer Wirkung. Ludwig Richter hat oft hier geweilt und gezeichnet. (Abb. 2.) Der Blick vom Felsenkirchhof hinab in die vom Flusse rauschend durchströmte Schlucht ist ganz eigenartig. Einst soll der Grund so eng gewesen sein, daß er von einer Brücke überspannt wurde. Die Steinbrüche haben im Laufe der Jahrhunderte die Schlucht immer mehr verbreitert, wie von der niederen Kirchhofsmauer aus deutlich zu sehen ist.

Abb. 2. Aufgang zum Felsenkirchhof von Liebethal

Von Liebethal führt uns eine kurze Wanderung hinab zur Elbe nach Hosterwitz, dessen Gotteshaus früher so nahe am Strome stand, daß die Fluten die Mauer bespülten. (Abb. 3.) Ein uraltes Schifferkirchlein ist es, wie wir deren in Sachsen nur noch eins haben, das von Lorenzkirchen bei Strehla. Hier stiegen die Schiffer aus, verrichteten ihr Gebet und baten ihren Schutzpatron um glückliche Fahrt. Wenn auch heute der Kirchhof durch eine Wiesenaue von der Elbe getrennt wird, so reichen doch bei Hochwasser die Fluten bis heran. Wie oft haben sie das Gotteshaus bedroht! Auch anderer unangenehmer Besuch stellte sich ein: der berüchtigte Kirchenräuber Lips Tullian raubte ihm 1702 Pretiosen im Werte von 700 Talern. Er saß dann in den Kerkern der Augustusburg und endete als Raubmörder und Räuberhauptmann 1715 nach großen Qualen im Dresdner Blockhaus. Das[221] Kirchendach erinnert mit der großen, aus dunklen Ziegeln bestehenden Zahl 1790 an eine in diesem berüchtigten Hochwasserjahre vorgenommene Erneuerung und Vergrößerung des Gotteshauses.

Abb. 3. Schifferkirche zu Hosterwitz

Das oft von Künstlerhand gemalte Kirchlein wird von einem mit Trauerbäumen bestandenen Kirchhof umgeben, auf dem seit Jahrzehnten keine Beerdigung mehr stattgefunden hat, soweit es sich nicht etwa um ein Erbbegräbnis handelte. Sein stimmungsvollstes Denkmal ist das »Grab des Silberpagen«, eines Herrn von Brandenstein, der in den Diensten des kursächsischen Hofes stand und 1788 im Alter von 18 Jahren beim Baden in der Elbe ertrank. Seine Freunde errichteten das Grabmal. Es wird gekrönt von einer Knabengestalt, die trauernd eine Vase voll Blumen ausgestreut hat. (Abb. 4.)

Die übrigen Denkmäler sind künstlerisch weniger wertvoll, einige sogar die übliche üble Dutzendware. Doch ist eine ganze Reihe von ihnen in anderer Hinsicht recht bemerkenswert. Zunächst durch die Angabe von Berufen oder Amtsbezeichnungen, die man auf anderen Friedhöfen wenig oder gar nicht findet und die meist vergangenen Zeiten angehören. Wir lesen von Plantagengutsbesitzern, Schiffsherren, Erbschiffsmüllern, Weinbergsbesitzern, Amtszimmermeistern, Schloßpredigern, Kgl. Sächs. Bettmeistern und von einem Hofbettschreiber, dessen Stein uns erzählt, hier ruhe »die Asche eines Biedermannes«.

Schon die letzten Berufsangaben deuten auf die Nähe des Kgl. Hofes hin, der ja im Sommer in Pillnitz residierte. So ist es denn erklärlich, daß wir auf dem Hosterwitzer Kirchhof eine Unmenge Namen alter Adelsgeschlechter finden, die weit über Sachsen hinaus einen guten Klang haben. Sie gehörten wohl ausnahmslos dem Pillnitzer Hofstaat an. Prinzessin von Schönaich-Carolath, Gräfin Hohenthal, von Cerrini di Monte Varchi, von Römer, von und zu Egloffstein, von Tschirschky und Bögendorff, von Minkwitz, Sappeur-Capitain von Swett, Baron Seddeler, von Trautvetter und wie sie alle heißen.

Zu einem schlichten Denkstein aber muß ich noch hinführen, ehe wir den kleinen Hosterwitzer Friedhof verlassen. Da lesen wir:

Hier liegt
Johann Christian Gottfried KLEMM,
gest. 1. Aug. 1863,
54 Jahre Soldat der Sächs. Armee,
48 Jahre bei dem Kommando
zur Bedienung der Fähre
im Kgl. Hoflager zu Pillnitz,
38 Jahre als Pontonier-Sergeant und Feldwebel
Kommandant der ersteren,
noch im Tode mit der Ernennung zum Leutnant
von seinem Kriegsherrn geehrt.
Ein Muster treuer Pflichterfüllung.

Abb. 4. Silberpagengrab auf dem Hosterwitzer Friedhofe

Wie diesem Manne seine Pflicht, sein Soldatenrock über alles gegangen ist, so findet man hie und da auch einen Grabstein, dessen Nachruf Leben und[223] Sterben des Heimgegangenen mit berechtigtem Stolz im Spiegel seines Berufes zeigt. Hierfür zwei Beispiele: Ein Leichenstein auf dem Kirchhof zu Fürstenau bei Lauenstein ist in seinem Ausdruck und Inhalt ganz der Sprache der Bergleute angepaßt, da der Schläfer drunten einst diesem Stande angehörte. So lesen wir hier:

In dieser Grube hält seine Liegestunde
bis an den Tag der seligen Ausfahrt
Herr Michael KADNER.
46 Jahr 36 Jahr } gewesener { Gerichtsgeschworener, Knappschaftsältester,
wie auch Schichtmeister allhier,
mit seinem seligen Vater,
Michael KADNER,
Bauersmann allhier,
und neben seiner sel. Mutter,
Frau Esther geb. Knauthin,
von welcher er den 13. Juli 1672 allhier geboren.
Hat auf der Zeche seines Lebens und Ehestandes
den 24. Jan. 1692 zur Schlägelgesellin bekommen:
Frau Marie geb. Königin,
mit welcher er 4 Söhne und 3 Töchter
zur Ausbeute von dem Segen Gottes erhalten.
Von seiner Lebensarbeit hat er Schicht gemacht
den 19. Mai 1737,
nachdem er vor diese Orte angesessen
65 Jahre.

Auf der Rückseite:

Vom Elend bin ich ausgefahren
ins Huthaus jener Himmelsscharen,
wo mit des Heilands teuerm Blut
ich in der Taufe eingemuth.

In Naundorf, im lieblichen Bobritzschtale zwischen Grillenburg und Freiberg gelegen, ist in die Kirchenmauer eingelassen der Grabstein eines Bauern und Fuhrmanns. Die Skulptur zeigt unten ein mit sechs Pferden bespanntes Botenfuhrwerk, das rasch seine Straße dahinfährt, während oben der Fuhrmann vor dem Kruzifix kniet und Gottes Sohn um Schutz anfleht. (Abb. 5.) Das ist Melchior Heber, dem die Naundorfer Kirche die mittlere Glocke verdankt, der Stammvater eines bekannten Bauerngeschlechtes, das seit 350 Jahren ein altes »Hufengut« hier besitzt. Als man 1783 die jetzige Naundorfer Kirche baute und dabei Mauersteine brauchte, wurde der alte, umgesunkene Leichenstein Hebers vom Jahre 1580 mit für die Außenwand verwendet, und zwar glücklicherweise so, daß Bild und Inschrift zu sehen blieben. Wir lesen da:

[225]

Im Leben hatte ich
an fahren mein Vergnügen
und fuhr an diesem bald
und bald an jenem Ort.
Im Tode spannt ich aus,
ließ alles fahrn liegen.
Und fuhr andern Seelen nach
in sichern Himmels Port.
Abb. 5. Melchior Hebers Fuhrmannsgrab zu Naundorf

Als ich kürzlich wieder einmal das Landesmuseum für Sächsische Volkskunst besuchte, entdeckte ich zu meiner Freude ein kleines Lichtbild des eben beschriebenen Grabsteines.

Zum Schluß noch ein kurzes Wort von den Toten- oder Leichenbrettern und den Marterln, die uns zwar über die Grenzen unserer Heimat hinausführen, aber recht erhaltenswerte Volkskunst und Volkspoesie zeigen. So trifft der Wandersmann schon in der Oberpfalz und mehr noch im Böhmerwalde hie und da am Weg auf einzelne oder in Gruppen beisammenstehende Bretter, lang und schmal, zugespitzt in die Erde gesteckt. Stirbt jemand in der Gegend, so legt man die Leiche auf das sogenannte Totenbrett, das bunt bemalt und mit Sinnbildern des Todes, einem Schädel und paarweise gekreuzten Knochen, sowie mit einer aufgepinselten Blumenranke »geziert« wird. Nach dem Begräbnis versieht man die Tafel noch mit dem Namen, dem Geburts- und Todestag, sowie mit Berufs- und Titelangaben (das scheint besonders wichtig zu sein, wenigstens wird ganz streng darauf gehalten), bringt auch meist ein Sinnsprüchlein, einen Nachruf oder die Bitte um ein Paternoster für die arme Seele auf dem Brett an, spitzt es zu und schlägt es am Wegrand in die Erde, am liebsten in der Nähe von Kirchen und Kapellen oder bei einem Heiligenbild.

Die Marterl hingegen sind Tafeln, die an Unglücksfälle erinnern. Sie wollen uns sagen, daß hier an dieser Stelle, am schroffen Abgrunde, unter himmelhohem Felsen, am reißenden Gebirgsbache oder im einsamen Hochwalde, ein Menschenleben plötzlich dahingerafft wurde. Das »Tuifele« zeigt meist ein von ungeschickter Hand gemaltes Bildchen und ein Verschen, manchmal nach Art der Bänkelsängerreime gedichtet. So lesen wir:

Verweilet hier vor diesem Bild,
und knieet betend nieder,
daß sich mein letzter Wunsch erfüllt,
geliebte Christenbrüder.
Ich junger Mann mußt’ hier
vom Baume erschlagen sterben.
Euer Vaterunser helfe mir
mein Seelenheil erwerben.

Zum Andenken Verunglückter hat man das Marterl hier am Weg errichtet, damit Vorübergehende ein Vaterunser oder ein Ave Maria beten. Auf dem Bildchen ein Mensch, langhingestreckt unter einen eben gefällten Baum oder[226] mit Pferd und Wagen in die Tiefe stürzend oder von einer Lawine verschüttet und ähnliche Unglücksfälle. Oben die Himmelskönigin, die Jungfrau Maria, mitleidsvoll die Arme ausstreckend, unten der Name des Toten, eine kurze Schilderung des Unfalls und ein Verschen, das in seiner Originalität allerdings manchmal eher erheiternd als betrübend wirkt.

Auch hierfür zuletzt noch ein Beispiel:

Wie wahr, o, wie wahr!
Als ich in meinem 68. Lebensjahr
den 17. August 1763
für meine Geißen Gras zu Heu machen wollte,
stürzte ich über diese hohe Felswand.
Meine Sackuhr ging noch eine Zeitlang,
doch meine Lebensuhr blieb plötzlich stehen.
Mein Fleisch und meine Gebeine verdorreten,
sind bereits verfault, da Du dieses liesest.
Wanderer, bete für mich!
Eugen Haslmann aus Buchsgarten.

Das schlichte Kreuz auf der Höhe, das Marterl am Wege, der alte Leichenstein auf dem Friedhofe, die efeuumsponnene Grabplatte an der Kirchenmauer – ein gut Stück Kulturgeschichte und Volkskunst ist in ihnen enthalten. Von Menschennot und Menschenschicksal, aber auch von Glaubensmut und Ewigkeitshoffnung wollen sie singen und sagen den spätesten Geschlechtern.


Zu Gast in der Au

Von Gerhard Platz, Weißer Hirsch

Eigenaufnahmen des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz

Der Sonntag Kantate – die kleinen Vögel in den Bürgergärten von Radeburg lassen es sich gesagt sein. Was aus den Kehlen heraus will, schmettern sie hinein in den sonnigen Maimorgen, und die beiden jungen Pärlein vor mir tun es ihnen nach in herzensfroher Jugendlust.

Und auf einmal lächle ich. Ein Erinnerungslächeln aus ferner Kinderzeit. Ein Sonntag Kantate war es, als wir Kinder um das Söhnchen aus unserer Nachbarpfarre geschart standen, das uns nach seiner Art auf die Bedeutung des Tages hinzuweisen sich verpflichtet fühlte. Auf dem Torpfeiler zum Pfarrgarten saß der kleine Mann, die festen runden Beinchen um die gewaltige Sandsteinkugel geklemmt, die den altersgrauen Pfosten krönte. Umständlich räusperte er sich, und dann warf er, wie er es vom Vater gelernt, beide Arme in die Luft. »Meine geliebte Gemeinde, wir feiern heute den Sonntag Kandidate ...« Knacks sprach es oben, und bums – samt seinem Predigtstuhl lag der kleine Pfarrherr im Grase; ein Glück, daß ihm sonst nichts weiter geschehen war.

[227]

Abb. 1. Radeburg

Es sei mir bei dieser Gelegenheit einmal gestattet, ein Wort an unsere Jugend zu richten. – Keiner weiß es besser als der Schreiber dieser Zeilen, welch ein Segen in einem Sonntag in Gottes freier Natur begründet liegt – aber liebe junge Wandersleute, ich bitt’ euch, geht mir nicht jeden Sonntag jeder Kirche vorbei! Ihr braucht deshalb nicht in der Stadt zu bleiben, beileib’ nicht. Lenkt eure Schritte nach wie vor hinaus in die grüne Heimatwelt – aber, wenn ihr durch solch Dörfchen kommt, und es läuten gerade die Glocken vom Turme, so tretet auch einmal hinein unter das kühle Gewölb, sitzt einmal nieder in dem alten Gestühl zwischen den Bauern mit den braunen Gesichtern, singt mit ihnen die alten deutschen Lieder und horcht auf die Worte, die von der buntbemalten Kanzel herabtönen, und die von den Bergen sprechen, zu[229] denen aufzublicken gerade für unser Volk doch so nötig. Und gebt acht, erfrischt wie von einer Rast am Bergquell werdet ihr scheiden von der Stätte, die so oft der Träger ist einer jahrhundertelangen Heimatgeschichte. Aber wenn ihr dann hinausgeht mit den Alten im grünschwarzen Kirchenröcklein und mit den jungen Starken, die es auf dem Dorf Gott Lob noch nicht für eine Schmach halten, zu sitzen, wo schon ihre Ahnen andächtig saßen, da schaut euch um unter den Grabsteinen im Chor und im grünen Gräbergarten; betrachtet euch Kirchengerät, Klingelbeutel und Bildwerk. Volkskundlich und heimatgeschichtlich schon werdet ihr euch belohnt sehen, und auch eurem Leibe wird die Rast in der Stille wohlgetan haben und ihm zu weiterer froher Tagefahrt nützen. –

Abb. 2. Schloß Bärnsdorf bei Radeburg

Bei den Scheunen, wo die Junggänse durch die Brennesseln schnattern, und wo Nußbaum, Eiche und Pappel machtvoll emporragen, verlasse ich das sonntagsfrohe Städtchen. Wie gut, daß es noch Ackerbürger gibt in unseren Tagen; diesen ehrenwerten, kernigen, wurzelstarken Stand. Welcher Zauber nur geht von solcher Scheunenreihe aus und von den Gärten, die hinter den Bürgerhäusern lang und schmal zur Straße sich strecken. Apfelblüte und Schwertlilie, Schwalbengezwitscher und Finkenschlag, Jungweingerank und frisch aufgebrochener Flieder – o du Maienzeit, du Lenzeslust in solch kleiner deutscher Stadt! Vor dem Tischlerhaus jetzt freudiges Stimmengewirr – Besuch aus der Fremde rückt ein, strahlend begrüßt vom hemdärmligen Meister und der[230] wohluntersetzten Mutter. Schon balgen sich die Hauskinder um die Reisetasche der Tante, schnurrend umstreicht das Kätzchen gekrümmten Rückens das festliche Beinkleid des Onkels, da sind sie endlich verschwunden im Hausflur, und der Bürgersteig wird wieder frei.

Abb. 3. Schloß Bärnsdorf bei Radeburg

Bei der Lohgerberei unten überschreite ich die rauschende Röder. Von Osten her grüßen schon die Höhen um Königsbrück im zarten Dunst. Ich aber will heute nichts wissen von Bergen und Tälern, ich wende mich links ab ins uralte Sumpfland, auf einem innig schönen Pfade am Ufer entlang – hinaus in die grünblaue Weite!

Abb. 4. Niederrödern

Ich liebe ihn sehr, diesen stillen braunen Tieflandsfluß, der die Großenhainer Pflege erquickt und verschönt. Ein Stück unterhalb des Städtchens haben sie ihm ein neues Bett gegraben, des Bahnbaues wegen, aber bald wallt er wieder unter uralten Eichen seines ursprünglichen Weges dahin. Ganz allein bin ich hier; kein Mensch in der Runde; Wildtaubengegurr, Pirolruf und Lerchengesang nur erfüllen die Stille, und die Aue erjauchzt in einer Farbenpracht ohnegleichen. – Die Röder war immer ein gutes, zuverlässiges Fischwasser und ist es in gewissem Sinne bis auf unsere Tage geblieben. Freilich, seitdem mit der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts die schmutzigen Fabrikwässer sich in die Heimatströme zu ergießen begannen, ist der ursprüngliche[231] Fischreichtum sehr zurückgegangen, und das Gesinde in den Elbdörfern braucht nicht mehr im Mietvertrag sich auszubedingen, daß es nicht mehr als zweimal in der Woche Lachs zu verzehren brauche zum Mittagsmahl. – In den ältesten deutschen Zeiten war der Fischfang in unserer Heimat ganz frei; später ward er ein Recht des Grundherrn, zu dessen Gebiet der Wasserlauf zählte. Der als mustergültiger Wirt sattsam bekannte Kurfürst August wandte der Fischerei seine besondere Aufmerksamkeit zu. Vor allem trat er der unvernünftigen Behandlung der Fischweid entgegen. So verbot er, in dürren Jahren die in den Bächen verbleibenden »Teufen« auszuschöpfen und den Fischen ihren letzten Zufluchtsort zu rauben. Er gab Vorschriften über Art und Beschaffenheit der Fangwerkzeuge. Besonders hielt er darauf, daß nicht zu engmaschige Netze verwandt wurden, und für Krebse, Hechte und Barben wurden eiserne Modelle angefertigt, unter deren Größe nicht gefangen werden durfte. Nur Mittwochs und Freitags war das Fischen erlaubt, und mit Strenge wurde die Verunreinigung der Fischwässer durch das Rösten des Flachses verhindert. Den Holzmühlen war es untersagt, die Sägespäne ins Wasser zu werfen, und selbst die hoch privilegierten Gruben durften die Pochwerksabwässer nicht unmittelbar in die Flüsse ableiten. Ganz besonders scharf aber war der Landesherr hinter den Fischdieben her. Im Jahre 1568 befahl er, bei allen Hegewässern in Abständen[232] von tausend Ellen einen hölzernen Galgen aufzurichten, und tatsächlich ließ er die Strafe des Stranges wider etliche mutwillige Verbrecher ergehen.

Abb. 5. Schloß Niederrödern

Manch nasse Stelle ist hier noch übrig geblieben aus der Zeit, da weit und breit der »Rad« der Sumpf, die Gegend beherrschte, und der Pflanzenfreund, mein ich, wird hier manch wertvollen Fund machen. –

Ein Stück komme ich hier vom Wege ab und muß den neuen Bahndamm als Straße benutzen. Das ist nicht erlaubt, und deshalb ist mir es auch äußerst fatal, daß ich die Kiebitze nicht los werde, die immer lauter meine Übeltat hinausschreien in die Sonne. Dumme Kerle, ihr habt doch den wenigsten Grund, Menschenkulturwerk zu schützen – oder haltet ihr mich vielleicht für den Erbauer des Werks, das euch wieder ein Stück von eurem Revier raubte?

Rotbraun ziehen sich die Moorgräben durch die Wiese. Goldenes Dotterblumengerank geht ihnen zur Seite, silberne Fischlein flitzen über den Grund, und immer glühender werden die Farben der Blumen. Dann nimmt mich für ein Stück Weges der ernste Zeisigbusch auf mit seinen Altkiefernkronen.

Weit drüben brüllt ein Auto und entheiligt die Maiennatur mit wüster Staubwolke. Wohlgeborgen in Frische und Saft blicke ich ihm nach – nicht mit den besten Gefühlen! Wohl ist auch eine Staubsäule schön und erhaben, wenn der Sturmwind sie hochtreibt mit sausendem Fittich, aber Menschen sind es hier, die die unschuldig frohe Straße vergiften mit Qualm und Gestank und Gebrüll. Wie wird die Menschheit wohl einmal ihren Frieden machen mit diesem – zugegeben – unvermeidlichen Übel?

Wie ein schlummerndes Kind mit blühenden Wangen liegt Oberrödern dort unter seinen rosig überschäumten Obstbäumen, und immer weiter geht mir die Aue zur Seite mit Pappeln, Eichen und Erlen gleich lauschigen Inseln inmitten.

Und jetzt hinter goldenen Alteichenwipfeln ein Schloß mit Ziegelsteildach und altersgrauen Renaissancegiebeln – Niederrödern, das fürstlich Reußische Gut. Auf hohem Dammweg schreite ich freudig drauf zu, da überrascht mich von rechts her schon wieder ein neuer anmutiger Ausblick – die Dorfkirche mit ihrem reizvollen schieferverschalten Dachreiter lugt hinter den Eichen hervor. Wieviel Lieblichkeit, Schönheit und Größe auf so engem Raum beieinander.

Sturmsicher und fest liegt das alte Wasserschloß hinter Fluß und grünlinsigen Weihern; der schmale Pfad, der jetzt durch diese an den Bau heranführt, war früher sicher noch nicht vorhanden. Mit tiefer Kehle singt der Frosch hier von Lenz und von Liebe.

Auch im Dorf findet sich viel noch, was dem Heimatfreund Auge und Seele erfreut; trauliche Tagelöhnerhäuschen und stattliche Bauernhöfe, eine schöne alte Schmiede und ein wahres Juwel von Pfarrhaus, braun verschalt und rot beziegelt. In seinen blühenden Garten trete ich jetzt ein, ziehe die Glocke und verlasse mit einem Bunde gewaltiger Schlüssel bald darauf durchs Hinterpförtchen das Haus. Der Herr Pfarrer vertraut sie mir an; mein Wanderausweis vom Heimatschutz tat mir auch hier leicht die Pforten auf.

Abb. 6. Schloß Niederrödern

Still und feierlich liegt das Innere des kleinen Gotteshauses da. Zwei herrliche Sträuße duften vom Altar her, der edel und würdig bekleidet ist mit[234] rotem Sammetornat vom Jahre 1690. Rechts von dem kleinen Spätrenaissancewerk fesselt meine Aufmerksamkeit ein ungewöhnlich schönes Steinmal. Ein geharnischter Mann kniet dort, ein Ritter aus dem Zeitalter der Reformation. Aber in seinem Gesicht spricht sich mehr noch aus als ritterbürtiger Anstand – der charaktervolle langlockige Kopf redet auch von offenbarer geistiger Überlegenheit und Bedeutung. Christoph von Beschwitz ist es, Erbherr und Doktor der Rechte, der seit dem Jahre des Herrn 1540 hier seine Urstünd erwartet. Mit einiger Mühe entziffre ich die Schrift am Fuße des Steins. »... sein Wandel war erbar fridtsam und schlecht – in seiner Herren Dinst ein trewer Mann ...« O du deutsches Wort!

Abb. 7. Toter Röderarm bei Niederrödern

Im vorletzten Gehöft vor der Mühle gibt es eine Hochzeit. Eine prächtige Ehrenpforte krönt den Toreingang. Noch ist die Braut nicht sichtbar, aber die männlichen Festteilnehmer sitzen in feierlichen schwarzen Hosen und blütenweißen Hemdärmeln unter dem Flieder. Röcke sind sicher auch vorgesehen, ich kann sie von hier aus nur nicht entdecken. Eine Trompete im Hof bittet die Festversammlung in wehmütigen Tönen, ihr doch zu sagen, was es bedeuten solle, daß sie so traurig sei – da bin ich bei der zusammengestürzten Brücke schon wieder zum Dorfe hinaus, allein in der Frühnachmittagsstille. Auf dem Gepfähl sitzt der rotrückige Würger und schaut nach Maikäfern aus. In den Lüften aber blitzt schon hier und da silberner Möwenflug auf; ich bin[235] also recht auf dem Wege zur Brutkolonie des reizenden Vogels hinten im Sumpf. Noch einmal schau ich vom Steinberg herab auf das liebliche Rödern. Der Brautzug kommt jetzt heraus aus dem Gehöft, die Trompete von vorhin schmettert ein schneidiges Stücklein, und dann heben die Glocken an zu schwingen. Glück auf den Weg, junges Paar!

Naß wird der Pfad jetzt und weich. Ein weiter brauner Wald alten Rohres weht vor mir im Wind, und bald bin ich im wogenden Halmemeere verschwunden. Unwillig schilt der Froschkantor über die Störung, sechs seiner begabtesten Schüler auf einmal sehe ich grade noch kopfüber im Wasser verschwinden; raschelnd fährt die Ringelnatter durchs Röhricht, aber ungestört noch durch mein Nahen schrillen die Rohrsänger im Schilf um die Wette. Puh, ist es hier heiß! In wahren Strömen rinnt mir der Schweiß von der Stirne, vor den Augen flimmert der Sonnenglast und stahlblauer Libellenflug. Weiß wie Schnee deckt das Wollgras den unsicheren Boden, der mich zu immer gewagteren Sprüngen zwingt. Wie es hier lebt in dem Sumpf! Entengeschnatter, Fasanenschrei, immer neues vielstimmiges Kreischen von unsichtbarem Getier dringt an mein Ohr, und nun auf einmal stiebt in gewaltigem Ruck eine mächtige weiße Wolke hinter den Halmen empor – hunderte, nein tausend Lachmöwen sicher steigen auf edelschmalen Schwingen dort auf, kreisen angstvoll hoch in der Luft, fallen wieder ein, rudern über die blanken blauen Wasserstellen im Sumpf, steigen wieder auf, lassen ihre Losung fallen, krächzen, krähen, schrillen, als wollte die Welt untergehen. Vorsichtig arbeite ich mich heran an die Blänke, sehe durchs Glas hinüber zu den Kaupen, darauf die Nester stehen mit den graugrünen, braungefleckten Eiern, und ziehe mich dann leise zurück, um nicht zu lange die fleißigen Brüter zu stören. Aber noch immer steigen neue Scharen auf; dazwischen strack und steil einzelne Enten; das Geschrei will nicht aufhören. Ganz wirbelig biege ich um die äußerste Rohrecke, schon wieder auf festem Boden; da liegt es schneeweiß auf der Wiese, auch hier hunderte der aufgescheuchten Vögel, die bei meinem Nahen verwehen wie der Oktobernebel vor der aufsteigenden Sonne.

Weit aus der Wiese schau ich noch einmal zurück. Braun liegt der Schilfteich, schüchtern erst kämpfen sich hellgrüne Junghalme durch, aber welch unvergeßlicher Anblick, welch hohe Freude bot mir diese Einöde heut. Ein Stück große, echte Natur durfte ich hier schauen, wie ich sie in der übervölkerten Heimat gar nicht mehr zu finden gehofft.

Abb. 8. Großdittmannsdorf

Allmählich nur gelingt es dem Kuckucksruf, der aus den Bäumen am Fluß drüben läutet, das Möwengeschrei aus meinem Ohre zu bannen. Hier hinter dem Sumpf zeigt das Röderland übrigens so recht, was es in landwirtschaftlicher Hinsicht bedeutet.

Hinter Freitelsdorf gilt es zum ersten Male heut, die Landstraße unter die Füße zu nehmen. Schwarzblau dehnt sie sich nordwärts in unendliche Weiten. Aber langweilig wird sie mir nicht, auch sie hat ihren Reiz, ihren großen sogar – das Geheimnisvolle, der Zug in die Ferne liegt auf ihr! Manch Dörflein, manch stattlicher Kirchturm grüßt mich von weitem, am[238] prächtigsten doch der gewaltige Breitturm von Niederebersbach mit dem kecken Dachreiterchen ganz obenauf.

Abb. 9. Landstraße bei Niederebersbach bei Großenhain

Mächtig schreite ich aus, in wenigen Stunden muß ich am Ziel sein, der Zug wartet nicht. Bieberach mit der Uferschwalbenkolonie in der alten Kiesgrube liegt hinter mir, und schon taucht das rossenährende Kalkreuth auf. Ach, wehmütig wird es mir zu Sinn, wie ich die verlassenen Koppeln sehe, darauf einst vierhundert Jungpferde, Remonten der alten Armee, herumsprangen. Nur vier Hengste noch stehen jetzt hier, wo schon zu Kurfürst Christian I. Zeiten ein Stuthaus für hundert Rosse bestand.

Nördlich von Kalkreuth dehnt sich auf Folbern und Quersa zu eine ungeheure Ebene. Hier war es, wo August der Starke der Reiherjagd huldigte. Im Röhricht am Fluß standen damals genug der blaugrauen Wildfischer, es war nicht schwer, ihrer einen hochzumachen, und dann ward der Falke an ihn geworfen! In verzweifelter Hast stieg der Reiher, er wußte, was ihm drohte, aber wie ein Sturmwind zog der Falke empor, steiler und steiler, bis er ihn endgültig überhöht hatte. Was nützte es dem Grauen, daß er herausholte aus den Fittichen, was er nur konnte; daß er herausspie, was er im Kropf trug; daß er den dolchartigen Schnabel dem Gegner entgegenreckte? Wie ein Stein fiel der Falke ihm auf den Rücken, eine wirbelnde, schwingenschlagende Masse kam weit drüben zur Erde. Und jetzt hieß es für die Jäger Schenkel heran und im vollen Rosseslauf hin zu den Vögeln – keinesfalls sollte der Falke den Reiher abtun; des Weidwerkes feinstes Ziel war, den Reiher lebendig zu fangen, ihn mit silbernem Ring am Ständer zu zieren und ihn dann wieder in Freiheit zu setzen. – Im Kalkreuther Hof wohnte der Oberfalkenmeister mit seinen Knechten, und in der Ebene stand der sogenannte Reiherpavillon, ein anmutiges Schlößchen, darin die Teilnehmer an der Jagd hinterdrein ihre Bequemlichkeit fanden.

Und nun auf zum letzten Kampf mit der Ferne. Schon winken die Großenhainer Dächer und Türme hinter der unendlichen Aue. Daß ich dem Löwenwirt an der Landstraße den Schmerz antue, beim Nachbar mir zwei Gläser Wasser zu erbitten, ist unschön, hilft mir aber bei der Hitze besser weiter als schäumendes Braunbier. Gar bald grüßt mich denn auch das äußerste Vorwerk von Kalkreuth, der Reiherhof, ein Zeuge aus der Zeit des edlen Federspiels. Unter einer wundervollen Pappelgruppe liegt der stattliche Hof mit seinen anmutigen Runddächern da. Mildes Rindergebrumm weht mir aus den Koppeln nach, und mit glänzenden Augen mustern die Fohlen den hastigen Wandrer. Im warmen Abendsonnenschein glänzt der Röderkanal unter der Bohlenbrücke; wie brauner Achat, wie Goldsammet leuchtet jetzt sein Gewässer. Dann umgibt mich wieder Menschengewimmel; ich stehe am Bahnhof und kehre zurück dahin, wo mich der neuen Woche Pflichten erwarten. Das Herz aber, ich weiß es, wird noch lange sich zurücksehnen in das grüne, stille und starke Land dort in der Au.


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Bücherbesprechungen

Dr. Jäger und Dr. Schulze, Wanderkarte Mitteldeutschland. Herausgegeben vom Sächsischen Verkehrsverband, Leipzig, Gellertstraße 10. Preis 0.50 Mark. Der Hauptwert dieser Karte, die sich zum Ausarbeiten von Wanderungen in dem Gebiet zwischen Wittenberg und Karlsbad, Erfurt und Zittau recht gut eignet, zumal die Entfernungen zwischen den einzelnen Orten und die Steigungen reichlich und ordentlich angegeben sind, wenn sie natürlich auch beim Wandern selbst die amtlichen Karten nicht ersetzen kann, liegt darin, daß sämtliche Orte mit Jugendherbergen kräftig blau unterstrichen sind. Wer je nach dem Jugendherbergsverzeichnis sich eine Tour zusammengestellt hat, wird ermessen können, welche zeitraubende Arbeit ihm von den Verfassern der Karte abgenommen worden ist. Da auf der Rückseite sämtliche bei den wichtigsten Bahnstationen (auch der Vorstädte der Großstädte) aufliegende Sonntagskarten mit Angabe der Kilometer verzeichnet sind, nützt die Karte auch den Wanderern, die nicht dem Herbergsverband angehören. Sie finden in dem unentgeltlich beigegebenen Hotelverzeichnis eine Fülle von Übernachtungsgelegenheiten.

Dr. Kurt Schumann.

»Das Deutsche Haus« von Paul Ehmig, 3. Band – 5. und 6. Buch – ist soeben bei Ernst Wasmuth, Berlin, erschienen. Somit ist in glücklichster Weise dieses großzügig angelegte Werk zum Abschluß gebracht worden. Die künstlerischen Bedingungen des deutschen Hauses, Anlage, Aufbau, Hauskörper, Innenraum und Garten werden in tiefgründiger Weise vom Standpunkte des schaffenden Künstlers behandelt. Der dritte Band ist ebenso wie seine Vorgänger hervorragend ausgestattet und mit 131 wertvollen Abbildungen illustriert. Wir empfehlen allen Baulustigen wie Freunden der nationalen künstlerischen Kultur das Buch aufs wärmste, aber auch den Jüngern der Baukunst. Ist es doch frei von der in technischen Gebieten allzu üblichen schematischen Behandlung der Aufgaben, betont es doch immer wieder die Notwendigkeit, die Erfahrungen der Alten zu benützen und die Bedürfnisse aus ihnen zu entwickeln. Alles in allem eine bedeutsame Weiterentwicklung der in den letzten Jahren erschienenen Veröffentlichungen ähnlichen Charakters –, auf die vom Deutschen Bund Heimatschutz herausgegebenen Grundlagen für das Bauen in Stadt und Land, von Steinmetz, Berlin, und die sechs Bücher vom Bauen Ostendorfs sei hier noch hingewiesen. –

Daß dem Siedlungsproblem, Reihenhaus und Bebauungsplan umfangreiche Teile des Buches gewidmet sind, mag hervorgehoben werden, aber auch, daß die künstlerische Gestaltung des Hausinneren in Verbindung mit den Gartenräumen unter Beibringung schönen Abbildungsmaterials mit besonderer Liebe behandelt ist.

Paul Goldhardt.

Heimatscholle von Franz Blanckmeister, 214 Seiten gebunden in Halbleinen 2.50 Mark, Dresden, Franz Sturm & Co. Das Vogtland, der entlegenste Gau unserer sächsischen Heimat, ist noch lange nicht so bekannt, wie es wünschenswert wäre. Da ist ein Buch mit Dank zu begrüßen, das sich die Aufgabe stellt, das Vogtland zu schildern, wie es war und wie es ist. Ein Sohn der vogtländischen Erde, der Verfasser der »Sächsischen Kirchengeschichte« und des Deutschen »Familienlebens« Franz Blanckmeister in Dresden, gibt uns hier ein schönes, abgerundetes Bild vogtländischen Lebens, wie er es als Knabe und Jüngling von den Fenstern der Endegasse in Plauen geschaut hat. Denn es sind Jugenderinnerungen, die uns hier geboten werden. Mit großer Anschaulichkeit werden Land und Leute geschildert. Die Doppeltürme Plauens steigen auf. Wie Momentphotographien treten die Eltern und Verwandten, sowie zahlreiche Originale aus Stadt und Land vor das Auge. In der Kinderstube hebt sich der kleine Sonderling von den Geschwistern ab, der seine kleinen Schwestern und Brüdern neckt, aber nicht geneckt sein will, der seine Habseligkeiten einsiegelt, damit sie nicht Schaden leiden, der auf einer Schlittenfahrt wie durch ein Wunder gerettet wird. Die Kinderspiele, das Straßenleben, die Tierwelt der Heimat, die Schule, die Kirche, alles spiegelt sich in dieser deutschen Jugend wieder, nicht zuletzt die Weltereignisse von 1866 und 1870, wie sie das stille Städtchen berührten. Das ist ein Buch, an dem nicht nur die Vogtländer,[240] sondern alle ihre Freude haben werden, die unser Volk lieb haben. Das bei allem Ernst humorvoll geschriebene Buch löst eine wohlige Stimmung im Leser aus, es ist darum ein Buch für unsre Zeit.

Hans Siegert, Zwei Wege. Ein Roman aus dem Erzgebirge. Verlag Wittig und Schobloch, Dresden-Wachwitz. Nachdem Max Geißler den deutschen Büchermarkt mit einer Anzahl sogenannter Erzgebirgsromane bereicherte, tritt jetzt der bekannte Leipziger Erzgebirgsschriftsteller Hans Siegert mit einem »Roman aus dem Erzgebirge« auf den Plan. Richtiger hätte es heißen mögen »Aus dem oberen, ja obersten Erzgebirge«, denn Hans Siegert ist schon der Schilderer eines kleinen Gebietes, der der Walddörfer und ihrer Bewohner in nächster Umgebung des Fichtelberges gewesen. Wie das Leben dieser Waldleute arm an äußeren Ereignissen ist, so besticht auch die vorliegende Geschichte nicht durch romanhafte Gestalten und eine bewegte Handlung; aber aus jeder Zeile spricht die Liebe des Verfassers zu seiner Heimat. Das Kleinste erscheint ihm wichtig, das Bescheidenste erwähnenswert. Köstlich geraten sind die Schilderung der Taufe und des Verfassers eigene Seminarerinnerungen. Das Lesen des sehr empfehlenswerten Buches wird vor allem der heranwachsenden Jugend von Nutzen sein.

Max Wenzel.

Gustav Wolf: Das norddeutsche Dorf, Bilder ländlicher Bau- und Siedlungsweise im Gebiet nördlich von Mosel und Lahn, Thüringer Wald und Sudeten (222 Seiten mit 141 Netzätzungen und 20 Strichätzungen – R. Piper & Co. Verlag, München 1923). Dieses köstliche Buch ist der letzte Band einer Reihe, die in drei Bänden »Die schöne deutsche Stadt« und »Das deutsche Dorf« umfaßt. Wir möchten wohl wünschen, daß ein besonderer Band neben dem süddeutschen und dem norddeutschen auch das mitteldeutsche Dorf, besonders das sächsische behandele, denn Sachsen ist in dem Wolfschen Buche nicht gerade hervorragend bedacht, und in dem Quellenverzeichnis sind die Werke von Wuttke, Hennig, Karl Schmidt, Gruner u. a. nicht genannt, auch z. B. unsere charaktervollen erzgebirgischen Wehrkirchen nicht erwähnt. Aber trotzdem können wir dem Buche des kunstreichen Architekten nur warme Anerkennung mit auf den Weg geben. Es behandelt nach zwei einführenden Kapiteln die Bauernhausformen Ost- und Mitteldeutschlands sowie Nordwestdeutschlands, das Altsachsenhaus, das Westfalen-, das Ostfriesen-, das Nordfriesenhaus, Grotdör, Döns und Pesel, die Siedlungen, die Dorfkirchen und die Erstellung des dörflichen Gesamtbildes. Treffliche Sachkunde vereinigt sich hier mit warmfühlendem Herzen. Wolfs tiefgehende Liebe zu deutscher Eigenart spricht zu unserem Herzen und wird jedem, der das deutsche Dorf, das deutsche Bauernhaus, die deutsche Dorfkirche in ihrer Mannigfaltigkeit und Vielgestaltigkeit, in ihrer Zweckmäßigkeit und in ihrer bodenständigen Kraft noch nicht kennen sollte, einen reichen Einblick in deutsches Wesen und in deutsche Ausdrucksform geben. Mit eindringlichen Worten wendet sich Wolf an die deutschen Architekten, die Baubehörden, die kirchlichen Maßgebenden, um in ihnen wiederzuerwecken, was uns verlorengegangen ist. Gedanken Sohnreys, Mielkes, Schultze-Naumburgs haben das Buch mannigfach befruchtet, aber das Ganze ist Wolfscher Eigenbau. Ein paar Sätze aus seinen Darlegungen mögen hier Platz finden: »Ihr Bauern, Pfarrer und Baumeister: werdet bescheiden! Laßt das Kirchenbauen, wenn Ihrs nicht müßt. Und wenn Ihrs müßt: fragt nicht nach Stil, nicht nach Ornamenten, wollt nicht zuviel, tut das Notwendige mit den einfachsten Mitteln. Laßt Euch von Armut und Elend, die uns der Weltkrieg aufgezwungen, wieder jene einfachen aber starken Raum- und Bauformen bringen, die einst, aus Not geboren, zur Tugend wurden in den Gipfelbauten unserer Dörfer: in den alten Dorfkirchen.« – Anderthalbhundert Abbildungen, darunter eine Anzahl lehrreicher Fliegeraufnahmen sind dem Wolfschen Buche beigegeben.

Paul Schumann.


Für die Schriftleitung des Textes verantwortlich: Werner Schmidt – Druck: Lehmannsche Buchdruckerei
Klischees von Römmler & Jonas, sämtlich in Dresden


Landesverein Sächsischer Heimatschutz

Satzung

I. Zweck und Organisation

§ 1.
Name, Zweck und Sitz des Vereins.

Der Landesverein »Sächsischer Heimatschutz« bezweckt, die sächsische Heimat in ihrer natürlichen und geschichtlich gewordenen Eigenart zu schützen, Neuentstehendes im Sinne dieser Eigenart zu beeinflussen, sowie das Bau- und Wohnungswesen zu fördern.

Sein Arbeitsgebiet umfaßt namentlich:

a) Pflege der überlieferten ländlichen und bürgerlichen Bauweise, Beratung für Bauten und Anlagen aller Art, Maßnahmen gegen die Verunstaltung von Stadt und Land, sowie die Erstattung von Gutachten über alle diese Fragen;

b) Pflege der Volkskunde und Volkskunst;

c) Schutz der landschaftlichen Natur, der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt, sowie der geologischen Eigentümlichkeiten des Landes.

Entsprechend diesen Aufgaben des Vereins bestehen drei Hauptgruppen unter je einem besonderen Leiter, nämlich:

Gruppe A: Bauberatungsstelle,

Gruppe B: Volkskunde und Volkskunst,

Gruppe C: Naturschutz.

Außerdem besteht als besondere Abteilung: eine Beratungsstelle für Bebauungspläne.

Die Verfassung und Tätigkeit dieser Abteilung, sowie ihre Stellung im Gesamtverein wird durch eine vom geschäftsführenden Vorstand aufzustellende Geschäftsordnung geregelt.

Der Sitz des Vereins ist Dresden.

Der Verein ist in das Vereinsregister eingetragen.

§ 2.

Die Organe des Vereins sind:

a) der geschäftsführende Vorstand,

b) der Gesamt-Vorstand,

c) die Hauptversammlung.

§ 3.

Das Geschäftsjahr läuft vom 1. Januar bis mit 31. Dezember.

II. Mitgliedschaft

§ 4.

Der Landesverein setzt sich zusammen aus:

a) körperschaftlichen Mitgliedern,

b) Einzelmitgliedern,

c) Ehrenmitgliedern.

Die Höhe der Jahresbeiträge und der sonstigen Aufwendungen, die zur Erhaltung des Vereins erforderlich sind, bestimmt der geschäftsführende Vorstand, der auch befugt ist, im Einzelfalle Nachlässe zu gewähren. Um Irrtümer zu vermeiden, geben wir hierzu folgende Erklärung: Der Jahresbeitrag ist auf RM 12.— festgesetzt[8].

Der Eintritt erfolgt durch Anmeldung.

§ 5.

Zu Ehrenmitgliedern oder Förderern können auf Vorschlag des geschäftsführenden Vorstandes durch den Gesamtvorstand Personen ernannt werden, die sich um die Bestrebungen des Landesvereins in hervorragender Weise verdient gemacht haben.

III. Vorstand

§ 6.

Der Gesamtvorstand des Landesvereins besteht aus:

a) dem Vorsitzenden,

b) dem 1., 2. und 3. Stellvertreter des Vorsitzenden,

c) dem Schatzmeister,

d) den Leitern der drei Hauptgruppen und deren Stellvertretern (zu vergleichen § 14),

e) dem Geschäftsführer, sowie

f) 80 Beisitzern.

Für die Angelegenheiten der Abteilung für Bebauungspläne tritt deren Vorsitzender und dessen Stellvertreter hinzu.

Die Zuziehung noch weiterer Personen mit beratender Stimme bleibt dem Gesamt-Vorstand überlassen.

Die Leiter der Hauptgruppen sowie der Abteilungen können gleichzeitig ein anderes Amt im Gesamt-Vorstande bekleiden.

Die unter ae Genannten bilden samt 8 Beisitzern des Gesamtvorstandes, die der Gesamt-Vorstand wählt, den geschäftsführenden Vorstand.

§ 7.

Der Gesamt-Vorstand wird auf die Dauer von 5 Jahren von der Hauptversammlung gewählt. Die Wahlen des Vorsitzenden, des 1., 2. und 3. Stellvertreters des Vorsitzenden, des Schatzmeisters und der Leiter der drei Hauptgruppen erfolgen in je einem besonderen Wahlgange, die der übrigen Vorstandsmitglieder mit Ausnahme des Geschäftsführers, der als Beamter gilt, in einem gemeinsamen Wahlgange. Die Abstimmung ist schriftlich und geheim, wenn nicht die Mehrheit der Versammlung die Wahl durch Zuruf genehmigt. Wiederwahl der ausscheidenden Gesamt-Vorstands-Mitglieder ist zulässig.

Scheidet ein Gesamt-Vorstands-Mitglied vorzeitig aus, so kann sich der Gesamt-Vorstand bis zur nächsten Hauptversammlung durch Zuwahl ergänzen.

Der Gesamt-Vorstand tritt auf Berufung des Vorsitzenden nach Bedarf zusammen.

§ 8.

Der Vorsitzende hat den Verein gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten und bildet den Vorstand im Sinne von § 26 des BGB. Im Behinderungsfalle tritt einer der drei Stellvertreter für ihn ein.

§ 9.

Hauptgruppen und Abteilungen (§ 1) erledigen die in ihr Tätigkeitsgebiet fallenden Angelegenheiten selbständig unter eigener Verantwortung ihrer Leiter und Vorsitzenden. Diese können jedoch solche Angelegenheiten, insbesondere Fragen von grundsätzlicher oder allgemeiner Bedeutung, jederzeit nach eigenem Ermessen vor den Vorstand bringen, wie ebenso der geschäftsführende Vorstand aus gleichen Gründen seine Mitentschließung fordern kann.

IV. Hauptversammlung

§ 10.

In der Regel findet aller fünf Jahre die Hauptversammlung statt.

Die Berufung außerordentlicher Hauptversammlungen beschließt der Gesamt-Vorstand selbständig oder auf schriftlichen Antrag von mindestens einem Fünftel der Vereinsmitglieder.

Zeit, Ort und Tagesordnung einer Hauptversammlung sind spätestens zwei Wochen vorher durch Veröffentlichung in der »Sächsischen Staatszeitung« und tunlichst in den Mitteilungen bekanntzugeben.

§ 11.

1. Dem geschäftsführenden Vorstand liegt ob:
die Leitung und Geschäftsführung des Landesvereins;
die Kassen- und Vermögensverwaltung.

2. Dem Gesamt-Vorstand liegt ob:
Die Entscheidung über wichtige und grundsätzliche Fragen aus dem Arbeitsgebiet des Landesvereins, soweit sie nicht den Hauptgruppen oder Abteilungen zugewiesen sind, die Prüfung und Richtigsprechung des vom geschäftsführenden Vorstand erstatteten Jahres- und Kassenberichts.

3. Die Hauptversammlung der Mitglieder des Landesvereins (§ 4) wählt den Gesamt-Vorstand, beschließt über Satzungsänderungen und Auflösung des Vereins (§ 19).

§ 12.

Über die Verhandlungen der Vereinsorgane und die von ihnen gefaßten Beschlüsse sind Niederschriften aufzunehmen, die von dem Vorsitzenden und dem Schriftführer nach Vorlesen zu unterzeichnen sind.

§ 13.

Sitzungen können gegebenenfalls auch nach Orten außerhalb Dresdens einberufen werden.

V. Hauptgruppen und besondere Ausschüsse

§ 14.

An der Spitze jeder Hauptgruppe (§ 1) stehen ein Leiter (Vorsitzender) sowie dessen Stellvertreter. Dem Leiter (Vorsitzenden) steht es zu, Mitglieder des Landesvereins als Gruppenmitarbeiter hinzuzuziehen.

§ 15.

Für größere und einheitliche Arbeiten können vom Gesamt-Vorstande besondere Ausschüsse (Arbeitsausschüsse) bestellt und nach Bedarf als dauernde Einrichtung beibehalten werden.

VI. Abstimmungen

§ 16.

Jede vorschriftsmäßig einberufene Hauptversammlung ist beschlußfähig. Der Gesamt-Vorstand ist beschlußfähig, wenn wenigstens ein Zehntel der stimmberechtigten Mitglieder anwesend ist, der geschäftsführende Vorstand bei Anwesenheit von mindestens ein Drittel der Mitglieder.

Bei allen Abstimmungen entscheidet, soweit nicht die Satzung anders bestimmt (vgl. § 18) einfache Stimmenmehrheit. Jedes Mitglied hat – auch im Falle des § 6 Absatz 4 – eine Stimme. Im Falle der Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden, bei Wahlen das Los.

Abstimmungen des Gesamt-Vorstandes und des geschäftsführenden Vorstandes können auch auf schriftlichem Weg erfolgen.

§ 17.

Änderungen dieser allgemeinen Satzung, sowie des Vereinszweckes kann die Hauptversammlung mit einer Mehrheit von drei Viertel der Anwesenden beschließen.

VII. Auflösung des Vereins

§ 18.

Zur Auflösung des Vereins bedarf es des übereinstimmenden und jedesmal von wenigstens vier Fünftel der erschienenen Mitglieder gefaßten Beschlusses zweier mindestens vier Wochen auseinanderliegender Hauptversammlungen. Der Antrag auf Auflösung muß wenigstens drei Monate vor der Versammlung beim Gesamt-Vorstande schriftlich angebracht und öffentlich durch die »Sächsische Staatszeitung« bekannt gemacht werden.

§ 19.

Im Falle der Auflösung wird das Vereinsvermögen dem Gesamtministerium zur freien Verfügung überwiesen.

§ 20.

Die am 14. Juli 1908 errichtete Satzung ist am 15. Mai 1909, 15. Mai 1911, 8. Mai 1912 und am 1. September 1919 abgeändert und am 1. September 1923 in vorliegender Fassung neu errichtet worden.

Dresden, am 1. September 1923.

Fußnote:

[8] Der Beitrag ist beliebig zahlbar (monatlich, vierteljährlich, halbjährlich oder fürs ganze Jahr). Das Vereinsjahr ist das Kalenderjahr. Jeder, der im Laufe des Jahres eintritt, erhält sämtliche Veröffentlichungen dieses Jahres kostenlos, hat aber auch den Beitrag für das Eintrittsjahr voll zu entrichten. Der Austritt aus dem Verein ist nur zum Schluß des Kalenderjahres schriftlich zulässig, der Beitrag für das Austrittsjahr gleichfalls voll zu entrichten, sämtliche Veröffentlichungen des Austrittsjahres erhält das Mitglied kostenlos. Für minderbemittelte (Erwerbslose, Kleinrentner, Lehrlinge, Schüler) kann der Jahresbeitrag auf jährlich zu wiederholenden schriftlichen Antrag auf 50 Pf. monatlich herabgesetzt werden. Die Abmeldung hat an den Verein und nicht an eine Mittelsperson zu erfolgen und ist nur dann gültig, wenn sie vom Verein schriftlich bestätigt wurde.

Lehmannsche Buchdruckerei, Dresden-N.


Weitere Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.