The Project Gutenberg eBook of Der graue Alltag und sein Licht This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Der graue Alltag und sein Licht Author: Felicitas Rose Illustrator: H. Krahforst Release date: December 21, 2024 [eBook #74959] Language: German Original publication: Berlin: Deutsches Verlagshaus Bong & Co Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER GRAUE ALLTAG UND SEIN LICHT *** Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Im Original fetter Text ist =so dargestellt=. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. Felicitas Rose · Der graue Alltag und sein Licht [Illustration] Der graue Alltag und sein Licht Roman von Felicitas Rose Mit 26 Originalzeichnungen von H. Krahforst 59. bis 68. Tausend Berlin / Leipzig Deutsches Verlagshaus Bong & Co. Meinen verehrten Gastfreunden _Käthe_ und _Ludwig Povel_ in Dankbarkeit Alle Rechte, auch das der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten Copyright 1922 by Deutsches Verlagshaus Bong & Co., Berlin Druck der Graphia Akt.-Ges. vorm. C. Grumbach in Leipzig 1. Welch wunderliches Erlebnis, zur Erbin des »grauen Alltags« ernannt zu sein! In unserer Familie ist seit Generationen ein Suchen nach Licht gewesen, ein Hunger nach Freuden und Sonntagen. Und ein Durst nach Arbeit, Pflichterfüllung und schöner Ruhe. Was fange ich mit dem grauen Alltag an? Zu lesen steht es in dem großen, gelben Aktenbogen, der sich auf meinem altmodischen Schreibtisch breitmacht. Das steife Papier rollt sich eigenmächtig auf und wieder zusammen. Dann gibt es einen knisternden Knack: »Ich bin hier,« sagt dieses Knistern, »du schaffst mich nicht aus der Welt, auch nicht wenn du den Kopf in den alten Sorgenstuhl einwühlst. Vogelstraußpolitik? Schäm’ dich!« Und des Holzwurms Ticken und Bohren, der im Innern des Schreibtisches rumort, klingt wie Entrüstung. Der gelbe Aktenbogen sagt: »Laut Testament der Erblasserin ist Freiin Jesuliebe-Brigitte v. Lage in Erfurt (Thüringen) die Universalerbin des grauen Alltags.« Die Erblasserin ist vor 25 Jahren meine Taufpatin gewesen. Sie war weitläufig mit uns verwandt, »von sieben Suppen eine Schnitte«, wie der Volksmund sagt. Aber gerade diese eine Schnitte hat trotz ihres wunderlichen Beigeschmackes meinen Eltern immer gemundet. – Trotzdem dachte niemand von uns Thüringer Lages an den grauen Alltag. Da kam Tante Jesuliebe einmal drunten von der holländischen Grenze zu uns nach Erfurt. Wie ein altes Bild. Als ob die Zeit stehengeblieben sei, oder als ob die Biedermeierkleidchen, die sie als Kind getragen, mit ihr zugleich gewachsen seien: Die Eltern schickten sich in großer Feierlichkeit an, Tante Jesuliebe in »Gückels Staatswagen« abzuholen, während ich mich dem Mitfahren geschickt entzog und lieber hinter einem Pfeiler an Silbers Hotel versteckt die Ankommende beobachten wollte. In diesen Vorbereitungen stöberte mich ein wunderliches Lebewesen auf, indem es mir einen riesengroßen, roten Regenschirm reichte, wie ihn die Bauern an Markttagen über sich spannen. Dazu schrie es mich an: »Was lungerst und kuckst du? Siehst du nicht, daß es regnet? Spann’ mir den Schirm auf, nimm mir einen Teil Sachen ab, und dann zeig’ mir das schöne, alte Erfurt.« Ihre durchdringenden, grauen Augen sahen mich so stolz und heischend an, daß ich, in altväterischem Gehorsam erzogen, keinen Widerspruch wagte, sondern das Schirmungetüm öffnete. – Darauf hing sie noch an meinen linken Arm ein Marktnetz, das mit einem Zeitungspapier ausgelegt war: »Nachrichten aus der Grafschaft Bentheim.« Bepackt war es mit Haar- und Kleiderbürsten, mit Kämmen, Zahnbürste, Seife und Schwämmen bis oben hin. Sie selbst trug eine große, mit roter Wolle gestickte Reisetasche, die den preußischen Adler in schwarzweißen Perlen zeigte. Auf der Rückseite war in gelber Seide riesengroß »~Bon voyage~« gestickt. So zogen wir durch Erfurt und hatten ein großes Gefolge hinter uns von Schuljugend und kopfschüttelnden und lachenden Müßiggängern. Ich kam aber gar nicht zum »Schenie«, wie der Erfurter sagt, denn meine Unbekannte erzählte so herrliche Geschichten von jedem alten Hause, von jeder lutherischen oder katholischen Kirche, daß ich ganz glückselig zuhörte und schließlich meinte, sie müsse ja wohl in Erfurt geboren sein, was denn auch der Wahrheit entsprach. »Vor 200 Jahren«, rief sie pfiffig. Und dann standen wir schließlich vor dem alten Kloster, darinnen mein Vater seine Amtswohnung hatte, und die alte Dame meinte, just dahinein wolle sie, und es schiene ihr beinahe, als sei ich ihr Patenkind Brigitte-Jesuliebe Lage. – Oben fanden wir Vater und Mutter und die alte Köchin recht mißmutig vor, da die Großtante nicht angekommen sei. [Illustration] »Lieber Herr Vetter, ich fahre nicht gern im Wagen rasch nach Hause, sondern mache in jeder Stadt gern einen kleinen Umweg zu Fuß«, bedeutete ihm damals der unverhoffte Gast. Der »kleine« Umweg hatte zwei und eine halbe Stunde gedauert, und ich hatte den Krampf in beiden Armen. Aber lustig war’s gewesen, und die alte Marie kochte frischen Kaffee, und die Thüringer »Kräpfel, Wuchteln und Maulschellen«, das Erfurter Eigengebäck, bildeten gleich das Abendbrot. Großtante Lage aß 15 Stück davon, nahm immer nach je dreien einen Löffel Bullrichsalz und ging dann gleich hochbefriedigt zu Bett. – Der rote Regenschirm von der Großtante ist schuld, daß ich Erbin des grauen Alltags bin. Mit dem roten Regenschirm hat sie alljährlich der Reihe nach ihre Neffen und Nichten erprobt, die weit näher als wir mit ihr verwandt waren. In Bayern, in Schlesien, in Pommern, in Württemberg und in Holland war sie, aber überall hatte sich die Jugend geweigert, mit ihr und dem Schirm durch die Straßen zu ziehen. Viel Grobheit und Verlachen und eitel schnippische Antworten sind ihr zuteil geworden; weiß nicht, welch guter Engel gerade damals über mir wildem, unbotmäßigem Ding gewacht hat, daß ich meine spottlustige Zunge im Zaume hielt. – So wurde es für mich wahrhaft eine »~bon voyage~«. Herzlieber, guter, alter Regenschirm, hab’ Dank! Du ließest mich einen Menschen finden und gabst mir eine Heimat! 2. Heute erhielt ich einen Brief von einem der übergangenen Erben. Er lebt in Holland in überreichen Verhältnissen und scheint glücklich zu sein, den grauen Alltag nicht geerbt zu haben. Er redet mich »Verehrte Regenschirmbase!« an, ist also auf dem laufenden. – Von Herzen wünscht er mir Glück zu der Erbschaft, teilt mir mit, daß er nur noch von zwei _alten_ Lages wüßte, einem Spitalweibchen Fernande Lage, die bei Minden wohne, und einem Matthias Lage aus Paderborn, beide in kümmerlichen Verhältnissen. Er, der Holländer, habe sie unterstützt, aber nie eine Antwort erhalten. Das Spitalweibchen sei eine störrische Lutheranerin, der Matthias Lage hingegen gläubiger Katholik. Von der damaligen Jugend vor ungefähr 25 Jahren sei merkwürdigerweise außer ihm alles verstorben, teils in Wochenbetten, teils in Duellen und sonstigen Raufhändeln, die Lages seien ja allesamt eine närrische Art von ~Homo sapiens Linné~. Dies zur Vervollkommnung der Familiengeschichte. Es sei recht erfreulich, daß Muhme Jesuliebe mit echt Lagescher Spürnase noch etwas Junges aufgestöbert habe. Zum Schluß hofft er, daß der Clemens nicht im grauen Alltag spuke. Diese Bemerkung ist mir vollkommen unverständlich, aber ich werde schon noch dahinterkommen. – 3. Nun breche ich hier in Thüringen meine Zelte ab, es ist eigentlich nur ein kleinwinziges Zelt im Dörfchen Hochheim bei Erfurt, wohin ich mich verzog, als vier Augen sich schlossen und ich nun nichts weiter vorstellte, als ein »armes Mädchen höherer Stände«. Das ist etwas unglaublich Hartes und erschrecklich Weniges, und jeder glaubt sich berufen, gute oder minderwertige Ratschläge, hie und da auch einen kleinen Fußtritt zu geben. Oder auch mit feinfeinen Nadeln just in die Stelle zu stechen, da es am wehesten tut. So wollten »gute Freunde und getreue Nachbarn« mir durchaus meinen Urväterhausrat über den Kopf weg verkaufen, und meine Aufwärterin nennt mich »kumplett verrückt«, weil ich mir alles gerettet habe, da ich doch für Väterchens uraltes Zylinderbüro und Muttchens eingelegten Schreibtisch »Unsummen« bekommen hätte. – Diese Unsummen würden aber niemals die Summen der Glückesstunden aufwiegen, die ich an diesen beiden Möbelstücken erlebte, durchlitt und durchlachte. Märchenerzähler waren beide Eltern, und führte mich Vater Ernst durch selbsterdachte köstliche Geschichten, die ein unsagbar feiner, guter Humor durchsonnte, so gab mir Mutter Pauline den Reichtum von Andersens Märchen. – Nun steht »Speditör König« mit seinem Möbelwagen vor meiner Tür, und der Kutscher sagt: »Hü, alle meine Pferde« zu dem einzigen, das davorgespannt ist, genau wie es der kleine Klaus tut in Andersens Märchen. Ich habe soeben viele Hände, schwielige und weiche vornehme, gedrückt und ziehe nun mit meinem persönlichen Gepäck von dannen, als da sind: »Vaters Statur, des Lebens ernstes Führen und Mütterchens Frohnatur und Lust zum Fabulieren.« 4. Mit Gott! Ich bin in Haus Lage. Von weiter, roter Heide ist es dicht umgeben, von Birken und hohen Wacholdern, von Ginsterbüschen, die leuchtend gelb blühen. Hier soll das Thüringer Waldkind daheim sein und ist’s schon. Ist mit tausend feinen Fäden bereits gefesselt, schier jede rote Dolde hat sich eng mit dem Herzen verknüpft. Hinter der Heide, im Rücken von Haus Lage, liegt Wald, tiefer Tannen-, Eichen- und Buchenwald, ein köstlich Fleckchen Erde. Im Park steht eine Ruine, die Spanier haben im Dreißigjährigen Kriege das Schloß zerstört. Jetzt rankt sich Efeu dicht herum, von den Gemächern ist nur das – Gefängnis übriggeblieben, eine eisenbeschlagene, schwere Tür führt hinein. Das Licht konnte nur durch eine Falltür von oben eindringen, wenn sich nicht ein Sonnenstrahl just dann verirrte, wenn der Wärter das Essen durch die Klappe schob. – Mich fröstelte, als ich diese Unterkunft sah. Gefangen inmitten der weiten, weiten Heide … Eine schneeweiße Bank habe ich hinsetzen lassen vor ein efeuumwuchertes Fenster im Erdgeschoß. In diesem Fenster mag oft in tiefer Nische, die von wohlerhaltener durchbrochener Steinornamentik umgrenzt ist, eine schöne Fraue von Lage gesessen, gestickt und geplaudert haben. Mit wem? Das werde ich wohl noch ergründen können, wenn ich erst einmal die Bücherei durchstöbert habe. Auf dies Tagewerk freue ich mich. Deshalb hat es noch gute Wege damit. Denn noch bin ich nicht zur Freude hier, sondern zur Arbeit. Die Tante Jesuliebe-Brigitte Lage scheint eine Arbeits_wut_ gehabt zu haben. Überall begegnet man irgendeinem Sprichwort, das auf die Arbeit Bezug hat, oder auch einem kategorischen Imperativ. Als ich gestern hinter der Ruine den uralten Baum erkletterte, dessen verzweigte Wurzeln sich wie ein Wappenschild von der Mauer abheben, las ich eingeschnitten in den Stamm: »Arbeite!« Und war doch hingekommen, um mich zu verstecken, um zu rasten und zu träumen. Und so viel Macht hatte das herrische Wort, daß ich sofort wieder hinunterstieg und selbst mit Hand anlegte bei der Säuberung des inwendigen Hauses, auf daß mein Hausrat bald seine bleibende Statt fände. Wenn alles bis auf den letzten Nagel an Ort und Stelle ist, dann will ich in Tante Jesuliebes Gemächer gehen und die Erbschaft völlig antreten. Vielleicht finde ich auch dort irgendeine Weisung, einen Brief … Davor fürchte ich mich. Es ist gewiß töricht von mir, aber ich möchte lieber allein einen, wenn auch schweren oder gefahrvollen, Weg gehen, als mich durch Bitten oder Befehle einer Toten bestimmen zu lassen. Heute nacht ließ mich der Vollmond nicht schlafen. Er stand grellweiß, ein riesenhafter Scheinwerfer, am Himmel. Sein Licht lag gespenstisch auf der Ruine und dem weiten Rasen davor. Ich erhob mich von meinem Lager, hastig kleidete ich mich an und warf meinen dicken Flauschmantel über. Die schwere Tür öffnete ich (alle Türen sind hier groß und gewichtig) und schlich mich hinunter. Aber selbst unter meinem sachten Schritt ächzte die alte Treppe, und das Ächzen löste ein seltsames Echo in dem hallenden Gange aus. Dann stand ich auf dem Rasen vor der Ruine, und nun trank ich buchstäblich die Schönheit der Vollmondnacht in mich hinein. Haus Lage und das Trümmerschloß – eingebettet waren sie in Licht. Nichts vom grauen Alltag ringsumher … Und in meinem Innern ein grenzenloser Jubel, ein Glücksgefühl ohnegleichen. Ich nickte dem alten Hause zu: Du bist mein! Und der Ruine: Du bist mein! Der stille, mondbeschienene Park, die Sonnenuhr, ja der alte, schwarze Geräteschuppen, den das Mondlicht malerisch verklärte, jedes bekam den Gruß: Du bist mein! Die junge Brigitte Lage, die bisher nur gerechnet: was soll ich essen, was soll ich trinken, womit soll ich mich kleiden? Sie besaß plötzlich etwas; nicht etwas, – hundert Dinge. – Sie war eine Erbin. Ja, aber Erbin des _grauen Alltags_. Warum hatte man dies Fleckchen Erde so genannt? Warum bewußt einen Schatten darauf geworfen? Der sich doch ganz und gar verbergen mußte, da Gottes Licht den grauen Alltag in seine Arme nahm. Ich setzte mich auf die weiße Bank vor die Ruine, meine Gedanken waren unruhig und jagten sich. »Der häßliche Name müßte ganz verschwinden, er hat keine Berechtigung,« trumpfte ich laut – »schwarze und graue häßliche Dinge werden in Lage nicht mehr gelitten; ~dixi~, ich habe gesprochen …!« Da fuhr etwas Graues, unsagbar Häßliches aus der einen großen, leeren Augenhöhle der Ruine und strich klatschend über mein Haar hin. Laut schrie ich auf. Gleich darauf kam ein Lachen. Voll und tief, seltsam melodisch. – Und eine gute Stimme sprach neben mir: »Heldenseele! – will Ewigkeitsnamen ohne Hammer und Meißel ausmerzen. Schier nur mit einem Gedanken … Und fürchtet sich vor einer Fledermaus. Kindskopf!!!« Scheu sah ich mich um. Und da ich niemand entdeckte, so angestrengt ich auch spähte, kroch mir wahrhaftig fröstelnde Furcht über den Rücken. »Wer spricht da?« fragte ich bang. Und etwas beherzter: »Wer sind Sie?« [Illustration] »Die Fledermaus«, tönte die Antwort irgendwoher. Da gab ich Fersengeld, und das tiefe, musikalische Lachen hallte hinter mir drein. Die alte Kastellanin Eva empfing mich geruhig an der Haustür. »Nur zahm, nur zahm!« sagte sie und zog mich hinein. Ohne Staunen und weitere Worte, als sei es nichts Besonderes, daß ihre junge Herrin nachts zwischen 2 und 3 Uhr wie ein Wirbelwind daherjage. Erst als ich auf dem Rand meines Bettes saß und sie mir die feuchten Schuhe auszog, äußerte sie sich, – schier beifällig. »Eine echte Lage, ich habe nun den Beweis«, mümmelte sie, denn sie hat keinen Zahn mehr. »Da ist noch kein männlicher und kein weiblicher Lage gewesen, der hier nicht im Mondschein herumgegeistert hätte.« »Eva! Wohnt noch irgend jemand außer uns im Haus Lage oder in der Ruine?« fragte ich mit Herzklopfen. »Irgend jemand? Da sind eine Menge! Da ist mein Neffe Josua, da ist die Köchin Rahel, da ist der Gärtner Michael und sein Gehilfe Benjamin und wohl zwanzig Parkarbeiter, die in der Ökonomie schlafen …« »Nein, nein, die meine ich nicht«, wehrte ich ab. Diese alttestamentliche Garde, die sie mir da aufzählte, lag mir nicht im Sinne. Sie war alt, uralt, wie Eva auch. Und das Lachen hatte jung geklungen – und fein gebildet. Also konnte die »Fledermaus« auch kein Methusalem sein. »Eva, wie alt bist du eigentlich?« fragte ich wieder. »Das kann ich dem gnädigen Fräulein wohl auch morgen vormittag sagen, nicht um 3 Uhr nachts«, lautete die Antwort; und wie ein Spuk war Eva draußen. Sie ist unglaublich rasch, die Alte. Wäre der zahnlose Mund nicht, das eisgraue Haar und die hundert Runzeln, man könnte ihr 50 Jahre weniger geben. Sie hört wie ein Fuchs und sieht wie ein Luchs und läuft wie ein Wiesel. Aber sie spricht von Friedrich Wilhelm dem Dritten, der einmal in Lage gewesen sein soll, – und von Goethe – als sei sie mit beiden groß geworden. – Doch von ihrem Alter mag sie nicht reden hören – die _echte_ Eva. – Man wählt hier in Lage die Namen der Dörfler alle nach der Bibel. Der Hausvater sticht an der Wiege des Neugeborenen mit spitzer langer Nadel in das Bibelbuch, und welcher Name dem Stiche am nächsten ist, der wird für das Kind gewählt. »Josua, der Neffe« gilt bei seiner Tante als Springinsfeld und Übermut, immerhin schätze ich ihn auf Mitte der Fünfzig. Sie hat bei ihrem eigenen hohen Alter den Maßstab für ihre Umgebung verloren. Ich weiß, daß sie mich hinter meinem Rücken »das Kleine« nennt, aber es klingt unendlich gut und mütterlich. Trotzdem bleibe ich für sie »das gnädige Fräulein Lage«. Diese Sachen überdachte ich, während ich mich wieder wohlig im warmen Bette ausstreckte. Wollte den »Fledermausgedanken« entfliehen … 5. Wir leben jetzt im Wonnemonat Mai. Aber das weiß ich nur vom Hörensagen und aus Thüringer Briefen, die freilich spärlich genug für mich abgegeben werden. Das _arme_ Freifräulein Lage war auch arm an Freunden geworden, und die Erbin – _will_ nun nicht. »Eine Mauer um uns baue«, möcht’ ich beten, wie das fromme Mütterlein im Gedicht von Clemens Brentano. Das feste Mäuerlein um Haus Lage haben die Spanier niedergerissen im Dreißigjährigen Kriege. Hätten auch etwas Gescheiteres tun können. Nun ist’s freilich leicht, auf meinem Grund und Boden herumzustöbern – für nächtliches Gesindel – Fledermäuse und dergleichen … Also wir merken hier nichts vom Wonnemonat. Es regnet und stürmt und ist eisig kalt. Nur im Hause drin prasseln die Holzscheite in zwei großen Kaminen und vier mächtigen Kachelöfen. Man könnte auf Weihnachten raten, so gemütlich ist’s. Ich möchte erst einmal die eisige Luft aus allen Zimmern bringen, sie ließ einem schier das Herz erstarren, als ich herkam. »Davon weiß ich nichts«, meinte die alte Eva geruhig, als ich sie darum befragte. »Das gnädige Fräulein Jesuliebe hat wohl manchmal ein Feuerlein brennen lassen, aber der Herr Vater selig und die Frau Mutter selig, und was sonst so von den Herrschaften hier wohnte, die waren alle nicht für Wärme …« Ich schaute die Eva scharf an, aber ich sah, die gute Alte hatte es streng wörtlich gemeint. Ich aber »bin für Wärme«. Herrgott, ja. Seit gestern friere ich in Haus Lage. Ich schone den mächtigen Holzvorrat nicht. Josua hat mich schon vorwurfsvoll angesehen. Aber ich weiß aus den Büchern, daß der graue Alltag von 14000 Morgen Wald umgeben ist. Mit dem Förster habe ich auch schon gesprochen, er ist alt, wie beinahe alles hier, und lebt als Witwer bei seinem Sohn und der Schwiegertochter. Es ist eine Erbförsterei. Die ganze Stube hängt bei ihnen voll »Förster«, und darunter prangt immer derselbe Mann noch einmal als »reitender Feldjäger«. Schmuck sehen sie alle aus, die »Förster Nordstamm«. Vater und Sohn haben schon einen langen Gang mit mir durch »meinen« Wald gemacht. Ich sage _meinen_ Wald, weil er mir gehört, und um mich scherzend zu behaupten gegen den alten und den jungen Förster, die auch beide von »ihrem« Walde sprechen. Die junge Frau Rika blieb daheim, sie erwartet ihr erstes Kind und ist nicht sehr kräftig, aber fröhlich und guter Dinge. – Als der Wald am dichtesten und tiefsten wurde, schier wie ein Urwald, da spürte ich trotz des stundenweiten Weges neue Kräfte. Welche Wonne, in diese tiefe, lockende Stille hineinzudringen, vor jedem dieser seltsam geformten Ungeheuer staunend stehenzubleiben. Sie begrenzten die schmale Spur, die kaum den Anspruch auf die Bezeichnung »Weg« erheben konnte. Und die ihn oft genug drohend verlegten, wie ich weithin mit meinen scharfen Augen sah. »Nun wird es sehr unwirtsam«, bemerkte der alte Förster nach einer Weile, und der junge stimmte ihm eifrig bei. »In diese Wildnis sind die _Damen_ Lage nie eingedrungen, da ist oft nicht Weg noch Steg. Aber der Herr Baron wollte eben seinen Urwald haben …« Ich warf noch einen bewundernden und schmerzlich verlangenden Blick auf die schmale Spur, die zwischen Stechpalmen und Farnen dahin führte. Und dann nickte ich lachend einem wunderlichen Baume zu, der wahrhaftig wie ein Waldweibchen aussah mit krummer Nase und zahnlosem Mund: »Gute Nacht, Eichenmuhme, ich komme bald wieder und besuche dich.« Denn »der Urwald ist jetzt _mein_«, wandte ich mich an meine Begleiter, »und was mein ist, will ich kennenlernen von Ur to Enn.« Vater und Sohn Nordstamm tauschten Blicke. »’s ist eben eine Lage«, hießen diese Blicke, das war mir ganz klar, ohne daß sie mit ihrem Finger auf die Stirn deuteten. Wir kehrten nun um, und ich prägte meinem Gedächtnis den Weg ein, versäumte auch nicht, wie weiland Hänsel und Gretel unauffällig rote Ilexbeeren zu streuen; sie reichten gerade bis zur Grenze des Parkes, und von dort aus fand ich meine Heimat ohne Führer. Ja, es ist meine Heimat. Nirgends sonst seit meiner sonnigen Kinderzeit war ich so mit dem Herzen in irgendeiner Landschaft, nirgend sonst seit Vaters Tode tönte so stark und süß die uralte ewige Heimatmelodie aus Baum und Strauch, aus Fluß und Wiese, aus Hecken und Ackerscholle. Lage, sei gesegnet! Der Mond stand noch immer köstlich voll am Himmel. Ich ahnte eine zweite unruhige Nacht, nahm mir aber fest vor, die Ruine und die Fledermäuse heute unbeachtet zu lassen. Aber abkürzen wollte ich die Nacht, indem ich mir aus Tante Jesuliebes Zimmer irgend etwas Lesenswertes holte, mit dem ich mich in meinen roten Ledersessel einkuschelte bei grünbeschirmter Lampe und prasselndem Kaminfeuer. Schon dieser Vorsatz allein schuf Behaglichkeit. – Die alte Eva setzte mir die Lampe und einen kleinen Imbiß, köstliche Buttermilch und selbstgebackenes Schwarzbrot hin, dazu duftende Gravensteiner Äpfel. Und nach der langen Wanderung vertilgte ich alles mit Stumpf und Stiel. – Es war unsagbar gemütlich. Mit einer brennenden Kerze auf hohem silbernen Leuchter stieg ich dann ins Dachgeschoß, das Tante Jesuliebes Zimmer in sich barg. Zwei große, seltsame, getäfelte Stuben, hoch und geräumig. Der Wohnraum ist fast saalartig. Eine stattliche Reihe »Lages« hängt an den Wänden, stattlich war auch bei den Mannsen der Wuchs, doch die Frauen zeigten sich mit wenigen Ausnahmen klein und zierlich. Ach! und hochmütig, – hochmütig schienen sie alle gewesen zu sein. – So waren wir Thüringer Lages wohl aus der Art geschlagen. Bei uns war _der Hochmut_ als _Dummheit_ gebrandmarkt worden, und so _fehlte_ dieser Zug auch auf _Vaters_ Bild, der im Schmucke der ordenbesäten Staatsuniform die Reihen schloß. Nicht hochmütig, – hochgemut sah er aus, der einzige. In sein Anschauen vertieft, hätte ich schier mein Vorhaben vergessen. Aber es klopfte an der Tür, und ich schrak zusammen. Auch ohne mein »Herein!« abzuwarten, stand Eva dann vor mir, und mit altmodischem Knicks teilte sie mir mit, daß man in Zimmern Verstorbener nie länger als 7 Minuten weilen dürfte, wenn man es zum erstenmal beträte, beim zweitenmal dann 14 Minuten, beim dritten 21, das sei nun »mal so«. »Meine gute, alte Eva,« rief ich und gab ihr einen Kuß auf die runzlige Wange, »gewöhne dich daran, daß bei mir nichts, aber auch gar nichts ›mal so‹ ist. Wir wollen unsern Tag recht sonnenhell beginnen und ebenso klar schließen. Allem Aberglauben sagen wir ab, bei jeglichem Spuk gehen wir der Ursache nach, und wo es uns nicht gelingt, da sind’s halt Fledermäuse gewesen; hörst du, Eva?« »Haben gnädig Fräulein Fledermäuse gesehen?« fragte sie ungerührt. »Das wäre schade. Denn das bedeutet, daß gnädig Fräulein ihr Lebtag in Lage bleibt, also sozusagen unvermählt. Schade, schade!« Und sie schüttelte ihren alten Kopf anhaltend. »O du unverbesserliche Eva!« Ich lachte herzlich. Dann ergriff ich ein zierliches Buch, das in leuchtendes und duftendes Juchten gebunden war und preislich auf Tante Jesuliebes altmodischem Schreibtisch lag. Und einen schweren Folianten, der silberbeschlagen auf einem Bord ruhte, hieß ich gleichfalls mitfolgen, so würde der Abend beim behaglichen Lesen im Fluge vergehen, und der Mond sollte mich nicht wecken, noch necken. – * * * * * Beide Bücher sind leer. – Fast leer. Und ich sitze seit Stunden und grüble. – Das feine Juchtenbuch und der gewichtige Foliant, sie tragen beide auf der ersten Seite den Vermerk: »Mit Gott!« Darunter steht mit Tante Jesuliebes feinkritzliger Handschrift, die so in hellem Widerspruch steht zu ihrem derb zupackenden Wesen: »_Zünd an, Brigitte! Zünd an!_« Den Tag und die Stunde, da sie es schrieb, hat sie dabei vermerkt: »1. September 18…« Ja, Tante Jesuliebe-Brigitte hat es selbst geschrieben. Aber sie hat sich nie Brigitte genannt. Nur ich in der ganzen Familie Lage trug und trage diesen Namen. – Die Mahnung gilt also mir … [Illustration] 6. Wer löst mir das Rätsel? Durch die Nacht hindurch hat es mich verfolgt, und wenn mein Weg so fortläuft, wie er in Lage begonnen hat, da werde ich mir das Schlafen abgewöhnen und gleichfalls herumgeistern. Aber nicht in der Ruine, sondern im Märchenwald. Der hat mir’s angetan. Doch Vater und Sohn Nordstamm dürfen mich nicht auf meinen weiteren Forschungsfahrten begleiten, sie sind zu nüchtern und bodenständig. Und wo ich ein Wurzelweib sehe mit drohend erhobenem Arm, das mir den Weg verwehren will, da sehen sie einen überständigen Baum, der gefällt werden muß. – Zünd an, Brigitte, zünd an! Solch ein Wort, das man nicht verstehen und nicht meistern kann, ist wie ein Stachel. Ich habe mich an die alte Eva herangepirscht und so vorsichtige und so tolpatschige Fragen getan, daß sie mich endlich besorgt anblickte und nach meinem Puls faßte. »Gnädig Frölen sollten sich ins Bett legen ein paar Tage«, war ihre Meinung. »Das Lager Wasser macht dem Neuling leicht Fieber, und die Lager Luft verwirrt Kopf und Herz.« »Was nicht noch alles, Eva?« fragte ich, »woher hast du die Weisheit?« »Ei nun, das Lager Fieber kenn’ ich seit siebenzig Jahren, und das von der Luft steht sogar aufgeschrieben.« »Wo denn, Eva? Wo steht’s geschrieben? Oh, ich fiebere wirklich vor Erwartung, die ganze Lager Luft liegt voller Geheimnisse.« »Ein Geheimnis ist es just niet« (Evas Sprache hat einen holländischen Anklang), »aber graulich ist’s freilich anzusehen«, orakelte sie. »Drunten in der Gruft liegt’s in einem offnen Sarg. Da sollte der Herr Joochen Lage, † 1642, drinnen liegen, aber nur das Pergament fand man anstatt seiner.« Mit solchen Enthüllungen soll man nun zufrieden und ruhig sein. Natürlich nahm ich mir vor, sofort, gleich in der nächsten Minute in die Lager Gruft hinabzusteigen, die sich unter der nahen Kirche befindet. Besonders da Eva mich angstvoll beschwor, dies erst am 7. Tage zu tun, da sonst Gefahr bestünde, daß ich selbst noch im selben Jahr in die gleiche Gruft überführt würde. ’s ist ein hartgesottner Aberglaube hier rundherum, möcht’ ich ihn doch verjagen können mit frisch-fröhlichem Gottesglauben … Eva hätte mich auch nicht von der Gruftbesichtigung zurückhalten können, so tat es ein Brief. Der holländische »Enterbte«, wie er sich nennt, scheint großen Anteil zu nehmen an meiner Anwesenheit im neuen Besitz. Es sind zwar nur wenige Zeilen, aber warum schreibt er überhaupt? Mehr als einmal? Mehr als nötig? Wir kennen uns nicht. Und fast möcht’ ich sagen, seine Worte verwirren mich … »Ich schätze, die verehrte Regenschirmbase ist mit dem Vertilgen von Staub, Spinneweben und ›Fledermäusen‹ zu Ende gekommen. – Ich sehe aus der Ferne Haus Lage schimmern und leuchten im Glanze des Mondes. Denn wir haben doch jetzt Mondschein in Lage? Wenn auch abnehmend. Und ich kalkuliere, in solch einer Mondscheinnacht wird man jetzt der alten Eva zum Trotz (meine Empfehlung an sie, sie kennt mich als ›Ritter Lage‹) in die Gruft der Väter hinabsteigen und – hu! – den Deckel von des Urahnen Joochen Sarg zurückschlagen und schaudernd lesen: ›Lager Luft verwirret Kopf und Herz.‹ – – – Es kommt darauf an, Regenschirmbase; manchmal schafft diese Verwirrung die einzig richtigen Begriffe.« Unterzeichnet sind diese närrischen Büttenpapierberichte mit »Vetter Lage, der Enterbte.« Als ob ich ihn enterbt hätte. Und eine Anschrift ist nie dabei. Holland ist groß. Wohin soll ich ein Gegenzeichen schicken? Ihm scheint auch gar nichts an einem solchen zu liegen. Aber da er mit dem Ahnungsvermögen eines indischen Fakirs meinen Gedanken und Vorsätzen nachspürt, so will ich wirklich erst am 7. Tage in die Gruft der Lages steigen und mich durch nichts ins Bockshorn jagen lassen. Ganz gelassen fragte ich heute die alte Eva nach dem »Ritter Lage«. »Jesus! Der Clemens!« schrie sie auf. »Ob ich ihn kenne? Da könnt’ gnädig Frölen ebensogut fragen, ob ich die Lager Kirche kenne, in der ich doch jeden Sonntag bete. Gott verzeih mir die Sünde, daß ich den Schlingel und die Kirche in einem Atem nenne, obgleich, – er war der Beste von allen Lages, von _allen_«, murmelte sie. »Bitte, nimm doch immer meinen Vater aus; ja, Eva?« betonte ich kriegerisch; »er war unter allen Umständen der Beste.« »Hab’ die deutschen Herren Lage nie gekannt,« entschuldigte sie sich mit dem ihr eigenen tiefen, altmodischen Knicks, »nur die von Holländer Seite.« – »Steckt ein Geheimnis hinter dem ›Ritter Lage‹, oder kannst du mir von ihm erzählen?« fragte ich. Ein Lächeln huschte über ihr altes Gesicht, das es seltsam verschönte. Ganz jung sah die alte Eva aus. – »Da reicht wohl mein altes Leben nicht mehr hin, wollt’ ich vom Junker Clemens alles erzählen«, sagte sie, und ihre Stimme hatte einen liebkosenden Klang. »Ich war die junge Frau des Hausmeisters, als er geboren wurde. Seine Mutter starb im Wochenbett, und da ich selbst mein drittes Kind nährte, so gab man mir das Neugeborene mit an die Brust. Bis der düstere Vater ihn mit sich nach Holland nahm. Schier gestorben wär’ der Kleine beim raschen Nahrungswechsel; aber das kümmerte den Herrn Baron nicht. Bis der Herr dann selbst starb und der Junker zurückkehrte und von gnädig Frölen Jesuliebe erzogen wurde im Hause seiner Väter.« Eva lachte unhörbar vor sich hin. »Von da ab hat es rumort und gespukt im alten Häuschen, im Park, am See, im Busch, am Reihersteig und in der Gruft seiner Ahnen. Überhand trieb er Hallodria, und konnt’ doch auch so ernsthaft dasitzen und meine Geschichten, die ich ihm so ›zwischen Lichten‹ erzählte, mit Augen und Herz verschlingen. Nur irgendwelcher ›Aberglaube‹ konnt’ ihn wild machen, und da zankten wir uns oft drum. Denn er hielt vieles für Aberglauben, was doch heilig …« Ich klopfte ihr die runzlige Wange. »Laß nur gut sein, Eva, – viel Heiliges ist da sicher nicht dabei.« »Was weiß so ein Junges«, murmelte sie. »Man muß in alten Schlössern hausen, da nimmt man vieles wahr, was sonst kein Mensch weiß.« »Das haben schon Größere vor dir behauptet, meine gute, alte Eva, und seit der Zeit redet sich mancher darauf hinaus.« »Gnädig Frölen wollten vom Junker Clemens wissen …« »Wenigstens vom ›Ritter Lage‹.« »Nun freilich. Da hatte der Junker einmal etwas ganz Unerhörtes ausgefressen – um Vergebung –, so sagt man hier in Lage. Er hatte als ›weiße Frau‹ gespukt, und die gnädige Großtante war drüber krank geworden. Freilich wurde sie bald wieder gesund, und der Schelmenjunker hat ihr während der ganzen Zeit vorgelesen, trotzdem er mit der Lager Jugend auf Erntedankfest tanzen sollte, – er war damals so siebzehnjährig. Da sitzt man ungern bei einer Großtante. Es wurde aber Familienrat gehalten, da kamen alle seine Streiche zutage, – Jesus, es war eine Liste wie vom Steueramt. Unten saßen sie in der großen Halle, und der gestrenge Ohm aus Holland, von dem er dann der Erbe war, geruhte, auch zugegen zu sein. Da wurden dann Strafen festgesetzt, daß einem die Haut schaudern konnte, und die eine Tante selig vom Junker Clemens hätte ihn am liebsten in das Gefängnis von der Ruine getan, das immer noch ganz wohl erhalten ist. Mit einemmal – ich brachte gerade ein großes silbernes Brett mit den feinsten Porzellantassen und -kannen herein, um den Tee zu reichen –, also mit einemmal schlägt der große schwarze Ritter unten in der Halle sein Visier zurück und spricht mit tiefer, hohler Stimme: ›Es sei ihm alles verziehen! Er hat die wunderliche Milch der Mutter Eva getrunken … Vergebung dem Sünder!‹ Ich hör’s heute noch und seh’s noch, wie sie erst alle erstarrt saßen, die ganze hohe Sippe, und wie sie dann kreischten und die Stühle umwarfen, und wie der Saal leer wurde in großer Hast. Und ich hielt das Tablett in meinen zitternden Händen, damit die feinen Tassen meiner gnädigen Herrschaft heil blieben. Aber ich dachte, nun kommt dein letztes Stündlein. Da hob sich noch einmal das Visier, und der schwarze Ritter sagte: ›Gib mir ’ne Tasse Tee, Eva, und hilf mir aus dem Dingsda ’raus.‹ Jesus, da war’s der Junker, und nun wurde ich auch böse, aber dann kriegt’ ich’s mit dem Lachen, ich gottlose Person, und half dem Schelm. Er hat auch keine Strafe gekriegt, denn die hohe Sippe ist’s nie gewahr worden, wer aus dem Ritter sprach. – Ich hab’ es aber immer gesagt: dem Junker Clemens ist alles heilig und nichts.« – »Eva,« sagte ich, »jetzt muß ich nur noch fragen, was ist aus ihm geworden? Denn ein ›reicher Mann‹ ist mir zuwenig für diesen Ausbund. Was ist er sonst noch?« »Da fragen mich gnädig Frölen zuviel. Junker Clemens hatte große Pfunde bekommen, aber wie er damit gewuchert hat, ist mir verborgen. Für mich wird er allezeit der ›Junker‹ bleiben mit dem Übermut und dem Unverstand und dem goldenen Herzen. Wenn er auch längst in den Vierzigen sein muß und nie mehr herkommt und sein Unglück in Holland verschließt.« »Sein Unglück, Eva?« »Ach, so geht es nun, man wird geschwätzig. Gnädig Frölen können da kein Anteil nehmen, dazu ist die Verwandtschaft zu weit.« Überhebend zuckte sie die Achseln. Als gehöre ihr der Ritter Lage mit Haut und Haar. – »Du nimmst doch auch Anteil an ihm, Eva, und bist gar nicht mit ihm verwandt.« Sie sah mich an, lange schweigend an. – »An meiner Brust hat er getrunken …«, sagte sie dann ruhig. Da faßte ich die alte Dienerin rundum und küßte sie. »Du hast recht, Eva, und ich habe geredet wie ein dummes Kind. Aber du weißt, ich bin einsam …« Sie streichelte mich ungeschickt. »Hab’s nicht bedacht. Einsame Menschen haben oft Liebe zu aller Kreatur … Aber man verschließt es in sich … Ach, ich bin eine Schwätzerin …« »Du bist meine liebe, gute Eva. Nun möcht’ ich dich nur noch fragen: Kann man dem ›Junker Clemens‹ nicht helfen? Wenn ein Lage im Unglück ist, so haut ihn die Sippe doch heraus …« »Als ob ich den Junker selbst reden hörte. – Nein, gnädig Frölen, – dem kann keine Sippe helfen.« Sie sprach hastig und leise in mein Ohr. »Er hat rasch und unbedacht gefreit, – nun hat er ein irres Weib. Seit 20 Jahren! Das ist wohl Unglück. Und einen Knaben hatte er auch, – ein armes, unglückliches Kind, vielleicht ist’s lang gestorben, und – Gott walt’s. – Aber das ist mein Leid, daß der Junker nicht alles hat der alten Eva zu tragen gegeben. Hab’ mir den Kopf zergrübelt, weshalb er’s nicht tat. Bin drüber alt geworden, und man wird mich betten, ohne daß ich meinen Junker Clemens wiedersah.« Sie schlurfte hinaus und war mit einemmal gebückt und kümmerlich. Und ich weiß jetzt, warum der Ritter Lage sich den »Enterbten« nennt. 7. Viel Seltsames erlebe ich in Haus Lage … Es scheint mir unfaßlich, daß ich 25 Jahre in Thüringen lebte, und daß während dieser Zeit dies alte Haus tot für mich war. Denn überlebendig zeigt es sich jetzt und eng mit mir verwachsen, als ob es nur gewartet hätte, bis ich kam, um mich fest und unzerreißbar in seinen Bann zu ziehen. Heute fand ich wieder ein seltsam Gelaß. Ein Ring war mir vom Finger gefallen, der blaue, leuchtende Saphir mit dem Kranz von alten, in Platin gefaßten Diamanten, der unter Tante Jesuliebes Schmucksachen für ihr Patenkind sich fand. Ich begab mich sofort auf die Suche, und als ich ihn in einer Ecke entdeckte, sah ich auch ein Türchen, fast am Erdboden klebend, und seltsame Zeichen trug es durcheinander verschnörkelt. Aber mit Hilfe eines brennenden Wachsstockes entzifferte ich mühelos die schlichte Mahnung: »~Ora et labora.~« Das ~labora~ tritt einem hier ja überall entgegen, das ~ora et labora~ lehrten mich Vater und Mutter durch ihr Beispiel. Ich strich liebkosend über den Spruch, da sprang das Türlein auf. Und in seiner kleinen, dunklen Höhlung lag wieder ein Buch, danach ich gierig griff. »Mit Gott, Brigitte Lage, zünd an! Zünd an!« Du, der du allwissend bist und mich an deiner starken Hand hältst, hilf mir, daß ich den Weg finde …, den rechten Weg. – 8. ’s ist tiefe Nacht. Aber ich will mich nicht zur Ruhe legen, ehe ich meine Gedanken und das, was ich bis zum Abend erlebte, klar gesondert habe. Bis jetzt, seit meiner Rückkehr aus dem Lager Forst saß ich mit gefalteten Händen und sann, – und sann. Draußen hat Eva um die Abendbrotzeit an meiner verschlossenen Tür gerüttelt und nicht eher Ruhe gegeben, bis ich ihr zurief, daß mir nicht gut sei und ich keiner Speise und keines Trankes bedürfe. Das Alleinsein würde die beste Arzenei sein. Da ist sie gegangen, laut vor sich hinmurmelnd. Vielleicht übertreffe ich an Narretei die ganze Sippe Lage, die ihr durch die Finger lief. Ich war mit raschen Schritten am heutigen Frühnachmittage ausgezogen. Jetzt dünkt’s mich wie ein Märchen von der Prinzessin »Weißnichts« aus dem Hause »Ohnearg«, die »alle Möglichkeiten verschlafen hatte und ausging, das Glück zu suchen«. Wie auf verbotenen Wegen schlich ich mich ums Forsthaus herum, um ja nicht die Herren Nordstamm aufzustöbern. Am Arm den kleinen Binsenkorb, der die handfeste Atzung für Vesper und zugleich Abendbrot barg. Bis an die Grenze schritt ich, da wo das Waldweibchen drohend und zugleich lockend seine knorrigen Arme reckt, – dann blieb ich tief atmend einige Minuten stehen, auf daß ich voll Andacht in den Märchenwald eingehen könne. Wie still er schien, und wie lebendig er war! Und wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, ich könnte ihn nicht schildern, aber ich habe die _Liebe_, und deshalb vermag ich es: Ich wandelte durch Dome, in denen tiefe Glocken läuteten, ich ging durch Waldhüttchen hindurch, drinnen Zwerge kauerten und kicherten und meine Kleider neckend streiften. An Riesenharfen schritt ich vorbei, deren Kiefernsaiten von Harz troffen und einen Duft ausströmten, der wohl Schwersiechen den heiligen Trost zurufen konnte: »Auf, nimm dein Bett und wandle!« Es grüßten mich Riesen und schauten wildgnädig auf das Menschlein, das unter ihnen ging, es nickten mir spottend Alräunchen zu und schabten ihre Fingerlein: O du Prinzessin Ohnearg und Weißnichts! Und waren doch alle nur Bäume und Bäumchen. Dann wieder taten sich Kirchen auf aus silberstämmigen Buchen, an denen nicht Tadel noch Fehl war. Ihre Wipfel reichten bis zum Himmel und klopften beim Herrgott an, daß er sie segne. – Und dann kam der tief-tiefe Tannenwald. Edeltannen, bodenständig, mit silbernem Schein, die mich ernst willkommen hießen, zarte Douglastannen, die noch bange zitterten vor ihrer eigenen Schönheit. Birken standen dazwischen, mit zartgrünen Schleiern ihre Reize verhüllend, und sie hatten kleine, schwarzweiße Pilzwächter zu ihren Füßen hingewiesen … Auch Kindertännlein wuchsen ringsumher, wohlgezogene und doch fröhliche kleine Gesellen, und zwischen ihnen lag die rostbraune Heide, in deren Winterdolden der Frühlingswind harfte. Und über all dieses hatte die Sonne ihre warmen, leuchtenden Mutterhände gelegt, ein Segen ohne Maß ging von ihr aus. Ich grüßte die unermeßliche Schönheit und trank Gottesnähe in mich hinein. Da sah ich mitten in der Tannenwildnis, aber hoch über ihr, ein Glockentürmlein, und es war mir, als ginge von der schweigenden Glocke, die darinnen hing, all das gewaltige Tönen aus, das den Wald erfüllte. Aber das Tönen schwieg plötzlich, weil eine Menschenstimme lachte. Mißtönend, klagend, schrill: einem Kauz hätte sie gehören können oder einer kranken Waldtaube; aber es war doch ein Mensch, der vor dem Kirchlein kauerte, das sich plötzlich aus dem Dickicht schob. Uralt und schlicht, aber nicht verfallen; und etwas dahinter stand ein kleines, festes Haus, schier mehr ein Tempel mit dorischen Säulen. [Illustration] Der Mensch hatte nicht viel Menschliches an sich. Nur als ich nahe vor ihm stand und er mit demselben klagenden Lachen nach meinem Kleidersaume griff, sah ich, daß es ein Jüngling war, ein Krüppel, der nun in grotesken Sprüngen in das Innere des Tempels flüchtete. Ich folgte ihm nicht, – ich öffnete sacht die Pforte des kleinen Gotteshauses. Und hatte ich vorher in arme, verzerrte Züge geschaut, so grüßte mich nun ein Marmorbildnis von wunderbarer Schönheit, von Künstlerhand gemeißelt – der heilige Clemens. – Nicht im großen Ornate des Papstes, im schlichten härenen Gewande hatte ihn der Künstler dargestellt, wohl um die Demut äußerlich kundzutun, die diesen Kirchenfürsten auszeichnete. Der Anker war ihm beigegeben und ruhte zu Füßen des Bildnisses. – Später entdeckte ich noch ein uralt Steingefüge des gleichen Heiligen, das sich außerhalb der Kirche an ein Mäuerchen lehnte. Ein vermorschtes Holz steckte neben ihm im Waldboden, und darin hing eine »ewige Lampe«, aber sie war ungeschützt verlöscht, tot, und das Öl verdunstet. Es sah so traurig aus, und deshalb löste ich die ungefüge Lampe aus der verrosteten Klammer und trug sie in die Kapelle. Hier konnte ich sie gut an einem hervorspringenden Eisenknauf befestigen, gerade dem heiligen Clemens gegenüber. Und nahm mir vor, am nächsten Morgen mit einem Ölkännchen wiederzukommen, es sollte nicht mehr dunkel und einsam um den Heiligen sein. Als ich das Kirchenpförtchen wieder schließen wollte, brach gerade die Abendsonne durch die Fenster, die in feiner alter Glasmalerei die heilige Notburga zeigten, die »Dienstmagd« mit der Sichel in der Hand. Darunter den Spruch: »Die Hand bei der Arbeit, das Herz bei Gott.« Seltsam leuchtend rot war der Schimmer, der durch dies Fenster in das Kuppelrund fiel. Und darin sah ich einen Fries, von eines Meisters Hand gemalt: Unseres Heilandes Werdegang, seine Geburt, sein Ringen, sein Leiden und seinen Tod. Da stand ich wie gebannt, und die Blicke konnte ich nicht losreißen von dem Kindlein auf dem Schoße der Gottesmutter und von dem Hirten, der auf der Schalmei das Wiegenlied tönen läßt. – So geleitete ich mit Augen und Herz den Christus. Aus jeder Darstellung wuchs er größer und göttlicher heraus und gab mir die Erinnerung an meine Kinderzeit, als die Mutter mich _diesen_ Christus lehrte. So lieb und schlicht, so zürnend und gewaltig, so demütig und vergebend. – Überreich beschenkt schritt ich aus der kleinen Kapelle hinaus in meinen Märchenwald. – In der abendstillen Dämmerung wollte ich die seltsamen Gesellen wieder grüßen, neugierig, welche Formen die Riesen- und Zwergenbäume wohl im Halbdunkel annehmen würden, um mich zu schrecken. Aber mein Fuß verhielt im Heidekraut, denn ein klagendes Rufen scholl zu mir herüber. Hilfeheischend tönte es, und nun eilte ich nach der Richtung des Tempels, woher es kam. – Die Pforte lief leicht in ihren Angeln, als ich sie öffnete; ich trat in die Werkstatt eines Bildhauers. Beinahe hätte ich über der Schönheit einer Marmorgruppe die arme, zusammengeworfene Gestalt des Krüppels übersehen, der zu ihren Füßen wie ein Bündel lag. Ein Blutbächlein rieselte an der Schläfe des Jünglings hinunter, er hatte von einem Sockel wohl mit täppischem Griff den Hammer herunterholen wollen, und dieser war ihm auf die Stirn gefallen … Hastig verließ ich den Raum, denn der alte Brunnen draußen fiel mir ein, an dem ein gefüllter Eimer hing. Ich tauchte mein leinenes Tuch, das ich über mein Körbchen gebreitet hatte, in das kühle Naß, lief wieder zurück und legte es auf die Wunde; gellend schrie der Verletzte auf. Aber nichts rührte sich im Hause, so scharf ich auch horchte. Nur die marmorne Gottesmutter, die den toten Sohn im Arme hält, schaute voll Erbarmen auf uns nieder. Da nahm auch ich den Kranken in meine Arme und bettete den schmerzzuckenden Kopf an meine Brust. Er schlug die Augen auf, und nun lachte er, wie ein Kind, das sich geborgen weiß. Aber auf meine besorgten Fragen antwortete nur ein Lallen. Hart kniete es sich auf den Fliesen des Bodens, ich lehnte den Kranken gegen den Marmor, löste das Tuch und lief wieder zum Brunnen. Da tönte mir das Klagen nach, und wieder empfing mich der Schrei, als ich den Umschlag erneuerte. Ratlos sah ich nach der großen Tür, die mir in das Innere des Hauses zu führen schien, denn die Werkstatt war nur eine große Halle. Über der Tür stand der Spruch gemeißelt: »~Nisi Dominus aedificaverit domum, in vanum laboraverunt, qui aedificant eam.~« Das klang tröstlich, und ich durchschritt die Tür. Wie seltsam mutete das große, traute Wohnzimmer an, das sich mir zeigte … In dieser Waldwildnis ein so behaglicher Raum mit hohem Kamin, darinnen ein loderndes Feuer brannte. Schwere Teppiche bedeckten den Boden, flämische Möbel standen wuchtig an den Wänden. Nirgends ein Mensch, außer dem, dessen tierische Laute fortgesetzt das Haus durchgellten. Da ging ich zurück, beugte mich über den Kranken und rief ermunternd: »Komm! Komm mit mir!« Er erhob sich plötzlich sehr gelenkig und folgte mir, wie ein gehorsamer Hund. Das Blut an seiner Hand und auf seiner Stirn schien ihm ungeheuer wichtig zu sein, aber sein Klagen verstummte, als ich ihm begütigend sagte: »Das wird alles gut.« Von seiner armen Sprache konnte ich nichts deuten, es schien mir aber, als sei er gut Freund mit meinen Bäumen und Bäumchen. So gingen wir Hand in Hand nach Lage zurück. Hier habe ich meinen seltsamen Gast in einem freundlichen Gelaß gebettet, heilkräftige Arnika auf die Wunde gelegt und will nun selbst, todmüde, mein Lager aufsuchen. Gute Nacht, Märchenwald und Fledermäuse! 9. Recht schlecht und unruhig habe ich geschlafen, ein Zustand, der mir sonst fremd ist. Immer meinte ich, das klagende Rufen zu hören und dazwischen energisches Zurechtweisen von einer zweiten Stimme. Einmal war es so laut, daß ich aufstand und mich völlig ankleidete. Ich horchte an der Tür des Gastzimmers, aber nichts regte sich hinter ihr. Etwas Blinkendes lag am Boden, ich hob es auf und hielt einen wunderlich geformten Knopf in der Hand, an dem noch ein Stück Manschette hing. Mit großer Gewalt mußte er abgerissen worden sein. Dreimal stand ich so in verschiedenen Zeitabständen vor dem Gemach, beim drittenmal drückte ich die Klinke kurz entschlossen nieder. Die große Stube war leer, das Bett sorgfältig geordnet, das Linnen abgezogen und fortgeräumt. Die alte Eva stand an einem der beiden offenen Fenster und stäubte gerade ein Tuch aus. Sie knickste, sah aber an mir vorbei. »Ich hatte einen Gast«, sagte ich etwas erregt … »Er ist nicht mehr da«, war die ruhige Antwort. – »Das sehe ich. Aber ich will wissen, wo er ist. Er stand unter meinem Schutz.« Sie sah mich hilflos an. »Gnädig Frölen dürfen nicht solch böses Gesicht ziehen. Ich gebe keine Befehle, ich führe sie nur aus.« »Wo ist der Kranke?« »Fortgeholt.« »Von wem?« Ich stellte mich an das kleine, bleigefaßte Fenster, das vom Gange aus nach dem Park schaut, und trommelte heftig mit den Fingern dagegen. Und unter dieser Musikbegleitung enteilte Eva lautlos, ohne mir zu antworten. Ich habe dann den köstlichen Frühlingsmorgen benutzt und bin mit einem Ölkrüglein durch den Märchenwald geschritten, um dem heiligen Clemens das ewige Lämpchen anzuzünden. Dann hielt ich eine stille Andacht und freute mich tief und glücklich des kleinen, stimmungsvollen Kirchleins. Strich auch sacht mit der Hand über die wunderschöne »~Pietà~«. Nirgends an der Gruppe fand ich einen Namen, – es ist auch gleichgültig. Wer so etwas meißeln kann, ist ein König … Zu Hause war ich dann guter Gedanken voll und setzte sie rasch in die Tat um. Zwei Briefe schrieb ich. An Fernande Lage, das protestantische Spitalweibchen, und an Matthias Lage, den gläubigen Katholiken. Ich bat beide, ihren Wohnsitz aufzugeben, um zu mir in mein Haus, das auch ihren Namen trüge, überzusiedeln. Sie sollten hier einen schönen, glücklichen Lebensabend genießen, soweit es in meiner Macht läge, und einst da ruhen, wo alle Lages ausrasteten. – Damit habe ich bei dem »Ohm Matthias« sehr schlecht abgeschnitten. Er schreibt seine Antwort so grob und mißbilligend, daß ich sie mir ungefähr so übersetzt habe: »Gestorben wird, aber ob du es erlebst, du dummes Wicht, das ist die Frage.« Tante Fernande dankt mir kurz, verspricht ihr Kommen und lobt mich aus einer falschen Voraussetzung. Sie findet es außerordentlich klug und bedacht von mir, daß ich mir in ihr eine Beschützerin und Anstandsdame heranholen will. Nichts lag mir ferner. Ich will zwei einsamen Lages, die mittellos in der unruhigen Welt wohnen, eine Heimat geben, eine friedenvolle, sorgenlose. In dieser besinnlichen Wald- und Heideeinsamkeit liegt jeder Gedanke an Äußerlichkeiten weltenfern. Aber vielleicht hat die alte Fernande eine innere Befriedigung davon, daß sie meint, sie sei mir nütze. Vielleicht kann sie jetzt besser die Wohltat von mir annehmen. So will ich sie bei ihrem Glauben lassen. – Mein Tag ist immer reich und ausgefüllt. Ich schaue auch öfters in das Försterhaus, wo die junge Frau etwas zagend ihrer schweren Stunde entgegensieht. Man hat sie mit Ammenmärchen verstört, und ich fürchte, meine Eva hat auch manchen Schatten ins Försterhaus getragen. Neulich ertappte ich sie beim Räuchern mit Ginsterblüten. Der Geruch war abscheulich und verpestete das schmucke Anwesen. Ich weiß, daß er »Alpdrücken« beheben und »starke Wehen« hervorrufen soll. Aber ich weiß auch, daß dieser Unsinn dem sehr bodenständigen Arzt in Lage das Leben sauer macht. Deshalb verwies ich am Abend ganz energisch der guten Alten ihr Tun. Ihr Widerspruch ist immer derselbe: »Was weiß so ein Junges!« Aber da er unhörbar gemurmelt wird, lasse ich ihn unbeachtet. Ich saß mit der jungen Frau Nordstamm an der leeren Wiege, drin das zu Erwartende liegen soll, und wir hatten die ganze kleine Aussteuer um uns herum gebreitet, aber die Türe sorgfältig verschlossen: daß nur ja kein unberufenes Männerauge unser törichtes Tun belauschen sollte. Jedes gestrickte Mützchen wurde über der Faust anprobiert, und die kleinwinzigen Linnen wurden vor die eigene Brust gehalten, um den staunenswerten Unterschied recht deutlich zu sehen. Und ich erhielt von der jungen Frau das Lob, daß ich »recht wie eine Mutter fühle«. Dreimal packten wir das Bettzeug der Wiege aus und ein, und legten immer wieder ein neues, noch zierlicheres Hemdchen, Jäckchen, Mützchen hinein. Und die angehende Mutter schaukelte sacht das Gestell, darauf zwischen leuchtenden Rosen und Tulipanen der Spruch gemalt war: »Onze Heere God zal dat Kind bewaren.« [Illustration] Von meiner Entdeckung im Lager Wald sagte ich nichts, vielleicht war’s eine eifersüchtige Wallung, die keinem Menschen sonst das Kirchlein gönnte. Eines heimlichen Bangens kann ich mich nicht erwehren. Die junge Frau ist überzart. Wenn ihr Gatte etwas sagt, fliegt Blässe und Röte über ihr schmales Gesicht, fast möchte ich sagen, es sieht wie Abneigung aus, womit sie ihn anschaut. Aber freut man sich dann _so_ auf das Kindchen? Der Arzt predigt ungeheure Schonung der jungen Frau. – Von der Wiege kommend, traf ich beim abendlichen Heimweg auf ein Grab. Ich hatte einen anderen, weiteren Weg gewählt, vor dem mich der alte Förster Nordstamm gewarnt. »Der Wilde Jäger sollte dort umgehn mit Heihallo und Hussida.« Herr Förster, das war gefehlt. Vor halsbrecherischen, schlechten Wegen lasse ich mich gern warnen, denn meine Gesundheit gehört nicht mehr mir, sondern dem »grauen Alltag«. Aber dem »Spuk« gehe ich entgegen. – Es lief alles friedlich ab. Ich fand ein Grab in tiefster Waldwildnis versteckt, und meine zerrissenen Hände geben Zeugnis, wie hartnäckig ich mich durch Brombeeren und Ilex durchkämpfte. Einen Namen trug die Ruhestätte nicht, ein winziges Kreuzlein, roh aus Holz geschnitzt, steckte darauf. Vom Grabe aus schritt ich nach der Lager Kirche und ließ mir vom Küster den Schlüssel zur Gruft geben. Ihm blieb der Mund offen stehen. »Bi disse Tid?« fragte er fast tonlos. – Ja, der Sarg ist leer, nur ein altes Pergament liegt darinnen. Joochen Lage, † 1642: »Die Lager Luft verwirret Kopf und Herz.« Rings um mich standen die Holzsärge bis an die Decke hinauf übereinander, ein trostloser Anblick. Drei oder vier Steinsärge mit alter Ornamentik reihten sich rings in der Gruftrundung; ein paar neumodische Zinksärge zeigten, daß auch Holländer Mynheers de Lage hier in den letzten drei Jahren beigesetzt worden waren. Ich löschte den Wachsstock, der in der Nische für abendliche Besucher aufbewahrt wird, und schritt im Lichte des letzten Mondviertels über den Friedhof. »Der Türmer, der schaut zu Mitten der Nacht Hinab auf die Gräber in Lage.« Auch hier ruhten Vorfahren, die nicht in der düsteren Gruft hatten liegen wollen, umgeben von Steinen und Moder, jedem Zufall preisgegeben, der die ungeschützten Särge zerstören konnte. Ich blieb noch einige Zeit an der tausendjährigen Buche stehen und dachte meiner Eltern, dachte des weißen Kreuzes auf dem Friedhof zu Erfurt: »Sei getreu bis an den Tod«, dachte in Liebe und Heimweh an die beiden Efeuhügel, die Unersetzliches bergen. Als ich dann in mein Zimmer trat, glänzte schon von weitem das große, gelbliche Büttenpapier, auf dem der »Enterbte« mir seine närrische Weisheit darzureichen pflegte, und ich war just in der rechten Stimmung, sie anzunehmen. »Die liebwerte Regenschirmbase geht sehr selbstherrlich vor, wie mir scheint. Mit ihrer unverbrauchten Kraft lockt sie kranke Kinder aus fremden Häusern, denn wenn die feine, kleine Lagesche Spürnase auch unvergleichlich ist und ungeheuer nett in dem gescheiten Gesichtchen steht, so hat sie doch über die Grenze geschnüffelt. Die schmale Spur zwischen Clemenskapelle und Tempel _ist_ diese Grenze, und der Tempel steht nicht mehr auf Brigitte Lages Grund und Boden. Hausrecht soll man ehren, oder??? Für die Lampe bedankt sich der heilige Clemens. Sie muß jeden Tag gefüllt werden, das gebe ich zu bedenken, aber hübsch jenseits der Grenze bleiben, ohne die Werkstatt zu betreten … Und damit die liebe Regenschirmbase nicht wieder so zerschunden aus dem Ilexgewirr des Waldgrabes hervortaucht und sich unnützen Grübeleien hingibt, so diene zur Vervollkommnung der Familiengeschichte (siehe oben), daß in besagtem Grabe der Urahn Joochen wirklich ruht, wenigstens das fein säuberliche Gerippe. Meine eigenen Hände haben ihn dort still beigesetzt, als ich einst entdeckte, daß sein Sarg offen stand und beim Umfallen schon einmal die Gebeine verloren hatte. Durch meine nüchterne Enthüllung hoffe ich die Regenschirmbase richtig eingeschätzt zu haben … Den goldenen Manschettenknopf bitte ich in der Clemenskapelle niederzulegen. Der Enterbte.« Ich habe den Brief hin und her gewendet, aber da keine Marke ihn zeichnete, konnte ich auch nicht sehen, woher er kam. Die Kenntnis des Ritter Lage von meinen Wegen und Taten ist mir unheimlich, die verschiedenen Rüffel, die er mir erteilt, empören mich. Wenn aber wirklich der Tempel nicht auf meinem Grund und Boden steht, so hat der Mann recht, und ich muß meine »Grenzen« besser studieren und innehalten. Eine beschämende Mahnung für mich von dem Fremden. Wer mag ihm nur alles hinterbringen? Das ist der häßliche Beigeschmack der ganzen Angelegenheit, daß hier irgendein Spion in meiner Nähe sitzt. Und merkwürdig quälend für mich der Gedanke, daß sich »Ritter Lage« zu solch einem Spiel hergibt. [Illustration] 10. Natürlich habe ich sozusagen »fliegenden Fußes« den Knopf in der Kapelle hinterlegt und lächerlicherweise nach Verlauf von einer Stunde festgestellt, daß er verschwunden war. Gleichzeitig habe ich das Gelübde getan, den Märchenwald zu meiden und die Clemenskapelle überhaupt nicht wieder zu betreten. Mag doch die Lampe austrocknen oder -brennen, – ich bin Protestantin, habe gar nichts damit zu tun. – »Die ewige Lampe brennt«, schreibt daraufhin Ritter Lage. »Es gehört keine blühende Phantasie dazu, um herauszuklügeln, daß Brigitte Lage ihren fein aufgesetzten Kopf in den Nacken wirft, wie Rassepferdchen tun, und in weiblicher Unlogik den armen Heiligen entgelten lassen will, was der Unheilige verbrochen hat. Also sie brennt wieder, und man braucht überhaupt gar nicht mehr zu kommen. – Meine Bitte entsprang auch nur einer augenblicklichen Verlegenheit. Ich hatte mir den Fuß bös verletzt und konnte nicht so rasch, als ich wohl wollte, in die Kapelle humpeln … Von Holland her, verehrte Regenschirmbase … Aber in richtiger Erkenntnis der weiblichen Logik humpelte ich doch … Übrigens war selbstverständlich schon früher eine ewige Lampe in der kleinen Waldkirche, – auch ohne daß Sie das Lichtchen anzündeten, – aber sie war verlöscht … Wie gesagt, mein Fuß ist schuld. Die Lampe hängt in einer Nische am Altar versteckt, aber ich benutze das rührend komische Steinnäpfchen meiner rührend komischen Regenschirmbase … Sie erkennen daraus, wie sehr ich Ihnen ergeben bin. – Der Enterbte.« Natürlich war das wieder Spiegelfechterei. Denn als ich hinlief, in hellem Ärger über meine Pflichtvergessenheit – dem Kranken gegenüber, der seinen verletzten Fuß aufs Spiel setzte … da war die Lampe im Verlöschen und wäre ohne Zweifel ohne mich jetzt tot. Ritter Lage hatte sich also darauf verlassen, daß ich sofort in jähem Mitleid kommen würde … 11. Matthias und Fernande Lage sind eingetroffen. Die Urbilder der »Kümmerlichkeit«. Dabei ist beider Geist rege, und die Zungen sind scharf geschliffen. Ohm Matthias wirkt wie »Gift und Operment«. Ich habe, bildlich gesprochen, mein Väterchen zu Hilfe gerufen, – mich buchstäblich zur inneren Ruhe erzogen. Haus Lage »flog«. Ich kann mir unmöglich denken, daß das Spitalweibchen in ihrem Leben viel elektrische Klingeln zur Verfügung gehabt hat, um dienstbare Geister heranzurufen. Heute zeterte sie nach dem »Personal« und war sehr ungehalten, als auf ihr Rufen nur immer _ich_ erschien. Eva hatte ich zur jungen Försterin beurlaubt, die plötzlich erkrankt ist. Der Fall macht mir rechte Sorgen. Wie gern wäre ich selbst hingegangen, um zu hören, was ihr zugestoßen ist. Statt dessen vernehme ich Klagen und Jammertöne zweier unzufriedener Geister, die eigentlich recht glücklich sein müßten, daß sie nun eine Heimat haben. Kaum mit einem Augenwink haben sie die Frühlingspracht da draußen gestreift, als ich sie vom Bahnhof mit unsern munteren Pferdchen »Hans« und »Fritz« abholte. Und jedes geringfügige Scheuen der allerdings stark temperamentvollen Tiere quittierte Tante Fernande mit gellendem Schrei. Ohm Matthias saß dagegen mit stoischer Ruhe auf seinem Sitz und bemerkte nur bissig, daß bei einem etwaigen Durchgehen der Pferde ebensogut »spekulative Erben« den Hals brechen könnten, als er selbst. [Illustration] Mein herzliches Lachen schien ihn etwas zu entwaffnen. Ich glaube nicht, daß Ohm Matthias auch nur das geringste zu vererben hat. – [Illustration] Denn er zeterte in seinem Zimmer umher und verlangte eine »Gästezahnbürste«. Vermutlich muß ich bei diesem zärtlichen Verwandten ganz und gar umlernen, muß ihm Urbegriffe beibringen. – Aber sie sind nun wenigstens untergebracht in den beiden sonnigsten Zimmern, die ich zu vergeben habe. »Nicht standesgemäß«, kritisierten beide. Aber Haus Lage ist überhaupt nicht »standesgemäß« im landläufigen Sinne. Ein Vorfahr hat es sogar »seine Tonne« genannt. Der suchte seiner Lebtage »Menschen«, und da er sie nicht fand, löschte er seine Diogeneslaterne und zog sich grollend nach Lage zurück. – Es ist schade, daß dieser Ahn seine Anspruchslosigkeit nicht auf Ohm Matthias und Tante Fernande vererbt hat, unser Zusammenleben wäre dann ersprießlicher. Auch die Verschiedenheit der beiden Konfessionen wirkt sich übel aus. Ohm Matthias macht um die protestantische Kirche einen auffallend weiten Bogen, als berge sie Gefahren für sein Seelenheil, besucht auch die Gräber der dort Ruhenden niemals. Er fährt jeden Freitag und jeden Sonntag mit der Kreisbahn nach N., um Messe und Predigt zu hören, und kommt stets so unduldsam wieder, daß ich als Parole und Feldgeschrei ausgegeben habe: »Kein Gespräch über Religion bei Tische!« »Kämpfe um Luther und Ignaz Loyola werden nur im stillen Kämmerlein unter vier Augen ausgefochten.« – Lade ich Pastor Oswald zum Sonntagsbraten ein, so ißt Ohm Matthias auf seinem Zimmer; und speist Hochwürden Trewes bei uns, der die Seelen seiner katholischen Schäflein mit Nahrung versorgt, so verschwindet Tante Fernande in ihre Gemächer. Es ist eine lächerliche Gesellschaft. Aber beide Verwandte sind einsam, sie haben nie Liebe kennengelernt, sondern nur Armut, Krankheit und Zurücksetzung. So will ich ihnen von dem Reichtum abgeben, den ich in mir spüre, und von all dem Äußeren, das mir ein gütiges Geschick zuwarf. Eva grollt mit mir, aber das soll mich nicht beirren. Sie möchte einen stillen, vornehmen Haushalt führen als meine Dienerin und als Beschließerin von Haus Lage. Die beiden Verwandten dünken sie Eindringlinge, wunderliche Bilder, unwürdig des Rahmens, der sie umgibt. Ich aber mit meiner Jugend und stürmenden Kraft will noch nichts von Stille, Ruhe und Nur-Vornehmheit wissen. »Teich mit Entengrün« nannte mein Vater solche Beschaulichkeit. Er pflegte Steine hineinzuwerfen und freute sich, wenn das Wasser sich klärte und Kreise zog. Ich aber bin meines Vaters Tochter. Ungeheuer viel Pläne trage ich in mir. Ich muß in Lage bauen. Ein hübsches Lehrerhaus möchte ich haben. Das Schulhaus ist uralt, die Lehrersfrau klagt über Ratten und sonstiges Geziefer. Auch kann die blitzsaubere Frau dem Kalk nicht wehren, der von Wänden und Decken fällt und von der Schuljugend zertreten und überall herumgetragen wird. – Ein Lehrerhaus muß schmuck sein, außen und innen. Wie will er reine Gedanken in die Herzen der Kinder tragen, wenn seine Wohnstätte unsauber ist? Bisher scheint hier in Lage für den Lehrer alles gut genug gewesen zu sein. Hei, damit will ich aufräumen. – Der alte Pfarrer, der im Ruhestand lebt, sieht scheel zu meinen Erneuerungsgelüsten. Gottlob hat er nicht mehr dreinzureden, und der junge Pfarrer Oswald ist ganz meiner Ansicht und gibt mir nach bestem Wissen und Gewissen gute Ratschläge. Vielleicht tut es im Laufe der Jahre auch einmal der »Ritter Lage«. Wohin man auch hört, wird er als der Bestkundige der Grafschaft bezeichnet, und auch aus seinen närrischen Briefen spricht seine Vertrautheit mit allen hiesigen Verhältnissen. Holland ist also doch nicht so weit, Herr Vetter Clemens, als Sie mich glauben machen wollen … Zuerst und vor allem andern aber will ich der Pietät Genüge tun und das Grab von Brigitte-Jesuliebe Lage instand setzen lassen. Es liegt auf dem Friedhof hier, aber fern von den andern Gräbern an sehr unwirtlicher Stelle. Nichts ist angepflanzt rings um die Ruhestatt der letzten Besitzerin von Haus Lage, ich fand beim Aufräumen einzelne vermoderte Sträuße, die irgendein dankbares Gemüt ihr heimlich hingelegt haben mag. Auch kein Kreuz oder Stein bezeichnet das Grab, nur die öde Nummer, die der Totengräber in seinem Buche vermerkt hat. Ich sprach mit Eva. Sie zuckte die Achseln und wandte sich ab. – Eva, Eva, wenn ich spüren sollte, daß du Menschenfurcht kennst! Daß du um des unduldsamen Eiferns des alten Herrn Pastors willen deine Pflicht versäumt hast an deiner Herrin, an meiner Wohltäterin! Sie hat dich gespeist und getränkt und besoldet und ist dir eine gerechte Obrigkeit gewesen. Sie hat mit dir geweint und gelacht, du hast die Füße unter ihren gedeckten Tisch gesetzt. Heilig ist solche Gastfreundschaft. »Ein undankbarer Mensch aber steht unter dem Tier. Denn jedes edle Tier ist dankbar«, sagt der Philosoph Hilty. 12. Ich werde mich mit dem alten Pastor noch einmal auseinandersetzen. Er geht des öfteren um den Friedhof herum, wenn ich darin arbeite, und sieht mir scharf auf die Finger. Ich habe mir einen tüchtigen Gärtner und seinen Gehilfen aus der Stadt kommen lassen, damit erst einmal Ordnung auf dem Gottesacker geschaffen wird. Wie der Friedhof, so das Dorf und sein Patron. Meine eigene Bequemlichkeit, die Instandsetzung des Parkes, des Gartens, die Gewächshäuser, – alles dies kann warten, ich erachte es gering gegen die Pietätspflicht. Am 29. Juni ist der Geburtstag der Heimgegangenen. Einen Stein will ich dann bestellen, der Tante Jesuliebes Namen tragen soll. Jesuliebe! Ich weiß nicht, ob sie Gott und Gottes Sohn geliebt hat. Sie soll die Kirche nie besucht haben. Aber die Armen und Siechen haben mir von ihr erzählt, von ihrer gebefrohen rechten Hand, die nicht wußte, was die linke tat. So soll auf dem Stein nur stehen: »… ihre Werke folgen ihnen nach«. Wenn mir der Ritter Lage nur nicht so viel Rätsel aufgeben möchte! Und ich wette, wenn ich den nächsten Brief öffne, so steht darin: »Ich bin gar nicht rätselhaft, verehrte Regenschirmbase.« Sein Gedankenlesen ist unheimlich. Heute lag sein Brief auf Urahn Joochens Grab im Walde. Dessen Geburtstag ist heute, das habe ich aus der Urkunde entnommen, und Ritter Lage nahm natürlich an, daß ich Kranz oder Strauß niederlegen würde: »Ich muß abbitten, liebste Regenschirmbase, wie ein ganz armer Sünder. Glaubte und – fürchtete, daß das rasche, junge Geschöpf dem Wunsche der Toten schon nachgekommen wähnte (zünd an, Brigitte Lage, zünd an!), wenn es dem heiligen Clemens alltäglich seine Lampe füllte … Und nun ist dies Menschenkind so reif, daß es tiefer und weiter gedacht hat, und so gut, daß es mit _Freuden_ den Hilferuf der Heimgegangenen in die schöne Tat umsetzt. Wäre ich nicht ein alter, kranker, verbitterter Mann, der unfroh fern in Holland (?) sitzt … Aber ich darf doch in Gedanken die kleine, fleißige, tapfere Hand küssen, die unser altes Lage mit so sicherem Griff gepackt hat. – Doch kann der alte Mann seinen Rat nicht vorenthalten: Jeder Kraftfahrer läßt seine Maschine _langsam_ angehen. Bei Brigitte Lage ist noch zuviel Überschüssiges. Nach diesem Tempo muß der Körper schließlich Lehrgeld zahlen. (Ich überlege, aus welchem Teich Vetter Ernst der Hüne und Base Pauline die Bodenständige dies winzige Lebewesen herausgefischt haben.) Aber zäh ist’s, zäh, das merke ich schon. Und das braucht Lage. Also langsam! Langsam! Es wäre ein Jammer, wenn das Maschinchen einen Knacks bekäme. Der Enterbte.« Wie ist es nur möglich, daß solch ein Wort so froh machen kann! Bin ich so sonnenhungrig, daß mich ein paar hingeworfene Brocken schon Lichtstrahlen dünken? Jedenfalls ist das »Maschinchen« neu geölt, und – Dank für den guten Rat, Ritter Lage! – 13. Welch großes Unglück! Ich bin ganz verstört. Die junge Förstersfrau wird sterben. – Mein Gott, wie ich das so bestimmt hinschreiben kann. – Sie ist schwer gefallen, als sie nach der kurzen Krankheit, die sie neulich zu überstehen hatte, ihren geliebten Wald zum erstenmal wieder aufsuchen wollte. Gleich will ich wieder zu ihr hin. – Von überall her werden die Ärzte erwartet. – Die Kranke ist ohne Besinnung. – Abends: Tot! Ich fasse es nicht. Soll nicht Allmutter Natur die werdende Mutter schützen? Ein kleines gesundes Mädchen hat sie geboren, aber sie selbst … Das Kind schlummert bei mir in Haus Lage, es würde sonst ganz vergessen vom unglücklichen Vater, den der Schmerz bis zum Toben gebracht hat. Die Flinte hing er um und lief in den Wald, der alte Förster hinter ihm drein. Im Hause blieb eine alte, durch die Ereignisse völlig kopflose Wärterin und das kleine, schreiende Kind. Da habe ich’s auf den Arm genommen und bin mit ihm durch den Wald geschritten. Wohlverwahrt lag es an meiner Brust. Und wie ich das warme Etwas spürte, – kam mir das Leben, das ich geführt hatte, seltsam leer und öde vor – bis heute … Die weise Frau aus Lage hat mir ein richtiges »Wochenzimmer« eingerichtet und mit derben Scherzen, wie sie diese Frauen leicht annehmen, nicht gekargt. Alle Sachen und Sächelchen, die solch ein Neugeborenes braucht, sind vom Försterhaus in mein Schlafzimmer übergesiedelt, und die alte Wärterin Marianne hat auch wieder einen Kopf bekommen, den ich ihr etwas zurechtsetzte. Nun bin ich Mutter. Herrgott, hab’ Dank! Und hilf mir, daß ich eine rechte Mutter werde für dies Waislein. Aber ein junges Leben mußte dafür auslöschen … Wie ist alles so seltsam! Der alte Förster kam heute und sah das schlafende, rote Gesichtchen lange gramvoll an. Der unglückliche Vater hat noch nicht nach seinem Kinde gefragt. Über all dem Neuen vergaß ich aber doch die Clemenskapelle nicht, ich halte dort meine Morgenandacht und lege mir in der tiefen, göttlichen Ruhe meinen Tag und seine Pflichten zurecht. Meine eigene evangelisch-lutherische Kirche ist ja immer geschlossen … Viel wirre, bunte, krause Gedanken mußte ich heute in der Waldkapelle verarbeiten. Wir wollen übermorgen das Kind taufen am Sarge seiner Mutter und dann die Tote zur letzten Rast geleiten. Wie sollen wir das Kind nennen? Es sind keine Bestimmungen getroffen, die Eltern hatten nur immer vom »Stammhalter« gesprochen. Armes, kleines Mädchen, man hatte dich gar nicht erwartet. Der Vater antwortet auf keine Frage, die dich betrifft. Soll ich dir _meinen_ Namen geben? Als ich von der Kapelle fortschritt, hockte wieder der Krüppel davor. Hastig haschte er nach meiner Hand, legte sie sich auf seinen armen Kopf, an sein Gesicht. Und wackelte wieder neben mir her. Als ich mit der Hand nach dem Tempel wies, sah ich plötzlich einen bösen Ausdruck auf seinem ohnehin so häßlichen Antlitz. Und als er sich vor mir niederwarf und nach meinem Kleidersaum griff, herrschte ich ihn zornig an. Wie konnt’ ich mich so vergessen! Diesem Ärmsten der Armen muß wohl vor allen Dingen meine Liebe gehören, will ich dem Wort nachfolgen: »Was ihr getan habt einem der Geringsten unter euch, das habt ihr mir getan.« – Als ich heimkam, war auch der Krüppel an der Schwelle und ließ sich nicht wegbitten, noch verjagen. Ich wollte ihn wieder in sein Zimmer bringen, aber Eva stand plötzlich vor der Tür, nahm seine Hand, führte ihn hindurch und schloß hinter sich zu. Es scheint, daß ich wenig Herrscherrecht hier habe … »~Gratulor~«, schreibt Ritter Lage. »Also wir haben ein kleines Kind bekommen? Ich konnte es mir natürlich denken. Ganz Lage wird hinfüro Kleinzeugs in die Welt setzen, denn Freifräulein Brigitte nimmt alles an ihr warmes Herz. Und wenn Haus Lage nicht ausreicht, so ist der Tempel noch da und die Clemenskapelle. Ich stelle alles zur Verfügung und helfe auch beim Anbau. Das Haus der Regenschirmbase muß wie eine Ziehharmonika sein. – Über den Namen des Kindes dürfen Sie sich nicht den hübschen Kopf zerbrechen. Es gibt nämlich nur _einen_ Namen für dies Heidekind: ›_Erika_‹. ›Clementine‹ würde ich anmaßend von _mir_ finden. Und gegen ›Brigitte‹ sträube ich mich, und werde es _nie_ zugeben. Und nun, verehrte Regenschirmbase, noch eine ganz ernste Sache: Sie werden den idiotischen Krüppel, der leider hie und da Ihren Weg gekreuzt hat, _nie_ wieder berühren! Ich verlange das ganz einfach von Ihnen, kraft meines Rechtes als älterer Vetter. Und die kleine Base, die so fein zu organisieren, so tapfer zu befehlen, so lieb zu bitten versteht, wird ohne Widerspruch gehorchen. Und wird den Kranken mit Strenge in das Haus mit dem tempelartigen Vorbau verweisen, das auf meinem Grund und Boden steht. – Und nachdem das kleine Mädchen bis jetzt so getan hat, als hätte sie aufmerksam den Brief bis hieher gelesen, während sie doch ihre Gedanken nur an dem einen Punkte haften ließ, daß ich den Namen Brigitte verwerfe, sage ich ihm leise ins Ohr, daß Brigitte ganz _einzig_ ist, gar nicht noch einmal in der Welt vorkommen _kann_, und es mir deshalb vom künstlerischen Standpunkt aus unleidlich ist, irgendein Lebewesen ebenso genannt zu wissen wie sie … Clemens, der Enterbte.« 14. Wir haben die Taufe der kleinen Erika begangen. Pastor Oswald hat wie ein rechter, echter Hirt gesprochen, aber im Kopf und Herzen des unglücklichen Vaters der Kleinen ist wohl nichts haftengeblieben. Es gibt nichts Trostloseres, als solch eine Feier am offenen Sarge einer Mutter. Aber die Sitte will es hier so, und Sitten und Gebräuche können sehr unbarmherzig sein. Ich kam auch nachgerade in eine bedrückend trübe Stimmung hinein und wunderte mich eigentlich, daß die Mutterhände sich nicht plötzlich ausstreckten und das Kind zu sich betteten. Und daß sie nicht all die vielen laut weinenden Weiber fortwiesen, die so sehr mit ihrem Geschrei die Ruhe des Todes und die Ruhe des lebenden und schlafenden Kindleins störten. Nach der Taufe wurde der Sarg geschlossen und fortgetragen. Der junge Förster stand wie ein Taumelnder. Sein Vater schob ihn zu mir hin, vielleicht sollte er mir danken, daß ich sein Kind in mein Haus und an mein Herz nahm. Ich sah in zwei schier erloschene Augen und in versteinerte Züge. Da wandte ich mich ab und trat zur Seite, und der alte Vater stützte den jungen Sohn und führte ihn zu den Menschen, die den Sarg zum Friedhof geleiteten. Es war ein seltsamer Tag und ein besinnlicher Abend. Für die Teilnehmer an der Trauerfeier und dem Begräbnis – es war wohl das ganze Dorf versammelt – habe ich Kaffee kochen und einen Imbiß herrichten lassen im Forsthaus. Eva war mit zwei Mädchen dort und hat alles versorgt. – Ich selbst betreute das Kind und blieb mit wunderlichen Gedanken bei der Wiege. Ohm Matthias und Tante Fernande spielten Schach. Diese Stunden versöhnen beide, und infolgedessen sind’s auch für mich Feierstunden. Ich schaukelte sacht die Wiege. Im Kamin loderten knackende Holzscheite. Mein Leben hat nie lodernde Flammen gekannt, nur herzerquickende Wärme … Hab’ Dank über das Grab hinaus, mein herrlicher Vater! Und du, herzliebste Mutter! Ihr gabt mir das Eiland, die sonnige, behütete Jugend. Pflanztet die heilige Menschenliebe in mein Herz, und ich erbte von euch beiden doch Herbheit genug, ein kleines, festes Mäuerlein um mich zu bauen. – Wenn die Liebe, die die Dichter besingen und unsterblich machen, so furchtbare Kraft hat, daß sie einen starken, bodenständigen, fast ein wenig bäurisch-tölpelhaften Mann wie den jungen Förster Nordstamm zum Greise wandelt, der schier ohne seine fünf Sinne herumgeht, der seiner Vaterpflicht vergißt, weil ihm das junge Weib starb, – dann will ich mich vor der Liebe bewußt hüten. – Bisher ist sie noch nicht an mich herangetreten. Man hat in ehrlicher Freude mit mir geplaudert, auch ist wohl manch ein kecker Bewunderungsblick zu mir hingeflogen, aber man bestürmt _arme_ Töchter höherer Stände nicht mit Bitten: »Komm auf mein Schloß mit mir.« Ich hätte auch, – zwar mit dem Schloß, aber nicht mit dem Bittenden, etwas anfangen können. Jetzt hat mir ein gütiges Geschick ein Schloß »ohne lästiges Zubehör« geschenkt, – das ist herzerquickend schön. Ei, und das Kindlein? das rosige, atmende, werdende Etwas? Sollten Leute, die keine Menschenliebe kennen, nicht gerade dies Kleinchen ein lästiges Zubehör nennen? Für mich ist’s ein Gottesgeschenk. – Schier setzt mein Herzschlag aus bei dem Gedanken, man könnte dies Geschenk jemals wieder zurückfordern. – Ich habe die väterlichen Ratschläge des seltsamen Briefschreibers beherzigt und ein langsameres Tempo angeschlagen. Habe noch etliches gutes Personal angenommen, damit ich von gröberer Arbeit verschont bleibe, und habe mir die feinere vorbehalten. Das ist z. B. die restlose Versorgung des Kindleins, das neben meinem Bette schläft, und das ich bade, trockenlege, ankleide, und mit dem ich plaudere und lache. Ich glaube nicht, daß der mütterliche Leib allein zur Mutterschaft heiligt, – mütterlicher Geist, liebendes Herz und sorgende Hände können sich wohl auch den Namen Mutter verdienen. Vater Nordstamm hat seinem Kinde noch nicht nachgefragt, so gehört es mir um so einziger und inniger. Und wenn die Vaterliebe nicht etwa ganz plötzlich hervorbrechen sollte, so will ich durch meine Erziehung die Kindesliebe pflanzen und großziehen, dann wird die kleine Hand einmal mahnend und weckend an das verstörte Herz klopfen und es überwinden. – Zu meinem Bereich gehört ferner noch die Armenpflege. Es gibt genug Kranke und Arme in Lage. Arm an Besitz und auch an Geist. Viele davon gehörten in ein festes Haus, weniger um ihrer Gefährlichkeit willen, als um der Aufsicht willen, die ihnen völlig fehlt. Es ist soviel tönendes Erz und klingende Schelle um sie herum, aber es mangelt die Liebe. Ob wohl dem Krüppel im Tempel jenseits meiner Grenze Liebe gegeben wird …? Nirgends habe ich ein weibliches Wesen im engeren und weiteren Umkreise des Tempels entdeckt, und solch ein armes Geschöpf braucht doch treue Hände … Und warum es wohl frei herumläuft, wenn es einem doch verboten ist, ihm Gutes zu tun? Ganz verloren und schüchtern bin ich mit diesen Fragen zu Eva gekommen, aber ein Granit kann nicht härter im Schweigen sein als sie. Auch bekommt sie, wenn man sie bedrängt, so hilflose Augen, denen gegenüber ich selbst hilflos werde. Ich frage dann nicht weiter, aber meinem offenen, mitteilsamen, liebebedürftigen Herzen sind diese Rätsel in und um Lage etwas sehr Quälendes. – »Kleine Mädchen müssen nicht neugierig sein«, schreibt Ritter Lage. »Und nun vollends eine verständige Mutter von mindestens 25 Kindern, die ich so beiläufig zusammengezählt habe, und von denen die alte Korb-Sina am Ende des Dorfes die Älteste, Ohm Matthias der Zweite, ich selbst der Mittelste und Klein Erika die Jüngste ist. Oder hat man inzwischen noch ein Kind bekommen, das man meinem spürenden Spotte unterschlägt? Ich traue der jungen, unberechenbaren Regenschirmbase ein ganzes Waisenhaus zu. – Haben Sie übrigens in dem Schatze Ihrer Märchen und Geschichten, die Sie den Dorfkindern auf Ihren Samaritergängen mit vollen Händen austeilen, auch das Märchen schlechthin von ›Gitti und dem Zornebock‹? Meine Großmutter erzählte es mir, mein geliebtes Großchen, das ich ›Grodeli‹ nannte. Und Sie sind das Urbild dieser Großmutter, die Ihre Urahne war. Deshalb nenne ich Sie in meinen Gedanken meistens Gitti, und mich können Sie als den Zornebock betrachten. Ach, es ist ein köstliches Märchen. Eben ein _Märchen_. Und ich rede und denke jetzt blühenden Unsinn, was ich doch bisher meiner verehrten Base ›Gitti Regenschirm‹ überließ. Warum der Krüppel nicht von weiblichen, fürsorgenden Händen betreut wird? Weil nicht jeden das Ewigweibliche hinanzieht, sondern die meisten _hinab_. – Warum er nicht in einem festen Hause verwahrt ist? Das geht Sie nichts an. Clemens, der Enterbte.« 15. Ich habe eine schwere Zeit hinter mir. Klein Erika war krank, mein süßes Kind. Wie schneidet es ins Herz, ein Hilfloses leiden zu sehen. Der Arzt war gar nicht recht bei der Sache, wie mir schien. Und schier spöttisch lehnte er meine eigenen Ratschläge ab, welche die Angst geboren hatte. Mir war, als denke er, daß Klein Erika wohl am besten bei seiner toten Mutter aufgehoben und hier auf der Welt doch nur unwillkommen und schließlich eine Last sei. Männerweisheit. – Ich habe dann seiner Gleichgültigkeit gegenüber nach meinem Ermessen gehandelt, habe vorsichtig mit Umschlägen operiert, um das Fieber nicht hochkommen zu lassen und die Schmerzen zu lindern. Warum muß eine Mutter in das Reich der Schatten gehen und etwas so Zartes zurücklassen? Ich glaube, wenn ein krankes Kindlein aus der Mutterbrust trinkt, muß es gleich gesunden. Und ich habe nur _Liebe_ … * * * * * Fünf bange Tage konnte ich das Zimmer nicht verlassen. Das Lichtlein drohte immer auszulöschen. Ich bat Eva, die Lampe in der Kapelle zu betreuen, wurde aber mit einem barschen »Tut nicht nötig« abgewiesen. Nun mußt’ ich des öftern an das Dunkel denken, das den Clemens umgibt … Heute trieb es mich auf den Friedhof. So lange hatte mich dies stille Fleckchen nicht gesehen, und ich wollte doch Tante Jesuliebe-Brigittes Grab so herrichten lassen, wie die Seltsame, die Eigenbrötlerin, die unendlich Gütige, es verdiente. »Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren«, sagte einst der fromme Simeon. »Denn meine Augen …« Ich rieb die meinen heute in unfaßbarem Staunen, – meinte, die Vision müsse verschwinden. Aber sie blieb leuchtend weiß vor meinen Blicken bestehen und hob sich von tiefdunklen Tannen ab. Die »~Pietà~« aus dem geheimnisvollen Tempel stand auf dem Grabe von Jesuliebe Lage. – Ich frage nicht, wie man sie hinzaubern konnte, ohne daß ich nur das Geringste davon gewahr wurde. Denn in der tiefen Stille meines Hauses und meiner weiteren Umgebung müßte man wohl das Rollen und Ächzen eines schweren Wagens vernehmen, dem solch ein Marmor anvertraut ist … Ich frage nicht. In mir ist plötzlich der Wille geboren, alles, was Lage mir gibt, als ein liebes Wunder anzunehmen. Fragen sind laut, sind unharmonisch. Dies Marmorbildnis tönt wie eine große Symphonie. Die Liebe spannte alle Saiten, und ein gewaltiger Geist vermochte darauf zu spielen. Ich wandle durch das Königreich der Freude. – * * * * * Mein Kindlein ist wieder gesund. Es schläft und trinkt und tut sonst allerhand, was ich wie die gewiegteste Familienmutter beurteilen lerne. Über natürliche Dinge wird hier im Dorfe mit größter Offenheit gegen jedermann gesprochen. Zweideutigen Witz aber kennt man nicht. Ich könnte meine ganze Umgebung mit dem altmodischen Worte »keusch« bezeichnen. So war meine Mutter Pauline, und ich finde sie nun in fast allen Dorffrauen wieder. Von meinen Leuten scheint noch niemand die ~Pietà~ gesehen zu haben. Ohm Matthias meidet jeden Gedanken an Tod und Vergänglichkeit, Tante Fernande lebte mit Jesuliebe Lage auf gespanntem Fuße. Eva schweigt sich aus, und ich würde es auch nicht ertragen können, von irgend jemand Kritik zu hören. Von dem Heiland in den Armen der Gottesmutter geht eine unsägliche Liebe aus, und von der Maria, in deren Herzen man die sieben Schwerter ahnt, leuchtet eine Tapferkeit, daß ich jede bange Mitschwester zu diesem herrlichen Bilde schicken möchte, auf daß sie den Kampf mit dem Leben wieder aufnähme. Nach dieser Morgenfreude konnte ich hochgemut durch das Dorf gehen und jeglichen Kleinmut, Bitterkeit, Neid, Scheelsucht und sonstige Lieblichkeiten siegreich überwinden. Bis in das letzte Häuslein drang ich heute. Da wohnt die Korb-Sina. Eine alte, wunderliche Frau hoch in den Sechzigen, mit Adlernase und funkelnden, schwarzen Äuglein. Sie wird gefemt im Dorfe ob ihres Lebenswandels, den sie in der Jugend führte. Da soll kein Bauer in Lage gewesen sein, dem sie nicht das Herz rascher klopfen machte; man sieht es den Ehrbaren und Finsteren heute nicht mehr an, daß sie um der schönen Sina willen vom Pfade der Tugend gewichen. Heute flicht die alte Sina die Körbe, die sie leider vergaß, in ihrer Jugend auszuteilen, und ihr zahnloser Mund erzählt unermüdlich alle Schlechtigkeiten, welche die Lager Männer nach ihrer Meinung einst an ihr begangen, in die Ohren ihrer Enkelin hinein. Es ist das uneheliche Kind ihrer eigenen unehelichen Tochter, die aber längst gestorben. Um dieser Enkelin willen besuche ich die Korb-Sina und höre ihre endlosen, wilden Geschichten gelegentlich mit an. Maria Dörping ist ein schönes, herbes Mädchen, das ungeheuer einsam seinen Weg bisher gegangen ist. Sie hält das Haus der Großmutter in tadelloser Ordnung, zieht in dem kleinen Gärtchen die schönsten Rosen, Reseden und Heliotrope, von denen sie mir jedesmal mit ernstem Gesicht einen Strauß bringt, den ich daheim zwischen die Bilder meiner Eltern stelle. Haus Lage selbst beut mir noch keine Blumen dar. Da wuchert nur Ilex ringsumher mit unwahrscheinlich großen, roten Beeren. Doch nein, ich vergesse den Busch Jelängerjelieber, der sich baumartig hoch an Haus Lage anschmiegt. Er duftet stark und süß in mein Arbeitszimmer hinein. Maria Dörping hat sich das kleine Haus am Dorfende überaus schmuck hergerichtet. Von der Genialität der Großmutter ist nichts auf sie übergegangen. Wie Kraut und Rüben wuchern alle Gegenstände um die alte Frau herum, aber Maria schafft immer wieder Ordnung. Auch einen Hausaltar hat sie aufgebaut, trotzdem sie lutherisch ist. Aber die Dörfler sind so unduldsam, daß sie selbst in der Kirche die Nachbarschaft der Korb-Sina meiden, und so betet auch die Enkelin lieber daheim in ihren vier Wänden. Sie hat ein altes, zerbrochenes Altarbild gefunden und dies vor eine große Kiste gestellt, hat alles mit einer sauberen weißen Decke mit breiter, gehäkelter Spitze überdeckt, große Ilexsträuße, die in der Gegend des Försterhauses am dichtesten wachsen, darauf gestellt und läßt von ihnen ein hohes Kreuz umrahmen, das sie sich von Münster mitbrachte, wo Maria für ein Geschäft feine Nähereien arbeitet. Auf dem Altarbild steht mit mächtigen geschnörkelten Buchstaben geschrieben: HErr CHRIST iss aufferstanden Van all den Dodesbanden, Darob verjubelliert met schall Undt jubels laut o Christen all. Verswunden iss all Sorge itzt, Erstanden iss Herr JESU Christ Diweyl ER überwunden: Das Heyl for uns gefunden. Es ist wohl eine uralte Reliquie, und die Großmutter ist sehr stolz darauf. Auch auf ihre Enkelin ist sie’s, und zeigt es auf ihre Art. Argwöhnisch wacht sie über dem Mädchen, läßt sie kaum aus den Augen, und kehrt Maria Dörping von einer ihrer Reisen zurück, so wird sie von der quälenden, forschenden Neugierde der alten Frau förmlich überfallen. Es ist, als ob die Enkelin alle Tugenden besitzen müsse, um welche sich die Großmutter in eigener Jugend nie gekümmert. – Bewerber für die schöne Maria sind noch nicht unter das Dach des letzten Hauses in Dorf Lage getreten. Jeder stößt sich an dem schlechten Ruf der alten Frau, die sowohl innerlich als äußerlich und auch mit der krächzenden Stimme recht an die Hexe im Pfefferkuchenhaus gemahnt. Ich aber kaufe Körbe über Körbe, die teils zierlich, teils derb und fest von der alten Frau geflochten worden sind. Sie gibt sie nicht billig her, aber ich handle nicht. Und jedesmal krächzt sie widerwärtig, wenn sie glaubt, mich übers Ohr gehauen zu haben. – Maria aber sieht mich mit ihren tiefen, guten Augen ernst und dankbar an. Um dieses Blickes willen gehe ich immer wieder in das seltsame Haus. – Ritter Lage schreibt: »Es lohnt sich wohl, eine ~Pietà~ zu meißeln, wenn man solch einen Dank dafür empfängt. Ich sah ein Paar so leuchtende Blauaugen … Und ich sah ein junges Menschenkind federnden Schrittes davoneilen und sah es Bäume umarmen. Das nenne ich _Dank_. Keine Jury der Welt könnte einem Künstler _so_ lohnen. – – Im übrigen macht es mir eine unbändige Freude zu beobachten, wie die liebe Regenschirmbase im Walde der Schwierigkeiten Bäume fällt. So ein echtes ›Mutterchen‹. Ich habe Tränen gelacht (in Holland natürlich), als ich durch ein Riesenfernrohr sah, wie Sie dem spannenlangen Erdenwürmchen Wadenwickel machten. Ohne daß auch nur eine Spur von Wade vorhanden war. – Der liebe Gott hat ebenso gelacht wie ich und das Kind gesund werden lassen zum Lohne Ihrer Tapferkeit und zum endgültigen Siege über die neunmal kluge Medizin und ihre Vertreter. – Den Verkehr mit der Korb-Sina sehe ich nicht sehr gern. Die alte Dame ist der Extrakt von sämtlichen Hexen, Alben und bösen Königinnen unserer Märchen und paßt gar nicht zur verehrten Regenschirmbase, bei der die Engelsflügel nur noch Frage der Zeit sind. Hinwiederum billige ich das Aufstapeln der Körbe in Haus Lage sehr. In Scharen werden die Freier antreten. Bitte, legen Sie Fußangeln und Selbstschüsse. Ein Hausschild mit der Inschrift ›Bissige Hunde‹ habe ich bereits gemalt, es steht zu Ihrer Verfügung. – Der Enterbte.« 16. Der Sonntag begann heute so wunderschön und endete so wunderlich, – die Kirchenglocken läuteten in den klaren Morgen hinein, mein Lage sah aus wie eine Märchenprinzessin, die sich zum Empfang des Prinzen rüstet, der sie heimführen will. Nun ich ihn niedergeschrieben habe, muß ich über den Vergleich lachen. – Pastor Oswald hielt eine kernige Predigt. Sein ganzes Wesen ist kurz und bündig, einfach und schlicht. Viel schlichter, als es bedingt wäre. Denn Eva erzählte mir, daß er einer reichen Hamburger Familie entstamme, und daß seine Mutter aus gräflichem Hause sei. Er habe alles beiseite getan und sei aus innerem Antriebe Pfarrer geworden. Das Pfarrhaus unterscheide sich in seiner Einfachheit in nichts von den Bauernhäusern. Ich mag den frischen Gesellen wohl leiden. Habe ihn auch gebeten, jeden Sonntag mit mir zu essen. Wenn es irgend paßt, kommt auch die Lehrersfamilie mit dazu. Nur ist da schon allerhand Kleinzeug, und die Eltern sind nicht immer abkömmlich. Aber es ist das, was ich mir wünsche: Pfarrhaus, Lehrer- und Gutshaus Hand in Hand. Pastor Konrad Oswald hüllt sich in ablehnendes Schweigen, wenn das Gespräch einmal auf seine zukünftige Frau Bezug nimmt. Ohm Matthias ist darin nicht sehr taktvoll. Er bohrt den Geistlichen jeden Sonntag von neuem mit seinen Fragen und Scherzen an. Selbst Tante Fernande hat es ihm schon des öfteren verwiesen, freilich mit dem verblüffenden Zusatze, daß der Pastor meinen könne, sie selbst habe Absichten auf ihn. Mein helles Lachen nahm sie sehr übel. – »Ein evangelisches Pfarrhaus ohne Frau ist wie ein Haus ohne Dach«, kam ich scherzend meinem Ohm zu Hilfe; aber da traf mich ein so leuchtender Blick aus Pastor Oswalds Augen, daß er mich verwirrte und ich fürderhin eine recht schweigsame Hausfrau für die kleine Tafelrunde abgab. Oh, nur das nicht! Nur jetzt nichts Verwirrendes, Hemmendes in mein Leben tragen, das der _Arbeit_ gewidmet sein soll. Der Arbeit, die aus der Menschenliebe geboren wird. Riesenkräfte fühle ich in mir, meinem Hause, dem Dorfe, allen denen, die mühselig und beladen sind, ein fester Untergrund zu sein. Und freuen will ich mich mit den Fröhlichen. Ich meine, es gibt deren viel zu wenig in Lage. Nur das Lehrerhaus ist ein wirklich fröhliches, da bin ich so gern daheim. Man sagt, es sei leichter, Mitleid zu hegen, als Mitfreude. Oh, dies paßt dann nicht auf mich. Grenzenlos kann ich mich mit anderen freuen. Vielleicht liegt es daran, daß an meines herrlichen Vaters rundem Familientisch jeden Abend das gleiche, alte Lied angestimmt wurde: »Wir sitzen so fröhlich beisammen und haben einander so lieb … Und jeden, _ja jeden wird’s freuen, wenn einem was Gutes geschah_.« – So ist dieser Begriff der Mitfreude mir ganz in Fleisch und Blut übergegangen. – Doch wohin ich meine Augen schicke, sie treffen auf Not, auf Trauer, tiefen Kummer und Elend, auf Krankheit und Siechtum. Eigentliche Armut kennt Lage nicht; es hat wohl jeder Hausvorstand, wenn er fleißig ist, sein gutes Auskommen, aber von den älteren Leuten ist kaum eines recht gesund, außer Maria Dörpings Großmutter, die sich der bekannten Zähigkeit des Unkrautes erfreut. – Aus all diesen Erwägungen heraus will ich ein Krankenhaus in Lage bauen. Auf sonnigem Grund, auf einer schönen großen Wiese soll es stehen. Im Rücken wird das Haus den Wald haben, der es vor scharfen Winden, die hier im Winter empfindlich blasen sollen, schützen wird. – Als ich Ohm Matthias von meinem Plan erzählte, sang er mit höchst unmelodischer Stimme: »Kommt ein Vogel geflogen«, und tippte auf seine Stirn. Desto herzlichere Zustimmung bekam ich vom Lehrer Hein Borgers und seiner prächtigen Frau »Mien«. Ihre frohe Lebensbejahung bildet eine rechte Kraftquelle für mich. Und Pastor Oswald »steckte wieder seine Lichter an«, wie ich heimlich sage. Ich habe nirgends wieder so klare, strahlende Augen gesehen von der Bläue eines tiefen Bergsees. Er drückte mir, wie schon so oft, mit Urkraft die Hand, daß ich meinte, meine Rechte müsse nach diesem Drucke einfach auf den Boden fallen. Er ist danach immer sehr unglücklich, kann sich aber diese urwüchsige Art der Zustimmung nicht abgewöhnen. – Gleich nach der Kirche machte ich meine Besuche im Dorfe. Sprach auch bei Maria Dörping vor, die gerade ihre Hausandacht beendet hatte. Großmutter sperrte alle Fenster der Diele auf und bemerkte bissig, daß allzu arge Frömmigkeit schlechte Luft mache. Da hat dann Maria eine eigene Art, sie anzusehen, worauf die alte Frau sich brummend verzieht. – Maria Dörpings Freudentränen über meinen Krankenhausplan waren mir eine rechte Sonntagsgabe. Ich habe mit der Herben viel gute Pläne durchgesprochen. Auf dem Rückwege sah ich ein sehr hübsches, sehr üppiges Mädchen an einem Zaune stehen. Sie knickste und bat mich, doch auch einmal in ihr Haus einzugehen, Vater und Mutter würden sich so sehr geehrt fühlen. Es klang mir wie Spott aus ihren Worten, aber sie hatte ihre Mienen gut in der Gewalt und lief überraschend anmutig für ein Dorfkind vor mir her ins Haus. Dorfschmied Klas Tönnings ist ein Hüne, seine kleine, zarte Frau sieht zu ihm auf, wie zu einem Heiligen. Wie kann eine Tochter so verschieden von ihren Eltern sein! Die Augen des Ehepaares sehen bedachtsam in die Welt, im Blicke der Mutter liegt etwas Schüchternes, um nicht zu sagen Verschüchtertes. Der Schmied soll an Jähzorn leiden, und irgendeine dunkle Geschichte liegt ob dieses Zornes in seiner Vergangenheit. Die Tochter scheint ihm ohne Erfolg um seinen rötlich struppigen Bart zu gehen, der ihm fast bis auf die Brust herabhängt. Vater Schmied bewacht seine Tochter mit Augen und Mienen, ich meine die Kandare zu sehen, an der er sie hält. Die Mutter streichelt hie und da verstohlen die hübsche, gepflegte Hand der Tochter, die diese dann unwillig zurückzieht. Das sind so meine Beobachtungen. Irgendeinen Zweck verfolgt das Mädchen, da sie mich in die Schmiede bat, – und diese Erkenntnis stört mich in meiner Unbefangenheit. – Als ich dann fortging, bot sie mir ihre Begleitung an, und da auch der Schmied es zu wünschen schien, so wehrte ich mich nicht. Gese Tönnings ist mir unsympathisch, aber als ich sah, wie sie ganz in Klein Erika aufging, und wie flink ihre Bewegungen waren, kam mir der Gedanke, sie mir als Kinderpflegerin anzulernen. Denn bei der Ausführung meiner vielen Pläne werde ich oft außer dem Hause sein. – Nach Tisch fuhren plötzlich Wagen vor. Ich trank gerade mit Pfarrer Oswald und Tante Fernande den Mokka, Ohm Matthias saß grollend in seinem Gemach, weil der evangelische Pfarrer ihn störte. Eva meldete die Heidkamper Herrschaften und Baron Ellers. Es sind meine nächsten Nachbarn, doch immerhin 20 Kilometer von Lage entfernt. Überaus rasch fand ich mich mit Herrn und Frau von Heidkamp in den gleichen Anschauungen. Sie sind freilich alle älter als ich und kargten nicht mit guten Ratschlägen und Mahnungen, die ich gewiß beherzigen werde unbeschadet meiner Selbständigkeit. Denn ich komme ja als Fremde hierher, und Thüringer Sitten und Gebräuche werden sich schwer in meine bodenständigen Leute einpflanzen lassen. So muß ich die Umlernende sein. Baron Ellers, der überraschend gepflegt und nach dem »~dernier cri~« der Großstadt aussieht, versetzte mir sofort allerhand vergnüglichen Klatsch aus der Umgegend. Auch Lage selbst schonte er nicht. Bei verschiedenen Geschichtchen sah ich ihn erstaunt-ablehnend an, dann räusperte er sich und wurde für den Rest des Tages recht manierlich. Er meldete mir auch gleich drei oder vier weitere frauenlose Freunde teils aus Münster, teils vom Lande an, die sich »nächsten Sonntag die Ehre geben wollten«, und natürlich mußte ich an die Fußangeln und bissigen Hunde des »Enterbten« denken. Und gerade, als ich an ihn dachte, sprachen sie von ihm. Er scheint allen Leuten Rätsel aufzugeben. Man fragte mich, ob er die wunderbare »~Pietà~« selbst aus Holland hergeleitet habe, ob er mir seinen Besuch gemacht … Ich antwortete kurz verneinend und war endlich froh, als sie alle wegfuhren. Wie wenig passend fügen sich all diese geselligen Töne in die stille Harmonie meiner Einsamkeit. – Kurz vor dem Abendbrot erschien noch ganz unerwarteter Besuch, der im Ruhestand lebende Pastor Külpers. – Er war mir in seiner steifen Zugeknöpftheit, die er zu Anfang zeigte, aber noch angenehmer, als in der väterlich bevormundenden Art, die er im Laufe des Gespräches herauskehrte. Würde eine liebe, alte Pfarrfrau in weißem Haar, bekannt und vertraut mit allen Familien, Tugenden und Untugenden meines Dorfes, mir Ratschläge gegeben haben, ich würde sie ohne Vorbehalt dankbar annehmen. Aber diesem lehrhaften Tone des alten Herrn gegenüber, der mit messerscharfer Unduldsamkeit jegliches Tun und Lassen seiner Mitmenschen, Vorgänger und Nachfahren kritisierte, ließ mich aufmucken. – Es hat bis jetzt noch nichts Gnade vor seinen Augen gefunden, was ich getan, angeordnet und unterlassen habe, aber ganz besonders mein Nichtbeachten der verschiedenen Konfessionen in meinem Dörflein scheint ihm bitteres Unbehagen zu schaffen. »Sie haben es sich gewiß gar nicht überlegt, gnädiges Fräulein, was für böses Blut es machen muß, wenn Sie in Ihr protestantisches Haus, dem die brave, fromme Eva vorsteht« … »Meinem Hause stehe ich vor«, warf ich ein. Er beachtete es gar nicht … »nicht nur einen streng katholischen Verwandten dauernd aufnahmen, sondern auch, wie ich heute zu meinem schmerzlichen Bedauern sah, der leichtfertigen Tochter des gleichfalls katholischen Schmiedes Tönnings Einlaß gewährten. Überhaupt würde ich vermeiden, anrüchige Personen zu besuchen, wie z. B. die Korb-Sina.« »Da bin ich anderer Meinung,« widersprach ich, »ich habe tiefes Erbarmen mit Maria Dörping, der Enkelin, sie trägt schwer an dem Verfemtsein ihrer Großmutter.« Der Pfarrer lächelte mild über meinen Eifer. »Sie sind noch stürmend jung, gnädiges Fräulein, es ist die Pflicht alter Leute, Sie auf mancherlei Gerede aufmerksam zu machen, das sich über Ihrem Kopf zusammenzieht …« »Mancherlei Gerede ist Klatsch«, sagte ich mit eisiger Abwehr. »Da ist z. B. die Clemenskapelle drinnen im sogenannten Holländer Wald, ich bin nie dort gewesen trotz meiner langjährigen Tätigkeit hier, – man hat Sie gesehen, wie Sie mit einem Ölkrüglein die ewige Lampe füllten, – Sie sind Protestantin …« Ich stand so rasch und ungestüm auf, daß mein Stuhl umfiel. Und blieb stehen und sah den alten Mann an, ganz fest, und ganz schweigend. Hier ist also meine Achillesferse … Und dann hörte ich, wie die Tür hinter ihm ins Schloß klappte. Ritter Lage schreibt: »Tat’s weh, kleine Regenschirmbase? Ja, das ist nun so echt Lage. Aber nun nicht gleich denken, daß aller Schmelz von dem Bilde fort ist, das sich das phantasievolle Geschöpfchen so nett zurechtgemalt hatte. Es ist richtiger, wenn Sie etwas nüchterner werden. Vielleicht hat auch der Herr Pfarrer in manchem recht. Wer zu großen Dingen auf dem Wege ist, soll sich nicht mit kleinen aufhalten. Den Nadelstich mit der Clemenskapelle lassen Sie sich nur gefallen. Ich wußte es gleich, daß dieser rührende Liebesdienst, den die Protestantin dem Heiligen erwies, einen Sturm im Wasserglase verursachen würde. So etwas versteht niemand, nicht einmal ich. Denn wir gehen gewöhnlich im Trott und im ausgefahrenen Gleise. Aber ich kannte und verehrte Vetter Ernst Lage. Nur er konnte einen solchen Außenseiter zur Tochter haben, – Sie können aber jetzt ganz unbesorgt und folglich streng zurückhaltend sein. Ich werde die Lampe nie mehr verlassen, noch versäumen. Warum wollen Sie den Lagern Ursache geben, ›ihr Maul dreinzuhängen‹, wie die Bibel sagt? Sie wissen ja auch, daß sich Flecke am schärfsten von weißem Grunde abheben. Kleines weißes Bähschäfchen! Wieviel Wolle wird man Ihnen noch ausrupfen! – Zum Schluß noch gute Ratschläge: Seien Sie ein wenig strenger mit Ohm Matthias und ein wenig netter mit der alten Eva, sie verdient es um Sie. Der Enterbte.« War ich nicht gut mit dir, alte Eva? Wer ist schuld an dem Mißtrauen, das ich dir seit einiger Zeit entgegenbringe? Als ich es Eva beinahe abbittend sagte, fing sie an, bitterlich zu weinen. Aber meinen drängenden Fragen setzt sie doch Schweigen entgegen. So will ich nun eben gut mit ihr sein … 17. Das Zimmer, darinnen Tante Jesuliebe gearbeitet und geschafft hat, und darin sie nach hartem Kampfe auch gestorben ist, habe auch ich mir zur Wohn- und Arbeitsstätte erkoren. Der riesengroße, ovale Tisch darin ist wohl eigentlich ein Eßtisch gewesen, aber die Verstorbene hat ihn als Schreibtisch benutzt, und ich tue desgleichen. Man kann die eingehenden Schreibereien übersichtlich darauf ordnen, man kann an verschiedenen Stellen daran schreiben, ohne nur ein Blatt von dem zu verschieben, was sonst auf dem Tische ruht, und sowohl das Juchtenbuch, als auch der ehrenfeste Foliant, den man kaum aufheben kann ob seiner Schwere, haben darauf Platz. »Mit Gott, Brigitte Lage, zünd an!« … Als ich heute durch den Ahnensaal schritt, war mir’s, als schaue das Bild von Jesuliebe Lage mich an. Es pflegt eigentlich über den Kopf des Beschauers hinweg zu sehen; der Maler hat diese Eigentümlichkeit der Verstorbenen, deren ich mich wohl erinnere, ganz vorzüglich herausgeholt und dargestellt. Aber sie sah mich wahrhaft heute an mit gutem Blick. Hab’ ich ihren Wunsch denn schon erfüllt? Bin ich auf dem Wege dazu? In Tante Jesuliebes Zimmer kommen mir Erkenntnisse. Sitze ich in dem runden Sessel am Schreibtisch, in dem ich schier versinke, so wird mir alles übersichtlich in Kopf und Herz, was mir vorher ungeordnet schien. Vielfach verknotete Dinge entwirren sich, in dunkle Wege fallen Lichtstrahlen, Hindernisse lassen sich übersteigen. Die Fäden vieler Menschenschicksale laufen hier in Haus Lage zuhauf. Muhme Jesuliebe hat angefangen, sie zu einer Webkette zusammenzuscheren. Ihr Wille und Werk blieb unvollendet. Entriß ihr der Tod das Handwerkszeug? Ich glaube das nicht. Denn als sie die Worte niederschrieb: »Zünd an, Brigitte!«, da erwählte sie mich klaren Geistes zur Vollenderin ihres begonnenen Werkes. Und erst nach Monaten traf sie der lähmende Schlag, dem bald der harte Tod folgte. Aus der drängenden Bitte der Toten klingt es wie Jammer zu mir herüber. Klage über ihre Unfähigkeit? Wie kann ich dies beschämende, herabsetzende Wort mit Muhme Jesuliebes Klugheit und Arbeitswillen paaren? Wird es mir, der jungen, so viel minderen Nachfahrin, gelingen, die zusammengeschorenen Lebensschicksale zu einem festen Gewebe zu vereinen? Wie nennt sich das bindende Edelmaterial für den starken Einschlag? Herrgott, ich fühl’s, es verlohnt sich kein Suchen, denn nach der _Liebe_, und ich brauche nichts zu wissen, was mich die Liebe nicht lehrt. – 18. Bin noch gar nicht wieder in meinen Märchenwald gekommen. Gerade weil es mich mit Allgewalt zu ihm hin- und in ihn hineinzieht, nehme ich mich an die Kandare. Über mich befehlen soll nur die Arbeit. Es ist wohl die feste Mauer, um die ich gebetet habe. Sie hat sich wie ein Gürtel rings um Lage gelegt. Und wohin ich nur schaue, gibt es Arbeit zu überwältigen, zu der sich außer meinen eigenen nicht allzu viele willige Hände ausstrecken. Immer wieder gehe ich auf die Suche. Maria Dörping und Gese Tönnings habe ich mir verpflichtet. Diese beiden Gegenfüßler, von denen die eine das leichtsinnige Heim mit der übelbeleumundeten Großmutter adeln, und die andere den ihr eigenen leichtsinnigen Ton in das strenge, ehrbare Gefüge des Elternhauses hineinsingen will. Die beiden verschieden gearteten Mädchen haben kein gutes Einvernehmen und arbeiten widerwillig miteinander. Maria Dörping sagt nichts, aber sie »blickt«. Ihre ernsten Augen fragen unablässig: »Warum verflachst und verhudelst du dir dein eigenes Leben?« Diese fragenden Augen reizen Gese Tönnings, und sie bricht den Streit vom Zaun, der aber höchst einseitig geführt wird. [Illustration: Lasset die Kindlein zu mir kommen. ❇ Nimm dein Bett und wandle.] So habe ich den beiden verschiedene Arbeitsfelder zugewiesen; Maria hat für die Vormittage einen Kindergarten übernommen und besucht und sammelt am Nachmittage die Lahmen und Siechen, bis das Haus auf der sonnigen Wiese fertig sein wird, das beide Trüppchen aufnehmen soll. »Im Auftrage des Ritter Lage« erschien ein Architekt bei mir, der mir Baupläne unterbreitete, zu denen ich nur freudig ja und amen sagen konnte. Es wird ein reizendes Haus. Einstöckig, langgestreckt. Mit zwei gleichen, hochgewölbten Eingangspforten, über denen je ein Spruch gemeißelt wird. Für die Siechen: »Auf, nimm dein Bett und wandle!« Und für die Kleinen: »Lasset die Kindlein zu mir kommen!« Zwei helle große Dielen enthält das Haus, darinnen die Siechen rasten und die Kindlein rennen sollen, wenn schlechtes Wetter den Aufenthalt im Garten und Wald verbietet; hohe, luftige, helle Zimmer bergen die Betten und Möbel. Auch einen Andachtsraum mit einem schönen Harmonium sollen meine Pflegebefohlenen haben, der wird das Schönste im ganzen Hause werden. Denn ~ora~ steht vor ~labora~. – Die leichtherzige, fröhliche, leichtlebige, leichtsinnige Gese Tönnings habe ich für Haus Lage verpflichtet. Sie versteht sich gut mit meiner alten Eva. Ob diese ihr gute Lehren gibt, die von Gese angenommen werden, oder ob sich Eva aller Einmischung enthält und Geses Tüchtigkeit als Kinderpflegerin anerkennt, entzieht sich meiner Beurteilung. Die beiden arbeiten jedenfalls Hand in Hand, und Klein Erika gedeiht. Auch der junge Förster Nordstamm erwacht langsam wieder zum Leben und besucht das Kind hie und da. Im Gegensatz dazu hat sich der Großvater Nordstamm grollend zurückgezogen und wirkt mehr und mehr wie ein knorriger Eichbaum, den man nächstens in den Märchenwald verpflanzen kann. Wunderliche Lebewesen hat unser Herrgott um mich herumgestellt, aber ich habe sie alle liebgewonnen, weil sie mir soviel geben. Oder weil ich ihnen soviel geben darf? Ich fühle eine Quelle in mir, die immer stärker strömt, je mehr man davon trinkt. »Solch Spendegold erschöpft sich nicht.« Mein neuer Bechsteinflügel ist angekommen. Es ist das einzige, von dem ich fühle, daß ich es außer der Arbeit haben _muß_. [Illustration] Mit Beethoven habe ich das köstliche Instrument eingeweiht. Die Fenster hatte ich weit geöffnet, und in die stille Mondnacht hinein klang und sang das Adagio aus der 2. Symphonie. »Still sank der Abendsonne Gold Hinunter an des Himmels Zelt. Im Abendfrieden süß und hold Ruht um mich her nun Wald und Feld. O wohnte doch im Herzen drein So süßer Friede für und für; Mein Gott, laß mich dein eigen sein, Den Frieden find’ ich nur bei dir.« Diese schlichten Worte sind den Tönen untergelegt … Die Fledermäuse der Ruine müssen gelauscht und mein Spiel hinterbracht haben, auch müssen sie die 2. Symphonie und ihre Geschichte kennen. Ritter Lage schreibt: »O wohnte doch im Herzen drein so süßer Friede für und für … Regenschirmbase, hilf mir! Der Enterbte.« 19. Wie auf gut geölten Rollen läuft mein Haushalt. Wenn hie und da ein Ruck eintritt, ein Signal ertönt, das scheinbar gebieterisch »Halt« verlangt, so sind dann Ohm Matthias und Tante Fernande die Ursache. – Beide haben noch manchmal ihren Koller. Sie sind zu verschieden, und ihre Gegensätze berühren sich durchaus nicht. Trotz der gänzlichen Verarmung ist das »Spitalweibchen« doch immer die Freiin Lage geblieben. Und jetzt in den Kleidern der Muhme Jesuliebe, die in ungeahnter Fülle die Schränke zierten, und die ich Tante Fernande überließ, sieht sie wirklich vornehm aus. Sie verkörpert recht das ~ancien régime~ in Lage, ist überhaupt nicht mit dem frischen Wind einverstanden, der durch mein Regiment weht, das sie demokratisch nennt. Ich kann die vielen, schwerseidenen Staatskleider gar nicht in Einklang mit Muhme Jesuliebes Aufzug und Anzug in Erfurt bringen. Vor zehn Jahren hätte man sie als Vogelscheuche in die Erfurter Gemüsefelder stellen können, und jetzt sitzt Tante Fernande in den ererbten Sachen wie eine Fürstin da. Ohm Matthias dagegen ist recht verwildert, um nicht zu sagen verwahrlost, sowohl in seiner Kleidung, als auch in seinen Worten. – Er ist nie Soldat gewesen und ohne jede Straffheit und Disziplin. Sein Umgang mit Frauen hat sich wohl nur auf ungebildete Hauswirtinnen beschränkt. Jetzt murrt er leise und schimpft laut über die Bevorzugung der Tante Fernande. Denn die Männerbeinkleider, die Muhme Jesuliebe unter ihrem Frauenrock trug, und die ich ihm bereitwillig zur Verfügung stellte, passen ihm nicht. Er hat sich unter der Pflege von Haus Lage ein kleines Bäuchlein angemästet, und Muhme Jesuliebe war dürr wie die sieben mageren Jahre. Nun redet er des öfteren von »Kleiderhaken«, »Bohnenstangen« und »Plattformen«, was Tante Fernande aufs höchste anwidert. Sie wirft dann die Schachfiguren mit unnachahmlicher Grandezza zusammen, schreitet hoch erhobenen Hauptes hinaus, und ihre steife Seidenschleppe rauscht und raschelt hinter ihr drein. Dann bleibt der höchst ärgerliche, unkultivierte Hausgenosse für den Rest des Abends mir allein überlassen. Das ist eine große Schattenseite unseres Zusammenlebens. Es wird mir schwer, ihn in Schach zu halten. Ich bin scheu und hilflos seiner Art gegenüber. Außerdem hat mir von Anfang an die mir anerzogene Ehrerbietung vor dem Alter die Waffen, die sonst wohl eine Frau gebraucht, aus der Hand gewunden. Und doch widerstrebt es mir, ihn einfach sitzen zu lassen und wie Tante Fernande hoheitsvoll aus dem Zimmer zu schreiten. Denn dann ist mir’s, als wollte er das gerade so haben, damit er sich richtig rekeln könnte. Er pflegt dann die Beine auf die Sofalehne zu legen, den Kragen abzutun, einen abscheulichen Knaster zu rauchen und auf den Teppich zu spucken. Überdies liegt mir die Mahnung unablässig in den Ohren: »Seien Sie etwas strenger mit Ohm Matthias.« So habe ich also gestern abend versucht, streng zu sein. Dem war ein geradezu schrecklicher, aufregender Nachmittag vorhergegangen. Klein Erika fieberte wieder etwas, und ich wollte bei ihr bleiben, schickte deshalb Gese Tönnings nach dem Zimmer, in welchem Tante Fernande und Ohm Matthias mit dem Kaffee meiner harrten. Sie sollte mich entschuldigen und dann gleich zu meiner Hilfe zurückkehren. Statt dessen erschien sie erst nach langer Pause aufgeregt und weinend mit der Entschuldigung, der Herr Baron Matthias von Lage habe sie ungebührlich aufgehalten, und … und … und nun sei das gnädige Fräulein Fernande dazugekommen, aber schon wieder in hellem Zorne fortgelaufen, und … und … und … Genug, ich ging nun doch selbst nach oben und fand Ohm Matthias sehr gemütlich Kaffee schlürfend, was er immer in lauter, häßlicher Weise tut. Und da ich wirklich ärgerlich erregt war, und mir außerdem eine ekle Wolke häßlichen Fuselduftes entgegenschlug, so sagte ich ihm in knapper Form, wenn auch halblaut und beherrscht, daß ich mir Übergriffe gegen mein Personal energisch verbäte. Da sagte er mir denn Sachen, die mich ganz und gar in Harnisch brachten. Daß das kleine Wicht Gese nicht an dem Kusse sterben werde, den er ihr in höchst väterlicher Weise verabreicht hätte, und daß sie gewiß ganz andere Sünden zu beichten hätte. Mir stiegen heiße, zornige Tränen auf, denn von dieser allerhäßlichsten Seite hatte ich den Ohm noch gar nicht kennengelernt. Wie widerlich war es mir, den alten Mann so reden zu hören. Als ich ihm das sagte, schleuderte er mir laut an den Kopf, daß der Teufel alt sei, aber nicht er, Freiherr von Lage, und daß es gar nicht ausgeschlossen sei, daß er noch einmal eine junge Frau nach Lage brächte … »Im übrigen, meine liebe Nichte Brigitte,« schloß er seine entsetzliche Philippika, »wer im Glashause sitzt, soll bekanntlich nicht mit Steinen werfen; und wer, wie du, den jungen Pastor Oswald toll gemacht hat, also daß er neulich in seiner Verfassung ein kleines Mädchen ›Heinrich‹ getauft hat …« Er lachte so laut und dröhnend zu seiner greulichen Bemerkung, daß er sich verschluckte und wiederholt aus einer kleinen, versteckten Flasche nachtrinken mußte, um nicht zu ersticken. Und dann wollte er mich streicheln, aber er stolperte über den Teppich und mußte sich setzen, wobei er mir zurief, ich sollte nicht »so’n verfluchtes Gesicht« ziehen, wir seien doch die besten Freunde … In diesem Augenblicke trat die alte Eva ein; o wie liebte ich ihr runzliges Gesicht und ihre ernsten Augen. Wie eine Mutter nahm sie mich bei der Hand und führte mich die Treppe hinauf in mein Arbeitszimmer. – 20. Es ist nicht so häßlich und niederdrückend, was böswillige Menschen sagen, als daß dies Böswillige haftet und belastet und einen kraftvollen Baum, der das innige Bestreben hat, hinauf ins Licht zu wachsen, wie eine Schmarotzerpflanze umschlingt und im Wachstum aufhält. Aber Pastor Oswald … Er ist’s wohl wert, daß man sich länger mit ihm beschäftigt. Er hält sich seit einiger Zeit von Haus Lage fern; oder von mir? Warum muß sich immer zwischen zwei junge Freunde jenes andere drängen …? Könnten wir beide nicht Schulter an Schulter arbeiten, zwei gute Kameraden, die _nur_ das Wohl der Pfarrkinder des Dorfes im Auge haben? Warum muß ich durch mein Verhalten ihm weh tun? Ich weiß, daß er nur um Brigitte Lage wirbt. Mein »Drumherum«, das schiert ihn nicht. Er selbst gibt bei Kollekten die größten Summen, größer sogar als der reiche Holländer Ritter Lage. Denn Pastor Oswald gibt mit eigener Hand und weiß, wo es jedesmal besonders not tut, und Ritter Lage läßt seinen Verwalter bestimmen, der immer die gleiche hohe Ziffer ausfüllt. Um nicht zu sagen, Pastor Oswald gibt mit dem Herzen und Ritter Lage mit dem Verstand. Das sagte ich auch heute der alten Eva. Da hob sie freilich erschrocken abwehrend die Hand. Sie ist über jede Kritik persönlich beleidigt, die man an den »Besten von allen Lages« legt. Pastor Oswald hat mir neulich seine alte Mutter angemeldet. Sie will auf ein paar Tage von Hamburg her den Sohn besuchen. Ihr Bild, das eine unendlich gütige, vornehme alte Frau zeigt, steht auf seinem altmodischen Spinett … »Sie werden meine alte Mama liebgewinnen,« sagte er mir schlicht und doch sehr bestimmt, »sie ist einzig …« Ich habe sie schon lieb. Es liegt etwas in ihren Augen, das unmittelbar zu mir spricht. Aber ihr Sohn kann mir nur Bruder sein. – Wenn er’s doch wäre! Ich habe nie einen Bruder gehabt und sehne mich oft nach solch einem natürlichen Beschützer. Ohm Matthias habe ich noch nicht wiedergesehen. Er erscheint nicht einmal zu den gemeinsamen Mahlzeiten. Zuerst bin ich schweigend über dies eigenartige Verhalten hinweggegangen, habe auch nicht nach ihm geschickt. Heute fragte ich aber doch die Eva, ob sie ihm das Mahl auf sein Zimmer bringe. Sie schüttelte abweisend ihr graues Haupt. Tante Fernande aber bisse sich lieber die Zunge ab, als daß sie mich nach dem ungeschliffenen Gesellen fragen würde. Und wenn sie etwas von ihm wüßte, so erführe ich’s doch nicht von ihr. Ich komme mir wieder einmal im eigenen Hause recht wie »Mamsell Niemand« vor. – Ritter Lage schreibt: »Mein Herz habe ich ganz und gar abgeschafft, es hält nur auf, Verstand ist besser. Bis jetzt riet ich ja der verehrten Regenschirmbase immer gut, und sie ist im großen ganzen folgsam gewesen. Wenn ich es auch unangebracht fände, sie in dieser Hinsicht zuviel zu loben. – Aber Ohm Matthias ist ein so ungezogener Junge mit seinen siebenzig Jahren, daß die kleine Gitti, selbst wenn sie ›streng‹ tut, nur lächerlich wirkt. Ich habe also den Rüpel nach Holland entführt, und nun sitzt er erst einmal fest bei mir, und ist sehr nüchtern geworden. Kann aber nicht sagen, daß er mir etwa in diesem Zustande besser gefällt. Mir geht wohl überhaupt jegliches Verständnis ab für adlige Müßiggänger, die sich durchs Leben gelumpt haben und nun auf dem ehrenhaften Wappenschilde der Vorfahren ausruhen. Dreimal hat sich Ohm Matthias schon mit mir schlagen wollen, aber wir sägen jetzt Holz zusammen, und da wird er hübsch zahm dabei. Sollte der alte Sünder einmal von Holland herüberwechseln, so bitte ich Sie, ihn ganz unbeachtet zu lassen, ja, ich verlange das wieder ganz einfach von Ihnen. Weil das weiße Mähschäfchen noch weltdümmer ist, als die kleine Gitti im Märchen, und es einem heiß und kalt wird, wenn man zusieht, mit was für Gelichter sie sich umgibt. Es wird diesmal ein Schreibebrief von der Dicke des ehrenfesten Folianten auf Ihrem Schreibtisch. Unverantwortlich ist’s, was Sie mir für Sorgen und für Schreiberei machen. – Also wie ich oben sehr richtig bemerkte, ich habe das Herz abgeschafft und würde Ihnen _auch_ dazu raten, wenn Sie dann nicht einfach umfielen und mausetot wären, Sie ›Herz‹ schlechthin. Aber etwas muß ich Ihnen abgewöhnen, und das ist die Sentimentalität. Etwas ganz Abscheuliches. Wenn Sie die nicht abtöten, dann werden Sie schließlich noch Frau Pastor Oswald. Ein elender und aufreizender Gedanke für mich. Warum? Weil Sie gar nicht zu ihm passen, weil er Sie teilweise dreidoppelt überragt mit seinem umfassenden Wissen und teilweise wieder gar nicht an die dumme kleine Gitti heranreicht. Und weil der gute Mann gar kein Leben mit Ihnen aushielte, sondern ich ihn wahrscheinlich nach 2–3 Jahren, vielleicht auch schon eher, von einer meiner Eichen abschneiden müßte, denn auf Ihrem Grund und Boden würde er sich schon aus lauter Wohlerzogenheit nicht aufhängen. Aber nun kommt seine Mutter. Und ihr Anblick wird die Rührseligkeit der Regenschirmbase ins Ungemessene steigern. Die alte Dame ist die verkörperte gute Kinderstube. Ganz ›Hamborgerin‹. Sie trägt eine schneeweiße Fladduse auf dem Kopf, aus welcher liebliche Korkzieherlöckchen hervorquellen. Und sie hat schwarze, sprechende, kluge Augen. Und ist eine ganz ›süße‹ alte Frau. Und sie wird Sie ›mein Töchterchen‹ nennen, und das ist bitter. Sie sind just das, was sie sich für ihren Konrad wünscht. ›Konrad, sprach die Frau Mama.‹ Um Gottes willen, Gitti, haben Sie Erbarmen mit dem Gottesmann. Winken Sie ab, ehe es zu spät ist. Denken Sie nicht einen Augenblick, daß er an Ihrem Nein zugrunde geht, bloß weil er sich jetzt etwas in die Einsamkeit begeben hat. Sie brauchen keinen Wanderkameraden, Gitti, Sie brauchen einen _Mitflieger_. Sie würden ja immer schon auf dem Hausschornstein sitzen, wenn der arme Pastor noch nach seinem Bratenrock suchte, um auszugehen. Herrgott, wie würde mir der Mann leid tun, der Sie kriegte. Ich meine natürlich einen Nichtflieger. Wenn Sie sich nun gehörig über mich geärgert und fest beschlossen haben, mich nie kennenzulernen, kommen Sie schleunigst zu mir nach Holland und helfen Sie mir und Ohm Matthias Holz sägen. Das macht sanft. Der Enterbte.« 21. Heute habe ich Frau Oswald aus Hamburg meinen Besuch gemacht. Sie schickte ein Mädchen zu mir herüber, das sie wohl aus Hamburg mitbrachte; denn die schwarzen Kleider mit den schneeigen Kragen und Manschetten, den Stickereischürzen und den getollten Kopfhäubchen, von denen lange Bänder niederhängen, kennt man hier nicht. Sie knickste zierlich und meldete mir, daß »Madame Oswald« ihres hohen Alters wegen noch lange ruhen müsse, ehe sie es wagen dürfe, herauszugehen, und daß sie mich deshalb bitten lasse, zu kommen … Ja, sie war sehr lieb und gut, die alte Dame, aus innerer Herzensgüte heraus, und alles gefällt mir an ihr. Sie nannte mich auch »mein Töchterchen«, und das klang lieb und vertraut. Wie lange hat mich niemand so genannt! – Und die vornehme Art, die fein beherrschten Formen erinnerten mich an meine Mutter. Ich will recht unbefangen zu ihr sein, will mich durch nichts, auch nicht durch gelbe Büttenpapiere, die von irgendwoher zu mir fliegen, beeinflussen lassen. Es ist nichts Berechnendes an der alten Dame. Man sieht sofort, daß sie ein reiches, ruhiges Leben gelebt hat, nach ihrem eigenen Willen, ein Leben der feinen Arbeit, des schönen Ausruhens, ihre dunklen Augen haben nur Kultur gesehen. – In ihrem stattlichen Sohne, der aus innerer Überzeugung einen schweren Beruf wählte, der ihn in herbe Schlichtheit führte, da er ihn doch auf reiche besonnte Höhe hätte heben können, sieht sie wohl das Sinnbild edler Männlichkeit. Wenn sie mich also für würdig erachtet, an seine Seite zu treten, so muß mich das ehren. Und wir könnten für das Dorf ein Segen werden … Es ist plötzlich eine wunderliche Stimmung über mich gekommen, soll ich’s Weichheit, Beängstigung, Untapferkeit nennen? Wie beschämend für meines Vaters Tochter. Wird es sich auch an mir bewahrheiten: »Die Lager Luft verwirret Kopf und Herz?« Mich soll _nichts_ verwirren. – 22. Die allheilende Arbeit hat mich bei der Hand genommen. Sie versagt niemals; und so habe ich auch auf den steinigen Pfaden, die sie mich führte, meine Wirrnis und Weichheit verwunden. Wie sehr mein Dorf und seine Leute ungeteilte Aufmerksamkeit verlangen, wird mir täglich mehr bewußt. Sie erziehen mich zur inneren Ruhe und zum logischen Denken. Hie und da erscheint der umsichtige Baumeister des neuen Krankenhauses auf dem Plan und unterbreitet mir neue, praktische Gedanken, in welche ich mich vertiefe, und welche ich dann beinahe alle gutheißen kann. Wie weit mich des Baumeisters Vortrag, in dem vielfach die Worte wiederkehren: »Baron Lage meint …«, »Baron Lage gibt anheim …«, beeinflußt, will ich dahingestellt sein lassen. Heute begleitete mich der Architekt durch das ganze Dorf. Es gibt überall etwas zu flicken, auszuheben, anzubauen. Den jungen Dörflern macht es Spaß, ein neues Dach über den Kopf zu bekommen, die Alten murmeln und murren und haben nicht viel Dank für mich. Sie scheuen jegliche Unruhe. Der neunzigjährige Wilm Lammers meinte, wenn das morsche Dach von selbst herunterfiele, dann würde das für ihn auch ein Zeichen vom Herrgott sein, daß seine Zeit gekommen sei. – Aber ich möchte lieber die Balken aufhalten, die den Dorfältesten zu erschlagen drohen. – Es war ein erfrischender Arbeitsgang mit dem jungen, schaffensfreudigen Baumeister, und ich kam recht erfrischt heim. Meine Frische trage ich dann zuerst ins Kinderzimmer, wo Klein Erika immer mehr dem Leben entgegenwächst, und für mich bedeutet das Menschwerden dieses Geschöpfchens eine Quelle reinsten Glückes. Ich tue dem Kleinchen um so mehr Handreichungen und widme ihm von meiner knappen Zeit, als mir Gese Tönnings unaufmerksam und fahrig zu werden scheint. Sie sieht auch nicht gut aus und hat ihre »unverschämte Frische«, wie sich Ohm Matthias auszudrücken beliebte, bedeutend eingebüßt. Sie scheint es vermeiden zu wollen, daß ich sie frage, denn sie ist meistens abwesend, wenn ich das Kinderzimmer aufsuche. – Eva geht mit umwölkter Stirn umher. Als ich gestern abend im Lager Wald unsern Brunnen besichtigte, löste sich aus dem Dunkel der dicht stehenden Tannen ein Menschenpaar, – ich meinte, flüchtig Gese Tönnings erkannt zu haben, aber beide tauchten rasch im Dunkel wieder unter. – Alte Eva, ich glaube nicht, daß just im Lager Forst ein Kraut gegen die Liebe wächst, da es doch in der weiten Welt nirgends zu finden ist. – Am Nachmittage gleich nach Tische machten wir eine kleine Ausfahrt rund um mein Besitztum herum. Hans und Fritz wurden vor den leichten Jagdwagen gespannt und scheuten denn auch glücklich vor jedem Busch, vor jedem weißen Meilenstein oder Papier, ja selbst vor Kinderwagen, die leer oder mit Insassen vor den Türen standen. Der alte Kutscher meinte tiefsinnig: »Vor’n Kinderwagen scheut sich mancher.« Madame Oswald holte ich ab, und auch der Pfarrer schloß sich uns an. Wir saßen recht behaglich zusammen, und ich spürte den Gewinn, den das Finden einer schönen Seele bringt. Pfarrer Oswald ist ungeheuer beliebt im Dorf; selbst die Pfefferkuchenhexe lachte mit ihrem zahnlosen Munde, als wir einen Augenblick zu ihr eintraten, da sie krank ist. Maria Dörping blickte mit ernsten Augen auf Pfarrer Oswald und mich. – Ritter Lage schreibt: »Also das kleine Mädchen will in sein Unglück rennen, und der Gottesmann hält seinen Talar ausgebreitet, damit es recht weich fällt. Und die würdige Hamburger Madame, die doch bereits einen so kostbaren Zobelpelz besitzt, möchte sich noch ein Kuppelpelzchen dazu verdienen. O Welt, Welt, wie bist du närrisch! Ich kann aber nicht behaupten, daß es sehr vergnüglich ist, Zuschauer zu sein. Wenngleich ich mich noch weniger zum Mitspielen eigne. Und der ›getreue Eckart‹ hat allezeit die kläglichste Rolle gespielt. Aber daß Sie ›Nein‹ sagen können, kleine Regenschirmbase, haben Sie doch bewiesen, als gestern der große Schreibebrief mit dem talerdicken Siegel ankam. Üben Sie sich nur hübsch weiter im Rufen dieses hübschen Wörtchens. Armer Baron Ellers! Seine Schulden schreien lauter, als Klein Erika, wenn sie Leibweh hat. – Deshalb müssen Sie auch nicht gar zu tugendhaft entrüstet sein. Was weiß so ein schneeiges Bähschäfchen von Schulden! Und es schadet Ihrer Charakterentwicklung (die noch sehr mangelhaft ist) durchaus nicht, wenn Gitti einsieht, daß sie selbst auch mal nebenbeifällt und das Lagesche Vermögen als Nummer Eins betrachtet wird. Im übrigen strahlten Ihre Augen heute dermaßen in reinster Bläue, als Sie meine Grenze überfuhren, daß ich glaubte, der Himmel habe sich plötzlich auf Lage herabgesenkt. Sie sehen, der bissige Hofhund, der in Holland an der Kette liegt, kann auch poetisch werden. Alles in allem könnte ich Ihnen doch beinahe empfehlen, Pfarrer Oswald auch bald dingfest zu machen. Er kuscht schon aus innerster Überzeugung, und wie Sie ihn gestern im Jagdwagen anstrahlten, das war nichts anderes als Tierquälerei. Gitti, Gitti! Nun wollte ich wieder, Sie blieben das kleine Mädchen, das Blumen küßt und Bäume umarmt. Der Enterbte.« Klein Erika hatte heute wieder Fieber, es ist doch ein recht zartes Kind. Und ich blieb bei ihm, trotzdem der Krankenhausbau und verschiedene Beratungen über Wohlfahrtseinrichtungen mich eigentlich ins Dorf und ins Pfarrhaus riefen. Aber Gese Tönnings ließ mich im Stich, kam erst erhitzt und verweint um die Mittagszeit in Haus Lage an, und ich sah wohl, daß sie mit dem Herzen nicht bei der kleinen Kranken war. Ich vermutete, daß der jähzornige Schmied um irgendeiner Sache willen seine Tochter gezüchtigt habe, und sprach das auch mißbilligend aus. Denn Gese steht jetzt in meinen Diensten, und ich verlange, daß sie auf dem Posten ist. Geses Gesicht verfärbte sich, als ich ihren Vater erwähnte, und mit allen Zeichen der Angst bat sie mich, gegen ihn von ihrer Unpünktlichkeit zu schweigen. »Bist du verliebt, Gese?« fragte ich mit scherzhaftem Ernst. Da weinte sie plötzlich schwer. – – 23. Mein Geburtstag ist angebrochen. Es ist eigen, daß niemand darum weiß … Im Elternhause wurde er immer wie ein hohes Fest begangen. Der Vater pflegte auf dem Harmonium den gleichen Choral zu spielen: »Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren.« Der gehörte zur Eröffnung des Feiertages, und die liebe Mutter hatte die selbstgebackene Geburtstagsbrezel, die sich rosinengefüllt über den ganzen Tisch ausbreitete, mit Lichtern besteckt. So viel Jahre, so viel Lichtchen. Wie hätte heute der Tisch im Glanze von 26 Lichtern strahlen können! So tat es diesmal nur eine goldene Morgensonne, die Tante Fernande und mich beschien. Ich hielt unsere Andacht über den Text: »Freuet euch! Und abermals sage ich euch, freuet euch.« Gerade weil mir so einsam und weh ums Herz war … Komme eben von meinem morgendlichen Rundgang zurück. [Illustration] Der Geburtstagstext warf sein Licht auf meinen Weg. Zur Clemenskapelle eilte ich und fand dort eine wohlbehütete ewige Lampe, und der Wandfries mit seiner köstlichen Malerei gab mir Frieden und senkte etwas in mein Herz, das beinahe wie Glück aussah. Und auf dem Rückweg, da kam plötzlich das Freuen, denn an meinem Lieblingsbaum, einer starken, wunderlich geformten Birke, lehnte – ein Regenschirm. Lehnte _der_ rote Regenschirm der Muhme Jesuliebe, der mein Schicksal ward. An seiner gelben schweren Elfenbeinkrücke, auf deren umschließendem, silbernem Ring der Name eingraviert war, baumelte ein Heidestrauß, mit leuchtendem Band eingebunden. Im Strauße steckte ein gelbes Geburtstagswachslicht, mit Rosengirlanden verziert. Als ich das liebe Geschenk sah, kam ein solch übermütiges Freuen in meine Seele, daß ich das Ungetüm aufspannte und in hellstem Sonnenschein unter dem roten Riesendach heimwärts wandelte, die närrischste Lage, die wohl je durch den Lager Busch stolzierte … Es ist mir niemand begegnet, und ich habe meinen Schatz in die tiefsten Tiefen meines ungeheuren Kleiderschrankes versenkt, das einzige Möbel, das mein rotes Ungetüm fassen konnte. Lieber Herrgott, schick’ einen Abglanz meiner Freude in das Herz und das Haus eines Einsamen! 24. Es hat heute abend ein Sturm eingesetzt, der ganz wunderlich ist im Hochsommer. Er könnte einem kalten November an der Nordsee Ehre machen. Mir bringt dieser Sturm doppelte Behaglichkeit. Er dringt nicht durch die festen Mauern meines Hauses, sondern tobt sich in den leeren Fenstern der Ruine aus. Die Fledermäuse haben sich versteckt. Die alte Eva läßt mich heute seltsam allein. Ich weiß, daß sie meinen Geburtstag nicht ahnt, aber sie hat noch keinen Tag vergehen lassen, ohne daß sie mir ein liebes Wort gesagt, einen Wunsch, ein Gottbehüt’! Heute streiften mich mehrmals scheu ihre Augen … Aber ich kann mich täuschen. Dies alte Haus verleitet dazu, Gespenster zu sehen. Ist mir’s doch auch allabendlich, wenn ich mich zur Ruhe begeben will, als läge ein zusammengeworfenes Bündel vor meiner Stubentür, dasselbige unselige Bündel, das ich damals vor der ~Pietà~ fand. Aber die Bahn ist immer frei, sobald ich die oberste Treppenstufe erreiche. Weshalb narren mich meine Sinne? Ich habe keine Angst vor dem Krüppel, ich meide ihn nur aus Gehorsam. Manchmal packt mich das seltsame, kindische Gelüst, ungehorsam zu sein. Ich wehre mich dann gegen Unsichtbares, gegen Büttenpapiere und Befehle, gegen Fledermäuse und Enterbte. Dann kommt mir jäh der Gedanke, hinauszulaufen nach dem »Holländerwald« und den Krüppel zu suchen. Ihn in mein Haus zu nehmen, ihm Mutter zu sein. Ihm Gutes zu tun unter hundert persönlichen Opfern. Weil ein schweres Geschick ihm alles Menschentum, alles Menschenwürdige nahm, ihn zum stammelnden Kinde ummodelte, mit dem abschreckenden Antlitze eines mißgestalteten Zwerges. Daß man mir diesen Samariterdienst nimmt und mit kurzen, herrischen Worten meine Christenpflicht verneint, dünkt mich ein Eingriff in meine freie Liebestätigkeit. Mir fehlt auch der Krüppel in dem Bilde, das ich mir von meinem Krankenhause und Siechenheim malte. Der »Enterbte« wird nie zugeben, daß ich den Kranken betreue. Und der ist doch wahrhaft »enterbt«. – Denk’ ich an den Krüppel, so wirft sich der »graue Alltag« wie ein schwarzer Meltau auf alle Blumen, die sich für mich in Lage erschlossen. Ein Meer von Blüten vernichtet er. Der Sturm draußen ist allgemach in ein ächzendes Klagen übergegangen. Einmal schlug es wie in schwerem Schlag und Fall gegen meine Tür, nun weint es draußen, wie ein wunder Mensch … Nachts. Die Gese Tönnings lag gestern abend auf der Schwelle des Hauses. Ach, – freilich ein wunder Mensch. Und bis nach Mitternacht mußte ich ihre Beichte anhören. Die hat mir Kopf und Herz verwirrt … Laut hätte ich weinen mögen über meine arme Mitschwester, die sich ihr junges Leben so verpfuschte. Aber wir Frauen von Lage können nur schwer die erlösenden Tränen finden. Vielleicht hielt sie auch der Ekel zurück, der mich bei dieser Beichte schüttelte, – und den ich jetzt mit Scham als tiefes Unrecht und Pharisäertum erkenne. – Darf ich als Unversuchte, sorglich Behütete aburteilen? Wer sich frei fühlet von Schuld, der werfe den ersten Stein … [Illustration] Ich habe Gese Tönnings aufgehoben. Will sie bei mir behalten bis zu ihrer schweren Stunde und für das Kind sorgen, das sie unter dem Herzen trägt, Sie ist die Liebste des jungen Försters Nordstamm gewesen, – schon jahrelang, und diese Erkenntnis ward auch zum jähen Schlag für Frau Rika. Der die Zarte lähmte und unfähig zum Weiterleben machte. Welch ein düstres, schuldvolles Kapitel in Dorf Lage! Als ich das gänzlich verstörte, zitternde Mädchen auskleidete, um es ins Bett zu bringen, sah ich entsetzliche Striemen auf Armen, Händen und Rücken. »Mein Vater«, kam es würgend aus ihrer Kehle. Und ich kann am Abschluß meines Geburtstages nur beten: »O Gott, Allerbarmer, nimm den grauen Alltag wieder von meinem Hause und gib mir lichten Sonntag durch reine Menschenliebe!« – Ritter Lage schreibt: »Kleine Regenschirmbase, es _muß_ Ihnen ja über den Kopf wachsen. Und bei mir sitzt die Angst zu Tische, und die Sorge, Sie könnten schließlich doch den Gottesmann bitten, Ihr dauernder Berater zu werden, weil Sie nicht mehr aus noch ein wissen. Standesamtlich beurkundeter Lebensgenosse und dazu kirchlich angetraut. Und alles nur aus dem starken, eigensinnigen Verlangen heraus, Gutes zu tun. Denn lieb haben Sie ihn nicht. Das weiße Schäfchen von Lage hat überhaupt keine Ahnung von Mannes- und Weibesliebe, und ich selbst will auch beileibe keinen Lehrstuhl für dies Kapitel errichten und Sie etwa als aufhorchenden Studenten zu meinen Füßen sitzen sehen. Aber es widerstrebt mir ebenso, daß in Ihre kleinen, feinen Ohren überaus rüde Bekenntnisse hineinerzählt werden. Sie sollten als störrische Lutheranerin die Ohrenbeichte ablehnen. Sprächen nicht ernste Gründe dagegen, so wäre ich längst in die Erscheinung getreten. Es dünkt mich unritterlich, daß ich die kleine Gitti allein im Walde der Schwierigkeiten Bäume fällen lasse. Und meine ernsten Gründe sind schließlich nur – Eitelkeiten … Kleine Gitti, was habe ich prophezeit? Jeder würde Ihnen sein Kleinzeug vor die Türe legen. Und die Regenschirmbase hebt getreulich auf und meint, es kommt vom lieben Gott. Und dünkt sich wunder wie alt und verständig, und sollte doch von Rechts wegen unter Vormundschaft kommen. Der Enterbte.« 25. Ich habe heute einen schweren Gang hinter mir. War bei Geses Vater, dem Schmied. Der Mann ist wie von Sinnen. Nicht zornig oder wüst, nicht schimpfend oder aufbegehrend. Er stiert nur vor sich hin und arbeitet nicht. – All seinen Jähzorn hat er wohl bereits an seiner Tochter ausgelassen, wie die furchtbaren Male an ihrem Körper ausweisen. Nun ist er wie versteint. Die Mutter aber scheint Schande und Leid der Tochter ganz vergessen zu haben und sieht nur ihren Mann. Und die Angst um ihn, um seine Starrheit schaut herzzerreißend aus ihren bangen Augen. Sie fragt ihn um hundert Dinge und bekommt nie eine Antwort. Ist dann schon wieder erfinderisch bemüht, seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken. Während ich dort war, kam Baron Ellers mit seinem prachtvollen Gespann, von dem ihm wahrscheinlich kein Hufeisen mehr gehört. Und Schmied Tönnings, der es sich sonst nicht nehmen läßt, die Guts- und Hofbesitzer der Umgegend allein zu bedienen, rührte sich nicht von seinem Stuhl und überließ es ganz seiner Frau, ob sie den vornehmen Kunden vom Gesellen bedienen lassen wolle. Als der Feierabend eingetreten war und ich keine Störung mehr befürchtete, setzte ich mich ganz nahe zum Vater Schmied hin und sprach eindringlich, aber ganz ruhig über Geses Unglück. Und da brach ein Zorn los, so allgewaltig, daß das Haus schier erzitterte, und der Schmerz, das fressende Leid eines in seiner Ehre verletzten Mannes, des angesehensten im ganzen Dorfe, bebte durch diesen furchtbaren Zorn. – Ich habe nichts ausgerichtet. Sein Haus soll die Tochter nicht wieder betreten, und er hat mich nicht gefragt, wo sie dann bleibt. Und die Mutter sah an mir vorbei, sah nur ihren Mann. Sind das noch Eltern? Haben sie wirklich einst das Kindlein in Liebe empfangen, geboren und gehegt? Und sind jetzt nur grausame Härte und Mißachtung? Was geht in ihren Seelen vor? In welchem Versteck kauert die Liebe, die alles glaubt, alles hofft, alles duldet? Die langmütig ist und nicht das Ihre sucht? Lange saß ich und grübelte über das Wesen der »Größten« nach. Wie hat sie die Herzen der Menschenkinder in dem kleinen Dörflein Lage zusammengerüttelt! Wie mag Frau Rika gelitten haben! Und in welcher Form lebt die Liebe in des jungen Försters Brust? Kann sie auch feige machen? Daß er der wilden, schönen, üppigen Gese treulos wurde und sich die sanfte, feingebildete Rika in sein Haus nahm? Und doch nicht leben konnte ohne die begehrende Art der Schmiedstochter? Die alte Eva läuft in Ängsten umher. Wir finden Gese Tönnings nicht, – sie ist nach dem Bescheid, daß sie nicht ins Elternhaus zurückkehren dürfe, nicht aufzufinden. Ich selbst bin ruhig. Gese ist zu lebensbejahend, um einen jähen Abschluß zu machen. Aber sie hat den lodernden Zorn von ihrem Vater geerbt und wird ihn wohl im Lager Busch herumtragen. Die Zuneigung zu Klein Erika war nur ein Flackerfeuer. Es ist das Kind der »anderen«, die sich zwischen sie und den Geliebten stellte; Gese Tönnings scheint in ihrer Not und Zerfahrenheit völlig vergessen zu haben, daß sie sich bei mir für das Kind verpflichtete. Es schlummert drüben in seinen Kissen und ahnt nichts von den Kämpfen und Irrungen um sich herum. Die es doch so nahe angehen. – Ritter Lage schreibt: »Nun kann die kleine Gitti zeigen, ob sie Schneid hat. Feine, linde Frauenhände besitzt sie, das weiß ich. Aber jetzt gibt es weniger Wunden zu verbinden, als sturre Trotzköpfe zu zwingen und Feiglinge an ihre Pflicht zu mahnen. Patronin von Lage, werde hart! Im Laufe des Tages wird der Bursche Nordstamm bei Ihnen anklopfen, der Sünder, der sein häßliches Geheimnis so außerordentlich schlangenklug vor Deutschland und Holland zu wahren wußte, und den nur sein eigen Weib durchschaute. Arme kleine Rika! – Regenschirmbase, gehen Sie tapfer durch all den Schmutz und all das Leid hindurch, und lassen Sie sich Ihre leuchtenden Blauaugen nicht verdunkeln. Wir alle brauchen dies ›Licht im grauen Alltag‹. Der Enterbte.« O ich glaube wohl, daß ich Schneid genug in mir habe. Der half mir über das widerliche Gefühl der tiefen Abneigung hinweg, das in mir aufstand, als Förster Nordstamm mir gemeldet wurde. Dann schlug es jäh in Mitleid um. Denn ich bin ja eine Frau, die Menschen und Tiere nicht leiden sehen kann. Und wie ein erbarmungslos durch Busch und Dorn gehetztes Wild sah der Jägersmann aus. Stoßweise, gequält gab er mir seinen Bericht. Der Schmied hatte ihm aufgelauert. Mit einer Peitsche war er über ihn hergefallen. Eine breite, rote Spur zog sich quer über sein blasses Gesicht. »Ich bin geschändet,« stöhnte er, »ich kann mich nie wieder vor jemand blicken lassen.« »Nicht _mehr_ geschändet, als Gese Tönnings und ihre Eltern«, sagte ich laut. Da schlug er beide Hände vor sein Gesicht. »Warum hat man sie mir nicht vor vier Jahren gegeben?« klang es verbissen. »Da sollte die Gese zu gering für die Erbförsterei sein. Meine Mutter hat’s nicht gelitten, die Rika mußte es werden. Da ist die Gese leichtsinnig geworden, hat’s trotzdem mit mir gehalten. Schlecht ist sie nicht, – schlecht nicht. Gnädiges Fräulein haben es selbst gesehen, daß sie das Kleine von meiner Frau gehegt hat. Und wenn ich mir nicht das Leben genommen hab’, als meine Frau starb, und ich mir sagen mußte, ich hab’ sie auf dem Gewissen, so ist mir die Gese in den Arm gefallen, als ich das Gewehr losdrücken wollte …« »Toben Sie nicht so«, wies ich ihn zurecht, denn seine Stimme war immer lauter geworden. »Es ist viel Schuld und Wirrnis gekommen, – doch es kann wohl geschlichtet werden. Aber trauen Sie wirklich der Gese Tönnings zu, daß sie der Erbförsterei wohl ansteht?« »Der Erbförsterei!« sagte er verbittert. »Dem Begriff ist schon mancher von meiner Sippe geopfert worden. Viel Glück ist da nicht gesehen worden in dem Hause. Und als ich’s hineinbringen wollte, da schloß man die Tür vor ihm zu.« »Wenn Sie meinen, daß Gese Tönnings dies Glück ist, so will ich Ihnen helfen«, sagte ich fest. »Ihr Kind soll im Vaterhause geboren werden.« »Das leidet mein Vater nicht, und nicht der Schmied.« »Das wollen wir sehen.« Ich stand auf, und Förster Nordstamm tat desgleichen. Er sah unschlüssig zu mir herüber, aber die Hand konnte ich ihm nicht reichen, ich legte sie fest in die Falten meines Kleides. Da wandte er sich und ging langsamen, schweren Schrittes durch den Park dem Walde zu. – Ich setzte mich wieder still in den großen Ohrenstuhl und faltete die Hände über meinen Knien. Es ward eine Stunde der tiefsten Einkehr in mich selbst. – So stark wie nie zuvor mußte ich meiner Eltern gedenken, meiner Mutter Pauline, die so ganz Liebe war und doch gar keine Überschwenglichkeiten kannte. Und meines Vaters, der wiederum die ganze Welt mit einer großen, nachsichtigen, verstehenden Liebe umfaßte, »himmelhoch jauchzend« und »zum Tode betrübt« sein konnte und über allem nie die große Linie vergaß. An seiner starken Hand führte er mich allem Schönen entgegen, zeigte mir jede kunstvolle Pflanze, jede prächtige Rose, die im großen Gewächshause der Welt aufblühte, und ließ mich doch auch an keinem Wiesenkräutlein vorbeigehen, das meiner Entwicklung von Nutzen sein konnte. Und seine köstlichen Gedanken und Wahrsprüche, erlesen und erlebt, die er meinem Verständnis nahebrachte! Die mir alle nur den einen Weg zur inneren Ruhe wiesen, den Weg der _Liebe_. – Den Weg, den die Erde nicht kennt, _nur_ die Liebe. Auch das rechtfühlende Herz suchte er in mir schlagen zu lassen. Er pries es als den Mittelpunkt der ganzen Welt und meinte, daß vor der Echtheit eines solchen rechten Fühlens sich das Weltgeschehen ordne. – In all dieses Versenken meiner eigenen Seele in tiefe, besinnliche Stille schrillte das Glöcklein von Haus Lage und brachte mir einen Besuch. Madame Oswald war es, die so gut in den Urväterhausrat von Lage paßt. Wenn sie mit ihrem weißen, stillen Gesicht und den mütterlichen Augen im alten Ohrenstuhl sitzt, wirkt sie recht wie ein Bild des Friedens. Heute freilich nicht. Heute war sie voll Unrast, und diese teilte sich mir so stark mit, daß ich allen guten Gedanken Valet geben mußte und recht aufgeregt und zwiespältig wurde. Nicht so, nicht so. Ich kann da nicht folgen. Ich vermag es nicht, eine so schwerwiegende Frage wie meine Verheiratung in Hast zu erledigen. Ich kenne die Liebe nicht, und glaube es der alten Frau, daß so tiefe Achtung und ein so großes Vertrauen, wie ich es Pastor Oswald entgegenbringe, wohl Gründe sein können, auf denen man ein Haus ohne Reue aufbaut. Aber etwas erwartungsvoller müßte doch mein Herz schlagen, wenn wirklich das Glück geschritten käme. Ich freue mich gewiß, wenn ich Oswald begegne, habe eine schöne Sicherheit, wenn er neben mir schreitet, oder mir gegenüber sitzt, und auch ein bewunderndes Gefühl für seine überlegene Geistigkeit. – Genügt dies schon? Wie werte ich jenes andere, das Himmelhochjauchzende, Zumtodebetrübte, das die Dichter Glück nennen? Oder sind wir überhaupt nicht zum Glück geboren, sondern nur zur Pflicht? Und ist stärkste Pflichterfüllung zugleich höchstes Glück? Ich konnte Madame Oswald keine befriedigende, abschließende Antwort geben. Auch hielt mich ein leises Befremden davon zurück. Daß Pastor Konrad Oswald nicht selbst um mich warb, sondern die Mutter schickte. Ist das Hamburger Sitte? Aber wir beiden Hauptbeteiligten sind nicht mehr so jung, daß wir Vertreter brauchten. Gewiß ist alles gut gemeint, aber ich vermisse das Unmittelbare. Können sich zwei gereifte Menschen nicht auch ein ehrliches Nein sagen? Es hätte ja auch nicht unbedingt ein Nein sein müssen. Ich bin nur nicht für die Hast eines raschen Verlöbnisses. Nicht nur das Ziel ist schön, auch der Weg zum Ziele. – Er muß tausend Wunder bergen, und die Prinzessin Ohnearg aus dem Hause Weißnichts bedarf ihrer. Bedarf eines langen, langen Wanderweges bis zur leuchtenden Wunderlampe. Aber ich glaube nicht, daß Pastor Oswald mir diesen Weg zeigen kann. Vielleicht müßte ich ihn an irgendeiner Wegecke stehenlassen und einsam und befreit weiterwandern … In seiner alten Mutter war ein Drängen, das seltsam von ihrer beherrschten Vornehmheit abstach und ihr das Ausgeglichene nahm, das mich sonst so entzückt hatte. So schieden wir beide unfroh voneinander, und hätten uns doch gern in Fried und Freude festgehalten. Ich sah der feinen Gestalt, die mit dem Schwebeschritt der Krinolinenzeit dahinwippte, lange nach. Eine sorgende, sorgliche Mutter ging von mir, – und ich bin elternlos. – – Ritter Lage schreibt: »Man wird die kleine Gitti ihrem Schicksal überlassen müssen. Sie will, scheint es, ohne guten Rat verständiger Vettern gehen, trotzdem sie noch, sozusagen, im Steckkissen liegt. Nun dann Glück zu! Mir kommt das Liedchen in den Sinn: »Wer winters an den Lenz schon denkt, Der Hecken lauter Rosen schenkt, Geht mutig-froh und schnelle.« Die kleine Gitti mit ihrer Eulenspiegelnatur wird sich den braven Pastor schon zurechtdenken … Übrigens ist er weit mehr, als nur brav, – ist ein aufrechter Mann und guter Hirte. Aber aus all den Handlungen der selbständigen Regenschirmbase habe ich meine Folgerungen gezogen. Diese treffen hart, aber zum Glück nur mich selbst. – Leb’ wohl, Gitti! Leb’ wohl! Der Enterbte.« * * * * * Da war es mir, als bräche mein Herz mitten entzwei … Ich sollte wohl lachen und mich selbst ausschelten. Was ist denn in mein Leben gekommen, und was scheidet jetzt aus? Lächerliche gelbe Büttenpapiere, die mich Mores lehrten, und hinter denen sich ein völlig Fremder birgt. Und ich tausche dagegen eine wirkliche, warme Heimat ein … Lieber Gott, ich kann es nicht, ich kann es nicht. Oh, wie bin ich einsam! Aber ich würde noch einsamer im Pfarrhaus sein. Denn man will mir das gelbe Büttenpapier nehmen … Abends. Ganz rasch und doch wohldurchdacht habe ich an Pastor Oswalds Mutter geschrieben. Quält mich nicht, ich kann euren Willen nicht tun! Und nun ist sie krank, die liebe, gütige Frau, sie hat sich hingelegt und will niemand sehen. Vielleicht ist dies der erste Fehlschlag in ihrem wohlgefügten Leben, deshalb trifft er sie hart. – Wie quälend für mich, daß ich ihn tun mußte. Aber nun ich den gordischen Knoten durchhieb, schlägt mir auch das Herz wieder stark in der Brust. Denn ich habe meine Freude wieder. Und ich kann nie wieder ganz einsam werden, denn nun bleiben mir ja die närrischen Briefe, die ganz lieben … [Illustration] Wie licht ist plötzlich der Lager Wald! Wie duftet er! Dieser Geruch macht trunken. Ich will hineintauchen in seine Kraft und in seine herbe Schönheit. Lager Wald, ich liebe dich! 26. O mein Ritter Lage! Mein Junker Clemens! Mein Enterbter! Du! Du! Du Liebster! Ich gebe dir all diese Namen in meiner heiligen Heimat verschwiegener Stille, lege sie nieder in die starken Blätter des Lager Folianten. Der hütet sie fein, bis meine Augen sich einst schließen. Dann liest vielleicht einmal eine junge Nachfahrin, wie in der Ahne Herzen eine Flamme gelodert, eine keusche Liebe geglüht, von der nur Gott wußte. – Und sie wird den jungen Kopf senken und erschauern. Weil die Macht einer keuschen Liebe so unsagbar groß ist. [Illustration] Ritter Lage, du hattest mein Bestes im Sinne und tatest das Unrechte. Du durftest mich nimmer verlassen. – Ich habe Mitleid mit dir, Junker Clemens, denn du bist noch dümmer als die dumme Regenschirmbase. Ja, du bist der rechte Zornebock im Märchen. Der stieß die kleine Gitti zu dem schönen, rotwangigen Prinzen, gerade als sie anfing, den garstigen Zornebock mehr als ihr Leben zu lieben. Was hast du getan, Ritter Lage?! Der ganze Wald ist tot. Und ich wollte, ich läge im Waldgrabe beim Ahnen Joochen Lage, dessen Gebeine so »fein säuberlich« vom Urenkel begraben wurden. Und ich wollte, die dunklen Stechpalmen überwucherten alles mit ihrem satten Grün und ihren spitzen Stacheln. Und die leuchtend roten Beeren kündeten das Herzblut. Die Clemenskapelle steht verlassen, die Lampe ist verlöscht … Im Sinnen darüber (denn er hatte doch versichert, er wolle es nie mehr verlassen, noch versäumen) schritt ich nach dem Tempel. Der Tempel ist leer, – offen stehen die Türen … Eine alte Frau, mir unbekannt, rumorte mit allem Handwerkszeug, das man zum Säubern braucht, in den verlassenen Räumen umher. Sie sah mich feindselig an, und ich floh vor ihren spähenden Blicken. Mein Märchenwald stand schweigend. Kein Rauschen und Flüstern war zu hören; er hielt den Atem an. Das Waldweibchen grüßte mich traurig, der erhobene, einlaßwehrende Arm war abgeschlagen … Da schlang ich die Hände um den uralten, rissigen Stamm und sank an ihm nieder in die braune, streng duftende Heide. Und weinte, wie ich nie geweint. Lang anhaltend, bitterlich. – Andern Tags. Was ist nur geschehen? Was habe ich denn getan? Verfehlt? Versäumt? Wie Sonnenfinsternis liegt es über Lage. Aber noch gebe ich nicht nach. Meines Vaters Tochter darf und will nicht feige sein. Die 4-Uhr-Morgenstunde fand mich schon wieder gerüstet zum Tagewerke. Wohl mir, daß ich andern dienen darf, daß ich nicht mir selbst gehöre, sondern dem Herrgott, der mir meine Wege weist. – Diese Wege führten mich heute durch Disteln und Dorn. Mit widerborstigen Kranken und unbotmäßigen Gesunden mußte ich mich ärgern und hatte alle meine Kraft nötig. Und nahm sie zusammen und vermochte, milde zu urteilen und durchgreifend zu helfen. Auch im Pfarrhaus sprach ich vor. Aber die alte Dame ist noch krank, und da ich keine Aufforderung erhielt, an ihr Lager zu treten, so entfernte ich mich rasch wieder. In der Haustür traf ich mit Pastor Oswald zusammen, der ruhig und ernst wie immer und durchaus nicht unfrei mit mir sprach. Nur die scharfe Blässe seines vornehmen Gesichtes fiel mir auf. Er deutete leicht mit dem Kopf nach der Tür hin, hinter der die alte Dame das Bett hütet. »Sie wird nachgeben«, sagte er fest. Und fügte mit tiefem Ernst hinzu: »Lassen Sie mich weiter auf Ihre Hilfe hoffen, Freiin Brigitte.« Diese Bitte hat mir zu denken gegeben. Aber noch komme ich nicht hinter ihren Sinn. Denn ich meine, durch meinen Brief an Madame Oswald habe ich gezeigt, daß ich nicht helfen kann und nicht helfen will. – Meine alte Eva sieht aus wie Sturm und Gewitter, eitel Regen und wolkenverhangener Himmel. Durch einen inneren, mir unerklärlichen Aufruhr huscht sie wie eine Junge durch meine Räume, vermeidet aber trotzig jede Aussprache. Erst als ich meinen Arm um sie legte und bittend sagte: »Wenn du wüßtest, wie einsam ich bin, meine gute Alte, du gäbst mir scheffelweise Sonnenschein …«, da sah sie mich forschend an und streichelte ungeschickt meine Hand. Ließ sie aber gleich wieder fallen und murrte: »Andere und Bessere sind noch viel einsamer, und man nimmt ihnen den letzten Sonnenschein und freut sich an eigener Liebe.« – Eva, Eva, so dunkel hast du noch nie dahergeredet, und irgendeine Not hat dich gepackt, daß du nicht weißt, was du sprichst. – 27. Wunderliches, seltsames Leben! Mit diesem Gemeinplatz muß ich meinen Tag beginnen. – Mein tiefster Wunsch, einen Bruder zu haben, einen natürlichen Beschützer, ist in Erfüllung gegangen. Pastor Konrad Oswald. Er ist mir Bruder geworden. Und sehr fröhlich und befreiend schließt dieses Kapitel für mich ab. Madame Oswald freilich … Ich kann ihr hier nicht helfen. Eine echte Mutter muß diesen Weg allein zu ihrem Kinde finden. – Zwei Menschen standen heute vor mir Hand in Hand, nachdem Pastor Oswald zuerst über eine Stunde allein mit mir gesprochen hatte. Ich will sein zartes, liebes Bekenntnis, das mich ehrt und stolz macht, nicht einmal diesem stillen Folianten anvertrauen. Wenn er so groß ist, daß er eigenes Wollen begräbt, um die starke Linie zu verfolgen, die in dem Wahlspruch gipfelt: gut sein und glücklich machen, – wenn er nur an das Dorf denkt, an die trostbedürftigen Alten, an die Hilfeheischenden, an die Siechen und widerborstigen Gesunden, an das Edelmaterial, das in der Lager Jugend steckt … Oh, dann soll mein Bruder Konrad gesegnet sein! Weil er selbst ein Segen ist. Mit Maria Dörping hat er sich versprochen. Da kommen zwei Edelmenschen zusammen. Ich bin innerlich so tief glücklich darüber, daß ich mein Leid über den toten Wald und den leeren Tempel weit zurückzudrängen vermag. Fühle auch, welch starke Kampfnatur ich bin. – In dem Bestreben, diesen beiden zu helfen, wachsen mir noch ungeahnte Kräfte. Was für Widerstände gibt’s hier noch zu überwinden! Nicht allein bei der vornehmen Hamburgerin, der die Wahl des Sohnes ein so harter Schlag gegen alle Tradition bedeutet, daß sie ihn um jeden Preis abzuwenden versuchte. Auch der graue Alltag ist wie ein verstörter Ameisenhaufen. Das ganze Dorf zischelt und schilt und mutmaßt, und das einzige Lachende ist das breite Grinsen der Korb-Sina. Es ward ihr wahrlich nicht an der Wiege gesungen, daß ihr Schwiegerenkel einst der Pfarrer von Lage sein würde. Sie machte heute glänzende Geschäfte. Verkaufte ihre sämtlichen Körbe. Sämtliche Dörfler gaben sich bei ihr ein Stelldichein. Neues wollten alle über die unerhörte Begebenheit erfahren, und doch ist niemand auf seine Kosten gekommen. [Illustration] Außer der Korb-Sina. Die strich ihre Batzen ein und schwieg. Kicherte nur und hohnlachte wie eine rechte, echte Hexe. Aber nun hat sie ihre Stube aufgeräumt und ihr Gottestischkleid angezogen. Am Fenster sitzt sie geruhlich mit einem Strickstrumpf, und ihre Augen hängen an dem blühenden Myrtenbaum, der auf dem Sims steht. Den hat sie lange treulich für die Enkelin gehegt und betreut. Sie selbst und ihre eigene Tochter hatten der Myrte und ihres Sinnbildes nicht geachtet. Aber Maria Dörpings weißes Brautkleid wird von Myrten überrankt sein, und ihren feinen Kopf wird der grüne, geschlossene Kranz zieren. All das liest man im runenvollen Gesicht der Großmutter. Sie grüßt stolz jeden neuen Besucher und macht sich den uralten Sinnspruch auf ihre Art zurecht: »Ist der Zweig heilig, so ist es auch die Wurzel.« Noch geht die Mißgunst durch das Dorf Lage und den grauen Alltag. Aber dessen bin ich gewiß, es wird nicht standhalten vor Marias ernster Art. Sie wird sich nicht überheben, wenn sie die Gattin des Seelsorgers ist, vielmehr freiwillig den Panzer ablegen, mit dem sie sich umgürtet hatte, weil sie fühlte, daß man sie und die Großmutter mied. Für das Dorf war die Wahl, die Pastor Oswald traf, eine weise, er kann Besseres mit dem vermögenslosen, schlichten Dorfkind wirken, denn mit mir, seiner Patronin. – Auch äußerlich geben die beiden ein schönes Paar. Maria ist hoch und schlank, und ihre herben, feinen Gesichtszüge stimmen gut zu seiner hamburgisch rassigen Vornehmheit. Mir gegenüber hat sie eine reizende Ehrerbietung, aus der ich spüre, wie gut Pastor Oswald über mich geurteilt haben mag. Es wird ein gutes Zusammenwirken werden. – Abends. Ich glaube nicht, daß ich jeden Tag so arbeiten darf, wie ich es heute tat. Denn in dem toten Wald ist niemand mehr, der Einhalt gebietet. Und keinen Menschen auf Gottes weiter Welt stört es, wenn das Maschinchen einen Knacks bekommt. Ich habe in der Dämmerstunde die gelben Büttenpapiere in Atome zerschnitten und die stattliche Menge in ein seidenes Tuch geknüpft. Das ist nun ein weiches, weißes, vornehmes Ruhebett für meines jungen Lebens einzige Freude geworden. – Ich habe das Bündel zum Lager Wald getragen und unter einem Tannenbäumchen eingegraben. Nur ein kleiner Heidezweig schmückt das seltsame Grab … »Sie bringen ihre Garben und tragen edlen Samen …« So soll es sein. Viel Gutes soll aus diesem kleinen Hügel wachsen. – Denn was drinnen ruht, ist die Güte, die ein Fremder der einsamen Waise bot. [Illustration] Frühmorgens. Die großen, hallenden Räume im grauen Alltag werden mir zu eng. Zudem ist es Sonntag, und alle Waldglocken läuten ihn ein. So will ich hinauswandern zur Clemenskapelle, mit raschen, einsamen Schritten, ehe ich mit dem ganzen Dorf in der Kirche des grauen Alltags bete … Am Abend desselben Tages. Derselbe Tag, derselbe Abend. Aber ich? Wer bin ich? Doch nicht derselbe Mensch? Die Prinzessin Weißnichts, aus dem Hause Ohnearg? Die alle Möglichkeiten verschlafen hatte und ausging, das Glück zu suchen? O du mein einziger Lager Wald! Wie ich dir aberhundert Kosenamen gab, so gib du mir den rechten Ruf zurück: Prinzessin Weißalles! Prinzessin Findeglück! »Meinen Eingang segne Gott«, so rief ich heute morgen laut, als ich den Lager Wald betrat. Und just in diesem Augenblick legte sich die liebe Sonne wie ein breites, goldenes Band um meine braune Heide. Die zeigt schon viele rote Blüten und wartet nur noch auf die Mitte des Augustmondes, um in vollster, leuchtend roter Pracht zu strahlen. Und es taten sich Dome von silberstämmigen Buchen auf. Ihre Zweige reichten bis zum Himmel und klopften beim Herrgott an, daß Er sie segne … Wann hatte ich das schon einmal erlebt? Jähe Freude beflügelte meinen Schritt. Ein Lichtchen leuchtete durch die Tannenwildnis hindurch. Komm! winkte es, komm! Da lachten wohl meine Augen und mein ganzes Herz. Und ich grüßte die Clemenskapelle und die ewige Lampe. Auf der Schwelle des Kirchleins lag das zusammengesunkene Bündel, das ich so gut kannte in seiner Hilflosigkeit. »Bist du auch wieder da?« fragte ich liebreich. Und ich beugte mich nieder und küßte den armen Kopf mit dem borstigen, rötlichen Schopf. Da geschah etwas Schreckliches. Der Krüppel sprang in furchtbarer Gelenkigkeit auf und warf sich über mich. Jäh stürzte ich zu Boden und schlug hart mit dem Hinterkopf an den steinernen Fuß des heiligen Clemens. Da hab’ ich wohl gerufen, weit, weit hallend, in meiner gräßlichen Angst und Not. Und ebenso rasch ward ich auch der furchtbaren Bürde ledig, und ich sah, wie der Krüppel in eine Ecke flog und dann grinsend entwich. Und ich fühlte mich emporgehoben an ein wild klopfendes Herz und hörte eine wundergute, tiefe Stimme an meinem Ohr: »Um Gott, nicht diese angstvollen Augen, du! Hörst du mich? Gitti!« Und ich sagte ganz leise an seinem Ohr: »Sprich weiter, du! Ich habe so auf dich gewartet …« Da ließ er mich rasch aus seinen Armen, daß ich taumelte, und ich lehnte mich nun an den steinernen Heiligen, denn mir war’s, als drehe sich die ganze Kapelle um mich herum. Er aber stand vor mir, blaß und vornehm und verbeugte sich, als wären wir auf dem Parkett und nicht in grüner Waldwildnis, und sagte scharf mit ganz veränderter Stimme: »Ich bin Clemens, Freiherr von Lage.« – Da wich der ganze Märchenzauber weit zurück. Aber doch nicht so weit, daß ich in den gleichen, wunderlichen, frostigen Ton verfallen wäre, wie der Ritter Lage. »Ich bin die Regenschirmbase.« »Wirklich!?« Das klang, als ob er mit einem Kinde spräche. Sein Gesicht ist sehr veränderungsfähig. Viel Ironie, viel Spott, viel Ernst rumort darin. Ein Gran Bitterkeit zieht die Mundwinkel leicht herunter. In den dunkeln Augen liegt Güte. – Wir betrachteten uns ungewöhnlich lange. Als wollten wir uns innerlich festhalten. Und unser Gebaren stach seltsam ab von unsern kalten, förmlichen Worten. Dann tönte ein Klageruf durch den Wald wie von einem fernen, wunden Tier, und Ritter Lage wandte sich eilends und wortlos und entwich durch die Tannenwildnis. Er ist schlank und zart gebaut, nicht über Mittelgröße. Seinen linken Fuß zieht er nach, und die linke Hand scheint kraftloser zu sein als die rechte … Andern Tags. So soll es nicht weitergehen. Meine Arbeit darf nicht leiden unter dem, was mich gepackt hat. Es wirkt sich aus fast wie ein starker, körperlicher Schmerz. Solchem bin ich noch immer zu Leibe gegangen. – Ich hoffte, das Allheilmittel, das ich seit Jahren anwende, würde auch diesmal nicht versagen, – ein scharfer Marsch durch Wald und Heide. Aber es hat versagt. Liegt es daran, daß ich den entgegengesetzten Weg einschlug? Der Lager Wald und die Clemenskapelle waren mir durch die neue Sachlage verwehrt, so landete ich denn in einigen zerstreuten Katen, die jenseits der großen Lager Heide liegen. Hier fand ich neue Arbeit und neue Unrast und neue Sorgen: ein krankes, hilfloses Weib, einen Säufer, eine Stube voll Kinder, viel Ungeziefer und böse Gerüche. Solches Erleben hat mich sonst immer tapfer gefunden, heute machte es mich elend. Vielleicht deshalb, weil mein eigenes wunderliches feines Leid mich klein dünken mußte gegen das brutale Geschehen in den Häusern meines Dorfes. Wie der Säufer mich anstierte! Und wie sein jammervolles Weib doch noch in ihren Augen ein winzig kleines Fünkchen jenes Feuers barg, das »die Größeste unter den dreien, Glaube, Liebe, Hoffnung«, hütet. Ich sah, wie ein Lächeln über ihre erloschenen Züge ging, als dem vom Trunke Zermürbten das muffige Mahl mundete. Dies Lächeln redete in lauter Sprache, daß auch dies saure Leben noch Sonnenstunden gebiert, eben weil es nur sauer, aber nicht bitter ist. In dieser Erkenntnis durchquerte ich auf dem Rückweg die ganze weite Heide und sog mit durstigen Lungen die reine, herbe Luft ein. Streckte dabei beide Arme kraftvoll wieder und wieder weit empor und »atmete mir den Feind aus der Brust«. – 28. Ritter Lage hat eine Reise angetreten. Meine alte Eva spricht mit einem Male ganz geruhlich von ihm, als hätten niemals Rätsel rings in den Bäumen des Holländer Waldes gehangen … Der Freiherr bringt seinen Sohn in eine fest umschlossene Anstalt … Nach acht Tagen. Heute hat mir Ritter Lage seinen ersten Besuch gemacht. Tante Fernande empfing ihn. Ganz große Dame und ~ancien régime~. Ich verhielt eine Weile in meinem Zimmer. Denn ich hatte die beschämende Entdeckung gemacht, daß mein Kalenderblock noch denselben Tag zeigte, an dem der Enterbte und ich uns zum ersten Male sahen. Und jäh schoß mir das alte Lied durch Kopf und Herz: [Illustration: Der graue Alltag.] »Die Tage, da du fern von mir, die zählen nicht in meinem Leben« – –. Da riß ich wohl hastig die schwarzen Ziffern herab, bis der rote Sonntag leuchtend vor mir lag. Und konnte dann äußerlich ganz ruhig den seltenen Gast begrüßen. Er saß im roten Ledersessel, »darinnen die Lages ausrasten«. Seine dunkeln Augen sahen mich noch eine Weile ernst und gütig an, ehe er sich langsam an dem festen Stock aufrichtete, dessen Elfenbeinkrücke in seiner Rechten ruhte. Die alte Eva stand neben ihm und hatte in ihren Augen einen ruhigen Glanz. Und auf ihrem runzligen Antlitz ein stilles Lächeln voller Befriedigung, das sagte: Was wollt ihr nun noch? Es ist ja jetzt alles gut und in Ordnung. Tante Fernande saß auf der kleinen Estrade, jeder Zoll die Audienzgebende. Aber als Ritter Lage sie ruhig und schweigend anblickte, verschwand sie hastig, und Eva folgte ihr. Nun standen wir uns allein gegenüber. »Sie haben sich Muhme Jesuliebes Räume wunderbar heimelig eingerichtet«, begann er das Gespräch. »Man wird sich zusammennehmen müssen, um sich aus diesem Raum loszureißen. Denken Sie, wie entsetzlich es wäre, wenn ich immer hier bliebe …« Ich stand schweigend; es war mir, als läse ich einen der närrischen Büttenpapierbriefe. Ritter Lage deutete mit seinem Stock auf eine Ausbuchtung der Mauer, die in das Zimmer hineinragt. Sein Gesicht war blaß, seine Mundwinkel zuckten. Spott, Verlegenheit und Unbehagen lagen in seinen Mienen. »Die verehrte Regenschirmbase hat natürlich alles gläubig als Zauberei hingenommen«, sagte er mit seltsamem Lachen. »Das macht, weil Sie die Urkunde noch nicht kennen, und außerdem keinen Hang zur Neugierde haben. Ich aber hatte schon als 10jähriger Bub herausgefunden, daß sich hier eine ›Horchbucht‹ befindet. Wie Sie sie oft genug auf Plätzen, in alten Höfen, Toren und Burgmauern sehen können. – Gitti, Sie werden mir nachher die Ehre Ihres Gegenbesuches schenken. Lassen Sie den Knigge und den guten Ton in allen Lebenslagen einmal ruhig beiseite. Der graue Alltag braucht ihn nicht. Ich will Ihnen nur zeigen, daß seit 20 Jahren mein Schreibtisch in dieser Ausbuchtung steht, und daß ich laut Urkunde lebenslängliches Heimatsrecht in Lage habe.« Ich erschrak so heftig, daß ich mich am Tisch festhalten mußte. »Fallen Sie bitte nicht um, Gitti«, sagte Ritter Lage. »Mein linkes Bein ist heute besonders schmerzhaft, schief und verbogen, und die linke Hand kraftloser denn je. Ich würde mitfallen, wollte ich Sie aufheben. Glauben Sie auch nicht, daß es mir etwa Freude gemacht hat, den Horcher zu spielen. Ich hatte ein weit geruhigeres Leben, als Sie noch nicht Erbin des grauen Alltags waren. Sozusagen Schulter an Schulter arbeitete ich mit Muhme Jesuliebe, und nach der Arbeit schlüpfte die alte Dame durch die Tapetentür zu mir, strahlend und lautlos lachend darüber, daß sie mit 80 Lenzen noch diese geheimen Schleichwege gehen konnte. Wir waren uns sehr gut, Muhme Jesuliebe und ich. Sie war die interessanteste Frau, die ich je gekannt. Ebensoweit entfernt von künstlich erborgter Jugend, wie vom Quietismus des Alters. Als sie dann starb und Gitti hier einzog, gab ich natürlich immer Fersengeld, sobald sie das Zimmer betrat, denn ein geborener Horcher bin ich nicht, Regenschirmbase. Die Flucht war aber nicht immer möglich – mein Befinden ist großen Schwankungen unterworfen. Oft habe ich zähneknirschend auf dem Ruhebett gelegen, während Ihr lieber Plaudermund schier dicht an meinem Ohr seine Weisheit verzapfte.« Er war wieder sehr blaß, als er dies sagte, und ich regte mich nicht. »Kleine Gitti, es wäre barmherziger, wenn Sie schelten würden, anstatt so schrecklich stumm und vernichtet dazustehen. Wenn ich Sie so hinters Licht führte und nicht eher aus der Horchbucht hervortrat, so geschah es auch, weil ich allzu Köstliches in dieser Zeit gelernt habe. – Weil ich in eine liebe, ganz neue, wunderbar lichte Welt eintrat« … »Aber man darf doch nicht horchen«, wendete ich gequält ein und rang meine Finger ineinander. »Ach, kommen Sie mir nicht mit Ihrer Kleinkinderstubenweisheit«, sagte er ärgerlich. »Folgen Sie mir lieber in mein Reich und überzeugen Sie sich, wie weitab mein Ruhebett von der Ausbuchtung entfernt steht. Ich werde Sie hinübergeleiten und dann hierher zurückkehren. Mit ganz leiser Stimme werde ich von hier aus Ihnen abbitten, und Sie werden es trotzdem gellend in Ihren Ohren hören.« Nun lachte ich doch ein klein wenig. »Ich glaube das noch nicht«, sagte ich, ihm folgend. Er drückte auf eine Erhöhung in der Wand, und da tat sich langsam eine Tapetentür auf. Durch diese schoben wir uns hindurch, und sie fiel sofort wieder lautlos ins Schloß. Der Raum, den wir betraten, ist mir der liebste im ganzen Gewese. Groß und doch heimelig, mit ganz erlesenem Geschmack eingerichtet. Seine Spitzbogenfenster gehen zur schönsten Stelle des Parkes hinaus. »Hier ist gar kein grauer Alltag,« sagte ich still, »hier wohnt das Licht.« Aber ich redete nur zu mir selbst, denn Ritter Lage war schon wieder durch die Tapetentür entschwunden. Ich hörte seinen Stock im Nebenzimmer aufstapfen und vernahm auch das leise Räuspern, das »Junker Clemens« an sich hat. Inzwischen fesselte meine Augen ein großes Bild über dem kostbar geschnitzten Sofa, es war unser Stammbaum. »Joochen Lage« las ich zu oberst in den Zweigen. »Geboren 1595, gestorben 1642 in’t Lager Huus.« Ich setzte mich still dem Bilde gegenüber auf das breite, große Ruhebett, auf dem ein riesiges Eisbärenfell ausgebreitet war, und meine forschenden Augen schweiften weiter über die Zweige und Verästelungen des Stammbaumes. Da tönte es eindringlich in mein Ohr: »Kleine Gitti, hörst du mich?« Ich schaute mich um, aber ich war allein in dem schönen Raum. »Gitti Regenschirm, weißt du, daß _du_ das Licht im grauen Alltag bist?« »Nein, das weiß ich nicht.« »Gitti, wir sind viele Jahrhunderte durch grauen Alltag geschritten. Bis _du_ kamst. Nun kann es nie wieder ganz dunkel werden in’t Lager Huus.« »Ritter Lage, ich möchte das alles zurückgeben. Für mich war die ewige Lampe der Kapelle das Licht im grauen Alltag, und _du_ hast es entzündet, Clemens Lage.« – »Kleine Gitti, ich werde noch heute eine lange Reise antreten. Diese Reise wird großes Glück oder unfaßbares Leid bringen, mir und dir …« »Für mich ist es schon Leid, wenn du fortgehst, Ritter Lage …« »Gottes Segen über dich, Gitti, Seelchen!« Einen Augenblick war ich fassungslos. War es die Lichtfülle, die über mein einsames Leben hereinbrach? Die meine Augen so blendete, daß ich nichts in meinem Umkreis mehr unterscheiden konnte? Ich warf mich auf das Ruhebett und lachte und weinte in das weiße Fell hinein, und der vornehme Duft, der das ganze Zimmer beherrschte, legte sich schmeichelnd auf meine Sinne. Aber als ich dann aufsprang, weil die liebe, klangvolle Stimme verstummt war, und dann durch die Tapetentür in mein eigenes Zimmer schlüpfte, da war dieses kalt und dunkel und leer. Und wie in weiter Ferne sah ich das stille Gesicht der alten Eva, und hörte ihre trockene Meldung: »Der Herr Baron lassen sich bestens empfehlen.« 29. Es ist gut, wenn ein geliebter Mund Worte prägt, die dann zu Leitsternen werden. Mein Leitstern in all diesen Tagen, »die nicht in meinem Leben zählen, da er fern von mir«, war das Wort: »Es kann nie wieder ganz dunkel werden im grauen Alltag.« So konnte ich Sieger bleiben tausend kleinen Widerwärtigkeiten gegenüber und konnte Fröhlichkeit in mir tragen und Zuversicht tausendfältig abgeben. Trotz des Heimwehs, das mich schüttelt. Trotz der tiefen Sehnsucht nach seiner Stimme, seinen märchendunkeln Augen. Und ich vermochte es, meine Unrast einzudämmen, die mich umtrieb im Lager Busch, im Holländerwald und in der roten Heide. – Über Nacht ist das Blühen gekommen. Rot leuchtend liegt meine Heide da, weit ausgebreitet ihr schimmernder Teppich. Und die Sonne küßt sie wieder und wieder und kann sich nicht satt sehen an ihrer Schönheit. Der Morgenwind harft ein Preislied. In seinem Hauche neigen sich die Birken huldigend ihrer Heidekönigin, deren kraftvollem Schoße sie ihre schlanke Schönheit verdanken. Stärker duftet der Ginster, heilkräftiger der Wacholder. Über Mittag surren die Bienen heran, alles atmet rascher, – ein rastloses Arbeiten hebt an, ein liebedurchglühtes, ein starkes Schaffen. Dann wieder die betende Stille, die sonnendurchglühte Rast, bis der Sonnenball zum letzten Male die Kiefernstämme küßt, daß sie metallen glänzen. Und dann tot stehen, weil die leuchtende Mutter von ihnen wich mit einem letzten Gute Nacht. – Morgen, morgen leuchtet wieder die rote Heide! * * * * * Im Forsthaus ist geschäftiges Treiben. Es scheint, als solle dort wirklich das Glück Hüsung haben. Axthiebe schallen zu mir herüber, der alte Förster zimmert eine neue Wiege. Denn die mit Rosen und Tulipanen verzierte, in welcher Klein Erika ihren Einzug hielt, soll erst einmal in meinem Hause bleiben. So rasch gebe ich mein süßes Kind noch nicht her, wenngleich der junge Förster Nordstamm mich männlich-fest gebeten hat, ihm Rikas Kind zu überlassen, auf daß er seine Vaterpflicht nicht versäume. Ich habe es ihm versprochen. – Gese Tönnings blüht auf wie eine Sonnenblume. Das Glück, die Erwartung macht sie gut. – Und ich denke, wenn das Kind da ist, wird sein erstes Weinen selbst den Hammer übertönen, den der Großvater Schmied kraftvoll-zornig schwingt … Das Krankenhaus wächst, das Schulhaus glänzt in neuer Frische. Auch dort soll ein kleiner Weltbürger seinen Einzug halten. Der Lehrer teilte es mir strahlend mit. Überhaupt schaue ich in lauter helle Gesichter. Als hätten sie mit den Häusern zugleich einen neuen Anstrich erhalten. – Wie mir die Arbeit willkommen ist! Wie sie mich ablenkt von dem gewaltigen Geschehen in mir. Abzulenken _versucht_. Denn es bleiben immer noch Minuten, da mich mein neues Erleben stürmisch überfällt. [Illustration] Hei ho, hei ho! Ich bin ein Kämpfer und lasse mich nicht rasch unterkriegen. Aber ich bin auch ein Weib und ahne, daß ein Unterliegen süß sein kann, wenn kraftvolle Arme uns zwingen und ein echter, unverbrauchter, unzersplitterter Manneswille … Ritter Lage, wo weilst du? Ich habe heute die Ruine erstürmt, wie einst die Spanier die Burg. Habe mich an Eisenknäufen festgehalten und emporgeschwungen, und immer wieder fand mein tastender Fuß irgendeinen Vorsprung, bis ich den Söller erreichte. Droben ließ ich mein weißes Tuch durch die Lüfte wehen, es grüßte den Fernen. »Ich weiß nicht, wo du träumst und suchst und irrst, Ich weiß nur, daß du wiederkehren wirst.« 30. Die Hochzeitsglocken läuten über die Heide. Es liegt ein seltsames Drängen in ihren Klängen, Sie geben und schaffen mir Unrast … Förster Nordstamm führt heute Gese Tönnings heim. Und morgen ist Pastor Oswalds Hochzeit. Schmied Tönnings will keine Gäste haben. Er und seine Frau sind die Trauzeugen. Dann will er die Tochter ins Forsthaus selbst geleiten, so hat er es sich ausbedungen, nachdem ich ihn endlich soweit gebracht, die verlorene Tochter bei sich wieder aufzunehmen. Tief mußte sie sich beugen vor dem strengen Vater und die biblischen Worte nachsprechen: »Ich bin nicht wert, daß ich dein Kind heiße.« Aber die Liebe half ihr über alles Demütigende hinweg. Ich war heute für ganz kurze Zeit in der Schmiede. Wollte der Braut wenigstens ein Myrtenzweiglein bringen, damit das strenge, schwarze Kleid etwas Lichtes habe. Aber der Vater litt es nicht. Gese Tönnings muß alle Folgerungen aus ihrem Vergehen ziehen, und der strenge Vater führt ihre Mißgestalt durch die Lager Kirche an den Altar mitten durch die gaffenden, lächelnden oder mitleidigen Blicke hindurch. – Und morgen schreitet Maria Dörping denselben Weg in ihrer schlanken, herben Schöne und Reinheit. Aber der graue Alltag wird ebenso raunen und zischeln, und die Kirche wird noch gedrängter und voller sein. Denn man ist gespannt auf die Korb-Sina, die sich vor Hochmut nicht zu lassen weiß über den pfarrherrlichen Enkel und das Glück ihrer Enkelin. – Der Trauung des Försters Nordstamm bleibe ich fern. Es dünkt mich grausam, wie Schmied Tönnings sein Kind behandelt, da will ich die Schar der Zeugen nicht vermehren. Wie hart habe ich früher selbst geurteilt und verdammt. Von der hohen Warte der Unversuchten aus. Und bin mir nie des häßlichen Pharisäertums bewußt geworden. Nun ist dies überwältigende Erleben zum erstenmal über mich gekommen, und in tiefen, verschwiegenen Stunden meiner einsamen Kemenate frage ich mich, ob ich den Ritter Lage lieben darf? Mit jener brennenden Liebe, die alles glaubt und alles hofft? Lebt nicht sein Weib, und kann sie nicht gesunden? Muß ich nicht vielmehr jene entsagende Liebe in mir pflegen, die nicht das Ihre sucht? Oh, diese Zweifel und Fragen, die über mich herfallen mit scharfen Zähnen, mitleidlos … Sie quälen mich maßlos. Und sie sagen: Du Aufrechte, du! Wie stehst du da, wenn sein Weib ihn zurückfordert? Und mein Herz schreit auf und ruft dagegen, daß diese Frau als Irre lebt seit zwanzig Jahren, und daß selbst das Gesetz die Trennung erlaubt. – Aber sie kann gesunden … Herrgott, höre mich! Wenn sie gesundet und dem Einsamen wieder das Glück bringen kann, nach dem er verlangt, so will ich stark und groß überwinden. Vergib mir das kindische Stammeln an seinem Ohr. Zu strahlend das Licht, das über mich hereinbrach. So süß die erste Liebe. So neu die Welt, die du mir auftatest, deinem Kinde so unbekannt. – Da konnt’ ich wohl irregehen. Doch ich kenne den Weg, den mein rechtes Fühlen mich weist, und bewußt will ich nicht straucheln, noch fehlen. – Ich will auch dem fremden Manne vertrauen. Wohin mag ihn seine Reise führen? Tiefes Glück soll sie bringen oder brennendes Leid? So sicher ist er meiner Liebe, daß er beides in Betracht ziehen darf? Will er sich trennen? Kann es sein, daß ihm daraus Kämpfe erwachsen? Daß sie ihn nicht freigibt? Oh, so muß ich für uns beide stark sein. Vater, du kannst dich auf deine Tochter verlassen. Feige wird sie niemals sein. Aufrecht und einsam will ich meinen Weg gehen, wenn es in meinem Schicksalsbuche also geschrieben steht, daß ich dem _einen_ nicht folgen darf. – 31. Drei Tage später. Was heute zu mir geschritten kam, sah dem Glück nicht gerade zum Verwechseln ähnlich. Aber was es mir brachte, war doch ein winziger Bruchteil davon. Das liebeverwöhnte Kind eines liebereichen Vaters ist bescheiden geworden … Ohm Matthias Lage kam mit einem Bündel angegangen, in nichts von einem reisenden Handwerksburschen zu unterscheiden. Da ich auf der weißen Bank vor der Ruine saß, lud ich ihn gleich ein, sich neben mich zu setzen, und er berichtete recht gedrückt von seiner Lehrzeit beim »Vetter Lage«. Mein Anblick und der von Haus Lage schien ihn aber sehr zu heben, denn er wurde von Minute zu Minute aufgeweckter und übte schließlich eine recht laute und schonungslose Kritik an seinem Brotgeber. »Wenn ich bedenke, geliebte Nichte, daß dieser Clemens einer der reichsten Grundbesitzer ist, so muß es dich und mich empören, wie knapp er mich gehalten hat. Auf halbe Ration hatte er mich gesetzt, und alkoholische Getränke habe ich überhaupt nicht zu sehen bekommen, trotzdem ich weiß, daß dieser sogenannte ›Abstinent‹ den Keller voll Rheinwein hat und ihn auch gebührend zu schätzen versteht.« »Davon weiß ich nichts«, sagte ich eisig abwehrend. »Freiherr Lage hat es jedenfalls gut mit dir gemeint. Und mit _mir_ auch«, setzte ich mit einiger Betonung hinzu, die auch ihre Wirkung tat, denn Ohm Matthias empfahl sich rasch. Als er über den Rasen schritt, sah ich aus seiner Rocktasche einen großen Briefumschlag ragen, der eine atemberaubende Ähnlichkeit mit gelbem Büttenpapier hatte. »Hat Freiherr Lage dir nichts aufgetragen an mich?« rief ich ihm nach, heiser wie ein kranker Vogel vor Erregung. Er schlug sich vor die Stirn und drehte sofort um. »Der Clemens? Natürlich! Natürlich! Seine ergebensten Empfehlungen und dieses Handschreiben. Du mußt wissen, liebe Nichte, der Knabe Clemens ist immer Grandseigneur, trotz Humpelbein und verkürztem Arm. Armen Verwandten gegenüber natürlich Knote. Aber Standesgenossen in guter Assiette halten ihn für vorbildlich.« In mir regte sich eine tiefe Abneigung gegen den Schwätzer. »Du hast an seinem Tisch gesessen, Ohm Matthias«, sagte ich streng. »An seinem Tisch«, wiederholte er kläglich. »Leuteessen hat er mir verabreicht. Und doch bin auch ich ein Freiherr Lage, und Clemens weiß genau, daß ich russischen Kaviar höher schätze, als Reisbrei.« Er schlurfte davon, und ich hielt mein Büttenpapier in der Hand und löste den Umschlag nicht eher, als bis Ohm Matthias in die Hauspforte eingetreten war. – Ritter Lage schreibt: »Mancherlei Dinge sende ich in den grauen Alltag. Gitti, die Leuchtende, wird sie sich verklären und mir besonders über das _eine_ nicht zürnen, das Ohm Matthias benamset ist. Er soll später ganz nach Holland übersiedeln … Vorläufig aber bitte ich die Samariterin, sich noch eine Weile seiner anzunehmen. Karge Kost, viel Arbeit und als Belohnung Sonntags ein Glas sauren Mosels. Also lautet mein Rezept für ihn. – Ferner kommt ein Riesenkoffer, von dem Ohm Matthias noch nichts ahnt. Er enthält eine vollständige Garderobe, die Base Gitti ihm je nach Bedarf verabreichen soll. Ohm Matthias ist immerhin ein Lage, und ich hoffe, daß der anständige äußere Mensch Einfluß auf den innern gewinnt. Halten Sie aber jeden Handelsjuden von ihm fern, denn unser Vetter neigt dazu, seine äußere, irdische Hülle in Alkohol umzusetzen. Das Dritte wird durch einen Vertrauensmann an Sie selbst abgegeben werden. Nicht jede ›Frawe von Lage‹ hat Freude daran gehabt. Denn es ist ein ›strenges‹ Geschenk. Tief ernste Steine sind es, und doch wird Ihr fröhliches Herz ihnen entgegenjubeln. Topase können nur reine Frauen tragen, anders geartete lehnen sie ab. Der Schmuck der Frawen von Lage hat 107 Jahre im Schranke eines alten Schlosses in Holland geruht. Ich weiß, daß Sie seine Schönheit ganz bewußt wieder auferstehen lassen werden. – Das vierte Päckchen … Gittibase …, du Lichtchen von Lage, das gebe ich dir selbst, oder grabe ihm im Lager Wald ein Grab. Der ist ohnehin ein rechter Friedhof für das Glück der Lages. Behüt’ dich Gott! Clemens.« Er gibt es mir selbst, oder … Hinter dem »Oder« liegen die Kämpfe, liegt das Entsagen. Fast fürchte ich, ich bin dem Glück weit weniger gewachsen, als dem Leid. Dieses habe ich zur Genüge durchkostet, als die vier Augen sich für immer schlossen, die meine ›heilige Kindheit‹ behüteten. Jenes aber birgt für mich unfaßbare Möglichkeiten. Vor denen ich mich schier fürchte. Und die ich doch herbeirufen möchte, weil ich sonnenhungrig und voll Sehnsucht bin. – 32. Pastor Oswald ist vorbildlich. Ich habe ihm heute wieder und wieder die Hand geschüttelt, sein junges, feines, herbes Weib stand strahlenden Blickes daneben. Er konnte seine Hochzeit innig froh begehen, denn er hat das gestrige Fest, das wohl zu einem Pranger für Förster Nordstamm werden konnte, durch Herzensgüte und Männlichkeit zu einem Ehrentag umgewandelt. In aller Herrgottsfrühe ist er gestern zum Schmied gegangen und hat ihm bedeutet, daß er seine liebe Kirche nicht dazu hergäbe, ein Komödienhaus zu sein. Denn er wüßte, daß die Weiber von drei Kirchspielen sich aufmachten, um Gese Tönnings in gesegneten Umständen zu sehen, dazu als Vater und Großvater die hochangesehenen Erbförster. Er gäbe also dem Schmied anheim, eine stille Trauung in seinem oder des Försters Hause stattfinden zu lassen, anders der Pfarrer die Trauung ablehne. – Wohl ist dem Schmied der Zorn hochgekommen, daß seine Strafe an der Tochter nicht zur Ausführung gelangen sollte, aber vielleicht gab er nach, weil er an die aufregungslüsternen Dorfweiber denken mußte, die nun unbefriedigt abziehen würden. So habe ich auch dieser Trauung beiwohnen können und hörte eine liebe, warme kurze Ansprache meines Bruders Oswald. Und heute war seine eigene Hochzeit, die auch eine Überraschung bot. – Denn aus meinem Hause heraus holte sich der Pfarrer seine Braut. Die Korb-Sina hat eine Feinfühligkeit bewiesen, die wir ihr alle nicht zugetraut. Ganz heimlich, und doch wohlvorbereitet, hat sie Dorf und Haus verlassen, um kein Ärgernis zu geben. Dadurch ist die verachtete Frau eine Mahnung geworden für die selbstgerechte, vornehme Mutter des Pfarrers, die sich nicht überwinden konnte, mit der Korb-Sina an einem Tische zu sitzen, und deshalb in Hamburg blieb am Ehrentag des Sohnes. Wie seltsam das alles! Wie verworren die Ehrbegriffe in der Brust einer in Tradition versteinten Frau. So übernahm ich die Rolle der Brautmutter, ließ Maria Dörping in den grauen Alltag übersiedeln, um ihr das Erwachen im lichten Sonntag des jungen Eheglückes doppelt sonnig zu gestalten. Ohm Matthias war stellvertretender Brautvater. Ritter Lage hatte recht mit der Annahme, daß der äußere Mensch den inneren stark beeinflußt. Ohm Matthias war ganz Würde in den neuen Kleidern, und hätte er ein Vermögen zu vergeben, so würde er dies heute Maria Dörping und ihren zukünftigen Kindern vermacht haben. Auch um des schönen, dankbaren Lächelns willen, mit dem die eltern- und verwandtenlose Braut ihn empfing, um an seinem Arm in die Kirche zu schreiten. Wenn der Gotteshimmel draußen sonnig über diesem Hochzeitstag strahlte und in Marias Herzen seinen Abglanz fand, so sorgte der im Ruhestand lebende Pfarrer, welcher die Traurede übernommen hatte, dafür, daß sie beide durch Fegefeuer schritten. Der geharnischte Prediger erließ ihnen nichts. Er selbst muß Erschreckliches in seiner längst durch den Tod gelösten Ehe durchgemacht haben, sonst hätte er dem Paar nicht so erbarmungslos die möglichen Schrecken und Schatten ihrer Zukunft vorführen können. Über eine Stunde waren wir wirklich im grauen Alltag, und der Pastor unterließ es, das kleinste Lichtstümpfchen anzuzünden. – »Hu«, schüttelte sich Ohm Matthias, als er aus der Kirche trat. Behauptete auch nachher kühn, der Trautext habe gelautet: »Heiraten ist gut, Nichtheiraten ist besser.« Aber ich habe den Spruch gut behalten und weiß, daß es die strenge Mahnung war: »Die Welt vergehet mit ihrer Lust, wer aber den Willen Gottes tut, der bleibet in Ewigkeit.« Einige Tage später. Heute weiß ich, daß wir alle vielleicht das Rechte taten, aber nicht das Richtige für den grauen Alltag, für das Dorf. Ich spüre auf Schritt und Tritt, daß ich an Vertrauen eingebüßt habe. Und bin zu der Erkenntnis gelangt, daß ich wohl verwickelten Gedankengängen gescheiter Menschen zu folgen vermag, daß ich aber der einfachen Selbstverständlichkeit meiner Bauern noch wie ein Kind gegenüberstehe. Wie sehr fehlt mir jetzt Ritter Lage. – Der Kluge würde wohl rechten Rat reden. Unschätzbar waren seine gelben Büttenpapiere. Und ich Törichte grub ihnen ein Grab im Lager Wald, anstatt die Worte lebendig neben mir zu lassen, auf daß ich nachschlagen konnte. Hätte ich es wohl für möglich gehalten, daß das Dorf die Korb-Sina vermissen könne? Die man ihr ganzes Leben lang geschmäht und verlästert? Jetzt gebärden sich die Leute, als sei das Wertvollste verlorengegangen, und wir, der Pfarrer Oswald, seine Maria, ich und der graue Alltag seien die Schuldigen. – Das verlassene Haus der Korb-Sina ist immer von Neugierigen umlagert. Ich sehe dort täglich nach dem Rechten, denn die Eigentümerin wird und muß ja wiederkommen. Wenn ich mich nahe, weichen die Dörfler zurück und lassen mir freien Weg ins Haus, zu dem ich die Schlüssel habe. Sie grüßen widerwillig, ich merke es wohl, und es tut mir weh. – Pastor Oswald sucht nach Marias Großmutter mit steter Emsigkeit, sie ist wie vom Erdboden verschluckt. – Ich selbst bin etwas ruhelos geworden, seit mir Klein Erika fehlt. Auf Pastor Oswalds Rat habe ich das Kind seinem Vater hingebracht und bekam strahlende Freude zum Lohn. Fand auch wirklich das Glück in der Erbförsterei. Gese Nordstamm, geborene Tönnings nimmt sich rührend des Kindes, wie auch des Großvaters an, der mit nimmermüder Sorgfalt beim Wiegenzimmern ist. Und leuchtende Farbtöpfe stehen bereit, um die Rosen und Tulipanen der älteren Wiege, darinnen Klein Erika ruht, noch zu übertreffen. Wenn das Kind geboren ist, hoffe ich, daß auch Schmied Tönnings das Forsthaus betreten und das gleiche seiner Frau erlauben wird. – Für diese sturren Trotzköpfe sind es nur leere Formeln, was die Kirche tut. In ihrem eigenen Innern haben sie sich Gesetze aufgerichtet, die sie bis zur Selbstvernichtung befolgen. Auch Schmied Tönnings ist mein Widersacher geworden, der mir nachträgt, daß Pastor Oswald ihn zwang, gut und verzeihend zu _scheinen_. Ich sitze ganz untenan auf unseres Herrgotts Schulbank und lerne. Er möge erfüllen, daß einmal die Letzten die Ersten sein werden. * * * * * Baron Ellers hat sich erschossen. Auf der Grenze zwischen seinem Gut und dem Lager Wald hat man ihn gefunden. Ich hörte die Nachricht durch meinen Gärtner, und heute hat es mir Frau von Heidkamp in einem längeren Schreiben bestätigt. Ich darf mich mit dem Gedanken nicht aufhalten, daß mein ererbtes Geld diesen Leichtsinnigen vielleicht dem Leben erhalten hätte. Ich muß, bis ich fester in eigenen Erfahrungen wurzle, meines Vaters Leben und Gedanken als Richtschnur behalten, damit ich nicht fehlgehe: er, dessen Grundton verstehende und verzeihende Liebe war, verachtete die Spieler … Herr und Frau von Heidkamp bitten mich, sie nicht nur als Nachbarn, sondern als Freunde zu betrachten. Das will ich auch tun. Diese beiden Lebenskameraden gehen recht Hand in Hand. Sie haben das Leid in mancher Form kennengelernt. Eine schöne, liebenswerte Tochter ist ihnen gestorben, ein leichtsinniger Sohn lebt, schafft ihnen Kümmernisse und läßt sie um das Bestehen ihres Gutes bangen. Wir wollen feste Tage ansetzen, an denen wir zusammenkommen. Für großen Verkehr fehlt mir jegliche Veranlagung und die Zeit. Auch ist mir mein Lebensplan ja vorgezeichnet … »Das vierte Päckchen, Gitti, gebe ich dir entweder selbst, oder ich grabe ihm im Lager Wald ein Grab …« Nun muß ich warten, worin das vierte Päckchen besteht. Ich falte meine Hände. – 33. Der Schmuck der Frawen von Lage ist köstlich, und wahrlich, mein Herz hat ihm entgegengejubelt und lacht noch heute. Und doch sind es die ernstesten Steine, denen ich je begegnete. Sie lasten nicht schwer, ich kann den Kopf auch unter dem Topasendiadem hoch halten. Und doch haben sie Zwingendes an sich. Die Sinnbilder der Reinheit mahnen: »Wir sind dein, du bist unsere Erbin. Erwirb uns, um uns zu besitzen.« Jeder Topas ist von einem feinen Strahlenkranz kleiner Brillanten umgeben. Nie habe ich sonst diese Zusammensetzung gesehen. Nur ein Ringlein fehlt bei dem Schmuck. Die beiliegende Urkunde besagt, daß die Topase vor 107 Jahren ihre Besitzerin im Tode und im Sarge geschmückt haben. Vielleicht ist der Ring an der Hand der Toten geblieben, – sie ruhe in Frieden. Den anspruchslosesten Teil des Schmuckes, die Brosche, habe ich mir zurückbehalten und trage sie täglich. Das Halsband will ich zu einem weißen Tuchkleid anlegen an dem Tage, da Ritter Lage mir wiederkehrt. Denn wiederkehren muß er ja … Und wird mein Haus und Heim betreten … Und wird mir das Glück bringen, oder das Entsagen … Wenn das Glück geschritten kommt, dann trage ich das Diadem, – – den Brautschmuck der Frawen von Lage. Hilf Gott, – dieser Gedanke macht trunken … Einige Tage später. Mit einem Schlage bin ich sehr klug und weise geworden. – Heute erging ich mich im Lager Wald. Freilich mied ich den Märchenwald und die Clemenskapelle, umging ängstlich die schmale Wegspur, die zwischen Stechpalmen und Farnen nach dem Tempel führt. Ein Knacken seitwärts im dürren Unterholz schreckte mich auf, und da sah ich die Korb-Sina, die ihre große, blaue Schürze mit Tannenzapfen füllte. Ich verhielt meinen Schritt, die Entdeckung war mir wertvoll, und ich wollte sehen, wohin sie sich wenden würde. Sie drehte mir den Rücken zu, mochte aber plötzlich fühlen, daß sie nicht allein sei, denn ein rauher Ton kam aus ihrer Kehle. Fast wie ein Aufschluchzen. Dann kollerten die vielen Tannenzapfen zur Erde, und unbekümmert durch das sie hemmende Unterholz stürmte sie auf mich zu. – Breit grinsend, laut auflachend und mit dem Ungestüm eines Kindes dann wieder weinend, so stand die alte Frau endlich vor mir. »Ist sie glücklich?« stieß sie hervor. »Ist der Pastor gut zu meiner Maria?« Das war die einzige Sorge der verachteten Korb-Sina … Wir standen Hand in Hand im Lager Wald, mich zog etwas zu der alten, wilden Frau, das ich nicht mit Namen nennen kann. Dann erzählte ich ihr von Marias Ehrentag, von unserm Suchen nach Korb-Sina selbst, und riet ihr, ruhig wieder ins Dorf zu ziehen, die Lager würden sie besser aufnehmen als selbst mich, ihre Patronin. »Die Lager?« rief die Alte verächtlich. »Die kenne ich. Die schreien heute ›Hosianna‹ und morgen ›Kreuzige‹. Die sind noch so, wie man vor tausend und mehr Jahren war. Nein, ich bin gut aufgehoben, und wenn die Baronin nur nachsehen will, daß man mir nichts stiehlt, oder das Haus anzündet, dann hab’ ich keine Not.« »Wo steckst du, Sina?« fragte ich leise; denn wenn man diese Waldhexe ansah, konnte man nur ein böses Geheimnis hinter ihr vermuten. Aber sie erzählte ganz offen, daß sie am Tage ihrer Flucht nicht gewußt habe, wo sie ihr Haupt hinlegen solle. Nur der eine Gedanke habe sie umgetrieben, daß sie selbst ein Schandfleck auf Marias weißem Kleide sei, und daß es am besten wäre, wenn sie im Walde stürbe. Aber da habe sie plötzlich ein großer Hund aufgestöbert, und dem Hunde sei der Herr gefolgt, der »verrückte, lahme Holländer«. »Warum nennst du ihn verrückt?« fragte ich zornig und rasch. »Weil er’s ist«, sagte sie ruhig. – »Wenn jemand Schlösser und Häuser die Menge hat, dazu ein irrsinnig Weib seit 20 Jahren, und er vergräbt sich diese 20 Jahre in den grauen Alltag, um seinen blöden Sohn zu pflegen, dann ist er verrückt. Und sucht er keinen Umgang als die schrullige Jungfer Jesuliebe, Gott hab’ sie selig, dann ist er wiederum verrückt.« Sie lachte widerlich. »Früher, als ich noch jünger war, hätte er mich nicht mit der Feuerzange angerührt, aber dazu war ich ihm gut genug, sein Zimmer im grauen Alltag in Ordnung zu bringen. Die alte Eva durfte beileibe nicht merken, daß er da hauste. Hei, wie die mich verachtete, wenn sie mal ins Dorf kam! Und ahnte nicht, daß ich jeden Morgen durch den unterirdischen Gang ›in’t Lager Huus‹ schlüpfte. Und in der Horchbucht vernahm, was sie sich drinnen mit der Herrschaft erzählte.« »Warum betreute ihn die alte Eva nicht selbst?« fragte ich befremdet. »’s war ’ne Marotte vom Herrn Baron«, war die Antwort. »Die Eva ist gern mit dem alten Herrn Pfarrer zusammen, und dann läuft ihr der Mund und das Herz fort. Von mir aber wußte der Herr Baron, daß ich das verfemteste Weib im ganzen Dorf war und mit niemand zusammenkam. Und grad so was Heimliches, das hat mich immer gelockt«, schloß sie krächzend. »Aber nun ist da doch nichts Heimliches mehr«, sagte ich ungeduldig. »Nein, nicht viel mehr. Als die Baronin Jesuliebe starb und kurz darauf Baronin Brigitte einzogen, da war der Herr Baron unstet und zerfahren und fand, daß alles ein Unfug sei, und hat mich meines Dienstes entbunden. Von da ab gab er sich der Eva zu erkennen.« Sie lachte grell. »Ich wäre wohl überhaupt nie in sein Versteck gekommen, hätte er gewußt, daß ich vor dreißig und mehr Jahren durch den unterirdischen Gang zu seinem Vater schlüpfte … da trug Junker Clemens noch kurze Höschen …« »Schweig!« rief ich außer mir. Die Korb-Sina hob abwehrend ihre Hand. »›Schweig!‹ So schreit man einen bellenden Hund an. Vielleicht bin ich einer. Aber Sie, Baronin Brigitte, sind noch wie ein Kind. Und Sie kennen die Liebe nicht und wissen nicht, wie sie einen packen und unterkriegen kann, also daß man auf Ehre und Zucht vergißt. – Nur fleißig beten, Baronin Brigitte, daß der Geist willig bleibt und das Fleisch stark … Die Liebe kümmert’s nicht, ob sie einfährt in Vornehme oder Geringe, in Gebundene oder Freie …« Wie eine Sibylle stand sie da. Ich hielt eine Birke umklammert, und mir war’s, als schlüge mich die alte Frau. Sie wendete ihr runenreiches Antlitz mir zu, aus dem die schwarzen Augen noch jugendlich funkelten. »Die Fräulein Baronin können mich auch nicht mehr niederdrücken oder beleidigen«, sagte sie ruhig. »Denn der aufrechte Herr Pastor Oswald ist mein Enkel geworden, und der Herr Baron von Lage hat meine Hand in seine genommen. Und hat mir gesagt, als ich ihm von meiner Flucht erzählte, daß meine Gesinnung ehrenhaft sei …« Sie schritt durch den Wald, und es war, als sei ihr krummer Rücken mit einem Male geradegeworden. Und als gliche sie der aufrechten, herben Enkelin Maria. – 34. Ich höre nichts vom Ritter Lage. – Jeden Morgen schaue ich nach dem Hause der Korb-Sina und nehme den Staub von den Möbeln des noch hochzeitlich aufgerüsteten Stübchens. Es ist, als ob ich damit den Staub vom Namen der Korb-Sina nähme. Zünd an, Brigitte! Immer mehr lerne ich das Wort verstehen. – Ich denke nicht an Liebe, ich denke nur an Arbeit. Und wenn mein Puls einmal rascher schlägt, dann ist’s das Wohl meiner Dörfler, was mich bewegt, ist’s die werktätige Nächstenliebe, die mich durchströmt. Die Dörfler meiden mich noch. – Ich will und muß sie mir zurückerobern. Der Gedanke, daß ich irgendeine Pflicht verabsäumte, drückt mich sehr. Mein Herz möcht’ ich aus der Brust nehmen und es ihnen entgegentragen. – Gottlob, daß ich die Dorfkinder wenigstens mein eigen nennen kann. Durch ihre Herzen hindurch werde ich den Weg wieder zu den Großen finden. [Illustration] Die Kleinen begrüßen mich mit Hallo, wo sie mich sehen, und betteln um »Geschichtens«. Die gebe ich ihnen bereitwillig, wenn mich so ein ganzes Trüppchen nach entfernteren Katen begleitet. Das darf aber auch nicht zu oft geschehen, weil in einigen Häusern die Kinder schon rechte Hilfen sein müssen, oft bei schweren Arbeiten. Das möchte ich alles noch ändern. Möchte die Dorfkinder als ranke, schlanke Bäumchen heranwachsen sehen, nicht als krumme Zwerglein mit gewölbtem Rücken und schiefen Beinchen, wie sie jetzt in dreifacher Auflage neben mir her humpeln. Und die kleinen Mädchen mit schweren Verhebungen, die vernachlässigt worden sind und sie nun von jeder Lebensfreude ausschließen. Ich begegne da oft bei den Eltern einem erschreckenden Stumpfsinn. »Krumme Bäume hat Gott auch lieb«, sagte mir gestern eine Mutter. Mit diesem Gemeinplatz tröstet sie sich, daß ihr Kleiner, während sie »zu Tanz ging«, einst aus dem Bettchen fiel. – Pieter Dinkel ist ein interessanter Junge. Weit über seine 8 Jahre hinaus geistig gewachsen. Dafür körperlich um so jämmerlicher zurückgeblieben. Seine Augen sehen mich immer so ergründend an, und ich helle mein Gesicht bewußt auf, wenn ich mit ihm spreche. Sobald er viel gute Liebe und Verständnis spürt – und wann gäbe ich die ihm nicht –, so wird auch sein gescheites Gesichtchen licht, und er plaudert recht und gibt seine Schätze her wie ein aufgeschlossenes Schatullchen. – Gestern war unser Donnerstag, der Märchennachmittag, der von den Kindern ebenso glühend herbeigewünscht wird wie von mir. Da bin ich Kind unter Kindern. Andersens Märchen von den Störchen entzückten uns alle, ich habe ja nicht nur zuhörende Kinder, sondern auch ein paar von den Ältesten des Dorfes darunter. Denen bietet die Wirklichkeit nichts mehr, und sie flüchten sich deshalb in das Kinderland, das ihren 80 und 90 Jahren wieder nahe liegt. – Pieter Dinkel war eifrig um meine Aufklärung bemüht. »Du … dat mit’n Storch is ni wohr!« sagte er mir gestern, und ein großer Teil der Rotte Korah stand ihm eifrig bei. »Morgen fröh will ik di dat vertellen, wie dat is …« Aber als wir uns heute morgen trafen, um große Äpfelmengen aus meinem Obstgarten in die Katen zu bringen, was immer einen Freudentag bedeutet, da stellten sich auf der Wiese all die kleinen Neunmalklugen vor Storch und Störchin hin, die auf der Wiese stolz einherstelzten, und sangen mit schallender Stimme: »Storch, Storch, Bester! bring’ mi ’ne lüttje Swester.« Und Pieter Dinkel war der Vorsänger. – Und über all der Märchenpoesie vergaßen die Kinder, mir klarzumachen: »wie dat würklich is«. Ehe sich die Störche zum Fernflug rüsten, haben sie das Lehrerhaus noch mit Zwillingen bedacht. Frau Mien weinte, als ich heute bei ihr war; sie meinte, es sei des Segens zu viel. Da tat mir des Lehrers strahlendes Gesicht recht wohl, der ein wahrer Kindervater ist. »Alle neune!« rief er mir entgegen, recht wie ein vergnügter Kegelbruder, während er vorsichtig ein rosa und ein blaues Bändchen um die winzigen Handgelenke der Neugebornen knüpfte. Nun wissen wir, wer Lina und wer Stina ist. – Natürlich bin ich Patin von den Zwillingen. Mit warmen Worten trug man mir dies Ehrenamt an, und ich will es mit der Gewissenhaftigkeit versehen, wie es in meiner Thüringer Heimat noch Sitte ist. – Am Tage darauf. Heute tat ich einen seltsamen Fund. – Er paßte so gut zu dem herbstlichen Wetter, das plötzlich eingesetzt hat und mich nach prasselndem Kaminfeuer verlangen ließ. Und dabei war mir, als ob Ritter Lage sich ganz in meine Gedankengänge hineinversetzt hätte. Das ist natürlich eine lächerliche Annahme. Aber ich schaffe mir solche Lichtchen in den grauen Alltag. – Als ich gestern anfing zu frieren, dachte ich an Ohm Matthias, der mir in einem hellgrauen, leichten Röckchen herumgeistert, von dem er behauptet, es stände ihm besonders gut. Ich aber hielt den dicken, dunklen Flauschrock, der sich in dem Riesenkoffer vorfand, seinem rheumatischen Adam für angemessener und holte das warme Kleidungsstück herbei. In die Brusttasche wollte ich ein reines Seidentuch stecken, denn Ohm Matthias ist Schnupfer. Und ich bin doch dem Ritter Lage für die Sauberkeit der gespendeten Sachen mit verantwortlich. Da entdeckte ich ein Buch in der Brusttasche … Es ist ja unmöglich, daß der Flauschrock 150 Jahre alt sein kann, also daß der Schreiber selbst das Buch darinnen vergessen hätte. – So sendet es mir also Ritter Lage in meine Einsamkeit und wünscht, daß ich mich immer weiter in der Familiengeschichte vervollkommne. (Siehe oben.) Bin ich mit dem Studium fertig, so füge ich das schlanke Büchlein dem ehrenfesten Folianten ein, damit meine Nachfahren nicht so lange wie ich im Dunkel herumzutappen brauchen. 35. Lager Huus, 12. November 1762. Ich, Freiherr Thassilo von Lage bin hier seßhaft worden an der holländischen Grenze in’t Lager Huus. Das ist ein verflucht altes Gerümpel. Da möcht’ ich schier lieber noch mit meinem gnädigsten Herren dem alten Fritzen kampieren. Im Zelt, durch das der Regen surrt. Und mich mit den Podagraknochen herumschleppen in Dreck und Jammer wie bei Kollin, und dann wieder brüllen vor Freude wie bei Leuthen: »_Nun danket Alle Gott!_« Das waren noch Zeiten! Nun soll ich hier fest sitzen auf eigenem Mist und alle Morgen krähen. ~Mille tonnerres.~ Solches war nicht wohl getan von der Mynheersippen mich alten Haudegen erben zu lassen. Ich dachte lieber wie jener alte Tscherkessenfürst, dem sein Panzerhemde, sein Haß und seine Freiheit unverkäuflich waren. – Ja, hätt ich mein jung, schön Weyb noch, da sollts wohl ein Wonnen ohngleichen sein in dieser Einsamkeit zu hausen. Und es hätte ein weites Revier in der grenzenlosen braunen Heide gehabt, um sich schelmisch vor mir zu verbergen. Wär aber heuer auch nicht mehr so behend wie dazumal, – als ichs hergeben mußt an den Sensenmann. – Hol ihn dieser und jener!!! Als ichs meinem allergnädigsten Herren gehorsamst vermeldete, was ich für ein Erbe getan, fluchte der alte Fritz nicht wie ein Stadtsoldat? ~Mille tonnerres!~ Und schlug er sich nicht auf die Schenkel und lachte, daß ihm der Odem fortblieb? Und schrie er mich nicht an?: »Baron Lage, ich rat Ihm, gewöhn’ Er sich das Saufen an, denn vor schöne Weiber ist Er zu häßlich und hat auch nicht die ~mériten~ dazu. Aber das Saufen allein kann Ihn retten, daß Ihn nicht der ††† holt in dem _grauen Alltag_ da unten an der holländisch Grenz’. Sauf Er Lage, sauf Er feste!« Und hat mein allergnädigster Herr nicht somit das Wort geprägt wie eine Münz’? _Grauer Alltag!_ Dabei solls bleiben! [Illustration] Grauer Alltag! Das paßt auf dieses ganze Klima. Paßt auf den dusteren Wolkenhimmel. Paßt auf die Ödweiligkeit des Dorfes und auf meine eigene. – Hab ja auch noch Kunersdorf zu verdauen gehabt. ~Mille tonnerres!~ Kriegsglück ist wandelbar. Habe mich und mein Leid und den gachen Zorn über die Misere vergraben in den »dorischen Tempel«. Der liegt just an der Grenze von Holland und Hannover. (Preußen?) Man kann auf zweierlei Art diese Grenz überschreiten. Entweder man läßt sich durch Stechpalmreiser zermürmeln und zerschinden, oder man schleicht lautlos die steinern Stiege hinunter und kriecht durch den unterirdischen Gang in’t Lager Huus, ~Mille tonnerres~. Waren also auch Füchse und Filus, die Lages. Denn ein ehrenhafter Kerl braucht keine unterirdischen Gänge. Und das Lager Huus ist nie ernsthaft belagert worden, also daß man hätt flüchten müssen auf heimlichem Wege in den Lager Forst. – Hoffe nun auf Den da Oben, daß es nun bald Frieden geben wird zwischen König und Kaiserin. Zuschauer sein mit einem dauerhaften Granatsplitter im rechten Arm und dem Zipperlein in beiden Beinen, das ist nichts forn alten Haudegen. _Grauer Alltag!_ Ich wollt, ich könnt Schloß und Dorf zum Taufstein tragen und der Pastor müßt sein Sprüchlein hersagen, damit es fest sei für Kind und Kindeskind. Und der große Fritz, mein allergnädigster Herr wäre Pate for das langweilige, dustre Kind. – _Grauer Alltag!_ Der Nam macht mir ordentlich Spaß. ’S ist aber der einzige Spaß hier. Mein Kriegskamerad, der Baron Ellers hat auch geerbt. Eine propre Klitsche in meiner Nachbarschaft. Ob er sie halten wird? Die Ellers sind alle Jeuratten. Irgend eine Passion muß man hier freilich haben. Ists kein sauberes, eigen angetrautes Weyblein, so hat Einen der ††† gleich beim Kanthaken. Die Ellers retten sich immer knapp vor der Pistolenkugel durch eine reiche Heirat. Hat sich der Kumpan so ’ne verflucht dröge Jungfer rangeheiratet. Drög, aber reich. – Und er könnte nun Dukatenmännchen spielen … Tuts aber nicht. – Weil Schwiegermutter und Eheweyb ihre mageren Arme um die Geldsäcke schmiegen, wenn da überhaupt von »schmiegen« die Rede sein kann. ~Mille tonnerres!~ Nun lebt Ellers von seinem Humor. Hat die beiden Weyber in seinem Schloß gelassen, und er selbst hat sich ein klein Häusgen aufgebaut im Park, das nennet er nun das »bessere Jenseits«. Steckt ein grimmer Humor drin. – Ich aber will doch lieber den grauen Alltag auf dem Halse haben und frei sein, als das bessere Jenseits schon auf Erden besitzen und in Schußweite eine böse Schwiegermutter und ein mageres Weyb … Im Dezember 1764. So ’ne urkundlich verbriefte und versprochene Schreiberei über meines Lebens Läufte, die immerhin für Andere langstielig ist, bildet eine höxt unangenehme Beigabe für ’n alten Officier. Ist das Einzige, das ich dem großen Fritzen, meinem König und Herrn ungern nachmache. Hab mir deshalb auch das dünnste Büchlein herausgeholt aus all den Schweinsledernen, in welche die Lager Sippe ihre Bekenntnisse pflanzen soll. So hat es Joochen Lage, der Urahn bestimmt. – Hat gleich eine ganze Zunft, die der Buchbinder, in Nahrung gesetzt. Sind ehrenfeste Folianten drunter von der Dicke eines Meßbuches. Gott bewahr die Lages, daß das alte Haus mal ’n Schriftsteller gebiert. Und noch dreidoppelt die, so dann Alles lesen müssen, was der über die Lagen zusammenschmieret. Ich lob mir dies schlanke, dünne Formatlein. Heut kam ein reitender Bote herüber von Holland. Der Vetter Clemens, gleichaltrig mit mir und verheiratet mit der Gräfin ~Frenswegen~ zeigt mir wieder die Geburt eines Sohnes an. Bittet um die Ehre meiner Patenschaft. Soll er haben. Ist aber von seiner Seit nicht viel Ehr zu holen und von meiner keine Freude. Wird wohl wieder ’n Kröpelbub sein, oder sonst was Schadhaftes. Das geht nun so durch Generationen. Aber keiner der Mynheers hat die Selbstzucht eigenem Glück Valet zu geben und einsam zu bleiben. Immer wieder wird geheiratet und noch dazu beide Augen zugedrückt bei der Wahl der Gattin. – Ich alter Kavallerist bin auf die Freite wie zum Pferdekauf gegangen. Habs nie bereut. Ein kerngesund Weib ist ’ne Gottesgabe. Da mußte der Herrgott bei mir schon mit Knüppeln dreinschlagen und die schwere Seuchen schicken, auf daß meine Herztraute überhaupt mal umwarf, und zum Liegen kam. Und nicht wieder aufstand … Hatten einen Sohn. Wie ein Apfelbaum war er, in voller Blust. Und rank und schlank, breitschultrig, groß, ein echter deutscher Lage. Zog mit mir ins Feld, fiel bei Kollin. Herrgott du weißt es, – bin seitdem noch nicht wieder ganz auf Du und Du mit Dir. Ob ich wohl noch vor meinem eigenen Ende den tieferen Sinn der Weisheit kennen lerne: »wen Gott lieb hat, den züchtigt Er?« Hab bis jetzt immer gedacht: Ei, so soll Er mich weniger lieb haben und Andere feste zwiebeln, die mehr auf dem Kerbholz führen, als ich. – Bin nun ein einsamer Krabauter geworden. Aber besser einsam, als ’n Drachen im Hause haben und des Teufels Großmutter noch als Dreingab, wie der Ellers. Und dreimal besser als ein elender Krüppel, der seinem Vater ewig lebendige Anklage darstellt, ist ein ranker, schlanker Bub tief in der Erde von Kollin. »Kein seliger Tod ist in der Welt, Als wer vorm Feind erschlagen!« … * * * * * Brigitte schreibt: Haus Lage, im Oktober. Das Büchlein von dem alten Haudegen will mich gar nicht loslassen. Ich füge es jetzt in den ehrenfesten Folianten ein. Wie traurig klingt die Mär von den krüppelhaften Lages! In unserer deutschen Sippe ist kein Fehl, noch äußerer Tadel. Kraftvoll recken wir unsere Glieder jedem neuen Tage entgegen, und ich will jeden Morgen aufs neue dafür danken. – Ich habe mich immer gescheut, das Gebrechen des Ritters Lage eingehender zu beschauen. Den verkürzten Arm, die kraftlose Hand, den schwer nachschleppenden Fuß … Meinte immer, er müsse den Blick fühlen wie eine bohrende Nadel und mein frauenhaftes Mitleid wie eine Kränkung. Aber die Gebrechen bedeuteten mir nichts Schweres. Erst jenes Büchlein brachte mir schweres Nachsinnen, macht mich unfrei und schafft mir Wirrnis … Doch meine ich, wo so viel starke Geistigkeit spricht, da ist die Hülle des Körpers nur ein Schatten, der ohnedies von seines Herzens Glanz durchleuchtet wird. Ob dem Ritter Lage die Kette, die ihm mit dem irren Weib angeschmiedet war, nicht lastender dünkte, als der eigene körperliche Schaden? Aber vielleicht denkt darüber ein Mann anders, als ein Weib. Er will immer sieghaft dastehen. Die Frau will nur lieben. Liebt auch Gebrechen, Narben und Wunden … Meint gar, sie heilen zu können, was Jahrzehnten nicht gelang. Nur durch die Liebe, die nach den Worten des Heilandes Berge versetzt. – Ei, Brigitte, wie würde Ritter Lage spotten, wenn er deine Philosophie lesen könnte! Wie würde es gelbe Büttenpapiere regnen! Oh, daß ich sie jetzt hätte! Oder erwarten könnte! Daß ich so gar nichts von ihm höre! – Aber Eva weiß von ihm, – ich vermag jetzt auch von ihrem verschlossenen Antlitz zu lesen. Hie und da steht und geht sie sinnend und schaut mich an, lange und immer schweigend. Dann kommen Tage, wo sie im Hause rumort, unwirsch zu jedem ist und nur mich mit einer Weichheit behandelt, als täten mir alle übrigen das gebrannte Herzeleid an. Dann wieder strahlt jedes Runzelchen ihres alten Gesichtes, sie spricht mit sich selbst und stößt merkwürdige Töne aus, die halb Schluchzen, halb Lachen sind. Und dann flieht sie vor mir, wohl aus Angst, sie könnte in ihrer inneren Freude herausplaudern, was mir verborgen sein soll. Dieses Erratenmüssen ist für mich anregend und anstrengend zugleich, – oft kommt eine müde Traurigkeit über mich. – Meine Spaziergänge in die Heide sind freudlos. Die braunen Dolden atmen Schwermut. Die Wacholder stehen stachlig und herb als strenge Wächter am Heiderand, und die Ginsterbüsche sind kahle Sträuche, die ihre schmalen, mageren Ärmchen strecken, wie Kinder, die um Brot betteln. Auch ich strecke meine Hände. Auch ich bin in Not. Meine Seele dürstet und hungert nach Sonne. Ritter Lage, hörst du mich? 36. Gese Nordstamm, geborene Tönnings hat ein Kind geboren. Aber es ist noch in der gleichen Nacht gestorben. Die Aufregungen, die Unrast, ihre Unbeherrschtheit und Sorglosigkeit haben wohl doch dem Ungeborenen geschadet. Es war nicht lebensfähig. Förster Nordstamm hat die winzigen vier Bretter und zwei Brettchen mit dem jämmerlichen Inhalt auf den Friedhof getragen und ihn zu seiner ersten Frau gebettet. Man muß abwarten, ob aus dem kleinen Sarge Segen kommen wird. Ob sich Gese nun zu einer rechten Mutter für Klein Erika wandelt. Die Schmiedsleute scheinen einer großen Last ledig zu sein, da das anstößige Steinchen aus ihrem Wege gewichen ist. Die Mutter sitzt bei Gese und pflegt sie, und der Schmied geht rauchend und redend mit dem Schwiegersohn umher und hat Klein Erika einen ungeheuren Ball mitgebracht als Ersatz für das Brüderchen. Ich aber sinne, ob all dieses Geschehen schon ausreichen soll, meinen Tag zu füllen. Gegenüber meiner starken Gesundheit und Kraft, die sich in großem auswirken möchte, dünkt mich alles rings um mich her nur Kleinkram. In den lustigen Sachen, die das Dorf mir auch wohl bringt, steckt kein Gran Humor, und das Traurige hat keine eigentliche Tragik. Alles ist Oberfläche. – Ich aber glaubte, die Mission der Tiefe zu haben. – Mit Pastor Oswald komme ich wenig zusammen. Ist sein neues Leben, vereint mit der herben Maria, noch zu überwältigend für ihn? Drückt ihn der Kummer um die Unversöhnlichkeit seiner Mutter? Erlebt er Enttäuschungen? Ich habe das Gefühl, als meide er mich bewußt und lasse lieber einmal unrichtigen Sachen ihren Lauf, als daß er in Haus Lage eintritt, um alles mit mir, seiner Patronin, zu besprechen. Vielleicht aber treibt meine Phantasie besondere Wucherblüten, weil ich so einsam bin. Über mein Haus, meinen Park, über den Obstgarten und seine überreiche Ernte schreibe ich nichts in den ehrenfesten Folianten hinein. Meine Nachfahren sollen mit ihren leiblichen Augen sehen, daß ich alles Ererbte wirklich besaß, weil ich es in heißer Arbeit erwarb. – Um die zehnte Abendstunde, wenn ich mein Personal um mich versammelt und mit ihm gemeinsam gesungen, gebetet und den Abendsegen gesprochen habe, dann setze ich mich zum Folianten und halte Zwiesprache mit ihm. Er ist ein fester Bestand von Haus Lage, das mich ja selbst mit eisernen Klammern festhält, wie die bronzenen Klammern den schweren Ledereinband um das ungefüge Papier, auf das ich meine Eintragungen bringe. – Dann aber begebe ich mich zur Ruhe und schlafe immer schnell und gesund ein, also daß ich mein Tagewerk frisch in frühester Morgenstunde beginnen kann. Es ist gut, daß ich mit der eigentlichen Landwirtschaft nichts zu tun habe, wie würde meine Unwissenheit auf diesem Gebiete hemmend wirken. Der ganze Betrieb liegt in den Händen von Ritter Lage und seines Administrators, aber entfernt von Lage, auf holländischem Gebiet. Ich beziehe alles Nötige zu Tagespreisen von dem Gute, und meine Küche betreut mein Hausmeister Ludwig im Verein mit dem Schlachter und dem Kolonialwarenhändler des Dorfes. Ich selbst würde noch viel einfacher leben, wenn nicht Ohm Matthias und Tante Fernande eine reiche Tafel liebten. Doch schränke ich alles so weit ein, daß man unseren Tisch nur als »herrschaftlich«, nicht als reich oder üppig bezeichnen kann. – Einen Todesfall hat mein Dorf seit gestern wieder zu verzeichnen, ich sage nicht Verlust. Denn es war der widerliche Säufer aus der letzten Kate meines Besitzes, der einem bösen Fall zum Opfer wurde. Und ich stehe nun vor der Aufgabe, diesen Augiasstall zu reinigen, sobald der Tote unter der Erde ist. – Und wieder bin ich vor einem Rätsel, sinne, grüble und – lerne. Dieses schwarze Schaf ist mit nimmermüder Liebe geliebt worden. Vom ersten Sehen an war die Frau ihm verfallen und ist ihm in die üble Kate gefolgt, hat ihm die Kinder geboren über ihr körperliches Vermögen, ist siech und elend geworden und hat ihn geliebt. Hat ihn gepflegt und für ihn gesorgt, bis sie selbst aufs Krankenlager kam; hat sich peinigen, treten und schlagen lassen – und hat ihn geliebt. Nie hat sie ihm eines der unflätigen Worte zurückgegeben, mit denen er um sich warf, nie ist sie zornig geworden. Eine eigene Art hatte sie, ihn anzusehen, und dieser Blick sagte: »Wenn du da unten herumkriechen willst, – mich bringst du nimmer hinunter.« »Vielleicht war dieser hochmütige Blick ein Unrecht, das ich jahrelang an ihm beging,« – so klagte mir heute das arme Weib, das nicht einmal aufatmet in dem Gedanken, nun endlich Ruhe vor ihm zu haben. – Sie hat sich aus dem Bett geschleppt, näht mit rotgeweinten entzündeten Augen Trauersachen zurecht und kühlt zwischendurch noch die Wunden, die ihr seine Peitsche schlug. Frauenliebe! Nie ausgesungenes Wort. – Wer wie ich in einer so märchenhaften Kinderstube aufwuchs, wem hochstehende, feinsinnige Eltern Lebenskameraden waren, der findet sich schwer in einer brutalen Welt zurecht. Man dünkt sich oft ein Ei ohne Schale. Aber ich habe mich in all dieser Zeit schon gestrafft, und eine festere Schale wird noch wachsen. Auch die innerlichen, unsichtbaren feinen Flügel, mit denen man sich erheben kann, wenn andere meinen, man kröche mit ihnen … Zünd an, Brigitte! Auch in dir selbst. Auf daß du nicht zum Pharisäer werdest! – – Ohm Matthias hat eine Reise angetreten. Ich mußte ihm wohl oder übel einen ganz neuen Anzug in sein Köfferchen legen und gab ihm auch das nötige Kleingeld. Er will nach Paderborn fahren, um seine Papiere in Ordnung zu bringen, sagte er mir, und fügte hinzu, Ritter Lage habe es für sehr unordentlich erachtet, daß er jetzt noch immer nicht mit allen nötigen Ausweisen versehen sei. Das bewog mich natürlich besonders, seinen Reisegelüsten nachzugeben. Aber Ohm Matthias ist wie ein Kind. Ich fürchte, er rächt sich in der Stadt für alles, was wir ihm hier vorenthalten. Und ist doch längst nicht mehr kräftig genug, um auf seinen Körper loszuwirtschaften. So ist er nun abgezogen, ganz »feiner Hund«, wie er Tante Fernande zurief, und sie sah wie eine Glucke aus, die ein Entlein ausgebrütet hat, das sich vor ihren sichtlichen Augen in eine Stromschnelle begibt. – Einige Tage später. Bin kaum zum Ausruhen, noch weniger zum Nachdenken gekommen. Denn die allerletzte Kate meines Dorfes beanspruchte mich völlig. Wohl hatte ich mir Hilfe genug mitgenommen, eine derbe Magd, die das kleine Haus unter Seifenwasser setzte, mit erstaunten Augen und glucksendem Lachen davon Kenntnis nahm, daß ihre vornehme Herrin auch grobe Arbeit tun konnte, und dann mit ihr, mit Kraft und Ausdauer, Frische und Fröhlichkeit, den Stall säuberte, daß die kranke Frau in ihrem Bett gar nicht wußte, wie ihr und ihrem armseligen Hausrat geschah. Hie und da steckte auch wohl eines der vielen Kinder, die währenddem in der Nachbarschaft untergebracht waren, seinen Wuschelkopf neugierig in die beginnende Ordnung, um ganz überwältigt wieder davonzustürzen, und abends lohnte es sich dann wohl der Mühe, die zwei aufgeräumten, sauberen Stuben zu sehen: die frisch überzogenen Betten, die leuchtenden, rosakattunenen Fenstervorhänge und den gescheuerten Tannentisch. Daherum saßen nun frisch gewaschene Mägdlein und Buben mit ihren sauber gekämmten Tollen und Zöpfchen und schrieben und lasen ihre Schularbeiten. Es war weder Vollmond noch Sternenhimmel über mir, als ich endlich in die Nacht hinaustrat, um nach Haus Lage zurückzukehren. Und doch war es seltsam klar in mir und um mich. War es der Glanz aus sieben Augenpaaren, der auf meinem Heimweg lag? – Als ich nach Hause kam, fand ich mancherlei Post vor, auch barg meine große Ledertasche Papiere, welche mir die kranke Frau des Trunkenboldes übergeben hatte, den man gestern zur letzten Ruhe getragen. Pfarrer Oswald hat die Vormundschaft der Kinder übernommen. So schickte ich denn Ludwig hinüber zum Pfarrhaus, um den Freund endlich einmal wieder in’t Lager Huus zu bitten. Das sollte ein lichtes Beratungsstündlein werden, und so dankbar bin ich jedem, der mich über das Bangen, das Heimweh, das Warten hinwegbringt durch frisch-fröhliche Arbeit, gutes Verstehen und einen herzlichen Händedruck. Pastor Oswald folgte meinem Diener fast auf dem Fuße. Und wie er unter der grünen beschirmten Hängelampe saß, die mein Arbeitszimmer so traulich erhellt, erschrak ich vor der fahlen Blässe seines Gesichtes, vor dem Gram, der in seinen Augen lag. »Um Gott, was ist mit Ihnen?« fragte ich rasch und nahm seine kalte Hand noch einmal in meine Rechte. Er schien mit der Antwort zu ringen, dann kam es stockend von seinem Munde: »Ich habe die Sünde wider den heiligen Geist begangen. – Ich habe ein Weib genommen, um die heiße Liebe zu einer anderen zu bezwingen. Und _kann_ sie nicht zwingen. Ich wollte groß sein und bin kleiner im Denken und Handeln als der Geringste meiner Pfarrkinder.« Er stand vor mir, als sei ich sein Beichtiger. »Nicht doch, nicht doch«, rief ich laut. »Um Gott, was haben Sie mir da gesagt? Und ich war so ruhig, so froh all die Zeit gewesen!« »Weil Sie mich loswaren«, sagte er bitter. »Auch Sie tragen ein wenig Schuld an meiner Not, Freiin Brigitte. Nicht weil Sie mich als Freier ablehnten, – das war Ihr gutes Recht, aber _wie_ Sie es taten. Sie sind sehr rasch, Baronin, – sehr selbstsicher und selbstherrlich, trotz Ihrer Weltfremdheit und Kindlichkeit, die eine ganz neue Welt für mich bedeutete. Sie warteten gar nicht ab, ob ich selbst um Sie werben würde, Sie nahmen ganz einfach die Wünsche meiner alten Mutter schon als Werbung auf: Und wehrten sofort ungestüm ab, verletzten mein Ehrgefühl aufs schwerste …« Ich fühlte, daß ich blaß und kalt wurde. »So hätten Sie gar nicht um mich geworben?« fragte ich tonlos. »Nein«, entgegnete er fest. »Denn ich sah, daß Sie meiner starken, großen Neigung gar kein Verständnis entgegenbrachten. Zum Toggenburger eigne ich mich nicht. Aber zum Warten. Ich wäre Ihr Freund geblieben, hätte mit Ihnen Hand in Hand dem Dorfe das Beste gegeben, was wir geben konnten. Und vielleicht …« »Nein, _niemals_ …«, rief ich rasch. Eine rote Lohe schoß ihm in das Antlitz. »Sehen Sie, wie ungestüm und doch irrgehend Sie in Ihrem Urteil sind«, sagte er verweisend. »Lassen mich nicht einmal ausreden. Ich wollte sagen, _vielleicht_ hätte ich _überwunden_ …« Nun war es an mir, mich brennend zu schämen. Er sah es und half mir ritterlich. »Tat ich Ihrem Stolze weh? Ich mache es wieder gut, indem ich Ihnen sage, daß ich _niemals_ überwinde. Sie treten nicht in ein Mannesleben, um vergessen zu werden. Sie fühlen das auch, fühlen es so stark, daß Sie Ihre Folgerungen gewissenhaft ziehen. Daß Sie sich der Pflichten eisern bewußt sind, die Ihnen Ihre große Macht über die Menschen auferlegt.« »Ahnt Frau Maria all dieses?« fragte ich laut. »Sie _weiß_ es«, war seine Antwort. »Weiß es viel länger, als Sie selbst es wissen. Und in ihrer großen Liebe zu mir sagte sie dennoch _ja_, denn sie wollte mir helfen zu überwinden, wollte dabei auch Ihr großes Liebeswerk am Dorfe fördern … Und nun gehen wir beide –« »Was heißt das?« fragte ich bestürzt. »Das heißt, daß ich mich um eine ausgeschriebene Pfarrstelle in Berlin beworben habe. Man will mir wohl im Kultusministerium, die Fäden sind bereits angeknüpft, und im großen Getriebe der Weltstadt fragt auch niemand nach Marias Herkunft. So bleibt ihre feine Seele vor Nadelstichen verschont, – sie trägt genugsam an dem großen Leid, daß mein Herz und meine Seele in Lage bleiben. Und doch neidet sie Ihnen beides nicht, Freiin Brigitte, denn sie ordnet sich Ihnen unter.« – Wir sahen uns an, und ich fühlte, daß etwas unendlich Gutes und Großes mit diesem Manne aus meinem Leben schied. Einen Augenblick durchfuhr mich der Gedanke, ob es nicht das Glück gewesen sei, das ich mit meinem raschen Handeln von meiner Schwelle verjagt hatte. Aber da stand es plötzlich mit leuchtender Schrift vor meinem Auge: »Das vierte Päckchen bringe ich dir selbst, Gitti!« Und dieser Gedanke flutete wie ein Meer von Glück über mich hin. »Mein Herz ist seit langem gebunden!« sagte ich laut. »Und ich hoffe unablässig, daß mein Bruder Konrad Oswald Frieden und Überwinden finden möge. Grüßen Sie mir Maria. Ich werde sehr einsam durch euer Fortgehen, aber es ist das beste so.« – Die scharfe Blässe hatte sich wieder über Oswalds Gesicht gelegt; er verbeugte sich tief und schritt über meine Schwelle hinaus in die Nacht. Ich aber lehnte meinen Kopf an die Mauer der Horchbucht und sagte eindringlich: »Ritter Lage, bring’ mir Sonne! _Ritter Lage, ich gehöre dir für Zeit und Ewigkeit!_« 37. Der letzte Satz, den ich auf der vorigen Seite niederschrieb, ist ein so tiefes Erleben, daß ich mich wie ein neugeborener Mensch fühle. – Es _wurde_ etwas in mir, oder soll ich bekennen, »ich ward?« – _Dieses_ Werden kann nicht einseitig sein! Es muß in seinem gewaltigen Geschehen auch die Seele des andern erschüttert, ja neu geschaffen haben. Denn ich habe dieses »Werden« meiner Bruderseele mit erlebt, hab’ es in tiefem, wortlosem Verstehen gefühlt … Es wird mich fördern in meiner Menschenkenntnis. »Fördern«, das ist mein liebstes Wort im deutschen Wörterbuch. Einer den andern fördern. Jeder Mensch jeden andern Menschen. Sich immer dieser Aufgabe bewußt sein bei jedem Wort und jeder Tat. Mich selbst fördert ja nicht das, was ich erlebe, sondern was mir zum Erlebnis wird … Ein Neugeborenes bin ich. Herrgott, hilf dem Kinde weiter! Zwei Tage darauf. Ich habe die Hochstimmung nicht verloren und abgetan, aber ich verberge sie tagsüber und hole den kostbaren Schatz nur des Abends hervor, wenn ich ganz allein bin mit meinen Gedanken und Erinnerungen, mit dem Mondlicht, das durch mein Spitzbogenfenster lugt, mit dem Folianten und mit meiner Liebe. – Es ist nutzbringend, wenn man die Kraft besitzt, sich rasch umzuschalten. Ich mußte gestern den Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen tun. Er hat mein Gleichgewicht wohl ein wenig erschüttert, aber nicht zu Fall gebracht. Ohm Matthias kehrte von der Reise zurück, nicht allein. An seinem Arm führte er ein Lebewesen, teils Frau, teils Kind, teils Dirne – der alten Eva sträubte sich bei dem Anblick jedes Haar auf dem Kopfe. »Meine Braut«, sagte Ohm Matthias vorstellend, und er warf dem Wesen Blicke zu, daß ich in seiner Seele rot wurde. Nach einigen Augenblicken des inneren Umschaltens in eine niedrigere Sphäre drängte ich das Menschenkind, fast ohne daß es dies gewahr wurde, auf die Halle hinaus, wo es zwar auch noch nicht am Platze war, denn der schien mir weit ab vom Weichbilde des Lager Huus zu liegen, aber es blieb doch einstweilen im Vorraum stehen. Ich selbst trat zu Ohm Matthias ins Zimmer und schloß die Tür hinter uns mit hartem Druck. »Ohm Matthias, ich habe dir schon einmal gesagt, daß ich üble Scherze durchaus nicht vertragen kann und auch nimmer in meinem Hause leide.« »Üble Sachen?« stotterte er. »Da verstehe ich dich nun nicht, liebe Nichte. Die Dame ist meine Braut.« »Die Braut eines Freiherrn von Lage wird immer von irgendeinem Anverwandten in das Haus ihres zukünftigen Gatten gebracht«, sagte ich eisig. »Du wirst die Person sofort veranlassen, Haus Lage zu meiden, oder du selbst verläßt dieses Dach.« Er sträubte und wand sich und knurrte verschiedenes, aber mein Finger zeigte gebieterisch nach der Halle, und da fügte er sich endlich. Ich hörte einen sehr erregten Wortwechsel, und dann steckte Ohm Matthias noch einmal seinen Kopf zur Tür herein. »Hast du Geld, Nichte Brigitte?« fragte er kläglich. »Ich kann doch das Mädchen unmöglich ohne einen Pfennig fortschicken.« Ich entnahm einen Schein aus meiner Tasche, und Ohm Matthias nickte beifällig. »Du bist nobel, Nichte Brigitte, – von mir hätte sie nicht soviel bekommen.« Damit lief dieser lächerliche Lage mit raschen, schnellen Schrittchen hinaus und nahm draußen mit glucksendem Lachen wortreichen Abschied. Dann sah ich die widerliche Person über den Rasen nach dem Dorfe schreiten. Ein grobes Scherzwort rief sie noch einem vorübergehenden Knechte zu, seine Antwort verschlang das wütende Bellen des Hofhundes, und dann trat Stille ein. – Der Schmutz des Alltags hatte mich gestreift, aber inmitten _meines_ grauen Alltags brennt ein Sonntagslicht, das ist nimmer auszulöschen. – Später. Wie um die Wahrheit des letzten Wortes zu bekräftigen, halte ich ein gelbes Büttenpapier in der Hand. Wunderlich ist mir zu Sinn, nachdem ich es gelesen. Wo weilt der Schreiber? Warum kommt er nicht zu mir? Er muß in meiner Nähe sein, sonst würde ja das Geschehen in meinem Hause nicht zu seiner Kenntnis gelangen. – Wie alles auch zusammenhängen möge, er hat mich trösten wollen! – Ritter Lage schreibt: »Ohm Matthias hat endgültig Ihr Haus verlassen, Regenschirmbase, und ist auf dem Wege nach Holland. Dies Holland aber liegt weiter als der Tempel und die Clemenskapelle, und so wird er Ihren Weg nicht wieder kreuzen. Gitti …!« Weiter nichts. Was hinter dem Ausruf steht, wie ich mir die kleinen Punkte übersetzen soll, ich weiß es nicht. Ohm Matthias ist tatsächlich fort, Eva hat das Zimmer mit einem Lächeln tiefer, innerlicher Befriedigung ausgeräumt und mit andern Möbeln instand gesetzt. So, als wollte sie dieses Kapitel als gänzlich abgeschlossen betrachtet wissen. Wie gern füge ich mich hierin. Und als Tante Fernande mir weinend, mit immer wiederkehrendem, ungezähltem Gottseidank um den Hals fiel, da spürte ich, wie recht Ritter Lage gehandelt hatte. – 38. Im November, abends. Heute habe ich einen ganz neuen Lebensinhalt bekommen. Ich brauchte nicht nur aus Büttenpapieren zu schöpfen oder die alte Eva auszuhorchen, sondern ich hörte ein paar kluge Männer über Ritter Lage urteilen. Ich war mit Hausmeister Ludwig, der meinen Wagen lenkte, nach Heidkamp hinübergefahren, wo mich das liebe Ehepaar endlich einmal umhegen wollte. Dort traf ich eine Herrengesellschaft, landsässige Leute und solche aus Münster, Osnabrück, Lingen und aus Holland. Es war ungeheuer anregend. »Ich höre gern, wenn kluge Männer reden, daß ich begreifen kann, wie sie es meinen.« Ob ich so mäuschenstill zugehört hätte, wenn sie nicht vom Ritter Lage erzählt hätten? Es kam ihnen lächerlicherweise erst lange danach zum Bewußtsein, daß ich ja auch eine Lage sei. Aber Clemens spielt mit allen Verstecken, und so nahm man auch dann einfach an, daß ich genau so ahnungslos über sein Tun und Treiben sei, wie alle andern. Nur ein Baron von ter Mählen, ein kluger, älterer Mann Anfang der Fünfziger, der über große Besitzungen verfügt und sich doch meistens in München aufhält, um der Kunst zu leben, rückte lebhaft seinen Stuhl zu mir heran und fragte mit warmer Anteilnahme: »Eine Base des Clemens Lage? Wie ungeheuer interessant für mich!« Ich sah ihn erstaunt an und fühlte, wie die Farbe in meinem Gesicht kam und ging. Er legte, wie ein väterlicher Freund, seine Hand auf die meine, nicht zudringlich oder gönnerhaft, nur beruhigend, so schien es mir. »Clemens Lage und ich waren Korpsbrüder bei den Bonner Borussen«, sagte er. »Ich könnte sentimental werden, wenn ich dran denke, daß das Leben uns trennte … Wir studierten beide Rechtswissenschaft, – ich ging nach dem Examen in den Verwaltungsdienst, und er zog sich auf seine Besitzungen zurück. Nun, Sie wissen, was für ein mustergültiger Landwirt er ist, wie angesehen in Holland und Deutschland. Seine Kolonien, seine Arbeiterhäuser haben Weltruf. Und seine Kunst … Freiin Brigitte, kennen Sie seine Kunst?« Ich nickte, und meine Augen müssen wohl gestrahlt haben. Denn der Freund lachte froh in sie hinein. – Dann wurde er plötzlich ernst, und wie ein Schleier legte es sich über seinen hellen Blick. »Clemens Lage heiratete vor ungefähr 20 Jahren und brachte mir seine junge Frau, – mir, seinem älteren Freunde, der ich bereits nach ganz kurzem Glück Witwer wurde und einsam in Bonn saß …« Herr von ter Mählen sah mich eine Weile forschend an, dann raunte er hastig: »Die Frau des Clemens war das genaue Gegenteil von _Ihnen_, Baronin.« »Warum sollte sie mir gleichen?« fragte ich. »Das ist die rechte Frage, und Sie sollen die Antwort gleich haben. Weil der Clemens Sie mir schon in seiner Studentenzeit geschildert hat. Lächeln Sie nicht so ungläubig, Baronin, er hat Sie mir in seiner lieben, raschen, begeisterten Art von Kopf bis zu Fuß innerlich und äußerlich dargestellt, – ja er hat eine kleine Tonfigur geformt, die Ihnen aufs Haar gleicht, und dies Figürchen hielt er liebevoll in seiner Hand und rief: ›Wenn du je solch einem Mädchen begegnest, so halte es fest, – hörst du, halte es fest, für _mich_.‹ Ich bin niemals seinem Ideal begegnet – bis _heute_.« »Oh,« wehrte ich ab, »Sie kennen mich ja gar nicht.« »Doch, doch,« lachte er gütig, »ich habe Sie jetzt stundenlang geprüft, es ist nicht nur die verblüffende äußere Ähnlichkeit mit dem Clemens-Ideal, es ist Ihr ganzes Wesen, Ihre Stimme, nicht zuletzt Ihre Anschauungen, Ihre liebe Kindlichkeit, Ihr Fleiß … Lassen Sie es sich doch ruhig sagen, Baronin. Meinen Sie denn, man spräche nicht ringsum in Dorf und Stadt von der jungen Philanthropin?« Ich wußte natürlich gar nichts zu antworten. Auch wollte ich so gern mehr vom Ritter Lage hören. Aber ich meinte, der Sprecher müsse den Aufruhr spüren, in dem ich mich befand. Plötzlich bog er sich zu mir nieder und sprach weiter, aber leise und eindringlich: »Seitdem das Unglück über ihn hereinbrach, habe ich nichts mehr direkt von Clemens gehört, er war immer so einer, der nur seine Freude teilte, also daß seine Freunde schließlich mehr bekamen, als er selbst, aber sein Leid, das behielt er wie die größte Kostbarkeit für sich. Bis es sich wieder in Segen für andere gewandelt hatte. Nun erzählt man sich, daß Clemens ein völliger Einspänner geworden ist, daß sein Humor trübe fließe und zumeist bitter sei, und daß der Sarkasmus seine sprichwörtliche Güte totgeschlagen habe.« – Wieder wurde es still zwischen uns. Dann nahm Herr von ter Mählen meine beiden Hände und sah mir gütig, voll warmer Teilnahme, in die Augen. »Baronin, Sie kennen den Clemens, und er kennt Sie, Sie wohnen sich so nahe, er muß Ihren Bestrebungen das tiefste Interesse entgegenbringen, und – Sie verkörpern das, was sich der Jüngling geträumt, der Mann gesucht und nicht gefunden – – _warum_, warum stehen Sie nicht als Gattin an seiner Seite?« Ungestüm war ich aufgesprungen. Zornig hatte ich ihn angesehen. »Und seine Frau?« fragte ich ganz vernichtet. Ein tiefes Befremden malte sich auf dem Antlitz des Freundes. »Seine Frau? Hat er Ihnen nie von ihr erzählt? Sie ist tot seit über zehn Jahren. Ich hatte damals an ihn geschrieben, aber nie eine Antwort erhalten. Baronin, der Clemens hat uns, seinen Freunden, immer Rätsel aufgegeben, aber dies ist das am schwersten zu ratende. Warum mag er sich gegen Sie verschlossen haben? Just gegen Sie?« Baron von ter Mählen sann vor sich hin. Er hatte meine Hände losgelassen, und öfters wiegte er den Kopf. Und wenn er mich dazwischen anblickte, so schien ihm danach das Rätsel immer schwieriger zu sein. Ich kann es nicht schildern, wie es in mir aussah nach der Enthüllung. Und wie es jetzt in mir aussieht und stürmt und jubelt und bangt. Meine Liebe frei von Sünde. Mein Begehren keine Schuld. Wenn er mir das vierte Päckchen reicht, dann darf ich es nehmen, ohne in Kampf und Not zu kommen. Ich brauche nicht auf eines anderen Leid mein Glück aufzubauen. Diese Gedanken gingen durch meine Seele, während ich inmitten der lachenden, plaudernden andern neben dem Freunde stand. Und ich muß wohl alles – ja selbst meine gute Kinderstube vergessen haben, denn der Baron sagte plötzlich eindringlich: »Sie sind aus den Fugen, Freiin Lage, mein Gott, habe ich an Schweres gerührt? Kommen Sie, ich rufe Frau von Heidkamp, damit sie Bescheid weiß, dann hebe ich Sie in mein Gefährt und fahre Sie rasch nach Lage. Nicht abwehren, ich meine es gut mit Ihnen.« Und so geschah es, daß ich bald daheim war und Herr von ter Mählen mich noch um die Erlaubnis bat, daß er bald wiederkommen dürfe. Wie gern gab ich sie ihm! _Sein_ Freund, der Freund _seiner_ Jugend, ist auch der meine. – Aber das Grübeln nimmt kein Ende. Warum, warum? Warum kommt Ritter Lage nicht zu mir? Wer hält sein Geschick und das meine in der Hand, wenn sein krankes Weib schon lange heimging? Wer darf außer ihr uns namenloses Glück oder unfaßbares Leid bringen? Im Dezember. Wie still es im grauen Alltag ist! Rings lastet der Schnee auf der weiten Heide, der Kirchturmknopf trägt eine weiße Kappe, genau wie die grauen Mauerpfeiler an meiner Parkpforte und alle Knäufe und Buckel an Haus Lage. Märchenhaft die ganze Landschaft. Die Ruine schaut recht einem trutzigen Greise gleich. Weißes Haupt und morsche Glieder, aber Herz und Sinn noch stark. Die Ruine dräuet immer noch, trotz der zerstörten Mauern, ist aber gefestigt und steht stattlicher da, als Haus Lage selbst in seiner langgestreckten Behaglichkeit. Der weiße Schnee deckt alle Schäden zu bei beiden Burgen. – Seit vielen Tagen fällt er in kleinen, beharrlichen Flocken, ein leichter Frost begleitet ihn. Gestern klingelte ein Schlitten auf den Gutshof, die Heidkamper mit Baron von ter Mählen holten mich ab, um mir entfernte Heide- und Waldstrecken zu zeigen. Ich nahm, rasch entschlossen, Tante Fernande, die mir wirklich mit der Zeit eine treue Freundin wird, mit auf die frohe Fahrt. Baron von ter Mählen spielte den Kutscher. Er saß hinter uns auf der Pritsche und erzählte sehr lieb und frisch an uns eingemummelte Insassen hin. Hie und da flüsterte er auch eine ausgesuchte Bosheit in mein Ohr, er machte sich über Herrn von Heidkamp lustig, der durchaus selbst hatte fahren wollen. Tante Fernande kicherte währenddem unablässig, der Schnee machte sie trunken, sie kommt so wenig heraus. Einen vorzüglichen Weinpunsch bekamen wir in Campe, einen gleichwertigen starken Kaffee tranken wir dann in unserm Forsthause. – Wir sahen dort ein Bild trautester Behaglichkeit. – Der alte knorrige Baum Förster Nordstamm mit der mütterlichen Schmiedsfrau auf dem großblumigen Sofa, der Schmied und der junge Förster ihnen zur Seite. Letzterer hielt auf dem Schoß die kleine Erika, die ihren goldenen Lockenkopf zärtlich an ihn geschmiegt hatte. Gese ging mütterlich zwischen ihnen einher und bereitete uns dann rasch in großer Zierlichkeit ein leckeres Vesperbrot und duftenden Mokka. Als wir wieder im Schlitten saßen, meinte Herr von Heidkamp sinnend: »Also mußte wirklich die kleine, wertvolle Frau Rika sterben, damit dies von uns eben geschaute Glück in den Wald und die Welt hinauswüchse?« Und alle nahmen rasch das Thema auf und philosophierten darüber, bis sie sich ganz verstiegen hatten und festsaßen. Ich schwieg. – Mein Erleben hat mich befangen gemacht, und ich fürchte mich vor meinen eigenen Worten und Gedanken. Man neckte mich weidlich ob meiner Schweigsamkeit. Als wir dann in Lage ausstiegen, lud ich alle zu einem Plauderstündchen und späterem Imbiß ein, aber nur Frau von Heidkamp blieb bei mir. Die beiden Herren verabschiedeten sich, standen aber lachend und heischend auf demselben Platze, ohne den Schlitten wieder zu besteigen. – »Sie haben gar nichts zu fordern, Heidkamp«, rief Baron von ter Mählen. »Setzen Sie sich schleunigst hin; ich war der Kutscher und fordere ganz gehorsamst, aber unweigerlich mein Schlittenrecht.« – Tante Fernande kicherte wieder und schien ganz überwältigt, als der Baron ihre runzlige Wange mit seinem Schnurrbart berührte. Ich trat etwas zaghaft näher und sah dem lieben Freunde in die Augen. »Wie ein sterbendes Reh«, raunte er mir zu. »Das mache sich ein anderer zunutze.« Und er nahm mich bei beiden Händen, und wie ich so gehorsam den Kopf neigte, küßte er mich ganz zart auf die Stirn. Frau von Heidkamp aber reichte ihm fröhlich lachend den Mund und ließ sich mehrmals auch noch für Tante Fernande und mich mitküssen, bis Herr von Heidkamp Einhalt gebot und behauptete, er bekäme eiskalte Füße, wenn er nicht mittun dürfte. Da liefen wir lachend ins Haus, und das Schellengeklingel des abfahrenden Schlittens lachte mit uns. Als wir dann am behaglichen Kaminfeuer zu zweien in den tiefen Sesseln saßen, nahm die Freundin, die soviel älter ist als ich, meine Hand. »Kleines, weißes Mähschäfchen«, sagte sie innig. Und ich erschrak, da sie die lieben Worte des Ritter Lage gebrauchte. »Warum küßten Sie den prächtigen, ritterlichen Menschen nicht?« fragte sie. »Man soll nicht Spielverderber sein.« – »Ich habe das Küssen nie gelernt«, entgegnete ich ernsthaft. »Was sind Sie für ein närrischer Kerl!« rief sie verblüfft. »So was lernt man doch nicht, oder meinen Sie, ich hätte ganz brave Lektionen bei irgend jemand genommen, bis ich es zu dieser Kunstfertigkeit gebracht?« Ich nickte wie ein Pagode. »Ja, so sah es aus.« »Du liebe Zeit, Sie sind wirklich hinterwäldlerischer, als ich dachte; und ich dachte schon viel«, meinte sie liebreich und streichelte mich. »Sehen Sie, Kleines, ›so was‹ _kann_ man von Urbeginn, oder man lernt es _nie_. Das ist meine Ansicht. Ich habe es schon während meiner Schul- und Pensionszeit wacker ausgeübt, und es hat mir rasend viel Spaß gemacht. Aber wie ist das mit Ihnen? Ist niemals ein Mann zärtlich mit Ihnen gewesen?« »Mein Vater,« entgegnete ich rasch, »er liebte mich so sehr.« »Schön und gut, Kleines. Aber über Väter wollen wir an diesem entzückenden, heißen Kaminfeuerchen heute mal gar nicht reden.« Sie rückte ganz nah an mich heran und nahm meine Hände fest in die ihren. »Sie haben mir selbst gesagt, daß Sie schon 26 Jahre erlebt haben, kleine, liebe Brigitte,« sagte sie zärtlich, – »wie seltsam, daß Sie die Liebe noch nicht kennen … Ist Ihnen nun selbst nie der Wunsch rege geworden, daß Sie einmal jemand in die Arme nehmen möchte, so, so ganz innig – so bis zum Selbstvergessen, ein fremder Mann …?« Da sagte ich ihr ganz rasch und ganz aufrichtig: »Nein, – nie! Ich habe wohl gewünscht, daß mir, da mein Vater von seiner Brigitt’ fortgegangen ist, – irgendein andrer lieber Mensch einmal sagen möchte: ›ich hab’ dich lieb, Gitti –‹, immer wieder, einen ganzen Tag lang, nur den einen Satz: ›ich hab’ dich lieb …‹, aber über das andere hab’ ich nie nachgedacht …« »Seltsam, seltsam«, sagte Frau von Heidkamp, und ich war so froh, daß sie ernst blieb und mir aufs Wort glaubte. Und dann kam die alte Eva und brachte uns viele schöne Leckerbissen und alten, schweren Rotwein aus den reichbesetzten Kellern von Haus Lage. Und wir wurden sehr vergnügt. Als mein Diener Frau von Heidkamp dann in meinem schönen, bequemen Viktoriawagen verstaut hatte, um sie heimzufahren, beugte sie sich noch einmal zu mir herunter und raunte mir zu: »Ich darf es natürlich niemand verraten, daß die schöne Brigitt’ Lage noch nicht küssen kann, sonst will es sofort die ganze Nachbarschaft lehren, jawohl, mein lieber Mann an der Spitze … Gut’ Nacht, Mähschäfchen …« So verlief der seltsame Abend gestern, an dem ich zum ersten Male einer gütigen Freundin und Frau einen Einblick gab in mein einsames Herz. Das tat mir wohl, denn mir ist bang, daß die große Einsamkeit wunderlich macht. – 39. Weihnachts-Heiligabend. _Hei, ruft der Winter, hier ist mein Revier!_ Es legt der Schnee die weißen, kalten Hände Fest über Heid’ und Moor. Durch Ried und Rohr Verflattert sich der Vögel frierend Volk in dem Gelände. Der Krähen krächzender Chor Streicht über meinem Haupt, Und eisbelaubt Lehnt eine Birke an dem Gattertor. Ich steh’ am Weiher, dessen Spiegel blind Und winterschwer bereift. Eishändig greift Das Heimweh nach dem bangen Menschenkind. _Du! ruft die Sehnsucht … Du! Komm her zu mir!_ * * * * * Ich gehe umher wie im Traum. Seltsam ist der Traum. Riesenkräfte wirken in mir, und doch bin ich von süßer Mattigkeit umfangen. Alle Menschen liebe ich und möchte ihnen das spendende, selbstlose Christkind sein. Zu Fuß bin ich gewandert über die verschneite Heide bis in das letzte Hüttchen meines Dorfes mit schwerem, fast meine Kräfte übersteigendem Gepäck. Helfen wollt’ ich, helfen! Und ich konnte helfen. Und konnte Frieden und Freude _bringen_ in verzagte Herzen. Und gerade die letzte Hütte, darinnen die Witwe des verstorbenen Trunkenboldes ihr erdenschweres Dasein dahinlebt, brachte mir selbst den meisten Trost. Wie die Ärmste zum Leben erwacht! Wie ihre Kinder mit den neuen, warmen, reinen Kleidern neue Menschen angezogen haben. Alles war rein und warm und weihnachtlich bei ihnen, jedes Eckchen bereit, die heilige Weihnachtsfreude zu empfangen. Wir sangen ein paar schöne Weihnachtslieder zusammen nach jenen uralten Melodien, die weitere Jahrhunderte hindurch jung und bejahend bleiben werden. Dann kamen draußen Schritte, und der Schnee wurde an der Tür abgeklopft. Pastor Konrad Oswald trat zu uns herein, in Schnee gehüllt und beladen wie Knecht Ruprecht. Und die Kinder liefen auf ihn zu, Ludwig, Lisel, Fritz, Ada und Hilde, und die Kleinste nannte ihn jubelnd »Hans Muff«. Ganz zu Hause schien er bei ihnen, und ich sah, daß er niemals die arme Kate verabsäumt hatte. Weit öfters als ich war er dort gewesen und hatte aus reichem, geistigem und nicht minder greifbarem Erdenreichtum gesteuert und geholfen. Mitsammen wanderten wir dann am Nachmittage, da eben die Sonne sich zum Sinken anschickte, über die weiße, schneeige Heide. Und da sagte er mit erloschener Stimme: »Und nun geh’ ich fort. Ich reise schon heute mit Maria nach Berlin.« Da erschrak ich, denn ich weiß, daß mit ihm mich der treuste Bruder verläßt. Aber die Sprache seiner Augen ist zu eindringlich, ich muß ihn selbst gehen heißen. So gaben wir uns die Hand, und als ich in den Lager Forst einbog und noch einmal über die Heide schaute, die rot glühte im Strahle der Abendsonne, da stand er noch wie festgewurzelt, ein schwarzer, einsam ragender Baum in der öden Heide. Und sein Arm winkte mir ein letztes Lebewohl. – Ich fürchtete mich nicht in meinem Lager Walde. Trotzdem es anfing zu dunkeln und immer finsterer wurde, je mehr ich mich dem Märchenwalde näherte. Und es taten sich Dome von silberstämmigen Buchen auf, die reichten bis zum Himmel und klopften beim Herrgott an, daß Er sie segne … Immer wieder kommen mir diese gleichen Gedanken. Und gestern war mir ganz eigen fromm und gut zu Sinn. Und was ich nun in der Folge niederschreibe, da ist auch kein Fehl daran, und hat sich alles so zugetragen und sich wie Flammenschrift in mein Herz und mein Gehirn eingebrannt. – – – Auch das Lichtchen in der Clemenskapelle brannte, und aus dem Tempel schimmerte es hell. Ein breiter Strom goldgelben Lichtes floß heraus, als sollte dem Christkind der Weg bereitet werden. »Sieh, da naht es schon«, sagte die dunkle, klangvolle Stimme des Ritter Lage. Und wie immer stritten sich Güte und Sarkasmus in diesem Klange. Als ob er auf mich gewartet hätte, so trat er heraus und streckte mir beide Hände entgegen. Aber meine Füße wollten mich nicht weitertragen, und ich schwieg hartnäckig. »Will man zum heiligen, oder zum profanen Clemens?« scherzte er; um dann ernst hinzuzusetzen: »Die Regenschirmbase tut immer das Richtige. Jetzt schweigt sie, – wie der Märchenwald dort …« Da trat ich rasch näher und legte meine kalten Hände in die seinen und rief: »Der Märchenwald sagt: ›Gottwillkommen, Ritter Lage!‹« Er nickte ernst. »Dies sieht der Regenschirmbase gleich. Sie fragt nicht, bringst du Gutes oder Schlimmes? Sie scheint auf Gerechte und Ungerechte.« »Was Ritter Lage mir bringt, _kann_ nur gut sein«, sagte ich überzeugt. »Man spürt den Segen nur nicht immer gleich, – und – ich brauche viel Sonne – und bin so einsam.« Die letzten Worte konnte er kaum vernommen haben, so leise hatte ich sie gesprochen. Und doch schlug er mit einem Male beide Hände vor sein Gesicht. Es sah erschütternd aus. Was sollte ich tun? Ich kämpfte mit den Tränen. Aber er war mir doch zu fremd, ich konnte ihn nicht berühren, sosehr ich ihn liebte. Da hatte er sich schon wieder in der Gewalt. Seine Hände sanken herunter, er faßte den Elfenbeinstock fester in die Rechte und machte eine Handbewegung, daß ich ihm folgen solle. Er führt mich ja nie, – sein Gebrechen erlaubt es nicht. – »Wir können hier nicht im Schnee stehenbleiben, Gitti«, sagte er heiser. »Sonst bin ich morgen ganz invalide. Vergessen Sie nie, daß ich ein armer Schächer bin, nicht so voll Saft und Kraft wie die kleine, _deutsche_ Lage. Nur Mitleid dürfen Sie nicht mit mir haben, von Gitti vertrage ich kein Mitleid.« Ich folgte ihm in den Tempel. Der Vorraum, der sonst die ~Pietà~ beherbergte, war warm und tiefbehaglich. Schwere Teppiche von einem satten Blau bedeckten den Fußboden, die Wände waren mit silbern schimmerndem Brokat bezogen, mattgedunkelte Gobelins erhöhten die Vornehmheit des Raumes. Nur eine Madonna della Sedia in ovalem, mattsilbernem Rahmen hing als einziges Bild in dem Rund. Im großen weißen Marmorkamin loderten Buchenscheite. Ich schaute in die Flammen. Er blieb an der Pforte stehen, – ich aber fühlte seine Blicke auf mir ruhen. Und diese Blicke sind Kraftquellen. »Ehe ich Ihnen Schweres zu tragen gebe, Freiin Brigitte Lage, sage ich Ihnen, daß ich Sie liebe, wie ich noch nie eine Frau geliebt. Sie verkörpern mir das Höchste, das Schönste, das Beste. Ich, der fünfzigjährige Mann, habe um Sie mit einer Demut geworben, die mir sonst weltenfern ist. Unter Grobheit und bittrem Humor versteckte ich meine heiße Sehnsucht, Sie an meinem Herzen zu halten, Sie zur Liebe zu erwecken, diesen reinen, stolzen Mund zu küssen, bis er meine Küsse erwidere. Gitti, für jeden Blick aus deinen Augen, der mir galt, der mich suchte, für jedes gütige, kindliche Wort sollst du tausendmal gesegnet sein!« »Sprich weiter, Ritter Lage«, sagte mein Herz, aber mein Mund blieb stumm. Man kann nicht reden, wenn das Glück so übermächtig hereinbricht, man kann nur beten für den, der es uns bringt. – Totenstille im Raum. Minutenlang. Da wendete ich meinen Kopf von den Flammen fort und sah nach ihm hin. Sah, daß er in einen der tiefen Sessel gesunken war, daß der Stock auf dem Boden lag, sah sein weißes Gesicht, die blassen Lippen, den tiefen Schmerzenszug um den Mund, sah seine Augen, die mich auf den Platz zu bannen schienen, da ich stand. »Ich bin so glücklich«, sagte ich nur leise. Aber dann lief ich doch zu ihm hin; es war ja zu unnatürlich, daß wir uns so ernst und traurig ansahen und doch wußten um unsere große Liebe. Er stöhnte auf, als ich seine Hand ergriff. »Ist’s nicht erbärmlich,« stieß er zwischen den Zähnen hervor, »daß ich hier sitze und die kleine, feine Frau steht vor mir und muß mich trösten?« »Ich verstehe vieles nicht«, sagte ich fest. »Ich kenne Ihren Kummer nicht. Wollen Sie ihn nicht mit mir teilen, Ritter Lage? Ich hab’ dich doch so lieb, Clemens, weißt du es denn nicht?« Da sah er mich wieder an, und vor diesem Blicke erhob ich mich und ging langsam nach dem niedrigen, seidenen Diwan, der sich längs der Wände hinzog. Dort setzte ich mich hin, ganz still. – Da tönte wieder seine tiefe, gute Stimme, aber es war mir, als käme sie aus Fernen. »Gitti, mein süßes Kind, hör’ mich an. Wir müssen uns trennen. Ach, daß ich dir, der allzeit Gebenden, Gütigen, dieses Christfest bringen muß!« »_Mußt_ du es?« fragte ich zurück. Und vielleicht schwang ein Gran Zorn mit in meiner Frage. Ich wehrte mich, da man mein Herz zertrat. Seine Stimme ward fester, schier feindlich. »Frage nicht so, Gitti. Ich bin nie ein Tierquäler gewesen, und gegen dich brutal zu sein, ist das Schwerste, was mir das Geschick bisher auferlegte. Jawohl, das _Schwerste_«, betonte er noch einmal stark, wohl weil ich mich ein klein wenig gerührt hatte. Er selbst schmiegte sich noch tiefer in den alten, großen Sessel, die hoch lodernden Flammen umleuchteten sein strenges Profil. Er sah an ihnen und an mir vorbei und erzählte mit harter, weh tuender Stimme: »In vielem, was ich dir jetzt sage, werde ich dir Elementarbegriffe beibringen, – unterbrich mich dann nicht, ich möchte haushalten mit deinen und meinen Kräften. Vorerst aber bitte ich dich, heute hier auf eine Stunde die Hausfrau zu spielen und dir und mir jenen Wein dort zu kredenzen, Wein vom deutschen Rhein, alt und fein wie er, und abgelagert in den Lageschen Kellern. Gitti, Geliebte, ich bring’ ihn dir!« Er hob das Rubinglas, in das ich den wie Öl rinnenden Trank gegossen. Wir sahen uns an und tranken schweigend. – »Gitti, – denke dir einen jungen Kerl, vierundzwanzigjährig, und bis zum Wahnsinn verliebt in ein Mädchen. Oder denke dir ihn nicht, er trägt auch nicht einen einzigen Farbenton, der mir heute gliche … Dies Mädchen, gleichaltrig mit mir, war meine holländische Base. Vornehm und rassig äußerlich, innerlich zügellos, unbeherrscht. Das erste Jahr unserer Ehe verging im Rausch. Ich hatte gar keine Zeit zum Erwachen. Dann … wurde unser Kind geboren. Und der Mund, von dem ich nur maßlose Liebesworte gehört, schmähte mich von da ab in rasendem Zorn … Gitti, du kennst das traurige Etwas, das man meinen Sohn nennt … Gitti, sie sagte, sie schrie, ich hätte ihn belastet … Gitti, ich war damals rank und schlank wie ein junger Baum. Zart, wie die Holländer Lages alle, aber nicht so wie jene Lages aus Antwerpen, von denen das dünne Büchlein des alten Haudegen spricht. Hast du über das Büchlein nachgedacht, du kleine, feine, kerngesunde Gitti? Antworte!«, herrschte er mich an. »Ich habe darüber nachgedacht.« »Und du liebst mich noch, du Süße? Du fliehst nicht meilenweit und schlägst nach mir? Und entziehst dich mir? Und, und – –« Er bohrte seine Fäuste in die Augen. Ich lächelte. Freilich mit viel Schmerzen, aber doch so, wie man über ein großes Kind lächelt, das zornigen Unsinn herausredet. »Noch mehr lieb’ ich dich, noch viel, viel mehr …« sagte ich innig. »Da ist es wieder, dein verfluchtes Mitleid«, sagte er, zornig verbissen. »Gitti, – ich kann dein Mitleid nicht vertragen.« »Und _ich_ nicht dein Quälen«, rief ich und sprang auf. Stand ihm dann gegenüber ganz kalt vom Kopf bis zu den Füßen. Tief erbittert. »Warum schlägst du mich, Clemens Lage? Was habe ich dir getan?« Er lachte grell. »Die Situation ist neu: ›Ritter‹ Lage, ein kleines, feines Frauchen schlagend. _Meine_ Fraue, deren Farben ich trage … Aber du hast recht. Wann hättest du _nicht_ recht, du weißes Mähschäfchen?« »Ich bin kein Mähschäfchen! Und ich hasse den Namen jetzt und will ihn nie wieder hören …« »Wollen wir uns zanken, Gitti? Willst du mir jetzt alles zurückgeben, was du an Zorn aufgespeichert nach Empfang meiner Briefe, denen nie eine Antwort ward? Nicht doch, nicht doch. Was ich an dir so liebe, ist deine vornehme Beherrschtheit in jeder Lage, Gitti, – oh, ich habe dich wohl studiert. Und du wirst jetzt ganz gehorsam auf deinen Platz dort zurückgehen, in demselben Gehorsam, in dem dich der prächtige Vetter Ernst Lage erzogen hat. Damit ich dir mein grausames Märchen weiter erzählen kann. Oder liebst du nur himmelblaue Märchen von blonden, großen Schlagetot-Prinzen, Sieh-und-stirb-Helden. Und von Erbsen-Prinzessinnen?« »Nein«, rief ich laut. »Du hast mich ja das Märchen vom garstigen Zornebock gelehrt, und – ich kenne die Prinzessin wohl, die ihn und sich erlösen wollte. – Sie mußte mit bloßen Füßen durch spitze Schwerter gehen, aber jeder Blutstropfen bedeutete Erlösung …« Er sah mich an, als sähe er mich zum erstenmal. »Gitti, ich fürchte mich vor dir. Vor deiner Güte. Gibt es so etwas auf dieser Welt? Herrgott, werde ich’s jemals verwinden können, daß ich dich nicht vor zwanzig Jahren kennenlernte und beide Hände über das Thüringer Waldkind breitete, bis du mein Weib werden konntest??? – – – Höre weiter, Gitti. – Meine Frau liebte mich nicht mehr. Und wenn ich es nicht fassen wollte, ›daß Liebe brechen kann‹, wie es im Volksliede heißt, so gellte mir ihr Haß, ihre tiefe, kränkende Abneigung in die Ohren. Dann wurde ich plötzlich krank, Gitti, – lächerlich krank, – ich bekam die Masern. Lach’ doch, Gitti. Denn man brachte mich, den Freiherrn von Lage, ins Spital, weil meine Frau mich nicht pflegen wollte. – Und die Masern waren schwer. Vielleicht hätte ein Kind sie überwunden. Aber der _Freiherr_ von Lage war seitdem ein _gebundener_ Mann. Ich erstand aus der Krankheit, so wie du mich siehst. Nicht gleich so schlimm. Es kam nach und nach. Und das Schicksal bejahte den Widerwillen meiner Lebensgefährtin. Die Tragik meiner Ehe kannte nur ein Mensch außer mir, Leo von ter Mählen in München. – Ihm hatte ich meine Frau gezeigt, als er noch in Holland wohnte. Kleine Gitti, diesen Freund müßtest du kennenlernen … Aber vielleicht könnte ich’s noch gar nicht ertragen, daß du ihn kennenlerntest …« »Ich habe ihn kennengelernt.« Er fuhr auf aus seiner bequemen Stellung. »Gitti! Wie kam das?« »Durch die Heidkamper.« »Nun, – und?« »Ich habe ihn sehr liebgewonnen.« Clemens Lage lachte leise. »Ich gönne ihm das. Es klang anders, als du _mir_ dies Wort sagtest …« »Ohhh …« »Quäle ich dich schon wieder, Gitti? Ändert sich Zornebock nie? – Was sprachst du mit Leo?« »Nur von dir. Er erzählte mir von einer Tonfigur, die du geformt …« Wieder richtete sich Ritter Lage lebhaft auf. »Hat er den Tag und die Episode behalten? Das ist Freund Leo, wie er leibt und lebt. Knüpfte er keine Bemerkung daran?« Er sah mich forschend an. »O doch. Er sagte, daß – ich diesem Figürlein aufs Haar gliche … Und – er fragte mich …« »Du brauchst es nicht zu sagen. Ja, ich hab’ dich all mein Leben lang gesucht. – Geh fort, Gitti, du kamst zu spät …« Da wollte ich wirklich gehen, aber er hielt mich in raschem Griff zurück. Es tat weh, so fest griff er zu. »Willst du wohl, Wilde«, zürnte er. »Du sollst nicht immer gehorchen … Sieh, ich möchte zu Ende kommen mit meinem Märchen aus tausendundeiner – Wahrheit. – Wenn ich zu Ende bin, lasse ich dich sicher heimgeleiten. – Gitti, – Freund Leo und ein anderer Freund, ein Arzt in München, hielten mich aufrecht. Sie sagten mir, daß ich mich mit Gespenstern plage, daß ich innerlich gesund sei, sie forschten und brachten gute Kunde … Ich wurde ruhig, wurde gesammelt und froh, trotz meines Leidens, das niemals Fortschritte machte, mich nicht ernstlich an ernster Arbeit hinderte. So wurde, wie allen echten Lages, die Arbeit meine Lebensgefährtin. Die andre – versagte ganz, sie steigerte sich in furchtbare Reizbarkeit und den berüchtigten Lageschen Jähzorn hinein … bis ihre Nerven zerrissen. Das war mein Leben an ihrer Seite, Gitti.« »Warum sagtest du mir nichts, Clemens? – Gleich, – als wir uns das erstemal sahen? – Oder warum schriebst du mir nicht, – daß – – sie lange, lange tot sei?« fragte ich langsam und leise, und meine Augen funkelten ihn durch Tränen an. – Er verstand mich sofort und erschrak. »O Gitti«, sagte er weich. »Auch _diesen_ Kelch hab’ ich dich trinken lassen? Und konnte doch wissen, daß eine Gitti darunter leiden _mußte_, einen Mann zu lieben, der nicht frei war. – Erlaß mir die Antwort! – Es ist die eine so weh tuend für dich, wie die andere. Aber nun höre, wie _du_ in mein Herz kamst, Gitti, – willst du es hören?« »Ja, Ritter Lage.« »Die Base Jesuliebe erzählte mir von dir. Erzählte von Erfurt und deinem Elternhause. Und ich öffnete mein einsames Herz, das all sein Lebtag von der Jungszeit an gedarbt, gehungert und gefroren beim harten Vater, fern der toten Mutter – bis Base Jesuliebe kam, die Wunderliche, Unvergleichliche. Und wie ich mein Herz weit ihren Erzählungen auftat, da schlüpftest du mit hinein, du geschmeidige Schmerle aus dem Thüringer Waldbach – – und bliebst darinnen.« »Ja«, bestätigte ich glücklich. »Sie lacht schon wieder, die veränderliche kleine Regenschirmbase«, spottete Ritter Lage; »sie trägt Sonne und Tränen in _einem_ Säckchen mit sich herum.« »Warum sollt’ ich nicht, Clemens Lage? Du brauchst beides.« »Ich brauche nichts von dir, Gitti«, sagte er herb. »Herrgott, was rede ich da? – – Gleichviel. Ich nehme nichts von dir an, du bist ganz frei, Gitti.« Und nun überstürzten sich seine Worte, als rede er im Fieber. Er tat’s wohl auch. – »Damals, als ich spürte, daß ich dir mit Haut und Haar verfallen war, Gitti, und doch auch glaubte, innerlich gesund zu sein, da tat ich auch heilig Gelöbnis, daß ich um dich werben wollte in Ehrfurcht. Um die Mutter meiner Kinder, Gitti, hörst du, mein scheues Kind? Gott, Gott! Wenn ich dran denke, was Jesuliebe Lage mir von dir erzählte! Von deinen närrischen – anspruchsvollen Wünschen, Gitti … Trunken war ich vor Glück. – Dich zu nehmen, dich zu lehren, dich aufzuwecken … Und da nahm ich das Ringlein vom Topasenschmuck und band es mit einem Myrtenzweig und goldenem Bande an meiner Mutter Gebetbuch. Dort hängt es an dem Tannenbäumchen, Gitti. – Aber du wirst es nie bekommen und tragen … Denn – ich reiste landauf landab, die Kreuz, die Quer in jede große oder kleine Stadt, darinnen kluge Ärzte lebten, und eröffnete mich ihnen … Und es hat mir jeder versichert – – – Gitti – Liebes – – _daß ich entsagen müsse_.« – [Illustration] Als Ritter Lage mir dies Schwere aufzuheben gegeben, – da bin ich wohl sehend geworden und um Jahre gereift. Ich erhob mich von meinem Platze und ging festen Schrittes zum Tannenbäumchen, nahm das »vierte Päckchen« von seinen Zweigen und öffnete es. Ein rotes Gebetbüchlein mit goldenem Schloß lag darin, daran hing an goldenem Kettchen der Topasenring. Ich steckte ihn an meinen Finger und trat zum Ritter Lage. »Hier steht deine Braut, Clemens Lage«, sagte ich schlicht. »Was ist’s, dem wir entsagen müssen? Denk’ nicht daran, Ritter Lage. Wenn wir beisammen sind, – _das_ ist Glück. Wenn ich mit dir zu Tisch sitze, dich pflegen darf in Krankheit, die Gott verhüten möge, _das_ ist Glück. Dein Leiden, das ist wohl traurig – – könnt’ ich’s für dich tragen. Ich wollt’ dich dann wahrlich nicht fortschicken, sondern dich bitten, mich zu stützen, Ritter Lage. Und – wenn wir kein Kindchen haben dürfen, – – hab’ ich nicht drunten ein ganzes Waisenhaus voll? Und darf ich nicht deine Schwester sein?« [Illustration] »Gitti, du marterst mich unsäglich«, stöhnte er auf. »Mit deiner holden Güte marterst du mich. – Willst du mich durchaus ganz klein sehen? Soll ich dir bekennen, daß ich zu solchem zahmen Glück nicht tauge? Daß ich dich in derselben Stunde, da der Priester uns verbunden, in meine Arme reiße, meine stolze, scheue Gitti? Und daß ich es doch nicht zum zweiten Male ertragen würde, mich geschmäht und verachtet zu sehen von einem Weibe, weil der Sieche, der Krüppel nach Menschenglück und Lust verlangt hatte? Geh, Gitti, – ich _bitte_ dich, geh.« Da löste ich meine Füße von der Stelle, wo ich stand. Und sah ihn an, der mich fortwies. Und schritt zum Tisch und mußte mich an diesen klammern, weil sich der Raum rings um mich drehte. Muß wohl sehr weiß und krank ausgesehen haben, denn Ritter Lage stand plötzlich neben mir. Aufrecht, nur leicht auf den Stock gestützt. Den linken Arm legte er um mich. Tief und gut sah er mir in die Augen. »Was bin ich für ein Barbar! Darf ich verlangen, daß dies kleine Mädchen stärker sei als ich? Soll ich dich küssen, Gitti? Darf ich? Wirst du dann wieder mein tapferes Lieb? Wirst du dann wieder rote Wangen haben und strahlende Augen? Darf ich dir zeigen, wie unsäglich lieb ich dich habe? Und daß du dich doch nicht zu fürchten brauchst vor dem bösen Zornebock? Hast du Vertrauen zu mir?« Ich nickte stumm. Da nahm er mich an sein Herz. Ritter Lage lehrte mich den ersten Kuß. – Sonne war ringsum. Sonne. Ich lebte, ich ward. Ich ward gut und fromm. Und erhielt die Kraft, einen Schattenweg zu durchwandern durch Kälte, Einsamkeit und Not. – Wir standen Hand in Hand und Mund an Mund. Lange, lange. Die Uhr auf dem Simse tickte. Die Buchenscheite loderten und fielen zusammen. Baumzweige, schwer von der Schneelast, schüttelten sich im Wind an den Fenstern. Nur vier Worte fielen: »Du Scheue, meine Königin!« [Illustration] Heilig war die Stunde. – Und so viel Gotteskraft gab sie mir, daß ich mich sacht aus seinen Armen lösen konnte. »Du!« sagte ich zitternd vor Scheu und vor Liebe, »du! Leb’ wohl! Hab’ Dank!« Und ich legte meine kühle Hand auf seine heißen Augen. Da schwieg sein Begehren; und der köstliche Zug des humorvollen Spottes, den ich so gern sehe, legte sich um seinen vornehmen Mund. – Er nickte nach der Seite hin, als spräche er zu jemand anderem: »So echt die Gitti! Sie dankt _mir_ für eine Stunde namenlosen Glückes, die _sie_ mir schenkte …« Er ging nach der Wand hin und drückte auf einen Elfenbeinknopf. Nicht lange, da stand die alte Eva auf der Schwelle einer verborgen sich öffnenden Tür. Und sie hielt einen hohen silbernen Leuchter mit brennender Kerze in der Hand. »Liebe Eva,« sagte Ritter Lage mit fester Stimme, »führe unsere junge Königin zurück in ihr Schloß.« Er entnahm ihrer Hand den schweren Leuchter und hielt ihn mit seiner kraftvollen Linken über meinem Haupte und folgte uns durch den schmalen unterirdischen Gang, den ich zum erstenmal betrat. Der Schatten lief über die weißen Wände, – sein Schatten … An einer uralten Bronzetür mit wuchtigen Beschlägen endete der Gang. Die alte Eva nestelte an umfangreichem Schlüsselbund und schloß auf. »Leb’ wohl, Glück!« sagte leise seine dunkle Stimme hinter mir. Da wendete ich mich und sah lange abschiednehmend in das liebste Antlitz auf der ganzen Welt. Und reichte ihm meine Hand, die er ehrfurchtsvoll an seine Lippen zog. Dann blies mein Mund in die flackernde Kerze. – Und so löschte ich mit eigenem Willen das Licht aus, das mein Glück im grauen Alltag war. – 40. An einem Sonntagmorgen. Ich komme eben von meinen Dorfgängen zurück. War auch vorher in der Kirche. Und ganz früh schon im Märchenwald … Der keine Wunder mehr birgt. Meine Mutter sang früher ein uralt Lied: »Die Sunn scheint nit mehr wie eh’. Der Tag ist nimmer heiter, So liebreich gar nit meh’. Mein Herz ist nimmer mein. Ich hab’s an dich gehangen, Doch bist du von mir gangen, Herzallerliebster mein!« »So liebreich gar nit meh.« Ein liebreicher Tag! Der war einst mein. Meine ganze Jugend war solch liebreicher Tag. Und dann jener heilige Christabend! Da _seine_ Liebe mich weckte. Wie könnt’ ich sonst ganz in anderen aufgehen? Nächstenliebe üben? Opfer bringen, Christ sein, mich selbst verleugnen um der mühseligen Brüder und Schwestern willen? Mit seinem Bekenntnis hat er mich geadelt, hat mir Gesundheit, Kraft und Güte verliehen und sich selbst gut und gütig gezeigt. Denn Ritter Lage ist verschlossen. Er weiß, was für Aufgaben meiner harren. Er weiß, wieviel Sonne ich abgeben muß. So senkte er mit seinem Bekenntnis eine Fülle von Sonne in mich hinein, die sich niemals erschöpfen kann. – Aber vielleicht fühlte er auch erst, als er mich küßte, wie gut er mir war. »Du Scheue!« »Meine Königin!« hat er mich genannt. Und einmal strich es an meinem Ohr hin: »Liebste!« Kann eine Frau wohl je vergessen, wenn der einzige Mann, den sie im Herzen trägt, Liebste zu ihr sagt? – Nun bin ich Frau Liebe, Frau Treue, Frau Güte. Wenn ich mit umflortem Blick die Wunderwelt Gottes streife, die bereiften Bäume, die schneeglitzernde Heide, die Abendsonne über dem tiefdunkeln Weiher … dann rufe ich wohl zugleich: »Ich sollte in Freuden vor euch stehen und meine Augen strahlen lassen: ihr seid so schön. – Habt Geduld! Ich will es wieder lernen, das heilige Lachen.« Und so sage ich auch den kranken Menschen, die nach meinen frohen Augen verlangen, weil sie meinen, diese zwei Sonnen ständen ihnen wohl zu, da sie doch von Gottes Sonne in ihrem Siechtum nichts sehen. Du Ritter Lage! Das war deine Mission. Was ich jetzt tue an Heilkräftigem und Gutem, du hast es ausgelöst für immer durch dein Bekenntnis. Und wenn ein Segen von mir ausgehen wird, – _du bist sein Urquell_. – – Montag. Der liebe Freund war gestern bei mir. Leo von ter Mählen. Ritter Lage hatte ihn geschickt. Wie arbeitete es in seinem Antlitz, als er vor mir stand! Er hielt eine lange Weile wortlos meine Hände, und dann klang es nur: »Freiin Brigitte! Sie armes, tapferes Mädchen …« »Wer tapfer ist, ist niemals arm«, entgegnete ich ihm leidlich fest. Dann saßen wir erst lange schweigend. »_Das_ hatte ich nicht vermutet«, sagte er endlich. »_Das nicht._ – Das reichste Glück hätte mir gerade eben getaugt für Clemens Lage. Diese düsteren, zwanzig Jahre, die hinter ihm liegen, hätten verklärt werden müssen durch ein Meer von Licht, das durch Sie zu ihm gekommen wäre, Freiin Brigitte. Könnt’ ich’s dem Clemens schaffen … was setzte ich _nicht_ dafür ein? Glauben Sie mir, Brigitte?« »Ich glaube es Ihnen. Und der Gedanke, daß Sie, sein bester und liebster Freund, in meiner Nähe bleiben, das macht meinen Weg so viel sonniger.« »Sie sind bescheiden, Baronin. Aber daß Sie nur über mich zu befehlen brauchen, das soll Ihnen immer gegenwärtig sein. Ich will Ihnen die Hände unter die Füße breiten, genügt Ihnen das?« »Es ist viel zu viel«, wandte ich ein. »Ich bin Ilexwege gewohnt, bin auch nicht wehleidig. – Hat Ihnen Clemens Lage erzählt, daß wir uns restlos ausgesprochen haben?« »Menschen wie ihr können sich niemals restlos aussprechen«, meinte er ernst. »Ihr seid dazu geschaffen, ein ganzes Dasein lang euch immer neu zu sehen und zu erleben.« »Immer neu zu sehen und zu erleben«, wiederholte ich. »Das habe ich mir ersehnt mein ganzes, junges Leben lang …« Und ich wehrte meinen Tränen nicht, die plötzlich hervorbrachen. Da sprang Baron ter Mählen auf. »Nicht so, nicht so, teure Brigitte,« rief er, »ich kann Sie nicht leiden sehen …« Er lief im Zimmer umher, wie ein Tiger im Käfig. Der Schmerz, zwei liebe Freunde im aussichtslosen Kampfe zu sehen, hob ihn aus dem Gleichgewicht. »Haben Sie Clemens Trost gebracht?« fragte ich endlich leise. »Meinen Sie, Baronin, daß solches Geschehen irgendeinen Trost in sich birgt? Oder daß unser Freund aufnahmefähig gewesen wäre? Überdies bedürfen Clemens und ich niemals vieler Worte. Ich sagte ihm nur: ›Es ist mir leid um dich, mein Bruder Jonathan.‹« – – Ich wand meine Hände in bitterm Schmerz ineinander. »Wäre es nicht besser gewesen, Brigitte, Ritter Lage hätte Sie unwissend gelassen? Er hat Sie aufgestört durch das Bekenntnis seiner Liebe …« »Wagen Sie es, dies auszusprechen?« rief ich außer mir. »Hätte er geschwiegen, so hätte er einen Verschmachtenden ohne Wegzehrung auf eine Wüstenwanderung geschickt. Dessen ist ein Ritter nicht fähig. Oder bereut er jene Stunde im dorischen Tempel?« »Sieh, sieh, was der Lagesche Jähzorn für Blüten treibt«, sagte Baron Leo beruhigend. »Clemens denkt genau wie Sie. Sogar das Wort ›Wegzehrung‹ gebrauchte er.« »Ich segne jene Stunde«, sagte ich fest. »Und ich werde immer so mein Leben formen, als sei ich seine Gattin und hätte die Ehre seines Namens zu hüten.« Ter Mählen sah mich erschrocken an. »Das ist ein vorschnelles Wort, das Sie sich geben, Brigitte Lage. Ihr Leben liegt noch unausgefüllt in langer Strecke vor Ihnen …« »Es ist randvoll ausgefüllt!« rief ich. »Vom ersten Augenblicke an wußte ich, daß Ritter Lage mein Schicksal war. So lächerlich es Ihnen klingen mag, Baron, – die wunderlichen Berichte, die Clemens auf das dicke gelbe Büttenpapier schrieb, gaben mir all das, was Vaters früher Tod an meiner Erziehung zum Menschen übrigließ. Ich verdanke Ritter Lage mein Selbst.« »Und Ihr Glück, Brigitte? Ihre volle Entfaltung? Ihre Erfüllung?« »Ich bin nicht unglücklich«, wehrte ich ab. »Ich habe Clemens Lage reiner, fester und größer zu eigen, als ihn je ein Weib besitzen könnte. Aber meine Jugend und mein Begehren hat er mit sich genommen, die gab ich ihm als Geschenk in jener Stunde. Und er gab mir dafür sein Vertrauen …« Baron von ter Mählen streckte mir beide Hände hin. »Sie haben sich das Größeste vorgenommen, Freiin Brigitte. Sie wollen aufgehen in andern. Doppelt schwer das Wagnis, weil Sie aus sich, und _nur_ aus sich selbst Liebe schürfen wollen, ohne selbst erneut zu werden. Aber wenn ein Mensch auf Gottes Erde dies Wagnis unternehmen kann, so sind _Sie_ es. Werden Sie mich rufen, Baronin, wenn Sie meiner bedürfen?« Er stand auf, und ich gab ihm meine Hand, die er ehrerbietig küßte. Ich bejahte seine Frage. Dann war er gegangen, und meine einsame Wanderung begann. – – – 41. Die alte Eva kommt mir von Kräften. Freilich ist sie weit über die Siebenzig hinaus. Aber sie konnte doch noch huschen und schleppt sich jetzt am Stock. Den verbirgt sie vor mir. Wie töricht! Sie soll ein gutes Ausruhen und meine töchterliche Pflege in Haus Lage haben. Es ist mir ein lieber Gedanke, daß ich selbst älter werde bei diesem alten Inventar und … Nein. Wenn ich diesen Satz zu Ende schreibe, so klingt aus ihm müde Entsagung und Verzicht. Das soll nicht sein. Wenn ich untapfer an meine Mission herangehe, so kann Ritter Lage keine Freude an Gitti haben. Seinen Stolz auf mich, den will ich mir verdienen. Seit ich weiß, wie hoch er mich wertet, seitdem will ich diese Höhe erreichen … Auch nicht wegmüde und wund auf dem Gipfel niederfallen. Weiterschreiten. – Hie und da rückschauend rasten, aber nicht rosten. In der Dämmerung. Eben ging die alte Eva aus meinem Zimmer. Sie hatte lange bei mir gesessen, nachdem sie um mein Vertrauen gebeten. – Da hab’ ich es ihr geschenkt, der alten Dienerin des Hauses Lage, und habe sie dadurch zur Freundin emporgehoben. Viel Wirrnis hat außerdem diese Aussprache geklärt. Eva hat sehr unter unserm Mißtrauen gelitten. Ihre Berichte an den im Ruhestand lebenden Pfarrer waren gut gemeint und sind böse entstellt worden. Nun wird auch dieser Stein des Anstoßes weggeräumt, denn der alte Pfarrer verläßt Lage. Das ist gut für den jungen, und auch für das Dorf, und nicht zuletzt für mich, die Schutzherrin. – Der Nachfolger Oswalds ist ein ruhiger Gelehrter. Kein Feuerkopf, wie ihn wohl Lage brauchen könnte, wenigstens die Jugend, die schon gleich am ersten Sonntag nach seiner Predigt Gesichter aufsteckte, die besagen sollten: »Der Mann tut uns nichts.« Und seine Frau scheint kränklich zu sein. Immer etwas stöhnend und Klageweibchen. Pastoren und Lehrer sollten gesunde Frauen heiraten, – wer sollte es _nicht_? Aber es steckt ja auch viel Grausamkeit in dem Verlangen. Ich hatte mich darauf gefreut, mit der Pastorin die praktische Leibsorge auszuüben, während dem Pfarrherrn das Seelenheil der Dörfler verbleiben sollte. Damit ist es nun nichts. Zu allererst muß ich immer die Pfarrfrau betreuen, die mir immerhin ein gutes Vertrauen entgegenbringt. – Aber mehr als 365 Krankheiten erlaube ich ihr nicht. Heute hielt sie mich und sich auch mit viel Schreckhaftem auf, bis ich ihr den guten Rat gab, mich zu begleiten und über dem wirklichen Leid und der Not ihrer Pfarrkinder die eigenen Schwierigkeiten zu vergessen. Und nun haben die 3 Wanderstunden, die wir heute von Haus zu Haus unternahmen, hoffentlich Gutes ausgewirkt. – Die Pfarrfrau sah mit großen, erstaunten Augen auf all die Bresthaftigkeit ringsumher, sah auch leuchtende Augen über eingefallenen Wangen und hörte den dankerfüllten Bericht einer Mutter, daß sie nach monatelangem Wachen am Bett ihres kranken Kindes nun wieder ein Stündchen hätte ruhen können, weil es so herrlich vorwärtsginge. – Und sah dann auch den erbärmlichen kleinen Krüppel, um den diese Nächte durchwacht wurden. Das »Nichtsehen« und »Dochglauben« wird allen Menschen so schwer. Auch meiner Pfarrerin von Lage muß man mit Beweisen kommen. – Die Sonntagmorgen sind mir meine liebsten Stunden. Wenn ich von meinen Samaritergängen zurückkehre, wie Ritter Lage meine Dorfbesuche nannte, dann kann ich nicht sofort in das Gleichgewicht kommen. Ich muß erst mit Bäumen, Sträuchern, Wiesen, Wald und Feldern Zwiesprache halten. Heute suchte ich meine Birke; ich rieb mir die Augen, weil ihr kraftvoller Stamm mir sonst immer schon von weitem leuchtete in seinem scharf umrissenen Schwarzweiß. Dann fand ich sie am Boden liegend. Mein Ausruf mag wohl wie ein Stöhnen geklungen haben, denn der Förster ging von den Holzfällern fort und trat mit der Entschuldigung zu mir heran: »Die Birke hatte den Wurm in sich.« Den Wurm in sich – mein Kleinod, mein prächtigster Baum … Ich schaute auf den Gefällten nieder und dachte daran, daß hundert Frühlinge ihn in Liebe zum Licht emporgetragen hatten … Ein Wurm schlug ihn zu Boden und nichtige Menschenhand. – Der Förster sah befremdet nach mir hin, als ich antwort- und grußlos weiterschritt. Mir galt der Wald nichts mehr, da der eine Baum fehlte. Wie schwer wird meine Erziehung zum Verzicht sein! Vor wieviel Lücken soll ich noch stehen und tatlos warten, bis sie sich schließen, oder bis sich mein Empfinden vor ihnen verschließt? Auf diesem ernsten Heimwege begegnete mir die Korb-Sina. Mir war sie wie ein Gruß, wie der winzige Teil eines Glückes, das verschollen war und vergessen sein sollte. Ich hätte sie mit beiden Händen festhalten und an mich ziehen mögen. Um leise eifrig an ihrem Ohr hin zu sprechen: »Wie geht es _ihm_? Wo weilt er? Betreust du ihn? Hängt mein Name noch in seinen Räumen? Spricht er von mir?« Aber als ich hastig ihren Namen rief, sah sie mich mit bösen Augen an und stieß nur hervor: »Maria ist fort!« Da war ein Klang drin, erschütternder als der Fall der Birke. – »Was soll das, Sina?« rief ich noch. – Da war sie schon entwichen. – Aber meine Füße wollten mich kaum weitertragen. Ich sah ihr lange nach. _Dir_ gibt sie die Schuld, daß das einzige, was diese verachtete Frau besitzt, fern von ihr und der Heimat leben muß … Wie stark muß ich werden, um auch ungerechte Vorwürfe klaglos zu ertragen. Und wie abgeklärt, gerecht und verzeihend, um über allem zu stehen und – »wohlzutun denen, die dich beleidigen oder verfolgen«. Still war mein Heimweg, nachdenklich trat ich ins Haus. – Hier fand ich Tante Fernande meiner wartend. Mit heißen roten Bäckchen trippelte sie in ihrem Sonntagsstaatsgewand im langgestreckten Zimmer auf und nieder, ungeduldig zusehend, wie ich die Garderobe ab- und zusammenlegte. Bis Eva kam, um alles in den Schrank zu hängen. Die Krinoline, welche Tante Fernande unter den Kleidern von Muhme Jesuliebe trägt, wippte auf und nieder, und sämtliche Falbeln rund um den weiten Rock schienen in derselben Aufregung wie die Trägerin selbst zu sein. Als ich dann endlich äußerlich geruhig neben ihr saß, packte sie die Nöte ihres alten Herzens aus. Haus Lage sei ein kaltes Grab, sie aber nicht gewillt, sich in ein solches schon mit siebenzig Lenzen hineinzulegen, da die deutschen Lages doch allesamt 90 Jahre und mehr erreichten. So sie aber dieses Leben in Langeweile weiterführen müsse, würde ihr mattglimmender Docht unweigerlich verlöschen. Also gewählt drückte sich Tante Fernande aus, denn das Idiom des Altenfrauenhospitals war ihr nie recht geläufig gewesen, und das wenige davon hatte sie schnell in Haus Lage vergessen. »Ei«, entgegnete ich ihr. »Da ist rasch abzuhelfen. Langeweile soll der widerlichste Gast sein, den man sich denken kann. Gottlob, daß ich ihn in meinem ganzen Leben nicht kennenlernte. Tante Fernande, ich habe keine Kindergärtnerin, seit Maria Oswald fort ist, und die neue Pfarrfrau ist kränklich. Willst du dies Amt übernehmen in deiner frischen Rüstigkeit?« Das letzte war allerdings etwas stark aufgetragen, aber ihr ganzes Persönchen verjüngte sich unter meinen Worten, und lebhaft erwog sie alle Vorteile dieser neuen Tätigkeit. Zuletzt kam freilich noch ein tiefer Stoßseufzer als Frage, wer ihr den Ohm Matthias ersetzen könne, der zwar ein ungehobelter Patron und Barbar, doch ein Meister im Schachspiel gewesen sei, und dieses entbehre sie ungeheuerlich. So versprach ich ihr denn als Partner den Baron von ter Mählen, und sie lächelte sofort versöhnt. Dann wurde sie elegisch. »Ich hatte es mir anders gedacht, Nichte Brigitte. An den ersten Besuch von Baron _Clemens_ Lage hatte ich Hoffnungen geknüpft …« Da geleitete ich sie sacht zur Tür hinaus. Sie ist ja wie ein Kind und wird sich rasch beruhigt haben. Ich aber nicht. Ich kann noch nicht von Möglichkeiten reden hören, welche die Prinzessin Ohnearg und Weißnichts verschlafen hat … 31. Dezember. Heute ist Silvester. So einsam habe ich es wohl noch nie erlebt. Daheim bei den Eltern pflegten wir aufzubleiben bei Kartenorakel und Bleigießen, und in der Neujahrsnacht wurden dann noch einmal die unvergeßlichen Weihnachtslieder unter der brennenden Thüringer Edeltanne gesungen, bis Licht um Lichtchen knisternd erlosch. – Und dann saß man still plaudernd noch ein Stündchen zusammen, und ich nahm goldene Vater- und Mutterworte in jedes neue Jahr mit hinüber und baute auf ihnen mein Leben weiter auf. Gesegneter Untergrund! Gesegnet Silvester! Heute bin ich allein. Tante Fernande ist zu Pastors gegangen. Sie hat im Spital eine Menge fröhlicher, lebenbejahender Altjahrsabendscherze kennengelernt, sogar Mummenschanz haben die verhutzelten Weiblein getrieben, und ich konnte Tante Fernande nur mit Mühe zurückhalten, als Knecht Ruprecht verkleidet ins Pfarrhaus zu stapfen. Ordentlich alt kam ich mir neben ihr vor, als sie kichernd mit ihrem Laternchen abzog, in ihrem Pompadour Kartenspiele und Scherze bergend, als Überraschung für das biedere, pfarrherrliche Paar. Die alte Eva habe ich zu Bett geschickt, – mir selbst wollte ich die Novellen von Wilhelm Raabe auf meinen Schreibtisch legen … * * * * * Da lag schon etwas anderes … Ritter Lage schreibt: »Mein heiliges Lichtchen soll am Silvesterabend nicht noch einsamer brennen, als es ohnehin leuchtet. Ich will bei ihm sein. Du! Du! Leo ter Mählen hat mir erzählt. Hat mir ein Wort von Dir gesagt, wie es eben nur das Licht von Lage in seinem Herzen hegen kann: ›Ich will mein künftiges Leben so formen, als ob ich Ritter Lages Gattin sei und die Ehre seines Namens zu hüten hätte.‹ – Und nun sage ich Dir, der ich immer tölpelhaft in Dein Leben eingriff, Dich mit bösen Worten kränkte, wo Du die Liebe selbst verkörpertest, und Dich schlug, wenn ich Dich hätte streicheln sollen, daß Du mich nicht so hart strafen darfst, Gitti. – Nicht freveln darfst Du – nicht einsam bleiben. Um Deiner selbst willen nicht, Du starkes, schönes, geliebtes Geschöpf. _Das_ soll meine Strafe sein, daß ich Dich inmitten der Deinen sehen muß an der Seite eines kraftvollen Gatten, dem Du gesunde Kinder schenkst … Gitti, um eines boshaften, siechen Mannes willen, der Deine Liebe hundertfach kränkte und verletzte; und der sie zum Schlusse nicht einmal annimmt aus Deinen reinen Händen … Gitti, – nicht um meinetwillen darfst Du verkümmern in Einsamkeit und Öde von Lage … Laß Dich herausreißen von einer starken, vornehmen Männlichkeit, verschwende keinen Gedanken mehr an mich. Wenn mein Leiden größere Fortschritte machen sollte, so will ich mich selbst in Haus Lage vergraben, wenn Du es verlassen hast. Dein Geist, Gitti, bleibt ja doch darinnen und wird sich meinem brennenden Heimweh zugesellen … Der Enterbte.« Nach dem Lesen dieses Briefes bin ich zum erstenmal als Herrin aufgetreten. Ich habe die Antwort geschrieben und dann in der Silvesternacht die alte Eva geweckt und habe sie durch den unterirdischen Gang mit dem Briefe zu Ritter Lage geschickt. Bis zur Hälfte des Weges geleitete ich die Müde an meinem Arm, und sie schritt wacher und froher als je zuvor. Weil sie hofft … Clemens hat ihr selbst meinen Brief abgenommen: »Ritter Lage, Du hast gar nicht das Recht, mir so zu schreiben. Denn da Du meine Liebe und mein persönliches Ich ablehntest, gehöre ich wieder ganz mir selbst. Über mich selbst aber habe auch nur ich zu entscheiden. Ich bleibe allein. – Und die letzte Lage möchte dereinst in Lage sterben. Deshalb weise mich nicht fort aus dem Urväterhaus, auch wenn Du lebenslängliches Wohnrecht darin hast. Ich werde Dir nie im Wege sein. Und Du allein sollst bestimmen, wer unser Erbe dereinst antreten soll. Bis dahin – höre wohl zu, Ritter Lage – verwalte ich dies Erbe, als ob ich Deine Gattin sei und die Ehre Deines Namens zu hüten hätte. – Eine deutsche Lage schenkt Herz und Mund und Leib und Seele _freiwillig_ nur dem, den sie liebt. Dem bleibt auch ihre Treue über das Grab hinaus. Selbst wenn er ihrer nicht wert wäre. So hat es mich mein Vater gelehrt. Du aber bist der Ritter Lage, und ich gab Dir meine Liebe ohne Vorbehalt. In das Dunkel unserer Tage aber laß uns Sonne tragen. Deine Brigitte.« Im Januar. Wie öde ist dieser Monat. So lastend der Schnee. Und wenn er vertaut, wie tief und zäh dann der Schmutz in der Dorfstraße. Ich muß dann plötzlich an mein liebliches, reinliches, blühendes Erfurt denken, darinnen ich nie einen so dichten, nimmer sich hebenden, nassen Nebel erlebte. Oder sind das nur Stimmungen? Ist alle Verklärungskraft von mir gewichen? Dünkte mich nicht einst auch der Nebel schön? Weil ich durch ihn hindurch in die Waldkapelle schreiten durfte, in der mein Licht glühte? Und lachte ich nicht früher hellauf, wenn ich mit meinen festen Rindsledernen im Schlamm steckenblieb, nur weil es Lager Erde war, die sich an meine Sohlen heftete und mich festhielt im Lager Grund? Aus der Tiefe schmerzlicher Stunden, des Heimwehs, der Vereinsamung hilft mir jetzt oft Beethoven, der Schutzherr der deutschen Lages. Wenn ich nicht allzuoft an meinen Flügel komme, so liegt es an der großen Arbeitslast, die auf mir ruht, und die Baron von ter Mählen »ungeheuerlich für ein kleines Mädchen« findet. Er ahnt doch wohl nicht so recht, daß diese Arbeit meinen einzigen Gesundbrunnen bildet, in den ich niedertauche, wie in ein Kohlensäurebad. Und dann die Musik, – Beethoven! Die Töne dünken mich Eimerchen, die sich in mich versenken und dann wieder emporsteigen, randvoll gefüllt mit guten Gedanken und Vorsätzen, die sich nun verteilen lassen auf ödes Brachland rings um mich her. Musik ist Religion, sie hebt meine Seele zu Gott. Die Holländer Lages waren nicht ausübend musikalisch, sie sind allezeit nur »musikhungrig« gewesen, wie mir einmal Baron ter Mählen andeutete. Und dies Innerliche ist oft mehr als protzendes Künstlertum. Mein köstlicher Bechsteinflügel ist recht mein treuer Freund. Er muß mir ja auch alles ersetzen, was sonst in junge Herzen Glück hineinbringt. Und ich kann ihm weit mehr anvertrauen als irgendeinem lebendigen Menschen. Und wenn er es weit hallend ausplaudert bis in den Winterwald hinein oder es flüsternd an das leuchtende Kaminfeuer hinsagt, so tut er mir nicht weh, sondern wohl. – – Am Siechenheim und Krankenhaus wird bienenfleißig gebaut, soweit es wechselnde Witterung zuläßt. Der junge Baumeister verehrt den Ritter Lage sehr und hat diese Verehrung auf mich übertragen. Er geht ganz in unsern Gedanken und Anregungen auf, und jedesmal, wenn ich den Bau besichtige, finde ich wieder etwas Neues. Etwas noch Schöneres und Zweckmäßigeres, als ich es mir vorgestellt hatte. Das ist ein köstlich Miteinanderarbeiten. Wenn der Frühling kommt, dann wird wohl das Haus fertig stehen, und ich will ihm und zugleich meinem Haus und Dorf einen neuen Namen geben. Das »Lager Huus« soll freilich bestehen bleiben, aber »der graue Alltag …« Könnt’ ich dies Wort verschwinden lassen! Könnt’ ich’s mit hartem Meißel ausmerzen bei den Leuten und in meinem eigenen Innern. Noch bin ich nicht so weit. An jenem Tage freilich, jenem unvergeßlichen, da der Topasenring im Tannenbäumchen hing, da mir Ritter Lage sagte: »Ich habe dich lieb, Gitti …«, da hätte ich jubelnd rufen mögen: »Ist irgendwo auf dieser gesegneten Gotteswelt noch grauer Alltag?« Und hätte Kraft und Willen gehabt, ihn mit meinem Überfluß an Liebe zu durchsonnen. Das ist vorbei. Ein Abglanz jenes Geständnisses aber blieb als stilles Leuchten in mir. Es kann nie wieder ganz dunkel werden in Lage. Aber grau ist es noch ringsumher, und wie soll ich einen leuchtenden Namen finden, wenn er nicht aus Licht und Helle herausgeboren wird? Warten muß ich. In Gehorsam gegen Gott warten. Mich strebend weiter mühen. Zünd an, Brigitte, zünd an! 42. Im Februar. Wie schrieb ich so treibend fröhlich in den ehrenfesten Folianten hinein, als noch eine treibende Fröhlichkeit in mir selbst schaffte. Jetzt nehme ich immer nur Anläufe, aber es kommt nicht zum sicheren Sprunge über die Hemmungen hinweg. Die lieben Nachbarn, das Pfarrhaus, die Lehrersleutlein, die Heidkamper und Baron Leo sorgen sich um mich. Man sagt mir, daß ich schlecht aussähe, große, bange Augen bekommen hätte und Anlage zur Einsiedelei in mir trüge, der ich um die Welt nicht nachgeben dürfe. Man schlägt mir eine große, zerstreuende Reise vor, und jeder einzelne dieser treuen, besorgten Freunde hat mir einen andern Fahrplan ausgearbeitet. Zerstreuung erhoffen sie für mich! – Und ich brauche Sammlung. Niemals habe ich in Lager Abgeschlossenheit Theater und Konzerte so sehr entbehrt, wie ich in der lauten Stadt die Natur entbehrte. Und jetzt soll ich schon fahnenflüchtig werden? Meinen Vorsätzen? Muhme Jesuliebes Mahnungen? Meinem Dorfe? Meinem Hause? Meinem Lager Wald? Wie wenig kennt ihr doch alle die Gitti. Die Ehre des Namens Lage gebietet, da ich hier bleibe. So sei es. – Heute, nach so langen Wochen, kam ein guter, treuer Brief des Pastors Konrad Oswald aus Berlin. – Maria kann sich in der Großstadt nicht eingewöhnen, so schreibt er, aber er selbst fühlt sich ganz auf dem rechten Posten. Er muß noch Petrus, der Fischer sein, seine Kirche ist noch vielfach leer, aber auf die Hilfe und Treue der wenigen, die ihm allsonntäglich zuhören, baut er fest. Von der Seelsorge außerhalb der Kirche spricht er überaus fesselnd und rühmt Maria, die eine vorbildliche Pfarrfrau sei und mit den elendesten Kranken und verkommensten »Gesunden« in seinem Sprengel Fühlung habe. Aber alle seine werbenden Berichte über Marias Eigenschaften vermöchten kein Echo im Herzen seiner Mutter zu wecken, die mit verstockter Starrheit an ihrem Eigensinn festhalte. Nicht mit Bitterkeit schreibt er davon, aber tieftraurig. Es muß sehr schmerzen, wenn man in einem nahestehenden Menschen echte Liebe vermutete und erfindet ihn als klingende Schelle und tönendes Erz. – Ich aber will es noch nicht wahr haben, daß diese feine, alte Frau nur verstockt ist. Wer will ein Mutterherz und seine vielfarbigen Schwingungen ergründen, oder sie gar mit kurzen Worten abtun? Jedenfalls bin ich sehr glücklich, daß Pfarrer Oswald mir endlich geschrieben hat, und daß ich auf diese Weise Bindeglied bleibe. Denn ich hörte von Frau von Heidkamp, daß Oswalds Mutter herzensgut von mir gesprochen habe. – So wird sie mich auch eines Tages wieder in ihre Freundschaft rufen und wird bei mir anfragen, wie es ihrem Sohne gehe. Dann kann ich ihr antworten, daß er die rechte Gattin fand, die seinen Beruf ideal erfaßt und in ihm aufgeht, und daß es töricht von der Mutter sei, sich nicht in seinem Glücke mit zu sonnen. Grauer Alltag im Mai. Heute jährt es sich, daß ich ins Lager Huus einzog. Aber ich muß erzählen, was mir geschah, als ich das letztemal den ehrenfesten Folianten aus der Hand legte. – Es war an einem lenzigen Februartag, da ich zum erstenmal wieder leise singend in den Wald schritt. Ein altes Lied aus Kindertagen fiel mir ein. Und mir wurde frühlingsfroh zu Sinn, und kindhaft war mein Fühlen und nicht ahnend, daß der Abend dieses vorlenzigen Tages ein weher, herbstlicher, ein brutal zerstörender sein sollte. »Nun fangen die Weiden zu blühen an, Die Vögelein zwitschern schon dann und wann; Und lieget auch noch in Furchen der Schnee, Und täte der Reif auch dem Frühling weh – – Wer weiß, über Nacht … Da kommt er mit Macht! _Nun jauchze, mein Herz!_« Wirblig war’s mir in Kopf und Herz von den aberhundert Erinnerungen, die durch dieses Lied geweckt wurden. An köstliche, unvergeßliche Stunden, da wir es einst im Thüringer Walde sangen. Ich lehnte mich sinnend an den Stamm einer der Weiden, die den Lager Weiher umstehen. Und die schier rot wie Blut leuchteten von warmer, treibender Vorfrühlingskraft. – Da sagte eine mißtönende Stimme irgendwoher: »_Sie kann singen – – sie kann es schon wieder._« Dann folgte ein schrilles Lachen. Die Korb-Sina hatte sich schier in die Höhlung der Weide verkrochen, ein Korb mit Baumerde stand neben ihr. Das Weib sah mich böse an, und doch auch abwesenden Blickes, als sei sie sich nicht völlig bewußt, mit wem sie spreche. Und da ich in ihre gramvollen Züge sah und die Anklage, die in den Augen stand, nicht ertragen konnte, fragte ich eindringlich: »Sina, was habe ich dir getan?« Die Alte kreischte auf. »Sie fragt! Sie untersteht sich zu fragen! Die reiche Baronin fragt, was sie dem ärmsten Weib im Dorf gestohlen hat.« – – Nun hätte ich wohl weit fortlaufen mögen, aber Sina hielt mich mit harten, knochigen Fingern fest. »Laß mein Kleid und meine Hand los,« gebot ich ruhig, »ich setze mich neben dich auf den andern Stamm, wenn du mir Wichtiges zu sagen hast.« »Wichtiges?« wiederholte sie spöttisch. »Ich glaube wohl. Wichtiges! Je nun, wie man es nimmt! Wichtiger für Sie, gnädige Baronin, als für die verachtete Korb-Sina. Wenn Sie mir nicht meine Maria genommen hätten, behielte ich’s für mich, was ich weiß …« »Ich habe dir nicht deine Maria genommen«, rief ich ungestüm, aber sie fuhr fort, als hätte ich sie nicht unterbrochen. »So aber bin ich für Gerechtigkeit. Warum sollen Sie, die Fremde, die eigentlich gar nicht hierher gehört, die Lager Luft riechen, die Lager Milch trinken und das rote Lager Gold besitzen und meine Maria da in der stickigen, wilden Stadt hocken, allein, mit einem Mann, der _dich_ liebt, jawohl _dich_, _dich_!« Und sie schüttelte mich. Ich riß mich los. Mein Herz schlug laut, aber ich war doch ruhig, oder ich konnte es scheinen. »So wirst du mich nie wieder berühren, Sina!« gebot ich fest. »Das schickt sich nicht für dich und nicht für mich. Und das weißt du wohl. Und nur, weil du Sehnsucht nach deiner Enkelin hast, antworte ich dir. – Konrad Oswald liebt seine Maria«, fuhr ich fort. »Wer in so warmen Worten sein Weib preist, wie es Marias Gatte tut, der gehört ihr auch …« Sina machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ehren muß er sie, aber das andre, das andre … Warum sind Sie hier?« fuhr sie mich an. »Meinen Sie, weil ich die verachtete Korb-Sina bin, ich merke nichts? Ich spüre die Motten nicht, die ums Helle flattern? Bis sie sich verbrannt haben? – Ich hab’ den Herrn Baron Ellers gefunden, _ich_ hab’ ihn zuerst gesehen«, trumpfte sie auf. – Mir war jetzt sehr bang geworden. Sinas Augen sahen nicht aus, als ob die Besitzerin völlig klar sei. – Und es war auch empfindlich kalt auf dem feuchten Weidenstamm. Mich fröstelte. »Ja, und dann ist da der Baron von ter Mählen, ist Mitte 50 und macht noch schöne Augen. Und der Heidkamper. Und der Baumeister! Und der neue Pfarrer! Alles, alles Motten …« »Sie ist verrückt,« sagte ich mir, »sie sieht entsetzlich aus, und du mußt rasch fort von ihr.« Aber ich blieb doch ruhig sitzen, um sie nicht zu reizen. Und plötzlich bog sie sich zu mir herüber, daß ein widerlicher Atem meine Wange streifte; er kam wie aus einer Gruft. »Ja, und dann ist da noch der Baron Clemens Lage …« Kerzengerade fuhr ich in die Höhe. »Was unterstehst du dich??!« – »Hab’ ich’s getroffen?« zischte sie frohlockend. »Ahhhh! Aber den, – den bekommen Sie nicht! Der ist gezeichnet. Gott sei Lob und Dank! Den hält sein Schicksal von Ihnen weg und – – –« »Seine Ehrenhaftigkeit«, sagte ich laut und wußte nicht, warum ich es sagte, und warum ich diesem schrecklichen Weibe Rede und Antwort stand. »Seine Ehrenhaftigkeit!« kreischte sie toll auflachend. »Ahhh, nennt man das so bei den Vornehmen??? Also aus Ehrenhaftigkeit nahm er Sie nicht am Weihnachtsabend und verdarb Sie? Da Ihnen die Liebe aus den Augen sprang, als ob Sie ein Bauernkind wären, Sie gnädige Baronin?« Mir war’s, als erstarrte ich in eisiger Kälte körperlich und seelisch vom Kopf an bis zu den Füßen. »Ich weiß nicht, wo du gelauscht haben magst, Sina,« entgegnete ich tonlos, »ich weiß auch nicht, warum du mir all dies Entsetzliche sagst … auch nicht, warum du den Baron Lage so schmähst, der dir nur Gutes getan hat und noch tut …« Wieder lachte sie schrill. »Ich weiß es«, sagte sie dann böse. »Und ich weiß auch, warum Sie nicht aufstehen und weglaufen. Weil Sie Angst vor der Korb-Sina haben. Die könnte Sie hinterrücks überfallen, weil sie durchaus will, daß Sie alles bis zuletzt anhören. Sie sind jung und gesund, gnädige Baronin, Ihnen macht das bißchen Kälte nichts aus, mir gibt es vielleicht den Rest. Gleichviel, ich muß Ihnen noch eine Geschichte erzählen.« Da setzte ich wirklich zum Fortlaufen an, aber ein so unheimlicher Blick traf mich, daß ich mich frierend wieder auf dem Weidenstamm zusammenduckte. Jetzt redete sie mit einer eintönig marternden Stimme, die nur hie und da von einem haßerfüllten Ausruf durchzischt wurde: »Wenn eine alte Dienerin schlecht von ihrem Herrn denken muß, den sie von seinen Bubenjahren an vergöttert hat, – dann ist es ebenso ein fressend Leid, als wenn jemand seine Liebste verliert, – ja, so denk’ ich. Und wenn die zimperliche Eva den ›Ritter Lage‹ fatschte und hätschelte und sich einbildete, all seine Klugheit hätte er von ihr, seiner Amme, in sich hineingetrunken, und wenn sie ihm später all seine dummen Streiche nachsah und ihn vor Strafen schützte: so hat sie es vielfältig von ihm wiederbekommen. Er hat sie, als er noch Kind war, gestreichelt und geküßt und nach ihr verlangt; und als er Jüngling war, hat er sie angelacht und ihr zugejubelt, wenn er in die Ferien kam. Wo ich aber seinen Weg kreuzte, da hat er mich verächtlich aus seinen schwarzen Augen angeguckt, und seine Mundwinkel hat er herabgezogen, ja einmal, als ich ihn lachend festhalten wollte, zog seine Peitsche einen roten Striemen über meinen Hals. Da sollt’ er abbitten, – das gnädige Fräulein Jesuliebe verlangte es von ihm. Denn sie war gerecht. Aber der Junker demütigte sich nicht vor mir, denn er war stolz. Da ließ ihn das gnädige Fräulein hungern, denn sie wollte ihn _recht_ erziehen, aber er hungerte lieber, als daß er sich mit mir abgab. – Dann ist er mir immer aus dem Wege gegangen. Aber ich liebte so sehr seine Schönheit und Sauberkeit und Vornehmheit und stand von weitem und hatte nur den einen Wunsch, ihm Handreichungen tun zu dürfen, ihm zu dienen, wie die alte Eva. Aber er hatte einmal scharf und abschließend geäußert: ›Nicht mit der Feuerzange möcht’ ich die anrühren.‹ Bei jedem andern hätte ich gelacht, denn ich war schön, und alle liefen mir nach, aber bei diesem Dreikäshoch, der er damals war, schmerzte es mich zum Schreien. Dann vergingen die Jahre, er kam auf die Universität und auf die Akademie nach München, und dann heiratete er nach Holland. Erst als Witwer ging er ›in’t Lager Huus‹ und begegnete mir und sprach mit mir, denn ich war ja nun eine alte, verwitterte Frau geworden. Und da er unerkannt in Lage wohnen wollte, unerkannt auch von Eva, so bat er mich, seine Zimmer und den Tempel in Ordnung zu halten, und sah wohl, daß ich verschwiegen war wie das Grab, verschwiegener als Eva, die allgemein Geachtete, die deshalb mit jedermann plauderte. Und ich meinte, es gebe in der ganzen Welt keinen Ritter, denn den Ritter Lage.« In diesem Augenblick schob ich ganz mechanisch in ihre lange Rede hinein: »Es gibt in der ganzen Welt keinen Ritter, denn den Ritter Lage!« Sie schien es diesmal nicht zu hören, denn sie fuhr gleich fort zu erzählen. Aber sie richtete sich steil auf dabei, während sie vorher ganz zusammengesunken war. »Gnädige Baronin, Sie wissen, daß ich ein heißes Geschöpf war. Aber ich war eine gute Mutter. Von meinen Kindern hat keins zu darben brauchen, ich hab’ auch keines fortgegeben, sie fanden alle Unterschlupf bei der Korb-Sina, die für alle Brot schaffte. Daß sie dann doch auch alle verdarben, das machen Sie mit den Vornehmen aus, mit Ihresgleichen, gnädige Baronin, denen ein Mensch nichts gilt, nur ihr tierisches Gelüst. Aber meine beiden Enkelinnen, die Maria und die Martha, die sollten was Gutes werden. Das gelobte ich mir! Und ich dachte: ›Sind die Zweige heilig, so ist es auch die Wurzel.‹ Sie kennen die Maria, gnädige Baronin. Die hat die verfemte Großmutter wieder zu Ehren gebracht durch ihre Reinheit. Die Martha war auch rein. War ein siebzehnjähriges Kind. Und so schön, daß sie jeden Thron geziert hätte. Und ich, die verachtete Korb-Sina, die einst jedem gehört hatte, der ihr anstand, die sagte zu ihrem Enkelkind: ›Martha, halt dich rein! Gib dich nur dem, den du liebst, bewahr’ dich ihm auf, er wird es dir danken!‹ Wie konnt’ ich auch mir einbilden, just _meine_ Enkelin werde den lieben, der sie auch heiratet.« – Wieder lachte die Korb-Sina schrill. »Auf guten Boden fielen meine Ermahnungen. Die Martha hielt sich rein und brav, bis sie liebte. Und da lief sie dem einen Manne nach wie ein Hündlein. ›Jag’ mich fort und tritt mich, aber dann nimm mich!‹ Er soll sich ihrer erwehrt haben, sie hat es mir hundertmal beteuert. Aber was beteuert ein Weib nicht, wenn sie liebt und auf dem Mann keinen Makel lassen will! Und ein so Starkes und Reines und Feines war meine Martha, daß sie den Namen jenes Mannes, der sie verdarb, mit ins Grab genommen hat. _Jawohl, ins Grab!_« schrie Sina sinnlos hinaus. »Gestorben ist sie in Not und Schande. Einen Knaben hat sie geboren. Und jener verruchte Mensch weiß nicht, daß er einen zweiten Sohn besitzt. – Gnädige Baronin, ich habe geforscht, gesucht, zehn lange Jahre hindurch. Auch der Pfarrer Oswald hat mir geholfen, aber wie soll man einen Namen ausfindig machen, der in einem Grab aufgehoben ist? Das Kind hab’ ich erhalten mit meinem Verdienst durch Körbeflechten. Und Pfarrer Oswald hat auch von seinem Reichtum gegeben, damit der Knabe eine gute Schule besuchen konnte. Aber was nützt die beste Schule, wenn er doch nur einen Mutternamen trägt! Hartmut Dörping. _Hartmut!_ Glaub’ es schon, daß die Martha auf diesen Namen verfiel. Denn einen harten Mut kann dieser Jung brauchen all seiner Lebtage. Bei einem verbitterten, alten Fräulein ist er in Pflege, die benötigt die paar Groschen des Jungen blutsauer und gibt ihm doch nur harte Worte dafür.« Korb-Sina sah mir jetzt starr ins Gesicht. Wie versteint in Haß und Grimm waren ihre Züge. »Gnädige Baronin,« sagte sie heiser, – »da komme ich neulich einmal zu ihm und finde den Hartmut weinend und die Nährmutter keifend, und er bittet: ›Großmutter, nimm mich doch mit in den grauen Alltag! Laß mich lieber dort die Dorfschule besuchen, als hier das Gymnasium. Ich kann doch auch in Lage ein Ehrenmann werden.‹ Denn das ist das einzige, was ihm die Martha hinterlassen hat, ein Zettelchen, drauf hat sie geschrieben: ›Was mein Jung mal werden soll? Ein Ehrenmann, wie es sein Vater war.‹ – Hätt’ ich den Zettel gefunden, ehe der Hartmut ihn fand, dann hätte mein Haß ihm erzählt, was sein Vater in _Wahrheit_ ist. Aber nun konnt’ es die Großmutter nicht übers Herz bringen, und ich hab’ gelogen, – gelogen … Weil die Kinderaugen mich so anschauten: ›Tu mir nichts zuleid!‹ Aber dann wollt’ ich sein Köfferchen auf dem Oberboden suchen und fand es auch und habe das alte Schloß erbrochen und fand – – ein uralt Medaillon von meiner eigenen Großmutter, die eine sittenstrenge, hochangesehene Frau war. Den Schmuck hatt’ ich der Martha als Amulett mitgegeben. Und nicht mehr dran gedacht. Und drinnen im Medaillon fand ich _auch_ ein Erbe, – einen Zettel, der war wie ein Blitz in der Nacht … Jesus! mir wird sehr ungut!« unterbrach sich die Alte, die zuletzt nur ganz heiser gesprochen hatte. Und sie griff nach ihrem Herzen. Da umschlang ich sie mit meinen Armen. »Komm, Sina, ich führe dich heim.« Aber sie wehrte mich ab. Mit blauen, zitternden Lippen und fahlem Gesicht fragte sie heiser: »Wissen Sie, was drauf stand? Ich las es mit diesen meinen alten Augen: ›_Clemens-Hartmut von Lage!_‹« »_Nein!_« sagte ich laut. Und erschrak vor meiner eigenen Stimme. »Ja!« schrie sie mich an. »Den ich als etwas Höheres geliebt und geschätzt hatte, der hat mir meine junge Enkelin geschändet … Inzwischen ist längst die Wahrheit erwiesen worden … Nicht wahr, das ist _nicht_ schön? He? Das tut weh? Und ich sag’s noch einmal: _Clemens-Hartmut Lage!_ Und sag’ auch noch einmal: Es ist ebenso schlimm für einen treuen Diener, wenn er seinen Herrn als schlecht erkennt, als wenn ein Mädchen seinen Liebsten verliert. Und nun …« Aber ich hörte nicht mehr, was sie weiter sprach, – ich war an ihr vorbeigegangen, wie im Schlafwandel, dachte nur: dort in der Richtung muß wohl dein Haus liegen, und auf diesen Weg steuerte ich mechanisch zu. Einmal war’s mir, als schlüge ein Laut, wie von einem verwundeten Tier an mein Ohr, aber ich wandte mich nicht. Ich hörte mich hie und da laut »nein« sagen, es brannte sich dies eingelernte Wort in mein Gedächtnis. In der Halle von Haus Lage schrie ich dies »Nein« dem eisernen Ritter in das offene Visier und taumelte die eichengeschnitzte Treppe hinauf. Und rief das »Nein« zur Horchbucht hin, und dann hat mich die alte Eva gefunden … Nach langer Zeit. … Nun greift das graue Entsagen hinein in meine Not … Drinnen zu Grab meine Liebe läutet Gevatter Tod. »Vogel über der Heide, Der klagend die Heimat mied, Ich glaube, wir beide, wir beide Haben dasselbe Lied –« Dies alles ist heute ein Vierteljahr her. Dreizehn Wochen. Dreizehn soll ein böse Zahl sein. Aber ich habe sie doch überstanden. Ich lebe, ich kann stehen und gehen und ja und nein sagen und »Händchen geben«, und sogar hintereinander fort plaudern, wie eine sehr gut aufgezogene Puppe, mit der man aber nur Sonntags spielen darf. Sogar das Denken hat mir der Arzt schon wieder erlaubt, aber ich mache noch nicht allzuviel Gebrauch davon. Vorhin hielt mir Eva zum erstenmal einen Spiegel vor, ich schaute lange verwundert hinein, ehe ich begriff, daß das wunderliche Geschöpf mit den hageren Wangen, dem ungeschickt kurz abgeschnittenen Ringelhaar und den großen dunkel umränderten Augen die Brigitte sein sollte. Nicht Gitti, nein, – Gitti ist am Typhus gestorben. Es lebt nur Brigitte Lage, d. h. sie vegetiert, wie Baron Leo behauptet. Als der mich das erstemal nach meiner überstandenen Krankheit sah, erschrak er so heftig, daß ich lächeln mußte. Gewiß ein trauriges Lächeln. – »Welches Wetter ist über Sie gegangen, Freiin Brigitte?« fragte er heiser vor Erregung. »Nur ein Wirbelsturm, Baron Leo«, entgegnete ich matt. »Und ich darf nicht wissen, von wannen er kam?« »Nein.« Er saß nun eine ganze Weile schweigend neben mir. Und dann kam etwas sehr Verwunderliches. Er erzählte mir, daß er eine große Reise nach dem Süden vorhabe und – und – nun er mich so ganz zerbrochen da vor sich sähe, – so krank … »Ich bin weder zerbrochen, noch krank«, wehrte ich entrüstet. »Also so stark und lebensbejahend und gesund,« verbesserte er sich rasch und leicht gereizt, – – »so meine ich, eine große, anstrengende Reise ist für Sie ein Kinderspiel, Brigitte. Daß Sie mir das Teuerste sind, wissen Sie, und – ich bitte Sie inständig aus ehrlichem Herzen heraus, seien Sie mein, gehen Sie mit mir! Gewiß, ich bin ein alter Mann gegen Sie, fünfundfünfzig vorbei, – aber ich will Sie auf Händen tragen, will Sie vor jeder Unbill schützen, – – –« Einen Augenblick war’s mir, als müßte ich meine eiskalte Hand in die seine legen. Mich fror so erbärmlich. So sehr sehnte ich mich nach Schutz und Wärme. Aber als ich in seinen Augen eine verlangende Zärtlichkeit las, da erschrak ich bis ins Herz hinein und bin wohl furchtsam in mich zusammengekrochen, denn er stand langsam auf, strich sacht über mein Haar und sagte müde: »Ich gehe schon, Freiin Brigitte. Aber, – darf der alte Mann nach seiner Reise – recht verständig geworden, wiederkommen? Mit Ihnen würde ja alles Licht aus meinem Leben gehen, das möcht’ ich mir nicht leichtsinnig verscherzen.« »Ja, kommen Sie«, rief ich. Und ich hielt einen Augenblick seine verläßliche warme Hand fest, denn mir brannte die Frage auf der Seele: »Glaubst du, daß dein liebster Freund, der Ritter Lage, etwas Niedriges tun kann? Etwas ganz Unverzeihliches? Etwas, das ihn weltenweit mir entfremdet, der er das Liebste war?« Aber ich vermochte die Frage nicht zu formen … Baron Leo sah mich kopfschüttelnd an, und mit ernstem Antlitz war er gegangen. – Seitdem sitzt jeden Tag mein Arbeitszimmer voll Besuch. Man »zerstreut« mich. O du liebes, heiliges Alleinsein wann werde ich dich wieder zu eigen haben??? Ende Mai. Der Abschied von Baron Leo und seine wunderliche Frage hatten mich wieder eine Wegstrecke zurückgebracht; nun muß ich sie noch einmal durchwandern. Ich lag wieder 8 Tage fest. Aber heute hat man mich in einen Liegestuhl gebettet und in die Sonne hinausgetragen. Sie liegt warm und leuchtend vor dem Platz an der Ruine, und ich schaue von dem Schreibpult, das man meinem Lager sinnreich angeschraubt hat, oft hinauf in die Fensterhöhlen und träume mich in jene glückliche Zeit zurück, da die Fledermäuse dort so harmlos und so … beglückend herumflatterten. Da ich noch die Prinzessin Weißnichts aus dem Hause Ohnearg war. Wieviel Jahre liegt das zurück? O du Frühling in Lage! In deiner herben Schönheit! Ich tausche dich mit keinem Land der Welt. Ich erlebe den Lenz zutiefst in meiner Brust. Lenzseelchen hebt das feine, duft’ge Flaumfedergleiche Erstgefieder Und fliegt durch Hecke, Hag und Heide, Und jeder Flug bedeutet Lieder. Und wo es rastet auf dem Fluge, Ob es nun Baum, ob Blatt, ob Blüte, Da ist’s, als ob auf dieser Ruhstatt Ein Gottesflämmchen flimmernd glühte. Und wo es schläft in einer Dornheck’, Die Händlein flicht in einer Rose, Da ist’s, als ob die Gottesmutter Das Jesuskindlein hält im Schoße. O Lenzesseelchen! Weich und linde Bereit’ ich dir ein heil’ges Stellchen In meines Herzens stillster Kammer. Sitz nieder! Sei mein Treugesellchen! Wieder wurde mir heut ein Brief von Pastor Oswald gebracht, darin er klagt, daß ich schweige und sein erster Brief kein Echo fand. »Habe ich Sie verloren, teure, verehrte Freiin Brigitte?« fragt er. »Hat meine kopflose Fahnenflucht mich Ihre Freundschaft gekostet? Und ich wollte doch mit einer fast unmöglich großen Bitte zu Ihnen kommen. Wollte fragen, ob Sie und Lage mich wieder aufnehmen wollen als reuigen Sünder. Der nicht wußte, wie hart es ist, _nicht_ im ›grauen Alltag‹ zu leben. Freiin Brigitte, meine Maria hat mir anvertraut, daß sie sich Mutter fühlt, und nun will ich, daß unser Kind in Lage geboren wird, daß es im Lager Wald, in Lager Luft atmen, spielen, schlafen soll, und dann wachsen, gedeihen, arbeiten unter Ihren Augen, Freiin Brigitte. – In Marias Blick trat ein eigenes, schönes Leuchten, als ich ihr davon sprach, – so fröhlich hat sie noch nie ausgesehen, seit sie mein Weib wurde. Eine herbe Anklage für mich. – – Wird die liebe, gütige Herrin von Lage, die wir nie aufgehört haben, unsere Schutzherrin zu nennen, nein sagen? Oder uns helfen, die Wege zu ebnen, die dem Treulosen die verlassene Kanzel wieder freigeben? Mein Leben lang will ich’s Ihnen danken. – Von Großmutter Sina hörten wir aus einem ihrer knappen Schreiben, daß es bergab mit ihr geht. Vor einem Vierteljahr erkrankte sie schwer. Aber das werden Sie, barmherzige Samariterin, besser wissen, als ich.« – ›Barmherzige Samariterin!‹ Wie ein Schlag traf mich dieses Wort. »Zünd an, Brigitte, zünd an«, hatte Muhme Jesuliebe mich ermahnt … Und ich war nichts, als der Levit, der _den_ unbarmherzig liegen ließ, der unter die Räuber gefallen war … Erkenntnisse kamen mir unter den Augen der alten Ruine, inmitten der leuchtenden Sonne … An einem Sonntage im Juni. Heute durfte ich zum ersten Male ausgehen. Müßig habe ich nicht gesessen während der Zeit der völligen Genesung, ich mußte »Wege ebnen«. Und es ist mir gelungen. – Nicht zu sagen, wie mich das freut. Zu Hilfe kam mir bei meinen Bemühungen die große Beliebtheit, deren sich Konrad Oswald erfreut. Jung und alt machten runde, frohe Augen, als ich ihnen die Möglichkeit in Aussicht stellte, den ehemaligen Seelsorger wieder nach Lage zu bekommen. Am frohsten war der »Neue«. »Haben Sie es denn geahnt, verehrte Baronin,« fragte er immer wieder, »geahnt, daß meine Eheliebste und ich uns von hier fortsehnten? Ach, und es nicht zu sagen vermochten …« Und ich lachte, und wurde ordentlich ein wenig rot. Denn es ist so wunderlich, wie mir alles zum Glücke ausschlägt. Nun brauche ich nicht einmal traurig zu sein in dem Gedanken, daß Oswald und ich einen treuen Hirten von seiner Herde fortjagen, um uns und unsere Wünsche an seine Stelle zu setzen. Denn es ist des Hirten eigener Wunsch und Wille. Und die Hirtin schmiegte sich an ihren Gatten und meinte: »Dies Lage ist so erdrückend!« Und schämte sich dann doch etwas ihres Ausspruches. »Können Sie mir sagen, was Sie mit ›erdrückend‹ meinen?« fragte ich forschend. »Ja, das kann ich«, war die rasche Antwort. »Die Lager verlangen zuviel von einem Sterblichen, und besonders von ihrem Pastor; ich glaube nicht, daß _wir_ das schaffen können. Die Menschen sind hier alle so besitzergreifend. Man ist gar nicht mehr ›manselbst‹.« Also die Pastorin. »Nein, manselbst darf man freilich nicht sein«, meinte ich zustimmend und zugleich nachsinnend, denn mich dünkte, es war arg lange her, daß ich einmal die Gitti Lage vorgestellt hatte. Und wer bin ich jetzt? Ich gehöre dem grauen Alltag … Wie ist mein Name? * * * * * In vier Wochen kann vielleicht schon die Vorstellung von Konrad Oswald stattfinden, – – ich freue mich wie ein Kind auf unser Wiedersehen. – Ein paar Stunden später. Eben komme ich von der Korb-Sina. Sie ist sehr verändert. Wie erloschen die Lichter der scharfen, stechenden Augen. – Wir waren uns lange forschend gegenüber. Sie lag in ihrem Bett, und ich stand über sie gebeugt und sah in ihr fahles, eingefallenes Gesicht. Und sie blickte mich an, als sähe sie mich zum erstenmal: »Sie kommen zu _mir_? gnädige Baronin!« kam es endlich langsam von ihren welken Lippen. Und da erzählte ich von Konrad und Maria Oswald, von allen Möglichkeiten, die sich ihnen und uns böten, und nicht zuletzt von dem heiligen Glück, das der jungen Frau bevorstünde. Da weinte die Greisin, und es sah erschütternd aus, weil die Tränen ihr nicht mehr leicht flossen. – »Jesus! Daß ich’s erlebe!« rief sie leise, und faltete ihre Hände. Und dann versuchte sie, sich aufzurichten, und fiel doch immer wieder kraftlos zurück, so daß ich sie in meinen Armen stützen mußte. Und plötzlich packte sie meine Hände beschwörend: »Nicht der Maria sagen, daß die Martha verdorben ist,« flehte sie, »nicht der Maria sagen!« »Die Martha ist _gestorben_, aber doch nicht verdorben!« Ich streichelte ihre welken Hände. Da horchte die Greisin auf. Und ich sprach eindringlich weiter, weil mich mein Herz dazu trieb. »Wenn die Martha ihr alles hingab, so tat sie es doch aus großer Liebe, – und Liebe adelt doch das, was sie tut … Und sagt nicht irgendein Großer: ›Die Mutterschaft tilgt jede Schuld am Weib?‹ Warum willst du dein Herz zermartern, Sina, und hassen, du, die Großmutter … Wir wollen nicht richten, Sina …« »Jesus, was habe ich getan!« weinte die wilde Alte und rang die Hände; »_Ihnen_ wollt’ ich Leid zufügen, und Sie bringen mir Trost. Ach, wie das brennt! Aber nun kann ich wohl noch wieder gesund werden! Und wenn dann erst einmal die Maria da ist …« Am nächsten Tage. Ja, wenn erst einmal die Maria da ist! Sie kommt vielleicht heute noch, aber sie kommt zu spät. Man holte mich noch gestern am Abend zur sterbenden Sina. Sie hatte allein nach _mir_ verlangt, und so wehrte ich der bekümmerten Eva, die meinte, es sei für mich kaum Genesene ein zu großes Wagnis, zur Nacht noch einmal ins Dorf zu wandern. »Eva, wenn du mich hinderst, im grauen Alltag meine Pflicht zu tun, dann gehe ich in mein Thüringen zurück und suche mir dort ein Feld …« Da sah sie mich erschrocken an und ließ mich gewähren. Zwei Stunden weilte ich bei der Korb-Sina. Es war ein ruhiges Sterben nach der Unrast ihres Lebens. Fünf Worte wiederholte sie unablässig. Sie waren wohl das einzige Gebet, das in ihrem Herzen gelebt. Zwei Stunden lang fünf Worte! So prägten sie sich mir ein. _Martha! Maria! Clemens-Hartmut Lage!_ Am übernächsten Abend. Eben ging Konrad Oswald von mir. Er war auf meine Drahtung hin gleich von Berlin abgereist, aber allein. Da die Greisin heimgegangen, sollten seiner Maria zwecklose Anstrengungen und Aufregungen erspart werden. Nun bereitet er alles für die Beerdigung vor, und jeder rüstige Dörfler hat sich ihm zur Verfügung gestellt. Daß er nur wieder da ist! So meint jeder in Lage, und die Gesichter sind alle aufgehellt. Über mich aber war Konrad Oswald sehr bekümmert. »Ich glaubte, der Lager Boden wäre die rechte Erde für das seltene Kräutlein,« meinte er liebreich, »und nun? Soll der alte Joochen Lage und sein elendes Pergament recht behalten?« »Lager Luft verwirret Kopf und Herz«, spann ich seine Worte weiter. »Ei, lieber Freund, das _war_ einmal. Jetzt sind wir alle klarsehende Leute geworden, aber Gott bewahre uns vor Ernüchterung!« »Mit dem letzteren braucht man bei Ihnen wohl keine Sorge zu haben«, scherzte er und setzte bekümmert hinzu: »Aber sonst gefallen Sie mir gar nicht, Baronin.« »Gefalle ich etwa mir selbst?« rief ich ungestüm. »Ich bin ein ganz anderes Lebewesen geworden, das sich selbst erst kennenlernen muß. Und dazu fehlt mir die Zeit …« * * * * * Auch Konrad Oswald ist kopfschüttelnd von mir gegangen, ebenso wie damals Baron Leo. Ich möchte eine hohe Mauer um Lage bauen. Möchte dahinter einsiedlerisch hausen. – Bis ich hellsehe, was ich will. Im Juli. Immer habe ich jetzt Feiertage im Sinne, die sich just jähren. – Ich komme nicht los von der Erinnerung. Auch jetzt ist ein Tag in Sicht – – da stand vor einem Jahr der rote Regenschirm an der grünen Birke … Ich möchte an meinem Geburtstage wieder diesen Regenschirm in Händen halten, ihn aus den Tiefen des alten Schrankes hervorholen … wie kindisch … Ich möchte wieder ein Kind sein. An Vaters Hand nur ein einzig Mal durch den Lager Wald schreiten und ihm erzählen. Und ihn fragen über Gut und Böse und die mannigfachen Wege, die dazwischenlaufen über Distel und Dorn und Stechpalmreiser. Wie würde der einzige mir weitschauend raten und helfen! Nun muß ich alles allein durchkämpfen und allein überwinden. 43. Am Geburtstage. Wie seltsam die Luft, und der Tag so klar, So märchenverträumt und schön, Ich möchte mit dir durch Fels und Kar Und Wildnis wandernd gehn. Durch dunkelen Schratt und Urwaldgestrüpp Über wurzelzerrißnes Gestein, Durch wilder Tiere weißschimmernd Geripp … Nur Gott – und wir beide allein. – Allein bin ich gewandert. Erst plan- und ziellos. Dann bewußt an des Ahnen Joochen Waldgrab, zum Tempel, zur Clemenskapelle, an die Stelle, da einst die liebe Birke stand, mein hoher Baum der den Wurm in sich trug … Alles steht verlassen, verloren, verödet … Und nicht das kleinste Zeichen fand ich, daß man mein gedachte … Da ging ich fort aus dem Lager Wald und trat in die Häuser meines Dorfes und in die allerletzte Kate, wo seit dem Tode des Säufers ein fröhliches Leben aufblüht. Und ich beschenkte alle an meinem Geburtstage und hörte mit seltsamer Anteilnahme, wie die Mutter den Kindern vom toten Vater erzählte und den allerkleinsten, die sich des Rohen und seines Lasters nicht erinnerten, sein Leben verklärend schilderte. Und ich neidete dem Weib seine riesengroße Liebe, – und sein restloses Verzeihen. – Dann schritt ich in Korb-Sinas verlassenes Haus, zu dem ich immer noch die Schlüssel habe, weil Pfarrer Oswald keine Zeit fand, den Nachlaß zu sichten. Und setzte mich an den alten Schreibsekretär, der aus besseren Zeiten stammt, und blätterte in der großen Bibel; zwischen zwei Kapiteln sperrte ein altmodisches Lesezeichen die Blätter weit auseinander. Da lag ein kleiner schmaler Papierstreifen, und ich las im Dämmerlicht: »Clemens-Hartmut Dörping, bei Fräulein Herwardson in K… Im letzten Haus am Grabenteich …« Mir aber war’s, als hätte ich gelesen: »_Zünd_ an, Brigitte, zünd an!« Mitte August. Nun jährt sich auch schon wieder das Blühen der Heide. Ob es mich jemals alt und schon vielmal erlebt dünken wird? Nein, immer wieder grüßt es mich als Offenbarung. Du, meine rote Heide! Grenzenlos ist deine Schönheit, die leuchtende; grenzenlos deine Macht, die siegende; grenzenlos deine Stille, die träumende; grenzenlos, wie meine Liebe, die sehnende, zu dir, du meine rote Heide! – Aber war sie je so leuchtend, so siegend, so still, so liebevoll wie diesmal? Da zwei verträumte, wunderschöne Kinderaugen in all das Blühen schauen und eine seltsam weiche, tiefe Knabenstimme mich fragt: »So also schaut sie aus, deine Heide, Gittimuhm’?« Wo ich das Licht dieser Kinderaugen fand, soll der ehrenfeste Foliant erfahren. – Zünd an, Brigitte, zünd an! Mit dem Zettel aus dem Bibelbuch der Korb-Sina kam ich nach Haus. Und ich spürte ihn immer zwischen meinen Fingern und fühlte, daß ich nicht loskam von ihm. Wohl erschrak Eva sehr, als ich sie einen Koffer rüsten hieß, und sie wehrte sich tapfer und packte mit Sorgfalt, und diese Zwiespältigkeit brachte sie wieder in huschende Unrast. Meinen braven Diener hieß ich auch, sich bereitmachen, und er las sich im Fahrplan zurecht und legte mir die fertigen Auszüge vor. So fand mich der Abend meines Geburtstages im Eilzuge und der leuchtende, helle Augustmorgen schon in K. Das Städtchen lag altmodisch zwischen Wiesen und Wäldern eingebettet, die Fenster der kleinen, seltsam bunten Häuser blinzelten verträumt. – Der Diener brachte mich in einen sauberen Gasthof, wo man mir so rasch einen duftenden Kaffee vorsetzte, als habe man mich als lieben Gast erwartet. Dann gab man uns einen knappen, von jeder Neugier baren Bescheid über das letzte Haus in K., und nach dem Imbiß wanderten wir hin. Ich hieß den Diener, sich in das Gärtchen zu setzen, das in allen Farben spielte von den gelben Sonnenblumen an über bunte Malven und leuchtend roten Mohn zum braunen Frauenschühlein und lila Heliotrop, dessen Duft uns schon auf der Landstraße begrüßt und umweht hatte. Einen altmodischen Klopfer setzte ich in Bewegung, da kamen auch schon flinke Füße, und es wurde geöffnet. Zum erstenmal tauchten meine Blicke wieder in Lager Augen. »Fräulein Herwardson ist verreist«, berichtete die tiefe, ruhige Knabenstimme. »Clemens-Hartmut Lage!« sagte ich – und dann stieg ein heißes Rot in mein Gesicht. »Ja, – Clemens-Hartmut bin ich,« meinte er erstaunt, »aber ich heiße Dörping.« So hatte ich ihn gefunden. Und ich war des Glückes voll, wie nie in meinem Leben. Alle Bitterkeit war ausgelöscht, alles Häßliche in ein verklärendes Licht getaucht, – ich fühlte, wie schwer mein Kampf gewesen war und restlos nun mein Sieg. Voll Entzücken sah ich in das schöne, reine Antlitz des Knaben, sah die schlanke, biegsame, gesunde Gestalt, der auch der von ungeschickten Dorfschneiderhänden angepaßte grobe Anzug nichts anhaben konnte. »Du lieber Junge, ich bin die Freiin Brigitte Lage, und ich stand jemand sehr nahe, der – – –« »Gewiß der lieben Großmutter Sina«, entgegnete er lebhaft. »Sie hat mir Ihren Namen genannt. Sie können eintreten, Fräulein von Lage, – meine Pflegemutter kommt nicht vor morgen zurück. Ich muß das Haus bewachen«, setzte er mit leichtem Stolz hinzu. Sein ganzes Gebaren war köstlich altväterisch, ritterlich, weit über seine zehn Jahre hinaus bedächtig. Er öffnete mir eine weiße Flügeltür, die in ein Biedermeierzimmer führte, und hier rückte er mir einen Sessel und ein Fußbänkchen zurecht, alles mit der Grandezza eines geschulten Pagen. In straffer Haltung blieb er vor mir stehen, bis ich ihm bedeutete, sich neben mich zu setzen. – ›Du lieber, feiner Junge!‹ mußte ich nur immer denken. Und mein Herz war gar nicht bei mir, sondern bei dem Knaben, der schon nach kurzer Zeit zutraulich seine Hand auf die meine gelegt hatte. »Ich liebe Lage so sehr«, sagte er mit tiefstem Aufseufzen. »Kennst du es denn, Clemens-Hartmut?« »O so _gut_! Aber nicht wirklich, nur aus Großmutter Sinas Erzählungen. Sie war eine sehr edle Frau, nicht wahr, Fräulein von Lage? Sie hat mir so viel Gutes getan, wie nirgend ein Mensch.« Ich strich ihm über den dunklen Lockenkopf. »Sie hat dich und deine Mutter sehr geliebt, mein Junge«, sagte ich warm. Da nickte er ernst. »Nun kommen bald die Herbstferien«, meinte er sinnend. »Wie gern möcht’ ich sie einmal bei Großmutter verbringen! Warum kenne ich Lage gar nicht? Vielleicht kann man das teure Fahren sparen und zu Fuß hinwandern. Solche Sehnsucht hab’ ich nach Großmutter Sina …« Er sah mich vertrauensvoll an, und ich zermarterte mir Herz und Kopf, wie ich wohl diesem Kind zart genug den Tod dieser Großmutter übermitteln könnte. Ich meinte, ich könne es nicht ertragen, diese Augen, in denen schon ein frühes Weh stand, noch mehr verdunkelt, und die feinen, schmalen Lippen in Schmerz verzogen zu sehen. – »Soll ich dir von Lage erzählen?« fragte ich auswegsuchend. »Wie schön!« Er strahlte. »Ich gehe heute erst um zehn Uhr in die Schule. Aber ich sehe durch das Fenster einen fremden Mann in unserm Garten, ich muß fragen, was er will, und ihm verbieten, irgendeine Blume abzureißen, sonst wird Fräulein Herwardson rasend …« Ich lachte herzlich. »Meinst du, Clemens-Hartmut, daß meine Gegenwart nicht etwas heilsamen Zwang auferlegt?« »Ich glaube nicht«, meinte er altklug. »Sie sieht dann gar nicht, wer dabei ist, und schlägt nur so drauflos …« »Du sagst doch nicht, daß sie dich schlägt, – _dich_«, rief ich hastig, und eine tiefe Abneigung gegen die Person stieg in mir hoch. Der Junge legte einen Augenblick sein Gesicht auf seine Arme, aber dann schaute er mit zusammengepreßten Lippen mir gerade ins Gesicht. »Sie ist nicht gut«, sagte er leise. »Mein Junge, mein ganz lieber Junge!« konnte ich nur sagen und legte den Arm um seine schlanke, leichte Gestalt, und er schmiegte sich für die Dauer eines Augenblickes an mich an, und ich fühlte, daß ein trockenes Schluchzen ihn überkam. »Es ist nicht männlich, ich weiß es,« sagte er leise, »aber Sie sind gut mit mir, das kann ich beinahe nicht ertragen. Wenn die Großmutter Sina kam, war ich auch immer so elend … Wir wollen hinaus in den Garten gehen, – bei den Blumen bin ich immer am liebsten, und ich sehe es jetzt, Ihr Diener hat ein gutes Gesicht, Fräulein von Lage.« »Könnten wir nicht doch noch ein Weilchen hier allein bleiben, Clemens-Hartmut? Ich möchte dir so gern etwas von Lage erzählen, – etwas Ernstes …« »Ja, Lage ist sehr ernst«, sagte er ruhig. »Großmutter Sina meinte, es lache kein Mensch in Lage, und es gäbe auch gar nichts zu lachen. Deshalb war ich ja so froh, als Sie vorhin eine so lustige Bemerkung machten. Beinahe hätte ich auch gelacht, aber ich bin es so gar nicht gewohnt.« Ich sah voll tiefen Erbarmens auf den lieben Burschen hin und war in großer Not. Denn ich wußte nicht, wie ich zu dem Schweren überleiten sollte. – Und auch er sah mich an, und eine Menge wichtiger Fragen schienen ihm durch Kopf und Herz zu gehen. Sein ausdrucksvolles Gesicht verriet es. – »Was dünkt dich, mein kleiner Clemens, soll ich dich gleich heute mit nach Lage nehmen?« Die Frage sprang ihn förmlich an, und weil ich dazu lachte, denn dies Seelchen brauchte ja Lachen und Freude, so glaubte er wohl, es sei ein fröhlicher Scherz von mir. Wie Sonnenschein ging’s über sein beredtes Mienenspiel, und nun sah ich auch, daß der Junge den Lageschen Humor besaß. »Der Clemens kann gleich mit Ihnen gehen, Fräulein von Lage, aber der Hartmut muß warten, bis Fräulein Herwardson zurückkommt.« »Was fange ich mit einem halben Jungen an?« scherzte ich weiter, »und was soll ich von ihm mitnehmen, den Kopf oder die Füße?« – »_Alles!_« rief er plötzlich ungestüm und schmiegte sich an mich. »Wir wollen gleich jetzt fortgehen und nie wiederkommen, ja? Weiß es die Großmutter? Oder ist alles nur ein Spaß?« »Das wäre ein schlechter Spaß, wenn du doch solche Sehnsucht nach Lage hast … Aber die Großmutter Sina weiß nichts, – sie war sehr krank, mein lieber Junge, und liegt immer noch fest im Bett.« »Krank war sie? Dann erschrickt sie am Ende, wenn ich sie so überfalle. Aber vielleicht kann ich dann erst ein paar Wochen bei _Ihnen_ wohnen, Fräulein von Lage …« »Wäre dir das lieb, mein Junge? Du kennst mich noch so wenig.« »Oh, ich kenne Sie gut«, meinte er ernsthaft. »Ich habe Sie schon oft geträumt, da sahen Sie genau so aus, wie Sie da sitzen. Sie hatten ein weiches, weißes, seidenes Kleid an, ganz licht waren Sie …« »Du närrischer Schwärmer,« lachte ich, »du liest gewiß viel Märchen.« Und setzte leise an seinem Ohr fragend hinzu: »Kennst du das Märchen von Gitti und dem Zornebock?« Er schüttelte die dunklen Locken. »Ist es schön?« fragte er. »Ja, sehr schön, aber sehr traurig.« Da streichelte er mich. Und wie ich die warme, schmale Kinderhand auf meinem Gesicht fühlte, da zog ich das Kind an mich und küßte es, und dann sagte ich ihm, daß seine Großmutter heimgegangen sei. »Heimgegangen?« wiederholte er ernst, und mit den tränenlosen Augen sah er trostlos wie in Fernen hinein. »Wohin ist sie gegangen?« »Zu Gott, Clemens-Hartmut.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Fräulein Herwardson sagt, das wäre _auch_ ein Märchen …« Da sprang ich rasch auf, und ein fester Entschluß nahm Besitz von mir. »Du lieber Junge,« rief ich, »du wirst jetzt dein Köfferchen packen, und ich rufe meinen braven, zuverlässigen Diener da draußen. Der wird hier in K. bleiben und unermüdlich aufpassen, wann deine Pflegerin wiederkommt. Er soll ihr sagen, daß ich dich mit mir nahm, – – und daß du nicht wieder zurückkehrst – – –.« »Wohin? Großmutter Sina ist tot«, sagte er tonlos. »_Mein_ Junge! _Mein_ Junge!« Das stammelte und lachte und weinte ich so ein Weilchen vor mich hin. Bis es in dem kleinen, verstörten Jungskopf zu dämmern anfing und er forschend, ungebärdig fragte: »Ihr Junge? Ich soll Ihr Junge in Lage sein?« »Ja! ja! ja! _Mein_ Lager Junge!« »Und wie soll ich dich nennen, Fräulein von Lage?« »Gittimuhm! Sag’ Gittimuhm!!!!« Ende August. So ist es geschehen, daß mein Herzensjunge neben mir in der blühenden Heide sitzt, daß ich in die Klarheit seiner Kinderaugen schauen darf, und alles, was ich an Bitterem erlebt, liegt weit hinter mir. Wir haben uns köstlich traut in Lage eingerichtet. Mein Junge hat das große, sonnige Zimmer bekommen, das einst Ohm Matthias bewohnte, wir machen nun Pläne, wie wir es im Winter ausstatten. Diese unverwöhnten Kinderhände füllen zu können, ist ein Glück ohnmaßen. Wie bescheiden sind seine Wünsche! Wie köstlich sein Erstaunen, wenn sie gewährt werden. Wir haben uns selbst Ferien gegeben. Ich schrieb an den Direktor des Gymnasiums in K., und er bestätigte mir, was ich ahnte und immer aufs neue erlebe, daß ich ein seltenes Kräutlein in meinen Hausgarten gepflanzt habe, »ich grub’s mit allen Würzlein aus …« Die hafteten nicht fest in der ehemaligen Heimat, der man wohl gar nicht diesen trauten Namen geben darf. Clemens-Hartmut blüht auf in Lage. Ich habe dem Direktor meine Pläne unterbreitet, und er ist mit allem einverstanden. Konrad Oswald, unser alter, neugewählter Pfarrer, übernimmt den Unterricht des Knaben, – alljährlich wird Clemens-Hartmut in K. geprüft, ob er Schritt hält mit der Klasse, die seinem Alter angemessen ist. Die Stunde, da ich mit Konrad Oswald über Clemens-Hartmut sprach, war schwer und wunderlich. Oswald weiß jetzt, daß mein Junge Urenkel der Korb-Sina ist, und will es auch Maria mitteilen. Er hält sein Weib für großdenkend genug, daß sie restlos ihre verwandtschaftliche Liebe dem Knaben entgegenbringen wird. Ich denke nicht engherzig, daß Clemens nur _meine_ Liebe braucht und der anderen gar nicht bedarf, – ich will ihm die gleiche liebereiche Kindheit und Jugend schaffen, wie auch ich sie einst mein nannte. Da soll jeder gesegnet sein, der mir Herz und Hände füllt. Auch vom Klassenlehrer meines Jungen erhielt ich einen lieben, wahrhaft väterlichen Brief, trotzdem der Herr noch jung und stürmend ist. Er bittet um die Erlaubnis, Clemens-Hartmut öfters besuchen zu dürfen, um seinen Werdegang noch unmittelbarer verfolgen zu können, denn er erwartet etwas »Besonderes von dem ›schwarzen Burschen‹«. Wie mich das stolz macht! Daß Clemens-Hartmut Ritter Lages Sohn ist, habe ich Oswald nicht erzählt … Ich warte auf Baron Leo, das zweite Ich des Ritter Lage. Dieser abgeklärte, reife Mann wird mein bester Berater sein. Ich sehne die Stunde herbei, da ich ihm alles sagen kann, was mich zutiefst bewegt. Und ich weiß, in jener Stunde wird Baron Leo ganz sachlich urteilen, – er wird unser beider Glück im Auge haben, Clemens’ Glück und das meine, und _nur diesen_ einen Punkt. – Deshalb lege ich alles in seine verläßlichen Hände. – In mir selbst aber ist wieder die Sehnsucht aufgewacht und sieht mich mit großen, erwartungsvollen Augen an. Darf ich sie grüßen? Wenn Clemens-Hartmut gesund, feingliedrig und wohlgebaut ist … Ist damit nicht der Fluch von den Lages genommen? Wenn _doch_ das Glück in mein Leben träte, und nicht das Entsagen? Herrgott, du weißt es! Ich selbst wollte nie etwas anderes begehren, als in heiliger Liebe, die zugleich edelste Freundschaft wäre, neben Ritter Lage zu wandern, ungezählte Jahre hindurch. Nur sein liebes, kluges Antlitz immer und immer wieder anschauen dürfen, seine Augen vertrauend, liebevoll auf mich gerichtet zu wissen, seine feste männliche Hand in der meinen zu halten, – es würde mir wahrlich nicht nur Genügen bedeuten, sondern Überfluß. Wie aber sollte ich den Reichtum ertragen, wenn ich wirklich sein Weib sein dürfte? Ganz eins mit dem Geliebtesten? Dies Glück zu fassen, müßte ich wohl erst lernen. Herzliebster Lehrer, glückselige Schülerin! In der Nacht vom Sonntag zum Montag. Heute hatte ich Gäste. Es war ein angeregter Kreis meiner nächststehenden Freunde, und zugleich ein Einstandsfest für meinen Pflegesohn, – eine Feier für den neuen Pfarrer Konrad Oswald und ein Begrüßungsfest für den heimgekehrten Freund Leo von ter Mählen. Es waren nur die Heidkamper da, der geistvolle katholische Pfarrer Trewes, beide Oswalds, sowie unsere guten Pastorsleute Hansen. Morgen ziehen sie an den sonnigen Rhein, glückselig, dies dunkle Heideland verlassen zu dürfen. In ihrer Freude wurden sie ganz geistvoll-strahlend beredt und machten einen so gewinnenden Eindruck, daß Oswald mir scherzend zuraunte: »Gestehen Sie es nur, verehrte Baronin, es tut Ihnen schon leid, mich hergeholt zu haben …« Da konnten wir beide uns freilich fröhlich-verständnisvoll zunicken. Nach dem Abendbrot kam Clemens-Hartmut auf ein Stündchen zu uns herein. Als er mich in meinem weichen, weißseidenen Gesellschaftskleide sah, das sich in reichen Falten um mich und den alten, geschnitzten, grünen Sessel legte, – da leuchteten seine dunklen Augen auf. Ohne auf die fremden Menschen zu achten, lief er zu mir hin und rief mit seiner weichen, schönen Stimme: »Siehst du, wie du leuchtest, du Lichtchen?« Dann küßte er mir etwas verwirrt die Hand, weil mein Gesicht ihm wohl blaß und ungewöhnlich ernst erschien. Ich hatte ihn in einen schwarzen Samtanzug getan, seine dunkeln Locken wurden köstlich von einem schweren Brüsseler Kragen eingerahmt, wie man sie auf van Dycks Bildern sieht. Ich fand ihn in einer der Lageschen Truhen. Die schlanken Beinchen, an welche sich enge Kniehosen anlegten, steckten in seidenen Strümpfen und Schnallenschuhen. Ein schönes Bild war mein Junge. Ich erhob mich an seiner Hand und stellte ihn ganz feierlich als meinen Pflegesohn vor. – Frau von Heidkamp liefen die hellen Tränen über das Gesicht. Sie ist so rasch und warm empfindend, man las ihre Gedanken beinahe schon vom Gesicht ab, ehe sie sich ungestüm äußerte: »Was gebt ihr für ein entzückendes Bild ab, ihr beiden Schwarzweißen!« Dann küßte sie mich und den Jungen, der es sich mit einem leichten Trotz, den sie reizend fand, gefallen ließ. – Erst als alle andern uns beglückwünscht hatten, kam langsam Baron Leo aus seiner entfernten Ecke auf uns zu. Sein vornehmes, leicht erblaßtes Gesicht mit den ausdrucksvollen ernst-frohen Augen war in befremdetem Erstaunen auf den Knaben gerichtet. »Wie heißest du???« fragte er mit nicht ganz fester Stimme. »Clemens-Hartmut Dörping.« Baron Leo legte einen Augenblick die Hand über die Augen. Als er sie sinken ließ, war sein Gesicht völlig entfärbt. »Was ficht Sie an, Baron Leo?« fragte ich leise. »Eine Erinnerung«, war die ebenso leise Antwort. »Ich habe nur ein einzig Mal den Ritter Lage als Kind gesehen, er sah aus wie dieser – Ihr Junge.« * * * * * Dann wurde es noch recht lustig an jenem Abend. Es wurden Reden auf Haus Lage und die »junge Mutter« gehalten; die geistreichste in sehr flüssigen Versen gab uns der katholische Pfarrer. Voll Humor war sie außerdem, und gleich darauf dankte Clemens-Hartmut überraschend nett, in kindlichen, feinen Reimen, in meinem und seinem Namen. Dann nahm er auf einen Wink von mir bescheiden Abschied und zog sich zurück. Und in all der fröhlichen Lautheit, die nun folgte, und in der die berühmten schweren Weine des Lager Kellers nicht geschont wurden, dachten Baron Leo und ich unablässig das Gleiche: »Wären doch alle erst fort! Wir haben uns soviel zu sagen.« Und es wurde wirklich einmal Mitternacht, die Gäste fuhren und gingen fort, und ich weiß nicht, auf welche Weise es Baron Leo fertigbrachte, sich nicht von den Heidkamps in ihren Wagen zwingen zu lassen. Auch die leise neckenden und erstaunten Zurufe der Heidkamperin ließen ihn völlig kalt, er tat, als sei er der Gebieter »von’t Lager Huus«. Mit lauter Stimme verkündete er, daß Wichtiges mit der Baronin Lage er zu besprechen habe und deshalb dankbar die gütige Einladung des Pfarrhauses Oswald annähme, um dort zu übernachten. Er würde auch den verehrten Herrschaften so rasch als irgend möglich dorthin nachfolgen. – Dann gab er noch allen das Geleit, während ich drinnen am großen, runden Tisch stand und die Papiere meines Jungen aus einer grauen, unscheinbaren Mappe nahm und vor mich hinbreitete. Mit raschem Ruck wurde dann von Baron Leo die Tür geöffnet, ohne daß er vorher noch einmal geklopft hätte. »Wer ist der Junge, Freiin Brigitte? Ist er Lages Sohn?« »Ja.« Dann erzählte ich ihm alles. Und sah, wie es in dem Freunde arbeitete, und sah, daß er heute noch nicht als »alter, verständiger Mann« zu mir gekommen war, sondern daß er erst während meiner Erzählung seine eigene Hoffnung für immer begrub. Ich hatte wohl nicht hindern können, daß _meine_ Hoffnung mich durchleuchtete. Noch lange, nachdem ich geendet, saß er mir schweigend gegenüber. Dann stand er langsam auf und nahm meine beiden Hände. »Sie sollen Ihre Mission keinem Unwürdigen anvertraut haben, Freiin Brigitte, ich hafte Ihnen für die sorgsamste Ausführung. Noch in dieser Nacht fahre ich mit dem Kraftwagen nach Holland. Was soll ich Ritter Lage sagen?« »_Daß ihm die Gitti gehört für Zeit und Ewigkeit in Lager Treue!_« September. Heute ist mein Krankenhaus und mein Kinderheim geweiht worden. Welch schöner Tag! Wenn er auch seltsam für mich war, da ich nichts vom Ritter Lage und nichts von Baron Leo gehört habe. Wenigstens nichts, was von Belang für mich ist. Clemens Lage hat für das Krankenhaus eine große Summe an Oswald überwiesen, die dieser mir heute überreichte. Er tat es in Feierlichkeit, und ich dankte mit wohlgesetzten Worten. Neben mir stand mein Junge, und die Dörfler alle schauten neugierig, aber doch freundlich in sein schönes, feines Gesicht. Die wenigsten haben den Ritter Lage von Angesicht gesehen, so fällt ihnen auch keine Ähnlichkeit auf. Pastor Oswald und Pfarrer Trewes hielten je eine Ansprache an die protestantischen und katholischen Dorfbewohner; der sympathische Baumeister überreichte mir ein Bund, und ich erschloß das Haupttor mit einem besonders kunstreich geschmiedeten Schlüssel. Dann folgten mir alle durch die schönen, großen Zimmer und lichten, kleinen Nebenräume. Im Saal war eine lange, blumengeschmückte Tafel aufgestellt, geblümte Kannen, Tassen und Teller und Berge von Kuchen standen darauf. – Clemens-Hartmut war überall. Wo es etwas zu helfen gab, besonders bei den uralten Weiberchen und bresthaften Mannsen sah ich das schöne, in Mitleid und Liebe leuchtende Knabenantlitz. Und wo er sprach und half, da streckten sich auch mir runzlige Hände voll Dank entgegen: »Was ist er doch für ein lieber Bub!« An den Kinderbettchen stand er und machte den Kleinsten Schattenspiele mit seinen gelenkigen Fingern, und den Größeren erzählte er Märchen. Und war doch bei mir, just wenn ich ihn brauchte, und fragte zärtlich: »Ist meine Gittimuhm fröhlich?« Und jedesmal nickte ich, nur um die sonnigen Augen nicht zu trüben. Und gewann auch wieder eigene Freude, weil ich hoffte … Abends hatte ich dann noch die näher am Bau Beteiligten bei mir zu Gast. Baron Leo wurde sehr vermißt. Frau von Heidkamp legte mir Daumschrauben an, sie wollte wissen, was wir damals »in der Nacht«, wie sie sich ausdrückte, zu schwatzen gehabt hätten, und was in aller Welt der Baron in Holland wolle. »So ein Schatullchen!« meinte sie ärgerlich, als ganz und gar nichts aus mir herauszubekommen war. »Wer hat den Schlüssel zu Ihnen?« * * * * * In diesen ernsten Tagen des Harrens, und wiederum der Erfüllung, da doch mein Bau zu Ende gekommen war und alles Notleidende in meinem Dorf eine liebe, umhütende Heimat gefunden hatte, war mir mein köstliches Instrument ein wahrer Sorgenbrecher und ein schönes Erleben. Ich hätte wohl der Heidkamperin sagen können, daß Beethoven den Schlüssel zu meinem Herzen habe, aber das wäre ihr doch nicht die rechte Antwort gewesen. – Als ich neulich am Flügel saß und fantasierte, kam mir ein liebes Thüringer Volkslied nach dem andern unter die Finger, und da setzte mit einem Male eine Flöte ein und begleitete mich zart und fein recht aus einem musikalischen Empfinden heraus. Ich sah auf. Mein Bub stand an den Flügel gelehnt, und ich sah, wie er die kleine Blechflöte meisterte, die er wohl irgendwann auf dem Jahrmarkt erstanden hatte. »Das tönt gut, Gittimuhm«, sagte er, als ich die Hände von den Tasten sinken ließ. »Und seit wann spielt mein Junge die Flöte?« »Ohh! Seit ich von Großmutter Sina ein so schönes Buch bekam: ›Der große König und sein Rekrut.‹ Da wollt’ ich Flöte blasen und schnitt mir erst eine aus Weiden, und die nahm mir Fräulein Herwardson fort. Dann kaufte ich mir diese hier für 40 Pfennige und blies nur draußen auf der Wiese darauf, und im Winter im Hühnerstall. Da hat mich mal der Flötist von der Stadtkapelle gehört, der kaufte Eier von Fräulein Herwardson. Und da hat er mir ganz umsonst Stunde gegeben, so ein guter Mann. Denn er war arm. Deshalb suchte ich ihm im Frühjahr und Sommer Kräuter zum Tee. Er hatte es auf der Brust. Und der Tee tat ihm so gut. Schafgarbe und Quendelchen, Tausendgüldenkraut, Königskerze, Huflattich, Beifuß und Kamille …« »Und war denn der Flötist zufrieden mit deinen Leistungen?« »Oh, der wollte mich schon mit in die Kapelle nehmen. Da hätte ich Geld verdienen können. Aber – nicht mit einer Blechflöte … Und eine richtige Flöte kostet 20 Mark! Denk’ nur, Gittimuhm, zwan–zig – Mark!!!« »Es ist erstaunlich!« – Seit jenem Tage musiziere ich mit meinem Jungen, aber nur zur Belohnung fantasieren wir zum Schluß zweistimmig, denn er lernt ganz planvoll von mir das Klavierspiel, und wir sind fiebereifrig auf die Erledigung der Aufgabe. So versüße ich mir das Bangen, das Harren, das Warten … Diese drei Dinge hat der Böse erfunden, und jeder Heilige soll machtlos dagegen sein. – Auch das Rennen hinein in den Lager Wald trägt nicht mehr die Heilkraft von ehedem in sich. – Freilich hat es einen Reiz mehr bekommen durch meinen lieben, kleinen Wanderkameraden, der sich mir sofort anschließt, sobald mein Fuß den Park betritt. So köstlich war es, ihm alle meine Stätten zu zeigen, den Märchenwald, den Ilexpfad, Joochen Lages Grab, die Clemenskapelle und den verschlossenen Tempel. Die vielen, mich überstürzenden Knabenfragen hatten nichts Quälendes für mich, ich mußte ja unablässig daran denken, daß es ein Lage ist, dem ich Rede und Antwort stehe. – Und wundergut war das Wandern zu zweien, dies Austauschen der Gedanken über alles, was zwischen Himmel und Erde einem zehnjährigen Prinzen und einer Prinzessin, die alle Möglichkeiten verschlafen hat, verständlich und unverständlich ist. Was ich mir in stillen Stunden erhofft und ersehnt, solch ein Wandern mit dem geliebtesten Menschen auf dem Erdenrund, – – nun gab es mir das Geschick in diesem Knaben, Ritter Lages Sohn. – Bei ihm lerne ich das rechte _Schauen_. »Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder.« Und ich lernte das herzliche Lachen über harmlose Dinge und Begegnungen. Häßlichkeiten verklärt mir der sonnige Bursch durch sein liebes Lachen. – [Illustration] Eine »wüste Insel« haben wir entdeckt. So nennt sie der Schelm. Sie liegt im großen Lager See, und man muß 30 Schläge rudern, dann kann der Kahn anlegen. Es ist wohl seit undenklichen Zeiten kein Lage drauf gewesen, ein kleiner Urwald erwartete uns. Aber mein Diener hat Clemens-Hartmut versprochen, daß er roden wolle, und da ihm bereits die Wünsche meines Jungen Befehl sind, so hat Ludwig schon Hofarbeiter von mir erbeten, die ihm bei dem Gröbsten helfen sollen. Ein Tau haben wir bereits über die Mitte der Insel gespannt, das ist die Grenze zwischen Siribisi und Satafuna, unsern beiderseitigen Reichen. Am äußersten Ende eines jeden Besitztumes werden dann zwei Hütten gebaut, so hat es sich Clemens-Hartmut ausgedacht. Und sie heißen Blauaug und Schwarzaug und sollen uns beiden zur Wohnstätte dienen. – Bis jetzt ist also die Insel gar nicht »wüst«, d. h. _einsam_, sondern sie wird von einer Kolonne fleißiger Arbeiter und Holzfäller belebt, und mein Junge geht wichtig zwischen ihnen einher, oder »rodet« mit ihnen, ganz stolz, daß ihm der Schweiß ebenso rinnt, wie den Großen. Abends sehen wir dann am Seegestade dem Sonnenuntergang zu und genießen den köstlich warmen Herbst. Eng aneinandergeschmiegt machen wir unsere Beobachtungen. Wir träumen uns hinein, daß alles lebt und alles fühlt. Daß alles in der Natur ein lustiges, oder ein ernstes Frage- und Antwortspiel ist, und daß der See sich kräuselt und Wellen schlägt, und dadurch dem Wind und dem Sturm Antwort gibt. Aus den in unendlichen Mengen herumliegenden, wunderlich geformten Steinen haben wir uns ein Alphabet gemacht und lernen jetzt lesen. Wir kennen die Buchstaben schon leidlich auseinander. Wo meine Blauaughütte hinkommen soll, liegen preislich davor 9 Riesensteine aus unserm Alphabet, die heißen »Zornebock«, und in Siribisi liegen 5 solcher Ungetüme, die besagen: »Gitti«. Alles in allem sind wir zwei närrische Lages, wie sie im Buche stehn. – Im Oktober. Unsere beiden Blockhütten sind fertig und sollen morgen eingeweiht werden. Clemens-Hartmut »hängt nur noch in den Gräten«, so unendlich wichtig hat er den Fall genommen, und es bedurfte schon seiner großen Verehrung für Konrad Oswald, daß er das Lernen nicht vergaß. Oswald besitzt mein ganzes Vertrauen. Wie ruhig und sicher er den Knaben leitet! Wie er das reiche, überquellende Gefühlsleben vor dem Uferlosen zu bewahren sucht und eindämmt! Und wie er brachliegendes, schönes Erdreich bepflanzt und betreut mit der Menschenliebe des echten Erziehers. Er hat auch seine Geige wieder hervorgesucht und übt mit meinem Jungen kleine, schöne Zwiegesänge ein, die ich dann begleite. Hie und da hört das Personal unsern Konzerten zu, und Eva behauptet, Lage würde »ganz neu«. Morgen mit dem frühesten wollen Clemens-Hartmut und ich in die Blockhütten siedeln und unsere Monarchien ausrufen. Mit köstlicher, geheimnisvoller Wichtigtuerei deutete mir mein Junge heute zart an, es sei durchaus nicht ausgeschlossen, daß Prinz Schwarzaug die Prinzessin Blauaug im Laufe der Jahrhunderte heimführe … Und ich gab ihm mit gebührendem Ernste zu bedenken, daß Prinzessin Blauaug niemals heiraten, sondern sich zu gegebener Zeit lieber in eine Birke verwandeln wolle. In deren Schatten solle dann Prinz Schwarzaug jeden Sommertag sitzen. Das fand mein Junge auch viel romantischer und der wüsten Insel angemessener, als eine gewöhnliche Heirat. – In diesen Tagen wird Baron Leo zurückerwartet. Ich schreibe dies so nüchtern und ruhig hin, als berge diese Tatsache nichts Aufregendes in ihrem Schoß. Denn wenn ich je meine Kräfte zusammenhalten mußte, so ist es jetzt geboten. Auch nicht das geringste darf absplittern … Ich spüre es, daß ich an einer großen Wende stehe. – In der Blauaughütte des Reiches Satafuna. Der ehrenfeste Foliant, den ich im Nachen auf unsere wüste Insel mit hinübernahm, liegt vor mir und soll erfahren, was in dem gelben Büttenpapier steht, das ich in der Blauaughütte fand: »_Meine_ Gitti! Ich muß Dich so nennen, wenn Du Dich auch vielleicht innerlich ganz gegen mich verschlossen hast. – Deine Tat, Gitti, – diese hochherzige, stille Tat ist das größte Erleben, das mir widerfuhr. Und kein Schmerz und kein Glück meines Lebens, ja selbst nicht jener Weihnachtsabend im Tempel, reicht an diese Deine Tat heran. – Ihr Wert liegt in der Stille, mit der Du sie ausführtest. _Wie danke ich Dir?_ Über die Möglichkeit einer Dankabtragung gegen Dich sinne ich seit jenem Tage nach, da Leo mir von meinem Sohn erzählte. Er war nicht so zartfühlend wie Du, – er hat mir nichts erlassen, nicht einmal Deine schwere Erkrankung, den ›Wirbelsturm‹, der über Dich gegangen ist, meine blasse, weiße Rose. – Und so habe ich ihn auch über mich ergehen lassen. Dein schweigendes Dulden war ja härter für mich, als jeder Vorwurf. Aber für einen Vorwurf wiederum ist mein herbes Mädchen zu scheu. Und die einzige Entschuldigung, die es für mich gibt, hast Du, meine Gitti, in Deinem Gerechtigkeitssinn gewiß gleich selbst angenommen: Ich war jung, war völlig frei, und – ich kannte _Dich_ nicht. Natürlich habe ich nicht die Belohnung für mein Verhalten verdient, daß _Du_ die Mutter meines Knaben geworden bist in Deiner aufopfernden, holden Güte. Der Gedanke, daß Gitti Lage meinen Sohn erzieht, an ihrem reinen Herzen, ist beinahe unfaßbar. Ich nehme das Geschenk stolz und demütig zugleich aus Deiner Hand. Ich weiß auch, daß Du, mein verehrungswürdiges Kind, längst gut von mir denkst. In Deiner Seele hat überhaupt kein häßlicher, herabsetzender Gedanke Raum. Aber daß Du Dich vor mir erschreckt hast, Du Feine, – der Gedanke kann mich jetzt noch rasend machen. – Meine Gitti, wie danke ich Dir recht? Alles, was ich an äußeren Gütern besitze, gehört Dir und meinen beiden Söhnen. Das ist alles inzwischen schon notariell festgesetzt. Mein Wunsch ist, daß mein Kind bei Dir bleibt und Dich auf Händen trägt, weil dies der Vater nicht vermag … Meine Gitti, weißt Du auch, was das furchtbarste ist für einen aufrechten Mann? Du mußt die beiden letzten Worte streng geistig nehmen, damit Du nicht laut lachst über den ›Aufrechten‹. Das furchtbarste also ist, dem Weibe seiner einzigen Liebe zu gestehen, daß man am Boden liegt, – – körperlich zerschmettert von grausamer Schicksalshand. So, – ich habe es Dir gesagt. Aber _das_ verlange nicht von mir – trotzdem ich Dir ja nach Deiner Tat _jedes_ Opfer bringen müßte, – daß ich Dich, Du gesundes, kraftvolles Geschöpf, meine Niederlage _sehen_ lasse. – Gott segne Dich tausendfach! Hab’ Dank und lebe wohl! Clemens Lage.« 44. Ende Oktober. Wie bunt schaut unser Wald aus! So fröhlich! Als lebte nur Lachen in Lage … Als wäre da kein Krankenhaus, kein Siechenheim, keine Trennung, noch Trübsal. Herbst war mir immer freund. Seine Stürme hochwillkommene Pfadgesellen. Diesmal ist er mir zu froh. Seine Farbenpracht tut den überwachten Augen weh. – Er, der mich sonst so gut verstand, wenn ich meine Not in ihn hineintrug, er lacht jetzt, da ich weine, er rüttelt mich auf, da ich nach Ruhe verlange … Und in den Melodien, die er zu mir trägt, schwingt zuviel Hoffnung … Hoffnung verwirrt. Gewißheit stählt. Mein Kind läßt mich kaum noch allein. Es ist, als wolle Clemens-Hartmut alles von _mir_ empfangen, die neue Welt, die ihm jetzt aufgeht, mit _meinen_ Augen sehen. Und er soll doch ganz auf sich gestellt sein. Die Feinheit seines Empfindens überrascht mich immer aufs neue, und ich sage mir, daß ihm vieles davon das Mädchen aus dem Volke gegeben haben muß. – Seit ich weiß, wie Ritter Lage denkt und handelt, und wie unverworren seine Vergangenheit sich abgespielt hat, ist eine große Klarheit über mich gekommen. Und der Wunsch, gut und groß zu handeln, weitsichtig, ohne einen Hauch von Eifersucht auf das, was war. Ich möchte wissen, wie Martha Dörpings Wesenheit war, denn ich möchte das Gute in ihr in ihrem Sohne pflegen. – Wie gewaltig und ausschließlich muß Ritter Lage mich lieben, wenn er mich die Mutter seines Sohnes nennt. Er tut alles mit bewußter Absicht. Das Wehtun und das Wohltun. Bei mir ist noch zuviel Unbewußtes und Gefühl. Ich darf auch nicht sagen, ich bin, wie ich bin, nehmt mich so und verbraucht mich so. Dazu habe ich noch zuwenig geleistet. Aber ich kann bitten: Vergebt mir, wenn ich irre, denn ich strebe noch. – Meine ganze Arbeit in Lage hat für mich ein anderes Gesicht bekommen. Ich tue das Gute um des Guten willen ohne Dank, – und ich lebe damit zugleich meinem Jungen vor. Beispiel ist besser als Mahnung. Und eine köstliche Wechselwirkung hebt an. Clemens-Hartmut als Erzieher. Seine fragenden Kinderaugen haben die Macht, alles Gute aus mir herauszuholen. Und wenn er mit seiner warmen Stimme ruft: »Du bist doch das Schönste und Beste auf der ganzen Welt«, dann sehe ich ihm still in die lieben Augen und denke: »Du! Du formst mich dazu.« Pastor Konrad Oswald sieht mit verständnisleuchtenden Augen auf uns beide. Als ich ihn bat, mir pädagogischen Rat zu geben, sagte er, daß es geborene und erlernte Erzieher gäbe, er sei ein erlernter und ordne sich mir unter. Das ist gewiß Scherz, aber es scherzt sich wohltuend mit Pastor Oswald. – Zwischen uns ist alles klar und rein. Er umhegt Maria mit der »Höflichkeit des Herzens, die der Liebe verwandt ist«. Die Aussicht auf das Kind, die nun ganz nahegerückt ist, hat ihn zur Selbstbesinnung gebracht, hat ihn auch um viele Jahre gereift. Er verträgt es sogar, wenn ich ihn hie und da »Konradbruder« nenne, und ich meine, es kann eine Zeit kommen, da er mich ganz unbefangen-fröhlich Schwester Brigitte rufen wird. Wenn das Kind da ist. Winzige, neugeborene Kinderhändchen dünken uns schwach und haben doch höchste Liebeskraft im Festhalten und Zurückführen zu dem, was uns frommt. – Ich hatte den Pfarrer Oswald auch gebeten, mir ein paar Freunde für Clemens-Hartmut auszusuchen. Aber es scheint, als lasse ein Lage sich keine Genossen bestimmen. Zuerst hat er Konrad Oswald stürmisch entgegnet: »Die Gittimuhm ist mein einziger Freund und soll es bleiben.« Aber dann hat er doch ganz still und bewußt Umschau gehalten, mehr aus Gehorsam, als aus Bedürfnis. Und hat sich von Pfarrer Trewes den Hein Broders zuführen lassen und von Pastor Oswald den Richard Borgers und hat aus eigenem Ermessen den verkrüppelten, gescheiten Pieter Dinkel dazugetan. – Mit Hein lernt er, mit Richard treibt er Sport, und mit Pieter lacht er. Deshalb steht der Pieter bei mir ganz obenan, denn das Lachen braucht mein Junge am meisten. Ich wollte meinen Buben oft gern daheimlassen, wenn ich in meine Heime wandere zu den Kranken, den Siechen und Krüppelkindern, denn ich fürchtete, er würde mir zu ernst und still beim Entdecken und Schauen des vielen Elends; aber seit mir die kranken Kinder bekannt haben: »Es ist jetzt so schrecklich lustig auf der Welt, seit der Clemens-Hartmut da ist«, lasse ich meinen Jungen nach Herzenslust diese »schrecklich lustige Welt« verkörpern. Und wirklich, das Lachen aus dem Saal der kleinen Krüppel schallt bis zum Krankenhaus herüber. Gestern ließ ich die beiden Freunde Clemens-Hartmut und Pieter Dinkel, die all diese Lachlust entfesselten, zu den Großen rufen. Da machten sie denn ihre Kunststücke, wobei mein Junge der Leiter war und Pieter zu den erstaunlichsten Leistungen verführte, bis dann Clemens-Hartmut noch als Märchenerzähler auftrat. Am Abend meinte eine der bresthaftesten alten Frauen: »Auf die Art möcht’ ich noch 20 Jahre im Krankenbett liegen.« Selig sind die Genügsamen. – Als mein Junge und ich am selben Abend durch den herbstlichen Wald heimwärts schritten, während Pieter Dinkel in unglaublichen Sprüngen mit seinen Krücken den Weg zweimal machte wie ein junger Hund, meinte Clemens-Hartmut sinnend: »Ich werde Arzt. Man müßte sie alle gesundmachen können.« »Wir wollen ihnen täglich Lachen und Liebe bringen,« sagte ich und faßte meinen Jungen fester. »das ist _fast_ so gut wie Gesundheit.« – »Mensch!« rief Pieter Dinkel dem Clemens-Hartmut zu, »wenn sie gesund würden, kriegten sie ja unsere schönen Kunststücke nicht mehr zu sehen.« Unsere Verblüffung ließ Pieter das letzte Wort. – An einem Sonntag im November. Um im Glück zu versinken und alle Seligkeiten der ganzen weiten Welt in sich zu spüren, bedarf es nicht des Wonnemonats Mai, und auch nicht der Rosen von Schiras. Es kann ein grauer, verhangener, sturmgepeitschter Novembertag sein, an dem die Sonne sich verkrochen hat hinter Regenwolken, wie eine mürrische Alte hinter einem Berg von grauer Strickwolle. Und es kann ein kleiner, krummer, unterernährter Junge an Krücken gehumpelt kommen und uns ein gelbes Büttenpapier bringen … siehe, es ist das Glück! Der Brief vom Ritter Lage war dem armen Pieter Dinkel, der heute seinen schlechten Schmerzenstag hatte, mehrfach in den von Schmutz bekrusteten Novemberschnee gefallen, aber in meinen Augen war alles schneeweiß, was mir die kleine verbogene Jungshand reichte, und die einzigen Schattenstriche bildeten die steilen, aufrechten, deutlichen Schriftzüge des geliebten Absenders. – Pieter Dinkel schulterte seine Krücken, weil er sich dann einbildete, er sei ein kerzenschlanker Soldat und werde von der andern Ehrenwache abgelöst, und meldete, wie es ihm wohl vorgesagt war, kurz und militärisch: »Empfehlung von Baron ter Mählen, in einer Stunde wäre er hier.« »Es ist gut, Pieter Dinkel.« Er humpelte zu Clemens-Hartmut, ich verhielt auf meinem Platz, bis ich das doppelte Kinderlachen hörte, dann stürmte ich in mein Zimmer. Blumen holte ich mir vom Fenstersims auf meinen Tisch, weiße, duftende Hyazinthen, warmleuchtenden gelben und lila Krokus, lachend blaue Amaryllis. Und verteilte sie und stellte dazwischen Anemon’ und Pulsatille, O wie schläft mein Wald so stille, Pulsatill’ und Anemone Flocht ich mir zur Blumenkrone. Und mitten unter die Blumen legte ich den Brief, – seinen Brief mit den Spuren der lieben Lager Erde. – Dies Verzögern des Zieles war ein kindisches Spiel voll fröhlicher Erwartung und spannendem Reiz. »Du!« sagte ich still-selig zu dem gelben Büttenpapier. »Bist du wieder bei mir, Ritter Lage?« »Meine Gitti! Man berichtete mir nach Holland, daß mein geliebtes, weißes Licht von Lage überall Lachen und Liebe hintrage und in alles Elend der traurigen Katen lindernd hineinleuchte. Und so sah ich Dich immer vor mir, wie Du die vertrauten Wege gingst, Leid im Herzen und doch immer Freude gebend. Wo nahmst Du sie her? Aus dem Grunde Deiner tiefen Seele, denn unter all Deiner eigenen Not ruht bei Dir ein Nibelungenschatz von Freude. – Weißt Du noch, daß ich Dir schrieb, das letzte Opfer dürftest Du nicht verlangen, Du Starke, Gesunde, Nimmermüde: mich am Boden liegen zu sehen, krank und gekrümmt. Mich, den Du so treulich den ›Ritter‹ Lage nennst, mich, der einst geträumt und gehofft, die Rüstung, in der sich der Knabe scherzend verbarg, würde sich einmal prall und beengend um des Mannes Muskeln schließen … Gitti, ich bring’ Dir das letzte Opfer. Und bitte Dich: Komm zu mir! Zeige mir unsern Sohn Clemens-Hartmut. Ich möchte ihn sehen, mit ihm sprechen, Dich an seiner Seite. Auf seinen zwei jungen Augen ruht unser Geschlecht, Gitti, wir sind verantwortlich für dieses Reis am alten Stamm. Man sagt mir, daß seine Augen schön, offen, gütig und wahrhaftig sind. Wie die Deinen, Gitti. – Man hat mir auch von Blauaug und Schwarzaug auf der wüsten Insel Satafuna-Siribisi erzählt, und der Lagesche Humor grüßte mich bis zum hellen Lachen. Ihr beiden Kinder werdet mir noch mehr zutragen, und der sieche Mann wird noch einmal Freude trinken. – Denn meine gütige Gitti wird es über sich gewinnen, nicht vor mir zu erschrecken. Sie wird es nicht einmal ihren Augen erlauben, sich für die Dauer eines Atemzuges zu verdunkeln, weil ihr Licht mein Leben bedeutet. – Gitti, komm! Mein Heimweh eilt Dir entgegen! – Dein Clemens.« Laut rief ich: ›Ich komme!‹ Aber ich wußte nicht, wohin ich gehen sollte. Doch ich holte Eva, und wir packten ein paar Köfferchen mit fliegenden Händen, und mein Herz wußte nicht, ob es vor Glück oder vor Leid so rasend schlug. – Aber nach einer Stunde war Baron Leo bei mir, und seine große Ruhe teilte sich mir mit. Er hieß die Köfferchen forttragen und sagte mir, daß Clemens Lage seit ein paar Tagen wieder im Bildhauertempel wohne und wir nur durch den Lager Forst zu schreiten hätten. – Viel Seltsames, schier Bedrängendes erzählte mir noch der liebe Freund von der schweren Krankheit des Ritters Lage, und seine Blicke ruhten voll Erbarmen auf mir. Aber in mir lebte nur der eine Gedanke des Wiedersehens mit dem liebsten Manne, der meiner bedurfte. Der mich brauchte und meine Kraft. – Wieder nach einer Stunde brachen wir auf. Der Diener Ludwig schritt mit einer hellen Laterne vor uns her. Baron Leo und Clemens-Hartmut nahmen mich in die Mitte, und staunend betraten die beiden den Märchenwald in seiner seltsamen Schönheit und schönen Seltsamkeit. Keines von uns sprach ein Wort. Was in uns vorging, war Schweigen gebietend. Clemens-Hartmut schaute aus verträumten Augen, und hie und da drückte er meine Hand fester. Ich hatte ihm gesagt, daß es zu meinem liebsten Freunde ginge, und dieser Freund sei sterbenskrank … In der Clemenskapelle brannte die ewige Lampe. Mein Herz grüßte sie. Dann war es plötzlich hell am Tempel, und ein fremder alter Wärter in Dienerkleidung steckte eine Fackel in einen Eisenknauf. Er verbeugte sich tief, als ich an ihm vorbeischritt. Baron Leo gab ihm die Hand. »Dies ist Jan Ulles, der dem Clemens vor vielen Jahren von Lage nach München und von dort nach Holland gefolgt ist«, stellte er ihn vor. Da reichte ich ihm rasch auch meine Rechte. »Guten Abend, Jan Ulles«, rief die weiche, liebe Stimme von Clemens-Hartmut. – Nun stand ich in der Werkstatt an jener Stelle, wo ehedem die ~Pietà~ stand. Und drüben war eine Tür … Mir war’s, als töne es hinter jener Tür: »Komm, Gitti!« Und da klopfte ich leise. »Ja,« klang es von drinnen, »_ja_!« Ich ging hinein. Oh, ich weiß es, daß ich erschrak. Und doch war meine Liebe so unsäglich groß. Ich hätte alles Leuchten der Welt haben mögen, um es in meine Augen zu legen. Aber sie brannten nur wie Feuer, und da weinte ich, um das Feuer zu löschen. Und stürzte hin an sein Lager, auf beide Knie ließ ich mich nieder vor ihm und umschlang ihn: »Ritter Lage, wie hab’ ich mich nach Dir gesehnt!« Sein tiefes, schönes Lachen klang. Dem hatte der tückische Feind nichts anhaben können. »Sie ist dieselbe noch! Gott Lob und Dank. Es fehlt nur der rote Regenschirm.« Und dann mit tiefem Ernst und hinreißender Zärtlichkeit: »Du Ewig-Geliebte! Du bist bei mir! Gitti! Mein Licht!« Ich kniete näher zu ihm heran und richtete mich auf. Und sah sein völlig entfärbtes Gesicht mit den scharfen Falten, welche die Krankheit gegraben, die erschreckende Hagerkeit, die wachsgelben Hände, die tief liegenden Augen, die blasse, hohe Stirn. Und ich küßte ihn innig, da er es nicht zu wagen schien. »Wer ist draußen?« fragte er endlich leise. »Leo? Und der Junge? Laß sie noch eine Weile warten. Mir ist jetzt, als hätte ich doch nur _dich_ sehen wollen. – Aber nein, – es ist ja richtig. Wir haben viel zu sprechen über Clemens-Hartmut. – Der Arzt hat mich gehörig präpariert, damit mich die Schmerzen nicht heimsuchen, solange du hier bist. Aber sie kommen oft plötzlich und verspotten uns. Rufe den Jungen, Gitti!« Clemens-Hartmut kam. Und er sah meine brennenden Tränen und mein tiefes Leid. »Weine doch nicht, Gittimuhm,« rief seine weiche, gute Stimme, »ich habe dich noch nie weinen sehen.« Und sich zu Ritter Lage wendend, legte er seine warme, feine Kinderhand auf die des Kranken. »Ich werde bestimmt Arzt,« meinte er beruhigend, »es dauert nicht mehr lange, dann sind Sie gesund.« Ritter Lage lächelte. »Das hoffe ich«, sagte er bedeutungsvoll. »Und nun laß dich einmal recht betrachten, Clemens-Hartmut.« Vater und Sohn sahen sich schweigend in die Augen. Dann winkte Clemens, daß sich der Knabe wieder entfernen solle. Er gehorchte schweigend, und die Tür schloß sich hinter ihm. – Ich zog mir einen niedrigen Hocker zu dem Ruhebett hin und saß nun ganz nahe bei dem Geliebten. »Wie gut sieht der Bub aus!« sagte Clemens leise. »Das schönste Kind unter all den Lageschen Ahnenbildern … Du wirst ihn recht erziehen, meine Gitti.« – »Das will ich, Clemens. Und du wirst mir helfen, ja, Geliebter?« »Nein, das kann ich nicht«, entgegnete er schroff. »Dies Kind braucht deine _Liebe_ und gutes, wohlerwogenes Manneswort des Erziehers Oswald. Ich hab’ genugsam am eigenen Leibe gespürt, was für Gifte sich in eine Erziehung mischen lassen. Und so soll Clemens-Hartmut niemals Spott und Ironie zu spüren bekommen, diese Register auf der Dissonanzenorgel, die man _mir_ zog, und die ich nun am besten meistere.« »Clemens! Mich hast du nur Liebe spüren lassen.« »Du echtes Kind!« lachte er. »Mit deiner Verklärungskraft! Ist alles Weh schon vergessen, das dir von mir kam? Wie gut wäre ich bei dir aufgehoben gewesen! Und nun sag’ mir, Gitti, – und sieh mich an dabei, hörst du … wie ein plaudernder Knabe will ich dich fragen –: Was hat dir den tiefsten Eindruck gemacht in unserm gemeinsamen Erleben? Gelt: die geheimnisvollen Büttenpapiere? … Oder die ~Pietà~? Über deren Wert du das für mich feinste Urteil faßtest, indem du Blumen küßtest und Bäume umarmtest. Oder …?« »Dein Kuß war es!« rief ich ungestüm. »Ach, du weißt nicht, wie es ist, wenn man sich nach etwas sehnt und innewird, daß man es nie in seinem Leben erfahren kann … Da hast _du_ es mir gegeben!« Und ich barg mein Gesicht in seine Hände und küßte sie. »Du Seltsames«, sagte Ritter Lage. »Dafür dankst du mir? Für neue Welten und herb-süße Seligkeiten, die du mich kennen lehrtest, dankst du mir?« »Immer, allezeit! Du hast mich aufgeweckt! Es ist so trostlos, sein Leben zu verschlafen. – Wie sollt’ ich dir nicht danken? Ich bin nun auch gar nicht scheu mehr, bin recht aufdringlich. Gelt? Findest du nicht?« »Erschrecklich.« Und er lachte wieder. »Sieh, – wie wir beide schulmeistern. Ich lehre dich küssen, und du lehrst mich lachen. _Wieder_ lachen, meine Gitti. Ah, das ist ungewohnt und tut wohl und weh.« – Er lehnte sich matt zurück. – »Nun muß ich gewiß gehen, Liebster«, rief ich erschrocken und richtete mich auf. »Ein Weilchen noch,« – bat er, »eine kurze, wichtige Frage lang. Sag’ mir, meine Gitti, was dein höchster Wunsch ist. Du bist noch so jung. Ich weiß, du liebst Lage und alles, was damit zusammenhängt, – dein Dorf, deine Leute, die Kapelle, den Märchenwald. Was davon mein ist, möchte ich _dir_ schenken, möchte dich restlos glücklich sehen, Gitti … wunschlos … Sprich – Liebste …« Da nahm ich mein Herz in beide Hände. Und alle Scheu wich von mir, nur ganz Bitte war ich. »Laß mich immer bei dir bleiben,« bat ich, – »schick’ mich nicht fort! Ich mißgönne jedem, selbst deinem alten, treuen Diener, die Handreichungen bei dir. – Ich darf dich krank und am Boden liegen sehen, denn ich bin ja dein Kamerad, einen bessern findst du nit! Ritter Lage! Laß mich bei dir bleiben!« »Du! Du einzige!« Wie ein Aufschluchzen klang es. Er zog meine Hand an seine Lippen. Dann rief ich seinen Diener, und ihm folgte Baron Leo auf dem Fuße. Der Diener gab dem Kranken Wein und ordnete die Kissen, dann ging er in den Vorraum zu Clemens-Hartmut zurück. Währenddem sprachen Leo ter Mählen und ich leise miteinander. Bis uns Ritter Lages Stimme ganz lebhaft rief: »Sie hat entschieden, Freund Leo. Was ich nicht fassen konnte und wollte, – sie bringt das ungeheure Opfer freiwillig … Leo, sie bittet mich darum, – Leo, sieh dir dies tapfere Kind an, – mit Lachen kommt Gitti zum Zornebock … Küsse ihr die Hand, Leo, und neige dich tief vor der jetzigen und künftigen Herrin von Lage …« Noch eine Stunde durfte ich bei ihm bleiben. Ritter Lage fühlte sich wohler denn je. Nur etwas rasch und fieberhaft sprach er. – Er wollte mich in alles einführen, in seine Pläne über die holländischen Besitzungen, in das Wohl und Wehe seiner Arbeiter. Wie war sein Denken scharf, logisch, großzügig und weitsehend! Oft mußte ich ihn bitten, langsamer vorzugehen, weil ich ihm nicht zu folgen vermochte. Dann lachte er herzerquickend musikalisch. Und wir beide vergaßen in dieser angeregten Stunde die ganze Not, die sonst so lastend lag. – 45. Am 1. Advent. Der Morgen wachte weh herauf. Der Wind trieb peitschend Staub zuhauf, Und wirbelnd warf er ihn an meine Wange. Ich quälte keuchend mich bergan. Es wehte wild durch Tal und Tann, Und stöhnend stand ich still, gebeugt und bange. * * * Da stach blitzender Sonnenstrahl Durch Wolkenberge hin zu Tal Und legte leuchtend sich als Aureole Um Büsche, Bäume, Wiese, Wald, Und meine Unrast wurde bald Im Aufruhr der Natur zum ruhnden Pole. So kam das Glück mir über Nacht … Es schlief bei Gott und ist erwacht, Und siegend bricht es durch die Wolkenberge. Herrgott, hab’ Dank! Von dir gesandt, Nehm’ ich’s geweiht aus deiner Hand, Und über aller Zweifel Meer holt mich der Ferge. Ein Tannenbäumchen steht vor mir mit einem Wachslicht. In acht Tagen, wenn ich die zweite Kerze aufstecke, dann zündet auch der Küster nebenan in der alten Kirche die zwei hohen Lichte an, und ich werde dem Ritter Lage angetraut. Alle, denen wir unser Verlöbnis mitgeteilt haben, sahen mich lieb und seltsam an. Und ich kann diese Blicke nur mit Erstaunen sehen. – Wenn sie mir alle voll Neid begegneten, so würde ich sie verstehen; ihr Mitleid aber muß ich zurückweisen. Keiner sieht in mein Herz, keiner weiß, wie es darinnen ausschaut. Nur Gott und ich. Liebe, Leid und Dank wohnen darin. – Der andern Blick erfaßt nur den gebeugten, kranken Menschen, der ein junges, kraftvolles Weib freien will. – Ich sehe in ihm den großen Künstler, der eine ~Pietà~ schuf, den rastlosen Arbeiter, als der er mir von Leo ter Mählen geschildert wurde, den großzügigen Gutsherrn, der auch _nicht einen_ seiner Insten vergißt, sondern ihnen _der_ Helfer schlechthin bedeutet. Ich sehe ihn somit in vielerlei Gestalt, und in jeder einzelnen groß und bedeutend, immer imstande, mich zu lehren. Die großen Schlagetots ringsum, die ich kennenlernte, sie haben alle nicht die feine Seele meines Ritter Lage. Wenn er diese auch oft unter messerscharfem Spott verbirgt. Am herbsten verspottet er ja sich selbst, seine Flügellahmheit, sein Gebundensein an den forthelfenden Stock. – Wenn ich diesen Spott aus seiner Seele nehmen, wenn ich selbst sein Stab sein könnte durch Jahrzehnte hindurch! Meine Jugend und meine Kraft gehört ihm. Und jeder Atemzug, jedes Wort, jeder Blick, vor allem aber jede _Tat_ soll ihm sagen: »_Ich diene dir._ Zu allem, was ich tue, gibst du mir die Stärke durch deine Liebe.« * * * * * Jeden Tag gehe ich zum Liebsten durch unsern Märchenwald. Hie und da finde ich im Schnee eine Heideblüte, deren sattes Rot sich unter der weißen, kalten Decke frisch erhielt. Die bring’ ich dem Ritter Lage, und dann lächelt er. – Lacht über seine dumme Gitti, die in Eiseskälte nach einer so schlichten Blume sucht. Aber ich weiß doch, daß er sich darüber mehr als über all meine prangenden Gewächshausblüten freut. Und wenn er dann meine erstarrten Finger einzeln nacheinander zum Leben küßt, – es sind zärtliche Glücksstunden. Clemens-Hartmut geht jetzt etwas einsame Wege. Die Eifersucht auf den fremden Mann kämpft mit seinem Mitleid. Oft kann er mich trotzig ansehen. Meine Nichtbeachtung dieses Zustandes hilft ihm am besten. Er sagt jetzt »Pflegevater« zu meinem Clemens, und dieser hat ihm das »Du« angeboten. Clemens-Hartmut empfängt jetzt schon alles aus der Hand seines Vaters, – die Annahme an Kindes Statt ist vorbereitet und wird vollzogen, wenn ich Ritter Lages Ehefrau bin. Die volle Wahrheit erfährt mein Junge erst, wenn er reif genug ist, sie zu erfassen. Bis dahin fülle ich sein Herz mit Liebe zu meinem einzigen. Meine Dörfler sind wunschlos glücklich, daß ich Freifrau Lage werden will. Die Alten kommen und erzählen mir Geschichten aus den Jugendtagen meines Verlobten, sie loben den Schelm, der er damals war, über den Schellenkönig, und aus allem klingt es wie rührendes Erbarmen und Trostbringen zu mir hin. Clemens macht meinem Dorf große, geldliche Zuwendungen, jede einzelne Haushaltung bekam am Verlobungstage eine ansehnliche Beisteuer. Und sie tragen allsonntäglich ihre Wünsche für den »guten, gnädigen Herrn« in die Kirche, das weiß ich. Und ich drücke alte und junge, runzlige und schwielige Hände und danke ihnen, daß sie sich für ihn im Gebet falten. – Viel Besuche habe ich empfangen, die ganze Nachbarschaft bis weit nach Holland hinein kam angefahren. Bei allen sah ich das herzliche Bestreben, über die ungewöhnliche Sachlage hinwegzukommen. Daß die Braut ohne den Verlobten empfängt. Tante Fernande, meine mütterliche Freundin, ist bemüht, mich wacker zu unterstützen. Sie hat in den letzten Monaten viel im »Gotha« gelesen und möchte dadurch ihre Spitalzeit selbst vergessen. Aber sie weiß nicht, wie sie sich gehaben soll, wenn plötzlich in ihre tadellose Rangliste eine Almosenempfängerin hineinfällt, die ihrer Herrin mit dem Herzen, ohne die nötige Besuchskarte Glück wünschen möchte. Auch Gese Nordstamm geb. Tönnings paßte nicht in Tante Fernandes Festfolge. Und doch war es für mich solche Freude, die schöne, stattliche Frau Förster zu sehen, die sich als Mutter ihrer Zwei so recht zu ihrem Vorteil verändert hat. Sie vertritt mich sehr würdig im Dorf bei Krankenbesuchen, da Maria Oswald die weitesten Wege nicht mehr zu schaffen vermag und mich mein geliebter Kranker in Anspruch nimmt. – Geh’ ich ins Siechenheim, das einzige, dem Ritter Lage mich selbstlos abgibt –, dann schicke ich Clemens-Hartmut und Pieter Dinkel zu ihm. Sie sind zuerst Zauberkünstler und Akrobaten, und dann seine Bildhauerlehrlinge. Alles läßt er ihnen herbeischaffen, was Jungenherzen erfreut, und dem krummen Pieter Dinkel geht eine ganz neue Welt auf. Kommen sie zurück, so bringen sie mir vorsichtig kleine, von Ritter Lage und ihnen selbst geformte Figürchen mit, es sind aber immer nur »Gittis«, und die drei scheinen nichts dazuzulernen. – So stellen sich die Sonnenblicke für mich dar, denen sich die reichen Stunden anreihen, da ich am Lager des Kranken sitze, mit ihm plaudere, ihm vorlese, oder mit ihm Schach spiele. Heute sagte er mir plötzlich: »Du siehst so schön aus, Gitti. Täglich erlebe ich dich schöner. Du mußt immer Weiß tragen, Winter und Sommer. Auch wenn ich tot bin. Aber dann löscht ja auch dein Leuchten, und es wird dunkel. – Gut, kleine Regenschirmbase, ich gestatte dir dann ein schwarzes Kleid …« Ich muß mich dann fest in der Gewalt haben. Das lehrt mich unsägliche Liebe. Ich kann jetzt fröhlich lachen mit sieben Schwertern im Herzen. Clemens sagt jetzt oft »Regenschirmbase« zu mir, es ist, als ob mit diesem Wort die ganze liebe, hoffnungsfrohe Vergangenheit lebendig würde und ihn hinübertrüge über die schmerzreiche Gegenwart. Etwas ist noch vorhanden, was viel Kraft von mir fordert. Das sind die Stunden, da die Ärzte die Krankheit günstiger ansehen und ihm leichte Besserung in Aussicht stellen. Dann tritt ein gequälter Ausdruck in sein sonst so männlich beherrschtes Antlitz, und Zorn und Angst wechseln ständig miteinander ab. Einmal formte es sich sogar zu den marternden Worten: »Brigitte, bereust du? Brigitte, sei ehrlich!« Dann aber freue ich mich meiner Liebe, die stärker ist als der Tod; und ich kann ihn lesen lassen auf dem Grund meiner Seele, darinnen nichts ist, was nicht dem Ritter Lage gehört. Hörst du mich, Ritter Lage? Nichts, nichts gibt es an mir und in mir, das nicht dein wäre! – – – Es gibt Stunden, da ich die Krankheit segne, wenn sie nicht Schmerzen bringt. – Denn ich darf stundenlang bei ihm sein, weil keine strenge Pflicht ihn von meiner Seite ruft. Und bin ich erst sein Weib, dann trennt uns auch kein Abend und keine Nacht mehr. Baron Leo ist fast täglich bei mir, bei uns. Er hat sich zu den Heidkampern einquartiert. Die Heidkamperin möchte mir so viel sein in dieser Zeit, aber mein Leid, das ich mit Aufbietung all meiner Kraft unter meine Füße zwinge, das überwältigt die liebe Freundin. Wie Bäche rinnen ihre Tränen, sobald sie meiner ansichtig wird, ganz ohne Fassung ist die gutmütige, weiche Seele. Deshalb kann ich auch nicht ihren Wunsch erfüllen, sie ein einzigmal mit zu Ritter Lage zu nehmen. Er würde sich in vernichtendem Spott dagegen wehren, denn Beherrschung gilt ihm alles. – Baron Leo vermag es, stundenlang mit mir bei dem Kranken zu sein und ganz frohmütig zu scherzen. – Nur Zukunftspläne formen wir nicht. Ritter Lage haßt Schonung. So schlägt uns keine Stunde. Genau wie den Glücklichen. – Über den neuen Namen, der den »grauen Alltag« verdrängen soll, spricht Clemens des öfteren mit uns, aber wir finden keinen Ersatz. Ganz hitzig können wir bei dem Suchen werden, und einig sind wir uns nur darin, daß der »graue Alltag« verschwinden muß. – »Öde und langweilig ist’s eigentlich nie bei den Lages gewesen«, erzählte Clemens; »ich habe in vielen der alten Folianten geblättert. Vielleicht war die Sippe zu gescheit dazu. Also hat der ›Alltag‹ keine Berechtigung. Aber das ›Graue‹, das Unheimliche und Düstere –, das haben wir kennengelernt, bei Gott!« Er war blaß, als er dies sagte, und seine Zähne knirschten leicht. »Soll nicht doch der Name bestehen bleiben, Gitti?« »Nein, Clemens!« »Wie zart und leise sie diesen kleinen Widerspruch wagt, – hörst du, Leo? Und könnte doch zornig sein, daß ich dem garstigen Namen Berechtigung zuweise, da das Lichtchen von Lage längst alle Winkel erhellt hat.« »_Du_ bist das Licht von Lage«, sagte ich an seinem Ohr. »Ich habe es vom ersten Sehen an gewußt.« »Der Leuchter taugt nichts«, rief er schroff, und warf plötzlich die Schachfiguren durcheinander. – In solchen Augenblicken vermag ich es, lachend mit ihm zu schelten und an seinen dunklen Locken zu zausen. Würde ich schweigen zu seinem Zornanfall, so würde sofort das Mißtrauen in ihm aufstehen. Daß ich Mitleid haben könnte … Und so muß ich in angespannter Selbstzucht alles niederzwingen, was sonst ein junges Menschenkind sich zur Hilfe heranholt in seiner seelischen Not. Oft verläßt Baron Leo brüsk das Zimmer, dann legt sich eine tiefe Zornesfalte zwischen Ritter Lages Augen, und ich muß rasch mein eigenes Antlitz an seiner Brust bergen, damit er nicht gewahr wird, daß ich mich fürchte. Schreckhaft bin ich geworden. Das hätte ich nie von der mutigen Gitti gedacht. – Am 2. Advent. Eben habe ich das zweite Lichtchen entzündet. Ich bin schon im Brautkleid. Aber mein Liebster ist heute recht schwach nach einer schlaflosen Nacht. Die Ärzte sind bei ihm und haben angeordnet, daß die Trauung nicht in unserer Kirche, sondern im Tempel stattfindet. Die Stätte, da wir uns fanden, soll uns auch ewig binden. – Pfarrer Trewes und Konrad Oswald sollen uns nach protestantischem und katholischem Ritus zusammengeben, gleich nachdem der Ortsvorsteher uns standesamtlich verbunden hat. Leo von ter Mählen geleitet mich durch den unterirdischen Gang zu meinem Liebsten. Tante Fernande als stellvertretende Brautmutter weint unablässig und ist kaum zu gebrauchen. Eva sieht grau und verfallen aus. So läßt mich alles allein. Denn Baron Leo kann auch nur die nötige Haltung bewahren, indem er sich mit ungewohnter Strenge panzert. Wie bin ich einsam in der heiligen Stunde, da sonst eine Braut am Mutterherzen ruht und sich alle Bangigkeit von treuen Lippen hinwegscheuchen läßt. Selbst Clemens-Hartmut muß der Feier fernbleiben. Was soll dies liebe, ernste, heißempfindende Kind bei solch seltsamem Fest? Am nächsten Morgen. Diese Zeilen trage ich nun in den ehrenfesten Folianten mit meinem neuen Namen ein. Ich heiße Brigitte Freifrau von Lage geborene Freiin von Lage. Gott segne meinen Ausgang und Eingang in das neue Leben! – Unsere beiden Diener Jan Ulles und Ludwig geleiteten gestern unsern kleinen Zug mit Lichtern durch den Gang. Es durchschauerte mich seltsam … Einen Augenblick faßte Leo von ter Mählen meinen Arm fester. Wollte er mich zurückhalten? Oder glaubte er, ich würde die Besinnung verlieren? Groß und stolz sah ich ihn an, da murmelte er eine Entschuldigung. – Vor der Tür zu Ritter Lages Zimmer ließ man mich allein. Wieder klopfte ich leise und öffnete sacht die Tür nur eine kleine Spalte. Denn ich hörte meinen Geliebten leise sprechen. War es ein Gebet? Ich faltete auch meine Hände. … »schreibe mir meine Bitte vor, du, die ganze Weisheit und die volle Güte. Und der du mich von Ewigkeit an geliebt hast. Ja, deine große Sorge ist meine letzte Stunde. Du willst, daß sie glücklich sei, und um sie so zu machen, bereitetest du alles vor, vom Anbeginn des Lichtes … Lichtchen, bist du es?« »Ja, Ritter Lage.« »So komm doch herein, du Schönes, du Scheues, du ganz Liebes! Wärest du eher gekommen, hätten wir miteinander beten können. Alle Lages fangen ihren Ehestand mit Gebet an. Selbst so wilde, rastlose Gesellen, wie ich einer bin. Gott grüß’ dich, Gitti!« »Gott grüß’ dich, Liebster!« [Illustration] Dann war die schöne Feier. Und dann gingen die andern alle fort. Nur wir beide saßen Hand in Hand und Mund an Mund. Und er umschlang mich mit seinem gesunden Arm, während ich vor ihm kniete, und sagte mir aberhundert Liebesworte ins Ohr. – Die ich nimmer vergessen werde. Eva kam, und ich folgte ihr und legte ein weites, weißes, weiches Hausgewand an, das mit einem feinen goldenen Gürtel von seltsamer Form, Ritter Lages Brautgeschenk, zusammengehalten wurde. In diesem Kleide durchwachte ich meine Brautnacht. Mein liebster Mann schlummerte bald ein, und heute morgen schaute er ganz hell aus den Augen und grüßte mich froh: ›Guten Morgen, Freifrau von Lage!‹ Und jagte mich dann heim in den grauen Alltag, auf daß auch ich mich ausruhen solle. Dafür begehrte er unsern Sohn, Clemens-Hartmut Lage. – Der Junge ist baß erstaunt, daß aus ihm schier über Nacht ein Freiherr Lage geworden ist. Er ist zärtlich-gut zu seinem Vater und betreut ihn wie ein gelernter Krankenwärter. – Auch ich habe fest und traumlos ein paar Stunden geschlafen. – Am heiligen Abend. O du fröhliche, selige Weihnachtszeit! Nie habe ich dies alte, erinnerunggesättigte Lied so innig gesungen wie diesmal. – Fröhlich und selig sind die Tage bis heute verlaufen. Ritter Lage, wie liebt dich dein Weib! Daß ich bei dir sein, daß ich dich pflegen darf! Daß ich jeden Tag und beinahe jede Stunde hören darf: ›Meine Gitti, sei gesegnet!‹ Nun hat mein einziger doch heute zum erstenmal Pläne geschmiedet, und ich habe ihm jauchzend zugestimmt. Gleich nach dem Fest wollen wir mit dem Reise-Kraftwagen in ein milderes Klima fahren. Der graue Alltag drückt zu sehr die Stimmung herunter, – – der Name tut es, und auch die graue, dicke Nebelluft. – Baron Leo und Ludwig wollen uns als Kuriere begleiten. Mein Tag war heute schon reich und ausgefüllt. Denn ich brachte die erlesenen Gaben, die mein Liebster mir für unser Dorf gespendet, in die Häuser, und überall leuchteten Lichter im grauen Alltag, das waren die dankbaren Augen meiner Pflegebefohlenen. Wie gern hätte ich auch im Krankenhaus und Siechenheim und besonders in meinem eigenen ›Lager Huus‹ ein besonderes Licht angezündet, indem ich ihm einen lichten Namen gab. – Aber mein Suchen war immer noch ergebnislos. Mein Leben ist jetzt so licht. Mich stört der »graue Alltag« nicht. Mein Glück durchleuchtet ihn. Mein Glück??? Ja! Ritter Lages Kamerad zu sein, ist Glück. – Auch wenn ich ihn stützen muß, anstatt daß er der kleinen Gitti Stab und Stütze ist. Mein _Herr_ ist er darum doch. – Wie köstlich es ist, sich jedem Wunsche des Herzlieben zu beugen. Wie hat sich sein Befinden gehoben seit unserm Hochzeitstage! Eine große, köstliche Ruhe ist über uns beide gekommen. Meine Hände falten sich. _Sein_ Kamerad! Ist es nicht _mehr_, als zwei gesunde Menschen sich geben können? Und gibt es in der ganzen, weiten Welt eine Liebe, die größer, reiner, tiefer, ursprünglicher und gewaltiger ist als die des Ritter Lage zu seiner Gitti? – Als heute morgen an unserer kleinen Frühstückstafel, an der außer uns nur unser geliebter Junge Clemens-Hartmut teilnahm, das kristallene Schaumweinglas an das meine klang und meines Gatten tiefe, schöne Stimme rief: »Ich bring’ es dir, meine Königin«, da meinte ich, selbst das Glas müsse springen vor Überfülle der Freude … Sonne, Sonne leuchtete allüberall. – »Und ich bring’ dir das meine, du herzliebster Ritter Lage«, rief ich schier übermütig und trank den Schaumwein bis auf die Nagelprobe. – »Wie ihre Augen leuchten!« rief Clemens-Hartmut begeistert. »Ist Gittimutter nicht schön?« »Du wirst sie all dein Lebtag als das Höchste lieben und ehren! Gib mir deine Hand darauf, Clemens-Hartmut!« Wie feierlich klang die Stimme meines Liebsten! Und dann froh, wie ich sie selten hörte, gesättigt von einem tiefen Glücksempfinden: »_Gott segne mein Licht von Lage!_« Am 1. Weihnachtstage. Ich komme von meinem Liebsten. Ich klopfte an seiner Tür. Aber er hörte mich nicht. Ich ging hinein. Aber er sah mich nicht. Geschlossen waren die liebsten Augen der Welt … Für immer!! Herrgott! Gib meinem Liebsten fröhliche Urständ! Ich selbst darf nicht zerbrechen. Ich soll seinen Sohn erziehen. Ritter Lages Kamerad bin ich gewesen. Ich trage seinen Namen. Er hat mich geliebt und liebt mich über den Tod hinaus. Seinen Knaben an der Hand, trat ich in den Märchenwald. Und die heilige Weihnachtssonne leuchtete wie der Stern von Bethlehem über Lage. Da wußte ich es, daß du im Lichte weilst, mein Geliebter … Und daß nun auch deine Gitti fürder nicht im »grauen Alltag« wandeln dürfe. Aus meinem tiefsten Leid geboren, aus dunkelster Herzensnacht heraus, gabst du mir, Gott, den Namen für mein Haus und mein Dorf: »_Auf der Sonnenseite._« [Illustration] Bongs Goldene Klassiker-Bibliothek _Arndt_, 4 Bde. _Arnim_, 2 Bde. _Arnim_ und _Brentano_, Des Knaben Wunderhorn, 2 Bde. _Bürger_, 2 Bde. _Chamisso_, 2 Bde. (3 Teile). _Chamisso_ (Vollst. Ausg.), 3 Bde. _Droste-Hülshoff_, 3 Bde. _Eichendorff_, 3 Bde. *_Fouqué_, 1 Bd. _Freiligrath_, 3 Bde. _Goethe_ (Auswahl) 6 Bde. _Goethe_ (Erweiterte Ausgabe), 10 Bde. *_Goethe_ (Vollst. Ausgabe mit Register), 22 Bde. *_Goethe_, Register allein, 2 Bde. _Grabbe_, 3 Bde. _Grillparzer_ (Auswahl), 5 Bde. _Grillparzer_ (Vollständ. Ausg.), 7 Bde. _Grimm_, Märchen, 1 Bd. *_Grimm_, Sagen, 1 Bd. _Grimmelshausen_, 3 Bde. _Grün_, 3 Bde. _Gutzkow_, 4 Bde. _Gutzkow_ (Erweit. Ausgabe), 7 Bde. _Gutzkow_, Ritter v. Geiste, 3 Bde. _Halm_, 2 Bde. _Hauff_, 3 Bde. _Hebbel_, 5 Bde. _Hebbel_ (Werke und Tagebücher), 7 Bde. _Hebbel_ (Tagebücher), 2 Bde. _Hebel_, 2 Bde. _Heine_ (Auswahl), 5 Bde. _Heine_, 15 Teile (Vollst. Ausg.), 7 B. _Herder_, 6 Bde. _Herwegh_, 1 Bd. _Hoffmann_ (E. T. A.), 8 Bde. _Hoffmann v. Fallersleben_, 2 Bde. _Hölderlin_, 2 Bde. _Homer_, 2 Bde. *_Immermann_, Münchhausen mit Oberhof, 1 Bd. _Immermann_, 3 B. _Keller_ (Gottfried), 5 Bde. _Keller_ (Gottfried), (Erw. Ausg.), 6 Bde. _Kerner_, (Just.), 2 B. _Kleist_ (H. v.), 3 Bde. *_Körner_, 1 Bd. _Lenau_, 2 Bde. _Lessing_, 4 Bde. _Ludwig_, 3 Bde. *_Meyer_, C. F. 3 Bde. _Mörike_, 2 Bde. *_Nestroy_, 1 Bd. *_Nibelungenlied_, 1 Bd. _Novalis_, 2 Bde. *_Raimund_, 1 Bd. _Reuter_, 6 Bde. _Scheffel_, 3 Bde. _Schenkendorf_, 1 Bd. _Schiller_, Auswahl, 6 Bde. _Schiller_ (Vollständ. Ausgabe), 12 Bde. _Shakespeare_, Dramen, 4 Bde. _Shakespeare_ (Erweiterte Ausgabe), 6 Bde. _Shakespeare_ (Vollst. komment. Ausgabe), 7 Bde. _Stifter_, 5 Bde. _Storm_, 3 Bde. _Sturm u. Drang_, Dichtungen aus der Geniezeit, 2 Bde. _Tieck_, 2 Bde. *_Uhland_ (Schulausgabe), 1 Bd. *_Uhland_ (Erweit. Ausgabe), 2 Bde. _Wagner_ (Richard), 6 Bde. *_Zschokke_, 4 Bde. Jeder Band in Ganzleinen 3 M., Halbleder 5 M., Ganzleder 6 M. Die mit * bezeichneten Bände 50 Pf. mehr. _Lessing_ (Vollständ. Ausg.) 25 B. 150 M. Leinen, in Halbleder 200 M. _Lessing_, Anmerkungen und Register allein 5 Bde. 30.– M., in Halbleder 40.– M. Den Freunden von »Bongs Goldener Klassiker-Bibliothek« steht das 160 S. starke, =reich illustr. Bändchen »Lebensbilder unserer Klassiker«= gegen Einsendung von 25 Pf. postfrei zur Verfügung. Die »Lebensbilder« enthalten eine Schilderung des Lebens und Wirkens unserer Klassiker sowie die Inhaltsangaben der in »Bongs Goldener Klassiker-Bibliothek« erschienenen Werke, ferner: 58 Porträte und einen Anhang: »Grundlinien der Kultur- und Literaturgeschichte von 1740 bis zur Gegenwart«. Berlin · Deutsches Verlagshaus Bong & Co. · Leipzig Romane von Felicitas Rose Jeder Band in Ganzleinen gebunden 6.50 M., die mit * bezeichneten Bände auch in Halbleder je 10 M. *Die Wengelohs. Geschichte einer Postfamilie. Es ist, als ob die Welt Reuters in neuer Wandlung auferstanden wäre und ein Klang aus dem Waldhorn Eichendorffs darüber hinflöge. *Der hillige Ginsterbusch. Soeben erschienen. – Das Aufblühen einer edlen Frauenseele. Ein Buch der Selbsterneuerung von innen heraus, wie es unserer Zeit dringend not tut! *Die Erbschmiede. Ein Buch aus der Seele der Lüneburger Heide, das geheimnisvolle Einblicke in die Eigenart der wortkargen, kraftvoll gütigen Heidjer erschließt. *Heideschulmeister Uwe Karsten. Die stille und doch mächtige Poesie der Heide, wie sie in so ergreifender Melodie seit Liliencrons Heidebildern nicht gehört wurde, durchströmt dieses Buch, und mit dem Leben der Heide hat die Dichterin Menschenschicksale zu einem wunderbaren Zusammenhang verflochten. (Badische Neueste Nachrichten.) *Erlenkamp Erben. Der Abenteuerlust des Erben der Erlenkamp steht das bodenständige Patriziertum gegenüber. Der ernsten Tragik hält köstlicher Humor das Gleichgewicht, und gesunde Lebensbejahung treibt die Sorgenwolken immer wieder auseinander. Ein Buch in spannender künstlerischster Formung. (Abendpost, Chikago.) Die Eiks von Eichen. Kantige Menschen, die im Jähzorn fehlen können, aber in Wahrheit einen Schatz von Tatkraft und leuchtender Güte bergen. Geheimnisse der Kinderschule werden ausgebreitet, seltsame Gestalten und eigenartige Erlebnisse legen eine ungewöhnliche Stimmung über dieses Buch. (Fränkischer Kurier.) Das Lyzeum in Birkholz. Der stille, schwermütige Zauber der niederdeutschen Landschaft, die anheimelnde Geschlossenheit einer kleinen Stadt, der schwerblütige Charakter des Heideschulmeisters stehen scharf umrissen, oft von satirischen Lichtern umspielt, in den meisterlich miteinander verwobenen Schicksalen. (Düsseldorfer Tageblatt.) *Der Tisch der Rasmussens. Die Geschichte einer Familie. Eine spannende Handlung, durchweht von einem köstlichen Humor. (Süddeutsche Heimatweisen.) Meerkönigs Haus. Mit vollendeter Kunst stehen die Menschen im ruhigen, selbstsicheren Leben der alten Hansastadt, und wie aus Gemälden alter deutscher Meister schauen sie uns daraus entgegen. (Literaturbericht, Berlin.) Der Mutterhof. Ein Halligroman. In diesem Roman ist alles groß, stark, sicher und schicksalsvoll. Auf dem Mutterhof gilt der uralte Wahlspruch vom Segen der Fruchtbarkeit, doch eine schwere Tragik hängt über der jungen Frau Maren, der das Schicksal Mutterglück verweigerte. (Tägliche Rundschau.) Der graue Alltag und sein Licht. Mit 26 Originalzeichnungen von _H. Krahforst_, Aachen. Ein bestrickender Zauber geht von diesem Buch aus, das uns vom Alltag zum Licht führt. Wieder weiß Felicitas Rose ungemein zu fesseln, Gestalten wachsen in bunter Fülle empor, und die mannigfachen Schicksale sind mit der sicheren Hand einer reifen Künstlerin gezeichnet. (Tägliche Rundschau.) Drohnen. Eine Geschichte für junge und alte Nichtstuer. Lebensechte Gestalten in bunter Fülle, eigenartige und fein beobachtete Charaktere, feiner, warmer Humor. (Karlsruher Tageblatt.) Bilder aus den vier Wänden. Ein köstlicher Humor durchleuchtet diese intimen und feinen Kabinettstücke. Aus den Erzählungen spricht eine Liebe, die über die engen Grenzen sich weitet zur alles umfassenden Menschenliebe. (Breslauer Morgenzeitung.) Rotbraunes Heidekraut. Lieder. Mit 4 Bildern von _H. Krahforst_. Ganzleinen 3 M. Provinzmädel. 5 Doppelbände, jeder Doppelband in biegsamem Ganzleinen 2.50 M. Band I: Kleinstadtluft / Kerlchens Lern- und Wanderjahre. / Band II: Kerlchen wird vernünftig. / Kerlchen als Erzieher. / Band III: Kerlchen als Anstandsdame / Kerlchen als Sorgen- und Sektbrecher. / Band IV: Kerlchens Flitterwochen / Kerlchens Mutterglück. / Band V: Kerlchens Ebenbild / Liebesgeschichten. _Sprudelnder Humor – Köstliche Situationen!_ Berlin · Deutsches Verlagshaus Bong & Co. · Leipzig Bongs Jugendbücherei Von Ministerien, Schulmännern, Erziehern, sowie den Prüfungsausschüssen und der Presse bestens empfohlen. *=Über und unter der Erde.= Technische Rekorde. Von _Hans Dominik_. Mit 170 Abbildungen, Skizzen und Photographien. *=Triumphe der Technik.= Von _Hans Dominik_. Mit 203 Abbildungen, Zeichnungen und Photographien. *=Die Abenteuer des Fürsten Dshaparidse=, des größten Bärenjägers Sibiriens. Erzählt vom letzten überlebenden Gefährten _Egon von Kapherr_. Mit 170 Abbildungen. *=Jugend-Turn- und Sportbuch= von ~Dr.~ _Ed. Neuendorff_. Mit zahlreichen Abbildungen. *=Das Buch der Physik.= Errungenschaften der Naturerkenntnis. Von _Hans Dominik_. Mit 154 Abbildungen, Tabellen, technischen Skizzen und Photographien. *=Das Buch der Chemie.= Errungenschaften der Naturerkenntnis. Von _Hans Dominik_. Mit 150 Abbildungen, Tabellen, technischen Skizzen und Photographien. =Gemälde und ihre Meister.= Mit erklärenden Texten berufener Mitarbeiter, sowie einem Geleitwort von Stadtschulrat ~Dr.~ _Arnold Reimann_. Mit 8 farbigen und 40 schwarzen Beilagen. =Unter den Wilden.= _Entdeckungen und Abenteuer._ Von ~Dr.~ _Adolf Heilborn_. Mit 5 farbigen Beilagen und 36 Textbildern. =Wilde Tiere.= Von ~Dr.~ _Adolf Heilborn_. Mit 4 farbigen Beilagen und 39 Textbildern. =Leben und Treiben zur Urzeit.= Von ~Dr.~ _O. Hauser_. Mit 4 farbigen Beilagen, 145 Textbildern und einer Karte des Vézèretales. =Deutsche Dichter.= Von _Felix Lorenz_. Mit Proben aus den Werken, 4 bunten Beilagen, 73 Textbildern und 66 Handschriftenproben. =Berühmte Musiker und ihre Werke.= Herausgegeben von Prof. _R. Sternfeld_. Mit 76 Textbildern, 13 Faksimiles und 44 Notenbeispielen. =Seelenleben unserer Haustiere.= Von ~Dr.~ _Th. Zell_. Mit 4 bunten Beilagen und 80 Textbildern. =Im Wunderlande der Technik.= _Meisterstücke und neue Errungenschaften._ Von _Hans Dominik_. Mit 190 Abbildungen und Originalzeichnungen, technischen Skizzen und Photographien. =Das Sternenzelt und seine Wunder.= Von Prof. ~Dr.~ _Joseph Plaßmann_. Mit 2 Tafeln und 108 Abbildungen. =Die schönsten Märchen der Weltliteratur.= Gesammelt und herausgegeben von Prof. _Friedr. v. d. Leyen_. Mit vielen farbigen Kunstblättern und Textbildern. 2 Bände. Jeder Band in Halbleinen 4 M., die mit * versehenen Bände je 5 M. Berlin * Verlag von Rich. Bong * Leipzig Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. Korrekturen: S. 269: wiederum mein → wiederum ist mein für einen Vorwurf wiederum {ist} mein herbes Mädchen zu scheu *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER GRAUE ALLTAG UND SEIN LICHT *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. 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START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. 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