The Project Gutenberg eBook of Im Banne der freien Reichsstadt This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Im Banne der freien Reichsstadt Kulturgeschichtliche Erzählung aus dem fünfzehnten Jahrhundert Author: Brigitte Augusti Illustrator: Woldemar Friedrich Release date: January 12, 2025 [eBook #75086] Language: German Original publication: Leipzig: Ferdinand Hirt & Sohn, 1897 Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK IM BANNE DER FREIEN REICHSSTADT *** #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1897 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert. Besondere Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der folgenden Symbole gekennzeichnet: kursiv: _Unterstriche_ fett: =Gleichheitszeichen= gesperrt: +Pluszeichen+ Antiqua: ~Tilden~ unterstrichen: #Rautenzeichen# #################################################################### An deutschem Herd. Kulturgeschichtliche Erzählungen aus alter und neuer Zeit mit besonderer Berücksichtigung des Lebens der deutschen Frauen. Für das reifere Mädchenalter von Brigitte Augusti. Motto: Willst du genau erfahren, was sich ziemt, So frage nur bei edlen Frauen an. (Goethe.) II. Im Banne der freien Reichsstadt. [Illustration] Leipzig, Ferdinand Hirt & Sohn. 1897. Jeder Band bildet ein selbständiges Ganze und ist einzeln käuflich. [Illustration: Fröhliche Hochzeit. (Zu Seite 212.)] Im Banne der freien Reichsstadt. Kulturgeschichtliche Erzählung aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Für das reifere Mädchenalter von Brigitte Augusti. Motto: Dienen lerne bei Zeiten das Weib nach seiner Bestimmung; Dienet die Schwester dem Bruder doch früh, sie dienet den Eltern, Daß sie ganz sich vergißt, und leben mag nur in andern! (Goethe.) Mit vielen Abbildungen von Professor Woldemar Friedrich. Vierte Auflage. [Illustration] Leipzig, Ferdinand Hirt & Sohn. 1897. Alle Rechte vorbehalten. Vorbemerkung der Verlagsbuchhandlung. Die allgemeine Anerkennung, welche dem ersten Bande von „+An deutschem Herd+“, betitelt „+Edelfalk und Waldvöglein+“, gleich bei Erscheinen zu teil geworden ist, hat uns die wohlthuende Bestätigung gebracht, daß unser Gedanke ein glücklicher war: Frau +Brigitte Augusti+ zur Veröffentlichung einer Serie von kulturgeschichtlichen Erzählungen für die reifere weibliche Jugend aufzufordern. Zumeist wird derselben ja viel leichtere Kost geboten; wir haben uns hierüber in unserer Vorbemerkung zu Edelfalk und Waldvöglein ausgesprochen. Daß die „Erzählung“ auch in diesem Bande die Leserinnen befriedigen wird, dürfen wir hoffen nach dem großen Erfolg, den die bisher erschienenen Schriften +Brigitte Augustis+ errungen haben; steht es uns als den Verlegern auch nicht zu, unsern eigenen Verlag zu loben, so können wir jedenfalls der Überzeugung Ausdruck geben, daß auch dieser zweite Band von „An deutschem Herd“ nichts der Jugend „Ungesundes“ enthält. Der +geschichtliche, beziehentlich kulturgeschichtliche Inhalt+ der vorliegenden Erzählung ist ein reicher und abwechslungsvoller: das tyrannische Regiment Karls des Kühnen von Burgund, das kluge Walten des Kurfürsten Albrecht Achilles von Brandenburg, die Vereinigung der Krone von Burgund und der der Habsburger durch die Heirat Maximilians und Marias, der Bauernkrieg und die beginnende Reformation bilden den geschichtlichen Hintergrund. Die Erzählung spielt (wie der Titel besagt) wesentlich in und um Nürnberg; seine bürgerlichen Einrichtungen, im Gegensatz zu dem sich auflösenden Rittertum, werden, mit freier Benutzung älterer Schriften ähnlichen Inhalts, geschildert; das Leben und Wirken der Künstler Nürnbergs, die Bestrebungen der Meistersinger, die kirchlichen Verhältnisse vor der Reformation finden sich berücksichtigt. Daneben ist das Augenmerk der Verfasserin stets darauf gerichtet geblieben, interessante Einzelheiten aus dem Kleinleben, z. B. über Trachten, Geräte, Inneres der Häuser u. a. m., an geeigneter Stelle einzuflechten. So glauben wir denn mit Recht auch diese Schrift Brigitte Augustis der wohlwollenden Beachtung von +Eltern und Erziehern+ empfehlen zu dürfen. +Leipzig.+ =Ferdinand Hirt & Sohn.= Prolog. Willkommen seid, die gütig Ihr geneigt, Von unserm Spiel das zweite Stück zu sehen! Kein Lustspiel ist’s, ein ernstes Antlitz zeigt Die Zeit, auf deren Boden heut’ wir stehen; Denn vieles, was uns groß schien, sank in Staub, Und manches Gute ward des Bösen Raub. Die holde Poesie, sie ist entflohn, Die einst mit Sang und Klang die Welt erfüllte, Die von der niedern Hütte bis zum Thron Mit schönem Schein die Wirklichkeit umhüllte. Nicht führt das Kreuz den Ritter mehr zum Sieg: Rauflust und Beutegier bestimmt den Krieg. Der freie Bauer ward zum „armen Mann“, Schwer drückt das Joch der Herren seinen Rücken. Schon grollt’s wie dumpfer Donner dann und wann, Schon sieht von ferne man die Blitze zücken. Blut und Zerstörung birgt der Wolken Schoß: Weh Herrn und Knechten, bricht das Wetter los! Was Großes, Gutes noch besitzt die Welt, Das flüchtet in der Städte feste Mauern; Und wenn das Rittertum in Trümmer fällt -- Treufest wird es der Bürger überdauern. Die ems’ge Arbeit füllt ihm Haus und Schrein, Und Kunst und Wissenschaft ziehn bei ihm ein. Noch beugt er sich der Kirche Machtgebot, Noch kann nur Priesterwort die Seele retten; Doch eines neuen Tages Morgenrot Verheißt Befreiung schon von Geistesketten. -- Nun schaut ob uns das ernste Spiel gelang, Und nehmt für güt’ge Nachsicht Gruß und Dank! Erstes Kapitel. Afras Heimkehr. In den gewaltigen Baum fährt zündend das Feuer des Kriegsgotts; Wehe der Vöglein Schar, welche dort Nester gebaut! Die glorreiche Zeit der Hohenstaufen war längst vorüber; an poetischer Schönheit, Glanz und Größe jedem andern Königsgeschlecht auf Erden überlegen, waren sie doch innerhalb eines Menschenalters von der höchsten irdischen Höhe hinabgestürzt und erloschen, -- der letzte Sproß eines mächtigen Hauses, welches Deutschland sechs Herrscher gegeben hatte, war ohne Land und Leute zu Neapel auf dem Blutgerüst gestorben. Der Untergang der Hohenstaufen schien auch den Verfall deutscher Kraft und Herrlichkeit zu bedeuten; überall herrschte Auflösung und Kampf, die Macht des Gesamtreiches zerbröckelte in unzählige kleine Staaten, Fürsten und Städte suchten nur noch das eigne Wohl und fragten wenig nach dem Gedeihen des Ganzen. Wohl bestieg hin und wieder ein Kaiser den deutschen Thron, der mit kraftvoller Hand in das Chaos eingriff und die Geschicke des Reiches in festere Bahnen lenkte: ein Rudolf von Habsburg, ein Heinrich der Siebente von Luxemburg umgaben die Krone noch einmal mit dem Glanz einer mächtigen Persönlichkeit, -- aber sie konnten den Verfall nur aufhalten, nicht dauernd verhüten. Im Innern stritten Deutsche wider Deutsche: die großen Städte vereinigten sich zu festen Bündnissen gegen die benachbarten Fürsten, diese standen gegen den Kaiser in Waffen, von außen aber drohten mächtige Feinde von allen Seiten. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts verwüsteten die böhmischen Hussiten die angrenzenden deutschen Lande mit Mord und Brand; später drängten in wildem Fanatismus die türkischen Scharen, welche das morsche, oströmische Reich erobert hatten, gegen Ungarn und Deutschland vor; im Westen breitete ein gewaltiger Gegner, der Herzog von Burgund, seine Herrschaft immer weiter aus und brachte manches schöne Reichsland unter sein Scepter. Solchen Männern gegenüber saß auf Deutschlands Kaiserthron um diese Zeit ein Mann, der so großen Gefahren wenig gewachsen war. Friedrich der Dritte war ein Philosoph, der sich bei astrologischen Träumereien, Gartenzucht und Heilkunde über den schlimmen Lauf der Welt tröstete. Er besaß keine einzige große königliche Eigenschaft; mit zäher Berechnung verfolgte er ein halbes Jahrhundert hindurch nur ein einziges Ziel, das, seine österreichische Hausmacht zu vermehren. Er selbst klagte, daß „das Reich voll Gewaltthätigkeit, Mord und Brand sei, davon es gar schädlich gemindert werde,“ aber er fand kein Mittel, dem Verderben zu steuern. Man schrieb das Jahr 1468. Mit einem starken Heer lag der Burgunderherzog Karl der Kühne vor den Mauern von Lüttich; er hatte einen hohen Schwur gethan, dasselbe für seine wiederholte Widersetzlichkeit furchtbar züchtigen zu wollen. Die Stadt hatte seit alter Zeit zum Deutschen Reich gehört, in allen kirchlichen Dingen hatte der Erzbischof von Köln die oberste Entscheidung. Widerwillig fügte sie sich dem burgundischen Regiment und befand sich in stetem Widerstreit gegen den aufgedrungenen Bischof, der ein naher Verwandter des Herzogs war. Die strengsten Strafen hatten den kühnen, trotzigen Geist der Einwohner nicht zu brechen vermocht; aufs neue hatten sie sich erhoben, um ihre Freiheit und Selbständigkeit gegen den herzoglichen Statthalter zu verteidigen, und mit dem Mute der Verzweiflung wehrte sich jetzt die Bürgerschaft gegen den Angriff des Herzogs, welcher mit einer Anzahl gewaltiger Geschütze ihre festen Mauern bedrohte. Schon acht Tage lang tobte der erbitterte Kampf, und auf beiden Seiten war eine Pause der Ermüdung eingetreten. Der Donner der Kartaunen war endlich verstummt, die Einwohner atmeten nach der furchtbaren Spannung freier auf. An der Thür eines kleinen Hauses stand in der Abendstunde ein junges Weib und schaute mit angstvollem Blick die Straße hinab, auf der jetzt bewaffnete Männer, einzeln und in Gruppen, vorübereilten. „Habt Ihr den Matthias Fiedler nicht gesehen, Nachbar?“ rief sie dem einen und dem andern Bekannten zu, doch erhielt sie keine Antwort, außer einem flüchtigen Kopfschütteln; es hatte eben keiner Zeit, an den Nächsten zu denken. Jetzt kam ein Mann daher, müden Schrittes schleppte er sich weiter, tödliche Erschöpfung war seiner ganzen Erscheinung aufgedrückt. Sie flog ihm entgegen und legte stützend den Arm um ihn. „Kommst du endlich, mein Matthias?“ sagte sie liebevoll, „o wie habe ich mich um dich geängstigt! ich meinte schon, ich sollte dich niemals wiedersehen!“ „Es fehlte nicht viel, so wäre ich auf dem Wall liegen geblieben,“ erwiderte er langsam; „es war harte Arbeit, und die neuliche Wunde schmerzt noch immer. Doch -- den Heiligen sei Dank! -- jetzt darf ich eine Weile ruhn.“ Sie führte ihn in das Haus, wo ihnen ein zehnjähriger Knabe entgegenkam; Mutter und Sohn beeiferten sich, dem Vater die Rüstung und die schweren Waffen abzunehmen, und bald streckte er sich behaglich auf dem bereitstehenden Lager aus. Erst, als er sich mit Speise und Trank gestärkt, that die Frau einige Fragen nach dem Stande der Dinge. „Für die nächsten vierundzwanzig Stunden ist nichts zu fürchten,“ versetzte Matthias, „unsre Kundschafter brachten uns Botschaft, daß Herzog Karl selbst der Ruhe bedarf. Freilich ist’s nur ein kurzer Aufschub; morgen, zu Allerheiligen, werden die Geschütze schweigen, danach aber müssen wir uns auf einen Sturm gefaßt machen. Mögen Gott und alle vierzehn heiligen Nothelfer uns beistehen, daß wir der Gewalt des furchtbaren Herzogs nicht erliegen -- sonst würde es uns schlimm ergehen.“ Zitternd drückte die Frau seine Hände und schlang den Arm um den Knaben, der aufmerksam, mit weit geöffneten Augen, zugehört hatte. „Warum sind wir nicht geflohen, ehe die Belagerung begann!“ klagte sie leise; „warum müssen wir, die wir hier fremd sind, all dieses Ungemach ertragen? O, hätten wir nie die teure Heimat verlassen, wären wir nie in dieses Land gekommen, das uns in sein Verderben hineinzieht!“ „Arme Afra!“ versetzte er wehmütig, „warum hast du dein Leben an das meine geknüpft? habe ich doch nur Unruhe, Mühe und Sorge über dich gebracht! Und du hättest daheim so friedlich und wohl behütet leben können!“ „Nein, nein!“ rief sie lebhaft und schloß ihm die Lippen mit einem Kuß, „sprich nicht so, Matthias! Tausendmal lieber mit dir in Lüttich zu Grunde gehen, als in Nürnberg ohne dich ein ruhiges Leben führen! Es ist auch nicht um mich, wenn ich klage, nur um die Kinder -- um unsern Hans und die kleine Matthäa --, das Mutterherz blutet, wenn es denkt, daß ihnen ein Leides geschehen könnte! Aber nun schlafe, teurer Mann, und sammle neue Kraft, du wirst sie brauchen.“ Die Nacht verging ruhig; am nächsten Morgen luden alle Glocken der zahlreichen Kirchen Lüttichs zur Feier des Allerheiligenfestes ein. Zu Tausenden drängten sich die Einwohner um die Altäre; fühlte doch ein jeder, daß ohne höhere Hilfe sicheres Verderben das Los der Stadt sein müsse. Auch Afra war in die nächste Kirche geeilt, während Matthias noch schlief und die kleine einjährige Matthäa der Obhut ihres Bruders Hans übergeben war. Heiße, brünstige Gebete stiegen zu allen Heiligen des Himmels empor; nie hatte man eine andächtigere Menge vor ihren kostbaren Schreinen und Altären versammelt gesehen. Da scholl plötzlich der dumpfe Ton der Sturmglocke in den Gesang der Gemeinde hinein; zugleich dröhnten die burgundischen Kartaunen, und wildes Geschrei erklang von den Wällen. Entsetzt stob die Menge auseinander; in tobender Angst drängte jeder hinaus, die Frauen stürzten in ihre Häuser, die Männer auf ihre Posten, die vorher jedem sorgsam angewiesen worden waren. An allen Gliedern bebend, erreichte Afra ihr Haus: schon war Matthias vom Lager aufgesprungen und wappnete sich in atemloser Hast. „Der Herzog hat uns überrumpelt -- Gott sei uns gnädig -- halte alles zur Flucht bereit ...“ -- ohne Abschiedsgruß war er davon gestürmt. In halber Betäubung raffte Afra die notwendigsten Sachen zusammen und packte sie in ein Bündel, schnürte die kleine Matthäa in Betten ein und rüstete Hans für die Reise aus. Dann setzte sie sich nieder, drückte ihre Kinder fest an sich und schaute mit brennendem, thränenschwerem Blick um sich. Wie freundlich sah es in dem Häuschen aus! mit welcher Freude hatte sie ein Stück nach dem andern angeschafft, war doch jedes ein Merkmal des Fleißes und der Kunstfertigkeit ihres Matthias, die hier so reichen Lohn gefunden, daß sein unbezwinglicher Wandertrieb endlich zur Ruhe zu kommen schien. War auch in ihrer Seele das Heimweh nie erloschen, so war sie doch dankbar gewesen, hier in Lüttich eine bleibende Stätte zu finden, -- und nun sollte sie alles verlassen und flüchtig in die Welt hinaus ziehn! -- o, es war sehr bitter, und das Herz zog sich ihr krampfhaft zusammen vor Kummer und namenloser Angst. [Illustration: (S. 12.) Auf der Flucht.] Ein Schlag gegen die Hausthür schreckte sie aus dumpfem Brüten auf; blutbespritzt, mit dem Ausdruck der Verzweiflung in den verzerrten Zügen, stand Matthias vor ihr. „Fort, fort!“ keuchte er, „die Burgunder sind auf den Wällen, in wenig Augenblicken überschwemmen sie die Stadt. Wehe dem, den sie hier finden!“ Er nahm Hans auf den Rücken, ergriff Afras Hand mit eisernem Druck und eilte mit den Seinen dem südlichen Thore zu, das von dem feindlichen Angriff noch verschont geblieben war. Schon wälzte sich ein breiter Strom von Flüchtlingen die Straße hinab, erzwang die Öffnung des Thores und stürmte hinaus, dem nahen Walde zu. Zu Fuß, zu Pferde, in Wagen und Karren suchten die unglücklichen Bewohner sich und ihre Habe in Sicherheit zu bringen, während hinter ihnen entsetzliches Geschrei und wildes Toben anzeigte, daß die wütenden Feinde in die besiegte Stadt eingedrungen seien. Herzog Karl hatte seinen Schwur erfüllt: das blühende Lüttich mit seinen dreihundert Kirchen, seinen kunstreichen Werkstätten und Eisenhämmern war fast vom Erdboden verschwunden! Ohne Rücksicht auf Alter, Stand und Geschlecht waren die Einwohner hingemordet worden, Priester lagen am Altar erschlagen, Gefangene wurden massenweise in die Maas gestürzt, die Häuser waren zuerst geplündert, dann den Flammen übergeben worden. Aber noch nicht genug der Greuel: auch an den Wehrlosen, die in den Schluchten des Ardennenwaldes eine Zuflucht gesucht, ließ der Herzog furchtbare Rache üben; wochenlang verfolgten seine Kriegsknechte die Flüchtlinge, damit auch nicht eine Seele übrig bleibe, um in die verödeten Wohnstätten zurückzukehren. Und dennoch hob das grausam zerstörte Lüttich sich mit der Zeit wieder aus der Asche empor, als sein Bezwinger längst besiegt am Boden lag. -- * * * * * Auf der Landstraße, etliche Meilen von Nürnberg entfernt, wanderte müden Schrittes ein Weib dahin, einen Knaben an der Hand, ein kleines Kind im Arm. Es wäre schwer gewesen, in den abgezehrten Zügen, dem erloschnen Blick, der zerfetzten Kleidung, irgend eine Ähnlichkeit mit der schmucken Erscheinung der blühenden Frau Afra wiederzuerkennen, die wir einige Monate früher in Lüttich gesehen. Furchtbare Leidenswochen lagen hinter ihr; sie wäre nicht fähig gewesen, die Geschichte ihres Elendes zu erzählen, dem ihr Gatte längst erlegen war; sie konnte überhaupt nicht mehr denken; in ihrer geknickten Seele waren nur zwei Regungen übriggeblieben, die sie fast bewußtlos vorwärts trieben: die Liebe zu ihren Kindern und ein brennendes Heimweh. Barmherzige Seelen hatten sie auf ihrem langen, trübseligen Wege mitunter gespeist und beherbergt; hin und wieder hatte ein mitleidiger Bauer oder Kaufmann sie in seinem Wagen ein paar Meilen weit mitgenommen: so war sie endlich bis in die Nähe der Heimat gelangt. „Mutter, ich kann nicht weiter“, wimmerte der Knabe, indem er sich auf den harten Waldboden warf; „ich bin so müde, die Füße schmerzen mich und mich hungert so sehr.“ „Sei gut, Hans!“ versetzte die Mutter mit einer tonlosen Stimme, die an eine zersprungene Glocke mahnte; „nur noch ein paar Stunden, dann sind wir bei der Großmutter auf dem Annenhof; da kannst du schlafen und essen, so viel du willst.“ „Das hast du schon so oft gesagt,“ versetzte der Knabe, laut aufweinend; „aber der Annenhof ist immer noch nicht da, und ich kann nicht weiter gehen. Der Weg ist so weit, wird er nie ein Ende nehmen?“ „Der Weg wohl, aber mein Jammer nicht,“ murmelte Afra in sich hinein. Sie setzte sich auf einen Stein am Wege und löste die Hüllen, in welche die kleine Matthäa sorgsam gewickelt war. Ein zartes Köpfchen, unsäglich blaß, aber von großer Lieblichkeit, lächelte ihr entgegen, sie preßte es mit schmerzvoller Zärtlichkeit an ihre Brust. „Arme, arme Kleine,“ flüsterte sie, „warum habe ich dich so angstvoll gehütet, zu welchem Elend dich aufbewahrt? wäre es doch tausendmal besser für dich gewesen, du wärest deinem Vater in das Paradies gefolgt! Und doch danke ich dir, barmherziger Gott, daß du mir meinen einzigen Schatz, meine Kinder, gnädig erhalten hast!“ Ein Wagen kam langsam des Weges daher und schlug am nächsten Kreuzweg die Richtung nach Nürnberg ein; pfeifend ging der Fuhrknecht daneben. Afra bat ihn schüchtern, sie eine Strecke mitzunehmen; er nickte und half ihr gutmütig, aufzusteigen. Es saß sich warm und weich in dem duftigen Heu, aus dem die Ladung bestand; bald sank ihr Kopf müde auf die Seite, und ein tiefer Schlummer senkte sich auf ihre Lider herab. -- Plötzlich weckte ein tüchtiger Stoß sie auf, sie blickte um sich und griff erschrocken nach den Kindern. Hans lag süß schlafend neben ihr, aber wo war Matthäa? Sie rief, sie suchte -- vergebens, das Kind war verschwunden. In Todesangst sprang sie vom Wagen herab, „habt Erbarmen, wartet ein wenig!“ rief sie dem Fuhrmann zu und jagte von dannen, die Straße zurück, die sie gekommen waren. Mit einem heftigen Ruck hielt der Bauer die Pferde an. „Ist das Weibsbild toll geworden?“ schrie er ihr zornig nach. „Meint Ihr, ich solle hier stehen und warten, bis die Thore der Stadt geschlossen sind? Hier lege ich Euch den Knaben hin, Ihr mögt ihn auflesen, wenn es Euch beliebt!“ Er hob Hans heraus und fuhr davon; jammernd sah der Verlassne bald dem verschwindenden Wagen, bald der enteilenden Mutter nach. Afra lief weiter, solange ihre Füße sie tragen wollten, aber wie sie auch spähte und suchte, -- von dem verlornen Kinde war keine Spur zu entdecken. Tödlich erschöpft stürzte sie endlich zu Boden und blieb eine Weile bewußtlos liegen, dann scheuchte der Gedanke an Hans sie wieder auf. Einen letzten, verzweifelten Blick warf sie auf die kahle, öde Landstraße, dann schlich sie zurück zu der Stelle, wo laut weinend der Knabe saß. Sie drückte ihn heftig an sich, aber kein Wort kam über ihre Lippen, keine Thräne in ihre Augen. Auch Hans war still geworden, der starre Ausdruck im Gesicht der Mutter ließ sein Schreien und Weinen plötzlich verstummen. Schweigend pilgerten sie fürbaß, bis nach kurzer Zeit der Wald sich lichtete und ein stattlicher Hof vor ihnen auftauchte, -- das Ziel ihrer Wanderung war erreicht. Es dämmerte stark, als die beiden vor dem Hause ankamen und den metallenen Klopfer gegen die Thür fallen ließen. Die obere Hälfte der Hausthür ward geöffnet, ein freundliches altes Gesicht guckte über die Scheidewand und fragte beim Anblick der zerlumpten Gestalten in einem Ton, der strenge sein sollte: „Woher des Wegs? und was begehrt ihr?“ „Bist du die Großmutter?“ fragte Hans sehnsüchtig, „dann mach uns auf, wir sind todmüde und sehr hungrig.“ „Wer bist du, Knabe?“ fragte die Alte erstaunt, indem sie den Sprecher forschend ansah. „Ich bin Hans Fiedler, und dies ist meine Mutter, kennst du uns nicht?“ „Heilige Anna! ist’s möglich?“ rief die alte Frau, „Afra, mein Kind, so kommst du zu mir zurück?“ Sie riß die untere Thür auf und breitete ihre Arme aus, ohnmächtig fiel das unglückliche Weib an ihre Brust, -- endlich hatte sie eine Stätte gefunden, an der sie ausruhen konnte. -- Der Annenhof war ein ansehnliches Landgut, das seit undenklichen Zeiten im Besitz der Tuchers gewesen war, einer alten Nürnberger Patrizierfamilie, welche der Stadt eine lange Reihe von Ratsherren und Bürgermeistern gegeben hatte, deren männliche Erben zu dieser Zeit aber ausgestorben waren. So war der Hof mit der Hand der letzten Tochter des alten Geschlechts an Herrn Wilibald Ebner[1] gekommen, welcher Kaufherr und Beisitzer des kleinen Rats von Nürnberg war. Sein Weib, das frühe die Mutter verloren, hatte manchen Sommertag auf dem Annenhof verlebt, unter Obhut der biederen Crescentia, welche mit ihrem Gatten die Bewirtschaftung des Gutes leitete. Afra, die einzige Tochter des würdigen Paares, war in enger Gemeinschaft mit der Tucherin aufgewachsen und folgte derselben bei ihrer Verheiratung als vertraute Gürtelmagd in die städtische Häuslichkeit. Dort hatte sie den Matthias Fiedler kennen gelernt, einen frischen, frohen Gesellen und geschickten Goldschmied; sie hatten einander alsbald geheiratet und ein glückliches Leben begonnen. Die Fiedlers waren auch schon seit langer Zeit in Nürnberg ansässig, und oft hatte unter den zünftigen Handwerksmeistern der Stadt einer des Namens eine angesehene Stellung eingenommen, doch hatte sich die Familie nie ausgebreitet, denn von mehreren Söhnen blieb sicher nur einer der Heimat treu; die andern zogen in die Welt hinaus und suchten ihr Glück in der Ferne. Auch den Matthias hatte es nicht lange auf der heimischen Scholle geduldet; er hatte als Jüngling in den glänzenden Städten von Flandern und Brabant gearbeitet, und seine Sehnsucht stand dorthin. Ungern ließ Crescenz, die inzwischen ihren Mann begraben hatte, die Tochter in die Fremde ziehn, doch hatte sie kein Recht, sie zu halten; fünf Jahre hatte jene in der Fremde verweilt, und nun stand sie plötzlich vor ihr, krank und gebrochen an Leib und Seele, eine landflüchtige, hilflose Bettlerin! -- [Footnote 1: Der Name +Ebner+ ist hier nur gewählt, um eine angesehene Patrizier-Familie zu bezeichnen. Mit der wirklichen Geschichte dieses alten Geschlechtes, das in der Entwicklung Nürnbergs oft eine Rolle gespielt hat, und das in zahlreichen Gliedern noch in seiner Vaterstadt fortlebt, haben die hier geschilderten Personen und Ereignisse nichts gemein.] Der Winter, der bis dahin ungewöhnlich mild gewesen war, brach jetzt mit verdoppelter Macht herein, Eis und Schnee umgaben den Annenhof, schnitten ihn von jedem Verkehr mit der Welt ab und vereitelten alle Nachforschungen nach dem verlorenen Kinde. Auch innen sah es traurig aus: Afra war nach der furchtbaren Anspannung aller Kräfte, nach den harten Schicksalsschlägen, die sie betroffen, auf das Krankenlager gesunken und schwebte wochenlang in Todesgefahr. Endlich überwand der Körper das Leiden und fing allmählich an, zu genesen, aber der Geist blieb umnachtet; Tage lang saß die unglückliche Frau stumm und regungslos auf ihrem Platz und starrte ziellos in die Ferne, selbst für ihre Mutter und für Hans hatte sie nichts weiter, als ein müdes Nicken oder einen matten Händedruck. Nur zuweilen, wenn sie ganz allein war, oder in dunkler Nacht, öffneten sich die stummen Lippen und leise gemurmelte Worte drangen daraus hervor. Einmal belauschte Crescenz solch ein Selbstgespräch: „Fluch dem Räuber meines Glücks, Fluch dem blutigen Herzog!“ klang es an ihr Ohr. Sie schlug ein Kreuz: „das Fluchen bringt uns keinen Segen, Afra; du solltest lieber beten,“ sagte sie angstvoll. „Beten?“ schallte es kaum vernehmbar zurück, „zu wem? mich hört niemand.“ Solche Lästerung erfüllte die Seele der guten Alten mit Entsetzen, und sie rief um so eifriger zu allen Heiligen, um Vergebung und Besserung für ihr unglückliches Kind zu erflehen; sie versuchte auch all ihre Beredsamkeit, um Afra auf andre Gedanken zu bringen, -- aber vergebens. Die Tochter ließ sie sprechen, ohne etwas zu erwidern, doch kein Blick, kein Wort verriet, daß sie überzeugt, daß die starre Rinde ihres Herzens geschmolzen sei. Allmählich fing sie jedoch an, ihre Hände fleißig zu regen, und vom Morgen bis zum Abend drehte sie in rastlosem Eifer die Spindel. Die Knechte und Mägde des Hofes, die anfangs mit beklommener Scheu auf Afra gesehen, gewöhnten sich an ihren immer gleichen Anblick, und nach wenigen Monaten erregte „die stille Frau“, wie sie dieselbe nannten, kein Fragen und Verwundern mehr. Hans hatte die Folgen der weiten Reise bald von sich abgeschüttelt und sich auf dem Annenhofe vollkommen heimisch gemacht; seine Gegenwart war für die Alte wie ein heller Sonnenstrahl, der siegend durch Sturm und Wolken bricht. Sie wurde nicht müde, sich von den Erlebnissen seines jungen Lebens berichten zu lassen, von dem Wanderleben, das er mit den Eltern geführt, von den Schrecken der Belagerung und der Flucht, vom Tode des Vaters und dem Verlust der kleinen Matthäa. Vergoß Mutter Crescenz auch viele heiße Thränen bei diesen Erzählungen, so wußte der Knabe sie doch wunderbar zu erheitern; in seinem fröhlichen Kindergemüt verlor selbst das Schwerste seine düsteren Farben; er bewahrte jede ihm erwiesene Freundlichkeit in dankbarem Gedächtnis und hatte mitten in aller Trübsal auch allerlei Frohes erlebt. Die wie zu Stein erstarrte Mutter und der heitre, lebensfrische Knabe -- das waren ein paar wunderbare Gegensätze in dem engen Rahmen des ländlichen Hauses. [Illustration] Zweites Kapitel. Patrizierhaus und Ritterburg. Fest, auf gesichertem Grund, erbaut sich die Heimat des Bürgers, Aber des Ritters Geschlecht sinkt von der Höhe herab. Am Ägidienplatz zu Nürnberg stand ein stattliches Haus, breit und hoch, mit steil ansteigendem Dach, dessen Fläche vielfach durch kleine Fenster und Luken unterbrochen war, als guckten neugierige Augen von der Höhe herab über die belebten Straßen, die ansehnlichen Plätze, mit ihren hohen Häusern und doppeltürmigen Kirchen, bis hinauf zum Burgberge, wo die alte Kaiserburg mit ihren mächtigen Mauern und Türmen weit hinausschaut in das gesegnete Frankenland. Dort oben hatte schon im 10. Jahrhundert Konrad der Erste gern verweilt; Friedrich Barbarossa hatte den ehrwürdigen Bau erweitert, und seine Nachfolger hatten oft ihre Residenz, wenigstens zeitweilig, dort aufgeschlagen. Die Burggrafen von Nürnberg, seit Jahrhunderten dem edlen Geschlecht der Hohenzollern angehörend, hatten sich, im Anschluß an die alte Burg, ein eignes Gebäude errichtet, das sie bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts bewohnten; dann aber hatten sie die Burg mit allem Zubehör an die Reichsstadt verkauft und residierten seitdem auf der Bergfeste Kadolzburg oder zu Onolzbach. In das Patrizierhaus führte ein breiter Thorweg, der nicht nur für Menschen, sondern auch für Wagen und Pferde zum Eingang diente; die kleinen tiefliegenden Fenster zu beiden Seiten waren mit Eisenstäben vergittert und gaben dem Gebäude das Ansehen einer wohlverwahrten Festung. Wer durch das Thor eintrat, befand sich in einem gepflasterten, nach hinten geöffneten Hausflur, aus dem zu beiden Seiten Stufen zu den Schreibstuben und Warenräumen emporführten; geradeaus aber kam man in einen großen Hof, an dessen einem Ende leere Fässer und Kisten aufgespeichert lagen, während an dem andern ein uralter Nußbaum emporragte. Der hatte wohl schon seit zweihundert Jahren dort gestanden, und wie er sich aus einer schlanken Gerte allmählich zu einem mächtigen Stamm entwickelt hatte, so war auch das Haus ringsumher gewachsen und die Familien, die darin gewohnt, hatten zugenommen an Reichtum und Bedeutung. Er war ein treuer Freund aller Bewohner gewesen, der alte Nußbaum; den Kindern diente er als unschätzbarer Helfer bei ihren Spielen, beim Klettern und Verstecken; den Mädchen ließ er im Frühling seine raupenartigen Blüten neckend in den Schoß fallen, den Knaben warf er im Herbst seine Früchte an den Kopf, den Hausfrauen aber schenkte er seine wohlriechenden Blätter, die, mit Lavendel vermischt, die geschnitzten Schränke und mächtigen Truhen mit einem gar lieblichen Geruch erfüllten. Wenn kosende Frühlingslüftchen mit den Zweigen spielten, dann klopften diese wohl leise an die Fenster, wie gute Bekannte, die um Einlaß bitten; wenn aber in Herbst- und Winternächten der Sturm heulte, dann peitschte er die Äste gegen die Mauern, daß die Schläfer drinnen die Köpfe tiefer unter die Decken steckten, weil es klang, als zögen böse Geister über den Hof. Eine bedeckte Treppe führte in das obere Stockwerk, zunächst auf einen Vorplatz, dessen Wände mit buntglasierten Kacheln belegt waren und dessen Decke auf einem Pfeiler von dunklem Holz ruhte. Der Treppe gegenüber sprang ein geräumiger Erker weit in die Straße hinaus, hölzerne Sitze liefen ringsum und gewährten einen anmutigen Platz, wo sich in der guten Jahreszeit die Frauen des Hauses mit Vorliebe aufhielten. Mehrere Thüren von schwerem Eichenholz in schönverzierten Gerüsten führten zu den verschiedenen Wohn- und Schlafgemächern, während die Hintergebäude Speicher und Stallungen enthielten. Ein Gewirr von schmalen Gängen, Treppen und Treppchen verband die Teile des weitläufigen Baus und die Stockwerke miteinander, und es gehörte schon ein kundiges Auge dazu, um sich in diesem Labyrinth zurechtzufinden. In einem Zimmer des Erdgeschosses, der Schreibstube des Hausherrn, saßen zwei Männer, der eine in dunkler, bürgerlicher Tracht, mit pelzverbrämter Schaube, der andre von ritterlichem Aussehen, in grünem Samtwams, kurzen Beinkleidern und hohen Reiterstiefeln, -- eine kräftige Gestalt, welche durch die Jahre nicht gebeugt, sondern nur gerundet worden war. Es war der Ritter Werner von Maltheim, der auf der Burg gleichen Namens, dem alten Erbe seiner Väter, saß, ein getreuer Freund und Anhänger des Burg- und Markgrafen Albrecht Achilles, des streitbaren Hohenzollernfürsten. Der Mann ihm gegenüber war der Herr des stattlichen Patrizierhauses, Herr Wilibald Ebner, eines der reichsten und angesehensten Glieder der ansehnlichen Nürnberger Kaufmannsgilde. Er war viel kleiner und schmächtiger gebaut, als sein ritterlicher Gast, aber sein kluges Auge deutete auf einen scharfen, gebildeten Verstand und ließ ihn dem Kriegsmann sehr überlegen erscheinen. Er saß auf dem einzigen Stuhl des Gemaches vor einem großen Schreibpult, über dem von der Decke herab eine Ampel hing, die fast den ganzen Tag brennen mußte; der Ritter hatte auf einer der schweren Truhen Platz genommen, welche zu größerer Bequemlichkeit mit weichen Kissen belegt waren. Herr Ebner hatte eifrig geschrieben, jetzt legte er die Feder hin und begann laut aus einem Schriftstück zu lesen. Es war ein Vertrag zwischen den beiden Männern, in welchem der Kaufmann sich verpflichtete, dem andern die Summe von zehntausend Gulden vorzustrecken, wogegen der Ritter Dorf und Flur Hohenheiligen in Pfand gab, welche verfallen sollten, wenn der Schuldner sie nicht innerhalb fünf Jahren einlösen könnte. Das alles war mit vielen vorsichtigen Worten und weitschichtigen Redensarten verklausuliert, so daß der Ritter mit steigender Ungeduld zuhörte. „Macht’s kurz, Herr,“ sagte er endlich, „wir wissen beide, worauf es ankommt. Zahlt mir von dem Gelde, so viel Ihr bei der Hand habt, den Rest hole ich mir in ein paar Wochen.“ „Alles nach Recht und Ordnung, edler Herr,“ erwiderte der Kaufmann bedächtig; „habt die Gewogenheit, die Schuldverschreibung zuvor durch Eure Unterschrift zu vollziehen.“ „Meint Ihr, ich sei ein Schulmeister?“ rief der Ritter unmutig; „die Hand, die seit langen Jahren das Schwert geführt, hat längst die Schreibekunst verlernt. Gebt mir ein wenig Wachs, ich will meinen Degenknopf darauf drücken: das Zeichen gilt bei Juden und Christen.“ Aufmerksam prüfte der Kaufmann das Siegel, schrieb seinen eignen Namen darunter und schloß das Dokument in sein Pult; dann öffnete er eine der Truhen, nahm einen gefüllten Beutel heraus und zählte die klingenden Gulden vor dem Ritter auf, der sie mit zufriedener Miene auf seiner Brust verwahrte. Er stand auf und griff nach seinem Barett. „Ich hoffe, edler Herr,“ sagte Ebner höflich, „Ihr werdet mein Haus nicht verlassen, ohne einen kleinen Imbiß einzunehmen; meine Hausfrau würde es mir nicht verzeihen, hätte ich Euch ohne Speise und Trank davonziehen lassen.“ „Und ich möchte Nürnberg nicht den Rücken kehren, ohne die werte Frau Ursula gesehen zu haben,“ erwiderte der Ritter mit gleicher Höflichkeit, „hat mir doch mein Weib eine Menge warmer Grüße an die Jugendfreundin aufgetragen.“ Beide stiegen die Treppe zum Vorsaal hinauf, von dem ihnen fröhlicher Lärm entgegenschallte. Mehrere Kinder trieben hier ihr Spiel mit Haschen und Verstecken, wobei ihnen die tiefen Winkel des Erkers und die schwerfälligen Stühle, die um den Tisch in der Mitte standen, trefflich zu statten kamen. Der älteste unter der kleinen Schar war Ulrich von Maltheim, der den Vater begleitet hatte, ein hoch aufgeschoßner Knabe von seltner Schönheit, mit langen goldnen Locken und tiefblauen Augen, die am liebsten träumerisch in die Ferne schauten. Sein jüngerer Genosse war Berthold, der einzige Sohn des Kaufherrn, dessen geschmeidige Glieder, blitzende Augen und weiche, dunkle Haare manchen Tropfen welschen Blutes verrieten, -- hatten doch die Vorfahren des Kaufhauses von altersher in lebhafter Verbindung mit dem Süden gestanden und manche junge Hausfrau aus Italien in die nördliche Heimat geführt. Auch zwei kleine Mädchen, Bertholds Schwestern, waren dabei; die größere lief auf den Vater zu und schmiegte sich zutraulich an sein Knie, während die jüngere beim Anblick des fremden Ritters davonlief und sich im Erker versteckte. Herr Ebner fuhr liebkosend über Margaretas braunes Lockenköpfchen und schob sie dann von sich, um die Thür zu öffnen, die in das Prunkgemach des Hauses führte. Dunkles Getäfel bedeckte die Wände bis zur halben Höhe; auf dem breiten Bord waren schöne Krüge und Pokale, silberne Schüsseln und Schaustücke aufgestellt, darüber zeigte sich die Wand mit allerlei Bildnissen geschmückt. Ein weicher, dunkler Teppich bedeckte die Mitte des Fußbodens, auf demselben stand ein zierlich gedeckter Tisch, der mit blinkendem Gerät besetzt war. Mit tiefer Verneigung trat Frau Ursula Ebnerin dem Gaste entgegen. Sie war mit gediegener Pracht gekleidet: das Kleid von schiefergrauem Samt hatte ein tief ausgeschnittenes Leibchen, welches vorn mit einer silbernen Kette zugeschnürt und durch einen fein gefältelten Einsatz von schneeweißem Linnen ergänzt wurde. Um die breite Halskrause schlang sich ein Perlenhalsband, eine zweite silberne Kette schmiegte sich um die Hüften, wo sie den langen Rock seitwärts aufraffte, während an der andern Seite ein Schlüsselbund hing, das nie fehlende Sinnbild hausfräulicher Würde. Herr von Maltheim begrüßte die Patrizierin mit ritterlicher Artigkeit; er hatte sich viel am Hofe des Markgrafen aufgehalten und daher die alte, höfische Sitte bewahrt, welche zu dieser Zeit mehr und mehr auszusterben drohte, denn auf den Ritterburgen gewann rohe Trink- und Rauflust immer mehr die Oberhand, und der frühere Frauendienst trat dagegen in den Hintergrund. Man setzte sich zu Tische. „Wie geht es Eurer edlen Hausfrau und Euren Töchtern?“ fragte die Ebnerin den Gast. Über des Ritters wettergebräuntes Gesicht flog ein wehmütiger Schatten. „Habt Dank für Eure gütige Nachfrage, ehrsame Frau,“ erwiderte er; „mein Weib ist gesund, aber mit unsern Töchtern haben wir kein Glück. Zwei hat der Himmel wieder zu sich genommen, und Sankt Kilian mag wissen, ob ich die jüngste noch am Leben finde, wenn ich heimkehre.“ „O, wie beklage ich Euch!“ rief Frau Ursula, indem sie einen zärtlichen Blick durch die offene Thürspalte auf ihre eignen, blühenden Kinder warf; „wie still und öde muß es auf Eurer Burg sein, wenn die hellen Stimmen und die trippelnden Schritte verstummen! Und Euer jüngstes Kind ist auch krank?“ Der Ritter fuhr sich über den Schnauzbart, und seine Stimme klang rauh, als er erwiderte: „Ich verließ mein Weib in großer Sorge um das Leben der kleinen Irmgard, -- ich konnte den Jammer nicht mehr mit ansehn und bin davongeritten.“ „Ihr ließt Frau Kunigunde allein in ihrem Kummer,“ sagte Ursula mit leisem Vorwurf, „und nahmt auch den Knaben mit, der ihr ein Trost in ihrem Leid gewesen wäre!“ „Sie hat unsern Haus-Pfaffen, Pater Benedikt, um sich, der versteht das Trösten besser, als unsereiner! Und der Junge mußte einmal heraus aus den alten Mauern, wo es jetzt allzuviel Thränen und Trauergesänge giebt, -- er soll kein Duckmäuser werden, wozu er ohnehin Neigung zeigt. Doch schicke ich ihn von hier zurück, während ich zum Durchlauchtigen Markgrafen nach der Kadolzburg reite. Die Nähe des löwenherzigen Herrn verscheucht all die kleinen Kümmernisse, die uns daheim bedrücken, und das Herz wird wieder groß und frei, wenn es mit ihm verkehrt. Freilich -- bei Euch Herren vom Rat findet man taube Ohren, wenn man den deutschen Achilles lobt.“ „Wir Nürnberger haben wenig Grund, den Hohenzoller zu preisen,“ versetzte Herr Ebner mit ernster Zurückhaltung. „Wenn Ihr nach der Kadolzburg reitet, werdet Ihr an manchem Meierhof und mancher städischen Burg die Spuren der Wunden sehen, die uns der Markgraf in blutiger Fehde geschlagen hat.“ „Ja, wo der Löwe seine Tatzen einschlägt, da ist es freilich zu spüren,“ lachte der Ritter. „Aber zeigt mir unter den deutschen Fürsten einen, der an unverwüstlicher Kraft und Tapferkeit diesem gleich wäre! Wollte Gott, unsre Kaiserliche Majestät gliche ihm nur ein wenig, dann stünde wohl manches besser im Reich, als jetzt.“ „Wenn das so großes Lob bringt, unnötige und unbillige Kriege anzufangen,“ erwiderte der Ratsherr mit gerunzelter Stirn, „so muß auch der Türke des Lobes wert sein.“ „Wollt Ihr den edlen Markgrafen mit dem heidnischen Erzfeind vergleichen?“ rief Herr von Maltheim unwillig. „Warum mußtet Ihr ihm überall seine Befugnisse bestreiten, die ihm doch der Kaiser selbst verliehen hatte? Sollte der stolze Fürst sich vor den Städtern beugen? Endlich wäre es doch wohl Zeit, den alten Hader zu vergessen, über dem schon Gras gewachsen ist! Auch ich habe damals unter Albrechts Banner wider Euch gefochten und doch längst meinen Frieden mit der Stadt gemacht. Aber wo Euer Hab’ und Gut angerührt wird, da habt Ihr Herren vom Handel ein ellenlanges Gedächtnis, und solche Schulden werden nie aus Euren Büchern gestrichen.“ Frau Ursula sah mit Besorgnis, wie sich die dunkle Wolke auf ihres Gatten Stirn immer drohender zusammenzog. Sie erhob ihren Becher und fiel mit gewandter Rede den Männern ins Wort. „Laßt uns auf Frieden und gute Nachbarschaft trinken, edler Herr; möge die Freundschaft, welche einst Eure Gattin und mich in der Jugend verband, auch unsere Kinder vereinigen! Ulrich und Berthold sind fast in gleichem Alter, möchten sie Freunde sein und bleiben!“ Die silbernen Becher klangen aneinander, mit einem Zuge goß der Ritter den Inhalt des seinen herab. „Das ist ein guter Trinkspruch, werte Frau, und ich thue Euch von Herzen Bescheid darauf. Seid so gütig und laßt die Knaben hereinkommen, sie sollen in unserer Gegenwart einen festen Bund schließen.“ Die Thür ging auf, und in fröhlichen Zuge traten die Kinder ein. Margarete hatte ein blaues Tuch an ihrem Leibchen befestigt, so daß es wie eine lange Schleppe hinter ihr dreinzog, über ihren Locken lag ein weißer Schleier, den ein grünes Kränzlein festhielt. So trippelte sie mit gesenkten Augen neben Ulrich hin, der einen langen Mantel um die Schultern geworfen hatte und mit stolzer Miene einherschritt. Voran ging Berthold als Herold, mit Fahne und Trompete, und die kleine Elsbeth folgte als Schleppträgerin. Es war ein liebliches Bild und Frau Ursulas Mutterherz hob sich höher beim Anblick der reizenden Kinder. „Welch ein Spiel habt Ihr heute ausgedacht?“ fragte sie liebreich. „Wir spielen Hochzeit,“ versetzte Berthold eifrig, „Ulrich ist der junge König, und die Grete ist seine Braut.“ „Kein übles Paar!“ lachte der Ritter wohlgefällig; „was meint Ihr, Herr Ebner, wollen wir die Kinder auf der Stelle verloben? Ihr verschreibt dem Bräutchen Dorf Hohenheiligen als Mitgift -- dann sind wir mit einem Schlage aller Sorgen ledig.“ „Ich bin kein Freund von Kinderheiraten,“ versetzte der Ratsherr steif, „dergleichen überlassen wir nüchternen Städter den Fürsten und hohen Herrn. Über zwölf Jahre mag Margarete selbst entscheiden, ob ihr der Freier gefällt, den ihr der Vater ausgesucht hat.“ Auf des Ritters Stirn schwoll die Zornesader bei dieser nachdrücklichen Zurückweisung; war sein Vorschlag auch nur scherzhaft gemeint, so mußte er doch, nach seiner Meinung, für den Städter sehr schmeichelhaft klingen. Er öffnete schon die Lippen zu einer gereizten Entgegnung, als ihm Frau Ursula zuvorkam. „Junker Ulrich würde es Euch wenig danken,“ sagte sie in heiterm Ton, „wenn Ihr ihn an ein kleines Stadtkind binden wollet; seine ritterliche Schönheit wird ihm sicher überall die edelsten Herzen erwerben. Werdet Ihr ihn an den Hof bringen, um seine Erziehung zu vollenden?“ „Mir wäre nichts lieber, als das, -- aber mein Weib jammert, daß sie sich von dem Knaben trennen soll, und Pater Benedikt, der sein Lehrer ist, behauptet, er hätte einen Kopf für die Wissenschaften, und es wäre schade, seinen Unterricht zu unterbrechen. Der Junge selbst sitzt wahrhaftig lieber hinter den Büchern, als zu Pferde! Ein Maltheim ein Federfuchser! ich kann’s nicht begreifen, wie es möglich ist, -- aber freilich, die Welt scheint mir heutzutage ganz aus dem Gleise zu kommen. Es ist nicht mehr, wie es früher war, seit nicht Mut und Tapferkeit im Kampf den Ausschlag geben, sondern die Menge der Donnerbüchsen; seit der hochherzigste Ritter nicht mehr sicher ist, daß ihn nicht eine tückische Kugel zu Boden streckt, die ein feiger Knecht aus sicherm Hinterhalt entsendet. Wer vermag tapfer zu sein gegen die bösen Geister, welche in dem teuflischen Pulver ihr Spiel treiben? Wenn es so fortgeht, werden sich Männer von altem Schlage bald nicht mehr in der Welt zurechtfinden.“ Er wandte sich an Berthold. „Was willst du denn werden kleiner Freund? ein Gelehrter oder ein Handelsmann?“ „Ein Ritter will ich werden!“ rief der Knabe mit leuchtenden Augen, „ich will hoch zu Rosse sitzen und mein Schwert schwingen; ich will ausziehen und große Thaten thun, wie die alten Recken, von denen, mir Muhme Lene erzählt hat!“ „Das ist brav gedacht!“ rief der Ritter, indem er kräftig auf Bertholds Schulter schlug, „solche kühnen Worte thun einem echten Manne wohl. Komm her, Ulrich, reiche diesem wackern Knaben die Hand und gelobt euch Freundschaft und Treue für alle Zeit eures Lebens.“ Die Knaben thaten mit feierlichem Ernst, wie sie geheißen waren; aufmerksam sah Margarete dem Bündnis zu, das durch einen Becher Wein besiegelt wurde. Plötzlich legte sie ihr kleines, rundes Händchen auf die verschlungenen Hände der beiden Freunde und rief: „Ich will auch dabei sein, mich soll Ulrich auch lieb haben!“ Herr von Maltheim lachte herzlich und hob die Kleine auf sein Knie. „Recht so, kleine Dame,“ sagte er scherzend, „halte ihn fest und laß ihn nicht entschlüpfen; ein schmuckeres Bräutchen, als dich, kann er nicht finden, und du keinen hübscheren Bräutigam.“ Er küßte das Kind und erhob sich, um sich zu verabschieden. Frau Ursula trug ihm Grüße an seine Gattin auf und lud Ulrich ein, bald wiederzukommen; der Ratsherr begleitete die Gäste bis auf den Hof, wo ein Diener des Hauses mit den Pferden bereit stand. Vor der Thür hielten ein paar berittne Knappen, und bald war der Reitertrupp um die nächste Ecke verschwunden. Mit umwölkter Miene kehrte Herr Ebner zu den Seinen zurück, schickte die Kinder hinaus und rief seine Gattin zu sich. „Berthold wird nun bald 10 Jahre alt,“ sagte er in strengem Ton, „und es wird Zeit für ihn, den kindischen Märchen zu entsagen, womit Base Lene bisher seinen Kopf angefüllt hat. Er ist nicht geboren, um ein Ritter zu werden und sein Leben in Waffenspielen und nutzlosen Kämpfen zu vergeuden, sondern um in die Fußstapfen seines und deines Vaters zu treten, und als Kaufmann in redlicher Arbeit für sich und die Seinen zu sorgen. Vergiß es nie, Ursula, daß dies seine eigentliche Bestimmung, alles andere nur Vorbereitung und Nebensache ist. Was soll das Gaukelspiel einer Freundschaft mit dem jungen Ulrich von Maltheim? ein Bürger und ein adliger Junker können so wenig Freunde sein, wie Wasser und Feuer sich je miteinander paaren werden.“ Er wandte sich ab und ging in sein Schreibzimmer, wo er stundenlang eifrig rechnete und schrieb. Frau Ursula seufzte tief, und leise flüsterte sie vor sich hin: „Wer weiß, wozu der Himmel dich bestimmt hat, mein Berthold! vielleicht sollst du Liebling meines Herzens doch noch höher steigen, als bis zum Warenspeicher und zum Zahltisch!“ * * * * * Als Junker Ulrich gegen Abend in den Schloßhof von Maltheim einritt, bemerkte er, daß Knappen und Knechte in lebhaftem Gespräch bei einander standen und die Mägde am Brunnen geheimnisvoll die Köpfe zusammensteckten. Ihm fuhr es wie ein Stich durchs Herz: sicher war die kleine Irmgard tot, die er so zärtlich geliebt hatte! Das war nun in wenigen Jahren schon die dritte Schwester, die der Tod ihm entriß; warum durfte er ihrer nicht froh werden, warum erwuchs ihm keine liebe Gespielin, wie seinem neuen Freunde Berthold? Wie hätte er ein Schwesterchen, gleich der holden Margarete, lieben und auf Händen tragen, wie hätte er sie, wenn sie lieblich erblühte, vor jeder Gefahr schützen wollen! Mit traurig gesenkten Augen stieg er die Treppe hinan, die in den Oberstock zu den Gemächern seiner Mutter führte; er sehnte sich, sie zu umfassen und an ihrem Herzen den gemeinsamen Verlust zu beweinen. Es war ganz still auf dem langen Gange, niemand kam ihm entgegen, und mit beklommnem Herzen stand er eine Weile horchend an der Thür, ehe er es wagte, sie aufzuklinken und in das Zimmer zu treten, in dem die kleine Irmgard krank gelegen hatte. Eine verdunkelte Lampe warf nur einen schwachen Dämmerschein um sich, das Bettchen stand ganz im Schatten, doch sah er deutlich, wie sich das wachsbleiche Gesicht von dem purpurroten Kissen abhob. Leise schlich er heran, knieete nieder und sprach ein wehmütiges Vaterunser für die entflohene Seele der Schwester. Aber was war das? hatte sich die Hand, die auf der Decke lag, wirklich bewegt, oder täuschten ihn die Thränen, die aus seinen Augen rannen? Er wischte sie hinweg und starrte auf die Schläferin -- nein, es war keine Täuschung, die Händchen ballten sich und streckten sich wieder aus. Er sprang zum Tisch hin, riß den Schirm von der Lampe und ließ den vollen Schein auf das Bett fallen. Die dunklen Wimpern ruhten auf den schneeigen Wangen, aber aus dem halbgeöffneten Munde kamen regelmäßige Atemzüge. „Heilige Mutter Gottes, sie lebt!“ rief er mit leisem Jubelton und beugte sich über die Kleine, um ihre Hände zu küssen. „Ruhig, ruhig, Junker Ulrich,“ sagte eine mahnende Stimme; „weckt das Kind nicht auf und stört eure Frau Mutter nicht, die der Ruhe sehr bedarf.“ „O, Bärbel, sage mir, wie dies gekommen ist,“ bat Ulrich, „ist Irmgard wirklich genesen?“ Die Wärterin, welche schon seit Jahren im Dienst des Hauses stand und auch ihn einst auf ihren Armen getragen, zog ihn in die andre Ecke des Zimmers, und nachdem sie die Lampe wieder verdunkelt hatte, sagte sie in gedämpftem Ton: „Es ist ein Wunder geschehen, Ulrich; die heilige Jungfrau hat unsre Irmgard aus dem Rachen des Todes gerissen, während wir sie schon beweinten.“ -- „O du liebe heilige Gottesmutter, habe Dank für deine Gnade!“ rief Ulrich glückselig aus. „Aber wo ist mein Mütterlein? laß mich zu ihr, Bärbel, daß ich mich mit ihr freue.“ „Eure arme Mutter ist noch sehr krank von Angst und Kummer, sie hat das selige Wunder noch kaum begriffen. Als wir alle glaubten, es ginge mit unserm Kindchen zu Ende, da brach sie ohnmächtig zusammen; Pater Benedikt trug sie auf ihr Lager und suchte sie mit stärkenden Essenzen ins Leben zurückzurufen. Es dauerte lange, bis sie wieder zu sich kam, und niemand hatte unterdessen Zeit, sich um die arme Kleine zu bekümmern. Als ich später an ihr Bettchen trat, da sah sie mich plötzlich mit klaren Augen an; wir aber vermochten die unverhoffte Freude kaum zu fassen.“ Am nächsten Morgen war Ulrichs erster Gang zu Irmgards Bett; sie lag mit offnen Augen da, aber während sie ihn sonst mit Lachen und Jauchzen zu begrüßen pflegte, blieb sie heute stumm und wendete sich von ihm ab. „Was bedeutet das?“ fragte der Knabe erschrocken den Pater, der sich zu ihm gesellt hatte, „warum thut mein Schwesterlein so fremd mit mir? Sieht sie nicht seltsam verändert aus?“ „Du darfst dich nicht wundern, mein Sohn,“ versetzte Pater Benedikt sanft, „daß eine Seele, die schon an der Schwelle des Todes gestanden hat, Zeit braucht, um sich hier wieder heimisch zu machen. Bedenke, daß sie vielleicht schon von fern einen Blick in die Seligkeit des Paradieses gethan hat.“ „Und wird auch sie der Gottesmutter dankbar sein, daß sie sie vom Paradiesesthor wieder zurückgescheucht hat? sie könnte jetzt schon mit den seligen Engeln spielen,“ sagte Ulrich träumerisch. Der Kaplan schwieg einen Augenblick. „Uns ziemt es nicht, zu grübeln und zu deuteln,“ sagte er dann entschieden. „Hüte dich, mein Sohn, die Gnade der Heiligen durch solche Fragen in Zweifel zu ziehn.“ Frau Kunigunde war an Leib und Seele zu heftig erschüttert, um sich in wenigen Tagen zu erholen; erst allmählich kehrten ihre Kräfte zurück und damit auch die Freude über das wunderbar erhaltene Kind, das ihr wie neugeschenkt erschien. Manchmal war es ihr, als sei in das teure, kleine Wesen etwas Fremdes gekommen, das sie sich nicht zu erklären vermochte; die auffallende Weiße des Gesichts, die nicht weichen wollte, der Glanz der großen dunkeln Augen, die sie so fragend und verwundert anblickten, verwirrten sie fast; sie hatte sie früher nicht an ihrem Kinde bemerkt. Es mußten wohl die Folgen der schweren Krankheit sein, denn in einigen Wochen verwischte sich der fremdartige Eindruck, und bald war die vorige Zärtlichkeit der Kleinen zu Mutter und Bruder wiederhergestellt. Als Herr Werner von Maltheim endlich von seinem Besuch bei dem Markgrafen zurückkehrte, fand er zu seiner frohen Überraschung seine kleine Tochter am Leben und alle Herzen voll Dank und Freude, wodurch er sich sehr erleichtert fühlte. Er war ein tapferer Mann und hatte sein gutes Schwert in unzähligen Kämpfen geschwungen, aber vor Weiberthränen hatte er eine geheime Angst und ging ihnen aus dem Wege, so weit er konnte. So war das Leben auf der Burg wieder in das gewohnte Geleise zurückgekehrt, nur +eine+ Veränderung unterbrach das Stillleben: Frau Barbara bat um ihre Entlassung. „Was ficht dich an, Bärbel?“ fragte ihre Herrin erstaunt, „willst du jetzt deinen Pflegling verlassen, da die Kleine zu unser aller Freude so lieblich zu gedeihen beginnt? hast du sie nicht lieb, wie dein eignes Kind?“ „Gewiß, gewiß, edle Frau,“ stammelte Frau Barbara sichtlich verlegen „aber dennoch bitte ich Euch inständig: gebt mich frei! Mein Ehemann Klaus -- Ihr wißt, er war jahrelang in fremden Kriegsdiensten -- ist heimgekehrt und begehrt meiner. Zwar ist er immer ein rauher Geselle gewesen, aber er bleibt doch der Vater meiner Kinder, und ich mag ihm nicht widerstehen. Wir wollen uns allesamt in der Stadt niederlassen.“ Dagegen konnte die Edelfrau wenig einwenden; sie entließ die treue alte Dienerin mit huldreicher Güte und streckte ihr eine Summe vor, um sich in Nürnberg eine Schenke zu pachten. So verließ Frau Barbara unter tausend Thränen und beiderseitigem Bedauern die Burg. [Illustration] Drittes Kapitel. Fastnachtsscherze und Osterspiel. Fort mit Arbeit und Ernst! heut’ gilt es, sich fröhlich zu tummeln! Kurz sind die Stunden der Lust, ach, und die Fasten so lang! Der Gottesdienst am Sonntag ~Estomihi~ war beendet, und mit dem Läuten der Nachmittagsglocken schien sich über die löbliche Stadt Nürnberg ein Geist ausgelassner Freude und lärmender Lustigkeit zu ergießen, der selbst die Verständigen ergriff und ruhige Männer und Frauen zu Kindern und Narren machte. Für einige Tage lösten sich die Bande strenger Zucht und Sitte, welche sonst dem Benehmen der Bürger den Stempel gemessener Ehrbarkeit aufdrückten: die Reichsstadt feierte ihren Karneval, „das Schembartlaufen“ genannt, weil man sich dabei durch falsche Bärte, später durch ganze Larven, unkenntlich zu machen suchte. Der Himmel schien dem tollen Treiben hold zu sein, ein starker Wind hatte die Straßen getrocknet, heller Sonnenschein lachte von oben herab, und die Luft war, wenn auch kühl, doch von der belebenden Frische, welche einer Bewegung im Freien günstig ist. Die Belustigungen der ersten Faschingstage gehörten vorherrschend dem niederen Volke an: da zogen Scharen vermummter Spielleute durch die Straßen, angeführt von komischen Tiergestalten, aufrechtgehenden Löwen, Bären und Affen; wo sie an den Fenstern ein neugieriges Gesicht erblickten, da machten sie halt, stimmten auf den wunderlichsten Instrumenten ihre Musik an und sangen dazu ihre possenhaften Lieder deren derber Witz meist herzlich belacht wurde, wenn er auch verwöhnteren Ohren oft recht roh und anstößig klingen mochte. Rotten von Buben zagen mit Tannenbäumen umher, pflanzten sie vor die Thüren der größeren Bürgerhäuser und fingen unter lustigen Sprüngen und Grimassen die kleinen Münzen auf, welche man ihnen herabwarf. Junge Burschen vom Lande schleppten Pflüge herein, die mit bunten Bändern geschmückt waren; mit List und Gewalt suchten sie die Dirnen einzufangen und mit Strohseilen an das Ackergerät zu spannen, bis jene sich, unter dem Jauchzen des umgebenden Volkes, durch ein paar Heller oder einen Kuß auslösten. So dauerte der Jubel fort bis zur Dunkelheit, um am nächsten Morgen wieder zu beginnen; an jedem folgenden Tage tauchten neue Larven, andre Scherze auf, bis am letzten Nachmittag auch die besseren Stände sich in das heitere Treiben mischten und die Mummereien und Aufzüge immer glänzender und überraschender wurden. Im Erker des Ebnerhauses waren alle Fenster geöffnet und buntfarbige Decken herausgehängt; stattliche Frauen und lachende Kinder beugten sich darüber hinab. Mehrere Freundinnen des Hauses, die Frauen ansehnlicher Kaufherrn, deren Stellung ihnen eine persönliche Teilnahme an der Lust des Volkes nicht gestattete, hatten sich hier zusammengefunden, um von dieser günstigen Stelle aus dem Treiben auf der Straße zuzusehen. Auf dem großen Tisch in der Mitte des Vorsaals waren allerlei Erfrischungen aufgestellt, gewürzter Wein, eingemachte Früchte und Honigküchlein, die man nirgend so schmackhaft zu backen verstand, wie in Nürnberg. Eine Verwandte der Hausfrau, Jungfer Magdalena Löffelholzin, war eifrig bemüht, dieselben immer wieder den Gästen anzubieten und sie zum Essen und Trinken einzuladen. Magdalene, von den Kindern der ganzen Bekanntschaft nur Muhme Lene genannt, war weder jung, noch besonders hübsch, aber die kleine, rundliche Gestalt, mit dem apfelwangigen Gesicht und den freundlichen Augen darin, war überall gern gesehen, denn wo es galt, zu helfen und zu trösten, wo es Kranke zu pflegen oder wilde Kinder zu beruhigen gab, da war Jungfer Magdalene immer bereit; sie verstand es, sich in jedes Hauswesen zu schicken, jedem Hausherrn seine kleinen Liebhabereien abzulauschen und die Kinder mit schönen Geschichten und kleinen Scherzen so zu beschäftigen, daß sie niemand zur Last fielen. „Seht nur den stattlichen Türken dort unten,“ sagte eine der anwesenden Frauen, „wie er hier heraufschaut und uns Grüße zuwinkt; doch scheinen seine Blicke offenbar noch jemand zu suchen ...“ „Ich wette, es ist der lustige Herr Stadtschreiber,“ rief eine andre. „und dann weiß ich auch, wen er sucht. Jungfer Lenchen, Ihr müßt Euch einmal am Fenster zeigen, eher wird er sich nicht zufrieden geben.“ „Ich?“ fragte Magdalene errötend, „Ihr beliebt zu scherzen, Frau Hallerin.“ „Ei, thut nur nicht so unwissend,“ lachte die junge Frau, „es weiß es ja jeder, daß er Euch gar zu gern zur Frau Stadtschreiberin machte.“ „Wie mögt Ihr nur so sprechen,“ stotterte Magdalene, „Ihr wißt doch -- -- ich bin ja längst -- -- wollet mich doch mit solchen Reden verschonen, die mir wehthun, da ich mein Wort ....“ „Solltet Ihr wirklich immer noch an jenen jungen Gesellen denken, Magdalene,“ fragte in strengem Ton eine ältere Frau, die Gattin des gebietenden Bürgermeisters Friedrich Volkamer, „an jenen Adam Krafft, welcher seine Vaterstadt vor langen Zeiten verließ, da Ihr noch ein halbes Kind wart? ich kann Euch bei Euren Jahren kaum für so thöricht halten.“ „Wir haben uns damals Treue versprochen, gestrenge Frau,“ erwiderte Magdalene mit niedergeschlagenen Augen, „könnt Ihr es tadeln, wenn ich mein Wort halte?“ „Gewiß nicht, solange man vernünftigerweise auf Adams Rückkehr rechnen konnte, aber wie lange ist es denn her, seit er fortging?“ „Zwanzig Jahre werden es im nächsten Frühjahr,“ sagte Magdalene, und ein schmerzliches Zucken spielte um ihren Mund. „Zwanzig Jahre!“ rief die lebhafte Frau Hallerin, „lieber Himmel, da war ich noch ein kleines Kind, das kaum gehen und sprechen konnte! Und die ganze Zeit habt Ihr gewartet, Base Lenchen? Heilige Agathe, welche Geduld -- mir wäre sie schon zehnmal gerissen! Und wie lange denkt Ihr getreue Eva noch auf Euren Adam zu harren?“ „Bis er aus der Fremde zurückkehrt.“ „Und wenn er gar nicht kommt? wenn er längst gestorben ist, oder im Auslande Euer vergessen und eine andre Frau genommen hat?“ „Das hat er sicher nicht gethan, -- und sollte er nicht mehr leben, so hoffe ich ihn im Paradiese wiederzufinden.“ „Ihr seid eine Thörin, Magdalene,“ sagte die Volkamerin strenge, „hat Euch das Leben denn gar so weich gebettet, daß Ihr hartnäckig an Eurer gegenwärtigen Lage festhalten müßt? Mich dünkt, Ihr könntet froh sein, wenn Euch einer eine geachtete Stellung und ein wohl eingerichtetes Haus anböte, worin Ihr als Herrin walten könntet, statt daß Ihr jetzt nur jedermanns gehorsame Dienerin seid.“ „Laßt mir die Base in Frieden,“ fiel Frau Ursula ein, indem sie liebevoll den Arm um die Gescholtene legte, „wir alle haben sie herzlich lieb, und unsre Kinder könnten die Muhme Lehne schlecht entbehren.“ Magdalene drückte dankbar die Hand der Ebnerin und war froh, als die Aufmerksamkeit der Frauen sich wieder auf die Vorgänge draußen richtete. Die Kinder jauchzten laut auf, als jetzt ein lustiger Zug um die Ecke bog, voran ein Pickelhering, der auf einem Esel ritt und eine mächtige Narrenfahne schwang. Seine Kleidung schillerte in allen Farben des Regenbogens; die Eselsohren auf der hohen Mütze, die dicke Nase, der flatternde Spitzbart sahen gar lächerlich aus, und die Glöckchen, die ihm an Ohren, Gürtel, Ellenbogen und Schnabelschuhen befestigt waren und bei jedem Schritt seines Reittieres einen hellen Ton gaben, erhöhten noch den drolligen Eindruck. Ihm folgte auf einem niedrigen Wagen der Fasching selbst, eine Gestalt von unförmlicher Dicke, umkränzt von Würsten, Schincken und Kürbisflaschen; hinterdrein wurde auf einem Thronsessel sein Weib, die prächtig geputzte Fastnacht getragen, welche aus einem riesigen Korbe Brezeln und Wecken unter das jubilierende Volk streute. Ein lustiges Gesindel von Narren und Masken umschwärmte den Zug; sie schlugen Purzelbäume, ließen ihre Schellen klingen, rasselten mit den Trommeln, bliesen auf Trompeten und Schalmeien, -- kurz, sie trieben jede Art von ausgelassenen Scherzen, und in diesen betäubenden Lärm mischte sich das Jauchzen und Lachen der zuschauenden Kinder. „Wo steckt denn Euer Berthold, Ursula?“ fragte die Hallerin, „hat Euer Gatte ihn mit sich auf die Straße genommen?“ „Mein Gatte? wo denkt Ihr hin!“ versetzte die Ebnerin achselzuckend, „der sitzt in seinem Schreibgemach, wohin von dem ganzen Treiben auch nicht ein Laut dringt. Ich schickte Berthold, auf seine Bitte, unter der Obhut eines Dieners hinaus; ein junges Herz will doch auch seinen Teil an der allgemeinen Lustigkeit haben.“ „Fast wundre ich mich, daß Euer gestrenger Herr es ihm gestattet hat,“ bemerkte die Volkamerin. „Er hat es nicht verboten,“ versetzte Frau Ursula kurz und wendete das Gespräch auf etwas anderes. Ihr war nicht ganz wohl zu Mut, denn sie hatte die Erlaubnis ihres Eheherrn nicht eingeholt und sah nun schon seit einer Weile unruhig nach Berthold aus. Wenn in der aufgeregten Menge dem Knaben ein Leid zustieße! wenn er nicht zu rechter Zeit zurückkehrte! sie wußte, daß der Hausherr dann unmutig die Stirn runzeln und strenge Worte sprechen würde, und sie fürchtete die Zeichen seines Unwillens noch mehr für ihren Sohn, als für sich selbst. Wie würde sie gezittert haben, hätten ihre Blicke ein paar Straßen weiter gereicht! Da war ein Bäuerlein, das auch an dem Faschingsjubel seinen Teil haben wollte und dabei dem starken Nürnberger Biere mehr als billig zugesprochen hatte; unsicher schwankte es durch die belebten Gassen, und seine kleine Begleiterin hatte Mühe, seine Schritte zu lenken und ihn vor unliebsamen Zusammenstößen zu bewahren. Mit gütlichem Zureden und sanften Stößen hatte sie ihn endlich in ein stilleres Gäßchen gedrängt, wo sie hoffen konnte, ungefährdet das Thor zu erreichen, als plötzlich eine Rotte vermummter Buben den beiden mit lautem Geschrei entgegenkam. Im Augenblick waren sie umringt; die tolle Schar ließ ihren Übermut an dem halbberauschten Bauer aus, indem sie ihn von rechts und links zupfte und stieß, und seine taumelnden Versuche, sich seiner Peiniger zu erwehren, mit Hohngelächter begleitete. Vergebens versuchte das Mädchen, dem Vater beizustehn, ein großer Bursche drängte sie fort, riß ihr den Korb vom Arm und stürzte ihn um, so daß sein Inhalt auf die Straße kollerte. „O meine Wecken!“ rief die Kleine jammernd, „ich wollte sie den Geschwistern mitbringen, sie haben noch nie Weizengebacknes gegessen!“ „Die kleinen Dorfteufel mögen sich mit Haferbrot begnügen!“ schrie der Bursche lachend, „die Wecken sind viel zu gut für das lumpige Gesindel, die gebühren den Stadtkindern.“ Er wollte das Mädchen festhalten, doch traf ihn unvermutet der Schlag einer Narrenpritsche ins Gesicht, so daß er den Arm fahren ließ und sich dem Gegner zuwandte. Ein maskierter Knabe, viel kleiner und schlanker als er selbst, stand vor ihm. „Laß los!“ rief er dem Großen herrisch zu, „und du, kleine Dirne, lies deine Wecken auf und mach’, daß du fortkommst, ich will dein Beschützer sein.“ „Wie kommst du dazu, kleiner Knirps, so unhöflich um dich zu schlagen?“ fragte der große Bursche ärgerlich, „denkst du, ich werde mit dir viel Federlesens machen?“ [Illustration: Berthold stürzte in ein offenes Haus ....] „Komm nur heran,“ rief der kleine Ritter, indem er sich stolz in die Brust warf, „ich nehme es mit jedem auf.“ Es bildeten sich sofort zwei Parteien, die mit Pritschen und Fäusten aufeinander losgingen, aber die Kräfte waren zu ungleich verteilt, und der tapfre kleine Mann sah sich bald von seinen Helfern verlassen. Er erkannte, daß ihm nur ein beschleunigter Rückzug übrig bliebe, wenn er nicht jämmerlich zerbläut werden wollte, und so ergriff er eilends die Flucht. Flink und geschmeidig wie er war, entkam er dem stärkeren Gegner und stürzte in ein offenes Haus, auf dessen Schwelle eine Frau stand, welche, schnell den Zusammenhang begreifend, die Thür ins Schloß warf. Der Knabe riß die Larve vom glühenden Gesicht, in welchem die dunklen Augen vor Aufregung blitzten. „Ich wäre nicht davon gelaufen, wenn ihrer nicht so viele gewesen wären,“ rief er keuchend, „denkt nicht, daß Berthold Ebner feige sei, gute Mutter!“ „Seid ohne Sorge, Junkerlein,“ lächelte die Frau, „Ihr mögt wohl brave Streiche ausgeteilt haben, aber Ihr habt auch tüchtige Püffe eingesteckt -- seht, da sickert Euch das helle Blut aus der Nase und befleckt Euch das schmucke Habit.“ Sie führte ihn in die Küche und machte sich in mütterlicher Fürsorge um ihn zu schaffen; dann, als sie sah, daß der Flüchtling müde zum Umsinken war, stieß sie die Kammerthür auf und zeigte auf ein sauberes Bett. „Legt Euch hin und ruht ein wenig, Junker; inzwischen wird es ruhiger auf den Straßen, und Ihr könnt ungefährdet nach Hause gehn.“ Sie trat in das andere Zimmer ein, wo in einem großen Lehnstuhl, dicht am Fenster, ein grauhaariger Mann saß. In kurzen Worten berichtete sie ihm das kleine Abenteuer und setzte hinzu: „ein prächtiger Junge voll Leben und Feuer, und denke dir, Alter, er heißt Ebner.“ „Ebner?“ fragte der Mann betroffen, „des Wilibalds Sohn?“ „Ich glaube wohl; es giebt nur den einen des Namens hier in Nürnberg.“ „Sonderbar!“ sagte der Alte, indem er nachdenklich das graue Haupt hin- und herwiegte, „des Wilibalds Sohn in unserm Hause!“ Und die beiden alten Leute versanken in tiefes Sinnen, in das sich mancherlei schmerzliche Erinnerungen zu flechten schienen, denn die Frau fuhr ein paarmal mit dem Zipfel der Schürze über die Augen, und über dem freundlichen Gesicht des Mannes lag ein trüber Schatten. Inzwischen war Just, der Diener, welcher Berthold begleiten sollte, in tausend Ängsten durch die Straßen geirrt, um seinen jungen Herrn zu suchen. Er war, wie er sich selbst zur Beruhigung sagte, nur für einen einzigen Augenblick in eine Schenke getreten, um ein Maß Bier hinabzustürzen, denn er fühlte sich schier verschmachtet vom langen Umherlaufen, Gaffen und Lachen. Nun fuhr er auf jeden verlarvten Knaben zu, um seinen Junker zu entdecken, aber er fand ihn nicht, und vergebens gelobte er seinem Schutzpatron eine immer längere Reihe von Gebeten, sogar eine Kerze für seinen Altar, wenn er ihm den Ausreißer wieder in die Arme führe. Schon fing es an zu dämmern, und er konnte sich denken, mit welcher Ungeduld die Frau Ratsherrin den Sohn erwarten würde. Sie war zwar immer sanft und mild, aber diesmal war die Sache doch zu ernst, und mit dem gestrengen Herrn war ohnehin nicht zu scherzen, der fuhr immer gleich mit erschrecklichem Ernst darein, obgleich er wenig Worte dabei machte. Als Just angstvoll nach Hause schlich und vom Thorweg aus noch einmal seine suchenden Blicke umherschickte, sah er eine kleine Gestalt auf sich zukommen, ohne Kappe und mit wirrem Haar, das zierliche Narrenkleid zerrissen und beschmutzt. Just stürzte auf den Knaben zu und hob ihn jubelnd in die Höhe. „Heiliger Sebaldus, sei tausendmal bedankt!“ rief er, „da ist mein Junkerlein heil und gesund! Aber wo habt Ihr Euch umhergetrieben und wie habt Ihr Euch zugerichtet? kann man auch nicht ein kurzes Augenblickchen die Augen von Euch abwenden, ohne daß Ihr die größten Dummheiten macht?“ „Ich erzähle es dir ein andermal,“ sagte Berthold gähnend und reckte die Arme, als ob alle Glieder ihn schmerzten; „jetzt bin ich zu müde.“ Auf dem Vorsaal empfing ihn Muhme Lene. „Den Heiligen sei Dank, daß du da bist,“ sagte sie inbrünstig, „deine Mutter hat sich sehr um dich gesorgt.“ „Und der Herr Vater?“ „Der hat deine Abwesenheit noch gar nicht bemerkt.“ „Dann ist’s gut,“ sagte Berthold beruhigt, „die Herzmutter wird nicht so arg zürnen, wenn sie hört, wie es mir ergangen ist.“ -- Am folgenden Tage beleuchtete die Sonne ein ganz andres Bild in den Straßen der freien Reichsstadt. Verstummt waren Lachen, Lust und Scherz, spurlos verschwunden die bunten Gestalten, die darin ihr tolles Spiel getrieben. Ein dumpfes Schweigen schien auf allen Häusern zu lasten, bis ernst und feierlich die Glocken von St. Sebald, St. Lorenz und all den andern Kirchen zu läuten begannen. In einzelnen Gruppen, die kaum miteinander flüsterten, in dunklen Gewändern und mit ernsten Gesichtern, wandelten die Bürger mit Weib und Kind zu den Gotteshäusern und warfen sich vor den verhüllten Altären auf die Kniee. Die Orgel schwieg, nur hin und wieder unterbrach ein eintönig gesungener Bußpsalm die drückende Stille. Dann erschien der Priester, mahnte in strengen Worten zur Buße und Einkehr, zu Gebet und Kreuzigung des Fleisches und streute die geweihte Asche auf die Häupter der Betenden. -- Auf den Fastnachtsjubel war der Aschermittwoch gefolgt, welcher die lange, ernste Fastenzeit einleitete. Auch im Ebnerschen Hause herrschte volle Aschermittwochsstimmung. Just war in die tiefste Ungnade gefallen; trübselig saß er in seiner Kammer und murmelte die gelobten Gebete, die ihm sehr sauer wurden. Auch Berthold wäre der Strafe für sein spätes Ausbleiben nicht entgangen, hätte er sich nicht als Andenken an seine Rauferei ein Dutzend brauner und blauer Flecke heimgebracht, bei deren Anblick die Strenge der Mutter in weiches Mitleid zerschmolz. Und als er ihr erzählte, daß er die Schläge bei der Verteidigung eines wehrlosen Mädchens erhalten habe, da konnte sie vollends nicht mehr zürnen, sondern belohnte den ritterlichen Kämpen mit Kuß und Lobspruch. -- -- Die Fastenzeit ging zu Ende; ihre ernste Bedeutung mußte sich selbst einem stumpfen Gemüt durch die tägliche Entbehrung gewohnter Genüsse einprägen. Nun rüstete sich alles, um das Osterfest mit Freuden zu begehen, und in allen Häusern der Stadt gab es ein eifriges Waschen und Scheuern, Putzen und Schmücken, Backen und Braten. Die letzten Nachwehen des Winters waren überwunden, überall drängten sich Knospen ans Licht, blühten die Veilchen, zwitscherten die Vögel -- Natur und Menschheit waren in gleicher Weise bereit, ein Auferstehungsfest zu feiern. Die Ostersonne ging in blendendem Glanze über der Reichsstadt auf, von allen Türmen läuteten die Glocken, geputzte Menschen zogen scharenweise, mit Gebetbüchern und frischen Sträußchen in den Händen, den Kirchen zu, und wo sich Bekannte trafen, da grüßten sie sich mit dem uralten, freudigen Ostergruß: „der Herr ist erstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“ Überall sah man glückliche Gesichter, hörte man frohe Stimmen, und am Nachmittage tummelten sich unzählige Gruppen von Spaziergängern vor den Thoren und auf der Hallerwiese, deren kunstreich angepflanzte Strauchpartieen im ersten, grünen Hauch des Frühlings prangten. Der zweite Feiertag brachte nach herkömmlicher Weise das Osterspiel, das auf dem großen Platz hinter der Johanniskirche, vor dem Tiergärtner Thor, zu Nutz und Frommen der Bevölkerung von der Geistlichkeit aufgeführt wurde. Da drängte sich alles hinzu, Große und Kleine, Hohe und Geringe; nur wenige Häupter der alten, städtischen Geschlechter, unter ihnen Herr Wilibald Ebner, dünkten sich zu vornehm, um sich mit ihren Frauen unter die Volksmenge zu mischen. So war denn Muhme Lene allein mit Berthold hingegangen, um das Spiel anzusehn, das in seinen Hauptzügen alt und feststehend war, aber in jedem Jahr durch neue Zuthaten erweitert und verschönert wurde. Ein riesiges Brettergerüst stellte die Bühne dar, denn dieselbe mußte drei übereinander liegende Schauplätze umfassen, Himmel, Erde und Hölle. Zuerst öffnete sich der Himmel: Gott Vater sitzt auf einem Thron, von Engelscharen umgeben, zu seiner Seite halten die Erzengel Michael und Gabriel die Wacht. In vollstimmigem Chor singen die Himmlischen das Lob Gottes des Schöpfers und seines Sohnes, welcher gerade auf Erden weilt, um das Werk der Erlösung zu vollbringen. Da tritt Satanas ein; scheu und verlegen senkt er den Blick vor der göttlichen Glorie; er bekennt, daß er sich vergebens bemüht habe, den Gottessohn in Versuchung zu führen, daß jener ihn aber dreimal siegreich aus dem Felde geschlagen habe, -- und von neuem brechen die Engel in den Lobgesang zu Ehren Christi aus. Aber der Satan ist noch nicht von seiner unantastbaren Heiligkeit überzeugt; der Menschenleib, meinte er, müsse dem Teufel irgend eine schwache Stelle darbieten. Gott Vater gestattet ihm, den Sohn aufs neue zu versuchen, ja, ihn zu martern und zu töten, und froh der gewordenen Erlaubnis geht der Böse von dannen. Jetzt öffnet sich der mittlere Schauplatz, man sieht Christus, auf einem Esel reitend, seinen Einzug in Jerusalem halten, jubelndes Volk ringsum, das ihm die Kleider auf den Weg breitet und Palmen streut. Die Jünger triumphieren über des Meisters Verherrlichung, nur Judas schaut düster darein. Er bleibt allein zurück, und Satan flüstert ihm den Gedanken des Verrats ins Ohr. Die nächste Scene zeigt Judas vor dem hohen Rat, mit der Frage: was wollt Ihr mir geben, ich will ihn Euch verraten. Es folgt eine Verhandlung voll derber Komik, ein Feilschen und Handeln ohne Ende, denn selbst in ernster Darstellung verlangt der Sinn des Volkes Stoff zum Lachen, und Judas ist gewissermaßen die komische Person in diesem tragischen Spiel. Die Einsetzung des heiligen Abendmahls, Christi Seelenkampf in Gethsemane, Judas’ Verrat und die Gefangennehmung des Heilandes, sein Verhör und seine Verurteilung durch Pilatus -- das alles entrollt sich in kurzen, erschütternden Bildern vor den Augen der Menge, die bald in andächtigem Schweigen lauscht, bald in lautes Gelächter, bald in Schluchzen und Thränen ausbricht. Als der Vorhang von neuem aufgeht, sieht man die drei Kreuze aufgerichtet. Die Getreuen umstehen den sterbenden Erlöser, die Trauer der Maria bricht in ergreifender Klage aus: „O weh der Leiden, der Tod will uns scheiden; Tod, nimm uns beide, daß er nicht allein zum Jammer von mir scheide. Herzenskind, deine Augen sind dir so gar verblichen, deine Macht und Kraft ist dir so gar entwichen! O weh, was soll ich armes Weib, seit ich dich, liebes Kind mein, leiden sah so große Pein; des sticht mich zu dieser Stund’ ein Schwert durch meines Herzens Grund. Ach liebes Kind, sprich doch ein Wort, daß ich deine Mutter bin! weh mir, er kann nicht, er ist dahin!“ Johannes will die Weinende von der Stätte des Jammers fortführen, aber kaum ist sie entfernt, so ertönt vom Kreuz herab der erschütternde Ruf: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ und mit dem Aufschrei: „O weh, ich hörte einen Ruf, das war mein Kind Jesus, das in seinen Ängsten rief!“ eilt Maria zurück, um auszuharren, bis mit dem Wort: „Es ist vollbracht!“ die Marter Christi ihr Ende erreicht hat. -- Es folgt eine längere Pause, denn man hat stundenlang gesehen und zugehört und die heftigsten Gemütsbewegungen durchgemacht. Der Leib macht seine Rechte geltend, man will essen und trinken, ehe man mehr von der gewaltigen Geschichte in sich aufnimmt, aber keiner denkt daran, den Platz zu verlassen, ehe das letzte Wort gesprochen ist. Die nächste Scene spielt in der Hölle, die als ein groteskes Zerrbild des Himmels erscheint. Satan sitzt in abschreckender Majestät auf seinem Thron, seine Scharen um ihn her, deren komische Geberden und derbe Späße mächtig auf das Zwerchfell der Zuschauer wirken. Der Böse triumphiert, daß er durch seine Künste zwei Jünger zu Verrat und Verleugnung verführt, den Sohn Gottes dem Tode überliefert und das Werk der Erlösung vereitelt habe. Ein Haufe kleiner Teufelchen schleppt den Judas herein, der in der Verzweiflung seinem Leben ein Ende gemacht hat. Mit spöttischer Höflichkeit steigt Satan von seinem Throne und bietet ihn dem Verräter an, der durch seine unerhörte Bosheit selbst ihn übertroffen habe; dann aber giebt er den Seinen den Befehl, den Unseligen zu martern und zu peinigen, und vor den Augen der Zuschauer wird er in das ewige Feuer geworfen. Wieder öffnet sich der mittlere Schauplatz, die Auferstehung stellt sich den Blicken dar. Als Christus im leuchtend weißen Gewande den Seinen erscheint, als die Jünger auf der Bühne den Lobgesang ertönen lassen, da ergreift es die Menge mächtig, und wie aus einem Munde stimmt sie ein in den Ostergesang: „Christ ist erstanden Von der Marter alle. Des sollen wir alle froh sein, Christe soll unser Trost sein. Kyrie eleison!“ Den Schluß bildet die Himmelfahrt, Christus nimmt von den Seinen Abschied und verschwindet vor ihren Augen; zu gleicher Zeit thut sich oben der Himmel auf, wo die Engelscharen den verklärten Überwinder mit Jauchzen und Preisen empfangen. Gott Vater eilt ihm entgegen und führt ihn zu seinem Thron, wo er zu seiner Rechten Platz nimmt. Satan wird hereingeführt; er sieht mit Entsetzen, daß all seine Anschläge zunichte gemacht sind, bekennt sich als vollständig überwunden und stürzt mit teuflischem Geheul von dannen. Ein Engelchor zum Preise Gottes und seines Sohnes schließt das Spiel. -- Eine Weile verharrten die Zuschauer in andächtigem Schweigen, tief ergriffen von allem, was sie mit erlebt; dann aber begann ein Summen vieler Stimmen, ein Scharren unzähliger Füße, und in dichten Wogen drängte die Menge aus den engen Sitzreihen ins Freie. Magdalene hielt Berthold fest an der Hand, um ihn nicht zu verlieren; plötzlich sahen sie vor sich eine alte Frau stolpern und zu Boden fallen. Von gleichem Eifer getrieben, sprangen beide hinzu und halfen ihr aufstehen; Magdalene schob ihren Arm in den der Alten, Berthold lehnte sich fest an ihre andere Seite, und so führten sie dieselbe bis auf einen etwas freieren Raum, wo sie sich hinsetzen und erholen konnte. „Es ist die gute Alte, die mich zur Fastnacht so liebreich aufgenommen!“ rief Berthold mit Erstaunen, „wie schön, Mutter, daß ich Euch hier wiederfinde; ich hatte Euch wahrhaftig ganz vergessen!“ „Ihr habt es heute wett gemacht, Junker,“ versetzte die Frau, „mich freut’s daß Ihr mich wenigstens erkannt habt. Und ist dies Eure werte Frau Mutter, die Gattin des Herrn Wilibald Ebner?“ „O nein, nein,“ rief der Knabe laut lachend, „das ist nur die Muhme Lene; mein Mütterchen ist um einen Kopf größer und viel schöner und vornehmer.“ Da die alte Frau noch zitterte und schwankte, erbot sich Magdalene, sie heimzugeleiten; alle drei erreichten unter freundlichem Plaudern das kleine Haus im Hundsgäßlein und traten zusammen ein. Das Stübchen bot einen anheimelnden Anblick dar; alles glänzte von Sauberkeit und Nettigkeit, am Fenster standen geweihte Palmen und Veilchen in Scherben mit frischem Wasser, und auf seinem Platz im Lehnstuhl saß der alte Mann, auf dem ehrwürdigen Kopf ein schwarzes Käppchen, unter dem sich die silbergrauen Locken hervordrängten, die gefalteten Hände müßig im Schoße; er mußte wohl guten Gedanken nachgehangen haben, denn auf seinen Zügen lag es wie ein Hauch von Verklärung. „Ist dir die Zeit sehr lang geworden, mein alter Andreas?“ fragte die Frau in herzlichem Ton; „dem, der allein zu Hause sitzt, scheint sie immer länger, als dem, der draußen viel Schönes zu sehen und zu hören bekommt. Aber nun bringe ich dir auch liebe Gäste mit, die sich meiner aufs gütigste angenommen haben.“ Der Alte rückte grüßend sein Käppchen und streckte beiden die Hände entgegen. „Sieh da, unser kleiner Junker,“ sagte er herzlich, „seid willkommen, ehrsame Frau, und verzeiht, wenn ich Euch sitzend begrüßen muß, meine Füße gehorchen mir nicht mehr.“ „Wie traurig!“ sagte Magdalene voll Teilnahme, „seid Ihr schon lange so hilflos, Vater?“ „Seit vier Jahren schon muß meine Eva mein Stab und meine Stütze sein, -- dem Herrn sei Dank, daß er mir solch ein treffliches Weib geschenkt hat! Seht, von unten bin ich zwar gelähmt, aber oben fehlt mir nichts, Kopf und Augen sind klar, die Hände zu aller Arbeit tüchtig, -- das ist eine große Gnadengabe meines himmlischen Vaters.“ „Und womit beschäftigt Ihr Euch vom Morgen bis zum Abend?“ „Der Tag ist mir stets zu kurz für das, was ich schaffen möchte; ich zeichne Bilder, um die Bücher damit zu schmücken, und schneide sie in Holz.“ „So seid Ihr ein Künstler, Meister? wollt Ihr mich etwas von Euren Sachen sehen lassen?“ Er streckte den Arm aus und nahm vom Bord, der hinter ihm an der Wand hinlief, einen dicken Band. „Seht,“ sagte er mit wohlgefälligem Lächeln, „dies ist in schönem Druck die ganze Geschichte unsres Heilandes, die habe ich mit vielen Tafeln verziert.“ Neugierig blickte Magdalene in das Buch, sie verstand etwas vom Zeichnen, und ihre Neugier verwandelte sich bald in Staunen und Bewunderung, denn was sie sah, stand hoch über den gewöhnlichen Holzschnitten, mit denen man Gebetbücher und Heiligengeschichten zu verzieren pflegte. „Wie schön!“ rief sie aus, „wie lieblich ist die reine Magd Maria dargestellt, und wie leuchtet die Gottheit aus den Augen des Kindes! Und wie herrlich ist diese Tafel, welche die Anbetung der heiligen drei Könige zeigt!“ „Die ist nicht von mir entworfen,“ sagte der Alte, „sondern von einem lieben, jungen Freunde -- wollte Gott, ich dürfte ihn noch einmal wiedersehn! Er hatte herrliche Gaben, der Adam Krafft!“ „Adam Krafft!“ rief Magdalene in höchster Überraschung aus, „Ihr kennt ihn? lebt er noch? wird er endlich zurückkehren? O sprecht, lieber Meister, -- Ihr wißt nicht, was dieser Name in meinem Herzen für Gedanken, Erinnerungen und Hoffnungen weckt, eine ganze Welt von Freud und Leid!“ Der Alte sah sie fragend an, erstaunt über die plötzliche Heftigkeit, die gegen ihr sonstiges, stilles Wesen seltsam abstach. „Solltet Ihr die Magdalene sein, von der er einmal sprach?“ fragte er nachdenklich. „So hat er von mir gesprochen? dachte er noch an mich? hat er mich lieb behalten?“ drängte Magdalene, indem ihr die hellen Thränen in die Augen traten, „o lieber Meister, erzählt mir alles ganz genau; seht, es sind bald zwanzig Jahre, seit er seine Vaterstadt verließ, und seitdem hat kein Sterbenswörtchen von ihm meine durstige Seele erquickt.“ „Ja, meine werte Jungfer,“ versetzte der alte Mann mit größter Freundlichkeit, „viel Neues kann ich Euch auch nicht erzählen. Laßt sehen, es sind wenigstens fünfzehn Jahre her, seit ich ihn da unten in Venedig traf, denn ich war noch ein rüstiger Mann in der Blüte meines Lebens. Viele schöne Stunden habe ich damals mit dem Adam verlebt, der ein gar trefflicher, froher Geselle war, und manch artiges Bildchen kann ich Euch zeigen, das er mir zum Andenken verehrt hat.“ „Heute ist’s zu spät,“ erwiderte Magdalene, indem sie sich zögernd erhob, „die Base Ebnerin würde sich ängstigen, wenn wir so lange ausblieben. Aber ich darf wiederkommen, Meister, nicht wahr? Ihr erzählt mir dann alles von meinem Adam und zeigt mir jeden Strich von seiner lieben Hand?“ „Gern, werte Jungfer, von Herzen gern. Meister Andreas Fiedler und seine Eva werden Euch stets willkommen heißen, wenn Ihr unser bescheidenes Häuschen für Euren Besuch nicht zu gering achtet.“ Von nun an verging selten eine Woche, in der Magdalene nicht bei dem alten Paar eingekehrt wäre, und kam sie anfangs nur, um von ihrem Adam zu hören und zu sprechen, so lernte sie bald die beiden so hochschätzen, daß sie gern um ihrer selbst willen wiederkam. Es herrschte solch ein seliger Friede in dem kleinen Hause, solche ungetrübte Eintracht und eine lautere Frömmigkeit, welche gleichwohl ein ganz andres Gepräge trug, als die der meisten andern Menschen. Nie führten sie einen der zahllosen Heiligen im Munde, in deren Anrufung und Verehrung damals fast die ganze Gottesfurcht der großen Menge bestand, und die oft in ein abgöttisches Wesen ausartete. Als Magdalene einmal eine Bemerkung darüber machte, erwiderte Meister Andreas lächelnd: „Wozu soll ich mich bei den Dienern aufhalten, die doch auch nur an der Thür meines Gottes stehen, während ich gradeswegs zu dem Herrn hereingehen darf, der die Freundlichkeit und Leutseligkeit selbst ist?“ Das gab dem Mädchen viel zu denken. Auch Berthold, für den sonst Stillsitzen die schwerste Aufgabe war, ging gern einmal mit zu den alten Leuten; die vielen Bilder, die der Meister ihm zeigte, die schönen Geschichten, die er ihm dazu erzählte, fesselte seinen lebhaften, unruhigen Sinn, und er wußte seiner Mutter immer viel von dem kleinen Hause im Hundsgäßlein zu berichten. So kam der Name Meister Fiedlers auch vor die Ohren des Herrn Wilibald Ebner, der ein seltsames Gesicht dazu machte und zuerst geneigt schien, den Verkehr zu verbieten. Doch besann er sich eines besseren und ließ die Sache ungehindert ihren Weg gehen. [Illustration] Viertes Kapitel. Die Tochter des Herrn von Maltheim. O Sankt Lorenz, wer führt die unliebsamen Gäste ins Haus mir? Heiliger! brächtest du doch schleunig sie wieder hinaus! Über der Burg Maltheim lag heller Frühlingssonnenschein, der die alten Mauern wunderbar verschönte und sich in den unzähligen, kleinen Scheiben auf der Südseite behaglich spiegelte. Zwitschernde Schwalben segelten mit weit ausgespannten, metallisch glänzenden Flügeln hin und her, mit Strohhalmen und kleinen Zweigen im Schnabel, um die Nester instandzusetzen, welche die Winterstürme arg zerzaust und beschädigt hatten. Zwischen allen Ritzen sproßten frische, grüne Triebe hervor, hier ein bescheidenes Blümchen, dort ein schlankes Bäumchen, das unsicher im leisen Frühlingswinde hin und her schwankte, da seine Wurzeln zwischen Mauersteinen und Felsspalten nur geringen Halt fanden. Der Wald, der in einiger Entfernung die Burg umgab, hatte sein zartestes Blätterkleid angelegt, wozu die dunklen Tannen eine wirksame Verbrämung bildeten, und aus dem Burggärtchen drang der würzige Duft blühender Obstbäume bis zu dem steinernen Altan hinauf, auf dem Herr Werner von Maltheim mit seiner Familie den lieblichen Tag genoß. Der Ritter saß im bequemen Hauskleide in einem Lehnstuhl, dessen Behaglichkeit durch weiche Kissen und Decken noch erhöht worden war; sein rechtes Bein, das mit Binden und Tüchern wohl verwahrt war, ruhte lang ausgestreckt auf einem Schemel; neben ihm auf der steinernen Balustrade stand ein Deckelkrug, aus dem er hin und wieder einen mäßigen Schluck nahm. Der tapfere Herr sah lange nicht so rüstig und unternehmend aus, wie einige Wochen früher; die frische Röte seines Gesichts war ganz verblichen, und auf seiner Stirn hatten heftige Schmerzen ihre unverkennbaren Furchen gezogen. Es war ihm auch schlecht ergangen, denn er war wieder einmal seinem grimmigsten, unversöhnlichsten Feinde erlegen, der ihn aus tückischem Hinterhalt zu überfallen pflegte, wenn er am wenigsten an ihn dachte, und seine Tage bei Jagden und Waffenspielen, die halben Nächte bei frohem Becherklang durchschwärmt hatte. Das war die Gicht, die ihn dann überwältigte und in schwere Fesseln schlug, und gegen diesen Feind half keine Tapferkeit und kein Schwert, sondern nur Geduld und stilles Aushalten, im Verein mit den Tränkchen und Kräuterbädern seiner Hausfrau, die sich auf die Bereitung von Arzeneien trefflich verstand. Neben dem Ritter saß Frau Kunigunde mit einer Arbeit in den fleißigen Händen, und um die Eltern tummelten sich in heiterem Spiel Ulrich und Irmgard. Die Kleine hatte sich seit dem Winter erfreulich entwickelt, sie lief sicher umher, die dunklen Augen glänzten vor Vergnügen, die aschblonden Löckchen ringelten sich üppig um das zarte Gesicht, das immer noch eine auffallende Blässe zeigte. Zwischen den Geschwistern bestand eine zärtliche Liebe, welche Ulrich zum gehorsamen Diener des kleinen Fräuleins machte. Sobald seine Lehrstunden beendet waren, die Pater Benedikt mit großem Ernst abhielt, eilte er zu Irmgard und suchte sie in jeder Weise zu unterhalten; wenn aber einmal der gestrenge Lehrmeister den Unterricht über die Gebühr ausdehnte, so klopften ein paar weiche Händchen an die Thür der Bücherei, und der ungeduldige Ruf: „Ulli, Ulli!“ schallte im Gange wieder. Eine Schwalbe hielt in ihrem Fluge still, duckte sich auf der steinernen Brustwehr nieder und schaute mit den klugen Äugelein die Kinder an. Irmgard lief jauchzend auf sie zu und streckte die Hände aus -- im Nu war der Vogel verschwunden. „Greif ihn, Ulli,“ rief sie eifrig, „ich will ihn haben!“ „Viel verlangt, mein weißes Röslein,“ sagte er lachend, „gieb mir Flügel, um mich in die Luft zu heben, auf zwei Füßen holt man die Vögel nicht ein.“ „Greif ihn mir!“ bat sie dringender, und als er vor ihr niederkniete und ihr sagte, daß er zu ungeschickt dazu sei, faßte sie in seine blonden Locken und zauste so wacker darin, bis sie die Händchen voll goldener Fäden hatte. Er ließ es sich ohne einen Schmerzenslaut gefallen. „Ich will ein Netz aufstellen, kleine Herrin,“ sagte er begütigend, „morgen sollst du den Vogel haben.“ Mit behaglichem Lächeln hatte Herr Werner den beiden eine Weile zugesehen, jetzt versank er in ein tiefes Brüten. „Was sinnt Ihr, lieber Herr?“ fragte Frau Kunigunde nach längerer Pause, „Ihr seht nicht froh aus, schmerzt Euer Fuß Euch wieder?“ „Nein, das nicht,“ erwiderte er, „aber das lange Stillsitzen erzeugt allerlei schwere Gedanken. Wenn ich diese alte Burg ansehe, die nun bald vierhundert Jahre auf dieser Stelle steht, und in der eine lange Reihe von Maltheims aus- und eingegangen ist, so muß ich mich fragen, ob auch nach mir alles bleiben wird, wie es ist, und ob nach weiteren vierhundert Jahren noch eine Spur meines Geschlechtes übrig sein wird. Denn es ist eine böse Zeit angebrochen; vieles, was wir von den Vätern überkommen haben, fängt an zu wanken, und das Neue will mir nicht gefallen.“ „Aber es ist nicht immer so gewesen, lieber Herr? gerade diese Burg kann es Euch lehren, das jedes Geschlecht neue Bedürfnisse hat und seinem eignen Sinne folgt. Pater Benedikt hat mir erst kürzlich aus alten Chroniken bewiesen, daß fast jeder Inhaber den Bau in einzelnen Teilen umgestaltet hat, denn was dem Großvater noch ausreichend erschien, das war dem Enkel nicht mehr schön und bequem genug. Wenn jener Ritter von Maltheim und Buchenbühl, der den Ruhm seines Namens so herrlich leuchten ließ, heute wiederkehrte, glaubt Ihr, er fände nicht vieles anders, als er es verlassen hat; meint Ihr, er würde sich nicht wundern über die Ansprüche seiner Nachkommen, die ihre Fenster mit Glas verkleiden und das Feuer in Kachelöfen sperren, damit es besser wärme?“ „Pater Benedikt macht dich ja gewaltig klug, Gundel; ich muß wirklich Respekt vor die haben,“ meinte der Ritter mit gutmütigem Spott. „Ihr mögt auch wohl beide recht haben, -- dennoch, wenn ich Ulrich ansehe, so weiß ich, daß er anders geartet ist, als ich oder mein Vater. Er gleicht mehr den Männern deiner Sippe, unter denen mancher geistliche Herr und Gelehrte war. Ja, wenn mein Friedrich noch lebte -- der wäre wohl ein echter Maltheim geworden! Hat er doch, so jung er war, sein Leben im ritterlichen Kampfe eingebüßt.“ In Frau Kunigundens Seele stieg eine eifersüchtige Regung auf; sie liebte die Erinnerung an diesen Friedrich nicht, welcher ein Sohn aus des Ritters erster Ehe gewesen war. Erst nach seinem Tode hatte Herr Werner den zweiten Ehebund mit der bedeutend jüngeren Frau geschlossen, welche anfangs schwere Tage verlebt hatte. Denn sie fand eine erwachsene Tochter vor, die es gewohnt gewesen war, als Herrin auf der Burg zu gebieten, und die sich nur widerwillig der Stiefmutter beugte, welche wenig älter war als sie selbst. Es hatte sich zwischen den beiden Frauen kein freundliches Verhältnis herstellen wollen; beide hatten sich unglücklich gefühlt, und als der kecke Junker Veit von Rotenhahn um Fräulein Walburg geworben, hatte sie ihm freudig ihr Jawort gegeben, obgleich er nur ein heimatloser Abenteurer war, der nirgend ein Fleckchen Erde sein eigen nannte, sondern von einem Fürstenhof zum andern zog, um seine Dienste anzubieten. Der Ritter von Maltheim hatte zuerst die Ehe nicht zugeben wollen, aber die eigenwillige Tochter hatte ihm seine Zustimmung halb abgeschmeichelt, halb abgetrotzt; die Hochzeit ward gefeiert, und das junge Paar zog von dannen. Seit manchem Jahr hatte der Vater nichts von Walburg gehört, und Frau Kunigunde hoffte im stillen, die störrische Hausgenossin nie wiederzusehn. „Komm her, Ulrich,“ sagte der Ritter, als Irmgard mit ihrer Wärterin verschwunden war, „ich hab mit dir zu reden. Hast du schon einmal ernstlich bedacht, Knabe, daß du der Erbe eines alten, herrlichen Namens bist, und daß es deine heilige Pflicht ist, dich deiner glorreichen Ahnen wert zu zeigen?“ Ulrich sah eine Weile sinnend vor sich hin, dann hob er den Blick mit tiefem Ernst empor. „Kann man nur mit dem Schwert den Ruhm erwerben, Herr Vater? und giebt es für einen Edelmann nichts zu thun, als Schlachten zu schlagen?“ Der alte Ritter sah seinen Sohn ganz verblüfft an. „Wunderliche Frage!“ brummte er, „wie willst du dich denn auszeichnen, wenn nicht durch Tapferkeit, und wo willst du Ruhm erwerben, wenn nicht auf dem Schlachtfelde? Sieh doch die Reihe unserer Vorfahren an, haben sie nicht alle als Krieger und Helden geglänzt? Alle haben treu zu ihrem Kaiser gehalten und wacker auf seine Feinde -- oder ihre eigenen -- losgeschlagen; ich selbst habe im Gefolge meines tapfern Herrn, des Markgrafen, wohl hundert Fehden ausfechten helfen, und man hat mich deshalb oft das Schwert des Achilles genannt, -- wo findest du ähnlichen Ruhm? Willst du ein Pfaffe werden und nach Inful und Krummstab, oder gar nach Sankt Peters Stuhl trachten?“ „Nein, Vater,“ versetzte Ulrich, „ein Priester möchte ich nicht werden, und eine Kutte will ich nicht tragen. Aber ich möchte etwas thun, um die Menschen besser und glücklicher zu machen, um die Gerechtigkeit zur Geltung zu bringen und die Wehrlosen gegen die Gewalt der Mächtigen zu schützen. Pater Benedikt hat mir von den großen Universitäten zu Padua und Bologna erzählt, wo man lernen kann, was Recht und Unrecht ist; das möchte ich studieren und dann die Fürsten beraten, damit Mord, Brand und Fehde aufhöre, und aller Streit fortan friedlich geschlichtet werde.“ In sprachlosem Erstaunen hatte Herr Werner dem Knaben zugehört, der mit leuchtenden Augen vor ihm stand; dann brach er zornig los: „Also solche Hirngespinste setzt dir Pater Benedikt in den Kopf? Thörichtes Geschwätz von Friede und Gerechtigkeit -- das Recht ist immer auf Seiten des Stärkeren gewesen und wird es bleiben, solange die Erde steht. Meinst du, der Krieg solle fortan mit Tinte und Feder geführt werden, statt mit klingenden Waffen und frischem Dreinschlagen? Heiliger Georg, bewahre mich vor solch einer faulen Welt! -- ich will nichts mit ihr zu schaffen haben, und ich hoffe, es wird auch im Paradiese noch Feinde geben, denen ich mit meinem guten Schwert zu Leibe gehen kann. Es ist Zeit, daß ich dich von der Leitung des Pfaffen befreie, er hat schon zu sehr jeden ritterlichen Funken in dir erstickt -- Heiliger Kilian! muß mein einziger Erbe an adliger Gesinnung hinter dem Sohne eines Krämers zurückstehen?“ Besänftigend legte Frau Kunigunde die Hand auf den Arm ihres Gatten. „Erzürnt Euch nicht so sehr über seine kindischen Gedanken,“ sagte sie bittend, „Ihr schadet Euch, lieber Herr. Ulrich ist ja noch so jung; in seinem Kopf spiegeln die Dinge sich anders, als in Eurem erfahrnen Blick, und er spricht wohl nur nach, was ihm der Pater vorgesagt hat. Laßt ihn nur verständiger werden, dann werdet ihr sicher Freude an ihm erleben.“ Des Ritters Gesicht zuckte in heftigem Schmerz. „Mein Fuß, mein Fuß!“ stöhnte er, „o wie das bohrt und mich peinigt, als säßen lauter boshafte Teufel darin! Geh mir aus den Augen, Knabe, deine abgeschmackten Reden haben mich krank gemacht!“ Er lehnte sich bleich und matt in seinen Stuhl zurück; schweigend verließ Ulrich den Altan. Frau Kunigunde eilte ihrem Ehegemahl mit den gewohnten Linderungsmitteln zu Hilfe und blieb bei ihm, auch, nachdem er sich von seinem Anfall erholt hatte, obgleich ihr Herz sie unbeschreiblich zu ihrem Knaben zog. Wie gern hätte sie ihn in ihre Arme genommen und getröstet, wie gern ihm ganz leise zugeflüstert, daß sie immer stolz auf ihn sein wolle, auch wenn er kein blutdürstiger Kriegsheld, sondern ein Apostel des Friedens und der Gerechtigkeit würde! Stammte sie doch selbst, wie ihr Gatte zuweilen mit einiger Geringschätzung hervorhob, aus einem friedliebenden Hause, das von jeher Kunst und Wissenschaft gepflegt hatte, warum sollte sie traurig sein, wenn ihr Sohn die besten Eigenschaften ihrer Sippe erbte? -- [Illustration: Walburgs Heimkehr.] Von der Zugbrücke her erscholl jetzt Pferdegetrappel und Rollen von Rädern; bald darauf trat der alte Hausmeister aus der Halle. „Edler Herr, ich melde ehrenwerte Gäste: Junker Veit von Rotenhahn mit seiner Gemahlin und seinen Kindern wünscht Euch zu begrüßen.“ Frau Kunigunde legte die Hand aufs Herz, das plötzlich stillzustehen schien. Walburg hier? all ihr Glück und häusliches Behagen drohte mit einem Schlage in einen tiefen Abgrund zu versinken. Der Ritter richtete sich lebhaft auf. „Meine Tochter? hat der gütige Himmel sie wieder zurückgeführt? Geh, Daniel, und geleite sie zu mir, ich kann ihr ja nicht entgegengehn, -- und du, liebes Weib, eile, die unverhofften Gäste willkommen zu heißen.“ Mühsam faßte die Hausfrau sich so weit, um zu thun, was ihr Gatte und ihre Pflicht geboten, aber schon standen die Ankömmlinge in der Halle, und ohne der Mutter zu achten, stürmte Walburg, an jeder Hand einen Knaben, an ihr vorüber. „Mein teurer Vater!“ rief sie, indem sie neben dem Sessel des alten Herrn auf die Kniee sank, „da bin ich wieder daheim! segnet Eure Tochter und Eure Enkel, die sich von Herzen gesehnt haben, Euer geliebtes Antlitz zu schauen und Eure Hände zu küssen!“ Herr Werner war sehr gerührt durch diese gefühlvolle Anrede, er umarmte Walburg und küßte die Knaben, zwei stämmige Burschen von acht und zehn Jahren, welche etwas verdutzt dreinschauten und sich bei dieser zärtlichen Scene offenbar sehr unbehaglich fühlten. Walburg überströmte den Vater mit einer Flut von Versicherungen, wie schmerzlich sie ihn all diese Jahre hindurch vermißt habe, wie glücklich sie sei, wieder als Kind im Vaterhause leben zu dürfen, wie traurig es sie mache, ihn so krank und hinfällig zu finden, wie sie aber alles aufbieten wolle, um ihn zu pflegen und zu erheitern. Mittlerweile hatte Frau Kunigunde den Junker Veit begrüßt, dessen räuberartiges Aussehen ihr einen neuen Schrecken einflößte. Auf der übermäßig schlanken Gestalt saß ein Kopf, dessen wachsgelbes Gesicht mit den kleinen, unheimlich funkelnden Augen und dem rabenschwarzen Zwickelbart einen fast dämonischen Eindruck machte. Seine Kleidung war ritterlich, trug aber unverkennbare Spuren langen Gebrauchs: die Halskrause hing welk und matt über das arg verschossene, rote Samtwams herab, der kurze Mantel zeigte manchen Riß, der nur unvollkommen geflickt war, und die Federn des Baretts senkten sich, wie geknickte Blumen, traurig hernieder. Auch Frau Walburgs Anzug zeigte nur noch Überreste ehemaligen Glanzes; das Kleid war von kostbarem Stoff, aber stark abgetragen, und in der Pelzverbrämung ihres Überwurfs schienen die Motten manches ungestörte Fest gefeiert zu haben. Sie sah viel älter aus, als ihre Stiefmutter, und so holdselig sie jetzt auch lächelte, so waren doch in ihren Zügen die Spuren von Leidenschaft und Trübsal unschwer zu erkennen. Nachdem die ersten Begrüßungen vorüber waren, sagte Frau Kunigunde, sie wolle nun gehen, um den Reisenden Imbiß und Nachtlager zu bereiten, zuvor aber bat sie den Gatten, sich von ihr in die Halle führen zu lassen, damit die kühlere Luft ihm keinen Schaden thäte. „Geht nur an Eure Geschäfte, Frau Mutter,“ rief Walburg eifrig, „wir wollen für des geliebten Vaters Bequemlichkeit schon sorgen; es soll ihm sicher an nichts fehlen, nun ich wieder zu Hause bin.“ Der Ritter nickte ihr freundlich zu und nannte sie sein gutes, treues Kind; Frau Kunigunde aber ging mit einem bittern Gefühl von dannen. Kaum eine Stunde war Walburg im Hause, und schon suchte dieselbe sie aus ihren heiligsten Rechten und Pflichten zu verdrängen; durfte sie das dulden, mußte sie nicht vom ersten Augenblick an ihr gutes Recht als Gattin und Hausfrau verteidigen? Aber dann gab es Zank und Streit ohne Ende, vor dem ihr friedliebender Sinn zurückschreckte, -- nein, lieber wollte sie eine Weile in der Stille dulden und jede Pflicht der Gastlichkeit erfüllen; vielleicht befreiten die Heiligen sie dann eher von den lästigen Gästen. Sie beugte einen Augenblick das Knie vor dem Muttergottesbild in ihrem Gemach, benetzte Stirn und Brust mit geweihtem Wasser und ging mit besserem Mut an ihre häuslichen Anordnungen. Nach eingenommener Mahlzeit scharte die Familie sich um den Ofen, in dem ein tüchtiges Feuer angezündet worden war, denn so schön der Tag gewesen, so kühl wurde der Abend. Frau Kunigunde hatte vollkommen recht gehabt, wenn sie meinte, der berühmte Ahnherr des Hauses, Herr Diether von Maltheim und Buchenbühl, würde seine Burg sehr verändert finden, wenn er aus zweihundertjährigem Todesschlaf erwachen und sein Haus heimsuchen sollte. Die Halle war zwar in ihren Mauern dieselbe geblieben, aber die Einrichtung war viel wohnlicher geworden: statt der offnen Kamine erwärmte ein riesiger Kachelofen den weiten Raum, und die verglasten Fenster wehrten dem Winde, dem Schnee und Regen den Eingang. Um den langen Tisch in der Mitte sammelten sich auch jetzt noch, nach alter Sitte, Herrschaft und Gesinde zur Mahlzeit, danach aber verließ die Dienerschaft die Halle, welche nur der Familie und den Gästen zum Aufenthalt diente. Die Wände waren sauber getüncht und mit kunstreich zusammengestellten Waffen und Jagdtrophäen verziert, in hohen Schränken bewahrte man die kriegerische Ausrüstung für die Burgmannen. Auf einem breiten Kredenztisch mit hohen Borden glänzte manch schönes Stück kostbaren Gerätes, und die Bänke, welche sich um den Ofen an der Wand hinzogen, waren weich gepolstert und mit bunten Decken verhüllt. Auch sonst war im Laufe der Zeit manche Veränderung eingetreten: die Frauengemächer waren aus dem Nebenhause in das obere Stockwerk verlegt, breitere Treppen führten hinauf, zahlreichere Fenster sorgten für mehr Licht und Luft. Die Knechte waren in den Flügel verwiesen, der einst zur Kemenate gedient hatte, doch war eine bessere Verbindung der einzelnen Gebäude hergestellt, -- kurz überall zeigten sich Spuren des Fortschritts, Anzeichen, daß die Menschen einen höheren Wert, als früher, auf ihre Heimstätte legten und bemüht waren, dieselbe mit größerer Behaglichkeit auszustatten. Der Hausmeister hatte einen schweren Eichentisch nahe an den Ofen geschoben und eine frische Kanne schäumenden Bieres nebst hölzernen Bechern daraufgesetzt. „Nein, Gundel,“ rief der Ritter, „heute mußt du mit ein paar Flaschen firnen Weines herausrücken; die Rückkehr meiner lieben Kinder wollen wir mit einem köstlicheren Trunk feiern, als dieser ist.“ „Wie gern nehme ich unsre Gäste mit dem Besten auf, was das Haus bietet,“ versetzte Frau Kunigunde zögernd, „doch bedenkt, lieber Herr, -- versprecht mir -- Ihr wißt, daß Wein für Euren kranken Fuß Gift ist.“ „Seid ohne Sorge, Frau Mutter,“ fiel Walburg spöttisch ein; „die Freude ist die beste Arznei für den Kranken, und was er aus Freuden thut, wird ihm niemals schaden. Armer Herr Vater, Ihr habt ein gar zu trauriges Leben geführt, dabei kann niemand gesunden. Aber das soll nun alles anders werden!“ Bald stand der Wein auf dem Tische, die silbernen Becher klangen grüßend aneinander. „Und nun erzählt uns von Eurem Leben in diesen zehn Jahren, Veit,“ rief Herr Werner frohgelaunt, „weiß ich doch nichts von Euch, seit Ihr meine herzliebe Tochter in die weite Ferne entführt habt.“ Junker Veit that einen tiefen Zug und begann zu erzählen, -- man konnte im Zweifel sein, was er besser verstünde, das Flunkern oder das Zechen, denn in beidem erschien er als Meister. Er hatte jahrelang in ungarischen Diensten gestanden, und wenn man ihm zuhörte, mußte man denken, alle Geschicke Ungarns wären von ihm geleitet worden, seine Kühnheit hätte dem glänzenden Matthias Corvinus auf den Königsthron geholfen, sein tapferes Schwert in unzähligen Schlachten die hereinstürmenden Türken von den Grenzen des Reichs zurückgedrängt, sein scharfer Blick Verschwörungen entdeckt und vereitelt. Frau Walburg unterstützte den Bericht ihres Eheherrn durch eingestreute Bemerkungen über die Ehrenbezeigungen, mit welchen man denselben am ungarischen Hofe überhäuft, und an denen auch sie vollen Teil gehabt habe, über die reiche Beute, welche er aus den Türkenkriegen heimgebracht, und erging sich in prunkenden Beschreibungen des Glanzes, in welchem sie dort gelebt hätten. „Warum habt ihr denn diesen Schauplatz der Ehren verlassen?“ fragte Frau Kunigunde trocken. „Mich zog es unwiderstehlich zu dem teuren Vater und der geliebten Heimat zurück,“ erwiderte Walburg, indem sie zärtlich des Ritters Hand drückte, „und ich ließ meinem Gatten keine Ruhe, bis er mich aus dem Prunk der großen Welt wieder in diese liebliche Stille geführt hatte.“ „Mich trieb auch noch ein anderer Grund von dannen,“ sagte Junker Veit mit zwinkernden Augen, indem er den langen Zwickelbart strich; „so lange König Matthias meinen Arm gegen die Türken gebrauchte, stand ich ihm gern zu Diensten, als er sich aber gegen die Kaiserliche Majestät von Deutschland wendete, als er Kaiser Friedrich aus seiner eignen Residenz vertrieb -- da empörte sich mein deutsches Herz, und ich sagte ihm den Gehorsam auf. Glaubt mir, Herr Vater, es war mir ein tiefer Kummer, als wir auf unserm Wege dem Kaiser begegneten, der als ein Flüchtling mit einem Gespann Ochsen seine Straße dahinzog und an einer Klosterpforte um Zehrung und Obdach bat.“ „Ihr seid ein wackerer Mann, Veit von Rotenhahn,“ rief Herr Werner herzlich und schüttelte die Hand des schlauen Erzählers mit kräftigem Druck; „Ihr habt recht gethan, denn wenn auch Friedrich wenig königliche Größe zeigt, so bleibt er doch immer unser Herr, und mein Geschlecht hat sich stets durch seine Treue gegen den Kaiser hervorgethan. Mir ist es lieb, daß auch mein Eidam solche Gesinnung hegt und bewährt.“ Es war schon spät am Abend, als man sich trennte; Balduin und Emmo, die beiden Söhne der Rotenhahns, lagen längst in einem Winkel der Halle in tiefem Schlaf. Aber Frau Kunigunde blieb auf ihrem Lager noch lange wach, ihr Herz war tief bedrückt, und sie sah schweren Tagen entgegen. Am nächsten Morgen fühlte Herr Werner sich kräftiger, als seit langer Zeit; er hob es rühmend hervor, wie wohl ihm die Freude des Wiedersehens und der gute Wein gethan hätten, und Walburg triumphierte. Mit Ulrich that sie überaus freundlich und empfahl ihm ihre lieben Söhnlein als gute Spielkameraden; als aber Irmgard hereinkam, nahm ihr Gesicht den Ausdruck unangenehmer Überraschung an. „Ich wußte nicht, daß Ihr noch solch ein ungefiedertes Vöglein im Nest habt, Herr Vater,“ sagte sie spöttisch. „Aber wie bleich und krank es aussieht! schwerlich werdet Ihr es aufwachsen sehen!“ „Du irrst, meine Tochter,“ versetzte der Ritter, „dies Kind steht unter besonderer Obhut der heiligen Jungfrau, die es sicher nicht dazu vom Tode errettet hat, damit es uns noch einmal entrissen werde. Seit jener schweren Krankheit ist es so blaß geblieben, aber es ist trotzdem frisch und gesund.“ „Seltsam!“ sagte Walburg, welche die Kleine aufmerksam betrachtete, „ihre Züge zeigen nicht die geringste Ähnlichkeit, weder mit Euch, Herr Vater, noch mit Eurer Gattin. Man könnte glauben, Ihr hättet einen Findling in Euer Haus aufgenommen.“ Frau Kunigunde schlang ihren Arm um Irmgard, als müßte sie sie schützen. „Ich weiß nicht, wie Ihr so reden mögt, Walburg,“ versetzte sie mit zitternder Stimme, „das Kind hat ein Maltheim’sches Gesicht: dunkle Augen und helles Haar, grade wie Euer Vater, als er noch jung war.“ „Meint Ihr, Frau Mutter?“ fragte Walburg in scharfem Ton, „mich dünkt, es gehören ganz besondere Augen dazu, um solche Ähnlichkeit zu finden.“ -- Frau Kunigundens bange Ahnung erwies sich als nur zu gut begründet: böse Wochen zogen an Burg Maltheim vorüber. Nach kurzer, scheinbarer Genesung warf ein heftiger Rückfall den Ritter in sein altes Leiden zurück: stöhnend lag er auf seinem Lager, wollte niemand sehen und ließ alle seine Schmerzen und seine üble Laune an seiner getreuen Gattin aus, der jetzt keiner mehr die Pflege des Kranken streitig machte. Unterdessen wurden die Gäste mit jedem Tage anmaßender und anspruchsvoller. „Ihr helft uns wohl mit ein wenig Wäsche und Kleidern aus, bis unsre Packwagen nachkommen,“ sagte Walburg kühl und durchstöberte rücksichtslos die wohl geordneten Truhen der Hausfrau, denen sie alles entnahm, was ihr und den Ihrigen nützlich sein konnte. Das Zurückgeben machte ihr wenig Sorge; die Wagen kamen nicht, und die Seelenruhe, mit der das Ehepaar die verspätete Ankunft seiner Habe erwartete, ließ schließen, daß dieselbe nie von Ungarn abgegangen sei. Junker Veit ritt indessen Herrn Werners Pferde, jagte mit seinen Hunden, trank seine Weine und zankte sich mit seinem Hausmeister, wenn dieser ihm nicht in allen Stücken zu Willen war. Emmo und Balduin waren zwei Rangen, die in schrankenloser Freiheit aufgewachsen waren; von ihrer Mutter abwechselnd gehätschelt und beiseite geschoben, von ihrem Vater kaum beachtet, waren Junker Veits kräftige Fäuste das einzige, wovor sie Respekt hatten, denn die pflegten freilich, wo sie zugriffen, auch deutliche Spuren zu hinterlassen. Ulrich ging den Vettern, so weit wie möglich, aus dem Wege; ihre rohen Scherze flößten ihm unendlichen Widerwillen ein, und er widmete sich mit größerem Eifer, als je, den Lehrstunden bei Pater Benedikt; Irmgard weinte, sobald sie die wilden Buben sah, und die weibliche Dienerschaft befand sich stets im Zustande der Empörung wider die Knaben, die keinen Hund und keine Katze, kein Huhn und keine Ente schonten, und an Menschen und Tieren ihre boshaften Streiche ausübten. Und wie die Herren, so die Diener; der schwarze Janko und der lahme Miklos, zwei echte Heiducken aus den innersten Steppen Ungarns, waren in der Gesindestube bald ebenso ungern gesehen, wie ihre Gebieter in der Halle: sie stahlen wie die Raben, logen, als würden sie dafür bezahlt, fluchten in ihrem fremdländischen Kauderwelsch ganz lästerlich und ließen bei jedem Streit die scharfen Klingen ihrer langen Messer zwischen den Fingern blitzen, so daß der alte Daniel seine liebe Not damit hatte, Ruhe und Frieden unter der Dienerschaft aufrecht zu halten. So kam es, daß kaum ein Tag verging, an dem nicht der Wunsch, die lästigen Eindringlinge los zu werden, auf aller Lippen gelegen hätte. Walburg saß in der tiefen Fensternische ihres Gemaches und zog mit langen Stichen die Risse in den Wämsern ihrer hoffnungsvollen Sprößlinge zusammen, als Junker Veit eintrat und sich laut gähnend auf sein Lager warf. Er beschäftigte sich eine Weile damit, ein schön gesticktes Kissen auf der Spitze seines langen Dolches tanzen zu lassen, wobei es ihn wenig kümmerte, wenn dieser das Zeug durchschnitt und die Federn herausstäubten. „Ich habe es satt, hier noch länger den Tugendhaften zu spielen,“ brummte er endlich unwirsch, „die Langeweile tötet mich.“ „Besser die Langeweile, als der Hunger oder der Strang,“ versetzte seine Gattin; „du weißt am besten, wie nahe dir beides war.“ „Hexe!“ murmelte er und warf ihr einen stechenden Blick zu. „Strenge dein Hirn an, einen andern Plan auszusinnen; in diesem öden Nest mag ich nicht länger bleiben.“ „So geh deiner Wege, wohin du willst; glaubst du, Frau Kunigunde werde dich fußfällig bitten, zu bleiben? sie ist unser längst überdrüssig, und der Alte auch; deine schön aufgeputzten Lügen konnten es ihm doch nicht lange verhehlen, welch ein Erzschelm dahinter steckt.“ „Weib, reize mich nicht!“ rief Veit grollend, „ich bin nicht in der Laune für Sticheleien.“ „Nur gemach, lieber Herr,“ sagte Walburg, „seid nur nicht gleich so hitzig, sondern laßt uns vernünftig über die Sache reden; was begehrt Ihr eigentlich von mir?“ „Ich wollte dir auch raten, verständig zu sein,“ brummte er. -- „Sage deinem Alten, er solle uns ein Schlößchen geben, in dem wir unsre eignen Herren sind, -- ich bin es müde, mir jeden Trunk Wein vom alten Daniel zu erbitten.“ „Und wovon sollen wir dort leben? Willst du ein Bauer werden und die Scholle beackern, damit wir Brotkorn gewinnen?“ „Weit gefehlt! Gieb mir nur eine Landstraße zu ritterlichem Erwerb; ein einziger, glücklicher Fang eines Nürnberger Krämerzuges macht uns für viele Wochen satt.“ „Ich will es versuchen,“ sagte Walburg nach kurzem Besinnen, „aber dann gieb auch zu, daß ich dein kluges, wackres Weib bin, das du gar nicht entbehren kannst.“ „Meinetwegen,“ versetzte Veit nachlässig, „du bist die schlechteste nicht, nur deine Zunge ist allzu spitz und giftig, und das macht mich manchmal wütend; halte sie besser im Zaum.“ Die Wünsche der Rotenhahns fanden bei dem Ritter ein willigeres Ohr, als jene erwartet hatten; selbst er hatte allmählich eingesehen, daß ein längeres Zusammenleben keinem zum Heil gereichen würde. Er besaß außer Maltheim noch Hohenheiligen, dessen Flur er an Herrn Ebner verpfändet hatte, doch gehörte die alte Burg nicht in das Pfandlehen hinein. Freilich war sie in der großen Nürnberger Fehde arg verwüstet und teilweise niedergebrannt worden, aber ein Flügel stand noch und ließ sich mit geringem Aufwand bewohnbar machen. Junker Veit ritt hinüber und fand die Lage günstig; die Burg stand am Rande des Reichswaldes, der den dürren Sandboden um Nürnberg auf Meilen weit bedeckte; bis zur Heerstraße war es nur ein mäßiger Ritt. Er sah im Geiste schon die langen Warenzüge der reichsstädtischen Kaufleute dort vorübergehn und in seine Hände fallen; in bester Stimmung rüstete er sich zum Umzuge. An einem sonnigen Morgen brach die Familie mit Janko und Miklos auf, ein schwer beladener Packwagen mit dem nötigsten Hausrat begleitete sie. Der Tag ward von den Bewohnern von Maltheim als ein Freudenfest begangen, aber von niemand mehr, als von Frau Kunigunde und Ulrich. Mehr als einmal sahen sich die Mägde verstohlen lächelnd und verständnisvoll an, wenn aus dem Munde der Edelfrau, mitten unter ihren häuslichen Beschäftigungen, singende Töne hervorbrachen, als könne sie die Freude ihres Herzens gar nicht unterdrücken. Abends kam Ulrich freudestrahlend zum Ritter. „Denkt nur, Herr Vater, heute habe ich drei Spatzen im Fluge mit dem Bolzen erlegt; Lukas sagt, es sei ein Meisterschuß.“ „Sieh da, mein Knabe,“ sagte Herr Werner angenehm überrascht, „treibst du auch ritterliche Künste neben der Büchergelehrsamkeit?“ „Ei freilich, Herr Vater; ich habe mich fleißig im Schießen geübt, ich möchte alles lernen, was Euch wohlgefällt.“ „Das ist brav, mein Junge,“ versetzte der Alte und strich ihm freundlich über die langen Locken, „vergiß es nie, daß du der Sproß eines der edelsten Häuser im Frankenlande bist.“ -- So waren Ruhe und Frieden wieder in Maltheim eingekehrt, die auch der Ritter wohlthuend empfand, obgleich er nichts darüber sagte. Junker Veit ließ sich selten blicken, und wenn Walburg auch zuweilen zum Besuch herüberkam -- sie that es nur, wenn die Not sie trieb, und hatte stets eine Menge von Wünschen vorzubringen --, so ließ sich das schon ertragen, denn es war doch immer ein baldiges Ende abzusehn. [Illustration] Fünftes Kapitel. Das letzte Opfer. Über der zitternden Stadt schwingt ihre Geißel die Seuche, Folget dem Flüchtling selbst bis in das sichre Asyl. Der Sommer war vorüber, er hatte den Nürnbergern nur wenige ungetrübte Tage gebracht. Drückende Schwüle, heftige Gewitter und viel Regen hatten miteinander abgewechselt, und mühsam hatte man die Ernte von den Feldern eingebracht, die unter solchen Umständen keine reiche und erfreuliche sein konnte. Unter den wohlhabenderen Reichsstädtern war kaum einer, der nicht ein ländliches Grundstück besessen hätte, die kleineren Bürger hatten wenigstens ein Stückchen Land gepachtet oder zu eigen, worauf sie ihren Kohl und etwas Korn bauten; daher war auch in der Stadt die Mehrzahl der Einwohner an dem Ertrage des Feldbaus unmittelbar beteiligt. -- Auch der Herbst schien es nicht besser im Sinn zu haben, als der Sommer; keine Woche verging, in der nicht gewaltige Regengüsse herabgestürzt wären und die Straßen in Bäche verwandelt hätten, aus denen die großen Steine des Bürgersteiges wie Inselchen hervorguckten. Nachts ließen sich am Himmel allerlei merkwürdige Zeichen sehen, ungewöhnliche Konstellationen der Sterne, welche die Eingeweihten sehr bedenklich machen; alte, erfahrne Leute schüttelten bedeutungsvoll die Köpfe und sprachen in düsterem Prophetenton von Pestilenz und teurer Zeit, wohl gar von einem Kriege mit dem Türken. Die Erfüllung dieser bösen Anzeichen ließ auch nicht lange auf sich warten, die Preise stiegen infolge der mangelhaften Ernte sehr hoch, und im November fing man an zu munkeln, daß hier und da in den ärmeren Stadtteilen ein Fall von Pest vorgekommen sei. Man suchte anfangs diese traurige Thatsache möglichst geheim zu halten; als aber im Februar die Kälte nachließ und Tauwetter eintrat, als über dem durchweichten Erdboden eine dicke, schwere Nebelluft lagerte und giftige Dünste aufstiegen, -- da konnte kein Zweifel mehr sein: die Pest herrschte in Nürnberg und forderte täglich ihre Opfer, die sie bald nicht allein aus den Reihen der Armen und Geringen, sondern auch aus den Häusern der Reichen und Vornehmen wählte. Eines Morgens ward zu ungewöhnlich früher Stunde an die Thür des Ebnerhauses gepocht: Jungfer Magdalene Löffelholzin stand davor, ein großes Bündel im Arm; sie sah bleich und verstört aus. „Ihr bringt schlimme Kunde, Base Lene!“ rief ihr Frau Ursula erschrocken entgegen, „was ist Euch begegnet?“ „Die Pest ist bei uns eingekehrt,“ versetzte sie mit zitternden Lippen, „ich sprach gestern noch mit meiner Wirtin und gab ihr etwas zur Stärkung für ihren kranken Mann, -- heute sind beide tot, die Magd ist fortgelaufen -- mir graute in dem öden Hause -- wollt Ihr mich gütig bei Euch aufnehmen?“ „Gern, Base Lene; wie oft habe ich es Euch schon angeboten, aber Ihr wolltet ja durchaus Euer eigner Herr bleiben. Ihr wißt, Euer Stübchen oben im Giebel steht immer für Euch bereit. Legt schnell Haube und Mantel ab, ein warmes Süpplein wird Euch wohlthun.“ Eben trug die Magd die dampfende Morgensuppe auf und stellte Brot, Eier und Speck daneben; eine Glocke rief die Hausgenossen zum Frühstück zusammen. Am oberen Ende der langen Tafel saß der Hausherr, zu seiner Rechten die etwaigen Gäste, links die Kinder und die Hausfrau. Weiter abwärts schlossen sich die Schreiber und Lehrlinge der Handlung, die Knechte und Mägde des Hauses an; alle standen ehrerbietig mit gefalteten Händen hinter ihren Stühlen, bis Berthold das Gratias gesprochen und die Herrschaft sich niedergesetzt hatte. Es wurde wenig gesprochen; wen der Herr oder die Frau nicht anredete, der that seinen Mund nicht auf, aber es ward tüchtig und ohne Scheu gegessen, und die großen Schüsseln gingen fleißig von Hand zu Hand. Erst, als die Hausgenossen mit einem „Gesegne es Gott!“ sich entfernt hatten, erzählte Magdalene Herrn Wilibald, was sie so früh hierher getrieben. „Mein Haus, Jungfer Base, steht Euch allezeit offen,“ sagte er mit ernster Freundlichkeit, „aber wie lange wird es noch eine Sicherheit gegen die Seuche darbieten? Wenn es so fortgeht, muß ich die Meinen fortschicken, doch wo sie bleiben, wird es auch für Euch einen Platz geben.“ Schon nach wenigen Tagen teilte Herr Ebner seiner Gattin mit, daß er einen Boten nach dem Annenhof geschickt habe, um die alte Crescenz auf ihr Kommen vorzubereiten; sie möge so bald als möglich sich und die Kinder für eine längere Abwesenheit in Bereitschaft setzen. „Und Ihr wollt allein in der verpesteten Stadt bleiben, lieber Herr?“ fragte Ursula angstvoll; „o ich bitte Euch, kommt mit uns hinaus, ich verginge vor Angst, wüßte ich Euch hier der Gefahr ausgesetzt.“ „Ich muß als Ratsherr auf meinem Posten bleiben und in schweren Zeiten das Wohl der Stadt zu hüten suchen,“ versetzte Ebner ernst; „ich kann so wenig fort, wie ein Hauptmann sein Fähnlein in der Schlacht verlassen darf.“ Sie sah mit einem Ausdruck scheuer Ehrfurcht zu dem älteren Manne auf, der immer so hoch über ihr zu stehen schien; hätte sie nur die Arme um seinen Hals schlingen und ihm alles sagen dürfen, was sie fühlte -- aber sein kühles, gemessenes Wesen scheuchte die warme Empfindung immer unausgesprochen zurück in die Tiefen ihres Herzens. „Wer soll hier für Euch sorgen, teurer Herr?“ fragte sie niedergeschlagen, „wem kann ich das Vertrauen schenken, daß er in solcher Zeit alles Nötige für Euer Behagen thun wird?“ „Unsre alte Brigitte ist eine brave, zuverlässige Magd, sie wird es mir sicher an nichts fehlen lassen.“ „Es soll alles geschehen, wie Ihr es befehlt, lieber Herr,“ sagte Ursula nach kurzer Überlegung; „ich beuge mich Eurem Willen und Eurer Einsicht, die gewiß auf unser Bestes bedacht sind.“ „Du thust recht daran, liebes Weib,“ erwiderte er mit einem freundlichen Blick; „du kannst sicher sein, daß das Wohl meiner Familie mir bei Tag und Nacht am Herzen liegt.“ Kaum hörte Magdalene von der bevorstehenden Übersiedelung, als sie sich erbot, in der Stadt zu bleiben und Haus und Hausherrn zu versorgen. „Ihr, Base Lene, Ihr wollt bei ihm bleiben und seine Gefahr teilen,“ rief Ursula schmerzlich, „und ich, sein Weib, soll in sicherer Ferne abwarten, was ein feindliches Geschick vielleicht über ihn verhängt? wäre es nicht mein Recht, an seiner Seite auszuharren? Geht Ihr mit den Kindern nach dem Annenhof und laßt mich hier.“ „Was liegt an meinem einsamen Leben?“ fragte Magdalene wehmütig, „und wem wäre mein Tod ein unüberwindlicher Schlag? Ihr müßt Euch Eurem Gatten, Euren Kindern erhalten, Ursula, sie alle können Euch nicht missen. Ist es mir aber beschieden, der Seuche zu erliegen, so grüßt meinen Adam, wenn er zurückkehrt, und sagt ihm, ich wäre ihm treu geblieben. Vielleicht finde ich ihn schon drüben, und alles Warten und Sehnen hat dann ein Ende!“ Die nächsten Tage vergingen in eifrigen Zurüstungen; eines Morgens hielt der schwerfällige Reisewagen auf dem Hofe, alle Diener des Hauses trugen Bündel und Körbe herab, um sie aufzuladen. Zuletzt erschien Herr Wilibald mit seiner Familie; schluchzend warf sich Ursula in seine Arme: „Alle vierzehn heiligen Nothelfer sollen Euch behüten und beschirmen, mein teurer Gatte; möchten sie uns in Glück und Freude wieder zusammenführen! O, wie ist mir so bange ums Herz, als stünde uns Schweres bevor!“ „Laß uns einander nicht weich machen, liebes Weib,“ versetzte Ebner gehalten; „was geschehen muß, geschieht am besten in ruhiger Fassung. Sankt Sebald und die heilige Jungfrau mögen Euch geleiten!“ Er küßte sie auf die Stirn und half ihr in den Wagen; auch die Kinder küßte er ohne Erregung, nur sein Töchterchen Margarete hielt er einen Augenblick länger in seinen Armen, -- das sinnige, kleine Mädchen mit den ernsten grauen Augen war dem Herzen des ernsten Mannes wohl das teuerste Kleinod. „Ihr werdet mir doch fleißig schreiben?“ bat Ursula noch von oben herab. „Ich werde dir jede Woche einen Boten schicken, der dir Nachricht bringt,“ erwiderte er, knöpfte selbst den Ledervorhang fest, welcher die Öffnung schloß, und gab dem Kutscher das Zeichen zur Abfahrt. Er sah dem Wagen, dem sich zur Sicherheit einige reisige Knechte anschlossen, nach, bis er den Thorweg passiert hatte, dann ging er in sein Kontor, und niemand merkte ihm an, daß heute etwas Besonderes vorgefallen sei. Obgleich die Entfernung von der Stadt bis zum Annenhofe nur wenige Meilen betrug, so bedurfte es bei der entsetzlichen Beschaffenheit der Landstraße doch vieler Stunden, um den Weg zurückzulegen; die Reisenden waren von allen Gefahren des Umwerfens und Steckenbleibens bedroht, und Menschen und Tiere waren in einem Zustande fast tödlicher Erschöpfung, als sie endlich ihr Ziel erreichten. Frau Crescenz hatte wacker geschafft, um das bescheidene Haus zum Empfang der geliebten Herrschaft instandzusetzen; über der Hausthür prangte ein Kranz von frischem Tannengrün, sie selbst stand im Feierkleide, dem dunkelroten Faltenrock mit der großen, weißen Schürze und der gesteiften, weißen Haube, mit Hans auf den Stufen, um die Gestrenge zu begrüßen, während alle Knechte und Mägde des Hofes am Thorwege aufgestellt waren, um den Wagen feierlich bis an das Haus zu geleiten. Einige sprangen diensteifrig hinzu, um den Vorhang zu öffnen und die mehrstufige Leiter, welche von dem hohen Gefährt bis auf den Boden reichte, herabzulassen. Mühsam kletterten die Insassen, denen von der schrecklichen Fahrt noch alle Glieder zitterten, herab, nur Berthold sprang mit einem Satz zur Erde und stellte sich mit forschender Neugier vor Hans auf. „Ich bin Berthold Ebner, und du?“ „Ich bin Hans Fiedler.“ „Kannst du jagen und klettern?“ „Ei freilich.“ „Auch raufen und schlagen?“ „Wer mich schlägt, den schlage ich wieder, sonst mache ich mir nichts daraus.“ „Kennst du Wald und Flur?“ „Wie meine Tasche.“ „Dann bist du mein Mann! schlag ein, wir wollen gute Kameraden sein.“ So war die Freundschaft der Knaben schnell geschlossen. Das Haus zeigte einen einfachen, ländlichen Zuschnitt; der Luxus des städtischen Lebens mit seinen verfeinerten Ansprüchen hatte noch keinen Eingang gefunden, da die Familie des Herrn nur selten hier verweilte. Die Mitte des niedrigen Gebäudes nahm ein großer Raum ein, der sowohl als Küche, wie zum Aufenthalt diente. In einer Ecke stand der riesige Feuerherd mit dem gewaltigen Rauchfang darüber, an den Wänden lange Regale, die mit blitzend blankem Metallgeschirr, mit irdenen Tellern und Krügen besetzt waren. Der bunte Ziegelfußboden war mit hellem Sande bestreut, unter den schneeweiß gescheuerten Tischen und Bänken lagen zierlich geflochtene Matten. Ebenso sauber war das Gemach zur Rechten, das zur Aufnahme der Gebieterin und ihrer Kinder eingerichtet war. Das große Himmelbett mit den blau und weiß gewürfelten Vorhängen, der mächtige Tisch mit dem knaufigen Gestell, die großen Truhen, der schwerfällige Lehnstuhl -- das alles stammte aus alter Zeit und hatte sicher schon den Großeltern der jetzigen Besitzerin gedient, aber es war alles wohl erhalten und nicht ohne altväterische Behaglichkeit. In keinem Raume des Hauses fehlte der kleine Weihwasserkessel neben der Thür und zwischen den Fenstern ein Kruzifix oder geschnitztes Heiligenbild, das heute mit frischem Tannengrün geschmückt war. „Wie geht es deiner Afra?“ fragte Frau Ursula, als Crescenz mit Händeküssen und Versicherungen ihrer Freude kein Ende finden konnte. Die Alte fuhr mit der Schürze über die Augen: „Ach, gestrenge Frau, es ist immer in einer Weise mit ihr. In Jahr und Tag hat sie nicht zwanzig Worte mit mir oder ihrem einzigen Kinde gesprochen; sie sitzt immer da und spinnt und schlägt die Augen zu Boden, und lacht nicht und weint nicht -- es ist etwas tot in ihr oder entzwei gesprungen -- die heilige Anna mag wissen, was es ist. Was habe ich nicht geweint und gebetet, wie viel Kerzen im Annenkapellchen angezündet, wieviel Messen von Pater Anselmus lesen lassen, -- es hilft alles nichts; sie bleibt so stumm, wie sie gewesen, und schüttelt zu allem nur den Kopf, -- nicht böse oder verstockt, aber so traurig, daß einem das Herz dabei blutet. Wenn Ihr es noch versuchen möchtet, ihr zuzureden, gestrenge Frau! Euch hat sie von klein auf geliebt und verehrt, Ihr seid meine letzte Hoffnung, denn selbst der Priester vermag nichts über sie.“ „Quält das arme Weib nicht,“ sagte Ursula, ergriffen von dieser Schilderung eines tiefen Seelenleidens; „sie hat mehr Schweres erlebt, als ihr Geist zu fassen vermochte. Vielleicht senden die Heiligen einmal eine Hilfe ohne unser Zuthun.“ Das Wiedersehen mit der Jugendgespielin schien wenig Eindruck auf Afra zu machen, sie beugte sich über die dargebotene Hand, um sie zu küssen, sah aber kaum auf und spann unbewegt weiter. Nur beim Anblick der kleinen Mädchen überlief ein leises Zittern ihre Gestalt, doch nur für einen Augenblick; die runden, rosigen Geschöpfchen, die lachend umherspielten, erinnerten doch zu wenig an ihren bleichen, verlornen Liebling. Margarete aber faßte eine seltsame Zuneigung zu der stillen Frau, die immer auf derselben Stelle saß und ihr Spinnrad eintönig schnurren ließ. Oft rückte das Kind sein kleines Stühlchen nahe an Afra heran und sah ihr unverwandt zu; als es draußen zu blühen begann, brachte sie ihr Schürzchen voll Blumen, schüttete sie auf Afras Schoß und sah dabei so suchend und fragend in die gesenkten Augen, bis endlich ein Strahl der Erkenntlichkeit darin aufleuchtete. Und wenn Afra auch ihr Schweigen nicht brach, so legte sie doch mitunter ihre Hand wie segnend auf des Kindes lockiges Köpfchen, das sich so zärtlich an sie schmiegte. Das war auch ein neugeschlossener Freundschaftsbund, wennschon von ganz anderer Art, wie der der beiden Knaben. Die tobten lustig in Hof und Feld umher und fragten nicht viel nach Wind und Wetter. Für Berthold war kein Baum zu hoch, kein Bach zu breit, kein Streich zu gewagt, und Hans war ein unschätzbarer Gefährte, doch blieb er stets der Verständigere, und seine überlegene körperliche Kraft bewahrte den Gespielen vor manchem Unfall. Als die Jahreszeit vorschritt, Wind und Sonne den unergründlichen Schmutz der Landstraße zu trocknen anfingen, kam Ulrich zuweilen herübergeritten -- Burg Maltheim lag kaum eine Stunde weit vom Annenhof entfernt -- und nahm an den Spielen der beiden teil. Fand er sie nicht zu Hause, so war er auch nicht traurig, er gesellte sich gern zu Frau Ursula oder zu Margarete, die ihm besonders lieb war; ihr erzählte er allerlei phantastische Geschichten, die ihn beschäftigten, oder beantwortete die altklugen Fragen, die in dem sinnigen Köpfchen auftauchten, und freute sich, wenn die Kleine ihn mit Jubel empfing und ihm mit ernstem Vertrauen zuhörte. „Sage, Ulrich,“ fragte sie eines Tages, als beide auf den steinernen Stufen vor der Hausthür saßen und sie ihr weißes Kätzchen liebkoste, „kommen die Tiere auch in das Paradies?“ „Nein, Gretel, das kann nicht sein; da kommen nur erlöste Seelen hinein, die den rechten Glauben haben.“ „Das ist aber traurig; soll ich meine Miez und meinen Vogel dort missen? ich habe sie doch so lieb und sie mich auch.“ Ulrich schaute träumerisch vor sich hin. „Eigentlich kann es auch nicht sein,“ sagte er sinnend, „denn die Tiere können lieben und hassen, gut und böse sein, sie müssen also eine Seele haben, und eine Seele kann nicht sterben, sagt Pater Benedikt. Ja, Gretel, wenn ich’s recht bedenke, müssen die guten Tiere auch ins Paradies kommen und dort in Frieden und Eintracht miteinander leben.“ „O, das ist schön!“ rief die Kleine froh, „wo sollten auch all die lieben Hündchen und Kätzchen bleiben, die hier immer um uns sind? Aber, Ulrich,“ hob sie wieder zweifelnd an, „werden sie in dem Frieden auch recht glücklich sein? Sieh, meine Mieze ist nie so zufrieden, als wenn sie ein Mäuschen jagen und fangen kann; zuerst weinte ich darüber und wollte es ihr wehren, aber Mütterchen schalt mich thöricht und sagte, das sei Katzenart, davon könne sie nicht lassen. Wie soll es damit im Paradiese werden?“ Aus diesem Dilemma wußte Ulrich keinen Ausweg, und beide versanken wieder in tiefes Nachdenken. „Ich hab’s!“ rief Margarete plötzlich mit glänzenden Augen, „die +bösen+ Mäuschen werden ins Paradies geschickt, damit die guten Katzen sie dort greifen können; so haben sie ihren Lohn und jene ihre Strafe. Nicht wahr, Ulrich, so ist’s recht?“ „Wohl möglich, du kleine Weisheit,“ versetzte er, indem er mit aufrichtiger Bewunderung in das strahlende Gesichtchen blickte, das gespannt zu ihm aufsah; „wie kommen nur all die großen und klugen Gedanken in diesen kleinen Kopf?“ -- Ein andermal erzählte er ihr die Geschichte der Sündflut und malte ihr in den lebhaftesten Farben den Untergang aller lebenden Wesen aus, mit Ausnahme der wenigen, welche in der Arche rettende Aufnahme fanden. Die grauen Augen seiner Zuhörerin wurden immer größer vor angstvoller Spannung, endlich schimmerten sie feucht von verhaltenen Thränen. „Warum mußten denn alle die armen Menschen so grausam ertrinken?“ fragte sie. „Weil sie böse waren und den Geboten des Herrn nicht gehorchen wollten,“ erwiderte Ulrich. „Aber all die lieben, kleinen Kinderchen, die noch gar nicht gehen und sprechen konnten, die waren doch nicht schlecht und ungehorsam, warum mußten die auch ertrinken?“ fuhr Margarete in steigender Erregung fort, „warum konnten die nicht lieber in der Arche gerettet werden, statt der häßlichen, wilden Tiere, die nichts thun, als brüllen und andre auffressen?“ Ulrich sah sie ein wenig erschrocken an; seine kleine Freundin liebte es, Fragen zu stellen, auf die er schwer eine Antwort fand. „Die kleinen Kinder wären mit der Zeit auch schlecht geworden,“ sagte er etwas unsicher, „daher mußte das ganze Geschlecht vertilgt werden, das den Zorn des Herrgotts erregt hatte.“ Die Kleine schwieg eine Weile, dann sagte sie scheu und leise: „Ulrich, ist der Herrgott so zornig? Berthold sagt manchmal, unser Vater sei streng, aber der große Gott ist viel strenger, als er. Denn wenn ich mein Väterchen recht herzlich um etwas bitte, so thut er es, und er hat schon manchmal Berthold die Strafe geschenkt.“ -- Ulrich ritt in tiefen Gedanken nach Hause und überschüttete daheim Pater Benedikt mit dringenden Fragen: warum die Unschuldigen mit den Schuldigen leiden müßten, warum es in der Schöpfung so viel feindliche Gewalten gäbe, die dem Menschen Verderben brächten, und warum Gott so viel strenger sei, als irdische Väter. Der Pater gab ihm Antwort, soweit er es vermochte, aber zum Schluß sagte er ihm wieder: „Uns ziemt es nicht, nach dem Warum zu fragen, sondern im Staube anzubeten. Hüte dich, mein Sohn, daß dich der grübelnde Verstand nicht um die Seligkeit eines einfältigen Glaubens betrüge.“ Dann schwieg der Knabe, aber er hoffte im stillen auf eine Zeit, in der er auf alle seine Fragen klare Antwort erhalten würde, und immer höher stieg in seiner Seele der Durst nach Weisheit und Erkenntnis. Endlich ging auch Bertholds heißester Wunsch in Erfüllung: er durfte ein Pferd besteigen und unter Just’s Anleitung reiten lernen. Er war unendlich stolz darauf, denn er betrachtete diese Kunst als die erste Stufe zu den Heldenthaten und dem Rittertum, von denen er beständig träumte. Es war ein großer Tag für ihn, als er zum erstenmal nach Burg Maltheim reiten durfte; ganz erfüllt von den Herrlichkeiten, die er dort gesehen, kehrte er abends zurück. So müde er war, konnte er doch nicht eher die Augen schließen, bis er seinem Mütterchen alles genau berichtet hatte: die alte Ritterburg mit Graben und Zugbrücke, mit Mauern und Türmen, die große Halle mit ihren Waffen und Rüstungen, die gewölbte Bücherei mit den uralten Pergamenten, in denen die Chronik derer von Maltheim seit unvordenklichen Zeiten aufgezeichnet war, -- das alles waren für ihn die ersten greifbaren Verkörperungen seiner Ideale, die ihm bisher nur nach Erzählungen und mangelhaften Bildern vorgeschwebt hatten. „Es war alles so schön und groß,“ erzählte er in atemlosem Eifer, „aber das Allerschönste war doch die kleine Irmgard! Solch ein Kind hast du noch nie gesehen, Herzmutter! -- sie ist nicht frisch und rund, wie Grete -- nein, so zart und fein, als könnte sie davonfliegen, ihre Haare sind hell, aber nicht goldig wie die Ulrichs, oder weiß wie Elsbeths, sondern so, als ob ein Schleier darüber läge -- ähnlich wie die von Afra. Und dann hat sie so große, dunkle Augen wie -- ja, wie nur? einmal sah mich Afra ganz groß an, da sahen ihre Augen auch so aus, sonst kenne ich keine ähnlichen.“ „Ist denn Irmgard unsrer Afra ähnlich?“ „O nein, nein, wie kannst du so etwas denken? sie ist wie ein Königskind. Ich wollte, sie wäre eine Prinzessin und würde von einem Drachen bewacht, und ich wäre ein Ritter und könnte ausziehen, um sie zu befreien! Wie wollte ich mein Schwert schwingen und allen Gefahren trotzen und nicht eher ruhen, bis ich sie erlöst hätte, und die weiße Rose mein wäre! Sie ist so weiß wie Schnee, Mutter, kein Tröpflein Blut fließt in ihren Wangen.“ „Das arme Kind ist wohl krank; mir würde das nicht gefallen.“ „O Mutter, ich finde das aber schön!“ sagte Berthold, „viel schöner, als dicke -- rote -- Backen --“ und damit fielen ihm die Augen zu. -- Während der Aufenthalt auf dem Annenhof den Kindern mancherlei Freuden und Anregungen brachte, gingen für Frau Ursula die Wochen in drückender Eintönigkeit vorüber. Die einzige Abwechselung gewährte ihr der Bote aus der Stadt, der mit höchster Pünktlichkeit in jeder Woche erschien und ihr einen Brief ihres Gatten brachte. Mit peinlicher Ungeduld sah sie ihm entgegen, denn die Tage wurden ihr lang, und Sehnsucht und Sorge stiegen immer höher. Anfangs hatte der Ratsherr nicht viel Erfreuliches zu melden, die Pest forderte zahllose Opfer, und mancher, der morgens noch wohlauf war, lag abends auf der Bahre, darunter mehr als ein guter Freund des Hauses. Noch trostloser klang das, was der Knecht mündlich berichtete: viele Häuser ständen offen, weil niemand darin sei, um sie zu verschließen; still und öde wären die Straßen, auf denen nur der Priester und der Sakristan mit vermummten Gesichtern hin- und hereilten, um den Sterbenden das Sakrament zu bringen. Außer dem Meßglöcklein höre man kaum einen Laut, denn die Glocken dürften nicht mehr geläutet, und die Toten müßten bei Nacht, draußen vor der Stadt, begraben werden; überall seien auf den Plätzen große Feuer angezündet, um die Luft zu reinigen, und wenn sich zwei auf der öden Straße träfen, so eile einer ohne Gruß am andern vorüber, denn jeder fürchte, der Atem des Nachbars könne ihm Ansteckung und Verderben bringen. Aber als der Frühling vorschritt und die Nässe des Bodens austrocknete, als reinere Lüfte wehten, da schien die Gewalt der furchtbaren Seuche sich endlich zu brechen, und im April konnte Herr Wilibald der Gattin melden, daß er für einen Tag wenigstens hinauskommen dürfe, um die Seinen wiederzusehn und nach der schweren Zeit einige Stunden der Erholung zu genießen. Frau Ursula drückte das Blatt an ihre Lippen und sendete ein heißes Dankgebet zum Himmel empor; war doch die Zeit der Heimsuchung mit all ihrer tödlichen Angst glücklich vorübergegangen, hatten doch die Heiligen, die sie ohn’ Unterlaß angerufen, ihr Haus so gnädig behütet, daß keinem der Ihrigen ein Leid widerfahren war. Ganz erfüllt von Dank und Freude saß sie an einem lieblichen Abend vor der Thür des Hauses, in ehrerbietiger Entfernung stand Crescenz, mit der sie freundlich plauderte, während die kleinen Mädchen unter Obhut ihrer Wärterin in ihrer Nähe spielten. „Die Sonne sinkt,“ sagte Frau Ursula aufblickend, „es wird Zeit, die Kleinen zur Ruhe zu bringen. Wo nur die Knaben bleiben? sie sind schon stundenlang fort.“ „Sie sind in den Wald gegangen,“ versetzte die Alte, „aber seid ohne Sorge, gestrenge Frau, Hans ist verständig und weiß, daß er mit dem Abendläuten zu Hause sein muß.“ Aber der Klang der Feierabendsglocke war längst verstummt, und von den beiden war noch immer nichts zu sehen. Crescenz lief vor das Hofthor und spähte nach allen Seiten aus, und da kamen sie endlich an, atemlos und erhitzt vom eiligen Lauf, und nicht schnell genug konnten sie erzählen, was sie erlebt hatten. Sie hätten im Walde einen Wanderer getroffen, der gar müde gewesen sei und nicht weiter gekonnt hätte; Hans habe an seinen Vater denken müssen, und da habe der Mann ihn von Herzen gedauert; sie hätten ihm ein Lager von Laub und Moos zurechtgemacht und ihm vom nahen Bache Wasser geholt, denn er habe über brennenden Durst geklagt. Endlich hätten sie ihm versprochen, ihm Leute zu schicken, mit deren Hilfe er den Hof erreichen könne. Crescenz strich den beiden barmherzigen Samaritern die wirren Haare aus der Stirn und küßte die aufgerechten Gesichter mit Zärtlichkeit; sie schickte zwei Knechte hinaus, um den Fremden aufzusuchen, und bemühte sich, der Gebieterin gegenüber ganz ruhig von dem kleinen Erlebnis zu sprechen, aber in ihrem Herzen lag es wie eine dumpfe Sorge, über die sie sich selbst kaum Rechenschaft zu geben wagte. Die Knechte kamen nach kurzer Frist allein zurück und berichteten, von Grausen geschüttelt, der alten Schaffnerin, sie hätten an dem bezeichneten Platz einen Kranken gefunden, der in den letzten Zügen gelegen und bereits unfähig gewesen sei, eine Antwort zu geben; sie hätten ihn nicht berühren mögen, denn die schwarzen Flecke auf Gesicht und Händen hätten nur zu deutlich gezeigt, daß es die furchtbare Pest sei, der er zum Opfer gefallen. Crescenz bekreuzte sich in tödlichem Schrecken, denn die Berührung eines Pestkranken konnte Ansteckung und Tod bringen, und die Knaben hatten sich so viel mit dem Unglücklichen zu schaffen gemacht! Sie wagte nicht, der Ratsherrin etwas zu sagen; heimlich zog sie Berthold mit in ihr Zimmer, besprengte die Knaben mit Weihwasser, betete allerlei Segenssprüchlein über ihnen und hing jedem ein geweihtes Amulett um den Hals. Dann brachte sie die halbe Nacht auf ihren Knieen zu und flehte die heilige Anna und alle übrigen Heiligen des Himmels an, die beiden Knaben zu schützen und ihnen ihre Barmherzigkeit nicht zum Fluche werden zu lassen. Zwei Tage vergingen in gewohnter Weise, und schon fing Crescenz an, freier aufzuatmen, da kam Berthold müde und matt von draußen herein und klagte, daß der Kopf ihm schwer sei, und alle Glieder ihn schmerzten. Frau Ursula ermahnte ihn, sich ein wenig auszuruhen, er sei wohl zu toll umhergelaufen; wenn der Herr Vater käme, müsse er frisch sein, denn der sollte alle die Seinen kerngesund finden. Aber als Herr Wilibald ankam, trat ihm seine Gattin mit sorgenvoller Miene entgegen; „erschreckt nicht, mein teurer Herr,“ sagte sie mit mühsam bezwungenen Thränen, „Berthold ist unpäßlich, aber ich hoffe, es hat nichts zu sagen.“ Bestürzt eilte der Ratsherr an das Lager des Sohnes, der ihn kaum noch erkannte; seine Stirn und Hände brannten, die Augen blickten starr und trübe. Ach, Ebner kannte diese Anzeichen nur zu gut, er sah mit einem Blick, daß alle Fürsorge vergebens gewesen, daß die verderbliche Seuche auch hieher ihren Weg gefunden und sich seinen einzigen Sohn zum Opfer auserkoren habe. Er wußte auch, daß ärztliche Kunst hier ohnmächtig sei, daß unter hundert Kranken kaum einer genese! Für einen Augenblick drohte den ruhigen Mann die Fassung zu verlassen, doch bezwang er sich schnell, faßte Ursulas Hand mit festem Druck und führte sie vor die Thür hinaus. „Es ist die Pest,“ sagte er mit dumpfer, tonloser Stimme. Sie sah ihn an, als könne sie seine Worte nicht fassen, -- dann sank sie ohnmächtig in seine Arme. Er legte sie auf Afras Bett nieder und traf mit der Ruhe der Verzweiflung die nötigen Anordnungen. Berthold wurde samt seinem Lager in die große luftige Bodenkammer getragen, in der sonst niemand schlief; auf einem Kohlenfeuer wurden Myrrhen und Wacholder angezündet, deren würzigem Duft man eine heilende Kraft zuschrieb. Nur eine Wärterin durfte den Kranken versorgen, außer ihr sollte niemand den Oberstock betreten. Crescenz rang die Hände; wem sollte sie die Pflege, die so leicht verderblich werden konnte, übertragen? sie selbst konnte sie nicht übernehmen, denn sie durfte die Wirtschaft nicht verlassen. Da stand plötzlich Afra neben ihrer Mutter und gab ihr durch ein Zeichen kund, daß sie dazu bereit sei. „Du, Afra?“ rief die Alte, halb erschrocken und halb erfreut, „die heilige Anna lohne dir deinen Heldenmut und segne deine Hand, daß sie unserm lieben Junker Heilung bringe.“ Mit Innigkeit zog die stille Frau ihren Sohn, wie zum Abschied, an ihre Brust, dann stieg sie die Treppe hinauf und verschwand in der Thür, hinter der der Pestkranke lag. Mit unermüdlicher Sorgfalt versah sie bei Tag und Nacht ihr schweres Amt, kühlte die fieberglühende Stirn, netzte die brennenden Lippen und schien für sich selbst weder Speise noch Schlaf zu bedürfen. Herr Ebner war am nächsten Morgen nach der Stadt zurückgekehrt, wohin die Pflicht ihn gebieterisch rief; am fünften Tage, der in den meisten Fällen die Entscheidung zu bringen pflegte, wollte er wiederkommen. In trauriger Verfassung blieb Ursula zurück; ohne die Stütze ihres Gatten schwankte sie umher, wie ein irrer Geist, und da sie feierlich gelobt hatte, die Krankenkammer zu meiden, so brachte sie viele Stunden des Tages in der kleinen Annenkapelle zu, welche dicht vor dem Thor lag und dem Hof seinen Namen gegeben hatte. Es war ein uraltes Kirchlein im Schatten mächtiger, alter Bäume, ganz von immergrünem Epheu umsponnen, der das einzige Fenster fast verdunkelte. Die ewige Lampe, die über dem Altar schwebte und von Crescenz stets sorgfältig versehen wurde, goß nur einen Dämmerschein über das bescheidene Heiligtum aus, die Winkel blieben immer in Schatten gehüllt. Zuweilen las Pater Anselmus vom nächsten Dorf, oder Pater Benedikt von der Burg hier eine Messe; für gewöhnlich aber diente das Kapellchen nur als Stätte stiller Andacht für die Insassen des Hofes, welche die heilige Anna als ihre Schutzpatronin verehrten und besondere Berücksichtigung von ihr erwarteten. Auch am Morgen des entscheidenden Tages war Frau Ursula hierher geeilt; es litt sie in der furchtbaren Spannung nicht im Hause, doch hatte sie Befehl gegeben, ihr bei dem leisesten Zeichen eintretender Besserung sogleich eine Botschaft zu senden. Sie warf sich vor dem mit Lichtern und Kränzen geschmückten Altar auf die Kniee und erleichterte ihr bedrücktes Herz in heißem Flehen; sie gelobte der heiligen Anna eine reich gestickte Decke, einen kostbaren Altar, endlich eine neue Kapelle, wenn sie ihren Sohn vom Tode erretten wolle; sie flehte sie an, ihr ein Zeichen zu geben, daß sie ihre Bitte höre. Aber das Antlitz der Heiligen, auf das sie ihre angstvollen Blicke heftete, blieb unbewegt und lächelte unter seinem Heiligenschein, ruhig wie immer, auf die Beterin herab. Ganz erschöpft hielt Frau Ursula inne und lauschte eine Weile, ob niemand vom Hause herkomme, um ihr eine tröstliche Botschaft zu bringen, aber auch hier blieb alles leer und still. Da warf sie sich noch einmal auf die Stufen nieder, hob die Hände empor und rief mit leidenschaftlicher Inbrunst: „Heilige Anna, schenke mir meinen Sohn, meinen Liebling, und ich will ihn dem Himmel weihen ...“ „Amen!“ sagte eine tiefe Stimme. Ursula fuhr erschrocken empor; wer hatte es gewagt, ihre Zwiesprache mit dem Himmel zu belauschen? welcher Mund drückte ein Siegel auf das Gelübde, das fast unbewußt über ihre Lippen gekommen war? Sie schaute suchend umher, es war niemand zu sehen, und ehe sie noch Zeit hatte, näher nachzuforschen, ob irgend ein Mensch sich in der Kapelle verborgen habe, tönte draußen ein schneller Schritt, die Thür ward aufgerissen, -- ihr Gatte stand vor ihr. „Er ist gerettet!“ rief er, und mit einem Schrei stürzte sein Weib in seine Arme. Unter strömenden Thränen knieten beide nieder, um Gott und den Heiligen für diese Gnade zu danken, dann eilten sie mit beflügelten Schritten an das Lager des neugeschenkten Sohnes. Sah der Knabe auch bleich und abgezehrt aus, vermochte er auch vor Schwäche kaum die Hand zu rühren, so war sein Blick doch klar und hell, und mit vollem Bewußtsein lächelte er die beglückten Eltern an. Frau Ursula wußte kaum, wie sie ihre Freude und Wonne ausdrücken sollte; sie fiel Afra um den Hals und küßte sie: „habe Dank, du Treue,“ rief sie schluchzend, „und sage mir, wie ich dir deine Aufopferung vergelten kann.“ Auch der Ratsherr dankte ihr mit warmen Worten. „Durch Eure Hand,“ sagte er, „hat mir der Himmel meinen einzigen Sohn erhalten; zum Dank laßt mich für Euren Sohn sorgen. Gebt ihn uns mit nach Nürnberg, er soll in unserm Hause leben und alles mit Berthold teilen.“ Afras Seele erbebte bei diesen gütigen Worten; sollte sie ihr Letztes hingeben, den Knaben, der seines Vaters Ebenbild zu werden versprach, und ganz allein zurückbleiben? Und doch -- wie durfte sie dies Anerbieten ablehnen, das ihrem Hans eine tüchtige Erziehung sicherte; was konnte sie in ihrer Armut und Hilflosigkeit thun, um ihm einen ehrenvollen Weg durch das Leben zu bahnen? Es mußte sein, auch dieses Opfer mußte gebracht werden; tief neigte sie ihr Haupt hinab und küßte in schweigender Zustimmung die Hände, die ihrem Kinde so Großes darboten. Wenige Wochen später nahm die Ebnersche Familie Abschied vom Annenhofe und kehrte nach der Stadt zurück, wo die Seuche völlig erloschen war und ein schönerer Sommer, als der vorige, die Gräber mit Grün und Blumen verhüllte. Hans begleitete sie und ging, nach Kinderart, den neuen Verhältnissen mit freudiger Erwartung entgegen. Die alte Crescenz aber blieb in tiefem Kummer zurück; das Haus kam ihr leer und öde vor, als das fröhliche Völkchen daraus verschwunden war, und täglich weinte sie heiße Thränen um ihren lieben Hans, den ihr großmütterliches Herz so fest und zärtlich umschlossen hielt. Afra weinte nicht, aber ihr Antlitz wurde noch starrer, als zuvor; -- sie fühlte sich grenzenlos elend und verlassen. [Illustration] Sechstes Kapitel. Die Kapelle der heiligen Anna. Unverletzliche Treue! Dir naht sich die seligste Stunde, Da, was das Herz sich ersehnt, endlich das Auge erschaut! Muhme Lene wanderte mit den beiden Knaben durch die Straßen, um Hans alle Merkwürdigkeiten seiner neuen Heimat zu zeigen, und Berthold brannte, mit dem ganzen Stolze eines echten Nürnberger Kindes, darauf, das überwältigte Erstaunen seines Gefährten zu sehen, der eben frisch vom Lande kam und seine schöne Vaterstadt noch gar nicht kannte. Doch fand er sich einigermaßen enttäuscht, denn in Hans erwachte das schlummernde Andenken an das reiche Lüttich; er verglich beständig, was er hier sah, mit den Bildern seiner Erinnerung und befand sich oft im Streit mit Berthold, welche Stadt die schönere sei. Sie hatten jetzt den Markt erreicht, „solch einen Brunnen hast du sicher in Lüttich nicht gesehen,“ rief Berthold triumphierend, „denn selbst der Kaiser hat gesagt, daß er ein unerreichtes Meisterwerk sei.“ Und halblaut sang er dazu: „Am Markt zu Nürnberg steht ein Bronn’; So weit, als leuchten mag die Sonn’, Find’t man desgleichen nicht.“ Ein zierliches Türmchen von ansehnlicher Höhe, mit Bögen und Giebeln von kunstreich durchbrochener Arbeit, von vielen Bildsäulen umgeben, die lauter Heldengestalten darstellen, ragt über dem Becken empor. Magdalene machte Hans mit liebevollem Eifer auf alle Einzelheiten aufmerksam, und der Knabe erfaßte alles mit bewunderndem Blick. Da hob die Uhr auf der nahen Frauenkirche zum Schlagen aus, und Berthold drängte dorthin, um das „Männleinlaufen“ nicht zu versäumen. Das war ein kunstvolles Uhrwerk über der Eingangsthür, welches zu jeder Stunde eine Menge bunter Figuren in Bewegung setzte. Auf einem Thron sitzt der Kaiser in vollem Ornat; ein Herold erscheint, gefolgt von vier Posaunenbläsern, denen sich die sieben Kurfürsten mit den Reichskleinodien anschließen. Alle bewegen sich langsam vorwärts; vor dem Throne angekommen, setzen die Bläser ihre Instrumente an den Mund, die Fürsten nehmen die Hermelinmützen ab, hinter dem Kaiser aber steht der Knochenmann und schlägt mit der Sense die Stunden an die Glocke. Als das Kunstwerk mit der Vollendung des Glockenschlages wieder zur Ruhe gekommen war und Hans seine Bewunderung gebührend ausgesprochen hatte, gingen die drei weiter, überschritten die Königsbrücke, welche über die gelblichen Fluten der Pegnitz führt und standen nun vor dem höchsten Stolz aller Nürnberger, dem herrlichen Lorenzmünster, der mit seinen beiden goldgedeckten Türmen bis in den Himmel zu ragen scheint. Reiches steinernes Bildwerk umrahmt den Eingang; innen vereinigen sich die Bogen der himmelanstrebenden Pfeilerreihen wie zu einem Laubengange, dessen Ende der staunende Blick kaum ermißt. Durch die schön gemalten Fenster warf die Sonne schimmernde, wie Rubinen und Saphire glänzende Lichter in die heiligen Räume und beleuchtete das neue Schnitzbild von Veit Stoß, der englische Gruß genannt. Auf einem Throne sitzt Gott Vater mit Krone und Scepter in göttlicher Majestät, und seine Strahlen senken sich nieder auf die betende Jungfrau, welche die Botschaft des Engels mit Freude und Schrecken vernimmt. Ein Kranz von Blumen und Blättern in unendlich zierlicher Arbeit schlingt sich um die Figuren und schließt das Ganze wie ein Rahmen ab. Wie geblendet wandelte Hans umher; „wer auch so Schönes erdenken, so Erhabenes schaffen könnte,“ sagte er aus tiefster Seele; „ich wollte, ich könnte ein Künstler werden!“ Hatte das Staunen seines Gefährten Berthold zuerst nicht befriedigt, so wurde er jetzt ungeduldig, als jener mit Schauen und Bewundern kein Ende finden konnte; fehlte ihm selbst doch jener künstlerische Blick, jenes tiefere Gefühl für das Schöne, die Hans als ein altes Erbteil seiner Familie überkommen hatte, und die jetzt zuerst zu vollem Bewußtsein erwachten. „Ich meine, Sankt Sebald lassen wir für ein andermal,“ schlug Berthold vor, „und gehen nun zu Meister Andreas. Ich bin gar zu neugierig, was der Alte sagen wird, wenn wir ihm einen Fiedler ins Haus bringen.“ Die andern waren damit zufrieden, und so schlugen sie den Weg nach dem Hundsgäßlein ein. Unterwegs machte Magdalene Hans auf vieles aufmerksam, hier auf ein mächtiges Warenhaus, dort auf ein buntes Kirchenfenster, auf das Steinpflaster in einigen Straßen und die Laternen, welche an den Ecken quer über den Weg hingen -- zwei Einrichtungen, welche Nürnberg vor andern Städten damaliger Zeit voraus hatte --; mit allem war der Name Tucher eng verbunden. „Die Tuchers,“ sagte sie, „sind seit alten Zeiten treue Söhne ihrer Vaterstadt gewesen und haben ihr ihre besten Kräfte gewidmet. Zwar haben sie viel Handel nach Welschland und den Niederlanden getrieben und dort auch Niederlassungen gegründet, aber im Herzen blieben sie stets echte Nürnberger. Meine Mutter war auch eine Tucherin,“ setzte sie mit bescheidenem Stolze hinzu. „Wie kommt es nur, Muhme Lene,“ fragte Berthold; „daß so viel von den Tuchers, und so wenig von den Ebners die Rede ist? Haben die Vorfahren meines Vaters sich denn gar nicht ausgezeichnet?“ „Der Herr Vater ist kein Nürnberger Kind; er ist aus Ulm zugewandert,“ war die Antwort. „Da aber dein Großvater keinen Sohn hatte und Herr Wilibald in allen Stücken seine rechte Hand war, so wurde, er, mit Zustimmung des weisen Rates der Stadt, in alle Rechte eines Sohnes eingesetzt. Daher ist er auch Ratsherr geworden, was sonst einem Zugewanderten nicht gewährt wird.“ Sie pochten jetzt an die Thür des Fiedlerhauses, und Frau Eva öffnete. „Es ist Junker Berthold!“ rief sie freudig, „Gott willkommen, liebes Junkerlein, und dem Herrn sei Dank, der Euch vom Tode errettet hat!“ Auch Meister Andreas empfing den Knaben mit herzlicher Freude und drückte Magdalenen wie einer vertrauten Freundin die Hand. „Und wen haben wir hier?“ fragte er, auf Hans deutend. „Das sollt Ihr einmal raten, Meister,“ rief Berthold fröhlich, „wir sagen’s Euch nicht. Es ist mein Kamerad, der mit mir bei Latein und Mathematik leiden soll, -- aber Euch geht er noch näher an.“ „Uns?“ fragten die beiden Alten erstaunt, „redet deutlicher, lieber Junker.“ „So seht ihn doch nur an, Mutter Eva; findet Ihr nicht eine wunderbare Ähnlichkeit mit Eurem Meister an ihm?“ Frau Eva betrachtete ihn aufmerksam. „Wahrhaftig, Alter, er hat deine Augen, die guten, ehrlichen Fiedleraugen, und es liegt etwas in seinem Gesicht ....“ „Ich bin auch ein Fiedler,“ sagte Hans, „der Sohn von Meister Matthias, dem Goldschmied.“ Der Alte breitete seine Arme aus. „Komm an mein Herz, mein Junge,“ sagte er mit warmer Freundlichkeit, „und sei mir tausendmal willkommen! Dein Vater war mein Brudersohn und ein lieber, braver Geselle. Sieh, Eva, da führt uns der Herr noch am Abend meines Lebens einen Menschen von meinem Fleisch und Blut zu, dem ich die alten Fiedlerschätze hinterlassen kann. Es hat mich immer schon gewurmt, daß sie in fremde Hände fallen sollten!“ -- In kurzer Zeit war Hans völlig in sein neues Leben eingeführt; sein heitres Wesen, sein dankbares Bestreben, sich für die ihm erwiesene Güte erkenntlich zu zeigen, gewann ihm schnell alle Herzen. Die Töchter des Hauses konnten sich keinen besseren Gespielen wünschen, denn er war stets bereit, ihre kleinen Wünsche zu erfüllen, ihren Puppen mit geschickten Händen neue Köpfe und Füße anzusetzen, oder ihnen Blumen zu holen, die weit vor dem Thor wuchsen. Der Ratsherr hatte einen älteren Bacchanten ins Haus genommen, welcher die Knaben in Latein und allem Wissenswerten unterrichten sollte; derselbe fand es schwer, Berthold zu fesseln, dem die Grammatik bald ein Greuel wurde, und der sich nur für Kriegs- und Heldenthaten begeisterte, während Hans treu und fleißig lernte und seinem Lehrmeister wenig Schwierigkeiten bereitete. Seine schönsten Stunden aber waren die, welche er bei Meister Andreas verlebte; so oft er konnte, eilte er dorthin, wo er stets wie ein lieber Enkel empfangen wurde und die Herzen der beiden Alten durch seine kindliche Anhänglichkeit labte. Nie wurde er müde, die vielen Bilder zu betrachten und nachzuzeichnen, und keine größere Freude konnte ihm der Oheim machen, als wenn er ihm sagte, daß er gute Anlagen besäße und auch einmal ein Meister werden könne. Oft versenkten sich beide in Betrachtung der alten Fiedlerschätze, die Andreas wie wahre Heiligtümer bewahrte. Da war zuerst eine uralte Fiedel von einfachster Form, auf welcher die Jahreszahl 1220 eingeritzt war, die stammte von jenem berühmten Spielmann, von dem noch manches Lied im Munde des Volkes lebte, von jenem Friedel, den sie einst den Sänger Barbarossas genannt hatten; dann war da ein goldnes Gnadenkettlein, das hatte weiland Kaiser Friedrich der Zweite jenem nämlichen Sängerfriedel als Zeichen seiner Gunst geschenkt. Auch manch kunstreiches Schnitzwerk war vorhanden, das aus alter Zeit stammte und von irgend einem Fiedler gefertigt war, -- denn die ganze Familie hatte sich durch eine geschickte Hand ausgezeichnet, daneben aber auch eine besondere Freude an Musik und Gesang bewahrt, weshalb sie auch den Namen Fiedler angenommen hatte. -- Während zu dieser Zeit das Leben im Ebnerhause so ruhig verlief, daß auch nicht ein Wellchen die glatte Oberfläche zu kräuseln schien, gab es doch ein Wesen darin, welches sich bei Tag und Nacht in geheimer Unruhe verzehrte, -- und das war Frau Ursula. In der ersten Zeit nach Bertholds Genesung hatte sie nichts empfunden, als Wonne und Glückseligkeit; ihr ganzes Sein erhob sich in einem steten Dankgebet zu Gott und der heiligen Anna, welche so Großes an ihr und ihrem Hause gethan. Mit wahrer Herzensfreude hatte sie die kleine Kapelle ausgeschmückt; verbot deren ehrwürdiges Alter auch durchgreifende Veränderungen, so legten doch die prachtvolle Altardecke und die silbernen Leuchter zu beiden Seiten des Bildes ein beredtes Zeugnis von der Dankbarkeit der Geberin ab. Als Pater Anselmus eine feierliche Messe darin abhielt, und danach die gesamten Bewohner des Annenhofes, samt einer großen Anzahl von Armen der Umgegend, gespeist und reich beschenkt wurden, da hatte Frau Ursula das Gefühl, daß sie alles gethan habe, was die Heilige von ihr erwarten könne. Aber nun regte sich eine Stimme in ihrem Innern, welche ihr, erst leise und undeutlich, dann aber immer lauter und dringender zurief, daß sie die Hauptsache noch unausgeführt gelassen habe, daß sie den Himmel um eine ihm angelobte Seele betrügen wolle. Oft fuhr sie in der Stille der Nacht von ihrem Lager empor, weil mit entsetzlicher Deutlichkeit ihre eignen Worte: ich will ihn dem Himmel weihen! an ihr Ohr schlugen. Sie mußte es wohl, daß dieselben nur eine Auslegung zuließen; der Himmel hieß -- das Kloster, und bei diesem Gedanken überlief ein kalter Schauder ihre Glieder, sie streckte abwehrend die Hände aus, als müsse sie ein Schreckliches von sich und ihrem Erstgebornen fernhalten. Nein, es konnte nicht sein! so Unmögliches konnten die Heiligen nicht verlangen. Sie wußte ja selbst nicht recht, welch ein Leben sie für Berthold erwarte; sein Sehnen und Streben stimmte mit dem Willen seines Vaters gar nicht zusammen, und sie hatte bisher nicht einmal den Mut gehabt, ihn ernstlich auf seine Bestimmung zum Kaufmann hinzuweisen. Doch hätte dieser Beruf ihn wenigstens in die Welt hinausgeführt, in die stete Gesellschaft der Menschen; er schloß Lebensfreude und Genuß nicht aus, wenn er auch strenge Arbeit und Hingabe verlangte. Sie wollte sich von nun an bemühen, ihn mit den Wünschen seines Vaters auszusöhnen, ihm die ritterlichen Träume auszureden; in einem Augenblick kam ihr dies schon wie ein verdienstliches Werk vor, -- aber im nächsten tönte plötzlich jenes dumpfe „Amen“ in ihrer Seele wieder und flößte ihr neue Angst ein. War irgend ein Mensch Zeuge ihres übereilten Gelübdes gewesen, oder hatte der Himmel selbst sein „Ja“ dazu gesprochen? In dieser Gewissensqual, die sie weder ihrem Gatten, noch ihrem Beichtvater anzuvertrauen wagte, fiel ihr Meister Andreas Fiedler ein, von dessen reiner Frömmigkeit Magdalene so viel zu rühmen wußte, dessen Wesen auch auf sie selbst einen tiefen Eindruck gemacht hatte. Ihm wollte sie den Fall vorsichtig vortragen und seine Meinung hören; vielleicht würde er ihn vorurteilsfreier ansehen, als mancher andre. An einem Sonntag-Vormittag, als die Ihrigen in der Kirche waren, eilte sie dem kleinen Hause zu. Der alte Meister saß, wie sie erwartet, allein in seinem Lehnstuhl, das offne Evangelienbuch vor sich; er sah so fromm und friedlich aus, daß sie sich innerlich gelobte, seine Ansicht für Wahrheit anzunehmen. „Gott grüß’ Euch, Meister,“ sagte sie herzlich, „mich hat es recht verlangt, ein Wort mit Euch zu reden.“ „Geruht Euch zu mir zu setzen, ehrsame Frau,“ versetzte er mit liebreicher Höflichkeit; „ich freue mich, Euer gütiges Antlitz wiederzusehen.“ Sie redeten eine Weile über dies und das, bis Frau Ursula plötzlich anfing: „Was haltet Ihr vom Klosterleben, lieber Meister? ist es wirklich der sichre Friedenshafen, als den es uns die frommen Väter so gern schildern, oder findet man dort auch nicht den Himmel auf Erden?“ „Ich habe Klosterleute beiderlei Geschlechts gesehen,“ versetzte der Alte, „welche vom Himmel sicher viel weiter entfernt waren, als manche fromme Laien; andre dienten ihrem Gott in unverfälschtem Glauben und reiner Heiligkeit. Das Kloster ist so wenig der Himmel, wie die Welt die Hölle: erst der Mensch macht beides dazu, je nachdem er gut oder böse ist.“ „So meint Ihr, man könne ein Kind dem Himmel weihen, ohne es ins Kloster zu bringen?“ „Sicher, werte Frau; lehrt es nur Gott vor Augen und im Herzen haben, weis’t es hin auf das selige Paradies, das unser Heiland uns erworben, und lehrt es jede Sünde fliehen, die es dafür untüchtig macht, -- und seid gewiß, Ihr werdet seine Seele sicherer dem Himmel weihen, als wenn Ihr es wider seine Neigung zum Mönch oder zur Nonne machen wolltet. Seht, ich hatte selbst ein teures, einziges Kind, meine Hedwig -- die glaubte, als ihr die liebste Hoffnung scheiterte, sie könne das Leben in der Welt nicht mehr ertragen und müsse ins Kloster fliehen, um dort den Frieden zu finden. Sie fand ihn auch, -- aber er lag nicht fertig auf der Schwelle, wie sie gewähnt hatte, sondern sie mußte ihn mühsam erringen in Kampf und Gebet. Und als es mit ihr zum Sterben kam, da ließ sie uns rufen und sagte: ‚Vater, Mutter, vergebt mir, daß ich Euch eigenwillig verließ; ich habe zu spät erkannt, daß ich einen Irrtum beging, daß ich den Frieden, der im Glauben und in der Ergebung liegt, auch bei Euch hätte finden können.‘“ Der alte Mann hatte sein Haupt bei der schmerzlichen Erinnerung gesenkt, ein paar Thränen fielen auf die gefalteten Hände herab. Frau Ursala war tief gerührt, aber noch mehr erhoben und getröstet. „Habt Dank!“ sagte sie warm, indem sie ihm beide Hände reichte, „Ihr habt mir unendlich wohlgethan, lieber Meister. Der Himmel segne Euch und erhalte Euch Euren reinen Glauben!“ Sie ging nach Hause, ihre Schritte waren beflügelt, sie trug ihr Haupt höher, eine Centnerlast war von ihrer Seele genommen. Fortan sollte keine Sorge mehr ihren Frieden stören; sie wollte nicht allein Berthold, sondern alle ihre Kinder in der Art dem Himmel weihen, wie es Meister Andreas sie gelehrt hatte, und so ihr Gelübde überschwenglich erfüllen. Und noch eins wollte sie thun: sie hatte der heiligen Anna eine neue Kapelle gelobt, jetzt wußte sie, wo sie dieselbe bauen lassen wollte. Der Rat hatte in der Zeit, als die Pest wütete, verboten, die Toten noch ferner innerhalb der Mauern zu begraben; es war ein neuer Friedhof vor dem Tiergärtner Thor geweiht worden, der fortan als allgemeine Ruhestätte dienen sollte. Doch war man bei der großen Menge auf heftigen Widerstand gestoßen, und es hatten sich alle Gutgesinnten, denen das Wohl der Stadt am Herzen lag, die Aufgabe gestellt, den neuen Johanniskirchhof aufs schönste auszustatten, um so das Vorurteil zu besiegen. Es fiel Frau Ursala nicht schwer, ihren Gatten für ihren Plan zu gewinnen; er liebte es, seinen Reichtum zu entfalten und zum allgemeinen Besten anzuwenden, nur fehlte es ihm, unter den tausend Geschäften, die der ausgedehnte Handel seines Hauses mit sich brachte, oft an Zeit und Gedanken dafür. Doch war er gern bereit, eine Versammlung der besten Kunsthandwerker Nürnbergs in sein Haus zu berufen, um den Plan der Kapelle mit ihnen zu besprechen. Um den großen Tisch im Wohnzimmer waren bald darauf die hervorragendsten Meister der Stadt vereint. Da war Michael Wohlgemuth, der die besten Gemälde in Nürnberg fertigte, -- denn der, welcher einst sein Schüler werden und seinen Ruhm tief in Schatten stellen sollte, Albrecht Dürer, lag noch als kleines Kindlein in der Wiege --; Peter Vischer, der treffliche Rotgießer, der schon manches schöne Werk geschaffen hatte; Veit Stoß, der geschickte Bildschnitzer, von dem der englische Gruß in der Lorenzkirche herrührte; Sebastian Lindenast, der kunstreiche Verfertiger des Männleinlaufens; Veit Hirschvogel, der Glasmaler, der die Kirchen mit köstlichen Fenstern schmückte, und andre; nur der eigentliche Baumeister war ausgeblieben. Während Herr Wilibald seine Absichten entwickelte, Frau Ursula hin und wieder ein bescheidenes Wörtchen einwarf, und die Anwesenden ihre Ideen aussprachen, war Magdalene draußen beschäftigt, einen Imbiß vorzubereiten, denn es war anzunehmen, daß nach vollendeter Beratung jeder einen rechtschaffenen Hunger und Durst empfinden werde. Der Diener Just meldete ihr, daß ein Mann sie zu sprechen wünsche. „Mich?“ fragte sie erstaunt, „habt Ihr auch recht gehört? wer ist es?“ „Er ist mir ganz fremd, ein hoher schlanker Mann mit langem, dunklem Bart; er trägt sich anders, als die Leute hier pflegen.“ Magdalenens Herz wallte hoch auf -- sollte endlich die lange und heiß ersehnte Stunde gekommen sein? „Führt ihn zu mir auf den Vorsaal,“ sagte sie gepreßt; sie mußte sich an einem Stuhl festhalten, denn sie zitterte an allen Gliedern. Der Fremde stieg die Treppe herauf; jetzt stand er vor ihr; einen Augenblick betrachtete er sie prüfend, dann breitete er seine Arme aus. „Meine Magdalene,“ rief er, -- und der eine Laut sagte ihr alles, zwanzig Jahre des Harrens waren in einem Moment ausgelöscht, sie schluchzte nur: „Adam!“ und sank halb ohnmächtig an seine Brust. Wenige Minuten später that sich die Thür zum Versammlungszimmer auf; mit einem Ausdruck des Glücks, welcher ihre ganze Erscheinung verjüngte und verschönte, trat Magdalene ein, Adam an der Hand führend. „Verzeiht, liebe Herren, wenn ich Euch unterbreche,“ sagte sie mit leuchtendem Blick, „aber hier ist einer, der bei Eurem Werk auch wohl ein Wörtchen mitreden dürfte, und dessen Rat Ihr nicht verschmähen werdet. Adam Krafft ist wiedergekehrt!“ [Illustration: Adam Kraffts Heimkehr.] Alle sprangen von ihren Sitzen auf, staunend umringten sie den Ankömmling, der den meisten von ihrer Jugend her bekannt war, an dessen Wiederkehr aber keiner mehr geglaubt hatte, als das eine treue Herz seiner Braut. „Wo habt Ihr so lange verweilt? -- was hat Euch all die Jahre zurückgehalten? -- wo kommt Ihr plötzlich her?“ so hieß es von allen Seiten. „Setzt Euch und berichtet uns, wie es Euch ergangen ist.“ Es war eine traurige Geschichte, die Adam zu erzählen hatte. Anfangs zwar war ihm alles herrlich geglückt; von einem Meister an den andern empfohlen, von der Lust, zu schauen und zu lernen, immer weiter gelockt, hatte er schöne Jahre in Deutschland und Italien verlebt und manchen reichen Verdienst eingesammelt, der ihm das künftige Haus sollte bauen helfen. In Neapel hatte er kehrt machen wollen, ein Schiff sollte ihn bis Genua führen, und Wind und Wellen schienen dem Streben seiner treuen Liebe hold zu sein. Aber plötzlich erhob sich ein Unwetter, die Masten mußten gekappt werden, ein Sturm trieb das steuerlose Schiff an ein fremdes Gestade, und an dem schlimmen Empfang, den sie dort fand, erkannte die unglückselige Mannschaft, daß sie in die Hände des heidnischen Herrschers von Tunis gefallen sei. Viele Jahre hatte Adam dort als Sklave die niedrigsten Dienste verrichten und endlich Steine zum Bau eines Tempels heranschleppen müssen. Er erkannte mit verständnisvollem Blick, daß das Gebäude übel angelegt sei, und warnte den König und den Baumeister vor den Folgen. Man strich ihn für seine Dreistigkeit mit Ruten; als aber bald darauf sein Wort in Erfüllung ging und der Tempel zusammenstürzte, da gedachte der König seiner Warnung und befahl ihm, ein neues Bauwerk zu errichten. Er that es, und sein Lohn war die Freiheit, doch ward er ohne Habe bei Genua ans Land gesetzt, und mühsam hatte er von dort aus seinen Weg bis zur Heimat zurückgelegt. Nun war er nach zwanzigjähriger Abwesenheit wieder in seiner lieben Vaterstadt angelangt, -- aber arm, wie er gegangen; nur seine gesunden Arme hatte er mit heimgebracht, einen Kopf voller Pläne und Entwürfe und seine unveränderte Liebe für seine Magdalene. Wie ein Lauffeuer ging die Kunde von Adam Kraffts Heimkehr durch die Stadt, alles drängte sich hinzu, um ihn zu begrüßen und Jungfer Magdalene zu beglückwünschen. Wie viele Scheltworte hatte sie um ihrer Hartnäckigkeit willen hinnehmen müssen! wie oft hatten sich Witz und Spott an ihrer hoffnungslosen Treue versucht! Sie hatte sich durch das eine so wenig irre machen lassen, wie durch das andre, und ließ sich auch jetzt nicht dadurch anfechten, daß Adams Armut ihre Vereinigung mit ihm ins Ungewisse hinausrückte. Aber hier zeigte sich der Geist der Nürnberger im schönsten Licht: Adam, hieß es, sei ein echter Sohn der Stadt, und ein Sohn dürfe nichts dagegen einwenden, wenn die Eltern ihn ausstatteten. Von allen Seiten trug man ihm Geschenke zu, der eine brachte Geld, der andre Hausrat, und Adam dachte zu groß, um sich solcher Liebe zu schämen. Er kaufte ein freundliches Häuschen, richtete es mit dem Notdürftigsten ein und bat Magdalene, seine Hausfrau zu werden. Im Herbst ward die Hochzeit gefeiert, die ganze Stadt nahm den herzlichsten Teil daran. Herr Wilibald Ebner übertrug ihm den Bau der Kapelle, den er aufs glänzendste ausführte; er bewies sich dadurch als ein trefflicher Baumeister und hervorragender Steinmetz, dem es fortan an Bestellungen nicht fehlte. Der Name Adam Krafft strahlte von da an als heller Stern am künstlerischen Himmel von Nürnberg. Frau Ursulas liebster Gang führte sie fortan zur Kapelle der heiligen Anna auf dem Johanniskirchhof; dort betete sie oft für ihre Kinder und mit ihnen und erneuerte den Entschluß, sie in treuer Sorge für den Himmel zu erziehen. Sie ließ es sich jetzt angelegen sein, Berthold für der Stand seines Vaters zu bestimmen, und so sehr er auch anfangs widerstrebte, so fand er sich doch allmählich in den Gedanken, schon um seiner Mutter willen, an der er mit schwärmerischer Liebe hing. Wie keck und übermütig er auch oft sein mochte -- +ein+ bittendes Wort von ihr, +ein+ vorwurfsvoller Blick genügte, um seiner mutwilligen Laune eine Schranke zu setzen und ihn zu liebevollem Gehorsam zurückzuführen. So vergingen einige Jahre in stillem Frieden, und wenn Frau Ursula auch zuweilen darüber seufzte, daß ihr Gatte so wenig Zeit für sie und die Kinder übrig habe, wenn sie auch mitunter wünschte, er möchte aufgeschlossner, vertrauensvoller sein, so sah sie diese Entbehrungen doch als die unvermeidlichen Schwächen an, die jedem Erdenlose anhaften, und betrachtete sich als eine glückliche Frau und reich gesegnete Mutter, denn ihre Kinder erblühten neben ihr, frisch und schön, wie die Rosen. [Illustration] Siebentes Kapitel. Das Strafgericht der Stadt. Räuberischer Gesell, du Zerrbild christlichen Adels, Trotzest du heut’ dem Gesetz, einmal bezwingt es dich doch! In der Hausflur des Ebnerschen Hauses drängte sich ein Haufe Menschen, Männer, Frauen und Kinder, in dürftiger bäuerlicher Tracht. Ihr Aussehen bezeugte deutlich, daß sie zu den Mühseligen und Beladenen gehörten, denn alle Gesichter hatten einen Ausdruck des Leidens, der bei den einen mehr in stumpfes Dulden, bei den anderen in verbissenen Groll überging. Justus hatte vergebens versucht, die Leute hinauszudrängen, sie widerstanden ihm mit ruhiger Hartnäckigkeit und erklärten, nicht vom Platze weichen zu wollen, bis sie den Ratsherrn gesprochen hätten. Endlich öffnete sich eine Thür, und Herr Wilibald Ebner erschien auf den Stufen; alles stürmte auf ihn zu, und alle Stimmen riefen auf einmal: „Helft uns, rettet uns! Habt Erbarmen, übt Gerechtigkeit!“ Der Kaufherr hob die Hand auf. „Schweigt!“ sagte er in ernstem Ton, und in seiner Haltung, wie in dem Klange seiner Stimme lag etwas Gebietendes, das sich sofort Gehorsam erzwang. „Einer rede und sage mir in kurzen Worten Euer Begehr. Sprich du, Freund, was führt Euch zu mir?“ Der Angerufene, ein älterer Mann von ehrbarem, aber unendlich niedergedrücktem Wesen, trat einen Schritt vor. „Herr,“ begann er kummervoll, „wir sind Einwohner des Dorfes Hohenheiligen und bitten Euch um Schutz gegen unsere Bedränger. Junker Veit von Rotenhahn, der die alte Burg bewohnt, behandelt uns wie Feinde; er raubt uns unser Vieh, verwüstet unsre Felder, schlägt unsre Kinder .....“ „Mir hat der Teufel, der schwarze Janko, die einzige Kuh von der Weide getrieben,“ rief eine Stimme dazwischen -- „Mir haben die kleinen Junker die Gänse gestohlen,“ schrie eine andre -- „Mir hat der lahme Miklot meine Tochter entführt und zum Dienst auf der Burg gepreßt, wo sie mehr Schläge erhält als Essen“ -- „Uns haben sie das Heu von der Wiese genommen“ -- „Uns das Getreide vom Felde gefahren“ -- -- Die Klagen wollten kein Ende nehmen. Wieder erhob Herr Wilibald die Hand und gebot Schweigen; wieder nahm der erste Sprecher das Wort. „Als wir uns bei dem Junker Veit selbst über das Treiben seiner Knechte und seiner wilden Söhnlein beschweren wollten, warf er einen unsrer Boten ins Verließ, wo weder Sonne noch Mond hinscheint, die andern ließ er vom Hofe peitschen. Dann gingen wir zum Ritter nach Maltheim, wo seit der Väter Zeiten unsre Herren gesessen, -- aber er sagte uns, er habe Dorf und Flur Hohenheiligen an Euch, Herr, verpfändet und während der Pfandzeit könne er nichts für uns thun. So sind wir zu Euch gekommen, gestrenger Herr; nehmt Ihr Euch unserer Not an! wahrlich, wir sind des Lebens satt und müde, denn es ist, als säße der leibhaftige Teufel mit seinen Helfershelfern über uns und plagte uns schier zu Tode!“ Herrn Ebners Stirn zog sich in dunkle Falten, unwillkürlich ballte sich seine Hand, doch bewahrte er äußerlich seine Ruhe und sprach nach kurzem Bedenken: „Ich gehe eben in die Ratssitzung; drei von Euch mögen mich begleiten, um Eure Klagen vor dem wohllöblichen Rat der Stadt vorzubringen; ich, als Einzelner, vermögte Euch wenig zu helfen. Die andern mögen sich auf dem Hofe niedersetzen, meine Hausfrau wird sie mit Speise und Trank erquicken. Dann aber geht ruhig Eures Weges und erwartet in Geduld das weitere.“ Diese Entscheidung wurde mit einem beifälligen Gemurmel aufgenommen; der Haufe, der vom weiten Wege müde und hungrig war, lagerte sich im Schatten des alten Nußbaums, der seine grünen Zweige freundlich über die Armen und Elenden ausbreitete. Nach einiger Zeit erschien Frau Ursula mit den Töchtern zur Seite und zwei Mägden hinter sich, welche große Schüsseln dampfenden Mehlbreis, Brot, Käse und Wurst trugen. Die Hausfrau selbst leitete die Verteilung und sah zu, daß niemand zu kurz käme; besonders auf die Kinder hatte sie ein gütiges Auge, und es rührte sie, zu sehen, mit welchem heißhungrigen Lächeln sie zulangten und sich die gute Kost schmecken ließen, die für sie ein seltener Leckerbissen war. Mit freundlicher Herablassung sprach sie mit den armen Weibern und ließ sich die Geschichte ihrer Leiden erzählen, die ihr tief zu Herzen ging; es war ein erschütterndes Bild täglich wiederholter Plagen, welche diesen unterdrückten Menschen jede Lebensfreude verkümmerten, ja, ihrem elenden Dasein jede Sicherheit entzogen. So sehr hatten sich im Laufe der Jahrhunderte die ländlichen Verhältnisse verändert, daß die ehemals freien Bauern, welche mit Freude und Selbstbewußtsein ihren Acker bauten und die Früchte ihres Fleißes genossen, fast ausnahmslos zu rechtlosen Leibeigenen herabgedrückt und unter die Knechtschaft der adligen Herren gestellt worden waren. Die Zeit war nicht mehr fern, in der der tiefe Groll, der lange Jahre hindurch die Gemüter mit wohlberechtigter Entrüstung erfüllt hatte, endlich in hellen Flammen wilden Hasses auflodern, und bei der gänzlichen Verkommenheit alles geistigen Lebens ein furchtbares Verderben um sich her verbreiten sollte, in welchem zahllose Dränger und Bedrängte ihren Untergang finden mußten. -- Wie dankbar empfand die Ebnerin in dieser Stunde alle Vorzüge ihrer Stellung, wie preßte sie ihre Kinder ans Herz und pries den Himmel dafür, daß sie nicht der Bosheit roher Knechte und ungezügelter Buben ausgesetzt waren! -- Unterdessen fand auf dem Rathause eine sehr erregte Sitzung statt. Die Klagen der Bauern fielen auf einen wohlbereiteten Boden, denn sie waren nicht die einzigen, deren Rechte Junker Veit gröblich mit Füßen trat. Kaum ein Warentransport gelangte von dieser Seite her in die Stadt, dem er nicht aufgelauert hätte, und wenn seine Kräfte auch denen der reisigen Begleiter selten in offenem Kampfe gewachsen gewesen wären, so verstand er es doch vortrefflich, durch List einen einzelnen Wagen zum Stürzen zu bringen und sich in der eintretenden Verwirrung eines Teils seiner Ladung zu bemächtigen. Jeder Handelsherr der Stadt hatte schon Verlust und Arger durch ihn erlitten, und in der Zeit des regsten Verkehrs verging keine Woche ohne solche Schädigungen. Wurden doch in der guten Jahreszeit die Straßen nicht leer von Fuhrwerken, welche die im Auslande lebhaft begehrten Woll- und Lederarbeiten, die Harnische und Waffen und all die zierlichen Erzeugnisse der vorgeschrittenen Industrie Nürnbergs fremden Plätzen zuführten, während andrerseits die großen Kaufhäuser täglich ankommende Waren erwarteten, Weine vom Rhein, aus Spanien, Italien und Ungarn, feine Leinwand aus Flandern, Gewürze aus Indien, Heringe aus dem Norden und andre Dinge aus aller Welt Enden. Da brachte ein einziger Fang dem Räuber ebenso stattlichen Gewinn, wie er dem Kaufmann bedeutenden Schaden zufügte. Auch der städtische Jägermeister hatte beständig gegen Junker Veit und seine Spießgesellen zu klagen, denn sie jagten ohne jede Berechtigung im Reichswalde, der städtisches Eigentum war, und fällten dort so viel Holz, wie sie für Herd und Ofen brauchten. Die Namen Veits von Rotenhahn, des schwarzen Janko und des lahmen Miklot wurden von allen Seiten nur mit Haß und Verachtung genannt; man meinte allgemein, sie müßten mit dem Bösen im Bunde stehen, weil es nie gelänge, einen von ihnen zu fassen. Stets wußten sie mit heiler Haut zu entwischen, auch wenn die Verfolger in der Überzahl und in offenbarem Vorteil waren. Darin also waren alle einig, daß Junker Veit ein arger Bösewicht sei, welcher gegen jedes Recht frevle und harte Strafe verdiene; aber wie die Strafe zu vollstrecken sei, darüber gingen die Meinungen weit auseinander. Die Hitzigsten wollten Aufbietung der bewaffneten Stadtmacht, offne Fehde-Erklärung, Belagerung der Burg und Vernichtung oder Gefangennahme der Übelthäter; die Ruhigen verlangten, daß erst alle Mittel friedlicher Justiz versucht werden sollten. „Wir wenden uns mit unsrer Klage an das kaiserliche Landgericht,“ hieß es. „Habt Ihr vergessen,“ wendete ein andrer ein, „daß Markgraf Albrecht Achilles Verwalter des kaiserlichen Gerichts ist? und könnt Ihr von ihm Gerechtigkeit erwarten in Sachen der Stadt wider einen Adligen?“ „Wir müssen uns selbst Recht schaffen!“ rief ein dritter; „ladet den Junker vor die städtische Gerichtsbarkeit, er hat sich hundertmal auf städtischem Gebiet vergangen.“ „Laden können wir ihn wohl, aber wird er kommen?“ fragte ein vierter; „wird er unsre Forderung nicht einfach verlachen?“ Dennoch hatte dieser Vorschlag schließlich die meisten Stimmen für sich, und man beschloß, dem Junker durch drei sichere Boten eine Ladung zu senden. Sollte er derselben nicht folgen, so konnte man ihn in seiner Abwesenheit verurteilen und für vogelfrei erklären, sobald er sich auf städtischem Grund und Boden betreten ließe. Dann würde es wohl nicht schwer halten, ihm durch ein paar verwegene Gesellen auflauern und ihn in sichere Haft bringen zu lassen -- und dann winkten ihm Galgen und Rad als unausbleibliche Strafe. Inzwischen saß der, gegen welchen diese Anklagen geschleudert wurden, in seiner sicheren Feste, wie ein Dachs in seinem Bau, und seine Tage vergingen teils in aufregenden Unternehmungen, teils in trägem Müßiggang. Die Stätte, wo er mit seiner Familie hauste, war keineswegs anheimelnd oder wohnlich, doch war sie seinen wilden Neigungen trefflich angepaßt. Inmitten eines wüsten Trümmerhaufens erhob sich in drei Stockwerken ein turmartiger Bau mit gewaltigen, unversehrten Mauern, der letzte Überrest einer stolzen Burg. Das unterste Gelaß, das nur durch einige Öffnungen dicht unter der Decke spärlich erhellt wurde, enthielt die Küche und etliche Vorratsräume; eine schmale Spalte, die durch eine starke eichene Thür und eiserne Riegel verwahrt werden konnte, führte ins Freie. In den zweiten Stock gelangte man von außen auf einer hölzernen Treppe, welche in eisernen Haken hing, und die man nach Gefallen abnehmen konnte; von hier führte eine steinerne Wendeltreppe nach oben. Jedes Stockwerk enthielt einen größeren Raum, unten den für die Männer, oben den für die Frauen, und kleine Schlafkammern daneben; auf der Zinne wohnte in einer winzigen Zelle der Türmer, der auf einem vorspringenden Söller ringsum gehen und die Umgebung der Burg auf eine weite Entfernung überschauen konnte. Ein enger Hof, der durch eine hohe Umwallung aus den zerfallenen Steinen der ehemaligen Burg abgeschlossen wurde, umgab den Turm; die Zugbrücke, welche meist aufgezogen blieb, wurde durch zwei Donnerbüchsen behütet, und so war mit großem Geschick eine fast uneinnehmbare Festung geschaffen worden, deren Inhaber die Feindschaft und den Haß der ganzen Welt verlachte. Junker Veit lag lang ausgestreckt auf seinem Lager, dessen Stroh nur mangelhaft durch einige ausgebreitete Felle verdeckt wurde; eine umgestürzte, riesige Bierkanne zeugte deutlich von der Beschäftigung, der er sich vorher hingegeben hatte. Sein Weib stand neben ihm. „Holla, Veit,“ rief sie laut und schüttelte ihn derb an der Schulter, „wie lange willst du hier noch auf der Bärenhaut liegen? sollen deine Frau und deine Kinder Hunger leiden um deiner Faulheit willen?“ Er blinzelte und gähnte, ohne seine Stellung zu verändern. „Rüste dich, und ziehe auf die Jagd aus,“ fuhr sie fort, „die Kammer ist leer, kein Stücklein Fleisch oder Speck im Vorrat, das Mehl in der Tonne bedeckt kaum noch den Boden, der Wein ist ausgetrunken. Schaffe neue Vorräte an, oder Schmalhans wird unser Küchenmeister sein, und den liebst du am wenigsten.“ „Schicke die Knechte aus,“ sagte er schläfrig. „Miklot behauptet, er könne nicht zu Pferde steigen: der Stich, den er neulich ins Bein erhalten, schmerze noch zu sehr; und Janko will nicht allein reiten, er sagt, die verdammten Bauern fahndeten zu hart auf ihn, einer könne sich ihrer schlecht erwehren.“ „So laß die Knaben ausziehen und dir ein paar Hühner oder ein Schweinchen von der Weide holen.“ „Meinst du, ich würde die unschuldigen Lämmer noch einmal den Knütteln der elenden Dorfbuben aussetzen? Emmo ist kaum noch kenntlich, so haben ihm die Schufte das Gesicht zerbläut, und Balduins Rücken ist mit Beulen überdeckt, daß ich Tag und Nacht daran kühlen muß. Du magst es vergessen, daß die Knaben von ihrer Mutter Seite her aus altem, edlem Geschlecht stammen, ich habe es immer vor Augen und werde sie vor Unwürdigem zu bewahren wissen, obgleich ihr Vater nur ein landläufiger Abenteurer ist.“ Mit einem Satz war Junker Veit auf den Füßen, „Hochmütige Hexe!“ knirschte er zwischen den Zähnen, „willst du mich rasend machen?“ Sie entfloh vor seinem wilden, drohenden Blick in ihr eignes Gemach; eine Weile saß sie dort still in bebender Angst, dann lauschte sie auf die unten erschallenden Tritte. „Er rüstet sich!“ sagte sie triumphierend, „ich habe ihn aufgerüttelt. Es versteht es doch keiner, mit ihm fertig zu werden, als ich allein!“ Als am Abend dieses Tages Junker Veit und Janko mit reicher Jagdbeute heimkehrten, empfing Walburg den Gatten aufs freundlichste. „Seid willkommen, teurer Herr,“ sagte sie mit liebevollem Lächeln, „und habt Dank, daß Ihr meine Vorratskammer so reich versehen habt. Ich wußte es ja, daß dieser starke Arm die Seinen nicht würde darben lassen.“ Er küßte sie flüchtig auf die Stirn, und der oft getrübte Friede war wieder einmal geschlossen. -- Am nächsten Mittag stieß der Türmer ins Horn. „Was siehst du?“ rief Junker Veit zu ihm hinauf. „Es kommen drei Reiter von der Stadt her; sie tragen die Abzeichen von Nürnberg und ein weißes Fähnlein, zum Zeichen friedlicher Gesinnung.“ „Viel Gutes werden sie mir nicht bringen,“ meinte der Junker, „ich glaube nicht, daß die Krämerseelen mir besonders gewogen sind. Doch man kann ja hören, was sie wollen.“ Er stieg hinab rief die beiden Knechte zu sich, ließ die Zugbrücke fallen und stellte sich am Anfang derselben auf, Janko und Miklot hinter sich, doch so, daß sie von den Ankommenden nicht gesehen werden konnten. Die Reiter hielten vor der Brücke still. „Was ist Euer Begehr?“ rief Veit ihnen zu. „Wir sind vom wohllöblichen Rat der Stadt Nürnberg gesendet, um eine Ladung an den Junker Veit von Rotenhahn zu überbringen.“ „Ich bin es selber; sprecht aus, was Ihr zu sagen habt.“ Der vorderste Reiter zog aus dem Schaft seines hohen Stiefels ein Papier, an dem ein großes Siegel hing, entfaltete es und begann mit lauter Stimme zu lesen. Es war eine genaue Aufzählung all der Übertretungen, deren sich der Inhaber der Burg Hohenheiligen schuldig gemacht hatte, -- und eine mächtige lange Reihe hatte man zusammengestellt, wovon schon die Hälfte genügt hätte, dem Übelthäter an Kopf und Kragen zu gehen. Zum Schluß ward der Junker vor das städtische Gericht geladen, um sich wegen dieser Anklagen zu verantworten. Veit hatte mit belustigtem Zwinkern zugehört und sich behaglich den Bart gestrichen; als die Lesung beendet war, brach er in ein höhnisches Gelächter aus. „Sagt dem gestrengen Rat: auch die Nürnberger hängten keinen, sie hätten ihn denn, und mich sollen sie noch lange nicht haben! Was schert mich der Rat der Stadt? ich bin ein freier Mann auf eignem Grund und Boden und lache der städtischen Gerichtsbarkeit. Wollen die Herren mich richten, so mögen sie zu mir kommen, wir wollen sie gastlich und mit Ehren empfangen und ihnen ein lustiges Tänzlein aufspielen! Zum Zeichen aber, daß Veit von Rotenhahn nicht mit sich scherzen läßt, behalte ich diesen großmäuligen Patron als Geisel in meinem Gewahrsam.“ Damit warf er sich auf den überraschten Reiter und riß ihn vom Pferde; Janko und Miklot waren wie der Blitz an seiner Seite, und ehe der Mann sich von seinem Schrecken erholt hatte, war er schon innerhalb des Thores. Ratlos sahen die beiden Begleiter sich an; sollten sie sich gleicher Gefahr aussetzen? ihre Pflicht war es vielmehr, dem Rat diesen neuen Frevel zu melden. Sie gaben ihren Pferden die Sporen und jagten davon; rasselnd fuhr hinter ihnen die Zugbrücke in die Höhe. Der Gefangene ward gebunden und in einen dunklen, gewölbten Kellerraum geschleppt, der sich unter den Trümmern der alten Burg weit hinzog. „Welche Absicht hast du mit ihm?“ fragte Walburg unzufrieden. „Mich dünkt, er ist nur ein unnützer Esser mehr, der uns gar keinen Nutzen schaffen, sondern die Städter nur noch mehr gegen dich aufbringen kann.“ „Wenn du nichts für ihn zu essen hast, so laß ihn hungern,“ gab Veit gleichmütig zur Antwort; „der feiste Bursche hat so lange an den fetten Fleischtöpfen der Nürnberger gesessen, daß er ohne Schaden eine Weile fasten kann. Übrigens weiß ein kluger Kopf jeden Umstand auszunutzen -- wer weiß, ob mir die Stadt nicht ein erkleckliches Lösegeld für ihren Kriegsknecht bietet.“ „Schwerlich!“ versetzte Walburg. „Doch ist er ein ansehnlicher Geselle, und mir ist, als müßte ich ihn von früher her kennen.“ Sie grübelte darüber nach, wo sie ihn schon gesehen haben könnte; die dunkle Erinnerung vermischte sich mit Bildern aus ihrer Jugend -- jetzt hatte sie’s: es war Klaus Zworrer, der Ehemann jener Frau Barbara, welche schon im Dienst ihrer Stiefmutter gestanden, als sie selbst noch als Mädchen auf Maltheim lebte. Walburg hatte sich bei ihrem langen Besuch im Vaterhause genau nach allen Umständen erkundigt, welche sich an die wunderbare Genesung der kleinen Irmgard knüpften; sie hatte erfahren, daß Barbaras Gatte gerade damals für kurze Zeit ein Gast auf der Burg gewesen war. Vielleicht ließ sich von dem Manne etwas herausbringen, was darauf Bezug hatte, und seine Gefangennahme erwies sich wirklich als eine nutzbare That ihres Ehegemahls, vor dessen schlauen Anschlägen sie eine große Ehrfurcht empfand. Nachdem der Gefangene zwei Tage lang ohne Speise und Trank in seinem dunklen Gewahrsam gelegen hatte, stieg Frau Walburg selbst zu ihm hinab, in einer Hand eine Laterne, in der andern einen Krug Bier und ein Brot im Arm. Sie stellte alles in einiger Entfernung vor dem Manne nieder, so daß er es, vermöge seiner Bande, nicht erreichen konnte und betrachtete ihn aufmerksam. „Gebt mir zu essen,“ stöhnte er mit trockner Kehle, „ich verschmachte vor Hunger und Durst.“ „Ihr sollt alles erhalten,“ versetzte sie, „doch müßt Ihr Euch dafür erkenntlich zeigen.“ „Was kann ich thun?“ röchelte er „elend gefesselt und halb tot?“ „Ihr seid der Ehemann jener Frau Bärbel, die früher im Dienst der Herrin auf Maltheim stand?“ „Ja, der bin ich.“ „Wollt Ihr mir aufrichtig und ohne Rückhalt einige Fragen beantworten?“ „Alles, was ihr wollt -- nur gebt mir zu essen und zu trinken.“ Sie schnitt ein Stück Brot ab, füllte einen kleinen Becher mit Bier und reichte ihm beides; er ergriff es mit Gier und verschlang es mit tierischem Heißhunger. „Mehr, mehr!“ stöhnte er. „Erst müßt Ihr mir Bescheid geben. Ihr wart auf Maltheim bei Eurer Frau -- es mögen jetzt etwa drei Jahre her sein?“ „Ja, ich war dort, ich erinnere mich genau, denn bald darauf zog ich mit meinem Weibe nach Nürnberg.“ „Es war zu der Zeit, als das kleine Töchterchen des Ritters auf dem Tode lag und wunderbar genas, besinnt Ihr Euch?“ „Nein, davon weiß ich nichts.“ „Nicht? so bin ich fertig und kann wieder gehen.“ Sie griff nach der Laterne und den Lebensmitteln; aus der Brust des Gefangenen drang ein Jammerlaut, der schauerlich von dem weiten Gewölbe widerhallte. „O bleibt, erbarmt Euch -- geht nicht fort -- gebt mir mehr zu essen --; was ich irgend weiß, will ich Euch sagen.“ Sie reichte ihm wieder einen Bissen und einen kargen Trunk. „Redet,“ sagte sie herrisch „verhehlt mir nicht den kleinsten Umstand aus jener Zeit.“ „Ich war lange in der Fremde gewesen, in burgundischen Diensten,“ erzählte er in abgebrochenen Sätzen, „aber ich hatte die reiche Beute nicht gefunden, die ich erhofft -- ein Teil freilich war mir beim Würfelspiel wieder durch die Finger gegangen. Müde und krank kehrte ich zurück, -- in der Nähe der Burg Maltheim fand ich ein Bündel auf der Straße liegen und hob es auf, denn ich meinte, es möchte vielleicht ein gutes Geschenk für mein Weib darin sein. Als ich es vor mir am Sattelknopf befestigte, fing es innen an, sich zu rühren und zu quäken; ich erschrak und untersuchte es -- es war ein kleines Kind darin. Schon wollte ich es ärgerlich herabwerfen, aber das Würmchen dauerte mich, es sah so weiß und fein aus; so nahm ich es mit und brachte es meinem Weibe, das mich arg dafür auszankte. Sie behielt mich zwei Tage bei sich; dann sagte sie, ich müsse fort, denn die Gebieterin wolle mich unter ihrem Dach nicht leiden und dürfe mich nicht sehen. Das Kind wolle sie behalten, aber ich müsse schwören, niemand ein Wort davon zu sagen. Darauf zog ich nach Nürnberg und nahm Dienste bei der Stadt als reisiger Knecht; meine Bärbel hat dort eine Schenke, und wir leben in leidlicher Eintracht bei einander. Das ist alles, was ich Euch sagen kann -- und nun gebt mir zu essen und zu trinken, denn ich bin schwach zum Sterben.“ Mit einem Hochgefühl des Triumphes kehrte Walburg in ihr Gemach zurück; endlich glaubte sie den Schlüssel zu einem Geheimnis gefunden zu haben, an dessen Lösung sie sich bisher vergeblich versucht hatte. Es schien ihr kein Zweifel mehr übrig, daß Irmgard jener Findling sei, den der Kriegsknecht nach Maltheim gebracht hatte. Sie beschloß, über ihre Entdeckung vorerst zu schweigen, um sie bei gelegener Zeit zu verwerten, dagegen jetzt etwas für Klaus zu thun, um ihn desto sicherer in ihrer Hand zu behalten. „Ich sprach heute mit dem Gefangenen,“ sagte sie zu ihrem Gatten; „der Hunger hat ihn mürbe gemacht, er ist bereit, aus der Hand zu fressen, wie ein Hund, den man mit der Peitsche gezähmt hat. Übrigens scheint er kein verächtlicher Geselle zu sein; vielleicht könntest du in ihm einen tüchtigen Knecht gewinnen, denn Miklot wird gebrechlich, und es ist nicht mehr auf ihn zu zählen.“ Der Gedanke leuchtete Junker Veit ein, und er bot dem unglücklichen Mann die Freiheit an, falls er sich verpflichte, in seinen Dienst zu treten, und ihm geloben wolle, ihm in allen Stücken treu und gewärtig zu sein. Klaus weigerte sich anfangs lebhaft; er stand im Dienst der Stadt, hatte ihrem obersten Kriegshauptmann das Jurament geleistet, und es erschien ihm schimpflich, diesen ehrlichen Dienst mit dem bei einem Stegreifritter und gemeinen Räuber zu vertauschen. Aber einige Tage Hunger, Finsternis und Einsamkeit brachten ihn auf andre Gedanken; er sah ein, daß er ohne Hilfe nicht aus dem Raubnest entfliehen könne, und daß man ihn bei fortgesetzter Weigerung ohne Bedenken würde verhungern lassen; die Zeit der Einkerkerung kam ihm wie eine Ewigkeit vor, denn Tage und Nächte schlichen in endlosem Gleichmaß an seiner geängsteten Seele vorüber. Da er daran verzweifelte, daß die Stadt etwas für ihren gefangenen Boten thun würde, so sagte er endlich „ja“ zu Junker Veits Vorschlägen und taumelte mühsam zum Licht der Sonne empor, das seinen geblendeten Augen wehthat, während alle seine Glieder steif und schmerzhaft waren und seine Kniee vor Schwäche zitterten. Es genügten freilich wenige Tage, um ihn körperlich wiederherzustellen, aber sein Sinn blieb düster und sein Mund verschlossen; hätte nicht Junker Veit ihn mit einem furchtbaren Eide an sich gebunden und seinen Abfall mit entsetzlichen Strafen bedroht, so hätte er vom ersten Tage an nur auf Flucht gesonnen. Die Nachricht, welche die beiden Boten nach Nürnberg brachten, hatte Rat und Bürgerschaft in unbeschreibliche Entrüstung versetzt; laute, aufgeregte Stimmen schrieen nach Rache für solche unerhörte Frechheit, galten doch in der ganzen Christenheit Boten für geheiligte Persönlichkeiten, an denen sich niemand vergreifen durfte. Man forderte blutige Sühne für diesen Frevel, und hätte die allgemeine Stimmung sich sofort in die That umgesetzt, wäre am nächsten Tage eine bewaffnete Schar ausgezogen, um die Burg zu überfallen, so wäre es Junker Veit übel ergangen. Aber so schnell ging es nicht; man war bei jeder Unternehmung an weitläufige Formalitäten gebunden, an einberufene Versammlungen, Vorschläge, Abstimmungen, Einspruchsfristen, und in dieser Zeit verrauchte viel von dem anfänglichen Feuer. Endlich, nach Ablauf einer Woche, marschierte ein Fähnlein Fußvolk unter einem berittenen Anführer nach Hohenheiligen ab. Inzwischen hatte Veit Muße gehabt, sich auf alle kommenden Ereignisse vorzubereiten. Eines Tages kam Janko, der zum Spionieren ausgeschickt war, auf schweißbedecktem Gaule angesprengt: „Sie kommen, Herr,“ rief er keuchend, „in drei Stunden stehen sie vor unserm Thor.“ „Gut,“ sagte der Junker ruhig, „da haben wir noch reichlich Zeit, uns zu ihrem Empfange zu rüsten.“ Er gab sofort seine Befehle, setzte Walburg und die Knaben zu Pferde und gab ihnen Klaus und Miklot zur Begleitung; sie sollten auf wohlbekannten Waldpfaden nach einer benachbarten Burg reiten, wo ein gleichgesinnter Freund wohnte, und dort das weitere abwarten. Walburg hatte sich zuerst geweigert, ihn in dieser Gefahr zu verlassen, aber er lachte nur über den Gedanken an Gefahr und verhieß ihr, sie in kurzem wieder heimzuholen. Als die Nürnberger Soldaten vor der Burg anlangten, sahen sie mit Erstaunen, daß die Zugbrücke herabgelassen war und das Thor weit offen stand. Vorsichtig verbot der Anführer das Betreten der Brücke und des Burghofes, weil er irgend eine teuflische List vermutete; als aber eine Stunde verging und nichts sich regte, schickte er ein Häuflein ab, um die Sache zu untersuchen. Totenstille herrschte in dem engen Hof, die Thüren der niedrigen Ställe standen offen, nirgend war ein lebendes Wesen zu sehen. Der Turm schien keinen Eingang darzubieten, denn die schmale Öffnung, welche aus der Küche ins Freie führte, war so kunstreich geschlossen, daß man nicht einmal eine Spur davon gewahrte; die Treppe zum Oberstock war abgenommen, man sah nichts, als kahle, nackte Mauern. Der Junker, der das Fähnlein führte, schüttelte verwundert und unschlüssig den Kopf: wen sollte man denn bekriegen, wenn gar kein Feind da war? Er hieß seine Leute, die ganze Burg umzingeln und bewachen und ritt mit geringer Begleitung ins Dorf, um Kundschaft einzuziehen. Bald sammelte sich die ganze Bevölkerung um die tapferen Krieger und schrie auf sie ein; die alten Klagen gegen Junker Veit und seine Knechte erschollen wieder, flehentliche Bitten, sie von ihren Peinigern zu befreien, wurden laut. „Schweigt, Ihr Gesindel!“ herrschte der Anführer die Bauern an, „ich bin nicht gekommen, um Euer Gewäsch anzuhören. Sagt mir kurz und bündig, was Ihr von den Insassen der Burg wißt; mir scheint, die Galgenvögel sind allesamt ausgeflogen.“ „Ich sah die ganze Gesellschaft heute früh in gestrecktem Lauf davonreiten,“ rief einer, „sie werden wohl Wind bekommen haben und entflohen sein.“ „Meine Tochter, die auf der Burg gedient hat, ist heute zurückgekehrt,“ sagte eine Frau, „Junker Veit hat sie vom Hofe gejagt.“ „Bringt mir die Dirne her,“ gebot der Anführer. Ein bleiches, verschüchtertes Mädchen trat zitternd hervor, sie sah unendlich verkommen und zerlumpt aus. „Rede!“ rief der Reiter gebieterisch, „was weißt du von dem, was auf der Burg vorgegangen?“ „Ich weiß nicht viel,“ stammelte die Dirne ängstlich; „vorige Woche haben sie einen Gefangenen in den Keller geschleppt, aber niemand durfte zu ihm, als der Herr und die Frau. Nach ein paar Tagen kam er heraus und schwur dem Junker Treue, von da an ging er frei aus und ein. Heute früh trieb mich der Herr mit der Peitsche aus der Küche, ich solle mich hüten, wiederzukommen, er ritte mit all den Seinen davon. Da bin ich gelaufen, was meine Füße mich tragen wollten, und habe mich nicht mehr umgesehen, denn dort ist’s schlimmer, als in der Hölle.“ Zwei Tage und zwei Nächte blieben die Soldaten beobachtend vor der Burg liegen: als aber alles still und ausgestorben blieb, fingen sie an zu murren und verlangten, entweder in einen ehrlichen Kampf, oder nach Hause geführt zu werden. Es gab nicht einmal etwas zu plündern auf dem elenden Burghof, wo ohnehin alles in Trümmern lag; die alten Mauern des Turmes hätten doch aller Bemühungen gespottet, ihnen einen Schaden anzuthun. So begnügte sich der Anführer damit, das Urteil des Rates, wonach Junker Veit von Rotenhahn als ein Ehrloser gebrandmarkt und auf seinen Kopf ein Preis gesetzt wurde, ans Thor zu nageln. Dann zog er mit seinem Fähnlein unrühmlich von dannen, um den Vätern der Stadt mit prunkenden Worten zu berichten, daß schon die Annäherung eines bewaffneten Trupps genügt habe, um den Frevler mit all den Seinen in wilder Flucht von Haus und Hof zu jagen. Übrigens sei der Kriegsknecht, Klaus Zworrer, ein Elender und Eidbrüchiger, zu dessen Befreiung weitere Anstalten nicht zu treffen seien. -- Eine Weile, nachdem die tapferen Stadtsoldaten abgezogen waren, blieb es still wie vorher auf dem Burghof von Hohenheiligen, dann öffnete sich die Thür im Oberstock, die Treppe ward herabgelassen, Junker Veit und Janko stiegen hinunter. Im Nu war die Zugbrücke aufgezogen, das Thor geschlossen, die Pferde aus dem Kellergewölbe hervorgezogen. Die beiden wackeren Kumpane waren unmäßig vergnügt, und dem Anführer des Fähnleins hätten billig die Ohren klingen müssen von all den Ehrentiteln, mit denen die beiden ihn belegten. Zuletzt holten sie einen dickbäuchigen Krug spanischen Weines herauf, der beim letzten Überfall in ihre Hände geraten war, und fingen an zu zechen. Erst jubelten und sangen sie, daß die alten Mauern widerklangen, dann lallten sie unverständliche Worte, und schließlich lagen Herr und Knecht in tiefem Rausch mitsammen unter dem Tisch. Das war das Ende des Strafgerichts, welches die freie Reichsstadt Nürnberg gegen den Raubritter Veit von Rotenhahn verhängte. [Illustration] Achtes Kapitel. Des Studenten Auszug. Eng wird dem Jüngling das Haus, es treibt ihn hinaus in die Ferne, Wo sich der strömende Quell ewiger Weisheit ergießt. Mehrere Jahre waren verflossen; sie hatten auf Maltheim nur solche Veränderungen hervorgebracht, wie sie naturgemäß im Laufe der Zeit lagen. Aus dem Knaben Ulrich war ein schöner, schlanker Jüngling geworden, in jeder Rittertugend wohl erfahren und dabei von einer Geistesbildung, welche die seiner Standesgenossen weit überragte. Immer noch war Pater Benedikt sein Lehrer, aber fast hatte der Schüler ihn überholt, wenn auch nicht an eigentlicher Gelehrsamkeit, so doch an Freiheit und Tiefe der Gedanken und mit dem Fluge einer kühnen Phantasie. Er war der Stolz und die höchste Freude seiner Mutter und zugleich ihr vertrauter Freund und Berater, denn ihr Eheherr war inzwischen zu einem hilflosen Greise geworden, der sich mühsam von seinem Lager bis zu seinem Lehnstuhl schleppte und wochenlang sein Zimmer nicht verlassen konnte. Auch sein Geist war sehr gealtert; es fehlte Herrn Werner alles Verständnis für die Gegenwart, der er keine Teilnahme schenkte, dagegen lebte und webte er mit all seinen Gedanken in einer glänzenden Vergangenheit und wurde niemals müde, von den Thaten und Erlebnissen seiner jüngeren Jahre zu erzählen. Er fand eine stets aufmerksame Zuhörerin an Irmgard, die mittlerweile zu einem frühreifen Mädchen herangewachsen war. Die kleinen, zarten Formen ihres Körpers ließen kaum auf zehn Jahre schließen, aber der Glanz der dunklen Augen zeigte von einem ungewöhnlich regen Geistesleben, und das von langen, aschblonden Locken umrahmte Antlitz trug den Ausdruck eines viel reiferen Alters. Frau Kunigunde saß in der tiefen Fensternische ihres Gemaches und schaute aufmerksam auf den Hof hinaus, wo Ulrich die Schwester im Reiten und Springen übte. Die zierliche Gestalt saß unerschütterlich fest im Sattel und führte jedes Gebot ihres Lehrmeisters mit voller Sicherheit aus. Es war ein hübsches Bild, und die Blicke der Mutter hingen mit stolzer Freude an den beiden Geschwistern, deren Liebe im Lauf der Jahre immer dieselbe geblieben war, wie verschieden sich auch ihr Sinn und ihre Neigungen entwickelt hatten. Der Eintritt des Hauskaplans unterbrach die stillen Betrachtungen der Edelfrau; sie begrüßte ihn ehrerbietig und bot ihm einen Sitz in ihrer Nähe an. „Ich komme, edle Frau,“ begann er mit bewegter Stimme, „um Euch für viele friedliche Jahre zu danken, die ich in Eurem Hause verlebt habe, -- jetzt muß ich von Euch scheiden.“ „Ihr wollt uns verlassen, Pater Benedikt?“ fragte Frau Kunigunde überrascht. „Wir werden eine hirtenlose Schar sein, ohne Eure treue, väterliche Leitung, und was wird Ulrich beginnen, wenn er Eurer Unterweisung entbehren muß?“ „Das Gebot meiner Oberen ruft mich von hinnen, ich muß gehorchen, denn der Diener des Herrn darf, wie sein Meister, auf Erden keine bleibende Stätte haben. Aber ehe ich diesem Hause Valet sage, an dem mein Herz vielleicht fester hängt, als es einem Sohn der Kirche geziemt, möchte ich als treuer Freund und Beichtiger mit Euch über Ulrich sprechen. Sein grübelnder Geist braucht kräftige Nahrung, um sich nicht auf gefährliche Abwege zu verirren: schickt ihn nach Paris oder Bologna, damit er fleißig studiere.“ „Ich soll mich von ihm trennen?“ rief Frau Kunigunde erschrocken; „nein, Vater, verlangt nur das nicht von mir! sagt mir nicht, daß es meine Pflicht sei, meinen einzigen Sohn in die Fremde hinaus zu schicken und ohne ihn zu leben!“ „Und dennoch ist es Eure Pflicht, edle Frau, und ich weiß, Ihr werdet Euch derselben nicht entziehen. Eine Mutter darf nicht selbstsüchtig ihren Sohn der Welt vorenthalten, die an seine Kraft und seinen Verstand ein Anrecht hat. Laßt ihn auf vier, fünf Jahre hinausziehen, damit er fähig werde, die Stelle einzunehmen, für die ihm seine reichen Gaben verliehen sind. Dann wird Ulrich einst ein Mann werden, auf den Ihr mit Recht stolz sein dürft.“ -- Der Pater ging und ließ die Edelfrau in tiefer Bewegung zurück. Was blieb ihr denn noch, wenn Ulrich von ihr ging? Ihr Gatte war alt und hilflos, fast kindisch, und bei Irmgards Anblick wollte zuweilen ein quälender Zweifel ihre Seele beschleichen. Es war nun schon mehrere Jahre her, seit Walburg mit Klaus’ Erzählung hervorgetreten war und behauptet hatte, jener Findling sei heimlich in die Wiege des verstorbenen Kindes gelegt worden. Herr Werner hatte damals der Tochter in heftigem Zorn verboten, je wieder ein ähnliches Wort zu äußern, er hatte ihr mit völliger Enterbung gedroht, wenn sie solche schändlichen Lügen verbreite. Sollte er sein eigen Fleisch und Blut nicht kennen? konnte nicht ein Blinder merken, daß seine weiße Rose aus seinem alten Stammbaum erblüht sei? Aber in Frau Kunigundens Seele war seit jener Zeit ein Stachel zurückgeblieben; zuweilen starrte sie in Irmgards Antlitz, um darin die Spur verwandter Züge zu entdecken -- vergebens! Darin hatte Walburg sicher recht gehabt, daß das Mädchen weder Vater noch Mutter glich, und je mehr sie heranwuchs, um so mehr zeigte sich in ihr eine völlig eigenartige Schönheit. Bis jetzt hatte Frau von Maltheim noch nicht gewagt, gegen irgend jemand ein Wort von ihren Zweifeln zu äußern, doch stieg in ihrer Seele der Wunsch nach Gewißheit immer höher; sie beschloß, bei nächster Gelegenheit Frau Barbara aufzusuchen und sie vorsichtig auszuforschen. Der Kaplan war abgereist, der Wille seiner Oberen berief ihn an die Frauenkirche zu Nürnberg, wo er dem alternden Propst, besonders als Kanzelredner, ein Beistand sein sollte. Niemand empfand die Lücke mehr, als Ulrich, der den trefflichen Lehrer täglich vermißte. Eines Tages kam er zu seiner Mutter und umfaßte sie liebevoll. „Lieb Mütterlein,“ flüsterte er in zärtlichem Ton, „hast du mich lieb? und bist du fest überzeugt, daß ich dich lieber habe, als alles andre auf der Welt?“ „Ja, mein Ulrich,“ erwiderte sie innig, „ich weiß es, und es ist mein bestes Glück.“ „Darf ich dir eine Bitte aussprechen?“ „Gewiß, mein Sohn; so viel in meinen Kräften steht, will ich dir von Herzen gern gewähren.“ „So gieb mich für ein paar Jahre frei und laß mich auf die Universität ziehen.“ „Ulrich!“ rief sie erschrocken, „bist du deiner Mutter und der Heimat müde geworden?“ „Nein, Mutter, das nicht, aber meine Seele dürstet nach den Tiefen der Erkenntnis, und ich möchte aus der Quelle der Weisheit selbst schöpfen. Jetzt hast du noch den Vater an deiner Seite; stehst du einmal allein da, so komme ich zurück, um deine Stütze zu sein.“ -- [Illustration: Ankunft der Maltheimer im Ebnerhause.] Es kostete Frau Kunigunde einen harten Kampf, ehe sie einwilligen konnte; war es ihr doch, als ginge in ihrem Leben die Sonne unter, wenn ihr der Sohn fehlte, der ihres Herzens Freude und Wonne war. Aber auch in seiner Abwesenheit übte Pater Benedikt noch einen bestimmenden Einfluß auf sie aus; sie gedachte an die Gefahr für Ulrichs Seele, vor der jener gewarnt, wenn er seinen eignen Grübeleien überlassen bleibe, und mehr, als jeder andre Gedanke, bewog dieser sie, endlich mit schwerem Herzen ihre Zustimmung zu geben. Ihr Gatte war mit allem zufrieden; ihn kümmerte es wenig, ob Ulrich ging, wenn er nur seine kleine Irmgard um sich behielt. Alle Vorbereitungen waren getroffen; in Begleitung eines treuen, lang erprobten Knechtes sollte Ulrich in die fremde Welt hinausziehen, seine Mutter und Schwester aber gedachten ihm zu Pferde das Geleit zu geben bis Nürnberg, wo sich der Jüngling von einigen alten Freunden verabschieden wollte. Der kleine Reitertrupp hielt vor dem Ebnerhause still und pochte um Einlaß; alsbald öffnete Just das Thor und lud die Herrschaften ein, in den Hof zu reiten. Aus einer der Schreibstuben kam Berthold hervorgestürzt, gerade noch zur Zeit, um Irmgard vom Pferde zu heben und mit kräftigem Schwunge auf den Boden zu setzen. Frau Ursula erschien alsbald mit den Töchtern auf der Treppe, um die Gäste willkommen zu heißen, und es herrschte große Freude beim Anblick der Maltheimer, hatten sich doch die Frauen, trotz seltnen Verkehrs, immer eine herzliche Teilnahme bewahrt, während die Jünglinge die alte Kinderfreundschaft durch häufige Besuche in Maltheim oder Nürnberg warm erhalten hatten. Doch hatte es sich zufällig so getroffen, daß Frau Kunigunde und Irmgard die Ebnersche Familie nie auf dem Annenhof besucht hatten. Es war ein köstlicher Spätsommertag, und nach eingenommenem Frühstück begab sich die junge Gesellschaft auf den Hof, wo man im Schatten des alten Nußbaums die milde Witterung besser genießen konnte, als in den Zimmern, in denen immer ein gedämpftes Licht und eine dumpfe Luft vorherrschten. Unwillkürlich gesellten sich Berthold und Irmgard, Ulrich und Margarete in vertraulichem Gespräch zu einander, und Elsbeth fühlte sich so überflüssig, daß sie sich gekränkt zurückzog. Sie fühlte sich stets gekränkt, wenn sie hinter der Schwester zurückstehen mußte, die mit ihrem ernsten, verständigen Wesen viel mehr Beachtung fand, als die kindische Elsbeth. „Weißt du noch, Irmgard,“ sagte Berthold, „wie wir hier spielten, als du zum erstenmal nach der Stadt gekommen warst? Wir hatten eine Burg von Kisten und Fässern erbaut; du warst die gefangne Prinzessin und Hans der böse Riese, der dich bewachte, ich aber war der Recke, der alle Gefahren überwand und die Königstochter heimführte. Es war ein schönes Spiel, und ich habe noch oft daran gedacht.“ „Armer Berthold!“ sagte sie mitleidig, „damals meintest du, das Spiel sollte einmal Wirklichkeit werden, und jetzt sitzest du in der Schreibstube und fichtst mit dem Federkiel gegen lange Reihen von Zahlen -- ich ertrüge es nicht!“ „Ich würde es auch nicht ertragen, wenn ich es nicht meiner Mutter zuliebe thäte, sie wünscht es so sehr. -- Du wirst Ulrich sehr vermissen, Irmgard.“ „Gewiß, er ist so lieb und gut -- und doch kann ich ihn oft nicht begreifen, und ich glaube, du, Berthold, würdest an seiner Stelle ganz anders handeln.“ „Meinst du?“ „O, nicht wahr? du würdest dich nicht hinter Büchern vergraben, wenn du der Sohn eines alten, glorreichen Adelsgeschlechtes wärest, sondern in die Welt hinausziehen, um große Thaten zu thun und zu den alten Ruhmeskränzen einer glänzenden Vergangenheit neue Lorbeeren hinzuzufügen! Sieh, wenn ich höre, wie die Türken von allen Seiten gegen unsre Grenzen herandrängen, wie vergeblich der heilige Vater sich bemüht, einen Kreuzzug gegen sie zu predigen -- dann ergreift mich’s gewaltig; in meinem Innern fängt es an zu sieden und zu brennen, ich möchte Panzer und Schild anlegen und eine Kreuzesfahne in die Hand nehmen und allen, die ein Schwert schwingen können, zurufen: Auf, folgt mir, ich will euch zu Kampf und Sieg, zu unsterblichem Ruhm führen! O Berthold, wenn wir beide die Welt regieren könnten, wir würden die verhaßten Türken bald zu Paaren treiben und sie in die fernen, heidnischen Lande zurückjagen, aus denen sie hergekommen sind. Dann würdest du der König des befreiten Landes sein und ich deine Königin, und die ganze Welt würde voll werden von der Glorie unsrer Siege und unsres Namens!“ Er sah sie mit unverhohlnem Entzücken an, die kleine zarte Gestalt mit den großen leuchtenden Augen und den wallenden Locken, mit dem schneeweißen Rosengesicht, das von Begeisterung strahlte. „Würdest du wirklich meine Königin sein mögen, Irmgard?“ „Gewiß, wenn du ein Ritter wärest und herrliche Heldenthaten vollbracht hättest. Pater Benedikt hat mir einmal aus einer uralten Chronik vorgelesen, daß zwischen dem berühmtesten Ahnherrn unsres Hauses und einem Tucher von Nürnberg eine innige Freundschaft bestand, und daß sogar ein Tucher, der im Kriege zum Ritter geschlagen war, ein Fräulein von Maltheim heimführte. Ein tapferer Ritter und Kriegsheld ist selbst einer Fürstentochter ebenbürtig.“ „Aber wenn ich nun ein großer Kaufmann würde und unermeßliche Reichtümer erwürbe und dir alle Schätze zu Füßen legte, die nur mit Geld zu kaufen sind -- würdest du mir dann nicht auch deine Hand reichen?“ „Natürlich nicht! wie kannst du nur so seltsam fragen? Ein adliges Fräulein und ein bürgerlicher Kaufherr -- das paßt schlecht zusammen. Ich müßte auf meinen Gatten stolz sein können, und das würde ich nur, wenn er ein Held wäre.“ -- In einem ganz andern Ton verlief die Unterhaltung zwischen Ulrich und Margarete. „Wie freue ich mich,“ sagte sie, „daß endlich dein heißer Wunsch in Erfüllung geht und die Weisheit ihre goldenen Thore vor dir aufthut! Es ist nur traurig, daß du so weit in die Ferne gehst und uns nicht hin und wieder einige Brosamen aus der Fülle mitteilen kannst, in der du dort schwelgen wirst.“ „Ob ich wohl alles finden werde, was ich suche und hoffe?“ fragte Ulrich träumerisch. „Zuweilen überschleicht mich eine bange Furcht, als ob ich zu viel erwarte, denn es sind doch immer nur Menschen, die am Quell der Wahrheit sitzen und den Durstigen daraus mitteilen. Wie, wenn es auch dort noch Schranken und Schleier gäbe, welche die vollkommne Erkenntnis begrenzen und verhüllen?“ „Ich meine, du wirst die Wahrheit dort so rein schauen, wie es unser Blick überhaupt ertragen kann,“ erwiderte sie. „Vielleicht ist die höchste, göttliche Wahrheit so strahlend hell, daß ein Menschenauge sich davor senken muß.“ Er ergriff ihre Hand. „Du hast recht, Margarete, mich zur Demut zu mahnen. Ich bin nur zu geneigt, zu glauben, daß meiner Seele nichts zu hoch ist, daß ihre Flügel mich weiter zu tragen vermögen, als andere.“ „Entsinnst du dich noch, Ulrich, wie du mir einst die Geschichte von Dädalus und Ikarus erzähltest? Ich habe sie nie vergessen und daran gelernt, den kühnen Flug zu mäßigen, daß er uns nicht, statt zur Sonne, in Nacht und Verderben führe. Aber ich bin auch nur ein Mädchen, das sich bald bescheiden und seine Gedanken denen weiserer Leute unterordnen muß.“ „Du triffst immer das Rechte, Margarete. Wie oft hat dein kindlicher Sinn schon vor Jahren eine Wahrheit erfaßt, die ich mit allem Klügeln und Grübeln nicht gefunden hatte. Ich wollte, du könntest mit mir gehen und mich vor den Abgründen warnen, die mein aufwärts gerichteter Blick nur zu oft übersieht. O Gretchen, mit dir vereint zu suchen und zu forschen, alles Erworbene vor deinen klaren Blick zu bringen, der so unfehlbar das Wahre vom Falschen zu unterscheiden vermag -- das müßte das höchste Glück auf Erden sein.“ „Du denkst viel zu hoch von mir, Ulrich; wie sollte mein kleiner Kopf deinem großen Streben gewachsen sein! -- Wann denkst du aufzubrechen?“ „Morgen mit dem frühesten; ich muß heute noch von Pater Benedikt und unserm wackern Hans Abschied nehmen. Wo ist Hans? ich sah ihn noch nicht.“ „Er ist seit kurzem in Meister Kraffts Werkstätte als Lehrling eingetreten, und Onkel Adam verheißt, einen tüchtigen Steinmetz aus ihm zu machen.“ -- In der tiefen, lauschigen Fensternische in Frau Ursulas Gemach saßen die beiden Frauen in eifrigem Gespräch. Die Kinder bildeten ein unerschöpfliches Thema; jede hatte so viel von den ihrigen zu sagen, so viel zu loben, auch wohl einiges zu tadeln, was doch wieder entschuldigt werden mußte. „Ich bewundre Euch, Kunigunde, daß Ihr Ulrich von Euch laßt,“ sagte die Ebnerin, „ich vermöchte es nicht. So zärtlich ich meine Mädchen liebe -- an Berthold reichen sie doch nicht heran und könnten ihn mir nicht ersetzen. Zu denken, daß ich auf Jahre seinen Anblick entbehren sollte -- nein, es wäre unmöglich.“ „So habe ich zuerst auch gedacht,“ sagte die Edelfrau mit einem tiefen Seufzer, „und endlich habe ich doch nachgegeben. Was thut eine Mutter nicht, um ihren Liebling glücklich zu machen, um seine Seele vor jeder Gefahr zu behüten? Sollte ich zusehen, wie sich Ulrich in Sehnsucht verzehrte? ich konnte ihm doch die Weisheit nicht bieten, nach der es ihn so heiß verlangt. -- Aber ich habe noch Wichtiges mit Eurem Gatten zu besprechen, Ursula. Mein Herr hat ihm Hohenheiligen verpfändet; wir können es jetzt nicht einlösen, brauchen aber flüssiges Geld für Ulrichs Reise und Studium. Wollt Ihr mit Eurem Eheherrn reden, unter welchen Bedingungen er es, unter Vorbehalt der Burgruine, als Eigentum behalten will?“ „Ihr wollt den alten Besitz Eures Hauses aus den Händen geben?“ fragte Ursula erstaunt, „das ist freilich auch ein großes Opfer, das Ihr Eurem Sohne bringt! Hoffentlich denkt Junker Veit nicht daran, in die alte Burg zurückzukehren?“ „Ihr könnt es nicht heißer wünschen, als ich, daß er und sein Weib uns für immer fernbleiben. Es ist eine Schmach, solch einen wüsten Gesellen seinen Eidam nennen zu müssen! Wir haben lange nichts von beiden gehört und hoffen, er hat wieder in Ungarn lohnenden Dienst gefunden. Doch jetzt entschuldigt mich, ich muß einen Gang in die Stadt machen.“ „Ich erwarte Euch zum Mittagessen zurück, Kunigunde, und ich hoffe, Ihr und Eure Kinder werdet die Gastfreundschaft unsres Hauses nicht verschmähen, solange es Euch gefällt, in Nürnberg zu verweilen.“ Dankbar nahm Frau Kunigunde das Anerbieten an und ließ sich dann von Ulrich in die Laufergasse führen, wo unweit des Thores ein großes Schild zum Besuch der Schenke „zum blauen Affen“ einlud. Der blaue Affe selbst hielt ein so gewaltiges Maß Bier in der Hand und fletschte so vergnügt die Zähne, daß jedermann es auf einen Blick erkennen konnte, wie vorzüglich jeder Gast hier aufgehoben wäre. Um diese Vormittagsstunde war jedoch die Schenkstube leer; Frau Barbara, die Wirtin, saß mit ihrem Spinnrad am Fenster und kommandierte ihre Töchter, zwei hübsche, dralle Dirnen, welche damit beschäftigt waren, Becher und Gefäße blank zu putzen und alles in sauberer Ordnung auf die Regale zu stellen. Frau Bärbel hatte sich in den acht Jahren ihres städtischen Lebens eine behagliche Rundung zugelegt, welche als ein Aushängeschild zur Empfehlung ihrer vortrefflichen Küche dienen konnte, selbst der jahrelange Kummer um den Verlust ihres Gatten hatte diese üppige Fülle nicht zu mindern vermocht. Dennoch sprang sie mit Behendigkeit auf, als Frau Kunigunde und Ulrich eintraten, denn solche Gäste verkehrten selten im blauen Affen, und es kostete ihr auch wenig Mühe, ihre ehemalige Herrschaft zu erkennen. „Gottwillkommen! Gottwillkommen!“ rief sie in überströmender Freude, „o meine edle Gebieterin, welch ein Glück, Euch hier zu sehen! Teurer Junker, wie groß und schön seid Ihr geworden! Sankt Georg selber kann nicht herrlicher ausgesehen haben, als Ihr! Welch ein gesegneter Tag! Trudel, Nelleke, kommt und küßt der Herrin die Hand! wischt die Stühle ab, daß die hohen Gäste sich setzen mögen. Verschmäht es nicht, edelste Frau, und Ihr, mein schönster Junker, eine kleine Weile unter meinem bescheidenen Dach zu rasten -- wollt Ihr mir gestatten, Euch in aller Demut eine Erfrischung anzubieten?“ Frau Kunigunde dankte, und Ulrich empfahl sich mit einigen freundlichen Worten, um Pater Benedikt aufzusuchen. „Kann ich ein paar Augenblicke mit dir allein sprechen?“ fragte die Edelfrau. „Gewiß, meine gnädige Herrin, Ihr habt über mich und mein Haus zu gebieten. Ist’s auch nur klein und bescheiden, so hoffe ich doch, es ist so schmuck und rein, daß es selbst eine Königin betreten könnte, ohne an ihrer Würde Schaden zu nehmen. Und ich danke es doch zumeist Eurer Güte, meine edle Gebieterin, daß ich das Häuschen erwerben konnte, das mir und meinen verwaisten Mädchen Obdach und Unterhalt bietet -- verwaist, ach heiliger Sebaldus, ich weiß nicht einmal, ob sie Waisen sind oder nicht, denn ihr Vater ...“ Ein rechtzeitiger Thränenstrom schnitt den weiteren Redefluß ab, und da Frau Kunigunde eine ungeduldige Gebärde machte, wischte Bärbel sich die nassen Augen und führte den Gast in ein kleines Seitenzimmer, von dem aus man durch ein Schiebefensterchen die Schenkstube übersehen konnte. Sie rieb mit ihrer Schürze den sauberen Stuhl noch einmal ab und lud die Dame zum Sitzen ein, während sie selbst vor ihr stehen blieb. „Du erinnerst dich noch genau des Tages,“ begann Frau von Maltheim, „als meine kleine Irmgard auf dem Tode lag? erzähle mir genau jeden Umstand, der sich damals ereignete. Was du mir auch bekennen magst, Barbara, du wirst keiner Strafe verfallen, nur berichte mir die ganze Wahrheit.“ „Ich kann Euch heute nichts anderes sagen, als ich damals gesagt habe, edle Frau,“ versetzte Barbara betroffen -- die unerwartete Anrede brachte sie aus der Fassung und hemmte die gewohnte Redefertigkeit. „Was wurde aus dem Kinde, das Klaus auf dem Wege gefunden und dir gebracht hatte?“ fragte Frau Kunigunde und sah die andre forschend an. Frau Bärbels purpurne Wangen wurden bleich vor Schrecken, sie ließ sich zitternd auf einen Schemel fallen. „Ihr wißt ....“ stotterte sie. „Du siehst, ich weiß alles, also leugne nicht länger.“ Die Wirtin bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und schwieg einige Sekunden, dann stand sie entschlossen auf und sagte ruhig: „Edle Gebieterin, ich habe damals ein großes Unrecht begangen, als ich von dem gefundenen Kinde schwieg. Es war ein elendes Würmchen, das kaum noch atmete, als ich es in Händen hielt. Es starb alsbald, und um keinen Lärm zu machen, habe ich es in der Stille im Garten verscharrt und niemand etwas davon gesagt. Als unsre kleine Irmgard dann so wunderbar genas und alles voll Dank und Freude war, habe ich an das arme Ding kaum noch gedacht, und ich begreife nicht, wie Ihr nach so langer Zeit noch etwas davon erfahren habt.“ Frau Kunigunde sah ein, daß es vergeblich sein würde, noch weiter in Barbara zu dringen; entweder sie sprach die Wahrheit, oder sie erzählte eine höchst wahrscheinliche Geschichte, deren Unrichtigkeit niemand nachzuweisen vermochte. Doch überredete sie sich gern, daß sie jetzt die volle Wahrheit erfahren habe und sich dabei beruhigen dürfe. Klar und sonnig zog der nächste Morgen am Himmel herauf, -- was fragte die Natur nach dem Schmerz, der ein Mutterherz durchschnitt, welches sein Liebstes in die Fremde ziehen ließ? Monate konnten vergehen, ehe auch nur eine Kunde von ihm an ihr Ohr drang, Jahre, ehe ihr Auge ihn wieder erblickte! Die Mutter nahm in ihrer Kammer von dem Sohne Abschied und warf sich dann weinend und betend vor dem Kruzifix nieder; die andern umstanden den Abreisenden auf dem Hofe und hatten ihm noch unzählige Abschiedsworte zuzurufen. Sein letzter Händedruck galt Margareten. „Vergiß mein nicht!“ sagte er leise, „ich werde deiner treu gedenken!“ Sie nickte unter Thränen und lief nach dem Erker hinauf, um ihm nachzublicken, wenn er die Straße erreichte. Wie stattlich sah er aus in dem dunklen, enganliegenden Wams von flandrischem Tuch, dem kurzen, pelzverbrämten Mantel, mit dem langen Schwert an der Seite, den Pistolen im Gürtel und dem Barett mit den wehenden Federn auf den goldenen Locken! Er grüßte hinauf und schwang sein Hütlein im frischen Morgenwinde, dann trieb er das Pferd an und sprengte mit seinem Begleiter davon. Noch einmal, an der Ecke, wendete er den Blick zurück, sah die Tücher flattern und zerdrückte eine Thräne im Auge. „Vorwärts mit Gott und Sankt Augustin!“ rief er entschlossen, und bald lag die Stadt mit ihren Häusern und Thoren weit hinter ihm. -- Kurz darauf verabschiedeten sich auch Frau Kunigunde und Irmgard vom Ebnerhause und kehrten auf ihre einsame Burg zurück. Der Mutter erschien sie öde und leer, und mit Gewalt mußte sie sich zu Erfüllung der gewohnten Pflichten zwingen, während Irmgard sich durch das Entzücken ihres Vaters über ihre Heimkehr einigermaßen trösten ließ. Als die Gäste fort waren, kam Herr Wilibald Ebner mit einem Ausdruck des Triumphes zu seiner Gattin. „Wünsche mir Glück, Ursula, Hohenheiligen ist mein! mühelos, wie eine reife Frucht ist mir’s in den Schoß gefallen.“ „Macht Euch das so froh, lieber Herr?“ „Sehr froh; es wird meinem Namen neuen Glanz verleihen. Wilibald Ebner von Hohenheiligen -- klingt das nicht ebenso vornehm, wie einer der alten Ritternamen?“ Sie sah ihn überrascht an. „Ich glaubte, Ihr haßtet den Adel, Wilibald.“ „Ich hasse ihn, so lange er über mir steht und hochmütig auf mich herabblickt; wenn ich ihn besiegt habe, hört der Haß auf. Meine Kinder sollen nicht geringer sein, als die der stolzen Burgherren, und mein Sohn soll einen angesehenen Namen auf seine Nachkommen vererben!“ [Illustration] Neuntes Kapitel. Der Sturz des Tyrannen. Zittre, du blut’ger Tyrann! denn über dir thronet ein Rächer, Der dich vom prangenden Stuhl stürzt in die Tiefe hinab. Es war im März des Jahres 1477. In der Schenke zum blauen Affen ging es heute sehr lebhaft zu, Trudel und Nelleke hatten alle Hände voll zu thun, um die Gäste zu bedienen; sie flogen mit leeren und vollen Bierkrügen hin und her, während Frau Bärbel in einsamer Hoheit hinter dem Schenktisch thronte und mit Feldherrnblick das bunte Gewühl überschaute. Sie behielt jeden Trinker im Auge und schrieb auf die schwarze Tafel mit Kreide allerlei Hieroglyphen, welche jedem andern unverständlich waren, von ihr aber mit unfehlbarer Sicherheit in die Rechnung für den betreffenden Zecher übersetzt wurden. Es war ein entlassener Kriegsknecht eingetroffen, von Geburt ein Nürnberger, der in burgundischem Sold gestanden hatte und nun in die Heimat zurückgekehrt war. Er hatte viel zu berichten; der Kreis, der sich um ihn sammelte, wurde immer größer und dichter, und immer wieder öffnete sich mit schrillem Glockenton die Thür, um neue Gäste einzulassen. Ein wenig abseits von dem großen Haufen saß an einem kleinen Tischchen Hans Fiedler. Er kam oft hierher, aber nicht, um zu zechen, sondern um zu zeichnen, denn er fand hier manchen interessanten Charakterkopf, an dem er seine Studien machte. Frau Bärbel war ihm sehr gewogen, denn sie kannte seine Großmutter von altersher und schenkte ihm stets ein volleres Maß Bier ein, als sein schmaler Beutel ihm zu bezahlen erlaubte. Während er aufmerksam die Gruppe der Männer beobachtete und ihre Gesichter festzuhalten suchte, lauschte er zugleich auf ihr Gespräch. „Ja, ja, so ist es,“ sagte der Kriegsknecht, „Ihr mögt es glauben oder nicht, der mächtige Burgunderherzog ist tot, mausetot; die schweizerischen Eidgenossen haben ihm den Garaus gemacht. Bei Granson verlor er das Gut, bei Murten den Mut, bei Nanzig das Blut -- nun ist’s vorbei mit all seiner Herrlichkeit. Ich selbst war unter denen, die seine Leiche suchten und endlich in einem Graben fanden, halb entkleidet, von Speerstichen durchbohrt, mit geronnenem Blut überströmt -- ein jammervoller Anblick!“ „Ist’s möglich? -- entsetzlich! -- solch ein großmächtiger Herr -- Hochmut kommt vor dem Fall“ -- so scholl es von allen Seiten durcheinander. „Aber erzählt uns alles ordentlich der Reihe nach,“ rief einer; „man munkelte schon im Herbst von großen Niederlagen, aber so schlimm hat man sich’s doch nicht gedacht.“ „Ja, ja, erzählt, Freund Nepomuk,“ riefen viele, „besser, als von Euch, der Ihr alles selbst erlebt habt, können wir’s nicht erfahren.“ Der Kriegsknecht that einen tiefen Zug und begann: „Um Lichtmeß vorigen Jahres war’s, da zog das burgundische Heer über das Juragebirge ins Waadtland, um die Schweizer zu bekriegen, die dem Herzog viel Schaden zugefügt hatten. Es war ein stattlicher Heereszug, eine prächtige Reiterei in stolzen Waffen, die stärksten Kanonen, die noch die Welt gesehen, und wir alle dachten, mit den armen Hirten schnell fertig zu werden. Wir rückten auf Bern zu und standen am Neuenburger See, als uns die Eidgenossen entgegenkamen, alle zu Fuß, mit Schwert und Lanze bewaffnet, kaum etliche hundert Reiter darunter. Beim Anblick unsres gewaltigen Heeres, das durch den See und die Berge, durch furchtbare Geschütze und eine starke Wagenburg nach allen Seiten gedeckt war, fiel das Bauernvolk auf die Kniee und hob die Hände zum Himmel empor; sie riefen nach der Väter Sitte zum Herrn der Heerscharen, wir aber glaubten, sie flehten um Gnade, und mit Hohngelächter drang unsere Reiterei vor. Aber die Ebene war zu schmal, die Lanzen der Schweizer starrten den Pferden entgegen wie ein undurchdringlicher Wall. Der Herzog befahl den Rückzug, um einen besseren Kampfplatz zu gewinnen, es gelang, -- die stramme Ordnung der Eidgenossen lockerte sich -- schon drängten wir sie nach dem See -- da erschien plötzlich auf der Höhe neues Kriegsvolk -- die gewaltigen Schlachthörner, der Stier von Uri und die Kuh von Unterwalden, erfüllten die Luft mit furchtbarem Getön, und wie die Sonne die Waffen der Ankommenden bestrahlte, da war es, als stiege ein Heer von Riesen von den Bergen herab. Ein panischer Schrecken befiel das Burgunderheer, alles schrie: rette sich, wer kann! und ergriff die Flucht; wie der Rauch vom Nordwind, so waren bald die Scharen nach allen Richtungen versprengt. Vergebens schwang der Herzog das blanke Schwert und suchte die Seinen zu halten -- da half kein Drohen, kein Bitten und Befehlen; er selbst mußte eilends seinen besten Renner besteigen und fliehen. Unser fünfe waren es, die ihn begleiteten, und einen schärferen Ritt habe ich mein Lebtag nicht gemacht; erst sechzehn Stunden von Granson machten wir Halt. Die Prachtgezelte des Fürsten und seiner Edlen, die herrlich gestickten Decken und Gewänder, die Masse von goldenen und silbernen Gefäßen, die kostbaren Reliquien, die Flut von Edelsteinen und gemünztem Gelde -- das alles fiel den Eidgenossen in die Hände, die es kaum zu schätzen wußten. Man sagt, sie hätten Gold und Silber mit Hüten ausgemessen und verteilt, und gestickte Seide und feinste Leinwand wie in einem Kramladen nach der Elle zerschnitten.“ Mit angehaltenem Atem lauschte der Kreis der Zuhörer, auch Trudel und Nelleke hatten sich ganz nah herangedrängt, um kein Wort zu verlieren. Die Beschreibung der Schlacht hörten alle in gespanntem Schweigen zu, aber bei der Schilderung der Schätze wurde es lebhaft; da war keiner, der nicht gewünscht hätte, bei der Plünderung gewesen zu sein und seinen Teil an der reichen Beute gehabt zu haben. „Habt Ihr all die Herrlichkeiten selbst gesehen? -- erzählt uns doch mehr davon -- warum nahm der Herzog so viel Schätze mit auf den Kriegszug? -- o diese glücklichen Schweizer! ich hätte die Seide wohl besser zu schätzen gewußt -- ach, nur ein Hütlein voll Gold oder Silber --“ so klang es wirr durcheinander. „Schweigt still!“ rief eine starke Stimme dazwischen, „und laßt den Nepomuk weiter erzählen, er ist noch lange nicht zu Ende. Trudel, mein Täubchen, bring dem wackern Gesellen einen frischen Krug vom besten Bier, damit er sich die Kehle anfeuchte, und schreib’s auf meine Rechnung!“ Wieder herrschte tiefe Stille, und der Kriegsmann begann von neuem: „Das war am ersten März. Wie schwer auch der Herzog getroffen war, so verlor er doch nicht den Mut, sondern rüstete sofort mit allen Kräften, um die Scharte blutig auszuwetzen. Im Mai hielt er Heerschau bei Lausanne -- es war immer noch ein prächtiges Heer, aber er war nicht mehr derselbe, der er gewesen; seine Wangen waren fahl, sein Blick unstet und düster, seine Stimme drang hohl aus beklommener Brust. Alle Fürsten und Könige hatten ihm abgeraten, den Kampf zu erneuern, aber er schlug alle Mahnungen in den Wind -- er wollte um jeden Preis seine kriegerische Ehre retten. Im Juni stießen wir bei Murten auf den Feind; unser Fußvolk stand in gewaltigen Haufen, auf den Flügeln die Reiterei, das Geschütz in der Front, durch einen starken Verhau gedeckt, davor ein tiefer Graben. Der Himmel war mit schweren Wolken verhangen, als aber die Eidgenossen zum Gebet niederknieten, brach die Sonne in voller Pracht hindurch. Da erhoben sie sich, und mit dem Schlachtruf: Granson, Granson! stürzten sie mit entsetzlichem Anprall auf uns los. Unsre Geschütze rissen ihre Reihen nieder, die Reiterei brach in ihr festes Viereck ein, bald türmte sich ein Wall von Leichen vor dem Verhau auf. Aber plötzlich gab es mitten in unserer Schlachtordnung einen grausen Tumult: ein Trupp Schweizer hatte den Verhau umschlichen und fiel uns mit lautem Geschrei in die Flanke, -- während der herrschenden Bestürzung drangen die Eidgenossen vorn vor, stürzten sich in den Graben und bauten mit ihren Leibern eine Brücke, zerrissen den Verhau und richteten unsre eignen Geschütze auf uns. Da war’s denn aus mit all unsrer Siegeshoffnung. Wieder mußte der Herzog fliehen, tausende von burgundischen und flandrischen Edelleuten blieben tot auf dem Schlachtfelde, die zersprengten Heerhaufen irrten im Jura, im Waadtlande umher und suchten sich vergebens vor der Wut der Schweizer zu retten. Die gaben keinen Pardon und machten keine Gefangnen; ohne Ansehen ward alles getötet, was in ihre Hände fiel. Wie Raben und Krähen schossen sie die Flüchtlinge von den Nußbäumen herab, in deren dichten Kronen jene sich verborgen hatten; wie die wilden Enten jagten sie dieselben aus dem Schilf des Murtener Sees auf und trieben sie ins Wasser, bis sie untersanken. Wie ich mit dem Leben davongekommen bin, weiß ich nicht zu sagen; drei Pferde wurden mir unter dem Leibe erstochen, mich selbst traf keine Kugel und keine Hellebarde -- Sankt Sebald, mein Schutzpatron, hielt seine Hand über mir und führte mich nach dem blutigen Tage von Nanzig sicher und unversehrt heim in die alte Vaterstadt.“ Längst war Hans der Stift entfallen, er hatte seine Zeichnung vergessen und horchte mit allen Sinnen auf die Erzählung des Kriegsknechtes. Mit welcher greifbaren Deutlichkeit stiegen die Erlebnisse seiner Kindheit vor ihm auf! Er sah sich mit den Eltern und hunderten anderer Flüchtlinge im Ardennerwald umherirren, aus jeder Ruhe aufgescheucht durch die wilden Söldner des Burgunderherzogs; er hörte vor seinem Ohr die entsetzlichen Flüche und Verwünschungen wiederklingen, welche die Gehetzten gegen den blutigen, unbarmherzigen Herrn ausstießen, das Röcheln der Sterbenden, den Jammer der Überlebenden. Nun hatte die Rache des Höchsten ihn erreicht, der so hoch und unerschütterlich fest zu stehen schien; nun hatte er selbst all das Elend zertrümmerter Hoffnungen, die Angst der Flucht und zuletzt den jammervollsten Tod erleiden müssen! Hans fühlte sich in tiefster Seele erschüttert; es zog ihn plötzlich unwiderstehlich zu seiner Mutter hin, die er in der letzten Zeit selten besucht hatte; ihre immer gleiche, starre Ruhe, das dumpfe Schweigen, das sie in Jahren und Jahren nicht gebrochen, hatten seine kindliche Liebe gedämpft und sein Vertrauen von ihr abgewendet; aber in dieser Stunde durchlebte er im Geiste alles, was sie einst erduldet hatte, und es kam ihm nicht mehr so unbegreiflich vor, daß sie daran versteinert war. Er erbat sich bei Meister Adam Urlaub für die nächsten Tage und begab sich am folgenden Morgen auf die Wanderung nach dem Annenhof. Es wanderte sich prächtig durch den stillen Wald; war die Luft auch noch herb und kühl, so stand doch eine helle Sonne am wolkenlosen Himmel, und zeigte die Landstraße noch unergründliche Tiefen und große Wasserlachen, so waren doch die Raine und Fußpfade fest und trocken; grüne Gräser und die ersten Blumen wuchsen zu Füßen, muntre Vöglein zwitscherten zu Häupten des Wanderers. Er schritt rüstig zu und war so mit seinen Gedanken beschäftigt, daß er weder nach rechts noch links sah. Plötzlich blickte er befremdet auf: vor ihm lichtete sich der Wald, durch die auseinandertretenden Stämme schimmerten Mauern -- das war nimmer der Annenhof! es war kein Zweifel, er war falsch gegangen. Ärgerlich lief er eine Strecke weiter, um sich Gewißheit über die Örtlichkeit zu verschaffen; ein alter Turm zeigte sich, von unregelmäßigen Mauern umgeben, eine aufgezogene Zugbrücke, in der Ferne die dürftigen Hütten eines Dorfes: es konnte nur Burg Hohenheiligen sein, die vor ihm lag. Hans war sehr ungehalten über sich selbst, er hatte mindestens eine Stunde verlaufen, und es verlangte ihn doch so dringend, der Mutter und Großmutter alles mitzuteilen, was ihn bewegte. Obgleich er müde war, mochte er doch hier nicht rasten; die Nähe der verfallnen Burg hatte etwas Unheimliches, und man erzählte sich im Volke allerhand grausige Dinge darüber. Junker Veit war freilich mit seiner Gattin schon vor Jahren daraus verschwunden, denn mit der Zeit war ihm der Boden unter den Füßen doch zu heiß geworden, und eines Tages war das Raubnest leer gewesen. Und doch nicht ganz leer: irgend jemand hauste dort, aber ob es ein Mensch, oder ein böser Geist sei, darüber konnte man nicht ins klare kommen. Die Zugbrücke war aufgezogen, das deutete auf einen Bewohner; in mondhellen Nächten hörte man mitunter im Walde eine Büchse knallen, und der städtische Jäger fand manchmal kunstreiche Fallen aufgestellt, in denen sich gewiß manches Stück Wild fing. Unter den Dorfleuten wollten einige den lahmen Miklot erkannt haben, der urplötzlich im Walde in den Boden versank oder ebenso plötzlich aus der Erde auftauchte, aber vielleicht war es der Gottseibeiuns selber, der hinkte auch auf seinem Pferdefuß. Kurz, alle diese Gerüchte bauten eine stärkere Schutzwehr um die öde Burg, als ihre alten Mauern, und niemand hätte es gewagt, dort tollkühn einzudringen. Auch Hans wandte ihr schnell den Rücken und ging mit kräftigen Schritten tiefer in den Wald hinein, um nur erst den Kreuzweg zu erreichen, an dem er die falsche Richtung eingeschlagen hatte. Da hörte er einen gellenden Schrei, wie er nur aus einer geängstigten Menschenbrust kommen konnte; er lauschte aufmerksam, eine tiefe Stimme tönte dazwischen, es klang wie ein Streit. Die Stimmen kamen auf ihn zu, er verbarg sich hinter einem mächtigen Stamm und hielt seinen derben Knotenstock bereit. Jetzt knackte es zwischen den Büschen, eine breite Männergestalt ward sichtbar, die ein Etwas auf den Armen trug, -- noch ein paar Augenblicke höchster Spannung, dann erkannte der Lauscher, daß es ein Mädchen sei, das augenscheinlich mit Gewalt fortgeschleppt wurde, denn es schrie von Zeit zu Zeit laut auf und suchte sich loszumachen. Jetzt ging der Mann dicht an Hans vorüber, mit fester Hand ergriff derselbe seinen Stock, der in der nächsten Sekunde mit energischer Wucht auf den Hinterkopf des Räubers niederfiel. Er taumelte -- noch ein Schlag, und er stürzte zu Boden; im Nu hatte Hans die zarte Gestalt an sich gerissen und floh mit ihr davon, so schnell seine Füße ihn tragen wollten. Endlich hielt er erschöpft inne und ließ das Mädchen herabgleiten; mit einem staunenden Blick betrachtete er sie: „Fräulein Irmgard, Ihr seid es? wie kommt Ihr allein hierher und in die Gewalt jenes Schurken?“ „Hans -- Hans Fiedler, bist du es? welcher gütige Heilige hat dich gerade diesen Weg geführt? habe Dank für dein tapfres Einschreiten, aber laß uns weiter eilen, damit jener Elende mich nicht finde!“ so rief Irmgard, mühsam ihre Thränen bezwingend. „Hätte ich nur einen Dolch oder eine Pistole gehabt, um mich zu verteidigen, aber ich hatte nichts, als meine Reitgerte, und die zerbrach beim ersten Schlage, den ich gegen des Räubers Hände führte. Wenn wir nur mein Pferd fänden, es muß hier in der Nähe sein.“ Sie rief den Namen: Bayard! laut in den Wald hinein, und wirklich kam nach einiger Zeit das kluge Rößlein durch die Büsche getrabt; Irmgard schwang sich hinauf, Hans ging daneben, und so eilten sie weiter, so schnell es gehen wollte. „Ich lasse Euch nicht allein reiten, Fräulein,“ sagte Hans entschieden, „Ihr solltet Euch überhaupt niemals ohne Begleitung in den Wald wagen. Aber bis Maltheim kann ich nicht in einem Zuge wandern; habt daher die Güte, für eine Weile im Annenhofe einzusprechen. Ihr selbst werdet auch der Ruhe bedürfen, und nach ein paar Stunden geleite ich Euch sicher nach Hause.“ Irmgard mußte das Verständige dieses Vorschlags einsehen, obgleich ihr bange war, was ihre Eltern von ihrem langen Ausbleiben denken würden; hatte sie sich doch ohnehin viel weiter in den Wald vertieft, als es ihr erlaubt war. Der Knappe, der sie begleiten sollte, war mit dem Pferde gestürzt und hatte sich verletzt, sie hatte ihn nach Hause geschickt und war allein weiter geritten, ohne genau auf den Weg zu achten; dann war sie abgestiegen, um einige seltne Blumen zu pflücken, und plötzlich hatte jener wilde, lahme Mann neben ihr gestanden und ihr mit teuflischem Grinsen gesagt, sie müsse mit ihm, solch ein kostbares Wild habe er lange nicht gefangen. „Und dann packte er mich, trotz meines Sträubens, und die heilige Jungfrau mag wissen, wohin er mich geschleppt hätte, wärst du nicht dazwischen gekommen, guter Hans!“ Die alte Crescenz war gerade in der Küche beschäftigt, als die beiden den Annenhof erreichten; Afra saß allein im Zimmer und spann; sie begrüßte Hans mit einem freundlichen Blick und stummen Händedruck und sah kaum auf, als er ihr Irmgards Erscheinen erklärte. Da fiel ihr Blick von ungefähr auf das Mädchen, ihr Gesicht belebte sich, sie stand hastig auf, ging auf den Gast zu, und indem sie die Arme ausbreitete, rief sie im Tone höchsten Entzückens: „Matthäa!“ Das kleine Fräulein wich einen Schritt zurück und sah fragend auf Afra, diese aber schloß sie in ihre Arme, drückte sie an ihre Brust, küßte sie mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit und rief dazwischen immer wieder unter Jauchzen und Thränen: „Matthäa, mein verlornes, mein wiedergefundenes Kind, o Matthäa, kennst du deine Mutter nicht mehr?“ Starr vor Erstaunen sah Hans die beiden an, und es war ihm plötzlich, als gewahre er eine wunderbare Ähnlichkeit zwischen ihnen. Das waren dieselben großen, dunklen Augen mit den hochgewölbten Brauen, dieselbe schneeweiße Farbe der Wangen; auch das feine, glanzlose Haar war ähnlich, wenn auch das seiner Mutter dunkler und mit weißen Fäden durchschossen war. Irmgard hatte sich inzwischen mit Gewalt aus Afras Umarmung gelöst; sie richtete sich hoch auf und sagte mit großer Würde: „Ihr irrt Euch, gute Frau; ich bin Irmgard von Maltheim, Herrn Werners und Frau Kunigundens einzige Tochter, und Ihr habt keinen Teil an mir. Ich werde reiten, Hans,“ fügte sie in entschiedenem Tone hinzu, „dies Mißverständnis peinigt mich.“ Hans faßte Afras Hand und führte sie auf ihren gewohnten Platz zurück. „Laßt Euch durch eine flüchtige Ähnlichkeit nicht täuschen, liebe Mutter,“ sagte er herzlich, „ich kenne das Fräulein von ihrer frühesten Kindheit an und weiß, daß sie mit unsrer kleinen Matthäa nichts gemein hat. Die ist lange tot, und Ihr werdet sie erst im Paradiese wiederfinden.“ Afra ließ sich geduldig auf ihrem Sitz nieder und versuchte keine weitere Annäherung, aber ihr Blick blieb an Irmgard haften, und leise murmelte sie vor sich hin: „Sie ist es doch! Matthäa, mein geliebtes Kind! ein Mutterherz läßt sich nicht täuschen!“ Hans beruhigte das Fräulein und bat sie leise, sich nicht stören zu lassen; seine Mutter sei seit langer Zeit krank, der Verlust ihres Kindes habe ihren Geist getrübt, doch thäte sie niemand ein Leid. Während er noch sprach, erscholl draußen Pferdegetrappel; ein Knappe von der Burg fragte voller Angst an, ob jemand das Fräulein gesehen habe, es herrsche daheim die größte Sorge um sie. Irmgard sprang hocherfreut auf; nun hatte sie einen Begleiter und durfte nicht auf Hans warten. Sie dankte ihm nochmals in warmen Worten für seine rechtzeitige Hilfe, bat ihn, recht bald auf der Burg vorzusprechen, nickte Crescenz huldreich zu und sprengte eilig davon, als wolle sie all die wunderbaren Erlebnisse dieses Tages weit hinter sich lassen. Erst, als Crescenz mit ihren häuslichen Arbeiten fertig war und sich auch an ihr Spinnrad gesetzt hatte, fing Hans an, von dem zu erzählen, was seine ganze Seele erfüllte, von dem Sturz und Tode des Herzogs von Burgund. Er richtete seine Worte vornehmlich an die Großmutter und sah darüber gar nicht, welchen Eindruck seine Erzählung auf Afra machte. Ihre bleichen Wangen röteten sich, ihre Augen funkelten vor leidenschaftlicher Erregung, die halb geöffneten Lippen schienen jedes Wort begierig einzusaugen. Als Hans geendet hatte, hob sie die gefalteten Hände hoch empor und rief mit Begeisterung: „Großer, allmächtiger Gott im Himmel, ich danke dir, daß du dich mir wieder offenbart hast! Ich meinte, du wärest tot, oder du hättest dein Antlitz vor der Welt verborgen, weil der Mächtige ungestraft deiner spotten, weil er die Schwachen unter seine Füße treten durfte, ohne daß du ihr Flehen hörtest und zu ihrer Hilfe einschrittest! Aber du lebst und hast dich gewaltig aufgemacht, um den Menschen deine Gerechtigkeit zu zeigen, um dem Tyrannen zu beweisen, daß du größer bist, als er. Du hast ihn von seiner Höhe hinabgestürzt, wie ein Wurm lag er zu deinen Füßen. O Gott, ich danke dir und preise deinen heiligen Namen!“ Mit höchster Überraschung sahen Hans und Crescenz auf Afra, die wie eine Seherin anzuschauen war; unwillkürlich hatten beide die Hände gefaltet und die letzten Worte leise nachgesprochen. Dann kniete der Jüngling neben der Mutter nieder und schlang seinen Arm um sie. „O liebe, liebe Mutter!“ sagte er im innigsten Tone, „bist du endlich erwacht aus deinem langen, traurigen Schlaf? willst du wieder um dich sehen und das erkennen, was dir noch geblieben ist, deine treue Mutter und deinen Sohn? O wie oft habe ich zu allen Heiligen für dich gebetet, und nun haben sie mich endlich erhört und den Schleier zerrissen, der über deinem Geiste lag! Gott und allen Himmlischen sei Dank dafür!“ Sie küßte ihn zärtlich auf die Stirn und reichte Crescenz die Hand. „Ja, dies ist ein großer Tag für mich, und ich fühle ein neues Leben in mir. Ich habe meinen Glauben an den Gott dort droben wiedergefunden -- und meine Matthäa!“ „Mütterchen,“ sagte Hans bekümmert, „willst du diesen Wahn nicht fahren lassen, der dir und dem Fräulein nur Leid und Pein bereiten kann? Ergieb dich drein, daß du deine Tochter verloren hast, daß dir nur dein Sohn geblieben ist; ich will dir’s durch doppelte Liebe zu ersetzen suchen.“ Sie lächelte geheimnisvoll. „Bist du denn blind, mein Hans? kannst du nicht sehen, daß sie mein Fleisch und Blut ist? Und wenn Ihr Euch alle verblenden laßt -- Mutteraugen sind nicht zu betrügen. Aber sei ohne Sorge; ich werde Matthäa nicht mit Gewalt in meine Arme zwingen, ich weiß ja, daß sie lebt und wo sie weilt -- das ist fürs erste Glücks genug.“ Mit diesem Tage begann in der That ein neues Leben für Afra. Zwar blieb sie immer still und in sich gekehrt, aber die starre Ruhe war gebrochen; sie hörte und sprach, sie half ihrer alternden Mutter im Hause und in der Wirtschaft, sie weilte jeden Morgen und Abend in inbrünstigem Gebet im Annenkapellchen, sie ging sogar zur Messe in die nahe Dorfkirche, und Pater Anselmus sah seine jahrelangen Bemühungen um ihre Seele endlich von Erfolg gekrönt. Mit emsiger Hand nähte Afra jetzt an einem neuen Sonntagsstaat für sich, während sie sich früher nie um ihre Kleidung bekümmert hatte. Als er vollendet war, legte sie ihn eines Morgens an und rüstete sich zum Fortgehen. „Wohin, Afra?“ fragte Crescenz. „Laß mich, gute Mutter,“ erwiderte sie, „ich sage es dir nachher.“ Sie küßte die Alte und ging hinaus; kopfschüttelnd sah die andre ihr nach. „Was hat sie nur?“ sagte sie zu sich selbst, „sie sah so feierlich aus, und es ist doch Alltag heut’ und nirgend Gottesdienst.“ Afra schlug die Richtung nach Maltheim ein; anfangs schritt sie rüstig vorwärts, von ihren Gedanken getrieben, aber die Aprilsonne brannte heiß, und sie war des Gehens gänzlich ungewohnt, denn seit zehn Jahren hatte sie die engen Grenzen des Hofes nicht überschritten. So kam sie müde und erschöpft auf der Burg an, doch gönnte sie sich kaum Zeit zum Aufatmen, sondern bat sogleich eine Magd, sie der Herrin zu melden, der sie etwas Wichtiges mitzuteilen habe. Nach kurzem Warten ward sie in Frau Kunigundens Gemach geführt. Die Edelfrau musterte die Ankommende mit einigem Erstaunen. „Wer seid Ihr, gute Frau, und was begehrt Ihr von mir?“ „Ich bin Afra, Matthias Fiedlers, des Goldschmieds Witwe und die Tochter der alten Schaffnerin auf dem Annenhof; wollt Ihr mir huldreich gestatten, gnädige Frau, Euch in kurzen Worten meine Geschichte zu erzählen?“ Die Dame nickte; sie wußte nicht, was sie von Afra halten sollte. Eine Bittende war sie schwerlich; ihre Erscheinung hatte etwas Ungewöhnliches, die innere Erregung hauchte ein sanftes Rot auf die bleichen Wangen und gab ihren Augen einen dunklen Glanz, der ihr wunderbar bekannt erschien. In gedrängter Kürze berichtete Afra von ihren Leiden und dem Verlust der kleinen Matthäa. „Warum ließt Ihr nicht sogleich Nachforschungen nach dem Kinde anstellen?“ fragte Frau Kunigunde, die gespannt zugehört hatte. „Ich war an Leib und Seele gebrochen und krank, erst nach Wochen kam ich wieder zum Bewußtsein. Meine Mutter hat mir später gesagt, daß in der Nacht nach unsrer Ankunft ein heftiger Schneefall und starke Kälte eingetreten seien, da wäre alles Suchen nach dem kleinen Kinde vergeblich gewesen. Und doch ist meine Tochter gerettet worden, ich habe sie endlich wiedergesehen, und Euch, edle Frau, habe ich dafür zu danken, daß Ihr mir meinen Liebling so treu behütet habt.“ Sie sank vor Frau Kunigunden auf die Kniee und bedeckte ihre Hände mit Küssen und Thränen. Die Edelfrau stand befremdet auf und entzog der Schluchzenden ihre Hände. „Ich verstehe Euch nicht, Afra Fiedlerin, wovon sprecht Ihr?“ „Von meiner Matthäa -- Ihr nennt sie Irmgard --, die hier auf Eurer Burg aufgenommen und erzogen wurde, und die doch, so wahr Gott lebt, mein eignes, verlornes Kind ist!“ Frau Kunigunde legte verwirrt die Hand an die Stirn, als müsse sie sich mühsam besinnen, was sie sagen und denken solle; dann ging sie auf die Thür zu und rief: „Irmgard!“ Das Mädchen erschien, warf einen entsetzten Blick auf Afra, streckte abwehrend die Hände aus und rief angstvoll: „Laß mich, laß mich, Mutter! schicke diese fort, ich mag sie nicht sehen, und sie hat keinen Teil an mir!“ Damit stürzte sie hinaus in Herrn Werners Zimmer warf sich neben seinem Lehnstuhl auf die Erde, verbarg ihr Antlitz in seinem Schoß und rief, an allen Gliedern bebend: „Schütze mich, mein Vater, gieb nicht zu, daß eine Fremde mich dir entreiße! Ich bin dein Kind und will es bleiben, o halte mich fest, laß mich dir nicht rauben!“ Der alte Ritter zog die Zitternde empor und drückte sie zärtlich an seine Brust. „Was hast du, mein Edelfalke, meine weiße Rose, was ängstigt dich so? Du bist ja bei deinem Vater, da bist du doch sicher vor allen räuberischen Angriffen. Richte dein Köpfchen auf und lache mich an, mein Mäuschen, du hast wohl einen bösen Traum gehabt?“ Seine Liebkosungen beruhigten ihre Aufregung soweit, daß sie, eng an ihn geschmiegt, ihm das neuliche Erlebnis auf dem Annenhof und die heutige Begegnung erzählen konnte. „Das Weib ist wahnsinnig, oder Walburg hat sie aufgehetzt!“ sagte der alte Herr mit großer Entrüstung; „sie soll sich nie wieder hier blicken lassen, oder ich lasse sie mit Hunden vom Hofe jagen! Wie kann sie es wagen, einen Anspruch auf +meine+ Tochter zu erheben! Es ist zum Lachen, mein Liebling, laß uns nie wieder daran denken.“ Unterdessen stand seine Gattin ratlos vor Afra; ihr sagte im tiefsten Innern eine Stimme, daß jene recht habe, und doch fühlte sie auch zugleich, wie fest ihr eignes Herz Irmgard umschlossen hielte, und daß sie nicht ohne heißen Kampf dies Kind einer andern abtreten könne. „Ihr seid in einem großen Irrtum, arme Frau,“ sagte sie endlich freundlich. „Freilich, darin mögt Ihr recht haben, daß es Euer Kind war, das damals von einem reisenden Kriegsknecht gefunden und hierher gebracht wurde, aber es war ein elendes Würmchen, das in den letzten Zügen lag und an demselben Tage starb. Wie hätte es auch all diese Fährlichkeiten in so zartem Alter überstehen können! Ich selbst habe nichts davon gesehen, erst nach Jahren davon gehört; wollt Ihr aber Gewißheit haben, so wendet Euch an die Wirtin zum blauen Affen in Nürnberg, in deren Armen Euer Kind gestorben ist. Und nun geht, gute Afra, und sucht nicht noch einmal den Frieden dieses Hauses durch Eure fälschlichen Ansprüche zu stören.“ Traurig senkte Afra das Haupt; ohne noch einmal aufzusehn, schritt sie hinaus; ohne die dargebotene Erfrischung anzunehmen, verließ sie die Burg. Sie pilgerte langsam, todesmüde heimwärts, wo ihre Mutter sie schon mit Sorge erwartete. „Wo warst du nur so lange?“ fragte sie und sah teilnehmend in ihr schmerzverzogenes Gesicht. „Bei einem Begräbnis, Mutter -- ich habe meine Matthäa begraben. -- -- Doch nein, nein, sie lebt,“ fügte sie mit erhobenem Haupte hinzu, „die Überzeugung in meiner Brust ist nicht zu töten!“ [Illustration: Unglückseliges Weib, was hast du gethan?] [Illustration] Zehntes Kapitel. Die Mahnung. Starr ist der Kirche Gebot; hier gilt kein Markten und Deuteln: Was sie einmal erfaßt, hält sie mit eisernem Griff. In der Woche vor Ostern war die Frau Ratsherrin Ebner, wie sie pflegte, in früher Morgenstunde nach der Frauenkirche gegangen, um zu beichten. Als sie zurückkehrte, hatte sie das Ansehen einer schwer Kranken, ihr Antlitz war totenbleich, ihr Blick erloschen, ihr Gang schwankend und unsicher. In ihrem Zimmer angekommen, hatte sie kaum noch Kraft, Mantel und Hut abzulegen, dann warf sie sich auf ihr Bett und drückte das Gesicht tief in die Kissen. So fand sie ihre Tochter Margarete, welche, beunruhigt durch ihr langes Ausbleiben, sie aufzusuchen kam. „Bist du müde, Mütterchen?“ fragte sie sanft. „Berthold wollte dir lebewohl sagen, ehe er auf den Annenhof reitet, und fragen, ob du dort etwas zu bestellen hast; darf er zu dir kommen?“ Ein krampfhafter Schauer schüttelte Frau Ursulas Gestalt. „Nein, nein,“ stöhnte sie fast unverständlich, „ich kann ihn nicht sehen!“ „Du bist krank, liebe Mutter,“ sagte Margarete besorgt, indem sie die schlaff herabhängende Hand ergriff und dann leise ihren Kopf berührte, „deine Hände sind kalt wie Eis, und deine Stirn brennt wie im Fieber. Gewiß hast du zu lange gefastet.“ Sie eilte hinaus und kam bald mit einer silbernen Platte zurück, auf der ein Becher mit Wein und ein Teller mit Brot und Fleisch stand. „Iß und trink, mein Mütterchen,“ sagte sie liebevoll dringlich, „es wird dir gut thun.“ „Ich kann nicht -- laß mich -- laß mich allein mit meinem Jammer -- o ihr Heiligen des Himmels, wie soll ich es tragen -- Gott, du Barmherziger, habe Mitleid mit uns -- o heilige Anna, sei nicht so grausam --“ so klang es in wirren, abgebrochnen Lauten von ihren Lippen. Tödlich erschrocken stand das Mädchen eine Weile neben ihr und suchte sie zu beruhigen, aber vergebens; die Kranke sah und hörte nichts. Endlich schlich Margarete hinaus, sagte Berthold, die Mutter sei nicht wohl, er möge getrost von dannen reiten, und eilte dann nach dem Schreibzimmer ihres Vaters. Es wagte sonst selten jemand, ihn in diesem Heiligtum zu stören, wenn es sich nicht um dringende Geschäfte handelte, daher klopfte sie nur leise an die Thür und trat schüchtern ein. „Verzeiht, lieber Vater, daß ich Euch unterbreche, die Mutter ist -- -- sie ist wohl krank, denn sie spricht seltsame Worte, -- wollt Ihr nicht zu ihr kommen?“ Herr Wilibald sah erstaunt auf. „Die Mutter war heute früh ganz gesund, was sollte ihr plötzlich fehlen? Sie wird müde sein, rufe die Magd zu Hilfe und bringt sie zu Bette.“ „Wollt Ihr nicht selbst kommen, lieber Vater?“ bat Margarete dringend, „die Magd könnte sich unrichtige Gedanken machen, die Mutter redet so sonderbar.“ Herr Ebner stand mit etwas ungehaltener Miene auf und schloß sein Pult zu. „Du bist doch sonst mein verständiges Mädchen; wie kannst du dich heute gleich so erschrecken lassen?“ Er ging mit ihr hinauf; Frau Ursula lag noch in derselben Stellung auf ihrem Bett; bei dem Tritt ihres Gatten fuhr sie zusammen und wendete sich ab, als wolle sie sich völlig vor ihm verbergen. „Was fehlt dir, liebe Ursula?“ fragte er freundlich. Keine Antwort -- nur ein Wimmern und Stöhnen, angstvoll gestammelte Worte, die wie: „Gnade, Erbarmen!“ klangen. „Laß uns allein, Margarete,“ sagte Herr Ebner sehr ernst, „und sorge dafür, daß uns niemand störe.“ Er ergriff Ursulas Hände. „Steh auf, liebes Weib, und sage mir, was so plötzlich über dich gekommen ist; drückt dich Leid und Sorge, so habe ich ein Recht, es zu wissen, um dir zu helfen.“ Sie richtete sich langsam empor und warf sich dann mit einer leidenschaftlichen Gebärde zu seinen Füßen nieder. „O mein Gatte, Ihr werdet mir zürnen, mich vielleicht verstoßen -- ach, und es wendet doch das Schlimmste nicht ab!“ Er zog sie zu sich hinauf und schlang den Arm um sie; sie lehnte ihr Haupt an seine Schulter, und leise, oft von Weinen unterbrochen, begann sie also: „Ihr erinnert Euch jenes Sommers, Wilibald, als wir vor der Pest nach dem Annenhof flohen und die Seuche zuletzt doch unsern Berthold ergriff? Damals lag ich in Todesangst vor dem Altar der heiligen Anna und gelobte ihr alles Erdenkliche, wenn sie mir meinen Sohn erhalten wollte; ich flehte um ein Zeichen, daß sie mich höre -- umsonst. Da schrie ich in meiner Qual zu ihr, ich wolle meinen Sohn dem Himmel weihen, und mir war’s, als spräche eine Stimme ‚Amen‘ dazu -- und dann kamt Ihr und sagtet, Berthold sei gerettet! Nachher überredete ich mich, niemand habe mein Gelübde gehört; ich beriet mich mit Meister Andreas, der so gut und fromm ist und mich warnte, jemand wider seinen Willen zum geistlichen Stande zu bestimmen; auch in seinem Familienkreise und mitten im Leben könne man dem Himmel angehören. Von Stund’ an bemühte ich mich, meine Kinder für den Himmel zu erziehen, und ich glaube, es ist mir gelungen. Heute wollte ich beichten; ich wußte nicht, daß unser lieber Propst krank sei, daß ein andrer im Beichtstuhl säße. Wie eine Posaune des Gerichts klang seine Stimme an mein Ohr: er selbst, Pater Benedikt, hatte damals mein Gelübde belauscht und strafte mich mit strengen Worten, daß ich es immer noch nicht erfüllt habe. Er drohte mir mit allen Strafen der Hölle, nicht allein für mich, auch für meinen Sohn, wenn ich eidbrüchig mein Versprechen zurückzöge. Ich bat und flehte, ich bot ihm jeden Ersatz -- alles vergebens! er blieb dabei, nur das Eine vermöchte meine und Bertholds Seele vom Verderben zu retten. O ihr Heiligen, soll ich meinen Liebling, mein Kleinod, vom frohen Lichte des Tages scheiden sehen, soll ich ihn ins Kloster ziehen lassen? -- schrecklicher, qualvoller Gedanke! und dennoch -- dennoch ....“ Ein heißer Thränenstrom erstickte ihre Worte, verzweifelnd barg sie ihr Gesicht in ihren Händen. Stumm und starr hatte Ebner diesem Bekenntnis zugehört; jetzt ließ er Ursula los und durchmaß mit großen Schritten das Gemach. „Unglückseliges Weib, was hast du gethan?“ sagte er dumpf. „Meinen einzigen Sohn, die ganze Hoffnung meines Alters, hast du dem lebendigen Tode geweiht! Wofür habe ich denn gearbeitet und mich abgemüht bei Tag und Nacht, wofür habe ich so schwere Opfer gebracht, um meinem Namen Ansehn zu geben, wenn er mit mir zu Grabe geht? -- Ich war einst ein froher Geselle, wie Berthold,“ fuhr er mit klangloser Stimme fort, und es war, als spräche er mehr zu sich selbst, als zu einer andern -- „was kümmerte es mich, daß wir nicht reich waren, lag doch die ganze Welt vor mir offen! Aber als ich am Sterbebette meines Vaters stand, als er mir sagte, daß ihn die falsche Freundschaft eines adligen Herrn um Gut und Ehre betrogen habe, als ich in seine erkaltende Hand geloben mußte, alle Kräfte einzusetzen, um unserm alten, herabgekommenen Namen wieder einen Klang in der Welt zu verschaffen -- da riß ich in einer Stunde alle die zarten Bande entzwei, die mich an mein bisheriges Leben fesselten. Ich hatte eine Braut, ein liebes frommes Kind, das mit ganzer Seele an mir hing, und das ich zärtlich liebte, aber Hedwig war arm und von bescheidner Herkunft -- -- ich gab ihr ihren Ring zurück, ich brach ihr die Treue, und ihr brach darüber das Herz! -- Ich kam hierher und lernte deinen Vater kennen, er schenkte mir sein Vertrauen, und ich machte mich dessen würdig; nach zehn Jahren treuer Arbeit reichtest du mir deine Hand, und ich trat ein in die Reihen der Vornehmsten dieser Stadt. Mir ward ein Sohn geboren, mein Streben erhielt einen neuen Aufschwung; für ihn wollte ich schaffen, auf sein Haupt alles häufen, was meiner Arbeit und Hingabe erreichbar war; ihm wollte ich einen sichern Weg bahnen, und er sollte meinen Namen hinaustragen bis in späte Geschlechter. Und nun hast du ihn dem Kloster gelobt, meinen einzigen Sohn, den alleinigen Träger meines Namens -- und das ganze Gebäude meiner Hoffnungen und Anstrengungen stürzt zusammen, wie ein Kartenhaus!“ Schneidend gingen seine Worte durch Ursulas Seele. Also darum hatte er sie geheiratet -- nicht, weil er sie lieb gehabt, sondern weil sie eine Stufe auf der Leiter war, die er ersteigen wollte, weil er mit der Hand der Erbtochter eines alten Geschlechts für sich selbst einen höheren Rang erwarb! Aber zugleich fiel ihr ein, wie hoch er sie stets gehalten habe, und wie er ihr immer ein treuer, liebevoller Freund gewesen sei; ihr ward auf einmal klar, wie namenlos seine Täuschung sein mußte, als er sich plötzlich den Sohn entrissen sah, für den er so viel gethan und gehofft -- und ein tiefes Mitgefühl mit seinem Kummer kam über sie. Sie ging auf ihn zu, schlang ihre Arme um ihn und sagte mit flehender Stimme: „Wilibald, lieber, teurer Mann, wende dich nicht von mir ab in dieser furchtbaren Stunde! Laß mich nicht zugleich mit dem Sohn auch den Gatten verlieren! laß uns gemeinsam die bittere Heimsuchung tragen, die der Himmel über uns verhängt hat.“ Er sah sie an, fragend und zweifelnd, dann zog er sie an seine Brust und küßte sie mit tiefer Innigkeit. „Mein treues, gutes Weib,“ sagte er bewegt, „mir ist noch nicht alles genommen, solange du mir bleibst und deine Liebe.“ Nie zuvor waren die Ehegatten so fest vereint gewesen, wie in dieser Stunde; ein neuer Bund hatte ihre Herzen umschlungen in wärmerer Neigung und rückhaltloserem Vertrauen, als in all den bisherigen Jahren ihrer Ehe. Lange saßen sie bei einander und berieten, was zu thun wäre; Herr Ebner versuchte es selbst, Pater Benedikt umzustimmen; er bot ihm die reichsten Schenkungen für sein Kloster, seine Kirche an, -- aber der Pater beharrte fest auf der Behauptung, daß Berthold dem Himmel feierlich gelobt sei, und daß es keinen Weg gäbe, um das Gelübde ohne Eidbruch zu umgehen. -- Berthold ahnte nichts von dem Gewitter, das sich über seinem Haupte zusammenzog; fröhlichen Herzens war er hinausgeritten in den sprossenden Wald und hatte mit den Vögeln um die Wette gejubelt und gesungen. Er benutzte gern jeden freien Tag, um die Stadt zu verlassen; das Kontor war ihm immer noch eine trübselige Stätte, an die nur das Muß, kein eignes Interesse ihn fesselte. So oft er konnte, ließ er Bücher und Warenballen hinter sich und eilte hinaus in die heitere Gotteswelt, wo ihm das Herz weit aufging. Er machte sich gern etwas auf dem Annenhof zu schaffen; bald wollte er nach der Wirtschaft sehen, bald erbat er sich einen Auftrag seiner Mutter an Crescenz; war’s doch immer nur ein kurzer Ritt von dort bis nach Maltheim, wo er gar zu gern vorsprach. Irmgard empfing ihn immer mit Jubel; mit ihm konnte sie nach Herzenslust umherschwärmen, bald zu Fuß und bald zu Pferde, und er hatte stets ein offenes Ohr für ihre Begeisterung für alte Helden und vertiefte sich mit ihr in ritterliche Träume. Dem alten Ritter war er auch willkommen, denn er hatte ein offenbares Verständnis für die wunderbaren Heldenthaten seines geliebten Herrn, des Markgrafen Albrecht Achilles, und ließ sich geduldig zum hundertsten Mal all die Turniere beschreiben, die jemals auf der Kadolzburg abgehalten worden waren, und deren Pracht und Bedeutung der jetzigen schwächlichen Generation wie ein Märchen erscheinen mußte. Mit Frau Kunigunde sprach Berthold von Ulrich, der nun schon seit Monaten in der Fremde war; erst einmal hatten die Seinen eine Botschaft von ihm erhalten, -- um so unbegrenzter war das Feld für Vermutungen, Hoffnungen und Befürchtungen. Berthold hatte diesmal in Maltheim übernachtet und kehrte erst am nächsten Mittag von dort nach Hause zurück. Seine Mutter, die eine schlaflose Nacht in Gebet und Thränen zugebracht, hatte Befehl gegeben, ihn sogleich zu ihr zu führen. Ihr brach fast das Herz, als sie ihn in den Hof einreiten sah; wie jung und lebensfroh sah er aus, mit welcher Schnellkraft schwang er sich vom Pferde, wie heiter und leutselig sprach er mit dem Reitknecht, der, wie alle Diener des Hauses, mit bewundernder Zuneigung an seinem jungen Herrn hing. Er sollte scheiden von dieser sonnigen Welt, für die er doch so ganz geschaffen war; er sollte eine grobe Kutte tragen, dem doch die ritterliche Kleidung so gut stand; er sollte niedrige Dienste verrichten, der doch gemacht schien, zu befehlen und sich bedienen zu lassen -- o Gott, es war zu hart und bitter, und das Schrecklichste davon war, daß sie, seine Mutter, die mit Freuden ihr Herzblut für ihn hingegeben hätte, ihm selbst dies Schicksal bereitet hatte! Da stand er schon auf ihrer Schwelle und kam mit ausgebreiteten Armen und fröhlich leuchtendem Antlitz auf sie zu. „Bist du wieder frisch und gesund, Herzmutter?“ sagte er mit zärtlicher Umarmung; „ich war gestern recht betrübt, daß ich dir nicht lebewohl sagen durfte. Aber nein, du bist noch nicht genesen, du siehst ganz verändert aus, so angstvoll und traurig, und deine Augen sind rot von Thränen -- o sprich, was ist dir, mein Mütterchen, laß dich von deinem Berthold trösten!“ Jedes seiner Worte gab ihr einen Stich ins Herz, daß sie meinte, sie könne die Pein nicht ertragen. „Setze dich zu mir, mein Sohn,“ sagte sie mit mühsam behaupteter Fassung, „ich habe dir sehr, sehr Ernstes zu sagen.“ Sie erzählte ihm die Geschichte jenes Sommers, als er an der Pest daniederlag, und die gestrige Mahnung des Paters. Ungläubig hatte er zugehört, halb lächelnd, halb unwillig; jetzt rief er mit lautem, erzwungenem Lachen: „Ich verstehe dich nicht, Mutter, was meinst du eigentlich? Du kannst unmöglich auch nur einen einzigen Augenblick daran denken, einen Mönch aus mir zu machen! Ha ha! welch ein lustiger Einfall -- ich fürchte, ich würde nur einen Wolf im Schafskleide abgeben!“ „Lache nicht, Berthold,“ erwiderte sie schmerzlich, „du thust mir unsagbar wehe damit. Es ist kein Scherz, es ist bitterer -- furchtbarer -- unabwendbarer Ernst!“ Er sprang wild empor, sie hielt ihn mit sanfter Gewalt fest. „Geh nicht so von mir, mein Sohn,“ bat sie flehend, „geh nicht im Zorn von deiner Mutter, die dich grenzenlos liebt und jedes Leid, das dich trifft, doppelt schwer in ihrem Herzen empfindet.“ „Mutter, Mutter!“ rief er außer sich, indem die hellen Thränen ihm aus den Augen stürzten, „du weißt nicht, welche Aussicht du vor mir aufthust! O warum ließest du mich nicht lieber sterben, ehe du um solchen furchtbaren Preis mein Leben erkauftest! Tausendmal lieber auf dem Friedhof begraben sein, als bei lebendigem Leibe im Kloster vermodern! O, du weißt es nicht, welch ein Leben viele dieser frommen Brüder führen, die äußerlich so demütig und scheinheilig thun und innerlich voll Laster sind. Wievielmal habe ich mit meinen Genossen über die heuchlerischen Mönche gespottet, die es oft schlimmer treiben, als das ärgste Weltkind -- und nun soll ich selbst einer ihrer Schar werden, soll umherziehen mit frommer Miene und mit Tücke im Herzen -- nein, ich kann es nicht, Mutter, es ist unmöglich!“ Frau Ursula war wie vernichtet, dennoch durfte sie nicht nachlassen; ihr eignes Seelenheil hätte sie im Übermaß mütterlicher Liebe vielleicht aufs Spiel gesetzt, -- das ihres Sohnes niemals! Sie weinte und flehte; endlich warf sie sich vor Berthold auf die Kniee und rief jammernd: „Hast du kein Erbarmen mit deiner unglücklichen Mutter? willst du sie meineidig machen und ihre Seele in alle Ewigkeit zur Hölle verdammen lassen?“ Lange stand der Jüngling regungslos von ihr abgewendet, endlich reichte er ihr die Hand. „Ich will es thun,“ sagte er heiser, „um deinetwillen will ich es thun. Aber laßt mir Zeit.“ Damit stürmte er hinaus und ward für viele Stunden nicht im Hause gesehen. -- Eine dunkle Wolke hing über dem Ebnerhause; es war, als läge ein Toter darin. Verstummt war jedes laute Wort, jedes heitere Lachen; niedergeschlagen schlichen alle Bewohner umher und wagten nur miteinander zu flüstern. Berthold vermied jedes Alleinsein mit seiner Mutter, die namenlos darunter litt, mußte sie doch jedes Weh dreifach durchkosten: in ihrer eignen Seele, in der des Gatten und des geliebten Sohnes. Jeder vermied es ängstlich, auf seinen Eintritt ins Kloster hinzudeuten, und er selbst schien den Gedanken weit von sich zu schieben. Bald arbeitete er den ganzen Tag im Kontor mit einem Eifer, als hinge sein Leben daran; bald ließ er sein Pferd satteln und sprengte hinaus, um erst in sinkender Nacht heimzukehren; mitunter verweilte er bis zum Morgen im Kreise lustiger Zecher -- er selbst der ausgelassenste unter den übermütigen Genossen; ein andermal blieb er den ganzen Tag auf seinem Lager liegen, als ob jeder Lichtstrahl ihm weh thäte. Es ging ein tiefer Riß durch sein ganzes Wesen, ein klaffender Zwiespalt, der noch lange nicht geheilt war. Eines Tages saß Margarete in ihrer Mädchenkammer am offnen Fenster, das durch die zartbelaubten Zweige des Nußbaums in eine Laube verwandelt wurde. Des Mädchens Herz war schwer und bedrückt! sie sehnte sich unbeschreiblich nach einer Aussprache mit dem Bruder und wagte es doch nicht, dieselbe herbeizuführen, weil sie fürchtete, zurückgewiesen zu werden. Da kam Berthold müden Schrittes über den Hof gegangen; er blieb neben dem Baum stehen, legte die Arme um den alten Stamm, wie um einen treuen Freund, und blickte sinnend in sein Laubdach hinauf. Leise verließ Margarete das Fenster und eilte auf den Hof hinab; sie legte ihre Hand sanft auf seine Schulter und sagte in innigem Ton: „Mein lieber, guter Bruder! wie oft haben wir als glückliche Kinder unter diesem Baum gespielt!“ Er küßte sie mit zuckenden Lippen, und ein trauriges Lächeln flog über seine bleichen Züge. „Wollen wir noch einmal hinaufsteigen ins alte Kindernest, Gretelein?“ fragte er. Sie nickte, und beide kletterten die schmale Leiter empor, die an den untersten Zweigen befestigt war; da, wo der gewaltige Stamm sich in unzählige Äste teilte, war ein Sitz angebracht, der die Wonne der Kinder gewesen war. Für zwei Erwachsene war er freilich eng, aber sie schmiegten sich so fest aneinander, daß der Platz ausreichte. „Weißt du noch, Gretel,“ begann er, „wie wir dich einmal hier sitzen ließen, als du noch ein ganz kleines Ding warst, und die Leiter fortnahmen, daß du nicht herunterkonntest? wie du da flattertest und pieptest, wie ein Vögelchen, das noch nicht fliegen gelernt hat?“ „Gewiß weiß ich’s noch: du mußtest hart mit Hans kämpfen, der mir durchaus helfen wollte, und unterdessen kam Ulrich und befreite mich. Ulrich war immer mein getreuer Ritter, der mich gegen dich in Schutz nahm, du lieber, böser Berthold!“ „Und besinnst du dich noch, Gretelein, wie wir einmal den Turm zu Babel aus Fässern und Kisten erbaut und dich und Elsbeth oben drauf gesetzt hatten, und wie dann plötzlich der ganze Bau zusammenbrach, daß ihr jammernd am Boden lagt?“ „O, ich erinnere mich wohl; der Vater war so böse, Hans sollte mit dir hart gestraft werden, aber du nahmst alle Schuld auf dich und trugst allein die ganze Strafe, mein großmütiger Bruder.“ So ging es eine lange Weile fort mit „weißt du noch?“ und „erinnerst du dich?“ bis die dunkle Wolke auf Bertholds Stirn sich lichtete und mitunter sein altes, helles Lachen erklang. „Und immer,“ sagte er, „war das Ende aller Spiele, daß unsre Herzmutter kam und uns Äpfel, Nüsse und Honigkuchen brachte, daß sie uns lobte und liebkoste, oder für uns bat, wenn wir eine Dummheit begangen und des Vaters Zorn erregt hatten. Und immer erschien sie mir wie ein Abbild der Mutter Gottes, die auch so mild und gütig ist und für die Sünder bittet. Damals liebte sie mich noch -- aber jetzt ...“ „Berthold!“ rief die Schwester tief erschrocken, „willst du an der Liebe unsrer Mutter zweifeln?“ „Ist das Liebe,“ fragte er düster, „die dem einzigen Sohne alles raubt, was uns das Leben schön und wert macht? Um ihretwillen habe ich auf alle Träume von Rittertum und kriegerischen Lorbeeren verzichtet, um ihretwillen soll ich mich jetzt lebendig begraben -- und das nennst du Liebe?“ „O mein Bruder,“ sagte das Mädchen mit tiefer Trauer, „wie wenig verstehst du die Liebe unsrer Mutter! Siehst du nicht, wie unaussprechlich sie um dich leidet, daß sie in wenig Wochen um Jahrzehnte gealtert, daß ihr schönes, braunes Haar von Silberfäden durchzogen ist! Sie würde Leben und Seligkeit opfern, um dich zu retten, aber es giebt kein Mittel, um deine Seele zu lösen, als das eine, vor dem wir alle zurückbeben, und das doch unabwendbar ist.“ Er sah in tiefem, trübem Sinnen vor sich nieder, ohne etwas zu erwidern. „Sieh, Berthold,“ fuhr sie leise fort, „wenn es ein Mittel gäbe, um dich von diesem traurigen Schicksal zu befreien, die Deinen würden ja nicht zaudern, dir jedes Opfer zu bringen. Ich ging zu Pater Benedikt und flehte ihn an, dich frei zu geben, ich wolle statt deiner ins Kloster gehn, -- aber er sagte, hier sei keine Stellvertretung möglich, der Himmel verlange das voll und ganz, was ihm geweiht sei.“ „Du, Gretel, du wolltest dich für mich opfern?“ sagte Berthold mit Thränen in den Augen; „hast du bedacht, was es heißt, dem Leben entsagen und der lichten, sonnigen Welt und den Menschen, die du lieb hast, und dich einsperren in einen dumpfen Kerker, mit verknöcherten Seelen, in denen allmählich alles menschliche Gefühl, jeder eigne Gedanke erstorben ist, die nur noch willenlose Werkzeuge ihrer Oberen sind? Und das sind noch die besten unter ihnen, die es so weit bringen!“ „Ja, es wäre schwer gewesen, Berthold, aber doch leichter für mich, als für dich. Ein Mädchen lebt ohnehin in einer engeren Welt, als ein Mann, und ich bin gewiß, man kann im Kloster Gott mit reinem Herzen und voller Hingabe dienen.“ „Mein Schwesterlein, meine liebe, süße Grete,“ flüsterte er mit überströmender Zärtlichkeit, „hab Dank für deine Treue! Du hast mir sehr wohlgethan und den schlimmsten Druck von meiner Seele genommen; ich kann wieder an die Liebe meiner Mutter glauben -- und an die deine, du treues Herz; habe tausend Dank dafür!“ -- Wenige Tage später trat Berthold in seines Vaters Schreibzimmer. „Ich bin bereit,“ sagte er mit düsterer Entschlossenheit, „bringt mich ins Kloster.“ Herr Ebner stand auf; seine kühlen, klugen Augen schimmerten feucht, er schloß ihn in seine Arme. „Mein einziger, geliebter Sohn,“ sagte er tiefbewegt, „ich hatte andre Wünsche für dich, und ganz anders lag dein Lebenslauf vor meinem hoffenden Blick. Aber die Kirche läßt nicht mit sich handeln, sie verlangt den höchsten Preis. Und da sie die Schlüssel des Himmelreichs in ihren Händen trägt, müssen wir uns ihr beugen in schweigendem Gehorsam.“ So war er denn endlich herangekommen, der lang gefürchtete Tag des Scheidens. Aller Wünsche trafen darin zusammen, daß Berthold nicht in ein Nürnberger Kloster eintreten sollte; sein Vater wollte ihn nach Augsburg bringen, wo ein entfernter Verwandter Prior des Augustiner-Konvents war. Im Gemach der Hausfrau saßen Mutter und Sohn und feierten eine Stunde vollster Versöhnung, in heißer Liebe und herzbrechendem Weh. Gewaltsam riß sich Berthold los von ihr und den Seinen, von den Freunden und Dienern des Hauses, die mit Thränen und Jammern ihn umstanden. Nur fort, fort! und wenn es in den Tod ginge! die Qual dieser Stunden war ein stückweises Sterben. Wir lassen einen Schleier fallen über die Schmerzen des letzten Abschiedes, über Frau Ursulas verzweifelten Kummer, über die traurige Öde ihres Lebens ohne ihren Liebling. Nur die zärtliche Fürsorge für ihren Gatten hielt sie aufrecht, für ihn hatte sie immer einen freundlichen Blick und ein herzliches Wort. Eines Tages kamen die Damen von Maltheim nach der Stadt geritten und stiegen im Ebnerhause ab. „Wo ist Berthold?“ fragte Irmgard hastig, als die beiden Töchter des Hauses ihr grüßend entgegentraten. „Er ist fort,“ sagte Margarete traurig, und Elsbeth setzte schnell hinzu: „Er ist ins Kloster gegangen, um ein altes Gelübde zu erfüllen, und wird nie wieder zu uns zurückkehren.“ Irmgards blasse Wangen wurden noch bleicher, Thränen stiegen in ihre Augen, aber sie wischte sie trotzig fort. „Es ist nicht möglich,“ sagte sie heftig und stampfte mit dem kleinen Fuße auf; „Gretel, sage schnell, daß es nicht wahr ist.“ „Es ist doch wahr, Irmgard; hat er denn nicht Abschied von dir genommen?“ „Er führte das letzte Mal allerlei närrische Reden, aber ich sagte ihm, das sei ein schlechter Scherz. So niedrig dächte ich nicht von ihm, um zu glauben, daß er sich freiwillig zu willenlosem Müßiggange und trübseliger Knechtschaft verurteilen ließe, und wenn ihm einer das zumute, solle er sich dessen weigern und um seine Freiheit kämpfen bis aufs Blut: ich würde lieber sterben, als eine Nonne werden. Da rief er mir zu, ich würde meine bösen Worte künftig noch bereuen; wenn ich einmal zu seinen Füßen kniete, würde er mir die Absolution verweigern, denn dann hielte er die Schlüssel des Himmels in seinen Händen. Damit lachte er laut auf und ritt davon -- aber es war nicht sein helles, frohes Lachen; ich hörte es immerfort in meinen Ohren klingen, und es hat mir sehr wehe gethan. Und nun soll ich ihn nicht wiedersehen, den lieben, frohherzigen Kameraden, und nicht einmal einen besseren Abschied von ihm nehmen? o Gretel, das ist hart!“ Sie verbarg das Gesicht an der Brust der Freundin und brach in leidenschaftliches Weinen aus. [Illustration] Elftes Kapitel. Maria von Burgund. Fürstenkind, wie allein stehst du auf dem schwindelnden Gipfel, Bis dich der Ritter erlöst, der sich in Liebe dir naht. An einem heißen Julitage lag Frau Ursula im halb verdunkelten Gemach auf den Kissen ihrer Ruhebank, müde von traurigen Gedanken, abgespannt von der glühenden Hitze, und hörte nur mit halbem Ohr auf die „wunderbaren Historien von denen berühmten Frauen, so sich seit Erschaffung der Welt im Guten oder Bösen hervorgethan,“ ein kürzlich erschienenes Buch mit vielen schönen Bildern, aus dem die beiden am Fenster sitzenden Töchter ihr abwechselnd vorlasen. Sie schaute mit mattem Lächeln auf, als Herr Wilibald ins Zimmer trat und sich neben sie setzte. „Ich hoffe, du befindest dich wohl, liebes Weib,“ sagte er freundlich, „es würde mir doppelt schwer werden, dich leidend zurückzulassen.“ „Ihr wollt fort, lieber Herr?“ fragte sie ängstlich, „o laßt mich nicht allein, ich kann es nicht ertragen!“ „Ich habe so eben eine Botschaft erhalten,“ fuhr er fort, „die mich zu einer längeren Reise zwingt. Erzherzog Maximilian, der Sohn unsres Kaisers und unser zukünftiger Herr, wird sich mit Maria von Burgund vermählen, und der versammelte Rat hat mir den Auftrag gegeben, unsre Stadt bei dem Hochzeitsfest zu vertreten. Du wirst einsehen, liebe Ursula, daß ich eine solche Ehre unmöglich ablehnen konnte.“ „Ihr wollt bis nach Flandern reisen und mich für Wochen, vielleicht für Monate verlassen? o mein Gatte, das Haus wird mir wie ausgestorben erscheinen, und ich werde meinen, schon alles verloren zu haben, was ich liebte.“ „Du hast noch die Mädchen,“ versetzte er mit leisem Vorwurf; „sie werden sich sicher bemühen, dich zu pflegen und zu erheitern. Lieber noch hätte ich dich freilich mit mir genommen, denn vielleicht würde der Wechsel dir gut thun und dich wohlthätig zerstreuen.“ Sie überlegte eine kleine Weile. „Ich möchte Euch nicht zur Last fallen, lieber Herr,“ sagte sie, liebevoll zu ihm aufblickend, „und doch möchte ich Euch gern begleiten, wenn Ihr es wünscht. Ich will mich zusammenraffen, Wilibald; Ihr sollt Euch unterwegs nicht mit einer schwächlichen Frau plagen, die Euch jeden frohen Augenblick verkümmert.“ Der Entschluß war heilsam für die Ratsherrin, die Vorbereitungen zur Reise rissen sie gewaltsam aus dem Zustande dumpfen Brütens empor, in den sie verfallen war. Galt es doch auch für sie, den gediegenen Reichtum und den künstlerisch gebildeten Geschmack der freien Reichsstadt vor einer glänzenden Versammlung zu vertreten. Täglich gingen Kaufleute aus und ein, welche kostbare Stoffe und edles Geschmeide zur Auswahl vorlegten, oder der Gewandschneider, dem die Ausführung der Festgewänder übertragen war. Als endlich Frau Ursula den ganzen Hochzeitsstaat zur Probe anlegte, klatschten die Mädchen vor Freude in die Hände und erklärten, die fürstliche Braut selbst könne nicht herrlicher anzuschauen sein, als ihr liebes, schönes Mütterchen. Auch Herr Wilibald schien befriedigt, denn er küßte sein Weib auf die Stirn und flüsterte ihr zu, daß er stolz auf sie sein werde. -- Als alle Vorkehrungen getroffen waren, wurden die Töchter auf den Annenhof geschickt, und die Eltern traten ihre Reise an. Um Frau Ursulas Kräfte zu schonen, konnten sie täglich nur wenige Meilen zurücklegen, und so vergingen mehrere Wochen, bis sie das ferne Ziel ihrer Reise erreichten. -- Die Augen von ganz Europa waren zu dieser Zeit auf Burgund gerichtet, das mit dem Tode des Herzogs Karl des Kühnen den Herrscher verloren hatte. Das Reich hatte sich im Laufe eines Jahrhunderts aus kleinen Anfängen zu großer Bedeutung entwickelt; durch Heiraten, Eroberungen und kluge Verträge war es an Größe gewachsen, bis es sich wie ein gewaltiger Keil zwischen Deutschland und Frankreich schob, zu beiden Staaten in einem Lehnsverhältnis stehend und doch beide in ihrer Sicherheit bedrohend. Blühende, volkreiche Städte, in denen sich deutsche und französische Elemente einten, wetteiferten an Kunstsinn, Gewerbefleiß und Handelsverkehr, wie an Üppigkeit und frohen Festen mit den Republiken und Fürstenhöfen Italiens; kein Herrscherhaus konnte sich eines gleichen Reichtums an Gold und Edelsteinen, an Prachtpalästen und herrlichen Gerätschaften, an Waffen und Kriegsmaterial rühmen. Die flandrischen und brabantischen Gewebe, die kostbaren Teppiche waren in ganz Europa hoch berühmt; auch die Kunst feierte hier schon ihre Triumphe, und der Name der Brüder van Eyck, welche zu Brügge und Gent ihre Malerschulen begründeten, hatte weithin einen hellen Klang. Oft hatte Karl der Kühne in seiner stolzen Seele den Gedanken gehegt, das Vasallenverhältnis zu lösen und den Herzogshut mit der Königskrone zu vertauschen; seine wiederholten Niederlagen gegen die schweizerischen Eidgenossen und sein Tod bei Nanzig hatten aber allen ehrgeizigen Plänen ein frühes Ende bereitet. Nun war die ganze, unermeßliche Erbschaft seiner einzigen Tochter, der zwanzigjährigen Maria, zugefallen, und von allen Seiten drängten sich die Freier herzu, um mit ihrer Hand die reiche Herrschaft und den Herzogsstuhl zu erwerben. Maria von Burgund zog allen andern Bewerbern den deutschen Kaisersohn, Maximilian von Österreich vor; die Verlobung wurde in seiner Abwesenheit feierlich vollzogen, und am 18. August sollte zu Gent ein glänzendes Vermählungsfest der vereinsamten Fürstentochter einen Gatten, dem Lande einen festen, männlichen Herrscher geben. Es war ein schwüler Augustabend, als Herr Wilibald Ebner und seine Gattin in die Thore von Gent einfuhren. Eine zahllose Menschenmenge wogte in den Straßen auf und ab, war doch die Stadt schon zu gewöhnlicher Zeit so bevölkert, daß man mittags eine Glocke läuten ließ, zum Zeichen, daß die Mütter ihre Kinder aus dem Wege räumen sollten, damit sie nicht durch die Scharen heimkehrender Arbeiter über den Haufen gerannt werden möchten. Nun kam noch eine Menge von Fremden dazu, welche aus aller Welt Enden herbeigeströmt waren, um den Glanz der fürstlichen Hochzeit anzusehen; kein Wunder also, wenn die Straßen überfüllt waren und der Wagen nur langsam vorwärts kam. Endlich hielt er vor der ansehnlichen Herberge, welche dem Ratsherrn empfohlen worden war. Der behäbige Wirt mit schneeweißer Schürze stand vor der Thür, doch zuckte er bei Herrn Wilibalds Begehr nur lächelnd die Achseln und erklärte, sein Haus sei bis unters Dach mit Gästen besetzt, und er hätte nicht mehr so viel Platz, um ein Mäuslein zu beherbergen, geschweige denn einen so stattlichen Herrn mit Wagen, Pferden und Gefolge. Nicht besser ging es dem Kaufherrn an drei, vier andern Stellen, überall waren die Herbergen voll, dabei dunkelte es schon, und Frau Ursula war so erschöpft, daß sie dringend nach Ruhe verlangte. Ratlos stand der Nürnberger da, als er hinter sich eine Stimme hörte, welche in unverkennbar süddeutscher Mundart sagte: „Kann ich Euch behilflich sein, Herr Landsmann? mich dünkt, Ihr seid in Verlegenheit.“ Als Ebner sich umwandte und den Sprecher ansah, trat er erschrocken einen Schritt zurück, denn es schien ihm, als stände Berthold leibhaftig vor ihm. Doch schon der zweite Blick genügte, um die Täuschung zu zerstören, denn der Fremde war wohl um zehn Jahre älter, als sein Sohn, und seine ganze Erscheinung trug das Gepräge reifer Männlichkeit. „Habe ich die Ehre, einen Angehörigen der freien Reichsstadt Nürnberg in Euch zu begrüßen?“ fragte er den jüngeren Mann höflich. „Ich bin der Ratsherr Ebner und als Vertreter unsrer Stadt hieher gesandt.“ „Ich bin aus Bamberg gebürtig,“ versetzte der Genter, „doch habe ich einige Jahre meiner Jugend im schönen Nürnberg verlebt. Es sollte mir eine Freude sein, werter Herr, Euch in meinem Quartier einstweilen ein Unterkommen anzubieten, denn es dürfte schwer sein, heute abend noch eine Herberge zu finden.“ „Ihr seid sehr gütig,“ versetzte Herr Wilibald, „doch bin ich nicht allein, sondern habe meine Gattin mit mir, für die mir ein Ruheplätzchen dringend erwünscht wäre. Wollt Ihr Eure Gastfreundschaft so weit ausdehnen?“ „Mein bescheidnes Haus ist zwar wenig zur Aufnahme zarter Damen eingerichtet, doch wenn Ihr gütig vorlieb nehmen wollt -- ein Zimmer und ein Ruhebett findet sich wohl.“ „So nehme ich Euer Anerbieten dankbar an,“ sagte Herr Ebner und schritt mit dem Fremden die Straße entlang während der Wagen ihnen langsam folgte. In einer Gasse, die von dem lärmenden Verkehr der Hauptstraßen ein wenig abseits lag, hielt der junge Mann vor einem zweistöckigen Hause still; eine Glocke rief ein paar Diener herbei, und man half Frau Ursula aus dem Wagen. „Seid willkommen, werte Frau, im Hause Lorenz Tuchers,“ sagte der Genter mit höflicher Verbeugung, indem er die Patrizierin die steinernen Stufen hinaufführte. Frau Ursula blieb überrascht stehen. „Ihr seid ein Tucher? auch ich bin von Geburt eine Tucherin -- hat ein freundlicher Stern uns zu einem Verwandten geführt?“ Der Grad der Verwandtschaft ließ sich zwar nicht feststellen, doch war sie sicher irgendwie vorhanden, und Name und Herkunft genügten, um hier in der Fremde schnell ein enges Band um die zufällig Vereinten zu schlingen. Lorenz Tuchers Haus war auch keineswegs so dürftig ausgestattet, um nicht selbst verwöhnten Gästen einen angenehmen Aufenthalt darzubieten, und die Nürnberger ließen sich gern überreden, sich kein anderes Quartier zu suchen, sondern bei dem Vetter zu bleiben. Der nächste Tag war nach der langen anstrengenden Reise ganz der Ruhe gewidmet; man brachte manche Stunde in traulicher Unterhaltung zu und unterrichtete sich über die beiderseitigen Verhältnisse. Lorenz erzählte von seinen Seereisen, die er zu verschiedenen Malen gemacht hatte, um alle Stapelplätze des mächtigen Hansabundes zu besuchen; er war mit flandrischen Tuchen und feiner Leinwand nach Bergen in Norwegen gefahren, wo die deutschen Kaufleute ein eignes Stadtviertel inne hatten und sich in Wohnung und Sitte von allen andern Nationen abschlossen; von Schonen hatte er Heringe geholt, die als unentbehrliche Fastenspeise in alle Länder Europas verschickt wurden; selbst bis in das ferne Nowgorod war er gekommen, wo man Leder, Honig und Wachs gegen die Erzeugnisse des Südens eintauschte. Auch von den Verhältnissen in Burgund wußte er viel Interessantes zu erzählen, was den Nürnbergern noch neu war, denn in einer Zeit, wo man Zeitungen noch nicht hatte, wurden die Ereignisse eines Landes oft nur langsam, auf dem Wege von Mund zu Mund, in anderen bekannt. Er machte eine traurige Schilderung von der Verlassenheit, in der sich die junge Herzogin nach dem Untergange ihres Vaters befunden hätte. „Man erzählte uns,“ bemerkte Ebner, „daß König Ludwig von Frankreich, ihr erlauchter Pate, sich der Fürstentochter warm und väterlich angenommen habe.“ „In der That,“ erwiderte Tucher ironisch, „er war so liebevoll, daß er ihr das schwere Amt des Regierens möglichst erleichtern wollte, deshalb suchte er große Stücke des Reiches an sich zu reißen; und er meinte es so väterlich, daß er Maria zu seiner Schwiegertochter machen wollte, obgleich sein Söhnchen erst sieben Jahre zählt und an Leib und Seele ein Schwächling sein soll.“ „Unglaublich!“ sagte Frau Ursula entrüstet, „wie kann man im Ernst an die Verbindung einer zwanzigjährigen Prinzessin mit einem kleinen Kinde denken!“ „Der Herzogin gefiel der Freier auch nicht sonderlich,“ fuhr Lorenz fort, „sie warf sich ganz ihren getreuen Ständen in die Arme, erbat ihren Schutz gegen den übermächtigen Nachbar und versprach dagegen, ihnen alle die Freiheiten und Gerechtsame zurückzugeben, die ihr gewaltthätiger Vater ihnen widerrechtlich entrissen hatte. Aber so unberechenbar und wetterwendisch ist ein Weiberkopf: kaum hatte sie sich den Ständen gegenüber feierlich verpflichtet, da reute sie’s wieder; sie schickte die Räte ihres Vaters Huguenot und d’Himbrecourt, geborene Franzosen und den Ständen als Werkzeuge ihrer Unterdrückung tief verhaßt, zum Könige und erbot sich zu allerlei Zugeständnissen, wenn er sie im ruhigen Besitz ihrer Herrschaft lasse. Der hinterlistige Monarch aber verriet Marias zweideutiges Spiel an die burgundischen Abgesandten, die ihrerseits mit ihr unterhandeln wollten, und im ganzen Lande entbrannte eine heiße Entrüstung, die sich, da man sie nicht an der Herzogin selbst auslassen konnte, gegen die französisch gesinnten Räte wendete. Man warf sie in den Kerker, machte ihnen den Prozeß und verurteilte sie als Verräter zum Tode. Vergebens flehte die Fürstin die Richter um Gnade an, sie fand nur taube Ohren. Sie versuchte es, sich an ihr Volk zu wenden; ich selbst habe sie gesehen, wie sie ohne Begleitung, im Trauergewande, das Haupt mit einem schwarzen Schleier umhüllt, mit aufgelösten Haaren und verzweiflungsvollen Gebärden die Straßen durcheilte und die Menge beschwor, den Tod ihrer getreusten Anhänger zu verhindern. Umsonst! einzelne wurden von ihrem Jammer wohl gerührt, aber die große Menge blieb unbewegt, und als die blutigen Häupter der beiden Verräter auf dem offnen Markte vom Schafott niederrollten, -- da erhob das zuschauende Volk ein lautes Freudengeschrei.“ „Heilige Anna, wie entsetzlich!“ rief Frau Ursula schaudernd und bekreuzte sich. „Furchtbares Los einer Fürstin, durch eigne Unklugheit ihre besten Freunde ins Verderben zu stürzen! Was fing die unglückliche Maria nach diesem Tage an?“ „Sie verließ Gent, das ihr durch dieses blutige Schauspiel unerträglich geworden war, und ging nach Brügge. Dort traf wenige Wochen später eine stattliche Gesandtschaft ein, mit dem Kanzler des Deutschen Reiches, dem Erzbischof von Mainz, an der Spitze. Sie legten der Fürstin einen Ehevertrag vor, den vor Jahren ihr Vater mit Kaiser Friedrich zu Trier abgeschlossen hatte, und überreichten ihr den Ring, den sie selbst damals dem knabenhaften Bräutigam übersendet hatte. Da besann sie sich nicht lange, -- man sagt, sie hätte dem Kaisersohn immer eine stille Liebe bewahrt, obgleich sie ihn nur im Bilde gesehen -- sondern gab freudig ihr Jawort und forderte Maximilian auf, sofort zu ihr zu kommen und das alte Versprechen einzulösen.“ „Es ist schön und erhebend,“ bemerkte Frau Ursula sinnend, „daß auch in den höchsten Kreisen die Liebe einmal zu ihrem vollen Rechte kommt. Man meint sonst wohl, daß nur die kühle Erwägung politischer Vorteile ein fürstliches Paar vor dem Altar vereinige.“ „Für Maria mag die Liebe die Hauptsache sein,“ meinte Lorenz trocken, „für das Land wäre ein gefüllter Beutel sicher keine üble Zugabe gewesen. Aber man sagt, daß der Kaisersohn, trotz seiner hohen Stellung, nicht über bedeutende Mittel verfüge, und dann prophezeie ich ihm einen schweren Stand, denn in einem so reichen Lande, wie dieses ist, giebt in den Augen der großen Menge nur das Gold dem Manne eine Bedeutung.“ „Ich bin überzeugt,“ erwiderte die Ebnerin mit leisem Unmut, „daß Maximilian überall einen siegenden Eindruck machen wird, denn man findet nicht oft seinesgleichen an Hoheit und Ritterlichkeit der Erscheinung, und ein echter Fürst kann des Goldes entbehren, um die Herzen des Volkes zu gewinnen.“ „Wir wollen sehen,“ sagte Lorenz achselzuckend, „aber ich kenne meine Genter und Brügger Bürger zu gut, um zu glauben, daß sie sich durch einen baumhohen Wuchs und ein huldreiches Lächeln bestechen lassen.“ -- -- „Wie gefällt dir unser Wirt?“ fragte Herr Wilibald seine Gattin, als beide allein waren. „Er macht den Eindruck der Tüchtigkeit und Gediegenheit, aber mir scheint, er ist für seine Jahre zu ernst und nüchtern. Ich habe es gern, wenn junge Menschen noch Feuer und Begeisterung fühlen, wie unser ...“ aufquellende Thränen erstickten ihre Stimme, und Bertholds Name blieb unausgesprochen. „Du vergißt,“ erwiderte der Gatte etwas unzufrieden, „daß er kein unmündiger Knabe mehr ist, sondern ein Mann, der die Verhältnisse im ruhigen Lichte einer reifen Erfahrung ansieht. Mir sagt er ungemein zu; so, gerade so, hätte ich mir meinen Sohn gewünscht, -- wenn es der Himmel nicht anders gefügt hätte. Ich wollte, ich könnte Lorenz überreden, in die Heimat zurückzukehren und in meine Handlung einzutreten; soll auch der Name Ebner in Nürnberg nicht dauern, so könnte sich doch das alte Haus der Tuchers neu beleben.“ Frau Ursula schwieg; -- so schnell sollte Bertholds Stelle durch einen Fremden ausgefüllt werden? Es wallte in ihr auf wie Haß gegen Lorenz, der sich anmaßte, den Sohn ersetzen zu wollen -- und doch mußte sie sich bei ruhiger Überlegung sagen, daß jener ganz unschuldig an diesen Plänen sei und gewiß nichts davon ahne. -- Am nächsten Morgen verkündete der Klang aller Glocken, daß der Festtag gekommen sei, an welchem Maximilian von Österreich seinen feierlichen Einzug in die Stadt halten sollte. Prächtig hatten sich über Nacht und in den ersten Morgenstunden die Straßen geschmückt; überall wehten bunte Fahnen, hingen farbige Decken und köstliche Teppiche aus den Fenstern, selbst aus den Dachluken heraus; über die Straßen hin zogen sich Laubgewinde, an denen sich Blumenkronen wiegten, oder die mit flatternden Bändern und Sinnsprüchen verziert waren. Die Häuser der adligen Geschlechter hatten ihre schön gemalten Wappenschilder ausgehängt, die Gildehäuser und Trinkstuben ihre Handwerks- und Wahrzeichen. Eine erwartungsvolle Menge in Festkleidern besetzte alle Fenster und Balkone, sogar von den Dächern herab schauten neugierige Augen auf die Straßen, durch welche der Fürst kommen sollte. Jetzt ließ der Belfried, der schlanke Glockenturm, der sich mitten auf dem Markt erhob, seine helle Stimme erschallen; vor dem Rathause sammelte sich der Zug, welcher dem Erzherzog entgegengehen und ihn am Thor begrüßen sollte. Voran ein glänzender Reitertrupp in Plattenharnischen, auf starken Rossen mit langwallenden Sattelmänteln, auf denen die Wappen des Stadtadels gestickt waren; dann Fußvolk in knappanliegenden Wämsern mit Plattmützen und stumpfen Schuhen, mit Schwert und Spieß bewaffnet. Vor ihnen her schritt gravitätisch der Fähnrich, der seine Fahne kunstreich zu schwenken verstand: bald warf er sie in die Luft und fing sie im Schwunge wieder auf; bald hüllte er sich in das Fahnentuch ein wie in einen Mantel, dann ließ er es wieder in seiner ganzen Länge über den Häuptern hin wehen, daß alle seine Schildereien zu voller Geltung kamen. Nun folgten die Herren vom Rate der Stadt, alle im langen Amtskleide, mit den goldenen Halsketten, eine überaus würdevolle Schar. An sie schloß sich ein Zug von Jungfrauen aus den ersten Familien der Stadt, in weißen, strahlenden Gewändern, mit goldenen Kränzen und duftigen Schleiern in den aufgelösten Locken, fast ausnahmslos hohe Gestalten mit lieblichen Zügen. In unabsehbarer Reihe folgten nun die verschiedenen Gilden zu Fuß und zu Pferde, jede im vorgeschriebenen Gewande, mit stattlichen Bannern und Abzeichen, mit Pfeifern und Trompetern an der Spitze. In der Nähe des Thores stellten sich alle in langem Spalier auf, nur die Ratsherren und die Jungfrauen blieben in der Mitte des Platzes stehen, während die vorderste Reiterschar hinaussprengte, um die Ankommenden schon außerhalb des Thores zu empfangen. Jetzt gab der Türmer das Zeichen, die Böller krachten, Erzherzog Maximilian betrat die Stadt: eine herrliche Heldengestalt, ganz in glänzenden Stahl gehüllt, mit dem wallenden Purpurmantel darüber. Die wenig hervortretende Stirn, die mächtige Nase, die hängende Unterlippe kennzeichneten den Habsburger; der hohe, reckenhafte Wuchs, die tiefblauen, leuchtenden Augen mit dem kühnen, freien Blick, das goldene Lockenhaar ließen ihn als ein echtes Königsbild erscheinen. Ein langes Gefolge von Fürsten und hohen Herren schloß sich an, aber den Ehrenplatz an der Seite des edlen Bräutigams nahm ein schlichter Ritter ein. „Wer ist der Bevorzugte?“ flüsterte unter den Zuschauern einer dem andern zu. „Das ist Ritter Kunz von Rosen,“ hieß es, „der lustige Rat des Prinzen und zugleich sein bester Freund, der nie von seiner Seite weicht. Er ist der treue Genosse all seiner Abenteuer und soll seinem Herrn schon mehr als einmal das Leben gerettet haben, wenn dieser sich in tollkühnem Mut in die größten Gefahren begeben hatte.“ Leutselig grüßte Max nach allen Seiten; die Ansprache der Väter der Stadt nahm er mit huldvoller Freundlichkeit entgegen, den Jungfrauen begegnete er mit ritterlicher Artigkeit. Seine jugendliche Kraft und Schönheit, verbunden mit seiner echt fürstlichen Haltung machte einen so tiefen Eindruck auf die Menge, daß das anfängliche, kritische Schweigen schnell einer wachsenden Begeisterung wich und das Jubeln und Schreien eine betäubende Höhe erreichte. Plötzlich gab er seinem Roß die Sporen, daß es sich aufbäumte, und sprengte mit ungeduldiger Hast vorwärts, man sah es ihm an, daß er Eile hatte, die Braut zu begrüßen. Jetzt kam er in den Bereich des Palastes, auf dessen Balkon die junge Fürstin im Kreise ihrer Frauen stand; mit klopfenden Pulsen schaute sie dem Bräutigam entgegen, dessen Bild sie lange in ihrem Herzen getragen, und den ihre Augen doch noch nie erblickt hatten. Es war ein Augenblick, der alle höfische Etikette über den Haufen warf; unten schwang der Jüngling seinen Federhut und schaute strahlenden Blicks hinauf, von oben beugte sich die Jungfrau über die steinerne Balustrade und ließ ihr Tuch grüßend in der Luft wehen. Noch wenige Sekunden -- dann war Maximilian vom Pferde gesprungen, die breite Treppe hinauf geflogen, und nun hielt er die Braut, die ihm entgegeneilte, fest in seinen Armen. -- So waren Deutschland und Burgund vereint, und wenn auch ein allzu früher Tod Maria verhinderte, an der Seite ihres Gatten den deutschen Kaiserthron zu besteigen, so war sie doch vom Schicksal bestimmt, die Stammmutter einer langen Reihe deutscher Kaiser zu werden. Der kirchlichen Vermählung folgte eine Reihe von glänzenden Festen. Der Hof von Burgund hatte sich stets durch Prachtliebe ausgezeichnet; er zog die adlige Jugend aus allen Ländern an sich, denn nirgends wurden ritterliche Übungen so leidenschaftlich betrieben, standen die alten Ritterspiele in so hoher Blüte, wie hier. So gab es alle Tage Turniere für den Hof und die hohen Gäste des fürstlichen Paares, Banketts von seiten der Stadt, Preis- und Wettschießen für den kleineren Bürger, Spiel und Tanz für die Jugend, Speisung der Armen, und was sich der Geist der Zeit an Lustbarkeiten irgend erdenken konnte. Auch Herr Ebner und seine Gattin nahmen an mehreren dieser Feste teil, aber wenn Frau Ursulas Erscheinung auch immer schön und würdig war, so war sie doch bei weitem nicht die erste an Glanz und Reichtum, denn die Frauen von Gent trugen sich alle wie Königinnen, und ihr kostbares Geschmeide, die Pracht ihrer Gewänder stellte fast die der anwesenden Fürstinnen in Schatten. Endlich war der Festjubel verrauscht, das herzogliche Paar verließ Gent, um in den übrigen Städten des Landes seinen frohen Einzug zu halten; auch die Nürnberger rüsteten sich zur Heimfahrt. Am Abend vor der Abreise saßen die beiden Männer noch lange in ernster Unterredung beisammen. Herr Ebner redete dringend auf den jüngeren Freund ein, der anfangs kopfschüttelnd zuhörte und manches Bedenken zu haben schien; allmählich aber schwand sein Widerstand, und als die beiden sich trennten, geschah es mit so herzlichem Händedruck, daß sie wohl einig geworden sein mußten. Am nächsten Morgen schied man mit Versicherungen aufrichtiger Freundschaft von beiden Seiten. „Gebt uns bald Gelegenheit, Vetter, Euch Eure Gastfreundschaft in unserm Hause zu vergelten,“ sagte Frau Ursula; -- „behaltet mich in gutem Andenken, bis ich zu Euch komme, Frau Base,“ bat Lorenz; -- „auf baldiges Wiedersehen in Nürnberg!“ klang es herüber und hinüber, und Grüße und Winke wurden gewechselt, solange der Wagen noch in Sicht war. Im folgenden Frühjahr erschien Lorenz Tucher in Nürnberg, wo er wie ein alter Freund und lieber Verwandter empfangen wurde. Er hatte sein Haus in Gent verkauft und wollte für immer nach der alten Heimat übersiedeln. In kurzer Zeit war er im Ebnerhause vollkommen heimisch und verkehrte in brüderlicher Weise mit den Töchtern, doch gab es zwischen ihm und Margarete manchen stillen Kampf, denn das hochgesinnte Mädchen nahm ebenso oft einen Anstoß an seiner kühlen Beurteilung mancher Dinge, die ihr groß und würdig erschienen, wie er an ihrer warmen Begeisterung für vieles, was ihm der Beachtung unwert dünkte. Elsbeth dagegen sah mit unbegrenzter Bewunderung zu dem neuen Vetter auf und war bereit, jeden seiner Aussprüche als unfehlbares Orakel zu betrachten. Er beschäftigte sich zuweilen denn auch in herablassender Freundlichkeit mit dem Bäschen, wie man sich wohl mit einem kleinen Kätzchen abgiebt, dessen drollige Sprünge selbst einen ernsten Mann in müßiger Stunde ergötzen mögen. [Illustration] Zwölftes Kapitel. Mutter und Tochter. Unwiderstehlich spricht zu dem Kinde die Stimme der Mutter, Prallt sie auch anfangs zurück, endlich gewinnt sie den Sieg. Die vier Jahre, welche für Ulrichs Studienzeit bestimmt waren, gingen ihrem Ende entgegen, und auf Maltheim zählten Mutter und Tochter schon die Wochen bis zu seiner Heimkehr. Frau Kunigunde war eben in ihrer Vorratskammer beschäftigt -- dieselbe war der Stolz und die Freude ihres Hausfrauenherzens, und sie würde den Schlüssel dazu keiner fremden Hand anvertraut haben --, als ihr ein Mädchen gemeldet wurde, das in einer dringenden Angelegenheit die Herrin zu sprechen wünschte. Sorgfältig verschloß diese den Raum, der die besten Schätze ihres Hauses enthielt, und stieg hinab in die Halle, wo sie die Dirne fand, welche ganz erschöpft auf einen Schemel gesunken war. Dieselbe beugte sich über die Hand der Edelfrau und bat sie in schluchzenden Tönen, ihr zu ihrer Mutter zu folgen, welche krank daniederläge und keine Ruhe finden könne, weil ein schweres Geheimnis sie drücke. Erst allmählich erkannte Frau Kunigunde in der Sprechenden die blonde Nelleke, Frau Barbaras Tochter, und eine bange Ahnung stieg in ihrem Herzen auf. Auf wen konnte das Geheimnis, von dem jene sprach, sich beziehen, als auf Irmgard, und was konnte die Sterbende ihr zu sagen haben, als etwas, was ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigte? Dennoch war sie sogleich entschlossen, dem Rufe zu folgen, um endlich die volle Wahrheit zu erfahren. Sie traf ohne Zögern die nötigen Anstalten, sagte Irmgard, daß ein wichtiges Geschäft sie zwinge, sich in die Stadt zu begeben, legte ihr die Sorge für den Vater ans Herz und brach nach wenig Stunden auf, von einigen Dienern begleitet, deren einer Nelleke vor sich aufs Pferd nahm. Einige heiße, trockne Wochen hatten die Landstraße in einen leidlichen Zustand versetzt, man kam ziemlich schnell vorwärts und erreichte noch bei hellem Tage die Stadt. Die Edelfrau gönnte sich keine Ruhe nach dem ermüdenden Ritt; kaum vom Pferde gestiegen, eilte sie nach der Schenke zum blauen Affen und ließ sich in die Kammer führen, wo Frau Bärbel schon seit Wochen auf dem Krankenbette lag. Die behäbige Frau war sehr verändert, die vollen Backen waren eingefallen und von fahler Blässe, die Augen irrten angstvoll suchend umher und leuchteten auf, als sie endlich auf Frau Kunigundens Antlitz hafteten. „Den Heiligen sei Dank, daß Ihr kommt, edle Frau!“ stöhnte sie, „ich konnte nicht sterben, ohne Euch alles bekannt zu haben. Neiget Euer Ohr zu mir, meine Kraft ist schwach -- die Mutter Gottes helfe mir, meine Beichte zu Ende zu bringen.“ Frau Kunigunde setzte sich neben das Lager und preßte Hände und Lippen fest zusammen, um das heftige Schlagen ihres Herzens zu unterdrücken. „Sprich ohne Scheu, Bärbel,“ sagte sie mit erkünstelter Ruhe, „ich höre jedes Wort.“ „Ich habe Euch einst belogen,“ begann die Sterbende leise und abgebrochen, „es war Euer eignes Kind, das ich im Garten begrub, und ein fremdes, das ich an seiner Statt in die Wiege legte.“ „Wo habt Ihr meine Irmgard begraben?“ fragte die Edelfrau tonlos. „Unter der großen Linde, rechts vom Altan. Ich habe inbrünstige Gebete darüber gesprochen.“ „Und wo kam das fremde Kind her?“ „Mein Gatte hatte es auf der Landstraße gefunden.“ Ein langes Schweigen folgte. Durch Frau Kunigundens Seele ging wie ein zweischneidiges Schwert der Schmerz um den Tod des eignen Kindes und ein Gefühl, als ob Irmgard von ihrem Herzen losgerissen würde. „Sagt, daß Ihr mir vergebt, gnädige Gebieterin,“ bat Barbara mit leiser, angstvoller Stimme. „Vergeben? wie könnte ich das!“ erwiderte die beraubte Mutter mit unterdrückter Heftigkeit. „Warum, o warum habt Ihr mir das gethan?“ „Ich konnte Euren Schmerz nicht ansehen -- er brach mir fast das Herz. Und als an demselben Tage Klaus mir das fremde Kind brachte, das ebenso helle Härchen und dunkle Augen hatte wie das unsrige -- und so zart und fein war -- da meinte ich, es sei ein Fingerzeig der heiligen Jungfrau, die Euren Kummer lindern wollte. Während Ihr in tiefer Ohnmacht lagt, vertauschte ich die Kinder, ohne daß es jemand sah. Aber von Stund’ an hatte ich keine Ruhe mehr -- ich konnte Euch nicht mehr frei ins Gesicht sehen, es litt mich nicht länger auf der Burg. Jahrelang trug ich mein Geheimnis mit mir umher, ohne es zu verraten; erst, als Pater Benedikt nach Nürnberg kam, faßte ich mir ein Herz und beichtete ihm meine Schuld. Er strafte mich mit strengen Worten und legte mir harte Bußen auf, dennoch aber ließ er mich geloben, gegen jedermann darüber zu schweigen, solange Euer edler Gemahl am Leben sei. Aber nun tritt der Tod an mich heran -- ich konnte nicht scheiden mit der Lüge auf dem Herzen -- -- o laßt mich nicht sterben, ohne daß Ihr mir vergeben habt!“ Sie sank erschöpft in ihre Kissen zurück, und eine namenlose Angst malte sich auf dem abgezehrten Antlitz. Die Todesqual der alten Dienerin ging Frau Kunigunden tief zu Herzen; welche Gedanken auch ihre Seele bestürmten, so drängte sie dieselben doch zurück und dachte mit gütigem Sinn nur daran, das arme Weib zu trösten. „Du hast es gut mit mir gemeint,“ sagte sie nach einer Pause mit bebender Stimme, „und du konntest wohl nicht ermessen, was deine That bedeute. Ich will dir deinen Tod nicht erschweren -- ziehe hin in Frieden, und möge dir Gott verzeihen -- wie ich es thue.“ Sie erhob sich schnell, denn ihre Fassung drohte sie zu verlassen, und, gefolgt von den Segenswünschen und Dankesworten der Sterbenden, eilte sie fort. -- Als Frau Kunigunde am nächsten Tage mit schwerem Herzen nach Hause zurückkehrte, wurde sie von verstörten Gesichtern empfangen und sah mit einem Blick, daß etwas Ernstes geschehen sei. Voll Angst und Sorge eilte sie hinauf in das Zimmer ihres Gatten, wo ihr Pater Anselmus, der neben seinem geistlichen Amt die Stelle eines Arztes auf Meilen in die Runde versah, mit ernster Miene entgegentrat. „Faßt Euch, edle Frau,“ begann er, „bereitet Euch auf eine traurige Kunde vor.“ „Was ist’s?“ fragte sie bebend, „ist mein Gatte ..?“ ihre Lippen weigerten sich, das schreckliche Wort auszusprechen. „Euer Gatte lebt, aber die Hand des Herrn hat ihn schwer getroffen, Ihr werdet ihn sehr verändert finden.“ Die Edelfrau ließ sich nicht länger zurückhalten, sie trat an das Lager des Ritters, der still, mit geschlossenen Augen, dalag; nur der keuchende Atem verriet, daß in der bewegungslosen Gestalt noch Leben sei. Ein Schlagfluß -- selbst heute noch eine Erscheinung, die unvermittelt und unerklärt in das blühende Leben eingreift, die bei dem damaligen Stande der Wissenschaft aber vollends geheimnisvoll und unheimlich erscheinen mußte -- hatte den alten Herrn zu Boden geworfen und ihm die Fähigkeit der Sprache und Bewegung geraubt. Von Grauen erfüllt, hatten die Diener sich zurückgezogen und Irmgard und Pater Anselm allein bei dem Geschlagenen gelassen. Seit dem gestrigen Abend hatte das kleine Fräulein das Bett des Vaters nicht verlassen, jetzt hatte die Ermüdung der durchwachten Nacht sie übermannt; im großen Lehnstuhl zusammengekauert, war sie in so tiefen Schlaf gesunken, daß selbst das Kommen der Mutter sie nicht erweckte. Mit blutendem Herzen blickte jene von dem Gatten auf die Tochter, sollte sie beide hingeben müssen? sollte die weiße Rose, die sie so treu gepflegt hatte, von ihr genommen werden und sie nicht mehr durch ihren lieblichen Anblick und süßen Duft erquicken? -- Unermüdlich teilten sich die beiden Frauen in die schwere Pflege des Kranken, dem die geschwundenen Kräfte nicht wiederkehren wollten. Zuweilen glitt, wenn die Tochter zu ihm trat, ein schwacher Schimmer von Freude über das wachsbleiche Antlitz, oder es malte sich eine Unruhe darauf, sobald die Gattin das Gemach verließ; aber das waren auch die einzigen Spuren von Bewußtsein. Doch Frau Kunigundens Prüfungen waren noch nicht zu Ende: eines Morgens blieb Irmgard, welche sich immer müder umhergeschleppt hatte, auf ihrem Lager liegen, und Pater Anselmus erklärte, daß sich infolge übermäßiger Anstrengung ein schleichendes Fieber ihrer bemächtigt habe. Trostlos vernahm die Edelfrau diesen Ausspruch, wem sollte sie Irmgards Pflege anvertrauen? sie selbst war durch die Hilflosigkeit des Gatten vollauf in Anspruch genommen. In dieser Not wußte der Pater einen Rat und versprach, ihr eine Pflegerin zuzuführen, auf deren Gewissenhaftigkeit sie sich unbedingt verlassen könne. An demselben Abend klopfte es an Frau Kunigundens Thür, und vor ihr stand eine Frau, deren Kopf ein großes Tuch verhüllte. „Pater Anselmus schickt mich,“ begann dieselbe mit leiser, stockender Stimme, „wollt Ihr mir gestatten, meine -- -- Eure -- -- das kranke Fräulein zu pflegen?“ „Wer seid Ihr?“ fragte die Edeldame, von banger Ahnung ergriffen. Die Fremde hob flehend die Hände empor. „O, schickt mich nicht fort, ich beschwöre Euch,“ rief sie, und das herabfallende Tuch ließ Afras Züge erkennen, „erlaubt mir nur, Euch und dem Fräulein zu dienen wie die geringste Magd, ich begehre nichts darüber hinaus. Vergeßt, was ich einst gesagt und gedacht, laßt -- o laßt mich bei Euch bleiben!“ Ein paar Augenblicke vergingen, Frau Kunigunde kämpfte mit sich selbst, dann reichte sie Afra die Hand und sagte fest: „Es sei! ich will Euch unser geliebtes Kind anvertrauen -- ich weiß, Ihr werdet es treu versorgen, und der Himmel gebe seinen Segen dazu!“ Die Edelfrau sah bald ein, daß sie eine treuere Pflegerin, als Afra, nicht hätte finden können, denn jene war Tag und Nacht auf ihrem Platze. Die Kranke erkannte sie anfangs nicht, denn sie lag fast immer in einem Zustande, der halb Schlaf und halb Betäubung war; doch nach einigen Tagen bemerkte Afra, daß Irmgards Augen fest und mit Bewußtsein auf sie gerichtet waren. Sie unterdrückte eine zitternde Furcht vor einem heftigen Ausbruch des Abscheus, wie damals, als sie zuerst auf der Burg erschienen war, aber das Mädchen blieb ruhig und sagte nur leise: „Ich kenne Euch, wie kommt Ihr hieher?“ „Frau Kunigunde hat mich rufen lassen, um ihr beizustehn.“ „Euch? und warum gerade Euch?“ „Pater Anselm wußte, daß ich mit Kranken umzugehen verstehe. Ich gehe, sobald ich nicht mehr gebraucht werde. Soll ich gleich gehen?“ „Nein, bleibt!“ versetzte Irmgard kurz; „ich glaube, Ihr meint es gut mit mir.“ So blieb Afra, und es bildete sich allmählich ein freundliches Verhältnis zwischen ihr und dem Fräulein, das nur langsam genas. „Erzählt mir die Geschichte Eures Lebens,“ bat sie einmal, und Afra erzählte, anfangs vorsichtig und zurückhaltend, bei den Lichtpunkten ihrer Erinnerung verweilend, um die Genesende nicht zu erregen, nach und nach immer ausführlicher, denn Irmgard hörte nicht auf, zu forschen und zu fragen, bis sie alles erfahren hatte. In der Seele des jungen Mädchens vollzog sich eine gewaltige Wandlung: der heftige Widerstand, den sie damals Afras Ansprüchen entgegengesetzt, war gebrochen; sie fühlte es mit unwiderleglicher Gewalt, daß sie wirklich die Tochter dieser Frau sei. Diese Überzeugung, welche durch Walburgs frühere Behauptung vorbereitet worden war, stürzte alles um, was bisher ihr Denken und Thun bestimmt hatte. Der Stolz, mit dem sie auf ihre adlige Geburt, auf die langen Reihen ritterlicher Ahnen geblickt hatte, war ein lächerliches Unding, wenn sie von einfachen Handwerkern abstammte, ihr ganzes Leben hier auf der Burg war eine Lüge! Ihr war es, als finge das goldene Kettlein, das sie seit ihrer Kindheit getragen, an ihrem Halse zu brennen an; sie öffnete das Schlößchen und legte das alte Schmuckstück ab. An einer feinen Kette hing ein Goldplättchen, auf dem fünf blaue Steine ein Vergißmeinnicht bildeten; das war wohl über zweihundert Jahre alt und stammte von einer Ahnfrau des Hauses, deren Andenken in hohen Ehren gehalten wurde. Wie stolz war Irmgard gewesen, als die Mutter ihr das einfache Kleinod umhing und sie ermahnte, es wohl zu bewahren und jener Frau Jutta von Maltheim und Buchenbühl ähnlich zu werden, ihren Eltern ebenso gehorsam, ihrem einstigen Gatten ebenso treu zu sein. Oft hatte ihr die Mutter die Geschichte jener Ahnfrau erzählen müssen, deren Bräutigam unter dem Zeichen des Kreuzes in das Heilige Land gezogen war, und von dem sie jahrelang nichts gehört hatte; wie sie ihm trotzdem die Treue bewahrt habe, obgleich jedermann von seinem Tode überzeugt gewesen sei; wie sie all ihren Schmuck, bis auf dies eine Kettlein, verkauft habe, um einen Spielmann auszurüsten und nach ihm auszusenden. Der aber habe allzu lange nach dem Ritter suchen müssen, und beide seien erst in dem Augenblick zurückgekehrt, als das Fräulein, dem Befehl ihres Vaters folgend, einem Kaufmann die Hand zum Ehebunde habe reichen sollen. Beim Anblick des Geliebten sei sie totenbleich zu Boden gefallen, der Ritter aber habe den Bräutigam zum blutigen Kampf herausgefordert, habe ihn besiegt, und als Siegespreis die Hand seiner Dame erhalten. Wie oft hatte Irmgard das Vergißmeinnicht betrachtet und sich dabei an Fräulein Juttas Stelle gedacht, wie oft sich im stillen gelobt, nur einem Ritter angehören zu wollen, der so treu, so heldenhaft sei, wie jener Herr Diether. Sie hatte es sogar der Ahnfrau sehr verargt, daß sie sich je habe bestimmen lassen, an einen Städter auch nur zu denken, und sie war entschlossen, in diesem Punkt selbst dem Befehl ihres Vaters zu trotzen, der freilich ebenso dachte wie sie. Was war nun aus all diesen stolzen Träumen geworden? sie war das Kind einer armen Frau, die einst die Magd der Frau Ebnerin gewesen; selbst Berthold würde jetzt nicht mehr daran gedacht haben, sie zu seiner Gattin zu erwählen. Hans Fiedler, den sie stets mit huldreicher Herablassung behandelt, dessen ehrerbietige Huldigung sie hingenommen hatte, wie ein Königskind die Liebe des Schäferknaben -- er war ihr Bruder, der über ihr Geschick zu bestimmen haben würde; Ulrich aber stand so hoch, hoch über ihr, daß sie froh sein konnte, wenn er sie einmal zur Gürtelmagd seiner Gemahlin machte. O, es war unsäglich bitter! Irmgard mußte ihre Augen vom Lichte abwenden und ihr Antlitz gegen die Wand kehren, um das brennende Schamgefühl zu verbergen, das ihre bleichen Wangen mit Purpur färbte. Was sollte nun geschehen? sie konnte nicht auf der Burg bleiben und noch fernerhin die Rolle des Edelfräuleins spielen, -- dagegen sträubte sich ihr Wahrheitsgefühl; sie konnte auch nicht auf den Annenhof ziehen und Afras gehorsame Tochter sein, -- dagegen bäumte sich ihr Stolz und die jahrelange Gewohnheit. Lange suchte sie vergebens nach einem Ausweg, dann kam ihr plötzlich, wie ein Lichtstrahl in tiefer Nacht, der Gedanke an das Kloster. Ja, das war eine Rettung, und sie griff begierig danach. Dann fiel ihr Berthold ein, und wie sie ihm einst verächtlich zugerufen hatte, sie würde lieber sterben, als eine Nonne werden. Und nun ging sie doch denselben Weg; es stirbt sich nicht so leicht, und der Tod kommt selten, wenn man ihn leidenschaftlich ersehnt. Im stillen bat sie dem fröhlichen Spielgefährten jedes schroffe Wort ab, ja sie fühlte sich ihm näher gerückt durch die Gleichartigkeit ihres Schicksals. „Erstaunlich, daß gerade wir beide der Welt entsagen müssen, wir, die wir uns doch so wohl darin fühlten, so glänzende Pläne machten, so hoch hinaufstrebten! Die Heiligen führen uns wunderbare Wege zu dem Ziel, das sie uns gesteckt haben, wir mögen wollen oder nicht!“ -- -- Der Ritter von Maltheim war sanft entschlafen und in der Schloßkapelle bei seinen Vätern beigesetzt. Afra hatte den trauernden Frauen treuen Beistand geleistet; nach dem Begräbnis aber war sie ohne Gruß und Abschied verschwunden. In tiefem Schmerz saßen Frau Kunigunde und Irmgard bei einander, jede von Gedanken erfüllt, die mühsam nach einem Ausdruck rangen. „Es ist gut für Euch, daß Ulrich bald heimkehrt,“ sagte endlich das Mädchen gepreßt --, „so werdet Ihr doch nicht lange ganz einsam sein.“ Die Mutter blickte erstaunt auf; der förmliche Ton, in dem jene sprach, überraschte sie. „Ich habe ja noch dich, mein liebes Kind.“ „Aber nicht mehr für lange -- ich muß fort.“ „Du willst mich verlassen, jetzt, da ich traurig und einsam bin? Irmgard, hat deine Mutter das um dich verdient?“ „O macht mir das Herz nicht schwer, Frau -- Frau Kunigunde von Maltheim,“ rief das Mädchen, in Thränen ausbrechend, „Ihr wißt es doch besser als ich, daß ich Euer Kind nicht bin, daß Ihr den Findling nur aus Erbarmen aufgenommen habt! Ich kann nicht länger bei Euch bleiben, aber ich kann auch nicht bei meiner Mutter leben -- laßt mich ins Kloster gehn, das ist der einzige Ort auf Erden, wo ich Ruhe und Frieden finden kann.“ Mit namenlosem Erstaunen vernahm die Edelfrau diese Rede; wie hatte sie gesonnen und gegrübelt, auf welche Weise sie Irmgard die bittere Kunde beibringen könne, -- und nun kam jene ihr zuvor, sie wußte alles und hatte aus eignem Antrieb den Entschluß gefaßt, vor dem sie selbst noch zurückbebte, und den sie doch als den einzig schicklichen Ausweg in dieser Lage betrachten mußte. Sie that ihre Arme auf: „mein Kind, meine geliebte Tochter!“ rief sie, „komm an meine Brust und laß uns in alter Liebe alles miteinander besprechen, was uns beide so schmerzlich bewegt. Hat dich die heilige Jungfrau mir nicht übergeben, daß du mein Trost und meine Freude sein solltest? und bist du nicht deines Vaters teuerster Schatz bis an sein Ende gewesen? Und wenn du uns nicht durch deine Geburt angehörst, hat unsre jahrelange Liebe uns keinen Anspruch an dich erworben?“ Da schmolz die Rinde von Härte und Bitterkeit, die sich um Irmgards Gemüt gelegt hatte, sie sank in die Arme der treuen Mutter und sagte ihr alles, was ihr banges Herz erfüllte. Einige Tage danach erschien Afra, nach der man geschickt hatte, wieder auf der Burg. Irmgard ging ihr entgegen und reichte ihr die Hand; sie war noch bleicher als gewöhnlich, aber in ihren Zügen lag eine tiefe Ruhe: der schwere Kampf war ausgestritten, in ihrer Seele volle Klarheit. „Seid willkommen, liebe Mutter!“ sagte sie sanft, „ich stehe an der Schwelle eines neuen Lebens und bitte um Euren Segen.“ Afra starrte sie an, als dürfe sie ihren Ohren nicht trauen. „Matthäa!“ rief sie dann jauchzend, „mein süßes Kind, erkennst du endlich deine Mutter? O Gott im Himmel, habe Dank für diese Gnade! Du hast mir meinen Liebling wiedergeschenkt!“ Sie zog Irmgard an ihr Herz und überschüttete sie mit heißen Küssen und Liebkosungen; dann schob sie sie einen Schritt von sich fort, um ihr Gesicht, ihre Gestalt mit trunknem Blick zu betrachten. Endlich faßte sie sich, verbarg ihr thränenbenetztes Gesicht einen Augenblick in ihren Händen und schaute ruhiger auf. „Fürchte nichts, mein Liebling,“ sagte sie wehmutsvoll, „denke nicht, daß deine Mutter dein Glück trüben, deine hohe Stellung dir rauben will. Du sollst für jedermann das Edelfräulein bleiben, und die edle Frau Kunigunde soll deine Mutter sein, wie bisher. Nur zuweilen, in dunkler Abendstunde, darf ich mich herschleichen, nicht wahr? und wenn kein Auge uns sieht und kein Ohr uns hört, dann darf ich dich meine Matthäa nennen und dich küssen; und wenn du krank bist, darf ich dich pflegen, und wenn du dich einmal verheiratest, darf ich dir folgen und dir dienen und dein Haus verwalten helfen -- nicht wahr, mein Kind? du sollst dich nie, nie meiner schämen dürfen, denn nie will ich es einem Menschenohr anvertrauen, daß du meine Tochter bist!“ Irmgard war tief ergriffen von so selbstloser Liebe. „O meine Mutter,“ sagte sie bewegt, „wie gut bist du! Nein, ich werde mich nie deiner schämen, denn du bist edel von Gesinnung und groß an Liebe und Aufopferung! Aber ich werde nicht hierbleiben und nie einem Gatten folgen -- ich gehe ins Kloster.“ „Ins Kloster!“ wiederholte Afra traurig, „ist dir die Welt vergällt, das frohe Leben zur Last geworden? Ins Kloster! dahin kann ich dir nicht folgen, dort kann ich meinem Kinde nicht dienen. O Matthäa, muß es so sein?“ „Es muß so sein, Mutter, es war von Anfang an der Wille der heiligen Jungfrau. Auch Frau Kunigunde denkt wie ich. Mit dem Beginn der nächsten Woche scheide ich aus diesem Hause und trete in mein neues, stilles Heim ein. Willst du bis dahin bei mir bleiben, Mutter?“ -- -- Wenige Tage später war Irmgards Stelle auf Maltheim leer, zwei einsame Frauen blickten ihr trauernd und sehnsüchtig nach. Frau Kunigunde hatte Afra nicht von sich gelassen, und auf ihr dringendes Bitten hatte diese sich entschlossen, bis zu Ulrichs Rückkehr auf Maltheim zu bleiben. Am Tage ging es noch an, da machten sich beide in Küche und Keller, im Garten und in der Milchkammer, am Waschfaß und auf dem Bleichplatze zu schaffen und ließen sich keine Zeit zu trüben Gedanken. Aber wenn der Abend kam und des Tages Arbeit ruhte, dann saßen die beiden Mütter bei einander und sprachen von ihrem Kinde und beweinten das herbe Schicksal, das beiden die liebliche Tochter von der Seite gerissen hatte. Dennoch waren beide davon durchdrungen, daß Irmgards Entschluß der einzig richtige gewesen, daß sie weder als Edelfräulein auf Maltheim, noch als die Tochter einer früheren Magd auf dem Annenhof hätte leben können. Das Kloster erschien beiden wie ein stiller Friedenshafen, in dem das zertrümmerte Lebensschifflein sicher vor Anker gehen durfte. [Illustration] Dreizehntes Kapitel. Sankt Sebaldus-Tag. Kommt und laßt uns vereint den heiligen Sebald erheben! Dankt ihm in frommem Gebet, preist ihn mit jubelnder Lust. Seit alten Zeiten wurde der neunzehnte August in Nürnberg als hoher Festtag gefeiert, galt er doch dem Andenken des heiligen Sebaldus, den die Stadt als ihren eigensten Schutzpatron verehrte. Sechshundert Jahre mochte es her sein, so erzählte die fromme Legende, als der heilige Sebald mit seinen Gefährten Wilibald und Wunibald die Länder an der Donau durchzog, lehrend und taufend und seine Predigt durch wunderbare Thaten bekräftigend. Da geschah es einst, als die frommen Männer den Strom erreicht hatten, daß die reißende Flut, welche mit Eisschollen trieb, die Brücke zertrümmerte; zagend sahen die Genossen den Führer an, der aber zog seine Kutte aus, legte sie auf das wildbewegte Wasser und stellte sich darauf. Siehe, da trug ihn die Flut gehorsam bis ans andre Ufer und netzte ihm kaum die Füße. Die andern folgten seinem Beispiel; fast erstarrt kamen die Gottesmänner drüben an und traten in eine dürftige Hütte, in der kein Feuer brannte, denn das Holz war den Bewohnern ausgegangen. Da hieß Sebaldus die Frau, Eisschollen auf den Herd tragen und anzünden, alsbald brannten sie lichterloh und verbreiteten liebliche Wärme. Anbetend sanken die Hüttenbewohner vor dem Heiligen auf die Kniee und wagten es, ihm eine Bitte vorzutragen. Ihr einziges Hab’ und Gut, ein paar Ochsen, war ihnen entlaufen; vergebens hatte der Mann sie gesucht, bis die Dunkelheit einbrach. „Geh noch einmal hinaus,“ gebot Sebaldus, „und bete auf dem Wege, und du wirst sie finden.“ „In der Nacht?“ fragte der Bauer zweifelnd; aber er folgte dennoch dem Gebot, und der Wald leuchtete ihm entgegen, wie von hellem Sonnenschein beglänzt. Er betete und fand die Tiere; zum Dank gelobte er sich dem Heiligen zu jedem Dienst, den dieser von ihm verlangen würde. Bald danach ging es mit Sankt Sebald zum Sterben, und seine Genossen fragten ihn weinend, wo er begraben sein wolle. Er gebot ihnen, jene Bauersleute um ihre Ochsen zu bitten und dieselben vor seinen Leichenwagen zu spannen; niemand solle sie lenken, aber wo sie stehen blieben, da solle man seine Leiche in die Erde senken. Die frommen Männer suchten die Hütte an der Donau auf und erinnerten das Ehepaar an sein Versprechen, aber jene wollten nichts davon wissen, sie hätten sich nur dem Lebenden verpflichtet, nicht dem Toten. Kaum hatten sie das Wort gesprochen, so brachen die beiden Stiere mit wütendem Gebrüll aus dem Stall und rannten davon, vor dem Leichenwagen aber blieben sie stehen und ließen sich geduldig anspannen. Dann lenkten sie nach der Stelle hin, wo der Neroberg mit dem grauen Turm, dem ältesten Wahrzeichen Nürnbergs, emporragte, und standen vor der kleinen Kapelle des heiligen Petrus still. Kein Ruf, kein Peitschenschlag vermochte sie von dieser Stelle zu vertreiben; da erkannten die Begleiter, daß es die Stätte sei, die der heilige Sebaldus sich zur Rast erkoren hatte, und sie begruben ihn dort. Als aber ein Blitz die Petrikapelle traf und einäscherte, da ward man inne, daß sie des großen Heiligen, der auch im Grabe noch herrliche Wunder wirkte, nicht wert gewesen sei; man legte die Gebeine in einen mächtigen Sarg von gediegenem Silber und führte darüber die gewaltige Sebalduskirche auf. Der Sarg ward ein Ziel der Wallfahrt für alle, die auf Nürnberger Grund und Boden wohnten; man legte reiche Gaben darauf nieder und erkannte immer deutlicher, daß Sankt Sebald der Stadt hold und wohlgesinnt sei. Aber den Vätern leuchtete auch ein, daß der kostbare Sarkophag einer schützenden Hülle bedürfe, wenn sein Glanz nicht durch die tausende andächtiger Küsse, die in jedem Jahr darauf gedrückt wurden, beschädigt werden sollte, sie beauftragten daher den trefflichen Rotgießer, Peter Vischer, einen kunstreichen Tempel zu fertigen, welcher den Sarg wohl den Blicken, aber nicht den Händen und Lippen der Gläubigen aussetze. Dies Kunstwerk war eben vollendet worden und sollte am diesjährigen Sebaldustage enthüllt werden.[2] [Footnote 2: Thatsächlich wurde Vischers Sebaldusgrab, wie Adam Kraffts Sakramentshäuschen, erst einige Jahrzehnte später, nach 1500, vollendet, während unsre Erzählung erst bis zum Jahre 1480 vorgeschritten ist; doch haben wir die Beschreibung dieser Kunstwerke hier vorweg genommen, um die Schilderung dieser Periode Nürnbergischer Kunstblüte zu vervollständigen. Beide Künstler waren um diese Zeit in ihrer Vaterstadt thätig.] Schon seit mehreren Tagen bemerkte man eine freudige Erregung in der Stadt, denn alle Klassen, alle Geschlechter wollten an dem großen Kirchenfeste teilnehmen. Als der festliche Morgen anbrach, tönten alle Glocken in feierlicher Harmonie zusammen; gern lauschten die Einwohner den ernsten Klängen, die ihnen von früher Kindheit an lieb und vertraut waren, und begrüßten mit Freude die Töne besonders bekannter Glocken. „Das ist die große Susanna,“ hieß es, „die übertönt alle übrigen, und das ist die kleine Maria, die hat den hellsten Klang.“ In den Straßen wogte eine erwartungsvolle Menge, hier eilten Mitglieder der verschiedenen Innungen zu den bestimmten Sammelplätzen, dort ging eine Schar würdiger Männer nach dem Rathause; geputzte Kinder zogen haufenweise nach den Klosterschulen, und reich geschmückte Jünglinge und Jungfrauen schlüpften, mit schützenden Mänteln angethan, nach der Kirche, von welcher der Festzug ausgehen sollte. Endlich war die Stunde für den Beginn der Prozession gekommen, Pauken- und Posaunenschall bezeichnete den Anfang des Festes. Eine Anzahl berittener Patriziersöhne, im schönsten Schmuck, mit wehenden Federbüschen, eröffnete den Zug, gefolgt von einem Fähnlein zünftigen Fußvolks. Dann kam die Schuljugend mit ihren Lehrern, die Mädchen in hellen Gewändern mit Blumenkränzen, die Knaben mit zahlreichen Prozessionsfahnen, die dreizipflig an einer Kreuzstange hingen. Es folgte die Klostergeistlichkeit in grauen, weißen, schwarzen und braunen Kutten, jeder Konvent mit Kreuz und Fahne; in festlichem Ornat ging der Bischof unter einem Baldachin, hinter ihm die Weltpriester mit ihren prachtvollen Kirchenfahnen; dann die Zünfte mit den Zeichen ihrer Hantierung, die meisten mit brennenden Kerzen in den Händen, während zahllose Chorknaben die Weihrauchgefäße schwangen, und Musik und Gesang den ganzen Zug begleitete. Das Schönste aber war eine Schar von Mädchen und Jünglingen, welche verschiedene Heilige darstellten und in der Tracht alter Gemälde auftraten. Da war König David im Purpurmantel mit goldener Harfe, der heilige Petrus mit den Himmelsschlüsseln, Sankt Laurentius mit dem eisernen Rost, auf dem er den Märtyrertod gefunden, die heilige Agnes mit dem Lamm, die heilige Cäcilie mit der Orgel und viele andere. Gar lieblich anzuschauen war die heilige Margarete, welche von Herrn Wilibald Ebners ältestem Töchterlein dargestellt wurde; so mochte die Heilige wohl ausgesehen haben, so fromm und demütig, so rein und furchtlos, als sie, nur mit einer Palme bewaffnet, über den grimmigen Drachen hinschritt. [Illustration: Eine Stimme rief plötzlich ihren Namen ....] Margarete Ebnerin war sich des Eindrucks, den sie auf die Zuschauer machte, nicht bewußt; ihre Gedanken waren aufwärts gerichtet, oder mit ihrem Bruder beschäftigt. Warum durfte er heute nicht unter den Genossen sein, die so stolz und stattlich daherritten, wie gut hätte er dazu gepaßt! Sie fragte sich, ob er sich wohl schon völlig in das geistliche Wesen eingelebt hätte, oder ob er immer noch in geheimer und offner Auflehnung gegen die strenge Klosterzucht beharre? Nur selten hatte der Vater den Sohn besuchen dürfen; er hatte ihn immer düster und unglücklich gefunden, und der Prior hatte jetzt jeden Verkehr mit den Seinen untersagt, bis der widerstrebende Novize sich völlig der geistlichen Regel unterworfen haben würde. Das dauerte nun schon drei Jahre; wie viele heiße Gebete stiegen täglich für ihn zum Himmel auf! war es möglich, daß sie unerhört bleiben sollten? -- Eine Stimme aus der Menge rief plötzlich ihren Namen; der Ton berührte sie wunderbar, er war ihr so fremd geworden und doch so wohlbekannt! Eine heiße Röte stieg in ihre Wangen, unwillkürlich hob sie den Blick empor, um den Rufenden anzusehen. Eine hohe, männliche Gestalt, in dem schwarzen Samtwams, dem kurzen Mantel und schwarzen Barett eines Baccalaureus, drängte sich durch die Reihen der Gaffenden, die ihn nur widerwillig durchließen, und streckte grüßend die Hände aus. Trotz der vier Jahre der Trennung erkannte sie ihn auf den ersten Blick an den goldenen Locken und den blauen Augen. In der ersten Überraschung war es, als ob sie stehen bleiben und seinen Gruß erwidern wollte, doch besann sie sich schnell, daß sie mitten in einer kirchlichen Feier stände; sie neigte das Haupt noch tiefer herab und schritt, scheinbar unbewegt, vorwärts. Aber in ihrem Herzen war plötzlich heller Sonnenschein, sie konnte an nichts anderes denken, als an den Jugendfreund, und zu all der Musik der verschiedenen Instrumente und zu dem tausendstimmigen Chor um sie her sang sie in ihrem Herzen nur die Worte: „der Ulrich, der Ulrich ist wieder im Land!“ Der Zug hatte jetzt die Kirche erreicht, welche zum festlichen Tage den schönsten Schmuck angelegt hatte. Die Wände waren mit gewebten Teppichen bekleidet, auf denen die Wunderthaten des heiligen Sebaldus in bunten Farben dargestellt waren; auf allen Altären prangten Blumen und geweihte Kerzen, und ein sanfter Weihrauchduft erfüllte das herrliche Gebäude. Inmitten des Hauptschiffes ragte ein verhüllter Bau empor, welcher das neue Sebaldusgrab einschloß; um denselben gruppierten sich die Hauptteilnehmer des Festzuges, während die Gewerke und die Söldner an den Thüren die Wache hielten. Der ganze Kirchplatz war von einer wogenden Menschenmenge erfüllt, die in ihrem Hin- und Herdrängen und mit ihren zahllosen, summenden Stimmen den Eindruck einer bewegten Meeresflut machte. Nach vollendeter Messe trat der Bischof, gefolgt von einer Schar von Geistlichen, die ihn wie ein Glorienschein umgab, in das Mittelschiff und gab mit erhobener Hand ein Zeichen; nun stimmten alle Chöre einen Lobpsalm an, die Posaunen dröhnten dazwischen, und die Decken sanken herab. Ein halb unterdrücktes: Ah! erklang von allen Lippen, als das unvergleichliche Kunstwerk frei vor allen Blicken dastand. Eine erzne Kapelle umschließt den silbernen Sarg des Heiligen; kunstreiche Pfeiler tragen die schön geschwungnen Bogen des Gewölbes, an sie lehnen sich die zwölf Apostel, als die wahrhaften Stützen der Kirche. Zwischen den Pfeilern erheben sich hohe Leuchter, aber ihre Lichte sind auch wieder schlanke Säulchen, welche das Gewölbe tragen helfen. Drei vielfach durchbrochene Türmchen krönen das Werk, dessen untere Platte auf kriechenden Schnecken ruht, und das durch unzählige, kleine Figuren, unter ihnen das Bild des Meisters im Schurzfell, geziert wird. Margarete konnte heute ihre Gedanken nicht in rechter Andacht sammeln; statt ihre Blicke auf das herrliche Kunstwerk zu richten und der Weiherede des hochwürdigsten Bischofs zu lauschen, ließ sie ihre Augen verstohlen in der Kirche umherschweifen, um ihren Freund zu entdecken. Als sie aber seinem Blick begegnete, der fest auf sie geheftet war, da erschrak sie und schaute nicht wieder auf; sie fühlte sich tief beschämt über ihr unfrommes Gebaren und suchte jeden Gedanken zu verbannen, der nicht eng mit dem heiligen Feste zusammenhing. Als die Feier beendet war, verließ der Zug in der vorigen Ordnung das Gotteshaus, und neue Hunderte strömten herein, um das Meisterwerk einheimischen Kunstfleißes anzustaunen und ihre Andacht am Sebaldusgrabe zu verrichten. Stundenlang wogte der Strom hin und wieder, denn es war kaum ein Männlein oder Fräulein in der Stadt, das nicht gewünscht hätte, heute an dieser Stätte zu stehen und zum heiligen Sebaldus zu beten. Gehörte der Morgen dem kirchlichen Dienst, so entfaltete sich in den Nachmittagsstunden das fröhlichste Volksfest; überall wurde gegeigt und getrommelt, geschmaust und getanzt. Die unteren Klassen tummelten sich wohlgemut auf Straßen und Plätzen umher und trieben allerlei Kurzweil; die Familien der höheren Stände begaben sich in mancherlei Fuhrwerken, schwerfälligen Karossen oder leichten Korbwägelchen, hinaus in die Landhäuser, wo in den Gärten reicher Patrizier sich heitere Gesellschaften zusammenfanden. Auch der derzeit gebietende Bürgermeister, Herr Friedrich Volkamer (von den drei erwählten Häuptern des städtischen Regiments, den sogenannten Losungern, führte jedes Jahr ein andrer den Vorsitz im Rat), hatte einen reichen Kreis von Gästen auf seinem prächtigen Landsitze versammelt, unter denen sich auch Herr Wilibald Ebner mit seinen Töchtern befand. Frau Ursula war daheimgeblieben, sie konnte es schwer über sich gewinnen, die Genossen ihres Berthold fröhlich beisammen zu sehen, während er für immer gefangen und von jeder Lebensfreude ausgeschlossen war. Das Haus der Volkamers war mit all der Pracht und dem künstlerischen Geschmack eingerichtet, welche zu jener Zeit dem reichen und kunstliebenden Bewohner Nürnbergs zur Verfügung standen. Im geräumigen Vorsaal verbreitete ein kleiner Springbrunnen erfrischende Kühle; die zierlichsten Erz-Figürchen sprudelten das klare Naß in ein großes Becken, in welchem eine Menge von Goldfischen schwamm; das abfließende Wasser aber setzte eine verborgne Orgel in Bewegung, welche fortwährend eine leise, liebliche Musik ertönen ließ. Der große Speisesaal, dessen geöffnete Thüren in den Garten führten, war mit Bildern reich geziert; auf der köstlich geschmückten Tafel prangte eine Fülle von Gold- und Silbergeschirr, das zum Teil aus der Hand Meister Dürers, des Goldschmieds, hervorgegangen war. Besondere Bewunderung erregte ein Tafelaufsatz von blinkendem Silber, eine weibliche Figur, welche einen reich verzierten Fruchtkorb in den emporgehobenen Händen trägt und mit dem reizenden Köpfchen stützt. Das Stück war ein Meisterwerk in Zeichnung und Ausführung, und doch war es die Arbeit eines Knaben und stammte von Meister Dürers Sohne Albrecht, der auf des Vaters Wunsch bisher noch dessen Handwerk betrieb. Man saß lange bei Tische, und die Gänge schienen kein Ende zu nehmen; da gab es Biersuppe mit Brot und Käse, grünen Kohl mit gebratenem Hammelskopf, Kalbfleisch mit einer Tunke von Pfeffer und Safran, Hirsebrei mit fetter Wurst und ein gebratenes Reh mit Knoblauch und Zwiebeln. Dazu trank man eine Fülle der feurigsten Weine aus Deutschland und Italien, denn die Speisen waren stark gewürzt und erregten rechtschaffenen Durst. Die Unterhaltung der älteren Gäste wurde immer lebhafter und lauter, die Jugend dagegen warf sehnsüchtige Blicke in den Garten hinaus und wünschte das Ende der Tafel herbei, um sich draußen bei Spiel und Tanz zu vergnügen. Endlich bezeichneten süße Kuchen und saftiges Obst den Schluß des Gastmahls; der Koch erschien mit einem silbernen Waschbecken, an dem ein Hirschkopf befestigt war, dessen Geweih ein reich gesticktes Handtuch trug; aus einer silbernen Kanne goß er Wasser über die Hände der Gäste, welche, nachdem sie das Tuch benutzt hatten, eine Gabe für die Dienerschaft in seine Zipfel knüpften. Nun konnte man endlich hinaus in den Garten, der zu den Sehenswürdigkeiten Nürnbergs gehörte. Kunstreich angelegte Blumenstücke wechselten mit geschornen Laubwänden und Bogengängen, welche den schattigsten Aufenthalt darboten. In Absätzen, die durch steinerne Brustwehren geschützt und durch breite Treppen verbunden waren, senkte sich der Garten bis zu einem grünen Wiesenplan herab, und, von unten gesehen, hob sich das Haus mit seinem gewaltigen Söller frei und prächtig aus seiner grünen Umgebung heraus. Während die junge Welt hier in kleinen Gruppen lustwandelte und alle Herrlichkeiten beschaute, traten zwei neue Gäste auf den kiesbestreuten Vorplatz, bei deren Anblick Margaretens Herz heftig zu schlagen begann, denn der eine war ohne Zweifel der, mit welchem alle ihre Gedanken beschäftigt waren -- Ulrich von Maltheim. Wie schön und stattlich sah er aus in dem dunklen Gewande, welches seine edlen Züge, die weiße Stirn und die goldenen Locken nur noch glänzender hervortreten ließ! Aber auch sie bot einen reizenden Anblick dar, in dem lichtblauen Kleide, das, an Hals und Ärmeln mit schneeweißer Leinwand gepufft und mit goldenen Streifen umsäumt, ihre jungfräuliche Gestalt fest und anmutig umschloß, mit dem goldnen Netzhäubchen auf dem glänzend braunen Haar und den klaren, grauen Augen, die so ernst und klug, und doch so mädchenhaft und sittsam um sich schauten. Jetzt hatte auch Ulrich sie erkannt, und nachdem er die Wirte begrüßt, eilte er mit ausgestreckter Hand und einem fröhlichen Lächeln auf sie zu. „Grüß’ Gott, liebe Margarete,“ sagte er innig, „welche Freude, dich endlich wiederzusehen! sei mir tausendmal gegrüßt!“ Er beugte sich über sie, um, wie er früher immer gethan, ihre Stirn zu küssen, aber sie wich verwirrt vor ihm zurück. Eine plötzliche Verschämtheit kam über sie -- wie viele Augen waren hier auf sie gerichtet! „Willkommen daheim, Herr von Maltheim,“ sagte sie in förmlichem Ton und neigte sich höflich vor ihm, wie vor einem Fremden, während sie zugleich ihre Hand aus der seinigen zog. Er sah sie erschrocken an. „So kühl, Margarete? sind wir nicht mehr Freunde, wie wir es immer gewesen?“ „Die Kinderjahre sind vorüber,“ versetzte sie mit gesenkten Augen. „Ihr kehrt als der gebietende Herr von Maltheim zurück, nicht mehr als Junker Ulrich.“ Er zog sich mit einem gekränkten Ausdruck von ihr zurück, begrüßte flüchtig die übrigen, die ihm von früher her bekannt waren und gesellte sich zu den älteren Männern, die unter der großen Linde vor dem Hause in behaglicher Unterhaltung saßen. Inzwischen berieten die Mädchen und jungen Männer, welch ein Spiel sie unternehmen wollten. „Das Minneturnier!“ riefen mehrere Stimmen, und einer der jungen Leute unternahm es, dies allbeliebte Spiel in Gang zu setzen. Jedes der Mädchen erhielt eine Schleife, die sie an ihre Brust steckte, und ein langes Band von derselben Farbe; die Jünglinge teilten sich in zwei Parteien, Ausforderer und Verteidiger, während der Ordner das Amt eines Minnevogtes versah. Nun erkor sich jeder Verteidiger eines der Mädchen zu seiner Dame, die andern aber forderten die Damen zum Kampf heraus; dann ließ der Verteidiger sich auf Hände und Kniee nieder, das Mädchen setzte sich ihm auf den Rücken und hob den Fuß empor, gegen dessen Sohle der Angreifer einen Stoß mit seiner Fußsohle führte. Wer dabei hinfiel, hatte verloren, ward gebunden und mußte sich auslösen, die Mädchen durch einen Kuß, die jungen Männer durch eine Blume oder eine zierliche Gabe. Die Damen hätten bei diesem Spiel wohl immer verloren, hätten sie nicht den Minnevogt zu Hilfe rufen dürfen, welcher sie stützte und ihrem Stoß dadurch größeren Nachdruck gab. Eine Weile wurde mit Eifer und vielem Gelächter gespielt; es fehlte auch nicht an kleinen Listen, in denen sich geheimes Wohlgefallen oder versteckte Abneigung verriet; dann stellte es sich heraus, daß der eine Minnevogt unmöglich allen angegriffnen Damen helfen konnte. Man sah sich daher nach einem zweiten um, und einige schlugen vor, Ulrich dazu heranzuziehen. Sogleich erbot sich Elsbeth Ebnerin, ihn aufzufordern, und ohne auf Margaretens abmahnende Blicke zu achten, eilte sie die Treppen hinauf und trat auf ihn zu. „Wollt Ihr nicht mit uns spielen, Ulrich?“ fragte sie in dem vertraulichen Ton einer alten Bekannten, „es fehlt uns gerade noch ein Teilnehmer, und wir würden uns freuen, Euch unter uns zu sehn.“ „Verzeiht mir, wertes Fräulein,“ erwiderte er ernst und höflich, „wenn ich Eurem Rufe nicht folge; ich habe vor zu kurzer Zeit meinen teuren Vater verloren, um mit den Fröhlichen froh zu sein.“ Etwas kleinlaut kehrte Elsbeth mit diesem Bescheide zu den Genossen zurück, Margarete aber dachte mit tiefer Bekümmernis daran, wie vieles Ulrich bei seiner Heimkehr verändert gefunden, und wie wenig Teilnahme sie ihm gezeigt habe. Sie nahm an allen Spielen nur noch mechanischen Anteil; ihre Gedanken weilten bei dem Freunde, den sie so kühl begrüßt hatte, während sie doch so warm für ihn fühlte. -- -- Ein ganz anderes Bild zeigte zu derselben Stunde der Garten hinter dem Wirtshaus zur goldenen Rose am Markt, wo sich die Kunstgenossen von Nürnberg zusammengethan hatten, um den Festtag in ihrer Weise zu begehen. Unter schattigen Linden und Akazien hatte man lange Tafeln gedeckt, an denen Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen in bunter Reihe Platz genommen hatten, während die Kinder sich in lauter Fröhlichkeit um sie her tummelten. Die Ehrenplätze an der Spitze nahmen Peter Vischer und Adam Krafft ein, welche sich in die bewundernde Anerkennung ihrer Mitbürger teilten. Meister Adam hatte in den verflossnen Jahren die Kirchen und öffentlichen Gebäude seiner Vaterstadt mit kunstreicher Hand geschmückt, und manches unsterbliche Werk der Bildnerei bezeugte, daß die zwanzig Jahre seiner Wanderschaft nicht ohne herrliche Früchte geblieben waren. Erst vor kurzem war in der Lorenzkirche sein Sakramentshäuschen enthüllt worden, -- ein köstlicher Schrein zur Aufbewahrung der geweihten Hostie. So zierlich erschienen die Formen des schlanken Türmchens, so lebensvoll und anmutig umschlang das reiche Ranken- und Blätterwerk den erznen Schrank in der Mitte, daß die Beschauer nicht glauben wollten, das Ganze sei ein Werk des Meißels aus hartem Stein, sondern daß das Gerücht auftauchte, Adam Krafft habe die Kunst entdeckt, Steine zu erweichen und flüssig in Formen zu gießen. An der heutigen Tafel bildeten die beiden neuesten Kunstwerke lange den Gegenstand des Gespräches; man stritt hin und her, welches das vollendetere Werk wäre, aber man kam zu keinem Schluß, bis endlich Vischer erklärte, es sei in Nürnberg keine kunstvollere Arbeit vorhanden, als das Sakramentshäuschen, und Krafft entschied, das Sebaldusgrab könne nicht übertroffen werden. Da erhob sich lauter Jubel unter den Tischgenossen, und in vielstimmigem Chor wurden die beiden Meister als der Stolz von Nürnberg gepriesen. Adam Krafft dankte mit wenigen, fast abwehrenden Worten; obgleich er ein berühmter Mann war, dessen Ruf weit über seine Vaterstadt hinausging, war er doch von kindlich einfacher und bescheidener Gemütsart. Um so stolzer schaute seine Magdalene drein, die ihm zur Seite saß; gab es doch für sie kein höheres Entzücken, als die Anerkennung, welche man ihrem Adam zollte. Die elf Jahre ihres Ehestandes erschienen ihr beim Rückblick wie ein einziger Sommertag voll Glück und Freude, und doch waren sie voll Mühe und Arbeit gewesen, denn anfangs ging es in dem kleinen Häuschen oft recht dürftig her, die Einnahmen waren eben bescheiden, die Ansprüche der Kunst oft bedeutend. Da hieß es, sich einrichten, und Magdalene verstand es vortrefflich, mit wenigem hauszuhalten; sie arbeitete und schaffte vom Morgen bis zum Abend und wußte dem Gatten jede Sorge fernzuhalten, denn sie war nicht wie andre Frauen, die mit jeder Klage zum Manne laufen und Hilfe und Teilnahme begehren. Der Künstler fand bei ihr jederzeit ein offnes Ohr und ein empfängliches Herz für seine Pläne, eine stolze Freude an seinen Erfolgen, ein begütigendes Wort bei seinen Ärgernissen, und die Zärtlichkeit und Harmonie der beiden Ehegatten war unter den Freunden des Hauses sprichwörtlich geworden. Neben Magdalene saß Meister Andreas Fiedler mit seiner Eva, welche mit den Kraffts durch die innigste Freundschaft verbunden waren. Seit Jahren hatte der alte Mann sein Haus nicht verlassen, aber heute hatte Adam darauf bestanden, daß er auch seinen Teil an der allgemeinen Festfreude haben sollte. Mit mehreren seiner Schüler, die einen Handwagen zogen, war er mittags im Hundsgäßlein erschienen; die Jünglinge hatten den Alten sorgsam hineingehoben und ihn erst nach der Lorenz- und dann nach der Sebalduskirche gefahren, um die beiden neuen Kunstwerke zu betrachten; dann aber hatten sie ihn, trotz seines ängstlichen Widerspruchs, in den Garten der goldenen Rose gebracht, wo er nun mitten unter den berühmtesten Männern von Nürnberg saß und sich nicht satt sehen und hören konnte an allem, was um ihn her geschah. Auch Hans Fiedler saß an einer der Tafeln, welche dem jüngeren Nachwuchs eingeräumt worden waren; als Kraffts Schüler fiel auch auf ihn ein Schimmer von des Meisters Ehren. Mehrere Söhne Peter Vischers, die Gehilfen ihres großen Vaters, nebst Lehrlingen aus andern Werkstätten, hatten sich hier mit den rosigen Töchtern verschiedener Meister zu einem fröhlichen Kreise vereint, in dem es an Scherz und Lachen, an heiterer und ernster Wechselrede nicht fehlte. Hans saß neben Meister Dürers holdem Töchterlein Sabine, an deren munterm Geplauder er ein besonderes Wohlgefallen fand; auch sah er nicht ungern in die lachenden, blauen Augen und auf die dicken, blonden Zöpfe, die sich unter dem üblichen Netzhäubchen kaum bergen ließen. Als es anfing zu dunkeln, zündeten die jungen Leute eine Menge bunter Papierlaternen an, welche an Fäden von den Bäumen herabhingen und den Platz mit einem geheimnisvollen Dämmerlicht übergossen; in dem ließ es sich noch ungestörter mit der hübschen Nachbarin plaudern und scherzen. Der köstliche Abend stimmte die jungen Gesellen poetisch, man hörte allerlei Reimfragen und Sprüche erschallen. „Nun sage mir, Meister Traugemut,“ rief einer über den Tisch dem andern zu, „zwei und siebzig Lande sind dir kund: durch was ist der Rhein so tief? durch was sind die Frauen so lieb? durch was sind die Matten so grüne? durch was sind die Ritter so kühne? Kannst du mir darauf rechte Antwort geben, so will ich deine Weisheit hoch erheben.“ Und der andre rief zurück: „Das hast du gefragt einen Mann, der dir’s wohl gesagen kann. Von mancher Quelle ist der Rhein so tief, von holder Minne sind die Frauen so lieb, von manchen Kräutern sind die Matten so grüne, von manchen starken Wunden sind die Ritter so kühne.“ Dann hob ein dritter sein Sprüchlein an: „Wer einen Raben will baden weiß und darauf legt seinen ganzen Fleiß, und an der Sonne Schnee will dörren, und allen Wind in ein’ Kasten sperren, und Unglück will tragen feil und Wasser will binden an ein Seil, und einen Kahlen will bescher’n -- der thut auch unnütze Arbeit gern.“ Lautes Gelächter lohnte dem Sprecher, und von allen Seiten regneten ähnliche Scherzreime, bis von der Tafel der Alten ein Zeichen Stillschweigen gebot. „Wir wollen eine Singschule halten,“ hieß es, und jeder war damit wohl zufrieden, denn weitaus die meisten in der Gesellschaft gehörten zur löblichen Meistersingerzunft, und wer nicht selbst sang, der besaß doch ein geübtes Ohr, um das Gehörte nach feststehenden Regeln zu beurteilen. Der Meistergesang stand in Nürnberg in höchster Blüte und wurde von jung und alt eifrig gepflegt. Heute, unter grünen Bäumen, beim hellen Becherklang, ging es natürlich nicht so ernst und feierlich zu, wie bei der eigentlichen Singschule, die man entweder auf dem Rathause oder in der Kirche abhielt. Dort durften nur geistliche Dinge den Inhalt der Gesänge bilden, und das Gemerk, d. h. die erwählten Richter, achteten sorgfältig auf jeden Verstoß, der gegen Inhalt und Form begangen wurde. Heute herrschte größere Freiheit und Ungebundenheit, dennoch wurde einer der älteren Meister zum Merker ernannt, welcher die Ordnung aufrecht zu halten und eine gewisse Kritik zu üben hatte, und dem sich jeder der Anwesenden ohne Widerspruch unterwarf. [Illustration: Im Garten der goldenen Rose.] Schon hatten mehrere der älteren Männer allerlei kunstreich verschnörkelte Dichtungen zum besten gegeben, die mit allgemeinem Beifall aufgenommen wurden, da erging der Ruf an die Jungen, sich auch hören zu lassen. Ohne Zögern sprang ein junger Geselle auf, der schon lange still und in sich gekehrt dagesessen hatte, bat um gütige Erlaubnis und hub also an: „Ein Weidmann fing ein Vögelein Von kleiner Art, doch zart und fein, Ein’ Nachtigall war es genannt. Als er es hielt in seiner Hand Um ihm den Todesstoß zu geben, Da rief es: ‚schenk mir doch mein Leben! Fürwahr, du wirst nicht satt von mir. Drei gute Lehren geb’ ich dir, Die bringen, wohl von dir bewahrt, Dir Nutzen mannigfacher Art.‘ Er sprach: ‚sag’ an, was mag das sein?‘ Da sprach das kleine Vögelein: ‚Erstens: nie sollst du Glauben schenken Dem, was unglaublich ist zu denken. Zum zweiten: mache dir kein Leid Um Dinge der Vergangenheit. Zum dritten: trachte nie voll Angst Nach dem, was du doch nie erlangst. Die Lehren nun bewahre wohl, So wirst du aller Weisheit voll.‘ Das hört’ der Jäger mit Vergnügen Und ließ danach das Vöglein fliegen. Doch als es saß im hohen Tann, Da sprach es also zu dem Mann: ‚Gar thöricht ward dein Sinn gelenkt, Als du die Freiheit mir geschenkt. Denn wisse, in dem Leibe mein Bewahr’ ich einen Edelstein. Krankheit zerstöret er und Gift, Ein Straußenei er übertrifft An Größe -- den hast du verloren.‘ Der Thor! er hätte gleich geschworen, Des Vogels Rede wäre wahr! Vergessen hat er ganz und gar Die Lehren, die er just empfangen. Das Vöglein wieder zu erlangen, Danach stand nun sein ganzer Sinn. Das aber sprach: ‚Du Narr, fahr hin! Schlecht paßt mein Sprüchlein in dein Haupt. Du hast Unmögliches geglaubt: Nicht könnt’ ich bergen solchen Stein, Denn dazu bin ich viel zu klein. Zum zweiten läßt dir’s keine Rast, Daß du mich nun verloren hast. Zum dritten trachtest du voll Angst Nach mir, den du doch nie erlangst, Nie wieder kreuz’ ich deinen Gang: Du bleibst ein Thor dein Leben lang!‘“ (Ulrich Boner.) Unter der Jugend blieb es ziemlich still, als der Sänger geendet, aber bei den älteren Männern sah man beifälliges Nicken, und der Merker sagte: „Ihr habt Euch in der ‚Schwarztintenweis’‘ wacker geübt, Veit Nägelein, und könnt bei fortgesetztem Fleiß wohl einmal aus dem Schüler ein Meister werden.“ „Wollt Ihr nicht auch singen, Hans Fiedler,“ flüsterte Sabine Dürerin ihrem Nachbar zu, „Ihr versteht es doch viel besser, und aus Eurem Munde klingt es viel frischer und fröhlicher.“ „Meint Ihr?“ fragte Hans zurück, indem er vor Freude über das Lob errötete; „ich habe noch nie vor den großen Meistern gesungen, und ich fürchte, sie werden nicht so milde urteilen, wie Ihr, Jungfer Sabine.“ Dennoch konnte er der Lockung nicht widerstehen und meldete sich zum nächsten Gesang, den er mit heller Stimme also ertönen ließ: „Es thront auf einsam kahler Höh’ Der königliche Aar, Und rings auf allen Gipfeln, In grünen Waldeswipfeln Haust eine stolze Vogelschar. Doch auch im niedrigen Gezweig Ein fröhlich Völklein schwärmt. Sie nisten selbst in Mauern Zufrieden, sondern Trauern. Hört nur, wie froh es singt und lärmt. Denn droben wohnt ein reicher Herr Im blauen Himmelssaal. Der deckt mit vollen Händen Hier und an allen Enden Den Tisch den Vögeln allzumal. -- Und kannst du auch kein König sein In güldner Krone Glanz, Und fliegst auch nicht als Ritter Ins Schlachtenungewitter, Und ins Turnier zum Waffentanz: Sei dennoch froh und wohlgemut, Verbanne jeden Harm, Denn sieh, vor Gott im Himmel Ist in dem Weltgetümmel Der größ’te auch nur klein und arm. Auf +jeder+ Menschenseele ruht Ein Gottesauge lind, Er läßt die Sonne scheinen Den Großen und den Kleinen, Denn jedes ist sein liebes Kind. Wohlauf! stimmt ein in meinen Spruch, Den laut ich bringe aus: In Lieb’ und Treu’ zusammen Laßt stehen, die da stammen Aus eines lieben Vaters Haus!“ Diesmal erscholl lauter Beifall an der jungen Tafel, während an der der älteren Leute besonders die Frauen befriedigt aussahen und Meister Andreas seinem lieben Neffen gar vergnügt zunickte. Der Merker aber sagte ernsthaft: „In welchem Ton habt Ihr das Lied gesungen, Hans Fiedler? Zuerst meinte ich, es sollte die ‚Hageblüt-Weise‘ sein, aber die Reime stimmten nicht dazu; dann schien es ‚Cupidinis-Handbogen-Weise‘ zu werden, aber die Verse waren zu kurz.“ „Ich habe in meinem eignen Ton gesungen,“ versetzte Hans, kühn gemacht durch die Zustimmung der Genossen und den verstohlnen Händedruck der warmherzigen Nachbarin, „oder nennt es die ‚lustige Vöglein-Weise,‘ nach der stimmt es gewiß.“ Der Merker schüttelte den Kopf über die kecke Rede und vermahnte den jungen Gesellen, sich noch eine Zeitlang in den bewährten Weisen älterer Meister zu üben, ehe er eigne Töne zu erfinden suche. Der sinkende Abend mahnte endlich an den Aufbruch; noch einmal stand Hans Rosenblüt, der geschätzte Briefmaler, auf, erhob seinen Becher und sprach folgenden Weinsegen: „Nun gesegne Euch Gott, lieben Freunde mein, den wir getrunken, den goldenen Wein, bis wir wieder zusammenkommen. Sein Name der heißt Kitzelgaumen; er ist unsrer Zunge eine süße Naschung und unsrer Kehle eine reine Waschung, er ist unserm Herzen ein edles Zufließen und unsern Gliedern ein heilsam Begießen, und schmeckt uns besser, als alle Bronnen, die je aus den Felsen sind geronnen. Beschirm’ mich Gott nun vor dem Strauchen, wenn ich die Stiege hinab muß tauchen, daß ich auf meinen Füßen bleib’ und fröhlich heimzieh’ zu meinem Weib und alles wisse, was sie mich frag’. Nun behüt’ Euch Gott vor Niederlag’. Amen.“ -- -- Als Hans den Meister Andreas heimgeleitet hatte und seinen Rückweg antrat, stieß er unversehens auf einen Mann, der ihm entgegenkam; der Mond schien ihm hell ins Gesicht, so daß er ihn erkennen konnte. „Willkommen, tausendmal willkommen daheim, Junker Ulrich!“ rief er freudig erregt, „Gott und Sankt Sebald seien gelobt, daß Ihr wieder da seid! Wie ist es Euch ergangen in all den langen Jahren? o wie froh bin ich, Euch wiederzusehn, liebster, bester Junker!“ „Empfindet wirklich einer der alten Freunde noch Freude über meine Rückkehr?“ fragte Ulrich wehmütig. „Habe Dank für deinen herzlichen Gruß, mein wackerer Hans; ich meinte schon, ich wäre Euch allen fremd geworden!“ „Ihr müßt es freilich daheim sehr verändert gefunden haben,“ sagte Hans teilnehmend, „auf der Burg ist es wohl leer geworden, seit Herr Werner und Fräulein Irmgard fehlen. Auch Berthold ist nicht mehr da, -- aber Jungfer Margarete ist die alte geblieben, habt Ihr sie schon gesehen?“ „Nein,“ versetzte Ulrich abwehrend, „als ich im Ebnerhause vorsprach, war nur Frau Ursula daheim, und ich muß morgen in aller Frühe fort.“ „Wie, Junker Ulrich, Ihr wollt fort, ohne Margarete gesprochen zu haben? Und sie hat Euer doch so treu gedacht, und unzählige Male haben wir von Euch gesprochen!“ „Du vielleicht, mein treuer Hans; sie hat, wie ich fürchte, die Kinderfreundschaft längst vergessen.“ „Wie Ihr nur redet, Junker!“ rief Hans entrüstet, „Margarete ist keine von denen, die so schnell vergessen, und Ihr habt sie noch nicht einmal auf die Probe gestellt. Ihr werdet Euch wahrlich Eurer Zweifel schämen, wenn Ihr ihren freudigen Empfang sehen werdet!“ „Meinst du, alter Freund?“ sagte Ulrich mit schmerzlichem Lächeln, „nun wohl, wir wollen es abwarten.“ Als Margarete an diesem Abend nach Hause kam, konnte sie ihre Thränen kaum zurückhalten und eilte, sobald sie konnte, in ihre Kammer, um ungestört zu weinen. Sie fühlte, daß sie den Freund, der ihr so warm entgegengekommen war, tief verletzt habe; sie sehnte sich, ihm all ihr Mitgefühl auszusprechen und das seine zu empfangen -- und hatte doch die Empfindung, als würde das nie geschehen, als hätte sie den Freund ihrer Kindheit für immer verloren! [Illustration] Vierzehntes Kapitel. Zwei Heimgekehrte. Kehret der Wandrer zurück, der lang’ in der Ferne verweilte, Fremd schaut alles ihn an, fremde erscheinet er selbst. Mehrere Jahre waren vergangen, seit Junker Veit von Rotenhahn die Burg Hohenheiligen verlassen hatte; ungefährdet waren seitdem die Warenzüge auf jener Straße gefahren, und man hatte den gefürchteten Wegelagerer fast vergessen, oder man erinnerte sich seiner nur mit einem Gefühl der Genugthuung darüber, daß man des adligen Räubers Herr geworden war. Da geschah es eines Tages, daß einige Knechte schreiend und jammernd am Stadtthor erschienen, mit der Nachricht, sie wären plötzlich von einer Schar vermummter Reiter überfallen worden, als sie nichts ahnend durch den Reichswald zogen; man hätte die Mehrzahl der Begleiter gefesselt und nebst den Wagen unter lautem Hallo fortgeführt. Eine große Aufregung bemächtigte sich der Stadt; sollte Junker Veit die Frechheit besessen haben, zurückzukehren und sein räuberisches Handwerk von neuem aufzunehmen? -- Die Überfälle mehrten sich, und jede Woche brachte neue Klagen; doch war die Sache diesmal viel besser geordnet, als früher; die Ritter vom Stegreif waren zahlreicher und besser bewaffnet, sie lauerten bald hier, bald da den Zügen auf und hatten verschiedene Schlupfwinkel, in denen sie mit ihrem Raube verschwanden. Die Erkundigungen, welche Herr Wilibald Ebner von seinem Vogt im Dorf Hohenheiligen einzog, führten zu der Erkenntnis, daß man es nicht allein mit dem von Rotenhahn, sondern mit einer ganzen Räuberbande zu thun habe, welche auf einer Anzahl fester Burgen in der Umgegend hause und sich zu Schutz und Trutz verbündet habe. Man bemerkte, daß jeder der Raubritter an der Satteldecke das Zeichen eines weißen Wolfes trage, und daß sie stets mit demselben Ruf auf ihre Beute einzudringen pflegten. „Die Wölfe kommen!“ das wurde bald der Schreckensschrei, mit welchem die reisenden Kaufleute ihre Bedeckung zur äußersten Wachsamkeit und zum mannhaften Widerstande aufriefen; dennoch blieben die Wölfe nur zu oft die Sieger im Streit. -- Ebenso groß wie in Nürnberg war der Schrecken auf Maltheim gewesen, als dort eines Tages Frau Walburg erschien und ihr väterliches Erbe in Anspruch nahm. Frau Kunigunde, die ganz allein war, wußte nicht, wie sie sich der Stieftochter erwehren sollte, deren Anmaßung durch keine Autorität mehr in Schranken gehalten wurde. Man solle ihr Dorf und Flur Hohenheiligen als Erbteil übergeben, so lautete ihr Begehr, Maltheim möge Ulrich behalten. Die Antwort, daß Hohenheiligen längst verkauft sei, versetzte sie in die bitterste Entrüstung, und mit rauhen Worten verlangte sie eine Summe, welche diesem Besitz entspräche, widrigenfalls sie sich an das kaiserliche Landgericht wenden werde, um ihr gutes Recht zu erlangen. Sie habe schlagende Beweise in Händen, daß Irmgard nicht des Ritters Kind gewesen sei, also auch keinen Anspruch an seine Hinterlassenschaft habe, und sie riete Frau Kunigunden, das alte Märchen nicht noch einmal vorzubringen. Was sollte die Edelfrau thun? das bare Geld war immer ein knapper Artikel auf Maltheim gewesen, seit Herr Werner seine Tasche nicht mehr auf Kriegszügen durch Beute und Lösegeld gefüllt hatte; das Kaufgeld von Hohenheiligen hatte nur hingereicht, um Ulrichs Studienjahre zu sichern und Irmgards Brautschatz beim Eintritt in das Kloster zu erlegen. Schon lange lebte Frau Kunigunde aufs sparsamste, und ihr ganzes Streben war darauf gerichtet, Maltheim von den Schulden zu befreien, die darauf lasteten, um ihrem Sohne sein väterliches Erbe ohne Pfandlehen zu übergeben. An Walburg hatte sie nicht mehr gedacht; sie hoffte, Junker Veit und seine Familie würden nie wieder in die Heimat zurückkehren. Nur mit Mühe und durch mancherlei Opfer ließ sich die Stieftochter bewegen, sich bis zu Ulrichs Rückkehr zu gedulden. Es war ein schmerzliches Wiedersehen zwischen Mutter und Sohn: der Vater tot, die Schwester im Kloster, der alte Besitz gefährdet, überall Unsicherheit und Streit. Ulrich war inzwischen zum Manne gereift; er hatte Philosophie und altes Recht studiert und sich auf der Universität Ehren erworben, die sonst erst älteren Gelehrten zufielen, aber sein Sinn war auf das Ideale gerichtet geblieben und unter den Verhältnissen des gewöhnlichen Lebens wußte er nicht Bescheid. Er hatte sich daher bald nach seiner Rückkehr nach Nürnberg begeben, um sich Rats zu erholen und die alten Freunde zu begrüßen; beides war nicht nach seinen Wünschen ausgefallen. Die Rechtskundigen hatten sich Bedenkzeit ausgebeten, ehe sie sich in dieser Sache entscheiden könnten, und das Wiedersehen, auf das er sich am meisten gefreut, hatte ihm eine bittre Täuschung gebracht. Eine Woche nach dem Sebaldusfeste machte er sich wieder auf den Weg nach der Stadt, um das Urteil sachverständiger Männer über die Teilung des väterlichen Erbes zu hören. Der ganze Zank um das Mein und Dein war seinem feinfühligen Sinn unendlich lästig; er hätte am liebsten Maltheim verkauft, den Erlös mit Walburg geteilt und wäre mit seiner Mutter fortgezogen in ein anderes Land, um ein neues Leben der Arbeit und des geistigen Strebens zu beginnen. Was fesselte ihn denn noch an die Heimat? überall stieß er auf wehmutsvolle Erinnerungen, auf traurige Veränderungen; die Enthüllungen über Irmgards Herkunft entrissen seinem Herzen die geliebte Schwester, -- es schien ihm, als lägen die vier Jahre seiner Abwesenheit wie eine unüberbrückbare Kluft zwischen dem Einst und dem Jetzt. In der Stadt angekommen, fand er es noch zu früh, um zu dem berühmten Rechtsgelehrten, Herrn Pirkheimer, zu gehen, und er beschloß daher, erst bei Meister Andreas Fiedler vorzusprechen, dem er von seiner Knabenzeit her ein herzliches Andenken bewahrte. Manchmal hatte er mit Berthold und Margarete zu den Füßen des alten Mannes gesessen und seinen guten, frommen Worten gelauscht, die zwar mitunter ganz anders klangen, als die seines Lehrers, aber dennoch einen tiefen Eindruck auf sein Gemüt machten. Frau Eva begrüßte ihn mit herzlicher Freude und führte ihn in das Vorderzimmer, wo immer noch, wie vor Jahren, der Alte auf seinem Lehnstuhl am Fenster saß, zeichnend und schneidend. Vor ihm stand eine schlanke, jugendliche Frauengestalt, die dem Eintretenden den Rücken zukehrte. Bei dem freudigen Ausruf des Meisters wendete dieselbe sich schnell um -- Margarete Ebnerin stand Ulrich gegenüber. Eine glühende Röte stieg in ihre Wangen, als sie ihn wiedersah; ihr erstes Gefühl trieb sie, auf ihn zuzueilen und ihm beide Hände zum Gruß zu reichen, aber bei einem Blick in sein ernstes Gesicht, auf seine förmliche Verneigung sanken ihre Arme schlaff herab, und sie wendete sich traurig ab. Ulrich trat zu dem Alten und begrüßte ihn mit Herzlichkeit; er zog einen Schemel heran und begann lebhaft zu fragen und zu erzählen, ohne auf das Mädchen zu achten. Sie wollte aufstehen und fortgehen, aber sie konnte sich nicht rühren; wie gebannt blieb sie sitzen und betrachtete verstohlen die wohlbekannten Züge des schönen Gesichts, das durch die zunehmende Männlichkeit und das weiche Bärtchen auf der Oberlippe nichts von seinen edlen Linien verloren hatte. Aufmerksam lauschte sie dabei auf jedes seiner Worte. „Ja, ich bin auch in Rom gewesen,“ erwiderte Ulrich jetzt auf eine Frage des Meisters, „und herrliche Wunder der Kunst haben sich dort meinem staunenden Blick gezeigt. Welche Kirchen! alles strahlt von Glanz und Farben, von allen Wänden grüßen uns die herrlichsten Gemälde, unser Ohr schwelgt in Wohllaut, die Pracht der Gottesdienste nimmt alle Sinne gefangen. Und doch hatte ich zuweilen das Gefühl, als ob in unserm ärmeren und kälteren Deutschland mehr Tiefe und Innigkeit des Glaubens zu finden sei, als in jenem gesegneten Lande voll Glut und Schönheit, wo alles nach außen drängt; als ob an den reichbesetzten Tafeln, wo man dem Auge und dem Ohr die auserlesensten Leckerbissen auftischt, das deutsche Gemüt hungrig und durstig bliebe.“ „Ähnliches habe auch ich empfunden, als ich das Welschland durchwanderte,“ sagte Meister Andreas nachdenklich. „So überreiche Nahrung auch den Sinnen zuteil wird -- in meinem Innersten fing ich an zu darben, und erst, als ich in eine deutsche Kirche trat, ward mir wieder heimisch und wohl zu Mut. Aber auch bei uns liegt vieles im argen, manche Dinge fordern dringend eine Erneuerung, und die Besten schauen sehnsüchtig nach dem aus, der unsre teure Kirche von allen Schlacken reinigen soll. Und der Schwan wird kommen -- sicherlich! doch die hundert Jahre sind noch nicht um, und ich werde es nicht mehr erleben, daß die Weissagung sich erfüllt.“ „Wie meint Ihr das, Vater?“ fragte Ulrich. „Es sind nun bald siebzig Jahre her,“ erzählte der Alte, „und ich war noch ein Knabe, als ich meine Eltern nach Kostnitz begleitete, wo Kaiser Sigismund ein großes Konzil zusammenberufen hatte, um über Abstellung vieler Schäden in der Kirche zu beraten. So jung ich war, so hat sich jene Zeit meinem Gedächtnis doch unvergeßlich eingeprägt, und über vieles, was damals unverstanden an mein Kinderohr schlug, ist mir später das Verständnis aufgegangen. Wenn wir auf der Straße gingen, wies man uns fortwährend kirchliche und weltliche Würdenträger, denn alles, was Europa an geistlichen und gelehrten Größen, an hohen Staatsmännern besaß, war dort zusammengeströmt. Einen Mann aber gab es unter den fremden Gästen, der aller Augen auf sich zog, ob ihn gleich weder die Tiara, noch der Fürstenmantel schmückte, und er in keinem Palast wohnte. Das war Johann Huß, der furchtlose Böhme, dessen Name seitdem freilich durch falsche Anhänger einen blutigen Ruhm erworben hat, der aber damals nur eine reinere Lehre auf Grund des ewigen Gotteswortes predigte und unter kaiserlichem Geleit nach Kostnitz gekommen war, um seinen Glauben zu verteidigen. Seine schlichte Güte, seine überzeugende Wahrhaftigkeit gewannen ihm die Herzen; wenn er sein Haus verließ, grüßten ihn die Bürger freundlich, und wir Kinder hingen uns an seine Hände und lauschten seiner milden Rede. Mein Vater schloß sich mit Hingebung an Huß an, ließ sich mit seinen Freunden von ihm belehren und pries ihn als einen wahren Christen. Eines Tages aber ging ein Schreckensschrei durch unsere Reihen; man hatte Vater Huß der Ketzerei angeklagt und eingekerkert, -- nicht lange danach ward er zum Feuertode verurteilt. Ehe er seine reine Seele aushauchte, rief er laut aus: ‚Heute braten sie eine Gans, aber über hundert Jahre wird ein Schwan kommen, den werden sie nicht verbrennen! Das Wort blieb der Trost der Unsrigen, darauf hoffen und warten wir geduldig, bis es Gott gefällt, die Zeit zu erfüllen.‘“ Mit gespannter Teilnahme hatte Ulrich zugehört. „Vielleicht, mein Vater, ist der Schwan der Prophezeiung schon erschienen!“ rief er mit leuchtenden Augen. „In Florenz hörte ich einen Dominikaner-Mönch -- etwas Ähnliches habe ich nie vernommen, denn er predigte gewaltig und nicht wie die andern. In tief einschneidenden Worten wies er auf die Gebrechen der Kirche hin und forderte jeden Einzelnen auf, Hand anzulegen, daß sie gebessert würden. Das könne nur durch wahre Herzensbuße und eifriges, einmütiges Gebet geschehen, damit, wie einst in der Urzeit der Kirche, Fluten des Geistes herniederströmten und ein neues Leben schüfen. So erschütternd war Savanarolas Rede, daß keiner in der großen Versammlung ungerührt blieb; Frauen sanken laut schluchzend auf die Kniee, Männer schlugen an ihre Brust und gelobten Reue und Besserung -- -- es war, als sei wieder ein Pfingstmorgen angebrochen, wie damals, als sich dreitausend an einem Tage taufen ließen. Könnte das nicht der Retter sein, dessen Ihr harrt?“ „Gott gebe, daß Ihr recht hättet, teurer Herr!“ sagte der alte Meister inbrünstig. „Und doch hatte ich immer gedacht, der Befreier sollte ein Deutscher sein und zuerst unser liebes deutsches Volk zum reinen Glauben erwecken! Aber wie Gott will -- Er weiß am besten, was seiner Kirche notthut.“ Hingerissen hatte Margarete diesen Reden gelauscht; in diesem Augenblick hatte sie alles vergessen, was sich feindselig zwischen sie und den Jugendfreund gedrängt hatte. „So habt Ihr also doch gefunden, wonach Eure Seele verlangte, Ulrich?“ fragte sie mit der alten Wärme und Teilnahme; „ich fürchtete schon bei Eurer Schilderung von Rom, daß Euch Italien das nicht gehalten hätte, was es Euch versprach.“ Er wendete sich lebhaft zu ihr hin: „Ich habe dort viel gelernt und erfahren, aber ich habe auch eingesehen, daß Ihr recht hattet, Margarete, als Ihr mich vor dem Fluge des Ikarus warntet. Wie oft habe ich mit geknickten Flügeln am Boden gelegen, wenn mir im Widerstreit der Meinungen die reine Wahrheit zu entfliehen schien und ich schier verzweifelte, sie jemals zu erfassen! Dann habe ich an Euch gedacht, liebe Margarete; Ihr schient mir tröstend zuzuwinken und mich zu neuem Suchen zu ermutigen, und wenn ich im Streben und Forschen nicht müde wurde, so habe ich’s Euch zu danken.“ Sie sah ihn beglückt an und senkte dann das errötende Antlitz, wie eine Blume vor dem heißen Sonnenstrahl. „So habt Ihr wirklich meiner gedacht in all den langen Jahren Eurer Abwesenheit?“ flüsterte sie. „Täglich, Margarete, und bei jeder neuen Erkenntnis, zu der ich hindurchdrang, freute ich mich auf die Zeit, da ich sie Euch würde mitteilen dürfen. Aber habt Ihr die alte Freundschaft auch so treu bewahrt?“ „Gewiß!“ sagte sie fest und sah ihn treuherzig an; „was hätte mir auch das Andenken an die glückliche Kindheit rauben sollen? Bin ich doch viel ärmer geworden, seit Ihr uns verließt, Ulrich, da ich Berthold und Irmgard hingeben mußte.“ Das Eis war plötzlich durchbrochen, unaufhaltsam strömte die Flut dessen, was beider Herzen bewegte, herüber und hinüber. Lächelnd sah Meister Andreas sich gänzlich bei Seite geschoben, aber er war darüber nicht erzürnt, sondern beschäftigte sich eifrig mit seinem Holzstock, um den Erguß nicht zu stören. Erst, als draußen die Turmuhr die vierte Nachmittagsstunde verkündigte, sprang Ulrich auf. „Verzeiht, wenn ich Euch verlassen muß,“ sagte er hastig; „ich vergaß meine dringenden Geschäfte. Darf ich abends bei Euch einsprechen, liebe Margarete?“ „Ihr werdet uns allen herzlich willkommen sein, und ich hoffe Ihr seid zu Nacht unser Gast, wie in alter Zeit. Die Mutter wird sich freuen, Euch zu sehen.“ „Auf Wiedersehen!“ sagte er warm und drückte ihre Hände, die sie jetzt nicht mehr zurückzog. Im innersten Herzen froh und glücklich ging Margarete nach Hause. Seit langer Zeit hatte man im Ebnerschen Familienkreise keinen so angenehmen Abend verlebt; es war fast, als sei ein lieber Sohn ins Elternhaus zurückgekehrt, so teilnehmend fragte jeder nach Ulrichs Erlebnissen, so bestrebt waren alle, ihm von dem zu berichten, was sich inzwischen zugetragen. Selbst der Hausherr betrachtete den ehemaligen Freund seines Sohnes mit wohlwollendem Blick und hörte seinen Erzählungen mit offenbarem Anteil zu. Nur an Bertholds und Irmgards Schicksal wagte keiner zu rühren, es waren zu wunde Punkte für beide Teile, um sie anders, als unter vier Augen zu besprechen. Dagegen kam die Rede auf die Rotenhahns, und Ulrich sprach seinen tiefen Unwillen dagegen aus, in nahen, verwandtschaftlichen Beziehungen zu einem Manne zu stehen, welcher seine ritterliche Ehre so gering achte und seinen adligen Namen so unheilbar beflecke. Über Herrn Wilibalds Gesicht flog ein spöttischer Ausdruck. „Mit dieser Ansicht dürftet Ihr unter Euren adligen Genossen sehr allein stehen, Herr von Maltheim; die wenigsten werden an so ritterlichem Gewerbe Anstoß nehmen; nur die ehrliche Arbeit ist in den Augen dieser hochgebornen Herren eine Schmach.“ „Ich kann Euren harten Worten nicht widersprechen, Herr Ratsherr,“ versetzte Ulrich trübe, „unsre Moral ist arg herabgekommen, doch giebt es auch noch Andersdenkende unter uns, und ich vertraue darauf, daß auch für unsern Stand einmal die Erneuerung kommen wird, die so vielem in der Welt dringend notthut.“ „Doch würde ich Euch raten, Euch damit zu beeilen,“ meinte Lorenz Tucher mit seinem überlegenen Lächeln, „sonst möchten Euch die Städter vollends überflügeln. Nach meiner Meinung gehört die Zukunft nicht dem Ritter, sondern dem Bürger.“ Hier suchten die Frauen dem Gespräch mit klugen Worten eine andre Wendung zu geben, denn so weitherzig und vorurteilsfrei Ulrich sich auch zeigte, so mußten solche Reden ihn doch verletzen. -- Mit dunkel umwölkter Stirn kam wenige Tage später Herr Wilibald aus der Ratssitzung nach Hause. „Die Wölfe werden immer unverschämter,“ sagte er zu seiner Gattin, „sie schwärmen schon in Rudeln bis dicht an die Thore der Stadt. Es wird Zeit, sie in ihren Höhlen aufzusuchen und ihre Nester auszuräuchern -- -- wir haben heute den Beschluß gefaßt, dem Bunde die Fehde anzusagen.“ Frau Ursula erschrak. Fehde! das Wort hatte einen bittern Klang. Es bedeutete Mord, Brand und Plünderung, bedeutete das Elend vieler kleinen Leute in den offnen Ortschaften, große Verluste für die Städter, vielleicht eine Zeit der Einschließung. Mutter und Töchter saßen in der Dämmerstunde bei einander und sprachen über diese traurigen Aussichten, als eine Magd meldete, daß eine fremde Frau Jungfer Margarete zu sprechen begehre. Die Gerufene verließ das Zimmer und erkannte mit Erstaunen Frau Eva Fiedlerin, die noch nie zuvor das Haus betreten hatte. „Was führt Euch her, Mutter Eva?“ rief das Mädchen ihr freundlich entgegen, „kann ich Euch in irgend einer Sache helfen?“ „Stille, stille,“ sagte die Alte geheimnisvoll, „nicht hier, bringt mich an einen Ort, wo niemand uns sieht und hört.“ Erstaunt blickte Margarete in das erregte Gesicht der Sprecherin, doch willfahrte sie dem Wunsche und führte sie in ihre eigne Kammer. Frau Eva schloß vorsichtig die Thür, drängte das Mädchen in einen Winkel und flüsterte: „Ich bringe Euch einen Gruß von Eurem Bruder.“ „Von Berthold?“ fragte Margarete betroffen, „wo habt Ihr ihn gesehen?“ Die Alte zog ihr Ohr ganz nahe zu sich herab und hauchte hinein: „Er ist in unserm Hause.“ „Jesus Maria!“ stammelte Margarete, „wie kommt er dahin? er ist doch nicht ....“ „Er ist aus dem Kloster entflohen.“ Das Mädchen sank, wie vom Blitz getroffen, auf den Rand ihrer Bettstelle nieder und bedeckte ihr Antlitz mit beiden Händen. Barmherziger Himmel! welch eine entsetzliche Nachricht! was würden ihre Eltern dazu sagen -- ihr Vater, dem ein gegebenes Wort als unantastbares Heiligtum galt, ihre Mutter, die sich unter tausend Schmerzen den Sohn vom Herzen gerissen hatte, um seine Seele zu retten! Und nun war er wortbrüchig geworden an seinen heiligsten Gelübden, nun irrte er umher als ein gehetzter Flüchtling, von dem sich jeder gute Christ mit Verachtung abwenden mußte! O dies war schrecklicher, als alles andre, denn hiefür gab es keinen Trost und keine Ergebung. Der Schwester war zu Mut, als könnte sie nie wieder ihr Haupt erheben, nie wieder um sich blicken, ohne über des Bruders Thun schamrot zu werden! „Er klopfte gestern in später Abendstunde an unsre Thür,“ begann Eva wieder, nachdem sie der andern Zeit gelassen, den ersten, tödlichen Schrecken zu überwinden; „ich erkannte ihn zuerst gar nicht, so elend und hager, so vergrämt sieht er aus. Er schwankte noch, ob er sich einem der Seinigen entdecken sollte, aber er ist ganz ohne Mittel, und wir sind nicht reich genug, um ihm allein zu helfen. Wollt Ihr ihn sehen, Jungfer Margarete, oder soll er ohne Euren Beistand sein Heil in der Welt versuchen?“ Lange blieb das Mädchen regungslos in der vorigen Stellung sitzen; endlich erhob sie sich mit festem Entschluß, wenn auch mit totenbleichen Wangen. „Ich will ihn sprechen,“ sagte sie, „er selbst soll mir sagen, warum er uns das gethan hat.“ Sie warf einen dunklen Mantel um und verließ mit zitternden Schritten das Haus; auf der Schwelle des Fiedlerhäuschens blieb sie noch einmal zaudernd stehen, dann raffte sie ihren Mut zusammen und trat ein. Meister Andreas saß allein in seinem Stuhl; er streckte ihr die Hände entgegen und sagte, als er ihr finstres Gesicht, mit den fest zusammengepreßten Lippen sah, im Tone der Bitte: „Scheltet ihn nicht, Margarete, er hat Unsägliches erduldet und könnte Euren Zorn nicht ertragen.“ „Wo ist er?“ fragte sie mit heiserem Ton. „Oben in der Dachkammer -- es darf niemand ahnen, daß wir einen Gast beherbergen. Eva, schließ die Thür zu und drücke die Fensterläden fester, damit kein Lichtstrahl und kein Schatten auf die Straße falle.“ Diese Vorsichtsmaßregeln erweckten ein Gefühl tiefer Demütigung in Margaretens Seele -- der flüchtige Verbrecher, den sie schützen sollten, war ihr eigner Bruder! „Darf ich zu ihm gehen?“ fragte sie tonlos. „Die Stiege ist kaum für Eure Füße gemacht, und oben ist kein Aufenthalt für Euch, werte Jungfer; laßt Berthold herabkommen, in der Küche seid Ihr völlig ungestört.“ [Illustration: Armer, armer Berthold!] Sie wartete in bebender Spannung auf sein Erscheinen; jetzt kamen leise, vorsichtige Schritte die Treppe herab, die Thür ging auf, und auf der Schwelle stand in scheuer Haltung eine Gestalt in zerlumpter Bauerntracht, abgemagert, mit bleichem Antlitz und unsäglich kummervollem Ausdruck. War das wirklich ihr Bruder, ihr lebensfrischer, jugendschöner Berthold? Nichts erinnerte mehr an ihn, als die dunklen Augen, die sich bei ihrem Anblick, ihrer Zurückhaltung, langsam mit großen Thränen füllten. Ja, er war es doch! das Gefühl, den Gefährten ihrer glücklichen Kindheit so elend und unglücklich vor sich zu sehen, übermannte sie; sie breitete ihre Arme aus und rief schluchzend: „Armer, armer Berthold! so muß ich dich wiederfinden?“ Er eilte auf sie zu, drückte sie einen Augenblick an sich und ließ sie dann auf einen Schemel niedersitzen, während er zwei Schritte davon stehen blieb. „O, warum bin ich nicht damals an der Pest gestorben!“ sagte er mit dumpfer, klangloser Stimme; „ich wäre unschuldig und ahnungslos dahingegangen, meine Mutter hätte sich längst getröstet und mir eine ungetrübte Erinnerung bewahrt, und ich hätte nicht Schmach und Schande über die Meinen gebracht. Warum muß ich so vor dir stehen, als das unwürdigste Geschöpf, das auf Erden wandelt -- ein entlaufener Mönch?!“ „Armer, armer Berthold!“ wiederholte sie mit überströmenden Augen, „willst du mir alles sagen, was dir widerfahren ist? ich möchte dich und dein Thun gern begreifen lernen. Aber fasse dich kurz, denn bald muß ich fort, um keinen Argwohn zu erregen.“ „O meine Schwester,“ versetzte er, indem er die abgezehrten Hände krampfhaft ineinander preßte, „wie soll ich dir die Qual dieser drei Jahre beschreiben? mich dünkt, es gehörten ebensoviel Wochen dazu, um dir meinen Jammer klar zu machen. Zuerst war es ein ewiges Einerlei, eine eintönige Abwickelung von Gebeten und Übungen, wobei das Herz kalt und tot, der Geist öde und leer blieb. Für jede kleinste Übertretung der Disciplin gab es harte Strafen und schwere Bußen, aber der innere Sinn ward dadurch nicht verändert. Ich konnte die Heiligkeit dieses Lebens nicht verstehen, es erschien mir völlig zwecklos, und als ich mich weigerte, das Novizenkleid mit der Mönchskutte zu vertauschen, als keine Drohung, keine Geißelung mich bewegen konnte, das bindende Gelübde abzulegen, -- da warfen sie mich in einen unterirdischen Kerker ohne Licht und Luft und ließen mich schier verschmachten. Zuweilen kam einer von den frommen Brüdern zu mir und redete mir mit guten und bösen Worten zu, meinen Trotz fahren zu lassen; aber wenn ich sie fragte, worin denn die Gottgefälligkeit des Klosterlebens bestehe, warum man Gott nicht auch in der Welt dienen könne, da doch unser Heiland und seine Apostel in der Welt gelebt hätten, -- da schalten sie heftig auf mich ein und nannten mich einen verstockten Sünder, der zur Hölle fahren müsse. Da befahl ich meine arme Seele Gott und bat ihn, wenn jene recht hätten, mich an dieser Stelle sterben zu lassen, hätten sie aber unrecht, so wolle er selbst mich befreien. Und siehe da, Gott hörte die Bitte des Elenden und ließ mir meine Flucht gelingen.“ „Mein Bruder,“ fragte Margarete schmerzlich, „war es wirklich Gott, der dir half?“ „Ja, gewiß und wahrhaftig; war Er doch der einzige Freund in meiner Not, zu dem ich rief bei Tag und Nacht. Einmal, als ich in bitterer Verzweiflung an den Eisenstäben rüttelte, die das kleine Fenster meines Kerkers verwahrten, fühlte ich, daß die Mauersteine nachgaben. Das war ein Hoffnungsstrahl, und mit eiserner Ausdauer machte ich mich daran, das morsche Gemäuer zu lockern. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, denn ich konnte Tage und Nächte nicht zählen, und oft sank ich bewußtlos nieder vor Hunger und Erschöpfung. Aber endlich wich die Eisenstange unter meinen Händen, mit Mühe zwängte ich meine abgemagerten Glieder durch die enge Öffnung und fand mich im Klostergarten. Durch eine wunderbare Fügung stand das Mauerpförtchen offen; ungesehen kam ich ins freie Feld, und mit Aufbietung meiner letzten Kräfte rannte ich vorwärts, bis ich in einem Heuschober zusammenstürzte. Dort fand mich am nächsten Tage ein mitleidiger Bauer, der mir zu essen gab und mir diese dürftige Kleidung schenkte. Dann bettelte ich mich weiter und stieß, kurz vor der Stadt, auf einen Händler, der Vieh zum Markte trieb; ich bot mich ihm zur Hilfe an und kam unaufgehalten durch das Thor. So kehrte der einzige Sohn des reichen, hochgeachteten Ratsherrn in seine Vaterstadt zurück -- ein zerlumpter Bettler unter einer Herde grunzender Schweine!“ Margarete war zu tief ergriffen, um zu sprechen; „armer, armer Bruder!“ stöhnte sie nur unter ihren Thränen hervor und versank dann in tiefes, schmerzliches Sinnen. Endlich raffte sie sich auf. „Die Zeit drängt, Berthold; sage mir, was du weiter zu thun denkst.“ „Ich habe nur einen Wunsch für mein gescheitertes Leben, den: mich nach dem Norden durchzuschlagen und bei dem Deutschen Orden Aufnahme zu suchen. Auch dort gelten die drei Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams, denen ich, meiner Mutter zu liebe, nicht untreu werden möchte, aber dort bin ich freier, und wenn Gott mein heißes Gebet erhört, so läßt er mich einen ehrlichen Tod für eine gute Sache finden.“ Ein heftiges Pochen an der Hausthür schreckte die Geschwister auf; „rette dich, Berthold!“ rief Margarete, bleich vor Angst, und mit einem Sprunge war er aus der Thür, die Treppe hinaufgehuscht und auf dem finstern Bodenraum verschwunden. Frau Eva fragte von innen, wer da sei. „Ich bin es, Justus,“ war die Antwort, „ist Jungfer Margarete hier? die gestrenge Frau ist in großer Sorge um sie.“ Gewaltsam bezwang sich das Mädchen so weit, um dem Eintretenden mit unbekümmert klingendem Ton entgegenzurufen: „Habe ich mich so verspätet, Just? ich komme gleich“; dann nahm sie mit scheinbar heiteren Worten Abschied von dem alten Paar und trat langsam den Heimweg an. „Verzeiht, liebe Mutter,“ begann sie, als sie Frau Ursula und Elsbeth allein fand; „ich konnte Frau Evas Bitte nicht widerstehen; die alten Leutchen haben große Sorge um einen Verwandten, der ihre Hilfe begehrt. Er scheint ein leichtsinniger Bursche, aber von guten Gaben zu sein, und wir berieten hin und her, was sich für ihn thun ließe. Das Dringendste wäre, ihn in eine anständige Kleidung zu stecken, denn er ist arg herabgekommen, aber die Mittel der Fiedlers sind beschränkt, und sie möchten ihm ihr Erspartes lieber als Zehrpfennig auf die Reise geben.“ Margarete erschrak selbst über die Sicherheit, mit der sie der geliebten Mutter diese Fabel vortrug, doch sah sie zu ihrer Beruhigung, daß jene völlig ahnungslos und mit warmer Teilnahme darauf einging. Oben in der Kammer hingen noch Kleider von Berthold, die wollte sie zu Meister Andreas schicken; hier fräßen sie doch nur die Motten, und dort könnten sie noch einem Unglücklichen helfen. In der Stille einer langen, schlaflosen Nacht überlegte Margarete, was sie für den Bruder thun könne, und wie ein Blitzstrahl durchzuckte sie plötzlich der Gedanke an Ulrich. Er war der einzige, dem sie sich vertrauen wollte, er würde einen Weg wissen, auf dem Berthold nach dem Norden gelangen könnte. Sobald es, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, geschehen konnte, eilte sie am nächsten Morgen in das Hundsgäßlein, sendete von dort eine Botschaft nach Maltheim und übergab Berthold das Päckchen mit seinen eignen Kleidern. Er bewegte sich freier und natürlicher in der von früherher gewohnten Tracht und war auch für sie mehr der Alte; sie konnte vertraulicher mit ihm reden und ihn ansehen, ohne über die furchtbaren Veränderungen der letzten Jahre zu erschrecken. Am folgenden Tage kam Ulrich, den das Schicksal seines Freundes mit brennender Teilnahme erfüllte, und der zu jeder Hilfe bereit war. Er riet, Berthold möge so schnell als möglich die Stadt verlassen; er selbst wolle ihn unter seinen Knappen nach Maltheim mitnehmen; dort könne er in leidlicher Sicherheit verweilen, bis alles zu seiner Reise vorbereitet sei. Einer derer von Maltheim war Komtur auf einer preußischen Ordens-Ballei; dorthin müsse Berthold sich wenden und ein Unterkommen suchen; an Empfehlungen solle es ihm nicht fehlen. Berthold hatte dem allen zugehört, ohne etwas einzuwenden, nur einmal erhob er seine Stimme und fragte mit schmerzlichem Beben: „Nach Maltheim? muß es sein? muß ich so vor Irmgard erscheinen?“ „Du wirst sie nicht mehr auf der Burg finden,“ war die Antwort, die in trübem Ton gegeben wurde. „Wie, ist sie verheiratet, oder -- -- barmherziger Himmel -- ist sie tot?“ „Nein, sie ist ins Kloster gegangen.“ Berthold fuhr mit der Hand nach der Stirn. „Ins Kloster? träume ich? der weiße Edelfalke trauert auch zwischen den mitleidlosen Mauern? wer war so grausam, ihn dort einzusperren?“ Die Erzählung ihres Geschickes bewegte ihn tief, „wenn sie dort ausharren kann, hätte ich es auch wohl vermocht!“ murmelte er, „aber sie war immer stärker, mutiger, größer, als ich! Arme, weiße Rose, wie welk magst du jetzt dein liebes Köpfchen hängen lassen!“ Er war nun mit allem, was Ulrich vorschlug, dankbar einverstanden, und so schien die schwierige Angelegenheit sich in hoffnungsvoller Weise zu ordnen. Unter Schmerzen und Thränen nahm Margarete von dem Bruder Abschied und befahl ihn dem Schutze des Himmels und der Fürsorge des treuen Freundes, der gerade zu rechter Zeit heimgekehrt war, um ihr in den bängsten Stunden ihres Lebens beizustehen. Noch eine Zeit namenloser Aufregung galt es durchzumachen, als die Nachricht von Bertholds Flucht aus dem Kloster Herrn Wilibald Ebner erreichte. Die Kunde warf Frau Ursula aufs Krankenbett und beugte die stolze Haltung des Ratsherrn für viele Tage. Dann zeigte er seinem ganzen Hause an, daß sein Sohn für ihn tot sei und niemand seinen Namen nennen dürfe, und ging wieder aufrechten Hauptes in sein Kontor. Margarete that, was sie konnte, um ihre Mutter zu trösten; daß sie um Bertholds Entweichen wisse, durfte sie ihr freilich nicht verraten, aber sie suchte dasselbe im mildesten Lichte darzustellen. Doch wenn Frau Ursula in einem Augenblick eine gewisse Erleichterung in dem Gedanken fand, daß ihr geliebter Sohn nicht mehr unter einem unerträglichen Druck leide, so überfiel sie im nächsten die Todesangst um seine gefährdete Seele und die bittere Sorge um sein augenblickliches Ergehen. Es war für Margarete eine schwere Aufgabe, ihre Fassung gegenüber diesem Jammer der geliebten Mutter zu bewahren und sich doch nichts von dem merken zu lassen, was sie wußte. Mit unsäglicher Spannung wartete sie auf die Nachricht von Bertholds glücklich erfolgter Abreise, die Ulrich ihr sogleich zu bringen verheißen hatte. [Illustration] Fünfzehntes Kapitel. Fehde. Heiß entbrennet der Streit: „hie Wölfe!“ ertönt’s und „hie Nürnberg!“ Und mit Begierde des Kampfs füllt sich des Bürgers Gemüt. Die Fehde-Erklärung der Nürnberger an den Bund der Wölfe versetzte Stadt und Land in angespannte Thätigkeit, galt es doch, sich für den kommenden Streit zu rüsten und möglichst viele Bundesgenossen zu werben. Nach allen Seiten flogen berittene Boten aus, um die benachbarten Edlen zum Zuzug aufzufordern; andere ritten auf die Dörfer, welche zum Gebiet der Stadt gehörten, und sagten den Bauern an, sich und ihre Habe in Sicherheit zu bringen. Man stellte ihnen anheim, nach der Stadt selbst oder nach den festen Häusern zu fliehen, welche in deren Besitz standen und durch starke Besatzungen geschützt wurden. An allen Orten war man geschäftig, die Verteidigung der Stadt zu sichern; die Landwehr, d. h. der Wall und Graben um die Stadtmark, wurde durch Schranken von Bohlen verstärkt; über die Landstraßen wurden Schlagbäume gelegt, neben welchen ein starker Posten zur Bedeckung lag. Die Mauertürme wurden mit Geschützen und Wachen versehen; mehrere Türmer wechselten sich beständig ab, um jedes Zeichen des herannahenden Feindes durch Blasen oder ein ausgehängtes Signal kundzuthun. Jeder Bürger mußte sich selbst, oder einen Stellvertreter zum Kriegsdienst stellen; die verschiedenen Innungen traten zu geschlossenen Abteilungen zusammen: die einen gehörten zum Fußvolk und wurden aus der Kriegskammer des Rathauses mit Spieß, Hellebarde und Faustrohr bewaffnet, während die reicheren zu Pferde dienten und sich selbst ausrüsteten; andre wurden zur Bedienung der Geschütze bestimmt, welche der Stolz der Stadt waren und fast wie lebende Wesen betrachtet wurden. Sorgfältig wurde jede Abteilung gemustert und eingeübt von den Hauptleuten und Viertelsmeistern, entweder ritterlichen Männern, die im Solde der Stadt standen, oder tüchtigen Handwerkern, die sich schon früher Kenntnisse im Kriegswesen erworben hatten. Die ganze sonst so friedliche Stadt glich plötzlich einem Heerlager; alle gewöhnliche Thätigkeit schwieg, aller Gedanken waren nur auf Kampf und Verteidigung gerichtet. Aber auch die Wölfe waren nicht müßig geblieben, auch sie hatten Genossen geworben und viele Ritter, die nicht zu ihrem Bunde gehörten, aber irgend eine Klage oder einen Groll gegen die Stadt hatten, sowie eine Menge von Bauern und Söldnern auf ihre Seite gezogen. Vergebens jedoch hatte Junker Veit seine ganze Beredsamkeit aufgeboten, um Ulrich von Maltheim für sich zu gewinnen; derselbe hatte mit der größten Festigkeit erklärt, daß er mit den Wölfen nichts zu schaffen haben, sondern völlig neutral bleiben wolle. Das ward ihm von beiden Teilen arg verdacht, denn jeder schätzte nur die, welche sich ihm zu thatkräftiger Hilfe verpflichteten. Herr Wilibald Ebner war durch diese Vorbereitungen völlig in Anspruch genommen, und es war ihm lieb, daß die öffentlichen Angelegenheiten seine ganze Kraft erforderten und ihm keine Zeit ließen, an den Kummer in seinem Hause zu denken. Dennoch sah er ein, daß Frau Ursula zu leidend sei, um die Aufregungen einer solchen Zeit mitzuerleben; er beschloß daher, seine Familie fortzuschicken, wozu er die Erlaubnis des Rates durch eine hohe Summe erkaufen mußte. Seine Frau besaß Verwandte in Bamberg; dorthin wollte er sie und die Töchter senden, Lorenz Tucher sollte ihr Begleiter sein. Ursula fügte sich schweigend dem Befehl ihres Gatten, sie fühlte sich zu krank zum Widerspruch; Margarete aber suchte den Vater in seinem Schreibzimmer auf, wo sie ihn allein fand. „Lieber, teurer Vater,“ begann sie schüchtern, „wollt Ihr Eurer Tochter eine Bitte gestatten?“ „Was soll’s, mein Kind?“ fragte er müde; „du wirst in diesem Augenblick nicht an Kleinigkeiten denken.“ „Nein, es ist etwas Großes, das ich erbitte -- -- laßt mich bei Euch bleiben, Vater! Die Mutter hat Elsbeth und Lorenz, Ihr aber habt sonst niemand, der Euch einmal die Falten von der Stirn streicht, oder mit dem Ihr ein herzliches Wort sprechen könnt.“ „Meine gute Tochter,“ sagte er gerührt und zog sie an sich, „hast du auch bedacht, was es heißt, bei mir zu bleiben? Nicht, daß ich wirkliche Gefahr für dich fürchtete, aber eine Fülle von Unbehagen und Einsamkeit -- und welchen Ersatz könnte ich dir dafür bieten, ich, ein geschlagener Mann, ein entlaubter Baum, dem von unheilbarer Wunde das Mark verdorrt?“ Nie zuvor hatte Margarete einen so tiefen Blick in das verschlossene Innere ihres Vaters gethan, aber dieser eine genügte auch, um alle Zärtlichkeit und Hingebung ihres Herzens für ihn wach zu rufen; sie schlang die Arme um seinen Hals, lehnte ihren Kopf an seine Brust und sagte mit tiefer Innigkeit: „Mein Vater, ich kann dir das nicht ersetzen, was du verloren hast; ich kann dir nur mein ganzes Leben weihen. Stoße mich nicht zurück -- laß mich bei dir bleiben!“ „So bleibe,“ sagte er warm und küßte sie auf die Stirn. „Aber jetzt laß mich allein, denn ich habe wichtige Dinge zu bedenken.“ -- Drei Tage vor dem Beginn der Feindseligkeiten -- man pflegte die vereinbarten Fristen auf beiden Seiten gewissenhaft einzuhalten -- verließ der Reisewagen des Ratsherrn die Stadt. Unter dem schützenden Verdeck hatte man Frau Ursula in Kissen und Decken weich gebettet, Elsbeth saß neben ihr, während Lorenz Tucher, als Befehlshaber über einen Trupp reisiger Knechte, wohlbewaffnet daneben ritt. Herr Wilibald gab den Reisenden das Geleit bis zur Grenzmark der Stadt, schärfte Lorenz noch die größte Vorsicht ein und nahm dann von den Seinen Abschied. Langsam bewegte der Zug sich vorwärts und erreichte wohlbehalten den Annenhof, wo man rastete, um am nächsten Morgen die Reise fortzusetzen. Lorenz lugte beständig nach rechts und links, nach hinten und vorn aus, doch war die Straße leer; nur ein einzelner Reiter, mit einem Knechte hinter sich, zog in gemessener Entfernung desselben Weges. Elsbeth fand die langsame Fahrt sehr langweilig und bat Lorenz, ein wenig zu Fuß gehen zu dürfen; doch lehnte er dies ab, bot ihr aber an, sie für eine Weile vor sich aufs Pferd zu nehmen. Das lies sie sich gern gefallen und plauderte recht munter mit ihrem Begleiter, den ihre kindliche Harmlosigkeit und Heiterkeit stets belustigte, nur vergaß er darüber, auf den Wagen zu achten; derselbe flog plötzlich hoch in die Höhe, weil er auf einen mächtigen Stein gestoßen war, -- im nächsten Augenblick gab es einen Krach, und das schwerfällige Gefährt senkte sich langsam auf die Seite. Der Unfall brachte unter den Begleitern eine große Verwirrung hervor; sie sprangen von den Pferden, einige hoben Frau Ursula heraus und legten sie am Rande des Weges sorgsam nieder, andre richteten den Wagen auf, um den geschehenen Schaden zu untersuchen. In diesem Augenblick brach aus dem nahen Gehölz ein bewaffneter Haufe hervor und stürzte sich auf die reiterlosen Pferde, um sich ihrer zu bemächtigen. Das Unerwartete ihres Erscheinens verblüffte die überraschten Knechte so sehr, daß sie völlig den Kopf verloren, um so mehr, als Elsbeth sich jammernd und schreiend an Lorenz klammerte und ihn an jeder Bewegung hinderte. Doch jetzt flog wie ein Sturmwind der vorhin bemerkte Reiter mit seinem Knappen heran; mit hoch geschwungenem Schwert drang er auf die Räuber ein, seine lauten, bestimmten Kommandoworte fanden williges Gehör, die Reisigen sammelten sich um ihn, und in wenigen Minuten war der räuberische Haufe in wilder Flucht zerstoben. Der Reiter stieg vom Pferde, zog den großen Hut tiefer ins Gesicht und kniete neben Frau Ursula nieder, die totenbleich, mit geschlossenen Augen auf ihren Kissen lag. „Ist Euch ein Leid geschehen, ehrsame Frau?“ fragte er in gedämpftem Ton. „Nein, mich hat niemand berührt, dank Eurer kräftigen Hilfe,“ erwiderte sie mit matter Stimme. „Wollt Ihr mir Euren Namen nennen, werter Herr, damit ich weiß, für wen ich beten darf?“ „Ich bin ein namenloser Abenteurer, der alles hinter sich lassen muß, was ihm jemals lieb und teuer war, um in der Fremde sein Glück -- oder den Tod -- zu suchen. Wollt Ihr mir Euren Segen zu meiner Irrfahrt geben, gestrenge Frau?“ Sie hob die Hände auf und berührte leise sein tief gesenktes Haupt. „Gott segne Euch, mein tapferer Ritter, und die heilige Jungfrau vergelte Euch, was Ihr an uns gethan gehabt.“ „Habt Dank, werte Frau!“ sagt er, und seine Stimme klang, wie von Thränen verschleiert, „Euer Segen wird mir ein Talisman in allen Fährlichkeiten sein. Betet für mich, denn ich weiß nicht, ob meine Mutter es nicht verschmäht, für ihren unwürdigen Sohn zu beten.“ Er hob das Haupt empor und sah sie an, ihre Augen trafen sich. „Berthold!“ rief sie mit einem Ausdruck, der zwischen namenlosem Schrecken und grenzenloser Freude schwankte -- ihr schwanden die Sinne. Er riß sie an seine Brust und küßte ihr Antlitz mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit, dann ließ er die bewußtlose Gestalt sanft zurücksinken. Als Elsbeth zu ihrer Mutter trat, schwang er sich eben aufs Pferd, schwenkte noch einmal seinen Hut und jagte davon; als Frau Ursula wieder zu sich kam und angstvoll suchend umherblickte, da zeigte nur noch ein fernes Staubwölkchen die Richtung an, in der er verschwunden war. -- Margarete hatte nicht viel Muße, ihre Einsamkeit zu empfinden, denn die ernste Zeit nahm nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen in Anspruch. Die unter den Waffen stehenden ärmeren Leute, sowie die geworbenen Söldner wurden auf Kosten der Stadt gespeist; man hatte große Küchen errichtet, die von kundigen Frauen bedient und von Höherstehenden beaufsichtigt wurden. Frau Magdalene Krafftin hatte an bestimmten Tagen die Ratsküche unter ihrer Obhut, und Margarete stand ihr treulich bei. Der Haushalt erforderte manche Arbeit; auch waren viele Frauen und Kinder in Nürnberg, die jetzt, da aller Verdienst stockte, ohne den Beistand der Reicheren in bittere Not geraten wären, und für sie gab es fortwährend zu denken und zu sorgen. Kam Herr Ebner vom Rathause zurück, wo er einen großen Teil des Tages in wichtigen Geschäften zubrachte, so fand er sein Töchterlein stets seiner harrend, immer voll Teilnahme an allem, was vorging, immer bereit, ihn mit freundlichen Worten zu erheitern und für sein leibliches Wohl zu sorgen. Margarete saß in der Fensternische, welche durch dunkle, tief herabfallende Vorhänge von dem eigentlichen Wohnraum abgeschlossen war; durch die gefärbten Scheiben drang nur noch ein dämmeriges Licht. Die Arbeit war ihr entfallen, die Hände ruhten müßig im Schoß, ihre Gedanken flogen träumend umher. Drei Gestalten zogen an ihrem inneren Blick vorüber: Berthold, Lorenz und Ulrich, alle drei ihr lieb und vertraut, und doch so unendlich voneinander verschieden. Wie hatte sie den frischen, fröhlichen Bruder geliebt, mit einer Liebe, die zu jedem Opfer fähig gewesen wäre! Seine Flucht aus dem Kloster hatte ihr Vertrauen zu ihm gewaltig erschüttert, und selbst das tiefe Mitleid, das sie für ihn empfand, konnte sie nicht darüber täuschen, daß ihm die Kraft gefehlt habe, das, was er auf sich genommen, auch durchzuführen. Lorenz, mit seinem klaren Verstand, seinem tüchtigen Charakter, hatte sich bald ihre volle Achtung erworben, und sie mußte sich sagen, daß er viel mehr ein Sohn nach dem Herzen ihres Vaters gewesen wäre, als Berthold mit seinen hochfliegenden Plänen; aber all seine Anschauungen waren nüchtern und praktisch, für die Fragen und Gedanken, die ihre Seele oft bewegten, hatte er nur ein ironisches Lächeln, ein mitleidiges Achselzucken. Wie anders dagegen Ulrich mit seinem rastlosen Streben nach Wahrheit und Erkenntnis, mit dem energischen Willen und dem sanften, liebevollen Herzen! Ja, er entsprach von den Dreien am meisten dem Bilde eines echten, ganzen Mannes. Die Träumerin fuhr plötzlich mit einem Schrei empor, denn durch die Vorhänge blickte ein männliches Antlitz sie an, während sie den nahenden Tritt völlig überhört hatte. „Ulrich -- um Gotteswillen, wie kommt Ihr hierher?“ „Ich komme, um Euch die versprochene Nachricht von Berthold zu bringen, Margarete; habt Ihr mich nicht erwartet?“ „Aber wie kommt Ihr in die Stadt, da doch keiner hereingelassen wird, der nicht zu den Unsrigen gehört?“ „Hans Fiedler hatte die Wache am Spittlerthor, der hat mich eingelassen.“ „Um Jesu willen! Ulrich -- wenn Euch jemand hier fände, es könnte Euch teuer zu stehen kommen!“ „Seid ohne Sorge, liebe Margarete, ich komme ebenso sicher hinaus, wie ich hereinkam. Aber seid Ihr nicht gespannt, etwas von Berthold zu hören?“ „Ist er in Sicherheit? Gott sei Dank -- und innigen Dank Euch für Eure Hilfe! Aber kommt, kommt, Ulrich, mein Vater darf Euch hier nicht finden, Ihr müßt Euch verbergen, -- o kommt, ich vergehe vor Angst.“ Sie zog ihn durch eine schmale Seitenthür in einen finstern Gang, stieß dann eine andre Thür auf und schob ihn in einen düsteren Raum. „Bleibt hier, ich bitte Euch, und wartet meiner, ich komme zurück, sobald ich kann.“ Ehe er sich’s versah, war sie fort und hatte den Schlüssel abgezogen. Zitternd vor Aufregung kehrte das Mädchen in das Wohngemach zurück, zündete die Lampe an und deckte den Tisch zum Abendessen, das Herr Wilibald jetzt allein, ohne die übrigen Hausgenossen, einzunehmen liebte. Wie sollte sie nur Ulrich ungesehen fortschaffen? sie konnte ja dem Vater nicht einmal erklären, zu welchem Zwecke er gekommen sei, denn sie wagte es nicht, sein strenges Verbot zu übertreten, das selbst Bertholds Namen verpönte. Endlos kam ihr heute die Stunde der Mahlzeit vor, welche ihr sonst so traulich erschien; heute that sie nichts, um Herrn Wilibald zu fesseln, sondern atmete erleichtert auf, als sich endlich die Thür hinter ihm schloß. Eine Weile lauschte sie noch auf den verhallenden Tritt, dann ergriff sie die Lampe und eilte in das Zimmerchen, wohin sie Ulrich gebracht hatte. „Gott sei Dank, er ist fort!“ sagte sie, „nun könnt Ihr unbemerkt das Haus verlassen. Eilt, Ulrich, ich werde nicht eher ruhig sein, als bis ich Euch in Sicherheit weiß.“ „Mit dem Eilen ist’s nun vorbei,“ erwiderte er mit einem eigentümlichen Lächeln; „während Ihr mich hier gefangen hieltet, ist die Stunde verflossen, in der Hans am Thor die Wache hatte. Ihr müßt Eure Gastfreundschaft schon bis morgen früh ausdehnen, sonst könnte man mich leicht für einen Spion ansehen und am nächsten Pfosten aufknüpfen.“ „Gerechter Gott!“ rief sie entsetzt, „und das sagt Ihr so kaltblütig? Jesus Maria, was habe ich gethan, in welche Lage hat meine Thorheit Euch gebracht -- und ich wollte doch nur das Beste! O Ulrich, ist das mein Dank für alles, was Ihr an Berthold gethan habt?!“ Sie setzte sich nieder und brach in bittere Thränen aus. „Beruhigt Euch, liebe, holde Margarete,“ sagte er sanft und tröstend, „es wird so schlimm nicht werden. Laßt uns auf Gott und mein gutes Glück vertrauen! Und da Ihr mich nun doch nicht loswerden könnt, so trocknet Eure Thränen und laßt uns miteinander reden, wie es guten, alten Freunden geziemt.“ Seine Ruhe wirkte besänftigend auf ihre erregten Gefühle; sie erinnerte sich ihrer hausmütterlichen Pflichten, brachte ihm mit eigner Hand -- denn sie mochte niemand von der Dienerschaft ins Vertrauen ziehen -- Speise und Trank, ließ sich dann alle Einzelheiten von Bertholds Ergehen berichten und gab ihrer Anerkennung für Ulrichs thätige Hilfe lebhafte und herzliche Worte. Später brachte sie ihm einige Kissen und Decken. „Ihr müßt Euch für die Nacht hier einrichten, so gut es geht,“ flüsterte sie, „ich kann Euch in kein anderes Zimmer führen. Schlaft wohl, Ulrich, morgen früh komme ich wieder zu Euch. Hier ist der Schlüssel, schließt Eure Thür fest zu.“ Als sie aber am nächsten Morgen an die Thür klopfte, blieb alles still: das Zimmer war leer, und der gefangene Vogel schon vor ihr ausgeflogen. Sie faltete die Hände und sendete ihm ein inbrünstiges Stoßgebet nach. Der Vormittag verging Margareten in fieberhafter Erregung, bei jedem Schritt, jedem Geräusch fuhr sie zusammen, als bedeute es etwas Schreckliches. Sie war gerade auf dem Vorsaal beschäftigt, als sie auf der Straße lautes Geschrei und das Stampfen vieler Füße hörte. Das war in dieser Zeit nichts Seltenes, man brachte oft Gefangene ein, oder Söldner, welche sich irgendwie gegen die strengen Kriegsregeln vergangen hatten. Sonst sah sie kaum danach, heute aber eilte sie ans Fenster und musterte angstvoll den Zug gewaffneter Knechte, welcher von einer Menge johlender Buben begleitet wurde. In der Mitte gingen zwei Männer, denen man die Hände auf den Rücken gebunden hatte; der eine schleppte sich widerwillig weiter und bekam zuweilen einen Stoß mit der Hellebarde, um ihn im Gange zu erhalten, der andre schritt ruhig, in aufrechter Haltung, dahin, den Hut tief in die Stirn gedrückt. Margarete riß das Fenster auf und streckte die Hände nach ihm aus: „Ulrich, Ulrich!“ rief sie in schneidendem Weh. Ihre Stimme verklang in der Unruhe da unten, und zu rechter Zeit kam noch das Gefühl des Schicklichen über sie; sie flog vom Fenster zurück, ehe ihr Benehmen Aufmerksamkeit erregt hatte, und verbarg verzweiflungsvoll ihr Gesicht in den Händen. „Gott im Himmel, was habe ich gethan!“ stöhnte sie. „Ich, ich allein trage die Schuld an dieser Schmach! Was wird er sagen? was werden sie ihm anthun? was wird seine Mutter anfangen, wenn er nicht zurückkehrt? was soll ich thun, um ihn zu befreien?“ Sie wäre am liebsten aufs Rathaus geeilt, hätte ihren Vater dort aufgesucht und ihm alles gebeichtet, -- aber sie fühlte wohl, daß das unmöglich sei, daß es sich für ein Mädchen nicht zieme, sich unter die vielen Männer zu begeben und alle Blicke auf sich zu ziehen. Sie mußte also warten, und peinliche, angstvolle Stunden waren es, die sie zubrachte. Endlich, endlich kam ihr Vater zu ihr, um sich, wie er pflegte, eine kurze Weile in ihrer Gesellschaft zu erholen. Sie eilte ihm entgegen. „Was habt Ihr mit ihm gemacht, Vater? Ihr könnt nicht glauben, daß er eine strafbare Absicht gehabt hat -- ich bürge für ihn, daß er nichts Böses gegen die Stadt im Schilde führte!“ Herr Wilibald sah sie erstaunt an. „Von wem sprichst du, mein Kind?“ „Von Ulrich von Maltheim -- o Vater, entlaßt ihn schleunigst aus seiner Haft, damit sich seine Mutter nicht in Angst um ihn verzehre -- es ist schlimm genug, daß er wie ein Verbrecher über die Straße geführt wurde -- er, ein untadeliger Edelmann!“ „Und woher weißt du so genau, was der Junker von Maltheim für Absichten hatte, als er sich heimlich in die Stadt schlich?“ „Ich habe ihn gesprochen und weiß, weshalb er kam.“ „Du, Margarete? -- -- wann und wo sprachst du ihn?“ „Gestern Abend an dieser Stelle.“ „Wie? meine Tochter sagt mir ohne Erröten, daß sie einem fremden Manne ein Stelldichein bewilligt habe? Also darum bist du in der Stadt geblieben, nicht um deinem Vater eine schwere Zeit zu erleichtern, sondern um in der Nähe dieses jungen Fants zu bleiben? -- Soll ich alle meine Kinder so verlieren?“ Margarete richtete sich hoch empor und sah dem erregten Manne fest und furchtlos ins Antlitz. „Mein Vater,“ sagte sie mit edlem Stolze, „wann hat deine Tochter dir je das Recht gegeben, so unwürdig von ihr zu denken? Nicht um meinetwillen kam Ulrich von Maltheim her, sondern um deines Sohnes willen: er brachte mir Kunde von Berthold.“ „Schweig!“ rief ihr der Ratsherr heftig zu und wendete sich von ihr; „du weißt, daß dieser Name nicht vor meinem Ohr genannt werden darf!“ „O mein Vater,“ versetzte sie mit sanfter Würde, -- und mit einem Schlage war alle Aufregung von ihr gewichen -- „wie schwer sich auch Berthold vergangen haben mag, so hört er doch nimmer auf, dein Sohn zu sein, und wie bitter du ihm auch zürnen magst, in deinem innersten Herzen spricht doch eine Stimme für ihn. Wenn es ihm gelingt, auf einem andern Boden ein neues, würdiges Leben zu beginnen, so danken wir es dem thatkräftigen Eingreifen Ulrichs von Maltheim, der als ein treuer Freund an ihm gehandelt hat. War es auch tollkühn von ihm, sich in die Stadt zu wagen, um sein Versprechen zu erfüllen, so braucht er sich seines Thuns doch wahrlich nicht zu schämen, und schlecht stünde es uns an, ihn für solche That unter falschem Verdachte leiden zu lassen.“ Herr Ebner durchmaß das Zimmer mit hastigen Schritten, er kämpfte einen schweren Kampf mit sich selbst. Dann warf er sich in einen Lehnstuhl, stützte das Haupt in die Hand und sagte mit unsicherer Stimme: „Ich will alles wissen, berichte mir genau jedes Wort.“ Er hörte mit gespannter Aufmerksamkeit auf ihre Erzählung, dann versank er in ein tiefes Schweigen. Endlich stand er auf und sagte in strengem Ton: „Du hast unrecht gethan, als du mir Bertholds Erscheinen in Nürnberg verheimlichtest, denn ich hatte das erste Recht darauf, die Verirrungen meines Sohnes zu erfahren, ja, ich hätte ihn damals noch zu seiner Pflicht zurückführen können. Was den Junker von Maltheim betrifft, so werde ich für ihn Bürgschaft leisten und ihn, statt im Ratsgefängnis, in meinem Hause in Gewahrsam nehmen. Du wirst für ihn sorgen, darfst ihn aber weder sehen, noch sprechen. Ich erwarte unbedingten Gehorsam und würde jeden Versuch, diese Vorschrift zu übertreten, streng bestrafen. Setze das kleine Zimmer neben meiner Schreibstube in Bereitschaft und bleibe in deiner Kammer, bis ich dich rufe.“ Er ging hinaus und ließ Margarete in einem Widerstreit von Empfindungen zurück. Sie sah ein, daß ihr Vater über ihren Anteil an Bertholds Flucht ernstlich erzürnt war, und fühlte doch, daß ihm die Gewißheit, der Sohn sei vor jeder Verfolgung sicher, eine Herzenserleichterung gewähre; sie freute sich, daß sie Ulrich von falschem Verdacht gereinigt und vor unwürdiger Behandlung bewahrt habe, und war doch tief bekümmert, daß er bis zum Ende der Fehde ein Gefangener bleiben müsse. Es tröstete sie ein wenig, daß sie selbst für ihn sorgen durfte, und sie richtete das kleine Zimmer so traulich ein, wie sie nur konnte; sie legte ihm ihre eignen Bücher hin -- es waren freilich nur wenige --, auch Schreibmaterial, damit ihm die Zeit nicht zu lang würde, und da sie keine Blumen hatte, steckte sie wenigstens große Zweige duftiger Walnußblätter rings umher, welche die kahlen Wände freundlich verhüllten. Das Gemach ging auf den Hof hinaus, doch war das kleine vergitterte Fenster so hoch angebracht, daß der Insasse nur die grüne Krone des Nußbaums sehen, aber mit seinem Blick nicht den Boden erreichen konnte. Gern saß Margarete mit ihrer Arbeit unter dem lieben, alten Baum, und plötzlich kam ihr ein Gedanke: sehen und sprechen hatte der Vater verboten, aber +singen+ nicht; so erhob sie denn eines Tages ihre Stimme und begann, erst leise und schüchtern, dann immer zuversichtlicher, also zu singen: „Vöglein im Käfig sitzet alleine, Blicket so trübe ins wogende Grün, Schaut auf des Himmels eilende Wolken, Möchte mit ihnen von hinnen fliehn. Vöglein, gedulde dich noch ein Weilchen, Bald schon erschließt sich des Kerkers Thor, Und mit des Friedens holdem Geläute Schwebst du zum Licht und zur Freiheit empor!“ Sie lauschte eine Weile mit klopfendem Herzen, dann vernahm sie gedämpfte Töne, die ihr also antworteten: „Jungfrau, die holde, stehet am Gitter, Grüßt den Gefangnen mit tröstendem Wort, Scheucht von der Stirne mit freundlichem Finger Leise des Unmuts Geister ihm fort. Siehe, da teilt sich düstres Gewölke, Leuchtende Sterne winken ihm zu. Dank dir, o Mägdlein! Stürme der Seele Sang deine schmeichelnde Stimme zur Ruh!“ So hatte Margarete einen Weg gefunden, um mit Ulrich zu verkehren, ohne das strenge Verbot des Vaters zu übertreten. So oft ihre Pflichten es erlaubten, saß sie unter dem Baum, und auf Flügeln des Gesanges tauschten beide ihre Herzen aus. Freilich achtete sie sorgsam darauf, daß Herr Wilibald niemals Zeuge dieses poetischen Zwiegespräches wurde, denn sie hatte ein leises Gefühl, daß es seinem nüchternen Sinne allzu romantisch erscheinen würde. [Illustration] Sechzehntes Kapitel. Kampf und Frieden. Nicht mehr trotzet der Freche; ihn traf der Arm des Gesetzes. Aber Unwürdige selbst adelt der nahende Tod. Schon einige Wochen lang währte die Fehde, und kein Tag verging, an dem nicht lodernder Feuerschein am Himmel gezeigt hätte, daß hier und dort eine Scheune oder ein Wohnhaus in Flammen aufginge und arme, vielgeplagte Menschen ihrer dürftigen Habe oder ihres armseligen Obdachs beraubt würden. Noch war kein entscheidender Schlag gefallen, und die Wölfe drängte es auch gar nicht, ihre Streitkräfte der überlegenen, städtischen Heeresmacht gegenüberzustellen, vielmehr ging ihr ganzes Streben nur dahin, durch fortgesetzte Plänkeleien die Kräfte des Gegners zu ermüden und zu zersplittern. Für die raublustigen Ritter mit ihrem besitzlosen Anhang war dieser Zustand gerade erwünscht; sie fanden dabei Beute genug und ließen sich die Gelegenheit zu Kampf und Aufregung wohl gefallen. Ganz anders lagen die städtischen Interessen. Im ersten Augenblick war der kriegerische Geist der Bürgerschaft auch nicht zu verachten; nicht nur der große und kleine Rat, in welchem die Häupter des Stadtadels Sitz und Stimme hatten, sondern auch die Versammlung der „Genannten“, d. h. die Erwählten der Zünfte und kleinen Handelsleute, welche man nur bei ganz besonderer Gelegenheit zur Mitberatung einberief, waren fast einstimmig für die Aufnahme des Kampfes gewesen, denn jeder einzelne brannte in seinem reichsstädtischen Selbstbewußtsein darauf, die adligen Widersacher zu züchtigen und unschädlich zu machen. Mit jedem Tage aber wurden die Opfer, die alle bringen mußten, fühlbarer und drückender; Handel und Wandel stockten, der Verdienst blieb aus, die Lebensmittel wurden täglich teurer. Da ließen sich denn bald unzufriedene Stimmen hören, der Dienst mit den Waffen wurde widerwilliger geleistet, Auflehnungen gegen die strenge Mannszucht kamen häufiger vor. Schon mehrmals hatten die Väter der Stadt lange Beratungen darüber gepflogen, wie der Fehde ein Ende zu machen sei; auch heute hatten sie sich im Ratssaale vereinigt und erwogen in Rede und Gegenrede die Wege, um den ersehnten Frieden herbeizuführen. „Ich meine, wir müssen den Wölfen ernstlich auf den Leib rücken und sie in ihren Höhlen überfallen,“ sagte Herr Hennerle von Steifen, ein adliger Mann, der früher selbst der Stadt manchen Schaden zugefügt hatte, dann aber in ihren Dienst und Sold getreten und nun einer ihrer obersten Hauptleute war. „Das ist von Anbeginn meine Meinung gewesen,“ versetzte Herr Wilibald Ebner. „Wozu haben wir unsern Saturn, unsre Chriemhild mit schweren Kosten angeschafft, wenn sie nicht die feindlichen Burgen brechen sollen?“ „Aber wie wollt Ihr die schweren Geschütze auf den holprigen Waldwegen meilenweit durchs Land schleppen?“ warf ein andrer ein; „bedenkt, daß die Chriemhild allein zehn Wagen und sechs und fünfzig Pferde gebraucht.“ „War die faule Grete, mit welcher der eiserne Burggraf Friedrich von Hohenzollern die Schlösser der aufsätzigen märkischen Junker in Trümmer schoß und ihren trotzigen Sinn beugte, nicht noch schwerer?“ fragte Herr Wilibald dagegen. „Möglich würde es schon sein,“ fiel Herr Hennerle ein, „aber eine regelrechte Belagerung erfordert viel Opfer an Zeit und Geld. Besser wäre es, die Wölfe zu überraschen und ihre Häupter gefangen zu nehmen; solch ein unerwarteter Streich würde den Bund zersprengen und uns am meisten Nutzen bringen.“ „Und wie wollt Ihr das anfangen, Hauptmann?“ „Wir müssen einen kundigen Mann gewinnen, der uns den Zugang zum Hauptquartier verrät.“ Eine Stille folgte diesem Vorschlag, hie und da ein mißbilligendes Kopfschütteln; doch schien ein jeder die Worte ernstlich zu überlegen. „Wißt Ihr ein Mittel, um an solchen kundigen Mann zu gelangen, Herr von Steifen?“ fragte der Bürgermeister. „Wir haben einen Knecht des Junkers von Rotenhahn gefangen. Ich glaube, daß man ihn mit Gutem oder mit Gewalt bewegen könnte, uns die erforderliche Auskunft zu geben.“ „Laßt den Gefangenen hereinführen!“ gebot der Bürgermeister. Nach kurzem Warten öffnete sich die Thür, und, von der Wache geleitet, trat ein Mann in den Saal, derselbe, der einige Tage zuvor mit Ulrich zusammen eingebracht worden war, in abgerissener Kleidung, mit wirrem Haar und einem finstern Blick, der beharrlich am Boden haftete. „Euer Name?“ fragte der Bürgermeister. Der Gefangene antwortete nicht; erst, als ihm der wachehabende Stadtsoldat einen Rippenstoß gab, murmelte er trotzig: „Ihr kennt mich, ohne daß ich’s Euch sage.“ Herr Volkamer warf einen forschenden Blick auf den finstern Gesellen, flüsterte mit seinem Nachbar und sagte dann in strengem Ton: „Wohl kenne ich Euch, Klaus Zworrer; Ihr habt einst im Dienste dieser wohllöblichen Stadt gestanden, aber Ihr habt Euren Schwur gebrochen und seid treulos zu unserm ärgsten Feinde übergegangen. Wißt Ihr, daß wir Euch dafür ohne weiteres an den Galgen hängen können?“ „Ich weiß es,“ versetzte Klaus düster, „macht’s kurz, wozu die vielen Reden?“ „Es gäbe ein Mittel, um Euch Gnade und Leben zu erkaufen, einen Weg, um Eure Schuld zu sühnen und ein ehrlicheres Leben zu beginnen,“ sagte der Bürgermeister langsam und mit Nachdruck. Klaus schaute auf. „Und das wäre?“ fragte er hastig. „Ihr habt seit Jahren dem Junker von Rotenhahn gedient und seid ohne Zweifel mit seinen Plänen und Schlupfwinkeln genau bekannt; liefert uns die Häupter des Wolfenbundes ohne Aufsehen in die Hände, und Ihr sollt die Freiheit und reichen Lohn erhalten.“ Der Gefangene blickte finster zu Boden; in schweigender Spannung sahen die Beisitzer des Rates auf ihn. „Ich kann es nicht,“ sagte er endlich mit fest zusammengezogenen Brauen. „Und warum nicht? ist Euch das Leben nichts mehr wert? wollt Ihr aus diesem Saal sofort auf den Richtplatz wandern?“ „Herr,“ erwiderte Klaus mit rauhem Ton, „ich habe einmal meine arme Seele verkauft, um mein elendes Leben zu retten, als ich Euch meinen Eid brach, -- soll ich es zum zweiten Mal thun und ohne Erbarmen zur Hölle fahren?“ Die Bedenken des rohen Kriegsknechtes blieben nicht ohne Eindruck auf die Versammlung. „Ein Eid, den Ihr gezwungenermaßen einem Ehrlosen und Räuber geleistet, kann nicht bindend sein,“ nahm nach einer Pause einer der Herren das Wort; „jeder Priester wird Euch davon freisprechen. Bedenkt, daß die Stadt das erste Anrecht an Eure Treue hat.“ Es kostete noch manches Hin- und Herreden, bis Klaus’ Zweifel überwunden waren; endlich aber gewann die Ansicht der ehrsamen und gestrengen Herren vom Rat den Sieg über seine Gewissensbedenken, und er sagte seine Hilfe zu. Als er wieder in seinem Gefängnis saß, wo man ihm sofort allerlei Erleichterungen gewährte, ballte er die Faust und rief mit wilder Freude: „Jetzt kommt die Stunde der Rache, Junker Veit von Rotenhahn! jetzt sollt Ihr büßen für all das Elend, das Ihr mir in diesen Jahren bereitet habt -- Ihr und Euer Weib!“ Bald danach brachen von Nürnberg mehrere Fähnlein Fußvolk und eine ansehnliche Reiterschar auf, denen mehrere Geschütze und anderes Belagerungsmaterial folgte, und mit gewaltigem Lärm schlugen dieselben langsam und bedächtig einen Weg ein, der nicht nach Hohenheiligen führte. Einige Stunden später aber schlich sich, im Schutz der Dunkelheit, ein auserlesener Haufe aus dem Thor, lauter erprobte Männer voll Kraft und Entschlossenheit, die mit den besten Handwaffen ausgerüstet waren, an der Spitze Herr Hennerle von Steifen, und neben ihm Klaus Zworrer, als Führer. Es war tiefe Nacht, als sie im Walde, unweit der Räuberburg ankamen; man zündete einige Fackeln an, und mit ihrer Hilfe fand Klaus den künstlich verborgenen Eingang zu dem unterirdischen Gange, der bis in den inneren Burghof führte. Auf den Zehen schleichend, den scharfen Dolch zwischen den Zähnen, die Hand am gespannten Hahn des Faustrohrs, drangen die Männer, in langer Reihe dicht hintereinander gehend, durch den engen, niedrigen Gang vor; der Soldknecht, der schläfrig den Ausgang bewachte, war im Nu niedergestoßen, und der dunkle Hof füllte sich mit Bewaffneten. Im Turme saßen die Häupter des Wolfenbundes beim Gelage und spotteten beim vollen Becher des Nürnberger Rates, der seine Unternehmungen so wenig zu verstecken wisse, daß man immer zwölf Stunden Zeit zur Vorbereitung habe. Auch Frau Walburg bewegte sich unter den wilden Gesellen; sie war sehr gealtert, und das kostbare Brokatkleid, das sie trug -- es war aus kürzlich erbeutetem Stoff gemacht und wohl für eine Fürstin bestimmt gewesen --, hing schlottrig um ihre dürre Gestalt; die letzten Jahre mußten ihr nicht viele ruhige und pflegsame Tage gebracht haben. Sie hatte viel zu thun, um den zechlustigen Genossen ihres Gatten die Becher zu füllen und ihre zahlreichen Wünsche zu befriedigen; die Scherze, die sie dabei zu hören bekam, waren wenig für ein weibliches Ohr gemacht, doch war sie an solche Unterhaltung zu sehr gewöhnt, um Anstoß daran zu nehmen. Oft stimmte sie in die freie Rede ein und lachte laut über einen derben Witz, oder erwehrte sich mit einer Ohrfeige eines allzu zudringlichen Gesellen. Plötzlich erscholl von unten Getümmel und Waffengeklirr, -- die Eindringlinge waren mit der Besatzung der Burg ins Handgemenge gekommen. Im nächsten Augenblick stürzte Janko schreckensbleich unter die Zechenden: „rettet Euch,“ schrie er atemlos, „die Nürnberger sind über uns! Klaus, der Schurke, hat sie geführt!“ In wildem Durcheinander sprangen alle auf und griffen zu den Waffen; einer und der andre taumelte stark, aber die Gefahr zerstreute schnell den Rausch, der die Sinne benebelte. Auf der Treppe stießen Angreifer und Überfallne aufeinander, und ein wütendes Ringen begann. Aber noch waren die Wölfe nicht überwunden, sie bissen mit der Wut der Verzweiflung um sich, einige schossen aus den kleinen Fenstern des Turmes auf die Städter herab, bis von außen her Trompetenklang und Pferdegetrappel erscholl: der Vortrab der Belagerungstruppe rückte heran und berannte das Thor -- damit war der Sieg der Nürnberger entschieden. Als Junker Veit erkannte, daß alles verloren sei, wollte er sein Heil in tollkühner Flucht versuchen; schon hatte er ungesehen den Stall erreicht und sich auf sein Leibpferd geworfen, -- er drückte ihm beide Sporen tief in die Flanken, daß es in gewaltigen Sätzen mitten durch die Kämpfenden dahinflog. Vielleicht wäre er entkommen, aber ein haßerfülltes Auge war ihm gefolgt, Klaus, der sich bis dahin ganz unthätig verhalten, riß sein Schießgewehr an die Wange -- der Schuß krachte, und schwer getroffen stürzte Veit von Rotenhahn vom Pferde herab. „Du Teufel! fahre hin an deine Stätte, von der du gekommen bist!“ rief Klaus in wildem Triumph, aber das letzte Wort erstarb ihm auf der Lippe, denn mit hoch geschwungenem Krummsäbel war der schwarze Janko auf ihn zugesprungen und hatte ihn so furchtbar getroffen, daß er röchelnd zusammenbrach. „Stirb, verräterischer Hund!“ knirschte Janko -- im nächsten Augenblick lag er selbst gebunden am Boden. Die aufgehende Sonne beleuchtete eine Stätte des Grauens und der Verwüstung; Tote und Verwundete beider Parteien füllten den Schloßhof. Totenbleich und regungslos lag Junker Veit da, neben ihm saß Walburg, die sein Haupt auf ihren Schoß gebettet hatte und das strömende Blut zu stillen suchte. Dunkle Tropfen rannen über ihr kostbares Kleid herab -- sie achtete ihrer nicht, alle ihre Sinne und Gedanken hingen an dem sterbenden Manne. „Veit, mein Gatte, mein Geliebter!“ rief sie jammernd, „geh nicht von mir, laß mich nicht allein hier zurück! Was soll ich anfangen ohne dich, du meine Stütze, mein treuer Gemahl in guten und bösen Tagen? O thue wieder deine Augen auf und schaue mich an, sage mir noch ein einziges Mal, daß ich immer dein gutes, treues Weib gewesen bin. O Veit, mein Licht, meine Sonne, bleibe bei deiner Walburg, die ohne dich nicht leben mag!“ Da schlug der Sterbende die Augen auf und sah sie mit einem Blick voll Liebe an. „Lebe wohl, du Treue,“ stöhnte er, „hab’ Dank -- bewahre unsre Söhne -- vor ihres Vaters Schicksal ...“ Er drückte ihr krampfhaft die Hand, streckte sich -- und war tot. -- Walburg drückte ihm die Augen zu, ein paar große Thränen rollten langsam über ihre Wangen; lange schaute sie dem Toten unverwandt ins Angesicht, dann legte sie ihn sanft auf die Erde nieder, richtete sich empor und suchte mit ihrem Blick den Anführer. „Hauptmann,“ sprach sie -- und der Schmerz lieh ihr eine Würde, die sie sonst nie besessen -- „Ihr seid die Sieger, wir die Besiegten. Ihr habt diese Burg erobert, nehmt alles hin, nur laßt mir diesen Leib, daß ich ihn ehrlich begrabe.“ Herr Hennerle von Steifen machte eine ritterliche Verbeugung. „Edle Frau,“ erwiderte er höflich, „wir führen nur gegen die Lebenden Krieg, nicht gegen die Toten, auch bekämpfen wir nur Männer und nicht Frauen. Nehmt Euren Schmuck und Eure Kleider, auch was sonst zur Notdurft gehört, nebst dem Leichnam Eures Gatten; Wagen und Pferde stehen zu Eurer Verfügung, und ein Häuflein Reiter soll Euch geleiten, wohin Ihr’s begehrt.“ Frau Walburg neigte das Haupt und verschwand in der Burg; in kurzem kehrte sie zurück, ein Bündel in der Hand, eine große Decke über dem Arm. Der Tote ward auf einen Wagen gehoben und sorgfältig zugedeckt; ehe die Witwe dazu stieg, wendete sie sich noch einmal an den Hauptmann. „Gebt mir diesen mit!“ sagte sie halb bittend und halb befehlend, indem sie auf den gefesselten Janko wies, der aus vielen Wunden blutete. „Er war der treueste Diener seines Herrn und hat nur nach seinen Befehlen gehandelt.“ „Es sei!“ versetzte Herr Hennerle nach kurzer Überlegung, „er wird uns nicht mehr schaden.“ Janko küßte seiner Gebieterin dankbar die Hand und kroch mühselig auf den Wagen; wie ein verwundeter Hund kauerte er sich zu den Füßen seines toten Herrn nieder. „Nach Maltheim!“ befahl Walburg, und langsam setzte der traurige Zug sich in Bewegung; die alte Heimat war der einzige Zufluchtsort der beraubten Witwe. In diesem Augenblick dachte sie nicht an die Söhne, die ihr noch geblieben waren und, fern von dem gesetzlosen Treiben der letzten Zeit, erzogen wurden; sie konnte nur an den Gatten denken, mit dem sie jung gewesen, den sie in ihrer Weise heiß und aufrichtig geliebt hatte. Sie verhüllte ihr Haupt; die ganze Welt um sie her war versunken; wie eine trauernde Königin, die mit dem Gatten Krone und Reich verloren, fuhr sie dahin. -- -- -- -- Mit lautem Triumph kehrten die Nürnberger Truppen heim in die Stadt, wo sie mit Jubel empfangen wurden. Groß waren die Vorteile, die sie mit diesem einen Schlage errungen hatten, denn fast alle feindlichen Anführer waren in ihren Händen, der ganze Bund zersprengt und gelähmt durch den Verlust seiner Häupter. Dagegen waren ihre Verluste verhältnismäßig gering: wer fragte nach Klaus Zworrer, der statt Lohn und Freiheit den Tod gefunden hatte? Frau Barbara war tot, und seine Töchter kannten den Vater kaum, von dem sie nur wenig Gutes erfahren hatten. Von allen Seiten traten jetzt die guten Freunde beider Parteien auf, die sich bisher vom Kampfe fern gehalten hatten; sie suchten zwischen den Streitenden zu vermitteln, damit keiner von beiden durch die Friedens-Bedingungen zu hart getroffen würde. Die gefangenen Edelleute fanden viele Fürsprecher unter ihren Standesgenossen, und die Stadt durfte ihnen nicht allzu scharf an den Kragen gehen, um sich nicht neue Feinde auf den Hals zu ziehen. Man mußte sich begnügen, an einigen geringeren Leuten ein Exempel zu statuieren, machte ihnen den Prozeß und überlieferte sie dem hochnotpeinlichen Gericht, welches sie durch Galgen und Rad vom Leben zum Tode beförderte. Die vornehmeren unter den Wolfenbündlern mußten schwören, nie wieder die Waffen gegen die freie Reichsstadt zu erheben, und wurden dann gegen ein Lösegeld in Freiheit gesetzt. So ging die Fehde zu Ende, und die den ganzen Kampf ausbaden mußten, waren vor allem die kleinen Bauern in den offenen Dörfern, deren Häuser und Höfe verbrannt und verwüstet, deren Felder zerstampft, und deren Vieh geschlachtet und fortgeführt war, während niemand daran dachte, ihnen den erlittenen Schaden zu ersetzen. Ulrich von Maltheim war gleich beim Beginn der Friedens-Verhandlungen aus seiner Haft entlassen worden. „Ihr habt meinem verlornen Sohne Freundschaft erwiesen,“ hatte Herr Wilibald ernst zu ihm gesprochen, „dafür danke ich Euch. Freilich wäre es echtere Freundschaft gewesen, wenn Ihr den Verirrten auf den Weg der Pflicht und Treue zurückgewiesen hättet -- doch Ihr seid ein Edelmann und habt wie ein solcher gehandelt. Es kann keiner von uns über die Schranken seines Standes hinaus, aber es stände vielleicht besser in der Welt, wenn es viele Edelleute von Eurem Schlage gäbe, Herr von Maltheim.“ Ulrich war hoch erfreut über diese Rede, aus der er nur das Lob heraushörte; sie schien ihm die Erfüllung der süßen Hoffnungen zu verbürgen, welche in den stillen Tagen seiner Gefangenschaft sein ganzes Herz eingenommen hatten. Er wünschte sehnlich, ein paar ungestörte Worte mit Margarete zu sprechen, aber er fand keine Gelegenheit dazu; das letzte Frühstück nahm er in Gesellschaft von Vater und Tochter ein, und der Ratsherr blieb bei ihm, bis er sein Roß bestieg. Als er fort war, ging das Mädchen in das kleine Zimmerchen, in dem er die letzten Wochen gewohnt hatte; träumend betrachtete sie jedes Stück, das er benutzt hatte, und fuhr liebkosend über jedes Buch, in dem er gelesen. Als sie das eine aufschlug, fiel ein Zettel heraus, und hoch errötend las sie folgende Worte darauf: Gefangen saß ich in engem Raum, Doch tröstend umschwebt mich der lieblichste Traum. Mir träumte, als ich so einsam lag, Ein Engel besuchte mich jeden Tag. Zwar unsichtbar blieb mir sein Schwingenpaar, Von ferne nur wehte sein duftiges Haar. Doch seiner Stimme holdseligen Klang, Den hörte ich deutlich, wie Sphärengesang. Nun ist mir geöffnet des Kerkers Thor, Nun schreit’ ich zum Licht und zur Freiheit empor; Doch wendet sich rückwärts mein sehnender Blick: Denn gefangen bleibet mein Herz zurück! Herr Wilibald erschien an diesem Abend besonders aufgeräumt; der Abschluß der Fehde mochte ihm wohl manche schwere Sorge vom Herzen nehmen. „Was hältst du von Lorenz Tucher?“ fragte er im Laufe des Gesprächs seine Tochter. „Ich halte ihn für einen wackern und tüchtigen Mann,“ erwiderte sie unbefangen, „wohl wert, Euch wie ein lieber Sohn zur Seite zu stehen.“ Dem Vater schien die Antwort zu behagen, denn er lächelte befriedigt vor sich hin. „Es freut mich, mein Kind, daß du verständig genug bist, so vorzügliche Eigenschaften anzuerkennen, auch wo sie ohne ritterlichen Firlefanz, unter schlichter, echt bürgerlicher Außenseite zu Tage treten. Du hast dich in dieser schweren Zeit als meine treue, verständige Tochter bewährt, und so will ich dir mein Vertrauen schenken: ich denke daran, Lorenz in alle Rechte eines Sohnes einzusetzen und ihm einen vollen Anteil an der Handlung zu geben. Und es ist mein herzlicher Wunsch, daß er auch noch durch ein anderes, zarteres Band mit meinem Hause verknüpft werden möchte, durch ein Band, das ihm ein besonderes Recht geben würde, mich ‚Vater‘ zu nennen.“ Er legte seine Hand einen Augenblick wie segnend auf ihren Scheitel, küßte sie liebevoll auf die Stirn und verließ sie dann. In banger Verwirrung blieb Margarete zurück; sie konnte des Vaters Wunsch nicht mißverstehen, aber ihr Herz sprach kein Wort dazu. [Illustration] Siebzehntes Kapitel. Die Werbung. Haben die Herzen sich auch in Liebe und Treue gefunden: Zwischen sie dränget sich noch trennend des Vaters Gebot. Nie hatte Elsbeth Ebnerin eine glücklichere Zeit verlebt, als die, welche sie mit ihrer Mutter bei den Verwandten in Bamberg zubrachte. Bisher hatte sie stets hinter Margarete zurückstehen müssen, denn obgleich jene nur zwei kurze Jahre vor ihr voraus hatte, so genoß sie doch bei allen ein unbedingtes Vertrauen, während man sie selbst immer noch wie ein halbes Kind behandelte. Aber jetzt fiel ihr die Pflege der geliebten Mutter ganz selbstverständlich zu, und jeder mußte sagen, daß sie sich derselben mit Geschick und Treue widmete; auch machte ihr niemand Lorenz Tuchers Gesellschaft streitig, und das beglückte sie besonders. Er begegnete ihr mit der Vertraulichkeit eines älteren Bruders und hörte mit wohlwollendem Lächeln ihrem Geplauder zu, das zwar nicht viel Geist, aber ein gutes Herz und einen kindlich reinen Sinn verriet. In der größeren Selbständigkeit entwickelte sich ihr ganzes Wesen freier und anmuthiger; da sie nicht unter dem beständigen Vergleich mit der begabteren Schwester litt, so galt sie bei jedermann in Bamberg für ein hübsches, wohlerzognes Mädchen, und man begegnete ihr auf das freundlichste. Sie war daher wenig erbaut von der Botschaft, daß ihrer Rückkehr nichts mehr im Wege stünde, und war am letzten Tage so ernsthaft und traurig, daß Lorenz sie teilnehmend fragte, was ihr fehle. „Ich muß an das Märchen vom verzauberten Prinzen denken,“ versetzte sie, „das Muhme Lene uns so oft erzählt hat, als wir noch Kinder waren. Ein böser Zauberer hatte ihn in einen Zwerg verwandelt; nur einen Tag im Jahr durfte er in seiner wahren Größe auftreten, aber sobald die Sonne sank, mußte er wieder in die verhaßte Zwerggestalt schlüpfen. So geht es mir auch.“ „Wie meint Ihr das, Bäschen? ich hoffe, es hat niemand gewagt, Euch ein Leid anzuthun?“ „Nein, das nicht, aber ich fürchte, zu Hause und neben Margarete werde ich wieder nur der Zwerg sein, den niemand für voll ansieht.“ Sie sah so betrübt aus, daß er tröstend über ihre Wange strich und ihre Hände faßte. „Liebe kleine Elsbeth,“ flüsterte er ihr ins Ohr, „denkt Ihr etwa, daß ich Eure Schwester Euch vorziehe? Ihr seid mir viel lieber als sie.“ „Bin ich das wirklich?“ rief sie hocherfreut, „o Lorenz, wie gut seid Ihr! bisher hat mich noch niemand neben ihr beachtet, und Ihr seid doch so klug, wie kein andrer!“ Das Lob schmeichelte ihm und rührte ihn zugleich; er beugte sich herab und küßte sie auf die roten Lippen. Sie schlug die Hände vor das erglühende Gesicht, „Ihr seid ein Böser!“ rief sie halb erzürnt und halb beglückt und lief davon. Er blieb beschämt zurück; wie konnte er, der Ruhige, Verständige, sich so hinreißen lassen! -- Frau Ursula und Elsbeth waren glücklich heimgekehrt, und während die Mutter nach der ermüdenden Fahrt sogleich die Ruhe suchte, saßen die beiden Schwestern traulich beisammen und tauschten ihre Erlebnisse aus, wobei freilich jede manches vor der andern zurückhielt. Aber Margarete bedurfte eines teilnehmenden Herzens für die große Sorge, die drohend wie ein Gespenst vor ihr stand, und sie beschloß, Elsbeth in ihr Vertrauen zu ziehn. „Der Vater,“ sagte sie beklommen, „ist Lorenz überaus wohlgesinnt und wünscht ihn ganz an unser Haus zu fesseln; ich fürchte, er denkt sogar an -- eine Heirat.“ Elsbeths Wangen färbten sich purpurn. „Ich sehe nichts Furchtbares darin,“ sagte sie mit niedergeschlagenen Augen. Die Ältere stützte den Kopf in die Hand und sah ernsthaft vor sich hin. „Nicht? ach Elsbeth, er ist gewiß ein lieber, braver Mensch, aber der beste von allen kann er mir doch nie sein, ich ....“ „Du?“ schrie die Jüngere auf, „warum denn du und immer du? o ich wußte es wohl, daß meine glückliche Zeit zu Ende ginge, sobald ich hierher zurückkehrte, daß ich immer nur das Stiefkind sein würde neben dir, der Bevorzugten und Geliebten! Und er hat es mir doch selbst gesagt, daß ich ihm werter sei, als du ....“ ein Thränenstrom unterbrach ihre Rede, sie legte den Kopf auf die gefalteten Hände und schluchzte laut. Margarete stand erschrocken vor diesem leidenschaftlichen Ausbruch, den sie zuerst gar nicht begriff; allmählich aber ging ihr ein Licht auf, und eine Centnerlast schien ihr mit einemmal vom Herzen zu fallen. „Liebe, gute Elsbeth,“ rief sie jauchzend, „warum weinst du? ist er dir lieb und bist du ihm wert, o so ist alles gut! Vergieb, daß ich nur einen Augenblick denken konnte -- -- o heilige Anna, habe Dank -- -- wie froh bin ich, wie namenlos froh, nun ebnet sich ja alles nach unsern Wünschen! Laß dich küssen, meine Schwester, ich wünsche dir von Herzen Glück!“ Sie umarmte Elsbeth stürmisch und lachte und weinte vor Freuden, so daß jene die ruhige, verständige Schwester kaum wiedererkannte. Da sie aber einsah, daß sie ihrem Glück nicht im Wege stünde, stimmte sie in ihren Jubel ein, und zwischen den beiden Schwestern war jedes Wölkchen zerstoben. -- Auf Maltheim drängten unterdessen die Verhältnisse zu einer Entscheidung, denn es stellte sich nur zu bald heraus, daß ein Zusammenleben von Frau Kunigunde und ihrer Stieftochter unmöglich sei. Als die Weihe des ersten Schmerzes vorüber war, traten bei Walburg schnell genug die alten, häßlichen Charakterzüge, Eigennutz, Anmaßung und Begehrlichkeit, hervor, und mit Heftigkeit forderte sie die Teilung des väterlichen Erbes. Herr Pirkheimer hatte inzwischen schon sein Gutachten dahin abgegeben, daß Herr Werner von Maltheim kein Recht gehabt habe, Hohenheiligen im alleinigen Interesse seiner Kinder zweiter Ehe zu veräußern, und daß Walburg ein Anrecht auf die eine Hälfte des Kaufpreises habe. Mit Mühe überredete Ulrich seine Mutter dazu, in einen Verkauf von Maltheim zu willigen, um Walburg abzufinden; der Kurfürst Albrecht Achilles, der alte Gönner des verstorbenen Ritters, wollte selbst der Käufer sein. Im Andenken an die Treue seines ehemaligen Kampfgenossen, bot er dem Sohne eine Anstellung in kurbrandenburgischen Diensten an, die jener dankbar und bereitwillig annahm, denn dort durfte er hoffen, ein weites Feld für seine hochstrebenden Pläne und Gedanken zu finden. Seit Kaiser Sigismund auf dem Konzil zu Kostnitz den treuesten Kämpen seines Thrones, den Burggrafen Friedrich von Nürnberg, mit der Verwaltung der Mark Brandenburg betraut und bald darauf mit der Kurwürde belehnt hatte, war die Entwicklung des verwilderten Landes in bessere Bahnen geleitet worden. Teils durch kluge Verträge mit den Nachbarfürsten, teils durch gewaltiges Niederwerfen der aufsätzigen Großen, hatte Friedrich Ruhe und Ordnung im Lande angebahnt, und was er mit Kraft begonnen, das hatte sein Sohn, Kurfürst Friedrich der Zweite, fortgesetzt: er hatte die trotzigen Städte gedemütigt, die Sitten der Geistlichkeit gebessert und den Adel in gebührenden Schranken gehalten. Jetzt war Albrecht Achilles der eigentliche Herrscher des Landes, aber er verweilte dort nur zuweilen als Gast, denn er mochte seine schöne fränkische Heimat nicht mit jenem rauhen, ärmlichen Lande vertauschen; so hatte er denn seinen Sohn Johann als Statthalter in den Marken eingesetzt, und ihm sollte Ulrich seine Kräfte widmen. Frau Kunigunde konnte sich nicht entschließen, sich im fremden Lande eine neue Heimat zu gründen, und so namenlos schwer ihrem Mutterherzen auch der Gedanke einer dauernden Trennung von Ulrich fiel, so weigerte sie sich doch entschieden, ihn zu begleiten. Sie zog sich in die tiefste Stille zu einer Schwester zurück, die ihr gern ihr Haus öffnete, aber die Kümmernisse und Täuschungen, die sie erlitten, zehrten an dem Mark ihres Lebens, und nach wenigen Jahren folgte sie ihrem Gatten in die ewige Heimat. So war denn alles vollendet, die Erbschaft geteilt, die Frauen nach verschiedenen Seiten abgezogen. Ulrich hatte die Mutter in ihr Asyl geleitet und dann die Burg in die Hände des neuen Besitzers übergeben; von einigen Knappen gefolgt, sprengte er jetzt den Burgberg hinab. Der Abschied von der Heimat seiner Kindheit wurde ihm schwerer, als er selbst gedacht hatte; das Bewußtsein, dem uralten Erbe seiner Väter, das Jahrhunderte lang in den Händen seiner Familie gewesen war, für immer Lebewohl zu sagen, als ein heimatloser Wanderer hinauszuziehen in eine ungewisse Zukunft, rührte ihn fast zu Thränen, aber er gab seinem Pferde die Sporen, so daß seine Begleiter ihm kaum folgen konnten, und zog sein Schwert aus der Scheide. „Vorwärts!“ rief er, „mit Gott und Sankt Georg! Als ein echter Ritter will ich kämpfen für Wahrheit und Recht gegen Lüge und Finsternis, und Gott helfe mir zum Siege! O Herr, stelle mir ein hilfreiches Wesen an die Seite, das mit seiner Liebe und seinem Vertrauen mich stärke und tröste, wenn ich schwach werde!“ Er rastete nicht im scharfen Ritt, bis er die Thore von Nürnberg erreicht hatte; dort hieß er seine Begleiter in der Herberge bleiben, stellte sein Roß in den Stall und schlug zu Fuß den Weg nach dem Ebnerhause ein. Hier fand er alles in froher Bewegung, denn man feierte eben die Verlobung von Lorenz Tucher mit Elsbeth Ebnerin. Herr Wilibald war zwar sehr erstaunt und gar nicht erfreut gewesen, als seine Gattin ihm mitteilte, daß nicht Margarete, sondern ihre Schwester die Erwählte sei; er hätte es viel mehr seinem Lieblinge gegönnt, die ansehnliche Stellung einzunehmen, zu der er Lorenz den Weg ebnete, -- aber gegen die volle Übereinstimmung aller drei Beteiligten konnte er nichts einwenden. Elsbeth strahlte vor Seligkeit; zu dem Gefühl des eignen Glücks kann noch die Genugthuung, bei diesem wichtigsten Schritt des Lebens der bevorzugten Schwester den Rang abgelaufen zu haben. Ulrich stattete seinen Glückwunsch ab und bat um Erlaubnis, vor seiner Abreise in die Fremde hier einige Stunden zu rasten, die ihm mit Freuden gewährt wurde. Aber obgleich er auf teilnehmendes Befragen ausführlichen Bescheid über alles gab, was er erlebt hatte und von der Zukunft erwartete, so war er im ganzen doch ernst und schweigsam, und Margarete teilte seine Stimmung. Endlich sprach er gegen sie den Wunsch aus, noch einmal das Stübchen zu betreten, in dem er die Wochen seiner Gefangenschaft zugebracht hatte; das Mädchen stand bereitwillig auf, um ihn zu geleiten, aber auch der Ratsherr schloß sich an. Erst, als sie auf dem Hofe unter dem alten Nußbaum standen, rief irgend eine wohlthätige Anfrage aus einer der Schreibstuben Herrn Wilibald ab, und endlich waren die beiden allein. Ulrich faßte beide Hände der Jungfrau, die errötend vor ihm stand: „Liebe Margarete,“ sagte er leise und schnell, „wenn es mir gelingt, mir im Norden eine Stellung zu verschaffen, die -- Euer würdig ist, würdet Ihr es für denkbar halten, -- die geliebte Heimat zu verlassen -- und mir zu folgen?“ Sie hob die treuen, grauen Augen mit dem Ausdruck vollsten Vertrauens zu ihm empor. „Ja, Ulrich,“ sagte sie fest, „wenn es mein Vater erlaubt, will ich Euch folgen, wohin es auch sei.“ „Und wenn es ein Jahr und länger dauern sollte, ehe ich wiederkomme, willst du meiner harren, du Liebe, und nicht müde werden?“ „Ich will warten und hoffen, bis du kommst, sei es in einem Jahr oder in zehn.“ Da nahm er ein Ringlein vom Finger und steckte es an den ihrigen, danach aber zog er ihre Hände an seine Lippen und küßte sie inbrünstig. „Lebe wohl, meine süße Braut,“ sagte er innig, „Gott schenke uns ein glückliches Wiedersehen! baue so fest auf meine Liebe und Treue, wie ich auf die deine!“ -- [Illustration: Ulrich zog einen Ring vom Finger ....] Ehe Ulrich von Nürnberg schied, suchte er eine ungestörte Unterredung mit Herrn Wilibald Ebner und bat ihn um Margaretens Hand. Der Ratsherr maß ihm vom Kopf bis zu den Füßen mit einem strengen, forschenden Blick. „Was habt Ihr meiner Tochter zu bieten, Herr?“ fragte er in schneidendem Ton, „habt Ihr Haus und Hof, oder ein Amt, das Euch ernährt? oder glaubt Ihr, ich werde mein liebstes Kind einem fahrenden Ritter übergeben, daß er es vor sich aufs Pferd nehme und mit ihm durch die Lande ziehe, um sein Glück zu suchen? Oder meint Ihr gar, ich solle dem Bräutchen Hohenheiligen als Mitgift geben, wie es schon vor Jahren Euer edler Herr Vater vorschlug? Weit gefehlt, Herr von Maltheim! Ein nüchterner Städter will feste, geordnete Verhältnisse vor sich sehen, aufs Geratewohl wirft er seine Tochter nicht dem ersten besten an den Hals!“ Ulrich verbeugte sich tief. „Ihr habt recht, Herr Ratsherr,“ sagte er eisig kühl, aber mit vollkommener Höflichkeit, „es ist noch zu früh für mich, um als Bewerber Eurer Tochter aufzutreten. In einigen Jahren, wenn ich als wohlbestallter Rat des Kurfürsten von Brandenburg vor Euch treten und Euch meine Einkünfte nach Heller und Pfennig vorrechnen kann, dann will ich wieder bei Euch vorsprechen und meine Bitte erneuern. Aber Ihr werdet es nicht hindern können, daß Jungfrau Margarete das Wort hält, das sie mir gegeben hat, denn sie ist Eure echte Tochter und hat gelernt, Versprechen heilig zu halten. Gehabt Euch wohl, Herr Wilibald Ebner, auf Wiedersehn!“ Noch einmal verbeugte er sich mit ritterlichem Anstand und ging hinaus. Mit finsterem Blick sah ihm der Kaufherr nach. „Er wagt es, mir zu trotzen!“ murmelte er, „thörichter Knabe, habe ich nicht allein das Recht, über die Hand meiner Tochter zu verfügen? Und doch,“ setzte er milder hinzu, „es war nichts Knabenhaftes in seiner Art, er ist ein Mann geworden, den man achten muß. Wäre er nicht ein Edelmann, ich selber könnte ihn lieb haben! -- und ich fürchte, Margarete wird schwer von ihm lassen.“ -- Mehrere Jahre waren vergangen; Elsbeth war längst verheiratet und ihrem Gatten in willenlosem Gehorsam unterthan; sie liebte es, sich gegen Margarete ihres häuslichen Glücks, ihres blühenden Wohlstandes zu rühmen, nicht ohne dabei einige mitleidige Seitenblicke auf die hoffnungslose Wartezeit der Schwester zu werfen. Aber diese beneidete sie nicht, sie fühlte sich glücklich und zufrieden. Zwar empfand sie oft eine tiefe Sehnsucht nach dem geliebten Freunde, doch nie kam ein Zweifel an seiner Treue, an seiner endlichen Wiederkehr in ihre Seele. Auch war sie nicht ganz ohne Nachricht von Ulrich, denn zwischen dem Hofe zu Berlin, wo Markgraf Johann die Marken verwaltete, und der Kadolzburg, wo der alte Löwe selber hauste, herrschte ein, für damalige Verhältnisse, reger Verkehr durch berittene Boten, welche Anfragen, Berichte und Verordnungen hin- und hertrugen. Margarete wußte, daß Ulrich an dem gelehrten Markgrafen, den seine Zeitgenossen um seiner klassischen Bildung willen „Cicero“ nannten, einen überaus wohlgesinnten Herrn gefunden habe. Doch waren die Zustände in der Mark so ärmlich, die Landstände so schwierig in der Bewilligung von Geldern, daß es dem Gebieter oft an den nötigsten Mitteln fehlte, um seine Hofhaltung standesgemäß zu führen; mußte er doch die eigne Hochzeit verschieben, weil ihm das Geld zu einer fürstlichen Ausstattung fehlte. Das alles mußte sich ändern, wenn Johann Cicero erst der wirkliche Herr und Kurfürst war, und so vertröstete Ulrich sich und seine Braut auf diesen Zeitpunkt, der erst mit Albrecht Achills Tode eintreten konnte. Margarete hätte aber auch wenig Zeit gefunden, um trüben Gedanken nachzuhängen, denn ihre Kräfte waren vollauf in Anspruch genommen; sie war ihren Eltern unentbehrlich und hätte selbst nicht zu sagen gewußt, wie ihre zarte, leidende Mutter ohne ihren Beistand hätte leben sollen. Wenige Monate nach dem Abschluß jener Fehde war dem Ebnerhause ein unverhofftes Glück zu teil geworden, der Himmel hatte die leere Stelle ausgefüllt und den trauernden Eltern ein Söhnchen geschenkt. Unendlich groß war Herrn Wilibalds Freude über dies Gnadengeschenk; nun konnte er wieder mit Freudigkeit in die Zukunft sehen, nun durfte er hoffen, daß neben dem neuerblühenden Geschlecht der Tuchers auch der Name Ebner in Nürnberg wachsen und dauern werde. In dem Glück, das er empfand, hatte er Margareten versprochen, sie nie zu einer Ehe zu drängen, zu der ihr Herz sie nicht triebe; Ulrichs Name war dabei nicht genannt worden, sie überließ es der Zukunft, diese Angelegenheit zu rechter Zeit zur Sprache zu bringen. Frau Ursula empfand beim Anblick ihres Knaben nur eine wehmutsvolle Freude; stets stand ihr dabei ihr Erstgeborner vor Augen, der ihr für immer entrissen war. Bewahrte sie auch die flüchtige Begegnung auf dem Wege nach Bamberg als einen kostbaren Schatz in ihrer Erinnerung auf, so quälte der Gedanke an sein Seelenheil sie doch mit unablässigem Kummer, und ihr Leben war eine Kette von Opfern und Bußen, um den Zorn des Himmels zu versöhnen. Es ward ihr schwer, zu sehen, daß der kleine Deodat -- diesen Namen hatte Herr Wilibald dem Kinde gegeben, um es als eine besondere Gottesgabe zu kennzeichnen -- im Herzen seines Vaters völlig Bertholds Stelle einnahm, daß jener auf ihn alle die Hoffnungen setzte, die bei dem ältesten Sohne gescheitert waren, ja, sie empfand es mit einer eifersüchtigen Pein, daß er den Spätgebornen mit unendlich viel größerer Zärtlichkeit behandelte, als ehemals Berthold. -- So war der Frühling des Jahres 1486 herangekommen, und durch die Stadt lief das Gerücht, daß Kurfürst Albrecht Achilles, der alte Feind der Reichsstädter, zu Frankfurt sein müdes Haupt zur Ruhe gelegt habe und in der Klostergruft zu Heilbronn bestattet worden sei. Die Nachricht bewegte Margaretens Herz mächtig; hatte sie auch als echtes Nürnberger Kind wenig Neigung für den streitbaren Fürsten empfunden, so mußte sein Tod doch entscheidend auf ihr und Ulrichs Schicksal einwirken. In unruhiger Spannung verlebte sie die nächsten Wochen, konnte jetzt doch jeder Tage den Ersehnten bringen und ihr Leben in gänzlich neue Bahnen lenken! Der alte Nußbaum auf dem Hofe hatte eben wieder sein hellgrünes Blätterkleid angelegt, und die Schwalben schossen zwitschernd und jubilierend darunter fort. Auf dem Sitz, der den gewaltigen Stamm umgab, saß Margarete mit ihrer Arbeit; zu ihren Füßen spielte Deodat, der alle Augenblicke zu ihr gelaufen kam, um ihr etwas zu zeigen, oder sie nach hundert Dingen zu fragen; hing er doch fast mehr an ihr, als an seiner Mutter, die sich oft so kränklich und schwach fühlte, daß sie das lebhafte Kind nicht in ihrer Nähe ertragen konnte. Durch den gepflasterten Thorweg klangen männliche Schritte, die auf den Hof zukamen; Margaretens Herz fing an zu klopfen, sie schaute gespannt nach dem Eingang -- aber es war eine andre Gestalt, als die ersehnte, wenn auch eine wohlbekannte: Hans Fiedler. Er hatte längst seine Lehrzeit bei Meister Adam Krafft hinter sich, war dann einige Jahre durch das Reich gewandert und jetzt nach Nürnberg gekommen, um sein Meisterstück zu machen und sich irgendwo als tüchtiger Steinmetz niederzulassen. „Grüß’ Gott, Hans!“ sagte Margarete und bot ihm die Hand zum Gruß, „wo habt Ihr so lange gesteckt? wir haben manchen Tag nichts von Euch gesehen.“ „Ich war auf dem Annenhof,“ versetzte er ernsthaft, „Ihr wißt, die Großmutter war schon lange krank, am letzten Montag ist sie selig entschlafen, und gestern haben wir sie zur letzten Ruhe bestattet.“ „Crescenz ist tot?“ rief das Mädchen bewegt, „o wie mich das dauert! die gute, alte Seele, Gott hab’ sie selig! sie hat sich durch ihre unwandelbare Treue sicher einen Gotteslohn erworben. Aber was wird aus Eurer lieben Mutter werden, Hans? sie ist nicht von der Art der Großmutter und wird schwerlich ganz allein dort haushalten und wirtschaften mögen.“ „Nein, Jungfer Margarete, das ist auch meine Meinung; wenn ich schon Meister wäre, würde ich sie gern zu mir nehmen, aber damit hat’s noch gute Weile. Und dann -- und dann --“ er drehte verlegen seine Kappe zwischen den Fingern hin und her. „Habt Ihr etwas auf dem Herzen, lieber Hans?“ fragte Margarete freundlich, „nur heraus damit, Ihr wißt, wir beide sind von Kind auf immer gute Freunde und getreue Kameraden gewesen.“ „Ja, Jungfer Gretchen, daher möchte ich auch Euch zu allererst sagen, was mir widerfahren ist,“ sagte Hans, und über sein gutes Gesicht flog ein unwiderstehlicher Freudenschein. „Ihr kennt Meister Dürer, den Goldschmied -- und seine Töchter -- auch die Sabine -- die hat mir versprochen, -- mein liebes Weib zu werden, sobald ich Meister geworden bin.“ „Das freut mich von Herzen!“ sagte Margarete warm und schüttelte ihm beide Hände. „Die Sabine ist ein liebes, tüchtiges Mädchen und wird sicher eine frische, fröhliche Hausfrau werden. Gott segne Euch beide, Hans; Ihr hättet nichts Besseres thun können.“ Hans strahlte vor Glück; er verehrte Margarete so sehr, daß ihr Lob und ihre Zustimmung ihm sein erwähltes Mädchen noch lieber machten. Der Tod der alten Crescenz bewegte Frau Ursula hauptsächlich um Afra’s willen, der sie stets eine warme Zuneigung bewahrt hatte. Daß jene nicht allein auf dem Annenhofe bleiben konnte, war klar, man mußte dort eine kräftigere Schaffnerin einsetzen. „Ich habe einen Gedanken, Margarete,“ sagte die Mutter am andern Tage, „ich möchte Afra anbieten, wieder wie einst in meinen persönlichen Dienst einzutreten. Sie weiß mit Kranken umzugehen und wird dir meine Pflege erleichtern; und wenn du, mein geliebtes Kind, in kurzem wünschen wirst, dein Elternhaus zu verlassen, so wird es dir weniger schwer werden, wenn du mich wohl versorgt weißt.“ Margarete umarmte die Mutter mit Thränen der Wehmut und Zärtlichkeit; sie hatte kein Geheimnis vor ihr und teilte alle ihre Sorgen, Hoffnungen und Pläne mit der Teuren. So sehnsüchtig sie nach Ulrich ausschaute, so schmerzlich war ihr doch der Gedanke, die Mutter zu verlassen, die an ihre immerwährende Fürsorge und liebreiche Gesellschaft so gewöhnt war. Afra ging gern auf den Vorschlag ein; sie hatte keine Neigung für die ländliche Wirtschaft, so treu sie auch in den letzten Jahren der alternden Crescenz darin beigestanden hatte. Ihre stille, sanfte Art, der wehmütige Schatten, der über ihrem ganzen Wesen lag, die lebhafte Teilnahme, die sie für die Schmerzen anderer empfand, machten sie zu einer passenden Umgebung für Frau Ursula, und Margarete fühlte sich in der That sehr beruhigt, wenn sie an die Trennung dachte; sie würde die geliebte Mutter wenigstens in sicherer Pflege zurücklassen. -- Heiße Sommerglut lag auf den Straßen von Nürnberg; in den Patrizierhäusern waren überall die dunklen Vorhänge herabgelassen, um der sengenden Sonne den Eingang zu verwehren. Im Erker des Ebnerhauses war es kühl und angenehm, denn die Sonnenstrahlen trafen ihn nicht, und die dicken Mauern ließen die Hitze nicht eindringen. Dort saß Margarete und blickte träumerisch hinaus auf die Gasse, in der nichts zu sehen war, aber ihre Augen schauten auch nicht nach äußeren Dingen, sie waren nach innen gekehrt. Plötzlich scholl Pferdegetrappel vom Markt her, mehrere Reiter bogen auf den Ägidienplatz ein. Einer sprengte voraus, eine herrliche, hohe Gestalt; er nahm den Hut vom Kopfe, daß ihm die blonden Locken um die weiße Stirn wehten, und schwenkte ihn grüßend nach oben. Eine Purpurglut schoß in Margaretens Wangen -- der Augenblick, von dem sie in sechs langen Jahren geträumt, war gekommen: Ulrich war wieder da! Sie stand regungslos, nur das Antlitz hatte sie der Treppe zugekehrt. Und jetzt kam er heraufgestürmt, der treue Freund ihrer Kindheit und Jugend, der Erkorne ihrer reiferen Jahre, er zog sie in seine Arme und küßte sie auf die Stirn. „Meine Margarete, meine süße Braut,“ flüsterte er mit unsäglicher Zärtlichkeit, „da bin ich endlich, endlich bei dir! O wie lang und schwer waren diese Jahre der Trennung! Aber nun soll sich nichts mehr zwischen uns drängen, nun wollen wir treu zusammenstehen, bis einst der Tod uns scheidet.“ Sie lehnte sich an seine treue Brust und sah mit glücklichen Augen zu ihm auf; dann machte sie sich sanft von ihm los. „Du mußt dir meines Vaters Zustimmung erbitten, Ulrich. Mein Herz konnte ich allein verschenken, über meine Hand kann nur er verfügen. Aber erst komm zur Mutter.“ Frau Ursula empfing Ulrich wie einen geliebten Sohn, er hatte ja einst so viel für ihren Berthold gethan, und Margaretens Liebe machte ihn ihr doppelt wert. Es war eine köstliche Stunde im traulichen Gemach der Hausfrau --, aber noch war mancher Sturm zu bestehen, ehe das Schifflein der Liebenden im sicheren Hafen landete. Herr Wilibald konnte sich nicht entschließen, seine Einwilligung zu ihrer Verbindung zu geben; die alten, festgewurzelten Vorurteile gegen den adligen Stand verbanden sich mit der tiefen Abneigung, seine Lieblingstochter, deren teilnehmendes Verständnis ihm unentbehrlich zum Leben schien, aus seinem Hause fort, in eine unerreichbare Ferne ziehen zu lassen. Alle Bitten Margaretens und seiner Gattin prallten an seinem hartnäckigen Widerstande ab, sein „nein“ schien unumstößlich zu sein. In tiefem Kummer war das Mädchen einmal zu Meister Andreas Fiedler gegangen; der liebe, alte Mann mit dem kindlichen Glauben und der reichen Erfahrung sollte ihr sagen, wie sie sich in dem herben Zwiespalt zwischen dem Vater und dem Bräutigam verhalten solle. Frau Eva und ihr Gatte wechselten bedeutungsvolle Blicke bei ihrem traurigen Bericht. „So wollen wir es versuchen, Eures Vaters Herz zu rühren,“ sagte der Alte endlich, „unserm Worte wird er vielleicht nicht widerstehen.“ Margarete sah ihn erstaunt an, sie konnte sich die Zuversicht, mit der er sprach, nicht erklären; welchen Einfluß glaubte der schlichte Meister über den stolzen Patrizier zu besitzen? Sie gab sich keiner Hoffnung hin, daß seine Einmischung zum Ziele führen werde. Der Ratsherr saß in seiner Schreibstube am Pult, aber die Feder war ihm aus der Hand gefallen, und er brütete düster vor sich hin. Da ward an seine Thür geklopft, und auf seinen ärgerlichen Ruf -- denn wer wagte es, ihn gerade jetzt zu stören? -- trat ein alter Mann mit schneeweißem Haupthaar ein, auf eine Krücke gestützt, während eine ebenso alte, einfache Frau ihn am andern Arm führte. „Wer seid Ihr, und was wollt Ihr von mir?“ fuhr der Kaufherr auf. „Kennt Ihr uns nicht mehr, Wilibald Ebner?“ fragte Andreas mit sanftem Ernst. „Ich hätte Euch noch heute unter Tausenden erkannt, obgleich Ihr Euch auch sehr verändert habt, seit Ihr zu Ulm in meinem Hause ein- und ausgingt. Damals wart Ihr noch kein großer, reicher Herr, und Hedwig Fiedlerin war nicht unter Eurer Beachtung.“ „Andreas Fiedler und Frau Eva!“ sagte Herr Wilibald erbleichend, indem er sich erhob und die alten Leute durch ein Handbewegung zum Sitzen einlud. „Freilich, es sind viele Jahre seit jener Zeit vergangen, und es ist alles, alles anders geworden. Und doch habe ich die Jugend nicht vergessen -- nein, sicher nicht! Hedwig Fiedlerin steht heute noch in meiner Erinnerung, als ein wunderbar liebliches, engelreines Wesen, zu gut für diese Welt und ihre grausamen Verhältnisse.“ Frau Eva wischte sich die Thränen aus den Augen, und Meister Andreas sah sehr gerührt aus. „Ich will Euch jetzt, nach mehr als dreißig Jahren, keinen Vorwurf machen, Herr Ebner,“ sagte er milde, „daß Ihr unser einziges Kind verließt und ihm das treue Herz bracht -- Ihr mögt Gründe gehabt haben, die Ihr für zwingend hieltet, und Hedwig ruht längst in seligem Frieden. Aber wir wissen, was solch ein junges Herz leidet, wenn ihm der liebste Wunsch versagt wird, und wir möchten Euch bitten, inständig und mit allen Kräften: Bereitet Eurer eignen Tochter, Eurer lieben, holden Margarete kein solches Los! Tausendmal schwerer, als die Trennung von ihr, würde das Bewußtsein auf Euch lasten, ihr Lebensglück vergiftet, ihre süßesten Hoffnungen geknickt zu haben. Seid milde und gütig und gewährt Eurem Kinde das, was Ihr dem unsrigen einst geraubt habt!“ Lange saß der Ratsherr, den Kopf in die Hand gestützt, und kämpfte schwer mit sich selbst und seinem harten Sinn. Endlich stand er auf, reichte den beiden Alten die Hand und sagte: „Ihr habt mich bezwungen! Heute noch feiern wir die Verlobung meiner Margarete mit Ulrich von Maltheim. Möchte der Himmel das Opfer, das ich bringe, als eine Sühne annehmen für das, was ich an Eurer Tochter verschuldete!“ [Illustration] Achtzehntes Kapitel. Hochzeit. Seliger Tag, da der Braut ein neues Heim sich erschlossen! Aber mit Thränen im Aug’ läßt sie das alte zurück. Es war eine glückliche Zeit, die nun folgte; Margarete war unbeschreiblich lieblich in ihrem bräutlichen Glück, das wie ein heller, warmer Sonnenstrahl aus ihren Augen leuchtete, und das, im Verein mit ihrer dankbaren Zärtlichkeit, ihren Vater wenigstens nicht bereuen ließ, seiner selbstsüchtigen Liebe dieses Opfer abgerungen zu haben. Und er konnte es nicht einmal vor sich selber leugnen, daß Ulrich ihrer wert sei; trotzdem, daß er ein Edelmann und Fürstendiener war, erschien er in jeder Lage als ein ganzer Mann, dessen Rechtschaffenheit und Wahrhaftigkeit selbst dem eingefleischten Bürger volle Achtung abnötigte. Ulrich kam und ging; er besuchte Irmgard in ihrer klösterlichen Zurückgezogenheit und erledigte mancherlei Aufträge seines fürstlichen Herrn, besonders suchte er Werkleute zu werben, welche bereit wären, ihm nach der Mark zu folgen. Kurfürst Johann Cicero hatte verschiedene große Bauten vor, so lag ihm vor allen der Bau der neuen Universität am Herzen, die er zu Frankfurt an der Oder gründen wollte, und dazu bedurfte er eines gewiegten Steinmetzen, der imstande wäre, den ganzen Bau zu leiten. Ulrich hatte an Hans Fiedler gedacht, und dieser hätte auch sogleich mit beiden Händen zugegriffen, wäre nicht die Rücksicht auf seine und Sabinens Mutter gewesen -- denn daß das Mädchen ihm auch in die Fremde folgen würde, das wußte er gewiß. Die Anerbietungen waren aber so günstig, daß ein junger Meister sie gar nicht ablehnen konnte, auch handelte es sich vorläufig nur um einige Jahre; so ließen denn die Mütter ihre Einwendungen fahren und gaben ihre Zustimmung. Es wurde beschlossen, daß beide Hochzeiten beim Beginn des Herbstes stattfinden und die beiden jungen Paare gemeinsam die Reise nach dem Norden antreten sollten. -- Es war ein goldig klarer Herbsttag: die Sonne hatte siegreich die Morgennebel bezwungen, ein frischer Wind hatte die Wolken auseinander gejagt, so daß sie sich, wie eine schneeweiße Lämmerherde, am Rande des Horizontes lagerten. Unter dem Nußbaum, der noch seine volle Laubkrone bewahrt hatte, stand Margarete, und wehmütige Gedanken zogen durch ihre Seele. Der Baum war ihr wie ein alter Freund, an den sich tausend liebe Erinnerungen knüpften: war er doch der Genosse ihrer kindlichen Spiele mit Berthold gewesen, hatte er doch dem tief ergreifenden, unvergeßlichen Abschiedsgespräch mit dem Bruder gelauscht und den Zwiegesängen mit Ulrich zugehört, in denen es beiden klar geworden war, daß sie zu einander gehörten. Von dem alten Nußbaum Abschied nehmen, das hieß scheiden von den geliebten Eltern und der teuern Heimat, von der eng umfriedeten, sorgsam behüteten Jugend und hinausschiffen auf das fremde Meer des Lebens, mit seinen Wellen und Stürmen, seinen unbekannten Landeplätzen. Aber dann trat Ulrichs Bild vor ihr inneres Auge, und mit ihm kehrte Mut, Vertrauen und Freudigkeit zurück; er war der rechte Steuermann, dem sie sich wohl für die unsichere Fahrt anvertrauen durfte, an seiner Seite wollte sie auch den Sturm nicht fürchten, sondern mit ihm vertrauend nach oben blicken, wo nach Nebel und Wolken Gottes Gnadensonne sicher wieder scheinen würde. So ging sie freudig und gefaßt ihrem Ehrentage entgegen. -- Die Hochzeit wurde mit der gediegenen Pracht ausgerichtet, die dem Reichtum und Ansehen des Patrizierhauses gebührte. Um die Mittagszeit erschien der Bräutigam, gefolgt von seinen Genossen, teils Jünglingen aus den vornehmsten Familien der Stadt, teils jungen Adligen, welche mit Ulrich verwandt waren. Einer unter ihnen war zum Sprecher auserkoren; er warb nach alter Sitte noch einmal in feierlicher Rede um die Braut, der Vater übergab sie ihm, und er führte sie dem Bräutigam zu, der sie mit vorgeschriebener Umarmung empfing. Dann ordnete sich der hochzeitliche Zug zum Gange nach der Kirche; bunte Teppiche bedeckten die Straße bis zum Gotteshause, und eine schaulustige Menge bildete ein dichtes Spalier. Voran schritt ein Beamter der Stadt, der mit seinem Stabe die Bahn frei hielt; ihm folgte Deodat mit Elsbeths ältestem Töchterlein, welche den Weg mit Blumen bestreuten; dann führte Ulrich Frau Ursula und Herr Wilibald die Braut. Herrlich waren die beiden Hochzeiter anzuschauen: Ulrich trug ein anschließendes Wams von dunkelrotem Samt mit Hänge-Ärmeln, das mit dunklem Pelz besetzt, an Brust und Nacken dreieckig ausgeschnitten war, darunter ein Untergewand von Goldbrokat mit engen Ärmeln, kurze, rote Beinkleider von Seide und lange, fest anliegende Strümpfe von gleicher Farbe. Ein purpurrotes Samtbarett mit wallender weißer Feder, das er erst an der Tafel mit einem grünen Kranz vertauschte, saß auf seinen vollen Locken, eine lange goldne Halskette, ein Geschenk seines kurfürstlichen Herrn, reichte ihm bis auf die Brust herab; am silberbeschlagenen Gürtel hing eine zierliche Ledertasche und ein Dolch in silberner Scheide. Margarete trug ein Kleid von rosenroter, schwerer Seide mit kostbarem, juwelengeschmücktem Gürtel; vorn keilförmig geteilt, ließ es ein Unterkleid von reichgemustertem Silberbrokat sehen. Das knappe Mieder mit den herabfallenden Ärmeln war mit Perlenschnüren zugenestelt, ein breites Halsband von Perlen und Diamanten, das fürstliche Hochzeitsgeschenk ihres Vaters, schlang sich um die feine Halskrause. Auf ihrem Haupt erhob sich ein luftiges Gestell von Draht, auf dem das grüne Jungfernkränzlein thronte, und von welchem der lange, zarte Spitzenschleier bis auf die Erde herabwallte. -- Als der Gottesdienst vorüber und die kirchliche Handlung beendet war, empfing eine Bande von Spielleuten an der Kirchthür den Hochzeitszug und stellte sich mit lustigem Geschmetter an die Spitze; dann folgte das junge Paar Hand in Hand. -- Endlich waren die treuen Herzen vereint und hatten ein heiliges Recht, einander anzugehören. Ein festliches Hochzeitsmahl vereinte die Gäste im Ebnerhause, und die reichbesetzte Tafel bot einen prächtigen Anblick dar: stattliche Männer und schöne Frauen, köstliche Gewänder von Samt und Seide, mit edlem Pelzwerk verbrämt, mit funkelndem Geschmeide verziert, umgaben sie; reiches Gold- und Silbergeschirr, schön gearbeitete Becher, Kannen und Schüsseln, die alten und neuen Schätze der Tuchers und Ebners prangten darauf, und die Reihe der Gerichte und feurigen Weine war schier unabsehbar. Vergebens hatte Margarete versucht, Meister Andreas und seine Eva zu bewegen, an ihrem Feste teilzunehmen; sie fühlte sich ihnen zu innigstem Dank verpflichtet, obgleich sie nicht ahnte, durch welches Mittel der alte Meister den Widerstand ihres Vaters besiegt habe. Aber die beiden Alten dankten für die ihnen zugedachte Ehre; sie fühlten daß sie dort nicht hinein paßten, und begnügten sich mit den Besuchen, die ihnen die Verlobten in dankbarer Liebe abstatteten. Am folgenden Tage veranstaltete Ulrich ein Fest auf der Nürnberger Burg, an dem zugleich die ganze Hochzeitsgesellschaft der Dürers und Fiedlers teilnahm. Alle angesehenen Leute Nürnbergs, auch die Künstler und höheren Zunftgenossen, waren dorthin geladen, und viele fanden sich ungebeten ein, um alle die Herrlichkeit wenigstens von weitem anzusehn. Musik, Gesang und Tanz vergnügte die Jugend; um die große Linde im Burghof führte man fröhliche Reigentänze auf, bei deren Anordnung sich besonders der Schwager Hans Fiedlers, der junge Albrecht Dürer, hervorthat. Mit künstlerischem Blick wußte er die schönsten Tanzfiguren einzuleiten und die schwierigsten Verschlingungen in anmutiger Gruppierung harmonisch aufzulösen. Alles schaute dem kunstreichen Tanz bewundernd zu, und der alte Maler Michael Wohlgemuth nickte wohlgefällig mit dem grauen Haupte: er war mit seinem Schüler zufrieden und prophezeite ihm eine glänzende Zukunft in der Kunst der Malerei, der er sich bereits gewidmet hatte. Auf die festlichen Tage mit ihrem rauschenden Jubel folgten die Schmerzen und Thränen des Abschiedes. Lange hielten Mutter und Tochter sich umschlungen, als könnten sie nimmer voneinander lassen; in diesem Augenblick fühlten beide, daß sie einander nicht wiedersehen würden. -- Vor der Thür stand ein, für damalige Begriffe bequemer Reisewagen, der die beiden jungen Frauen aufnehmen sollte; die Männer ritten daneben, einige hochbeladene Packwagen mit Möbeln und Hausrat waren unter sicherer Bedeckung schon um einige Tagereisen vorausgeschickt. Herr Wilibald Ebner gab den Reisenden eine Strecke weit das Geleit; noch einmal schloß er Margarete in seine Arme und gab ihr seinen väterlichen Segen. Dann schüttelte er Ulrich die Hand: „Macht sie glücklich,“ sagte er mit halb erstickter Stimme, „und haltet sie hoch und wert, sie ist ein seltenes Kleinod. Solltet Ihr aber des märkischen Sandes und des Hofdienstes überdrüssig werden und Euch nach der alten Heimat zurücksehnen, so wisset, daß ich in meinem Testament Hohenheiligen Margareten als Erbteil verschrieben habe, daß es ihr und ihren Nachkommen für alle Zeit gehöre.“ Damit wendete er sein Pferd und sprengte, ohne sich umzuschauen, nach der Stadt zurück. So zogen die vier jungen Menschen in der Vollkraft ihres Wollens und Könnens hinaus: der Edelmann aus altem Rittergeschlecht, die Patriziertochter und die beiden Handwerkerkinder, um sich im fremden Lande Haus und Heim zu gründen. Mit sich nahmen sie die höhere Bildung, die verfeinerten Lebensformen und die künstlerischen Interessen ihrer alten Heimat und pflanzten sie als fruchtbare Keime in den Boden der Mark ein. Neue Geschlechter erblühten dort, welche fester und treuer zu den stammverwandten Kurfürsten hielten, als die märkischen Junker, die zum Teil noch lange in ihren Zollern-Fürsten Fremde und Eindringlinge sahen, und ihnen feindselig gegenüberstanden. Aber die Einwanderer fanden dort auch Gutes und Treffliches vor, das sie mit Freuden annahmen und das sich in den Seelen ihrer Kinder festwurzelte, und so erwuchs allmählich aus der Verschmelzung der verschiedenen Elemente ein tüchtiger Stamm, der die Tugenden des Nordens und Südens in sich vereinte und in fleißiger Arbeit und redlichem Streben, in unwandelbarer Unterthanentreue und aufrichtiger Frömmigkeit den Thron des Herrschers als feste Stütze umgab. [Illustration] Neunzehntes Kapitel. Nach vierzig Jahren. Freunde der Jugend -- im Alter vereint: es trennt sie der Glaube, Hoffnungen sanken in Staub, aber die Liebe, sie bleibt! Mehrere Jahrzehnte waren verflossen, eine neue Zeit war über Deutschland heraufgezogen. Der Schwan, den Meister Andreas so sehnsüchtig erwartet hatte, war hundert Jahre nach Hussens Tode erschienen: Luthers gewaltiges Auftreten lenkte das geistige Leben der Nation in ganz veränderte Bahnen. Alte Fesseln sprangen, gefangene Geister und Gewissen wurden frei; die dichte Wolke von Heiligen und Priestern, welche sich zwischen Erde und Himmel gedrängt hatte, teilte sich, und die frommen Herzen lernten ihren Weg zu Gott selbständig und ohne Fürsprecher finden. Die Klöster öffneten sich, und hunderte von Mönchen und Nonnen folgten dem Beispiel des Reformators, warfen die erzwungenen, oder als nichtig erkannten Gelübde von sich, um hinfort Gott nicht in beschaulichem Müßiggang, sondern in ehrlichem Arbeiten und Schaffen zu dienen. Auch in die Klassen der Mühseligen und Beladenen dieser Erde, vor allem in die der schwer gedrückten Bauern drang die frohe Botschaft von der evangelischen Freiheit und der Gleichheit aller Menschen vor Gott ein und wurde mit freudiger Hoffnung aufgenommen. Längst schon war ihnen das Joch der übermütigen geistlichen und weltlichen Herren unerträglich geworden; oft schon hatten sich hie und da Bauernbünde gebildet, welche die Befreiung der Unterdrückten anstrebten, jetzt kam ein neuer, mächtiger Antrieb in die Sache. Das Streben nach Abstellung des zeitlichen Elendes verband sich mit edleren Zielen, religiösen Gedanken und berief sich auf göttliche Gebote. Aber dem Edlen und Berechtigten mischten sich nur zu bald unreine Elemente bei; aufrührerische Geister predigten eine falsche Freiheit, ein gewaltsames Abschütteln aller alten Verpflichtungen. Ein Thomas Münzer, Jäcklin Rohrbach, Georg Metzler und andere entflammten durch Wort und Beispiel die Bauern zu furchtbarer Gewaltthat, und durch alle Gauen Deutschlands, vom Süden und Westen anfangend, zog sich der entsetzliche Bauernkrieg, der alles bedrohte, was vornehm, reich und gebildet war, oder unter der Herrschaft der Kirche stand. Einige Meilen von Nürnberg entfernt, in der Nähe von Hohenheiligen, lag das Kloster gleichen Namens, das den Klarissinnen gehörte, einem Orden von der strengsten Regel. Das Kloster besaß ausgedehnte Ländereien und viele hörige Leute, die durch den adligen Klostervogt in tiefster Unterthänigkeit erhalten und zu harter Fronarbeit herangezogen wurden. Manches, was der Ritter versah, ward durch die Mildthätigkeit der Nonnen wieder gut gemacht; sie pflegten die Kranken, kleideten die Nackten, speisten die Hungrigen und erwarben sich manches „lohn’s Gott,“ während sich hinter dem Vogt oftmals eine schwielige Faust ballte und ein zorniger Mund ihm Rache schwur. Im Sommer des Jahres 1525 war es, als sich von Weinsberg her, wo die Blutthat gegen den Grafen von Helfenstein Furcht und Entsetzen verbreitet hatte, die wilde Flut der Bauernbewegung gegen Würzburg wälzte; überall wurden Burgen und Klöster erstürmt und geplündert und die einheimische Bevölkerung zum bewaffneten Aufstande ermuntert. Ein räuberischer Haufe war bis nach Hohenheiligen gedrungen, hatte sich mit den hörigen Leuten des Klosters verbrüdert und beschlossen, den Vogt zu züchtigen und das reiche Klostergut an sich zu bringen. Trefflich war der Überfall gelungen, der Ritter samt seinen Knechten war gefangen und unschädlich gemacht worden, ehe er sich um Beistand an seinen Nachbar wenden konnte; lärmend und tobend drang die wilde Horde gegen das Kloster vor. Die Thür, die fest verschlossen war, ward zertrümmert; wie ein reißender Strom ergoß sich die Rotte in die stillen Kreuzgänge. Nirgends war ein menschliches Wesen zu sehen, unheimliches Schweigen gähnte die Raubgesellen aus allen Winkeln und Zellen an. So drangen sie bis in die Kirche vor, aber hier hielten die rohen Männer unwillkürlich inne. Vor dem Altar, über dem die ewige Lampe schwebte, lagen die sämtlichen Nonnen auf den Knieen; in ihrer Mitte stand die Äbtissin, eine kleine, feine Gestalt im weißen, faltigen Rock und weißen Wimpel, der Brust und Hals in dicken Falten umgab. Vom Kopf herab wallte der schwarze Nonnenschleier bis zu den Ellenbogen, auf der Brust glänzte ein großes, goldenes Kreuz. In dem marmorweißen Antlitz stand keine Furcht geschrieben, nur feste Entschlossenheit; die dunklen Augen leuchteten in todesmutiger Ruhe; sie hielt den Anstürmenden ein Kruzifix entgegen, und ihre Lippen bewegten sich in leisem Gebet. Der Anblick hatte etwas überwältigend Feierliches, Ehrfurchtgebietendes; die von Hohenheiligen erinnerten sich plötzlich all der Wohlthaten, die ihre Frauen und Kinder hier empfangen hatten, sie senkten Spieße und Sensen und drückten sich still hinaus. Die Fremden aber ließen sich nicht lange einschüchtern; ein riesiger Bursche, der den Anführer machte, stellte sich der Äbtissin gegenüber und verlangte gutwillige Herausgabe aller Schätze, widrigenfalls er und seine Genossen sie mit Gewalt nehmen würden. [Illustration: Der Retter in der Not.] „Die heiligen Gefäße und Gerätschaften gehören nicht mir, sondern dem Kloster,“ erwiderte die Äbtissin mit klarer Stimme; „nie, so lange ich atme, werde ich das anvertraute Gut den Händen der Feinde unsrer heiligen Kirche übergeben.“ „Nehmt Euch in acht, Ihr winziges Milchgesicht!“ rief der Sprecher drohend, „es kostet mir nur ein Aufheben meines Spießes, so ist Euer kindischer Widerstand gebrochen, und Ihr liegt erschlagen am Boden. Aber Ihr seid ein so erbärmlich schwacher Widersacher, daß ich Gnade gegen Euch üben will, wenn Ihr ohne weitere Umstände meinem Befehl gehorcht. Ich will bis zwanzig zählen: legt Ihr inzwischen alle Eure verborgnen Kostbarkeiten vor uns nieder, so sollt Ihr ungeschoren bleiben; weigert Ihr Euch, so wird’s Euch schlimm ergehen, und wir nehmen, was wir begehren, mit Gewalt!“ Er fing langsam zu zählen an, regungslos blieb die Äbtissin vor ihm stehen, während die zitternden Nonnen sich näher an sie drängten. „Sechzehn, siebzehn, achtzehn,“ zählte der Bauer; schon hob er seinen Spieß, und seine Mordgesellen hielten ihre Waffen zum tödlichen Schlage bereit -- da fuhr plötzlich eine andre bewaffnete Schar auf die Räuber ein, Schwerter klirrten, Pistolenschüsse dröhnten durch die heilige Stätte. Ein wilder Kampf begann zwischen den Bauern und den neuen Ankömmlingen, welche durch eine Seitenpforte hinter dem Altar in die Kirche gedrungen waren und sämtlich die Abzeichen des Deutschen Ordens trugen. Der Anführer eilte auf die Äbtissin zu, schlug seinen weißen Mantel um sie und hob sie mit starken Armen empor. „Ihr müßt fliehen, hochwürdigste Frau!“ rief er ihr zu und schleppte sie durch das Pförtchen; eilenden Fußes folgten ihm die Nonnen. Er hob die Äbtissin auf sein Pferd und jagte mit ihr davon, während die frommen Schwestern ihr Heil in wilder Flucht suchten. Das alles war so schnell und mit so unwiderstehlicher Gewalt vor sich gegangen, daß die geistliche Frau kaum zur Besinnung kam, geschweige denn einen Widerstand versuchen konnte. Nach einigen Minuten richtete sie sich auf und fragte in strengem Ton: „Wer seid Ihr, und wohin bringt Ihr mich?“ „Ich bringe Euch in Sicherheit, Irmgard von Maltheim,“ erwiderte der Ritter; „Euer todeskühner Leidensmut würde Euch diesen Buben gegenüber wenig genützt haben, und nicht unter ihren kirchenschänderischen Händen solltet Ihr Euer Leben aushauchen.“ „Ihr nennt einen Namen, der längst begraben ist,“ versetzte sie wehmutsvoll; „seit einem halben Jahrhundert habe ich Schwester Matthäa geheißen. Und Ihr? woher kennt Ihr meine Vergangenheit? von wannen kommt Ihr?“ „Kennt Ihr mich denn gar nicht mehr, Irmgard? ist kein Zug an mir, der Euch an die alte, längst verklungene, glückliche Jugend gemahnte?“ Sie sah ihn aufmerksam an. Das Gesicht war einst vielleicht schön gewesen, aber eine harte Zeit hatte es mit tiefen Furchen gezeichnet, Haare und Bart waren grau, und um den Mund lag ein Zug bitterer Enttäuschung. Nur in den dunklen Augen glühte noch das Feuer früherer Tage, -- und diese Augen, obwohl sie einst lachend und sorglos in die Welt hinausgeschaut, riefen ihr das Bild des Jugendfreundes zurück. „Ihr müßt Berthold Ebner sein,“ sagte sie, tief aufatmend. „Ich +war+ es, aber auch ich habe diesen Namen längst begraben, meine Flucht aus dem Kloster hatte mich seiner unwert gemacht. Als mich der Hochmeister unsres Ordens zum Ritter schlug, legte er mir den Namen Berthold von Franken bei, und diesen habe ich seit vierzig Jahren, wie ich hoffe, nicht mit Unehren geführt.“ Vor ihnen tauchte jetzt ein schmuckes Herrenhaus auf, keine Burg mit Türmen und Gräben, mit Donnerbüchsen gespickt, sondern ein friedlicher Landsitz, der zwar von einer Mauer umgeben und mit starken Thoren versehen war, aber doch ein freundliches, ländliches Gepräge trug. „Wißt Ihr, wer hier wohnt?“ fragte Berthold. „Auch ein Genosse unserer Jugend: Ulrich von Maltheim.“ „Mein Schwager Ulrich?“ rief er erstaunt, „welch wunderbares Zusammentreffen! Ich glaubte ihn in kurbrandenburgischen Diensten, wo ich ihn vor fünfzehn Jahren aufgesucht habe!“ „Er hat sich vom Hofdienst in diese ländliche Stille zurückgezogen. Hätte er nur geahnt, was uns drohte, er wäre uns gleich zu Hilfe geeilt, obgleich auch er unsrer heiligen Mutter Kirche untreu geworden und zum neuen Glauben übergetreten ist.“ „Darf ich Euch bitten, hier abzusteigen, Irmgard, und allein einzutreten?“ fragte Berthold, als sie am Thor angelangt waren, „ich muß zurück, um nach meinen Leuten zu sehen.“ „O ich bitte Euch, erkundigt Euch auch nach meinen armen Schwestern -- ich habe sie treulos in der Gefahr verlassen, wie ein Mietling, der den Wolf kommen sieht und flieht!“ „Ihr gehorchtet nur dem Zwange, auch hättet Ihr sie nicht schützen, nur mit Ihnen sterben können. Aber seid ohne Sorge, meine Leute werden den Rebellen wacker die Zähne gezeigt haben, und dieser elende Bauernpöbel flieht, sobald man ihm ernsthaft gegenübertritt.“ Als Berthold nach wenigen Stunden zurückkehrte, konnte er gute Nachricht mitbringen: die Ordensbrüder waren mit dem Bauerntrupp bald fertig geworden, der Vogt und seine Knechte waren befreit und das Kloster besetzt, um es gegen eine Wiederkehr der Aufrührer zu schützen. Mehrere Nonnen waren bereits zurückgekehrt, anderen, die sich in der Nähe verborgen, war Botschaft gesendet worden, daß sie nichts mehr zu fürchten hätten, einige freilich hatten die gute Gelegenheit benutzt, um die heimlich ersehnte Freiheit zu gewinnen. Die Äbtissin ließ sich, angesichts der hergestellten Sicherheit, überreden, den Tag über in dem verwandten Hause zu verweilen und erst zur Nacht in das Kloster zurückzukehren. Es war ein wehmütiges, und doch unendlich wohlthuendes Beisammensein der alten, so lange getrennten Jugendgenossen, die hier in trautem Kreise ihre Lebensschicksale austauschten. Am wenigsten hatte Irmgard zu berichten; aus dem langen Gleichmaß ihrer Tage ragte eigentlich nur ein großes Ereignis hervor: ihre Wahl zur Äbtissin. Auch in ihre streng geregelte Gemeinschaft hatte die Kunde von Luthers Auftreten Eingang gefunden, aber die unwandelbare Festigkeit der Oberin, welche mit Liebe und ernstem Eifer über die ihr anvertrauten Seelen wachte, hatte bis jetzt noch jeden Abfall vom alten Glauben verhindert. Viel bewegter war das Leben gewesen, von dem Ulrich und Margarete zu erzählen hatten. Manche Not und Widerwärtigkeit hatten sie in der Mark zu überwinden gehabt, wo die Zustände noch vielfach ungeordnet, die Mittel immer knapp waren. Aber die unverbrüchliche Liebe und Treue, welche die beiden Gatten vereinte, hatte weder in guten, noch in bösen Tagen gewankt, und wenn Ulrich in seinem Amt auf Schwierigkeiten stieß, wenn ihm zuweilen Hindernisse in den Weg traten, die seine guten Absichten kreuzten und ihm bittere Täuschungen bereiteten, so fand er in seinem Hause immer einen Hafen des Friedens, in dem seine Kraft sich stärkte und sein Streben neue Anregung fand. Nach Johann Ciceros Tode war Ulrich in den Dienst seines Nachfolgers, Joachims des Ersten, übergegangen und hatte denselben in seinem Bemühen, die Rechtspflege zu fördern und die Verwaltung in gedeihliche Bahnen zu lenken, mit all seinem Wissen und Wollen kräftig unterstützt. Als aber die neue Zeit anbrach und die Reformation ihren Siegeslauf begann, als Ulrich und sein Weib sich der reineren Lehre alsbald mit ganzem Herzen anschlossen, da hatte der Abscheu des Fürsten gegen die Neuerung seinem geheimen Rat den weiteren Dienst unmöglich gemacht, und derselbe hatte sich nach Hohenheiligen zurückgezogen, das nach des Vaters Tode Margareten zugefallen war. Hier führte er ein stilles Leben voll geistiger Arbeit, während sich sein Ehegemahl in der alten Heimat sehr glücklich fühlte. Sie sorgte wie eine Mutter für alle Elenden und Betrübten und ward von ihrer Umgebung unbeschreiblich verehrt. In Hohenheiligen hätten die Anführer sicher keinen Anklang mit ihren Aufreizungen gefunden, denn dort wurden alle gerechten Beschwerden liebevoll angehört und abgestellt; das kleinste Bäuerlein konnte seinen Acker in Frieden bauen und dessen Früchte ohne erdrückende Lasten und Fronen genießen. Die Kinder des edlen Elternpaares waren in aller Welt zerstreut, die Söhne dienten verschiedenen Herren, nur der jüngste studierte, zur Freude seiner Mutter, zu Wittenberg die Gottesgelahrtheit, um einst ein Prediger des Evangeliums zu werden. Von den Töchtern war nur noch eine zu Hause, und ihre holde Jungfräulichkeit bildete einen lieblichen Gegensatz zu der matronenhaften Schönheit und Würde, welche Frau Margareten eigen waren. Unter der weißen Schleierhaube, die das ergraute Haar bedeckte, leuchteten deren graue Augen in ungetrübtem Glanze hervor, ein Hauch von Milde und Güte lag über den edlen Zügen, und die hohe, ungebeugte Gestalt kam auch in der schlichten Kleidung des Alters noch zu voller Geltung. -- Bertholds Geschichte war eine Kette trüber Täuschungen. Die Flucht aus dem Kloster hatte ihm wie ein schwerer Bann auf Seele und Gewissen gelegen; er konnte der gestohlenen Freiheit nicht froh werden, und sein Leben ward, wie das seiner Mutter, eine Reihe von Bußen, um diese Schuld zu sühnen. Nur zu bald hatte er erkennen müssen, daß er sein Leben an eine verlorne Sache gesetzt habe, daß der Deutsche Orden im Absterben sei und seinem Ende entgegeneile. Weder Friedrich von Sachsen, noch Albrecht von Brandenburg, die letzten Hochmeister, hatten es vermocht, dem Verderben Einhalt zu gebieten; von innen hatten sich die alten Bande der Zucht und Ehre völlig gelockert, von außen drohte Polen mit seiner Übermacht den Orden zu erdrücken, und die Kraft und Tapferkeit der Einzelnen erschöpfte sich in nutz- und ruhmlosen Kämpfen. Endlich hatte Albrecht Frieden mit der Krone Polen gemacht und über den Trümmern der Ordensherrschaft ein weltliches Herzogtum Preußen errichtet; dann hatte er den neuen Glauben angenommen und sich mit einer Fürstentochter vermählt. Aber nicht alle Ordensritter wollten sich der neuen Ordnung der Dinge fügen; viele zogen sich grollend zurück, unter ihnen Berthold, den das Gelübde seiner Mutter mit unzerreißbaren Banden gefangen hielt. Mit einer Schar gleichgesinnter Ordensbrüder, die ihn zum Anführer erwählten, hatte er das Preußenland verlassen, um nach dem Süden zu ziehen, wo der Deutschmeister Walter von Kronberg zu Mergentheim die zersprengten Reste vereinigte, und wo der Deutsche Orden noch lange ein schattenhaftes Dasein, ohne innere Kraft und Bedeutung, führen sollte. Die Zeiten des Rittertums waren unwiederbringlich dahin, selbst der ritterliche Kaiser Maximilian hatte die abgestorbenen Formen nicht neu beleben können. Man nannte ihn den letzten Ritter, und mit ihm ward die alte Zeit für immer begraben. -- „Was ist aus unserm Jugendgespielen Hans Fiedler geworden?“ fragte Berthold. „Er ist in der Mark geblieben,“ versetzte die Schwester, „wo er eine ansehnliche Stellung als erster Baumeister des Kurfürsten einnimmt und ein reiches Feld für seine Gaben gefunden hat. Nach dem Tode unserer Mutter holte er unsre treue Afra zu sich; sie ist erst vor wenigen Jahren in hohem Alter gestorben, nachdem sie das Glück genossen, einen Kreis zahlreicher Enkel um sich erblühen zu sehen.“ Am folgenden Tage sandte Ulrich eine Botschaft an Elsbeth und Deodat in Nürnberg, daß der lang entbehrte Bruder eingekehrt sei, und entbot sie zu einem Gastmahl in seinem Hause. So waren einmal alle vier Geschwister unter einem Dache vereint: Berthold von Franken, Margarete von Maltheim, Elsbeth Tucherin und Deodat Ebner, und verschieden wie ihre Namen, waren auch ihre äußeren und inneren Verhältnisse. Deodat war wie Margarete mit voller Überzeugung der neuen Lehre beigetreten, Berthold hielt starr am alten Glauben fest, ohne die Berechtigung der Reformation zu prüfen, und auch Elsbeth war, wie ihr jüngst verstorbener Gatte, der alten Kirche treu geblieben, hatte es aber nicht hindern können, daß ihre Kinder meist in das Lager der Neuerer übergegangen waren. Berthold hatte seinen Kindertraum erfüllt gesehen: er war ein Ritter geworden, aber sein Glück hatte er nicht gefunden. Deodat war in seines Vaters Fußstapfen getreten und brachte den Namen Ebner zu neuem Ansehn und vermehrten Ehren in der alten Vaterstadt; auch hatte er mehrere Söhne, welche die von Herrn Wilibald ersehnte Fortdauer seines Geschlechtes verbürgten. Die Namen Ebner und Tucher blieben eng vereint, und die verbundenen Häuser standen noch lange in hoher Blüte, als ein würdiges Bild patrizischen Reichtums und bürgerlicher Ehrenhaftigkeit. [Illustration] Druck von +August Pries+ in Leipzig. [Illustration: Reich ausgestattete Mädchenbücher und Prachtwerke aus dem Verlage von Ferdinand Hirt & Sohn in Leipzig. ] [Illustration: Ankunft der Maltheimer im Ebnerhause. Probebild aus: =Brigitte Augusti, Im Banne der freien Reichsstadt=. (S. S. 2.)] ❧ Reich ausgestattete Bücher für junge Mädchen. ❧ ≡ Schriften von Brigitte Augusti. ≡ ~_Nach dem allgemeinen Urteile ist es der schnell beliebt gewordenen Verfasserin vorzüglich gelungen, gediegene Erzählungen, reich an erziehlichem und belehrendem Inhalt, ins Leben zu rufen. Es seien deshalb insbesondere Eltern, Erzieher und Erzieherinnen auf diese vielverbreiteten, aufs beste ausgestatteten und mit Abbildungen der namhaftesten Maler versehenen Schriften aufmerksam gemacht._~ ☛ Für das reifere Mädchenalter (14-18 Jahre). ☚ An deutschem Herd. Kulturgeschichtliche Erzählungen aus alter und neuer Zeit =mit besonderer Berücksichtigung des Lebens der deutschen Frauen.= Die Abbildungen von Prof. =W. Friedrich, W. Räuber, Hugo Engl= und =A. v. Rößler.= In fünf ganz selbständigen u. einzeln käuflichen Bänden: Prachtband je 6 _=M=_, geh. je 4,50 _=M=_. I. Band: =Edelfalk und Waldvöglein.= Erzählung aus dem 13. Jahrhundert. II. Band: =Im Banne der freien Reichsstadt.= Erzählung aus d. 15. Jahrhundert. III. Band: =Das Pfarrhaus zu Tannenrode.= Bilder aus der Zeit d. 30jähr. Krieges. IV. Band: =Die letzten Maltheims.= Erzählung aus der Zeit Friedrichs des Großen. V. Band: =Die Erben von Scharfeneck.= Aus den Tagen der Königin Luise. An fremdem Herd. Bunte Bilder aus der Nähe und Ferne, mit besonderer Berücksichtigung =des häuslichen Lebens in verschiedenen Ländern.= Mit Bildern von Prof. =Wold. Friedrich, O. Gerlach= und =C. H. Kuechler.= In vier ganz selbständigen und einzeln käuflichen Bänden: Prachtband je 6 =_M_=, geheftet je 4,50 =_M_=. I. Band: =Gertruds Wanderjahre.= Erlebnisse eines deutschen Mädchens im Elsaß, in Spanien, Italien und Frankreich. II. Band: =Zwillings-Schwestern.= Erlebnisse zweier deutscher Mädchen in Skandinavien und England. III. Band: =Unter Palmen.= Schilderungen aus dem Leben und der Missionsarbeit der Europäer in Ostindien. IV. Band: =Jenseit des Weltmeers.= Schilderungen aus dem nordamerikanischen Leben. #☛ Mit diesen beiden Sammlungen hat sich +Brigitte Augusti+ einen ersten Namen als Jugendschriftstellerin gesichert. Die Kulturbilder „+An deutschem Herd+“ verfolgen nach dem Vorbilde der „Ahnen“ Gustav Freytags den Zweck, der weiblichen Jugend das Leben und Wirken unserer deutschen Frauen durch sieben Jahrhunderte hindurch an der Hand fortlaufender, aber selbständiger Erzählungen zu schildern, die durch ihren weitangelegten kulturgeschichtlichen Hintergrund eine sie hoch über die landläufige seichte Mädchenlitteratur erhebende Bedeutung gewinnen. -- Von nicht minder ungewöhnlicher Bedeutung ist die andere Sammlung „+An fremdem Herd+“, die sich auf geographisch-sittengeschichtlichem Boden bewegt, in der Jetztzeit spielt und das öffentliche und häusliche Frauenleben in den verschiedenen Ländern zum Gegenstande hat.# [Illustration: Quer durch Indien. Probebild aus: =Brigitte Augusti, Unter Palmen.= (S. gegenüber.)] ❧ Reich ausgestattete Bücher für junge Mädchen. ❧ ≡ Schriften von Brigitte Augusti. ≡ ☛ Für das reifere Mädchenalter (14-17 Jahre). ☚ Die folgenden drei Schriften sind erschienen bevor die Verfasserin die vorerwähnten beiden großen Sammlungen herausgab; alle 3 Bücher enthalten abgeschlossene Erzählungen, die aufs günstigste aufgenommen worden sind: =Knospen und Blüten.= =Eine Erzählung für junge Mädchen.= Mit Titelbild. 2. Auflage. Reich geb. 3,50 _M_. Geh. 2,25 _M_. =Mädchenlose.= =Bilder aus des Lebens Mai.= Mit Bildern von +J. Kleinmichel+. 2. Aufl. Reich geb. 4 _M_. Geh. 2,50 _M_. Hieran schließt sich zu gleichem Preise: =Haus und Welt.= =Bilder aus des Lebens Mai.= Eine (selbständige) Fortsetzung der „Mädchenlose“. Mit Bildern von +J. Kleinmichel+. = Eine neuere, recht beachtenswerte Schrift der Verfasserin ist: = [Illustration: Königin Luise. Nach G. v. Kügelgen.] Luise, Königin von Preußen. Ein Lebensbild, deutschen Frauen und Mädchen gewidmet von Brigitte Augusti. Mit vielen Abbildungen. Steif geheftet 35 _Pf._ Geschenkausgabe, auf Velinpapier gedruckt und fein gebunden 1 _M_. ☛ Für Heranwachsende Mädchen (12-14 Jahre) ☚ sind von Frau +Brigitte Augusti+ unter Zugrundelegung der besten Erzählungen namhafter Jugendschriftstellerinnen des Auslandes in freien Bearbeitungen erschienen: =Miriam, das Zigeunerkind.= Nach =J. Colombs= Werk: „~La fille des Bohémiens~“. Mit 8 Tonbildern u. vielen Abbild. im Text. Prachtb. 6 _M_. Geh. 4,50 _M_. =Liebe um Liebe.= Nach =J. Colombs= Werk: „~Les étapes de Madeleine~“. Mit vielen Bildern. Prachtband 6 _M_. Geheftet 4,50 _M_. ☛ Der Titel dieser Schrift hat schon mehrfach zu Mißverständnissen geführt; es handelt sich um ein durchaus ernstes Buch, das mit den Liebeleien nichts zu thun hat, die in den modernen Schriften für die weibliche Jugend leider eine so große Rolle zu spielen pflegen. =Im Kampfe des Lebens.= Nach =S. May’s= „=Die Mädchen von Quinnebasset=“. Prachtband 5 _M_. Geheftet 3,50 _M_. = Ueber Brigitte Augustis neues Gedenkbuch „+In gutem Geleit+“ wolle man Seite 7 einsehen. = ❧ Reich ausgestattete Bücher für junge Mädchen. ❧ ☛ Für das reifere Mädchenalter (14-18 Jahre). ☚ #Neuigkeit 1898#: Maria und Martha. Erzählung für erwachsene Mädchen von =Anna Gnevkow.= Mit Abbildungen von +C. H. Kuechler+. Prachtband 3,50 _M_. Geheftet 2,25 _M_. [Illustration] =Müller-Liesel.= Eine Erzählung für erwachsene Mädchen von =Else Hofmann=. Mit Titelbild-Heliogravüre. Reich geb. 3,50 _M_. Geh. 2,25 _M_. [Illustration] =Erzählungen für die weibliche Jugend von Aurelie= († +Gräfin Baudissin+). I. =Der Opal.= II. =Die Stieftochter.= Mit Bildern von +W. Claudius+. 4. Auflage, in =neuer= Ausstattung. Reich gebunden 3,50 _M_. Geheftet 2,25 _M_. =Elisabeths Winter und Frühling in Rom. Briefe eines jungen Mädchens in die Heimat= von =Olga Eschenbach=. Mit 16 Tonbildern, die Hauptsehenswürdigkeiten Roms berücksichtigend. 2. Ausgabe. Gebunden 4 _M_. =Die ungleichen Schwestern= von =Angelika v. Lagerström=. 3. Auflage. Reich gebunden 3,50 _M_. Geheftet 2,25 _M_. ❧ Reich ausgestattete Bücher für junge Mädchen. ❧ ≡ Schriften von Clementine Helm. ≡ ☛ Für heranwachsende Mädchen (12-14 Jahre). ☚ [Illustration] =Vater Carlets Pflegekind.= Nach =J. Colombs= Werk „=~La fille de Carilès~=“, gekrönt mit dem großen Monthyonpreise, bearbeitet. Mit 12 Separat- und vielen Textbildern. 6. Auflage. =Doris und Dora.= =Eine Erzählung für junge Mädchen.= Freie Bearbeitung der französischen Erzählung: ~=Chloris et Jeanneton=~ von =Josephine Colomb=. Mit 12 Tonbildern und vielen Abbildungen im Text. 4. Auflage. =Der Weg zum Glück.= Nach =J. Colombs= „=~Deux mères~=“ frei bearbeitet. Mit vielen Abbildungen. 2. Auflage. = Preis jedes der drei Bücher in Prachtband 6 _M_, geheftet 4,50 _M_. = ☛ Diese Bearbeitungen der drei besten Colombschen Schriften durch Frau #=Clementine Helm=# haben allenthalben Anerkennung gefunden; Inhalt und Ausstattung sichern denselben einen ersten Platz in unserer Jugendlitteratur. „Vater Carlets Pflegekind“ ist eine +wirkliche Perle+ unter den Mädchenbüchern. = Für Mädchen und Knaben von 9-13 Jahren ist bestimmt: = =Rheinsagen=, der heranwachsenden Jugend erzählt von =Martin Claudius=. Mit vielen Abbildungen. 2. Auflage. Kartoniert 2,50 _M_. ☛ Für das jüngere Kindesalter und heranwachsende Mädchen und Knaben. ☚ = Zur Erlernung des Französischen und Englischen. = ~=Petit à Petit ou Premières Leçons de Français= par =A. Herding.= Pour les enfants de cinq à dix ans. Ouvrage illustré de 206 gravures, dessinées par Fedor Flinzer. Septième édition.~ Kartoniert 2,50 _M_. ~=By Little and Little or First English Lesson-Book for Children from five to ten years of age.= An Adaption of Mrs. A. Herding’s „Petit à Petit“ by =Hedwig Knittel=. With 206 Illustrations. +Second+ edition.~ Kart. 2,50 _M_. = Zur Weiterführung des ersten französischen und englischen Unterrichts sind bestimmt: = Thora Goldschmidt’s Bildertafeln für den Unterricht im Französischen. Bildertafeln für den Unterricht im Englischen. (#Neu!#) 26 Anschauungsbilder mit erläuterndem Text und einem ausführlichen Wörterverzeichnis. Für das deutsche Sprachgebiet autorisierte Ausgabe. Kartoniert je 2,50 _M_. ❧ Prachtwerke. -- Gedenkbücher. ❧ = Ein durch Inhalt, Ausstattung und handliches Format (Kleinquart) beliebtes =Prachtwerk= ist: = [Illustration: Allzeit im Herrn.] ⇥ Eine Auswahl ⇤ =aus den Werken deutscher religiöser Dichtung=. Herausgegeben von =Bernhard Rogge=, ~D. theol.~, Kgl. Hofprediger. Mit einem einleitenden Gedicht von +Karl Gerok+. Sehr reich mit Bildern geziert durch W. Claudius, Prof. W. Friedrich, Prof. B. Plockhorst, G. Wichtendahl und viele andere Künstler, nebst einer Heliogravüre nach Prof. A. Noack. =Vierte Auflage.= Prachtband 12,50 _M_. Der Herausgeber bietet mit dieser herrlichen Sammlung, die =+Karl Gerok+= würdig und sinnig eingeleitet hat, dem christlichen Hause eine inhaltlich wie äußerlich kostbare Gabe, in der die Schöpfungen unserer ersten Poeten älterer und neuerer Zeit -- die Perlen christlicher Dichtung und tiefempfundener Stimmungsbilder aus der Natur -- eingehend behandelt und durch prächtige Abbildungen ergänzt sind. Bezüglich der Ausstattung und des Formates bildet zu vorgenanntem Werke ein Seitenstück: =Im Wechsel der Tage= von =Adolf Brennecke=. =Unsere Jahreszeiten im Schmuck von Kunst und Dichtung.= Eine Auswahl aus den Werken unserer besten vaterländischen Dichter. Mit 3 Heliogravüren und vielen Holzschnitten. +Neunte+ Auflage. Prachtband 10 _M_. Aus dem reichen Schatze unserer Litteratur haben die köstlichsten Perlen der Poesie in dieser wirklich vornehm und anmutig ausgestatteten und mit einem entzückenden und stimmungsvollen Bilderschmuck versehenen Anthologie Aufnahme gefunden. Als Zierde des Büchertisches und als ein für alle Gelegenheiten passendes und dauernd wertvolles Geschenk kann dieses Prachtwerk nicht genug empfohlen werden. Als Gelegenheitsgeschenk wird gern gewählt die kleinere Sammlung: =Ich grüße Dich!= Von =Anna Schauberg.= Lieder und Gedichte. +Zwölfte+ Auflage, gänzlich neu bearbeitet von =Siegfried Moltke-Raimund.= Mit einem Farbendruck Titelbilde, zahlreichen Abbildungen und farbiger Texteinfassung. Goldschnittband 3 _M_. ☛ Gedenkbücher. ☚ =In gutem Geleit= von =Brigitte Augusti.= Ein Denk- und Merkbüchlein für alle Tage des Jahres. Zusammengestellt und ihren jungen Freundinnen gewidmet. In reich ausgestattetem Goldschnittband 4 _M_. Jeder Monat wird mit einem längeren Gedichte, jeder Tag mit einem kurzen, aber inhaltreichen Spruche begonnen. Für eigene Aufzeichnungen der Besitzerinnen des Buches ist hinreichend Raum gelassen und zu demselben Zwecke ein besonders festes, zart abgetöntes Papier in Anwendung gebracht worden. Besondere Sorgfalt ist auch auf originelle Ausstattung des Einbandes verwendet worden. (Die sonstigen Schriften =Brigitte Augustis= sind auf den Seiten 1-4 angezeigt!) * * * * * =Für den Lebensweg= von ~Lic. D. theol.~ =O. Riemann.= Gedenkblätter zur Erinnerung an den Konfirmationstag. In zwei Ausgaben. =Pracht-Ausgabe= mit 4 Heliogravüren nach Originalen von Professor +Heinrich Hofmann+ und O. +Schulz+ und künstlerischen Holzschnitten. Prachtband 9 _M_. =Kleine Ausgabe=, nur den mit farbiger Einfassung und bunten Kopfzeilen hergestellten Text, sowie die Holzschnitte enthaltend. Gebunden 4 _M_. Durch die glänzende Ausstattung, das handliche Format (kl. 4°) und die sinnige Anordnung des Inhalts ist mit diesem +Gedenkbuche+ eine der schönsten Konfirmationsgaben geboten. Neben den poesievollen, echt christlichen Begleitworten des Herausgebers sind für die Widmung des Geschenkgebers, den Denkspruch des Konfirmators, für Erinnerungsworte der Eltern, Geschwister, Verwandten, sowie für die Freunde und Freundinnen bestimmte, zumeist mit Allegorien geschmückte Blätter vorgesehen. ❧ =Geschenkwerke= von =Helene Stökl=. ❧ [Illustration: Holzschnittreproduktion der Heliogravüre in „=Feierstunden der Seele=.“] Auf der Schwelle des Lebens. Herzensworte als Mitgabe für deutsche Töchter bei ihrer Aufnahme in den Kreis der Erwachsenen von =Helene Stökl=. Mit Titelbild. 4. Auflage. Prachtband 4 _M_. Feierstunden der Seele. Dichterklänge zur Erquickung und Erhebung von Herz und Geist ausgewählt von =Helene Stökl=. Mit einer Heliogravüre. Prachtband 4 _M_. Druck von +August Pries+ in Leipzig. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK IM BANNE DER FREIEN REICHSSTADT *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. 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Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. 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